Skip to main content

Full text of "Fortschritte der Medizin"

See other formats


UNIVERSITY  OF  ILLINOIS 
LIBRARY 

Class  Book  Volume 

,  VO  ^7 

*  • 


V 


* 


* 


% 


. 


•: 


« 


P ortschritte  der  Medizin 


<~ 


Unter  Mitwirkung  hervorragender  Fachmänner 


herausgegeben  von 


Professor  Dr.  6.  Röster 

in  Leipzig. 


Priv.-Doz.  Dr.  v.  Criegern 

in  Leipzig. 


Redaktion:  Df.  RiQkf,  Leipzig. 


1909 

XXVII.  Jahrgang. 


Leipzig  1909 

VERLAG  VON  GEORG  THIEME. 


Fortschritte  der  Medizin. 


0,10.5 

^  o 


I,  Sachregister. 

(Die  fettgedruckten  Zahlen  bedeuten  Originalbeiträge.) 


A. 

Abdominaltyphus,  Kompl ikation  des¬ 
selben  mit  Gangrän  der  Extremitäten 
576. 

Abducenslähmung,  zur  Kasuistik  der¬ 
selben  nach  Lumbalanästhesie  mit 
Tropokokain  1079. 

Abführmittel  800. 

Abortbehandlung  727. 

Absces  cerebral  double,  diagnostique, 
trepanation  et  guerison  964. 

Abstinenzdelirien  178,  423. 

Abstinenzdelirium,  ein  angebliches 
966. 

Abszesse  der  Säuglinge,  über  die  Be¬ 
handlung  der  multiplen  mit  spezifi¬ 
schem  Vakzin  1341. 

Acetanilid,  Antipyrin  und  Phena¬ 
cetin,  die  schädlichen  Nebenwirkun¬ 
gen  derselben  1307. 

Achselhöhlenbrüste  bei  Wöchnerin¬ 
nen  439. 

Achsendrehung  des  Dickdarms  in  Be¬ 
ziehung  zu  Schwangerschaft  und  Ge¬ 
burt  246. 

Achylia  gastrica,  Pathogenese  und 
Aetiologie  1065. 

Adams -Stock  es’ sehe  Krankheit  und 
Syphilis  852. 

Addison’ sehe  Krankheit  853. 

Adenitis,  zervikale  und  submaxillare, 
nach  Diphtherie  211. 

Adenofibrom  der  Mamma  auf  tuber¬ 
kulöser  Basis  170. 

Aderlaß  204. 

—  der  Verfall  desselben  564. 

Adhäsionen,  peritoneale  experimentelle 
Untersuchungen  über  Verhütung  1035. 

Adhäsion,  zum  Prinzip  derselben  in 
der  Scheide  703. 

Adnexe,  Exstirpation  doppelseitig  er¬ 
krankter  35. 

Adnexerkrankungen,  chronische  ent¬ 
zündliche,  zur  operativen  Anzeige¬ 
stellung  JL182. 

Adrenalindosen,  große,  über  die  sub¬ 
kutane  Anwendung  solcher  in  der 
Therapie  diphtherischer  Blutdruck¬ 
senkungen  1342. 


Adrenalin-Ko  chsalzinf  usionen,  in¬ 
travenöse  590. 

Adrenalin,  über  den  Gehalt  des  Blutes 
hieran  bei  chronischer  Nephritis  und 
Morbus  Basedowii  1301. 

—  ein  Reagens  auf  Sympathikus-Läsion 


1344. 

—  über  die  Wirkung  subkutan  einver¬ 
leibten  Adrenalins  330. 
Agglutination,  über  den  Einfluß  von 
Wärme  und  Zeit  auf  den  Ablauf  der¬ 
selben  1380. 

Agglutinationsmethoden,  zwei  neue 


161. 


Agitation  motrice  forcee  cliez  un  de- 
genere  psychasthenique  967. 

Akne  298 


Aktual-  und  Psy  clio  neuro  sen  im 
Lichte  der  Freud’schen  Forschungen 
und  über  die  Psychoanalyse  964. 

A 1  b  u  1  a  k  t  i  n,  V ersuche  hiermit  bei  künst¬ 
lich  genährten  Säuglingen  625. 

Albuminurie,  über  lordotische  626. 

Alcuentasalben,  wasserlösliche,  Er¬ 
fahrungen  hiermit  564. 

Alkaptonurie  464. 

Alkohol  an  Wendung,  absolute  und 
relative  Indikation,  bei  einigen  ner¬ 
vösen  Zuständen  776. 

Alkohol  in  der  klassischen  Malerei  1050. 

Alkoholkranke,  Behandlung  derselben 
außerhalb  der  Irrenanstalten  150,  195. 

Alkoholseifen  250. 

Alkohol  und  Auge  926. 

Allgemeinanästhesie  für  kurz¬ 
dauernde  Eingriffe  218,  1141. 

Allgemeinbehandlung  von  Infek¬ 
tionskrankheiten  1257. 

Alopecie,  über  Behandlung  derselben 
mit  ultravioletten  Strahlen  1345. 

Alterssichtigkeit,  die  Korrektion  der¬ 
selben  durch  pantoskopische  Augen¬ 
gläser  926. 

Alypin  in  der  Zahnheilkunde  745. 

Amaurotische  FamilienTdiotie  781. 

Amerikanische,  periodische  medizini¬ 
sche  Literatur  89,  253,  518,  567. 

— - (The  Post  Graduate  Nov.  1908; 

The  american  journal  of  the  medical 


YI 


Sachregister. 


Sciences  Dez.  1908;  The  St.  Paul  me¬ 
dical  Journal  Dez.  1908)  409. 

Ammen  im  Krankenhause  920. 

Amyloidniere,  über  Entartungs-  und 
Heilungserscheinungen  661. 

Anaphylaxie  540. 

—  beim  Kaninchen  unter  besonderer 
Berücksichtigung  des  „Arthus’schen 
Phänomens“  845. 

Anaerobien,  Beitrag  zur  Züchtung  und 
Isolierung  848. 

Anämie,  Behandlung  der  perniziösen 
854. 

—  chirurgische  und  Wiederbelebung 
H45. 

—  zur  Ätiologie  der  perniziösen  121. 

Anästhesie,  über  sakrale  620. 

Aneurysma,  Beitrag  zur  idealen  Ope¬ 
ration  der  arteriellen  78. 

—  thoracicum  desc.endens,  die 
Symptome  desselben  1351. 

Angina  pectoris  und  Enteritis  muco- 
membranacea  734. 

—  —  und  paroxysmale  Tachykardie, 
Kunstgriff  zur  Unterdrückung  der 
Anfälle  660. 

—  Therapie  derselben  395. 

Anginoide  Zustände,  Beitrag  zur 

Pathogenese  und  Therapie  734. 

Angioma  a  rterio  venosum,  glück¬ 
liche  Entfernung  desselben  1138. 

Ankylostomiasis  992. 

Antikörper  bei  Tumoren  505. 

Antirabische  Wirkung  der  Hirnsub¬ 
stanz  in  toto,  über  den  sonderbaren 
Unterschied  der  zwischen  dieser  und 
jener,  der  weißen  und  der  grauen 
Substanz  getrennt  besteht  180. 

Antiseptica  in  der  Dermatologie  745. 

Antituberkuloseserum,  Marmorek, 
Erfahrungen  hiermit  695. 

Anuria  calculosa  1147. 

Aorten-Insuf f  izienz.  systolisches  Ge¬ 
räusch  124. 

Aorteninsuffizienz  und  Lues  507. 

Aperitol,  über  die  Wirkung  desselben 
1224. 

Aphasie,  Bernheims  Auffassung  177. 

—  innere  Sprache  und  Lokalisations¬ 
fragen  1271. 

—  kortikale,  motorische  nach  Pneumonie 

1220. 

Aphthongie  217. 

Aplasie,  angeborene,  der  Gallenwege, 
verbunden  mit  Leberzirrhose  durch 
Operation  behandelt  889. 

Apomorphin  an  wen  düng,  über 
schlimme  Zufälle  und  über  die  Be¬ 
ziehungen  zwischen  Würgakt  und 
Muskellähmung  329. 

Appendektomie,  zur  Frage  der  pro¬ 
phylaktischen,  und  der  systematischen 
Untersuchung  der  Gallenblase  bei 
gynäkologischen  Laparotomien  323. 


Appendices  epiploicae,  Beitrag  zur 
Frage  des  Zustandekommens  der  Tor¬ 
sion  1034. 

Appendicitis  gangränosa  und  Früh¬ 
operation  1034. 

Appendizitis,  chronische  957. 

—  die  Lagerung  des  Kranken  76. 

—  im  Kindesalter  1261. 

—  zur  Bakteriologie  der  akuten  und 
chronischen,  mit  besonderer  Berück¬ 
sichtigung  des  peritonealen  Exsudats 
1033. 

—  zur  Differentialdiagnose  508. 

—  Operation,  Vorteile  des  Median¬ 

schnittes  bei  derselben  801. 

—  therapie,  eine  neue  1062. 

Arhovin  747.  . 

Arseneisenpräparat  Asferryl,  Er¬ 
fahrungen  mit  demselben  1225. 

Arsenophenylglyzin,  Behandlungs¬ 
versuche  mit  demselben  bei  Paraly¬ 
tikern  1225. 

Arsen  paranuklei  ns  au  res  Eisen, 
über  das  Verhalten  desselben  und  der 
arsenigen  Säure  im  Organismus  747. 

Arsenwasser,  experimentelle  Unter¬ 
suchungen  auf  die  Magen-  und  Darm¬ 
funktion  1227. 

Arsentherapie,  zur  Methode  der  sub¬ 
kutanen  1350. 

Arsonvalisation,  Wirkung  lokaler  445. 

Arterien  - Krankheiten,  experimen¬ 
telle,  der  gegenwärtige  Stand  243. 

Arterien  und  Organe,  kranke,  Ersatz 
durch  gesunde  1139. 

Arteriosklerose  72. 

—  das  Verhältnis  von  Arterien-  und 
Kapillardruck  354. 

—  Genese  derselben  (Arteriitis)  29. 

—  (Dyskineaia  und  Paraesthesia  inter- 
mittens)  über  nervöse  Störungen  der 
oberen  Extremität  735. 

—  zur  Diagnostik  derselben  1281,  1324. 

Arthritis  gonorrhoica,  Behandlung 

derselben  849. 

Arzneimittel,  physiologische  Wert¬ 
bestimmung  derselben  441. 

Ärztliche  Ethik,  wird  in  der  Erziehung 
unserer  Medizin  Studierenden  der¬ 
selben  genügend  Rechnung  getragen? 
781. 

Asepsis,  der  Einfluß  derselben  und  In¬ 
fektion  auf  die  Technik  der  Entbin¬ 
dung  durch  Schnitt  730. 

Aspirin  bei  Fällen  chirurgischer  Tuber¬ 
kulose  1310. 

Asthma  bronchiale  und  dessen  Be¬ 
handlung  mit  Atropin  1180. 

- —  und  Verkleinerung  des  Herzens  357. 

Ataxie,  Friedreich’sche,  zur  pathologi¬ 
schen  Anatomie  551. 

—  nach  Diphtherie  278. 

Ätherrausch,  ein  einfaches  Mittel 

gegen  Erbrechen  129. 

Atmen,  die  Kunst  desselben  1001. 


Sachregister. 


YII 


Atoxyl,  experimenteller  Beitrag  zur 
Wirkung  desselben  auf  den  tierischen 
Organismus  590. 

—  physiologische  Wirkung  desselben  37. 

—  Vergiftung,  klinischer  und  experi¬ 

mentell-pathologischer  Beitrag  1153. 

Auf  stoßen  (Singultus)  der  Säuglinge  33. 

Auf wärts wandern  der  Bakterien  im 
Verdauungskanal  und  seine  Bedeutung 
für  die  Infektion  des  Bespirations- 
traktus  770. 

Augenbewegungen,  einseitige  897, 
933. 

Augenheilmittel  131. 

Aurikuloventrikular-Trennung, 
vollkommene  (auriculoventricular  dis- 
sociation)  ohne  synkopale  oder  epilep- 
tiforme  Anfälle  779. 

Ausspannungen,  über  kurze  1226. 

Atropinvergiftung ,  ein  letal  ver¬ 
laufener  Fall  1387. 

Azetonkörpergehalt  der  einzelnen 
Organe  beim  Phlorizindiabetes  465. 

B. 

Bacillus  Eberth  und  Bacillus  coli 
768. 

Bad,  das  heiße  444. 

Bakterienagglutination,  Beschleu¬ 
nigung  und  Verstärkung  derselben 
durch  Antieiweißsera  847. 

B akteri en an aphy  1  axi e  208. 

Bakteriengifte,  die  begünstigende 
Beizwirkung  kleinster  Mengen  auf  j 
die  Bakterienvermehrung  1137. 

Bakterien,  über  die  Anpassung  der¬ 
selben  an  die  bakteriolytische  Eigen¬ 
schaft  des  Blutserums  844. 

Bakterien,  über  die  feine  Struktur 
derselben  1255. 

Bakteriodizine  in  Perhydrasemilch  84. 

Bakteriolysine,  auf  natürlichem  W ege 
entstandene  1380. 

Balanoposthitis,  über  die  Varietäten 
desselben  215. 

Baldrianpräparate  bei  der  Hysterie 
443. 

Balkenstich  bei  Hydrocephalien,  Tu¬ 
moren  und  bei  Epilepsie  89. 

Baineologen  ko  ngreß,  der  30.,  in 
Berlin  485,  534,  5 70. 

B  a  1  n  e  o  t  h  e  r  a p  i  e  bei  durch  Stoffwechsel¬ 
störungen  bedingten  Herz-  und  Ge¬ 
fäßerkrankungen  444. 

Bandagenbehandlung  der  Brüche  413. 

Bandwurm,  zur  Frage  über  den  mut¬ 
maßlichen  Zusammenhang  zwischen 
der  Erkrankung  an  Bandwurm,  speziell 
Botryocephalus  latus,  und  derjenigen 
an  Lungentuberkulose  55. 

Bartholi n’sche  Drüse  und  K a r z i n o m, 
ein  Fall  von  doppelseitiger  sekundärer 
Erkrankung  324. 

Basedowsche  Krankheit,  akute  Be¬ 
handlung  derselben  mit  partieller  j 
Strumektomie  170. 


Basedowsche  Krankheit,  die  Bönt- 
gentherapie  derselben  747. 

Bauchorgane,  Verletzungen,  über 
offene  und  subkutane  469. 

Bau  cli  wunde,  penetrierende,  ohne 
Symptome  995. 

Bazillenträger  953. 

Bazillurie,  typhöse  1228. 

Bazillus,  über  einen  neuen,  als  Erreger 
eines  exanthematischen  Fiebers  in  der 
Mandschurei  während  des  japanisch- 
russischen  Krieges,  „Bacillus  febris 
exanthematici  Mandschurici“  1029. 

Beckenausräumung  beim  Uteruskar¬ 
zinom,  Bakteriologie  und  Technik  der¬ 
selben  247. 

Beckenerweiternde  Operationen 
und  Behandlung  der  Geburten  bei 
Beckenverengerungen  überhaupt  321. 

Bella  donna-Podophyllin-Pillen 
443. 

Benz  in  Vergiftung  27. 

Beobachtungen  und  Tricks,  diag¬ 
nostische  und  therapeutische  aus  der 
Landpraxis  373. 

Berliner  Brief  18,  266,  647,  1131. 

Beta-Oxybuttersäure,  N achweis  der¬ 
selben  im  Harn  1353. 

Bevölkerungsrückgang,  Bekämp¬ 
fung  desselben  1298 

Biologische  Beziehungen  zwischen 
Mutter  und  Kind  924. 

Bismutum  subnitricum,  V ergif tungs- 
erscheinungen  hierdurch  1387. 

Blase,  Behandlung  schwerer  Entzün¬ 
dungen  der  weiblichen  440. 

—  nb  es  ch  wer  den  des  Weibes  ohne 

zystoskopischen  Befund  1109. 

—  Beizzustände  in  derselben,  Diagnose 
und  Therapie  473. 

—  Verschluß  der  weiblichen  440. 

Blennorrhoea  neonatorum,  Behand¬ 
lung  derselben  mit  Binderserum  772. 

Blennorrhoea  urethrae,  Beitrag  für 
Abortiv-Behandlung  214. 

Blinddarmentzündungen  des  Jahres 
1907  in  Groß-Berlin,  Bemerkungen  zu 
dem  Bericht  über  die  Sammelforschung 
der  Berliner  medizinischen  Gesell¬ 
schaft  1320. 

Blinddarmentzündung  und  deren 
Behandlung  508. 

Blinddarm  kranke  nach  Operationen, 
gibt  es  objektive  Gründe,  die  uns 
veranlassen  können,  sie  in  fieber¬ 
freiem  Intervall  frühzeitig  aufstehen 
zu  lassen?  580. 

Blut- Alkali -Agar,  ein  Elektivnähr- 
boden  für  Choleravibrionen  1335. 

Blutbrechen  bei  Crises  gastriques  tabe- 
tiques;  Sektionsbefund  1385. 

Blutdruckerniedrigung,  Dauer  der¬ 
selben  durch  d’Arsonvalisation  1347. 

Blutdruckmessung,  die  auskulta¬ 
torische  im  Vergleich  mit  der  oszil- 
latorischen  (Becklinghausen)  und  ihr 


VIII 


Sachregister. 


durch  die  Phasenbestimmung  be¬ 
stimmter  klinischer  Wert  506. 

Blutdruckmessung,  mittels  des  Tono- 
graphen,  neue  Untersuchungsergeb¬ 
nisse  813. 

Blutdruck,  über  eine  einfache  Bestim¬ 
mungsmethode  des  diastolischen  957. 

Blutdrüsen,  der  Einfluß  derselben  auf 
die  Immunität  gegen  Infektionen  und 
Intoxikationen  793,  826. 

Blutentziehungen,  Einfluß  auf  die 
hämolytische  Kraft  279. 

Blutfarbstoff  503. 


Blutgeschwüre,  eine  Notiz  über  ihre 
Behandlung  1354. 

Blutkörperchen;  Zahl  der  roten,  wäh¬ 
rend  der  Menstruation  504. 

Blutleere  der  unteren  Körperhälfte  129. 

—  künstliche,  der  unteren  Körperhälfte 
nach  Momburg  288. 

Blutserum  gegen  posthämorrhagische 
Anämien  853. 

Bluttransfusion,  die  direkte  Beschrei¬ 
bung  eines  einfachen  Verfahrens  619. 

Blutviskosität,  das  Verhalten  der¬ 
selben  bei  Joddarreichung  334. 

Blutzellen,  das  Verhalten  der  roten 
bei  der  Biemerschen  progressiven 
Anämie  853. 

Bogenlicht,  blaues,  der  therapeutische 
Wert  der  Bestrahlung  granulierender 
und  eitriger  Wunden  und  Unter¬ 
schenkelgeschwüre  1276. 

Branntweinvergiftung  1193. 

Breslauer  Brief  59,  160,  236,  312,  379, 
491,  612,  830,  1055. 

Bromglidine,  über  klinische  Versuche 
und  Erfahrungen  hiermit  1195. 

Bromural  als  Schlafmittel  1278. 

—  als  Hilfsmittel  in  der  Psychotherapie 
1386. 


—  in  der  geburtshilflichen  und  allge¬ 
meinen  Frauenpraxis  963. 

Bronchiektasie,  über  akute  und 
chronische  bei  Kindern  625. 

Brotmehl,  bleihaltiges  über  Vergif¬ 
tungen  in  Negenborn  766. 

Brustkinder,  über  schlecht  gedeihende 
1157,  1201. 

Brustwarzen,  zur  Hygiene  derselben 
861. 


Bulbusruptur  mit  subkonjunktivaler 
Linsenluxation  und  Herausschleude¬ 
rung  der  Linse  aus  dem  Auge,  zwei 
Fälle  hiervon  1190. 


C. 

Caisson kranklieit  69. 

Celsus,  die  Medizin  desselben  im  Lichte 
moderner  Anschauungen  1169,  1207, 
1246. 

Chininbehandlung,  die  lokale  der 
Tuberkuloseherde  1348. 
Chininintoxikation  364. 


Chininlösungen,  über  den  Einfluß  auf 
die  Phagozytose  479. 

Chinin-  und  Harnstoff-Hydrochlo¬ 
ride,  Hvpodermatische  Anwendung, 
bei  der  Diagnose  und  Behandlung 
akuter  und  chronischer  Malaria-Infek¬ 
tion  249. 

Chinin,  über  die  Darreichung  bei 
Kindern  590. 

Chlorentziehung,  die  therapeutische 
1118. 

Chloride,  Ausscheidung  derselben  im 
Harn  bei  Nierensteinerkrankungen  662. 

Chloroformnarkose,  welchen  Einfluß 
hat  das  Überdecken  der  Maske  mit 
einem  Handtuche  auf  den  Verlauf 
derselben  732. 

Chlorom  1105. 

Cholecystitis,  die  Frühoperation  der 
akuten  sicheren  77. 

—  Diagnose  und  Therapie  der  akuten 
1063. 

Cliolelithiasis,  die  diätetische  Behand¬ 
lung  derselben  1117. 

Choleravibrionen,  überdas  Verhalten 
dem  menschlichen  Mageninhalt  gegen¬ 
über  353. 

Cholestearin,  immunisierende  lepsi- 
zide  Wirkung  desselben,  des  Lezithins 
und  verschiedener  Lezithin  enthalten¬ 
der  tierischer  Teile  846. 

Chorea,  die  Behandlung  derselben  549. 

Chorea,  die  physikalische  Therapie  der¬ 
selben  1081. 

Choreatische  Bewegungs  Störun¬ 
gen  bei  Neurosen  und  Psychosen  und 
Chorea  chronica  977. 

Chrysarobin,  birgt  die  übliche  äußere 
Behandlung  hiermit  irgend  welche  Ge¬ 
fahren  für  den  Kranken  in  sich  1309. 

Chrysarobinvergif tung  bei  interner 
Anwendung  365. 

Chylurie,  Europäische  1064. 

—  mit  Glykosurie,  ein  Fall  hiervon  1027. 

Coecum  mobile  593, 

Colloidale  Metalle,  chemisches  und 
biologisches  hierüber  331. 

Colon,  temporärer  Verschluß  desselben 
bei  Resektionen  oder  Ausschaltung 
des  Darms  1181. 

Concretio  et  Accretio  cordis,  zur  Klinik 
derselben  658. 

Constipation,  Direction  logique  587. 

Corpus  luteum  und  der  atresische 
Follikel  des  Menschen  und  deren 
zystische  Derivate  701. 

Coryfin  und  seine  Anwendung  746. 

CO-Vergiftungen,  verkannte  chro¬ 
nische  585. 

Coxa  valga  congenita  501. 

Coxa  vara,  ein  Frühsymptom  bei 
Osteomalazie  774. 

Coxa  vara  congenita,  ein  Fall  hier¬ 
von  698. 

Credeisierung  der  Neugeborenen  80. 


Sachregister. 


IX 


D. 

Dammriß,  zur  Naht  des  frischen  887. 

Darm-Blasenfistel  mittels  Darmaus¬ 
schaltung  zur  Therapie  derselben  1181. 

Darmblutungen  bei  Syphilis,  Aus¬ 
schaltung  des  Dickdarmes  286. 

Darmerkrankungen,  klinisch-diagno¬ 
stisch  schwierige  Krankheitsfälle  aus 
der  Gruppe  der  infektiösen  (Enteritis, 
Dysenterie,  Pseudodysenterie,  Para¬ 
typhus,  Typhus  1066. 

Darmfunktionen,  über  die  neueren 
klinischen  Untersuchungsmethoden 
der  Darmfunktionen  und  ihre  Ergeb¬ 
nisse  281. 

Darmperforation,  die  chirurgische 
Behandlung  derselben  im  Typhus  1228. 

Dar  ms  and,  die  Banane  eine  seiner 
Quellen  780. 

Darmstenose  durch  submuköse  Häma¬ 
tome  bei  Hämophilie  1035. 

Darm  Verletzung,  eine  seltene  193. 

D  arm  Verletzungen  bei  gynäkolo¬ 
gischen  Operationen  1143. 

Darm  Verschluß,  Diagnose  und  Be¬ 
handlung  des  inneren  30. 

Dämmerschlaf,  schmerzlose  Entbin¬ 
dungen  322. 

Degeneration,  Pathogenese,  der  kreti- 
nischen  179. 

—  traumatische,  und  Regeneration  des 
menschlichen  Gehirns  24. 

—  über  lipoide  505. 

Dekapsulation  der  Nieren  bei  der 
Eklampsie  1111. 

Dementia  paralytica  (Lues  Zerebro- 
spinalis)  in  der  Gravidität  387. 

Dementia  praecox,  zur  Frage  der 
Benennung  967. 

Demonstrationen  278,  467,  767,  880. 

Dermatosen  des  Gesichts,  Massage  bei 
denselben  1348. 

Desalgin  806. 

—  ein  Chloroformpräparat  in  Pulverform 
zu  internem  Gebrauch  663. 

Desinf ection  des  appartements,  une 
methode  nouvelle  808. 

Diabetes,  die  diätetische  Behandlung 
778. 

—  gebiet,  über  neuere  Forschungen  aus 

demselben  465. 

—  Grundzüge  der  diätetischen  Behand¬ 
lung  des  schweren  474. 

—  insipidus,  hereditäre  Form  31. 

—  mellitus,  zur  Kasuistik  derselben  1061. 

—  milch,  über  die  Boumasche  1117. 

—  über  die  Zunahme  der  Todesfälle  und 
die  Möglichkeit,  den  Ausbruch  der 
Krankheit  zu  verhindern  oder  hinaus- 
zuschiebeu  773. 

Diarrhöen,  chronische  540. 

Diät,  die  kochsalzarme,  als  Heilmittel 
632. 

Dickdarm,  zur  Physiologie  und  Patho¬ 
logie  desselben  1070. 


Dickdarm,  zur  Pathologie  und  Therapie 
dej  falschen  (erworbenen)  Divertikel 
1066. 

Differentiation  of  the  bazilli  of  the 
typhoid  group,  a  new  test  for  it  768. 

Digalen,  zur  Kenntnis  der  Wirkung 
desselben  1276. 

Digitalis  als  Blutstillungsmittel  806. 

— beliandlung,  Beiträge  zur  Kenntnis 
476,  628. 

—  fragen,  zweie  aus  der  Praxis.  I.  1195. 

— ■  über  Gebrauch  und  Mißbrauch  628. 

—  Wirkung  an  Gesunden  und  an  kom¬ 

pensierten  Herzkranken  441. 

Diphtheriefälle  des  Jahres  1907  in 
der  Krankenanstalt  Sudenburg  623. 

Diphtherieserum,  Antitoxiagehalt  des¬ 
selben.  Acidität  der  Antitoxine  353. 

—  bei  Asthma  990. 

—  bei  Erysipelas  990. 

—  Heilwirkung  bei  ausgedehnten  Läh¬ 
mungen  243. 

—  weshalb  versagt  dasselbe  in  gewissen 
Fällen  554. 

Diphtherie  und  Heilserum  989. 

Diphtherie  Vergiftung  und  ihre  Be¬ 
handlung,  Beiträge  hierzu  803. 

Diplosal,  ein  neues  Antirheumatikum 
807. 

—  ein  neues  Salizylpräparat  1244. 

Dislokation  der  Schulter  nach  vorn  779. 

Diurese,  die  heutigen  Methoden  zur  An¬ 
regung  derselben  38,  477. 

Divertikel  der  männlichen  Harnröhre, 
Beitrag  zur  Histologie  und  Genese 
der  kongenitalen  Divertikel  171. 

Duodenalgeschwür,  _  Diagnose  des¬ 
selben  958. 

--Verschluß  858. 

Duodenum,  Folgen  der  totalen  Resek¬ 
tion  126. 

D  ü h  r i  n  g  s  c  h  e  K  r  a n k  h  e  i  t  mit  Sclileim- 
hautlokalisation  211. 

Dysphagietabletten  333. 

Dysmenorrhoe  und  Uterusblutungen, 
die  Behandlung  derselben  333. 

Dyspepsien  im  Kindesalter,  zur  Diagno¬ 
stik  und  Therapie  derselben  1061. 

Dystrophia  musculorum  progres¬ 
siva  921. 

E. 

Edgar  Allan  Poe  und  die  medizinische 
Geschichte  781. 

Eileiterepithel,  über  Bau  und  Funk¬ 
tion  desselben  beim  Menschen  und 
bei  Säugetieren  501. 

Einfluß  der  Berufsarbeit  auf  die  Herz¬ 
größe.  —  Einfluß  des  Militärdienstes 
auf  die  Herzgröße  29. 

Eisenpräparate  133. 

Eiweißbedarf  des  Kindes  362. 

Ei  weiß  best  immun  g,  quantitative,  im 
Harn  356. 

Eiweiß,  wiewiel  braucht  der  Mensch  631. 


X 


Sachregister. 


Eklampsie,  die  Pathogenese  derselben 
und  ihre  Beziehungen  zur  normalen 
Schwangerschaft,  zum  Hydrops  und 
der  Schwangerschaftsniere  1338. 

—  zur  Klinik,  Statistik  und  Therapie  der¬ 
selben  1305. 

Eklampsieätiologie,  zur  plazentaren 
Theorie  derselben  1304. 

Elektro  -  Dauerwärmer  (Elektro- 
Kataplasmen)  140. 

Elektroden,  leicht  auswechselbare  1 199. 

Elektro-Ionisierung,  Behandlung  der 
Sklerosen  des  Ohrs  585. 

Elektrokardiogra m m  49G. 

Elektrolyse  des  F  urunkels  und  Galvani¬ 
sation  der  Epididymitis  1263. 

Elektrotherapie,  moderne  Bemerkun¬ 
gen  hierzu  1227. 

Ellbogen  gelenk  -  An  k  y  1  o  s  e  n ,  Be¬ 
handlung  mittels  Überpflanzung  von 
ganzen  Gelenken  428. 

Empyem,  dentales  der  Kieferhöhle,  zur 
Kenntnis  derselben  971. 

Empyeme  der  oberen  Nebenhöhlen,  Be¬ 
handlung  derselben  971. 

Endometritis,  die  medikamentöse 
Therapie  860. 

zur  Anatomie,  Pathologie  und  Thera¬ 
pie  der  chronischen  1382. 

Enge  Becken,  Operationsmethoden  bei 
Geburten  175. 

Entartungsfrage  1078. 

Entbindungslähmungen,  zur  Be¬ 
handlung  derselben  926. 

Enteritis,  akute  84. 

Enteritisgruppe,  Untersuchungen  über 
Bakterien,  insbesondere  über  die  so¬ 
genannten  „Fleischvergiftungserreger“ 
und  die  sogenannten  „Rattenschäd¬ 
linge“  164. 

Enterokolitis,  die  praktische  Behand¬ 
lung  der  schleimig-membranösen  244. 

Entlastung,  die  Prinzipien  der  zere¬ 
bralen  86. 

Entvölkerung  Frankreichs,  die  zu¬ 
nehmende  und  die  Antikonzeptions¬ 
liga  777. 

Enukleation,  vollständige  der  Gaumen¬ 
mandel  1342. 

Enuresis  nocturna,  über  die  Behand¬ 
lung  desselben  mittels  epiduraler  In¬ 
jektionen  nebst  experimentellen  Ver¬ 
suchen  über  die  Ätiologie  dieser  Er¬ 
krankung  1110. 

Epigastrischer  Druckpunkt, 
welchem  Organ  gehört  derselbe  an  127. 

Epiglottis,  Behandlung  der  tuberku¬ 
lösen  627. 

Epilepsie,  Behandlung  derselben  mit 
Borax  589. 

—  eine  statische  Theorie  derselben  1221. 

—  Einfluß  des  Alkohols  178. 

—  und  Ernährung  476. 

Epilepsiebehandlung,  neuere  Brom¬ 
präparate  588. 


Epilepsiebehandlung,  zur  diäteti¬ 
schen  und  pharmazeutischen  in  der 
Privatpraxis  587. 

Epiphysenfraktur  des  oberen  Hume¬ 
rusendes,  zwei  auf  eine  neue  Art  er¬ 
folgreich  behandelte  Fälle  740. 

Epistaxis,  Beitrag  zur  Behandlung  der¬ 
selben  1109. 

Epityp  h  litis,  über  Spätfolgen  der¬ 
selben  430. 

—  über  Unterschiede  in  der  Temperatur 
beider  Achselhöhlen  282. 

Erdschluß  in  der  Elektrotherapie  13S. 

Erkältungsnephritis  168. 

Erkrankungen  der  weiblichen  Genita¬ 
lien  und  ihrer  Nachbarschaft  durch 
Behandlung  des  Darmkanals  beein¬ 
flußt  856. 

Ernährung  der  Diabetiker  41. 

—  der  Kranken  40. 

—  des  Neugeborenen,  natürliche,  zur 
Physiologie  und  Technik  derselben 
1267. 

Erwiderung  zu  den  Bemerkungen  des 
Berichts  über  die  Sammelforschung 
der  Berliner  medizinischen  Gesell¬ 
schaft,  betreffend  die  Blinddarment¬ 
zündungen  des  Jahres  1907  in  Groß- 
Berlin  1323. 

Erysipel  975. 

—  die  Differentialdiagnose  577. 

Erythrämie  1257. 

Essence  de  terebenthine  d’oucraina, 
Experiences  sur  le  pouvoir  desinfec- 
tant  d’un  melange  compose  d’essence 
de  terebenthine,  cl’acide  phenique,  de 
naphthaline  et  d’ether  sulfurique  250. 

Eubornyl,  ein  kräftig  wirkendes  Derivat 
der  Baldrianwurzel  1277. 

Euphyllin,  ein  neues  Diuretikum  442. 

Europhen,  einiges  über  den  Gebrauch 
desselben  301. 

—  in  den  verschiedenen  Indikations¬ 
gebieten  1126. 

Eusemin,  Erfahrungen  hiermit  1224. 

Exantheme,  Entgiftung  des  Körpers 
bei  akuten  1109. 

Extrakt,  ein  künstlicher,  zur  Anstellung 
der  Luesreaktion  690. 

Ex  tr  actum  Digitalis  depuratum 
(Digipuratum  „Knoll“),  die  Wirkung 
desselben  auf  das  Zirkulationssystem 
1222. 

F. 

Faden  rezidiv  nach  Gallensteinopera¬ 
tionen  399. 

Farbensehn  und  seine  Beziehungen  zu 
den  anderen  Sinnen  206. 

Fasten  als  Heilmittel  363. 

Favus  433. 

Faszialislähmung  nach  Zahnextrak¬ 
tion  1081. 

Fehldiagnose  der  Verengerung  des 
linken  venösen  Östiums  1300. 


Sachregister. 


XI 


F  e  mursarkom,  kongenitales  geheilt 
durch  operative  und  Röntgenbehand¬ 
lung  741. 

Fergus  Äther-Atmer  80 

Fermente  im  Tierkörper,  gibt  es  redu¬ 
zierende  586. 

Fermiform dämpfe,  über  die  Behand¬ 
lung  der  Lungentuberkulose  durch 
Einatmen  solcher  1810. 

Ferralbol,  Versuche  mit  einem  neuen 
Eiweißpräparat  1349. 

Fersenschmerzen  402. 

Fibrome  am  Finger,  ein  Fall  von  an¬ 
geborenen,  nebst  Beiträgen  zur  Ka¬ 
suistik  der  Fingertumoren  692. 

Fiebertemperaturen,  über  den  Ein¬ 
fluß  derselben  auf  die  Mikroben  und 
die  Schutzkräfte  des  Organismus  1256. 

Fieber  und  Fieberbehandlung  641, 
686,  854. 

Fingerphalanx,  die  Fraktur  der  di¬ 
stalen  infolge  Abriß  der  Strecksehne 
696. 

Finkeistein’ sehe  salzarme  Kost 
beim  Sänglingsekzem,  beim  Strophu- 
lus  und  Pruritus  infantum  32. 

Finsenverfahren,  über  Kontraindi¬ 
kation  desselben  1276. 

Fleischbrühe  in  der  Säuglingsernäh¬ 
rung,  eine  Indikation  hierfür  925. 

Fleisch,  die  Wirkung  desselben  auf 
Vegetarianer  364. 

Flexurkarzlno m,  Frühdiagnose  eines 
durch  rektale  Endoskopie  1260. 

Forest’ sehe  Nadel;  über  die  Anwen¬ 
dung  derselben,  zur  Unterstützung 
von  Krebsoperationen  1358. 

For m a  1  i n  gegen  Mücken  207. 

F  o  r  m  an  in  1 1  ab  1  e  1 1  e  n,  ein  F all  von  Ver¬ 
giftung  365. 

Fortschritte  der  Medizin  in  den 
letzten  Dezennien  1041,  1093,  1121. 

Fovea  centralis  retinae  beim  Men¬ 
schen,  über  die  Enstehungsweise  481. 

F  r  ak  t  ur b  eh  an  d  lu  n  g  alter  Zeiten,  was 
daraus  zu  lernen  ist?  402. 

—  moderne,  mit  Zuhilfenahme  des  Rönt¬ 
genverfahrens  974. 

Frauenkrankheiten,  über  eine  neue 
und  wirksame  Behandlungsweise'  ver¬ 
schiedener  entzündlicher  Krankheiten 
247. 

F  rauen  -W a  li  1  r  e  c  h  t,  Wirkung  desselben 
409. 

Fränkelscher  Pneumokokkus  und 
Schwindsucht  1030. 

F riedreich’sche  Krankheit  mit  Dia¬ 
betes  mellitus  466. 

% 

Fruchtwasser,  über  die  Herkunft  des¬ 
selben  702. 

F  riihdiagnose  der  verschiedenen  Tuber¬ 
kuloseformen  und  der  Einfluß  der 
nordischen  Meere  (Ost-  und  Nordsee) 
auf  Tuberkulose  1179. 

Frühgeburt,  künstliche,  der  Blasenriß 
bei  derselben  729. 


F ulguration  bei  Kehlkopfkarzinom  972. 

—  hiermit  behandelte  Krebse  744. 

—  Wirkung  derselben  auf  Mikrobien  1346. 
Fulgurationsbehandlung  der  Krebse 

nach  Keating-Hart  742. 

—  des  Karzinoms  1346. 

O« 

Galle,  experimentelle  Untersuchung  über 
die  bakterioly  tische  Wirkung  der¬ 
selben  und  ihrer  Salze  gegenüber  den 
augenpathogenen  Keimen  130. 
Gallen  bestandteile  im  Urin,  eine 
schnelle  Reaktion  1070. 
Gallenblase,  Gangrän  derselben  durch 
Stieldrehung  618. 

Gallengang,  Zvsten  des  gemeinsamen 

1147. 

—  Verschluß,  Diagnose  des  totalen, 

mit  besonderer  Berücksichtigung  der 
Untersuchungsmethoden  202. 
Gallensteine  bei  einem  71/2 jährigen 
Knaben  618. 

Gallensteine  in  der  Harnblase  618. 
Gallensteinileus  399. 

Gangrän  des  Beins  nach  Unterbindung 
der  Art.  fern,  unter  Momburg’scher 
Blutleere,  ein  Fall  hiervon  1302. 

—  präsenile  infolge  von  Arteriitis  obli- 
terans  843. 

Gasbäder,  die  Herstellung  moussieren¬ 
der  durch  Elektrolyse  (Hydroxbäder) 
1358. 

Gastroenterostomie,  über  die  auf¬ 
tretenden  Beschwerden  und  das  radio- 
logische  Verhalten  „des  anastomo- 
sierten  Magens  400. 

Gas  Wechsel  der  Phthisiker  885. 
Gaumenbogennäher  und  Mandel¬ 
quetscher  1344. 

Gaumen  ge  schwüre  bei  Abdominal¬ 
typhus  1260. 

Gaumenmandeln,  Tuberkulose  der¬ 
selben  1343. 

Gebärmutterblutungen,  die  Behand¬ 
lung  derselben  mit  Serum  886. 

—  die  Behandlung  derselben  mit  Stvptol 

646. 

Gebärmuttervorfall,  Behandlung  des¬ 
selben  mit  Chinininjektionen  in  die 
Ligamenta  lata  1183. 
Geburtsbestrebungen,  die  Gefahren 
der  natürlichen  bei  Plaeenta  praevia 
und  ihre  Verminderung  durch  den 
extraperitonealen  Uterusschnitt. 
Geburtshilfe,  alte  und  neue  317. 
Gehirn,  Beiträge  zur  Pathologie  357. 

—  über  die  Selbständigkeit  desselben  in 
der  Regulierung  seiner  Blutversorgung 
502. 

—  rinde,  über  den  Stand  der  Lokali¬ 

sationslehre  für  einige  Gebiete  239. 
Gehör  ohne  Trommelfell  und  Knöchel¬ 
chen  182. 

—  organ  und  chronische  Infektions¬ 

krankheiten  181. 


XII 


Sachregister. 


Gehör  und  N  a s  e n  a t  m u n  g  bei  Schülern 
1342. 

Gelatineklistiere,  heiße,  bei  Darm¬ 
blutungen  738. 

Gelenkkrankheiten,  B eziehungen  zur 
klimakterischen  Lebensepoche  245. 

Gelenkrheumatismus,  akuter,  medi¬ 
kamentöse  Therapie  333. 
die  Behandlung  des  akuten  1030. 

Geißelfäden  an  Spirillen  des  Rekurrenz- 
und  des  Zeckenfiebers  208. 

Geistesstörung,  drei  Fälle  sinnlicher, 
mit  dem  Symptom  „falscher  Antwor¬ 
ten'1  966. 

Geistesstörungen,  Selbstvergiftung 
180. 

Geisteschwache,  Epileptische  und 
geistig  Minderwertige,  Referat  über 
die  Fürsorge  und  Unterbringung  der¬ 
selben  241. 

Gemeinde  als  Kurort  1214. 

Gemütsbewegungen  ,  Einfluß  dersel¬ 
ben  auf  die  Funktionen  des  Nahrungs¬ 
kanals  1145. 

Genese  der  übertragbaren  Krankheiten 
1388. 

Genickstarre  in  der  Garnison  Würz¬ 
burg,  Untersuchungen  509. 

Genitala p p a rat,  über  Tuberkulose  des 
weiblichen  1141. 

Genitalien,  psychische  Störungen  von 
den  männlichen  ausgehend  922. 

Genitalsphäre,  Behandlung  von  Stö¬ 
rungen  in  derselben,  von  der  Nase  aus 
885. 

Geräusche,  über  das  Verhalten  systo¬ 
lischer  bei  Lagewechsel  733. 

Gerinnbarkeit  des  Blutes  als  Prophy- 
lacticum  468. 

Geschlechtsorgane,  über  das  Binde¬ 
gewebe  der  weiblichen  547. 

G  e  w  e  b  s  f  1  ü  s  s  i  g  k  e  i  t  e  n ,  die  b akterizide 
und  hämolytische  der  tierischen  und 
ihre  Beziehungen  zu  den  Leukozvten 
1135. 

Gicht  75. 

—  diätetische  und  physikalische  Behand¬ 
lung  183. 

Pathologie  und  Therapie  derselben 

120. 

Gichtische  Affektionen  an  Hoden 
und  Prostata  31. 

Gliedmaßen,  Transplantation  741. 

Glühlichtbad,  zur  ration eilen  Anwen¬ 
dung  und  Konstruktion  des  Glühlicht¬ 
bades  750. 

Glühlichtbäder  bei  Asthma  bronchiale 
516. 

Glykosurie,  über  den  Einfluß  von 
diuretiscli  wirkenden  Mitteln  auf  das 
Zustandekommen  der  alimentären  466. 

Goitre  exophthalmique  et  du  rheuma- 
tique,  Rapports  394. 

Gonorrhoe,  über  die  interne  Behand¬ 
lung  der  akuten  1274. 


Gonorrhoeische  Prozesse,  über  spe¬ 
zifische  Behandlung  969. 
Granulobacillus  saccharobutyri- 
cus,  über  Versuche,  aus  Gärungs¬ 
stühlen  denselben  zu  züchten  848. 
Graues  Pulver,  Anwendung  desselben 
bei  der  Syphilis  der  Neugeborenen. 
Grundgesetz,  über  ein  pharmakolo¬ 
gisches  586. 

Gummihandschuhe,  zur  Sterilisation 
derselben  1306. 

Gynoval,  ein  neues  Baldrianpräparat 
‘  1277. 

S4. 

Haarausfall,  die  Behandlung  desselben 
1273. 

Hallux  valgus,  Osteotomie  des  Keil- 

focins  997 

Hamburger  Brief  341,  564,  606,  942, 
1251,  1294. 

Handtellerplastik,  über  den  opera¬ 
tiven  (plastischen)  Ersatz  von  ganz 
oder  teilweise  verlorenen  Fingern,  ins¬ 
besondere  des  Daumens  461. 

Harn,  Zusammensetzung  desselben,  Ver¬ 
wertbarkeit  derselben  bei  der  Lungen¬ 
entzündung  356. 

—  blaseno  varialf istel  durch  die  Zys- 

toskopie  diagnostiziert  1110. 

—  desinfektionsmittel,  experimen¬ 

telle  Untersuchungen  über  formal¬ 
dehydhaltige  interne  332. 

—  drang,  Behandlung  desselben  bei  ver¬ 

schiedenen  gynäkologischen  Affek¬ 
tionen  248. 

—  indikan  und  Kotindol,  über  den 

Mangel  von  Relation  derselben  126. 

—  inkontinenz,  eine  neue  Methode,  in 

hoffnungslosen  Fällen  Hilfe  zu 
schaffen  1139 

—  säure- Reaktion,  eine  neue  466. 

—  stoff,  über  die  steigernde  Wirkung 

des  subkutan  eingeführten,  auf  den 
Eiweißstoffwechsel  1000. 
Hautgangrän  nach  Paraffineinspritzun¬ 
gen  mit  tödlichem  Ausgang  1336. 
Hautimpfungen,  wiederholte,  mit 
Tuberkulin  695. 

Hautkrankheiten,  zur  Röntgenthera¬ 
pie  183. 

Hautkrebs,  Therapie  desselben  471. 
Hautphänomen  bei  Säuglingen  81. 
Hautreize,  über  ein  neues  Verfahren 
zur  Erzeugung  633. 

Hauttuberkulose  bei  Affen,  über  ex¬ 
perimentelle  279. 

Haut-  und  Nierenkrankheiten,  zu 
den  Beziehungen  zwischen  denselben 
1109. 

Hämagglutination,  über  bakterielle 
209. 

Hämatemesis,  die  Bedeutung  derselben 
1146. 

Hämatogene  Infektion  bei  Appen¬ 
dizitis  und  Cdiolecystitis  801. 


Sachregister. 


XIII 


Hämatom' a  vulvae  als  Geburtshinder- 
nis  886. 

Hämatopan,  die  chemisch-biologischen 
Eigenschaften,  und  sein  therapeu¬ 
tischer  Wert  in  der  Praxis  229. 

Hämaturie,  ein  Beitrag  zur  Lehre  der 
„essentiellen“  441. 

—  und  ihre  Behandlung  1272. 

Hämolyse  der  Streptokokken  347. 

—  —  —  in  der  Schwangerschaft,  Unter¬ 
suchungen  hierüber  1216. 

—  Vermeidung  derselben  bei  der  Trans¬ 
fusion  620. 

Hämorrhoidalknoten,  der.entzündete 
und  seine  Behandlung  996. 

Hebosteotomie,  die  Walcher’sche  oder 
die  Bumm’sche.  Zwei  grundsätzlich 
verschiedene  „subkutane  Stichmetho¬ 
den“  174. 

—  und  künstliche  Frühgeburt  821. 

—  wiederholte  1220. 

Heftpflaster,  elastisches  1232. 

Heilgymnastik  in  der  Therapie  des 
praktischen  Arztes  633. 

Heilmittel,  die  Bedeutung  der  physi¬ 
kalischen  Eigenschaften  derselben  für 
seine  Dosierung  1170. 

Heilserum-Behandlung,  die  natür¬ 
lichen  Grenzen  der  Wirksamkeit  der¬ 
selben  bei  der  Diphtheria  faucium 
und  ihre  notwendige  Ergänzung  durch 
bestimmte  lokale  Maßnahmen  242. 

Heißlufttherapie  bei  diabetischer 
Gangrän  750. 

H  emiplegie,  über  das  Verhalten  des 
weichen  Gaumens  bei  der  zerebralen 
1384. 

Hernia  diaphragm atica  1148. 

He  rnien  nach  Appendizitis-Operationen 
995. 

Herz  alternans  125. 

Herzdilatation  659. 

—  die  Beeinflussung  durch  C0.2-Bäder  406. 

Herzfehler,  angeborener  und  Polycy- 
thämie  733. 

—  in  Infektionskrankheiten;  ihre  Ver¬ 
hütung  und  erfolgreiche  Behandlung 
1351. 

Herzgefahren  in  großen  Höhen  779. 

Herzgröße,  die  Bestimmung  derselben 
mit  besonderer  Berücksichtigung  der 
Orthophotographie  (Distanzaufnahme, 
Teleröntgenograpliie)  634. 

—  orthodiagraphische  Beobachtungen 
über  Veränderungen  derselben  bei 
Infektionskrankheiten,  bei  exsudativer 
Perikarditis  und  paroxsymaler  Tachy¬ 
kardie,  nebst  Bemerkungen  über  das 
röntgenologische  Verhalten  der  Pneu¬ 
monie  515. 

—  über  Veränderung  derselben  im  heißen 
und  kalten  Bade  1274. 

Herzinsuffizienz  733. 

Herzkranke  im  Gebirge  736. 

—  und  Schwangerschaft  319. 


Herzmuskel,  Verteilung  des  Stickstoffs 
im  hypertrophischen  736. 

Herzschmerz  654. 

—  und  seine  Beseitigung  1017. 

Herztod,  über  den  postdiphtherischen 

1108. 

Herz  und  Gemüt  1062. 

—  und  Thorax,  das  räumliche  Mißver-  * 
hältnis  125. 

Hetoltherapie,  Indikation  und  Technik 
derselben  104,  154. 

Hirnanatomie  und  vergleichende  An¬ 
thropologie  290. 

Hirn  ent  wicklung  für  den  aufrechten 
Gang,  Bedeutung  derselben  290. 

Hirnerkrankung  mit  tödlichem  Aus¬ 
gang  ohne  anatomischen  Befund  967. 

Hirngeschwülste,  chirurgische  Be¬ 
handlung  derselben  800. 

Hirntumor  bei  Paralyse,  ein  Fall  hier¬ 
von  1188. 

Hochfrequenzströme  bei  Prostata¬ 
hypertrophie  328. 

—  Fulguration  und  Transthermie  1274. 

—  und  Hysterie,  nebst  Bemerkungen 
zur  Pathogenese  der  Hysterie  518. 

Höckernase,  ein  Fall  hiervon  691. 

Höhenklima  und  Herzkrankheiten 
1227. 

Hörtäuschungen  durch  Salizylsäure 

879. 

Hüfte,  die  schnappende  1140. 

Hüftverrenkung,  angeborene,  Demon¬ 
stration  schwierig  zur  Heilung  ge¬ 
brachter  Fälle  1302. 

Hydrargyrum  oxycyaiiatum  als  in¬ 
ternes  Antisyphiliticum  1349. 

Hydriatik  des  Typhus  abdominalis  404. 

Hydrocephalus  internus  idiopaticus 
chronicus  mit  Beteiligung  des  IV.  Ven¬ 
trikels,  erst  diagnostiziert,  dann  durch 
Punktion  bestätigt  und  durch  Opera¬ 
tion  (Ventrikel drainage)  zurzeit  ge¬ 
heilt  965. 

H y  d  r o  n  e p  h  r o  s  e ,  über  den  Zusammen- 
hang  der  intermittierenden  mit  Geni¬ 
talleiden  bei  Frauen  172. 

Hydrops  der  Gallenblase,  über  einen 
Fall  von  akutem,  bei  Scharlach  1260. 

Hygiene  des  Ohrs  1144. 

Hy  os  ein -Morphin  in  der  Geburtshilfe 
35. 

Hyperämie  als  Heilmittel  in  der  Gynä¬ 
kologie  und  Geburtshilfe  176. 

Hypertrophie  und  Organkorrela¬ 
tion  124. 

Hypophysenglykosurie  168. 

Hypophysen  und  Nebennieren¬ 
extrakt,  vergleichende  Studien  über 
die  Wirkung  330. 

Hypophysis-Pulver  bei  Herzkranken 
848. 

Hypophysis  und  psychische 
Störungen  921. 

Hypoplasie  der  Leber,  ein  Fall  von 
angeborener  1068. 


XIV 


Sachregister. 


1. 

ichias,  Differentialdiagnose  der  peri¬ 
pheren  296. 

Ich  thalbin  808. 

Ichthyol,  therapeutischer  Wert  des¬ 
selben  bei  der  Pockenbehandlung  134. 

Icterus  gravis,  ein  Fall  hiervon  1064. 

—  hämolyticus  1065. 

—  neonatorum  1186. 

Idiosynkrasie,  einige  seltene  Fälle  206. 

Idiotie,  mongoloide  753, 

Ileocöcal  tuberkulöse,  zur  Patho¬ 
logie  und  Therapie  der  tumorbilden¬ 
den  stenosierenden  692. 

Ileus  durch  Entspannungs nähte  286. 

—  über  duodenalen  postoperativen 

1134. 

Immunisierung,  aktive,  kommt  der 
bei  derselben  auf  tretenden  negativen 
Phase  eine  Bedeutung  im  Sinne  der 
erhöhten  Empfänglichkeit  des  vacci- 
nierten  Individuums  zu?  845. 

Immunisierungs versuche  gegen  Tu¬ 
berkulose  und  Perlsucht  389. 

Impf  schütz,  Untersuchungen  über  den¬ 
selben  mittels  der  Bordet’sclien  Re¬ 
aktion  1137. 

Indolbildung  des  Bakterium  coli 
commune,  Untersuchungen  hierüber 
1063. 

Infektion,  multiple,  einige  Fälle  hier¬ 
von  1148. 

Infektiöse  Rückfälle,  zum  Mechanis¬ 
mus  der  Pathogenese  hierbei  318. 

Influenzabazillen  im  Bronchialbaum 
357. 

Injektionen,  die  Gefahren  und  der 
Nutzen  der  intrauterinen  859. 

Injektionsnadeln,  Risse  in  denselben 
565. 

Inkontinenz,  weibliche,  durch  Narben¬ 
zug  440. 

Innere  Medizin,  der  26.  Kongreß  zu 
Wiesbaden  834. 

Insuffisance  pluriglandulaire  166. 

Interpositio  uteri  vesico -  vagi¬ 
nalis,  Dauererfolge  348. 

Intra  derma -  Tuberkulin -Reaktion 
436,  1178. 

Involutionserscheinungen  beim 
Mann  397. 

Irren  wesen,  gegenwärtiger  Stand  548. 

Irrigaltabletten,  über  die  Wirksam¬ 
keit  derselben  605. 

Ischialgie,  Behandlung  derselben  mit 
Lange’sclier  Kochsalzinjektion  1080. 

Ischias,  übereinen  Fall,  der  mitSpermin 
geheilt  ist  1385. 

I  s  c  h  o  c  h  y  m  i  e ,  Gallensteinerkrankung 
vortäuschend  282. 

I  s  o  f  o  r m ,  Erfahrungen  über  Anwendung 
als  Streupulver,  Gaze,  Zahnpaste 
(Saluferin-Zahnpaste)  usw.  443. 


J* 

Jackson’sche  Epilepsie,  Beitrag  zur 
Kasuistik  und  Ätiologie  derselben 
108°. 

Jodferratose  in  der  Kinderheilkunde 
974. 

Jodival  in  der  Kinderpraxis  452. 

Jodoformknochenplombe,  v.  Mo- 
setig-Moorhof  741. 

Jod  omenin,  ein  neues  Jodpräparat  in 
der  allgemeinen  Praxis  663. 

J odtetrachlorkohlenstoff  und  Der- 
magummit,  Desinfektion  der  Hände 
und  der  Haut  582. 

Jodtinktur,  chirurgische  Indikationen 
für  den  Gebrauch  derselben  581. 

—  zur  Desinfektion  der  Haut  621. 

Jotione  nella  patica  Dermosifilopatica, 

564. 

§€. 

Kaiserschnitt,  historisches  und  kriti¬ 
sches.  über  denselben  888. 

—  in  moderner  Beleuchtung  1143. 

—  Rückblick  und  Ausblick  887. 

Kalte  Füße  unserer  Schüler  777. 

Kalziumhypophosphit  bei  Epilepsie 
1080. 

Kantharidentinktur  bei  akuter  Ne¬ 
phritis  663. 

Karellkur,  Bedeutung  derselben  bei 
der  Beseitigung  schwerer  Kreislauf¬ 
störungen  und  der  Behandlung  der 
Fettsucht  475. 

Karlsbader  Wasser  und  die  Harn¬ 
säure  972. 

Kartoffelnährbouillon  zur  Züchtung 
der  Tuberkelbazillen  351. 

Karzinom,  die  Behandlung  desselben 
mittels  Fulguration  994. 

—  und  Jontophorese  633. 

—  über  nicht  operative  Heilversuche  958. 

Karzinosarkom  des  Uterus  960. 

Ivastenklappstuhl  1199. 

Kataplasmen,  eine  neue  Form  hiervon 
zur  Erzeugung  trockner  Wärme  445. 

Katatonie  im  Kindesalter  360. 

Katheter,  der  Gebrauch  des  mit  wächse- 
ner  Spitze  versehenen  Katheters  bei 
der  Diagnose  der  Nierensteine  beim 
Manne  215. 

Kehlkopf,  Contusion  desselben  514. 

—  krebs,  Frühdiagnose  und  Behandlung 

desselben  1115. 

—  tuberkulöse,  Behandlung  derselben 

durch  Sonnenlicht  1117.  • 

Keilbein  höhle,  Radikaloperation  217. 

Keilresektion  des  Corpus  uteri  wegen 
chronischer  Metritis  855. 

Keime  in  der  Natur,  Untersuchungen 
über  die  Verbreitung  der  ultramikro¬ 
skopischen  848. 


Sachregister. 


XY 


Kenopräzipitinreaktion  und  ihre 
Beziehung  zur  Kenotoxinforschung 
847. 

Keuchhusten,  Ätiologie  desselben  32, 
555. 

Keuch  huste  nbehandlung  892. 

Keuchhusten,  die  Leukozytose  bei 
demselben  mit  einer  Analyse  von 
112  Fällen  211. 

Keuchhusten,  Ictus  laryngis  bei  dem¬ 
selben  513. 

—  Untersuchungen  zur  Entstehung  83. 

—  zur  Therapie  desselben  556. 

Kieferhöhle,  direkte  Endoskopie  510. 

Kieferhöhlenempyem,  endonasale 

Operation  627. 

Kindbettfieber  1266. 

Kind,  die  Sorge  für  dasselbe  782. 

Kinde  r  1  ä  h  m  ungen,  Behandlung 
schwerer  556. 

Kinderschutz  in  Ungarn,  der  staat¬ 
liche  1269. 

Kl ebro -Binde  526. 

Kleinhirnbrückenwinkeltumor,  zur 
Klinik  desselben  257. 

Klimatotherapie,  biologische  Ge¬ 
sichtspunkte  in  diesem  Gebiete  404. 

Klinische  und  praktische  Erfah¬ 
rung  1307. 

Knabe  oder  Mädchen  1298. 

K  nochen  b  r  ü  c  h  e ,  zur  Behandlung  der¬ 
selben  durch  Extension  739. 

Knoclienp  anaritien  1263. 

Knochenplastik,  die  Verwendung  der 
freien,  nebst  Versuchen  über  Gelenk¬ 
versteifung  und  Gelenktransplantation 
400. 

Knochentuberkulose,  das  hygieni¬ 
sche  Element  in  der  Behandlung  der¬ 
selben  1230. 

Kochsalzlösung,  14  °/0  für  Augen¬ 
spülungen  132. 

Koch’sches  Tuberkulin,  über  die 
Immunisierung  des  gesunden  Men¬ 
schen  hiermit  693. 

Kohlensäurebäder,  über  den  Mi߬ 
brauch  derselben  328. 
und  einfache  Wasserbäder,  Beiträge 
zur  Kenntnis  des  Indifferenzpunktes 
hierbei  1275. 

Kohlensäure,  feste,  gegen  Warzen  und 
Hühneraugen  1227. 

Kollapsinduration,  über  die  ein¬ 
fache  nicht  tuberkulöse,  der  rechten 
Lungenspitze  bei  chronisch  behin¬ 
derter  Nasenatmung  28,  1179. 
Kollargolbehandlung  1224. 

Kollar golklysmen,  die  Behandlung 
septischer  Erkrankungen  331. 

Kollodium  974. 

Kompendiöser  Kasten  für  Instru¬ 
mente,  Verbandstoffe  und  Medika¬ 
mente,  der  gleichzeitig  als  Kochgefäß 
dient  744. 

Komplementablenkung  und  biologi¬ 
sche  Diagnose  maligner  Tumoren  162. 


Komplement  ab  sorption,  über  den 
Mechanismus  derselben  durch  Bakte¬ 
rienextrakte  1137. 

Komplementbindung  als  Hilfsmittel 
der  anatomischen  Diagnose  209. 

—  bei  Immunisierung  mit  Corpus  luteum 
845. 

K  o  mp  1  em  en  tb  indung  s  m  e  th  o  d  e , 
über  die  Verwendbarkeit  derselben  zur 
Diagnose  der  Meningitis  epidemica 

433. 

—  phänomene,  experimentelle  Unter¬ 

suchungen  über  die  Leistungsfähig¬ 
keit,  für  die  Typhusdiagnose  434. 

—  reaktion  bei  Scharlach  1113. 

Komplement,  über  die  Beeinflussung 

des  hämolytischen,  durch  Injektion 
Leukozytose  erregender  Mittel  (Hetol 
und  Hefenukleinsäure)  846. 

Komprimierte  Luft,  die  Verhütung 
der  Erkrankungen  nach  Aufenthalt 
in  derselben  561. 

Konjunktival-Reaktion  auf  Tuber¬ 
kulose,  Untersuchung  435. 

Konstitution,  die  Beziehungen  der¬ 
selben  zu  örtlichen  Leiden  691. 

Konzeption,  Menstruation  und 
Schwangerschaftsberechnung 
320. 

Kornealreflex,  einseitiges  Erlöschen 
desselben  bei  Hemiplegien  1271. 

Koxitis,  neues  Zeichen  zur  Früh¬ 
diagnose  78. 

Körperkultur,  eine  neue  Methode  der 
Hautpflege  nach  griechischem  Muster 
407. 

K  r  a  n  k  h  e  i  t  s  d  i  a  g  n  o  s  e ,  die  Wichtigkeit 
der  Modifikationen  der  Sensibilität 
1147. 

Krämpfe  bei  Neugeborenen  802. 

Krebs,  die  Behandlung  des  Gesichts¬ 
und  Hals- (Nacken-) Krebses  781. 

Kreosotal  bei  Erkrankungen  der  At¬ 
mungsorgane  1268. 

Kreosot  bei  Säuglings-Diarrhoen  1184. 

Kromay  er’sche  Quarzlampe,  über 
die  Behandlung  von  Hautkrankheiten 
mit  derselben  749. 

Ivufeke,  Erfahrungen  hierüber  bei  ge¬ 
sunden  und  kranken  Säuglingen,  bei 
älteren  Kindern  und  Erwachsenen 
1267. 

Kuhn’sche  Saugmaske,  Beitrag  zur 
Behandlung  der  Lungenkrankheiten 
mit  derselben  1180. 

Kürette  und  Abortbehandlung  34. 

Kurpfuscherei,  zur  Psychologie  der¬ 
selben  90. 

Kutan  reaktion,  v.  Pirquet-Detresche 
163. 

L. 

Labyrintheiterungen,  Beiträge  zur 
Klinik  296. 

L ag e v e r än d e r u n g e n  des  Herzens 
bei  relativer  Enge  des  Thorax  353. 


XVI 


Sachregister. 


Laminektomie,  explorative  und  Menin¬ 
gitis  serosa  circumscripta  284. 
Landbevölkerung,  die  Herabsetzung 
der  körperlichen  Entwickelung  206. 
Lange  Bazillen,  über  das  Vorkommen 
solcher  im  Verdauungstraktus  und 
ihre  Beziehungen  zu  den  Funktions¬ 
störungen  des  Magens  1067. 
L’arthritisme  par  suralimentation  849. 

Laryngitis,  die  professionelle  518. 
Laryngostenose  nach  Morbillen  251. 
Larynxkondy  lome  1116. 
Larynxstenose  beim  Erwachsenen, 
ein  Fall  hiervon,  mit  Intubation  er¬ 
folgreich  behandelt;  beständiges  Tra¬ 
gen  der  Tube  während  vier  Jahrei 
1116. 

Larynxtuberkulose  über  den  Infek¬ 
tionsweg  616. 

Larynx  und  Ösophagus,  Einfluß  der 
Stenosen  auf  die  Genitalien  218. 
Lateralsklerose,  einseitige  201. 

Lähmung,  die  Antitoxinbehandlung  der 
diphtherischen  82. 

Lähmungstypus,  über  einen  seltenen, 
nach  Gebursstrauma  1186. 
Lävulosurie,  alimentäre  466. 

Lebensalter  und  Serumkrankheit 
991. 

Lebensweise,  die  vegetarische,  bei  Ge¬ 
sunden  1118. 

Leber  in  der  Tuberkulose  1229. 

—  lues,  zwei  Fälle  mit  langdauerndem 

Fieber  284. 

- Syphilis,  die  Wassermann’sche  Re¬ 
aktion  hierbei  804. 

—  zirrhose,  kleines  Herz  bei  derselben 

736. 

Leib-Büste n -  Hüften -  Halt er  411. 

Leipziger  medizinische  Gesellschaft 

158. 

Leprakonferenz,  II.  internationale 

1869. 

Leukämien,  zur  Differentir  ’agnose 
468. 

Leukämie,  über  familiäres  Auftreten 
der  chronischen  1166. 

Leukämische  Erkrankung  des  Larynx 

97 

U  f  • 

Leukozyten-Extrakt  (Hiss),  die  Be¬ 
handlung  akuter  Infektionskrank¬ 
heiten  mit  vorstehendem  1146. 
Leukozytengranulationen,  über  das 
Verhalten  der  basophilen,  im  Ver¬ 
lauf  der  Haemolyse  124. 
Leukozytose  bei  Keuchhusten  355. 

— -  bei  Nephritis  396. 

Lezithin,  die  Anwendung  von  physio¬ 
logisch  reinem  746. 

Licht,  die  Schädigung  des  Auges  durch 
dasselbe  und  ihre  Verhütung  337. 

- — strahlen,  die  Wirkung  der  ultraviolet¬ 
ten  auf  das  Auge  499. 

Lin  oval,  eine  neue  Salbengrundlage 
598. 


Lipoide  als  Schutzkörper  1028. 

Lokalanästhesie  an  den  Gliedmaßen 
zu  erzeugen,  über  einen  neuen  Weg 
dazu  581. 

Lombroso’sche  Doktrinen,  die  vier 
in  Bethune  Enthaupteten  1269. 

Lorchelintoxikation  1192. 

Lues  congenita,  der  Eiweißgehalt  und 
die  Lymphozytose  des  Liquor  cerebro¬ 
spinalis  bei  Säuglingen  624. 

—  ein  Beitrag  zur  Serodiagnostik  in  der 
Geburtshilfe  963. 

—  nach  weis  durch  Farbenreaktion  690, 

714. 

—  zur  Prognose  der  hereditären  1273. 

Luftduschen,  heiße  137. 

Luftembolie  oder  Synkope  514. 

Luftinjektionen  207.  _ 

Lufträume,  die  nasalen  215. 

Lumbalanästhesie  mit  Novocain  bei 
gynäkologischen  Operationen  1175. 

Lungenabszeß,  chronischer,  operative 
Behandlung  397. 

Lungenblähung,  die  Frage  nach  der 
Entstehung  396. 

Lungenemphysem,  Rückwirkung  auf 
den  Verlauf  des  Asthmas  395. 

Lungenentzündung,  die  Bell andlung 
derselben  1176. 

Lungenentzündungen,  sind  die  mit 
epityphlitischen  Schmerzen  einher¬ 
gehenden  embolischer  Natur  1237. 

Lungenkarzinom,  primäres  1353. 

Lungenschwindsucht,  die  Hydro¬ 
therapie  derselben  1276. 

Lungentuberkulose,  der  Wert  der 
Röntgenuntersuchung  für  die  Früh¬ 
diagnose  derselben  und  die  Bedeu¬ 
tung  der  röntgenologischen  Lungen¬ 
untersuchung  für  die  Lungenheil¬ 
stätte  136. 

—  physikalische  Behandlung  derselben 
durch  Hyperämie,  Lymphstrombeför- 
derung  usw.  vermittels  der  Lungen¬ 
saugmaske  883. 

—  zur  medikamentösen  Behandlung  629. 

Lungen-  und  Herzkrankheiten,  über 

Behandlung  mit  Hitze  956. 

Lupus,  die  Behandlung  desselben  299. 

Luxationsfrakturen,  zwei  derWirbel- 
säule  ohne  Markläsion  697. 

L  vmpliangio  endo  thelioma  o  varii 
‘  856. 

Lymphdriisenbef unde  bei  kongeni¬ 
taler  und  postfötaler  Lues  168. 

Lymphdrüsen,  erkrankte,  über  die 
Vermehrung  504. 

—  tuberkulöse,  über  eine  hierin  vorhan¬ 
dene,  Tuberkelbazillen  tötende  Sub¬ 
stanz  999. 

—  Verhalten  derselben  bei  Gelenkaffek¬ 
tionen  396. 

Lymphsystem  der  Nase  und  der  Ton¬ 
sillen,  Zusammenhang  desselben  1343. 


Sachregister. 


XVII 


M. 


M  a  c  r  o  b  i  o  s  e ,  ein  neues  Nährmittel  1119. 
Magdeburger  medizinische  Gesellschaft 


849. 


Magenchemismus,  über  die  Verände¬ 
rung  desselben  nach  Gastroentero¬ 
stomie  736. 

Magen-Darmblutungen,  postopera¬ 
tive,  speziell  nach  Appendizitisopera¬ 
tionen  398. 

Magen-D armdy spepsie,  chronische, 
und  chronische  dyspeptische  Diarrhöen 
des  Kindesalters  1341. 

Magendarmtätigkeit  im  Röntgenbild 
443. 


Magendrüsen,  die  sekretorische  Funk¬ 
tion  derselben  unter  abnormen  Be¬ 
dingungen  der  Innervation  und  Kanali¬ 
sation  des  Organs  1069. 

Magenfunktionsuntersuchung,  die 
Bedeutung  derselben  für  die  Diagnose 
des  Ulcus  ventriculi  280. 

Magengeschwür,  die  Behandlung  des 
runden  mit  Eisenchloridgelatine  1258. 

—  die  Diagnose  desselben,  nachgewiesen 
durch  Operation  1228. 

—  und  seine  Folgezustände,  über  die 
chirurgische  Behandlung  579. 

—  zur  Behandlung  desselben  1259. 

Mageninhalt,  über  die  Restbestimmung 
desselben  nach  Mathieu-Remond  737. 

Magenmotilitätsprüf ung  mit  Hilfe 
der  Röntgenstrahlen  183. 

M agen Verdauung  beim  Kinde  1228. 

Magnesium sulfat  bei  Verbrennungen 
746. 

Malaria,  die  Therapie  derselben  992. 

—  einheimische,  in  Leipzig  32. 

Mal  de  mer  Contribution  au  traitement 
577. 

Maligne  Tumoren,  experimentelle  Er- 
zeugungbei  Tieren  durchInfektion279. 

Marmorek’s  Tuberkuloseserum  162, 
435,  436. 

Ma  rmorekserum,  weitere  Beobachtun¬ 
gen  in  der  Tuberkulosetherapie  bei 
der  Anwendung  693. 

Mars-Gürtel  141. 


Massage,  Schutz  der  Haut  bei  derselben 
253. 

—  und  Heißluftbehandlung  634. 

—  und  Nephroptose  137. 

—  zur  Physiologie  derselben  514. 

Masern,  die  Hydriatik  derselben  406. 

Mäusekarzinome,  ultraviolette  Strah¬ 
len  heilen  diese  1347. 

Max  quelle  in  der  Pfälzischen  Kinder¬ 
heilstätte,  über  den  Gebrauch  der 
stark  arsenhaltigen  Quelle  1268. 

Medianus-  und  Ulnaris-Lähmung, 
zur  Pathologie  derselben  1187. 

Medizin,  innere,  26.  Kongreß  zu  Wies¬ 
baden  673,  715,  760, 910,  918,  985,1029. 

Men  ingitis,  über  epidemische  392. 


Meningocele,  psammomähnliche  Bil¬ 
dungen  in  der  Wand  506. 

Meningokokkendiagnose  162. 

Meningo-Myelitis,  syphilitische,  30 
Jahre  nach  dem  Primäraffekt  923. 

Meßgerät,  ein  neues  für  die  Röntgen¬ 
technik  1196. 

Metallinstrumente,  Sterilisation  der¬ 
selben  128. 

Metritis,  über  chronische  854. 

Migräne,  eine  periodische  Neuralgie 
des  Halssympathicus  88. 

—  zur  Pathogenese  derselben  1188. 

Mikroorganismen,  anaerobe,  derMund- 

höhle,  über  Züchtung  derselben  437. 
e-  Studien  über  das  Verhalten  einiger 
pathogener  bei  niedriger  Temperatur 
1379. 

Mikroskopische  Präparate,  eine 
neue  Methode  der  Anfertigung  91. 

Mikro sph ygmi  e  74. 

Mikrosporie-Epidemie  in  St.  Gallen 

212. 

Milchalbumin,  zur  Geschichte  und 
Kenntnis  derselben  625. 

Milchküche,  die  Gießener  925. 

Milch  Sekretion,  ist  eine  spezifische 
Anregung  derselben  möglich?  861. 

Milchüberfluß  eine  häufige  Ursache 
des  vorzeitigen  Abstillens  872. 

Milch  veränderet*  (milk  modifiers),  der 
Effekt  solcher  auf  die  kindliche  Magen¬ 
verdauung  1353. 

Miliartuberkulose  der  Haut  bei 
Tuberkulose  derAorta  abdominalis  74. 

Milz-Anämie,  Splenektomie,  Genesung 
580. 

Milzbrand  der  Tonsillen  30. 

—  über  die  Behandlung  desselben  243, 
1032. 

—  über  die  Serumbehandlung  desselben 
beim  Menschen  576. 

—  bazillus,  Beiträge  zur  Biologie  des¬ 

selben  352. 

MindeU'ugabung,  über  die  Ent¬ 
stehungsursachen  und  Verhütung  der¬ 
selben  im  schulpflichtigen  Alter  1298. 

Mineralwasser,  U ntersuchungen  zu r 
physiologischen  Wirkung  1226. 

—  kur,  die  physiologisch  dosierte  als 

Übungstherapie  des  Darms  bei  habi¬ 
tueller  Stuhlträgheit  1213,  1347. 

Mißbildung,  eine  seltene  menschliche 
und  ihre  Bedeutung  für  die  Ent- 
wickelnngsgeschichte  408. 

Mittelohreiterungen ,  Saugbehand¬ 
lung  182. 

M  i  1 1  e  1  o  h  r  k  a r z i  n  o  m  im  Lichte  moder¬ 
ner  Krebsforschung  297. 

Momentaufnahmen,  Röntgen-  und 
Schnell-Aufnahmen  727. 

Mongolismus,  anatomische  Studien 
über  denselben  893.  • 

Montan  in  Vergiftung,  tödliche  364. 

Morbus  Basedow,  Durchfälle  394. 

—  Brigliitii,  zur  Hydriatik  516.^ 


XVIII 


Sachregister. 


Morphin  und  Opium,  die  gewerbliche 
Vergiftung  der  Haut  585. 

Morphium,  die  verstärkende  Wirkung 
desselben  durch  Skopolamin  1309. 

Mors  subita  der  Herzkranken  659. 

Muskelfibrin  als  Nahrungsmittel,  zur 
Bewertung  desselben  1386. 

Muskelkontraktur,  ischämische  und 
Gipsverband  697. 

Mutter  körn  präparate,  überlebender 
Uterus  als  Testobjekt  für  die  Wertig¬ 
keit  derselben  37. 

Mutterschaftskasse,  die  geplante 
Karlsruher  565. 

Mütter  Sterblichkeit  in  Deutschland 
565. 

Münzen,  wie  sollen  diese  aus  der  Speise¬ 
röhre  entfernt  werden?  618. 

Myasthenie,  das  Wesen  derselben  und 
die  Bedeutung  der  „hellen“  Muskel¬ 
fasern  für  die  menschl.  Pathologie  87. 

Myomblutung,  ein  Fall  von  tödlicher 
nach  Röntgenbestrahlung  1265. 

Myome  und  Uterus  musk  u  1  atur, 
Untersuchungen  über  die  chemische 
Zusammensetzung  547. 

W. 

Nabel,  zur  Versorgung  desselben  bei 
Neugeborenen  1267. 

Nabelversorgung  1306. 

Nachklänge  von  der  81.  Versammlung 
Deutscher  Naturforscher  und  Ärzte 
in  Salzburg  1373. 

Nagana-Trypanosoma,  einige  Unter¬ 
suchungen  280. 

Nagel,  die  Behandlung  des  eingewach¬ 
senen  mit  Eisenchlorid  744. 

—  die  Operation  des  eingewachsenen  996. 

Nährmittel,  Wesen  und  Bedeutung  der 

künstlichen  363. 

Nährpräparate,  Fabrikanten  und  Ärzte 
1385. 

Narbengewebe,  seine  Beschränkung 
und  Beseitigung  993. 

Narbenkarzinome  692. 

Narkose,  die  geburtshilfliche  544. 

—  intravenöse  71. 

—  und  Lezithin  1226. 

- Flüssigkeit,  Ausbleiben  der  Wir¬ 
kung  auf  das  Bewußtsein  bei  unge¬ 
wöhnlich  großen  Mengen  997. 

Narkotisieren,  Erfahrungen  hierüber 
1337. 

Nase  und  Brustkorb,  Beziehungen 
zwischen  beiden  970. 

Nasendeformitäten,  die  Korrektur 
äußerer  800. 

Nasendiphterie  bei  Säuglingen  81. 

Nasenrachen-Polypen,  Anatomie  und 
Behandlung  der  fibrösen  511. 

Nebennieren,  Farbstoff  derselben  503. 

—  gesch wulst  der  Vulva  als  einzige 

Metastase  eines  malignen  Nebenniei;en- 
tumors  der  linken  Seite  546. 

—  Substanz  und  Rachitis  891. 


N eb  e n ni  e r  e n  t h e r  ap i e  bei  unstillbaren 
Schwangerschaftserbrechen  544. 

Nephritis,  ein  Fall  von  tuberkulöser 
nach  einer  Angina  bei  einem  sonst 
gesunden  Kinde  891. 

■ —  Serumtherapie  derselben  und  der 
Tuberkulose  75. 

• —  vikariierende  Tätigkeit  des  Darmes 
hierbei  1066. 

—  chronische  im  Kindesalter  1186. 

—  —  Nebennierenverändemngen  283. 

—  hämorrhagica  durch  Tetragenus 
396. 

Nephropexie,  über  eine  neue  Methode 
1141. 

Nervus  medianus,  die  Schädigung des- 
selben  als  Komplikation  des  typischen 
Radiusbruches  697. 

Nervensyphilis,  Behandlung  derselben 
49. 

Nervenzellenfärbung,  ein  neues  Ver¬ 
fahren  hierzu  892. 

Neubildungen,  primäre  des  Herzens 
1300. 

Neugeborene,  Therapie  der  Erkran¬ 
kungen  derselben  1233,  1291. 

Neuleder-  und  trockene  Reib  ege - 
rausche,  die  Entstehung  bei  der  Aus¬ 
kultation  779. 

Neurasthenie,  über  den  Begriff  der¬ 
selben  295,  361. 

Neuras  thenische,  psychasthenische 
und  verwandte  Zustände  1221. 

Ne  uro  n  lehre,  Bemerkungen  zum  heu¬ 
tigen  Stand  295. 

Neurosen,  Prognose  und  Behandlung 
der  vasomotorisch-trophischen  553. 

Niere,  Beiträge  zur  Physiologie  und 
Pharmakologie  derselben  1308. 

—  das  Fehlen  einer  zweiten  vom  chirur¬ 
gischen  Standpunkt  1138. 

Nieren- Anomalien  660. 

Nierendek apsul ation  bei  Eklampsie 
438. 

Nierenentzündungen,  Symptomato¬ 
logie  355. 

Nierenkrankheiten,  medizinische 
funktionelle  Diagnostik  660. 

Nierenlager,  Blutung  in  dasselbe  287. 

Nieren  tuberkulöse  169. 

—  einige  diagnostisch  bemerkenswerte 
Fälle  282. 

NierenveränderungenbeiU  reter  vagi¬ 
nalfisteln  1111. 

Nieren  Wirkung,  über  eine  spezifische 
der  Digitaliskörper  442. 

Nikotin -Entziehungsanstalt  „Nea“ 
528. 

N iß lsclie  Granula  bei  der  Lumbalan¬ 
ästhesie,  experimentelle  Untersuchun¬ 
gen  über  Veränderungen  derselben  79. 

Noma  bei  Erwachsenen  395. 

Normal-  und  Immunsera,  die  phago¬ 
zytosebefördernden  Stoffe  998. 

Nukleogenan Wendung  bei  Neuras¬ 
thenie  334. 


Sachregister. 


XIX 


Xyst  agmus,  der  künstliche  beim  Ge¬ 
sunden  583. 

--Typen,  die  Feststellung  verschiedener 

mittels  graphischer  Registrierung  582. 

0. 

Ödem,  allgemeines  bei  Säuglingen  557. 

Ödeme,  Pathogenese  und  kausale  Thera¬ 
pie  8(15,  902,  936,  9S2,  1009. 

Öle,  medizinische  als  Pulver  745. 

Ösophagusschnitt,  Beitrag  zur  Chi¬ 
rurgie  des  unteren  579. 

Ohrensausen,  Schwerhörigkeit  und 
Schwindel,  Behandlung  584. 

Ohrentrichter,  praktische  1359. 

Ol.  jecoris  Aselli  bei  Parotitiden  133. 

Operationen,  plastische  am  Knochen¬ 
system  369. 

Operationsresultate,  über  die  pri¬ 
mären  und  die  Dauerfolge  nach  80 
abdominalen  Totalexstirpationen  des 
myomatösen  Uterus  322, 

Operierte  sollen  nicht  zu  lange  liegen  79. 

Ophtalmo-Fundoskop,  Beobachtun¬ 
gen  mit  dem  Baum’ sehen  1312. 

Ophtalmolo  gische  Gesellschaft, 

Bericht  über  die  35.  Versammlung, 
Heidelberg  1908  199. 

Ophtalmoreaktion,  Beitrag  zur  Kritik 
694,  1256. 

—  kritische  Abhandlung  zur  Theorie 
und  Praxis  nebst  Literaturverzeichnis 
bis  1.  September  1908  163. 

Opium-  und  Morphin  Wirkung,  ein 
Beitrag  zum  Vergleiche  derselben  589. 

O ps oninnntersuchungen  bei  Mutter 
und  Kind  1107. 

Opsonische  Kraft  und  kurative  Wir¬ 
kung  einiger  therapeutischer  Sera  846. 

Opsonischer  Index  bei  Tuberkulose 
694. 

Organgewebe,  die  Bindungsverhält¬ 
nisse  derselben  gegenüber  Toxinen 
und  ihre  klinische  Bedeutung  für  In¬ 
kubation  und  natürliche  Immunität 
208. 

Orthopädie  des  praktischen  Arztes  1303. 

Orthopädische  Apparate  in  der 
Kinderpraxis  656. 

Osteo-Artliritis,  sog.  rheumatische 
Arthritis,  Arthritis  deformans  usw., 
Natur,  Diagnose  und  Behandlung  der 
metabolischen  1352. 

Osteomyelitis,  intraartikuläre  um¬ 
schriebene  akute,  der  Synchrondrosis 
sacro-iiiaca.  ‘  Operation,  Heilung  mit 
guter  Funktion  128. 

Oszillierende  Ströme,  über  die  Be¬ 
handlung  der  Herzkrankheiten  406. 

Otitis,  chronische,  Resultate  der  kon¬ 
servativen  Behandlung  584. 

Otologie  im  Felde  1145. 

Ovarialkarzinom  bei  Karzinom  des 
Uterus  323. 

Ovariotomie  während  der  Geburt  438.  i 


Ovarium,  über  die  Tätigkeit  desselben 
in  der  Schwangerschaft  728. 

Ozäna  und  Syphilis  626. 

—  Lehre  217. 

P» 

Panaritium  der  Melker  128. 

Pankreas,  Erkennung  und  Behandlung 
der  Erkrankungen  385. 

—  diabetes,  die  Azidose  hierbei  1382. 

—  —  zur  Therapie  desselben  773. 

—  erkrank ungen,  Beiträge  zur  Dia¬ 
gnostik  1065. 

Pankreatitis  vom  Standpunkt  der 
klinischen  Chirurgie  1336. 

Pantopon  630. 

Papillome  des  Kehlkopfs,  Behand¬ 
lung  der  multiplen,  bei  kleinen  Kin¬ 
dern  1114. 

Paraffinbehandlung  der N abelbrüclie 

305. 

Paralyse,  über  die  juvenile  293. 

Paralytiker,  die  Nachkommen  1188. 

—  in  ihrer  äußeren  Erscheinung  922. 

Parathy  roid-Drüsen  1388. 

Pa  re  tische  Muskeln,  klinische  Studie 
über  die  Veränderungen  in  denselben, 
die  durch  seitliche  Sehnennaht  mit 
gesunden  Muskeln  verbunden  sind 
1182. 

Parotitis  bei  Pneumonie  1286. 

Patellarreflex,  Fehlen  desselben  bei 
scheinbarer  spinaler  Gesundheit  119. 

Penetrierende  Stichverletzungen 
des  Abdomens,  zur  Kausuistik  der¬ 
selben  842. 

Perhydrol  und  N atriumperboricum 
in  der  Chirurgie  129. 

Perikarditis,  die  operative  Behand¬ 
lung  derselben  995. 

Peritonitis  des  W eibes,  akute  diffuse, 
soll  man  vaginal  oder  suprapubisch 
drainieren?  324. 

—  nach  Appendizitis,  die  Behandlung 
der  allgemeinen  398. 

—  und  Thrombophlebitis  zur  opera¬ 
tiven  Behandlung  der  puerperalen  857. 

—  zur  Kasuistik  derselben  im  Säuglings¬ 
alter  890. 

Perityphlitis  und  Peritonitisbe¬ 
handlung  76. 

Diagnostik  und  Behandlung  171. 

Peristaltikstudie,  eine  röntgenogra- 
pliische  und  die  Beziehung  der  Wel¬ 
lenform  zu  funktioneller  Aktivität  780. 

Perkussionshammer  und  Plessi¬ 
meter  zur  Schwellenwertperkussion 
des  Herzens  660. 

Perkussionssymptome  bei  Pleura¬ 
ergüssen  1302. 

Perkussion,  verdient  dieselbe  als 

Lungenuntersuchungsmethode  größere 

Aufmerksamkeit?  1146. 

Pes  equino  varuy,  über  die  Behand¬ 
lung  des  paralytischen  997. 

2* 


XX 


Sachregister. 


Pestbazillen,  über  die  Wirkung  der 
toxischen  Produkte,  auf  die  Atmung 
437. 

Petroleumv  ergif  tung  1193. 

Pflegerfrage,  Beitrag  hierzu  968. 

Pfortaderthrombose,  Ätiologie  der¬ 
selben  282. 

Pharyngoskop,  ein  elektrisch  erleuch¬ 
tetes  1344. 

Pharyngotomie,  mediane  512. 

Pharynx,  Blutungen  bei  Eiterungen 512. 

Phimose  im  Kindesalter  82. 

Phlebektasien,  präkapillare,  auf  der 
vord.  und  hint.  Thoraxwand  bei  Er¬ 
krankungen  der  Zirkulations-  und 
Atmungsorgane  30. 

Phobien  und  Dyspepsien  1068. 

Phonasthenie  der  Sänger  240. 

Phosiron,  therapeutische  Erfahrungen 
hiermit  1348. 

Phosphor  in  der  Therapie  der  Rachitis. 
Behandlung  der  Rachitis  mit  Leber¬ 
tran,  Phosphor  und  Kalk  1185. 

—  oxy chlorid,  über  Vergiftung  586. 

Phototherapie  327. 

Phrenokardie,  ist  die  von  Max  Herz 

beschriebene  eine  scharf  abzugren¬ 
zende  Form  der  Herzneurosen  1300. 

Plithiseogenese  272. 

Phthisiker,  respiratorischer’Stoffwech- 
sel  derselben  im  Nachtschweiß  166. 

Phymatiosis,  einige  neue  Ideen  da¬ 
rüber,  dem  internat.  sog.  Tuberku¬ 
lose-Kongreß  von  1908  vorgelegt  165. 

Pilokarpinzusatz  zu  Bromsalzen  589. 

Pirquet’sche  Reaktion  bei  Säuglingen 

1112. 

Plac  enta  praevia,  was  leistet  die 
moderne  Therapie  hierbei  732. 

—  —  zur  Behandlung  derselben  544, 
731,  1071,  1072. 

—  —  zur  Therapie  und  Prognose  der¬ 
selben  1264. 

Plazenta  praevia  71. 

Plattfuß,  die  Behandlung  des  kontrak¬ 
ten  im  Schlafe  401. 

—  die  mechanische  Entstehung  desselben 
129. 


Plattenepithel,  atypisches,  an  der 
Portio  und  an  der  Innenfläche  der 
Cervix  uteri,  histologische  Unter¬ 
suchungen  darüber  547. 

Plessimeter  und  Perkussionsham¬ 
mer  zur  Schwellenwertperkussion  des 
Herzens  139. 

Pleurahöhle,  mit  welchen  äußeren 
Mitteln  können  wir  die  Aufsaugung 
aus  derselben  beeinflussen?  166. 

Pleuritische  Exsudate,  zur  Behand¬ 
lung  derselben  880. 

Pleuritis  exsudativa  956. 

Pneumokoniosen,  Ursprung  derselben 
508. 


Pneumonie  eines  Königstigers  und  der 
Erreger  derselben  (Bacillus  pneumo¬ 
niae  tigris)  770. 


Pneumonie  zur  Behandlung  der  fibri¬ 
nösen  1030. 

—  zur  Behandlung  derselben  509. 

—  zur  Kasuistik  der  abortiven  357. 

Polin eurite  sifilitica  primitiv-a  in  pe- 

riodo  terziario  553. 

Polyarthritis  (Tuberkulöser  Gelenk¬ 
rheumatismus)  849. 

Poly  cythaemia  splenomegalica, 
ein  Fall  von  chronischer  782. 

Polyglanduläre  Störungen  (in  Hy¬ 
pophysis,  Thyreoidea,  Ovarium  467. 

Polyserositis,  chronische  (Morbus 
Bamberger)  167. 

Praxis,  aus  der  geburtshilflichen  278. 

Profixsur  (Antefixations  -  Methode), 
welche  ist  bei  fixierter  Retroversio- 
flexio  am  zweckmäßigsten?  886. 

Projektions  bilder,  Photographien  und 
Kinematogramme  bei  Operationen,  ein 
Apparat  zur  Herstellung  derselben 


289. 


Pro  p  äs  in,  ein  neues  Lokalanästhetikum 
807. 


Prophylaxis  der  chirurgischen  Infek¬ 
tionen  vermittels  präventiver  Immu¬ 
nisierung  799. 

Prostatachirurgie,  Glasdrainageröh¬ 
ren  782. 

Prostatahypertrophie  mittels  Injek¬ 
tion  von  artfremdem  Blut  behandelt 
473. 

Prostatektomie  77. 

—  die  Technik  der  suprapubischen  782. 

—  zweizeitige  unter  Lokalanästhesie  78. 

Präaktive  Spannung  359. 

Pseudochlorose  der  Säuglinge  210. 

Pseudotabes,  Liquorbefunde  bei  post- 

diplitherischer  Lähmung  893. 

Pseudotuberkulosebazillen  der  Na¬ 
getiere  (Bazillus  Pfeiffer  und  Bazillo 
opale  agliaceo  Vinzensi),  zur  kultu¬ 
rellen  Unterscheidung  beider  999. 

Psychosen,  funktionelle,  Nachweis  ei¬ 
niger  Sejunktionsvorgänge  294. 

Psychoses  inf  ectieuses,  confusion 
mentale  aigue,  „Amentia“  (O.Mevnert) 
965. 

Psychotherapie,  Arbeit  als  Kurmittel 

417,  449. 

Pubotomie  bei  mäßig  verengtem  Becken 
321. 

Puerperalfieber,  experimentelle  Bei¬ 
träge  zur  Behandlung  desselben  1142. 

—  klinische  und  bakteriologische  Studien 
1340. 

— -  zur  bakteriologischen  Diagnose  889. 

Puerperalprozeß,  zur  T herapie  des¬ 
selben  (Versuche  mit  Rekonvales- 
zenten-Serum)  1073. 

Pulmon a r e m b o  1  i e  n ach  Inj ektion  von 
Quecksilbersalicylat  1030. 

Purgation  dans  la  tlierapeutique  des 
maladies  mentales  249. 

Pyelitis  bei  Frauen  und  ihre  Bezieh¬ 
ung  zur  Menstruation  325. 


Sachregister. 


XXI 


Pyelitis  zur  Pathologie  und  Therapie 
derselben  300. 

Pyelonephritis  gravidarum,  ein 
Beitrag  hierzu  173. 

Pylorusstenose  der  Säuglinge  7. 

—  —  —  zur  Prognose  der  spastischen 
890. 

—  im  Säuglingsalter,  über  die  hyper¬ 
trophische  1341. 

Pylorus,  Stenose  desselben  in  der 
Kindheit  1229. 

—  über  die  Palpation  der  normalen 
großen  Kurvatur  und  über  ein  neues 
akustisches  Phänomen,  das  exspirato- 
rische  Gurren  1258. 

Pyozyanase  -  Behandlung  bei  Er¬ 
krankungen  der  Tonsillen,  des  Pharynx 
und  des  Nasenrachenraumes  mit  be¬ 
sonderer  Berücksichtigung  der  Diph¬ 
therie  555. 

—  —  der  Diphtherie  891. 

bei  Diphtherie,  Scharlach  und  Anginen 
327. 

über  die  verschiedene  Wirkung  auf 
Mikroben  in  festen  und  flüssigen 
Nährböden  1000. 

-  zur  Kenntnis  der  bakteriziden  Eigen¬ 
schaften  derselben  1349. 

Pyrenol  bei  Lungenemphysem  und 
Asthma  629. 

über  einige  interessante  Beobachtun¬ 
gen  hiermit  746. 

Q. 

Quadricepssehne,  über  einen  F all  von 
doppelseitiger  Zerreißung  derselben 
742. 

Quecksilberinjektionen, 

über  schmerzlose,  intramuskuläre,  mit 
besonderer  Berücksichtigung  eines 
Quecksilbernatriumglyzerates  213. 

Quecksilber-Präparate,  zwei  neue 
1223. 

Quellstifte,  sind  solche  so  notwendig 
1184. 

R. 

Rachitis,  Behandlung  derselben  mit 
Lebertran,  Phospor  und  Kalk  1268. 

—  Beitrag  zur  Therapie  376. 

—  die  medikamentöse  Behandlung  591. 

— -  neuere  Ansichten  über  die  Aetiologie 

derselben  817. 

R  a  d  f  ah  r  e  n ,  V erliälten  des  Herzens  nach 
langdauerndem  und  anstrengendem 
Fahren  658. 

Radiotherapie,  die  Erfolge  derselben 
445. 

Radium  als  Kropferzeuger  515. 

—  Behandlung  inoperabler  Geschwülste 
251. 

—  bei  Oesophagus-Karzinom  1196. 

— -  Beobachtungen  über  den  therapeu¬ 
tischen  Wert  desselben  und  seine  An¬ 
wendung  1196. 


Radium-  und  Elektrolyse-Behandlung 
bei  Nävi  1196. 

—  emanation,  über  die  Behandlung 

mit  vorstehendem  973. 

—  -Strahlen,  maligne  Tumoren  damit 

behandelt  748. 

Reduktionserscheinungen  der  Bak¬ 
terien  847. 

Reinjektion,  über  die  Gefahr  der¬ 
selben  434. 

Re-Inokulation  der  Syphilis  im 
tertiären  Stadium  1345. 

Rektal-  und  Axillartemperatur, 
klinische  Bedeutung  der  Differenz  hier¬ 
zwischen,  speziell  bei  Peritonitis  738. 

Rektoskopie  und  ihre  Bedeutung  für 
die  Diagnose  und  Therapie  der  Colitis 
ulcerosa  739. 

Reproduktionsorgane,  die  Beziehun¬ 
gen  der  weiblichen  zu  inneren  Krank¬ 
heiten  245. 

Resistenz,  allgemeine  und  spezifische 
gegen  tuberkulöse  Infektion  780. 

Resorptionsfähigkeit  der  Schleim¬ 
haut  der  Vagina  und  des  Uterus  1183. 

Retenta,  Niederkunftsbinde  1231. 

Retroflexio  uteri  in  der  allgemeinen 
Praxis  546. 

Rheumatism.,  Treatment  852. 

Rheumatismus  tub erculosu s 
(Poncet)  357. 

Rindenmessungen  968. 

Rhinitis  chron.  atroph.,  über  die  Be¬ 
ziehungen  zur  Diphtherie.  Thera- 
.  peutische  Verwendbarkeit  der  Pyo¬ 
zyanase  bei  Ozäna  510. 

Rhinopharyn x,  Plastik  bei  Verwach¬ 
sung  511. 

Rhinophyma,  ein  Fall  hiervon  691. 

RoheMilch  in  der  Kinderernährung  925. 

Röme r’sches  Pneu m oltokkenser u m , 
über  die  Wirkung  desselben  bei  der 
kruppösen  Pneumonie  mit  besonderer 
Berücksichtigung  der  Leukozyten  1381. 

Roseola,  künstliche  991. 

Rotlaufbazillus,  Beitrag  zur  Biologie 
desselben  1000. 

Rotz,  Diagnose  desselben  am  Kadaver 
mittels  Komplementbindung  771. 

Röntgendurchleuchtungen  bei  Ta¬ 
geslicht  unter  vollkommenem  Strahlen¬ 
schutz  für  Arzt  und  Patienten  973. 

Röntgenmomentaufnahmen  1276. 

Röntgen  strahlen,  eine  neue  An¬ 
wendung  135. 

—  in  der  Behandlung  tiefsitzender 
maligner  Krankheiten  1146. 

—  zur  Diagnose  des  Magenkarzinoms  136. 

—  Untersuchung,  der  Wert  derselben 
bei  der  Diagnose  der  Lungentuber¬ 
kulose,  besonders  in  Beziehung  auf 
frühe  Tuberkulose  780. 


XXII 


Sachregister. 


Röntgentherapie  der  oberen  Luft¬ 
wege  972. 

—  in  der  Gynäkologie  und  zur  Technik 
gynäkologischer  Röntgenbestrahlun¬ 
gen  635. 

Röntgenuntersuchung  des  Magens 
135. 

Rückenmarksanästhesie,  das  zur¬ 
zeit  an  der  Berliner  chirurgischen 
Universitätsklinik  übliche  Verfahren 
1078. 

Rückenmarks-Kompression, 

Schmerzempfindung  bei  derselben, 
über  falsche  Lokalisation  358. 

Rückenmarktumor,  Diagnostik  358. 

Rückfalltheorie  (re  Version  theory) 
und  die  Klassifikation  des  Kropfes 
1352. 


S„ 

Sab  romin  40. 

Sajodin  bei  der  Syphilisbehandlung  591. 

Sakraltumor,  kongenitaler,  teratoider 
mit  Metastasierung  741. 

Salze,  über  die  Rolle  derselben  im 
Bade  749. 

Salzschlirf  er  Bonifaciuskur,  prak¬ 
tische  Erfahrungen  beim  Gebrauch 
derselben  1227. 

Sanatogentherapie  bei  Erkrankungen 
des  Nervensystems  894. 

Sanatoriumsbehandlung,  wie  kann 
man  eine  solche  für  Schwindsüchtige 
zu  Hause  einrichten  245. 

Santyl  in  der  Gonorrhoe-Therapie  133. 

Saphena,  Bemerkungen  über  die  opera¬ 
tive  Behandlung  der  erweiterten  1182. 

Sauerstoff bäder,  die  Wirkung  der¬ 
selben  407. 

Saugverschluß  für  die  Harnröhre  140. 

Säuglingsekzem,  die  Behandlung  des¬ 
selben  nach  Finkeistein  210. 

Säuglingsernährung,  biologische 
Fragen  bei  der  natürlichen  und  künst¬ 
lichen  923. 

Säuglingsfürsorge  und  ärztliche 
Ausbildung  802. 

Säuglingskrankheiten,  über  die  Fort¬ 
schritte  in  unseren  Kenntnissen  auf 
diesem  Gebiete  209. 

Säuglingspflege  im  Krankenhaus  924. 

Sectio  caesaria,  über  die  transperito¬ 
neale,  mittels  unteren  (cervicomesou- 
terinen)  Längsschnittes  545. 

Sehnenreflexe,  über  den  Verlust  der¬ 
selben  bei  funktionellen  Nervenkrank¬ 
heiten  552. 

Sekretion,  innere  Krankheiten,  die  von 
Störungen  derselben  abhängen  1146. 

Selbststillen,  die  Bedeutung  desselben 
im  Kampfe  gegen  die  Säuglingssterb¬ 
lichkeit;  bestehende  Einrichtungen 
und  Vorschläge  zur  Förderung  des¬ 
selben  556. 

Sensibilitätsstörungen,  die  diagno¬ 
stische  Verwertung  derselben  1271. 


Sensibilität  und  Sensibilitätsprü- 
fung  1270. 

Serodiagnostik  bei  Lues,  die  prak¬ 
tische  Bedeutung  472. 

S  e  r  o  r  e  a  k  t  i  o  n  auf  Syphilis,  nachW asser¬ 
mann  97. 

Serumdiagnose  bei  Syphilis,  eine  ein¬ 
fache  Methode  1274. 

—  der  Syphilis,  zur  Therapie  und  Praxis 
derselben  1271. 

Serum  dosen,  große,  bei  schweren  An¬ 
ginen  und  diphtheri tischen  Lähmungen 


990. 


Serumgewinnung  für  Laboratoriums¬ 
zwecke,  ein  einfacher  Apparat  hierfür 
1335. 

Serum  prepare  avec  des  exsudats 
streptococciques  1256. 
Serumtherapie  der  kruppösen  Pneu¬ 
monie  1381. 

- —  ein  Beitrag-  hierzu  624. 

—  obligatorische,  weitere  Stimmen  hierzu 

541. 


—  und  Komplikationen  bei  Meningitis 
cerebrospinalis  epidemica  393. 

Serumuntersuchungen  bei  Lepra 
1136: 

Serum-  usw.  Injektionen,  eine  neue 
Methode  der  subkutanen  854. 

Siccator  1360. 

Siebbein  und  Stirnhöhlenempyeme, 
über  den  Durchbruch  in  die  Orbita, 
eine  typische  Komplikation  bei  Schar¬ 
lach  i  69. 

Sigmatismus  nasalis  216. 

Silber  im  prägnationsmethode  zur 
Unterscheidung  von  Lepra-  und 
Tuberkelbazillen  352. 

Sinusgebiet,  Veränderungen  des  Her¬ 
zens  bei  chronischer  Arrhythmie  73. 

Sk  ab  i  es,  praktische  Erfahrungen  hier¬ 
über  1345. 

SkarlatinöseAdenitiden,  Pathologie 
derselben  33. 

Sklerose,  multiple,  nach  psychischem 
Chock  551. 

—  zur  Kenntnis  der  akuten  multiplen 
1081. 

Skoliosenbehandlung,  was  dürfen 
wir  von  der  heutigen  erwarten  699. 

Skopolamin  -  Chloroform  -  Ather- 
narkosen,  Bericht  über  3000  620. 

- Morphin  -  Inhalationsnarkose, 

Erfahrungen  hiermit  1337. 

—  M  orphium,  die  Wertigkeit  desselben 
in  der  Gynäkologie  322. 

Skopomorpliinnarkose  824. 

Skorbut,  zur  Pathologie  und  Anatomie 
desselben  467. 

Skrofulöse  774. 

Soamin,  über  Erfahrungen  hiermit  630. 

Somatose,  über  den  Einfluß  derselben 
auf  die  Sekretion  der  Brustdrüsen  590. 

Sonnenbestrahlung,  direkte,  im  Ho  ch- 
gebirge  329. 

Sonnenlichtbäder  im  Gebirge  252. 


XXIII 


✓ 

Sachregister. 


Sonnenstich  408. 

Spaltbildung,  seltene,  der  Hand  und 
angeborene  Fingergelenkankylosen 

380. 

Spasmophile  und  Ernährung  im 
frühen  Kindesalter  785. 

Spasmus  der  Brustmuskeln,  besonders 
der  Interkostales,  ein  physikalisches 
Zeichen  von  Lungenkrankheiten  1228. 

Spätkontrakturen  der  Hemiplegiker, 
zur  Behandlung  2. 

Spätlaktation,  ein  Beitrag  zur  Kennt¬ 
nis  der  1306. 

Spezialmilch  mit  reduziertem  Fett¬ 
gehalt  1026. 

Spinalparalyse,  syphilitische  85. 

Spirillenhaltiges  Blut,  Impfversuche 
damit  772. 

Spiro  cliaeta  gallinarum,  Übertra¬ 
gungsversuche  derselben  durch  Argus 
reflexus  Fahr  772. 

Spirosal  250. 

—  in  Rheumatismusfällen  mit  Herzkom¬ 
plikationen  74. 

—  Untersuchungen  hierüber  974. 

Spitzentuberkulose,  U  ntersuchung 

der  Lungen,  mit  spezieller  Berück¬ 
sichtigung  der  Krönig’sclien  Ergeb¬ 
nisse  880. 

Splenomegalie,  primäre,  vom  Typus 
Gancher  1352. 

Spondylarthritis  deformans,  ein 
Fall  von  schwerer,  gebessert  durch 
Fibrolysinbehandlung  851. 

Spontangeburt  bei  engemBecken  1219. 

Sporotrichose  der  Tibia,  unter  dem 
Bilde  einer  Osteomyelitis  740. 

Sprachstörungen,  Abriß  der  Lehre 
von  denselben,  Aphasie  und  Anarthrie, 
wie  auch  Dyspliasie  und  Dysarthrie 
216. 

Sputan,  Mitteilungen  über  die  Anwen¬ 
dung  dieses  neuen  Teerproduktes  bei 
katarrhalischen  und  tuberkulösen 
Lungenaffektionen  1310. 

Sulfonal,  prolongierter  Gebrauch  und 
toxische  Wirkung  248. 

Supinationsstörung  der  Ellbogen¬ 
gelenke,  angeborene  doppelseitige  277. 

Suprarenin,  Untersuchungen  über  die 
Bedeutung  desselben  für  die  Geburts¬ 
hilfe  1218. 

Spliygmotonograph  354. 

Symphyseotomie  in  der  Schwanger- 
'  schaff  1217. 

Symphyse,  Ruptur  derselben  während 
der  Geburt  730. 

Syndrome  de  Mikulicz  ä  l’etat  physio- 
logique  1033. 

Synovia,  künstliche  287. 

Syphilide,  Diagnose  und  Therapie  806. 

—  papulo-erosive,  in  Mund  und  Schlund, 
mit  Nachweisung  von  Spirochaete 
pallida  neun  Jahre  nach  der  Infek¬ 
tion  1191. 


Syphilis,  der  Einfluß  derselben  auf  die 
Nachkommenschaft  805. 

—  des  Magens  und  der  Eingeweide  1229. 

—  die  Behandlung  derselbeu  212,  307. 

—  über  Behandlung  derselben  mitMergal 
212. 

—  über  intermittierendes  Fieber  bei  ter¬ 
tiärer  (viszeraler  speziell  Leber-)  283. 

—  weitere  Beiträge  zur  ätiologischen 
Therapie  471. 

—  zur  internen  Therapie  derselben  1193. 

—  behandlung  mit  grauem  01  472. 

—  fälle  ohne  rechtzeitige  Hauterschei¬ 

nungen  804. 

Scfa. 

Scharlach  621. 

—  bakteriologische  und  serologische 
Untersuchungen  616,  1113. 

—  die  Behandlung  desselben  623. 

—  Insuffizienz  der  Nebennieren  1185. 

—  und  seine  Komplikationen  622. 

—  und  Serumreaktion  auf  Syphilis  1107. 

—  zur  Frage  der  Wassermann’schen  Re¬ 
aktion  1113. 

—  Epidemien  34. 

—  kranke,  über  das  Verhalten  des 

Serums  von  denselben  bei  der  Wasser¬ 
mann’schen  Reaktion  auf  Syphilis  1108. 

Schaum organe,  Aetiologie  derselben 
319. 

Schädel  lag  eil,  über  den  Einfluß  der 
Schwerkraft  auf  die  Entstehung  der¬ 
selben  729. 

Schädigungen  des  Auges,  über  die 
praktische  Tragweite  derselben  durch 
leuchtende  und  ultraviolette  Strahlen 
1189. 

Schilddrüse  und  chronischer  defor¬ 
mierender  Gelenkrheumatismus  168. 

—  und  Gelenkrheumatismus  852. 

—  und  Infektionskrankheiten  848. 

Schilddrüsen  ge  webe  bei  Kretinen, 
zur  Interplantation  1140. 

Schlaflosigkeit  auf  syphilitischer 
Basis  552. 

Schläfrigkeit  und  Schlaflosigkeit, 
Ursachen  derselben  1367. 

Schleimbildung  im  Darm  738. 

Schlucklähmung,  über  kortikale  1106. 

Schlundring,  adenoider  und  endo- 
thorakale  Drüsen  510. 

Schmackhaftmache n  d er  Mil c h  und 
Verwendung  des  Apfels  in  der  Kran¬ 
kenkost  632. 

Schnellagglutination  und  ihre  Ver¬ 
wendung  bei  der  Serodiagnose  des 
Rotzes  846. 

Schnupf  en, Behandlung  des  akuten  509. 

—  Kupierung  und  Behandlung  desselben 
955. 

—  mittel  251. 

Schnürstrumpf,  ein  neuer  für  Krampf¬ 
aderbehandlung  1231. 


XXIV 


Sachregister. 


Schulschwänzer  und  Vagabunden, 
gewohnheitsmäßige,  im  Kindesalter 
326. 

Schulterblattknacken  als  diagnosti¬ 
sches  Merkmal  für  Lungentuberkulose 
881. 

Sc  huppe  n  flechte,  Behandlung  der¬ 
selben  929. 

Schuß  Verletzungen  der  Lunge  mit 
primärer  Naht,  Behandlung  282. 

Schutzbett  für  erregte  Geisteskranke 
553. 

Schwachsinn  und  Schwerhörigkeit 
293. 

Schwangerschaft,  die  Berechtigung 
und  die  Methode  der  Unterbrechung 
derselben  1219. 

Schwangerschaftspyelitis,  Diagnose 
und  Therapie  172. 

S  c  h  w  a  n  g  e  r  s  c  h  a f  t  s  r  u  p  t  u  r ,  traumati¬ 
sche,  des  hochgraviden  Uterus  mit 
Austritt  des  ganzen  Eies  in  die  Bauch¬ 
höhle,  ein  Beitrag  hierzu  700. 

Schwangerschaftstoxikosen  543. 

Sch  weiß  fuß,  zur  Behandlung  desselben 
in  der  Armee  777. 

Sf. 

Staphylokokken,  die  Differenzierung 
der  pathogenen  und  saprophvtischen 
165. 

—  Otitis  1144. 

—  serum  gegen  Akne  969. 

Stau nngsblutun gen  nach  Kompres¬ 
sion  des  Rumpfes  578. 

Stauungshyperämie,  über  Technik 
und  Wirkung  derselben  und  ihre 
Verwendung  in  der  Praxis  515. 

Stauungspapille  und  Gehirnchirur¬ 
gie  225. 

Stauungs verfahren,  Bier’sches  über 
die  Gefahren  desselben  1262. 

Stenosen  des  Larynx  und  der  Trachea, 
Behandlung  des  postdiphtherischen 
555. 

Steriliät-,  Beitrag  zur  Ätiologie  und 
Therapie  der  weiblichen  962. 

Sterilisierungsmethode,  neue,  der 
Haut  bei  Operationen  403. 

Stichverletzungen  der  Leber  1089. 

Stillende  Mütter,  Beobachtungen  an 
denselben  1046. 

Stillwille  und  Stillmöglichkeit  in 
den  unteren  Volksschichten  1111. 

Stiinmf remitus,  Verhalten  desselben 
bei  kruppöser  Pneumonie  395. 

Stirnhöhleneiterungen,  Indikationen 
bei  Behandlung  derselben  726. 

Störungen,  vasomotorische,  des  Gesichts 
513.  " 

Streptokokken,  die  Bedeutung  der 
hämolytischen  für  die  puerperale  In¬ 
fektion  1339. 

—  infektionen,  experimentelle  Bei¬ 

träge  zur  Therapie  derselben  122. 


Streptokokkus  pyogenes,  Wirkung 
der  toxischen  Produkte  desselben  auf 
den  arteriellen  Blutdruck  164. 

Streptotlirixstä  m  m  e ,  U  ntersuchuu- 
gen  über  5  Stück  844. 

Strophantintherapie,  über  intra¬ 
venöse  bei  Verwendung  von  Strophan- 
tinum  crystallisatum  Thoms  1277. 

Strophantus,  dessen  Präparate  und 
Anwendung  628. 

—  injektionen,  über  intravenöse  628. 

Strophulus  (Lichen  urticatus),  über 

Beeinflussung  desselben  durch  Schein¬ 
werferbestrahlung  890. 

S  typ  toi,  über  einige  Beobachtungen 
hiermit  1385. 

T . 

Tabes  in  den  ersten  Jahren  nach  der 
Infektion  551. 

—  und  Lues  84. 

—  dorsalis  im  Geschlechtsleben  der 
Frau  1187. 

—  ou  ataxie  locomotrice  une  nouvelle 
medication  contre  les  douleurs  ful- 
gurantes  591. 

— behandlung  84. 

Tabletten!’  rage  1349. 

Tartarus  depuratus,  über  die  Wir¬ 
kung  desselben  662. 

Telegraphie  ohne  Draht,  Schädigungen 
hierdurch  1001. 

Tetanie,  seltenere  Erscheinungsformen 

705. 

Tetragenus,  über  einen  vom  Meer¬ 
schweinchen  isolierten  771. 

Theobromin-  und  Jodbehandlung 
134. 

Thermo ärotherapie  durch  Heißluft 
und  Wechselduschen  750. 

Thiopinalbad,  die  Indikationen  des¬ 
selben  252. 

Thrombose,  arterielle,  im  Verlaufe  der 
kruppösen  Pneumonie  879. 

—  der  Vena  cava  inferior  779. 

—  und  Embolie,  Kritik  der  prämoni- 
torischen  Symptome  959. 

Thyreoidea  und  Fettsucht  467. 

Thyresol,  ein  neues  Sandelölpräparat 
798. 

—  über  ein  neues  Santalolpräparat  747. 

Thyrotomie  bei  Karzinom  170. 

Tinea  tonsurans,  die  Behandlung  der¬ 
selben  781. 

Todesfälle  bei  Kindern,  über  plötzliche 
durch  Obduktionsbefund  nicht  mit 
Sicherheit  erklärliche  und  ihre  foren¬ 
sische  Bedeutung  506. 

Tollwut,  über  die  Übertragung  durch 
die  Nasenschleimhaut  437. 

Toxikologie  der  Plazenta,  kritische 
und  experimentelle  Studie,  zugleich 
gegen  die  plazentare  Theorie  der 
Eklampsieätiologie  700. 

Toxine,  Einfluß  auf  eleu  Eiweißabbau 
der  Zelle  505. 


Sachregister. 


XXV 


Tracheotomie,  über  die  Endresultate 
285. 

Trachom,  Beitrag  zur  Ätiologie  des¬ 
selben  926. 

—  weitere  Untersuchungen  über  die  Ätio¬ 
logie  desselben  1190. 

-forsch ung,  der  jetzige  Stand  der¬ 
selben  1168. 

Tränenwege,  Pathologie  und  Therapie 

844. 

—  und  Bindehaut,  nasale U rsachen  und 
Behandlung  der  Erkrankungen  888. 

Tri china  spiralis  im  zirkulierenden 
Blut  ‘beim  Menschen,  Nachweis  der¬ 
selben  1381. 

Trigeminusneuralgie,  hervorgerufen 
durch  Veränderungen  an  den  Zähnen 
861. 

—  Rezidivoperation  hierbei  1262. 

Tripperübertragung,  seltene  214. 

Tropeine,  di  un  Alcaloide  del  gruppo 

e  sua  azione  fisiologica  e  medicamen- 
tosa  442. 

Trunksucht  251. 

—  die  Behandlung  derselben  778. 

Trypanosoma  des  Wisent  von  Bielo- 

wesch  771. 

Trypanosomen,  die  verschiedenen 
Arten  hiervon,  mit  besonderer  Berück¬ 
sichtigung  der  Schlafkrankheit  1861. 

Tubenmenstruation  702. 

T ub enschwangerschaf t ,  gleichzei¬ 
tige,  doppelseitige  887. 

Tuberkelbazillen,  dasV erhalten  der¬ 
selben  in  indifferenten  Flüssigkeiten 
1177. 

—  im  Blute  eines  Fötus  351. 

—  über  das  Vorkommen  solcher  in  der 
Milch  und  den  Lymphdrüsen  des 
Rindes  696. 

—  über  eine  neue  Reaktion  und  eine 
darauf  begründete  differentialdiagno¬ 
stische  Färbungsmethode  derselben 
999. 

-sporen,  über  eine  neue  Methode  zur 
Darstellung  1029. 

Tuberkelbazillus  als  Ursache  der 
Leberzirrhose  1067. 

Züchtigung  desselben  auf  Galle  695. 

Tuberkelkeime  bei  Otitis. chronica  182. 

Tuberkel -Perl  su  cht,  neue  differen¬ 
tial-diagnostische  Färbemethode  hier¬ 
für  und  für  andere  säurefeste  Bazillen, 
nebst  Strukturstudien  bei  verschiede¬ 
nen  säurefesten  Bakterienarten  352. 

T  u b  e  r k  e  1  p  i  1  z f  ä  r b  u  n g ,  vergleichende 
Untersuchungen  über  neuere  Methoden 
1379. 

T uberkuli n,  reproduziert,  Dermatosen 
bei  Nicht-Tuberkulösen  1178. 

—  behandlung  bei  Leukämie  29. 

-  —  der  Lungentuberkulose  575. 

—  eine  klinische  Studie  über  den 
Effekt  auf  die  Serumagglutination  der 
Tuberkelbazillen  780. 

—  —  in  der  Praxis  884. 


T  u  b  e  r  k  u  1  i  n  e  s ,  valeur  therapeutici  ne 

163. 

Tuberkulingaben,  können  die  häufi¬ 
geren  und  hochsteigenden  in  den  be¬ 
sonders  dazu  ausgesuchten  Fällen  un¬ 
bedenklich  empfohlen  werden?  1318. 

Tuberkulinimmunität  693. 

Tub  e  rkulinn  achb  eliandlung  der 

chirurgischen  Tuberkulose  1138. 

Tuberkulinprobe,  zur  kutanen  nach 
von  Pirquet  im  Kindesalter  1112. 

Tuberkulinreaktion  im  Kindesalter 

—  kutane  bei  Säuglingen  81.  [1112. 

—  perkutane  nach  Moro  164. 

—  speziell  über  eine  Aurikuloreaktion 
1178. 

Tuberkulintherapie  in  der  Universi¬ 
täts-Augenklinik  zu  Göttingen  1189. 

Tuberculinum  purum  351. 

Tuberkulose,  Behandlung  der  chirur¬ 
gischen  im  Kindesalter  556. 

—  Beitrag  zur  Frage  der  Schnelldiagnose 
im  Tierversuche  1177. 

der  Harnwege  zur  Diagnose  und  The¬ 
rapie  derselben  1273. 
der  Lungen,  ein  Beitrag  zur  Behand¬ 
lung  derselben  1838. 

—  des  Endokards  125. 

—  die  Behandlung  derselben  durch  den 
praktischen  Arzt  882. 

—  die  therapeutsche  Beeinflussung  der 
inneren  und  äußeren,  durch  Tuber¬ 
kulin  und  verwandte  Mittel  884. 

in  der  Schwangerschaft,  ein  Beitrag 
hierzu  729. 

—  Nord-  und  Ostseeküste  als  Aufenthalt 
hierfür. 

—  spezifische  Behandlung  bei  experi¬ 
menteller  999. 

—  spezifische  Hilfen  in  der  Diagnose 
und  Prognose  derselben  1147. 

--Konferenz,  Bericht  über  die  7.  inter¬ 
nationale  in  Philadelphia  1908  696. 

Tuberöse  Sklerose  275. 

Tumoren  des  vierten  Ventrikels  965. 
Untersuchungen  zur  Biologie  und 
Ätiologie  505. 

Turmschädel  mit  Sehnervenatrophie 
529. 

Typhoide  Fieber,  kurzdauernde  1351. 

Typhus,  die  Diät  hierbei  1228. 

—  ein  unter  dem  Bilde  einer  Miliartuber¬ 
kulose  verlaufener  991. 

—  in  der  Armee,  sein  gegenwärtiger 
Stand  mit  besonderer  Beziehung  auf 
Typhusträger  und  Antityphus  -  Imp¬ 
fungen  1390. 

—  ohne  Darmgeschwüre  1031. 

—  über  das  Funktionieren  des  Darms 
hierbei  991. 

—  und  Kolibazillus,  kleiner  Beitrag 
zur  Frage  der  Identität  769. 

—  antigene  und  ihre  Antikörper  1216. 

—  bazillen,  über  den  Wert  derselben 

Mischbouillon  zur  Serodiagnose  des 
Typhus  769. 


XXVI 


Sachregister. 


Typhusbazillen,  52  Jahre  nach  der 
Erkrankung  im  Körper  576. 

—  träger,  Beitrag  zur  Behandlung  der¬ 

selben  953. 

—  erkrankungen,  vergleichende  Unter¬ 

suchungen  über  die  Agglutination  von 
Thyplius  und  Paratyphusbazillen  164. 

—  Schutzimpfung  des  Menschen  770. 

—  serum,  Prüfung  des  Meyer-Bergell’- 

schen  1216. 

U. 

Überernährung  der  Tuberkulösen  41. 

Übungstherapie,  Einfluß  derselben 
auf  die  Leitungsgeschwindigkeit  bei 
Tabes  dorsalis  1081. 

Ulcus  molle,  ein  Beitrag  zur  Therapie 
desselben  1350. 

Ulnaluxation,  komplizierte  Volare, 
mit  typischer  Radiusfraktur,  Ulnaris¬ 
lähmung  288.  • 

Ultraviolette  Strahlen,  Sterilisation 
der  Milch  durch  solche  750. 

Ulzerationen,  venerische,  Behandlung 
mit  Röntgenstrahlen  973. 

Universal-Acidimeter  993. 

Universitäten  und  Studierende  in 
Europa,  Zusammenstellung  der¬ 
selben  567. 

Universitätsstädte  und  uneheliche 
Geburten  566. 

Unstillbare  Blutung  bei  Neugebore¬ 
nen  eine  Mißbildung  als  Ursache  der¬ 
selben  889. 

Ureterverschluß  43‘?. 

Urininkontinenz  (Enuresis  nocturna), 
über  die  Behandlung  der  essentiellen 
359. 

Utero vaginalprolaps  858. 

Uterus,  experimentelle  Beiträge  zur 
Kenntnis  der  automatischen  Be¬ 
wegungen  desselben  und  deren  Be¬ 
deutung  für  die  Pathologie  und  The¬ 
rapie  der  uterinen  Infektionskrank¬ 
heiten,  insbesondere  der  Gonorrhoe 
960. 

Uterusexstirpation,  die  prognostische 
Bedeutung  bakteriologischer  Unter¬ 
suchungen  bei  abdominalen  858. 

Uteruskarzinom,  klinische  und  anato¬ 
mische  Beiträge  zur  operativen  Be¬ 
handlung  desselben  959. 

—  Metastasen  im  Herzen  hierbei  126 1. 

—  Operationen,  Schädigungen  des 

Harnapparates  171. 

—  über  seltene  Metastasen  (Muskulatur, 
Ureter,  Drüsen,  Mediastinum)  1264. 

Uterusperforationen  mit  Darmver¬ 
letzung  733. 

V. 

Vaginalkatarrh  36. 

Vagina  und  Blase,  histologische  Be¬ 
sonderheiten,  während  der  Gravidität 
246. 


Vaginofixationsgeburt,  einfache 
Therapie  bei  einer  36. 

Vakzinebehandlung  der  infektiösen 
Endokarditis  an  der  Hand  eines  Falles 
von  Streptococcus  mitis  Infektion  S79. 

Variola  vera,  über  den  Komplement¬ 
bindungsversuch  1137. 

Variola,  über  das  Verhalten  derBordet’- 
sclien  Reaktion  577. 

Ventrof ixatio  uteri  und  ihre  angeb¬ 
lichen  Geburtsstörungen  247. 

Verband,  der  trockene  und  der  feuchte 
25. 

Verblutungstod  neugeborener  Kinder 
624. 

Verbrennungen,  Therapie  derselben 
402. 

Verdünnungssekretion  im  Magen 
126. 

Verein  deutscher  Arzt e  in  Prag, 
22.  Januar  1909,  Vortrag  345. 

Vergiftung  mit  Brom  1193. 

Verlagerung  der  Beckenorgane,  ventri- 
fixierende  Methoden  175. 
i  Veronalnatrium  und  die  Erregbarkeit 
des  Atemzentrums,  sowie  der  Sauer- 
stoffverbrauch  im  natürlichen  und 
künstlichen  Schlaf  478. 

Veronal  und  Veronalexantheme  39. 

Versammlung.  (80.)  deutscher  Natur¬ 
forscher  u.  Ärzte  21,  63,  116. 

Verstellungskontamination, 
Sprachverwirrtheit  und  inhaltliche 
Verwirrtheit  967. 

Ve  r  t  e  i  d  i  g  u  n  g ,  genossenschaftliche 
ärztliche,  ihr  gegenwärtiger  Stand  781. 

Vesikolabialf  istel  nach  Hebosteo¬ 
tomie  1110. 

Vial’s  Wein,  Indikationen  hierfür  489. 

Vierzellenbäder,  über  die  praktische 
Bedeutung  derselben  184. 

Virusarten  (über  Strongyloplasmen),. 
über  mikroskopisch  sichtbare,  filtrier¬ 
bare  1215. 

Viskosität  des  Blutes  204. 

—  —  —  der  Einfluß  warmer  Bäder  407. 

Vitralin,  einige  weitere  Versuche  hier¬ 
mit  772. 

Vorbereitung  und  Nachbehandlung 
chirurgischer  Patienten  1148. 

f, 

Wachstumperiode,  Autonomie  des 
Gehirns  während  derselben  1076. 

Wahnbildungen,  vorübergehende,  auf 
degenerativer  Basis  291. 

Waldkrippe,  erste,  des  Vereins  „ Säug¬ 
lingsmilchverteilung“  in  Wien,  ärzt¬ 
licher  Bericht  hierüber  802. 

Wandernieren  662. 

Wassermann’sche  Luesreaktion,  die 
praktischen  Konsequenzen  derselben 
für  den  Frauenarzt  615. 

—  Reaktion  bei  Geisteskrankheiten  122. 


XX.YII 


Sachregister. 


Wassermann’sche  Reaktion,  Bewer¬ 
tung  derselben  für  die  Frühdiagnose 
und  die  Therapie  der  Syphilis  434. 

—  —  die  Bedeutung  derselben  für  die 
Therapie  der  Syphilis  1191. 

—  —  und  ihre  Beeinflussung  durch  die 
Therapie  1027. 

- —  —  über  die  Bedeutung  der  positiven 

954. 

—  —  was  leistet  zurzeit  diese  für  die 
Praxis  433. 

—  —  zu  welchen  Schlüssen  „berechtigt 
dieselbe  207. 

—  Syphilisreaktion,  die  praktische 
Bedeutung  derselben  145. 

Wasserstoffsuperoxyd,  über  den 
Einfluß  desselben  auf  die  Sekretion 
des  Magens  737. 

Wiener  Brief  109,  269,  314,  424,  651, 
722,  874,  917,  1098,  1329,  1370. 

Wiesbadener  Brief  756. 

Wind,  Einfluß  desselben  auf  die  Öko¬ 
nomie  des  tierischen  Körpers  1001. 

Winter-Erbrechen  1259. 

Wismuth-Methode,  Untersuchungen 
des  Magens  und  des  Darms  635. 

Wochenbettfieber,  Ergebnisse  der 
Blutuntersuchung  in  prognostischer 
Hinsicht  437. 

Wochenpflege,  Erfahrungen  mit  mo¬ 
derner  1075. 

Wöchnerinnen,  wieviele  unter  1000 
sind  unfähig  zu  stillen  und  welches 
sind  die  Ursachen  1306. 

Wright’sche  Vaccine-Therapie  346. 

Wundheilung,  primäre,  nach  Operation 
septischer  Fälle  699. 

Wundscharlach  892. 

Wurmfortsatz,  soll  derselbe  bei  gynä¬ 
kologischen  Laparotomien  mit  ent¬ 
fernt  werden?  580. 

Wurmkrankheit  der  Bergleute,  ein 
Beitrag  zur  Kenntnis  244. 

Wutinfektion  und  antirabisclie 
Immunisierung  auf  endorektalem 
Wege  770. 

Wutvirus,  die  Wirkung  des  Speichels 
auf  dasselbe  771. 

—  in  situ,  über  die  Zerstörung  desselben 

771. 


Z. 

Zand  er- Institut  der  Ortskrankenkasse 
Leipzig,  Beobachtung  aus  demselben 

387. 

Zehen  und  Verkürzungsref  lexe, 
über  Abschwächung  bzw.  Aufhebung 
1076. 

Zellen,  über  die  bakterizide  Kraft  der 
lebenden  123. 

Zerebrospinalflüssigkeit  gesunder, 
wutkranker  und  immunisierter  Tiere, 
über  die  lyssizide  und  immunisierende 
Wirkung  derselben  1029. 

Zerebrospinalmeningitis,  Serumbe¬ 
handlung  der  epidemischen  31. 

Zervikal-Punktion  76. 

Ziegenmilch  als  Heilmittel  des  Morbus 
Basedow  923. 

Zinkintoxikation,  resorptive,  nach 
intrauteriner  Chlorzinkätzung  860. 

Zink  leim  verband,  der  Wert  desselben 
in  der  Chirurgie,  besonders  bei  der 
Behandlung  von  Ulcera  cruris,  V aricen 
und  Gelenkaffektionen  288. 

Zirkulationsstörung,  Blutunter¬ 
suchungen  in  verschiedenen  periphe¬ 
ren  Gefäßprovinzen  354. 

Zirkulationsstörungen,  über  Übungs- 
therapie  und  Flüssigkeitsbeschrän¬ 
kung  475. 

Zirkulation,  über  die  mechanischen 
Probleme  derselben  und  ihre  Lösung 
1299. 

Zuckerkrankheit  und  Schwanger¬ 
schaft  in  ihren  Wechselbeziehungen 
727. 

Zungenkarzinom,  zur  Statistik  des¬ 
selben  994. 

Zwergbecken,  ein  Beitrag  zur  Patho¬ 
logie  und  Therapie  des  chondrodystro¬ 
phischen  960. 

Zystadenom  der  Brust,  papilläres  1390. 

Zysten,  zur  Anatomie  derselben  der 
kleinen  Schamlippe  856. 

Zvstoskopie  und  Ureterenkathete- 
rismus  in  der  Kinderpraxis  1114. 

Zystozelenoperation,  über  den  Bla- 
sensitus  439. 


II.  Äutorenregister. 

(Die  fettgedruckten  Zahlen  bedeuten  Originalbeiträge.) 


A. 

Abramowski  55. 
Adamkiewicz  144. 

Adler  243. 

Adler  u.  Lukscli  464. 
Albergo-Berretta  123. 
Albers-Schönberg  634,  635, 
1265. 

Albertoni  u.  Rossi  364. 
Albu  1323. 

Alexander  626. 

Allan  975. 

Allard  1382. 

Allina  1277. 

Allison  581. 

Almquist  1379. 

Alt  1225. 

Altana  771. 

Altvater  1195. 

Amato  1255. 

Amberg  95. 

Anton  u.  Bramann  89. 
Antze  1176. 

Apostoleanu  990. 
Apostolides  133. 
Apostolides  jr.  1274. 
Armstrong  1388. 

Arnone  745. 

Arnsperger  1036,  1063. 
Aronson  1116. 

Aron  ade  756,  1186. 

Mc  Arthur  660. 

Ascher  59,  160,  236,  312, 
379,  491,  612,  830,  1055. 
Aufrecht  29. 

Avellis  1344. 

Axhausen  369, 

Ayers  215. 

B. 

Bab  320. 

Babinski  1271. 

Bachem  1349. 

Bachmann  779,  1386. 

Bade  1302. 

Baduel  283. 

Baelz  444. 

Baginsky  83,  1066. 

Balet  1188. 

Bandelier  u.  Röpke  1279. 


Barai  624. 

Barbier  u.  Laroche  125. 
Bardach  1232. 

Bardachzi  727. 

Bardet  587. 

Barlach  1032. 

Baron  1003. 

Bartel  u.  Neumann  1177. 
Bartel  u.  Stein  168. 

Barth  513,  858,  1143. 
Bartsch  746. 

Bast  74. 

Battaglia  280. 
Bauermeister  126. 

Baum  1312. 

Baumgarten  218. 
Bayerthal  1298. 

Bazy  u.  Dechamps  359. 
Beaucamp  45. 

Becher  246. 

Beck  974,  1141. 

Beck  u.  Dohan  1275. 
Becker  31,  751,  1263. 
Belila  303. 

Behring  472. 

Beintker  577. 

Beleien  1001. 

Beifadel  1193. 

Bell  662,  1148. 

Benassi  591. 

Bence  736. 

Bendig  849. 

Bendix  623. 

Bennet  691. 

Bensaude  u.  Agasse-Lafont 
1387. 

Bergeil  625. 

Berger  121,  540. 

Bering  749. 

Berkholz  622. 

Berliner  395. 

Bermbach  1137. 

Bernhardt  u.  Jondek  1187. 
Bernheim  177,  1221. 
Bernheim  u.  Barbier  163. 
Bernstein  413,  1386. 
Bertarelli  693. 

Bertarelli  u.  Cecchetto  926, 
1190.  . 

Berti  975. 

Best  1189. 


Betegh,  v.  352,  1029. 
Beuttner  35. 

Bey  1348. 

Bieganski  523. 
Bielschowsky  897,  933. 
Bier  581,  1078. 

Biernbaum  291. 

Biffi  91. 

Billon  1298. 

Bing  295. 

Birch-Hirschfeld  337. 
Bircher  179. 
Bircher-Benner  1002. 
Birnbaum  u.  Thalheim  547. 
Biro  800. 

Biron  576. 

Blaeher  33. 

Blattner  81. 

Blech  er  697. 

Block  853. 

Blum  397,  646,  660,  747. 
Blumen  au  1030. 
Blumenfeld  510. 
Blumenthal  465. 

Blunschy  204. 

Boas  1191,  1226. 

Bock  131. 

Boellke  629. 

Boesch  322. 

Boesser  894,  1084,  1088. 
Boicher  1140. 

Boland  92. 

Bollinger  447. 

Bonain  218,  1141. 

Bondi  702,  856. 

Bonnier  885. 

Bonis  u.  Pietroforte  437. 
Boral  694. 

Borcliard  168. 

Borgbjärg  280. 

Bornemann  747. 
Borodenko  1226. 

Bosellini  133. 

Bourack  1115. 

Boureille  41. 

Bourgade  la  Dardye  251. 
Bourget  1258. 

Bourguet  964. 

Bourneville,  Eichet,  Saint- 
Girons  74. 

Bousquet  u.  Roger  331. 


Brandenburg  244,  1026, 
1027,  1061,  1166. 

Brass  638. 

Brenner  1227. 

Bresler  548. 

Brieger  u.  Krebs  190. 
Brieger-Wasservogel  255. 
Brill,  Mandelbaum  und 
Libman  1352. 

Brindel  1344. 

Brissaud  u.  Bauer  923. 
Brodmann  968. 

Broeckaert  1138. 

Brothers  1391. 

Bruck  773,  969. 

Bruck  u.  Cohn  1107. 
Bruck  u.  Gessner  1136. 
Brun  741. 

Brunk  285. 

Brunon  476. 

Brügelmann  479. 

Brückner  278. 

Bucceri  1182. 

Buchmann  128. 
Burckhardt  305. 

Busch  u.  Bibergeil  1035. 
Buschke  973. 

Busse  846,  886,  1107. 
Buttersack  860. 

Büdinger  1262. 


C. 

Caan  1379. 

Cabot  782. 

Cagnetto  124. 

Calcar,  v.  558. 

Calmette  u.  Guerin  695. 
Cannon  1145. 

Cano  848. 

Canon  286,  801. 
Cantonnet  132. 

Carapelle  847. 

Carapelle  u.  Gueli  844. 

•  Carles  1068. 

Carnot  736. 

Carnot  u.  Deflandre  504. 
Caro  u.  Werner  1065. 
Carraro  330. 

Cartaz  513. 

Casper  282,  300. 
Cassanello  1110. 

Cassel  u.  Kamnitzer  625. 
Cassirer  553. 

Cathelin  1138. 
Cernovodeanu  u.  Negre 
1347. 

Chace  782. 

Chamerey  36. 

Chantemesse  468. 

Charas  96. 

Chatterjee  768. 

Chauffard  1065. 

Chauffard  u.  Troissier  991. 
Chauvet  970. 


Autorenregister. 


I  Cianni  37. 

Cicarelli  1080. 

Citron  993,  507. 

Clarke  1228,  1353. 
Claudio  846. 

Claude  u.  Gougerot  166. 
Clemens  920,  921. 
Clement  923. 

Cnopf  1341. 

Cohen  249. 

Cohn  701.  1358. 
Cohnheim  189. 

Colemann  1351. 

Comby  591. 

Connell  1228. 

Conto  124. 

Cornet  40. 

Courmelles,  de  1196. 
Courttade  1342. 

Cramer  997. 

Crämer  526. 

Criegern,  von  2,  1373. 
Crile  1145. 

Cristina,  de  1069. 
Crombie  211,  355. 
Cumston  781. 

Curran  324. 

Cybulski  1385. 
Czaplewski  480. 
Czyzewicz  702. 


D. 

Dalmady,  v.  404. 
Damanski  u.  Wilenko  695. 
Dammann  138. 

Dämmert  283. 

Dannemann  637. 

Davids  1189. 

Davidsohn  696,  973. 

Davis  u.  Oatman  781. 
Debierre  1269. 

Dechert  84. 

Dedin  974. 

Deflandre  853. 

Deichert  636. 

Deiss  890. 

Delamare  207. 

Dessauer  42, 135,  442, 1276. 
Dessauer  u.  Wiesner  255. 
Determann  334,  1118. 
Deutsch  750. 

Devaux  441. 
Diamantberger  852. 

Dienst  1338. 

Diesing  252,  503. 
Dieterlen  770,  1177. 
Dietler  515. 

Dietlen  u.  Moritz  658. 
Dieudonne  1335. 

Doflein  591. 

Dominici  748. 

Dorn  1310. 

Domner  1347. 

Döderlein  812. 


XXIX 


Dornberger  u.  Grassmann 
256. 

Dörr  u.  Lungwitz  368. 
Dreesmann  76. 
Dudtschenko-Kolbassenko 
134. 

Duncan  289,  408,  993. 
Durlacher  506. 

Dührssen  855. 

E. 

Ebstein  1082. 

Eckermann  692,  798. 
Eckert  1342. 

Eckstein  1139. 
Ehrendorfer  700. 

Ehret  957. 

Ehrlich  994. 

Ehrmann  u.  Fuld  673,  715, 
760,  834,  910,  948,  985, 
1022. 

Eichberg  1299. 

Eichhorst  662. 

Einhorn  282. 

Eisendraht  398. 
Eisenmenger  633. 

Eising  1030. 

Ellenbeck  81. 

Ellis  1120. 

Elschnig  344,  345,  880. 
Emmert  330. 
am  Ende  1214. 

Enderlen  78. 

Engel  1197. 

Engelen  628. 

Engelmann  34,  727,  960, 
963. 

Enslin  199. 

Eppinger  733. 

Erb  1300. 

Erben  296. 

Esau  357. 

Esmein  u.  Parvu  804. 
Esch  25,  541,  S02,  953. 
Escherich  774. 

Eschle  638,  865,  902,  936, 
982,  1002,  1086,  1009. 
Eulenburg  587,  1227. 
Ewald  171. 


F. 

Faber  u.  Lange  1065. 
Fabian  u.  Knopf  1224. 
Falk  408. 

Falkenstein  75. 

Falta  1146. 

Faulhaber  135. 

Faulhaber  u.  Friedei  443. 
Fehrs  u.  Sachs-Müke  848. 
Felix  736. 

Fellner  543,  728,  880. 
Fenoux  244. 

Ferenczi  964. 

Fermi  180,  770,  771,  1029. 


XXX 

Fette  879. 

Fiessler  544. 

Fiessler,  Iwase  u.  Döder- 
lein  1806. 

Fink  354. 

Finkeistein  46. 

Fisch  444. 

Fischer  286,  434,  506,  565. 
Fischl  705. 

Fitch  Cheney  1146. 

Fleck  812. 

Fleischmann  1271. 
Fleischmann  und  Wjas- 
mensky  1277. 

Flesch  1080. 

Fleury  128. 

Floer  1310. 

Flörken  399. 

Focke  628,  1195. 

Foges  1260. 

Fontes  999. 

Forcart  332. 

Forssner  960. 

Frank  692,  1336,  1337. 
Franke  1033,  1066. 

Franz  171. 

Frankel  83,  208,  772,  1081, 
1301. 

Fraenkel  u.  Schwarz  441. 
Frenkel  1033. 

Freund  1037. 

Fricker  1067. 

Friedjung  1306. 
Friedländer  1309. 
Friedmann  663. 

Friedrich  365. 

Fries  1225. 

Frisch,  v.  698. 

Fritsch  317,  1219. 

Fromme  1340. 

Frugoni  553. 

Fuä  u.  Koch  1113. 

Fuchs  348,  1082. 
Fuerstenberg  973. 

G. 

Gabrilowitch  351. 
Gaehtgens  1216. 

Galatti  1306. 

Galewsky  433,  551. 
Gallois  621. 

Ganassini  466. 

Gans  320. 

Ganz  1348. 

Garbat  1353. 

Garei  211. 

Garkisch  278. 

Gasis  999. 

Gaucher  471,  572. 

Gaupp  1230. 

Gausmann  1258. 

Gebhardt  163. 

Geigel  302. 

Geisse  769. 

Geissler  214. 


Autorenregister. 


Gemmel  1227. 

Gerard  u.  Lemoine  1028. 
Gerber  627. 

Gerson  250. 

Gewin  924. 

Geyer  472. 

Ghon  u.  Sachs  319. 
Gilbert  772. 

Güfillan  1388. 

Gillette  990. 

Girardi  333. 

Giuseppe  848. 

Glaser  365. 

Gluzinski  662. 

Gmelin  1199. 

Gobiet  323. 

Gockel  447. 

Goebel  741. 

Goldflam  1076. 

Goldmann  1126. 

Gönnet  u.  Froment  319. 
Gontermann  1079. 

Gordon  1257. 

Gotlieb  1385. 

Gottlieb  441. 

Gottlieb  u.  v.  d.  Eeckhout 
589. 

Gougerot  1067. 

Gölt  1186. 

Götzl  u.  Kienböck  357. 
de  Graaff  1063. 

Graeter  966. 

Grashey  1150. 

Grawitz  1257. 

Gräfenberg  546,  805. 
Greeff  225,  1180. 

Gregg  576. 

Gribinouk  250. 

Grödel  406,  1120. 

Gross  164,  1175. 

Grossich  403. 

Grösz  891. 

Gruber  1357. 

Grünbaum  598. 

Grünspan  479. 

Grünwald  1308. 

Guelpa  363. 

Guinard  695. 

Guisez  u.  Barcat  1196. 
Gupot  209. 

Guttmann  218,  1359. 
Gynla  u.  Benczus  769. 


H. 

Haeberlin  30. 

Hagner  335. 

Haig  631. 

Hajek  217,  971. 

Halben  965. 

Hall  779,  1228. 

Hallopeau  u.  Kollier  252 
329. 

Hamburger  693. 
Hammerschlag  504. 


Hancken  145. 

Hannes  732. 

Harmer  726. 

Harnack  329. 

Hartenberg  88. 

Hartmann  438. 

Hartwell  619. 

Hasse  1186. 

Haymann  588. 

Hays  1344. 

Head  1270. 

Hecht  282,  464,  806. 
Hecht,  Lateiner  u.Wilenko 
1113. 

Hecker  288,  1112. 
Heckmann  699. 

Hedinger  74. 

Heermann  956. 

Hehler  586. 

Hegar  544. 

Heilbronner  358,  967. 
Heilner  1000. 

Heim  1109. 

Heimann  926. 

Hellendall  80. 

Hellesen  1112. 

Henderson  781. 

Henggeier  992. 

Henkel  546. 

Hennig  251,  1179. 

Henri  u.  Strodel  750. 
Herff,  v.  729,  1184. 
Herhold  129. 

Hering  125,  496. 

Herrick  u.  Janewav  1381. 
Herschell  559,  1224. 
Hertwig  809. 

Herz  125,  328,  353,  366, 
659,  660,  749,  750,  733, 
1150. 

Herzfeld  1109,  1350. 

Herzl  325. 

Hess  407. 

Hess  u.  Saxl  505. 

Heuß,  v.  526. 

Hewlett  1351. 

Heynemann  1339. 

Higuchi  1183. 

Hildebrand  579,  697. 
Hilgenreiner  386. 
Himmelheber  437. 
Hinterstoisser  741. 

Hirsch  183,  250,  485,  534, 
570. 

Hirtz  585. 

Hochhaus  357,  967. 
Hoeflmayr  1277. 

Höhne  433,  954, 1027, 1 108. 
Hoehne  1220. 

Hoesslin,  v.  552. 

Hofbauer  246,  396. 
Hoffmann  691,  732,  1216. 
Hornberger  93. 

Houde  328. 

Hopmann  216,  217. 
Horinchi  1029. 


Autorenregister. 


XXXI 


Hovorka,  v.  u.  Kronfeld 
45,  304. 

Hönck  282,  1237,  1320. 
Hörmann  547. 

Huchard  72. 

Hueter  854. 

Huftleber  556. 

Huguenico  351. 

Hummel  373. 

Hurd  u.  Wright  1343. 
Hutchins  852. 

Hutinel  210,  436,  1185. 
Hübner  929,  1273. 
Hübscher  401. 

Hüffell  1064. 

Hüne  1137. 

S. 

Igersheimer  590. 

Imkofer  240. 

Immelmann  633. 

Ito  und  Soyesima  579. 
Iwanoff  511. 

J. 

Jacob  475. 

Jacobsthal  402. 

Jacoby  248,  586. 

Jackson  1354. 

Jacquet  und  Jourdanet 
1188. 

Jahn  u.  Volhard  884. 
Jaeger  995,  1062. 

Jagic  134. 

Janeway  628,  778. 

Jankau  1003,  1082,  1083, 
1280. 

Janovsky  355. 

Jaques  511. 

Jaschke  556,  734,  1267. 
Jennings  996. 

Jere witsch  351. 

Jessner  704,  806. 

Joachim  590,  1345. 

Jolles  356. 

Jonas  127,  400. 

Jonescu  u.  Loewi  442. 
Joseph  287. 

Josset-Moure  740. 

Jourdin  513. 

Jovane  u.  Pace  891. 

Judd  781. 

Juge  744. 

Jullien  777. 

Jüngling  473. 

Junkel  84. 

K. 

Kabisch  376. 

Kaestle  183. 

Kahane  518. 

Kamprath  564. 

Kanitz  164. 


Käppis  349. 

Käthe  1335. 

Kaufmann  957,  1268. 
Kayser  439,  771. 
Keating-Hart  994. 

Kehrer  37,  438,  860,  888. 
Keller  1111. 

Kemp  848. 

Ivempf  1302. 

Keppler,  Morgan  u.  Kupp 
1307. 

Kern  782. 

Khautz,  y.  1035. 

Kienböck  445. 

Kiliani  995. 

Kinghorn  u.  Twichell  780. 
Kirchbauer,  v.  746. 
Kirchberg  253,  634. 

Kisch  659. 

Klauber  76. 

Kleinertz  746. 

Kleinhans  767. 

Klemperer  354,  434,  575. 
Klieneberger  293. 
Klimenko  32,  555. 

Klose  593. 

Kluger  807. 

Knauer  1345. 

Knoblauch  87. 

Knopf  245. 

Kobrak  293. 

Koch  165,  629,  1081. 
Koch  u.  Schultz  974. 
Kocher  1034. 

Kockerbeck  925. 

Koehn  1272. 

Kohn  1229. 

Kolisch  474,  1117. 
Kollarits  1385. 

Konrich  1380. 

Korach  255. 

Koränyi,  v.  1227. 
Kornfeld  169. 

Kortüm  212. 

'  Koschier  555. 

Kottmann  204. 
Kowalewski  142. 

Köhler  163. 

Köhler  u.  Lenzmann  884. 
Köhler,  Frey,  Sokolowski 
u.  Dembinski  162. 
Köppl  842. 

Körner  976. 

Köster  49,  549,  1119,  1153. 
Kraemer  1138. 

Kraepelin  1078. 

Kramer  1117. 

Krause  780. 

Kraus  703. 

Kraus  u.  Doerr  208. 
Kraus  u.  Groß  279. 

Kraus  u.  Levaditi  975. 
Kraus  u.  Schwoner  353. 
Krautschneider  854. 
Krämer  354. 

Kredel  892. 


I  Kretowski  161. 

Kretz  272. 

Kris  che  1381. 

Kritz  1112. 

Kronenberg  627. 

Kroner  435. 

Krönig  28,  242,  322,  731. 
Krönig  u.  Pankow  889. 
Ivrüche  222. 

Krummacher  1267. 

Kubo  856. 

Kucera  1387. 

Kuhn  883. 

Kuliga  856. 

Kuscliew  1259. 

Kühn  1198. 

Kümmel  1312. 

Küstner  886,  887. 
j  Küttner  282. 
i 

i 

L. 

Labbe  und  Furet  467. 

Labhardt  887. 

Läfav  565. 

•/ 

Laignel-Lavastine  921, 922. 
Lambert  1146. 

Lambkin  630. 

Lampe  469. 

Lancereaux  663. 

Lancry  u.  Guerillon  1311. 
Lange mak  411. 

Langhlin  808. 

Laquer  1278. 

Laquerriere  328. 

Lasirifa  1083» 

Laumonier  849. 

Laurens  972. 

Lauscliner  968. 

Lavenson  1147. 

Läwen  576. 

Leavitt  781. 

Leers  524. 

Lehmann  744,  1217. 
Lehnerdt  285. 

Leidler  297. 

Leisewitz  1219. 

Lenärt,  v.  1343. 

Lennhoff  33,  861. 

Lenz  78. 

Lenzmann  139,  660. 

Leo  109,  269,  278,314, 424, 
651,  722,  874,  917,  1098, 
1329,  1370. 

Leonard  780. 

Leoppld  247,  857. 

Lepine  751. 

Lerda  799. 

Lereboullet  1178. 
Lereboullet  u.  Marcorelles 
557. 

Leroy  1348. 

Lesenger  808. 

Lesk  399. 

Lesser  207. 

Lester  800. 


XXXII 


Autorenregister. 


Leube,  v.,  1259. 

Leuwer  182. 
Levai-Dunaföldvär  1269. 
Leven  und  Barret  136. 
Levi  529. 

Levy  1349. 

Levy,  Ohm.,  1263. 

Lewin  585. 

Lewis  580,  1182. 

Lexer  400. 

Lichtenstein  700. 
Lichtwitz  641,  686. 

Liebe  365. 

Liebers  977. 

Lieblein  277. 

Liefmann  953. 
i  Liepmann  247,  886. 
Lilienfeld  387. 

Lilienstein  150,  195. 

Link  1300. 

Linke  190. 

Linn  445. 

Lion  1391. 

Lipowski  363,  1041,  1093, 

1121. 

Lipschütz  1215. 

Lissmann  624. 

Littaur  1224. 

Ljaschenko  1184,  1268. 
Loeb  140. 

Loele  1215. 

Lommel  956. 

Loeper  734. 

Lorand  793,826,1230,1367. 
Löhlein  97. 

Lövegren  1192. 
Loewenfeld  639. 
Löwenthal  207. 

Löwy  509. 

Lützow  466. 

US. 

Maas  1144. 

Mac  Carty  1352. 

Mache  u.  v.  Schweidler  862. 
Macleod  1196. 

Mader  972. 

Magnus-Levy  43,  1064. 
Mainzer  119. 

Malherbe  585. 

Mallwitz  1280. 

Maragliano  u.  Romanelli 
1256. 

Marcuse  95. 

Märer  206,  514. 

Marfan  u.  Oppert  9tfl. 
Marie  249. 

Marie  u.  Martial  1036. 
Markuse  445. 

Martin  46,  812. 

Marx  770: 

Massei  618. 

Massini  442. 

Masson  137. 

Matthes  u.  Hochhaus  392. 


Maute  969. 

Maurel  1001. 

Mautner  802. 

May  1381. 

Mayer  213,  509,  556,  1117. 
Meisel-Hess  1357. 

Meißl  508,  590,  1073. 
Meißner  301. 

Meitzer  466,  753. 

Menard  168. 

Mendel  632. 

Mendelsohn  1017. 

Menzer  1169,  1207,  1246. 
Mery,  Dufeste  u.  Armand- 
Delille  435. 

Mery  u.  Szczawinska  925. 
Mery,  Weill- Halle  und 
Parturier  990. 

Meunier  863. 

Meyer  27,  387,  388,  616, 

782,  803. 

Meyer  u.  Cook  780. 
Michaelis  738. 

Michel  618. 

Michlin  1108. 

Mieczyslaw  1302. 

Mießner  846. 

Mignot  922. 

Milian  577,  1271. 

Miller  845. 

Mink  215. 

Minkowski  333. 

Mirabeau  172. 

Moeller  882,  1276. 
Momburg  129. 

Monod  436. 

Montefusoc  251. 
de  Montet  284. 
Montenbruck  1260. 
Moraczewski  126. 

Moreschi  847. 

Morgan  862. 
Morichau-Beauchant  41. 
Morris  287. 

Moses  326. 

Moure  u.  Frankel  170. 
Mouret  512. 

Möbius  303. 

Mönch  580. 

Mraöek  43. 

Much  84. 

Mumford  86. 

Munk  505. 

Munro  1148. 

Muthmann  94. 

Mühlens  437. 
Mülens,Dalim  u.  Fürst  164. 
Müller  222,  245,  476,  551, 
628,  744,  851,  1276. 
Münzer  201,  202. 

Myers  u.  Fischer  180. 


N. 

Nacke  959. 
Xadig  1267. 


Naegeli-Akerblom  und 
Yernieur  1273. 
Xagelschmidt  1274. 

Nager  181. 

Nakahara  129. 

Nassauer  1360. 

Nathan  1352. 

Nägeli  1307. 

Nebeski  858. 

Nehrkorn  618,  1089. 
Nerking  1119,  1226. 
Nerking  u.  Schürmann  71. 
Netto  1385. 

Neu  1110,  1218. 

Neumann  245. 

Neusser  u.  Latzei  167. 
Newcomb  512. 

Nielsen  1191. 

Niemann  766. 
Niessl-Mayendorf,  v.  1106. 
Nocht  992. 

Noesske  161. 

Nohl  1109. 

Nolda  1198. 

Noorden,  v.,  475. 
Nothmann  626. 

Notthaft,  v.,  1083. 
Nourney  1313. 

Noury  u.  Haitur  30. 
Novotny  1260. 

Nuernberg  296. 

Nußbaum  1037. 

O. 

Obregia  76. 

Ochsner  1336. 

Oerum  589. 

Offergeld  323, 446,727,1264. 
Ogden  35. 

Olmer  u.  Monges  991. 
Olschanetzki  1193. 
Oltuszewski  216. 

Opitz  1075. 

Oro  328. 

Ortloph  774. 

Ortner  658. 

Osterloh  193,  824. 

P. 

Painter  1230. 

Panichi  1030. 

Pannwitz  696. 

Pariser  284. 

Parsons  1183. 

Patterson  1228. 

Pautrier  745. 

Pawinski  1300. 

Payer  996. 

Peiser  128,447, 1111,  1273. 
Pellissieru.  Schaibele  1070. 
Pels-Leusden  402. 

Penzoldt  703. 

Perl  250. 

Perthes  397. 


Peters  229. 

Petri  737. 

Peukert  1187. 

Peyer  506. 

Pfahler  1146. 

Pfannenstiel  545,  1071. 
Pfeifer  u.  Friedberger  845. 
Pfeiffer  24,  572. 
Pfeilsticker  174. 

Pick  u.  Proskauer  209. 
Picque  79. 

Pietri  n.  Maupetit  583. 
Pilez  965. 

Pinard  175. 

Pincherle  396. 

Pinner  247. 

Piorkowski  1276. 

Pirkner  473. 

Plagemann  128. 

Plate  166,  396,  633. 

Plehn  1030. 

Pocrier  590. 

Podwyssozki  1000. 

Po  llak  1350. 

Pollatscliek  u.  Nador  1037. 
Port  1220. 

Porter  621,  1391. 

Portner  1114. 

Pottenger  1228. 

Pouchet  251. 

Power  564. 

Pöplitz  45. 

Preisweck  96. 

Preysing  169. 

Pribram  1105. 

Pricolo  1256. 

Prochownick  1182. 
Propping,  738. 

Pudor  1001. 

Pust  615. 

Q. 

Queyrat  215,  1223. 
Queyrat  u.  Pinard  1345. 

R. 

Radice  1310. 

Raecke  360. 

Ramsey  31. 

Raskin  434. 

Raubitschek  u.  Russ  1349. 
Ravenna  162. 

Raviart,  Breton,  Petit, 
Gay  et  u.  Cannac  122. 
Regenspurger  214. 

Rehling  u.  Weil  620. 
Reifferscheid  1111. 
Reinhardt  446. 

Renner  85,  358. 

Renon,  Delille,  Monier- 
Vinard  467. 

Renon  u.  Delille  848. 
Renon  u.  Moncany  396, 
881. 

Repetto  437. 


Autorenregister. 


Repin  515. 

Retzlaff  480,  623. 

Reuter  21,  63,  116,  872. 
Revel  170. 

Reymond  801. 

Rheinboldt  1213,  1347. 
Rheiner  82,  1062,  1281, 
1324. 

Ricard  750. 

Richet  1298. 

Richon  1144. 

Richter  880,  1179,  1264, 
1276. 

Riedel  77. 

Riedl  997. 

Rieländer  u.  Meyer  729. 
Riemann  288. 

Rigler  15S. 

Risel  785. 

Rißmann  1109. 

Ritter  129,  864. 

Robin  885. 

Roemheld  893. 

Rohde  926. 

Rolleston  82,  211. 
Romberg  38,  477,  659. 
Rose  165. 

Rosenbach  966. 

Rosenfeld  294. 

Rosenheim  1070. 
Rosenkranz  742. 
Rosenthal  514,  858,  972, 
1311. 

Rossi,  de  182,  564. 

Rosner  364. 

Roux  509. 

Röder  776. 

Rössle  124. 

Ruata  508. 

Rubens  34. 

Rubesch  432. 

Rubner  1354. 

'Rubritius  737. 

Ruck,  v.  780,  1147. 
Rudinger  1066. 

Ruediger  890. 

Rüge  162. 

Rumpf  406,  586. 

Runck  452. 

Runge  962. 

Rupp  1190. 

Ruppanner  578. 

Rühl  307. 

Rühle  1188. 

S. 

Saar  327. 

Sabatowski,  v.  466. 
Sacerdotti  279. 

Sachs  1181. 

Sacquepee  u.  Clievrel  1031. 
Sadger  142,  404,  406,  516. 
Saenger  395. 

Sahli  630. 

Saint-Paul  1271. 

Salaghi  78. 


XXXIII 

Salge  802. 

Salkowski  747. 

Salomon  364. 

Salomon  u.  Almagia  394. 
Salus  540. 

Salzwedel  592. 

Sargnon  510. 

Sarason  1358. 

Sarrazin  661. 

Satta  u.  Lattes  465. 

Säte  u.  Nambu  467. 
Sattler  927. 

Sauerbeck  1357. 

Saul  505. 

Savagnone  504. 

Savini  892. 

Scudder  1229. 

Seefelder  481. 

Seelig  251. 

Seidel  331. 

Seifert  255,  514. 

Seitz  729,  879,  1305. 

Selig  654. 

Seilheim  703,  730. 
Senkerg  893. 

Sewall  779. 

Shaw  572. 

Shiota  692. 

Sieber  352,  439,  1110. 
Siebert  443,  862. 

Siegel  168. 

Siegert  362. 

Siel  er  1390. 

Sigwart  321,  1216. 
Sigwartz  887. 

Silbermann,  843. 
Silberstein  508,  745. 
Silvestri  u.  Zanf  rognini  544. 
Simmonds  1141. 

Simon  357, 

Simpson  1116. 

Singer  333. 

Sittler  817,923, 1233,  1291. 
Skulsky  1278. 

Smith  1278. 

Smit  696. 

Sochaczewski  997. 

Solllern,  v.  958. 
Sokolowsky  188. 

Sommer  368,  1280. 

Sorel  394. 

Spaeth  1265. 

Spiethoff  32. 

Spitzer  471. 

Springer  501,  1261. 

Sugai  1137. 

Sulima  1256. 

Suter  171. 

Sutton  781,  1227. 
Szadowski  733. 

Szinnyei  1222. 

Sch. 

Scliabad  1185,  1268. 
Schacht  368. 

Schaffer  501. 

3 


XXXIV 


Schanz  056. 

Schanz  u.  Stockhausen  499. 
Scharfe  1046. 
Schauenstein  547. 

Schäfer  1262. 

Schaffer  849. 

Scheib  71,  959. 

Scheibe  584. 
Scheidemandel  325. 
Schellack  772. 
Schellenberg  136. 
Schenker  693. 

Sclieurer  730. 

Schieffer  29. 

Schilling  559,  1311. 
Schindler  960. 

Schläfli  321. 

Schlegel  524. 

Schleich  407,  663,  806. 
Schleißner  616,  1113. 
Schlesinger  334,  1197. 
Schloßmann  209. 

Schlüter  324. 

Schmidt  279,  281,  327,  515. 
Schmiergeld  967. 
Schminck  u.  Schädel  777. 
Schnee  750. 

Schneider  480,  1135. 
Schneider  und  Vandeuvre 
243. 

Schnütgen  334. 
Schoemaker  620. 

Schottin  892. 

Schoull  552. 

Schönberg  73. 

Schönheim  736. 
Schönholzer  989. 

Schreiber  u.  Rigler  784. 
Sehr  ö  der  u  .K  auf  m  an  n  1 1 5 1 . 
Schultze  93,  446,  468,  624. 
Schulze  1244. 

Schüle  737. 

Schümann  843. 
Schürmann  433,  690.  844, 
1361. 

Schütz  1176,  1341. 
Schütze  84. 

Schwab  243. 

Schwalbach  398. 

Schwalbe  92,  304,  813, 1036. 
Schwarz  81,  747. 

Scliweder  36. 


St. 

Staal  846. 

Starck,  v.  890. 
Stark  1193. 

Stähelin  166. 
Stäubli  924. 
Stegmann  417,  449. 
Stein  176. 

Steinach  811. 
Steiner  217. 
Steinhardt  7. 
Steinhaus  447. 


Autorenregister. 


Stekel  44. 

Stelzner  618. 

Stephan  1231. 

Stephens  206. 

Stepp  1333. 

Stern  353,  359,  965,  1221. 
Sternberg  864,  1050. 
Steudel  143. 

Steyerthal  93. 

Stickdorn  1000. 

Sticker  142. 

Stierlin  742. 

Stille  206. 

Stillmann  u.  Carey  779. 
Stockes  1148. 

Stoeckel  93,  172,  620. 
Stowe  746. 

Stöltzner  925. 

Strasser  516,  854,  1390. 
Strauch  807. 

Stroth  1275. 

Strouse  1228. 

Strub  eil  346. 

Struycken  182. 

Stuart  1353. 

Stühmer  714. 


T. 

Talley  248. 

Techoueyres,  de  768. 
Tedeschi  1178. 

Teilhaber  813,  1382. 
Teissier  75. 

Terray,  v.,  1180. 

Tetzner  1384. 

Theodor  889,  891,  991. 
Thibiergeu.  Gastinel  1178. 
Thiemicli  1157,  1201. 
Thies  1072. 

Thomas  779. 

Thompson  u.  Marchildson 
845. 

Thoms  1310. 

Thon  288. 

Thost  69. 

Tietze  556. 

Tobias  184. 

Tornai  407. 

Toubet  u.  Saltet  1145. 
Toyosumi  1137. 

Tranjen  704. 

Trautmann  32. 

Tretröp  584. 

Tribondeau  1346. 
Tscherning  u.  Lauritzen 
170. 

Tschernow  625. 
Tschernogubow  1274. 
Turban  u.  Baer  694. 
Turrö  u.  Suner  1380. 


U. 

Uffenheimer  554. 
Ullom  1229. 


Umber  120. 
Unna  298. 
Ury  300. 
Uskoff  354. 


V. 

Vandaele  577. 

Vaquez  u.  Esmein  852. 
Varaldo  963. 

Variot  u.  Lassabliere  1076. 
de  Vecchi  164. 
Veckenstedt  143. 

Veit  221,  862,  1143. 
Velden,  von  den  184. 
Velhagen  257. 

Venus  995. 

Verderame  u.  Weekers  130. 
Verth  1140. 

Verworn  295. 

Villaret  u.  Paalzow  1003 
Vincenzi  999. 

Virchow  u.  Mendelssohn 
210. 

Vogt  241,  275,  290. 
A^oisin  589. 

Vollmar  1080. 

Azoisch  239. 

de  Vries  Reilingli  1081. 
Vulpius  1303. 


W. 

Wahl  699. 

AVallbaum  551. 

Waller  1146. 

AValliscli  361. 

AValko  385. 

Walter  553. 

Wandel  735. 

AAassermeyer  178,  423. 
Watrarzewsky  804. 
Watson  1147. 

Walthard  322. 

Weber  175,  502,  733,  778. 
AVechsler  133. 
Wechselmann  u.  Michaelis 
1341. 

Wederhake  582. 
AVeichardt  302,  847,  1304. 
AVeigl  188. 

AVeil  31,  998. 

Weile  u.  Braun  505. 
Weinbrenner  1134. 
AVeindler  173. 

AVeiß-Eder  393. 

AVeiß  395,  861. 

AVeißmann  104,  154,  605, 
AVeißwange  580. 

Weitz  29. 

Wendriner  368. 

Wrerner  1196. 

AVest  1342. 

Westheimer  894. 

AA7etterer  46. 


Wettstein  739. 

Weygand  557. 

Whinna  782. 

White  858. 

Wiehern  27. 

Wichmann  299. 

Widal  1118. 

Widiner  697. 

Wildenberg,  van  den  1114. 
Williams  1081,  1147. 
Williamson  773. 

Wilms  77,  1181. 

Winter  1193. 

Winternitz  478,  955. 
Winterstein  926. 

Wirtz  889. 

Wohl  will  341,  357,  504, 
000,  942,  1251,  1294. 

Wojatschok  582. 

Wolff  510,  967. 


Alltorenregister. 

Woltf-Eißner  208,  1197. 
Wolfram  1103. 

Wolter  395. 

Wolters  39,  1309. 
Worster  1351. 

Wosinski  178. 

Wossidlo  79. 

Wright  770. 

Wrnblewski  771. 

Würth  von  Würthenan 
1199. 


X. 

Xylander  772. 


Y. 

Yamamoto  352. 


Z. 

Zadro  1337. 

Zak  356. 

Zander  1306. 

Zangemeister  122,347,  366, 
440,  958,  1142,  1266. 
Zeißl,  v.  212. 

Zesas  1286. 

Zeuner  489,  999. 

Ziegler  1197. 

Ziehen  141. 

Zinsser  183. 

Zoeppwitz  1034. 

Zollikofer  u.  Werner  212. 
Zucker  555. 

Zuntz  561. 

Zurhelle  440. 

Zweifel  859. 

Zweig  739. 

Zypkin  1068. 


Druck  von  Emil  Herrmann  senior  in  Leipzig. 


27.  Jahrgang. 


1909. 


fomcbrittc  der  Medizin. 

Unter  Mitwirkung  hervorragender  Fachmänner 

herausgegeben  von 

Professor  Dr.  0.  Köster  Prio.-Doz.  Dr.  o.  Criegern 

in  Leipzig.  in  Leipzig. 

Schriftleitung:  Dr.  Rigler  in  Leipzig. 


Nr.  1. 


Erscheint  am  10.,  20.,  30.  jeden  Monats.  Preis  halbjährlich 
6  Mark,  in  kl.  Zeitschrift  für  Yersicherungsmedizin  8  Mark. 


Verlag  von  Georg  Thieme,  Leipzig. 


10.  Jan. 


An  unsere  Leser! 

Hierdurch  gestatten  wir  uns  die  ergebene  Mitteilung  zu  machen, 
daß  die  „Fortschritte  der  Medizin“  und  ihr  bisheriges  Beiheft  die 
„Zeitschrift  für  Versicherungsmedizin“  in  den  Besitz  der  Verlags¬ 
buchhandlung  von  Georg  Thieme  in  Leipzig  übergegangen  sind. 

Auch  weiterhin  wollen  wir  dem  zu  Beginn  des  vorigen  Jahr¬ 
ganges  aufgestellten  Programm  treu  bleiben  und  uns  mit  Original¬ 
artikeln  sowohl  wie  Referaten  in  erster  Linie  an  den  in  allgemeiner 
Praxis  tätigen  Arzt  wenden,  und  ihm  die  wichtigsten  Errungenschaften 
der  rastlos  vorwärtsschreitenden  Wissenschaft  mit  möglichster  Schnellig¬ 
keit  zugänglich  machen. 

Dieses  Programm  wird  durchgeführt  werden  in  besonderer  An¬ 
lehnung  an  die  Universitäten  Halle,  Jena  und  Leipzig,  und  wir  hoffen 

auf  diese  Weise  besonders  in  Mitteldeutschland  unter  den  praktischen 
••  % 

Ärzten  noch  recht  viele  neue  Freunde  und  Leser  zu  finden. 

Die  „Zeitschrift  für  Versicherungsmedizin“  wird  von  jetzt  an  als 
selbständiges  Blatt  monatlich  erscheinen. 

Die  Abonnementspreise  sind  wie  folgt  festgesetzt:  „Fortschritte  der 
Medizin“  jährlich  36  Nummern  (je  2 — 3  Bogen  stark)  6  Mk.  pro  Semester. 
„Zeitschrift  für  Versicherungsmedizin“  12  Nummern  8  Mk.  p.  a.  Beide 
Zeitschriften  zusammen  im  jährlichen  Abonnement  16  Mk. 

Leipzig,  1.  Januar  1909. 


Verlag  und  Redaktion  der  „Fortschritte  der  Medizin“ 
und  der  „Zeitschrift  für  Versicherungsmedizin“. 


2 


Originalarbeiten  und  Sammelberichte. 


Originalarbeiten  und  Sammelberichte. 

Zur  Behandlung  der  Spätkontrakturen  der  Hemiplegiker. 

Von  Privatdozent  Dr.  yoh  Criegern. 

(Aus  der  Privatpoliklinik  des  Verfassers.) 

Die  Behandlung  stark  ausgesprochener  Spätkontrakturen1-)  von 
Hemiplegikern  ist  in  der  Regel  recht  undankbar,  besonders,  wenn  ältere 
Leute  befallen  sind.  Diese  allgemeine  Erfahrung  der  Praxis  spiegelt 
sich  in  den  Lehr-  und  Handbüchern  wieder,  wovon  ich  nur  das'  v  on  Mo¬ 
nakows  herausgreifen  möchte,  welcher  diese  Zustände  einer  Besserung 
nicht  für  fähig  erklärt;  andere  urteilen  ebenso.  Diesem  Pessimismus 
gegenüber  möchte  ich  wiederholt  auf  eine  Methode  hinweisen,  die  sich 
mir  als  recht  nützlich  erwiesen  hat  und  fortdauernd  erweist,  und  dabei 
den  Vorzug  großer  Billigkeit  und  leichtester  Anwendbarkeit  besitzt. 
Wohlverstanden:  der  Nutzen  bezieht  sich  nur  auf  die  Kontrakturen, 
nicht  etwa  auf  den  zerebralen  Erkrankungsprozeß. 

Es  handelt  sich  um  die  Ausgestaltung  der  alten  Brissaud’sehen 
Beobachtung,  daß  nach  Anlegen  der  von  Eßmarch’schen  Binde  um 
eine  hemiplegisch  gelähmte  Extremität  sich  die  aktiven  Kontrakturen 
vollständig  lösen,  zu  einer  therapeutischen  Methode.  Es  ist  im  Zeit¬ 
alter  der  Behandlung  durch  Hyperämie  ganz  interessant,  auch  einmal 
einen  Nutzen  von  ihrem  Gegenteile,  der  Behandlung  durch  Blutleere, 
zu  sehen.  Indessen  hat  mich  nicht  diese  Lesefrucht  zu  einer  solchen 
Therapie  veranlaßt,  sondern  eine  physiologische  Beobachtung,  die 
deshalb  hier  Platz  finden  möge. 

Wenn  ein  Ungeübter  eine  mehrstündige  sportliche  Muskelarbeit 
leistet,  nehmen  wir  als  Beispiel  eine  Ruder  part  io,  besonders  bei  kühlem, 
windigem  Wetter,  so  zeigt  die  eintretende  Ermüdung  einen  typischen 
Ablauf.  Es  stellt  sich  sehr  bald  eine  Ermüdung  ein,  die  aber1  noch  nicht 
die  Erschöpfung  der  vorhandenen  Kräfte  bedeutet.  Denn  mit  der  nöti¬ 
gen  Energie  kann  sie,  wenn  auch  oft  erst  nach  stundenlanger  Weiter¬ 
arbeit,  überwunden  werden,  und  bei  zunehmender  Übung  tritt  sie  immer 
seltener  und  kürzer  auf,  um  schließlich  ganz  fortzubleiben.  Gefolgt 
wird  sie  von  einer  Periode  erleichterter  Anstrengungsfähigkeit,  welche 
schließlich  die  definitive  Ermüdung,  nach  Auf  brauch  der  vorhandenen 
Kräfte,  ablöst.  Am  nächsten  Tage  besteht  sehr  häufig  noch  ein  schmerz¬ 
haftes  Ermüdungsgefühl,  welches  ebenso  wie  das  zuerst  aufgetretene 
erneuter  Beanspruchung  weicht  und  mit  weiterer  Übung  wegfällt.  Hier 
interessiert  die  zuerst  auftretende  Ermüdungserscheinung,  weil  sie  durch 
Übung  überwunden  werden  kann,  und  deshalb  offenbar  von  unzweck¬ 
mäßiger  Innervation  abhängig  ist.  Im  einzelnen  finden  sich  zunächst 
sensible  Erscheinungen:  eine  lähmungisartige  Empfindung  von  Schwer - 
beweglichkeit,  deren  Überwindung  einen  immer  größeren  Anstrengungs¬ 
impuls  erfordert,  und  bald  recht  schmerzhaft  wird.  Die  Funktion  ist 

1J  Die  Frühkontrakturen  stellen  sich  bald  oder  sofort  nach  der  Apoplexie 
ein,  sie  sind  inkonstant  und  verschwinden  oft  so  rasch,  als  sie  gekommen  sind. 
Die  Spätkontrakturen  schleichen  sich  nach  2  bis  4  Wochen  ein,  sie  sind  konstant 
und  meist  progressiv;  man  unterscheidet  aktive  und  passive.  Die  aktiven  werden 
durch  Muskelspannung  erzeugt,  hängen  also  von  der  Ausbildung  der  Spasmen  ab, 
die  passiven  entstehen  durch  die  sekundäre  Muskelschrumpfung,  also  infolge 
nutritiver  Störungen.  Im  obigen  Texte  handelt  es  sich  in  erster  Linie  um  aktive 
Spätkontrakturen,  erst  in  zweiter  um  passive. 


Origmalarbeiten  und  Sammelberichte.  3 

sehr  herabgesetzt  :  trotz  der  starken  Anstrengung  fallen  die  Leistungen 
immer  schwächlicher  aus;  daneben  beistehen  Heizers cheinungen,  mehr 
oder  minder  heftiges  Zittern,  und  die  Muskeln,  fühlen  sich  sehr  derb 
und  starr  an :  meist  läßt  sich  beim  Beklopfen  die  gesteigerte  motorische 
Erregbarkeit  unmittelbar  nach  weisen.  Nach  dem  Trivialausdruck  ist 
„Krampf“  eingetreten2) ;  doch  handelt  es  sich  keineswegs  um  tonische 
Kontraktion,  die  Muskeln  leisten  einer  passiven  Bewegung  nur  geringen 
Widerstand  (und  sind  ja  auch  noch  aktiv  beweglich);  besser  bezeichnet 
man  den  Zustand  als  „Ermüdungssteifigkeit“.  Beim  Ruderer  findet  sich 
nun  auch  eine  bestimmte.  Lokalisation :  die  Beteiligung  der  Strecker 
überwiegt  entschieden  die  der  Beuger,  obwohl  die  Beanspruchung  eher 
umgekehrt  verteilt  ist.  Das  hat  sicher  seinen  Grund  zunächst  darin, 
daß  die  rohe  Kraft  der  Beuger  überwiegt  (wie  das  Beispiel  der  Bewußt¬ 
losen  und  die  Leichenstellung  beweist),  aber  auch  darin,  daß  die  Funk¬ 
tion  der  Strecker  eine  sehr  viel  differenziertere  ist,  als  die  der  Beuger. 
Letzterer  Tätigkeit  geht  immer  auf  die  einfache  Faustbildung  zu, 
während  die  feineren  Modalitäten  immer  unter  abgestufter  Tätigkeit 
der  Streckergruppe  (einschließlich  der  Spreizer)  zustande  kommen.  Mit 
der  Ermüdungssteifigkeit  geht  eine  venöse  Hyperämie,  des  Gliedes  ein¬ 
her,  erkennbar  an  der  Hautfarbe,  dem  Anlaufen  der  subkutanen  Venen, 
die  mitunter  empfindlich  werden;  auch  der  Unterarm  im  ganzen  kann 
geschwollen  erscheinen.  Kälte  befördert  die  Erscheinung  entschieden, 
ferner  wirkt  das  Anlegen  der  Bf  er’ sehen  Stauung  schädlich  und  ebenso 
die  Massage,  wenn  danach  fortgearbeitet  wird,  alles  offenbar  durch 
Begünstigung  der  Hyperämie.  Dagegen  bewirkt  die  Herstellung  der 
von  EßmarcK  sehen  Blutleere  eine  sofortige  Erleichterung:  während 
der  Dauer  derselben  könnte  meist  fast  schmerzlos  weiter  gearbeitet 
werden  ;3)  aber  auch  schon  das  einfache  Erheben  der  Arme  ist  durch  die 
Beförderung  des  Blutabflusses  nützlich.  Aus  diesen  Tatsachen  lassen 
sich  einige  Schlüsse  ziehen :  1.  Da  es  durch  Übung  erlernt  werden  kann, 
die  Ermüdungssteifigkeit  zu  vermeiden,  so  gehört  sie  zu  den  Folgen 
unzweckmäßiger  Innervation.  2.  Einen  wesentlichen  Anteil  am  Zu¬ 
standekommen  der  Ermüdungssteifigkeit  hat  die  unzweckmäßige  Blut¬ 
verteilung  (und  zwar  handelt  es  sich  um  einen  Uberschuß  der  Zufuhr 
über  den  Abfluß).  3.  Die  zweckmäßige  Blutverteilung  ist  irgendwie 
abhängig  von  der  zweckmäßigen  Innervation  und  mit  dieser  vom  Ge¬ 
sunden  erlernbar.  Wie  man  sich  den  Zusammenhang  vorzustellen  hat, 
darüber  sagt  die  Beobachtung  nichts  aus.  Offenbar  ist  er  kein  ganz 
einfacher;  an  eine  unmittelbare  Beeinflussung  der  Gefäße  durch  den 
Willen  ist  nicht  zu  denken.  Auch  qualitativ  neues  erwirbt  man  sich 
durch  die  Übung  sicher  nicht:  zudem  ist  die  geforderte  Bewegung  bei 
unserem  Sportbeispiele  eine  so  einfache,  daßi  von  einer  eigentlichen 
Erlernung  derselben  nicht  die  Rede  sein  kann.  Dagegen  handelt  es 
sicli  ersichtlich  um  quantitative  Abstufungen,  deren  Beherrschung  man 
gewinnt.  Man  lernt  sich  zu  schonen,  man  gewöhnt  sich,  mit  der  ge¬ 
ringsten  noch  ausreichenden  Muskelkontraktion  auszukommen,  also  be¬ 
wirkt  die  Übung  eine  Temperierung  der  Impulse  zu  intensiver  d.  h., 


2)  Auch  der  gefürchtete  „Wadenkrampf“  bei  ungeübten  Schwimmern  gehört 
hierher,  der  manchmal  zu  Unglücksfällen  Veranlassung  giebt. 

3)  Für  rein  sportliche  Zwecke  ist  natürlich  ein  Arbeiten  unter  Blutleere  aus¬ 
geschlossen,  doch  dürfte  sich  die  Wirkung  der  bei  Artisten  u.  a.  gebräuchlichen 
Kompressionsartikel  hieraus  erklären. 


1* 


4 


Originalarbeiten  und  Sammelberichte. 


mit  besonderer  Kraftentwicklung  verbundenen  Muskelkontraktion.4) 
Danach  sollte  man  4.  schließen,  daß  die  unzweckmäßige  Hyperämie 
bei  der  Ermüdungssteifigkeit  abhängig  ist  von  der  unzweckmäßigen 
Innervation  zu  intensiver  Muskelanstrengung.  Das  bestätigt  die  Ex¬ 
perimentalphysiologie,  welche  lehrt,  daß  die  Blutkapazität  der  Muskeln 
fast  in  direkter  Proportion  zunimmt  zur  Kraftentwicklung  bei  der 
Kontraktion  (Spehl)  und  daß  die  Erweiterung  der  Muskelgefäße  er¬ 
halten  wird  durch  Beizung  der  Muskelnerven.  5.  Da  die  mechanische 
Entfernung  des  Blutes  nützlich  ist,  die  mechanische  Blutstauung  aber 
schädlich,  scheint  umgekehrt  seine  reichliche  Anwesenheit  der  Tem¬ 
perierung  im  Wege  zu  stehen,  resp.  einen  Beiz  zu  bilden  zur  (unter 
Umständen  unzweckmäßigen)  besonders  intensiven  Kontraktion,  wie 
auch  die  Experimentalphysiologie  lehrt,  daß  die  bei  Beizung  erhaltene 
Kraftentwicklung  zunimmt  proportional  der  Durchblutung. 

Als  Gegenstück  zu  dem  Arme  des  eben  betrachteten  Buderers1 
nehmen  wir  den  Arm  eines  Hemiplegischen,  und  zwar  eines  solchen, 
bei  dem,  wie  gewöhnlich,  die  Strecker  stärker  ergriffen  sind  als  die 
Beuger,  (von  den  mitunter  vorkommenden  Ausnahmen  sehen  wir  jetzt 
ab),  und  bei  dem  sich  aktive  Spätkontrakturen  eingestellt  haben.  Voll¬ 
ständig  gelähmt  ist  kein  Muskel,  aber  der  Kranke  hat,  wie  der  Er¬ 
müdete,  eine  Empfindung  von  Schwere  und  Bewegungsunfähigkeit,  die 
schwer  zu  überwinden  ist,  und  immer  mehr  zunimmt,  und  meist  als 
recht  schmerzhaft  angegeben  wird.  Zittern  findet  sich  nur  manch¬ 
mal  in  der  Pause,  aber  die  spastische  Starre  ist  viel  ausgeprägter, 
als  bei  der  Ermüdungssteifigkeit,  der1  sie  nur  in  ihrer  leichteren  Aus¬ 
prägung  gleicht,  wo  sie  ja  auch  nicht  so  selten  erst  nach  einiger  Bean¬ 
spruchung  hervortritt.  Dementsprechend  findet  sich  auch  wesentlich 
stärkere  Beflexerregbarkeit,  deren  Folge  ja  schließlich  die  Kontraktur 
ist.  Die  Funktionsstörung  ist  ganz,  wie  bei  unserem  sportlichen  Beispiel, 
an  den  Streckern  stärker  als  an  den  Beugern,  allerdings  beobachtet 
man  beim  Gesunden  die  verschiedene  Lokalisation  der  Ermüdungs¬ 
steifigkeit  nicht.  Man  darf  natürlich  nicht  im  einzelnen  vergleichen, 
denn  dann  sind  die  Unterschiede  erheblich.  Man  findet  beim  Apoplek¬ 
tiker  selten  einen  Muskel,  der  bei  gar  keiner  Probebewegung,  wenn  auch 
nur  ganz  wenig,  dem  Willen  gehorchte.  Von  da  bis  zu  ganz  wenig 
betroffenen  (in  leichtesten  Fällen),  findet  man,  kombiniert  mit  der  ver¬ 
schiedenen  Ausprägung  des  spastischen  Zustandes  alle  möglichen  Grup¬ 
pierungen,  für  die  der  Ermüdete  kein  Gegenstück  bietet.  Dem  vom 
Schlag  gelähmten  fehlt  selbstverständlich  auch  die  rasche  Erholungs¬ 
fähigkeit,  im  Gegenteil  sind  die  Muskeln,  je  stärker  gelähmt,  um  so 
leichter  ermüdbar  und  erholen  sich  um  so  schwerer.  Endlich  finden 
wir  mannigfache  vasomotorische  Störungen,  Kälte,  Zyanose,  marmo¬ 
rierte  Haut  u.  dgl.,  welche  fast  alle  auf  venöse  Hyperämie  hinweisen. 
So  ergeben  sich  wenigstens  bei  der  oberflächlichen  Vergleichurig  eine 
Beihs  von  Ähnlichkeiten,  (natürlich  neben  wichtigen  Unterschieden), 
die  doch  zum  Versuche  einer  gleichartigen  Behandlung  auf  fordern. 
Legen  wir  nun  die  von  Eßmarch’sche  Binde  an,  so  ähnelt  zunächst 
der  Eintritt  größerer  Beweglichkeit  dem  Verhalten  des  Gesunden,  und 
darauf  kommt  es  ja  zunächst'  an.  Was  sonst  oft  schwer  zu  beweisen 


4)  Die  unzweckmäßig  starke  Anstrengung  der  Anfänger  ist  in  sportlichen  wie 
militärischen  Kreisen  wohl  bekannt  und  durch  eine  Fülle  von  Slang-ausdrücken 
entsprechend  gewürdigt. 


Originalarbeiten  und  Sammelberichte. 


5 


ist,  daß  nämlich  kaum  je  ein  Muskel  vollständig  jeden  Einwirkung 
des  "Willens  entzogen  ist,  wird  nun  offensichtlich.  Freilich  ist  auch 
mit  dieser  gleichartigen  Reaktion  jede  Ähnlihkeit  erschöpft,  denn  jetzt 
steht  die  Lähmung  gewissermaßen  rein  herausgearbeitet  vor  dem  Be¬ 
obachter  und  hat  den  geläufigen  Habitus  verloren,  weil  die  Spasmen 
und  Kontrakturen  ausgeschaltet  sind,  die  ihn  bedingten.  Die  rein 
spastischen  Muskeln  haben  etwa  normale  Konsistenz  und  mechanische 
Erregbarkeit,  ihre  Kraftentwicklung  und  auch  ihre  Geschwindigkeit 
ist  besser  als  vorher.  Eine  Ausnahme  Inachen  stark  geschrumpfte,  strang- 
förmige,  bei  sehr  veralteten  Fällen,  in  denen  die  Besserung  beim  ersten 
Male  nicht  so  auffällig  ist.5)  An  den  gelähmten  Muskeln  (den  Streckern) 
ist  die  von  Senator  zuerst  beschriebene,  später  von  Quincke  ein¬ 
gehend  gewürdigte  zerebrale  Atrophie  höchst  auffällig:  sie  fühlen  sich 
sehr  weich  an;  doch  auch  sie  können  sich  nun  bewegen,  wenn  auch 
langsam  und  mit  sehr  geringer  Kraftentwioklung.  Überraschend  ist 
nun  meist,  die  Leichtigkeit,  mit  der  sich  die  zerebrale  Ataxie  nachweisen 
läßt.  Dieselbe  ist  wohl  meist  an  den  gelähmten  Muskeln  am  meisten 
ausgesprochen.  Sie  wurde  nur  von  den  Spasmen  verdeckt:  der  Satz 
von  Monakow’s :  „selbstverständlich  hat  die  kortikale  Ataxie  das  Fehlen 
von  Kontrakturen  zur  Voraussetzung“  (Seite  360),  würde  lauten  können 
„hat  der  Nachweis  der  kortikalen  Ataxie  die  Ausschaltung  der  Kon¬ 
trakturen  zur  Voraussetzung“.  In  gegenwärtiger  Fassung  könnte  man  ihn 
so  verstehen,  als  liege  ein  gegenseitiges  Ausschließungsverhältnis  vor. 
Die  abnormen  Sensationen  der  Schwere  und  Schwäche  sind  wesentlich 
gemildert. 

Nach  dem  Ausgeführten  ergeben  sich  die  Grundsätze  für  die 
therapeutische  Ausnutzung  des  Verfahrens  von  selbst.  Es  kommt  dar¬ 
auf  an,  die  bessere  Bewegungsmöglichkeit  während  der  Anämie  zu 
Übungen  zu  benutzen,  um  einerseits  den  erhaltenen  Rest  von  Beweg¬ 
lichkeit  dauernd  zu  sichern  und.  vor  allem  auch  außerhalb  der  Anämie 
zur  Verfügung  zu  bekommen,  andererseits  durch  „Bahnung“  noch  mehr 
hinzuzugewinnen.  Dabei  ist  der  Augenmerk  besonders  darauf  zu  rich¬ 
ten,  möglichst  einfache  Übungen  vorzunehmen,  und  den  Kranken  zu 
einer  möglichst  leichten,  spielenden  Ausführung  zu  bringen,  um  den 
ungünstigen  Einfluß  der  Intention  zur  Kraftentfaltung  auf  die  ver¬ 
mehrte  Blutzufuhr,  soweit  als  es  gelingt,  dauernd  auszuschalten.  Übri¬ 
gens  scheint  auch  die  angestrengte  Intention  zu  schwierigen  Übungen 
den  gleichen  Einfluß  zu  haben.  Aber  die  Muskelatrophie  warnt  davor, 
die  Anämie  zu  lange  auszudehnen,  um  jene  nicht  zu  verschlimmern.  Es 
gilt,  den  Circulus  vitiosus:  unzweckmäßige  Innervation:  Hyperämie: 
verstärkte  Spasmen  bei  möglichster  Erhaltung  des  Ernährungszustandes 
der  Muskeln  zu  unterbrechen,  womöglich  nicht  nur  in  kurzen  Momenten, 
sondern  so  oft  und  so  lange  als  möglich.  Glücklicherweise  ist  voll¬ 
ständige  Anämie  nicht  immer  nötig,  und  dann  auch  nur  im  Beginn 
der  Behandlung;  auch  die  lange  Zeit  fortgesetzte  senkrechte  Erhebung 
der  Gliedmaße  und  die  Anwendung  von  komprimierenden  Handschuhen, 
Ärmeln  und  Strümpfen  ist  von  Nutzen  und  oft  allein  ausreichend. 

Praktisch  geht  man  so  vor6):  die  von  Eßmarch’sche  Binde  wird 

5)  Sie  tritt  aber  nichtsdestoweniger  später  bei  systematischer  Übung  doch 
noch  bis  zu  einem  gewissen  Grade  ein. 

6)  Ich  setze  im  Folgenden  voraus,  daß  keine  Gelenkversteifungen  bestehen; 
sonst  muß  natürlich  eine  Behandlung  derselben  nach  den  üblichen  Grundsätzen 
den  Beginn  der  ganzen  Behandlung  bilden. 


6 


Originalarbeiten  und  Sammelberichte. 


angelegt ;  wenn  sie  wieder  angenommen  wird,  tritt  bekanntlich,  .ein  e 
venöse  Hyperämie  ein,  die  alles  gewonnene  wieder  verdirbt,  und  zwar 
um  so  stärker  und  anhaltender,  je  länger  die  Binde  gelegen  hat.  Man 
erhebt  deshalb  den  Arm  rasch  zur  Senkrechten  und  nimmt  die  Binde 
schleunigst  wieder  ab.  Nach  den  Übungen,  die  man  aus  diesem  Grunde 
nur  ganz  kurze  Zeit  (und  auch  nicht  bis  zur  Ermüdung  !)  dauern  läßt, 
senkt  man  den  Arm  sehr  allmählich  zunächst  bis  zur  Horizontalen 
und  wartet  die  normale  Blutfüllung  ab,  die  erst  einige  Zeit  angedauert 
haben  soll,  ehe  man  ihn  ganz  senkt.  Eventuell  kann  man  nun  auch 
einen  Kompressionsärmel  anlegen,  wenn  sich  doch  gleich  wieder  Hyper¬ 
ämie  bemerklich  machen  sollte.  Zweckmäßig  verbindet  man  damit 
eine  Fixierung  der  Finger  in  Spreiz-  'und  Streckstellung  durch  ein  leichtes, 
dorsal  an  Unterarm  und  Hand  angelegtes,  entsprechend  ausgesägtes 
Brettchen.  Den  Arm  läßt  man  beim  Gehen  und  Sitzen  in  der  Binde 
tragen,  niemals  ganz  herabhängen.  Üben  läßt  man  womöglich  immer 
erst  nach  Abnahme  der  Eßmarcli’schen  Binde  bei  senkrechter  Arm¬ 
haltung,  nur  bei  schweren  Fällen,  wenn  das  nicht  ausreicht,  unter 
Anämie  (d,  h.  indem  man  nur  die  letzten  Touren  am  Oberarme  liegen 
läßt).  Während  der  Blutleere  (vollständigen  oder  unvollständigen)  kann 
man  auch  noch  leichte  Klopfmassage  und  Galvanisierung  der  gelähmten 
Muskeln  anwenden.  Außer  dem  Besprochenen  ist  es  nun  sehr  wichtig, 
den  Kranken  anzulernen,  so  oft,  als  es  ihm  seine  Beschäftigung  erlaubt, 
beim  Lesen,  beim  Bauchen,  beim  Liegen  auf  dem  Sofa  usw.  den  er¬ 
krankten  Arm  hoch  zu  legen.  Anfangs  muß  man  dazu  eine  Schleife 
mit  langem  Strickende  verwenden,  die  man  über  eine  an  der  Zimmer¬ 
decke  befestigte  Bolle  führt ;  sie  dient  dazu,  den  kranken  Arm  durch 
den  gesunden  hochzuziehen,  später  lernt  er,  die  Hochlagerung  durch 
den  gesunden  Arm  auszuführen,  endlich  kann  er,  wenn  es  gut  geht, 
mit  Benutzung  von  Möbeln  (Sofalehne  usw.),  den  kranken  Arm  allein 
aufrichten.  So  läßt  man  allmählich  die  Anwendung  der  Eßmarch’ sehen 
Binde  ganz  fort  und  bleibt  allein  bei  Übungen  in  Hochlagerung.  Da: 
mit  der  einmal  erreichte  Fortschritt  nicht  wieder  verloren  geht,  läßt 
man  die  Methode  in  geeigneter  Weise  dauernd  anwenden. 

Der  Erfolg  ist  um  soi  besser,  je  stärker  die  spastischen  Kontrak¬ 
turen  und  je  geringer  die  Lähmungen  sind.  Gegen  letztere  ist  nicht 
viel  zu  erreichen.  Ich  bin  überzeugt,  daß  die  oft  beobachteten  Besse¬ 
rungen  derselben  zu  einem  großen  Teil  nur  scheinbare  sind.  Die  Läh¬ 
mung  war  eben  nicht  so  ausgedehnt,  als  sie  vor  Anwendung  der  Anä- 
misierung  erschien.  Die  Atrophien  bessern  sich  oft  merkwürdig,  selbst 
wenn  sie  recht  erheblich  waren.  Mitunter  bessert  sich  auch  die  Kraft¬ 
entwicklung;  die  Geschwindigkeit  nur  sehr  wenig;  auch  die  Ataxie 
ist  in  meinen  Fällen  nur  manchmal  gebessert  worden.  Aber  die  Spasmen 
werden  oft  dauernd  etwas  geringer,  und  auch  die  vasomotorischen  Stö¬ 
rungen  schienen  mir  häufig  zurückzugehen.  Gewiß  sind  das  nur  be¬ 
scheidene  Erfolge,  aber  sie  werden  erreicht  in  Fällen,  in  denen  die 
Prognose  so  traurig  aussieht,  wie  eingangs  angeführt,  und  sie  werden 
gewonnen  auf  eine  so  einfache  Weise,  die  überall  und  in  den  ärmlichsten 
Verhältnissen  ohne  wesentliche  Kosten  ausführbar  ist.  Das  funktionelle 
Besultat  befriedigt  häufig  sehr.  So  konnte  ich,  um  ein  Beispiel  von 
mehreren  anzuführen,  am  7.  Mai  1907  in  der  Medizinischen  Gesell¬ 
schaft  zu  Leipzig  einen  54jährigen  Maurer  nach  einer  vierteljährlichen 
Behandlung  vorstellen :  Dieser  hatte  meine  Poliklinik  aufgesucht,  nach¬ 
dem  er  ein  und  dreiviertel  J ahre  vorher  einen  Schlaganfall  erlitten  hatte  : 


Originalarbeiten  und  Sammelberichte. 


7 


die  Sprache  und  das  Fazialisgebiet  hatten  sich  bereits  seit  einem 
Jahre  wieder  ziemlich  hergestellt,  auch  laufen  konnte  er  wieder  etwas 
am  Stocke:  aber  der  rechte  Arm!  Der  war  ihm  nur  im  Wege  und  zu 
nichts  zu  brauchen:  er  stand  in  einer  so  starken  Beugekontraktur,  daß 
die  Fingernägel  sich  tief  in  die  Hohlhand  eingebohrt  und  dort  eiternde 
Wunden  erzeugt  hatten;  er  kam,  um  Heilung  von  diesen  zu  suchen. 
Der  Kranke  war  keineswegs  vernachlässigt,  sondern  er  hatte  dauernd 
in  sachgemäßer  Behandlung  meist  eines  medikomechanischen  Institutes 
gestanden.  Er  erlernte  nun  wieder  das  Anziehen  und  Zuknöpfen  der 
Kleider,  den  Gebrauch  des  Messers  und  der  Gabel,  das  Einschenken 
von  Kaffee  und  das  Hantieren  mit  der  Tasse,  das  unbeholfene  Malen 
von  Buchstaben  (fließend  hatte  er  auch  vorher  nicht  geschrieben)  usw. ; 
aber  sein  Hauptstück  war,  daß  er  wieder  soviel  Kraft  erwarb,  um  einen 
allerdings  leichten  Stuhl  an  der  Lehne  gefaßt,  mit  gestrecktem  Arme 
seitwärts  bis  zur  Horizontalen  zu  heben.  Dieser  Erfolg  hat  bis  heute 
angehalten  und  sich  in  vielen  Einzelheiten  noch  gebessert. 

Leider  ist  die  Anwendung  dieser  Methode  am  Beine  nicht  so 
nützlich.  Selbstverständlich,  da  bei  der  Funktion  des  Beines  die  ab¬ 
hängige  Lage  und  damit  'die  Disposition  zur  venösen  Stauung  nicht 
zu  umgehen  ist.  Man  geht  ganz  entsprechend  vor,  wie  beim  Arme :  der 
Kranke  nimmt  horizontale  Rückenlage  ein  mit  erhöhten  Kopfe,  da 
eine  abschüssige  oder  gar  Hängelage  beim  Hemiplegiker  nicht  wohl 
zu  versuchen  ist,  die  Eßmar.ch’sche  Binde  wird  angelegt,  das  Bein 
erhoben  usw.,  alles  wie  oben,  mutatis  mutandis.  Man  muß  recht  darauf 
achten,  daß  die  Venen  in  der  Schenkelbeuge  nicht  gedrückt  und  da¬ 
durch  erst  recht  Stauung  erzeugt  wird.  Praktisch  am  meisten  besagt 
noch  das  Tragen  eines  Kompressionsstrumpfes,  der  aber  möglichst  leicht 
sein  muß.  Glücklicherweise  pflegt  aber  in  den  meisten  Fällen  die 
Restitution  der  Gehfähigkeit  schon  an  und  für  sich  eine  weit  günstigere 
Prognose  zu  besitzen,  %  als  die  der  Gebrauchsfähigkeit  des  Armes. 

Uber  die  Brauchbarkeit  der  Methode  bei  anderen  Nervenleiden, 
möchte  ich  mein  Urteil  vorläufig  noch  zurückstellen. 


Über  die  sog.  Pylorusstenose  der  Säuglinge. 

Von  Dr.  Ignaz  Steinhardt,  Kinderarzt  in  Nürnberg. 

(Vortrag,  gehalten  in  der  Nürnberger  medizinischen  Gesellschaft  und  Poliklinik.) 

Der  am  3.  Februar  1907  rechtzeitig  geborene  Knabe  Willy  P. 
wurde  anfangs  von  seiner  Mutter  gestillt,  bekam  aber  gleich,  weil  er 
scheinbar  nicht  genug  hatte,  noch  Beinahrung,  und  zwar  halb  Milch 
und  halb  Wasser.  In  der  5.  Woche  wurde  eine  Amme  angeschafft,  teils 
weil  die  Mutter  wegen  Nervosität  zum  Stillen  nicht  recht  geeignet 
erschien,  teils  weil  das  Kind  bei  der  bisherigen  Ernährung  mit  Mutter¬ 
milch  und  Kuhmilch  sehr  häufig  spuckte.  Als  ich  das  Kind  am  19.  März 
zum  ersten  Male  sehe,  wiegt  es1  in  der  7.  Lebenswoche  3680  g,  bei  einer 
Zunahme  von  angeblich  200,  bezw.  150  g  in  den  beiden  letzten  Wochen, 
hat  täglich  einmal  normalen  Stuhl,  erbricht  aber  sehr  häufig  während  oder 
gleich  nach,  dem  Trinken,  und  zwar,  ebenso  wie  bei  der  früheren  Zwie¬ 
milchernährung,  jetzt  an  der  Ammenbrust.  Es  hat  einen  doppelseitigen 
Leistenbruch,  der  seit  dem  Tag  vorher  bemerkt  worden  war,  nebenbei 
erwähnt  der  Hauptgrund,  warum  ich  eigentlich  konsultiert  werde;  smst 
ergibt  die  Untersuchung  der  Körperorgane  einen  völlig  negativen  Be¬ 
fund.  Um  das  Erbrechen,  das  nach  der  Schilderung  der  Mutter  sehr 


8 


Originalarbeiten  und  Sammelberichte. 


häufig  und  stark  auftritt,  besser  beurteilen  zu  können,  lasse  ich  am 
folgenden  Tag  in  meiner  Anwesenheit  den  Knaben  an  die  Brust  an- 
legen.  Während  er  trinkt,  setzt  er  plötzlich  ab  und  stößt  in  dickem 
Strahl  und  weitem  Bogen  eine*  große  Menge  der  eben  getrunkenen 
Milch  heraus,  trinkt  aber  sofort  wieder  ruhig  weiter,  w*ie  wenn  gar 
nichts  passiert  wäre,  und  so  lange  bis  er  satt  ist,  im  ganzen  etwa 
10 — 15  Minuten ;  dann,  ist  er  ruhig  und  zufrieden  und  schläft  bald 
ein.  Die  Mutter  erzählt,  daß  das  Kind  immer  in  dieser  charakteri¬ 
stischen  Weise  erbricht.  Ich  lasse  nun  die  Dauer  der  einzelnen  Mahl¬ 
zeiten  verkürzen  und  alle  3  Stunden  nur  je  5  Minuten  lang  an  der 
Brust  trinken;  trotzdem  hört  das  Erbrechen  nicht  auf,  sondern  erfolgt 
noch  2 — 3  mal  an  diesem  Tage.  Stuhl  wird  innerhalb  24  Stunden  nur’ 
lmal  entleert,  ist  von  gelblich-grüner  Farbe  und  dünn.  Urin  war  in 
der  verflossenen  Nacht  gar  nicht,  sondern  erst  morgens  im  warmen 
Bad  entleert  worden.  Obwohl  nun  das  Kind  nicht  länger  als  5  Minu¬ 
ten  trinken  darf,  besteht  das  Erbrechen  am  folgenden  Tag  (21.  März) 
unverändert  weiter;  Stuhlgang  dünn  und  grün,  bis  Abends  erfolgt 
keine  Urinentleerung;  das  Kind  äußert  durch  häufige  Saug-  und  Leck¬ 
bewegungen  sein  lebhaftes  Durstgefühl.  Von  der  Annahme  ausgehend, 
daß  wenig  oder  gar  keine  Milch  im  Magen  bleibt,  bezw.  vom  Magen 
in  den  Darm  übergeht  und  hier  resorbiert  wird,  lasse  ich  die  Milch 
zunächst  vollständig  weg  und  verordne,  anfangs  alle  5  Minuten,  später 
in  etwas  größeren  Zwischenräumen  kalten  schwarzen  Tee  kaffeelöffel- 
weise  zu  geben ;  gleichzeitig  warme  Umschläge  auf  den  Leib'.  Das 
Kind  nimmt  die  Flüssigkeit  gern,  behält  sie  auch,  und  nachdem  es 
eine  größere  Menge  davon  bekommen  hat,  wird  es  ruhig,  schläft 
ein  und  schläft  mit  kleinen  Unterbrechungen,  in  welchen  es  immer 
wieder  zu  trinken  bekommt,  die  ganze  Nacht  hindurch.  Während  der 
Nacht  erfolgt  zweimal  Urinentleerung.  Erbrechen  ist  nur  nach  den 
beiden  ersten  Löffeln  Tee  aufgetreten,  hat  dann  ganz  aufgehört  und 
ist  erst  gegen  Morgen  des  nächsten  Tages  (22.  März)  wieder  ein  wenig 
erfolgt.  In  diesem  zuletzt  Erbrochenen  waren,  obwohl  bereits  mehr 
als  24  Stunden  lang  keine  Milch  mehr  verabreicht  worden  war,  noch 
Milchgerinsel  vorhanden,  ein  sicherer  Beweis,  daß  die  Fortbewegung 
der  Milch  vom  Magen  in  den  Darm  behindert  war.  Von  Vormittag 
an  wird  dann  in  Pausen  von  1/4  bis  1/2  Stunden  abwechselnd  Tee  und 
mittels  Milchpumpe  abgezogene  Ammenmilch  teelöffelweise  gegeben. 
Diese  kleinen  Mengen  werden  gut  vertragen,  es  erfolgt  auch  mehrmals 
Urinentleerung,  ebenso  einmal  Stuhl,  der  olivengrün  und  schleimig¬ 
gelatinös,  wie  Mekonium,  aussieht.  In  den  nächsten  Tagen  findet  nur 
geringes  Erbrechen  statt,  entweder  gar  nicht  in  24  Stunden  oder  höch¬ 
stens  zweimal,  aber  auch  nicht  mehr  So  reichlich  wie  vorher.  Es  wird 
deshalb  mit  der  Menge  der  einzelnen  Trinkportionen  gestiegen,  wir 
kommen  allmählich  auf  3  Teelöffel  Ammenmilch  pro  Portion,  die  gut 
vertragen  werden.  Das  Allgemeinbefinden  des  Knaben  ist  dauernd 
befriedigend,  er  ist  ruhig  und  schläft  gut,  hat  offenbar  weder  Schmer¬ 
zen  noch  andere  Unbequemlichkeiten.  Stuhl  kommt  nur  auf  Einlauf, 
ist  spärlich  an  Menge  und  sieht  immer  noch  grün  aus,  verliert  aber 
die  schleimig-gelatinöse  Beimengung.  —  Am  27.  März  habe  ich  mir 
folgende  Notizen  gemacht:  Kind  ziemlich  ruhig;  Puls  gut.  Erbrechen 
immer  noch  vorhanden,  wenn  auch  geringer  und  nur  2 — 3  mal  täg¬ 
lich.  Bei  einer  wegen  des  Erbrechens  vorgeniommenen  Magen¬ 
spülung  entleert  sich  wenig,  ganz  feinflockig  geronnene  Milch,  die 


Originalarbeiten  und  Sammelberichte. 


9 


offenbar  von  der  letzten,  l1/2  Stunden  zurückliegenden  Mahlzeit  her* 
rührt ;  der  ausgeheberte  Mageninhalt  zeigt  sonst  keine  mittels  Ge¬ 
sicht  oder  Geruch  wahrnehmbare  Auffälligkeiten.  Stuhl  immer  noch 
grün  und  etwas  schleimig,  erfolgt  teils1  spontan,  teils  erst  nach  Ein¬ 
lauf,  Der  Berechnung  nach  trinkt  das  Kind  in  24  Stunden  etwa 
400  bis  500  g,  also  viel  zu  wenig  für  sein  Alter  von  fast  2  Monaten, 
wie  sich  auch  in  dem  Gewichtssturz  von  3680  auf  3135  g,  also  545  g 
Abnahme  innerhalb  1  Woche,  offenbart.  Um  die  Milchsekretion  bei 
der  Amme  in  Fluß  zu  erhalten  und  sie  nicht  durch  das  Abpumpen 
zum  vorzeitigen  Versiegen  zu  bringen,  wird  jetzt  noch  das  Ammenkind 
in  die  Familie  aufgenommen.  —  In  den  nächsten  Tagen  wird  mit  der 
Größe  der  einzelnen  Portionen  vorsichtig  weiter  gestiegen,  so  daß  wir 
bis  zum  1.  April  auf  etwa  stündlich  8 — 9  Teelöffel  Milch  kommen. 
Der  Versuch,  das  Kind  direkt  aus  der  Milchpumpe  (Modell  Ibrahim) 
trinken  zu  lassen,  mißlingt  zuerst,  es  erfolgt  sofort  wieder  heftigeres 
Erbrechen,  das  nach  der  letzten,  vor  einigen  Tagen  erfolgten  Magen¬ 
spülung  24  Stunden  vollständig  sistiert  hatte,  dann  nur  in  geringerem 
Maße  wieder  aufgetreten  war  und  hierauf  nochmals  24  Stunden  ganz 
auf  gehört  hatte.  Stuhl  erfolgt  zuweilen  von  selbst,  hat  seine  meconium- 
ähnliche  Beschaffenheit  ganz  verloren,  ist  gelblich  gefärbt  und  von 
salben  artiger  Konsistenz.  Erst  nach  weiteren  4  Tagen,  5.  April,  ge¬ 
lingt  der  Versuch,  die  Milch  direkt  aus  der  Milchpumpe  trinken  zu 
lassen  und  zwar  jedestnal  etwa  50  g  in  l1/2 — 2stündlichen  Pausen, 
ohne  daß  sofort  Erbrechen  erfolgt,  aber  gelegentlich,  d.  h.  1 — 2 — 3mal 
täglich  tritt  es  immer  wieder  auf ;  Stuhlgang  normal,  muß  wieder¬ 
holt  erst  durch  Eingießungen  herbeigeführt  werden.  An  diesem  Tage 
ist  zum  ersten  Male  eine  kleine  Gewichtszunahme  festzustellen,  näm¬ 
lich  30  g  innerhalb  6  Tage.  —  Der  Zustand  bleibt  nun  längere  Zeit 
der  gleiche,  vor  allem  besteht  als  hervorstechendstes  Symptom  das 
Erbrechen,  das  bald  mehr,  bald  weniger  stark  auftritt ;  ich  wende 
gegen  dasselbe  öfters  Magenspülungen  an,  allerdings  mit  wechseln¬ 
dem  Erfolg,  manchmal  beseitigen  sie  für  1 — 2  mal  24  Stunden  das 
Erbrechen  vollständig,  manchmal  beeinflussen  sie  es  gar  nicht.  Das 
Körpergewicht  nimmt  langsam  zu,  z.  B.  vom  5. — 16.  April,  also 
innerhalb  11  Tagen,  um  175  g.  Auch  versuchen  wir  zuerst  und  gehen 
dann  ganz  dazu  über,  das  Kind  direkt  an  der  Brust  trinken  zu  las¬ 
sen,  und  zwar  je  10  Minuten  lang,  ohne  daß  Erbrechen  auftritt.  — 
Am  18.  April  habe  ich  notiert:  Kind  hat  sich  in  den  letzten  Tagen 
wohl  befunden,  bricht  aber  immer  noch  gelegentlich,  wenn  auch  wenig, 
nur  seit  gestern  wieder  etwas1  stärker  und  häufiger,  auch  im  Strahl; 
vielleicht  rührt  das  davon  her,  daß  das  Kind  schon  zu  lange,  jedes¬ 
mal  12 — 13  Minuten  lang,  an  der  Brust  liegt  und  dabei,  wie  die  Amme 
behauptet,  sehr  fest  zieht,  Stuhl  wieder  gering  und  etwas  dünn,  aber 
gelblich.  Besonders  bemerkenswert  ist,  daß  seit  8 — 10  Tagen  sehr 
deutliche  peristaltische  Bewegungen  in  der  Magengegend  zu  sehen 
sind,  namentlich  heute,  nachdem  das  Kind  ganz  kurz  vor  der  Be¬ 
sichtigung  getrunken  hat.  Die  Magengegend  bäumt  sich  in  Form  einer 
von  links  nach  rechts  verlaufenden  Welle  vor,  in  deren  Mitte  man 
zuweilen  eine  Einschnürung  sieht;  die  Vorwölbung  bleibt  einige 
Zeit  bestehen,  ihr  unterer  Band  reicht  etwa  bis  zur  Nabelhöhe  her¬ 
ab.  Von  einem  Tumor  ist  nichts  zu  fühlen.  Therapeutisch  lasse  ich 
jetzt  Karlsbader  Mühlbrunnen  zugeben.  Dieser  scheint  vorzüglich  zu 
wirken;  denn  zunächst  erfolgt  3  Tage  lang  gar  kein  Erbrechen,  und 


10 


Originalarbeiten  und  Sammelberichte. 


das  Körpergewicht  steigt  in  dieser  kurzen,  Zeit  um  110  g  an.  Aber 
bald  setzt,  das  Erbrechen  wieder  ein,  am  27.  April  sogar  sehr  stark, 
und  ist  auch  durch  wiederholte  Magenspülungen  nicht  zu  beeinflussen ; 
erst  als  am  4.  Mai  die  Milch  wieder  abgezogen  und  •  löffelweise  kalt 
verabreicht  wird,  hört  es  auf.  In  diesen  paar  Tagen  geht  das  Körper¬ 
gewicht  wieder  um  100  g  zurück.  Aber  auch  die  löffelweise  Zufüh¬ 
rung  der  Milch  wird  schon  nach  wenigen  Tagen  wieder  auf  gegeben, 
da  das  Kind  immer  weiter  bricht,  und  es  wird  wieder  an  die  Brust 
angelegt.  Magenperistaltik  ist  unverändert ;  Stuhl  von  normalem 
Aussehen.  Es  ist  wiederholt  zu  beobachten,  daß,  wenn  schöner  und 
reichlicher  Stuhlgang  erfolgt,  das  Erbrechen  nur  gering  ist,  oder  um¬ 
gekehrt:  wenn  wenig  erbrochen  wird,  der  Stuhl  schön  und  reichlich 
ist.  Da  auf  die  Dauer  weder  Magensp ülungen  noch  Karlsbader  Was¬ 
ser  das  Erbrechen  unterdrücken,  so  gebe  ich  von  Mitte  Mai  an  Tct. 
opii  4  (mal  tgl.  1/2 — 3/4  Tropfen,  die  das  Kind  bis  auf  den  angehal¬ 
tenen  Stuhl,  der  ja  übrigens  auch  vorher  schon  bestand,  gut  verträgt. 
Das  Erbrechen  hört  allerdings  auch  darnach  nicht  vollständig  auf, 
ebenso  bleibt  die  sichtbare  Magenperistaltik  bestehen,  doch  nehmen 
beide  an  Intensität  etwas  ab.  Eine  deutliche  Besserung  ist  erst  von 
Anfang  Juni  an  zu  konstatieren,  nachdem  die  ersten  ausgesprochenen 
Krankheitserscheinungen  sich  Mitte  März  gezeigt  hatten;  sie  offenbart 
sich  darin,  daß  das  Körpergewicht,  das  wochenlang  um  7  Pfund  her¬ 
um  sich  bewegt  hatte,  nun  beträchtlich  zu  steigen  beginnt,  trotz 
Erbrechen  und  sichtbarer  Peristaltik;  beispielsweise  ist  in  den  vier 
Tagen  vom  2. — 6.  Juni  eine  Zunahme  von  140  g  und  vom  6. — 12. 
eine  weitere  von  115  g  zu  verzeichnen.  Das  Kind  kommt  nun  Mitte 
Juni  in  die  Sommerfrische  und  nimmt  dort  weiter  schön  zu.  Am 
16.  Juli  wird  es  mir  wieder  einmal  vorgestellt  und  weist  eine  Ge¬ 
wichtszunahme  von  über  1000  g  in  knapp  5  Wochen  auf,  also  durch¬ 
schnittlich  mindestens  200  g  in  der  Woche,  obwohl  immer  noch  ein¬ 
mal  täglich  Erbrechen  erfolgt  und  die  Magenperistaltik  noch  deut¬ 
lich  sichtbar  ist;  mit  der  Opium  -Verabreichung  wird  langsam  zu¬ 
rückgegangen.  Am  9.  August  wiegt  das  Kind  im  Alter  von  etwas 
über  Vg  Jahr  nicht  ganz  6  kg,  hat  also  das  durchschnittliche  Nor¬ 
malgewicht  zwar  noch  nicht  erreicht,  weist  aber  gerade  aus  den 
letzten  Wochen  sehr  ansehnliche  Gewichtszunahmen  auf;  das  Er¬ 
brechen  hat  bedeutend  nachgelassen,  kommt  allerdings  immer  noch 
gelegentlich  einmal  vor.  Anfangs  September  sehe  ich  das  Kind  nach 
seiner  Rückkehr  aus  der  Sommerfrische  wieder,  das  Erbrechen  hat 
fast  vollständig  aufgehört,  tritt  nur  noch  sehr  selten  auf,  und  von 
der  Peristaltik  ist  nichts  mehr  zu  bemerken,  das  Kind  sieht  blühend 
frisch  und  gesund  aus.  Ich  habe  es  dann  im  Laufe  der  nächsten 
Wochen  noch  einigemal  gesehen;  das  Erbrechen  ist  allmählich  voll¬ 
ständig  geschwunden,  Stuhlgang  ganz  in  Ordnung.  Das  Körpergewicht 
beträgt  Ende  Oktober,  in  einem  Alter  von  noch  nicht  ganz  9  Monaten 
zwischen  15 — 16  Pfund,  ist  also  als  ziemlich  normal  anzusehen, 
und  das  Kind  konnte  um  diese  Zeit,  da  sich  weder  Erbrechen  noch 
Peristaltik  mehr  zeigte,  als  vollständig  genesen  aus  der  Behandlung 
entlassen  werden. 

Wenn  ich  diese  gedrängte  Krankengeschichte  rekapituliere, 
so  hat  es  sich  um  einen,  sehr  jungen  Säugling  gehandelt,  der  von  den 
ersten  Lebenswochen  an  erbrochen  hat,  und  zwar  ohne  Rücksicht 
auf  die  Beschaffenheit  der  Nahrung  und  die  Art  ihrer  Zuführung, 


Originalarbeiten  und  Sammelberichte. 


11 


auch  nur  ganz  wenig  beeinflußt  durch  die  üblichen,  sonst  bewährten 
therapeutischen  Maßnahmen.  Charakteristisch  war  dabei  die  Art 
des  Erbrechens,  indem  die  eben  getrunkene  Milch  in  dickem  Strahl 
und  weitem  Bogen,  hervorschoß  und  das  Kind  durch  den  jedesmaligen 
Brechakt,  nicht  besonders  belästigt  wurde,  sondern  immer  sofort  mit 
großem  Behagen  wieder  weitertrank.  Stuhl  war  dauernd  angehalten 
und  zeigte  auf  der  Höhe  der  Krankheit  mekoniumähnliches  Aus¬ 
sehen.  Neben  dem  Gewichtssturz,  bezw.  Gewichtsstillstand,  der  durch 
den  verhinderten  Übertritt  des  Mageninhalts  in  den  Darm,  also  auch 
durch  die  mangelnde  Besorption  sich  leicht  erklären  läßt,  ist  noch 
als  besonders  wichtiges  Symptom  die  sichtbare  Magenperistaltik  an¬ 
zuführen,  welche  viele  Wochen  hindurch  vorhanden  war.  .Alle  die 
genannten  Symptome  lassen  an  der  Diagnose  Pylorusstenose  keinen 
Zweifel. 

Hinsichtlich  der  Ätiologie  dieser  Krankheit  stehen  sich  bekannt¬ 
lich  zwei  Theorien  gegenüber.  Nach  der  einen  (Ibrahim)  besteht  eine 
angeborene  Hypertrophie  der  Bingmuskulatur  in  der  Pylorusgegend, 
eine  Hypertrophie,  welche  sich  zuweilen  als  eine  deutliche  Verdik- 
kung,  als  ein  Tumor  präsentiere,  und  welche  das  freie  Lumen  des 
Pylorus  so  beträchtlich  verengere,  daß  wenig  oder  gar  keine  Nah¬ 
rung  hindurchgehen  könne ;  als  Beweis  diene,  daß  man  bei  Sektionen 
diese  Verdickungen  des  Pylorus  finde,  daß  man  häufig  aber  auch 
schon  in  vivo  einen  deutlichen  Tumor  in  der  Magengegend  fühlen 
könne.  Eine  Spontanheilung  sei  möglich,  und  zwar  auf  kompensa¬ 
torischem  Wege,  indem  die  gesamte  Magenmuskulatur  hypertrophiere 
und  allmählich  das  Hindernis  überwinden  lerne ;  auch  werde  dabei 
vielleicht  das  enge  Lumen  des  Pylorus  gedehnt.  Andere,  an 
ihrer  Spitze  Pfaundler,  nehmen  an,  daß  es  sich  nicht  um  eine 
anatomische  Veränderung  in  der  Pyloruswand  handle,  sondern  um 
eine  funktionelle  Erscheinung,  um  einen  Krampf,  einen  Spasmus,  der 
sowohl  die  einzelnen  klinischen  Erscheinungen,  als  auch  das  Sektions¬ 
bild,  das  nur  anders  zu  deuten  sei,  auslöse.  Auch  bei  Sektionen  von 
Säuglingen  nämlich,  die  niemals  das  geringste  klinische  Symptom  einer 
Pylorusstenose  gezeigt  haben,  findet  sich  öfters  eine  Verdickung  der 
Bingmuskulatur  des  Pylorus,  aber  diese  ist  nicht  durch  eine  ana¬ 
tomische  Erkrankung,  sondern  durch  den  im  Moment  des  Todes  be¬ 
stehenden  Kontraktionszustand  des  Pylorus,  also  durch  die  Fixierung 
der  in  diesem  Augenblick  eben  bestehenden  normalen  Verdauungs¬ 
phase  bedingt  und  demnach  als  etwas  durchaus  physiologisches  an¬ 
zusehen.  Zwischen  diesen  beiden  einander  schroff  gegenüberstehenden 
Ansichten  nehmen  eine  Beihe  von  Ärzten  eine  vermittelnde  Stellung 
ein,  indem  sie  sagen,  daß  es  sowohl  Fälle  der  ersten,  als  auch  solche 
der  zweiten  Art  gibt,  daß  aber  auch  Kombinationen  beider  Formen, 
sowie  graduelle  Unterschiede  Vorkommen,  welch  letztere  die  Verschie¬ 
denheit  der  Krankheitserscheinungen  und  des  Krankheitsausganges  er¬ 
klären.  Verfolgt  man  aufmerksam  die  Literatur  der  letzten  Jahre, 
so  gewinnt  man  den  Eindruck,  daß  die  Mehrzahl  der  Ärzte  mehr 
zur  Annahme  einer  funktionellen  als  einer  anatomischen  Erkrankung 
hinneigt,  also  einen  Spasmus  annimmt,  und  auch  mein  Fall  deutet 
zweifellos  mehr  auf  diese  Form  hin.  Vor  allem  läßt  es  sich  in  vielen 
Fällen,  auch  in  dem  meinigen,  mit  der  Annahme  eines  festen,  soliden 
Tumors  kaum  vereinigen,  daß  er  ohne  irgendwelche  besonders  ein¬ 
greifende  Therapie  im  Zeitraum  weniger  Monate  vollständig  verschwin- 


12 


Originalarbeiten  und  Sammelberichte. 


det.  In  anderen  Gebieten  der  Medizin,  speziell  in  der  Chirurgie  und 
Gynäkologie,  werden,  meines  Wissens,  keine  Tumoren  beobachtet,  die 
zuerst  bedrohliebe  Symptome  machen  und  dann  ganz  spontan  in 
kurzer  Zeit  verschwinden.  —  Auch  die  weitere  Frage,  was  die  letzte 
Ursache  der  Pylorusstenose  sei,  gleichviel  welche  Form  man  annimmt, 
kann  nicht  präzise  beantwortet  werden.  Bei  der  Annahme  eines  Tumors 
müßte  man,  da  die  Erscheinungen  schon  in  den  ersten  Wochen  sich 
bemerkbar  machen,  an  kongenitale  Ursachen  denken,  freilich  lohne 
daß  man  damit  in  der  Erkenntnis  der  Ätiologie  weiter  kommt,  und 
beim  Spasmus  ist  es  wiederum  dunkel,  warum  der  Krampf  gerade  in 
der  Pyloruspartie  einsetzt  und  a,uf  diese  beschränkt  bleibt,  während 
doch  sonst  bei  der  Spasmophilie  der  Säuglinge  die  Krämpfe  in  ganz 
anderer  Art  sich  äußern.  Die  Ätiologie  ist  also  nach  jeder  Sich¬ 
tung  hin  noch  wenig  geklärt,  obwohl  sie  unter  Umständen  für  die 
Therapie  von  sehr  ausschlaggebender  Bedeutung  sein  kann. 

Viel  besser  dagegen  kennt  man  die  Bedeutung  der  einzelnen  kli¬ 
nischen  Symptome. 

Das  hervorstechendste  derselben  im  ganzen  Verlauf  der  Krankheit 
ist  das  Erbrechen.  Es  tritt  schon  in  den  ersten  Lebenswochen  auf, 
gleichviel,  welche  Nahrung  gegeben  wird,  und  ist  weder  durch  Änderung 
der  Nahrung  noch  durch  medikamentöse,  diätetische  oder  physikalische 
Maßnahmen  nennenswert  zu  beeinflussen,  weshalb  man  auch  von  einem 
unstillbaren  Erbrechen  spricht.  Meistens  erfolgt  es  explosionsartig  in 
dickem  Strahl  und  weitem  Bogen  und  zwar  fast  nach  jeder  Nahrungs¬ 
aufnahme,  entweder  sogleich  oder  auch  längere  Zeit  darnach,  zeigt 
auch  die  sehr  charakteristische  Eigentümlichkeit,  daß  der  kleine 
Patient  durch  den  einzelnen  Brechakt  garnicht  besonders  belästigt  wird, 
sondern  immer  gleich  wieder  vergnügt  weiter  trinkt,  wie  wenn  gar 
nichts  passiert  wäre,  im  Gegensatz  zum  Erbrechen  bei  Verdauungs¬ 
störungen  und  anderen  Krankheiten ,  wo  die  Kinder  nach  dem  Er¬ 
brechen  müde  und  matt  daliegen  und  die  Annahme  weiterer  Nahrung 
verweigern.  Das  Erbrochene  selbst  ist,  wenn  es  während  oder  unmittel¬ 
bar  nach  dem  Trinken  herauskommt,  noch  flüssige1,  reine  Milch,  ent¬ 
hält  aber  oft  auch  Milchgerinsel  und  übertrifft  zuweilen  an  Menge 
das  Volumen  der  eben  auf  genommenen  Nahrung  —  lauter  Anzeichen 
dafür,  daß  die  vorausgegangene  Milchmahlzeit  noch  nicht  vollständig 
in  den  Darm  weiter  befördert  ist.  In  meinem’  Fall  war  sehr  interessant, 
daß  auf  der  Höhe  der  Krankheit,  als  ich  nur  kalten  Tee  verabreichen 
ließ,  12  Stunden  nach  der  letzten  Milchaufnahme  noch  Milchgerinsel 
miterbrochen  wurden,  ein  eklatanter  Beweiß,  wie  schwer  der  Magen 
in  jener  kritischen  Zeit  selbst  die  dünnen  Flocken  der  Frauenmilchge- 
rinnung  weiter  befördern  konnte.  Schleimbeimengungen,  wie  sie  zu¬ 
weilen  in  dem  Erbrochenen  sichtbar  sind,  habe  ich  nicht  beobachtet; 
ebenso  hat  weder  der  erbrochene  noch  der  ausgeheberte  Mageninhalt 
jemals  sauer  oder  gar  stinkend  gerochen,  wie  in  der  Literatur  von  ein¬ 
zelnen  Fällen  berichtet  wird.  Eine  chemische  Untersuchung  des  Magen¬ 
inhalts  konnte  nicht  vorgenommen  werden;  ich  will  nur  erwähnen,  daß 
Ibrahim  wiederholt  Hyperazidität  gefunden  hat. 

Das  Zustandekommen  des  Erbrechens  läßt  sich  leicht  erklären. 
Der  Mageninhalt  kann  durch  den  verengten  Pylorus  nicht  hindurch¬ 
gehen,  er  wird  deshalb  nach  dem  Ort  des  geringeren  Widerstandes 
hingetrieben  —  das  ist  die  Richtung  nach  der  Kardia  —  und  wird 
dann  durch  diese  einzige  übrigbleibende  Öffnung  weiterbefördert. 


Originalarbeiten  und  Sammelberichte. 


13 


Auch  ein  zweites,  neben  dem  Erbrechen  sogar  das  wichtigste  kli¬ 
nische  Symptom,  die  sichtbare  Magenperistaltik,  erklärt  sich  leicht  durch 
den  Pylorus  Verschluß.  Ganz  ähnlich  wie  beim  Ileus  sich  die  vom 
Verschluß  aufwärts  zu  gelegenen  Darmschlingen  vorblähen  und  vor¬ 
wölben,  so  bäumt  sich  bei  der  Pylorusstenose  der  Magen  oberhalb  des 
Passagehindernisses  vor.  Diese  Magenperistaltik  gibt  ein  so  typisches 
«  und  charakteristisches  Bild,  daß  es  gar  nicht  übersehen  werden  kann. 
Freilich  darf  man  nicht  erwarten,  es  in  jedem  Fall  oder  bei  jeder  Unter¬ 
suchung  zu  sehen.  In  meinem  Fall  konnte  ich  in  der  Zeit,  in  welcher 
nur  einige  wenige  Löffel  Tee  oder  Milch  gegeben  und  behalten  wurden, 
keine  Peristaltik  wahrnehmen;  erst  als  Besserung  ein  trat  und  größere 
Mengen  vertragen  wurden,  traten  die  peristaltischen  Bewegungen  deut¬ 
lich  sichtbar  in  Erscheinung,  aber  auch  da  immer  nur,  wenn  das  Kind 
kurz  vor  der  Besichtigung  getrunken  hatte,  d.  h.  wenn  der  Magen  noch 
mehr  oder  weniger  gefüllt  war.  Es  ist  also  immer  nötig,  daß  eine 
gewisse  Quantität  Flüssigkeit  im  Magen  ist,  wenn  die  Peristaltik  gesehen 
werden  soll,  denn  nur  der  gefüllte  Magen  bemüht  sich  seinen  Inhalt 
weiter  zu  befördern,  der  leere  oder  fast  leere  ha,t  solche  Bewegungen 
nicht  nötig.  Aus  dieser  Beobachtung  ergibt  sich  von  selbst  der  logische 
Schluß,  daß,  da  die  Magenperistaltik  nur  unter  gewissen  Voraus¬ 
setzungen  zu  sehen  ist,  ihr  Fehlen  nicht  gegen  die  Diagnose  Pylorus¬ 
stenose  verwertet  werden  darf,  während  dagegen  ihr  Vorhandensein 
als  ausschlaggebendes  diagnostisches  Moment  anzusehen  ist. 

Aus  dem  Passagehindernis  ergeben  und  erklären  sich  nun  auch 
die  weiteren  Symptome.  Da  durch  den  verengten  Pylorus  nichts  oder 
fast  nichts  hindurchgehen  kann,  so  gelangt  auch  nichts  oder  fast  nichts 
in  den  Darm,  infolgedessen  bildet  sich  kein  oder  nur  wenig  Kot.  Es 
kommt  vor,  daß  viele  Tage  lang,  8 — 10 — 12  Tage,  kein  Stuhl  erfolgt, 
und  in  der  Literatur  sind  Fälle  mitgeteilt,  wo  nicht  das  konstante 
Erbrechen,  sondern  der  mangelnde  Stuhlgang  die  Mutter  beunruhigt 
und  zur  Einholung  ärztlichen  Bates  veranlaßt  hat.  Der  Stuhl¬ 
gang  selbst  sieht  häufig  olivengrün  gelatinös,  mekoniumartig  aus  und 
hat  wohl  auch  eine  ähnliche  Zusammensetzung  wie  das  Mekonium, 
das  bekanntlich  keine  Nahrungs  bestandteile  enthält,  sondern  in  der 
Hauptsache  aus  Sekretionsprodukten  und  Abschilferungen  des  Darm¬ 
kanals  besteht;  manchmal  ist  er  auch  von  schmieriger,  dunkelbrauner 
Beschaffenheit,  wie  ein  echter  Hungerstuhl.  Erst  wenn  der  Durchgang 
durch  den  Pylorus  wieder  freier  wird,  erfolgen  die  Entleerungen  häufiger 
und,  während  sie  vorher  nur  durch  Kunsthilfe  herbeizuführen  waren, 
jetzt  spontan;  auch  ändert  sich  dann  das  Aussehen  des  Stuhles,  indem 
sich  Farbe  und  Konsistenz  allmählich  dem  Normalen  nähern.  Seine 
Beschaffenheit  gibt  also  einen  sehr  wertvollen  und  zuverlässigen 
Anhaltspunkt  für  die  Beantwortung  der  Frage,  ob  die  Stenose  am. 
Pylorus  bereits  im  Zurückgehen  begriffen  ist  oder  nicht.  Ähnlich 
verhält  es  sich  mit  der  Urinentleerung.  In  der  Zeit,  in  welcher  wenig 
oder  gar  nichts  durch  den  Pylorus  hindurchgeht,  wird  natürlich  auch 
nur  äußerst  wenig  Flüssigkeit  resorbiert,  und  die  Folge  davon  ist,  daß 
auch  die  Urinausscheidung  auf  ein  Minimum  zurückgeht  ;  tatsächlich 
erfolgt  in  diesem  Stadium  der  Krankheit  kaum  eine  Urinentleerung. 
Aber  auch  hier  ist  die  Zunahme  der  Entleerungen  ein  erfreuliches  Zeichen 
für  den  Eintritt  der  Besserung. 

In  gleicher  Weise  nun  wie  die  spärlichen  Kot-  und  Urinaus¬ 
scheidungen  ist  noch  ein  anderes  wichtiges  Symptom  auf  die  Leere 


14 


Originalarbeiten  und  Sammelberichte. 


des  Darmes  zurück  zu  führen,  das  ist  der  rapide  Gewichtsabfall.  Weil 
in  den  Darm  nichts  hereinkommt,  kann  nichts  resorbiert  werden,  der 
kindliche  Körper  kann  infolgedessen  nicht  nur  nichts  ansetzen,  sondern 
muß  sogar  noch  von  seinem  Bestand  zehren,  um  die  für  den  Körper¬ 
haushalt  nötigen  Ausgaben  zu  decken.  Ein  unheimlicher  Gewichts¬ 
sturz  ist  die  Folge,  die  Gewichtsabnahme  und,  damit  gleichen  Schritt 
haltend,  die  Abmagerung  am  Körper  schreitet  immer  mehr  fort,  schlie߬ 
lich  kommt,  es  zu  dem  Bild  äußerster  Abmagerung  mit  greisenhaften 
Gesichtszügen,  tiefliegenden  Augen,  schlaffer,  faltiger  Haut,  einge¬ 
sunkener  Fontanelle,  subnormaler  Temperatur  usw.,  und  in  den  un¬ 
günstig  ausgehenden  Fällen  erfolgt  schließlich  der  Tod  an  Inanition 
als  regelrechter  Hungertod.  In  meinem  Fall  hatte  der  Gewichtssturz, 
wie  bereits  erwähnt,  sehr  rapid  und  intensiv  eingesetzt ;  allein  trotz¬ 
dem  ist  es,  vielleicht  durch  die  sorgfältige  .Pflege,  doch  gelungen, 
wenigstens  eine  fortschreitende  Gewichtsabnahme  aufzuhalten,  und  ich 
war  ganz  zufrieden,  als  das  Kind  trotz  anhaltenden  Erbrechens  viele 
Wochen  lang  auf  einem  annähernd  gleichen  Gewicht  blieb,  ohne  wesent¬ 
liche  Zu-  oder  Abnahme.  Mit  fortschreitender  Besserung,  als  das  Er¬ 
brechen  immer  seltener  wurde,  ging  das  Körpergewicht  in  die  Höhe 
und  näherte  sich  allmählich  immer  mehr  dem  dem  Alter  des  Kindes  ent¬ 
sprechenden  Normalgewicht,  das  auch  schließlich  erreicht  wurde.  Kegel- 
mäßige  Wägungen  des  Kindes  sind  für  die  Beurteilung  seines  jeweiligen 
Zustandes  von  größter  Wichtigkeit;  nach  dem  Resultat  der  Wägung, 
d.  h.  je  nachdem  sich  eine  Zunahme  oder  Abnahme  des  Körpergewichts 
ergibt,  haben  sich  die  weiteren  Anordnungen  zu  richten,  besonders  über 
Vermehrung  der  Zahl  und  Größe  der  Einzelmahlzeiten ;  außerdem  sind 
sie  auch  für  die  Prognose  ausschlaggebend,  insofern  als  erst  mit  dem 
Eintritt  regelmäßiger  Gewichtszunahmen  von  einer  wirklichen  Besserung 
gesprochen  werden  kann. 

Von  sonstigen  objektiven  Symptomen  ist  noch  zu  erwähnen,  daß 
es  in  manchen  Fällen  gelingt,  die  verdickte  Pylorusgegend  als  einen 
deutlichen  Tumor  durch  die  Bauchhaut  hindurchzufühlen;  in  meinem 
Fall  ist  dies  allerdings  niemals  möglich  gewesen  und  auch  nach  den 
Erfahrungen  anderer  Ärzte  scheint  es  im  großen  und  ganzen  zu  den 
Seltenheiten  zu  gehören;  der  Grund  soll  darin  liegen,  daß  der  Pylorus 
häufig  hinter  dem  linken  Leberlappen  versteckt  liegt  und  dadurch  der 
Palpation  nicht  zugänglich  wird.  Wo  er  aber  zu  fühlen  ist,  repräsen¬ 
tiert  er  sich,  wie  Ibrahim  berichtet,  der  ihn  unter  7  Fällen  3 mal 
beobachtet  hat,  als  ein  rundliches,  scharf  abgegrenztes  Gebilde  etwa 
von  der  Größe  des  Nagelgliedes  eines  kleinen  Fingers,  und  zwar  nur 
wenig  rechts  von  der  Mittellinie;  hier  sei  er  am  deutlichsten  bei  voll¬ 
ständig  entleertem  Magen,  also  auch  nach  Magenspülungen,  zu  fühlen, 
namentlich  wenn,  wie  übrigens  auch  in  meinem  Fall,  eine  Diastase  der 
Rekti  besteht. 

Als  sehr  charakteristisch  wird  dann  noch  in  Fällen,  in  welchen 
bereits  eine  hochgradige  Abmagerung  eingetreten  ist,  das  Aussehen 
des  Abdomens  beschrieben.  Der  untere  Teil  des  Leibes  ist  klein,  ein¬ 
gefallen.  fast  muldenförmig  und  macht  den  Eindruck,  als  wäre  er  leer, 
während  die  oberhalb  des  Nabels  gelegene  Partie,  namentlich  die  Magen¬ 
gegend  vorgewölbt  und  aufgetrieben  erscheint.  Bei  meinem  Fall  war 
die  allgemeine  Abmagerung  nicht  so  stark,  daß  sich  dieses  Bild  be¬ 
sonders  entwickelt  hätte;  doch  wird  es  von  den  meisten  Autoren  als 
sehr  charakteristisch  geschildert. 


Originalarbeiten  und  Sammelberichte, 


15 


Wenn  ich  nun  auf  die  Diagnose  selbst  nochmals  kurz  ein  gehen 
darf,  so  möchte  ich  als  die  wichtigsten  Merkmale  der  Pylorus¬ 
stenose  hervorheben :  vor  allem  das  unstillbare  Erbrechen,  dann  die 
geringen  Stuhl-  und  Urinentleerungen,  erstere  von  mekoniumartiger 
Beschaffenheit,  des  weiteren  die  sichtbare  Magenperistaltik,  welche 
schon  allein  für  die  Diagnose  genügen  kann,  ebenso  die  fühlbare  Ver¬ 
dickung  der  Pylorusgegend,  und  schließlich  noch  das  zuletzt  genannte 
Aussehen  des  Leibes.  Eigentlich  sollte  der  Arzt  bei  allen  Säuglingen, 
die  heftig  und  anhaltend  erbrechen  und  gleichzeitig  an  Verstopfung 
zu  leiden  scheinen,  an  die  Möglichkeit  einer  Pylorusstenose  denken 
und  diese  Krankheit  in  den  Bereich  seiner  diagnostischen  Erwägungen 
ziehen ;  denn  sie  kommt,  wie  von  allen  Autoren  betont  wird,  viel 
häufiger  vor  als  sie  diagnostiziert  wird,  und  ich  möchte  beispiels¬ 
halber  aus  meiner  eigenen  Praxis  anführen,  daß  ich  ungefähr  ein  Jahr 
vor  dem  hier  beschriebenen  Fall  einen  ganz  ähnlich  gelagerten  beobachtet 
habe,  bei  welchem  über  die  Diagnose  gleichfalls  nicht  der  geringste 
Zweifel  bestehen  konnte;  leider  habe  ich  mir  aber  damals  nicht  ge¬ 
nügende  Aufzeichnungen  gemacht,  um  sie  für  eine  wissenschaftliche 
Mitteilung  verwenden  zu  können,  und  ich  muß  mich  deshalb  mit  der 
bloßen  Erwähnung  des  Falles  begnügen.  Wenn  die  Kenntnis  von  der 
Pylorusstenose  noch  nicht  Gemeingut  aller  Ärzte  geworden  ist,  so  liegt 
das  wohl  hauptsächlich  daran,  daß  die  Krankheit  vor  nicht  viel  mehr 
als  20  Jahren  überhaupt  zum  ersten  Male  —  von  Hirschsprung  in 
Kopenhagen  — -  beschrieben  worden  ist  und  man  erst  in  den  letzten 
10 — 12  Jahren,  besonders  nachdem  eine  größere  Arbeit  von  Einkel- 
stein  aus  der  Heubnietr’schen  Klinik  erschienen  war,  angefangen  hat, 
sich  eingehender  mit  ihr  zu  beschäftigen.  Seitdem  haben  allerdings 
die  Veröffentlichungen,  deren  bedeutendste  die  Habilitationsschrift  von 
Ibrahim  ist,  an  Zahl  wesentlich  zugenommen,  durch  sie  wird  auch 
das  Interesse  für  diese  merkwürdige  Krankheit  in  immer  weitere  Kreise 
getragen , 

Aber  auch  nach  einer  anderen  Bichtung  hin  haben  die  zahlreichen 
Veröffentlichungen  der  letzten  Jahre  Nutzen  gestiftet,  insofern  nämlich 
als  sie  zur  Klärung  der  therapeutischen  Anschauungen  wesentlich  bei¬ 
getragen  haben.  Ich  habe  bei  der  Ätiologie  von  den  zwei  entgegen¬ 
gesetzten  Richtungen  gesprochen,  deren  eine  einen  Tumor,  die  andere 
dagegen  einen  Spasmus  als  Ursache  der  Pylorusstenose  ansieht.  Je 
nach  dem  einen  oder  anderen  Standpunkt  entscheidet  oder  entschied 
man  sich  früher  für  die  einzuschlagende  Therapie.  Wer  an  das!  Vorhanden¬ 
sein  eines  Tümors  glaubt,  wird  sich  von  der1  internen  Behandlung  wenig 
oder  gar  nichts  versprechen  und  chirurgisches  Vorgehen  empfehlen, 
wohingegen  die  Anhänger  der  Spasmuslehre  selbstverständlich  jegliches 
chirurgische  Handeln  verurteilen.  Wenn  man  überlegt,  welch  furcht¬ 
barer  Eingriff  für  einen  Säugling  schon  eine  Laparotomie  an  sich  ist, 
geschweige  denn  für  einen  Säugling,  dessen  Widerstandskraft  durch 
die  bestehende  Krankheit  mehr  oder  weniger  reduziert  ist,  wenn  man 
weiter  aus  der  Literatur  ersieht,  daß  die  Erfolge  der  Operation  nichts 
weniger  als  ermutigend  sind,  daß  dagegen  auch  bei  gar  manchem,  an¬ 
scheinend  verzweifelten  Fall  von  Pylorusstenose  schließlich  doch  noch 
die  interne  Behandlung  zur  Heilung  führte,  dann  wird  man  es  ver¬ 
stehen,  daß  die  Fürsprecher  des  chirurgischen  Vorgehens  immer  geringer 
an  Zahl  werden;  selbst  Ibrahim,  der  den  Tumor  und  nicht  den  Spas¬ 
mus  als  ätiologischen  Faktor  ansieht,  gibt  zu,  daß  sogar  bei  Vorhanden- 


16 


Originalarbeiten  und  Sammelberichte. 


sein  eines  wirklichen  Tumors  Spontanheilung  eintreten  könne,  und  zwar 
auf  dem  Wege  der  bereits  erwähnten  kompensatorischen  Hypertrophie 
der  Magenmuskulatur.  Ich  glaube,  daß  diese  Erklärung  Ibrahims: 
etwas  Gezwungenes  hat  und  es  viel  natürlicher  erscheint,  statt  des 
Tumors  eben  den  Spasmus  anzunehmen  und  die  Heilung  mit  dem  Ver¬ 
schwinden  des  Spasmus  zu  erklären,  demzufolge  also  für  die  innere 
Behandlung  einzutreten.  In  meinem  Fall  wäre  es  jedenfalls  geradezu 
ein  Verbrechen  gewesen,  eine  Operation  auszuführen  oder  auch  nur 
vorzuschlagen. 

Was  nun  die  Therapie  selbst  anlangt,  so  wird  von  allen  Autoren 
der  größte  Wert  darauf  gelegt,  daß  Säuglinge  mit  Pylorusstenose  die 
Mutter-  oder  Ammenbrust  bekommen.  Nicht  nur  weil  derartige,  in  ihrem 
Leben  schwer  bedrohte  Säuglinge  an  sich  schon  die  beste  und  zweck¬ 
mäßigste  Nahrung  bekommen  sollen  —  und  das  ist  doch  die  arteigene 
Menschenmilch  —  sondern  auch  weil,  wie  wir  aus  der  Physiologie 
wissen,  die  menschliche  Milch  im  Magen  zu  ganz  feinen  Flocken  ge¬ 
rinnt,  zu  viel  feineren  als  die  Kuhmilch,  und  diese  f  einsten  Milchgerinnsel 
viel  leichter  und  besser  durch  den  verengten  Pylorus  hindurchgepreßt 
werden  können  als  die  großen  und  groben  Flocken  der  Kuhmilch.  Es 
bedeutet  eine  vollständige  Verkennung  der  Sachlage,  wenn  man  der¬ 
artige  Kinder,  weil  sie  trotz  Mutter-  oder  Ammenmilch  brechen,  ein¬ 
fach  von  der  Brust  absetzen  läßt,  als  ob  die  Unverdaulichkeit  der  Milch, 
bezw.  die  mangelhafte  Verdauungstätigkeit  des  Magen  schuld  an  dem 
Erbrechen  wäre;  in  Wirklichkeit  liegt  aber  doch  die  Ursache  gar 
nicht  in  der  sekretorischen,  sondern  ausschließlich  in  der  motorischen 
Funktion  des  Magens,  in  der  relativen  Insuffizienz  der  Magenmusku¬ 
latur,  die  nur  in  geringem  Maße  oder  überhaupt  nicht  imstande  ist, 
das  mechanische  Hindernis  der  Pylorusverengerung  zu  überwinden. 
Man  muß  also  unbedingt  für  Beibehaltung  oder  Beschaffung  von  Mutter¬ 
oder  Ammenmilch  sorgen ;  nur1  wo  das  nicht  möglich  ist,  darf  man 
auf  Kuhmilch  zurückgreifen.  Für  solche  Fälle  wird  von  manchen 
Autoren  besonders  die  schon  etwas  vorverdaute  Pegnin-Milch  w  arm 
empfohlen. 

Bezüglich  der  Art  der  Darreichung  vertritt  Heubner  den  Stand¬ 
punkt,  daß  man  auf  das'  Brechen  gar  keine  Rücksicht  zu  nehmen  braucht, 
sondern  die  Kinder  unentwegt  in  den  üblichen  Zwischenräumen  und 
mit  gewohnter  Zeitdauer,  mit  anderen  Worten:  die  dem  Alter  ent¬ 
sprechenden  Mengen,  weitertrinken  lassen  soll;  selbst  wenn  sehr  häufig 
und  jedesmal  viel  erbrochen  werde,  gelange  doch  immer  ein,  wenn  auch 
kleiner  Teil  der  getrunkenen  Milch  zur  Resorption  und  komme  daher 
dem  kindlichen  Organismus  zugute.  Dem  gegenüber  verlangt  Ibrahim, 
daß  man,  genau  so  wie  bei  schweren  Brechdurchfällen  und  bei  dys¬ 
peptischen  oder  katarrhalischen  Zuständen  des  Magens,  die  Nahrung 
in  möglichst  kleinen  Einzelportionen,  dafür  aber  recht  häufig  zu¬ 
führen  soll:  er  glaubt,  daß  auf  diese  Weise  der  größte  Teil  der  ein¬ 
geführten  Nahrung  zur  Resorption  kommt,  gleichzeitig  aber  auch  die 
Häufigkeit  und  Heftigkeit  des  Erbrechens  vermindert  und  eine  Stag¬ 
nation  des  Mageninhalts  mit  all  ihren  unerwünschten  Folgeerschei¬ 
nungen,  besonders  chronischem  Magenkatarrh,  verhütet  wird.  Ich  bin 
in  meinem  Fall  anfangs  nach  Ibrahim  verfahren,  indem  ich  auf  der 
Höhe  der  Krankheit  nur  je  5 — 10  g  eisgekühlte  Ammenmilch  in  Zwischen¬ 
räumen  von  5 — 10  Minuten  geben  ließ,  und  zwar  mit  ganz  gutem 
Erfolg,  wie  das  Aufhören  der  Gewichtsabnahme  bewies;  vorsichtig 


Originalarbeiten  und  Sammelberichte. 


17 


und  immer  nur  versuchsweise  wurde  dann  die  Menge  der  einzelnen 
Portionen  vergrößert,  die  Pausen  zwischen  den  Mahlzeiten  verlängert, 
bis  wir  hei  einer  gewissen  Höchstmenge  angelangt  waren,  die  das  Kind 
allmählich  vertragen  konnte.  Als  aber  das  Kind  trotzdem  nach  einigen 
Wochen  anfing,  wieder  stärker  zu  brechen,  und  die  Rückkehr  zu  den 
kleinen  Einzelmahlzeiten  und  zu  den  kurzen  Zwischenpausen  keinen 
Erfolg  hatte,  habe  ich  mich  entschlossen,  es  direkt  an  der  Brust  trinken 
zu  lassen,  und  zwar  die  seinem  Gewicht  entsprechende  Menge  und  in 
längeren  Zwischenräumen,  das  Resultat  war  dabei  auch  nicht  schlechter, 
indem  das  Kind  nicht  stärker  brach,  vor  allem  niemals  die  Erscheinungen 
des  Magenkatarrhs  aufwies  und  schließlich  doch  zur  Genesung  kam. 
Man  darf  eben  auch  hier  nicht,  so  wenig  wie  sonst  in  der  Medizin, 
schematisch  oder  schablonenhaft  Vorgehen,  sondern  muß  je  nach  Lage 
des  einzelnen  Falles  und  nach  dem  Krankheitsverlauf  in  ein  und  dem¬ 
selben  Fall  individualisieren.  Besonders  hervorheben  möchte  ich,  daß 
die  löffelweise  Fütterung  an  die  Geduld  und  Ausdauer  des  Pflege¬ 
personals  enorme  Anforderungen  stellt.  Vielleicht  ist  dies  auch  der 
Grund,  warum  manche  Autoren  behaupten,  Säuglinge  mit  Pylorus¬ 
stenose  könnten  im  Elternhaus  nicht  erfolgreich  behandelt  werden,  son¬ 
dern  müßten  in  eine  gut  geleitete  Klinik  kommen ;  ich  persönlich  teile 
diese  Ansicht  nicht,  glaube  vielmehr,  daß  in  einer  Familie,  die  alles 
für  das  Wohl  und  Gedeihen  ihres  Kindes  auf  wendet,  diesem  viel  mehr 
Aufmerksamkeit  und  Sorgfalt  gewidmet  werden  kann  als  in  einer  stark 
belegten  Anstalt,  und  daß  daher  die  häusliche  Behandlung  der  Pylorus¬ 
stenose  zum  mindesten  keine  schlechtere  Prognose  gibt  als  die  Kranken¬ 
hausbehandlung,  wie  ja  auch  mein  Fäll  beweist. 

Um  nun  die  eigentliche  Behandlung  noch  kurz  zu  berühren, 
so  hat  dieselbe  außer  den  diätetischen  Maßnahmen  auch  physi¬ 
kalische  und  medikamentösei  Vorschriften  zu  berücksichtigen.  Als 
das  .wirksamste  Mittel  werden  von  den  meisten  Autoren  regelmäßig 
ausgeführte  Magenspülüngen  angesehen,  deren  manchmal  überraschender 
Effekt  auf  der  von  Pfaundler  experimentell  nachgewiesenen  er¬ 
schlaffenden  Wirkung  des  Magens,  also  auch  des  Pylorus,  beruht.  Die 
Prozedur  ist  bekanntlich  nichts  weniger  als  eingreifend  für  das  Kind 
und  leicht  ausführbar,  und  sie  übt  zweifellos  einen  günstigen  Einfluß 
insofern  aus,  als  nach  der  jeweiligen  Spülung  die  Häufigkeit  und  Heftig¬ 
keit  des  Erbrechens  nachläßt.  Eine  wirkliche  Heilung  vermag  sie  in¬ 
dessen  wohl  nur  selten  herbeiführen,  und  auch  in  meinem  hall  hatte 
sie  stets  nur  vorübergehenden  Erfolg,  indem  das  Erbrechen  nach  der 
Spülung  zwar  1 — 2  mal  24  Stunden  aussetzte,  dann  aber  stets  wieder 
wie  vorher  auftrat.  Der  Einfluß,  der  Magenspülung  auf  den  Krampf¬ 
zustand  wird  noch  erhöht  durch  warme  Breiumschläge  auf  den  Leib, 
welche  wie  bei  Kolik,  Dysurie  usw.  zugleich  schmerzlindernd  und  krumpf - 
stillend  wirken.  Mein  kleiner  Patient  hat  sie  dauernd  bekommen  und 
eigentlich  nie  den  Eindruck  gemacht,  als  ob  er  besonders  heftig  unter 
Schmerzanfällen  litte.  Zur  weiteren  Linderung  subjektiver  Beschwer¬ 
den  sind  in  den  Fällen,  wo  die  Kinder  durch  Leokbewegungen  ihr  Durst¬ 
gefühl  und  durch  geringe  Urinaussoheidungen  das  Elüssigkeitsmanko 
ihres  Körpers  dokumentieren,  Kochsalz-Infusionen  angezeigt,  falls  es 
nicht  gelingt,  durch  Verabreichung  per  os  oder  vom  Rektum  aus  die 
fehlende  Flüssigkeit  zu  ersetzen. 

Was  endlich  noch  die  Medikamente  anbelangt,  so  kommen  im  großen 
und  ganzen  hauptsächlich  die  zwei  Mittel  in  Betracht,  die  auch  ich 

2 


18 


Originalarbeiten  und  Sammelberichte. 


angewandt  habe,  nämlich  Karlsbader  Wasser  und  Opium.  Die  Ver¬ 
ordnung  des  Karlsbader  Wassers  erfolgt  in  der  Absicht,  eine  etwa 
vorhandene  Hyperazidität  zu  paralysieren;  in  meinem  Fall  bat  es  vor¬ 
übergebend  gut  gewirkt,  indem  in  den  ersten  Tagen  der  Verabreichung, 
ohne  daß  sonst  noch  etwas  gegeben  wurde,  das  Erbrechen  vollständig 
sistierte.  Aber  bald  hat  auch  seine  Wirkung  versagt,  und  ich  bin 
dann  schließlich  zur  Opiumbehandlung  übergegangen,  wie  sie  be¬ 
sonders  Heubner  warm  empfiehlt.  Das  Opium  wirkt  ähnlich  wie 
die  Wärme  direkt  krampf stillend  und  wird  anscheinend  ganz  gut  ver¬ 
tragen,  trotz  der  für  einen  Säugling  gerade  nicht  kleinen  Menge  von 
3  Tropfen  täglich,  und  trotzdem  diese  Graben  viele  Wochen  hindurch 
fortgesetzt  werden.  Man  kann  nun  bezüglich  des  therapeutischen  Effek¬ 
tes  sehr  skeptisch  sein  und  doch  zugeben,  daß  der  Eintritt  und  Fort¬ 
gang  der  Besserung  mindestens  unter  der  Opiumbehandlung  erfolgte, 
und  ich  würde  kein  Bedenken  tragen,  es  künftighin  in  einem  gleichen 
Fall  in  gleicher  Menge  und  in  gleicher  Dauer  anzuwenden.  Sonstige 
innere  Mittel  zu  verordnen,  hat  keinen  Zweck,  namentlich  nicht  gegen 
die  Verstopfung,  die  ja  keine  wirkliche,  sondern  nur  eine  scheinbare, 
durch  die  Leere  des  Darmes  bedingte  ist. 

Ich  glaube  mit  diesen  gedrängten  Ausführungen  die  wichtigsten 
Funkte,  welche  für  die  Pylorusstenose  in  Betracht  kommen,  wenigstens 
angedeutet  zu  haben,  obwohl  sich  ja  über  jeden  einzelnen  derselben 
sehr  ausführlich  sprechen  ließe.  Mir  war  es  darum  zu  tun,  unter 
Zugrundelegung  eines  genau  beobachteten  Falles  diese  Krankheit  auch 
hier  in  unserer  Gesellschaft  einmal  zur  Sprache  zu  bringen. 

Literatur. 

Fink  eiste  in,  Jahrb.  f.  Kinderheilkunde. 

„  Lehrbuch  der  Säuglingskrankheiten. 

Ibrahim,  Angeborene  Pylorusstenose. 

Pfaundler  u.  Schloß  mann,  Handbuch  der  Kinderkrankheiten  usw. 


Berliner  Brief. 

Zu  Beginn  des  Winters  nahm  die  Huf  eland’sche  (Demon- 
strations-)Gesellschaft  ihre  Sitzungen  wieder  auf.  Zunächst  demon¬ 
strierte  J.  Herzfeld  einen  Patienten  mit  Pemphigus  des  Larynx  und 
Pharynx,  bei  dem  bisher  alle  B e h an d  1  un gs me t lio den  vergeblich  ge¬ 
wesen  sind.  Sodann  hielt  L.  Kuttner  einen  kurzen  Vortrag  über  das 
Vorkommen  von  Duodenalgeschwüren  im  ersten  Dezenium.  Die  Veran¬ 
lassung  zu  diesem  Vortrag  gaben  zwei  von  ihm  im  Ii.  Virchowkranken- 
haus  beobachtete  Fälle.  Der  eine  betraf  einen  Säugling  der  am  9.  Tage 
nach  der  Geburt  eine  Darmblutung  bekam  und  3  Tage  später  starb. 
Hier  fand  sich  im  obersten  Teil  des  Duodenums  ein  Ulcus  von  5  mm 
Durchmeslser.  Das  zweite  Kind  war  4  Jahre  alt,  bekam  einen  Tag 
vor  seiner  Aufnahme  ins  Krankenhaus  Bluterbrechen,  nachdem  es  zuvor 
stets  gesund  gewesen  war.  Die  Sektion  ergab  drei  erbsen-pfenniggroße 
Duodenalgeschwüre.  Im  allgemeinen  sind  Duodenalgeschwüre  in  den 
ersten  10  Lebensjahren  selten,  am  häufigsten  dann  noch  im  ersten  Lebens¬ 
jahr.  Mitunter  sieht  man  sie  nämlich  bei  Neugeborenen  —  nach 
Landaus  Ansicht  —  infolge  Thrombose  der  Vena  umbilicalis  mit 
konsekutiver  Nekrose.  Bei  älteren  Kindern  ist  die  Entstehungsursache 
ähnlich  wie  beim  Ulcus  ventriculi,  daher  auch  zumeist  im  oberen  Teil 
des  Duodenums.  Der  vielfach  behauptete  Zusammenhang  von  Duodenal- 


Originalarbeiten  und  Sammelberichte. 


19 


geschwüren  mit  H autverbrennimgen  ist,  wenn  er  vorkommt,  nur  als 
zufällig  anzusehen.  Bei  dem  einzigen  vom  Vortragenden  beobachteten 
derartigen  Fall,  ergab  die  Sektion,  daß  die  Geschwüre  älter  sein  mußten, 
als  die  Verbrennung.  Stürmer  bestätigte  in  der  Diskussion,  daß  er  in 
13  Jahren  bei  seinen  gerichtlichen  Sektionen  niemals  bei  Verbrennungen 
Duodenalgeschwüre  beobachtet  habe.  Hielmholtz  zeigte  im  Anschluß 
an  den  Vortrag  Präparate  von  Duodenalgeschwüren  bei  Kindern,  sieben¬ 
mal  in  Verbindung  mit  schwerster  Form  der  Kinder atrophie.  Finkei¬ 
stein  erklärt  den  Zusammenhang  beider  Erscheinungen  damit,  daß 
die  Epithelschädigung  die  Antifermentbildung  herabsetzt,  wodurch  der 
Schutz  gegenüber  den  peptischen  Vorgängen  fortfällt.  Aus  diesen  Grün¬ 
den  empfiehlt  Fuld  ein  von  ihm  dargestelltes  Antipepsin  und  Anti¬ 
trypsin  bei  Fällen  von  Magen-  und  Duodenalgeschwüren. 

W.  Alexander  empfiehlt  die  Injektion  von  70 — 800/0igem  Alko¬ 
hol  bei  Neuralgien  sensibler  Nerven,  insbesondere  des  Trigeminus.  Bei 
Erkrankung  motorischer  oder  gemischt  motorisch-sensibler  Nerven  muß 
man  von  dieser  Therapie  absehen.  Der  Vortragende  selbst  hat  bei  einer 
Frau  durch  Einspritzung  von  Alkohol  in  den  Ischiadikusstamm  Pero- 
naeuslähmung  mit  Entartung  entstehen  sehen.  Ebenfalls  günstige  Be- 
sultate  sind  mit  der  gleichen  Behandlung  von  B.  Lewy  und  E.  Unger 
erzielt  worden,  so  daß  letzterer  empfiehlt,  diese  bei  guter  Technik  ge¬ 
fahrlose  Methode  stets  zu  versuchen,  bevor  man  zur  Operation  schreitet. 
Auch  Goldscheider  spricht  sich  günstig  für  die  Alkoholinjektionen  aus, 
während  E.  Schlesinger  auf  die  Kochsalzinjektionen  bei  Neuralgien 
hinweist. 

Abelsdorff  demonstrierte  zunächst  ein  7 j ähr.  Kind,  das  mit  einem 
großen  Tumor  des  Ziliarkörpers  in  seine  Behandlung  gekommen  war. 
Die  ursprüngliche  Diagnose  schwankte  zwischen  Tuberkulose,  Lues  und 
Sarkom.  Trotz  antisyphilitisicher  Behandlung  wuchs  anfänglich  der 
Tumor,  da  aber  die  Serumreaktion  nach  Wassermann  positiv  aus¬ 
fiel,  wurde  sie  energisch  fortgesetzt  mit  so  günstigem  Erfolg,  daß  bei 
der  Demonstration  nur  noch  geringe  Residuen  des  Tumors  sichtbar  waren. 
Ohne  die  Serumreaktion  hätte  man  sich  bei  dem  anfänglich  negativen 
Erfolg  der  Behandlung  vielleicht  zu  einem  operativen  Eingriff  ent¬ 
schlossen.  Sodann  demonstriert  Abelsdorff  zwei  Präparate  von  sekun¬ 
därem  Aderhautkarzinom,  von  denen  eines  durch  Operation,  das  andere 
von  der  Leiche  erhalten  wurde.  Bei  dem  ersten  Fall  war  die  Sklera 
perforiert,  die  Operation  wurde  hauptsächlich  gemacht,  um  die  Patientin 
von  großen  Schmerzen  zu  befreien.  Die  meisten  derartigen  Karzi¬ 
nome  befallen  das  weibliche  Geschlecht  und  besonders,  wie  auch  hier, 
Patientinnen  mit  Mammakarzinom,  v.  Hanse  mann  demonstrierte  ein 
Präparat,  ganz  analog  den  Abelsdor  f  f’schen,  das  ebenfalls  einer  Patien¬ 
tin  mit  Mammakarzinom  entstammte.  Sehstörungen  und  Iritiden  bei 
Karzinose  sind,  wie  der  Vortragende  hervorhebt,  stets  als  Metastasen 
suspekt  und  daher  nicht  zu  vernachlässigen. 

Im  weiteren  Verlauf  der  Sitzung  besprach  Keuthe  einen  Fall 
Pankreasatrophie,  bei  dem  die  Diagnose  intra  vitam  durch  die  funk¬ 
tionelle  Prüfung  gestellt  wurde.  P.  Fleischer  demonstrierte  einen 
„Turgo-Sphygmograph“,  welcher  sich  in  der  Poliklinik  von  Strauß 
seit  l1/2  Jahren  aufs  beste  bewährt  hat.  L.  Jacobsohn  sprach  über 
einen  Fingerbeugereflex,  der  sich  analog  dem  Babinski’schen  Zehen- 
ref'lexe  bei  Pyramidenbahndegeneration  an  der  Hand  auslösen  läßt. 

2* 


20 


Originalarbeiten  und  Sammelberichte. 


In  der  Deutschen  Gesellschaft  für  öffentlich©  Gesund¬ 
heitspflege  hielt  Thoms,  der  Leiter  des  pharmazeutischen  Institutes 
in  Dahlem,  einen  Vortrag  über  „Die  Arzneimittel  Versorgung  des  deut¬ 
schen  Volkes  vom  Standpunkte  der  öffentlichen  Gesundheitspflege“. 
Thoms  führt  im  Verein  mit  dem  Hallenser  Pharmakologen  Harnak 
seit  einiger  Zeit  einen  Kampf  gegen  die  große  Anzahl  von  Heilmitteln, 
die  in  aufdringlicher  Weise  angepriesen,  vielfach  falsch  deklariert  y erden 
und  auch  in  ihrer  Wirkung  nicht  dem  entsprechen,  was  der  häufig 
mehr  geschickt  als  logisch  gewählte  Name  besagt.  Durch  diese  Mittel 
wird  die  deutsche  Industrie  im  In-  und  Auslande  stark  in  ihrem  An¬ 
sehen  geschädigt.  Die  Ärzte  haben  aber  auch  ein  besonderes  Interesse 
gegen  diese  Mittel  vorzugehen,  nicht  nur  aus  wissenschaftlichen  Grün¬ 
den,  sondern  auch  mit  Rücksicht  auf  die  Kranken,  da  einzelne  Mittel 
direkt  schädliche  Substanzen  in  größerer  Menge  enthalten,  von  denen 
in  der  Anpreisung  nichts  steht,  oder  aber  wenigstens  doch  den  wirk¬ 
samen  Stoff,  deretwegen  man  sie  gerade  verordnet,  nicht  enthalten. 
Thoms  erläuterte  an  einer  Reih©  von  Beispielen  die  Richtigkeit  seiner  Be¬ 
hauptung,  unbekümmert  um  die  mannigfachen  Unannehmlichkeiten,  die 
ihm  schon  durch  seinen  Kampf  erwachsen  sind.  Um  dem  Unheil  zu 
steuern’  schlägt  der  Vortragende  vor,  ein  Staatsinstitut  zu  gründen, 
in  dem  die  neuen  Heilmittel  einer  Prüfung  unterzogen  werden.  In 
der  Diskussion  bedauert  Munter,  daß  wir  Ärzte  so  wenig  Einfluß 
auf  die  Inserate  selbst  unserer  Fachzeitschriften  haben.  Ein  Vorwurf 
gegen  die  Apotheken,  daß  sie  vielfach  dem  Publikum  solche  Mittel 
empfehlen,  wird  damit  erwidert,  daß  von  Ärzten  häufig  durch  direkten 
Verkehr  mit  Fabriken,  die  größere  Probesendungen  ihrer  Mittel  zur 
Verfügung  stellen,  die  Apotheker  geschädigt  werden.  Boas  hält  dafür, 
daß  es  für  den  praktischen  Arzt  unmöglich  sei,  die  Mittel  nach  ihrer 
chemischen  Zusammensetzung  zu  prüfen,  für  ihn  gelt©  meist  die  Empirie. 
Er  spricht  sich  für  die  Gründung  besonderer  therapeutischer  Kliniken 
aus.  Vom  Standpunkte  der  Großindustrie  spricht  sich  Dr.  Goldmann, 
der  Vertreter  von  Bayer-Elberfeld,  dahin  aus,  daß  die  ernsthafte 
chemische  Industrie  ganz  auf  Seiten  Thoms  stehe  und  der  Schaffung 
eines  Staatsinstitutes  sympathisch  gegenüberstehe.  Doch  sollte  sich 
ein  solches  Institut  nur  auf  die  chemische  Prüfung  der  Arzneimittel 
beschränken.  Eine  einseitige  pharmakologisch©  Prüfung  könnte  von 
Übel  sein,  da,  wie  Vortragender  an  den  Beispielen  des  Tuberkulins  und 
auch  des  Diphtherieserums  auseinandersetzt,  ein  anfänglich  abgelehntes 
Präparat  doch  durch  Modifizierung  seiner  Anwendung  usw.  Nutzen 
stiften  kann  und  andererseits  auch  ein  anfänglich  empfohlenes  vielleicht 
zuweilen  ungünstige  Wirkung  haben  kann.  Jetzt  lassen  die  großen 
Fabriken  ihre  Mittel  erst  an  10 — 20  Kliniken  oder  Instituten  prüfen, 
bevor  sie  sie  in  den  Handel  bringen.  Er  betonte  schließlich  auch,  daß 
diejenigen  Ärzte,  welche  sich  fortdauernd  Probesendungen  von  Fabriken 
senden  lassen,  doch  wohl  bekannt  sind,  und  daß  diese  Herren  schlie߬ 
lich  keine  Sendungen  mehr  erhalten.  Das  Fazit  der  Sitzung  war,  daß 
Ärzte,  Apotheker  und  Großindustrie  di©  Bemühungen  Thoms  nach 
jeder  Richtung  unterstützen  wollen,  unbekümmert  um  manche  Mi߬ 
stände,  die  man  aus  dem  Lager  des  einen  wie  des  anderen  tadelte. 


Originalarbeiten  und  Sammelberichte. 


21 


80.  Versammlung  Deutscher  Naturforscher  und  Ärzte. 

Sammelbericht  von  Dr.  F.  Reuter,  Kalk-Köln. 

(Fortsetzung.) 

In  der  Abteilung  für  Augenheilkunde  sprach  am  Montag 
nachm,  u.  a.  Bählmanjn  (Weimar)  über  „Wert  und  Anwendung 
der  Photographie  in  natürlichen  Farben  zur  Diagnose  der 
Farbenblindheit“  (erscheint  in  der  W.  med.  Wochenschr.).  Der  Vor¬ 
tragende  zeigt  die  Verwendung  von  farbigen  Photographien  zur  Prü¬ 
fung  des  Farbensinnes  (Autochroüiphotographien  nach  Lumiere’schem 
Verfahren).  Mittelst  der  Autochromphotographie  werden  die  natür¬ 
lichen  Farben  der  Gegenstände  auch  in  ihren  relativen  Helligkeits¬ 
werten  naturgetreu  wieder  gegeben.  Gegenstände  in  Farben,  die  von 
Farbenblinden  erfahrungsgemäß  verwechselt  werden,  geben  deshalb  auch, 
auf  diese  Weise  reproduziert,  gute  Prüfungsobjekte  auf  Farbenblind¬ 
heit  und  zwar  eignet  sich  das  Verfahren  besonders  zur  Feststellung 
der  Art  und  Stärke  der  Anomalien  des  Farbensinns.  Die  Tafeln  zeigen 
Gegenstände  in  den  Verwechslungsfarben,  so  z.  B.  eine  Erdbeerstaude 
mit  verschieden  reifen  Früchten,  einen  Strauß  aus  roten  und  blauen 
Blumen  u.  a.  Es  werden  dabei  gerade  die  Farben  besonders  berücksichtigt, 
die  im  Eisenbahn-  und  Schiffsverkehr  als  Signalfarben  in  Frage  kommen. 
Auch  der  praktische  Arzt  wird  auf  diese  Weise  leicht  die  Störungen 
des  Farbensinns  feststellen  können,  die  für  bestimmte  Berufsklassen 
untauglich  machen,  und  zwar  kann  man  mittelst  der  Tafel  einen  Zahlen¬ 
wert  für  die  Größe  der  Empfindungsanomalie  und  damit  ein  genaues 
Maß  für  die  Farbenblindheit  bekommen.  Diese  graduelle  Untersuchung 
geschieht  mittelst  Gelatinefilter,  die  in  den  Färben  der  Autochrom¬ 
platte  hergestellt  werden.  Die  neue  Prüfungsmethode  ist  vor  allem 
deshalb  jeder  anderen  überlegen,  weil  die  Untersuchung  mit  sehr  reinen 
Farben  geschieht,  Diskussion:  Pfadz  (Düsseldorf),  Axenfeld  (Frei¬ 
burg)  und  Bählmann  (Weimar). 

In  derselben  Sitzung  sprachen  auch  noch  Schanz  (Dresden)  und 
Dr.  ing.  Stockhausen  (Dresden)  „über  die  Einwirkung'  der  ultra¬ 
violetten  Strahlen  auf  das  Auge“.  Beide  haben  die  Augen  auf 
ihre  Durchlässigkeit  für  ultraviolette,  nicht  sichtbare  Strahlen  unter¬ 
sucht,  von  denen  feststeht,  daß  sie  für  das  Auge  schädlich  sind.  Sie 
haben  verschiedene  Augenteile  und  ganze  Augen  mit  dem,  Licht  der 
elektrischen  Bogenlampe  intensiv  belichtet,  das  Licht,  welches  die  Augen¬ 
teile  bezw.  das  ganze  Auge  passiert  hatte,  mit  einem  Quarzspektro- 
graphen  zerlegt  und  das  Spektrum  photographiert.  Es  zeigte  sich,  daß 
die  relativ  kurzwelligen  ultra, violetten  Strahlen  (von  weniger  als  300 
Wellenlänge)  nicht  imstande  sind,  durch  die  Hornhaut  hindurchzu¬ 
dringen,  sie  werden  von  derselben  labsorbiert.  Die  ultravioletten  Strahlen 
von  350 — 300  fifi  Wellenlänge  gehen  dagegen  durch  die  Hornhaut  hin- 
durch,  sie  gelangen  zur  Linse  und  werden  von  dieser  ^  ersichluekt, 
während  die  ultravioletten  Strahlen  von  400 — 350  jn/n  Wellenlänge  bis 
zur  Netzhaut  gelangen  und  zugleich  die  Fluoreszenz  der  Linse  er¬ 
zeugen. 

Als  Schädigungen  des  Auges  durch  ultraviolette  Strahlen  sind 
bis  jetzt  folgende  erkannt  worden:  1.  Beizungen  des  äußeren  Auges, 
die,  vom.  Augenkatarrh  angefangen  sich  bis  zu  den  heftigsten  Ent¬ 
zündungen,  wie  sie  als  elektrische  Ophthalmie  und  Schneeblindheit 
bekannt  sind,  steigern  können,  2.  Veränderungen  in  der  Linse  (Zerfall 


22 


Originalarbeiten  und  Sammelberichte. 


der  Kerne  und  Zerstörung  der  Zellen  des  Kapselepithels),  3.  Heizungen 
der  Netzhaut  (Erythropsin,  Farbensinnstörungen  in  der  Nähe  des  Fixa- 
tionspunktes).  Für  den  Sehakt  sind  die  ultravioletten  Strahlen  über¬ 
flüssig,  gewissermaßen  eine  Verunreinigung  des  Lichtes.  Daher  muß 
man  sie  vom  Auge  fernhalten.  Redner  haben  nun  ein  grüngelbes  Glas 
hersteilen  lassen,  das  die  ultravioletten  Lichtstrahlen  absorbiert  und 
empfehlen  dies  als  Hülle  für  unsere  künstlichen  Lichtquellen.  Sie  haben 
dann  die  Fluoreszenz  der  Linse  bei  Belichtung  mit  ultravioletten  Strahlen 
untersucht  und  kommen  zu  dem  Schluß,  daß  die  Fluoreszenz  eine 
Färbung  durch  ultraviolette  Strahlen  ist,  die  unser  Auge  unter  be¬ 
sonderen  Umständen  wahrnimmt.  Durch  die  Eigenschaft  unseres  Auges, 
bei  Abhaltung  der  sichtbaren  Strahlen  die  ultravioletten  (bei  genügender 
Intensität)  wahrzunehmen,  erklären  sie  sich  manche  Fluoreszenzer¬ 
scheinungen  in  der  Natur. 

Dienstag  nachmittag  erstatteten  in  einer  gemeinschaft¬ 
lichen  Sitzung  der  Ab  teil  iingen  für  Gynäkologie,  Hygiene 
und  Kinderheilkunde,  die  allerdings  in  der  Hauptsache  von  den 
Pädiatern  besucht  war,  Keller  (Berlin)  und  Reicher  (Wien)  im  Auf¬ 
träge  des  Komitees  zum  Studium  der  Findlings  für  sorge,  das  der  vorige 
Naturforschertag  in  Dresden  eingesetzt  hatte,  ihren  Bericht  über  die 
Fürsorge  für  uneheliche  Kinder.  Die  Fürsorge  für  den  Säugling  hat 
in  den  letzten  Jahren  wesentliche  Fortschritte  gemacht,  besonders  in 
den  Großstädten  (Fürsorgestellen,  Kinder-  und  Säuglingsheime,  Milch¬ 
küchen,  Stillprämien  u.  a.  m.).  Über  manche  dieser  Maßnahmen  läßt 
sich  noch  streiten,  auf  alle  Fälle  müssen  aber  jetzt  erst  die  Erfolge 
des  bisher  geschaffenen  abgewartet  werden,  ehe  neue  Bahnen  einge¬ 
schlagen  werden  dürfen.  Die  Stillprämien  z.  B.  haben  auf  die  Ver¬ 
breitung  des  Stillens  noch  wenig  Einfluß  gehabt,  wohl  aber  sind  sie 
wichtig,  weil  sie  die  Mütter  in  die  Fürsorgesprechstunden  bringen. 
Die  Frage  des  Mutterschutzes  und  der  Mutterschaftsversicherung,  ist 
von  dem  Verein  für  Armenpflege  auf  seinem  letzten  Kongresse  hin¬ 
reichend  erörtert  worden,  im  Anschluß!  an  das  Referat  von  Frl.  Salomon. 
Alle  Schutzmaßregeln  müssen  in  gleicher  Weise  für  die  eheliche  wie 
für  die  uneheliche  Mutter  getroffen  werden.  Der  Mutter,  die  für  sich 
und  ihr  Kind  Brod  verdienen  muß,  muß  die  Sorge  für  das  Kind  ab¬ 
genommen  werden,  möglichst  ohne  sie  von  dem  Kinde  zu  trennen. 
Familienfürsorge  in  der  Stadt  ist  in  den  meisten  Fällen  zu  bevorzugen, 
Anstaltspflege  kommt  besonders  für  die  ersten  Wochen  nach  der  Ent¬ 
lassung  aus  der  Entbindungsanstalt  in  Frage,  doch  reichen  die  vor¬ 
handenen  Anstalten  bei  weitem  nicht  aus. 

Alle  vorhandenen  Maßregeln  kommen  aber  denjenigen  Kindern, 
die  ihrer  am  meisten  bedürfen,  am  wenigsten  zugute,  den  unehelichen 
und  gefährdeten,  weil  sie  vielfach  absichtlich  der  Fürsorge  entzogen 
werden.  Maßregeln  der  Großstädte  haben  da  allein  wenig  Zweck, 
es  muß  vielmehr  eine  Zentralisation  der  gesamten  Kinderfürsorge  für 
ganze  Bezirke  geschaffen  werden  und  eine  einheitliche  staatliche  Zwangs¬ 
aufsicht  für  alle  Gruppen  gefährdeter  Kinder,  alle  unehelichen,  alle 
bevormundeten,  alle  nicht  bei  .oder  von  der  Mutter  verpflegten  Kinder, 
ferner  die  Kinder  armenunterstützter  Eltern  und  die  Ammenkinder. 
Auch  in  Frankreich  läßt  die  gesetzliche  Regelung  noch  ?uanches  zu 
wünschen  übrig.  Wenn  Ungarn  ein  System  einführen  konnte,  das 
manchem  als  der  Höhepunkt  erscheint,  so  ist  dabei  zu  bedenken,  daß 
es  auf  keinerlei  geschichtliche  Entwicklung  Rücksicht  zu  nehmen 


Originalarbeiten  und  Sammelberichte. 


23 


brauchte.  Bei  uns  lassen  sieh  die  vorhandenen  Anfänge  zusammen- 
fassen  und  nach  Art  des  Leipziger  Systems  aushauen,  doch  wird  das 
noch  längere  Zeit  erfordern. 

Eine  gesetzliche  Regelung  des  Ammenwesens,  wie  sie  in  Ham¬ 
burg  schon  seit  1822  besteht,  ist  ebenfalls  notwendig.  Schloßmann 
war  es,  der  zuerst  die  Aufmerksamkeit  wieder  dem  Ammenkinde  zu¬ 
wandte  und  für  ein  Reichs ammengesetz  eintrat.  Die  Aufsicht  über 
die  Ammenkinder  wird  am  besten  mit  der  Berufsvormundschaft  ver¬ 
bunden,  die  sich  sehr  gut  bewährt  hat.  Vor  allem  müssen  alle  Kinder 
der  Aufsicht  unterstellt  werden,  damit  die  gefährdeten  ihr  nicht  ent¬ 
gehen. 

Reicher  (Wien)  besprach  als  Jurist  die  Entwicklung  des  Find¬ 
lings  wesens  besonders  in  Frankreich  und  Österreich. 

Die  Findelanstalt  der  romanischen  Länder  war  in  ihren  ersten 
Anfängen  eine  Reaktion  des  Christentums  gegen  die  heidnische  Sitte 
der  Kindesaussetzung,  sie  wurde  später  die  Sammelstelle  für  alle  aus¬ 
gesetzten  Kinder.  Die  „Drehlade“,  die  an  der  Findelanstalt  offensicht¬ 
lich  angebracht  war,  hat  in  den  romanischen  Ländern  eine  große  V er- 
breitung  gefunden,  obwohl  sie,  besonders  infolge  der  unbedingten  Auf¬ 
nahme  ohne  Rücksicht  auf  Herkunft  und  Bedürftigkeit  und  der  Anony¬ 
mität  für  gewissenlose  Eltern  nur1  eine  Einladung  zur  Kindesentäußerung 
dar  stellte.  Ludwig  XIV.  erhob  in  Frankreich  die  Findelanstalt  zu 
einer  staatlichen  Einrichtung,  die  Revolution  erklärte  die  Fürsorge  für 
die  „natürlichen“  Kinder  für  eine  heilige  ,Pf licht  des  Staates.  Für  die 
heutige  Regelung  in  Frankreich  hat  Napoleon  die  Grundlage  geschaffen, 
danach  ist  der  Minister  des  Innern  die  oberste  Aufsichtsbehörde  für 
das  Ammenwesen.  Die  rechtlichen  Verhältnisse  des  unehelichen  Kindes 
liegen  in  Frankreich  bekanntlich  noch  sehr  im  argen. 

In  Österreich  war  es  Kaiser  Josef  II.,  der  Reformator  des  Armen¬ 
wesens,  der  zuerst  die.  Fürsorge  „für  gefallene  Weibspersonen  und 
ihre  Kinder“  in  ähnlicher  Weise'  wie  in  Frankreich  organisierte.  Als 
dann  1861  die  Findelanstalt  zur  Landessache  erklärt  wurde,  begann 
ihre  Leidensgeschichte.  Eine  Anstalt  nach  der  anderen  wurde  unter 
Hinweis  auf  die  öffentliche  Moral  aufgehoben,  bis  man  neuerdings 
wieder  zur  Errichtung  ähnlicher  Anstalten  übergeht,  die  aber,  wie 
die  Findelanstalt  in  Graz,  nur  Durchgangsstationen  für  die  gesunden 
und  Hospitäler  für  die  kranken  Kinder  darstellen.  Von  großer  Be¬ 
deutung  ist  neuerdings  die  Verbesserung  der  rechtlichen  Verhältnisse 
des  unehelichen  Kindes  in  Österreich;  besonders  die  energische  (Ver¬ 
folgung  seiner  Ersatzansprüche  gegen  den  Vater.  Die  Erfolge  der 
Anstalten  sind  neuerdings  auch  recht  gute,  die  Sterblichkeit  der  steier¬ 
märkischen  Anstalt  z.  B.  steht  völlig  im  Einklang  mit  der  allgemeinen 
Säuglingssterblichkeit  des  Landes. 

Die  ehrenamtliche  Vormundschaft  hat  in  Österreich  völlig  ver¬ 
sagt,  sie  muß  durch  die  Berufs vormundisicha,ft  ersetzt  werden. 

Es  ist  nicht  zu  begreifen,  wie  die  großen  Parteien  an  dem  Kinder¬ 
elend  achtlos  Vorbeigehen  können ! 

Redner  empfahl  dann  die  Annahme  folgender  Leitsätze: 

„Für  die  unehelichen  Kinder  ist  ein  wirksamer  Ersatz  des  Familien¬ 
schutzes  durch  die  Berufsvormundschaft  anzustreben.  Mit  dieser  ist 
die  ärztliche  Aufsicht  zu  verbinden. 

Es  empfiehlt  sich,  in  dem  deutschen  Reichsgesetze,  betreffend  den 
Unterstützungswohnsitz,  und  in  dem  österreichischen  Heimatgesetze  in 


24 


Vorläufige  Mitteilungen  und  Autoreferate. 


unzweideutiger,  klarer  W eise  zum  Ausdruck  zu  bringen,  daß  unter 
dem  unentbehrlichen  Lebensunterhalte  auch  die  der  Gesundheitspflege 
entsprechende  Ernährung  und  Körperpflege  des  armen  Kindes  zu  ver¬ 
stehen  ist  und  daß  somit  die  Armenverbände  bezw.  die  Gemeinden  zu 
einer  solchen  verpflichtet  sind. 

Die  Gemeinden  und  Orts  armen  verbände  —  mit  Ausnahme  der 
großen  Städte  —  sind  iri  der  Kegel  zur  Bewältigung  einer  so  schwierigen 
und  verantwortungsvollen,  Volkswohlfahrt  und  Staatswohl  so  nahe  be¬ 
rührenden  Aufgabe,  wie  es  die  Pflege  und  Erziehung  von  Kindern  ist, 
nicht  geeignet. 

Die  Fürsorge  für  arme  Kinder  ist  daher  den  kleinen  leistungs¬ 
unfähigen  Verbänden  abzunehmen  und  größeren  Verbänden  zu  über¬ 
tragen  und  im  Wege  einer  wirksamen  Aufsicht  sicher  zustellen.“ 

Die  sehr  lebhafte  Diskussion,  in  der  u.  a,  Escherich  (Wien), 
Bommel  (München),  Sieger t  (Köln),  Schloßmann  (Düsseldorf)  und 
Soltmann  (Leipzig)  das  Wort  ergriffen,  drehte  sich  besonders  um  die 
Frage  der  Berufsvormundschaft  und  um  die  Beratung  der  kranken 
Kinder  in  den  Eürsorgestellen,  die  man  nicht  ausschließen  solle,  da 
sie  70 — 90°/0  der  Fälle  bildeten.  Schloßmann  tritt  lebhaft  für  Ein¬ 
führung  der  Mutterschaftsversicherung  bei  Gelegenheit  der  Neuregelung 
des  Kranken-  und  Invalidengesetzes  ein,  von  anderer  Seite  wird  die 
Einführung  der  Dienstboten  Versicherung  gefordert,  da  50°/0  der  un¬ 
unehelichen  Mütter  Dienstboten  seien.  Von  mehreren  Seiten  wird 
empfohlen,  im  Interesse  der  Städte  Maß  zu  halten  in  neuen  Anforde¬ 
rungen,  da  dieselben,  sonst  bald  nicht  mehn  in  der  Lage  sein  würden, 
die  Kosten  aufzubringen. 

Im  Anschluß  daran  sprach  noch  Hochsinger  (Wien)  über  „Ositeo- 
psathyrosis  congenita“  mit  Demonstration  von  Präparaten  und 
Wieland  (Basel)  „über  angeborene  Weiohsdhädel“  ebenfalls  mit 
Demonstrationen.  (Fortsetzung  folgt.) 


Vorläufige  Mitteilungen  u.  Autoreferate. 

Über  die  traumatische  Degeneration  und  Regeneration  des  menschlichen 

Gehirns. 

Von  Dr.  Pfeifer,  Halle  a.  S. 

(Nach  einem  Vortrag  auf  der  mitteldeutschen  Psychiater-  u.  Neurologen  Versammlung 

in  Halle  a.  S.,  25.  Oktober  1908.) 

Verfasser  hat  eine  Keihe  von  Punktionskanälen  nach  Hirnpunk¬ 
tionen,  welche  in  verschiedenen  Zeiträumen  ante  exitum  —  von  5  Tagen 
bis  zu  101/2  Monaten  —  zuin  Zwecke  der  Diagnose  von  Hirntumoren 
ausgeführt  waren,  bezüglich  der  dabei  sich  abspielenden  degenerativen 
und  regenerativen  Erscheinungen  untersucht. 

In  der  Umgebung  frischer  Punktionskanäle  waren  niemals  ent¬ 
zündliche  Erscheinungen  vorhanden.  Die  Vernarbung  erfolgte  durch 
reine  Bindegewebsneubildung .  ohne  Beteiligung  der  Glia. 

An  Markscheidenpräparaten  waren  in  unmittelbarer  Umgebung 
der  5  Tage  alten  Punktionskanäle  degenerative  Erscheinungen  nach¬ 
weisbar.  Innerhalb  der  Narben  fanden  sich  bis  zum  57.  Tage  keine 
neugebildeten  Markfasern,  dagegen  waren  solche  in  den  101/2  Monate 
alten  Narben  sehr  deutlich  zu  sehen. 


Vorläufige  Mitteilungen  und  Autoreferate. 


25 


Bei  Achsenzylinderfärbung  nach  der  Biels  ch'o  wski’ sehen  Methode 
zeigten  sich  in  unmittelbarer  Umgebung  der  5  Tage  alten  Punktions¬ 
kanäle  vorwiegend  degenerative  Erscheinungen,  wie  Verdickung  und 
Quellung  der  Achsenzylinder,  Bildung  von  Rosenkranzformen  und  freien 
Kugeln,  sowie  Fragmentation  der  Axone.  Innerhalb  der  Narben  waren 
zweifellose  Regenerationserscheinungen  von  Adhsenzylindern  festzu¬ 
stellen  und  zwar  war  an:  den  Narben  von  19  Tagen  bis  zu  101/2  Monaten 
ein  stetiger  Fortschritt  in  der  Entwicklung  der  Achsenzylinder  sowohl 
bezüglich  der  Zahl  der  neugebildeten  Fäserchen,  als  der  Menge  charakte¬ 
ristischer  Regenerationsbildungen  an  denselben  zu  konstatieren.  Be¬ 
sonders  ausgesprochen  war  dies  an  der  101/ 2  Monate  alten  Narbe  die 
allenthalben  von  feinen  nackten  Achsenzylindern  durchzogen  war, 
welche  eine  Menge  charakteristischer  Bildungen  aufwiesen,  wie  End- 
knospen  von  verschiedener  Gestalt,  Ring-  und  Knäuelbildungen  sowie 
z  ahlreiche  V  er  zweigungen . 

Es  handelt  sich  hier  also  um  genau  dieselben  Erscheinungen,  wie 
sie  von  Cajal  auf  experimentellem  Wege  am  Gehirn  von  Tieren  etwa 
8 — 14  Tage  nach  der  Verletzung  beobachtet  und  als  unbedingt  sichere 
Zeichen  einer  Regeneration  aufgefaßt  wurden.  Daß  es  sich  bei  den 
Nervenfaßern  innerhalb  der  neugebildeten  Narben  nicht  um  peristie¬ 
rende,  sondern  um  regenerierte  Fasern  handelt,  dafür  spricht:  1.  die  Art 
der  Verletzung,  die  wie  die  frischen  Fälle  zeigen,  einen  röhrenförmigen 
Kanal  darstellt,  der  in  seinem  Innern  nur  Detritus  und  Blut  enthält, 
2.  die  Art  der  Narbe,  die  rein  bindegewebiger  Natur  ist,  3.  das  Ver¬ 
halten  der  Axone  innerhalb  der  Narbe,  deren  Entwicklung  mit  dein 
Alter  der  Narbe  zunimmt  und  die  reichliche  charakteristische  Rege¬ 
nerationserscheinungen  aufweisen. 

Das  Zustandekommen  der  Regeneration  der  Achsenzylinder  im  Zen¬ 
tralnervensystem  ist  mit  der  Auffassung  der  polygenisten  unvereinbar, 
weil  die  Nervenfasern  des  Gehirns  und  Rückenmarks  der  Schwan’ sehen 
Zellen  und  der  Schwan’schen  Scheiden  entbehren.  Auch  fanden  sich 
innerhalb  der  Narben  keinerlei  Erscheinungen,  die  an  Zellbänder  er¬ 
innerten.  Dagegen  konnten  Achsenzylinder  direkt  von  der  Umgebung 
her  in  die  Narbe  hinein  verfolgt  werden. 

Eine  Regeneration  der  Achsenzylinder  des  Gehirns  erwachsener 
Menschen  im  anatomischen  Sinne  ist  damit  erwiesen.  Daß  sich  die 
Achsenzylinder  bei  der  101/2  Monate  alten  Narbe  zum  Teil  mit  Mark¬ 
scheiden  umkleideten,  spricht  für  die  Wahrscheinlichkeit  einer  Rege¬ 
neration  auch  in  funktioneller  Beziehung.  Autoreferat. 


Der  trockene  und  der  feuchte  Verband. 

W.  Esch.  Archiv  für  phys.-diät.  Therapie,  H.  3;  1907. 

Eigenbericht. 

Verf.  betont,  daß  es  sich  hier,  wie  auch  sonst  in  der  Heilkunde, 
nicht  darum  handeln  könne  „ein  allein  gültiges  Normal  verf  aliren“ 
(Engel)  ausfindig  zu  machen,  sondern  daß  man  vielmehr  darüber  klar 
werden  müsse,  in  welchen  Fällen  der  trockene,  in  welchen  der  feuchte 
Verband  das  für  den  Patienten  vorteilhafteste  Verfahren  darstellt. 

Die  Entscheidung  darüber  wird  aber  erst  möglich,  wenn  die  Wir¬ 
kungsweise  der  verschiedenen  Methoden  festgestellt  ist.  Diese  nun  hängt 
natürlich  vor  allem  von  der  angewandten  Tedhnik  ab.  Wir  haben 
im  wesentlichen  3  Arten  von  Verband  zu  unterscheiden:  1.  den 


26 


Vorläufige  Mitteilungen  und  Autoreferate. 


trockenen,  2.  den  feuchten,  wasserdicht  bedeckten,  3.  den  feuchten,  nicht 
wasserdicht  bedeckten  „austrocknenden“  Verband. 

Namentlich  über  die  Wirkung  der  beiden  letzten  Formen  machen 
sich  bei  den  einzelnen  Autoren  noch  verschiedene  Ansichten  bemerkbar. 
Bis  vor  kurzem  wurde  der  feuchte  Verband  überhaupt  verworfen 
(Länderer,  v.  Bergmann),  seitdem  man  von  der,  auf  dem  Prinzip 
der  feuchten  Wundbehandlung  aufgebauten  Antisepsis  zur  Asepsis  über¬ 
gangen  war.  In  der  letzten  Zeit  aber  mehren  sich  die  Stimmen  der¬ 
jenigen.  die  es  für  falsch  halten,  daß  man  gleichzeitig  mit  der  Anti¬ 
sepsis  auch  den  feuchten  Verband  an  sich  verwarf.  Altmann,  Böhm, 
Diehl,  Engel,  Frank,  Ihrig,  Koist,  Berlin,,  Schultz  und  vor  allem 
Friedrich,  Schade  und  Schnitzler  betonten,  daß  bei  gewissen  ent¬ 
zündlichen  .Prozessen  der  feuchte  Verband  wegen  seiner  besser  an- 
s  au  gen  den,  erweichenden,  den  Schmerz  lindernden  und  hy  per  ämisier  en¬ 
den  Wirkung  dem  trockenen  weit  vorzuziehen  sei. 

Die  Mehrzahl  der  genannten  Autoren  aber  empfiehlt  nur  den 
„austrocknenden“,  nicht  wasserdicht  bedeckten  Verband,  weil  sie  die 
bei  wasserdichter  Bedeckung  entstehende  Gewebsquellung1  und  Bakterien¬ 
wucherung  in  der  „feuchten  Kammer“  fürchten.  Speziell  Schnitzler 
W.  m.  W.  1906,  Nr.  2,  gibt  zwar  zu,  daß  auch  bei  dem  aus  trocknen  den 
(wenn  auch  in  geringerem  Grade  als  bei  dem  trockenen)  Verband  der 
relativ  hohe  Gehalt  des  Wundsekretes  und  des  Blutes  an  festen  Be¬ 
standteilen  oft  zu  einer  raschen  Inkrustation  des  Mulls  führt,  der  dann 
nicht  mehr  hydrophil,  sondern  als  undurchlässiger  Stoff  wirkt,  wendet 
sich  aber  trotzdem  gegen  die,  diesen  Ubelstand  verhindernde  wasser¬ 
dichte  Bedeckung,  weil  nach  Experimenten  .Preobr aschenski’s  die 
ansaugende  Wirkung  des  undurchlässigen  Verbandes  aufhöre,  sobald 
er  sich  mit  Wundsekret  vollgesaugt  habe.  Diesem  Übelstande  sucht 
Sch.  durch  häufigere,  d.  h.  mindestens  täglich  zu  wiederholende  Ent¬ 
fernung  der  inkrustierten  Schichten  und  Anfeuchtungen  des  Ver¬ 
bau  des  abzuhelfen. 

Diesem  ziemlich  umständlichen  und  unsicheren  Verfahren,  sowie 
der  erwähnten  Befürchtung  der  Bakterienwucherung  usw.  gegenüber 
weist  Esch  darauf  hin,  daß  der  wasserdicht  bedeckte  feuchte  Verband 
bei  richtiger  Technik  keine  derartige  Unzuträglichkeiten  im  Gefolge 
hat.  Man  muß  nur  darauf  achten,  daß  der,  mit  reinem  Wasser  o,der 
3%igem  H202  befeuchtete  Mull  in  genügend  dicker  Schichtung  (je 
nach  Beschaffenheit  des  Falles  zwischen  1/2  und  mehreren  Zentimetern 
schwankend)  und  gut  aus  gedrückt  verwandt  wird. 

Gerade  das  gute  Ausdrücken  ist  ein  Hauptmoment,  was  leider 
vielfach  übersehen  wird,  indem  man  den  Verband  triefend  naß  anlegt. 
Daß  er  dann  nicht  ansaugend  wirken,  wohl  aber  die  genannten  Schädi¬ 
gungen  hervorrufen  kann,  ist  klar.  Bei  richtig  angelegtem  Verband 
verhütet  dagegen  die  wasserdichte  Bedeckung  das  zu  frühe  Austrock¬ 
nen  und  Inkrustieren,  der  feuchte  Verband  wird  dann  eben  nicht 
zum  trocknen.  Aus  demselben  Grunde  ist  ein  täglicher  Verbandwechsel 
nicht  wie  bei  dem  Schnitzle r'schen  Verfahren,  das  mindeste,  sondern 
das  äußerste,  was  verlangt  werden  muß:  Das  von  Pre  obras  eben  ski  ge¬ 
fürchtete  „Vollgesaugtsein“  des  Verbandes  tritt  bei  richtiger  Technik 
frühestens  erst  nach  24  Stunden  ein. 

Wenn  ja  nun  auch  der  hier  zuweilen  tä  glich  nötige  Verbandwechsel 
für  den  Arzt  mühsamer  ist  als  das  'trockene  Verfahren,  so  macht  sich  doch 
diese  vermehrte  Arbeit  reichlich  belohnt  durch  die  weit  raschere,  schmerz- 


Vorläufige  Mitteilungen  und  Autoreferate. 


27 


losere  und  sicherere  Heilung  des  Patienten,  die  durch  zahlreiche  Kon- 
trollversuche  von  Esch  erwiesen  wurde. 

Während  also  hei  den  meisten  frischen  aseptischen  Verletzungen 
und  Operationen  der  trockene  Verband  durchaus  am  ,Platze  ist,  sollte 
man  bei  in  fektions  verdächtigen,  nicht  ganz  genähten,  sowie  bei  mit 
Ge webszertrümmerung  verbundenen  Verletzungen,  bei  Verbrennungen 
usw.,  vor  allem  aber  bei  allen  entzündlichen  Prozessen  den  feuch¬ 
ten  gut  ausgedrückten  wasserdicht  bedeckten  Verband  sowohl  dem 
trockenen  als  dem  feuchten  austrocknenden  vorzuziehen.  Der  letztere, 
der  ja  stets  bald  früher,  bald  später  zum  trockenen  wird,  dürfte  über¬ 
haupt  zwecklos  sein,  wenn  er  nicht  mehrmals  täglich  gewechselt  wer¬ 
den  kann. 


Über  Benzinvergiftung. 

Von  Dr.  Heinrich  Wiehern,  Leipzig. 

(Nach  einem  Vortrag  in  der  medizinischen  Gesellschaft  in  Leipzig.) 

Bei  der  Benzinvergiftung  sind  2  Gruppen  zu  unterscheiden,  je 
nachdem  das  Gift  in  den  Magen  eingeführt  oder  in  Gestalt  von  Benzin- 
dämpfen  durch  die  Lunge  aufgenommen  wird.  Zur  ersteren  Gruppe 
gehören  3  Fälle,  in  denen  junge  Mädchen  in  selbstmörderischer  Absicht 
verschieden  große  Mengen  Benzin  tranken.  Bei  allen  trat  Erbrechen 
und  Herzschwäche  auf,  aber  nur  in  einem  Falle,  wo  1/4  Liter  Benzin 
getrunken  war,  kam  es  zu  schwerer  Bewußtlosigkeit.  Sämtliche 
Kranke  waren  abgesehen  von  Kopfschmerzen  und  leichteren  Beizer¬ 
scheinungen  im  Halse  am  folgenden  Tage  genesen.  Zwei  weitere  Be¬ 
obachtungen  gehörten  der  zweiten  Gruppe  an  und  betrafen  Arbeiter, 
die  in  einer  chemischen  Fabrik  oder  Wäscherei  durch  Benzindämpfe 
in  einen  bedrohlichen  Zustand  von  Bewußtlosigkeit  und  Herzschwäche 
mit  starker  Zyanose  und  Kälte  der  Haut  verfielen.  Als  nach  Verlauf 
von  1/2 — 1  Stunde  das  Sensorium  klarer  wurde,  traten  auffallend  heftige 
und  in  einem  Falle  auch  länger  anhaltende  Schüttelfröste  auf.  Beide 
Patienten  erholten  sich  aber  in  den  nächsten  Tagen  vollständig.  Diese 
letzteren  Fälle  weisen  auf  die  Bedeutung  derartiger  Vergiftungen  als 
Gewerbe-Erkrankung  hin,  so  daß  geeignete  Schutzmaßregeln  für  die 
Arbeiter  getroffen  werden  müssen.  Die  Therapie  der  akuten  Benzin¬ 
vergiftung  hat  vor  allem  für  Entfernung  des  Giftes  aus  dem  Körper 
zu  sorgen ;  die  Ausscheidung  des'  Benzins  erfolgt  wohl  hauptsächlich 
in  Dampfform  durch  die  Atmungsorgane,  wofür  der  lange  anhaltende 
Benzingeruch  der  Exspirationsluft  bei  Vergifteten  spricht. 

Autoreferat. 


Leukämische  Erkrankung  des  Larynx. 

Arth.  Meyer.  Zeitschr.  für  Laryng.,  Bd.  1,  H.  3. 

Miterkrankung  des  Kehlkopfesi  bei  Leukämie  ist  nicht,  selten,  bildet 
aber  meist  nur  einen  Nebenbefund  ohne  klinische  Bedeutung.  Erst 
seit  12  Jahren  sind  einige  Fälle  bekannt,  in  denen  der  Kehlkopf  eigene 
Beachtung  beanspruchte  ;  in  den  meisten  wurde  die  Tracheotomie  er¬ 
forderlich.  Die  Erkrankung  besteht  im  Auftreten  flacher,  rundlicher, 
weicher  Knoten  von  blaßgraurötlicher  Farbe,  meist  ohne  Verletzung* 
des  Epithels ;  die  Knoten  können  zu  unebenen  Infiltraten  konfluieren. 
In  der  Begio  subglottica  pflegen  die  Infiltrate  gleichmäßig  und  eben 
zu  sein,  während  in  der  Trachea  die  Knötchen  oft  ringförmige  Anord¬ 
nung  zeigen. 


28 


Referate  und  Besprechungen. 


Im  vorliegenden  Falle  bestand,  neben  zwei  flachen  Knoten  im 
Vestibnlum  laryngis,  eine  erhebliche,  seitlich  symmetrische,  subglot¬ 
tische  Infiltration,  die  den  Kehlkopf  bis  auf  einen  sagittalen  Spalt 
von  ca..  2,5  mm  verengte.  Es  bestand  Dyspnoe  und  pseudokrupp artig 
klingender  Husten.  Der  Tracheotomie  folgte  bald  der  Exitus.  Am 
Kehlkopf  fand  sieh  eine  8  mm  dicke  Schwellung  der  subglottischen 
Schleimhaut,  bestehend  aus  einer  dichten,  kleinzelligen  Infiltration,  die 
selbst  die  elastische  Haut  und  die  Gefäße  durchsetzt.  Daneben  fand 
sich  eine  (zum  ersten  Male  beobachtete)  Erkrankung  des  Ringknorpels : 
Er  war  verknöchert,  stark  verdickt  und  enthielt  im  Innern  einen  weiten, 
mit  himbeerfarbigem  Mark  erfüllten  Markraum.  Die  Leukämie  war 
gemischt,  lymphatisch  -  myelogen. 

Die  Frage,  ob  der  Kehlkopfbefund  allein  erlaubt,  Leukämie  zu 
diagnostizieren,  ist  prinzipiell  zu  bejahen,  jedoch  ist  eine  Unterscheidung 
von  pseudoleukämischer  Larynxerkrankung  unmöglich.  Blutunter¬ 
suchung  muß  natürlich  immer  die  Diagnose  sicherstellen.  Die  Therapie 
besteht  in  Narcoticis  und  Sprechverbot,  um  die  mechanische  Läsion  des 
Infiltrates  zu  verhüten ;  bei  Stenose  Tracheotomie ;  endlich,  tun  die 
Schwellungen  zur  Rückbildung  zu  bringen,  Röntgenbestrahlung  des 
Halses.  Autoreferat. 


Referate  und  Besprechungen. 

Innere  Medizin. 

Über  einfache,  nichttuberkulöse  Kollapsinduration  der  rechten  Lungen¬ 
spitze  bei  chronisch  behinderter  Nasenatmung. 

(Prof.  Dr.  G.  Krönig.  Med.  Klinik,  Nr.  40  u.  41,  1908.) 

In  dem  ersten  mehr  physiologischen  Teil  der  Arbeit  werden  die  Respi¬ 
rationsverhältnisse  der  rechten  Lungenspitze  einer  Besprechung  unterzogen, 
und  es  wird  nachgewiesen,  daß  in  den  beiden  Lungenspitzen  der  Inspirations¬ 
zug  stärker  ist  als  in  den  unteren  Lungenabschnitten,  und  daß  auch  unter 
normalen  Verhältnissen  infolge  der  anatomischen  Anordnungen  der  Bronchien 
in  der  rechten  Spitze  der  Expirationsdruck  geringer  sein  wird  als  in  der 
linken  Spitze.  Diese  physiologische  Verminderung  des  Expirationsdruckes  in 
der  rechten  Spitze  kann  durch  gelegentliche  anderweitige  pathologische  Ver¬ 
hältnisse  (Aperturstenose  Freund’s  und  SchmorPsche  Rinne)  verstärkt  wer¬ 
den.  Es  ist  leicht  einzusehen,  daß  unter  solchen  Umständen  eine  Staub-  bezw. 
Bakterienablagerung  in  den  Lungenspitzen  speziell  in  der  rechten  begünstigt 
wird;  ein  weiteres,  ihre  Ablagerungen  in  der  rechten  Spitze  noch  besonders 
unterstützendes  Moment  kann  darin  erblickt  werden,  daß  die  Verzweigung 
des  Bronchialbaumes  in  der  rechten  Spitze  eine  stärkere  ist  als  in  der  linken. 
Ebenso  ist  leicht  verständlich,  daß  wenn  die  Nasenatmung  durch  irgend  welche 
Hindernisse  (adenoide  Wucherungen  usw.)  beschränkt  ist,  und  demgemäß  mehr 
durch  den  Mund  geatmet  wird,  reichlicher  Gelegentlich  gegeben  ist,  daß  staub- 
reichere  Luft  in  die  Lungen  gelangt,  und  der  Staub  in  vermehrtem  Maße  in 
den  Spitzen  und  sp.  der  rechten  zur  Ablagerung  kommt  und  dort  Veränderungen 
hervorrufen  kann,  welche  denen  einer  beginnenden  Tuberkulose  entsprechen. 
Krönig  bringt  nun  eine  ganze  Anzahl  solcher  Fälle  aus  seiner  Praxis  unter 
Beibringung  von  Abbildungen  'zur  Besprechung,  und  hebt  als  wichtigstes 
differentialdiagnostisches  Moment,  diese  Fälle  von  denen  beginnender  Tuber¬ 
kulose  zu  unterscheiden,  das  hervor,  daß  bei  der  einfachen  auf  Staubinhalation 
beruhenden  Atelektase  der  rechten  oder  beider  Lungenspitzen  auf  beiden 
Seiten  eine  durchaus  normale  Exkursionsbreite  der  unteren  Lungenränder 
besteht  und  eine  vollständige  Ausfüllung  der  Komplementärräume  erfolgt, 


Referate  und  Besprechungen. 


29 


während  im  Gegensatz  dazu  hei  der  auf  tuberkulöser  Basis  entstandenen  Spitzen¬ 
induration  infolge  der  bei  der  Tuberkulose  fast  nie  vermißten  pleuritischen 
Adhäsionen  bez.  Verwachsungen  als  ein  Frühsymptom  eine  gewisse  respira¬ 
torische  Unbeweglichkeit  der  basalen,  vielfach  auch  der  medialen  Lungen¬ 
ränder  der  betroffenen  Seite  beobachtet  wurde.  Das  Erhaltensein  der  freien 
respiratorischen  Bewegung  der  Lungenränder  in  den  Komplementärräumen, 
würde  nach  Krönig  im  gegebenen  Falle  ein  sehr  starkes  Moment  gegen  die 
klinische  Auffassung  des  Falles,  als  eines  solchen  von  Tuberkulose  darstellen, 
selbst  wenn  eine  probatorische  Tuberkulinreaktion  eine  leichte  Reaktion  her- 
vorrufen  sollte,  im  übrigen  aber  gelegentliche  Fieberbewegungen,  Abmage¬ 
rung  und  sonstige  Erscheinungen  von  Gifteinwirkungen  (Schweiße)  dauernd 
fehlen.  R.  Sttive  (Osnabrück). 


Tuberkulinbehandlung  bei  Leukämie. 

(Weitz.  Deutsches  Archiv  für  klin.  Med.,  Bd.  92,  S.  551.) 

Die  länger  fortgesetzten  Tuberkulin-Injektionen  wirken  bei  Leukämie 
etwa  wie  bei  chronischer  Tuberkulose,  d.  h.  solange  bessernd,  bis  eine  Gewöh¬ 
nung  eingetreten  ist.  S.  Schoenborn. 


Über  den  Einfluß  der  Berufsarbeit  auf  die  Herzgröße.  —  Über  den  Einfluß 

des  Militärdienstes  auf  die  Herzgröße. 

(Schi  eff  er.  Deutsches  Archiv  für  klin.  Med.,  Bd.  92,  S.  383  u.  392.) 

Die  Untersuchungen  wurden  an  der  Moritz’schen  Klinik  mittels  Ortho¬ 
diagraphie  und  Ausmessung  der  Herzfläche  nach  Moritz  gemacht  und  er¬ 
gaben  wesentlich : 

1.  „Schwere“  Berufe  führen  zu  stärkerem  Wachstum  des  Herzens  als 
leichte. 

2.  Beim  Militärdienst  kommen  wohl  Abnahmen  als  (häufiger)  Zunahmen 
der  ursprünglichen  Herzgröße  vor.  Das  Vorhandensein  leichter  Herzstörungen 
im  Sinne  geringer  Vitia  führt  keineswegs  leichter  zu  Herz  Veränderung  als 
ein  von  vornherein  gesundes  Herz.  Von  vornherein  hypertrophische  Herzen 
neigen  im  allgemeinen  nicht  zu  weiteren  großen  Veränderungen  während 
des  Dienstes.  Bei  schweren  Berufen  der  eingestellten  Soldaten  zeigt  sich 
meist  keine  erhebliche  nachträgliche  Herz  Veränderung.  Verkleinerung  von 
vorher  großen  Herzen  war  meist  der  Ausdruck  einer  Rückbildung,  einer 
Dilatation.  Im  allgemeinen  waren  die  Herzveränderungen  der  Ausdruck  einer 
notwendigen  und  zweckmäßigen  Anpassung  des  Herzens  (Hypertrophie). 

S.  Schoenborn. 


Die  Genese  der  Arteriosklerose  (Arteriitis). 

(Aufrecht.  Deutsches  Archiv  für  klin.  Med.,  Bd.  93,  S.  1.) 

Nach  Aufrecht’s  Untersuchungen  findet  sich  bei  Arteriosklerose  in 
der  Intima  zwar  eine  wohl  durch  Kernzerfall  ausgedrückte  Ernährungsstörung, 
aber  kein  entzündlicher  Prozeß ;  die  Abhebbarkeit  der  innersten  Lamellen 
der  Intima  beruht  nicht  auf  einer  Bindegewebsneubildung,  sondern  auf  ein¬ 
facher  Verdünnung  und  Auseinanderdrängung  der  Lamellen.  Auch  die  Media 
zeigt  keine  Entzündung,  wohl  aber  die  Adventitia,  deren  Verdickung  nach 
Aufrecht’s  Beobachtungen  hauptsächlich  die  Verdickung  der  atheromatösen 
Gefäße  verursacht.  Intima-  und  Media-Veränderung  sind  nur  indirekt  durch 
die  Entzündung  der  Adventitia  veranlaßt.  Die  eigentliche  Ursache  bilden 
Entzündungen  der  Vasa  vasorum,  die  nächste  Konsequenz  die  Ernährungs¬ 
störung  in  Media  und  Intima.  Die  Untersuchungen  gelten  zunächst  für  nicht¬ 
syphilitische  Arteriosklerose.  S.  Schoenborn. 


30 


Referate  und  Besprechungen. 


Über  das  Vorkommen  präkapillarer  Phlebektasien  auf  der  vord.  und  hint. 
Thoraxwand  bei  Erkrankungen  der  Zirkulations-  und  Atmungsorgane. 

(Haeberlin.  Deutsches  Archiv  für  klin.  Med.,  Bd.  98,  S.  43.) 

Die  nicht  selten  bogenförmig  am  vorderen  und  seitlichen  Rippenbogen 
sich  entlangziehenden  Venen  ektasien  sind  Stauungserscheinungen,  die  durch 
Kompression  der  kleinen  Hautvenen  an  diesen  Stellen  gegen  den  Thoraxrand 
bei  abdominaler  Atmung  hervorgerufen  werden,  sofern  durch  lokale  Ursachen 
(hypertroph,  linker  Ventrikel  u.  dgl.)  oder  allgemeine  Gründe  (Schwäche  des 
rechten  Ventrikels)  eine  Stauungsmöglichkeit  gegeben  ist  (nur  dann  ?  Ref.). 

S.  Schoenborn. 


Über  den  Milzbrand  der  Tonsillen. 

(Prof.  Zia  Noury  Pascha  u.  Doz.  Haidur  Bey.  Deutschd  med.  Wochenschr., 

Nr.  33,  1907.) 

Die  Verfasser  schildern  eingehend  einen  Kall  von  primärem  Milzbrand 
der  rechten  Tonsille,  von  wo  aus  es  zu  allgemeiner  Infektion  kam,  die  den 
Exitus  herbeiführte.  Die  Diagnose  wurde  aus  dem  diffusen  blassen  Ödem  der 
Schleimhaut  von  sanguiolent-gelatinöser  Beschaffenheit,  das  sich  auf  die  äußere 
sichtbare  Halsgegend  fortsetzte  und  aus  dein  Fehlen  einer  eigentlich  entzünd¬ 
lichen  Rötung  gestellt.  Bakteriologische  Untersuchung  und  später  die  Autopsie 
bestätigte  die  Richtigkeit  der  Diagnose.  Wenn  auch  der  Anthrax  der  Ton¬ 
sillen,  wie  aus  der  Literatur  hervorgeht,  etwas  sehr  seltenes  ist,  so  ist  doch 
das  Vorkommen  derselben  in  diesem  Falle  klinisch  und  anatomisch  einwands¬ 
frei  festgestellt. 

Die  Verfasser  glauben  auch  das  oben  beschriebene  Ödem  und  den  Mangel 
an  entzündlicher  Rötung  als  spezifische  Eigenschaften  einer  Milzbrandangina 
ansehen  zu  dürfen.  F.  Walther. 


Über  die  Diagnose  und  Behandlung  des  inneren  Darmverschlusses. 

(Rudolf  Goebell.  Med.  Klinik,  Nr.  35,  1907.) 

Goebell  bespricht  den  mechanischen  Darmverschluß,  von  dem  zwei 
Arten  unterschieden  werden  können,  die  Strangulation  und  die  Obturation. 
Bei  der  ersteren,  die  durch  Knotenbildung,  Achsendrehung  einer  Darmschlinge 
usw.  entstehen  kann,  ist  stets  ein  Teil  des  Mesenterium  mit  umschnürt,  wäh¬ 
rend  das  bei  der  Obturation,  die  einesteils  durch  Fremdkörper  (Gallensteine, 
Kotsteine,  Würmer,  Geschwülste,  Strikturen)  aber  auch  durch  Knickung 
und  Torsion  zustande  kommen  kann,  nicht  der  Fall  ist.  Die  Symptome 
der  Strangulation,  die  im  allgemeinen  akuter  und  bösartiger  verläuft  als  die 
Obturation,  bestehen  in  folgendem :  Plötzlicher  Beginn  der  Erkrankung  mit 
diffusem  oder  lokalisiertem  Leibschmerz,  initiales  Erbrechen,  Chokerscheinungen 
(kalter  Schweiß,  blasses  Gesicht,  Pulsbeschleunigung,  ängstlicher  Ausdruck). 
Muskelspannung  des  Abdomens,  die  nicht  mit  Druckempfindlichkeit  kombinert 
ist;  Schmerzen  konstant  nicht  tourenweise.  —  Unter  Umständen  kann  man  die 
durch  Strangulation  unbewegliche  und  konsistente  Darmschlinge,  nötigenfalls 
vom  Rektum  oder  der  Vagina  aus,  als  durckempfindliche  Geschwulst 
palpieren  (von  Wahrsches  Zeichen).  —  Freier  Erguß  in  die  Bauchhöhle; 
doch  ist  dieser  meist  erst  nach  24  Stunden  nachweisbar,  öfters  schwer  zu  er¬ 
kennen  und  fehlt  gewöhnlich  bei  Dickdarm  volvulus  und  wenn  kurze  Darm¬ 
schlingen  mit  wenig  Mesenterium  eingeklemmt  sind;  die  zur  Strangulation 
bald  hinzutretende  Peritonitis  verwischt  das  Krankheitsbild. 

Symptome  der  Obturation:  Allmählicher  Beginn;  dann  zunächst  Stuhl- 
und  Windverhaltung,  vermehrte  Peristaltik,  verbunden  mit  Schmerz.  Darm¬ 
steifung.  Schmerzen  periodisch'.  Erbrechen  zeigt  sich  erst  wenn  der  Darm 
paralytisch  wird;  der  Zeitpunkt  des  Eintritts  richtet  sich  nach  dem  Sitze 
des  Hindernisses;  das  Erbrechen  tritt  um  so  früher  ein,  je  höher  im  Darm 
das  Hindernis  sich  befindet.  Pulsverschlechterung,  Fieber,  Peritonitis  können 
mehrere  Tage  ausbleiben. 


Referate  und  Besprechungen. 


31 


Zu  bemerken  ist,  daß  die  Krankheitsbilder  nicht  immer  rein  sind,, 
sondern  Übergänge  Vorkommen  und  Fälle,  die  nach  der  Anamnese  auf  eine 
Obturation  schließen  lassen,  während  Strangulation  vorliegt. 

Die  Invagination  (bei  Kindern  häufiger  als  bei  Erwachsenen)  macht  Er¬ 
brechen,  Leibschmerzen,  Abgang  von  Schleim  und  Blut  im  Stuhl,  am  zuführen¬ 
den  Darm  vermehrte  Peristaltik,  oder  Ruhe  bei  schwerer  akuter  Invagination. 

Die  Behandlung  soll  eine  möglichst  frühe  chirurgische  sein ;  womöglich 
innerhalb  der  ersten  24  Stunden.  Man  soll  vor  Beginn  kein  Opium  geben, 
weil  das  Bild  dadurch  verschleiert  wird,  höchstens  Morphium  und  Kampfer. 
Keine  Nahrung  und  keine  Laxantien.  Vor  der  Atropinbehandlung  warnt 
Go  e  bell  nachdrücklich;  von  8  mit  mechanischem  Ileus  in  die  Kieler  Klinik 
eingelieferten  Kranken,  die  mit  Atropin  vorher  behandelt  waren,  starben  7. 
—  Atropin  kann  nur  dann  angewendet  werden,  wenn  ein  durch  Gallenstein 
oder  Fremdkörper  bedingter  spastischer  Darmverschluß  mit  absoluter  Sicher¬ 
heit  angenommen  werden  kann.  —  Dagegen  hält  Goebell  es  für  berechtigt 
den  V ersuch  zu  machen  durch  hohe  Klistiere  die  Darmpassage  wieder  herzu¬ 
stellen  und  durch  Magenspülungen  erleichternd  zu  wirken.  Bei  Vornahme 
der  letzteren  muß  man  nur  sicher  sein,  kein  perforiertes  Magengeschwür  vor 
sich  zu  haben.  R.  Stüve  (Osnabrück). 


Über  die  hereditäre  Form  des  Diabetes  insipidus. 

(Alfred  Weil.  Deutsche  Archiv  für  klin.  Med.,  Bd.  93,  S.  180.) 

Verf.  hat  den  Stammbaum  einer  1884  von  seinem  Vater  (Adolf  Weil) 
beschriebenen  Diabetiker -Familie  weiter  verfolgt  und  das  Schicksal  dieser 
220  Personen  zu  eruieren  gesucht.  Im  ganzen  litten  34  davon  an  Diabetes 
insipidus,  der  mit  einer  einzigen  Ausnahme  direkt  vererbt  wurde.  Die  Form 
war  im  ganzen  eine  gutartige.  Bei  fieberhaften  Erkrankungen  verschwanden 
die  Symptome.  In  einem  genauer  beobachteten  Fall  hatte  der  Kranke  die 
Fähigkeit,  seinem  Urin  zu  konzentrieren,  nicht  verloren,  es  handelte  sich 
also  um  einen  sog.  echten,  primär  renalen  Diabetes  insipidus  (Meyer). 

S.  Schoenborn. 


Zur  Kasuistik  gichtischer  Affektionen  an  Hoden  und  Prostata. 

(Becker,  Salzschlirf.  Tlierap.  der  Gegenw.,  Nr.  6,  1908.) 

Ein  64 jähriger,  seit  Dezennien  an  Gicht  leidender  Herr  bekam  im  An¬ 
schluß  an  einen  Exzeß  in  Baccho  gewissermaßen  als  Äquivalent  eines  typi¬ 
schen  Gichtanfalls  Harnverhaltung  mit  Prostataschwellung,  ein  anderes  Mal 
Orchitis,  die,  wie  B.  nachweist,  nur  gichtischer  Natur  gewesen  sein  können. 
Ref.  hat  einen  ähnlichen  Fall  beobachtet:  ein  in  den  fünfziger  Jahren  stehen¬ 
der  Herr,  der  seit  langer  Zeit  an  Gicht  und  gelegentlicher  leichter  alimentärer 
Glykosurie  litt,  bekam  ohne  ersichtlichen  Anlaß  —  Trauma  und  Infektion 
ausgeschlossen  —  eine  Epididymitis  und  Orchitis,  die  etwa  3  Wochen  an¬ 
hielt  und  unter  Salizylgebrauch  und  Bettruhe  ausheilte. 

F.  von  den  Velden. 


Die  Serumbehandlung  der  epidemischen  Zerebrospinalmeningitis. 

Im  Oktoberheft  des  St.  Paul  med.  journ.  bespricht  Ramsey  drei  Arbeiten, 
die  alle  demselben  in  der  Überschrift  genannten  Gegenstand  betreffen.  Diese 
Arbeiten  sind:  1.  Die  Serumbehandlung  der  epidemischen  Zerebrospinalmenin¬ 
gitis  auf  Grund  einer  Reihe  von  40  erfolgreichen  Fällen  von  Charles  Hunter 
Dünn,  Boston  Journal  A.  M.  A.  4.  Juli  1908.  2.  Behandlung  der  Meningo- 
kokken-Meningitis  mit  dem  Fl  exn  er -Serum.  Bericht  über  Fälle.  Von  Frank, 
S.  Churchill,  Chikagoer  Journal  A.  M.  A.  4.  Juli  1908.  3.  Analyse  von 
400  mit  Antimeningitisserum  behandelten  Fällen  von  epidemischer  Meningitis. 
Von  Simon  Flexner  und  James  Jobling,  New-York.  Journal  A.  M.  A. 
25.  Juli  1908.  Dünn  erzielte  mit  Injektionen  des  Flex ner’schen  Serums  in 


32 


Referate  und  Besprechungen. 


den  Zerebrospinalkanal  77,5%  Heilungen  bei  einer  Mortalität  von  22.5%. 
Sobald  ein  Fall  verdächtig  und  die  durch  Lumbalpunktion  gewonnene  Flüssig¬ 
keit  trübe  war,  wurde  ohne  weiteres  sofort  injiziert.  War  sie  klar,  so  wurde 
erst  auf  Diplokokken  untersucht.  Von  den  31  Geheilten  blieb  einer  taub, 
einer  taub  und  blind.  Churdhill  berichtet  über  11  mit  Serum  behandelte 
Fälle  mit  7  Genesungen.  Von  den  vier  tödlich  verlaufenen  Fällen  zeigten 
nur  zwei  Meningokokken,  und  von  diesen  zwei  war  einer  foudroyant,  einer 
kam  moribund  ins  Hospital.  Die  von  Flexner  selbst  und  Jobling  berichteten 
Fälle  verteilen  sich  auf  Kanada,  die  Vereinigten  Staaten  und  Groß-Britannien. 
Ihre  Statistik  basiert  nur  auf  positiv-bakteriologisch  untersuchten  Fällen, 
im  ganzen  393  mit  295  Genesungen  =  75%  und  98  Todesfällen  =  25%.  Das 
jüngste  genesene  Kind  war  einen  Monat  alt,  die  größte  Mortalität  zeigte  das 
Alter  über  20  Jahre.  Nach  den  Injektionen  veränderte  sich  Aussehen  und 
Zahl  der  Diplokokken,  letztere  bis  zum  Verschwinden.  Die  früher  häufige 
Komplikation:  Taubheit,  trat  nur  in  einer  kleinen  Anzahl  der  günstig  ver¬ 
laufenen  Fälle  .  auf.  Peltzer. 


Einheimische  Malaria  in  Leipzig. 

(Dr.  Trautmann,  Assistent  am  Hygienischen  Institut  in  Leipzig.  Münchener  med. 

Wochenschr.,  Nr.  41,  1908.) 

Trautmann  berichtet  über  2  Fälle  von  Malaria,  bei  Leuten,  die  nie 
über  die  Grenzen  von  Leipzig  hinausgekommen  sind.  Es  handelt  sich,  wie 
aus  dem  Blutpräparat  hervorgeht,  um  Tertianaparasiten.  Die  Infektion  er¬ 
folgte  gleichzeitig,  die  Quelle  ist  bisher  unentdeckt  geblieben.  Bemerkenswert 
ist  aber,  daß  um  die  gleiche  Zeit  Anophelesmücken  in  der  Gegend  gefunden 
wurden.  F.  Walther. 


Kinderheilkunde  und  Säuglingsernährung. 

Die  Ätiologie  des  Keuchhustens. 

(N.  Klimenko.  Zentralbl.  für  Bakt.,  Bd.  48,  H.  1.) 

Verfasser  benutzte  zur  Züchtung  des  Keuchhustenerregers  Agarplatten, 
die  er  mit  defibriniertem  Hundeblut  beschickte.  Er  konnte  aus  dem  Aus¬ 
wurfe  aller  Kranken  der  ersten  Woche  Bor  det-Gengou’sche  Stäbchen  züch¬ 
ten.  Auch  gelang  ihm  der  Nachweis  aus  dem  Blute  des  rechten  Vorhofes  des 
Herzens  und  aus  katarrhalischen  Lungenherden.  Verfasser  bespricht  dann 
das  Wachstum  des  Mikroorganismus  auf  den  verschiedenartigsten  Nährböden 
und  seine  Färbbarkeit.  —  Den  gewöhnlichen  Versuchstieren  ist  das  Bordet- 
Gengou’schi  Stäbchen  wenig1  gefährlich.  Einführung  eines  geringen  Teiles 
einer  Blutagarkultur  in  die  vordere  Augenkammer  eines  Kaninchens  ergab 
Trübung  der  Hornhaut.  Die  Methode  der  Komplementablenkung  mit  dem 
Blutserum  eines  vom  Keuchhusten  Genesenen  und  den  Kulturen  des  Stäb¬ 
chens  soll  positiv  ausfallen. 

Die  experimentellen  Versuche  wurden  folgendermaßen  gemacht:  In  NaCl- 
Lösung  auf  geschwemmte  Kulturen  wurden  mittels  der  Pravaz’schen  Spritze 
in  die  Luftröhre  oder  vermittels  der  Fränkel’schen  Kehlkopf  spritze  injiziert. 

Ein  3  Monate  altes  Lamm  und  ein  2  Monate  altes  Ferkel  erwiesen 
sich  für  den  Keuchhustenbazillus  nur  bedingt  empfänglich.  Erfolgreicher 
waren  Versuche  an  Affen:  5  Affen  wurden  künstlich  infiziert  und  zwei  in- 
•  fizierten  sich  selbst  von  den  kranken  Nachbarn.  6  Affen  bekamen  einen 
bellenden  Husten.  Bei  allen  Tieren  wurde  das  Bor  deit-Gengou’sche  Stäb¬ 
chen  nachgewiesen.  Schließlich  wurden  noch  zwei  amerikanische  Affen  in¬ 
fiziert.  Beide  erkrankten  6  Tage  nach  der  Infektion.  Das  Männchen  hustete 
5  Tage  und  wurde  gesund.  Das  Weibchen  bekam  erst  am  10.  Tage  Husten  und 
starb  nach  36  Tagen.  Auch  hier  wurde  der  Mikroorganismus  nachgewiesen. 


Referate  und  Besprechungen. 


Aus  diesen  Experimenten  mit  Affen  geht  hervor,  daß  die  Infektion 
mit  Keuchhusten  gelingt ;  die  Erkrankung  verläuft  aber  in  den  meisten 
Fällen  abortiv. 

Verf.  machte  dann  weitere  Versuche  an  Hunden.  Drei  infizierte  aus¬ 
gewachsene  Hunde  blieben  gesund-;  nach  der  Tötung  ließ  sich  bei  keinem  das 
Bor det-Gengou’sche  Stäbchen  nach  weisen.  Bei  einem  1  Jahr  alten  Hunde, 
der  nach  der  Infektion  augenscheinlich  gesund  blieb,  fand  man  nach  der 
Tötung  im  Luftröhrenschleim  eine  Reinkultur  des  Keuchhustenerregers.  An 
48  jungen  Hunden  wurden  weitere  Versuche  angestellt,  die  alle  ein  positives 
Resultat  lieferten.  Es  traten  neben  dem  Husten  noch  auf:  Laryngitis, 
Bronchopneumonie,  Durchfall,  Ausfluß  aus  der  Nase,  Augenbindehautent¬ 
zündung.  Die  Inkubationszeit  schwankte  zwischen  2—6  Tagen. 

Dr.  Schürmann  (Düsseldorf). 


Zur  Pathologie  der  skarlatinösen  Adenitiden. 

(W.  K.  Blaeher,  Petersburg.  Allg.  Wiener  med.  Ztg.,  Nr.  38—41,  1908.) 

Nach  einleitenden  anatomischen  Vorbemerkungen,  die  sich  auf  eigene 
Experimente  und  Leichenpräparate  des  Verf.’s  beziehen  und  im  Original 
nachgelesen  werden  müssen,  bespricht  er  die  primäre  diffuse  skarlatinöse 
Halsphlegmone,  die  sich  von  dem  diphtherischen  septischen  Ödem  dadurch 
unterscheidet,  daß  sie  meist  auch  das  laterale  Halsdreieck  befällt,  während 
sie  im  Gegensatz  zu  letzterem  Prozeß  den  Gefäßsulcus  freiläßt.  Es  folgt  die 
makro-,  mikroskopische  und  bakteriologische  Beschreibung  der  „sekundären“ 
skarlatinösen  Adenitiden,  deren  Richtung  und  Verlauf  Verf.  an  seinem  Sek¬ 
tionsmaterial  z.  T.  mit  Hilfe  von  Gelatineinjektionen  studierte. 

Alles  in  allem  glaubt  er  annehmen  zu  können,  daß  die  in  den  Lymph- 
drüsen  der  Scharlachkranken  vorsichgehenden  2  Prozesse,  nämlich  der  herd¬ 
förmige  nekrotische  Prozeß,  der  in  der  Scharlachpathologie  eine  dominierende 
Rolle  spielt,  und  die  Koagulationsnekrose,  durch  2  verschiedene  Faktoren 
hervorgerufen  werden.  Während  letztere  nämlich  durch  die  Anwesenheit 
von  Streptokokken  bedingt  wird,  geht  die  erstere  ohne  deren  unmittelbaren 
Einfluß  vor  sich.  »  Esch. 


Über  einige  Beobachtungen  bei  Scharlach-Epidemien. 

(Rubens.  Berl.  klin.  Wochenschr.,  Nr.  42,  1908.) 

Verfasser  hat  eine  große  Anzahl  von  Untersuchungen  auf  Diphtherie¬ 
bazillen  bei  Scharlach  mit  negativem  Resultat  vornehmen  lassen,  auch  bei 
Fällen,  wo  sekundäre  Infektionen  die  ursprünglichen  Krankheitserreger  noch 
nicht  überwuchert  haben  konnten.  Aus  diesem  Grunde  sollte  man  von  einer 
Scharlachangina  statt  von  einer  Scharlachdiphtherie  sprechen  und  auf  die 
Injektionen  von  Diphtherie-Heilserum  verzichten.  Was  die  Scharlach-Epide¬ 
mien  betrifft,  so  kann  man  aus  der  Intensität  der  Halserkrankung  im  all¬ 
gemeinen  die  Prognose  auf  die  Schwere  der  Erkrankung  selbst  stellen.  Wichtig 
ist  jedoch  dabei,  daß  man  die  Einwirkung  der  gebildeten  Toxine  speziell  auf 
Herz  und  Nieren  für  sich  besonders  beurteilt.  Die  Scharlachangina  kann 
gerade  im  Beginn  der  Erkrankung  zu  schweren  Komplikationen  Veranlassung 
geben,  von  denen  der  Autor  namentlich  drei  hervorhebt:  Übergang  der  Ulcera 
auf  den  Kehlkopf  und  möglicherweise  Erstickung  durch  starke  Schleimbildung ; 
schwere  Phlegmonen  in  den  Submaxillardrüsen ;  lebensgefährliche  Otitiden 
durch  Fortschreiten  des  Prozesses  auf  die  Tuba  Eustachii.  Die  Therapie 
wird  daher  vor  allen  ihr  Augenmerk  auf  die  Bekämpfung  der  Angina  zu 
richten  haben,  wobei  vor  Pinselungen  nicht  dringend  genug  gewarnt  werden 
kann,  Gurgelungen  sehr  wenig  leisten  und  Auswaschen  des  Mundes  z.  B.  mit 
Perhydrollösung  sich  bei  Kindern  schlecht  durchführen  läßt. 

Dem  Autor  hat  sich  nun  seit  längerer  Zeit  das  ,,Sozojodol“-Natrium 
mit  Flor.  sulf.  aa,  mit  einem  geraden  Pulverbläser  eingeblasen,  ganz  vor- 

3 


34 


Referate  und  Besprechungen. 


züglich  bewährt.  Doch  genügt  es  nicht,  die  Einblasung  mit  diesem  Mittel, 
wie  es  vielfach  geschieht,  nur  drei-  bis  viermal  täglich  vornehmen  zu  lassen. 
Sobald  es  sich  zeigt,  daß  der  Krankheitsprozeß  einen  progredienten  Charakter 
annimmt,  ist  es  nötig,  stündlich  Tag  und  Nacht  das  Pulver  einzublasen 
und  so  lange  diese  Behandlung  fortzusetzen,  bis  die  Geschwüre  abgegrenzt 
sind  und  die  Schleimbildung  aufgehört  hat.  Mit  dieser  Methode  hat  Verf. 
äußerst  günstige  Erfolge  zu  verzeichnen  gehabt,  so  daß  selbst  in  solchen 
Fällen  Heilung  eintrat,  die  eine  ganz  ungünstige  Prognose  geboten  hatten. 

Namentlich  fiel  ins  Gewicht,  daß  die  erwähnten  Komplikationen  der 
Scharlachangina  ausblieben.  Spätere,  etwa  nach  acht  Tagen  auftretende,  wohl 
auf  dem  Wege  der  Blutbahn  entstehende  Otitiden  nahmen  einen  sehr  leichten 
Verlauf. 

Zur  Prophylaxe  der  Nierenentzündung  wird  eine  N-freie  Diät,  nament¬ 
lich  Milchdiät,  empfohlen  bei  Vermeidung  von  Alkohol  in  jeglicher  Form. 
Letzterer  ist  nur  am  Platze,  wenn  in  den  ersten  Tagen  der  Erkrankung  auf 
das  Herz  besonders  Rücksicht  genommen  werden  muß,  und  wirkt  dann  in 
großen  Dosen  vorzüglich  auf  die  Herzsymptome  und  nicht  ungünstig  auf  die 
Nieren  ein.  Neumann. 


Das  Aufstoßen  (Singultus)  der  Säuglinge. 

(G.  Lennhoff.  Med.  Klinik,  Nr.  42,  1907.) 

Zur  Beseitigung  des  Singultus  bei  Säuglingen  empfiehlt  Lennhoff  die 
Nase  des  Kindes  zu  komprimieren,  um  es  zum  Schreien  zu  bringen  und  die 
-Nase  etwas  1  Minute  verschlossen  zu  halten.  —  Bei  Erwachsenen  sah  er  bei 
hartnäckigem  Singultus  gutem  Erfolg  von  der  internen  Darreichung  von 
Menthol  in  öliger  Lösung.  R.  Stüve  (Osnabrück). 


Erfahrungen  mit  der  Finkelstein’schen  salzarmen  Kost  beim  Säuglings¬ 
ekzem,  beim  Strophulus  und  Pruritus  infantum. 

(Dr.  Bodo  Spietlioff,  Jena.  Deutsche  med.  Wochenschr.,  Nr  27,  1908.) 

Fink  eist  ein  gibt  den  Molkensalzen  die  Schuld  für  die  Entstehung 
des  Säuglingsekzems  und  bekämpft  es  durch  eine  salzarme  Kost,  womit 
er  ausgezeichnete  Erfolge  erzielt  haben  will. 

Spiethoff  hat  in  5  Fällen  die  gleiche  Therapie  angewendet,  kommt 
aber  zu  dem  Schluß,  daß  ein  direkter  Einfluß  der  Finkelstein’schen  Kost 
auf  das  Ekzem  nicht  besteht.  Seine  Ekzeme  heilten  nicht  schneller  ab  und 
rezidi vierten.  Sicher  zu  konstatieren  war  nur,  daß  der  Charakter  der  Rezidive 
nicht  so  stürmisch  und  ihre  Dauer  nicht  so  lange  anhaltend  war.  Trotzdem 
spricht  Spiethoff  dieser  Therapie  Bedeutung  zu  und  zwar  insofern,  als 
die  salzarme  Kost  für  den  Verdauungstraktus  des  Kindes  reizlos  ist  und 
infolgedessen  alle  vom  Magendarmkanal  ausgehenden  Reflexe  unterbleiben. 
Dabei  ist  sie  auch  besonders  bei  Kindern,  die  nebenbei  an  chronischen  Dyspep¬ 
sien  leiden,  geeignet.  Auch  hält  er  sie  bei  Strophulus  und  Pruritus  infantum 
für  angebracht.  F.  Walther. 


Gynäkologie  und  Geburtshilfe. 

Kürette  und  Abortbehanalung. 

(F.  Engelmann,  Dortmund.  Zentralbl.  für  Gyn.,  Nr.  85,  1908.) 

Die  alte,  immer  und  immer  wieder  ventilierte  Frage,  ob  der  Abort 
mit  der  Kürette  zu  erledigen  ist,  hat  Verf.  durch  eine  Rückfrage  bei  60  Ärzten 
zu  lösen  versucht;  von  54  sind  verwertbare  Angaben  zugegangen.  37  sind 
unbedingte,  9  bedingte  Anhänger  der  Kürette.  Nur  ein  kleiner  Bruchteil 
verhält  sich  ablehnend. 


Referate  und  Besprechungen. 


35 


Diese  Wertschätzung  der  Kürette  von  seiten  der  Praktiker  ist  gewiß 
überraschend ;  andererseits  kann  sie  aber  nicht  als  Beweismittel  der  Bedeutung 
der  Kürette  angesprochen  werden.  Daß  die  Kürette  in  der  Hand  des  geübten 
Arztes  ein  vortreffliches  Mittel  zur  Erledigung  des  Abortes  ist  (aber  gewiß 
nicht  der  ersten  zwei  Monate,  in  denen  wir  bei  rationellem  expektativem  Ver¬ 
halten  überhaupt  nicht  in  den  Uterus  einzugehen  brauchen !  Ref.),  ist  längst 
bekannt ;  es  ist  aber  sicher  richtig,  vor  ihrem  allgemeinen  Gebrauch  nach¬ 
drücklich  zu  warnen.  Das  beweist  doch  die  Kasuistik  der  Uterusperforationen, 
zumal  wenn  man  erwägt,  daß  diese  Fälle  sicher  nur  einen  Bruchteil  der 
tatsächlich  vorkommenden  Fälle  umfaßt.  F.  Kayser  (Köln). 


Eine  neue  Methode  der  Extirpation  doppelseitig  erkrankter  Adnexe. 

(O.  Beuttner,  Genf.  Zentralbl.  für  Gyn.,  Nr.  32,  1908.) 

Verf.  beschreibt  eine  neue  Methode  zur  Exstirpation  der  erkrankten 
Adnexe,  welche  im  wesentlichen  darauf  hinausläuft,  die  Exstirpation  der 
Adnexe  von  innen  nach  außen,  welche  in  technischer  Beziehung  erfahrungs¬ 
gemäß  Vorteile  bietet,  durchzuführen. 

Der  Uterus  wird  hinten  und  vorn  mit  einer  Kugelzange  gefaßt ;  zwischen 
den  Zangen  wird  ein  keilförmiges  Stück  des  Uterusfundus  in  transveraler 
Richtung  Umschnitten.  Der  Schnitt  setzt  sich  beiderseits  auf  das  Lig.  lat. 
fort,  aus  dem  nach  Exstirpation  des  Uteruskeiles  die  erkrankten  Adnexe 
mit  den  Fingern  ausgeschält  werden.  Nebenbei  hat  die  keilförmige  Exstir¬ 
pation  des  Corpus  uteri  den  Vorzug,  eine  bestehende  chronische  Metritis 
günstig  zu  beeinflussen.  Diese  Tatsache  ist  zuerst  von  Dührs;sen  nach¬ 
drücklich  betont  worden;  er  empfiehlt  geradezu  die  Keilresektion  des  Corpus 
uteri  als  zweckmäßige  Behandlungsmethode  der  chronischen  Metritis. 

F.  Kayser  (Köln). 


Hyoscin-Morphin  in  der  Geburtshilfe. 

(B.  H.  Ogden,  St.  Paul,  Minn.  The  St.  Paul  med.  journ.,  S  388,  1908.) 

Während  0.  in  der  Chirurgie  mit  Vorliebe  Äther  zur  Narkose  an¬ 

wendet,  hat  er  in  der  Geburtshilfe  bis  jetzt  Chloroform  vorgezogen,  dabei 
jedoch  immer  nach  einem  anderen  Anästhetikum  verlangt,  weil  Chloroform 
erstens  die  Uteruskontraktionen  verlangsamt  und  sodann,  weil  es  nicht  rat¬ 
sam  ist,  unter  Umständen,  namentlich  bei  Erstgebärenden,  lange  Zeit  Chloro¬ 
form  zu  geben,  Chloralhydrat  und  Morphium,  aber  seinen  Erwartungen  nicht 
völlig  entsprach.  (0.  ist  ein  Anhänger  der  Anästhesierung,  um  den  Gebären¬ 
den  Schmerzen  zu  ersparen.)  So  kam  er  auf  die  von  der  Abbott  Älkaloid- 
Kompagnie  hergestellten  Morphin-Hyoscin-Tabletten  (Morph,  sulph.  1/4  Gran, 
Hyoscin-Hydrobromat  1/100  Gran,  Cactin  1/67  Gran),  denen  er  sich  um 
so  lieber  zuwandte,  als  er  noch  keine  Erfahrungen,  über  Skopolamin  hatte, 

von  dem  übrigens  spätere  Untersuchungen  ergaben,  daß  es,  wenn  rein,  die¬ 

selbe  chemische  Formel  hat  wie  Hyoscin,  unrein  dagegen  unzuverlässig  und 
gefährlich  ist.  Seine  Experimente  mit  den  Tabletten  datierten  seit  Juli  1906. 

In  einem  Fall  von  schmerzhaften  Wehen  gab  er  die  erste  Tablette 
hypodermatisch  mit  entschiedenem  Erfolg,  nach  je  2  Stunden  die  zweite 
und  dritte.  —  Die  Entbundene  hatte  kaum  eine  Erinnerung  an  ihre  lange 
Geburtsarbeit,  aber  das  Kind  atmete  schlecht,  offenbar  unter  dem  Einfluß 
von  Morphium.  Seitdem  hat  er  nie  mehr  3  Tabletten  gegeben  und,  da  ähn¬ 
liche  Erfahrungen  auch  anderweit  gemacht  wurden,  es  namentlich  gegen 
Ende  der  Geburtsarbeit  vermieden,  hier  vielmehr,  wenn  nötig,  zum  Chloro¬ 
form  zurückgegriffen.  Von  anderer  Seite  (Dr.  Gauss)  wird  geraten,  Hyoscin 
ohne  Morphium  zu  geben,  namentlich  dann,  wenn  die  Entbindung  nahe  be¬ 
vorsteht.  0.  selbst  verfährt  seitdem  so,  daß  er  der  Kreißenden  ein  Familien¬ 
mitglied  zeigt.  Erinnert  sie  sich  dessen,  nach  einer  halben  Stunde,  so  wird 
die  Gabe  (Hyoscin-Morphin)  wiederholt.  Seitdem  hat  O.  ebenso  wie  sein 
Kollege  Skinner,  in  ungefähr  30  Fällen  keine  Asphyxie  beim  Kinde,  und 

3* 


36 


Referate  und  Besprechungen. 


auch  keine  üblen  Folgen  bei  der  Mutter  mehr  gesehen.  Alles  in  allem  emp¬ 
fiehlt  er  das  Mittel  schließlich  dringend  in  Fällen  langdauernder  schwerer 
Geburtsarbeit,  wo  es  dem  Geburtshelfer  oft  schwer  fällt,  die  Hände  davon 
zu  lassen,  und  besonders  in  der  Dilatationsperiode,  wenn  hier  die  Schmerzen 
gelindert  werden  müssen.  Auch  in  der  zweiten  Periode  tut  es  gute  Dienste, 
es  sollte  aber,  wegen  Gefahr  für  das  Kind,  nicht  mehr  gegeben  werden, 
wenn  der  Kopf  durch  den  Damm  ist.  Solche  Fälle  beendet  O.  mit  Chloroform. 

Peltzer. 


Einfache  Therapie  bei  einer  Vaginofixationsgeburt. 

(E.  Schweder,  Königsberg.  Zentralbl.  für  Gyn.,  Nr.  84,  1908.) 

Bei  einer  36jähr.  Patientin,  bei  welcher  vor  1 1/4  Jahren  eine  Vagino¬ 
fixation  vorgenommen  war,  zeigte  sich  4  Stunden  nach  Wehenbeginn,  daß 
der  Muttermund  nicht  zu  erreichen  war.  Er  war,  wie  nach  Einleitung  der 
Narkose  und  bei  Einführung  der  ganzen  Hand  sich  konstatieren  ließ,  nach 
links  hinten  oberhalb  des  Promontoriums  abgewichen ;  über  ihm  stand  der 
kindliche  Kopf.  Verf.  führte  die  halbe  Hand  durch  den  querspaltförmigen, 
teilweise  erweiterten  Muttermund  ein  und  erreichte  durch  vorsichtigen  Zug 
in  der  Richtung  nach  vorn  unten,  daß  der  kindliche  Kopf  in  das  Becken 
eintrat ;  nach  mehrfachen  Muttermundsinzisionen  wurde  das  Kind,  welches 
sich  anscheinend  in  Gefahr  befand,  mit  der  Zange  extrahiert.  Außer  ver¬ 
langsamter  Involution  des  Uterus  regelrechter  Wochenbettsverlauf. 

Verfasser  verspricht  sich  von  seinem,  soweit  aus  der  Literatur  ersicht¬ 
lich,  bisher  nicht  geübten  Verfahren  Nutzen  in  weiteren  Fällen;  zur  Ver¬ 
meidung  ähnlicher  Geburtshindernisse  empfiehlt  er,  die  Vaginofixation  ein 
wenig  unterhalb  der  Mitte  der  vorderen  Uteruswand  anzulegen. 

Nach  Ansicht  des  Ref.  ist  die  Empfehlung  der  Vaginofixation  des 
Verf.  schwer  zu  verstehen.  Die  mitgeteilte  Beobachtung  entspricht  durchaus 
den  zahlreichen  anderen  Fällen  von  Vaginofixationsgeburten,  deren  unheil¬ 
voller  Verlauf  nur  allzu  bekannt  ist.  Der  Umstand,  daß  es  der  guten 
operativen  Technik  des  Verf.  gelang,  durch  einen  schweren  Eingriff  Mutter 
und  Kind  vor  dauerndem  Schaden  zubewahren,  kann  doch  unmöglich  im  Sinne 
der  Empfehlung  einer  durch  bessere  Operations verfahren  ersetzbaren  Methode 
Verwertung  finden,  bei  welcher  wir  eben  nie  mit  Sicherheit  Geburtsstörungen 
zu  vermeiden  imstande  sind.  F.  Kayser  (Köln). 


Behandlung  des  Vaginalkatarrh. 

(M.  Chamerey.  Gazette  des  hopitaux,  57,  1908.) 

Die  antiseptischen  Spülungen  mit  Kaliumpermanganat,  Ruhe  und  Sitz¬ 
bäder  genügen  nicht,  um  den  raschen  Fortschritt  der  katarrhalischen  Vaginitis 
zu  hemmen,  denn  außer  der  Sepsis  müssen  noch  die  kongestiven  und  schmerz¬ 
haften  Läsionen  bekämpft  werden.  Abgesehen  von  den  Vaginalspülungen  mit 
l°/00igem  Sublimat  führt  man  in  der  Zwischenzeit  mit  Thigenol  und  Glyzerin 
zu  gleichen  Teilen  getränkte  Gazestreifen  ein,  oder  aber  auch  nach  jeder 
obenerwähnten  Spülung  ein  Suppositorium  nachstehender  Zusammensetzung: 

Thigenol . 1  gr 

Extr.  Belladom . 0,02  „ 

Glycerin . 4 

Die  Schmerzen  verschwinden  innerhalb  2 mal  24  Stunden,  man  macht  sodann 
nur  noch  2  Spülungen  und  führt  nachher  eine  30°/0ige  Thigenolovule  ein. 
Auf  diese  Weise  ist  die  Vaginitis  innerhalb  einer  Woche  geheilt.  Falls  die 
Infektion  den  Uterus  angegriffen  hat,  so  ist  dieser  mittels  eines  mit  50%igem 
Th igen olgly zerin  getränkten  Wattetampons,  welcher  alle  zwei  Tage,  zur  Be¬ 
seitigung  der  Anschwellung,  auf  den  Zervix  gelegt  wird,  zu  behandeln. 
Mit  dieser  Behandlung  verhindert  man  das  Chronischwerden  der  katarrhalen 
Vaginitis.  Neumann. 


Referate  und  Besprechungen. 


37 


Pharmakologie. 

Experimentelle  Untersuchungen  über  die  physiologische  Wirkung  des  Atoxyls. 

(A.  Cianni.  Lo  Sperimentale,  Bd.  62,  H.  3,  1908.) 

Die  Untersuchungen  des  Verf.  bezweckten  eine  genaue  physiologische 
und  toxikologische  Prüfung  des  Atoxyls ;  für  die  Versuche  wurde  stets  eine 
10°/0ige  Lösung  verwendet;  die  Untersuchungen  wurden  an  verschiedenen 
Tierarten  angestellt. 

1.  Beeinflussung  der  Blutformel  und  des  Körpergewichts  (Kaninchen). 
—  Mäßige  Dosen  (0,1 — 0,15  g  pro  die)  bewirken  eine  fortschreitende  und  nach¬ 
haltige  Erhöhung  des  Körpergewichtes.  Größere,  leicht  vergiftende  Dosen 
(0,2 — 0,4  g)  bewirken  nach  anfänglicher  Steigerung  eine  leichte  Gewichts¬ 
herabsetzung.  Mäßige  Dosen  bewirken  eine  rasche  und  starke  Vermehrung 
des  Hb  wie  der  Erythrozytenzahl ;  bei  gleichbleibender  Leukozytenzahl  nehmen 
besonders  die  großen  Mononukleären  an  Zahl  zu.  Eine  hämolytische  Wirkung 
tritt  bei  diesen  Dosen  nicht  ein,  wohl  aber  nach  längerem  Weitergeben  höherer 
Dosen  unter  raschem  Heruntergehen  von  Hb  und  Erythrozytenzahl  und  unter 
Auftreten  von  Urobilinurie. 

2.  Einwirkung  auf  das  Herz  (Kröte).  —  Hohe  Dosen  von  Atoxyl  be¬ 
wirken  eine  Art  Erschlaffung,  verbunden  mit  einer  Verlängerung  des  inter¬ 
mediären  Stadiums  zwischen  Systole  und  Diastole,  also  eine  Verlangsamung 
der  Herzbewegung  und  eine  Verminderung  der  Pulsgröße. 

3.  Einwirkung  auf  den  Blutdruck  (Kaninchen).  —  Mäßige  endovenös 
gegebene  Dosen  (0,05 — 0,1  g)  bewirken  keine  Blutdrucksenkung ;  erst  wenn 
man  auf  einmal  die  toxische  Dosis  und  dann  noch  nacheinander  kleinere  Mengen 
von  0,01  injiziert,  kommt  es  zu  einer  beträchtlichen  Senkung  des  Blutdrucks. 

4.  Einwirkung  auf  die  Atmung  (Kaninchen).  —  Auch  in  tödtlicher 
Dosis  bewirkt  das  Atoxyl  keine  depressive  Wirkung  auf  die  xAtemmuskeln, 
die  Nerven  oder  die  Zentren. 

5.  Einwirkung  auf  Kontraktilität  und  Elastizität  der  Muskeln  (rana 
esculenta).  —  Unter  der  Wirkung  toxischer  Dosen  kommt  es  nur  zu  einer 
gern) gen  lähmenden  Einwirkung  auf  die  motorischen  Nervenendigungen  und 
auf  die  Muskelfasern. 

6.  Einwirkung  auf  die  Temperatur  (Kaninchen).  —  Nur  in  toxischen 
oder  häufig  wiederholten  größeren  Dosen  bewirkt  das  Atoxyl  eine  Störung 
der  vasomotorischen  und  der  thermoregulatorischen  Zentren  und  damit  ein 
Herabgehen  der  Temperatur. 

7.  Giftigkeit  des  Atoxyls  (Kaninchen).  —  Als  toxische  Dosis  hatte 
Blume  nthal  0,4  g  pro  bei  subkutaner  und  0,2  g  pro  kg  bei  endo  venöser 
Injektion  festgestellt.  Cianni  kann  dies  im  allgemeinen  bestätigen;  schon 
wenn  jene  Dose  knapp  erreicht  war,  trat  das  für  den  Beginn  der  Atoxylver- 
giftung  typische  Zittern  der  unteren  Extremitäten  auf.  Dagegen  stimmt  er 
auf  Grund  seiner  anatomischen  Untersuchungen  nicht  mit  der  Ansicht  anderer 
Autoren  überein,  die  im  Bilde  der  Atoxylvergiftung  die  Züge  der  Arsenik- 
und  Anilinvergiftung  vermißten.  Seine  Untersuchungen  bei  Kaninchen  mit 
akuter  Vergiftung  ergaben  die  Befunde  der  Arsenvergiftung.  Auch  bei 
chronisch-vergifteten  Tieren  fand  Cianni  im  Zentralnervensystem  die  gleichen 
Veränderungen  wie  Lugaro  bei  arsenvergifteten  Hunden. 

M.  Kaufmann  (Mannheim). 


Der  überlebende  Uterus  als  Testobjekt  für  die  Wertigkeit  der  Mutter¬ 
kornpräparate. 

(E.  Kehrer.  Archiv  für  exper.  Pathol.  u.  Pharmakol.,  Bd.  58,  S.  366,  1908.) 

Zur  physiologischen  Dosierung  des  Mutterkorns  und  seiner  Präpa¬ 
rate,  deren  therapeutische  Wertigkeit  sich  durch  chemische  Methoden  nicht 
feststellen  läßt,  hat  man  meistens  auf  den  gangränerzeugenden  Bestandteil 
(Versuche  an  Hühnern,  deren  Kamm  und  Bartlappen  nach  Fütterung  von 
Mutterkorn  sich  zyanotisch  verfärben  und  brandig  werden),  seltener  auf 


88 


Referate  und  Besprechungen. 


den  Gefäß  Verengerung  und  Uteruskontraktionen  hervorrufenden  Bestandteil 
geprüft.  Neuerdings  haben  B  .arger  und  Dal  e ,  die  glauben  in  dem  von 
ihnen  dargestellten  Ergotoxin  den  wirksamen  Bestandteil  des  Mutterkorns 
gefunden  zu  haben,  die  Eigenschaft  des  Mutterkorns,  Reizungen  des  Sympathi¬ 
kus,  z.  B.  Blutgefäßverengerung  und  damit  Blutdrucksteigerung  durch  Adre¬ 
nalin,  aufzuheben,  zur  Wertigkeitsmessung  benutzt.  Ein  unter  Mutterkorn¬ 
wirkung  stehendes  Tier  reagiert  auf  nachfolgende  Adrenalininjektion  nicht 
mit  einer  Blutdrucksteigerung,  sondern  im  Gegenteil  mit  einer  Blutdruck¬ 
senkung  („Phänomen  der  vasomotorischen  Umkehrung“)-  Sie  bestimmten  die 
kleinste  Menge  Mutterkorn,  die  noch  imstande  war,  dieses  Phänomen  der 
vasomotorischen  Umkehrung  bei  Adrenalineinspritzung  hervorgerufen. 

„Die  nächstliegende  Methode  zur  Beurteilung  der  therapeutischen  Wertig¬ 
keit  der  Mutterkornpräparate  wird  immer  die  Prüfung  an  dem  Organ  sein, 
auf  das  sie  wirken  sollen.“  Kehrer  hat  im  pharmakologischen  Institut  zu 
Heidelberg  deshalb  —  analog  der  von  Magnus  am  überlebenden  Darm  ge¬ 
übten  Methode  — -  als  Testobjekt  den  exstirpierten,  überlebenden  Uterus  (Uterus¬ 
horn  einer  Katze)  in  warmer  O-haltiger  Ring  er  scher  Salzlösung  benutzt, 
der  hier,  in  bestimmter  Weise  suspendiert,  stundenlang  sich  bewegt  und  dessen 
Bewegungen  man  leicht  registrieren  kann.  Das  Horn  des  nicht  graviden 
Uterus  führt  in  Ringer’scher  Flüssigkeit  normalerweise  Bewegungen  aus., 
die  durch  Mutterkornpräparate  (der  Ringerflüssigkeit  zugesetzt)  mannigfaltig 
gesteigert  werden  können ;  das  Uterushorn  eines  graviden  Tieres  wird  so 
beeinflußt,  daß  die  Kontraktionen  nach  Intensität  oder  Zahl  zunehmen.  Die 
minimale,  am  Uterushorn  noch  wirksame  Dosis  des  frischen  wässrigen  Ex¬ 
trakts  eines  frischen  Mutterkorns  betrug  0,01  g  Mutterkornpulver  auf  200  ccm 
Ringer’scher  Flüssigkeit.  Dieser  Wert  (1:20000)  wurde  als  „Einheit“  ange¬ 
nommen  und  auf  sie  der  Wirkungswert  erstens  älterer  Mutterkornsorten, 
zweitens  verschiedener  Handelgpräparate  des  Secale  bezogen.  Naturgemäß 
können  die  für  die  Handelspräparate  gewonnenen  Zahlen  nicht  allgemein 
Giltigkeit  beanspruchen ;  immerhin  lehren  sie  die  Brauchbarkeit  der  Methodik. 

Die  Wirksamkeit  des  Mutterkorns  auf  den  Uterus  schwächte  sich  bei 
der  Aufbewahrung  der  Droge  ab,  innerhalb  eines  Jahres  um  das  7 — 8  fache, 
innerhalb  zweier  Jahre  um  etwas  das  15 fache;  der  gangränerzeugende  Be¬ 
standteil  des  Mutterkorns,  der  ein  anderer  Stoff  im  Mutterkorn  sein  muß, 
ist  nach  Kobert’s  und  Grünfeld’s  Versuchen  schon  nach  6  Monaten  völlig 
zersetzt.  Das  Mutterkornextrakt  nahm  beim  Stehen  beträchtlich  ab.  Eine 
Anzahl  Mutterkornpräparate  des  Handels  hatte  einen  hohen  Wirkungswert ; 
das  Secacornin  entsprach  z.  B.  1000  Einheiten,  war  also  schon  in  1000 fach 
kleinerer  Menge  wirksam  als  das  Mutterkornpulver.  Eine  geringe  physiolo¬ 
gische  Wertigkeit  wiesen  Cornutin,  Ergotinin,  Spasmotin  und  die  Sklerotin- 
säure  auf ;  in  ihnen  scheint  die  wirksame  Substanz  des  Secale  also  nicht  in 
reiner  Form  vorzuliegen.  Clavin  erwies  sich  wie  am  lebenden  Uterus,  so 
auch  am  überlebenden  Organ  als  unwirksam. 

Mit  Recht  weist  Kehrer  darauf  hin,  wie  wichtig  es  wäre,  die  un¬ 
gleichwertige  und  sich  in  ihrer  Wirksamkeit  allmählich  abschwächende  Droge 
durch  Präparate  konstanter  Wirksamkeit  zu  ersetzen.  Daß  dem  mensch¬ 
lichen  Uterus  bei  Operationen  entnommene  Teile  dieses  Organs  sich  in  Ringer - 
scher  Flüssigkeit  ebenfalls  bewegen,  hat  Kehrer  früher  nachgewiesen ;  nach 
ihm  ist  der  Uterus  des  Menschen  beständig  in  Bewegung. 

E.  Rost  (Berlin). 


Medikamentöse  Therapie. 

Die  heutigen  Methoden  zur  Anregung  der  Diurese. 

(Prof.  Dr.  Romberg.  Münch,  med.  Wochenschr.,  Nr.  39,  S.  2028,  1908.) 

Re  mb  erg  zählt  die  Fälle  auf,  in  welchen  die  Anregung  der  Diurese 
im  menschlichen  Körper  angezeigt  erscheint,  und  bezeichnet  die  Verbesserung 
des  Kreislaufs  und  die  Steigerung  der  Nierentätigkeit  als  die  beiden  Wege 


Referate  und  Besprechungen. 


39- 


zur  Erzeugung  einer  Diurese.  Die  Verbesserung  des  Blutkreislaufes  wird 
durch  die  verschiedensten  Herzmittel  erzielt,  unter  welchen  Digitalis  und 
Strophanthus  als  schnell  und  sicher  wirkende,  aber  auch  als  rasch  abklingende 
Mittel  obenan  stehen.  In  Fällen,  in  welchen  der  Kreislauf  durch  Ödeme  be¬ 
hindert  ist,  versagen  häufig  die  Herzmittel,  es  ist  dann  eine  Entleerung 
der  Ödeme  notwendig. 

Zur  Steigerung  der  Nierentätigkeit  sind  die  Körper  der  Purinreihe 
in  erster  Linie  geeignet.  Am  wirksamsten  ist  das  Theophyllin  (Dimethyl- 
xanthin),  besonders  bei  vorsichtig  abgestufter  Darreichung  (Beginn  mit  2 mal 
am  Tage  0,1  evtl,  bei  noch  nicht  genügendem  Erfolge  0,2  Theophyllin,  dann 
Darreichung  des  Mittels  nur  einen  Tag  um  den  andern  oder  noch  seltener, 
bei  Steigerung  der  Dosis  auf  3 — 4 mal  täglich  0,2).  Es  wird  so  bei  guter 
Diurese  jede  üble  Nebenwirkung  vermieden.  Schmiedeberg  hat  sich  sehr 
verdient  gemacht  durch  den  Nachweis,  daß  gewisse  bei  der  Darreichung 
von  Theophyllin  beobachtete  Nebenwirkungen  lediglich  Zufallserscheinungen 
waren,  welche  dem  Theophyllin  nicht  zuzurechnen  sind.  Weniger  energisch 
wirkt  Diuretin,  zu  vermeiden  ist  wegen  zu  starker  Beeinträchtigung  des  ge¬ 
samten  Kräftezustandes  Natr.  salicylicum.  Außer  diesen  Mitteln  gibt  es 
noch  eine  Reihe  pflanzlicher  Diuretika,  deren  Wirkung  aber  nicht  an  die 
Purinkörper  heranreicht.  Kalomel  ist  wegen  seiner  Reizwirkung  nur  als  Not¬ 
mittel  zu  betrachten. 

Bei  Herzschwäche  oder  bei  örtlicher  Erkrankung  der  Nieren  wird  die 
Wirkung  des  Theophyllins  oder  des  Diuretins  durch  kein  anderes  Mittel 
erreicht.  Zu  beachten  ist,  daß  die  Wirkung  der  Diurese  nicht  durch  über¬ 
mäßigen  Wassergenuß  vermindert  wird.  Auch  ist  die  Köchsalzaufnahme 
durch  die  Speisen  namentlich  bei  Nierenkrauken  zu  regulieren.  Neumann. 


Über  Veronal  und  Veronalexantheme. 

(Wolters,  Rostock.  Med.  Klinik,  Nr.  6,  1908.) 

Wolters  beschäftigt  sich  mit  den  Nebenwirkungen  des  Veronals, 
die  bei  diesem  Arzneimittel,  das  sich  auffallend  schnell  die  Gunst  der  Ärzte 
und  der  Kranken  erworben  hat,  auf  die  Dauer  ebensowenig  vermißt  werden 
wie  bei  fast  allen  irgendwie  differenten  Arzeneikörpern.  Im  besonderen  be¬ 
handelt  W.  die  bisher  noch  sehr  wenig  bekannten  Hautausschläge  im  Ge¬ 
folge  von  Veronaldarreichung  —  Veronalexantheme.  Es  werden  darüber  ein¬ 
zelne  spärliche  Angaben  aus  der  Literatur  zusammengestellt,  in  denen  außer¬ 
dem  noch  eine  genauere  Beschreibung  der  Art  des  Ausschlages  meist  ver¬ 
mißt  wird.  Zwei  eigene  Fälle  werden  dann  genauer  mitgeteilt ;  der  eine  der¬ 
selben  war  insofern  noch  besonders  bemerkenswert,  als  das  Exanthem  (in 
diesem  Falle  Scarlatina-ähnlich)  auftrat,  nachdem  von  dem  Kranken  an  sechs 
Abenden  nach  der  Reihe  je  0,5  g  Veronal  genommen  worden  war,  daß  es  aber 
picht  'wiederkehrte  bei  späterer  vereinzelt  genommener  gleicher  Gabe.  — 
Aus  der  Gesamtheit  der  nach  Veronalgebrauch  beobachteten  Exantheme  geht 
hervor,  daß  außer  einfacher,  diffuser  und  fleckenweiser  Hautröte,  rnasern- 
und  scharlachähnlichen  Erscheinungen,  auch  knötchenförmige  Eruptionen 
Vorkommen,  als  deren  Extrem  eine  von  einen  anderen  Autor  beobach¬ 
tete  pemphigusähnliche  Eruption  angesehen  werden  muß.  Die  Ausschläge 
haben  die  Eigentümlichkeit  stark  zu  jucken,  was  für  die  Differential¬ 
diagnose  von  Bedeutung  sein  kann.  —  Zur  Vermeidung  dieser  und  aller 
sonstigen  unliebsamen  Nebenwirkungen  des  Veronals  empfiehlt  es  sich,  die 
Dosis  von  0,5  im  Einzelfalle  nicht  zu  überschreiten,  bei  Frauen  die  im  allge¬ 
meinen  gegen  das  Mittel  empfindlicher  zu  sein  scheinen,  die  Einzeldosis 
eher  noch  geringer  (0,3)  zu  wählen.  Sehr  bewährt  hat  sich  die  Kombination 
kleiner  Veronalgaben  mit  Morphium  in  kleinen  Dosen ;  in  dieser  Kombination 
vermag  das  Veronal  auch  die  schmerzhaften  Erkrankungen,  nach  Operationen 
usw.  einen  ruhigen  Schlaf  herbeizuführen.  R.  Stüve  (Osnabrück). 


40 


Referate  und  Besprechungen. 


Sabromin. 

Die  Anwendung  der  Bromalkalien  stößt  bei  manchen  Patienten  auf 
Schwierigkeiten.  Bekanntlich  können  große  Bromgaben,  wie  sie  z.  B.  bei 
der  Epilepsie  nötig  sind,  Gastritis,  Schnupfen,  Hautausschläge  usw.  hervor- 
rufen,  während  habitueller  Gebrauch  leicht  zum  Bromismus  führt. 

Das  von  E.  Fischer  und  v.  Mer  in  g  dargestellte  Sabromin  ist  analog' 
dem  Sajodin  konstituiert  und  es  liegt  seiner  Einführung  die  nämliche  wissen¬ 
schaftliche  Kalkulation  wie  bei  der  Empfehlung  jener  Jodfettsäureverbindung' 
zugrunde.  Die  Nebenwirkungen  werden  dadurch  vermieden,  daß  immer  nur 
kleine  Mengen  des  wirksamen  Halogens  frei  werden  und  in  den  Kreislauf 
gelangen.  Der  therapeutische  Effekt  ist  aber  gleichwohl  nicht  geringer  als 
derjenige  der  Brom-  bezw.  Jodalkalien,  weil  die  kontinuierliche  Anreicherung' 
des  Blutes  mit  kleineren  Halogenmengen  mit  einer  langsameren  Ausschei¬ 
dung  der  wirksamen  Substanz  Hand  in  Hand  geht.  Mit  der  Fischer-Mering- 
schen  Brom-  bezw.  Jodfettsäure  läßt  sich  also  eine  länger  andauernde  Wirkung 
erzielen,  ohne  daß  Nebensymptome  auftreten.  (Fälle  von  Idiosynkrasie  natür¬ 
lich  ausgenommen !) 

In  chemischer  Hinsicht  ist  Sabromin  ,,Dibrom b ehensaures  Kalzium“,, 
ein  geschmack-  und  geruchfreies  Pulver  von  neutraler  Reaktion,  un¬ 
löslich  in  Wasser  und  Alkohol  und  Äther.  Vor  Licht  geschützt  auf  bewahrt 
ist  es  unverändert  haltbar.  Es  enthält  ca.  29°/o  Brom  und  3,8  %  Kalzium. 

Pharmakologische  Versuche  haben  ergaben,  daß  Sabromin  so  gut  wie 
ungiftig  ist.  Mittelgroße  Hunde  vertragen  Dosen  von  10  g  ohne  irgend  welche 
Intoxikationserscheinungen  zu  zeigen. 

Im  sauren  Magensaft  wird  das  Kalzium  des  Sabromins  in  Chlorkalzium 
umgesetzt.  Die  übrigbleibende  Dibrombehensäure  verhält  sich  der  Magen¬ 
schleimhaut  gegenüber  indifferent  und  wird  vom  Darm  aus  resorbiert. 

Nach  dem  Gesagten  liegen  die  Vorzüge  des  Sabromins  vor  den  üblichen 
Brompräparaten  auf  der  Hand.  Das  Mittel  hat:,  wie  die  klinischen  Erfahrungen 
zeigen,  denn  auch  voll  den  Erwartungen  entsprochen. 

Dosierung:  Man  gibt  1 — 2  g  ein  bis  dreimal  täglich  ca.  1  Stunde 
nach  dem  Essen,  am  besten  in  Form  der  Tabletten  ä  0,5  g,  die  man  zer¬ 
kauen  läßt. 

Indikationen:  Hysterie,  Neurasthenie,  leichte  nervöse  Erregungszu¬ 
stände  mit  labiler  Stimmung,  Herzneurosen,  Epilepsie,  Eklampsie,  Tetanie, 
Tic  (v.  Mering,  Kalischer). 

Neumann. 


Diätetik. 

Über  die  Ernährung  der  Kranken. 

(Cor net.  Progres  med.,  Nr.  33,  S.  403 — 406,  1908. 

In  seiner  Selbstbiographie  sagt  Grillparzer:  „Die  deutsche  Bildung 
hat  das  Eigentümliche,  daß  sie  sich  gar  zu  gern  von  dem  gesunden  Urteil 
und  der  natürlichen  Empfindung  entfernt.“  Wie  viel  Mühe  haben  sich 
nicht  die  chemischen  Physiologen  gegeben  und  wie  viele  Tabellen  sind  nicht 
gedruckt  worden,  um  den  Nährwert  der  einzelnen  Nahrungsmittel  und  Speisen 
zahlenmäßig  in  Kalorien  festzulegen,  und  wie  völlig  hat  man  dabei  die  sub¬ 
jektiven  Neigungen  der  Patienten  hintangesetzt!  Zum  Glück  ist  die  Periode 
vorüber,  welche  im  Magen-Darmkanal  nur  eine  lange  chemische  Retorte  und 
in  den  Ern ährungs Vorgängen  nur  immer  gleiche  chemische  Umsetzungen  sah. 
Man  hat  wiedererkannt,  daß  diese  Faktoren  sehr  wesentlich  von  psychischen 
Faktoren  beeinflußt  werden;  aber  so  groß  war  „die  Entfernung  vom  natür¬ 
lichen  Empfinden“,  daß  dieser  'Gesichtspunkt  fast  wie  eine  Neu-Entdecküng 
anmutet. 

In  Deutschland  hat  W.  Sternberg  diese  Dinge  gebührend  beleuchtet, 
nun  folgt  ihm  jenseits  der  Vogesen  (Jornet  nach.  Es  sind  freilich  altbe¬ 
kannte  Beobachtungen,  daß  manche  Kranken  aus  Furcht  vor  Unbequemlich- 


Referate  und  Besprechungen. 


41 


keiten,  z.  B.  M  a  g  e  n  schmor  zen ,  Herzklopfen  u.  der  gl.  nicht  essen  mögen  ; 
daß  darniederliegender  Appetit  durch  hübsches  Servieren,  durch  Geruch,  durch 
freundlichen  Zuspruch  angeregt  werden  kann.  Die  Servietten,  Eßbestecke, 
Teller  usw.  müßten  blitzblank  sein,  bettlägerige  Kranke  müßten  bequem  ge¬ 
lagert  werden  oder  —  wenn  sie  sich  nicht  aufrichten  könnten  — -  mit  Schnabel¬ 
tassen  oder  Saugröhrchen  ernährt  werden;  aber  dabei  seien  immer  lange 
Pausen  einzuschieben,  während  deren  die  Speisen  nicht  erkalten  dürften. 

Das  Essen  solle  nicht  gereicht  werden,  so  lange  die  Kranken  durch 
irgend  welche  körperliche  oder  geistige  Anstrengungen  erregt  oder  ermattet 
seien,  dahin  gehören  z.  B.  spannende  Romane,  lebhafte  Unterhaltungen,  Re¬ 
flexionen  u.  dergl.  Die  Patienten  müßten  vielmehr  ausgeruht  sich  ans  Essen 
machen,  damit  nicht  das  Kauen  vernachlässigt  werde.  Der  Magen  dürfe  nicht 
überladen  werden,  vielmehr  seien  häufig  kleine  Mahlzeiten  zu  reichen. 

Die  Temperatur  der  Gerichte  solle  um  40°  schwanken ;  zu  kalt  bezw. 
zu  heiß  schade.  Cor 'net  gibt  als  Anhaltspunkte  50°  für  schwarzen  Kaffee, 
18°  für  kalte  Milch,  16°  für  Weißweine,  13°  für  Wasser,  10°  für  Champagner. 

Der  Unterleib  dürfe  während  des  Eissens  nicht  zusammengedrückt  sein, 
weder  durch  Kleider,  noch  durch  schlechte  gebückte  Haltung. 

Solche  Winke  gibt  Cornet  in  Fülle,  und  -  wenn  er  sie  für  richtiger 
hält  als  die  chemische  Konstitution  der  Speisen  —  c’est  pourquoi  il  ne  faut 
pas  se  muntrer  trop  cruel  envers  les  malades  —  —  —  avec  la  seule  inten- 
tion  de  satisfaire  ä  des  theories  qui  n’ont  pas  toujours  raison  dans  la  pra- 
tique  — ,  so  werden  ihm  darin  gewiß  nicht  wenige  beistimmen. 

Buttersack  (Berlin). 


Ist  Überernährung  der  Tuberkulösen  zweckmäßig? 

(Boureille.  Gaz.  med.  de  Paris,  Nr.  23  vom  15. / 10.  1908.) 


Regierungen,  Moden,  Glaubenssätze  kommen  und  gehen.  Sie  stehen 
am  sichersten,  solange  sie  nicht  diskutiert  werden ;  der  erste,  noch  so.  schüch¬ 
terne  Zweifel  ist  der  erste  Tag  des  Verfalls.  —  So  scheint  auch  in  der 
Tuberkulose-Therapie  das  Prinzip  der  Überernährung  ins  Wanken  zu  kom¬ 
men,  und  das:  ,, Anathema  sit“  schreckt  nicht  mehr  jeden  Ungläubigen. 
Jedenfalls  nicht  den  Dr.  Boureille,  der  —  gestützt  auf  die  Mitteilungen 
vieler  Kollegen  —  sich  nicht  scheut,  die  Überernährung  nicht  allein  für 
überflüssig,  sondern  direkt  für  schädlich  zu  erklären.  Man  ist  freilich  stolz 
auf  die  Gewichtszunahme  in  den  Sanatorien ;  aber :  c’est  affaire  d’engraisse- 
ment,  et  non  pas  de  guerison.  Andererseits  ziehe  die  Überlastung  des  Orga¬ 
nismus  mit  nicht  verwertbarem  Material  Störungen  im  Stoffwechsel,  Gicht, 
Diabetes.  Steinbildung  in  Niere  und  Gallenblase,  in  der  Leber  und  im 
Darmtraktus  nach  sich. 

Mag  das  letztere  auch  übertrieben  sein,  so  ist  es  doch  vielleicht  gut, 
wenn  B.  mit  dem  Satz :  „l’alimentation  sera  affaire  individuelle,  un  peu 
de  hon  sens  suffira“  sich  gegen  die  nach  Bürokratismus  schmeckenden  Diät¬ 
vorschriften  auf  lehnt  und  einen  Gedanken  wieder  auf  frischt,  den  schon 
Hippokrates  lehrte:  3st  ouv  7ipca  T7  v  r,Xix:7]v  xa't  xrjv  topr)v  xa'i  xo  e9o;  xa\  T7]v 
yo ' prjv  x ai  ra  stosa  xa  Staxr'jxaxa  7rotst?9ac.  (Man  muß  die  Lebensweise  nach  Alter, 
Jahreszeit,  Gewohnheit,  Landstrich  und  Körperkonstitution  einrichten.  nspi 
uytsivr,?.  Kap.  II.)  Buttersack  (Berlin). 


Zur  Ernährung  der  Diabetiker. 

(M  o  rieh  au-  Be  auch  an  t.  Progr.  med.,  Nr.  43,  S.  518,  1908.) 

Die  verständige  Arbeit  des  Arztes  von  Poitbers  kommt  zu  diesen 
Resultaten :  Die  Glykosurie  hängt  nicht  allein  von  den  Kohlehydraten  ab, 
sondern  auch  von  den  Eiweißkörpern,  und  zwar  besteht  da  ein  ausgesproche¬ 
ner  Parallelismus. 

Entgegen  der  landläufigen  Ansicht  muß  die  Nahrungsaufnahme  des 
Diabetikers  unter  der  normalen  bleiben.  Der  Diabetiker  soll  wenig  essen. 


42 


Bücherschgu. 


Der  N- Verbrauch  ist  bei  solchen  Kranken  keineswegs  gesteigert ;  er 
läßt  sich,  im  Gegenteil,  mit  einem  Minimum  von  Eiweiß  im  N-Gleichge- 
wicht  halten.  0,4  g  pro  Kilo  genügen  dazu.  Pflanzeneiweiß  steigert  die 
Glykosurie  weniger  als  animalisches. 

Kohlehydrate  sind  für  den  Diabetiker  keineswegs  schädlich ;  man  darf 
eben  nur  nicht  mehr  geben  als  er  umsetzen  kann.  Wenn  man  das  Eiweiß 
durch  entsprechende  Mengen  von  Kohlehydraten  ersetzt,  würden  diese  besser 
ausgenützt;  man  muß  diese  Nahrungsstoffe  also  jeweils  im  umgekehrten 
Verhältnis  geben.  Buttersack  (Berlin). 


Bücherschau. 

Heilende  Strahlen.  Gesammelte  Aufsätze  von  Ingenieur  Friedrich 
Dessauer.  Band  II.  Würzburg  1908,  Curt  Kabitzsch.  Preis  2,50  Mk. 

Die  Aufsätze  stehen  untereinander  nur  in  losem  Zusammenhang  und 
sind  zum  Teil  bereits  an  andern  Orten  erschienen.  Nr.  1 :  Physik  im  Reiche 
der  Medizin  (Frankfurter  Zeitung  1907).  Klage  über  die  ungenügende  Vor¬ 
bildung  der  Mediziner  in  der  Physik,  zurückgeführt  auf  den  Zuschnitt 
der  physikalischen  Kollegien,  die  auf  die  praktischen  Bedürfnisse  des  künf¬ 
tigen  Arztes  keine  Rücksicht  nehmen.  Forderung  der  Angliederung  physi¬ 
kalischer  Laboratorien  an  die  Kliniken  und  der  gl.,  ähnlich  den  chemischen 
und  bakteriologischen  Instituten  dieser  Art.  (Dieser  Forderung  —  die  teil¬ 
weise  schon  erfüllt  ist  —  schließen  wir  uns  an;  die  Begründung:  ,,die  Uni¬ 
versitäten  versagen  in  dieser  Beziehung  großenteils“,  müssen  wir  bestreiten : 
an  den  meisten  Universitäten  werden  entsprechende  Kurse  und  dergl.  ange¬ 
kündigt,  wie  ein  Blick  in  die  Vorlesungsverzeichnisse  beweist.  Nr.  2.  Ziele 
der  Röntgentechnik  (I.  Röntgenkongreß  1905  in  Berlin).  Forderung  noch 
schärferer  Spezialisierung  im  Bau  von  Röntgeninstrumenten.  Diagnostische 
Apparate  sollen  möglichst  große  Differenzierung  von  Dichtigkeitsunterschieden 
gestatten;  das  Bild  wird  um  so  besser,  je  größere  Abstufungen  in  der  Pene¬ 
trationskraft  die  verfügbaren  Röntgen  strahlen  besitzen.  Therapeutische  Appa¬ 
rate  sind  um  so  besser,  je  homogener  ihre  Strahlung  ist ;  je  mehr  man  sich 
auf  die  stete  Gleichmäßigkeit  der  angewandten  Strahlen  verlassen  kann,  um 
so  gefahrloser  und  um  so  erfolgreicher  wird  die  Handhabung.  (Auch  wir 
halten  dieses  Resume  für  sehr  zutreffend.)  Nr.  3.  Strahlungsenergien  und 
Krankheiten.  (Deutsche  Revue  1905.)  Mehr  allgemeiner  Natur,  weist  am 
Schlüsse  auf  den  zu  erwartenden  Fortschritt  der  gleichmäßigen  Tiefenbestrah¬ 
lung  hin.  (Cancroide  sind  Geschwülste,  „Geschwüre“  ist  wohl  Druckfehler.) 
Die  Deutung  der  Goldsteinschen  Kanalstrahlung  als  einer  Elektronenstrah¬ 
lung  ist  nicht  allgemein  angenommen,  meist  wird  sie  als  Molekularstrahlung 
aufgefaßt.  Nr.  4.  Die  Gefahren  der  Röntgenstrahlung.  (Deutsche  Revue  1907.) 
Nr.  5.  Schutz  des  Arztes  und  des  Patienten  gegen  Schädigung  durch  Röntgen- 
und  Radiumstrahlung.  (Münchener  Medizinische  Wochenschrift  1907.)  Beide 
Artikel  stellen  die  gebräuchlichen  Schutzmaßregeln  übersichtlich  zusammen. 
Der  erstere  wendete  sich  ursprünglich  an  ein  größeres  Publikum  und  be¬ 
kämpft  in  recht  geschickter  Weise  die  übertriebene  Furcht,  die  im  Publikum 
stellenweise  herrscht.  Nr.  6.  Zur  Frage  des  Instrumentariums.  (Fortschritte 
auf  dem  Gebiete  der  Röntgen  strahlen  1905.)  Polemischer  Natur.  Nr.  7. 
Heilendes  Licht.  Die.  kurzwelligen  Lichtstrahlen  kommen  in  Betracht :  werden 
sie  ausgeschaltet,  wie  bei  Scharlach  und  Masern,  wird  die  Behandlung  eine 
passive  (der  Mediziner  würde  ,, schonende“  sagen)  genannt,  werden  sie  an¬ 
gewendet,  eine  aktive  („reizende“  nach  medizinischem  Sprachgebrauche).  Dem 
Reize  widerstehen  die  organotypischen  Zellen  Hertwig’s  lange,  während 
ihm  die  cytotypischen  rasch  erliegen.  Leider  ist  die  Wirkung  auf  die  Ober¬ 
fläche  beschränkt.  Nr.  8.  Beitrag  zur  Bestrahlung  tiefliegender  Prozesse. 
(Medizinische  Klinik  1905.)  Forderung  nach  einer  Methode,  die  cytotypischen 
Zellen  in  der  Tiefe  anzugreifen;  ohn;e  dabei  zugleich  die  Oberfläche  zu 
schädigen.  Einiges  über  die  Schwierigkeit  der  Dosierung  wegen  Mangel 
eines  entsprechenden  Meßinstrumentes;  das  Chromoradiometer  ist  nur  für 
die  Messung  der  Oberflächenwirkung  brauchbar;  eine  Schätzung  gestatten 
die  Härteskalen,  von  denen  die  Bemoost  sehe  der  Walt  ersehen  vorgezogen 
wird  (warum  ?) ;  Vorschlag,  diese  Methode  .  zu  vervollständigen  durch  die 


Bücherschau. 


43 


Messung  des  auf  einem  Fluoreszenzschirme  unter  einheitlichen  Bedingungen 
erzeugten  Lichtes  durch  ein  Photometer  nach  Boas.  Nr.  9.  Eine  neue 
Anwendung  der  Röntgenstrahlen.  Verhandlungen  der  deutschen  physika¬ 
lischen  Gesellschaft  1907.)  Die  homogene  TiefemBestrahlung  wird  erreicht 
durch  Verwendung  sehr  harter  Röhren,  die  nur  ganz  wenig  weichere  Strahlen 
aussenden,  in  sehr  großer  Entfernung.  Doch  ist  dabei  eine  Expositionszeit 
von  ca.  100  Stunden  nötig,  um  am  Chromoradiometer  die  Wirkung  von 
einer  Holzknecht-Einheit  zu  erzielen.  Die  gebräuchlichen  Röntgenröhren 
halten  diese  Beanspruchung  nicht  aus.  Dessaur  teilt  die  vom  sekundären 
Solenoid  eines  Hochspannungstransformator  herkommende  Leitung  gabelförmig 
und  betreibt  mit  jedem  Zweige  je  eine  Röntgenröhre  gleichzeitig,  in 
dem  er  durch  entgegengesetzte  Schaltung  derselben  und  entsprechend  vor¬ 
gelegte  Drosselröhren  u.  dgl.  dafür  sorgt,  daß  jede  nur  von  den  Impulsen 
gleicher  Richtung  durchflossen  wird.  Nr.  10.  Anhang :  rein  feuilletonistisch. 

von  Criegern. 


Das  Koma  diabeticum  und  seine  Behandlung.  Von  A.  Magnus-Levy. 
(Sammlung  zwangloser  Abhandlungen  aus  dem  Gebiete  der  Verdauungs¬ 
und  Stoffwechsel-Krankheiten.  I.  Band,  Heft  7.)  Halle  a.  S.,  Carl  Mar- 
hold,  Verlagshandlung,  1908.  8°.  54  S.  Einzelpreis  1,40  Mk. 

Das  Koma  diabeticum  (dyspnoische  Koma)  wird  in  dieser  kleinen  Schrift  der 
Nauny Aschen  Schule  gemäß  als  eine  Säurevergiftung  (mit  Oxybuttersäure  und 
Acetessigsäure),  als  Acidosis  aufgefaßt,  die  übrigens  als  diabetische  von  der  niclit- 
diabetischen  schon  um  ihres  ernsten,  die  Alkaleszenz  des  Blutes  gefährdenden 
Charakters  willen  streng  zu  unterscheiden  ist.  Die  wichtige  Affektion  wird  nach 
der  theoretischen  und  praktischen  Seite  durchaus  erschöpfend  besprochen.  Bezüg¬ 
lich  der  Therapie  und  Prophylaxe  wird  zur  Neutralisierung  der  oft  beträchtlichen 
Säuremengen  eindringlich  der  immer  mehr  sich  Geltung  verschaffenden  dauernden 
Alkali-Darreichung  das  Wort  geredet,  wobei  die  Gabe  des  Natrium  bicarbonicum 
sich  nach  der  Höhe  der  Aceton-  und  Acetessigsäure-Ausscheidung  zu  richten  hat. 
Die  praktisch  so  wichtige  Frage  der  Diät  beim  schweren,  immer  vom  Koma  be¬ 
drohten  Diabetes  wird  mit  den  nötigen  Anleitungen  erörtert.  Auch  für  eine  Kleinig¬ 
keit  verdient  der  Verfasser  Dank:  er  hat  den  Mut,  gut  deutsch  Kohlenhydrate  zu 
schreiben.  H.  Vierordt  (Tübingen). 

% 

Atlas  der  Syphilis  und  der  venerischen  Krankheiten  mit  einem  Grundriß 
der  Pathologie  und  Therapie  derselben.  Von  Franz  Mracek.  2.  ver¬ 
mehrte  und  verbesserte  Auflage.  Mit  81  farbigen  Tafeln  nach  Original¬ 
aquarellen  von  Maler  A.  Schmitson  und  26  schwarzen  Abbildungen. 
Lehmann’sche  medizinische  Handatlanten,  Band  VI.  München,  J.  F. 

Lehmann,  1908.  Preis  16  Mk. 

Der  leider  jüngst  verstorbene  Verfasser  hat  die  2.  Auflage  seines 
vor  10  Jahren  erschienenen  Atlas  nicht  mehr  erlebt,  aber  er  hat  sie  jm 
wesentlichen  noch  selbst  besorgt;  die  letzte  Durchsicht  hat  Herr  Schirmer 
vorgenommen.  Die  Zahl  der  Tafeln  ist  um  10  farbige  und  10  schwarze 
vermehrt,  auch  der  Text  ist  etwas  ausführlicher  gestaltet  worden ;  speziell 
sind  die  neuen  Tatsachen  über  die  Syphilis -Ätiologie,  die  Tierversuche, 
die  Serodiagnostik  auf  genommen.  Natürlich  kann  die  Besprechung  der  vene¬ 
rischen  Krankheiten  auf  200  kleinen  Druckseiten  keine  detaillierte  sein ; 
die  wesentlichsten  Punkte  sind  kurz  und  klar  wiedergegeben  —  auf  Diffe¬ 
renzen  in  den  Ansehauungen  kann  ich  hier  nicht  eingehen.  Die  Hauptsache 
sind  selbstverständlich  die  Tafeln.  Ihre  Auswahl  ist  sehr  geschickt  und 
instruktiv ;  ihre  Ausführung  hat,  das  müssen  wir  offen  gestehen,  als  der 
Atlas  das  erste  Mal  erschien,  mehr  befriedigt,  als  heute,  weil  wir  damals 
von  billigen  Atlanten  nichts  Gutes  gewohnt  waren,  während  wir  jetzt  in  dem 
Jacob  i’schen  Atlas  ein  relativ  billiges  und  dabei  ausgezeichnetes  Bilder¬ 
werk  besitzen.  Trotzdem  können  wir  viele  Abbildungen  des  sehr  wohlfeilen 
Werkes,  sowohl  von  den  alten  wie  von  den  neuen,  als  wohlgelungen  bezeichnen, 
einige  andere  wären  vielleicht  besser  durch  neue  ersetzt  worden.  Imganzen 
wird  das  Werk  dem  Praktiker,  der  nicht  viel  von  venerischen  Krankheiten 
sieht,  die  Diagnose  oft  erleichtern  können  und  dadurch  ein  wertvoller  Rat¬ 
geber  sein.  Jadassolin  (Bern). 


44 


Bücherschau. 


Nervöse  Angstzustände  und  ihre  Behandlung.  Von  Dr.  Wilhelm  Stekel. 
Mit  einem  Vorworte  von  Prof.  Dr.  Siegm.  Freud.  Urban  &  Schwarzen¬ 
berg.  315  Seiten.  Preis  8  Mk. 

Im  Jahre  1895  hat  Freud  von  der  Neurasthenie  die  „Angstneurose“ 
als  ätiologisch  einheitliches  Krankheitsbild  abgetrennt,  dessen  Ursachen  er 
in  bestimmten  aktuellen  Schädlichkeiten  des  Sexuallebens  (wie  Coitus  inter- 
ruptus,  frustrane  Erregungen)  erblickt.  Diese  Aufstellung,  von  wesentlicher 
Bedeutung  für  eine  kausale  Therapie,  gewinnt  noch  an  Wert,  wenn  man  be¬ 
denkt,  daß  die  „Angstneurose“  nicht  nur  Angst zustände  (mit  somatischen 
Krankheitserscheinungen  und  ohne  solche),  sondern  auch  gewisse  körperliche 
Störungen  ohne  Angstaffekt  umfaßt,  die  aber  nach  Ätiologie  und  therapeu¬ 
tischem  Erfolge  ihre  Zugehörigkeit  zur  „Agstneurose“  verraten.  Ungeachtet 
der  weitreichenden  Anerkennung,  die  Freuds  Anschauung  seither  gefunden, 
dürfte  doch  das  vorliegende  Buch  als  erstes  die  Erfahrungen  des  praktischen 
Arztes  über  diesen  Gegenstand  an  einer  großen  Reihe  von  Krankengeschichten 
darlegen.  Je  nachdem  der  Affekt  oder  die  körperlichen  Beschwerden  im 
Vordergründe  stehen  und  je  nach  dem  Sitze  der  letzteren,  also  je  nach  dem 
Gebiete,  wo  die  unerledigte  Sexualerregung  Störungen  hervorruft,  gliedert 
sich  das  Krankheitsbild  in  verschiedene  klinische  Typen,  die  vom  Verfasser 
eingehendst  besprochen  werden.  Seine  Erfahrungen  sind  von  großem  Interesse 
für  den  praktischen  Arzt;  dieser  lernt  durch  sie  die  sexuellen  Grundlagen 
mancher  oft  verkannten  Krankheitszustände  kennen,  damit  aber  auch  den 
Weg  zu  ihrer  Heilung.  Aus  dem  reichen  Inhalte  dieses  Abschnitts  nennen 
wir  bloß  das  Kapitel  „Schlaflosigkeit“  und  das  über  den  Pavor  nocturnus, 
um  die  engen  Beziehungen  solcher  sexualtheoretischen  Studien  zur  alltäg¬ 
lichen  Praxis  zu  kennzeichnen.  Der  zweite  Abschnitt  des  Werkes  befaßt 
sich  mit  der  Angsthysterie.  Freud  schlägt  diese  Bezeichnung  für  die  Phobien 
vor,  da  er  bei  ihrem  Zustandekommen  einen  ganz  analogen  psychischen  Mecha¬ 
nismus  am  Werke  sieht  wie  bei  der  Hysterie.  Stekel,  der  das  von  Fremd 
zur  Behandlung  (und  zugleich  Erforschung)  der  Psychoneurosen  (Hysterie, 
Zwangsneurose,  Phobien)  ausgebildete  psychoanalytische  Verfahren  in  seiner 
Praxis  übt,  macht  uns  nun  ganz  speziell  mit  den  Ergebnissen  seiner  psycho¬ 
analytischen  Kuren  an  „Angsthysterischen“  bekannt.  Er  gewährt  uns  Ein¬ 
blick  in  eine  Anzahl  sehr  interessanter  Analysen  von  Patienten  mit  Agoraphobie, 
Eisenbahnangst,  psychischer  Impotenz  usw.,  schließt  dann  ein  Kapitel  über 
Hypochondrie  an  und  führt  uns  mit  den  Analysen  zweier  Fälle  von  Melan¬ 
cholie  eigentlich  schon  ins  Gebiet  der  Psychosen,  wobei  er  der  psycholo¬ 
gischen  Richtung  zur  Erforschung  der  Geisteskrankheiten  aufs  wärmste  das 
Wort  redet.  Die  Technik  der  Psychoanalyse  wird  im  allgemeinen  Teile  ge¬ 
schildert.  Ihr  letztes  Ziel  ist  die  Auffindung  infantiler  Sexualerlebnisse, 
deren  Erinnerungsspuren  —  nach  Freud’s  Theorie  — ,  infolge  des  „Ver- 
drängungs“vorganges  im  Unbewußten  latent,  später,  unter  dem  Einflüsse 
psychischer  Konflikte  pathogen  geworden,  das  neurotische  Symptom  erzeugt 
haben,  das  eben  durch  Bewußtmachung  seiner  vergessenen  („verdrängten“) 
Grundlagen,  wodurch  die  psychische  Verarbeitung  des  Konflikts  angebahnt 
wird,  zur  Heilung  gelangt.  Das  wichtigste  Verfahren  zur  Erschließung 
des  Unbewußten  ist  die  Analyse  der  Träume,  und  Verfasser  vermittelt  uns 
denn  auch  u.  a.  die  Grundzüge  der  „Traumdeutung“.  Der  großen,  Mehrzahl 
der  Ärzte  dürfte  diese  wie  die  anderen  Theorien  Freuds  noch  völlig  fremd 
oder  höchstens  oberflächlich  bekannt  sein,  und  schon  in  diesem  Sinne  bringt 
das  vorliegende  Werk  reichlich  Neues,  geeignet,  in  hohem  Maße  Interesse 
zu  erregen  und  keineswegs  bloß  in  theoretischer  Hinsicht ;  von  unmittelbarstem 
Werte  für  den  Praktiker  sind  die  Schlußkapitel.  Sie  behandeln  außer  der 
Technik  der  Psychotherapie  die  allgemeine  Diagnostik  und  Therapie  der 
Angstzustände,  also  nicht  nur  die  kausale  auch  die  symptomatische.  Fragen 
der  Prophylaxe,  insbesondere  Nutzanwendungen  der  Freud’schen  Sexualtheorie 
auf  die  Pädagogik  der  frühesten  Kindheit  bilden  den  Schluß  dieses  reich¬ 
haltigen,  einem  Gebiete  von  höchster  Wichtigkeit  gewidmeten  Buches. 

Brecher  (Meran-Gastein). 

Ärzte  und  Patienten  mit  Röntgenstrahlen  durchleuchtet.  Von  einem 
praktischen  Arzte.  Leipzig,  Konegen,  1908.  Preis  5  Mk. 

Der  Verfasser,  der  die  Freuden  der  Praxis  gründlich  durchgekostet 
hat,  weiß  uns  mit  gutmütiger  Ironie  und  treffendem  Spott  unsere  eigenen 


Bücherschau. 


45 


Erfahrungen  in  Erinnerung  zu  bringen.  Zum.  großen  Teil  ist  das  Buch  eine 
Parentation  an  der  Leiche  des  Hausarztes.  Besonders  gelungen  ist  die  Natur¬ 
geschichte  des  Patienten  und  die  Klassifikation  der  Spezies  von  Ärzten, 
sowie  die  Kritik  des  Spezialistentums  und  der  ärztlichen  Vereine. 

Die  Denkungsart,  des  Verfassers  wird  am  besten  charakterisiert  durch 
einen  Satz,  den  er  einer  ,,bei  den  Kollegen  weniger  beliebten“  Unterart  des 
Arztes  widmet:  „Er  ist,  wenn  man  so  sagen  darf,  ein  Ehrlichkeitsfanatiker 
und  Idealist,  hat  also  zwei  Eigenschaften,  die  mit  der  Zeit  jeden  praktischen 
Arzt  zugrunde  richten.“  F.  von  den  Velden. 


Vergleichende  Volksmedizin.  Von  O.  v.  Hovorka  und  A.  Kronfeld. 

Stuttgart,  Strecker  &  Schröder. 

Von  dem  hier  schon  an  gezeigten  Werk  ist  jetzt  ein  vierter  Band  er¬ 
schienen,  der  den  Schluß  der  inneren  Medizin,  die  Chirurgie  und  einen 
Teil  der  Geburtshilfe  umfaßt.  Von  besonderem  Interesse  ist  das  Kapitel 
der  Chirurgie  und  man  wünscht  größere  Ausführlichkeit.  Eingehend  wird 
die  seit  ältesten  Zeiten  ausgeführte  Trepanation  behandelt,  der  Steinsohnitt, 
die  Kastration  u.  a.,  wobei  man  Gelegenheit  hat  zu  konstatieren,  daß  die 
Geschicklichkeit  und  Kühnheit  der  Chirurgen  der  Vorzeit  weit  größer  war 
als  man  gewöhnlich  annimmt.  Sie  waren  freilich  begünstigt  dadurch,  daß 
sie  Asepsis  so  wenig  brauchten  als  heutzutage  die  Neger,  und  daß  sie  mit 
den  primitivsten,  oder  auch  gar  keinen,  Betäubungsmitteln  auskamen. 

Warum  die  Verf.  die  Mika-  oder  Kulpi-Operation  der  Australier  (die 
Aufschlitzung  der  Harnröhre  ihrer  ganzen  Länge  nach)  nicht  als  sterilisierende 
Operation  gelten  lassen  wollen,  ist  unverständlich.  Nach  den  Mitteilungen, 
die  Bartels  (Medizin  der  Naturvölker,  Leipz.  1893,  S.  297)  darüber  zusammen¬ 
stellt,  kann  an  ihrer  Bedeutung  kaum  gezweifelt  werden. 

Ein  sehr  amüsantes  Blatt  ist  die  Seite  314,  ein  klassischer  Beweis 
dafür,  daß  in  medizinischen  Dingen  jeder  Ignorant  kompetent  ist  und  seinen 
unerbetenen  Bat  mit  Selbstgefühl  zum  besten  gibt.  F.  von  den  Velden. 


Die  Säuglings-Pflege  und  -Ernährung.  Von  Dr.  Pöplitz,  Breslau.  Ver¬ 
lag  von  Preuß  &  Junge,  Breslau. 

In  origineller  neuer  Weise  gibt  vorliegendes  Schriftchen  auf  vorgedruckte 
Fragen  den  jungen  Müttern  ausführlich  Antwort  über  eine  vernunftgemäße 
natürliche  oder  künstliche  Ernährung  ihrer  Säuglinge,  sowie  über  ihre  körper¬ 
liche  Pflege.  Die  von  der  üblichen  trocknen  Form  abweichende  Beantwortung 
der  wichtigsten  Fragen  der  Kinderstube  des  ersten  Lebensjahres  wird  ähn¬ 
lichen  Schriftchen  den  Vorzug  geben,  zumal  auch  alle  Ansichten  des  Ver¬ 
fassers  den  modernen  Errungenschaften  der  Kinderärzte  entsprechen. 

Krauße  (Leipzig). 


Die  Pflege  der  Wöchnerinnen  und  Neugeborenen.  Von  Sanitätsrat  Dr. 
Beaucamp,  Bonn.  Hauptmann.  Preis  1,50  Mk. 

Obiges  Büchlein  ist  in  fünfter  Auflage  erschienen.  Es  beginnt  mit  Be¬ 
lehrungen  über  Verantwortung  und  Stellung  der  Wochenpflegerin,  über  Anti- 
und  Asepsis  unter  detailiertester  Ausführung  der  in  Frage  kommenden  chemi¬ 
schen  Agentien.  Er  befaßt  sich  weiter  mit  der  Pflege  der  gesunden  Wöchnerin 
und  des  gesunden  Kindes,  mit  Unregelmäßigkeiten  im  Wochenbett  und  im 
Befinden  des  Kindes.  Es  schließt  mit  einem  ausführlichen  Sachregister,  das 
jede  Orientierung  aufs  schnellste  ermöglicht. 

Das  Büchlein  ist  in  jeder  Beziehung  ausgezeichnet,  paßt  sich  vorzüg¬ 
lich  dem  geistigen  Niveau  der  Pflegerinnen  an  und  hält  sich  mit  hervor¬ 
ragendem  Geschick  in  seinem  Rahmen.  In  klarster  und  fesselndster  Dar¬ 
stellung  weist  es  die  Wochenpf  leger  in  auf  ihre  Aufgaben  und  Verpflich¬ 
tungen  hin,  berücksichtigt  bis  ins  kleinste  alle  Vorkommnisse  und  enthält 
genaueste  Beschreibung  aller  technischen  Leistungen.  Und  überall  weist  Verf. 
mit  größtem  Nachdruck  darauf  hin,  daß  es  heiligste  Pflicht  der  Pflegeperson 
ist,  bei  auffallenden  und  krankhaften  Erscheinungen  bei  Mutter  und  Kind 
den  Arzt  zu  fragen.  Krauße  (Leipzig). 


46 


Bücherschau. 


Lehrbuch  der  Säuglingskrankheiten.  Von  Prof.  Finkeistein.  II.  Hälfte, 
Abteil.  I.  FischePs  Med.  Buchhandlung,  Kornfeld-Berlin. 

Der  langerwartete  II.  Teil  von  Finkeisteins  Lehrbuch  liegt  in  seiner 
ersten  Abteilung  vor  uns.  Er  umfaßt  die  Erkrankungen  der  Atmungsorgane 
in  ihren  infektiösen  und  sonstigen  Formen,  sowie  die  der  Schilddrüse  und 
Thymus.  Dann  folgt  die  Pathologie  des  Herzens.  Den  Schluß  bilden  Er¬ 
krankungen  des  Mundes,  die  Magenkrankheiten  und  die  Passagestörungen 
im  Verdauungstraktus.  Das  Buch  bietet  jedem  Interessenten  dieser  Erkran¬ 
kungen  im  ersten  Lebensjahre  unendlich  vieles,  reichste  klinische  Studien, 
glänzende  kritische  nicht  hypothetische  Beobachtungen.  Besonders  die  Er¬ 
krankungen  des  Respirationstraktus,  die  akuten  infektiösen  Katarrhe,  sind 
in  einer  bis  jetzt  einzig  dastehenden  Weise  erschöpfend  bearbeitet,  wobei 
auch  die  therapeutische  Seite,  besonders  in  physikalischer  Beziehung,  nicht 
zu  kurz  gekommen  ist.  Das  Buch  bietet  jedem,  auch  dem  Eingeweihten 
eine  reiche  Fülle  von  Anregungen  und  Belehrungen,  es  darf  nirgends  fehlen, 
wo  Informationen  über  die  Erkrankungen  des  ersten  Lebensalters  gesucht 
werden.  Die  Literaturangaben  halten  sich  unter  kritischer  W  ürdigung  der 
wichtigsten  in  angemessenen  Grenzen.  Doch  wozu  W  orte  der  Anerkennung 
über  ein  Buch  von  Säuglingskrankheiten,  das  von  Finkeistein  ausgeht.  Alle 
Interessenten  dieses  Gebietes  müssen  für  eine  zusammenfassende  Veröffent¬ 
lichung  dankbar  sein,  wenn  sie  dieselbe  indirekt  aus  Finkei  stein’s  Munde 
erfahren.  Krauße  (Leipzig). 

Blutarmut  und  Bleichsucht,  Wesen,  Ursachen  und  Bekämpfung.  Von 

K.  B.  Martin.  (Der  Arzt  als  Erzieher,  Heft  31.)  München  1908. 
Verlag  der  „Ärztlichen  Rundschau“  (Otto  Gmelin).  8°.  50  Seiten. 

Preis  1,40  Mk. 

Das  Schriftchen  ist  vor  allem  von  dem  Gedanken  durchdrungen,  daß 
der  Blutarmut  oder,  wie  vorgeschlagen  wird,  der  ,,  Blut  Verarmung“  und  Chlorose 
bei  rechtzeitigem  Eingreifen  wirksam  vorgebeugt  werden  könne.  Auch  die 
wichtigeren  theoretischen  Anschauungen  über  die  Bleichsucht  werden  vorge¬ 
tragen,  einzelne,  wie  die  Noorden’sche  Autointoxikation  durch  innere  Sekre¬ 
tion  von  seiten  des  Eierstocks,  zurückgewiesen.  Bei  der  (prophylaktischen) 
Therapie,  die  mit  Recht  die  Eisenmedikation  nicht  in  den  Vordergrund  stellt, 
welche  „auf  keinen  Fäll  jahrelange  hygienische  Sünden  und  Laster  gut¬ 
machen  kann“,  wird  der  Ernährung  die  erste  Stelle  zugewiesen,  im  allgemeinen 
für  mehr  vegetarische  Diät  eingetreten,  die  sog.  Abhärtung,  selbst  das  Spiel 
der  Kinder  als  ,, Ganzwilde  in  unschuldiger  Nacktheit“,  ferner  auch  kalter 
Guß  auf  die  Glieder  empfohlen.  Wenn  man  auch  mit  dem  Verfasser  nicht  in 
allen  Dingen  übereinstimmen  kann,  so  darf  ihm  doch  billiger  Weise  die 
Anerkennung  nicht  versagt  werden,  daß  sein  Büchlein  manches  Brauchbare 
und  Beherzigenswerte  enthält.  H.  Vierordt  (Tübingen). 

Handbuch  der  Röntgentherapie  nebst  Anhang:  Die  Radium-Therapie. 

Von  Josef  Wetterer.  Verlag  von  Otto  Nemnich.  Preis  geb.  27  Mk. 

So  recht  ein  Beweis  für  die  schnelle  und  intensive  Arbeit  unserer  Wissen¬ 
schaft  in  jetziger  Zeit  ist  das  vorliegende  Buch.  Unwillkürlich  ruft  man  sich  nach 
der  Lektüre  desselben  ins  Gedächtnis  zurück,  daß  erst  gerade  18  Jahre  seit  der 
genialen  Entdeckung  Röntgens  vergangen  sind,  12  Jahre  seit  Begründung  der 
Röntgentherapie  durch  Freund.  Und  nun  liegt  ein  Werk  vor,  daß  sich  ausschließlich 
mit  diesem  letztgenannten  Zweige  der  Röntgenologie  befaßt  in  einem  Umfange 
von  über  800  Seiten  und  mit  einem  Literaturnachweis  von  2016  Nummern.  Es  sei 
gleich  hier  betont,  daß  dieses  Verzeichnis  allein  das  Buch  schon  wertvoll  macht, 
denn  es  ermöglicht  dem,  der  sich  über  ein  bestimmtes  Kapitel  der  Röntgentherapie 
orientieren  will,  ein  schnelles  Auffinden  der  einschlägigen  Publikationen. 

Überhaupt  zeugt  das  ganze  Buch  Seite  für  Seite  von  einer  großen  Gründlich¬ 
keit  und  Erfahrung  des  Verfassers,  dessen  Ausführungen  man  gerne  folgt.  Sehr 
klar  und  erschöpfend  ist  auch  der  physikalisch -technische  Teil,  der  dem  Buche 
vorangeht,  gehalten.  Wenn  hier  eine  kleine  Ausstellung  erlaubt  ist,  so  bezieht  sich 
dieselbe  auf  die  an  und  für  sich  allerdings  vorzüglich  ausgeführten  farbigen  Tafeln. 
Ref.  ist  nämlich  der  Meinung,  daß  jeder  der  sich  therapeutisch  mit  den  Rönt¬ 
genstrahlen  beschäftigt,  auch  ohne  eines  Bildes  zu  bedürfen,  eine  weiche  von 
einer  harten  Röhre  stets  sicher  wird  unterscheiden  können.  Außerdem  wird  er 


Bücherschau. 


47 


ja  auch  die  dosimetrische  Methode  so  wie  so  nicht  entbehren  können,  ist  doch,  wie 
Sommer  sagt  (Röntgen-Kalender  1908)  das  therapeutische  Arbeiten  ohne  eine 
solche  direkt  als  Kunstfehler  zu  betrachten.  Dagegen  sind  die  dem  thera¬ 
peutischen  Teil  beigefügten  Tafeln  äußerst  genau  und  instruktiv  und  ver¬ 
dienen  uneingeschränktes  Lob,  das  auch  dem  Verlag  ausgesprochen  werden  muß. 

Jedem  Röntgentherapeuten  wird  sicher  durch  die  Lektüre  des  Buches 
manche  unangenehme  Erfahrung  in  der  Praxis  erspart  bleiben,  und  es  dürfte 
kaum  eine  Frage  geben,  auf  die  ihm  der  „Wetterer“  nicht  erschöpfend  bis 
auf  die  neuesten  Forschungen  wird  Auskunft  geben  können.  R. 


Wir  wurden  um  Aufnahme  nachstehender  Erklärung  ersucht: 

In  verschiedenen  medizinischen  und  Tageszeitungen  ist  in  der  letzten  Zeit 
eine  Reihe  von  Artikeln  veröffentlicht  worden,  welche  das  Wesen  der  sogenannten 
.  Soldschreiber“  über  medizinische  Präparate  beleuchten.  Die  Abfassung  dieser 
Artikel  ist  teilweise  geeignet,  bei  Ärzten  und  dem  Publikum  irrige  Auffassungen 
über  die  Art  der  Einführung  neuer  Heilmittel  zu  erwecken.  Der  „Verband  dei¬ 
ch  emisch-pharmazeutischen  Großindustrie“  sieht  sich  deßhalb  zu  folgender 
Erklärung  veranlaßt: 

Der  „Verband“  bekämpft  das  Soldschreiberwesen  auf  das  Energischste  und 
hat  die  gleichen  Bestrebungen  der  „freien  Vereinigung  der  medizinischen 
Fachpresse“  in  jeder  Weise  tatkräftig  unterstützt,  wie  dies  auch  von  der  „Ver¬ 
einigung“  anerkannt  worden  ist. 

Die  dem  „Verband“  angehörigen  Firmen  müssen  mit  aller  Entschiedenheit 
der  völlig  haltlosen  Auffassung  entgegentreten,  als  hätten  sie  irgend  ein  Interesse 
an  einer  „Schönfärberei“  in  den  Publikationen  über  Arzneimittel.  Ihr  alleiniges 
Interesse  ist  das  einer  gründlichen,  sorgfältigen  und  absolut  einwandsfreien  Prüfung 
ihrer  Präparate  durch  anerkannte,  unbeeinflußte  Fachmänner.  Eine  solche  Prüfung 
ist  aber  zur  Erzielung  von  Fortschritten  auf  dem  Gebiete  der  medikamentösen 
Therapie  durchaus  unentbehrlich. 

Die  in  der  Fachpresse  erörterte  Erage  der  Honorierung  von  Arbeiten  über 
medizinische  Präparate  ist  eine  ärztliche  Standesangelegenheit,  Die  Unterzeichneten 
Firmen  nehmen  deshalb  hierzu  keine  Stellung;  sie  halten  es  für  ausgeschlossen, 
daß  ein  ehrenhafter  Arzt  seine  Ansichten  und  die  Ergebnisse  seiner  Untersuchungen 
irgendwie  davon  beeinflussen  lassen  könnte,  ob  ihm  seine  Arbeit  und  Mühe  ver¬ 
gütet  wird  oder  nicht.  Diese  Frage  sollte  mit  der  völlig  anders  gearteten  Frage 
der  Ausmerzung  berufsmäßiger  Soldschreiber  in  keiner  Weise  verquickt  werden. 

Aktiengesellschaft  für  Anilinfabrikation,  Berlin  SO.  36. 

C.  F.  Boehringer  &  Söhne,  Mannheim- Waldhof. 

Chemische  Fabrik  auf  Aktien  vorm.  E.  Schering,  Berlin  N.  39. 

Chemische  Fabrik  Güstrow,  Güstrow  i.  M. 

Chemische  Fabrik  von  Heyden,  A.-G.,  Radebeul  b.  Dresden. 

Farbenfabriken  vorm.  Friedr.  Bayer  &  Co.,  Elberfeld. 

Farbwerke  vorm.  Meister,  Lucius  &  Brüning,  Höchst  a.  M. 

Gehe  &  Co.,  A.-G.,  Dresden-N. 

Gesellschaft  für  Chemische  Industrie,  Basel  (Schweiz). 

F.  Hoffmann,  La  Roche  &  Co.,  Grenzach  (Baden). 

Kalle  &  Co.,  A.-G.,  Biebrich  a.  Rh. 

Knoll  &  Co.,  Ludwigshafen  a.  Rh. 

E.  Merck,  Darmstadt. 

Pearson  &  Co.,  G.  m.  b.  H.,  Hamburg. 

J.  D.  Riedel,  Ä.-G.  (Chemische  Fabriken),  Berlin  N.  39. 

Schülke  &  Mayr,  Lysolfabrik,  Hamburg. 

Dr.  Theinhardt’s  Nährmittel-Gesellschaft  m.  b.  IL,  Cannstatt-Stuttgart. 

Vereinigte  Chininfabriken  Zimmer  &  Co.,  G.  m.  b.  H.,  Frankfurt  a.  M. 


Der  26.  Kongreß  für  innere  Medizin 

findet  vom  19. — 22.  April  1909  in  Wiesbaden  statt  unter  dem  Präsidium  des 
Herrn  Schultze  (Bonn).  Das  Referatthema,  welches  am  ersten  Sitzungstage: 
Montag,  den  19.  April  1909  zur  Verhandlung  kommt,  ist:  Der  Mineral¬ 
stoffwechsel  in  der  klinischen  Pathologie,  Referent:  Herr  Magnus- 
Levy  (Berlin).  Hierzu  findet  ein  Vortrag  des  Herrn  Widad  (Paris):  Die 
therapeutische  Dechloruration  statt.  Am  dritten  Sitzungstage :  Mittwoch,  den 
21.  April  1909  wird  Herr  He  ad  (London)  einen  Vortrag  über  Sensibilität  und 
Sonsibilitätsprüfung  halten. 


48 


Hochschulnachrichten. 


Folgende  Vorträge  sind  bereits  angemeldet:  Herr  A.  Bickel  (Berlin): 
Hie  Wirkling  der  Mineralstoffe  auf  die  Drüsen  des  Verdauungsapparates. 
Herr  Külbs  (Kiel):  Über  die  Herzgröße  bei  Tieren.  Herr  Lenhartz  (Ham¬ 
burg):  Über  die  Behandlung  des  Magengeschwüres.  Herr  Eduard  Müller 
(Breslau) :  Das  Antiferment  des  tryptischen  Pankreas-  und  Leukozytenfer¬ 
mentes,  sein  Vorkommen  und  seine  Bedeutung  für  Diagnose  und  Therapie. 
Herr  Plönies  (Dresden):  Die  Beziehungen  der  Magenkrankheiten  zu  den 
Störungen  und  Erkrankungen  des  Zirkulationsapparates  mit  besonderer  Be¬ 
rücksichtigung  der  nervösen  Herzstörungen.  Herr  Schönborn  (Heidelberg): 
Einige  Methoden  der  Sensibilitätsprüfung  und  ihre  Ergebnisse  bei  Nerven¬ 
kranken.  Herr  Smith  (Berlin):  Zur  Behandlung  der  Fettleibigkeit. 

Weitere  Vortragsanmeldungen  nimmt  der  ständige  Schriftführer  des 
Kongresses,  Geheimrat  Dr.  Emil  Pfeiffer,  Wiesbaden,  Parkstraße  13  ent¬ 
gegen,  jedoch  nur  bis  zum  4.  April  1909.  Nach  dem  4.  April  1909  ange- 
meldete  Vorträge  können  nicht  mehr  berücksichtigt  werden. 

Mit  dem  Kongresse  ist  eine  Ausstellung  von  Präparaten,  Apparaten  und 
Instrumenten,  soweit  sie  für  die  innere  Medizin  von  Interesse  sind,  verbun¬ 
den.  Anmeldungen  zu  derselben  sind  ebenfalls  an  den  ständigen  Schrift¬ 
führer  zu  richten. 


Hochschulnachrichten. 

Berlin.  Zum  Nachfolger  des  Geh.  Med.-Rat  Prof.  Dr.  Engel  mann  wurde  Geh. 
Med. -Rat  Prof.  Dr.  Rubner  ernannt.  Zum  Nachfolger  von  Geh.  Rat  Rubner 
wurde  Geh.  Rat  Prof.  Dr.  Flügge  (Breslau)  berufen.  Es  habilitierten  sich 
Dr.  G.  von  Bergmann,  Dr.  R.  Jolly,  Dr.  F.  Meyer  und  Dr.  F.  Pinkus. 
P.-D.  Dr.  II.  Gutzmann  erhielt  den  Titel  Professor. 

Breslau.  Prof.  Dr.  K.  Bonhöffer,  Direktor  der  psychiatrischen  und  Nerven- 
klinik  wurde  zum  Geh.  Medizinalrat  ernannt. 

Gießen.  P.-D.  Dr.  J.  Seemann  folgte  seinem  bisherigen  Chef  Prof.  Frank 
nach  München. 

Göttingen.  Zum  ao.  Professor  wurde  ernannt  P.-D.  Dr.  Fr.  Heiderich.  Dr. 
Lichtwitz  habilitierte  sich  für  innere  Medizin. 

Greifswald.  P.-D.  Dr.  Siegfried  Weber  (innere  Medizin)  erhielt  den  Titel 
Professor. 

Halle.  Der  Privatdozent  für  Chirurgie  Dr.  E.  Leser  ist  aus  dem  Lehrkörper 
ausgeschieden  und  hat  sich  in  Frankfurt  a,  M.  niedergelassen.  Geh.  Med.-Rat 
Prof.  Dr.  Schmidt-Rimpler  feierte  seinen  70.  Geburtstag.  P.-D.  Prof.  Dr. 
E.  Hof  mann  hat  den  Ruf  als  ao.  Professor  und  Direktor  der  Poliklinik  für 
Haut-  und  Geschlechtskrankheiten  angenommen. 

Heidelberg.  Exz.  Geh.  Rat  Erb  hat  der  Universität  zum  Andenken  an  seinen 
früh  verstorbenen  Sohn  den  Betrag  von  100000  Mk.  gestiftet. 

Kiel.  Zum  ao.  Professor  wurde  ernannt  Pr.-D.  Dr.  P.  Doehle  (pathologische 
Anatomie).  Dr.  F.  Cohn  habilitierte  sich  für  Geburtshilfe  und  Gynäkologie. 

Köln.  P.-D.  Dr.  E.  Martin,  dirig.  Arzt  des  evang.  Krankenhauses  (Chirurg) ^er¬ 
hielt  den  Titel  Professor.  Zum  Prosektor  der  städtischen  Krankenanstalten 
wurde  Dr.  Brandts  bisher  1.  Assistent  am  städtischen  Krankenhaus  rechts 
der  Isar  in  München  berufen.  Dem  Dozenten  für  Augenheilkunde  Dr.  med. 
A.  Pröbsting  wurde  der  Titel  als  Professor  verliehen. 

Leipzig.  Dr.  med.  A.  Gregor  (Psychiatrie)  habilitierte  sich. 

Marburg.  P.-D.  Dr.  J ah rmärk er  (Psychiatrie)  erhielt  den  Titel  Professor.  P.-D. 
Dr  W.  Krau ss  (Augenheilkunde)  erhielt  den  Titel  Professor.  Dr.  G.  Schöni 
habilitierte  auch  für  Chirurgie. 

München.  Dr.  med.  Otto  Neubauer  (innere  Medizin)  habilitierte  sich.  Für 
Anatomie  habilitierte  sich  Dr.  med.  H.  Hahn. 

Straßburg.  Prof.  Dr.  F.  v.  Recklinghausen  vollendete  das  75.  Lebensjahr. 
P.-D.  und  Oberarzt  an  der  psy chatrisclien  Klinik  Dr.  Max  Rosen feld  wurde 
zum  Professor  ernannt. 

Wien.  P.-D.  Dr.  L.  Rethi  nnd  Dr.  K.  Sternberg  wurden  zu  ao*.  Professoren 
ernannt.  Prof.  Dr.  J.  Schnabel.  Direktor  der  Augenklinik  ist  plötzlich  ver¬ 
storben.  Geh.  Rat  Prof.  Dr.  v.  Strümpell  in  Breslau  erhielt  einen  Ruf  als 
Nachfolger  von  Prof.  v.  Schrott  er. 

Schriftleitung:  Dr.  Rigler  in  Leipzig. 

Druck  von  Emil  Herr  mann  senior  in  Leipzig. 


27.  Jahrgang. 


1909. 


fomcbrim  der  medizin. 

Unter  Mitwirkung  hervorragender  Fachmänner 

herausgegeben  von 

Professor  Dr.  0.  Köster  Prio.-Doz.  Dr.  o.  £riegern 

in  Leipzig.  .  in  Leipzig. 

Schriftleitung:  Dr.  Rigler  in  Leipzig. 


Nr.  2. 


Erscheint  am  10.,  20.,  30.  jeden  Monats.  Preis  halbjährlich 
6  Mark,  in  kl.  Zeitschrift  für  Versicherungsmedizin  8  Mark. 


Verlag  von  Georg  Thieme,  Leipzig. 


20.  Jan. 


Originalarbeiten  und  Sammelberichte. 


Die  Behandlung  der  Nervensyphilis. 

Von  Georg  Köster. 

(Nach  einem  im  ärztlichen  Fortbildungskurs  (Oktober  1908)  gehaltenen  Vortrage.) 

M.  H. !  Daß  die  Behandlung  der  Nervensyphilis,  oh  sie  uns  als 
luetische  Neuritis,  Epilepsie,  chronische  Meningitis  oder  als  zerebro- 
spinale  Lues,  mit  disseminierten  Herden,  als  Lues  hasalis  oder  als 
gummöser  Tumor  entgegentritt,  eine  sogen,  spezifische  Behandlung  sein 
muß,  wird  Ihnen  allen  Uberzeugungssache  sein.  Es  wäre  aber  nicht 
richtig,  zu  glauben,  daß  jeder  früher  syphilitisch  Infizierte  einer  anti¬ 
luetischen  Behandlung  unterzogen  werden  müßte,  wenn  er  späterhin 
beispielsweise  wegen  einer  Neuritis,  einer  Fazialislähmung,  einer  Epi¬ 
lepsie  unsere  Hilfe  in  Anspruch  nimmt.  Wir  müssen  vielmehr  zu¬ 
nächst  feststellen,  ob  'die  vorhandene  Erkrankung  nicht  eine  andere 
als  syphilitische  Ätiologie  hat.  Daß  die  Feststellung  der  luetischen 
Natur  einer  ätiologisch,  nicht  einheitlichen  Krankheit  bei  einem  früher 
infizierten  Individuum  zuweilen  sehr  schwer  sein  kann,  sei  nur  kurz 
erwähnt  Daß  wir  eine  Tabes  oder  progressive  Paralyse,  deren  meta¬ 
luetische  Natur  unbestritten  ist,  durch  eine  spezifische  Behandlung 
nicht  zu  verbessern  vermögen,  ist  wohl  jetzt  allgemein  anerkannt. 
Aber  es  gibt  Fälle,  bei  denen  wir  nicht  sicher  entscheiden  können, 
oh  Tabes  oder  Lues  spinalis,  ob  progressive  Paralyse  oder  Lues  cerebro¬ 
spinalis  vorliegt,  und  wir  wissen  auch,  daß  neben  klaren  metaluetischen 
Krankheitsbildern  auch  ebenso  eindeutige,  direkt  syphilitische  Ulze- 
rationen,  Gummata  und  dergl.  sich  finden  können.  In  allen  solchen  Fällen, 
v^o  entweder  die  Ätiologie  des  bestehenden  Krankheitsprozesses  nicht 
genügend  klar  zutage  liegt  oder  wo  neben  metaluetischen  Erkrankungen 
sich  spezifische  Erscheinungen  nachweisen  lassen,  ist  die  Einleitung 
einer  spezifischen  Behandlung  geboten.  Nicht  selten  erkennen  wir  aus 
dem  Erfolge  der  Therapie,  daß  wir  es  tatsächlich  mit  einem  direkt 
syphilitischen  Leiden  zu  tun  haben. 

Wo  sich  Gelegenheit  findet,  die  Wassermannsche  Serumreaktion 
znm  Nachweis  des  im  Körper  vorhandenen  luetischen  Giftes  heran¬ 
zuziehen,  wird  man  diese  Probe  in  zweifelhaften  Fällen  trotz  ihrer 
noch  nicht  unzweideutigen  klinischen  Bedeutung  von  einem  geübten 
Beobachter  ansführen  lassen. 


4 


50 


G.  Köster, 


Anderseits  wäre  die  Meinung  unzutreffend,  daß  selbst  bei  un¬ 
zweifelhaft  syphilitischer  Ätiologie  des  vorliegenden  Nervenleidens  auch 
immer  sogleich  eine  antisyphilitische  Behandlung  eingeleitet  werden 
müßte.  In  frischen  und  akut  verlaufenden  Fällen  von  Nervenlues 
werden  wir  selbstverständlich  mit  einer  Quecksilber-  oder  Jodbehand¬ 
lung  nicht  zögern  dürfen.  Wo  wir  aber  hören,  daß  schon  mehrere  Hg- 
Kuren  vor  kurzem  durchgeführt  wurden,  werden  wir  nicht  ohne  weiteres 
eine  neue  Hg-Kur  folgen  lassen,  zumal  wenn  ein  alter  Fall  von  zerebro- 
spinaler  Lues  vorliegt.  Wenn  wir  uns  vergewissert  haben,  daß  wir 
es  mit  dauernden,  bereits  seit  langer  Zeit  vorhandenen  Ausfallserschei¬ 
nungen  zu  tun  haben,  die  als  Ausdruck  fester  Bindegewebsentwickelung 
einer  spezifischen  Behandlung  unzugänglich  sind,  dann  treten  zunächst 
andere  therapeutische  Maßregeln,  wie  z.  B.  Massage,  Elektrizität  und 
Hydrotherapie  in  den  Vordergrund,  auf  die  ich  weiter  unten  zurück¬ 
komme.  Eine  Jodkur  kann  man  als  weniger  anstrengenden  Eingriff 
in  jedem  veralteten  Falle  nebenher  gebrauchen  lassen.  Gelingt  in 
einem  seit  langer  Zeit  unveränderten  und  anscheinend  nicht  mehr  besse¬ 
rungsfähigen  Falle  von  zerebrospinaler  Lues  mittels  der  Wasser  m  an  n- 
schen  Serumreaktion  der  Nachweis  von  aktivem  luetischen  Virus,  so 
werden  wir  trotz  vieler  vorausgegangener,  ergebnisloser  ILg-Kuren  mit 
der  Einleitung  einer  neuen  nicht  warten  dürfen.  Dasselbe  gilt  natür¬ 
lich,  wenn  bei  einem  schon  lange  ruhenden  und  anscheinend  mehr  oder 
weniger  irreparabeln  Falle  neue  und  womöglich  das  Leben  gefährdende 
Symptome  auftreten. 

Da  heißt  es,  nicht  nur  rasch,  sondern  auch  energisch  mit  Queck¬ 
silber  behandeln.  Am  besten  wird  mit  der  Hg-Kur  dann  sogleich 
eine  Jodkur  verbunden. 

W  enn  es  auch  prinzipiell  gleichgiltig  sein  mag,  ob  wir  das  Queck¬ 
silber  einnehmen  lassen  oder  ob  wir  es  intramuskulär  oder  als  Schmier¬ 
kur  anwenden,  so  kann  ich  mich  doch  dem  Eindruck  nicht  verschließen, 
daß  die  Schmierkur  am  intensivsten  wirkt,  wobei  ich  es  dahingestellt 
sein  lasse,  ob  die  Wirkung  auf  der  von  Kromayer  neuerdings  als 
wesentlich  betonten  Einatmung  der  Hg-Dämpfe  oder  auf  der  llesorp- 
tion  des  eingeriebenen  Quecksilbers  beruht.  Ich  verwende  entweder 
graue  Salbe  oder  Ung.  Hydrarg.  rubrum  cum  Besorbino  parat  um  und 
lasse  täglich  4 — 6  g  durch  ca.  5 — 6  Wochen  einreiben.  Über  die  tech¬ 
nische  Ausführung  der  Schmierkur  brauche  ich  Ihnen  gegenüber  kein 
Wort  zu  verlieren.  Stellt  sich  im  Laufe  der  ersten  Wochen  die  ge¬ 
wünschte  Besserung  ein  oder  folgt  sie  wenigstens  der  beendeten  Schmier¬ 
kur  auf  dem  Fuße,  so  fügen  wir  als  Nachkur  noch  eine  Jodbehandlung 
hinzu.  Bleibt  aber  nach  beendeter  Schmier  kur  jeder  Erfolg  aus  und 
verläuft  auch  die  Jodkur  relativ  oder  absolut  resultatlos,  so  werden  wir 
nach  mehrmonatlicher  Bause  zu  einer  neuen  Quecksilberbehandlung 
schreiten  müssen. 

Wir  beobachten  gar  nicht  selten  Fälle  von  zerebrospinaler  Lues, 
deren  Symptome  sich  trotz  mehrfacher  energischer  Schmierkuren  nicht 
bessern,  ja  sogar  während  der  spezifischen  Behandlung  eine  Verschlim¬ 
merung  erfahren.  In  solchen  Fällen  scheint  wenigstens  vorübergehend 
das  Quecksilber  seine  Wirkung-  ganz  zu  versagen.  Daß  es  sich  hierbei 
nicht  um  Kranke  mit  irreparabeln  Umwandlungen  des  luetischen  Granu¬ 
lationsgewebes  in  alte  Bindegewebszüge  oder  in  dicke  Schwarten  han¬ 
deln  kann,  beweist  die  überraschende  Tatsache,  daß  eine  späterhin  aus¬ 
geführte  nochmalige  Schmierkur  nicht  selten  eine  überraschende  Besse- 


Die  Behandlung  der  Nervensyphilis. 


51 


rung  der  Symptome  zur  Folge  hat.  In  anderen  Fällen  sah  ich  nach 
langer  vergeblicher  Hg-Behandlung  erst  durch  eine  Verbindung  der 
Schmierkur  mit  dem  Bädergehrauch  in  Aachen  oder  Tölz  die  erwünschte 
Besserung  resp.  Heilung  eintreten.  Man  gewinnt  hierbei  den  Eindruck, 
als  oh  vorübergehend  die  Affinität  des  Körpergewebes  zum  Hg  ge¬ 
sättigt  und  daher  eine  weitere  Aufnahme  und  Heilwirkung  des  Mittels 
unmöglich  wäre.  Besonders  verstärkt  wird  dieser  Eindruck  durch  die 
deprimierende  Beobachtung,  daß  während  einer  kräftigen  Schmierkur 
neue  schwere  zerebrale  Symptome  auftreten.  So  froh  man  auch  sein 
mag,  wenn  ein  inoperabler  Hirntumor  sich  als  syphilitisch  und  daher 
einer  internen  Behandlung  voraussichtlich  als  zugänglich  erweist,  so 
dürfen  wir  unter  Würdigung  der  oben  erwähnten  Erfahrungen  mit  der 
Stellung  der  Prognose  nicht  allzu  zuversichtlich  sein. 

Wo  es  irgend  möglich  ist,  muß  mit  der  spezifischen  Allgemein  - 
behandlung  eine  örtliche  Behandlung  verbunden  werden.  Es  ist  allbe¬ 
kannt,  daß  die  Ulzera  im  Bachen  oder  Kehlkopf,  Schädelgummata 
und  andere  der  örtlichen  Beeinflussung  zugängliche  Affektionen  rascher 
abheilen.  Vielleicht  beruht  bei  der  Nervenlues  mancher  therapeutische 
Mißerfolg  oder  das  Zurückbleiben  dauernder  Ausfallserscheinungen 
darauf,  daß  die  schweren  Fälle  von  zerebrospinaler  Syphilis  meistens 
einer  örtlichen  Behandlung  nicht  unterzogen  werden  können.  Denn 
die  Fälle,  wo  ein  Gumma  an  der  Konvexität  des  Gehirnes  chirurgisch 
entfernt  werden  kann,  sind  doch  im  ganzen  selten,  während  die  Schädel¬ 
basis,  diese  Lieblingsstätte  syphilitischer  Neubildungen  und  die  dis- 
seminierten  intrazerebralen  Herde  für  das  Messer  unerreichbar  sind. 

Eine  besondere  Beachtung  verdienen  die  mit  Optikusatrophie  ver¬ 
bundenen  Fälle.  Wo  der  Sehnerv  deutliche  Zeichen  der  Atrophie  auf¬ 
weist,  werden  wir  eine  Schmier  kur  nur  mit  Vorsicht,  d.  h.  unter  steter 
Überwachung  des  Augenhintergrundes  vornehmen.  Denn  es  ist  bekannt, 
daß  eine  schon  bestehende'  Optikusatrophie  durch  eine  Hg-Behandlung 
verschlimmert  und  die  Erblindung  beschleunigt  werden  kann.  Selbst 
ein  Aussetzen  der  Schmierkur  nach  Feststellung  der  Verschlimmerung 
vermag  die  fortschreitende  Einengung  des  Gesichtsfeldes  dann  nicht 
immer  aufzuhalten.  Daher  empfiehlt  es  sich,  bei  atrophischer  Er¬ 
krankung  des  Sehnerven,  zunächst  eine  Jodkur  vorzunehmen  und  wenn 
man  wegen  anderer  Hirn-  oder  Bückenmarkssymptome  eine  Hg-Behand¬ 
lung  einleiten  muß,  den  Augenhintergrund  und  das  Gesichtsfeld  des 
Kranken  alle  drei  Tage  vom  Augenärzte  kontrollieren  zu  lassen. 

Es  wäre  aber  irrtümlich,  wenn  wir  aus  unseren  Erfahrungen  am 
Sehnerven  den  Schluß  ziehen  würden,  daß  bei  der  Behandlung  der 
Nervensyphilis  das  Jod  im  allgemeinen  dem  Quecksilber  überlegen 
wäre.  Auch  die  alte  Ansicht,  daß  zur  Behandlung  früher  Stadien 
der  Lues  das  Quecksilber,  zu  den  späteren  Formen  das  Jod  das  ge¬ 
eignete  Heilmittel  sei,  trifft  für  die  Nervensyphilis  nicht  zu.  Viel¬ 
mehr  sind  beide  Mittel  gleich  wertvoll  und  unentbehrlich,  und  nicht 
selten  machen  wir  die  Erfahrung,  daß  ein  alter  Fall  von  schwerer 
zerebrospinaler  Lues  oder  eine  schon  langjährige  spezifisch  bedingte 
Epilepsie  auf  Jod  nicht  so  gut  reagiert  als  auf  eine  nachfolgende 
energische  Schmierkur.  Im  allgemeinen  greift  eine  Jodkur  den  Kranken 
weit  weniger  an  als  eine  Schmierkur  und  der  Effekt  der  Joddarreichung 
ist  da,  wo  er  sich  überhaupt  einstellt,  oft  prompter  als  der  einer 
Quecksilberbehandlung.  Aber  in  vielen  Fällen  kommen  wir  ohne  eine 
Schmier  kur  nicht  aus  und  wir  verbinden  daher  am  besten  die  Hg-  und 

4* 


52 


G.  Köster, 


Jodbehandlung  miteinander,  wie  ich  dies  schon  oben  ausgeführt  habe. 
Entweder  benutzt  man  Jodkalium  (bei  Herzkranken  Jodnatrium)  in 
wässrigen  Lösungen  oder  man  gibt  eines  der  neueren  Jodpräparate 
(Jodipin,  Jodglidine,  Sajodin).  Schon  seit  langer  Zeit  läßt  man  bei 
Durchführung  einer  Jodkur  die  Lösungen  allmählich  stärker  werden, 
indem  man  zuerst  5  g,  dann  7  g,  bis  21  g  Jodkali  auf  200  g  Wasser 
verordnet  und  hiervon  stets  dreimal  täglich  einen  Eßlöffel  auf  Wasser 
oder  Milch  nehmen  läßt.  Zumeist  gewöhnen  sich  die  Kranken  ganz 
gut  an  die  starken  Konzentrationen,  so  daß  man  die  Kur  ohne  Pause 
durchführen  kann.  Ist  man  bei  21  g  Jodkali  auf  200  g  Wasser  an¬ 
gelangt,  so  geht  man  langsam  im  Stärkegrade  der  Lösung 'in  derselben 
Weise  wie  beim  Aufstiege  wieder  zurück  bis  zum  Ausgangspunkte 
(5  g  Jodkali  auf  200  g  Wasser).  Nach  mehrwöchentlicher  Pause  werden 
wir  im  Bedarfsfälle  die  Kur  wiederholen,  so  daß  der  Kranke  im  ganzen 
monatelang  unter  dem  Einfluß  der  auf-  und  absteigenden  Joddarrei¬ 
chung  steht. 

Stellen  sich  erhebliche  Zeichen  der  Jodvergif tung  (Bindehaut¬ 
katarrhe,  Schnupfen,  Bronchitis,  Akne,  Magenverstimmungen  usw.)  ein, 
so  können  wir  zuweilen  nach  einer  mehrwöchentlicher  Pause  die  Jodkur 
mit  schwachen  Lösungen  wieder  beginnen.  Auf  die  Mittel,  die  geeignet 
sind,  einer  Jodintoxikation  vorzubeugen,  brauche  ich  Ihnen  gegenüber 
nicht  einzugehen.  Es  gibt  aber  Personen,  die  ohne  geradezu  eine  Idio- 
sjmkrasie  gegen  Jod  zu  besitzen,  dem  Jodkalium  und  Jodnatrium  gegen¬ 
über  auffallend  empfindlich  sind.  Bei  solchen  Kranken  verwendet  man 
meiner  Erfahrung  nach  besser  eine  25°/0ige  Jodipinlösung,  von  der 
man  10 — 15  g  täglich  in  die  Glutäalmuskulatur  spritzt.  Oder  man 
gibt  die  Jod-Eiweißverbindungen  Jodglidine  oder  Sajodin  zweimal  täg¬ 
lich  2 — 3  Tabletten.  Besonders  die  letztgenannten  beiden  Jodpräparate, 
die  das  Jod  erst  während  ihrer  Verdauung  langsam  ab  geben,  werden 
von  empfindlichen  Kranken  gut  vertragen.  Akne  und  Magenerschei¬ 
nungen  blieben  selbst  bei  den  Kranken  aus,  die  nach  Gebrauch  von 
Jodkalilösungen  regelmäßig  unter  diesen  Beschwerden  zu  leiden  hatten. 
In  letzter  Zeit  hat  man  das  Atoxyl  vielfach  gegen  die  Syphilis  emp¬ 
fohlen,  zweifellos  mit  Becht.  Aber  es  ist  Ihnen  bereits  aus  der  Lite¬ 
ratur  bekannt,  daß  das  Mittel,  ein  Metaarsenikanilid,  nicht  so  ungiftig 
ist,  wie  sein  Name  es  besagt.  Wo  das  Atoxyl  wie  bei  der  Syphilis¬ 
behandlung  als  Gegengift  wirken  soll,  so  daß  bei  richtigem  Gebrauche 
des  Gegengiftes  ein  neutraler  Zustand  im  Körper  des  Patienten  her¬ 
gestellt  wird,  ist  seine  Anwendung  berechtigt  und  unschädlich,  aber 
nur,  wenn  alle  notwendigen  Vorsichtsmaßregeln  gewahrt  wer¬ 
den.  Vor  allem  sind  kleine  Einzeldosen  notwendig,  die  nicht  über 
0,05  g  hinausgehen  und  höchstens  jeden  zweiten  Tag  wiederholt  werden. 
Ferner  muß  andauernd  der  Sehnerv  kontrolliert  und  bei  den  ersten 
Klagen  des  Kranken  über  undeutliches  Sehen  mit  den  Einspritzungen 
für  immer  auf  gehört  werden,  auch  wenn  eine  Abblassung  der  Papille 
noch  nicht  festgestellt  werden  kann.  Die  ersten  schweren  Vergiftungs¬ 
erscheinungen  nach  Atoxylgebrauch  treten  nach  den  Mitteilungen  an¬ 
derer  Beobachter  und  nach  den  Beobachtungen,  die  ich  selbst  zusammen 
mit  A.  Birch-Hir schfeld  an  Menschen  und  experimentell  vergifteten 
Tieren  machen  konnte,  im  Sehnerven  auf.  Wie  wir  bereits  in  den 
Fortschritten  der  Medizin  mitgeteilt  haben,  entwickelt  sich  zuerst  ein 
diffuser  Zerfall  der  Markscheiden  im  ganzen  Sehnervenquerschnitt. 
Auf  die  andern  schweren  Veränderungen,  die  im  Zentralnervensystem 


Die  Behandlung  der  Nervensyphilis. 


53 


und  den  inneren  Organen  nach  zu  reichlichen  Atoxylgebrauch  eintreten 
können,  will  ich  hier  nicht  eingehen.  Wenn  Ihnen  auch  aus  der  Lite¬ 
ratur  bekannt  sein  wird,  daß  ein  beginnender  Sehnervenschwund  nach 
sofortigem  Aussetzen  des  Mittels  sich  wieder  bessern  und  zurüekbilden 
kann,  so  darf  es  hei  einer  Atoxylkur  keinesfalls  bis  zum  Auftreten 
von  Sehnervenatrophie  kommen.  Da  die  ersten  Erscheinungen  von 
seiten  des  n.  opticus  subjektiver  Natur  sind  und  sich  die  objektiv  nach¬ 
weisbare  Atrophie  ziemlich  plötzlich  und  rasch  fortschreitend  einstellt, 
so  liegt  die  Gefahr  nahe,  daß  bei  nicht  genügender  Übung  im  Gebrauch 
des  Augenspiegels  der  richtige  Zeitpunkt  versäumt  wird,  an  dem 
spätestens  mit  der  Einspritzung  des  Atoxyls  auf  gehört  werden  muß. 
Die  Folge  ist  eine  unheilbare  Erblindung,  auch  wenn  die  Augen  vor 
Beginn  der  Kur  völlig  gesund  waren.  In  den  2  Fällen,  die  ich  mit 
A.  Birch-Hir schfeld  zusammen  beobachtete,  waren  von  dritter  Seite 
wegen  Psoriasis  vulgaris  Atoxylinjektionen  vorgenommen  worden.  Als 
schließlich  mit  den  Einspritzungen  ausgesetzt  wurde,  war  es  bereits 
zu  spät,  und  die  vorher  gesunden  Sehnerven  beider  Kranken  zeigten 
eine  völlige  und  irreparable  graue  Atrophie.  In  der  Literatur  lesen 
wir  mehrfach  von  Patienten,  die  in  Folge  von  basaler  Lues  erkrankte 
Sehnerven  besaßen  und  während  einer  Atoxylkur  auffallend  rasch  eine 
weitere  Verschlechterung  ihres  Sehens  erfuhren  oder  erblindeten.  Daß 
hier  das  Atoxyl  geschadet  und  nicht  genutzt  hat,  ist  mir  nicht  im 
geringsten  zweifelhaft.  Auch  Störungen  der  Blasen-  und  Darment¬ 
leerung  können  nach  Atoxylgebrauch  eintreten  bis  zur  Inkontinenz. 
Gleich  den  initialen  Erkrankungen  des  Sehnerven  können  sich  auch 
diese  Beschwerden  wieder  zurückbilden.  Bei  einem  der  von  mir  beob¬ 
achteten  Kranken  war  dies  auch  der  Fall,  bei  dem  zweiten  hat  sich 
zwar  die  Inkontinentia  alvi  verloren,  aber  an  Stelle  der  Blaseninkonti¬ 
nenz  ist  eine  Dysurie  getreten,  die  den  Kranken  anscheinend  nicht 
mehr  verläßt.  Wenn  wir  bedenken,  daß  nicht  wenige  Fälle  von  zere- 
brospinaler  Lues  schon  aü  Blasen-  und  Darmstörungen  leiden,  so  werden 
wir  über  das  Ausbleiben  einer  Besserung  oder  gar  die  Verschlimmerung 
der  Harn-  und  Stuhlentleerung  nach  einer  Atoxylkur  nicht  mehr  er¬ 
staunt  sein. 

Es  leuchtet  Ihnen  ein,  daß  ein  angeblich  ungiftiges  Mittel,  das 
mit  großer  Reklame  empfohlen  und  anscheinend  als  eine  Art  Allheil¬ 
mittel  gegen  die  verschiedensten  Krankheiten  von  den  Ärzten  versucht 
worden  ist,  im  Grunde  ein  recht  zweischneidiges  Mittel  zur  Behand¬ 
lung  der  Syphilis  darstellt,  das  nur  unter  Wahrung  der  größten  Vor¬ 
sicht  verwendet  werden  sollte. 

Ich  habe  schon  oben  darauf  hingewiesen,  von  welcher  Bedeutung 
für  den  guten  Ausgang  mancher  schweren  Fälle  von  Nervensyphilis 
die  Möglichkeit  ist,  einen  geeigneten  Kurort  aufzusuchen.  Ich  nenne 
hier  nur  Aachen,  Tölz,  Nenndorf  und  Wiesbaden ,  da  ich  die  große 
Zahl  der  mit  mehr  oder  weniger  Recht  gegen  Lues  empfohlenen  Bäder 
hier  unmöglich  auf  zählen  kann.  Wie  man  sich  die  Wirkung  der  ver¬ 
schiedenen  Bäder  vorzustellen  hat,  will  ich  hier  nicht  weiter  erörtern. 
Mit  Sicherheit  dürfen  wir  annehmen,  daß  die  Verbindung  der  Schmier¬ 
kur  mit  einer  Bade-  und  Trinkkur  einen  gewaltigen  Einfluß  auf  den 
Stoffwechsel  und  auf  die  Überwindung  des  syphilitischen  Giftes  ausübt. 
Auch  wenn  die  erste  Badekur  noch  keinen  befriedigenden  Erfolg  ge¬ 
habt  haben  sollte,  dürfen  wir  uns  nicht  abhalten  lassen,  dem  Kranken 
wiederum  das  Auf  suchen  des  Kurortes  anzuraten.  Denn  die  Erfahrung 


54  G.  Köster,  Die  Behandlung  der  Nervensyphilis. 

lehrt,  daß  bei  einer  zweiten  oder  dritten  Kur  bis  dabin  anscheinend 
irreparable  Symptome  verschwinden  oder  wenigstens  sich  bessern  können. 

Zu  jeder  Zeit  müssen  syphilitisch  bedingte  Gefühlsstörungen  oder 
motorische  Lähmungen  mit  dem  elektrischen  Strom  und  mit  Massage 
behandelt  werden.  Bei  frischen  luetischen  Erkrankungen  erfüllen  wir 
damit  die  notwendige  Forderung,  neben  der  allgemeinen  auch  eine 
örtliche  Behandlung  auszuüben.  Bei  eingewurzelten  chronischen  Stö¬ 
rungen  der  Sensibilität  und  Motilität  stellen  Elektrizität  und  Massage 
zuweilen  das  einzige  Mittel  dar,  das  dem  Kranken  eine  Linderung 
bringt.  Ebenso  werden  wir,  wenn  schon  viele  Schmier-  und  Jodkuren 
vorausgegangen  sind,  in  der  Elektrizität,  der  Gymnastik,  der  manuellen 
und  Vibrationsmassage  geeignete  Mittel  erblicken,  die  oftmals  nützen, 
bei  vernünftiger  Anwendung  nicht  schaden  und  den  hoffnungslosen 
Kranken  den  Trost  gewähren,  daß  etwas  Zweckmäßiges  mit  ihm  ge¬ 
schieht. 

Die  Belebung  der  Hoffnung  auf  Genesung  und  die  Hebung  des 
oft  darniederliegenden  Selbstvertrauens  ist  bei  der  Behandlung  Syphi¬ 
litischer  eine  wichtige  Aufgabe  für  den  Arzt.  Von  großer  Bedeutung 
ist  auch  die  Begebung  der  Lebensweise  nicht  nur  während  einer  anti- 
syphilitischen  Kur,  sondern  zur  Vermeidung  von  Eückfällen  für  die 
Dauer  des  weiteren  Lebens.  Vermeidung  von  starkem  Kaffee,  alko¬ 
holischen  Getränken  und  geistigen  wie  körperlichen  Überanstrengungen 
jeder  Art  —  kurz  eine  den  Kranken  vorher  oft  unbekannte  Mäßigkeit 
in  allen  Genüssen  des  Lebens  ist  notwendig,  um  vor  Nachschüben  und 
Bückfällen  einigermaßen  gesichert  zu  bleiben. 

Alles,  was  einen  vermehrten  Blutandrang  nach  dem  Gehirn  oder 
abnorme  Schwankungen  im  Blutgehalte  des  Gehirnes  bewirkt,  ist  bei 
luetischen  Nervenkranken  mit  Entschiedenheit  zu  verbieten,  beispiels¬ 
weise  zu  heiße  oder  zu  kalte  Bäder,  Kopfsprung  in  kaltes  Wasser, 
intensive  Sonnenbestrahlung  des  Schädels.  Besonders  bei  syphilitischer 
Epilepsie,  Lues  cerebrospinales  und  dem  Verdacht  auf  progressive  Para¬ 
lyse  sind  diese  Vorsichtsmaßregeln  geboten. 

Daß  Patienten  mit  Nervensyphilis  während  einer  Schmier-  oder 
Jodkur  wöchentlich  wenigstens  zweimal  in  ihrem  Befinden  ärztlich 
kontrolliert  werden  müssen,  brauche  ich  Ihnen  gegenüber  nicht  zu 
betonen.  Aber  auch  nach  Ablauf  der  betreffenden  Kuren,  muß  der 
Kranke  sich  von  Zeit  zu  Zeit  dem  Arzte  vorstellen,  damit  bei  dem 
Auftreten  neuer  Anzeichen  die  Kur  wiederholt  werden  kann.  Gegen 
eine  aus  prophylaktischen  Gründen  in  regelmäßigen  Pausen  vorzu¬ 
nehmende  mehr  oder  weniger  schablonäre  Wiederholung  von  Hg-  oder 
Jodkuren,  wie  dies  bei  den  Frühformen  der  Syphilis  von  den  Haut¬ 
ärzten  vielfach  geübt  wird,  bin  ich  bei  den  Kranken  mit  Nervensyphilis 
ganz  entschieden.  Was  bei  den  Frühformen  sich  erfahrungsgemäß 
als  gut  bewährt  haben  mag,  paßt  nicht  ohne  weiteres  für  die  späten 
Stadien,  in  denen  zumeist  die  schweren  Nervenerkrankungen  aufzu¬ 
treten  pflegen.  Wenn  irgendwo,  dann  muß  man  hier  je  nach  der 
Schwere  der  Symptombilder  und  der  Häufigkeit  der  Erscheinungen 
individualisieren.  Ich  habe  eingangs  die  Voraussetzungen  besprochen, 
die  eine  spezifische  Behandlung  notwendig  machen.  Im  allgemeinen 
wird  man  nur  dann  eine  spezifische  Therapie  bei  Kranken  mit  Nerven¬ 
syphilis  einleiten,  wenn  ganz  frische  Erscheinungen  aufgetreten  sind, 
wenn  wir  einem  noch  nicht  spezifisch  behandelten  Falle  von  Nerven- 
lues  gegenüber  stehen  oder  wenn  trotz  vielfacher  vorausgegangener 


Abramowski,  Zur  Frage  der  Erkrankung  an  Bandwurm. 


55 


Hg-  und  Jodkuren  zu  hoffen  ist,  daß  ihre  Wiederholung  Nutzen  stiftet. 
Wir  werden  schon  durch  die  Tatsachen  gezwungen,  mit  der  spezifischen 
Therapie  nicht  zu  zurückhaltend  zu  sein,  und  wir  müssen  die  einmal 
beschlossenen  Hg-  und  Jodkuren  gründlich  und  energisch  durchführen. 
Denn  eine  ängstliche  Quecksilberkur  mit  kleinen  Einzeldosen  und  von 
zu  kurzer  Dauer  nützt  nichts  oder  nicht  viel  und  führt  uns  zu  einer 
falschen  Beurteilung  des  Krankheitsbildes.  Andererseits  schont  man 
hei  einer  je  nach  Lage  des  Falles  individualisierten  Hg-Kur  das  ohnehin 
durch  die  Syphilis  schon  geschwächte  Nervensystem  der  Kranken  mehr 
als  bei  den  in  regelmäßigen  Pausen  schablonär  wiederholten  Einver¬ 
leibungen  von  Quecksilber,  das  seinerseits  da,  wo  es  nicht  auf  aktives 
Syphilisgift  trifft,  als  Nervengift  wirksam  werden  und  die  Entstehung 
von  toxischen  Hg-Läsionen  palpabler  Natur  am  Nervensystem  bedingen 
kann. 


Zur  Frage  über  den  mutmaßlichen  Zusammenhang  zwischen  der 
Erkrankung  an  Bandwurm,  speziell  Botryocephalus  latus,  und 

derjenigen  an  Lungentuberkulose. 

Von  Dr.  Abramowski,  Schwarzort. 

Es  handelt  sich  bei  meinen  Beobachtungen  um  zwei  an  der  Ostsee 
gelegene  Dörfer,  von  denen  das  eine  etwa  500  Seelen,  das  andere, 
30  Kilometer  von  diesem  entfernt  liegende,  über  800  Seelen  zählt. 
Mein  Wohnsitz  ist  in  dem  kleineren  Dorfe,  daher  ist  die  Zahl  meiner 
Feststellungen  in  diesem  auch  eine  größere.  Nach  dem  anderen  Dorfe 
bin  ich  nur  vereinzelt  gekommen,  indessen  genügte  das,  um  mich  davon 
zu  überzeugen,  daß  die  Verhältnislse  hier  wie  dort  dieselben  sind.  Beide 
Orte  werden,  namentlich  der  erstere,  viel  von  Badegästen  aufgesucht. 
Die  Bevölkerung  bestellt  lediglich  aus  Fischern,  von  den  wenigen  an¬ 
sässigen  Beamten  und  Handwerkern  abgesehen.  Der  Nationalität  nach 
ist  dieselbe  zu  zwei  Drittel  littauisch  und  zu  ein  Drittel  deutsch.  Ich 
praktiziere  hier  nun  seit'  vier  Monaten  und  ich  habe  in  dieser  Zeit  die 
Beobachtung  gemacht,  daß  eine  überaus!  große  Anzahl  der  Einwohner 
an  Bandwurm  und  zwar  an  Botrioeephalus  latus,  dem  Grubenkopf, 
leidet.  Es  mag  ja  wie  aller  Orten  wohl  einmal  Vorkommen,  daß  jemand 
der  Wirt  von  Taenia  solium  oder  saginata  ist,  ich  selbst  habe  keinen 
Fall  beobachtet,  auch  ist  es  für  diese  Besprechung,  des  geringeren 
deletären  Einflusses  dieser  beiden  Tänien  auf  den  Organismus  wegen, 
annähernd  bedeutungslos.  Bei  der  mikroskopischen  Untersuchung  von 
Fäzes  fanden  sich  im  Ausstrichpräparat  unter  16  Versuchen  in  14  Fällen 
die  charakteristischen,  bekanntlich  mit  einem  Deckel  versehenen,  Ehr 
des  Grubenkopfes  vor.  Also  von  16  auf  Bandwurm  verdächtigen  Men¬ 
schen  tragen  14  diesen  Bandwurm  mit  sich  herum.  In  acht  anderen 
Fällen  erschien,  nach  medikamentöser  Darreichung,  6  mal  prompt  der 
genannte  Schmarotzer,  in  keinem  einzigen  Falle  T.  solium  oder  saginata. 
Was  nun  die  schädigenden  Eigenschaften  der  Gestoden  anbelangt,  so 
möchte  ich,  des  beschränkten  Baumes  wegen,  nur  die  Anschauungen  von 
Leichtenstein  beziehungsweise  Lenhartz  anführen.  (Behandlung  der 
durch  Darmschmarotzer  hervorgerufenen  Erkrankungen  von  weiland 
Prof.  Dr.  O.  Leich tensitein,  bearbeitet  von  Dr.  H.  Lenhartz,  Hand¬ 
buch  der  Therapie  der  Erkrankungen  der  Verdauungsorgane,  heraus- 
gegeben  von  Dr.  F.  Penzoldt  und  Dr.  B.  Stintzing,  Jena  1903, 


56 


Abramowski, 


pag.  606.)  Es  heißt  darin  wörtlich:  „Beiden  Bandwürmern  (Taenia 
solium  et  saginata)  fällt  in  der  Regel  nur  die  Rolle  harmloser  Schma¬ 
rotzer  zu ;  unter  Umständen  können  sie  aber  verschiedenartige  Beschwer¬ 
den,  in  seltenen  Fällen  wirkliche,  mitunter  selbst  schwere  Krankheits¬ 
erscheinungen  hervorrufen“  usw.  Und  an  derselben  Stelle :  „Eine  Sonder¬ 
stellung  in  der  Symptomatologie  der  Cestoden  nimmt  Botryocephalus 
latus  ein,  von  welchem  zuerst  durch  Roy  er  (1886)  nachgewiesen  worden 
ist,  daß  er  unter  Umständen  eine  schwere,  progressive,  eventuell  letale 
Anämie  zu  erzeugen  vermag,  eine  Anämie,  die  analog  der  Ankylostomum- 
Anämie  durch  die  Abtreibung  des  Wurmes  in  überraschend  kurzer  Zeit 
zur  Abheilung  gelangt“.  Nun  steht  ja  fest,  daß  der  Grubenkopf  nicht 
immer  diese  Erscheinungen  hervorruft,  sondern  nur  in  einer  mehr  weniger 
beschränkten  Anzahl  von  Fällen.  Es  sind  hierüber  verschiedene  Hypo¬ 
thesen  aufgestellt,  die  alle  anzuführen  es  erstens  wiederum  an  Raum 
gebricht  und  zweitens  dieselben  mehr  Un Wahrscheinlichkeit  als  Wahr¬ 
scheinlichkeit  enthalten,  wie  z.  B.  die,  daß  die  abgestorbenen  Proglot- 
tiden  im  Darme  ein  Gift  erzeugen,  das  schädigenden  Einfluß  auf  den 
Körper  hat.  Abgestorbene  Glieder  finden  sich  in  jedem  Falle  von  Botryo¬ 
cephalus  im  Darm.  Die  annehmbarste  ist  die  von  Lenhartz  und  lasse 
ich  ihn  wieder  selbst  sprechen  (a.  s,  0.,  S.  607) :  „Das  Rätsel  läßt 
sich  vorläufig,  wie  ich  glaube,  durch  keine  andere  Hypothese  besser 
lösen  als  durch  die  Annahme,  daß  es  unter  den  Botryocephalen  einzelne 
gibt,  welche  giftig  sind,  d.  h.  ein  Gift  bereiten,  das,  in  den  Körper  des 
Wirtes  auf  genommen,  eine  schwere  Anämie  hervorruft.  Es  verhält 
sich  also,  um  nur  ein  Beispiel  zu  erwähnen,  ganz  ebenso  wie  bei  ge¬ 
wissen  Weichtieren.  Die  Miesmuschel  (Mytilus  edulis)  z.  B.  ist  zu 
gewissen  Zeiten,  an  gewissen  Orten  giftig  aus  Gründen,  die  bisher 
jeder  Aufklärung  trotzten  und  in  einer  und  derselben  Spezies  von  Weich¬ 
tieren  kommt  unter  Hunderten  einmal  ein  giftiges  vor,  ohne  daß  man 
berechtigt  wäre,  die  Giftbildung  des  betreffenden  Weichtieres  ohne 
weiteres  von  einer  Erkrankung  desselben  abzuleiten.“  Während  ich 
diese  Zeilen  schreibe,  finde  ich  in  der  letzten  Nummer  (19)  der  „Mediz. 
Klinik“  (10  Mai  1908)  in  einer  Arbeit  von  Priv.-Doz.  Dr.  Kurt  Ziegler : 
„Zur  Behandlung  der  Anämie“  noch  folgenden  Passus,  den  ich  hier 
wiedergeben  möchte :  „Schließlich  sind  auch  schwere  Zustände  von 
Anämie  durch  die  Sekretions-  respektive  Zerfallsprodukte  gewisser  Darm¬ 
parasiten,  wie  des  Botryocephalus  latus,  wohlbekannte  Dinge“.  Meine 
Beobachtungszeit  ist  eine  zu  kurze,  um  zu  diesen  Hypothesen  Stellung 
nehmen  zu  können,  doch  will  es  mir  erscheinen,  daß  die  letztere  viel 
für  sich  hat.  Jedenfalls'  werde  ich  in  der  Folgezeit  mein  Augenmerk 
mit  größter  Aufmerksamkeit  auf  diesen  fraglichen  Punkt  richten,  wozu 
ich  um  so  mehr  imstande  bin,  als  ich  ja,  sozusagen  an  der  Quelle  sitze. 
Was  nun  das  Aussehen  der  Bewohner  gedachter  Ortschaften  anbetrifft, 
so  sind  es  namentlich  die  Kinder  aller  Altersstufen,  von  den  Säuglingen 
und  ganz  kleinen  abgesehen,  bei  denen  die  Anämie  deutlich  zutage 
tritt,  und  bei  ihnen  ist  meinen  Beobachtungen  und  der  Anschauung 
der  Leute  nach,  der  Botryocephalus,  wenn  auch  nicht  so  häufig  zu 
finden  wie  bei  den  Erwachsenen,  so  doch  immerhin  sehr  stark  ver¬ 
treten.  Die  Männer  sind  herkulische,  wettergebräunte  Gestalten,  doch 
tritt  bei  näherer  Betrachtung  der  phthisisehe  Thoraxbau,  sowie  auf¬ 
fallend  eingefallene  Wangen  hervor.  Am  gesündesten  sehen  die  Frauen 
aus,  wenngleich  man  auch  recht  viel  anämischen  begegnet.  Es  drängt 
sich  uns  nun  die  Frage  auf,  wie  kommen  so  viele  Menschen  gerade 


Zur  Frage  der  Erkrankung  an  Bandwurm. 


57 


an  diesen  Ortschaften  zum  Bandwurm  und  gerade  immer  zum  Gruben- 
kopf  ?  Wenngleich  der  Lebenszyklus  desselben  uns  allen  sehr  wohl¬ 
bekannt  ist,  so  möchte  ich  doch,  der  Vollständigkeit  wegen,  denselben 
kurz  ins  Gedächtnis  zurückrufen.  Der  Wirt,  ist  wie  man  wohl  allge¬ 
mein  annimmt,  ausschließlich  der  Mensch,  indessen  habe  ich  mit  Be¬ 
stimmtheit  beobachtet,  daß  er  auch  beim  Hunde  vorkommt,  da  ich 
zwei  Jagdhunde  beobachtet  habe,  denen  lange  Botryocephalenschnüre 
aus  der  Analöffnung  heraushingen.*)  Nach  eingezogenen  Erkundigungen 
bei  den  Besitzern  derselben,  wurde  mir  gesagt,  daß  die  Tiere  viel  rohe 
Fische  fräßen.  Zwischen  wirte  sind  nun  verschiedene  Fischarten,  nament¬ 
lich  Lachs,  Hecht  und  Quappe  und,  aller  Wahrscheinlichkeit  nach,  auch 
der  Aal.  Der  Mensch  stößt  mit  Eiern  gefüllte  Proglottiden  durch  die 
Fäzes  aus,  dieselben  gelangen  sehr  häufig  ins  Wasser  beziehungsweise 
werden  sie  gleich  in  dasselbe  entleert.  Aus  den  freigewordenen  Eiern 
entwickeln  sich  die,  mit  Flimmerorganen  versehenen,  im  AVasser  schwär¬ 
menden  Finnen,  dieselben  werden  von  genannten  Fischen  gefressen,  ge¬ 
langen  durch  Perforation  der  Darmwand  in  das!  Muskelfleisch  des  Fisches 
und  verweilen  hier  so  lange,  bis  dieses  Fleisch  in  den  •  Dünndarm  des 
Menschen  gelangt.  Hierauf  wächst  sich  daselbst  die  Finne  zum  Band¬ 
wurm  aus.  Dazu  ist  natürlich  notwendig,  daß  der  Fisch  in  rohem 
oder  halbgekochtem  oder  auch  zu  schwach  geräuchertem  Zustand  ge¬ 
nossen  wird.  Diese  Unsitte,  Fische  in  gänzlich  rohem  Zustande  zu  essen, 
dieser  Barbarismus  besteht  nun  im  vollsten  Umfange  bei  der  hiesigen 
Fischerbevölkerung  und  zwar  bei  Mann,  Frau  und  Kind.  In  manchen 
Fällen  sind  sie  bestrebt,  von  dem  Übel  befreit  zu  werden,  namentlich 
dann,  wenn  die  Beschwerden  ihren  Höhepunkt  erreicht  haben.  In  der 
Mehrzahl  der  Fälle  jedoch  wird  die  Krankheit  als;  etwas  Unvermeid¬ 
liches1,  zu  wirklich  ernstlichen  Befürchtungen  nicht  Anlaß  gebendes, 
ertragen.  Oft  bekommt  man  auch  die  stoische  Antwort:  „Was  nützt 
das,  Herr  Doktor,  wenn  ich  später  doch  wieder  rohe  Fische  esse,  kommt 
es  ja  wieder,  und  wovon  soll  ich  leben,  ich  kann  mir  in  der  Nacht 
auf  dem  WasSer  nichts  kochen“  usw.  Ein  anderes  Bild :  Gewiegte 
und  gewürzte,  aber  rohe  Quappenleber,  roher  Lachs,  als  Tartarenbeef- 
steak  zubereitet,  gilt  auch  bei  den  sonst  durchaus  gebildeten,  ansässigen 
Villenbesitzern  als  eine  Hochdelikatesse  und  so  leidet  denn  ein  guter, 
vielleicht  der  Hauptteil  von  ihnen  an  dem  Parasiten.  AVenn  das  am 
grünen  Holze  geschieht !  Genug,  wer  hier  als  Zugereister  ni  cht  die 
Bandwurmkrankheit  akquiriert,  gilt  nicht  als  „zünftig“. 

Soweit  die  Bandwurmmisere,  wie  steht  es  nun  mit  der  Tuberkulose, 
speziell  derjenigen  der  Luftwege  ?  Sie  ist  erschreckend  verbreitet,  sie 
ist  in  beiden  Dörfern  endemisch.  Optimisten  und  Interessenten  wollen 
es  nicht  wahr  haben,  und  doch  ist  es  ein  öffentliches  Geheimnis. 
Ich  als  Arzt  habe  mich ,  unter  Anwendung  aller  mir  zu  Gebote 
stehenden  diagnostischen  Hilfsmittel,  davon  überzeugt,  wobei  mir 
der  Umstand,  daß  ich  Assistenzarzt  an  einem  Sanatorium  für  Phthi¬ 
siker  gewesen  bin,  sehr  zu  Nutzen  kam.  Hier  ist  ein  ausgesuchtes 
Feld  für  Samaritertum,  hier  steht  man  trauernd  darüber  da,  daß 
dieser  schöne  Erden winkel  so  der  Seuche  anheimgefallen  ist.  AVas 
hier  zu  geschehen  hat,  darüber  will  ich  mich  an  dieser  Stelle 
nicht  verbreiten,  da  ich  in  einer  umfassenden  Arbeit  darauf  zurück- 


*)  Während  ich  gerade  die  Korrektur  lese,  schreibt  mir  Prof.  Dr.  Braun,  Königs¬ 
berg,  das  B.  1.  auch  bei  der  Katze  beobachtet  wird. 


58 


Abramowski,  Zur  Frage  der  Erkrankung  an  Bandwurm. 


kommen  will,  bemerken  möchte  ich  nur,  daß  ich  mich  im  großen  Ganzen 
den  Ausführungen  anschließe,  welche  ebenfalls  in  der  bereits  angeführten 
Nummer  der  „Med.  Klinik“  zu  lesen  waren.  Die  Arbeit  führt  den  Titel 
„Indikationen  des  Nordseeklimas“  von  Dr.  Gmelin,  Sudstrand-Föhr 
(Med.  Klinik,  Jahrg.  IV,  Nr.  19,  S.  700).  Es  heißt  darin  wörtlich:  „An 
dem  allgemeinen  Kampf  gegen  die  Lungentuberkulose  hat  sich  die 
Nordsee  bis  jetzt  wenig  beteiligt.  Als  Heilorte  für  Schwächezustände, 
wie  Beneke  sie  bezeichnet  hat,  ist  ihre  Aufgabe  hauptsächlich  die 
Prophylaxe  und  die  Kräftigung  der  Rekonvaleszenten .  Jugendliche 
Prophylaktiker,  die  Entlassenen  der  Lungenheilanstalten,  Rekonvales¬ 
zenten  nach  Pleuritis  und  verdächtigen  Pneumonien  finden  sich  viele 
unter  den  Gästen  der  See.  Neuerdings  errichten  die  Versicherungs¬ 
anstalten  Schleswig-Holsteins  und  der  Hansestädte  Seeheilstätten  für 
solche  Rekonvaleszenten.  Die  Badeorte  sind  gegenüber  dieser  Tatsache 
von  der  Heilsamkeit  des  Seeklimas  bei  Tuberkulose  in  einer  merkwür¬ 
digen  Lage.  Sie  dürfen  sich  ihrer  Aufgabe,  im  Kampfe  gegen  die  Krank¬ 
heit  mitzuhelfen,  nicht  verschließen,  fürchten  aber,  ihre  übrigen  Gäste 
dann  zu  verjagen.  Der  Ausweg  wird  der  sein,  daß  Sanatorien,  die  ja 
überhaupt  nur  für  eine  ernsthafte  Behandlung  im  Betracht  kommen, 
abseits  des  Kurortes  erbaut  werden.“ 

„Es  ist  vielleicht  hier  angebracht,  ein  Wort  über  die  Verwendbar¬ 
keit  des  Winterklimas  einzuschieben.  Denn  daß  ein  Kranker  Vorteil 
hat  vom  Seeklima  im  Sommer,  bei  Sonnenschein  und  milden  Wind, 
das  ist  der  Vorstellung  leicht  zugänglich,  nicht  aber  daß  er  auch  im 
Wintersturm  gesunden  soll.  Allerdings  der  Winter  verliert  ja  seine 
Schrecken  mehr  und  mehr,  die  Winterkurorte  in  Schnee  und  Eis,  gerade 
für  Lungenkranke  zählen  nach  Dutzenden.“  Was  in  den  Kräften  steht 
geschieht  ja  allerdings,  doch  nicht  in  genügendem  Umfange,  wenigstens 
hat  eine  Abnahme  der  Krankheit  sich  nicht  bemerkbar  gemacht.  Die 
Aufstellung  einer  kasuistischen  Tabelle  halte  ich  nicht  für  erforderlich, 
besser  schon  wäre  das  Einträgen  der  Krankenhäuser  in  eine  Karte, 
aber  auch  das  erübrigt  sich  nach  meiner  Überzeugung,  etwas  anderes 
wäre  es,  wenn  es  sich  um  Krebs  handelte,  also  doch  immer  um  eine,  in 
einer  kleinen,  wenn  auch  endemisch  auf  tretenden  Anzahl  von  Fällen, 
sich  zeigenden  Krankheit.  Meiner  Anschauung  nach  genügt  es,  wie 
gesagt,  wenn  mehrere  Ärzte  im  Laufe  der  Jahre,  und  das  ist  geschehen, 
aussprechen :  Hier  ist  Tuberkulose  endemisch ! 

Worin  ist  nun  aber  der  mutmaßliche  Zusammenhang  zwischen 
Phthisis  und  Grubenkopf  zu  suchen  ?  Ich  erkläre  mir  das  nun  folgender¬ 
maßen,  allerdings  ohne  Beläge  ans  der  Literatur  für  diese  meine  An¬ 
schauung  ins  Feld  führen  zu  können.  Zunächst  wird  durch  den  schä¬ 
digenden  Einfluß  des  Bandwurms  eine  allgemeine  Anämie,  die  „Anämia 
helminthiaca“,  erzeugt  ;  hieran  partizipieren  natürlich  auch  die  Lungen, 
und  solche  blutarme  Lungen  können  möglicherweise  zur  Aufnahme 
der  Bazillen,  beziehungsweise  zur  Nichtausstoßungsfähigkeit  derselben, 
prädisponiert  sein.  Ferner  wird  durch  den  lokalen  Reiz,  den  die  Tänie 
im  Dünndarm  erzeugt,  und  gerade  Botryooephalus,  der  größte  aller 
Cestoden,  ist  hierzu  sehr  wohl  imstande,  eine  Hypersekretion  und  eine 
dadurch  bedingte  Schleimhautquellung  und  Lumenvergrößerung  des  Dar¬ 
mes  hervorrufen.  Die  Folge  davon  ist  ein  Höherdrängen  und  eine 
weniger  ausgiebige  Bewegungsfähigkeit  des  Zwerchfelles,  und  eine  dies¬ 
bezügliche  Folge  eine  geringere  Expansionsfähigkeit  der  Lungen.  Ob 
die  geschilderten  Darm  Verhältnisse  durch  Autopsien  festgestellt  sind. 


Ascher,  Breslauer  Brief. 


59 


ist  mir  nicht  bekannt,  auch  aus  der  mir  zugänglichen  Literatur  nicht 
feststellbar;  klinisch  steht  jedenfalls  die  Beobachtung  fest,  daß  die 
Magendünndarmgegend  bei  diesen  Kranken  sichtbar  aufgetrieben  ist, 
und  daß  ein  solcher  Kranker  fast  stets  über  Fülle  im  Leibe  und  über 
das  Gefühl  klagt,  daß  sich  die  Därme  nach  oben  drängen.  „So  daß  es 
mir  den  Atem  versetzt“  habe  ist  des  öfteren  gehört. 

Nun  ist  es  mir  in  sehr  vielen  Fällen  aufgefallen,  daß,  wenn  ein 
frisch  und  gesund  aussehender  Patient  zu  mir  kam,  beispielsweise  um 
sich  einen  Zahn  extrahieren  zu  lassen,  und  ich  ihn  fragte  :  „Haben  Sie 
mal  den  Bandwurm  bei  sich  bemerkt“,  ich  gewöhnlich  die  Antwort 
„nein“  erhielt,  hatte  ich  mich  aber  von  bestehender  Schwindsucht  über¬ 
zeugt,  so  erhielt  ich  auf  diese  Frage  fast  immer  die  Antwort  „ja“. 
Das  mag  auf  Zufall  beruhen,  und  wird  es  auch  in  vielen  Fällen  getan 
haben,  denn  beide  Krankheiten  sind  doch  keine  notwendigerweise  ver¬ 
gesellschafteten,  wohl  aber  bin  ich  der  Überzeugung,  das  Erkrankung 
an  Botryooephalus  latus  den  Anstoß  zu  dem  Übel  in  manchem  Falle 
zu  geben  im  Stande  ist,  ja  daß  man  in  manchen  Fällen  von  einem 
Parallelismus  zwischen  den  beiden  Erkrankungen  zu  sprechen  be¬ 
rechtigt  ist. 


Breslauer  Brief. 

Von  Dr.  Ascher. 

Von  geschätzter  Seite  bin  ich  mit  dem  ehrenvollen  Aufträge  be¬ 
dacht  worden  in  den  „Fortschritten  der  Medizin“  über  das  wissen¬ 
schaftliche  Leben  auf  dem  Gebiete  der  Heilkunde  in  Breslau  zu  be¬ 
richten.  Wenn  ich  mich  hierin  im  wesentlichen  an  die  Sitzungen  der 
„Schlesischen  Gesellschaft  für  vaterländische  Kultur“  halte,  so  ge¬ 
schieht  das  deshalb,  weil  sie  die  bedeutendste  und  umfassendste  dieser 
Art  darstellt,  in  der  fast  jedes  Spezialgebiet  zu  Worte  kommt.  Trotz¬ 
dem  sollen  alle  wissenschaftlichen  Ereignisse,  die  der  Öffentlichkeit 
zugänglich  sind,  hier  berücksichtigt  werden.  Ich  beginne  mit  einem 
Sitzungsberichte  aus  dem  Gebiete  der  pathologischen  Anatomie. 

M  e  d  i  z  i  n  i  s  c  h  e  S  e  k  t  io  n. 

Sitzung  am  6.  November  1908,  abends  6  Uhr 
im  pathologischen  Institute. 

Vorsitzender:  G.  M.-B.  Prof.  Dr.  Ponfick. 

T  ,age  s  o  r  d  nung: 

1.  Professor  Dr.  Winkler:  Uber  die  Gewächse  der  Nebennieren,  mit 
Demonstrationen. 

.2.  Professor  Dr.  Ponfick:  Demonstrationen. 

Winkler  erklärt,  nur  über  die  Geschwülste,  die  vom  suprarenalen 
Gewebe  ihren  Ursprung  nehmen,  sprechen  zu  wollen.  Keimverspren¬ 
gungen  kommen  nicht  nur  in  der  Nähe  der  Nebenniere,  wie  Milz  und 
Nieie  vor,  sondern  auch  im  Nervensystem,  Beckenorganen  usw.  Nur 
ein  Fall  kam  zur  Beobachtung,  wo  ein  Tumor  in  der  äußeren  Wand 
des  Magens  seinen  Sitz  hatte.  Vortragender  präzisiert  den  Unterschied 
zwischen  autochthonen  Nierengeschwülsten  und  den  Nierengeschwülsten 
aus  versprengten  Keimen.  Die  letzteren  haben  hauptsächlich  3  Eigen¬ 
schaften  : 


60 


Ascher, 


1.  sitzen  sie  meistens  unterhalb  der  Kapsel  (Kinde), 

2.  sind  sie  reich  an  Fett, 

3.  sind  sie  stark  glykogenhaltig. 

Es  scheint  als  ob  eine  Prädisposition  des  männlichen  Geschlechtes 
vorläge  und  zwar  im  mittleren  Lehensalter.  Doch  kam  ein  Fall  hei 
einem  2  jährigen  Kinde  zur  Beobachtung  und  einer  bei  einem  70  jährigen 
Manne.  Von  allen  Organen  scheint  die  Niere  bevorzugt  zu  sein.  Doch 
sprechen  sich  größere  Statistiken  nicht  in  diesem  Sinne  aus. 

Das  Auftreten  von  Neubildungen  im  Anschluß  an  ein  Trauma 
hat  der  Vortragende  4mal  zu  beobachten  Gelegenheit  gehabt. 

Drei  von  diesen  Fällen  lokalisierten  sich  in  der  Nierengegend. 

Einer  im  Zentralnervensystem. 

Als  Entwicklungszeit  vom  Tage  des  Traumas  bis  zum  Hervor¬ 
treten  der  ersten  Symptome  kommt  ein  Zeitraum  von  8  Monaten  bis 
8  Jahren  in  Betracht.  Die  Geschwülste  haben  die  Tendenz  in  das  Venen¬ 
system  einzubrechen.  Oft  sind  Tromben  von  Geschwulstmassen  im 
rechten  Herzen  beobachtet  worden.  Auch  periphere  Metastasen  in 
der  Blutbahn  wurden  gefunden.  Häufig  sieht  man  Geschwulstmassen 
mantelartig  das  Gefäßsystem  umziehen. 

Lymphbahnen  sind  dagegen  weniger  gefährdet,  es  wurden  nur 
zwei  Fälle  beobachtet.  Als  Lokalisation  der  Geschwülste  kommt  meisten¬ 
teils  das  Skelett  in  Betracht,  doch  sind  sie  überall  zu  finden ;  selten 
am  Pankreas.  Die  Untersuchungen  des  Vortragenden  über  das  Ver¬ 
hältnis  zu  Addison-Symptomen  sind  negativ  ausgefallen. 

Ein  Fall  zeigte  Hautpigmentierung. 

Demonstration  von  Präparaten. 

Diskussion : 

Löwenhardt  ha,t  die  Erfahrung  gemacht,  daß  die  Geschwülste 
stark  bluten,  er  hat  Addison-Symptome  nicht  gefunden,  doch  graues 
kachektisches  Aussehen. 

Davidsohn  spricht  über  das  Vorkommen  adrenalinähnlicher  Sub¬ 
stanzen  in  den  Metastasen,  mit  deren  Hilfe  eine  Sicherstellung  jder 
Diagnose  ohne  Mikroskop  möglich  ist.  Zum  Nachweis  dient 

1.  der  Versuch  der  Drucksteigerung  im  Blutkreislauf, 

2.  die  Eos  anilin  färbe  des  Extraktes, 

3.  der  Froschaugen  versuch. 

Gott  stein  fragt  an,  ob  es  selten  ist,  daß  Nebennieren  tumoren  nur 
eine  Metastase  machen.  Er  hat  ferner  einen  Fall  von  Hautpigmen¬ 
tierung  bei  reiner  Nephritis  beobachtet. 

ölsner  erwähnt  die  Prädisposition  gerade  der  linken  Niere  für 
Nebennierengeschwülste. 

Alexander  weist  auf  seinen  schon  lange  zurückliegenden  Nachweis 
von  Lezithin  in  Nebennieren  tumoren  hin. 

Winkler  bestätigt  die  starken  Blutungen,  die  sich  auch  am 
Kadaver  gefunden  haben,  auch  bestätigt  er  das  Vorkommen  von  Einzel¬ 
metastasen  am  Skelett.  Er  schlägt  vor  den  Namen  Hypernephrom  in 
epirenales  Sarkom  umzuwandeln,  da  ersterer  zu  Mißdeutungen  Anlaß 
geben  kann. 

Wegen  vorgeschrittener  Zeit  verzichtet  Prof.  Ponfick  auf  seinen 
Vortrag  und  schließt  den  Abend. 


Breslauer  Brief. 


61 


Medizinische  Sektion. 

Sitzung  am  Freitag,  den  13.  November  1908,  abends  6  Uhr 
im  Gesellschaftshause,  Matthiaskunst  4/5. 

Vorsitzender:  G.  M.-R.  Prof.  Dr.  Ne  iß  er. 

Schriftführer:  G.  M.-R.  Prof.  Dr.  Part  sch. 

T  ageSo  rdnung: 

1.  Professor  Dr.  Groenouw:  a)  Triohiasisoperation  nach  Spencer- Wat- 
son.  b)  Keratitis  parenchymatosa  auf  tuberkulöser  Basis. 

2.  Professor  Dr.  Küttner:  Demonstrationen  zur  Gehirnchirurgie. 

3.  Dr.  L  andois:  Über  Muskelsyphilis. 

4.  Privatdozent  Danielsen:  Fremdkörper  im  Ösophagus. 

5.  Privatdozent  Coenen:  Demonstrationen. 

6.  Dr.  Levy:  Demonstration  eines  Falles  von  Madelung’scher  Dif- 
formität. 

1)  Groenouw  demonstriert  einen  Fall,  den  er  nach  Spencer-Watson 
mit  gutem  Erfolge  operiert  hat.  Er  spricht  dann  über  einen  Fall  von 
Keratitis  parenchymatosa  auf  tuberkulöser  Grundlage.  Als  Ätiologie 
für  Keratitis  parenchymatosa  kommt  hauptsächlich  Lues  in  Betracht. 
Auf  Alt-Tuberkulin  ist  eine  deutliche  Reaktion  eingetreten.  Das  Neu- 
Tuherkulin  habe  versagt.  Das  Sehvermögen  sei  besser  geworden. 

Diskussion : 

Neißer  fragt  an,  oh  eine  allgemeine  oder  örtliche  Reaktion  ein¬ 
getreten  sei  ? 

Groenouw:  Eine  allgemeine. 

Neißer  hält  dann  die  Diagnose  für  nicht  ganz  sicher  gestellt, 
weil  ein  im  Körper  latenter  tuberkulöser  Herd  reagieren  könne. 

Cohen  erklärt,»  daß  in  der  Universitäts-Augenklinik  auch  Alt- 
Tuberkulin  zu  diagnostischen  Zwecken  benützt  werde.  Es  werde  mit 
der  Injektion  von  1/10  mg  begonnen  und  sofort  nach  Auftreten  einer 
allgemeinen  Reaktion,  auf  gehört, 

B heisch  legt  dar,  daß  in  den  meisten  Fällen  häufige  Gaben 
einer  hohen  Dose  Neu-Tuberkulin,  lokale  Reaktion  bewirken. 

2)  Küttner  erwähnt,  daß  er  18  Fälle  von  Hirn-  und  Rückenmarks¬ 
tumoren  operiert  habe.  Ei*  bespricht,  dann  mit  genauer  Krankengeschichte 

7  Fälle. 

Er  warnt  vor  der  großen  Gefahr  unstillbarer  Blutungen. 

Ein  Fall  mußte  in  zwei  Zeiten  operiert  werden,  weil  die  Blutung 
nur  durch  Tamponade  zum  Stehen  zu  bringen  war.  Auf  den  Kollaps 
infolge  schwerer  Blutung  ist  der  einzige  Todesfall,  den  er  gehabt  hat, 
zurückzuführen. 

Untter  diesen  7  Fällen  befand  sich  ein  Kleinhirn tuberkel  und  ein 
Pseudo-Kleinhirntumor.  Er  warnt  davor  die  gefüllte  Cisterne  des  Klein¬ 
hirns  für  eine  Cyste  zu  halten.  In  allen  Fällen  ist  primärer  Wund¬ 
verschluß  durch  Naht  gemacht  worden.  Dieselbe  soll  unter  allen  Um¬ 
ständen  erhalten  bleiben,  wenn  auch  leichtere  Temperaturanstiege  kom¬ 
men.  Öffnet  man  dieselbe,  so  stellt  sich  meistenteils  die  Infektion  ein. 

Ein  Fall  mit  der  Diagnose :  Herd  im  rechten  Stirnhirn  stellte  sich 
als  eine  Meningitis  tuberculosa  mit  lokalen  Erscheinungen  heraus.  K. 
weist  auf  die  Arbeiten  von  Tietze  und  Singer  hin. 


62 


Ascher,  Breslauer  Brief. 


D  iskussion : 

Tietze  hält  es  für  richtig,  sofort  nach  der  Operation  von  Hirn¬ 
tumoren  die  Wunde  durch  die  Naht  zu  verschließen.  Er  fragt  an,  wie 
sich  K.  hei  traumatischen  Hirnblutungen  verhält.  Er  hat  infolge 
primären  Wundverschlusses  bei  Trauma  2  Todesfälle  durch  Hirndruck 
wegen  Nachblutung  zu  verzeichnen.  Bei  einem  3.  Fälle  konnte  durch 
Öffnen  der  Wunde,  Herausnahme  eines  großen  Blutkoagulums  der  Hirn¬ 
druck  beseitigt  werden. 

Küttner  will  die  primäre  Naht  nur  bei  der  Operation  von  Tumoren 
gemacht  wissen,  bei  Trauma  Tamponade. 

Freund  fragt  an,  ob  bei  der  Obduktion  des  , Pseudo-Kleinhirn¬ 
tumors  ein  Hydrooephalus  gefunden  wurde. 

Küttner  bejaht  die  Frage,  fügt  aber  hinzu,  der  Hydrooephalus 
sei  so  geringen  Grades  gewesen,  daß  er  unmöglich  die  Diagnose  in 
irgend  einer  Form  hätte  beeinflussen  können. 

3)  Landois:  Syphilitische  Muskelaffektionen  treten  entweder  als 
diffuse  Schwielenbildung  oder  als  große  Geschwülste  in  Muskelbäuchen 
auf.  Die  Mittel  zur  Sicherung  der  Diagnose  sind : 

1.  der  Nachweis  der  Spirochaeta  pallida, 

2.  der  positive  Ausfall  der  Serumdiagnose. 

Der  Spirochätennachweis  gelingt  nur  in  den  Frühperioden,  auch 
ist  man  der  Serumdiagnose  nicht  ganz  sicher.  Das  Sicherste  ist  die 
Probeexzision. 

Es  läßt  sich  immer  der  Nachweis  von  Langhans’schen  Biesen¬ 
zellen  erbringen.  Er  selbst  hat  sie  in  allen,  von  ihm  allerdings  sehr 
genau  untersuchten  Fällen,  gefunden.  Sie  entstehen  durch  amitotische 
Kernteilungen  der  Muskelkerne.  An  syphilitischen  Affektionen  ist  nicht 
nur  das  Bindegewebe,'  sondern  auch  der  Muskel  beteiligt.  Er  unter¬ 
scheidet  zwei  Formen : 

1.  die  diffuse  interstitielle  Syphilis, 

2.  die  gummöse  Form. 

Demonstration  mikroskopischer  Präparate. 

Neißer  verlegt  die  Diskussion  darüber  auf  das  Ende  der  Sitzung, 
um  die  einzelnen  Bedner  auf  der  Tagesordnung  zu  Worte  kommen  zu 
lassen. 

4)  Danielsen  wendet  sich  gegen  die  überschwängliche  Empfehlung 
des  Ösophagoskopes.  Alle  anderen  Extraktionsmethoden  von  Fremd¬ 
körpern  würden  als  vitium  artis  bezeichnet.  Er  wendet  mit  Erfolg  den 
Graef e’schen  Münzenfänger  an  (Demonstration).  D.  bespricht  7  Fälle 
von  Fremdkörpern  im  Ösophagus. 

6  mal  waren  es  Gebisse, 

lmal  eine  Münze  bei  einem  2  jährigen  Kinde,  die  seit  5  Tagen 
bereits  nach  Böntgenaufnahme  an  der  Bifurkation  saß.  Bei  Böntgen- 
bildern  ist  zuerst  die  seitlich©  Aufnahme,  nachher  die  ventro  -  dorsale 
Aufnahme  zu  machen.  Am  Schlüsse  gibt  er  ein  kurzes  Resümee. 

Das  ösophagoskop  verlangt 

von  dem  Arzt:  Ausgebildete  Technik,  große  Anschaffungskosten ;  be¬ 
deutet 

für  den  Patienten :  Qualvolle  Behandlung, 
im  Erfolge  ist  es :  Dubiös. 


F.  Reuter,  80.  Versammlung  Deutscher  Naturforscher  und  Ärzte.  63 

Der  Graefe’sche  Münzenfänger  verlangt 
von  dem  Arzt:  Äußerst  leichte  Technik,  geringe  Anschaf  fungskos  len ;  ist 
für  den  , Patienten :  Weniger  qualvoll, 
im  Erfolge :  Bei  einiger  Technik,  sehr  sicher. 

Diskussion: 

Gott  stein  spricht  für  die  Methode  im  Hellen  zu  arbeiten,  besonders 
für  Knochen  im  Ösophagus  ist  dieselbe  nicht  zu  entbehren.  Er  warnt 
vor  der  Anwendung  der  Sonde. 

Tietze  fragt,  ob  die  Röntgenaufnahme  immer  nötig  ist. 

Danielsen  verneint. 

5)  Coenen  demonstriert  als  1.  Fall  ein  Röntgenkarzinom  am  Zeige¬ 
finger  der  linken  Hand.  Es  handelt  sich  um  ein  Cancroid.  C.  weist 
darauf  hin,  daß  man  sich  jetzt  wieder  der  Cohnheim’schen  Theorie 
in  der  Geschwulstlehre  nähert.  Er  betont  den  Gegensatz,  daß  einerseits 
die  Röntgenbestrahlung  imstande  sei  Krebsgeschwülste  abzuschwächen, 
andrerseits  sie  auch  hervorzurufen. 

2.  Fall,  ein  Sarkom  des  linken  Armes  mit , Perlschnurartigen  Meta¬ 
stasen  längs  der  Lymphgefäße. 

3.  Fall.  40 jähriger  Mann  mit  Divertikelbildung  im  Dünndarm, 
klinisch  das  Bild  einer  Stenose  des  Querkolons  bietend.  Resektion, 
Heilung. 

Diskussion : 

Goebel  weist  auf  die  Wyß’sche  Arbeit  hin,  die  eine  andere  Er¬ 
klärung  der  Röntgenkarzinome  gibt. 

6)  Levy:  Als  Grund  der  Madelung’schen  Difformität  sind: 

1.  Subluxationen, 

2.  schlecht  geheilte  Frakturen, 

3.  Artritis,  (sehr  ofi  gonorrhoischer  Natur), 

anzusehen.  Dupuytien  hat  eine  ähnliche  Erkrankung  als  Gewerbe¬ 
krankheit  bei  Arbeitern  einer  Tuchfabrik,  die  eine  bestimmte  Maschine 
bedienten,  beschrieben. 

Demonstration. 

Diskussion : 

Goldberg  demonstriert  eine  Reihe  von  Röntgen-Negativen  von 
M  adelung’scher  Difformität. 


80.  Versammlung  Deutscher  Naturforscher  und  Ärzte. 

Sammelbericht  von  l)r.  F.  Reuter,  Kalk-Köln. 

(Fortsetzung.) 

In  der  Abteilung  für  allgemeine  Pathologie  und  patholo¬ 
gische  Anatomie  sprach  am  Dienstag  Nachmittag  noch  Best  (Dres¬ 
den)  über  Leberveränderungen  bei  Diabetes.  Bei  Diabetes  ist  die 
mikroskopische  Verteilung  des  Glykogens  in  den  Organen  bisher  nicht 
genügend  beachtet  worden.  Eine  Lntersuchung  dieser  Verhältnisse  führt 
zu  neuen  Aufschlüssen  über  das  Wesen  der  Zuckerkrankheit.  Die 
Wandungen  der  Blut-  und  Lymphgefäße  der  Leber  erweisen  sich  als 
mit  Glykogen  infiltriert,  dasselbe  Ergebnis  bringt  eine  Untersuchung 
des  Gehirns,  während  sich  die  Blutgefäße  der  Lungen  und  der  übrigen 


64 


F.  Reuter, 


Organe  frei  von  Glykogen  finden.  Redner  hält  dise  mikroskopische 
Verteilung  für  einen  Indikator  für  die  Funktionsstörungen  in  Leber 
und  Gehirn  (Coma  diabeticum),  die  beide  offenbar  hierbei  in  Beziehung 
stehen. 

In  der  Abteilung  für  innere  Medizin  hielt  zur  seihen  Zeit 
Lieberm eister  (Köln)  einen  Vortrag  über  Tuberkelbazillen  im 
Blute  der  Phthisiker.  In  einem  verhältnismäßig  hohen  Prozentsatz 
von  Fällen  von  Tuberkulose  der  Lungen  konnten  Tuherkelbazillen  im 
Blute  durch  den  Tierversuch  nachgewiesen  werden,  und  zwar  inner¬ 
halb  der  letzten  20  Lebenstage  in  3/4  der  Fälle,  innerhalb  der  letzten 
21 — 80  Tage  vor  dem  Tode  in  der  Hälfte,  mehr  als  80  Tage  vor  dem 
exitus  in  35  °/0  der  Fälle.  Unter  den  Fällen  im  dritten  Stadium 
überhaupt  in  60°/0.  Es  steht  somit  fest,  daß  die  Lungentuberkulose 
niemals  eine  lokale  Erkrankung  ist. 

Dem  Vortrage  folgte  dann  die  Diskussion  über  die  gesamte  Tuber¬ 
kulosefrage,  wobei  u.  a.  Lubarsch  (Düsseldorf)  darauf  hinwies,  daß 
bei  jeder  ulcerösen  Phthise  Tuberkelbazillen  in  die  Blutbahn  gelangen, 
ein  Umstand,  der  dann  auch  die  Entstehung  von  tuberkulösen  Affek¬ 
tionen  nach  Verletzungen  zu  erklären  imstande  ist. 

Esser  (Bonn)  sprach  über  Blut-  und  Knochenmarks  Ver¬ 
änderungen  bei  Ernährungsschäden.  Er  hat  Versuche  an  jungen 
Ziegen  angestellt,  die  er  mit  einer  hoch  und  lange  sterilisierten  Milch 
ernährte  und  bei  denen  dann  Erscheinungen  auftraten,  die  der  Bar- 
low’schen  Krankheit  gleichen  (Schwund  des  Zellmarks  und  Ersatz 
durch  gallertig  degeneriertes  Fasermark,  Verschmälerung  der  Knorpel¬ 
wucherungszone  und  mangelhafte  Bildung  schmaler  Knochenbälkehen 
vornehmlich  durch  Verminderung  der  Apposition  infolge  kümmerlicher 
Anlage  der  Osteoblasten.  Blutungen  im  Knochenmark,  Zeichen  von 
Anämie  mit  fast  völligem  Verschwinden  der  polynukleären  Zellen  und 
Auftreten  von  Myeloblasten).  Bei  den  Kontrollieren,  die  mit  derselben, 
aber  nur  leicht  aufgekochten  Milch  ernährt  waren,  fanden  sich  keine 
nachweisbaren  Veränderungen.  Ferner  hat  er  durch  quantitativ  fehler¬ 
hafte  Ernährung  bei  jungen  Ziegen  (Überernährung)  rhachi tische  V er- 
änderungen  auf  treten  sehen.  (Verbreiterung  der  Knorpel  wucherungs- 
zone  - —  Rosenkranz  —  und  die  sonstigen  charakteristischen  An¬ 
zeichen,  sowie  geringe  Verminderung  der  roten  Blutkörperchen  bei  Ver¬ 
mehrung  der  Leukozyten. 

Reicher  (Berlin)  spricht  von  seinen  Th erapiever suchen  bei 
perniciöser  Anämie.  Er  verordnet  Cholesterin-Riedel  in  3°/0iger 
Öllösung,  davon  täglich  100  g  eßlöffelweise  zu  nehmen. 

In  der  Abteilung  für  Kinderheilkunde  sprach  am  Mittwoch 
Vormittag  der  Psychiater  Aschaffenburg  (Köln)  über  den  Schlaf 
des  Kindes  und  seine  Störungen.  Redner  betonte  einleitend,  daß 
der  Schlaf  für  den  Körper  bekanntlich  unentbehrlicher  sei,  als  alle 
anderen  Funktionen  desselben.  Ausgehend  von  seinen  experimentellen 
Untersuchungen  über  den  Schlaf  des  gesunden  Menschen  unterscheidet 
er  zwei  scharf  getrennte  Schlaftypen,  den  Abendtypus,  der  abends 
schnell  einschläft,  rasch  die  größte  Schlaftiefe  erreicht,  um  dann  bald 
zu  verflachen,  und  den  Morgentypus,  der  seine  höchste  Schlaftiefe 
erst  nach  einigen  Stunden  erreicht,  wobei  dieselbe  überhaupt  nicht  so 
tief  wird,  dafür  aber  länger  tief  bleibt  wie  bei  dem  anderen  Typ. 
Während  die  Menschen  mit  dem  Abendtypus  das  Bedürfnis  haben, 
früh  ins  Bett  zu  gehen  und  dafür  morgens  früh  frisch  und  leistungs- 


80.  Versammlung  Deutscher  Naturforscher  und  Ärzte.  65 

fähig  wach  werden,  sind  die  Menschen  mit  Morgentypus  abends  sehr 
leistungsfähig,  während  sie  morgens  nach  dem  Wachwerden  noch  lange 
mit  mangelnder  Frische  zu  kämpfen  haben.  Michelson  behauptet 
mit  Unrecht,  der  Abendtypus  sei  ein  nervöser.  Beide  Typen  lassen 
sich  schon  an  Kindern,  oft  in  derselben  Familie  nebeneinander  beob¬ 
achten.  Dem  Typus  Gewalt  an  tun  zu  wollen,  ist  zwecklos,  man  soll 
Morgenkinder  ruhig  ausschlafen  lassen.  Nach  Czerny’s  Versuchen 
entspricht  der  Schlaf  des  Säuglings  dem  Abendtypus.  Durch  den  Licht¬ 
reiz  wird  die  Tiefe  des  Schlafes  stark  beeinflußt,  nach  Czerny  scheint 
auch  Kälte  für  die  Tiefe  des  Schlafes  nicht  sehr  vorteilhaft.  Ein 
Nachmittagsschlaf  ist  entgegen  anderweitigen  Behauptungen,  für  die 
Dauer  des  Nachtschlafes  von  Vorteil,  wenn  auch  vielleicht  die  Tiefe 
etwas  dabei  leidet.  Häufig  sind  es  nervöse  Angstzustände,  die  die 
Kinder  am  Einschlafen  hindern.  Solche  Kinder  soll  man  nicht  zwingen 
wollen,  doch  darf  man  auch  nicht  allzu  sehr  nachgeben.  Erreicht  man 
nichts,  dann  ist  es  das  beste,  wenn  man  sie  für  eine  Zeit  lang  aus  dem 
Hause  tut.  Meist  beruhigt  man  sie,  wenn  man  Licht  macht,  um  dann  ganz 
langsam  und  schließlich  wieder  völlig  das  Zimmer  zu  verdunkeln. 
Völlige  Schlaflosigkeit  beruht  häufig  auf  drohenden  ernsten  Er¬ 
krankungen  (Infektionskrankheiten  und  ähnl.).  Während  T hiemisch 
behauptet,  Pavor  nocturnus  und  Somnambulismus  hätten  beide  mit 
Epilepsie  nichts  zu  tun,  ist  Bedner  anderer  Ansicht,  weil  beide  beim 
Erwachsenen  häufiger  mit  Epilepsie  vereint  Vorkommen.  Wenn  das 
geweckte  Kind  noch  benommen  erscheint,  dann  ist  auf  alle  Fälle  Auf¬ 
merksamkeit  notwendig.  Bettnässen  ist,  wenn  es  periodisch  auftritt, 
nicht  harmlos,  sondern  fast  immer  ein  Zeichen  beginnender  Epilepsie. 
Wenn  aber  diese  drei  Erscheinungen  nicht  durch  Epilepsie  veranlaßt 
werden,  dann  liegt  sicher  Nervosität  vor.  Verdauungsstörungen,  falsche 
Ernährung,  Kohlensäureüberladung,  Erschwerung  des  Atmens  durch 
die  Rachenmandel  können  wohl  Ursache  der  Schlaflosigkeit  sein,  aber 
nur  bei  sonst  kranken  Kindern.  Redner  ist  der  Ansicht,  daß  die 
Nervosität,  ein  Zustand,  der  in  der  Konstitution  des  Menschen  seine 
Ursache  findet,  nicht  zu  heilen  ist.  Nur  die  einzelnen  Symptome  lassen 
sich  beseitigen,  treten  aber  bei  jeder  geeigneten  Störung  wieder  auf. 
Nervöse  Störungen  beim  Kinde  solle  man  deshalb  lieber  etwas  zu  ernst 
auffassen,  man  werde  dann  seltener  nervöse  Erwachsene  zu  sehen  be¬ 
kommen.  Schlafstörungen  beim  Kinde  sind  auf  alle  Fälle  stets  ein 
ernstes  Symptom.  Er  faßt  seine  Ausführungen  schließlich  dahin  zu¬ 
sammen,  daß  der  Schlaf  geradezu  als  ein  Gradmesser  für  den  Gesund¬ 
heitszustand  der  Kinder  betrachtet  werden  dürfe. 

In  der  sehr  lebhaften  Diskussion  weist  Soltmann  darauf  hin, 
daß  Enuresis  immer  im  tiefsten  Schlaf  auftritt,  Pavor  nocturnus  da¬ 
gegen,  wenn  der  Schlaf  oberflächlicher  wird.  Siegert  (Köln)  gibt 
seiner  von  Aschaffenburg  abweichenden  Ansicht  Ausdruck.  Er  hält 
die  Eiweißüberernährung  mit  viel  Milch  und  Eiern  für  eine  häufige 
Ursache  der  Schlaflosigkeit  im  Kindesalter.  Die  Ernährung  kann  auf 
die  Nervosität  vorübergehend  den  schwersten  Einfluß  ausüben.  Nach 
Siegert  kann  das  Kind  die  Nervosität  wohl  erwerben  und  dieselbe 
kann  auch  wieder  geheilt  werden.  May  meint,  daß  man  bei  schlaf¬ 
losen  Kindern  die  Symptome  der  Hysterie  nie  vermissen  werde.  Feer 
stimmt  Siegert  bei,  auch  er  hält  Ernährungsstörungen  für  ein  außer¬ 
ordentlich  wichtiges  ursächliches  Moment.  Bei  älteren  Kindern  finde 
sich  der  Abendtypus  doch  häufig  gemeinsam  mit  Nervosität.  Bei  Ge- 

5 


66 


F.  Reuter, 


wölinung  an  das  offene  Fenster  finde  keine  ungünstige  Beeinflussung 
mehr  statt.  Somnolenz  bei  Pavor  nocturnus  sei  als  differentialdia¬ 
gnostisches  Zeichen  kaum  zu  brauchen,  auch  periodische  Enuresis  sei 
nicht  immer  ein  Zeichen  von  Epilepsie.  Sol t mann  meint,  Kinder 
mit  Enuresis  nocturna  solle  man  abends  früh  ins  Bett  schicken,  aber 
nachmittags  nicht  schlafen  lassen,  während  Kinder  mit  Pavor  nocturnus 
abends  früh  ins  Bett  und  dabei  auch  nachmittags  schlafen  sollen. 
Im  Schlußwort  gibt  Aschaffenburg  zu,  daß  Enuresis  oft  gerade 
während  des  Wachwerdens  auftrete,  dann  jedoch  harmlos  sei  und  daß 
der  Pavor  nocturnus  auch  nicht  immer  beim  Nachlassen  des  Schlafes 
auftrete,  sondern  häufiger  auch  durch  äußere  Reize  hervorgerufen  sei. 
Falsche  Ernährung  können  jedoch  nicht  die  einzige  Ursache  der  Schlaf¬ 
losigkeit  sein.  Anhaltende  Somnolenz  bei  Pavor  nocturnus  sei  auf 
alle  Fälle  ein  böses  Zeichen. 

Seiffert  (Leipzig)  sprach  über  die  vielerörterte  Frage  der  Milch¬ 
streptokokken.  (Der  Vortrag  ist  erschienen  in  den  „Fortschritten  der 
Medizin“  1908,  Nr.  34,  35,  36.) 

In  der  Diskussion  über  den  Seif  f  ert’schen  Vortrag  hält  Schlo߬ 
mann  (Düsseldorf)  diese  Mitteilungen  Seiffert’ s  für  ungleich  wich¬ 
tiger  als  die  seinerzeit  von  Petruschky  gemachten.  Wenn  in  einem 
Falle,  wie  dem  von  Seiffert  erwähnten,  der  Gutsbesitzer  die  Mastitis 
los  werden  will,  muß  er  alles  Vieh  verkaufen,  den  Stall  weißen  und 
desinfizieren  lassen  und  dann  neues  Vieh  einstellen.  Er  selbst  wird 
den  Nutzen  davon  haben,  wenn  das  gesunde  Vieh  wesentlich  mehr  Milch 
liefert,  als  das  Mastitiskranke.  Reitz  (Stuttgart)  rechnet  auf  die 
Mitwirkung  der  Milchhändler  bei  der  Milchüberwachung.  Die  Milch¬ 
händler  müssen  sich  zusammenschließen  und  nur  solche  Landwirte  zur 
Milchlieferung  zulassen,  die  ihre  Milch  bakteriologisch  untersuchen 
lassen.  Zangger  (Zürich)  fordert  zur  Entschädigung  der  Landwirte 
die  staatliche  Vieh  Versicherung. 

Eine  Fortsetzung  fand  diese  Debatte  über  den  Milchschmutz  in 
der  Abteilung  für  Hygiene  und  Bakteriologie,  in  der  gleich 
darauf  Petruschky  (Danzig)  weitere  Beobachtungen  über  Milch¬ 
streptokokken  vorbrachte,  in  Erwiderung  auf  Schloßmann’s  Aus¬ 
führungen,  die  dieser  bei  Gelegenheit  des  Naturforschertages  von  1904 
gemacht  hatte.  Wenn  damals  Schloßmann  den  Genuß  von  roher 
Milch  empfahl,  so  hat  sich  inzwischen  gezeigt,  daß  das  nicht  angängig 
ist.  Petruschky’s  Ansicht  andererseits  ist  inzwischen  durch  mancher¬ 
lei  V eröffentlichungen  bestätigt  worden.  Zahlreiche  Stretpokokken 
(1 — 100  Millionen  in  jedem  ccm)  lassen  sich  in  vielen  Milchproben 
nachweisen.  Dieselben  finden  sich  immer  nur  in  bestimmten  Vierteln 
des  Kuheuters,  oft  sind  sie  in  1 — 2  Vierteln  des  Euters  nahezu  in 
Reinkultur  enthalten.  Auch  noch  nach  dem  Uberstehen  der  Mastitis 
bleiben  die  Kühe  oft  für  lange  Zeit  Kokkenträger.  Es  handelt  sich 
bei  der  Milch  solcher  mastitiskranker  Kühe  nicht  nur  um  eiterähnliche 
Milch,  sondern  um  wirklichen  Eiter  in  der  Milch.  Bei  kühlerer  Jahres¬ 
zeit  zeigen  die  Säuglinge  eine  große  Tolerenz  gegen  derartige  Milch, 
bei  Hitze  aber  und  nachfolgender  Vermehrung  der  Streptokokken  in 
der  Milch  treten  sehr  schwere  Störungen  auf.  Auch  die  ausgelaugten 
und  ausgekochten  Streptokokken  erweisen  sich  noch  als  außerordent¬ 
lich  giftig.  Als  einziges  Schutzmittel  gegen  derartige  Erkrankungen 
empfiehlt  Petruschky  für  die  heißen  Monate  die  stabilen  Konserven, 
obgleich  er  die  Versuche  mit  denselben  noch  nicht  für  abgeschlossen 


80.  Versammlung  Deutscher  Naturforscher  und  Arzte. 


67 


ansieht.  Er  hält  die  Hygiene  der  Ernährung  des  gesunden  Säuglings 
für  ein  wichtiges  Kapitel  der  Hygiene  überhaupt,  hei  dem  alle,  die 
dazu  Gelegenheit  haben  (Ärzte,  Kinderärzte,  Tierärzte),  mitwirken 
müssen. 

In  der  Diskussion  erklärt  Kruse  (Bonn),  daß  er  im  wesent¬ 
lichen  noch  auf  demselben  Standpunkte  bezgl.  der  konservierten  Nah¬ 
rungsmittel  stehe,  den  man  in  Dresden  eingenommen  habe.  Die  Strepto¬ 
kokken  seien  sicher  nicht  immer  pathogen,  eine  Verwechslung  mit 
nicht  pathogenen  Arten  (Strept.  lacticus)  sei  sehr  leicht  möglich,  be¬ 
sonders  bei  der  Anreicherung,  wie  sie  Petruschky  anwendet.  Cza- 
plewsky  (Köln)  schließt  sich  Kruse  an.  Die  Färbung  spiele  eine  große 
Rolle.  Zur  Untersuchung  der  pathogenen  und  nicht  pathogenen  Arten 
empfiehlt  er  die  Züchtung  auf  der  Milchzuckerplatte.  Seiffert  weist 
darauf  hin,  daß  er  bei  streptokokkenhaltiger  Milch  stets  auch  Eiter¬ 
zellen  und  Gewebsfet.zen  gefunden  hat. 

In  seinem  Schlußwort  erklärt  Petruschky,  der  Streptokokkus 
sei  ein  sehr  wandelbarer  Organismus,  der  bald  Eitererreger,  bald  Er¬ 
reger  des  Erysipels,  bald  für  bestimmte  Tierarten  hochgradig  patho¬ 
gen  sein  kann,  bald  auch  wieder,  wenn  er  immer  in  der  Milch  lebt, 
zum  harmlosen  Säureerreger  werden  kann,  der  aber,  in  großen  Mengen 
auftretend,  trotzdem  toxisch  werden  könne.  Das  Pasteurisieren  sollte 
nach  seiner  Ansicht  gesetzlich  verboten  werden,  weil  es  nur  die  Säure¬ 
bildner  abtötet,  worauf  dann  die  übrigen  Keime  die  Oberhand  ge¬ 
winnen,  die  dann  die  fromme  Milch  zu  einem  gärenden  Drachengift 
umwand  ein.  Kruse  weist  noch  kurz  darauf  hin,  daß  die  Buttermilch 
ja  grade  von  Milchstreptokokken  wimmle,  die  somit  doch  unschädlich 
sein  müßten. 

In  der  Abteilung  für  Hygiene  und  Bakteriologie  berichtete  ferner 
noch  Stabsarzt  Wörthe* (Groß-Lichterfelde)  über  seine  Versuche  mit 
Atoxylbehandlung  bei  Protozoenkrankheiten.  Er  gibt  von  An¬ 
fang  an  hohe  Dosen  des  Mittels  und  hat  damit  bei  bestimmten  Para¬ 
sitenerkrankungen  (Durine,  Trypanosomiasis)  praktisch  eine  innere  Des¬ 
infektion  erreicht.  Die  Wirkung  des  Mittels,  das  im  Reagenzglase  ganz 
unwirksam  ist,  wurde  durch  Zufall  erkannt.  Auffallend  ist  die  ver¬ 
schiedenartige  Wirkung  des  Atoxyls  auf  die  verschiedenen  Tierarten, 
während  z.  B.  Kaninchen,  Ratten  und  Mäuse  eine  hohe  Toleranz  zeigen, 
tritt  bei  Pferden  und  Hunden  viel  früher  Arsenvergiftung  als  Para¬ 
sitenvernichtung  ein.  Das  Atoxyl,  das  fast  unverändert  im  Harn  er¬ 
scheint,  wirkt  direkt  auf  den  Parasiten  gar  nicht,  die  Wirkung  muß 
also  indirekt  unter  Mitwirkung  der  Zellen  zustande  kommen.  Eine 
Immunisierung  läßt  sich  vermittelst  Atoxyls  nicht  erreichen. 

In  der  gemeinsamen  Sitzung  der  Abteilungen  für  Chirurgie, 
innere  Medizin  und  Hautkrankheiten  wurde  zu  gleicher  Zeit 
das  Referat  über  Radiotherapie  erstattet.  Kienböck  (Wien)  sprach 
zunächst  über  die  Erfolge  der  Radiotherapie.  Die  Röntge  ns  trahlen 
wirken  auf  die  Zelltätigkeit  und  vor  allem  auf  die  Proliferation  der 
Zellen  hemmend  ein,  und  zwar  sind  besonders  empfindlich  gegen  die 
Röntgenstrahlen  Gewebe,  die  sich  in  reger  Proliferation  befinden.  Die 
Wirkung  der  Strahlen  geht  ohne  Schmerzempfindung  vor  sich,  selbst 
die  Störungen,  die  bei  schneller  Einschmelzung  größerer  Tumoren  auf- 
treten,  sind  nur  vorübergehender  Natur.  Stärkere  Hautentzündungen 
lassen  sich  vermeiden.  Um  möglichst  große  Dosen  in  die  Tiefe  wirken 
zu  lassen  ohne  Verbrennung  der  Haut,  verwendet  man  hartes  Röntgen- 

5* 


68 


F.  Reuter,  80.  Versammlung  Deutscher  Naturforscher  und  Arzte. 


licht,  Bestrahlung  von  mehreren  Seiten  her,  besondere  Strahlenfilter 
und  größere  Fokusdistanz.  Günstige  Wirkungen  werden  erzielt  hei 
Favus,  Herpes  tonsurans,  Folliculitis,  Sycosis,  Prurigo  und  Pruritus, 
sowie  hei  Hautepitheliomen,  hei  oberflächlichen  Karzinomen,  Sarkomen, 
die  von  der  Haut  oder  von  den  Lymphdrüsen  ausgehen,  Syringomyelie, 
Leukämie,  Milztumoren  und  Lymphomen,  Strumen  und  Morbus  Base- 
dowii.  Nicht  oder  nur  wenig  beeinflußt  werden  Psoriasis  (nur  vorüber¬ 
gehend),  .Lupus  vulgaris  und  Lepraknoten,  tiefer  sitzende  Karzinome 
oder  Sarkome  und  chronische  Milztumoren.  Der  zweite  Referent,  Gocht 
(Halle)  spricht  dann  über  die  Schädigungen,  welche  durch  Rönt- 
genstrahlen  hervorgerufen  werden,  die  Vermeidung  und  Be¬ 
handlung  und  die  forensische  Bedeutung  derselben.  Er  legt 
seine  Ansichten  in  6  Schlußsätzen  nieder. 

Es  folgen  dann  die  von  Brauer  (Marburg)  und  Friedrich  (Mar¬ 
burg)  erstatteten  Referate  über  die  ‘chirurgische  Behandlung 
der  Lungenkrankheiten.  Brauör  bespricht  die  Frage  vom  Stand¬ 
punkte  des  inneren  Mediziners  und  skizzierte  die  Möglichkeit  eines 
chirurgischen  Eingreifens  bei  Lungenkrankheiten,  sowie  die  Indika¬ 
tionen  für  die  verschiedenen  Eingriffe  (Eröffnung  von  Eiter-  und  Jau- 
chungshöhlen,  Entfernung  von  ganzen  Lungenabschnitten,  künstlicher 
Pneumothorax,  extrapleurale  Thoracoplastik).  Zum  Schlüsse  bringt  er 
neue  Ideen  zum  chirurgischen  Vorgehen  bei  Lungenkrankheiten  zum 
Ausdruck,  die  aber  noch  weiterer  Nachprüfung  bedürfen.  Friedrich 
(Marburg)  bespricht  die  Frage  vom  Standpunkt  des  Chirurgen.  Sache 
des  Chirurgen  sei  es  vor  allen  Dingen,  die  Technik  so  auszugestalten, 
daß  sie  nach  Möglichkeit  einen  Erfolg  des  chirurgischen  Eingriffs 
garantiert. 

In  der  Abteilung  für  Geburtshilfe  und  Gynäkologie  be¬ 
sprach  Weiswange  (Dresden)  die  Frage:  Soll  der  Wurmfortsatz 
bei  Laparotomien  mit  entfernt  werden?  Die  Ansichten  darüber 
gehen  sehr  weit  auseinander,  Übereinstimmung  herrscht  aber  im  allge¬ 
meinen  darin,  daß  man  bei  jeder  Laparotomie  die  Appendix  inspizieren 
und  sie  entfernen  soll,  wenn  sie  erkrankt  ist.  Leider  ist  die  Fest¬ 
stellung  einer  Erkrankung  nicht  so  einfach,  makroskopisch  ist  es  sogar 
meist  ganz  unmöglich,  zu  erkennen,  ob  eine  Erkrankung  vorliegt. 
Redner  ist  daher  grundsätzlich  für  Entfernung  des  Wurmfortsatzes  in 
jedem  Falle,  auch  wenn  er  makroskopisch  keine  Veränderung  zeigt, 
sofern  in  dem  Allgemeinbefinden  der  Kranken  oder  in  sonstigen  Grün¬ 
den  keine  Gegenindikation  besteht.  Die  Verlängerung  der  Operation 
durch  Entfernung  der  Appendix  dürfte  nur  ausnahmsweise  ein  Hinder¬ 
nis  sein. 

Schütte  (Gelsenkirchen)  spricht  unter  Anführung  eines  reichen 
Materials  über  Behandlung  der  Uterusruptur.  Bei  allen  Fällen 
vollkommener  Ruptur  macht  er  stets  die  abdominelle  Totalexstirpation, 
trotz  des  dadurch  notwendig  werdenden  Transportes  ins  Krankenhaus. 
Vorher,  während  und  nachher  läßt  er  Kochsalzinfusionen  machen.  Die 
konservative  Methode  hält  er  nur  dann  für  berechtigt,  wenn  allzu 
weite  Entfernungen  einen  Transport  unmöglich  machen.  Alle  anderen 
OjJerationsmethoden  hält  er  für  unzweckmäßig. 

Auch  die  Thrombosenfrage  kam  wieder  zur  Erörterung.  Fromme 
(Halle)  sprach  über  Experimentelles  zur  Entstehung  der  Throm¬ 
bose.  Er  hat  interessante  Versuche  an  Kaninchen  angestellt,  indem 
er  versuchte,  Verhältnisse  zu  schaffen,  wie  sie  entsprechend  auch  bei 


Vorläufige  Mitteilungen  und  Autoreferate. 


69 


Operationen  vorliegen.  Einer  Anzahl  Tiere  legte  er  sterile,  einer  anderen 
Anzahl  infizierte  Seidenfäden  in  die  Vena  jugularis  ein  und  fand, 
daß  bei  sonst  gesunden  Tieren  durch  die  sterilen  Fäden  niemals  eine 
Thrombose  verursacht  wurde,  während  die  infizierten  Fäden  jedesmal 
eine  mehr  oder  weniger  ausgedehnte  Thrombose  veranlassen.  Besonders 
ausgedehnt  waren  die  durch  infizierte  Fäden  verursachten  Thrombosen 
bei  Tieren,  die  durch  chronische  Blutverluste  stark  anämisch  geworden 
waren,  während  bei  solchen  Tieren  die  sterilen  Fäden  nur  mit  stärkerem 
weißlichen  Gerinsel  bedeckt  erschienen,  ohne  daß  es  dabei  je  zu  einer 
richtigen  Thrombose  gekommen  wäre.  Fromme  schließt  aus  diesen 
Versuchen,  daß  zur  Entstehung  einer  Thrombose  ein  durch  Luft-,  Hand-, 
oder  Hautkeime  infizierter  Faden  genügt,  vorausgesetzt,  daß  er  in 
eine  Vene  zu  liegen  kommt.  Besonders  gefährlich  ist,  wie  aus  diesen 
Versuchen  hervorgeht,  eine  Infektion  der  Fäden  bei  anämischen  Per¬ 
sonen,  hauptsächlich  nach  starken  Blutverlusten.  In  der  Diskussion 
weist  Zur  he  He  (Bonn)  darauf  hin,  daß  Thrombosen  auch  ohne  In¬ 
fektion  entstehen  können  z.  B.  (bei  Myomen,  marantischen  Throm¬ 
bosen  U.  a.).  (Fortsetzung  folgt.) 


Vorläufige  Mitteilungen  u.  Autoreferate. 

Über  Caissonkrankheit. 

Von  Dr.  A.  Thost,  Hamburg. 

Im  ärztlichen  Verein  zu  Hamburg  am  1.  Dezember  1908  stellte 
Thost  2  Arbeiter  vor,  die  an  sogenannter  Caissonkrankheit,  zu 
Deutsch  Preßlufterkrankung  litten  und  noch  leiden.  Beide  Arbeiter 
arbeiteten  in  dem  Elbtunnel,  der  unter  der  Elbe  die  beiden  Ufer  ver¬ 
binden  soll.  Da  der  auf  Steinwärder  gelegene  Fahrschacht,  in  den  die 
späteren  eigentlichen  Tunnel  münden,  in  losen  Triebsand  eingebaut  wer¬ 
den  mußte,  zeigte  sich  schon  bei  5  Meter  Tiefe  soviel  Grundwasser, 
daß  der  Fahrschacht,  der  22  Meter  im  Lichten  Durchmesser  hat  und 
eine  Wandstärke  von  2  Meter  aus  Beton  besitzt,  nur  vermittelst  so¬ 
genannter  Caissons  weitergemauert  werden  konnte.  Man  schloß  den 
Tunnel  mittelst  einer  Eisendecke  in  6  Meter  Höhe  hermetisch  ab  und 
pumpte  nun  in  diesen  geschlossenen  Raum  (Caisson)  mittelst  starker 
Maschinen  Preßluft  von  2,4  Atmosphären  Druck,  um  das  andrängende 
Wasser  wegzudrücken.  In  diesem  Raum  wurde  in  Schichten  von  meist 
8  Stunden  gearbeitet.  Vor  dem  Raume  befindet  sich  die  Schleuße,  ein 
eiserner  Behälter,  der  gegen  den  Caisson  und  gegen  die  freie  Luft 
abgeschlossen  werden  kann,  und  in  dem  allmählich  der  Druck  der 
Luft  gesteigert  wird,  um  die  Arbeiter  langsam  an  den  Druck  zu  ge¬ 
wöhnen. 

Erfahrungsgemäß  sollen  hier  bei  einem  Druck  von  2,4  Atmosphären 
etwa  50  Minuten  zur  allmählichen  Einschleußung  und  ebensolange  beim 
Verlassen  des  Caissons  zum  Ausschlüßen  verwendet  werden. 

Trotz  dieser  Vorsichtsmaßregeln  erkrankten  eine  große  Anzahl 
Arbeiter,  einer  verstarb.  Die  Erkrankungssymptome  bestanden  in 
Erscheinungen  von  seiten  des  Herzens  und  der  Lungen,  in  Erschei¬ 
nungen  von  seiten  des  Zentralnervensystems,  speziell  des  Rückenmarks, 
sehr  häufig  aber  beobachtet  man  eine  starke  Mitbeteiligung  des  Ge¬ 
hörorgans.  Es  kommt  zu  Atemnot,  Beklemmung,  zu  heftigen  Schmerzen 
in  Muskeln  und  Gelenken,  zu  Meteorismus,  zu  Exanthemen,  Parästesien, 


70 


Vorläufige  Mitteilungen  und  Autoreferatei 


Hautjucken,  vor  allem  aber  zu  Taubheit,  bei  meinen  Fällen  einseitig, 
zu  Schwindel  und  Ohnmächten,  gelegentlich  zu  Erbrechen,  kurz  zu 
dem  Men  iere’ sehen  Symptomenkomplex. 

Während  die  Allgemeinerscheinungen  sich  nach  einigen  Tagen 
meist  zurückbildeten,  die  Leute  genasen,  blieb  der  Meniere’sche  Sym¬ 
ptomenkomplex  meist  bestehen  oder  besserte  sich  nur  wenig. 

Fall  1.  Der  32  j ähr.  Arbeiter  E.  K.  arbeitete  vor  10  Wochen 
eine  Schicht,  also  im  ganzen  nur  8  Stunden  im  Caisson.  Bei  der 
Arbeit  Brustbeklemmung  und  Schweißausbruch.  Aus  Mund  und  Nase, 
aber  nicht  aus  dem  Ohr  fließt  blutige  Flüssigkeit.  Bald  nach  dem 
Ausschleußen  Bewußtlosigkeit.  Transport  ins  Hafenkrankenhaus.  Beim 
Erwachen  Taubheit  auf  dem  rechten  Ohr.  Links  nur  leichte  Schwer¬ 
hörigkeit.  Starkes  Ohrensausen  rechts,  Kopfschmerzen,  Schwindel- 
an  fälle . 

Da  das  Befinden  sich  bessert,  Entlassung  nach  14  Tagen. 

Versuch  zu  arbeiten.  Wegen  Kurzluftigkeit  und  Schwindel  am 
19.  Oktober  nach  Eppendorf  geschickt. 

Befund :  Kräftiger  Mann.  Leichte  Bronchitis.  Leichte  Milz¬ 
schwellung.  Leichte  Störung  der  Bauchdecken-  und  Kremasterreflexe. 
Babinsky  rechts  (kranke  Seite).  Sonst  alles  normal.  Ohren :  Linkes 
Ohr  normal  im  Aussehen  und  Funktion.  Rechtes  Ohr  :  Weder  vom 
, Processus,  noch  vor  dem  Ohr  hohe  oder  tiefe  Stimmgabeln  gehört. 
Weber  nach  links.  Trommelfell  trübe,  eingezogen.  Reflex  verwischt. 
Elüstersprache  überhaupt  nicht,  laute  Sprache  15  Zentimeter.  Nystagmus 
in  horizontaler  Richtung  und  rechts.  Romberg  angedeutet.  Gleich' 
gewichtsstörungen  sehr  stark  beim  Bücken,  beim  raschen  Drehen,  Hüpfen 
und  Stehen  auf  einem  Beine.  Die  rechte  Seite  überwiegt  dabei  stark. 
N  ase :  Starke  Schwellung  der  unteren  Muschel,  deren  hintere  Enden 
als  blaurote  Wülste  die  Choanen  völlig  verlegen.  Dieselben  werden 
mit  Schlinge  abgetragen.  Am  Rachendach  beträchtlicher  Rachenmandel¬ 
rest.  Diffuse  Rötung  der  Schleimhaut  des  Rachens,  Larynx  und  Trachea. 
Augen hintergrund  normal.  Schwitzt  auf  Pilocarpin  sehr  stark.  Warme 
Bäder.  Brom.  Leichte  Besserung.  Fis  4  von  Processus  gehört.  Klagt 
viel.  Übertreibt.  Unfallneurose. 

Fall  2.  Mechaniker  C.  O.,  31  Jahr,  der  vor  91/2  Wochen  nur  4  Stun¬ 
den  in  Caisson  gearbeitet.  Kurz  vor  dem  Ausschleußen,  auf  der  Über¬ 
fahrt  Krämpfe,  Gliederschmerzen,  das  Gefühl,  als  ob  ihm  das  Fleisch  von 
Armen  und  Beinen  fiele.  Fettiges  Gefühl  auf  den  Lippen.  Seitdem 
Taubheit  auf  dem  linken  Ohr  und  Schwindel.  Aufnahme  in  das  Hafen¬ 
krankenhaus,  wo  er  4  Wochen  blieb.  Entlassen:  Vom  Spezialarzt  der 
Kasse  nach  Eppendorf  geschickt, 

Befund:  Mittelgroßer,  kräftiger,  gutgenährter  Mann.  Innere 
Organe  gesund,  Milz  nicht  vergrößert.  Ohren:  Rechts  (gesunde  Seite) 
Trommelfell  leicht  getrübt.  Leichte  Injektion  der  Gefäße.  Gehör  nor¬ 
mal.  Flüstersprache  8  m.  Weber  nach  rechts.  Rinnescher  Versuch 
positiv.  Linkes  Ohr:  Bei  der  ersten  Untersuchung  Stimmgabeln  über¬ 
haupt  nicht  gehört.  Angeblich  völlige  Taubheit.  Bei  Prüfung  mit 
2  Schläuchen  ergibt  sich,  daß  Patient  übertreibt;  jedenfalls  besteht 
nicht  völlige  Taubheit.  Stimmgabelversuch  ergibt  aber  stets  dasselbe 
Resultat.  Auffallende  Gleichgewichtsstörung ;  links  überwiegend. 
Nystagmus  in  horizontaler  Richtung,  links  überwiegend.  In  der  Nase 
Schwellkatarrh,  links  ausgeprägter,  doch  wechselt  die  Seite.  Flacher 
Rachenmandelrest. 


Vorläufige  Mitteilungen  und  Autoreferate. 


71 


Bei  einem  dritten  Arbeiter,  40  Jahre  alt,  der  entlassen  werden 
mußte,  fanden  sich  nach  8 ständiger  Arbeit  in  .Preßluft  fast  dieselben 
Erscheinungen,  wie  bei  Fall  1,  nur  daß  ausschließlich  das  linke  Ohr 
befallen  war,  .und  die  Gleichgewichtsstörungen  mehr  links  sich  zeigten. 
Auch  er  klagte  über  ein  fettiges  Gefühl  an  den  Lippen.  Auch  bei  ihm 
schwanden  alle  übrigen  Symptome  bis  auf  den  Meniere’schen  Symptomen- 
komplex.  Auch  bei  ihm  fand  sich  starke  Schwellung  der  Nasen¬ 
muscheln  und  Rötung  der  Schleimhaut  der  oberen  Luftwege  bis  herab 
in  die  Trachea,  —  W ährend  man  annimmt,  daß  die  Erscheinungen  nach 
dem  Ausschleußen  zu  erklären  sind  durch  Gasaustritt  (Stickstoff)  aus 
dem  Blut,  hauptsächlich  in  den  Venen  und  dies  durch  Sektionen  und 
Tierexperimente  einwandsfrei,  besonders  in  der  großen  Arbeit  von 
Mayer,  Heller  und  Hermann  von  Schrötter  nachgewiesen  ist,  han¬ 
delt  es  sich  bei  den  Ohren  sicher  auch  um  lokale  Störungen,  Druck¬ 
schwankungen  und  Blutungen  ins  Mittelohr  und  ins  Labyrinth.  Bei 
der  Behandlung  ist  dringend  vor  Chinin  zu  warnen,  das  nie  genützt 
hat  und  den  Akustikus  schwer  schädigt,  —  Autoreferat. 


Über  Plazenta  praevia. 

Von  Dr.  Scheib,  Prag. 

(Nach  einer  Demonstration  im  Verein  Deutscher  Arzte  in  Prag.) 

Sch.  demonstriert  einen  7  monatlichen  graviden  Uterus  samt 
Adnexen  und  Scheide  einer  unter  der  Geburt  in  der  Eröffnungsperiode, 
an  einem  inkompensierten  Herzfehler  verstorbenen  30jährigen  II.  para, 
welcher  außer  der  in  Querlage  befindlichen  Frucht  noch  eine  Placenta 
praevia  lateralis  in  situ  enthält.  Das  Präparat  soll  der  Gegenstand 
einer  ausführlichen  Bearbeitung  hinsichtlich  verschiedener  Fragen,  wie 
der  der  Insertionsverhältnisse  der  Placenta,  praevia  in  diesem  Falle, 
pathologischer  Veränderungen  in  dieser  wie  der  Decidua,  ferner  bezüg¬ 
lich  der  Frage  des  unteren  Uterinsegmentes,  und  der  Entstehungsart  der 
Placenta  praevia  werden.  Autoreferat, 


Intravenöse  Narkose. 

Von  Dr.  J.  Nerking  u.  Dr.  W.  Schür  mann.  (Med.  Klinik.  Nr.  46,  S.  1760,  1908.) 

Verff.  ist  es  gelungen,  an  der  Hand  zahlreicher  Versuche  eine 
Narkose  ohne  Gefahr  für  die  Tiere  —  Kaninchen  wurden  nur  ver¬ 
sucht  —  durch  intravenöse  Injektion  zweier  Mittel  in  der  richtigen 
Dosierung  herbeizuführen.  Es  handelt  sich  um  Äthylurethan,  das  sie 
mit  Chloralhydrat  in  Mischung  brachten.  Sie  glaubten,  daß  das 
Urethan  als  Harn s to f f ab k ömm  1  in g  im  Körper  in  Harnstoff  gespalten 
wird,  wobei  die  Äthylgruppe  frei  wird,  die  den  narkotischen  Effekt 
hervorzubringen  scheint.  Versuche  mit  Urethan  allein  in  20°/0iger 
und  50°/0iger  Lösung  brachten  keine  Narkose.  Zusätze  von  Tropa¬ 
kokain  und  Stovain  und  Skopolamin  waren  ebenfalls  entmutigend.  Erst 
der  Zusatz  von  Chloralhydrat  gab  ein  günstiges  und  befriedigendes 
Resultat,  eine  Narkose  bis  50  Minuten.  Bei  zu  rascher  Injektion  er¬ 
eignete  sich  einmal  ein  Todesfall.  Versuche  mit  Chloralhydrat  allein 
in  der  in  den  günstigen  Versuchen  angewandten  Dosis  ergaben  nur 
Schlaf,  niemals  Gefühllosigkeit.  Folgeerscheinungen  blieben  aus. 


Referate  und  Besprechungen. 


72 


;  Die  Frage,  inwieweit  diese  Art  der  Narkose  auf  andere  Tiere 
und  den  Menschen  übertragbar  ist,  ist  durch  diese  Versuche  nicht 
geklärt. 

Jedenfalls  kann  man  ihr  eine  Zukunft  in  der  Tiermedizin  mit 
ruhigem  Gewissen  prophezeien.  Autoreferat. 


Referate  und  Besprechungen. 

Innere  Medizin. 

Über  Arteriosklerose. 

(Huchard.  Bull,  med.,  Nr.  70,  S.  789—792,  1908.) 

Während  bei  uns  in  Deutschland  der  Begriff  Arteriosklerose  sich  eng 
an  das  überkommene,  in  der  pathologischen  Anatomie  wurzelnde  Wort  an¬ 
schließt  und  fast  ausschließlich  als  eine  Gefäß  Veränderung  genommen  wird, 
synonym  mit  Atherom,  —  in  Leube’s  Diagnostik  I.  1904,  S.  94  stehen 
z.  B.  beide  Ausdrücke  friedlich  nebeneinander  — ,  faßt  Huchard  die  Sache 
tiefer.  Ihm  ist  die  anatomische  Veränderung  nur  eine  Veränderung,  aber 
noch  lange  keine  Krankheit ;  die  Arteriosklerose  ist  ihrem  innersten  Wesen 
nach  eine  Vergiftung,  als  solche  beginnt  sie  ,und  als  solche  endigt  eie: 
,,Les  cardiopathies  arterielles  commenoent  par  rintoxication,  elles  continuent 
par  rintoxication,  elles  finissent  par  l’intoxication.“  Auf  dem  10.  französischen 
Kongreß  für  innere  Medizin  (Genf,  September  1908)  hatte  er  das  einleitende 
Referat  über  diese  moderne  Krankheit,  und  gewiß  sind  auch  für  manchen 
deutschen  Mediziner  einzelne  seiner  Thesen  von  Interesse. 

Also  das  Atherom  ist  eine  Läsion  vorzugsweise  der  großen  Gefäße, 
die  indessen  klinisch  weiter  nicht  von  Bedeutung  ist.  Die  sog.  Arteriosklerose 
dagegen  spielt  sich  in  den  kleinen  peripheren  Arterienzweigen  ab  und  zwar 
gleichzeitig  mit  Veränderungen  der  Gewebe,  in  denen  sie  liegen.  Während 
mithin  auch  ausgedehnte  Atheromatose  klinisch  keine  Erscheinungen  macht 
bezw.  zu  machen  braucht,  können,  ja  müssen  schon  minimale  arteriosklerotische 
Herde  —  eben  weil  sie  sich  nicht  auf  das  Gefäßsystem  beschränken  — 
je  nach  der  Dignität  des  betreffenden  Organs  mehr  oder  weniger  erhebliche 
Symptome.-  zeitigen. 

H  uchard  hat  unter  15000  Arteriosklerotikern,  welche  er  beobachtet 
hat,  bei  1980  nach  der  Ursache,  d.  h.  nach  dem  Giftstoff  geforscht.  Es 
fand  sich,  wie  zu  erwarten,  kein  bestimmter ;  Gicht  393,  Rheumatismus  254, 
Syphilis  237,  Diätfehler  205,  Tabak  188,  Infektionskrankheiten  57,  Diabetes  51, 
Malaria  23,  Menopause  21,  Ursachen  auf  moralischem  bezw.  nervösem  Gebiet 
19 mal;  bei  501  Pat.  blieb  das  auflösende  Moment  überhaupt  in  Dunkel  gehüllt. 

Die  Pathogenese  baut  sich  ihm  in  großen  Zügen  so  auf,  daß  das 
Toxikon  zunächst  Gefäßkrämpfe  —  von  dieser  so  unphysiologischen  Hypothese 
kommt,  wie  man  sieht,  auch  H.  nicht  ab  —  hervorruft,  welche  die  bekannte 
Drucksteigerung,  Dyspnoe,  Schlaflosigkeit,  Tachykardie,  Schwindel,  Zerebral¬ 
störungen  usw.  zur  Folge  haben.  Fatal  wird  die  Sache,  wenn  der  Prozeß 
sich  frühzeitig  in  den  Nieren  abspielt,  weil  dadurch  die  Elimination  des 
Giftes  verhindert  wird. 

Von  eminenter  Bedeutung  ist  das  Erkennen  des  allerersten  .,präsklerösen“ 
Stadiüms,  weil  einzig  zu  dieser  Zeit  therapeutisch  noch  etwas  zu  machen 
ist.  Zu  den  hierhergehörigen  Symptomen  gehören  neben  der  Blutdruckstei¬ 
gerung:  Oppressionsgefühl  bei  längerem  Gehen,  Herzklopfen,  nächtlicher  Harn¬ 
drang,  mäßiger  Husten  mit  Dyspnoe,  die  zunächst  an  Asthma  oder  Bronchitis 
denken  läßt;  ferner:  harter  häufiger  Puls,  Klopfen  der  peripheren  Arterien 
hauptsächlich  der  Art.  axillaris  unterhalb  des  Schlüsselbeins,  verstärkter 
Spitzenstoß,  akzentuierte  zweite  Töne,  Polyurie.  Charakteristisch  sei  die 
Zunahme  aller  dieser  Symptome  nach  dem  Essen,  sowie  das  Bedürfnis  nach 
viel  Flüssigkeit.  Weniger  bekannt  sind  ,, rheumatische“  Beschwerden  in  Armen 


Referate  und  Besprechungen. 


73 


und  Beinen  mit  Gefühl  der  Schwere ;  auch  Seitenstiche  in  Form  von  Inter¬ 
kostalschmerzen,  sowie  Anfälle  von  Bauchschmerzen  kommen  hei  den  Prä¬ 
sklerotikern  vor.  Viel  anzufangen  ist'  ersichtlich  mit  diesen  Erschei¬ 
nungen  nicht. 

Späterhin  treten  dann  hauptsächlich  2  Symptome  in  den  Vordergrund: 
Dyspnoe  und  unregelmäßige,  beschleunigte  Herztätigkeit,  beide  in  gleicher 
Weise  die  Folge  von  toxischen  wie  myokarditischen  Vorgängen. 

Sobald  der  Arzt  auf  Grund  der  Intoxikationserscheinungen,  der  Insuf¬ 
fizienz  der  Nieren  oder  anderer  Organe,  sowie  der  Blutdrucksteigerung  auf 
die  Fährte :  beginnende  Arteriosklerose  geführt  ist,  hat  er  eine  vorzugsweise 
diätetische  Therapie  (Milchdiät,  Vermeidung  aller  Harnsäure  produzierenden 
Speisen)  einzuleiten.  Zur  Beförderung  der  Diurese  rät  H.  Theobromin  mit 
0,1 — 0,15  Thyminsäure,  welch  letztere  die  Harnsäure  —  im  Gegensatz  zu 
den  Lithiumsalzen  —  zur  Lösung  bringe.  Des  ferneren  empfiehlt  er  Massage 
und  Gymnastik,  hydriatische  Prozeduren,  CO2  (neuerdings  vielleicht  besser 
Sauerstoff-)  Bäder,  Trinitrin.  Die  Digitalis  reserviert  er  sich  für  später. 

Der  nüchterne  und  kühle  Beurteiler  verrät  sich  in  der  bündigen  Ab¬ 
lehnung  der  in  letzter  Zeit  aufgebauschten  Heilmittel :  des  sog.  Antisklerose- 
Serums,  der  Hochfrequenzströme  und  der  Terrainkuren.  Daß  H.  auch  das 
Jod  verwirft,  wird  gewiß  alle  diejenigen  freuen,  welche  sich  je  gefragt 
haben,  welchen  Nutzen  denn  die  Quälereien  mit  den  vielen  und  großen 
Jodkaliflaschen  gehabt  haben. 

Natürlich  wird  die  Forschung  und  Erkenntnis  auch  einmal  über  Huehard 
hinausgehen;  aber  daß  er  seinen  Zeitgenossen  predigte,  nicht  wie  hypnotisiert 
immer  nur  auf  die  demonstrablen  pathologisch-anatomischen  Funde  zu  starren, 
sondern  auch  die  nicht  demonstrablen  Prozesse  der  Herabsetzung  der  Leistungs¬ 
fähigkeit  als  Ausdruck  von  Störungen,  welche  jenseits  des  Objektträgers 
liegen,  zu  bewerten,  wird  stets  sein  fundamentales  Verdienst  bleiben. 

Buttersack  (Berlin). 


Aus  dem  pathologischen  Institut  zu  Basel-Hedinger. 

Über  Veränderungen  im  Sinusgebiet  des  Herzens  bei  chronischer 

Arrhythmie. 

(S.  Schönberg.  Frankf.  Zeitschr.  für  Path.,  Bei.  2,  S.  153,  1908.) 

Wenckebach  beschrieb  1906  und  1907  eine  muskuläre  Verbindung 
zwischen  Vena  cava  superior  und  dem  rechten  Vorhof  und  bezeichnete  diese 
Muskel elemente  als  Analoga  des  Sinusgebietes  der  Kaltblüter.  Er  kommt 
zu  dem  Schlüsse,  daß  auch  beim  Menschen  hier  in  gleicher  Weise  die  Ursprungs¬ 
reize  für  die  Herztätigkeit  zu  suchen  seien.  Verf.  untersuchte  das  in  Frage 
stehende  Gebiet  bei  5  Fällen,  die  klinisch  konstante  Unregelmäßigkeiten  der 
Herztätigkeit  im  Sinne  der  Arrhythmie  dargeboten  hatten,  und  ferner  noch  bei 
einer  Reihe  von  Herzen,  die  weder  Symptome  von  Herzerkrankungen  gezeigt, 
noch  auch  bei  der  Sektion  pathologisch-anatomische  Veränderungen  hatten  er¬ 
kennen  lassen.  Seine  Ergebnisse  stimmen  im  allgemeinen  mit  denen  von 
W enckebach  überein;  auch  Sch.  fand  in  fast  allen  seiner  etwa  50  Fälle 
eine  meist  deutliche  Grenze  zwischen  der  Muskulatur  des  rechten  Vorhofs 
und  der  oberen  Hohlvene.  An  dieser  Grenze  liegt  der  aus  Fett  und  Binde¬ 
gewebe  bestehende,  mit  Gefäßen  und  nervösen  Elementen  reich  ausgestattete 
Sulcus,  der  vom  rechten  Herzohr  schräg  nach  hinten  unten  gegen  das  Vor¬ 
hofsseptum  zieht.  An  den  makroskopischen  Präparaten  zeigt  sich  fast  immer 
deutlich,  daß  dieser  Sulcus  in  seinem  hinteren  seitlichen  Drittel  von  einem 
Muskelbündel  überbrückt  wird,  das  vom  Vorhof  nach  hinten  oben  auf  die 
Vena  cava  superior  steigt  und  hier  zum  Teil  durch  Fasern  verstärkt  wird, 
die  von  den  zirkulär  verlaufenden  Muskelfasern  des  untersten  Teils  der  Vene 
herkommen.  Auch  mikroskopisch  ist  dieses  Bündel  meist  gut  ausgeprägt, 
doch  sieht  man  neben  diesem  noch  zahlreiche  größere  und  kleinere  Fasern 
nach  aufwärts  ziehen ;  nur  in  einem  Falle  bestand  eine  breitere  Kommunikation 


74 


Referate  und  Besprechungen. 


der  Vorhofsmuskulatur  mit  der  Venenwand.  Von  großem  Interesse  ist  es, 
daß  Sch.  in  allen  seinen  Fällen  von  länger  dauernder  Irregularität  der  Herz¬ 
aktion  entzündliche  Veränderungen  in  dem  Gebiet  zwischen  Vena  cava  superior 
und  Vorhof  nachweisen  konnte.  Diese  durch  Lymphozytenansammlungen  cha¬ 
rakterisierten  und  von  mehr  oder  weniger  deutlichen  degenerativen  Prozessen 
in  der  quergestreiften  Muskulatur  begleiteten  Veränderungen  waren  hauptsäch¬ 
lich  auf  den  untersten  Teil  der  Vena  cava  superior,  die  Sulcusgegend  und  den 
obersten  Teil  des  rechten  Vorhof  es  lokalisiert.  Stellenweise  zeigte  sich  die 
stärkste  Ansammlung  von  Lymphozyten  gerade  im  Gebiete  des  den  Sulcus 
überbrückenden  Muskel-  und  Nervenbündels  und  des  benachbarten  Fettge¬ 
webes.  In  der  Muskulatur  der  übrigen  Herzabschnitte  waren  die  entzündlichen 
Veränderungen  minimal.  Die  Befunde  erscheinen  also  durchaus  geeignet, 
die  Anschauung,  daß  die  Ursprungsreize  des  menschlichen  Herzens  im  Sinus¬ 
gebiete  beginnen,  zu  stützen.  W.  Risel-Zwickau. 


Miliartuberkulose  der  Haut  bei  Tuberkulose  der  Aorta  abdominalis. 

(E.  Hedinger,  Frankf.  Zeitschr.  für  Path.,  Bd.  2,  S.  121,  1908.) 

Bei  einem  Fall  von  Tuberkulose  der  Aorta  in  Form  eines  großen,  ur¬ 
sprünglich  in  der  Adventitia  6  cm  oberhalb  der  Teilungsstelle  der  Aorta 
abdominalis  gelegenen  und  dann  durch  Media  und  Intima  nach  innen  durch¬ 
gebrochenen  tuberkulösen  Herdes  fand  H.  neben  einem  Solitärtuberkel  im 
Pons  und  tuberkulöser  Meningitis  in  der  Haut  der  Beine  und  des  Gesäßes 
mehrere  runde,  blaurot  verfärbte,  mäßig  infiltrierte  Herde  von  1 — 2 — 3  cm, 
Durchmesser,  die  meist  mit  einer  Kruste  bedeckt  waren,  nach  deren  Entfernung 
man  etwa  1 — 2  mm  durch  eine  feine  zentrale  Öffnung  mit  der  Sonde  in  die 
Tiefe  eindringen  konnte.  Diese  Infiltrate  erwiesen  sich  als  tuberkulöse  Herde, 
die  der  akuten  oder  subakuten  miliaren  disseminierten  Hauttuberkulose  zu¬ 
gerechnet  werden  mußten.  Es  ist  dies  ein  Befund,  der  bisher  nur  erst  sehr 
selten  als  Teilerscheinung  einer  Miliartuberkulose  beobachtet  worden  ist. 

W.  Risel-Zwickau. 


Spirosal  in  Rheumatismusfällen  mit  Herzkomplikationen. 

(O.  A.  Bast,  Brooklyn.  Newyorker  med.  Monatsschr..  Nr.  6,  1908.) 

Bast  erklärt  nach  seinen  durch  einige  Krankengeschichten  illustrierten 
Erfahrungen  das  Spirosal  für  ein  vorzügliches  Antirheumatikum,  dessen  be¬ 
sonderen  Vorzug  er  darin  erblickt,  daß  es  den  Magen  in  keiner  Weise  irritiert. 
Er  verordnet  es  in  Tablettenform  und  der  Dosis  von  0,5  zweistündlich. 

Esch. 


Mikrosphygmie. 

(Bourneville,  Ch.  Riebet,  Fr.  Saint-Girons.  Progr.  med.,  S.  529,  1908.) 

Nach  dem  Vorgang  von  Variot  bezeichnen  die  3  Autoren  mit  dem 
Worte:  Mikrosphygmie  die  Kombination  von  kleinem  Puls,  Idiotie  und  aller¬ 
hand  Dystrophieen. 

Der  Puls  ist  klein,  mitunter  kaum  fühlbar,  doch  liegt  das  nicht  an 
einer  Hypoplasie  des  Gefäßsystems ;  denn  unter  dem  Einfluß  vasodilatatorischer 
Mittel,  Amylnitrit,  Wärme  usw.  kann  er  ganz  kräftig  werden.  Der  Blut¬ 
druck  ist  bei  solchen  Geschöpfen  ziemlich  normal,  ebenso  Herz,  Blut  und 
Venen ;  nur  die  Puls-amplitude  ist  wesentlich  verkleinert. 

Idiotie  findet  sich  in  den  verschiedensten  Graden. 

Von  Entwicklungsstörungen  werden  genannt:  pes  varus,  Camptodactylie, 
Hasenscharten,  Fehlen  des  Zäpfchens,  der  Daumen-  und  Kleinfingerballen, 
Ichthyosis  und  vor  allem:  Zwergwuchs. 

Bemerkenswert  ist,  daß  bis  jetzt  nur  Mädchen  gefunden  wurden,  welche 
dieses  Syndrom  darboten,  kein  einziger  Junge.  Buttersack  (Berlin). 


Referate  und  Besprechungen. 


75 


Zur  Behandlung  der  Gicht. 

(San.-RatDr.  Falkenstein,  Gr.-Lichterfelde.  Berliner  klin.Wochenschr.,  Nr.  36,  1908.) 

Durch  die  Salzsäurezufuhr  wird  das  Befinden  der  Gichtiker  außer¬ 
ordentlich  günstig  beeinflußt.  Dies  beruht  auf  der  dadurch  bewirkten  Ver¬ 
minderung  der  Stickstoffretention  (und  somit  einer  Verminderung  der  Harn¬ 
säurebildung,  sowie  auf  der  Vermehrung  der  Alkaliausfuhr.  Um  auch 
die  alten  Niederschläge,  die  durch  diese  Therapie  nicht  zu  beseitigen  sind, 
die  aber  doch  noch  Anfälle  hervorrufen  können,  aufzusaugen,  empfiehlt 
Falk enst ein  gleichzeitige  Darreichung  von  Jodglidine,  einer  Verbindung 
von  Jod  mit  Pflanzeneiweiß,  dem  die  schädlichen  Eigenschaften  des  Jod  (Jodis¬ 
mus)  fehlen,  das  dafür  aber  ebenfalls  die  Stickstoffausscheidung  befördert 
und  durch  sein  Ausscheiden  aus  dem  Körper  als  Jodkalium  demselben  Alka¬ 
lien  entzieht.  Die  Wirkungen  bestehen  in  Besserung  des  Schlafes,  der  Ver¬ 
dauung,  des  Appetits,  sowie  in  Vermehrung  der  Schweißabsonderung.  Falken  - 
stein  gibt  täglich  zunächst  zwei  Tabletten,  später  nur  eine,  bei  angegriffenen 
Magen  auch  nur  eine  halbe  und  läßt  die  Kur  längere  Zeit  (bis  zu  mehrerQn 
Monaten)  fortsetzen.  Bei  Anfällen  verträgt  der  Magen  das  Jodglidine  nicht. 
Dann  gibt  man  neben  der  Salzsäure  Morphium  oder  Aspirin.  An  Stelle  des 
Jodglidine  wird  hierbei  neuerdings  das  25%ige  Jodipinöl  empfohlen,  das 
über  dem  schmerzenden  Gelenk  subkutan  injiziert  wird.  Wenn  die  Schmerzen 
danach  auch  nicht  aufhören,  so  glaubt  Falkenstein  doch  einen  schadlosen 
und  leichteren  Verlauf  beobachtet  zu  haben.  F.  Walther. 


Serumtherapie  der  Nephritis  und  der  Tuberkulose. 

(J.  Teissier.  Acad.  de  med.,  7.  Okt.  1908.  —  Bull,  med.,  Nr.  80,  S.  877 — 880  und 

Nr.  81,  S.  891/892,  1908.) 

Jede  Zeit  hat  ihren  Vorstellungskreis,  und  aus  diesem  Kreis  heraus 
werden  die  gerade  geltenden  Theorien  geboren.  So  leben  wir  im  Zeichen 
der  chemischen  Physiologie  und  im  speziellen  der  Serumtherapie.  Mag  man 
im  Serum  nur  neutralisierende  Stoffe  vermuten  oder  solche,  welche  den 
Organismus  in  allen  seinen  Teilen  mobil  machen,  daß  er  mit  selbstgebildeten 
Antitoxinen  die  hypothetischen  Giftstoffe  binde:  immer  blinkt  die  chemische 
Grundanschauung  hindurch. 

Ein  eigenartiges  Hypothesengespinst  hat  Teissier  ersonnen:  Er  nimmt 
an,  daß  im  Blute  der  Nierenvenen  Antitoxine  enthalten  seien  und  daß 
mit  ihrer  Hilfe  sich  urämische  Zustände  beseitigen  lassen.  Da  Niere  schlie߬ 
lich  Niere  ist,  so  bleibt  es  sich  gleich,  ob  man  Nierenvenenblut  vom  Menschen, 
Hund,  Pferd  usw.  anwendet;  der  Bequemlichkeit  halber  wählte  er  Ziegen 
als  Serumlieferanten.  Mit  15 — 20  ccm  mehrmals  injiziert  gelang  es  ihm, 
sieben  Nephritiker,  welche  zum  Teil  an  schweren  Urämieen  litten,  zu  heilen. 

Die  Hauptsache  bei  der  Blutentnahme  ist,  daß  man  nur  Nierenvenen¬ 
blut  ansaugt  und  nicht  auch  solches  aus  der  Vena  cava  inferior,  sonst  bleiben 
die  Heilwirkungen  aus. 

„Vor  dem  taktischen  Siege  schweigen  die  Forderungen  der  Strategie“ 
hat  Moltke  einmal  gesagt.  Wenn  die  Zahl  der  mit  Ziegenserum  geheilten 
Nephritiker  erst  einmal  ein  paar  Hundert  beträgt  —  es  gibt  ihrer  ja  genug  — , 
ist  der  Beweis  der  Wirksamkeit  dieser  Therapie  geliefert  und  der  Augen¬ 
blick  der  Theorienbildner  gekommen ;  aber  bis  dahin  dürften  Zweifel  doch 
wohl  gestattet  sein. 

Desgleichen  bei  dem  Serum,  welches  Lannelongue,  Achard  und 
Gai  11  ar  d  von  Eseln  und  Pferden  mit  Hilfe  von  Injektionen  von  erhitztem 
(120°)  und  mit  Essigsäure  und  Natriumkarbonat  behandeltem  Tuberkelbazillen¬ 
extrakt  gewonnen  haben.  Dasselbe  wurde  von  4  Klinikern  (Comby,  Le  Noir, 
Legry  und  Küss)  praktisch  erprobt,  aber  ihre  Urteile  sind  so  vorsichtig 
abgeiaßt,  daß  der  unbefangene  Leser  nur  das  eine  Sichere  herausliest:  Die 
Injektionen  haben  unseren  Patienten  nichts  geschadet.  —  Das  ist  immerhin 
schon  etwas,  hätte  sich  aber  mit  Aq.  dest.  wahrscheinlich  auch  erreichen  lassen. 

Buttersack  (Berlin). 


76 


Referate  und  Besprechungen. 


Zervikal-Punktion. 

(Al.  Obregia.  Bullet  med.,  S.  769,  1908.) 

Diejenigen,  denen  es  nicht  genügt,  das  Nervensystem  durch  Lumbal¬ 
punktion  zu  attackieren,  bemächtigen  sich  vielleicht  eines  Verfahrens,  welches 
mehr  zentral  anpackt  und  in  der  biologischen  Gesellschaft  von  Bukarest  neu¬ 
lich  vorgetragen  worden  ist. 

Obregia  legt  seine  Versuchsobjekte  ins  Bett,  der  Kopf  ruht  auf  einem 
Kissen  und  wird  energisch  gegen  die  Brust  gebeugt.  Er  findet  in  dieser 
Stellung  leicht  die  Protuberantia  occipitalis  externa,  den  unteren  Rand  des 
Oociput  und  gleich  darunter  den  Processus  spinosus  des  Atlas ;  oberhalb  dieses 
senkt  er  die  Nadel  ein.  Hat  man  in  der  Medianlinie  die  Raphe  cervicalis, 
dann  das  Lig.  occipito-atlanticum  durchstoßen,  dann  treten  sofort  einige 
Tropfen  Plüssigkeit  heraus;  man  muß  nur  dafür  sorgen,  daß  Nadel  und 
Mandrin  nicht  hermetisch  schließen;  denn  es  sei  absolut  notwendig,  daß 
die  Spinalflüssigkeit  sofort  einen  Ausweg  finde.  Später  fließe  die  Plüssig¬ 
keit  reichlich  ab. 

Der  Schmerz  sei  nicht  größer  als  bei-  andern  Punktionen.  Bei  22  Zervikal¬ 
punktionen  beobachtete  Obregia  keine  fatalen  Nebenerscheinungen,  insbeson¬ 
dere  kein  Kopfweh  und  keinen  Schwindel. 

Als  Indikationen  stellt  er  auf:  1.  den  Wunsch,  möglichst  bald  die 
Zytodiagnostik  einer  Gehirnerkrankung  zu  stellen;  2.  die  Applikation  eines 
Heilmittels,  z.  B.  bei  Tetanus. 

Wer  mit  Trousseau  dem  kunstvollen  Gefüge  des  lebenden  Organismus 
mit  bewundernder  Ehrfurcht  gegenübersteht,  wird  sich  nicht  leicht  zu  diesem 
Eingriff  entschließen.  Mechanisten  mögen  immerhin  an  dem  feinsten  aller 
Apparate  mit  Nadel  und  Mandrin  herumdoktern.  Buttersack  (Berlin). 


Die  Lagerung  des  Kranken  bei  der  Appendizitis. 

(H.  Dreesmann.  Med.  Klinik,  Nr.  36,  1907.) 

Dreesmann  weist  darauf  hin,  daß  es  für  den  Verlauf  einer  Appen¬ 
dizitis  sowohl  vor  wie  nach  einer  Operation,  besonders  aber  vor  einer  solchen 
durchaus  nicht  gleichgültig  sei,  in  welcher  Weise  der  Kranke  gelagert  werde. 
Es  liegt  auf  der  Hand,  daß  die  Innehaltung  der  rechten  Seitenlage  bei  ge¬ 
beugtem  Hüftgelenk,  eine  Lagerung,  die  auch  bei  einem  etwaigen  Transport 
nach  Möglichkeit  beibehalten  werden  soll,  gewisse  Vorteile  bietet,  für  welche 
die  Gründe  sehr  nahe  liegen.  Der  Kranke  soll  bei  gebeugtem  Hüftgelink 
so  weit  auf  die  rechte  Seite  gelegt  werden,  daß  das  linke  Knie  vor  dem 
rechten  zu  liegen  kommt.  Der  Rücken  ist  durch  Kissen  zu  stützen,  zwischen 
beide  Knie  kommt,  falls  über  Druck  geklagt  wird,  ein  weiches  Kissen, 
ebenso  unter  den  rechten  Trochanter.  R.  Stüve  (Osnabrück). 


Chirurgie. 

Fortschritte  in  der  Perityphlitis-  und  Peritonitisbehandlung. 

(Dr.  Klauber,  Allg.  Krankenhaus,  Lübeck.  Med.  Klinik,  Nr.  28,  1908.) 

Klauber  berichtet  über  die  günstigen  Resultate  der  Perityphlitis¬ 
behandlung,  die  sein  Chef,  Oberarzt  Dr.  Roth,  dadurch  hatte,  daß  er  die 
Perityphlitis  stets  sofort  operierte  und  zwar  ganz  gleichgültig,  in  welchem 
Stadium.  Es  wurde  die  Operation  also  nicht  auf  die  Perityphlitisfälle  inner¬ 
halb  der  ersten  48  Stunden  nach  Beginn  der  Erkrankung,  und  ferner  auf 
die  Abszeßinzision  und  die  späteren  Intervalloperationen  beschränkt,  sondern 
jede  Perityphlitis  wurde  sofort  operiert,  sowie  sie  in  das  Krankenhaus  kam, 
und  zwar  stets  radikal  operiert,  d.  h.  stets  mit  Entfernung  des  Wurmfort¬ 
satzes.  Bei  diesem  radikalen  Vorgehen  der  Operation  der  Perityphlitis  ist 
die  Mortalität  von  23%  auf  4%,  bei  der  Peritonitis  von  57%  auf  5 °/0 


Referate  und  Besprechungen. 


77 


herabgegangen.  Roth  bevorzugt  stets  den  pararektalen  Schnitt.  Er  begnügt 
sich  also  beim  perityphlitischen  Abszeß  nicht,  den  Abszeß  nur  zu  inzidieren 
und  den  Appendix  eventuell  mit  wegzunehmen  oder,  wenn  er  zu  sehr  ver¬ 
wachsen  ist  oder  in  den  Verwachsungen  nicht  zu  finden  ist,  ihn  auch  darin 
zu  lassen;  sondern  er  inzidiert,  trotz  des  Abszesses  pararektal  die  Bauchhöhle 
und  sucht,  die  offene  Bauchhöhle  zunächst  ab,  ob  nicht  noch  irgendwo  anders 
ein  Abszeß  sitzt  und  geht  dann  auf  den  Abszeß  los,  in  dessen  Mitte, 
von  Eiter  umspült,  stets  der  Wurmfortsatz  sitzt;  derselbe  wird  selbstredend 
abgetragen.  Auch  die  Gefahr  der  Fistelbildung  an  der  Stelle  des  abgetragenen 
Wurmfortsatzes  hat  Roth  nicht  mehr  beobachtet,  seitdem  es  vermieden  wird, 
auf  der  Stelle  des  abgetragenen  Appendix  einen  Tampon  zu  legen  und 
seitdem  die  Stelle  der  Abtragung  des  Appendix  möglichst  tief  in  die  Bauch¬ 
höhle  verlegt  wird. 

Bei  bestehender  Peritonitis  wurde  oft  künstlich  eine  Darmfistel  an¬ 
gelegt,  und  zwar  nach  Witzel’s  Art  als  Schrägkanal;  das  half  oft  schneller 
die  Darmparese  beseitigen  als  dies  ohne  künstliche  Darmfistel  der  Fall 
gewesen  wäre.  Von  dem  Ausspülen  der  Bauchhöhle  bei  bestehender  diffuser 
Peritonitis  ist  Roth  ganz  abgekommen,  man  könne,  nach  seiner  Ansicht, 
den  Eiter  dadurch  höchstens  noch  an  Stellen  spülen,  wo  bisher  kein  Eiter 
saß.  Das  Wichtigste  ist  seiner  Ansicht  nach  die  richtige  und  ausgiebige  Drai¬ 
nage,  und  zwar  führt  er  dieselbe  durch  für  die  ersten  4 — 6  Tage  nur  mittels 
Gummidrains,  die  mit  Gaze  umwickelt  sind,  wobei  die  Gaze  aspirierend 
wirkt,  nach  dem  4.-6.  Tag  nur  durch  das  wieder  eingeführte  Gummidrain, 
um  das  sich  aber  schon  ein  Granulationskanal  gebildet  hat.  Mit  diesem 
radikalen  und  dreisten  Vorgehen  in  der  Behandlung  der  Perityphlitis  in 
jedem  Stadium  hat  Roth  viel  günstigere  Resultate  gehabt  als  mit  dem 
früheren  Vorgehen,  welches  die  sog.  Frühformen  der  Perityphlitis  von  den 
Spätformen  streng  trennte.  Härting  (Leipzig). 


Die  Frühoperation  der  akuten  sicheren  Cholecystitis. 

(Prof.  Riedel,  Jena.  Deutsche  med.  Wochenschr.,  Nr.  22,  1908.) 

Riedel  plädiert  für  die  Frühoperation  der  schweren  akuten  Chole¬ 
cystitis,  die  ebenso  wie  die  Frühoperation  der  akuten  Perityphlitis,  ihre 

volle  Berechtigung  habe.  Dann  könne  es  nicht  zu  den  schweren  Formen 

der  Gallensteinkrankheit  kommen,  die  so  oft  den  Tod  der  Gallensteinkranken 
bedingen  (Perforation  der  Gallenblase  mit  Peritonitis,  Gangrän  der  Gallen¬ 
blase  oder  des  Gallenblasenhalses  durch  Druck  von  Gallensteinen  mit  den 
sekundären  septischen  Erscheinungen  usw.  usw.)  Auch  das  Eintreten  der 
Gallensteine  in  die  tieferen  Gallengänge,  vor  allem  in  den  Ductus  chole- 

dochus,  was  immer  sehr  ernst  zu  nehmen  ist,  würde  dadurch  verhindert. 

Härting  (Leipzig). 


Eine  neue  Methode  der  Prostatektomie. 

(Prof.  Wilms,  Basel.  Deutsche  Zeitschr.  f.  Chir.,  98.  Bd.,  4.  u.  5.  Heft.) 

Ein  dicht  am  linken  absteigenden  Schambeinast  herabziehender  Schnitt 
eröffnet  nach  Durchtrennung  einer  dünnen  Faszie  ein  lockeres  von  Venen 
durchzogenes  Gewebe,  aus  dem  man  sich  durch  stumpfe  Präparation  die 
Prostata  leicht  zugänglich  machen  kann.  Der  Muse,  ischio-cavernosus  und 
die  mit  ihm  verlaufenden  Arterienäste  werden  dabei  median wärts  verschoben, 
ohne  eine  Verletzung  zu  erfahren.  Nach  Kenntlichmachung  der  Harnröhre 
durch  einen  eingeführten  Katheter  dringt  man  mit  dem  Finger  oder  mit  einem 
stumpfen  Instrument  in  die  Kapsel  hinein.  Von  dieser  Öffnung  aus  kann 
man  den  linken  wie  den  rechten  Prostatalappen  völlig  aushülsen.  Die  Blutung 
ist  gering,  eine  Rektumverletzung  ausgeschlossen.  Drainage  nach  unten. 

Die  Beobachtung  dreier  auf  diese  Weise  operierten  Fälle  gibt  dem 
Verf.  die  Überzeugung,  daß  das  Verfahren  den  bisher  üblichen  Operations¬ 
methoden  vorzuziehen  ist.  F.  Kayser  (Cöln). 


78 


Referate  und  Besprechungen. 


Zweizeitige  Prostatektomie  unter  Lokalanästhesie. 

(Prof.  Lanz,  Amsterdam.  Deutsche  med.  Wochenschr.,  Nr.  22,  1908.) 

Lanz  hat  bei  Prostatikern  prinzipiell  die  Narkose  vermieden  und 
die  transvesikale  Prostatektomie  unter  Lumbalanästhesie  ausgeführt.  Diese 
ist  — :  unter  Lumbalanästhesie  ausgeführt  —  nicht  gefährlicher  als  der  bloße 
Katheterismus  und  bietet  außerdem  den  Vorteil  der  Radikalheilung.  Der 
Katheterismus  ist  bei  Prostatikern  kontraindiziert,  da  er  doch  nur  den  Anfang 
vom  Ende  bedeutet  und  unzweifelhaft  bei  protrahiertem  Anwenden  zur 
Infektion  führt.  Bei  sehr  heruntergekommenen  oder  senilen  Prostatikern  kann 
man  die  transvesikale  Prostatektomie  in  zwei  Akte  zerlegen  und  zunächst 
nur  die  Sectio  alta  ausführen  und  nach  einigen  Tagen  die  Ausschälung  der 
Prostata.  Die  Sectio  alta  kann  man  sehr  wohl  mit  Lokalanästhesie  mittels 
l%igen  Kokain  oder  Novokain  ausführen  und  den  zweiten  Akt,  die  Aus¬ 
schälung  der  Prostata,  ohne  jedes  Anästhetikum  ausführen,  da  die  Aus¬ 
schälung  fast  schmerzlos  ist.  Härting  (Leipzig). 

Ein  Beitrag  zur  idealen  Operation  des  arteriellen  Aneurysma. 

(Prof.  Enderlen,  Wiirzburg.  Deutsche  med.  Wochenschr.,  Nr.  37,  1908.) 

En  der  len  berichtet  über  einen  Fall  von  Aneurysma  der  Arteria  poplitea, 
das  bei  einem  37  jährigen  Mann  nach  dem  Heben  eines  schweren  Fasses  in 
der  Kniekehle  entstanden  war.  Der  Mann  hatte  vor  18  Jahren  Lues  durch¬ 
gemacht,  die  wahrscheinlich  die  Ursache  der  Gefäßbrüchigkeit  und  Gefä߬ 
zerreißung  war.  Er  inzidierte  unter  Lumbalanästhesie  und  Esmarch’s 
Blutleere  in  der  Kniekehle,  exzidierte  das  Aneurysma  und  vernähte  unter 
Beugestellung  des  Kniegelenks  die  Arteria  poplitea  zirkulär.  Nach  sechs 
Tagen  wurde  mit  der  Streckung  des  Kniegelenks  begonnen,  die  nach  weiteren 
sechs  Tagen  beendet  war.  Der  Mann  wurde  .vollkommen  arbeitsfähig.  — 
Für  den  Fäll,  daß  man  die  beiden  Enden  der  Arteria  poplitea  nicht  aneinander 
bringen  würde,  war  die  Resektion  der  Vena  femoralis  in  Aussicht  genommen, 
wie  dies  Lex  er  bei  einem  exstirpierten  Aneurysma  der  Arteria  axillaris, 
wo  8  cm  der  Arteria  axillaris  fehlten,  aus  der  Vena  saphena  magna  getan 
hat.  Braun  hat  allerdings  betont,  daß  man  die  Arteria  axillaris  und  sogar 
die  Arteria  subclavia  ohne  Gefahr  unterbinden  könne,  da  die  Zirkulations- 
Verhältnisse  am  Arme  sehr  günstige  seien;  man  brauche  also  eine  Gangrän 
am  Arm  nicht  zu  befürchten.  Demgegenüber  sind  die  Erfolge  der  Gefä߬ 
implantation  noch  zu  unsicher.  Die  Verpflanzung  der  Vene  ist  auch  nicht 
leicht,  die  Arterie  läßt  sich  leichter  implantieren,  doch  sind  Arterien  von 
Patienten  stets  viel  schwerer  zu  erhalten.  Enderlen  betont,  daß  die  Venen¬ 
beziehungsweise  Arterientransplantation  gegenüber  der  Ligatur  einen  Ge¬ 
winn  bedeute,  selbst  wenn  sich  eine  Thrombose  einstellt;  die  Unterbrechung 
der  Blutzirkulation  vollzieht  sich  langsam  und  nicht  plötzlich,  wie  bei  der 
Unterbindung.  Härting  (Leipzig). 

Neues  Zeichen  zur  Frühdiagnose  der  Koxitis. 

(Mar.  Salaghi.  Archiv  di  Ortopedia,  Jahrg.  XXV,  H.  3.) 

Salaghi  glaubt  ein  neues  Frühsymptom  der  Koxitis  gefunden  zu  haben, 
aus  dem  sie  sich  vor  dem  Auftreten  nennenswerten  Schmerzes  oder  direkt 
nachweisbarer  Kontraktur  und  sicherer  als  durch  Radiographie  erkennen 
lasse.  Er  legt  den  Kranken  in  Bauchlage  auf  den  Tisch  und  flektiert  das 
Knie  des  suspekten  Beins.  Sobald  der  rechte  Winkel  überschritten  wird, 
hebt  ein  Kranker  mit  beginnender  Koxitis  die  kranke  Beckenseite  —  offen¬ 
bar  um  durch  Flexion  im  Hüftgelenk  den  Schmerz  aufzuheben.  Die  Bauch¬ 
lage  ist  der  Rückenlage  deshalb'  vorzuziehen,  weil  in  letzterer  der  Unter¬ 
suchte  leichter  eine  kleine  Flexion  im  Hüftgelenk  ausführen  kann,  die  der 
Beobachtung  entgeht. 

Wenn  dieses  Symptom  sich  als  beweiskräftig  herausstellt,  so  verdient 
die  Beobachtungsgabe  Salaghi’s,  der  auf  diesem  durchforschten  Gebiet  neues 
zu  finden  vermochte,  alle  Anerkennung.  F.  von  den  Velden. 


Referate  und  Besprechungen. 


79 


Operierte  sollen  nicht  zu  lange  liegen. 

(Picque.  Soc.  de  Chirurgie,  15.  Oktober  1908.  —  Progr.  med.,  Nr.  43,  S.  525,  1908.) 

Im  Anschluß  an  Mitteilungen  von  de  Fourmestraux  und  von  Faure 
setzte  Pique  auseinander,  daß  sich  infolge  langen  Liegens  allerlei  Störungen 
seitens  des  Reispirations-  und  Zirkulationsapparates  einstellen  können.  Diese 
Störungen  machen  zunächst  einen  infektiösen  Eindruck,  lassen  sich  aber  durch 
Aufstehen  schnell  beheben. 

Auch  psychische  Alterationen  sind  beobachtet  worden,  was  denjenigen 
nicht  in  Erstaunen  setzt,  der  weiß,  was  für  eine  große  Rolle  der  Zustand 
der  peripheren  Organe  in  der  geistigen  Konstitution  spielt. 

Wenn  Picque  schließlich  meint,  die  Rekonvaleszenz  erfolge  bei  Bett¬ 
ruhe  keineswegs  schneller,  so  werden  ihm  darin  wohl  nur  wenige  nicht 
beistimmen.  Daß  man  dabei  nichts  übertreiben,  nicht  zu  schnell  Vorgehen 
darf,  ist  selbstverständlich.  Buttersack  (Berlin). 


V 


Experimentelle  Untersuchungen  über  Veränderungen  der  Nissl’schen 

Granula  bei  der  Lumbalanästhesie. 

(E.  Wossidlo,  Archiv  für  klin.  Chir.,  Bd.  86,  Heft  4.) 

Nach  allen  bisherigen  Erfahrungen  ist  die  Lumbalanästhesie  als  eine 
Leitungsanästhesie  aufzufassen;  das  Anästhetikum  wirkt  auf  die  im  Dural¬ 
kanal  verlaufenden  Nervenfasern  und  hebt  ihre  Leitungsfähigkeit  auf;  infolge¬ 
dessen  werden  die  dazu  gehörigen  Ganglienzellen  außer  Funktion  gesetzt. 

Die  Ni ß Ischen  Granula  befinden  sich  im  Zellkörper  der  Nervenzelle; 
sie  sind  das  Produkt  einer  normal  arbeitenden  Zelle ;  eine  Aufhebung  der  nor¬ 
malen  Funktionsmöglichkeit  führt  den  Zerfall  dieser  Produkte  herbei  und 
erst  eine  längere  Funktion  stellt  das  normale  Bild  wieder  her. 

An  diesen  Nißl’schen  Schollen  hat  W.  die  anatomischen  Veränderungen 
studiert,  wie  sie  im  Rückenmark  bei  Anwendung  der  verschiedenen  Lumbal- 
anästhetika  gesetzt  werden.  Seine  Beobachtungen  basieren  auf  Versuchen  an 
Kaninchen,  denen  er  die  zurzeit  gebräuchlichen  Anästhetika,  allerdings  in  fast 
30facher  Menge,  ins  Rückenmark  einspritzte.  Die  Tiere  wurden  nach  ver¬ 
schieden  langer  Zeit  (1 — 20  Std.)  getötet  und  das  Mark  an  verschiedenen  Stellen 
untersucht. 

Die  Ergebnisse  sind :  Es  entstehen  durch  die  Lumbalanästhesie  histolo¬ 
gisch  nachweisbare  Veränderungen  in  der  Ganglienzelle;  diese  sind  bei  den 
verschiedenen  Mitteln  (Lösungen  von  4%  Stovainsuprarenin,  5%  Tropakokain, 
5%  Novokain,  4%  Alypin)  qualitativ  fast  die  gleichen;  nur  quantitativ  machen 
sich  sehr  bemerkbare  Abstufungen  geltend.  Die  Veränderungen  sind  von 
kurzer  Dauer;  1  Stunde  nach  der  Injektion  erreichen  sie  meist  ihren  Höhe¬ 
punkt;  bei  Tropakokain  läßt  sich  schon  nach  2  Stunden  eine  deutliche 
Reparation  feststellen,  die  allerdings  bei  Novokain  erst  nach  24  Stunden 
hervortritt.  Die  Veränderungen  treten  in  der  Nähe  der  Injektionsstelle  am 
schärfsten  auf  und  klingen  mit  der  größeren  Entfernung  mehr  und  mehr 
ab ;  in  der  Medulla  oblong,  hat  W.  in  keinem  Falle  wesentliche  Verände¬ 
rungen  nachweisen  können;  das  Halsmark  wurde  leider  nicht  eingehender 
untersucht.  An  den  Spinalganglien  wurden  Abweichungen  von  der  Norm 
nicht  gefunden. 

Die  Veränderungen  schwinden  so  vollkommen,  daß  man  von  einer  eigent¬ 
lichen  Schädigung  nicht  sprechen  darf.  Es  besteht  demnach  vom  pathologisch- 
anatomischen  Standpunkt  kein  Grund,  vor  der  Anwendung  der  Lumbal¬ 
anästhesie  zu  warnen. 

Als  bestes  Rückenmarksanästhetikum  ist  Tropakokain  zu  empfehlen ; 
Alypin  ist  wegen  der  hohen  Mortalitätsziffer,  Novokain  wegen  der  langen 
Schädigung  der  sensiblen  Gebiete,  das  Stovain  wegen  seiner  Reizwirkung  und 
wegen  der  etwas  länger  dauernden  Schädigung  abzulehnen.  Lemmen. 


80 


Referate  und  Besprechungen. 


Apparat  für  Rectal-Anästhesie.  —  Fergus-Äther-Athmer. 

(C.  F.  Denny,  St.  Paul,  Minnesota.  The  St.  Paul  med.  journ.,  S.  892,  Juli  1908.) 

Der  von  Ounningham  jr.  in  Boston  angegebene  und  gelegentlich  von  D. 
demonstrierte  Apparat  ist  hauptsächlich  für  die  Narkotisierung  von  Alkoho¬ 
likern  gedacht,  bei  denen  das  Äthern  durch  den  Mund  besonders  im  Auf¬ 
regungsstadium  seine  Schwierigkeiten  hat.  Der  Apparat  besteht  aus  einer 
Flasche  von  7,5 — 5  engl.  Zoll,  davon  272  Zoll  für  Äther  (und  der  Hals  für 
Dampf,  und  einem  Durchmesser  von  4  Zoll.  Der  Ätherraum  enthält  29  engl. 
Unzen  Äther.  Ein  Zuführungsschlauch  oder  Röhre  führt  zu  dem  Boden  der 
Äthersäule  und  endigt  hier  in  einen  Bulbus  mit  mehreren  kleinen  Öffnungen, 
so  daß  die  Luft  in  kleinen  Bläschen  aufsteigt.  Ein  Ausführungsschlauch  führt 
zu  dem  Rektumschlauch.  Er  muß  lang  genug  sein,  um  Bewegungen  mit  der 
Flasche  zu  gestatten.  Außerdem  gehört  dazu  ein  Warmwasserbehälter,  um 
die  Ätherf lasche  zwischen  80  und  90°  F  zu  halten.  (Äther  siedet  bei  98,6°  F. 
Indem  der  Äther  unter  dem  Siedepunkt  gehalten  wird,  wird  die  durch  den 
Schlauch  eintretende  Luft  leichter  gesättigt.)  Der  Kranke  bekommt  am  Abend 
vor  der  Operation  ein  Abführmittel,  um  den  Darm  gründlich  zu  reinigen, 
am  besten  Magnes.  sulf.,  am  anderen  Morgen  ein  Seifenwasserklistier  und 
ein  Frühstück  von  Beefsteak.  Beim  Gebrauch  des  Apparats  liegt  der  Kranke 
auf  dem  Rücken  und  bekommt  Sandsäcke  unter  die  Schenkel,  um  sie  leicht 
zu  beugen.  Alsdann  wird  ein  Gummirohr  in  den  Darm  eing  führt  und  die 
Verbindung  mit  dem  Apparat  her  gestellt.  Indem  man  den  Zeigefinger  neben 
dem  Gummischlauch  in  das  Rektum  führt,  erleichtert  man  das  Entweichen 
der  Darmgase,  was  wesentlich  ist.  Nachdem  die  Gase  entfernt  sind,1  wird 
der  Äther  alle  5 — 10  Sekunden  durch  Druck  auf  den  Schlauch  in  den  Darm 
getrieben.  Zuerst  will  der  Kranke  eine  Defäkation  machen.  Dies  geht  vorüber 
und  in  1 — 5  Minuten  riecht  der  Atem  nach  Äther.  Man  achte  auf  das  Herab¬ 
sinken  des  Unterkiefers  und  die  Zunge.  Ist  die  Narkose  vollkommen,  so  ge¬ 
nügt  ein  2 — 3  maliger  Druck  auf  den  Schlauch  1  Minute  lang  gewöhnlich, 
sie  aufrecht  zu  erhalten.  Ein  Sauerstoffbehälter  sollte  zur  Hand  sein,  um, 
falls  die  Narkose  zu  tief  wird,  mit  dem  Rektalschlauch  verbunden  zu  werden. 
Nach  der  Operation  wird  der  Äther,  soviel  wie  möglich  durch  Massage  aus 
dem  Darm  getrieben.  Cunningham  berichtet  über  41  Fälle,  ohne  Todesfall. 
Er  brauchte  2 — 8  Unzen  Äther.  Die  Vorteile  des  Verfahrens  bestehen  in 
dem  geringen  Ätherverbrauch,  dem  Fehlen  des  Aufregungsstadiums,  selte¬ 
nem  Erbrechen  und  darin,  daß  der  Kranke  Luft  atmet,  infolgedessen  seltene 
Störungen  in  den  Luftwegen. 

Der  von  Denny  ebenfalls  vorgeführte  Fergus-Äther-Atmer  ist  ein 
Bostoner  Fabrikat.  Er  besteht  aus  einem  doppelten  Drahtgeflecht.  Über 
dem  inneren  Geflecht  liegen  mehrere  Lagen  Gaze,  die  ähnlich  wie  bei  dem 
Esmarch’schen  Apparat  befestigt  sind.  Das  äußere  Geflecht  ist  mit  einer 
Kappe  aus  Stoff  bedeckt  und  oben  und  unten  durch  eine  Schnur  zusammen¬ 
gezogen.  Es  bleibt  eine  kleine  Öffnung  für  Nase  und  Mund  sowie  zum  Auf¬ 
tropfen  des  Äthers  frei.  Die  Kappe  schafft  einen  Luftraum  für  die  innere 
Gazemaske.  Der  Kranke  atmet  zuerst  Luft,  dann  wird  Äther  aufgetropft, 
bis  der  Hustenreiz  nachläßt.  Ist  dies  der  Fall,  wird  mehr  auf  getropft  und 
die  chirurgische  Narkose  wird  mit  wenig  Aufregung  und  sehr  wenig  Äther 
erreicht.  D.  empfiehlt  den  Apparat  nach  seiner  Erfahrung  sehr.  Peltzer. 


Kinderheilkunde  und  Säuglingsernährung. 

Zur  obligatorischen  Credeisierung  der  Neugeborenen. 

(Hellendall,  Düsseldorf.  Mönatschr.  für  Geb.  u.  Gyn.,  Bd.  28,  H.  8  1908.) 

H.  untersucht  die  Forderung  der  obligatorischen  Credeisierung  der 
Neugeborenen,  die  er  im  allgemeinen  bejaht..  Die  Gründe,  wegen  deren  die 
Behörden  sie  nicht  pflichtmäßig  einführten,  sieht  er  in  der  mangelnden; 
Geschicklichkeit  der  Hebammen,  vor  allem  aber  in  Fehlern,  die  dem  Crede- 


Referate  und  Besprechungen. 


81 


sehen  Verfahren  an  sich  anhaften.  Die  Tropfengröße  am  Crede’schen  Glas¬ 
stahe  sei  nicht  konstant  genug,  die  Konzentration  der  Höllensteinlösüng 
werde  durch  ihre  leichte  Verdunstung  auch  bei  gut  schließenden  Flaschen 
erhöht,  häufig  würde  mehr  als  ein  Tropfen  dem  kindlichen  Auge  appliziert. 
Ähnliche  Mängel  haften  dem  Tropf  glase,  der  gewöhnlichen  Aügenpipette  und 
der  Phönixpipette  an.  H.  hat  deshalb  eine  Wattezopfpipette  konstruiert, 
die  aus  Ampullen  von  0,5  ccm  einer  l%igen  Argentumnitrikumlösung  be¬ 
schickt  wird.  Es  sind  auf  diese  Weise  10  Tropfen  verfügbar,  von  denen 
5—6  im.  Wattezopf  zurückgehalten  werden,  so  daß  2  Tropfen  für  jedes  Auge 
da  sind.  Auf  diese  Weise  will  er  die  Fehler  der  Crede’schen  Methode  aus¬ 
schalten  und  rühmt  als  Vorzüge  seiner  Methode,  sichere  Wirkung  bei  mög¬ 
lichster  Vermeidung  stärkerer  Augenreizung.  Frankenstein  (Cöln). 


Kutane  Tuberkulinreaktion  bei  Säuglingen. 

(Ellenbeck,  Rietschel.  Med.  Klinik,  Nr.  42,  1908.) 

232  Säuglinge  wurden  ohne  Rücksicht  auf  ihre  Erkrankung  kutan 
mit  Alttuberkulin  (25% — 50%-Lösung-Höchst)  geimpft.  Von  5  positiv  rea¬ 
gierenden  Kindern  sind  4  Kinder  an  Tuberkulose  gestorben,  und  das  5.  weist 
zunehmende  Erscheinungen  der  Tuberkulose  auf.  Von  227  Kindern  kamen 
17  an  andern  Erkrankungen  zum  Exitus  letalis,  bei  16  von  diesen  /fanden  sich 
mikroskopisch  keine  sichtbaren  tuberkulösen  Herde,  bei  dem  17.  jedoch  bestand 
eine  fortgeschrittene,  auch  in  vivo  diagnostizierte  Phthise  mit  Kavernen¬ 
bildung.  Diese  Beobachtung  entspricht  nur  der  allgemeinen  Erfahrung,  daß 
Tuberkulöse  in  den  letzten  10—12  Tagen  vor  dem  Exitus  letalis  nicht 
mehr  positiv  reagieren.  Verf.  Schlüsse  sind : 

Die  Kutanreaktion  ist  bei  Säuglingen  diagnostisch  sehr  wertvoll,  harm¬ 
los  und  einfach  durchzuführen.  Der  positive  Ausfall  ist  oft  das  erste  Zeichen 
der  latenten  Tuberkulose.  Stärke  und  Schnelligkeit  der  Reaktion  lassen  keine 
prognostischen  Schlüsse  zu-  Zur  positiven  Reaktion  gehört  eine  deutliche 
rote  Papel,  zweifelhafte  Reaktionen  sollen  lieber  als  negative  aufgefaßt  werden. 
Die  erstere  besiegelt  wohl  sicher  das  Schicksal  des  Säuglings,  der  letzteren 
kommt  ab’er  doch  oft  eine  hohe  diagnostische  Bedeutung  zu,  allerdings  erst 
nach  mehrfacher  Wiederholung  in  angemessenen  Zwischenräumen  von  14  Tagen. 

Krauße  (Leipzig). 


Ein  Beitrag  zur  Kasuistik  der  primären  Nasendiphterie  bei  Säuglingen. 

(K.  Schwarz.  Wiener  klin.  Rundschau,  Nr.  25,  1908.) 

Beachtenswerter  Fall  von  primärer  Nasendiphtherie  bei  einem  sechs 
Monate  altem  Säuglinge  ohne  Diphtheriebazillen.  Am  10.  Tage  erscheint 
der  charakteristische  Belag  im  Halse  und  nach  zwei  Heilseruminjektionen 
erfolgt  Heilung.  Steyerthal-Kleinen. 


Über  ein  neues  Hautphänomen  bei  Säuglingen. 

(Eugen  Blattner.  Wiener  klin.  Rundschau,  Nr.  37  u.  38,  1908.) 

Als  Chagrinlederhautphänomen  bezeichnet  Pfaundler-München 
eine  eigenartige  Zusammenziehung  der  Haut,  welche  sich  bei  extrem-atro¬ 
phischen  Säuglingen  durch  Berührung  oder  Streichung  des  Abdomens  her- 
vorrufen  läßt.  Die  Erscheinung  tritt  nur  an  den  unteren  Extremitäten  und 
meist  nur  auf  der  gereizten  Seite  hervor  und  findet  sich  nur  bei  abgemagerten 
Kindern  mit  schlaffen  Hautdecken,  bei  denen  das  Fettpolster  geschwunden 

6 


82 


Referate  und  Besprechungen. 


ist  und  nur  ein  minimaler  Turgor  der  Haut  besteht.  Bei  gesunden  Säuglingen 
und  älteren  Kindern  ist  sie  nicht  nachzuweisen..  —  Wahrscheinlich  handelt 
es  sich  um  einen  echten  Reflexvorgang,  der  nicht  identisch  ist  mit  der  be¬ 
kannten  Gänsehaut  —  Cutis  anserina  — ,  welch  letztere  eine  rein  'physio¬ 
logische  Erscheinung  darstellt.  Steyerthal-Kleinen. 


Uber  Phimose  im  Kindesalter. 

(Rheiner,  St.  Gallen.  Korr.-Blatt  für  Schweizer  Ärzte,  Nr.  20,  1907  ) 

In  einem  sehr  lesenswert  geschriebenen  Artikel  spricht  Verf.  über 
die  Phimose  und  die  präputiale  Verklebung,  über  ihren  fundamentalen  Unter¬ 
schied  und  über  die  viel  zu  oft  und  indikationslos  vorgenommene  Operation 
einer  fälschlich  angenommenen  Phimose.  Wie  oft  werden  auf  eine  solche 
Unruhe  des  Kindes,  unerkannte  Cystitiden  usw.  zurückgeführt.  Die  Operation 
wird  ausgeführt,  aber  alles  bleibt  beim  alten.  Für  die  erste  Lebenszeit  ist  eine 
Epithelverklebung  zwischen  Glans  und  innerem  Präputialblatt  geradezu 
physiologisch.  Die  wachsende  Glans  und  gelegentliche  Erektionen  dilatieren 
zumeist  unter  einer  langsamen  Lösung  der  Verklebung  das  Orificium  exter- 
num  des  Vorhautsackes.  Es  besteht  nur  dann  eine  Phimose,  wenn  bei  Retrak¬ 
tionsversuchen  des  Präputiums  der  vordere  Glanspol  gar  nicht  oder  nur 
sehr  mangelhaft  entblößt  werden  kann  und  wenn  vorsichtige  Lösungsver¬ 
suche  der  Verwachsungen  mit  der  Sonde  nichts  nutzen,  oder  weiter,  wenn 
sich  das  bisweilen  rüsselförmig  verlängerte  Präputium  nicht  bezw.  nur  mit 
Einrissen,  die  bedrohlich  werden  können  retrahieren  läßt.  Die  physiologische 
Phimose  kann  aber  bisweilen  zu  mechanischen  Störungen  der  Enurese  führen, 
durch  Harnverhaltung  im  Vorhautsack  Reizungen  und  Synechien  machen, 
Balanitis  und  Ulzerationen  verursachen  sogenannte  Eichelsteine  im  Sulcus  retro- 
glandularis  oder  vorgewanderte  kleine  Blasensteine  können  Irritationen  Rha¬ 
gaden,  Ulzerationen  und  Onanie  verursachen  und  sekundäre  Phimosen  durch 
narbige  Veränderungen  hervorrufen,  die  dann  operiert  werden  müssen.  Nicht 
erkannte  Cystitiden  (stets  Urinuntersuchung !)  können  auch  diagnostische  Irr- 
tümer  machen  und  falsche  Indikationen  zur  Operation  abgeben.  Die  Cystitis 
kann  Harnverhaltung  und  Entzündungen  wie  Geschwüre  vorn  an  der  Glans 
und  am  Präputium  machen ;  diese  Zustände,  die  auch  an  Diabetes  denken 
lassen  müssen,  sollen  vor  der  Operation  entsprechend  vorbehandelt  werden. 

Krauße  (Leipzig). 


Die  Antitoxinbehandlung  der  diphterischen  Lähmung. 

(J.  D.  Rolleston.  The  Lancet,  15.  Juli  1908.) 

Im  Anschluß  an  einen  von  Middle  ton  berichteten  Fall  von  Angina, 
bei  dem  nach  Wiederaufnahme  der  Tätigkeit  Lähmung  auf  trat,  gibt  R. 
seine  Ansicht  kund,  daß  die  frühzeitige  Anwendung  des  Serums  die  Gefahr 
des  Eintretens  dieser  Komplikation  vermindere:  Unter  1500  Diphtheriefällen, 
die  er  in  den  letzten  sechs  Jahren  behandelte,  trat  335 mal  (!)  Lähmung  ein. 
Von  den  Patienten,  denen  das  „unbezahlbare“  (prioeless)  Mittel  bereits  am 
ersten  Tage  einverleibt  wurde,  bekamen  3,  von  319  am  zweiten  Tage  Ge¬ 
spritzten  50  und  von  197,  die  erst  am  fünften  Tage  Serum  erhielten,  62 
Lähmungserscheinungen. 

Der  Antitoxinbehandlung  der  ausgesprochenen  diphtherischen  Lähmung 
dagegen  steht  er  skeptisch  gegenüber.  Hier  betont  er  die  natürliche  Ten¬ 
denz  zur  Spontanheilung  und  verweist  die  Verteidiger  der  Methode 
auf  die  negativen  Resultate  der  Tierexperimente,  wie  sie  z.  B.  de  Stella, 
Rosenau  und  Anderson  erhielten. 


Referate  und  Besprechungen. 


83 


„Dieses  Versagen  des  Serums  bei  experimentell  erzeugter  Lähmung 
hängt  ohne  Zweifel  davon  ab,  daß  die  Experimentaldiphtherie  eine 
frühe  und  bösartige  Lähmungsform  erzeugt,  die  beim  Menschen 
ungewöhnlich  ist.“ 

„Der  Unterschied  zwischen  experimentellen  und  klinischen  Ergebnissen 
läßt  aber  auch  noch  eine  weitere  Erklärung  zu :  Die  Besserung  der  Läh¬ 
mungen,  die  man  dem  Serum  zuschreiben  kann,  hängt  nicht  sowohl  von 
dessen  spezifischer  als  von  seiner  psychother apeutisidhen  Wirkung  ab, 
die  natürlich  bei  Tieren  nicht  in  Betracht  kommt.  In  Fällen  von  schwerer, 
langdauernder  diphtherischer  Lähmung  ist  der  Patient,  besonders  wenn  es 
sich  um  einen  Erwachsenen  handelt,  geneigt,  in  einen  Zustand  von  Apathie 
oder  Verzweiflung  zu  fallen,  im  Glauben,  er  sei  unheilbar.  Ist  es  nun  da 
nicht  denkbar,  daß  die  mächtige,  durch  wiederholte  Seruminjektionen  er¬ 
zeugte  Suggestion  den  Patienten  veranlaßt,  an  seiner  Genesung  mitzu¬ 
arbeiten  ?“ 

„Jedenfalls  würde  es  interessant  sein  festzustellen,  ob  nicht 
gleich  gute  Resultate  zu  erhalten  wären  durch  Injektion  relativ 
indifferenter  Flüssigkeiten,  wie  z.  B.  von  sterilisiertem  Wasser.“ 

Wie  leicht  beieinander  wohnen  doch  Unbefangenheit  hier  und  —  Be¬ 
geisterung  dort !  Die  letztere  ist  so  groß,  daß  R.  u.  a.  nicht  bemerkt, 
daß  unter  den  erst  am  fünften  Tage  in  Behandlung  Getretenen  eo  ipso  weit 
mehr  schwere  Fälle  sein  müssen  als  unter  den  sofort  Übernommenen,  daß 
beide  also  gar  nicht  miteinander  verglichen  werden  können.  (Ref.)  Esch. 


Zur  B.  pyocyaneus-lnfektion  im  kindlichen  Alter. 

(A.  Bagin sky.  Zentralbl.  für  Bukt.,  Bd.  47,  H.  4,  1908.) 

Verf.  gibt  an  der  Hand  zahlreicher  Krankengeschichten  ein  Bild  von 
einer  B.  pyocyaneus-lnfektion.  Es  handelte  sich  um  kleine  Kinder  (6  Monate 
bis  1  Jahr),  die  neben  anderen  Wunderkrankungen  auch  noch  an  Durchfällen 
litten.  Aus  den  Stühlen  wurde  B.  pyocyaneus  gezüchtet,  der  sich  für  Mäuse 
stets  sehr  pathogen  erwies ;  es  ist  somit  wohl  das  B.  pyocyaneum  ein  Bakterium 
mit  malignen  Eigenschaften. 

Das  Charakteristische  derartiger  Erkrankungen  bei  jungen  Kindern  ist 
das  Auftreten  blutig-schleimiger  Diarrhöen,  von  mehr  oder  weniger  ausge¬ 
sprochen  hämorrhagisch  -  nekrotischen  Hautinfiltrationen,  von  Cystitis  und 
Pyelonephritis,  von  septischen  Allgemeinerscheinungen  bei  niedriger  Körper¬ 
temperatur.  Dr.  Schürmann  (Düsseldorf). 


Aus  dem  hygienischen  Institut  zu  Halle  a.  d.  S. 

Untersuchungen  zur  Entstehung  des  Keuchhustens. 

(C.  Frankel.  Münch,  med.  Wochenschr.  Nr.  32,  1908.) 

Auf  Grund  der  von  Bordet  und  Gengon  gegebenen  Beschreibung 
eines  Erregers  des  Keuchhustens  hat  Fr  än  kiel  gleichfalls  Untersuchungen 
vorgenommen,  die  aber  in  eine  Zeit  fielen,  in  der  wenige  Keuchhustenfälle 
vorkamen.  Er  konnte  daher  im  Verlauf  von  8  Monaten  nur  bei  8  Fällen 
und  zwar  kurz  nach  Beginn  der  Erkrankung  aus  dem  Sputum  einen  ziemlich 
kleinen  unbeweglichen,  nach  dem  Gram’schen  Verfahren  nicht  darstellbaren 
Bazillus  gewinnen,  dessen  gelbliche  oder  gelblichbraune  Kulturen,  die  meist 
nur  eine  zarte  Schicht  bildeten,  nur  auf  einem  mit  Blut  versetztem  Nähr¬ 
boden  wachsen.  Die  mit  den  Reinkulturen  angestellten  Tierversuche  ergaben 
bei  Affen  das  ausgesprochene,  Bild  des  Keuchhustens.  Trotzdem  möchte 
Fränkel  den  Mikroorganismus  nicht  unbedingt  als  Erreger  des  Keuchhustens 

6* 


84 


Referate  und  Besprechungen. 


anspreehen.  wozu  ihm  unter  anderem  auch  der  Befund  des  gleichen  Bazillus 
hei  nicht  keuchhustenkranken  Kindern  veranlaßt.  Die  von  den  französischen 
Autoren  berichtete  Komplementablenkung  des  Blutserums  konnte  er  in 
5  Fällen  nur  einmal  konstatieren.  Auch  die  Prüfung  der  agglutinierenden 
Eigenschaft  des  Krankenblutes  und  des  Serums  ergab  unsichere  Resultate. 
Frankel  hält  daher  zur  Sicherstellung  noch  weitere  Untersuchungen  für 
erforderlich.  F.  Walther. 


Bakteriozidine  in  Perhydrasemilch. 

(H.  Much.  Münch,  med.  Wochenschr.,  Nr.  8.) 

Die  Perhydrasemilch  zeigt  gegenüber  Typhus-,  Kolibazillen  und  Staphylo- 
coccus  aureus  eine  deutliche  bakterizide  Wirkung.  Da  durch  Erhitzen  diese 
Wirkung  aufgehoben  wird,  während  Wasserstoffsuperoxyd  einer  Temperatur 
von  60  und  100°  standhält,  da  ferner  in  der  Milch  chemisch  kein  H202  nach¬ 
weisbar  war,  so  handelt  es  sich  nicht  um  eine  Wirkung  dieses  Körpers, 
sondern  um  die  Konservierung  bakterizider  Stoffe  in  der  Milch. 

E.  Oberndörffer. 


Dechert  beobachtete  eine  Epidemie  akuter  Enteritis  unter  Kindern 
im  letzten  Winter,  hervorgerufen  durch  den  Genuß  der  Milch  von  Kühen, 
die  infolge  Futtermangels  mit  Rotrüben-  und  Rotkrautblättern  gefüttert  wur¬ 
den.  1903  bemerkte  er  dasselbe  infolge  Fütterns  von  Rotrüben,  die  den  ganzen 
Sommer  in  Speichern  aufbewahrt  worden  und  in  Gärung  geraten  waren. 
(Les  nouveaux  remedes,  Nr.  20,  1908.)  v.  Schnizer  (Danzig). 


Psychiatrie  und  Neurologie. 

Tabes  und  Lues. 

(Albert  Schütze.  Zeitschr.  für  klin.  Med.,  Bd.  65,  S.  397,  1908.) 

Sch.  stellte  seine  „experimentell-biologischen  Untersuchungen“  während 
19  Monaten  an  100  Tabeskranken  des  Krankenhauses  Moabit  an.  Sie  beruhen 
auf  der  diagnostischen  Verwertung  der  Bor det-Gengou’schen  Komplement¬ 
bindung  in  Form  der  Wassermann’schen  Reaktion,  die  er  unter  den  Sero- 
Reaktionen  allein  für  verläßlich  hält.  71  mal  wurde  das  Blutserum,  21  mal 
die  Lumbalflüssigkeit,  8  mal  beide  benützt,  69  mal  (52  männl.,  17  weibl.)  posi¬ 
tive,  31  mal  negative  Reaktion  gefunden.  Nur  deutliche  Reaktion  galt  als 
positiv.  Bei  25  Männern  und  10  Frauen,  welche  eine  Infektion  geleugnet 
hatten,  konnte  in  7  bez.  4  Fällen  positive  Reaktion  nachgewiesen  werden. 
Bei  ungenügender  antiluetischer  Behandlung  war  im  allgemeinen  die  Reak¬ 
tion  häufiger,  während  bei  verschiedenen,  die  eine  richtige  Kur  durchge¬ 
macht  hatten,  die  spezifischen  Reaktionssubstanzen  im  Serum  oder  in  der 
Lumbalflüssigkeit  fehlten.  Immer  muß  man  mit  der  Dosis  des  zu  unter¬ 
suchenden  Serums  über  den  Punkt  hinaus  heruntergehen,  wo  normales  Serum 
die  Hämolyse  nicht  mehr  hemmt.  Das  Schema  der  von  Sch.  geübten  Kontrolle 
ist  auf  S.  403  verzeichnet.  H.  Vierordt  (Tübingen). 


Über  Tabesbehandlung. 

(H.  S.  Frenkel,  Heiden.  Newyorker  med.  Wochenschr.,  Nr.  1908.) 

Die  Tabes  ist  zwar  an  sich  unheilbar,  aber  wegen  der  Verschiedenartig¬ 
keit  der  Form,  in  der  sie  auf  treten  kann,  vielfach  einer  symptomatischen 
Therapie  zugänglich,  je  nach  Sitz  und  Ausdehnung  des  Prozesses. 


85 


Referate  und  Besprechungen. 

t 

Es  gibt  neben  der  allgemeinen  Tabes  mit  mehr  oder  weniger  gleich¬ 
mäßiger  Ausbildung  aller  Symptome  sozusagen  „monosymptomatische'! 
Formen.  So  gibt  es  z.  B.  Kranke,  die  10 — 25  Jahre  lang  nichts  weiter  zeigen 
als  von  Zeit  zu  Zeit  heftige  Schmerzanfälle,  deren  Intensität  ev.  im  umge¬ 
kehrten  Verhältnis  zu  der  Schwere  des  übrigen  Zustandes  steht.  Diese  Form 
bedarf  im  obigen  Sinne  eigentlich  keiner  weiteren  Behandlung  als  der  der 
Schmerzen. 

Hier  empfiehlt  F.  den  Versuch,  so  lange  wie  möglich  ohne  Morphin 
auszukommen.  Bewährt  hat  sich  ihm  Pyramidon,  das  monatelang  ohne 
Schaden  genommen  wurde.  Wenn  aber  die  Schmerzen  nach  2  mal  0,4,  hinter¬ 
einander  in  einer  Stunde  gegeben,  nicht  aufgehört  haben,  so  ist  von  dem  Prä¬ 
parat  nichts  mehr  zu  erwarten. 

Eine  andere  monosymptomatische  Form  ist  die  Tabes,  die  keine  Be¬ 
schwerden  macht  außer  der  Ataxie  der  Beine.  Diese  ist  am  meisten  einer 
Besserung  zugänglich.  Selbst  bei  sehr  schwerer  und  langdauernder  Ataxie 
mit  Bettlägerigkeit  kann  u.  U.  eine  genügend  lange  Behandlung  (Minimum 
6  Monate)  vollkommen  selbständiges  Gehen  und  Stehen  erzielen.  Die  Fren- 
kel’sche  Behandlung,  die  mit  der  so  hochmodernen  Heilgymnastik,  die  bei 
den  schonungsbedürftigen  Tabikern  nur  schädlich  wirken  würde,  nichts  zu 
tun  hat,  kann  erfolgreich  nur  in  besonderen  Anstalten  vor  sich  gehen  und 
nur  praktisch,  nicht  theoretisch  erlernt  werden.  Sie  ist  gleichzeitig  auch 
von  gutem  Erfolg  bei  der  durch  Erschlaffung  der  Bauchmuskulatur  Bett¬ 
lägeriger  mitbedingten  Cystitis. 

Von  der  ataktischen  Form  muß  diejenige  abgetrennt  werden,  die  Geh¬ 
beschwerden  durch  Hypotonie  der  Muskeln  verursacht.  Bei  ihr  kann 
die  Ataxie  sehr  gering  und  keiner  Behandlung  bedürftig  sein,  vielmehr  hat 
hier  der  neurologische  Orthopäde  einzugreifen,  der  die  Gelenke  in  die  rich¬ 
tige  Position  bringen  muß.  Es  gibt  Fälle,  deren  ganze  Störung  auf  der 
Unterlassung  rechtzeitigen  Eingreifens  beruht. 

Hinsichtlich  der  A  llgemeinbehan  dlung  hat  Fr.  nie  Fälle  gesehen, 
bei  denen  die,  besonders  noch  von  Erb  und  Fournier  empfohlene  anti¬ 
luetische  Therapie  einen  so  eminenten  Erfolg  erzielte,  daß  man  ihn  auf  sie 
zurückführen  müßte.  Trotzalem  rät  er  im  Hinblick  auf  die  günstigen  Be¬ 
richte  erfahrener  Autoren  zu  einem  vorsichtigen  Versuch.  In  der  Jodbehand¬ 
lung,  wo  er  Jodnatrium  empfiehlt,  neigt  man  jetzt  zu  größeren  Dosen.  Von 
Poehls  Methode  sah  Fr.  nichts,  Mercks  Keratin  erwähnt  er  als  neuerdings 
von  ernsthafter  Seite  empfohlen,  der  Elektrotherapie  steht  er  skeptisch  gegen¬ 
über. 

In  der  Lebensweise  ist  am  wichtigsten  die  Ruhe.  Bäder  und  Bade¬ 
reisen,  die  an  sich  schon  bei  Tabes  wenig  Zweck  haben,  sollten  nur  dann 
verordnet  werden,  wenn  sie  nicht  mit  Anstrengung  verbunden  sind.  Wein¬ 
genuß  ist  sehr  einzuschränken,  Tabak  ganz  zu  verbieten.  Von  allergrößter 
Bedeutung  ist  regelmäßige  Verdauung,  Vermeidung  von  Autointoxikation 
durch  die  bei  Tabes  oft  in  enormer  Menge  im  Mastdarm  angesammelten 
Kotmassen.  Esch. 


Über  einen  Fall  von  syphilitischer  Spinalparalyse. 

(Renner.  Deutsche  Zeitschr.  für  Nervenheilk.,  Bd.  84,  H.  5/6.) 

Ein  36 jähriger  Mann,  der  sich  wahrscheinlich  luetisch  infiziert  hat, 
hat  früher  schon  an  Beinschmerzen  gelitten.  Im  letzten  halben  Jahre  seines 
Lebens  entwickelte  sich  ein  Symptomcomplex,  der  einmal  typisch  tabisch  war, 
ferner  (Babinski,  spastische  Paresen  usw.)  auf  die  Pyramidenbahn  hinwies. 
Die  anatomische  Untersuchung  ergibt,  wie  es  zu  erwarten  war,  eine  kom¬ 
binierte  Systemerkrankung:  Hinterstränge  plus  Pyramidenseitenstrangbahn, 
diese  Kombination  bestand  nur  im  Halsmark,  im  übrigen  Rückenmark  zeigt 
sich  nur  die  Py.-bahn  befallen.  H.  Vogt. 


86 


Referate  und  Besprechungen. 


Die  Prinzipien  der  cerebralen  Entlastung. 

(J.  G.  Mumford,  Boston.  The  St.  Paul  med.  journ.,  Septbr.  1908). 

Als  Belege  für  die  von  ihm  vertretene  Ansicht,  daß  Operationen  zur 
Entlastung  des  Gehirns  von  einem  vermehrten  Druck  auch  dann  oft  zur  Besse¬ 
rung  oder  Heilung  verschiedener  intrakranieller  Störungen  beitragen,  wenn 
durch  sie  die  Dura  nicht  eröffnet  oder  überhaupt  der  lokale  Herd  getroffen 
wird,  berichtet  M.  über  3  von  ihm  operierte  Fälle,  die  in  der  Tat!  dafür 
zu  sprechen  scheinen.  Die  Wirkung  erklärt  sich  wahrscheinlich  dadurch, 
daß  durch  die  Eröffnung  des  Schädels  die  Zirkulationsverhältnisse  geändert 
werden,  nur  muß  die  Öffnung  groß  genug  sein.  Ein  oder  anderthalb  Zoll 
genügen  nicht.  Das  eine  Mal  handelte  es  sich  um  Jackson’sche  Epilepsie, 
das  andere  Mal  um  diffuse  eitrige  Leptomeningitis,  das  dritte  Mal  um  eine 
tiefe  seelische  Störung  nach  einem  Trauma  ohne  deutliche  Verletzung.  Es 
ist  nicht  richtig,  bei  Epilepsie  von  einem  Erfolge  erst  dann  zu  sprechen,  wenn 
3—5  Jahre  nach  der  Operation  kein  Anfall  mehr  auf  getreten,  schon  1  freies 
Jahr  ist  ein  erstrebenswertes  Ziel,  eine  Oase.  Der  Epileptiker  kam  nicht 
wegen  seiner  Epilepsie,  sondern  wegen  eines  schweren  Brandschadens,  den 
er  sich  als  Lokomotivheizer  in  einem  Anfall  zugezogen  hatte,  ins  Hospital, 
zwei  Jahre  vorher  hatte  er  sich  auf  seiner  Maschine  den  Kopf  gestoßen  und 
war  danach  kurze  Zeit  bewußtlos  geworden,  so  daß  man  annehmen  konnte, 
seine  Epilepsie  rühre  von  einer  seit  dieser  Zeit  allmählich  fortgeschrittenen 
Blutung  her.  M.  beobachtete  2  Anfälle  und  operierte  dann,  indem  er  über 
der  linken  Roland’schen  Furche  einen  fast  handtellergroßen  Knochenlappen 
bildete.  Hach  Eröffnung  der  Dura  wölbte  sich  die  Pia  mit  jener  unregel¬ 
mäßigen  Flüssigkeitsansammlung  vor,  die  man  uneigentlich  eine  Zyste  nennt, 
die  Pia  wurde  an  3  oder  4  Stellen  sanft  eingerissen,  die  Flüssigkeit  abge¬ 
lassen,  die  Dura  reponiert,  der  Knochen  von  dem  Lappen  entfernt  und  die 
Wunde  drainiert.  Der  Kranke  genas  prompt  und  hat  seit  2  Jahren(  er 
wurde  Mai  1906  operiert)  keinen  Anfall  mehr  gehabt.  In  dem  zweiten  Fall 
handelte  es  sich  wie  gesagt,  um  eine  diffuse  eitrige  Leptomeningitis.  Hier 
läßt  M.  die  Frage  von  dem  Wert  der  Operation  im  allgemeinen  selbst  offen. 
Ein  50 jähriger  Mann  war  im  September  1906  bewußtlos  von  der  Polizei 
auf  gefunden  worden,  aus  Hase  und  linkem  Ohr  kam  ihm  Blut,  doch  konnte 
keine  deutliche  Kopfverletzung  nachgewiesen  werden.  Lähmungserscheinungen 
fehlten,  auch  waren  die  Reflexe  normal.  Die  Diagnose  wurde  auf  Basis¬ 
fraktur  gestellt.  Hach  2  Tagen  bekam  der  Kranke  das  Bewußtsein  wieder, 
blieb  aber  schläfrig  und  mürrisch.  Der  Puls  stieg  an,  der  Kopfschmerz  nahm 
zu  und  gelegentlich  stellten  sich  Delirien  ein  —  Zeichen  eines  allgemeinen 
intrakraniellen  Drucks.  Schließlich  wurde  der  Kranke  zyanotisch  und  schien 
bereits  moribund,  als  sich  M.  gemeinschaftlich  mit  Dr.  Baldwin  trotzdem 
und  ungeachtet  der  schlechten  Aussichten  zur  Operation  entschloß.  Als  nach 
weiter  Eröffnung  des  Schädeldachs  ein  breiter  Duralappen  zurückgeschlagen 
wurde,  erfolgte  ein  Guß  von  wolkigem  Serum,  worauf  sich  eine  stark  injizierte 
Pia  zeigte.  Das  Gehirn  war  stark  ödematös.  Da  sich  kein  Herd  zeigte, 
wurde  die  Operation  abgebrochen,  Knochen-  und  Duralappen  entfernt  und 
nur  der  Weichteilslappen  wieder  zurückgeschlagen.  Der  subdurale  Raum 
wurde  reichlich  drainiert.  3  Wochen  lang  entleerte  sich  eine  reichliche  sero¬ 
purulente  Flüssigkeit,  es  bildete  sich  eine  Zerebralhernie,  dann  schloß  sich 
die  Wunde,  und  einem  Monat  nach  der  Operation  befand  sich  der  Kranke 
wohl,  blieb  aber  konfus,  kam  in  eine  Anstalt  und  war  schließlich  nach 
4  Monaten  wieder  normal,  so  daß  er  die  letzten  18  Monate  wieder  als  Granit¬ 
schneider  gearbeitet  hat.  M.  meint,  dies  Resultat  würde  wohl  nicht  erreicht 
worden  sein,  wenn  man  durch  eine  kleine  Trepanationsöffnung  drainiert 
hätte.  Der  dritte  und  letzte  Fall  war  etwas  verwickelter.  Juni  1907  war 
ein  60 jähriger  Mann  mit  einem  40  Fuß  hohen  Gerüst  umgefallen  und  be¬ 
wußtlos  aufgefunden.  Die  Bewußtlosigkeit  dauerte  5  Tage,  eine  Kopfver¬ 
letzung  konnte  jedoch  nicht  gefunden  werden,  so  daß  man  eine  schwere 
Gehirnerschütterung  annahm.  Hach  Hause  entlassen,  hatte  er  keine  Erinnerung 


Referate  und  Besprechungen. 


87 


an  seinen  Aufenthalt  im  Krankenhause,  bald  aber  stellte  sich  heftiger  Kopf¬ 
schmerz,  Taubheit  im  linken  Arm  und  Bein,  Harninkontinenz,  Ungleichheit 
der  Pupillen,  linksseitige  Parese  usw.  ein.  Trotzdem  erholte  er  sich  fast 
vollständig  wieder,  zog  aber  noch  immer  das  linke  Bein  nach,  so  daß  er 
mehrfach  Nervenkliniken  aufsuchte,  wo  man  an  traumatische  Neurose  dachte 
und  ihn  vertröstete.  Schließlich  stellten  sich  Symptome  bei  ihm  ein,  die 
M.  an  Jackson- Epilepsie  denken  ließen,  das  Befinden  des  Kranken  ver¬ 
schlechterte  sich  zusehends,  so  daß  er  selbst  und  seine  Frau  darauf  drängte, 
operiert  zu  werden.  Bei  der  Operation  (über  dem  rechten  Roland’schen  Be¬ 
zirk)  fand  M.  nichts  als  eine  etwas  verdickte  Pia  und  eine  etwas  vermehrte 
Arachnoidalflüssigkeit,  die  vielleicht  den  Hirndruck  etwas  erhöht  hatte.  Der 
Mann  machte  eine  durch  eine  postoperative  Blutung  unterbrochene  Rekonvales¬ 
zenz  durch,  genas  dann  aber  nicht  nur  vollständig,  sondern  bekam  auch  sein 
Gedächtnis  wieder,  so  daß  er  seinen  Unfall,  dessen  er  sich  vorher  nicht  er¬ 
innert  hatte,  ausführlich  schildern  konnte.  Peltzer. 


Das  Wesen  der  Myasthenie  und  die  Bedeutung  der  „hellen“  Muskelfasern 

für  die  menschliche  Pathologie. 

(A.  Knoblauch.  Frankf.  Zeitschr.  f.  Path.,  Bd.  2,  H.  1,  S.  57,  1908.) 

Die  Untersuchungen  ergaben  A.  von  Tatsächlichem: 

1.  Von  den  beiden,  dem  Physiologen  durch  das  Tierexperiment  längst 
bekannten  Arten  der  quergestreiften  Fasern  reagieren  die  flinken  Fasern  bei 
f arabischer  Reizung  prompt,  ermüden  aber  schnell;  die  trägen  Fasern  reagieren 
langsam  aber  ausdauernd,  ohne  in  erkennbarer  Weise  zu  ermüden.  Im  flinken 
Muskel  ist  selbst  bei  geringer  er  Arbeitsleistung  mehr  Milchsäure  nachzu¬ 
weisen  als  im  trägen  Muskel.  Beide  Faserarten  finden  sich  in  der  ganzen 
Tierreihe  und  zwar  verlaufen  sie  bald  innig  miteinander  gemischt  in  demselben 
Muskel,  bald  zu  geschlossenen  Bündeln  vereint.  Im  letzteren  Falle  sind 
die  flinken  (hellen)  Muskeln,  wenigstens  bei  den  Säugetieren  und  Vögeln-,  ge¬ 
wöhnlich  schon  für  das  bloße  Auge  durch  ihre  hellere  Farbe  von  den  trägen 
(roten)  Muskeln  zu  unterscheiden. 

Auch  in  der  quergestreiften  Muskulatur  des  Menschen  sind  beide  Fasern 
nachgewiesen. 

Dem  Verhalten  der  flinken  (hellen)  Muskeln  gegenüber  faradischer 
Reizung  entspricht  das  Verhalten  der  Muskulatur  bei  Myastheniekranken. 
Die  myasthenische  Reaktion  ist  im  wesentlichen  die  Reaktion  des  flinken 
Muskels.  Die  gleiche  schnell  eintretende  Erschöpfbarkeit  wie  bei  faradischer 
Reizung  zeigt  die  Muskulatur  der  Myastheniekranken  auch  bei  willkürlichen 
und  reflektorischen  Bewegungen.  In  einem  Falle  von  Myasthenie  ist  im 
Blute  und  Harne  Milchsäure  nachgewiesen  worjden. 

2.  Pathologisch-anatomisch  stellt  sich  die  Myasthenie  dar  als  eine  chro¬ 
nisch  degenerative  (atrophierende)  Myositis,  wobei  die  Erscheinungen  der 
Entzündung,  deren  chronischer  Charakter  in  dem  Überwiegen  der  Lympho¬ 
zyten  über  die  Leukozyten  zum  Ausdrucke  kommt,  zurücktreten.  Die  My¬ 
asthenie  ist  außerdem  durch  den  auffälligen  Befund  des  Überwiegens  der 
„hellen  Muskelfasern“  gekennzeichnet. 

3.  In  zahlreichen  Fällen  von  Myasthenie  wurden  gleichzeitig  Geschwülste 

und  angeborene  Mißbildungen  beobachtet.  . 

Daraus  ergeben  sich  die  Folgerungen : 

B.  1.  Die  seitherigen  Anschauungen  über  das  Wesen  und  die  Pathogenese 
der  Myasthenie,  einschließlich  der  von  Weigert  vertretenen,  sind  nicht  aus¬ 
reichend  zur  Erklärung  der  weitgehenden  Übereinstimmung,  die  im  Verhalten 
der  flinken  (hellen)  Muskelfasern  und  der  Muskulatur  bei  Myasthenikern 
gegenüber  der  faradischen  Reizung  herrscht,  und  noch  weniger  zur  Erklärung 
der  bei  der  Myasthenie  erhobenen  pathologisch-anatomischen  Muskelbefülkle, 
besonders  des  Überwiegens  der  „hellen  Fasern“. 


88 


Referate  und  Besprechungen. 


*  2.  Auch  die  bei  der  Myasthenie  nachgewiesene  chronische  Entzündung 
der  Muskulatur  ist  zu  geringfügig,  als  daß  sie  allein  die  schweren  klinischen 
Erscheinungen  des  Leidens  in  befriedigender  Weise  erklären  könnte.  Sie  ist 
vielmehr  lediglich  als  Sekundärerscheinung  aufzufassen. 

3.  Nimmt  man  dagegen  das  tatsächliche  Vorhandensein  der  in  einigen 
Fällen(  Arnold,  Osann),  besonders  ausgesprochenen  und  allgemein  verbrei¬ 
teten,  in  den  übrigen  Myastheniefällen  wahrscheinlich  abnorm  ausgedehnten 
„hellen  Muskulatur“  zum  Ausgangspunkte  der  Erklärung  der  Pathogenese 
des  Leidens,  so  ergeben  sich  die  unter  A  1  und  2  aufgeführten  Tatsachen 
und  alle  klinischen  Erscheinungen  der  Myasthenie  als  natürliche  Konsequenzen. 

Als  Ursache  der  chronischen  degenerativen  Myositis  liegt  es  am  nächsten 
die  dauernde  Übermüdung  in  Anspruch  zu  nehmen,  in  der  sich  die  helle  Mus¬ 
kulatur  ständig  befindet,  wenn  sie  —  wie  es  bei  der  Myasthenie  der  Fall 
zu  sein  scheint  —  in  ihrer  Tätigkeit  nicht  durch  die  ausdauernd  arbeitende 
rote  Muskulatur  unterstützt  wird.  Es  kann  dabei  dahingestellt  bleiben,  ob  die 
beobachtete  entzündliche  Infiltration  eine  Begleiterscheinung  des  Krankheits¬ 
prozesses  der  „hellen  Fasern“  ist,  wie  es  nach  den  Experimenten  Knoll’s  und 
Hauers  den  Anschein  hat,  oder  ob  sie  auf  chemotaktischem  Wege  durch  die 
Anwesenheit  von  Ermüdungstoxinen  im  Blute  oder  in  der  Lymphe  der  Kranken 
bedingt  wird. 

Daß  die  Krankheitserscheinungen  der  Myasthenie  erst  relativ  spät,  zu 
Ende  des  zweiten  Lebens  Jahrzehntes  oder  noch  später,  manifest  werden,  ist 
nicht  auffällig;  es  entspricht  vielmehr  der  allmählich  eintretenden  Summation 
der  Schädigungen  —  Überanstrengung,  Selbstvergiftung  der  überangestrengten 
hellen  Muskeln  —  und  der  dadurch  bedingten  allmählich  eintretenden  Zunahme 
der  atrophierenden  und  atrophischen  Fasern. 

4.  Dao  auffällige  Überwiegen  der  hellen  Fasern  in  Fällen  von  Myasthenie 
und  das  entwicklungsgeschichtliche  Verhalten  der  quergestreiften  Muskulatur 
führt  zu  der  Folgerung,  daß  der  Myasthenie  als  letzte  Ursache  eine  Entwick¬ 
lungshemmung  oder  -anomalie  der  quergestreiften  Muskulatur  zugrunde  liegt. 
Mit  Mieser  Annahme  steht  das  häufige  Zusammentreffen  des  Leidens  mit  Ge¬ 
schwülsten  der  heterogensten  Art  in  den  verschiedensten  Organen  des  Körpers 
und  mit  den  mannigfachsten  kongenitalen  Entwicklungsanomalien  und  Mi߬ 
bildungen  in  vollem  Einklänge. 

Diese  Auffassung  der  Myasthenie  erscheint  wesentlich  befriedigender 
als  die  zahlreichen  gegenwärtigen  Erklärungsversuche  der  Krankheit. 

C.  Der  auffällige  Gegensatz,  in  dem  die  klinischen  Erscheinungen  der 
Thomsen’schen  Krankheit  zu  denen  der  Myasthenie  stehen,  findet  eine  be¬ 
friedigende  Erklärung  in  der  Annahme,  daß  bei  der  Thomsen’schen  Krankheit 
die  Zahl  der  hellen  Muskelfasern  in  pathologischer  Weise  vermindert  ist. 

W.  Risel-Zwickau. 


Die  Migräne  eine  periodische  Neuralgie  des  Halssympathicus. 

(Hartenberg,  18.  französischer  Neurologen-Kongreß,  Dijon  3. — 10.  August  1908. 

Bull,  med.,  S.  755,  1908.) 

Nach  Hartenberg  handelt  es  sich  bei  der  Migräne  in  letzter  Linie 
nicht  um  einen  Krampf  der  Vasokonstriktoren,  sondern  um  eine  Irritation 
des  Sympathikus,  welche  ihrerseits  erst  sekundär  zu  den  spastischen  bzw. 
paralytischen  Symptomen  führt.  Die  Irritation  kann  gering  sein;  daher 
kommt  es,  daß  viele  Vasokonstriktionen  ohne  Schmerzen  verlaufen.  Die 
Schmerzhaftigkeit  hat  eben  ihren  Sitz  mehr  zentral,  nicht  in  den  Gefä߬ 
wänden. 

;  Die  Ursachen  der  Irritationen  sind  vielerlei,  aber  zumeist  dunkel; 
nur  in  den  Fällen,  wo  der  Halssympathikus  in  Muskelschwielen  eingebettet 
liegt  und  wo  durch  deren  Beseitigung  (durch  Massage,  Wärme,  konstanten 
Strom)  die  Migräne  geheilt  wird,  ist  der  Zusammenhang  der  Dinge  durch¬ 
sichtig.  Buttersack  (Berlin). 


Referate  und  Besprechungen. 


89 


Balkenstich  bei  Hydrocephalien,  Tumoren  und  bei  Epilepsie. 

(Prof.  Anton  u.  Prof.  v.  Bramann,  Halle  a/S.  Münch. med.  Wochenschr.,  Nr. 32, 1908.) 

Für  die  vermehrte  Flüssigkeitsansammlung  in  den  Gehirnhöhlen  ist 
einmal  die  Verlegung  der  Abfuhrwege  des  Liquor  cerebralis  verantwortlich 
zu  machen,  die  sowohl  bei  Tumoren  wie  bei  Entzündungen  der  Hirnhäute 
eintreten  kann.  Ein  weiterer  Grund  ist  in  der  Vermehrung  der  Gehirnflüs¬ 
sigkeit  zu  suchen.  Diese  kann  eine  Folge  z.  B.  einer  flottierenden  Cysticercus, 
oder  eine  toxische  oder  infektiöse  Entzündung  der  Höhlenwandungen  und 
endlich  ,  auch  einer  aktiven  drüsenähnlichen  Funktion  des  Ependyms  sein. 
Um  nun  die  durch  alle  diese  Ursachen  herbeigeführten  gestörten  örtlichen 
Druckverhältnisse  auszugleichen,  muß  eine  freie  Kommunikation  der  Ventrikel¬ 
flüssigkeit  mit  dem  Subduralraum  des  Gehirns  und  Rückenmarks  geschaffen 
werden.  Dies  sucht  Bramann  durch  Eröffnung  des  Balkens  zu  erreichen. 
Seitlich  der  Sagittalnaht  wird  eine  Trepanationsöffnung  oder  ein  größeres 
Bohrloch  angelegt  und  von  da  aus  mit  einem  stumpfen  Instrument  in  den 
Stirnhirnteil  in  der  Gegend  der  Querebene  der  präzentralen  Furche  einge¬ 
stochen  und  die  Öffnung  dann  noch  erweitert.  An  der  Hand  von  5  Fällen 
erörtert  er  eingehendst  seine  Erfahrungen  und  empfiehlt  die  Operation  bei 
verschiedenen  Erkrankungen  und  zwar  1.  beim  Hydrocephalus,  ferner  bei 
Tumoren  mit  Hydrocephalus  und  Stauungsneuritis,  sowie  bei  Hypertrophie  des 
Gehirns,  welche  Erkrankung  ziemlich  häufig  bei  Epileptikern  gefunden  wird, 
und  endlich  bei  den  unter  dem  Namen  Pseudotumor  zusammengefaßten  Gehirn¬ 
erkrankungen  mit  Raumbeengung.  F.  Walther. 


Allgemeines. 

Aus  der  amerikanischen  periodischen  medizinischen  Literatur. 

Enter  dieser  Überschrift  beabsichtigen  wir,  in  Zukunft  monatlich  eine 
kurze  Übersicht  des  Inhalts  der  amerikanischen  periodischen  medizinischen 
Literatur  zu  geben,  soweit  sie  uns  vorliegt,  um  auf  diese  Weise  einerseits 
darüber  im  allgemeinen  zu  orientieren  und  somit  zur  Kenntnis  der  ameri¬ 
kanischen  Medizin  überhaupt  beizutragen  andererseits  denjenigen,  welche  sich 
für  die  eine  oder  andere  Erscheinung  in  dieser  Literatur  interessieren,  die 
Quelle  anzugeben.  Durch  die  bisherigen  Einzelreferate  war  dies  nicht  möglich. 
Über  einzelne  Artikel  von  allgemeinerem  Interesse  auch  ferner  etwas  aus¬ 
führlichere  Spezialreferate  zu  liefern,  behalten  wir  uns  vor. 

Für  diesmal  ist  folgendes  vorauszuschicken:  die  uns  regelmäßig  zu¬ 
gehende  amerikanische  medizinische  Literatur  umfaßt  3,  monatlich  erscheinen¬ 
den  Journale:  the  St.  Paul  medical  journal,  herausgegeben  und  verlegt  von 
der  Ramseycounty  medical  sosiety  in  St.  Paul,  Minnesota  (Abonnementspreis 
nicht  angegeben),  ferner  the  Post-Graduate,  Herausgeber  Dr.  Henry  T.  Brooks, 
Mitherausgeber  Dr.  J.  Homes  Co  ff  in  und  W.  Ludwig  Käst,  New-York. 
Preis  jährlich  1  Dollar.  (In  New-York  besteht  eine  Post-Graduate  school  und 
ein  gleichnamiges  Hospital.  Post-Graduate  =  ein  bereits  Graduierter,  Post- 
Graduate  school  also  =  Fortbildungsschule  in  unserem  Sinne).  Das  dritte, 
umfangreichste  Journal  ist  the  american  journal  of  the  medical  Sciences, 
Herausgeber  Dr.  A.  0.  J.  Kelly,  New-York,  Verlag  von  Lea  u.  Febiger, 
Philadelphia  und  New-York,  Preis  jährlich  5  Dollar.  Alle  3  Journale  er¬ 
scheinen  in  Buchform  und  bringen  außer  Originalarbeiten  unter  den  Be¬ 
sprechungen  und  Auszügen,  besonders  auch  viele  deutsche.  Sie  erscheinen  nicht 
alle  zu  gleicher  Zeit.  Wir  erwähnen: 

1.  Aus  dem  Inhalt  des  St.  Paul  med.  journ.  Oktober  1908 :  Diagnose 
und  Behandlung  der  Steinkrankheit  von  Arthur  Dean  Bevan,  Chikago.  — 
Ein  Fall  von  Lebersyphilis  mit  besonderer  Berücksichtigung  der  Diagnose 
von  M.  M.  Ghent,  St.  Paul.  —  Prüfung  der  Nierenfunktion  von  Warren 
A.  Dennis,  St.  Paul.  —  Mehr  Schmerzersparnis  bei  Schwangeren!  Von  Fre- 
derik  Leawitt,  Prof  der  Geburtshilfe  an  der  Universität  von  Minnesota, 


90  Referate  und  Besprechungen. 

St.  Paul.  —  Der  Schok  und  seine  Behandlung.  Von  C.  S.  Bigelow,  Dodge 
Center,  Minn.  * 

2.  Aus  dem  Post-Graduate,  September  1908 :  Pylorusstenose.  Von  Robert 
Bur t in  Basley,  Prof,  an  der  Post-Graduate  school,  New-York.  —  Ein 
Pall  von  Ruptur  ektopischer  Schwangerschaft.  Von  Thompson  T.  Sweeney, 
Lehrer  fürFrauenkrankheiten  ebenda.  —  Ein  Fall  von  Blasenscheidenfistel 
mit  Komplikationen  von  Jam  eis  N.  West,  Prof,  der  Frauenkrankheiten  eben¬ 
da.  —  Eine  neue  Methode,  in  hoffnungslosen  Fällen  von  Harninkontinenz 
Hilfe  zu  bringen.  Von  W.  G.  Eckstein  (Spezialreferat)  —  Influenza 
und  ihre  Beziehung  zum  Ohr.  Von  Thomas  J.  Karris,  Adjunkt-Professor 
der  Augen-  und  Ohrenkrankheiten,  ebenda. 

3.  Aus  dem  Journ.  of  the  med.  Sciences.  Eine  klinische  Studie  über 
einige  Herzarythmien.  Von  Walter  S.  James,  Prof,  der  Medizin  an  dem 
College  für  Ärzte  und  Wundärzte,  Kolumbia-Universität,  New-York.  —  Sub- 
temporale  Druckentlastung  in  einem  Fall  von  chronischer  Nephritis  mit  Urä¬ 
mie  mit  besonderer  Berücksichtigung  der  neuroretinalen  Läsion.  Von  Harvey 
Cushing  und  James  Bordley,  Baltimore.  Mit  Illustrationen.  —  Physi¬ 
kalische  Therapie.  Von  Tait  Mc  Ke'nzie,  Prof,  der  physikalischen  Erziehung 
an  der  Pennsylvania-Universität,  Philadelphia.  —  Der  gegenwärtige  Stand 
der  Serum-  und  Vaccinetherapie.  Von  Dr.  Mark  Wyman  Richardson, 
Boston.  —  Das  Paravertebral-Dämpfungsdreieck  (Groccos  Zeichen)  in  der 
Schwangerschaft.  Von  Dr.  Frank  Smithless,  Lehrer  der  inneren  Medizin 
und  Demonstrator  an  der  Michigan-Universität,  Ann  Arbor,  Mich.  Mit  Zeich¬ 
nungen.  —  Der  Einfluß  der  Überzivilisation  auf  die  Mutterschaft.  Von  Frank¬ 
lin  S.  Newell,  Assistent-Professor  der  Geburtshilfe  und  Gynäkologie  an  der 
medizinischen  Harvard-Schule,  Boston.  —  Die  relative  Schwere  der  verschie¬ 
denen  Formen  der  Schwangerschafts-Toxämie  und  ihr  Einfluß  auf  die  Be¬ 
handlung.  Von  Dr.  Co  11  in  Soulkrod,  Assistent-Geburtshelfer  am  Presbyter 
Hospital  in  Pheladelphia,  Lehrer.  —  Vorkommen  und  Bedeutung  negativer 
Resultate  in  Blutkulturstudien.  Von  Dr.  E.  Libman,  Pathologe  usw.  am 
Sinai-Hospital,  New-York.  —  Die  Pupille  in  Allgemeinkrankheiten  von  Dr. 
Edward  Jackson,  Prof,  der  Ophthalmologie  an  der  Colorado-Universität, 
Denver.  —  Raynaud’s  Krankheit,  Erythromelalgie  und  verwandte  Zu¬ 
stände  in  Beziehung  zu  Gefäßerkrankungen.  Von  Dr.  B.  Sachs,  Nerven¬ 
arzt  usw.  am  Bellevue-Hospital,  New-York.  —  Thrombo-Angiitis  obliterans. 
Von  Dr.  Leo  Buerger,  Chirurg  und  chirurg.  Pathologe  am  Mount  Sinai- 
Hospital,  New-York,  Mit  Zeichnungen.  — -  Prolongierter  Gebrauch  und  toxische 
Wirkung  des  Sulfonals.  Von  Dr.  James  E,  Talley,  Direktor  des  klinischen 
Laboratoriums  des  Presbyter-Hospitals,  Philadelphia  (Spezialreferat). 

Soweit  es  der  Raum  gestattet,  soll  künftig  der  Inhalt  etwas  mehr  skizziert 
werden.  Peltzer. 


Zur  Psychologie  der  Kurpfuscherei. 

Allenthalben  wird  mit  großer  Energie  der  Kampf  gegen  die  Kur¬ 
pfuscher,  Charlatans  und  wie  sie  alle  heißen  mögen,  geführt,  ein  Kampf 
der  Wissenschaftlichkeit  gegen  Unwissenheit  und  deren  gewissenlose  Aus¬ 
beutung.  Über  die  Berechtigung  dieses  Kampfes  ist  natürlich  kein  Wort 
zu  verlieren ;  aber  wenn  man  immer  wieder  liest,  wie  leidlich  gescheidte 
Leute  und  normale  Repräsentanten  der  Kultur  des  20.  Jahrhunderts  immer 
wieder  den  Pfuschern  —  und  oft  gänzlich  unzweideutigen  —  ins  Garn 
laufen,  drängt  sich  doch  die  Frage  nach  der  psychologischen  Erklärung 
eines  solchen  Verhaltens  auf.  Man  sagt  oft,  die  Klientel  der  Pfuscher 
setze  sich  aus  den  von  der  offiziellen  Medizin  Aufgegebenen  zusammen. 
Für  einen  Teil  trifft  das  sicher  nicht  zu;  denn  wie  viele  an  sich  relativ 
leicht  heilbare  Leiden  unter  den  Händen  der  Kurpfuscher  unheilbar  ge¬ 
worden  sind,  ist  ja  hinreichend  bekannt,  und  dann  sind  auch  Fälle  berichtet 
worden,  in  denen  die  Patienten  eine  erfolgreiche  Kur  abgebrochen  haben, 


Referate  und  Besprechungen. 


91 


um  sich  einem  Pfuscher  anzuvertrauen.  Und  sollten  schließlich  die  Mi߬ 
erfolge  und  Gesundheitsschädigungen  durch  die  Charlatans  gänzlich  im  Ver¬ 
borgenen  sich  abspielen  ? 

Eine  kurze  Notiz  im  Progres  medical  vom  3.  Oktober  1908  Nr.  40  S.  485 
verdient  da  Beachtung.  Der  Verfasser  vergleicht  unsere  Kurpfuscher  mit 
den  Medizin-Männern  aus  dem  Süden,  und  hält  die  Neigung,  solche  Personen 
aufzusuchen,  für  einen  Atavismus  (un  instinct  ancestral).  Die  Zivilisation 
habe  noch  nicht  alle  Barbarei  in  uns  ausgerottet:  Die  Somnambulen,  Zauberer, 
Kartenleger  usw.  üben  noch  heute  ihren  geheimnisvollen  Reiz:  aus,  so  gut 
wie  in  den  Zeiten  der  primitiven  Kultur,  als  Kultlieder,  Zaubersprüche, 
Amulette  und  Talismane  ihre  Rolle  spielten.  ,, Vermöge  der  dauernden  Macht 
der  Motive,  die  auch  den  Zauberglauben  nie  aussterben  lassen,  reichen  sich 
uralte  Vergangenheit  und  Gegenwart  die  Hände.“  •  ( W u n d t ,  Völkerpsycho¬ 
logie  II,  1/1905,  S.  316.)  Wir  wollen  uns  also  hüten,  alle  Zeitgenossen  auf 
derselben  Kulturstufe  zu  wähnen,  sondern  die  enormen  Unterschiede  zwischen 
den  einzelnen  —  gleichmäßig  als  homines  sapientes  eingetragenen  und  mit 
den  gleichen  bürgerlichen  Rechten  und  Pflichten  ausgestatteten  Menschen  im 
Auge  behalten.  Wir  sind  dann  vielleicht  eher  geneigt,  die  Kurpfuscher 
und  ihre  Opfer  nach  dem  Satze:  ,,q.ue  comprendre,  c’est  pardonner“  zu 
beurteilen  und  in  ihnen  weniger  eine  ernstliche  Gefahr  für  die  Weiter¬ 
entwicklung,  als  vielmehr  eine  durch  die  fortschreitende  Zivilisation  von 
selbst  erlöschende  atavistische  geistige  Entgleisung  sehen. 

Buttersack  (Berlin). 


Eine  neue  Methode  der  Anfertigung  frischer  mikroskopischer  Präparate. 

(Ugo  Biffi,  Bullettino  delle  scienze  med.  Bd.  8,  1908). 

Biffi  schlägt  vor,  zur  Betrachtung  frischer  Präparate  die  Einbettung 
in  Vaselinöl  zu  benutzen.  Zur  Betrachtung  frischen  Blutes  breitet  man 
dieses  wie  gewöhnlich  auf^  einem  Deckgläschen  (durch  Abziehen  auf  einem 
anderen)  aus  und  bringt  dasselbe  auf  einen  Objektträger,  auf  dem  man  einen 
Tropfen  Vaselinöl  sich  hat  ausbreiten  lassen.  Die  Präparate  sind  damit 
zur  Betrachtung  fertig  und  können  ohne  weiteres  mehrere  Tage  lang  auf¬ 
gehoben  werden.  Will  man  das  Blut  frisch  färben,  so  breitet  man  den  Farb¬ 
stoff  in  dünner  Schicht  auf  dem  Deckgläschen  aus,  so  daß  bei  dem  raschen 
Verdunsten  ein  feiner  Farbenschein  auf  ihm  bleibt;  der  Blutstropfen  wird 
dann  wie  oben  zwischen  zwei  gefärbten  Deckgläschen  ausgebreitet  und  wie 
oben  in  Vaselinöl  eingelegt.  Sudan  III  und  Scharlachrot,  die  in  Fetten 
löslich  sind,  eignen  sich  hierfür  nicht ;  am  besten  verwendet  man  Boraxblau. 
Um  jodophile  Zellen  zu  färben,  verwendet  man  Vaselinöl  mit  einem  Tropfen 
konzentrierter  Jodlösung;  doch  muß  die  weitere  Untersuchung  zeigen,  ob 
die  Methode  hier  Vorteile  bietet.  Sehr  schöne  Leukozytenpräparate  erhält 
man,  wenn  man  die  Einwirkung  von  Boraxniethylenblau  mit  der  des  Jod 
kombiniert.  Man  wendet  erst  die  gewöhnliche  oben  beschriebene  vitale  Färbung 
an,  betrachtet  das  Präparat,  löst  dann  das  Deckgläschen  aus  dem  Vaselinöl 
und  bringt  es  auf  einen  anderen  mit  Jodvaselinöl  beschickten  Objektträger. 
Die  so  entstehenden  Präparate  eignen  sich  besonders  gut  für  Mikrophotogra¬ 
phien;  sie  halten  sich  aber  nur  einige  Stunden.  Auch  getrocknete,  nicht 
fixierte  Blutpräparate  lassen  sich  gut  in  Jodvaselinöl  betrachten.  Die  Vase- 
linölmethode  eignet  sich  für  alle  diejenigen  Substanzen,  die  man  frisch  be¬ 
sehen  will,  und  die  sich  in  dünner  Schicht  auf  dem  Deckgläschen  ausbreiten 
lassen,  auch  zur  Betrachtung  von  Bakterien.  Die  Methode  bietet  vor  dem 
hängenden  Tropfen  manche  Vorteile.  Für  alle  Präparate  muß  natürlich 
das  Vaselinöl  (Paraffinöl,  flüssiges  Vaselin)  völlig  farblos,  durchsichtig  und 
neutral  sein.  M.  Kaufmann. 


92 


Bücherschau. 


Azetylen-Beleuchtung. 

(Die  Herausgeber  in  the  St.  Paul  med.  journ.,  Nr.  10,  S.  584,  1908.) 

Wer  bei  künstlicher  Beleuchtung  operiert,  ist  oft  durch  die  Veränderung 
überrascht,  die  das  Aussehen  der  Gewebe  durch  Gas-  oder  elektrisches  Licht 
erleidet.  Eine  künstliche  Beleuchtung,  die  der  durch  Sonnenlicht  gleichkommt, 
gibt  es  bis  jetzt  nicht,  Gaslicht  hat  einen  Überschuß  an  Rot  und  Gelb,  der 
Welsh  ach’sche  Brenner  an  Grün,  das  Bogenlicht  an  Violett,  das  Weißglüh¬ 
licht  an  Orange  und  Rot,  wodurch  Täuschungen  hervorgerufen  werden  können. 
So  kann  z.  B.  ein  bei  Gaslicht  untersuchtes  Gewebe  röter  erscheinen  als  es 
in  Wirklichkeit  ist  und  so  die  Diagnose  des  Operateurs  irreleiten.  Dem 
Tageslicht  fast  gleich  kommt  die  Azetylenbeleuchtung,  sie  sollte  daher  die 
Idealbeleuchtung  bei  Operationen  in  der  Nacht  sein.  Transportable  Azetylen¬ 
lampen  sind  bereits  zahlreich  in  New-Yorber  und  Philadelphiaer  Kranken¬ 
häusern  in  Gebrauch.  Nachteile  sind  der  schlechte  Geruch  und  die  Gefähr¬ 
lichkeit  des  Gases,  die  moderne  Technik  hat  jedoch  auch  diese  bereits  über¬ 
wunden.  Im  Vergleich  mit  Gas  und  Elektrizität  ist  es  auch  ökonomisch 
und  empfiehlt  sich  daher  auch  für  allgemeine  Beleuchtungszwecke.  (Ref. 
fügt  hinzu,  daß  in  der  preußischen  Armee  für  den  Dienst  bei  den  Kranken¬ 
trägerkompagnien  neuerdings  Azetylenbeleuchtung  eingeführt  ist.)  Peltzer. 

Henry  Gray,  der  Anatom. 

(Frank  K.  Bol  and,  M.  D,  Atlanta,  Georgia,  The  americ.  journ.  of  the  med.  scienc., 

S.  429,  September  1908.) 

Eür  diejenigen,  welche  sich  mit  Geschichte  der  Medizin  beschäftigen, 
wird  es  von  Interesse  sein,  zu  erfahren,  daß  Dr.  Bolan,d  den  Spuren  eines 
Anatomen  nachgegangen  ist,  von  dem  man  bisher  nicht  viel  mehr  wußte  als 
seinen  Geburts-  und  Todestag,  sowie  die  Tatsache,  daß  er  Engländer  war 
und  ein  Handbuch  der  Anatomie  geschrieben  hat,  obgleich,  wie  B.  sagt, 
Studenten  und  Ärzte  ihn  ein  halbes  Jahrhundert  lang  für  einen  der  be¬ 
deutendsten  Anatomen  seiner  Zeit  gehalten  haben.  Es  ist  dies  der  1827 
in  London  geborene,  1861  im  Alter  von  44  Jahren  an  Pocken  gestorbene 
Henry  Gray.  Zu  den  Nachforschungen  über  ihn  veranlaßt  wurde  B. 
durch  die  Lektüre  eines  kleinen  1905  geschriebenen  Buches  von  G.  W.  H. 
Klemper,  betitelt  „Die  Anatomen  der  Welt“,  welches  nur  die  oben  erwähnte 
kurze  Notiz  enthielt.  Die  jetzt  reichlicher  fließende  geschichtliche  Quelle- 
(beigegeben  ist  ihr  ein  Porträt)  findet  sich,  wie  gesagt,  an  der  in  der  Über¬ 
schrift  näher  bezeichneten  Stelle.  Peltzer. 


Bücherschau. 


Bestimmungen  über  die  Zulassung  zur  ärztlichen  Praxis  im  Auslande. 

Von  J.  Schwalbe.  2.  verm.  Aufl.  Leipzig,  G.  Thieme,  1908.  204  S. 

Preis  3,50  Mk. 

Früher  wären  die  meisten  Länder  froh  gewesen,  deutsche  Ärzte  im 
Lande  zu  haben;  heutzutage  drängt  sich  allerwärts  die  Jugend  zu  den 
Tempeln  des  Hippokrates,  und  die  Staaten  sehen  sich  gezwungen,  ihre  Landes¬ 
kinder  durch  Schutzmaßregeln  gegen  fremde  Konkurrenz  zu  schützen.  Für 
denjenigen  jungen  Doktor,  der  sein  Glück  in  der  weiten  Welt  versuchen 
will,  ist  das  vorliegende  Buch  vom  höchsten  Wert.  Eis  orientiert  ihn  kurz 
und  präzis  über  die  Punkte,  die  in  solchen  Fällen  zunächst  von  Wichtigkeit 
sind:  Klima,  Verhältnisse  der  Praxis,  evtl.  Bedarf  oder  Überfluß  an  Ärzten, 
Preise,  Sprache  usw.  Sonderlich .  ermutigend  zum  Auswandern  ist  das  Er¬ 
gebnis  freilich  nicht. 

Gänzlich  freigegeben  ist  die  ärztliche  Praxis  in  Abessinien,  Alaska, 
Australien,  Bermuda-Inseln,  Britisch-Indien,  Ceylon,  Britisch-Neuguinea,  China, 
Ealkland,  Island,  Freundschaftsinseln,  Kolumbien,  Korea,  Labrador,  Liberia, 
Persien,  Samos,  Siam,  Southern-Nigeria,  West-Indian-Islands,  Zanzibar. 


Bücherschau. 


93 


Unser  deutsches  Staatsexamen  genügt  für  Ägypten,  Bahama-Inseln,  Bar¬ 
bados,  Bolivia,  Griechenland,  Hongkong,  Marokko,  Missouri,  Montenegro,  Neu- 
Südwales,  Neuhampsire,  Neu-Mexiko,  Seychellen,  Spanien,  Tasmanien,  Tunis, 
Wiskonsin. 

Die  andern  Staaten  verlangen  mehr  oder  weniger  komplizierte  Examina 
in  der  Landessprache,  bei  denen  der  Erfolg  vielleicht  nicht  einmal  aus¬ 
schließlich  von  den  Fähigkeiten  des  Prüflings  abhängt. 

Bulgarien  und  Serbien  schließen  prinzipiell  alle  Ausländer  von  der 
ärztlichen  Praxis  aus ;  es  dürfte  aber  nur  wenige  europäisch  gebildete  Ärzte 
in  jene  Länder  ziehen.  Buttersack  (Berlin). 


Der  Aderlaß  und  die  blutentziehenden  Mittel  bei  Herzkrankheiten. 

Von  E.  Hornberger.  Berlin,  FischePs  med.  Buchhandlung,  1908.  8°. 

19  S.  Preis  60  Pfg.  (Berl.  Klinik,  Heft  248.) 

Hornberger  bespricht  im  Lichte  der  ,, neuen  Kreislauftheorie“,  welche 
auf  S.  845  Jahrgang  1908  der  „Fortschritte“  erörtert  ist,  die  Wirkung  des 
den  Blutdruck  herabsetzenden  Aderlasses,  ohne  freiPch  zu  einem  abschließenden 
Urteil  zu  gelangen.  „Man  muß  erst  genau  die  Kräfte  kennen,  die  bei  der 
Blutbewegung  beteiligt  sind,  um  zu  einem  Verständnis  über  Aderlaß  und 
die  blutentziehenden  und  sog.  ableitenden  Mittel  zu  kommen“  sagt  er  u.  a. 
in  den  „zusammenfassenden“  Schlußworten.  Die  therapeutische  Bedeutung 
der  Bier’schen  Stauung  wird  öfters  hervorgehoben.  Jedenfalls  tut  der  Ver¬ 
fasser  gut  daran,  auf  den  Aderlaß  als  gelegentliches  wertvolles  Heilmittel 
wieder  einmal  aufmerksam  zu  machen.  H.  Vierordt  (Tübingen). 


Lehrbuch  der  Hebammenkunst.  Von  Bernhard  Sigismund  Schnitze. 
Verlag  von  W.  Engelmann,  Leipzig,  1908.  14.  verb.  Aufl.  Geh.  7  Mk. 

Sch. ’s  wohlbekanntes  und  weit  verbreitetes  Lehrbuch  der  Hebammen¬ 
kunst  ist  in  14.  Auflage  erschienen.  Gegenüber  der  vorhergehenden  Auflage, 
welche  mannigfache  Verbesserungen  und  neu  auf  genommene  Kapitel  ent¬ 
hielt,  sind  in  der  neusten  Auflage,  abgesehen  von  einigen  neuen,  z.  T.  dem 
Bumm’schen  Grundriß  entnommenen  Abbildungen  keine  wesentlichen  Ver¬ 
änderungen  vorgenommen  worden.  Eine  besondere  Empfehlung  des  Buches 
erübrigt  sich.  R.  Klien  (Leipzig). 


Zeitschrift  für  gynäkologische  Urologie.  Herausgegeben  von  Prof.  Dr. 
W.  Stoeckel.  Verlag  von  Job.  Ambrosius  Barth  in  Leipzig. 

Die  Urologie  ist  für  den  modernen  Gynäkologen  unentbehrlich.  Es 
ist  aber  auch  für  die  Urologie  die  Mitarbeit  des  Gynäkologen  notwendig. 
Tatsächlich  wird  auch  auf  diesem  Gebiete  viel  und  mit  Erfolg  gearbeitet. 
Leider  waren  aber  bisher  die  diesbezüglichen  Arbeiten  in  allen  möglichen 
Zeitschriften  zerstreut,  so  daß  es  selbst  für  den  Spezialisten  nicht  leicht 
war,  sich  stets  auf  dem  Laufenden  zu  erhalten.  Es  entspricht  daher  geradezu 
einem  Bedürfnis,  daß  ein  Zentralorgan  für  die  urologische  Tätigkeit  des 
Gynäkologen  geschaffen  worden  ist.  Die  Namen  des  Herausgebers  sowohl  wie 
des  Verlegers  bürgen  für  gediegenen  Inhalt.  Die  Arbeiten  des  ersten  Heftes 
sind  bereits  in  diesen  Blättern  besprochen.  Die  neue  Zeitschrift  erscheint 
in  zwanglosen  Bänden  zu  je  6  Heften.  Preis  pro  Band  10  Mark.  Außer 
Originalarbeiten  werden  auch  Sammelreferate  geboten  werden. 

R.  Klien  (Leipzig). 


Was  ist  Hysterie?  Eine  nosologische  Betrachtung  von  Dr.  Armin 
Stey erthäl.  Verlag  Carl  Marhold,  Halle  a/S.  Preis  1,80  M. 

In  diesem  von  großer  Belesenheit  und  sehr  kritischem  Denken  zeugen¬ 
den  Buche  geht  der  Verfasser  gegen  den  Begriff  Hysterie  als  selbständige 
Krankheit  vor.  Er  sieht  in  derselben  lediglich  einen  Komplex  von  Erschöp¬ 
fungssymptomen  und  weist,  was  man  im  allgemeinen  mit  Hysterie  bezeichnet, 
teils  der  angeborenen  Entartung  und  dem  Schwachsinn,  teils  der  erworbenen 
Nervenerschöpfung  zu. 


94 


Bücherschau. 


Sehr  lesenswert  ist  der  zu  Beginn  der  Schrift  gegebene  historische 
Überblick,  in  dem  sich  dier  Verfasser  sowohl  mit  den  alten  Meistern  von 
Hippokrates  an  auseinandersetzt,  wie  auch  die  jetzt  geltenden  Anschauungen 
von  C  har  cot  und  Möbius  kritisch  beleuchtet.  Er  berührt  dann  auch  das 
Gebiet  der  zu  so  großer  Bedeutung  gelangten  traumatischen  Nervenleiden 
und  verlangt  ein  Aufgeben  der  seiner  Ansicht  nach  künstlichen  Dreiteilung 
der  Erschöpfungsneurose  in  Neurasthenie,  Hysterie  und  Hystero-Neurasthenie. 

Auch  die  hysterischen  Stigmata  sind  nach  Steyerthal’s  Ausführungen, 
wie  er  im  einzelnen  darlegt,  nichts  weiter  als  Erschöpfungssymptome.  Das 
gleiche  gilt  für  den  hysterischen  Paroxysmus.  Die  angehäuften  Unlustgefühle 
im  Seelenleben  eines  Menschen  werden  zu  Spannkräften,  die  schließlich  bei 
einem  gewissen  Erschöpfungzustande  jede  Hemmung  durchbrechen  und  sich 
dann  in  furibunder  Expansion  Luft  machen.  Auf  weitere  Einzelheiten  kann 
hier  nicht  eingegangen  werden,  jeder  der  Interesse  für  das  so  vielgestaltige 
Krankheitsbild  der  Hysterie  hat,  wird  mit  großem  Nutzen  das  kleine  "Werk 
von  Steyerthal  lesen,  wenn  er  ihm  vielleicht  auch  nicht  in  allem  beipflichten 
kann.  B. 


Zur  Psychologie  und  Therapie  neurotischer  Symptome.  Von  Arthur 

Muthmann.  Eine  Studie  auf  Grund  der  Neurosenlehre  FreucPs.  Halle  a/8., 

Carl  Marliold,  1907. 

Die  guten  therapeutischen  Erfolge,  welche  der  Verf.  bei  Hysterischen 
mit  der  psychoanalytischen  Methode  Freüd’s  erzielt  hat,  veranlassen 
ihn,  seine  Erfahrungen  zu  veröffentlichen.  Er  gibt  zunächst  eine  Darstel¬ 
lung  der  Freud’schen  Auffassung  von  den  großen  Neurosen  und  belegt 
alsdann  seine  Erfolge  durch  drei  nach  dem  Verfahren  geheilte  Fälle. 

Freud’s  Lehre  von  der  Hysterie  ist  heute  wohl  bereits  über  die  Spezial¬ 
kreise  der  Neurologen  und  Psychiater  hinausgedrungen :  sie  braucht  daher 
hier  nur  mit  einigen  Worten  angedeutet  zu  werden.  Freud  betrachtet  — 
das  ist  das  Wesentlichste  seiner  Auffassung  —  die  großen  Neurosen  lediglich 
unter  dem  Gesichtswinkel  der  Sexualität.  ,,Bei  normaler  Vita  sexualis 
ist  eine  Neurose  unmöglich.“  In  keinem  Falle  von  Hysterie  wird  ein  sexuellem 
Trauma  vermißt.  Wird  die  peinliche  Erinnerung  an  das  Erlebnis  nicht  ge¬ 
nügend  abgestoßen  —  abreagiert  —  so  versinkt  sie  im  Bewußtsein  und  wirkt 
dort  —  unbewußt  —  gewissermaßen  als  lästiger  Fremdkörper.  Die  im  Ver¬ 
borgenen  wühlenden  Reize  dokumentieren  sich  nach  außen  als  hysterische 
Beschwerden.  Die  Hysterischen  leiden  also  an  Reminiszenzen. 
Gelingt  es  —  mit  oder  ohne  Hypnose  —  die  versunkenen  Erinnerungen  in  das 
Wachbewußtsein  zurückzuführen,  so  können  sie  jetzt  noch  nachträglich  ab¬ 
reagiert  werden  und  die  Kranke  ist  geheilt. 

Um  diese  Ansicht  zu  stützen  und  die  Brauchbarkeit  der  Methode  zu 
erweisen,  hätten  kaum  unglücklichere  Fälle  ausgewählt  werden  können,  als 
die  drei  großen  Psychoanalysen,  welche  M.  in  seinem  Buche  mitteilt.  Auch 
hier  zeigt  sich  wieder  so  recht  deutlich  in  welch  heilloser  Verwirrung 
sich  unsere  Anschauungen  über  die  Hysterie  befinden.  Wir  kämpfen 
scheinbar  wider  eine  fest  nach  allen  Seiten  hin  umgrenzte  Krankheit  und 
suchen  nach  Mitteln,  sie  zu  heilen,  sehen  wir  aber  näher  zu,  so  versteht 
jeder  unter  dem  Begriffe  Hysterie  etwas  anderes.  Vor  allem  sind  die  An¬ 
sichten  der  Neurologen  himmelweit  von  denen  der  Psychiater  verschieden, 
sobald  das  Thema  Hysterie  zur  Debatte  steht. 

Von  den  bei  M.  analysierten  Fällen  verdient  keiner  die  Diagnose 
Hysterie.  Der  erste  Fall  (die  Kranke  G.)  ist  ein  typisches  Beispiel  von 
Schwachsinn  mit  ausgeprägten  Degenerationszeichen.  Der  Verf. 
gibt  das  auch  selbst  zu,  aber  er  glaubt,  daß  es  sich  um  „rein  funktionellen 
Schwachsinn“  handle  (p.  68).  Die  Kranke  D.  gehört  in  das  Gebiet  der 

akuten  Psychosen.  Sie  ist  erst  19  Jahre,  es  handelt  sich  eventl.  um  eine 

D  ementia  praecox.  Die  Pat.  wird  auch  bald  rückfällig.  Wenn  sie  sich 

sieben  Monate  später  ,, recht  wohl  fühlt“  (p.  89),  so  beweist  das  gar  nichts.  — 
Die  Kranke  F.  endlich  leidet  an  Anfällen,  die  man  vielleicht  als  hysterische 
bezeichnen  könnte,  aber  die  sexuellen  Erlebnisse  sind  doch  bei  ihr  ganz 
frisch,  sie  geben  offenbar  den  direkten  Anlaß  zu  der  bei  ihr  ausbrechenden 
Erschöpfung.  Von  einem  Versinken  der  Reminiszenzen  im  Bewußtsein 

kann  man  doch  nicht  reden. 


Bücherschau. 


95 


Eine  Heilung  durch  die  sog.  kat  har  tische  Methode  Freud’s  ist  in 
keinem  dieser  drei  Fälle  erfolgt.  Soll  jene  Therapie  auch  nur  die  geringste 
Bedeutung  erlangen,  so  müssen  ganz  andere  Erfolge  auf  den  Plan  gebracht 
werden.  .  Steyerthal-Kleinen. 


Grundzüge  einer  sexuellen  Pädagogik  in  der  häuslichen  Erziehung.  Von 

Dr.  med.  J.  Marcuse.  München,  Gmelin.  1908.  45  Seiten.  75  Pfg. 

Verf.  bespricht  die  sexuelle  Pädagogik,  sowohl  nach  der  intellektuellen  wie 
nach  der  ethischen  Seite.  In  letzterer  Hinsicht  ist  besonders  für  Erziehung  des 
Gemüts  und  für  Schulung  des  Willens  Sorge  zu  tragen.  Das  wird  erreicht 
durch  gutes  Vorbild,  Vermeiden  pikanter  Gespräche  und  Lektüre,  Sorge  für  Regel¬ 
mäßigkeit  der  Lebensweise,  Abhärtung,  Selbstbeherrschung  bei  unangenehmen  Ein¬ 
drücken  und  Gemütsbewegungen,  weiterhin  durch  Erziehung  zur  Arbeit  als 
Lebensinhalt,  als  Faktor  sittlicher  Kraft  und  Erweckerin  des  Pflichtgefühls.  Sie 
kann  auch  zunächst  in  Form  von  Spiel  und  Sport  (Jugend-  und  Volksspielen), 
sodann  als  Handfertigkeitsunterricht  usw.  herangezogen  werden. 

Sehr  wichtig  ist  auch  eine  rationelle,  mäßige  Ernährung,  Einschrän¬ 
kung  der  Fleischkost,  der  Leckereien  und  vor  allem  Vermeidung  des  Alkohols. 

Auf  diese  Weise  erhält  das  Kind  wirksame  Waffen  gegen  frühreife  unge¬ 
sunde  Triebe. 

Aber  damit  allein  ist  es  nicht  getan. 

Mit  der  enorm  gesteigerten  naturwissenschaftlichen  Erkenntnis  ist  auch  ein 
unaufhaltsamer  Drang  nach  Aufklärung  auf  dem  Gebiete  des  menschlichen  Ge¬ 
schlechtslebens  erwachsen,  und  außerdem  drängen  die  sozialen,  im  Schoße  der  Ge¬ 
sellschaft  immer  unheimlicher  wuchernden  Vergiftungserscheinungen  der  Onanie, 
der  Prostitution,  der  Geschlechtskrankheiten  usw.  mit  ihren  unsagbar  traurigen 
Folgen  für  Individuum  und  Generation  immer  energischer  zum  Handeln.  Bei  der 
Alternative  zwischen  Vergiftung  der  Kinderseele  durch  unberufene  unheil¬ 
volle  Berater  und  Schutz  derselben  durch  eine,  wenn  auch  nicht  leichte  Auf¬ 
klärungsarbeit  kann  die  Wahl  nicht  schwer  fallen. 

Da  nun  auf  diesem  Gebiet  nur  Klarheit  und  Unbefangenheit  zu  rich¬ 
tiger  Unterweisung  und  Erziehung  führen  können,  so  will  Verf.  zunächst  die 
Eltern  belehren  „über  die  natürlichen  Vorgänge  auf  Erden,  über  die  im  Pflanzen- 
und  Tierreich  sich  abspielenden  gleichgearteten  und  das  Verständnis  für  die 
menschliche  Fortpflanzung  anbahnenden  Prozesse/  damit  sie,  hiervon  ausgehend, 
die  Heranwachsenden  immer  in  Anknüpfung  an  Erlebnisse  und  Beobachtungen 
unterweisen,  ihnen,  von  Stufe  zu  Stufe  fortschreitend,  zwar  stets  Wahrheit,  aber 
nur  ganz  allmählich  und  vorsichtig  ihrem  Alter  entsprechend  die  ganze  Wahrheit 
geben  können.  Esch. 


Breitenstein’s  Repetitorien  Nr.  1.  Repetitorium  der  speziellen  Pathologie 
und  Therapie.  I.  Teil,  Innere  Krankheiten.  Neu  bearbeitet  von  Ludwig 
Amberg.  7.  AuflL  Leipzig  1908,  Joh.  Ambrosius  Barth.  8°.  153  S. 

Preis  2  Mk. 

Repetitorien  wie  diese  erscheinen  dem  Ref.  nicht  unzweckmäßig,  selbst 
nützlich  in  den  Händen  des  Vorgeschritteneren,  dem  hoffentlich  beim  Durch¬ 
lesen  dieser  zusammengepreßten  Pathologie  noch  anderes  zwischen  den  Zeilen 
auf  taucht.  Weniger  ist  ein  solches  Repetitorium  dem  Adepten  zu  empfehlen, 
der  sich  aus  begreiflicher  Furcht  vor  manchen  allzu  groß  gediehenen  Lehr¬ 
büchern  vielleicht  abmüht,  gerade  diese  Zusammenstellung  des  Mindestmaßes 
des  Wissens  sich  einzuprägen.  Das  wichtigste  der  Pathologie,  wie  es  etwa 
ein  billig  denkender  Examinator  voraussetzen  wird,  da  und  dort  sogar  noch 
etwas  darüber  hinaus,  ist  allerdings  im  Büchlein  dem  allgemeinen  Eindruck 
nach  enthalten.  So  ist  beispielsweise  auch  die  Plaut- Vineent’sche  Angina 
erwähnt,  eine  diagnostische  Tabelle  der  Darmstenosen  (pag.  121),  auf  Seite  108 
genauere  Diätvorschrift  bei  blutenden  Magengeschwür  gegeben,  wie  denn  über¬ 
haupt  einzelne  therapeutische  Abschnitte  Lob  verdienen.  Von  absichtlichen 
oder  unabsichtlichen  Druckfehlern  seien  erwähnt:  Epiphisen,  Dennatol  (statt 
Deimatol\,  Leukart,  Placques,  Ocaena,  Pulvis  Doweri  (statt  Doveri),  Bacillus 
enteritis  (statt  enteritidis) ;  auch  sachliche  Unrichtigkeiten  fehlen  nicht:  Taenia 
saginata  wird  viel  länger  als  bloß  3 — 4  m;  R.  Koch  ist  nicht  unter  die 
„Entdecker''  des  Typhusbazillus  zu  zählen  (p.  21)  u.  a. 

_ -  H.  Vierordt  (Tübingen). 


96 


Bücherschau. 


Lehrbuch  und  Atlas  der  Zahnheilkunde  mit  Einschluß  der  Mundkrank¬ 
heiten.  Von  Dr.  Gustav  Preis  weck,  Lektor  an  der  Universität  Basel. 
Lehmann’s  medizin.  Handatlanten,  Band  XXX.  2.  verbesserte  und  ver¬ 
mehrte  Auflage.  Mit  50  vielfarbigen  Tafeln  und  141  Textabbildungen. 
München,  J.  F.  Lehmanns’s  Verlag,  1908.  398  Seiten.  Preis  14  Mk. 

Außer  der  Veränderung  des  Inhaltes,  Beschneidung  oder  Ergänzung 
mancher  Kapitel,  ist  der  Bilderschmuck  in  dieser  2.  Auflage  erheblich  ver¬ 
mehrt.  Dafür  ist  jetzt  der  konservierende  und  operative  Teil  weggelassen, 
der  später  einen  eigenen  Band  fassen  soll. 

Der  Inhalt  umfaßt  zunächst  eine  kurze  geschichtliche  Einleitung,  dann 
die  diesbezügliche  Anatomie,  Histologie  und  Physiologie,  die  Bakteriologie, 
die  Mundkrankheiten,  die  Geschwülste  der  Mundhöhle  und  der  harten  Zahn¬ 
substanzen,  die  ins  einschlägige  Gebiet  fallenden  Frakturen  und  Luxationen, 
das  Empyem  der  Highmorshöhle  und  die  Trigeminusneuralgie.  Es  folgen 
dann  die  erworbenen  und  angeborenen  Spaltbildungen  des  Gesichts,  die  Zahn- 
und  Kieferanomalien,  die  angeborenen  und  erworbenen  Defekte  der  harten 
Zahnsubstanzen,  die  Zonen  der  Karies  und  die  Prophylaxe,  endlich  die  Er¬ 
krankungen  der  Pulpa  und  der  Wurzelhaut. 

Die  Ausstattung  der  Lehmann’schen  Atlanten  ist  bekannt. 

v.  Schnizer-Danzig. 


Erste  ärztliche  Hilfe.  Leitfaden  für  Ärzte.  Unter  Mitwirkung  und  Förde¬ 
rung  klinischer  Herrn  Vorstände  herausgegeben  von  Dr. Heinrich  Charas, 
Chefarzt  und  Leiter  der  Wiener  freiw.  Rettungsgesellschaft.  Mit  15  Ab¬ 
bildungen  im’ Texte.  Wien  und  Leipzig.  Wilhelm  Braumüller,  k.  u.  k.  Hof- 
und  Universitäts- Buchhändler.  1909.  Gr.-8°.  345  Seiten.  5  M.  (6  Kr.) 

Ein  Kompendium,  das  bei  seiner  kurzen  präzisen  Form  dem  praktischen 
Arzte,  insbesondere  auch  auf  dem  Lande,  eine  rasche  Orientierung  über  alles 
Wissenswerte,  alle  notwendigen  Maßnahmen  in  der  Hilfe  ermöglicht,  das 
von  dem  außerordentlich  wichtigen  Grundsätze  ausgeht,  daß  der  erste  Verband 
und  der  erste  Transport  oft  das  Schicksal  des  Verletzten  entscheiden. 

Aus  der  chirurgischen  Klinik  des  Hofrats  Prof.  Dr.  v.  Eiselsberg, 
von  den  Assistenten  bearbeitet,  gingen  hervor:  Wunden  und  deren  Behandlung, 
inkarzerierte  Hernien  und  Herniotomie,  über  Verletzungen  des  Kopfes,  Thorax 
und  Abdomen,  Verletzungen  der  Muskeln,  Sehnen  und  Nerven,  Verletzungen 
der  Knochen  und  Gelenke.  Sehr  klar  und  faßlich  ist  besonders  der  Abschnitt 
über  Herniotomie.  Dann  folgt  aus  der  Klinik  des  Hofrats  Prof.  Dr.  Hochen- 
egg:  Erste  Hilfe  bei  Verletzungen  und  Erkrankungen  der  Harnorgane,  Blu¬ 
tung,  Blutstillung,  Blutungen  aus  Körperhöhlen,  drohender  Verblutungstod. 
Hier  zeichnet  sich  besonders  das  über  die  Handhabung  des  Katheters  Gesagte 
durch  Deutlichkeit  aus,  ebenso  das  Kapitel  über  Harninfiltration.  Daran 
schließt  sich  von  weil.  Hofrat  Prof.  Dr.  L.  v.  Schrötter:  Die  erste  Hilfe 
bei  inneren  Erkrankungen,  in  die  folgenden  Abschnitte  zerfallend:  plötzliche 
Erkrankungen,  Krämpfe,  Magendarmsymptome,  Schmerzen,  Blutungen  und 
Vergiftungen,  in  denen  Diagnostik  und  Therapie  in  hervorragend  klarer  Weise 
behandelt  sind. 

Weiterhin  folgen  die  erste  Hilfe  in  der  Gynäkologie  und  Geburts¬ 
hilfe  und  bei  Verletzungen  des  Auges,  dann  von  Hof  rat  Prof.  Chiari:  Ver¬ 
letzungen,  Fremdkörper,  Blutungen  und  Stenosen  der  Nase,  des  Mundes,  Kehl¬ 
kopfes,  der  Luft-  und  Speiseröhre.  Hof  rat  Prof.  Dr.  A.  Politzer  verfaßte 
die  Verletzungen  des  Gehörorganes.  Dann  kommen :  Erste  ärztliche  Hilfe 
bei  Psychosen,  worin  der  oft  sehr  schwierige  erste  Transport  ins  Irrenhaus 
eingehend  und  mit  guten  Ratschlägen  behandelt  ist,  der  Krankentransport, 
die  ärztliche  Hilfe  bei  Katastrophen  und  die  Krankenpflege  im  Plause. 

Die  Übersichtlichkeit  wird  durch  fettgedruckte  Zusammenfassungen  am 
Rande  ganz  besonders  erhöht.  Das  Werkchen  verdient  weite  Verbreitung. 

v.  Schnizer-Danzig. 


Schriftleitung:  Dr.  Ri  gl  er  in  Leipzig. 
Druck  von  Emil  Herrmann  senior  in  Leipzig. 


27.  Jahrgang. 


1909. 


TortscbritK  der  Medizin. 


Unter  Mitwirkung  hervorragender  Fachmänner 

herausgegeben  von 

Professor  Dr.  0.  Köster  Priv.-Doz.  Dr.  v.  Cricgtrn 


in  Leipzig. 

Schriftleitung: 


in  Leipzig. 

Dr.  Rigler  in  Leipzig. 


Nr. 


3. 


Erscheint  am  10.,  20..  30.  jeden  Monats.  Preis  halbjährlich 
6  Mark,  in  kl.  Zeitschrift  für  Yersichernngsin*dizin  8  Mark. 


Verlag  von  Georg  Thieme,  Leipzig. 


30.  Jan. 


Originalarbeiten  und  Sammelberichte. 

Über  die  Seroreaktion  auf  Syphilis  nach  Wassermann.1) 

Von  Privatdozent  Dr.  M.  Löh  lein. 

Wenn  auch  die  theoretischen  Grundlagen  der  Wasser  mann’ sehen 
Reaktion  noch  rätselhaft  sind,  wenn  auch  selbst  ihre  klinische  Spezifi¬ 
tät  meines  Erachtens  noch  nicht  über  jeden  Zweifel  erhaben  ist,  — 
unter  allen  Umständen  haben  wir  in  dem  neuen  Verfahren  einen  höchst 
bedeutsamen  Fortschritt  der  Medizin  zu  sehen.  Ich  erfülle  deshalb 
gern  den  Wunsch  der  Redaktion,  einen  kurzen  Bericht  über  Wesen, 
Technik  und  Zuverlässigkeit  der  Probe  zu  gehen. 

Wassermann  hat  die  neue  Methode  in  konsequentem  Aufbau 
auf  den  besonders  durch  Ehrlich  und  seine  Schüler  einerseits,  Bordet 
andererseits  begründeten  Anschauungen  über  den  Mechanismus  der  spe¬ 
zifischen  Hämolyse  entwickelt.  Die  wichtigsten  Tatsachen,  deren  Kennt¬ 
nis  unerläßlich  ist,  mögen  im  folgenden  kurz  erörtert  werden ;  ich  ver- 
tneide  dabei  alle  theoretischen  Streitfragen  und  verwende  die  Ehrlich- 
sche  Nomenklatur. 

Das  Serum  eines  mit  Hammelblutkörperchen  vorbehandelten  Kanin¬ 
chens  gewinnt  spezifisch  hämolytische  Eigenschaften  für  Hammelblut ; 
durch  kurze  Erhitzung  auf  55°  verliert  es  diese  hämolytische  Fähig¬ 
keit,  gewinnt  sie  aber  sofort  wieder,  wenn  man  ihm  eine  kleine  Menge 
unerhitzten  „komplettierenden“  Meerschweinchensernms  zusetzt,  die  an 
sich  die  Hammelblutkörperchen  nicht  aufzulösen  vermag.  [Der  Ein¬ 
tritt  der  Hämolyse  ist  im  Reagensglase  sehr  leicht  zu  beobachten: 
eine  blutkörperchenhaltige  Flüssigkeit  ist  trübe  rötlich  gefärbt  (deck- 
farben) ;  wird  durch  den  hämolytischen  Prozeß  das  Hämoglobin  in 
Freiheit  gesetzt,  so  wird  die  Flüssigkeit  durchsichtig  (laekfarben).] 

Die  Hämolyse  kommt  nach  Ehrlich’s  Auffassung  zustande  durch 
das  Zusammenwirken  der  in  großer  Menge  im  spezifischen  Kaninchen¬ 
serum  enthaltenen  „Ambozeptoren“  für  Hammelblutkörperchen  und  des 
in  frischem  Serum  (eines  Meerschweinchens)  enthaltenen  „Komplements“, 
welches  letztere  für  sich  allein  ebensowenig  zur  Tötung  der  Erythrozyten 
befähigt  ist,  wie  das  inaktive  spezifische  Serum.  Bei  der  Gesetz¬ 
mäßigkeit  des  Ablaufs  dieser  Reaktion  ist  die  für  unsere  Erörterung 
grundlegende  Tatsache  leicht  abzuleiten,  daß  Hammelblutkörperchen 

1)  In  Anlehnung  au  einen  Vortrag  in  der  Medizinischen  Gesellschaft  in  Leipzig, 
Sitzung  vom  27.  Oktober  1908. 


7 


98 


M.  Löhlein, 


zusammen  mit  inaktivem,  für  sie  spezifisch  hämolytischem  Kaninchen- 
serum  ein  Reagens  auf  Komplementgehalt  einer  zugesetzten  Flüs¬ 
sigkeit  bilden  können,  das  nach  dem  Vorgänge  von  Moreschi  als  hämo¬ 
lytisches  System  bezeichnet  wird. 

Die  Ausnutzung  dieses  Reagens  erfolgte  zuerst  durch  Bordet 
und  Gengou  bei  Versuchen,  die  sich  mit  theoretisch  wichtigen  Proble¬ 
men  der  Immunitätslehre  beschäftigten,  von  denen  wir  hier  absehen 
können.  Bordet  und  Gengou  zeigten,  daß,  wenn  man  beispielsweise 
Pestbakterien  und  spezifisches  Antipestserum  mit  frischem  komple- 
menthal tigern  Serum  vermengte,  diese  Mischung,  an  einem  hämolytischen 
System  geprüft,  kein  freies  Komplement  erkennen  ließ,  indem  die  Er¬ 
scheinung  der  Hämolyse  eben  nicht  ein  trat.  "VVar  statt  des  spezifischen 
Pestserums  ein  inaktives  Normalserum  in  die  Reaktion  eingeführt,  so 
trat  dagegen  nach  Zusatz  eines  hämolytischen  Systems  Hämolyse  ein, 
es  zeigte  sich  damit  also,  daß  freies  Komplement  im  Gemisch  vor¬ 
handen  war.  Daraus  ergab  sich  nun,  daß  auf  einem  kleinen  Umwege 
die  Feststellung  des  Vorhandenseins  bezw.  Nichtvorhandenseins  von 
freiem  Komplement  in  einem  Gemisch,  das  Pestbakterien  und  inaktives 
(Serum  enthielt,  die  Entscheidung  darüber  ermöglichte,  ob  dieses  inak¬ 
tive  Serum  spezifisches  Antipestserum  gewesen  war  oder  nicht.  Um¬ 
gekehrt  konnte  die  Methode,  wenn  man  von  einem  bekannten  Anti¬ 
pestserum  ausging  und  eine  Bakterienaufschwemmung  zweifelhafter 
Natur  zusetzte,  dazu  dienen,  diese  gegebenenfalls  als  Pestbakterisn  zu 
erkennen ;  denn  nur  die  Kombination  Pestbakterien  und  Antipestserum 
bringt  das  Komplement  zum  Verschwinden,  „hemmt  die  Hämolyse“. 
Mit  anderen  Worten:  die  Reaktion  auf  freies  Komplement  zeigte  sich 
für  gewisse  Fälle  brauchbar,  um  Antikörper  nachzuweisen,  wenn  man 
das  zugehörige  „Antigen“  in  Händen  hatte,  und  umgekehrt,  um  ein 
„Antigen'  zu  bestimmen,  wenn  man  über  dazu  passende  Antikörper 
verfügte. 

Daß  dieses  „Komplementbindungsverfahren“  weiter  von  Gengou 
zum  Nachweis  minimaler  Mengen  gelöster  tierischer  Eiweißstoffe  ver¬ 
wandt  wurde,  daß  es  zur  forensischen  Unterscheidung  von  Mensehen- 
und  Tierblut,  neuerdings  (Bruck)  sogar  zur  Unterscheidung  des  Blutes 
verschiedener  Menschenrassen  ausgebildet  worden  ist,  sei  nur  im  Vor¬ 
beigehen  erwähnt. 

Wassermann  hat  mit  seinen  Schülern  ausgedehnte  Versuche  an¬ 
gestellt,  die  zunächst  darauf  abzielten,  die  Methode  für  diagnostische 
Zwecke  bei  Infektionskrankheiten  insofern  zu  erweitern,  als  er  an 
Steile  der  Bakterienaufschwemmungen  wässerige  Extrakte  aus  Rein¬ 
kulturen  anwandte.  Er  folgerte  dann  weiter:  es  ist  anzunehmen,  daß 
in  syphilitisch  erkrankten  Organen  das  krankmachende  Agens  in  einem 
wasserlöslichen  oder  einem  diesem  sehr  nahe  kommenden  Zustande  vor¬ 
handen  ist.  Man  kann  also  —  bei  dem  Fehlen  von  Reinkulturen  des 
Syphiliserregers  —  wässerige  Organextrakte  syphilitisch  erkrankter 
Tiere  oder  Menschen  als  Antigen  zu  verwenden  suchen,  um  mit  Hilfe 
der  Komplementbindungsmethode  nach  Syphilis- Antikörpern  im  Serum 
syphilitisch  Infizierter  zu  suchen.  In  der  Tat  erhielt  er,  zunächst  bei 
Affen,  die  syphilitisch  infiziert  bezw.  mit  syphilitischem  Material  vor¬ 
behandelt  waren,  mit  Hilfe  der  Komplementbindungsmethode  positive 
Reaktionen,  die  das  Vorhandensein  von  Syphilis-Antikörpern  im  Serum 
der  Tiere  zu  beweisen  schienen.  Detre  berichtet  dann  alsbald  als 
erster,  daß  er  analoge  Resultate  auch  bei  syphilitischen  Menschen  er- 


Über  die  Seroreaktion  auf  Syphilis  nach  Wassermann. 


99 


halten  habe.  Wassermann  und  seine  Mitarbeiter  konnten  bald  über 
ein  größeres  Material  berichten.  Bei  dem  großen  praktischen  und 
theoretischen  Interesse,  das  die  Reaktion  weckte,  beschäftigte  man  sich 
allerorten  damit,  und  heute  liegt  bereits  eine  Fülle  von  Mitteilungen 
der  verschiedensten  Autoren  vor,  die  zum  weit  überwiegenden  Teil 
wenigstens  darin  übereinstimmen,  daß  sie  die  Brauchbarkeit  der  Methode 
anerkennen. 

Auf  dem  diesjährigen  Kongresse  für  Innere  Medizin  in  Wien 
berichtete  Wassermann  (Wiener  klin.  Wochenschr.  1908,  Nr.  21)  be¬ 
reits  über  1987  untersuchte  syphilitische  Sera  und  1100  nicht  syphi¬ 
litische,  welch  letztere  sämtlich  negative  Serorreaktion  ergeben  hatten. 
Er  trat  auf  Grund  dieses  großen  Materials  mit  aller  Bestimmtheit 
für  die  klinische  Spezifität  der  Reaktion  ein. 

Hinsichtlich  der  theoretischen  Deutung  mußte  er  seinen  ursprüng¬ 
lichen  Standpunkt  modifizieren.  Eine  ganze  Reihe  von  Tatsachen  waren 
inzwischen  bekannt  geworden,  die  mit  der  Annahme  schwer  vereinbar 
waren,  daß  es  sich  bei  der  Seroreaktion  in  letzter  Linie  um  eine  Bin¬ 
dung  von  Syphilisantigen  mit  einen  spezifischen  Antikörper  handle. 

Bruck  und  Stern  hatten  bereits  konstatiert,  daß  man  den  Ge¬ 
halt  eines  Affenserums  an  „Antikörpern“,  die  bei  Komplementbiniungs- 
reaktion  nachweisbar  werden,  durch  fortgesetzte  Vorbehandlung  mit 
syphilitschem  Material  nicht  in  nennenswertem  Maße  steigern  könne, 
was  man  doch  hätte  erwarten  sollen,  wenn  es  sich  um  Immunsubstanzen 
handelte.  Wichtiger  als  diese  immerhin  verschiedener  Deutung  zu¬ 
gängliche  Eeststellung  war  die  von  Weil  und  Braun,  Levaiiti, 
Lands! einer  u.  a.  zuerst  sicher  gestellte  Tatsache,  daß  man  den 
syphilitischen  Organextrakt  durch  solchen  aus  normalem  Gewebe  er¬ 
setzen  könne,  denn  bei  dieser  Modifikation  des  Verfahrens  war  Syphi- 
lisantigen  ja  überhaupt  nicht  in  Reaktion. 

Wassermann,  Porgers  und  Meier  und  ungefähr  gleichzeitig 
Landsteiner,  Müller  und  Poetzl  brachten  dann  weiter  die  wichtige 
Feststellung,  daß  das  „antigene  Prinzip“  alkohollöslich  sei,  und  Wasser¬ 
mann  gab  demgemäß  auf  dem  Wiener  Kongreß  für  die  Ausführung 
der  Reaktion  die  Vorschrift,  man  solle  als  Antigen  alkoholischen  Ex¬ 
trakt  aus  den  Organen  heredo-syphilitischer  Föten  verwenden. 

Die  Feststellung  der  Alkohollöslichkeit  des  „antigenen  Prinzips“ 
der  Organextrakte  führte  zu  zahlreichen  Untersuchungen  über  die  Ver¬ 
wendbarkeit  lipoider  Substanzen  bekannter  Konstitution  an  Stelle  der 
Organextrakte  (Fleisch mann:  Lezithin,  Cholestearin ;  Levaditi  und 
Yamanouchi:  glykocholsaures  und  taurocholsaures  Natrium).  Sachs 
und  Altmann  empfehlen  als  durchaus  zuverlässiges  Antigen  olein- 
saures  Natron. 

Der  Vollständigkeit  halber  sei  kurz  erwähnt,  daß  einige  Ver¬ 
suche  vorliegen,  die  anscheinend  ja  recht  komplizierte  Was  s  er  mann - 
sehe  Methode  in  verschiedener  Weise  zu  modifizieren  bezw.  zu  verein¬ 
fachen. 

Die  eine  Modifikation  stammt  von  Bauer  und  beruht  wesentlich 
darauf,  daß  das  menschliche  Serum  Ambozeptoren  für  Hammelerythro¬ 
zyten  enthält,  deren  Wirkung  im  Serum  des  Syphilitikers  teilweise 
durch  gewisse  Hemmungskörper  verdeckt  wird.  Bauer  bestimmt  nun 
genau  diejenige  Menge  von  Extrakt,  die,  einem  Serum  zugesetzt,  das 
Zustandekommen  der  Hämolyse  hindert.  Syphilitikersera  lassen  die 
Hämolyse  schon  bei  Zusatz  von  sehr  viel  geringeren  Extraktmengen 


100 


M.  Löhlein, 

nicht  zustande  kommen.  Diese  Modifikation  vermeidet,  wie  man  sieht, 
im  wesentlichen  den  Zusatz  spezifischen  Kaninchenserums.  Ob  sie 
eine  Erleichterung  des  W assermann’schen  Verfahrens  bedeutet,  ver¬ 
mag  ich  nicht  zu  entscheiden,  da  ich  besonders  in  letzter  Zeit  mit 
Leichenseris  gearbeitet  habe,  für  die  die  Bauer’sche  Modifikation  nicht 
anwendbar  ist,  weil  sie  zur  Voraussetzung  hat,  daß  das  Blut  im  nüch¬ 
ternen  Zustande  den  Individuen  entnommen  wird. 

Die  andere  Modifikation  stammt  von  Tschernugobow,  nach 
dessen  Angaben  man  Komplementablenkung  auch  konstatieren  kann, 
wenn  man  frisches  Blut  eines  Syphilitikers  mit  dem  Extrakt  einer 
syphilitischen  Leber  reagieren  läßt  und  dann  für  die  roten  Blutkörper¬ 
chen  des  Menschen  hämolytisches  inaktives  Serum  zusetzt:  Die 
menschliche  Blutprobe  enthält  das  nötige  Komplement,  um  die  eigenen 
roten  Blutkörperchen  mit  Hilfe  dieses  zugesetzten  hämolytischen  Ambo¬ 
zeptors  aufzulösen,  und  in  der  Tat  soll  hei  der  eben  angegebenen  Ver¬ 
suchsanordnung  mit  Kontrollblutproben  gesunder  Individuen  Hämolyse 
eintreten.  Stammt  die  Blutprobe  von  einem  Syphilitiker,  so  bleibt 
die  Hämolyse  aus,  weil  Syphilisantigen,  mit  dem  zugehörigen  Anti¬ 
körper  zusammentreffend,  das  Komplement  an  sich  reißt. 

Nachprüfungen  der  Tschernugobow’ sehen  Angaben  liegen  bis¬ 
her  meines  Wissens  nicht  vor;  sollte  sich  das  Verfahren  bewähren,  so 
dürfte  der  Hinweis  gerechtfertigt  sein,  daß  es  im  Prinzip  durchaus 
nicht  neu  ist,  sondern  ausschließlich  auf  den  gleichen  Überlegungen 
wie  die  ursprüngliche  Wassermann’sche  Beaktion  basiert. 

Die  Technik  der  Seroreaktion  ist  mehrfach,  u.  a.  von  E  lei  sch - 
mann  und  von  Täge  (Münch.  Med.  Wochenschr.  1908,  Nr.  33)  eingehend 
beschrieben  worden.2)  Ich  bin  der  Ansicht,  daß  die  neue  Methode  nur 
von  geübten  Arbeitern  in  sehr  gut  ausgestatteten  Instituten  angewandt 
werden  soll,  nicht  sowohl  wegen  der  Schwierigkeit  ihrer  Ausführung, 
die  man  nach  der  Beschreibung  wohl  meist  überschätzt,  als  vielmehr 
wegen  der  Beschaffung  der  nötigen  Beagentien. 

Man  bedarf  zur  Ausführung  der  Beaktion : 

1.  eines  hämolytischen  Systems ;  Blutkörperchen  vom  Hammel, 
die  mindestens  zweimal  mit  physiologischer  Kochsalzlösung  gewaschen 
und  mit  der  Zentrifuge  wieder  ausgeschleudert  worden  sind,  werden 
in  5°/0iger  Aufschwemmung  in  der  erforderlichen  Menge  mit  einem 
gleichen  Quantum  verdünnten  spezifischen  Kaninchenserums  versetzt. 
Der  Verdünnungsgrad  dieses  letzteren  richtet  sich  nach  dem  jedesmal 
zu  bestimmenden  Titer  des  Serums.  Das  spezifische  Serum  wird  durch 
Vorbehandlung  von  Kaninchen  mit  Hammelerythrozyten  gewonnen. 

2.  Frischen  Meerschweinchenserums  als  Komplement,  in  der  Begel 
in  der  Verdünnung  1  : 10  verwendet. 

3.  Serum  des  Patienten  und  Kontrollsera.  Die  Blutentnahme  er¬ 
folgt  am  besten  durch  Venaepunktion ;  5  ccm  Blut  genügen  vollkommen. 
(Neuerdings  hat  Weidanz  darauf  hingewiesen,  daß  man  auch  mit 
sehr  viel  kleineren  Mengen  die  Beaktion  anstellen  kann.)  Es  scheint 
auch  für  das  ursprüngliche  Wassermann’sche  Verfahren  empfehlens¬ 
wert  zu  sein,  das  Blut  den .  Patienten  möglichst  in  nüchternem  Zu¬ 
stande  zu  entnehmen,  jedenfalls  nicht  nach  sehr  fettreichen  Mahlzeiten. 

4.  Bedarf  man  eines  brauchbaren  Antigens. 

2)  Eine  eingehende  Erörterung  der  Technik  gibt  G.  Meier.  (Vgl.  Bauer  u. 
Meier,  Wiener  klin.  Wochenschr.,  Nr.  51,  1908.) 


Über  die  Seroreaktion  auf  Syphilis  nach  Wassermann. 


101 


In  der  Beschaffung  dieses  Reagens  liegt  m.  E.  vorläufig  noch 
die  größte  Schwierigkeit.  Dem  praktischen  Arzt  kann  die  Wasser- 
mann’sche  Methode  sicherlich  erst  dann  in  die  Hand  gegeben  werden, 
wenn  diese  Schwierigkeit  vollkommen  beseitigt  ist. 

Ich  selbst  habe  als  Antigen  ausschließlich  alkoholische  Extrakte 
aus  Lebern  zweifellos  syphilitischer  Neugeborener  benutzt,  indem  ich 
mich  streng  an  die  Wasser mann’sche  Empfehlung  (auf  dem  Kon¬ 
greß  für  innere  Medizin  in  Wien)  hielt.  Diese  Extrakte  zeigten  sich 
in  sehr  verschiedenem  Grade  brauchbar,  teilweise  vollkommen  un¬ 
brauchbar. 

Ich  verwende  neuerdings  zu  jeder  Reaktion  mehrere  Extrakte 
gleichzeitig,  um  so  den  Wert  meiner  Antigene  ständig  zu  kon¬ 
trollieren.  Trotzdem  kann  ich  gerade  wegen  dieser  wechselnden  Brauch¬ 
barkeit  der  Extrakte  zu  dem  Gefühl  vollständiger  Sicherheit  bei  der 
Anwendung  der  Reaktion  vorläufig  nicht  kommen.  Die  Güte  eines 
Extraktes  kann  man  ja  nur  empirisch  feststellen,  indem  man  nämlich 
prüft,  ob  es  in  der  geeigneten  Verdünnung  ausschließlich  mit  Syphili¬ 
tikerseris  positiv  reagiert;  mit  diesen  aber  in  einem  möglichst  großen 
Prozentsatz  (soweit  wenigstens  bestimmte  Stadien  der  Krankheit  in 
Frage  kommen).  Es  leuchtet  ein,  daß  eine  solche  Auswertung  von 
Antigenen  ein  reiches  Material  an  syphilitischen  und  normalen  Seris 
zur  Voraussetzung  hat.  Diese  Tatsache  fällt  um  so  mehr  ins  Gewicht, 
als  von  Seeligmann  und  Ivlopstock,  Rolly  u.  a.  und  auch  von  mir 
beobachtet  worden  ist,  daß  ursprünglich  ,,gute“  Extrakte  von  einem 
bestimmten  Zeitpunkte  an  „schlecht“  wurden,  d.  h.  positive  Wasser- 
mann’sche  Reaktion  mit  nicht  syphilitischen  Seris  gaben;  —  selbst¬ 
verständlich  bei  genauer  Beobachtung  aller  Vorschriften,  besonders  hin¬ 
sichtlich  der  Kontrollen. 

Auf  diese  Schwierigkeit  muß  jeder,  der  die  Reaktion  selbständig 
anstellen  will,  hingewiesen  werden. 

kleine  eigenen  Untersuchungen  erstrecken  sich  auf  etwas  über 
250  Sera,  die  teils  von  Privatpatienten  des  Herrn  Professor  Riecke 
stammten,  teils  von  dem  Leichenmaterial  des  pathologischen  Instituts ; 
einige  diagnostisch  besonders  wichtige  Fälle  wurden  mir  von  verschie¬ 
denen  hiesigen  Ärzten  zur  Verfügung  gestellt. 

Was  zunächst  die  intra  vitam  entnommenen  Sera  anlangt,  so 
ergab  sich  im  wesentlichen  ein  für  die  klinische  Spezifität  der  Reak¬ 
tion  sprechendes  Resultat.  In  einer  ganzen  Anzahl  von  dunklen  Fällen 
wurde  der  positive  Ausfall  der  Reaktion  für  die  Behandlung  ent¬ 
scheidend,  und  in  mehreren  davon  bestätigte  der  weitere  klinische 
Verlauf  den  Ausfall  der  Serumprobe.  Herr  Professor  Riecke  wird 
über  einzelne  dieser  an  anderer  Stelle  berichten. 

Die  Prozentzahl  der  positiven  Reaktionen  bei  notorischen  Syphi¬ 
litikern  schien  bei  unseren  Untersuchungen  zunächst  auffällig  gering, 
verglichen  mit  den  Resultaten  anderer.  Dies  erklärt  sich  wohl  aber 
einfach  aus  unserem  Material :  es  handelt  sich  fast  ausschließlich  um 
Privatpatienten,  die  energisch  antisyphilitisch  behandelt  waren,  bei 
den  „latent-syphilitischen“  überwiegend  um  Individuen,  die  eine  „syste¬ 
matische“  Behandlung  durchgemacht  hatten. 


102 


M.  Löhlein. 


Im  einzelnen  sind  die  Resultate  in  der  folgenden  Tabelle  zusammen- 
eestellt : 

c 


Gesamtzahl  der 

Positiv 

Negativ 

untersuchten  Fälle: 

reagierten : 

reagierten : 

Svphilis  I . 

6 

4 

2 

Syphilis  n  florida)3  .  . 

26 

17 

9 

Syphilis  11  (latens1 *  .  .  . 

28 

11 

17 

Syphilis  III  florida  .  .  . 

9 

6 

3 

Syphilis  ni  latens  .  . 

27 

2 

25 

Metasyphilis  12  Paralytiker. 

2  Tabiker 

14 

12 

2 

Kongenitale  Svphilis .  .  .  . 

5 

2 

34) 

Fälle  zur  Diagnose  .  .  .  . 

13 

3 

10 

Kontrolfälle . 

8 

1 

7 

Der  positiv  reagierende  Kontrollfall  machte  mich  besonders  stutzig, 
weil  die  Reaktion  mit  einem  Extrakt  untersucht  war.  das  mir  Herr 
Dr.  G.  Meier  zur  Verfügung  gestellt  hatte,  und  das  sich  bis  dahin 
durchaus  bewährt  hatte.  Erwähnen  muß  ich  noch,  daß  ich  einige 
scheinbar  positive  Reaktionen  bei  nicht  syphilitischen  Individuen,  die 
auf  Verwendung  unbrauchbarer  Extrakte  zurückzuführen  waren,  in 
die  Statistik  nicht  eingestellt  habe. 

Das  bis  Mitte  Dezember  1908  von  mir  untersuchte  Material  von 
Leichenseris  umfaßt  101  Fähe. 

Durch  den  anatomischen  Befund  war  Syphilis  mehr  oder  weniger  sicher 


anzunehmen  in . 10  Fällen 

Positiv  reagierten  davon . 6  , 


4  Fälle  von  Aortitis,  davon  einer  mit  Orchitis  fibrosa 
kombiniert.  1  Fall  von  Hepatitis  gummosa,  1  Fall  von 

Paralyse. ) 

Kegativ  reagierten  davon . 4 

1 1  Gumma  cerebri,  1  Taboparalyse,  2  Fälle  von  narbigen 
Residuen  von  Syphilis  des  weichen  Gaumens.  ) 

Als  Kontrollfälle  dienten  91  Fälle  verschiedenster  Art,  darunter: 

reagierten  positiv  negativ 

A.  von  31  Fällen  von  Tuberkulose  verschied.  Lokalisation  8  28 

B.  von  16  Fällen  von  Karzinom  und  Sarkom  ....  1  15 

C.  von  2o  Fällen  akuter  Infektionskrankheiten  verschied.  Art  1  °)  20 

D.  von  26  Fällen  ganz  verschiedener  Todesursachen  0  26 

In  den  4  positiv  reagierenden  Kontroll-Fällen  war  anatomisch 
kein  objektiver  Anhaltspunkt  für  eine  überstandene  syphilitische  Infek¬ 
tion  zu  finden. 

Wie  sind  diese  positiven  Resultate  zu  erklären? 


'  Überwiegend  Fälle,  die  in  energischer  Behandlung  standen,  zum  Teil 
olche,  die  schon  zahlreiche  Kuren  durchgemacht  hatten. 

4  2  davon  anamnestisch  unklar. 

3  In  dem  Falle  der  Gruppe  C  handelt  es  sich  um  ein  12  jähriges  Kind,  das 
an  paradiphtherischen  Lähmungen  gestorben  war.  Congenitale  Lues  schien  aus¬ 
geschlossen. 

Durch  freundliche  Vermittelung  von  Herrn  Dr.  Sievers  erfuhr  ich  aber  nach¬ 
träglich,  daß  an  dem  Kinde  in  seinem  vierten  Lebensjahre  ein  Sittlichkeits¬ 
verbrechen  begangen  war.  Im  Anschluß  daran  erkrankte  es  venerisch,  möglicher¬ 
weise  syphilitisch. 


Über  die  Seroreaktion  auf  Syphilis  nach  Wassermann. 


103 


Die  Verwendung  „schlechter”  Extrakte  glaube  ich  ausschließen 
zu  können,  nachdem  die  ganz  überwiegende  Mehrzahl  der  als  Kontrollen 
zu  betrachtenden  „Normalsera“  ja  negativ  reagiert  hatten.  Es  kämen 
dann  nur  zwei  Möglichkeiten  in  Betracht:  Entweder  wurde  durch  die 
Wassermann’sche  Reaktion  eine  weder  klinisch  noch  pathologisch- 
anatomisch  bemerkbare  Lues-Infektion  nachgewiesen  —  diese  Möglich¬ 
keit  kann  man  in  den  vorliegenden  Fällen  nicht  mit  absoluter  Sicher¬ 
heit  ausschließen  —  oder  aber  die  klinische  Spezifität  der  Reaktion 
erleidet,  wenn  auch  selten,  Ausnahmen.  Ich  muß  gestehen,  daß  mir 
vorläufig  die  letztere  Annahme  die  wahrscheinlichere  zu  sein  scheint.6) 

Daß  hei  der  tropischen  Framboesie  in  einigen  Fällen  (E.  Hoff  mann 
und  Blumenthal,  Bruck)  und  ebenso  hei  Lepra  (n.  A.  G-.  Meier) 
positive  V assermann’sche  Seroreaktion  festgestellt  worden  ist,  kann 
deren  diagnostischem  Wert  keinen  Eintrag  tun.  Bedenklicher  erschien 
die  von  Much  und  Eichelberg  aufgestellte  Behauptung,  daß  ein 
großer  Prozentsatz  von  Scharlachkranken  die  gleiche  Reaktion  zeigten. 
Dieser  Behauptung  wurde  auf  das  entschiedenste  von  Höhne, 
G.  Meier,  Boas  und  Hauge,  Jochmann  und  Toepfer  wider¬ 
sprochen;  Fränkel  und  Much  vertraten  die  Ansicht  neuerdings  aber 
doch  wieder,  auch  Halberstädter,  Müller  und  Reiche  fanden  in 
einigen  Fällen  von  Scharlach  positive  Va ssermann'sche  Reaktion. 
Ich  selbst  verfüge  nicht  über  Beobachtungen  an  Scharlachseris.7)  Ich 
glaube  aber  in  dieser  Frage  das  entscheidende  Gewicht  auf  die  Resultate 
von  Meier  u.  a.  legen  zu  müssen,  wonach  sicher  brauchbare  Antigene 
mit  Scharlachseris  nicht  reagieren,  andererseits  scheint  mir  noch  nicht 
widerlegt,  daß  heterogene  Sera  in  seltenen  Fällen  bei  Anwendung  aller 
Kautelen  eine  „positive  Syphilisreaktion“  Vortäuschen  können.  Dieses 
Bedenken  wird,  wie  ich  wiederhole,  erst  dann  beseitigt  werden,  wenn 
für  den  heikelsten  Punkt  des  Wasser mann’schen  Verfahrens,  die 
„Gewinnung  des  Antigens“,  eine  Vorschrift  gegeben  werden  wird,  die 
es  jedem  gewissenhaften,  mit  den  nötigen  Vorkenntnissen  ausgestatte¬ 
ten  Lntersucher  ermöglicht,  Resultate  zu  erhalten,  die  mit  denen  aller 
anderen  Untersucher  unbedingt  verglichen  werden  können.  Vorläufig 
wird  man  sich  in  diagnostisch  wichtigen  Fällen,  für  die  die  Reaktion 
ja  ganz  vorwiegend  in  Betracht  komtnt,  durch  Verwendung  mehrerer 
Extrakte  und  durch  zahlreiche  Kontrollen  gewiß  vor  Irrtümern  schon 
nahezu  sicher  schützen  können.  Bei  der  Wichtigkeit  der  Entscheidung, 
um  die  es  sich  oft  handelt,  bedarf  man  aber  des  Gefühls  absoluter 
Sicherheit. 

Mit  einigen  Worten  möchte  ich  noch  auf  die  Folgerungen  eingehen, 
die  man  aus  dem  Ausfall  der  Seroreaktion  ziehen  darf. 


6)  Auch  Bauer  und  Meier  fanden  unter  381  Seris  nach  Ausschluß  aller 
auf  Lues  zurückgehenden  Fälle  doch  zwei  positiv  reagierende  Sera  von  Individuen, 
bei  denen  für  Lues  kein  Anhaltspunkt  vorlag.  In  dem  einen  Falle  bestand  Taub¬ 
stummheit  (hereditäre  Lues?) 

7)  Eine  nach  Abschluß  dieses  Artikels  erschienene  Mitteilung  von  Bruck  und 
Cohn,  die  nochmals  die  Frage  der  Wassermann’sclien  Reaktion  bei  Scharlach 
behandelt,  liefert  die  beste  Stütze  für  meine  Ansicht.  B.  und  C.  erhielten  bei  Ver¬ 
wendung  von  8  verschiedenen,  als  brauchbar  für  die  Seroreaktion  befundenen 
Extrakten  mehrfach  positive  Reaktionen  mit  Scharlachseris,  aber  stets  nur  bald 
mit  dem  einen,  bald  mit  dem  anderen  Extrakt,  niemals  mit  mehreren.  —  Daß  ich 
bereits  seit  Monaten  regelmäßig  mehrere  Extrakte  gleichzeitig  zu  den  Reaktionen 
verwende,  habe  ich  erwähnt. 


104 


R.  Weißmann, 


Ein  positives  Resultat  berechtigt  mit  einer  an  Gewißheit  grenzen¬ 
den  Wahrscheinlichkeit  zur  Annahme,  daß  das  untersuchte  Indivi¬ 
duum  einmal  syphilitisch  infiziert  gewesen  ist,  ein  negatives  Resul¬ 
tat  läßt  nicht  einen  gegenteiligen  Schluß  zu.  Damit  ist  ganz  außer¬ 
ordentlich  viel  für  die  Syphilis  -  Diagnostik  gewonnen,  und  mittel¬ 
bar  auch  für  die  Therapie  der  Krankheit.  Man  braucht  nur  an  die 
zahlreichen  Fälle  spätluetischer  Erkrankung  zu  denken,  in  denen  die 
Anamnese  versagt,  sichere  klinische  Anhaltspunkte  für  die  syphilitische 
Natur  des  Leidens  ebenfalls  fehlen. 

Manche  Autoren,  wie  z.  B.  der  um  die  klinische  Verwertung 
der  Reaktion  sehr  verdiente  Citron,  gehen  so  weit,  den  Ausfall  der 
Reaktion  geradezu  als  maßgebend  für  das  therapeutische  Verhalten 
des  Arztes  anzusehen.  Dieser  Anschauung  ist  m.  E.  mit  vollem  Recht 
von  anderer  Seite  (z.  B.  von  Fischer,  Riecke  u.  a.)  widersprochen 
worden. 

Zum  Schlüsse  möchte  ich  ganz  kurz  auf  die  Verwertbarkeit  der 
Serumprobe  für  pathologisch-diagnostische  Zwecke  eingehen,  für  die 
besonders  Eränkel  und  Much,  ferner  Fick  und  Proskauer  u.  a. 
eingetreten  sind.  Wenn  das  Serum  jedes  einmal  syphilitisch  infiziert 
gewesenen  Individuums  die  Wassermann’sche  Reaktion  gäbe,  so  hätten 
wir  ein  höchst  wertvolles  Mittel  in  der  Hand,  um  einerseits  exakte 
Zahlen  für  die  Verbreitung  der  Syphilis  zu  gewinnen,  und  um  anderer¬ 
seits  —  unter  Beobachtung  der  gebotenen  Vorsicht  —  Anhaltspunkte 
für  die  Ätologie  einzelner  noch  umstrittener  Befunde  (Hodenschwielen, 
narbige  Strikturen  des  Rektum  u.  a.  m.)  zu  finden.  Diese  Voraussetzung 
trifft  ja  aber,  wie  wir  sahen,  nicht  zu.  Selbst  Veränderungen,  die  der 
pathologische  Anatom  mit  Sicherheit  als  Residuen  syphilitischer  Pro¬ 
zesse  erkennt,  können  sich  bei  Leichen  finden,  deren  Serum  die  Wasser¬ 
mann’sche  Reaktion  nicht  gibt.  Man  konnte  das  ja  schon  nach  dem 
bisher  vorliegenden  klinischen  Beobachtungsmaterial  mit  Bestimmt¬ 
heit  vermuten,  mir  sind  aber  auch  derartige  Fälle  wirklich  begegnet ; 
es  handelt  sich  um  zwei  Fälle  mit  zweifellos  syphilitischen  Narben 
des  weichen  Gaumens,  in  denen  die  Serumprobe  negativ  ausfiel.  So 
wenig  man  in  diesen  Fällen  daran  denken  wird,  die  syphilitische  Ätio¬ 
logie  der  Veränderungen  anzuz\yeifeln,  so  wenig  wird  man  überhaupt 
aus  negativen  Resultaten  der  Probe  in  irgendwelchen  anderen  Fällen 
einen  solchen  Zweifel  herleiten  dürfen,  wie  das  E.  Fränkel  betreffs 
der  Orchitis  fibrosa  z.  B.  will.  Eine  solche  Schlußfolgerung  müßte 
sich  zum  mindesten  auf  eine  sehr  umfangreiche  Statistik  stützen,  die 
aus  großen  Zahlen  besten  Falles  Wahrscheinlichkeitsschlüsse  zuließe. 


Ueber  die  Indikation  und  Technik  der  Hetoltherapie. 

Von  Dr.  med.  R.  Weißmann -Lindenfels  (Odenwald). 

Der  Aufforderung  der  Redaktion  dieser  Zeitschrift,  meine  Erfah¬ 
rungen  über  die  Indikation  und  Technik  der  Hetolbeha.idlung  zu  schil¬ 
dern,  komme  ich  gern  nach.  Glaube  ich  doch,  darin  einen  Beweis  dafür 
erblicken  zu  dürfen,  daß  die  Hetoltherapie  immer  mehr  die  Aufmerksam¬ 
keit  der  Arzte  auf  sich  lenkt,  daß  sie  nicht,  wie  Klemperer  meinte, 
als  Methode  von  irgendwelchem  Werte  endgültig  gestrichen  sei.  Ich 
spreche  ausdrücklich  von  einer  Methode  der  Tuberkulosebehand¬ 
lung  durch  Hetol  und  nicht  vom  Hetol  als  einem  Mittel;  denn 


Über  die  Indikation  und  Technik  der  Hetoltherapie. 


105 


das  dürfte  doch  nachgerade  jedem  denkenden  Arzte  klar  geworden  sein, 
daß  wir  bei  den  mancherlei  Aufgaben,  welche  die  Behandlung  von  Krank¬ 
heiten  an  uns  stellt,  niemals  von  einem  Mittel  Erfolge  erwarten  dürfen, 
sondern  nur  von  einer  Methode,  von  der  Art  und  Weise,  wie  wir  ein 
Mittel  anwenden,  wie  wir  für  seine  Wirksamkeit  die  möglichst  günstigsten 
Bedingungen  schaffen, .wie  wir  seine  Wirksamkeit  erhöhen,  wie  wir  den 
Körper  befähigen,  in  gewünschter  Weise  auf  ein  bestimmtes  Mittel  zu 
reagieren. 

Man  sucht  immer  nach  Spezificis,  obwohl  man  durch  eine  einfache 
Überlegung  zu  dem  Schlüsse  kommen  müßte,  daß  es  Spezifika  im  land¬ 
läufigen  Sinne  überhaupt  nicht  geben  kann,  da  doch  unser  menschlicher 
Organismus  kein  Reagenzglas  ist.  Man  wird  immer  nur  Mittel  finden, 
welche  die  Heilbestrebungen  des  Körpers  unterstützen,  welche  imstande 
sind,  die  Schutzmittel  des  Körpers  zu  kräftigen  und  zu  vermehren. 

Bandelier,  neben  Petruschky  und  Röpke  einer  der  eifrigsten 
Anhänger  des  Tuberkulins,  hat  auf  der  Versammlung  der  Tuberkulose- 
Arzte  im  Jahre  1907  über  „spezifische“  Tuberkulosebehandlung  ge¬ 
sprochen  und  dabei  das  Hetol  als  spezifisches  Mittel  abgelehnt.  Kein 
Mensch  hat  je  behauptet,  daß  das  Hetol  ein  Spezifikum  sei;  Länderer 
selbst  sagt  in  seiner  Monographie  von  1892,  S.  96:  „Die  Zimmtsäure  ist 
selbstverständlich  kein  Spezifikum  gegen  Tuberkulose.“  In  einseitiger 
Kurzsichtigkeit  und  aus  Mangel  an  biologischem  Denken  hat  man  der 
Hetolbehandlung  einen  Vorwurf  daraus  gemacht,  daß  sie  nicht  auf 
hygienisch-diätetische  Maßnahmen  verzichtet.  Ja,  glaubt  man  denn,  man 
könne  mit  Hetol  oder  sonst  einem  Mittel  Erfolge  bei  Tuberkulose  er¬ 
zielen,  wenn  man  den  Patienten  hungern  läßt,  ihm  Licht  und  Luft  vor¬ 
enthält  und  jede  Hautpflege  außer  acht  läßt? 

In  Nr.  81  des  Jahrgangs  1908  dieser  Zeitschrift  referiert  Sobotta 
über  meine  Arbeit  „Die  Hetolbehandlung  bei  Tuberkulose“,  erschienen 
in  der  Berliner  Klinik  XX,  Nr.  240,  1908.  Dem  Referenten  erscheint 
es  zweifelhaft,  ob  meine  Erfolge  dem  Hetol  allein  zuzuschreiben 
sind,  da  außer  dem  Hetol  noch  die  Freiluftliegekur  mit  bestimmten 
diätetischen  Vorschriften  angewendet  sei;  abgesehen  von  den  in  einzelnen 
Fällen  noch  gebrauchten  Meffertschen  Packungen  und  dem  Prävalidin 
Kochs.  Der  Referent  meint  dann  weiter,  ein  sicheres  Urteil  über  die 
Hetolwirkung  wäre  wohl  nur  zu  erlangen,  wenn  man  an  einem  recht 
großen  und  möglichst  gleichmäßigem  Krankenmateriale  die  Behandlung 
abwechselnd  mit  und  ohne  Hetol  vornähme,  d.  h.  also,  wenn  die  nicht 
mit  Hetol  behandelten  Patienten  sterben,  die  mit  Hetol  be¬ 
handelten  aber  geheilt  werden,  so  ist  die  Wirksamkeit  der 
Behandlung  mit  Hetol  erwiesen,  und  die  ersteren  Patienten 
könnten  noch  am  Leben  sein,  wenn  sie  mit  Hetol  behandelt 
worden  wären.  Wer  seine  Patienten  nur  als  „Material“  betrachtet, 
mag  solche  Versuche  machen.  Ich  bin  dazu  nicht  bereit;  ich  bin  von 
dem  Wert  des  Detols  so  überzeugt,  daß  ich  es  vor  meinem  Gewissen 
nicht  verantworten  mag,  die  Methode  bei  einem  dafür  geeigneten  Kranken 
nicht  an/.uwenden.  Überzeugend  für  den,  der  sich  nicht  überzeugen 
lassen  will,  sind  auch  solche  Beweisversuche  nicht,  wie  denn  überhaupt 
in  der  Heilkunst  keine  Beweise  mit  mathematisch  sicherer  Schlüssigkeit 
geführt  werden  können. 

Ich  habe  mit  meinem  gesunden  Menschenverstand  auf  Grund  jahre¬ 
langer  Beobachtung  die  Überzeugung  gewonnen,  daß  die  Tuberkulose 
mit  Hetol,  wenn  dieses  verständig  angewendet  wird,  in  sehr  vielen 


106 


B.  Weißmann, 


Fällen  wirksam  behandelt  werden  kann.  Diese  Überzeugung  kann 
durch  theoretisierende  Bedenken  nicht  erschüttert  werden.  Ich  bin  aber 
der  erste,  der  die  Landerersche  Methode  aufgibt,  wenn  eine  bessere 
gefunden  ist. 

Die  Behandlung  mit  den  verschiedenen  Tuberkulinen  scheint  jeden¬ 
falls  nichts  Besseres  zu  leisten,  trotzdem  die  Tuberkuline  sog.  „Spezifika“ 
sein  sollen.  Ich  habe  persönlich  keinerlei  Erfahrungen  mit  Tuberkulin, 
aber  nach  den  neueren  Arbeiten  von  Köhler,  de  la  Camp,  Schüle, 
Meißen  und  Schröder  steht  zum  mindesten  fest,  daß  die  Anwendung 
dieses  Mittels  keineswegs  gefahrlos  ist,  auch  bei  vorsichtigster  Anwendung. 

Nach  Meißen1)  ist  das  Tuberkulin  kein  erwiesenes  Heilmittel  der 
Tuberkulose.  Unerläßlich  sei  bei  seiner  Anwendung  eine  genaue  Über¬ 
wachung,  die  nur  in  Anstalten  und  Krankenhäusern  möglich  ist.  Der 
Autor  meint,  daß  das  Tuberkulin  nur  in  ausgesuchten  Fällen  angewendet 
werden  dürfte,  und  zwar  müsse  sich  das  Verfahren  stützen  auf  die 
zweifellos  vorhandene  hyperämisierende  anregende  Wirkung  auf  die 
tuberkulösen  Herde.  Die  immunisierende  Wirkung  sei  noch  sehr  strittig 
und  bei  der  Behandlung  außer  Rechnung  zu  lassen.  —  Nun,  wer  die 
Wirkung  des  Hetols  kennt,  weiß,  daß  auch  dieses  Mittel  eine  hyper¬ 
ämisierende,  zur  Vernarbung  anregende  Wirkung  besitzt.  Das 
Hetol  ist  jedenfalls,  wenn  man  nicht  ganz  grobe  Fehler  in  der  Dosie¬ 
rung  macht,  völlig  unschädlich  und  bedarf  keineswegs  einer  so  ein¬ 
gehenden  Überwachung  seiner  Anwendung  wie  das  Tuberkulin.  Der 
Wirkungskreis  ist  ein  viel  größerer  als  der  des  Tuberkulins;  es  ermög¬ 
licht  eine  ambulante  Behandlung,  die  beim  Tuberkulin  wohl  ausge¬ 
schlossen  ist. 

Man  soll  die  Tuberkulose  schon  behandeln,  wenn  man  ihr 
Vorhandensein  nur  ahnt.  Ich  unterziehe  daher  sog.  Prophylaktiker 
sehr  gern  einer  Heilbehandlung.  Es  handelt  sich  da  um  Individuen, 
die  hereditär  belastet  sind,  die  einen  schmalen  Brustkorb  und  schwach 
entwickelte  Atmungsmuskulatur  aufweisen,  bei  denen  sich  ohne  ersicht¬ 
lichen  Grund  gelegentlich  Temperatursteigerungen  über  37,2°  C  zeigen 
und  die  oft  eine  Einengung  der  Krönigschen  Schallfelder  zeigen. 
Appetitmangel  oder  doch  wechselnder  Appetit,  Müdigkeit  führen  diese 
Kranken  zum  Arzt.  Eisenmittel  pflegen  ohne  nachhaltigen  Erfolg  zu 
sein.  Da  handelt  es  sich  denn  oft  um  eine  verkappte  oder  doch  nur 
durch  eine  Tuberkulinprobe  diagnostizierbare  Tuber kul  ose.  Oft  sichert 
die  Anwendung  des  Hetols  die  Diagnose,  wenn  nämlich  unter  Anwen¬ 
dung  des  Hetols  die  subjektiven  Symptome  sich  bald  bessern.  Diese 
Fälle  sind  außerordentlich  dankbar,  und  ich  empfehle  in  allen  Fällen 
hartnäckiger  Chlorose,  wenn  eine  Magendarmatonie  als  Ursache  aus¬ 
geschlossen  ist,  eine  Heilbehandlung  einzuleiten.  Der  Erfolg  ist 
oft  überraschend.  Namentlich  für  Anfänger  in  der  Heilbehandlung 
eignen  sich  solche  Fälle.  Man  fängt  bei  diesen  Fällen  mit  der  Dosis 
von  1  mg  an  und  steigt  je  nach  Alter,  Geschlecht  und  Kräftezustand 
auf  10 — 15 — 20  mg. 

Ein  ähnlich  dankbares  und  für  den  Anfänger  geeignetes  Objekt 
für  die  Heilbehandlung  bilden  leichte  fieberfreie  Fälle  von 
Lungentuberkulose  ohne  wesentliche  Zerstörung,  also  Fälle,  bei  denen 
es  sich  um  die  Erkrankung  nur  eines  Lappens  handelt,  meist  der  Spitze, 

0  Meißen,  Tuberkulinproben  u.  Tuberkulinkuren,  Zeitschrift  für  Tuber¬ 
kulose,  Bd.  18,  Heft  8. 


Über  die  Indikation  und  Technik  der  Hetoltherapie. 


107 


die  sich  durch  leichte  Dämpfung,  abgeschwächtes  rauhes  Atmen  und 
trockene  oder  kleinblasige,  feuchte,  vereinzelte  Rasselgeräusche  doku¬ 
mentiert.  Die  Temperatur  soll  nicht  oder  doch  nur  mal  gelegentlich 
über  38°  C  steigen.  Die  Dosierung  ist  die  gleiche  wie  bei  den  Pro- 
phylaktikern  und  bei  den  larvierten  Tuberkulosen.  Man  beginnt  eben¬ 
falls  mit  1  mg,  injiziert  jeden  zweiten  Tag,  dabei  jedesmal  um  0,5  bis 
1  mg  je  nach  der  Individualität  des  Falles  steigend.  Unbedingt  not¬ 
wendig  ist  es,  die  Temperatur  genau  zu  beobachten,  also  eine  Temperatur¬ 
kurve  anzulegen.  Eine  Temperatursteigerung  darf  nach  der  Hetolinjektion 
nicht  eintreten.  Tritt  eine  solche  ein,  so  war  die  Dosis  für  das  betr. 
Individuum  und  das  gerade  vorliegende  Stadium  der  Erkrankung  zu 
hoch.  Man  muß  dann  mit  der  Dosis  wieder  zurückgehen  und  langsamer 
steigen.  Die  Durchschnittsdosis,  über  welche  man  im  allgemeinen  nicht 
hinausgehen  soll,  ist  bei  Männern  15 — 20  mg,  bei  Frauen  und  Mädchen 
10 — 15  mg.  Als  dritte  Kategorie  von  Tuberkulosen,  die  ebenso  wie  die 
beiden  schon  angeführten,  sich  für  ambulante  Behandlung  eignet,  sind 
die  Fälle  von  fieberfreier  Kehl  köpf  tuberkulöse  mit  geringer 
Beteiligung  der  Lunge.  Bei  gutem  Allgemeinbefinden  vertragen  die 
Kehl  köpf  tuberkulösen  eine  Steigerung  der  Dosis  bis  zum  Durchschnitt 
von  20 — -25  mg.  Von  einer  lokalen  Behandlung  des  Kehlkopfs  habe  ich 
in  solch  leichten  Fällen  ganz  abgesehen,  habe  dagegen  möglichste  Scho¬ 
nung  des  Kehlkopfs  angeraten. 

Es  ist  selbstverständlich,  wie  ich  schon  oben  erwähnte,  daß  man 
sich  auch  bei  diesen  leiehten  Fällen  von  Tuberkulose,  wie  es  die  drei 
erwähnten  Kategorien  sind,  nicht  auf  die  intravenösen  Hetolinjektion en 
allein  beschränkt. 

Nur  in  ganz  leichten  Fällen  wird  man  davon  Abstand  nehmen 
können,  die  Berufstätigkeit  unterbrechen  zu  lassen  und  auch  nur  dann, 
wenn  in  dieser  Berufstätigkeit  kein  wesentlich  schädigendes  Moment 
liegt.  In  anderen  Fällen  genügt  es  oft,  wenn  man  die  Berufstätigkeit 
nur  auf  einige  Wochen  aussetzen  läßt.  Jedenfalls  muß  in  allen  Fällen 
darauf  gesehen  werden,  daß  in  der  ersten  Zeit  der  Behandlung  stärkere 
Anstrengungen,  überhaupt  alles,  was  den  Blutdruck  zu  erhöhen  geeignet 
ist,  vermieden  werden.  Da  die  Hetolinjektionen  schon  an  und  für  sich 
eine  stärkere  seröse  Durchströmung  der  erkrankten  Teile  hervorrufen, 
eine  Durchströmung,  die  durch  vorsichtige  Dosierung  im  Zaume  ge¬ 
halten  werden  muß,  so  könnte  bei  Erhöhung  des  Blutdruckes  diese 
Durchströmung  doch  so  stark  werden,  daß  es  in  Folge  Verschleppung 
tuberkelbazillenhaltigen  Materials  zu  Metastasen,  zur  Miliartuberkulose 
kommt. 

Erst  wenn  das  Stadium  der  Umwallung  eingetreten  ist,  wenn  durch 
den  schützenden  bindegewebigen  Wall  eine  Verschleppung  infektiösen 
Materials  unmöglich  gemacht  wird,  darf  man  zu  höheren  Dosen  greifen 
und  darf  man  auch  dem  Patienten  eher  leichtere  Anstrengungen  ge¬ 
statten.  Dieser  Zeitpunkt  tritt  in  leichten  Fällen  etwa  um  die  fünfte 
bis  sechste  Woche  ein. 

Es  liegt  auf  der  Hand,  daß  das  Hetol  seine  heilende  Wirkung 
desto  besser  entfalten  kann,  je  besser  die  Ernährung  des  Kranken  ist, 
je  besser  sein  Appetit  ist.  Ich  betrachte  es  daher  als  die  vornehmste 
Aufgabe  des  Arztes,  bei  der  Behandlung  der  Tuberkulose  seine  ganze 
Aufmerksamkeit  der  Funktion  der  Verdauungsorgane  zuzu wenden.  Man 
sorge  also  vor  allen  Dingen  dafür,  daß  das  Gebiß  des  Kranken  funktions¬ 
fähig  ist. 


108  R.  Weißmaim,  Über  die  Indikation  und  Technik  der  Hetoltherapie. 


Eine  große  Zahl  meiner  Lungenkranken  litt  an  Magen- 
darmatonie.  Ich  will  an  dieser  Stelle  die  Frage,  ob  nicht  die  Magen- 
darmatonie,  die  Enteroptose  ein  prädisponierendes  Moment  bildet  für  die 
Erkrankung  an  Tuberkulose,  uneiörtet  lassen.  Auffällig  ist  jeden¬ 
falls,  daß  der  Habitus  phthisicus  und  der  Habitus  enteropto- 
ticus  so  sehr  einander  ähneln.  Sicher  ist,  daß  die  Magendarmatonie 
und  ihre  Symptome  oft  das  Bild  der  Tuberkulose  beherrschen  und  daß  wir 
in  der  Bekämpfung  der  Tuberkulose  einen  großen  Schritt  weiter  kommen, 
wenn  wir  in  geeigneter  Weise  gegen  die  Atonia  gastrica  Vorgehen.  Ich 
empfehle  da  meinen  Stützverband  „Simplex“  und  später  eine  gute 
Leibbinde.  Die  Diät  sei  gemischte  Kost  mit  viel  Sahne,  Butter,  grünem 
Gemüse  und  Obst.  Um  den  atonischen  Magen  nicht  unnütz  zu  belasten, 
schränke  ich  die  flüssige  Kostform  möglichst  ein  und  lasse  die  Speisen 
in  fester  oder  Breiform  genießen.  Ganz  besonders  ist  auf  regelmäßigen 
Stuhlgang  zu  achten. 

So  gelingt  es  meist  bald,  den  Kräftezustand  und  den  Appetit,  sowie 
Hämoglobingehalt  des  Blutes  zu  heben.  Wo  es  nötig  erscheint,  gebe 
ich  noch  roborirende  Mittel  wie  Fukol  und  Eisen,  letzteres  gern  in  der 
Form  der  Nukleogentabletten.  Auch  Malztropon,  Malzextrakt  und 
Odda  MR  haben  mir  gute  Dienste  geleistet. 

Vor  allem  lasse  ich  gute  reine  Luft  in  reichem  Maße  genießen. 
Wöchentlich  wird  ein  warmes  Bad  verordnet  und  täglich  lasse  ich  lau¬ 
warme  bis  kühle  Abreibungen  der  Brust  resp.  des  ganzen  Körpers  machen. 
Selbstverständlich  muß  man  im  Winter  bei  diesen  Wasseranwendungen 
die  nötige  Vorsicht  walten  lassen,  wie  denn  überhaupt  vorsichtig  jede 
Erkältung  zu  vermeiden  ist.  Man  sorge  daher  auch  für  gutes  Schuh¬ 
werk  und  geignete  Kleidung,  namentlich  geeignete  Unterkleidung.  — 

Eine  besonders  vorsichtige  Behandlung  erfordern  diejenigen  Fälle 
von  Lungentuberkulose,  die  zu  Blutungen  neigen.  Niemals  be¬ 
ginne  man  mit  den  Hetolinjektionen  unmittelbar  nach  einer  nur  einiger¬ 
maßen  nennenswerten  Blutung.  Man  wartet  am  besten  bis  der  Auswurf 
acht  Tage  völlig  frei  von  blutiger  Beimischung  ist,  mindestens  aber 
vierzehn  Tage.  In  Fällen  dagegen,  wo  sich  immer  eine  geringe  unbe¬ 
deutende  Blutmenge  im  Auswurf  findet,  wäre  es  ein  Fehler,  lange  mit 
Beginn  der  Heilbehandlung  zu  warten.  Man  muß  in  diesen  Fällen 
ebenso  wie  in  denen,  wo  vor  genügend  langer  Zeit  eine  größere  Blutung 
stattgefunden  hat,  mit  kleinsten  Dosen,  mit  0,5  mg,  beginnen,  man  steige 
sehr  langsam,  stets  nur  von  0,5  mg  und  im  Laufe  einer  Woche  nicht  um 
mehr  als  1  mg  und  gehe  längere  Zeit,  sechs  bis  acht  Wochen,  nicht 
über  5  mg  hinaus.  Tritt  etwa  eine  neue  Blutung  ein,  hat  man,  wie 
oben  beschrieben,  eine  mindestens  vierzehn  Tage  währende  Pause  in 
den  Hetolinjektionen  eintreten  zu  lassen  und  dann  mit  der  Dosierung 
wieder  von  vorn  mit  0,5  mg  zu  beginnen. 

Ähnlich  verhalte  man  sich  in  Fällen,  wo  wir  zwar  eine  nach¬ 
weisbare  E  i  n  s  c  h  m  e  1  z  u  n  g  d  e  s  L  u  n  g  e  n  g  e  w  e  b  e  s ,  C  a  v  e  r  n  e  n ,  h  a  b  e  n, 
wo  aber  wesentliches  Fieber  nicht  vorliegt,  wo  also  die  Tempe¬ 
ratur  sich  um  38°  hält,  höchsten  auf  38,2°  steigt.  Man  kann  diese 
Fälle  noch  einer  ambulatorischen  Behandlung  unterziehen,  hat  aber  gerade 
hier  besonders  auf  Vermeidung  aller  den  Blutdruck  erhöhenden  Schäd¬ 
lichkeiten  zu  achten,  da  in  diesen  Fällen  die  Gefahren,  welche  eine  zu 
starke  seröse  Durchströmung  der  erkrankten  Lungenteile  mit  sich  bringt, 
entschieden  größer  sind. 


S.  Leo,  Wiener  Brief. 


109 


Auch  hier  beginne  man  mit  0,5  mg,  steige  sehr  langsam  an,  in 
sechs  Wochen  auf  5  mg  und  weiter  langsam  auf  10,  höchstens  15  mg. 
In  diesen  Fällen  wird  man  stets  mit  einer  Behandlung  von  wenigstens 
sechs  Monaten  rechnen  müssen. 

Bei  den  bisher  geschilderten  Kategorien  von  Lungentuberkulose 
treten  nicht  selten  pneumonische  Attacken  auf,  die  mit  Fieber  bis 
39°  und  mehr  einhergehen.  Selbstredend  gehören  die  Kranken  dann  ins 
Bett  und  man  darf  mit  der  Hetolbehandlung  erst  wieder  beginnen,  wenn 
die  Temperatur  völlig  abgefallen  ist,  oder  wenn  sie  sich  einige  Zeitlang 
ungefähr  um  38°  C  herum  gehalten  hat. 

Sind  diese  leichteren  Fälle  von  Lungen-  uud  Kehlkopf  tuberkulösen 
als  geheilt  oder  gebessert  entlassen,  so  rate  ich  dringend  zu  einer  Nach¬ 
kur,  welche  ich  gern  nach  zwei  bis  sechs  Monaten,  je  nach  Lage  des 
Falles  und  nach  den  äußeren  Umständen  ein  treten  lasse.  — 

(Schluß  folgt.) 


Wiener  Brief. 

Ein  Sammelbericht.  —  Von  Dr.  S.  Leo. 

Das  Thema  der  Entfettungskuren  wird  neuerlich  in  der  deutschen 
medizinischen  Fachpresse  mehrfach  diskutiert,  namentlich  ist  die  alte 
Karelische  Kur  wieder  neu  entdeckt  worden.  (F.  Moritz, 
L.  Boemheld,  Felix  Hirschfeld  u.  a.)  Daher  haben  die  Ansichten 
von  Noorden’s,  die  er  in  den  ärztlichen  Fortbildungskursen  vorbrachte 
und  deren  Einleitung  wir  bereits  in  dem  Wiener  Brief  in  Nr.  22,  1908  der 
„Fortsehr.  d.  Mediz.“  mitteilten,  erhöhtes  Interesse.  Noorden  unter¬ 
scheidet  Entf ettungskujen  ersten,  zweiten  und  dritten  Grades: 
Man  kann  bei  Entfettungskuren  bestimmte  Skalen-  aufstellen.  Wenn 
wir  sagen,  die  Erhaltungskost  für  einen  Mann  von  mittlerer  Größe 
hei  kleiner  Arbeitsleistung  sei  2500  Kalorien,  so  würde  als  der  erste 
Grad  der  Entfettungsdiät  der  zu  bezeichnen  sein,  bei  dem  wir  den 
Nahrungsumsatz  bis  auf  vier  Fünftel  dieser  Erholungskost,  also  auf 
2000  Kalorien  herabsetzen,  beim  zweiten  Grad  auf  drei  Fünftel,  beim 
dritten  Grad  zwischen  drei  Fünftel  und  zwei  Fünftel,  also  zwischen 
1500  und  1000  Kalorien.  Beim  ersten  Grad  der  Entfettungsdiät  ge¬ 
nügt  es,  bestimmte  Nahrungsmittel  aus  der  Kost  zu  streichen,  zum 
Beispiel  sämtliche  sichtbaren  Fette,  Sahne  und  dergleichen.  Für  ge¬ 
wöhnliche  Hauskuren  eignet  sich  dieser,  wie  der  nächste  Grad  sehr 
gut.  Bei  diesem  ist  es  auch  notwendig,  sämtliche  Süßigkeiten  und  viele 
Kohlehydrate  auszuscheiden,  während  keineswegs  alle  Amylazeen  ge¬ 
strichen  werden  müssen ;  Brot  und  Kartoffel  kann  man  geben,  daneben 
magere  Fleischspeisen  mit  viel  grünem  Gemüse  verschiedenster  Art, 
Salate  und  Früchte,  teils  roh,  teils  mit  sehr  wenig  Zucker  eingekocht. 
Bei  allen  diesen  Entfettungskuren  kommt  es  darauf  an,  daß  man  dem 
Betreffenden  eine  Kost  gibt,  bei  der  er  nicht  hungert.  Denn  das  macht 
die  Patienten  nervös,  neurasthenisch.  Viele  Mißerfolge  sind  sicher 
darauf  zurückzuführen.  Man  muß  bei  geringem  Kalorienwert  der 
Nahrung  doch  solche  Stoffe  reichlich  einstellen,  die  ein  großes  Volumen 
haben,  z.  B.  die  Kartoffel.  Diese  ist  kalorienarm,  sie  enthält  nur 
17 — 18  °/0  Kohlehydrate,  fast  kein  Eiweiß.  200 — 300  g  Kartoffeln 
enthalten  nur  34 — 51  g  Kohlehydrate,  was  einem  Werte  von  40  Ka¬ 
lorien  entspricht.  Ein  Teil  der  Kartoffeln  geht  sogar  unresorbiert 


110 


S.  Leo, 


ab.  Desgleichen  haben  alle  grünen  Gemüse  ein  großes  Volumen  bei 
sehr  geringem  Nährwert;  sie  enthalten  nur  10°/0  Nährstoff,  alles  an¬ 
dere  ist  Wasser  und  unverdaubares  Material.  Dasselbe  gilt  für  Obst, 
nur  muß  man  die  ganz  süßen  Sorten,  wie  Weintrauben,  ausschalten. 
Ein  Kilogramm  Erdbeeren  z.  B.  enthält  60  g  Kohlehydrate  =  200  Ka¬ 
lorien. 

Ganz  anders  liegen  die  Dinge  bei  Entfettungskuren  dritten  Grades. 
Diese  Kuren  können  nicht  im  häuslichen  Betriebe  durchgeführt  werden, 
weil  sie  strenger  Beaufsichtigung  bedürfen.  Man  darf  sich  dabei  nicht 
auf  das  Verbot  bestimmter  Nahrungsmittel  beschränken,  sondern  muß 
nach  Maß  und  Gewicht  Vorgehen,  weil  man  sonst  nichts  erreicht. 
Die  Einführung  der  Wage  durch  Banting-Harwey  als  Hilfsmittel 
ist  geradezu  eine  epochale  Leistung.  Alle  bekannt  gewordenen  Systeme 
der  Entfettung,  sowohl  Banting-Harwey  als  auch  Örtel,  Ebstein, 
Hirschfeld  bewegen  sich  innerhalb  derselben  Werte;  man  führt  bei 
ihnen  eine  Nahrung  zu,  deren  Kalorienwert  sich  zwischen  1000  und 
1500  bewegt.  Ob  man  in  dem  einzelnen  Falle  mehr  die  Kohlehydrate 
beschneidet  und  die  Fette  erlaubt  oder  umgekehrt,  ist  im  Prinzip 
gleich  und  nur  von  der  Individualität  des  Betreffenden  abhängig.  Unter 
allen  Umständen  muß  man  aber  für  einen  verhältnismäßig  hohen  Eiwei߬ 
gehalt  der  Kost  sorgen,  weil  sonst  auch  das  Körpereiweiß  in  Gefahr 
käme.  Die  Patienten  sollen  womöglich  eiweißreicher  aus  der  Kur 
hervorgehen.  Die  Kalorien,  die  man  hergeben  muß,  um  das  Eiweiß 
zu  sparen,  beziehen  wir  aus  dem  größeren  Depot  der  früheren  Zeit. 
Ja,  man  soll  mit  der  Zeit  die  Eiweißzufuhr  steigern;  daher  fange  man 
mit  kleinen  Eiweißmengen,  etwa  120  g  im  Tage,  an,  und  steigt  im 
Laufe  der  Kur  bis  auf  160—180  g.  Auf  diese  Weise  geht  kein  Körper¬ 
eiweiß  verloren ;  die  Patienten  nehmen  gierig  diese  Eiweißmengen  zu 
sich.  Ob  man  nach  Ebstein  die  Kohlehydrate  oder  nach  Banting- 
Harwey  und  Örtel  die  Fette  bis  zum  äußersten  beschränkt,  ist 
weniger  von  Belang.  Am  besten  ist  aber  das  Fett  in  geringer  Menge 
zu  geben,  weil  unter  den  Kohlehydraten  Nahrungsmittel  mit  großem 
Volumen  sind,  die  infolgedessen  mehr  sättigen,  als  die  fetthaltigen 
Speisen.  Örtel  legte  großes  Gewicht  darauf,  daß  auch  die  Wasser¬ 
zufuhr  stark  beschränkt  werde.  Schweninger  modifizierte  dies  dahin, 
daß  er  beliebige  Mengen  von  Wasser  gestattete,  aber  nicht  zugleich 
mit  den  festen  Mahlzeiten.  Wasserbeschränkung  treibt  die  Verbren¬ 
nungsprozesse  in  die  Höhe,  so  daß  mehr  Fett  verbrennt,  als  bei  reich¬ 
licher  Wasserzufuhr.  Sehr  viele  Menschen  und  gerade  die  Fettleibigen 
schränken  reflektorisch  ihre  Nahrung  ein,  wenn  man  ihnen  verbietet 
viel  Wasser  zu  trinken.  Daher  muß  man  örtel  glauben,  daß  er 
durch  das  bloße  Verbot  des  Wassertrinkens  große  Entfettungen  erreicht 
hatte.  Durch  Schwitz-  und  Lichtbäder  wird  kein  wahrer  Fettverlust 
erzielt;  dabei  geht  Wasser,  aber  kein  Fett  verloren.  Das  Wasser  kann 
man  wegschwitzen,  das  Fett  muß  man  wegarbeiten.  Ebensowenig  nützt 
das  Beiten.  Auch  Massagen  haben  keinen  Zweck,  dabei  wird  nur  die 
Verbrennungsenergie  des  Masseurs,  nicht  des  Massierten  gesteigert.  Das 
Wandern,  namentlich  das  Steigen  greift  da  viel  stärker  ein.  Die 
Schilddrüsenfütterung  bewirkt,  daß  der  Verbrennungsprozeß  angeregt 
wird.  Wenn  jemand  ohne  Schilddrüsenzufuhr,  per  Kilogramm  und 
Minute  die  Menge  von  3  ccm  Sauerstoff  verbraucht,  so  steigt  unter 
Zufuhr  von  Thyreoideasubstanz  der  Verbrauch  auf  3,5 — 4  ccm.  Darauf 
beruht  der  Einfluß  der  Thyreoidea  auf  die  Fettleibigkeit.  Sie  hat 


Wiener  Brief. 


111 


aber  den  großen  Nachteil  durch  ihren  Einfluß  auf  die  Herztätigkeit. 
Manchmal  trat  auch  auf  Thyreoidea  Glykosurie  auf  und  nahm  recht 
unangenehme  Formen  an.  Eine  reichliche  Schilddrüsenfütterung  scheint 
als  agent  provocateur  für  eine  schlummernde  Diabetes  zu  dienen.  Den¬ 
noch  gibt  es  Fälle,  wo  die  Schilddrüsenfütterung  angezeigt  ist,  weil  bei 
ihnen  die  Fettleibigkeit  eben  die  Folge  einer  geringeren  Sekretion  der 
Thyreoidea  ist  ohne  daß  es  gerade  zu  einem  Myxödem  kommt.  Bei 
hochgradig  fettleibigen  Kindern  gibt  N.  durch  Monate,  ja  durch  Jahre 
kleine  Mengen  von  0,05  bis  0,1  Schilddrüsensubstanz. 

Victor  Urbantschitsch  sprach  in  Beendigung  seiner  Antritts¬ 
rede1)  bei  der  Übernahme  der  Klinik  für  Ohrenkrankheiten  über  den 
Einfluß  der  verschiedenen  Ohrenerkrankungen  auf  das  Ge¬ 
dächtnis  und  den  Intellekt.  Der  chronische  Mittelohrkatarrh  nimmt 
nicht  selten  einen  ungünstigen  Einfluß  auf  das  Gedächtnis  und  auf 
das  Auffassungsvermögen ;  so  werden  Studenten  in  der  Fortsetzung 
der  Studien  nicht  unwesentlich  durch  diese  Krankheit  behindert.  Die 
Vergeßlichkeit  erstreckt  sich  zuweilen  auf  eine  bestimmte  Art  des 
Gedächtnisses  häufig  auf .  das  Zahlen-  und  Namensgedächtnis,  selten 
auf  das  Lokalgedächtnis.  Bei  manchen  Personen  erlischt  sehr  rasch 
die  Erinnerung  an  unmittelbar  vorausgegangene  Vorkommnisse.  Bei 
einem  Knaben  mit  beschränktem  Auffassungsvermögen  hob  sich  die 
Intelligenz  in  auffallender  Weise,  als  viele  Steinchen  entfernt  wurden, 
die  jahrelang  unbemerkt  auf  dem  Trommelfell  gelegen  und  einen  Druck 
nach  einwärts  ausgeübt  hatten.  Bei  einem  Universitätsprofessor,  der 
während  seiner  Vorlesungen  plötzlich  außerstande  war,  das  passende 
Zeitwort  in  den  Sätzen  anzuwenden,  und  der  in  den  folgenden  Vor¬ 
lesungen  dieselbe  Störung  beobachtete  und  dadurch  in  große  Auf¬ 
regung  geriet,  fand  sich  in  beiden  Ohren  Cerumen  vor,  das  einen  Druck 
auf  das  Trommelfell  ausübte ;  unmittelbar  nach  Entfernung  des  Pfropfes 
schwand  das  frühere  Gefühl  der  Eingenommenheit  des  Kopfes  und 
der  Professor  konnte  seine  Vorlesungen  anstandslos  halten. 

Psychische  Störungen  werden  zuweilen  durch  Mittelohrentzün¬ 
dungen  hervorgerufen  und  treten  als  Depressions-  oder  rnaniakalische 
Zustände  auf.  In  mehreren  Fällen  von  öfter  rezidivierenden  Mittelohr¬ 
eiterungen  entstand  regelmäßig  beim  Beginne  der  Entzündung  eine 
heftige  Aufregung,  wobei  sich  die  sonst  sanftmütigen  Personen  an 
ihrer  Umgebung  aggressiv  vergingen.  Derartigen  Beobachtungen  kommt 
auch  eine  gerichtsärztliche  Bedeutung  zu.  Hierher  gehört  der  hypno¬ 
tisierende  Einfluß  von  Schallempfindungen,  ferner  die  Fälle  bei  denen 
starke  Töne  Erregungszustände  auslösen.  Was  den  Einfluß  der  Ge¬ 
hörsempfindungen  auf  die  Schrift  betrifft,  wäre  die  Verminderung 
des  Tonus  der  Schreibmuskeln  durch  tiefe  Töne  und  die  Steigerung 
des  Tonus  durch  hohe  Töne  anzuführen,  wodurch  sich  auffällige  Ver¬ 
änderungen  der  Schrift  ergaben.  Bekannt  ist  ferner  das  Zusammen¬ 
fahren  bei  Geräuschen,  ferner  wurden  infolge  von  Schalleinwirkungen 
Atmungskrämpfe,  Konvulsionen  und  verschiedene  Reflexkrämpfe  be¬ 
obachtet.  Gehörserregungen  vermögen  weiterhin  einen  reflektorischen 
Einfluß  auf  das  Gefäßsystem  auszuüben,  der  sich  in  Veränderungen 
des  Blutdruckes  zeigt.  Lauschen  steigert  regelmäßig  den  Blutdruck 
in  auffälligem  Grade.  Das  Gehörorgan  steht  ferner  in  wichtigen 
topographisch-anatomischen  Beziehungen  zu  den  Gefäßen,  Nerven  und 


')  Siehe  Wiener  Brief,  Fortschritte  der  Medizin,  Nr.  26. 


112 


S.  Leo, 

dem  Zentralnervensystem.  So  kann  durch  den  Übertritt  einer  Ent¬ 
zündung  von  der  Paukenhöhle  auf  die  Karotis,  die  an  ihrer  vorderen 
Wand  anliegt,  eine  Arrosion  mit  zumeist  tätlichem  Ausgang  ent¬ 
stehen. 

Von  den  dem  Schläfenbeine  teils  ein-,  teils  angelagerten  Nerven 
kommen  vor  allem  der  Fazialis  und  der  Trigeminus  in  Betracht.  Der 
Fazialis  steht  im  Bereiche  seines  horizontalen  Verlaufes  oft  in  Kon¬ 
takt  mit  der  Bekleidung  der  Paukenhöhle  und  ist  bei  Neugeborenen 
noch  regelmäßig  im  hinteren  Ansatz  seines  horizontalen  Verlaufes 
in  eine  Knochenrinne  eingebettet,  die  sich  erst  später  zu  einem  Kanal 
abschließt.  Infolge  dieses  Verhaltens  kann  der  Fazialis,  auch  ohne 
Erkrankung  des  Knochens,  bei  einer  Mittelohrentzündung,  sei  es  von 
seiten  des  Exsudates  einen  Druck  erfahren,  sei  es  in  die  Entzündung 
mit  einbezogen  werden  und  dadurch  eine  teilweise  oder  vollständige 
Gesichtslähmung  entstehen.  Bezüglich  des  Trigeminus  kommt  unter 
anderen  die  Einbettung  seines  Stammganglions  in  die  Felsenbeinpyramide 
in  Betracht,  wodurch  eine  Entzündung  der  Pyramide  auf  das  Trigeminus¬ 
ganglion  übertreten  und  dadurch  die  gefürchteten  Trigeminusneuralgien 
hervorrufen  kann. 

Zwischen  dem  Labyrinth  und  dem  Zentralnervensystem  bestehen 
reichlich  Gefäß-  und  Nervenverbindungen,  so  daß  auch  ohne  Erkrankung 
des  Knochens  ein  Übertritt  der  Entzündungen  vom  Ohre  auf  die  Ge¬ 
hirnhäute  und  auf  das  Gehirn  selbst  möglich  ist.  Wie  die  Erfahrung 
lehrt,  rührt  ein  großer  Teil  der  Meningitiden  und  ferner  die  Mehr¬ 
zahl  der  Gehirnabzesse  von  einer  Entzündung  des  mittleren  und  inne¬ 
ren  Ohres  ’  her. 

Mit  der  zunehmenden  Erkenntnis  der  Bedeutung  der  Ohrenent¬ 
zündungen  steigert  sich  bei  uns  das  Bestreben,  die  Entzündungs¬ 
herde  chirurgisch  anzugreifen.  Das  ganze  Gebiet  des  Mittelohres  ist 
dem  chirurgischen  Instrumente  zugänglich  gemacht  und  immer  kühner 
dringt  dieses  in  das  erkrankte  Labyrinth  ein,  um  dem  verhängnisvollen 
Weiterschreiten  der  Entzündung  in  die  Schädelhöhle  Einhalt  zu  tun. 
Und  auch  in  Fällen,  wo  die  Entzündung  vom  Ohr  auf  das  Gehirn 
übergegriffen  hat,  hält  die  chirurgische  Hand  nicht  inne,  sondern  ver¬ 
folgt  die  Entzündung  bis  in  die  Tiefe  des  Gehirns.  Nach  Zaufal  werden 
auch  die  fortschreitenden  Venengerinsel  der  Mittelohrräume  erschlossen 
und  operativ  entfernt. 

Eicha rd  Chiari  sprach  in  der  „Gesellschaft  der  Ärzte“  über 
den  Einfluß  der  Narkotika  auf  die  Autolyse  und  deren  Er¬ 
klärung.  Bei  chronischer  Alkoholvergiftung  finden  sich  häufig  Ver¬ 
änderungen  in  der  Leber,  d.  h.  in  dem  Organe,  in  dem  die  eingreifend¬ 
sten  chemischen  Vorgänge,  wie  der  Abbau  des  Eiweißes,  sich- abspielen. 
Es  liegt  nun  nahe,  an  einen  Zusammenhang  beider  Erscheinungen  zu 
denken.  Diese  Veränderungen  wären  dabei  nicht  als  ein  Eesultat 
unmittelbarer  chemischer  Einwirkung  des  Alkohols,  Chloroform,  Äthers 
oder  deren  Zersetzungsprodukte  auf  das  Protoplasma  als  solches  aufzu¬ 
fassen  ;  man  könnte  sich  hingegen  diese  als  Eesultat  der  durch  den 
Alkohol  usw.  gesteigerten  oder  abnorm  geleiteten,  an  sich  normalen 
Zersetzungsvorgänge  denken.  Aller  Wahrscheinlichkeit  nach  werden 
die  Spaltungs-  und  Oxydationsvorgänge  in  den  Zellen  durch  Fermente 
bewerkstelligt,  welche  beim  Absterben  des  isolierten  und  erstickenden 
Organes  den  sogenannten  autolytischen  Zerfall  in  ihnen  bewirken.  Ch. 
hat  nun  die  Einwirkung  des  Alkohols,  Äthers,  Chloroforms  und  ähn- 


Wiener  Brief. 


113 


licher  Körper  auf  den  autolytischen  Vorgang  untersucht.  Dies  ge¬ 
schah  in  der  Weise,  daß  Leberstückchen  teils  direkt,  teils  nach  zwei¬ 
stündiger  Behandlung  mit  den  Dämpfen  der  verschiedenen  flüchtigen 
Narkotika  der  Autolyse  unter  l°/0iger  Fluornatriumlösung  bei  Brut¬ 
temperatur  unterworfen  wurden.  Fluornatriumlösung  wurde  deshalb 
genommen,  um  bakterielle  Einflüsse  sicher  fernzuhalten.  Um  den  Grad 
der  Autolyse  auszudrücken,  wurde  der  durch  Tannin  nicht  ausfällbare 
Stickstoff  bestimmt  und  dieser  dann  zu  dem  Gesamtstickstoffe  ins 
Verhältnis  gesetzt.  Der  gewöhnliche  Gang  der  Autolyse  ist  nun  der, 
daß  in  den  ersten  zwei  bis  vier  Stunden  eine  vollständige  Latenz¬ 
periode  besteht.  Erst  nach  sechs  Stunden  beginnt  eine  Periode  raschen 
Zerfalles.  Anders  verhält  sich  der  zeitliche  Verlauf  der  Autolyse 
nach  Vorbehandlung  der  Stücke  mit  Dämpfen  der  verschiedenen  Nar¬ 
kotika.  Hier  findet  man  schon  nach  drei  Stunden  eine  deutliche  Auto¬ 
lyse  und  nach  sechs  Stunden  sind  bei  Einwirkung  von  Chloroform  oder 
Äther  Werte  erreicht,  die  normal  erst  nach  24  Stunden  zu  beobachten 
sind.  Diese  erweisen  sich  als  am  kräftigsten  wirksam,  etwas  weniger 
Petroläther,  am  wenigsten  Alkohol  in  Dampf  form.  Nachdem  Ch.  als 
Erklärung  sowohl  die  Beschleunigung  des  fermentativen  Prozesses  an 
und  für  sich  als  auch  die  durch  die  Narkotika  hervorgerufene  ver¬ 
mehrte  Bildung  der  Fermente  in  den  überlebenden  Zellen  verworfen 
hat,  nimmt  er  an,  daß  in  den  Zellen  oder  Zellwänden  Veränderungen 
vor  sich  gehen,  die  dem  Ferment  einen  leichteren  Zutritt  zu  dem 
spaltbaren  Protoplasma  gestatten,  mit  demselben  Erfolge,  den  das 
mechanische  Sprengen  durch  den  Gefrierungsprozeß  herbeiführt.  Nun 
besitzen  alle  die  auf  gezählten  Narkotika  in  mehr  oder  weniger  hohem 
Grade  die  Fähigkeit,  Lipoide  zu  lösen  und  es  ist  deshalb  wahrscheinlich, 
daß  die  eindringenden  Dämpfe  die  lipoiden  Bestandteile  der  Zellen 
lösend  beeinflussen.  Dadurch  wurde  die  Permeabilität  des  Protoplasma 
für  die  Fermente  erhöht,  ihre  Bewegungsfreiheit  gesteigert  und  so 
konnte  sie  ebenso  wie  in  dem  gefrorenen  Organe  früher  ihr  Zerstörungs¬ 
werk  beginnen,  als  unter  normalen  Verhältnissen. 

Julius  Schnitzler  demonstrierte  eine  Pat.,  bei  welcher  er  ein 
Projektil  aus  dem  rechten  Schläfelappen  entfernt  hat.  Das  junge 
Mädchen-  war  lÄ/g  Jahr  zuvor  durch  einen  Kevolverschuß,  der  die 
linke  Schläfe  traf,  verletzt  worden.  Nach  allmählicher  Erholung  traten 
vor  einigen  Monaten  heftige  Kopfschmerzen  in  der  rechten  Schläfe¬ 
gegend  auf.  Die  Röntgenuntersuchung  ergab  ein  Projektil  im  rechten 
Schläfelappen.  Sch.  legte  nun,  nachdem  durch  mehrere  Röntgenauf¬ 
nahmen  unter  Zuhilfenahme  von  am  Schädel  der  Pat.  befestigten  Blei¬ 
marken  und  Bleidrähten  der  Sitz  des  Projektils  genau  bestimmt  er¬ 
schien,  am  15.  Mai  d.  J.  den  rechten  Schläfelappen  osteoplastisch  bloß. 
Es  gelang  aber  nicht  das  Projektil  zu  finden.  Da  verwendete  Sch. 
ein  Hilfsmittel,  das  er  schon  vor  acht  Jahren  gelegentlich  der  Extrak¬ 
tion  eines  Projektils  aus  der  rechten  Kleinhirnhemisphäre  mit  Erfolg 
erprobt  hatte.  Er  führte  im  unteren  Wundwinkel,  womöglich  in  der 
Richtung  des  Projektils  einen  Silberdraht  ein,  vernäht  die  Wunde,  und 
nun  wurden  neuerliche  Aufnahmen  gemacht,  die  das  Verhältnis  des 
eingeführten  Silberdrahtes  zum  Projektil  Wiedergaben.  Am  21.  Mai 
wurde  der  Hauptperiostknochenlappen  wieder  aufgeklappt  und  mit  Be¬ 
nützung  des  eingeführten  Drahtes  neuerlich  das  Projektil  gesucht.  Aber 
auch  diesmal  gelang  es  nicht,  ohne  die  Gefahr  weitgehender  Zerstö¬ 
rungen  des  Gehirns,  das  Projektil  zu  finden.  Nun  führte  Sch.  einen 

8 


114 


S.  Leo, 

Bogen  von  Silberdraht  in  den  Schläfelappen  ein,  und  die  neuerliche 
Röntgenaufnahme  zeigte  das  Projektil  genau  von  dem  Silberdrahte 
umfaßt.  Bei  der  dritten  Operation,  2.  Mai,  konnte  endlich  das  Pro¬ 
jektil  entdeckt  und  entfernt  werden.  Der  Lappen  ist  fest  eingeheilt 
und  die  Patientin,  die  unmittelbar  nach  der  Operation  hemiparetische 
Erscheinungen  aufwies,  ist  vollkommen  beschwerdefrei  und  wieder  her¬ 
gestellt.  Anschließend  betont  Sch.,  daß  die  Indikation  zur  Entfernung 
von  Projektilen  aus  dem  Gehirne  selten  gegeben  sei.  Bald  nach  der 
Entdeckung  der  Röntgenstrahlen  verwahrte  sich  v.  Bergmann  da¬ 
gegen,  daß  man  nunmehr  etwa  jedes  radiologisch  sichergestellte  Pro¬ 
jektil  aus  dem  Schädelinnern  zu  entfernen  suche.  Die  Kasuistik  zeigt 
die  Richtigkeit  dieser  Verwahrung.  Sie  berichtet  von  Fällen,  in  welchen 
die  Projektile' trotz  der  vorausgegangenen  Lokalisation  mit  Röntgen 
bei  der  Operation  nicht  oder  erst  bei  Wiederholung  des  Ereignisses 
gefunden  werden  konnte.  Dazu  kommt,  daß  manche  Erscheinungen 
durch  die  Entfernung  des  Projektils  nicht  mehr  gebessert  werden  können, 
so  Lähmungen,  Gedächtnisschwäche.  Hier  gaben  die  quälenden  Kopf¬ 
schmerzen  die  Indikation.  In  der  Diskussion  teilte  v.  Eiseisberg 
mit,  daß  er  bei  einem  Pat.,  dessen  Suizidversuch  15  Jahre  zurückliegt, 
vor  kurzem  die  Kugel  entfernte.  E.  hat  seinerzeit  als  Assistent  Bill- 
roth’s  bei  diesem  Pat.  einen  Stirnabszeß  operiert,  der  sich  im  An¬ 
schlüsse  an  die  Verletzung  entwickelt  hatte,  ohne  das  Projektil  zu 
entfernen.  Inzwischen  entwickelte  sich  bei  dem  Pat.  eine  rechtsseitige 
Optikusatrophie  und  es  stellten  sich  unerträgliche  Kopfschmerzen  ein. 
Deshalb  entschloß  sich  E.  die  Kugel,  die  innerhalb  der  Schädelkapsel 
an  der  Hirnbasis  vor  dem  Chiasma  nerv.  opt.  lag,  mittels  Aufklappung 
der  Nase  zu  entfernen.  Der  Pat.  ist  geheilt  und  derzeit  beschwerdefrei. 

Ottokar  Grüner  berichtete  in  der  „Gesellschaft  für  innere 
Medizin11  über  seine  Versuche  mit  dem  Antituberkuloseserum 
Marmorek,  die  mit  Rücksicht  auf  die  widersprechenden  Resultate 
der  einzelnen  Untersucher  —  so  fällen  Hoffa,  U 11  mann,  Glaessner, 
Monod,  Pf  ei, ff  er,  Wohlberg,  Hymans,  Schenker  ein  günstiges 
Urteil,  Krokiewicz,  Elsässer,  Köhler,  Bock,  Preleitner,  Hoh- 
meier  ein  absprechendes  —  als  auch  durch  die  Anordnung  ein  Inter¬ 
esse  verdienen.  Er  kommt  zu  folgendem  Resultat:  Weder  bei  Lungen- 
noch  bei  Knochentuberkulose  im  Kindesalter  entfaltet  das  Serum  Mar¬ 
morek  eine  zuverlässige  Heilwirkung.  Es  ist  nicht  imstande  das  Auf¬ 
treten  frischer  Krankheitsherde,  z.  B.  in  vorher  gesunden  Gelenken 
und  Knochen,  sowie  das  Auftreten  frischer  skrofulöser  Symptome 
(speziell  Conj.  phlyctaen.)  zu  verhindern.  Bei  tuberkulöser  Meningitis 
vermag  das  Serum  auch  bei  intraduraler  Injektion  und  bei  Anwendung 
hoher  subkutaner  Dosen  (bis  100  ccm)  Verlauf  und  tödlichen  Ausgang 
der  Krankheit  nicht  zu  beeinflussen.  Einen  günstigen  Einfluß  auf 
den  Allgemeinzustand  oder  einen  prinzipiellen  Unterschied  in  der  sub¬ 
kutanen  und  rektalen  Applikation  konnte  G.  nicht  konstatieren.  Das 
Serum  Marmorek  ist  in  hundertfacher  Menge  nicht  imstande,  die  Kutan - 
reaktion  auf  Tuberkjulin  aufzuheben  oder  abzuschwächen,  auch  in 
hunderttausendfacher  Menge  mit  Tuberkulin  gemischt,  vermag  das 
Serum  Marmorek  nicht  die  Kutanreaktion  abzuschwächen. 

Im  Brünn  er  ärztlichen  Verein  machte  C.  Kraus  Mitteilung 
über  eine  neue  Art  der  Verfertigung  von  Pessaren  in  der  Scheide. 
K.  zieht  dazu  die  Methode  der  —  Zahntechnik  heran.  Wenn  es  mög¬ 
lich  ist,  daß  ein  Gebiß  im  Munde  nach  dem  Gesetze  der  Adhäsion 


Wiener  Brief. 


115 


haftet,  so  muß  dies  auch  bei  der  Portio  vagin.  möglich  sein,  wenn  wir 
einen  Abdruck  von  ihr  erhalten.  K.  hat  nun  zu  diesem  Zwecke  In¬ 
strumente  konstruiert  und  den  Spiegel  modifiziert,  mit  diesen  erhält 
man  das  Positiv  der  Portio  in  Gips  und  verfertigt  dann  das  Negativ 
aus  vulkanisiertem  Kautschuck.  Das  Negativ  haftet  dann  durch  Ad¬ 
häsion  an  der  Portio.  Auf  diese  Weise  ist  das  Problem  des  luftdichten 
Verschlusses  vollkommen  gelöst.  Vor  allem  kommt  dieses  Verfahren 
bei  der  fakultativen  Sterilität  in  Betracht,  zumal  die  bisher  gangbaren 
antikonzeptionellen  Mittel  keine  Garantien  in  bezug  auf  ihre  Ver- 
lässigkeit  bieten.  Doch  bietet  die  Kraus  sche  Methode  noch  weitere 
Ausblicke.  Durch  die  Anbringung  des  Negativs  an  der  Portio  wird 
ein  fester  Punkt  in  der  Scheide  gewonnen,  an  dem  Prothesen  in  ver¬ 
schiedener  Form  angebracht  werden  können,  eventuell  wird  sich  dieses 
Verfahren  zu  Zwecken  der  Bier’schen  Stauung,  endlich  auch  zu  Lehr¬ 
zwecken  verwenden  lassen. 

Unhaltbare  Zustände  herrschen  an  der  Wiener  tierärztlichen 
Hochschule.  Ein  Generalstreik  der  Hörer  für  den  Herbst  ist  in 
Sicht.  Zum  Sezieren  dient  ein  alter  Holztisch  ohne  Abflußapparat. 
In  das  Holz  sickert  das  Blut  der  Tiere  einfach  ein.  In  einem  alten 
Trog  werden  die  toten  Tiere  mitunter  auch  ein  halbes  Jahr  bis  zur 
Mazeration  aufbewahrt.  Im  Seziersaal  ist  weder  eine  Waschvorrich¬ 
tung  noch  ein  W aschbecken ;  bloß  im  benachbarten  anatomischen  Stu¬ 
dierraum  steht  ein  primitiver  Militärtrog,  in  dem  sich  die  Hörer 
mangels  jeder  anderen  Desinfektionsvorrichtung  mit  Seife  die  Hände 
waschen.  Knapp  neben  der  Infektionsabteilung  befinden  sich  Privat¬ 
höfe,  in  denen  Kinder  spielen,  bloß  durch  eine  Holzplanke  getrennt. 
Bakteriologische  Präparate  müssen  im  Seziersaal  angefertigt  werden, 
weil  keine  eigene  Laboratorien  vorhanden  sind. 

Die  Ursachen  dieser  vorsintflutlichen  Zuständen  sind  nicht  öster¬ 
reichischer,  sondern  österreichisch-ungarischer  Natur.  Die  tierärztliche 
Hochschule  ist  eine  militärische  und  zwar  gemeinsame  Anstalt,  das 
heißt,  ihre  finanzielle  Bedeckung  findet  in  dem  Budget  statt,  das  sowohl 
die  österreichische  als  auch  die  ungarische  Delegation  bewilligen  müssen. 
Nun  ist  das  Widerstreben  der  Ungarn  gegen  die  notwendigsten  mili¬ 
tärischen  Forderungen  des  Gesamtstaates  bekannt.  Daher  wird  von 
den  kulturellen  Forderungen,  die  mit  dem  militärischen  Budget  in 
Verbindung  stehen,  alles  Mögliche  abgezwackt.  Infolgedessen  steht 
die  Wiener  tierärztliche  Hochschule,  die  einst  eine  Musterschule  war, 
heute  auf  dem  Standpunkte,  den  sie  vor  fünfzig  Jahren  eingenommen 
hat.  Im  Jahre  1776  hat  nämlich  Kaiserin  Maria  Theresia  eine  Militär¬ 
schule  errichten  lassen,  an  der  Tierarzneikunde  gelehrt  wurde,  zu  der 
aber  auch  Zivilisten  Zutritt  hatten.  Damals  war  also  die  HochschuLe 
in  Verbindung  mit  den  Militärbehörden.  Das  dauerte  bis  zum  Jahre 
1812.  In  diesem  Jahre  wurde  die  Tierarzneischule  der  Studienhofkom¬ 
mission,  also  dem  Unterrichtsministerium  untergeordnet  und  blieb  dort 
bis  1852.  Dann  wurde  sie  wieder  der  weisen  Obsorge  des  Kriegs¬ 
ministeriums  übergeben.  Dabei  ist  es  geblieben  bis  heute ;  das  Eigen¬ 
tumsrecht  an  den  einzelnen  Gebäuden  hat  aber,  auch  heute,  das  k.  k. 
Ministerium  für  Kultus  und  Unterricht,  eben  aus  der  Reform  im  Jahre 
1812.  Anstatt  nun  diesen  veralteten  Wust  mit  einem  Schlage  zum 
Alten  zu  werfen  und  eine  neue,  rein  österreichische  moderne  Anstalt 
zu  errichten,  begnügen  sich  unsere  verantwortlichen  Kreise  mit  dem 


116 


F.  Reuter, 


bei  Bürokraten  so  beliebten  Spiele  der  Kompetenzeinwände.  Im  letzten 
Semester  waren  150  Hörer  inskribiert2). 

Der  Bericht  der  österreichischen  Generalinspektoren  für  das  Jahr 
1907  betont,  daß  die  allgemeine  günstige  Geschäftskonjunktur  ihren 
Ausdruck  in  der  Gründung  zahlreicher,  neuer  Unternehmungen  und  in 
der  Vornahme  bedeutender  Investitionen  in  bereits  bestehenden  Be¬ 
trieben  fand.  Demgemäß  war  auch  fast  in  allen  Industriezweigen  die 
Beschäftigung  eine  außerordentlich  intensive,  so  daß  sich  den  Arbeitern 
reichliche  Arbeitsgelegenheit  bot ;  auf  einzelnen  Gebieten  machte  sich 
sogar  ein  Arbeitermangel  recht  unangenehm  fühlbar ;  so  konnten  im 
Königgrätzer  Aufsichtsbezirke  20°/0  aller  Webstühle  nicht  besetzt 
werden.  Mit  dem  Nachlassen  der  industriellen  Hochflut  bereitete  sich 
ein  allmählicher  Ausgleich  zwischen  Arbeitsangebot  und  Nachfrage 
vor.  Die  intensive  Rückwanderung  der  Arbeiter  aus  Amerika  ist  ohne 
nennenswerte  Rückwirkung  auf  den  inländischen  Arbeitsmarkt  ge¬ 
blieben.  Die  von  den  Arbeitern  erzielten  Lohnerhöhungen,  die  sich 
im  großen  und  ganzen  zwischen  10°/0  und  30°/0  bewegen,  sind  im 
wesentlichen  durch  die  fortschreitende  Verteuerung  der  wichtig¬ 
sten  Konsumgegenstände  absorbiert  worden.  Im  Berichtsjahre  ge¬ 
langten  760  (gegen  802  im  Vorjahre)  Streiks  und  36  (153)  Aussper¬ 
rungen  zur  Kenntnis  der  Inspektorate.  Es  zeigt  sich  somit  ein  be¬ 
deutender  Rückgang  der  Arbeitskonflikte ;  insbesondere  die  Zahl  der 
Aussperrungen  hat  gegenüber  dem  Vorjahre  einen  sehr  bedeutenden 
Rückgang  erfahren. 

Das  Handelsministerium  hat  im  Vereine  mit  dem  Ministerium 
des  Innern  besondere  Vorschriften  für  den  ge werbsmäßigen  Be¬ 
trieb  von  Steinbrüchen,  Lehm-,  Sand-  und  Schottergruben  erlassen, 
die  auch  Vorschriften  zum  Schutze  des  Lebens  und  der  Gesundheit 
der  Arbeiter  enthalten :  Die  Arbeitsplätze  auf  der  Bruchsohle  und  auf 
den  Terrassen  sind  so  anzulegen  und  einzurichten,  daß  die  dort  be¬ 
schäftigten  Arbeiter  gegen  abrollendes  Material  geschützt  sind.  Trans¬ 
portwege  und  Geleise  sind  in  angemessener  Entfernung  von  den  Rän¬ 
dern  der  Böschungen  anzulegen.  —  Ferner  wurde  eine  Verordnung 
zum  Schutze  der  Arbeiter  in  Zelluloidfabriken  erlassen. 


80.  Versammlung  Deutscher  Naturforscher  und  Ärzte. 

Sammelbericht  von  Dr.  F.  Reuter,  Kalk-Köln. 

(Fortsetzung  und  Schluß.) 

In  der  Gesamtsitzung  der  beiden  Hauptgruppen  am  Donners¬ 
tag  vormittag  im  alten  ehrwürdigen  Gürzenichsaale  sprach  für  die 
naturwissenschaftliche  Hauptgruppe  Prof.  Dr.  Wiener  (Leipzig)  über 
„Farbenphotographie  und  verwandte  naturwissenschaftliche 
Fragen“,  während  für  die  medizinische  Hauptgruppe  Prof.  Dr. 
Doflein  (München)  über  „die  krankheitserregenden  Trypano¬ 
somen,  ihre  Bedeutung  für  Zoologie,  Medizin  und  Kolonial¬ 
politik“  sich  verbreitete.  Nach  einem  Überblick  über  die  zahlreichen 
durch  Trypanosomen  verursachten  Seuchen  und  einer  Darstellung  des 
Baues  dieser  bekanntlich  zu  den  Geißelinfusorien  zu  rechnenden  Pro¬ 
tozoen,  erläuterte  der  Vortragende  die  verschiedenen  Übertragungs- 

2)  Anmerkung  bei  der  Korrektur:  Der  angedrohte  Streik  hatte  den  gewünschten 
Erfolg;  die  Verwirklichung  der  zeitgemäßen  Forderungen  ist  auf  dem  Wege. 


80.  Versammlung  Deutscher  Naturforscher  und  Arzte. 


117 


möglichkeiten,  die  direkte  Übertragung  bei  der  Begattung  und  die 
indirekte  durch  Vermittlung  von  blut saugenden  Insekten  (oder  anderen 
Wirbellosen).  Seine  Beobachtungen  über  Umzüchtbarkeit  der  Trypano¬ 
somen,  die  durch  künstliche  Kultur  zu  Organismen  werden,  die  voll¬ 
kommen  mit  den  harmlosen  Darmflagellaten,  wie  sie  besonders  bei 
Insekten  Vorkommen,  übereinstimmen,  führen  ihn  zu  der  Annahme, 
daß  dieselben  im  Blute  der  Wirbeltiere  erst  durch  Anpassung  zu  Blut¬ 
schmarotzern  geworden  sind  (oder  noch  werden  und  damit  neue  Seuchen 
veranlassen  können)  und  daß  sie  im  Gegensatz  zu  den  Malariaparasiten 
im  Überträger  (also  dem  blutsaugenden  Insekt,  z.  B.  der  Tsetsefliege) 
wenigstens  regelmäßig  keine  geschlechtliche  Entwicklung  durchmachen. 
Redner  bespricht  noch  die  Abwehrmaßregeln,  besonders  die  von  Koch 
vorgeschlagenen  Maßnahmen  gegen  die  Schlafkrankheit. 

In  der  Sitzung  der  medizinischen  Hauptgruppe  am  Nachmittag 
desselben  Tages  (in  der  Aula  der  Akademie  für  praktische  Medizin 
in  den  Neubauten  des  großen  städtischen  Krankenhauses  der  Linden¬ 
burg)  sprachen  zwei  ausländische  Gelehrte  und  zwar  zunächst  Prof. 
Dr.  Wright  (London):  „Über  Vaccine-Therapie  und  die  Kon¬ 
trolle  der  Behandlung  mittels  des  opsoninischen  Indexes.'' 
Nach  einer  kurzen  Besprechung  der  Schutzvorrichtungen  des  Organis¬ 
mus,  der  Leukozyten  einerseits  und  der  antibakteriellen  Substanzen 
des  Blutes  andererseits  und  einer  Erwähnung  der  spontanen  und  indu¬ 
zierten  Phagozytose  erklärt  Redner  die  zur  Messung  der  immunisato¬ 
rischen  Wirkung  vorgeschlagenen  Methoden  für  nicht  verläßlich.  Die 
Ergebnisse  stehen  oft  in  direktem  Gegensatz  zum  klinischen  Verhalten. 
Demgegenüber  zeigt  der  Vortragende  die  Vorteile,  die  die  Benutzung 
des  opsonischen  Index  zur  Beurteilung  der  immunisatorischen  Ma߬ 
nahmen  bietet.  Der  opsonische  Index  weist  bei  allen  Immunisierungs¬ 
prozessen  Veränderungen  auf,  welche  einen  äußerst  genauen  Maßstab 
der  Immunisierungsreaktion  geben.  Es  bestehen  bestimmte  Beziehungen 
zwischen  dem  Steigen  und  Fallen  des  opsonischen  Index  und  den  Besse¬ 
rungen  und  Verschlimmerungen  im  Zustande  des  Patienten.  Aller¬ 
dings  dürfe  man  nicht  unbillige  Forderungen  an  die  Opsonintheorie 
stellen.  An  einer  großen  Reihe  von  Kurven  führt  der  Vortragende 
den  Parallelismus  zwischen  opsonischem  Index  und  den  Schwankungen 
im  Befinden  des  Patienten  vor  und  hofft,  daß  eine  vorurteilsfreie  Nach¬ 
prüfung  seiner  Ergebnisse  die  Richtigkeit  seiner  Theorie  bestätige n 
werde. 

Es  folgt  ein  Vortrag  von  Professor  Dr.  W.  Einthoven- Leyden 
über  das  Elektrokardiogramm.  Das  in  unserm  Körper  klopfende 
Herz  entwickelt  bei  jeder  Zusammenziehung  einen  elektrischen  Strom, 
der  nach  allen  Teilen  unseres  Organismus,  z.  B.  nach  unsern  Händen 
und  Füßen  hingeleitet  wird.  Man  braucht  nur  ein  geeignetes  elek¬ 
trisches  Meßinstrument  mit  den  beiden  Händen  oder  mit  einer  Hand 
und  einem  Fuße  einer  Person  zu  verbinden,  um  bei  jedem  Schlag  ihres 
Herzens  einen  Ausschlag  des  Instrumentes  zu  beobachten.  Registriert 
man  die  Ausschläge  des  Meßinstrumentes,  so  bekommt  man  den  Aktions¬ 
strom  des  Herzens  in  der  Form  einer  Kurve,  die  Elektrokardiogramm 
genannt  wird.  In  dieser  Kurve  unterscheidet  man  eine  Spitze  der 
Vorkammer-  und  vier  Spitzen  der  Kammerkontraktion.  Aus  der  Form, 
der  Größe  und  den  zeitlichen  Verhältnissen  dieser  Spitzen  kann  man 
viele  Einzelheiten  erkennen  über  die  Weise,  wie  das  Herz  seine  Auf¬ 
gabe  vollbringt.  Dies  wird  vom  Vortragenden  durch  eine  Anzahl 


118  F.  Reuter,  80.  Versammlung  Deutscher  Naturforscher  und  Arzte. 

an  die  Wand  projizierter  Diapositivbilder  näher  erläutert.  Das  Elektro¬ 
kardiogramm  des  Hundes,  obgleich  in  der  Form  nicht  ganz  mit  dem 
des  Menschen  übereinstimmend,  weist  doch  keine  prinzipiellen  Unter¬ 
schiede  mit  diesem  auf.  Es  ist  namentlich  geeignet,  verschiedene  Fragen 
zu  beleuchten,  deren  Lösung  bis  jetzt  mittels  der  bekannten  mechanischen 
Untersuchungsmethode  Schwierigkeiten  dargeboten  hat.  So  zeigt  die 
Kurve  des  Aktionsstromes  des  Herzens  unzweideutig,  daß  durch  Heizung 
des  zehnten  Gehirnnervs  die  Zusammenziehung  der  Herzvorkammer 
direkt,  die  der  Herzkammer  aber  nur  indirekt  beeinflußt  wird.  Blut¬ 
entziehung  und  Chloroformnarkose  haben  ganz  bestimmte  Veränderungen 
in  der  Form  des  Elektrokardiogramms  zur  Folge,  die  leicht  und  deut¬ 
lich  festgestellt  werden  können.  Man  darf  sogar  die  Hoffnung  liegen, 
daß  die  Registrierung  des  Elektrokardiogramms  vielleicht  später  bei 
allgemeinerer  Anwendung  auch  eine  praktische  Bedeutung  für  den 
Chirurgen  bekommen  wird,  der  vor  oder  auch  während  der  Narkose 
seiner  Patienten  sich  über  ihre  Herztätigkeit  zu  unterrichten  wünscht. 
Im  normalen  menschlichen  Elektrokardiogramm  ist  der  Einfluß  der 
Atembewegungen  auf  die  Form  der  Kurve  ersichtlich,  und  namentlich 
macht  sich  die  durch  Körperanstrengung  gesteigerte  Herzfrequenz 
recht  deutlich  geltend.  Nach  Körperanstrengung  ist  die  Vorkammer- 
spitze  bedeutend  vergrößert,  was  auf  eine  Zunahme  der  Kraft  der 
Vorkammerkontraktionen  hin  weist,  während  man  aus  der  eigentüm¬ 
lichen  Veränderung,  die  das  Kammerelektrogramm  zu  gleicher  Zeit 
erfährt,  den  Schluß  ziehen  darf,  daß  die  Tätigkeit  der  linken  Kammer 
dabei  mehr  zugenommen  hat  als  die  der  rechten.  Unter  verschiedenen 
pathologischen  Verhältnissen  treten  ganz  bestimmte  Form  Veränderungen 
des  Elektrokardiogramms  auf,  so  daß  man  oft  aus  der  Form  der  Kurve 
die  Natur  des  Herzleidens  erkennen  kann.  In  gleicher  Weise  kann  der 
Grad  des  Leidens  beurteilt  werden,  wodurch  man  also  in  den  Stand 
gesetzt  wird,  den  durch  Heilmittel  ausgeübten  Einfluß  Schritt  für 
Schritt  zu  studieren.  Das  physiologische  Laboratorium  in  Leyden  ist 
durch  elektrische  Leitungsdrähte  mit  dem  dortigen  Universitäts-Kran¬ 
kenhause  verbunden,  wodurch  es  möglich  ist,  die  Kranken  in  dem 
1,5  km  entfernten  Spitale  mit  dem  im  Laboratorium  fest  auf  gestellten 
elektrischen  Meßinstrument  zu  untersuchen.  Der  Vortragende  zeigte  eine 
große  Anzahl  von  Kurven,  die  man  auf  diese  Weise  von  den  Aktions¬ 
strömen  des  menschlichen  Herzens  erhält,  die  man  mit  Recht  „Telekardio- 
gramme“  nennen  darf.  Es  zeigen  sich  typische  Formen  vom  Elektro¬ 
kardiogramm  bei  Vergrößerung  des  rechten  Herzens  durch  Schlu߬ 
unfähigkeit  der  zweizipfligen  Klappe,  Vergrößerung  des  linken  Herzens 
durch  Schlußunfähigkeit  der  großen  Körperschlagader,  Vergrößerung 
der  linken  Vorkammer  durch  Verengerung  der  zweizipfligen  Klappe 
und  ferner  noch  bei  vielen  andern  Abweichungen,  von  denen  nur  noch 
die  Herzmuskelentartung  und  die  angeborenen  Herzfehler  genannt  seien. 
Da  der  Aktionsstrom  der  Vorkammern  im  Elektrokardiogramm  fast 
immer  sehr  deutlich  von  dem  Aktionsstrom  der  Kammern  unterschieden 
werden  kann,  lassen  die  Kurven  das  Verhältnis  zwischen  Vorkammer- 
und  Kammerkontraktion  in  einer  Weise  erkennen,  die  an  Bestimmt¬ 
heit  und  Genauigkeit  die  gewöhnlichen  mechanischen  Registriermethoden 
weit  übertrifft.  Die  Untersuchung  des  mechanischen  Kardiogramms  ist 
nicht  selten  mit  unüberwindlichen  Schwierigkeiten  verbunden,  während 
die  Ausmessung  und  Analyse  dieser  Kurve  oft  eine  reiche  Quelle 
fehlerhafter  Erklärungen  darstellt.  Dagegen  geht  die  Registrierung 


Vorläufige  Mitteilungen  und  Autoreferate. 


119 


des  Elektrokardiogramms  - —  wenn  die  erforderlichen  Apparate  einmal 
richtig  aufgestellt  sind  —  leicht  und  schnell.  Die  Methode  erfordert 
keine  besondere  Geschicklichkeit  des  Beobachters,  ergibt  ein  vollkommen 
sicheres  und  zuverlässiges  Resultat  und  knüpft  an  eine  Genauigkeit, 
•  die  wenig  zu  wünschen  übrig  läßt,  den  großen  Vorteil,  daß  man  durch 
sie  in  den  Stand  gesetzt  wird,  absolute  Maße  zu  benutzen.  Überhaupt 
ist  der  Schluß  gerechtfertigt,  daß  die  elektrische  Untersuchungsmethode 
des  Herzens  mit  Vorteil  angewandt  werden  kann,  die  jetzt  in  der  Klinik 
üblichen  mechanischen  Untersuchungsmethoden  zu  ergänzen. 

(Auto  ref  erat.) 

Am  Schlüsse  der  gemeinschaftlichen  Sitzung  der  medizinischen 
Hauptgruppe  sprachen  die  anwesenden  Ärzte  durch  ihren  Vorsitzenden 
Prof.  Sudhoff  den  Kölner  Ärzten  anläßlich  ihres  bevorstehenden 
wirtschaftlichen  Kampfes  ihre  Sympathie  und  die  besten  Sieges¬ 
wünsche  aus. 

Den  Schluß  des  Naturforschertages  bildeten  eine  Reihe  von  Aus¬ 
flügen.  So  besuchten  am  Freitag  eine  Anzahl  Kinderärzte  unter  Führung 
von  Selter  (Solingen)  die  Ausstellung  für  Säuglings!“ ürsorge 
in  Solingen. 

Am  Sonntag  teilten  sich  die  Kongreßteilnehmer  in  mehrere 
Gruppen,  die  z.  T.  der  Urfttalsjp jeirre  in  der  Eifel  einen  Besuch 
abstatteten,  während  andere  Bad  Ems  und  wieder  andere  Neuenahr 
und  Ahrweiler  besuchten.  Ein  kleiner  Teil  schließlich  besichtigte 
die  außerordentlich  sehenswerten  Fabrikanlagen  der  van  den  Bergh- 
schen  Margarinewerke  in  Cleve,  um  sich  auch  hier  wieder  davon 
zu  überzeugen,  daß  das  noch  so  weit  verbreitete  Vorurteil  gegen  die 
Margarine  ein,  besonders  für  den  Arzt,  durchaus  unberechtigtes  ist. 

Zum  ersten  Vorsitzenden  der  Deutschen  Gesellschaft  der  Natur¬ 
forscher  und  Ärzte  für  das  Jahr  1909  war  Prof.  Dr.  Rubner  (Berlin) 
wiedergewählt  worden.  Als  Tagungsort  für  1909  wurde  Salzburg 
in  Aussicht  genommen.  Der  Vorstand  plant  die  Herausgabe  einer 
Geschichte  der  Naturforschersammlungen. 


Vorläufige  Mitteilungen  u.  Äutoreferate. 

Mitteilung  über  das  Fehlen  des  Patellarreflexes  bei  scheinbarer  spinaler 

Gesundheit. 

Von  Dr.  Mainzer. 

Vortrag,  gehalten  im  Ärztlichen  Verein  zu  Nürnberg,  Sitzung  vom  18.  Nov.  1908.) 

Vortr.  bespricht  die  Gründe,  aus  denen  das  Kniephänomen  fehlen 
kann  und  die  verschiedenen  Methoden,  es  hervorzurufen.  Daran  an¬ 
schließend  berichtet  er  über  2  Fälle,  bei  denen,  ohne  daß  einer  der  ge¬ 
wöhnlichen  Gründe  vorlag,  die  Kniephänomene  nicht  nachgewiesen  waren 
bei  Prüfung  in  Sitz-,  Rücken-  und  Bauchlage  bei  abgelenkter  Aufmerk¬ 
samkeit,  Jendrassik,  rythmischen  Unterschenkelbewegungen,  nach  einer 
Serie  von  Kniebeugen,  nach  kalten  Wasserprozeduren  an  den  Beinen. 
Zuerst  ein  7 jähriges  Kind,  3  Jahre  beobachtet,  schwächlich,  mäßige 
nervöse  Reizbarkeit,  Konjunktivitis,  vergrößerte  Tonsillen  und  Hals- 
drüsen,  nägelkauend;  Achillesreflexe  schwach,  Kniereflexe  fehlen.  Wie¬ 
derholte  genaue  neurologische  Untersuchungen  ergeben  keinen  Hinweis 
auf  organische  Krankheit ;  keine  Zeichen  von  Lues,  Stoffwechselstörung 
usw.  Vater  hatte  Lues  ca.  10 — 11  Jahre  vor  der  Konzeption  zu  diesem 
Kind  erworben ;  starb  an  Paralyse.  Der  zweite  Fall  betrifft  eine 


120 


Vorläufige  Mitteilungen  und  Autoreferate. 


32  jährige  Frau,  bei  der  vor  13  Jahren  das  Fehlen  der  Kniephänomene 
konstatiert  worden  war.  In  der  Anamnese  kein  Hinweis  auf  eigene 
Lues,  Nervenkrankheiten  oder  Nervenschädigungen,  Knöchelbruch  im 
23.  Jahr  difform  geheilt,  daher  schwächeres  Achillesphänomen  auf 
dieser.  Sonst  Status  neur oticus  bis  auf  die  fehlenden  Kniereflexe- 
belanglos.  Lumbalpunktionsflüssigkeit  enthält  weder  vermehrte  Zell- 
noch  Eiweißmengen.  Vater  starb  an  unbekannter  Krankheit,  Mutter 
gesund,  hatte  zuerst  3  Aborte,  dann  1  Kind,  das  an  angeborenem 
Herzfehler  starb ;  ein  weiteres  ist  unzweifelhaft  hereditär  luetisch,  ein 
weiteres  ist  die  Patientin. 

Referent  glaubt,  daß  für  das  Fehlen  der  Kniephänomene  in  bei¬ 
den  Fällen  die  väterliche  Lues  in  einer  gegenwärtig  noch  nicht  genau 
zu  bestimmenden  Weise  die  Ursache  abgeben  muß.  Auch  in  anderen 
publizierten  Fällen  ist  dieser  Zusammenhang  wahrscheinlich,  aber  nicht 
in  allen.  Autoreferat. 


Zur  Pathologie  und  Therapie  der  Gicht. 

Von  Dr.  Umber. 

(Nach  einem  Vortrag  im  ärztlichen  Verein  zu  Hamburg.) 

U.  gründet  seine  Ausführungen  auf  Beobachtungen  und  Stoff¬ 
wechselstudien,  welche  er  zum  Teil  mit  seinen  Mitarbeitern  an  27  Gicht¬ 
fällen  seiner  Krankenabteilung  und  110  Gichtfällen  der  konsultativen 
Praxis  gewonnen  hat.  Er  betont  die  Häufigkeit  der  Gicht  in  der  Ham¬ 
burger  Gegend. 

Die  Aufstapelung  oder  Retention  von  Uraten  in  den  Geweben  der 
Gichtischen  wird  am  Obduktionsmaterial  demonstriert,  die  Natur  der 
Harnsäure  sowie  ihre  exogene  und  endogene  Herkunft  erläutert.  Bei 
der  Gicht  ist  der  Harnsäuregehalt  des  Blutes  erhöht,  und  die  endogene 
Harnsäurekurve,  die  in  der  anfallsfreien  Zeit  tiefer  liegt  als  normal, 
zeigt  zur  Zeit  der  Anfälle  pathognomonische  Schwankungen :  anakri- 
tisches  Depressionsstadium,  kritische  Harnsäureflut,  postkritisches  De¬ 
pressionsstadium  (Demonstration).  Aus  einmaliger  Urinuntersuchung 
darf  nicht  auf  Gicht  geschlossen  werden !  Auf  urinhaltige  Nahrung 
reagiert  der  Gichtische  mit  zu  niedriger  und  verschleppter  Harnsäure¬ 
ausfuhr  (Demonstration),  besonders  zur  Zeit  der  Depressionsstadien. 
Purinzulagen  lösen  häufig  „experimentelle“  Gichtanfälle  aus.  Die  Re¬ 
tention  betrachtet  U.  als  Folge  einer  gesteigerten  Affinität  der  Gewebe 
zur  Harnsäure.  Daneben  kommen  möglicherweise  Störungen  im  fer¬ 
mentativen  Abbau  der  Harnsäure  vor.  Dafür  spricht  auch  das  Auf¬ 
treten  des  Glycocolls  im  Harne  der  Gichtkranken,  das  aus  der  Harn¬ 
säure  entsteht.  Die  Glycocollkurve  steht  bei  der  Gicht  in  einem  alter¬ 
nierenden  Verhältnis  zur  endogenen  Harnsäurekurve.  (Demonstration). 
Das  Zustandekommen  des  akuten  Gichtanfalles  ist  bis  heute  noch  nicht 
aufgeklärt. 

Daraus  ergeben  sich  als  therapeutische  Gesichtspunkte,  der  An¬ 
sammlung  von  Harnsäure  in  den  Geweben  und  im  Blut  entgegenzu¬ 
arbeiten  durch  Beschränkung  der  exogenen  imd  endogenen  Harnsäure¬ 
bildung,  ferner  die  vorhandene  Harnsäure  unter  möglichst  günstige 
Ausscheidungs-  und  Abbauverhältnisse  zu  bringen. 

Die  nukleoproteidhaltigen  Organe  (Thymus,  Leber,  Niere,  Hirn) 
sind  gänzlich  zu  verbieten.  Gebratenes  Fleisch  ist  schädlicher  als  ge¬ 
kochtes.  Fisch  ebenso  schädlich  als  Fleisch,  zwischen  weißen  und  braunem 

! 


Vorläufige  Mitteilungen  und  Autoreferate. 


121 


Fleisch  kein  Unterschied.  In  den  Depressionsstadien  soll  die  Nahrung 
streng  purinfrei  sein,  wieviel  „Purinf  asttage“  pro  Woche  in  anfalls¬ 
freien  Zeiten  nötig  sind,  hängt  davon  ab,  wieviel  Tage  die  endogene 
Harnsäurekurve  nach  einer  bekannten  Purinzulage  braucht,  um  wieder 
zu  ihrem  endogenen  Niveau  abzusinken.  Möglichst  lange  Perioden 
purinfreier  Ernährung !  Auch  purinfreies  Eiweiß  (Eier,  Milch,  Milch¬ 
präparate)  sind  zu  beschränken,  da  purinfreie  Eiweißzufuhr  die  endo¬ 
gene  Harns äureausfuhr  steigert.  Die  Eiweiß-  bezw.  Fleischkost  soll 
nicht  später  als  in  den  Mittagsstunden  genossen  werden,  da  die  Peten¬ 
tion  in  den  Nachtstunden  am  größten  ist.  Fette  und  in  erhöhtem  Maße 
Kohlenhydrate  setzen  den  Purinumsatz  herab,  und  sind  deshalb  dem 
Gichtischen  nicht  mehr  zu  beschränken,  als  sein  Körperbestand  es  er¬ 
heischen  würde,  wenn  er  keine  Gicht  hätte.  Alkohol  befördert  die 
Purinretention  und  ist  auf  bescheidene  Gaben  zu  beschränken.  Das 
Koffein  kann  in  Harnsäure  übergehen  und  ist  besser  zu  vermeiden. 

Die  Ausscheidung  der  Harnsäure  wird  befördert  durch  Flüssig¬ 
keitszufuhr.  Alkalien  befördern  das  Ausfallen  der  Monouratsalze  und 
sind  unzweckmäßig.  Medikamentöse  Beförderung  der  Harnsä  Lireaus¬ 
scheidung  bezw.  Verhinderung  der  Monouratabscheidung  im  Körper 
ist  bisher  nicht  möglich,  weder  durch  die  Formaldehydtherapie,  noch 
durch  die  Nucleinsäuretherapie,  noch  durch  die  Chinasäuretherapie. 

Der  Harnsäureabbau  wird  durch  Muskelbewegung  offenbar  bt 
günstigt.  Die  symptomatische  Therapie  des  akuten  Anfalls  besteht 
in  Ruhigstellung  und  Wärme  für  das  befallene  Gelenk  und  Colchicin- 
gaben.  Autoreferat. 


Zur  Ätiologie  der  perniziösen  Anämie. 

Von  Dr.  Berger,  Halle. 

(Nack  einem  Vortrag  im  ärztlichen  Verein  vom  11.  November  1908.) 

Vortragender  berichtet  über  Versuche,  die  er  in  Gemeinschaft 
mit  Herrn  Dr.  Tsuchiya  über  die  hämolytische  und  die  anämisierende 
Wirkung  von  Ätherextrakten  aus  der  Magendarmschleimhaut  von  2 
an  perniziöser  Anämie  Verstorbenen  angestellt  und  die  er  in  Vergleich 
zu  der  entsprechenden  Wirkung  normaler  Magen  -  Darmschleimhaut¬ 
extrakte  gebracht  hat.  In  der  Art  der  Ausführung  seiner  Versuche 
richtete  er  sich  nach  den  Angaben  Tallquist’s  (Zeitschrift  für  klin. 
Med.  07,  Bd.  61),  genauere  chemische  Untersuchungen  der  gewonnenen 
lipoiden  Substanz  sind  einstweilen  nicht  ausgeführt. 

Als  Resultat  stellte  sich  eine  5 — 10  mal  so  starke  hämolytische 
Wirkung  der  ersteren  Extrakte  und  entsprechend  eine  deutlich  ver¬ 
stärkte  anämisierende  Wirkung,  sowohl  bei  innerer,  als  auch  bei  intra¬ 
venöser,  intraperitonealer  und  subkutaner  Darreichung  bei  Kaninchen 
und  Hunden  heraus,  mit  Auftreten  von  Anisocytose,  Polychromasie 
und  Normoblasten,  bei  hochbleibendem  Färbeindex.  Nach  Aussetzen 
der  Substanzdarreichung  trat  rasch  Regeneration  ein. 

Ganz  ähnliche  Wirkungen  ließen  sich  mit  in  gleicher  Weise  her¬ 
gestellten  Magen-Darmschleimhautextrakten  von  Hunden  erzielen,  bei 
denen  durch  an  sich  nicht  hämolytisch  wirkende  Gifte  (Alkohol,  Ol. 
Crotonis,  Colchicin  usw.)  schwere  Magen-Darmkatarrhe  künstlich  her¬ 
vorgerufen  worden  waren. 


122 


Referate  und  Besprechungen. 


Die  Ähnlichkeit  in  der  Wirkungsweise  der  beiden  Schleimhaut- 
Ätherextrakte,  der  der  perniziösen  Anämie  einerseits,  der  Magen-Darm¬ 
katarrhe  andererseits,  legt  den  Gedanken  nahe,  daß  hei  dem  Zustande¬ 
kommen  der  perniziösen  Anämie  katarrhalisch-entzündliche  Vorgänge, 
eventuell  äußerst  chronischer,  über  eine  Reihe  von  Jahren  sich  hin¬ 
ziehender  Natur,  im  Magen-Darmkanal  eine  ursächliche  Rolle  spielen, 
derart  etwa,  daß  in  den  entzündlich  infiltrierten  Teilen  fettähnliche, 
sogen,  lipoide  Substanzen  von  verstärkter  hämolytischer  Kraft  frei 
werden  und  zur  Resorption  gelangen. 

Auf  das  Vorkommen  von  kleinzelligen  entzündlichen  Infiltra¬ 
tionen  der  Magen-Darmschleimhaut  bei  perniziöser  Anämie  ist  von 
verschiedenen  Autoren  bereits  hingewiesen  worden.  Die  Untersuchungen 
sind  indessen  nicht  alle  einwandsfrei ;  genaueste  anatomische  Unter¬ 
suchungen  müssen  sich  weiterhin  mit  dieser  Frage  befassen. 

Autoreferat. 


Experimentelle  Beiträge  zur  Therapie  der  Streptokokkeninfektionen. 

Von  Prof.  Zangemeister. 

Vortrag,  gehalten  in  der  Ostdeutschen  Gesellschaft  für  Gynäkologie,  Danzig,  den 

28.  November  1908.) 

Nächst  der  Entfernung  des  Primärherdes  (siehe  Zeitschr.  f.  Geb. 
R  62,  p.  510)  wurde  der  Wert  der  Drainage  bei  intraperitonealen  In¬ 
fektionen  untersucht  und  ermittelt,  daß  die  Drainage  erfolglos  bleibt, 
weil  sich  die  Fenster  der  Drains  stets  bald  durch  Darmteile  ver¬ 
schließen.  Dagegen  konnte  durch  Punktion  der  Bauchhöhle  mit  Koch¬ 
salzspülung,  vornehmlich  aber  durch  Injektion  von  Nuclein  in  die 
Bauchhöhle  der  Tod  djer  vorher  infizierten  und  bereits  peri- 
tonitial  erkrankten  Tiere  verhindert  werden.  Z.  empfiehlt  da¬ 
her,  auch  bei  der  puerper.  Peritonitis  die  Drainage  der  Bauchhöhle 
durch  eine  Punktion  zu  ersetzen,  die  mit  Spülung  und  nachfolgender 
Nukleininjektion  verbunden  wird,  und  die  eventuell  mehrmals  zu 
wiederholen  ist. 

Einen  günstigen  Einfluß  auf  die  Resistenz  der  Versuchstiere  gegen 
Streptokokkeninfektionen  hatte  ferner  das  Adrenalin,  während  dem 
Kolla.rgol  jeder  nachweisliche  Nutzen  fehlt.  Autoreferat. 


Referate  und  Besprechungen. 

Bakteriologie  und  Serologie. 

Die  Wassermann’sche  Reaktion  bei  Geisteskrankheiten. 

(G.  Raviart,  M.  Breton,  G.  Petit,  Gay  et  u.  Cannac.) 

Wie  es  allerlei  Getier  gibt,  das  dem  Halbdunkel  zufliegt,  so  übt  auch 
auf  manche  Menschen  das  Mystische,  das  noch  nicht  Geklärte  einen  eigen¬ 
artigen  Reiz  aus.  Die  Geschichte  ist  voll  von  geistigen  Bewegungen,  welche 
darin  wurzelten;  heute  übt  die  Serologie  und  die  Eiweißchemie  solche  Wir¬ 
kungen  aus,  und  in  ihrem  Zwielicht  verknüpfen  sich  Dinge,  die  sonst  weit 
getrennt  erscheinen.  Die  Frage,  ob  nicht  die  Syphilis  vielleicht  eine  be¬ 
deutsame  Rolle  beim  Zustandekommen  der  Geisteskranken  spiele,  führte  die 
genannten  5  Ärzte  dazu,  an  dem  Krankenmaterial  der  Asyle  von  Armen- 


Referate  und  Besprechungen. 


123 


tieres  (Männer)  und  Bailleul  (Frauen)  die  Wasserm ann’sche  Reaktion 
anzustellen.  Das  Ergebnis  entspricht  dem,  was  der  nüchterne  Beobachter 
von  vornherein  erwarten  konnte. 


Die  Reaktion  war 

positiv 

negativ 

bei  Paralyse . 

.  .  67 

5 

r  Paralyse  und  Tabes . 

.  .  4 

0 

„  Tabes . 

.  .  1 

0 

„  Idiotie  und  Epilepsie  .... 

.  .  9 

16 

„  Idiotie . . 

.  .  21 

40 

„  Imbezillität  und  Epilepsie.  .  . 

.  .  6 

9 

„  Imbezillität  ........ 

.  .  22 

51 

„  Dementia  senilis  ...... 

.  .  3 

2 

„  Dementia  praecox . 

.  .  5 

14 

„  Epilepsie . . 

.  .  5 

26 

Im  ganzen  waren  unter  den  400  Untersuchten  21  sicher  nachgewiesene  Epilep¬ 
tiker;  die  Wassermann’sche  Reaktion  war  positiv  bei  165,  negativ  bei 
235.  Wie  die  fünf  Autoren  daraufhin  zu  dem  Resultat  kommen:  ,,ce  qui 
nous  permet  de  penser  que  la  syphilis  joue  dans  l’etiologie  de  ces  infirmites 
psychiques  un  röle  plus  important  qu’on  ne  l’avait  suppose  jusqu’ici,“  ist 
mir  unverständlich.  Buttersack  (Berlin). 


Über  die  bakterizide  Kraft  der  lebenden  Zellen. 

(A.  Alb  ergo-B  e  rretta,  Neapel.  Lo  Sperimentale  Bd.  62,  H.  4,  1908.) 

In  einer  ersten  Versuchsreihe  studierte  Alber  go-Ber  retta  die  Ent¬ 
wicklung  eines  Saprophyten  (b.  mesentericus)  in  abgetrennten  Organen  der 
Kröte,  je  nachdem  die  Organe  lebendig  erhalten  oder  durch  Gefrieren  abge¬ 
tötet  wurden.  Der  Unterschied  in  der  Entwicklung  war  ein  sehr  in  die 
Augen  springender.  Weitere  Versuche  sollten  feststellen,  ob  die  Entwicklung 
eine  verschiedene  ist  bei  vermehrter  und  verminderter  Vitalität  der  Gewebe. 
Es  zeigte  sich,  daß  die  Einbringung  des  betreffenden  Organes  in  eine  Sauer¬ 
stoffs  tmosphäre  der  Abtötung  der  Bakterien  günstig  ist,  während  Einbringung 
in  eine  Kohlensäureatmosphäre  die  Bakterien  nur  leichte  Veränderungen  er¬ 
leiden  läßt. 

Aus  den  Untersuchungen  geht  also  hervor,  das  die  intakten  Gewebe, 
solange  sie  ihre  vitalen  Eigenschaften  bewahren,  imstande  sind,  Mikro¬ 
organismen,  die  mit  ihnen  in  unmittelbare  Berührung  treten,  rasch  zu  zer¬ 
stören.  Dieser  Vorgang  tritt  nicht  mehr  ein,  und  die  Organismen  finden  gün¬ 
stige  Bedingungen  für  ihre  Entwicklung,  wenn  die  Gewebe  abgetötet,  oder 
auch  nur  deren  Vitalität  vermindert  ist.  Daß  an  jener  Zerstörung  die 
Phagozyten  einen  wichtigen  Anteil  nehmen,  ist  zweifellos,  aber  die  Phago¬ 
zytose  ist  nicht  der  einzige  bakterizide  Faktor  der  lebenden  Gewebe.  Ferner 
kann  man  nicht  annehmen,  daß  die  Bakterien  vermittelst  Substanzen  abge¬ 
tötet  wurden,  die  im  Protoplasma  präformiert  sind;  denn  solche  Substanzen 
könnten  durch  Gefrieren  nicht  verändert,  jedenfalls  nicht  ihrer  bakteriziden 
Kraft  beraubt  werden,  und  es  steht  fest,  daß  in  gefrorenen  Organen  nicht 
mehr  die  Bedingungen  zur  Zerstörung  der  Bakterien  gegeben  sind. 

Zur  Erklärung  der  Versuchsergebnisse  stellt  Alber  go-Ber  re  tta  eine 
Hypothese  auf,  die  nur  eine  Erweiterung  einer  schon  von  Büchner  formu¬ 
lierten  und  von  Metschnikoff  wieder  aufgenommenen  Hypothese  ist.  Be¬ 
kanntlich  nehmen  diese  Autoren  an,  daß  verschiedene  Zellen  mesenchymalen 
Ursprungs  auf  den  Reiz  der  Bakterien  hin  spezifische  bakterizide  Substanzen 
produzieren.  Man  kann  nun  annehmen,  daß  diese  Fähigkeit  nicht  nur  den 
mesenchymalen  Elementen  zukommt,  sondern  in  mehr  oder  weniger  hohem 
Grade  allen  Zellen  des  Organismus,  so  daß  sie  auf  den  Reiz  der  Bakterien 
hin  spezifische  bakterizide  Stoffe  bereiten  können.  Diese  Substanzen  können 
in  den  Geweben  nicht  präformiert  sein,  da  die  Zerstörung  der  histologischen 
Elemente  durch  Erfrieren  die  Zerstörung  der  Bakterien  verhindert. 

M.  Kaufmann  (Mannheim). 


124 


Referate  und  Besprechungen. 


Über  das  Verhalten  der  basophilen  Leukozytengranulationen  im 

Verlauf  der  Haemolyse. 

(G.  Cag netto,  Arch.  p.  1.  scienze  med.  Bd.  32  Nr.  1,  1908.) 

Bei  einer  Reihe  von  Tieren  (Hund,  Huhn,  Frosch)  bewirkt  die  Einver¬ 
leibung  von  hämolytischem  Serum  eine  ausgesprochene  Vermehrung  der  auch 
im  normalen  Zustande  je  nach  Alter  und  Tierart  in  mehr  oder  weniger  reich¬ 
licher  Menge  vorhandenen  basophil-granulierten  Erythrozyten.  Im  allgemeinen 
geht  die  Intensität  dieser  Erscheinung  parallel  mit  dem  Grade  der  Vergiftung; 
nur  hier  und  da,  spez.  bei  alten  Tieren  mit  mangelhafter  blutkörperchen¬ 
bildender  Funktion  des  Knockenmarks  findet  man  nach  einer  anfänglichen 
Vermehrung  der  Basophilie  einen  Stillstand  und  Rückgang  derselben;  dies 
ist  der  Ausdruck  einer  Ermüdung  des  Knochenmarks  nach  einer  Periode  der 
Anstrengung  durch  erhöhte  Inanspruchnahme.  Die  basophilen  Erythrozyten, 
die  im  Blute  bei  der  Behandlung  mit  hämolytischen  Seris  erscheinen,  sind 
keine  Degenerationserscheinungen,  sondern  Reservematerial  aus  dem  Knochen¬ 
mark.  Die  Schädigung,  die  das  Blut  durch  das  hämolytische  Gift  erfährt, 
wird  dadurch  noch  intensiver,  daß  die  Milz  ihre  normal  vor  sich  gehende 
Hämolyse,  die  sich  jetzt  besonders  auf  die  jungen  basophilen  Erythrozyten 
des  Knochenmarks  bezieht,  zunächst  noch  fortsetzt;  erst  später  erstarkt  in 
ihr  wieder  die  alte  blutbildende  Funktion,  und  nun  wirkt  sie  mit  dem  Knochen¬ 
mark  zusammen,  indem  sie  basophile  Erythrozyten  in  den  Kreislauf  wirft. 

M.  Kaufmann  (Mannheim). 


Innere  Medizin. 

Hypertrophie  und  Organkorrelation. 

(R.  Rössle,  Münch,  med.  Wochenschr.,  Nr.  8,  1908.) 

Die  interessante  Arbeit  bespricht  einige  seltenere  Hypertrophien ;  z.  B. 
die  Hypertrophie  des  rechten  Herzens  bei  obliterierender  Endarteriitis  der 
Lungengefäße,  diejenige  des  linken  Ventrikels  bei  angeborener  Enge  der 
Aorta  (Ref.  hat  einen  typischen  Fall  bei  einem  ca.  20  j ähr.  Mädchen  gesehen, 
wo  der  Tod  durch  Gehirnblutung  eingetreten  war),  Hypertrophie  der  Aorta 
bei  brauner  Atrophie  des  Herzmuskels  und  Schrumpfniere,  also  eine  Art  Kom¬ 
pensation  des  funktionsschwachen  Herzens  durch  die  Aorta.  Ferner  beschreibt 
Rössle  Hypertrophie  eines  Lungenlappens  bei  Tuberkulose,  Hypertrophie  der 
Leber  bei  Diabetikern  (gesteigerter  Glykogenverbrauch !),  der  Hypophysis  bei 
Kastrierten.  E.  Oberndörffer. 


Systolisches  Geräusch  bei  Aorten-Insuffizienz. 

(M.  Conto.  Zeitschr.  für  klin.  Med.,  Bd.  65,  S.  374,  1908.) 

Das  während  der  Verschlußzeit  bei  reiner  Insuffizienz  (ohne  Stenose) 
der  Aortenklappen  zu  beobachtende,  kurze,  weiche  Geräusch  im  Anfang  der 
Systole  hatte  Senator  aus  Rückstrom  des  Blutes  in  die  unvollkommen  ge¬ 
schlossene  Höhle  des  in  seiner  Muskulatur  geschwächten  linken  Ventrikels 
erklärt.  C.  schließt  sich  in  der  Hauptsache  dieser  Erklärung  an  und  legt 
noch  besonderes  Gewicht  auf  die  Veränderungen  des  Herzens  bezüglich  Form, 
Lage,  Konsistenz  im  Beginn  der  Systole,  die  zu  einer  Art  Unterbrechung 
des  vorher  diastolischen,  nunmehr  systolisch  ausklingenden  Geräusches  führe. 
Die  von  Marey  für  die  Aortenklappeninsuffizienz  bestrittene  Verschlußzeit 
der  Systole  wird  als  vorhanden,  als  eine  „Notwendigkeitsphase“  hingestellt. 

H.  Vierordt  (Tübingen). 


Referate  und  Besprechungen. 


125 


Herz  alternans. 

(E.  Hering.  Verhandl.  des  25.  Kongr.  für  innere  Medizin,  6. — 9.  April  1908.  — 

Wiesbaden,  J.  F.  Bergmann,  1908.  S.  323.) 

Durch  Engelmann  wissen  wir,  daß  das  Herz  sich  bei  jeder  Systole 
mit  aller  zur  Verfügung  stehenden  Kraft  zusammenzieht;  wie  dabei  ein 
Puisus  alternans,  d.  h..  abwechselnd  eine  große  und  eine  kleine  Kontraktion 
zustande  kommen  soll,  blieb  dunkel.  E.  Hering  teilt  nun  auf  Grund 
von  Experimentaluntersuchungen  an  Tierherzen  mit,  daß  diese  Erscheinung 
auf  partieller  Hyposystolie  bezw.  Asystolie  beruht.  Er  hat  dabei  beobachtet, 
daß  z.  B.  die  Basis  der  Herzkammer  regelmäßig  schlägt,  die  Spitze  aber 
das  eine  um  das  andere  Mal  aussetzt;  es  kommt  aber  auch  umgekehrt  vor, 
daß  der  kleinen  Kontraktion  an  der  Basis  eine  große  an  der  Spitze  ent¬ 
spricht  oder  daß  das  linke  Herz  alternierende  Kontraktionen  auf  weist,  das 
rechte  dagegen  nicht.  Buttersack  (Berlin). 


Das  räumliche  Mißverhältnis  zwischen  Herz  und  Thorax. 

(Max  Herz.  Zeitschr.  f.  phys.  u.  diät.  Ther.,  12.  Bd.,  6.  H.,  S.  335 — 340,  1908/09.) 

Ein  interessanter  Denker  eigner  Art  ist  Max  Herz  in  Wien.  Im 
vorliegenden  Aufsatz  entwickelt  er  den  Gedanken,  daß  ein  Teil  der  Herz¬ 
beschwerden  durch  ein  Mißverhältnis  zwischen  Größe  des  Herzens  und 
Fassungsraum  der  Brusthöhle  zustande  kommen  möchte.  Solch  ein  Mißver¬ 
hältnis  ergibt  sich  als  natürliche  Folge,  wenn  die  Brusthöhle  verkleinert 
oder  das  Herz  vergrößert  ist.  Es  genügt  wohl  für  jeden  physiologisch 
Denkenden,  diese  Idee  anzudeuten ;  ihre  weitere  Ausführung,  wie  die  Digi¬ 
talis  durch  Verkleinerung  des  vergrößerten  Herzvolumens,  Atemgymnastik 
u.  dergl.  durch  Beseitigung  habitueller  Kompression  des  Brustkastens  wirken, 
kann  füglich  jedem  einzelnen  überlassen  bleiben.  Buttersack  (Berlin). 


Nachgewiesene  Tuberkulose  des  Endokards. 

(H.  Barbier  u.  G.  Laroche.  Bull,  möd.,  Nr.  92,  S.  1055,  1908.) 

Von  tuberkulösen  Erkrankungen  des  Herzens  sprach  man  früher  wenig. 
Der  unermüdliche  Eifer  strebsamer  Forscher  hat  hier  große  Veränderungen 
geschaffen  und  z.  B.  die  These  aufgestellt,  daß  Endocarditis  tuberculosa  fast 
ein  konstanter  Befund  bei  Kindern  sei,  die  an  Miliartuberkulose  zugrunde 
gegangen  sind;  oder  die  andere,  daß  sklerosierende  Prozesse  am  Endokard, 
vornehmlich  an  der  Mitralis,  bei  subakuten  und  chronischen  Formen  der 
Tuberkulose  überraschend  häufig  seien.  Immerhin  scheinen  diese  Behaup¬ 
tungen  noch  nicht  so  absolut  festzustehen,  daß  ihre  Verfechter  es  nicht  für 
überflüssig  halten,  einen  Fall  von  gelungener  Übertragung  des  Tuberkulose¬ 
giftes  von  einem  Endokarditisknötchen  auf  ein  Meerschweinchen  in  extenso 
zu  berichten:  es  handelte  sich  um  ein  Kind  von  9  Monaten,  das  von  tuber¬ 
kulösen  Eltern  stammend  an  Tuberkulose  gestorben  war;  —  glücklicherweise 
ist  man  versucht  hinzuzufügen. 

Die  Mitteilung  an  sich  hat  nichts  Überraschendes;  allein  sie  löst  den 
Gedankengang  aus,  wie  die  Dinge  sich  gestaltet  haben  möchten,  wenn  das 
Kind  am  Leben  geblieben  wäre.  Ohne  Zweifel  hätte  es  ein  „schwaches  Herz“ 
zurückbehalten,  dessen  Ätiologie  späterhin  völlig  in  Dunkel  gehüllt  geblieben 
wäre;  ich  glaube,  wir  Ärzte  begegnen  derartigen  oder  ähnlichen  Produkten 
im  praktischen  Leben  öfter  als  man  gemeinhin  denkt.  Buttersack  (Berlin). 


126 


Referate  und  Besprechungen. 


Zur  Frage  der  sog.  spezifischen  Verdünnungssekretion  im  Magen. 

(W.  Bauermeister,  Zentralbl.  f.  d.  ges.  Phys.  u.  Path.  d.  Stoffw.,  Nr.  13,  1908.) 

Nach  Strauß  tritt  bei  Einführung  hypertonischer  Wässer  in  den  Magen 
eine  sog.  Verdünnungssekretion  auf,  die  den  osmotischen  Druck  des  Magen¬ 
inhalts  in  bestimmter  Weise  herabsetzt.  Andere  Autoren  glauben  nicht  an 
diese  Verdünnungssekretion,  halten  sie  vielmehr  für  vor  getäuscht  lediglich 
durch  Speichelbeimengung.  Bauermeister  hatte  nun  Gelegenheit,  einen  für 
die  Entscheidung  dieser  Erage  geeigneten  Fäll  von  Dilatation  und  Insuffizienz 
der  Speiseröhre  zu  beobachten,  bei  dem  der  Speichel  unter  gewissen  Be* 
dingungen  nur  schwer  in  den  Magen  gelangen  konnte.  Der  entscheidende 
Versuch  war  der  folgende:  Dem  Patienten  wurde  ein  Krodoprobefrühstück 
(370  g  warmes  Krodowasser  -f-  37  g  gestoßener  Zwieback),  dessen  A  =  —  1,08 
war,  in  den  Magen  durch  den  (Schlauch  gegossen,  hierauf  von  derselben 
Mischung  70  ccm  in  die  Speiseröhre.  Nach  1/2  Stunde  war  ^  in  der  Speise¬ 
röhrenflüssigkeit  =  —  0,82,  im  Magen  aber  —  0,5.  Da  größere  Speichelmengen 
nur  in  die  Speiseröhre  gelangen  konnten,  muß  im  Magen  eine  vom  Speichel 
unabhängige  Verdünnungssekretion  stattgefunden  haben.  M.  Kaufmann. 


Über  die  Folgen  der  totalen  Resektion  des  Duodenums. 

[(Lo  Sperimentale,  Juli — August  1908.) 

Die  Entdeckung  Pflüger’s,  daß  die  Resektion  des  Zwölffingerdarms 
bei  Fröschen  einen  zum  Tode  führenden  Diabetes  erzeugt,  hat  trotz  der  Kürze 
der  seit  der  Veröffentlichung  verflossenen  Zeit  bereits  eine  große  Literatur 
gezeitigt.  Die  Nachprüfung  der  Pf lüger’schen  Resultate  an  verschiedenen 
Säugetieren  hat  jedoch  bei  der  Mehrzahl  der  Autoren  keine  Bestätigung  der 
Pflüger’schen  Resultate  ergeben;  es  kam  bei  ihnen  nicht  zu  einer  Glykosurie. 
Auch  die  beiden  italienischen  Arbeiten,  über  die  hier  zu  berichten  ist,  eine 
von  Tiberti  aus  dem  Institut  für  allgemeine  Pathologie  zu  Ferrara  und  eine 
von  Cimoroni  aus  dem  gleichen  Institut  zu  Rom,  kommen  zu  einer  Ab¬ 
lehnung  der  Pflüger’schen  Lehre.  Tiberti’s  Versuche  wurden  an  9  Hunden 
angestellt,  von  denen  keiner  Glykosurie  zeigte.  Allerdings  sind  seine  Resul¬ 
tate  nicht  ganz  eindeutig,  da  seine  Tiere  fast  alle  frühe  eingingen  (4  schon 
innerhalb  der  ersten  24  Stunden,  nur  einer  später  als  nach  96  Stunden),  so 
daß  man  einwenden  könnte,  daß  der  Diabetes  noch  hätte  kommen  können, 
wenn  sie  länger  gelebt  hätten,  oder  daß  sein  Eintritt  nur  durch  die  Kompli¬ 
kationen  (Blutungen,  Peritonitis)  verhindert  worden  sei.  Diese  Einwände  treffen 
aber  nicht  die  Versuche  Cimoroni’s,  der  bei  seinen  Tieren  sehr  radikal  vor¬ 
ging,  indem  er  außer  einem  Darmstück  von  23 — 24  cm  auch  noch  ein  Drittel 
des  Magens  wegnahm,  so  radikal,  daß  trotz  aller  Vorsicht  von  30  Hunden 
nur  vier  5 — 12  Tage  am  Leben  blieben,  von  denen  aber  keiner  auch  nur  eine 
Spur  Zucker  zeigte.  Sehr  bemerkenswert  ist  der  Einwand,  den  Tiberti 
gegen  Pflüger  erhebt,  daß  nach  seiner  Lehre  der  Erfolg  der  Pankreasim¬ 
plantationen  Minkowski’s  bei  pankreasberaubten  Tieren  nicht  zu  erklären 
wäre.  M.  Kaufmann. 


Über  den  Mangel  von  Relation  zwischen  Harnindikan  und  Kotindol. 

(W.  v.  Moraczewski,  Arch.  für  Verdauungskrankh.  Bd.  14.  H.  4.) 

v.  Moraczewski  faßt  das  Ergebnis  seiner  im  physiologischen  Institut 
zu  Lemberg  angestellten  Untersuchungen  wie  folgt  zusammen : 

1.  Es  wurde  eine  Methode  der  Indolbestimmung  im  Kot  ausgearbeitet. 

2.  Die  Ehrlich’sche  Reaktion  im  Kot  wurde  mit  der  Menge  des  Indols 
und  dem  Hydrobilirubin  in  Parallele  gebracht,  und  gefunden,  daß  —  soweit 
sie  nicht  von  der  abnormen  Gallensekretion  beeinflußt  wird  —  sie  der  Fäulnis¬ 
intensität  annähernd  parallel  geht. 


Referate  und  Besprechungen. 


127 


3.  Der  Indikangehalt  des  Harns  wurde  bei  normalen  Menschen  unter 
verschiedenen  Ernährungsweisen  mit  dem  Indol  des  Kotes  verglichen,  und 
dabei  ergab  sich  keine  einfache  Relation. 

4.  Der  Indolgehalt  wird  durch  Kohlehydrate  vergrößert,  durch  Eiwei߬ 
nahrung  und  Vegetabilien  heruntergedrückt.  Das  Urotropin  bewirkt  keine 
Verminderung  des  Kotindols. 

5.  Das  Indikan  des  Harns  wird  durch  Fett  erhöht,  durch  Eiweiß  herunter¬ 
gesetzt.  Kohlehydrate  wirken  je  nach  der  Menge  verschieden. 

6.  Genuß  von  Schilddrüse  bewirkt  eine  deutliche  Steigerung  des  Indi- 
kans,  ohne  die  Indolmenge  zu  beeinflussen. 

7.  Bei  Vergiftungen,  Fieber,  Tuberkulose,  Karzinom,  Diabetes  und  Leber¬ 
erkrankungen  ist  das  Harnindikan  vergrößert,  ohne  daß  dabei  das  Kotindol 
in  eine  einfache  Relation  zu  bringen  wäre. 

8.  Bei  Typhus  abdominalis  geht  das  Harnindikan  dem  Harnstickstoff, 
nicht  dem  Kotindol  parallel. 

9.  Zwischen  dem  Gehalt  an  Hydrobilirubin  im  Harn  und  Kot  be¬ 
steht  keine  einfache  Relation. 

10.  Es  wird  die  Vermutung  ausgesprochen,  daß  das  Harnindikan  von  der 
Art  der  Stickstoffzersetzung  und  von  der  Leberfunktion  in  Abhängigkeit  zu 
bringen  ist. 

11.  Bei  Herbivoren  ist  neben  viel  Harnindikan  gar  kein  Kotindol,  bei 
Hunden  neben  relativ  viel  Kotindol  wenig  Harnindikan. 

12.  Urotropin  bewirkt  eine  Herabsetzung  des  Indikans,  ohne  das  Indol 
des  Kotes  zu  beeinflussen. 

13.  Zwischen  Harnindikan  und  der  gebundenen  Schwefelsäure  besteht 
eine  ziemlich  konstante  Relation,  welche  bei  Vermehrung  des  Indikans  in 
dem  Sinne  geändert  wird,  daß  mehr  Indikan  entsteht,  als  der  Schwefelsäure 
entspricht 

14.  Reichlicher  Zusatz  von  Zucker  zur  Nahrung  bewirkt  eine  Ver¬ 
minderung  der  Harnsekretion.  M.  Kaufmann. 


Welchem  Organ  gehört  der  epigastrische  Druckpunkt  an? 

(S.  Jonas.  Verhandl.  des  25.  Kongr.  für  innere  Medizin,  S.  445 — 450.  Wiesbaden, 

J.  F.  Bergmann,  1908.) 

Wenn  jemand  klinisch  die  Zeichen  eines  Ulcus  ventriculi  darbietet 
und  beim  Eindrücken  unterhalb  des  Processus  xyphoideus  Schmerz  empfindet, 
so  ist  wohl  a  priori  jeder  geneigt,  an  der  schmerzhaften  Stelle  das  Ulcus 
zu  lokalisieren.  Dem  ist  aber  nicht  so:  Jonas  ließ  solche  Patienten  Wismut 
schlucken  und  konstatierte  dann  mit  Hilfe  der  Röntgenstrahlen,  daß  der 
Druckschmerzpunkt  außerhalb  des  Magens  fiel.  Bei  anderen  Pat.,  bei  denen 
zunächst,  der  epigastrische  Druckpunkt  in  den  Magenschatten  fiel,  schob 
er  durch  aktives  Einziehen  oder  passives  Eindrücken  des  Unterbauches  den 
ganzen  Magen  nach  oben :  der  Druckpunkt  blieb  aber,  wo  er  vorher  gewesen 
war,  gehörte  also  wiederum  nicht  dem  Magen  an.  Nur  beim  Sanduhrmagen 
ergab  sich  die  Identität  der  abdominalen  Schmerzzone  mit  dem  Magen ;  peri- 
gastrische  Prozesse  sind  dann  als  Ursache  anzunehmen. 

Welches  Organ  der  Sitz  jener  ,, epigastrischen“  Druckempfindlichkeit 
ist,  konnte  nicht  mit  Sicherheit  ermittelt  werden ;  wahrscheinlich  muß 
eine  Hyperalgesie  der  an  der  Wirbelsäule  liegenden  Organe  (Plexus  coe¬ 
liacus,  Lymphdrüsen)  angenommen  werden.  Buttersack  (Berlin). 


128 


Referate  und  Besprechungen. 


Chirurgie. 

Über  das  Panaritium  der  „Melker“. 

(Dr.  A.  Peiser,  Chir.  Universitäts-Klinik  Breslau.  Zentralbl.  für  Chir.,  Nr.  28;  1908.) 

P.  macht  auf  eine  Gewerbekrankheit  aufmerksam,  die  in  Breslau  häu¬ 
figer  zur  Beobachtung  kommt.  Es  handelt  sich  um  ein  Panaritium  der  Melker. 
Auf  der  schwieligen  Hand  bilden  sich  Risse;  im  Grunde  derselben  entwickeln 
sich  Hauterweichungen  und  kleine  Entzündungsherde,  die  dauernd  durch  das 
beim  Melken  erfolgende  Eindringen  feinster  klärchen  vom  Euter  der  Kühe 
gereizt  werden.  Die  Härchen  sind  von  heller  Farbe,  meist  nur  2 — 3  mm  lang. 
Solange  diese  nicht  entfernt  werden,  kommt  eine  Heilung  nicht  zustande.  Es 
ist  daher  notwendig,  bei  den  oft  chronisch  verlaufenden  Fällen  mit  Fistel¬ 
bildung  und  akuten  Exazerbationen  die  als  Fremdkörper  wirkenden  Härchen 
mit  dem  scharfen  Löffel  zu  excochleieren.  Wie  wichtig  die  Heilung  der  Melker¬ 
hände  vom  hygienischen  Standpunkte  aus  ist,  versteht  sich  von  selbst. 

Mellin  (Steglitz). 


Intraartikuläre  umschriebene  akute  Osteomyelitis  der  Synchrondrosis 
sacro-iliaca.  Operation,  Heilung  mit  guter  Funktion. 

(Dr.  Plagemann,  Chir.  Univ.-Klinik,  Rostock.  D.  med.  Wochenschr.,  Nr.  22,  1908.) 

■PI.  berichtet  über  einen  Fall  von  akuter  Eiterung  im  Gelenk  der  Syn¬ 
chrondrosis  sacro-iliaca  bei  einem  19  jährigen  Menschen,  als  Analogon  zu  den 
bekannteren  intraartikulären  Epiphysenosteomyelitiden  anderer  Gelenke.  Das 
gewöhnlich  maßgebende  Symptom  des  Beckenabszesses  fehlte  oder  fehlte  noch. 
Sofortige  Inzision  und  Drainage  führte  zur  Heilung  ohne  jede  Funktions¬ 
störung,  ähnlich  wie  bei  der  Frühoperation  kleiner  epiphysärer  Osteomyeli¬ 
tisherde  innerhalb  der  Gelenke  an  den  Extremitäten.  Härting  (Leipzig). 


Behandlung  knöcherner  Ellbogengelenk-Ankylosen  mittels  Überpflanzung 

von  ganzen  Gelenken. 

(Dr.  Buchmann,  St.  Petersburg.  Militärmedizinische  Akademie.  Zentralbl.  für 

Chir.,  Nr.  19,  1908.) 

B.  hat  in  2  Fällen  von  Ellbogengelenkankylose  nach  entsprechender 
Resektion  des  Gelenkes  das  I.  Metatarsophalangealgelenk  derselben  Person  in 
die  Wunde  transplantiert.  Es  handelte  sich  um  jugendliche  Individuen  (14 
resp.  19  jährige  junge  Mädchen).  Die  Beweglichkeit  des  Gelenks  wurde  er¬ 
halten.  Die  erzielten  aktiven  Bewegungen  lagen  innerhalb  eines  Winkels  von 
.30°  resp.  60°.  Die  Bewegungen  waren  schmerzlos;  auf  die  Funktion  des 
Fußes  hatte  die  Resektion  des  I.  Metatarsophalangealgelenkes  keine  schäd¬ 
lichen  Folgen  ausgeübt.  B.  beschreibt  den  Gang  der  Operation  genau  und 
-den  Krankengeschichten  sind  Röntgenphotographien  beigefügt. 

Mellin  (Steglitz). 


Zur  Sterilisation  von  Metallinstrumenten. 

(Fleury.  Gaz.  med.  de  Paris.  Serie  18,  Nr.  20,  S!  6,  1908.) 

Metallinstrumente  —  speziell  die  Nadeln  der  Pravazspritzen  —  lassen 
sich  am  besten  rostfrei  und  ohne  stumpf  zu  werden,  in  0,5%  Borsäure¬ 
lösung  aufbewahren  bezw.  sterilisieren. 

Fl  eu  ry  empfiehlt  diese  Methode  warm,  da  er  sie  seit  15  Jahren 
■erprobt  hat.  Buttersack  (Berlin). 


Referate  und  Besprechungen. 


129 


Die  mechanische  Entstehung  des  Plattfußes. 

(T.  Nakahara.  Arch.  für  phys.  Med.  u.  med.  Techn.  5.  Band,  S.  111—118. 

Leipzig,  O.  Nemnich,  1908.) 

Nach  den  Untersuchungen  des  japanischen  Kollegen  entsteht  der  Platt¬ 
fuß  sowohl  durch  Verlagerung  als  durch  Deformation  der  Fußknochen. 

Das  Fußgewölbe  sinkt  nicht  einfach  ein,  sondern  weicht  nach  allen 
Richtungen  hin  auseinander. 

Der  Talus  dreht  sich  um  eine  senkrechte,  in  axialer  Richtung  des 
Unterschenkels  durch  den  Talus  verlaufende  Axe  und  vollführt  dabei  eine 
Schraubenbewegung. 

Die  Veränderungen  der  übrigen  Fußwurzelknochen  bilden  die  Fort¬ 
setzung  der  am  Talus  eingeleiteten  Veränderungen.  Buttersack  (Berlin). 


Die  künstliche  Blutleere  der  unteren  Körperhälfte. 

(Dr.  Momburg,  Spandau.  Zentralbl.  für  Cliir.,  Nr.  23,  1908.) 

Um  Becken  und  oberen  Teil  des  Oberschenkels  beim  Menschen  blutleer 
zu  machen,  hat  M.  einen  Gummischlauch  um  die  Taille  anzulegen  den  Mut 
gehabt.  Ein  gut  fingerdicker  Gummischlauch  wird  dem  liegenden  Patienten 
unter  voller  Ausnutzung  der  Elastizität  langsam  in  mehrfachen  Touren  (ca.  2 
bis  4  genügen)  zwischen  Beckenschaufel  und  unteren  Rippenrand  umgelegt, 
bis  die  Pulsation  der  A.  femoralis  nicht  mehr  fühlbar  ist.  Darm  und  IJreteren 
vertragen  den  durch  die  Bauchdeeken  gemilderten  Druck;  der  Urinstaunng  ist 
keine  Bedeutung  zuzumessen.  Eine  wesentliche  Störung  der  Herztätigkeit 
tritt  im  Augenblicke  der  Abschwächung  nicht  ein;  die  stärkere  Alteration  bei 
Lösung  des  Gummischlauches  wird  durch  vorhergehende  Einzelabschnürimg  der 
Ober-  resp.  Unterschenkel  und  deren  sukzessives  Lösen  vermieden.  Eine  Blut¬ 
leere  des  Rückenmarks  ist  ausgeschlossen,  da  die  Schnürung  unterhalb  des 
unteren  Endes  des  Rückenmarks  erfolgt. 

Beim  Tiere  verhält  sich  dies  anders.  M.  verfügt  erst  über  wenige 
Beobachtungen,  2  Gesunde  vertrugen  den  Eingriff  ohne  jede  Schädigung 
5  Min.;  in  2  operativen  Fällen  lag  der  Schlauch  43  Min.,  resp.  18  Min.; 
die  Methode  bewährte  sich  in  beiden  Fällen.  Der  Praktiker  wird  meines 
Erachtens  vorläufig  gut  tun,  diese  Methode  den  Klinikern  zu  überlassen. 

Mellin  (Steglitz). 


Ein  einfaches  Mittel  gegen  Erbrechen  beim  Ätherrausche. 

(Prof.  Ritter,  Greifswald.  Chir.  Universitäts-Klinik.  Zentralbl.  für  Chir.,  Nr.  28,  1908.) 

Um  das  Erbrechen  nach  dem  Ätherrausche  sicher  zu  vermeiden,  hat  R. 
bei  gleichzeitiger  Tieflegung  des  Oberkörpers  durch  die  Stauung  am  Halse 
einen  vollen  Erfolg  erzielt  (62  Fälle).  Durch  die  Stauung  wird  die  Blut¬ 
fülle  des  Gehirns  wesentlich  vermehrt.  Ob  nun  durch  die  Hyperämie  das 
Äthergift  schneller  aus  dem  Gehirn  fortgeschafft  wird,  oder  ob  das  Gift  daun 
nicht  mehr  so  einwirken  kann,  bleibt  dahingestellt.  Ein  Versuch  hat  ergeben, 
daß  umgekehrt  ein  Mensch,  der  eine  Stauung  am  Halse  trägt,  sehr  schwer 
zu  narkotisieren  ist.  Mellin  (Steglitz). 


Perhydrol  und  Natrium  perboricum  in  der  Chirurgie. 

(Generaloberarzt  Herhold,  Brandenburg.  Deutsche  med.  Wochenschr.,  Nr.  25, 1908.) 

Wasserstoffsuperoxyd  ist  in  der  Chirurgie,  Zahnheilkunde  und  Ohren¬ 
heilkunde  unentbehrlich  geworden  wegen  seiner  desinfizierenden,  desodorie¬ 
renden  und  die  Tampons  lösenden  Eigenschaft  ;  dabei  ist  von  Wert,  daß  es 
absolut  nicht  reizt  und  die  Gewebe  gar  nicht  angreift.  Für  die  gewöhnliche 
Wundbehandlung  nimmt  man  3%ige  Lösungen;  es  wirkt  durch  die  andauernde 

9 


130 


Referate  und  Besprechungen. 


Entwicklung  von  aktivem  Sauerstoff.  Bringt  man  es  in  dieser  3°/0igen 
Verdünnung  auf  Wunden,  so  wird  es  unter  Schaumbildung  zersetzt,  und 
in  den  aus  Sauerstoff  und  Wundsekreten  bestehenden  Blasen  werden  Bak¬ 
terien,  Eiter.  Blutklümpchen  usw.  mit  in  die  Höhe  gerissen.  Bruns  hält 
die  Desinfektionskraft  des  3%igen  Wasserstoffsuperoxyds  der  des  l%o 
Sublimats  gleich.  Vor  Sublimat  hat  es  den  Vorteil,  daß  es  die  Gewebe  absolut 
nicht  angreift.  Ein  Nachteil  des  Wasserstoffsuperoxyds  liegt  in  der  leichten 
Zersetzbarkeit  der  gebräuchlichen  3%igen  Lösungen,  und  diese  allein  kommen 
für  den  Handel  in  Betracht,  da  die  hochprozentigen  (80 — 900/0igen)  wegen 
ihrer  Explosionsgefahr  nicht  transportabel  sind.  Um  diesen  Übelständen  ab¬ 
zuhelfen,  hat  Merck  in  Darmstadt  ein  30%iges  Wasserstoffsuperoxyd  in 
den  Handel  gebracht,  unter  dem  Namen  Perhydrol,  welches  transportabel 

und  lange  Zeit  haltbar  sein  soll.  Es  kostet  allerdings  pro  Kilo  50  Mark. 

Man  verdünnt  dieses  Perhydrol  demnach  mit  der  neunfachen  Menge  destil¬ 
lierten  Wassers,  um  eine  3%ige  Wasserstoffsuperoxydlösung  zu  haben.  Leider 
zersetzt  sich  aber  auch  das  Perhydrol  bei  höheren  Temperaturen.  Deshalb 
hat  ein  französischer  Apotheker  versucht,  eine  dem  H202  ähnliche  Lösung 
herzustellen  aus  einem  Salze,  dem  Natrium  perboricum.  Dieses,  ein  weißes 
Pulver,  wird  durch  Licht  nicht  alteriert,  verträgt  Temperaturen  bis  50°, 
und  eignet  sich  deshalb  vor  allem  in  heißen  Gegenden  (Algier,  Tunis)  als 

Ersatz  des  bei  Hitze  leicht  zersetzbaren  Wasserstoffsuperoxyd,  und  zwar 

in  2%iger  Lösung.  Diese  entspricht  einer  0,4%igen  Wasserstoffsuperoxyd¬ 
lösung.  Einer  2— 3°/0igen  Wasserstoffsuperoxydlösung  entspricht  eine  8%ige 
Natriumperboratlösung,  der  man  jedoch  3  g  Borsäure  hinzufügen  muß. 

Härting  (Leipzig). 


Augenheilkunde. 

Experimentelle  Untersuchungen  über  die  bakteriolytische  Wirkung  der 
Galle  und  ihrer  Salze  gegenüber  den  augenpathogenen  Keimen. 

(V  er  der  am  e  u.  Weekers.  Klin.  Monatsbl.  für  Augenheilk.,  September  1908.) 

Es  ist  nichts  Neues,  daß  oft  die  Therapie  vergangener  Zeiten  nach  Jahr¬ 
zehnte-  und  jahrhundertelanger  Verbannung,  während  der  sie  oft  nur  als 
Volksmittel  ein  kümmerliches,  von  Fachseite  spöttisch  behandeltes  Dasein 
führte,  zu  neuen  Ehren  gelangt  und  schnell  nun  ihrerseits  das  bisher  Aner¬ 
kannte  streng  aus  der  Nähe  des  wieder  eingenommenen  Thrones  bannt.  So  hat 
auch  die  Anwendung  der  Galle  ein  wechselvolles  Schicksal  von  Anerkennung 
und  Verachtung  gehabt.  Aus  früheren  Jahrhunderten  und  noch  heutigen 
Tages  von  südamerikanischen  Naturvölkern  erfahren  wir  von  Anwendung  der 
Galle  bei  Augenentzündungen.1)  Man  rückte  ihr  nun  experimentell  zu  Leibe 
und  fand,  daß  sie  für  bestimmte  Bakterien  einen  vorzüglichen  Nährboden 
darstellt,  z.  B.  für  Typhusbazillen,  daß  sie  dagegen  auf  den  Diplokokkus 
Eränkel  (Pneumokokkus)  eine  spezifisch  bakteriolytische  Wirkung  ausübt, 
so  daß  man  diese  Wirkung  differentialdiagnostisch  zur  Erkennung  dieses 
Kokkus  und  einer  Abart  von  ihm,  des  Streptococcus  mucosus,  neben  anderen 
Bakterien  anwandte.  Die  Versuche  aber  waren  mit  reinen  Kulturen  vorgenom¬ 
men.  Verderame  und  Weekers  untersuchten  deshalb  weiter  die  Einwirkung 
von  frischer  Galle  sowohl  wie  auch  von  Taurochol-  und  Glycochollsäure  auf 
Pneumokokken,  die  in  Exsudatflocken  oder  Eiter  gelegen  waren  und  stellten 
fest,  daß  eine  Einwirkung  im  Sinne  der  Bakteriolyse  zwar  unverkennbar  ein- 
tritt  (und  zwar  in  gleicher  Weise  bei  taurocholsaurem  wie  glycoehollsaurem 
Natrium,  anscheinend  stärker  noch  bei  reiner  Galle!),  daß  sie  jedoch  nicht 
stark  genug  ist,  um  eine  therapeutische  Verwendung  zu  rechtfertigen.  — 


1)  Anmerkung:  Vgl.  die  in  der  Bibel  geschilderte  Heilung  der  Blindheit 
des  Tobias:  „Da  nahm  T.  von  der  Galle  des  Fisches  u.  salbete  dem  Vater  seine 
Augen  .  .  .  u.  alsobald  ward  er  wieder  sehend.“ 


Referate  und  Besprechungen. 


131 


Da  man  bisher  auch  mit  dem  Serum  von  Römer  bei  der  Behandlung  des  durch 
Pneumokokken  erzeugten  Ulcus  corneae  serpens  praktisch  nicht  viel  weiter 
gekommen  ist,  so  bleibt  die  Methode  der  Kauterisation  als  des  sichersten  bak¬ 
terientötenden  Mittels  vorläufig  noch  die  brauchbarste. 

Enslin  (Brandenburg  a.  H.). 


Über  neuere  Augenheilmittel. 

(G.  Bock,  Laibach.  Allg.  Wiener  med.  Ztg.,  Nr.  35—37,  1908.) 

B.  will  dem  Praktiker  seine  Erfahrungen  mit  den  Mitteln  bekannt  geben, 
die  sich  ihm  in  jahrelangem  Gebrauch  bewährt  haben. 

Akoin.  B.  kommt  im  allgemeinen  mit  Kokain  und  Holokain  aus  und 
verwendet  Akoin  nur  als  l°/0iges  Akoinöl  bei  heftigen  Schmerzen  wegen 
Ulcus  corneae  oder  Iritis,  mehrmals  täglich  3 — 4  Tropfen  (nicht  ganz  sichere 
Wirkung). 

Adrenalin  verwendet  er  in  Verbindung  mit  Holokain  hauptsächlich 
zur  Anämisierung  und  Anästhesierung  der  Konjunktiva  vor  der  Kauterisation 
des  Ulc.  serpens.  Adrenalin  kann  ferner  zur  vorübergehenden  Anämisierung 
geröteter  Konjunktivae  aus  kosmetischen  Rücksichten  gebraucht  werden.  Bei 
Erblindungen  nach  Glaukom  und  Hornhautnarben  mit  vorderen  Synechien 
wurde  durch  Adrenalin  Nachlaß  der  Schmerzen,  Weicherwerden  und  Schrumpfen 
des  Augapfels  erzielt.  (Die  stets  eintretenden  Trübungen  der  Lösung  waren 
ohne  Einfluß  auf  ihre  Wirksamkeit.)  Das  synthetisch  dargestellte  Adrenalin 
ist  dein  früheren  gleichwertig. 

Airol  kann  das  Jodoform  nicht  ersetzen,  wird  aber  mit  Mucil.  gummi, 
Glyzerin  ää  und  Bolus  9,5  versetzt,  vorteilhaft  als  Deckpaste  bei  Lidwunden 
benutzt. 

Alcohol  absolutus  dient  zu  Verbänden  bei  Eiterungen  der  Hornhaut, 
die  diese  bereits  vernichtet  haben  und  bei  eitriger  Iridochorioiditis,  beide  Male 
bei  drohender  Panophthalmier  Gegen  die  danach  eintretende  Hautvertrocknung 
hilft  Borvaselin. 

Arecolin.  hydrobromic.  1%  wirkt  milder  als  Eserin  und  sicherer 
als  Pilokarpin  miotisch. 

Aristol  als  10%iges  Öl  bei  Erosio  corneae  nach  Verletzungen,  Fremd- 
körpejentfernung,  Ekzem  der  Hornhaut.  Es  werden  2 — 3  Tropfen  eingeträufelt, 
die  eine  Deckschicht  auf  den  Erosionen  bilden.  Verband  ist  überflüssig.  Bei 
gewöhnlichem  Hornhautgeschwür  ist  es  dagegen  unsicher,  bei  progressivem 
sogar  schädlich. 

Cuprocitroi  (Cuprum  citric.  5 — 10%  mit  Ung.  glycerini)  übertrifft 
bei  vorgeschrittenen  Trochomfällen,  besonders  bei  gleichzeitigem  Pannus,  jedes 
andere  Verfahren.  Es  ist  schmerz-  und  reizlos,  bildet  keinen  Schorf,  wirkt 
nicht  berufsstörund  und  kann  dem  Kranken  in  die  Hand  gegeben  werden. 
Ein  Tropfen  wird  mit  dem  Glasstäbchen  in  den  Bindehautsack  gebracht  und 
durch  leichtes  Reiben  der  Lider  verteilt. 

Dermatol,  Deckmittel  nach  Bindehautoperationen  (Pterygium,  Neu¬ 
bildung),  Verbrennungen,  Verätzungen,  ferner  bei  Conjunctivitis  membranacea. 

Dionin  wirkt  bei  älteren  Maculae  corneae,  Keratitis  interstitialis  und 
deren  Folgen  als  „lymphstaue.ndes“  Mittel.  'Bei  eitrigen  Hornhauterkran- 
kungen,  Skleritis  usw.  ist  es  zu  vermeiden,  bei  Iritis  zu  versuchen.  In 
Verbindung  mit  Atropin  kann  es  alte  Synechien  zum  Zerreißen  bringen  (7  Mi¬ 
nuten  nach  letzterem  eingeführt,  ferner  dient  es  mit  Erfolg  bei  Glas¬ 
körpertrübung,  Netz-  und  Aderhautblutung,  Chorioretinitis  exsud.  centr.  zur 
Verbesserung  des  Sehvermögens.  Bei  Netzhautabhebung  wirkt  es  nur  vor¬ 
übergehend. 

Man  bringt  am  besten  eine  stecknadelkopf große  Menge  des  Pulvers  auf 
die  untere  Übergangsfalte,  muß  den  Patienten  auf  die  dann  folgende  Lichtscheu, 
Tränensekretion,  Schwellung  usw.  aufmerksam  machen,  die  von  einer  bis  zu 
24  Stunden  anhalten  können.  Bei  Abschwächung  der  Wirkung  sind  mehr- 

9* 


132 


Referate  und  Besprechungen. 


tägige  Pausen  zu  machen.  Man  schafft  sich  am  besten  immer  nur  je  0,5  g  an. 

Holocain.  hydrochl.  zieht  B.  als  Lokalanästhetikum  für  das  Auge 
(1-  oder  2°/0ige  Lösung)  allem  anderen  vor,  weil  es  nicht  epithelschädigend, 
austrocknend,  gefäßverändernd  usw.  wirkt. 

Hg.  oxycyana,t.  ist  in  Lösung  von  1:2000  das  beste,  unschädlichste 
Reinigungsmittel  für  das  Auge,  greift  außerdem  nicht  die  Instrumente  an, 
wie  es  das  Sublimat  tut.  Man  bedient  sich  am  besten  der  mit  Methylenblau 
gefärbten  Pastillen. 

Hg  praec.  flav.  u.  alb.  ist  Bestandteil  der  empfehlenswerten  Schwei- 
ssinger’schen  Salbe. 

Itrol  ist  wegen  seiner  ungeheueren  Luft-  und  Lichtempfindlichkeit, 
die  es  sofort  in  einen  reizungserregenden  Körper  umwandelt,  höchstens  bei 
verschleppter  Blennorrh.  neonat.,  wenn  andere  Mittel,  die  noch  reizender 
wirken,  nicht  vertragen  werden  und  bei  zerfallenen,  schlecht  heilenden  Phlyk¬ 
tänen  zu  brauchen. 

Iequiritol,  das  eventuell  bei  hartnäckigem  Pannus  verwandt  werden 
könnte,  eignet  sich  wegen  der  zuweilen  eintretenden  starken  Entzündung 
nur  für  Spitalgebrauch. 

Statt  subkonjunktivalen  NaCl-in  j  ektionen  verwendet  B.  jetzt  nur 
noch  Dionin. 

Mitin  ist  gute  Salbengrundlage,  kann  für  sich  allein  bei  Lidrandekzem 
verwendet  werden. 

Perhyclrol  dient  in  1 — 3%iger  Lösung  als  Desinfizienz  (verdiente 
aber  auch  sonst  mehr  Beachtung,  Ref.). 

Salocreol  ist  bei  Gesichtsrose  empfehlenswert  als  Einreibung. 

Scopolamin.  hydrochlor.  und  -bromic.  ist  in  l°/0oiger  Lösung 
ein  gutes  Mydriatikum  und,  außer  bei  Iritis,  wo  es  nicht  stark  genug  wirkt, 
statt  Atropin  zu  verwenden.  Es  hält  sich  ausgekocht  lange  und  beeinflußt 
die  inneren  Augenmuskeln  kürzer  als  Atropin. 

Sophol  in  5 — 10°/0iger  Lösung,  Formalin- Silberpräparat  ohne  Tiefen¬ 
wirkung  und  Reizung,  ist  bei  eitrigen  Konjunktivalerkrankungen  zu  brauchen, 
z.  B.  zum  Bestreichen  der  ektroponierten  Lider  mit  Wäschebäuschchen  statt  des 
Crcde’schen  Verfahrens.  Es  macht  in  der  Wäsche  braune  Flecken. 

Xeroform  zum  Bestäuben  von  Lidschrunden  usw.,  zerfallenen  Kon- 
junktivalphlyktänen,  Ule.  corneae,  bei  Pannus  skrof.  und  Keratitis  faszicul., 
wo  wegen  der  reichlichen  Gefäßentwicklung  Atropin  und  Kalomel  kontra¬ 
indiziert  sind.  Sehr  gut  wirkt  es  auch  bei  Frühlingskatarrh  und  Katarrhen 
des  Tränensackes. 

An  innerlichen  Mitteln  sah  B.  gutes  von  Antisclerosin  bei  Netzhau  t- 
blutungen,  von  Aspirin  bei  Schwitzkuren,  als  Antirheumatikum,  bei  Neur- 
alg.  trigemini.  (2 — 3 mal  tgl.  0,5,  nicht  nüchtern).  Für  Jodkuren  dienen 
Sajodin,  Jodipin,  Jothion,  letzteres  auch  äußerlich  als  10 — 20°/0ige  Stirnsalbe. 
Pyramidon  0,33  dient  mit  Vorteil  gegen  die  Schmerzen  bei  Iritis,  Glaukom 
usw.,  Validol  bei  Flimmerskotom.  Esch. 


14°/0  Kochsalzlösung  für  Augenspülungen. 

(Cantonnet.  Tribüne  med.,  S.  492,  1908.) 

C  an  tonnet  hat  sich  gesagt,  daß  die  Tränen  die  dem  Auge  adäquate 
Flüssigkeit  sein  müsse;  und  da  die  Tränen  14%  NaCl  enthalten,  so  wendete 
er  solche  Lösungen,  35°  warm,  in  der  Augenklinik  des  Hotel-Dieu  yn.  Auch 
Cerise,  Coutela  und  Bourdier  folgten  ihm  hierin. 

Die  Lösung  bewährte  sich  ausgezeichnet,  war  den  Pat.  höchst  angenehm, 
ließ  Hornhaut-  und  Bindehautstückchen  völlig  intakt;  Infektionen  oder  sonstige 
unangenehme  Zufälle  kamen  nicht  vor.  Destilliertes  Wasser  dagegen  wurde 
schlecht  ertragen.  Buttersack  (Berlin). 


Referate  und  Besprechungen. 


133 


Medikamentöse  Therapie. 

Über  Santyl  in  der  Gonorrhoe -Therapie. 

(Bosellini,  Bologna.  Newyorker  med.  Monatsschr.,  Nr.  8,  1908.) 

Um  die  Reizwirkung  der  in  den  Balsamicis  enthaltenen  Terpene,  Terpen¬ 
alkohole  und  Harzsäuren  auszuschalten,  wandelt  man  dieselben  nach  Vieth 
durch  Einwirkung  v.  aromatischen  Säuren  in  neutrale  zusammengesetzte  Ester 
um.  Unter  den  neuen  Körpern  sah  Vieth  den  Salizylsäureester  des  Sandelöls 
als  den  zweckentsprechensten  an. 

Das  Santyl  ist  ein  öliger,  klarer  Körper  ohne  unangenehmen  Geschmack, 
der  in  Tropfenform  gegeben  werden  kann  (30 — 100  Tropfen  pro  die).  Es  be¬ 
sitzt  nach  B.’s,  durch  Krankengeschichten  belegten  Untersuchungen  bei  den 
akuten  blenorrhoischen  Erkrankungen  der  unteren  Harnwege  eine  beruhigende, 
schmerzstillende,  entzündungswidrige  Wirkung,  verflüssigt  und  verringert 
das  Sekret,  mildert  die  Schmerzen,  das  Brennen  und  den  Tenesmus  und  hat 
einen  günstigen  Einfluß  auf  die  Pollutionen  und  Erektionen. 

Im  Verein  mit  der  Santylmedikation  ist  jedoch  eine  Lokalbehandlung 
unerläßlich. 

Bemerkenswert  ist  endlich  nach  Bosellini,  daß  das  Santyl  eine  event. 
Reizwirkung  der  lokalen  Therapie  abschwächt  und  dadurch  der  Gefahr  vor¬ 
beugt,  daß  die  akute  Urethritis  anterior  zur  posterior  wird.  Es  macht 
keinerlei  Störungen,  weder  des  Verdauungstraktus  noch  der  Nieren. 

Esch. 


01.  jecoris  Aselli  bei  Parotitiden. 

(Dr.  Wechsler,  Cherson*  Praktitscheski  Wratsch,  Nr.  31,  1908.) 

Jene  Entzündungen  der  Parotis,  die  als  Komplikationen  von  Typhus 
und  Erysipel  auftreten,  sollen  durch  äußerliche  Anwendung  von  Lebertran 
rasch  beseitigt  werden.  Ein  Stück  Gaze  mit  weißem  Lebertran  getränkt,  wird 
über  die  entzündete  Drüse  gelegt,  mit  Billrothbattist  und  Watte  bedeckt, 
und  das  Ganze  gut  verbunden.  Zweimal  in  24  Stunden  wird  der  Umschlag 
gewechselt.  Schon  am  nächsten  Tage  ist  die  Empfindlichkeit  bedeutend  ge¬ 
ringer,  am  folgenden  Tage  fällt  die  Geschwulst,  und  nach  5 — 6  Tagen  ist 
die  Entzündung  abgelaufen.  Nur  ausnahmsweise  kommt  es  zur  Inzision,  so¬ 
bald  nämlich  Fluktuation  deutlich  nachzuweisen ;  doch  in  der  Mehrzahl  seiner 
Fälle  sah  W.  Rückbildung  der  Entzündung  nach  5 — 6  Tagen.  Je  früher  man 
mit  den  Umschlägen  beginnt,  desto  sicherer  der  Erfolg.  Das  Wirksame  er¬ 
blickt  W.  nicht  etwa  nur  in  der  Applikationsform,  denn  auch  nach  bloßer 
Einfettung  mit  Lebertran,  der  älteren  —  von  einem  russischen  Kliniker  ge¬ 
übten  —  Methode,  hat  W.  günstige  Wirkungen  gesehen,  weshalb  er  dem 
Lebertran  als  solchem  einen  heilsamen  Einfluß  zuschreibt. 

Brecher  (Meran-Gastein). 


Über  die  Anwendung  organischer  Eisenpräparate. 

(Apostolides.  Folia  Therapeutica,  Nr.  3,  1908.) 

Verf.  erinnert  an  die  Versuche  von  Bunge,  nach  welchen  die  organi¬ 
schen  Eisen  Verbindungen  besonders  in  der  Form,  wie  sie  im  tierischen  Körper 
vorliegen,  Heilmittel  von  hervorragender  Bedeutung  sind.  Man  hat  sich  bis 
dahin  mit  den  anorganischen  Eisenpräparaten  behelfen  müssen,  deren  Wirkung 
auf  den  Magen,  die  Eingeweide  und  auch  für  die  Zähne  oft  schädigend  ist. 
Seit  den  Bunge’schen  Versuchen  sind  die  verschiedensten  organischen  Eisen¬ 
präparate  besonders  in  Deutschland  und  Frankreich  dargestellt  worden. 

Apostolides  hat  sich  besonders  für  die  von  Schmiedeberg  ent¬ 
deckte  Eisenalbuminsäure  interessiert,  von  der  erwie'sen  ist,  daß  sie  dem 
Hämoglobin  am  ähnlichsten  ist,  im  Organismus  kein  Eisen  abspaltet  und  leicht 
resorbiert  wird.  Diese  Säure  wird  von  der  Firma  C.  F.  Böhringer  &  Söhne, 
Mannheim,  künstlich  hergestellt  und  unter  dem  Namen  Ferratin  in  den 


134 


Referate  und  Besprechungen. 


Handel  gebracht.  Mit  diesem  Ferratin  resp.  seiner  flüssigen  .Form,  der 
Ferratose,  sowie  mit  den  Kombinationen  Arsenferratose  und  Jodferratose 
hat  Yerf.  in  Gemeinschaft  mit  seinem  Bruder  im  Zivil  -Ottoman -Hospital 
versuchsweise  Anämie,  anämische  Zustände,  Chlorose  und  Schwächezustände 
behandelt.  Es  konnte  jedesmal  eine  Hebung  der  Kräfte  und  eine  Besserung 
des  Allgemeinbefindens  festgestellt  werden,  so  daß  die  Behandelten  in  ver¬ 
hältnismäßig  kurzer  Zeit  wieder  arbeitsfähig  waren.  Ganz  besonders  haben 
sich  die  Präparate  bei  der  Behandlung  von  Anämie  infolge  von  Malaria  be¬ 
währt.  Unter  gleichzeitiger  Anwendung  von  Chinininjektionen  konnten 
regelmäßig  und  in  kurzer  Zeit  die  Krankheitserscheinungen  behoben  werden. 
Apostolides  gebraucht  daher  seit  Jahresfrist  nur  noch  die  Ferratose- 
präparate  gegen  die  durch  Malaria  erzeugte  krankhafte  Blutbeschaffenheit. 
V erdauungsstörungen  traten  beim  Gebrauch  der  Mittel  niemals  auf.  Be¬ 
zeichnend  ist  der  Krankheitsfall  eines  jungen  Mädchens,  welches  ohne  nach¬ 
weisbaren  organischen  Fehler  an  allgemeiner  Schwäche,  schlechter  Ver¬ 
dauung,  Kopfschmerz,  blassem  Aussehen  usw.  litt;  andere  Eisenpräparate 
schafften  keine  Besserung  in  ihrem  Befinden.  Eine  fünfmonatliche  Behand¬ 
lung  mit  Arsenferratose  stellte  sie  vollständig  wieder  her. 

Verf.  führt  dann  die  Erfolge  an,  welche  Trousseau,  Litten  und 
Moritz,  letzterer  besonders  mit  reinem  Ferratin,  mit  der  Eisenbehandlung 
bei  Anämie  der  Tuberkulösen  erzielt  haben,  und  empfiehlt  schließlich  die 
Arsenferratose  gegen  chronische  Ekzeme,  die  durch  Chlorose  oder  Anämie 
erzeugt  worden  sind.  Neumann. 


Der  therapeutische  Wert  des  Ichthyols  bei  der  Pockenbehandlung. 

(Dr.  Dudtschenko-Kolbassenko.  Praktitscheski  Wratsch,  Nr.  32,  1908.) 

Im  Eruptionsstadium  der  Variola  soll  Ichthyolsalbe  imstande  sein,  die 
Vereiterung  der  Papeln  und  somit  das  Sekundärfieber  zu  verhüten,  ja  selbst 
im  Anfang  des  Suppurationsstadiums,  so  versichert  der  Autor,  soll  das  Mittel 
noch  nützen,  indem  es  die  Eiterung  beschränkt  und  die  Periode  des  Eiterfiebers 
abkürzt.  Dagegen  sei  es,  auf  der  Höhe  des  Eiterungsstadiums  angewandt, 
wertlos,  also  kein  Mittel  zur  Behandlung  der  Pusteln ;  wohl  aber  könne  eine 
derartige,  weil  verspätete,  darum  auch  erfolglose  Behandlung  den  Wider¬ 
spruch  erklären,  dem  der  Vorschlag  des  Verfassers  mehrfach  begegnet  sei. 
Er  selbst  will  mit  seinem  Verfahren  Rückbildung  der  Papeln  unter  end¬ 
gültiger  Entfieberung  und  Heilung  ohne  Hinterlassung  von  Narben  erzielt 
haben.  Leider  kann  die  betreffende  Krankengeschichte  dem  Leser  nicht  die 
volle  Sicherheit  geben,  daß  es  sich  tatsächlich  um  Variola  handelte.  Indessen 
können  sich  die  Behauptungen  des  russischen  Arztes  wohl  noch  auf  andere 
Beobachtungen  stützen,  denn  er  ist  mit  seiner  der  Spitalpraxis  entstammenden 
Therapie  schon  bei  früherer  Gelegenheit  hervorgetreten.  Jedenfalls  ist  die 
äußerst  einfache  Methode  wert,  nachgeprüft  zu  werden.  Man  verwendet  20% 
Ichthyol-Lanolin  (mit  geringem  Zusatz  gelben  Vaselins  zur  Erzielung  der  rich¬ 
tigen  Konsistenz).  Alle  erythematösen  und  papulösen  Stellen  werden  dreimal 
täglich  mit  dieser  Salbe  eingefettet.  Brecher  (Meran-Gastein). 


Über  kombinierte  Theobromin-  und  Jodbehandlung. 

(N.  Jagic.  Med.  Klinik,  Nr.  14,  1908.) 

Auf  Anregung  von  Noordien’s  haben  die  vereinigten  Chininfabriken 
Zimmer  &  'Co.  ein  Präparat  hergestellt,  daß  eine  Theobrominnatrium- Jodnatrium- 
Verbindung  in  Form  eines  Doppelsalzes  darstellt.  Das  Präparat,  das  unter 
dem  Namen  Eustenin  in  den  Handel  kommt,  wird  in  Dosen  von  0,5  bis  1,0 
in  Pulver  oder  Lösung  und  eventuell  als  Klysma  verabreicht;  die  Lösung 
darf  nicht  mit  Zucker  als  Korrigens  zusammengesetzt  werden,  sondern  ist 
event.  unter  Zusatz  von  Saccharin  herzustellen;  es  wird  auch  eine  fertige 
Lösung  derart  mit  weiterem  Zusatz  von  Orangenblütenwasser,  die  teelöffel- 


Referate  und  Besprechungen. 


13,5 

<i  i 

weise  gegeben  wird,  von  der  Firma  hergestellt.  Das  Mittel  dürfte  da,  wo 
eine  Verbindung  der  Jodbehandlung  mit  Theobromin  wünschenswert  erscheint, 
also  in  zahlreichen  Fällen  von  Arteriosklerose,  speziell  der  Coronararterien 
angezeigt,  sein,  und  hat  sich  in  entsprechenden  Fällen  bewährt  in  Tages¬ 
gaben  von  2,5  g  an  der  Klinik  von  Noorden.  R.  Stüve  (Osnabrück). 


Röntgenologie  und  physikalische  Heilmethoden. 

Eine  neue  Anwendung  der  Röntgenstrahlen. 

(Ing.  Friedrich  Dessauer,  Aschaffenburg.  Münch,  med.  Wochenschr.,  Nr.  26,  1908.) 

Behandelt  das  gleiche  Problem  wie  der  gleichnamige  Aufsatz  in  dem  in 
Nr.  1,  1909  besprochenen  Buche,  gibt  aber  noch  weitere  Einzelheiten  über  die 
Methode,  speziell  über  die  Anbringung  eines  Glasfilters,  durch  welches  die  noch 
entstehenden  „weichen“  Rö!n t genstrahlen  abgefangen,  und  indem  sie  eine  sehr 
harte  Sekundärstrahlung  erzeugen,  noch  weiter  zweckmäßig  verwendet  werden. 
Bei  der  großen  Wichtigkeit  der  homogenen  Tiefenbestrahlung  für  die  Be¬ 
handlung  interner  Karzinome  und  Sarkome  ist  es  zu  bedauern,  daß  die 
Dessauer’sche  Anordnung  noch  nicht  in  größerem  Maßstabe  am  Materiale 
eines  großen  Krankenhauses  erprobt  worden  ist.  C. 


Die  Röntgenuntersuchung  des  Magens. 

(M.  Faulhaber.  Arch.  für  physik.  Medizin  u.  medizin.  Technik,  4.  Bd.,  H.  1/2. 

Leipzig,  O.  Nemnich,  1908.) 

Immer  mehr  erobern  sich  die  Röntgenstrahlen  einen  Platz  in  der  Dia¬ 
gnostik.  Zog  man  sie  zu  Anfang  nur  bei  den  Erkrankungen  des  Herzens 
und  der  Lungen  zu  Hilfe,  so  erhellt  aus  der  eingehenden  Arbeit  von  Faul- 
haber  ihre  Bedeutung  für  die  Beurteilung  der  Magenstörungen.  Natürlich 
gehört  zum  Deuten  von  Röntgenbildern  ebenso  eine  gründliche  Schulung, 
wie  zur  Deutung  der  Auskultations-  und  Perkussionsergebnisse;  was  da  alles 
zu  beachten  ist,  findet  sich  in  der  Abhandlung  ausführlich  und  instruktiv 
niedergelegt.  Hier  sei  nur  kurz  der  Gang  einer  Röntgenuntersuchung 
skizziert. 

1.  Untersuchung  des  leeren  Magens:  Der  nüchterne  Pat.  wird 
im  Stehen  dorsoventral  durchleuchtet.  Beachtung  der  Fundusblase  unter 
Drehung  nach  links. 

Pat.  trinkt  dann  30 — 50  ccm  Kästle’scher  Bismutaufschwemmung 
(10  g  Bism.  -J-  20  g  Bolus  alba  -j-  50  g  Wasser);  Röntgenoskopie  während 
des  Trinkens.  Man  achte  darauf,  ob  nicht  ein  Teil  der  Aufschwemmung 
den  Pylorus  verläßt  und  ins  Duodenum  läuft.  Man  fertige  eine  Schirm¬ 
pause  des  dorsoventralen  Füllungsbildes;  insbesondere  des  Flüssigkeitsstandes. 
Während  der  Durchleuchtung  drehe  sich  Pat.  um  seine  Achse. 

Versuch,  den  Mageninhalt  ins  Duodenum  zu  pressen;  Beobachtung  des 
Pylorus. 

Beobachtung  des  Magens  beim  Atmen  und  beim  Spiel  der  Bauch¬ 
muskeln  ;  man  taste  dabei  den  Magen  ab. 

Orthoröntgenographische  Markierung  der  kaudalen  Magengrenze  auf 
der  Haut. 

Dauer  dieser  Sitzung:  10 — 15  Minuten. 

2.  Untersuchung  des  gefüllten  Magens:  Der  nüchterne  Pat.  wird 
durchleuchtet,  um  zu  sehen,  ob  noch  etwas  von  dem  gestern  genommenen 
Bi.  sichtbar  ist;  eventuell  trifft  man  den  sog.  „kausalen  Halbmond“. 

Pat.  nimmt  die  Rieder’sche  Mahlzeit  (500  g  Brei-)- 30  bis  40g  Bism. 
subnitr.).  Besichtigung  und  Durchpausen  des  dorsoventralen  Bildes  unter 
gleichzeitigen  Drehungen. 


186 


Referate  und  Besprechungen. 


Prüfung  der  Verschieblichkeit  des  Magens  durch  Respirationen,  Vor¬ 
wölben  und  Einziehen  des  Bauches. 

Schirmpalpation,  um  zu  sehen,  ob  die  Magenwand  jedem  Fingereindruck 
prompt  ausweicht.  Versuch,  den  Bismutbrei  ins  Antrum  pylori  hineinzu¬ 
drängen. 

Beachtung  der  Peristaltik  an  der  Kurvatur  und  am  Antrum  pylori. 

Dauer:  20 — 25  Minuten.  ^ 

Natürlich  löst  die  Röntgenuntersuchung  nicht  die  ganze  Magenpatho¬ 
logie  auf,  so  wenig  als  das  Hörrohr  die  ganze  Pathologie  der  Zirkulations¬ 
störungen  beherrscht  bezw.  beherrschen  sollte.  Aber  ebenso  wie  nur  wenige 
die  Herzbehorchung  missen  möchten,  ebenso  wird  es  der  Ärztewelt  späterhin 
mit  der  Magendurchleuchtung  ergehen.  Buttersack  (Berlin). 


Röntgenstrahlen  zur  Diagnose  des  Magenkarzinoms. 

G.  Leven  u.  G.  Barret.  Bull.  mein,  de  la  Soc.  Anat.  de  Paris.  83.  Jahrg.,  Nr.  1, 

S.  46 — 52,  Januar  1908.) 

Gibt  man  einem  Menschen  mit  gesundem  Magen  Milch  mit  Wismut 
zu  trinken,  so  zeichnet  sich  der  Magen  auf  dem  Röntgenschirm  als  schwarzer 
Fleck  ab.  In  demselben  tritt  jedoch  eine  helle  Zone  auf,  wenn  an  irgend 
einer  Stelle  der  Magen  stenosiert  ist,  z.  B.  durch  eine  Geschwulst.  —  Die 
Beobachtung  ist  gewiß  sehr  nett ;  allein  der  Umstand,  daß  die  4  Patienten, 
an  denen  die  Autoren  experimentierten,  bald  darauf  gestorben  sind,  beweist, 
daß  diese  diagnostische  Methode  erheblich  zu  spät  kam. 

Buttersack  (Berlin). 


Der  Wert  der  Röntgenuntersuchung  für  die  Frühdiagnose  der  Lungen¬ 
tuberkulose  und  die  Bedeutung  der  röntgenologischen  Lungenuntersuchung 

für  die  Lungenheilstätte. 

(G.  Schellenberg.  Zeitschr.  für  Tuberk.,  Bd.  12,  Nr.  6,  1908.) 

Die  Röntgendurchleuchtung  ist  eine  wertvolle  Ergänzung  der  übrigen 
Untersuchungsmethoden,  kann  diese  aber  nicht  vollständig  ersetzen  und  kann 
auch  nicht  als  erheblich  überlegen  angesehen  werden,  weil  gerade  die  Durch¬ 
leuchtung  der  Lungenspitzen  infolge  der  anatomischen  Verhältnisse  besonders 
ungünstig  ausfällt.  Bei  negativem  Ergebnisse  der  Perkussion  und  Auskulta¬ 
tion  und  unsicherer  Anamnese  wird  man  auf  Grund  des  Röntgenbefundes 
allein  die  Diagnose  nicht  stellen  können.  Andererseits  kann  man  in  zweifel¬ 
haften  Fällen  durch  die  Röntgenstrahlen  eine  willkommene  Aufklärung  er¬ 
halten.  Dabei  ist  aber  zu  berücksichtigen,  daß  die  Röntgenstrahlen  ein¬ 
fachen  Katarrh  nicht  erkennen  lassen,  daß  sie  vereinzelte  kleinste  Knötchen¬ 
bildung  nicht  enthüllen  können,  wenn  die  Schatten  der  Muskeln  und  Knochen 
störend  dazwischen  kommen,  daß  ferner  bei  fibröser  Phthise  der  Befund 
unsicher  ist  und  auch  sonst  mancherlei  Schwierigkeiten  in  der  Deutung  der 
Befunde  sowie  individuelle  Verschiedenheiten  zu  berücksichtigen  sind.  Da¬ 
gegen  zeigt  sich  das  Röntgenverfahren  den  klinischen  Untersuchungsmethoden 
überlegen  bei  der  Feststellung  tiefer  gelegener  Prozesse,  zentraler  Herde, 
intrathorakaler  Lymphdrüsenerkrankungen ;  es  ermöglicht  eine  Beobachtung 
der  Zwerchfellbewegungen  und  Feststellung  von  Schrumpfungsvorgängen ;  es 
bewährt  sich  besonders  bei  Mißbildungen  des  knöchernen  Thorax  und  bei 
Komplikation  der  Tuberkulose  mit  anderen  Lungenkrankheiten ;  es  gibt  uns 
bisweilen  schon  einen  positiven  Befund,  wenn  die  andern  Untersuchungs¬ 
methoden  noch  keine  Veränderung  nach  weisen ;  es  gibt  ein  genaueres  Bild 
der  anatomischen  Verhältnisse,  als  durch  die  andern  Untersuchungsmethoden 
möglicht  ist,  und  ermöglicht  eine  Kontrolle  dieser  durch  das  Auge,  den  objek¬ 
tivsten  Sinn.  Sobotta  (Reiboldsgrün). 


Referate  und  Besprechungen. 


137 


Massage  und  Nephroptose. 

(C.  de  Masson.  Bull.  med.  Nr.  93,  S.  1039  —  1043,  1908.) 

Bemerkenswerte  Notizen  zur  Frage  der  Wandernieren  bringt  der 
Assistent  an  der  Segond’schen  Klinik  der  Salpetriere.  Zunächst  bewertet 
er  in  der  Ätiologie  vorangegangene  Geburten  und  das  Korsett  äußerst  ge¬ 
ring;  er  berichtet  z.  B.  von  zwei  Frauen,  welche  15  bezw.  17  Kinder  ge¬ 
boren  hatten,  und  keine  Andeutung  von  irgend  welchen  ptotischen  Erschei¬ 
nungen  darboten,  während  sich  solche  bei  Jungfrauen  finden.  Und  wenn 
dem  Schnüren  ein  nennenswerter  Einfluß  zukäme,  dann  müßten  W ander- 
nieren  usw.  ungleich  häufiger  Vorkommen.  Nach  Le  Masson  ist  die  Ursache 
der  Ptosen,  speziell  der  Nieren,  ein  Versagen  der  Befestigungsmittel  (l’insuf- 
fisance  des  moyens  de  contention  du  rein) ;  er  hätte  sich  noch  präziser  aus- 
drücken  und  eine  Verminderung  der  elastischen  Qualitäten  anschuldigen 
können. 

Große  Stücke  hält  er  auf  die  Bauchmassage.  Aber  er  trennt  scharf 
die  weiche  und  die  harte  (un  massage  pratique  avec  douceur  ou  avec  violence). 
Plethysmographische  Untersuchungen  an  Fröschen  und  an  Frauen  haben 
ihm  ergeben,  daß  eine  zarte  Massage  zunächst  vasokonstriktorische  Effekte 
hat,  denen  bald  Vasodilatationen  folgen,  so  daß  aus  dem  regelmäßigen 
Wechsel  dieser  Vorgänge  eine  nach  Quantum  und  Rhythmus  verbesserte 
Durchströmung  mit  Blut  sich  ergibt.  Diese  zunächst  lokalen  Prozesse  wirken 
auf  das  Herz  und  wahrscheinlich  auch  auf  das  Gehirn  zurück,  so  daß  mithin 
eine  allgemeine  Verbesserung  im  feinsten  Stoffwechsel  erfolgt. 

Ganz  anders  verlaufen  die  Dinge  bei  harter,  roher  Massage.  Bei 
ihr  entsteht  zunächst  eine  Lähmung  der  Gefäße,  denen  keine  Vasokonstrik¬ 
tion  entspricht;  das  Alternieren  zwischen  Spannung  und  Entspannung  bleibt 
aus.  Infolgedessen  kommt  es  zu  lokalen  Hyperämien,  Hämorrhagien  und 
zu  Störungen  der  Herz-  und  Nerventätigkeit.  Während  also  eine  leichte, 
zarte  Massage  bei  dem  Pat.  das  angenehme  Gefühl  von  Leichtigkeit,  Be¬ 
ruhigung  usw.  hervorruft,  verursacht  die  energische  Methode  allgemeinen 
Schmerz,  Erschöpfung,  Schwindel,  sogar  Ohnmächten. 

Vielleicht  rückt  Le  Masson  die  Vorgänge  an  den  Gefäßen  allzu 
sehr  in  den  Vordergrund  und  bewertet  sie  als  selbständige  Dinge.  Aber 
diese  Vorstellung  teilt  er  ja  mit  den  Zeitgenossen,  und  da  er  im  übrigen 
seine  Ideen  folgerichtig  entwickelt,  so  findet  er  hoffentlich  recht  viel  Anklang. 

Buttersack  (Berlin). 


Heiße  Luftduschen. 

(Dausset  u.  Laquerriere.  Soc.  de  med.  de  Paris,  13.  November  1908.  —  Progr. 

med.,  Nr.  47,  S.  821,  1908.) 

In  der  Hydrotherapie  findet  es  jedermann  selbstverständlich,  daß  neben 
dem  ruhenden  Wasser  auch  das  bewegte  benützt  wird;  in  der  Heißluft¬ 
therapie  hat  man  bisher  fast  allgemein  auf  das  mechanische  Moment,  die 
massierende  Wirkung  der  strömenden  Luft,  verzichtet.  Und  doch  kann  man 
mit  einer  heißen  Luftdusche  allerlei  erfreuliche  Erfolge  erzielen  z.  B.  bei 
Neuralgieen,  chronischem  Rheumatismus,  Ekzem,  Hydarthros.  Eiternde 
Wunden  reinigen  sich  und  vernarben  schnell;  Gelenkversteifungen  mobilisieren 
sich,  und  chronische  Radiodermatitiden  jucken  nicht  mehr  und  zeigen  einen 
Rückgang  der  Teleangiektasien  und  atrophischen  Vorgänge. 

Man  könnte  den  zugrunde  liegenden  Gedanken  vielleicht  noch  weiter 
führen  und,  analog  den  wechselwarmen  Wasserduschen,  wechselwarme  Luft¬ 
duschen  konstruieren.  Daß  dadurch  die  vitalen  Kräfte  noch  stärker  ange¬ 
regt  würden,  ist  klar.  Für  konstruktionslustige  Gemüter  eröffnet  sich  da 
also  noch  ein  weiter  Horizont.  Buttersack  (Berlin). 


138 


Referate  und  Besprechungen. 


Krankenpflege  und  ärztliche  Technik. 

Der  Erdschluß  in  der  Elektrotherapie. 

Von  Dr.  med.  Dam  mann,  Nervenarzt  in  Berlin. 

Ein  in  der  Praxis  vor  einiger  Zeit  passierter  Vorfall  veranlaßt  mich 
zu  einigen  kurzen  Bemerkungen  über  obiges  Thema.  Bei  der  Galvanisation 
einer  Hysterica  erlitt  diese  hei  der  zufälligen  Berührung  mit  dem  die  Galvani¬ 
sation  ausführenden  Arzt  einen  derartigen  elektrischen  Schlag,  daß  sie  einen 
Nervenchok  davontrug,  von  dem  sie  sich  nur  schwer  zu  erholen  vermochte, 
während  der  Arzt  mit  einem  ebenfalls  sehr  starken,  doch  weniger  nach¬ 
teiligen  Schlag  davonkam.  Diese  Erscheinung  konnte  nur  durch  Erdschluß 
erklärt  werden  und  die  weiteren  Untersuchungen  bestätigten  die  Richtig¬ 
keit  der  Annahme.  Über  die  Frage  des  Erdschlusses  ist  bisher  in  der 
medizinischen  Literatur  so  wenig  diskutiert  worden,  daß  eine  kurze  Er¬ 
örterung  darüber  bei  dem  sich  mit  Elektrotherapie  befassenden  Arzte  nicht 
ohne  Beachtung  bleiben  wird. 

Bei  den  großen  Starkstromquellen  elektrischer  Zentralen  wird  meisten¬ 
teils  das  sogenannte  Drei-Leiter-System  angewandt,  indem  zwei  Dynamo¬ 
maschinen  hintereinander  geschaltet  werden  und  von  der  Verbindung  der 
beiden  Dynamos  aus  eine  Erdleitung  hergestellt  ist  (Mittelleiter).  Wenn 
man  also  einen  der  beiden  Außenleiter  mit  dem  Mittelleiter,  d.  h.  mit  der 
Erde,  in  Verbindung  bringt,  wie  dies  z.  B.  in  unserem  obenbeschriebenen 
Falle  durch  den  menschlichen  Körper  geschah,  so  geht  durch  den  letzteren 
ein  Strom  von  der  Spannung  der  betreffenden  Elektrizitätsanlage  hindurch. 
Es  ist  ohne  weiteres  ersichtlich,  daß  derartige  Ströme  imstande  sind,  die 
größten  Gefahren  für  den  Organismus  herbeizuführen. 

Mit  der  Gefahr  eines  Erdschlusses  wird  man  daher  stets  dann  zu  rechnen 
haben,  wenn  man  den  Strom  zum  Betriebe  der  elektrotherapeutischen  Apparate 
von  einer  derartigen  Stromquelle  bezieht. 

Bei  elektrischen  Bädern  ist  die  Gefahr  eines  eventuellen  Erdschlusses 
besonders  groß.  Der  Patient  kann  z.  B.  mit  dem  Auslaufhahn  der  Wasser¬ 
leitung  in  Berührung  kommen  oder  der  auf  nassem,  zementiertem  Fußboden 
stehende  Arzt  bezw.  Wärter  die  Leitung  zwischen  dem  geerdeten  Mittelleiter 
und  dem  Patienten  und  damit  Erdschluß  herbeiführen. 

Ferner  kann  die  Kette  des  Abflußventils  der  Wanne  auf  irgend  eine 
Weise  mit  den  Wasserzuleitungsröhren  in  Kontakt  kommen  usw.  Nässe  des 
Fußbodens  begünstigt  außerordentlich  das  Entstehen  des  Erdschlusses  und 
auch  in  dem  obenangeführten  Falle  war  das  betreffende  Zimmer  eben  auf¬ 
gewaschen  worden. 

Auch  bei  anderen  Anwendungsarten  des  elektrischen  Stromes  müssen 
wir,  wie  schon  eine  oberflächliche  Betrachtung  lehrt,  mit  den  verschiedensten 
Möglichkeiten  für  die  Herstellung  einer  Verbindung  zwischen  Mittelleiter,  der 
Elektrizitätsanlage  und  dem  Patienten  rechnen. 

Vor  kurzem  las  ich  von  einem  Kollegen,  daß  auch  ihm  durch  Erdschluß 
ein  äußerst  bedauerlicher  Vorfall  zugestoßen  sei,  bei  dem  einer  seiner  Patienten 
eine  Lähmung  davontrug,  an  der  er  wochenlang  darniederlag. 

In  Kliniken  und  Operationssälen  findet  der  Erdschluß  in  den  zemen¬ 
tierten  oder  steinernen  Fußböden  an  und  für  sich,  besonders  aber,  wenn  sie 
naß  sind,  äußerst  günstige  Bedingungen  für  ein  Zustandekommen.  Ein 
solcher  Erdschluß  kann  für  den  Arzt,  abgesehen  von  der  Gefahr,  der  er  selbst 
ausgesetzt  ist,  von  den  nachteiligsten  Folgen  sein.  Sein  Patient  wird  kaum 
Lust  empfinden,  die  elektrische  'Kur  fortzusetzen  und  durch  öftere  Wieder¬ 
holung  derartiger  Fälle  kann  die  Elektrotherapie  sehr  diskreditiert  werden. 
Ferner  kann  die  Frage  des  Erdschlusses  bei  eventuellen  Entschädigungs¬ 
ansprüchen  seitens  eines  dadurch  geschädigten  Patienten  an  den  Arzt  aktuell 
werden. 


Referate  und  Besprechungen. 


139 


Meiner  Ansicht  nach  kann  daher  sowohl  im  Interesse  des  Arztes  als 
auch  im  Interesse  der  Patienten  nicht  dringend  genug  empfohlen  werden, 
sowohl  für  diagnostische  als  auch  therapeutische  Zwecke  nur  erdschlußfreie 
Apparate  anzuwenden. 

In  letzter  Zeit  sind  von  den  einschlägigen  Firmen  Einrichtungen  zur 
Verhütung  des  Erdschlusses  getroffen  worden,  doch  muß  ich  es  mir  an  dieser 
Stelle  versagen,  auf  eine  nähere  Beschreibung  solcher  Apparate  einzugehen. 


Plessimeter  und  Perkussionshammer  zur  Schwellenwertsperkussion 

des  Herzens.*) 

Nach  Sanitätsrat  Dr.  Lenz  mann. 

Bei  der  sog.  Schwellenwertsperkussion  des  Herzens  sollen  möglichst 
geringe  Schallunterschiede  zur  Wahrnehmung  gebracht  werden.  Nach  dem 
Fechner’schen  Gesetze  brauchen  diese  behufs  Perzeption  um  so  geringer 
zu  sein,  je  leiser  der  AnfangsschaU  ist,  von  dem  die  Perkussion  ausgeht. 
Es  kommt  also  darauf  an,  möglichst  leise  zu  perkutieren  und  mit  dieser 
Perkussion  unserem  Sinnesapparat  einen  eben  wahrnehmbaren  Schall  zu  über¬ 
mitteln.  Er  muß  aber  möglichst  einfach  und  charakteristisch  sein,  wenn 
Unterschiede  zur  Perzeption  kommen  sollen. 

Die  Vorstellung,  daß  die  leiseste  Perkussion  genüge,  den  Luftraum 
der  Lunge  in  seiner  ganzen  Dicke  in  Schwingung  zu  versetzen,  ist  schwer 
annehmbar,  einfacher  scheint  die  Erklärung,  daß  die  oberflächlichen  Luft¬ 
schichten  zur  Resonanz  minimal  angesprochen  werden,  und  daß  dort,  wo 
dieser  Resonanz  sich  eine  feste  Masse,  das  Herz,  entgegensetzt,  die  Mit¬ 
schwingung  der  dünnen  überlagernden  Lungenluftschicht  gar  nicht  mehr  in 
Betracht  kommt.  Es  entsteht  Dämpfung. 

Um  möglichst  kleine,  Partien  perkutieren  und  Mitschwingungen  der 
Umgebung  auf  ein  möglichst  geringes  Maß  beschränken  zu  können,  ist  eine 
kleine  Plessimeterfläche  gewählt  und  an  das  eine  Ende  des  Plessimeters 
ein  knöpf  förmiger  Ansatz  angebracht,  der  es  erlaubt,  in  den  Zwischenrippen¬ 
räumen  die  Perkussion  geradezu  auf  einen  Punkt  zu  beschränken. 

Zur  Perkussion  wird  ein  kleiner  Perkussionshammer  benutzt,  der  statt 
eines  Gummiknopfes,  mit  dem  das  Plessimeter  angeschlagen  wird,  einen  Blei¬ 
knopf  trägt.  Man  braucht  mit  dem  Bleiknopf  das  Plessimeter  nur  eben 
zu  berühren,  um  einen  einfachen,  aber  deutlich  akzentuierten  Schall  zu  er¬ 
zielen,  der  sich  in  seinem  Eindruck  auf  unser  Perzeptionsorgan  deutlich 
ändert,  sobald  er  von  der  lufthaltigen  Lunge  zum  unterliegenden  Herzen 
übergeht.  Hier  ist  er  leer  ohne  jeden  Klang,  dort  zeigt  er  eine  scharfe, 
aber  deutliche  Fülle. 

Je  leiser  perkutiert  wird,  desto  sicherer  ist  das  Resultat.  Es  genügt 
ein  leises  Überstreichen  des  Bleiknopfes  des  Hammers  über  die  Plessimeter- 
fläche  zur  Hervorhebung  des  geringsten  Schallunterschiedes. 

Durch  richtigen  Gebrauch  des  Instrumentes,  der  allerdings  eine  gewisse 
Übung  und  gespannte  Aufmerksamkeit  erfordert,  kann  die  relative  (große) 
Herzdämpfung  genau  festgestellt  werden,  wie  zahlreiche  Leichenversuche  ge¬ 
lehrt  haben. 

Auch  zur  Lungenperkussion  kann  das  Instrument  verwertet  werden,  in 
diesem  Falle  ist  es  empfehlenswert,  das  Plessimeter  mit  einem  Gummihütchen 
zu  überziehen  zur  Erzielung  eines  weniger  scharfen,  mehr  vollen  Schalles. 


*)  Zu  beziehen  durch  Gebr.  Johnen,  Duisburg. 


140 


Referate  und  Besprechungen, 


Elektro  -  Dauerwärmer  (Elektro-Kataplasmen). 

System  Hilzinger. 

Diese  Apparate  ermöglichen  eine  neue  Form  von  Wärmeapplikationen 
und  werden  als  weiche,  flexible  Kompressen,  Binden  und  Fassonstücke  in 
verschiedenen,  dem  betr.  Körperteil  angepaßten  Formen  auf  diesen  gelegt, 
resp.  um  ihn  gewickelt,  so  daß  dem  Patienten  weder  im  liegenden,  noch  im 
sitzenden  resp.  stehenden  Zustand  Unbequemlichkeiten  dadurch  entstehen. 


Die  Erwärmung  der  Apparate  geschieht  durch  direkten  Anschluß  an 
die  elektrische  Leitung. 

Verbrennungen  oder  Kurzschluß  sind  ausgeschlossen,  da  die  durch  den 
Strom  erhitzten  Widerstände  vollkommen  sicher  isoliert  sind. 

Sehr  angenehm  wird  es  in  der  Praxis  empfunden,  daß  die  Heizung  in 
drei  Stufen  regulierbar  ist,  so  daß  stundenlang  ohne  Unterbrechung  eine 
milde  Wärme  zur  Anwendung  kommen  kann. 

Die  Temperatur,  gemessen  zwischen  Apparat  und  dem  mit  Stoff  be¬ 
deckten  Körperteil,  beträgt  je  nach  erfolgter  Regulierung  nach  ca.  15  Minuten 
30—600  c. 

Dabei  ist  der  Stromverbrauch  nur  ein  geringer,  so  daß  sich  die  Betriebs¬ 
kosten  auf  2 — 6  Pfennig  in  der  Stunde  stellen. 

Die  Dauerwärmer  werden  in  verschiedenster  Größe  und  Form  geliefert, 
auf  speziellen  Wunsch  auch  ganz  nach  Angabe  angefertigt. 

Fabrik:  W.  M.  Hilzinger-Reiner,  Stuttgart. 


Saugverschluß  für  die  Harnröhre. 

Von  Dr.  Heinr.  Loeb,  Mannheim. 

Bei  protrahierten  Injektionen  in  die  Urethra,  bei  Arbortivbehandlung 
der  Gonorrhöe  ist  es  für  den  Patienten  oder  für  den  Arzt  eine  mühsame 
Beschäftigung,  das  Orificium  urethrae  5 — 10 — 20  Minuten  lang  mit  den 
Fingern  zuhalten  zu  müssen.  Um  diesem  Mißstande  abzuhelfen,  wurden 
Urethraklemmen  angegeben,  so  von  Strauß-Barmen  (Münch,  med.  Wochen¬ 
schrift,  Nr.  44,  1905),  die  sich  aber  keine  weitere  Anwendung  zu  erringen 
vermochten.  Die  Klemmen  rutschten  in  einzelnen  Fällen  ab,  verursachten 
kneifende  Schmerzen  und  schalteten  das  gefaßte  Ende  von  der  Berrührung 
mit  der  Injektionsflüssigkeit  aus.  Seit  längerer  Zeit  bediene  ich  mich  eines 
der  Bier’schen  Glocke  nachgebildeten  Saug  Verschließers,  der  sich  für  diese 
Zwecke  gut  bewährt.  Er  besteht  aus  einem  Gummiballon,  zur  Verdünnung 
der  Luft  und  einer  Glasglocke,  deren  Basis  nach  innen  umgekrempelt  ist 
und  die  das  Orifizium  aufnehmende  Öffnung  trägt.  Letztere  muß  die  rich¬ 
tigen  Dimensionen  haben,  da  sonst  ein  zu  großer  Teil  der  Glans  aspiriert 


Bücherschau. 


141 


wird.  Die  Applikation  ist  sicher  haftend,  besonders  wenn  die  Innenfläche 
angefeuchtet  wird,  einfach  und  schmerzlos,  die  Luftleere  leicht  regulierbar. 
Der  einzige  Nachteil  besteht  darin,  daß  auch  bei  dieser  Methode  das  in 
die  Glocke  eingesaugte  Stück  der  Urethralschleimhaut  nicht  unter  dem  Ein¬ 
flüsse  der  injizierten  Flüssigkeit  steht,  ein  Fehler,  der  durch  die  keim¬ 
tötende  Wirkung  der  Stauung  allerdings  wohl  kompensiert  wird.  Während 
der  Patient  ruhig  auf  einem  Stuhle  sitzt,  liegt  der  angesaugte  Apparat 
auf  einer  vorgehaltenen  Schale  auf ;  die  injizierte  Flüssigkeit  steht  unter 
demselben  gleichmäßigen  Druck,  und  die  Kompression  derselben  in  die  hintere 
Harnröhre,  welche  so  häufig  Veranlassung  zur  Urethritis  posterior  abgibt, 
fällt  weg.  (Zu  beziehen  von  Friedrich  Dröll,  Mannheim.  Preis  Mk.  1,50.) 


Mars-Gürtel. 

Eine  Bauchbinde,  der  die  bekannten  Nachteile  der  üblichen  Bandagen 
nicht  eigen  sind,  und  die  allen  an  sie  gestellten  Anforderungen  genügt,  ist 
der  von  der  Firma  Wilh.  Jul.  Teufel  in  Stuttgart,  aus  feinstem  Gummi¬ 
trikot  hergestellte  Mars-Gürtel.  Seine  Vorzüge  bestehen  in  einer  außer¬ 
gewöhnlich  hohen  Elastizität  und  ganz  besonders  darin,  daß  der  Gürtel 
seiner  ganzen  Länge  nach  in  drei  verschieden  stark  elastisch  wirkende  Schichten 
eingeteilt  ist,  von  denen  die  mittlere  und  zugleich  breiteste  am  stärksten 
elastisch  wirkt,  so  daß  auf  dem  stärksten  Teile  des  Leibes  auch  der  stärkste 
Druck  ausgeübt  wird.  Der  Bauch  wird  zirkulär  umfaßt,  die  Bauch  Wölbung 
wird  zurückgedrängt,  und  die  Fettschichten  und  der  Leibesinhalt  werden 
gleichmäßig  komprimiert.  Die  Därme  werden  in  ihrem  Lumen  durch  die 
gleichmäßige  Kompression  rein  mechanisch  verkleinert,  und  die  Fettablage¬ 
rung  und  Gasansammlungen  werden  verhindert.  Einer  Erschlaffung  der 
Bauchmuskulatur  wird  dadurch  entgegengearbeitet,  daß  sie  durch  den  Gürtel 
zweckmäßig  unterstützt  wird,  so  daß  sie  sich  allmählich  wieder  zusammen¬ 
zieht.  Das  Tragen  des  Maps-Gürtels  wird  infolge  der  großen  Elastizität 
nicht  störend,  sondern  angenehm  empfunden. 


Bücherschau. 


Psychiatrie  für  Ärzte  und  Studierende.  Bearbeitet  von  Ziehen.  3.  Aufl. 
Leipzig,  Hirzel,  1908.  801  S.  Geheftet  16  Mk. 

In  der  Reihenfolge  1894,  1902,  1908  sind  sich  die  Auflagen  des  bekannten 
Lehrbuches  rasch  gefolgt.  Die  neue  dritte  Auflage  stellt  eine  weitgehende 
Umarbeitung  der  vorigen  unter  Berücksichtigung  der  Fortschritte  der  For¬ 
schung,  besonders  soweit  es  sich  um  gesicherte  Kenntnisse  handelt,  dar.  Diese 
Beschränkung  ist  notwendig,  wo  es  sich  um  ein  Lehr-  und  Lernbuch,  das 
grundlegende  Kenntnisse  dem  Studierenden  vermitteln  soll,  handelt.  Be¬ 
sonders  klar  und  zur  Einführung  in  das  Gebiet  geeignet  ist  der  allgemeine 
Teil,  in  welchem  die  allgemeine  Symptomatologie  erörtert  ist  von  dem  Stand¬ 
punkt  der  bekannten  physiologischen  Psychologie  des  Verfassers  aus.  Dieser 
Standpunkt  ermöglicht  den  Ausführungen,  die  der  Verf.  in  der  Erörterung 
symptomatologischer  Verhältnisse,  wie  bei  der  Umgrenzung  von  Krankheits¬ 
bildern  gibt,  die  Eigenschaft  der  außerordentlichen  Klarheit  und  Präzision, 
didaktisch  liegt  darin  ein  unbestreibarer  Vorzug.  Vor  allem  fehlt  auch  nicht 
die  Anknüpfung  an  die  Tatsachen  der  Neuropathologie,  überall  wo  sich 
Gelegenheit  dazu  bietet.  Die  Klassifizierung  ist,  wie  dies  der  Verfasser 
auch  früher  getan  hat,  nach  klinischen  Gesichtspunkten  gegeben.  Die  wert¬ 
vollen  und  zahlreichen  Verweisungen  auf  die  Litteratur  machen  das  Buch 
nicht  nur  als  Lehr-,  sondern  auch  als  Nachschlagewerk  wohl  geeignet.  Auch 
die  neue  Auflage  wird  sicherlich  so  rasch  wie  die  früheren  sich  allgemeine 
Schätzung  erwerben.  H.  Vogt. 


142 


Bücherschau. 


Arthur  Schopenhauer  und  seine  Weltanschauung.  Von  Am.  Kowalewski. 

Halle  a.  S.,  C.  Marhold,  1908.  237  S. 

Es  ist  noch  nicht  allzulang  her,  daß  unter  den  Gebildeten  ein  heftiger 
Kampf  für  und  .wider  Schopenhauer  tobte.  Allmählich  haben  sich  die 
Gemüter  beruhigt;  Nietzsche  rückte  in  den  Mittelpunkt  des  Interesses, 
und  der  Frankfurter  Philosoph  nahm  seinen  Platz  in  der  Geschichte  der 
Philosophie  ein.  Da  scheint  jetzt  die  Zeit  gekommen  zu  sein,  ihm  mit 
Objektivität  gegenüber  zu  treten  und,  ohne  daß  die  leicht  verletzliche  persön¬ 
liche  Meinung  mitspricht,  dem  nachzugehen,  was  er  lehrte. 

Kowalewski  hat  diese  Aufgabe  in  einer  für  jeden  Allgemeinge¬ 
bildeten  verständlichen  Weise  gelöst.  Auf  eine  knappe,  aber  das  Wesent¬ 
liche  betonende  Darstellung  seines  äußeren  Lebensganges  und  der  Momente, 
welche  seine  Philosophie  beeinflußt  haben  könnten  —  ob  freilich  Rubens 
jüngstes  Gericht  und  sein  Eindruck  auf  die  Mutter  die  Gemütsrichtung 
des  bald  darauf  geborenen  Kindes  tiefgreifend  beeinflußt  hat  (S.  24),  er¬ 
scheint  mir  zweifelhaft  —  folgen  6  Kapitel,  welche  Schopenhauer’s  Er¬ 
kenntnistheorie,  Willensmetaphysik,  Naturphilosophie,  Ästhetik,  Pessimismus, 
Ethik  und  Erlösungslehre  behandeln,  mit  einem  interessanten  experimental- 
psychologischen  Abschnitt,  der  des  Philosophen  Lehre  von  der  Zusammen¬ 
gehörigkeit  großer  Lust-  und  großer  Schmerzdisposition  bestätigt. 

Schopenhauer’s  Einfluß  auf  das  Denken  unserer  Zeit  ist  heute 
weniger  lärmend,  aber  vielleicht  nachhaltiger  als  vor  einem  halben  Jahr¬ 
hundert.  Um  so  mehr  wird  es  gewiß  den  einen  oder  anderen  interessieren, 
diesen  Pfeiler  der  dermaligen  geistigen  Konstitution  näher  kennen  zu  lernen. 

Buttersack  (Berlin). 


Konrad  Ferdinand  Meyer.  Eine  pathographisch-psychologiche  Studie. 
Von  J.  Sadger.  Wiesbaden,  J.  F.  Bergmann,  1908.  64  S.  1,40  Mk. 

Die  Analyse  des  Seelenlebens  spielt  heutzutage  eine  große  Kölle.  Sie 
hat  auch  die  sog.  großen  Männer  in  ihren  Bereich  gezogen,  vielleicht  in 
der  stillen  Hoffnung,  das  Wesen  der  Größe,  des  Genies  zu  ergründen;  allein 
mir  scheint,  der  ,, Dämon“  Platos  und  die  „divina  vesania“  des  Horatius 
bleiben  der  verstandesmäßigen  Auflösung  unzugänglich.  Immerhin  bleibt 
noch  genug  des  Interessanten  an  derlei  Studien,  und  es  ist  bewundernswert, 
mit  welcher  Liebe  Sadger  der  problematischen  Natur  seines  Helden  nach¬ 
gespürt  hat,  wie  er  die  erbliche  Belastung  nachweist  und  als  seine  Grund- 
eigen  schäften :  dauernde  Verstimmung  und  ständigen  Assoziationswiderwillen 
mit  erotischen  Einschlägen  darlegt. 

Liest  man  K.  F.  Meyer’s  Geschichte,  so  erscheint  er  zunächst  bis 
zu  seinem  40.  Jahre  als  ein  zerfahrener,  haltloser  Mensch,  als  ein  Tunicht¬ 
gut,  Taugenichts,  oder  als  eine  degenerierte  Persönlichkeit,  der  jede  Zentrier¬ 
fähigkeit  abging.  Man  wird  in  manchen  Zügen  an  Tasso  erinnert,  welchen 
Goethe  ganz  ähnlich  sich  charakterisieren  ließ: 

„es  habe  doch 

Ein  schön  Verdienst  mir  die  Natur  geschenkt, 

Doch  leider  habe  sie  mit  manchen  Schwächen 
Die  hohe  Gabe  wieder  schlimm  begleitet, 

Mit  ungebundenem  Stolz,  mit  übertriebener 
Empfindlichkeit  und  eignem  düstern  Sinn.“ 

Erstaunlich  bleibt  es  immer,  wie  auf  solch  einem  Boden  sich  schließlich 
noch  ein  so  bedeutendes  dichterisches  Schaffen  entfallen,  wie  das  poetische 
„Plus  an  Großhirn“  noch  zum  Durchbruch  kommen  konnte. 

Sadgers  Studie  ist  ein  wertvoller  Beitrag  zur  modernen  Kultur¬ 
geschichte.  Buttersack  (Berlin). 


Die  Pest.  I.  Teil:  Die  Geschichte  der  Pest.  Von  G.  Sticker.  Gießen, 

Verlag  Alf.  Töpelmann,  1908.  422  S. 

Ich  war  allmählich  zu  der  Überzeugung  gekommen,  daß  es  keine 
Polyistoren  mehr  gäbe.  Von  diesem  Irrtum  hat  mich  das  vorliegende 
Werk  geheilt.  Schreibt  heutzutage  jemand  über  die  Pest,  so  bringt 
er  entweder  mikrobotanische  Spezialitäten  oder  sog.  epidemiologische  Be- 


Bücherschan. 


143 


obachtungen  aus  irgend  einer  Lokal-Pest  oder  schließlich  eine  Zusammen¬ 
stellung  aus  den  letzten  Dezennien,  so  weit  eben  unsere  Jahresberichte, 
Zentralblätter  u.  dergl.  reichen.  Aber  wie  verschwindend  wenig  ist  das 
im  Vergleiche  mit  der  Geschichte  der  Pest,  wie  sie  uns  'Sticker  vorführt! 
Mit  dem  ersten  Auftreten  der  Seuche,  1220  vor  Chr.,  als  Jehovah  die  Ägypter 
damit  schlug,  bis  auf  die  neueste  Zeit  ist  ihr  der  unermüdliche  Forscher 
Jahr  für  Jahr  nachgegangen,  und  alles  was  irgendwo  von  halbwegs  ver¬ 
läßlichen  Notizen  aufzutreiben  war,  ist  im  vorliegenden  Bande  zusammen¬ 
getragen. 

Zuerst  staunt  man  über  die  enorme  Belesenheit  des  Verfassers,  der 
seinem  Feinde  nicht  nur  in  naturwissenschaftlichen  und  historischen  Werken, 
sondern  auch  in  vergilbten  Stadtchroniken  und  in  der  scheinbar  gänzlich 
unbeteiligten  Dichtkunst  nachspürte.  An  historischer  Genauigkeit  und  Treue 
läßt  Sticker  weit  hinter  sich,  was  je  vor  ihm  geschrieben  worden  ist. 
Aber  man  glaube  ja  nicht,  die  Lektüre  dieser  Extrakte  sei  ein  trockener 
Genuß.  Die  Kunst  der  Darstellung  ist  so  groß,  daß  das  Ganze  sich  im 
Gehirn  des  Lesers  zu  einem  historischen  Roman  von  gigantischen  Formen 
zusammenfügt,  in  welchem  die  Szenerie  fortwährend  wechselt,  die  Einheit 
der  Handlung  aber  streng  gewahrt  bleibt.  Daß  ein  Mann,  der  —  .ein  her¬ 
vorragender  Kliniker  —  die  Pest  in  ihrer  Heimat  beobachtet,  der  tagelang 
in  Pesthäusern  an  den  Lagerstätten  der  Kranken  gesessen  hat  und  dessen 
Wissen  zugleich  im  ganzen  weiten  Reiche  der  Geschichte  wurzelt:  daß 

solch  ein  Mann  etwas  ganz  anderes  zutage  fördert,  als  ein  Partialgelehrter, 
dessen  Horizont  an  den  Wänden  seines  Laboratoriums  aufhört,  ist  wohl  selbst¬ 
verständlich. 

Auf  das  wundervolle  Deutsch  sei  nebenbei  noch  besonders  hingewiesen ; 
dasselbe  verdient  um  so  mehr  Beachtung,  je  kleiner  die  Zahl  derer  ist,  die 
das  Instrument  der  Sprache  gut  oder  auch  nur  leidlich  zu  handhaben  verstehen. 

Wer  einen  Scheuklappenhorizont  hat,  lasse  ja  die  Finger  von  dem 

Werk!  Um  so  größeren  Genuß  werden  davon  diejenigen  haben,  die  nicht 
ihre  Schule  für  den  Nabel  der  Welt  und  das  Jahr  1908  für  das  Jahr 

der  Vollendung  halten,  sondern  die  über.  Kaum  und  Zeit  in  die  grenzen¬ 
lose  Geschichte  zu  blicken  vermögen.  Buttersack  (Berlin). 


Kann  der  Deutsche  sich  in  den  Tropen  akklimatisieren?  Von  Stendel. 
Beiheft  zum  Archiv  für  Schiffs-  und  Tropenhygiene,  Nr.  4,  1908.  Joh. 
Ambr.  Barth,  Leipzig,  1908..  22  S.  75  Pfg. 

Die  verheerenden  Wirkungen  der  Malaria  ließen  sich  am  Ende  beseitigen, 
aber  dann  bleibt  immer  noch  der  Einfluß  des  Klimas,  welcher  auch  in 
den  Gebirgen  der  Tropen  nachteilig  auf  das  Nervensystem  und  die  ethischen 
Qualitäten  wirkt.  Diese  Schädigung  läßt  sich  indessen  durch  zeitweise  Er¬ 
holung  in  der  Heimat  wieder  ausgleichen ;  eine  vollkommene  Akklimati¬ 
sation  mit  der  Möglichkeit  dauernden  Aufenthaltes  und  kräftiger  Nach¬ 
kommenschaft  scheint  aber  z.  Z.  noch  nicht  möglich  zu  sein. 

Interessant  sind  die  von  Steudel  so  nebenbei  gegebenen  Hinweise 
auf  die  Entstehung  von  Mischrassen,  z.  B.  auf  Samoa,  Reunion,  Martinique  u.  a. 
Wenn  wir  bedenken,  daß  die  Rassen,  die  wir  heute  als  rein  zu  betrachten 
gewöhnt  sind,  ihrerseits  nur  prähistorische  Mischungen  darstellen,  so  stehen 
wir  angesichts  der  modernen  Kolonisationsbestrebungen  vielleicht  auch  wieder 
den  Anfängen  neuer  Rassen  gegenüber,  die  sich  aus  der  Verbindung  von 
Europäern  und  Eingeborenen  da  und  dort  ergeben.  Buttersack  (Berlin). 


Der  Kopfschmerz  als  häufige  Folge  von  Nasenleiden  und  seine  Diagnose. 

Von  Veckenstedt.  Verlag  Kurt  Kabitzsch,  Würzburg.  Würzburger 

Abhandlungen,  1908.  85  Pfg. 

Verf.  unterscheidet  lokalen,  neuralgischen  und  zerebralen  Kopfschmerz, 
je  nachdem  die  Endigungen  oder  das  ganze  Verbreitungsgebiet  eines  Nerven 
oder  die  Gehirnhäute  Sitz  des  Schmerzes  sind.  Der  lokale  wird  am  häufigsten 
bei  akuten  Nebenhöhleneiterungen  beobachtet  und  geht  gewöhnlich  mit  Druck¬ 
empfindlichkeit  einher.  Er  erklärt  sich  teils  aus  der  Schleimhautschwellung, 
namentlich  aber  durch  Sekretstauung,  woraus  sich  die  Indikation  ergibt. 


144 


Bücherschau. 


für  freien  Abfluß  Sorge  zu  tragen.  In  geringerem  Grade  rufen  chronische 
Eiterungen  lokalen  Kopfschmerz  hervor,  auch  Ulzerationen,  namentlich  der 
lateralen  Nasenwand. 

Eür  die  Entstehung  der  neuralgischen  Kopfschmerzen  wird  ein  direk¬ 
ter  Modus  unterschieden,  bei  dem  der  in  der  Wand  der  erkrankten  Neben¬ 
höhle  verlaufende  Stamm  neuritisch  mitaffiziert  wird,  (so  der  Infraorbitalis 
bei  An trum- Empyem) ;  und  ein  indirekter  Modus,  bei  dem  ein  entfernter 
Nerv  reflektorisch  den  Schmerz  vermittelt;  ein  Beispiel  hierfür  ist  die 
Supraorbitalneuralgie  bei  Kieferhöhlenerkrankung.  Auch  Geschwülste 
machen  sich  oft  durch  Kopfschmerz  bemerkbar,  in  einem  tragischen  Fall 
von  Kieferhöhlenkarzinom  bei  einem  jungen  Mädchen  blieb  er  das  einzige 
Symptom,  obgleich  die  knöchernen  Wände  bereits  usuriert  waren. 

Der  zerebrale  Schmerz  entsteht  durch  Zirkulationsstörung  der  Hirn¬ 
haut  infolge  von  Entzündung  oder  Verlegung  der  Nase,  so  bei  akuter  und 
chronischer  Rhinitis,  Polypen,  adenoiden  Vegetationen,  Ozäna,  chronischen  Sinu¬ 
siten.  Nicht  selten  zeigt  er  auch  zerebrale  Komplikationen  an.  Zu  seiner 
reflektorischen  Entstehung  gehört  ein  erkennbarer  Grad  von  Neurasthenie. 
Polypen,  Leisten  und  Dornen  des  Septums,  welche  die  Muschelschleimhaut 
berühren,  können  ihn  hervorrufen. 

Bei  der  Diagnose  des  lokalen  Kopfschmerzes  kann  höchstens  die 
Unterscheidung  von  Knochenerkrankungen  Schwierigkeiten  machen.  Schwie¬ 
riger  ist  die  Feststellung  der  nasalen  Ursache  bei  Neuralgien.  Man  muß 
andere  Ursachen  derselben  ausschließen,  besonders  auch  Migräne,  die  durch 
Prodromalerscheinungen,  vasomotorische  Symptome,  Erbrechen  charakterisiert 
ist.  Der  zerebrale  Schmerz  deutet  an  sich  nicht  auf  die  Nase  hin;  es 
soll  aber  als  Regel  gelten,  bei  jedem  Kopfschmerz,  dessen  Ursache  man 
nicht  sicher  kennt,  Nase  und  Nebenhöhlen  gründlich  zu  untersuchen. 

Arth.  Meyer  (Berlin). 


Die  natürliche  Entfettung.  Von  Prof.  Dr.  Albert  Ad  amkiewicz,  Wien. 
Verlag  von  Benno  Konegen,  Leipzig,  1908.  80  Seiten.  1,50  Mk. 

Ref.  ist  sich  über  die  Absicht  des  Verfassers  nicht  ganz  klar  geworden. 
Schreibt  er  für  Ärzte  oder  schreibt  er  für  Laien  ?  für  ersteren  Zweck  ist 
vieles  zu  aphoristisch,  zu  wenig  ausführlich,  für  letzteren  Zweck  dagegen 
sind  besonders  die  therapeutischen  Einzelheiten  zu  genau  gegeben.  Sei  dem 
wie  ihm  wolle,  ganz  einig  kann  man  mit  dem  Verf.  nicht  in  allem  gehen. 
So  ist  in  dem  ersten  Abschnitt  „Das  Leben  eine  Flamme“,  einer  kurzen 
Abhandlung  über  die  Physiologie  des  Stoffwechsels,  die  Behauptung,  daß 
die  Harnsäure  eine  Zwischenstufe  der  Eiweißverbrennung  ist,  so  daß  bei 
mangelhafter  Oxydation  Harnsäure  statt  Harnstoff  entsteht  (S.  13),  nach 
dem  heutigen  Stande  der  Frage  direkt  unrichtig.  In  dem  zweiten  Teil 
„Ursachen  der  Fettsucht“  durfte  der  Satz  „Aus  dem  Eiweiß  der  Nahrung 
kann  also  niemals  Fett  entstehen“,  nach  dem  heutigen  Stand  der  Frage 
mindestens  nicht  so  apodiktisch  gefaßt  werden.  Am  besten  scheint  mir  noch 
der  dritte  Abschnitt  „Heilmittel  der  Fettsucht“  gelungen  zu  sein,  und  in 
vielen  Punkten  kann  hier  Verf.  allgemeiner  Zustimmung  sicher  sein,  so 
bei  seiner  Warnung  vor  körperlicher  Überanstrengung  und  brüsken  Hitze¬ 
prozeduren  bei  Entfettungskuren.  Aber  wenn  er  behauptet,  daß  der  Mensch 
nicht  ungestraft  auf  die  Dauer  des  Fleisches  entbehren  kann,  so  ist 
dem  zu  erwidern,  daß  das  Gegenteil  erwiesen  ist,  und  da  es  ja  Milch, 
Butter,  Eier  und  Käse  gibt,  braucht  die  nötige  Fleischkost  nicht  durch  „Massen 
von  Vegetabilien“  ersetzt  zu  werden.  Ein  viel  zu  großes  Gewicht  legt 
Verf.  auf  die  Komponente  der  Entfettungskur,  die  im  Gebrauch  von  Abführ¬ 
wässern  besteht;  Ref.  ist  der  Ansicht,  daß  letztere  erst  in  letzter  Linie 
zu  gebrauchen  sind,  und  daß  man  sehr  prompte  Abmagerung  bei  völligem 
Verzicht  auf  ihre  Benutzung  erzielen  kann.  —  Eine  Lücke  füllt  das  Büchlein 
jedenfalls  nicht  aus,  seine  Lektüre  ist  nur  Erfahrenen  anzuraten. 

M.  Kaufmann. 


Schriftleitung  :  Dr.  Ri  gl  er  in  Leipzig. 

Druck  von  Emil  Herrmann  senior  in  Leipzig. 


27.  Jahrgang. 


1909. 


Tortscbrim  der  Medizin. 

Unter  Mitwirkung  hervorragender  Fachmänner 

herausgegeben  von 

Professor  Dr.  0.  Köster  Prio.-Doz.  Dr.  v.  Criegern 

in  Leipzig.  in  Leipzig. 

Schrift! ei tung:  Dr.  Rigler  in  Leipzig. 


Nr.  4. 


Erscheint  am  10.,  20.,  30.  jeden  Monats.  Preis  halbjährlich 
6  Mark,  in  kl.  Zeitschrift  für  Yersicherungsmedizin  8  Mark. 

Verlag  von  Georg  Thieme,  Leipzig. 


10.  Februar. 


Originalarbeiten  und  Sammelberichte. 


Aus  der  inneren  und  dermatologischen  Abteilung  der  Magdeburger  Kranken-Anstalt 

Altstadt  (Oberarzt  Dr.  Schreiber). 

Ueber  die  praktische  Bedeutung  der  Wassermann’schen  Syphilis¬ 
reaktion. 

Von  Wilh.  Hancken. 

(Nach  einem  Vortrage,  gehalten  in  der  medizinischen  Gesellschaft  zu  Magdeburg.) 

Die  Wassermann’sche  Seroreaktion  auf  Syphilis  ist  ein  heute 
wohl  allgemein  anerkanntes  außerordentlich  wertvolles  Hilfsmittel  für 
die  klinische-  Diagnose  der  Syphilis,  besonders  in  ihren  Spätstadien. 
Ich  werde  in  folgendem  in  Kürze  über  Fälle  berichten,  die  ich  auf  der 
inneren  und  dermatologischen  Abteilung  unseres  Krankenhauses  in  den 
letzten  Monaten  untersucht  habe. 

Eine  theoretische  Erörterung,  die  genauere  Aufzählung  der  ein¬ 
zelnen  Fälle,  sowie  ausführlichere  Literaturangaben,  finden  sich  in 
meiner,  Göttingen  1908  erschienenen  Dissertation.  „Beitrag  zur  Sero¬ 
diagnostik  der  Syphilis“,  so  daß  ich  mich  hier  auf  das  Wesentliche 
beschränken  kann. 

Was  die  angewandte  Methodik  anlangt,  so  benutzte  ich  die  ursprüng¬ 
liche  von  Wassermann  angegebene. .  Ich  kann  mir  daher  weitläufige  Aus¬ 
einandersetzung  derselben  ersparen.  Als  Antigen  benutzte  ich  zunächst  einen 
alkoholischen  Extrakt  aus  normaler  kindlicher  Leber,  später  einen  Karbol¬ 
kochsalzextrakt  und  einen  Alkoholextrakt  aus  einer  hereditär  luetischen, 
fötalen  Leber.  Das  Serum  wurde  in  der  Dosis  0,2  verwandt.  In  einigen  Fällen 
ergab  sich  dabei  Hemmung  mit  normalem  Extrakt.  In  dem  Falle  wurde 
möglichst  bald  das  Serum  noch  einmal  in  der  Dosis  0,1  geprüft,  was  immer 
zum  Ziele  führte.  Die  Extrakte  waren  vorher  geprüft,  das  Hämolysin 
titriert  und  jedem  einzelnen  Versuch  ging  ein  hämolytischer  Vorversuch 
voraus.  _  :  W  (  |||[:jj|!;|]| 

Es  wurden  insgesamt  untersucht  202  Fälle,  Von  diesen  war: 

1.  Lues  sogut  wie  ausgeschlossen: 

28  Fälle  —  Positiv  2 
Negativ  26. 

2.  Sicher  luetisch  infiziert: 

90  Fälle  —  Positiv  67  =  74 °/0 
Negativ  23  =  26  „  . 

3.  Die  Infektion  fraglich: 

84  Fälle  —  Positiv  23  —  27  „ 

Negativ  61  =  73  „  . 


10 


146 


Willi.  Hancken, 


Unter  den  Kontrollfäden  der  ersten  Gruppe  sind  zwei  positive 
zu  verzeichnen.  Beide  Sera  entstammen  therapeutischen  Aderlässen, 
die  wenige  Stunden  vor  Eintritt  des  Todes  vorgenommen  wurden. 
Leider  konnte  nachträglich  nicht  mehr  festgestellt  werden,  oh  nicht 
hereditäre  Lues  bestanden  hatte.  Die  Autopsie  wurde  verweigert.  Tn 
dem  einen  der  Fälle  handelt  es  sich  um  eine  Diphtherie,  er  ist  also 
wegen  der  mangelhaften  iLufklärung  nicht  zu  verwerten.  Dagegen 
handelt  es  sich  in  dem  andern  um  einen  Scharlach-Fall.  Es  ist  bekannt, 
daß  Much  und  Eichelberg  besonders  auch  bei  Scharlach  einen  positiven 
Ausfall  der  Reaktion  fanden  und  zwar  in  10  von  25  Fällen.  Dem¬ 
gegenüber  fanden  Höhne,  Meier,  Boas  und  Hange,  sowie  Joch¬ 
mann  und  Töpfer,  bei  insgesamt  195  Fällen  nur  in  2  Fällen  eine 
positive  Reaktion,  von  denen  eine  bereits  nach  14  Tagen  verschwand, 
die  andere  nur  in  der  Dosis  0,4  positiv  war,  in  der  gewöhnlichen 
Dosis  0,2  bereits  eine  vollkommene  Hämolyse  ergab.  Seligmann  und 
Klopstock  machten  eine  Veränderung  ihres  Extraktes  verantwortlich; 
Halberstädter,  Müller  und  Reiche  fanden,  daß  nur  wenige  brauch¬ 
bare  Extrakte  mit  Scharlachseris  die  Reaktion  geben.  Zeißler  erklärt 
die  so  verschiedenen  Befunde  aus  einer  Verschiedenheit  der  Epidemie¬ 
charaktere.  Ich  selbst  fand  von  7  Scharlachseris  6  absolut  negativ. 
Der  oben  angeführte  war  nur  mit  dem  Alkoholextrakt  aus  luetischer 
Leber,  nicht  mit  dem  Karbolkochsalzextrakt  positiv.  Es  kann  also 
nicht  entschieden  werden,  ob  die  Schwere  der  Infektion,  der  Alkohol¬ 
extrakt,  oder  eine  hereditäre  Syphilis  für  den  positiven  Ausfall  der 
Reaktion  verantwortlich  zu  machen  ist.  Im  übrigen  erwies  sich  der 
Alkoholextrakt  an  Empfindlichkeit  mehrfach  dem  Karbolkochsalzex¬ 
trakt  aus  derselben  luetischen  Leber  überlegen.  Niemals  trat  das  Um¬ 
gekehrte  ein.  Also  war,  von  den  beiden  wenig  geklärten  Fällen  abge¬ 
sehen,  die  Wassermann’sche  Reaktion  nie  positiv,  wenn  Syphilis 
klinisch  oder  anamnestisch  mit  Wahrscheinlichkeit  auszuschließen  war. 
Auch  der  Scharlach  kann  insofern  nicht  leicht  zur  Fehldiagnose  Anlaß 
geben,  als  man  ja  seine  Extrakte  darauf  prüfen  kann,  ob  sie  mit 
Scharlachseris  überhaupt  eine  Reaktion  geben  und  da  andererseits  die 
Komplement  -bindenden  Stoffe  aus  dem  Blut  Scharlach -Kranker  nach 
Ablauf  der  Infektion  sehr  bald  verschwinden. 

Die  positiven  Reaktionen  bei  den  Protozoen-Krankheiten  (Land- 
steiner,  Bruck,  Blumenthal,  Hoff  mann)  und  bei  Lepra  (Meier), 
können  naturgemäß  in  unsern  Breiten  die  Bedeutung  der  Diagnose 
nicht  wesentlich  stören. 

In  der  zweiten  Rubrik  habe  ich  alle  die  Fälle  aufgezählt,  bei 
denen  eine  stattgehabte  luetische  Infektion  sichergestellt  war,  ohne 
Rücksicht  auf  die  Zeit,  die  seitdem  verflossen  war  und  auf  eine  statt¬ 
gefundene  Therapie.  Die  sicher  luetischen  Fälle  sind  natürlicherweise 
nicht  so  ganz  von  denen  der  dritten  Art  zu  trennen.  Zum  Beispiel  kann 
man  ein  Ulcus  durum  klinisch  wohl  ziemlich  sicher  diagnostizieren, 
event.  durch  Spirochaeten- Nachweis.  Und  doch  wird  der  positive  Aus¬ 
fall  der  Seroreaktion  oft  noch  die  willkommene  Bestätigung  bringen 
-müssen.  Unter  den  27%  negativ  reagierenden  Fällen  handelte  es  sich 
in  der  Mehrzahl  um  regelmäßig  behandelte  Fälle,  meist  zurzeit  ohne 
Erscheinungen.  Andererseits  kann  nicht  verschwiegen  werden,  daß  es 
sich  in  einzelnen  Fällen  um  sichere  Lues  mit  floriden  Symptomen 
handelte.  Eine  Warnung,  dem  negativen  Ausfall  der  Reaktion  eine 
größere  diagnostische  Bedeutung  zuzusprechen.  Besonders  bei  Lues 


Über  die  praktische  Bedeutung  der  Wassermann’schen  Syphilisreaktion.  147 


cerebri  scheint  nach  dem  Befund  anderer  Autoren  die  Reaktion  häufiger 
zu  versagen.  Ich  fand  unter  2  Fällen  einen  negativen,  einen  positiven. 

Rechnet  man  nur  floride  Syphilisfälle,  so  ergibt  sich  unter 
69  Fällen,  die  unbehandelt  sind,  in  6  Fällen  eine  negative  Reaktion, 
also  reagieren  91  °/0  positiv. 

Auf  die  verschiedenen  Stadien  der  Erkrankungen  verteilen  sich 
die  Fälle  folgendermaßen : 

1.  Primäraffekt: 

1*7  Fälle  —  Positiv  15 
Negativ  2. 

2.  Sekundärstadium: 

52  Fälle  —  Positiv  40 
Negativ  12. 

3.  Tertiärstadium: 


7  Fälle  —  Positiv  7. 

4.  Spätperiode  mit  und  ohne  Symptome: 

20  Fälle  —  Positiv  13 
Negativ  7. 

5.  Krankheiten  des  Zentralnervensystems  (Tabes,  Paralyse,  Lues 
cerebrospinalis,  Hemiplegie : 

15  Fälle  —  Positiv  9 
Negativ  6. 

6.  Lues  hereditaria: 


3  Fälle  —  Positiv  3. 

Die  große  Zahl  der  positiven  Primäraffekte  erklärt  sich  aus 
dem  Umstand,  daß  wir  dieselben  ins  Krankenhaus  zu  einer  Zeit  zu 
bekommen  pflegen,  wo  die  Generalisation  des  Virus  bereits  erfolgt  ist. 
In  der  Tertiärperiode  ist  auch  nach  Erfahrungen  anderer  Autoren  die 
Zahl  der  positiven  Reaktionen  am  größten.  In  der  Spätperiode  reagieren 
die  Fälle  mit  Symptomen  häufiger  positiv  als  die  ohne  solche. 

Unter  den  Erkrankungen  des  Zentralnervensystems  finden  sich 
insgesamt  6  Tabesfälle,  von  denen  nur  3  positiv  reagierten,  diese  gaben 
Lues  zu.  In  dem  einen  der  andern  3  Fälle  hat  1894  eine  Infektion 
stattgefunden,  in  den  beiden  andern  Fällen  wird  Lues  strikt  geleugnet. 
Bemerkenswert  scheint  es  mir  zu  sein,  daß  eine  vor  der  Aufnahme  vorge¬ 
nommene  antiluetische  Kur  bei  einem  der  letztgenannten  keine  Besserung 
erzielte.  Nach  Wertung  der  serodiagnostischen  Resultate  ist  darauf 
hingewiesen  worden,  daß  die  Bezeichnung  meta-  und  parasyphilitisch 
noch  nicht  den  engen  Zusammenhang  der  Tabes  und  Paralyse  mit  der 
Lues  kennzeichnet,  andererseits  wird  aber  aus  demselben  Grunde 
behauptet,  daß  es  Tabesfälle  gibt,  die  nichts  mit  Syphilis  zu  tun 
haben.  Und  Blaschko  weist  darauf  hin,  daß  unter  seinen  negativen 
Tabikern  sich  mehrere  Bleiarbeiter  befinden.  Bei  der  Lues  hereditaria 
bekommt  man  fast  immer  ein  positives  Resultat. 

Mein  Material  ist  für  die  Beurteilung  der  Therapie  nach  2  Rich¬ 
tungen  hin  interessant,  ohne  daß  die  Zahl  der  Fälle  bindende  Schlüsse 
erlaubt.  In  meinen  Notizen  findet  sich  in  einer  großen  Zahl  der  Fälle 
mit  negativen  Reaktionen  die  Bemerkung,  daß  eine  mehr  oder  weniger 
starke  Behandlung  vorausgegangen  ist,  andererseits  ergaben  auch  einige 
nach  einer  zeit  weisen  Behandlung  bei  der  erstmaligen  Untersuchung 
ein  positives  Resultat.  Ferner  sind  13  Fälle  vor  und  nach,  resp.  unter 
der  Behandlung  untersucht  worden.  Von  den  13  zu  Beginn  positiv 
reagierenden  waren  5  unter  der  Behandlung  resp.  nach  Schluß  der- 

10* 


148 


Willi.  Hancken, 


selben  noch  positiv,  2  hatten  noch  nicht  ganz  ausgeschmiert,  3  weitere 
zeigten  noch  eine  schwache  Hemmung  der  Hämolyse  (Kuppe)  und 
5  waren  vollständig  negativ  geworden. 

Die  3.  Gruppe  meiner  Statistik,  die  die  auf  Lues  fraglichen 
Sera  berücksichtigt,  enthält  natürlich  eine  Menge  von  Fällen,  wo  die 
Wahrscheinlichkeit  einer  luetischen  Ätiologie  von  vornherein  ziemlich 
gering  war.  Bei  den  meisten  negativ  reagierenden  hat  die  weitere 
Beobachtung  eine  anderweitige  Ätiologie  ergehen.  Zugegeben,  daß  der 
eine  oder  andere  Fall  noch  der  Reaktion  entgangen  ist,  liegt  der 
Hauptwert  doch  in  den  positiven  Fällen.  Faßt  man  die  bisher  bespro¬ 
chenen  Reaktionen  mehr  im  Sinne  einer  reinen  Nachprüfung  auf,  so  lehrt 
jeder  einzelne  dieser  Fälle,  wie  sie  den  Praktiker  in  seiner  Diagnose 
zu  unterstützen  vermag.  In  einem  Teil  der  Fälle  lagen  zweifelhafte 
Ulcerationen  an  den  Genitalien  vor,  der  positive  Ausfall  sicherte  erst 
die  Diagnose  und  damit  die  Berechtigung  zum  therapeutischen  Ein¬ 
greifen.  Eine  Diagnose  ex  juvantibus  sollte  jetzt  eigentlich  nur  noch 
da  angewandt  werden,  wo  auch  die  Seroreaktion  im  Stich  gelassen  hat. 
Die  Entnahme  von  5—10  ccm  Blut  aus  der  Armvene  ist  immerhin 
unschädlicher  als  eine  Quecksilberkur,  und  die  Reaktion  gibt  auch 
vor  allem  ein  schnelleres  Resultat.  Es  würde  dadurch  sicherlich  die 
Kategorie  von  Patienten  abnehmen,  die  wegen  einer  zweifelhaften 
Affektion  von  einem  zum  andern  Arzt  laufen,  vorsichtshalber  mit 
Quecksilber  und  Jodkali  behandelt  werden  und  nun  zeitlebens  als 
Syphilitiker  gelten.  Einige  weitere  Beispiele  mögen  den  klinischen 
Wert  noch  illustrieren. 

In  einem  Fall  wurde  bei  einem  jungen  Mann  mit  Myelitis  auf  die 
Reaktion  hin  eine  Schmierkur  unternommen  und  nach  einiger  Zeit 
Blasen-  und  Mastdarmstörung  beseitigt,  die  Lähmungen  sind  allerdings 
noch  nicht  vollständig  zurückgegangen.  Ein  ziemlich  großer  Decubitus, 
der  vorher  aller  Pflege  und  Therapie  getrotzt  hatte,  ging  ziemlich 
schnell  zurück.  Ein  anderer  Fall  betraf  eine  ältere  Frau,  die  zur 
Begutachtung  auf  Invalidenrente  geschickt  war.  Es  lag  bereits  ein 
Gutachten  vor,  das  aussagte,  die  Patienten  leide  an  den  Folgen  einer 
Zellgewebsentzündung,  Asthma  bronchiale  und  Krampfadern.  Sexuelle 
Infektion  komme  nicht  in  Betracht.  Wir  fanden  alte,  mit  den  Schädel¬ 
knochen  verwachsene,  strahlige  Narben  und  fluktuierende  Stellen  auf 
dem  Kopf  —  Gummata  — ,  die  erweicht  waren.  Die  Reaktion  gab 
uns  zu  unserer  subjektiven  Überzeugung  den  objektiven  Beweis  der 
Lues,  für  die  forensische  Tätigkeit  nicht  zu  unterschätzen.  Einmal 
konnte  ich  noch  aus  dem  Leichenblut  die  anatomisch-pathologische  Dia¬ 
gnose  bestätigen,  analog  den  Befunden  von  Pick,  Proskauer,  Frankel 
und  Much.  Eine  ältere  Frau  kam  mit  Magenbeschwerden  und  einem 
der  Behandlung  trotzenden  subakuten  Gelenkrheumatismus  ins  Kranken¬ 
haus.  Sie  klagte  über  nächtliche  Kopfschmerzen,  leugnete  eine  Lues¬ 
infektion.  Auch  eine  Befragung  des  Mannes  ergab  nichts.  Die  Reaktion 
war  positiv.  Leider  verließ  sie  zu  früh  das  Krankenhaus,  so  daß 
sie  nicht  mehr  antiluetisch  behandelt  werden  konnte.  Zweimal  konnte 
die  Differenzialdiagnose  zwischen  Lupus  und  Lues  gestellt  werden 
zugunsten  der  Lues.  Ein  weiterer  Beobachtungspatient  klagte  neben 
sonstigen,  hauptsächlich  gastrischen  Beschwerden,  über  Schwindelan¬ 
fälle.  Er  gab  die  Möglichkeit  einer  Infektion  zu,  wußte  aber  nichts 
weiter  anzugeben.  Auf  der  Glans  penis  hat  er  einige  nicht  charakte- 


Uber  die  praktische  Bedeutung  der  Wassermann’schen  Syphilisreaktion.  149 


ristischej  Narben.  Die  positive  Reaktion  gab  erst  die  Gewißheit  einer 
iiberstandenen  Syphilis. 

Berücksichtigt  muß  dabei  werden,  daß  die  Reaktion  natürlich 
nur  eine  konstitutionelle  Diagnose,  keine  Organdiagnose  liefert.  Es 
kann  natürlich  einmal  ein  Patient  infolge  voraufgegangener  Lues 
positiv  reagieren,  leidet  aber  außerdem  an  einem  Karzinom  oder  der¬ 
gleichen. 

Mit  den  Ergebnissen  meiner  Untersuchungen  befinde  ich  mich 
in  vollkommener  Übereinstimmung  mit  den  in  der  Literatur  bisher 
niedergelegten.  Zum  Vergleich  führe  ich  noch  die  Resultate  einiger 
anderer  Autoren  an: 

Blaschko:  400  Fälle. 

Positive  Reaktionen. 

Initialperiode . 90  °/0 

Frühperiode  mit  Symptomen  .  .  98  „ 

„  ohne  „  .  80  „ 

Spätperiode  mit  „  .  91  „ 

„  ohne  „  .  57  „ 

Cerebrospinalerkrankungen.  .  .  60  „ 

Meier,  aus  dem  Wassermann’schen  Laboratorium: 

314  Sera,  28  Lombalflüssigkeiten,  1  Hirn  Ventrikelflüssigkeit, 
1  Placenta,  1  Hydrocelenflüssigkeit. 

21  Kontrollfälle  negativ,  202  klinisch  sicher  gestellt. 

148  =  81, 7°/ 0  + 

5  =  2,7  ,  ? 

28  =  15,6  „  — 

Ledermann:  304  Fälle. 

86  Kontrollfälle  negativ,  218  z.  T.  manifest,  z.  T.  anamnestisch 

sicher  gestellt. 


Prim.  Affekt . 

52,63 

Sek.  Lues . 

100,00 

Latente  Periode . 

68,00 

Tertiäre  Lues . 

92,02 

Cerebrospinalaffektionen  . 

88,00 

Die  Hauptleistung  der  Wassermann’schen  Reaktion  liegt  un¬ 
zweifelhaft  auf  dem  Gebiet  der  Diagnose.  Ist  die  Diagnose  gesichert, 
ist  dadurch  auch  die  Therapie  bestimmt. 

Citron  hat  statt  der  chronisch  intermittierenden  Behandlung 
die  chronisch  intermittierende  Untersuchung  gefordert.  Aber,  abge¬ 
sehen  davonr,  daß  man  nicht  recht  weiß,  in  welchem  Zeitabstand  man 
untersuchen  soll,  muß  man  beim  positven  Ausfall  natürlich  weiter 
behandeln,  darf  jedoch  beim  negativen  Ausfall  nicht  ohne  weiteres 
darauf  verzichten.  Dem  Patienten  können  wir  außerdem  nie  versprechen, 
daß  wir  die  positive  Reaktion  in  eine  negative  verwandeln.  Es  ist 
allerdings  zu  hoffen,  daß  wir  später  uns  nicht  allein  mehr  von  rein 
klinischen  Gesichtspunkten  leiten  lassen  werden,  ist  doch  jetzt  bereits 
der  Einfluß  der  Therapie  auf  die  Reaktion  einwandsfrei  sichergestellt. 
4Vir  können  bereits  heute  mit  gutem  Gewissen  bei  einwandsfrei  fest¬ 
gestelltem  Primäraffekt  (positiver  Spirochätenbefund)  und  negativer 
Reaktion  die  Exzision  oder  Galvanokaustik  empfehlen,  in  der  Hoffnung, 
damit  einen  abortiven  Verlauf  zu  erzielen.  Für  die  Prognose  kann 
man  nur  sagen,  daß  eine  negative  Reaktion  günstiger  sei,  als  eine 
positive. 


150 


Lilienstein, 


Auch  für  den  Ehekonsenz  müssen  wir  rein  klinische  Gesichts¬ 
punkte  in  den  Vordergrund  stellen.  Ist  der  Patient  fünf  Jahre  frei 
von  Erscheinungen,  regelmäßig  behandelt,  wird  man  die  Ehe  gestatten 
dürfen.  Bei  positiver  Reaktion  würde  ich  allerdings  unter  allen  Um¬ 
ständen  eine  Kur  zur  Sicherheit  vorschlagen.  Man  darf  nicht  ver¬ 
gessen,  daß  der  positive  Ausfall  allem  Anschein  nach  die  Anwesenheit 
von  Spirochäten  bedeutet.  Dieselben  brauchten  wegen  ihrer  Lokali¬ 
sation  in  den  innern  Organen  (z.  B.  Mesaortitis)  nicht  gerade  infektiös 
zu  sein. 

Eür  die  Ammen  wird  eine  serologische  Untersuchung  kaum  durch¬ 
zuführen  sein,  so  wünschenswert  diese  auch  wäre.  Andererseits  müßte 
man  dann  auch  die  Untersuchung  jedes  Säuglings  fordern.  Jedenfalls 
wird  man  einer  positiv  reagierenden  Amme  kein  gesundes  Kind  an- 
legen  dürfen.  Die  Ammenvermittlung  soll  deshalb  auch  durch  die 
Ärzte  gehen  und  nicht  durch  die  sogenannten  Ammenvermittlerinnen. 

Eür  die  Prostituierten  handelt  es  sich  wesentlich  um  die  Infek¬ 
tiosität,  eine  Erage,  die  die  Reaktion  nicht  vollkommen  löst.  Da  aber 
jede,  die  aktives  Virus  beherbergt,  jederzeit  infektiös  werden  kann, 
sollte  man  die  Prostituierten  doch  möglichst  der  Heilung  entgegen¬ 
führen. 

Eür  die  Lebensversicherungen  wird  sich  die  serologische  Unter¬ 
suchung  als  die  Aufnahmebedingungen  zu  sehr  erschwerend,  nicht  durch¬ 
führen  lassen.  Eine  positive  Reaktion  müßte  nach  Blaschko’s  und 
Waldvogeks  Statistik,  der  zufolge  1/3  aller  Luetiker  ihrer  Lues 
schließlich  erliegt,  mindestens  zum  Abschluß  kurzfristiger  Verträge 
führen. 

Zum  Schluß  sei  noch  auf  die  Verwertbarkeit  für  statistische 
Erhebungen  hingewiesen. 

Die  Wassermann’sche  Reaktion  hat  in  den  drei  Jahren  ihres 
Bestehens  bereits  eine  große  Bedeutung  für  die  ärztliche  Praxis  ge¬ 
wonnen. 


Die  Behandlung  der  Alkoholkranken  außerhalb  der  Irrenanstalten. 

Referat  auf  der  Jahresversammlung  des  Vereins  abstinenter  Ärzte  des  deutschen 
Sprachgebiets,  Frankfurt  a.  M.,  den  3.  Oktober  1908. 

Erstattet  von  Dr.  Lilienstein,  Nervenarzt  in  Bad  Nauheim. 

M.  H. !  Auf  Anregung  des  Herrn  Vorsitzenden  habe  ich  mir  die 
Aufgabe  gestellt,  Ihnen  über  Erfahrungen  bei  der  Behandlung  von 
Alkoholkranken  in  der  ärztlichen  Praxis  zu  berichten.  Dieselbe  zer¬ 
fällt  naturgemäß  in  eine  allgemeine,  hygienische  einerseits  und  eine 
spezielle,  individuelle  Behandlung  des  einzelnen  Trinkers  andererseits. 
Die  erste  berücksichtigt  die  Sozialen  Ursachen  und  sucht  durch  allgemeine 
hygienischen  Maßnahmen,  durch  gesetzliche  Bestimmungen  (Prohibi¬ 
tion,  Gotenburger  System),  Unterstützung  der  Abstinenzpropaganda  usw. 
den  Alkoholismus  als  Volkskrankheit  zu  bekämpfen.  Die  spezielle 
Therapie  des  einzelnen  Alkoholkranken  muß  ebenso  wie  diejenige  bei 
anderen  Krankheiten  individualisieren:  Im  einzelnen  Lall  muß  z.  B. 
berücksichtigt  werden,  ob  ein  psychisch  -degenerativer  Zustand  vorliegt, 
ob  Ernährungsstörungen  eine  Älkoholintoleranz  bedingen,  ob  bestimmte 
konsekutive  Organerkrankungen  (z.  B.  des  Magens,  des  Herzens,  der 
Leber)  in  Angriff  genommen  werden  können.  Es  kann  auch  eine  Beein- 


Die  Behandlung  der  Alkoholkranken  außerhalb  der  Irrenanstalten. 


151 


flussung  der  Trunksucht  als  solcher  durch  Suggestivbehandlung,  Medi¬ 
kamente  usw.,  angezeigt  sein. 

Eine  strenge  Trennung  der  allgemeinen  und  der  speziellen  Therapie 
des  Alkoholismus  ist  indessen  nicht  durchzuf ühren,  da  beim  einzelnen 
Kranken  häufig  Maßnahmen  allgemein  hygienischer  Natur  ins  Auge 
zu  fassen  sind  und  andererseits  spezielle  individuelle  Maßnahmen  allge¬ 
meine  Bedeutung  erlangen  können.  Eine  auch  nur  einigermaßen  ein¬ 
gehende  Erörterung  der  allgemeinen  Behandlung  der  Trunksucht  würde 
ein  Aufrollen  der  ganzen  Alkoholfrage  bedeuten.  Wollte  ich  anderer¬ 
seits  nur  die  spezielle  Therapie  im  engeren  Sinne  berücksichtigen,  so 
wäre  ich  fast  am  Ende,  ehe  ich  angefangen  hätte,  da  bisher  ein  Spezi¬ 
fikum,  etwa  ein  Serum  (Krainsky)  gegen  die  Trunksucht,  noch  nicht 
gefunden  wurde. 

Kaum  ein  Organ  des  menschlichen  Körpers  bleibt  von  Erkran¬ 
kungen  infolge  von  Alkoholmißbrauch  verschont.  Ich  will  nur  kurz 
die  wichtigsten  und  bekanntesten  Schädigungen  hervorheben : 

Am  Herzen  und  am  Gefäßsystem  werden  Arteriosklerose, 
Hypertrophie  des  Herzens  und  nervöse  Herzstörungen  inf  olge  von  Alko¬ 
holmißbrauch  beobachtet. 

An  der  Lunge  wird  nach  Angabe  aller  kompetenten  Beurteiler 
die  Tuberkulose  und  die  kruppöse  Pneumonie  durch  chron.  Alkoholismus 
verschlimmert. 

Eine  bestimmte  Form  der  Nierenentzündung,  die  Schrumpfniere 
wird  in  vielen  Fällen  auf  Alkoholmißbrauch  zurückgeführt. 

Von  den  D ig es tions Organen  ist  es  der  Magen  und  der  Bachen, 
die  durch  chronische  Katarrhe,  die  Leber,  die  durch  Hypertrophie  und 
konsekutive  Schrumpfung  auf  Alkoholmißbrauch  reagieren. 

Die  alkoholische  Neuritis  kann  ihrer  Natur  nach  jedes  Organ 
treffen.  Besonders  verhängnisvoll  ist  sie,  wenn  sie  einen  oder  beide 
Sehnerven  befällt,  also  das  Auge  bis  zur  völligen  Blindheit  ßchädigt. 
Häufiger  noch  ist  die  Neuritis  der  peripheren  Nerven  in  der  Form 
der  Pseudotabes  alcoholica  zur  Lähmung  beider  Beine,  zur  Kontraktur 
von  Extremitäten  führend. 

Selbst  die  sonst  so  widerstandsfähige  Haut  erkrankt  unter  dem 
Einfluß  des  Alkohols  in  der  Form  der  Acne  rosacea. 

Stof f Wechsels törunge n,  Diabetes  und  Fettsucht,  Einfluß  auf 
die  gesamte  Konstitution,  in  der  Form  der  Abschwächung  des  Wider¬ 
stands  gegen  Infektionskrankheiten  werden  ebenfalls  nicht  selten  als 
Folge  von  Alkoholmißbrauch  beobachtet. 

Vergiftungen  durch  Blei,  Arsenik  zeigen  verderblichere  Folgen 
bei  chronischem  Alkoholismus. 

Wunden  heilen  bei  Alkoholisten  langsamer. 

Degeneration  der  Nachkommenschaf t,  in  der  Form  der  Idiotie 
und  allgemeinen  Schädigung  der  Kinder  durch  frühzeitigen  Alkohol¬ 
genuß  sind  in  Trinkerfamilien  recht  häufig. 

Am  schlimmsten  und  verherendsten  sind  die  Wirkungen  des  Alko¬ 
holmißbrauchs  auf  das  Zentralnervensystem,  das  Gehirn  und  seine 
Häute.  Ganz  grobe  Veränderungen  sind  die  häufig  zu  beobachtende 
Pachymeningitis  haemorrhagica  zu  Apoplexien  und  allgemeiner  Demenz 
führend.  Ferner  Veränderungen,  Atrophien  an  den  Bindenzellen.  Be¬ 
stimmte  Psychosen,  z.  B.  die  Korsakow’sehe  polyneuritische  Psychose, 
das  Delirium  tremens  werden  ausschließlich,  eine  große  Zahl  von  anderen 
vorzugsweise  auf  Alkoholmißbrauch  zurückgeführt. 


152 


Lilienstein, 


Ein  großes  und  die  Alkoholfrage  als  solche  erst  zu  ihrer  unge¬ 
heueren  Bedeutung  erhebendes  Kapitel  bilden  die  krankhaften  ethischen 
Defekte,  die  zum  Teil  als  unmittelbare  Folge  des  Alkoholmißbrauchs 
auftreten. 

Ich  denke,  daß  diese  Liste  groß  genug  ist,  um  das  Interesse  eines 
jeden  Arztes  für  das  schwere  und  abwechslungsreiche  Bild  des  chronischen 
Alkoholismus  zu  wecken. 

Trotzdem  reicht  die  Beachtung,  die  der  Alkoholisüius  als  Volks- 
krankheit  bisher  gefunden  hat,  lange  nicht  an  diejenige  heran,  die 
z.  B.  der  Tuberkulose,  den  Blattern  und  anderen  Volksseuchen  gewidmet 
wird.  Das  liegt  offenbar  zum  Teil  daran,  daß  die  verheerenden  Wir¬ 
kungen  des  Alkoholmißbrauchs  im  Volk,  bei  den  Behörden  und  Selbst 
unter  den  Ärzten  noch  nicht  genügend  bekannt  sind.  Weitgehendste 
Aufklärung  ist  hier  also  am  Platze.  Ich  möchte  einer  Anregung  von 
Edinger  folgend  den  Vorschlag  machen,  daß  wir  von  seiten  unseres 
Vereins  statistische  Erhebungen  über  die  Alkoholkranken  in  die  Wege 
leiten,  um  sie  der  Öffentlichkeit,  der  Presse  und  den  Behörden  zur  Ver¬ 
fügung  zu  stellen  und  so  nüchterne'  Zahlen  eindrucksvoll  sprechen  zu 
lassen.1) 

Eür  die  Vernachlässigung  der  öffentlichen  Hygiene  in  bezug  auf 
den  Alkoholismus  scheint  ferner  der  Pessimismus  schuld  zu  sein,  der 
gegenüber  dieser  Krankheit  herrscht  :  Es  ist  vielleicht  eine  Nachwirkung 
des  allgemeinen  therapeutischen  Nihilismus  der  50er  und  60er  Jahre 
des  vorigen  Jahrhunderts.  Man  sagt  sich:  Sind  es  psychopathisch  Min¬ 
derwertige,  so  werden  sie  auf  ein  paar  Wochen  geheilt  und  früher  oder 
später  doch  wieder  von  dem  krankhaften  Trieb  erfaßt.  Oder  das  Milieu, 
das  Alkoholgewerbe  hat  exogen  zur  Erkrankung  geführt,  so  erscheint 
eine  Änderung  durch  den  Arzt  unmöglich.  Der  Not  und  dem  sozialen 
Elend  gegenüber  fühlt  man  sich  erst  recht  ohnmächtig  und  läßt  den 
Dingen  meist  ihren  Lauf.  Aber  nicht  einmal  bei  ausgebildetem  Alko¬ 
holismus  ist  die  Prognose  absolut  ungünstig.  Das  beweisen  Eälle  |aus 
meiner  Praxis,  die  an  den,  schwersten  Formen  des  chronischen  Alko¬ 
holismus  erkrankt  waren,  selbst  solche,  die  mehreremal  an  Delirium 
tremens  gelitten  haben  und  die  nunmehr  seit  Jahren  alkoholabstinent, 
d.  h.  doch  zum  mindesten  zurzeit  gesund  sind.  Viel  besser  ist  natür¬ 
lich  die  Prognose,  wenn  eine  rationelle  Prophylaxe  rechtzeitig  einsetzt. 
In  einem  Kreis  von  Totalabstinenten  (z.  B.  auch  bei  abstinenten  Völkern, 
den  Muhamedanern  usw.)  ist  die  Gefahr  des  Alkoholismus  auf  ein  Mini¬ 
mum  reduziert. 

Der  Einwand,  daß  beim  Wegfall  des  Alkohol-,, Teufels“  ein  an¬ 
derer  „Teufel“  von  dem  erkrankten  Individium  oder  dem  vom  Alkohol 
befreiten  Volke  Besitz  ergreifen  müsse,  braucht  doch  wohl  nicht 
widerlegt  zu  werden:  Man  braucht  ja  auch  z.  B.  Maßnahmen  gegen  die 
Tuberkulose  nicht  etwa  dagegen  zu  verteidigen,  daß  sie  gegen  die 
Blatterngefahr  nichts  nützten. 

Ich  weiß  recht  wohl,  daß  von  vielen  berufenen  Ärzten  die  An¬ 
staltsbehandlung  als  das  einzig  wirksame  Mittel  gegen  die  Trunksucht 
angesehen  wird.  Ich  habe  mich  selbst  als  Anstaltsarzt  häufig  über 
die  Kurzsichtigkeit  und  Hartnäckigkeit  gewundert,  mit  der  die  Haus¬ 
ärzte  und  mehr  noch  die  Angehörigen  zögern,  Kranke  den  Anstalten 

b  Der  Verein  abstinenter  Ärzte  hat,  meiner  Anregung  folgend,  beschlossen, 
diese  Erhebungen  anzustellen,  und  wird  sich  mit  Fragebogen  usw.  an  die  betr. 
Anstalten  wenden. 


Die  Behandlung  der  Alkoholkranken  außerhalb  der  Irrenanstalten. 


153 


zuzuführen:  Während  dieselben  zu  Hause  wenig  Appetit  hatten,  un¬ 
ruhig  waren,  die  Familie  in  ständiger  Aufregung  hielten  und  in  keiner 
Weise  vom  Trinken  abgehalten  werden  konnten,  blühten  sie  alsbald  nach 
der  Aufnahme  in  die  Anstalt  auf,  bekamen  Appetit,  verhielten  sich 
ruhig  und  geordnet,  arbeiteten,  zeigten  keinerlei  Erregung.  Auch  ich 
sah  also  damals  in  der  Anstaltsbehandlung  das  vorzüglichste  und  unter 
allen  Umständen  je  eher  desto  besser  anzuwendende  Mittel  zur  Behand¬ 
lung  der  Trunksucht.  In  dieser  Hinsicht  hat  sich  indessen  meine  An¬ 
sicht  durch  die  Erfahrung  in  der  Praxis  geändert:  Ich  schätze  auch 
jetzt  noch  den  Wert  einer  guten  Anstaltsbehandlung.  Was  man  aber 
als  Anstaltsarzt  —  zumal  als  junger  Assistensarzt  —  leicht  übersieht, 
sind  die  der  Anstaltsbehandlung  entgegenstehenden  Faktoren : 

Zunächst  spielt  in  einem  solchen  Fall  der  Kostenpunkt  eine  große 
Rolle.  Die  Vermögensverhältnisse  sind  gewöhnlich  teils  durch  den  ge¬ 
steigerten  Verbrauch  an  alkoholischen  Getränken,  teils  durch  die  in¬ 
tellektuellen  und  ethischen  Defekte  des  Trinkers  verschlechtert.  Auch 
die  billigsten  Verpflegsätze  bedeuten  für  die  Familie  —  zumal  da  es 
sich  meist  um  den  Ernährer  derselben  handelt  —  eine  ungeheure,  viel¬ 
fach  unerschwingliche  Last.  Die  Heilung  in  der  Anstalt  ist,  wie  sich 
der  gewissenhafte  Arzt  sagen  muß,  nicht  von  Dauer.  Ein  viertel  Jahr 
nach  der  Entlassung  steht  man  wieder  vor  derselben  Frage.  Früher 
oder  später  muß  das  Armenamt  die  Kosten  des  Anstaltsaufenthalts 
tragen.  Die  Anstalt  behält  den  anscheinend  —  und  zurzeit  auch  wirk¬ 
lich  —  geheilten  Alkoholisten  meist  wegen  Platzmangel  nur  ungern.  Er 
wird  entlassen,  zu  Hause  arbeitet  er  nichts  mehr,  er  stört  sogar  die  Frau, 
die  sich  und  ihre  Kinder  durch  redliche  Arbeit  zu  erhalten  bestrebt 
ist,  er  fängt  wieder  zu  trinken  an  und  wird  wieder  zur  Anstalt  ge¬ 
bracht.  So  geht  das  Spiel  fort,  bis  er  nach  wiederholten  Aufnahmen 
( —  es  gibt  Rekords  von  30 — 40  Aufnahmen)  als  elendes  Wrack  dauernd 
anstaltsbedürftig  wird. 

Die  durch  Alkoholismus  bedingten  kriminellen  Handlungen  bilden 
eine  weitere  Komplikation,  die  den  Patienten  häufig  erst  auf  dem  Um¬ 
weg  über  die  Strafanstalt  nach  der  Irrenanstalt  führt.  Er  wird  vor 
Gericht  oder  im  Gefängnis  als  unzurechnungsfähig,  oder  strafvollzugs¬ 
unfähig  erklärt,  die  Irrenanstalt  muß  ihn  zur  Behandlung  aufnehmen. 
Er  wird  „geheilt“,  soll  entlassen  werden,  die  Strafanstalt  zögert  den 
Kranken  zurückzunehmen,  die  Irrenanstalt  ihn  zu  behalten  —  zur 
Entlassung  kann  er  nicht  kommen,  so  entsteht  wie  Regierungsrat  Til- 
kowsky  auf  dem  internat.  Kongreß  in  Wien  1902  ausführte,  ein  „nega¬ 
tiver  Kompetenzkonflikt“  zum  Schaden  der  Anstalten  und  zum  Schaden 
des  Patienten,  dessen  Fürsorge  die  Strafanstalten  und  Irrenanstalten  in 
gleicher  Weise  ablehnen. 

Was  die  Zahl  der  Kranken  bei  den  verschiedenen  Volks¬ 
klassen  anlangt,  so  sah  ich,  daß  das  Gros  der  Alkoholkranken  in  den 
Irrenanstalten  und  in  der  ärztlichen  Praxis,  abgesehen  von  den  im 
Alkoholgewerbe  tätigen  (Schankwirten  usw.),  in  erster  Linie  Arbeiter 
sind  und  zwar  (wie  ich  aus  einer  persönlichen  Mitteilung  von  Sioli 
weiß)  meist  ungelernte  Arbeiter,  also  solche,  die  auch  den  anderen  Er¬ 
scheinungen  des  Elends  (Tuberkulose  us!w.)  am  meisten  ausgesetzt  sind. 
In  der  I.  und  II.  V erp flegimgskl asse  der  städt.  Irrenanstalt  in  Frank¬ 
furt  a.  M.  z.  B.  wurden  in  den  Jahren  1906  und  1907  140  Kranke 
(80  Frauen  und  69  Männer)  aufgenommen,  darunter  waren  nur  4  Alko¬ 
holkranke  (2  Männer  und  2  Frauen)  d.  h.  ca.  o°/0  der  Aufnahmen,  ln 


154 


B.  Weißmann, 


der  III.  Klasse  waren  unter  2915  Aufnahmen  (787  Frauen  und  2128 
Männer,  1118  Alkoholkranke  (1024  Männer  und  94  Frauen),  d.  h.  40°/0 
(bei  den  Männern  III.  Klasse  allein  48  °/0,  1897  allein  sogar  56  °/0 !) 

Hierbei  ist  freilich  zu  berücksichtigen,  daß  die-  besitzenden  Alkohol¬ 
kranken  nicht  so  rasch  anstaltsbedürftig  werden,  wie  die  in  beschränkten 
Wohnungen  zusammengedrängten  Proletarier.  Auch  gehen  die  Ver¬ 
mögensverhältnisse  unter  dem  Einfluß  der  Krankheit  bei  vielen  zurück, 
so  daß  sie  in  einer  niedrigeren  Verpflegungsklasse  erscheinen,  als  dem 
Stand  ihrer  Verhältnisse  zurzeit  des  Beginns  der  Erkrankung  entspricht. 

Endlich  bestehen  eine  Reihe  von  Privatanstalten,  in  denen  besitzende 
Trinker  Aufnahme  finden.2)  Aber  alle  diese  Momente  genügen  nicht 
zur  Erklärung  des  außerordentlichen  Mißverhältnisses  zwischen  den 
Prozentzahlen  bemittelter  und  unbemittelter  Alkohol  kranker.  Das  Elend 
an  und.  für  sich  schafft  also  die  Disposition  zum  Alkoholismus,  zum  min¬ 
desten  für  die  Formen  schwerer  Nervenerkrankungen  die  zur  Anstalts¬ 
bedürftigkeit  führen.  Die  Verhältnisse  der  leichteren  Formen  sind 
übrigens  ähnliche.  Ich  schätze  die  Zahl  der  Alkoholkranken  unter 
den  Kranken  besitzender  Stände  auf  höchstens  10°/0,  beim  Proletariat 
auf  40 — 50°/0.  Umgekehrt  habe  ich  bei  Besserung  der  sozialen  Verhält¬ 
nisse  häufig  Heilung  der  Trunksucht  eintreten  sehen.  Zwischen  Trunk¬ 
sucht  und  Elend  besteht  ein  circulus  vitiosus,  dessen  Durchbrechung 
zu  einer  günstigen  Wechselwirkung  zwischen  Vermögenslage  und  Ge¬ 
sundheit  führt.  Alles,  was  gegen  die  Verelendung  eines  Individuums, 
einer  Familie,  eines  Volkes  geschieht,  dient  daher  zu  gleicher  Zeit 
als  Mittel  gegen  den  Alkoholismus. 

Der  Alokolismus  der  Besitzenden  betrifft  häufiger  Psychopathen 
(Dipsomanen  im  engeren  Sinne).  Bei  ihnen  führen  endogene  Faktoren 
zur  Erkrankung.  Diese  endogen  psychopathisch-degenerierten  Trinker, 
zumal  die  hereditär  belasteten,  bedürfen  einer  mehr  oder  minder  dauern¬ 
den  Anstaltspflege  und  zwar  zu  ihrem  eigenen  Vorteil,  da  sie  inner¬ 
halb  der  Anstalt  den  krankheitslösenden  Reizen  entzogen  sind ;  ferner 
aber  auch  zum  Schutze  der  Gesellschaft,  da  ihre  Anfälle  häufig  plötz¬ 
lich  einsetzen  und  zur  Gefährdung  der  Umgebung  führen  können. 

Eine  häufige,  oft  nur  auslösende  Ursache  für  die  Erkrankung 
Besitzender  an  Alkoholismus  bilden  die  Trinksitten,  die  in  bestimmten 
Berufen  (Studenten  und  Offizieren)  gepflegt  werden. 

Eine  dritte  Klasse  von  Alkoholkranken,  die  nicht  durch  die  Not 
zur  Trunksucht  kommen,  bilden  diejenigen,  deren  Gewerbe  sie  mit  alko¬ 
holischen  Getränken  in  Berührung  bringt  (Wirte,  Weinreisende,  Bier¬ 
brauer).  (Schluß  folgt.) 


Ueber  die  Indikation  und  Technik  der  Hetoltherapie. 

Von  Dr.  med.  R.  Weißmann -Lindenfels  (Odenwald). 

(Schluß.) 

Viel  schwieriger  ist  die  Behandlung  von  vorgeschrittenen  Fällen 
von  Lungentuberkulose,  Fälle  mit  höherem  Fieber  und  mit 
großen  Cavernen,  von  Fällen  galoppierender  Schwindsucht  und 
von  Kehlkopf  tuberkulöse  mit  Fieber.  Im  allgemeinen  gehören 
derartige  Fälle  ins  Sanatorium  oder  ins  Krankenhaus.  Nur  ausnahms- 

2)  Eine  Umfrage  bei  diesen  Anstalten  ergab  übrigens  auch  nur  ca.  5  Prozent 
bis  höchstens  8  Prozent  Alkoholkranke  unter  den  Aufgenommenen. 


Über  die  Indikation  und  Technik  der  Hetoltherapie.  155 

weise,  wenn  die  häuslichen  Verhältnisse  durchaus  günstige  sind  und  wenn 
der  Arzt  über  eine  genügende  Erfahrung  in  der  Hetolbehandlung  ver¬ 
fügt,  rate  ich  zur  Behandlung  im  Privathause.  Hier  gilt  es,  die  Kraft 
des  Patienten  zu  schonen  und  zu  heben,  deshalb  gehört  der  Kranke  ins 
Bett,  Die  Diät  ist  auf  das  sorgfältigste  zu  regeln  und  alles  aufzubieten, 
um  den  Appetit  zu  heben.  Wenn  auch  das  Hetol  den  Appetit  günstig 
zu  beeinflussen  vermag,  so  sind  doch  gerade  in  diesen  schweren  Fällen 
eine  sorgfältig  geleitete  Freiluftkur  und  vorsichtig  angewendete  hydria- 
tische  Maßnahmen  sehr  wichtige  Unterstützungsmittel  der  Hetolbehand¬ 
lung.  Die  von  mir  an  anderer  Stelle'2)  genau  beschriebene  Methode 
Mefferts,  die  aus  Packungen,  Waschung  und  Abbrausung  besteht,  ist 
ein  vorzügliches  Mittel  zur  Bekämpfung  des  Fiebers  sowohl  als  auch 
der  Appetitslosigkeit,  Gleichzeitig  wirken  diese  Packungen  ausgezeichnet 
auf  das  Herz. 

Wenn  es  sich  um  rein  tuberkulöses  Fieber  handelt,  also  ein  Fieber 
das  durch  die  Resorption  von  Tuberculotoxin  verursacht  wird,  so  pflegt 
die  Temperatur  sehr  bald  auf  Hetolinjektionen  zu  fallen.  Handelt  es 
sich  aber  um  septisches  Fieber,  also  um  eine  Mischinfektion,  da  bleibt 
das  Hetol  ohne  Einfluß  auf  das  Fieber.  Da  müssen  die  Freiluftliege¬ 
kur,  die  hydriatischen  Maßnahmen  oder  auch  das  kolloidale  Silber  zu 
Hilfe  genommen  werden.  Das  kolloidale  Silber,  Kollargol  oder  Lysar- 
gin,  gibt  man  entweder  intravenös  oder  als  Mastdarminfusion. 

Die  Dosierung  des  Hetols  ist  in  diesen  schweren  Fällen  eine  nicht 
leichte.  Man  hat  vor  allen  Dingen  die  Regel  zu  beobachten,  daß  man 
um  so  niedriger  dosirt,  je  schwächer  der  Kranke  ist,  je  höher  das  Fieber 
ist.  Die  Temperatur  ist  auf  das  genaueste  zu  beobachten.  In  manchen 
Fällen  muß  man  wochenlang  bei  1  mg  Hetol  bleiben,  ehe  man  steigen 
darf.  Oft  geht  die  Temperatur  bei  1  mg  noch  mäßig  in  die  Höhe; 
da  muß  man  dann  ruhig  weiter  injizieren,  oft  fällt  die  Temperatur  dann 
doch  nach  3 — 4  Wochen.*  Manchmal  hat  man  monatelang  noch  abend¬ 
liche  Steigerungen  um  oder  über  38°.  Auch  diese  pflegen  schließlich 
auszubleiben  und  man  kommt  noch  auf  normaler  Temperatur  an. 
Im  allgemeinen  gehe  man  in  der  ersten  Zeit  mit  der  Dosis  sehr  vor¬ 
sichtig  in  die  Höhe  und  dann  nicht  über  5  mg  hinaus.  Erst  wenn  die 
Temperatur,  abfällt  steige  man  langsam  und  gehe  dann  bis  10  höchstens 
15  mg,  aber  unter  genauer  Baobachtung  der  Temperatur. 

Bei  der  sog.  galoppierenden  Schwindsucht  leistet  das  Hetol  wenig. 
Hier  handelt  es  sich  doch  vorwiegend  um  eine  septische  Infektion  und 
wie  wir  wissen,  ist  das  Hetol  gegen  diese  Infektion  machtlos.  Ob  eine 
frühzeitig  eingeleitete  Behandlung  mit  kolloidalem  Silber  in  solchen 
Fällen  etwas  vermag,  steht  dahin,  der  Versuch  lohnte  sich  aber  wohl 
nach  den  günstigen  Erfahrungen,  die  andere  Autoren  nnd  ich  mit  Kollar¬ 
gol  und  Lysargin  bei  septischen  Erkrankungen  gemacht  haben.  Sollte 
es  gelingen,  bei  der  galoppierenden  Schwindsucht  der  Sepsis  durch  kol¬ 
loidales  Silber  Herr  zu  werden,  würde  man  noch  eine  Hetolbehandlung 
anschließen  müssen  oder  doch  abwechselnd  Hetol  und  kolloidales  Silber 
injizieren  müssen. 

Schöne  Erfolge  habe  ich  mit  der  Hetolbehandlung  bei  Skrofulöse 
und  Drüsentuberkulose  gehabt.  Unter  35  Fällen,  die  ich  bisher  be¬ 
handelt  habe,  waren  nur  zwei  Fälle,  bei  denen  der  Erfolg  ausblieb.  Die 
Dosierung  ist  hier  eine  einfache.  Man  fange  auch  mit  1  mg  an,  kann 


2)  Berliner  Klinik,  Heft  240. 


156 


R.  Weißmann, 


aber  sehnell  steigen  und  über  die  Durchschnittsdosis  hinausgehen,  wenn 
nicht  etwa  innere  Erkrankungsherde  nachweisbar  sind.  Nur  in  einigen 
wenigen  Fällen  habe  ich  lokal  Hetol  injiziert.  Sobald  Fluktuation  nach¬ 
weisbar  war,  habe  ich  die  Drüsen  inzidiert,  ausgeschabt  und  mit  Jodo¬ 
formgaze  tamponirt. 

Über  die  Hetolbehandlung  der  Tuberkulose  der  Geschlechts¬ 
organe,  der  Nieren  und  Blase  besitze  ich  keine  Erfahrungen,  wie  ich 
auch  noch  nicht  Gelegenheit  hatte,  Lupus  mit  Hetol  zu  behandeln.  Bei 
den  ersteren  Erkrankungen  ist  ein  Erfolg  nach  LanderePs  Angaben  nur 
in  sehr  frühen  Stadien  zu  erwarten,  während  beim  Lupus  eine  sehr 
mühselige  lokale  Behandlung  empfohlen  wird. 

Bei  Gehirn-  und  Meningealtuberkulose  hat  Länderer  keine 
Erfolge  erzielt,  ich  habe  daher  davon  abgesehen  in  solchen  Fällen  das 
Hetol  zu  versuchen. 

Bei  Tuberkulose  des  Bauchfells  und  des  Darmes  habe  ich 
Hetol  dreimal  angewendet  und  in  allen  drei  Fällen  mit  gutem  Erfolg. 
Es  ist  selbstverständlich,  daß  man  in  diesen  Fällen  die  Diät  ganz  be¬ 
sonders  sorgfältig  zu  regeln  hat.  Zur  Einschränkung  der  Durchfälle  sind 
Opiate  oder  Adstringentien  in  der  ersten  Zeit  nicht  zu  entbehren,  die 
Dosirung  des  Hetols  ist  die  gleiche,  wie  bei  der  Lungentuberkulose,  eher 
etwas  höher.  Auch  hier  hat  man  die  Temperatur  genau  zu  beobachten. 

Obwohl  Albert  Länderer  Chirurg  vom  Fach  war,  obwohl  seine 
Untersuchungen  über  die  Wirkung  der  Zimmtsäure  von  der  Beobachtung 
chirurgischer  Tuberkulosen  ausgingen,  ist  die  Methode  der  Hetol¬ 
behandlung  chirurgischer  Tuberkulosen  noch  durchaus  unfertig,  ihr  Stu¬ 
dium  noch  nicht  zum  Abschluß  gebracht.  Der  Grund  dieser  Erscheinung 
liegt  darin,  daß  die  Lungen-  und  Kehlkopftuberkulose  viel  häufiger  ist 
als  chirurgische  Formen  und  dadurch  Länderer  selbst  dazu  gedrängt 
wurde,  die  Methode  der  Behandlung  innerer  Tuberkulosen  in  erster 
Linie  auszuarbeiten.  Weiterhin  haben  auch  die  praktischen  Arzte  na¬ 
türlich  ihre  Beobachtungen  vorwiegend  an  der  Tuberkulose  der  Lungen 
und  des  Kehlkopfs  gemacht.  Die  Tuberkulosen  der  Knochen  und  Gelenke 
überließ  der  praktische  Arzt  dem  Chirurgen  und  von  diesen  hat  bis  dato 
nicht  ein  einziger  sich  veranlaßt  gesehen,  die  Methode  der  Hetolbehand¬ 
lung  mit  Ausdauer  nachzuprüfen  und  vielleicht  auszubauen.  Ich  be¬ 
grüße  es  daher  mit  großer  Freude,  daß  Otto  Vulpius  in  Heidelberg, 
durch  meine  Publikationen  angeregt,  nunmehr  die  Hetolbehandlung  der 
chirurgischen  Tuberkulosen  nachprüft.  Es  steht  zu  hoffen,  daß  Vulpius, 
wenn  er  sich  von  der  Wirksamkeit  des  Hetols  überzeugt,  die  Methode 
der  Hetolbehandlung  der  Tuberkulose  der  Knochen  und  Gelenke  zu 
einem  gewissen  Abschluß  bringt  und  daß  er  unter  seinen  Fachkollegen 
Nachfolger  findet.  Um  in  dieser  Hinsicht  eine  Anregung  zu  geben, 
wird  die  von  mir  geleitete  Freie  ärztliche  Gesellschaft  zum  Stu¬ 
dium  der  Tuberkulose  mit  besonderer  Berücksichtigung  der 
Hetolbehandlung  ein  Referat  über  die  bisherigen  Erfahrungen  mit 
Hetol  bei  chirurgischen  Tuberkulosen  auf  die  Tagesordnung  ihrer  nächsten 
Versammlung  im  Frühjahr  1909  in  Kassel  setzen. 

Meine  Erfahrungen  beziehen  sich  auf  nur  5  Fälle  von  Gelenk-  und 
Knochentuberkulose.  In  den  drei  Fällen,  in  denen  ich  einen  Dauererfolg 
erzielte,  handelte  es  sich  zweimal  um  geschlossene  Gelenktuberkulosen, 
im  dritten  Falle  um  eine  Rippenkaries,  kompliziert  mit  Tuberkulose  der 
rechten  Lunge  und  des  Kehlkopfs.  Die  ersteren  beiden  Fälle  habe  ich 
lediglich  mit  intravenösen  Hetolinjektionen  und  Ruhigstellung  der  Ge- 


Über  die  Indikation  und  Technik  der  Hetoltkerapie.  .  157 

lenke  sowie  geeigneten  hygienisch  -  diätetischen  Maßnahmen  behandelt. 
In  dem  Falle  von  Eippenkaries  mußte  zu  einer  Entfernung  der  Se¬ 
quester  geschritten  werden.  Lokal  habe  ich  in  diesem  Falle  Hetolkresol 
verwendet,  daneben  aber  regelmäßig  intravenös  injiziert.  Der  Fall  ist 
seit  2  Jahren  völlig  geheilt.  Die  geringe  Zahl  der  von  mir  behandelten 
Fälle  berechtigt  noch  nicht,  über  Indikationen  und  Technik  bei  chirur¬ 
gischen  Tuberkulosen  mich  auszulassen. 

Die  Frage  der  Indikationen  der  Hetolbehandlung  bedarf 
überhaupt  noch  des  eingehenden  Studiums.  Ich  habe  schon  mehrfach 
darauf  hingewiesen,  daß  hin  und  wieder  Fälle  Vorkommen,  bei  denen  man 
der  Hetolbehandlung  eine  günftige  Prognose  stellt  und  die  sich  dann 
doch  völlig  refraktär  gegen  Hetol  verhalten.  Das  Warum?  bedarf  noch 
der  Aufklärung.  Vielleicht  sind  diese  Individuem  infolge  der  be¬ 
sonderen  Beschaffenheit  ihres  Organismus  nicht  in  der  Lage,  genügend 
Antitoxin  und  Immunkörper  zu  bilden,  so  daß  auf  diese  Weise  die 
supponirte  Alexinwirkung  des  Hetols  verhindert  wird.  Es  wäre  vielleicht 
eine  dankbare  Aufgabe,  durch  Bestimmung  des  opsonischen  Index  Klar¬ 
heit  in  diese  Fragen  zu  bringen.  Dann  gelingt  es  vielleicht,  zu  einer 
präzisen  Indikationsstellung  zu  gelangen.  Jedenfalls  ist  auch  dieses  eine 
sehr  wichtige  Aufgabe  für  die  oben  schon  erwähnte  neu  begründete 
Gesellschaft,  die  sich  zunächst,  wie  hier  erwähnt  sein  mag,  damit  be¬ 
schäftigen  wird,  eine  umfangreiche  Statistik  nach  einheitlichen  Gesichts¬ 
punkten  über  die  mit  der  LanderePschen  Methode  erzielten  Erfolge 
auszuarbeiten.  Jedem  Kollegen,  der  sich  mit  der  Hetolbehandlung  be¬ 
schäftigt  oder  beschäftigt  hat,  und  der  bereit  ist,  an  dieser  Statistik  mit¬ 
zuarbeiten,  gibt  der  Verfasser  gern  Auskunft.  Vielleicht  gelingt  es  durch 
gemeinsame  Arbeit,  die  Indikationen  der  Hetoltkerapie  schärfer  zu  um¬ 
grenzen  und  die  Technik  der  Methode  in  mancher  Beziehung  zu  ver¬ 
vollkommnen. 

Ich  möchte  an  dieser  Stelle  nicht  unterlassen,  darauf  hinzuweisen, 
daß  Groß kop ff -Osnabrück  in  der  Gründungssitzung  der  „Freien  ärzt¬ 
lichen  Gesellschaft  zum  Studium  der  Tuberkulose  mit  besonderer  Be¬ 
rücksichtigung  der  Hetolbehandlung“  in  Köln  am  18.  Oktober  1908 
mitteilte,  daß  er  die  Hetolinjektionen  täglich  mache  und  dadurch 
eine  Abkürzung  der  Behandlungsdauer  erziele.  Anfängern  möchte  ich 
raten,  den  von  Länderer  angegebenen  zweitägigen  Turnus  beizubehalten. 
Ob  die  von  Großkopff  angegebene  Methode  sich  bewährt  und  in 
welchen  Fällen  sie  anwendbar  ist,  muß  eine  Nachprüfung  ergeben,  die 
von  mir  und  anderen  in  der  Hetolbehandlung  erfahrenen  Kollegen  er¬ 
folgen  wird. 

Über  die  Technik  der  intravenösen  Injektion  selbst  bedarf  es  wohl 
weiter  keiner  Auseinandersetzung.  Die  intravenöse  Injektion  wird  heute 
schon  so  vielfach  angewendet,  daß  jeder  Kollege  ihre  Technik  kennen 
muß.  Eine  genaue  Darstellung  der  Tecknik  habe  ich  in  meiner  Arbeit: 
„Die  Hetolbehandlung  bei  Tuberkulose“  Berliner  Klinik,  Juni  1908, 
Heft  240  gegeben. 

Ganz  besonders  betonen  möchte  ich,  daß  das  Hetol  ein  chemisch 
sehr  empfindliches  Salz  ist  und  daß  ich  deshalb  empfehle,  aus¬ 
schließlich  die  sterilen  Injektionen  der  Firma  Kalle  &  Co-  A.-G.  in 
Biebrich  a/Rh.  zu  benutzen.  Von  der  Güte  und  Reinheit  des  Präparats 
hängt  der  Erfolg  ganz  wesentlich  ab. 

Ceterum  censeo,  curationem  Hetoli  omnium  medicorum  communem 
faciendam  esse. 


158 


Aus  der  Leipziger  medizinischen  Gesellschaft. 


Aus  der  Leipziger  medizinischen  Gesellschaft. 

In  der  Sitzung  vom  12.  Januar  hielt  Geheimrat  Professor  Dr. 
Cur  sch  mann  einen  .Vortrag  über  die  Influenza-Epidemie  in 
Leipzig  in  den  Winter-  und  Frühlingsmonaten  des  Jahres  1908.  Er 
wies  einleitend  darauf  hin,  daß  das  Bild  der  Influenza  kein  fest  ab¬ 
gegrenztes  und  fest  abgrenzbares  sei,  weil  ein  großer  Wechsel  der 
Symptome  bei  dieser  Krankheit  vorkomme.  In  Leipzig  habe,  wie  er 
aus  seiner  konsultativen  Praxis  wisse,  im  Frühling  des  vorigen  Jahres 
eine  ausgedehnte  endemische  Verbreitung  der  Influenza  bestanden, 
während  im  Krankenhaus  relativ  nicht  so  übermäßig  viel  Fälle  zur 
Beobachtung  gekommen  seien. 

109  Fälle  wurden  dem  Krankenhaus  mit  der  Diagnose  „Influenza" 1 
zugeführt.  32  davon  mußten  als  unsicher  ausgeschieden  werden.  77  Fälle 
lagen  den  Untersuchungen  zugrunde.  Meist  handelte  es  sich  um  jüngere 
Individuen,  darunter  drei  Kinder.  30  Patienten  befanden  sich  im 
höheren  Lebensalter.  Im  großen  und  ganzen  nahm  die  Krankheit 
einen  gutartigen  Verlauf,  nur  ein  Todesfall  wurde  verzeichnet.  Das 
klinische  Bild  war  das  übliche.  Plötzliches  Erkranken  mit  wieder¬ 
holtem  Frösteln,  mit  Kreuz-  und  Gliederschmerzen  und  großer  Prostra¬ 
tion  der  Kräfte,  als  initiale  Erscheinung  Anorexie,  seltener  dagegen 
Übelkeit  und  Erbrechen.  Fast  stets  fanden  sich  Erscheinungen  von 
seiten  der  Hals-  und  Bachenorgane,  Schnupfen,  Heiserkeit  und  angi¬ 
nöse  nicht  tiefgehende  Prozesse. 

Von  seiten  der  Lungen  fehlte  niemals  eine  Bronchitis,  meist  mit 
Auswurf,  seltener  als  trockener  Katarrh  auftretend.  Diese  trockenen 
Katarrhe  erwiesen  sich  aber  als  besonders  unangenehm  infolge  des 
sehr  quälenden  Hustens,  der  zu  heftigen  Kopfschmerzen  Veranlassung 
gab.  Einige  Male  wurde  Lungenblähung  wie  beim  Asthma  beobachtet, 
17mal  lobuläre  Pneumonie,  seltener  die  lobäre  Form.  Letztere  Fälle 
waren  fast  immer  schwerer  und  betrafen  meist  ältere  Individuen.  Bei 
den  im  Krankenhaus  zur  Beobachtung  kommenden  Fällen  verhielt  sich 
der  Herzmuskel  meist  gut,  nur  selten  traten  myokarditische  Erschei¬ 
nungen  und  dann  wieder  bei  älteren  Leuten  auf.  Einige  Male  fand 
sich  auch  Eiweiß  im  Urin.  Die  während  der  großen  Pandemien  so 
häufigen  Obstipationen  mit  ileusartigen  Erscheinungen  kamen  diesmal 
nicht  zur  Beobachtung,  ein  Umstand,  der  vielleicht  mit  der  Natur 
des  Erregers  in  Zusammenhang  zu  bringen  ist.  Das  Nervensystem 
zeigte  sich  häufig  affiziert,  vor  allem  machten  sich  neuralgische 
Schmerzen  bemerkbar.  Das  Fieber  war  sehr  verschieden.  In  ein  Zehntel 
der  Fälle  wurde  es  vermißt,  22  Kranke  fieberten  sehr  hoch,  auch  zog 
sich  das  Fieber  über  längere  Tage  bis  zu  mehreren  Wochen  hin.  Seltener 
erfolgte  schneller  Abfall,  vereinzelt  schon  nach  zwei  Tagen. 

Besonderes  Interesse  bot  die  Epidemie  in  ätiologischer  Hinsicht. 
Bei  der  Art  der  Erkrankung  und  der  regelmäßigen  Beteiligung  der 
Hals-  und  Brustorgane  lag  es  nahe,  eine  genaue  Sputumuntersuchung 
vorzunehmen.  Wenn  dann  in  allen  untersuchten  Fällen  derselbe 
Organismus  gefunden  wird,  so  kann  man  daraus  mit  größter  Wahr¬ 
scheinlichkeit  schließen,  ,daß  in  ihm  der  Erreger  der  Krankheit  zu 
erblicken  ist.  Exakt  bakteriologisch  untersucht  wurden  im  ganzen 
49  Fälle.  Bei  keinem  Kranken  konnte  der  Pfeiffer’sehe  Bazillus 
gefunden  werden.  Dagegen  ließ  sich  bei  46  Kranken  der  Diplo- 


Aus  der  Leipziger  medizinischen  Gesellschaft. 


159 


kokkus  Frankel -Weichselbaum  nachweisen.  Bisweilen  wurde  er  fast 
in  Reinkulturen  gefunden,  stets  in  so  bedeutender  Menge,  daß  andere 
Mikroorganismen  dagegen  weit  zurücktraten,  ja  kaum  in  Betracht 
kommen  konnten. 

In  20  Fällen  wurde  eine  Übertragung  auf  Mäuse  vorgenommen, 
die  bekanntlich  gegen  den  Diplokokkus  sehr  empfindlich  sind.  15  ver¬ 
endeten  zu  einer  Zeit,  wo  Pneumonie-Pneumokokken-Mäuse  auch  ver¬ 
enden.  Die  längste  Lebensdauer  betrug  acht  Tage.  Bei  der  Autopsie 
der  Tiere  fand  sich  Diplokokken-Septikämie.  Aus  diesen  bakterio¬ 
logischen  Untersuchungen  läßt  sich  nun  die  Schlußfolgerung  machen, 
daß  eine  große  Zahl  klinisch  mit  der  Influenza  vollkommen 
übereinstimmender  Fälle,  die  im  Krankenhaus  beobachtet  wurden,  nie 
durch  den  Pfeiffer-Bazillus,  sondern  stets  durch  den  Diplokokkus  ver¬ 
ursacht  waren.  Bei  dem  aus  der  ganzen  Stadt  stammenden  Material 
des  Krankenhauses  läßt  sich  ferner  sagen,  daß  bei  der  vorjährigen 
Epidemie  wohl  sicher  der  Fränkel-Weichselbaum’sche  Bazillus  die  aus¬ 
schlaggebende  Rolle  gespielt  hat.  Wenn  dies  feststeht,  muß  man  die 
Frage  aufwerfen,  ob  die  im  vorigen  Jahr,  speziell  in  Leipzig  auf- 
tretendeu  Erkrankungsfälle  wirklich  als  Influenza  zu  bezeichnen  waren. 
Diese  Frage  ist  zu  bejahen,  denn  es  ist  in  der  Pathologie  auch  sonst 
hinreichend  bekannt,  daß  gleiche  Erscheinungen  von  verschiedenen 
Ursachen  erzeugt  werden  können.  Es  kann  eben  der  Pfeiffer-Bazillus, 
der  ganz  zweifellos  ja  der  Erreger  der  großen  Pandemien  in  den  Jahren 
1889  bis  1892  war,  unter  Umständen  genau  die  gleichen  Erscheinungen 
machen,  wie  der  Diplokokkus. 

In  der  Diskussion  betonte  Hofrat  Bahr  dt  das  häufige  Zusammen¬ 
treffen  von  Angina  und  Influenza  im  letzten  Winter,  noch  am  vierten 
Tage  der  Erkrankung  fanden  sich  bei  seinen  Kranken  häufig 
Beläge.  Dagegen  beobachtete  er  im  letzten  Jahr  sehr  wenig  Pneumo¬ 
nien,  zweimal  war  ein  typischer  Influenzaanfall  mit  Ikterus  und  Leber¬ 
erscheinungen  verbunden.  Der  Ikterus  trat  am  fünften  Tage  ein  und 
dauerte  im  ganzen  fast  drei  Wochen. 

Es  kamen  sehr  viel  influenzakranke  Kinder  zur  Beobachtung. 
Therapeutisch  bewährte  sich  am  besten  Aspirin,  manchmal  auch  Chinin. 
Auch  Sanitätsrat  Lohse  wies  darauf  hin,  daß  die  Fälle  der  letzten 
Epidemie  anders  waren,  wie  im  Jahre  1889.  Es  fehlten  die  nervösen 
Zufälle.  Es  kamen,  trotzdem  er  viele  alte  Leute  unter  seinen  Patienten 
hatte,  wenig  Pneumonien  und  Todesfälle  vor.  Therapeutisch  empfiehlt 
er  große  Dosen  Chinin. 

Professor  Lange  hat  bei  der  letzten  Epidemie  eine  große 
Anzahl  schwerer  Fälle  beobachtet.  Siebenmal  ganz  schwere  Pneumo¬ 
nien,  bei  denen  sich  auch  der  Fränkel-Weichselbaum’sche  Diplokokkus, 
daneben  aber  auch  Staphylokokken  und  Pfeiffer-Bazillen  fanden.  Er 
weist  ferner  auf  das  typische  Bild  der  Influenza  Angina  hin,  die, 
wie  Milner  erwähnt,  zuerst  und  am  genauesten  von  Franke- Braun¬ 
schweig  beschrieben  wurde.  R. 


160 


Ascher,  Breslauer  Brief. 


Breslauer  Brief. 

Von  Dr.  Ascher. 

In  der  Sitzung  vom  20.  Nov.  1908  gab  Prof.  Dr.  von  Strümpell 
eine  ausführliche  Krankengeschichte  eines  Palles  von  Polycythaemie. 

1.  Pall.  32 jähriger  Mann.  Starke  Cyanose  der  Haut  und  der 
Nägel.  Vor  vier  Jahren  ist  wegen  Druckes  der  Schilddrüse  die  Stru- 
mektomie  gemacht  worden.  Zwei  Jahre  hat  die  Besserung  ange¬ 
halten.  Allmählich  stellten  sich  wieder  die  Beschwerden  ein.  Es 
besteht  leichte  Gedächtnisschwäche.  Das  Wesen  der  Krankheit  ist  im 
Gegensätze  zur  Leukämie,  die  abnorme  Produktion  roter  Blutkörper¬ 
chen  ;  im  Augenhintergrund  ist  starke  Schlängelung  der  V enen  zu 
bemerken.  Es  handelt  sich  wahrscheinlich  um  eine  Veränderung  der 
Gefäße  selbst.  Die  Röntgenbestrahlung  hat  eine  Besserung  im  sub¬ 
jektiven  Befinden  herbeigeführt,  ein  Erfolg  mit  objektivem  Befund 
liegt  nicht  vor.  Doch  wird  die  Bestrahlung  fortgesetzt,  v.  St.  weist 
auf  den  Mangel  von  Sektionsprotokollen  in  Publikationen  hin.  Es 
fehlen  genaue  histologische  Befunde  über  Milz  und  Knochenmark. 

Diskussion. 

Kiittner  hat  einen  Fall  von  Polycythaemie  beobachtet,  die  nach 
zwei  Jahren  infolge  einer  Milzexstirpation  wegen  Schußverletzung  ein¬ 
getreten  ist.  Dieser  Fall  ist  auch  mit  einer  ausgesprochenen  Verände¬ 
rung  der  weißen  Blutkörperchen  einhergegangen. 

Stern:  Die  Exstirpation  der  Milz  bei  bestehender  Polycythaemie 
ist  öfter  ohne  Erfolg  gewesen,  daher  beansprucht  der  Fall  Küttner 
Interesse.  Er  selbst  hat  auch  Fälle  mit  gleichzeitiger  Vermehrung 
der  Leukozyten  beobachtet.  Seines  Wissens  nach  sind  bis  jetzt  un¬ 
gefähr  zehn  Obduktionsberichte  publiziert  worden.  Dieselben  haben 
kein  einheitliches  Krankheitsbild  ergeben.  In  zwei  Fällen  ist  von 
französischen  Forschern  Polycythaemie  für  eine  ungewöhnliche  Form 
der  Tuberkulose  gehalten  worden. 

Uthoff  demonstriert  das  Bild  eines  Augenhintergrundes  bei  Poly¬ 
cythaemie. 

2.  Fall.  43 jähriger  Mann  mit  chronischer  Chorea.  Der  Gro߬ 
vater,  Vater  und  drei  Brüder  sind  sämtlich  im  30. — 40.  Lebensjahre  an 
derselben  Affektion  (erkrankt.  Hier  ist  die  starke  Beteiligung  der 
Bauchmuskulatur  bei  den  Zuckungen  hervorzuheben,  ebenso  eine  ge¬ 
ringe  psychische  Störung. 

3.  Fall.  25 jähriger  Mann  mit  Kohlenoxydvergiftung.  Heute 
ist  der  neunte  Tag  nach  dem  Unfall,  Patient  hat  72  Stunden  bewußt¬ 
los  gelegen.  Ein  Aderlaß  ist  erfolglos,  zwei  Kochsalzinfusionen  sind 
von  besserer  Wirkung  gewesen.  Deutliche  motorische  Störungen  waren 
nachweisbar,  heute  besteht  nur  noch  leichte  Gedächtnisschwäche.  Die 
Störungen  machten  einen  zentralen  Eindruck. 

4.  Fall.  Zirka  50 jähriger  Mann,  Steinsetzer,  mit' einer  Ulnaris- 
Lähmung  der  rechten  Hand,  hervorgerufen  durch  den  ständigen  Druck 
des  Hammers.  Diese  Krankheit  ist  schon  als  Berufskrankheit  bei 
Feilenhauern  und  Schleifern  beschrieben  worden.  Doch  gehört  eine 
gewisse  Vulnerabilität  der  Nerven  dazu,  wie  sie  z.  B.  bei  Alkoholikern 
vorhanden  ist.  Bei  diesen  sind  Schlaf  und  Drucklähmungen  häu¬ 
figer.  Dieser  Patient  ist  kein  Alkoholiker. 


Referate  und  Besprechungen. 


161 


5.  und  6.  Fall.  50 jähriger  Mann  mit  Aortensklerose  und  Paralyse. 
50jährige  Frau  mit  Insuffizienz  der  Aortenklappen  und  Tabes,  v.  St. 
weist  auf  die  häufige  Kombination  dieser  Affektionen  hin.  Alle  Krank¬ 
heiten  der  Aorta  im  jugendlichen  Alter,  die  nicht  auf  Gelenkrheumatis¬ 
mus  basieren,  sind  von  der  Syphilis  herzuleiten. 

Müller  sprach  dann  über  das  Verfahren  zum  Nachweis  eiwei߬ 
lösender  Fermente. 

Er  hat  eine  gewöhnliche  Serumplatte  bei  60°  mit  heißem  Kokken¬ 
eiter  und  kaltem  tuberkulösem  Eiter  beschickt. 

Die  Leukozyten  des  heißen  Eiters  sind  an  und  für  sich  eiweiß* 
reich  und  hätten  auf  der  Serumplatte  Dellen  hervorgerufen. 

Der  tuberkulöse  Eiter  besteht  meistenteils  aus  Detritus  und  hat 
die  Serumplatte  nicht  angegriffen. 

Der  Mundspeichel  enthält  ein  diastatisches  und  ein  proteoly¬ 
tisches  Ferment.  Träger  des  proteolytischen  Fermentes  sind  die 
Speichelkörperchen ;  diese  sind  meistenteils  Leukozyten.  Dieselbe  Be- 
wandnis  hat  es  mit  Schleim  und  Kolostrumkörperchen.  Gegen  den 
bakteriellen  Ursprung  dieses  Fermentes  spricht,  daß  die  proteolytische 
Menge  des  menschlichen  Mundspeichels  ungefähr  mit  der  Anzahl  der 
Speichelkörperchen  parallel  ginge.  Dieses  Ferment  besitzen  im  Speichel 

1.  der  Mensch, 

2.  die  höheren  Affen, 

3.  die  Hunde. 

Auf  demselben  Wege  ist  ungenügende  Pankreasfunktion  nach¬ 
weisbar. 

Das  proteolytische  Ferment  des  Darmtraktus  nimmt  von  oben 
nach  unten  hin  zu.  Vor  der  Ileokökalklappe  ist  es  am  stärksten, 
hinter  ihr  ist  es  nur  in  Spuren  vorhanden. 

Schlecht  erläutert  die  Untersuchungsmethode  in  der  medizi¬ 
nischen  Universitätsklinik. 

Der  Patient  bekommt  Darmspülung  und  starke  Abführmittel.  Mit 
der  wässerigen  Entleerung  werden  die  Serumplatten  beschickt.  Be¬ 
weisend  sind  die  Proben  nur  bei  negativem  Ausfall.  Schwankungen 
finden  sich  besonders  bei  Carcinoma  ventriculi  und  Icterus  catarrhalis. 

Diskussion. 

Küstner  fragt  an,  ob  Untersuchungen  mit  Schlangenspeichel  ge¬ 
macht  worden  sind,  weil  dieser  eine  große  proteolytische  Wirkung 
hat.  Schlecht  verneint. 


Referate  und  Besprechungen. 

Bakteriologie  und  Serologie- 

Zwei  neue  Agglutinationsmethoden. 

(Dr.  Kretowski.  Zentralbl.  für  Bakt.,  H.  4,  Bd.  47,  1908.) 

Verfasser  hat  sein  Material  (Serum)  zu  serodiagnostischen  Versuchen 
aus  erstarrtem  Blut,  wie  auch  aus  Wattebäuschen  oder  Fließpapierscheiben, 
die  mit  Blut  getränkt  waren,  erhalten.  Es  ist  selbstverständlich,  daß  die 
Watte  und  das  Fließpapier  steril  sind.  Verfasser  nahm  einerseits  Flie߬ 
papierscheiben  von  20  mm  Durchmesser,  ungefähr  der  Größe  eines  aus¬ 
getrockneten  Bluttropfens  entsprechend.  Es  folgte  ein  Auslaugen  der  Blut¬ 
flüssigkeit  mit  physiologischer  NaCl-Lösung  und  Ansetzen  der  entsprechen- 

11 


162 


Referate  und  Besprechungen. 


den  Verdünnungen.  Es  gehen  die  Agglutinine  in  die  Flüssigkeit  mit  über. 
Andererseits  sammelte  er  5—10  Blutstropfen  auf  ein  Stück  Watte,  das  er 
der  Zentrifugalwirkung  unterwarf.  Das  Serum  aus  Fließpapier  und  Watte 
gewonnen  liefert  Resultate,  •  die  vollständig  mit  denjenigen,  die  nach  den 
gewöhnlichen  Methoden  hergestellt  werden,  kongruent  sind.  Bei  geringen 
Blutmengen  liefern  diese  Verfahren  sehr  gute  Dienste. 

Eigentümlich  war  in  einer  ganzen  Reihe  von  Versuchen  das  Aus¬ 
bleiben  der  Agglutination  bei  konzentrierteren  Verdünnungen  und  ein  sehr 
deutliches  Auftreten  derselben  bei  höheren  Verdünnungen,  wofür  Verf.  einige 
Erklärungen  beifügt.  Schürmann  (Düsseldorf). 


Zur  Erleichterung  der  Meningokokkendiagnose. 

(Prof.  Rüge.  Zentralbl.  für  Bakt.,  H.  5,  Bd.  47,  1908.) 

Verfasser  empfiehlt  auf  Objektträger,  die  in  der  Flamme  abgebrannt 
sind,  je  6 — 8  Tropfen  der  Lumbalflüssigkeit  zu  bringen,  die  man  unter 
einer  Petri-Schale  bei  Zimmertemperatur  eintrocknen  läßt.  Das  Eintrocknen 
dauert  ungefähr  10 — 12  Stunden;  während  dieser  Zeit  findet  eine  lebhafte 
Anreicherung  etwa  vorhandener  Meningokokken  statt,  daß  sie  jetzt  mikro¬ 
skopisch  leicht  nachweisbar  sind.  Schürmann  (Düsseldorf). 


Komplementablenkung  und  biologische  Diagnose  maligner  Tumoren. 

(F.  Ravenna.  Arcli.  p.  1.  scienze  med.,  H.  4,  Bd.  82,  1908.) 

Die  Untersuchungen  Ravenna’s  ergaben,  daß  in  der  Tat  in  einigen 
Fällen  sich  im  Serum  Krebskranker  Substanzen  finden,  die  im  normalen  Serum 
fehlen  und  die  das  Komplement  fixieren  können,  sei  es  für  sich  allein, 
sei  es  in  Verbindung  mit  Krebsextrakt  und  bisweilen  auch  mit  Extrakt 
anderer  Neoplasmen,  Entzündungsherde  und  Organe;  Spezifität  .besitzt 
die  Reaktion  aber  nicht.  Was  die  Natur  dieser  Stoffe  anlangt,  so  handelt 
es  sich  vielleicht  um  Antikörper  gegen  Albuminoide;  bis  jetzt  läßt  sich  noch 
nicht  entscheiden,  welchen  Anteil  daran  die  Produkte  des  Krebses  selbst  und 
welchen  die  des  Gewebszerfalles  haben.  M.  Kaufmann. 


Das  Tuberkuloseserum  Marmorek. 

(F.  Köhler,  H.  Frey,  A.  Sokolowski  u.  B.  Dembinski.  Zeitschr.  für  Tuberk., 

Nr.  2,  Bd.  13,  1908.) 

Die  Mißerfolge  der  Tuberkulinbehandlung  sind  nach  Marmorek  damit 
zu  erklären,  daß  das  ,, Tuberkulin“  nicht  das  eigentliche  Tuberkulosetoxin 
ist.  Dieses,  das  ,,Tuberkulovaczin“,  erhält  man  nur,  wenn  man  die  Jugend¬ 
formen  des  Tuberkelbazillus  (Primitivbazillen)  auf  einem  besonderen,  den 
vitalen  Bedingungen  im  Organismus  analogen  Nährboden  züchtet.  Mit  dem 
aus  ihnen  gewonnenen  Toxin  werden  Pferde  immunisiert,  und  deren  Serum, 
unter  besonderen  Vorsichtsmaßregeln  entnommen,  ist  das  Marmor ek’sche 
Tuberkuloseserum. 

Über  die  spezifische  Wirkung  und  den  therapeutischen  Wert  dieses 
Serums  wird  immer  noch  verschieden  geurteilt.  Frey  erklärt  es  für  „un¬ 
schädlich“  und  für  ein  „spezifisches  Tuberkuloseheilmittel“.  Sokolowski 
und  Dembinski  fanden  ebenfalls,  daß  es,  wenigstens  bei  rektaler  Anwen¬ 
dung,  unschädlich  ist,  können  aber  nach  ihren  Beobachtungen  ein  Urteil 
über  die  Spezifität  des  Serums  nicht  abgeben.  Köhler  berichtet  über  sehr 
ungleiche  Resultate :  einigen  nicht  besonders  auffallenden  Besserungen  stehen 
ausgesprochene  Verschlechterungen  gegenüber,  und  außer  diesen  werden  unan¬ 
genehme  Komplikationen  verschiedener  Art  (Blutungen,  Fieber,  psychische 
Störungen,  Darm  tuberkulöse  usw.)  erwähnt. 

Der  Frey’schen  Ansicht,  daß  „ein  einziger  klassischer  Beweis  seiner 
(des  Serums)  Wirkung  zehn  negative  Resultate  aufhebt“,  möchte  man  doch 


Referate  und  Besprechungen. 


163 


den  Satz  entgegenstellen,  daß  eine  einzige  der  von  Köhler  (und  vor  ihm 
von  anderen)  beobachteten  Schädigungen  eine  ganze  Reihe  von  günstigen 
Berichten  neutralisieren  kann.  Ehe  man  diese  Schädigungen  nicht  sicher 
vermeiden  kann,  wird  sich  das  Serum  kaum  einbürgern. 

Sobotta  (Reiboldsgrün). 


Kritische  Abhandlung  zur  Theorie  und  Praxis  der  Ophthalmoreaktion  nebst 

Literaturverzeichnis  bis  1.  September  1908. 

(F.  Köhler.  Zeitschr.  für  Tuberk.,  Kr.  4,  Bd.  13,  1008.) 

Die  Ursache  der  konjunktivalen  Entzündungsprozesse  bei  der  Ophthalmo¬ 
reaktion  liegt  noch  nicht  klar  zutage.  Die  Annahme,  daß  die  tuberkulölse 
Infektion  des  Organismus  eine  Überempfindlichkeit  der  Konjunktivalzellen 
und  lokale  Antikörperbildung  zur  Folge  hat,  wäre  nur  haltbar,  wenn  sich 
Antituberkulin  nachweisen  ließe.  Es  liegt  die  Möglichkeit  nahe,  daß  das 
Tuberkulin  allein  durch  das  Bakterieneiweiß  Reizerscheinungen  hervorruft, 
wenn  eine  gewisse  Überempfindlichkeit  der  Bindehaut  besteht.  Aber  diese 
Überempfindlichkeit  kann  nicht  als  spezifisch  angesehen  werden,  weil  sie 
auch  bei  Typhus,  Masern,  Erysipel  beobachtet  wird,  und  weil  sie  sich  auch 
bei  Gesunden,  an  denen  sich  keine  Erscheinungen  von  Tuberkulose  nachweisen 
lassen,  oft  genug  zeigt.  Da  die  Konjunktivalreaktion  außerdem  gelegentlich 
auch  in  leichten  Fällen  von  sicherer  Tuberkulose  versagt,  so  lassen  sich 
nicht  einmal  in  verdächtigen  Fällen  Schlüsse  aus  dem  Ergebnis  der  Reaktion 
ziehen:  die  praktische  Verwertung  der  Konjunktivalreaktion  ist  daher  kaum 
denkbar,  wenn  auch  ohne  Frage  die  Erkenntnis  zellular-biologischer  Vorgänge 
in  ihrem  Verhältnis  zur  Infektion  des  Organismus  durch  die  Entdeckung- 
Wolf  f -Eisner’s  ungemein  gefördert  ist. 

Besondere  Bedenken  gegen  die  Anwendung  der  Konjunktivalreaktion 
bestehen  ferner  noch  insofern,  als  durch  sie  die  Einleitung  der  Tuberkulinkur 
erschwert  wird :  unter  der  Einwirkung  der  therapeutischen  Tuberkulindosen 
kann  jederzeit  der  Reizzustand  des  ,  Auges  wieder  auftreten. 

Schließlich  wird  noch  darauf  hingewiesen,  daß  der  Ausfall  der  Reaktion 
vielleicht  weniger  von  der  Ausdehnung  des  tuberkulösen  Prozesses  abhängt, 
als  von  der  „Qualität“  des  Prozesses,  die  einerseits  durch  den  Organismus 
des  Kranken,  andererseits  durch  die  Virulenz  des  Krankheitserregers  be¬ 
dingt  ist.  Sobotta  (Reiboldsgrün). 


Über  die  v.  Pirquet-Detresche  Kutanreaktion. 

(F.  v.  Gebhardt.  Zeitschr.  für  Tuberk.,  Kr.  4,  Bd.  13,  1908.) 

Detre  hat  die  Pir quet’sche  Kutanreaktion  insofern  modifiziert,  als 
er  an  Stelle  des  Tuberkulins  Tuberkelbazillen-Filtrate  anwendet,  in  denen 
die  Toxine  stärker  wirksam  sein  sollen.  Das  Detre’sche  Verfahren  bietet 
auch  die  Möglichkeit,  eine  Entscheidung  darüber  zu  treffen,  ob  eine  Tuber¬ 
kulose  dem  Typus  humanus  oder  bovinus  des  Tuberkelbazillus  zuzuschreiben 
ist,  indem  man  beobachtet,  ob  Humanfiltrat  oder  Bovinfiltrat  eine  stärkere 
Reaktion  hervorruft  (dominierendes  Filtrat).  Natürlich  kommt  neben  der 
humanen  und  bovinen  Reaktion  auch  noch  die  Mischreaktion  vor. 

Im  übrigen  wird  die  praktische  Bedeutung  der  Kutanreaktion  bestätigt 
unter  Hervorhebung  der  Tatsache,  daß  die  chirurgischen  Fälle  eine  stärkere 
Reaktion  geben  als  die  internen.  Sobotta  (Reiboldsgrün). 


Valeur  therapeutique  des  tuberkulines, 

(S.  Bernheim  u.  P.  Barbier.  Zeitschr.  für  Tuberk.,  Kr.  4,  Bd.  13,  1908.) 

Die  aktive  Immunisierung  (Tuberkulintherapie)  verspricht  bei  der  Be¬ 
handlung  der  Tuberkulose  bessere  Ergebnisse  als  die  passive  (Serumtherapie). 
Der  Erfolg  der  Behandlung  hängt  weniger  von  der  Wahl  des  Tuberkulin- 

11* 


164 


Referate  und  Besprechungen. 


Präparates,  als  von  der  Vorsicht  ab,  mit  der  die  Behandlung  geleitet  wird. 
Immerhin  scheint  es,  daß  die  Tuberkuline  von  Beraneck  und  Jacobs,  weil 
sie  außer  den  Toxinen  der  Kulturen  auch  die  Endotoxine  der  Tuberkelbazillen 
enthalten,  wirksamer  sind,  als  die  anderen  Tuberkuline.  Das  J acobs’sche 
Tuberkulin  wird  außerdem  noch  wegen  seiner  Handlichkeit  und  Ungefähr¬ 
lichkeit  besonders  gerühmt.  Sobotta  (Reiboldsgrün). 


Perkutane  Tuberkulinreaktion  nach  Moro. 

(H.  Kanitz.  Wiener  klin.  Wochenschr.,  Nr.  28,  1908.) 

Die  Einreibung  einer  50°/0igen  Tuberkulin-Lanolinsalbe  wurde  an  350 
Patienten  vorgenommen.  Von  108  klinisch  sicheren  Tuberkulosefällen  reagier¬ 
ten  positiv  53  =  49%;  von  den  darunter  befindlichen  Kindern  80%.  Von 
42  Tuberkuloseverdächtigen  reagierten  positiv  27  =  64%,  von  200  Nicht¬ 
verdächtigen  22  =  11%.  Die  bei  147  Personen  vorgenommene  gleichzeitige 
Prüfung  mittels  der  Salbenreaktion  und  der  Kutan-  oder  Konjunktivalreaktion 
ergab  keine  Übereinstimmung:  30  gegen  77%  positiver  Fälle.  Demnach  be¬ 
sitzt  die  Salbenreaktion  keine  spezifische  Bedeutung.  E.  Oberndörffer. 


Vergleichende  Untersuchungen  über  die  Agglutination  von  Typhus  und 
Paratyphusbazillen  im  Verlauf  von  Typhuserkrankungen. 

(B.  Gross.  Zentralbl.  für  Bakt.,  Bd  47,  S.  519,  1908.) 

Bei  einer  Untersuchung  von  Typhuspatientenserum  auf  Agglutination 
gegenüber  verschiedenen  Typhusstämmen,  sowie  Paratyphus  A.  und  B.  fand 
Verfasser  in  dem  Agglutinationstiter  den  einzelnen  Stämmen  gegenüber  außer¬ 
ordentliche  Unterschiede.  Die  angestellten  Agglutinationskurven  liefen  bei 
den  verschiedensten  Stämmen  fast  parallel.  Paratyphus  A.  und  B.  zeigten 
Mitagglutinationen.  Die  Höhe  ihres  Agglutinationstiters  war  abhängig  von 
dem  Typhustiter.  Es  ist  also  für  die  Praxis  angebracht,  bei  negativem 
Ausfall  der  Agglutination  mit  einem  Stamm  andere  zur  Prüfung  zu  ge¬ 
brauchen.  Schiirmann  (.Düsseldorf). 


Untersuchungen  über  Bakterien  der  Enteritisgruppe  (Typus  Gärtner  u. 
Typus  Flügge),  insbesondere  über  die  sogenannten  „Fleischvergiftungs¬ 
erreger“  und  die  sogenannten  „Rattenschädlinge“. 

(Mühlens,  Dahm  u.  Fürst.  Zentralbl.  für  Bakt.,  H.  1,  Bd.  48,  1908.) 

Nach  einer  Fleischvergiftungsepidemie,  hervorgerufen  durch  den  Genuß 
von  Gänsepökelkeule,  verfütterten  die  Verfasser  57  Fleischsorten  an  weiße 
Mäuse,  von  denen  über  50%  unter  den  charakteristischen  Erscheinungen 
starben.  Aus  den  Organen  gelang  stets  die  Züchtung  eines  Bazillus  vom 
Stamm  Gärtner  oder  vom  Typus  Paratyphus  B.  Aus  den  betreffenden 
Fleischsorten  gelang  niemals  die  Isolierung  eines  entsprechenden  Bazillus. 

Identisch  miteinander  sind  die  verschiedenen  Battenschädlinge,  B.  Xa- 
nysz,  Denbar,  Ratin,  Ts  atschenko ;  sie  lassen  sich  vom  Bac.  enteridis 
Gärtner  nicht  unterscheiden.  Sie  töten  nur  50 — 60%  der  grauen  Ratten 
und  sind  so  nur  im  beschränktem  Maße  zur  Rattenvertilgung  geeignet. 

Schürmann  (Düsseldorf). 


Wirkung  der  toxischen  Produkte  des  Streptokokkus  pyogenes  auf  den 

arteriellen  Blutdruck. 

(B.  de  Vecchi.  Zentralbl.  für  Bakt.,  11.  6,  Bd.  46,  1908.) 

Die  Untersuchungen  wurden  mit  dem  Ludwig’sehen  Kymographion 
angestellt,  das  mit  einer  rotierenden  Trommel  versehen  war.  Kaninchen  ge¬ 
brauchte  Verf.  als  Versuchstiere;  5—40  Tage  alte  Streptokokkenkulturen 


Referate  und  Besprechungen. 


165 


(2 — 5  ccm)  wurden  injiziert.  Sofort  nach  der  Injektion  stieg  der  Blutdruck 
an,  um  dann  bis  unter  die  Norm  langsam  herabzufallen.  Nach  3/4  Stunde 
erreicht  er  sprungweise  die  normale  Höhe  wieder ;  es  ändern  sich  dabei  die 
Atmung  und  die  Bewegungen  des  Tieres,  die  zuweilen  in  Krampferschei¬ 
nungen  übergehen.  Vorsichtige  Injektion  von  steriler  Peptonbouillon  ergibt 
keine  Blutdruckschwankungen. 

Eine  physiologische  Erklärung  der  Erscheinungen  kann  Verfasser  nicht 
gehen.  Möglich  wäre,  daß  sowohl  peripherische,  vasomotorische  Erscheinungen 
als  auch  Veränderungen  der  Herzkontraktionen  den  Grund  dafür  abgäben. 

Schürm ann  (Düssei clor f ) . 


Die  Differenzierung  der  pathogenen  und  saprophytischen  Staphylokokken. 

(Joseph  Koch.  Arch.  für  klin.  Chir.,  H.  1,  Bd.  87,  1908.) 

Als  charakteristisches  Unterscheidungsmerkmal  der  echten  pyogenen 
Traubenkokken  gegenüber  den  harmlosen  saprophytischen  Arten  galt  bisher  ihre 
Fähigkeit,  die  Gelatine  zu  verflüssigen,  und  der  positive  Ausfall  der  Färbung 
nach  Gram.  In  neuerer  Zeit  wurde  nachgewiesen,  daß  filtrierte  Kulturen 
von  ihnen  den  Blutfarbstoff  aus  den  roten  Blutkörperchen  herauszogen  und 
die  Deckfarbe  des  Blutes  in  die  Lackfarbe  verwandelten  (Hämolysin  oder  Häma- 
toxinbilclung).  Einen  weiteren  Fortschritt  in  der  Differenzierung  brachten 
die  Untersuchungen  über  ihre  Agglutinationsfähigkeit. 

Wegen  ihrer  Umständlichkeit  sind  diese  letzten  Wege  für  praktische 
Zwecke  nicht  geeignet.  Zur  Sichtbarmachung  der  Hämolyse  benutzt  nun 
Koch  die  Kaninchenblutagarplatte,  die  ohne  große  Mühe  stets  frisch  her- 
gestellt  werden  kann.  Bringt  man  auf  ihre  Oberfläche  pathogene  Trauben¬ 
kokken,  so  zeigen  die  nach  24  Stunden  gewachsenen  Kolonien  die  Hämolyse 
dadurch  an,  daß  in  ihrer  Umgebung  ein  heller  Hof  entsteht. 

Mit  dieser  Methode,  die  Koch  durch  die  umständlicheren  stets  kon¬ 
trollierte,  fand  er,  daß  die  Bakterienflora  der  menschlichen  Haut  und  der 
Haare  zu  90°/o  aus  harmlosen,  meist  weißen  Staphylokokken  besteht,  und 
daß  sie  nur  zu  3 — 5%  echte  pyogene  Staphylokokken  enthält. 

Wenn  diese  auch  mit  den  aus  menschlichen  Krankheitsherden  (Osteo¬ 
myelitis,  Karbunkel  usw.)  stammenden  Kokken  morpho-  und  biologisch  iden¬ 
tisch  sind,  so  bestehen  doch  gewisse  Unterschiede:  Die  menschenpathogenen 
Stämme  produzieren  ungleich  größere  Mengen  Hämolysin,  wobei  sie  wesent¬ 
lich  konstanter  und  geringerer  Schwankung  unterworfen  sind ;  ebenso  ist  ihre 
Fähigkeit,  die  Gelatine  zu  verflüssigen,  weit  größer;  endlich  ist  ihre  primäre 
Virulenz  —  und  das  ist  praktisch  am  wichtigsten  —  bei  weitem  höher  als 
bei  den  übrigen  Arten. 

Im  allgemeinen  darf  man  aus  dem  Grade  der  Hämolysinproduktion 
auf  der  Kaninchenblutagarplatte  einen  Rückschluß  auf  ihren  Virulenzgrad 
ziehen.  Lemmen. 


Innere  Medizin. 

Einige  neue  Ideen  über  Phymatiosis,  dem  internat.  sog.  Tuberkulose- 

Kongreß  von  1908  vorgelegt. 

(A.  Rose,  Newyork.  Newyorker  med.  Monatsschr.,  Nr.  8,  1908.) 

Rose,  der  das  Zwitterwort  Tuberkulosis  durch  das  „wissenschaftlich 
richtigere“  Phymatiosis  ersetzen  möchte,  bekämpft  die  zur  Verbreitung 
dieses  Leidens  dienenden  verkehrten  Einrichtungen  der  Mietskasernen,  der 
Kellerwohnungen,  der  „dark  bedrooms“,  der  den  ganzen  Fußboden,  die  Gänge 
und  Treppen  bedeckenden  Teppiche  und  tritt  ein  für  Verbesserung  von 
Zirkulation,  Innervation  und  Stoffwechsel  der  Phthisiker  mit  Atonia  gastrica 
durch  Behandlung  mit  seinem  Heftpflasterverbande  und  für  Allgemeinbe¬ 
handlung  mit  warmen  Bädern.  Esch. 


166 


Referate  und  Besprechungen. 


Respiratorischer  Stoffwechsel  des  Phthisikers  im  Nachtschweiß. 

(R.  Stähelin.  Zeitsclir.  für  klin.  Med.,  Bd.  66,  S.  241.) 

Ein  61 V2  kg  schwerer  24 jähriger  Tuberkulöser  wurde  im  Jaquet’schen 
Respirationskasten  in  der  Nacht  während  13  Stunden  beobachtet  (zweistündige 
Luftproben!),  wobei  er  übrigens  ziemlich  unruhig  war.  Es  fand  sich,  daß 
der  heftige  Schweißausbruch  keinen  Einfluß  auf  den  Energieverbrauch  aus¬ 
übte;  die  0,0241  Kal.  pro  kg  und  Minute  waren  höchstens  10%  über  dem 
Ruhe-Nüchternwert.  Auch  ließ  sich  eine  Bedeutung  des  Nachtschweißes  für 
die  Wärmeregulation  nicht  nachweisen,  womit  im  Einklang  steht,  daß  ein 
unmittelbarer  Einfluß  des  Schwitzens  auf  die  Temperatur  (speziell  bei  diesem 
Kranken)  sich  nicht  feststellen  ließ.  Die  Verdunstung  des  abgesonderten 
Schweißes,  der  in  der  Hauptsache  im  Hemd  und  Bett  haften  bleibt,  kommt 
nicht  nennenswert  in  Betracht.  H.  Vierordt  (Tübingen). 


Mit  welchen  äußeren  Mitteln  können  wir  die  Aufsaugung  aus  der 

Pleurahöhle  beeinflussen? 

(E.  Plate.  Zeitschr.  f.  phvs.  u.  diät.  Therap.,  12.  Bd.,  9.  H.,  S.  517 — 532.  Dez.  1908.) 

Plate  hat  Kaninchen  20  ccm  einer  erwärmten  10%  Milchzuckerlösung 
in  die  rechte  Pleurahöhle  gespritzt  und  dann  von  H/2  zu  IV2  Stunden  den 
Zuckergehalt  des  Urins  bestimmt.  Kontrollversuche  ergaben,  daß  die  Resorp¬ 
tion  ohne  jede  Behandlung  keineswegs  gleichmäßig  vor  sich  geht,  und  das 
ließ  sich  auch  erkennen,  als  die  Tiere  allerlei  Prozeduren  aus  der  physikalischen 
Therapie  unterworfen  wurden.  Plate  meint,  daß  die  üblichen  Prießnitz- 
schen  Umschläge  kaum  einen  wesentlichen  Einfluß  auf  die  Resorption 
erkennen  ließen,  einen  etwas  besseren  die  Umschläge,  die  mit  wasserdichtem 
Stoff  bedeckt  waren.  Die  SalzwedePschen  Alkoholumschläge  —  50  und 
96%  — ,  Vibrationsmassage,  Heißluftkästen  erzeugten  nach  Plate’s  Urteil 
regelmäßig  eine  nicht  unbeträchtliche  Steigerung  der  Resorption,  so  daß 
also  therapeutisch  diese  Mittel  zunächst  in  Erage  kämen.  Allerdings,  die 
Frage,  ob  sich  entzündliche  Exsudate  beim  Menschen  ebenso  verhalten  wie 
Milchzuckerlösungen  beim  Kaninchen,  bleibt  noch  offen.  Buttersack  (Berlin). 


Insuffisance  pluriglandulaire. 

(H.  Claude  u.  H.  Gougerot.  Revue  de  med.,  Nr.  10,  S.  861 — 877  u.  Nr,  11, 

S.  950—969.) 

Für  den  aufmerksamen  Beobachter  lassen  sich  (neben  manchen  anderen) 
zwei  grundsätzlich  verschiedene  Richtungen  in  der  Medizin  verfolgen,  die 
deshalb  friedlich  nebeneinander  herlaufen,  weil  sie  sich  innerlich  meilenweit 
fernstehen.  Das  eine  ist  die  deskriptiv- anatomische  Richtung,  welche  es 
ängstlich  vermeidet,  irgendwie  physiologisch  zu  denken,  für  die  das  minutiöse 
Beschreiben  Selbstzweck  ist.  Sie  ist  es,  die  mit  Hilfe  der  modernen  Mikro¬ 
skope  und  Färbetechnik  die  auseinandergenommenen  Organe  in  ihre  feinsten 
Elemente  gespalten  hat,  und  sie  ist  es,  in  der  schließlich  die  bereits  ins 
Gebiet  der  Hypothesen  fallende  Theorie  der  Seitenketten  wurzelt. 

Wie  schwer  es  ist,  die  hier  mühsam  erarbeiteten  Fragmente  zu  beleben, 
zeigen  z.  B.  die  noch  immer  nicht  abgeschlossenen,  wenn  auch  bereits 
erstaunlich  feinen  Blutuntersuchungen ;  und  gerade  die  Betrachtung  des  Zu¬ 
sammenwirkens  der  Teile,  des  Lebens  des  Organismus  ist  das  Leitmotiv  der 
anderen  Richtung,  etwa  nach  dem  Satze  Antiplion’s:  „Für  die  Vernunft 
ist  das  All  eine  Einheit.  Wenn  du  das  erkannt  hast,  wirst  du  einsehen,  daß 
nichts  von  dem,  was  man  mit  dem  Auge  schaut,  soweit  auch  der  Blick 
reichen  mag,  noch  von  dem,  was  man  mit  dem  Verstände  erkennt,  soweit 
auch  die  Erkenntnis  reichen  mag,  für  sie  etwas  Einzelnes  ist.“  Natürlich 
finden  sich  in  jedem  einzelnen  diese  beiden  Richtungen  vertreten;  aber  wie 


Referate  und  Besprechungen. 


167 


wenig  sie  sich  vermischen,  wie  sie  sich  gegenseitig  ebensowenig  annehmen 
wie  Öl  und  Wasser,  kann  man  an  vielen  Abhandlungen  erkennen,  in  denen 
die  anatomischen  und  die  physiologisch -klinischen  Kapitel  ziemlich  fremd 
nebeneinander  stehen. 

Die  Drüsen  mit  innerer  Sekretion  haben  seit  einigen  Dezennien  das 
Interesse  der  Forscher  erregt;  aber  entsprechend  dem  auf  bureaumäßiges 
Registrieren  und  Spezialisieren  ausgehenden  Zeitgeist  beschränkte  sich 
jeder  auf  seine  Spezialdrüse  und  suchte  ausschließlich  aus  deren  Störungen 
und  Veränderungen  sämtliche  klinische  Erscheinungen  zu  erklären.  Dem¬ 
gegenüber  betrachten  Claude  und  Gougerot  alle  Drüsen  mit  innerer  Sekretion 
als  ein  zusammengehöriges  System  und  decken  mit  Scharfsinn  die  Unge¬ 
reimtheiten  und  Widersprüche  auf,  die  sich  ergeben,  wenn  man  der  gerade 
beliebten  Drüse  zu  viele  Symptome  aufbürdet.  So  ist  man  z.  B.  dazu  ge¬ 
kommen,  Myxödem  ohne  Hautveränderung,  Addison  ohne  Rigmentbildung 
zu  diagnostizieren;  und  so  könnte  man  streiten,  ob  P.  Marie’s  Akromegalie 
Folge  einer  Hyper-,  Hypo-  oder  Dyshypophysie  sei,  um  schließlich  sich 
sagen  zu  lassen,  daß  Akromegalie  auch  bei  ganz  gesunder  Zirbeldrüse  vor¬ 
kommt. 

Wir  wissen  freilich  über  die  Funktionen  der  einzelnen  Organe  (in 
Betracht  kommen:  Thyreoidea,  Hypophysis,  Nebennieren,  Testikel,  Ovarien, 
vielleicht  auch  Pankreas  und  Leber)  herzlich  wenig;  und  die  Sache  wird 
noch  komplizierter,  wenn  Störungen  in  mehreren  dieser  Organe  anzunehmen 
sind,  besonders  dann,  wenn  atrophische  Vorgänge  hier  mit  hypertrophischen  dort 
sich  vergesellschaften.  „L’experimentation  est  difficile  et  les  resultats  restent 
assez  confus“  rufen  die  Autoren  bedauernd  aus.  Allein  die  Schwierigkeit 
der  Lösung  tut  der  Berechtigung  des  zugrunde  liegenden  Gedankens  und 
der  Fragestellung  keinen  Eintrag,  und  der  praktische  Arzt  vom  Jahre  1909 
hat  von  der  damit  gewonnenen  Einsicht  immerhin  den  empirischen  Gewinn, 
daß  er,  wenn  eine  Störung  sich  nicht  -  z.  B.  mit  den  obligaten  Schild¬ 
drüsen  beheben  läßt,  dann  eine  andere  Drüse  probiert. 

Buttersack  (Berlin). 


Chronische  Polyserositis  (Morbus  Bamberger). 

(E.  v.  Neusser.  Wiener  klin.  Woclienschr.,  Nr.  14  u.  R.  Latzei,  Wiener  klin. 

Wochenschr.,  Nr.  28,  1908.) 

Der  von  Nemsser  beobachtete  Fall  betraf  eine  20jährige  Frau  aus 
tuberkulöser  Familie,  bei  welcher  die  Krankheit  mit  Magenschmerzen,  Hä- 
matemesis,  Ödem  der  Beine  begann.  Etwa  Vr  Jahr  später  fand  sich  starker 
Aszites,  Verkleinerung  der  Leber,  Milztumor,  verminderte  Erythrozytenzahl, 
Leukopenie.  Später  linksseitige  Pleuritis,  zunehmende  Kachexie,  Exitus  nach 
einjähriger  Krankheitsdauer'.  Die  Diagnose  wurde  richtig  auf  Polyserositis 
gestellt;  gegen  Banti’sche  Krankheit  sprach  der  rasche  Verlauf,  die  Empfind¬ 
lichkeit  der  Milz,  der  Pleuraerguß.  Bei  der  Obduktion  fand  sich  Oblite¬ 
ration  der  Pleurablätter,  Schrumpfung  der  Leber  und  Verdickung  der  Leber¬ 
und  Milzkapsel,  kein  Anzeichen  von  Tuberkulose,  obwohl  die  Kranke  auf 
Perlsuchttuberkulin  lebhaft  reagiert  hatte.  Diese  Polyserositis  tritt  klinisch 
unter  verschiedenen  Formen  auf,  z.  B.  kann  Perigastritis,  Konkretio  cordis 
(perikarditische  Pseudoleberzirrhose!)  Vorkommen.  Die  Krankheit  ist  1872 
von  Bamberger  zuerst  beschrieben  worden.  Die  Ätiologie  ist  unbekannt, 
vielleicht  spielt  eine  kongenitale  Minderwertigkeit  der  serösen  Häute  eine 
Rolle.  Ein  bakterieller  Ursprung  ist  wahrscheinlich.  —  Der  14jährige  Patient 
Latzel’s  zeigte  doppelseitige  Pleuritis,  Aszites;  in  letzterem,  sowie  im  Sputum 
fand  sich  ein  grampositiver  Diplokokkus,  der  nicht  zu  kultivieren  und  nicht 
auf  Tiere  übertragbar  war.  Auch  bei  diesem  Kranken  war  keine  Tuberkulose 
nachzuweisen.  E.  Oberndorf f er. 


168 


Referate  und.  Besprechungen. 


Lymphdrüseribefunde  bei  kongenitaler  und  postfötaler  Lues. 

(Bartel  u.  Stein.  Wiener  klin.  Wockenschr.,  Nr.  20,  1908.) 

Die  Lymphdrüsenveränderungen  bei  kongenitaler  Lues  sind  nicht  kon¬ 
stant  und  nicht  spezifisch.  Häufig  trifft  man  starke  Vermehrung  der  Endo- 
thelien  und  Zurücktreten  der  Lymphozyten,  Zunahme  des  Bindegewebes, 
chronisch-entzündliche  Vorgänge  in  der  Kapsel  der  Drüsen  und  deren  Um¬ 
gebung.  —  Bei  drei  Erwachsenen,  die  an  Lues  bezw.  Paralyse  gestorben 
waren,  entsprachen  die  Befunde  denjenigen,  die  beim  Status  thymico-lympha- 
ticus  erhoben  werden.  E.  Oberndörffer. 


Schilddrüse  und  chronischer  deformierender  Gelenkrheumatismus. 

(P.  Mönard.  These  de  Doctorat,  Paris  1908.  Bailliere,  editeur.) 

Im  Jahre  1884  hatte  S  erg  ent  auf  den  Zusammenhang  zwischen  rheu¬ 
matischen  Affektionen  und  Hypothyreoidismus  aufmerksam  gemacht.  Später 
haben  Revillod,  Lancereaux,  Parrhon  und  Papineau,  Claisse,  Levi 
und  Rothschild  ähnliche  Beobachtungen  gemacht.  Menard  stellt  nun  die 
einschlägigen  Mitteilungen  zusammen ;  es  erhellt  daraus  u.  a.  ein  Parallelis¬ 
mus  zwischen  chronischem  Rheumatismus  und  Myxödem,  bezw.  Menopause, 
günstige  Wirkung  der  Schilddrüsenbehandlung  bezw.  Verschwinden  der  rheu¬ 
matischen  Beschwerden,  sobald  sich  ein  Basedow  entwickelt. 

Bei  der  Aussichtslosigkeit  der  meisten  therapeutischen  Versuche  dürfte 
ein  Versuch  mit  Schilddrüsensubstanz  (0,3  g  der  frischen,  0,1g  der  getrock¬ 
neten  Drüse)  wohl  zu  machen  sein.  Buttersack  (Berlin). 


Hypophysenglykosurie. 

(L.  Borchard.  Zeitschr.  für  klin.  Med.,  Bd.  66,  S.  332.) 

Beim  Kaninchen,  viel  schwieriger  beim  Hund,  kann  man  nach  Injektion 
eines  sterilisierten,  eiweißfreien  Hypophysenextraktes  geringe  Glykosurie  her- 
vorrufen,  die  zunächst  auf  Hyperglykämie  zurückzuführen  sein  dürfte.  B. 
stellt  eine  Tabelle  über  176  Eälle  von  Hypophysentumor  aus  der  Literatur 
zusammen,  wo  bei  Akromegalie  Angaben  über  den  Urin  vorliegen,  wonach 
Glykosurie  (gelegentlich  auch  alimentäre)  und  Diabetes  ziemlich  häufig  sind. 
Statt  der  Loeb’schen  Theorie  (Druck  auf  ein  Zuckerzentrum  im  Tuber  cinereum) 
oder  der  Lorand’schen  (primär  erhöhte  Funktion  der  Schilddrüse,  die  auf 
die  Hypophyse  wirkt)  ist  B.  geneigt,  eine  Überproduktion  der  Hypophyse 
anzunehmen,  ohne  übrigens  selbst  diese  Theorie  für  gehörig  erwiesen  zu  er¬ 
achten.  H.  Vierordt  (Tübingen). 


Erkältungsnephritis. 

(Wolfg.  Siegel.  Verhandl.  des  XXV.  Kongr.  f.  innere  Medizin.  Wiesbaden, 

J.  F.  Bergmannn,  1908.  S.  510—513.) 

Wenn  vor  einem  oder  zwei  Dezennien  einer  gewagt  hätte,  die  Nieren¬ 
entzündung  anders  als  durch  Bakterien  zu  erklären,  wären  die  Träger  dessen, 
was  damals  wissenschaftlich  hieß,  nicht  übel  über  ihn  hergefallen.  Heute 
demonstriert  nun  Siegel  in  hübscher  Weise,  wie  akute  parenchymatöse 
Nephritiden  durch  Auflegen  von  Eisstückchen  auf  die  Nierengegend  bezw. 
durch  Abkühlung  der  Hinterbeine  (die  Versuche  wurden  an  Hunden  ange¬ 
stellt)  entsteht. 

Er  erklärt  sich  den  Zusammenhang  durch  Kontraktion  der  Nieren¬ 
gefäße  synchron  mit  den  Hautgefäßen;  die  dadurch  bedingte  Ischämie  könne 
dann  zu  Ernährungsstörungen,  Zellzerfall  und  Freiwerden  von,  die  Ent¬ 
zündung  auslösenden  Zerfallsprodukten  —  man  beachte  hier  das  Einmünden 
in  den  z.  Z.  herrschenden  chemisch-toxischen  Vorstellungskreis!  —  führen. 


Referate  und  Besprechungen. 


169 


Den  anderen  Erklärungsmodus,  daß  es  sich  dabei  um  nervöse  Störungen 
handle,  hält  Siegel  zwar  in  der  Hand;  denn  er  hat  selber  beobachtet,  „daß 
der  Organismus  sich  an  die  wiederholte  Einwirkung  eines  bestimmten  Kälte¬ 
grades  gewöhnt  und  weniger  auf  ihn  reagiert“;  aber  er  spinnt  ihn  nicht 
weiter  aus.  Vielleicht  lösen  die  im  Nervenapparat  wurzelnden  Gewöhnungs¬ 
prozesse  später  einmal  die  Toxin-Hypothesen  ab.  Buttersack  (Berlin). 


Über  Nierentuberkulose. 

(Ferd.  Kornfeld.  Verhandl.  des  25.  Kongr.  für  innere  Medizin.  —  Wiesbaden, 

J.  F.  Bergmann,  1908.  S.  580—599.) 

Es  ist  erst  wenige  Jahre  her;,  daß  die  Diagnose:  Nierentuberkulose 
Eingang  in  die  allgemeine  Ärztewelt  gefunden  hat.  Aber  auch  bei  ihr 
kam  di\e  dem  menschlichen  Denken  offenbar  angeborene  Vorliebe  für  feste 
Assoziationen  zum  Ausdruck:  ebenso  wie  die  Vorstellungen  Tuberkelbazillus 
und  Schwindsucht,  Albuminurie  und  Nephritis,  Herzkrankheiten  und  Digi¬ 
talis  usw.  unlösbar  verknüpft  zu  sein  scheinen,  so  assoziierte  sich  mit  der 
Diagnose  Nierentuberkulose  sofort  die  Forderung  einer  unumgänglichen  Ne¬ 
phrektomie.  In  seiner  kritischen  Studie  läßt  Kornfeld  den  Grundsatz, 
daß  die  Entfernung  einer  tuberkulösen  Niere  bei  völliger  Gesundheit  der 
anderen  einen  krankheitsheilenden  Eingriff  darstellt,  völlig  zu  Recht  be¬ 
stehen;  aber  er  betont  daneben  auch  die  Mißerfolge  aller  Art  (Tod  nach  der 
Operation,  Irrtum  in  der  Gesundbewertung  der  zweiten  Niere),  und  ferner 
die  Möglichkeit  der  Ausheilung  des  tuberkulösen  Nierenprozesses  auf  Grund 
von  Krankenbeobachtungen.  Zwar  wird  die  operationslustige  Chirurgie  vor¬ 
erst  noch  geraume  Zeit  das  Feld  beherrschen ;  aber  Ausführungen  wie  die 
Ivornf  eld’sche  schärfen  allmählich  doch  das  kritische  Gewissen. 

Buttersack  (Berlin). 


Chirurgie. 

Über  den  Durchbruch  von  Siebbein-  und  Stirnhöhlenempyemen  in  die 
Orbita,  eine  typische  Komplikation  bei  Scharlach. 

(H.  Preysing,  Köln.  Deutsche  Zeitschr.  für  Chir.,  Bd.  94,  H.  8  u.  4,  Septbr.  1908.) 

Verf.  beschreibt  eine  typische  Komplikation  bei  Scharlach.  Es  handelt 
sich  um  das  Siebbein-  und  Stirnhöhlenempyem  bei  Scharlach,  mit  Nekrose 
der  Knochenwandungen  und  zwar  in  dem  Zeitpunkt,  wenn  es  zu  einer  be¬ 
ginnenden  oder  ausgedehnteren  Phlegmone  der  Orbita  gekommen  ist.  Seine 
Erfahrungen  beziehen  sich  auf  sieben  Fälle,  von  denen  sechs  nach  der  Opera¬ 
tion  ausheilten  (darunter  einer  nach  Enukleation  des  Bulbus),  einer  starb. 
Die  klinischen  Erscheinungen,  auf  welche  die  Diagnose  sich  stützt,  bestehen 
in  septischem  Fieber,  gleichzeitiger  Hals-Lymphdrüsenvereiterung  und  Otitis 
media  mit  Knochenaffektion ;  das  ausschlaggebende  Symptom  ist  das  ent¬ 
zündliche  Ödem  oder  die  gar  schon  vorhandene  tumorartige  Erhebung  am 
unteren  Orbitalwinkel.  Gelegentlich  läßt  das  Radiogramm  die  Erkrankung 
des  Siebbeins  erkennen.  Die  Behandlung  des  in  die  Orbita  durchgebrochenen 
Empyems  kann  nur  eine  chirurgische  sein.  Breite  Eröffnung  des  Stirnhöhlen¬ 
empyems  ;  das  ganze  Siebbein  wird  ausgeräumt  und  die  Lamina  papvracea 
entfernt.  Bezeichnend  für  die  Scharlachnatur  ist,  daß  noch  nach  Wochen 
und  Monaten  einzelne  Sequesterchen  sich  losstoßen.  In  prophylaktischer  Be¬ 
ziehung  sind  eine  sorgsame  Nasenpflege  während  des  Scharlachs  (Nasen¬ 
duschen  !)  und  eine  Exstirpation  hyperplastischer  Gaumen-  und  Rachenmandeln, 
deren  Entfernung  auch  während  des  Scharlachs  in  Frage  kommt,  von 
hoher  Bedeutung.  F.  Kayser  (Köln). 


170 


Referate  und  Besprechungen. 


Thyrotomie  bei  Karzinom. 

(Moure,  Frankel.  Äreh.  für  Lar.,  Bd.  21,  H.  2.  —  Mouret.  Rev.  hebd.  de  lar., 

Nr.  42,  1908.) 

Moure,  der  große  Verdienste  um  die  Operation  hat,  bespricht  seine 
Methodik :  Er  verzichtet  auf  Tamponkanülen,  sondern  benutzt  eine  seitlich 
komprimierte  Kanüle,  die  nach  der  Operation  sofort  entfernt  wird,  den  Luft¬ 
röhrenschnitt  nicht  zerrt  und  die  Schleimhaut  wenig  reizt.  Der  Knorpel 
wird  mit  einer  besonders  gekrümmten,  spitzen  Schere  durchschnitten,  der 
Larynx  kokainisiert  und  dann  die  Exzision  mit  folgender  Kaustik  vorgenom¬ 
men.  Knorpel,  Membr.  ericothyreoidea  und  Trachealwunde  werden  mit  Katgut 
vernäht,  sodann  die  Haut.  B.  Frankel  operiert  ohne  Narkose,  lediglich 
mit  Kokaineinspritzung  und  zwar  entweder  nach  Schleich  oder  indem  über 
und  unter  dem  Schildknorpel  je  zwei  Teilstriche  einer  10%igen  Lösung 
injiziert  werden.  Er  verzichtet  auch  auf  die  präventive  Tracheotomie,  Kanülen 
werden  nur  im  Notfälle  angelegt.  Die  Blutung  ist  nur  dann  erheblich,  wenn 
größere  Teile  des  Aryknorpels  exstirpiert  werden,  oder  man  sich  der  Ein¬ 
trittsstelle  der  Art.  laryngea  nähert.  Auch  dann  ist  sie  durch  Kompression 
zu  stillen.  Mouret  exzidiert  bei  Stimmbandkarzinom  auch  das  Taschenband, 
Blutung  vermeidet  man,  wenn  man  zum  Schneiden  den  Kauter  benützt. 
Wenn  beim  Durchschneiden  des  verknöcherten  Knorpels  ein  Stückchen  ab¬ 
splittert,  so  muß  es  exzidiert  werden,  da  es  niemals  anheilt,  sondern  sequestriert. 

Arth.  Meyer  (Berlin). 


Behandlung  akuter  Basedow’scher  Krankheit  mit  partieller  Strumektomie. 

(A.  Tscherning  u.  M.  Lauritzen.  Med.  Klinik,  Nr.  46,  1907.) 

Ausführlich  mitgeteilte  Krankheitsgeschichte  eines  Falles  von  progre¬ 
dientem  Morb.  Basedowii,  welcher  schließlich  durch  partielle  Entfernung  der 
Schilddrüse  wesentlich  gebessert  wurde,  nachdem  andere  Behandlungsarten 
versagt  hatten.  R.  Stüve  (Osnabrück). 


Ein  Adenofibrom  des  Mamma  auf  tuberkulöser  Basis. 

(J.  Revel.  La  Tribüne  med.,  S.  741 — 742,  1908.) 

Seitdem  vor  einiger  Zeit  Poncet  in  Lyon  die  Behauptung  auf  gestellt 
hat,  der  Tuberkelbazillus  mache  nicht  blos  Tuberkula,  sondern  auch  allerlei 
andere,  nichtspezifische  Entzündungserscheinungen,  wird  in  Frankreich  mit 
Eifer  darüber  hin-  und  hergestritten;  insbesondere  die  Chirurgen  haben  in 
den  Sitzungen  der  Societe  de  Chirurgie  von  Mai,  Juni  und  Juli  1908  sich 
ziemlich  ablehnend  ausgesprochen.  Nun  veröffentlicht  der  Oberarzt  Revel 
einen  Fall,  der  den  Streit  entscheiden  soll.  Eine  Frau  von  45  Jahren  bemerkte 
seit  einigen  Monaten  in  ihrer  linken  Mamma  eine  nußgroße,  leicht  verschieb¬ 
liche,  schmerzlose  Geschwulst;  seit  kurzem  auch  eine  Schwellung  der  linken 
Achseldrüsen. 

Natürlich  wurde  die  Brustdrüse  abgetragen  und  die  Achseldrüsen  ent¬ 
fernt.  Die  mikroskopische  Untersuchung  erwies  dann  den  Tumor  als  Adeno¬ 
fibrom  ;  in  den  Achseldrüsen  dagegen  die  typischen  tuberkulösen  Riesen¬ 
zellen,  aber  ohne  Koch’sche  Bazillen.  (Tierversuche  wurden  nicht  gemacht). 

Revel  glaubt,  daß  beide  Prozesse  die  gleiche  Ursache  und  zwar  den 
Koch  sehen  Tuberkelbazillus  gehabt  haben,  daß  dieser  somit  nebeneinander 
typische  Riesenzellenprozesse  und  Adenofibrome  hervorrufen  könne.  Leider 
fehlt  das  wichtigste  Glied  in  der  .ganzen  Kette :  der  Tuberkelbazillus ;  die 
Riesenzellen  wird  nicht  jeder  als  vollen  Ersatz  dafür  nehmen  wollen. 

Buttersack  (Berlin). 


Referate  und  Besprechungen. 


171 


Zur  Diagnostik  und  Behandlung  der  Perityphlitis. 

(Iv.  Ewald,  Wien.  Allg.  Wiener  med.  Ztg.,  Nr.  11 — 18,  1908.) 

Verf.  gehört  zu  den  radikalen  Operateuren  ,,die  jede  Appendizitis  ope¬ 
rieren,  sobald  sie  diagnostiziert  ist“,  auch  im  intermediären  Stadium  (also 
auch  die  95%,  die  spontan  geheilt  sein  würden,  Ref.).  Die  Operation 
im  Intervall  unterläßt  er  nur  bei  solchen  Patienten,  die  jederzeit  die 
Möglichkeit  haben,  innerhalb  weniger  Stunden  operiert  zu  werden;  sie  können 
einen  zweiten  Anfall  abwarten,  um  sich  dann  auch  schon  in  den  ersten 
Stunden  operieren  zu  lassen.  Den  Eingriff  macht  er  regelmäßig  in  Lumbal¬ 
anästhesie,  hauptsächlich  deshalb,  weil  dabei  die  Eingeweide  nicht  vordrängen, 
mit  der  Drainage  ist  er  sehr  sparsam.  Behufs  sicherer  Vermeidung  von  Her¬ 
nien  empfiehlt  er  Leun  anders  Schnittführung  durch  die  Rektusscheide  mit 
Verlagerung  des  Muskels  nach  innen.  Hierbei  hat  er  in  300  Fällen  nur  2  Ven¬ 
tralhernien  gehabt.  Esch. 


Beitrag  zur  Histologie  und  Genese  der  kongenitalen  Divertikel  der 

männlichen  Harnröhre. 

(F.  Suter.  Arch.  für  klin.  Chir.,  H.  1,  Bd.  87,  1908.) 

Unter  den  beschriebenen  24  Fällen  eine  eigene  Beobachtung.  Das  Alter  der 
Kranken  schwankte  zwischen  3  lWochen  und  54  Jahren.  Das  Divertikel  sitzt 
an  der  Unterfläche  des  Penis  an  der  Pars  pendula ;  die  Größe  wechselt  von 
Taubenei  bis  Mannesfaust.  Die  sackförmige  Ausstülpung  zum  Teil  mit  kleinen 
Harnsteinen  gefüllt.  Diese  angeborenen  Divertikel  sind,  soweit  sie  histologisch 
untersucht  sind,  nicht  einfache  Ausstülpungen  der  Harnröhrenwand,  sondern 
es  sind  mit  der  Harnröhre  kommunizierende  Taschen,  deren  Wand  aber  nicht 
Schleimhaütcharakter  zeigt,  sondern  den  gleichen  Bau  hat,  wie  die  Dermoid¬ 
cysten,  welche  in  der  Genito-perinealraphe  beschrieben  sind. 

Die  Genese  dieser  Divertikel  ist  zu  erklären  durch  die  Annahme  von 
abnormer  Persistenz  eines  mit  der  Harnröhre  kommunizierenden  Teiles  der 
Genitalrinne,  der  sich  zu  einer  Tasche  mit  epidermoidaler  Auskleidung  aus¬ 
wächst  und  infolge  von  Füllung  und  Erweiterung  durch  den  Urin  dem  Träger 
früher  oder  später  Beschwerden  verursacht.  Lernmen. 


Gynäkologie  und  Geburtshilfe. 

(Aus  der  Frauenklinik  der  Universität  Jena.) 

Die  Schädigungen  des  Harnapparates  nach  abdominalen  Uterus¬ 
karzinomoperationen. 

(K.  Franz.  Zeitschr.  für  gynäk.  Urologie,  H.  1,  Bd.  1,  Oktober  1908.) 

In  80%  der  Fälle  beobachtete  F.  nach  abdominaler  Karzinomoperation 
Cystitis,  meist  am  4.  Tage  p.  op.  beginnend.  F.  sieht  die  Ursachen  dieser 
häufigen  Cystitiden  in  Ernährungsstörungen  der  Blasenwand  und  in  der 
Harnverhaltung,  welche  wochenlang  dauern  kann  und  zu  Katheterismus  zwingt. 
Im  Gegensatz  zur  Breslauer  Klinik  sah  F.  vom  Verweilkatheter,  der  am 
4.  Tage  eingelegt  wurde,  sehr  gute  Resultate.  Von  15  Fällen  blieben  7  ohne 
Cystitis,  5  bekamen  nur  eine  ganz  leichte,  3  eine  mittelschwere  Cystitis, 
die  nach  Blasenspülungen  in  kurzer  Zeit  heilten.  Als  Dauerkatheter  diente 
der  Skene’sche  Pferdefuß.  Außerdem  wurde  Urotropin  und  Bärentraubentee 
prophylaktisch  verabreicht.  Behandelt  wurde  die  Cystitis  mit  Blasenspü¬ 
lungen  mittels  2 — 3%iger  Borsäurelösung,  10%igen  Xeroformsesamölein¬ 
gießungen,  schließlich  1 — 10%igen  Höllensteinlösungen,  von  denen  2 — 5  ccm 
in  die  leere  Blase  eingespritzt  wurden.  Unter  dieser  Behandllung  heilten 
sämtliche  Fälle,  wenn  die  Pat.  genügend  Geduld  hatten. 

Was  Blasenscheidenfisteln  im  Gefolge  von  Karzinomoperationen  anlangt, 
so  heilten  sub  operatione  gemachte  Blasennähte  so  gut  wie  nie,  dagegen 


172 


Referate  und  Besprechungen. 


waren  die  Resultate  späterer  Pisteloperationen  keine  schlechten,  Rezidiv- 
losigkeit  vorausgesetzt.  Was  die  Ätiologie  der  übrigens  nicht  so  häufigen 
Ureterfisteln  (7  auf  145  Fälle)  anlangt,  so  macht  P.  hierfür  die  Tamponade 
des  Wundbettes  und  oberflächliche  Verletzungen  der  Ureterwand  ausschlie߬ 
lich  verantwortlich.  Das  Freipräparieren  des  Ureters  mache  gar  nichts.  Übri¬ 
gens  heilen  ziemlich  viele  derartige  Fisteln  spontan,  ev.  unter  Ätzung  mit 
Jodtinktur  oder  Lapis.  R-  Klien  (Leipzig). 


(Aus  der  Universitäts-Frauenklinik  in  Marburg  a.  L.) 

Zur  Diagnose  und  Therapie  der  Schwangerschaftspyelitis. 

(W.  Stoeckel.  Zeitsclir.  für  gynäk.  Urologie,  H.  1,  Bd.  1,  1908.) 

Es  steht  heute  fest,  daß  es  eine  in  der  Gravidität  entstehende  und 
durch  die  Gravidität  bedingte  Pyelitis  gibt,  und  daß  beim  Zustandekommen 
dieser  Pyelitis  die  Harnstauung  in  den  Ureteren  eine  wichtige  Rolle  spielt; 
ferner  daß  der  Pyelitisharn  in  der  Regel  Kolibazillen  in  Reinkultur  oder 
mit  anderen  Keimen  gemischt  enthält,  endlich  daß  die  rechte  Seite  häufiger 
erkrankt  ist  als  die  linke.  V öllig  unklar  sind  aber  vorläufig  noch  die  feine¬ 
ren  Details  der  Ätiologie.  Für  das  Wahrscheinlichste  hält  indes  S.,  daß 
es  sich  um  einen  aufsteigenden  Prozeß  handelt;  dagegen  spricht  nicht,  daß 
in  der  Regel  eine  Cystitis  nicht  gleichzeitig  besteht.  Wahrscheinlich  wird 
in  der  Gravidität  die  mittlere  der  drei  physiologischen  Verengerungen  der 
Ureteren  (an  der  Linea  innominata)  eine  besondere  Verengerung  erleiden:  man 
findet  in  typischen  Fällen  eine  typische  Druckempfindlichkeit  am  McBur- 
ney’schen  Punkte,  der  Katheter  wird  10—13  cm  hinter  der  Uretermündung 
aufgehalten.  —  S.  neigt  der  Ansicht  zu,  daß  das  Primäre  die  Harnstauung 
ist;  bei  genauem  Ausfragen  werden  als  Anfangsbeschwerden  ziehende  Kreuz¬ 
schmerzen  und  leichte  Seitenschmerzen  angegeben.  Das  sind  nach  S.  die 
ersten  Stauungssymptome,  die  auf  Bettruhe  oft  wieder  zurückgehen,  ohne 
daß  es  überhaupt  zu  einer  Pyelitis  kommt.  —  Die  diagnostischen  Schwierig¬ 
keiten  sind  verschieden,  je  nachdem  es  sich  um  Fälle  mit  oder  ohne  Blasen¬ 
symptome  handelt.  Erstere  scheinen  seltener  zu  sein,  bei  ihnen  wird  der 
Arzt  aber  durch  die  Schmerzen  beim  Urinieren,  durch  den  Harndrang,  den 
Eitergehalt  des  Urins  auch  •  schon  bei  oberflächlicher  Untersuchung  auf  eine 
Erkrankung  des  Harnapparates  hingewiesen.  Nur  muß  er  sich  hüten,  die 
Diagnose  unvollständig  nur  auf  Cystitis  zu  stellen,  eine  ev.  Pyelitis  zu 
übersehen.  Bei  jeder  Schwangerschaftscystitis,  die  trotz  sachgemäßer  Be¬ 
handlung  nicht  zurückgeht,  muß  daher  der  doppelseitige  Ureterenkatheteris- 
mus  ausgeführt  werden.  Bei  der  zweiten  Gruppe  —  ohne  alle  Blasener- " 
scheinungen  —  wird  die  Diagnose  oft  in  ganz  falsche  Bahnen  gelenkt.  Man 
denkt  an  Appendizitis,  an  Gallenblasenaffektionen,  an  Adnexerkrankungen 
usw.  Wenn  eine  Gravida  über  Schmerzen  am  McBurney’schen  Punkt  klagt, 
überhaupt  über  rechtsseitige  Schmerzen,  soll  man  immer  zuerst  an  Pyelitis 
denken,  wenn  der  Puls,  trotz  starker  Beschleunigung  und  hohen  Tempera¬ 
turen  keinen  peritonealen  Charakter  zeigt. 

Therapeutisch  genügt  in  leichten  Fällen  (beginnende  Harnstauung 
ohne  Harninfektion)  Bettruhe.  Bei  schwereren  Fällen  (Harnstauung  mit  Harn¬ 
infektion),  mit  heftigen  Schmerzen,  Fieber  und  Frösten  kann  Bettruhe  in 
Verbindung  mit  Urotropin,  Helmitol  und  Natrium  benzoicum  auch  noch 
Heilung  herbeiführen  ;ist  diese  aber  nicht  in  einigen  Tagen  erfolgt,  so  be¬ 
steht  die  Gefahr,  daß  es  zur  Ausbildung  einer  echten  Pyonephrose  kommt, 
zu  Allgemeininfektion  und  -intoxikation.  Hier  ist  der  Harnleiterkathete¬ 
rismus  mit  oder  ohne  Nierenbeckenspülung  indiziert.  Weniger  kommt  die 
Nephrotomie  in  Frage,  zu  verwerfen  ist  der  künstliche  Abort  bez.  die  künst¬ 
liche  Frühgeburt.  S.  ist  mit  seinen  Resultaten  mittels  lokaler  Nierenbecken¬ 
behandlung  sehr  zufrieden.  Weitere  Erfahrungen  müssen  indes  noch  ge¬ 
sammelt  werden.  R.  Klien  (Leipzig). 


Referate  und  Besprechungen. 


173 


Beitrag  zur  Pyelonephritis  gravidarum. 

(Dr.  F.  Weindler.  Gynäk.  Rundschau,  H.  22,  1908.) 

W.  beschreibt  zwei  Fälle  von  Pyelonephritis  gravidarum.  Während  der 
auf  Streptokokkeninfektion  beruhende  Fall  von  vornherein  akut  und  ein¬ 
deutig  war,  böt  der  auf  gonorrhoischer  Infektion  beruhende  zunächst  nur 
unklare,  vieldeutige  Allgemeinsymptome.  Erst  die  Urinuntersuchung,  der 
W.  die  bei  weitem  größte  diagnostische  Wichtigkeit  zuschreibt,  ermöglichte 
die  Diagnose.  W.  ist  der  Ansicht,  daß  fast  alle  Fälle  von  Pyelonephritis 
in  der  Schwangerschaft  aufsteigender  Art  sind.  Durch  die  Schwangerschafts¬ 
hyperämie  komme  es  zu  einer  Verschwellung  der  Harnleitermündungen  in 
der  Blase  und  dadurch  zur  Urinstauung.  Ferner  bestünden  sehr  oft  in  der 
Schwangerschaft  unerkannte,  latente,  damit  vernachlässigte  Blasenkatarrhe, 
wodurch  die  Möglichkeit  des  im  erweiterten  Ureter  stagnierenden  Urins  ge¬ 
geben  sei.  Man  fahnde  also  auf  solche  Blasenkatarrhe  und  behandle  sie, 
womit  der  prophylaktischen  Indikation  bezw.  der  Pyelitis  Genüge  geleistet  ist. 
Diese  selbst  suche  man  möglichst  konservativ  zu  behandeln :  die  Unter¬ 
brechung  der  Schwangerschaft  soll  als  ultimum  refugium  gelten,  auch  von  der 
lokalen  Behandlung  des  Nierenbeckens  will  W.  nicht  viel  wissen. 

R.  Klien  (Leipzig). 


Über  den  Zusammenhang  der  intermittierenden  Hydronephrose  mit 

Genitalleiden  bei  Frauen. 

(Dr.  Sigmund  Mirabeau.  Zeitschr.  für  gynäk.  Urologie,  H.  1,  Bd.  1,  1908.) 

M.  gibt  eine  auf  eigenen  Erfahrungen  beruhende  vorzügliche  Beschrei¬ 
bung  des  bei  Frauen  gar  nicht  so  seltenen  Krankheitsbildes  der  intermit¬ 
tierenden  Hydronephrose.  Das  Studium  der  durch  Krankengeschichten  treff¬ 
lich  illustrierten  Arbeit  wird  sicher  dazu  beitragen,  daß  die  bisher  so  häufig 
übersehene  Krankheit  in  Zukunft  besser  und  öfter  diagnostiziert  und  damit 
auch  häufig  erfolgreich  behandelt  werden  wird.  M.  gelangt  zu  folgenden 
Schlüssen :  ,,Ein  großer  Teil  der  bei  Frauen  beobachten ten  Fälle  von  intermittie¬ 
render  Hydronephrose  steht  in  direktem  ursächlichen  Zusammenhang  mit 
gynäkologischen  Affektionen,  die  behindernd  auf  den  regelmäßigen  Urin¬ 
abfluß  wirken.  Die  größte  Bedeutung  kommt  dabei  denjenigen  Erkrankungen 
der  Beckenorgane  zu,  welche  den  Becken  teil  des  Ureters  und  besonders  die 
Einmündungsstelle  in  die  Blase  in  Mitleidenschaft  ziehen.  Das  auslösende 
Moment  der  Schmerzanfälle  ist  dabei  häufig  die  durch  die  Menstruation 
bedingte  Hyperämie  der  Beckenorgane,  die  auch  für  sich  allein  schon  hemmend 
auf  den  Urinabfluß  wirken  kann.  Diese  an  der  Peripherie  wirkenden  Hinder¬ 
nisse  im  Urinabfluß  erzeugen  ganz  allmählich  Nierenbeckenerweiterungen, 
aus  denen  sich  dann  oft  im  Laufe  vieler  Jahre  erst  eigentliche  Ilydronephro- 
sen  entwickeln.  Die  Nierensenkungen  sind  häufig  die  Folge  und  nicht 
(wie  die  meisten  Autoren  annehmen)  die  Ursache  der  Hydronephrosenbildung, 
ebenso  wie  die  vielfach  beobachteten  Veränderungen  in  der  Form  des  Nieren¬ 
beckens,  in  der  Einmündung  des  Ureters  in  dasselbe  und  am  zentralen 
Teil  des  Ureters  selbst.  Allerdings  können  die  Veränderungen  ihrerseits 
wieder  wesentlich  zur  Weiterbildung  der  Hydronephrosen  beitragen.  Erst 
die  cystoskopischen  Methoden  setzen  uns  in  die  Lage,  die  Anfangsstadien  der 
Erkrankung  zu  erkennen  und  die  ursächlichen  Momente  richtig  zu  deuten, 
was  bei  dem  vorgeschrittenen  Krankheitsbilde  meist  ganz  unmöglich  ist. 
Durch  sekundäre  Infektion  können  aus  intermittierenden  Hydronephrosen 
offene  Pyonephrosen,  durch  dauernde  Verlegung  des  Harnflusses  geschlossene 
Sacknieren  werden.  Die  intermittierende  Hydronephrose  ist  wohl  das  An¬ 
fangsstadium  der  meisten  Formen  von  Sackniere.“  Um  die  Diagnose  mög¬ 
lichst  frühzeitig  stellen  zu  können,  ist  die  beiderseitige  Katheterisation  der 
Harnleiter  nötig.  Während  das  cystoskopische  Bild  der  Blase  meist  keinerlei 
charakteristische  Befunde  bietet,  fällt  oft  eine  erhebliche  Differenz  in  der 
Art  und  der  Frequenz  der  Urinentleerung  aus  den  beiden  Ureterenmündungen 


174 


Referate  und  Besprechungen. 


auf.  Eine  kontinuierliche  Entleerung  von  mehr  als  20  ccm  Urin  aus  einem 
Nierenbecken  spricht  für  eine  außerhalb  der  physiologischen  Breite  liegende 
Erweiterung  des  Nierenbeckens.  Auf  diese  Weise  ist  es  M.  gelungen,  in 
einer  größeren  Anzahl  von  Fällen  ganz  frühe  Anfangsstadien  intermittierender 
Hydronephrosen  zu  erkennen  und  damit  sehr  häufig  die  Ursache  sonst  nicht 
erklärbarer  „gynäkologischer“  Beschwerden.  Als  Ursache  der  Urinstauung 
ließ  sich,  wie  bereits  gesagt,  in  den  allerwenigsten  Fällen  eine  Dislokation 
der  Niere  nachweisen.  Erst  wenn  das  Leiden  Jahre  lang  bestanden  hatte, 
waren  öfter  erhebliche  Nierensenkungen  vorhanden,  die  Hydronephrosen  hatten 
dann  eine  beträchtlichere  Größe.  Dagegen  konnte  M.  in  fast  allen  Fällen 
mehr  weniger  erhebliche  Behinderungen  des  Urinabflusses  an  irgend  einer 
Stelle  der  abführenden  Harnwege  nachweisen,  und  zwar  meist  im  Becken¬ 
teil  des  Ureters;  es  bestanden  Verengerungen  oder  Verlagerungen  des  Ure¬ 
terlumens  oft  bis  zur  völligen  Unwegbarkeit  auch  für  den  feinsten  Katheter. 
Eine  genauere  Untersuchung  ist  natürlich  nur  in  den  Fällen  vorzunehmen, 
bei  denen  sich  Anhaltepunkte  für  eine  intermittierende  Hydronephrose  er¬ 
geben.  R.  Klien  (Leipzig). 


(Aus  der  kgl.  Landeshebammenschule  in  Stuttgart.) 

Die  Walcher’sche  oder  die  BumnTsche  Hebosteotomie?  Zwei  grund¬ 
sätzlich  verschiedene  „subkutane  Stichmethoden“. 

(Dr.  Walter  Pfeilsticker.  Gynäk.  Rundschau,  H.  14,  1908.) 

Schlechtweg  von  „subkutaner  Stichmethode“  zu  reden,  ist  falsch,  denn 
es  gibt  zwei  grundsätzlich  voneinander  verschiedene  derartige  Methoden :  die 
ältere  von  Walcher  und  die  jüngere  von  Bumm.  Die  Bumm’sche  Heb- 
osteotomie  ähnelt  zwar  der  Walcher’schen,  aber  da,  wo  sie  von  ihr  ab¬ 
weicht,  hat  sie  keine  Verbesserung  gebracht,  sondern  das  Gegenteil.  Die 
drei  Punkte,  in  denen  die  Bumm’sche  Methode  abweicht  und  die  keine 
glückliche  Modifikation  darstellen,  sind:  1.  Die  Spitze  der  Nadel  von  Bumm 
ist  spitz,  der  von  Walcher  abgerundet.  2.  Der  Einstich  erfolgt  nach 
Bumm  zwischen  kleinem  und  großem  Labium;  nach  Walcher  auf  der 
Außenseite  des  großen  Labiums.  3.  Die  Durchsägestelle  liegt  bei  der  Bumni- 
schen  Hebosteotomie  näher  der  Symphyse  zu  und  dadurch  innerhalb  der  An¬ 
heftungsstellen  der  Scheide  an  den  Schambeinen  und  in  der  Nähe  des  Liga¬ 
mentum  pubo-vesicale ;  bei  der  Walcher’schen  mehr  von  der  Symphyse  ent¬ 
fernt  und  dadurch  außerhalb  der  genannten  Punkte. 

Es  ist  nun  bis  jetzt  keine  einzige  Blasenverletzung  als  durch  die  Wai- 
cher’sche  Technik  resp.  Nadel  nachgewiesen,  während  der  Bumm’schen  Nadel 
eine  ganze  Reihe  von  Blasenanstechungen  zur  Last  fallen.  Der  zweite  Punkt 
ist  nach  P.’s  Ansicht  ein  aseptischer  Fehler  und  bedingt  zum  andern  Punkt 
3.  Je  weiter  lateralwärts  nämlich  der  Sägeschnitt  geführt  wird,  um  so  eher 
werden  hochgradige  Scheidenzerreißungen  vermieden  werden,  weil  der  Schnitt 
außerhalb  der  Anheftungsstellen  der  Scheide  fällt.  Auch  ßlasenverletzungen 
werden  durch  eine  mehr  laterale  Sägeführung  leichter  umgangen  werden,  da 
das  Ligamentum  pubo-vesikale  erhalten  bleibt.  Endlich  wird  die  Blutung 
geringer  sein,  weil  das  Crus  clitoridis  höchstens  an  seiner  Wurzel  einreißt. 

P.  berichtet,  daß  mit  dem  Walcher’schen  Instrument  und  der  W.’schen 
Technik  in  Württemberg  schon  mehrmals  die  Hebosteotomie  im  Privathause 
mit  bestem  Erfolg  ausgeführt  worden  ist. 

Auf  jeden  Fall  haften  der  Bumm’schen  Technik  Mängel  an,  welche 
der  Walcher’schen  nicht  zukommen. 

Es  gibt  nicht  nur  die  subkutane  Stichmethode,  sondern  die  Wachler- 
sche  und  die  Bumm’sche,  was  bei  künftigen  Publikationen  zu  beachten  ist. 

R.  Klien  (Leipzig). 


Referate  und  Besprechungen. 


175 


(Aus  der  Klinik  von  Dr.  L.  Fraenkel  in  Breslau.) 

Über  ventrifixäerende  Methoden  bei  Verlagerung  der  Beckenorgane. 

(Richard  Weber.  Gynäk.  Rundschau,  H.  14,  1908.) 

W.  gibt  zunächst  einen  kurzen  Überblick  über  sämtliche  bisher  geübte 
Fixationsmethoden,  und  geht  ausführlicher  auf  die  Ventrifixationsmethoden 
ein.  Von  diesen  sei  die  vollkommenste  die  von  L.  Fraenkel,  welche  sich  eng 
an  die  Olshausen’sche  anlehnt.  Sie  ist  eine  Kombination  dieser  mit  der 
sog.  subangulären  (Kuestner):  Nach  Eröffnung  der  Bauchhöhle  mittels  Längs¬ 
oder  Querschnittes  werden  jederseits  mit  einem  Zwirnsfaden  die  Abgangs¬ 
stellen  der  Ligamenta  rotunda  unter  Mitfassen  der  entsprechenden 
Uterusecke  umstochen.  Dann  wird  zunächst  auf  der  einen  Seite  das 
eine  freie  Fadenende  mit  der  Nadel  etwa  1 1/2 — 2  cm  seitlich  unten  vom 
unteren  Schnittwinkel  von  der  Innenseite  der  vorderen  Bauchwand  durch 
alle  Bauchwandschichten  nach  außen  geführt.  Nachdem  dies  gescnehen, 
wird  das  andere  freie  Fadenende  mit  der  Nadel  armiert  und  auf  dieselbe  Art 
zirka  1  cm  lateral  und  unten  von  der  ersten  Einstichstelle  ebenfalls  durch 
alle  Bauchwandschichten  hindurchgeführt.  Die  so  auf  der  äußeren  Bauch¬ 
wand  liegenden  Fadenenden  werden  so  angezogen,  daß  der  Uterus  gut  der 
Bauchwand  unterhalb  des  Wundwinkels  anliegt,  und  dann  über  einem  oder 
zwei  Gazeröllchen  geknüpft.  Genau  in  derselben  Weise  wird  auf  der  an¬ 
deren  Seite  verfahren.  Schluß  der  Bauchwunde.  Die  Fixationsfäden  werden 
nach  etwa  14  Tagen  entfernt.  - —  Weder  bei  dieser  Methode,  noch  bei  der 
ursprünglichen  Olshausen’schen,  ''bei  der  bekanntlich  auch  die  Uterushörner 
fixiert  werden,  sind  je  Geburtsstörungen  beobachtet  worden  im  Gegensatz 
zu  der  Methode  nach  Czerny-Leopold,  bei  der  der  Fundus  selbst  fixiert 
wird.  —  Fraenkel  wendet  seine  Methode  nicht  nur  bei  Retroflexionen  an, 
sondern  auch  bei  Prolapsen;  die  Vaginifixur  sei  hier  zu  wenig  elevierend,  und 
sei  auch  nur  im  klimakterischen  Alter  erlaubt.  Dasselbe  gelte  für  die 
Schau ta-Wertheim’sche  Operation.  Natürlich  sind  der  Ventrifixur  scheiden¬ 
verengende  Operationen  hinzuzufügen.  — 

W.  erwähnt  dann  noch  zwei  interessante  Fälle,  in  denen  es  nach  Total¬ 
exstirpation  des  Uterus  und  scheidenverengenden  Operationen  zu  einem  Re¬ 
zidiv,  bestehend  aus  Scheidenvorfall  mit  Enterozele  gekommen  war.  Es 
wurde  bei  beiden  Frauen  eine  Ventrifixur  der  Vagina  vorgeschlagen,  eine 
gewiß  aussichtsvolle  Operation.  Leider  lehnten  beide  Frauen  ab.  P.  benutzt 
diese  Gelegenheit,  sich  prinzipiell  gegen  die  Totalexstirpation  bei  Prolaps 
auszusprechen :  durch  diese  Operation  werde  an  der  Situation  als  solcher 
nichts  geändert,  das  Diaphragma  und  der  Beckenboden  bleiben  defekt  und 
an  Stelle  des  entfernten  Uterus  treten  nun  andere  Baucheingeweide  herab. 

Zuletzt  streift  W.  noch  kurz  die  intraabdominale  Fixation  des  Mast¬ 
darms.  In  der  FraenkeFschen  Klinik  wurde  die  Operation  einmal  in  der 
Weise  ausgeführt,  daß  der  Mastdarm  auf  die  Hinterwand  des  vorher  ventri- 
fixierten  Uterus  auf  geheftet  wurde.  Nach  zirka  einem  Jahre  war  noch  kein 
Rezidiv  des  Mastdarmvorfalles  eingetreten.  R.  Klien  (Leipzig). 


Die  Operationsmethoden  bei  der  Geburt  bei  engem  Becken. 

(Pinard.  Bull,  med.,  Nr.  91,  S.  1011  —  1014,  1908,) 

In  den  letzten  19  Jahren  hat  Pinard,  Professor  an  der  Klinik 
Baudelocque,  unter  46249  Entbindungen  141  Symphyseotomien,  22  Ope¬ 
rationen,  30  Kaiserschnitte  gemacht.  Aber  während  er  früher  die  Sympliy- 
seotomie  bevorzugte,  macht  er  in  den  letzten  Jahren  immer  häufiger  den 
Kaiserschnitt,  bei  dem  er  keine  Verluste  hatte. 

Allerdings  waren  seine  Resultate  auch  bei  der  Symphyseotomie  er¬ 
freulich  ;  allein  er  hält  diese  Operation  nur  für  bedingt  brauchbar,  nämlich 


176 


Referate  und  Besprechungen. 


wenn  der  Muttermund  verstrichen  ist.  Ist  das  noch  nicht  der  Fall  —  und 
die  Situation  zwingt  oft  zum  Eingreifen  in  solchem  Stadium  — ,  dann  muß 
sich  an  die  Symphyseotomie  noch  die  Extraktion  des  Kindes  anschließen, 
und  damit  vermehren  sich  die  Gefahren  für  die  Mutter  außerordentlich. 
Er  macht  deshalb  lieber  den  Kaiserschnitt,  der  bei  genügender  Technik 
eine  ungefährliche  Operation  darstellt  und  Mutter  und  Kind  am  schonend- 
sten  trennt. 

Die  Operation  von  Porro  macht  Pinard  nur,  wenn  sich  schon  Sepsis 
eingestellt  hat,  oder  bei  Osteomalakie. 

Diese  Ausführungen  machte  P.  in  der  Eröffnungsvorlesung  des  Winter¬ 
semesters,  um  seinen  Zuhörern  klarzumachen,  daß  man  wegen  engen  Beckens 
keine  Schwangerschaft  zu  unterbrechen  brauche,  und  daß  es  nicht  rationell 
sei,  die  Entbindung  bei  solchen  Frauen  durch  Zange  oder  Wendung  zu 
erzwingen,  wo  doch  so  viel  angenehmere  und  ungefährlichere  Methoden  zum 
Ziele  führten.  Buttersack  (Berlin). 


Die  Hyperämie  als  Heilmittel  in  der  Gynäkologie  und  Geburtshilfe. 

(A.  Stein,  Newyork.  Newyorker  med.  Monatsschr.,  Kr.  8,  1908.) 

Nachdem  die  Hyperämiebehandlung,  die  jahrhundertelang  rein  empirisch 
angewandt  wurde,  durch  Bier  auf  eine  festgefügte  wissenschaftliche  Grund¬ 
lage  gestellt  worden  ist,  hat  auch  die  Gynäkologie  das  von  ihm  Erforschte  und 
Erprobte  ihrem  Heilschatz  einverleibt,  um  es  in  der  jetzigen,  auf  die  opera¬ 
tionslüsterne  Ära  der  80  er  Jahre  gefolgten  mehr  konservativen  Epoche  zum 
Heil  der  Patienten  zu  verwerten.  Denn,  wenn  auch  das  konservative  Ver¬ 
fahren  an  Arzt  sowohl  als  Patientin  bedeutendere  Anforderungen  in  bezug  auf 
Ausdauer  stellt,  so  bleibt  doch  der  Lohn  nicht  aus,  indem  es  häufig  gelingt, 
den  Frauen  funktionstüchtige  Generationsorgane  zu  erhalten. 

Im  Einzelnen  führt  Stein  aus,  daß  die  Heißluftbehandlung  allein  oder 
abwechselnd  mit  Pincus’  Belastungslagerung  angewandt,  bei  chronischen 
entzündlichen  Vorgängen  im  Becken  Großes  leistet  und  daß  wir  ferner  die 
Stauungsbehandlung  bei  puerperaler  Mastitis  oder  zur  Anregung  der  Milch¬ 
sekretion  nicht  mehr  missen  möchten. 

Als  Kontraindikation  der  Heißluftbehandlung  von  parametritischen 
Exsudaten,  Fixationen  und  Verlagerungen,  entzündlichen  Adnextumoren  usw. 
nennt  er  Fieber,  Gravidität,  Menstruation,  Endometritis  hämorrh.,  schwere  Herz- 
und  Lungenerkrankungen.  Als  zweckmäßigsten  Apparat  empfiehlt  er  die 
halbzylindrische  Reifenbahre  mit  Quinke’schem  Schornstein  (ev.  Glüh¬ 
birnen),  anfangs  1/2,  später  eine  ganze  Stunde  täglich  angewandt  (80 — 120°  C). 

Die  Wirkung  besteht  in  eklatanter  Schmerzlinderung,  Resorption,  ev. 
Einschmelzung  (Inzision!)  von  Exsudaten,  günstige  Beeinflussung  von  Narben 
und  Fixationen,  die  dadurch  auch  der  Massage  zugänglich  werden. 

Die  Kombination  mit  der  Pincus’schen  Belastungslagerung  (Queck¬ 
silber  oder  —  weniger  gut  —  Schrot  im  Kolpeurynter  oder  Schrotbeutel 
aufs  Abdomen  unter  Erhöhung  des  Fußendes  des  Bettes  6 — 8  Stunden  lang) 
wirkt  durch  die  auf  die  Anämiesierung  folgende  aktive  Hyperämie  gleichsinnig 
mit  der  Heißluftbehandlung. 

Rudolph’s  Saugbehandlung  der  Portio  möchte  Stein  dem  Praktiker 
nicht  empfehlen,  Polanos  Dysmenorrhöebehandlung  durch  Ansaugung  der 
Brustdrüse  steht  er  abwartend  gegenüber,  wohl  aber  empfiehlt  er,  wie  er¬ 
wähnt,  die  Saughyperämie  der  Brustdrüse  zur  Anregung  der  Milchsekretion, 
zur  Behandlung  von  „Schlupf-  oder  Nabelwarzen“  (Jaschke)  und  vor  allem 
bei  der  puerperalen  Mastitis.  Esch. 


Referate  und  Besprechungen. 


177 


Psychiatrie  und  Neurologie. 

Bernheim’s  Auffassung  der  Aphasie. 

(Bern heim  [doctrine  de  l’aphasie  comment  je  la  comprends,  röle  de  Y eidment 
dynamique.]  Revue  de  möd.,  XXVIII,  Nr.  9,  S.  796—819,  1908.) 

Es  ist  eine  merkwürdige  Beobachtung,  daß  gerade  die  Funktion,  von 
welcher  die  modernen  Bestrebungen  der  Gehirnlokalisationen  ihren  Ausgang 
genommen  haben  —  die  Sprache  und  ihre  Störungen  —  bei  näherem  Zusehen 
Veranlassung  gibt,  an  der  so  fest  angenommenen  Lehre  von  festen 
Zentren  zu  zweifeln.  „Der  Ausdruck  Sprachzentrum“  kann  überhaupt  nicht 
ein  Zentralorgan  in  jener  diesem  Wort  gewöhnlich  beigelegten  Bedeutung  be¬ 
zeichnen,  in  welchem  dieses  einen  bestimmten  Funktionskreis  ausschließlich 
oder  auch  nur  vorzugsweise  beherrscht,  sondern  es  kann  nur  die  Bedeutung 
eines  Funktionsherdes  besitzen,  in  welchem  sich  besonders  wichtige  Knoten¬ 
punkte  solcher  Leitungen  befinden,  deren  Zusammenwirken  für  das  betreffende 
Funktionsgebiet  unerläßlich  ist.“  Mit  dieser  Auffassung,  welche  die  sog. 
Zentren  nicht  mehr  als  Ausgangspunkte,  sondern  als  Verknüpf ungsp unkte 
im  Zentralsystem  charakterisiert,  bringt  W.  Wundt  in  seiner  physiologischen 
Psychologie  I  1908,  S.  378,  die  neue  Epoche  zum  Ausdruck,  und  ähnlich  denkt 
im  Nachbarlande  der  scharfsinnige  Bernheim,  der  nicht  müde  wird,  die 
Neigung  zum  Systematisieren,  die  dem  Menschengeschlecht  nun  einmal  ange¬ 
boren  zu  sein  scheint,  zu  bekämpfen. 

Sein  Gedankengang  ist  etwa  dieser :  Ganz  abgesehen  davon,  daß  die 
pathologisch-anatomischen  Funde  recht  häufig  nicht  mit  dem  übereinstimmen, 
was  der  Kliniker  nach  der  herrschenden  Lehre  hätte  erwarten  müssen,  sind  die 
Aphasischen  in  der  Tat  gar  nicht  aphasisch ;  die  meisten  vermögen  einzelne 
Worte,  Bruchstücke  von  Sätzen,  ja  ganze  Gebete  und  im  Gesang  lange  Lieder 
aufzusagen;  es  handelt  sich  also  nur  um- eine  Störung  in  der  Leitang,  ähn¬ 
lich  wie  bei  einer  defekten  Telephonleitung  auch  nur  mehr  oder  minder  deut¬ 
liche  Worte  herauskommen. 

Neben  diese  Störung  im  motorischen  Betrieb  „düe  a  l’aphasie  motrice, 
difficulte  de  transmettre  les  mots,  langage  interieur,  aux  noyaux  bulbaires 
qui  les  realisent“  stellt  Bernheim  dann  noch  eine  zweite,  mehr  psychische: 
Störungen  in  der  Wort-  (bezw.  Gedanken-)bildung :  ,,1’amnesie  verbale,  difficulte 
de  trouver  les  mots  et  de  les  agencer  en  phrases,  evocation  difficile  des  images 
verbales  et  leur  coordination  en  phrases.“  Aber  diese  Störung  ist  keines¬ 
wegs  untrennbar  an  die  groben  Veränderungen  im  Broca’schen  bezw.  Wer- 
n icke’ sehen  Zentrum  geknüpft;  passiert  es  doch  oft  genug  auch  gesunden 
und  geistig  hochstehenden  Personen,  daß  ihnen  ein  Wort,  ein  Name  fehlt 
und  trotz  allen  Besinnens  nicht  einfällt;  und  ganz  besonders  im  Alter  ist 
solch  ein  momentanes  Versagen  des  Gedächtnisses  allbekannt.  ,,Ce  ne  sont 
que  des  defaillances  passageres,  plus  ou  moins  frequentes,  plus  ou  moins 
etendues,  de  la  memoire  verbale  ou  graphique“  und  das  Verhalten  des 
sog.  Aphasikers  ist  nur  ,,1’exageration  de  ce  qui  se  produit  a  l’etat  physiologi- 
que“.  Trousseau  führt  als  weiteres  Analogon  noch  den  Schüler  an,  den  sein 
Gedächtnis  mitten  im  Aufsagen  der  Lektion  im  Stiche  läßt,  was  aber  durch 
eine  kleine  Nachhilfe  sofort  in  Ordnung  gebracht  wird  (Clinique  med.  II  1865, 
S.  619). 

Es  kommt  also,  wenn  man  diesen  Gedanken  weiterspinnt,  nicht  so  sehr 
auf  die  grob-anatomischen  Läsionen  an,  welche  der  Obduzent  zu  demonstrieren 
pflegt,  sondern  auf  die  Störungen  im  feinen  Spiel  in  dem  so  verwickelten 
Mechanismus  des  Gehirns.  Bernheim  spricht  von  einem  affaiblissement  du 
dynamisme  cerebral,  Trousseau  nannte  es  une  modaiite  dans  une  partie 
du  cerveau,  modaiite  qui  sera  peut  etre  l’analogue  des  congestions  transitoires 
—  —  ou  bien  de  ces  profondes  perturbations  de  la  circulation  capillaire  qui 
se  traduisent  tantöt  par  l’hyperemie,  tantot  par  l’anemie,  tantöt  par  la  perte  ou 
l’exaltation  de  la  sensibilite.  Freilich,  hier  beginnt  zurzeit  noch  das  Gebiet  der 
Hypothesen;  aber  derlei  feine  Vorgänge  zu  leugnen,  erscheint  beinahe  noch 
falscher  als  die  falscheste  Hypothese. 


12 


178 


Referate  und  Besprechungen. 


Bernheim  kommt  schließlich  zu  den  Thesen:  Es  gibt  keine  Zentren 
für  das  Wortgedächtnis,  für  die  artikulierte  Sprache,  für  die  optischen  und 
akustischen  Erinnerungsbilder.  Zwar  haben  einzelne  Hirnabschnitte  größeren 
Einfluß  au|f  das  Zustandekommen  der  sprachlichen  und  schriftlichen  Äuße¬ 
rungen;  aber  eine  durchgreifende  Regel  läßt  sich  nicht  aufstellen,  an  welcher 
Stelle  und  von  welcher  Beschaffenheit  Störungen  sein  müssen,  um  die 
sog.  Aphasie  hervorzurufen.  Diese  setzt  sich  im  wesentlichen  aus  Störungen 
in  der  Wortbildung  und  in  der  motorischen  Umsetzung  zusammen.  Aber  das, 
was  wir  Sprechen  nennen,,  ist  nicht  immer  und  bei  allen  das  Resultat  der 
nämlichen  Vorgänge;  manche  Worte  und  Wortverbindungen  ergeben  sich,  wenn 
häufig  angewendet  oder  in  Liedern,  Gedichten  usw.  eingelernt,  automatisch, 
während  die  sprachliche  Darstellung  von  Gedanken  das  Ergebnis  völlig  ande¬ 
rer  Vorgänge  ist.  Und  daß  im  weiteren  das  Sprachvermögen  eines  ge¬ 
bildeten,  geistig  hochstehenden  Menschen  nicht  mit  jenem  des  nur  über  wenige 
hunderte  Worte  verfügenden  Bauern  zusammengeworfen  werden  darf,  leuchtet 
wohl  ein,  sobald  die  Idee  nur  angedeutet  wird. 

Die  Bern  heimische  Lehre  darf  mithin  nicht  so  aufgefaßt  werden,  als 
ob  an  Stelle  des  Broca-Weirnicke’schen  oder  sonst  eines  Sprachschemas 
ein  anderes  gesetzt  werden  solle.  Der  Gegensatz  ist  tiefer.  An  Stelle  der 
anatomischen  Betrachtungsweise  führt  er  die  physiologische  ein,  welche  die 
gegenseitige  Abhängigkeit  der  Funktionen  und  ihre  Verschiedenheit  bei  den 
einzelnen  Individuen  betont.  Die  Funktionen  sind  das  Primäre;  sie  schaffen 
sich  erst  ihr  anatomisches  Substrat,  die  Form  der  Verknüpfungen  im  Zentral¬ 
system  ;  und  ebenso  verschieden  wie  die  Funktionen,  wie  die  Reize  und  Be¬ 
dürfnisse  eines  Menschen,  ebenso  verschieden  muß  auch  der  innere  Aufbau, 
müssen  die  Konstruktionen  sein.  Von  solch  einem  Standpunkt  erscheint  es 
fast  ungereimt,  ein  für  alle  gültiges  Sprachschema  zu  ersinnen.  Mögen 
auch  alle  Menschen  mit  den  gleichen  Elementen  bauen,  so  tritt  schließlich  doch 
die  Gleichheit  des  Materials  zurück  hinter  der  individuellen  Form,  in  welcher 
der  einzelne  seine  Apparate  und  seinen  Organismus  zusammenfügt.  Also  nicht 
von  der  anatomischen  Forschung,  sondern  von  der  Physiologie  ist  der  schließ- 
liche  Einblick  in  die  normale  und  die  pathologische  Sprache  zu  erwarten ; 
aber  auch  nicht  von  der  modernen  Physiologie,  welche  nicht  wagt,  über  den 
Bereich  der  Physik  und  Chemie  hinauszugehen,  sondern  von  der  psycho¬ 
logischen  Physiologie,  welche  allein  durch  Entwirrung  der  psychologischen 
Struktur  der  Sprache  Licht  in  dieses  Grenzgebiet  zwischen  Sprechen  und 
Denken  werfen  kann.  Buttersack  (Berlin). 


Einfluß  Oes  Alkohols  auf  die  Epilepsie. 

Dr.  Stefan  Wosinski  teilt  der  Pester  medizinisch-chirurgischen  Presse 
(Jahrg.  43,  Nr.  46)  die  Erfahrungen  mit,  welche  er  in  dem  Balfer  Kurbad, 
einer  Anstalt  für  Epileptiker,  gesammelt  hat.  —  Er  kommt  zu  folgenden 
Schlüssen:  Alkohol  und  Syphilis  üben  unter  allen  Umständen  einen  unge¬ 
mein  schädigenden  Einfluß  auf  das  Zentralnervensystem  aus.  Die  durch 
diese  beiden  Gifte  hervorgerufenen  Epilepsien  sind  heilbar.  Gäbe  es  keine 
Syphilis  und  keinen  Alkohol,  so  würde  die  Zahl  der  Epileptiker  auf  die 
Hälfte  herabsinken.  S. 


Zur  Frage  von  den  Abstinenzdelirien 

äußert  sich  Dr.  Wassermeyer-Kiel  in  seiner  Habilitationsschrift  „Delirium 
tremens“  (Archiv  für  Psychiatrie  und  Nervenkrankheiten,  B.  44,  II.  31). 
Nachdem  er  die  Literatur  geprüft  und  hervorgehoben  hat,  daß  Bonhoeffer 
das  Vorkommen  der  Abstinenzdelirien  einwandfrei  nachgewiesen  hat  (was 
aber  nur  für  die  Gefängnisdelirien-  gilt,  die  nicht  als  reine  Abstinenzdelirien 
betrachtet  werden  können,  wie  ich  in  meiner  Arbeit  über  die  Abstinenzdelirien 
[Psychiatrisch-neurologische  Wochenschrift,  X.  Jahrgang  1908,  Nr.  14 — 17] 
betont  habe),  erklärt  er  sichere  Fälle  beobachtet  zu  haben,  bei  denen  der 


Referate  und  Besprechungen. 


179 


plötzliche  Entzug  des  gewohnten  Giftes  die  Ursache  des  Ausbruches  war. 
Unter  den  in  den  Jahren  1901 — 1907  auf  der  Kieler  psychiatrischen  Klinik 
beobachteten  284  Fällen  war  dies  bei  3,87%,  also  zehnmal  der  Fall.  W. 
bringt  nur  eine  einzige  Krankengeschichte  im  Auszuge,  aus  der  man  aller¬ 
dings  die  absolute  Überzeugung,  daß  es  sich  hier  nur  um  ein  Abstinenz¬ 
delirium  habe  handeln  können,  nicht  gewinnt.  Die  Tatsache,  daß  Delirien 
in  den  Trinkerheilanstalten,  wo  den  Patienten  der  Alkohol  unvermittelt 
entzogen  wird,  so  gut  wie  gar  nicht  beobachtet  werden,  läßt  W.  unbeachtet. 

Auf  Grund  dieser  seiner  Überzeugung  tritt  W.  auch  für  prophylaktische 
Verabreichung  des  Alkohols  behufs  Verhütung  des  Deliriums  ein.  Er  empfiehlt 
aber  auch  im  Gegensätze  zu  fast  allen  Autoren  Alkoholmedikation  nach 
Ausbruch  des  Deliriums,  von  der  er  günstigen  Einfluß  auf  den  Tremor 
und  die  Angstzustände  gesehen  hat.  Holitscher. 


Zur  Pathogenese  der  kretinischen  Degeneration. 

(E.  Bircher.  Beihefte  zur  med.  Klinik,  H.  6,  Bd.  4,  1908.)* 

In  einer  hervorragend  gründlichen  Arbeit  bespricht  der  Verf.  die  Theo¬ 
rien  betr.  den  Kretinismus.  Er  weist  zunächst  an  Zahlen  nach,  von  deren 
Umfang  der  Fernerstehende  sich  kein  Bild  machen  kann,  welche  enorme  Be¬ 
deutung  für  die  Bevölkerungsverhältnisse  der  Schweiz,  für  ihre  sozialen  Zu¬ 
stände,  die  Wehrkraft  des  Landes  usw.  die  kretinische  Degeneration  (ende¬ 
mischer  Kopf,  endemische  Taubstummheit  und  endemischer  Kretinismus) 
besitzt,  beträgt  doch  die  Zahl  der  Rekruten,  die  wegen  Kropf  jährlich  als 
militäruntauglich  ausscheiden  (1886 — 1905)  6 — 7%.  Mit  Recht  weist  Verf. 
darauf  hin,  daß  der  Grund,  warum  die  Schweiz  ijrozentisch  mehr  psychisch 
Kranke  habe,  als  irgend  ein  anderes  Land  (auf  200  Einwohner  kommt  ein 
Platz  in  der  Irrenanstalt)  zum  guten  Teil  in  der  enormen  Ausdehnung  der 
kretinischen  Degeneration  liege.  Als  das-  hauptsächlichste  Symptom  nennt 
V erf .  den  mißbildeten  Knochenaufbau,  für  diesen  stellt  er  die  Mitteilung 
von  Untersuchungen  in  Aussicht,  dieser  sei  in  erster  Linie  auch  die  Ursache 
der  endemischen  Taubstummheit.  Eine  spezifische  Athyreosis  für  den  Kre¬ 
tinismus  stellt  Verf.  entschieden  in  Abrede,  er  führt  histologische  Schild¬ 
drüsenuntersuchungen  dafür  an.  Die  Wachstumsstörung  des  Kretins  ist 
nicht  regelmäßig  wie  beim  Zwergwuchs,  sondern  durchaus  irregulär.  „Die 
kretinische  Degeneration  ist  eine  chronische  Infektionskrankheit,  deren  orga¬ 
nisches  Miasma  an  gewissen  marinen  Ablagerungen  unserer  Erdrinde  haftet 
und  durch  das  Trinkwasser  in  den  Körper  gelangt.“  Diese  alte  Auffassung 
von  H.  Bircher  (1883)  befestigt  nun  der  Verf.  an  der  Hand  eines  ungemein 
interessanten  Nachweises  der  geologischen  Verhältnisse  der  Schweiz  und  der 
kretinösen  sonstigen  Gegenden.  Er  zeigt,  daß  in  der  Schweiz  die  Forma¬ 
tionen  der  Trias,  der  Meermolasse  und  des  Eocän  in  erster  Linie  als  kropf¬ 
tragende  Schichten  zu  betrachten  sind.  Obere  und  untere  Süßwassermolasse 
zeigen  nur  dort  die  Endemie,  wo  (sie  mit  Meermolasse  in  Verbindung  ist 
und  das  Trinkwasser  Gelegenheit  hat,  in  die  tiefer  gelegene  Meermolasse 
einzudringen  und  diese  auszulaugen.  Die  Richtigkeit  dieser  Auffassung  zeigt 
ein  großartiges  Experiment.  Die  Gemeinde  Rupperswil  hatte  1885  59% 
Kretinen  unter  der  Schuljugend.  Auf  Rat  von  H.  Bircher  baute  die  Gemeinde 
an  Stelle  ihrer  alten  Wasserversorgung  (aus  der  Meermolasse)  eine  neue 
Leitung  über  die  Aar  und  bezog  so  fortan  ihr  Wasser  aus  dem  reinen  Jura: 
die  Zahl  der  kropfigen  Kinder  betrug  1907  2,5  %.  Diese  ließen  sich  als 
eingewandert  nachweisen,  resp.  als  unter  anderen  Wasserversorgungsverhält- 
nissen  stehend.  Die  vorliegende  Schrift  ist  ein  ausgezeichnetes  Werk,  das 
seine  Stellung  in  der  Geschichte  der  Kretinenforschung  behaupten  wird.  Die 
vom  Verf.  eingeschlagene  Richtung  darf  als  eine  vielversprechende  bezeichnet 
werden.  .  H.  Vogt. 


12* 


180 


Referate  und  Besprechungen. 


Selbstvergiftung  bei  akuten  Geistestörungen. 

(V.  C.  Myers  und  J.  W.  Fischer,  Middletown  Conn.  Zentralbl.  für  die  ges. 

Phys.  u.  Path.  des  Stoffw.,  Nr.  22,  1908.) 

Myers  und  Fischer  suchten  der  Frage,  inwieweit  Psychosen  durch 
Autointoxikation  vom  Darm  aus  ursächlich  bedingt  sein  können,  durch  Kot¬ 
untersuchungen  näher  zu  kommen,  und  zwar  erstreckten  sich  ihre  Unter¬ 
suchungen  auf  neun  Fälle,  sieben  manisch-depressive  in  der  Depressionsperiode, 
einen  in  einer  gemischten  Periode  und  einen  mit  Melancholie  kompliziert. 
Durch  die  chemische  Untersuchung  der  Fäkalien  wurde  nichts  deutlich  patho¬ 
logisches  gefunden,  obwohl  Skatol  einmal  in  geringer  Menge  erhalten  wurde, 
und  in  einer  Anzahl  von  Fällen  die  Phenolwerte  verhältnismäßig  hoch  waren. 
Mittels  kulturellen  Nachweises  wurden  starke  Zeichen  von  Fäulnis  in  zwei 
Fällen  erhalten.  In  drei  Fällen  ergab  die  Urinuntersuchung  hohe  Werte 
für  Ätherschwefelsäuren.  Jedenfalls  bestand  also  in  drei  Fällen  eine  Ver¬ 
mehrung  der  Darmfäulnis,  in  zwei  davon  sogar  bei  Milchdiät.  Jedenfalls 
scheint  es,  daß  in  den  beobachteten  Fällen  die  Frage  der  Selbstvergiftung 
der  größten  Beobachtung  wert  ist,  zum  mindesten  als  beeinflussender  Faktor. 

M.  Kaufmann. 


Über  den  sonderbaren  Unterschied,  der  zwischen  der  antirabischen 
Wirkung  der  Hirnsubstanz  in  toto  und  jener  der  weißen  und  der  grauen 

Substanz  getrennt  besteht. 

(Clandio  Fermi.  Zentralbl.  für  Bakt.,  H.  3,  Bd.  48,  1908.) 

Verfasser  untersuchte  den  Unterschied  der  normalen  und  der  Wutnerven- 
substanz  gleichzeitig  an  dem  Nervensystem  gesunder  und  wutkranker  Tiere 
und  experimentierte  mit  der  weißen  und  der  grauen  Substanz  einzeln  und 
zusammen. 

Es  verhielten  sich  die  normale  weiße  und  die  graue  Hirnsubstanz,  ge¬ 
trennt  angewandt,  bei  den  mit  Straßenvirus  infizierten  Tieren  vollständig 
inaktiv,  während  ein  Gemisch  normaler  weißer  und  grauer  Hirnsubstanz 
vom  Menschen  eine  starke  immunisierende  Wirkung  zeigte,  so  daß  sie  80% 
der  Tiere  rettete. 

Die  weiße  und  graue  Hirnsubstanz  eines  wutkranken  Hundes,  ge¬ 
trennt  angewandt,  bei  mit  Straßen virus  infizierten  Tieren,  rettet  höchstens 
10  resp.  30%  der  Tiere.  Eine  Mischung  beider  Hirnsubs tanzen  rettet  unge¬ 
fähr  80%  der  Tiere.  Bei  Injektionen  von  normaler  weißer  und  grauer 
Substanz,  von  denen  die  eine  am  Morgen,  die  andere  am  Abend  eingespritzt 
wurde,  war  der  Prozentsatz  der  Überlebenden  40%.  Wurde  die  weiße  und 
graue  Hirnsubstanz  getrennt  sieben  Tage  lang  eingespritzt,  so  betrug  der 
Prozentsatz  der  Überlebenden  60 %.  Es  scheint  also,  daß  das  immunisierende 
Vermögen  vermindert  wird,  auch  wenn  die  beiden  Substanzen  demselben 
Tiere,  aber  getrennt,  injiziert  werden. 

Das  Serum  von  mit  weißer  Menschenhirnsubstanz  immunisierten  Hunden, 
wie  jenes  von  mit  grauer  Substanz  immunisierten,  kann  nicht  die  subkutan 
vor  48  Stunden  mit  Straßenvirus  infizierten  Mäuse  retten.  Auch  ist  eine 
Mischung  der  beiden  Sera  inaktiv.  Dagegen  erweist  sich  das  Serum  von 
Hunden ,  die  mit  beiden  Substanzen  gemischt  immunisiert  wurden ,  sehr 
wirksam.  Eine  volle  Bestätigung  dieser  Ergebnisse  fand  Verfasser  mit  dem 
Serum  von  Kaninchen,  die  miß  normaler  weißer  und  grauer  Hirnsubstanz 
immunisiert  waren.  Schürmann  (Düsseldorf). 


Referate  und  Besprechungen. 


181 


Ohrenheilkunde. 

Gehörorgan  und  chronische  Infektionskrankheiten. 

(Nager,  Basel.  Arcli.  internat.  de  lar.,  Nr.  5,  Bd.  25,  1908.) 

Außer  bei  Tuberkulose  und  Syphilis  beteiligt  sich  das  Ohr  selten  an 
chronischen  Infektionen,  eine  so  große  Rolle  auch  die  akuten  in  seiner 
Pathologie  spielen.  Bei  chronischer  Malaria  kennt  man  drei  Formen 
von  Ohrerkrankung :  1.  Reizung  oder  Lähmung  des  nerv,  acusticus  mit  sub¬ 
jektiven  Geräuschen,  intermittierender  Schwerhörigkeit  oder  Meniero’schem 
Syndrom ;  2.  Otitis  media,  die  mit  den  Anfällen  kommt  und  geht  und 
3.  Otalgieen  von  periodischem  Charakter.  Freilich  mögen  manche  der 
Akustik  usaffektionen  auf  das  Chinin  zurückzuführen  sein.  —  Bei  Orient  - 
beule  und  Lepra  wird  das  äußere  Ohr  bisweilen  befallen,  bei  letzterer 
auch  die  Tube.  Rhinosklerom  beteiligt  das  Ohr  nur  sekundär  durch 
Störung  der  Ventilation  der  Pauke.  Bei  Aktinomykose  sind  einigemale 
Lokalisationen  am  äußeren  Ohr,  sowie  im  Felsenbein  beobachtet  worden, 
die  zweimal  durch  intrakranielle  Komplikation  zum  Exitus  führten.  Dem 
Ohr  eigentümlich  ist  die  Otomykose,  eine  harmlose  Aspergillus-usw. -Infek¬ 
tion  des  Cehörganges,  meist  eine  Folge  des  Einbringens  zersetzlicher  öliger 
Flüssigkeiten.  Chronische  Osteomyelitis  erzeugt  beiderseitige  Labyrin¬ 
thitis  oder  Neuritis  acustica,  meist  mit  sehr  schlechtem  Ausgang  für  die 
Funktion. 

Tuberkulose  ist  die  häufigste  Infektion  des  Ohrs;  das  äußere  Ohr 
beteiligt  sich  oft  am  Lupus,  besonders  das  Ohrläppchen.  Tuberkulose  des 
Mittelohrs  kommt  im  jugendlichen  Alter  als  einziger  tub.  Herd  vor  in 
Form  einer  subakuten  Mastoiditis.  Bei  Erwachsenen  begleitet  sie  gewöhn¬ 
lich  die  Phthise.  14%  aller  Phthisiker  leiden  an  Tuberkulose  des  Ohrs, 
4%  aller  chronischen  Ohreiterungen  -  sind  tuberkulös.  Die  Affektion  ist 
schmerzlos,  das  Trommelfell  oft  reaktionslos  mit  großen  Defekten.  Die 
Otitis  geht  oft  auf  den  Knochen  über,  so  daß  im  Spülwasser  Knochen¬ 
staub  gefunden  wird;  es  kommt  zu  polypösen  tuberkelhaltigen  Granula¬ 
tionen  und  Ausbreitung  auf  den  Warzenfortsatz.  Das  Gehör  ist  schwer 
geschädigt.  —  Das  Labyrinth  wird  durch  Annagung  seiner  Kapsel  oder 
Übergang  durch  die  Fenster  beteiligt,  die  Aufnahmeapparate  werden  dann 
schnell  vernichtet.  Man  kennt  auch  eine  (toxische)  tuberkulöse  Polyneuritis 
des  Akustikus,  sowie  zentrale  Taubheit  bei  Hirntuberkulose. 

Syphilis  tritt  am  äußeren  Ohr  nicht  häufig  auf.  Es  gibt  Primär¬ 
affekt,  nach  Kuß  oder  Biß,  serpiginöse  Geschwüre  der  Muschel,  Kondylome 
des  Gehörgangs,  die  durch  begleitende  Periostitis  sehr  schmerzhaft  sind. 
(Ref.  sah  einmal  profuse  Blutungen  aus  kaum  erkennbaren  Plaques-Geschwü¬ 
ren  des  knöchernen  Teils  des  Meatus.)  An  der  Tuba  sind  Initialsklerosen 
durch  Katheterinfektion  beobachtet  worden ;  sekundär-luetische  Otitis  media 
ist  selten,  zeichnet  sich  durch  heftige  Schmerzen,  langdauernde  Sekretion, 
starke  Hörstörung,  Neigung  zur  Sequestrierung  aus.  Häufiger  ist  nicht¬ 
spezifische  Störung  der  Ventilation  der  Pauke  durch  Prozesse  im  Nasen¬ 
rachen.  Das  innere  Ohr  ist  ein  häufiger  Sitz  tertiärer  Affektionen, 
und  zwar  gummöser,  später  ossifizierender  Labyrinthitis,  welche  die  Ge¬ 
hörs-  und  statische  Funktion  vernichtet.  Auch  das  Vorkommen  luetischer 
Neuritis  ist  sicher  gestellt;  hierzu  kommen  die  häufigen  zentralen  Störungen. 
—  Von  größerer  Wichtigkeit  ist  die  ererbte  Syphilis;  sie  ist  bei  7% 
der  Taubstummen  Grund  der  Ertaubung.  Besonders  bei  der  Spätform  ist 
Labyrinthitis  häufig;  schwere  Hörstörung  ohne  Eiterung  im  6. — 15.  Lebens¬ 
jahr  beruht  fast  sicher  auf  Lues.  Gewöhnlich  tritt  die  Ohrerkrankung  nach 
Ablauf  der  Augenaffektionen  ein,  deren  Residuen  für  die  Diagnose  von 
Wert  ist.  Die  Prognose  ist  sehr  ungünstig.  Arth.  Meyer  (Berlin). 


182 


Referate  und  Besprechungen. 


Das  Gehör  ohne  Trommelfell  und  Knöchelchen. 

(Struycken.  Arch.  internat.  de  lar.,  Nr.  5,  Bd.  25,  1908.) 

Zur  Beurteilung  des  Wertes  der  Knöchelchen  für  die  Tonleitung  hat 
Str.  verschiedene  radikal  Operierte  .untersucht,  bei  welchem  eine  Affektion 
der  Schnecke  möglichst  auszuschließen  war,  also  entweder  die  Operation 
am  gesunden  Ohr  (wegen  subjektiver  Geräusche)  ausgeführt  war,  oder  die 
Kopfleitung  sich  als  intakt  erwies.  Der  Umfang  des  Gehörs  war  namentlich 
unten  stark  eingeschränkt.  Für  die  übrigen  Töne  war  die  Hördauer  bis  zu 
Cr/  erheblich  verkürzt,  während  sie  für  die  höheren  Töne  minder  herab¬ 
gesetzt  war.  Flüsterstimme  wurde  in  1/2 — 2  m  vernommen.  Um  nach  Radikal¬ 
operation  gute  Hörfähigkeit  zu  erhalten,  muß  man  schnelle  Epithelisierung 
anstreben.  Str.  gestaltet  die  Höhle  möglichst  trichterförmig,  nimmt  außen 
viel,  innen  möglichst  wenig  fort,  und  sorgt  dafür,  daß  der  Gehörgangsboden 
ohne  scharfe  Kante  auf  die  Paukenwand  übergeht.  Das  erreicht  er,  ohne 
Fazialis  und  Karotis  zu  gefährden,  indem  er  elektrisch  getriebene  Fraisen 
(rugine)  mit  flachem  Kopf  verwendet.  Der  Verband  drückt  die  Muschel 
etwas  in  die  Höhle  hinein.  Arth.  Meyer  (Berlin). 


Über  Tuberkelkeime  bei  Otitis  chronica. 

C.  de  Rossi.  Annali  dello  Istituto  Maragliano,  Volume  8,  Fascicolo  6,  S.  835  bis 

848,  1908.) 

de  Rossi  suchte  bei  27  Patienten  mit  zweifellos  tuberkulösen  ßhr- 
erkrankungen  nach  den  typischen  •  Koch’ sehen  Bazillen,  fand  sie  aber  nur 
ein  einziges  Mal.  Dagegen  fand  er  zahlreiche  säurebeständige  Körnchen 
(Granuli  aciclo  resistenti),  konstatierte  sehr  enge  Beziehungen  zwischen  diesen 
und  den  eigentlichen  Bazillen  und  konnte  schließlich  mit  den  Körnchen 
Tuberkulose  erzeugen.  Es  ist  das  also  offenbar  eine  Bestätigung  der  Mit¬ 
teilungen  von  Spengler  (Deutsche  Med.  Woc.h.,  Nr.  9,  1907)  und  Much. 

Buttersack  (Berlin). 


Zur  Saugbehandlung  der  akuten  Mittelohreiterungen. 

(Carl  Leuwer.  Med.  Klinik,  Nr.  41,  1907.) 

Vergleiche  zwischen  der  Behandlung  der  akuten  Ohreneiterung  auf 
dem  bisher  üblichen  Wege  und  dlem  der  Saugbehandlung  sind  zugunsten 
der  Saugbehandlung  ausgefallen,  insofern  als  die  Behandlungsdauer  bei  dieser 
kürzer  war.  Die  Behandlungsdauer  betrug  im  Durchschnitt  für  Kinder  bis 
zu  2  Jahren  9  Tage  (gegen  15,5),  bei  Kindern  bis  zu  15  Jahren  10  Tage 
(gegen  9,4  Tage),  für  Personen  über  15  Jahre  5  Tage  (gegen  14,2).  Die 
Zeitdauer  der  Behandlung  war  also  namentlich  bei  Erwachsenen  nicht 
unwesentlich  verkürzt,  außerdem  war  die  Zahl  der  Rezidive  bei  der  Saug¬ 
behandlung  etwas  geringer.  —  Zur  Technik  sei  bemerkt,  daß  der  —  von 
Leuwer  angegebene  —  Ohrensauger  in  das  vorher  nicht  gereinigte  Ohr 
eingesetzt  und  nach  Ansaugen  so  lange  sitzen  gelassen  wird,  bis  aus  der 
Trommelfellperforation  kein  Sekret  mehr  hervor  quillt,  was  gewöhnlich  nur 
einige  Sekunden,  —  bis  20  —  dauert.  Dann  wird  der  Gehörgang  durch  Aus¬ 
spülen  und  Austupfen  oder  nur  letzteres  gereinigt  und  dann  Borsäure  ein¬ 
geblasen,  Tampon  und  Verband  angewandt.  Hinsichtlich  der  Borsäure-Ein¬ 
blasung  sei  bemerkt,  daß  die  Borsäure  nur  als  Hauch  dem  Trommelfell  aufliegen 
soll,  damit  nicht  bei  massenhaftem  Aufblasen  Sekretstauung  eintritt.  Zum 
Ansaugen  darf  nur  ein  kleiner  Saugballon  angewandt  werden  und  auch 
dieser  nur  mit  Vorsicht  zur  Vermeidung  von  Blutungen.  Die  gesamte  Thera¬ 
pie  wird  täglich  einmal  ausgeführt.  —  Fälle,  in  denen  die  Perforations¬ 
öffnung  klein  oder  zitzenförmig  gestaltet  war,  schienen  zur  Saugbehandlung 
besonders  geeignet.  R.  Stüve  (Osnabrück). 


Referate  und  Besprechungen. 


188 


Röntgenologie  und  physikalische  Heilmethoden. 

Zur  Röntgentherapie  der  Hautkrankheiten. 

(Dr.  Ferd.  Zinsser,  Köln.  Med.  Wochenschr.,  Nr.  38,  1908.) 

Z.  bespricht  zu  Eingang  einige  Fälle  von  Hautverbrennung,  die  im 
Anschluß  an  Röntgenbestrahlung  aufgetreten  sind,  und  kommt  zu  dem  Schlüsse, 
daß  in  allen  Fällen,  wo  nähere  Angaben  vorhanden  sind,  sich  eine  zweifel¬ 
lose  Überdosierung  nachweisen  läßt.  Er  glaubt  zwar,  daß  verschiedene  Indi¬ 
viduen  in  verschiedenem  Grade  auf  Röntgenbestrahlungen  reagieren,  hält 
aber  eine  Ideosynkrasie  in  dem  Sinne,  daß  schon  auf  ganz  schwache  Be¬ 
strahlungen  schwere  Erscheinungen  auftreten,  für  höchst  unwahrscheinlich. 

Bezüglich  der  Technik  empfiehlt  er  schwache  Bestrahlungen  in  größeren 
Abständen  zu  geben,  und  nur  weiche  Röhren  zu  verwenden,  letzteres,  um 
eventuelle  schädliche  Einwirkungen  in  der  Tiefe  zu  vermeiden.  Für  sehr 
wichtig  hält  er  es,  daß  m;an  stets  mit  gleicher  Spannung  und  Stärke  des 
Primärstromes,  gleichem  Härtegrade,  Fokusabstand  und  gleicher  Bestrablungs- 
dauer  arbeitet  und  nur  die  Anzahl  der  Bestrahlungen  variiert. 

Von  den  sog.  dosimetrischen  Verfahren  erscheint  ihm  das  Köhler’sche 
und  das  Kienb  öck’sche  noch  am  brauchbarsten.  Hoch  wendet  er  auch  diese 
kaum  an,  da  das  Köhler’sche  besondere  Röhren  erfordert,  während  das 
Kienb  öck’sche  kein  Ablesen  während  der  Bestrahlung  gestattet  und  ihm 
zu  umständlich  ist. 

(Ref.  hat  über  das  Kölhler’sche  Messungsverfahren  keine  eigene  Er¬ 
fahrung,  er  benutzt  aber  regelmäßig  das  Kienb  öck’sche  Dosimeter  und 
sieht  in  ihm  trotz  mancher  Mängel  ein  recht  brauchbares  Hilfsmittel.) 

Hahn. 


Über  Magenmotilitätsprüfung  mit  Hilfe  der  Röntgenstrahlen. 

(Kaestle,  München.  Münch.  Med.  Wochenschr.,  Nr.  33,  1908.) 

K.  hat  die  Magen  von  80  gesunden  Personen  mit  Röntgenstrahlen  unter¬ 
sucht  und  folgendes  dabei  festgestellt : 

Eine  Mischung  von  28,0  Bismuth.  carbonic.  oder  30,0  Bismuth.  subnitric. 
mit  200,0  Milchgries  oder  Mehlsuppe  verläßt  den  gesunden  Magen  nach 
2 — 3V2  Stunden,  eine  Mischung  von  der  gleichen  Wismuthmenge  mit  60,0 — 65,0 
bolus  alba  und  250,0  Wasser  nach  l1/2 — 3  Stunden.  Massage  und  elektrischer 
Strom  beschleunigten  die  Austreibung.  Kurze  Zeit  nach  der  Einführung 
der  Massen  sieht  man  peristal tische  Wellen  am  Magen.  Das  Antrum  pylori 
schnürt  sich  in  regelmäßigen  Intervallen  ab,  entleert  dann  seinen  Inhalt  in 
den  Darm,  was  man  aus  dem  Schwinden  des  Antrumschattens  schließen  kann, 
und  füllt  sich  dann  wieder  langsam. 

3/4 — 1  Stunde  vor  der  völligen  Entleerung  hebt  sich  der  tiefste  Magenpol 
und  schüttet  so  den  Rest  des  Mageninhaltes  in  den  Darm. 

Die  Form  des  Magens  war  bei  78  Fällen  die  sogenannte  Angelhaken¬ 
form,  nur  zweimal  wurde  die  sogenannte  Rinderhornform  gefunden. 

Hahn. 


Zur  diätetischen  und  physikalischen  Behandlung  der  Gicht. 

(M.  Hirsch,  Kudowa.  Med.  Wochenschr.,  Nr.  32,  1908.) 

H.  glaubt  nicht,  daß  mau  dem  Gichtigen  eine  besondere  Diätkur  vor¬ 
schreiben  soll.  Sicher  wirksam  ist  seiner  Ansicht  nach  nur  eine  reichliche 
Zufuhr  von  Flüssigkeit,  da  man  dadurch  eine  vermehrte  Harnsäureausschei¬ 
dung  erzielen  kann. 

Von  den  physikalischen  Behandlungen  sind  alle  diejenigen  wirksam,  die 
den  Stoffwechsel  anregen,  also  Gymnastik,  Massage,  Sport,  heiße  Wasserbäder, 
Packungen,  Moor-,  Sand-  und  Schlammbäder,  Seebäder  und  kalte  Sturzbäder 
usw.  Doch  ist  dabei  zu  berücksichtigen,  daß  einerseits  heiße  Prozeduren  bei 


184 


Btidiersch.au. 


akuter  .Gicht  die  Reizerscheinungen  vermehren  und  andererseits  die  Gichtigen 
gegen  kalte  Prozeduren  sehr  empfindlich  sind. 

H.  empfiehlt  daher  die  Kombination  von  warmen  und  kalten  Prozeduren, 
z.  B.  eines  Lichtbades  mit  einem  kühlen  Halbbad  oder  einer  wechselwarmen 
Douche. 

Bei  dem  akuten  Gichtanfall  empfiehlt  H.  vor  allem  die  Ruhigsteilung 
des  erkrankten  Gelenkes,  doch  soll  der  Patient,  sobald  die  Schmerzen  er¬ 
trägliche  sind,  wieder  mit  Bewegungen  anfangen.  Ob  kalte  oder  warme 
Prozeduren  anzuwenden  sind,  entscheidet  am  besten  die  Empfindung  des 
Kranken.  Den  besten  Erfolg  sah  H.  von  feuchten  Umschlägen,  deren  Kälte¬ 
oder  Wärmewirkung  durch  längeres  oder  kürzeres  Liegenlassen,  bezw.  durch 
Auf  tropfen  von  Eiswasser  hervorzurufen  ist.  Bei  Veränderungen,  die  sich 
an  Gelenken  nach  einer  Reihe  von  akuten  Gichtanfällen  einstellen,  sind 
manuelle  und  Vibrationsmassage,  Widerstandsbewegungen  und  Gymnastik, 
verbunden  mit  heißen  Prozeduren  am  wirksamsten.  Hahn. 


Über  die  praktische  Bedeutung  der  Vierzeilenbäder. 

(Ernst  Tobias,  Berlin.  Med.  Klinik,  Nr.  20,  1908.) 

Nach  T.  sind  die  Krankheiten,  die  sich  für  die  Behandlung  mit  Vier¬ 
zellenbädern  eignen,  folgende : 

1.  rein  nervöse  Zustände:  Schwindel,  Angst,  Kopfdruck,  unbestimmte 
ziehende  Schmerzen,  Schlaflosigkeit,  Schreibkrampf  und  ähnliche  Ermüdungs¬ 
erscheinungen  bestimmter  Muskelgruppen,  traumatische  Neurosen,  Hysterie; 

2.  Neuralgien; 

3.  Sensibilitätsstörungen:  Anästhesien,  Parästhesien ; 

4.  Lähmungen,  bes.  nach  Hemiplegien; 

5.  Herzerkrankungen:  Neurosen,  Erkrankungen  des  Herzmuskels,  Dila¬ 
tationen  des  rechten  Ventrikels. 

Bei  den  Erkrankungen  der  Gruppe  1  wendet  T.  schwache  galvanische 
Ströme,  nur  bei  Schlaflosigkeit  —  faradische  Ströme  an. 

Bei  Erkrankungen  der  Gruppe  2  wechselt  T.  den  Gebrauch  von  kon¬ 
stanten  Strömen  mit  anderen  physikalischen  Behandlungsmethoden  ab.  Bei 
lanzinierenden  Schmerzen  der  Tabiker  versagt  das  Vierzellenbad. 

3.  Sensibilitätsstörungen  werden  durch  sehr  schwache  konstante  Ströme 
sehr  gut  beeinflußt. 

4.  Lähmungen  werden  mit  gutem  Erfolg  mit  faradischen  Strömen  be¬ 
handelt. 

5.  Bei  Herzerkrankungen,  soweit  sie  auf  Neurosen,  Muskelerkrankungen 

oder  Dilatation  des  rechten  Ventrikels  beruhen,  hat  T.  von  der  Behandlung 
mit  galvanischem,  faradischem  und  sinusoidalem  Wechselstrom  gute  Erfolge 
erzielt.  Bei  allen  Erkrankungen  dagegen,  die  mit  einer  Hypertrophie  des 
linken  Ventrikels  einhergehen,  werden  die  Beschwerden  durch  den  Gebrauch 
von  Vierzellenbädern  vermehrt.  Hahn. 


Bücherschau. 


Konstitution  und  Vererbung.  Untersuchungen  über  die  Zusammenhänge 
der  Generationen.  Von  Dr.  F.  von  den  Velden.  Verlag  der  Ärztl. 
Rundschau  (O.  Gmelin),  München  1909.  131  Seiten.  2.80  Mk. 

Die  vorliegenden  Abhandlungen,  die  als  Einzelpublikationen  in  verschiedenen 
1H  achzeitschriften  erschienen  waren,  werden  nicht  nur  durch  das  im  Titel  gekenn¬ 
zeichnete  Band,  sondern  auch  dadurch  mit  einander  verknüpft,  daß  sie  auf  den  bedeut- 


Bücherschau. 


185 


samen,  leider  nahezu  totgeschwiegenen  Forschungen  Riff  eis*)  basieren  und  diese 
in  weiterer  selbständiger  Durcharbeitung  des  Materials  nachzuprüfen  und  zu  er¬ 
gänzen  suchen.  Dieser  mühevollen  und  in  Anbetracht  der  vorherrschenden  Strömung 
nicht  immer  dankbaren  Aufgabe  hat  sich  von  den  Velden  durchaus  gewachsen 
gezeigt.  Und  wer  den  Autor  nicht  schon  aus  seinen  früheren  wertvollen  Arbeiten 
kannte,  der  lernt  ihn  in  diesen  Studien  schätzen:  nicht  nur  als  vorurteilsfreien, 
eminent  kritisch  veranlagten  und  in  seinem  Schlüsse  überaus  vorsichtigen  Forscher, 
sondern  auch  als  scharfen,  nicht  selten  humorvollen  Beobachter  und  Kenner  des 
Lebens,  wie  es  der  Weise  ist  und  wie  der  wahre  Arzt  es  sein  sollte. 

Die  Resultate,  zu  denen  von  den  Velden,  wesentlich  in  Übereinstimmung 
mit  Riffel  kommt,  sind  folgende: 

Die  Schwindsucht  ist  ebenso  wie  der  Krebs  eine  exquisit  hereditäre  Krank¬ 
heit,  der  Ausfluß  einer  familiären  Disposition.  Die  früher  maßgebende  Ansicht, 
daß  die  Schwindsucht  eine  ererbte  Konstitutionsanomalie  sei  und  daß  auf  eine  Un¬ 
zahl  von  Fällen,  in  denen  man  ihren  Ausbruch  auf  die  Beschaffenheit  der  Eltern 
und  Großeltern  zurückzuführen  imstande  ist,  erst  einer  kommt,  den  man  als  akquirierte 
Schwindsucht,  als  Endresultat  wesentlicher  Verletzungen  der  Lunge,  erschöpfender 
Krankheiten,  der  Syphilis  und  ihren  Kuren,  des  Potatoriums  oder  des  äußersten  Elends 
bezeichnen  könne.  —  Diese  alte  Ansicht  kommt  heute  wieder  zu  Ehren  und  das 
Lebenswerk  Riff  eis  liefert  hierfür  die  schlagendsten  Beweise.  (Auf  die  wenigen 
Ausnahmen  ist  von  Riffel  selbst  ausdrücklich  hingewiesen.)  Ähnlich  wird  es  uns 
bald  mit  dem  Krebse  gehen.  Es  ist  ja  möglich,  daß  man  auch  hier  den  lange 
gesuchten  konstanten  Begleiter  entdeckt,  ebenso  wie  das  für  die  Lungenschwindsucht 
geschehen  ist.  Aber  das  wird  nur  ein  theoretischer  Erfolg  und  keinerlei  Ersatz 
für  den  Aufwand  an  Mühe  und  großen  materiellen  Opfern  sein.  Auch  bei  der 
Bekämpfung  der  Tuberkulose  ist  man  ja  von  dem  vergeblichen  Suchen  nach 
spezifischen  Mitteln,  deren  Auffinden  nach  der  Koch’schen  Entdeckung  nur  eine 
Frage  der  Zeit  zu  sein  schien,  wieder  auf  die  hygienisch-diätetische  Methode  und 
auf  die  Erziehung  des  Publikums  zur  Reinlichkeit  zurückgekommen. 

Bei  der  Frage,  ob  jemand  phthsisch  wird  oder  nicht,  hängt  allein  von  dem 
Grad  der  Wehrhaftigkeit  seines  Körpers,  nicht  von  dem  zufälligen  Kontakt  mit 
dem  ubiquitären  Erreger  ab.  Die  Wehrhaftigkeit  wieder  ist  lediglich  durch  erb¬ 
liche  Faktoren  bedingt.  Man  kann  sagen,  daß  der  Steinstaub  z.  B.  für  die  Lunge 
gefährlicher  ist,  als  der  Tuberkelbazillus. 

Nicht  durch  erworbene  Immunität  wird  die  Tuberkulose  aus  der  Welt  ge¬ 
schafft,  sondern  durch  das  Aussterben  der  Tuberkulösen  und  in  gewissem  Maße 
durch  die  geschlechtliche  Kreuzung  mit  Gesunden.  Gegen  die  Ansicht  Reib- 
mayers,  daß  bei  der  Tuberkulose  schließlich  eine  Durchseuchung  und  damit 
eine  erworbene  Immunität  einträte  und  daß  diejenigen  Sprößlinge  tuberkulöser 
Familien,  die  die  Krankheit  überwunden,  ein  besonders  wertvolles  Zuchtmaterial 
repräsentieren,  protestiert  von  den  Velden  auf  Grund  der  Ergebnisse  der 
Riffel’schen  Tabellen  ganz  energisch.  Das  gehe  ja  auch  schon  daraus  hervor, 
daß,  wo  beide  Eltern  an  Schwindsucht  zugrunde  gingen,  die  Enkel  gesundheitlich 
noch  weniger  taugen,  als  die  Kinder:  die  Zahl  der  Schwindsüchtigen  selbst  nimmt 
in  der  dritten  Generation  allerdings  ab,  die  Kindersterblichkeit  und  die  Anlage  zu 
allen  möglichen,  noch  unten  zu  detaillierenden  Krankheiten  steigert  sich  aber 
progressiv,  bis  sich  allmählich  die  wiederholte  Zufuhr  frischen,  gesunden  Blutes 
(im  Sinne  des  Züchters,  nicht  des  Humoralpathologen)  geltend  macht. 

Der  eigentliche  Krebs  scheint  nach  Maßgabe  der  Tabellen  nur 
in  Schwindsuchtsfamilien  vorzukommen.  Man  kann  das  Auftreten  des 
Krebses  nach  von  den  Velden  gewissermaßen  als  «Indikator  für  einen  Fortschritt 
in  der  Konstitution  betrachten  und  daraus,  daß  das  Glied  einer  Familie  an  Karzinom 
erkrankt  ist,  Voraussagen,  daß  seine  Nachkommen  im  Durchschnitt  gesünder  sein 
werden  als  er  selbst  und  seine  Geschwister.  Immerhin  erzeugt  eine  Person,  die 
späterhin  an  Krebs  erkranken  wird,  unfehlbar  noch  eine  defekte  Nachkommenschaft, 
wenngleich  sie  zur  Zeit  der  Zeugung  vollkommen  gesund  erscheint. 

Für  die,  wie  es  scheint,  auf  einwandsfreie  Beobachtungen  gestützte  Be¬ 
hauptung,  der  Krebs  hafte  an  gewissen  Wohnungen,  ergibt  das  vorhandene  Ma- 


*)  Vergl.  Riffel:  Mitteilungen  über  die  Erblichkeit  und  Infektiosität  der 
Schwindsucht.  (Braunschweig,  Berlin  1898). 

Vergl.  Riffel:  Weitere  pathogenetische  Studien  über  Schwindsucht,  Krebs 
und  einige  andere  Krankheiten  (Frankfurt  a.  M.,  1901. 

Vergl.  Riffel:  Schwindsucht  und  Krebs  im  Lichte  vergleichend  —  statistisch¬ 
genealogischer  Forschung.  2  Teile.  (Karlsruhe,  Gutsch  1905.) 


186 


Bücherschau. 


terial  keine  Anhaltspunkte.  Die  Krankheiten  bleiben  in  der  Familie,  aber  die 
Häuser  auch.  Mit  noch  größerer  Sicherheit  trifft  das  für  die  Tuberkulose  zu. 
Hier  ist  aber  auch  eine  Übertragung  von  Person  zu  Person,  speziell  der  nahe 
Kontakt,  wie  er  in  der  Ehe  und  bei  der  Pflege  Schwindsüchtiger  zustande  kommt, 
absolut  ungefährlich,  während  das  für  den  Krebs  aus  der  Statistik  nicht  so  ganz 
sicher  hervorgeht. 

Man  tut  recht  daran,  vor  der  Ehe  mit  Schwindsüchtigen  zu  warnen,  aber 
nicht  wegen  der  Gefahr  für  den  gesunden  Teil,  sondern  weil  die  Nachkommen¬ 
schaft  unfehlbar  „defekt“  wird. 

Welcher  Art  sind  nun  die  „Defekte“  der  Nachkommenschaft  Schwind¬ 
süchtiger?  Kiffel  und  von  den  Velden  nennen  in  erster  Linie  die  auffallende 
Disposition  zum  Krebs.  Das  macht  sich  aber  erst  im  späteren  Lebensalter  geltend; 
schon  früher  erliegt  ein  großer  Teil  des  Nachwuchses  der  Meningitis,  einer 
Pneumonie,  Herzfehlern,  vor  allem  dem  Tode  an  Puerperalfieber  und  an 
Geisteskrankheiten.  Apoplexie,  Nierenkrankheiten,  perforierende 
Magengeschwüre  mit  tödlichem  Ausgang,  Lebercirrhose,  Emphysem 
kommen  bei  Angehörigen  von  Schwindsüchtigen  3 — 6  mal  häufiger  vor  als  bei 
Unbelasteten.  Ty phusepidemien  fordern  ihre  meisten  Opfer  in  diesen  Familien, 
wie  überhaupt  die  „defekte  Anlage“  sich  in  der  hervorragenden  Tendenz  des 
Bauchfelles  zu  Eiterungen  und  entzündlichen  Verwachsungen  (inneren 
Strangbildungen/Adhäsionen,  eingeklemmten  Brüchen,  perforierenden  Peritoniden, 
Darmverschlingungen)  k  u  n  d  gi  b  t . 

Unter  den  gesund  erscheinenden  Abkömmlingen  aus  Schwindsuchts-  und 
Krebsfamilien  finden  wir  auffallend  häufig  den  „Arthritismus“  im  Sinne  der 
französischen  Autoren  d.  h.  die  ganz  ausgesprochene  Disposition  zu  Gicht  und 
Rheumatismus  (ev.  mit  Herzfehlern)  Arthritis  deformans,  Arteriosklerose  und 
Konkrementbildung. 

Vor  allem  aber  tritt  die  „defekte  Anlage“  in  der  enormen  Kindersterblich¬ 
keit  von  Schwindsuchtsfamilien  zutage.  Um  schwindsüchtig  zu  werden,  um  im 
Wochenbett  oder  gar  an  Apoplexie  oder  Krebs  zu  sterben,  muß  man  schon  eine 
leidlich  gesunde  Natur  haben,  die  einen  über  die  ersten  2  —  4  oder  gar  5  Jahrzehnte 
hinbringt. 

Von  großer  Wichtigkeit  ist  der  Nachweis,  den  von  den  Velden  bei  dieser 
Gelegenheit  erbringt,  daß  die  Beschaffenheit  der  Nachkommenschaft  sich  mehr 
nach  der  durchschnittlichen  Gesundheit  der  ganzen  Familie,  als  nach  der  der 
Eltern  selbst  richtet.  Dabei  scheint  der  Gesundheitszustand  der  Mutter  ein  Faktor 
zu  sein,  der  im  Guten  und  Schlechten  an  der  Qualität  des  Produktes  mehr  beteiligt 
ist,  als  der  des  Vaters.  Die  Nachkommenschaft  Blutsverwandter  erweist  sich  durch¬ 
schnittlich  etwas  weniger  gesund  als  die  der  nicht  verwandten  Individuen.  Man  muß 
aber  immer  bedenken,  daß  die  Anwendung  statistischer  Resultate,  auf  den  Einzel¬ 
fall  verkehrt  ist.  Von  den  Velden  tritt  ganz  auf  die  Seite  Oste rl eins,  der 
seiner  Ansicht  nach  den  Nagel  auf  den  Kopf  trifft,  wenn  er  sagt:  „einstweilen 
scheint  es  sicherer,  wenn  sich  gesunde  Verwandte  heiraten,  als  Fremde,  deren 
hygienische  und  Krankengeschichte  man  gar  nicht  kennt.“ 

Der  Satz,  daß  je  größer  die  Kinderzahl  einer  Familie  ist,  desto  minderwertiger 
auch  ihre  gesundheitliche  Beschaffenheit  sei,  gehört  ja  zum  wichtigsten  Rüstzeug 
des  (Neo-)  Malthusianismus,  kann  aber  an  der  Hand  der  Statistik  in  diesem  Um¬ 
fange  nicht  aufrecht  erhalten  werden.  Die  Zahl  der  Totgeborenen  und  im  ersten 
Lebensjahre  Gestorbenen  nimmt  nun  zwar  mit  dem  Kinderreichtum  konstant  zu, 
ebenso  die  Zahl  der  Todesfälle  im  Alter  bis  zu  5  Jahren.  Man  darf  aber  nicht 
vergessen,  daß  die  Höhe  der  Kindersterblichkeit  weniger  maßgebend  für  den  sozialen 
Endeffekt  ist,  als  die  Qualität  der  Überlebenden.  Von  diesem  Gesichtspunkte  aus 
ist  die  starke  Aussiebung  kein  Nachteil;  ihr  Revers  ist  die  große  Zahl  der  Gesunden 
bei  den  weniger  belasteten  Familien.  Wenn  aber  gesunde  Eltern  sich  mit  2 — 4 
Kindern  begnügen,  so  fallen  diese,  falls  sie  im  Optimum  der  Zeugungsfähigkeit 
geboren  wurden,  ebenso  gesund  aus  und  bleiben  mindestens  im  gleichen  Prozent¬ 
verhältnis  am  Leben,  als  wenn  es  6  oder  10  wären.  Unter  den  Eltern  von 
12 — 17  Kindern  wiegen  die  Schwindsüchtigen  bedeutend  vor. 

Auffallend  ist  die  relativ  große  Zahl  von  Zwillingsgeburten  gerade  in  be¬ 
lasteten  Familien. 

Welches  ist  nun  das  Optimum  'der  Zeugungsfähigkeit?  In  das  Alter,  in  dem 
die  meiste  Aussicht  ist,  gesunde  Kinder  zu  erzielen,  tritt  der  Mann  mit  25  Jahren, 
die  Frau  etwas  früher.  Der  Einfluß  des  Alters  und  des  gegenseitigen  Verhältnisses 
im  Alter  der  Ehegatten  auf  die  Nachkommenschaft  zeigt  bis  zum  29.  Jahre  des 
Mannes  und  bis  zum  24.  Lebensjahre  der  Frau  eine  gewisse  Konstanz.  Mit  zu¬ 
nehmenden  Heiratsalter  jenseits  des  29.  Jahres  wächst  die  auf  die  Ehe  durchschnitt- 


Bücherschau. 


187 


lieh  entfallende  Zahl  der  defekten  Kinder.  Männer  unter  24  Jahren  scheinen  aber 
besser  zu  tun,  soweit  die  Beschaffenheit  der  Nachkommenschaft  in  Betracht  kommt, 
eine  etwas  ältere  Frau  zu  heiraten.  Allerdings  ist  die  Fruchtbarkeit  größer,  wenn 
die  Frau  jünger  ist  als  der  Mann,  sie  nimmt  aber  mit  dem  zunehmenden  Alter  des 
Mannes  beim  Eintritt  in  die  Ehe  ab.  Die  Abstammung  aus  „defekter  Familie“ 
spielt  auch  unter  den  Ursachen  der  Sterilität  eine  große  Rolle. 

Schließlich  ist  von  den  Velden  imstande,  an  der  Hand  der  Riffel’schen 
Tabellen  die  von  Bears  on  s.  Z.  aufgestellte  Hypothese  von  der  Minderwertigkeit 
der  Erstgeborenen  zu  widerlegen. 

Wie  schon  angedeutet,  vergißt  von  den  Velden  nicht,  verschiedentlich  und 
scharf  zu  betonen,  daß  die  statistischen  Resultate  nur  für  den  Durchschnitt  zahl¬ 
reicher  Fälle  Sinn  haben,  für  den  einzelnen  Fall  aber  jeder  Bedeutung  entbehren. 
Ebenso  verschließt  er  sich  der  Ansicht  keineswegs,  daß  das  Material  immerhin 
noch  zu  klein  ist,  um  an  der  Hand  dieser  zweifellosen  Tatsachen  alle  die  hier  be¬ 
rührten  Fragen  schon  jetzt,  endgültig  zu  entscheiden.  Gerade  aber  weil  der  Autor 
die  ermittelten  Wahrheiten  für  relativ  ansieht  und  niemandem  vielleicht  mehr 
als  ihm  selbt  daran  liegt,  an  ihrer  Korrektur  weiterzuarbeiten,  seien  hier  einige 
Bedenken  mehr  oder  minder  untergeordneter  Natur  zur  Sprache  gebracht! 

Mit  Recht  hat  von  den  Velden  die  familiäre  Disposition  in  den  Vorder¬ 
grund  der  ätiologischen  Momente  gerückt;  es  ist  auch  richtig,  daß  sie  sich  meistens 
mit  der  atavistischen,  ererbten  deckt;  aber  immer  ist  es  wohl  nicht  der  Fall.  Es 
kann  nach  O.  Rosenbach’s  und  nach  meinen  eigenen  Beobachtungen  kaum 
noch  ein  Zweifel  darüber  bestehen,  daß  durch  den  Generationsakt  bei  einer  dauernden 
oder  vorübergehenden  Disposition  der  Eltern  in  dieser  Zeit  der  Keim  zu  einer 
Minderwertigkeit  der  Nachkommenschaft  gelegt  wird,  die  bei  dieser  eine  dauernde 
Disposition  für  alle  möglichen  und  zwar  ganz  heterogenen  Erkrankungen  schafft. 
In  dem  was  wir  „Degeneration“  nennen,  handelt  es  sich  nach  dieser  Auffassung 
nicht  um  eine  Vererbung  von  Anlagen  —  diese  waren  bei  den  früheren  Genera¬ 
tionen  wenigstens  teilweise  noch  gar  nicht  vorhanden  —  sondern  um  ein  grad-, 
weises  Erlöschen  aller  für  die  Erhaltung  des  Individuums  und  der  Art  zweck¬ 
mäßigen  Eigenschaften.  Namentlich  die  zahlreichen  Ehen  zwischen  Blutsverwandten 
in  dem  von  Riffel  verwerteten,  relativ  engen  Kreise  geben  Anlaß  zu  dem  Ver¬ 
dacht,  daß  es  sich  hier  um  Verhältnisse  handelt,  die  nicht  ohne  weiteres  und  ge¬ 
neraliter  im  Sinne  der  Vererbung  gedeutet  werden  dürfen.  Nach  Rosenbach 
können  Ehen  zwischen  Blutsverwandten  gewisse  Typen  heranzüchten,  welche  unter 
Umständen  Vorzüge  darstellen  (wie  bei  der  Zucht  von  Rassetieren)  auf  der  anderen 
Seite  aber  auch  sehr  unzweckmäßig  für  das  Individuum  und  die  Art  sein  können. 
Wenn  beim  Generationsakte  mehrfach  die  gleichen  Formen  und  Spannungen  zu¬ 
sammentreten,  so  muß  sich  schließlich  die  Energiequelle  resp.  die  Aktivität  des 
Keims  in  derselben  Weise  erschöpfen,  wie  wenn  auf  dem  Gebiet  der  Agrikultur 
eine  rationelle  Fruchtfolge  nicht  eingehalten  wird.  Hier  Vegetieren  von  „Un¬ 
kräutern“,  dort  das  Erscheinen  von  allen  möglichen  Krankheitsanlagen,  beide¬ 
mal  bei  schlechtem  Gedeihen  des  erstrebten  Produkts  nach  Qualität  und 
Quantität!  Aber  nicht  nur  die  Blutsverwandtschaft,  auch  die  temporäre  Indis¬ 
position,  beruhe  sie  in  Krankheit,  tiefen  sozialem  Elend,  in  niederdrückenden 
Sorgen,  oder  in  der  Exaltation  des  Alkoholrausches,  ist  geeignet  eine  „kongenitale“ 
aber  nicht  „atavistische“  minderwertige  Anlage  zu  schaffen,  die  eben  nicht  „ererbt“ 
ist,  sondern  als  ein  völliges  Novum  in  die  Erscheinung  tritt. 

Darauf,  daß  die  in  den  Sterberegistern  angegebenen  Todesursachen  mit 
großer  Vorsicht  zu  verwerten  sind,  macht  von  den  Velden  selbst  verschiedentlich 
aufmerksam;  auf  einen  Punkt  hinzuweisen  möchte  ich  aber  doch  dabei  nicht  ver¬ 
säumen:  wie  die  Diagnose  von  der  Mode  und  dem  Bildungsgänge  der  jeweiligen 
Arztegeneration  noch  weit  mehr  als  von  den  individuellen  Neigungen  des  einzelnen 
Arztes  abhängig  ist.  (Man  denke  nur  an  die  Wandlungen  in  den  Diagnosen: 
Emphysem,  Magenerweiterung,  Enteroptose,  Diphtherie,  Blinddarmentzündung!) 

Schließlich  bringt  der  Wechsel  der  Generationen  ein  Auf-  und  Niederwogen 
der  Dispositionen  für  gewisse  Krankheiten  mit  sich,  die  alle  Schlußfolgerungen  auf 
dem  Gebiete  der  Medizin  so  ungeheuer  schwierig  gestalten.  Teilweise  ist  das  durch 
den  „periodischen  Wechsel  der  Konstitution“  be'dingt,  ein  Gesetz,  das  Rosenbach 
aufgestellt  hat  und  das  formuliert,  wie  auf  eine  Generation  oder  einige  Generationen 
mit  anämischem  (phthisischem)  Habitus  eine  oder  mehrere  von  plethorischer 
(apoplektisoher)  Konstitution  folgen  und  umgekehrt.  Aber  das  nicht  allein!  Auch 
aus  uns  unbekannten  exogenen,  außerhalb  aller  Elemente  der  jeweils  prävalierenden 
Konstitution  gelegenen  Ursachen  (atmosphärischer,  tellurischer  oder  kosmischer 
Provenienz)  erscheint  und  schwindet  zeitweise  eine  Disposition  zu  gewissen  Er- 


188 


Bücherschau. 


krankungen.  Bas  massenhafte  Emporflackern  der  Betriebsanomalien,  die  prinzipiell 
nicht  einmal  Seuchen  zu  sein  brauchen,  wurde  in  früheren  Zeiten  unbelebten, 
heute  vorzugsweise  belebten  Giften  (die  Ära  der  Verfolgung  von  Brunnenvergiftern 
ist  von  der  bakteriologischen  Epoche  abgelöst!)  zugeschrieben,  ebenso  wie  ihr  Er¬ 
löschen  den  naiven  Versuchen,  dem  unsichtbaren  Feinde  auf  direktestem  Wege, 
aber  meistens  mit  recht  untauglichen  und  sich  in  der  Folge  niemals  wieder  be¬ 
währenden  Mitteln  zu  Leibe  zu  gehen. 

Mögen  diese  Bemerkungen,  die,  wie  schon  gesagt,  den  Kern  der  Ausführungen 
von  den  Velden’s  nicht  berühren  und  die  vor  allem  den  hohen  positiven  Wert 
seiner  Untersuchungen  in  keiner  Weise  zu  beeinträchtigen  imstande  sind,  sondern 
nur  die  Schwierigkeiten  stichhaltiger  Deduktionen  beleuchten  wollen,  dazu  bei¬ 
tragen,  dem  trefflichen  Werke  einen  großen,  seinem  Gedankengange  mit  Interesse, 
aber  auch  mit  Kritik  folgenden  Leserkreis  zu  gewinnen.  Allein  eine  freimütige 
Kritik  hilft  uns,  im  Sinne  des  Autors  der  Wahrheit  immer  näher  zu  kommen,  zu 
deren  hervorragenden  Suchern  er  selbst  gehört.  Eschle. 


Beobachtungen  über  die  Psyche  der  Menschenaffen.  Von  A.  Soko- 
lowsky.  Neuer  Frankf.  Verlag,  1908.  78  Seiten.  1.50  Mk. 

Ein  sehr  interessantes,  mit  guten  Abbildungen  nach  Photographien  verziertes 
Buch,  in  dem  der  Verfasser,  Assistent  am  Idagenbeck’schen  Tierpark  in  Stellingen, 
seine  Erfahrungen  an  gefangenen  und  manche  Erfahrungen  anderer  an  freien 
Anthropoiden  erzählt.  Dabei  erscheint  der  Gorilla  als  am  stärksten  nach  der  Ge¬ 
mütsseite  entwickelt  und  insofern  als  der  menschenähnlichste,  der  Orang  als  der 
stumpfste  und  der  Schimpanse  als  der  lebhafteste  und  erfinderischste.  Die  Lebens¬ 
und  Ernährungsweise  des  Gorilla  gleicht  außerordentlich  der  der  primitivsten 
Völker,  etwa  der  Kubu,  wie  sie  B.  Plagen  schildert,  die  vor  den  Affen  rein  nur  den 
Grabstock  voraushaben.  Interessant  ist  auch,  daß  entgegen  der  vielfach  geglaubten 
Ansicht  die  Anthropoiden  keine  Vegetarianer  sind,  sondern  Eier  und  Vögel  fressen 
und  besonders  dem  Fischfang  obzuliegen  scheinen.  S.  glaubt,  daß  die  unregel¬ 
mäßigen  Futterzeiten  und  gelegentlichen  Hungerperioden,  die  sich  beim  Freileben 
der  Affen  einstellen,  zur  Gesundheit  beitragen:  ein  für  die  menschliche  Ernährung 
sehr  beachtenswerter  Gesichtspunkt.  Bei  aller  Intelligenz  sind  sie  aber  nicht  die 
intelligentesten  Tiere  und  man  sieht  hier  wieder,  daß  es  nur  an  dem  Mangel  einer 
entwicklungsfähigen  vorderen  Gliedmaße  gelegen  hat,  daß  sich  nicht  auch  Glieder 
anderer  Tiergruppen  auf  den  Weg  der  Kultur  begeben  haben. 

F.  von  den  Velden. 


Das  Arsen  und  seine  therapeutische  Verwendung.  Von  Dr.  J.  Weigl 
in  München.  Verlag  B.  Konegen,  Leipzig  1908.  80  Pfg. 

In  dieser  kleinen  Studie  wird  das  Wissenswerte  über  die  physikalischen, 
chemischen  und  pharmakologischen  Eigenschaften  des  Arsens  und  seiner 
Verbindungen  für  den  Arzt  besprochen,  ohne  daß  neue  Gesichtspunkte  ge¬ 
geben  werden.  Zu  erwähnen  sind  nur  Versuche  über  die  toxische  Dosis  des 
AtoxyPs,  das  in  Mengen  von  0,3 — 0,4  g,  subkutan  injiziert,  Neben¬ 
wirkungen  (Frösteln,  Kopfschmerz,  Schwindel)  verursachte,  und  das  ohne' 
Nebenwirkungen  nur  in  Mengen  von  0,1  g  in  3  tägigen  Zwischenräumen  war. 

Für  das  Lesen  dieses  Schriftchens  ist  folgendes  nicht  aus  dem  Auge 
zu  lassen.  Die  wichtige  Tatsache,  daß  z.  B.  in  Frankreich  nicht  die  arsenige 
Säure  (als  Liquor  Kalii  arsenicosi  s.  Fowleri),  sondern  die  Arsen  säure 
(als  Liquor  Natrii  arsenicici  s.  Pearsonii)  allgemein  verwendet  wird,  wäre 
der  näheren  Betrachtung  wert  gewesen.  Erstens  lehrt  dieser  Umstand,  daß 
wir  noch  weit  von  einer  internationalen  Arzneibehandlung  entfernt  sind 
und  zweitens,  daß  hier  Beziehungen  zur  Wirkung  des  Ätoxyls  (fünf¬ 
wertiges  Arsen)  vorliegen,  das.  nach  Ehrlich  in  Form  von  Beduktions- 
produkten  (dreiwertiges  Arsen)  zu  wirken  scheint.  Ferner  ist  das  Atoxyl, 
das  z.  Z.  im  Mittelpunkt  des  therapeutischen  Interesses  steht,  nicht  ein 
Anilid 


Metaarsensäureanilid 


Bücherschau. 


189 


sondern  nach  Ehrlich  das  Natriumsalz  der  Paraaminophenylarsin- 
sänre  von  der  Formel 

OH 

/ — \  ^ 

NH2  (  >As=0 

■\-  /  x 

ONa 

d.  li.  eine  aromatische  Arsinsäure  mit  einer  freien  Aminogruppe  in 
Parastellung  zum  Arsenrest.  Dies  ist  von  grundlegender  Bedeutung,  insbe¬ 
sondere  für  das  Verständnis  der  am  31.  Oktober  1908  von  Ehrlich  in 
einem  Vortrag  in  der  deutschen  Chemischen  Gesellschaft  zu  Berlin  be¬ 
sprochenen  Substitutions-  und  Reduktionsprodukte,  Arsacetin,  Paraoxypenylarsin- 
oxyd,  Arsenoplienylglycin  usw.  Endlich  ist  es  nicht  naturwissenschaftlich  gedacht, 
wenn  man  die  zu  Heilzwecken  verwendeten  natürlichen  Mineralwässer  als  solche 
bezeichnet,  die  ,,die  allgütige  Mutter  Natur  in  ihrem  großen  Laboratorium 
schafft,  um  ihren  Kindern  in  ihren  Nöten  zu  Hilfe  zu  kommen.“ 

E.  Rost  (Berlin). 


Die  Physiologie  der  Verdauung  und  Ernährung.  Von  Professor  Dr. 
Otto  Cohnheim,  Heidelberg.  23  Vorlesungen  für  Studierende  und 
Arzte.  Verlag  von  Urban  &  Schwarzenberg,  Berlin  und  Wien  1908. 

484  S.  15  Mk. 

Der  praktische  Arzt  hat  ein  großes  Interesse  daran,  eine  Darstellung  der 
Vorgänge  bei  der  Verdauung  und  Ernährung  unter  Berücksichtigung  der  neueren 
Untersuchungen,  die  etwa  innerhalb  der  letzten  10  Jahre  mit  einem  großen  Teil  der 
bisher  geltenden  Anschauungen  aufgeräumt  und  dafür  vielfach  vollständig 
neue  Betrachtungen  gesetzt  haben,  zu  besitzen.  Wenn  der  Verfasser  eines  Buches 
über  diese  Gegenstände  größtenteils  auf  eigene  Arbeiten  sich  beziehen  kann,  wenn 
es  ihm  gelingt,  in  selbständiger  Auffassung,  kritisch  und  zu  weiteren 
Versuchen  anregend  dieses  unermeßlich  große  Gebiet  kurz  darzustellen,  so  kann 
ein  solches  nur  mit  Freude  begrüßt  werden. 

Cohnheim ’s  Buch  erfüllt  diese  Bedingungen;  dazu  ist  es  verständlich, 
und  klar  geschrieben,  sodaß  es  für  den  vielbeschäftigten  Arzt  nicht  nur 
als  Nachschlagewerk  in  Frage  kommt,  sondern  vielmehr  ein  vom  Anfang  bis 
zum  Schluß  das  Interesse  des  Lesers  erweckendes  Buch  genannt  werden  muß. 
Naturgemäß  muß  sich  ein  solches  Buch  größtenteils  auf  Versuche  an  den  üblichen 
physiologischen  Versuchstieren  stützen,  aber  gerade  darauf  hat  Verfasser  großen 
Wert  gelegt,  daß  alles  mit  dem  für  die  Erkenntnis  und  Beurteilung  der  mensch¬ 
lichen  Ernährung  Wissenswerten  in  Beziehung  gebracht  wird.  Auf  diese  Weise 
bringt  das  Buch  die  Grundlagen  auf  diesem  Gebiete,  das  den  praktischen  Arzt 
tagtäglich  beschäftigt.  Es  ist  nicht  möglich,  hier  mehr  als  in  kurzen  Hinweisen 
auszuführen,  daß  hinsichtlich  der  Bewegungen  des  Magens  und  Darms,  der  Ver¬ 
dauungssäfte,  der  Sekretion  und  Resorption  durch  die  Arbeiten  Pawlows,  Starlings, 
Cohnheims,  Magnus’  usw.  das  Gebiet  so  umgestaltet  werden  mußte,  daß  ein  den 
gleichen  Gegenstand  vor  20,  ja  selbst  noch  vor  10  Jahren  behandelndes  Buch 
als  aus  einer  weit  zurückliegenden  Epoche  der  medizinischen  Wissenschaft  er¬ 
scheinen  könnte.  Durch  E.  Fischers  grundlegende  Versuche  über  die  Eiwei߬ 
stoffe  sind  völlig  neue  Betrachtungen  notwendig  geworden.  Auch  auf  dem  Gebiete 
des  Stoffwechsels  und  des  Eiweißbedarfs  sind  durch  Rubners  exakte  Forschungen 
weitere  Fortschritte  in  der  Erkenntnis  dieses  Teils  der  Ernährungslehre  erzielt  worden. 

Im  einzelnen  werden  behandelt  das  Kauen  und  Schlucken,  die  Bewegungen  des 
Magens  und  Darms,  Speichel,  Magen-,  Pankreas-  und  Darmsaft,  Galle,  die  Fermente, 
die  Chemie  und  Physiologie  der  Eiweißstoffe,  Fette  und  Kohlehydrate,  Kot  und  Kot¬ 
bildung,  die  Bakterien  des  Verdauungskanals,  Flüssigkeitsbewegung  und  Membran¬ 
durchlässigkeit,  das  Wasser,  die  anorganischen  Bestandteile  der  Nahrung,  die  Ver¬ 
brennung  in  der  lebendigen  Substanz  und  der  intermediäre  Stoffwechsel,  der 
Eiweiß-  und  der  Gesamtbedarf  sowie  die  Nahrung  des  Menschen. 

Möchte  dieses  Buch  Colinheim’s,  dessen  „Chemie  der  Eiweißkörper“  1904, 
S.  817  eingehend  besprochen  worden  ist,  ein  Berater  des  praktischen  Arztes 
•werden.  E.  Rost  (Berlin). 


190 


Krankenpflege  und  ärztliche  Technik. 


Grundriß  der  Hydrotherapie.  VonBrieger  u.  Krebs.  Verlag  L.  Simion, 

Berlin  1909.  147  Seiten.  3  Mk. 

Den  in  der  Praxis  stehenden  Arzt  mag  ein  leiser  Schreck  überkommen  an¬ 
gesichts  der  voluminösen  Werke  über  die  Wasserkunst.  Demgegenüber  haben 
Brieger  und  Krebs  offenbar  sich  an  den  Satz  erinnert,  daß  weniger  manchmal 
mehr  ist,  und  so  entstand  ein  wirklich  handliches  Buch  über  diese  Disziplin.  Was 
der  Leser  darin  findet,  besagt  der  Titel  genugsam;  daß  er  aber  eine  so  klare  und 
präzise  Darstellung  findet,  die  ihm  genau  sagt,  wie  im  Einzelfalle  zu  handeln  ist, 
muß  besonders  anerkannt  werden. 

Wenn  es  einem  Nicht -Spezialisten  gestattet  ist,  eine  sachliche  Bemerkung 
dazu  zu  machen,  so  wäre  es  diese,  daß  nach  meiner  Meinung  die  Sauerstoffbäder 
im  Verhältnis  zu  den  Kohlensäurebädern  etwas  kurz  weggekommen  sind;  ich  per¬ 
sönlich  greife  lieber  zu  den  ersteren,  aber  das  ist  ja  schließlich  Geschmackssache. 

Buttersack  (Berlin). 


Säuglingspflege.  Von  Dr.  Linke.  Verlag  Dr.  Tetzlaff,  Berlin.  30  Pfg. 

Es  handelt  sich  um  einen  vor  Laien  gehaltenen  Vortrag  über  Säug¬ 
lingsernährung  und  weiter  über  die  Beschaffenheit  des  Bettes  für  den  kleinen 
Weltbürger.  Unter  einem  energischen  Hinweis  auf  die  Stillnotwendigkeit 
sowie  auf  die  weitgehendsten  gesundheitlichen  Konsequenzen  des  Stillens 
beleuchtet  Verf.  die  kulturellen  Schädlichkeiten,  die  die  Stillfähigkeit  her¬ 
unterdrücken.  Bei  der  Belehrung  über  die  Zusammensetzung  und  Herstellung 
der  künstlichen  Ernährung  empfiehlt  der  Verf.  eine  Art  selbsthergestellten 
Bieder  t’schen  Bahmgemenges,  das  pasteurisiert,  nicht  sterilisiert  werden 
soll.  Die  häusliche  Zubereitung  dieser  künstlichen  Ernährung,  sowie  die 
weitschweifigen  Auseinandersetzungen  über  die  Bindertuberkulose  nehmen 
einen  großen  Teil  der  Schrift  ein,  die  mit  einer  Empfehlung  eines  aus 
seidenpapierdünnen  Hobelspänen  bestehenden  Unterbettes  schließt.  Ein  solches 
soll  möglichst  viel  Flüssigkeit  aufsaugen,  aber  trotzdem  reichlich  lufthaltig 
und  warm  «sein,  somit  allen  hygienischen  Anforderungen  für  die  Säuglings¬ 
unterlage  entsprechen.  Krauße  (Leipzig). 


Krankenpflege  und  ärztliche  Technik. 

„Ideal“-  Röntgenapparat. 

Die  durch  fortgesetzte  Schließung  und  Öffnung  eines  benachbarten  Stro¬ 
mes  entstehende  Induktionselektrizität  erhält  bekanntlich  bei  den  Strom¬ 
öffnungen  wesentlich  stärkere  elektrische  Impulse  als  bei  den  Strom- 
scliließungen,  weil  bei  ersteren  die  sogen.  Selbstinduktion  in  der  Sekun¬ 
därspule  gleichgerichtet  ist  und  daher  als  Strom  Zuwachs  in  Betracht  kommt, 
während  sie  bei  der  Schließung  entgegengerichtet  ist  und  als  Strom¬ 
schwächung  sich  geltend  macht. 

Diese  Tatsache  ist  für  die  Benutzung  des  Induktors  zur  Erzeugung 
von  Böntgenstrahlen  von  grundlegender  Bedeutung.  Denn  ein  klares  kon¬ 
tinuierliches  Böntgenlicht,  das  gute  Bilder  geben  soll,  sowie  die  Bücksicht 
auf  möglichst  lange  Erhaltung  des  ursprünglichen  Vakuums  in  der  Bönt- 
genröhre  haben  einen  Strom  mit  gleichgerichteten  Impulsen  zur  Voraus¬ 
setzung,  so  daß  nur  eigentlich  Gleichstrom  in  Betracht  kommen  dürfte. 
Wenn  man  trotzdem,  scheinbar  irrationell,  den  Wechselstrom  eines  Induk¬ 
tors  verwendet,  so  geschieht  dies  nur  deshalb,  weil  es  auf  anderem  Wege 
als  durch.  Induktion  nicht  möglich  ist,  den  zur  Verfügung  stehenden,  relativ 
niedrig  gespannten  Strom'  der  Anschlußkabel  zu  einer  Hochspannung  von 
vielen  tausend  Volt  zu  transformieren,  wie  sie  zur  Durchbrechung  des  hohen 
Widerstandes  einer  Böntgenröhre  nötig  ist.  Der  induzierte  Wechselstrom 
ist  also  nur  ein  unentbehrlicher  Umweg  und  ein  notwendiges  Übel.  Es 
handelt  sich  daher  um  die  Aufgabe,  seine  schädliche  Eigenschaft,  die  ent-, 
gegengesetzt  gerichteten  Impulse  der  Stromschließungen,  in  ihrer  Wirkung 
auf  der  Bohre,  so  gut  es  geht,  auszuschalten.  Diese  Aufgabe  nun  wird 


Krankenpflege  und  ärztliche  Technik. 


191 


allein  möglich  gemacht  dadurch,  daß  der  Schließungsstrom  schwächer  ist 
als  der  Öffnungsstrom,  und  infolgedessen  hei  günstiger  Gestaltung  der  Strom¬ 
kurve  durch  geeignete  Anordnung  der  Apparatur,  bis  zu  einer  bestimmten 
Stromstärke  vom  Durchgang  durch  die  Röntgenröhre  praktisch  so  gut  wie  ganz 
zurückgehalten  wird,  weil  seine  Durchbruchskraft  gegenüber  dein  hohen  Wider¬ 
stand  der  Röhre  zu  gering  ist,  oder  bei  größerer  Stromstärke  durch  ent¬ 
sprechende  „Ventilröhren“  oder  Vorschalt-Funkenstrecken  abgefangen  wer¬ 
den  kann,  während  der  stärkere  und  daher  einen  größeren  Widerstand  durch¬ 
brechende  Öffnungsstrom  ungehindert  die  Ventil-  und  Röntgenröhre  passiert. 

Trotz  aller  diesem  Zwecke  dienenden  und  durchaus  befriedigend  funk¬ 
tionierenden  Vorrichtungen  hat  man  nie  aufgehört,  auf  Konstruktionen  zu 
sinnen,  welche  imstande  wären,  die  Röntgenröhre  mit  Gleichstrom  zu  be¬ 
dienen.  Denn  abgesehen  von  dem  Energieverlust  der  ausgeschalteten  Schlie¬ 
ßungsströme,  erfordern  die  zur  Ausschaltung  nötigen  Vorrichtungen  Auf¬ 
merksamkeit  der  Bedienung  und  sind  dem  Verbrauch  und  den  Kosten  der 
Erneuerung  unterworfen. 

Ursprünglich  setzte  man  große  Hoffnungen  auf  den  hochgespannten 
Gleichstrom  von  Influenzmaschinen.  Leider  haben  sich  die  Erwartungen 
nicht  erfüllt.  Abgesehen  von  der  Unzulässigkeit  dieser  Maschinen  ist  auch 
die  von  ihnen  gelieferte  Stromstärke  für  höhere  Anforderungen  zu  gering. 
Infolgedessen  kam  man  schon  vor  einer  Reihe  von  Jahren  auf  einen  ande¬ 
ren  naheliegenden  Gedanken,  nämlich  Übertragung  des  in  der  Elektrotech¬ 
nik  bekannten  Prinzips  der  „Gleichrichtung“  (Kommutation)  verkehrter 
Stromimpulse  auf  die  Röntgentechnik.  Leider  ergaben  sich  bei  den  Ver¬ 
suchen  zur  Verwirklichung  dieses  Gedankens  so  erhebliche  technische  Schwie¬ 
rigkeiten,  daß  man  ihn  gänzlich  fallen  ließ.  Erst  in  diesem  Jahre  ist  es,  mit 
Hilfe  einer  originellen,  synchron  mit  der  Stromerzeugungsmaschine  betä¬ 
tigten  mechanischen  Vorrichtung  und  durch  wesentlich  verbesserte  konstruk¬ 
tive  Durcharbeitung  der  Firma  Reiniger,  Gebbert  &  Schall  gelungen, 
auf  dem  als  anscheinend  unfruchtbar  verlassenen  Wege  einen  Apparat  her¬ 
zustellen,  welcher  in  einer,  den  Bedürfnissen  der  Praxis  vollkommen  ent¬ 
sprechenden  Weise,  alle  zur  Verfügung  stehende  Elektrizität  in  der  Form 
hochgespannten  pulsierenden  Gleichstromes  liefert  und  darum  mit  Recht  von 
der  Firma  als  „Ideal-Röntgenapparat  bezeichnet  wird. 

Der  Gleichstrom  der  Zentrale  muß,  um  die  nötige  Hochspannung  zu 
erhalten,  erst  in  Wechselstrom  umgewandelt  werden.  Alsdann  kann  man 
ihm  eine  Spannung  bis  zu  170000  Volt  verleihen.  Bei  Anschluß  an  Wechsel¬ 
strom-Zentralen  liegen  die  Verhältnisse  günstiger,  weil  man  in  diesem  Falle 
den  gelieferten  Strom  direkt  hochspannen  und  gleichrichten  kann.  —  Die 
zur  Gleichrichtung  nötigen  Vorrichtungen,  sowie  ein  Konstruktionsschema 
findet  man  im  Prospekt  der  Firma  Reiniger,  Gebbart  &  Schall  beschrieben. 

Die  langsam  abfallende  Stromkurve,  die  von 
dem  ohne  Unterbrecher  gewonnenen  Maschinen¬ 
strom  des  Ideal-Apparates  in  der  Röntgenröhre 
erzeugt  wird,  ist  für  die  Lieferung  einer  mög¬ 
lichst  großen  Quantität  von  Röntgenstrahlen 
und  des  zur  Differenzierung  des  Bildes  nötigen 
Gemisches  von  Strahlen  verschiedener  Härtegrade 
ungleich  günstiger,  als  die  schroff  abfallende  Kurve 
des  Öffnungsstromes  eines  Induktors. 

Die  Abbildung  zeigt  ein  komplettes  Ideal- 
Röntgeninstrumentarium. 

Durch  Vorrichtungen  zur  Regulierung  von 
Spannung  und  Stromstärke  ist  die  schwierige 
Aufgabe  der  Röntgentechnik,  Spannung  und 
Stromstärke  des  Hochspannungsstromes  dem  Zu¬ 
stand  der  Röhre  und  dem  beabsichtigten  Zwecke 
vollständig  anzupassen,  hier  aufs  beste  gelöst.  Da- 


192 


Hochschulnachrichten. 


bei  ist  die  Regulierung  äußerst  einfach,  denn  es  sind  nur  2  Kurbeln  zu  bedienen.  Mit 
der  einen  stellt  man  die  Spannungsstufe  ein  (weich,  mittel  oder  hart)  mit 
der  anderen  reguliert  man  die  Stromstärke  (Belastung)  der  Röhre.  Die 
Stromstärke  kann  infolge  der  großen  Leistungsfähigkeit  des  Apparates,  je 
nach  Wunsch,  ganz  außerordentlich  gesteigert  werden.  Bei  entsprechender 
Röhre  sind  bis  100  Milliampere  zu  erreichen.  Der  Apparat  braucht  dabei 
primär  15 — 40  Amperes. 

Das  Licht  der  Röhre  ist  ganz  unabhängig  von  der  größeren  oder  ge¬ 
ringeren  Belastung,  vollständig  ruhig  und  frei  von  allem  Flackern  oder 
irgendwelcher  Unregelmäßigkeit.  Die  halbkugelförmige  Lichtzone  ist  äußerst 
scha.rf  abgegrenzt,  ein  untrügliches  Zeichen  dafür,  daß  kein  verkehrter  Strom 
in  die  Röhre  gelangt,  was  ja  auch  die  Konstruktion  des  Apparates  aus¬ 
schließt,  da  nur  reine  Gleichstrom-Impulse  erzeugt  werden.  Die  Lebens¬ 
dauer  der  Röhre  wird  hierdurch  wesentlich  gegenüber  dem  Betrieb  durch 
Funkenin  duktoren  verlängert. 

Der  wohl  am  meisten  in  Betracht  kommende  Vorzug  des  Ideal- Appa¬ 
rates  besteht  in  seiner  robusten  Maschinenkonstruktion,  welche  jeglicher  Be¬ 
anspruchung  gewachsen  ist;  und  darin,  daß  alle  leicht  und  sich  von  selbst 
verändernden  Faktoren  fehlen. 

Es  ist  weder  eine  Ventilfunkenstrecke,  noch  eine  Ventilröhre  nötig, 
ein  Nachregulieren,  wie  bei  den  Unterbrechern  ist  ausgeschlossen,  so  daß 
man  zu  jeder  Zeit  bei  gleichen  Kurbelstellungen  genau  gleiche  sekundäre 
Leistungen  erhält.  Man  kann  sich  daher  mit  dem  Apparat  leicht  einarbeiten 
und  sehr  leicht  gleichmäßig  gute  Resultate  erzielen.  Von  besonderem  Werte 
ist  auch  noch  der  Umstand,  daß  die  Angaben  des  Milli-Amperemeters  für 
den  Röhrenstrom  unbedingt  richtig  sind  und  zur  Dosierung  ohne  weiteres 
benutzt  werden  können,  während  bei  dem  Induktor-Unterbrecher-Prinzip  die 
angegebenen  Stromwerte  eigentlich  keine  Milli-Ampere  sind  und  nur  relativ 
richtige  Schlüsse  bei  vollständigem  Fehlen  verkehrter  Stromimpulse  bei  stets 
gleicher  Stromkurve  zulassen. 

Alles  in  allem,  der  Ideal- Apparat  stellt  die  technische  Seite  der  Rönt¬ 
genwissenschaft  auf  eine  neue  und  exakte  und  seit  langer  Zeit  angestrebte 
Basis. 


Hochschulnachrichten. 

Berlin.  Dr.  med.  G.  Axhausen  habilitierte  sich  für  Chirurgie.  Dr.  med.  Th. 
Brugsch  habilitierte  sich. 

Breslau.  Geh.  Med. -Rat  Prof.  Dr.  v.  Strümpell  nahm  die  Berufung  an  die 
Wiener  Universität  als  Nachfolger  von  Schroetters  an.  Dr.  med.  A.  Most 
habilitierte  sich  für  Chirurgie. 

Freiburg  i.  B.  Der  o.  Professor  der  Augenheilkunde  Dr.  Th.  Axenfeld  wurde 
zum  Geh.  Hof  rat  ernannt.  P.-D.  Dr.  K.  v.  Eicken  erhielt  den  Titel  Professor. 

Kiel.  Dr.  med.  O.  Höhne,  Privatdozent  für  Geburtshilfe  und  Gynäkologie  erhielt 
den  Titel  Professor. 

Leipzig.  Prof.  Dr.  Spalte  holz  wurde  zum  Medizinalrat  ernannt. 

Marburg.  Dr.  med.  H.  Hübner  habilitierte  sich  für  Haut-  und  Geschlechts¬ 
krankheiten. 

Tübingen.  In  der  medizinischen  Fakultät  wird  eine  außerordentliche  Professur 
für  Zahnheilkunde  neu  errichtet. 


Schriftleitung:  Dr.  Ri  gl  er  in  Leipzig. 

Druck  von  Emil  Herr  mann  senior  in  Leipzig. 


27.  Jahrgang. 


1909. 


Tortschritte  der  medizin. 


Unter  Mitwirkung  hervorragender  Fachmänner 

herausgegeben  von 

Professor  Dr.  0.  Köster  Prio.-Doz.  Dr. ».  Criegern 

in  Leipzig.  in  Leipzig. 

Schriftleitung:  Dr.  Rigler  in  Leipzig. 


Nr.  5. 


Erscheint  am  10.,  20.,  30.  jeden  Monats.  Preis  halbjährlich 
6  Mark,  in  kl.  Zeitschrift  für  Yersicherungsmedizin  8  Mark. 


Verlag  von  Georg  Thieme,  Leipzig. 


20.  Februar. 


Originalarbeiten  und  Sammelberichte. 

Seltene  Darmverletzung. 

Von  Dr.  Osterloh. 

Dirig.  Arzt  der  Gynäkol.  Abteilung  im  Stadtkrankenhause  Dresden  -  Friedrichstadt. 

(Nach  einem  am  16.  Januar  1909  in  der  Gesellschaft  für  Natur-  und  Heilkunde 

gehaltenen  Vortrage.) 

Der  zu  berichtende  Fall  ist  schon  durch  die  Art  und  Ausdehnung 
der  Verletzung  interessant,  wird  es  aber  noch  vielmehr  dadurch,  daß 
es  gelang,  eine  volle  Herstellung  zu  erzielen.  Der  eingeschlagene 
AVeg  dürfte  in  jeder  Hinsicht  das  Interesse  der  Chirurgen  in  Anspruch 
nehmen. 

Die  häufig  zu  machende  Erfahrung,  daß,  je  länger  und  je  konser¬ 
vativer  die  Adnexerkrankungen  der  Frauen  behandelt  worden  sind,  um 
so  ausgedehnter  und  derber  die  flächenhaften  Verwachsungen  der  Organe 
in  der  Beckenhöhle  zu  sein  pflegen,  ist  auch  in  dem  großen  Material  der 
gynäkologischen  Abteilung  gemacht  worden.  Wie  schon  aus  früheren 
Publikationen  im  Archiv  für  Gynäkologie  und  Zentralblatt  hervor¬ 
geht,  ist  die  Zahl  der  schwierigen  Adnexoperationen  eine  sehr  große. 
Verletzungen  von  adhärenten  Darmschlingen  sind  durchaus  nicht  zu 
große  Seltenheiten.  Und  so  war  man  auch  in  dem  jetzt  zu  berichtenden 
Falle  auf  große  Schwierigkeiten  vorbereitet. 

Die  jetzt  20  jährige  M.  H.  lag  schon  vom  16.  Januar  bis  5.  März 
1908  auf  der  genannten  Abteilung  mit  linksseitiger  Eileiterentzündung. 
Sie  wurde  damals  anscheinend  geheilt  entlassen,  erkrankte  aber  am 
20.  September  von  neuem  unter  Erscheinungen  ausgedehnter  Entzün¬ 
dung  im  Unterleib  und  kam  am  28.  September  wieder  zur  Aufnahme. 

Diagnose :  Gonorrhöe,  doppelseitige  Pyosalpinx  und  ausgedehnte 
Perimetritis. 

Die  eingeschlagene  Behandlung  beseitigte  zwar  die  Gonokokken. 
Der  Zustand  im  Unterleib,  bei  dem  der  Uterus  von  den  Entzündungs¬ 
geschwülsten  umgeben  und  unbeweglich  war,  blieb  bei  subfebrilen 
Temperaturen  immer  gleich,  und  so  verlangte  schließlich  die  Kranke 
selbst,  durch  Operation  von  ihrem  Leiden  befreit  zu  werden.  Nach 
erlangter  Einwilligung  der  Eltern  wurde  sie  am  20.  November  operiert. 

Suprasymph.  Faszienquerschnitt.  Nach  Eröffnung  der  Peritoneal¬ 
höhle  fanden  sich  die  großen  Eileitergeschwülste  mit  der  hintern  Wand 
des  Uterus  mit  Dünndarmschlingen,  mit  der  vorderen  Wand  des  Bektum, 
den  Seitenwänden  der  Beckenhöhle  und  dem  Beckenboden  fast  untrenn- 

13 


194 


Osterloh,  Seltene  Darmverletzung. 


bar  verwachsen.  Die  Entfernung  des  linken  Eileiters  gelang  erst  unter 
querer  Zerreißung  desselben.  Der  linke  Eierstock  konnte  erhalten 
werden.  Die  stumpfe  Auslösung  der  rechten  Pyosalpinx  zugleich  mit 
dem  untrennbar  ihr  anhaftenden  Ovarium  mit  den  Fingerspitzen  stieß 
auf  unglaubliche  Schwierigkeit.  Bei  den  Versuchen,  die  Pyosalpinx  vom 
Beckenboden  zu  trennen  und  überhaupt  aus  ihren  Darmverwachsungen 
zu  lösen,  muß  der  Finger  die  Serosa,  des  Bektum  mehr  und  mehr  verletzt 
haben,  denn  gleichzeitig  mit  der  endlich  beweglich  gemachten  Pyosalpinx 
erschien  das  quer  durchrissene  Bektum,  aus  dessen  aus  Serosa  und 
Muskularis  bestehenden  Teil  ein  mehrere  Zentimeter  langer,  ebenfalls 
abgerissener,  aus  Schleimhaut  bestehender  Schlauch  hing.  Nach  Ent¬ 
fernung  der  rechten  Adnexe  ließ  sich  der  ganze  Douglas’sche  Baum 
übersehen ;  es  wurde  festgestellt,  daß  das  Bektum  gerade  an  seinem 
Durchtritt  durch  den  Beckenboden  abgerissen  war ;  bis  dahin  war  vom 
After  her  der  Mastdarm  intakt.  Das  Abreißen  war  dadurch  begünstigt, 
daß  der  Beckenboden  selbst  stark  infiltriert  war. 

Nun  mußte  zu  der  schwierigen  Lage  Stellung  genommen  werden. 
Günstig  war,  daß  der  Darm  absolut  leer  war;  es  fand  nicht  die  geringste 
Kotentleerung  statt  und  auch  Darmgase  konnten  nicht  wahrgenommen 
werden. 

Von  chirurgischer  Seite  wurde  als  lebenssicherstes  Vorgehen  emp¬ 
fohlen,  das  abgerissene  Darmende  zu  vernähen,  einen  künstlichen  After 
anzulegen  und  dann  die  Beckenhöhle  zu  drainieren.  Zu  diesem  Vorgehen, 
welches  im  günstigsten  Falle  dem  jungen  Mädchen  für  sein  ganzes  Leben 
das  Kreuz  eines  künstlichen  Afters  auferlegte,  konnte  der  Operateur 
sich  nicht  entschließen.  Nach  reiflicher  Überlegung  wurde  in  folgender 
Weise  vorgegangen: 

Der  Schleimhautschlauch  wurde  in  zwei  Katgutschlingen  gefaßt 
und  ebenso  der  Band  der  Serosa  samt  Muskularis.  Die  Enden  dieser 
vier  Schlingen  erfaßte  eine  durch  den  After  und  den  Mastdarm  in  die 
Beckenhöhle  geführte  Kornzange ;  durch  Zug  wurde  der  Schleimhaut¬ 
schlauch  bis  vor  den  After  und  das  abgerissene  Serosaende  bis  zur 
Bißstelle  im  Beckenboden  gebracht ;  vier  Katgutnähte  fixierten  so  gut 
als  möglich  die  Seröse  vorn,  rechts,  links  und  hinten  am  Beckenboden. 
Ein  dickes  Drainrohr  wurde  durch  den  Schleimhautkanal  hoch  über  die 
Bißstelle  bis  zum  S.  Bomanum  geführt  und  außerhalb  des  Afters 
mit  einer  Katgutnaht  angenäht.  Dann  wurden  im  Bektum  um  Schleim¬ 
hautschlauch  inkl.  Drainrohr  drei  Xeroformgazestreifen  gelegt  und 
zum  After  herausgeleitet  und  ebenso  mehrere  Streifen  durch  die  Bauch¬ 
wunde  in  die  Beckenhöhle  bis  rings  um  die  Bißstelle  geführt.  Hierauf 
wurde  die  Bauchwunde  bis  auf  eine  zweifingerdicke  Öffnung  an  der 
Kreuzung  der  Schnitte  vom  Peritoneum  und  der  Faszie  geschlossen. 
Durch  diese  Öffnung  wurden  die  Drainagestreifen  herausgeleitet. 

Die  sehr  kollabierte  Operierte  wurde  durch  wiederholte  sub¬ 
kutane  Kochsalzinfusionen  (in  36  Stunden  4000  cbcm)  usw.  gestärkt. 
Der  Puls,  der  zeitweise  bis  180  gegangen  war,  fiel  nach  und  nach ;  das 
in  den  ersten  Tagen  vorhandene  mäßige  Erbrechen,  der  Meteorismus 
und  die  Leibschmerzen  wurden  durch  Atropin  mit  Morphium  beseitigt. 
Am  24.  November  wurden  die  Gazestreifen  aus  dem  Bektum  entfernt; 
am  27.  November  kam  nach  kleinem  Einlauf  zum  ersten  Male  durch 
das  Drainrohr  fäkulente  Flüssigkeit;  am  selben  Tage  wurden  die  Gaze¬ 
streifen  aus  der  Bauchöhle  entfernt  und  die  drainierte  Höhle  mit 
Wasserstoff  Superoxyd  ausgespült;  am  28.  November  wurde  der  Gummi- 


Lilienstein,  Die  Behandlung  der  Alkoholkranken  außerhalb  der  Irrenanstalten.  195 


drain  spontan  ans  dem  Rektum  ausgestoßen.  Vom  29.  November  an 
fing  die  Operierte  an  bei  gutem  Appetit  Kartoffelbrei,  Apfelmus  usw. 
zu  genießen.  Von  da  ab  erfolgte  der  Stuhlgang  fast  stets  spontan. 
Die  V erheilung  der  Wunde  verlief  ohne  Störung.  Am  24.  Dezember  trat 
die  Periode  ein,  nachdem  schon  zwei  Tage  vorher  die  Operierte  ange¬ 
fangen  hatte  aufzustehen. 

Eine  Untersuchung  am  8.  Januar  1909  fand  im  Rektum  keine 
Spur  von  der  früheren  Verletzung;  per  vaginam  fühlte  man  den  Uterus 
anteflektiert  und  freibeweglich ;  nirgends  eine  Spur  einer  Exsudation ; 
links  neben  dem  Uterus  war  das  Ovarium  nachzuweisen. 

Das  Körpergewicht  des  zwar  noch  etwas  blaß  aussehenden,  sich  aber 
gesund  fühlenden  Mädchens  war  am  16.  Januar  dasselbe  wie  vor  der 
Operation. 

Jedenfalls  hat  der  Verlauf  den  Versuch,  das  junge  Mädchen  von 
den  Folgen  der  schweren  Verletzung  in  möglichst  natürlicher  Weise 
herzustellen,  gerechtfertigt. 


Die  Behandlung  der  Alkoholkranken  außerhalb  der  Irrenanstalten. 

Referat  auf  der  Jahresversammlung  des  Vereins  abstinenter  Ärzte  des  deutschen 
Sprachgebiets,  Frankfurt  a.  M.,  den  3.  Oktober  1908. 

Erstattet  von  Dr.  Lilienstein,  Nervenarzt  in  Bad  Nauheim. 

(Schluß.) 

Zur  Behandlung  des  Alkoholismus  gehört  eine  reich  liehe,  mög¬ 
lichst  reizlose  Ernährung.  Auch  hier  ist  eine  Stelle,  an,  welcher 
der  oben  angedeutete  cireulus  vitiosus  durchbrochen  werden  kann:  Der 
leichte  Alkoholismus  führt  zu  Ernährungsstörungen,  diese  bedingen 
wieder  eine  Verschlimmerung  der  Trunksucht,  diese  führt  durch  Magen¬ 
erkrankung  oder  auch  direkt  durch  die  fortschreitende  Intoxikation  an 
und  für  sich  zur  Verschlechterung  des  Ernährungszustandes,  Abmage¬ 
rung,  ja  bis  zur  völligen  Kachexie.  Setzt  nun  eine  reizlose,  reichlich 
Vegetabilien,  Obst  u.  dergl.  enthaltende  Ernährung  ein,  so  hebt  sich 
das  körperliche  Befinden,  das  Verlangen  nach  schwächeren  oder  stärkeren 
alkoholischen  Getränken  läßt  nach,  schließlich  können  dieselben  ganz 
entbehrt  werden.  Der  Kranke  wird  abstinent,  ja  es  tritt  zuweilen  sogar 
eine  direkte  Abneigung  gegen  Alkohol  in  jeder  Form  auf1.  So  sehen 
wir  unter  unseren  besten  Helfern  im  Kampf  gegen  die  Trunksucht  viel¬ 
fach  von  der  Krankheit  Geheilte,  deren  Abstinenz  durch  den  Wider¬ 
willen  gegen  Alkohol  bewirkt  wird. 

Wenn  wir  oben  sahen,  daß  durch  das  W ohnungSelend  der  Pro¬ 
letarier  früher  anstaltsbedürftig  wird,  als  der  Besitzende,  so  bildet  das 
Wohnungselend  auch  an  und  für  sich  eine  Ursache  für  den  Alkoholismus. 
Das  Zusammen  wohnen  auf'  engem  Raum  mit  einer  meist  zahlreichen 
Familie,  in  mangelhaft  gelüfteten,  schlecht  beleuchteten  Räumen  treibt 
den  armen  Patienten  aus  dem!  Haus.  Er  findet  Licht,  Wärme  und  Be¬ 
quemlichkeit  im  Wirtshaus  für  zunächst  wenig  Geld.  Daß  auch  diese 
kleine  Ausgabe  schon  einen  großen  Teil  seines  Einkommens  ausmacht 
und  für  den  Unterhalt  seiner  Familie  in  Wegfäll  kommt,  vergißt  er 
unter  dem  leicht  betäubenden  und  erheiternden  Einfluß  des  Bieres  oder 
anderer  alkoholischer  Getränke. 

Das  Wirtshaus  bildet  auch  die  Stelle,  an  der  die  sozialen  Triebe 
ihre  Befriedigung  finden.  Zeitungslektüre,  die  Anteilnahme  am  öffent- 

13* 


196 


Lilien  stein, 


liehen  Leben  und  Aussprache  mit  Gleichgesinnten  wird  hier  ermöglicht. 
Will  man  daher  dem  Wirtshausbesuch  entgegenwirken,  so  müssen  Lese¬ 
hallen  für  geistige  Anregung  sorgen,  die  Museen  müssen  Sonntags 
nachmittags  geöffnet  werden.  Ein  unbefangener  Blick  auf  das  Publikum 
in  den  Lesehallen,  in  Volksvorlesungen  und  dasjenige  in  den  Museen 
am  Sonntag  zeigt,  wie  bildungshungrig  das  Volk  ist.  Geht  auch  Inan  che 
Anregung  bei  dem  niedrigen  Stand  der  Vorbildung  verloren,  so  sieht 
man  doch,  wie  dankbar  und  verständnisvoll  solche  Genüsse  von  vielen 
ent  ge  gengenommen  wer  den . 

Die  Schaffung  eines  JunggCsellenheiins  für  Arbeiter,  die  gleich¬ 
falls  hier  in  Frankfurt  angeregt  wurde,  könnte  in  gleichem  Sinne  dem 
Wirtshausbesuch  entgegen  wirken.  Auch  die  billigen  Kaffeehallen 
haben  sich  an  Stelle  der  schmutzigen  Kneipen  schon  vielfach  bewährt. 

Diese  Frage  der  Ersatzgetränke  erscheint  merkwürdigerweise 
meist  nur  denjenigen  wichtig,  die  nicht  abstinent  sind.  Für  den  absti¬ 
nenten  Arzt  bilden  reines  Trinkwasser,  Mineralwasser,  Limonade,  leidr 
ter  Tee  und  Kaffee,  alkoholfreie  Weine,  Obst  u.  dgl.  ein  embarras 
de  richesse  bei  seinen  Verordnungen.  Daß  man  darauf  sehen  muß,  bei 
alkoholfreien  Weinen  auch  wirklich  solche  zu  beziehen,  die  frei  von 
Alkohol  sind,  versteht  sich  von  selbst.  In  der  Praxis  bieten  sie  den 
energieschwachen  Kranken,  die  sich  der  Geselligkeit  nicht  entziehen 
können,  gelegentlich  einen  gewissen  Ersatz.  Am  besten  ist  es  aber 
natürlich,  wenn  die  Abstinenz  von  alkoholischen  Getränken  offen  und 
rücksichtslos  erklärt  wird.  Die  Trinksitten,  die  doch  für  einen  recht 
großen  Teil  der  Erkrankungen,  besonders  unter  den  besitzenden  Klassen 
verantwortlich  zu  machen  sind,  werden  durch  derartige  Ersatzgetränke 
eher  gefördert  als  bekämpft. 

Hiermit  komme  ich  zu  dem  letzten  und  für  die  allgemeine  Be¬ 
handlung  von  Alkoholkranken  in  der  Praxis  meiner  Erfahrung  nach 
wichtigsten  Punkt :  Der  Bekämpfung  der  Trinksitten  und  der  Schaffung 
eines  abstinenten  Milieüs.3)  Die  endogen  psychopathisch  Degene¬ 
rierten,  zum  Alkoholismus  Disponierten  möchte  ich  mit  Verwundeten 
vergleichen.  Wie  bei  den  letzteren  eine  aseptische,  so  ist  bei  den  von 
der  Trunksucht  bedrohten  eine  abstinente  Umgebung  zur  Heilung  er¬ 
forderlich.  Eine  reinliche,  aseptische  und  abstinente  Umgebung  ist  natür¬ 
lich  auch  für  Gesunde  recht  zweckmäßig,  da  kleine  unbemerkte  Defekte, 
seien  es  kleine  Wunden  an  der  Haut  für  die  Infektion,  seien  es  kleine 
unauffällige  Defekte  des  Nervensystems  und  Gehirns  als  Eingangs¬ 
pforten  für  die  Intoxikation  und  alkoholische  Degeneration  in  gleicher 
Weise  gefährlich  werden  können. 

Es  würde  zu  weit  führen,  wollte  ich  auf  die  spezielle  Therapie 
der  Krankheiten  eingehen,  die  ich  in  der  langen  Liste  oben  erwähnt 
habe.  Die  Behandlung  bleibt  bestenfalls  eine  symptomatische,  wenn 
es  uns  nicht  gelingt,  den  Patienten  zur  völligen  Abstinenz  zu  bringen. 

Was  das  Herz  und  Gefäßsystem  anlangt,  so  führe  ich  die  Erfolge, 
die  wir  in  Bad  Kauheim  in  solchen  Fällen  haben,  auf  das  nahezu  ein¬ 
mütige  Verbot  alkoholischer  Getränke  während  der  Kur  zurück,  ohne 
natürlich  die  spezifische,  das  Herz  ionisierende  Wirkung  unserer  Quellen 
in  solchen  und  anderen  Fällen  in  Frage  stellen  zu  wollen. 

3)  Über  die  Organisationen  zur  Förderung  von  Mäßigkeits-  und  Abstinenz¬ 
bestrebungen  in  Deutschland  habe  ich  auf  der  Versammlung  südwestdeutscher 
Irrenärzte  in  Karlsruhe  1908  berichtet. 


Die  Behandlung  der  Alkoholkranken  außerhalb  der  Irrenanstalten.  197 

Die  chronischen  Rachen-  und  Magen kata(rrhe  auf  alkoholischer 
Grundlage  sind  ebenso  wie  diejenigen  auf  anderer  Ätiologie  beruhenden 
zu  behandeln. 

Bei  der  Neuritis  haben  sich  mir  trockene  Wärme,  heiße  Sand¬ 
säcke,  heiße  Luft,  Wattepaokungen  als  zweckmäßig  erwiesen.  Strychnin, 
das  auch  sonst  gegen  chronische  Alkoholintoxikation  empfohlen  wird, 
habe  ich  auch  in  zahlreichen  Fällen  gegeben,  ohne  indessen  eine  spezi¬ 
fische  Wirkung  zu  sehen. 

Die  Behandlung  der  acne  rosacea  gehört  zur  Domäne  der  Der¬ 
matologen,  die  mit  Stichelungen,  Umschlägen,  Salben  vorgehen. 

Zur  Behandlung  der  Stoffwechselstörungen,  der  Fettsucht, 
der  Resistenzschwäche  und  Ernährungsstörungen  ist  eine  genaue  Vor¬ 
schrift  der  Diät  erforderlich,  ferner  sind  Hydrotherapie,  Gymnastik 
und  die  übrigen  Hilfsmittel  der  physikalischen  Therapie  am  Platze. 

Erregungszusitände  auf  alkoholischer  Basis  behandelte  ich  mit 
den  üblichen  Sedativis,  Brom,  Opium,  Bädern,  blander  Diät  usw.  In 
einzelnen  Fällen  habe  ich  auch  Suggestion  und  Hypnose  zur  Anwendung 
gebracht  und  dadurch  nicht  nur  eine  allgemeine  Beruhigung,  sondern 
auch  den  Entschluß  zur  Abstinenz  gefördert. 

Als  ein  großer  Fortschritt  wunde  von  ärztlicher  Seite  vor  ca,  10  J äh¬ 
ren  bei  der  Einführung  des  bürgerlichen  Gesetzbuches  die  Möglichkeit 
angesehen,  daß  nunmehr  auf'  Grund  festgestellter  Trunksucht  die  Ent¬ 
mündigung  ausgesprochen  werden  kann.  Und  in  der  Tat  dürfte  in 
einzelnen  Fällen  mit  dieser  Maßnahine  auch  schon  Gutes  erreicht  wor¬ 
den  sein,  manches  Vermögen  mag  auf'  diese  Weise  schon  bisher  erhalten 
geblieben  sein.  Die  günstige  Wirkung  auf'  die  Krankheit  selbst  aber, 
die  viele  von  der  Androhung  dieser  Maßregel  erhofft  haben,  ist  nicht 
eingetreten. 

Mit  Recht  sagt  Baer:4)  „Hätten  Strafbestimmungen  zur  Mäßigkeit 
und  Nüchternheit  ...  zu  führen  vermocht,  so  hätte  das  Gesetz  von 
Franz  I.  in  Frankreich  (1536),  das  die  rückfällig  Trunkenen  mit  körper¬ 
licher  Züchtigung,  sogar  mit  Ohrenabsehneiden  und  Verbannung  be¬ 
strafte,  dann  hätten  die  vielen  Strafandrohungen  dieser  Art  in  England 
unter  Jacob  I.  (1606),  dann  (hätten  .  .  .  Reiohspo li zei vero r dn ungen  im 
hl.  römischen  Reich  Deutscher  Nation  im  16.  und  17.  Jahrhundert,  dann 
hätten  die  späteren  Strafedikte  „gegen  die  Völlerei“  und  „gegen  das 
Vollsaufen“  in  den  einzelnen  deutschen  Staaten  jede  Neigung  zur  Trunk¬ 
sucht,  vertilgen  müssen.  Unvergleichlich  wirksamer  haben  sich  die  er¬ 
ziehenden  und  belehrenden  Maßnahmen  erwiesen  .  .  .  und  die  Mittel, 
welche  die  Volkssitte  allmählich  umzugestallten  und  das  allgemeine 
Urteil  auf  zu  klären  vermögen.“ 

Fasse  ich  meine  Ausführungen  zusammen,  so  ergibt  sich  aus  meinen 
Erfahrungen : 

1.  Der  Alkoholismus  ist  eine  Erkrankung  vorzugsweise  des  Pro¬ 
letariats.  Die  Trunksucht  der  Besitzenden  ist  die  Folge  a)  en¬ 
dogen  psychopathischer  Anlage ;  b)  der  Trinksitten ;  c)  des  Alko- 
holgewerbes. 

2.  Im  Vergleich  zu  anderen  Volkskrankheiten  wird  dieser  so  schwe¬ 
ren  Erkrankung  zu  wenig  Aufmerksamkeit  bei  den  Behörden  und 
dem  Publikum  geschenkt.  Zur  Einschränkung  des  Alkoholismus 
dient  alles,  was  gegen  die  Verelendung  geschieht. 


4)  A.  Baer:  Die  Trunksucht  und  ihre  Bekämpfung.  Berlin  1884. 


198  Lilienstein,  Die  Behandlung  der  Alkoholkranken  außerhalb  der  Irrenanstalten. 


3.  Die  Aufklärung  über  die  Schädigungen  der  Trunksucht  kann 
durch  statistische  Erhebungen  und  deren  Veröffentlichung  ge¬ 
fördert  werden. 

4.  Zur  Heilung  defö  Einzelnen  dient 

a)  in  erster  Linie  die  Besserung  der  sozialen  Lage ; 

b)  eine  reichliche,  reizlose  Ernährung  ; 

c)  bequeme,  helle  Wohnräume ; 

d)  Ablenkung  und  geistige  Beschäftigung  (Volks Vorlesungen, 
Öffnung  der  Museen  am  Sonntag  nachmittag,  Lesehallen) ; 

e)  Ersatzgetränke  spielen  als  Übergang  zur  Totalabstinenz  eine 
Bolle ; 

f)  Medikamente,  suggestive  und  hypnotische  Behandlung  müssen 
individualisierend  zur  Anwendung  kommen; 

g)  die  spezielle  Behandlung  der  einzelnen  Organerkrankungen 
auf  alkoholischer  Basis  weicht  nicht  wesentlich  von  der¬ 
jenigen  auf  anderer  Grundlage  ab. 

5.  Die  Schaffung  einer  abstinenten  Umgebung  ist  das  wirksamste 
Mittel  gegenüber  der  Erkrankung  an  Trunksucht  und  deren 
Bezidiven. 

Literatur. 

Das  beste  und  eingehendste  Werk,  die  gesamte  wissenschaftliche  Literatur 
den  Alkoholismus  betreffend,  ist  die  von 

1)  E.  Abderhalden  redigierte,  von  einer  Reihe  von  Gelehrten  zusammengestellte 

„Bibliographie  über  den  Alkoholismus“,  Berlin  und  Wien  1904. 
Fernere,  besonders  die  ärztlichen  Gesichtspunkte  betonende  und  von  mir  be¬ 
nützte  Arbeiten  sind  unter  vielen  anderen: 

2)  A schaf f enburg,  Das  Verbrechen  und  seine  Bekämpfung.  Heidelberg  1900. 

3)  Baer,  A.,  Der  Alkoholismus.  Berlin  1878.  ' 

3a)Baer,  A.  u.  B.  Laquer,  Die  Trunksucht  und  ihre  Bekämpfung.  2.  Auflage. 

Berlin  und  Wien  1907. 

3b) Baer,  A.,  Trunksucht.  Berlin  1884. 

4)  Berichte  über  die  internationalen  Kongresse  gegen  den  Alkoholismus. 

5)  Binz,  Eulenburg’s  Realencyclop.  Artikel  „Alkohol“. 

6)  Beldan,  G.,  Über  die  Trunksucht  und  Versuche  ihrer  Behandlung  mit  Strychnin. 

Jena  1892. 

7)  Blocher,  Internationale  Monatsschrift  zur  Erforschung  des  Alkoholismus. 

8)  Bonne,  Die  Alkoholfrage  und  ihre  Bedeutung  für  die  ärztliche  Praxis. 

Tübingen  1904. 

9)  Bresler,  Zur  Alkoholisten- Behandlung.  Berl.  klin.  Wochenschr.,  Nr.  26, 

S.  582,  1900. 

10)  Co  11a,  Voraussetzungen  und  Grundsätze  der  modernen  Trinkerbehandlung. 

Halle  a.  S.,  1901. 

10a)  Coli  a,  Medizinische  Klinik,  S.  1364 ff.,  1905. 

11)  Forel,  z.  B.  13.  Versammlung  südwestdeutscher  Neurol.  und  Irrenärzte. 

Freiburg  1888  u.  a.  a.  O. 

12)  Frank,  Ärztliche  Seite  der  Trinkerbehandlung.  Zeitsclir.  „Alkoholismus“, 

S.  230—235,  1903. 

13)  Fürstner,  Zur  Behandlung  der  Alkoholisten.  Allg.  Zeitsclir.  für  Psychiatrie, 

Nr.  2,  S.  184,  Berlin  1877. 

14)  Gaupp,  Die  Dipsomanie.  Jena  1901. 

15)  Ganser,  Die  Trunksucht,  eine  heilbare  Krankheit.  Dresden  1901. 

16)  Hirsch  feld,  Alkohol  und  Geschlechtsleben.  Berlin  S.  42,  Arbeiterabstinentenbund. 

17)  Holitscher,  Die  medizinischen  Referate  auf  dem  11.  internationalen  Kongreß 

in  Stockholm.  Selbstverlag. 

17a)  Holitscher,  Alkokol  und  Tuberkulose.  Selbstverlag  1906. 

17b) Holitscher,  Alkoholsitte  und  Opiumsitte.  Zeitsclir.  „Die  Alkoholfrage“, 
1.  Jahrg.,  4.  Heft,  Berlin. 

18)  Hoppe,  Die  Tatsachen  über  den  Alkohol.  3.  Auflage,  Berlin  1904. 

19)  Helen ius,  Die  Alkoholfrage. 

20)  Hufeland,  Trunksucht  und  eine  rationelle  Behandlung  derselben.  10.  Auflage. 

Berlin  1899. 


Enslin,  35.  Versammlung  der  ophthalmologischen  Gesellschaft. 


199 


21)  Kassowitz,  Der  Arzt  und  der  Alkohol.  Wien  1904. 

22)  Kraepelin,  Lehrbuch  der  Psychiatrie  u.  a.  a.  O. 

23)  Lilienstein,  Über  die  Organisationen  zur  Bekämpfung  des  chron.  Alkoholismus. 

Verein  südwestdeutscher  Irrenärzte.  Allg.  Zeitschr.  für  Psych.,  S.  406,  1904. 

24)  Meinert,  Die  Heilung  Alkoholkranker  im  Königreich  Sachsen.  Zeitschr. 

„Alkoholfrage“,  S.  19 ff.,  1906. 

25)  Minor,  L.  S.,  Der  Kampf  gegen  den  Alkoholismus  vom  Standpunkt  der  Nerven- 

pathologie.  Moskau  1897. 

26)  Moeli,  Behandlung  der  Vergiftungen  mit  Weingeist.  Pentzold  u.  Stintzings 

Handbuch  1898. 

27)  Nonne,  Stellung  und  Aufgabe  des  Arztes  in  der  Behandlung  des  Alkoholismus. 

Jena  1904  (Handbuch  für  soz.  Med.). 

28)  Pf  aff,  W.,  Die  Alkoholfrage  vom  ärztlichen  Standpunkt. 

29)  Roeder,  Absolute  und  relative  Indikationen  zur  Alkoholabstinenz  in  der 

Therapie.  Versammlung  deutscher  Naturforscher  u.  Ärzte,  Köln  1908. 

30)  Sioli,  Entwicklung  der  Trinkerfürsorge.  Psych. -neurol.  Wochenschr.,  Nr.  4,  1907. 

31)  Stadelmann,  Über  die  Behandlung  von  Krankheitserscheinungen  auf  psychi¬ 

schem  Gebiet,  welche  durch  Alkoholmißbrauch  hervorgerufen  wurden.  Allg. 
med.  Zentralztg. 

32)  v.  Strümpell,  Ueber  die  Alkoholfrage  vom  ärztlichen  Standpunkt. 

33)  Tuczek,  Über  die  Aufgaben  des  Arztes  bei  der  Behandlung  des  Alkohol¬ 

mißbrauchs.  Der  Irrenfreund,  Nr.  3,  S.  33,  1891. 

33a)  Tuczek:  Ärztliches  zur  Trunksuchtfrage.  Hildesheim  1897. 

34)  Waldschmidt,  Über  die  ärztliche  Behandlung  der  Trunksucht.  Therap.  der 

Gegenw.,  Dezbr.  1901. 

35)  Wurm,  Sozialdemokratischer  Parteitag  1907. 

36)  Ziehen,  Über  den  Einfluß  des  Alkohols  auf  das  Nervensystem.  Hildesheim, 

Mäßigkeitsverlag. 


Bericht  über  die  35.  Versammlung  der  ophthalmologischen 

Gesellschaft,  Heidelberg  1908. 

Von  Stabsarzt  Enslin,  Brandenburg  a.  H. 

Auch,  der  diesjährige  Kongreß  brachte  wieder  eine  Reihe  von 
Vorträgen,  die  auch  für  den  Nichtspezialisten  wichtig  und  interessant 
sind  und  die  jetzt  im  Drucke  vorliegen.  Es  sei  in  den  folgenden  Zeilen 
ein  kleiner  Teil  der  Verhandlungen  wiedergegeben. 

Pfalz  (Düsseldorf)  kommt  auf  Grund  jahrelanger  Beobachtungen 
über  die  Herabsetzung  der  Sehschärfe  durch  Hornhauttrübungen  zu 
folgenden  Ergebnissen:  oberflächliche  Trübungen  lassen  nach  dem  Ab¬ 
klingen  aller  Reaktionserscheinungen  die  Hornhautwölbung  intakt  und 
üben,  solange  sie  nicht  mehr  als  1/5  des  Pupillargebietes  bedecken, 
keinen  nennenswerten  Einfluß  auf  die  zentrale  Sehschärfe  aus.  Größere 
Trübungen  gleicher  Art  verursachen,  wenn  nur  1/5  des  Pupillargebietes 
klar  ist,  eine  Herabsetzung  bis  auf  x/3.  Andauernde  dichte  Trübungen 
bedeuten,  abgesehen  von  Kalk-  oder  Bleieinlagerung,  tiefere  Narben, 
die  stets  dauernd  nachteilig  auf  die  Hornhautwölbung  auch  in  der 
Umgebung  wirken.  Es  kann  aber  noch  allmählich  eine  Aufhellung 
eintreten  und  damit  der  Astigmatismus  regelmäßig,  also  korrigierbar, 
werden.  Dann  sind  Sehschärfen  von  1/4 — 1/5  möglich.  Selbst  bei  totalen 
diffusen  Trübungen,  solange  man  durch  sie  hindurch  im  aufrechten 
Bilde  noch  Papille  und  Gefäße  erkennen  kann,  und  wenn  die  Ober¬ 
flächenwölbung  regelmäßig  ist,  sind  Sehschärfen  von  1/10  und  mehr 
zu  erwarten,  jedenfalls  Sehschärfen,  die  einen  guten  binokularen  Seh¬ 
akt  ermöglichen.  — 

v.  Rohr  (Jena)  sprach  über  die  Theorie  anastigmatischer  Star¬ 
gläser  und  Hertel  (Jena)  berichtet  über  die  Praxis  derartiger  Gläser, 
die  von  der  Firma  Zeiß  in  Jena  neuerdings  hergestellt  werden  und 


200 


Enslin,  35.  Versammlung  der  ophthalmologischen  Gesellschaft. 


eine  wesentliche  Verbesserung  des  Sehens  der  Staroperierten  ermöglichen. 
Der  Preis  für  ein  Glas  beträgt  etwa  30  Mark.  —  Eine  Übersicht  über 
die  Ergebnisse  der  Staroperation  bei  Diabetikern,  die  ein  Vortrag 
Uh  t  ho  ff  (Breslau)  gab,  ist  bereits  in  dieser  Zeitschrift  referiert  (Jahr¬ 
gang  1908,  Seite  872).  —  v.  Hippel  (Heidelberg)  empfiehlt  dringend 
bei  Stauungspapille  infolge  intrakranieller  Erkrankung,  bei  der 
wie  gewöhnlich  eine  Radikaloperation  nicht  möglich  ist,  eine  Trepa¬ 
nation  als  Palliativoperation  vorzunehmen.  Es  ist  auf  diese  Weise 
die  ohne  chirurgischen  Eingriff  schlechte  Prognose  in  bezug  auf  die 
Sehschärfe  oft  zum  Guten  gewendet  worden.  In  vielen  Fällen  ist 
außerdem  die  Lebensdauer  der  im  Frühstadium  der  Stauungspapille 
Operierten  eine  solche,  daß  sie  die  Operation  durchaus  lohnend  macht. 
Die  Trepanation  ist  dabei  jedenfalls  der  Lumbal-  oder  Ventrikelpunk¬ 
tion  vorzuziehen.  Der  Eingriff  soll  vorgenommen  werden,  wenn  das 
Sehvermögen  anfängt  abzunehmen.  —  Greeff  (Berlin)  berichtet  zu¬ 
sammenfassend  über  die  von  ihm  entdeckten  Trachomkörperchen,  die 
er  als  die  Erreger  der  Krankheit  auffaßt.  Sie  lassen  sich  hei  frischen, 
unbehandelten  Fällen  durch  Färbung  mit  Giemsalösung  in  Gestalt 
sehr  regelmäßiger,  runder,  außerordentlich  kleiner,  von  einem  hellen 
Hof  umgebener  Kokken  darstellen.  Sie  finden  sich  intra-  und  auch 
extrazellulär,  meist  in  Häufchen  zusammen,  im  Follikelinhalt,  in  den 
Epithelien,  auch  frei  in  dem  fadenziehenden  Sekret.  Schon  nach  einigen 
Tagen  der  Behandlung  sind  sie  nicht  mehr  nachzuweisen,  wenn  von 
Heilung  der  Trachoms  noch  keine  Rede  sein  kann.  Es  ist  aber  anzu¬ 
nehmen,  daß  sie  nur  oberflächlich  verschwinden,  in  der  Tiefe  sich  aber 
immer  wieder  neubilden. 

Ein  Vortrag  von  Happe  (Freiburg  i/Br.),  der  die  nicht  spezifische 
Serumtherapie  bei  Augenaffektionen  durch  Tierexperimente  studierte, 
zeigte,  daß  der  günstige  Einfluß,  der  speziell  dem  Deutschmann’schen 
Hefeserum  zugeschrieben  wird,  sich  durch  das  Experiment  nicht  hat 
nachweisen  lassen,  und  daß  somit  dieser  Heilmethode  die  behauptete 
experimentelle  Grundlage  fehlt.  Dieser  Ansicht  traten  auch  in  der 
Diskussion  die  meisten  Redner  bei. 

Römer  (Greifswald)  sprach  über  die  spezifische  Therapie  des 
beginnenden  Altersstars,  der  praktischen  Konsequenz  seiner  Hypothese 
über  die  Entstehung  des  subkapsulären  Rindenstars.  Römer  hält  be¬ 
kanntlich  den  Altersstar  für  eine  Stoffwechselerkrankung.  Er  nimmt 
an,  daß  Störungen  des  intermediären  Stoffwechsels  spezifische  Stoff¬ 
wechselprodukte  bedingen,  die  cytotoxisch  auf  die  Linsenzellen  ein¬ 
wirken.  Demnach  muß  als  Therapeutikum  die  Fortentwicklung  des 
Stars  verhütet,  nicht  der  vorhandene  reife  Star  operiert  werden.  Dies 
geschieht  (nach  Römer)  durch  spezifische  Organtherapie.  Die  Höchster 
Farbwerke  haben  Tabletten  aus  frischer  Säugetierlinse  unter  dem  Kamen 
Lentocalin  hergestellt.  Da  die  biochemische  Struktur  des  Linsenproto¬ 
plasmas  innerhalb  der  Säugetierreihe  identisch  ist,  so  ist  also  der  menschliche 
Körper  nach  Aufnahme  tierischer  Linsen  gezwungen,  dasselbe  Organ 
zu  assimilieren  und  zu  resorbieren,  das  im  Auge  dem  Prozeß  der  Alter¬ 
starentwicklung  ausgesetzt  ist.  Natürlich  sind  nur  lebensfähige  Linsen¬ 
fasern  eines  Rückbildungsprozesses  fähig.  Römer  hat  bisher  im  ganzen 
165  Kranke  der  Behandlung  mit  Lentocalin  (das  vorläufig  noch  nicht 
käuflich  zu  haben  ist)  mit  einem  Erfolge  unterzogen,  der  nicht  nur 
durch  die  Fehlerquellen  unserer  Untersuchungsmethoden  zu  erklären  ist. 


Vorläufige  Mitteilungen  und  Autoreferate. 


201 


Im  Anschluß  an  einen  Vortrag  von  Igersheimer  (Heidelberg) 
über  experimentelle  Studien  über  die  Wirkung  des  Atoxyls  auf  das 
Auge  wurde  vor  der  Anwendung  dieses  gefährlichen  Mittels  gewarnt, 
das  in  seiner  unberechenbaren,  kumulativen  Wirkung  schwere  Schädi¬ 
gungen  am  Auge  und  nicht  so  selten  Erblindungen  verursacht  hat.*) 


Vorläufige  Mitteilungen  u.  Autoreferate. 

Über  einseitige  Lateralsklerose. 

Von  Prof.  Dr.  E.  Münzer. 

(Nach  einem  im  ,, Verein  deutscher  Ärzte  in  Prag“  im  November  1908  gehaltenen 

Vortrage.) 

Der  Vortragende  teilt  zwei  Fälle  aus  seiner  Praxis  mit,  in  welchen 
es  sich  um  einseitig  verlaufende  Lateralsklerosen  (einseitige  spastische 
Spinalparalyse  bezw.  einseitige  Pyramidenseitenstrangerkrankung)  han¬ 
delte.  Ähnliche  Beobachtungen  wurden  —  worauf  den  Autor  nach¬ 
träglich  Hofrat  Prof.  A.  Pick  aufmerksam  machte  —  im  Jahre  1906 
von  amerikanischer  Seite  (SpilLer  und  Mills)  mitgeteilt  und  erscheinen 
dieselben  in  der  neuesten  Auflage  des  Lehrbuches  von  Oppenheim 
unter  dem  Titel  „unilateraler  Typus  der  Lateralsklerose“  angeführt. 

1.  Herr  F.  aus  K.  erkrankte  >1889  im  Alter  von  33  Jahren 
an  Schwäche  des  rechten  Beines;  acht  Jahre  später  trat  eine  Schwäche 
des  rechten  Armes  hinzu.  Im  Jahre  1898,  also  neun  Jahre  nach  Beginn 
der  Erkrankung  konstatierte  M.  folgenden  Befund :  Spastische  Lähmung 
des  rechten  Beines  und  Armes  mit  lebhaft  gesteigerten  .Reflexen ;  voll¬ 
kommen  normale  Sensibilität ;  Gehirnnerven  normal,  ebenso  die  inneren 
Organe.  Auch  jetzt  noch,  also  nach  19  Jahren,  der  gleiche  Befund,  nur 
scheinen  dem  Berichte  des  behandelnden  Arztes  nach  auch  die  links¬ 
seitigen  Extremitäten  etwas  schwächer  als  normal. 

2.  Herr  M.,  36  Jahre  alt,  erkrankte  vor  mehr  als  sechs  Jahren 
an  einer  ganz  allmählich  einsetzenden,  für  den  Kranken  Monate  hin¬ 
durch  gar  nicht  bemerkbaren  Schwäche  des  rechten  Beines.  Einige 
Jahre  später  trat  eine  Lähmung  des  rechten  Armes  hinzu.  Jetzt  zeigt 
der  Kranke  neben  den  typischen  Erscheinungen  der  Hemiplegia  spastica 
dextra  vollkommene  Atrophie  der  linken  —  zur  Körperlähmung  ge¬ 
kreuzten  —  Zungenhälfte ;  außerdem  schien  eine  Lähmung  des  linken 
Stimmbandes  vorhanden  zu  sein.  Sensibilität  normal ;  auch  an  den 
Hirnrerven  nichts  ausgesprochen  pathologisches  nachzuweisen;  der 
übrige  Körperbefund  normal. 

Bezüglich  der  Diagnose  könnte  man  im  allgemeinen  in  den  mit¬ 
geteilten  Fällen  schwanken  zwischen :  Systemerkrankung,  pseudosyste¬ 
matischen  Erkrankungen  im  Sinne  Leyden-Gold  sch  eider’s  und 
Nonne’s  und  multipler  Sklerose.  Die  ersten  beiden  Prozesse  klinisch 
voneinander  zu  differenzieren,  dürfte  außerordentlich  schwer  fallen, 
in  der  Mehrzahl  der  Fälle  unmöglich  sein,  ja  diese  Unterscheidung 
dürfte  selbst  bei  der  anatomischen  Untersuchung  oft  Schwierigkeiten 
bieten.  Es  bleibt  also  im  wesentlichen  die  Unterscheidung  von  mehr 
weniger  systematischen  Erkrankungen  gegenüber  multipler  Sklerose 
übrig. 

*)  Siebe  hierzu  Nr.  22,  1908  unserer  Zeitschrift:  Bircli-Hirschf eld  und 
Köster,  Zur  pathologischen  Anatomie  der  Atoxylvergiftung.  Redaktion. 


202 


Vorläufige  Mitteilungen  und  Autoreferate. 


Bezü  glich  des  ersten  Falles  wird  wohl  nicht  leicht  an  der  An¬ 
nahme  einer  systematischen  Erkrankung  des  rechten  Pyramidenseiten¬ 
stranges  gezweifelt  werden  können,  wofür  der  Verlauf  und  das  voll¬ 
kommene  Fehlen  aller  für  multiple  Herde  sprechenden  Erscheinungen 
angeführt  werden  kann. 

Schwieriger  liegt  die  Entscheidung  im  zweiten  Falle.  Hier  kommt 
in  Betracht :  j 

A.  Systematische  Erkrankung  des  rechten  Pyramidenseiten¬ 
stranges,  Fortschreiten  des  Prozesses  in  die  Medulla  oblongata  und 
Pons  —  daselbst  infolge  der  Kreuzung  —  Erkrankung  der  linken 
Pyramidenbahn,  und  Übergang  auf  das  zweite  Neuron,  wie  wir  dies 
ja  gewöhnlich  bei  der  amyotrophischen  Lateralsklerose  und  Bulbärpara- 
lyse  sehen,  wobei  es  im  vorliegenden  Falle  auffallend  ist,  daß  der  Krank¬ 
heitsprozeß  nicht  den  zur  erkrankten  linken  Pyramidenbahn  funktionell 
zugehörigen,  allerdings  anatomisch  entfernter  gelegenen  rechtsseitigen 
Hypoglossuskern  ergriff,  sondern  auf  das  gleichseitige,  anatomisch  näher¬ 
gelegene  zweite  Neuron  —  den  linken  Hypoglossuskern  ■ — -  überging. 
Ist  diese  Annahme,  welche  M.  für  die  wahrscheinlichste  hält,  richtig, 
dann  wäre  dieser  Fall  als  einseitige  Lateralsklerose  und  Bulbär- 
paralyse  zu  bezeichnen. 

B.  C.  Für  die  Annahme  einer  multiplen  Sklerose  bietet  der 
ganze  Verlauf  der  Erscheinungen  keine  genügenden  Anhaltspunkte 
und  ebenso  muß  die  Annahme  eines  einzelnen  im  Pons  oder  der  Medulla 
oblongata  gelegenen  Herdes  zur  Erklärung  aller  Erscheinungen  mit 
Rücksicht  auf  die  Entwicklung  der  Erscheinungen  als  unwahrscheinlich 
bezeichnet  werden. 

D.  Dagegen  käme  noch  ernsthaft  die  Möglichkeit  in  Betracht, 
daß  neben  der  mehr  weniger  systematischen  Erkrankung  des  rechten 
Pyramidenseitenstranges  im  Rückenmarke,  durch  welche  die  Bein-  und 
Armlähmung  erklärt  würde  —  ein  zweiter  Krankheitsherd  in  der 
Med.  oblongata  bestände,  durch  welchen  die  Hemiatrophia  linguae  aus¬ 
gelöst  sein  könnte. 

Daß  die  Erscheinungen  der  hemiplegischen  Bein-  und  Armlähmung, 
welche  diese  Kranken  boten,  einer  chronischen  Erkrankung  des  Pyra¬ 
midenseitenstranges  im  Rückenmarke  entsprechen,  ist  seit  Wer  nicke 
und  Mann  bekannt,  und  betonte  speziell  Mann,  daß  der  früher  von 
v.  Strümpell  in  Fällen  spastischer  Spinalparalyse  beschriebene  Läh¬ 
mungstypus  vollkommen  analog  sei  dem  von  Wernicke  und  ihm  auf¬ 
gestellten  Lähmungstypus  der  zerebralen  Hemiplegie. 

(Die  ausführliche  Mitteilung  der  vorliegenden  Beobachtungen 
erfolgt  durch  Herrn  Dr.  Theodor  Cloin  in  Reichenberg.) 

Zur  Diagnose  des  totalen  Gallengangverschlusses  mit  besonderer  Berück¬ 
sichtigung  der  Untersuchungsmethoden. 

Von  Prof.  Dr.  Münzer,  Prag. 

Der  Vortragende  bespricht  an  der  Hand  zweier  Fälle  von  Gallen¬ 
gangverschluß  die  klinischen  Erscheiungen,  welche  durch  eine  Be¬ 
hinderung  des  Galleneintrittes  in  den  Darm  hervorgerufen  werden, 
sowie  die  die  Stellung  der  Diagnose  ermöglichenden  Untersuchungs¬ 
methoden.  In  klinischer  Beziehung  betont  er,  daß  der  Magen  solcher 
Kranken,  falls  derselbe  nicht  ursächlich  in  Mitleidenschaft  gezogen  ist, 
normal  arbeitet ;  wenigstens  fiel  in  beiden  untersuchten  Fällen  die 
Sahli’sche  Desmoidprobe  positiv  aus;  die  Ausheberung  des  Magens 


Vorläufige  Mitteilungen  und  Autoreferate. 


203 


nach  Probefrühstück  in  dem  einen  Falle  seitens  eines  anderen  Arztes 
ergab  eher  Überschuß  an  Salzsäure.  Auch  der  Ausfall  der  Stuhl¬ 
untersuchung  nach  der  Schmidt-Straßburger’schen  Probediät  führte 
zu  einem  ähnlichen  Ergebnisse,  indem  keinerlei  Gewebsfetzen  im  Stuhle 
gefunden  wurden.  Die  Angaben  Schmidt’s,  daß  bei  totalem  Gallen¬ 
mangel  im  Darme  resp.  bei  den  konsekutiven  Fett  Stühlen  die  Stuhl¬ 
entleerung  prompt  vonstatten  geht,  der  Stuhl  sehr  sauer  ist  und  nicht 
gärt,  bestätigt  der  Vortragende  vollinhaltlich  und  demonstriert  sein 
Darmgärungsröhrchen  (siehe  Verhandlungen  des  Kongresses  für  innere 
Medizin,  Wien  1908). 

In  chemischer  Beziehung  zeigt  der  Stuhl  bei  totalem  Gallengang¬ 
verschluß  negative  Sublimatprobe,  d.  h.  der  mit  einer  wässerigen  Subli¬ 
matlösung  verrührte  Stuhl  nimmt  keine  Potfärbung  an.  Die  Diagnose  des 
totalen  Gallengangverschlusses  kann  aber  ferner  gestellt  werden  durch 
die  Harnuntersuchung,  da  —  wie  bekannt  —  bei  Abschluß  der  Galle 
vom  Darme  Urobilin  bezw.  Urobilinogen  im  Darme  und  Harne  fehlt. 
Als  Urobilinprobe  empfiehlt  der  Vortragende  außerordentlich  die 
schöne  Schlesingier’sche  Probe  in  der  Ausführung  Hildebrandt’s, 
bemerkt  aber,  daß  fast  noch  sicherere  Pesultate  erzielt  werden,  wenn 
man  in  ähnlicher  Weise,  wie  dies  auch  Sahli  anführt,  vorgeht:  Der 
in  der  Eprouvette  mit  etwas  Salzsäure  versetzte  Harn  wird  mit  Amyl¬ 
alkohol  ausgeschüttelt,  der  trübe  Amylalkohol,  welcher  sich  über  dem 
Harne  ansammelt,  durch  etwas  Alkoholzusatz  geklärt  und  zu  diesem 
klaren  Alkoholauszuge,  welcher  durch  die  Amylalkoholschicht  vom 
Harne  getrennt  ist,  ein  paar  Tropfen  einer  l°/0igen  alkoholischen 
Chlorzinklösung  und  ein  paar  Tropfen  Spiritus  Dzondii  hinzugesetzt. 
Fluoreszenz  und  spektroskopisches  Verhalten  (Streifen  beim  Übergang 
von  Grün  zum  Blau)  sichern  die  Urobilindiagnose. 

Hierauf  bespricht  der  Vortragende  die  Ur ob ilino genprobe,  als 
welche  nach  den  schönen  Untersuchungen  Neubauer’s  die  Benzaldehyd¬ 
probe  Ehrlich-Pröscher’s  bezeichnet  werden  muß,  wobei  er  bemerkt, 
daß  er  zur  Ausschüttelung  des  Farbstoffes  nach  Anstellung  der  Probe 
Amylalkohol  empfehle,  welcher  denselben  in  ganz  exquisiter  Weise 
aufnehme  und  sich  in  dieser  Beziehung  sehr  eigne.  Zum  Beweise,  daß 
es  sich  um  Urobilin  bezw.  Urobilinogen  handelt,  erscheint  die  spektro¬ 
skopische  Untersuchung  - —  (Urobilinogen  zeigt  einen  Absorptions¬ 
streifen  beim  Übergange  vom  Gelb  zum  Grün)  —  dringend  nötig, 
welche  mit  einem  kleinen  Handspektroskop,  wie  es  Peichert  zu  billigem 
Preise  liefert,  durchgeführt  werden  kann.  Ganz  besonders  schön  läßt 
sich  diese  Untersuchung  mittels  des  Bür k er’ sehen  Vergleichspektro- 
skopes  ausführen,  welches  jedenfalls  recht  billig  ist  (siehe  Bür k er, 
Münchner  mediz.  Wochenschr.  Nr.  39,  1908). 

Der  Vortragende  demonstriert  diese  Proben  sowie  das  Spektroskop 
von  Bürker  und  betont,  daß  bezüglich  der  Frage,  ob  totaler  Gallen¬ 
gangverschluß  vorliege  oder  nicht,  nach  den  Beobachtungen  in  dem 
einen  der  beiden  mitgeteilten  Fälle  die  Harnuntersuchung  ein  sichereres 
Resultat  gebe  als  die  Sublimatprobe  im  Stuhle,  da  im  besagten  Falle 
zu  einer  Zeit,  als  die  Sublimatprobe  negativ  ausfiel,  d.  h.  der  mit 
Sublimat  verrührte  Stuhl  keinerlei  Potfärbung  zeigte,  im  Harne  spek¬ 
troskopisch  und  chemisch  bereits  Urobilin  bezw.  Urobilinogen  —  wenn 
auch  in  Spuren  —  nachweisbar  war. 

Die  ausführliche  Mitteilung '  erfolgt  an  anderer  Stelle  durch  die 
Herren  Dr.  Körting  (Pilsen)  und  Dr.  Bloch  (Franzensbad). 

Autoreferat. 


204 


Referate  und  Besprechungen. 


Referate  und  Besprechungen. 

Allgemeines. 

Beiträge  zur  Lehre  von  der  Viskosität  des  Blutes. 

(Fr.  Blunschy.  Korrespondenzbl.  für  Schweizer  Ärzte,  Nr.  20,  1908.) 

Die  Versuche  wurden  mit  hirudinisiertem  Kaninchen-  und  Mensehen- 
blut  angestellt,  dem  alle  oder  ein  Teil  der  Blutkörper  entzogen  waren ; 
venöses  und  arterielles  Blut  wurden  getrennt  behandelt.  Außerdem  wurde 
die  Viskosität  von  physiologischer  Kochsalzlösung,  der  Plasma  bezw.  Blut¬ 
körper  zugesetzt  waren,  untersucht.  Es  ergab  sich,  jemehr  korpuskulare 
Elemente,  desto  höhere  Viskosität,  und  zwar  in  geometrischer  Progression ;  venöse 
Blutkörper  verursachen  höhere  Viskosität  als  arterielle,  trotzdem  ist  das 
venöse  Blut  weniger  viskos,  da  es  weniger  Blutkörper  enthält;  Plasma 
allein  ist  wenig  viskos,  ebenso  Suspensionen  von  Blutkörpern  in  Kochsalz¬ 
lösung.  * 

Interessanter  als  diese  Versuche  an  Kombinationen,  die  in  der  Natur 
nicht  Vorkommen,  sind  die  Untersuchungen  des  Einflusses  physiologischer 
Umstände  auf  die  Viskosität.  ,, Nicht  geahnt  war  das  Erscheinen  einer 
ziemlich  regelmäßigen  Tageskurve“  —  deshalb,  weil  Bl.  die  Arbeiten  Haig’s 
nicht  kennt.  Es  fand  sich  ein  Morgenmaximum  von  9 — 11  Uhr  und  ein 
Tagesminimum  von  2 — 6  Uhr,  was  recht  gut  mit  Haig’s  Resultaten  über¬ 
einstimmt.  Bei  zwei  Personen,  die  den  ganzen  Tag  im  Bett  blieben,  blieb 
die  morgendliche  Neigung  aus;  ob  diese  Beobachtung  sich  bei  weiteren  Ver¬ 
suchen  bestätigt,  bleibt  abzuwarten  (Ref.)  Nahrungsaufnahme  verminderte 
die  Viskosität;  ein  Marsch  von  2,4  km  mit  190  m  Steigung,  in  25  Min. 
zurückgelegt  ergab  bei  vier  Personen  eine  Erniedrigung,  bei  zwei  eine  Er¬ 
höhung  der  Viskosität  —  es  läßt  sich  daraus  schließen,  daß  die  letzteren 
untrainiert  oder  körperlich  schwächlicher  als  jene  waren  und  daher  durch 
die  ziemlich  achtungswerte  Leistung  in  einen  Zustand  unbehaglicher  Er¬ 
müdung  versetzt  wurden  (Ref.).  Skifahren  während  7  Std.  auf  einem  1500  m 
hochgelegenen  Terrain,  ausgeführt  von  ,, ziemlich  geübten  Skifahrern“  be¬ 
wirkte  bei  allen  eine  bedeutende  Herabsetzung  der  Viskosität,  d.  h.  sie 
fühlten  sich  freier  und  wohler  als  vorher,  weil  ihre  kapillare  Blutgeschwindig¬ 
keit  höher  war,  was  sowohl  mit  den  Erfahrungen,  die  jeder  an  sich  machen 
kann,  als  mit  Haig’s  Befunden  vorzüglich  stimmt.  Dagegen  bewirkte  for¬ 
cierte,  im  Zimmer  geleistete  Arbeit  während  ö/4  Std.  eine  Viskositätser¬ 
höhung  —  dieselbe  ist  teilweise  auf  Überanstrengung  und  Zimmerluft, 
teilweise  aber  auch  darauf  zurückzuführen,  daß  das  Wohlbehagen  und  die 
höchste  Leisuntgsfähigkeit,  wie  jeder  Sportsmann  weiß,  erst  in  der  zweiten 
Stunde  einsetzt.  Bei  Zirkulations-  und  Respirationskranken  beobachtete  B. 
schon  bei  außerordentlich  geringen  Arbeitsleistungen  eine  beträchtliche  Zu¬ 
nahme  der  Viskosität,  d.  h.  sie  ermatteten  sehr  bald  und  gerieten  in  einen 
Zustand  des  Unbehagens,  der  auf  starkem  Zerfall  von  Körpersubstanz  und 
mangelhafter  Elimination  beruhte. 

Hier  haben  wir  also  von  seiten  eines  Untersuchers,  der  Haig  nicht 
kennt,  eine  schöne  Bestätigung  seiner  Resultate.  Mögen  ähnliche  Unter¬ 
suchungen  die  Brücken  zwischen  den  nah  verwandten  Begriffen  Viskosität 
und  Kollämie  (Kapillargeschwindigkeit  und  -rückfluß)  endlich  vollenden ! 
(Vergl.  auch  das  folgende  Referat  über  die  Arbeit  von  Kottmann  über 
den  Aderlaß.)  E.  von  den  Velden. 


i 

Über  den  Aderlaß. 

(K.  Kottmann,  Bern.  Korrespondenzbl.  für  Schweizer. Ärzte,  Nr.  22  u.  28,  1908.) 

Es  ist  erfreulich,  daß  wieder  einmal  ein  Universitätsangehöriger  für 
den  lange  verfemten  Aderlaß  eintritt.  Seine  Anwendung  bei  Lungenödem, 
die  nie  ganz  verlassen  worden  ist,  erkennt  K.  an,  aber  auch  bei  der  Pneu- 


Referate  und  Besprechungen. 


205 


monie  gibt  er  zu,  daß  bei  Stauung  im  kleinen  Kreislauf  der  ikderlaß 
sehr  günstig  wirken  könne.  ,,Der  Verlust  an  Erythrocyten  wird  reichlich 
kompensiert  durch  die  Ausschwemmung  der  in  der  Lunge  vorher  stagnie¬ 
renden  und  ungenügend  verwerteten  Blutelemente“,  wodurch  der  hauptsäch¬ 
liche  Einwand  gegen  die  Anwendung  des  Aderlasses  bei  Pneumonie  entkräftet 
wird.  Einer  gedankenlosen  Anwendung  wird  vorgebeugt,  wenn  man  sich  an  die 
Vorschrift  hält,  nur  bei  starker  Stauung  im  Lungenkreislauf  zu  phlebotomieren. 

Beim  Hirndruck  nach  V erletzungen  kann  der  Aderlaß  oder  spontane 
Blutung  vorübergehend  günstig  wirken  und  die  nötige,  Zeit  zur  Beobachtung 
und  eventuellen  Operation  schaffen,  wofür  besonders  Kocher’s  Autorität 
anzuführen  ist. 

Bei  erhöhtem  Druck  in  der  Pfortader  ist  die  herabsetzende  Wirkung 
des  Blutverlustes  experimentell  und  die  subjektiv  günstigen,  spontanen  Blut¬ 
verluste  („güldene  Ader“)  durch  die  Erfahrung  erwiesen.  Daß  er  bei  über¬ 
fütterten  Menschen  mit  Plethora  abdominalis  mit  Nutzen  angewendet  wird, 
bezweifelt  K.,  indem  er  sich  auf  die  ungünstigen  Erfahrungen  der  Zeit, 
die  den  Aderlaß  häufig  anwandte,  beruft. 

Bei  Hitzschlag  kann  der  Aderlaß  die  Wirkung  der  Wasserzufuhr 
auf  die  Herabsetzung  der  Viskosität  verstärken.  Daß  er  hierzu  geeignet 
ist,  hält  K.  durch  die  Versuche  von  Opitz  für  erwiesen  und  daß  er  zumal 
bei  örtlich  gesteigerter  Viskosität  (z.  B.  bei  Pneumonie)  in  Betracht  kommt. 
Er  bezieht  sich  auf  die  Versuche  von  S oltmann,  der  gezeigt  hat,  daß 
Viskosität  der  Durchströmungslösung  der  Niere  und  sezernierte  Harnmenge 
einander  umgekehrt  proportional  sind  und  konstatiert  die  eigene  Erfahrung, 
daß  nach  dem  Aderlaß  die  Diurese  steigt.  (Man  sieht  hier,  wie  weit  sich 
die  Begriffe  Viskosität,  wie  der  Zustand  bei  den  „exakten“  Untersuchern 
heißt,  und  Kollämie,  wie  er  von  Haig  benannt  wird,  einander  decken;  man 
muß  an  die  zweierlei  Namen  denken,  die  bei  Homer  die  Götter  und  die  sterb¬ 
lichen  Menschen  für  dieselbe  Sache  haben.) 

Nach  dem  Aderlaß  wird  die  verlorene  Flüssigkeit  durch  Lymphe  er¬ 
setzt,  welche  auch  etwa  vorhandene  toxische  Stoffe  ins  Blut  führt  und 
ihre  Ausscheidung  ermöglicht.  So  erklärt  K.  die  günstige  Wirkung  des 
Aderlasses  bei  der  Urämie,  den  er  selbst  wiederhollt  beobachtet  hat.  Ob 
er  von  Dauer  ist,  hängt  natürlich  vom  Zustand  der  Nieren  ab.  Das  bei 
unter  urämischen  Erscheinungen  Verstorbenen  beobachtete  Gehirnödem  er¬ 
klärt  er  als  Folge  der  Überfüllung  des  Gehirns  mit  Stoffwechselprodukten 
und  Kochsalz,  welche  wasseranziehend  wirken,  um  den  osmotischen  Druck 
auszugleichen.  Davon,  daß  bei  der  Eklampsie  die  Blutentziehung,  die 
mit  der  forcierten  Entbindung  gewöhnlich  verbunden  ist  und  nicht  diese 
selbst  das  wirksame  ist,  ist  K.  so  sehr  überzeugt,  daß  er  bei  unblutiger 
Entbindung  den  Aderlaß  zuzufügen  rät. 

Auch  den  Dyes’schen  Aderlaß  bei  Chlorose,  mit  dem  neuerdings 
von  Noorden  gute  Erfolge  erzielt  hat,  erkennt  K.  an,  doch  komme  man 
gewöhnlich  ohne  ihn  aus. 

Bei  schweren  Anämien  ist  in  einzelnen  Fällen  durch  den  Aderlaß 
ein  günstiger  Einfluß  erzielt  worden,  man  muß  daher  K.  beistimmen,  wenn 
er  ihn  für  desperate  Fälle  empfiehlt. 

Sehr  interessante  Beobachtungen  stellt  K.  über  die  Beziehungen  des 
Aderlasses  zu  den  weißen  Blutkörpern  und  zur  Immunisierung  und 
Entzündung  an,  welche  wahrscheinlich  machen,  daß  „in  gewissen  Fällen 
durch  den  Aderlaß  die  schutzbringende  Wehrkraft  des  Knochenmarkes  er¬ 
höht  wird“.  Auch  hier  zeigt  sich  ein  sehr  erfreuliches  Zurückgreifen  auf 
die  Erfahrungen  früherer  Ärztegenerationen  und  ein  Versuch,  ihre  Befunde 
mit  den  neueren  Untersuchungen  in  Einklang  zu  bringen  und  zu  begründen. 

Für  die  Technik  empfiehlt  K.  die  auch  anderwärts  benutzte,  mit  einem 
Gummischlauch  verbundene  Hohlnadel.  100  ccm  nennt  er  einen  kleinen, 
500  ccm  einen  großen  Aderlaß  (bei  Erwachsenen).  Auch  Blutegel  und  blutige 
Schröpfköpfe  wendet  er  gelegentlich  an.  F.  von  den  Velden. 


206 


Referate  und  Besprechungen: 


Die  Herabsetzung  der  körperlichen  Entwickelung  der  Landbevölkerung. 

(G.  Stille,  Stade,  Ther.  Rundsch.  Nr.  49,  1908.) 

Im  Hinblick  auf  die  vom  Kultusministerium  angeordnete  Enquete,  ob 
die  sich  immer  weiter  ausbreitende  Molkereiwirtschaft  für  die  mancher^ 
orts  beobachtete  Konstitutionsverschlechterung  der  Landbewohner  verantwort¬ 
lich  zu  machen  sei,  weist  Stille  darauf  hin,  daß  diesem  Faktor  der  Milch¬ 
entziehung  wohl  nur  ein  kleiner  Anteil  an  dem  Zustandekommen  jenes  Übel¬ 
standes  zuzuschreiben  sei.  Vielmehr  komme  hier  in  Betracht: 

1.  Der  zunehmende  Abfluß  gerade  der  geistig  und  körperlich  leistungs¬ 
fähigsten  Landjugend  nach  den  Industriezentren. 

2.  Die  wachsende  künstliche  Säuglingsernährung. 

3.  Die  Abnahme  der  vegetabilischen  und  die  Zunahme  der  „kräftigen“ 
Fleischkost,  der  kaffeeartigen  und  alkoholischen  Getränke,  der  Ersatz  des 
guten  schwarzen  Vollbrots  durch  das  „leichtverdauliche“  Weißbrot. 

4.  Die  Art  des  jetzigen  Schulbetriebs  gegenüber  der  früheren  ländlichen 
Winterschule. 

Für  einen  Teil  der  heutigen  schädlichen  Ernährungsgewohnheiten  hat 
die  Wissenschaft  die  Verantwortung  zu  tragen  infolge  der  durch  sie  so  weit 
verbreiteten  Überschätzung  des  Eiweißes  und  der  Leichtverdaulichkeit. 

_ _  Esch. 

Das  Farbensehn  und  seine  Beziehungen  zu  den  andern  Sinnen. 

(G.  Arbour  Stephens.  The  Practition,  Nr.  4,  Bd.  31,  1908.) 

Das  interessanteste  an  diesen  sehr  problematischen  Auseinandersetzungen 
scheinen  dem  Ref.  die  Mitteilungen  des  Verf.  über  elektrische  Ströme,  die 
beim  Exponieren  photographischer  Platten  auftreten,  über  Schwärzung  von 
Platten  durch  elektrische  Ströme  und  über  die  Sensibilisierung  photographischer 
Platten  dadurch,  daß  man  sie  zum  Ertönen  bringt,  zu  sein.  Stephens 
schließt  daraus,  daß  Schall,  Licht  und  die  (mit  letzteren  als  wesensgleich  an¬ 
genommenen)  Herz’schen  Wellen  ihre  Wirkungen  durch  Erhöhung  der  Lei¬ 
tungsfähigkeit  und  durch  Umlagerung  kleinster  Teile  hervorbringen;  die 
Änderung  der  Leitungsfähigkeit  des  empfindenden  Organs  schließt  den  Strom¬ 
kreis  zwischen  ihm  und  dem  Gehirn.  Licht,  Wärme  und  Schall  erklärt  er 
für  bloße  Bewegungsformen  und  deshalb  (!)  für  des  Übergangs  ineinander 
fähig;  auf  diese  Weise  findet  er  das  farbige  Empfinden  von  Tönen  (er¬ 
klärlich. 

Ob  das  nur  geistreiche  Spielereien  und  Vergleiche  von  Dingen  sind, 
die  nicht  verglichen  werden  können,  oder  ob  sie  die  Vorgänge  bei  der 
Empfindung  dem  Verständnis  näher  bringen,  mögen  die  Physiologen  ent¬ 
scheiden.  F.  von  den  Velden. 


Einige  seltene  Fälle  von  Idiosynkrasie. 

(J.  Märer,  Szesceny.  Allgem.  Wiener  med.  Ztg.,  Nr.  46,  1908.) 

Unter  Hinweis  auf  seine  Veröffentlichungen  über  Kokain-  und  Jodo¬ 
formidiosynkrasie  berichtet  Verf.  von  einer  Überempfindlichkeit  gegen  Hg. 
praec.  alb.,  das  bei  einer  Patientin  mit  Blepharokonjunktivitis  in  Form  einer 
2,5%igen  Vaselin-Lanolinsalbe  angewandt,  zu  fünf  verschiedenen  Malen  stets 
Entzündung  und  Ödem  der  Augenlider  verursachte.  (Ref.  möchte  bei  dieser 
Gelegenheit  an  die  Berichte  über  Schädigungen  durch  Vaseline  allein  erinnern; 
vielleicht  kommen  nach  Verunreinigungen  derselben  in  Betracht.) 

Des  weiteren  sah  Märer  1889  schweren  Kollaps  und  Somnolenz  bei 
einem  6  jährigen  Kinde,  das  ein  Ipecacuanhainfus  mit  drei  Tropfen  Opium 
erhalten  hatte.  Er  beobachtete  den  Patienten  weitere  19  Jahre  lang  und 
konnte  noch  1907  bei  dem  athletisch  gebauten,  durchaus  nicht  nervösen  Manne 
nach  einigen  Milligram  Opium  akute  Vergiftung  feststellen. 

Nach  Antipyrin  (dreimal  0,5  g)  entstand  bei  einer  Patientin  außer  der 
bekannten  Urtikaria  starke  Schwellung  der  Lider  und  der  Zunge,  bei  einem 
Patienten  zweimal  Herpes  progenitalis.  Esch. 


Referate  und  Besprechungen. 


207 


Über  Luftinjektionen. 

(Löwenthal,  Braunschweig.  Med.  Klinik,  Nr.  4,  1908.) 

R.  verwendet  seit  2  Jahren  zur  Behandlung  chronisch  entzündlicher 
Veränderungen  an  Nervenstämmen,  an  Muskeln,  an  Bändern  und  Knochen¬ 
vorsprüngen,  ferner  zur  Behandlung  von  Neuralgien  ohne  entsprechende  anato¬ 
mische  Grundlage,  die  Injektion  von  steriler  Luft  in  das  CJnterhautzell- 
gewebe,  von  der  Vorstellung  ausgehend,  daß  das  über  dem  erkrankten 
Nerven  usw.  sich  bildende  Luftpolster  nach  Art  eines  Luftkissens,  diese  vor 
Einwirkungen  äußeren  Druckes  schützt,  sowie  daß  eine  Entlastung  tiefer 
liegender  Gewebsteile  vom  Druck  durch  überlagernde  Weichteile  stattfindet, 
also  z.  B.  wo  straffe  Haut  auf  Knochen  drückt,  deren  Periost  entzündlich 
verändert  ist.  —  Am  geeignetsten  für  eine  derartige  Behandlung  erwiesen  sich 
Fälle  von  Ischias,  weniger  deutliche  Resultate  wurden  bei  Intercostalneuralgien 
erzielt,  dagegen  wurden  Fälle  von  sogenannter  Kokzygodynie  sehr  günstig 
beeinflußt.  —  Statt  gewöhnlicher  Luft  kann  auch  Sauerstoff  verwandt  wer¬ 
den,  doch  sah  L.  davon  keine  besonderen  Vorteile,  während  über  die  Ver¬ 
wendung  von  C02,  die  einen  kräftigen  Reiz  auf  sensible  Nerven  ausübt,  die 
Versuche  Verf.’s  noch  nicht  abgeschlossen  sind.  —  Der  zur  Inj.  nötige  Apparat 
kann  leicht  improvisiert  —  Kanüle  einer  Pravazspritze,  die  unter  Einschaltung 
eines  kleinen  in  einem  Glasrohr  befindlichen  Wattefilters  mit  dem  Schlauche 
eines  Gummigebläses  verbunden  wird  —  oder  aber  vom  Instrumentenmacher 
C.  Weich- Braunschweig  bezogen  werden.  —  Wieviel  Luft  er  jedesmal  in¬ 
jiziert,  sagt  Verf.  nicht;  die  Resorption  der  injizierten  Luft  geschieht  lang¬ 
sam  innerhalb  von  3 — 8  Tagen.  Bei  Ischias  werden  wöchentlich  1 — 2  Injek¬ 
tionen  gemacht.  —  Die  Methode  ist  in  Frankreich  bereits  seit  längerer  Zeit 
bekannt  und  wurde  von  Schultze  auf  dem  Kongreß  für  innere  Medizin 
im  Jahre  1907  gelegentlich  seines  Vortrages  über  die  Behandlung  der  Neu¬ 
ralgien  erwähnt.  R.  Stüve  (Osnabrück). 


Formalin  gegen  Mücken. 

(Delamare,  Gaz.  med.  de  Paris,  Nr.  21,  S.  19,  1908.) 

In  den  Archives  de  med.  milit.  empfiehlt  Delamare  als  erprobten 
Schutz  gegen  Stechmücken  eine  10%  Formalinlösung.  Stellt  man  einige 
damit  gefüllte  Teller  im  Zimmer  und  an  den  Fenstern  auf,  so  sammeln  sich 
da  die  Mücken  (namentlich  wenn  man  noch  ein  Nachtlicht  in  den  Tellern 
anbringt)  und  gehen  zugrunde,  sobald  sie  ihre  Rüssel  eingetaucht  haben. 
In  einem  Saal  von  520  qm  wurden  auf  diese  Weise  4000  Stück  im  Tag 
erlegt. 

Versuche,  die  Anziehungskraft  der  Formalinteller  mit  Llonig,  Zucker 
und  dergl.  zu  erhöhen,  sind  fehlgeschlagen. 

Die  Kranken,  die  früher  in  der  heißen  Zeit  von  den  Mücken  aufs 
äußerste  gequält  wurden,  konnten  nunmehr  ruhig  schlafen. 

Auch  in  Deutschland  gibt  es  meines  Wissens  genug  Orte,  an  denen 
sich  der  Vorschlag  erproben  ließe.  Buttersack  (Berlin). 

r  < _ 

Bakteriologie  und  Serologie. 

Zu  welchen  Schlüssen  berechtigt  die  Wassermann’sche  Reaktion? 

(Fritz  Leßer.  Med.  Klinik,  Nr.  9,  1908.) 

Aus  den  Untersuchungen  Leßer’s  ergibt  sich  folgendes:  ,,Bei  der 
Mehrzahl  der  Syphilitiker  spielen  sich  in  späten  Jahren  nach  der  Infektion 
syphilitische  Krankheitsprozesse  ab,  die  der  klinischen  Diagnostik  meist  ent¬ 
gehen  (z.  B.  Orchitis  fibrosa,  Lebergummata  usw.).  Es  spricht  alles  dafür, 
daß  eine  positive  Wassermann’sche  Reaktion  einen  bestehenden  syphili¬ 
tischen  Prozeß  im  Organismus  anzeigt.  Eine  negative  Serumreaktion  beweist 
nicht,  daß  die  Syphilis  ausgeheilt  ist.  Tabes  und  Paralyse  sind  als  besonderes 


208 


Referate  und  Besprechungen. 


Stadium  der  Syphilis,  als  quartär -syphilitische  Erkrankungen  zu  betrach¬ 
ten.  —  Die  Quecksilberhehandlung  (besonders  die  protrahierte)  scheint  die 
Serumreaktion  zu  beeinflussen  und  negativ  zu  gestalten.  Ob  dadurch  spätere 
Rezidive  der  Syphilis  und  eine  damit  Hand  in  Hand  gehende  spätere  von 
neuem  positive  Reaktion  verhütet  werden,  ist  noch  unentschieden. 

R.  Stüve  (Osnabrück). 


Geißelfäden  an  den  Spirillen  des  Rekurrens-  und  des  Zeckenfiebers. 

(Prof.  Fraenkel.  Zentralbl.  für  Bakt.,  H.  4,  Bd.  47,  1908.) 

Zur  Herstellung  guter  Blutpräparate  empfiehlt  Verf.  folgendes  Ver¬ 
fahren  : 

1.  Schütteln  des  Blutes  mit  Glasperlen, 

2.  Befreien  desselben  von  den  Blutkörperchen  mit  der  Schleuderma¬ 
schine. 

3.  Rest  mit  sterilisierter  NaCl-Lösung  zentrifugieren  und  zwar  so  lange, 
bis  die  Spirillen  als  feine  grauweiß  aussehende  Schicht  auf  dem 
Boden  des  Röhrchens  liegen. 

4.  Ausstreichen  auf  dem  Deckglase, 

5.  Fixieren  in  der  Flamme, 

6.  Färben, 

a)  Beizen  mit  gerbsaurem  Antimonoxyd, 

b)  Versilberung  mit  Äthylaminsilberlösung. 

Mittelst  dieser  Methode  ist  es  Verf.  gelungen,  nicht  nur  bei  den  Schrau¬ 
ben  des  Zeckenfiebers,  sondern  auch  bei  denjenigen  des  amerikanischen  und 
des  europäischen  Rekurrensfiebers  Cilien  aufzufinden.  Beigefügte  Mikropho¬ 
tographien  geben  ein  gutes  Bild  von  den  seitenständigen  Geißeln. 

W.  Schürmann  (Düsseldorf). 


Bakterienanaphylaxie. 

(Kraus  u.  Doerr.  Wiener  klin.  Wochenschr.,  Nr.  28,  1908.) 

Werden  Meerschweinchen  mit  abgetöteten  Kulturen  bezw.  mit  Extrakten 
von  Kulturen  (Dysenterie,  Typhus,  Cholera  usw.)  vorbehandelt,  so  ruft  eine 
nach  20  Tagen  intravenös  verabreichte,  an  sich  nicht  tödliche  Dosis  des¬ 
selben  Virus  sofort  schwere,  meist  tödliche  Krankheitserscheinungen  hervor. 
Auch  die  Injektion  des  Serums  vorbehandelter  Tiere  überträgt  die  Anaphylaxie, 
so  daß  nun  eine  Einspritzung  die  beschriebenen  Folgen  hat.  Erhitzen  der 
Kulturextrakte  zerstört  den  anaphylaktisierenden  Körper  nicht  und  durch 
Mischen  des  Extraktes  mit  dem  betr.  Serum  läßt  er  sich  nicht  neutralisieren. 
Die  anaphylaktische  Reaktion  ist  streng  spezifisch.  E.  Oberndörffer. 


Die  Bindungsverhältnisse  der  Organgewebe  gegenüber  Toxinen  und  ihre 
klinische  Bedeutung  für  Inkubation  und  natürliche  Immunität. 

(Dr.  A.  Wolf f-Eisner.  Zentralbl.  für  Bakt.,  H.  1  u.  2,  Bd.  47,  1908.) 

Rezeptoren  für  das  Tetanusgift  enthält  nicht  nur  das  Gehirn,  das 
empfindlichste  Organ;  sie  sind  im  Körper  auch  sonst  weit  verbreitet.  Man 
hat  die  Rezeptoren  fast  in  allen  Organen  empfindlicher  und  refraktärer 
Tiere  wie  Huhn  und  Frosch  gefunden.  Eine  antitoxische  Immunität  tritt 
nicht  ein,  wenn  nur  im  Gehirne  (Meerschweinchen)  Rezeptoren  vorhanden 
sind.  Als  Bildungsstätten  des  Antitoxins  faßt  Verfasser  die  unempfindlichen 
Organe  auf.  Es  sind  gewissermaßen  zwischen  der  Gifteintrittspforte  und 
dem  empfindlichen  Organ  (Gehirn)  Körper  als  Filter  eingeschaltet,  die 
eine  lange  Inkubationszeit  bewirken.  Nicht  im  Serum,  sondern  in  den  Or¬ 
ganen  ist  die  Ätiologie  der  natürlichen  Immunität  zu  suchen.  Die  Organe 
halten  einerseits  das  Gift  fest,  andererseits  zerstören  sie  es  auch. 

Schürmann  (Düsseldorf). 


Referate  und  Besprechungen. 


209 


Die  Komplementbindung  als  Hilfsmittel  der  anatomischen  Diagnose. 

(L.  Pick  u.  A.  Proskauer.  Med.  Klinik,  Nr.  15,  1908.) 

Die  Verf.  haben  die  Wassermann’sche  Methode  zur  Diagnose  der 
Syphilis  an  der  Leiche  und  am  chirurgischen  Präparat  benutzt  und  es  hat 
sich  die  Methode  auch  hier,  trotz  gelegentlicher  „Versager“  als  eine  unter 
Umständen  sehr  'wertvolle  Ergänzung  der  pathologisch -anatomischen  Unter¬ 
suchung  erwiesen,  sei  es  für  die  Aufklärung  des  einzelnen  Falles,  sei  es 
für  die  Lösung  grundsätzlicher  anatomischer  Fragen. 

R.  Stüve  (Osnabrück). 


Über  bakterielle  Hämagglutination. 

(Dr.  G.  Gupot.  Zentralbl.  für  Bakt.,  H.  5,  Bd.  47,  1908.) 

Das  Resume  seiner  Arbeit  ist  folgendes : 

Rote  Blutkörper  verschiedener  Tierarten  werden  sämtlich  von  Koli- 
stämmen  in  gleich  intensiver  Weise  agglutiniert.  Die  bakteriellen  Häm- 
agglutinine  sind  keine  Endotoxine,  Sektretions-  und  Exkretionsprodukte  der 
Bakterien,  sondern  die  Hämagglutination  tritt  als  besondere  Reaktion  auf, 
die  Körper  an  Körper  zwischen  Bakterien  und  roten  Blutkörperchen  statt¬ 
findet.  Die  hämagglutinierende  Fähigkeit  behalten  die  mit  Eormalin  abge¬ 
töteten  Bakterien  bei ;  sie  ist  also  nicht  eine  vitale  Eigenschaft  des  Bakte^ 
riums.  Eine  Spezifität  der  bakteriellen  Hämagglutinine  ist  ausgeschlossen, 
da  die  hämagglutinierende  Eigenschaft  der  Bakterien  für  alle  roten  Blut¬ 
körperchen  dieselbe  ist,  Schürmann  (Düsseldorf). 


Kinderheilkunde  und  Säuglingsernährung. 

Über  die  Fortschritte  in  unseren  Kenntnissen  auf  dem  Gebiete  der 

Säuglingskrankheiten. 

(Schloß mann.  Deutsche  med.  Wochenschr.  Nr.  40,  1908.) 

In  einem  rhetorisch  glänzendem  Vortrage  blickt  Schloßmann  zu¬ 
rück  auf  die  letzten  25  Jahre  dieser  jungen  Wissenschaft,  die  sich  in  den 
Vordergrund  des  allgemeinen  ärztlichen  und  sozialen  Interesses  gestellt  hat. 
Trotz  reichsten  Eorschens  ist  noch  kein  allgemein  gültiges  Urteil  in  der 
Milchernährungsfrage  erreicht.  Noch  nicht  ist  man  sicher,  welchen  Bestand¬ 
teil  der  Milch  man  als  Schädling  bezeichnen  soll.  Aber  der  alten  hohen 
Meinung  von  der  Muttermilch  ist  wieder  energisch  auf  die  Beine  geholfen, 
der  Irrglaube  der  physischen  Degeneration  der  weiblichen  Brust  ist  ener¬ 
gisch  widerlegt.  Die  Magen-Darmkrankheiten  sind  neu  rubriziert,  doch  noch 
nicht  in  bestimmte  Schemata  gezwängt,  sie  werden  nicht  mehr  als  lokali¬ 
sierte  Affektionen  des  Digestionstraktus  angesehen,  ihre  Bedeutung  und  ihr 
Wesen  liegt  im  intermediären  Stoffwechsel.  Was  haben  wir  weiter  von  der 
Tuberkulose  gelernt:  Wir  kennen  jetzt  ihre  Häufigkeit  bereits  im  Säuglings¬ 
alter  und  am  Ende  desselben,  ,sie  ist  oft  in  der  Kindheit  erworben,  latent 
geworden  und  später  wieder  manifest.  Sie  muß  und  kann  bereits  in  der 
Kindheit  verhütet,  behandelt  und  geheilt  werden.  Wie  nützt  in  diesen  Fragen 
die  moderne  Verwendung  des  Tuberkulins  als  Hautreagens !  Ein  weiteres 
sozial  so  enorm  wertvolles  Arbeitsfeld  hat  die  moderne  Pädiatrie  angelegt 
und  kultiviert:  Die  große  Säuglingssterblichkeit  ist  ein  kulturwidriger  Fak¬ 
tor,  ein  beängstigendes  Symptom  völkischen  Verfalles,  da  muß  vorgebeugt 
und  verhütet  werden.  Milchküchen,  Beratungsstellen,  Mutterschutz,  Säug¬ 
lingsfürsorge,  Ziehkinderwesen,  Stillprämien,  Fabrikkrippen  sind  neue  Be¬ 
griffe  und  institutionelle  Errungenschaften  der  modernen  Pädiatrie.  Doch 
das  wichtigste  für  diese  sozialen  Bestrebungen  ist  eine  gute  Ausbildung  der 
Ärzte  in  der  Pädiatrie  und  derer,  die  es  werden  wollen,  Studierende  und 
praktische  Ärzte  müssen  reichlich  Gelegenheit  dazu  bekommen,  erstere  müssen 

14 


210 


Referate  und  Besprechungen. 


gezwungen  und  geprüft  werden,  letztere  müssen  reichlich  in  Kursen  ihr 
Wissen  vergrößern  und  ausbilden  können.  Das  ist  der  Fall.  Denn  die  deut¬ 
sche  Säuglingsheilkunde  nimmt  nicht  nur  auf  dem  Gebiete  der  Forschung, 
sondern  auch  in  den  vielen  glänzend  ausgestatteten,  physiologisch-chemischen 
und  klinischen  Anstalten  und  nicht  minder  mit  deren  Leitern  den  ersten 
Platz  überhaupt  ein.  Krauße  (Leipzig). 


Die  Behandlung  des  Säuglingsekzems  nach  Finkeistein. 

(Rudolf  Yirchow  u.  K.  H.  Mendelssohn.  D.  med.  Wochenschr.,  Nr.  42,  1908.) 

Beim  Säuglingsekzem  im  Gesicht  und  auf  dem  Kopfe  spielen  Störungen 
der  Ernährung  und  Konstitutionsanomalien  eine  Rolle.  Das  ist  feststehend, 
deshalb  wird  heutzutage  allgemein  eine  diätetische  Behandlung:  kein 
Zuviel,  Ersatz  der  Milchnahrung  z.  T.  durch  Vegetabilien)  in  den  Vorder¬ 
grund  gestellt.  Finkeistein  beschuldigte  mehr  die  Molkensalze,  deren  ge¬ 
störte  Verarbeitung  den  Reizzustand  der  Haut  unterhalten  soll:  er  verord- 
nete  salzarme,  fett-  und  eiweißreiche  Kost.  Seine  Vorschrift  lautet:  1  Liter 
Milch  wird  mit  Pegnin  oder  Labessenz  ausgelabt.  Von  der  Molke  wird 
nur  ein  Vö’  mit  Haferschleim  auf  das  ursprüngliche  Volumen  aufgefüllt. 
Das  derbe  Gerinnsel  wird  durch  ein  Haarsieb  gerührt,  mehrfach  mit  Wasser 
gewaschen  und  dann  der  Molkehaferschleimmischung  zugesetzt ;  dazu  kommen 
noch  40 — 50  g  Zucker.  Die  meisten  Autoren  erkennen  mit  F.  an,  daß 
Rötung  und  Nässen  bald  schwinden  und  die  Heilung  in  2 — 3  Wochen  unter 
relativ  schonender  externer  Behandlung  erfolgt.  Verf.  ging  noch  schroffer 
vor,  er  schloß  die  Molkensalze  völlig  aus,  natürlich  nur  für  kürzere  Zeit. 
Außer  einem  beträchtlicheren  Gewichtsabfall  wurden  die  zumeist  pastösen 
Kinder  nicht  alteriert.  Natürlich  muß  allmählich  die  Nahrung  wieder  so 
eingerichtet  werden,  daß  das  Gewicht  nicht  mehr  zurückgeht. 

Krauße  (Leipzig). 


Pseudochlorose  der  Säuglinge. 

(Hutinel,  Paris.  La  med.  mod.,  Nr.  15,  u.  Allgem.  Wiener  med.  Ztg.,  Nr.  37  u. 

38,  1908.) 

Die  Anämie  der  Säuglinge  vom  chlorotischen  Typus,  so  führt  LI.  aus, 
geht  ohne  merkliche  Abmagerung  mit  sehr  blasser,  graugrünlicher  Gesichts¬ 
farbe,  Apathie,  Dyspnoe,  mangelhafter  Verdauung,  chronischen  Herz-  und 
Gefäßgeräuschen  einher.  Die  Zahl  der  roten  Blutkörperchen  ist  kaum,  der 
Hämoglobingehalt  dagegen  beträchtlich  vermindert:  Die  Darreichung  von  Eisen 
(Fe  „protoxalat“  morgens  und  abends  0,059)  übt  eine  wunderbare  Wirkung: 
die  Zahl  der  roten  Blutkörper  und  der  Hömoglobingehalt  steigen  rapid,  erstere 
sogar  vorübergehend  über  die  Norm.  Dieses  wohlcharakteristische  Leiden 
hat  insofern  Ähnlichkeit  mit  der  Chlorose,  als  bei  beiden  Affektionen  Er¬ 
nährungsstörungen  ätiologisch  in  Betracht  kommen.  Störungen  der  häma- 
topoetischen  Funktion  sind  bei  weitem  nicht  so  häufig  als  vermehrte  De¬ 
struktion  der  roten  Blutkörperchen,  Hämatolyse,  die  auf  toxischem  Wege 
zustande  kommt  (Tissier).  Vor  allem  handelt  es  sich  um  intestinale  und  um 
von  Parasiten  erzeugte  Gifte.  Von  letzteren  beobachtete  H.  eine  durch  Tri- 
chocephalus  hervorgerufene  Anämie  bei  einem  5jährigen  Kinde;  von  be¬ 
sonderem  Interesse  aber  war  die  Anämie  eines  1jährigen  Brustkindes,  dessen 
Mutter  an  Tänia  litt.  Weiterhin  sieht  man  hereditäre  Anämie,  oft  Kom¬ 
plikation  mit  Rachitis,  die  H.  ebenfalls  auf  ein  im  Verdauungs¬ 
kanal  erzeugtes  Gift  zurückführt.  Ätiologisch  kommt  auch  noch  Lues, 
Malaria  usw.  in  Betracht.  Als  Akjrodermie  wird  eine  Affektion  bezeichnet, 
die  mit  gelbgrünem  Teint  bei  normalem  Blutbefund  einhergeht  und  auf 
Aplasie,  übermäßige  Kleinheit  der  Hautgefäße  zurückzuführen  ist.  Anämie 
perniziösen  Charakters  kommt  in  den  zwei  ersten  Lebensjahren  wegen  der 
lebhaften  Blutbildungsprozesse  nicht  vor.  Esch. 


Referate  und  Besprechungen. 


211 


Die  Leukozytose  beim  Keuchhusten  mit  einer  Analyse  von  112  Fällen. 

(F.  F.  Crombie,  Edinburg.  Edinb.  med.  Journ,,  H.  9  u.  Allgem.  Wiener  med. 

Ztg.,  Nr  39  u.  40,  1908.) 

Crombie  teilt  seine  112  Fälle  in  10  Kategorien  und  schließt  .aus 
seinen,  im  Original  detailliert  angegebenen  Beobachtungen,  daß  die  bei  Keuch¬ 
husten  stets  zu  findende  Vermehrung  der  Lymphozyten  ein  einfaches  und 
verläßliches  Mittel  zur  Diagnose  des  Leidens  während  des  frühen  und  sehr 
infektiösen  Stadiums  sei,  also  vor  der  Entwicklung  der  typischen  Symptome 
und  zu  einer  Zeit,  wo  die  Isolierung  noch  wirksam  ist.  Außerdem  sei  die 
Blutuntersuchung  auch  ein  wichtiges  Hilfsmittel  der  Prognose,  insofern  als 
die  Leukozytose  entsprechend  der  Schwere  der  Krankheit  variiere. 

Esch. 


Zervikale  und  submaxillare  Adenitis  nach  Diphtherie. 

(J.  D.  Rolleston,  London.  The  brit.  journ.  of  childr.  dis.,  Okt.  1908.) 

Während  die  sekundäre  Adenitis  bei  Scharlach  eine  wohlbekannte  Er¬ 
scheinung  ist,  hat  dieselbe  Affektion  bei  der  Diphtherie  bisher  wenig  Be¬ 
achtung  gefunden,  trotzdem  sie  nach  R.’s  Erhebungen  in  ca.  2,58%  der 
Fälle  vorkommt.  Auf  Grund  seiner  Beobachtungen  an  1530  Diphtheriefällen 
aus  den  letzten  sechs  Jahren  gelangt  er  zu  folgenden  Schlüssen: 

1.  Die  Affektion  kann  eintreten  entweder  als  Folge  der  Serumtherapie 
oder,  weniger  häufig  und  zu  einer  späteren  Zeit,  unabhängig  von  derselben. 

2.  Serumadenitis  tritt  häufiger  ein  nach  schwerer  als  nach  leichter 

Angina.  „Späte“  Adenitis  hat  keine  Beziehungen  zum  Charakter  der  Initial¬ 
attacke.  i 

3.  Serumadenitis  kann  in  jedem  Alter  Vorkommen,  späte  Adenitis  ist 
auf  die  ersten  Lebensjahre  beschränkt.  . 

4.  Die  späte  Diphtherieadenitis  geht  im  Gegensatz  zu  der  bei  Scharlach 
nicht  mit  Nephritis  oder  beträchtlichen  Allgemeinstörungen  einher. 

5.  In  der  Regel  heilt  die  Adenitis  völlig  aus,  Vereiterung  tritt  nur  aus¬ 
nahmsweise  ein,  noch  seltener  ist  chronische  Hyperplasie. 

6.  Serumadenitis  erkennt  man  am  Vorhandensein  anderer  Serumerschei¬ 
nungen.  Bei  der  Diagnose  der  späten  Adenitis  muß  Tonsillitis,  Diphtherie¬ 
rezidiv,  akutes  Exanthem  ausgeschlossen  werden. 

7.  Adenitis  nach  Diphtherie  hat  im  Gegensatz  zu  der  initial  auf  tretenden 

keine  prognostische  Bedeutung.  Esch. 


Hautkrankheiten  und  Syphilis.  —  Krankheiten  der  Harn-  und 

Geschlechtsorgane. 

Dühring’sche  Krankheit  mit  Schleimhautlokalisation. 

(Garei.  Rev.  hebd.  de  lar.,  Nr.  38,  1808.) 

Dühring’sche  Krankheit  ist  eine  seltene  Hautaffektion,  als  „herpeti- 
forme“  oder  „polymorphe,  pruriginöse  Dermatitis  in  Schüben“  bezeichnet; 
sie  ist  nicht  kongenital,  charakteristisch  ist  für  sie  das  Auftreten  in  immer 
neuen,  ungleich"  intensiven  Schüben.  Es.  bilden  sich  rote,  erhabene  Flecke 
oder  Blasen,  die  intensiv  jucken.  Der  Fall  des  Verf.  zeigte  intensive  Kon¬ 
junktivitis  mit  Verdickung  und  polypoiden  Granulationen  rechts,  Ver- 
lötung  des  unteren  Konjunktivalsacks  links.  Schlund  und  Kehlkopfvorraum 
waren  intensiv  rot  mit  weißlichen,  deckenden  Membranen.  Daneben  kam 
und  ging  Hautaffektion  bald  an  der  unteren,  bald  an  der  oberen  Körperhälfte. 
Behandlung  bestand  in  Arsen,  Chinin,  Ergotin.  Die  Prognose  ist  ernst,  die 
Krankheit  kann  jahrelang  dauern  und  endet  meist  durch  Lungenkomplikation. 

Arth.  Meyer  (Berlin). 


14* 


212 


Referate  und  Besprechungen. 


Über  eine  St.  Galler  Mikrosporie-Epidemie. 

(R.  Zollikoferu.  O.  Wenner.  Korrespondenzbl.  für  Schweizer  Ärzte,  Nr.  17,  1908.) 

In  St.  Gallen  hat  sich  in  den  letzten  Monaten  eine  kleine  Herpes 
tonsurans-  Epidemie  (45  Fälle)  gezeigt,  bei  der  das  Mikrosporum  lanosum 
als  konstantes  Vorkommnis  in  den  Haarbälgen  nachgewiesen  wurde.  Das¬ 
selbe  ist  erst  vor  kurzem  von  Sabouriaud  (Paris)  als  menschlicher  Parasit 
entdeckt  und  mit  dem  schon  länger  bekannten  M.  canis  identisch.  Die 
Übertragung  geschah  von  Person  zu  Person  bei  Hausgenossen  (nicht  bei 
Schulkindern)  und  auch  von  der  Katze  und  dem  Hunde  auf  den  Menschen. 
Im  V erlauf  gleicht  die  Erkrankung  sehr  dem  Herpes  tonsurans,  spontane 
Heilung  scheint  vorzukommen  und  der  Ersatz  der  ausgefallenen  Haare  ist 
ein  vollkommener.  Die  Hauteffloreszenzen  heilten  unter  beliebiger  antipara¬ 
sitärer  Behandlung  in  einigen  Tagen  oder  Wochen,  die  Haaraffektion  erwies 
sich  als  hartnäckiger,  doch  brauchte  das  remedium  anceps  der  Röntgenstrahlen 
nicht  angewandt  zu  werden,  andauerndes  Feuchthalten,  auch  Salbenverbände 
oder  wässerige  Lösungen  (denen  Präzipitat,  Resorcin,  Napthol  bezw.  Soda 
zugesetzt  war)  genügten.  Die  Heilung  erforderte  3  Wochen  bis  4  Monate. 

F.  von  den  Velden. 


Die  Behandlung  der  Syphilis. 

(M.  v.  Zeißl.  Med.  Klinik,  Nr.  15,  1908.) 

Aus  den  Mitteilungen  Zeißl’s  ist  zu  entnehmen,  daß  die  alte  Lehre 
von  der  Nicht-Infektiosität  des  Gumma  syphiliticum  nicht  mehr  zu  recht 
besteht;  hierauf  deuten  sowohl  klinische  Beobachtungen  Zeißl’s  (ein  ge¬ 
sunder  Arzt  bekam  von  einem  Gumma  einen  Primäraffekt  in  der  linken 
Hohlhand)  und  Anderer,  als  auch  neuerdings  die  Ergebnisse  des  Tierexperi¬ 
mentes  hin.  —  Zeißl  ist  ferner  ein  Gegner  der  sogenannten  intermittieren¬ 
den  Luesbehandlung.  Er  leitet  auch  eine  Quecksilberbehandlung  der  Lues 
erst  nach  Auftreten  sekundärer  Erscheinungen  ein,  also  nicht  gleich  bei  vor¬ 
handenem  Primäraffekt.  Für  die  ‘Art  der  Quecksilberbehandlung  bevorzugt 
Zeißl  im  allgemeinen  die  Einreibung,  wendet  bei  subkutaner  Behandlung 
nicht  die  unlöslichen  Quecksilberpräparate,  sondern  das  Succinimid- Queck¬ 
silber  (eventuell  mit  Kokainzusatz)  an.  Alkohol  und  Tabak  sind  dem  Lue¬ 
tiker,  zumal  während  der  Behandlung,  strengstens  zu  verbieten.  Die  bei  weitem 
größere  Häufigkeit  der  Fälle  von  Hirn-  und  Nervenlues  (einschließlich  Spät¬ 
formen)  in  den  europäischen  Ländern  gegenüber  dem  Orient,  wo  die  Lues 
noch  dazu  meist  ungenügend  behandelt  wird,  scheint  dafür  zu  sprechen,  daß 
Alkohol  und  intensivere  geistige  Arbeit  bei  der  Entstehung  der  Lues  des 
Zentralnervensystems  eine  Rolle  spielen.  —  Atoxyl  und  Jodeisen  haben  Zeißl 
als  wertvolle  Roborantia  in  der  Luesbehandlung  gute  Dienste  geleistet.  Das 
erstere  ist  nur  als  solches  von  Wert,  nicht  als  Antisyphiliticum  sensu  stric- 
tiori.  —  Auf  die  Wichtigkeit  der  allgemeinen  Behandlung  (Hebung  der 
Ernährung)  wird  nachdrücklich  hingewiesen,  ferner  die  Bedeutung  der  Schwefel¬ 
bäder  und  Gebrauch  des  alten  Zi  ttmann’schen  Dekoktes  in  der  Behandlung 
der  Lues  und  namentlich  bei  Gegenwart  von  Quecksilber  im  Harn  wird 
hier  betont.  R.  Stüve  (Osnabrück). 


Über  die  Behandlung  der  Syphilis  mit  Mergal. 

(Med.  Rat  Dr.  Kortüm.  Korrespondenzbl.  des  allgem.  Mecklenburg.  Ärztevereins 

E.  V.,  Nr.  285,  1908.) 

Von  Boß-Straßburg  ist  unter  dem  Namen  Mergal  ein  Quecksilber¬ 
präparat  zur  internen  Behandlung  der  Syphilis  in  die  Praxis  eingeführt 
worden.  Jede  Mergalkapsel  enthält  0,05  cholsaures  Quecksilberoxyd  und 
0,1  Albuminum  tanninum.  Boß  ließ  anfangs  dreimal  täglich  eine  Kapsel 
nach  dem  Essen  nehmen  und  stieg,  namentlich  bei  schweren  Fällen,  bis  zu 
vier  bis  fünfmal  täglich  zwei  Kapseln.  Von  30  damit  behandelten  Fällen 


Referate  und  Besprechungen. 


213 


bekamen  nur  drei  eine  leichte  Stomatitis,  in  sechs  Fällen  traten  leichte 
Magendarmstörungen  ein,  ohne  daß  jedoch  ein  Aussetzen  der  Kur  notwendig 
gewesen  wäre.  Auf  Grund  seiner  Erfahrungen  hält  Boß  das  Präparat  bei 
allen  sekundären  und  tertiären  Formen,  sowie  bei  parasyphilitischen  Er¬ 
krankungen  (Tabes,  progressiver  Paralyse)  für  angezeigt. 

Angeregt  durch  die  weiteren  günstigen  Berichte  von  Saalfeld,  Fröh¬ 
lich,  Nagelschmidt  hat  Kortüpi  das  Mergal  bei  23  Patienten  (15  frische 
Fäll©,  7  -Spätformen,  1  frischer  Fall  mit  malignem  Charakter)  in  Anwendung 
gebracht  und  gab  durchschnittlich  300 — 350  Kapseln  pro  Kur,  die  Behand¬ 
lungsdauer  betrug  bei  frischen  Fällen,  24 — 60  Tage,  bei  Spätformen  18  bis 
80  Tage.  Auf  Grund  seiner  Beobachtungen  kommt  Verfasser  zu  dem  Resul¬ 
tate,  daß  Mergal  in  allen  Formen  von  Syphilis  die  besten  Dienste  leistet. 
Wesentliche  Störungen  des  Verdauungsapparates  wurden  nicht  wahrgenom¬ 
men,  Stromatitis  trat  nur  in  wenigen  Fällen  und  ganz  leicht  auf.  Die  Wir¬ 
kung  ist  ebenso  prompt  wie  die  der  Inunktions-  oder  Injektionskur,  Rück¬ 
fälle  sind  nicht  häufiger  als  bei  der  Schmierkur. 

Carl  Grünbaum  (Berlin). 


Über  schmerzlose,  Intramuskuläre  Quecksilberinjektionen  mit  besonderer 
Berücksichtigung  eines  Quecksilbernatriumglyzerates. 

(Dr.  H.  Mayer,  Berlin.  Monatschr.  für  prakt.  Derm.,  Bd.  46,  1908.) 

Um.  die,  wie  allgemein  anerkannt,  unentbehrliche  Injektionstherapie  bei 
Lues  schmerzlos  zu  gestalten,  sind  verschiedene  Methoden  angegeben  worden. 
Man  hat  versucht,  durch  Zusatz  von  indifferenten  Substanzen  zur  Injektions¬ 
flüssigkeit  wie  Kochsalz,  oder  0,5 °/0  Harnstoff  zur  l%igei1  Sublimatlösung 
die  Schmerzhaftigkeit  herabzusetzen  oder  man  hat  Lokalanästhetica  wie  Novo¬ 
kain,  Akoin  zugesetzt,  wie  bei  Korrosol  (Quecksilbersalz  der  Bernsteinsäure 
und  Methylarsensäure  mit  Zusatz  von  Novokain)  und  Injektion  Hirsch 
(1%  Hydrarg.  oxycyanatum  mit  0,5  %  Akoin)  oder  man  hat  sich  bemüht 
Quecksilbersalze  zu  finden,  wie  Merkuriolöl,  die  keinen  Reiz  und  auch 
keinen  Schmerz  an  der  Injektionsstelle  hinterlassen. 

Am  wenigsten  wird  man  durch  Zusatz  eines  Lokalästheticum  erreichen, 
denn  sobald  die  immer  nür  einige  Stunden  anhaltende  Wirkung  auf  die 
Nervenendigungen  aufhört,  treten  die  Schmerzen  infolge  der  Gewebsver¬ 
änderung  an  der  Injektionsstelle  ein.  Aber  auch  Zusätze  von  Kochsalz  oder 
Harnstoff  sind  nicht  imstande,  die  Tage,  ja  sogar  1  Woche  lang  bestehenden 
Knotenbildungen,  wie  bei  Sublimatkochsalzlösung,  zu  verhindern.  Zweifellos 
entstehen  die  Schmerzen  dadurch,  daß  die  eingespritzte  Substanz  als  Fremd¬ 
körper  wirkt,  bei  den  unlöslichen  Quecksilbersalzen  direkt,  bei  den  lös¬ 
lichen  indirekt  durch  die  Verbindung  des  Salzes  mit  dem  Gewebseiweiß. 

Während  die  bisher  benannten  Injektionsmittel  nicht  nur  nicht  schmerz¬ 
los  wirken,  sondern  auch  andere  Nachteile  und  unangenehme  Nebenerschei¬ 
nungen  haben,  muß  von  einem  idealen  Injektionsmittel  verlangt  werden: 

„1.  Schmerzlosigkeit  der  Injektionsstelle  während  und  nach  der  In¬ 
jektion  ; 

2.  energische  Wirkung  auf  die  Krankheitsprodukte; 

3.  das  Ausbleiben  von  Nebenerscheinungen; 

4.  unbegrenzte  Haltbarkeit  der  Lösung.“ 

Diese  Forderungen  erfüllt  ein  Quecksilberpräparat,  welches  Mayer 
während  D/2  Jahren  an  der  dermatologischen  Abteilung  des  städtischen  Kran¬ 
kenhauses  in  Charlottenburg  und  in  seiner  eigenen  Praxis  erprobt  hat.  Es 
ist  ein  Quecksilbernatriumglyzerat,  dessen  Lösung  Mergandol  genannt  wird 
und  welches  in  1  ccm  Glyzerin  0,0035  Quecksilber  enthält.  Verf.  hat  damit 
104  Injektionskuren  mit  zusammen  2080  Injektionen  ausgeführt;  jede  Kur 
bestand  aus  20  Injektionen;  a  2  c'cm,  die  jeden  zweiten  Tag  gegeben  wurden. 
Zur  Injektion  dienten  Platin-Iridiumkanülen  mit  3 — 3V2  cm  langen  dünnen 
Nadeln.  Vor  dem  Gebrauch  wurden  Spritze  und  Nadel  ausgekocht,  nachher 
mit  Alkohol  durchgespült. 


214 


Referate  und  Besprechungen. 


Es  ist  ratsam,  recht  langsam  einzuspritzen  und  während  des  Ein- 
spritzens  die  Kanüle  allmählich  um  einen  halben  Zentimeter  zurückzuziehen. 

Wie  Verfasser  beobachten  konnte  bestanden  in  keinem  Ealle  Klagen 
der  Patienten  über  Schmerzen  während  oder  nach  der  Injektion  und  auch 
objektiv  konnte  nach  einer  Kur  von  ,20  Injektionen  ä  2  ccm  bei  keinem 
Patienten  eine  Druckempfindlichkeit,  eine  Induration  oder  Infiltration  nach¬ 
gewiesen  werden;  die  Nates  fühlten  sich  an  wie  normale  Nates. 

Die  Wirkung  der  Mergandolkur  war  derart,  daß  gewöhnliche  syphi¬ 
litische  Hauterscheinungen  (Exantheme,  Papeln  an  den  Genitalien)  Schleim¬ 
hauterscheinungen  nach  drei  Injektionen  =  0,021  Hg.  verschwunden  waren. 
Bei  103  Patienten  verlief  die  Kur  ohne  alle  Nebenerscheinungen,  nur  in 
einem  Falle  trat  am  Tage  der  Injektion  mäßiger  Durchfall  ein,  der  jedoch 
am  Tage  der  nächsten  Injektion  wieder  aufgehört  hatte.  Pat.  hatte  jedoch 
eine  starke  Idiosynkrasie  gegen  Quecksilber;  sie  hatte  eine  ein  halbes  Jahr 
vorher  begonnene  Inunktionskur  schon  nach  einigen  Einreibungen  wegen 
starker  Durchfälle  aufgeben  müssen.  Carl  Grünbaum  (Berlin). 


Über  seltene  Tripperübertragung. 

(Geissler.  Wiener  klin.  Rundschau,  Nr.  21,  1908.) 

Gonorrhoische  Infektion  durch  Coitus  per  os.  Derartige  Fälle  sind 
selten  und  werden  nur  hin  und  wieder  in  der  Literatur  beschrieben.  —  Eine 
auf  gleichem  Wege  entstandene  syphilitische  Ansteckung  hat  Seif  er  t- Würz¬ 
burg  vor  kurzem  mitgeteilt.  (Monatshefte  für  prakt.  Dermatol.  1908,  Bd.  47, 
Nr.  2.)  Steyerthlal-Kleinen. 


Beitrag  für  Abortiv-Behandlung  der  Blennorrhoea  urethrae. 

(A.  Regenspurger.  Med.  Klinik,  Nr.  8,  1908.) 

Für  eine  abortive  Behandlung  der  Blennorrhoea  urethrae  sind  trotz 
des  Ersatzes  des  Arg.  nitr.  durch  organische  Silberpräparate  bisher  die 
meisten  Autoren  nicht  eingenommen.  Für  eine  derartige  Behandlung  sind 
aber  nach  Regenspurger  nur  solche  Fälle  von  Tripper  geeignet,  die  1.  nicht 
länger  als  8  Tage,  vom  Datum  der  Infektion  an  gerechnet,  bestehen;  2.  nur 
eine  komplikationslose  (auch  nicht  mit  ehemaliger  Erkrankung  kombinierte) 
Blennorrhoea  acuta  auterior  zeigen.  3.  Keinerlei  heftige  Erscheinungen  (Sphink¬ 
terreizung)  aufweisen,  und  in  denen  die  strikte  Beobachtung  aller  gewöhn¬ 
lichen  Vorsichtsmaßregeln  als  selbstverständlich  vorausgesetzt  werden  kann.  - — 
Als  geeignetes  Mittel  für  die  Arbortivbehandlung  der  Gonorrhöe  —  wie  für 
die  Behandlung  der  akuten  Gonorrhöe  als  das  beste  überhaupt  —  hat  sich 
Regenspurger  des  Novargan-Heyden  erwiesen.  Er  wendet  es  zur  Abortiv¬ 
behandlung  in  5%iger,  10°/0iger  und  15°/0iger  Lösung  mit  10  g  Glyzerin 
(ad  100)  an,  zu  welcher  Lösung  bei  empfindlichen  Patienten  5  g  Antipyrin 
zugefügt  werden.  Die  Anwendung  geschieht  folgendermaßen:  Ausspülen  der 
vorderen  Harnröhre  nach  dem  Urinieren  mit  destilliertem  Wasser,  darauf 
Injektion  von  8 — 12  ccm  der  5%igen  Novarganlösung,  die  mittels  Klemme 
10—15  Minuten  in  der  Urethra  belassen  wird.  Die  Dauer  der  Einwirkung 
ist  nach  Empfindlichkeit  des  Kranken  und  der  Intensität  des  Prozesses  zu 
variieren.  - — -  Der  Patient  wird  angewiesen,  während  zwei  Stunden  nach  der 
Behandlung  nicht  zu  urinieren.  Nach  24  Stunden  Wiederholung  der  In¬ 
jektion,  eventuell  mit  10%igem  Novargan.  —  In  dieser  Weise  täglich  eine 
Injektion  mit  einer  der  drei  Lösungen,  je  nach  dem  Befunde  mit  der  Kon-i 
zentration  auf-  oder  absteigend.  —  Bei  stärkeren  katarrhalischen  Erschei¬ 
nungen  wurde  alternierend  ein  Adstringens  oder  eine  2%ige  Lapisinjektion 
gegeben.  —  Von  150  Fällen  könnte  Regenspurger  mit  der  angegebenen 
Behandlung  78  Kranke  in  8 — 20 tägiger  Behandlung  zur  einwandfreien  Heilung 
bringen;  in  13  Fällen  erlebte  er  Komplikationen,  die  vorwiegend  die  dorsalen 
Lymphwege  betrafen.  Er  schreibt  dies  gute  Resultat,  abgesehen  von  der 


Referate  und  Besprechungen. 


215 


sorgfältigen  Auswahl  der  Bälle,  vor  allem  der  guten  Wirkung  des  Novargans 
zu,  das  bedeutend  reizloser  wirkt  als  Protargol.  —  Für  die  methodische  Be¬ 
handlung  der  Gonorrhöe  wird  das  Novargan  in  2 — 3%iger  Lösung  ange¬ 
wandt,  die  frisch  am  besten  wirkt  und  vor  Lichteinwirkung  (dunkles  Glas) 
zu  schützen  ist.  (R.  Stüve  (Osnabrück). 


Über  die  Varietäten  der  Balanoposthitis. 

(Queyrat,  Paris.  La  med.  mod.,  Nr.  24  u.  Allgem.  Wiener  med.  Ztg.,  Nr.  36,  1908.) 

Von  den  verschiedenen  Entzündungsformen  der  Schleimhaut  des  Prä¬ 
putiums  und  der  Glans  nennt  Queyrat  die  balano-präputialen  hypertrophischen 
Plaques  muqueuses,  die  bei  alter  Lues  vorkommende  chronische,  leukoplastische 
Form,  die  in  Epitheliom  übergehen  kann  und  Fernhaltung  jedes  Reizes  er¬ 
fordert,  ferner  eine  bei  Diabetes  vorkommende  ödematöse  Schwellung,  Rötung 
und  reichliche  fötide  Eiterung,  die  pustulöse,  die  herpetische  und  die  ekzema¬ 
töse  Entzündung. 

Außerdem  besteht  noch  ein  deutlich  charakteristischer  Typus,  die  Ba¬ 
lanoposthitis  erosiva  circinata,  irrtümlich  als  falscher  oder  Eicheltripper 
bezeichnet.  Sie  tritt  etwa  10  Tage  nach  einem  geschlechtlichen  Verkehr 
auf,  zeigt  Jucken  und  rote  Flecken  an  der  Eichel,  die  sich  ausbreiten  und 
zu  Abschuppung  führen.  Es  ist  reichliche  Eiterung,  aber  kein  Fieber 
vorhanden,  die  Leistendrüsen  sind  mäßig  geschwollen,  alle  von  gleichem 
Volumen,  schmerzlos.  Queyrat  und  andere  französische  Forscher  fanden 
bei  den  mit  dieser  Affektion  behafteten  Männern  sowohl  als  auch  bei  den 
betr.  Frauen,  wo  das  Leiden  sich  an  den  Labia  minora  abspielt,  einen  charak¬ 
teristischen  Spirillus  in  Gesellschaft  mit  kurzen,  leicht  gekrümmten  anaeroben 
Bazillen,  ähnlich  wie  bei  der  Angina  Vincenti,  der  Stomatitis  ulcero-mem- 
branosa  und  dem  Hospitalbrand.  Jedoch  sind  die  Spirillen  nicht  mit  Methylen¬ 
blau  färbbar  und  viel  kleiner.  Außerdem  fand  sich  auch  noch  die  Staphylo- 
coccus  pyogenes  albus. 

Die  Behandlung  besteht  in  Einpinselungen  mit  1  %igem  Arg.  nitricum. 

Esch. 


Der  Gebrauch  des  mit  wächserner  Spitze  versehenen  Katheters  bei  der 

Diagnose  der  Nierensteine  beim  Manne. 

(Winfield  Ayers.  Americ.  Journ.  of  Surg.,  Nr.  11,  1908.) 

Da  die  Röntgenbilder  durchaus  nicht  immer  maßgebend  sind,  hat  A. 
versucht,  die  Kelly’sche  Methode,  Nierensteine  bei  Frauen  nachzu weisen,  auf 
den  Mann  anzuwenden.  Bedingung  ist  der  Gebrauch  des  (wie  es  scheint 
in  Europa  unbekannten)  alten  Modells  des  Brown’ sehen  Zystoskops.  A. 
überzieht  die  Spitze  des  Ureterenkatheters  mit  reinem  Bienenwachs,  indem 
er  sie  mehrfach  in  das  geschmolzene  Wachs  eintaucht.  Der  Stein  hinter¬ 
läßt  gewöhnlich  im  Wachs  eine  tiefe  Delle,  seltener  nur  einen  Riß,  der 
dann  weiterer  Bestätigung  bedarf.  Sitzt  der  Stein  im  Nierengewebe,  so  ist 
er  auf  diese  Weise  nicht  nachweisbar,  auch  in  einer  Sackniere  kann  der 
Nachweis  mißglücken,  sonst  aber  behauptet  K.,  daß  die  Methode  sichere 
Resultate  ergebe  und  bringt  einige  auf  diese  Weise  diagnostizierte  und  mit 
Erfolg  operierte  Fälle  bei.  •  F.  von  den  Velden. 

Hals-,  Nasen-  und  Kehlkopfleiden. 

Die  nasalen  Lufträume. 

(Mink,  Deventer.  Arch.  für  Lar.,  21,  H.  2.) 

Mit  Schütter  nimmt  Mink  an,  daß  nicht  Anfeuchtung  und  Erwär¬ 
mung  der  Atemluft  die  Bedeutung  der  Nasenatmung  sein  kann,  dazu  sind 
die  Differenzen  der  Temperatur  und  Feuchtigkeit  der  Inspirationsluft 
zwischen  Mund-  und  Nasenatmung  zu  klein.  Den  Zweck  der  Neben- 


216 


Referate  und  Besprechungen. 


höhlen  in  Erleichterung  des  Kopfskeletts  oder  als  Reserveräume  für  warme 
Luft  zu  sehen,  geht  nicht  an,  da  ihr  Volumen  bezw.  ihr  Gaswechsel  zu 
geringfügig  sind  um  in  Betracht  zu  kommen.  Wohl  aber  haben  sie  eine 
Bedeutung  für  das  Riechen.  Nicht  als  ob  der  Hauptstrom  der  Inspiration 
durch  solche  akzessorischen  Lufträume  abgelenkt  würde;  aber  beim  Nach¬ 
lassen  des  negativen  Drucks  ziehen  sich  feine  Zipfel  des  Luftstromes  durch 
die  regio  olfactiora  bis  in  die  Ostien  der  Höhlen.  (Versuche  mit  Rauch).  — 
Luft,  die  durch  einen  der  Nase  entsprechenden  vertikalen  Spalt  angesogen 
wird,  nimmt  nicht  den  direkten  Weg  zur  Stelle  des  negativen  Drucks,  son¬ 
dern  biegt  stark  nach  oben  ab.  Dazu  kommt  noch  die  aufwärts  gerichtete 
Ebene  der  Nasenlöcher,  so  daß  man  den  unteren  Rand  der  mittleren  Muschel  an¬ 
nähernd  als  untere  Grenze  des  Inspirationstromes  ansehen  darf.  Die  Plicae 
vestibuli  lenken  zugleich  den  Strom  von  der  lateralen  Wand  weg  gegen 
das  Septum.  Hier  trifft  er  auf  das  t  u  bero,u  1  um  septi,  das  eine  Erschwe¬ 
rung  des  Stroms  und  vermittelst  seines  Schwellkörpers  zugleich  eine  Regu¬ 
lierung  bewirkt;  in  warmer  Luft  schwillt  es  an,  ebenso  wie  das  Volumen 
der  Nase  im  ganzen  zunimmt  (Leuven).  Der  Exspirationsstrom  dagegen 
nimmt  den  direkten  Weg  zum  Ausgang,  am  Nasenboden  entlang;  bei  einiger 
Stärke  bilden  sich  Wirbel  im  vorderen  Teil  der  Nase.  Zu  seiner  Regulierung 
dient  der  mächtige  Schwellkörper  der  unteren  Muschel,  nach  ihrer  Kokai- 
nisierung  sinkt  der  Exspirationsdruck  im  Pharynx  und  hinteren  Teil  der 
Nase.  Die  Bedeutung  der  Schwellkörper  liegt  somit  darin,  daß  sie  die  bei  ver¬ 
schiedener  Atemgröße  in  der  Zeiteinheit  ausgeatmete  Luftmenge  im  allge¬ 
meinen  gleich  halten  helfen.  —  M.  kommt  zu  seinen  Resultaten  durch  Be¬ 
rechnungen  und  Studium  von  Modellen,  auf  die  hier  nicht  eingegangen 
werden  kann.  Arthur  Meyer. 


Abriß  der  Lehre  von  den  Sprachstörungen:  Aphasie  und  Anarthrie,  wie 

auch  Dysphasie  und  Dysarthrie. 

(Dr.  Wladislaw  Oltuszewski,  Warschau.  Med.  päd.  Monatschr  für  die  ges. 

Sprachheilk.,  Januar,  Februar,  März,  April  1908.) 

Nach  einer  geschichtlichen  Einleitung  bespricht  0.  im  allgemeinen  Teil 
die  Physiologie  der  Sprache,  die  psychophysiologische  Grundlage  der  Sprach¬ 
entwicklung  und  die  Psychologie  der  Sprache  und  Schrift,  in  letzterem 
Teile  bei  der  Ätiologie  der  Sprachstörungen  besonders  eingehend  die  psychische 
Entartung  berücksichtigend. 

Im  speziellen  Teile  definiert  er  zunächst  die  Begriffe  Aphasie  und 
Dysphasie  als  eine  Störung  des  sinnlichen  Wortgedächtnisses  oder  des  Asso¬ 
ziationsgedächtnisses,  Anarthrie  und  Dysarthrie  als  Störung  aus  andern  Ur¬ 
sachen,  sowohl  zentrischen  wie  peripherischen  z.  B.  anatomischen  Verände¬ 
rungen  im  Artikulationsorgan. 

Er  behandelt  dann  jede  Gruppe  der  Störungen  eingehend  nach  Patho¬ 
genese,  Prognose  und  Behandlung,  besonders  auch  die  des  Stotterns.  Zum 
Schlüsse  zieht  er  noch  die  Hygiene  der  Sprachstörungen  in  den  Kreis  seiner 
Betrachtungen. 

Die  Einzelheiten  der  eingehenden  Arbeit  eignen  sich  nicht  zur  Wieder¬ 
gabe  in  einem  kurzen  Referat  und  müssen  im  Original  nachgelesen  werden. 

Runge  (Hamburg). 


Sigmatismus  nasaiis. 

(Dr.  Eugen  Hop  mann,  Köln.  Ibidem  Mai  1908.) 

Fall  von  S.  n.,  dessen  Besonderheiten  bestehen  1.  in  der  Bildung  des 
Mundhöhlenverschlusses  an  der  dritten  Artikulationsstelle  —  statt  assa  spricht 
Pat.  akka  — .  2.  in  einer  Kombination  mit  Sigm.  lateralis  bei  Aussprache  des 
Sch.  Im  Anhang  eine  zweite  ähnliche  Beobachtung.  Hier  wird  der  Mund¬ 
höhlenverschluß  bald  an  der  zweiten  —  atta  statt  assa  — ,  meist  aber  an 
der  dritten  Artikulationsstelle  gebildet.  Runge  (Hamburg). 


Referate  und  Besprechungen. 


217 


Über  Aphthongie. 

(Dr.  Eugen  Hop  mann,  Köln.  Ibidem  Juni  1908.) 

Es  wird  ausführlich  unter  Beigabe  von  Atmungskurven  über  zwei  Fälle 
von  plötzlich  auftretender  Sprachlosigkeit  berichtet,  bei  zwei  stotternden 
Kindern.  Einmal  war  das  Leiden  bedingt  durch  tonische  Krämpfe  im  Hypo- 
glossusgebiet.  Der  zweite  Fall  ist  ein  Beispiel  des  krampflosen  plötzlichen 
Sprachunvermögens.  Das  Leiden  ist  keine  Krankheit  sui  generis.  H.  will  die 
Bezeichnung  Aphthongie  nur  als  bezeichnenden  Namen  für  das  Symptom 
der  unter  gewissen  Bedingungen  bei  Stotterern  und  wohl  auch  bei  Hyste¬ 
rischen  plötzlich  auftretenden  völligen  Sprachlosigkeit  gelten  lassen. 

Runge  (Hamburg). 


Zur  Ozäna-Lehre. 

(Steiner.  Arch.  für  Lar.,  Bd.  21,  H.  2.) 

Unter  einer  größeren  Anzahl  von  Ozänakranken  fanden  sich,  in  Über¬ 
einstimmung  mit  den  Angaben  der  meisten  Autoren,  die  Frauen  in  fast  drei¬ 
facher  Überzahl;  ferner  war  die  Mehrzahl  der  Patienten  in  jugendlichem 
Alter  bezw.  litten  bereits  seit  Kindheit.  Über  die  Hälfte  hatte  ein  typisches 
Ozänagesicht,  andere  waren  von  gemäßigter  Chamaeprosopie  und  Platyrhinie. 
So  oft  Anamnese  zu  erheben  war,  wurde  angegeben,  daß  diese  Gesichtsform 
seit  Kindheit  bestehe.  Verf.  möchte  sie  daher  als  eine  Ursache  der  Ozäna 
auffassen  und  bringt  sie  mit  der,  von  Virchow  beschriebene,  vorzeitigen 
Verknöcherung  der  Synchondrosis  sphenobasilaris  in  Verbindung.  Die  mitt¬ 
lere  Muschel  war  meist  nicht  atrophisch,  wohl  aber  waren  an  der  unteren 
die  atrophischen  Erscheinungen  ausgesprochen.  Von  disponierenden  Erkran¬ 
kungen  waren  kongenitale  Lues,  Tuberkulose  und  Skrofulöse  des  Kranken 
oder  seiner  Blutsverwandten  in  einer  Minderzahl  der  Fälle  vorhanden.  Neben¬ 
höhlenempyeme  wurden  in  fünf  von  34  Fällen  gefunden.  Ferner  be¬ 
richtet  Verf.  über  seine  Erfahrung,  auf  die  u.  a.  auch  Ref.  vor  zwei 
Jahren  hingewiesen  hat,  daß  nämlich  nach  großen,  erweiternden  Ein¬ 
griffen  in  der  Nase  Ozäna  auftreten  kann.  Verf.  schließt  hieraus,  daß 
die  Erweiterung  der  Nase  ein  hauptsächliches  Moment  für  die  Entstehung 
der  Ozäna  sei.  Er  klassifiziert  die  Krankheit  in  1.  Fränkel’sche  Form,  wahr¬ 
scheinlich  auf  kongenitaler  Grundlage,  2.  durch  Druck  und  Erweiterung  ver¬ 
ursachte,  3.  Grünwald’sche  auf  Herdeiterung  beruhende,  4.  durch  luetische 
Knochenerkrankung  bedingte  Form.  —  Die  Wiedervereinigung  der  (heilbaren) 
Herdformen  mit  dem,  von  Frankel  glücklich  abgegrenzten  Begriff  der 
„genuinen'-  0.,  erscheint  Ref.  nicht  als  Fortschritt;  an  die  Stelle  des  mühsam 
gewonnenen  Krankheitsbegriffes  wird  wieder  das  Symptomenbild  gesetzt. 

Arth.  Meyer  (Berlin). 


Radikaloperation  der  Keilbeinhöhle. 

(Hajek.  Rev.  hebd.  de  lar.,  Nr.  35,  1908.) 

Wider  Erwarten  hat  sich  der  Keilbeinsinus  unter  allen  Nebenhöhlen 
der  Nase  als  am  besten  intranasal  zugänglich  erwiesen.  Er  liegt  gerade  in 
der  Sehachse.  Es  ist  zu  seiner  Behandlung  notwendig,  die  vordere  Wand  in 
größtmöglicher  Ausdehnung  zu  resezieren  und  zwar  besonders  den,  an  die 
hinteren  Siebbeinzellen  grenzenden,  lateralen  Teil.  Die  Knochenränder  neigen 
indessen  zu  starker  Granulationsbildung,  durch  welche  selbst  eine  weite 
Öffnung  sich  bald  wieder  verschließt.  Man  muß  daher  wöchentlich  die 
Ränder  mit  der  Argentumperle  ätzen  bis  zur  Vernarbung.  —  Die  Entfer¬ 
nung  der  Schleimhaut  des  Sinus  in  großer  Ausdehnung  ist  selten  erforderlich, 
da  selbst  hochgradig  veränderte  Stellen  sich  meist  bald  zurückbilden.  Sieht 
nach  mehreren  Wochen  die  Auskleidung  stellenweis  noch  nicht  normal  aus, 
so  genügt  die  Auskratzung  kleiner  Partien.  —  Die  Radikaloperation  des 
Keilbeinsinus  geschieht  stets  endonasal;  nur  wenn  andere  Höhlen  eine 
äußere  Operation  verlangen,  kann  sie  naturgemäß  an  diese  angeschlossen 
werden.  Arthur  Meyer. 


218 


Bücherschan. 


Einfluß  der  Stenosen  des  Larynx  und  Ösophagus  auf  die  Genitalien. 

(Baumgarten.  Rev.  hebd.  de  lar.,  Nr.  41,  1908.) 

Unter  20  Frauen  zwischen  15  und  35  Jahren,  die  an  Speis  er  öliren- 
striktur  litten,  hatte  hei  12  die  Menstruation  ausgesetzt,  und  zwar  waren  das 
die  hochgradigen  Stenosen;  sobald  die  Kranken  Flüssigkeiten  schlucken  konn¬ 
ten,  wurden  sie  wieder  menstruiert.  Auch  drei  Frauen  mit  skleromatöser  oder 
luetischer  Struktur  des  Kehlkopfs  oder  der  Trachea,  die  seit  Jahren  nicht 
menstruiert  waren,  sahen  nach  Erweiterung  der  Stenose  die  Menstruation 
wiederkehren.  Tuberkulöse  Verengerungen  verhalten  sich  nicht  so;  die  Regel 
bleibt  nur  hei  äußerster  Kachexie  aus.  Bekannt  ist  aber  die  ungünstige 
Beeinflussung  der  Kehlkopftuberkulose  durch  Gravidität.  Auch  bei  einem 
Manne  stellte  Dilatation  des  luetisch,  verengten  Kehlkopfs  die  erloschene 
Zeugungsfähigkeit  wieder  her.  Alle  diese  Befunde  bilden  das  Gegenstück 
zu  der  bekannten  Beeinflussung  der  oberen  Luftwege  durch  genitale  Vorgänge, 
den  menstruellen  und  vikariierenden  Schwellungen  oder  Blutungen  in  Nase, 
Rachen  und  Kehlkopf.  Arth.  Meyer  (Berlin). 


Allgemeinanästhesie  für  kurzdauerende  Eingriffe. 

(Bonain.  Rev.  hebd.  de  laryng.,  Nr.  29,  1908.) 

Da  die  Dauer  der  Chloräthylnarkose  für  manche  kleinen  Operationen 
(z.  B.  Tonsillo-  und  Adenotomie),  sich  als  nicht  ausreichend  erwies,  kom¬ 
biniert  Verf.  sie  mit  der  Chloroformnarkose  nach  „englischem  Verfahren“, 
bei  welchem  5 — 10  g  Chloroform  auf  einmal  gegeben  werden.  Er  wendet  ein 
Gemisch  von  gleichen  Volum  teilen  beider  Narkotika  an,  das  in  Ampullen 
von  2y2  ccm  Inhalt  aufbewahrt  wird.  Um  eine  Narkose  von  V2 — IV2  Min. 
Dauer  zu  erreichen,  werden  für  Kinder  von  1 — 5  Jahren  1  Ampulle,  von 
5 — 12  Jahren  2,  von  12 — 16  Jahren  3,  für  Erwachsene  4  Ampullen  ver¬ 
wendet.  Der  Inhalt  einer  Ampulle  wird  immer  auf  einmal  auf  die  Gaze¬ 
lagen  der  Maske  aufgeschüttet,  die  folgenden  Dosen  nach  Bedürfnis. 

Arth.  Meyer. 


Bücherschau. 


Ausgewählte  Abhandlungen  von  Ottomar  Rosenbach.  Herausgegeben  von 
Dr.  Walter  Guttmann,  Stabsarzt  in  Straßburg  i.  E.  2.  Bd.  mit  einem 
Bildnis  und  Biographie.  Leipzig.  Verlag  von  Joh.  Ambr.  Barth,  1909. 

(XXX,  608  u.  684  Seiten.) 

Das  umfangreiche  Werk  in  zwei  Bänden,  deren  würdige  Ausstattung  ihrem 
tiefen  Gehalte  an  unvergänglichen  Werten  entspricht,  will  nach  dem  Heimgange 
des  großen,  während  seines  arbeitsreichen  Lebens  nur  von  einer  kleineren,  sieh 
allerdings  ständig  vergrößernden  Gemeinde  verehrten  Forschers  und  Arztes,  auch 
einem  weiteren  Leserkreise  einen  Einblick  in  die  Größe  und  Vielseitigkeit  seines 
Werkes  gewähren. 

Wer  Rosenbach ’s  Arbeiten  studiert,  wird  geradezu  verblüfft  durch  die 
Fülle  origineller  Gedanken  und  schöpferischer  Ideen.  Selbst  auf  solchen  Gebieten, 
die  der  eigentlich  medizinischen  Forschung  fern  zu  liegen  scheinen,  wie  die  Mineralogie, 
Mathematik,  Physik,  Chemie  oder  gar  die  Sprachwissenschaft,  haben  seine  Forschungen 
zur  Klärung  und  Vertiefung  auch  der  fachwissenschaftlichen  Anschauungen  bei¬ 
getragen.  Rosenbach  sah  eben  das  Wesen  der  Wissenschaft  nicht  in  dem  bloßen 
Sammeln  und  Registrieren  von  sinnlich  wahrnehmbaren  Tatsachen,  sondern  in  dem 
Streben  nach  Verschmelzung  aller  Geschehnisse  der  Außenwelt  in  einer  Einheit 
der  Erkenntnis,  also  in  der  Philosophie  im  höchsten  und  reinsten  Sinne. 

Wie  ein  roter  Faden  zieht  sich  durch  das  von  Stabsarzt  Guttmann,  einem 
Verwandten  und  Schüler  des  uns  leider  zu  früh  Entrissenen,  mit  großem  Geschick 
zusammengestellte  Werk  Rosenbach’s  Lehre  von  der  Bioenergetik,  von  der 
Umformung  und  Verausgabung  der  für  das  Leben  charakteristischen  Energieformen. 


Bücherschau. 


219 


Nach  Bosenbach  kommt  alle  Energie  von  außen;  sie  ist  ein  Etwas,  das 
fortwährend  den  Kosmos  in  Form  feinster  Ströme  durchfließt,  welche  wir  un¬ 
mittelbar  nicht  wahrnehmen  können.  Erst  wenn  die  zunächst  unwahrnehmbare 
Form  in  andere  Energieformen  transformiert  wird,  für  die  unsere  Sinnesorgane 
empfänglich  sind,  wird  uns  ihre  Existenz  und  ihr  Wirken  erkennbar.  Das  gerade 
ist  eines  der  großen  —  auch  von  Physikern  anerkannten  —  Verdienste  Rosenbach’s 
schon  vor  Jahren,  ehe  man  die  Wirkungen  des  Badiums  und  der  radioaktiven 
Substanzen  kennen  gelernt  hatte,  die  die  Idee  an  eine  Transformation  feinster  kos¬ 
mischer  Energieströme  durch  irdische  Körper  nahelegten,1)  sich  wiederholt  und 
mit  aller  Bestimmtheit  in  diesem  Sinne  ausgesprochen  und  den  Gedanken  für  die 
Erklärung  des  Zustandekommens  und  der  Erhaltung  des  organischen  Lebens  ver¬ 
wertet  zu  haben. 

Nach  dieser  Lehre  ist  also  die  Organisation  ein  Transformator  für  feinste, 
aus  dem  Kosmos  stammende  Energieströme,  die  im  Körper  erst  zu  den  für  uns 
wahrnehmbaren  gröberen  Energieformen  (Wärme,  Nervenenergie  usw.)  umgewandelt 
und  somit  befähigt  werden,  als  Betriebsenergie  zu  fungieren.  Aber  nicht  genug 
damit,  es  fällt  diesen  „dunklen  Strahlen“  eine  noch  weit  wichtigere  Aufgabe  zu, 
nämlich  die,  als  erste  Auslösung  für  die  Entstehung  protoplasmatischer  Erregung 
(also  für  die  Ingangsetzung  der  organischen  Maschine)  zu  dienen. 

Bosenbach  erweiterte  demnach  die  herrschende  Anschauung  von  der  Trans¬ 
formation  der  Licht-  und  Wärmestrahlen  der  Sonne  durch  die  organischen  Lebens¬ 
prozesse  und  dehnte  sie  auch  auf  sonstige  dem  Kosmos  entstammende  geopetale 
Energieströme  aus,  auf  deren  Vorhandensein  er  aus  verschiedenen  Beobachtungen 
schließen  zu  dürfen  glaubte.  Er  unterschied  dabei  diejenigen  Energieformen,  die 
nur  zur  Auslösung  für  im  Organismus  aufgespeicherte  Energie  dienen,  wie  die¬ 
jenigen,  die  als  direkte  Betriebsenergie  für  den  Protoplasmabetrieb  Verwendung 
finden.  Im  ersteren  Falle  handelt  es  sich  um  Substrate  relativ  großer  Wellenlänge, 
die  auch  mehr  und  weniger  unser  Bewußtsein  affizieren  (nicht  nur  durch  Erregung 
höherer  Organe  in  Gestalt  der  Schall-,  Lichtempfindung  usw.,  sondern  auch  um  ge¬ 
wisse  Formen  der  Wärme,  die  mit  Empfindungen  einhergehen,  die  man  als  „elek¬ 
trische“  bezeichnen  kann);  diesen  gröberen,  den  Massenbetrieb,  die  Organleistung 
provozierenden  Wellen  stehen  im  zweiten  Falle  die  feinsten  Energieströme  gegen¬ 
über,  die  nicht  zum  Bewußtsein  gelangen,  aber  die  Aktivierung  des  Protoplasmas 
bewirken  und  dementsprechend  als  „erregbarkeitserlialtende“  Substanzen  anzu¬ 
sprechen  sind. 

Der  Unterschied  zwischen  dieser  Auffassung  und  der  landläufigen  ist  also 
der,  daß  Rosenbach  das  tierische  Leben  nicht  als  einen  indirekten  (nur 
durch  Vermittlung  des  Pflanzenlebens  zustande  kommenden)  sondern  als  einen 
direkten  Transformationsprozeß  von  außen  zuströmender  Energie  betrachtet. 
Die  protoplasmatische  Organisation  stellt  den  vollkommensten  Transformator  dar, 
dessen  elementarste  Teile  von  den  feinsten  Strömen  und  Wellensystemen  der 
Außenwelt  angetrieben  und  dadurch  befähigt  werden,  primitive  Formen  der  Energie 
in  kompliziertere,  aber  auch  vice  versa  diese  in  jene  zu  verwandeln. 

Rosenbach  sieht  in  dem  protoplasmatischen  Betriebe  eine  planvolle  Kom¬ 
bination  von  Maschinen,  dem  neben  der  Aufgabe  der  künstlichen  Maschinen, 
nämlich  der,  gewisse  Einflüsse  auf  die  Außenwelt  zu  entfalten,  auch  die  ungleich 
weitergehende  obliegt,  ihr  statisches  Gleichgewicht  durch  den  Betrieb  selbst  zu 
konservieren,  diesen  unter  Wahrung  der  spezifischen  Massenbeschaffenheit  durch 
die  eigene  Leistung  aufrecht  zu  erhalten.  Rosenbach  nennt  diese  Kombination  von 
Maschinen  planvoll,  weil  in  der  Tendenz  zur  Aufrechterhaltung  des  dynamischen 
Gleichgewichts  im  System  (und  darüber  hinaus  in  der  zur  beträchtlichen  Ausgestaltung 
und  stufenweisen  Erweiterung  des  Betriebes  lediglich  auf  der  Basis  einer  ersten  Anlage 
sich  zweifellos  ein  Plan,  eine  Idee  geltend  macht.  Das  physische  Leben,  der 
sichtbare  Ausdruck  jener  soeben  charakterisierten  Verkettung  von  Prozessen,  wie 
sie  jeder  für  sich  allein  sich  auch  in  der  unbelebten  Natur  abspielen,  läßt  sich  in 
seiner  Zielstrebigkeit  nur  durch  ein  höheres  Zweckprinzip,  durch  die  Konkurrenz 
eines  transzendentalen  Faktors  erklären. 

Unter  Auslösung  der  im  Keim  gegebenen  Energiewerte  treten  die  kleinsten 
formalen  Einheiten  zu  immer  neuen,  mannigfaltigen  Kombinationen  zusammen, 


x)  Daß  mit  dieser  Annahme  in  jüngster  Zeit  eine  andere,  die  Hypothese  des 
„Atomzerfalls“  in  erfolgreichen  Wettbewerb  getreten  ist,  dürfte  bekannt  sein,  kommt 
aber  für  die  obige  Skizzierung  des  Rosenbach’schen  Gedankenganges  nicht 
weiter  in  Betracht,  wie  auch  Prof.  Go ldst ei n- Berlin  in  der  Bearbeitung  eines 
gleichfalls  der  hier  besprochenen  Sammlung  einverleibten  Manuskripts  aus  dem 
Nachlasse  R’s.:  „Kraft  kann  nicht  gespannt  werden“,  hervorhebt. 


220 


Bücherschau. 


die  schließlich  als  Bildungen  höchster  Ordnung  (Organe,  Organismus)  befähigt  sind, 
funktionell  in  Wirksamkeit  d.  h.  mit  den  Massen  der  Außenwelt  in  Verbindung 
zu  treten.  Diesen  entnehmen  sie  Substrate  potentieller  Energie  (Nahrungsmittel, 
Wasser,  Sauerstoff)  um  die  in  der  aufsteigenden  Phase  des  Betriebes  ausgenützten 
Energieformen  durch  rückläufige  Transformation  auf  dem  Wege  über  die  Stationen 
der  absteigenden  Strecke  den  kleinsten  maschinellen  Einheiten  wieder  zuzuführen. 
Durch  die  Aktivierung  einer  immer  größeren  Zahl  von  Elementen  trägt  der  ur¬ 
sprünglich  kleine  Betrieb  der  lebenden  protoplasmatischen  Organisation  der  imma¬ 
nenten  Tendenz  zu  einer  ständigen  Erweiterung  seines  Umfanges  Rechnung. 
Während  im  Anfänge  der  Entwickelungsreihe  das  Körperprotoplasma  noch  allein 
als  direktes  Empfangsorgan  für  alle  Formen  kinetischer  Energie  dient,  treten  im 
Laufe  der  Entwickelung  bestimmte  Organe  als  spezifische  Transformatoren  der 
verschiedenen,  von  außen  einwirkenden  Energieformen  auf  und  mit  zunehmender 
Vervollkommnung  ist  auf  den  höchsten  Stufen  der  Organisation  die  Arbeits¬ 
teilung  bis  ins  kleinste  Detail  durchgeführt.  Aber  erst  durch  die  spezifische  Aus¬ 
bildung  des  Nervensystems  zur  Hirnrinde  wird  dann  ein  neues  Element  in  die 
Organisation  eingeführt. 

In  der  Hirnrinde  der  höheren  Organisation  ist  die  Möglichkeit  gegeben,  jene 
unbekannten,  köheren  und  subtileren  Energiespannungen  zu  transformieren,  die  den 
Zweckgedanken  im  höchsten  Umfange  realisieren.  Als  Vertreter  der  Idee,  als 
welcher  bei  der  künstlichen  Maschine  der  Betriebsleiter  anzusehen  ist,  fungiert  in 
dem  nun  entstandenen  „ psychosomatischen  Betriebe“  die  Psyche.  Während  in 
den  niederen  Organisationen  wohl  die  schöpferische  Idee,  die  „konstruktive  Synthese“ 
zur  Erfüllung  des  Zweckes  ausreicht,  ist  die  hirnbegabte  Organisation  befähigt, 
über  den  immanenten,  in  der  Konstruktion  der  Maschine  gegebenen  Zweck  der 
Erhaltung  der  Existenz  hinaus  den  transzendenten  Zweck  der  Organisation  Rech¬ 
nung  zutragen,  die  Idee  der  Beziehungen  zur  Spezies  und  zum  Kosmos  ins  Auge 
zu  fassen  und  zu  betätigen,  d.  h,  die  einfache  mechanische,  automatische  und  be¬ 
grenzte  Reaktion  zu  einer  bewußten  umzugestalten. 

Der  somatische  Betrieb  wird  also  bei  den  höher  organisierten  Lebewesen  zum 
psychosomatischen.'  Und  wenn  man  auch  von  einer  bewußten  Umgestaltung  der 
automatischen  Reaktionen  im  Sinne  der  höchsten  Zwecke  absieht,  so  erhebt  sich 
doch  der  hirnbegabte  Organismus  an  sich  himmelweit  über  den  toten  und  auch 
den  lebenden  Automaten.  Denn  während  dessen  Mechanismus  nur  für  bestimmte 
Zwecke  eingerichtet  ist  und  zugrunde  geht,  wenn  er  im  Sinne  seiner  Mechanik 
allzu  sehr  beansprucht  wird,  ist  schon  allein  in  der  bewußten  Reaktion,  die  das 
Ziel  voraussieht,  die  Möglichkeit  gegeben,  den  Mechanismus  durch  Intervention 
anderer  Mechanismen  innerhalb  gewisser  Grenzen  abzustellen  oder  ihn  bei  abnormer 
Reizung  sogar  gegen  den  eigentlichen  Zweck  zu  verwenden. 

Um  diese  Richtung  des  Geschehens  im  Organismus  richtig  beurteilen  zu 
können,  muß  man  ganz  besonders  auch  den  Einfluß  der  Psyche,  der  Vorstellungen 
und  des  Willens  auf  den  physischen  Betrieb  zu  würdigen  wissen.  Und  gerade  der 
frühzeitige  und  immer  wiederholte  Hinweis  auf  diesen  Punkt  zu  einer  Zeit,  in  der 
man  unter  der  Alleinherrschaft  der  anatomisch-pathologischen  Betrachtungsweise 
von  einem  Seelenleben  überhaupt  kaum  etwas  wissen  wollte,  rechtfertigt  es,  in 
Rosenbach  den  eigentlichen  Wiedererwecker  der  nunmehr  aus  hundertjährigem 
Dornröschenschlafe  mit  allen  Zeichen  kräftigen  Lebens  erwachten  „physischen 
Therapie“  zu  sehen. 

Aber  auch  sonst  ist  es,  worauf  Rosenbach  im  Gegensätze  zu  der  herrschen¬ 
den  Richtung  immer  wieder  aufmerksam  gemacht  hat,  —  ganz  gleich,  ob  man  einen 
Einblick  in  die  Konstruktion  einer  Maschine  oder  in  das  Wesen  des  organischen 
Betriebes  erhalten  will  —  mehr  notwendig,  als  die  äußere  Oberfläche  einer  funk¬ 
tionellen  Einheit  oder  ihrer  mehr  oder  weniger  selbständigen  Teile  zu  studieren. 
Wir  dürfen  vor  allem,  wie  er  verschiedentlich  ausführte,  die  deskriptive,  nur  nach 
der  äußeren  Form  urteilende  Systematik,  wie  sie  sich  in  unseren  pathologisch¬ 
anatomischen  Klassifikationen  bereit  macht,  nicht  so  überschätzen,  daß  wir  die 
Oberfläche  des  Organs  oder  die  Grenzmembran  einer  Zelle  nun  auch  als  Grenze 
ansehen,  vor  der  unser  Streben  nach  Erkenntnis  Halt  macht.  Gerade,  weil  die 
Zellularpathologie  den  Bedürfnissen  des  Arztes,  der  sich  mit  dem  lebenden  Or¬ 
ganismus  beschäftigt,  um  helfen  zu  können,  so  wenig  gerecht  wird,  hat  Rosen¬ 
bach  den  bedeutungsvollen  Schritt  von  der  Beschreibung  stabiler  Zustände 
zur  Bio energetik,  von  der  Zellularpathologie  zur  Energetopathologie 
(Betriebspathologie)  getan. 

Die  Lehre  von  den  Betriebsstörungen  im  Organismus  hat  Rosenbach  in 
einer  Reihe  monographischer  Arbeiten  weiter  ausgebaut;  er  ging  dabei  von  dem 
Gesichtspunkte  aus,  daß  der  Arzt,  der  Biologe  d.  h.  Kenner  des  psychosomatischen 


Bücherschau. 


221 


Betriebes  sein  will,  sich  unmöglich  mit  der  bloßen  Betrachtung  und  Beschreibung 
von  stabilen  Erscheinungen,  den  Dauerformen  abnormer  Zustände  zufrieden  geben  kann, 
sondern  daß  er  sich  der  Energetik,  dem  Studium  der  Dynamik  des  Betriebes  zu¬ 
wenden  muß,  wenn  er  den  Werdegang  der  Störung  und  zwar  schon  vor  der  Zeit 
erforschen  will,  wo  die  Verschiebung  des  Gleichgewichts  so  gut  wie  irreparabel 
geworden  ist,  und  nunmehr  ihren  anatomischen  Ausdruck  in  einer  dauernden 
Veränderung  gefunden  hat. 

Die  Forderung,  die  Diagnostik  dadurch,  daß  wir  sie  zu  einer  Er¬ 
forschung  des  Werdeprozesses  der  Störungen  ausgestalten,  gewisser- 
massen  zu  verlebendigen  und  als  Konsequenz  das  Eortschreiten  von  der  anato¬ 
mischen  Feststellung  dauernder  Veränderungen  zur  „funktionellen  Diagnose“, 
wie  sie  Rosenbach  lehrt  und  wie  sie  in  ihren  Grundzügen  (bei  Herzkrankheiten, 
Fettsucht,  Diabetes,  nervösen  Störungen)  durch  eine  Reihe  von  Arbeiten  exem¬ 
plifiziert  wird,  die  Guttmann  den  „Ausgewählten  Abhandlungen“  einfügte,  ergibt 
dann  ganz  direkt  fruchtbare  Gesichtspunkte  für  die  Therapie. 

Bei  der  auf  dem  Boden  der  funktionellen  Diagnostik  erwachsenden  Therapie 
ist  jedes  planlose  und  schablonenhafte  Handeln  von  vornherein  ausgeschlossen, 
weil  sie  sich  jeweils  schon  durch  den  Modus  des  diagnostischen  Vorgehens  und 
auf  Grund  der  hierbei  unumgänglichen  Versuche  den  Besitz  der  Direktiven  für 
das  Heilverfahren  ausschließlich  aller  seiner  durch  die  Eigenart  des  Falles  bedingten 
Nuancen  gesichert  hat.  Daß  bei  einem  solchen  Vorgehen  das  Heil  allerdings  nicht 
von  einem  spezifischen  Mittel,  von  der  routinehaften  Anwendung  einer  „Kur“,  von 
irgend  einer  durch  die  Tradition  sanktionierten  Methode  oder  einem  neu  auf¬ 
tauchenden  und  nun  als  alleinseligmachend  proklamierten  Regime  erwartet  wird, 
sondern  daß  die  zum  Zwecke  rechtzeitiger  Abstellung  der  Mängel  im  indivi¬ 
duellen  Betriebe  zu  ergreifenden  Maßregeln  vorwiegend  den  Charakter  hygienisch¬ 
prophylaktischer  Anordnungen  tragen  werden,  liegt  auf  der  Hand.  Auf  Grund 
solcher  Erwägungen  aber  wird  der  Arzt  nicht  nur  einen  sicheren  Standpunkt  gegen¬ 
über  den  wechselnden  Moden  in  der  heutigen  Medizin,  sondern  überhaupt  eine 
ganz  andere  Auffassung  von  dem  Wesen  seines  Berufes  gewinnen.  Wer  im 
höchsten  Sinne  nicht  bloß  Organpatologe  oder  -Spezialist,  sondern  Kenner  des 
psychosomatischen  Betriebes  sein  will,  kann  das  Ziel  seiner  Tätigkeit  nicht  darin 
erblicken,  nur  Flickwerk  für  eine  defekte  Maschine  zu  liefern.  Und  die  Über¬ 
zeugung,  daß  ein  hygienisch-prophylaktisches  Vorgehen  nur  zu  einer  Zeit  erfolgreich 
sein  kann,  in  der  nach  der  jetzigen  Terminologie  die  „funktionelle  Erkrankung“ 
noch  nicht  dem  „organischen  Leiden“  Platz  gemacht  hat,  wird  den  biologisch  denken¬ 
den  Arzt  veranlassen,  das  Wesen  und  die  Gründe  der  Kraftanomalie  in  jedem 
Einzelfalle  zu  erforschen  und  daraus  die  Handhaben  für  ihre  Beseitigung  zu 
gewinnen. 

Unter  möglichster  Ergriindung  der  vielfach  verschlungenen  Beziehungen  des 
psychosomatischen  Betriebes,  die  zwischen  seinen  Betriebsgebieten  unter  sich  einerseits 
und  zur  Außenwelt  andrerseits  unterhalten  werden  müssen,  betrachtet  der  wahre 
Arzt  es  als  das  höchste  Ziel  seiner  Wissenschaft  und  seiner  auf  ihr  gegründeten 
Kunst  nicht  durch  pathognomonische  Symptome,  sondern  durch  wissenschaftliche 
Beweisführung  festzustellen,  welche  Art  der  Reaktion  vorhanden  ist,  welche  Kräfte 
der  Organismus  zur  Verfügung  hat  und  warum  eine  Form  der  Behandlung  ge¬ 
eigneter  ist,  das  Gleichgewicht  wiederherzustellen,  als  die  andere.  Je  mehr  sich 
der  Arzt  von  dem  Schema,  von  dem  Fanatismus  des  Allheilmittels  und  der  An¬ 
betung  anscheinend  unfehlbarer  Methoden  frei  macht,  wird  ihm  das  „Individuali¬ 
sieren“  von  einem  toten  Wort  zu  einem  lebendigen  Begriffe  werden.  Und  das  da¬ 
mit  erforderliche  Eingehen  auf  die  Persönlichkeit  seines  Klienten  muß  ihm  auch 
die  nahezu  verlorene  Position  in  der  Familie  wieder  sichern,  die  eines  Lehrers, 
Führers  und  Erziehers  in  der  Hygiene  des  Körpers  und  des  Geistes. 

Eschle. 


Handbuch  der  Gynäkologie.  Von  J.  Veit.  Zweite  völlig  umgearbeitete 
Auflage.  Band  II,  Band  III,  1.  u.  2.  Hälfte.  Wiesbaden,  J.  F.  Bergmann 

1907,  1908. 

Von  dem  bereits  in  diesen  Blättern  (Fortschritte  der  Medizin,  S.  478,  1907) 
besprochenen  Handbuch  der  Gynäkologie,  II.  Auflage,  liegt  Band  I,  Band  II  und 
Band  III,  1.  und  2.  Hälfte,  abgeschlossen  vor. 

Band  II  enthält:  Die  gonorrhoischen  Erkrankungen  der  weiblichen  Harn- 
und  Geschlechtsorgane  (Bumm);  die  Entzündungen  der  Gebärmutter,  Atrophia  uteri 
(Döderlein);  Erkrankungen  der  weiblichen  Harnorgane  (Stöckel). 


222 


Kongresse  und  Versammlungen. 


Band  III  enthält:  Die  Menstruation  (Schaeffer);  Erkrankungen  der  Vagina 
(Veit);  Haematocele  (Fromme);  Sarcoma  uteri  und  sog.  Mischgeschwülste  des  Uterus 
(R.  Meyer);  Anatomie  des  Carcinoma  uteri  (Wertheim);  Symptomatologie  und  Be¬ 
handlung  des  Gebärmutter-Krebses  (Koblank);  Palliativbehandlung  der  inoperablen 
Karzinome  (Fromme);  Uteruskarzinom  und  Schwangerschaft  (Sarwey):  das  maligne 
Chorionepitheliom  (Veit). 

Eine  nähere  Besprechung  der  einzelnen  Kapitel  behalte  ich  mir  bis  zum 
Abschluß  des  ganzen  Werkes  vor.  F.  Kayser  (Cöln.) 


Technik  der  serodiagnostischen  Methoden.  Von  Paul  Th.  Müller. 

Jena,  G.  Fischer,  1908.  52  S.  1,50  Mk. 

Der  Verfasser  bringt  eine  sehr  klare,  alle  technischen  Einzelheiten 
sorgfältig  registrierende  Darstellung  der  gegenwärtig  gebräuchlichen  sero¬ 
diagnostischen  Methoden.  Wenngleich  bei  der  ungeheuren  literarischen  Pro¬ 
duktion  gerade  auf  diesem  Gebiete  eine  solche  Arbeit  bald  überholt  sein 
muß,  werden  doch  viele,  namentlich  Anfänger,  dem  Autor  für  das  mit 
großem  Geschick  abgefaßte  Praktikum  der  Serologie  dankbar  sein. 

E.  Oberndörffer  (Berlin). 


Ärztliches  Vademekum  1909.  Von  Dr.  A.  Krüche.  München,  Gmelin. 

Kl.  8°.  184  S.  2  Mk. 

Das  Vademekum  will  bekanntlich  dem  Arzte  alles  Gedächtniswerk,  das 
sonst  nur  mühsam  zusammenzustellen  wäre,  übersichtlich  darbieten,  sowie  ange¬ 
nehme  therapeutische  Fingerzeige  geben.  Der  neue  Jahrgang  hat  viele  Ver¬ 
besserungen  und  Erweiterungen  erfahren.  Er  bringt  Daten  aus  Anatomie, 
Physiologie,  Physik,  Chemie,  Pharmakologie,  Billige  Rezeptur,  Diätkuren, 
Nothilfe,  Neuerungen  auf  dem  Gebiete  der  Medullarnarkose,  die  Kreislauf¬ 
störungen,  Bädernotizen.  Ärztliche  Taxen  (Bayern,  Preußen,  Württemberg). 
Ärztliche  Gesetzeskunde  usw.  Esch. 


Kongresse  und  Versammlungen. 

Die  dreißigste  öffentliche  Versammlung  der  Balneologischen  Gesellschaft 

findet  in  Berlin  vom  4.  bis  9.  März  1909  statt. 

Bisher  wurden  folgende  Vorträge  angemeldet: 

1.  Herr  Brieger  (Berlin):  Eröffnungsrede. 

2.  Herr  Brock  (Berlin):  Bericht  über  das  verflossene  Vereinsjahr. 

3.  Wahl  des  Vorstandes. 

4.  Herr  Ewald  (Berlin)  und  Herr  Max  Cohn  (Berlin):  Neuere  — -  besonders 

radioskopische  —  Ergebnisse  aus  dem  Gebiet  der  Magen-  und  Darmunter¬ 
suchung  mit  Demonstrationen. 

5.  Herr  Schürmayer  (Berlin):  Beiträge  zur  röntgenologischen  Diagnose  der  Er¬ 

krankungen  des  Verdauungsstraktus. 

6.  Herr  Ad.  Schmidt  (Halle  a.  S.) :  Über  Durchfall  (pathogenetische  und  tera- 

peutische  Gesichtspunkte). 

7.  Herr  Kionka  (Jena):  Einwirkung  von  Mineralwässern  auf  die  Darmtätigkeit. 

8.  Herr  L.  Kuttner  (Berlin):  Vorteile  und  Nachteile  der  Über-  und  Unter¬ 

ernährung. 

9.  Herr  Pariser  (Homburg  v.  d.  H.):  Über  Entfettungskuren. 

10.  Herr  Determann  (St.  Blasien):  Kritische  Betrachtung  der  vegetarischen  Er¬ 

nährungsweise. 

11.  Herr  Eulenburg  (Berlin):  Hydroelektrische  Bäder. 

12.  Herr  Schreiber  (Königsberg):  Über  accidentelle  Albuminurie. 

13.  Herr  Sarason  (Berlin):  Die  Bedeutung  eines  neuen  Bausystems  für  Kurorte. 

14.  Herr  Gottschalk  (Berlin):  Balneotherapie  und  Menstruation. 

15.  Herr  Grawitz  (Charlottenburg):  Über  die  thermischen  Einwirkungen  auf  die 

Lymphströmungen  des  Organismus. 

16.  Herr  Mo  eil  er  (Berlin):  Die  hydriatische  Behandlung  der  Lungenschwindsucht. 

17.  Herr  Rothschild  (Soden):  Bedürfen  wir  der  Opsoninprüfung  bei  der  Behand¬ 

lung  Tuberkulöser? 

18.  Herr  Wolf f-Eisner  (Berlin):  Die  Prognosenstellung  bei  der  Lungentuber¬ 

kulose  mit  Berücksichtigung  der  Beziehungen  zur  Balneologie. 


Kongresse  und  Versammlungen.  228 

19.  Herr  Laqueur  (Berlin):  Erfahrungen  mit  neueren  Methoden  der  maschinellen 

Atmungsgymnastik. 

20.  Herr  Günzel  (Soden):  Eine  neue  Behandlung  von  Bronchialasthma. 

21.  Herr  O.  Müller  (Tübingen):  Über  die  Kreislauf  Wirkung  kalter  und  warmer 

Wasserapplikationen  sowie  verschiedener  Medizinalbäder. 

22.  Herr  Strauß  (Berlin):  Thema  Vorbehalten. 

23.  Herr  Jacob  (Kudowa):  Welches  sind  die  erwiesenen  Vorgänge  der  Zirkulation 

beim  Gebrauch  von  Bädern,  die  zur  Restitution  des  geschwächten  Organis¬ 
mus  führen? 

24.  Herr  Siegfried  (Nauheim):  Weitere  Erfahrungen  über  die  Veränderung  des 

physiologischen  Verhältnisses  vom  Puls-  zur  Atmungs-Frequenz  bei  Herz¬ 
krankheiten. 

25.  Herr  Gräupner  (Nauheim):  Über  die  Möglichkeit,  die  Druckkraft  des  Herz¬ 

muskels,  die  Größe  des  Widerstandes  im  Gefäßsystem  und  die  Geschwindig¬ 
keit  zu  bestimmen. 

26.  Herr  Fisch  (Franzensbad):  Künstliche  Atmung-  und  Herzregulation.  (Mit 

Demonstrationen.) 

27.  Herr  Selig  (Franzensbad):  Über  den  Herzschmerz. 

28.  Herr  F.  Kisch  jr.  (Marienbad):  Über  das  Verhalten  des  Pulsdruckes  bei 

Arteriosklerose. 

29.  Herr  Bickel  (Berlin):  Über  die  biologische  Forschung  in  der  Balneologie. 

80.  Herr  Frankenhäuser  (Berlin):  Über  den  baineologischen  Unterricht  an  den 
Universitäten. 

31.  Herr  Marcus  (Pyrmont):  Die  Bestimmung  der  Blutbeschaffenheit  in  ihrem  Be¬ 

zug  auf  die  Verdauung. 

32.  Herr  Brieger  (Berlin):  Über  den  Einfluß  physikalischer  Behandlung  auf  die 

Antifermentbildung  im  menschlichen  Blute. 

33.  Herr  Ledermann  iBerlin):  Über  die  Bedeutung  der  Serodiagnostik  für  die 

Diagnose  und  Therapie  der  Syphilis. 

34.  Herr  Dove  (Berlin):  Klimatische  Fragen  in  der  Balneologie. 

35.  Herr  Schade  (Kiel):  Colloidchemie  und  Balneologie. 

36.  Herr  Grube  (Neuenahr):  Über  die  chemischen  Correlationen  im  Organismus. 

37.  Herr  S.  Munter  (Berlin):  Neuerungen  auf  dem  Gebiete  der  Heilgymnastik  der 

Nerven-,  Herz-  und  Stoffwechselkrankheiten. 

38.  Herr  Löwenthal  (Braunschweig):  Kritisches  zur  physikalischen  Therapie. 

39.  Herr  Engel  mann  (Kreuznach):  Die  Gewinnung  hochgradig  radioaktiver  Salze 

aus  dem  Rückstände  der  Kreuznacher  Quellen  und  deren  medizinische  Ver¬ 
wertung. 

40.  Herr  Riedel  (Straßburg):  Über  gashaltige  Bäder. 

41.  Herr  L.  Fellner  (Franzensbad):  Neue  Untersuchungen  über  physiologische 

Wirkung  der  Kohlensäure-Gasbäder. 

42.  Herr  Beerwald  (Altheide):  Das  Verhalten  der  Kohlensäure  in  künstlichen  und 

natürlichen  Kohlesäurebädern. 

43.  Herr  Rothschuh  (Aachen) :  Piscinenbäder  in  Gegenwart  und  Zukunft. 

44.  Herr  Gutzmann  (Berlin):  Über  die  Behandlung  der  Neurosen  der  Stimme 

und  Sprache. 

45.  Herr  F.  Blumen thal  (Berlin):  Die  therapeutischen  Aufgaben  bei  der  Base¬ 

dowschen  Krankheit. 

46.  Herr  Fuerstenberg  (Berlin):  Die  hydriatische  Behandlung  der  Neurasthenie. 

47.  Herr  Tobias  (Berlin):  Über  intermittierendes  Hinken. 

48.  Herr  Sieb  eit  (Flinsberg):  Die  Lichttherapie  in  der  Hand  des  praktischen 

Arztes. 

49.  Herr  Holländer  (Berlin):  Die  kombinierte  Heißluftbehandlung. 

50.  Herr  Immelmann  (Berlin):  Die  Behandlung  von  Gelenksteifigkeiten  mittels 

Bier’scher  und  Tyrrnauer’scher  Apparate. 

51.  Herr  Hirsch  (Kudowa):  Die  Balneotherapie  im  Kindesalter. 

52.  Herr  Haeberlin  (Wyk  auf  Föhr):  Die  Kinder-Seehospize  Europas  und  ihre 

Resultate. 

53.  Herr  Schuster  (Aachen):  Ist  die  Kombination  von  Quecksilberkuren  mit 

Schwefelbädern  rationell? 

54.  Herr  Lenne  (Neuenahr):  Mitteilungen  aus  der  Praxis. 

55.  Herr  Hahn  (Bad  Nauheim):  Die  Zukunft  der  Balneologie  und  die  Balneologie 

der  Zukunft. 

56.  Herr  Iß  erlin  (Soden):  Über  die  Bedeutung  der  badeärztlichen  Tätigkeit  für 

die  medizinische  Statistik. 

57.  Herr  Martin  (Nauheim):  Grundsätze  balneologischer  Geschichtsforschung. 


224 


Kongresse  und  Versammlungen. 

58.  Herr  Martin  (Nauheim):  Nachträge  zu  meinem  „Deutschen  Badewesen  in  ver¬ 

gangenen  Tagen.“ 

59.  Herr  v.  Chlapowski  (Kissingen):  Anwendung  des  Wellenbades  als  Ersatz  der 

Massage. 

60.  Herr  Borodenko  (Charkow):  Zur  physiologischen  Wirkung  kaukasischer 

Mineralwässer  auf  die  Verdauungsorgane. 

61.  Herr  Lichtenstein  (Frankfurt  a.  O.):  Über  die  Heilerfolge  des  Aderlasses. 

62.  Herr  Brenner  (Dürkheim):  Der  Wert  der  Antitrypsinbestimmung  des  Blutes 

für  Diagnose  und  Prognose  der  Anaemie  und  die  Beeinflussung  durch  Arsen¬ 
wasser. 


Der  achte  internationale  Kongreß  für  Hydrologie,  Klimatologie,  Geologie 

und  physikalische  Therapie 

findet  laut  Beschluß  des  vorigen  Kongresses  (Venedig  1905)  vom  4. — 10.  April  1909 
in  Algier  unter  dem  Patronat  des  Generalgouverneurs  M.  Jonnart  statt.  Präsident 
des  Kongresses  ist  Professor  Albert  Robin  in  Paris,  Generalsekretär  Dr.  L.  Eeynaud 
in  Algier.  In  Deutschland  hat  sich  zur  Förderung  der  Interessen  des  Kongresses 
ein  Komitee  gebildet,  zu  dem  die  Herren 

Geh.  Sanitätsrat  W.  Adam,  Bad  Flinsberg 

Prof.  H.  E.  Albers-Schönberg,  Hamburg 

Geh.  Medizinalrat  Prof.  Brieger,  Berlin 

Geh.  Medizinalrat  Prof.  Eulenburg,  Berlin 

Geh.  Medizinalrat  Prof.  Goldscheider,  Berlin 

Geh.  Medizinalrat  Prof.  His,  Berlin 

Prof.  Joachimsthal,  Berlin 

Prof.  Jul.  Lazarus,  Berlin 

Prof.  H.  Lenhartz,  Hamburg 

Prof.  Adolf  Loewy,  Berlin 

Prof.  Posner,  Berlin 

Geh.  Regierungsrat  Prof.  B.  Pro  sk  au  er,  Berlin 

Geh.  Medizinalrat  Prof.  v.  Renvers,  Berlin 

Sanitätsrat  O.  Rosen thal,  Berlin 

Geh.  Medizinalrat  Prof.  Rubner,  Berlin 

Generalarzt  Dr.  Scheibe,  ärztl.  Direktor  der  Charite,  Berlin 

Prof.  Th.  Schott,  Bad  Nauheim 

Prof.  J.  Schwalbe,  Berlin 

Geh.  Medizinalrat  Prof.  Senator,  Berlin 

ihren  Beitritt  erklärt  haben.  Mit  der  Vertretung  für  Deutschland  ist  vom  Präsidium 
Sanitätsrat  O.  Rosenthal,  Berlin,  Potsdamerstr.  121g  betraut  worden,  der  bereit 
ist,  Anmeldungen  von  Vorträgen,  Beitrittserklärungen  und  Mitgliederbeiträge  ent¬ 
gegenzunehmen,  sowie  über  alle  den  Kongreß  betreffenden  Fragen  Auskunft  zu 
erteilen. 

Im  Anschluß  an  den  Kongreß  findet  eine  Ausstellung  von  Apparaten  und 
Mineralwässern  statt. 


Nachstehendes  Schreiben  ging  uns  mit  der  Bitte  um  Aufnahme  zu: 

Die  „Freie  ärztliche  Gesellschaft  zum  Studium  der  Tuberkulose  mit  be¬ 
sonderer  Berücksichtigung  der  Hetolbehandlung“ 

beabsichtigt  bis  zur  Frühjahrsversammlung  in  Kassel  eine  möglichst  umfangreiche 
Statistik  über  die  Erfolge  der  Hetolbehandlung  auszuarbeiten. 

Allen  Kollegen,  welche  gewillt  sind  an  dieser  wichtigen  Statistik  mitzuarbeiten, 
wird  der  Geschäftsführer  der  Gesellschaft,  Dr.  Weißmann  in  Lindenfels  (Oden¬ 
wald)  auf  Wunsch  gern  einen  Fragebogen  zur  Ausfüllung  übersenden.  Alle  die 
Hetolbehandlung  ausübenden  Ärzte  seien  auch  darauf  hingewiesen,  daß  die  oben¬ 
genannte  Gesellschaft  besonders  sehr  praktische  Krankengeschichten-Formulare  für 
Tuberkulose  ausgearbeitet  hat,  die  durch  den  Geschäftsführer  bestellt  werden  können. 


Schriftleitung:  Dr.  Ri  gl  er  in  Leipzig. 
Druck  von  Emil  Herr  mann  senior  in  Leipzig. 


27.  Jahrgang. 


1909. 


Tortscbrlttc  der  Medizin. 


Unter  Mitwirkung  hervorragender  Fachmänner 

herausgegeben  von 


Professor  Dr.  0.  Köster  Prio.-Doz.  Dr. ».  £riegern 

in  Leipzig.  in  Leipzig. 

Schriftleitung:  Dr.  Rigler  in  Leipzig. 


Nr.  6. 


Erscheint  am  10.,  20.,  30.  jeden  Monats.  Preis  halbjährlich 
6  Mark,  in  kl.  Zeitschrift  für  Versicherungsmedizin  8  Mark. 


Verlag  von  Georg  Thieme,  Leipzig. 


28.  Februar. 


Originalarbeiten  und  Sammelberichte. 

Stauungspapille  und  Gehirnchirurgie. 

Sammelreferat  von  Prof.  Greeff,  Berlin. 

Mit  den  Fortschritten  der  Hirnchirurgie  in  den  letzten  Jahren 
ist  in  chirurgischen -ophthalmologischen  Kreisen  ein  erneutes  Interesse 
für  das  Wesen  und  die  eventuelle  operative  Behandlung  der  Stauungs¬ 
papille  erwacht.  Um  gleich  das  Wesentliche  vorauszunehmen,  so  machte 
man  die  Beobachtung,  daß  nach  Beseitigung  des  die  Stauungspapille 
verursachenden  Gehirntumors  man  als  Hegel  ansehen  kann,  daß  danach 
auch  die  Stauungspapille  selbst  und  die  Sehstörung  zurückgeht.  Wenn 
aber  die  Stauungspapille  länger  besteht,  so  werden  die  Sehnervenfasern 
nach  und  nach  atrophisch,  es  tritt  unheilbare  Erblindung  ein.  Wird 
nun  auch  mit  Erfolg  operiert,  so  ist  der  Patient  doch  wegen  des  V er- 
lustes  des  Augenlichtes  übel  daran.  Solche  Fälle  sind  nicht  zu  selten. 

Während  man  früher  bei  einer  Stauungspapille,  wenn  nicht  Lues 
vorlag,  den  Patienten  seinem  Schicksal  zu  überlassen  gewohnt  war, 
das  ihn  zur  Amaurose  oder  zum  Exitus  letalis  führte,  sinnt  man  heute 
auf  chirurgische  Methoden  wenigstens  die  Blindheit  abzuwenden.  Ja 
selbst,  wenn  der  Tumor  nicht  lokalisiert  und  die  Ursache  der  Stauungs¬ 
papille  nicht  beseitigt  werden  kann,  so  ist  es  gerechtfertigt  Operationen 
vorzunehmen,  um  wenigstens  das  Sehvermögen  zu  erhalten,  das  zum 
Wohlbefinden  des  Kranken,  der  immerhin  noch  Jahre  leben  kann, 
ein  Wesentliches  ausmacht.  Es  liegen  gerade  aus  den  letzten  Jahren 
darüber  viele  Berichte  und  Arbeiten  vor. 

Das  Wesen  der  Stauungspapille. 

Dr.  W.  Thorner  in  Berlin  hat  neuerdings  eine  ausführliche  und 
gründliche  experimentelle  Arbeit  über  die  Entstehung  der  Stauungs¬ 
papille  gebracht,  v.  Graefe  stellte  die  Theorie  auf,  daß  die  Erhöhung 
des  Hirndrucks  den  Sinus  cavernosus  komprimiere,  infolgedessen  der 
Blutabfluß  der  Vena  opt.  sup.  und  folglich  auch  der  Vena  centr.  retinae 
behindert  sei.  Die  dadurch  herbeigeführte  Blutstauung  bewirke  eine 
Inkarzeration  des  Sehnervenkopfes  in  dem  unnachgiebigen  Skleralring. 
Diese  Anschauung  kann  als  widerlegt  angesehen  werden,  besonders 
durch  die  anatomischen  Untersuchungen  von  Seseman,  daß  die  V.  opt. 
sup.  ausgiebige  Anastomosen  mit  der  V.  facialis  ant.  besitzt,  so  daß 
eine  Behinderung  des  venösen  Abflusses  nach  der  Schädelhöhle  noch 
nicht  eine  venöse  Stauung  in  der  V.  centr.  ret.  hervorbringt.  Nur 

15 


226 


Greeff, 


v.  Bramanh  'ist  fn  neuerer  Zeit  wieder  auf  diese  Theorie  zurück' 
gekommen.  Er  sieht  die  Ursache  der  Stauungspapille  in  der  direkten 
Druckwirkung  des  Tumors  auf  den  Sinus  cavernosus  oder  auf  den 
Sinus  transversus,  durch  den  der  Sinus  cavernosus  seinen  Abfluß' 
findet. 

Sonst  stehen  sich  im  wesentlichen  heute  zwei  Theorien  gegenüber, 
1.  Die  Ansicht,  daß  es  sich  hei  der  Stauungspapille  um  primäre  mecha¬ 
nische  Wirkung  der  Steigerung  des  intrakraniellen  Druckes  handelt, 
der  sich  zwischen  den  Scheiden  des  Sehnerven  bis  an  das  Sehnerven¬ 
ende  fortpflanze  (Manz,  Schmidt-Bimpler,  v.  Michel  usw.) ;  2.  daß 
die  Stauungspapille  eine  primäre  Entzündung  durch  toxische  Produkte 
der  intrakraniellen  Neubildungen  sei  (Leber,  Deutsch  man  usw.). 
Manche  Autoren  nehmen  eine  vermittelnde  Stellung  ein. 

Thorner  untersucht  zuerst  die  physikalischen  Gesetze,  welche 
hier  Geltung  haben.  Es  ist  zwar  richtig,  daß  ein  erhöhter  Druck  sich 
nach  allen  Seiten  hin  gleichmäßig  fortpflanzen  muß,  also  auch  ein 
erhöhter  Hirndruck,  aber  das  Gesetz  modifiziert  sich,  wenn  es  sich 
um  lange  kapilläre  Böhren  und  Spalten  handelt,  dann  steigt  der  Druck 
in  der  kapillären  Bohre  nicht  gleichmäßig  mit,  sondern  bleibt  zurück. 
Nun  ist  der  Zwischenscheidenraum  um  den  Sehnerv  eine  sehr  lange 
kapilläre  Bohre,  im  Foramen  opticum  ist  nur  unten  eine  ganz  schmale 
Spalte  vorhanden,  ferner  ist  der  Baum  im  ganzen  Verlauf  vielfach 
in  Buchten  und  Taschen  geteilt,  so  daß  sicher  zu  folgern  ist,  daß 
ein  erhöhter  Hirndruck  (und  gewaltige  Steigerungen  kommen  ja  gar 
nicht  vor)  gar  nicht  bis  zu  dem  Sehnervenende  seine  Wirkung  aus- 
üben  kann. 

Die  bisher  am  toten  wie  am  lebenden  Tier  angestellten  Experi¬ 
mente  haben  keine  befriedigende  Lösung  ergeben.  Vor  allem  ist  ein¬ 
zuwenden,  daß  nicht  nur  der  intervaginale  Lymphraum,  sondern  auch 
der  supravaginale  und  der  Tenon’sche  mit  dem  subarachnoidalen  kom¬ 
munizieren,  sich  also  bei  erhöhtem  Lymphdruck  füllen  müßten.  In 
der  Tat  ergaben  die  Injektionsversuche  vom  subarachnoidalen  Baum 
aus,  daß  sich  auch  diese  füllten  und  sich  zuerst  Exophthalmus  ein¬ 
stellte.  Es  müßte  also  bei  erhöhtem  Hirndruck  Exophthalmus  eintreten 
und  umgekehrt  starker  Exophthalmus  erhöhten  Hirndruck  machen, 
wenn  freie  Kommunikationen  hier  beständen,  was  beides  nie  beob¬ 
achtet  wird. 

Thorner  hat  nun  eine  neue  Idee  bei  seinen  Experimenten  durch¬ 
geführt.  Um  mechanisch  eine  Einwirkung  auf  die  Papille  zu  erzielen, 
ohne  eingreifende  anatomische  Veränderungen,  wählte  er  den  Weg  direkt 
durch  den  Bulbus  und  zwar  in  der  Weise,  daß  eine  Spritze  oder  Kanüle 
durch  den  Glaskörper  bis  in  die  Tenon’sche  Kapsel  oder  etwas  über 
diese  hinaus  in  der  Umgebung  der  Papille  eingestochen  wird  und  hier 
die  Substanzen,  die  eine  mechanische  oder  irritative  Wirkung  auf 
den  Sehnerven  ausüben  sollen,  eingespritzt  worden. 

Es  wurde  zunächst  metallisches  Quecksilber  beim  lebenden,  narko¬ 
tisierten  Tier  injiziert.  Nach  Beendigung  der  Injektion  sah  man  das 
Quecksilber  rings  um  die  Kornea  an  der  Konjunktiva  durchschimmern. 
Es  trat  ferner  ein  mäßiger,  aber  deutlicher  Exophthalmus  ein.  Ophthal¬ 
moskopisch  zeigten  sich  sofort  nach  der  Injektion  die  Arterien  der 
Betina  verschwunden,  jedoch  nach  einigen  Minuten  schon  waren  wieder 
normale  Zirkulations Verhältnisse  vorhanden.  Eine  Stunde  später  sah 


Stauungspapille  und  Gehirnchirurgie. 


227 


die  anfangs  blasse  Papille  wieder  normal  ans,  sie  erwies  sich  auch  so 
bei  der  anatomischen  Untersuchung. 

Als  Gegenprobe  wurden  Stoffe  gewählt,  die  zwar  keine  Druck¬ 
wirkung  ausübten,  aber  entzündungserregend  wirkten.  Zunächst  der 
elektrische  Strom,  dann  Jiequiritilösung  und  das  alkalische  Liquor 
ammonii.  Es  trat  bald  und  erheblich  ein  starkes  Ödem  der  Papille  ein. 

Aus  allen  Gründen  scheint  dem  Verfasser  von  allen  Theorien 
über  (die  Entstehung  der  Stauungspapille  die  von  Leber  aufgestellte 
Toxintheorie  diejenige  zu  sein,  welche  alle  bekannten  Erscheinungen 
am  besten  erklärt. 

Wenn  es  auch  nicht  üblich  ist  in  einem  Referat  viel  von  all¬ 
gemein  kritischen  Erwägungen  zu  bringen,  so  sei  doch  schon  hier 
bemerkt,  daß  mit  dieser  Arbeit  das  letzte  Wort  in  dieser  Frage  noch 
nicht  gesprochen  ist.  Die  Experimente  des  Verfassers  sind  wohl  richtig, 
es  fragt  sich  nur,  ob  seine  Schlüsse  daraus  unbedingt  so  ausf allen 
müssen.  Bei  dem  erhöhten  Hirndruck  hält  der  gesteigerte  Druck 
Wochen  und  Monate  an  und  er  könnte  so  doch  eher  seinen  Weg  bis 
zur  Papille  finden  als  in  dem  Experiment.  Ferner  sprechen  die  klini¬ 
schen  Erfahrungen  nicht  immer  zugunsten  der  Entzündungstheorie, 
sonst  müßte  gerade  bei  einem  Hirnabszeß  die  Stauungspapille  häufig, 
bei  etwa  einem  Nervenfibrom  im  Hinterhauptslappen  sehr  selten  sein. 
Das  Umgekehrte  ist  aber  fast  regelmäßig  der  Fall.  Auch  die  unten  zu 
erwähnende  Tatsache,  daß  bei  einer  einfachen  palliativen  Eröffnung 
des  Schädels  die  Stauungspapille  meist  zurückgeht  und  zwar  häufig 
sofort,  ist  gegen  diese  Theorie  zu  verwerten. 

Operatives  Vorgehen. 

Bei  Bestehen  der  Stauungspapille  sind  meistens  die  äußeren 
Scheiden  der  Dura  um  den  Sehnerv  eine  Strecke  weit  hinter  dem  Bulbus 
ampullenartig  aufgetrieben :  Hydrops  vaginae  nervi  optici.  Wenn 
diese  Erscheinung  durch  erhöhten  Druck  hervorgerufen  wäre,  so  wäre 
es  am  naheliegendsten  diese  Scheiden  einzuschneiden.  Dies  ist  auch 
öfters  früher  geschehen  (Borchardt),  jedoch  kann  die  Operation  als 
nutzlos  oder  schädigend,  als  verlassen  angesehen  werden. 

E.  v.  Hippel  hat  es  unternommen,  im  Anschluß  an  einen  Fall 
die  große  Literatur  über  die  operative  Behandlung  der  Hirntumoren 
mit  Stauungspapille  zusammenzustellen  und  statistisch  zu  verwerten. 

Es  ist  danach  zunächst  eine  unbestreitbare  Tatsache,  daß,  wenn 
bei  Stauungspapille  das  Sehvermögen  anfängt  abzunehmen,  die  Pro¬ 
gnose  für  den  Visus  in  der  großen  Mehrzahl  der  Fälle  eine  absolut 
schlechte  ist.  Die  definitive,  unheilbare  Erblindung  läßt  nicht  lange 
auf  sich  warten. 

Was  leistet  nun  die  Operation  betreffs  der  Stauungspapille?  Es 
steht  zunächst  fest,  daß  diese  nach  radikaler  Beseitigung  des  Grund¬ 
leidens  (Tumor,  Abszeß)  so  gut  wie  ausnahmslos  verschwindet  und 
ein  gutes  Sehvermögen  erzielt  wird,  wenn  nicht  zu  spät  operiert  ist, 
also  alle  Sehnervenfasern  schon  zugrunde  gegangen  sind. 

Aber  wir  können  heutzutage  weitergehen.  Das  gleiche  Ergebnis 
wird  sehr  oft  dann  erreicht,  wenn  die  Causa  morbi  nicht  entfernt, 
sondern  durch  eine  Trepanation  nur  eine  Aufhebung  des  gesteigerten 
intraokularen  Druckes  herbeigeführt  wird.  Deshalb  reden  neuere 
Autoren  Sänger,  Finckh,  v.  Krüdener,  v.  Hippel  der  Palliativ¬ 
trepanation  das  Wort.  Von  221  Fällen  starben  im  Anschluß  an  die 

15* 


228 


Greeff,  Stauungspapille  und  Gehirnchirurgie. 


Operation  53,  bei  den  übrigen  168  ging  die  Stauungspapille  hundertmal 
zurück,  nur  achtzehnmal  tat  sie  es  nicht,  bei  den  übrigen  fehlen  ver¬ 
wendbare  Angaben. 

In  bezug  auf  das  Sehvermögen  ergibt  sich,  daß  die  Aussichten 
für  Wiederherstellung  oder  Erhaltung  des  Sehvermögens  günstige  sind, 
wenn  man  rechtzeitig,  d.  h.  wenn  noch  brauchbares  Sehvermögen  vor¬ 
handen  war,  dagegen  sehr  schlechte,  wenn  spät  operiert  wird. 

Die  Trepanation  steht  unter  den  operativen  Eingriffen,  welche 
die  Stauungspapille  zum  V ersch winden  bringen  können,  zweifellos  oben¬ 
an.  Es  ist  mit  Nachdruck  zu  betonen,  daß  es  sich  bei  der  Trepanation 
durchaus  nicht  immer  bloß  um  ein  Hinausschieben  des  Endes  handelt, 
sondern  daß  auch  völlige  Heilungen  Vorkommen,  daß  ferner  die  Lebens¬ 
dauer  der  Patienten  durchaus  nicht  selten  eine  solche  ist,  daß  man  auch 
in  dieser  Hinsicht  den  Eingriff  als  einen  durchaus  lohnenden  bezeichnen 
muß.  Es  ist  ein  gewaltiger  Unterschied,  ob  ein  sonst  schwer 
leidender  Mensch  auch  noch  blind  ist  oder  nicht. 

Der  einzige  Einwand,  der  gegen  die  Palliativtrepanation  gemacht 
wird  ist  der,  daß  die  Gefahr  derselben  zu  groß  sei.  Eine  beweiskräf¬ 
tige  Statistik  in  dieser  Hinsicht  kann  nur  die  Zukunft  bringen.  Die 
unmittelbare  Gefahr  der  Operation  ist  im  allgemeinen  viel  geringer, 
wenn  sie  in  einem  relativ  frühen  —  d.  h.  in  dem  für  unsere  Zwecke 
in  Betracht  kommenden  Stadium  der  Krankheit  —  gemacht  wird. 
Die  Gefahr  wird  dann  von  besonders  erfahrenen  Chirurgen  (Kocher, 
Horsley)  als  gering  bezeichnet,  sofern  die  Art  des  operativen  Vor¬ 
gehens  zweckmäßig  ist.  Verfasser  geht  nun  auf  die  Technik  ein,  aus 
der  ich  nur  den  wichtigsten  Satz  anführen  möchte,  daß  die  einfache 
Trepanation  nicht  genügt,  sondern  die  Inzision  oder  Exzision  der 
Dura  notwendig  sei. 

Von  Bedeutung  ist  der  Ort,  an  welchem  die  Trepanation  aus¬ 
geführt  wird.  Es  empfiehlt  sich  möglichst  in  der  Nähe  des  raum¬ 
beengenden  Gebildes  zu  trepanieren.  Wenn  also  der  Tumor  auch  nur 
mit  Wahrscheinlichkeit  lokalisiert  werden  kann,  so  soll  die  betreffende 
Gegend  gewählt  werden. 

Es  ist  zu  erwarten,  daß  die  Unsicherheit  in  der  Lokalisation 
immer  mehr  abnimmt,  je  weitere  Anwendung  die  Neisser’sche  Hirn- 
punktion  finden  wird.  Durch  die  Bohrlöcher,  die  man  dann  setzt, 
kann  auch  eine  Punktion  der  Ventrikel  vorgenommen  werden  und 
diese  kann  besonders  dann  Wert  haben,  wenn  es  sich  nicht  um  eine 
Neubildung,  sondern  um  eine  intrakranielle  Drucksteigerung  aus  anderen 
Gründen  handelt.  Schon  v.  Bergmann  hat  die  Punktion  der  Seiten¬ 
ventrikel  empfohlen. 

Die  Lumbalpunktion  gilt  jedenfalls  bei  der  Wahrscheinlich¬ 
keitsdiagnose  auf  Tumor  der  hinteren  Schädelgrube  jetzt  ziemlich  all¬ 
gemein  als  zu  gefährlich  (s.  bes.  die  Todesfälle  aus  der  Kieler  Klinik). 
Aber  es  ergibt  sich  auch,  daß  bei  Tumoren  anderer  Gegenden  der 
Lumbalpunktion  keine  erhebliche  therapeutische  Bedeutung  zukommt. 
Nach  dem  Besultat  über  32  Fälle  von  Lumbalpunktion  bei  Stauungs¬ 
papille  läßt  sich  vielleicht  folgendes  sagen:  Als  therapeutisches  Ver¬ 
fahren  zur  Heilung  der  Stauungspapille  kommt  die  Lumbalpunktion 
nicht  in  Betracht,  wenn  die  überwiegende  Wahrscheinlichkeit  für 
Tumor  besteht;  dagegen  ist  sie  als  der  einfachere  Eingriff  bei  Menin¬ 
gitis,  besonders  der  serösen,  bei  Syphilis,  sowie  bei  Schädeltraumen  zu 
versuchen,  ehe  man  sich  eventuell  zur  Trepanation  entschließt. 


Peters,  Die  chemisch-biologischen  Eigenschaften  des  Hämatopans. 


229 


Von  besonderen  Verfahren  wären  noch  zu  nennen  der  Bai  keil¬ 
st  ich  hei  Hydrocephalus,  Tumoren  und  bei  Epilepsie,  den  Anton  und 
v.  Bramann  in  seinen  Fällen  ausführten.  Die  Operation  bezweckt 
die  Herstellung  einer  offenen  Verbindung  zwischen  dem  Ventrikel  und 
dem  subduralen  Raum,  wodurch  für  ausreichende  Abführung  des  Liquor 
gesorgt  werden  soll.  ' 

Zu  erwähnen  ist  schließlich  noch,  daß  Payr  in  Greifswald  bei 
Hydrocephalus  und  Stauungspapille  die  Vena  saphena  in  den  Ventrikel 
einführte,  sie  in  den  Sinus  longitudinalis  einnähte  und  so  eine  Ven¬ 
trikel-Drainage  erzielte. 

Literatur. 

W.  Thorner:  Untersuchungen  über  die  Entstehung  der  Stauungspapille. 

v.  Graefe’s  Archiv  f.  Oph.  69.  3.  1908. 

E.  v.  Hippel:  Über  die  Palliativtrepanation  bei  Stauungspapille,  v.  Graefe’s 
Archiv  f.  Oph.  69.  2.  1908. 

U.  Finekh:  Über  die  Palliativ-Operationen  bei  Stauungspapille.  Inaug.  Diss. 
Freiburg  i.  B.  1904. 

Anton  u.  v.  Bramann:  Balkenstich  bei  Hydrocephalus,  Tumoren  und  Epi¬ 
lepsie.  Münch.  Med.  Woch.  1908.  Nr.  32. 

Sänger:  Über  die  Palliativtrepanation  bei  inoperablen  Hirntumoren.  Klin. 
Monatsbl.  1907,  Febr. 

v.  Krüdener:  Zur  Pathologie  der  Stauungspapille  und  ihrer  Veränderung 
durch  Trepanation,  v.  Graefe’s  Archiv,  Bd.  65,  S.  69. 


Die  chemisch-biologischen  Eigenschaften  des  Hämatopans  und 
sein  therapeutischer  Wert  in  der  Praxis. 

Von  Dr.  Peters,  Eisenach. 

Der  modernen  Blut-  und  Nährpräparate,  die  das  letzte  Jahr¬ 
zehnt  uns  beschert  hat,  ist  Legion.  Viel  Gutes  findet  sich  darunter, 
unleugbar,  aber  auch  manches  Minderwertige,  was  viel  verspricht  und 
wenig  hält.  Kaum  eines  aber  ist  bisher  darunter,  das  allen  an  ein  voll¬ 
kommenes,  blutbildendes  und  gleichzeitig  kräftigendes  Präparat  zu 
stellenden  Anforderungen  nach  jeder  Richtung  hin  gerecht  wird.  Seihst 
die  in  der  Praxis  beliebtesten  der  neueren  derartigen  Mittel  weisen 
gewisse  Mängel  auf,  die  den  sie  verwendenden  Arzt  oft  genug  veran¬ 
lassen,  sich  bald  von  dem  einen  wieder  einem  anderen  Präparat  zuzu¬ 
wenden,  von  dem  er  bessere  Dienste  und  Erfolge  erhofft,  weil  nach 
ein  paar  vielleicht  günstigen  Erfolgen  es  sich  immer  wieder  zeigt, 
daß  das  Mittel  die  ihm  nachgerühmte  Wirkung  nicht  bei  allen  Fällen 
entfaltet,  daß  es  oft  genug  im  Stiche  läßt.  Da  dürfte  es  nun  nicht 
uninteressant  sein,  einmal  kurz  festzustellen,  welche  chemischen  und 
physikalischen  Eigenschaften  und  welche  Wirkungen  man  von  einem 
wirklich  guten,  als  vollkommen  zu  bezeichnenden  Blut-  und  Nähr¬ 
präparat  verlangen  muß. 

Als  erstes  Haupt-  und  Grunderfordernis  muß  man  da  die  Eigen¬ 
schaft  einer  kräftigen  Hebung  und  Belebung  der  vitalen  Energie  der 
Einzelzelle  wie  des  Gesamtorganismus,  einer  in  dem  zugeführten  Stär¬ 
kungsmittel  seihst  liegenden  Anregung  zu  seiner  Aufnahme  und  Ver¬ 
wertung  voranstellen.  Denn  der  Verlust  des  Blutes  an  Bluteisen,  der 
Mangel  der  Gewebe  an  Nährstoffen  ist  nicht  immer  nur  durch  vermin¬ 
derte  oder  fehlende  Zufuhr  dieser  Stoffe  verursacht,  sondern  eben¬ 
sowohl  durch  die  verminderte  Lebenskraft  der  Zellen,  der  mangelnden 


230 


Peters, 

Fähigkeit,  die  Stoffe  auf  zunehmen  und  zu  verwerten.  Darum  genügt 
es  nicht,  dem  Organismus  nur  die  fehlenden  Stoffe  wieder  zuzuführen, 
sondern  ihm  muß  auch  gleichzeitig  die  Anregung  zur  Aufnahme  und 
Verwertung  der  zugeführten  Zellnahrung  gegeben  werden,  weil  — 
wie  Professor  Starling  in  London  treffend  ausführt  —  ,,die  Zelle 
zur  Entfaltung  ihrer  Tätigkeit  der  Beiz-  und  Energiestoffe  bedarf“. 
Gehen  wir  den  Zellgeweben  des  Organismus  in  diesen  Stoffen  die 
gesunde  Lebensenergie,  die  ihr  zur  Verwertung  der  Nahrung  mangelte, 
wieder,  dann  wird  sich  mit  der  geweckten  Lebenskraft  auch  die  Lust 
zur  Aufnahme  der  Nahrungsstoffe  einstellen;  das  Signal  hierfür  im 
Körper  ist  der  gesteigerte  Appetit.  Von  einem  guten,  wirksamen  Kräf¬ 
tigungsmittel  muß  man  also  in  erster  Linie  die  prompte  Hebung  und 
Besserung  des  Appetits  verlangen,  denn  sie  ist  erst  das  Zeichen,  daß 
in  den  einzelnen  Zellgeweben  sich  die  vitale  Energie  und  die  Aufnahme¬ 
lust  wieder  hebt,  und  daß  nun  auch  das  gegebene  Stärkungs-  oder 
blutbildende  Mittel  zur  Verwertung  und  damit  zur  Wirkung  gelangen 
werde. 

Das  zweite  Erfordernis  bei  einem  guten  Blutbildungs-  und  Kräf¬ 
tigungsmittel  ist  die  V ermeidung  der  Einseitigkeit  in  der  Zusammen-, 
setzung.  Es  darf  nicht  neben  dem  Eisen  lediglich  Eiweiß  enthalten, 
sondern  es  muß  neben  dem  Eiweiß  stets  einen  Gehalt  an  Kohle¬ 
hydraten  in  richtigem  Verhältnis  besitzen.  Diese  Lehre  gibt  uns  schon 
die  Natur  selbst,  die  uns  bei  allen  von  ihr  dargebotenen  natürlichen 
eisenhaltigen  Nahrungsmitteln  das  Eisen  stets  in  Verbindung  mit 
Eiweiß  und  Kohlehydraten  gibt.  Der  Grund,  warum  gerade  hier  die 
Kohlehydrate  unentbehrlich  sind,  erhellt  schon  aus  der  unbestrittenen 
Erfahrung,  daß  —  wie  Kobert  hervorhebt  —  die  bei  der  Verdauung 
der  Eiweißkörper  im  Darm  leicht  sich  entwickelnden  Fäulnisprozesse 
und  Gärungen  durch  gleichzeitige  Verabreichung  von  reichlichen  Kohle¬ 
hydraten  vermindert,  ja  verhindert  werden,  daß  also  letztere  neben  ihrer 
ernährenden  auch  noch  eine  antiseptische  Funktion  im  Darm  haben. 

Notwendig  aber  ist  die  Beimengung  geeigneter  Kohlehydratmengen 
zu  Blut-Eiweiß-Präparaten  noch  aus  einem  anderen  Grunde.  Erfah¬ 
rungsgemäß  sind  gerade  die  mit  Herabsetzung  der  vitalen  Energie 
in  den  roten  Blutkörperchen  einhergehenden  oder  in  solcher  beruhenden 
Erkrankungen,  wie  Anämie,  Chlorose  usw.,  bei  deren  Behandlung  vor¬ 
nehmlich  Mittel  der  genannten  Art  in  Anwendung  kommen,  in  den 
weitaus  meisten  Fällen  mit  Hyperchlorhydrie  des  Magensaftes  ver¬ 
bunden,  infolge  deren  es  ja  gerade  bei  chlorotischen  und  anämischen 
Personen  so  leicht  zur  Bildung  eines  Ulcus  ventriculi  kommt.  Nun 
besitzen  aber  gewisse  Kohlehydrate,  besonders  einzelne  Zuckerarten, 
wie  die  Dextrose,  bekanntlich  einen  starken  sekretionsvermindernden 
Einfluß  auf  die  Salzsäure  des  Magens;  darum  wird  durch  eine  Bei¬ 
mischung  derartiger  Kohlehydrate  im  Eiweißpräparat  von  großem 
Nutzen  sein  und  den  Wert  dieser  gerade  bei  den  genannten  Krankheiten 
unentbehrlichen  und  souveränen  Mittel  bedeutend  erhöhen. 

Endlich  soll  von  einem  guten,  die  Blutbildung  anregenden  und  den 
Kräftezustand  bessernden  Präparat  verlangt  werden,  daß  es  die  dem 
Körper  fehlenden  und  im  speziellen  Falle  zuzuführenden  Stoffe  in 
einer  im  Organismus  leicht  resorbierbaren  und  assimilierbaren  und 
zugleich  gut  haltbaren  Form  enthält.  Die  Erfahrung  hat  gelehrt, 
daß  die  beste  derartige  Form  des  Eisens  und  des  Eiweißes  die  direkt 
aus  dem  Blute  sich  herleitenden  Präparate  enthalten,  dem  Blute,  das 


Die  chemisch-biologischen  Eigenschaften  des  Hämatopans. 


231 


unbestreitbar  die  beste  Quelle  des  Eisens  und  des  Eiweißes  ist;  dieses 
Prinzip  hat  sich  die  Industrie  schon  seit  Jahren  in  der  Herstellung  der 
verschiedenen  Hämoglobinpräparate  zunutze  gemacht. 

Sehen  wir  uns  nun  die  große  Reihe  dieser  Präparate  daraufhin 
an,  wie  weit  die  einzelnen  den  obigen  Forderungen  entsprechen,  so 
müssen  wir  mit  Bedauern  sehen,  wie  eines  nach  dem  andern  dem 
kritisch  prüfenden  Blick  nicht  standhält  und  ausfällt.  In  erster  Linie 
sind  das  die  flüssigen  Hämoglobinpräparate ;  aus  zwei  Gründen :  erstens 
ist  der  Nutzwert  bei  einem  Gehalt  von  10°/0  Hämoglobin  und  70°/0 
Wasser,  Alkohol  und  Glyzerin  ein  recht  geringer,  zweitens  aber  auch 
die  Haltbarkeit  der  Präparate  eine  schlechte,  da  die  flüssigen  Hämo¬ 
globinpräparate  —  wie  Koning  nachgewiesen  hat  —  ein  überaus 
günstiger  Nährboden  für  Bakterien  aller  Art  sind.  Infolge  dieser 
mangelhaften  chemischen  Eigenschaften  fehlt  auch  die  Anregung  der 
vitalen  Energie  durch  diese  Präparate  fast  völlig,  da  der  Gehalt  an 
-Alkohol,  wenn  er  auch  momentan  ein  künstlich  gesteigertes  Wohl¬ 
gefühl  hervorruft,  nur  schwächend  und  erschlaffend  auf  den  Organis¬ 
mus  einwirkt.  Endlich  aber  —  und  das  ist  die  Hauptsache !  —  leiden 
die  flüssigen  Hämoglobinpräparate,  wde  die  trockenen  Eisen-Eiwei߬ 
präparate,  die  nachgewiesenermaßen  zum  großen  Teil  unverändert 
wieder  im  Kot  ausgeschieden  werden,  daher  einen  nur  geringen  Aus¬ 
nutzungswert  besitzen,  alle  an  dem  großen  Fehler  der  Einseitigkeit : 
sie  alle  enthalten  wohl  Eisen  und  Eiweiß  in  den  verschiedensten  Formen 
J —  als  Albumine,  als  Peptone  usw.  — ,  aber  ihnen  fehlen  die  Kohle¬ 
hydrate,  deren  hervorragende  Wichtigkeit  neben  den  zwei  genannten 
Substanzen  wir  oben  bereits  betont  und  begründet  haben.  Am  besten 
und  vollkommensten  hält  der  kritischen  Prüfung  in  diesen  Beziehungen 
das  seit  etwa  vier  oder  fünf  Jahren  in  die  Praxis  eingeführte  Hämatopan 
stand ;  es  erfüllt  die  vier  Grundforderungen,  die  vorhin  aufgestellt 
wurden,  in  denkbar  vollkommenster  Weise.  Kraft  welcher  Eigenschaften 
-es  das  tut,  sei  hier  kurz  erläutert. 

Die  grundlegende  Eigenschaft  einer  mächtigen  Anregung  der  vita¬ 
len  Energie  verdankt  es  seinem  relativ  sehr  hohen  Gehalt  an  Lezithin 
(1,2 °/0).  Das  Lezithin  ist  bekanntlich  der  in  jeder  lebenden  Zelle  sich 
findende,  auch  einen  wesentlichen  Bestandteil  des  Gehirns,  der  Nerven - 
Substanz  und  der  Blutkörperchen  bildende  physiologische  Phosphor, 
die  natürliche  Glyzerin-Phosphor-Eiweiß  Verbindung,  an  deren  Wirkung 
die  Zellneubildung,  kurz  alles  organische  Leben  gebunden  ist.  Der 
reichliche  Gehalt  an  diesem  anerkannt  lebenswichtigen  Stoff  verleiht 
daher  dem  Hämatopan  die  Eigenschaft  einer  mächtigen  Anregung  der 
Zellenergie  und  der  Ernährung,  zugleich  aber  auch  des  gesamten  Nerven¬ 
systems  und  macht  es  dadurch  nicht  allein  zu  einem  die  Blutbildung 
fördernden,  sondern  auch  nervenstärkenden  und  allgemein  die  Ernährung 
hebenden  Präparat. 

Die  zweite  obengenannte  Forderung  erfüllt  das  Hämatopan  eben¬ 
falls  in  ausgiebigem  Maße:  es  weist  neben  Hämoglobin  einen  hohen 
Gehalt  an  Kohlehydraten,  hauptsächlich  in  Form  der  Maltose,  dem 
Doppelmolekül  der  Dextrose  auf.  Das  ist  —  wie  oben  erwähnt,  — 
sehr  wichtig  einmal  in  bezug  auf  die  Verdauung  und  die  Ausnutzung 
der  Eisen-  und  Eiweißstoffe,  deren  einseitige  Zuführung  ohne  An¬ 
wesenheit  von  Kohlehydraten  die  vitale  Energie  des  Organismus  eher 
hindert  als  fördert,  weil  durch  sie  die  Verdauungsorgane  stark  belastet 


232 


Peters, 


werden  —  wie  Clemm1)  treffend  ansführt;  dann  aber  wichtig  auch 
deshalb,  weil  der  Nährwert  des  Malzzuckers  ein  sehr  hoher  ist,  bei¬ 
spielsweise  doppelt  so  hoch  wie  der  Milchzucker,  wie  ja  überhaupt 
nach  den  Untersuchungen  von  E.  und  C.  Voit  die  Zucker  als  echte 
Glykogenbildner  anzusehen  sind. 

Dank  der  gleichen  Eigenschaft  genügt  das  Hämatopan  auch  der 
dritten  oben  aufgestellten  Forderung:  daß  es  hei  Anämie  und  Chlorose, 
die  sehr  oft  mit  einer  zu  Ulkushildung  führenden  Hyperchlorhydrie  des 
Magensaftes  einhergehen,  die  Säurebildung  des  Magens  herabsetzt,  weil 
die  in  ihm  enthaltene  Dextrose  nach  den  Untersuchungen  von  Clemm 
vor  allen  andern  Zuckerarten  einen  starken  Einfluß  auf  die  Magen¬ 
saftsekretion  hat,  indem  sie  nicht  nur  die  Saftmenge  verringert, 
sondern  besonders  den  Gehalt  an  HCl  vermindert.  Dadurch  gewinnt 
Hämatopan  ganz  besonders  an  Wert  als  Präparat  bei  der  Behandlung 
der  genannten  Krankheitsformen,  speziell  bei  denen  mit  Neigung  zu 
Ulkusbildung. 

Endlich  erfüllt  Hämatopan  auch  die  vierte  Anforderung  der  guten 
Haltbarkeit  und  der  leichten  Resorptionsfähigkeit  ebenfalls  in  sehr 
vollkommener  Weise.  Die  Herstellungsweise  in  absolut  trockener  Form 
schließt  von  vornherein  die  bei  den  flüssigen  Hämoglobinpräparaten 
bestehende  Gefahr  einer  Mikrobenentwicklung  in  dem  Präparat  aus, 
und  die  Beimischung  der  besonders  leicht  und  schnell  resorbier  baren 
Maltose  erhöht  die  leichte  Löslichkeit  des  Hämoglobins,  wodurch  letz¬ 
teres  besonders  leicht  und  vollkommen  aufgenommen  und  im  Organis¬ 
mus  ausgenutzt  wird. 

Das  Hämatopan  kennzeichnet  sich  in  der  in  den  Handel  kom¬ 
menden  Form  als  ein  absolut  trockenes,  fein  kristallinisches  Pulver 
von  sehr  leichtem  Gewicht,  rubinroter  Farbe  und  von  malzig-würzigem 
Geruch  und  Geschmack,  das  sich  in  Wasser  leicht  löst  zu  einer  wein¬ 
roten  Flüssigkeit.  Nach  der  Analyse  von  J.  König  in  Münster  ent¬ 
hält  Hämatopan : 

Wasser  6,53  °/0 

Stickstoff  8,35  „ 

Maltose  26,05  „ 

Dextrin  12,92  „ 

Asche  2,15  „  , 

(darin  Lezithinphosphor  0,108 °/0  entsprechend  Lezithin  1,2 °/0) 

Hämoglobin  43,8  „  . 

Daß  das  Hämatopan  alles,  was  es  nach  seiner  Zusammensetzung 
und  den  hieraus  resultierenden  Eigenschaften  verspricht,  in  der  prak¬ 
tischen  Verwendung  auch  in  vollem  Umfange  hält,  davon  habe  ich 
mich  bei  einer  Anzahl  von  Fällen  überzeugt,  bei  denen  ich  Hämatopan 
in  Anwendung  gebracht  habe.  Es  waren  das  vier  Fälle  von  stillenden 
Wöchnerinnen,  bei  denen  die  anfangs  recht  geringe  Laktation  sich 
nach  Hämatopangebrauch  ganz  auffallend  besserte ;  sechs  Fälle  von 
Anämie  und  Chlorose,  zwei  Fälle  von  bestehendem,  bezw.  drohendem 
Ulcus  ventriculi  und  drei  Fälle  von  hochgradiger  Abmagerung  und 
Schwächezuständen  infolge  verschiedener  körperlicher  Ursachen.  Von 
diesen  beobachteten  fünfzehn  Fällen  seien  die  sechs  eklatantesten  hier 
näher  berichtet. 


0  Dr.  Clemm,  Vortrag  auf  dem  78.  Naturforscher-Ärztetag  in  Stuttgart  1906. 


Die  chemisch-biologischen  Eigenschaften  des  Hämatopans. 


233 


1.  Elsbeth  C.,  23  Jahre  alt,  leidet,  als  sie  im  Mai  in  meine 
Behandlung  kommt,  an  heftigen  Kardialgien,  zeitweisem  Erbrechen, 
Kopfschmerzen,  absoluter  Appetitlosigkeit  usw.  Blasses,  stark  ab- 
gemagertes  Mädchen ;  Magen  sehr  schlaff,  Epigastrium  auf  Druck 
sehr  schmerzempfindlich;  Hämoglobingehalt  des  Blutes  (nach  Tall- 
quist)  =  55 °/0;  Salzsäuregehalt  des  Magensaftes  erhöht.  Annahme 
eines  Ulcus  ventriculi  wahrscheinlich.  Verordnung:  Bettruhe,  Um¬ 
schläge,  Einläufe,  schleimige  Kost;  intern  Wismut  mit  Kodein.  Nach 
vier  Tagen  Beginn  der  Verabreichung  von  Hämatopan,  dreimal  täglich 
ein  Teelöffel  voll,  in  Schleimsuppen.  Nach  acht  Tagen  Auf  hören  der 
Kardialgien ;  Patientin  steht  zeitweise  auf.  Hämatopan  wurde  im 
ganzen  drei  Monate  lang  genommen ;  nach  einem  Monat  Hämoglobin¬ 
gehalt  auf  65°/ 0,  nach  zwei  Monaten  auf  80°/0  gestiegen.  Kardial¬ 
gien  verschwunden,  Aussehen  bedeutend  besser,  jkeine  Kopfschmerzen 
mehr;  Speisen,  auch  festere,  werden  gut  vertragen.  Gewichtszunahme 
von  86  auf  102  Pfund ;  Anfang  August  geheilt  entlassen. 

2.  Emma  K.,  Plätterin,  22  Jahre  alt,  ließ  mich  am  16.  Juni 
rufen  wegen  heftigen  Bluterbrechens ;  sie  fühlte  sich  schon  länger 
nicht  wohl  und  hatte  viel  an  ,, Magenschmerzen“,  Verdauungsbe¬ 
schwerden  und  Appetitmangel  zu  leiden  gehabt.  Es  waren  ca.  600  g 
dunklen,  zum  Teil  geronnenen  Blutes,  mit  Schleim  vermischt,  erbrochen ; 
einzelne  kleinere  Nachblutungen  traten  noch  auf.  Diagnose:  Ulcus 
ventriculi.  Ordination :  Eisbeutel  auf  die  Magengegend,  intern  Eis¬ 
stückchen  und  Arg.  nitr. -Pillen ;  trotzdem  wiederholte  sich  am  zweiten 
Tage  noch  eine  heftige  Magenblutung.  Unter  fortgesetzter  Behandlung 
in  angegebener  Weise  wurden  weitere  Blutungen  nicht  mehr  beobachtet. 
Die  Schmerzen  verschwanden  etwa  am  fünften  oder  sechsten  Tage 
nach  der  zweiten  Blutung ;  vom  dritten  Tag  ab  eisgekühlte  Milch  in 
kleinen  Portionen.  Patientin  ist  sehr  schwach  und  hochgradig  anämisch 
geworden.  V om  achten  Tage  ab  Hämatopan  in  Schleimsuppen  und 
Milch,  zuerst  dreimal  eine  Messerspitze,  später  ein  Teelöffel  voll  täg¬ 
lich.  Nach  drei  Wochen  erstes  Auf  stehen.  Von  der  vierten  Woche 
ab  festere,  kohlehydrat-  und  fettreichere  Kost,  daneben  andauernd 
Hämatopan,  zehn  Wochen  hindurch,  Rekonvaleszenz  verläuft  auf¬ 
fallend  schnell  und  günstig ;  Besserung  des  anämischen  Aussehens ; 
Hämoglobingehalt  bei  der  Entlassung  =  75°/0. 

3.  Lisbeth  N.,  1 71/2  Jahre  alt,  wird  mir  von  der  Mutter  am 
18.  März  wegen  „Bleichsucht“  zugeführt.  Körperlich  großes,  aber 
schmächtiges,  blasses,  mageres  Mädchen.  Hämoglobingehalt  50°/0; 
dyspeptische  Beschwerden,  Gastralgien,  Dysmenorrhöe,  Leukorrhoe. 
Zuerst  hydrotherapeutische  Behandlung,  innerlich  Hämoglobinpräparate, 
da  „Eisen“  wegen  schlechter  Erfahrungen  abgelehnt  wird.  Nach  an¬ 
fänglich  geringer  Besserung  am  16.  April  heftige  Menorrhagie,  acht 
Tage  anhaltend,  trotz  Bettruhe,  Eisapplikation  und  Sekale.  Danach 
große  Erschöpfung,  Mattigkeit,  anämisches  Aussehen.  Zwei  Monate 
lang  Aletris  Cordial2),  danach  Besserung  der  Menses  bezüglich  Dauer 
und  Stärke.  '  Von  Mitte  Juni  an  Hämatopan,  ein  Teelöffel  voll  dreimal 
täglich.  Besonders  bemerkenswert  ist  die  alsbald  sich  zeigende  gute 
Appetitzunahme,  die  eine  reichlichere,  kräftigere  Ernährung  ermög¬ 
licht.  Am  9.  Juli  Hämoglobingehalt  —  70°/0.  Hämatopan  wird  fort- 

2)  Vergleiche  meine  Abhandlung  über  „Aletris  Cordial;  ein  Beitrag  zur  Frage 
der  internen  Behandlung  von  Frauenleiden“.  Das  Bezept,  Heft  4 — 6,  1908. 


234 


Peters, 

gesetzt  bei  anhaltender  Besserung  des  Kräftezustandes,  erheblicher 
Gewichtszunahme  und  Besserung  des  Aussehens.  Am  16.  August  letzte 
Konsultation.  Gewichtzunahme  14  Pfund  seit  Ende  April,  Hämoglobin¬ 
gehalt  =  85°/0,  keine  Magenbeschwerden.  Menses,  wenn  auch  nicht 
beschwerdefrei,  so  doch  regulär  und  von  mäßiger  Stärke  und  Dauer. 

4.  Therese  Z.,  18 1/2  Jahre  alt,  schmächtiges,  mageres  Mäd¬ 
chen,  konsultiert  mich  am  20.  Mai  wegen  hochgradiger  körper¬ 
licher  Schwäche  und  Mattigkeit,  die  sie  angesichts  eines  schon  länger 
bestehenden  kurzen,  trockenen  Hustens  befürchtet  auf  beginnende 
Lungenschwindsucht  zurückführen  zu  müssen.  Untersuchung  der 
Lunge  ergibt  chronischen  trockenen  Katarrh  des  rechten  Oberlappens ; 
Auswurf  spärlich,  keine  T.  B.  Totale  Anorexie,  Magenatonie,  Poly- 
mennorrhöe,  Anämie.  —  Neben  Behandlung  des  Lungenkatarrhs  Häma- 
tojmn  -Verabreichung,  zuerst  dreimal,  später  viermal  täglich  ein  Tee¬ 
löffel  voll.  Hämoglobingehalt  steigt  von  65  °/0  auf  80°/0  innerhalb 
vier  Wochen,  dabei  ausgezeichnete  Nahrungsaufnahme  infolge  mächtiger 
Appetitsteigerung  und  Zunahme  des  Körpergewichts  von  87  auf  95 
Pfund.  Hämatopan  im  ganzen  zwei  Monate  lang  gegeben.  Am  8.  August 
entlassen.  Lunge  absolut  frei  von  Erscheinungen;  Körpergewicht  102 
Pfund,  Hämoglobingehalt  85  °/0 ;  gutes  Wohlbefinden,  frisches,  gesun¬ 
des  Aussehen. 

5.  Maschinistenfrau  Caroline  J.,  28  jährige  Erstgebärende,  konsul¬ 
tierte  mich  vier  Wochen  vor  der  Entbindung.  Körperbefund  normal, 
aber  Brüste  ziemlich  klein,  wenig  Sekret  ausdrückbar.  Da  IMtientin 
gern  selbst  stillen  will,  wird  Hämatopan  in  reichlicher  Menge,  vier 
Teelöffel  voll  pro  Tag,  verordnet.  Schon  vor  der  Niederkunft  zeigt 
sich  deutlich  Zunahme  der  Sekretion  auf  Druck.  Am  dritten  Tage 
nach  der  normal  verlaufenen  Entbindung  mäßige  Schwellung  der  Brüste ; 
das  Kind  findet  genügend  Nahrung,  die  unter  der  am  achten  Tage 
wiederaufgenommenen  Hämatopan -Verabreichung  sehr  reichlich  wird. 
Die  Frau  hat  das  Kind  nunmehr  seit  fünf  Monaten  an  der  Brust,  ohne 
andere  Nahrung  hinzugeben  zu  müssen.  Von  der  Schwächung  durch 
die  Entbindung  hat  sie  sich  auffallend  schnell  und  gut  erholt. 

6.  Musikerfrau  Helene  A.,  27jährige  Drittgebärende,  fragt  mich 
kurz  vor  der  Entbindung,  ob  es  inicht  möglich  sei,  bei  ihr  eine  reichlichere 
Milchsekretion  zu  erzielen ;  sie  habe  die  beiden  ersten  Kinder  drei 
Wochen  lang  nähren  können,  habe  sie  dann  aber  wegen  Nahrungsmangels 
entwöhnen  müssen.  Sie  erhält  Hämatopan,  das  bei  Beginn  der  Ent¬ 
bindung  ausgesetzt,  vom  siebenten  Tage  an  aber  wieder  allmählich 
steigend  gegeben  wird.  Die  Milchsekretion  ist  so  reichlich  wie  bei 
keiner  der  vorangegangenen  Laktationsperioden,  und  die  Frau  hat  jetzt 
seit  fünfthalb  Monaten  allein  das  Kind  genährt,  kann  auch  —  an¬ 
gesichts  des  absolut  guten  und  kräftigen  körperlichen  Befindens  — 
das  Stillen  vorläufig  noch  fortsetzen. 

Alle  diese  Fälle,  denen  die  übrigen  günstigen  Beobachtungen 
in  Verlauf  und  Resultat  im  wesentlichen  gleichen,  zeigen  uns  ganz 
besonders  die  mächtige  Anregung  der  vitalen  Energie  infolge 
der  vermehrten  Zellneubildung  in  allen  Organen,  damit  die  ganz  er¬ 
hebliche  Steigerung  des  allgemeinen  Stoffwechsels,  die  sich  auch  in  der 
fast  durchweg  beobachteten  raschen  Appetitsteigerung  kundgab.  Die 
zum  Teil  freilich  auf  die  vermehrte  Nahrungsaufnahme  zurückzu¬ 
führende  Gewichtszunahme  und  Besserung  der  Körperkräfte  aber  ist 
nebenbei  nicht  zum  geringsten  Teil  auf  den  Gehalt  an  Maltose  zurück- 


Die  chemisch-biologischen  Eigenschaften  des  Hämatopans. 


235 


zuführen.  Ermöglicht  wurde  die  durchweg  anstandslose  Aufnahme 
des  Präparats  durch  seinen  Wohlgeschmack  und  die  leichte  Verdau¬ 
lichkeit.  Erwähnenswert  ist  ferner  noch  die  hei  allen  mit  Hyper¬ 
chlor  hydrie  und  Dyspepsie  einhergehenden  Fällen,  namentlich  auch  hei 
denen  mit  Ulkusbildung,  beobachtete  günstige  Einwirkung  des  Häma¬ 
topans  auf  die  Funktion  des  Magens  und  die  schnelle  Besserung  der 
von  diesem  ausgehenden  Beschwerden  und  Krankheitserscheinungen, 
sowie  die  deutlich  erwiesene  Förderung  der  Milchsekretion  infolge  der 
durch  das  Hämatopan  aufgebesserten  Ernährung. 

Kurz  erwähnt  sei  hier  noch,  daß  das  Hämatopan  dank  seiner 
erwähnten  Eigenschaften  sich  vorzüglich  als  Vehikel  zur  Einführung 
einer  Beihe  von  Medikamenten  in  den  Körper  eignet,  deren  Aufnahme 
sonst  wegen  ihrer  chemischen  Eigenschaften,  ihres  Geschmacks  oder 
aus  andern  Gründen  oft  Schwierigkeiten  verursacht.  Es  sind  bisher 
besonders  drei  Medikamente  mit  Hämatopan  in  Verbindung  gebracht, 
Guajakol,  Arsen  und  Jod.  Bei  dem  Guajakol-Hämatopan  wird  der 
oft  die  Ordination  unmöglich  machende  häßliche  Geschmack  des  Guaja- 
kols  durch  den  würzigen  Maltosegeschmack  des  Hämatopans  fast  ver¬ 
deckt,  daher  seine  Anwendung,  auch  hei  empfindlichen  Patienten  er¬ 
möglicht,  während  hei  Verabreichung  von  Arsenhämatopan  und  Jod- 
hämatopan  infolge  der  Bindung  des  Jods  und  Arsens  an  Eiweiß  die 
unerwünschten  Nebenerscheinungen  einer  längeren  Medikation  dieser 
Arzneistoffe  völlig  vermieden  werden.  Alle  drei  Präparate  vereinigen 
die  Vorzüge  einer  Medikation  der  betreffenden  Arzneimittel  mit  der 
gleichzeitigen  Darreichung  eines  appetitanregenden  Nährmittels  und 
energischen  Blutbildners. 

Zuletzt  sei  noch  als  ein  ganz  besonderer  Vorzug  des  Mittels, 
seine  relative  Billigkeit  erwähnt,  die  am  besten  durch  einen  allgemeinen 
Vergleich  mit  anderen  Bluteiweißpräparaten  dargetan  wird.  Während 
nämlich  von  Hämatopan  bei  einem  täglichen  Verbrauch  von  drei  Tee¬ 
löffeln  voll  (==  6  g),  bei  der  eine  Originaldose  ä  100  g  =  1,80  Mk.  sech¬ 
zehn  Tage  ausreicht,  die  monatliche  Ausgabe  sich  auf  3,60  Mk.  stellt,  be¬ 
trägt  die  monatliche  Ausgabe  bei  dem  Liq.  ferri  mang,  pept.,  von  dem  sich 
250  g  durchschnittlich  auf  0,90  Mk.  stellen,  hei  täglichem  Verbrauch  von 
dreimal  ein  Eßlöffel  voll  (=  60  g)  ca.  6,50  Mk.,  während  von  dem  flüssi¬ 
gen  Hämatogen  (200  g  —  2  Mk.)  bei  derselben  Verabreichung  monatlich 
für  18  Mark  verbraucht  wird !  Berechnet  man  sich  beispielsweise  die 
Differenzen  dieser  Zahlen  für  größere  Krankenkassen  auf  ein  Jahr 
—  unter  Annahme  von  nur  hundert  Patienten  im  Monat,  denen  Eisen¬ 
präparate  ordiniert  werden,  so  kommt  man  schon  zu  ansehnlichen  Be¬ 
trägen  von  vierstelligen  Zahlen,  die  von  den  Kassen  allein  schon  an 
solchen  Mitteln  hei  Bevorzugung  von  Hämatopan  erspart  werden 
könnten. 

Alle  diese  Eigenschaften  und  Vorzüge  des  Hämatopans3),  die  sich 
in  der  Praxis  erwiesen  und  bewährt  haben,  berechtigen  zu  dem  Urteil, 
daß  wir  es  hier  mit  einem  Präparat  zu  tun  haben,  das  sowohl  in  bezug 
auf  physiologische  und  therapeutische  Wirksamkeit,  als  auch  in  öko¬ 
nomischer  Beziehung  so  leicht  von  keinem  zweiten  Präparat  ähnlicher 
Art  erreicht  oder  gar  übertroffen  wird,  und  daß  ihm  deshalb  eine 
möglichst  ausgiebige  Anwendung  und  V erbreitung  in  der  Praxis  durch¬ 
aus  zu  wünschen  ist. 

3)  Hergestellt  von  den  Sudbracker  Nährmittel  werken  von  Dr.  A.  Wolff 
in  Bielefeld. 


236  Ascher, 

Breslauer  Brief. 

Von  Dr.  Ascher. 

In  der  Sitzung  der  Schlesischen  Gesellschaft  für  vaterlän¬ 
dische  Kultur  am  Freitag  den  27.  November  1908  sprach  Professor 
Fr.  Rosenfeld  „Zur  Methodik  der  Entfettungskuren“. 

Vortr.  machte  genaue  Angaben  über  seine  als  Kartoffelkur  be¬ 
kannte  Entfettungsmethode.  Die  Dauer  derselben  erstreckt  sich  in  der 
Regel  über  mehrere  Monate.  Alan  muß  dem  Sättigungsgefühl  Rechnung 
tragen.  Er  empfiehlt  die  Zufuhr  von  vieler  nährwertsarmer  Flüssigkeit 
wie  Wasser,  Tee,  Kaffee,  leere  Brühe,  dünne  Suppen.  Im  Gegensätze 
zur  Örtelkur  empfiehlt  er  kaltes  Wasser,  weil  dasselbe  zu  seiner  Er¬ 
wärmung  die  Verbrennung  nicht  geringer  Mengen  von  Fett  verlangt. 
Voluminöse,  kalorienarme  Nahrung  ist  zu  verordnen.  In  erster  Linie 
Kartoffeln  mit  80°/0  Kalorienwert,  dann  Fleisch  mit  100°/0,  Fett  muß 
streng  verboten  werden,  weil  es  einen  Kalorienwert  von  930°/0  und 
ein  geringeres  Volumen  habe.  Aus  demselben  Grunde  ist  Alkohol  zu 
meiden.  Häufigere  kleinere  Mahlzeiten  sind  dringend  anzuraten,  da 
großer  Hunger  zu  abundanter  Nahrungsaufnahme  führt.  Der  fettzeh¬ 
rende  Einfluß  durch  Bewegung  wird  •  seiner  Meinung  nach  zu  hoch, 
die  bewirkte  Appetitsteigerung  aber  zu  niedrig  bewertet.  Deshalb 
empfiehlt  er  bei  seiner  Kur  die  Anwendung  der  Bettruhe.  Wasser-  und 
Fleischverluste  bei  Entfettungskuren  sollen  vermieden  werden. 

Menschen  von  150 — 180  cm  Länge  brauchten  in  maximo  3000 
Kalorien.  Werden  ihnen  nur  1000  Kalorien  geboten,  so  können  sie  als 
Höchstleistung  2000  Kalorien  von  ihrem  Körperfette  decken.  Zu  diesem 
Zwecke  müßten  215  gr  Fett  verbrannt  werden.  Dieses  Maximum  der 
Fettabnahme  würde  monatlich  6,5  Kilo  betragen.  Jedes  Mehr  bedeutet 
Fleisch-  und  Wasserverluste.  Je  nach  der  Zusammensetzung  des  Mast¬ 
ansatzes  korpulenter  Personen  ist  eine  Abnahme  bei  einer  Kur  zu 
erwarten.  Starke  Esser,  Nascher,  Trinker  nehmen  schnell  ab,  Leute, 
die  sich  durch  Fettnahrung  ihr  Fett  erworben  haben,  bedeutend  lang¬ 
samer.  Die  Anwendung  der  Kur  in  zweckmäßiger  Form  erregt  keinerlei 
Nervosität,  auch  quälender  Hunger  und  Muskelarbeit  fallen  fort. 

Wo  ein  über  die  Norm  gesteigertes  Körpergewicht  —  nach  der 
Länge  bestimmt  —  vorliegt,  ist  eine  Entfettungskur  angezeigt.  Kontra¬ 
indikationen  sind  Tumoren,  Phtise,  melancholische  Depression.  Bei 
Herzleiden,  Bronchitis,  Nephritis  ist  die  Kur  besonders  zu  empfehlen. 
Bei  Hydropsie  mit  Flüssigkeitsbeschränkung  auf  zwei  Liter.  Die  Kur 
zeichnet  sich  besonders  durch  ihre  Dauerresultate  aus. 

In  der  Sitzung,  die  am  4.  Dezember  1908  stattfand,  behandelte 
Prof.  Uhthoff  zunächst  das  Thema:  Katarakt-Operationen  bei 
Diabetikern. 

Vortragender  gibt  eine  Übersicht  über  120  von  ihm  operierte 
Fälle.  Die  Höchstzahl  der  bis  jetzt  veröffentlichen  Statistiken  betrifft 
32  Fälle.  Auf  Grund  seiner  Beobachtungen  ist  er  zu  folgenden  Er¬ 
fahrungen  gekommen. 

5  °/0  aller  Kataraktoperationen  sind  auf  diabetes  zurückzuführen, 

0,12  °/0  aller  Augenkrankheiten  betreffen  diabetische  Katarakt. 

Als  Komplikationen  bei  seinen  Operationen  sind  aufgetreten : 

6  °/0  schwere  Iritiden, 

5  „  leichtere  Formen, 

1,5  °/0  Glaukom, 

1,8  „  leichtere  Drucksteigerungen. 


Breslauer  Brief. 


237 


Komplikationen  bei  Diabetes  wie  z.  B.  die  Gangrän  eines  Beines 
bieten  im  allgemeinen  keine  Kontraindikation  für  die  Operation.  Auch 
ist  ein  Wechsel  in  der  Ernährung,  um  eine  Entzuckerung  herbeizuführen, 
vor  der  Operation  nicht  zu  empfehlen. 

Die  Ermittelung  der  Sehschärfe  ergab  folgende  Zahlen : 
in  68  °/0  gutes  Sehvermögen  bis  auf  1/3 
in  18  „  mäßiges  „  „  „  1j10 

in  14  „  schlechtes  „  unter  1/10 

Die  Operation  ist  die  gewöhnliche  Kataraktoperation.  Er  ver¬ 
zichtet  ganz  auf  die  Iridektomie.  Bei  runder  Pupille  wird  Eserin 
eingeträufelt.  Die  Anwendung  des  Eserins  hält  er  für  einen  Fort- 
sehritt.  Komplikationen  nach  der  Operation  sind  die  leichten  Infek¬ 
tionsmöglichkeiten  bei  Diabetikern.  Dieselben  sind  meistenteils  ekto- 
gener  Natur.  Ferner  sind  Blutungen  zu  erwähnen.  Seine  Statistik 
weist  9°/0  Blutungen  in  die  vordere  Kammer,  4,5  °/0  Blutungen  in 
die  Netzhaut  auf.  Bei  Restitutionshindernissen  der  vorderen  Kammer 
ist  rechtzeitige  Massage  am  Platze.  Bei  Narkose  soll  man  stets  Äther 
an  wenden. 

In  der  Diskussion  betonte  Land  mann,  daß  nach  seiner  Ansicht 
eine  Kur  zur  Verminderung  des  Zuckergehaltes  vor  der  Operation 
am  Platze  sei. 

Jungmann  empfahl  die  Iridektomie  vorauszuschicken. 

Uhthoff  gesteht  im  Schlußwort  in  gewissen  Fällen  eine  anti¬ 
diabetische  Kur  zu.  Bei  der  vorausgeschickten  Iridektomie  ist  eine 
größere  Infektionsmöglichkeit  vorhanden. 

Im  Anschluß  daran  sprach  Dr.  Cohen  über  die  „Phlyktaene 
bei  Erwachsenen,  besonders  in  ihrer  Beziehung  zur  Tuber¬ 
kulose“.  Er  kommt  auf  Grund  einer  genauen  Statistik  zu  folgenden 
Feststellungen : 

Die  Phlyktaene  tritt  bei  Erwachsenen  unter  Bevorzugung  des 
weiblichen  Geschlechtes  in  jüngeren  und  mittleren  Jahren  fast  völlig 
unabhängig  von  der  ekzematösen  Phlyktaene  des  Kindesalters  auf. 
Das  Auftreten  bei  Erwachsenen  erscheint  geeignet,  die  Aufmerksam¬ 
keit  des  Arztes  auf  eine  beginnende  Tuberkulose  zu  lenken.  63,4°/0 
der  beobachteten  Fälle  von  Phlyktaenen  bei  Erwachsenen  bieten  zu¬ 
verlässige  Anhaltspunkte  für  Tuberkulose. 

In  der  Sitzung  vom  10.  Dezember  1908  fanden  zunächst  eine 
Reihe  von  Demonstrationen  statt. 

v.  Strümpell  zeigte  ein  Kind  im  Alter  von  acht  Monaten  mit 
starkem  Hydrocephalus.  Keine  Lähmungserscheinungen,  aber  beiderseits 
Opticusatrophie. 

Zieler  demonstriert  1.  einen  Mann  mit  chronischem  Malleus  der 
Oberlippe  und  Nase.  Infektionsübertragung  durch  ein  Pferd.  Die 
Diagnose  ist  durch  Tierversuche  und  Hautimpfung  mit  Mallein  be¬ 
wiesen. 

Therapie :  Röntgenbestrahlung. 

2.  Einen  Fall  von  multiplen  Tumoren  der  Haut.  Seit  Jahren 
bestehend  ohne  Beschwerden  zu  machen. 

Diagnose:  Unbekannt. 

Goebel  sprach  dann  1.  über  „Periostitis  humeri  mit  Paresis 
nervi  radialis. 

Patient  ist  wegen  Schmerzen  im  Oberarm  auf  Rheumatismus 
behandelt  worden,  bis  sich  deutliche  Periostitis  ossificans  einstellte. 


238 


Ascher,  Breslauer  Brief. 


Mittels  Operation  ist  eine  Knochenlamelle  ans  dem  Arm  entfernt 
worden.  Danach  Verschwinden  einer  früheren  Parese  der  Armnerven 
bis  auf  geringe  Hyperästhesie.  Jetzt  erst  stellte  sich  heraus,  daß  Patient 
vor  vier  J ahren  einen  Hufschlag  bekommen  hatte,  der  als  das  aus¬ 
lösende  Moment  aller  Erscheinungen  anzusprechen  ist. 

2.  Drei  Fälle  von  Aktinomykosis.  In  allen  Fällen  war  die  Dia¬ 
gnose  sehr  schwer  zu  stellen.  Mit  Mühe  hat  man  vereinzelt  kleine 
Drusen  nachweisen  können.  Zweimal  ist  es  gelungen,  die  ganze  Ge¬ 
schwulst  zu  entfernen,  der  dritte  Fall  mußte  öfter  operativ  ange¬ 
griffen  werden.  Jodkali  innerlich.  Das  von  anderer  Seite  empfohlene 
Natr.  cacodylicum  hat  Vortragender  nicht  versucht. 

3.  Ein  Fall  von  Milzruptur.  14 jähriger  Junge  ist  vier  Meter 
tief  auf  einen  Balken  gestürzt.  Die  20  Stunden  später  vorgenommene 
Laparatomie  ließ  einen  Längsriß  in  der  Milz  erkennen.  Exstirpation ! 
Heilung  per  primam.  Vortragender  hält  dieses  für  die  zweckmäßigste 
Operation,  Tamponade  und  Naht  hätten  keine  sicheren  Erfolge. 

In  der  Diskussion  erklärte  sich  Danielsen  als  Gegner  der 
Splenektomie.  Die  Milz  habe  wichtige  Funktionen.  Bei  genügender 
Freilegung  sei  die  Unterbindung  und  Naht  gut  ausführbar.  Besondere 
Schwierigkeiten  böte  die  Naht  der  Kapsel,  aber  mit  feiner  Nadel  und 
feiner  Seide  seien  die  Schwierigkeiten  zu  überwinden. 

Dann  hielt  Geh. -Bat  Tietze  seinen  Vortrag  über  „Versuche 
zur  Transplantation  lebender  Gef äßstüoke  auf  andere  Hohl¬ 
organe  des  Körpers“. 

Angeregt  durch  die  vorzüglich  gelungene  Organ-Transplantation 
von  Stich  hat  er  am  Ductus  choledochus  oder  am  Ureter  Gefä߬ 

stücke  eingenäht.  Die  Hunde  sind  anfangs  an  Peritonitis  oder  Sepsis 
zugrunde  gegangen. 

Bei  späteren  Versuchen  blieben  sie  am  Leben.  Die  Sektion 
ergab,  daß  das  eingenähte  Gefäßstück  mikroskopisch  nicht  mehr 
nachzuweisen  war ;  an  der  Operationsstelle  war  immer  eine  starke 

Stenose  bemerkbar.  Die  Versuche  sind  mißglückt,  von  der  Operation 

beim  Menschen  hat  er  Abstand  nehmen  müssen.  Er  gibt  die  Ver¬ 

suche  nicht  auf ;  bei  fortgeschrittener  Technik  ist  ein  Erfolg  in  diesem 
Sinne  nicht  undenkbar. 

In  der  Diskussion  berichtet  Coenen  über  einige  Versuche  aus 
der  königlichen  Universitätsklinik.  Es  ist  Aorta  und  Vena  cava  mit¬ 
einander  vertauscht  und  vernäht  worden,  um  zu  sehen,  ob  der  Blut¬ 
strom  in  umgekehrter  Bichtun  g  erfolgen  würde.  Der  Erfolg  war  nega¬ 
tiv.  Es  ist  Lähmung  der  unteren  Extremitäten  und  dann  der  Tod 
eingetreten.  Gleich  negativ  war  der  Erfolg  bei  Umschaltung  der  Carotis 
mit  der  Vena  jugularis,  Arteria  und  Vena  renalis. 

Eraenkel  deutet  darauf  hin,  daß  die  Gefäßwände  bindegewebiger 
Natur  seien,  der  Urether  aber  epithelialen  Charakter  habe.  Es  sei 
zu  empfehlen,  epithelisierte  Hohlorgane  zu  diesen  Versuchen  zu  benützen. 

Goebel  erwähnt,  man  könne  mit  Katgutfäden  die  Lumina  gut 
zusammenbringen. 

Tietze  stimmt  den  Ausführungen  FraienkeFs  zu,  er  hat  aber 
gerade  das  V erpflanzen  von  Gefäßstücken  bewirken  wollen. 


Vorläufige  Mitteilungen  und  Autoreferate. 


239 


Vorläufige  Mitteilungen  u.  Autoreferate. 

Über  den  Stand  der  Lokalisationslehre  für  einige  Gebiete  der  Gehirnrinde. 

Von  Dr.  Völsch. 

Nach  einem  Vortrag  in  der  medizinischen  Gesellschaft  zu  Magdeburg,  28.  Jan.  09. 

Nach  kurzer  Skizzierung  der  allgemeinen  Anschauungen  Munks, 
Flechsig’s  und  v.  Monakow’s  als  der  Vertreter  dreier  verschiedener 
Eichtungen  bespricht  Vortr.  die  Ausdehnung  der  Sehsphäre,  sowie  die 
Frage  der  Eetinaprojektion  auf  die  Einde,  die  ihm  nach  den  Arbeiten 
Henschen’s  u.  a,  nahezu  erwiesen  scheint.  An.  einem  Schema  erörtert 
V ortr.  das  Zustandekommen  der  kortikalen,  homonymen  bilateralen 
Hemianopsie  und  behandelt  die  Differentialdiagnose  mit  den  Tractus- 
hemianopsien.  Für  die  Erklärung  des  relativen  Freibleibens  der  Makula 
bei  ein-  und  doppelseitigen  kortikalen  Hemianopsien  scheint  ihm  die  An¬ 
nahme  v.  Monakow’s  von  der  nicht  inselförmigen,  sondern  diffusen  Endi¬ 
gung  der  den  Makulafasern  sich  anschließenden  Sehstrahlungsfasern  in 
der  Einde  bei  weitem  die  plausibelste.  Der  [doppelseitige  Gesichtsfeldver¬ 
lust  im  Vereine  mit  der  Störung  des  'zentralen  Sehens  sind  ein  (vielleicht 
subkortikaler)  Bestandteil  des  für  doppelseitige  Occipitaiherde  charak¬ 
teristischen  Symptomenkonrplexes,  der  Seelen-  bezw.  Eindenblindheit. 
Dazu  kommt  (als  kortikaler  Prozeß)  die  Unterbrechung  der  assoziativen 
Verbindungen  zwischen  den  Endstätten  der  optischen  und  der  die  Augen¬ 
muskelempfindungen  leitenden  Nerven,  sowie  endlich  (als  transkortikales 
Moment)  die  Leitungsstörung  nach  den  übrigen  Teilen  des  Großhirns. 
So  erklären  sich  die  räumliche  Desorientierung,  die  Identifikationstörung 
und  die  sonstigen  psychischen  Lücken  bei  dem  Seelenblinden.  V. 
schließt  sich  dabei  in  allem  Wesentlichen  an  v.  Monakow  an.  — 
In  dem  der  Fühlsphäre  entsprechenden  Areal  glaubt  er  dagegen  auf 
Grund  der  experimentellen  Ergebnisse  der  Autoren,  der  anatomischen 
Verhältnisse  und  der  Kasuistik  die  Grenzen  zwischen  der  „motorischen“ 
und  der  „sensiblen“  Eegion  schärfer  ziehen  zu  sollen,  als  v.  M.  es  tut. 
Die  er stere  scheint  ihm  beim  Menschen  auf  die  vordere  Zentral windung 
beschränkt  zu  sein.  Die  Lage  der  „Zentren“  der  einzelnen  Körperteile 
wird  kurz  angegeben,  die  von  den  Fozis  aus  zu  erzielenden  Bewegungsfor¬ 
men  werden  erörtert.  Die  beim  Tierexperiment  so  wichtige  Scheidung  in 
Bewegungsarten  (höhere  Eeflexe,  Gemeinschafts-  und  isolierte  Bewe¬ 
gungen)  tritt  in  der  menschlichen  Pathologie,  soweit  es  sich  um  umschrie¬ 
bene  Pferde  handelt,  etwas  zurück  hinter  der  Tatsache,  daß  sich  bei  sol¬ 
chen  Herden  wohl  stets  auch  eine  Schwäche  für  alle  Bewegungen,  eine 
Parese  einstelle,  teils  aus  Gründen  der  phylogenetischen  Funktionsent¬ 
wicklung  des  Gehirns,  teils  vielleicht  wegen  des  frühen  Übergreifens 
dieser  Prozesse  auf  die  Projektionsfaserung.  Die  gekreuzte  spastische 
Monoparese  und  die  auf  einen  Körperabschnitt  beschränkten  Krampfzu¬ 
stände  seien  die  Charakteristika  der  Läsion  der  motorischen  Eegion ;  beide 
könnten  sich  mit  dem  Fortschreiten  des  Prozesses  gemäß  der  Lage  der 
„Zentren“  ausbreiten,  die  Krämpfe  zur  Jackson’ sehen  Epilepsie  sich 
entwickeln.  Vielleicht  könne  als  drittes  eine  relative  Intaktheit  der 
Sensibilität  bei  Herden,  die  sich  auf  die  vordere  Zentralwindung  be¬ 
schränken,  postuliert  werden.  Gewisse  isolierte  Sensibilitätsstörungen 
will  Vortr.  vielmehr  auf  den  hintern  Teil  der  Fühlsphäre,  die  hintere 
Zentralwindung,  die  Parietalwindungen  beziehen ;  er  bespricht  das 
Wesen  des  Muskelsinns  und  hält  das  typische  Lokalsymptom  dieser 


240 


Vorläufige  Mitteilungen  und  Autoreferate. 


Gegend,  die  Stereoagnosie,  für  eine  Störung  der  höheren  assoziativen 
Verknüpfungen  der  durch  diesen  Sinn  übermittelten  Eindrücke.  Eine 
distinktere  Lokalisation  der  Stereoagnosie  hält  er  z.  Zt.  für  nicht 
angängig.  - —  Für  den  Gyrus  angularis  kommen  räumliche  Orien¬ 
tierungsstörungen  infolge  Verlegung  der  Endstätten  kinästhetischer 
Augenmuskelhahnen  und  konjugierte  Blicklähmung  nach  der  kontra¬ 
lateralen  Seite,  resp.  bei  doppelseitigen  Herden  die  Pseudoophthalmo¬ 
plegie  Wernicke’s  in  Frage.  Bei  tiefer  greifenden  Herden  können 
die  dem  Hinterhorn  entlang  ziehenden  longitudinalen  Faserstränge,  die 
Sehstrahlungen  und  der  Fascic.  long.  inf.  geschädigt  und  damit  homo¬ 
nyme  Hemianopsie  und  (bei  linksseitigem  Sitz)  Alexie  und  optische 
Aphasie  hervorgerufen  werden.  —  Überall  sind  natürlich  eventuelle 
Nachbarschaftssymptome  bei  der  Diagnose  zu  berücksichtigen. 

Autoreferat. 


Über  Phonasthenie  der  Sänger. 

Von  Dr.  R.  Imhofer. 

(Vortrag  gehalten  im  Vereine  deutscher  Ärzte  in  Prag  am  8.  Januar  1909.) 

Von  dieser  zuerst  1906  von  Th.  Flatau  beschriebenen  Erkrankung 
der  Sänger,  Berufsredner,  Lehrer  usw.  hat  I.  32  Fälle  beobachtet  und 
macht  auf  die  große  soziale  Bedeutung  dieser  Affektion  aufmerksam. 
Er  definiert  die  Phonasthenie  als  eine  Erkrankung  darin  bestehend, 
daß  das  Prinzip  des  kleinsten  Kraftausmaßes  beim  Singen  durch¬ 
brochen  wird.  Demnach  kommen  ätiologisch  zwei  Faktoren  in  Betracht. 
1.  Daß  a  priori  zur  Produktion  eines  bestimmten  Tones  mehr  Kraft 
verwendet  wird  als  dem  nötigen  Minimum  entspricht.  (Falsche  Schulung 
in  verschiedener  Art.)  2.  Daß  die  Stimmbandmuskulatur  infolge  debi- 
litierender  Einflüsse  einem  bestimmten  Impulse  nicht  im  gewohnten 
Maße  gehorcht.  (Anämie  usw.)  Der  rhinolaryngologische  Befund  kann 
bei  dieser  Erkrankung  ganz  negativ  sein  und  V ortr.  betont  bei 
dieser  Gelegenheit  die  unbedingte  Notwendigkeit  bei  zufällig  sich 
ergebenden  pathologischen  Befunden  in  Nase  und  Nasenrachenraum 
und  Larynx  erst  den  strikten  Nachweis  zu  führen,  daß  diese  Verände¬ 
rungen  auch  wirklich  die  Ursache  der  Stimmstörung  seien,  bevor 
man  an  irgendwelche  besonders  operative  Behandlung  derselben  her¬ 
angeht. 

Gewisse  Beziehungen  zur  Phonasthenie  scheinen  V ortragendem 
zwei  Befunde  zu  haben,  die  er  zuweilen  im  Larynx  solcher  Patienten 
erheben  konnte,  nämlich  kleine  Unebenheiten  der  Stimmbandränder, 
die  öfter  zur  Verwechslung  mit  Sängerknötchen  Veranlassung  gaben, 
und  eine  zirkumskripte  Rötung  am  freien  Rande  nach  dem  Singen, 
die  auf  falschen  Ansatz  deutet.  Die  Phonasthenie,  betont  Vortragender, 
ist  ein  scharf  abgegrenztes  klinisches  Bild  mit  genauem  objektiven 
Befund  und  nur  auf  diesen  darf  die  Diagnose  aufgebaut  werden.  Dieser 
Befund  ergibt  sich  bei  der  akustischen  Untersuchung  der  Stimme  eines 
solchen  Patienten.  Bei  der  Prüfung  der  Tonleiter  findet  man  an  bestimm¬ 
ten  Stellen,  gewöhnlich  den  sog.  Übergangstönen  entsprechend,  Defekte, 
die  sich  bald  in  Detonieren,  bald  in  einem  ganz  eigentümlichen  rauhen 
Beiklang  des  Tones  äußern,  der  so  typisch  ist,  daß  man  ihn  nur  einmal 
gehört  zu  haben  braucht,  um  ihn  nicht  mehr  zu  verkennen.  Bei  Fort¬ 
schreiten  des  Leidens  dehnt  sich  dieser  Tondefekt  über  einen  immer 
größeren  Bereich  des  Stimmumfanges  aus,  bis  es  endlich  zum  völligen 


Vorläufige  Mitteilungen  und  Autoreferate.  241 

.Ruin  der  Stimme  kommt.  Man  ist  nun  imstande,  durch  verschiedene 
von  Flat  au  angegebene  Methoden  (sog.  Ausgleichsmethoden)  diesen 
Defekt  zum  Schwinden  zu  bringen.  Von  diesen  verwendet  I.  fast  aus¬ 
schließlich  den  elektrischen  Ausgleich,  d.  h.  Durchleiten  eines  faradischen 
Stromes  durch  den  Larynx  im  Momente  der  Intonation,  wodurch  der 
Ton  rein  wird.  Mit  diesem  diagnostischen  Ausgleiche  ist  auch  der 
Therapie  der  Weg  vorgezeichnet.  Man  kann  auf  diesem  Wege  die  Ton¬ 
defekte  beseitigen  und  unter  späterer  Abschwächung  endlich  gänzlicher 
Weglassung  des  elektrischen  Stromes  eine  reine  Intonation  erzielen. 
Allerdings  sind  hierzu  eine  Reihe  von  technischen  Kunstgriffen  er¬ 
forderlich,  von  denen  I.  nur  einen  nennt,  nämlich  daß  man  nie  von 
einem  kranken  Ton,  sondern  immer  von  einem  gesunden  oder,  sozusagen, 
bereits  genesenen  Tone  aus  und  von  diesem  an  den  kranken  Ton  sukzes¬ 
sive  herangeht.  Die  Durchschnittsdauer  der  Behandlung  beträgt  zirka 
sechs  Wochen.  Neben  dieser  mehr  chronischen  Form  unterscheidet 
Vortr.  noch  eine  akute,  bei  welcher  der  ganze  Symptomenkomplex  auf 
wenige  Tage  zusammengedrängt  erscheint ;  dieselbe  kommt  durch  Über¬ 
anstrengung  der  Stimme  zustande.  Auch  von  dieser  Gruppe  wird  ein 
einschlägiger  Fall  ausführlich  erörtert.  Diese  akute  bisher  noch  nicht 
beschriebene  Phonasthenie  bedarf  ebenfalls  einer  Behandlung,  da  sie  sich 
selbst  überlassen,  auch  bei  Ruhe  nicht  zur  Heilung  gelangt.  Vor¬ 
tragender  schließt  seine  Ausführungen  mit  der  Mahnung,  sich  bei  Sing¬ 
stimmenerkrankungen  nicht  mit  der  rhinolaryngologischen  Diagnose 
und  Behandlung  zu  begnügen,  sondern  auf  das  Wesen  der  Störung  ein¬ 
zugehen,  dann  werde  einerseits  die  Polypragmasie  auf  diesem  Gebiete, 
anderseits  auch  das  Mißtrauen  der  Sänger  und  Gesangslehrer  gegen¬ 
über  der  laryngologischen  Behandlung  schwinden.  Autoreferat. 


(3.  Internationaler  Kongreß  für  Irrenpflege.  Wien,  Oktober  1908.) 

Referat  über  die  Fürsorge  und  Unterbringung  von  Geistesschwachen, 
Epileptischen  und  geistig  Minderwertigen. 

Von  Privatdozent  Dr.  H.  Vogt,  Nervenarzt  und  Abteilungsvorsteher  am  neurol. 

Institut  in  Frankfurt  a.  M. 

Alle  modernen  Fragen  über  die  Erziehung  und  den  Unterricht 
der  Kinder,  die  gesetzgeberischen  Erörterungen  über  die  Behandlung 
Jugendlicher,  die  Fürsorgebestrebungen  auf  diesem  Gebiete  nach  allen 
Richtungen,  sind  im  letzten  Grunde  Fragen  nach  der  Psychologie  und 
der  Psychopathologie  des  Kindesalters.  Die  psychiatrische  Tätigkeit 
auf  diesem  Gebiete  berührt  sich  eng  mit  erzieherischen,  sozialtheore¬ 
tischen,  gesetzgeberischen  Fragen.  Nur  in  der  gemeinsamen  Arbeit 
dieser  Kreise  kann  die  vielseitige  und  schwierige  Frage  ihrer  Lösung 
entgegengeführt  werden.  Die  Aufgabe  ist  daher  keine  rein  medizinisch¬ 
psychiatrische  oder  pädagogische  usw.,  sondern  sie  ist  nach  Umfang 
wie  nach  Inhalt  ein  soziales*  Problem;  freilich  ein  Problem  mit 
psychiatrischen  Fragestellungen. 

Die  Aufgabe  ist,  faßt  man  sie  als  eine  soziale  auf,  umfassend 
und  vielseitig.  Die  fürsorgerische  Tätigkeit  —  wie  sie  in  der 
Frankfurter  Zentrale  für  private  Fürsorge  organisiert  ist  —  hat  hier 
ein  reiches  Feld.  Alle  Bestrebungen,  die  auf  eine  Verbesserung  der 
Rassen-  und  Volkshygiene  hinauslaufen,  wirken  hier  insofern  herein, 
als  sie  in  jener  Tätigkeit  den  endogenen  Momenten  entgegenarbeiten. 
In  der  direkten  Betätigung  bekämpft  die  soziale  Fürsorge  die  schlechten 


242 


Referate  und  Besprechungen. 


Lebens-  und  Milieuverhältnisse,  die  Wohnungs-  und  Nahrungsnot  un¬ 
ehelicher  und  verwahrloster  Kinder.  Die  Ausdehnung  der  Berufs- 
vormundschaft  bildet  einen  Teil  der  organisierten  Kinderfürsorge.  Die 
gesetzgeberischen  Aufgaben  treten  in  der  Einrichtung  und  Ge¬ 
staltung  der  Jugendgerichtshöf e,  in  der  strafrechtlichen  Behandlung 
Jugendlicher  usw.  zutage.  Die  Erfahrungen  mit  dein  Eürsorgeerzie- 
hungsgesetz  lassen  erkennen,  daß  nicht  wenige  Fälle  eine  krankhafte 
geistige  Entwicklung  zeigen :  bei  Einleitung  wie  bei  Ausführung  der 
Fürsorgeerziehung  ist  daher  eine  psychiatrische  Mitberatung  zu  er¬ 
streben.  Nach  der  unterrichtlichen  Seite  leistet  die  Hilfsschule  einen 
großen  Teil  positiver  Fürsorgearbeit.  Die  Unterweisung  der  geistig 
defekten  Jugend  muß  vor  allem  das  praktische  Moment  der  Ausbildung 
betonen.  Brennende  Fragen  der  Hilfsschulorganisation  sind  die  Ein¬ 
richtung  von  Tagesinternaten  und  die  Fürsorge  für  entlassene  Hilfs¬ 
schüler.  Die  Militärdienstfrage  der  Hilfsschüler  hat  durch  Min.  Erl. 
1907  eine  erfreuliche  Regelung  erfahren.  Die  Anstalten  haben  eine 
ärztlich-psychiatrische  und  erziehliche  Aufgabe.  Sie  müssen  auf  der 
Grundlage  der  Krankenanstalten  gebaut  sein  und  bedürfen  der  Ein¬ 
richtung  von  Schul-  und  Handfertigkeitsbetrieben.  Die  Anstaltsver-, 
sorgung  Geistesschwacher,  Epileptiker  usw.  bildet  einen  Teil  der  Irren¬ 
fürsorge  und  ist  dem  Wirkungsbereich  des  psychiatrisch  gebildeten 
Arztes  zu  unterstellen.  Geistig  abnorme  Eürsorgezöglinge  sind  gleich¬ 
falls  dem  Arzte  zu  überantworten.  Eine  ganz  besondere  Bedeutung 
in  der  Schwachsinnigenfürsorge  besitzt  die  Familien  pflege.  Sie  eignet 
sich  ebenso  zur  dauernden  Unterbringung  Geistesschwacher  wie  zum 
Übergänge  von  Schule  und  Anstalt  ins  Leben  (Arbeitslehrkolonie): 
Uchtspringe  ist  hier  vorbildlich. 

Die  ganze  Fürsorgefrage  hat  einmal  den  Gedanken:  Schutz  der 
Schwachen !  Aber  auch  der  Gesichtspunkt :  Schutz  vor  den  Schwachen 
kommt  bei  den  antisozialen  Neigungen  vieler  dieser  Zustände,  ihrem 
ausgeprägtem  Triebleben,  ihren  ethischen  Defekten  in  Betracht.  In 
der  praktischen  Ausbildung  der  Geistesschwachen  steckt  ein  therapeu¬ 
tisches,  erzieherisches  und  wirtschaftliches  Moment.  Der  psychiatrische 
Arzt  ist  —  soweit  die  Angelegenheit  nicht  ganz  in  sein  Bereich  gehört 
—  zur  praktischen  Mitarbeit  im  Interesse  des  Ganzen  an  erster  Stelle 
berufen.  Autoreferat. 


Referate  und  Besprechungen. 

Innere  Medizin. 

Die  natürlichen  Grenzen  der  Wirksamkeit  einer  Heilserum-Behandlung 
bei  der  Diphtheria  faucium  und  ihre  notwendige  Ergänzung  durch  be¬ 
stimmte  lokale  Maßnahmen. 

(G.  Krönig.  Therapie  der  Gegenwart,  Nr.  7,  1908.) 

Aus  dem  Aufsatze,  mit  dessen  theoretischen  Auseinandersetzungen  nicht 
jeder  einverstanden  sein  wird,  sei  als  von  praktischem  Werte  hervorgehoben, 
daß  Krönig  prall  gespannte  diphtheritische  Infiltrate  spaltet.  Die  Blutung 
ist  meist  gering  und  wird  durch  warme  Umschläge  und  Spülungen  zu 
unterhalten  gesucht.  Subjektive  Erleichterung  und  Fieber abf all  pflegen  zu 
folgen,  Gangrän  tritt  nicht  ein;  hatte  sie  freilich  schon  vor  der  Spaltung 
begonnen,  so  pflegte  diese  den  Tod  an  Sepsis  nicht  aufzuhalten. 

F.  von  den  Velden. 


Referate  und  Besprechungen. 


248 


Heilwirkung  des  Diphtherie-Serums  bei  ausgedehnten  Lähmungen. 

(E.  Schneider  u.  L.  A.  Vandeuvre.  Progr.  med.,  Nr.  85,  S.  421 — 424,  1908.) 

Bei  zwei  Soldaten  hatten  sich  im  Anschluß  an  Diphtherie  totale  Para¬ 
lysen  mit  Gaumensegellähmung,  Lähmung  der  Konstriktoren  des  Schlundes, 
Atrophieen,  aufgehobenen  Reflexen  usw.  entwickelt;  die  Bilder  erinnerten  an 
weit  fortgeschrittene  Tabes.  Durch  tägliche  Einverleibung  von  40,  später 
20  ccm  Diphtherie-Serums  vom  Institut  Pasteur  gelang  es,  schon  binnen  8  Tagen 
die  Rekonvaleszenz  einzuleiten;  im  ganzen  wurden  jedem  100  ccm  Serum 
inkorporiert. 

Irgendwelche  üble  Neben-  oder  Nachwirkungen  wurden  nicht  beobachtet; 
ev.  könnte  man  Chlorkalzium  geben. 

Die  Autoren  sind  von  der  Heilwirkung  des  Serums  fest  überzeugt. 

Vielleicht  ließe  sich  diese  Therapie  auch  bei  anderen  als  diphtheritischen 
Polyneuritiden  anwenden.  Buttersack  (Berlin). 


Über  die  Behandlung  des  Milzbrandes. 

(Otto  Schwab.  Med.  Klinik,  Nr.  8,  1908.) 

Schwab  stellt  aus  der  Literatur  der  letzten  Jahre  die  Publikationen 
über  Milzbrandtherapie  mit  kurzer  Skizzierung  des  Inhalts  der  betr.  Arbeiten 
zusammen  und  berichtet  über  8  eigene  Eälle,  die  alle  unter  einer  konservativen 
Behandlung,  Umschlägen  mit  Sublimat  oder  essigsaurer  Tonerde,  zur  Heilung 
kamen  und  zum  Teil  keineswegs  leichte  Infektionen  darstellten.  Schwab 
rät  von  jeder  aktiven  chirurgischen  Behandlung  der  Milzbrandpustel  ab, 
will  auch  von  Karbolinjektionen  wegen  der  Vergiftungsgefahr  nichts  wissen, 
höchstens  empfiehlt  er  noch  die  Anwendung  von  Serum,  die  sich  in  einem 
seiner  Fälle,  —  der  einzige  damit  außer  Umschlägen  behandelte  ’ —  gut 
bewährte  und  unter  Eintreten  der  charakteristischen  Reaktion  —  Tempe¬ 
ratursteigerung  nach  der  Injektion  und  darauf  folgender  Abfall  bis  zur 
Norm,  welch’  letzterer  zugleich  ein  prognostisch  günstiges  Zeichen  ist  — 
sich  erfolgreich  erwies.  R.  Stüve  Osnabrück).  ' 


Der  gegenwärtige  Stand  der  experimentellen  Arterien-Krankheiten. 

(Dr.  L.  Adler,  Neuyork.  The  americ.  journ.  of  the  med.  scienc,  August  1908, 

S.  241—255.) 

Die  Arteriosklerose  oder  besser  die  Atherosklerose  —  so  ungefähr  re¬ 
sümierte  sich  Dr.  A.  im  März  v.  Js.  nach  einem  Vortrag  vor  der  New- 
Yorker  medizinischen  Akademie  — -  folgt  dem  physiologischen  Entwicklungs¬ 
und  Wachstumsprozeß  sowie  dem  Altern  des  Gefäßsystems  nach  denselben 
Gesetzen  wie  diese.  Arteriosklerose  als  Krankheit  ist  nichts  als  ein  der 
Zeit,  Ausdehnung  und  Intensität  nach  verfrühtes  Eintreten  eines  physiolo¬ 
gischen  Seniums.  Physiologisch  ist  sie  eine  Verminderung  oder  ein  Ver¬ 
lust  der  Elastizität  und  funktionellen  Anpassungsfähigkeit  der  Gefäßwände, 
pathologisch  ein  Degenerationsprozeß  der  elastischen  und  muskulären  Ele¬ 
mente  dieser  mit  konsekutiver  und  reparativer  Hyperplasie  und  Hyper¬ 
trophie  hauptsächlich  der  bindegewebigen  Elemente,  oft  auch  mit  Neigung 
zur  Verkalkung  und  Ulzeration.  Die  ätiologischen  Faktoren,  die  ihr  früheres 
oder  späteres  Eintreten,  ihre  Ausdehnung,  ihre  Lokalisation  usw.  bestimmen, 
sind  mannigfach,  Heredität  und  physische  Überanstrengung  („Abnutzung“) 
spielen  sicher  eine  Rolle,  wahrscheinlich  kommen  jedoch  auch  bakterielle 
und  andere  Infektionen  und  Intoxikationen  sowohl  mit  organischen  als  an¬ 
organischen  Giften  in  Betracht.  Atherosklerose  ist  daher  als  eine  klinische 
Einheit  aufzufassen,  deren  verschiedene  Typen  alle  eine  gemeinsame  Ur¬ 
sache  haben.  Von  diesem  Gesichtspunkte  aus  betrachtet,  zielen  alle  neueren 
Experimente  mit  Adrenalin,  Nikotin  usw.,  direkt  auf  Arteriosklerose  ab,  inso¬ 
fern  sic  den  Einfluß  verschiedener  Toxine  auf  die  Entstehung  von  Arte- 

16* 


244 


Referate  und  Besprechungen. 


riosklerose  beim  Kaninchen-  zu  beweisen  scheinen.  Sie  scheinen  aber  auch 
zu  beweisen,  daß  Toxine  verschiedener  Art,  verschiedengeartete  histologische 
Läsionen  zu  erzeugen  vermögen.  Immerhin  zwinge  die  Unsicherheit,  die 
jeder  Experimentation  anhaftet,  noch  zu  einem  vorsichtigen  Urteil.  Zu  er¬ 
warten  ist,  daß  das  Studium  der  spontanen  Arteriosklerose  besonders  bei 
Carnivoren ,  und  zwar  sowohl  wilder  als  zahmer,  ihr  Vergleich  mit  der 
menschlichen  Arteriosklerose  und  fortgesetzte  Experimentation  mit  bakte¬ 
rieller  Infektion  und  anderen  Giften  besonders  am  Kaninchen  noch  mehr 
Licht  in  die  Sache  bringen  wird.  Peltzer. 


Beitrag  zur  Kenntnis  der  Wurmkrankheit  der  Bergleute. 

(Ernst  Brandenburg.  Med.  Klinik,  Nr.  10,  1908.) 

Brandenburg  fand  unter  1300  mit  Ankylostomum  behafteten  Wurm¬ 
kranken  nicht  einen  einzigen,  der  von  seinen  Parasiten  Beschwerden  hatte ; 
die  Diagnose  der  Anwesenheit  des  Parasiten  ist  allein  durch  die  mikrosko¬ 
pische  Untersuchung  des  Stuhles  möglich.  Schwere  Anämien  hat  Br.  ebenfalls 
nicht  beobachtet,  nur  leichtere  Grade  von  Anämie  (Hämoglobingehalt  nach 
Sahli  von  90 — 57°  herab)  vorwiegend  bei  solchen  ,, Wurmkranken“,  die  zum 
ersten  Male  infiziert  waren;  mit  der  Häufigkeit  der  Wieder-Infektion  nahm 
die  Neigung  zu  Anämie  bei  den  Wurmbehafteten  ab.  Als  Ursache  der  Anämie 
ist  weniger  eine  Blutsaugung  der  Würmer,  als  vielmehr  eine  Giftwirkung 
der  Tiere  wahrscheinlich.  —  Zur  Abtreibung  der  Würmer  ist  Extract.  filic.  das 
souveräne  Mittel,  alle  anderen  Mittel,  insbesondere  auch  Tymol,  waren  von 
unsicherer  Wirkung.  Trotzdem  Brandenburg  von  dem  Eilixextrakt  an  zwei 
aufeinander  folgenden  Tagen  je  10  g  nüchtern  gab,  —  kleine  Dosen  erwiesen 
sich  ebenfalls  nicht  wirksam,  —  hat  er  keine  Vergiftungen  oder  Erblindungen 
erlebt;  allerdings  zuweilen  plötzliche  Ohnmachtsanfälle,  Pupillenstarre,  Er¬ 
brechen  und  Temperatursteigerungen  bis  39°,  Erscheinungen,  die  stets  vor¬ 
übergehend  waren  und  ohne  weitere  Folgen  blieben.  Aspirin  und  leichtere 
Abführmittel  beschleunigten  die  Besserung.  —  Vor  Einleitung  der  Kur  wur¬ 
den  abends  0,2 — 0,3  g  Kalomel  gegeben.  —  Brandenburg  hat  allerdings 
die  Vorsichtsmaßregel  vor  Inszenierung  der  Bandwurmkur  gebraucht,  daß 
er  die  Augen  der  Wurmkranken  genau  untersuchte  bez.  von  Spezialisten 
in  zweifelhaften  Fällen  nachuntersuchen  ließ,  und  bei  ausgeprägter  Myopie, 
Hypermetropie  und  Blässe  des  Sehnerven  niemals  Extractum  filicis  verwandte. 

R.  Stüve  (Osnabrück). 


Die  praktische  Behandlung  der  schleimig-membranösen  Enterokolitis. 

(E.  Fenoux.  Le  Bulletin  medical,  Nr.  21,  1908.) 

Fenoux  empfiehlt  für  die  Behandlung  der  schleimig-membranösen 
Enterokolitis  keine  zu  strenge  Diät;  er  schlägt  vegetabilische  Kost  mit  ein¬ 
maliger  täglicher  Fleischration  vor.  Außerdem  ist  unbedingt  Ruhe  und  Fern¬ 
haltung  von  Aufregung  notwendig.  Gleichzeitig  wendet  er  das  Thigenol  folgen¬ 
derweise  an :  in  den  ersten  8 — 10  Tagen  werden  täglich  nach  den  ent¬ 
leerenden  Klistieren,  reinigende  Ausspülungen  mit  einem  Liter  lauwarmen 
Wasser  vorgenommen,  welchem  ein  Eßlöffel  einer  Lösung  von  Thigenol  50,0 
auf  Aq.  coct.  100,0  zugesetzt  worden  ist.  Es  ist  notwendig,  daß  der  Kranke 
einen  Teil  dieser  Flüssigkeit  bei  sich  behält;  nach  diesen  Spülungen  geht 
gewöhnlich  eine  große  Menge  Schleim  und  Pseudomembranen  ab,  dann  ver¬ 
schwinden  allmählich  die  Schmerzen.  Die  Spülungen  werden  nach  jener 
Zeit  nur  alle  2  Tage,  später  alle  3  Tage  fortgesetzt.  In  14  Tagen  jbis 
3  Wochen  wird  vollständige  Heilung  erzielt.  Neumann. 


Referate  und  Besprechungen. 


245 


Beziehungen  von  Gelenkkrankheiten  zur  klimakterischen  Lebensepoche. 

(Fr.  Neumann.  Med.  Klinik,  Nr.  12,  1908.) 

Auf  Grund  seiner  Beobachtungen  an  dem  Krankenmateriale  des  gro߬ 
herzoglichen  Landesbades  in  Baden-Baden,  dessen  Kranke  sich  vorwiegend 
aus  den  Kreisen  der  sozialen  Versicherung  und  aus  jenen  Schichten  der  Be¬ 
völkerung  rekrutieren,  die  sich  in  bescheidener  Lebenslage  befinden,  hat 
Nenmann  festgestellt,  daß  das  Auftreten  bestimmter  Gelenkerkrankungen, 
die  sich  klinisch  abgrenzen  lassen,  und  in  ihrem  Auftreten  an  milde  Gicht¬ 
formen  erinnern,  im  übrigen  sich  vorwiegend  an  den  kleinen  Gelenken  der 
Finger  unter  Bildung  der  sogenannten  Heberclen’schen  Knötchen  abspielen, 
bei  Frauen  an  das  Klimakterium  gebunden  ist,  beziehungsweise  bei  Frauen 
vor  dem  klimakterischen  Alter  nicht  beobachtet  wird ;  es  sei  denn,  daß 
bei  einer  operativ  herbeigeführten  Klimax  die  Affektion  auch  in  früheren 
Lebensjahren  beobachtet  wurde.  —  Die  Behandlung  hat  in  Anwendung  hoch¬ 
temperierter  Bäder  zu  bestehen  und  zwar  sieht  Neumann  deren  Nutzen 
vor  allem  darin,  daß  sie  eine  künstliche  Steigerung  der  Körperwärme  herbei¬ 
führen;  diese  Wärmeapplikationen  haben  eine  innerlich  einzuleitende  Opo¬ 
therapie,  die  unter  allen  Umständen  gerechtfertigt  erscheint  und  in  Dar¬ 
reichung  von  Eierstockspräparaten  (Landau’sche  und  Noack’sche  Pastillen) 
besteht,  zu  unterstützen.  Während  diese  Präparate  in  den  erwähnten  Fällen 
die  Wirkung  der  übrigen  Behandlung  zum  mindesten  wirksam  unterstützten, 
erwiesen  sich  in  Fällen  von  echter  Arthritis  deformans  vollkommen  wir¬ 
kungslos.  R.  Stüve  (Osnabrück). 


Wie  kann  man  eine  Art  Sanatoriumsbehandlung  Schwindsüchtiger  zu 

Hause  einrichten? 

(S.  Adolphus  Knopf.  The  Post-Graduate,  Nr.  8,  August  1908.) 

Hierüber  sprach  in  einer  Antrittsvorlesung  vor  der  klinischen  Gesell¬ 
schaft  der  New-Yorker  Post-Graduate  medical  school  am  19.  Juli  v.  Js. 
der  Professor  der  Phthisiotherapie  A.  Knopf -New -York.  Aus  dem  inter¬ 
essanten  Vor  trage,  der  sich  u.  a.  auch  eingehend  mit  den  verschiedenen  For¬ 
men  der  Taschenspeigläser,  der  Atemübungen  mittels  Zimmergymnastik  usw. 
beschäftigt,  heben  wir  das  von  K.  selbst  angegebene  „Fensterzelt“  und 
Bull’s  „Aerarium“  hervor.  Ersteres  soll  unbemittelten  Kranken  die  Frei¬ 
luftbehandlung  auch  zu  Hause  ermöglichen  und  ist  so  eingerichtet,  daß 
es  im  Zimmer  an  das  offene  Fenster  gestellt,  dem  Kranken  Tag  und  Nacht 
ermöglicht,  Außenluft  zu  atmen,  ohne  daß  sein  Atem  in  das  Zimmer 
oder  Zimmerluft  zu  ihm  gelangt.  Erreicht  wird  dies  dadurch,  daß  der 
Kranke  mit  dem  Oberkörper  unter  einer  Art  geschlossenem  Baldachin  liegt, 
der  mit  der  offenen  Seite  an  das  offene  Fenster  angebracht  ist.  In  das 
Zimmer  sieht  er  durch  ein  Zelluloidfenster.  Bull’s  Ärarium  wird  außen 
am  Fenster  angebracht.  Das  Gesagte  wird  durch  Abbildungen  erläutert  und 
erscheint  uns  recht  beachtenswert.  Peltzer. 


Gynäkologie  und  Geburtshilfe. 

Die  Beziehungen  der  weiblichen  Reproduktionsorgane  zu  inneren 

Krankheiten. 

(Prof.  Dr.  Friedrich  Müller.  The  americ.  journ.  of  the  med.  scienc,  Septbr.  1908, 

S.  311—329.) 

Der  Artikel  ist  die  erweiterte  und  durchgesehene  Wiedergabe  eines 
Vortrages,  den  Prof.  Fr.  Müller-München  am  15.  April  1907  im  deutschen 
Ärzteverein  in  New- York  hielt.  Wir  erwähnen  ihn  wegen  des  Appells, 
den  M.  darin  sowohl  an  die  Internisten  als  auch  an  die  Gynäkologen  richtet. 
Davon  ausgehend,  wie  viele  Beziehungen  zwischen  inneren  Krankheiten  und 


246 


Referate  und  Besprechungen. 


denen  der  reproduktiven  Organe  des  Weibes  bestehen,  und  diese  besprechend, 
befürwortet  er,  daß,  nachdem  sich  durch  das  Zusammenwirken  von 
Chirurgie  und  innerer  Medizin  ein  höchst  fruchtbares  Grenzgebiet  entwickelt 
hat,  auch  das  Grenzgebiet  zwischen  Gynäkologie  und  innerer  Medizin  mehr 
als  bisher  kultiviert  werden  möchte.  Zu  diesem  Grenzgebiet  gehören  zunächst 
die  in  Verbindung  mit  den  physiologischen  Vorgängen  in  den  weiblichen 
Generationsorganen,  nämlich  der  Pubertät,  der  Schwangerschaft  und  der  Meno¬ 
pause,  zu  beobachtenden  inneren  Krankheiten.  Sodann  käme  in  Betracht  die 
Bedeutung,  welche  pathologische  Prozesse  in  den  weiblichen  Reproduktions¬ 
organen  in  bezug  auf  die  Entstehung  jmedizinischer  Zustände  haben,  und 
drittens  handele  es  sich  um  die  Beziehung  gewisser  innerer  Krankheiten  zu 
Störungen  des  weiblichen  Reproduktionsapparates  —  alles  Punkte,  welche  M., 
wie  gesagt,  des  Näheren  bespricht.  Der  Internist,  insbesondere  der  allgemeine 
praktische  Arzt,  sollte  es  daher  in  geeigneten  Fällen  nicht  verschmähen,  sich 
an  einen  Gynäkologen  zu  wenden,  ebenso  wie  der  Gynäkologe  sich  in  zweifel¬ 
haften  Fällen  den  Rat  des  Internisten  verschaffen  sollte.  Peltzer. 


Histologische  Besonderheiten  von  Vagina  und  Blase  während  der 

Gravidität. 

(Hofbauer.  Monatsschr.  für  Geburtsh.  u.  Gyn.,  Bel.  28,  S.  131,  1908.) 

Bei  systematischen,  mikroskopischen  Untersuchungen  der  maternen  Or¬ 
gane  während  Gravidität  und  Puerperium  machte  H.  einige  interessante 
Beobachtungen  an  Vagina  und  Blase.  Dreimal  unter  acht  untersuchten  Fällen 
fand  er  Epithelveränderungen  der  Vagina;  an  Stelle  des  geschichteten  Platten¬ 
epithels  fand  sich  Übergangs-  bezw.  Zylinderepithel.  Diese  Veränderungen 
bilden  Analoga  zu  den  bekannten  Epithelmetaplasien  bei  Hunden  und  Nagern 
während  der  Brunst-  und  Tragezeit.  Möglicherweise  erklären  diese  Struktur¬ 
veränderungen  die  geschwächte  Widerstandskraft  der  Vaginalschleimhaut 
während  der  Gravidität  gegen  das  Eindringen  von  Gonokokken. 

In  der  Muskulatur  der  Blase  fand  H.  eine  deutliche  Dickenzunahme 
der  kontraktilen  Elemente,  besonders  in  den  äußeren  Wandschichten  der 
Blase  und  dem  vesikalen  Ureterabschnitt.  In  einem  Falle  fanden  sich  ver¬ 
einzelte  Fasern  quergestreifter  Muskulatur,  analog  dem  stellenweisen  Auf¬ 
treten  quergestreifter  Muskelzüge  in  der  Wand  des  puerperalen  Uterus.  Die 
Verbreiterung  der  bindegewebigen  Muskelsepta,  die  Anhäufung  von  Plasma¬ 
zellen  in  der  Schleimhaut  und  den  Muskelinterstitien  der  Blase  lassen  sub¬ 
akute -inflammatorische  Vorgänge  erkennen,  wie  sie  H.  schon  für  den  Larynx 
in  der  Gravidität  nachgewiesen  hat.  Endzündliches  Ödem  der  pars  vesicalis 
des  Ureters  erklärt  die  Erscheinung,  daß  dieser  in  der  Gravidität  leicht 
palpabel  wird  und  gibt  auch  eine  neue  Perspektive  zur  Genese  der  aszendieren- 
clen  Pyelitis  gravidarum.  Frankenstein  (Köln). 


Die  Achsendrehung  des  Dickdarms  in  Beziehung  zu  Schwangerschaft 

und  Geburt. 

(Becher.  Monatsschr.  für  Geburtsh.  u.  Gyn.,  Bd.  28,  S.  155,  1908.) 

Bericht  über  einen  seltenen  Fall  von  Volvulus  in  der  Schwangerschaft 
bei  einer  XV  para,  welche  trotz  sofort  durch  Metreuryse  eingeleiteter  Geburt 
nach  ö1/2  Stunden  ad  exitum  kam.  Bei  der  Autopsie  zeigte  sich,  daß  die 
Flexura  sigmoidea  mit  ihrem  sehr  langen,  beweglichen  Mesokolon  360°  fest 
um  die  Basis  des  Dünndarmmesenteriums  geschlungen  war,  so  daß  sich  die 
Mesenterien  gegenseitig  abschnürten  und  die  dazu  gehörigen  Darmabschnitte 
—  der  Dünndarm  in  41/2  m  Länge,  die  Flexur  in  30  cm  Länge  —  gangränös 
waren.  Literaturübersicht  über  acht  weitere  Fälle  von  Volvulus  in  der 
Gravidität.  Bezüglich  des  ursächlichen  Zusammenhangs  von  Volvulus  und 
Schwangerschaft  weist  B.  auf  die  Verdrängung  und  Verlegung  der  Därme 


Referate  und  Besprechungen. 


‘247 


durch  den  schwangeren  Uterus  und  auf  die  Stuhlverstopfung  durch  Druck 
auf  das  Rektum  hin.  Die  meisten  Fälle  betrafen  alte  Vielgebärende  mit 
schlaffen  Bauchdecken  gegen  Ende  der  Schwangerschaft.  Meist  tritt  die 
Geburt  durch  den  Volvulus  ein,  nur  in  zwei  Fällen  wurde  dieser  durch 
die  Geburt  bedingt.  Das  Kind  geht  rasch,  wahrscheinlich  durch  Intoxikation 
zugrunde.  Die  Diagnose  ist  schwierig,  die  Prognose  ungünstig.  Thera¬ 
peutisch  kommt  nur  sofortige  Laparotomie  in  Frage,  eventuell  nach  vor¬ 
heriger  Entleerung  des  Uterus  behufs  leichterer  Orientierung.  Von  der  Ent¬ 
leerung  des  Uterus  ohne  Laparotomie  ist  kein  Erfolg  zu  erwarten.  Das 
Auftreten  von  Volvulus  sub  partu  ist  vielleicht  nicht  ganz  selten  (in  Halle 
unter  3000  Geburten  zweimal).  Frankenstein  (Köln). 


Zur  Ventrofixatio  uteri  nach  meiner  Methode  und  ihre  angeblichen 

Geburtsstörungen. 

(G.  Leopold.  Gynäk.  Rundschau,  H.  20,  1908.) 

L.  betont  gegenüber  R.  Weber,  daß,  wenn  nur  seine  Art  der  Ventro- 
fixation  genau  nach  seinen  Vorschriften  ausgeführt  wird,  Geburtsstörungen 
nicht  eintreten,  wenigstens  seien  an  seinem  Material  (124  Fälle)  nie  solche 
beobachtet  worden.  L.  legt  seit  einer  Reihe  von  Jahren  zwei  Seidenfäden 
unmittelbar  unter  dem  Fundus  durch  den  oberen  Teil  des  Corpus  uteri  und 
führt  diese  Fäden  mindestens  zwei  Querfinger  breit  über  dem  oberen  Sym- 
phvsenrand  durch  die  Bauchdecken.  R.  Klien  (Leipzig). 


(Aus  der  geburtshilflichen  Klinik  der  kgl.  Charite.) 

Zur  Bakteriologie  und  Technik  der  Beckenausräumung  beim  Uterus¬ 
karzinom. 

(Priv.-Doz.  Dr.  W.  Liepmann.  Charite-Annalen,  Bd.  32,  S.  413.  1908.) 

Auf  Grund  eingehender  bakteriologisch-klinischer  Beobachtungen  wird 
in  der  Bumm’schen  Klinik  neuerdings  bei  abdominalen  Karzinomradikal¬ 
operationen  die  Drainage  des  Peritonealraumes  „als  längst  bekanntes,  wirk¬ 
sames  Mittel  bei  Operationen  in  infizierten  Gebieten“  angewandt  und  zwar 
mit  bestem  Erfolg.  Die  primäre  Gesamtmortalität  ist  von  43  auf  15%,  die 
Mortalität  an  septischer  Infektion  von  36  auf  15%  gesunken.  Natürlich 
drainiert  diese  peritoneale  Drainage  auch  gleichzeitig  die  subperitoneale  Wund¬ 
höhle.  In  den  glücklicherweise  nicht  sehr  häufigen  Fällen,  wo  schon  vor  der 
Operation  septische  Keime  in  den  Parametrien  bezw.  in  den  Lymphdrüsen 
vorhanden  waren,  versagte  leider  auch  die  intraperitoneale  Drainage.  Dagegen 
scheint  sie  bei  Koliinfektion  von  Wichtigkeit  zu  sein. 

R.  Klien  (Leipzig). 


Über  eine  neue  und  wirksame  Behandlungsweise  verschiedener  entzünd¬ 
licher  Frauenkrankheiten. 

(R.  Pinn  er.  Therapie  der  Gegenwart,  Nr.  7,  1908.) 

Es  handelt  sich  um  Ester-Dermasan-Vaginal-Kapseln,  die  ca.  0,3  g 
Salol  enthalten.  P.  hat  durch  Versuche  nachgewiesen,  daß  die  Salizylsäure 
V 2 — 5  Std.  nach  dem  Einlegen  der  Kapsel  im  Urin  erscheint  (die  außer¬ 
ordentliche  Resorptionsfähigkeit  der  Vagina  wurde  schon  zurzeit,  als  das 
Ichthyol  die  kleine  Gynäkologie  beherrschte,  nachgewiesen,  Ref.).  Indessen 
führt  P.  die  Wirkung  des  Mittels  nicht  auf  das  Auftreten  der  Salizylsäure 
in  der  Zirkulation  zurück,  sondern  auf  die  örtliche  Hyperämie;  sollte  er 
damit  recht  behalten,  so  ist  nicht  einzusehen,  warum  man  nicht  bei  un¬ 
schuldigeren  hyperämisierenden  Mitteln  bleibt,  die  von  altersher  in  dieser 
Gegend  gebräuchlich  sind,  anstatt  das  nicht  gleichgültige  Salizyl  zu  ver- 


248 


Referate  und  Besprechungen. 


wenden.  Doch  ist  es  nicht  ausgeschlossen,  daß  auch  hier  die  Salizylsäure 
ähnlich  wie  beim  Rheumatismus  die  Ausscheidung  schädlicher  Stoffe  durch 
den  Urin  bewirkt.  Gute  Erfolge  wurden  bei  allen  chronischen  Entzündungen 
im  kleinen  Becken  erzielt,  besonders  bei  gonorrhoischen,  doch  waren  hier 
stärkere  Konzentrationen  (bis  0,9  g'  Salol  auf  die  Kapsel)  notwendig.  Ob 
die  Resultate  wirklich  besser  waren  als  bei  anderen  Verfahren,  wie  P. 
glaubt,  kann  natürlich  durch  ihn  allein  nicht  entschieden  werden. 

F.  von  den  Velden. 


Behandlung  des  Harndranges  bei  verschiedenen  gynäkologischen 

Affektionen. 

(M.  Jacoby.  Med.  Klinik,  Nr.  11,  1908.) 

Bei  gynäkologischen  Affektionen  verschiedenster  Art  kann  sich  Harn¬ 
drang  als  ein  quälendes  und  lästiges  Begleitsymptom  bemerkbar  machen. 
In  der  symptomatischen  Behandlung  dieser  Nebenerscheinung,  deren  Beseiti¬ 
gung  meist  sehr  wünschenswert  ist,  hat  sich  Jacoby  in  sehr  vielen  Fällen 
das  Santyl,  dreimal  täglich  25  Tropfen,  außerordentlich  gut  bewährt.  Es 
ist  selbstverständlich,  daß  das  Grundleiden  in  entsprechender  Weise  behandelt 
werden  muß.  R.  Stüve  (Osnabrück). 


Medikamentöse  Therapie. 

Prolongierter  Gebrauch  und  toxische  Wirkung  des  Sulfonals. 

(Dr.  James  E.  Talley,  Direktor  des  klinischen  Laboratoriums  des  Presbyter- 
Hospitals  in  Philadelphia.  The  americ.  journ.  of  the  med.  scienc,  Okt.  1908.) 

Vor  12  Jahren  bekam  eine  wegen  eines  Uterusfibroids  operierte  Frau 
in  mittlerem  Lebensalter  wegen  Schlaflosigkeit  Sulfonal  und  hat  seitdem  durch¬ 
schnittlich  jährlich  1/2,  im  ganzen  5V2  Pfund  dieses  Mittels  genommen, 
ohne  weitere  Folgen  als  daß  sie  im  allgemeinen  den  Eindruck  der  Invalidität 
macht  und  zeitweise  leicht  melancholisch  wird,  was  sie  schon  bald  nach 
der  Operation  wurde.  Vor  5  Jahren  enthielt  der  zeitweise  untersuchte  Harn 
Spuren  von  Eiweiß  und  hyaline  Zylinder.  Zum  Gebrauch  eines  anderen 
Schlafmittels,  das  sie  angeblich  stets  benötigte,  war  sie  nicht  zu  bewegen. 
Im  Novbr.  1907  kam  sie  wegen  Schlaflosigkeit  und  seelischer  Depression  ins 
Krankenhaus,  wo  man  sie,  um  2  Punkte  festzustellen,  kurze  Zeit  auf  einer 
Dosis  von  20  Gran  für  die  Nacht  (bis  dahin  10 — 15—20)  hielt.  Die  Punkte 
waren:  1.  ist  die  Theorie  von  Stokois  haltbar,  daß  das  Hämatoporphyrin  des 
Harns  einer  Blutung  in  die  Darmschleimhaut  entstammt  und  das  dort  trans¬ 
formierte  und  absorbierte  Hämatoporphyrin  nur  durch  den  Urin  ausgeschie¬ 
den  wird  ?  2.  Da  Spuren  von  Hämatoporphyrin  sich  auch  im  normalen  Harn 
finden,  enthält  der  Urin  dieser  Kranken  wenigstens  Spuren  davon  ?  Hinzu¬ 
gefügt  muß  werden,  daß  ihr  Urin  keine  Hämatoporphynurie  vermuten  ließ. 
War  die  St-’sche  Theorie  richtig,  so  mußten  die  Stühle  wenigstens  eine 
positive  Blutreaktion  geben.  Die  Kranke  wurde  auf  Milchdiät  gesetzt.  - — 
Die  Untersuchung  fiel  negativ  aus,  ebenso  bezüglich  des  2.  Punktes,  ob¬ 
gleich  hier  auch  Chemiker  zugezogen  und  die  Untersuchungsmethoden  von 
Salkowski,  Riva,  Zoja  und  Garrod  angewandt  wurden.  Möglicherweise 
wurden  zu  geringe  Mengen  zur  Untersuchung  verwendet.  - —  Trotz  des  langen 
Bestehens  des  Sulfonals  und  seines  häufigen  Gebrauchs  sind  Fälle  von  Ver¬ 
giftung  damit  verhältnismäßig  selten,  immerhin  aber  zahlreich  genug,  um 
zur  Vorsicht,  in  bezug  auf  Dosierung  und  Länge  des  Gebrauchs  zu  mahnen. 
Hu  et  hat  nur  50  Fälle  in  der  Literatur  gesammelt,  ohne  diese  zu  erschöpfen. 
Garrod  und  Hopkins  berichten  über  eine  Epileptische,  die  6  Jahre  lang 
fast  beständig  26 — 40  Gran  Sulfonal  genommen  hatte,  ehe  sie  Vergiftungs¬ 
erscheinungen  zeigte.  Der  Fall  endete  tödlich.  Gelegentlich  wird  eine  Idio¬ 
synkrasie  gegen  das  Mittel  beobachtet.  Murphy  (Brit.  med.  journ.  1899, 


Referate  und  Besprechungen. 


249 


209)  berichtete  von  dem  Auftreten  eines  allgemeinen  Erythems  und  eines 
Bläschenausschlags  nach  10  Gran.  Tailor  und  Sailer  (William  Tepp  er 
clinical  laboratory  reports)  haben  eine  sehr  genaue  Beschreibung  eines  zur 
Autopsie  gekommenen  Falles  geliefert.  Für  die  Prognose  ist  wichtig,  ob 
Lähmungserscheinungen  auf  treten  oder  nicht  —  wenn  ja,  ist  sie  schlecht.  — 
Übrigens  kennt  Ref.  einen  alten  Herrn,  der  bis  jetzt  20  kg  Bromnatrium  ge¬ 
nommen  hat,  und  es  noch  nimmt,  vielleicht  hat  dadurch  nur  sein  Gedächtnis 
etwas  gelitten.  Peltzer. 


Hypodermatische  Anwendung  der  Chinin-  und  Harnstoff-Hydrochloride  bei 
der  Diagnose  und  Behandlung  akuter  und  chronischer  Malaria-Infektion. 

(Solomon  Solis  Cohen.  The  americ.  journ,  of  the  med.  scienc,  Septbr.  1908, 

S.  344—860.) 

Über  die  Vorzüge  der  in  der  Überschrift  genannten  Salze  gegenüber  an¬ 
deren  Chininpräparaten  bei  der  Behandlung  der  Malaria-Infektionen  sprach 
am  28.  März  dieses  Jahres  in  der  5.  Jahresversammlung  der  amerikanischen 
Gesellschaft  für  Tropenmedizin  in  Baltimore  der  Professor  der  klinischen 
Medizin  am  Jefferson  College  in  Philadelphia  Cohen  und  kam  dabei  unge¬ 
fähr  kurz  zu  folgenden  Schlüssen:  1.  Es  gibt  Fälle  offenbar  akuter  Infektion, 
die  im  Charakter  oder  in  der  Periodizität  der  Paroxysmen  ganz  dem  Malaria- 
fieber  gleichen,  bei  denen  aber  kein  Malariaorganismus  im  Blut  gefunden 
werden  kann.  In  anderen  Fällen,  in  welchen  man  trotz  des  abweichenden 
Fiebertypus.  Grund  hat,  an  Malaria  zu  denken,  wird  ebenfalls  keine  Amöbe 
gefunden.  In  fast  allen  Fällen  dieser  Art  kann  das  Vorhandensein  oder 
Fehlen  einer  Malariainfektion  festgestellt  werden,  und  zwar  durch  die  Reaktion 
des  Kranken  auf  eine  Injektion  des  Harnstoff-  und  Chininsalzes,  die,  wenn  sie 
positiv  ausfällt,  die  Abhängigkeit  der  Symptome  von  dem  unentdeckten,  viel¬ 
leicht  verborgen  sitzenden  Parasiten  anzeigt.  Bei  einem  Kranken,  der  an¬ 
scheinend  eine  typische  Malaria  hatte,  wurde  eine  diagnostische  Injektion 
von  ungefähr  1  g  (gemacht,  die  aber  nur  einen  vorübergehenden  Temperatur¬ 
abfall  bewirkte.  Darauf  stellte  sich  heraus,  daß  der  Kranke  sich  vor  sechs 
Monaten  syphilitisch  infiziert  hatte.  Er  wurde  einer  Schmierkur  unterworfen 
und  genas  prompt.  In  einigen  Typhusfällen,  in  denen  das  Fieber  die  Tendenz 
zum  intermittierenden  Typus  hatte,  ohne  daß  Malariaorganismen  im  Blut 
gefunden  wurden,  folgte  auf  eine  diagnostische  Injektion  eine  freie  Periode, 
in  anderen  wieder  nicht.  Ersteres  war  gewöhnlich  bei  solchen  Kranken  der 
Fall,  bei  denen  man  eine  Mischinfektion  von  Malaria  und  Typhus  vermuten 
konnte  (es  handelte  sich  1898  besonderss  um  Soldaten  aus  dem  kubanischen 
Krieg).  Nach  Ablauf  des  Typhus  erschienen  bei  einigen  dieser,  bei  denen 
das  Chinin  ausgesetzt  war,  die  Plasmodien,  bei  anderen  blieb  bei  fortgesetztem 
Chiningebrauch  diese  Art  der  Bestätigung  der  Diagnose  aus.  2.  In  einigen 
diagnostisch  zweifelhaften  Fällen,  in  denen  die  Injektion  zur  Erzielung  eines 
freien  Intervalls  nicht  ausreichte,  erschienen  die  Organismen  später  in  typi¬ 
scher  oder  atypischer  Form  im  peripheren  Blut.  Bei  wiederholtem  Ausbleiben 
dieser  Erscheinung  kann  Malaria  ausgeschlossen  werden.  Das  Erscheinen 
des  wahrscheinlich  in  larvierter  Form  in  der  Milz  oder  im  Knochenmark 
sitzenden  Organismus  im  Blut  der  Peripherie  ist  eine  Folge  der  paratoxischen 
Wirkung  des  Chinins.  Daß  Organismen  lange  latent  bleiben  können,  ist  be¬ 
kannt.  Peltzer. 


La  purgation  dans  la  therapeutique  des  maladies  mentales. 

(Marie.  Bull.  gen.  de  Therap.,  Nr.  1.  1909.) 

Burlureaux’s  Kampf  gegen  gebräuchlichen  Mißbrauch  der  Abführ¬ 
mittel  veranlaßt  den  Verf.,  auch  hinsichtlich  der  Behandlung  der  Geistes¬ 
krankheiten  zu  dieser  Frage  Stellung  zu  nehmen.  Er  formuliert  dies  folgen¬ 
dermaßen:  1.  Die  intellektuellen  Störungen  bei  Geisteskranken  sind  nicht 


250 


Referate  und  Besprechungen. 


immer  Folgen  intestinaler  Autointoxikation.  2.  Trotzdem  ist  eine  sorgsame 
Überwachung  des  Beginnes  bei  Irren  zur  Vermeidung  von  Störungen,  die  vom 
Magen  oder  Darm  ausgehen  können,  notwendig.  3.  Hierzu  bedarf  es  aber 
keinerlei  Purgiermittel  oder  brutaler  Manöver  am  Darmschlauch,  sondern 
einfacher  Regelung  der  Magen-Darmfunktionen.  v.  Schnizer  (Danzig). 


Experiences  sur  le  pouvoir  desinfectant  d’un  melange  compose  d’essence 
de  terebenthine,  d’acide  phenique,  de  naphthaline  et  d’ether  sulfurique 

(essence  de  terebenthine  d’oucrai'na.) 

(E.  S.  Gribinouk.  Arch.  des  Sciences  biolog.  p.  par  kinstitut  imperial  de  med. 

experimentale  ä  St.  Petersbourg,  Bel.  18,  1908.) 

Die  Oukrainaessenz  besteht  aus:  acid.  carbol.  cristall.  2,0,  Naphtalin, 
pur.  5,0,  Aeth.  sulf.  25,0,  Ol.  Terebinth.  100,0.  Die  Ergebnisse  der  Versuche 
sind  folgende:  1.  die  bakterizide  Wirkung  der  Essenz  ist  viel  energischer, 
als  die  der  einzelnen  Komponenten  allein  genommen.  2.  die  bakterizide  Macht 
des  Gemisches  ist  je  nach  der  Art  der  untersuchten  Bakterien  verschieden. 
Der  Cholerakeim  wird  schon  nach  1  Minute,  der  Typhusbazillus  nach  20  Min. 
der  Staphylococcus  albus,  der  übrigens  auch  anderen  Lösungen  gegenüber 
sehr  hart  ist,  erst  nach  50  Min.  getötet.  3.  Sterile  Seidenfäden  kann  man  nachher 
in  Äther  auswaschen  .  Ein  Aufenthalt  darin  bis  zu  25  Tagen  ist  nicht  schädlich. 

v.  Schnizer  (Danzig). 


Alkoholseifen. 

(Karl  Gerson.  Med.  Klinik,  Nr.  4,  1908.) 

Während  früheren  Alkoholseifen  der  Übelstand  anhaftete,  daß  trotz  an¬ 
scheinend  genügend  dichter  Umhüllung  der  Alkohol  daraus  verdunstete  und 
so  dieser  für  die  Händedesinfektion  oder  den  sonstigen  bakteriziden  Zweck 
der  Seife  so  sehr  wichtige  Bestandteil  verloren  ging,  empfiehlt  G.  jetzt  eine 
Älkoholseife  von  breiiger  Konsistenz,  deren  Alkoholgehalt  (ca.  50%^  dadurch 
ein  konstanter  bleibt,  daß  das  Präparat  in  Zinntuben  gefüllt  ist.  Zur  Er¬ 
höhung  der  reinigenden  Wirkung  ist  dem  Präparat,  das  den  Namen  Sapalcol 
führt,  fein  pulverisierter  Sandstaub  zugesetzt.  —  Es  können  auch  medika¬ 
mentöse  Zusätze  (Teer,  Schwefel,  Salizyl  usw.)  gemacht  werden.  Hersteller : 
Chem.  Fabrik,  Arthur  Wolff  jr.,  Breslau  X.  R.  Stüve  (Osnabrück). 


Beitrag  zur  Behandlung  mit  Jodglidine. 

(Max  Hirsch.  Med.  Klinik,  Nr.  13,  1908.) 

Das  Jodglidine  stellt  ein  Jodpräparat  dar,  in  welchem  das  Jod  an 
Eiweiß  gebunden  ist.  Auf  Grund  seiner,  an  47  Kranken  mit  verschiedenen 
Leiden  gesammelten  Erfahrungen  glaubt  Hirsch  in  dem  Jodglidine  eine 
geeignete  Form  der  Darreichung  von  Jod  zu  erblicken,  da  es  das  Jod  lang¬ 
sam  —  im  Verhältnis  der  Zerlegung  des  Eiweißes  —  abgibt,  keinen  Jodismus 
hervorruft  und  die  Eigenschaft,  ein  Joddepot  im  Körper  zu  bilden  nicht 
besitzt.  R.  Stüve  (Osnabrück). 


Über  Spirosal. 

(Karl  Perl.  Med.  Klinik,  Nr.  15,  1908.) 

Das  von  Friedr.  Bayer  &  Co.  hergestellte  Spirosal  ist  der  Monosalizyl¬ 
säureester  des  Aethylenglycols  und  ein  Ersatz  des  Mesotans.  Mit  Spirit, 
vin.  rectificatiss.  zu  gleichen  Teilen  gemischt,  stellt  es  ein  Einreibe¬ 
mittel  dar,  das  teelöffelweise  in  die  Haut  eingerieben  sich  bei  verschiedenen  . 
rheumatischen  und  schmerzhafteil  Affektionen  als  ein  Heil-  oder  wenigstens 
Linderungsmittel  und  dabei  vollkommen  reizlos  erwies,  so  daß  es  auch  von 
Patienten,  die  sonst  gegen  Salizylpräparate  empfindlich  waren,  gut  vertragen 
wurde.  R.  Stüve  (Osnabrück). 


Referate  und  Besprechungen. 


251 


Montefusco  hat  45  Bälle  von  Laryngostenose  nach  Morbillen  mit  Pilo¬ 
karpin  behandelt  und  dabei  nur  eine  Mortalität  von  4,4%  gehabt.  Er  findet  mit 
Roger,  der  es  seinerzeit  gegen  Diphtherie  empfahl,  daß  sich  die  Membranen 
rascher  abstießen,  als  bei  Serumanwendung.  Er  pflegte  1/2 — 1  mg,  in  schwereren 
Fällen  bis  zu  3  mgf  täglich  subkutan  zu  geben.  Formel :  Pilocarpin,  nitr. 
0,05,  Aq.  dest.  25,0.  Oft  erfolgt  schon  nach  der  ersten  Injektion  eine  er¬ 
hebliche  Linderung  der  Laryngostenose ;  in  schwereren  Fällen  ist  eine  eventuelle 
dreimalige  Wiederholung  pro  Tag  und  Fortsetzung  der  Injektionen  für  einige 
Tage  notwendig.  (Les  nouveaux  remedes,  Nr.  21,  1908.) 

v.  Schnizer  (Danzig). 


Gegen  die  Trunkenheit  empfiehlt  Prof.  Pouch  et  Ammon,  acetic.  15,0, 
Sal.  marine  5,0,  starken  Kaffeeaufguß  50,0,  Syr.  simpl.  30,0.  Auf  2 mal  in 
v4  Stunde  zu  nehmen.  (Bulletin  general  de  therapeutique,  Nr.  2,  1908.) 

v.  Schnizer  (Danzig). 


Als  gutes  Schnupfenmittel  wird  empfohlen:  Vaselin-Lanolin  aa  6,0, 
Perubalsam  2,0,  Resorcin  1,0,  Menthol  0,1,  Thymianessenz  gtt  N,  Cocain 
hydrochl  0,1.  Mehrmals  in  die  Nase  einzuführen.  (Bulletin  general  de  Thera¬ 
peutique,  Nr.  2,  1908.)  v.  Schnizer  (Danzig). 


Röntgenologie  und  physikalische  Heilmethoden. 

Die  Behandlung  inoperabler  Geschwülste  mit  Radium. 

(Dr.  Arthur  Seelig,  Franzensbad.  Med.  Klinik,  Nr.  30,  1908.) 

Seelig  hat  6  Fälle  von  Karzinom  der  Verdauungsorgane  mit  Radium 
behandelt.  Zur  Anwendung  kamen  5  mg  Radiumbromid  mit  1200000  Ema¬ 
nationseinheiten,  die  auf  der  Bauchhaut  über  der  Geschwulst  befestigt  wur¬ 
den.  Die  jedesmalige  Bestrahlungsdauer  wechselte  von  5  Min.  bis  zu  24  Std. 
Die  Gesamtbestrahlungsdauer  betrug  40 — 70  Std.  Deutliche  Erfolge  wurden 
nicht  erzielt.  Hahn. 


Radiotherapie  in  tiefen  Geweben. 

(Bourgade  la  Dardye.  Acad.  des  Sciences,  14.  Dezember  1908.  —  Bull.  med. 

Nr.  101,  S.  1172,  1908.) 

Es  ist  nachgerade  allbekannt,  daß  die  Röntgentherapie  nur  bei  ober¬ 
flächlichen  Affektionen  verwertbar  ist,  daß  aber  tief  sitzende  Tumoren  sich 
ihrem  Einfluß  entziehen  infolge  Absorption  der  Energie  in  den  äußeren 
Schichten.  Bourgade  la  Dardye  ist  auf  den  Gedanken  gekommen,  Sub¬ 
stanzen  in  die  betr.  Gewebe  einzuspritzen,  die  unter  der  Bestrahlung  mit 
X-Strahlen  selbst  radioaktiv  werden,  bezw.  eine  länger  oder  kürzer  dauernde 
Fluoreszenz  oder  Phosphoreszenz  annehmen.  So  injizierte  er  eine  feine  Auf¬ 
schwemmung  von  Zinksulfat  in  Nase  und  Hoden,  und  beide  Mal  gelang  es, 
die  hartnäckigen  Prozesse  (Schleimhautlupus  und  Hodentuberkulose)  zu  be¬ 
seitigen. 

Die  Idee  läßt  sich  hören;  nur  gehören  Nase  und  Hoden  nicht  gerade 
zu  den  Teilen,  die  der  strahlenden  Energie  schwer  zugänglich  sind. 

Buttersack  (Berlin). 


Nord-  und  Ostseeküste  als  Aufenthalt  für  Tuberkulöse. 

(Hennig,  Königsberg.  Rev.  hebd.  de  lar.,  Nr.  48,  1908.) 

Die  Mittelmeerküsten  haben  als  Phthisikerstation  schon  viele  unbe¬ 
friedigt  gelassen.  H.  zieht  die  deutschen  Meere  mit  ihrem  kräftigenden  Klima 
vor,  mit  dem  frischen,  durchlüftenden  und  abhärtenden  Wind,  den  geringen 


252 


Referate  und  Besprechungen. 


Temperaturschwankungen.  Das  reichliche  Sonnenlicht  und  der  Salzgehalt  der 
Luft  spielen  als  Heilfaktoren  ebenfalls  eine  Rolle.  Nicht  alle  Tuberkulösen 
sind  geeignet,  sondern  wesentlich  solche,  bei  denen  die  Heilungsprozesse 
überwiegen,  die  eine  anämische,  skrophulöse,  rhachitische  Konstitution  haben ; 
die  kräftigen  Personen  haben  von  der  Nordsee,  ßchwächere  von  der  Ostsee¬ 
mehr  Nutzen.  Vorläufig  steht  freilich  das  Fehlen  von  Sanatorien  den  See¬ 
kuren  noch  im  Wege.  Verf.  hat  öfters  Tuberkulöse  mit  gutem  Erfolg  nach 
Cranz  bei  Königsberg  geschickt.  Arth.  Meyer. 


Sonnenlichtbäder  im  Gebirge. 

(Hallopeau  u.  Rollier.  Acad.  de.  med.,  24.  November  1908.) 

Man  weiß,  daß  das  Sonnenlicht  tief  in  die  Stoffwechselvorgänge  ein¬ 
greift:  es  wirkt  mikrohizid,  oxydations-  und  reduktionsbefördernd,  schmerz¬ 
lindernd,  sklerosierend,  pigmentbildend.  Im  Hochgebirge  ist  diese  Wir¬ 
kung  um  25%  stärker  als  in  der  Ebene.  Die  beiden  Ärzte  haben  deshalb 
ihren  Patienten  Sonnenbäder  im  Gebirge  empfohlen ;  diese  Bäder  wurden 
anfangs  nur  kurz  genommen;  länger  erst,  nachdem  die  Haut  pigmentiert 
war.  Photographien  beweisen  den  günstigen  Effekt  bei  oberflächlichen  und 
bei  tiefen  Tuberkulosen.  * 

Welche  Aussichten  eröffnen  sich  da  für  ein  Luftballon-Sanatorium ! 

Buttersack  (Berlin). 


Die  Indikationen  des  Thiopinolbades. 

(Dr.  Diesing,  Bakter.  Laborator,  des  Rudolf  Virchow-Krankenhauses  in  Berlin. 

Med.  Klinik,  Nr.  31,  1908.) 

D.  hat  bei  einer  Anzahl  teils  gesunder,  teils  mit  trypanosoma  Brucei 
und  piroplasma  canis  infizierter  Hunde  Versuche  mit  Schwefelbädern  ge- 
gemacht.  Zu  Beginn  der  Behandlung  trat  eine  Vermehrung  der  farbstoff- 
haltenden  Elemente  ein,  die  später  einem  Zunehmen  der  farblosen  Blut¬ 
zellen  Platz  machte,  so  daß  das  Blut  zuletzt  das  Bild  einer  Leukämie  zeigte. 
Wenn  weniger  Bäder  (wöchentlich  2 — 3)  gegeben  wurden,  so  trat  nur  eine 
Vermehrung  des  Hämoglobins  ein.  Bei  den  infizierten  Tieren  wirkten  die 
Schwefelbäder  regulierend  auf  die  Körperwärme,  indem  sie  ein  zu  tiefes 
Absinken,  als  auch  ein  zu  hohes  Ansteigen  verhinderten.  Auch  über¬ 
lebten  die  behandelten  Tiere  die  Kontrolltiere  um  5  Tage.  Durch  Kom¬ 
bination  mit  Sublimatinjektionen  konnten  die  Tiere  über  2  Monate  am  Leben 
erhalten  werden.  Kombination  mit  Arsen-  oder  Atoxylinjektionen  wirkten 
nicht  anders  als  blose  Injektionen  von  Arsen  bez.  Atoxyl. 

Dieser  günstige  Einfluß  auf  tierische  Bluterkrankungen  veranlaßte  D. 
die  Schwefelbäder  auch  bei  der  Syphilis  zur  Anwendung  zu  bringen  und 
zwar  in  Kombination  mit  einer  Quecksilberkur. 

Er  will  mit  dieser  kombinierten  Kur  günstige  Resultate  erzielt  haben. 
Näheres  führt  er  nicht  aus,  sondern  verweist  auf  seine  Schrift:  die  kom¬ 
binierte  Quecksilber-Schwefelbehandlung  der  Syphilis. 

Am  Schlüsse  empfiehlt  D.  noch  die  Behandlung  mit  Thiopinolbädern 
bei  entzündlichen  Erkrankungen  der  weiblichen  Sexualorgane,  Gelenkerkran¬ 
kungen  verschiederner  Art  usw. 

Ref.  vermißt  die  Angabe  darüber,  welche  Zusammensetzung  Thiopinol- 
bäder  haben  und  darüber,  ob  die  Kontrolltiere  piit  gleichwarmen  Wasser-“ 
bädern  behandelt  worden  sind,  da  sonst  die  Temperaturbeeinflussung  mög¬ 
licherweise  auf  die  bloße  Wasserwirkung  zurückgeführt  werden  konnte. 

Hahn. 


Referate  und  Besprechungen. 


253 


Schutz  der  Haut  bei  der  Massage. 

(F.  Kirchberg.  Med.  Klinik,  Nr.  12,  1908.) 

Zum  Schutze  der  Haut  bei  der  Anwendung  der  Massage  empfiehlt 
Kirchberg  außer  der  in  der  J  abludewski’schen  Anstalt  mit  ausgezeich¬ 
netem  Erfolge  angewandten  weißen  Virginiavaseline  noch  für  besonders  emp¬ 
findliche  Haut  (bei  Massage  von  Diabetikern,  ödematösen  (Miedern,  Narben) 
die  Lenicetvaseline,  die  dann  zum  Gegensatz  des  sonstigen  Gebrauchs  nach 
der  Sitzung  nicht  abgewischt  wird.  — -  (Lenicetsalbe  =  Lenicetvaseline  ist 
weiße  amerikanische  Vaseline  mit  Zusatz  von  polymerisierter  trockener  essig¬ 
saurer  Tonerde  =  Lenicet.  Hersteller  Chem.  Fabrik,  Dr.  R.  Reich,  Berlin.) 

R.  Stüve  (Osnabrück). 


Allgemeines. 

Aus  der  amerikanischen  periodischen  medizinischen  Literatur. 

(Oktober — November  1908.) 

The  St.  Paul  medical  jourmal  Novbr.  1908. 

Die  Originalartikel  dieser  Nummer  beschäftigen  sich  bis  auf  einen 
von  E.  R.  Sw  an,  (Cedar.  Rapids,  Jowa)  über  Ventilation  ausschließlich 
mit  der  Tuberkulose.  Es  sind  dies  die  Artikel:  1.  Der  Tuberkelbazillus 
und  die  Ar;t  seiner  Aktion.  Von  Dr.  F.  F.  WAsbrook,  Direktor  der 
städitischen  Gesundheitsamts-Laboratorien  in  Minneapolis  und  med.  chirurg. 
Dekan  an  der  Universität.  2.  Einige  Beobachtungen  über  die  Früh¬ 
diagnose  der  Lungentuberkulose.  Von  Dr.  Walter  J.  Markley,  In¬ 
spektor  des  Minnesota-Sanatoriums  für  Schwindsüchtige  zu  Walker,  Minnea¬ 
polis.  3.  Die  Behandlung  Lungentuberkulöser  nach  der  Entlassung 
aus  einem  Sanatorium.  Von  Dr.  H.  Longstret  Taylor,  St.  Paul. 
4.  Flauttuberkulose.  Von  Dr.  Burnside  Foster,  St.  Paul.  5.  Chi¬ 
rurgische  Tuberkulose.  Von  Dr.  Walter  Courtney,  St.  Paul.  —  Alles 
Vorträge,  die  auf  der  Versammlung  der  med.  Gesellschaft  des  oberen  Missis¬ 
sippi  in  Walker,  Minneapolis;  am  21.  Juli  1908  gehalten  wurden.  Das 
Heft  bezeichnet  sich  dann  auch  als  upper  Mississippi  valley  medical  society 
number. 

The  Post-Graduate  Octobre  1908. 

1.  Der  Monat.  Von  den  Herausgebern.  Frederik  Cooper  Hewitt 
von  Omego,  New-York,  ein  Mitschüler  des  bekannten,  in  diesem  Frühjahr 
verstorbenen  Dr.  Roosa,  des  Begründers  der  New- Yorker  Post-Graduate 
school,  hat  dieser  zum  Andenken  an  R.  2  Millionen  Dollar  vermacht.  — 
Mängel  der  ersten  ärztlichen  Hilfe  bei  Straßenunfällen  und  Vor¬ 
schläge  zur  Abhilfe,  (ähnlich  wie  bei  uns).  2.  Persönliche  Erfah¬ 
rungen  mit  der  Celiotomie  mittels  der  incisio  transversa  sup- 
rapubica  nach  Pfannenstiel.  Von  Dr.  Abram  Brothers,  Adjunkt- 
Professor  der  Gynäkologie  an  der  P.  Gr.  school  and  hospital.  Früher  kein 
Anhänger  der  queren  Abdominal-Inzision,  hat  er  jetzt  eigene  Erfahrungen 
über  60  Laparotomien  mittels  dieser  ohne  eine  einzige  postoperative  Hernie 
gesammelt  und  fügt  dieses  Resultat  den  von  anderer  Seite  berichteten  hinzu 
(Pfannenstiel  198  mit  1,  Kroenig*  127  mit  4  Hernien).  3.  Medizini¬ 
sche  Fortbildung  in  Wien.  Von  Dr.  Edward  Davis,  Prof,  der  Augen¬ 
heilkunde  an  der  P.  Gr.  school  and  hosp.  Eigene  Erfahrungen.  In  Wien 
besteht  nicht  wie  in  New-York  eine  eigene  ärztliche  Fortbildungsschule  mit 
einem  Hospital.  Jeder  sucht  sich  das,  was  er  hören  will  und  den  betr.  Lehrer 
selbst  aus  und  bezahlt  diesen,  nicht  die  Schule.  D.  sah  in  Wien  zum.  erstenmal 
eine  Entfernung  des  Thränensacks  unter  Kokain  und  Blutleere  von  Dozent 
Dr.  Weller,  die  bisher  nur  unter  allgemeiner  Anästhesie  und  starkem  Blut¬ 
verlust  möglich  war.  Wien  ist  für  amerikanische  und  englische  Arzte  so 
anziehend,  weil  hier  die  meisten  Kurse  englisch  gegeben  werden.  4.  Einige 
neuere  Fälle  von  Prostatektomie.  Von  Dr.  Pollen  Cabot,  Urogenital- 


254 


Referate  und  Besprechungen. 


Chirurg,  Professor,  konsultierender,  New-York.  Besprechung  einiger  wich¬ 
tiger  Punkte.  Mortalität  früher  25 — 40,  jetzt  7%.  Vor  der  Prostatektomie 
ist  häufig  erst  Cystotomie  und  Drainage  indiziert.  Aufschub  der  Operation, 
Postoperative  Blutung.  5.  Eine  Haarnadel  als  Kern  eines  Blasen¬ 
steins  bei  einer  Erau.  Von  Dr.  George  W.  Warren:  Lehrer  der  veneri¬ 
schen  und  Urogenitalkrankheiten  P.  Gr.  sehool.  Beschreibung  des  Falles. 
Abbildung  des  Steins  mit  der  Nadel.  Operation.  6.  Entfernung  einer 
Stecknadel  aus  der  Trachea  mittels  des  Killian’schen  Bronchos¬ 
kops.  Von  Dr.  Charles  Graef,  Lehrer  der  Nasen-  und  Brustkrankheiten 
P.  Gr.  sehool.  Die  von  einem  8  jährigen  Knaben  im  Munde  gehaltene  und 
beim  Bennen  verschluckte  Nadel  steckte  in  der  hinteren  Trachealwand  dicht 
unterhalb  der  Stimmbänder.  Operation  unter  Chloroform.  Am  nächsten  Tag 
ist  der  Knabe  gesund.  Gr.  meint,  diese  seine  erste  derartige  Operation  am 
Lebenden  war  doch  etwas  anderes  als  die  an  der  Leiche  oder  am  Phantom. 

7.  Der  unter  Leitung  von  Dr.  Hopf  er  Coffin  stehende  Auszjug-  und  Refe¬ 
raten  teil  bespricht  36  Arbeiten,  darunter  fast  die  Hälfte  (17)  deutsche. 

8.  Unter  „Verschiedenes“  wird  anerkennend  der  Worte  gedacht,  die  seiner¬ 
zeit  R.  Kutner  im  Zentralkomitee  für  das  ärztliche  Fortbildungswesen  in 
Preußen  über  St.  John  Roiosa  (s.  oben  Nr.  1)  gesprochen. 

The  american  journal  of  the  med,  Sciences.  Novbr.  1908. 

1.  Die  Gallensteinkrankheit.  Von  Dr.  John  B.  Deaver,  Chef¬ 
chirurg  am  deutsch.  Hosp.  Philadelphia.  (Die  Diskussion  ist  noch  nicht 
abgeschlossen,  weder  für  Internisten  noch  für  Chirurgen.  Die  Leber  ist  das 
größte  Exkretionsorgan  des  Körpers,  wird  leicht  infiziert  und  steht  zu 
die  anderen  Unterleibsorganen  in  Beziehung.  Daher  rechtfertigt  sich  die 
neuere  Besprechung).  2.  Aszite's  bei  Typhus.  Von  Dr.  Alexander  Mc. 
Phedran,  Prof.  d.  Med.  Univers.  Toronto,  Kanada.  (Außer  Peritonitis  er¬ 
wähnt  die  Literatur  kein  derartiges  Vorkommnis.  Bericht  über  6  Fälle 
in  den  letzten  3  Jahren.)  3.  Lobäre  Pneumonie.  Von  Dr.  George  Wil¬ 
liam  Norris,  Lehrer  der  Medizin.  Univers.  Philadelphia.  (Analyse  von 
445  Fällen  mit  bes.  Berücksichtigung  der  verminderten  Sterblichkeit  seit 
Einführung  von  Freiluftbehandlung).  4.  Pharmakologie  der  Herzstimu- 
lantien.  Von  Dr.  Horatio  C.  Wood,  Prof,  der  Pharmakol.  Univers.  Phi¬ 
ladelphia.  (Besprechung  der  als  Digitalisgruppe  zusammengefaßten  Drogen 
und  ihrer  für  die  Therapie  in  Betracht  kommenden  Eigenschaften.)  5.  Ataxie 
des  Herzmuskels.  Von  Dr.  E.  Schmoll,  klin.  Lehrer  am  Cooper  College, 
St.  Francisco.  (Mit  vielen  Pulskurven,  ausgehend  von  Leyden’s  Hemisystole.) 
6.  Interpretation  des  VenenpuLsejs.  Von  Dr.  Bachmann,  Physiologe 
am  Jefferson-college  hospital,  Philadelphia.  7.  Ermüdung  der  Schul¬ 
kinder,  nachgewiesen  am  Ergographen.  Von  Dr.  Rowland  C.  Free- 
man,  Lehrer  der  Kinderheilkunde  an  der  Univers.  und  dem  Bellevue-Hos¬ 
pital,  New-York.  (Mit  Kurven  und  Abbildung'.)  8.  Der  diagnostische 
Wert  kutaner  Hyperalgefsie  (Head’sche  Zonen)  bei  Unterleibs¬ 
krankheiten.  Von  Dr.  Charles  A.  Eisberg  und  Dr.  Harald  Neuhof, 
Chirurgen  am  Monet  Sinaihospital,  New-York.  (Head’s  Zonen,  obwohl  bereits 
vor  15  Jahren  beschrieben  (Lange  1871,  Roß  1888),  sind  noch  wenig  bekannt. 
Beschreibung.  Prüfungsmethoden.  Diagnostischer  Wert;.  9.  Tumor  des 
ganglion  Gasseri,  2  Fälle  mit  Nekropsie.  Von  Dr.  William  0.  Spil- 
ler,  Prof,  der  Neurologie,  Pennsylv. -Univers.,  Philadelphia.  10.  Ätiologische 
Bedeutung  abnormer  Fußstellungen  für  Affektionen  des  Kniege¬ 
lenks.  Von  Dr.  David  Silver,  orthopäd.  Chirurg  am  Kinderhospital,  Pitts¬ 
burg.  (Kniesymptome  infolge  abnormer  Fußstellung  erklären  sich  mechanisch, 
es  können  aber  auch  aktuelle  Veränderungen  dadurch  herbeigeführt  werden. 
Daher  Korrektur  der  Fußstellung  oder,  wo  diese  nicht  möglich,  Verlegung  des' 
Körperschwergewichts!)  11.  Die  Ricin-Methode  von  Jacoby-Solms  für 
die  quantitative  Pepsinschätzung.  Aus  dem  Privatlaboratorium  von 
Dr.  John  H.  Muser.  Von  Dr.  Edward  H.  Goodman,  Philadelphia.  Von, 
den  vielen  interessanten  älteren  Methoden  (Brücke,  Grützner,  Jaworsky, 
Hammerschlag,  Oppler)  ist  eigentlich  keine  praktisch.  1906  mit  Unter- 


Bücherschau. 


255 


suchungen  über  Ricin  beschäftigt,  fand  Jacoby  (Arbeiten  aus  d.  patholog. 
Institut  Berlin,  Feier,  Joh.  Orth,  S.  655),  daß  eine  l%ige  Kochsalzlösung 
dieser  Substanz  trübe  wurde  infolge  in  ihr  enthaltener  unlöslicher  Eiwei߬ 
körper,  sich  aber  nach  Pepsinzusatz  schnell  aufklärte.  1907  veröffentlichte 
der  unter  Jacoby  arbeitende  Spinös  eine  Arbeit  hierüber,  und  erst  seitdem 
hat  die  Methode  Beachtung  gefunden.  Beschreibung  der  Technik  und  Be¬ 
urteilung  der  gefundenen  Resultate.  Hyperazidität  ist  meist  nicht  mit  ent¬ 
sprechender  Pepsinvermehrung,  Subazidität  stets  mit  Pepsinverminderung  ver¬ 
bunden.  Die  Methode  ist  einfach,  schnell,  billig  und  genau.  Peltzer. 


Bücherschau. 


Grutldzüge  der  Physiologie.  Von  Brieger- Wasservogel.  J.  F.  Schreibe]*, 
Eßlingen  u.  München.  180  Seiten.  2.80  Mk. 

Die  Herausgeber  haben  sich  zur  Aufgabe  gestellt,  ein  allgemein-verständ¬ 
liches  Extrakt  aus  den  mehr  oder  weniger  unhandlichen  Handbüchern  der  Physio¬ 
logie  herzustellen.  Das  ist  ihnen  sehr  gut  gelungen  Dank  einer  flüssigen,  leicht¬ 
verständlichen  Darstellung  und  60,  zum  Teil  farbigen  Abbildungen. 

Physiologie  kann  man  freilich  nicht  aus  Büchern  lernen;  indessen  zur  Unter¬ 
stützung  praktisch-physiologischer  Anleitungen  erscheint  das  Buch  wertvoll. 

Buttersack  (Berlin). 


Innere  Krankheiten  der  Schwangeren  und  die  Indikationen  zur  Einleitung 
des  Abortes.  Sanitätsrat  Dr.  G.  Korach.  Verlag  von  Benno  Konegen, 

1908.  70  Pfg. 

Gute  Zusammenfassung  der  heutigen  Ansichten  über  die  Indikationen  zur 
Einleitung  des  künstlichen  Abortes,  berücksichtigt  die  Infektionskrankheiten  (bes. 
Influenza,  Pneumonie,  Tuberkulose),  Struma,  Herzerkrankungen,  Erkrankungen  des 
Zentralnervensystems,  Epilepsie,  Chorea,  Tetanie,  die  Affektionen  peripherer  Nerven. 
Hyperemesis;  Appendizitis;  Nieren-  und  Leberkrankheiten ;.  Diabetes;  Osteomalazie. 

R.  Klien  (Leipzig). 


Über  die  Nebenwirkungen  der  modernen  Arzneimittel.  3.  Folge.  Von 
Prof.  Dr.  Otto  Seifert,  Wurzburg.  Würzburger  Abhandl.  aus  dem 
Gesamtgebiet  der  prakt.  Medizin.  Verlag  Kurt  Kabitzsch  (A.  Stuber’s 

Verlag)  Würzburg.  1.70  Mk. 

Da  im  ganzen  weit  mehr  die  guten  Erfahrungen  mit  den  neuen  Medika¬ 
menten  publiziert  und  zur  Kenntnis  der  Arzte  kommen,  ist  es  ein  dankbares  Unter¬ 
nehmen  des  Verfassers,  auch  einmal  die  Nebenwirkungen  übersichtlich  zu  besprechen. 
Gleich  den  vorangegangenen  beiden  Heften  zeichnet  auch  das  vorliegende  große 
Vollständigkeit  aus,  im  übrigen  hält  sich  Verfasser  ziemlich  genau  an  das,  was  er 
in  seiner  Einleitung  zur  zweiten  Abhandlung  ausgesprochen  hat.  Dem  Praktiker 
werden  auf  jeden  Fall  die  Seif ert’schen  Abhandlungen  großen  Nutzen  bringen. 

R, 


Leitfaden  des  Röntgenverfahrens.  Unter  Mitarbeit  der  Prof,  und  Dr. 
Blenke,  Hildebrand,  Hoffa,  Hoffmann,  Holzknecht  herausg. 
v.  Ing.  F.  Dessauer  und  Dr.  B.  Wiesner,  Aschaffenburg.  3.  umg. 
AufL  Leipzig,  O.  Numrich,  1908.  336  S.,  113  Abb.  u.  3  Taf.  10  Mk. 

Der  Leitfaden  will  klären  und  lehren,  ohne  allzusehr  ins  Detail  zu  gehen 
und  bringt  dementsprechend  eine  kurze  aber  möglichst  erschöpfende  fachmännische 
Darstellung  der  physikalischen  Gesetze  des  Röntgen  Verfahrens  und  der  technischen 
Gesetze  des  Apparates,  sowie  einen  medizinischen  Teil,  der  die  innere  und  chirur¬ 
gische  Diagnostik  und  die  Röntgentherapie  bespricht.  Von  Einzelheiten  seien 
erwähnt  die  Besprechung  des  wichtigen  Blendenverfahrens,  der  Orthodiagraphie. 


256 


Bücherschaii. 


des  stereoskopischen  Hilfsverfahrens,  des  Schutzes  von  Arzt  und  Patient,  der  Do¬ 
sierung,  des  Strahlencharakters. 

Das  Buch  kann  dem  Arzte  sowohl  zur  Orientierung  als  auch  zur  Vorberei¬ 
tung  und  Begleitung  für  Röntgenkurse  bestens  empfohlen  werden.  Esch. 


Unsere  Mittelschüler  ZU  Hause.  Schulhygienische  Studie.  Nach  Er¬ 
hebungen  an  Münchener  Mittelschulen  veranstaltet  durch  die  Schul¬ 
kommission  des  ärztlichen  Vereins  München.  Bearbeitet  von  Dr.  Eugen 
Dornberger  und  Dr.  Karl  Graßmann,  prakt.  Ärzten  zu  München, 
München,  J.  F.  Lehmann’s  Verlag,  1908.  208  Seiten. 

Während  man  in  Preußen  unter  Mittelschulen  Schulen  versteht,  die  zwischen 
der  Volksschule  und  den  höheren,  den  Gymnasien,  stehen,  bezeichnet  man  in 
Bayern  und  Österreich  gerade  diese  letzteren  und  die  ihnen  gleichgerechneten  An¬ 
stalten  als  Mittelschulen  im  Gegensatz  zu  den  Hochschulen.  Dies  zur  Vermeidung 
von  Mißverständen,  zu  welchen  der  Titel  des  vorliegenden  Buches  ohne  Kenntnis¬ 
nahme  des  Inhalts  Veranlassung  geben  könnte,  vorauf  geschickt,  können  wir  es  allen 
denjenigen,  welche  Einfluß  auf  die  Gestaltung  des  Unterrichts  an  unseren  höheren 
Lehranstalten  haben,  umsomehr  an’sHerz  legen,  als  sie  nicht  zu  besorgen  haben,  daß  sie 
in  ihm  den  vielfach  noch  immer  gefürchteten  ärztlichen  Eingriffen  in  die  ausschließliche 
Aufgabe  der  Schule,  die  Pädagogik,  begegnen  werden.  Hat  es  doch  geraumer  Zeit  und 
der  Ueberwindung  manches  Vorurteils  bedurft,  ehe  dem  Arzt  als  solchen  überhaupt 
eine  Kenntnisnahme  von  Einrichtungen,  die  mit  der  Schule  Zusammenhängen,  zuge¬ 
standen  wurde.  Um  was  es  sich  hier  handelt,  ist  vielmehr  die  Beibringung  schul¬ 
hygienischen  Beobachtungsmaterials  zur  Beleuchtung  der  Frage,  ob  nicht  auch 
außerhalb  der  Schule  Schädlichkeiten  liegen,  deren  üble  Wirkung  allzuoft  ein¬ 
seitig  der  Schule  zugeschrieben  wird.  In  diesem  Sinne  sei  das  Buch  aber  auch 
den  Eltern  unserer  höheren  Schüler  an’s  Herz  gelegt,  wenngleich  sich  diese  im  All¬ 
gemeinen  nicht  gern  mit  Statistik  beschäftigen  werden.  Aber  ohne  Statistik  keine 
Verbesserung,  keine  Reform,  wie  dies  erst  kürzlich  im  Reichstage  bei  Besprechung 
der  Arbeitslosen-Interpellation  von  berufener  Seite  überzeugend  nachgewiesen  wurde. 
Um  kurz  etwas  näher  auf  den  Inhalt  einzugehen,  so  sei  bemerkt,  daß  zwar  die 
auf  Knaben  und  Mädchen  innerhalb  unserer  höheren  Schule  wirkenden  Einflüsse 
in  den  letzten  2 — 3  Jahren  eingehend  studiert  sind  und  hierdurch  bereits  manche 
Änderung,  z.  B.  die  Einführung  des  ungeteilten  Unterrichts,  sowie  die  bessere  Aus¬ 
gestaltung  der  Schulgebäude,  herbeigeführt  ist,  daß  aber  hiermit  das  Studium  der 
persönlichen  Hygiene  des  Schülers  außerhalb  der  Schule  nicht  gleichen  Schritt 
gehalten  hat.  In  dieser  Beziehung  liegen  bisher  nur  die  Untersuchungen  von 
Axel  Key  für  die  nordischen  Länder  und  von  Patzak-Prag  für  Österreich  vor. 
Diese  Lücke  auszufüllen,  ließ  sich  die  Schulkommission  des  ärztlichen  Vereins 
München  angelegen  sein,  indem  sie  mittels  genauer  Fragebogen,  betiv  die  Schlaf¬ 
dauer  und  die  Schlafzeit,  den  Schulweg,  den  Kirchenbesuch,  die  häuslichen  Ar¬ 
beiten,  die  Nebenbeschäftigungen,  die  freie  Zeit,  die  körperliche  Betätigung  außer¬ 
halb  der  Schule  usw.  eine  Umfrage  veranstaltete  und  diese  an  die  5  humanistischen 
Gymnasien  Münchens,  sowie  an  das  Realgymnasium,  die  3  Kreisrealschulen,  das 
Kadettenkorps,  die  städtische  Handels-,  die  städtische  höhere  Töchterschule  sowie 
an  eine  Reihe  anderer,  auch  privater  Institute  richtete.  Das  unter  Mitwirkung 
zahlreicher  Ärzte,  der  Familien  und  vereinzelt  auch  der  Schüler  selbst  gewonnene 
Material  liegt  in  2  ausgezeichneten  Bearbeitungen,  und  zwar  bezüglich  der  5  Gym¬ 
nasien  von  Dr  Graßmann,  bezüglich  der  anderen  Schulen  und  Institute  von 
Dr.  Dornberger  vor.  Das  Resultat  ist  im  allgemeinen,  daß  innerhalb  des  heutigen 
Arbeitstages  unserer  höheren  Schüler  und  Töchter  eine  bessere  körperliche  Aus¬ 
bildung  als  bisher  nicht  möglich  ist.  Soll  es  anders  werden,  so  müssen  sich  Haus 
und  Schule  hiermit  durchdringen,  der  Wert  geistiger  Schulung  und  des  auf  diese 
Weise  gewonnenen  Wissens  und  Könnens  braucht  damit  nicht  herabgesetzt  zu 
werden.  „Eines  Volkes  Zukunft  erblüht  aus  seiner  Jugend.“  Peltzer. 


Ein  neuer  Hauptkatalog  von  B.  Zimmermann,  Leipzig,  über  psycho¬ 
logische  Apparate,  Mikrotome,  Mikroskopie,  Mikrophotographie,  Mikroprojektion 
ist  erschienen  und  wird  allen  Interessenten  kostenlos  zugesandt. 

Schriftleitung:  Dr.  Ri  gl  er  in  Leipzig. 

Druck  von  Emil  Herrmann  senior  in  Leipzig. 


27.  Jahrgang. 


1909. 


fortscbriitc  der  Medizin. 


Unter  Mitwirkung  hervorragender  Fachmänner 

herausgegeben  von 


Professor  Dr.  0.  Köster  Prio.-Doz.  Dr.  o.  Cricgem 

in  Leipzig.  in  Leipzig. 

Schriftleitung:  Dr.  Rigler  in  Leipzig. 


Nr.  7. 


Erscheint  am  10.,  20.,  30.  jeden  Monats.  Preis  halbjährlich 
6  Mark,  in  kl.  Zeitschrift  für  Yersicherungsmedizin  8  Mark. 


Verlag  von  Georg  Thieme,  Leipzig. 


10.  März. 


Originalarbeiten  und  Sammelberichte. 

Zur  Klinik  des  Kleinhirnbrückenwinkeltumors. 

Von  Dr.  C.  Velhagen,  Augenarzt. 

(Vortrag  gehalten  in  der  medizinischen  Gesellschaft  zu  Chemnitz.) 

M.  H.  Aus  dem  wichtigen  und  schwierigen  Kapitel  „Tumor  cerebriu 
möchte  ich  Ihnen  an  der  Hand  eines  Präparates  über  einen  Krank¬ 
heitsfall  berichten,  von  dem  ich  überzeugt  bin,  daß  er  nicht  nur  wegen 
seiner  Seltenheit,  sondern  auch  wegen  seiner  anatomischen  und  klinischen 
Eigentümlichkeiten  Ihr  Interesse  hervorrufen  wird.  — 

Am  21.  X.  1903  kam  eine  17jährige  junge  Dame  aus  der  Um¬ 
gegend  von  Chemnitz  begleitet  von  ihrer  Mutter,  in  der  vergnügtesten, 
sorglosesten  Stimmung  zu  mir  mit  der  Angabe,  sie  habe  gestern  eine 
Hochzeit  mitgemacht  und  die  ganze  Nacht  über  getanzt,  wolle  aber  die 
Gelegenheit,  weil  sie  gerade  hier  wäre,  benutzen,  einmal  einen  Augenarzt 
zu  konsultieren.  Sie  habe  zuweilen  etwas  Flimmern  vor  den  Augen, 
könne  auch  z.  B.  beim  Klavierspielen,  Staubwischen  usw.  nicht  mehr 
recht  alles  sehen. 

Hie  Untersuchung  mit  dem  Augenspiegel  ergab  zu  meinem  Ent¬ 
setzen  eine  doppelseitige  Stauungspapille  von  einer  Intensität,  wie  sie 
selten  vorkommt,  nämlich  von  7 — 8  H,  d.  h.  einer  Höhendifferenz  des 
Sehnervenkopfes  gegen  die  umgebende  Retina  von  21/2 — 3  mm.  Die 
Sehkraft  rechts  war  gleich  5/12,  diejenige  links  gleich  5/80.  Das  Ge¬ 
sichtsfeld  zeigte  einige  parazentrale  Skotome.  —  Die  sofort  an  die  Pa¬ 
tientin  resp.  deren  Mutter  gestellten  Fragen  nach  dem  Bestehen  sonstiger 
Krankheitserscheinungen  wurden  zunächst  verneinend  beantwortet.  Erst 
nach  eindringlichen  Fragen  wurde  zugegeben,  daß  vor  einigen  Wochen 
manchmal  etwas  Übelkeit  und  Kopfschmerz  dagewesen  sei.  Auch  habe 
sie  vor  einigen  Monaten  einmal  einen  Ohrenarzt  in  Ch.  konsultiert,  weil 
sie  auf  dem  rechten  Ohr  nicht  mehr  ganz  so  gut  hören  könne  wie  auf 
dem  anderen. 

Wie  wenig  mit  diesen  spärlichen  Angaben  anzufangen  war,  ist  klar. 
Es  wird  wohl  kaum  junge  Mädchen  aus  den  höher  kultivierten  Ständen 
geben,  welche  nicht  ähnliche  Klagen  hätten.  Anamnestisch  wurde  aller¬ 
dings  insofern  etwas  Verdächtiges  gefunden,  als  skrophulöse  Erscheinungen 
bei  der  Patientin  selbst  sowohl,  als  bei  ihren  drei  Geschwistern  dage¬ 
wesen  waren.  Auf  Lues  der  Eltern  deutete  nichts.  Da  mir  bei  dem 
ophth.  Befund  die  Diagnose  auf  Tumor  cerebri  nicht  zweifelhaft  war, 
bestand  ich  darauf,  trotz  lebhaften  Widerstrebens  der  Mutter  und  Tochter, 

17 


258 


C.  Velhagen, 


welche  mich  auslachten,  daß  noch  ein  anderer  Augenarzt  gefragt  werde 
und  zwar  eine  auswärtige  Autorität.  Dieser  bestätigte  meine  Diagnose 
vollkommen  und  fügte  seinem  Bericht  an  mich  wörtlich  noch  Folgendes 
hinzu:  „Es  wäre  wohl  möglich,  daß  ein  Tuberkelherd  oder  sonst  ein 
gutartiger  umschriebener  Prozeß  die  Sehnerven  direkt  vor  ihrem  Eintritt 
zur  Kreuzung  schädigte.  Für  eine  Fernwirkung  von  einem  weiter  hinten 
sitzenden  Herd  sind  keinerlei  Anhaltspunkte  gegeben.“ 

Die  Patientin,  welche  jetzt  ebenso  wie  ihre  Angehörigen  von  dem 
furchtbaren  Ernst  der  Lage  überzeugt  war,  wurde  darauf  zunächst  von 
zwei  Neurologen  untersucht  aber  ohne  Resultat.  Auch  brachte  eine 
Röntgendurchleuchtung  des  Kopfes  keinerlei  Aufklärung  über  die  Art 
und  den  Sitz  des  Tumors.  Ein  sehr  erfahrener  Otologe  nahm  einen 
Ohrenbefund  auf,  der  dahin  lautete,  daß  sich  auf  beiden  Mittelohren,  be¬ 
sonders  am  rechten,  Trommelfell-  und  andere  -Veränderungen  fänden, 
welche  die  Schwerhörigkeit  zur  Genüge  erklärten.  Sie  hörte  rechts  30/150, 
links  80/ir)0,  Flüstersprache  rechts  in  einem,  links  in  sieben  Metern. 

Nachdem  nun  noch  eine  Schmierkur  vergeblich  versucht  war  und 
auch  die  weitere  Beobachtung  keinerlei  Anhaltspunkte  für  die  Lokali¬ 
sation  der  Geschwulst  geboten  hatte,  riet  ich  den  Eltern,  die  Berliner 
Chirurgen  und  Nervenärzte  zu  konsultieren.  Dieselben  könnten  vielleicht 
auf  Grund  ihrer  großen  Erfahrungen  auf  diesem  Gebiete  den  Krankheits¬ 
herd  finden  und  durch  Operation  Heilung  schaffen.  Denn  mir  schien 
unzweifelhaft,  daß  es  sich  hier  bei  der  kolossalen  Stauungspapille  ohne 
andere  Herdsymptome  um  etwas  Besonderes  handeln  müsse. 

In  Berlin  haben  sich  nun  hervorragende  Vertreter  sämtlicher  ein¬ 
schlägiger  Spezialfächer  mit  dem  unglücklichen  jungen  Mädchen  be¬ 
schäftigt,  aber  keiner  ist  auch  nur  entfernt  auf  die  richtige  Diagnose 
gekommen.  An  der  Anwesenheit  eines  Tumors  in  cerebro  zweifelte  man 
zwar  nicht,  aber  die  Möglichkeit  der  Lokalisierung  und  damit  der  Opera¬ 
tion  wurde  einstimmig  verneint.  Nur  wurde  mit  Reserve  die  Ver¬ 
mutung  ausgesprochen,  daß  der  Herd  möglicherweise  tief  in  einem 
Scheitellappen  sitze.  — 

Eine  in  Berlin  vorgenommene  Arsenkur  blieb  auch  ohne  Erfolg, 
sodaß  die  Patientin  ungetröstet  heimkehren  mußte.  Schon  Ende  November 
erkannte  sie  nicht  das  Sonnenlicht  mehr.  — 

Die  Eltern  wanderten  dann  mit  ihrer  Tochter  von  einem  Arzt  zum 
andern  und  später  von  einem  Kurpfuscher  zum  andern,  ohne  daß  sie 
irgendwo  Hilfe  finden  konnten. 

Fast  zwei  Jahre  blieb  der  körperliche  Zustand  dann  derselbe  un¬ 
veränderte.  Die  geistige  Regsamkeit  der  sehr  klugen  und  feingebildeten 
Patientin  nahm  durchaus  nicht  ab.  Sie  trieb  mit  einer  Gesellschafterin 
fremde  Sprachen  und  schöne  Literatur,  hatte  auch  viel  geselligen  Ver¬ 
kehr  und  konnte  weite  Wege  gehen,  sodaß  man  wirklich  manchmal  an 
der  Diagnos  „Tumor  cerebri“  irre  wurde.  Nur  wurde  das  Gehör  schlechter. 
Am  31.  6.  04  wurde  konstatiert,  daß  sie  rechts  Flüstersprache  nur  in 
15  cm  vernehmen  könne.  Im  Oktober  06,  also  zwei  Jahre  nach  der 
vollständigen  Erblindung,  fand  sich  totale  Taubheit  rechts  und  auch  links 
erhebliche  Verschlechterung  des  Hörvermögens.  — 

Nach  dieser  Zeit,  während  welcher  die  Stauungspapillen  sich  lang¬ 
sam  in  weisse  Scheiben  verwandelt  hatten,  wurde  dann  auch  das  Allge¬ 
meinbefinden  ein  anderes.  Zunächst  trat  eine  große  Schwäche  in  den 
Beinen  auf,  welche  so  zunahm,  daß  sie  seit  1907  nicht  mehr  gehen  konnte. 
Eigentliche  Ataxie  oder  Schwindel  scheint  aber  vorläufig  noch  nicht  da- 


Zur  Klinik  des  Kleinliirnbrückenwinkeltuniors. 


259 


gewesen  zu  sein.  Dann  wurde  sie  alsbald  auch  auf  dem  linken  Ohr 
vollständig  taub.  Die  Außenwelt  konnte  sich  nur  dadurch  mit  ihr  in 
Verbindung  setzen,  daß  man  ihr  mit  dem  Finger  etwas  in  die  Hand¬ 
fläche  schrieb.  Dazu  litt  sie  an  schrecklicher  Obstipation.  Ferner  traten 
quälende  Neuralgien  auf  im  Gebiet  des  rechten  Trigeminus  sowohl  wie 
an  anderen  Körperstellen. 

Auch  machte  sie  verschiedene  Selbstmordversuche.  Geistig  klar 
blieb  sie  bis  vor  D/2  Jahren.  Um  diese  Zeit  entstand  auch  Dyarthrie, 
welche  sich  zu  vollständigem  Unvermögen  zu  sprechen,  steigerte.  Dabei 
wurde  der  ganze  Körper  steif,  so  daß  sie  bettlägerig  wurde,  ungefähr 
April  dieses  Jahres.  Zugleich  traten  auch  Krämpfe  auf  und  zwar  an¬ 
fangs  täglich,  später  etwas  seltener.  Am  1.  VIII.  d.  J.  wurde  sie  in 
die  „Städtische  Heil-  und  Pflegeanstalt“  zu  Dresden  überführt,  wo  sie 
am  29.  VIII.  starb.  In  der  Krankengeschichte,  welche  dort  aufge¬ 
nommen  und  mir  von  dem  dirigirenden  Arzt,  Herrn  Sanitätsrat  Dr. 
Heck  er  gütigst  zur  Verfügung  gestellt  wurde,  ist  unter  anderm  notiert, 
daß  die  Kranke  vollständig  bewußtlos  und  steif  im  Bett  gelegen  habe, 
den  Kopf  stets  nach  der  linken  Seite  geneigt  und  den  linken  Arm  starr 
an  die  Brust  angezogen.  Der  Gesichtsausdruck  war  ohne  Bewegung, 
nur  manchmal  zogen  sich  die  Muskeln  der  Mundöffnung  krampfartig 
zusammen,  wobei  eine  Parese  der  rechten  Gesichtshälfte  auffiel.  Die 
Gesichtsmuskeln  waren  atrophisch,  ebenso  wie  die  übrige  Muskulatur  des 
Körpers,  welche  fast  ganz  geschwunden  war.  Die  Sehnenreflexe  waren 
wegen  der  Muskelstarre  ganz  undeutlich.  Die  Lider  waren  halb  ge¬ 
öffnet,  während  die  Augen  anscheinend  unwillkürlich  in  der  horizontalen 
Ebene  von  Zeit  zu  Zeit  bewegt  wurden  und  zwar  in  koordinierter  Weise. 
Die  Korneal-  und  Konjunktivalreflexe  waren  aufgehoben.  Bei  Berührung 
des  Mundes  wurde  derselbe  geöffnet.  Der  Babinsky  war  nur  am  linken 
Fuß  nachweisbar.  Urin  ließ  sie  unter  sich.  Stuhl  kam  anf  Einlauf. 
Dekubitus  befand  sich  an  den  oberen  Brustwirbeln,  am  Sakrum,  an 
Oberschenkeln,  Fersen  und  Fußzehen.  Temperatur  war  normal,  innere 
Organe  ohne  Befund. 

Bei  der  von  Herrn  Geheimrat  Schmorl  vorgenommenen  Sektion 
fand  sich  nun  eine  Art  von  Tumor,  dessen  merkwürdige  Eigenschaften 
wohl  noch  nicht  allen  von  Ihnen  bekannt  sind,  nämlich  ein  Kleinhirn¬ 
brückenwinkel-  oder  wie  er  meist  genannt  wird,  ein  Akustikustumor. 
Der  ebengenannte  Herr  hat  nun  die  große  Loyalität  gehabt,  mir  das  kost¬ 
bare  und  seltene  Objekt  zur  Demonstration  zuzusenden,  da  ich  die 
Diagnose  auf  Hirngeschwulst  zuerst  gestellt  und  den  Krankheitsverlauf 
in  großen  Zügen  wenigstens  die  fünf  Jahre  hindurch  verfolgen  konnte. 

Außer  dem  Tumor  wurde,  um  dies  vorauszunehmen,  bei  der  Sek¬ 
tion  noch  konstatiert  sehr  starker  Hydrozephalus,  Atrophie  der  Schädel¬ 
knochen,  kleine  Hirnhernien  und  andere  auf  dem  Hirndruck  basierende 
Veränderungen.  Diese  haben  aber  aus  dem  Grunde  kein  Interesse,  weil 
sie  sehr  oft  bei  Tumor  cerebri  gefunden  werden.  Ebenso  wenig  sind 
natürlich  die  intra  vitam  in  der  späteren  Zeit  der  Erkrankung  aufge¬ 
tretenen  Symptome  von  Bedeutung.  Muskelstarre,  Krämpfe,  Abmagerung, 
Bewußtlosigkeit  usw.  kommen  im  Endstadium  sehr  vieler  Gehirngeschwülste 
vor.  Sie  sind  meist  nicht  als  Lokal-  oder  Nachbarschaftssymptome  eines 
Gehirntumors  aufzufassen,  sondern  als  Folge  des  gesteigerten  Gehirndrucks. 

Hier  handelt  es  sich  darum,  das  Krankheitsbild  des  Kleinhirn¬ 
brückenwinkeltumors  in  seinen  Anfangsstadien  festzustellen  und  aus  der 

17* 


260 


C.  Velhagen, 


vorliegenden  Krankengeschichte  eventuell  eine  Vervollständigung  des¬ 
selben  zu  gewinnen.  — 

In  der  Literatur  finden  sich  einschlägige  Beobachtungen  aus  früherer 
Zeit  sehr  spärlich,  während  in  den  letzten  zwei  bis  drei  Jahren  ver¬ 
hältnismäßig  viel  darüber  geschrieben  worden  ist.  Schon  Virchow  hat 
die  Akustikustumoren  gekannt  und  in  seinem  Buche  von  den  krank¬ 
haften  Geschwülsten  beschrieben.  Später  sind  es  u.  A.  die  Namen 
Brückner,  Sorgo,  Pichler,  Stevens,  Bouch ut,  v.  Monakow,  ßam- 
say  Hunt,  Lepine,  Frankl-Hoch wardt  und  vor  allem  Sternberg, 
Anton,  F.  Krause,  Borchardt  u.  Oppenheim,  welchen  Fortschritte 
in  der  Kenntnis  dieser  eigenartigen  Geschwulstart  zu  verdanken  sind.  — 

Sternberg  stellte  im  Jahre  1900  auf  Grund  von  fünf  Sektions¬ 
beobachtungen  zuerst  in  umfassender  Weise  die  histologischen  und  ma¬ 
kroskopischen  Eigenschaften  des  Kleinhirnbrückenwinkeltumors  fest,  mit 
welchen  natürlich  die  klinischen  auf  das  innigste  verknüpft  sind.  Er 
fand  zunächst,  daß  die  Tumoren  ihren  Sitz  immer  in  dem  nach  ihm  so¬ 
genannten  Recessus  acustico-cerebellaris  haben,  d.  h.  in  dem  Winkel  sitzen, 
welcher  gebildet  wird  1.  von  dem  distalen  Teil  des  Pons.,  2.  vom  Cere- 
bellum,  3.  von  der  hinteren  Fläche  der  Felsenbeinpyramide,  rsp.  deren 
duraler  Bedeckung.  —  Ferner  fand  er,  daß  die  Geschwülste  immer  mit 
dem  Akustikus,  sehr  selten  mit  dem  eng  benachbarten  Facialis  in  orga¬ 
nische  Beziehung  treten,  indem  bald  der  Nerv  durch  die  Neubildung 
vollkommen  ersetzt,  bald  nur  aus  seiner  Lage  verdrängt  wird,  so  daß 
er  platt  gedrückt  und  degeneriert  um  die  basale  Fläche  der  Geschwulst 
verläuft.  — 

Sternberg  hebt  ausdrücklich  hervor,  daß  durale  Geschwülste,  welche 
an  dieser  Stelle  Vorkommen,  stets  extradural  liegen  und  in  ihrer  histo¬ 
logischen  Beschaffenheit  sich  anders  verhalten.  Er  nannte  die  Neu¬ 
bildungen  deshalb  Akustikustumoren,  ein  Ausdruck,  der  sich  jedoch  wohl 
nicht  wird  halten  lassen,  da  in  letzter  Zeit  z.  B.  von  Gi erlich  (D.  med. 
Wochenschrift  1908,  15.  X.)  eine  Beobachtung  publiziert  ist,  welcher 
zufolge  auch  der  Glosso-pharyngeus  an  jener  Stelle  gleichartige  Tumoren 
erzeugt.  Hie  indifferente  Bezeichnung  als  Kleinhirnbrückenwinkelge¬ 
schwülste,  die  von  andern  Autoren  vorgeschlagen  wurde,  ist  deshalb 
wohl  vorläufig  die  beste. 

Hie  von  Sternberg  sezierten  Tumoren  hatten  eiförmige  Gestalt  von 
4  cm  größtem  Hurchmesser,  waren  von  derber  Konsistenz,  manchmal 
mit  myxomatös  erweichten  Anteilen  und  höckriger  Oberfläche.  — 

Histologisch  bezeichnet^  er  sie  als  Mischgeschwülste:  Gliofibrome 
oder  Neuroliome.  Als  ihr  Ausgangspunkt  sei  ein  Gewebsrest  anzunehmen, 
welcher  von  der  embryonalen  Nervenleiste  herstamme,  aus  der  sich  der 
5.  7.  8.  9.  u.  10.  Hirnnerv  entwickele.  Ähnlich  äußert  sich  in  letzter 
Zeit  (Berliner  Klinische  Wochenschrift  1908  Nr.  41)  R  ose  aus  dem 
Straßburger  pathologischen  Institut.  — 

Andere  Beobachter  glauben  sarkomähnliche  Bildungen  vor  sich  zu 
haben,  noch  andere,  z.  B.  Henneberg  und  Koch  (1902)  echte  Neuro¬ 
fibrome  Recklinghausens.  Hie  letztgenannten  Autoren  kommen  haupt¬ 
sächlich  dadurch  zu  ihrer  Ansicht,  daß  sie  zwei  Fälle  beobachteten,  bei 
welchen  nicht  nur  beiderseits  im  Kleinhirnbrückenwinkel  Tumoren  saßen, 
sondern  typische  Neurofibrome  Recklinghausens  sich  auch  an  der  Peri¬ 
pherie  des  Körpers  und,  was  das  Wichtigste  ist,  an  dem  Austritt  zahl¬ 
reicher  anderer  Gehirn-  und  Rückenmarksnerven  aus  den  Zentralorganen 
vorfanden.  Has  Ungewöhnliche  ihrer  Fälle  sei  hauptsächlich  der  Umstand, 


Zur  Klinik  des  Kleinhirnbrückenwinkeltumors. 


261 


daß  die  Neurofibrome,  welche  sonst  nur  an  peripheren  Nerven  beobachtet 
würden,  hier  diesseits  der  Duralscheide  vorgekommen  seien.  Der  Hör¬ 
nerv  sei  deshalb  eine  Art  Prädilektionsstelle,  weil  überhaupt  die  Neuro¬ 
fibrome  sensible  Nerven  bevorzugten.  Der  Ansicht  Virchows,  daß  es 
echte  Neurome  seien,  pflichten  Henneberg  u.  Koch  nicht  bei.  Inner¬ 
halb  der  Tumoren  und  auch  an  der  Oberfläche  könne  man  zwar  spär¬ 
lich  erhaltene  Nervenfasern  vorfinden,  aber  keine  Neubildungen  der¬ 
selben.  — 

Uhthoff,  der  im  neuen  Gräf  e-Sämisch  den  Kleinhirnbrücken  - 
winkelgeschwülsten  ein  besonderes  Kapitel  widmet,  findet  es  sehr  auf¬ 
fallend,  daß  sie  sich  fast  niemals  als  Tuberkel  etablieren,  trotzdem  doch 
in  dem  benachbarten  Pons  und  Kleinhirn  sehr  oft  solche  beobachtet 
würden. 

Bei  dem  vorliegenden  Fall  scheint  es  sich  um  ein  Fibrosarcom  zu 
handeln.  — 

Während  also  aus  dem  Gesagten  hervorgeht,  daß  die  Histologie 
der  Kleinhirnbrückenwinkelgeschwülste  keine  einheitliche  ist,  so  besitzen 
sie  in  makroskopischer  Beziehung  zwei  gemeinsame  Eigenschaften,  deren 
Vorhandensein  von  allen  Beobachtern  zugegeben  und  mit  zweifellosem 
Becht  für  ungeheuer  bedeutungsvoll  bezeichnet  wird.  Die  erste  besteht 
darin,  daß  die  Tumoren  mit  der  Umgebung  nicht  verwachsen,  sondern 
sich  absolut  leicht  ohne  erhebliche  Verletzung  aus  den  umliegenden 
Hirnteilen  herausschälen  lassen.  Wie  schon  Virchow  betont,  sind  sie 
auch  nicht  wie  die  Fibrome,  Fibrosarcome  und  Psammome  mit  der 
Dura  im  Zusammenhang.  Der  einzige  Punkt,  an  welchem  sie  bei  Sek¬ 
tionen  manchmal  festsitzen,  ist  der  Meatus  acusticus  internus.  Sie  sind 
dann  in  Begleitung  des  Acusticus  in  das  Innere  des  Felsenbeins  unter 
leichter  Usurierung  des  Knochens  hineingewuchert,  manchmal  bis  zur 
Cochlea.  — 

Die  zweite  jener  merkwürdigen  Eigenschaften  charakterisiert  sich 
dadurch,  daß  die  von  den  Tumoren  berührten  Hirnpartien  durch  den 
Druck  zunächst  nicht  erweicht,  sondern  nur  im  mäßigem  Grade  sklero¬ 
tisch  und  atrophisch  werden,  so  daß  sie  ihre  Funktionsfähigkeit  lange 
Zeit  nicht  verlieren.  Nach  Entfernung  der  Geschwülste  findet  man  ge¬ 
wöhnlich  becherförmige  Eindrücke  im  Cerebellum  und  Pons.  An  dem 
vorliegenden  Präparat  können  Sie  diese  Eindrücke  besonders  deutlich 
sehen,  da  der  Tumor  wegen  der  langen  Dauer  der  Krankheit  unge¬ 
wöhnlich  groß  geworden  ist  und  den  Umfang  eines  Hühnereies  erreicht 
hat.  — 

Da  aus  dem  eben  Gesagten  ohne  Weiteres  die  Möglichkeit  der  ope¬ 
rativen  Behandlung  der  sog.  Akustikustumoren  hervorgeht,  ist  natürlich 
die  Kenntnis  des  von  ihnen  hervorgerufenen  Symptomencomplexes,  welcher 
bei  vielen  anderen  Hirntumoren  zurzeit  nur  erst  theoretisches  Interesse 
hat,  von  denkbar  großer  praktischer  Wichtigkeit.  — 

Wenn  man  aber  glaubt,  daß  durch  den  typischen  Sitz  der  Ge¬ 
schwülste  auch  ein  dementsprechendes  gleichartiges  Krankseitsbild  her¬ 
vorgerufen  würde,  so  ist  man  doch  in  einem  gewissen  Irrtum.  Hart¬ 
mann,  der  in  der  Zeitschrift  für  Heilkunde  1902  26  Fälle  gesammelt 
hat,  glaubt  allerdings  eine  so  genaue  Diagnose  aus  den  Symptomen 
stellen  zu  können,  daß  er  in  seine  Arbeit  auch  einige  Krankengeschichten 
ohne  Sektionsbefund  aufgenommen  hat.  Ebenso  sagen  Alexander  und 
Frankl-Hochwardt  (Arbeiten  aus  dem  neurol.  Institut  der  Wiener 
Universität.  11.  Band  1904)  im  Anschluß  an  eine  von  ihnen  gebrachte 


262 


C.  Velhagen, 


Beobachtung:  „Aus  der  ganzen  Darstellung  geht  hervor,  wie  leicht  ge¬ 
wöhnlich  die  Tumoren  des  Kleinhirnbrückenwinkels  zu  diagnostizieren 
sind“.  Henneberg  und  Koch,  die  schon  genannt  sind,  sagen  aber 
(Archiv  f.  Psychiatrie  und  Nervenkrankheiten  1908),  daß  die  Diagnose  oft 
unmöglich  sei,  wegen  der  Variabilität  des  Krankheitsbildes.  Sie  führen 
aus  der  Literatur  unter  anderen  folgende  durch  die  Sektion  festgestellte 
Fehldiagnosen  auf:  Hubrich  hatte  intra  vitam  Bulbärparalyse  festge¬ 
stellt,  Stark ey  Meniere’sche  Krankheit,  Jaffe  Absceß,  Jacobsohn 
im  Initialstadium  Hysterie,  Lesser  Trigeminusneuralgie,  v.  Monakow 
Aneurysmen,  Westphal  Lues  cerebri. 

Alle  Autoren  sind  natürlich  darüber  einig,  daß  das  erste  Symptom 
neben  leichtem  Kopfdruck,  Schwindel  und  Mattigkeit  eine  einseitige 
Hörstörung  sei,  welche  lange  Zeit  gewöhnlich  weder  von  den  Patienten 
selbst,  noch  von  den  konsultierten  Ohrenärzten  genügend  beachtet  würde. 
Wenn,  wie  in  unserem  Falle  alte  Trommelfellveränderungen  gefunden 
werden,  die  an  und  für  sich  schon  eine  genügende  Erklärung  für  jene 
leichten  Störungen  abgeben,  so  ist  die  Diagnose  auf  Tumor  natürlich 
fast  unmöglich. 

Zweiffellos  ist  es  aber  dabei  sehr  auffallend,  daß  zwar  nicht  immer, 
aber  doch  oft  der  Schwindel  in  jenem  von  Hartmann  sogenannten 
Prodromalstadium  gänzlich  fehlt  oder  wenigstens  vollständig  zurücktritt. 
Der  an  und  für  sich  sehr  dünne  Akustikus  besteht  doch  vor  seinem 
Eintritt  in  Pons  und  Medulla  eigentlich  aus  zwei  Teilen:  dem  Nervus 
cochlearis,  der  die  Gehörseindrücke  vermittelt  und  dem  Nervus  vesti- 
bularis,  welcher  aus  dem  Ganglion  labyrinthi  stammt  und  eine  kompli¬ 
zierte  Endigung  im  Nucleus  clorsalis  der  Medulla,  in  den  Vorderseiten¬ 
strängen  des  Rückenmarks  und  im  Wurm  des  Kleinhirns  findet.  Es  ist 
der  Nerv  für  den  Tonus  unserer  Muskulatur  und  die  Aufrechterhaltung 
unseres  Gleichgewichts.  Wenn  also  nun  öfter  trotzdem  eine  Tumor¬ 
bildung  des  Akustikus  von  vornherein  keine  starken  Schwindelanfälle 
hervorruft,  so  kommt  dies  entweder  dadurch,  daß  der  Tumor  von  dem 
Perineurium  des  Nerven  ausgeht  und  die  Substanz  selbst  anfangs  un¬ 
versehrt  läßt  oder  daß  der  im  anderseitigen  Akustikus  verlaufende 
Nervus  vestibularis  die  Kompensation  übernimmt.  In  seinem  Buche: 
„Die  Geschwülste  des  Gehirns“  1896  betont  Oppenheim  ausdrücklich, 
daß  die  Symptomatologie  der  Geschwülste  des  Akustikus  nicht  selten 
für  einen  langen  Zeitraum  nur  durch  einseitige  Hörstörung  repräsentiert 
wird.  Manchmal  tritt  allerdings  mit  oder  bald  nach  der  Hörstörung 
ausgesprochener  Schwindel  auf  meist  nach  dem  Meniere’schen  Typus, 
dessen  Unterschied  gegen  den  cerebellaren  Schwindel  allerdings  kein 
ganz  durchgreifender  sein  dürfte.  Besonders  betont  F.  Krause  1906 
in  seinem  Vortrag  auf  der  deutschen  Gesellschaft  für  Chirurgie,  daß 
seine  glücklich  operierte  44jährige  Patientin  neben  anderen  Symptomen 
im  frühen  Stadium  ausgesprochene  Gleichgewichtsstörung  gehabt  habe. 
Sie  sei  bei  offenen  Angen  nicht  imstande  gewesen,  gerade  zu  gehen,  bei 
geschlossenen  sei  sie  sogar  umgefallen. 

Während  bei  dem  Akustikustumor  nur  die  soeben  beschriebene . 
Hör-  und  eventuell  auch  die  frühzeitige  Gleichgewichtsstörung  als  reine 
und  einzige  Herdsymptome  auftreten,  so  entwickeln  sich  natürlich  nach 
mehr  oder  weniger  langer  Zeit  wie  bei  jedem  Hirntumor  Nachbarschafts¬ 
und  allgemeine  Hirndrucksymptome.  Da  diese  aber  nicht  scharf  von  * 
einander  zu  trennen  sind,  mögen  sie  gemeinsam  besprochen  werden. 


Zur  Klinik  des  Kleinhirnbrückenwinkeltumors. 


263 


Vor  allem  ist  hier  natürlich  die  Stauungspapille  oder  Neuritis 
optica  zu  nennen,  welche  so  gut  wie  niemals  fehlt.  Bei  Durchsicht  der 
Literatur  fällt  es  aber  doch  auf,  daß  sie  nur  selten  so  sehr  und  so  früh¬ 
zeitig  in  den  Vordergrund  des  Krankheitsbildes  tritt  wie  in  unserem 
Falle.  Hartmann  glaubt  sogar  behaupten  zu  können,  daß  sie  erst 
spät  zur  Erscheinung  käme  und  nur  selten  zur  völligen  Atrophie  und 
Blindheit  führe.  LTnterstützend  hierfür  sei,  daß  die  Akustikustumoren 
sich  seitlich  von  der  Axe  des  Hirn  Stammes  entwickelten  und  vorerst 
nur  die  entsprechende  Kleinhirnhemisphäre  komprimierten  resp.  das 
Tentorium  cerebelli  nach  oben  drängten.  Der  Hirn  stamm  mit  dem 
Aquaeductus  sylvii  würde  daher  erst  spät  zusammengedrückt,  sodaß 
Lymphstauung  mit  konsekutivem  Hydrocephalus  des  dritten  und  der 
Seitenventrikel  vorläufig  noch  nicht  einträte. 

Diese  Theorie,  welche  ja  für  die  Genese  des  Hydrocephalus  bei 
vielen  Hirntumoren  Geltung  hat,  scheint  auf  unsern  Fall  jedenfalls  nicht 
anwendbar,  schon  aus  dem  einfachen  Grunde,  weil  die  vernehmlichsten 
anderen  Hirndrucksymptome,  wie  Kopfschmerz  und  Erbrechen,  viel 
später  auftraten.  Die  Sektion  hat  natürlich  über  diesen  Punkt  auch 
keine  Erklärung  mehr  geben  können,  da  bei  dem  weiteren  Wachstum 
der  Geschwulst  usque  ad  mortem  selbstverständlich  der  Aquaeductus 
sylvii  obturiert  werden  konnte. 

Wie  angedeutet,  pflegt  sonst  mit  der  Staunngspapille  cerebellares 
Erbrechen  und  Kopfschmerz  aufzutreten,  was  ja  selbstverständlich  ist 
und  nicht  weiter  ausgeführt  zu  werden  braucht.  Der  Kopfschmerz  soll 
nach  Hartmann  durch  Contrecoup  oft  kontralateral  der  Geschwulst 
sitzen. 

Ebenso  entsteht  nach  den  Literaturberichten  meist  viel  früher  als 
bei  unserem  Falle  durch  den  Druck  des  wachsenden  Tumors  auf  das 
Kleinhirn  cerebellare  Ataxie,  oft  in  hemiplegischer  Form  mit  Parese 
oder  allgemeiner  motorischer  Schwäche,  während  der  Muskeltonus 
ebenso  wie  die  Patellarreflexe  im  Gegensatz  zu  reinen  Kleinhirntumoren 
lange  Zeit  nicht  gestört  sind.  Die  Kranken  fallen  manchmal,  aber  nicht 
immer,  nach  der  Seite  des  Tumors  und  halten  zuweilen,  um  den  Schmerz 
zu  vermeiden,  den  Kopf  nach  der  entgegengesetzten  Seite  des  Tumors 
in  Zwangsstellung. 

Verhältnismäßig  viel  später  pflegt  dagegen  der  Pons  Nachbar¬ 
schaftssymptome  zu  machen,  trotzdem  der  Tumor  vielfach  tiefe  Dellen 
in  sein  Gewebe  hineindrückt.  Ziemlich  oft  sind  assoziierte  Blicklähmungen 
durch  Läsion  der  Oculomotoriuskerne  beobachtet,  während  Hemiplegia 
alternans  nur  selten  vorgekommen  ist. 

Auffallend  ist  es  auch,  daß  eine  Lähmung  des  dem  Akustikus  be¬ 
nachbarten  Facialis  nicht  immer  vorhanden  ist.  Meist  kommt  es  nur 
zu  leichten  Paresen.  Diese  wunderbare  Erscheinung  kann  wohl  nur 
durch  das  langsame  Wachstum  der  Tumoren  oder  dadurch  erklärt 
werden,  daß  sich  auf  der  Geschwulstoberfläche  Billen  zur  Aufnahme  des 
Nerven  bilden. 

Verhältnismäßig  oft  und  frühzeitig  sind  Trigeminusstörungen  in 
Gestalt  von  Beiz-  und  Ausfallserscheinung  auf  Seite  des  Tumors  beo¬ 
bachtet  worden,  besonders  fehlten  häufig  die  Beflexe  der  Cornea,  Nasen¬ 
schleimhaut  und  des  äußeren  Gehörganges. 

Die  auch  in  der  hinteren  Schädelgrube  liegenden  9 — 12  Gehirn¬ 
nerven  sind  wiederum  merkwürdig  selten  und  spät  in  Mitleidenschaft 


264 


C.  Velhagen, 


gezogen  worden.  Dysarthrie  als  Frühsymptom  hat  scheinbar  nur 
F rankl-Hochwardt  beschrieben. 

Das  im  Verhältnis  zu  der  Hörstörung  spätere  Auftreten  der  cere- 
bellaren  Symptome  und  der  Pons  sowie  der  Hirnnervenaffektionen  ist 
also  für  die  Differentialdiagnose  einer  Geschwulstbildung  in  diesem 
Organ  gegenüber  den  Akustikustumoren  von  fundamentaler  Bedeutung. 

Dann  aber  gibt  es  noch  eine  Erscheinung,  welche  verhältnismäßig 
oft  und  manchmal  sehr  früh  auftritt,  nämlich  das  Uebergreifen  der 
Schwerhörigkeit  resp.  Taubheit  auf  die  andere  Seite.  Die  vorhin  er¬ 
wähnten  Fälle  von  Henneberg  und  Koch,  bei  welchen  der  Akustikus 
doppelseitig  erkrankt  war,  erklären  sich  natürlich  sehr  leicht.  Schwerer 
ist  es  dagegen  für  die  anderen  weit  häufigeren  Fälle,  unter  welche  auch 
der  unsrige  gehört,  dies  Symptom  mit  den  anatomischen  Verhältnissen 
in  Einklang  zu  bringen.  Hierzu  muß  man  sich  den  Verlauf  des  Akus¬ 
tikus  innerhalb  des  Mittelhirns  klarmachen,  welchen  Edinger  (Vor¬ 
lesungen  über  den  Bau  der  nervösen  Zentralorgane  1904)  ungefähr 
folgendermaßen  schildert:  Der  Nervus  cochleae  entspringt  aus  den  Zellen 
des  Ganglion  spirale  der  Schnecke  und  beendet  sein  erstes  Neuron  in 
zwei  Kernen  des  Tuberculum  acusticum,  welche  das  Corpus  restiforme 
umfassen,  ungefähr  an  der  Grenze  zwischen  Brücke  und  Medulla.  Von 
hier  entspringt  die  sekundäre  Hörbahn,  welche  in  zwei  getrennte 
Bahnen  zerfällt.  Die  ventrale  verläuft  durch  das  Corpus  trapezoideum 
zu  einer  kleinen  Gangliengruppe,  dem  Nucleus  olivaris  superior  und  zwar 
sowohl  zu  demjenigen  der  gleichen,  als,  Avas  besonders  zu  bemerken  ist, 
der  anderen  Seite.  Hier  scheint  das  zweite  Neuron  des  Nervus  coch- 
learis  zu  endigen.  Dann  aber  ziehen  \Ton  diesem  Ganglion  olivaris 
zahllose  Axenzylinder  mit  End  Verzweigungen  zu  dem  Dach  des  gleich¬ 
seitigen  kaudalen  Vierhügels,  indem  sie  die  seit  langem  bekannte  laterale 
oder  Vierhügelschleife  bilden,  welche  an  der  Seite  der  Oblongata  frei 
zutage  tritt.  In  dieser  Vierhügelschleife  würden  die  tertiären  Aku- 
stikusendstäten  zu  suchen  sein. 

Im  Gegensatz  zu  diesen  aus  dem  ATentralen  Teil  des  vorhin  ge¬ 
nannten  Tuberculum  acusticum  über  den  oberen  Olivenkern  verlaufenden 
Fasern  des  2.  Neurons  des  Nervus  cochlearis,  nehmen  die  aus  der  dorsalen 
Partie  entspringenden  einen  anderen  Weg.  Sie  bilden  nämlich  die  be¬ 
kannten  Striae  acusticae  und  scheinen  direkt  mit  der  kontralateralen 
Schleife  in  Verbindung  zu  treten,  um  ebenfalls  teilweise  in  den  Corp. 
quadrig.  post,  contralat.  zu  endigen. 

Wenn  ich  nun  die  Schilderung  Edinger s  recht  verstanden  habe, 
so  geht  aus  derselben  als  Pointe  für  unser  Thema  hervor,  daß  eine  mehr 
oder  weniger  vollständige  Kreuzung  der  Akustikusfasern  ziemlich  nahe 
der  seitlichen  Oberfläche  der  proximalen  Oblongatagrenze  stattfindet. 
Es  muß  deshalb  beim  Kleinhirnbrückenwinkeltumor  ein  A^erhältnismäßig 
geringer  Druck  auf  diese  Gegend  genügen,  um  doppelseitige  Taubheit 
oder  wenigstens  Schwerhörigkeit  zu  erzeugen.  Wenn  hierzu  ein  Druck 
erforderlich  Aväre,  der  auf  die  andere  Seite  des  Pons  und  der  Medulla 
Avirkte,  müßte  natürlich  viel  früher  Exitus  eintreten. 

Hiermit  ist  eigentlich  der  wichtige  Punkt  der  Differentialdiagnose 
der  Hörstörung  beim  Kleinhirnbrückenwinkeltumor  und  derjenigen  bei 
anderen  Hirngeschwülsten,  vor  allem  des  Mittelhirns,  schon  erledigt. 
Selbstverständlich  machen  Neubildungen  des  Pons,  Avie  Oppenheim 
besonders  hervorhebt,  bald  doppelseitige,  bald  gleichseitige,  bald  ge¬ 
kreuzte  Hörstörungen,  ebenso  natürlich  Affektionen  der  Vierhügel  und 


Zur  Klinik  des  Kleinhirnbrückenwinkeltumors. 


265 


der  Corpora  geniculata.  Aber  ganz  abgesehen  davon,  daß  unter  diesen 
Umständen  dann  gewöhnlich  auch  zngleich  ganz  andere  Krankheitser- 
scheinungen  auftreten,  ist  der  Verlauf  dieser  Mittelhirntaubheiten  meist 
ein  viel  rapiderer.  Siebenmann,  der  auf  diese  Punkte  aufmerksam 
macht,  sagt  nach  Hartmann,  daß  die  Schnelligkeit  der  Gehörsabnahme 
bei  der  Mittelhirntaubheit  proportional  sei  der  Schnelligkeit  des  Krank¬ 
heitsverlaufes  überhaupt,  was  in  vollkommenem  Widerspruch  stände  mit 
dem  Verlauf  der  Tumoren  im  Recessus  acustico-cerebellaris.  Unser 
Fall  illustriert  diesen  Vorgang  ja  auf  das  deutlichste.  Die  Patientin 
hat  nach  dem  Auftreten  völliger  Taubheit  noch  jahrelang  gelebt. 

Tumoren  in  den  Schläfenlappen  selbst  machen  natürlich  unter  Um¬ 
ständen  auch  zuerst  Hörstörungen,  die  aber  ganz  anderer  Art  sind  und 
mit  anderen  Symptomen  verlaufen. 

Was  nun  die  Aetiologie  der  Kleinhirnbrückenwinkeltumoren  be¬ 
trifft,  so  ist  hierüber  ebensowenig  bekannt,  wie  über  die  Entstehungs¬ 
art  der  anderen  Hirngeschwülste.  Wie  schon  erwähnt,  werden  Störungen 
in  der  embryologischen  Entwicklung  beschuldigt.  Zu  bemerken  ist  aber 
auch,  daß  oft  Traumen  als  auslösende  Ursache  angeführt  sind.  — 
Männer  scheinen  öfter  betroffen  zu  sein  als  Frauen.  Das  Alter  der 
Patienten  hat  geschwankt  von  15 — 45  Jahren,  der  Verlauf  der  Krank¬ 
heit  zwischen  2 — 6  Jahren.  Die  Prognose  ist  ohne  Operation  natürlich 
absolut  schlecht. 

Sehr  verschieden  sind  die  Angaben  über  die  Häufigkeit  des  Vor¬ 
kommens  der  fraglichen  Geschwülste.  Henneberg  und  Koch  glauben, 
daß  sie  nicht  selten  sind,  vielleicht  aber  öfter  mit  Geschwülsten  des 
Kleinhirns,  der  Brücke,  Medulla,  des  Flocculus,  der  Corp.  restiformia 
verwechselt  seien.  Nach  Klebs  soll  auf  ca.  55  Fälle  von  Hirngeschwulst 
ein  Kleinhirnbrückenwinkeltumor  kommen. 

Auffallend  ist  jedenfalls,  daß  in  den  letzten  Jahren,  wie  Sie  selbst 
jedenfalls  gelesen  haben,  in  den  allgemein  medizinischen  Zeitschriften 
relativ  oft  über  Fälle  von  Neubildungen  im  Kleinhirnbrückenwinkel 
berichtet  ist.  Besonders  lebhaft  aber  ist  auf  den  Chirurgenkongressen 
bei  Gelegenheit  der  Diskussion  über  die  Chirurgie  der  hinteren  Schädel¬ 
grube  darüber  gesprochen  worden.  Denn  wie  aus  der  vorhin  gegebenen 
Schilderung  ihres  makroskopischen  Verhaltens  unmittelbar  hervorgeht, 
müssen  die  Geschwülste  nach  Eröffnung  der  hinteren  Schädelgrube  leicht 
zu  entfernen  sein,  da  sie  ziemlich  lose  in  dem  oft  genannten  Winkel 
liegen.  Wie  die  Literatur  ausweist,  haben  jedoch  lange  Jahre  hindurch 
die  Operationen,  auch  wenn  sie  von  Meisterhand  ausgeführt  wurden, 
immer  ad  exitum  geführt.  Nachdem  aber  wohl  besonders  von  F.  Krause 
und  anderen  die  Methodik  der  Kleinhirnbloßlegung  vervollständigt  ist, 
sind  auch  viele  Heilungen  vorgekommen,  wie  schon  aus  den  Verhand¬ 
lungen  des  letzten  Chirurgenkongresses  hervorgeht. 

Jedenfalls  hat  man  jetzt  auch  gelernt,  bei  Fällen  von  Hirnge¬ 
schwulst  mehr  an  den  Akustikustumor  zu  denken.  Wenn  deshalb  unsere 
unglückliche  Patientin  statt  1903  erst  jetzt  krank  geworden  wäre,  hätten 
wahrscheinlich  die  Neurologen  die  richtige  Diagnose  gestellt  und  die 
Chirurgen  Heilung  herbeigeführt. 


266 


Berliner  Brief. 


Berliner  Brief. 

Während  wir  sonst  in  dieser  Jahreszeit  meist,  wenigstens  in  einer 
unserer  großen  medizinischen  Gesellschaften  irgend  eine  sich  durch 
Wochen  hindurchziehende,  mitunter  recht  ermüdende  Diskussion  über 
irgend  eine  mehr  oder  weniger  aktuelle  Frage  haben,  herrscht  in  diesem 
Jahre  überall  in  der  Auswahl  des  Gebotenen  rege  Abwechslung.  Unter 
den  Vorträgen  und  Diskussionen  sind  nicht  wenige,  die  ein  allgemeines 
Interesse  beanspruchen.  So  belehrt  uns  Brugsch  in  einem  Vortrage 
im  Verein  für  innere  Medizin,  daß  der  Begriff  der  harnsauren 
Diathese,  in  dem  wir  Gic'ht  und  Nephrolithiasis  zusammenzufassen 
gewohnt  waren,  nicht  zu  Recht  bestehe.  Beide  Krankheiten  haben  eigent¬ 
lich  nichts  miteinander  zu  tun,  ihr  gemeinsames  V orkommen  ist  nicht 
so  häufig,  wie  es  nach  der  Literatur  den  Anschein  hat,  allerdings 
kann  sich  auf  dem  Boden  einer  Nephrolithiasis  Schrumpfniere  und 
so  Cricht  entwickeln,  Die  Gicht  ist  eine  Stoffwechselanomalie  des 
Purinstoffstoffwechsels,  die  eine  Anhäufung  von  Harnsäure  im  Blute 
(Uricämie)  zur  Folge  hat.  Sie  kann  aber  auch  durch  eine  renale  Retention 
Zustandekommen,  d.  i.  die  Gicht  infolge  Retentionsuricämie  oder  Nieren¬ 
gicht.  Er  schlägt  vor,  statt  von  harn  saurer  Diathese  von  gichtischer 
Diathese  oder  Uratsteindiathese  zu  sprechen.  G.  Klemperer  weist 
in  der  Diskussion  darauf  hin,  daß  er  den  Ausdruck  der  uratisehen 
Diathese  bereits  seit  längerer  Zeit  verworfen  habe ;  er  stimmt  mit 
Brugsch  darin  überein,  daß  das  gemeinsame  Vorkommen  von  Nieren¬ 
steinen  und  Gicht  viel  seltener  ist  als  allgemein  angenommen.  Den 
Begriff  der  Nierensteindiathese  verwirft  er  überhaupt,  da  nur  selten 
mehrere  Familienmitglieder  an  diesem  Übel  leiden  oder  gelitten  haben; 
und  dort  wo  es  vorkommt,  ist  die  Art  der  Steine  nicht  einmal  immer 
die  gleiche,  z.  B.  leidet  der  eine  an  oxalsauren  Steinen  und  das  andere 
Familienmitglied  an  harnsauren.  Klemperer  demonstriert  seine  reich¬ 
haltige  Sammlung  von  Nierensteinen  und  betont  im  Hinblick  auf  neuere 
chirurgische  Bestrebungen,  daß  er  sie  alle  ohne  Operation  erhalten 
habe.  Kraus  wendet  sich  dagegen,  aus  der  im  Urin  gefundenen  Harn¬ 
säure  Schlüsse  ziehen  zu  wollen,  wie  es  vielfach  üblich  ist.  Selbst 
wenn  man  dabei  auf  die  Diät  Rücksicht  nimmt,  hat  das  keinen  Wert. 
Nicht  die  viele  Harnsäure,  sondern  die  wenige  Harnsäure  bei  pur  in  - 
freier  Kost  ist  von  diagnostischer  Bedeutung.  Die  purinfreie  Probediät, 
wie  sie  Brugsch  und  Schittenhelm  Vorschlägen  gebe  in  bezug  auf 
die  gichtische  Natur  von  Erkrankungen  wichtige  Aufschlüsse,  sie  ist 
derartig,  daß  sie  in  der  Privatpraxis  gut  durchgeführt  werden  kann ; 
von  dem  Patienten  wird  nur  ein  Aderlaß  von  100  ccm  Blut  verlangt. 
Magnus  Levy  wirft  die  Frage  auf,  wodurch  die  vermehrte  Harnsäure 
im  Blut  bei  der  primären  Gicht  unter  purinfreier  Diät  entsteht.  Diese 
Frage  ist  bisher  unbeantwortet  geblieben. 

Von  allgemeinem  Interesse  war  auch  der  Vortrag  Finkeisteins 
über  alimentäres  Fieber.  Die  alte  Anschauung,  daß  zu  reichliche 
Ernährung  Fieber  hervorrufen  kann,  eine  Anschauung,  die  vielfach 
unheilvolle  Konsequenzen  gehabt  hat,  gilt  als  allgemein  verlassen. 
Bei  magendarmkranken  Säuglingen  hat  nun  F.  trotzdem  ein  solches 
Fieber  mit  Sicherheit  beobachten  können,  das  nicht  durch  Mikroorga¬ 
nismen  oder  deren  Produkte  hervorgerufen  wird.  Der  klinische  Verlauf 
dieser  Fälle  entspricht  nicht  dem  der  gewöhnlichen  infektiösen  Darmer¬ 
krankungen,  sondern  ähnelt  mehr  einem  Koma  diabetikum  oder  uraemi- 


Berliner  Brief. 


267 


cum.  Bei  der  Autopsie  fand  man  niemals  Giftbildner  oder  Toxine.  Die 
Ursache  des  Fiebers  ist  eine  Intoxikation  durch  Stoffwechselprodukte. 
Nahrungvsentziehung  bewirkt  sofort  ein  Verschwinden  des  Fiebers  und 
führt  zu  überraschend  schneller  Heilung;  während  im  Gegensatz  brüske 
Steigerung  der  Nahrungszufuhr  das  Fieber  von  neuem  hervorruft.  Es 
ist  nun  nicht  Eiweiß  oder  Fett,  sondern  Zucker,  gleichgiltig  welcher 
Art,  der  diese  Erscheinungen  hervorruft.  Seine  fiebererzeugende  Eigen¬ 
schaft  ist  so  klar  nachzuweisen,  wie  eine  Tuberkulinreaktion  bei 
Tuberkulösen.  Und  zwar  ist  es  nicht  sowohl  der  Übergang  in  Gährung 
als  ein  physikalischer  Vorgang,  der  das  Fieber  bedingt.  Kleine  Darm- 
infusionen  von  Zucker  erhöhen  bei  magendarmkranken  Säuglingen 
ebenso  die  Körpertemperatur  wie  Infusionen  von  physiologischer  Koch¬ 
salzlösung.  Man  muß  annehmen,  daß  infolge  der  Erkrankung  des 
Darms  die  Schutzwehr  gefallen,  die  die  Aufgabe  hat  die  Stoffe  zu  ver¬ 
arbeiten.  Im  Anschluß  hieran  berichtet  L.  F.  Meyer  über  experimentelle 
Versuche,  die  er  unter  der  Leitung  Finkeisteins  zu  dieser  Frage 
angestellt.  In  der  Diskussion  hebt  zunächst  Ko senheim  hervor,  daß 
auch  bei  Erwachsenen  ähnliche  Erkrankungen  bekannt  sind.  Nicht 
selten  rufen  bestimmte  Nahrungsmittel  schwere  Allgemeinerscheinungen 
und  speziell  Fieber  hervor.  Er  erinnert  an  die  Idiosynkrasie  gewisser 
Personen  gegen  Hühnereiweiß.  Er  führt  dann  einige  Beispiele  aus  seiner 
Praxis  an  von  Kranken  mit  Magendarmaffektionen,  die  bei  einer  milden 
gemischten  Diät  dauernd  fieberten,  deren  Fieber  nachließ,  sobald  man 
die  Diät  änderte,  aber  sofort  wieder  eintrat,  sobald  man  andere  Speisen 
gab.  Eine  bakteriologische  Ursache  des  Fiebers  glaubt  er  hier  auch 
ausschließen  zu  können.  Albu  glaubt  die  beschriebenen  Erscheinungen 
auf  eine  intestinale  Autointoxikation  zurückführen  zu  sollen. 

Den  Einfluß  der  Körpertemperatur  auf  den  Zuckerge¬ 
halt  des  Blutes  hat  Senator  zum  Gegenstand  eines  Vortrages  im 
Verein  für  innere  Medizin  gemacht.  Die  Behauptung  einiger  Forscher, 
die  Zuckerausscheidung  der  Diabetiker  werde  durch  die  Körpertempe¬ 
ratur  beeinflußt,  wird  von  anderen  bestritten.  Ebensowenig  stimmen 
die  Angaben  überein  über  den  Einfluß  des  Fiebers  auf  die  Zucker- 
ausscbeidung  bei  Diabetes  und  bei  alimentärer  Glykosurie.  Die  Grund¬ 
frage  aber,  wie  die  Körpertemperatur  für  sich  allein  ohne  Fieber,  ohne 
alimentäre  Beeinflussung  und  ohne  Muskelarbeit  auf  den  Zuckergehalt 
wirkt,  ist  bisher  so  gut  wie  gar  nicht  durchforscht.  Man  kann  sich 
zur  Prüfung  dieser  Frage  zweier  Methoden  bedienen:  1.  der  Wärme- 
stauung  durch  Erhöhung  der  Umgebungstemperatur  und  2.  des  Sachs- 
Aronsohn’ sehen  Hirnstiches.  Bei  den  wenigen  Kaninchen,  die  bei 
der  ersten  Methode  am  Leben  blieben,  konnte  Senator  ebenso  eine 
Zunahme  des  Blutzuckers  konstatieren  wie  regelmäßig  bei  der  zweiter 
Methode.  Die  Ursache  dieser  Erscheinung  kann  einmal  darauf  beruhen, 
daß  die  Glykogen  bildenden  Organe  mehr  Glykogen  ins  Blut  gelangen 
lassen  und  zweitens  durch  einen  vermehrten  Eiweißzerfall.  Es  ist 
naheliegend,  daß  das  Fieber,  bei  dem  bekanntlich  ein  erhöhter  Eiwei߬ 
zerfall  stattfindet,  eine  Erhöhung  des  Blutzuckergehaltes  herbeiführt. 
Andererseits  können  Bakterien  und  ihre  Produkte  eine  Herabsetzung 
des  Zuckergehaltes  verursachen.  So  lassen  sich  die  entgegengesetzten 
Resultate  verschiedener  Forscher  erklären.  Auch  der  Ernährungszustand 
des  Kranken  dürfte  dabei  nicht  ohne  Einfluß  sein.  In  der  Diskussion 
führt  Böninger  an,  daß  er  den  Blutzuckergehalt  bei  Fiebernden  nur 
selten  erhöht  gefunden  habe,  und  zwar  unter  12  Fällen  von  Pneumonie 


268 


Berliner  Brief. 


viermal,  in  acht  Fällen  von  Typhus  überhaupt  nicht.  Stähelin  konnte 
hei  zwei  Hunden,  die  nach  Pankreasexstirpation  infolge  eines  Abszesses 
fieberten,  keinen  Einfluß  der  Außen-  und  der  Körpertemperatur  auf 
den  Blutzucker  beobachten.  Im  Anschluß  daran  berichtet  Laqueur 
über  Versuche,  den  Diabetes  durch  Wärme  therapeutisch  zu  beein¬ 
flussen.  Sie  haben  bisher  zu  keinem  positiven  Ergebnis  geführt. 

O.  Rosenthal  berichtet  über  die  Behandlung  der  Syphilis  mit 
Einspritzungen  von  Acidum  arsenicosum.  Bereits  in  einer  frühe¬ 
ren  Sitzung  hatte  er  darauf  hingewiesen,  daß  sich  diese  Methode 
ganz  besonders  für  schwere,  ulzeröse  Prozesse  eigene  und  bei  solchen, 
in  denen  eine  Intoleranz  für  Quecksilber  besteht.  Wenn  in  der  Zwischen¬ 
zeit  behauptet  wurde,  daß  die  Einspritzungen  mit  Acidum  arsenicosum 
bei  der  Affensyphilis  unwirksam  sind,  so  darf  man  daraus  nur  schließen, 
daß  die  Erfahrungen  mit  der  Tiersyphilis  sich  nicht  ohne  weiteres 
auf  die  Menschensyphilis  anwenden  lassen.  Zum  Beweise  demonstriert 
er  einen  Patienten,  der  infolge  einer  alten,  nur  ungenügend  behandelten 
Syphilis  einen  fortschreitenden  Prozeß  im  Rachen  und  Munde  hatte, 
der  schließlich  zu  einer  Perforation  des  harten  Gaumens  führte.  Eine 
Inunktionskur  besserte  die  Verhältnisse  nicht;  es  trat  eine  heftige 
Gingivitis  ein;  zu  gleicher  Zeit  waren  vielfache  Ulzerationen,  große 
Nekrose  des  Zwischenkiefers  und  starker  Foetor  ex  ore  vorhanden.  Schon 
wenige  Tage  nach  Beginn  von  Einspritzungen  besserte  sich  der  Zustand. 
Der  Sequester  demarkierte  sich  und  konnte  ohne  große  Mühe  entfernt 
werden,  die  Ulzerationen  schlossen  sich,  das  Körpergewicht  nahm 
erheblich  zu. 

Uber  die  Bedeutung  der  Opsonine  sprach  G.  Wolf  fsohn  in 
der  medizinischen  Gesellschaft.  Während  in  England  und  Amerika  die 
Wright’sche  Lehre  vielfach  Gegenstand  der  Nachprüfung  war  und 
eine  Reihe  von  Publikationen  über  sie,  meist  in  bestätigendem  Sinne, 
erschienen  sind,  hat  man  sich  bei  uns  ihr  gegenüber  eine  gewisse  Reserve 
auf  erlegt.  Das  erklärt  sich  nach  des  Vortragenden  Ansicht  teils  aus 
der  Schwierigkeit  der  angewendeten  Technik,  teils  auch  aus  dem  Um¬ 
stande,  daß  bei  noch  so  gewissenhafter  Nachprüfung  die  Methode  nicht 
das  zu  leisten  vermag,  was  die  Engländer  uns  versprachen.  Wolf  fsohn 
gibt  zunächst  eine  Übersicht  über  die  Theorie  und  die  Methode,  und 
besprach  dann  seine  eigenen  Erfahrungen.  Ich  gehe  darauf  hier  nicht 
näher  ein,  da  derjenige,  der  sich  mit  der  Frage  näher  beschäftigen 
will,  sie  doch  nicht  aus  einem  kurzen  Referat  kennen  lernen  kann ; 
ich  begnüge  mich  mit  der  Anführung  der  Wolf  f  sohn’schen  Schlu߬ 
sätze:  1.  die  Wright’sche  Methode  der  Bestimmung  des  opsonischen 
Index  erscheint  wegen  ihrer  Kompliziertheit  und  ihrer  großen  Fehler¬ 
quellen  nicht  geeignet,  in  klinischen  Fällen  zur  Diagnostik  heran¬ 
gezogen  zu  werden.  Sichere  Ausschläge  erhält  man  nur,  wenn  die 
Ausschläge  sehr  groß  sind.  2.  Die  Wright’sche  Vaccinetherapie 
scheint  recht  gutes  zu  leisten  und  sollte  in  Zukunft  auch  bei  uns 
in  Deutschland  mehr  angewendet  werden.  3.  Über  die  rein  biologische 
Bedeutung  der  Opsonine  müssen  noch  weitere  experimentelle  Studien ' 
Aufschluß  schaffen.  —  Die  drei  Diskussionsredner  Thumim,  F.  Klem- 
perer,  Schneider  heben  sämtlich  die  Unzuverlässigkeit  der  Methode 
hervor.  .  - — r. 


S.  Leo,  Wiener  Brief. 


269 


Wiener  Brief. 

Ein  Sammelberieht.  —  Von  Dr.  S.  Leo. 

Bei  der  Einweihung  der  neuen  Gebärkliniken  hielten  sowohl  Prof. 
Schauta  als  auch  Prof.  Posthorn,  der  damit  zugleich  seine  Tätigkeit 
begann,  bemerkenswerte  Beden.  Schauta  sagte:  diese  Stätte  hat  drei 
wichtige  Aufgaben  zu  erfüllen.  Die  erste  und  oberste  ist  die  der  Heilung 
und  Pflege  kranker  Frauen,  die  zweite  ist  die  des  Unterrichts  der  heran- 
wachsenden  Generation,  die  dritte  Aufgabe  ist  die  der  Weiterbildung 
des  Faches,  die  Erweiterung  unseres  Wissens  und  was  damit  im  Zu¬ 
sammenhänge  steht,  unseres  Könnens.  Niemals  darf  der  Forschungs¬ 
zweck  dem  ersten  und  obersten  Zweck  übergeordnet  werden.  Primuni 
humanitas,  alterum  scientia.  In  den  120  Jahren,  während  welcher  diese 
Anstalt  sich  in  ein  und  demselben  (alten)  Gebäude  befand,  ist  die  Geburts¬ 
hilfe  von  einem  Handwerk  zu  einer  Disziplin  der  wissenschaftlichen  Medi¬ 
zin  emporgestiegen.  Den  erweiterten  Anforderungen  konnte  das  alte 
Gebäude-  nicht  mehr  genügen.  Bei  der  Neuanlage  einer  so  großen  Klinik, 
wie  die  in  Wien,  mußte  man  sich  die  Frage  vorlegen,  ob  das  Haus  im 
Blocksystem  oder  im  Pavillonsystem  zu  erbauen  sei.  Das  letztere  erfordert 
ein  sehr  großes  Areal,  der  Betrieb  wird  noch  schwieriger  durch  die  Ent¬ 
fernungen.  Auch  ergeben  sich  technische  Schwierigkeiten  besonders  be¬ 
züglich  der  Heizung  bei  den  zahlreichen  auf  eine  große  Fläche  zerstreuten 
kleinen  Gebäuden.  Deshalb  mußten  wir  uns  entschließen,  vom  Block¬ 
system  Gebrauch  zu  machen;  nur  der  Isolier pavillon  für  septische  und 
unreine  Kranke  wurde  von  den  beiden  Hauptkliniken  getrennt.  Dagegen 
sind  die  geburtshilfliche  und  die  gynäkologische  Station  zusammen  in  einem 
Hause  in  vier  Geschossen  untergebracht.  Die  verbaute  Fläche  beträgt 
3235  m2  für  jedes  der  beiden  Hauptgebäude,  520  m2  für  den  Isolier¬ 
pavillon.  Da  das  gesamte  Areal  der  beiden  Frauenkliniken  51000  m2  mißt, 
so  ergibt  sich  hieraus,  daß  immerhin  noch  87  °/0  dieser  Fläche  unbebaut 
als  Gartenfläche  stehen.  Die  beiden  Hauptgebäude  (I.  und  II.  Klinik) 
sind  einander  sehr  ähnlich.  Nur  stellt  das  eine  gewissermaßen  das  Spiegel¬ 
bild  des  anderen  dar.  Im  untersten  Geschosse,  auf  dem  Plane  als  Sockel¬ 
geschoß,  befinden  sich  die  Hauptgebäude  und  im  westlichen  Flügel  die 
Bäume  für  die  Schwangeren,  im  östlichen  Flügel  und  in  einem  Teile  des 
Hauptgebäudes  das  Internat  der  Studierenden,  während  im  mittleren 
Flügel  die  Bäume  für  die  geburtshilfliche  und  gynäkologische  Ambulanz 
untergebracht  sind.  Im  nächsten  Stockwerke  befindet  sich  im  Haupt¬ 
gebäude  einer  der  beiden  Kreiszimmertrakte,  im  westlichen  Flügel  die 
Schlafräume  der  Pflegerinnen,  im  mittleren  Flügel  die  Laboratoriums¬ 
räume  und  im  östlichen  Flügel  sowie  im  westlichen  Teile  des  Haupt¬ 
traktes  je  ein  großes  Wöchnerinnenzimmer  mit  den  dazugehörigen  Neben¬ 
räumen.  Im  nächsten  Stockwerk  ebenfalls  ein  Kreiszimmertrakt,  während 
der  westliche  Flügel  ausschließlich  der  Gynäkologie  dient;  der  östliche 
Flügel  enthält  ein  großes  Wochenzimmer,  während  der  mittlere  Flügel  den 
durch  zwei  Stockwerke  gehenden  Hörsaal  mit  der  Garderrobe,  kleinem  Vor¬ 
lesungssaal,  Bibliothek,  Archiv  und  Assistentenwohnungen  einschließt.  Über¬ 
all  ist  der  weitgehendsten  Möglichkeit  der  Peinlichkeit  Bechnung  getragen. 
Die  Fußböden  sind  mit  Platten  belegt,  an  den  Übergängen  zwischen  den 
Wänden  sind  die  Ecken  sowohl  unten  als  auch  oben  gegen  die  Decke 
abgerundet.  Alle  Wände  und  Decken,  selbst  in  den  Korridoren  und 
Stiegenhäusern  besitzen  Emailölanstrich.  Beichlich  ist  für  Waschtische 
verschiedener  Systeme  mit  Kalt-  und  Warm  Wasserleitung  vorgesorgt.  Alle 


270 


S.  Leo, 


Räume  sind  direkt  belichtet.  Eine  künstliche  Ventilation  ersetzt  die  in 
früherer  Zeit  für  so  wichtig  gehaltene  natürliche  Ventilation  durch  die 
Porosität  der  Wände.  Die  Heizung  ist  eine  zentrale  Niederdruckdampf¬ 
heizung.  Die  Möbel  in  den  Krankenzimmern  sind  zum  größten  Teil 
aus  Eisen  und  Glas  hergestellt;  für  den  Unterricht  dient  der  Hörsaal, 
dann  die  Praktikanten zimmer,  und  der  in  dieser  Klinik  zum  erstenmal 
zur  Durchführung  gekommene  abgesonderte  Zuschauerraum  in  den  Ope¬ 
rationsräumen  der  Gynäkologie.  Der  wissenschaftlichen  Forschung  dienen 
große  Laboratorien,  von  denen  wir  ein  histologisches,  chemisches,  bak¬ 
teriologisches  Laboratorium  mit  Wagzimmer  und  Museum  und  einem 
eigenen  Laboratorium  des  Vorstandes  besitzen.  Außerdem  sind  im  gynä¬ 
kologischen  Operationstrakte  zwei  Laboratorien  für  Untersuchungen 
während  der  Operation,  Aufbewahrung  und  Versorgung  der  bei  der 
Operation  gewonnenen  Präparate  vorgesehen,  ein  kleines  Laboratorium 
ist  außerdem  auch  noch  im  Isolierpavillon,  ferner  sind  Institute  für 
Röntgenuntersuchung  und  -behandlung,  für  Photographie,  sowie  ein  Insti¬ 
tut  für  experimentelle  Pathologie  vorhanden.  In  jedem  Saal  finden  wir 
fünf  Gruppen  von  Wöchnerinnen,  in  jeder  Saalgruppe  26  bis  30  Betten, 
und  zwar  verteilt  auf  je  ein  großes  Zimmer  für  23  und  mehrere  kleine 
Zimmer  für  ein,  zwei  und  drei  Wöchnerinnen.  Zu  jeder  solchen  Station 
gehört  ein  Dienstzimmer  für  die  Wärterin,  eine  Teeküche,  ein  Bad,  ein 
Klosettraum  mit  Leibschüsselspülapparat.  Gerade  in  der  Angliederung 
dieser  Nebenräume  liegt  der  wesentliche  Unterschied  zwischen  früher  und 
jetzt.  Es  wird  ferner  möglich  sein,  gewisse  Gruppen  von  Wöchnerinnen 
(Verheiratete,  Tuberkulöse,  die  vor  oder  nach  schweren  geburtshilflichen 
Operationen  befindlichen,  die  Fälle  von  Fehlgeburt)  zusammenzulegen  und 
zu  isolieren.  Zu  einer  jeden  Kr  eis  zimmer  Station  ein  Sterilisations¬ 
raum,  ein  Operationsraum,  zwei  Erwachzimmer,  ein  Hebammenzimmer, 
ein  Dienstzimmer  und  ein  ärztliches  Inspektionszimmer.  Dazu  kommen 
Nebenräume,  darunter  eine  Teeküche  und  ein  kleines  Laboratorium  für  Harn- 
und  Blutuntersuchungen.  Eine  weitere  Station  ist  die  Schwangeren- 
station  mit  entsprechenden  Nebenräumen.  Bei  den  gynägologisch en 
Stationen  ist  der  Operationsaal  durch  ein  eisernes  Geländer  in  zwei  Teile 
getrennt,  einen  kleineren,  mehr  dem  Fenster,  und  einen  größeren  gegen 
den  Sterilisierraum  zu  gelegenen.  Der  erstere  ist  durch  entsprechende 
Stufen  als  Zuschauerraum  eingerichtet,  die  Stufen  selbst  aus  Platten,  so- 
daß  wir  hier  den  ersten  Versuch  eines  aseptischen  Zuschauerraumes 
im  Operationssaale  finden.  Der  Zugang  zu  diesem  Zuschauerraum  ist 
direkt  aus  dem  Wartezimmer,  so  daß  also  die  Zuschauer  in  den  eigent¬ 
lichen  Operationsraum,  Narkosenraum,  Sterilisationsraum  nicht  gelangen. 
Sowohl  bei  dem  Operationssaal  für  Geburtshilfe,  als  auch  bei  dem  für 
Gynäkologie  finden  wir  je  zwei  Erwachräume,  dazu  bestimmt,  frisch 
Operierte  in  den  ersten  24  Stunden  nach  der  Operation  aufzunehmen, 
zu  einer  Zeit,  wo  sie  durch  das  Erwachen  aus  der  Narkose  durch  ihre 
Unruhe  eine  Belästigung  und  Beunruhigung  für  ihre  Umgebung  bilden 
können  und  außerdem  noch  mitunter  eine  Nachoperation  notwendig  ist.  —  * 
Verlassen  wir  dieses  glänzende  Bild  eines  Institutes,  bei  dessen 
Erbauung  und  Einrichtung  man  nur  auf  die  Bedürfnisse  und  nicht 
auf  die  Kosten  geschaut  hat,  und  gehen  wir  zu  den  Vorträgen  über. 
Rudolf  Kraus  und  Stefan  Bächer  sprachen  in  der  Gesellschaft  der  * 
Ärzte  über  Meningokokkenserum:  Mehrere  Autoren,  wie  Jochmann, 
Ruppel,  Kolle,  Wassermann,  haben  durch  Vorbehandlung  der  Pferde 
mit  Kulturen  des  Meningococcus  intracellularis  (Weichseibauin)  ein  Serum 


Wiener  Brief. 


271 


gewonnen,  das  bei  der  Meningitis  cerebrospinalis  therapeutische  Erfolge 
aufgewiesen  hat.  Zur  Wertbemessung  haben  Kuppel  und  Jochmann 
den  infektiösen  Wert  feststellen  wollen,  indem  sie  das  Serum  gegenüber 
einer  infektiösen  Dosis  von  Meningokokken  geprüft  haben.  Diese  Methode 
scheiterte  aber  daran,  daß  es  nicht  gelang,  die  Virulenz  eines  Meningo¬ 
kokkus  konstant  zu  erhalten  und  daß  dieselbe  bei  gleichgewichtigen 
Tieren  schwankt.  Selbst  durch  Passagen  des  Meningokokkus  gelingt  es 
nicht,  einen  Meningokokkus  von  konstanter  Virulenz  zu  erhalten.  Ko  Ile 
und  Wassermann  haben  als  Prüfungsmethode  die  Komplementablenkung 
angewendet.  Jedoch  haben  mehrere  Autoren  gezeigt,  daß  der  Gehalt 
an  Ambozeptoren  nicht  als  Maß  für  die  komplementbindende  Eigenschaft 
eines  Serums  hingestellt  werden  kann.  Kraus  und  Bacher  fanden,  daß 
Meningokokkenserum  keine  stärkere  Komplementbindung  besitzt  wie 
normales  Serum.  Dagegen  konnten  die  Genannten,  ebenso  wie  Flexner 
zeigen,  daß  man  aus  Kulturen  des  Meningokokkus  Gifte  darstellen  kann, 
welche  für  Meerschweinchen  giftig  sind.  Mit  diesen  Giften  gelang  es 
ihnen,  giftneutralisierende  Sera  von  Tieren  zu  gewinnen.  Sie  haben  daher 
die  giftneutralisierende  Eigenschaft  solcher  Sera  zur  Wertbemessung  heran¬ 
gezogen  und  die  Sera  auf  ihren  Antitoxingehalt  bestimmt.  Damit  hätten 
wir  eine  Methode,  den  therapeutischen  Wert  eines  Meningokokkenserums 
zu  bestimmen.  In  letzter  Zeit  hat  Neufeld  gezeigt,  daß  dem  Meningo¬ 
kokkenserum  opsonierende  Eigenschaften  zukommen  und  hat  den  opso¬ 
nischen  Index  als  Maßmethode  angenommen.  Diese  Methode  ergibt  tat¬ 
sächlich  Werte,  welche  die  opsonierende  Eigenschaft  des  Serums  deutlich 
erkennen  lassen.  Für  die  Wertbestimmung  der  Sera  in  der  Praxis  ist 
sie  aber  viel  zu  umständlich.  Sie  haben  daher  die  infektiöse  Eigenschaft 
mit  einer  neuen  Methode,  die  eine  Modifikation  des  Pf eif er’schen  Peri¬ 
tonealversuches  ist,  zu  bestimmen  gesucht.  Es  werden  zunächst  einem 
gesunden  Meerschweinchen  bestimmte  Mengen  einer  Meningokokkuskultur 
(Agarkultur)  24-stündig  peritoneal  injiziert  und  nach  1 — 8  und  12  Stunden 
vom  Peritionalinhalte  Kulturen  angelegt.  Diejenige  kleinste  Menge  Kultur, 
unabhängig  davon,  ob  sie  tödlich  ist  oder  nicht,  welche  noch  zahlreiche 
Kolonien  ergibt,  wird  als  Pestdosis  genommen.  Nach  dem  Vorversuche 
werden  die  Kulturmengen  mit  abfallenden  Mengen  des  zu  prüfenden 
Serums  und  eines  normalen  Serums  peritoneal  injiziert  und  wiederum 
Kulturen  angelegt.  Mit  dieser  Methode  konnten  sie  zeigen,  daß  dem 
Meningokokkenserum  tatsächlich  eine  antiinfektiöse  Eigenschaft  zukommt, 
die  normales  Serum  nicht  besitzt.  Die  Sera,  welche  im  Peritoneum  wirk¬ 
sam  waren,  zeigten  sich  in  bakteriziden  Plattenversuchen  mit  Zusatz 
frischer  Meerschweinchensera  unwirksam.  Ferner  ergab  sich  eine  Über¬ 
einstimmung  zwischen  dem  antitoxischen  und  opsonischen  Wert.  Welcher 
Faktor,  ob  die  antitoxische  oder  die  opsonische  Kraft  des  Serums  bei 
der  Heilung  mehr  in  Frage  kommt,  ist  vorderhand  nicht  zu  bestimmen. 
Wichtig  ist,  daß  nun  solche  Körper,  welche  man  als  therapeutisch  wirk¬ 
sam  annehmen  kann,  im  Meningokokkenserum  nachweisbar  sind  und 
bestimmt  werden  können.  Seid  zwei  Jahren  werden  auch  therapeutische 
Arersuche  mit  Meningokokken extrakten  in  Wiener  Kinderspitälern  gemacht. 
Zwei  Drittel  der  Fälle  (20  cm3  spinal  injiziert)  wurden  geheilt.  Man 
kann  demnach  als  sicher  annehmen,  daß  die  giftneutralisierenden  und 
antiinfektiösen  Eigenschaften  des  Serums  die  therapeutische  Wirksamkeit 
des  Meningokokkenserums  verursachen.  (Schluß  folgt.) 


272 


Vorläufige  Mitteilungen  und  Autoreferate. 


Vorläufige  Mitteilungen  u.  Autoreferate. 

Über  Phthiseogenese. 

Von  R.  Kretz. 

Die  letzten  Etappen  der  Dissemination  des  tuberkulösen  Prozesses 
sind  durch  die  Befunde  von  Weigert  und  Ponfick  befriedigend 
erklärt ;  anders  der  Gang  der  Entwicklung  der  häufigsten  Form  der 
tuberkulösen  Erkrankung  des  Menschen,  über  den  ist  eine  definitive 
Einigung  trotz  sehr  zahlreicher  und  genauer  Untersuchungen  heute  noch 
nicht  erzielt;  die  meiste  Verbreitung  und  Anerkennung  hat  derzeit 
wohl  die  Anschauung  Birch-Hirschf  eld’s  gewonnen;  er  nimmt  eine 
primäre  Bronchitis  und  Peribronchitis  caseosa  mit  direktem  Haften 
des  infizierenden  Bazillus  im  Epithel  des  Bronchus  an ;  wesentlich 
gemehrt  wurde  das  Gewicht  dieser  Anschauung  durch  den  gelungenen 
Versuch  Flügge’s  im  Meerschweinchen  durch  Infektion  mit  einer  sehr 
geringen  Menge  versprayter  Bazillen  wirkliche  Phthise  (Kavernen¬ 
bildung)  zu  erzeugen. 

Neben  dieser  heute  herrschenden  Ansicht  hat  es  schon  seit  langem 
Vertreter  der  Anschauung  gegeben,  daß  die  Phthise  eine  am  Wege  der 
Blutbahn  vermittelte,  metastatische  Lungenerkrankung  sei.  Von  den 
anatomischen  Befunden  sind  es  insbesondere  die  Veränderungen  spezi¬ 
fischer  Natur  in  den  Lungenarterienästen,  die  einen  vasogenen  Ursprung 
nicht  nur  der  granulären  Tuberkulose,  sondern  denselben  Ursprung  auch 
bezüglich  der  in  Phthise  ausgehenden  Entzündung  wahrscheinlich 
machten. 

Mit  der  Entdeckung  Koch’s  hat  die  experimentelle  Erforschung 
der  Tuberkulose  einen  mächtigen  Aufschwung  genommen,  aber  gerade 
die  Entstehung  der  ulzerösen  Oberlappentuberkulose  wurde  von  dieser 
Entdeckung  zunächst  nicht  vollständig  geklärt ;  wohl  hat  man  erkannt, 
daß  granuläre  und  infiltrierende  Tuberkulose  eine  einheitliche  bakterielle 
Ätiologie  haben,  aber  wieso  die  gerade  beim  Menschen  so  typische 
Spitzenaffektion  entsteht,  hat  man  nicht  befriedigend  erklären  können. 
Erst  Untersuchungen  aus  einer  jüngeren  Vergangenheit  haben  da 
wenigstens  insofern  einen  wesentlichen  Fortschritt  gebracht,  als  man 
gewisse  experimentelle  Bedingungen  des  Entstehen  der  Phthise  soweit 
kennen  lernte,  daß  man  jetzt  auch  im  Tiere  sicher  eine  der  menschlichen 
Krankheit  analoge  Lungenveränderung  erzeugen  kann. 

Die  wichtigsten  Erfahrungen,  die  man  bisher  über  experimentelle 
Tuberkuloseerzeugung  gemacht  hat,  zeigen  übereinstimmend:  massive 
Infektion  erzeugt  im  Tiere  immer  eine  Form  der  Tuberkulose,  die  der 
akut  oder  subakut  generalisierenden  Tuberkulose  des  Menschen  analog 
ist,  also  jene  Fälle  generalisierter  allgemeiner  Tuberkulose,  die  man 
am  häufigsten  bei  den  Kindern  sieht.  Im  Experimente  zeigen  diese 
Fälle  einen  typischen  Primäraffekt,  d.  h.  der  Gang  der  Infektion  läßt 
sich  von  der  infizierten  Stelle  an  verfolgen;  eine  Ausnahme  bilden 
die  gleichen  akuten  generalisierten  Tuberkulosen  bei  der  direkten  In¬ 
jektion  der  Bazillen  in  das  Blut  und  die  durch  Inhalation  erzeugten ; 
wenigstens  läßt  sich  an  den  disseminierten  Lungenherden  bei  diesem 
Infektionsmodus  kein  bronchialer  Ursprung  konstatieren  und  sie  sehen 
ganz  so  aus  wie  die  metastatischen,  sind  auch  ebenso  allgemein  im 
Lungengewebe  verbreitet. 


Vorläufige  Mitteilungen  und  Autoreferate. 


273 


Dagegen  führt  die  langsam  verlaufende  Infektion  im  Experimente 
typisch  zur  prävalierenden  Oberlappenerkrankung  und  zu  der  der 
menschlichen  Phthise  analogen  Lungeneinschmelzung.  Die  interessan¬ 
testen  derartigen  Experimente  stammen  von  Flügge,  der  im  Meer¬ 
schweinchen  durch  die  Inhalation  einer  verhältnismäßig  sehr  geringen 
Anzahl  von  Bazillen  Phthise  erzeugte.  Baumgarten  kam  auf  einem 
ganz  anderen  Wege  zu  demselben  Endresultate :  er  in  jizierte  den  Tieren 
vollvirulente  Tuberkelbazillen  in  die  unverletzte  Harnblase.  Orth 
hat  wieder  auf  einem  prinzipiell  ganz  andern  Wege  dasselbe  Besultat 
erhalten ;  er  hat  mit  wenig  virulentem  Material  vorbehandelte  Tiere 
nachträglich  mit  vollvirulentem  Material  infiziert.  Es  läßt  sich  aus 
der  Gesamtheit  dieser  Erfahrungen  der  Schluß  ableiten,  daß  die  Phthise 
sowohl  durch  Inhalation  wie  auf  anderen  Wege  erworben 
werden  kann,  daß  sie  also  zumindest  keine  primäre  Lungeninfektion 
zu  sein  braucht;  sie  ist  vielmehr  vor  allem  der  Effekt  jener  Infektions¬ 
form,  die  zu  einer  geringen  Anzahl  von  Metastasen  führt ;  der  Ort  des 
Einbruches,  der  zu  diesem  Endeffekt  führt,  ist  offenbar  für  die  Lokali¬ 
sation  im  Lungenoberlappen,  die  sich  schließlich  typisch  findet,  ohne 
Belang.  Die  Phthise  erlaubt  also  keinen  Rückschluß  auf  eine  primäre 
Lungenaffektion,  sie  kann  aber  auch  ein  Effekt  der  Aspiration  inhalierter 
Bazillen  sein. 

Den  Schlüssel  zum  Verständnis  dieser  scheinbar  so  verwirrenden 
Vielgestaltigkeit  der  angeführten  Experimente  bilden  die  Erfahrungen 
über  die  Differenz  im  Verhalten  des  infizierten  Organismus,  je  nach¬ 
dem  er  „jungfräulich“  dem  Tuberkelbazillus  gegenübersteht,  oder  ob 
er  schon  unter  seiner  Einwirkung  gestanden  hat,  oder  unter  der  An¬ 
dauer  derselben  noch  steht.  Zur  Würdigung  dieser  Verschiedenheiten 
in  der  wechselweisen  Beziehung  zwischen  Bazillus  und  Infizierten  muß 
man  sich  allerdings  von  der  sehr  allgemein  verbreiteten  Vorstellung 
befreien,  Miliartuberkel  und  verkäsende  Infiltration  seien  die  zwei 
einzig  legitimen  Wirkungen  des  Tuberkelbazillus.  Am  klarsten  tritt 
diese  vielgestaltige  Wechselwirkung  in  dem  Experimente  über  die  Immu¬ 
nisierung  gegen  Tuberkulose  zutage,  in  denen  die  verschiedene  Wirkung 
der  zweiten  Bazillenzufuhr  drei  total  differente  Effekte  haben  kann : 
einmal  bei  langer  Pause  zwischen  immunisierender  Infektion  und  Prü¬ 
fung  mit  vollvirulenten  ^Material  Erzeugung  einer  wirklichen  Infek¬ 
tionsfestigkeit,  ohne  daß  je  eine  typische  histologische  oder  klinische 
Keaktioi)  auf  die  Bazilleninvasion  erfolgte  (Behring);  zum  zweiten 
Entwicklung  der  Phthise,  wie  in  den  angeführten  Experimenten  von 
Orth;  zum  dritten  „paradoxe“  Reaktion,  die  sehr  unerwünscht  dann 
eintritt,  wenn  durch  zwei  in  zu  kurzen  Intervallen  einander  folgenden 
Immunisierungs-Injektionen  das  Tier  an  akutem  Lungenödem  bei  Ver¬ 
schwinden  der  typischen  Färbbarkeit  der  Bazillen  zugrunde  geht 
(Behring);  diese  Reaktion  ist  nach  Bail  auch  auf  ein  neues  artgleiches 
Tier  übertragbar. 

Die  Periode  vor  den  krankhaften  Erscheinungen  nach  der  Infek¬ 
tion  mit  den  Bazillen  ist  charakterisiert  durch  die  Deponierung  der 
Tuberkelbazillen  im  lymphatischen  Apparat  (Barte l’s  lymphoides 
Stadium  der  Tuberkulose)  ein  Ereignis,  das  trotz  seines  allgemeinen 
Vorkommens  in  der  frühen  Periode  post  infectionem  deshalb  so  lange 
übersehen  wurde,  weil  es  nicht  zur  als  einzig  legitim  angesehen  histo¬ 
logischen  Veränderung  der  Drüsen  kommt.  Dieses  Stadium  der  Depo¬ 
nierung  und  Verarbeitung  der  Bazillen  ist  symptomenlos  und  zugleich 

18 


274 


Vorläufige  Mitteilungen  und  Autoreferate. 


jene  Periode  der  Infektion,  in  der  eine  beträchtliche  Steigerung  der 
Reaktion  zwischen  Bazillus  und  Infizierten  eintritt.  Zunächst  ver¬ 
halten  sich  die  Bazillen  im  jungfräulichen  Tiere  nur  wie  ein  blander 
Fremdkörper,  sie  werden  in  den  Drüsen  deponiert ;  einige  Zeit  nach 
diesem  Ereignisse  erst  wirken  sie  pathogen  im  alten  Sinne. 

Der  Weg,  auf  dem  die  Bazillen  in  die  Lymphdrüsen  gelangen, 
ist  vor  kurzem  erst  von  Orth  direkt  nachgewiesen  worden;  nachdem 
schon  früher  Impfexperimente  post  infectionem  und  vor  Ausbruch  der 
Krankheit  eine  auffallende  Verbreitung  der  Bazillen  in  den  verschieden¬ 
sten  Organen  des  infizierten  Tieres  gezeigt  hatten,  konnte  Orth  durch 
Verimpfung  des  Blutes  nach  Infektionen  ohne  Schleimhautverletzung 
nachweisen,  daß  schon  in  den  ersten  Stunden  nach  der  Bazillenzufuhr 
sich  die  Krankheitserreger  im  zirkulierenden  Blute  finden ;  es  ist  da¬ 
mit  der  Kreis  der  Befunde  geschlossen,  der  die  Pathogenese  der  Phthise 
erklärt. 

Analysiert  man  an  der  Hand  dieser  Auflösung  der  Tuberkel- 
Infektion  die  alten  Experimente,  so  ist  der  Gang  der  Infektion  fol¬ 
gender:  Eintritt  eines  Teiles  der  Bazillen  sehr  früh  in  die  allgemeine 
Zirkulation  des  Blutes,  teilweise  Deponierung  im  Lymphapparate  und 
unter  dem  Einflüsse  der  Verarbeitung  dieser  Elemente  starkes  An¬ 
steigen  der  Reaktionsfähigkeit  des  Infizierten  auf  die  restlichen  Infek¬ 
tionserreger ;  mit  der  andauernden  Propagation  der  überlebenden  Bazillen 
im  Infizierten  Entwicklung  der  Tuberkeleruptionen  in  den  Organen 
unter  gleichzeitigem  Auftreten  der  Krankheitssymptome.  Der  Primär¬ 
affekt  ist  immer  dann  kenntlich,  wenn  dabei  ein  Bazillendepot  ge¬ 
schaffen  wird,  das  zurzeit  des  Eintretens  der  morbiden  Reaktion  noch 
nicht  geschwunden  ist. 

Die  Infektion  mit  wenig  Bazillen  oder  mit  dieser  Versuchsanord¬ 
nung  gleichbedeutend  die  erworbene  Steigerung  der  Resistenz  des  Infi¬ 
zierten  verläuft  in  den  Etappen  der  Blutinvasion,  Deponierung  in  den 
Lymphdrüsen  und  Reaktionsänderung  gleich  wie  die  Infektion  mit 
massiver  Bazillenzufuhr  in  den  älteren  Experimenten.  Zurzeit  der 
sich  entwickelnden  gesteigerten  Reaktion  des  Infizierten  sind  aber  nur 
mehr  sehr  wenig  Infektionsträger  da;  wenn  die  jetzt  via  Lymphbahn 
in  das  Blut  gelangen,  zirkulieren  sie  nicht  mehr  wie  indifferente 
Pigmentkörner  im  ganzen  Organismus,  sondern  sie  werden  im  ersten 
Kapillargebiete  abgefangen ;  sie  bleiben  also  beim  typischen  Ein¬ 
bruch  in  der  CaVa  sup.  in  den  Pulmonalarterienästen  stecken. 
Da  kleine  Emboli  aus  dem  oberen  Hohl venengebiete  typisch  in  den 
oberen  Lungenarterienästen  stecken  bleiben,  ist  der  Effekt  des  Ein¬ 
bruches  via  Lymphbahn  in  das  Blut  typisch  vergesellschaftet  mit  der 
Spitzenerkrankung  der  Lunge.  Eine  so  einfache  Erklärung  hat  die 
Mensch  und  Tier  gemeinsam  auffallende  Lokalisation  der  chronischen 
Tuberkelinfektion  in  den  Lungenspitzen,  wenn  man  die  bisherigen  Er¬ 
fahrungen  über  die  unter  Reaktionsänderung  verlaufende  Propagation 
des  Bazillus  im  Organismus  einfach  logisch  aneinanderreiht. 

Daß  damit  auch  die  Sektionserfahrungen  am  Menschen  stimmen, 
zeigen  recht  deutlich  die  Beobachtungen  Abrikossof f’s,  der,  zwar  ein 
Verteidiger  Birch-Hirschfeld’s,  die  Lungenarterienerkrankung  bei  be¬ 
ginnender  Spitzentuberkulose  ganz  richtig  in  Form  einer  zentral  im 
Herde  gelegenen  Affektion  abbildet;  das  zeigt  auch  die  alte  klinische 
Beobachtung  der  leichten  Hämoptyse  als  Initialsymptom  der  Tuber¬ 
kulose,  auf  die  schon  Aufrecht  mit  Recht  hinweist  Daß  selbst  bei 


Vorläufige  Mitteilungen  und  Autoreferate. 


275 


der  Infektion  durch  Inhalation  in  der  Versuchsanordnung  Flügge’s  die 
Bazillen  nicht  primär  in  der  Lunge  haften  durften,  darauf  deutet  das 
Verschwinden  derselben  auch  bei  Verwendung  massiver  Inhalations¬ 
dosen  nach  wenigen  Stunden  aus  dem  respiratorischen  Lungengewebe ; 
es  fällt  dieses  Ereignis  zeitlich  in  jene  Infektionsperiode,  für  die 
Orth  den  Nachweis  der  Infektion  des  zirkulierenden  Blutes  führte. 
Auch  bei  Tötung  eines  mit  Tuberkulose  infizierten  Tieres  in  der  Inkuba¬ 
tion  kann  man  histologisch  leicht  den  Nachweis  von  Lungenarteriener¬ 
krankung  und  Blutung  als  Initialstadium  der  metastatischen  Infektion 
demonstrieren. 

Die  Tuberkulose  ist  also  im  Sinne  Läennec  und  Cohnheim’s 
auch  als  Phthise  das  Resultat  einer  allgemeinen  Infektion  mit  Meta¬ 
stasenbildung ;  Rokitansky’s  tuberkulöse  Dyskrasie  ist  nichts  anderes 
als  eine  vor  ahn  ende  Betonung  der  maßgebenden  Bolle  der  Reaktions¬ 
änderung  für  den  Verlauf  der  Tuberkulose.  Die  Phthise  ist  in  ihrer 
Entwicklung  unabhängig  vom  Infektionswege ;  sie  kann  das 
Resultat  einer  einmaligen  wie  einer  auf  gepfropften  Infektion 
sein.  Daß  die  Analyse  der  vielgestaltigen  Beziehungen  zwischen 
Tuberkelbazillus  und  Infiziertem  noch  viel  andere  Seiten  hat  als  die 
hier  hervorgehobenen  ist  wohl  nicht  besonders  zu  betonen. 

Autoreferat. 


Tuberöse  Sklerose. 

Zur  Diagnostik  der  tuberösen  Sklerose. 

(H.  Vogt.  Zeitsckr.  für  Erforschung  usw.  des  jugendlichen  Schwachsinns,  H.  1, 

Bd.  2,  1908.) 

Zur  Pathologie  und  pathologischen  Anatomie  der  verschiedenen  Idiotie¬ 
formen.  Tuberöse  Sklerose. 

(H.  Vogt.  Monatsschr.  für  Psych.  u.  Neurol.,  H.  2,  Bd.  24,  1908.) 

Beitrag  zur  diagnostischer  Abgrenzung  bestimmter  Idiotieformen 
(weitere  Fälle  von  tuberöser  Sklerose). 

(H.  Vogt.  Münch,  med.  Wochenschr.,  Nr.  89,  1908.) 

Tuberöse  Sklerose. 

(Enzyklopäd.  Jahrbücher  1908.) 

Während  die  Idiotie  früher  als  ein  einheitliches  Krankheitsbild 
galt,  haben  wir  durch  die  Forschungen  der  letzten  Jahre  in  der  fami¬ 
liären  amaurotischer  Idiotie,  dem  Mongolismus,  der  Myxidiotie  usw. 
mehrere  scharf  umschriebene  Krankheitszustände  kennen  gelernt,  welche 
pathogenetisch,  zum  Teil  auch  anatomisch,  dann  im  klinischen  Bild 
sich  als  Typen  abgrenzen  lassen.  Eine  bisher  nur  anatomisch  und  zwar 
nur  makroskopisch -anatomisch  ab  grenzbare  Form  ist  die  tuberöse  Skle¬ 
rose.  Die  vorliegenden  Arbeiten  verfolgen  einmal  ein  genaues  bisto- 
pathologisches  Studium,  dann  eine  klinische  Symptomatologie,  aus  welch 
letzterer  sich  die  Möglichkeit  ergab,  das  Krankheitsbild  intra  vitam 
als  eine  besondere  Form  zu  diagnostizieren. 

Für  die  klinische  Erkenntnis  war  aus  den  anatomischen  Studien 
das  Ergebnis  Voraussetzung,  daß  es  sich  bei  dem  krankhaften  Hirn¬ 
prozeß  um  einen  zwischen  Tumor  und  Mißbildung  liegenden  -  also 
jedenfalls  tumorartigen  Prozeß  —  handelt. 

Die  bisherige  klinische  Definition  lief  darauf  hinaus,  daß  es 
sich  bei  der  tuberösen  Sklerose  um  Fälle  von  ziemlich  schwerer  Idiotie 
handelte.  Der  Grad  dieser  ist  wechselnd,  auch  der  Verfasser  sah 
unter  drei  Fällen  einen  mit  Imbezillität.  Fast  stets  ist  eine  Epilepsie 

18* 


276 


Vorläufige  Mitteilungen  und  Autoreferate. 


vorhanden,  doch  auch  dies  nicht  stets:  Bourneville  hatte  unter  elf, 
der  Verfasser  unter  drei  einen  von  Epilepsie  freien.  Form  und  Ver¬ 
lauf  dieser  Zustandsbilder  geben  keine  sicheren  Anhaltspunkte.  Nicht 
selten  kommt  ein  gehäuftes  Auftreten  von  Degenerationszeichen  vor. 

Der  Verfasser  stellt  fest,  daß  in  einer  großen  Zahl  von  Fällen 
bei  der  tuberösen  Sklerose  Tumoren  anderer  Organe  und  zwar  von 
Herz,  Niere  und  Haut  —  soweit  bisher  die  Beobachtungen  reichen  — 
Vorkommen.  Verfasser  sah  in  drei  Fällen  bei  tuberöser  Sklerose  Nierem 
und  Hauttumoren,  den  letzten  Fall  diagnostizierte  er  auf  Grund  dieses 
Zusammentreffens  mit  dem  psychischen  Bilde  intra  vitam.  Zwei  weitere 
Fälle  sind  auf  Grund  dieser  Angaben  inzwischen  anderorts  gleichfalls 
intra  vitam  diagnostiziert  und  durch  Autopsie  bestätigt. 

Dies  ist  deshalb  möglich,  weil  —  wie  das  histologische  Studium 
zeigt  —  die  Tumorbildungen  der  somatischen  Sphäre  ihrer  Natur  nach 
Analogien  mit  dem  Hirnprozeß  zeigen:  die  Herztumoren  sind  Rüab- 
domyome,  die  Hautbildungen  das  Adenoma  sebaceum  (Entwicklungs¬ 
störung  der  Hautdrüsen),  auch  beim  Nierentumor  ergaben  sich  An¬ 
zeichen,  die  auf  embryonal-pathologische  Momente  hinweisen. 

Der  hirnanatomische  Prozeß  ist  folgender:  Makroskopisch-ana¬ 
tomisch  ergibt  sich : 

1.  Einzelne  Windungsabschnitte  oder  herdförmige  Partien  der 
Hirnoberfläche  treten  tumorartig  über  die  Oberfläche  etwas  hervor, 
sind  verbreitert,  blaß,  fühlen  sich  hart  an,  so  daß  es  den  Eindruck 
macht,  daß  der  betreffende  Abschnitt  expansiv  gewachsen  sei.  Die 
Pia  ist  zart,  und  überall  leicht  abziehbar,  die  Konfiguration  des  Ge¬ 
hirns  weist  im  ganzen  sonst  keine  Veränderungen  an  der  Oberfläche 
auf.  An  den  tuberösen  Stellen  ist  die  Binde  breit,  ihre  Grenze  ver¬ 
schwommen :  dies  sind  die  sogenannten  Tuberosftäten  der  Hirn¬ 
rinde,  zuweilen  aber  selten  auch  am  Kleingehirn  vorkommend. 

2.  Im  Mark  finden  sich  zuweilen  graue  Streifen  und  Herde,  diese 
bestehen  aus  verlagerten  Partien  grauer  Substanz:  Heterotoipien. 

3.  Besonders  charakteristische  Veränderung  ist  schließlich  das  Vor¬ 
kommen  tumorartiger  Prominenzen  in  den  Seitenventrikeln,  von  Hirse¬ 
korn-  bis  Kirschengröße,  die  meist  an  der  Grenze  von  Thalamus  und 
Corpus  striatum  sitzen ;  seltener  finden  sich  ähnliche  Gebilde  im  vierten 
Ventrikel :  V entrikeiltumor en. 

Mikroskopisch  ist  der  Prozeß  folgendermaßen  charakterisiert : 

Wir  fassen  die  Hirnrinde  und  zwar  die  in  derselben  gelegenen 
Herde  ins  Auge,  denn  wir  können  die  dort  sich  findenden  histolo¬ 
gischen  Veränderungen  als  Grundlage  für  die  Beschaffenheit  der  Herde 
und  der  tumorartigen  Bildungen  überhaupt  nehmen.  Im  wesentlichen 
bestehen  zwischen  diesen  einzelnen  Erscheinungsformen  des  Krankheits¬ 
prozesses  nur  graduelle  Unterschiede.  Die  histologischen  Momente 
sind  folgende : 

1.  Zeichen  gestörter  Entwicklung,  hervortretend  in  mangelhafter 
histologischer  Differenzierung  der  Ganglienzellen,  mangelhafter  Orien¬ 
tierung  und  Gruppierung  derselben,  unklarer  Schichtenbildung,  schlech¬ 
ter  Abgrenzung  der  Binde,  Verlagerung  von  Zellen,  Verringerung 
ihrer  Zahl. 

2.  Auftreten  atypischer  Zellen,  wahrscheinlich  Derivaten  von  Vor¬ 
stufen  der  Ganglienzellen,  die  sog.  großen  Zellen. 

3.  Enorme  Proliferation  der  Glia,  \  ermehrung  sowohl  ihrer  Fasern 


Vorläufige  Mitteilungen  und  Autoreferate. 


277 


wie  Zellen,  Auftreten  der  Randglia  in  anderwärts  bisher  nicht  be¬ 
kannter  Gestaltung,  den  büschelförmigen  Figuren. 

4.  Erscheinungen  von  chronischer  Erkrankung  (Degeneration)  an 
den  vorhandenen  typischen  Ganglienzellen  der  Rinde. 

5.  Fehlen  entzündlicher  Erscheinungen,  insbesondere  auch  in  der 
Umgebung  der  Gefäße;  die  Vaskularisation  zeigt  nur  insofern  Verände¬ 
rungen,  als  die  Herde  wenig  Gefäße  besitzen  und  diese  z.  T.  verdickte 
Wand  zeigen. 

Besonders  wichtig  für  die  Beurteilung  des  Krankheitsprozesses 
ist  der  Befund  der  sog.  großen  Zellen,  eigenartiger,  sonst  im  Zentral¬ 
nervensystem  nicht  festgestellter  Typen,  welche  aber  einen  regel¬ 
mäßigen  Befund  bei  der  Affektion  darstellen :  es  handelt  sich  um 
Elemente,  welche  teils  gliaähnlich,  teils  ganglienzellenähnlich  sind, 
wahrscheinlich  handelt  es  sich  um  Abkömmlinge  von  den  Elementen  des 
Neuralepithels  vor  der  Trennung  in  Spongioblasten  und  Neuroblasten. 
Also  eine  Störung  der  Zelldifferenzierung.  Das  anatomisch-histolo¬ 
gische  Bild  ergibt  somit  einige  interessante  Gesichtspunkte  sowohl  für 
die  Organdifferenzierung  des  Zentralnervensystems,  als  für  allgemeine 
Probleme,  für  die  Tumorentstehung  usw. 

Praktisch  liegt  der  Wert  dieser  ganzen  Überlegung  im  folgenden: 
Wir  haben  klinisch  objektiv  nachweisbare  Symptome,  auch  solche 
somatischer  Art,  die  uns  bei  der  Stellung  der  Diagnose  einer  be¬ 
stimmten  Idiotieform  unterstützen,  ja  wir  haben  Anzeichen,  welche, 
wie  die  Beschaffenheit  der  äußeren  Haut,  uns  auf  die  Natur  der  Krank¬ 
heit  aufmerksam  machen,  und  uns  veranlassen  müssen,  nach  den  ande¬ 
ren  verborgenen  Momenten  zu  forschen.  Sollte  eine  weitere  Vertiefung 
dieser  Erfahrungen  dahin  führen,  daß  die  Diagnose  der  tuberösen 
Sklerose  sich  mehr  und  mehr  sichern  läßt,  so  ist  mit  der  auch 
klinischen  Umschreibung  'einer  bestimmten  Idiotieform  ein  weiterer 
Schritt  auf  dem  Wege  der  Erforschung  der  Idiotie  getan. 

Autoreferat. 


Verein  deutscher  Ärzte  in  Prag,  Sitzung  vom  13.  November  1908. 

Prof.  Dr.  Lieblein  spricht  über  einen  Fall  von  angeborener 
doppelseitiger  Supinationsstörung  der  Ellbogengelenke  bei 
einem  17 jährigen  Mädchen,  bei  welchem  die  Difformität  bald  nach  der 
Geburt  entdeckt  worden  ist.  Beide  Ellbogengelenke  zeigen  zwar  nor¬ 
male  Konfiguration  und  vollständig  freie  Beweglichkeit  im  Sinne  der 
Beugung  und  Streckung,  dagegen  sind  beide  Vorderarme  in  extremer 
Pronationsstellung  fixiert  und  ist  die  Ausführung  von  Rotationsbe¬ 
wegungen  unmöglich.  Die  Untersuchung  der  Ellbogengelenke  ergibt, 
daß  das  Radiusköpfchen  weder  an  normaler  noch  an  pathologischer 
Stelle  nachweisbar  ist.  Die  Röntgenuntersuchung  ergibt  eine  Ver¬ 
wachsung  von  Radius  und  Ulna  in  ihrem  obersten  Abschnitte  mit 
einer  Luxation  des  Radiusköpfchens,  mangelhafte  Formentwicklung  der 
proximalen  Radiusepiphyse  und  vermehrtes  Längenwachstum  derselben. 
Der  Vortragende  geht  des  näheren  auf  die  Ätiologie  derartiger  Mi߬ 
bildungen  ein  (Druckwirkung  von  seiten  des  Amnion  resp.  der  Uterus¬ 
wand),  um  sodann  die  Frage  der  Therapie,  die  nur  eine  operative  sein 
kann,  zu  besprechen.  Die  gar  nicht  oder  nur  wenig  befriedigenden 
Erfolge  in  den  bisher  operierten  Fällen  (Kümmel,  Morestin,  Schil¬ 
lin  g-Helferich)  lassen  eine  Operation  nur  dann  als  einigermaßen 


278 


Vorläufige  Mitteilungen  und  Autoreferate. 


erfolgreich  erscheinen,  wenn  sie  in  frühester  Jugend  ausgeführt  wird. 
In  einem  Falle,  wie  es  der  vom  V ortragenden  beobachtete  war,  würde 
am  zweckmäßigsten  eine  Kontinuitätsresektion  im  Bereich  der  Badius- 
diaphyse  mit  Interposition  eines  Muskellappens  in  Frage  kommen. 

Autoreferat. 


Akute  Ataxie  nach  Diphtherie. 

Von  Dr.  Brückner,  Oberarzt  der  Kinderlieilanstalt  in  Dresden. 

(Nach  einem  in  der  Gesellschaft  für  Natur-  u.  Heilkunde,  Dresden,  am  10.  Januar  1909, 

gehaltenen  Vortrag.) 

Vierjähriges  Mädchen,  früher  gesund,  erkrankte  nach  viertägigem 
Unwohlsein  mit  den  Erscheinungen  der  Larynxstenose.  Bazillenbefund 
positiv.  Nach  Serumeinspritzung  und  Dampf  Bückgang  der  Erschei¬ 
nungen.  Am  sechsten  Tage  Bewußtseinsstörung,  vollständige  Aphasie, 
einige  Tage  später  eigentümliche  Sprachstörung,  an  skandierende  Sprache 
erinnernd.  Keine  Lähmung,  keine  Sensibilitätsstörung,  erhöhte  Beflexe, 
incontinentia  alvi,  hochgradige  motorische  und  statische  Ataxie.  Dia¬ 
gnose ;  Encephalomyelitis  disseminata.  Wird  später  veröffentlicht 
werden.  Autoreferat. 


Aus  der  geburtshilflichen  Praxis. 

Von  Dr.  Leo,  Frauenarzt,  Magdeburg. 

(Nach  einem  Vortrag  in  der  med.  Gesellschaft  in  Magdeburg.) 

L.  bespricht  an  der  Hand  von  Präparatdemonstrationen  folgende 
Fälle  aus  seiner  Praxis: 

1.  Zweieiige  Zwillinge;  heim  zweiten  stark  ausgesprochene  vela- 
mentöse  Insertion  der  Nabelschnur.  Sprengung  der  Blase  an 
einer  gefäßfreien  Stelle.  Wendung  und  Extraktion  auch  des  zweiten 
lebenden  Zwillings. 

2.  Alte  Erstgebärende  mit  dem  Wunsch,  ein  lebendes  Kind  zu 
bekommen,  blutet  im  achten  Monat.  Placenta  praevia  lateralis  und 
vorzeitige  Plaeentarlösung,  dabei  hochgradige  Schwanger¬ 
schaftsnephritis.  Vaginaler  Kaiserschnitt.  Gutes  Besultat  für 
Mutter  und  Kind. 

3.  Z willingisjschwanger schaft  mit  heteiroto/pem  Sitz  der 
Früchte.  Intrauterine  Gravidität  im  dritten  Monat,  kompliziert 
durch  beginnenden  Tubenabort  und  Buptur  einer  gleichzeitig  gra¬ 
viden  Tube.  Laparotomie.  Exstirpation  der  Tube  und  des  Ovars. 
Ungestörter  Fortgang  der  intrauterinen  Gravidität.  Autoreferat. 


Referat  über  den  am  4.  Dezember  1908  in  der  „wissenschaftlichen 
Gesellschaft  deutscher  Ärzte  in  Prag“  gehaltenen  Vortrag. 

Dr.  Garkisch  demonstriert: 

a)  Ein  kleinkindskopf großes,  submuköses,  spontan  aus  Ut.  und 
Vagina  ausgestoßenes  Uterusmyom. 

Die  Patientin  wurde  wegen  angeblich  vorhandener  Gebärmutter¬ 
senkung  ein  Jahr  lang  mit  Bingpessar  behandelt.  An  der  Stelle,  wo 
das  Pessar  saß,  sieht  man  eine  sattelförmige  Einsenkung  und  eine 
ganz  zirkumskripte,  plaqueförmige,  weißliche  Verdickung,  die  äußerer 
Haut  sehr  ähnlich  sieht.  Die  histologische  Untersuchung  dieser  Partie 
ergibt  einen  ganz  außergewöhnlichen  Befund:  Mächtige  Plattenepithel- 


Referate  und  Besprechungen. 


279 


Schicht,  deren  obere  Lagen  verhornt  sind,  sehr  deutliche  Basalzellen- 
Schicht,  von  welcher  nach  innen  in  ein  äußerst  kernarmes  Binde¬ 
gewebe  zahlreiche  „Papillen“  ausstrahlen. 

b)  Ein  mannskopfgroßes  retroperitoneales  Liposarkom,  welches  aus 
einem  unteren  soliden  und  einem  oberen,  aus  zahlreichen  Lappen  be¬ 
stehenden,  Abschnitt  besteht ;  letztere  reichten  bis  zum  Zwerchfell 
hinauf.  Transperitoneale  Exstirpation  —  Diagnose  wurde  auf  Ovarial¬ 
tumor  gestellt  —  in  Lumbalanästhesie,  Heilung.  Kurze  Besprechung  der 
Diagnose,  Therapie  und  Prognose  der  retroperitonealen  lipomatösen  Ge¬ 
schwülste,  wobei  die  Literatur  kurz  gestreift  wird. 


Referate  und  Besprechungen. 

Experimentelle  Pathologie. 

Einfluß  von  Blutentziehungen  auf  die  hämolytische  Kraft. 

(C.  Sacerdotti.  Arch.  p.  1.  scienze  med.,  H.  2,  Bd.  32,  1908.) 

Durch  Aderlässe  anämisch  gemachte  Tiere  gewinnen  sehr  rasch  wieder 
ihre  ursprüngliche  hämolytische  Kraft.  Bei  manchen  Tieren  (Hunden)  steigt 
nach  starken  Blutentziehungen  die  hämolytische  Kraft  sogar  auf  das  Doppelte, 
während  keine  Aderlässe  ohne  Einfluß  sind.  Die  Transfusion  i  so  tonischer 
CINa-  Lösungen  ändert  die  hämolytische  Kraft  nur  wenig  im  Sinne  einer 
Verminderung  infolge  Blutverdünnung :  Transfusionen  nach  Aderlaß  beein¬ 
trächtigen  nicht  die  oben  erwähnte  Vermehrung  der  Hämolyse.  Letztere 
bleibt  in  manchen  Fällen  auch  nach  der  völligen  Erholung  des  Blutes  be¬ 
stehen,  in  anderen  sinkt  sie  wieder  zur  Norm  herab,  kann  aber  durch  neue 
Aderlässe  aufs  neue  gesteigert  werden..  Ist  durch  einen  starken  Aderlaß 
die  hämolytische  Kraft  auf  ein  bestimmtes  Niveau  gehoben  worden,  so  ver¬ 
mögen  neue  Blutentziehungen  keine  Vermehrung  mehr  zu  erreichen.  Die  Ver¬ 
mehrung  der  hämolytischen  Kraft  des  Blutes  kann  nicht  auf  einem  raschen 
Eindringen  beträchtlicher  Mengen  Lymphe  ins  Blut  beruhen ;  denn  einmal 
ist  die  Lymphe  schwächer  hämolytisch  als  das  Blut,  dann  ändern  Kochsalz¬ 
infusionen  nichts  an  der  Vermehrung,  trotzdem  sie  dem  Eindringen  der 
Lymphe  entgegenwirken.  Möglicherweise  hängt  die  Vermehrung  der  Hämo¬ 
lyse  mit  der  bei  Blutentziehungen  eintretenden  Leukozytenvermehrung  zu¬ 
sammen.  M.  Kaufmann. 


Experimentelle  Erzeugung  maligner  Tumoren  bei  Tieren  durch  Infektion. 

(O.  Schmidt,  Köln.  Zentralbl.  für  Bakt.,  H.  3,  Bd.  47,  1908.) 

Verfasser  ist  es  gelungen,  bei  8  Tieren  durch  Infektion  mit  einem  aus 
menschlischem  Karzinom  gezüchteten  Mikroorganismus  maligne  Neubildungen 
zu  erzeugen.  Die  mikroskopische  Untersuchung  und  die  Virulenz  sprechen 
für  die  Malignität  der  Tumoren.  Die  Geschwülste  saßen  am  Orte  der  In¬ 
fektion,  an  dem  Spontantumoren  sehr  selten  beobachtet  werden.  Ein  großer 
Teil  männlicher  Tiere  ist  befallen;  auch  ist  ein  Zufall  auszuschließen  wegen 
der  außerordentlich  großen  Differenz  in  den  Zahlen  einerseits  der  Spontan¬ 
tumoren  bei  Mäusen  überhaupt  und  andererseits  der  experimentell  erzeugten 
Tumoren  bei  den  geimpften  Tieren.  Schürmann  (Düsseldorf). 


Über  experimentelle  Hauttuberkulose  bei  Affen. 

(Prof.  Dr.  Kraus  u.  Dr.  S.  Groß.  Zentralbl.  für  Bakt.,  H.  3,  Bd.  47,  1908.) 

Verfasser  haben  die  von  Kraus  und  Kren  unternommenen  Versuche 
neu  aufgenommen;  sie  versuchten  zu  erfahren,  ob  Reinkulturen  von  Tuberkel- 


280 


Referate  und  Besprechungen. 


bazillen  verschiedener  Herkunft  tuberkulöse  Impf produkte  erzeugten  und 
ob  verschieden  geartete  Impfgeschwüre  den  verschiedenen  A. -Stämmen  ent¬ 
sprächen.  Es  zeigte  sich  nun,  daß  Tuberkelbazillen  menschlicher  Herkunft 
sowohl  wie  Perlsuchtbazillen  tuberkulöse  Hauterkrankungen  bei  den  Affen 
hervorrufen  können.  Die  Impfungen  wurden  mittels  Skarifikation  in  der 
Supraorbitalgegend  vorgenommen;  nach  14  Tagen  kommt  es  zu  entzündlichen 
Veränderungen,  die  meist  (geschlossen)  zerfallen.  Eigentümlich  war  es,  daß 
die  Stämme  der  Vogel  tuberkulöse  nur  ganz  geringe  klinische  Veränderungen 
erzeugten.  Während  die  vom  Menschen  herrührenden  Stämme  nur  ein  Krank¬ 
heitsbild  auf  die  Impfstelle  beschränkt  hervorriefen,  zeigten  die  Stellen, 
die  mit  tierischer  Tuberkulose  geimpft  waren,  die  Tendenz,  sich  weiter  aus¬ 
zudehnen.  Man  fand  bei  der  Untersuchung  der  Impfprodukte  auf  Tuberkel¬ 
bazillen  in  den  mit  Zerfall  einhergehenden  Formen  wenig  oder  gar  keine 
Tuberkelbazillen,  in  den  mit  menschlichen  Tuberkelbazillen  erzeugten  Impf¬ 
produkten,  die  nicht  jjrogredient  sind  und  nicht  zu  Zerfall  neigen,  dagegen 
reichlich  Bazillen  in  Anordnung  der  Leprabazillen.  Die  Versuche,  ob  eine 
vorausgehende  Infektion  der  Haut  eine  herabgesetzte  Empfänglichkeit  der¬ 
selben  gegen  eine  anderwärts  gesetzte  Neuinfektion  bedingen  könnte,  haben 
keine  Beeinflussung  nach  dieser  Richtung  hin  erkennen  lassen. 

Schürmann  (Düsseldorf). 

Einige  Untersuchungen  über  das  Nagana-Trypanosoma. 

(Dr.  Mario  Battaglia.  Zentralbl.  für  Bakt.,  H.  3,  Bd.  47,  1908.) 

Verfasser  hat  feststellen  können,  daß  das  Nagana-Typanosama  in  den 
Tieren,  denen  es  injiziert  wurde,  seine  Entwickelung  mit  einer  endoglobulären 
Amöbenform  beginnt.  Injektion  einer  Öse  Blutes  eines  an  Nagana  gestorbenen 
Meerschweinchens  in  die  Vagina  ergab  starke  Vulvovaginitis  mit  Zervikal¬ 
drüsenanschwellung.  Eine  Reinkultur  von  Trypanosomen  fand  sich  fast  in 
der  Vagina.  Die  infizierten  Tiere  waren  sehr  niedergeschlagen  und  kränker, 
als  die  auf  anderem  Wege  infizierten.  Verfasser  hält  eine  Nachprüfung 
für  zweckmäßig.  Schürmann  (Düsseldorf). 


Innere  Medizin. 

Die  Bedeutung  der  Magenfunktionsuntersuchung  für  die  Diagnose  des 

Ulcus  ventriculi. 

(Axel  Borgbjärg,  Kopenhagen.  Arcli.  für  Verdauungskrankh.  H.  3  u.4,  Bd.  14,  1908.) 

Borgbjärg  zieht  aus  seinen  Untersuchungen  folgende  Schlüsse:  „Die 
Stagnation  mikroskopischer  Art,  gefunden  zwölf  Stunden  nach  einem  Probe¬ 
abendessen,  spricht  in  hohem  Grade  für  das  Vorhandensein  eines  organischen 
Magenleidens;  in  der  Regel  ist  dasselbe  ein  Ulkus  (oder  Karzinom),  es  kann 
wahrscheinlich  aber  auch  eine  chronische  Gastritis  sein.  Ist  außer  der  Stag¬ 
nation  mikroskopischer  Art  auch  noch  ein  nüchternes  salzsaures  Sekret  vor¬ 
handen,  so  ist  die  Anwesenheit  eines  Ulkus  um  so  wahrscheinlicher.  Ist  mit 
der  kontinuierlichen  Hypersekretion  und  der  Stagnation  mikroskopischer  Art 
auch  noch  eine  —  und  sei  es  auch  nur  unbedeutende  oder  periodisch  guf- 
tretende  —  Stagnation  makroskopischer  Art  oder  eine  motorische  Insuffizienz 
ersten  Grades  (Atonie)  vergesellschaftet,  so  ist  sicher  ein  Ulcus  ventriculi 
vorhanden.  Die  kontinuierliche  Hypersekretion  spricht  in  hohem  Grade  für 
das  Vorhandensein  eines  Magengeschwürs ;  da  dieselbe  aber  fast  immer  mit 
der  Stagnation  mikroskopischer  Art  vergesellschaftet  auftritt,  so  wird  man 
nur  selten  darauf  angewiesen  sein,  die  Diagnose  Ulcus  ventriculi  ausschlie߬ 
lich  auf  Grundlage  der  Hypersekretion  zu  stellen.  Die  Anwesenheit  einer  — 
und  sei  es  auch  sehr  unbedeutenden  —  Menge  nüchternen  salzsauren  Sekretes 
muß  jedoch  immer  die  Aufmerksamkeit  des  Untersuchers  auf  den  Magen 
lenken,  und  bietet  der  Patient  zugleich  ausgesprochene  Magensymptome  dar, 
so  deutet  die  Hypersekretion  darauf  hin,  daß  die  Magensymptome  von  einem 
Magengeschwür  abhängig  sind.“  M.  Kaufmann. 


Referate  und  Besprechungen. 


281 


Aus  der  medizinischen  Klinik  der  Universität  Halle  a.  S. 

Über  die  neueren  klinischen  Untersuchungsmethoden  der  Darmfunktionen 

und  ihre  Ergebnisse. 

(Prof.  Dr.  Adolf  Schmidt.  Deutsche  med.  Wochenschr.,  Nr.  23,  1908.) 

Zur  Feststellung  der  Darmfunktion  gibt  Schmidt  dem  Patienten  eine 
2 — 3  tägige  Probediät,  deren  genaue  Zusammensetzung  im  Original  pach- 
zulesen  ist.  Der  dritte  Stuhlgang  nach  Beginn  der  Diät  muß  möglichst  so¬ 
fort  untersucht  werden.  Normaler  Stuhl  ist  geformt,  festweich  und  hellbraun, 
vermischt  mit  vereinzelten  kleinen  braunen  aus  unverdauten  Spelzenresten 
bestehenden  Pünktchen. 

Zahlreicher  auftretende  Bindegewebs-  und  Sehnenreste  deuten  auf  eine 
Störung  des  Magens,  der  allein  rohes  Bindegewebe  verdauen  kann.  Schmidt 
weist  auf  die  sogenannten  gastrogenen  Darmerkrankungen  hin,  deren  Sym¬ 
ptome  in  einer  vorhergegangenen  oder  noch  bestehenden  Magenerkrankung, 
in  der  Bindegewebslientrie  sowie  in  dem  Nachweis  besonderer  Mikro  bien  in 
den  Fäzes  bestehen.  Die  Therapie  muß  sich  gegen  die  Magenstörung  richten 
und  besteht  vor  allem  in  Magenspülungen. 

Seltener  finden  sich  Reste  von  Muskelgewebe.  Ihr  Vorkommen  spricht 
für  eine  Störung  der  Dünndarmverdauung,  vor  allem  aber  für  eine  solche 
der  Pankreassekretion.  Letztere  läßt  sich  noch  besser  nachweisen  durch  die 
Schmidt’sche  Kernprobe,  die  darauf  beruht,  daß  die  Gewebskerne  nur  von 
Pankreassaft  verdaut  werden  können,  ihr  Vorhandensein  in  der  Fäzes  also 
auf  einer  ungenügenden  Pankreasfunktion  besteht. 

Die  gleichfalls  für  die  Pankrassekretion  dienende  Sahli’sche  Glutoid- 
kapselprobe  hat  mehr  negativen  diagnostischen  Wert,  weil  der  Herstellung 
eines  gleichmäßigen  Härtegrades  für  die  Kapseln  nicht  gelingt. 

Überbleibsel  von  Kartoffelbrei  in  Gestalt  von  sagokornähnlichen  Körnern 
weisen  auf  eine  Störung  der  Dünndarmverdauung  hin ;  die  isoliert  Vorkommen 
kann  und  als  Insuffizienz  des  amylolytischen  Darmsekrets  aufzufassen  ist. 
Die  Erscheinung  findet  sich  vor  allem  in  den  typischen  Fällen  von  intestinaler 
Gärungsdyspepsie,  die  auf  neurasthenischer  oder  anämischer  Basis  beruhen,  sowie 
in  Fällen  gastrogenen  Ursprungs.  Es  kommt  dabei  zu  abnormen  Gärungen, 
die  man  auch  durch  24stündiges  Verbleiben  des  Probekotes  im  Brustschrank 
nachweisen  kann.  Die  Therapie  besteht  in  Entziehung  der  Kohlehydrate. 

Die  Annahme  einer  intestinalen  Fäulnisdyspepsie  als  eines  Zustandes 
vermehrter  Fäulnisvorgänge  im  Darmkanal  bei  ungenügender  Eiweiß  Verdauung 
hält  Schmidt  nicht  für  angängig.  Das  Eiweiß,  das  übrigens  nicht  von 
unverdauten  Nahrungsresten  herkommt,  sondern  von  der  Darmwand  selbst 
abstammt,  liefert  nicht  das  Material  zu  Zersetzungen,  sondern  der  Schleim, 
Eiter  und  das  transsudierte  Serum.  Derartige  faulige  Diarrhöen  werden  oft 
als  sogenannte  nervöse  Diarrhöen  behandelt,  während  es  sich  meist  um  ver¬ 
steckte  Katarrhe  oder  leichte  Reizzustände  in  höheren  Darmabschnitten 
handelt. 

Was  nun  die  Beteiligung  der  Gärungs-  und  Fäulniserreger  im  Darm¬ 
kanal  betrifft,  so  spielen  sie  nur  eine  sekundäre  Rolle;  die  Zusammensetzung 
des  Chymus  ist  der  maßgebende  Faktor  bei  der  Entstehung  von  Zersetzungs¬ 
vorgängen. 

Zum  Schluß  kommt  Schmidt  auf  die  chronische  Obstipation  zu  sprechen; 
die  nicht,  wie  bisher  angenommen  auf  einer  Verminderung  der  peristal tischen 
Dickdarmarbeit  beruht.  Es  besteht  vielmehr  eine  zu  gute  Verdauung,  wo¬ 
durch  ein  für  die  Bakterienbildung  zu  schlechter  Nährboden  entsteht,  was 
zu  einer  Verminderung  der  Darmbakterien  und  der  Zersetzungsprodukte  und 
somit  zum  Fortfall  der  natürlichen  Basis  der  Peristaltik  führt.  Ein  Mittel, 
um  den  Kot  voluminöser  und  wasserreicher  zu  machen  glaubt  er  in  Agar- 
Agar  oder  in  dem  daraus  hergestellten  Regulin  gefunden  zu  haben. 

F.  Walther. 


282 


Referate  und  Besprechungen. 


Über  Unterschiede  in  der  Temperatur  beider  Achselhöhlen  bei  akuter 

Epityphlitis. 

(Dr.  E.  Hönck -Hamburg.  Deutsche  med.  Wochenschr.,  Nr.  35,  1908.) 

Die  Beobachtung  Widmer’s  (Münchner  mediz.  Wochenschrift,  Nr.  13) 
eines  Halles  von  Epityphlitis,  während  deren  Verlaufe  die  Temperatur  in 
der  rechten  Achselhöhle  0,3 — 1,5°  höher  war  wie  in  der  linken,  was  er  als 
nicht  oder  unvollkommen  generalisiertes  Eieber  bezeichnete,  faßt  Hönck 
als  unwiderleglichen  Beweis  einer  von  ihm  bereits  früher  aufgestellten  Be¬ 
hauptung  auf,  daß  im  Beginn  einer  akuten  Epityphlitis  der  rechte  Sympa¬ 
thikus  gereizt  sei  und  dann  in  manchen  Fällen  nach  einiger  Zeit  die  Reizung 
auf  den  linken  überspringe.  Die  nach  dieser  Annahme  zu  erwartende  Er¬ 
höhung  der  Temperatur  in  der  linken  Achselhöhle  gegenüber  der  rechten,  hat 
er  in  zwei  Fällen  bestätigt  gefunden.  Wegen  Mangels  an  klinischem  Material 
möchte  er  dazu  auffordern,  diese  Beobachtungen  weiter  zu  verfolgen. 

F.  Walther. 


Fälle  von  Ischochymie,  Gallensteinerkrankung  vortäuschend. 

(Max  Einhorn.  Arch.  für  Verdauungskrankh.,  H.  4,  Bd.  14,  1908.) 

Einhorn  berichtet  über  drei  Fälle,  in  denen  eine  benigne  Pylorus¬ 
stenose  eine  Cholelithiasis  vorgetäuscht  hatte,  und  weist  darauf  hin,  wie 
wichtig  es  ist,  in  allen  Fällen  von  scheinbarer  Grallensteinerkrankung,  be¬ 
sonders  da,  wo  die  Diagnose  nicht  sicher  gestellt  ist,  eine  Sondenuntersuchung 
des  Magens  vorzunehmen.  Eine  Kombination  beider  Krankheiten  kommt 
auch  vor,  ist  aber  selten.  •  M.  Kaufmann. 


Ätiologie  der  Pfortaderthrombose. 

(V.  Hecht.  Wiener  klin.  Wochenschr.,  Nr.  26,  1908.) 

Bei  einer  15  jährigen  Patientin,  die  mit  6  Jahren  ein  Trauma  erlitten 
und  seitdem  häufig  blutiges  Erbrechen  gehabt  hatte,  stellte  sich  das  typische 
Bild  der  Pfortaderthrombose :  Blutbrechen,  Aszites,  Milz-  und  Leberschwellung 
ziemlich  plötzlich  ein.  Die  Obduktion  ergab  einen  abnormen  Verlauf  der 
Pfortader  derart,  daß  der  Ductus  cysticus  im  Bogen  über  sie  hinzog  und 
so  bei  normaler  Füllung  der  Gallenblase  ein  Zirkulationshindernis  bilden 
mußte.  Die  Anomalie  war  angeboren,  das  Trauma  wahrscheinlich  ohne  ätiolo¬ 
gische  Bedeutung.  Der  Autor  gibt  noch  eine  Übersicht  über  die  Ätiologie 
der  Pfortaderthrombose:  Kompression  durch  Neubildungen,  Lymphdrüsen- 
schwellung;  Leberzirrhose  und  -Syphilis;  Wanderkrankungen  des  Gefäßes 
bei  Pyämie,  Peritonitis;  Pankreasnekrose;  Traumen.  E.  Oberndörffer. 


Einige  diagnostisch  bemerkenswerte  Fälle  von  Nierentuberkulose. 

(Prof.  Casper.  Deutsche  med.  Wochenschr.,  N.  31,  1908.) 

Die  Operation  ist  nach  Casper  das  empfehlenswerteste  Verfahren  bei 
Nierentuberkulose,  zumal  durch  die  Cystoskopie  und  den  Ureterenkathe- 
terismus  eine  frühzeitige  Diagnose  gestellt  werden  kann  und  man  infolge 
der  funktionellen  Nierendiagnostik  die  gesunde  oder  doch  funktionsfähige 
Niere  zu  erkennen  vermag,  woraus  sich  das  außerordentliche  Sinken  der 
Mortalität  bei  Operationen  ergibt.  Casper  verfährt  bei  der  Diagnostik  in  der 
Weise,  daß  er  den  Urin  bei  sich  häufiger  wiederholender  Hämaturie  un¬ 
bekannter  Ätiologie  und  bei  Pyurie  auf  Tuberkelbazillen  mikroskopisch  unter¬ 
sucht  und  bei  negativen  Resultat  durch  Impfung  von  Meerschweinchen  ein 
sicheres  Ergebnis  erhält.  Durch  Cystoskopie  und  Ureterenkatheterismus  sucht 
er  sodann  die  erkrankte  Niere  festzustellen.  Spritzt  jedoch  aus  beiden  Ure- 
teren  trüber  und  purulenter  Urin,  so  bestimmt  er  die  Arbeitskraft  der  Nieren 
durch  Vergleich  der  Gefrierpunkte  ihres  Harns,  sowie  des  Prozentgehaltes 


Referate  und  Besprechungen. 


288 


an  Harnstoff,  an  Saccharum,  nach  muskulärer  Phloridzininjektion  und  der  Fär¬ 
bung  nach  Indigkarmininjektion  und  endlich  der  Zeit  des  Eintritts  der  Färbung 
und  der  Zuckerausscheidung.  Er  hat  gefunden,  daß  stets  die  tuberkulöse 
Niere  geringere  Valenzwerte  zeigt,  als  die  gesunde  oder  gesündere,  und  daß  die 
Blaufärbung  und  Zuckerausscheidung  bei  der  tuberkulösen  Niere  später 
auf  tritt. 

Zum  Beweis  für  die  Sicherheit  der  angegebenen  Hilfsmittel  für  die 
Diagnose  führt  er  einen  Fall  an,  bei  dem  von  Fachmännern  die  rechte  Niere 
als  tuberkulös  bezeichnet  wurde.  Auf  Grund  seiner  Diagnostik  entfernte 
er  jedoch  die  linke  und  der  Erfolg  bestätigte  seine  Diagnose. 

Als  Gegenstück  erwähnt  er  einen  Patienten,  bei  dem  der  Ureter¬ 
katheterismus  nicht  auszuführen  war,  und  wo  man  sich  auf  die  ziemlich 
unsichere  Nieren-  und  Ureterenpalpation  verließ.  Die  Autopsie  zeigte,  daß 
man  die  relativ  gesündere  Niere  entfernt  hatte,  und  daß  der  Fall  über¬ 
haupt  inoperabel  war. 

Um  nun  in  ähnlichen  Fällen,  bei  denen  die  Beleuchtungsmethoden  nicht 
ausführbar  sind,  vor  derartigen  Mißgriffen  verschont  zu  bleiben,  empfiehlt 
Casper  sich  der  Farbstoffausscheidung  und  Indigkarmininjektion  und  der 
Zuckerausscheidung  nach  Phloridzin  intra  operationem  zu  bedienen.  Erstere 
gibt  zwar  kein  absolut  sicheres  Bild  über  die  Gesundheit  und  Funktionstüchtig¬ 
keit  der  Niere,  aber  im  Allgemeinen  kann  man  annehmen,  daß  die  Niere 
um  so  besser  arbeitet,  je  schneller  und  intensiver  das  Blau  ausgeschieden 
wird.  Geschieht  dies  und  erfolgt  die  Zuckerausscheidung  prompt,  so  arbeitet 
die  Niere,  ob  sie  nun  krank  oder  gesund  ist,  genügend,  so  daß  man  das 
tuberkulöse  Schwesterorgan  entfernen  kann.  Abgesehen  von  diesen  glück¬ 
licherweise  seltenen  Fällen  stehen  uns  aber  die  anderen  oben  genannten 
Methoden  zur  Verfügung,  die  sämtlich  verschiedene  Arbeitsleistungen  der 
Nieren  messen,  wodurch  die  Sicherheit  des  Urteils  wesentlich  erhöht  wird. 

F.  Walther. 


Nebennierenveränderungen  bei  chronischer  Nephritis. 

(A.  Baduel.  Riv.  crit.  di  Clin,  med.,  Nr.  31  u.  32,  1908.) 

Die  bei  der  Nephritis  gewöhnlich  beobachtete  Blutdrucksteigerung  ist 
trotz  zahlreicher  Theorien  noch  nicht  genügend  erklärt.  Eine  neue,  be¬ 
sonders  von  französischer  Seite  aufgestellte  Lehre  sucht  ihren  Grund  in 
Veränderungen  der  Nebennieren.  Eine  Stütze  für  diese  Lehre  bilden  die 
hier  vorliegenden  Untersuchungen  Baduel’s,  der  in  sechs  genau  histologisch 
untersuchten  Fällen  von  Nephritis  regelmäßig  schwere  Veränderungen  ent¬ 
zündlicher  Art  in  den  Nebennieren  fand.  M.  Kaufmann. 


(Aus  dem  Sanatorium  von  DDr.  Pariser-Dammert  in  Homburg  v.  d.  H.) 

Über  intermittierendes  Fieber  bei  tertiärer  viszeraler  (speziell  Leber-) 

Syphilis. 

(Dr.  F.  Dämmert.  Deutsche  med.  Wochenschr.,  Nr.  35,  1908.) 

Aus  der  ausführlichen,  einen  Zeitraum  von  12  Jahren  umfassenden 
Krankengeschichte  geht  hervor,  daß  der  Patient  zunächst  an  einer  luetischen 
Affektion  beider  Pleuren  erkrankte,  wobei  schon  eine  Vergrößerung  der  Leber 
konstatiert  wurde.  Später  stellte  sich  eine  ebenfalls  auf  Syphilis  zurück¬ 
zuführende  Neurasthenie  ein,  und  endlich  erkrankte  er  im  Anschluß  an  einen 
Influenzaanfall  an  intermittierendem  mit  Schüttelfrost  und  Schweißausbruch 
verbundenem  Fieber,  wobei  er  ganz  außerordentlich  herunterkam.  Der  Be¬ 
fund  ergab  eine  starke  Vergrößerung  der  Leber,  deren  Rand  sich  hart  und 
frei  von  Unebenheiten,  anfüllte,  aber  gegen  Druck  unempfindlich  war.  Außer¬ 
dem  bestand  Milzvergrößerung.  Die  Diagnose  einer  fieberhaften  Erkrankung 
im  Gefolge  einer  viszeralen  tertiären  Lues  (spez.  Lebersyphilis)  wurde  durch 
den  Erfolg  einer  kombinierten  Behandlung  von  Quecksilber  und  Jod  be- 


284 


Referate  und  Besprechungen. 


stätigt.  Der  Patient  gesundete  und  ist  auch  in  den  nächsten  drei  Jahren 
frei  von  Beschwerden  geblieben. 

In  der  Epikrise  erörtert  Dämmert  zunächst  die  Erscheinungen  dör 
Lebersyphilis.  Er  nimmt  an,  daß  es  sich  entweder  um  einen  interstitiellen 
diffusen  Infiltrationsprozeß  ohne  Perihepatitis  oder  um  miliare  Gfummata 
handelt.  Differentialdiagnostisch  können  die  verschiedensten  Möglichkeiten 
in  Betracht  kommen,  so  die  Malaria  wegen  des  Milztumors,  Karzinom  oder 
Sarkom  der  Leber,  Tuberkulose  u.  a.  Prognostisch  hält  er  die  Erkrankung  für 
günstig,  therapeutisch  die  Kombination  von  Jod  und  Hydrargyrum  am 
empfehlenswertesten.  Was  die  Mitbeteiligung  anderer  Organe  betrifft,  so 
glaubt  er  eine  Erkrankung  des  Herzmuskels  wegen  einer  früher  durchge¬ 
machten  Angina  pectoris  und  der  bestehenden  Verbreiterung  des  Herzens, 
sowie  der  Irregularität  und  Frequenz  des  Pulses,  nicht  ganz  ausschließen 
zu  dürfen. 

Eine  Schädigung  des  Blutes  war  nicht  nachweisbar.  Die  Erklärung  des 
Eiebers  ist  schwierig.  Es  dürfte  wohl  mit  dem  syphilitischen  Virus  und 
nicht  mit  der  Leber  in  Verbindung  zu  bringen  sein.  F.  Walther. 


(Aus  dem  Sanatorium  von  DDr.  Pariser-Dammert  in  Homburg  v.  d.  H.) 

Zwei  Fälle  von  Leberlues  mit  langdauerndem  Fieber. 

(Dr.  Curt  Pariser.  Deutsche  med.  Wochenschr.,  Kr.  35,  1908.) 

Pariser  berichtet  über  2  weitere  Fälle  von  Leberlues.  Bei  dem  ersten 
traten  10  Jahre  nach  der  Infektion  unregelmäßiges  mit  Schweißausbrüchen  und 
trockenem  Husten  verbundenes  Fieber  auf,  wobei  Leber-  und  Milzvergrößerung 
bestand.  Durch  Jodmedikation  verschwanden  diese  ein  Jahr  bestehenden  Er¬ 
scheinungen  und  zwar  der  Husten  nach  5  und  das  Fieber  nach  3  Tagen  und 
gleichzeitig  verkleinerten  sich  Leber  und  Milz  etwas.  Der  Patient  konnte  blühend 
die  Anstalt  verlassen.  Ganz  ähnlich  verlief  der  zweite  Fall.  Auch  bei  diesen 
beiden  Patienten  erschwerte  der  bestehende  Milztumor  und  das  unregelmäßige 
Fieber  die  Diagnose  (Malaria).  Was  die  Erklärung  des  Fiebers  angeht,  so 
neigt  Pariser  wegen  des  schnellen  Erfolges  auf  Joddarreichung  der  Ansicht 
zu,  daß  es  rein  toxisch-luetischer  Natur  ist.  F.  Walther. 


Chirurgie. 

Explorative  Laminektomie  und  Meningitis  serosa  circumscripta. 

(de  Montet.  Korrespondenzbl.  für  Schweizer  Ärzte,  Nr.  21,  1908.) 

Die  43  jährige,  wenig  intelligente  und  beiderseits  klumpfüßige  Kranke 
war  subakut  von  einer  Lähmung  der  Beine  und  Inkontinenz  befallen  worden, 
mit  schmerzhaften  Zuckungen  und  rascher  Verschlimmerung  des  Allgemein¬ 
zustands.  Da  der  Ort  der  Erkrankung  gut  bestimmbar  war  (5. — 6.  Wurzel), 
so  wurde  die  Laminektomie  ausgeführt,  welche  intakten  Knochen,  gespannten 
Duralsack  und  unter  hohem  Druck  ausspritzende  Flüssigkeit  ergab.  Das 
Rückenmark  war  dünn  und  plattgedrückt,  die  Flüssigkeitsansammlung  offen¬ 
bar  nur  lokal,  da  die  vorher  ausgeführte  Spinalpunktion  keinen  Überdruck 
ergeben  hatte  (Meningitis  serosa  nach  Oppenheim-Krause).  Nach  12  Tagen 
etwas  Beweglichkeit  der  Beine,  nach  5  Wochen  noch  etwas  spastisch-pare- 
tischer  Gang,  doch  keine  Inkontinenz;  Entlassung.  Bei  der  Nachuntersuchung 
fand  sich  Pat.  arbeitsfähig  und  erklärte  sich  für  gesund;  das  Fortbestehen 
des  Babinski’schen  und  0 ppenheim’schen  Phänomens  war  das  einzige 
abnorme. 

Über  die  Dauer  der  Heilung  drückt  M.  sich  zurückhaltend  aus  und 
stellt  die  Frage,  ob  nicht  eine  Punktion  bei  geringerer  Chance  der  in  dieser 
Gegend  bekanntlich  besonders  leicht  eintretenden  Wundinfektion  dasselbe  ge¬ 
leistet  hätte.  F.  von  den  Velden. 


Referate  und  Besprechungen. 


285 


Über  Operation  an  tiefliegenden  Zungenabszessen. 

(Dr.  Br  unk  Ohren-Poliklinik  Breslau.  Deutsche  med.  Wochenschr.,  Nr.  23,  1908.) 

Tiefliegende  Zungenabszesse,  wie  sie  sich  vor  allem  nach  Verletzungen 
durch  Fremdkörper  am  Zungenboden  entwickeln  oder  auch  nach  Ulzerationen 
der  Zunge,  oder  nach  Zungenphlegmone  bei  eitriger  Mandelentzündung  usw., 
lassen  sich  oft  vom  Munde  au,s  sehr  schwer  öffnen.  Oft  lassen  sich  die 
Abszesse  im  hinteren  Teil  der  Zunge  auch  sehr  schwer  lokalisieren.  In 
diesen  Fällen  ist  es  korrekter,  statt  der  allgemeinen  geübten  unsicheren  und 
nicht  ungefährlichen  Inzision  vom  Munde  her,  den  Abszeß  von  außen  zu  öffnen. 
Als  einfacher  und  sicherer  Operationsweg  zu  empfehlen,  ist  die  Freilegung 
des  M.  hyoglossus  und  stumpfes  Auseinanderdrängen  seiner  Fasern.  Diese 
Methode  eignet  sich  sowohl  für  laterale  wie  für  median  gelegene  Zungen¬ 
abszesse.  Bei  letzteren  kann  in  einzelnen  Fällen  (außen  sichtbare  Vorwöl¬ 
bung)  eine  Durchtrennung  der  Weichteile  in  der  Medianlinie  über  dem 
Zungenbein  vorteilhafter  sein.  Härting  (Leipzig). 


Über  die  Endresultate  der  Tracheotomie. 

(Dr.  Lehnerdt,  Halle,  früher  Leipziger  Kinder-Krankenhaus.) 

Lehnerdt-,  der  in  seiner  Inauguraldissertation  „zur  Kenntnis  derNarben- 
strikturen  und  Narbenverschlüsse  nach  Intubation,  Leipzig  1907“,  über  16  Fälle 
von  Narbenstenosen  nach  der  Intubation  berichtet  hatte  bei  1539  intubierten 
Kindern,  stellt  seine  Resultate  den  von  Dr.  Wolf  am  Leipziger  Stadt¬ 
krankenhaus  tracheotomierten  Kindern  mit  ihren  Nachkrankheiten  gegenüber. 
Danach  ist  die  Mortalität  bei  Tracheotomie  und  bei  Intubation  die  gleiche. 
Betreffs  der  Mortalität  ist  nach  Lehnerdt  vor  allem  das  Alter  der  Kinder 
zu  berücksichtigen :  Die  Mortalität  betrug  bei  der  Intubation  bei  Kindern 
vom  ersten  bis  dritten  Lebensjahr  42,3%?  hei  Kindern  vom  vierten  Lebens¬ 
jahr  an  und  darüber  nur  22,19%.  Auch  die  Narbenstenosen  bei  der  Intubation 
fallen  vor  allem  in  das  erste  bis  dritte  Lebensjahr.  Härting  (Leipzig). 


Zur  Behandlung  schwerer  Schußverletzungen  der  Lunge  mit  primärer  Naht. 

(H.  Küttner,  Breslau.  Deutsche  Zeitschr.  für  Chir.,  H.  1  u.  2,  Bd.  94.) 

Trotzdem  wir  uns  daran  gewöhnt  haben,  Herzschüsse,  welche  in  unsere 
Behandlung  kommen,  nach  Rehn’s  Vorgehen  operativ  anzugreifen,  beobach¬ 
ten  wir  den  Lungenschüssen  gegenüber  noch  heute  eine  große  Reserve.  Der 
Grund  dieser  Zurückhaltung  liegt  in  der  weniger  dringenden  Indikation,  der 
bis  jetzt  allgemein  angenommenen  besseren  Prognose  und  in  dem  Umstand, 
daß  wir  bis  jetzt  über  kein  erfolgreiches  Operationsverfahren  verfügten. 
Die  beiden  letzten  Gründe  sind  nicht  mehr  stichhaltig.  Aus  der  kritischen 
Verwertung  großer  Reihen  von  Lungenschuß  Verletzungen  ergibt  sich  einer¬ 
seits,  daß  mehr  wie  40%  tödlich  verliefen;  andererseits  geben  uns  die  moder¬ 
nen  Druckdifferenzverfahren  Mittel  an  die  Hand,  dem  schlechten  Ablauf 
der  Lungenschüsse  wirksam  zu  begegnen. 

Verf.  berichtet  über  einen  20 j ähr.  jungen  Mann  mit  einem  vermittelst 
eines  9  mm  Revolvers  gesetzten  Lungenschuß.  Der  hochsteigende  Bluterguß, 
der  schlechte  Puls,  Dyspnoe  und  Cyanose  ließen  die  Situation  äußerst  kritisch 
erscheinen.  Nach  breiter  Eröffnung  des  Thorax  in  der  Sauer bruch’schen 
Kammer  wurde  der  Bluterguß  entfernt,  der  am  linken  Unterlappen  befindliche 
Einschuß  und  Ausschuß  mit  Seide  vernäht  und  die  Thoraxwunde  luftdicht 
verschlossen.  Das  Resultat  war  ein  glänzendes ;  die  Heilung  erfolgte  per 
primam  intent. 

Dieser  Erfolg  gewinnt  besondere  Bedeutung  beim  Vergleich  mit  zwei 
anderen  abwartend  behandelten  Fällen  von  Lungenschuß,  von  denen  der  eine 
ein  Empyem  akquirierte,  der  andere  erst  nach  78  tägiger  Behandlungsdauer 
schonungsbedürftig  entlassen  werden  konnte. 


286 


Referate  und  Besprechungen. 


Die  bisherige  Kasuistik  von  Lungennähten,  welche  nur;  6  Beobachtungen 
umfaßt,  läßt  endgiltige  Schlüsse  nicht  zu ;  sie  zeigt  aber  die  Bedeutung  der 
Druckdifferenzverfahren  für  die  Lungenchirurgie  in  hellstem  Licht,  so  daß 
wir  im  Gegensatz  zu  früheren  Maximen  jetzt  wohl  zu  der  Forderung  berech¬ 
tigt  sind,  schwerwiegende  Lungenschüsse  unter  Druckdifferenz  mit  breiter 
Thorakotomie,  Verschluß  der  Lungenwunde  und  primärem  Pleuraverschluß 
zu  behandeln.  F.  Kayser  (Köln). 

Über  Ileus  durch  Entspannungsnähte. 

(B.  Fischer,  Bonn-Köln.  Zeitschr.  für  deutsche  Chir.,  H.  1  u.  2,  Bd.  94.) 

Verf.  berichtet  über  drei  Fälle,  in  denen  es  nach  der  Laparototmie 
(in  zwei  Fällen  wegen  Ileus,  in  einem  Falle  wegen  multipler  Verletzungen 
des  Darmes  und  des  Netzes  nach  Huf  schlag)  zu  einem  mechanischen  Ileus 
dadurch  gekommen  war,  daß  eine  Dünndarmschlinge  zwischen  Bauchwand  und 
einem  Entspannungsfaden  abgeschnürt  war.  In  einem  Fall  war  eine  hohe 
Ileumschlinge  so  stark  geschädigt,  daß  sie  Erscheinungen  beginnender  Gangrän 
zeigte.  In  allen  Fällen  wurde  der  Befund  erst  bei  der  Autopsie  erhoben. 

Die  Strangulation  kommt  wahrscheinlich  dadurch  zustande,  daß  eine 
Darmschlinge  sich  zwischen  Faden  und  Bauchwand  legt,  bevor  der  nach 
Schluß  der  Laparotomiewunde  angezogene  Entspannungsfäden  geknüpft  wird. 
Die  Kenntnis  des  Vorgangs  erscheint  deshalb  bedeutsam,  weil  der  Operateur 
wegen  der  Schwierigkeit  der  Diagnose  eines  mechanischen  Ileus  bei  einem 
nach  der  Operation  einsetzenden  Ileus  nicht  leicht  zu  einer  zweiten  Laparotomie 
sich  entschließt. 

In  der  Literatur  finden  sich  bis  jetzt  ähnliche  Beobachtungen  nicht, 
wahrscheinlich  deshalb,  weil  bei  der  Art  der  bis  jetzt  bei  der  Sektion  ge¬ 
führten  Schnittführung  die  Abschnürung  in  den  Fällen,  in  denen  sich  kein 
deutlicher  Schnürring  findet,  häufig  übersehen  wird.  Es  ist  geboten,  den 
Sektionsschnitt  nicht  mit  der  Operationswunde  zusammenfallen  zu  lassen, 
so  daß  das  ganze  Operationsgebiet  der  linken  Bauchwand  in  toto  zur  An¬ 
schauung  gelangt.  Verf  ist  auf  diese  Weise  wiederholt  der  Nachweis  ge¬ 
lungen,  daß  Darmschlingen  beim  Schluß  der  Bauchhöhle  von  der  Nadel 
des  Operateurs  mitgefaßt  waren.  Praktische  Bedeutung  hat  diese  Beobach¬ 
tung  insofern,  als  wohl  angenommen  werden  darf,  daß  beim  Vorhandensein 
infektionsfähigen  Materials  in  der  Bauchhöhle  das  Entstehen  einer  Perito¬ 
nitis  dadurch  begünstigt  wird. 

Die  Mitteilungen  sind  für  uns  deshalb  gewiß  wertvoll,  als  sie  uns 
einen  gewichtigen  Beitrag  zu  dem  aktuellen  Kapitel  „Unglücke  in  der  Chi¬ 
rurgie“  liefern.  Die  Ansicht,  daß  sie  häufig  Vorkommen,  kann  Ref.  aber  nicht 
teilen,  ebensowenig  hält  er  den  Versuch  für  berechtigt,  die  Operateure  gegen  den 
Vorwurf  eines  groben  chirurgischen  Kunstfehlers  in  Schutz  zu  nehmen. 

F.  Kayser  (Köln). 


Komplette  Ausschaltung  des  Dickdarms  wegen  hartnäckiger  Darmblutungen 

bei  Syphilis. 

(Dr.  Canon,  Berlin.  Deutsche  Zeitschr.  für  Chir.,  H.  1  u.  2,  Bd.  94.) 

Bei  einem  44 j ähr.,  an  schweren  Darmblutungen  leidenden  Sphmied 
wurde,  nachdem  eine  längere  Zeit  versuchte  innere  Medikation  völlig  wir¬ 
kungslos  war,  eine  partielle  Resektion  des  Colon  descendens  mit  Einnähung 
der  Darmschenkel  vorgenommen.  Da  die  Blutungen  fortdauerten  und  die 
Beschaffenheit  der  Darmwand  eine  noch  bestehende  krankhafte  Veränderung 
des  Darmes  wahrscheinlich  machte,  wurde  der  ganze  Dickdarm  dadurch  aus¬ 
geschaltet,  daß  das  unterste  Ileum  in  die  Flex.  sigmoidea  implantiert  wurde. 
Die  Darmblutungen  sistierten  nach  dem  Eingriff,  den  Pat.  gut  überstand. 
Nach  den  bisherigen  Beobachtungen  ist  es  wahrscheinlich,  daß  eine  Ausschal¬ 
tung  des  Dickdarms  beim  Verdaüungsprozeß  ohne  dauernde  Schädigung  des 
Patienten  möglich  ist;  trotzdem  sind  die  Gefahren  des  Eingriffes  so  große, 
daß  er  wohl  nur  im  äußersten  Notfall  berechtigt  erscheinen  dürfte. 

_  F.  Kayser  (Köln). 


Referate  und  Besprechungen. 


287 


Blutung  in  das  Nierenlager. 

(H.  Joseph,  Köln.  Deutsche  Zeitschr.  für  Chir.,  H.  5  u.  6,  Bd.  94.) 

Ein  50 jähriger  an  Gicht  leidender  Kaufmann  erkrankte  morgens  beim 
Aufstehen  plötzlich  an  heftigen  Schmerzen  in  der  rechten  Bauchseite  und 
Anurie.  Die  Urinsekretion  stellte  sich  nach  zehn  Stunden  wieder  ein,  doch 
bildete  sich  in  den  nächsten  Tagen  unter  Meteorismus,  Eieber,  Leibschmerzen 
ein  schweres  Krankheitsbild  aus,  welches  seine  objektive  Begründung  in 
einer  vor  der  rechten  Lendengegend  nach  der  Mitte  des  Leibes  sich  er¬ 
streckenden  Resistenz  fand.  Bei  dem  am  zwölften  Krankheitstag  vorge¬ 
nommenen  Einschnitt  ergibt  sich  eine  ausgedehnte  Blutung  in  die  Eettkapsel 
und  in  das  Paranephrium.  Nach  Abklingen  einer  an  die  Operation  sich 
anschließenden  rechtsseitigen  Pneumonie  wird  wegen  fortdauernder  Tempe¬ 
ratur  die  rechte  Niere  exstirpiert.  Exitus.  Die  Niere  zeigt  mikroskopisch 
das  Bild  der  eitrigen  Nephritis;  bei  der  Sektion  findet  sich  ein  großer 
septischer  Milztumor. 

Der  Fall  ist  den  Beobachtungen  zu  subsummieren,  welche  Wunder¬ 
lich  als  „Apoplexie  des  Nierenlagers“  beschrieben  hat.  Genetisch  kann 
man  sich  den  Vorgang  der  Blutung  so  vorstellen,  daß  ein  Harnsäure¬ 
konkrement  einen  akuten  Verschluß  des  rechten  Ureters  und  infolge 
der  dadurch  eintretenden  venösen  Stauung  die  heftige  Blutung  veranlaßt 
hat.  Die  Anurie  ist  somit  als  eine  reflektorische  aufzufassen.  Die 
Urininfiltration  der  durchbluteten  Fettkapsel  ist  kaum  als  Ursache  der  Sepsis 
aufzufassen;  wahrscheinlich  bildet  der  Ureter  Verschluß  die  Gelegenheitsursache 
zur  Infektion  der  anatomisch  bereits  nicht  ganz  intakten  Niere. 

Fehlt  das  Bild  der  akuten  Anämie,  so  ist  differentialdiagnostisch  zwischen 
akuter  Hydronephrose,  akuter  Paranephritis  und  einer  retroperitonealen  peri- 
typhlitischen  Eiterung  zu  unterscheiden.  Anamnese  und  Krankheits verlauf 
im  Anfang  kommen  als  diagnostische  Hilfsmittel  in  Betracht. 

Ohne  rationelle  chirurgische  Therapie  ist  die  Prognose  infaust.  Haupt¬ 
prinzip  ist  Entfernung  der  durchbluteten  Fettkapsel ;  die  Niere  ist  nur  bei 
schweren  Veränderungen  zu  entfernen.  Die  Exstirpation  bezw.  Spaltung 
der  Niere  durch  Sektionsschnitt  und  Tamponade  kommt  weiter  in  Frage, 
wenn  dauernde  Temperatursteigerungen  bestehen  bleiben.  F.  Kayser  (Köln). 


Künstliche  Synovia. 

(R.  T.  Morris.  Americ.  journ.  of  Surg.,  Nr.  6,  Bd.  22,  1908.) 

Morris  macht  seit  vier  Jahren  Versuche,  in  sogenannte  „trockene  Ge¬ 
lenke“,  deren  Beweglichkeit  infolge  einer  stumpfen  Verletzung  oder  einer 
Entzündung  gelitten  hat,  eine  künstliche  Synovia,  bestehend  aus  1  Teil 
Boroglyzerid,  3  Teilen  Glyzerin  und  4  Teilen  Salzlösung,  durch  eine  dicke 
Kanüle  zu  injizieren.  Ein  an  gonorrhoischer  Synovitis  erkranktes  und  kurze 
Zeit  vor  der  Injektion  mit  geringem  Erfolg  durch  Brisement  force  behan¬ 
deltes  Gelenk  wurde  nach  derselben  alsbald  schmerzfrei  und  erlangte  eine 
gute  Funktion.  Eine  ältere  Frau  mit  Krachen  im  Schultergelenk  und  Ad¬ 
häsionen,  ohne  deutlich  rheumatische  Vorgeschichte,  wurde  durch  die  In¬ 
jektion  alsbald  erleichtert.  Auch  bei  drei  ausgeheilten  tuberkulösen  Ge¬ 
lenken  (natürlich  waren  sie  aus  einer  größeren  Zahl  ausgewählt)  will  M. 
durch  Injektion  künstlicher  Synovia  sehr  zufriedenstellende  Resultate  er¬ 
reicht  haben;  die  besten  indessen  hatte  er  bei  Adhäsionen,  die  nach  rheu¬ 
matischer  Synovitis  auf  getreten  waren.  Natürlich  kamen  auch  Fehlschläge 
vor.  Die  injizierte  Menge  richtet  sich  nach  der  Kapazität  des  Gelenks.  Es 
wird  zunächst  während  einiger  Tage  Bettruhe  eingehalten  und  dann  mit 
dem  Gebrauch  des  Gelenkes  begonnen. 

Versuche  mit  dem  bei  sauberer  Ausführung  wenig  eingreifenden  Ver¬ 
fahren  sind  um  so  mehr  anzuraten,  als  die  Therapie  versteifter  Gelenke  noch 
recht  im  argen  liegt.  F.  von  den  Velden. 


288 


Referate  und  Besprechungen. 


Volare,  mit  typischer  Radiusfraktur  komplizierte  Ulnaluxation.  Ulnaris¬ 
lähmung. 

(Dr.  Thon,  Universität  Gießen.  Münch,  med.  Wochenschr.,  Nr.  29,  1908.) 

Thon  berichtet  über  einen  Fall  von  typischer  Radiusfraktur,  der  mit 
einer  Luxation  der  Ulna  im  Handgelenk  kompliziert  war  und  glaubt  an 
der  Hand  des  Falles  den  Entstehungsmechanismus  dieser  Luxation,  wenn 
sie  mit  der  typischen  Radiusfraktur  kompliziert  ist,  nachweisen  zu  können. 
Sie  entsteht,  wie  Thon  annimmt,  dadurch,  daß  nach  Fraktur  des  Radius 
die  Gewalteinwirkung  noch  nicht  erschöpft  ist,  sondern  noch  weiter  ein¬ 
wirkt.  Im  Thon’schen  Fall  entstand  die  Fraktur  mit  Luxation  dadurch, 
daß  der  betr.  Schreinergeselle,  während  er  eine  Flügeltür  auf  dem  Kopf 
trug  und  mit  der  rechten  Hand  hielt,  nach  vorn  ausglitt  und  auf  die 
ausgestreckte  linke  Hand  fiel;  nachdem  er  schon  zu  Boden  lag,  rutschte 
er  infolge  des  Schwunges  noch  ein  wenig  weiter  nach  vorn,  so  daß  die 
linke  Hand  zum  zweiten  Male  stärker  dorsal  flektiert  wurde.  Interessant 
war  an  der  Verletzung  die  Ulnarislähmung,  die  durch  Druck  der  Ulna  auf 
den  Nerv,  ulnaris  entstanden  sein  mußte  (überstreckte  Stellung  der  Grund¬ 
gelenke  am  vierten  und  fünften  Finger,  Mittelgelenke  dieser  zwei  Finger 
leicht  gebeugt).  Härting  (Leipzig). 


Zur  künstlichen  Blutleere  der  unteren  Körperhälfte  nach  Momburg. 

(H.  Ehemann,  Leipzig.  Deutsche  Zeitschr.  für  Chir.,  H.  1  u.  2,  Bd.  94.) 

Im  Zentralblatt  für  Chir.  1908,  Nr.  23  beschreibt  Momburg  ein  Ver¬ 
fahren,  unter  Blutleere  Operationen  am  Becken  und  am  oberen  Teil  des 
Oberschenkels  auszuführen.  Er  zieht  zwischen  Becken  und  unterem  Rippen¬ 
rand  einen  dicken  Gummischlauch  derart  in  mehrfachen  Touren  um  die 
Taille,  bis  der  Puls  in  der  Femoralis  nicht  mehr  fühlbar  ist.  Das  in  zwei 
Fällen  angewandte  Verfahren  erwies  sich  als  brauchbar. 

Eine  ähnliche  Methode  ist  bereits  früher  (Zentralbl.  f.  Chir.  1907,  Nr.  45) 
von  Fr anke- Braunschweig  angegeben  worden,  welcher  als  Pelotte  unter  der 
umschnürenden  Martin’schen  Binde  eine  kleine  Porzellandose  benutzte,  völlige 
Blutleere  erreichte,  aber  nach  Abnahme  der  Binde  anscheinend  infolge  Beschädi¬ 
gung  des  Darms  blutige  Durchfälle  erlebte.  Einen  weiteren  Beitrag  zu  der 
Frage  bringt  Riemann.  Bei  einem  schwerverletzten  Eisenbahnbeamten,  bei 
welchem  bereits  früher  die  hohe  Oberschenkelamputation  gemacht  worden 
war,  wurde  unter  der  Momburg’schen  Umschnürung  die  Exartikulation  des 
Oberschenkelstumpfes  vorgenommen.  Die  Arterie  zeigte  sich  dabei  völlig 
blutleer,  aus  der  Vene  blutete  es  wenig  rückläufig.  Die  Gefäße  konnten  vor 
Abnahme  des  Schlauches  leicht  unterbunden  werden. 

Nach  den  bisherigen  Beobachtungen  ist  die  Methode  der  elastischen 
Einschnürung  des  Rumpfes  nach  Momburg  als  brauchbar  zu  betrachten. 
Ob  sie  bei  korpulenten  und  muskulösen  Menschen  zum  Ziele  führt,  muß 
die  weitere  Beobachtung  lehren.  Trotz  der  relativ  lange  Zeit  anhaltenden 
Umschnürung  —  in  einem  Fall  Momburg’s  bis  43  Minuten!  —  ist  ein  Nach¬ 
teil  nicht  beobachtet  worden.  Auffällig  war  eine  nach  Abnahme  des  Schlauchs 
zu  beobachtende  bis  zu  20  Minuten  anhaltende  Dikrotie  des  Pulses. 

Ref.  möchte  glauben,  daß  das  Verfahren  bei  Individuen  mit  Verände¬ 
rungen  der  Gefäßwände  leicht  zu  Embolien  führen  kann  und  daß  daher  die 
Anwendung  der  Methode  eine  besonders  sorgfältige  Auswahl  geeigneter  Fälle 
fordert.  F.  Kayser  (Köln). 


Der  Wert  des  Zinkleimverbandes  in  der  Chirugie,  besonders  bei  der 
Behandlung  von  Ulcera  crucis,  Varicen  und  Gelenkaffektionen. 

(Dr.  Hecker,  Straßburg.  Med.  Klinik,  Nr.  42,  1908.) 

Hecker  weist  auf  den  Wert  des  Zinkleimverbandes  hin,  der  im  allge¬ 
meinen  viel  zu  wenig  angewandt  wird  und  bei  der  Behandlung  der  für 


Referate  und  Besprechungen. 


289 


die  Patienten  so  unangenehmen  und  von  den  Ärzten  oft  recht  stiefmütter¬ 
lich  behandelten  Unterschenkelgeschwüren  von  unschätzbarem  Wert  ist.  Er 
wird  so  angelegt,  daß  man  zunächst  das  betr.  Bein  in  einem  warmen  Fu߬ 
bade  mittels  Seife  gründlich  reinigen  läßt,  dann  das  Bein  rasiert,  um  ein 
Verkleben  des  Verbandes  mit  den  Haaren  des  Unterschenkels  zu  vermeiden, 
und  danach  den  Unterschenkel  mit  Äther  oder  besser  noch  mit  Benzin  gründ¬ 
lich  abreibt.  Dann  kommt  auf  das  Geschwür  selbst  am  besten  Airol,  darüber 
etwas  Watte  und  nun  wird  der  übrige  Unterschenkel  mit  dem  Unna’schen 
Zinkleim  eingepinselt.  Der  Unna’sche  Zinkleim  besteht  aus: 

Zinc.  oxydat 
Gelatine  äa  10,0 
Glyzerin 

Aquae  destilatae  aa  40,0. 

Diese  Masse  wird  unter  ständigem  Umrühren  im  Topf  über  der  Flamme 
oder  im  Wasserbade  aufgelöst.  Bis  zum  Kochen  soll  man  die  Unna’sche 
Zinkleimmasse  nicht  kommen  lassen,  weil  dadurch  die  Klebkraft  der  Gelatine 
leidet.  Dann  wird  eine  Stärkekleisterbinde  in  warmem  Wasser  eingeweicht 
und  unter  gleichmäßigem  starken  Anziehen  um  den  Fuß  und  Unterschenkel 
gewickelt.  Nach  jeder  Bindenlage  wird  von  neuem  Zinkleim  darüber  ge¬ 
strichen.  So  kommen  vier  bis  fünf  Bindenlagen,  die  immer  wieder  mit 
Zinkleim  bestrichen  werden,  übereinander.  Wichtig  ist,  daß  das  Bein  vor 
dem  Anlegen  des  Zinkleimverbandes  abgeschwollen  ist.  Der  Patient  muß 
daher  vorher  möglichst  mehrere  Tage  zu  Bett  gelegen  haben.  Der  Zweck 
des  Zinkleimverbandes  ist,  die  Stauung  am  Unterschenkel  aufzuheben,  denn 
diese  ist  es,  die  das  Geschwür  nicht  zum  Verheilen  kommen  läßt  oder  sie 
nach  der  Heilung  so  bald  wieder  aufbrechen  läßt.  Der  Zinkleim  verband 
kann  im  allgemeinen  drei  Wochen  liegen  bleiben,  ausgenommen,  wenn  die 
Sekretion  des  Ulkus  eine  allzugroße  ist,  wobei  man  gut  tut,  den  Verband 
schon  nach  etwa  vier  bis  sechs  Tagen  frisch  zu  machen.  Eine  mäßige 
Durchtränkung  des  Zinkleimverbandes  von  der  Sekretion  des  Ulkus  aus 
hat  auf  die  Epithelisierung  des  Ulkus  keinen  ungünstigen  Eindruck. 

Härting  (Leipzig). 


Ein  Apparat  zur  Herstellung  von  Projektionsbildern,  Photographien  und 

Kinematogrammen  hei  Operationen. 

(Ch.  H.  Duncan.  Americ.  Journ.  of  Surg.,  Nr.  9,  1908.) 

Der  Apparat  besteht  aus  einer  großen  photographischen  Kamera,  die 
über  dem  Operationsfeld  schwebt  und  von  Glühlampen  umgeben  ist.  Die 
Kamera  ist  in  der  Mitte  um  90°  abgeknickt  und  an  dieser  Stelle  ein  Spiegel 
eingeschaltet,  der  die  Lichtstrahlen  in  wagerechter  Richtung  nach  der  Seiten¬ 
wand  des  Operationsraums  wirft.  Dort  ist  eine  matte  Platte  angebracht, 
die  die  Betrachtung  der  Bilder  von  außerhalb  des  Raumes  gestattet.  Von 
hier  aus  können  auch  Photographien  und  Kinomatogramme  aufgenommen 
werden.  In  den  Lauf  der  Lichtstrahlen  eingeschaltete  Schichten  bunter 
Flüssigkeiten  sollen  die  Farbenkontraste,  die  beim  Durchgang  durch  Lin¬ 
sen  abgeschwächt  werden,  intensiver  machen.  Natürlich  muß  die  Einstellung 
des  Apparates  während  der  Operation  kontrolliert  werden.  Ein  Megaphon 
ermöglicht  dem  Operateur  zum  Auditorium  zu  sprechen. 

Die  Vorteile  einer  solchen  Vorrichtung  sind  einleuchtend.  Der  Ope¬ 
rateur  ist  die  sich  herumdrängenden  Studenten  los,  diese  sehen  mehr  als 
den  Rücken  der  Assistenten  und  brauchen  nicht  in  der  heißen  Chloroformluft 
des  Operationszimmers  zu  sitzen.  Auch  die  Reinlichkeit  der  Operation  kann 
nur  gewinnen.  Erhebliche  technische  Schwierigkeiten  kann  der  Apparat  nicht 
bieten,  da  die  Epidiaskope  (etwas  anderes  ist  Duncan’s  Apparat  im  Grunde 
nicht)  bereits  zu  hoher  Vollkommenheit  gediehen  sind. 

F.  von  den  Velden. 


19 


290 


Referate  und  Besprechungen. 


Psychiatrie  und  Neurologie. 

Die  Bedeutung  der  Hirnentwicklung  für  den  aufrechten  Gang. 

(H.  Vogt.  Abdruck  aus  der  Festschrift  zum  39.  deutschen  Antropologentag, 

Frankfurt  a.  M.,  August  1908.) 

Stellt  man  den  Hemicephalen  auf  alle  Viere,  so  verhält  sich  seine  Ge¬ 
sichtsstellung,  die  Richtung  seiner  Augenachse,  wie  bei  einem  vierfüßigen 
Tier,  das  immer  in  der  Richtung  blickt,  und  nach  der  Richtung  die  Vorder¬ 
fläche  seines  Gesichts,  das  Geruchsorgan  usw.  gerichtet  trägt,  in  der  es  sich 
bewegt.  Der  Hemicephale  verhält  sich  wie  ein  vierfüßiges  Tier ;  die  Fragen, 
ob  dieses  Verhalten  begründet  ist  in  dem  Ausfall  der  Hirnentwicklung  des 
Hemicephalen  (hirnlose  Mißgeburt),  und  wir  die  so  zustande  kommenden 
Plemmungen  der  Entwicklung  zu  Rückschlüssen  auf  den  normalen  Gang 
der  Entwicklung  und  erst  auf  allgemeine  Entwicklungsgesetze  benutzen  können, 
ist  bejahend  zu  beantworten. 

Verf.  betont,  daß  es  keinen  Atavismus  sui  generis,  den  spontanen  Rück¬ 
schlag  Carl  Vogt’s,  gibt,  sondern  daß  der  Atavismus  eine  mechanisch  be¬ 
dingte  Bildung  ist,  indem  der  Rest  der  durch  eine  Krankheit  nicht  zerstörten 
Keimkrusten  etwas  einfacheres,  eine  ontogenetisch  oder  phylogenetisch  tiefere 
Stufe  leistet. 

Der  Keim  hat  stets  die  Tendenz,  eine  fertige  Bildung  zu  werden.  Dieses 
Prinzip  muß  der  Entstehung  ,, tierähnlicher“,  doch  auch  fertiger  Bildungen 
günstig  sein.  Auch  eine  Bildung,  wie  die  Hirnkonfiguration  balkenloser  Mi߬ 
geburten,  die  Kopfstellung  der  Anenc'ephalen  kann  uns  den  Hinweis  liefern 
auf  primitivere  Gesetzwidrigkeiten. 

Die  Produkte  der  krankhaft  gestörten  und  unterbrochenen  Entwicklung 
sind  also  gesetzmäßige  Produkte,  die  uns  die  isolierte  Wirkung  vereinfach¬ 
ter  Bildungsgesetze  zeigen.  Verglichen  mit  der  Norm,  ist  die  obere  Kante 
der  Gesichtsfläche  des  Hemicephalen  ganz  bedeutend  zurückgewichen,  diese 
hat  in  dem  mangelnden  Hirnschädel  und  der  damit  einhergehenden  Ver¬ 
kürzung  der  Schädelbasis  seinen  hauptsächlichen  Grund. 

Betrachtet  man  nun  die  Angelegenheit  phylogenetisch,  so  ergibt  sich, 
daß  man  die  Schädelbasis  in  Parallele  stellen  muß  zu  den  Wirbelkörpern, 
denen  sic  phylogenetisch  entspricht.  Bei  Tieren  stehen  beide  Ebenen  dorsal. 
Ein  Winkel  zwischen  dem  ersten  Halswirbel  und  der  Schädelbasis  entwickelt 
sich  erst  bei  stärkerer  Ausprägung  der  Cerebrums.  Die  gewaltige  Hirnent¬ 
wicklung  des  Menschen,  die  Senkrechtsstellung  seiner  Schädelbasis  zur  Längs¬ 
achse  der  Wirbelsäule  geht  einher  mit  einer  Verschiebung  des  Gesichts  nach 
abwärts. 

Der  Mensch  als  vierfüßiges  Geschöpf  ist  undenkbar,  weil  die  fort¬ 
schreitende  Hirnentwicklung  ihn  unter  Bedingungen  setzt,  die  nur  bei  auf¬ 
rechtem  Gang  ihm  den  biologischen  Gebrauch  seiner  Körperanlage  gestattet. 
Es  erscheint  logisch,  diejenigen  Haupteigenschaften,  die  den  Menschen  vor 
allen  andern  Tieren  auszeichnen,  bei  der  Begründung  einer  so  hervorstechenden 
Eigentümlichkeit,  wie  sie  der  aufrechte  Gang  darstellt,  nicht  als  eine  Neben¬ 
ursache  oder  eine  Teilerscheinung  aufzufassen,  sondern  als  ein  wichtiges,  trei¬ 
bendes,  wohl  mindestens  ein  wesentlich  mitbestimmendes  Moment-. 

Koenig  (Dalldorf). 


Hirnanatomie  und  vergleichende  Anthropologie. 

(H.  Vogt.  Umschau,  Nr.  32,  S.  621,  8.  August  1908.) 

Es  gibt  auch  heute  noch  keinen  sicheren  Weg,  die  psychologischen  Cha¬ 
raktere  erschöpfend  zu  erklären.  Wir  können  am  einzelnen  Gehirn  des  Euro¬ 
päers  die  höhere  geistige  Funktion  überhaupt  noch  nicht  materialisieren. 
Haben  wir  nun  bestimmte  Anhaltspunkte  für  eine  fortschreitende  feinere 
Organisation  des  Gehirns,  nicht  nur  in  der  Tierreihe,  sondern  handelt  es 
sich  bei  diesen  Differenzierungen  um  qualitative  Unterschiede  so  feiner  Art, 
daß  wir  doch  einmal  vielleicht  in  die  Lage  kommen  werden,  auf  die  verschie- 


Referate  und  Besprechungen. 


291 


denen  Höhen  der  psychologischen  Entwicklungsstufen  Rückschlüsse  zu  machen, 
oder  doch  deutlich  einen  Parallelismus  mit  diesen  Tatsachen  zu  erkennen  ? 

Alle  die  hier  zu  berücksichtigenden  Fragen  erstrecken  sich  auf  Ge¬ 
biete,  welche  die  feinste  Differenzierung  der  funktionierenden  Hirnelemente 
betreffen,  welche  wir  mit  den  höchsten  Leistungen  des  Zentralorganes  in 
Beziehung  bringen.  Wir  sind  noch  nicht  so  weit,  daß  wir  bestimmte  Schlüsse 
für  die  Organisationshöhe  einzelner  Menschenklassen  daraus  ableiten  können ; 
es  ist  auch  schwer,  das  in  besonderer  diffiziler  Weise  zu  konservierende  Mate¬ 
rial  für  solche  Untersuchungen  zu  beschaffen.  Aber  so  viel  steht  fest:  es 
handelt  sich  hier  um  Dinge,  an  welche  die  anthropologische  Wissenschaft 
lebhaften  Anteil  nimmt,  u|nd  die  deren  eigenstes  Arbeitsgebiet  betreffen. 
Hirnanatomie  und  Anthropologie  bewegen  sich  hier  auf  einem  gemeinsamen 
Felde,  wo  es  sich  darum  handelt,  den  Bau  des  Gehirnes  zu  verstehen  aus  seiner 
Funktion.  Verf.  führt  verschiedene  Gehirnuntersuchungen  von  Autoren  an, 
die  vielleicht  im  Laufe  der  Zeit  der  vergleichenden  Anthropologie  Nutzen 
bringen  wird. 

Die  Unterschiede  im  Gewebsbau  der  einzelnen  Hirnregionen  gestalten 
sich  langsam  im  Laufe  der  Wurzelentwickelung  aus,  während  das  Gehirn  des 
Kindes  in  den  ersten  Lebensmonaten  noch  wenig  davon  erkennen  läßt.  Einen 
besonderen  interessanten  Einblick  gewährt  hier  das  Studium  der  Kinder  von 
in  der  Hirnentwicklung  geschädigten  Individuen,  von  Idioten  und  ange¬ 
borenen  Schwachsinnigen.  In  zwei  Fällen  konnte  V.  nachweisen,  daß  eine 
Gewebedifferenzierung  im  Bereiche  der  ganzen  Hirnrinde  nicht  eingetreten 
ist,  daß  die  Hirnrinde  überall  den  Charakter  des  sechsschichtigen  Grund¬ 
typus  bot.  Da  es  sich  um  sonst  wohlausgebildete  Gehirne  ohne  eine  Spur 
von  Mißbildung  handelt,  so  ist  die  Annahme  gegeben,  daß  hier  ein  Defekt 
der  letzten  feineren  Ausbildung  des  Hirngewebes  vorlag.  Die  spezielle  Diffe¬ 
renzierung  ist  jedenfalls  ein  Vorgang  der  allerletzten  vor  sich  gehenden 
Ausbildung  und  gibt  mit  die  Grundlage  für  die  feinere  Ausbildung  der 
psychischen  Funktionen  ab.  Ein  gewisser  Parallelismus  zwischen  der  Höhe 
dieser  Organisation  und  der  Höhe  der  Gehirnleistungen  besteht  sicherlich. 

Koenig  (Dalldorf). 


Über  vorübergehende  Wahnbildungen  auf  degenerativer  Basis. 

(Karl  Birnbaum.  Zentralbl.  für  Nervenheilk.  u.  Psych.,  S.  637,  September  1908.) 

Es  handelt  sich  um  vorzugsweise  durch  Wahnbildung  ausgezeichnete 
Krankheitsbilder,  wie  sie  bei  Individuen  auftreten,  welche  sich  durch  die 
bekannten  Kennzeichen  als  degenerierte  charakterisieren;  zu  ihnen  sind  auch 
die  hysterischen ,  gerechnet.  Diese  degenerativen  Wahnformen  erinnern  zwar 
oft  an  die  Paranoia,  sie  sind  aber  dem  Wesen  nach  von  ihr  verschieden  und 
weisen  mannigfache  Abweichungen  auf.  Die  wahnhaften  Ideen  unterscheiden 
sich  bezüglich  ihres  Inhaltes  oft  nicht  weiter  von  denen  der  Paranoia;  so 
finden  sich  zunächst  Beeinträchtigungsideen,  die  sich  im  großen  und  ganzen 
auf  Personen  und  Verhältnisse  der  wirklichen  Umgebung  und  Situation  be¬ 
ziehen.  Neben  diesen  hebt  sich  eine  andere  Gruppe  inhaltlich  schon  stärker 
von  den  paranoischen  Bildungen  ab.  Es  sind  dies  Größenideen  vorzugsweise 
phantastischer  Art,  die  sich  ohne  weiteres  als  freie  Phantasieerfindungen 
kennzeichnen;  sie  beziehen  sich  auf  alle  möglichen  persönlichen  Vorzüge, 
hohe  Abstammung  usw.  Mit  ihnen  verbunden  finden  sich  gelegentlich  phan¬ 
tastische  Verfolgungsideen. 

Häufig  gesellen  sich  hierzu  wahnhafte  Vorstellungen,  die  auf  die  indi¬ 
viduelle  Vergangenheit  hinweisen,  phantastisch  gehaltene  Fabulationen,  durch 
welche  Bilder  ähnlich  der  originären  Paranoia  zustande  kommen. 

Es  kommen  auch  noch  mancherlei  andere  Vorstellungen  vor,  die  ihrem 
Inhalte  nach  gar  nicht  mehr  recht  als  Wahnideen  bezeichnet  werden  können. 

Das  degenerative  Wahnbild  weicht  in  formaler  Hinsicht  schon  stärker 
als  in  inhaltlicher  von  dem  der  Paranoia  ab.  Es  kommen  hier  die  größten 
Verschiedenheiten  und  scheinbare  Regellosigkeiten  vor. 


19* 


292 


Referate  und  Besprechungen. 


Der  Wahnkomplex  umfaßt  bald  massenhafte  Einzelelemente,  bald  nur 
wenige  Wahnbestandtteile,  bald  machen  nur  ganz  vereinzelte,  spärliche  Ideen 
das  gesamte  Wahnwesen  aus.  Die  einzelnen  Wahngruppen  stehen  oft  un¬ 
abhängig  und  unverbunden  nebeneinander;  darunter  leidet  der  systematische 
Aufbau,  so  daß  ein  einheitlich  geschlossenes  Wahnsystem  wie  das  paranoische 
kaum  vorkommt.  Ferner  geht  den  Ideen  die  Unkorrigierbarkeit  paranoischer 
Vorstellungen  wie  deren  tiefgehender  Einfluß  auf  das  Gefühls-  und  Vor¬ 
stellungsleben  mehr  oder  weniger  ab. 

Die  Sinnestäuschungen  treten  meist  gegenüber  den  Wahnideen  an  Um¬ 
fang  und  Bedeutung  zurück,  entsprechen  inhaltlich  meist  der  Wahnfabel  und 
ereignen  sich  auf  allen  Sinnesgebieten.  Auch  das  Verlaufsbild  zeigt  Ab¬ 
weichungen  von  der  Paranoia.  Im  Gegensatz  zu  dem  lang  sich  hinziehenden 
paranoischen  Vorbereitungsstadium  findet  oft  ein  akutes  Einsetzen  statt; 
sehr  häufig  treten  initiale  Bewußtseinsstörungen  vom  Charakter  hysterischer 
Prozesse  auf.  Auch  die  Weiterentwicklung  ist  anders  als  bei  Paranoia,  es 
fehlt  die  systematische  Progression  der  Wahnbildung,  auch  auf  der  Höhe 
der  Wahnphase  zeigt  sich  kein  systematisches  Weitergreifen,  höchstens  ein 
schubweises,  sprunghaftes  Neuauftreten  von  oft  abweichenden  und  mit  den 
bisherigen  nicht  zusammenhängenden  Ideen. 

Der  Abfall  des  Wahnprozesses  kann  allmählich  oder  plötzlich  und 
schnell  erfolgen.  Der  Gesamtverlauf  bietet  eine  ungewöhnliche  Mannig¬ 
faltigkeit  und  Regellosigkeit  von  Verlaufsformen  dar.  Was  das  Ausgangs¬ 
bild  anbetrifft,  so  findet  in  vielen  Fällen  eine  Wiederherstellung  statt, 
dann  beobachtet  man  Fälle  mit  Residualwahn,  ein  eigentlicher  Defektzustand 
ist  aber  dem  Wesen  des  Prozesses  nach  ausgeschlossen,.  Als  Faktoren  für 
die  Vielgestaltigkeit  und  Regellosigkeit  des  Verlaufsbildes  sind  anzusehen 
lang  dauernde  ungünstige  Einwirkungen  allgemeiner  Art,  aber  auch  einmalige, 
akute  Anstöße  (Termin,  Verurteilung  u.  a.  m.).  Das  ziemlich  regelmäßige 
Auftreten  des  Krankheitsprozesses  im  dritten  Lebens  jahrzehnt  hängt  mit 
den  gerade  in  dieses  Lebensalter  der  beginnenden  wirtschaftlichen  Selbst¬ 
ständigkeit  fallenden  sozialen  Erschwerungen  und  Konflikte  zusammen.  Von 
weiteren  die  Wahnbildung  beeinflussenden  Faktoren  kann  auch  der  ange¬ 
borene  Schwachsinn  hinzugezogen  werden. 

Eine  besondere  Berücksichtigung  verlangt  die  Beziehung  der  degene- 
rativen  Wahnbildungen  zu  gewissen,  ihnen  nahestehenden  Krankheitsformen. 
Zunächst  die  pathologischen  Schwindler,  die  in  ihren  Phantasielügen  eine 
unverkennbare  Ähnlichkeit  mit  den  degenerativen  Einbildungen  aufweisen. 
Die  phantasievollen  Schwindeleien  sind  unmittelbar  im  Charakter  begründet 
und  treten  daher  oft  während  eines  ganzen  Lebens  zutage ;  wenn  die  äußere 
Situation  ihre  Ausnutzung  zum  eigenen  Vorteil  begünstigt. 

Die  weitaus  engsten  Beziehungen  bestehen  zu  den  als  hysterisch  im 
weitesten  Sinne  zu  bezeichnenden  Krankheitsformen.  Die  Ähnlichkeit  zwischen 
den  Wahngebilden  der  Individuen  mit  hysterischen  Kennzeichen  und  solchen 
ohne  diese  geht,  so  weit,  daß  sie  sich,  abgesehen  von  den  speziell  als  hysterisch 
geltenden  Erscheinungen,  sonst  nicht  unterscheiden. 

Die  hysterischen  Bewußtseinsstörungen  haben  eine  besonders  enge  Be¬ 
ziehung  zu  den  degenerativen  Wahnbildungen;  eine  scharfe  Trennung  ist 
nicht  möglich,  es  bestehen  vielmehr  fließende  Übergänge  zu  den  sog.  Dämmer¬ 
zuständen.  Es  rechtfertigt  sich  die  Einverleibung  der  hysterischen  Wahn¬ 
formen  in  die  größere  degenerative  Gruppe.  Entsprechend  dem  engen  Ver¬ 
hältnis  zur  Hysterie  besteht  gleichfalls  enge  Beziehung  zur  Simulation,  aller¬ 
dings  nicht  die  zielbewußte  Simulation  des  Normalen. 

Bei  der  abnormen  Beeinflußbarkeit  des  psychischen  Zustandes  kann 
der  Wunsch  geisteskrank  zu  sein  oder  so  zu  erscheinen,  krankheitsauslösend 
wirken.  Die  zunächst  gemachten  künstlichen  Äußerungen  werden  dann 
auf  dem  Wege  der  Autosuggestion  leicht  zu  echten  Krankheitserscheinungen, 
wobei  anscheinend  allerhand  Übergänge  von  einen  zum  anderen  existieren. 
Späterhin  sind  sie  jedenfalls  echt.  Zum  .Schluß  betont  Verf.,  daß  einzelne 
degenerative  Wahnbildungen,  nämlich  solche  mit  stabilem  und  besser  syste- 


Referate  und  Besprechungen. 


293 


matisiertem  Wahn  sich  von  der  originären  Paranoia  kaum  scheiden  lassen. 
Verf.  spricht  auch  die  Ansicht  aus,  daß  man  diesen  degenerativen  Wahn¬ 
bildungen  eine  selbständige  Stellung  gegenüber  anderen  Wahnprozessen  ein- 
räumen  kann.  Die  sie  von  anderen  Krankheitsbildern  unterscheidenden  Merk¬ 
male  liegen  im  Wesen  des  Vorgangs  begründet,  und  sind  auf  die  degenerativen 
Eigenschaften  zurückzuführen.  Ref.  ist  auf  Grund  seiner  eigenen  Erfahrungen 
im  großen  und  ganzen  mit  den  Ansichten  des  Verfassers  einverstanden. 
Jedenfalls  ist  es  ein  lobenswertes  Unternehmen,  diesem  schwierigen  Kapitel 
in  so  ausführlicher  Weise  näher  getreten  zu  sein.  Koenig  (Dalldorf). 


Schwachsinn  und  Schwerhörigkeit. 

(Franz  Kobrak.  Umschau,  Nr.  32,  S.  630,  8.  August  1908.) 

K.  hat  Untersuchungen  an  schwerhörigen  Kindern  an  den  Hilfsschulen 
Breslaus  vorgenommen.  Er  fand  bei  einer  Gesamtzahl  von  2%  guter  Schul¬ 
leistungen  nur  17°/0  bei  den  Guthörenden,  25%  hingegen  bei  den  Schwer¬ 
hörigen.  Wären  die  Zöglinge  der  Hilfsklassen  durchweg  geistig  minderwertige, 
schlecht  begabte  Individuen,  so  wäre  es  unverständlich,  daß  bei  einer  Häufung 
von  Defekten,  wie  sie  die  schlechte  Begabung  in  Vereinigung  mit  der  Schwer¬ 
hörigkeit  darstellt,  immer  noch  die  relativ  besten  Leistungen  erzielt  werden. 
25%  jeder  Leistungen  bei  den  schwerhörigen  Hilfsschülern,  gegenüber  nur 
17%  guten  Leistungen  bei  den  guthörenden.  Wir  werden  zu  dem  Schlüsse 
gezwungen,  daß  gewisse  Grade  und  Formen  von  Schwachsinn  durch  hoch¬ 
gradige  Schwerhörigkeit  vorgetäuscht  werden  können. 

Solche  Kinder,  die  im  wesentlichen  durch  ihre  Taubheit  geschädigt  sind, 
würde  man  zweckmäßig  als  taubsinnig  bezeichnen  können.  Diesen  Kindern 
stehen  nun  ganz  besonders  intelligente  Kinder  gegenüber,  wie  wir  sie  in 
den  Normalklassen  in  Taubstummenschulen  antreffen,  die  trotz  ihrer  hoch¬ 
gradigen  Schwerhörigkeit  gutes  leisten. 

Es  gibt  demnach  drei  Gruppen :  Täubsinnige  Kinder,  taube,  schwach¬ 
sinnige  Kinder  und  taube,  intelligente  Kinder. 

Mindestens  für  die  Taubsinnigen  wird  man  besondere  Klassen  zu  fordern 
haben.  Arzt  und  Schule  finden  hier  ein  gemeinsames  Feld  der  Betätigung. 

Wünschenswert  wäre  es,  wenn  in  gleicher  Weise  auch  von  den  Ärzten 
den  mannigfachen  medizinisch-pädagogischen  Fragen  der  Schulhygiene,  unter 
denen  die  Sorge  für  das  abnorme  Kind  eine  besondere  Stellung  einnimmt, 
immer  größere  Beachtung  geschenkt  würde.  Koenig  (Dalldorf). 


Über  die  juvenile  Paralyse. 

(O.  Klieneberger.  Allg.  Zeitschr.  für  Psych.,  H.  6,  S.  936,  1908.) 

K.  beschreibt  eine  Anzahl  bemerkenswerter  Fälle  von  jugendlicher  Para¬ 
lyse  die  geeignet  sind,  das  Krankheitsbild  der  juvenilen  Paralyse  in  ein¬ 
zelnen  Punkten  zu  modifizieren.  Gemeinsam  ist  in  den  meisten  Fällen 
als  ätiologisches  Moment  die  hereditäre  Lues,  der  Stillstand  der  körperlichen 
Entwicklung,  das  lange  Prodromalstadium,  das  Überwiegen  körperlicher  Sym¬ 
ptome  und  die  eigenartige  Demenz  (stimmt  überein  mit  den  Erfahrungen  des 
Ref.).  Einige  Schwierigkeiten  bereitete  ein  Fall,  bei  dem  seit  4  Jahren  keine 
deutliche  Progression  des  Leidens  festgestellt  werden  konnte.  Aber  auch 
hier  glaubt  K.  (mit  Recht,  Ref.)  eine  istationäre  Form  der  Paralyse  an¬ 
nehmen  zu  können. 

Halluzinationen  waren  in  keinem  Falle  nachweisbar.  Die  Möglichkeit 
des  Vorkommens  von  Halluzinationen  muß  natürlich  zugegeben  werden. 

Nur  ein  Fall  ist  von  Hause  aus  als  degeneriert  zu  betrachten  ge¬ 
wesen.  Auffällig  ist  es  indessen,  daß  jugendliche  Paralytiker  häufig  im 
Wachstum  Zurückbleiben  und  meist  jünger  aussehen  als  sie  sind. 

Als  ätiologisches  Moment  konnte  K.  in  allen  Fällen  Lues  nachweiseil 
(stimmt  mit  meiner  Erfahrung  überein  Ref.).  Es  ist  vorläufig  nicht  zu  ver- 


294 


Referate  und  Besprechungen. 


stehen,  warum  die  juvenile  Paralyse  in  einzelnen  Fällen  früh,  in  anderen 
wieder  erst  so  spät  einsetzt.  Die  nach  dem  20.  Lebensjahre  auftretenden 
Erkrankungen  bezeichnet  K.  als  Spätformen  der  juvenilen  Paralyse.  Als 
Frühformen  sind  die  Fälle  anzusehen,  in  denen  die  Krankheit  vor  dem 
16.  Lebensjahre  zum  Ausbruch  kommt. 

Auch  für  den  Verlauf  der  juvenilen  Paralyse  scheinen  weder  die  erb¬ 
liche  Belastung  noch  Gelegenheitsursachen  eine  Rolle  zu  spielen.  Bezüglich 
der  Dauer  des  Leidens  unterscheidet  K.  2  Arten,  solche  Fälle,  die  sich  über 
viele  Jahre  erstrecken,  und  solche  (sehr  seltene)  von  kurzer  Dauer  (kürzeste 
Zeit  3  Monate).  Längere  Remissionen  kommen  vor. 

Die  juvenilen  Paralytiker  bekunden  kaum  jemals  einen  verbrecheri¬ 
schen  Trieb,  nicht  einmal  einen  Hang  zu  kleinen  Verfehlungen;  auch  das 
stärkere  Hervor  treten  sexueller  Neigungen  scheint  zu  den  Ausnahmen  zu 
gehören.  Oft  finden  sich  auch  hereditär -luetische  Erscheinungen  bei  Ge¬ 
schwistern.  der  jugendlichen  Paralytiker.  Bemerkenswert  ist,  wie  häufig  sich 
in  der  Aszendenz  der  juvenilen  Paralytiker  Tabes  und  Paralyse  findet. 
(Richtig.  Ref.) 

Es  wird  daher  von  Bedeutung  sein,  künftig  gerade  die  Kinder  unsrer 
Paralytiker  wie  Tabiker  im  Auge  zu  behalten,  wenn  möglich  ihr  Blut 
serologisch  zu  untersuchen,  um  gegebenenfalls  durch  eine  möglichst  frühzeitige 
Kur  späteren  Erkrankungen  Vorbeugen  zu  können.  Im  Falle  einer  positiven 
Reaktion  des  Blutserums  sollte  auch  die  Spinalflüssigkeit  einer  genauen 
Untersuchung  unterzogen  werden.  Koenig  (Dalldorf). 


Zum  Nachweis  einiger  Sejunktionsvorgänge  bei  funktionellen  Psychosen. 

(M.  Rosenfeld.  Zentralbl.  für  Nervenheilk.  u.  Psych.,  2.  Dez.-Heft,  S.  899,  1908.) 

Verf.  stellte  eine  Reihe  interessanter  Versuche  an;  er  suchte  fest¬ 
zustellen,  ob  bei  einer  Reihe  von  Fällen,  die  mit  akuten  psychischen  Sym¬ 
ptomen  erkrankt  waren,  und  bei  denen  gerade  die  Frage  nach  stattgehabter 
Sejunktion  von  größter  Bedeutung  sein  mußte,  sich  Störungen  der  Zeit- 
empfindungen  und  insbesondere  Störungen  des  Empfindungsvermögens  für 
das  Rhythmische  nachweisen  lassen 

Die  Empfindlichkeit  der  verschiedenen  Kranken  für  Takt  oder  Rhythmus 
wurde  in  der  Weise  geprüft,  daß  den  Kranken  ein  bestimmter  Rhythmus 
oder  einzelne  Signale  in  bestimmten  Abständen  vorgeklopft  wurden. 

Die  Kranken  wurden  nun  aufgefordert,  die  in  einem  bestimmten  Ryth¬ 
mus  vorgeklopften  Signale  genau  in  derselben  Weise  nachzumachen.  Auch 
Versuche  mit  einer  hohen  und  einer  tiefen  Stimmgabel  wurden  gemacht, 
ferner  Gewichtsprüfungen. 

Aus  diesen  Versuchen  ging  zunächst  das  eine  hervor,  daß  in  einer 
Gruppe  von  Fällen  das  Nachahmungs vermögen  für  bestimmte,  ganz  ein¬ 
fache  Rhythmen  irgendwie  gestört  war,  und  in  einer  anderen  Gruppe  von 
Fällen  nicht.  Es  ist  kaum  zu  entscheiden,  wie  dieses  Symptom  psycho- 
pathologisch  aufzufassen  ist;  man  würde  sie  im  allgemeinen  zu  den  Sejunk- 
tionsvorgängen  rechnen;  man  wird  annehmen  müssen,  daß  die  Störungen 
darauf  beruhen,  daß  bestimmte  Assoziationskomplexe,  welche  man  bei  allen 
gesunden  Individuen  voraussetzen  kann,  in  diesen  Fällen  weniger  oder  gar 
nicht  anregbar  sind. 

Diese  Beobachtungen  stehen  in  vollständiger  Analogie  zu  all  den  anderen 
Symptomen,  aus  welchen  man  schon  längst  den  Schluß  auf  einen  Mangel 
an  effektiver  Erregbarkeit,  an  normalen  Ausdrucksbewegungen  und  auf 
fehlende  apperzeptive  Aufmerksamkeit  und  den  Mangel  an  assoziativer  Geistes¬ 
tätigkeit  zu  machen  pflegt. 

Es  hat  den  Anschein,  als  wenn  diese  Ausfallsymptome  sich  gerade  bei 
denjenigen  akuten  Fällen  finden  und  mit  Konstanz  nachzuweisen  sind,  deren 
psychisches  Verhalten  auch  sonst  die  Diagnose  auf  Defektpsychose  wahrschein¬ 
lich  macht.  Es  wird  also  auch  vielleicht  der  umgekehrte  Schluß  gestattet 


Referate  und  Besprechungen. 


295 


sein,  zu  sagen,  daß  da,  wo  die  Sejunktions  Vorgänge  sich  nachweisen  lassen,  die 
Annahme  eines  Verblödungsprozesses  wahrscheinlich  gemacht  wurde  und  zwar 
auch  dann,  wenn  andere  Symptome  die  Diagnose  noch  nicht  so  sicher  erscheinen 
lassen.  Koenig  (Dalldorf). 


Bemerkungen  zum  heutigen  Stand  der  Neuronlehre. 

(Max  Verworn.  Berliner  klin.  Wochenschr.,  Nr.  4,  1908.) 

Ohne  auf  die  interessanten  Einzelheiten  der  zur  Wiedergabe  im  Rahmen 
eines  kurzen  Referates  sich  nicht  eignenden  Ausführungen  Verworn’s  hier 
näher  eingehen  zu  können,  sei  nur  mitgeteilt,  daß  die  Ausführungen  Ver¬ 
worn’s  darin  gipfeln,  daß  durch  die  Ergebnisse  der  neuesten  Untersuchungen 
der  Begriff  des  Neurons  zu  einer  gesichterten  Tatsache  geworden  ist.  Der 
Schwerpunkt  der  Neuronlehre  liegt  darin,  daß  Ganglienzellkörper  mit  ihrem 
Nervenfortsatz  und  ihren  Dendriten  als  zelluläre  Einheit  aufgefaßt  werden, 
während  die  diametral  gegenüberstehende  ,, Zellkettenlehre“  die  Anschauung 
vertrat,  daß  die  peripherische  Nervenfaser,  der  Achsenzylinder,  nicht  ein 
von  der  Ganglienzelle  ausgewachsener  Fortsatz,  sondern  das  Produkt  einer 
langen  Kette  von  besonderen  peripherisch  gelegenen  Zellen  sei  und  erst 
sekundär  mit  der  Ganglienzelle  in  Verbindung  stehe. 

R.  Stiive  (Osnabrück). 


Über  den  Begriff  der  Neurasthenie. 

(Rob.  Bing.  Med.  Klinik,  Nr.  5,  1908.) 

Aus  dem  der  Lektüre  im  Original  nachdrücklich  empfohlenen  Vortrage 
Bing’s  sei  folgendes  andeutungsweise  hervorgehoben.  Seit  der  grundlegen¬ 
den  Arbeit  von  Beard  ist  als  wesentlichstes  Kriterium  der  neurasthenisehen 
Zustände  die  reizbare  Schwäche  des  Nervensystems  stets  augesehen  worden. 
Die  Neurasthenie  im  Sinne  Bmard’s  ist  aber  nicht  mehr  als  Krankheit, 
sondern  als  Gruppe  von  Krankheiten  anzuerkennen,  so  daß  man  am  besten 
von  einer  asthenischen  Gruppe  der  Neurosen  reden  würde.  Da  sich  eine 
weitere  Einteilung  dieser  Krankheitsgruppe  als  wünschenswert  herausgestellt 
hat,  so  ist  nach  Bing  ein  durchgreifender  Unterschied  bei  den  einzelnen 
Formen  der  Neurasthenie  vor  allem  dadurch  gegeben,  daß  in  einem  Teil  der 
Fälle  ein  degenerativ  konstitutionelles  Moment  dominiert,  während  dies  in 
anderen  Fällen  vollkommen  vermißt  wird.  Jeder  asthenischen  Neurose  eigen¬ 
tümlich  ist  „die  aus  dem  Mißverhältnis  zwischen  Anlage  und  Anforderung 
resultierende  reizbare  Schwäche  der  Nervenäußerungen ;  aber  in  dem  einen 
Falle  ist  ein  normal  angelegtes  Nervensystem  einer  quantitativ  und  quali¬ 
tativ  abnormen  Beanspruchung  erlegen,  im  zweiten  handelt  es  sich  um  einen 
von  Hause  aus  minderwertigen  Apparat,  der  schon  unter  für  den  Normal¬ 
menschen  irrelevanten  Umständen  versagt.“  Für  die  Entstehung  erworbener 
Neurasthenie  wieder  ist  als  Ursache  nicht  allein  das  quantitative  Übermaß 
der  Erregungen  maßgebend,  die  auf  das  Nervensystem  einstürmen,  sondern 
ihre  qualitative  Beschaffenheit  und  zwar  die  affektbetonte  Färbung  der 
einzelnen  Erregung.  Ein  robustes  Nervensystem,  an  dem  eine  affektfreie 
Abhetzung  spurlos  vorüberging,  kann  unter  einer  gefühlsbetonten  zusammen¬ 
brechen.  (Dasselbe  Maß  von  Arbeit  wird  einmal  in  verantwortungsfreier, 
das  andere  Mal  unter  dem  Drucke  einer  großen  Verantwortlichkeit  geleistet, 
und  im  ersten  Fall  ertragen  im  zweiten  nicht.)  Die  Prädisposition  zur  er¬ 
worbenen  Neurasthenie  ist  nicht  auf  neuropathischer  Grundlage  zu  suchen, 
sondern  ist  lediglich  durch  das  Temperament  gegeben.  Charakteristisch  ist 
ferner,  daß  die  psychischen  Schädigungen  nicht  akut  gesetzt  werden,  sondern 
daß  sich  der  Erkrankte  vielmehr  ausnahmslos  in  einem  Zustande  chronischer 
Gemütsunruhe  befunden  hat,  indem  an  sich  kleine,  aber  stets  protrahiert 
wirkende  Affektreize,  „auf  ältere,  noch  nicht  abgeklungene  sich  auf  pfropfend“ 
in  ihrer  Wirkung  summierten. 


296 


Referate  und  Besprechungen. 


Bei  der  konstitutionellen  Gruppe  der  asthenischen  Neurosen  wird  da¬ 
gegen  ein  degeneratives  Moment  im  Krankheitsbilde  nicht  vermißt.  Dieses 
kann  bestehen  in  neuropathischer  Belastung ;  diese  ist  aber  nur  dann  anzu¬ 
erkennen,  wenn  in  der  Aszendenz  oder  bei  den  Kollateralen  schwere  Neuro¬ 
pathien  (Hysterie,  Epilepsie  und  Psychosen)  vorgekommen  sind,  oder  wenn 
Alkoholismus,  Syphilis  oder  Tuberkulose  eine  allgemeine  Keimschädigung 
vermuten  lassen.  Auf  erheblich  sicheren  Boden  gelangt  man  aber  mit  der 
Annahme  der  konstitutionellen  Neurasthenie  in  den  Fällen,  in  denen  entweder 
der  Nachweis  des  Einsetzens  der  Erkrankung  im  frühen  und  frühesten  Kindes¬ 
alter  (abnorme  Reizbarkeit,  unmotivierte  Zornausbrüche,  Stottern,  Enuresis 
nocturna,  Pavor  nocturnus,  Angst  vor  Dunkelheit,  vor  Alleinsein,  ferner  Ange¬ 
wöhnungen  wie  Papier  essen,  die  Manier,  sinnlose  Worte  zu  bilden,  bei  ernsten 
Anlässen  Grimassen  schneiden,  gehören  hierher),  gelingt,  oder  die  im  Symptomen- 
bilde  selbst  hervortretende  degenerative  Züge  (Auftreten  von  Phobien  und 
Zwangsvorstellungen)  aufweisen,  oder  schließlich,  bei  denen  körperliche  Stig¬ 
mata  einer  abnormen  Entwicklung  (Prognathie,  Verbildung  der  Ohrmuschel, 
erhebliche  Schädelasymmetrie,  Syndaktylie,  genitaler  Infantilismus)  beobachtet 
werden.  R.  Stüve  (Osnabrück). 


Zur  Differentialdiagnose  der  peripheren  Ischias. 

(Sigm.  Erben,  Wien.  Verliandl.  des  25.  Kongr.  für  innere  Medizin.  Wiesbaden, 

J.  F.  Bergmann,  1908.  S.  468 — 470.) 

Es  gibt  nicht  nur  die  typische  Ischias,  sondern  auch  Formen  Jnit 
wenig  ausgesprochenen  Symptomen,  wenn  z.  B.  nur  ein  Segment  erkrankt 
oder  die  ganze  Affektion  im  Rückgang  begriffen  ist.  Differentialdiagnostisch 
ist  sie  mit  den  bisher  üblichen  Untersuchungsmitteln  schwer  von  der  Coxitis 
und  Meralgia  paraesthetica  abzugrenzen,  ebenso  von  den  Beinschmerzen  bei 
manchen  Paralytikern,  Tabikern,  bei  Kompressionsmyelitis,  bei  Neurasthe¬ 
nikern  und  der  Pseudoneuralgie  der  Hysterischen,  von  den  Schmerzen  bei 
Diabetes,  chronischem  Alkoholismus,  Trichinose  und  Myositis  interstitialis, 
bei  angiosklerotischen  Prozessen  in  den  Muskeln,  bei  Tarsalgie,  Achillodynie, 
Plattfuß,  Gicht. 

Aus  allen  diesen  Schwierigkeiten  befreien  zwei  einfache  Hilfsmittel : 
man  lasse  den  Patienten  husten.  Verstärkung  der  Schmerzen  in  Wade  oder 
Gefäß  kommt  nur  bei  Ischiatikern  vor  (sonst  natürlich  auch  bei  großen 
Beckentumoren). 

Das  zweite  Diagnostikum  ist,  daß  die  unteren  Lendenwirbel  sich  bei 
der  Rumpfbeugung  weniger  beteiligen ;  die  Lendenlordose  des  Stehens  geht 
nicht  wie  bei  Gesunden  in  die  bogenförmige  Kyphosestellung  über.  Erben 
nennt  das  eine  Sperrung  der  Wirbelsäule  zur  Vermeidung  der  Dehnung  des 
Nerv,  ischiadicus. 

Das  Charakteristische  an  Erben’s  Symptomen  ist,  daß  sie  das  erkrankte 
Bein  ruhig  lassen  und  statt  dessen  den  Rumpf  in  Bewegung  setzen.  Unzu¬ 
verlässigen  Patienten  gegenüber  sind  sie  von  doppelt  großem  Wert. 

Buttersack  (Berlin). 


Ohrenheilkunde. 

Beiträge  zur  Klinik  der  Labyrintheiterungen. 

(Nuernberg,  Gießen.  Arch.  für  Ohrenheilk.,  Bd.  76,  S.  139,  1908.) 

Die  operative  Freilegung  der  Mittelohrräume  bei  Mittelohreiterungen 
ist  der  Ausgang  gewesen  für  die  Erforschung  der  Labyrintheiterungen;  die 
Totalaufmeißelung  bringt  dem  .Operateur  die  äußere  Umgrenzung  des  Laby¬ 
rinths  vor  Augen,  und  Erkrankungen  der  Labyrinthaußenwand,  die  man 
bei  Radikaloperationen  fand,  gaben  den  Anlaß,  auch  sie  und  weiterhin  noch 
tiefer  im  Labyrinth  sitzende  Krankheitsvorgänge  operativ  in  Angriff  zu 
nehmen. 


Referate  und  Besprechungen. 


297 


Am  häufigsten  kommen  Labyrintheiterungen  vor  bei  Personen  unter 
30  Jahren,  und  zwar  überwiegt  das  männliche  Geschlecht.  Meist  sind  chro¬ 
nische  Eiterungen  des  Mittelohrs  der  Ausgangspunkt  für  die  Labyrintheite¬ 
rungen.  Im  Anschluß  an  akute  Mittelohreiterungen  findet  man  0,26%  Laby¬ 
rintheiterungen,  im  Anschluß  an  chronische  0,47%.  Namentlich  sind  es  die 
mit  Cholesteatom  einhergehenden  Mittelohreiterungen,  welche  das  Labyrinth 
gefährden.  Es  ist  anzunehmen,  daß  beim  Cholesteatom  durch  Druck  auf  die 
Labyrinthwand  eine  Annagung  derselben  zustande  kommt,  die  dann  das 
weitere  Vordringen  der  Eiterung  ermöglicht.  Auch  Tuberkulose  kann  die 
Grundlage  einer  Labyrintheiterung  bilden. 

Die  Infektion  des  Labyrinths  vom  Mittelohr  her  ist  bei  weitem  das 
häufigste ;  möglich  ist  freilich  auch  die  Infektion  von  einer  ferner  sitzenden 
Eiterung’  her  metastatisch  auf  dem  Wege  der  Blutbahn  oder  bei  eiteriger 
Hirnhautentzündung  vom  Schädelinnern  her  durch  den  Aquaeductus  vestibuli  * 
oder  am  Hör-  und  Gesichtsnerv  entlang ;  schließlich  kann  auch  ein  extra- 
duraler  Eiterherd  in  das  Labyrinth  einbrechen. 

Entsprechend  der  doppelten  Punktion  des  inneren  Ohres  als  Gehörs¬ 
und  als  Gleichgewichtssinnes  kann  man  2  Gruppen  von  Symptomen  der 
Labyrintheiterungen  unterscheiden :  Schneckensymptome  auf  dem  Gehörsge¬ 
biete  und  Vorhof -Bogengang-Symptome  auf  dem  Gebiete  des  Gleichgewichts. 
Sitzt  die  Eiterung  in  der  Schnecke,  so  beobachtet  man  subjektive  Geräusche, 
Schwerhörigkeit,  Taubheit. 

Erkrankungen  der  knöchernen  Kapsel  der  Bogengänge  und  des  Vor¬ 
hofes  machen  keine  Labyrinthsymptome ;  solche  treten  erst  auf,  wenn  der 
häutige  Vorhof-Bogengang-Apparat  von  der  Eiterung  ergriffen  ist,  und  zwar 
beobachtet  man  dann  Übelkeit,  Erbrechen,  Schwindelgefühl,  objektive  Gleich¬ 
gewichtsstörungen  und  Augenzittern  (Nystagmus). 

Meist  erstreckt  sich  die  Eiterung,  wenn  sie  einmal  auf  das  Labyrinth 
übergegriffen  hat,  auf  Schnecke,  V orhof  und  Bogengänge  gleichzeitig,  so  daß 
dann  die  genannten  Bogengang-Symptome  gleichzeitig  mit  vollständiger  Taub¬ 
heit  vorhanden  sind.  Es  kommen  aber  doch  umschriebene  Labyrintheiterungen 
mit  erhaltenem  Hörvermögen  vor;  die  Eiterung  ist  dann  auf  den  Vestibular- 
apparat  beschränkt:  das  Vorhandensein  von  Hörvermögen  spricht  also  nicht 
gegen  eine  Labyrintheiterung.  Ebenso  kann  es  aber  Vorkommen,  daß  bei 
Labyrintheiterungen  Gleichgewichtsstörungen  fehlen,  und  es  gestattet  also 
der  negative  Ausfall  der  auf  die  Peststellung  von  Gleichgewichtsstörungen 
gerichteten  Versuche  nicht  den  Schluß,  daß  dann  das  Labyrinth  unter  allen 
Umständen  unversehrt  sein  müsse. 

Der  Vorhof-Bogengang-Apparat  ist  eitrigen  Entzündungen  gegenüber 
weit  widerstandsfähiger  als  die  Schnecke.  Ausschließlich  aus  der  Punktions¬ 
prüfung  der  Schnecke  aber  ist  eine  Labyrintherkrankung  nur  dann  dia¬ 
gnostizierbar,  wenn  das  Hörvermögen  unter  unseren  Augen  sehr  rasch  ab¬ 
nimmt  und  bis  zur  Taubheit  hinabsinkt.  Richard  Müller  (Berlin). 


Das  Mittelohrkarzinom  im  Uchte  moderner  Krebsforschung. 

(Leidler,  Wien.  Arch.  für  Ohrenlieilk.,  Bd.  77,  S.  177.  1908.) 

Bei  der  Seltenheit  des  Mittelohrkrebses  ist  eine  Reihe  von  3  Bällen, 
wie  sie  Leidler  zu  veröffentlichen  in  der  Lage  ist,  recht  beachtenswert.  Es 
handelte  sich  um  2  Frauen,  die  beide  46  Jahre  alt  waren,  und  um  einen 
Tagelöhner  von  19  Jahren. 

Gemeinsam  ist  allen  3  Bällen,  daß  sich  der  Krebs  im  Anschluß  an 
chronische  Mittelohreiterung  entwickelte.  Heftige  Ohrenschmerzen  im  Be¬ 
ginne  der  Entwickelung  und  Blutungen  aus  dem  Ohre  während  des  ganzen 
Verlaufes,  Lähmung  des  Gesichtsnerven,  Taubheit  und  völlige  Aufhebung 
der  statischen  Sinnesfunktion  des  befallenen  Ohres,  Polypenbildung  im  Gehör¬ 
gange,  Anschwellung  in  der  Umgebung  des  Ohres,  Vergrößerung  der  be¬ 
nachbarten  Lymphdrüsen  und  allgemeiner  Verfall  waren  die  Erscheinungen, 


298 


Referate  und  Besprechungen. 


die  in  keinem  der  3  Bälle  fehlten  und  die  Diagnose  des  Leidens  sicherten : 
ihre  Bestätigung  fand  die  Diagnose  in  der  histologischen  Untersuchung,  die 
hei  allen  3  Kranken  das  Urbild  des  Plattenepithelkrebses  nachwies. 

Prühzeitiges  operatives  Vorgehen  gegen  die  chronische  Mittelohreiterung 
wird  gewiß  manchmal  das  in  der  Entwickelung  begriffene  Karzinom  früher 
erkennen  lassen,  als  dies  bei  lange  fortgesetzter  konservativer  Behandlung 
möglich  ist.  In  den  vorliegenden  Fällen  lagen  bereits  so  weitgehende  Zer¬ 
störungen  vor,  daß  ein  Zweifel  an  der  Notwendigkeit  einer  Operation  nicht 
aufkommen  konnte.  Bei  allen  3  Kranken  wurde  denn  auch  operiert;  die 
eine  Frau  starbi  9  Monate  nach  der  Operation,  der  Tagelöhner  wurde  6  Wochen 
nach  der  Operation  auf  Wunsch  in  die  Heimat  entlassen  und  die  andere*' 
Frau  ging  in  häusliche  Pflege  über;  vom  weiteren  Verlauf  in  den  letzten 
beiden  Fällen  ist  nichts  bekannt. 

Die  Geschwulst  hatte  in  allen  3  Fällen  den  Knochen  bis  zur  harten 
Hirnhaut  der  mittleren  und  der  hinteren  Schädelgrube  zerstört,  die  Hirnhaut 
war  mit  Granulationen  und  Geschwulstmassen  besetzt.  Auch  in  das  Labyrinth 
war  die  Geschwulst  in  allen  Fällen  eingedrungen,  und  der  Gesichtsnerv  war 
gleichfalls  bei  allen  3  Kranken  ergriffen;  bei  der  einen  Frau  gingen  der 
Lähmung  einige  Tage  Zuckungen  im  Gebiet  des  Nerven  voran. 

L.  meint,  daß  wahrscheinlich  jedem  Mittelohrkrebse  eine  chronische 
Mittelohreiterung  zugrunde  liege,  die  durch  ihren  dauernden  Reiz  in  Ver¬ 
bindung  mit  anderen,  freilich  nicht  bekannten  Vorbedingungen  den  Anstoß 
zur  Entwickelung  des  Karzinoms  gebe.  Hinsichtlich  der  Diagnose  und  nicht 
minder  hinsichtlich  der  Behandlung  in  nicht  operierbaren  Fällen  erhofft  L. 
für  die  Zukunft  viel  von  den  ‘  Röntgenstrahlen,  auch  die  Anwendung  von 
Trypsin  und  Papayotin  und  des  Radiums  wird  später  in  der  Behandlung 
vielleicht  noch  einmal  eine  Rolle  spielen;  nicht  minder  dürfte  die  Immu¬ 
nisierung  gegen  Karzinom  auch  für  den  Mittelohrkrebs  noch  eine  Zukunft 
haben. 

Das  Mittelohrkarzinom  gehört  insofern  zu  den  gutartigen  Krebser¬ 
krankungen,  als  es  keine  Neigung  zur  Metastasenbildung  besitzt.  Die  ge¬ 
schwollenen  Lymphdrüsen  in  der  Umgebung  waren  nicht  krebsig  erkrankt, 
sondern  boten  nur  das  Bild  entzündlicher  Hyperplasie. 

Richard  Müller  (Berlin). 


Hautkrankheiten  und  Syphilis.  —  Krankheiten  der  Harn-  und 

Geschlechtsorgane. 

Akne. 

(Prof.  Dr.  Unna,  Hamburg.  Med.  Klinik,  Nr.  46,  1908.) 

Unna  gibt  zunächst  ein  ausführlicheres  klinisches  und  anatomisches 
Bild  der  Akne  juvenilis,  bei  deren  Diagnose  eine  Verwechslung  mit  Akne 
rosacea  und  Folliculitis  ziemlich  häufig  ist.  Er  hält-  sie  auch  in  ihrer  leichtesten 
Form  für  eine  ernst  zu  nehmende  Erkrankung,  die  bei  schweren  Fällen  tief¬ 
gehende,  oft  nicht  wieder  herzustellende  Zerstörungen  der  Haut  bedingt. 
Ein  unerläßliches  Symptom  bildet  der  Comedo,  der  eine  zahlreiche  Bazillen¬ 
flora  beherbergt,  unter  der  der  weiße  Kokkus  vermutlich  der  wahre  Akne¬ 
organismus  sein  dürfte. 

Die  Therapie  besteht  in  der  punktförmigen  Behandlung  der  Einzel¬ 
follikel,  die  vom  Arzt  vorgenommen  wird  und  einer  flächenhaften  Behandlung 
der  befallenen  Hautregion,  die  vom  Patient  auszuführen  ist.  Die  Mittel 
für  letztere  sind  das  Pulvis  cutifricius,  die  Natronsuperoxydseife  und  der 
Schwefel.  Erstere  beiden  werden  auf  die  Haut  aufgerieben,  bis  die  Follikel 
eröffnet  sind,  letzterer  wird  in  Gestalt  von  hautfarbenen  schwefelhaltigen 
Deckpasten  verordnet,  die  bei  stärkerer  Rötung  und  Entzündung  durch  eine 
entsprechende  Zinkschwefelpaste  ersetzt  wird.  Das  Rezept  für  erstere  lautet: 
Lycopodii  cuticolor.  5,0,  Sulfur,  praecipit,  2,0,  Erncerini  ad  20,0,  u.  f.  Pasta 
Sulfuris  cuticolor.  c.  Lycopodii.  Der  Arzt  hat  außerdem  in  1 — 2  mal  wöchent- 


Referate  und  Besprechungen. 


299 


lieh  stattfindenden  Ätzungen  die  Comedonen  und  etwaigen  Pusteln  zu  eröffnen. 
Die  inneren  Mittel  Schwefel,  Arsen  und  Hefe  beschränken  in  der  Haupt¬ 
sache  die  Vereiterung  der  Comedonen.  Die  verschiedenen  Strahlenarten  weisen 
vorläufig  noch  keine  Erfolge  auf.  Den  Diätvorschriften  mißt  er  keinen 
großen  Wert  bei. 

Zum  Schluß  warnt  Unna  davor,  die  Haut  zu  reizen  und  Schälkuren 
anzuwenden.  F.  Walther. 


Die  Behandlung  des  Lupus. 

(Referat  gehalten  in  der  Versammlung  deutscher  Tuberkuloseärzte  in  München, 

16.  Juni  1908.) 

(P.  Wichmann,  Hamburg.  Deutsche  Zeitschr.  für  Cliir.,  Bd.  94,  Okt.  1908.) 

Neben  der  auch  jetzt  noch  ihr  Recht  behauptenden  Allgemeinbehandlung 
beanspruchen  die  Behandlungsmethoden  des.  Lupus,  welche  einen  spezifischen 
Einfluß  ausüben,  eine  besondere  Bedeutung. 

Wertvoll  ist  das  Alt- Tuberkulin  Kochs  bei  vorsichtiger  Dosierung 
(0,0025  mg  im  Beginn),  namentlich  in  Kombination  mit  der  Bestrahlungs¬ 
therapie;  weit  unsicherer  ist  das  Tuberkulin  T.  R.  Die  Behandlung  mit 
Kantharidin,  Zimmtsäure,  die  intravenöse  Injektion  von  Hetol,  die  Thio- 
sinaminbehandlung,  die  Thyreoidintherapie,  die  Quecksilbertherapie  haben 
wesentliche  Erfolge  nicht  zu  verzeichnen.  Die  Methoden  der  Lokalbehand¬ 
lung  trennen  sich  in  resorptiv-  und  mechanisch  wirkende.  Zu  den  ersteren 
gehört  die  Finsen-Röntgen-Radium-Therapie.  Die  erzielte  Destruktion  des 
Gewebes  und  die  eintretende  Entzündung  kommen  wahrscheinlich  in  ihrem 
Zusammenwirken  als  Heilfaktoren  in  Betracht. 

Die  besseren  Erfolge  der  in  Kopenhagen  selbst  geübten  Finsenbe¬ 
handlung  ist  in  der  Seßhaftigkeit  der  dortigen  Kranken  begründet;  anderer¬ 
seits  steht  fest,  daß  die  Tiefenwirkung  eine  verhältnismäßig  geringe  ist. 
Tiefgreifende  Lupusformen  sollten  daher  der  Finsenbehandlung  nicht  unter¬ 
zogen  werden.  Die  Kostspieligkeit,  die  lange  Behandlungsdauer,  die  Un¬ 
schädlichkeit  engen  den  Indikationsbereich  noch  weiter  ein.  Die  Versuche, 
die  Finsenwirkung  durch  möglichste  Verwendung  der  chemischen  Strahlen 
und  Ausschaltung  der  Wärmestrahlen  sowie  durch  Ausnutzung  der  roten, 
gelben  und  grünen  Strahlen  zu  verstärken,  sind  bisher  nicht  abgeschlossen. 
Ob  besonders  die  neuerdings  vielerprobte,  die  kurzwelligen  Ultraviolettstrahlen 
produzierende  Quarzlampe  in  der  Lupusbehandlung  einen  Fortschritt  be¬ 
deutet,  steht  noch  nicht  fest.  Ausgedehnter  und  intensiver  wie  das  Finsen- 
licht,  wirkt  die  Röntgenbestrahlung.  Da  ihr  die  Elektivwirkung  fehlt, 
( ?  Ref.)  ist  es  erforderlich  durch  Einschiebung  von  Kombinationen  die  Methode 
für  die  Lupusbehandlung  brauchbar  zu  machen ;  in  diesem  Sinn  sind  der  Lupus 
tumidus,  die  ulzerösen  Lupusformen,  der  mit  Skrophulodermen  und  Lyrnph- 
drüsentuberkulose  einhergehende  Lupus  besonders  geeignete  Objekte  der  Lupus¬ 
behandlung.  Die  Anwendung  der  Kathodenstrahlen  erscheint  a  priori 
von  geringer  praktischer  Bedeutung,  da  sie  nur  eine  Oberflächenwirkung 
besitzen. 

Bei  der  Radium behandlung  kommt  es  darauf  an,  die  oberflächlich 
wirkenden,  leicht  entzündliche  Reaktion  hervorrufenden  Komponenten  zu  eli¬ 
minieren,  um  die  reine  Wirkung  der  tiefer  dringenden  Komponenten  zu  er¬ 
halten  ;  sie  spielt,  soweit  hochwertiges  Radium  in  Betracht  kommt,  besonders 
bei  der  Behandlung  des  Schleimhautlupus  eine  hervorragende  Rolle. 

Andere  gleichfalls  direkt  mechanisch  wirkende  neuerdings  angewandte 
Methoden  wie  die  Thayer’sche  Sonnenbrennglasmethode,  die  Elektrophoto- 
kaustik  Strebel’s,  die  Behandlung  mit  Hochfrequenzfunken,  die  Fulgura- 
tion  nach  Keatin'g  Hart  befinden  sich  noch  im  Stadium  des  Versuchs. 
Ihr  Bürgerrecht,  wenn  auch  in  eingeschränkter  Form  haben  behauptet  die 
alten  thermischen  Methoden  (Ferrum  candens,  die  Heißluftkauterisation) 
und  die  Ätzmethoden.  Die  radikalste  Methode  ist  die  Exzision  des  Lupus 


300 


Referate  und  Besprechungen. 


in  toto.  Ihr  Gebiet  ist  aber  durch  die  meist  notwendige  Narkose  und  die 
Messerscheu  des  Patienten  eingeengt. 

Die  jetzige  zielbewußt  einsetzende  Lupustherapie  läßt  Erfolge  erwarten; 
von  höchster  Bedeutung  ist  jedoch  die  Organisation  einer  systematischen 
Bekämpfung,  welche  vor  allem  den  initialen  in  annähernd  70%  der  Fälle 
in  den  Kinder jahren  beginnenden  Lupus  in  Behandlung  nimmt. 

F.  Kayser  (Köln). 


Zur  Pathologie  und  Therapie  der  Pyelitis. 

(Prof.  Dr.  Casper.  Med.  Klinik,  Nr.  40,  1908.) 

Casper  berichtet  ausführlich  über  5  Fälle  von  Pyelitis,  die  sämtlich 
auf  Infektion  zurückzuführen  waren.  (2  mit  Streptokokken,  1  nach  In¬ 
fluenza,  1  mit  Gonokokkus,  1  mit  Bacterium  coli.)  Die  Diagnose  wurde 
durch  Auffangen  des  Urins  direkt  aus  den  Ureteren  gestellt,  ausgenommen 
einen  Fall,  in  dem  schon  die  ganze  Anamnese  auf  die  Diagnose  hinwies. 
Die  Prognose  der  Fälle  war  quoad  vitam  günstig,  quoad  valetudinem  zweifel¬ 
haft.  Casper  ist  der  Ansicht,  daß  der  Exitus  letalis  hier  zu  den  größten 
Ausnahmen  gehören  sollte. 

Die  Therapie  bestand  in  heißen  Umschlägen,  Chinin,  Salizylsäure,  Anti- 
pyrin  usw.,  Narkoticis  verbunden  mit  einer  Trinkkur  (6 — 10  1  pro  die). 
Bei  Erfolglosigkeit  dieser  Maßnahmen  nimmt  Casper  Nierenbeckenwaschungen 
mit  Argentum  nitricum  i1 1 1000  ~ 1 1 aoo)  vor,  die  oft  von  verblüffendem  Er¬ 
folg  sind.  Die  Frage,  wann  man  bei  schwerfiebernden  Patienten  mit 
Schüttelfrösten  operieren  soll,  ist  schwer  zu  beantworten  und  muß  dem  sub¬ 
jektiven  Ermessen  des  Arztes  überlassen  bleiben;  empfehlenswert  ist  es  jeden¬ 
falls,  zunächst  exspektativ  zu  verfahren ;  natürlich  darf  der  Patient  dabei 
nicht  zu  sehr  herunterkommen.  In  diesem  Fall  ist  die  Nephrotomie  von  großem 
Wert,  wie  er  an  seinen  Patienten  sehen  konnte.  F.  Walther. 


Medikamentöse  Therapie. 

Zur  Lehre  von  den  Abführmitteln. 

(Hans  Ury.  Arch.  für  Verdauungskrankh.,  H.  4  u.  5,  Bd.  14,  1908.) 

I.  Über  die  Trennung  von  Sekreten  und  Nahrungsresten  in  den  normalen 
Fäzes.  —  Frühere  Feststellungen  Ury’s  hatten  ergeben,  daß  der  normale  Darm 
des  Erwachsenen  mit  einer  erstaunlichen  Exaktheit  diejenigen  Nahrungs¬ 
substanzen,  die  er  durch  den  Verdauungsprozeß  in  Lösung  gebracht  hat,  auch 
völlig  resorbiert.  Nicht  allein,  daß  in  den  normalen  Darmentleerungen  keine 
wasserlöslichen  kristalloiden  Substanzen  (wie  Zucker)  nachzuweisen  sind,  die  ja 
leichter  resorbiert  werden,  sondern  es  fehlen  auch  in  den  normalen  Darmentlee¬ 
rungen  wasserlösliche  Eiweißkörper  (Albumosen,  Albumin)  völlig.  Von  diesen 
Feststellungen  ausgehend,  hatte  Ury  bereits  vor  acht  Jahren  eine  Trennung  der 
im  Kot  befindlichen  Darmsekrete  von  den  Nahrungsresten  versucht,  indem 
er  die  Fäzes  gründlichst  mit  destilliertem  Wasser  zerrieb  und  dann  filtrierte. 
Da  der  normale  Kot  keine  wasserlöslichen  Nahrungsreste  enthält,  so  mußten 
die  darin  befindlichen  wasserlöslichen,  also  in  das  Filtrat  übergehenden 
Substanzen  im  wesentlichen  wenigstens  aus  der  Darmschleimhaut  herriiliren; 
selbstverständlich  kann  diese  Methode  nur  annähernd  richtige  Resultate  geben. 
Es  kam  nun  darauf  an,  von  diesen  wasserlöslichen  Darmsekretionsprodukten 
Standardwerte  für  normale  Verhältnisse  festzustellen,  um  hiernach  pathologi¬ 
sche  Abweichungen  besser  beurteilen  zu  können.  Diese  Aufgabe  sucht  die  vor¬ 
liegende  Arbeit  zu  erfüllen.  Als  Mittel  aus  verschiedenen  Bestimmungen 
lassen  sich  für  das  wässerige  Extrakt  der  Fäzes  bei  gemischter  Nahrung 
folgende  Standardwerte  feststellen  (berechnet  auf  100  g  absolute  Trocken¬ 
substanz):  Trockensubstanz  =  14,784  g,  N-Gehalt  =  1,0483  g,  Aschesub¬ 
stanz  -  4,552  g,  CaO  =  0,3944  g,  CI  =  0,10249  g,  S03  =  0,0293  g,  KCl  -J-  NaCl 


Referate  und  Besprechungen. 


301 


=  3,3586  g.  Für  besonders  wichtig  hält  Ury  dabei  den  Wert  für  CI,  da  der¬ 
selbe  für  pathologische  Zustände  von  der  größten  Bedeutung  ist.  Ferner 
ergeben  diese  Zahlen,  daß  in  der  Norm  das  sezernierte  CI  und  die  S03  bis 
auf  geringe  Spuren  völlig  resorbiert  werden. 

II.  Über  das  V orkommen  von  gelösten  Substanzen  in  den  Fäzes  bei 
gesteigerter  Darmperistaltik.  —  Ury  suchte  nun  festzustellen,  ob  und  in 
welchen  Mengen  bei  gesteigerter  Peristaltik  ein  Abgang  von  wasser¬ 
löslichem  Nahrungsmaterial  bezw.  von  gelösten  Verdauungsprodukten 
statt  hat.  Zu  diesem  Behufe  wurden  durch  Rizinusöl  oder  Apenta 
künstliche  Durchfälle  hervorrufen,  und  geprüft,  ob  bei  normaler  Nahrungs¬ 
darreichung  sich  im  Stuhl  Zucker,  Albumosen,  Albumin,  ferner  andere 
wasserlösliche  Stoffe,  wie  Salizyl,  Jodkali,  Lithium  nachweisen  lassen. 
In  je  drei  Versuchen  war  weder  Dextrose  noch  Albumose  im  Stuhl  aufzu¬ 
finden  ;  ebenso  war  bei  Überflutung  des  Darms  mit  Dextrose  das  Resultat 
negativ,  während  Albumosen  unter  diesen  Umständen  im  Stuhl  erschienen. 
Das  Vorkommen  größerer  Mengen  von  gelöstem  Eiweiß  ist  als  selten  zu  be¬ 
zeichnen.  Jod  erschien  in  einem,  salizylsaures  Natron  in  fünf  Fällen  nicht 
im  Stuhl,  dagegen  läßt  sich  das  wasserunlösliche  Salol  auf  finden.  Auch 
Lithium  wird  bis  auf  verschwindende  Mengen  resorbiert.  Viel  wichtiger  ist 
die  Frage,  ob  auch  per  os  gegebenes  Chlor  unter  pathologischen  Verhältnissen 
glatt  resorbiert  wird.  Wäre  dies  der  Fall,  so  könnte  eine  Vermehrung  des 
Chlorgehalts  unmittelbar  auf  eine  vermehrte  Sekretion  aus  dem  Innern  des 
Körpers  hindeuten.  Tatsächlich  verhält  es  sich  so,  daß  bei  Darreichung  von 
nur  geringen  Mengen  Chlor  und  bei  genügend  großem  zeitlichen  Zwischen¬ 
raum.  zwischen  Chloraufnahme  und  Auftreten  von  Durchfall  das  in  das 
wässerige  Fäzesextrakt  übergehende  Chlor  im  wesentlichen  aus  dem  Körper- 
innern  stammt.  Bei  größeren  Mengen  Chlor  in  der  Nahrung  und  bald  ein¬ 
tretenden  Diarrhöen  dürfte  ein  Teil  des  Chlors  aus  der  Nahrung  stammen. 

III.  Zur  Theorie  der  Abführmittelwirkung.  —  Ury  ventiliert  hier  aus¬ 

führlich  die  Frage,  inwieweit  bei  der  Abführmittelwirkung  gesteigerte  Peri¬ 
staltik  bezw.  Transsudation  in  Frage  kommen.  Für  den  Fall,  daß  es  uns 
gelingt,  nachzuweisen,  daß  größere  Mengen  von  Pankreassekret,  Galle, 
Magensaft  usw.  in  den  dünnflüssigen  Fäzes  nicht  enthalten  sind,  würde  eine 
erhebliche  Vermehrung  des  Chlors  im  wässerigen  Extrakt  mit  Sicherheit 
auf  eine  vermehrte  Ausscheidung  aus  dem  Innern  des  Körpers  hindeuten ; 
bei  Vorhandensein  von  größeren  Mengen  von  Galle  und  Pankreassekret  usw. 
wird  man  diesen  Schluß  nicht  unbedingt  ziehen  können,  sondern  der  ge¬ 
steigerten  Peristaltik  auch  einen  Anteil  an  der  Chlorvermehrung  einräumen 
müssen.  Ury  glaubt,  daß  dünnflüssige  Ausscheidungen  in  den  untern  Teil 
des  Dickdarms  als  Beimischung  zu  dem  Darminhalt  bei  dem  Zustandekommen 
vieler  Diarrhöen  eine  große  Rolle  spielen.  Die  Unterscheidung  zwischen 
Transsudation,  gesteigerter  Darmsaftsekretion,  entzündlicher  Exsudation  ge¬ 
lingt  nicht  immer  leicht.  M.  Kaufmann. 


Einiges  über  den  Gebrauch  des  Europhens. 

(Dr.  P.  Meißner,  Berlin.  Berliner  klin.  Wochenschr.,  Nr.  35,  1908.) 

Meißner  rühmt  am  Europhen,  dem  Ersatz  für  das  Jodoform,  die  Ge¬ 
ruchlosigkeit  und  das  Fehlen  übler  Nebenwirkungen.  Er  verordnet  es  als 
5 — 10%ige  Lanolinsalbe  oder  als  Pulver  zu  gleichen  Teilen  mit  pulverisierter 
Borsäure.  Besonders  günstige  Resultate  erzielte  er  mit  diesem  Pulver  bei 
Ulcus  molle,  bei  dem;  es  die  Sekretion  bald  zum  Schwinden  brachte  und  die 
Granulation  beförderte.  Besonders  macht  er  aber  auf  die  schmerzlindernde 
Eigenschaft  aufmerksam,  die  er  vielleicht  darauf  zurückführen  zu  können 
glaubt,  daß  die  bei  der  kontinuierlichen  Spaltung  entstehende  Kresolkom- 
ponente  in  statu  nascendi  anästhesierend  wirkt. 

Ähnlich  günstige  Erfolge  konnte  er  bei  phagedänischem  Schanker  und 
bei  Exstirpation  der  Initialsklerose  beobachten.  F.  Walther. 


802 


Bücherschati. 


Bücherschau. 


Jahresbericht  über  die  Ergebnisse  der  Immunitätsforschung.  Heraus¬ 
gegeben  von  W.  Weichardt.  3.  Band.  Friedr.  Enke,  Stuttgart  1908. 

543  Seiten.  17  Mk. 

Der  die  Arbeiten  des  Jahres  1907  umfassende  Jahresbericht  hat  infolge  des 
rastlosen  Arbeitens  der  besten  Kräfte  aller  Kulturnationen  auf  dem  Gebiete  der 
Immunitätsforschung  gegen  den  vorjährigen  Bericht  einen  erheblich  größeren  Um¬ 
fang  erfahren.  Es  ist  daher  mit  Freuden  zu  begrüßen,  daß  sich  der  Herausgeber 
entschlossen  hat,  von  der  rein  alphabetischen  Anordnung  der  Referate  insoweit  ab¬ 
zugehen,  als  er  zwei  große  Gebiete  der  Immunitätsforschung,  die  sich  verhältnis¬ 
mäßig  leicht  herausschälen  lassen,  nämlich  das  Gebiet  der  Anaphylaxie  und  das 
der  Phagozytose  (Stimuline,  bakteriotrope  Substanzen,  Opsonine  und  Agressine)  in 
zwei  größeren  Zusammenfassungen  von  zwei  Spezialisten  zunächst  vorweg  behandeln 
und  diesen  Zusammenfassungen  die  dazugehörigen  Referate  in  alphabetischer  An¬ 
ordnung  folgen  ließ.  Daß  künftig  auch  andere  Gebiete  abgegrenzt  und  für  sich 
im  Zusammenhang  dargestellt  werden  sollen,  wird  gewiß  jeder,  dem  es  nicht  allein 
darauf  ankommt,  über  sämtliche  Arbeiten  aus  der  Immunitätsforschung  zuverlässige 
Referate  zu  haben,  sondern  der  auch  Wert  darauf  legt,  sich  über  den  jeweiligen 
Stand  der  Forschungen  in  einzelnen  Fragen  schnell  zu  unterrichten,  mit  Freuden 
begrüßen.  Dadurch,  daß  Verfasser  die  vorweg  behandelten  Referate  auch  bei  der 
alphabetischen  Anordnung  der  übrigen  Referate  unter  den  Autorennamen  zitiert 
und  auf  sie  verwiesen  hat,  ist  er  jedenfalls  allen  Wünschen  gerecht  geworden. 
Ein  Vorzug  des  3.  Bandes  gegenüber  den  beiden  ersten  ist  es  auch,  daß  auf  die 
Bearbeitung  des  Sachregisters  ganz  besonderer  Wert  gelegt  ist,  was  sich  schon  rein 
äußerlich  dadurch  zu  erkennen  gibt,  daß  sein  Umfang  von  6  Seiten  beim  2.  Bande 
auf  23  Seiten  angewachsen  ist.  Die  am  Schlüsse  des  Berichtes  wieder  vom  Heraus¬ 
geber  gebrachte  Zusammenfassung  nach  einzelnen  Kapiteln  (Komplementstudien, 
Physikalisch-chemische  Studien,  Konzentrierung  der  Antikörper,  Präzipitine,  Schlangen¬ 
gifte  usw.)  gibt  kurz  ein  Bild  des  Fortschrittes  im  Berichtsjahr.  Daß  ein  derartig 
umfassender  Bericht  von  einem  Forscher,  der  gleichzeitig  experimentell  ausgiebig 
arbeitet,  allein  abgefaßt  und  verhältnismäßig  kurze  Zeit  nach  Abschluß  des  be¬ 
treffenden  Berichtsjahres  herausgegeben  wird,  ist  bei  dem  Umfange  des  Gebietes 
ausgeschlossen.  Es  ist  daher  besonders  dankenswert,  daß  der  Herausgeber  es  ver¬ 
standen  hat,  eine  größere  Zahl  hervorragender  Mitarbeiter  zu  gewinnen,  wodurch 
auch  erst  eine  wirkliche  Vollständigkeit  gewährleistet  ist.  Die  Ausstattung  des 
Werkes  ist  in  der  vornehmen  Weise  der  beiden  ersten  Bände  gehalten.  Bereits 
jetzt  beim  3.  Bande  kann  man  das  Werk  als  unentbehrlich  für  jeden,  der  sich  über 
die  Fragen  der  Immunitätsforschung  unterrichten  will,  bezeichnen.  H.  Bischoff. 


Leitfaden  der  diagnostischen  Akustik.  Von  Richard  Geigel.  Mit 
33  Textabbildungen.  Verlag  von  Ferdinand  Enke,  Stuttgart  1908.  8°. 

226  S.  6  Mk. 

Der  den  Vertretern  der  physikalischen  Diagnostik  durch  zahlreiche  Aufsätze 
in  diesem  Gebiete  wohl  bekannte  Verfasser  bringt  uns  in  seinem  Leitfaden  eine 
auf  streng  physikalischen  Prinzipien  aufgebaute  Lehre  vom  Schall,  von  Schalleitung, 
Resonanz  usw.,  ohne  dabei  beträchtlichere,  den  Mediziner  bekanntlich  nur  selten 
zierende,  physikalische  Kenntnisse  vorauszusetzen,  und  behandelt  in. einem  2.  Teil 
die  bei  Perkussion  und  Auskultation  in  Betracht  zu  ziehenden  besonderen  Ver¬ 
hältnisse,  wobei  mit  Fug  und  Recht  auf  manches  hier  Fehlende  und  zu  Ergänzende 
hingewiesen  wird.  Man  wird  im  Buche  etliches  finden,  was  auch  den  Leitern 
„  praktisch  er  “  Kurse  zu  wissen  und  ihren  Schülern  zu  übermitteln  ziemt,  z.  B.  Aus¬ 
lassungen  über  die  Energie  des  Perkussionsschlags,  die  verschiedene  Schalldauer 
bei  den  einzelnen  Stethoskopen  bei  gleich  stark  angeschlagenem  Stimmgabelton 
(p.  166),  über  das  Wesen  der  Rasselgeräusche  (p.  182),  wobei  namentlich  auch  die 
nahe  Verwandschaft  von  Vesikuläratmen  und  Knisterrasseln  (eine  Art  „diskonti¬ 
nuierlich  gewordenes  Rasselgeräusch“)  hervorgehoben  wird.  Vielleicht  hätte  des 
Ref.  und  auch  anderer  Bemühungen  um  eine  Intensitätsmessung  der  Herztöne  Er¬ 
wähnung  verdient,  da  von  mir  wenigstens  direkte,  quantitative  Messung  nach  physi¬ 
kalischen  Grundsätzen  angestrebt  war.  So  säuberlich  messen,  wie  im  exakten 
physikalischen  Versuch  kann  man  freilich  bei  den  wechselnden  Schallphänomenen 
des  menschlichen  Körpers  nicht,  aber  man  sollte  immerhin  mehr  anstreben,  als 
subjektive  Taxation  zu  leisten  vermag.  Besonders  gefallen  hat  dem  Ref.  die  An- 


Bücherscha'u. 


303 


leitung  zu  einfachen  und  billigen  Demonstrationsversuchen,  die,  großenteils  schon 
von  früher  her  bekannt,  auch  geübt,  jedenfalls  der  Vergessenheit  entrissen  zu 
werden  verdienen.  H.  Hughes  „Allgemeine  Perkussionslehre“  (Wiesbaden 
1894)  hätte,  zum  mindesten  im  Literatur- Verzeichnis,  genannt  werden  dürfen.  Warum 
wird  der  berühmte  Huyghens  oder  Huygens  in  dem  sonst  so  genauen  Buche  konse¬ 
quent  falsch  geschrieben? 

Geigel’s  Schrift  sei  allen  denen  auf’s  beste  empfohlen,  welche  für  die 
Grundlagen  akustischer  Diagnostik  auch  nach  der  theoretischen  Seite  hin  etwas 
übrig  haben  und  sich  nicht  mit  dem  rein  praktisch-diagnostischen  Zwecken  ange¬ 
paßten  Lehrstoff  begnügen  wollen.  H.  Vierordt  (Tübingen). 


Die  künstliche  Züchtung  des  Krebserregers,  seine  Feststellung  in  der 
Außenwelt  und  der  rationelle  Krebsschutz.  Von  Robert  Behla.  Mit 
2  Tafeln.  Berlin  1908.  Verlag  von  Richard  Schütz.  8°.  84  S.  2,50  Mk. 

Ob  diese  Schrift,  die  der  offiziellen  „Krebszelle“  und  den  Forschungsmethoden 
der  „Schul Onkologen“  den  Fehdehandschuh  hinwirft,  den  wirklichen  Krebserreger 
festnagelt,  mag  noch  zweifelhaft  erscheinen.  Darin  hat  B.  wohl  recht,  daß  „Ka¬ 
suistik  und  immer  wieder  Kasuistik“  die  Frage  nicht  zum  Austrag  zu  bringen  ver¬ 
mag.  Nach  B.  sind  die  Erreger  pflanzliche  und  tierische  Charaktere  in  sich  ver¬ 
einigende  Myxamöben,  die  auf  Holz  saprophytisch  vegetieren  und  sich  fortlaufend 
züchten  lassen  („Mycetozoon  carcinomatosum“).  Und  zwar  soll  es  vornehmlich 
die  Familie  der  Lykogaleen,  eine  Klasse  der  Trichiaceen,  sein,  an  die  der  Krebs 
gebunden  ist;  wo  diese  auf  der  Erde  fehlen,  komme  auch  kein  Krebs  vor.  B.  er¬ 
klärt  auch  die  Kohlhernie  für  einen,  freilich  nicht  den  echten,  Krebs.  In  der  Tat¬ 
sache,  daß  Holzarbeiter,  besonders  solche  in  „grobem“  Holze,  die  „Holzindustrie“ 
überhaupt  eine  verhältnismäßig  große  Zahl  von  Krebskranken  aufweisen,  sieht  B. 
eine  starke  Stütze  seiner  Anschauungen ;  doch  spielt  auch  das  Wasser  insofern  eine 
große  Bolle,  als  in  dasselbe  (und  auch  in  den  Erdboden)  die  Sporen  gelangen 
können.  Körperteile,  die  von  den  kratzenden  Händen  nur  schwierig  erreicht  werden, 
wie  der  Rücken,  sind  selten  von  Krebs  befallen,  der  wieder  bei  Tieren  vorzugs¬ 
weise  an  dem,  näheren  Kontakt  mit  dem  Boden  usw.  ausgesetzten,  Bauche  sich  be¬ 
merkbar  macht.  Die  Prophylaxe  würde  auf  das  Holz,  besonders  auch  moderndes, 
auf  Erde,  das  Wasser,  rohes  Gemüse  die  Aufmerksamkeit  zu  richten  haben.  — 
Vielleicht  beschert  die  Zukunft  dem  Verfasser  das  von  ihm  angestrebte,  über  die 
Krebsinstitute  nach  Anlage  und  Ziel  hinauswachsende  onkologische  Institut, 
das  diese  in  wissenschaftlicher  und  sozialer  Hinsicht  hochwichtigen  Fragen  der 
eigentlichen  Lösung  noch  näher  bringen  möge!  H.  Vierordt  (Tübingen). 


Die  Nervosität.  Von  Paul  Julius  Möbius.  Dritte  vermehrte  und 
verbesserte  Auflage.  Leipzig,  J.  J.  Weber,  1906.  200  S. 

Bei  der  Menge  derjenigen  für  den  Laien  bestimmten  Literatur,  die  sich  mit 
dem  modernen  Leiden  der  Nervosität  in  irgendeiner  Weise  befaßt,  stößt  man  auf 
so  schiefe,  ganz  einseitig  gegebene  Darstellungen,  die  nur  zu  oft  den  Unkundigen 
auf  falsche  Wege  führen.  Wie  häufig  muß  der  Arzt  diese  Wahrnehmung  machen! 
Uber  seine  Leiden,  seine  mannigfaltigen  Beschwerden  möchte  der  Nervöse  etwas 
mehr  hören  als  es  der  für  ihn  oft  allzu  kurze  Besuch  seines  ärztlichen  Beraters 
ihm  erlaubt.  Und  dies  ist  einer  der  Gründe  mit,  warum  es  ihn  dazu  treibt,  über 
seine  Krankheit  etwas  zu  lesen.  Getrost  kann  der  Arzt  seinen  Patienten  dieses 
Buch  in  die  Hand  geben,  Hypochonder  werden  durch  dasselbe  so  leicht  nicht  ge¬ 
züchtet;  im  Gegenteil,  Möbius  hat  es  selbst  noch  oft  durch  Zuschriften  Kranker 
erfahren,  was  diesen  seine  „Neurasthenie“  gewesen  ist.  Den  größten  Raum  nimmt 
die  Schilderung  der  Krankheitsursachen  ein,  dann  folgen  die  Krankheitsbeschrei¬ 
bungen.  Diese  führte  Möbius,  der  mit  dem  vorliegenden  Bändchen  die  Reihe  der 
„Illustrierten  Gesundheitsbücher“  um  eins  vermehren  sollte,  in  der  ihm  eigenen 
humorvollen  Art  mit  folgenden  Worten  selbst  ein:  „Eigentliche  Illustrationen  zu 
geben  gestattete  die  Natur  des  Gegenstandes  nicht,  um  aber  den  Namen  eines 
illustrierten  Gesundheitsbuches  nicht  ganz  zuschanden  zu  machen,  wurde  der  Text 
durch  zahlreiche  kleine  Krankheitsbilder  illustriert,  deren  Einfügung  auch  aus 
anderen  Gesichtspunkten  zweckmäßig  erschien.“  Vertrauensvoll  kann  der  Arzt 
dieses  Büchelchen  den  meisten,  nach  medizinischem  Lesestoff  durstenden  Neu¬ 
rasthenikern  überlassen.  J.  Dräseke  (Hamburg). 


804 


Bücherscha;u. 


Vergleichende  Volksmedizin.  Von  O.  v.  Hovorka  und  A.  Kronfeld. 
Schlußband.  (Stuttgart,  Strecker  &  Schröder.  21  Mk.) 

Der  letzte  Band  des  interessanten,  hier  wiederholt  besprochenen  Werkes  liegt 
nunmehr  vor.  Er  umfaßt  Geburtshilfe  und  Frauenkrankheiten,  Kinderheilkunde, 
Haut-,  Augen-,  Ohren-  und  Zahnkrankheiten  uud  einen  besonderen  Abschnitt  über 
die  Zaubermedizin.  Ein  Sachregister  und  ein  Literaturverzeichnis  von  über  tausend 
Nummern  gibt  einen  Begriff  von  der  Menge  Arbeit,  die  in  dem  Werke  steckt. 

Es  sei  wiederum  hervorgehoben,  daß  für  den,  der  die  ärztliche  Kunst  gerne 
geschichtlich  betrachtet,  das  Werk  mancherlei  Anregung  bietet.  Selbst  für  den 
Praktiker  ist  mancher  brauchbare  Gedanke  darin  zu  finden  und  es  ist  sehr  anzu¬ 
erkennen,  daß  die  Verfasser  nicht  selten  die  Volksmedizin  gegen  die  Lehren  der 
Wissenschaft  in  Schutz  nehmen.  Als  eine  feine  Bemerkung  sei  z.  B.  erwähnt,  daß 
Kinder  mit  Wasserkopf,  wenn  sie  das  vierzehnte  Lebensjahr  erreichen,  sehr  gescheit 
werden.  (S.  634.)  Beweise  dafür  sind  unter  anderen  Kant,  Adolf  Menzel  und 
Helmholtz;  freilich  gilt  die  Regel  nicht  allgemein.  Derartige  Beobachtungen 
finden  sich  zahlreich  in  dem  Buche,  dessen  Lektüre  angelegentlich  empfohlen  sei. 

F.  von  den  Velden. 


Therapeutische  Technik  für  die  ärztliche  Praxis.  Ein  Handbuch  für 
Arzte  und  Studierende.  Herausgegeben  von  Prof.  Hr.  J.  Schwalbe. 
789  Seiten  und  465  Abbildungen.  Verlag  von  Georg  Thieme,  Leipzig. 

20  Mk. 

In  einer  Scherznummer  der  Münchner  med.  Wochenschrift  wurde  vor  längerer 
Zeit  das  Überhandnehmen  des  Spezialistentums  dadurch  gegeißelt,  daß  das  Urteil 
eines  ärztlichen  Ehrengerichts  abgedruckt  war,  demzufolge  sich  jeder  als  Spezial¬ 
arzt  für  Herzkrankheiten  bezeichnen  kann,  der  ein  größeres  Instrumentarium  wie 
ausschließlich  ein  Höhrrohr  benutzt.  Das  hier  ironisch  abgehandelte  Thema  wurde 
in  letzter  Zeit  in  ausgedehnter  Weise  für  und  wieder  behandelt,  manche  Lanze 
für  den  guten  alten  Hausarzt  gebrochen,  während  die  Gegenpartei  immer  wieder 
neben  anderen  Argumenten  mit  an  erster  Stelle  auf  die  schwierige  Technik  vieler 
Spezialfächer  hinwies. 

Jedenfalls  aber  ist  die  Spezialisierung  noch  nicht  so  weit  vorgeschritten,  daß 
nicht  die  große  Mehrzahl  der  Ärzte,  besonders  auf  dem  Lande  und  in  kleinen 
Städten,  auch  die  grundlegende  Technik  der  meisten  Sonderfächer  durchaus  be¬ 
herrschen  muß  und  besonders  wo  schnelles  Eingreifen  erforderlich  ist,  wird  man 
auf  den  Spezialkollegen  nicht  warten  können. 

Neben  den  technischen  Handgriffen  und  Manipulationen,  wie  sie  jeden  Tag 
die  Praxis  erfordert,  will  der  Herausgeber  des  vorliegenden  Werkes  auch  diese 
grundlegenden  Kenntnisse  der  Spezialfächer  dem  Leser  vermitteln.  Daß  er  sein 
Ziel  erreicht  hat,  und  zwar  in  vollkommenster  Weise,  dafür  genügt  es,  die  Namen 
derer  durchzulesen,  die  die  Bearbeitung  der  einzelnen  Kapitel  übernommen  haben. 
Mehr  wie  alle  lobenden  Worte  dient  m.  E.  nach  die  einfache  Aufführung  dieser 
Namen  zur  Empfehlung  des  Buches.  So  linden  wir  mit  Beiträgen  vertreten: 

Geheimen  Rat  Prof.  Dr.  Cyerny,  Exzellenz,  in  Heidelberg;  Prof.  Dr. 
Englisch  in  Wien;  Prof.  Dr.  Eversbusch  in  München;  Prof.  Dr.  Friedrich 
in  Kiel;  Geheimrat  Prof.  Dr.  Fritsch  in  Bonn;  Prof.  Dr.  Hildebrand  in  Ge¬ 
meinschaft  mit  Assistenzarzt  Dr.  Bosse  in  Berlin;  Geheimrat  Prof.  Dr.  Hoffa  in 
Berlin;  Prof.  Dr.  Hopp e-Sey ler  in  Kiel;  Staatsrat  Prof.  Dr.  Kobert  in  Rostock; 
Priv.-Doz.  Dr.  Eduard  Müller  in  Breslau;  Prof.  Dr.  Ad.  Schmidt  in  Halle; 
Oberarzt  Dr.  H.  E.  Schmidt  in  Berlin;  Prof.  Dr.  J.  Schwalbe  in  Berlin;  Prof. 
Dr.  Sieb enmann  in  Basel;  Geheimrat  Prof.  Dr.  v.  Strümpell  in  Wien;  Geheim¬ 
rat  Prof.  Dr.  Vierordt  in  Heidelberg. 

Hervorgehoben  zu  werden  verdient  noch  die  vorzügliche  Ausführung  der 
Abbildungen,  die  das  geschriebene  Wort  in  willkommener  Weise  ergänzen.  R. 


Schriftleitung:  Dr.  Ri  gl  er  in  Leipzig. 

Druck  von  Emil  Herrmann  senior  in  Leipzig. 


27.  Jahrgang. 


1909. 


fortscbritte  der  Medizin. 

Unter  Mitwirkung  hervorragender  Fachmänner 


herausgegeben  von 

Professor  Dr.  0.  Köster  Prio.-Doz.  Dr.  o.  Criegern 

in  Leipzig.  in  Leipzig. 

Schriftleitung:  Dr.  Rigler  in  Leipzig. 


Nr.  8. 


Erscheint  am  10.,  20.,  30.  jeden  Monats.  Preis  halbjährlich 
6  Mark,  in  kl.  Zeitschrift  für  Versicherungsmedizin  8  Mark. 


Verlag  von  Georg  Thieme,  Leipzig. 


20.  März. 


Originalarbeiten  und  Sammelberichte. 


Paraffinbehandlung  der  Nabelbrüche. 

Von  Dr.  Burckhardt,  Dresden. 

(Vortrag  auf  der  Vereinigung  sächsisch- thüringischer  Kinderärzte  1908.) 

M.  H. !  Paraffin  war  schon  von  Politzer  und  Hölscher  zum 
Ansfüllen  geöffneter  Warzenfortsätze  und  retroaurikulärer  Fisteln  ver¬ 
wendet  worden.  Die  eigentliche  Verwendung  für  Kosmetik  brachte 
Eckstein,  indem  er  Stirnhöhlenwunden,  entstellende  eingezogene 
Karben,  luetische  Sattelnasen,  atrophische  Wangen  nach  Lähmungen 
behandelte,  auch  z.  B.  Hoden  plastisch  ersetzte.  Von  Es  eher  ich  stammt 
die  Idee,  den  Nabelbruch  durch  eine  intern  getragene  Pelotte  zu  heilen. 
Auf  dem  Kongreß  in  Madrid  war  seine  erste  Veröffentlichung  darüber. 

Angeregt  durch  persönliche  Anschauung  und  Erlernung  des  Ver¬ 
fahrens  bei  Escherich  und  Eckstein,  der  aber  Nabelbrüche  damals 
noch  nicht  behandelte,  habe  ich  Paraffin  in  nunmehr  64  Fällen  mit 
gutem  Resultat  verwendet,  und  möchte  Ihnen  darüber  eine  kurze  Dar¬ 
stellung  geben. 

Bei  den  wenigen  zur  Verfügung  stehenden  Minuten  kann  ich 
mich  nicht  auf  die  embryologischen  Verhältnisse  einlassen,  die  so  wichtig 
für  das  Verständnis  des  Nabelbruches,  ob  angeboren  oder  erworben, 
werden.  Es  genügt,  kurz  an  zwei  anatomische  Tatsachen  zu  erinnern. 

1.  Daß  der  Nabelring  nach  oben  einen  scharfen  Band  hat,  während 
sein  unterer  durch  Verwachsung  des  Urachus  und  der  Gefäßbündel 
flach  ist. 

2.  Daß  der  Bruchsack  selbst  eine  peritoneale  Ausstülpung  ist ; 
das  ist  maßgebend  für  die  Therapie. 

Die  meisten  Nabelbrüche  kommen  ja  in  den  ersten  sechs  Monaten 
zur  Beobachtung,  später  entstehende  sind  selten.  Ein  Persistieren  des 
Bruches  über  das  zweite  Lebensjahr  hinaus  ist  aber  gleichbedeutend 
meist  mit  Behalten  desselben,  und  damit  oft  schwerer  Störung,  beson¬ 
ders  bei  Mädchen. 

Abgesehen  von  operativem  Schluß  des  Bruches  kommt  bisher 
die  Pflasterstreifenbehandlung  zur  allgemeinen  Ausübung.  Es  bat  die¬ 
selbe  aber  durch  die  entstehenden  Ekzeme  den  Nachteil,  daß  die 
Kinder  noch  mehr  schreien,  und  den  intraabdominellen  Druck  erhöhen, 
besonders  aber  das  schreiende  Kind  beim  Verbandwechsel  das  gewonnene 
Heilungsresultat  wieder  vernichtet,  da  der  sofort  hervortretende  Bruch 
die  Bänder  wieder  auseinanderdrängt.  Das  lang  dauernde  Verbinden 

20 


306 


Burckhardt,  Paraffinbehandlung  der  Nabelbrüche. 


wird  ebenso  unangenehm  empfunden  wie  Gummibinden  mit  Pelotten 
zu  tragen,  sie  verschieben  sich,  machen  auch  Ekzeme  und  müssen 
lange  bis  zur  Heilung  getragen  werden.  —  Die  Paraffininjektion  gibt 
uns  die  Möglichkeit,  in  sicherer  Weise  in  wenig  Tagen  einen  Ver- 
£chluß  des  Bruches  zu.  gewinnen. 

Das  Verfahren  besteht  darin,  daß  nach  peinlichster  Desinfektion 
des  Nabelgebietes  und  der  Hände  der  Bruch  mit  zwei  Fingern  der 
linken  Hand  hochgehoben  wird.  Durch  die  seitliche  Kompression  sinkt 
der  Inhalt  zurück.  Die  rechte  Hand  führt  die  Nadel,  deren  Spitze 
nach  oben  gebogen  ist  und  welche  ihren  Ausfluß  auf  der  entgegen¬ 
gesetzten  Seite  trägt,  so  ein,  daß  die  Spitze  frei  im  Bruchsack  fühlbar 
ist.  Alsdann  werden  3—4  ccm  Paraffin  injiziert,  65°  heiß,  wobei 
der  Druck  der  linken  Hand  nachläßt,  so  daß  der  Bruch  noch  einmal 
in  seiner  vollen  Größe  erscheint.  Nunmehr  sofort  Chlorätheraufstäu- 
bung  nach  1/2  Minute  Herausziehen  der  Nadel.  Die  Injektionsstelle  wird 
mit  flachem  Dermatolgazebausch  bedeckt,  und  dieser  mit  Heftpflaster¬ 
streif  fixiert.  Ein  den  Bauch  zirkulär  umfassender  Heftpflasterstreif, 
der  acht  Tage  liegen  bleibt,  sichert  den  Erfolg. 

Es  hat  sich  dann  im  Innern  des  Bruchsackes  eine  Paraffinhaube, 
die  über  den  anquellenden  Darm  sich  legte  und  unter  Äther  erstarrt, 
gebildet  und  ist  durch  den  Druckverband  zu  einer  tellerförmigen,  den 
Bruch  überragenden  Platte  geworden,  die  absolut  fest  den  Bruch  zurück¬ 
hält  und  durch  den  entzündlichen  Beiz  eine  Verklebung  der  Bruch¬ 
pforte  herbeiführt. 

Anfangs  begeht  man  den  Fehler,  zuviel  Paraffin  einzuspritzen, 
man  erhält  dann  unschöne,  zu  große  Pelotten.  Die  Grenze  des  Ver¬ 
fahrens  setzt  voraus,  daß  die  Bruchpforte  nicht  größer  als  1  cm  im 
Durchschnitt  ist.  Wenigstens  sind  dann  mehrere  Sitzungen  zur  For¬ 
mung  einer  solid  sitzenden  Pelotte  nötig,  besonders  wenn  sich  der 
Nabelbruch  mit  einer  Diastase  der  Linea  alba  nach  oben  verbindet. 

Unangenehme  Nebenwirkungen  hat  Escherich  nicht  gesehen,  ich 
habe  auch  keine  beobachtet.  Gelangt  wirklich  heißes  Paraffin  in  die 
freie  Bauchhöhle,  so  verträgt  dieselbe  das  gut,  denn  es  erstarrt  sofort. 

Wesentlich  für  den  Erfolg  ist  die  Wahl  und  Behandlung  des 
Paraffins.  Es  darf  nur  sogen.  Hartparaffin,  Schmelzpunkt  54,  ge¬ 
nommen  werden.  Sterilisiert  wird  dasselbe  durch  Kochen  in  geschlos¬ 
sener  Büchse.  Mit  Hilfe  eines  eintauchenden  Thermometers  wähle 
ich  die  Injektion  bei  65°,  weil  dann  die  Erstarrung  in  der  Spritze 
und  Kanüle,  die  man  unmittelbar  bis  zum  Gebrauch  in  fast  kochendes 
Wasser  halten  muß,  nicht  erfolgt.  Gummiüberzüge  über  die  Spritzen 
leisten  jiicht  viel  und  vermindern  die  Asepsis. 

Eine  Abweichung  von  dieser,  in  etwa  einer  Minute  zu  beenden¬ 
den  Technik  habe  ich  nur  dann  vorgenommen,  wenn  der  Bruchsack 
so  starr  und  narbig  ist,  daß  flüssiges  Paraffin  einfach  nicht  hinein¬ 
zubringen  ist.  Ich  verwende  dann  eine  Spritze  mit  Drehkolben,  welche 
Paraffin  etwa  wie  aus  einer  Salbentube  unter  großem  Druck  in  halb- 
weichem  Zustand  an  die  gewünschte  Stelle  bringt.  Die  Kinder  ver¬ 
tragen  den  Eingriff  sehr  gut  und  ich  habe  noch  keine  Klage  hinter¬ 
her,  abgesehen  vom  Moment  des  Einstiches,  erlebt. 

Noch  ein  Wort  über  Paraffin  selbst.  Man  unterscheidet  zwischen 
weichem  und  hartem  Paraffin;  das  weiche,  also  von  niederem  Schmelz¬ 
punkt,  oft  mit  Vaselin  (Gersuny)  vermischt,  ist  gefährlich  wegen  seiner 
Emboliegefahr.  Abgesehen  davon  sind  aber  durch  die  maßgebenden 


K.  Kühl,  Beitrag  zur  Syphilisbehandlung. 


307 


Untersuchungen  von  Kirschner  (Virch.  Archiv  S.  .182)  für  beide 
Paraffinarten  an  Stücken,  welche  aus  lebendem  Gewebe  wieder  opera¬ 
tiv  entfernt  werden  mußten,  folgende  fundamentale  Unterschiede  ge¬ 
funden  worden : 

1.  Das  weiche  Paraffin  wird  völlig  resorbiert.  Mikroskopisch 
liegen  in  dem  den  Tumor  durch  wuchernden  Bindegewebsnetz  Vakuolen, 
das  sind  die  früheren  Lager  der  Paraffinplatten. 

2.  Dadurch,  daß  es  wandert,  kommt  es  an  Nachbar  st  eilen  und 
kann  hier  das  Bild  der  schweren  Fremdkörper  ent  zündung  her  vor  rufen, 
da  es  eben  nicht  an  allen  Körperstellen,  besonders  hartgespannter  Haut, 
vertragen  wird. 

Dagegen  das  harte. 

Alle  untersuchten  Prothesen  zeigten  stets  dasselbe  Bild.  Es  tritt 
eine  Einheilung  und  Organisation  in  dem  Sinne  ein,  daß  die  Prothese 
in  ihrer  Umgebung  von  einer  harten  Bindegewebsmasse  umgeben  wird. 
Von  dieser  geht  ein  großmaschiges  Bindegewebsnetz  aus,  das  die  Pro¬ 
these  in  kleine  Bezirke  wohl  teilt,  sie  aber  festhält.  Das  Binde¬ 
gewebe,  dem  strotzende  Kapillaren  folgen,  dringt  in  die  geschichtete 
Kristallform  des  Paraffins  ein.  Es  enthält  deshalb  außerdem  noch 
ein  rosa  erscheinendes  Maschennetz,  welches  als  vom  erstarrenden  Paraf¬ 
fin  festgehaltene  Gewebssäfte  aufzufassen  ist  und  dem  Bindegewebe 
seine  Bahnen  erleichterte. 

Behandelt  sind  Kinder  von  1 — 12  Jahren.  Eine  Änderung  der 
Prothesen  habe  ich  seit  vier  Jahren  nicht  beobachtet.  Ich  glaube, 
daß  wir  die  Einfachheit  des  Verfahrens  deshalb  den  jetzigen  Be¬ 
handlungsweisen  vorziehen  können. 


Beitrag  zur  Syphilisbehandlung. 

Von  Dr.  K.  Bühl  in  Turin. 

Es  zweifelt  heutzutage  niemand  mehr  an  der  therapeutischen  Wir¬ 
kung  des  Quecksilbers  bei  den  verschiedenen  Erscheinungsformen  der 
Syphilis.  Dagegen  sind  die  Meinungen  der  Autoren  verschieden  hin¬ 
sichtlich  der  zweckmäßigsten  Darreichungs  weise  des  Quecksilbers. 
Während  nämlich  die  einen  die  Methode  der  endomoskulären  Einsprit¬ 
zungen  bevorzugen,  ziehen  andere  die  Einreibungen  vor  und  noch  andere 
behaupten,  es  gäbe  nichts  besseres  als  die  innere  Darreichung  der 
Quecksilberpräparate.  Allen  Methoden  haften  aber  besondere  Übel¬ 
stände  an. 

Die  Einreibungen  mit  grauer  Salbe  erheischen  eine  gewisse  Übung, 
einen  nicht  zu  unterschätzenden  Zeitverlust  und  bringen  verschiedene 
Unbequemlichkeiten  mit  sich  (Beschmutzung  der  Wäsche,  Unmöglich¬ 
keit,  die  Behandlung  geheim  zu  halten,  usw.),  welche  den  Patienten 
von  einer  regelmäßigen  und  gewissenhaften  Kur  abhalten  können,  der 
außerdem  meistens  —  und  das  ist  von  besonderer  Bedeutung  —  eine 
strenge  ärztliche  Kontrolle  fehlt. 

Gegen  die  Einspritzung  unlöslicher  Hg-Salze  heben  einige  Autoren 
die  sehr  verschiedene  und  oft  höchst  langsame  Resorption  solcher  Prä¬ 
parate  und  den  Übelstand  hervor,  daß  in  gewissen  Fällen  das  Queck¬ 
silber,  nachdem  es  sich  lange  Zeit  an  der  Injektionsstelle  angesammelt 
hat,  plötzlich  sehr  rasch  resorbiert  wird  und  schwere  Vergiftungs- 

20* 


308 


K.  Bühl, 


erscheinungen  herbeiführt,  welche  zuweilen,  wie  in  einem  Falle  von 
Neubeck',  zum  Exitus  letalis  führen  können. 

Es  gibt  nun  nicht  wenige  Fälle  —  wie  jeder  Arzt  Gelegenheit  hat, 
sich  zu  überzeugen  — ,  in  welchen  man  von  den  bisher  betrachteten 
Behandlungsmethoden  aus  besonderen  Gründen  Abstand  nehmen  und 
zu  einer  eventuellen  inneren  Darreichung  seine  Zuflucht  nehmen  muß. 

Für  diese  interne  Therapie  wurden  verschiedene  Präparate  vor¬ 
geschlagen ;  es  ist  jedoch  kein  einziges  derselben  vollständig  frei  von 
Übelständen. 

Ein  gutes  Quecksilberpräparat  für  die  innere  Behandlung  der 
Lues  muß  folgenden  Anforderungen  entsprechen: 

1.  es  muß  so  beschaffen  sein,  daß  es  die  Darreichung  großer 
Quecksilbermengen  gestattet,  um  eine  energische  Behandlung  durch¬ 
führen  zu  können; 

2.  es  muß  frei  von  jeder  Ätz  Wirkung  sein,  um  nicht  Darm  Verlet¬ 
zungen  und  -Schädigungen  hervorzurufen,  welche  Kolikschmerzen  und 
Durchfälle  zur  Folge  haben ; 

3.  es  muß  genau  dosiert  werden  können,  damit  man  feststellen 
kann,  wieviel  Quecksilber  in  einer  gewissen  Zeit  verabreicht  worden  ist ; 

4.  die  Desorption  des  Quecksilbers  muß  eine  konstante  sein,  d.  h. 
keinen  erheblichen  Schwankungen  unterliegen. 

Diese  Bedingungen  werden  aber  von  keinem  der  bisher  angewen¬ 
deten  inneren  Antilueticis  erfüllt.  So  führt  die  innere  Darreichung 
von  Sublimat  nicht  selten  einen  bedeutenden  Grad  von  Appetitlosigkeit 
herbei,  während  das  Protojodür  des  Hg  in  manchen  Fällen  starken 
Durchfall  und  zuweilen  blutige  Stühle  verursacht ;  man  kann  zwar 
den  Durchfall  durch  Darreichung  von  Opiumpräparaten  bekämpfen, 
aber  dann  geht  man  anderen  Übelständen,  nämlich  den  unangenehmen 
Folgen  einer  lange  fortgesetzten  Opiumverabreichung  entgegen.  Was 
die  von  Lustgarten  vorgeschlagene  Darreichung  von  gerbsaurem  Hg 
anbetrifft,  so  behauptet  Zeißl  in  mehreren  seiner  Fälle  nach  solcher 
Darreichung  heftige  Kolikschmerzen  beobachtet  zu  haben. 

Nun  hat  seit  einiger  Zeit  die  Firma  J.  D.  Riedel,  Aktiengesell¬ 
schaft  in  Berlin,  ein  neues  Quecksilberpräparat  unter  dem  Namen 
Mer  gal  in  den  Handel  gebracht,  welches  nach  seiner  chemischen  Zu¬ 
sammensetzung  und  nach  seinen  pharmakologischen  Eigenschaften  alle 
Bedingungen  zu  erfüllen  scheint,  welche  wir  oben  erwähnt  haben. 
Dieses  Medikament,  welches  in  Gelatine-Kapseln  enthalten  ist,  die  den 
Magen  unverändert  passieren  und  erst  im  Darm  sich  lösen,  besteht 
aus  cbolsaurem  Quecksilberoxyd,  welchem  gerbsaures  Albumin,  im 
V erhältnis  1  :  2  zugegeben  ist. 

Nach  Mulder,  Rose,  Elmser  und  Voit  verwandelt  sich  das 
im  Körper  zirkulierende  Quecksilber  in  letzter  Instanz  in  Quecksilber  - 
Oxyalbuminat,  welchem  gerade  das  cholsaure  Hg  sehr  nahestehend 
zu  sein  scheint.  Da  nun  ferner  die  Cholsäure  ein  normaler  Bestandteil 
der  menschlichen  Galle  ist,  so  läßt  sich  annehmen,  daß  ihre  Salze, 
also  auch  ihr  Quecksilbersalz,  die  Bedingungen  .zur  Darmresorption 
darbieten. 

Das  gerbsaure  Albumin,  welches  im  Mergal  enthalten  ist,  hat 
den  Zweck,  die  eventuelle,  obwohl  sehr  schwache  reizende  Wirkung 
des  cholsauren  Hg  auf  die  Darmschleimhaut  zu  verhindern. 

Diese  theoretischen  Betrachtungen,  sowie  die  Ergebnisse  der  Ver¬ 
suche,  welche  Boß  und  Keil  über  die  Resorption  und  Ausscheidung 


Beitrag  zur  Syphilisbehandlung. 


809 


des  in  Form  von  Mergal  eingeführten  Quecksilbers  angestellt  haben 
und  besonders  die  klinischen  Beobachtungen  und  Erfahrungen  ver¬ 
schiedener  Autoren  (Boß,  Saalfeld,  Keil,  Leistikow,  von  Zeißl, 
Kanitz,  Groß,  Ehrmann,  Hogge,  Fröhlich,  Hellmuth,  Michaelis, 
Schultze  u.  a.  m.),  veranlaßten  mich,  mit  dem  neuen  inneren  Anti- 
luetikum  Versuche  anzustellen.  Meine  Beobachtungen  wurden  alle 
in  den  von  mir  vor  mehreren  Jahren  eröffneten  „Ambulatorium  für 
deutsche  Arbeiter  und  Arbeiterfamilien“  gemacht,  wo  ich  freie 
Konsultationen  abhalte,  sie  haben  im  Januar  1907  begonnen  und 
werden  auch  heute  noch  fortgesetzt.  Die  Kesultate  derselben  waren 
bis  jetzt  sehr  ermutigend,  weshalb  ich  hier  über  einige  Fälle  be¬ 
richten  will,  aus  welchen  ich  glaube,  schon  jetzt  einige  Schlu߬ 
folgerungen  ziehen  zu  können,  wobei  ich  mir  jedoch  Vorbehalte,  auf 
diesen  Gegenstand  später  zurückzukommen,  wenn  ich  ein  reicheres  Be¬ 
obachtungsmaterial  angesammelt  haben  werde. 

Um  jedem  Mißtrauen  von  seiten  der  Patienten  vorzubeugen  und 
mir  den  pünktlichen  Besuch  meines  Ambulatoriums  durch  dieselben 
zu  sichern,  was  für  die  Regelmäßigkeit  meiner  Beobachtungen  er¬ 
forderlich  war,  habe  ich  neben  der  Darreichung  von  Mergalkapseln, 
auch  Einspritzungen  mit  einer  0,75°/0igen  Lösung  von  NaOl  (einmal 
in  der  Woche)  ausgeführt,  welche,  während  sie  dem  Patienten  absolut 
keinen  Schaden  verursachten,  ihn  dazu  zwangen,  sich  bei  mir  einmal 
wöchentlich  einzustellen. 

Ich  werde  kurz  über  meine  Fälle  berichten : 

1.  Fall.  Patient  27  Jahre,  Arbeiter  in  einer  Glasfabrik.  Stellt 
sich  am  18.  Januar  1907  vor  mit  zwei  Syphilomen,  er  war  angeblich 
ca.  20  Tage  vorher  infiziert  worden.  Ich  verschrieb  lokale  Spülungen 
mit  Sublimatlösung  (0,5 °/00),  Einspritzungen  von  NaCl-Lösung  (eine 
wöchentlich)  und  eine  innere  Kur  mit  Mergal,  von  dem  ich  anfangs 
dreimal  täglich  je  eine  Kapsel  nehmen  ließ. 

Nach  einer  Woche  wurde  die  tägliche  Dosis,  da  Pat.  das  Medi¬ 
kament  gut  vertrug,  auf  fünf  Kapseln  erhöht,  und  zwar  eine  morgens, 
zwei  mittags  und  zwei  abends,  während  der  Mahlzeiten.  Pat.  der  übri¬ 
gens  ein  sehr  kräftiger  und  gesunder  Mensch  war,  vertrug  auch  diese  neue 
Dosis  sehr  gut  und  klagte  nie  über  Störungen  des  Verdauungstraktes, 
wenn  man  von  einem  etwas  häufigeren  Stuhl  (ca.  zweimal  täglich)  ab¬ 
sieht.  Nach  ungefähr  einem  Monat  war  eine  leichte  Stomatitis  nachweis¬ 
bar,  welche  jedoch  dem  Patienten  niemals  übermäßige  Störungen  verur¬ 
sachte  und  durch  Mundspülungen  mit  Kaliumchloratlösung  leicht 
bekämpft  werden  konnte. 

Die  zwei  Primäreffekte  verschwanden  vollständig  im  Laufe  von 
ungefähr  drei  Wochen.  Die  Mergalkur  in  der  täglichen  Dosis  von 
fünf  Kapseln  wurde  mehr  als  zwei  Monate  fortgesetzt.  Während  der¬ 
selben  war  keine  luetische  Erscheinung  weiter  nachweisbar.  Nach  der 
Mergalkur  verschrieb  ich  eine  Jodkur  (2  g  KJ  täglich),  welche  drei 
Monate  lang  durchgeführt  wurde.  Im  Juli  verordnete  ich,  obwohl 
keine  sichtbare  syphilitische  Erscheinung  mehr  aufgetreten  war,  von 
neuem  Mergal,  wovon  Patient  zwei  Monate  lang  fünf  Kapseln  täglich 
ohne  Übelstände  einnahm. 

Danach  ließ  sich  Pat.  im  Laufe  einiger  Monate  nicht  mehr  sehen. 
Er  stellte  sich  im  Januar  1908  wieder  vor,  mit  der  Aussage,  daß 
er  sich  immer  wohl  befunden  habe,  worauf  ich  ihn  zu  einer  neuen 
Mergalkur  veranlaßte,  jedoch  nur  in  der  täglichen  Dosis  von  drei 
Kapseln. 


310 


K.  Rühl, 

Während  dieser  ganzen  Zeit  hat  Pat.,  den  ich  regelmäßig  be¬ 
obachten  konnte  und,  der  sich  noch  vor  ungefähr  zwei  Wochen  ein¬ 
stellte,  keine  syphilitischen  Erscheinungen  mehr  aufgewiesen. 

2.  Fall.  K.  O.  21  Jahre,  Mechaniker.  Wurde  vor  drei  Monaten 
mit  Lues  infiziert.  Obwohl  der  Arzt  die  Affektion  richtig  diagostiziert 
hatte,  war  Pat.  nicht  überzeugt  und  beschränkte  sich  auf  eine  lokale 
Behandlung  mit  einem  Streupulver  (Kalomel). 

Bei  mir  stellte  er  sich  am  2.  Februar  1907  ein.  Status  praesens : 
Plaques  auf  der  inneren  Wangen-  und  der  Bachenschleimhaut,  auf 
einen  großen  Teil  verbreitetes  makulo-papulöses  Sj^philoderma,  breite 
Kondylome  in  der  Umgebung  des  Afters,  Psoriasis  palmaris,  sehr  herab¬ 
gekommenes  Allgemeinbefinden. 

Ich  ver ordnete  eine  kräftige  Diät,  die  Einspritzungen  von  NaCl- 
Lösung  und  Mergal  (dreimal  täglich  zwei  Kapseln).  Diese  Kur  begann 
am  4.  Februar  1907. 

Am  11.  Februar  1907  ist  der  objektive  Befund  fast  unverändert. 
Allgemeinbefinden  etwas  gebessert.  Pat.  klagt  über  Durchfall  und 
leichte  Kolikschmerzen,  weshalb  ich  die  tägliche  Mergalgabe  auf 
vier  Kapseln  reduzierte. 

18.  Februar  1907.  Die  Erscheinungen  fangen  an  rückgängig  zu 
werden  Allgemeinbefinden  gebessert.  Darmstörungen  verschwunden. 

25.  Februar  1907.  Hauterscheinungen  bedeutend  gebessert:  es 
besteht  noch,  obwohl  vermindert,  die  Psoriasis.  Wegen  einer  auf  ge¬ 
tretenen  leichten  Stomatitis  verschrieb  ich  Mundspülungen  mit  bor¬ 
saurem  Natron.  Die  Mergaldosis  wird  wieder  auf  sechs  Kapseln  täglich 
gebracht.  Pat.  setzte  diese  Kur  etwa  zwei  Monate  lang  fort,  in  welcher 
Zeit  er  sie  zweimal  wegen  auf  getretener  Darmstörungen  auf  fünf  Tage 
unterbrechen  mußte.  Am  Ende  dieser  Zeit  waren  alle  sichtbaren 
Erscheinungen  der  Krankheit  verschwunden.  Allgemeinzustand  sehr 
gut.  Pat.  klagte  nie  über  Schmerzen  in  der  Lendengegend  und  sein 
Harn  war  stets  frei  von  Eiweiß. 

3.  Fall.  M.  D.  32  Jahre,  Dienstmädchen.  Wurde  vor  einem 
Jahr  mit  Syphilis  infiziert  und  scheint  eine  sehr  unregelmäßige  und 
ungenügende  Kur  durchgemacht  zu  haben. 

23.  April  1907.  Status  praesens :  muköse  Papeln  an  der  Ober¬ 
lippe,  spezifische  Angina,  flache  Kondylome  in  der  Umgebung  des 
Anus;  Kopfschmerzen,  besonders  während  der  Nacht.  Es  werden  sechs 
Mergalkapseln  täglich  verordnet. 

2.  Mai  1907.  Wenig  veränderter  Zustand,  leichte  Besserung. 

9.  Mai  1907.  Äußere  Erscheinungen  werden  rückgängig,  Kopf¬ 
schmerzen  sind  verschwunden.  Kein  Albumen  im  Harn. 

16.  Mai  1907.  Die  Besserung  schreitet  fort.  Pat.  hat  die  Mergal- 
einnahme  unterbrechen  müssen,  weil  Durchfall  und  mittelstarke  Kolik¬ 
schmerzen  auf  getreten  sind.  Diese  Störungen  hoben  sich  nach  Unter¬ 
brechung  der  Kur,  und  wiederholten  sich  nicht  nach  Wiederaufnahme 
derselben,  jedoch  wurde  die  Gabe  auf  vier  Kapseln  täglich  reduziert. 
Normaler  Harn.  Keine  Stomatitis. 

Pat.  ist  nach  ungefähr  21/2  Monaten  vollständig  von  den  luetischen 
Erscheinungen  befreit,  wenn  man  von  einer  inguinalen  Adenitis  absieht. 
Nach  weiteren  zwei  Wochen  von  Mergalkur  wurde  KJ  verschrieben. 
Pat.  ließ  sich  nicht  mehr  sehen. 

4.  Fall.  G.  K.  48  Jahre,  Arbeiter.  Stellte  sich  am  3.  März  1907 
vor  wegen  eines  verdächtigen  Geschwürs  am  Präputium.  Um  die  Dia- 


Beitrag  zur  Syphilisbehandlung. 


311 


gnose  zu  sichern,  nahm  ich  von  irgendwelcher  Verordnung  Abstand. 
Nach  zwei  Wochen  kommt  Pat.  wieder  und  hat  nun  Roseola  am  Rumpf, 
besonders  an  den  Brustteilen.  Es  wird  eine  Mergalkur  eingeleitet,  dabei 
mit  drei  Kapseln  täglich  angefangen,  und  allmählich  bis  auf  acht 
Kapseln  täglich  gestiegen.  Die  syphilitischen  Erscheinungen  werden 
langsam  rückgängig;  nach  drei  Wochen  war  die  Roseola  .abgeblaßt 
und  nach  4  Wochen  verschwunden.  Obwohl  keine  Spuren  der  erlittenen 
Syphilis  mehr  zu  sehen  waren,  ließ  ich  Mergal  weiter  einnehmen. 
Nach  sieben  Wochen  hatte  Pat.  ca.  600  Kapseln  genommen.  Es  wurde 
darauf  eine  Jodkur  eingeleitet.  Seit  zwei  Wochen  nimmt  jetzt  Pat. 
wieder  Mergal  ein.  Hat  nie  über  Verdauungsstörungen  geklagt,  noch 
Nierensymptome  auf  ge  wiesen. 

5.  Fall.  W.  S.  37  Jahre,  Köchin.  Wurde  im  Juli  1907  infiziert 
und  stellte  sich  bei  mir  Anfang  Oktober  vor ;  klagte  über  heftige 
Kopfschmerzen,  welche  besonders  des  Nachts  auf  treten  und  über  große 
allgemeine  Schwäche.  Sie  war  im  Juli  von  einem  Arzte  untersucht 
worden,  statt  aber  seine  Verordnungen  zu  befolgen,  hatte  sie  sich  mit 
einer  der  Spezialitäten  kuriert,  welche  in  den  Zeitungsreklamen  ange¬ 
priesen  werden.  Status  praesens :  Makulo-papulöses  Syphiloderma  auf 
der  Brust,  auf  dem  Bauch  und  auf  den  Beinen,  muköse  Papeln  in  der 
Umgebung  des  Afters  und  an  den  Geschlechtsteilen,  spezifische  Angina. 

Ich  verschrieb  zuerst  drei  Kapseln  Mergal  täglich,  und  stieg  dann 
allmählich  bis  auf  sechs  täglich.  Die  Kopfschmerzen  verschwanden  nach 
und  nach  und  es  besserte  sich  der  Appetit,  Pat.  nahm  an  Gewicht  zu 
unter  bedeutender  Besserung  des  Allgemeinzustandes.  Nachdem  Pat. 
350  Kapseln  eingenommen  hatte,  waren  auf  der  Haut  nur  noch  wenige 
pigmentierte  Flecke  zu  sehen ;  die  Papeln  am  After  und  an  den  Ge¬ 
schlechtsteilen  waren  vollständig-  verschwunden.  Da  zu  dieser  Zeit  das 
Mergal  angefangen  hatte,  Darmstörungen  zu  verursachen,  wurde  die 
Kur  zwei  Wochen  lang  unterbrochen  und  dann  wieder  fortgesetzt. 
Es  wurden  im  ganzen  500  Kapseln  eingenommen,  wonach  keine  luetische 
Erscheinung  mehr  sichtbar  und  der  Allgemeinzustand  ein  sehr  befrie¬ 
digender  war. 

Um  überflüssige  Wiederholungen  zu  vermeiden,  möge  liier  nur 
noch  kurz  erwähnt  werden,  daß  ich  mit  Mergal  in  weiteren  6  Fällen 
ebenso  gute  Resultate  erzielte. 

Bei  anderen  drei  Kranken  verursachte  Mergal  Darmstörungen. 
Ich  kann  jedoch  auf  diese  Fälle  kein  großes  Gewicht  legen,  da  ich 
nicht  feststellen  konnte,  ob  die  Kranken  nicht  auch  eine  ähnliche 
Intoleranz  für  andere  innere  Antiluetica  aufgewiesen  hätten ;  denn  zwei 
derselben  wollten  absolut  nichts  mehr  von  der  inneren  Kur  hören, 
und,  der  dritte  stellte  sich  nicht  mehr  vor.  Auch  muß  ich  darauf  hin- 
weisen,  daß  zwei  der  genannten  Pat.  bereits  mehrmals  an  Darm¬ 
störungen  gelitten  haben,  weshalb  ich  bei  ihnen  eine  gewisse  Schwäche 
dieses  Organes  annehmen  mußte. 

Auf  Grund  meiner  Resultate  glaube  ich  das  Mergal  als  ein  sehr 
gutes  inneres  Antiluetikum  ansprechen  zu  dürfen,  dessen  therapeutische 
Wirksamkeit,  bei  den  primären  und  sekundären  syphilitischen  Erschei¬ 
nungen  eine  ausgezeichnete  ist.  Nichts  kann  ich  dagegen  über  seine  Wir¬ 
kung  bei  Tertiär-Syphilis  aussagen,  da  ich  keine  Gelegenheit  hatte,  es  in 
dieser  Hinsicht  zu  prüfen,  wenn  ich  von  einem  gegenwärtig  in  Be¬ 
handlung  stehenden  Fall  absehe ;  es  ist  jedoch  a  priori  anzunehmen, 


312 


Ascher, 


daß  auch  in  dieser  Periode  der  Krankheit  die  Wirksamkeit  des  Präpa¬ 
rates  keine  geringere  sein  wird. 

Mergal  bietet  den  großen  Vorteil,  daß  es,  während  es  eine  ausge¬ 
zeichnete  therapeutische  Wirksamkeit  auf  weist,  in  der  Mehrzahl  der 
Pälle  keine  unangenehmen  Nebenerscheinungen  entfaltet,  wie  sie  so 
oft  bei  anderen  inneren  Antiluetiöis  beobachtet  werden,  und  in  den 
Fällen,  wo  Darmreizungen  auf  treten  —  der  Magen  wird  stets  dabei 
geschont  —  verschwinden  dieselben  in  kurzer  Zeit,  wenn  man  die  Dar¬ 
reichung  des  Medikamentes  unterbricht. 

Natürlich  muß  man  während  der  Mergalkur  —  wie  ich  stets 
getan  habe  —  eine  passende  Diät  verschreiben,  eine  solche  nämlich, 
die  den  Darmtraktus  möglichst  schont.  Auch  muß  man  gleichzeitig, 
wie  auch  sonst  bei  allen  Quecksilberkuren,  für  eine  sorgfältige  Hygiene 
der  Haut  und  des  Mundes  sorgen.  Hinsichtlich  der  Diät  sind  natür¬ 
lich  solche  Speisen  zu  empfehlen,  welche,  wie  Mehlspeisen,  Kakao, 
u.  a.  m.,  dazu  neigen,  den  Stuhl  träge  zu  machen,  und  dagegen  diejenigen 
zu  meiden,  welche,  wie  Obst,  saure  Speisen,  Salat  u.  a.  m.,  dazu 
neigen,  den  Stuhlgang  zu  beschleunigen. 

Nach  meiner  Überzeugung  ist  Mergal  den  anderen  bisher  bekannten 
internen  Antilueticis  vorzuziehen,  weil  es  stets  den  Magen  schont, 
nur  selten  und  vorübergehend  den  Darm  reizt,  eine  ausgezeichnete  Wirk¬ 
samkeit  aufweist  und,  was  nicht  ohne  Bedeutung  ist,  besser  als  jedes 
andere  Präparat  eine  diskrete  Kur  gestattet. 

Fasse  ich  das  Gesagte  zusammen,  so  gelange  ich  zu  folgenden 
Schlüssen : 

1.  Mergal  ist  in  allen  Fällen  angezeigt,  wo  eine  Injektionskur, 
welche  meines  Erachtens  stets  die  sicherste  und  beste  ist,  aus  beson¬ 
deren  Gründen  nicht  durchführbar  ist. 

2.  es  wird  vom  Magen  und  Darmkanal  gut  vertragen, 

3.  die  Resorption  des  Quecksilbers  im  Mergal  ist  eine  gleich¬ 
mäßige  und  rasche, 

4.  die  Mergalkur  ist  einfach,  bequem,  angenehm  und  überall 
diskret  durchführbar ;  dabei  nicht  teurer  als  eine  andere  Kur. 


Breslauer  Brief. 

Von  Dr.  Ascher. 

Am  17.  Dezember  fand  hier  der  37.  Schlesisch e  Bädertag  statt. 

Lachmann,  Landeck  sprach  über  „Heilwirkungen  der  Radium- 
Emanation  und  die  Radioaktivität  der  schlesischen  Heil¬ 
quellen.“ 

Von  den  schlesischen  Bädern  besitzen  die  Quellen  von  Landeck 
und  Flinsberg  eine  hohe  Radioaktivität,  die  fast  der  stärksten  Gasteiner 
Quelle  an  Emanationsgehalt  sich  nähert.  Veranlaßt  durch  die  Rede  des 
Brunnendirektors  Dr.  Büttner,  Salzbrunn  beschließt  der  37.  schlesische 
Bädertag  eine  Eingabe  an  die  Behörde  zu  machen,  um  eine  Konzessions¬ 
pflicht  für  Kurorte  zu  erlangen,  damit  den  spekulativen  Interessen 
Einzelner  bei  neuen  Bädergründungen  kein  Vorschub  geleistet  wird. 
Dr.  Winkler,  Charlottenbrunn  empfahl  in  einem  Vortrage  „Über 
Inhalationen  und  deren  Anwendung“  das  Körting’sche  System  der 
Trockeninhalation. 


Breslauer  Brief. 


813 


Dr.  Determeyer,  Salzbrunn  schlug  vor,  öffentlich  in  den  Prospekten 
vor  eingreifenden  Kuren  ohne  Verordnung  des  Arztes  zu  warnen. 

Nach  Erledigung  einiger  geschäftlicher  Angelegenheiten  wurde  der 
37.  schlesische  Bädertag  geschlossen. 

In  der  Schlesischen  Gesellschaft  für  vaterländische  Kultur 
waren  folgende  2  Vorträge  angemeldet. 

1.  Kaposi  über  „2  Fälle  von  Knochenzysten  mit  Demon¬ 
strationen.“ 

2.  Most  über  „Die  Verhütung  und  Behandlung  der  Hals- 
drüsentub  erkulose. 

1.  Kaposi  stellte  ein  15jähriges  Mädchen  vor,  welches  vor  l1/2  Jahren 
plötzlich  niederstürzte  und  den  Oberschenkel  brach.  Es  trat  Heilung 
ein.  Vor  :3/4  Jahren  frakturierte  der  Oberschenkel  an  derselben  Stelle. 
Die  Röntgenuntersuchung  zeigte,  daß  das  ganze  obere  Drittel  bis  in  die 
Trochanteren  hinein  ein  großer  Hohlraum  war.  Es  wurde  eine  Knochen¬ 
plastik  mit  Einlage  eines  Elfenbeinstiftes  gemacht.  Der  Knochen  wurde 
vom  Periost  aus  neu  gebildet.  Später  wurde  der  Elfenbeinstift  entfernt, 
worauf  normale  Heilung  eintrat.  Das  Bein  blieb  nur  4  cm  verkürzt. 

Der  zweite  Fall  betraf  einen  Jungen  von  9  Jahren,  der  auf  den 
rechten  Ellenbogen  gestürzt  war.  Die  Röntgenuntersuchung  deutete  auf 
eine  Zyste  im  Oberarm.  Bei  passiver  Behandlung  trat  nach  kurzer  Zeit 
Besserung  ein.  Eine  Operation  war  nicht  nötig.  Es  handelte  sich  in 
beiden  Fällen  um  Osteodystrophia  cystica  nach  v.  Mikulicz. 

In  der  Diskussion  berichtete  Tietze  über  analoge  Fälle,  deren 
Krankheitsbild  ganz  verschieden  gedeutet  wurde.  Man  sprach  die  Krank¬ 
heit  zuerst  für  eine  sarkomatöse  Veränderung  an,  dann  dachte  man  an 
die  erweichten  Chondrome  nach  der  Virchow’schen  Theorie.  Mikulicz- 
Gottstein  waren  die  ersten,  die  einen  entzündlichen  Prozeß  bei  der 
Affektion  annahmen.  T.  selbst  sah  einen  Fall,  wo  die  Erkrankung  von 
der  Kortikalis  ausging  (Ostitis  fibrosa).  Die  Benutzung  des  Elfenbein¬ 
stiftes  zur  Richtungsangabe  für  den  neuwachsenden  Knochen  bezeichnete 
er  als  einen  großen  Fortschritt.  Gottstein  erwähnte  einen  Fall  über 
den  er  bereits  vor  6  Jahren  berichtet  hatte,  und  den  er  lange  Zeit  hin¬ 
durch  beobachtete.  Hier  hatte  Mikulicz  nicht  reseziert,  sondern  aus¬ 
geräumt  und  mit  Jodoform  gefüllt.  Bei  einem  anderen  Falle  wurde 
keine  Zyste  gefunden,  sondern  Granulationen.  Damals  wurde  zuerst  von 
Mikulicz  auf  die  entzündliche  Ätiologie  der  Affektion  hingewiesen. 
Das  Röntgenbild  kann  zu  Irrtümern  Anlaß  geben,  nur  die  klinische 
Beobachtung  läßt  die  sichere  Diagnose  stellen. 

Coenen  riet,  die  mikroskopische  Untersuchung  in  diesen  Fällen  für 
nicht  ganz  beweiskräftig  anzusehen. 

2.  Most.  „Über  die  Verhütung  und  Behandlung  der  Hals¬ 
drüsen  tuberkulöse. 

M.  besprach  den  Infektionsweg  der  Tuberkulose, 

1.  den  hämatogenen, 

2.  den  aszendierenden  vom  Thorax  herauf  durch  die  Lymphbahnen, 

3.  den  deszendierenden  Weg. 

Der  Letztere  wurde  von  ihm  als  der  häufigste  angesprochen.  Der 
Primäreffekt  ist  zum  größten  Teile  am  Übergang  der  äußeren  Haut  zu 
den  Schleimhäuten  wie  Mund,  Nase,  Augen  zu  finden.  Am  häufigsten 
sieht  man  ihn  im  Rachen.  Der  lymphatische  Ring,  der  sonst  ein  aus¬ 
gezeichneter  Schutz  bei  Infektion  ist,  versagt  bei  hoher  Virulenz  der 


314 


S.  Leo, 


Bazillen.  Geschwollene  und  kryptenhaltige  Gaumenmandeln  leisten  der 
Infektion  Vorschub.  M.  untersuchte  60  Fälle.  Aus  der  Lage  der 
affizierten  Drüsen  glaubt  er  einen  Anhaltspunkt  für  defi  Entstehungsort 
finden  zu  können. 

Der  Infektionsweg  von  der  seitlichen  Rachenwand  und  von  der 
Tonsille  aus  überwog  in  großem  Maßstabe.  Es  ist  ein  Unterschied 
zwischen  dem  bovilen  Typus  und  dem  humanen  zu  machen.  Durch  den 
ersteren  sind  Kinder  bei  ungenügender  Milchkontrolle  sehr  gefährdet. 
Ekzeme  und  Entzündungen,  die  auf  den  eingedrungenen  Tuberkelbazillus 
zurückzuführen  sind,  bedürfen  energischer  Behandlung.  Bei  manifester 
Drüsentuberkulo^e  empfahl  M.  roborierende  und  resorbierende  Diät. 
Bleibt  der  Erfolg  aus,  so  ist  die  Radikaloperation  mit  systematischer 
Absuchung  und  Exstirpation  aller  affizierten  Drüsen  am  Platze.  M.  er¬ 
zielte  mit  dieser  Methode  gute  Erfolge,  aber  keine  Dauerresultate. 

Boeninghaus  wies  darauf  hin,  daß  bei  Nasen-  und  Kehlkopf¬ 
tuberkulose  eine  gleichzeitige  Drüsenaffektion  zu  den  Seltenheiten  gehört. 
Ebenso  ist  bei  affizierten  Drüsen  selten  der  Primärherd  zu  entdecken. 
Es  wird  wohl  2  Arten  von  Tuberkulose  geben,  die  eine  ruft  lokale  Ent¬ 
zündungen  hervor,  die  andere  dringt  leicht  ein  und  führt  zu  Drüsen¬ 
affektionen. 

Rosenfeld  äußerte  sich  dahingehend,  daß  vielleicht  der  bovile 
Typus  auf  eine  Weise,  der  humane  Typus  anders  reagiert.  Most 
verneinte  das  Letztere.  Er  gab  aber  die  Möglichkeit  einer  Prädisposition 
für  eine  Lokalisierung  der  Tuberkulose  bei  Erwachsenen  wegen  enger 
Lymphspalten  zu,  bei  Kindern  tritt  die  Drüsentuberkulose  in  den 
Vordergrund. 


Wiener  Brief. 

Ein  Sammelbericht.  —  Von  Dr.  S.  Leo. 

(Schluß.) 

Julius  Tandler  und  Otto  Zuckerkandl  sprachen  zur  Ana¬ 
tomie  und  Ätiologie  bei  Prostatahypertrophie:  die  in  vielen  Fällen 
von  Prostatahypertrophie  vorkommende  Erweiterung  der  oberen  Harn- 
wege  hat  ihre  Ursache  nicht,  wie  dies  allgemein  angenommen  wird,  in 
der  vesikalen  Harnstauung,  sondern  in  einer  Strikturierung  des  Ureters 
durch  das  Vas  deferens,  welche  durch  die  veränderte  Topographie  dieser 
beiden  Gebilde  herbeigeführt  wird.  Bei  der  Hypertrophie  des  Lobus 
medius  prostat.  kommt  es  zur  Hochlagerung  des  Trigonum  vesicale,  ohne 
daß  die  Eintrittstelle  des  Vas  deferens  in  die  Prostata  an  diesem  Ver¬ 
schiebungsprozesse  gleichmäßig  beteiligt  wäre.  Das  Blasenende  der  Harn¬ 
leiter  wird  hierdurch  gehoben,  während  das  Endstück  des  Vas  deferens 
in  situ  bleibt.  Es  kommt  daher  zur  Schlingenbildung  resp.  zur  Knickung 
des  Ureters  an  seiner  Kreuzungsstelle  mit  dem  Vas  deferens.  Durch  die 
Breitenausdehnung  der  Blase,  wie  sie  bei  alten  Leuten  physiologischer¬ 
weise  schon  vorhanden  ist,  bei  Prostatikern  noch  in  gesteigertem  Maße 
beobachtet  wird,  wird  das  Vas  deferens  in  seiner  Lage  fixiert  und  kann 
daher  dem  Zuge  des  Ureters  nicht  folgen.  Die  Abknickungsstelle  und 
damit  die  Länge  des  normalen  Ureterstückes  ist  variabel  nach  gegebenen 
Eigentümlichkeiten  des  speziellen  Falles.  Vom  klinischen  Standpunkt 
fügt  Zuckerkandl  hinzu,  daß  aus  diesen  Beobachtungen  zunächst  her¬ 
vorgeht,  daß  die  renale  Harnstauung  bei  Prostatahypertrophie  nicht  durch 


Wiener  Brief. 


315 


die  Blasendistention  bedingt  wird.  Die  renale  Harnstauung  beginnt  jen¬ 
seits  der  Blase,  dort  wo  der  Harnleiter  vom  Vas  deferens  gekreuzt 
und  komprimiert  wird.  Es  kann  bei  geringfügiger  Harnretention  in  der 
Blase  die  renale  Harnstauung  hochgradig  sein  und  umgekehrt.  Die 
Neigung  der  oberen  Harnwege  eitrig  infiziert  zu  werden,  ist  bekannt. 
Allgemein  wird  die  Kongestion  als  das  die  Infektion  begünstigende 
Moment  bezeichnet.  Mit  Unrecht,  denn  auch  bei  Hydronephrosen  aus 
anderen  Ursachen  sind  nicht  die  Zirkulationsverhältnisse,  sondern  die  Ver¬ 
änderungen  des  Harns  und  die  Harnstagnation,  welche  das  Organ  zur 
Infektion  praedisponieren.  Ist  ein  Infektionskeim  vorhanden,  so  ist  die 
Situation  beim  Prostatiker  fast  dieselbe,  als  wenn  wir  im  Experiment 
nach  Einverleibung  eines  Eitererregers  in  die  Blutbahn  den  Ureter  unter¬ 
binden.  Auch  braucht  die  Infektion  der  oberen  Harnwege  nicht  immer 
ascendiert  zu  sein.  Es  kann  sich  ereignen,  daß  die  oberen  Harnwege 
allein  hämatogen  infiziert  sind,  wenn  die  Blase  noch  aseptisch  ist  oder 
mit  dem  Katheter  infiziert  wird.  Die  Infektionen  von  Blase  und  Niere 
brauchen  beim  Prostatiker  weder  ihrer  Entstehungsweise  noch  ihrer  Inten¬ 
sität  nach  übereinzustimmen.  Wir  können  klinisch  die  renale  Harnstauung 
nicht  nachweisen,  wir  können  sie  nur  aus  den  Symptomen  erschließen. 
Sie  wird  dort  vorhanden  sein,  wo  bei  starker  Vergrößerung  der  Prostata 
und  unbedeutender  vesikaler  Harnretention  neben  Polyurie  die  Zeichen 
der  Insuffizienz  bestehen.  Ferner  weisen  ziehende  Schmerzen,  Ureter¬ 
koliken  im  Krankheitsbilde  der  Prostatahypertrophie  auf  die  Ureterkom¬ 
pression  hin,  ebenso  schubweise  Entleerungen  des  Eiters  in  infizierten 
Fällen.  Was  die  Therapie  anbelangt,  so  wäre  die  Durchschneidung 
des  Vas  deferens  in  bestimmten  Fällen  vielleicht  geeignet,  mit  der  Er¬ 
leichterung  des  Harnablaufes  aus  den  Nieren  schwere  Symptome  im 
Krankheitsbilde  zu  beseitigen. 

In  der  „Gesellschaft  für  innere  Medizin“  sprach  Romeo  Monti 
über  Modifikationen  der  Hautreaktion  bei  Tuberkulose:  Bei 
der  Überprüfung  der  v.  Pi rque  Eschen  Reaktion  hat  man  gefunden, 
daß  die  Skarifikationen  der  Haut  für  das  Zustandekommen  der  Reaktion 
nicht  unbedingt  notwendig  sind  und  daß  es  möglich  ist,  auch  ohne  Ver¬ 
letzung  der  obersten  Hautschichten  durch  bloßes  Aufträgen  des  Toxins 
auf  die  Haut  charakteristische  Hautreakionen  hervorzurufen.  Lignieres 
hat  durch  Einreiben  der  rasierten  Haut  mit  Tuberkulin  bei  tuberkulösen 
Tieren  konstant  eine  spezifische  Reaktion  in  Form  lupusartiger  Haut¬ 
veränderungen  hervorgerufen,  Lautier  hat  in  ähnlicher  Weise  durch  48- 
stündige  Einwirkung  einer  1  °/0  Tuberkulinlösung  auf  die  Haut  bei  tuber¬ 
kulösen  Individuen  eine  Reaktion  in  Form  bläschenförmiger  Efflores- 
zenzen  erhalten.  Diese  Reaktion  hat  gegenüber  der  kutanen  Reaktion 
den  Nachteil,  daß  ihr  Resultat  erst  nach  48  Stunden  manifest  wird  und 
sie  weniger  empfindlich  ist,  anderseits  aber  den  Vorteil,  daß  dabei  die 
Impfung  vermieden  wird.  Moro  erzielte  durch  Einreiben  der  Haut  mit 
einer  za.  50°/otigen  Tuberkulinsalbe  bei  skrofulösen  Kindern  eine  spezi¬ 
fische  Reaktion.  Monti  hat  an  500  Kindern  Nachuntersuchungen  ange¬ 
stellt  und  kommt  zu  folgendem  Resultat:  die  Salbenreaktion  nach  Moro 
ist  eine  spezifische,  weil  alle  Fälle,  die  perkutan  positiv  reagierten,  auch 
bei  der  kutanen  Impfung  ein  positives  Resultat  ergaben.  Die  perkutane 
Probe  ist  etwas  weniger  empfindlich  als  die  kutane  Impfung,  weil  sie 
bei  vorgeschrittenen  und  latenten  Tuberkulosen  früher  versagt  als  die 
v.  Pir que Esche  Reaktion.  M.  demonstriert  zum  Schlüsse  noch  die 
Au rikulo -Reaktion  nach  Tedeschi,  der  die  vordere  Fläche  der  Ohr- 


316 


S.  Leo,  Wiener  Brief. 


muschel  als  Injektionsstelle  wählt,  weil  er  meint,  daß  hier  das  Infiltrat 
deutlicher  zum  Vorschein  kommt  als  an  Hautstellen  mit  gut  entwickel¬ 
tem  Unterhautzellgewebe.  Diese  Reaktion,  im  Prinzipe  der  Stichreaktion 
nach  Hamburger  vollkommen  gleich,  hat  den  Nachteil,  daß  sie  wegen 
der  Entstellung,  die  sie  verursacht,  bei  ambulatorischen  Patienten  nicht 
gut  verwendbar  ist,  und  in  manchen  Fällen  eine  Schwellung  der  retro¬ 
aurikularen  Drüsen  hervorruft.  Monti  empfiehlt  die  kutane  Impfung 
als  bequemste  Probe  und  zur  Kontrolle  dieser  die  Stichreaktion.  Für 
Arzte  und  Patienten,  welche  die  Impfung  scheuen,  ist  die  Salbenreaktion 
nach  Moro  als  eine  vollkommen  unschuldige,  wenn  auch  weniger  genaue 
Probe  zu  empfehlen. 

Über  die  Schichtdauer  und  Sonntagsruhe  im  österreichi¬ 
schen  Bergwerke  wurden  vom  Ackerbauministerium  Erhebungen 
durchgeführt.  Über  Tag  und  in  der  Grube  waren  1907  zusammen  137,985 
Bergarbeiter  beschäftigt.  Von  diesen  waren  eingeteilt:  155  Arbeiter 
oder  0,ll°/o  in  Schichten  bis  sechs  Stunden,  23  Arbeiter  oder  0,02  °/0 
in  Schichten  über  sechs  bis  sieben  Stunden,  19,386  Arbeiter  oder 
19,05  °/0  in  Schichten  über  sieben  bis  acht  Stunden,  72,486  Arbeiter  oder 
92,53  °/0  in  Schichten  über  acht  bis  neun  Stunden,  7375  Arbeiter  oder 
5,34  °/0  in  Schichten  über  neun  bis  zehn  Stunden,  13,076  Arbeiter  oder 
5,48  °/0  in'  Schichten  über  zehn  bis  elf  Stunden,  29,924  Arbeiter  oder 
17,7  °/q  in  Schichten  über  elf  bis  zwölf  Stunden,  1060  Arbeiter  oder  0,77  °/0 
in  Schichten  über  zwölf  Stunden.  Dazu  wird  folgendes  bemerkt:  Bei  vielen 
Werken  ist  die  „Anstalt“  üblich,  welche  in  der  Regel  im  Vorlesen  und 
Beten,  mitunter  auch  in  der  Erteilung  und  Entgegennahme  von  Arbeits¬ 
anweisungen  zur  oder  nach  der  Arbeit  besteht.  Außerdem  werden  häufig 
auch  noch  andere  Vorrichtungen  (Ausfassen  und  Rückgabe  der  Gruben¬ 
lampen,  der  Sprengmittel,  des  Gezähes  oder  sonstigen  Materials,  Zurich¬ 
ten  und  Einlasssen  von  Zimmerungsholz)  von  den  Arbeitern  außerhalb 
der  Schichtzeit,  beziehungsweise  vor  der  Einfahrt  in  die  Grube  oder 
nach  der  Ausfahrt  aus  derselben  gefordert.  Die  vom  Ackerbauministerium 
durchgeführten  Erhebungungen,  .welche  815  Bergbaubetriebe  umfaßten, 
haben  in  dieser  Hinsicht  folgendes  ergeben:  die  „Anstalt“  ist  bei  319  Be¬ 
trieben  üblich.  Die  durch  dieselbe  in  Anspruch  genommene  Zeit  beträgt 
einige  Minuten  bis  zu  einer  halben  Stunde,  in  der  Regel  nicht  über 
15  Minuten  und  wird  bei  198  Betrieben  den  Arbeitern  in  die  Schicht 
eingerechnet.  Sonstige  Verrichtungen  außer  der  Schichtzeit,  beziehungs¬ 
weise  vor  der  Einfahrt  und  nach  der  Ausfahrt  werden  bei  185  Betrieben 
von  den  Arbeitern  gefordert.  Die  von  denselben  in  Anspruch  genommene 
Zeit  beträgt  in  der  Regel  nur  wenige  Minuten,  seltener  eine  Viertel¬ 
stunde  oder  länger  und  wird  bei  102  Betrieben  den  Arbeitern  ganz  oder 
teilweise  in  die  Schichtdauer  eingerechnet.  Ferner  wurden  die  Durch¬ 
schnittsleistungen  der  Grubenarbeiter  beim  Kohlenbergbau  Österreichs  in 
den  Jahren  1901  und  1903  bis  1907  als  nach  der  Aktivierung  der 
neunstündigen  Schichtdauer  beim  Kohlenbergbau  in  der  Grube 
im  Jahre  1903  festgestellt.  Nach  dieser  Zusammenstellung  war  die  Durch¬ 
schnittsleistung  eines  Grubenarbeiters  in  der  Schicht  in  den  Jahren  1903 
bis  1907  bei  137  (45,36  °/0)  Werken  höher  und  bei  49  (16,23  °/0)  Werken 
niedriger  als  im  Jahre  1901,  während  116  (38,91  °/0)  Werk  ein  derselben  Zeit 
abwechselnd  eine  Zu-  und  Abnahme  der  Leistungen  gegenüber  jener  des 
Jahres  1901  aufgewiesen  haben.  Zusammenfassend  läßt  sich  sagen,  daß 
es  sich  nur  schwer  beurteilen  läßt,  inwiefern  bei  jedem  einzelnen  Werke 
die  Wirkungen  des  Neustundengesetzes  zum  Ausdrucke  kommen,  fest 


Referate  und  Besprechungen. 


317 


steht  aber,  daß  mit  dem  Inkrafttreten  des  Neunstundentages  eine  strammere 
Organisation  des  ganzen  Betriebes  und  eine  vielseitigere  Verwendung 
von  maschinellen  Einrichtungen  beim  Kohlenbergbau  Platz  gegriffen  hat, 
worauf  wohl  auch  bei  einer  Reihe  von  Bergbauen  die  Steigerung  der 
Leistungen  zurückzuführen  ist. 

Jedenfalls  sind  die  Erfahrungen  mit  dem  Neunstundentag  im  Kohlen¬ 
bergbau  in  Österreich  so  günstige,  daß  das  Deutsche  Reich  nicht 
länger  zögern  sollte,  ihn  ebenfalls  einzuführen. 

Wie  ich  in  diesen  Blättern  seinerzeit  berichtete,  hat  die  Regierung 
außerdem  eine  Enquete  einberufen  über  Bergbaufragen.  Von  besonderer 
Wichtigkeit  war  die  Frage,  die  sich  auf  die  Wirkungen  der  im  Jahre 
1903  verfügten  Verkürzung  der  Schichtdauer  auf  neun  Stunden  beim 
Kohlenbergbau  bezog.  Die  Werkbesitzer  der  Steinkohlenreviere  haben 
ziffernmäßig  nachgewiesen,  daß  die  Leistungen  des  einzelnen  Häuers 
infolge  der  Schichtverkürzung  ungefähr  proportional  zurückgegangen  ist. 
Von  seiten  der  Arbeitervertreter  wurde  aber  geltend  gemacht,  daß  sich 
aus  den  offiziellen  Produktionsweisen  das  Gegenteil  berechnen  lasse, 
daß  die  Produktion  gestiegen  sei  (s.  o.).  Sie  stellten  daher  die  Forderung 
auf  Einführung  der  Achtstundenschicht  auf.  Betreffs  der  Regulierung 
der  Löhne  ergab  sich,  daß  in  den  Braunkohlenrevieren  Böhmens  die 
wöchentliche  Lohnzahlung  bereits  eingeführt  ist,  ihre  Durchführung  aber 
in  den  Steinkohlenrevieren  Mährens  und  Schlesiens  vermöge  der  Geding- 
verhältnisse,  sowie  im  Erzbergbau  Steiermarks  als  unmöglich  erklärt  wurde. 
Die  Arbeiter  hielten  die  Forderung  der  gesetzlichen  Einführung  wöchent¬ 
licher  Lohnzahlungen  aufrecht,  während  die  Unternehmungen  nur  wöchent¬ 
liche  Abschlagszahlungen  auf  den  verdienten  Lohn  zugestehen  wollen. 
Es  ist  selbstverständlich,  daß  in  diesen  Fragen  des  sozialen  Fortschrittes 
die  Gegensätze  der  Arbeitgeber  und  Arbeitnehmer  aufeinanderprallen. 
Sache  der  Regierung  und  des  Parlamentes  ist  es,  hier  ausgleichend  ein¬ 
zugreifen. 


Referate  und  Besprechungen. 

Gynäkologie  und  Geburtshilfe. 

Alte  und  neue  Geburtshilfe  (Klinischer  Vortrag). 

(H.  Fritsch.  Deutsche  med.  Wochenschr.,  Nr.  33,  1908.) 

Mit  zwei  Regeln  hat  die  neuere  Geburtshilfe  gebrochen:  1.  daß  hei 
engem  Muttermund  stets  abzuwarten  sei,  2.  daß  das  enge  Becken  ein  ge¬ 
gebener  Faktor  sei. 

Während  für  langsame  Erweiterung  die  Metreuryse  genügt,  hat  die 
schnelle  Erweiterung  in  dem  Dührssen’schen  vaginalen  Kaiserschnitt  mit 
Bumm’scher  Technik  zu  bestehen.  Bei  dieser  Methode  bildet  den  Anfang 
eine  große  Scheidendamminzision,  gewöhnlich  der  Schuchard  t’sche  Schnitt 
genannt.  Dieser  Schnitt  muß  so  groß  sein,  daß  nunmehr  nach  Einsetzen  des 
hinteren  Spekulums  die  vordere  Vaginalfläche  nach  Herabziehen  der  Portio 
dem  Auge  und  dem  Messer  so  zugänglich  ist,  wie  die  Dammwunde.  Ohne 
diesen  Schnitt  ist  die  Operation  bei  einer  Primipara  überhaupt  schlechter¬ 
dings  unmöglich.  Das  Blut,  was  man  aus  dem  Schnitt  verliert,  spart  man 
reichlich  dadurch,  daß  nun  die  Operation  an  der  vorderen  Vaginalwand 
viel  leichter,  schneller  und  sicherer  gemacht  werden  kann.  Nach  Unter- 


318 


Referate  und  Besprechungen. 


bindung  der  spritzenden  Gefäße  wird  die  vordere  Vaginalwand  sagittal 
durchtrennt  (manche  Operateure,  so  auch  Fritsch,  setzen  noch  einen  Quer¬ 
schnitt  darauf)  und  zwar  wird  der  Schnitt  bis  zum  Harnröhrenwulst  ver¬ 
längert.  Sodann  wird  die  Blase  abgeschoben,  was  bei  Tiefstand  des  Kopfes 
öfter  etwas  schwierig  ist.  Nun  wird  die  Zervix  selbst  sagittal  mit  der 
Schere  durchtrennt.  Man  setzt  in  das  Ende  des  Schnittes  die  Colli n’sche 
Zange  immer  höher  ein  und  schneidet  weiter  bis  an  die  Anheftestelle  des 
Peritoneums.  Jetzt  ist  der  Eingang  zum  Uterus  frei,  das  Kind  wird  extrahiert, 
wozu  F.  die  Wendung  und  Extraktion  bevorzugt.  Zum  Schluß  werden  sämt¬ 
liche  W unden  exakt  vernäht.  Diese  Operation  ist  schneller,  leichter  und 
ungefährlicher  als  die  Erweiterung  mit  dem  Bossi’schen  Instrument,  von 
dem  F.  wohl  nicht  mit  Unrecht  annimmt,  daß  es  samt  seinen  zahlreichen 
Modifikationen  bald  nur  noch  historische  Bedeutung  haben  wird. 

Der  vaginale  Kaiserschnitt  soll  nun  heutzutage  die  Operation  der 
Wahl  resp.  das  Normalverfahren  bei  der  Eklampsie  sein  und  zwar  bei  jedem 
Fall  von  Eklampsie,  schwerem  wie  leichtem.  Denn  wir  können  nie  wissen, 
ob  nicht  ein  anfänglich  leichter  Fall  sehr  bald  schwer  wird.  Ferner  steht 
es  fest,  daß  die  Prognose  um  so  besser  ist,  je  zeitiger  die  entbindende  Operation 
gemacht  wurde.  Man  muß  deshalb  nach  F.’s  Ansicht  eine  prinzipielle  Stellung 
zu  der  Frage  einnehmen :  entweder  gar  nicht  operieren  oder  sofort  nach 
dem  ersten  Anfall.  Spätes  Operieren  kann  nur  die  neue  Methode  diskredi¬ 
tieren.  Wartet  man  längere  Zeit  ab,  dann  kann  schon  Leber  und  Gehirn 
derartig  verändert  sein,  daß  eine  Heilung,  wie  die  Sektion  ja  oft  nachweist, 
überhaupt  unmöglich  ist.  Etwas  anders  ist  der  Wert  der  Nierendekapsu- 
lation  zu  beurteilen.  Sie  gleichzeitig  mit  dem  vaginalen  Kaiserschnitt  zu 
machen,  wäre  sicher  falsch.  Aber  wenn  nach  acht  Stunden  kein  Urin  vor¬ 
handen  ist,  so  wird  bei  Fortbestehen  des  Koma  die  Prognose  so  ernst,  daß 
jeder  Weg  zur  Bettung  des  Lebens  beschritten  werden  darf  und  muß.  Der 
Eingriff  ist  an  sich  klein.  Eine  Luxation  der  Nieren  ist  gar  nicht  er¬ 
forderlich.  Sowie  man  die  dunkle  Niere  in  dem  hellen  Fett  erblickt,  macht 
man  mit  dem  Messer  in  die  Kapsel  einen  kleinen  Einschnitt  von  1/2  cm. 
Aus  diesem  Loch  spritzt  bei  starker  Schwellung  der  Nieren  das  dunkle 
Blut  förmlich  heraus.  In  dieses  Loch  führt  man  nun  das  Scherenblatt 
ein  und  schneidet  nach  beiden  Seiten  hin  die  Kapsel  bis  an  die  Enden  der 
Niere  durch.  Die  Kapsel  klafft,  man  schiebt  sie  leicht  mit  dem  Finger 
über  die  Niere  weg.  Nach  Austupfen  des  Blutes  wird  die  Hautwunde  bis 
auf  ein  kleines  Loch  für  den  Drainagestreifen  vernäht.  Bisher  wurde  nach 
der  Dekapsulation  jedesmal  die  Diurese  reichlich.  Ob  aber  die  Prognose 
der  Eklampsie  selbst  wirklich  gebessert  wird,  muß  sich  erst  zeigen.  — 

Was  das  andere  alte  Dogma  anlangt,  so  ist  es  durch  die  Hebosteotomie 
beseitigt.  F.  empfiehlt  die  Technik  nach  D öderlein  wegen  der  dabei  mit 
Sicherheit  zu  vermeidenden  Blasenverletzungen.  Er  fragt  mit  Recht,  warum 
wir  uns  gerade  hier  vor  der  Anlegung  einer  kleinen  Wunde  scheuen  sollen. 
F.  würde  sich  sogar  nicht  scheuen,  bei  einer  fiebernden  Kreißenden  die  Heb¬ 
osteotomie  zu  machen,  da  man  ja  die  Wunden  für  die  Säge  isoliert  asep¬ 
tisch  machen  kann.  Sehr  mit  Unrecht  wird  aber  von  den  Modernisten 
unter  den  Geburtshelfern  die  künstliche  Frühgeburt  verworfen.  Sie  ist  und 
bleibt  eine  humane  Operation,  die  weiter  geübt  und  gelehrt  werden  muß. 
Macht  man  sie  mit  dem  Metreurynter  und  beendet  die  Geburt,  sobald  der 
Muttermund  genügend  erweitert  ist,  sind  die  Resultate  gut. 

Soll  man  nun  die  modernen  Operationen,  vaginaler  Kaiserschnitt  und 
Hebosteotomie,  für  die  Hauspraxis  empfehlen  ?  Darauf  antwortet  F.  be¬ 
stimmt  mit:  nein.  Wir  kommen  eben  nicht  darum  herum,  daß  es  heute 
eine  Geburtshilfe  der  Klinik  und  eine  solche  des  Hauses  gibt,  oder  anders 
ausgedrückt,  wie  in  der  Chirurgie  schon  immer,  so  gibt  es  jetzt  auch  in 
der  Geburtshilfe  Operationen,  welche  äußere  Anforderungen  stellen,  denen 
nur  in  der  Klinik  bezw.  im  Krankenhaus  entsprochen  werden  kann.  An  sich 
ist  das  also  kein  Novum.  F.  erinnert  dabei  noch  an  etwas  anderes:  außerhalb 
der  Gebärhäuser  hat  die  Sterblichkeit  an  Kindbettfieber  viel  weniger  abge- 


Referate  und  Besprechungen. 


319 


nommen,  als  in  den  Gebärhäusern.  „Wenn  es  heute,  was  ja  unmöglich  ist, 
gesetzlich  befohlen  würde,  daß  alle  Gebärende  in  Gebärhäusern  niederkämen, 
daß  außerhalb  der  Gebärhäuser  überhaupt  nicht  geboren  werden  dürfte,  so 
würden  jährlich  Hunderte  von  Kindern  und  Frauen  am  Leben  erhalten 
werden!  Es  ist  nur  eine  Forderung  der  Logik  und  der  Humanität,  wenigstens 
die  schweren  Fälle,  wo  große  Operationen  gemacht  werden  müssen,  in 
die  Gebärhäuser  zu  schicken.  Die  Kollegen  müssen  nach  dem  Grundsatz 
handeln:  Gebet  den  Kliniken,  was  der  Klinik  ist!  Ist  es  sicher,  daß  die 
Prognose  dieser  schwierigen  Fälle  in  den  Gebärhäusern  besser  ist  als  in  der 
Privatpraxis,  so  soll  auch  der  Arzt  diese  Fälle  dem  Krankenhause  überweisen, 
und  zwar  nicht  erst,  nachdem  allerhand  Versuche  der  Entbindung  gemacht 
sind,  sondern  sofort,  unangerührt,  a  priori.  —  Die  praktischen  Ärzte  werden 
nicht  geschädigt.  Die  operativen  Fälle,  bei  denen  Schnittoperationen  ge¬ 
macht  werden  müssen,  sind  ja  so  selten,  daß  sie  immer  Ausnahmefälle 
bleiben,  die  einem  Praktiker  nicht  einmjal  in  jedem  Jahre  Vorkommen.“ 

R.  Klien  (Leipzig). 


Zur  Aetiologie  der  Schaumorgane. 

(Dr.  Ghon  u.  Dr.  Sachs.  Zentralbl.  für  Bakt.,  Bd.  48,  H.  4,  1908.) 

Die  Obduktion  einer  nach  einem  Partus  verstorbenen  Person  ergab  neben 
diphtheritischer  Endometritis,  verruköser  Endokarditis,  ein  Emphysem  des 
retroperitonealen  und  retromediastinalen  Bindegewebes,  Schaumleber  und 
Schaummilz.  Im  Lebersaft  wurde  ein  ungleichgroßes  gerades  oder  leicht 
gekrümmtes  Stäbchen  gefunden.  In  den  anaeroben  Kulturen  wuchs  ein  dem 
eben  genannten  sowohl  morphologisch  wie  auch  färberisch  gleicher  Bazillus ; 
in  Schnittpräparaten  fand  sich  der  gleiche  Bazillus.  In  Traubenzucker-, 
Stärke-  und  Neutralrotagar  sahen  Verf.  auch  Stäbchen  mit  keulenartigen 
und  spitzen  Anschwellungen ;  öfters  fand  man  mehrere  derartige  Anschwel¬ 
lungen  hintereinanderliegend.  In  jungen.  Kulturen  zeigten  sich  schrauben¬ 
förmig  gekrümmte  Formen.  Der  junge  Bazillus  ist  gram  positiv.  In  älteren 
Formen  treten  infolge  der  Degenerationsformen  des  Bazillus  verschiedenfarbige 
Bilder  auf.  Die  Stäbchen  bilden  mittelständige  und  endogene  Sporen.  Der 
Bazillus  ist  beweglich,  hat  zahlreiche  peritrische  Geißeln.  Bei  ausbleibender 
Sporenbildung  geht  der  Bazillus  recht  bald  hin.  Weiße  Mäuse  reagieren  auf 
intraperitoneale  und  subkutane  Injektion  nicht.  Meerschweinchen  haben  erst 
nach  Injektionen  größerer  Mengen  an  der  Injektionsstelle  Infiltrate,  die 
Gasknistern  nachweisen  ließen. 

Erzeugung  von  Schaumorganen  gelang  mit  dem  Bazillus  bei  Kaninchen 
leicht.  Verschiedene  kulturelle  Merkmale  unterscheiden  den  gefundenen  Bazil¬ 
lus  von  den  bisher  beschriebenen.  Jedenfalls  bestätigt  die  mitgeteilte  Be¬ 
obachtung,  daß  für  die  Ätiologie  der  menschlichen  Schaumorgane  noch  andere 
Bazillen  in  Betracht  kommen.  Schürmann  (Düsseldorf). 


Herzkranke  und  Schwangerschaft. 

(Gönnet  u.  Froment.  Rev.  de  möd.,  Nr.  12,  S.  1026 — 1040,  1908.) 

Die  meisten  Herzbeschwerden  während  der  Gravidität  rühren  von  einem 
Neuaufflackern  endokarditischer  Prozesse  her.  Ist  die  erste  Affektion  aus¬ 
geheilt,  dann  wird  jede  Schwangerschaft  gut  ertragen;  aber  dieses  muß 
erst  festgestellt  werden,  ehe  man  als  Arzt  die  rigorose  Forderung  M.  Peter’s: 
einem  herzkranken  Mädchen  ist  von  der  Ehe,  einer  herzkranken  Frau  von 
der  Schwangerschaft  abzuraten,  fallen  läßt. 

Genaueste  Thermometrie  gibt  Aufschluß  über  das  eventuelle  Vorhanden¬ 
sein  noch  nicht  ausgeheilter  endokarditischer  Herde.  Buttersack  (Berlin). 


320 


Referate  und  Besprechungen. 


Konzeption,  Menstruation  und  Schwangerschaftsberechnung. 

(Dr.  Hans  Bab.  Deutsche  med.  Wochenschr.,  Nr.  33,  1908.) 

B.  hatte  Gelegenheit  drei  junge  Aborteier,  resp.  deren  Embryonen  zu 
untersuchen,  von  deren  Müttern  die  Menstruations  Verhältnisse  und  der  Kon¬ 
zeptionstermin  genau  bekannt  waren.  B.  kommt  auf  Grund  seiner  ausführlich 
mitgeteilten  Untersuchung  zu  folgenden  Ergebnissen:  Die  Sigismund- 
Löwenhardt’sche  Regel,  daß  das  befruchtete  Ei  der  ersten  ausgebliebenen 
Periode  angehört  und  daß  die  Menstruation  den  Abort  eines  unbefruchtet  ge¬ 
bliebenen  Eies  bedeutet,  hat  wahrscheinlich  allgemeine  Gültigkeit.  Es  müßte 
erst  durch  detaillierte  Einzelbeobachtungen  bewiesen  werden,  daß  Ausnahmen 
von  dieser  Regel  Vorkommen;  das  ist  bis  jetzt  nicht  der  Fall.  Täuschungen 
durch  Schwangerschaftsregeln  und  Abortblutungen  müssen  ausz aschließen 
sein.  Die  Ovulation  und  die  darauffolgende  Imprägnation  gehen  dem  Termin 
der  ersten  ausgebliebenen  Regel  wohl  meist  um  einige  Tage  vorauf,  was 
B.  Leopold  und  Veit  gegenüber  besonders  betont.  Die  Spermatozoen  können 
im  weiblichen  Genitale,  speziell  den  Tuben  von  einer  Menstruation  zur  an¬ 
deren  fortleben  und  befruchtungsfähig  bleiben.  Infolgedessen  kann  eine  be¬ 
fruchtende  Kohabitation  an.  jedem  beliebigen  Termin  stattfinden!  Für  das 
Vordringen  der  Spermatozoen  im  Uterus  ist  jedoch  im  allgemeinen  nur  die 
postmenstruelle  Zeit  günstig,  weil  später  die  geschwellte  und  stark  sezer- 
nierende  Uterusschleimhaut  hinderlich  ist.  Um  eine  Schwangerschafts-Zeitbe¬ 
stimmung  auszuführen,  sind  möglichst  folgende  Punkte  zu  eruieren :  Men¬ 
struationstypus,  Beginn  der  letzten  und  vorletzten  Regel  und  Art  des  Ver¬ 
laufs  derselben,  Datum  der  Kohabitationen  zwischen  letzter  Regel  und  Termin 
der  ersten  ausgebliebenen  Regel,  Datum  des  Beginns  subjektiver  Schwanger- 
schaftssymptome.  Bei  regelmäßigem  Menstruationstypus  erhält  man  den  wahr¬ 
scheinlichen  Imprägnationstermin  durch  Plinzuzählen  des  gewöhnlichen  Men¬ 
struationsintervalls  minus  drei  Tagen  zum  Anfangsdatum  der  letzten  Periode. 
Bei  unregelmäßigem  Typus  läßt  die  Berechnung  nach  dem  Anfangsdatum 
der  letzten  Periode  im  Stich,  da  die  Fehlergrenze  Wochen  und  sogar  Monate 
umfassen  kann.  R.  Klien  (Leipzig). 


Aus  der  Universitäts-Frauenklinik  in  Königsberg  i.  Pr. 

Spontane  Uterusruptur  im  Beginn  der  Geburt. 

(Dr.  H.  Gans.  Deutsche  med.  Wochenschr.,  Nr.  28,  1908.) 

Bei  einer  33jährigen  Frau  war  gelegentlich'  einer  Kürettage  nach 
Abort  die  Uteruswand  perforiert  worden.  In  der  darauffolgenden  Schwanger¬ 
schaft  traten  starke  LTnterleibsschmerzen  auf,  in  der  Eröffnungsperiode  platzte 
der  Uterus  vom  Fundus  bis  zum  inneren  Muttermund.  Für  die  Schmerzen 
sowohl  wie  für  den  Korpusriß  ist  —  nach  Ausschluß  der  sonst  in  Frage 
kommenden  Ursachen  —  die  nach  der  Perforation  entstandene  Narbe  ver¬ 
antwortlich  zu  machen.  Der  seltene  Fall  zeigt,  wie  gefährlich  Narben  der 
Gebärmutter  nach  früheren  Verletzungen  werden  können,  und  weist  darauf 
hin,  daß  eine  genaue  Beobachtung  während  der  Schwangerschaft  und  Geburt 
nach  einer  Perforation  dringend  erforderlich  ist.  Die  Frau  wurde  supra- 
vaginal  amputiert  und  genas.  R.  Klien  (Leipzig). 


Hebosteotomie  und  künstliche  Frühgeburt. 

(A.  Schlaf li.  Korrespondenzbl.  für  Schweizer  Ärzte,  Nr.  24,  1908.) 

Schläfli  kommt  auf  Grund  einer  Statistik  über  664  Fälle  von  Heb¬ 
osteotomie  (Hebotomie)  zu  einem  für  diese  vernichtenden  Urteil,  besonders 
wegen  gefährlicher  Nebenverletzungen,  Gehstörung  und  Inkontinenz.  Die 
Mortalität  der  Mütter  ist  gegen  5%,  die  der  Kinder  gegen  10%,  erstere  um 
das  mehrfache  höher,  letztere  allerdings  erheblich  geringer  als  bei  der  künst¬ 
lichen  Frühgeburt.  Sehr  mit  Recht  hebt  er  hervor,  daß  die  auf  geburts¬ 
hilflichen  Kliniken  grassierende  Überschätzung  des  kindlichen  Lebens  im 


Referate  und  Besprechungen. 


821 


Y ergleich  mit  dem  mütterlichen  allein  erklärt,  daß  die  Hebotomie  noch  so  häufig 
ausgeführt  wird,  ,,sie  ist  und  darf  nur  eine  Notoperation  sein,  um  ausnahms¬ 
weise,  nach  Versagen  aller  anderen  Mittel  —  hohe  Zange  — ,  die  Opferung 
des  Kindes  zu  umgehen,  sofern  die  Mutter  mit  dem  Eingriff  einverstanden 
ist,  dessen  Gefährlichkeit  ihr  nicht  verschleiert  werden  darf,  wie  das  viel¬ 
fach  geschieht  und  seihst  verlangt  worden  ist' 8  Außerdem  kann  sie  nur 
auf  der  Klinik  ausgeführt  werden,  da  den  möglichen  Komplikationen  im 
Privathaus  nicht  begegnet  werden  kann.  P.  von  den  Velden. 


Über  beckenerweiternde  Operationen  und  Behandlung  der  Geburten  bei 

Beckenverengerungen  überhaupt. 

(P.  Müller,  Bern.  Korrespondenzbl.  für  Schweizer  Ärzte,  Nr.  1,  1909.) 

In  ähnlichem  Sinne  wie  Schläfli  (s.  das  vorhergehende  Referat)  erhebt 
Peter  Müller  seine  gewichtige  Stimme.  Er  kommt  in  seiner  Klinik  praktisch 
ohne  die  beckenerweiternden  Operationen  aus  und  hat  dabei  sehr  gute  Re¬ 
sultate  für  die  Mütter,  während  allerdings  25%  der  Kinder  bei  Becken¬ 
anomalien  zugrunde  gehen.  Den  Kaiserschnitt  hält  er  sowohl  für  Mutter 
wie  Kind  für  ebenso  günstig  als  die  Hebotomie,  während  er  bei  den  ganz 
engen  Becken  überhaupt  allein  in  Betracht  kommt.  Auch  der  Erühgeburt 
läßt  M.  ihr  Recht,  wenn  auch  nicht  in  so  entschiedener  Weise  wie  Schläfli-, 
und  bei  Mehrgebärenden  mit  schweren  Geburten  hält  er  (sehr  mit  Recht, 
Ref.)  den  Abort  für  berechtigt.  Er  betrachtet  die  Geburt  vom  Standpunkte 
des  Geburtshelfers  im  Gegensatz  zu  dem  des  Chirurgen  und  macht  das 
bemerkenswerte  Geständnis,  ,,daß  in  fast  allen  Fällen,  auch  wenn  Störungen 
von  seiten  des  Beckens  hinzutreten,  die  Geburt  am  häufigsten  durch  die 
Naturkräfte  allein  beendigt  wird  und  nur  in  selteneren  Fällen  die  Hilfe 
des  Arztes  nötig  ist“.  Die  junge  Generation  wird  geneigt  sein,  ihn  deshalb 
für  einen  Reaktionär  zu  erklären,  er  dürfte  aber  doch  auf  die  Dauer  Recht 
behalten.  F.  von  den  Velden. 


Pubotomie  bei  mäßig  verengtem  Becken. 

(W.  Sigwart,  Berlin.  Zentralbl.  für  Gyn.,  Nr.  48,  1908.) 

Seilheim  hat  1905  folgenden  Fall  beschrieben:  VIII  p. ;  7  spont.  Ge¬ 
burten.  Conj.  vera  10,5  cm.  Trotz  12stündigen  Kreißen  tritt  der  Kopf  nicht 
tiefer.  Bei  der  Vorbereitung  zur  Pubotomie  tritt  eine  Uterusruptur  ein. 
Laparotomie.  Heilung.  Kind  57  cm  lang,  3740  g  schwer;  frontooccipaler 
Umfang  36  cm. 

Einen  ähnlichen  Fall  sah  Verf. :  27  j.  III  p. ;  Rachitica.  Erstes  Kind 
perforiert.  Zweites  Kind  nach  Frühgeburt  gestorben.  Conj.  vera  9  cm. 
78  Stunden  nach  dem  Blasensprung  trotz  starker  Wehen  kein  Tiefertreten 
des  in  rechter  Hinterhauptslage  liegenden  Kindes.  Abgang  von  Mecoricum. 
Linksseitige  Pubotomie.  Heilung  ohne  Störung.  Kind  lebend  4200  g  schwer. 
Umfang  des  Kopfes:  fr.  o.  40,  Bip.  113/4.  Schädel  steinhart  mit  starker 
Kopfgeschwulst. 

Auf  Grund  dieser  Beobachtungen  betont  Verf.  die  Bedeutung  der  Pubo¬ 
tomie  beim  mäßig  verengten  Becken.  Sie  hat  jedoch  vor  den  „nicht  mehr 
gebräuchlichen  Aushilfsoperationen“,  wie  der  „prophylaktischen  Wendung“, 
den  großen  Vorzug,  daß  die  Frau  erst  zu  einer  Zeit  operativ  entbunden  wird, 
zu  der  wir  sicher  sind,  daß  die  natürlichen  Kräfte  zur  Geburt  nicht  aus¬ 
reichen. 

Dieser  Empfehlung  gegenüber  muß  daran  erinnert  werden,  daß  diese 
Maximen  nur  für  den  Spezialisten  und  für  ihn  im  allgemeinen  auch  nur  für 
die  in  der  Klinik  geübte  Geburtshilfe  in  Frage  kommt  und  daß  die  Erfolge 
mit  der  doch  wohl  noch  nicht  völlig  zu  verwerfenden  prophylaktischen  Wen¬ 
dung,  wenigstens  beim  rhachitisch  platten  Becken,  recht  befriedigende  sind. 
(Ref.)  F.  Kayser  (Köln). 


21 


322 


Referate  und  Besprechungen. 


Aus  der  Universitäts-Frauenklinik  in  Freiburg  i.  Br. 

Schmerzlose  Entbindungen  im  Dämmerschlaf. 

(Prof.  B.  Krönig.  Deutsche  med.  Wochenschr.,  Nr.  23,  1908.) 

K.  bespricht  die  an  seiner  Klinik  bekanntlich  ausgearbeiteten  Methoden 
—  bislang  an  1500  Fällen  erprobt  — ,  betont  aber  selbst,  daß  die  Anwendung 
des  Morphium-Skopolamin-Dämmerschlafes  eine  fortgesetzte  sachverständige 
Überwachung  der  Kreißenden  voraussetze,  wie  sie  weder  der  praktische  Arzt 
noch  auch  sehr  große  Kliniken  mit  relativ  beschränktem  Sanitätspersonal  zu 
leisten  vermögen.  R.  Klien  (Leipzig). 


Die  Wertigkeit  des  Skopolamin-Morphiums  in  der  Gynäkologie. 

(E.  Boesch,  Basel.  Zentralbl.  für  Gyn.,  Nr.  49,  1908.) 

Gegenüber  der  ablehnenden  Haltung  der  Marburger  Klinik  tritt  Verf. 
auf  Grund  der  Erfahrungen  der  Baseler  Klinik  mit  Wärme  für  die  Skopolamin- 
Morphium  narkose  bei  gynäkologischen  Operationen  ein. 

Am  Abend  vor  der  Operation  erhalten  die  Patienten  1  g  Veronal;  eine 
Stunde  vor  dem  Eingriff  eine  einmalige  Dose  von  Scopolamin.  hydrobrom. 
0,0005,  Morph,  hydrochl.  0,015  (stets  frische  Lösung!).  Es  gelang  stets  durch 
Chloroform-Äther-Sauerstoff  den  Dämmerschlaf  in  das  Stadium  der  tiefen 
Narkose  überzuführen.  Bei  etwa  2000  Fällen  wurden  von  Skopolamin-Mor¬ 
phium  keinerlei  bedrohliche  Erscheinungen  gesehen.  In  den  Fällen,  in  denen 
keine  größeren  Operationen  in  der  Narkose  ausgeführt  wurden  (Narkose  zwecks 
genauerer  Untersuchung  u.  ä.),  wurde  eine  wesentliche  Veränderung  von 
Temperatur  und  Puls  nicht  beobachtet.  Stets  trat  die  gleiche  wohltätige 
Wirkung  in  Erscheinung:  Verringerung  der  Aufregung  vor  der  Operation, 
des  ersten  Wundschmerzes;  weniger  quälendes  Erbrechen;  Herabsetzung  der 
Gefahr  postoperativer  Pneumonien,  die  überhaupt  nur  in  0,7%  der  Fälle 
beobachtet  wurden.  — 

Die  Mitteilungen  bringen  für  den  Chirurgen,  der  nach  den  Kümmell- 
schen  Mitteilungen  wohl  schon  längst  von  der  Skopolamin-Morphiumnarkose' 
mit  bestem  Erfolg  allgemeineren  Gebrauch  machte,  nichts  Neues.  Ref.  er¬ 
innert  insbesondere  an  die  sehr  günstigen  Erfahrungen,  über  welche 
Neuber-Iviel  auf  dem  Chirurgenkongreß  berichtete.  Seine  Beobachtungen 
erstrecken  sich  auf  550  Fälle.  Er  hat  Erbrechen  während  der  Operation 
in  2%,  nach  der  Operation  —  aber  nur  vorübergehend  —  in  30%  beobachtet 
und  keinen  Fall  von  postoperativer  Pneumonie  gesehen.  Dabei  hat  er,  aller¬ 
dings  meist  bei  nachfolgendem  Gebrauch  des  Schleich’schen  Gemenges, 
nach  der  Korff’schen  Vorschrift  je  21/2,  IV2  und  V2  Stunde  vor  der  Operation 
folgende  Dosen  gegeben  —  0,004  Scopol,  -j-  0,01  Morph.  —  also  im  einzelnen 
Fall  0,0124  Skopolamin  (!).  *F.  Kayser  (Köln). 


Über  die  primären  Operationsresultate  und  die  Dauerfolge  nach  80  ab¬ 
dominalen  Totalexstirpationen  des  myomatösen  Uterus. 

(M.  Walthard.  Korrespondenzbl.  für  Schweizer  Ärzte,  Nr.  23,  1908.) 

Walthard’s  Resultate  sind  sehr  gut,  nur  ein  Todesfall  auf  80  Ope¬ 
rationen.  Daß  ihm  postoperativer  Ileus  nicht  vorkommt,  schreibt  er  der 
retroperitonealen  Versenkung  der  Ligaturen  und  dem  Abschluß  der  Bauch¬ 
höhle  gegen  die  Vagina  durch  seroseröse  Naht  zu.  Im  Gegensatz  zur  Enu¬ 
kleation  der  Myome  und  zur  supravaginälen  Amputation  hat  er  nie  ein 
Myom  rezidiv  erlebt,  dagegen  zwei  Sarkomrezidive.  Auch  deshalb  bevorzugt 
er  die  Totalexstirpation,  weil  sie  von  Komplikationen  weniger  abhängig  ist; 
die  Enukleation  interstitieller  Myome  und  die  Amputation  führt  er  nur 
aus,  wo  Erhaltung  der  Konzeptionsfähigkeit  oder  der  Menstruation  ge¬ 
wünscht  wird. 

Blutungen  hält  W.  erst  dann  für  eine  Indikation  zum  Operieren, 
wenn  der  Hämoglobingehalt  auf  50 — 60%  gesunken  ist.  Nur  wegen  Schmerzen 


Referate  und  Besprechungen. 


323 


hat  er  bloß  in  sechs  Fällen  operiert,  und  nur  in  vier  vollkommene  Besserung 
erzielt.  Sind  die  Beschwerden  ausschließlich  nervöser  Art,  so  vermeidet 
er  gern  die  Operation,  da  zwar  eine  Besserung  meist  eintritt,  auf  völlige 
Beseitigung  der  Beschwerden  aber  nicht  gerechnet  werden  kann.  Er  macht 
die  sehr  richtige  Bemerkung,  daß  bei  auf  die  Genitalien  bezogenen  ner¬ 
vösen  Störungen  in  weit  mehr  als  der  Hälfte  der  Fälle  der  Genitalbefund 
völlig  normal  sei,  wo  dann  natürlich  ein  ,so  roher  Eingriff,  wie  die  Ent¬ 
fernung  der  Genitalien,  nichts  helfen  kann.  Die  sogenannten  Ausfallserschei¬ 
nungen  betrachtet  er  kritisch  und  ist  überzeugt,  daß  sie  meist  schon  vor 
der  Operation  bestanden  haben,  höchstens  werden  ihre  Einzelheiten  dadurch 
verändert.  Nur  wer  vor  der  Operation  nervöse  Beschwerden  hatte,  hat  solche 
nachher,  freilich  oft  in  etwas  anderer  Form.  Die  Belassung  von  ein  bis 
zwei  Ovarien  und  das  Alter  der  Patienten  spiele  dabei  keine  Bolle.  Auch 
dies  ist  ihm  ein  Grund,  die  Totalexstirpation  den  konservativeren  Operationen 
vorzuziehen.  F.  von  den  Velden. 


Ovarialkarzinom  bei  Karzinom  des  Uterus. 

(Dr.  Heinrich  Offergeld.  Würzburger  Abhandl.  aus  der  Gesamtgeb.  der  prakt. 

•  Medizin,  H.  12,  Bd.  8,  1908.) 

G.  hat  111  Fälle  aus  der  Literatur  kritisch  bearbeitet  und  kommt  zu 
folgenden  Ergebnissen:  bei  gleichzeitigem  Vorkommen  von  Uterus-  und  Ovarial¬ 
karzinom  ist  für  gewöhnlich  das  Uteruskarzinom  das  primäre,  und  zwar 
hat  sich  dasselbe  entweder  auf  dem  Wege  der  Kontinuität  oder  auf  dem 
Lymphwege  weiter  verbreitet.  Der  Weg  durch  das  offene  Tubenlumen  ist 
ebenso  wenig  bewiesen  wie  der  hämatogene.  Gleichzeitige  Ovarialkarzinome 
finden  sich  häufiger  bei  Korpuskarzinom  als  bei  Kollumkarzinom.  Weder 
Zeitdifferenz  zwischen  Auftreten  des  primären  und  sekundären  Herdes,  noch 
Unterschiede  in  der  histologischen  Struktur  sprechen  zugunsten  multipler 
Primärtumoren.  Therapeutisch  kommt  0.  zu  dem  Schluß,  auch  bei  Korpus¬ 
karzinom  die  Ovarien  mit  zu  entfernen,  und  zwar  möglichst  per  laparotomiam 
zu  operieren,  eventuell  der  Drüsen  wegen.  Die  Adenokarzinome  sind  hin¬ 
sichtlich  der  Metastasenbildung  ebenso  maligne  wie  die  medullären  Karzi¬ 
nome.  In  der  Metastase  können  weitgehende  Veränderungen  des  Zellcharakters 
zum  A.usdruck  kommen.  R.  Klien  (Leipzig). 


Aus  dem  gewerkschaftlichen  Krankenhause  in  Orlau. 

Zur  Frage  der  prophylaktischen  Appendikektomie  und  der  systematischen 
Untersuchung  der  Gallenblase  bei  gynäkologischen  Laparotomien. 

(Dr.  Jos.  Gobiet.  Gyn.  Rundschau,  H.  18,  1908.) 

Stehen  heute  schon  viele  Operateure  auf  dem  Standpunkt,  gelegentlich 
gynäkologischer  Laparotomien  die  Appendix  zu  kontrollieren,  so  mehren  sich 
die  Stimmen,  welche  eine  Entfernung  derselben  prinzipiell  verlangen,  sowie 
eine  genaue  Palpation  der  Gallenblase,  da  diese  ja  bekanntlich  beim  weib¬ 
lichen  Geschlecht  so  häufig  erkrankt  ist.  Auf  den  ersteren  Standpunkt 
ist  auch  G.  gedrängt  worden  und  zwar  durch  zwei  sehr  interessante  Beobach¬ 
tungen,  Im  ersten  Fall  bildete  sich  drei  Wochen  nach  der  Entfernung 
von  eitrigen  Adnexen  inkl.  Uterus  eine  schwere  sog.  Appendicitis  plastica 
aus,  die  eine  zweite  Laparotomie  nötig  machte.  In  dem  anderen  Fall  han¬ 
delte  es  sich  um  eine  Tuberkulose  der  inneren  Genitalien,  bei  deren  Operation 
die  makroskopisch  ganz  gesunde  Appendix  mit  entfernt  wurde :  sie  bot  nach 
dem  Aufschneiden  und  histologisch  das  typische  Bild  der  Schleimhauttuber¬ 
kulose.  Dieser  Frau  war  eine  zweite  Laparotomie  erspart.  Interessant  war 
in  dem  ersten  Fall  noch  die  Art  der  Operation :  da  die  Appendix,  zu  der 
zu  gelangen,  bereits  äußerst  schwer  gewesen  war,  in  ihrer  ganzen  Aus¬ 
dehnung  fest  mit  dem  Cöcum  verwachsen  war,  so  machte  G.  nur  eine  In¬ 
zision,  zog  von  dieser  aus  die  gesamte  Schleimhaut  wie  einen  Sack 

21* 


324 


Referate  und  Besprechungen. 


heraus  und  exstirpierte  denselben  nach  Abbindung  an  seiner  Basis ;  Drainage, 
Heilung.  Übrigens  haben  die  histologischen  Untersuchungen  verschiedener 
Autoren  ergeben,  daß  der  Wurmfortsatz  bei  wegen  gynäkologischer  Leiden 
Operierten  in  50 — 60%  erkrankt  war. 

Ähnlich  wie  mit  dem  Wurmfortsatz  verhält  es  sich  mit  der  Gallenblase. 

Zur  Illustration,  wie  nötig  eine  Abtastung  der  Gallenblase  gelegentlich 
der  Laparotomie  bei  der  Frau  sein  kann,  fuhrt  G.  vier  sehr  instruktive 
Fälle  an.  Bei  der  ersten  Patientin  wurden  Magenbeschwerden  auf  die  Er¬ 
krankung  des  Genitales  bezogen  und  die  Patientin  deshalb  mehrfachen  gynä¬ 
kologischen  Eingriffen  unterworfen,  ohne  daß  die  Magenbeschwerden  gebessert 
werden  waren  Man  dachte  dann  an  Hysteroneurasthenie.  Endlich  wurde 
bei  einer  neuerlich  vorgenommenen  Laparotomie  die  Gallenblase  abgetastet, 
sie  enthielt  40  Steine;  der  Schnitt  wurde  verlängert,  die  Gallenblase  exstir- 
piert,  sämtliche  Beschwerden  blieben  fort.  Bei  der  zweiten  und  dritten 
Patientin  fehlten  ebenfalls  charakteristische  Symptome  für  eine  Gallenblasen¬ 
erkrankung,  man  machte  eine  gynäkologische  Laparotomie,  deckte  dabei  durch 
Palpation  Erkrankungen  der  Gallenblase  auf;  Exstirpation  der  Blase  brachte 
Heilung.  Der  vierte  Fall  beweist  die  Berechtigung  der  Forderung  Landaus, 
die  vaginalen  Operationen  zugunsten  der  Laparotomie  einzuschränken.  Die 
Beschwerden  der  Pat.  fanden  durch  den  Befund  einer  Wanderniere  und  ein 
gleichzeitiges  Genitalleiden  anscheinend  genügende  Erklärung.  In  der  Rekon¬ 
valeszenz  von  der  Nephropexie  und  Kolpotomie  kam  es  zu  einer  Perforation 
der  steinhaltigen  Gallenblase,  durch  welche  die  Pat.  in  die  höchste  Lebens¬ 
gefahr  kam.  Eine  nunmehr  vorgenommene  Laparotomie  schaffte  Heilung, 
obwohl  dieselbe  bei  bereits  beginnender  Peritonitis  vorgenommen  wurde. 

Auf  Grund  eigener  und  fremder  Erfahrung  fordert  G.  prinzipielle 
Exstirpation  des  Wurmfortsatzes  und  Abtastung  der  Gallenblase  bei  jeder 
Laparotomie.  Bei  pathologischem  Befunde  ist  auch  die  Gallenblase  zu  exstir- 
pieren.  Die  subperitoneale  Methode  nach  Witzei  gestattet  dies  in  kürzester 
Zeit.  Der  ursprüngliche  Schnitt  wird  entweder  verlängert  oder  ein  neuer 
angelegt.  Manche  „Hysterika“  wird  auf  diese  Weise  geheilt  werden. 

R.  Klien  (Leipzig). 


Ein  Fall  von  doppelseitiger  sekundärer  Erkrankung  der  Bartholin’schen 

Drüse  an  Karzinom. 

(Dr.  Schlüter,  Stettin.  Zentralbl.  für  Gyn.,  Nr.  50,  1908.) 

49 j.  anämische  Patientin  mit  kastaniengroßen  Geschwülsten  am  unteren 
Teil  beider  großen  Labien,  welche  sich  nach  der  Exstirpation  als  Karzinome  er¬ 
wiesen.  Da  das  Curettement  des  Uterus  krümelige  Massen  ergibt,  wird  die  vagi¬ 
nale  Totalexstirpation  des  vergrößerten  höckerigen  Uterus' vorgenommen,  dessen 
mikroskopische  Untersuchung  gleichfalls  Drüsenkarzinom  ergibt.  Ungestörte 
Rekonvaleszenz;  Tod  nach  1/2  Jahr  in  der  Heimat  an  unbekannter  Ursache. 
Offenbar  handelt  es  sich  in  dem  Fall  um  einen  durch  Überimpfung  des 
karzinomatösen  Sekrets  entstandenen  Drüsenkrebs.  Das  primäre  Karzinom 
der  Bartholin’schen  Drüse  ist  an  sich  sehr  selten.  Die  Beobachtung  ge¬ 
winnt  durch  den  Entstehungsmodus  durch  Überimpfung  —  in  dieser  Beziehung 
stellt  sie  ein  Unikum  dar  —  sowie  durch  die  Tatsache  der  Doppelseitigkeit 
besonderes  Interesse.  F.  Kayser  (Köln). 


Soli  man  bei  akuter  diffuser  Peritonitis  des  Weibes  vaginal  oder  supra- 

pubisch  drainieren? 

(Dr.  G.  R.  Gurr  an,  Mankato,  Minnesota.  The  St.  Paul  med.  journ.,  Septbr.  1908.) 

C.  hatte  sich  in  seiner  Praxis  überzeugt,  daß  bei  akuter  diffuser, 
durch  suprapubische  Inzision  als  solche  nachgewiesener  Peritonitis  des  Weibes 
die  vaginale  Drainage  vor  der  suprapubischen  nicht  nur  keine  Vorteile, 
sondern  oft  sogar  Nachteile  ihr  gegenüber  habe,  war  aber  erstaunt,  zu 


Referate  und  Besprechungen. 


825 


finden,  daß  die  Ansicht  von  der  Überlegenheit  der  vaginalen  Drainage  trotz¬ 
dem  unter  den  Chirurgen  sehr  verbreitet  war.  Infolgedessen  veranlaßte  er 
eine  Art  Enquete,  indem  er  einen  gleichlautenden  Brief  an  22  amerikanische 
Autoritäten  richtete,  in  dem  er  diese  bat,  sich  zu  der  Erage  zu  äußern. 
Der  Brief  lautete:  „Bitte  um  Ihre  Ansicht  über  den  Vorteil  bezw.  Nachteil 
der  Vaginal-  gegenüber  der  suprapubischen  Drainage  bei  akuter  profuser 
Eiterung  der  Abdominalhöhle,  das  heißt,  halten  Sie,  wenn  Sie  das  Abdomen 
geöffnet  haben  und  eine  akute  diffuse  Peritonitis  ohne  Vorwölbung  des 
Cul-de-sac  finden,  die  Vaginaldrainage  für  besser  als  die  Drainage  durch 
die  Bauchwunde?“  Es  gingen  17  Antworten  ein,  die  im  Wortlaut  mit¬ 
geteilt  werden.  Für  suprapubische  Drainage  sprechen  sich  neun  aus,  die 
von  Deaver-Philadelphia,  R.  T.  Moore- New- York,  Fi  nney -Baltimore, 
Murphy-Chicago,  May o-Rochester ,  Maclaren-St.  Paul,  Richardson- 
Boston,  O viatt-Oshkosh,  Mac- Arthur-Chicago,  für  vaginale  Roswell 
Pack-New-York,  vorausgesetzt,  daß  der  Drain  groß  genug  genommen  wird. 
Beide  Methoden,  je  nachdem,  wenden  an  Ochsn  er  und  Webs  ter- Chicago, 
Evans-la  Crosse.  Die  übrigen  Antworten  nehmen  nicht  direkt  Stellung 
zu  der  Frage.  Peltzer. 


Endometritis  chronica  und  Abrasio  mucosae. 

(Dr.  Ludwig  Herzl.  Gyn.  Rundschau,  Nr.  17,  1908.) 

H.  warnt  wieder  einmal  dringendst  vor  der  Behandlung,  richtiger  ge¬ 
sagt,  Mißhandlung  des  „Fluors“,  der  chronischen  katarrhalischen  Endometritis, 
mittels  Kürettage.  Es  ist  zu  bedauern,  daß  der  Artikel  in  einem  gynäko¬ 
logischen  Fachblatt  erschienen  ist;  der  Fachgynäkologe  hat  schon  längst 
aufgehört,  bei  Fluor  zu  kürettieren,  die  praktischen  Ärzte  huldigen  aber 
leider  noch  in  ausgedehnter  Weise  diesem  „leichten  und  sicheren“  Eingriff. 
Leider  ist  auch  heute  noch  keine  Methode  erfunden,  die  nach  ein-  oder  zwei¬ 
maliger  Anwendung  eine  jahrelang  bestehende  Metro-Endometritis  heilt;  auch 
heute  noch  gehört  Geduld,  oft  über  Monate,  dazu,  eine  chronische  Endo¬ 
metritis  zu  heilen ;  neben  lokaler  Behandlung  ist  auch  die  Allgemeinbehand¬ 
lung  zu  berücksichtigen.  R.  Klien  (Leipzig). 


Aus  der  inneren  Abteilung  des  Krankenhauses  Bethanien  in  Berlin. 

Über  Pyelitis  bei  Frauen  und  ihre  Beziehungen  zur  Menstruation. 

(Dr.  E.  Scheidemandel.  Deutsche  med.  Wochenschr.,  Nr.  31,  1908.) 

Die  primäre  selbständige  Pyelitis  gehört,  wie  Lenhartz  u.  a.  gezeigt 
haben,  durchaus  nicht  zu  den  Seltenheiten,  wie  weite  ärztliche  Kreise  noch 
heute  annehmen.  Hinter  mancher  operierten  „einfachen  Appendizitis“  bei 
Frauen  mag  in  Wahrheit  eine  rechtsseitige  Pyelitis  gesteckt  haben.  Die 
Erkrankung  beginnt  meist  plötzlich  mit  hohem  Fieber,  Erbrechen.  Leib-, 
Magen-  und  Rückenschmerzen  können  vorhergegangen  sein,  letztere  weiter¬ 
bestehen.  Schmerzen  in  der  Lendennierengegend  sind  ziemlich  eindeutig,  aber 
nicht  immer  vorhanden.  Blasenbeschwerden  fehlen  meist.  Objektiv  besteht 
Druckschmerzhaftigkeit  der  erkrankten  Niere  besonders  von  hinten,  die  oft  nur 
vorübergehend  ist,  im  Gegensatz  zu  anderen  entzündlichen  Erkrankungen 
in  dieser  Gegend.  Nicht  immer,  aber  öfter  ist  die  betr.  Niere  vergrößert. 
Der  Ur  in  ist  trübe,  zeigt  oft  rein  eitrigen  Bodensatz  (Tagesurin  sammeln!). 
Mikroskopisch  finden  sich  fast  ausschließlich  Leukozyten,  oft  verzerrt  und 
mit  Fettröpfchen  und  Bakterien  angefüllt.  Epithelien  des  Nierenbeckens 
sind  sehr  selten,  Blasenepithelien  finden  sich  nur  bei  gleichzzeitiger  Zystitis. 
Der  Eitergehalt  des  Urins  ist  sehr  wechselnd,  entsprechend  wechselt  der 
Eiweißgehalt,  von  der  Trübung  anfangend  bis  zu  l°/oo  Ersbach.  Bakterio¬ 
logisch  findet  sich  in  der  Regel  das  Bacterium  coli;  hier  und  da  der 
Milchsäurebazillus,  Proteus,  Paratyphusbazillus,  Pneumobazillus  Fried¬ 
länder.  —  Der  KrankheitsvelTauf  kann  sich  verschieden  gestalten.  Der 


326 


Referate  und  Besprechungen. 


erste  Fieberanfall  zeigt  meist  die  Kurve  einer  Kontinua,  ähnlich  wie  bei 
kruppöser  Pneumonie;  nach  fünf  bis  sechs  Tagen  ist  die  Temperatur  auf 
der  Norm.  Regelmäßig  tritt  nach  einigen  fieberfreien  Tagen  eine  ähnliche, 
gewöhnlich  kürzere  Temperatursteigerung  ein;  es  ist  die  andere  Niere  er¬ 
krankt.  Dieses  Spiel  kann  sich  noch  mehrmals  wiederholen.  —  Ätiologisch 
scheint  der  aufsteigenden  Koliinfektion,  vom  Anus  her,  die  Hauptrolle  zuzu¬ 
fallen;  dafür  spricht  die  vorwiegende  Beteiligung  des  weiblichen  Geschlechtes. 
—  Differential diagnos tisch  kommen  in  Betracht:  rechtsseitige  Appen¬ 
dizitis  und  Peritonitis.  Bei  genauer  Untersuchung  findet  man  aber  gewöhn¬ 
lich  die  erkrankte  Niere  und  zwar  von  hinten  druckempfindlicher  als  bei 
der  Palpation  von  vorn.  Betreffs  der  Zystitis  gilt  der  oben  skizzierte  Urin¬ 
befund,  sodann  der  zystoskopische.  Von  anderen  Erkrankungen,  mit  denen 
die  Pyelitis  schon  verwechselt  worden  ist,  sind  zu  nennen :  Influenza,  rheu¬ 
matisches  und  gastrisches  Fieber,  „zentrale“  Pneumonie,  Nephritis,  Lumbago, 
Ischias,  Gallensteinkoliken,  Adnexerkrankungen.  —  Die  Prognose  ist  günstig. 
Nur  sehr  schwere  Fälle  verliefen  tödlich.  —  Therapeutisch  reiche  man 
Wildunger  Wasser  oder  Lindenblütentee,  täglich  dreimal  einen  halben  Liter. 
Es  können  so  auch  kindskopfgroße  Anschwellungen  des  Nierenbeckens  spontan 
zurückgehen,  besonders  bei  gleichzeitiger  Wärmebehandlung.  Bei  lithogenem 
Verschluß  muß  natürlich  die  Operation  erwogen  werden.  —  Bemerkenswert  ist 
der  oft  prämenstruelle  Beginn  der  Pyelitis  resp.  ihrer  Relapse. 

R.  Klien  (Leipzig). 


Kinderheilkunde  und  Säuglingsernährung. 

Die  gewohnheitsmäßigen  Schulschwänzer  und  Vagabunden  im  Kindesalter. 

(Moses.  Umschau,  Nr.  32,  S.  634,  8.  August  1908.) 

Die  Grundlagen  des  Hanges  zum  Schulschwänzen  und  Vagabundieren 
sind  teils  sozialer,  teils  individueller  Natur.  Die  ärztliche  Untersuchung 
der  kindlichen  Vagabunden  ergibt  bei  vielen  die  Zeichen  einer  schweren 
erblichen  Belastung.  Der  Hang  zum  Vagabundieren  ist  häufig  eine  Er- 
scheinungs-  und  Äußerungsform  der  Degeneration.  Diese  Degeneration  offen¬ 
bart  sich  entweder  durch  einen  starken  egoistischen,  antisozialen  Trieb, 
oder  es  sind  Hemmungen  auf  dem  Gebiete  der  intellektuellen  Entwicklung 
vorhanden,  oder  endlich  krankhafte  Veranlagungen  manifester  Art. 

Wie  bei  erwachsenen  Landstreichern  ist  auch  bei  den  kindlichen  Vaga¬ 
bunden  der  Anteil  des  Schwachsinns  besonders  groß.  Bei  einer  anderen 
Kategorie  tritt  die  Vagabundage  gern  in  Form  von  Anfällen,  sog.  Fugues 
auf,  die  sich  als  eine  krankhafte  Reaktion  auf  Verstimmungen  erweisen  und 
mit  allerlei  körperlichen  Begleiterscheinungen  kombinieren,  eventuell  kann 
der  Wandertrieb  auch  eine  Äußerungsform  oder  Folgeerscheinung  einer  epi¬ 
leptischen  Veranlagung  sein.  Andere  Gewohnheitsschwänzer  sind  hysterisch 
(pseudologia  Phantastica),  sie  scheuen  nicht  zurück  vor  den  falschen  An¬ 
schuldigungen  und  vor  den  abenteuerlichen  Erzählungen. 

Zurzeit  der  Geschlechtsreife  komplizieren  sich  die  Erscheinungsformen 
unter  dem  Einflüsse  der  anderweitigen  Gestaltung  der  Lebensverhältnisse, 
wie  innerer  organischer  Ursachen.  Die  Psyche  befindet  sich  in  einem  Span¬ 
nungszustand,  der  zur  Entladung  drängt,  die  sich,  wie  in  allerlei  Jugend¬ 
streichen  oder  in  unsittlichen  und  kriminellen  Handlungen,  auch  in  der  Vaga¬ 
bundage  manifestieren  kann. 

Die  Maßregeln  im  Kampfe  gegen  das  Übel  müssen  darin  bestehen, 
das  Kind  vor  dem  Verbrechen  und  vor  dem  Gefängnis  zu  schützen.  Ein 
umfassender  Kinder-  und  Jugendschutz  ist  notwendig;  besonders  erscheint 
der  Ausbau  der  an  die  Schulen  angegliederten  Wohlfahrtseinrichtungen,  Kin¬ 
derhorte,  Ferienhorte,  Ferienheime,  Schulspeisung  usw.  geboten.  Viel  gutes 
leisten  die  Hilfsklassen  für  Schwachbefähigte.  In  vielen  Fällen  kommt  die 
Unterbringung  des  Kindes  außerhalb  der  Familie  in  Betracht,  auf  Grund 
vorzüglichen  Eingreifens  der  Armenbehörde  oder  der  Vormundschaftsgerichte 


Referate  und  Besprechungen. 


327 


oder  des  Fürsorgeerziehungsgesetzes.  Leider  gelingt  es  selten,  ein  fürsorg' 
liehes  Erkenntnis  zu  erlangen,  bevor  die  Kinder  kriminell  geworden  sind. 

Für  die  zum  unstäten  Vagabundieren  neigenden  Kinder  kommt  schließe 
lieh  die  Unterbringung  auf  einem  Ausbildungsschiff  nach  dem  Muster  der 
Englischen  „Reformatory  ship“  in  Frage.  (Beispiellos  sind  die  glänzenden 
Erfolge,  welche  der  vor  kurzem  gestorbene  Dr.  Barnardo  auf  diesem  Ge¬ 
biete  in  seiner  langjährigen  Tätigkeit  erzielt  hat.  Die  meisten  Kinder 
werden  nachts  in  den  elendesten  Vierteln  Londons  auf  gegriffen,  in  den 
„Homes“  erzogen,  und  nach  dem  Schluß  der  Erziehung  nach  Kanada  emi¬ 
griert,  wo  sie  meist  Landwirte  werden.  Die  Erfolge  sind  einzig  in  ihrer  Art, 
die  Anzahl  der  nicht  geratenen  Fälle  eine  äußerst  geringe,  so  daß  sie  kaum 
in  Betracht  kommt.)  Ref.  möchte  die  Gelegenheit  benutzen,  um  auf  diese 
wunderbare  Rettungsarbeit  besonders  aufmerksam  zu  machen,  da  es  ihm 
bis  jetzt  nicht  auf  gef  allen  ist,  daß  derselben  bei  uns  in  Deutschland  die 
notwendige  Beachtung  geschenkt  worden  ist.  Ivoenig  (Dalldorf). 


(Aus  der  zweiten  medizinischen  Klinik  der  Charite  in  Berlin.  Direktor:  Geh.  Med.- 

Rat  Prof.  Dr.  Kraus.) 

Über  Behandlung  mit  Pyozyanase  bei  Diphtherie,  Scharlach  und  Anginen. 

(Dr.  Saar.  Deutsche  med.  Wochenschr.  Nr.  36,  1908.) 

Saar  wandte  die  Pyozyanase,  deren,  wirksames  Prinzip  nach  Raubit- 
schek  und  Ruß  in  einem  hitzebeständigen,  bakteriziden  Lipoid  besteht, 
täglich  3 — 4 mal  mittels  Zerstäuber  an.  Nach  10 maligen  Einstäuben  muß 
der  Pat.  ausspeien,  worauf  nochmals  gespritzt  und  dann  die  Pyocynase  im 
Rachen  belassen  wird.  Gleichzeitig  mit  der  Behandlung  stellte  er  Labora¬ 
toriums  versuche  an,  die  die  bakterizide,  aber  keine  diphtheriegiftbindende 
Eigenschaft  ergaben. 

Bei  14  Diphtheriekranken,  von  denen  3  außerdem  noch  mit  Heilserum 
und  5  !mit  Sol.  Hydrargyr.  cyanati  behandelt  wurden,  hatte  die  Pyocyanase 
sehr  zufriedenstellenden,  manchmal  geradezu  überraschenden  Erfolg.  Die 
Membranen  schmolzen  vom  Rande  her  ab,  zuweilen  lösten  sie  sich  auf  einmal 
von  der  sukkulent  aussehenden  Schleimhaut,  Auch  die  Diphtheriebazillen 
verschwanden  meist,  nur  in  2  Fällen  nicht,  wo  die  sehr  zerklüfteten  Ton¬ 
sillen  wohl  die  Schuld  haben  dürften. 

Bei  7  Scharlachfällen  konnten  die  Beläge,  in  denen  sich  Strepto-  und 
auch  Staphylokokken  fanden,  nach  3— 4 maliger  Behandlung  beseitigt  wer¬ 
den,  während  bei  einem  achten,  dessen  Beläge  von  Fränkel’schen  Diplococcus 
lanceolatus  herrührten,  keine  Besserung  erzielt  werden  konnte. 

3  Patienten  mit  Angina  Plaut -Vincenti  kamen  außerordentlich  rasch 
zur  Heilung,  desgleichen  14  Fälle  von  Angina. 

Saar  kommt  zu  dem  Schluß,  daß  die  Pyozyanase  für  Anginen  infolge 
von  Streptokokken,  Staphylokokken  und  Diphtheriebazillen  ein  ausgezeich¬ 
netes  lohnendes  Mittel  ist.  Wegen  der  ihr  fehlenden  diphtheriegiftbildenden 
Eigenschaft  muß  bei  Diphtherie  außerdem,  wenigstens  bei  Kindern,  poch 
Heilserum,  wenn  vielleicht  auch  in  schwächerer  Dosis  in  Anwendung  kommen. 

F.  Walther. 


Röntgenologie  und  physikalische  Heilmethoden. 

Phototherapie. 

(H.  E.  Schmidt.  Zeitschr.  für  neuere  phys.  Medizin,  Nr.  17,  1908.) 

Verfasser  gibt  eine  Beschreibung  der  für  die  „Lichtbehandlung“  in 
Betracht  kommenden  Apparate. 

Ausgehend  von  den  Glühkastenbädern  erwähnt  Verfasser  die  speziell 
wegen  ihrer  Tiefenwirkung  zur  Behandlung  des  Lupus  geeignete  Finsen- 
lampe,  ein  durch  Bergkristall -Linsen  konzentriertes,  kräftig  elektrisches 
Kohlenbogenlicht.  Später  entstanden  die  Eisenlampen,  z.  B.  die  Dermolampe, 


328 


Referate  und  Besprechungen. 


bei  denen  der  Lichtbogen  sich  zwischen  Eisenelektroden  bildet.  Diese  Lampen 
werden  z.  B.  bei  der  Alopecia  areata  angewandt  und  erweisen  sich  wirksam 
infolge  der  Hyperämisierung  der  Haut  und  der  Anregung  des  Zellenstoff¬ 
wechsels.  —  Der  Nachteil  dieser  Lampen,  der  in  einer  Belästigung  der 
Patienten  durch  schädliche  Eisenoxyddämpfe  und  absprühende  kleine  Metall¬ 
teilchen  besteht,  wurde  vollständig  durch  die  Konstruktion  der  Quecksilber¬ 
lampen  in  Gestalt  der  Uviollampe  und  der  Quarzlampe  beseitigt.  Hier  kommt 
der  Lichtbogen  in  fast  luftleeren  Röhren  durch  Verdampfen  von  Quecksilber 
zustande.  Die  Quarzlampen  finden  hauptsächlich  Anwendung  bei  varikösen 
JJlcera  eruris,  Acne  vulgaris,  subacuta  u.  a.,  frischen  Ekzemen,  Pruritus 
vulvae  und  Alopecia  areata.  Die  Tiefenwirkung  ist  erheblich  geringer  als 
bei  den  Einsenapparaten.  v.  Rutkowski  (Berlin). 


Lymphatische  Leukämie  und  Röntgenstrahlen. 

(Paul  Houde.  These  de  Paris.  1908.  Steinheil.) 

Die  Schnelligkeit,  mit  welcher  bestimmte  Prägen  im  Mittelpunkt  des 
allgemeinen  Interesses  erscheinen  und  wieder  verschwinden,  ist  eine  inter¬ 
essante  Illustration  der  reizbaren  Schwäche  des  Zeitgeistes.  In  dieses  Kapitel 
gehört  auch  die  Röntgentherapie  der  Leukämie.  Houde  hat  das  Thema 
nochmals  aufgegriffen  und  kommt  zu  dem  Ergebnis,  daß  die  X-Strahlen 
sowohl  die  gewucherten  Lymphozyten  wie  das  hyperplastische  Lympligewebe 
destruieren,  teils  direkt,  teils  mit  Hilfe  der  Phagozyten ;  an  chemische  Stoffe, 
Leukolysine  und  dergleichen  —  der  Phantasie  eröffnet  sich  da  ja  ein  un¬ 
begrenztes  Gebiet  —  glaubt  er  nicht. 

Mit  Recht  betont  er,  daß  die  X-Strahlen  nicht  die  Krankheitsursache, 
sondern  nur  die  Krankheitserscheinungen  wegnehmen.  Das  Wesentliche,  die 
Anämie,  bleibe  unberührt,  höchstens,  daß  die  Beseitigung  der  Leukozytose 
den  Verlauf  des  Dramas  in  die  Länge  ziehe.  Aber  schließlich  ist  das  Hinaus¬ 
rücken  des  Todes  um  ein  paar  Jahre  auch  ein  Erfolg. 

Buttersack  (Berlin). 


Hochfrequenzströme  bei  Prostatahypertrophie. 

(Oro.  Congr.  de  la  Societö  ital.  d’Urologie,  Rome.  April  1908.) 

Massage  mit  Bisserie’scher  Elektrode,  die  angeschlossen  ist  an  einen 
Oudin’schen  Resonator  (45  cm  Funkenlänge;  Stromstärke  18 — 20  Volt,  zwei 
Ampere),  hat  dem  italienischen  Arzt  Heilungen  ergeben  bei  subakuter  gonor¬ 
rhoischer  Prostatitis  (54 mal),  bei  chronischer  (69 mal),  bei  Prostatitis  und 
Periprostatitis  chronica  (15 mal),  bei  Hypertrophie  (4mal). 

Die  Applikation  sei  angenehmer  und  einfacher  als  die  Massage  mit  dem 
Finger.  — -  Dauer:  zwei  Minuten.  '  Buttersack  (Berlin). 


Die  lokalisierte  Faradisation  bei  Störungen  der  Gefühlsnerven  und  ihre 

Bedeutung  für  die  gerichtliche  Medizin. 

(A.  Laquerriere:  Zeitschr.  für  neuere  phys.  Medizin.  Nr.  17,  1908.) 

Die  faradische  Revulsion  mittels  des  Tripier’schen  Rechens  dient  zur 
Entlarvung  von  Simulationen  einer  Anästhesie.  Sie  bestimmt,  ob  eine  schein¬ 
bar  absolute  Anästhesie  in  Wirklichkeit  nur  eine  relative  ist.  Hat  der 
faradische  Strom  nach  einigen  Sitzungen  keine  Änderung  der  anästhetischen 
Zone  erzeugt,  liegt  die  Vermutung,  nicht  die  Gewißheit  nahe,  daß  es  sich 
um  organische  Störungen  handelt.  v.  Rutkowski  (Berlin). 


Uber  den  Mißbrauch  der  Kohlensäurebäder. 

(M.  Herz,  Wien.  Allgem.  Wiener  med.  Zeitung,  Nr.  42,  1908.) 

Da  man  den  C02-Bädern  eine  blutdrucksteigernde  Wirkung  zuschreiben 
zu  müssen  glaubte,  so  hielt  man  sie  anf  änglich  in  Fällen  pathologisch  gesteiger¬ 
ten  Druckes  für  kontraindiziert.  Dieses  Bedenken  hat  sich  in  praxi  nicht  als 


Referate  und  Besprechungen. 


329 


stichhaltig  erwiesen  und  so  steht  man,  wie  H.  ausführt,  heute  auf  dem  Stand¬ 
punkte,  daß  es  keine  Gegenanz;eigen  für  diese  Bäder  hei  Herzkranken  gebe, 
ausgenommen  vielleicht  die  Fälle  äußerster  Herzschwäche,  in  denen  das  Bad 
an  sich  eine  gefährliche  Anstrengung  bildet. 

Während  nun  aber  bei  Kranken  mit  Herzmuskelinsuffizienz  die  C02-Kur 
eklatante  Erfolge  aufweist  (Verbesserung  des  Blutdrucks,  Beruhigung,  bezw. 
Regelung  der  Herztätigkeit),  die  ungefähr  derjenigen  der  Digitalis  entsprechen, 
wirkt  sie  in  Fällen  von  nervösen  Herzbeschwerden  z.  B.  nervöser  Über¬ 
reizung  bei  normalem  Muskel,  oft  direkt  verschlimmernd,  namentlich  ist  sie 
kontraindiziert  bei  konstanter  hochgradiger  Bradykardie  und  bei  Puls,  inter- 
mitt.  regul.,  wo  Verdacht  auf  Herabsetzung  der  Leistungsfähigkeit  der  Herz¬ 
muskelfaser  -i  vorliegt.  (Bei  den  nervösen  Herzaffektionen  wirken  besser  Spiri- 
tusabreibungen,  warme  Halbbäder,  zimmerwarme  Umschläge,  Leiters  Apparat, 
Herzflasche  [1  Stunde  täglich]  viertelstündige  indifferente  Vollbäder,  ferner 
Brom,  Baldrianpräparate.) 

Überflüssig  sind  die  CCL-Bäder  bei  kompensierten  Klappenfehlern,  eher 
schädHch.  als  nützlich  bei  den  scheinbaren  Insuffizienzerscheinungen,  die  durch 
„Platzmangel  des  Herzens“  erzeugt  und  durch  mechanotherapeutische,  thorax¬ 
erweiternde  Maßnahmen  bekämpft  werden. 

Auf  eine  C02-Kur  muß  der  Kranke  durch  einige  indifferente  Solbäder 
vorbereitet  werden,  die  Kohlensäurebäder  dürfen  weder  zu  heiß  noch  zu 
zu  kalt  sein.  Herz  beginnt  mit  34°  C  und  geht  von  Woche  zu  Woche  um 
je  1°  herunter,  aber  nie  unter  28°.  Das  Gefühl  des  Fröstelns  darf  sich  nie 
einstellen.  Die  Dauer  soll  anfänglich  8  Minuten  betragen  und  auf  nicht 
mehr  als  15  Minuten  steigen.  Im  Beginn  genügen  2  Bäder  wöchentlich,  später 
kann  man  bis  auf  6  steigen.  Einatmung  des  Gases  soll  durch  eine  übergelegte 
Decke  verhindert  werden,  lan  deren  Fußende  die  Kohlensäure  entweichen  kann. 
Bei  schwachen  Kranken  soll  dem  Bade  eine  mindestens  halbstündige  Ruhe 
folgen.  Esch. 


Die  Kuren  mit  direkter  Sonnenbestrahlung  im  Hochgebirge. 

(Hallopeau  u.  Kollier.  Sitzungsbericht  der  Acad.  de  med.,  24.  November  1908. 

—  Münch,  med.  Wochenschr.,  Nr.  2,  1909.) 

Nach  den  Erfahrungen  der  Verff.  ist  die  bakterientötende,  oxydierende, 
reduzierende,  schmerzstillende  Wirkung  des  direkten  Sonnenlichtes  im  Hoch¬ 
gebirge  intensiver  wie  im  Flachland  wegen  der  Lichtabsorption  durch  die 
Atmosphäre.  Sowohl  oberflächliche  wie  tiefer  liegende  Fälle  von  Tuberkulose 
wurden  sehr  günstig  beeinflußt.  Die  anfangs  nur  kurze  Zeit,  vorzunehmende 
Exposition  kann  nach  Eintritt  der  Pigmentierung  verlängert  werden.  Escly 


Medikamentöse  Therapie. 

Über  schlimme  Zufälle  bei  der  Apomorphinanwendung  und  über  die 
Beziehungen  zwischen  Würgakt  und  Muskellähmung. 

,r(Prof.  Dr.  Erich  Harnack,  Halle.  Münch,  med.  Wochenschr.,  Nr.  36,  1908.) 

Harnack  berichtet  über  6  Fälle  von  Apomorphinvergiftung  (einer  da¬ 
von  am  eigenen  Körper,  die  anderen  aus  der  Literatur),  die  Patienten  be¬ 
trafen,  welche  durch  Krankheiten  der  Respirationsorgane  geschwächt  waren. 
Während  bei  einem  Teil  erst  Erbrechen  und  dann  Kollaps,  bei  dem  anderen 
die  umgekehrte  Reihenfolge  auftrat  und  ferner  bei  ihm  selbst  absolute 
Muskellähmung  bei  intakter  Respiration,  bei  einem  anderen  Pat.  infolge 
Respirationslähmung  Exitus  beobachtet  wurde,  fand  sich  gemeinsam  bei  allen 
Kranken  Muskelerschlaffung.  Die  verschiedene  Schwere  der  Vergiftungs¬ 
erscheinungen  ist  vielleicht  auf  Verwendung  des  amorphen  Apomorphins  zu¬ 
rückzuführen.  daß,  wie  Guinard  beobachtete,  viel  gefährlicher  ist,  wie 
das  kristallinische. 


330 


Referate  und  Besprechungen. 


Was  nun  den  Zusammenhang  zwischen  Brechakt  und  Muskellähmung 
betrifft,  so  ist  er  vorläufig  noch  vollkommen  in  Dunkel  gehüllt.  Bekannt 
ist  ja  die  bei  jeder  Nausea  auftretende  Muskelschwäche,  die  vermutlich  vom 
Magen  ausgeht  und  auf  nervöser  Basis  beruht.  Die  besonders  schwere  Muskel¬ 
lähmung  bei  Apomorphinvergiftung  kann  vielleicht  auf  eine  Veränderung 
der  Muskelsubstanz  durch  Vermittelung  der  motorischen  Nerven  zurückzuführen 
sein.  Eine  andere  Möglichkeit  wäre  noch  eine  reflektorische  Erregung  von 
hemmenden  Einflüssen,  die  auf  die  motorischen  Bahnen  abfließen.  Darnach 
macht  dabei  auf  die  Beziehungen  aufmerksam,  die  diese  Frage  zur  Seekrank¬ 
heit  hat.  F.  Walther. 


Über  die  Wirkung  subkutan  einverleibten  Adrenalins. 

(Joh.  Emmert.  Virchows  Arch.  für  patholog.  Anatomie,  Bd.  194,  S.  114,  1908.) 

Die  Untersuchungen  wurden  an  weißen  Mäusen  und  Meerschweinchen 
begonnen,  welch  letztere  sich  aber  als  ungeeignet  erwiesen,  da  sich  bald 
starke  Nekrosen  um  die  Einstichstellen  bildeten.  Die  längere  Zeit  mit  sub¬ 
kutan  einverleibten  mittleren  Gaben  von  Adrenalin  behandelten  Mäuse  magern 
ab  und  sterben  schließlich  unter  denselben  Erscheinungen  wie  die  akut  ver¬ 
gifteten  Tiere.  Manche  Mäuse  ertragen  von  Anfang  an  die  sonst  tödliche 
Dosis.  Durch  Verabreichung  mittlerer  Gaben  kann  die  Widerstandsfähigkeit 
gegen  hohe  Dosen  gesteigert  werden.  Die  chronische  Vergiftung  mit  Adre¬ 
nalin  scheint  teils  entwicklungshemmend,  teils  direkt  tödlich  auf  die  Em¬ 
bryonen  zu  wirken. 

Unter  den  Erscheinungen  der  akuten  Vergiftung  sind  bemerkenswert: 
Lähmung  der  Hinterbeine  und  des  Schwanzes,  Exophthalmus,  Verlagerung 
der  Linse.  Die  verlagerte  Linse  wird  als  milchfarbiger  Körper  sichtbar. 

In  der  Niere  chronisch  vergifteter  Mäuse  zeigt  das  Parenchym  degene- 
rative  Veränderungen,  daran  kann  sich  Cystenbildung  anschließen.  Das  Binde¬ 
gewebe  vermehrt  sich  diffus  und  bei  intensiv  behandelten  Tieren  auch  herd¬ 
förmig.  Diese  Herde  sind  kompakt  und  keilförmig  von  Gestalt,  ihre  Basis 
sitzt  lateral,  sie  erstrecken  sich  gegen  die  Papille  zu.  Mikroskopische  Unter¬ 
suchungen  der  übrigen  Organe  stehen  noch  aus.  Weder  in  den  größeren 
Nierengefäßen  noch  an  den  Glomerulis  ließen  sich  primäre  Veränderungen  fest¬ 
stellen.  Über  das  Verhalten  des  übrigen  Gefäßsystems  wird  nichts  gesagt. 

W.  Risel  (Zwickau. 


Vergleichende  Studien  über  die  Wirkung  von  Hypophysen-  und  Neben¬ 
nierenextrakt. 

(A.  Carraro.  Arch.  p.  1.  scienze  med.,  H.  1,  Bd.  32,  1908.) 

Das  aktive  Prinzip  der  Hypophyse  bewirkt  im  Tierkörper  Verände¬ 
rungen,  die  den  durch  Adrenalin  gesetzten  ähnlich  sein  können;  doch  ist  jenes 
weniger  gefährlich,  da  einmal  die  Veränderungen  weniger  intensiv  sind,  an¬ 
dererseits  manche  ganz  fehlen  können,  wie  z.  B.  die  Aortenatheromatose. 
An  der  Leber  bewirkt  das  Hypophysenextrakt  ähnlich  wie  das  Adrenalin 
degenerative  Prozesse  bis  zu  völliger  Nekrose,  besonders  in  der  Peripherie 
der  Acini,  doch  langsamer  und  weniger  intensiv;  ähnlich  verhält  es  sich  mit 
der  toxischen  Einwirkung  beider  auf  das  Nierenparenchym  und  auf  die 
Lunge,  in  welch  letzterer  sie  Hyperämie,  Epitheldesquamation  und  klein¬ 
zellige  Infiltrationsherde  bewirken.  Im  Gegensatz  zum  Adrenalin  wirkt 
Hypophysenextrakt  weder  auf  die  Erythrozyten,  noch  bewirkt  es  transitorische 
Glykosurie.  Das  Adrenalin  wirkt  auf  Gefäße  und  Nieren  bei  jeder  Appli¬ 
kation,  während  Leber  und  Lunge  nur  bei  intravenöser  Einverleibung  alteriert 
werden ;  ebenso  verhält  sich  das  Hypophysenextrakt.  Die  wichtigste  Folge¬ 
rung,  die  daraus  zu  ziehen  ist,  ist  die,  daß  die  Folgen  der  Einverleibung 
der  Substanzen  nicht  allein  auf  ihre  drucksteigernde,  sondern  auch  auf  ihre 
toxische  Eigenschaft  zu  beziehen  sind;  denn  sonst  wäre  nicht  einzusehen, 
warum  das  Hypophysenextrakt,  das  kaum  weniger  toxisch  wirkt  als  das 
Adrenalin,  keine  Aortenveränderungen  bewirkt.  M.  Kaufmann. 


Referate  und  Besprechungen. 


381 


Chemisches  und  Biologisches  über  colloidale  Metalle. 

(L.  Bousquet  u.  H.  Roger.  Rev.  de  med.,  Nr.  12,  S.  1041 — 1050,  1908.) 

Als  Einleitung  zu  einer  Arbeit  über  den  therapeutischen  Wert  der 
kolloidalen  Metalle  stellen  die  beiden  Kliniker  zusammen,  was  bis  jetzt  über 
diese  Körper  bekannt  ist. 

Man  führt  die  Metalle  in  den  kolloiden,  gelatinösen  Zustand,  in  welchem 
sie  nicht  oder  nur  sehr  langsam  dialysieren,  entweder  auf  chemischem 
Wege  (durch  Reduktionsprozesse  oder  durch  Fällung  bei  Gegenwart  von 
Gummi,  Eiweiß  und  dergleichen)  über,  oder  mit  Hilfe  des  Voltabogens. 
Diese  letztere  Methode  (von  Breldig)  ist  die  bessere,  weil  sie  ein  reines 
Präparat  liefert.  Die  anderen,  wozu  auch  das  Kollargol  gehört,  enthalten 
naturgemäß  Körper,  die  eigentlich  nicht  hergehören. 

Die  auf  den  beiden  Wegen  gewonnenen  Präparate  sind  übrigens  nicht 
gleichwertig :  die  Bredig’schen  enthalten  bis  zu  98%  Metall,  verlieren  ihre 
eigentümlichen  Eigenschaften  durch  Erhitzen,  wirken  auch  in  viel  kleineren 
Quantitäten  als  die  auf  dem  chemischen  Wege  hergestellten  sog.  Hydrosole 
bezw.  Organosole ;  des  ferneren  sind  sie  überhaupt  viel  unbeständiger,  doch 
lassen  sie  sich  durch  Hinzufügen  ganz  geringer  Mengen  anderer  Kolloid¬ 
substanzen  stabilisieren. 

Physikalisch  betrachtet  stellen  sie  Pseudo-Solutionen  dar,  indem  sie 
kaum  sichtbare  Teilchen  suspendiert  enthalten.  Ihre  wichtigste  Eigenschaft 
ist  ihre  katalytische  Fermentwirkung. 

Auf  Bakterien  wirken  sie  schon  in  enormer  Verdünnung  (1:100000 
bezw.  1:50000)  tötend.  Injektionen  solcher  Lösungen  schützen  Kaninchen 
gegen  die  mehrfache  tödliche  Dosis  von  Streptokokken,  Tetanus,  Diphtherie, 
Ruhr ;  aber  natürlich  verhalten  sich  nicht  alle  Metalle  gleich ;  Elektro- 
Hydrargyrum  ist  z.  B.  erheblich  stärker  als  Elektrosublimat. 

Für  Tiere  sind  die  Elektrometalle  unschädlich.  In  der  Hauptsache  wirken 
sie  auf  den  Stoffwechsel  und  zwar  in  dem  Sinne,  daß  die  Stickstof fausschei- 
dung  —  namentlich  die  Harnsäure,  aber-  auch  Harnstoff,  Indoxyl  —  be¬ 
trächtlich  in  die  Höhe  gehen. 

Im  Blute  finden  sich  die  Elektrometalle  noch  3—4  Tage  nach  der 
Einverleibung,  gleichgültig  auf  welchem  Wege  diese  erfolgt  war. 

In  einer  zweiten  Abhandlung  teilen  sie  dann  eine  Reihe  interessanter, 
z.  T.  selbst  beobachteter  klinischer  Fälle  mit,  aus  denen  hervorgeht,  daß 
intravenöse  und  intramuskuläre  Injektionen  von  je  10  ccm  — -  beliebig  oft 
wiederholt  —  auch  in  schweren  Fällen  von  Septikämie,  Puerperalfieber, 
Grippe,  Rheumatismus,  Diphtherie,  Pocken,  Scharlach,  Typhus  ausgezeich¬ 
nete  Dienste  leisteten  und  ersichtlich  den  Gang  der  Krankheiten  energisch 
beeinflußten.  Merkwürdig  ist,  daß  ein  Fall  von  Malaria,  welcher  gegen 
Chinin  sich  refraktär  verhielt,  durch  kolloide  Goldinjektionen  geheilt  wurde. 

Erysipelas,  Tuberkulose  und  Syphilis  blieben  durch  diese  Therapie  un¬ 
beeinflußt.  Buttersack  (Berlin). 


Aus  der  chirurgischen  Abteilung  des  Stadtkrankenhauses  Dresden- Johannstadt. 

Dirigierender  Oberarzt:  Dr.  Crede. 

Die  Behandlung  septischer  Erkrankungen  mit  Kollargolklysmen. 

(Dr.  Curt  Seidel.  Deutsche  med.  Wochenschr.,  Nr.  31,  1908.) 

Neben  der  Schmierkur  mit  Kollargolsalbe  und  der  intravenösen  Ein¬ 
spritzung  von  3 — 10  ccm  einer  2%igen  Lösung  kommt  besonders  für  den 
praktischen  Arzt  wegen  der  leichten  und  bequemen  Anwendungsweise  die 
Behandlung  mit  Kollargolklystieren  in  Betracht.  In  leichten  Fällen  benötigt 
man  1 — 2  g  Kollargol  auf  50—100  g  warmen  Wassers  ein  oder  mehreremal 
den  Tag,  in  schweren  bis  zu  ß  g  den  Tag  1 — 2  mal.  Ist  die  Wirkung  ein- 
getreten,  so  muß  die  Dosis  herabgesetzt  werden,  die  Verabreichung  aber  noch 
ca.  14  Tage  lang  erfolgen.  Zur  Vorbereitung  gibt  man  ein  Reinigungsklystier 
mit  warmem  Seifenwasser  und  eine  Viertelstunde  nach  dessen  Entleerung 


382 


Referate  und  Besprechungen. 


vorsichtige  Ausspülung  des  Darmes  am  besten  mit  Kochsalzwasser,  um  den 
Schleim,  der  durch  Niederschlagung  des  Kollagols  die  Wirkung  bedeutend 
herabsetzen  würde,  zu  entfernen.  Die  Resorption  geht  ziemlich  rasch,  ge¬ 
wöhnlich  binnen  2  Stunden  vor  sich.  1 — 5  Stunden  nach  der  Vorbereitung 
kommt  es  oft  zu  Frösteln  und  darauf  zu  Schweißausbruch.  Seidel  gibt  einen 
ausführlichen  Bericht  über  mehrere  Krankengeschichten,  in  denen  es  sich 
um  Arthritis  gonorrhoica,  Phlegmonen,  Sepsis,  Pyämie,  Septicopyämie  handelt, 
und  die  zeigen,  daß  das  Kollargol  wesentlich,  vielleicht  sogar  entscheidend 
auf  die  Erkrankung  einzuwirken  vermag.  Das  Allgemeinbefinden  bessert 
sich  und  das  Fieber  klingt  danach  bald  ab.  Er  empfiehlt  es  nicht  allein 
bei  septischen  sondern  auch  bei  Infektionskrankheiten.  F.  Walther. 


Experimentelle  Untersuchungen  über  formaldehydhaltige  interne  Harn¬ 
desinfektionsmittel. 

(K.  Forcart.  Med.  Klinik,  Nr.  10,  1908.) 

Die  Untersuchungen  wurden  in  der  Weise  angestellt,  daß  die  betreffenden 
Mittel  den  Versuchspersonen  gereicht  wurden  und  deren  Urin  auf  seine 
bakterizide  Kraft  hin  untersucht  wurde.  Zur  Prüfung  gelangten  Urotropin, 
Hippol,  Helmitol,  Hetrolin,  Borovertin;  die  Wirkung  dieser  Mittel  auf  Bak¬ 
terien  besteht  darin,  daß  aus  diesen  Mitteln  im  Harn  Formaldehyd  abgespalten 
wird,  welches  das  Wachstum  der  Bakterien  hindert  bezw.  diese  tötet.  Aus 
den  Versuchen  ergibt  sich,  daß  Hetrolin,  Hippol  und  besonders  Borovertin 
—  eine  Kombination  von  Urotropin  und  Borsäure  =  Hexamethylentetramin- 
triborat  —  am  besten  wirken,  und  daß  das  Bacterium  coli  den  Mitteln 
den  größten  Widerstand  leistete,  eine  Beobachtung,  die  mit  der  praktischen 
Erfahrung  übereinstimmt,  wonach  eine  Koli-Cystitis  besonders  hartnäckig  zu 
sein  pflegt.  R.  Stüve  (Osnabrück). 


Medikamentöse  Behandlung  der  Tuberkulose. 

Im  Kampfe  gegen  die  Tuberkulose  leisten  die  Lungenheilstätten  gewiß 
die  wesentlichste  Arbeit.  Wenn  auch  nicht  alle  die  Erwartungen,  die  man 
bei  ihrer  Begründung  in  sie  gesetzt,  in  Erfüllung  gegangen  sind,  so  haben 
sie  uns  doch  zweifellos  in  der  Bekämpfung  der  Seuche  ein  gut  Stück  vor¬ 
wärts  gebracht.  Leider  haben  die  Heilstätten  den  großen,  auch  von  ihren 
eifrigsten  Fürsprechern  nicht  verkannten  Nachteil,  daß  sie  quantitativ  voll¬ 
kommen  unzureichend  sind.  Viele  Kranke,  deren  Leiden  durch  rechtzeitige 
Heilstättenbehandlung  vielleicht  gänzlich  gehoben  werden  könnte,  müssen  aus 
Raummangel  oft  lange  Monate,  während  deren  sich  ihr  Zustand  leicht  wesent¬ 
lich  verschlimmern  kann,  warten  oder  aus  diesem  oder  jenem  Grunde  auch 
gänzlich  verzichten.  Für  solche  Patienten,  wie  auch  für  die  als  gebessert 
oder  wesentlich  gebessert  Entlassenen,  schließlich  auch  als  Prophylaxe  für 
die  Geheilten  ist  eine  medikamentöse  Behandlung  durchaus  am  Platze.  Der 
Zweck  der  Therapie  muß  hier  der  gleiche  sein,  wie  in  den  Heilstätten,  und 
auch  hier  gilt  der  Satz,  daß  viele  Wege  nach  Rom  führen.  Zunächst  gilt 
es,  die  Körperkräfte  des  Erkrankten  zu  heben,  was  am  zweckmäßigsten  durch 
entsprechende  Diät  unter  Zugabe  eines  künstlichen  Nährpräparates  geschieht. 
Hand  in  Hand  damit  muß  das  Bestreben  gehen,  ein  Wachstum  der  Tuberkeln  zu 
verhindern,  und  womöglich  die  vorhandenen  Krankheitskeime  abzutöten,  wofür 
sich  entgiftete  Kreosotpräparate  eignen.  - —  Die  Elberfelder  Farbenfabriken 
haben  auch  bereits  ein  Nährpräparat  —  die  Somatose  —  in  Verbindung  mit  ent¬ 
giftetem  Kreosot  unter  dem  Namen  Guajacose  auf  den  Markt  gebracht.  Durch 
diese  Guajacose  wird  neben  anderen  Vorzügen  auch  das  für  die  Psyche  des 
Patienten  nicht  gerade  günstige  viele  Medizinieren  glücklich  vermieden.  Natür¬ 
lich  soll  und  kann  die  Behandlung  mit  Guajacose  die  Heilstättenbehandlung 
nicht  ersetzen.  Immerhin  wird  sie  mit  Erfolg  namentlich  dort  angewandt 
werden,  wo  Heilstättenbehandlung  aus  diesem  oder  jenem  Grunde  nicht  mög¬ 
lich  ist.  Neumann. 


Referate  und  Besprechungen. 


333 


Über  Dysphagietabletten. 

(Singer.  Med.  Blätter,  Nr.  50,  1908.) 

Unter  dem  Namen  Dysphagietabletten ,  die  diese  Bezeichnung  zur 
Kenntlichmachung  ihres  Zweckes  erhielten,  wird  ein  Präparat  dargestellt, 
welches  aus  Menthol  und  Anesthesin  resp.  Kokain  und  Geschmackskorrigentien 
besteht.  Es  erscheint  in  ihnen  wieder  das  alte  Prinzip,  daß  die  Vereinigung- 
kleiner  Mengen  gleichwirkender  Medikamente  einen  stärkeren  Effekt  hervor¬ 
ruft,  als  größere  Dosen  der  einzelnen  Komponenten  für  sich,  mit  Glück  durch¬ 
geführt.  Die  kurzdauernde,  durch  Kokainwirkung  hervorgerufene  Anästhesie 
der  für  den  Schlingakt  in  Betracht  kommenden  Partien  des  Rachens  und 
des  Anfangteiles  der  Speiseröhre,  wird  durch  die  Verdampfung  des  in  den 
Tabletten  vorhandenen  Menthols  erheblich  verlängert.  Von  einer  direkten 
Heilwirkung  kann  man  nur  insofern  sprechen,  als  durch  den  sich  entwickeln¬ 
den  Mentholdampf  der  nach  aufwärts  in  den  Nasen-Rachenraum,  nach  ab¬ 
wärts  in  den  Kehlkopf  dringt,  eine  Lockerung  der  anhaftenden  Schleim¬ 
massen  und  des  nekrotischen  Gewebes  und  damit  der  Auswurf  dieser  Hinder¬ 
nisse  erleichtert  wird.  Die  Wirkung  ist  hier  mit  der  von  Mentholölinstil¬ 
lationen  bei  Larynxtuberkulose  zu  vergleichen.  Die  Tabletten  finden  unter 
diesem  Gesichtspunkte  Anwendung  bei  der  chronischen  Bronchitis  älterer 
Leute,  bei  chronischer  Rhinitis  und  bei  Angina.  Kinder  erhalten  nur  1U  bis 
1/2  Tablette  2 — 3 mal  täglich. 

Eine  andere  Affektion,  bei  der  günstige  Erfahrungen  mit  Dysphagie¬ 
tabletten  vorliegen,  ist  der  akute  Magenkatarrh.  Um  hier  eine  volle  Wir¬ 
kung  auf  die  Schleimhaut  des  Magens  zu  erzielen,  läßt  man  dreimal  täglich 
eine  Tablette  zerdrücken  und  mit  etwas  Wasser  vermengt  trinken.  Das 
Erbrechen  und  die  Schmerzhaftigkeit  werden  meist  sehr  günstig  beeinflußt. 

S.  resümiert  seine  Ausführungen  dahin,  daß  Dysphagietabletten 
nur  in  beschränktem  Sinne  als  direktes  Heilmittel  angesprochen  werden 
können,  daß  sie  aber,  wenn  es  darauf  ankommt,  Schmerzen  der  Mundhöhle 
und  Schlingbeschwerden  zu  lindern,  teilweise  zu  desinfizieren  und  desodorieren, 
ein  bei  rationeller  Anwendung  nicht  zu  unterschätzendes  Hilfsmittel  sind, 
welches  dem  Arzte  die  Dankbarkeit  der  mit  ihnen  behandelten  Patienten 
einzutragen  imstande  ist;  sie  gelangen  in  zwei  Modifikationen  in  den  Ver¬ 
kehr:  Nr.  I  mit  Kokain,  Nr.  II  ohne  Kokain.  Neumann. 


Die  Behandlung  der  Dysmenorrhoe  und  der  Uterusblutungen. 

(Girardi.  Rivista  internaz.  di  Clinic.  e  Terap.,  Nr.  15,  1908.) 

G.  verwandte  das  Styptol  bei  starken  menstruellen  Blutungen  und  bei 
Metrorrhagien;  die  Wirkung  auf  die  Blutungen  war  stets  sehr  zuverlässig, 
in  jedem  Falle  wurde  eine  schnelle  Verminderung  der  Hämorrhagien  beobach¬ 
tet,  selbst  in  Fällen,  wo  Hamamelis  und  Hydrastis  nur  wenig  Wirkung  ge¬ 
bracht  hatten.  Ganz  besonders  machte  sich  jedoch  die  schmerzstillende  Wir¬ 
kung  des  Styptols  bemerkbar.  Das  Mittel  erwies  sich  auch  als  sehr  wirk¬ 
sam  nach  voraufgegangener  Operation,  so  ließen  z.  B.  in  einem  Falle  bei 
einer  Patientin,  bei  der  ein  Jahr  vorher  ein  Kürettement  vorgenommen  war, 
bei  wiederauftretenden  Störungen,  sowohl  die  Blutungen  wie  die  Schmerzen, 
nach  Styptol  prompt  nach.  Das  Mittel  ist  ferner  für  den  operierenden  Arzt 
sehr  zu  empfehlen,  da  es  sich  bei  Adnexoperationen,  Ovarektomie  usw.  gut 
dazu  eignet,  um  Komplikationen  vorzubeugen  und  weil  es  ferner  eine  sedative 
Wirkung  auf  die  Unterleibsorgane  ausübt. 

Im  besondern  bewährt  sich  das  Styptol  bei  Dysmenorrhöe,  da  es  nicht 
nur  die  Blutungen  herabsetzt,  sondern  auch  vor  allem  die  Schmerzen  lindert, 
die  sich  einige  Tage  vor  den  Menses  einzustellen  pflegen.  Neumann. 


Zur  medikamentösen  Therapie  des  akuten  Gelenkrheumatismus. 

(O.  Minkowski.  Therapie  der  Gegenwart,  Nr.  9,  1908.) 
Minkowski  bekennt  sich  als  Anhänger  der  freien  Salizylsäure  im 
Gegensatz  zu  den  Verbindungen,  die  sie  beinahe  verdrängt  haben,  läßt  aber 


334 


Referate  und  Besprechungen. 


auch  ein  neues  Ersatzpräparat,  die  unter  dem  Namen  Diplosal  in  den  Handel 
gebrachte  Salicylo-Salicylsäure  gelten.  Dieselbe  zersetzt  sich  im  Körper  unter 
Wasserauf nähme  restlos  zu  Salizylsäure  und  scheint  den  Magen  weniger 
anzugreifen  als  die  freie  Salizylsäure.  Sie  ist  in  Wasser  sehr  schwer,  in 
verdünnten  Laugen  oder  kohlensauren  Alkalien  dagegen  leicht  löslich.  Die 
gewöhnliche  Dosis  war  3 — 6 mal  1,0  g,  sie  wurde  in  manchen  Fällen  während 
Wochen  ohne  üble  Nebenerscheinung  vertragen.  Die  Resorption  scheint,  nach 
dem  Erscheinen  im  Urin  zu  urteilen,  in  demselben  Tempo  wie  bei  der  freien 
Salizylsäure  zu  erfolgen.  Besonders  günstig  wirkte  das  Diplosal  bei  akutem 
Gelenkrheumatismus,  weniger  bei  chronischem  und  Arthritis  deformans. 

F.  von  den  Velden. 


Aus  dem  medizinisch-poliklinischen  Institut  der  Universität  Berlin.  Direktor: 

Geh.  Med.-Rat  Prof.  Dr.  Senator. 

Über  pleuritische  Schwarten  und  ihre  Behandlung  mit  Fibrolysin. 

(Stabsarzt  Dr.  Schnütgen,  Assistent.  Berliner  klin.  Wochenschr.,  Nr.  51,  1908.) 

Die  bisherige  Behandlung  pleuri  tis/cher  Schwarten  mit  Jod,  Jodvasogen 
oder  Lungengymnastik,  wozu  sich  die  pneumatischen  Apparate  gut  eignen, 
hat  wenig  gute  Erfolge  aufzuweisen.  Auf  Grund  der  anderwärts  gemachten 
günstigen  Erfahrungen  hat  Schnütgen  Versuche  mit  Fibrolysin-Merck  an¬ 
gestellt.  Er  spritzt  es  intramuskulär  entweder  an  Ort  und  Stelle  oder  in  die 
Glutäalgegend  ein,  was  für  den  Erfolg  ganz  belanglos  ist,  da  die  Wirkung 
durch  die  Blutbahn  vermittelt  wird.  Die  2 — 3  mal  wöchentlich  ausgeführten 
Injektionen  waren  schmerzlos  und  ohne  irgend  welche  unangenehme  Neben¬ 
wirkungen.  Je  nach  der  Schwere  des  Falles  waren  5  oder  mehr  nötig.  Bei 
frischen  Fällen  gingen  die  subjektiven  und  objektiven  Erscheinungen  oft 
verblüffend  rasch  zurück;  bei  veralteten  war  der  Erfolg  nicht  so  günstig. 
Es  empfiehlt  sich  daher  möglichst  sofort  nach  der  Resorption  des  pleuritischen 
Exsudates,  wenn  Schwartenbildung  zu  befürchten  ist,  mit  den  Einspritzungen 
anzu fangen.  F.  Watlier. 

Über  Nukleogenanwendung  bei  Neurasthenie. 

(Dr.  Schlesinger.  Med.  Klinik,  Nr.  42,  1908.) 

Auf  Grund  der  Empfehlung  von  Erb,  welcher  den  Eisen-  und  Arsen¬ 
präparaten  in  erster  und  dem  Phosphor  in  zweiter  Linie  eine  nicht  zu  unter¬ 
schätzende  Bedeutung  in  der  Behandlung  der  Neurasthnie  zuspricht,  ver-  . 
suchte  Schlesinger  das  Nukleogen,  das  jene  drei  Bestandteile  enthält. 
Nukleogen  =  nukleinsaures  Eisenarsen,  in  welchen  der  Nukleinsäure  ein 
9%iger  Phosphorgehalt  zukommt.  Schlesinger  verfügt  über  30  Beobach¬ 
tungen,  von  denen,  7  etwas  ausführlicher  mitgeteilt  werden,  sämtlich  schwere 
oder  mittelschwere  Fälle.  Diese  30  Fälle  wurden  behandelt  zusammen 
249  Wochen  lang;  ein  Fall  also  durchschnittlich  8,3  Wochen;  geheilt  wurden 
17  Kranke,  wesentlich  gebessert  7,  wenig  beeinflußt  6.  Vom  Nukleogen 
wurden  3 mal  tägl.  2  Tabletten  nach  dem  Essen  gereicht;  hergestellt  wird 
Nukleogen  von  dem  physiol.  ehern.  Laboratorium  Hugo  Rosenberg-, Char¬ 
lottenburg.  R.  Stüve  (Osnabrück). 


Das  Verhalten  der  Blutviskosität  bei  Joddarreichung. 

(Priv.-Doz.  Dr.  D  et  ermann,  Freiburg  i.  B,  Deutsche  med.  Wochenschr.,  Nr.  20,  1908.) 

Dete  rmann  hat  sowohl  unter  Benutzung  der  von  ihm  verbesserten 
Hi  rlsch-Beck’schen  Methode  wie  auch  mit  seinem  neuen  Apparat  Unter¬ 
suchungen  über  das  Verhalten  der  Blutviskosität  bei  Jodgebrauch  angestellt. 
Er  verwandte  dazu  Patienten  mit  ruhiger  gleichmäßiger  Lebensweise,  bei 
denen  normale  Viskosität  anzunehmen  war.  Die  von  anderen  Autoren  ge¬ 
fundene  Herabsetzung  der  Blutviskosität  kann  er  nicht  bestätigen.  Somit 
dürfte  wohl  auch  für  die  günstige  Wirkung  des  Jod  eine  andere  Erklärung 
zu  suchen  sein.  F.  Walther. 


Bücherschau. 


335 


Über  Spirosal. 

(Hagner,  Graz.  Allg.  Wiener  med.  Zeitg.  Nr.  28,  1908.) 

Während  das  Mesotan  leicht  in  Salizylsäure,  Formaldehyd  und  Methyl¬ 
alkohol  zerfällt,  wodurch  bei  disponierten  Individuen  Hautreizung  hervor¬ 
gerufen  werden  kann,  bleibt  das  Spirosal  (Glykolsalizylester)  konstanter  und 
wird  erst  nach,  bezw.  während  der  Resorption  zersetzt  und  als  Salizyl  aufge- 
nommen.  Nack  3  Stunden  im  Harn  nachweisbar.)  Ohrensausen,  Übelkeit  usw. 
treten  bei  seiner  Anwendung  nicht  auf.  H.  sah  außer  bei  Muskelrheumatismus 
besonders  gute  Erfolge  bei  den  verschiedensten  Neuralgien.  Seines  hohen 
Preises  und  der  besseren  Resorption  wegen  verschreibe  man  es  mit  Spiritus  ana. 

Esch. 


Ein  gutes  Mundwasser  gibt:  Tct.  guaiac.  30,0,  Ta.  cochleariae  compos. 
50,0,  Tct.  pyreth.  comp.  20,0,  Tct.  vanill.  10,0,  Wintergreenöl  1,0,  Anisöl  1,0, 
Menthol  2,0,  Chinin  hydrochlor.  0,1.  Nach  4  Tagen  filtrieren.  Einige  Tropfen 
auf  1  Glas  Wasser  parfümieren  ganz  besonders  den  Atem.  (Les  nouveaux 
remedes,  Nr.  13,  1908.)  v.  Schnizer  (Danzig). 


De  l’emploi  de  l’atropine  dans  l’intoxication  aigue  par  la  morphine  et 

par  1’opium. 

Man  ist  sich  über  die  Rolle,  die  das  Atropin  als  Antagonist  des 
Morphiums  spielt,  noch  nicht  ganz  klar.  Nach  Roch  tritt  —  entgegen 
den  Resultaten  beim  Versuchstier  —  der  Tod  beim  Menschen  schon  im 
1.  Stadium,  dem  der  Lähmung  (Atemzentrum!)  ein.  Roch  empfiehlt  als 
besser  mehrere  kleine  subkutane  Injektionen  (0,002);  keinesfalls  über  0,01. 
Sowie  die  Pupille  sich  beginnt  zu  erweitern,  oder  sobald  eine  starke  Puls¬ 
beschleunigung  auf'tritt,  setzt  man  mit  dem  Atropin  besser  aus.  (Les  nouveaux 
remedes,  Nr.  13,  1908.)  v.  Schnizer  (Danzig). 


Bücherschau. 


Diejenigen,  die  sich  für  die  Mikrobientherapie  interessieren,  seien  auf 
einen  Band  der 

Bibliotheque  de  Therapeutique  von  Gilbert-Carnot 

aufmerksam  gemacht.  Die  Medicaments  microbiens  werden  da  von  den  derzeit 
bekanntesten  Vertretern  behandelt:  Metschnikoff  bespricht  die  Bakteriotherapie 
des  Darms,  Sacquepee  die  Schutzblattern,  Remlinger  die  Hunds wut,  Louis 
Martin  die  Diphtherie,  Vaillard  den  Tetanus,  Dopter  die  Ruhr,  Besredka 
die  Antistreptokokken-Sera,  Wassermann  und  Leber  die  Serotherapie  der  Me¬ 
ningitis,  Sacquepee  des  Typhus,  Ed.  Dujardin-Beaumetz  der  Pest,  Salimbeni 
der  Cholera,  Calmette  der  Schlangengifte.  Buttersack  (Berlin). 


Die  Beeinträchtigung  des  Herzens  durch  Raummangel.  Von  Privatdozent 
Dr.  Max  Herz,  Wien.  77  S.  Mit  einer  Abbildung  im  Text.  Wilhelm 
Braumüller,  Wien  und  Leipzig  1909.  1,20  Mk. 

Die  vorliegende  Monographie  bringt  einen  neuen,  sehr  wichtigen  Gesichts¬ 
punkt  für  die  Pathologie,  Prognose  und  Therapie  von  gewissen  Herzaffektionen. 
Der  leitende  Gedanke  besteht  darin,  daß  manche  Krankheitserscheinungen  von 
seiten  des  Herzens,  welche  man  früher  als  Ausdruck  einer  verringerten  Herzkraft 
betrachtete,  sich  durch  die  relative  Enge  des  Thorax  erklären  lassen. 

Unter  relativer  Enge  des  Thorax  versteht  Verfasser  ein  Mißverhältnis  zwischen 
der  Größe  des  Herzens  und  desjenigen  Raumes  im  Thoraxinnern,  welcher  dem 
Herzen  für  seine  Excursionen  zur  Verfügung  steht.  Die  Wiedergabe  der  geistvollen 
und  dennoch  nie  den  Boden  der  Realität  verlassenden  Ausführungen  des  Verfassers 
überschreitet  bei  dem  kompendiösen  Charakter  des  Werkes  den  Rahmen  eines 
kurzen  Referates,  darum  sei  hier  nur  darauf  aufmerksam  gemacht,  daß  durch  die 


336 


Hochschulnachrichten. 


Herbeiziehung  orthopädischer  Gesichtspunkte  in  die  Pathologie  und  Therapie  der 
Herzkrankheiten  hier  wohl  zum  erstenmal  der  Weg  zu  einer  nicht  bloß  symp¬ 
tomatischen,  sondern  auch  geradezu  causalen  Therapie  auf  diesem  Gebiete  ge¬ 
öffnet  erscheint.  Das  kleine  Werk  muß  sowohl  dem  praktischen  Arzt  im  allge¬ 
meinen  als  auch  speziell  dem  Versicherungsarzt  wärmstens  empfohlen  werden. 

J.  Schütz  (Wien-Marienbad). 


Lehrbuch  der  Augenheilkunde.  Bearbeitet  von  Axenfeld,  Bach, 
Biels  chowski,  Elschnig,  Greeff,  Heine,  v.  Hippel,  Krückmann, 
Peters,  Schirmer.  Herausgegeben  von  Prof.  Axenfeld.  Verlag 

G.  Fischer,  Jena  1909.  14  Mk. 

Für  die  Vortrefflichkeit  bürgt  schon  der  Titel:  Die  Namen  der  Verfasser 
besagen  exakteste  und  fachkundigste  Bearbeitung  des  Themas,  der  Name  des  Ver¬ 
lages  die  gediegenste  Ausstattung  des  ganzen  Werkes.  Das  so  begründete  „Vor¬ 
urteil“  wird  beim  Studium  des  Buches  in  vollstem  Maße  gerechtfertigt.  Die 
neuesten  Ergebnisse  (soweit  sie  eben  wirklich  fest  gegründete  Ergebnisse  sind)  sind 
wiedergegeben;  die  zahlreichen  vortrefflichen,  z.  T.  farbigen  Illustrationen  machen 
einen  Atlas  entbehrlich.  Es  bedarf  wohl  nicht  erst  besonderer  Empfehlung,  um 
diesem  Buche  weiteste  Verbreitung  zu  sichern.  Enslin  (Brandenburg  a.  H.). 


Die  natürlichen  Heilkräfte  des  Organismus  gegen  Infektionskrankheiten. 

Von  E.  Metschnikof f.  Sonderabdruck  aus  dem  XXL  Jahrgange  der 
illustrierten  naturwissenschaftlichen  Monatsschrift  „Himmel  und  Erde“. 
Verlag  B.  G.  Teubner,  Leipzig  und  Berlin  1908.  26  Seiten.  1,20  Mk. 

Wie  aus  dem  Titel  und  dem  Umfange  dieser  reich  illustrierten  Schrift  hervor¬ 
geht,  enthält  sie  eine  populär  gehaltene  Zusammenfassung  des  über  die  natürlichen 
Heilkräfte  unseres  Organismus  im  Kampfe  gegen  die  Infektionskrankheiten  Be¬ 
kannten,  wobei  naturgemäß  der  Phagocytentheorie  ein  relativ  breiter  Raum  ein¬ 
geräumt  wurde.  Es  ist  bewundernswert,  mit  welcher  Klarheit  E.  Metschnikoff 
dieses  schwierige  Gebiet  unter  Wahrung  der  knappsten  Form  dem  gebildeten  Laien 
verständlich  zu  machen  und  für  seine  Ansprüche  auch  zu  erschöpfen  wußte,  wobei 
er,  soweit  dies  anging,  die  Anführung  nur  verwirrender  Details  vermeidet.  Wenn 
die  Schrift  auch  dem  mit  seiner  Zeit  fortschreitenden  Arzte  wohl  kaum  wesentlich 
Neues  bringen  dürfte,  so  kann  sie  als  ein  Beispiel  einer  mustergültigen  populären 
Darstellung  nicht  warm  genug  auch  diesem  Leserkreise  empfohlen  werden,  der 
wohl  in  erster  Linie  dazu  berufen  ist,  sein  Wissen  der  Aufklärung  des  Volkes 
dienstbar  zu  machen.  Das  Laienpublikum  aber  dürfte  diese  Abhandlung  kaum 
aus  der  Hand  legen,  ohne  in  das  Wesen  der  Infektionskrankheiten  und  der  Ab¬ 
wehrkräfte  des  Organismus  in  formvollendeter  Weise  eingeführt  worden  zu  sein. 

H.  Pfeiffer  (Graz). 


Hochschulnachrichten. 

Berlin.  P.-D.  Dr.  H.  Beitzke  erhielt  den  Titel  Professor.  P.-D.  Dr.  Kiß- 
kalt  (Hygiene)  wurde  zum  Professor  ernannt.  P.-D.  Dr.  Pick  wurde  zum 
Professor  ernannt. 

Breslau.  P.-D.  Dr.  J.  Biber feld  (Pharmokologie)  erhielt  den  Titel  Professor. 

Gießen.  Dr.  LI.  LI  oh  1  weg  habilitierte  sich  für  innere  Medizin. 

Kiel.  Dr.  med.  F.  Cohn  habilitierte  sich  für  Gynäkologie  und  Geburtshilfe. 

Königsberg  i.  P.  Der  o.  Prof.  Geh.  Med.-Rat  Dr.  Richard  Pfeiffer  nahm 
einen  Ruf  nach  Breslau  als  Professor  für  Hygiene  an. 

Marburg.  Dr.  P.  Sittler  habilitierte  sich.  Für  innere  Medizin  habilitierte  sich 
Oberarzt  Dr.  Bruns. 

Straßburg.  ao.  Prof.  Dr.  Kohts  tritt  am  1.  April  1909  in  den  Ruhestand. 

Würzburg.  P.-D.  Dr.  Zieler  (Breslau)  erhielt  einen  Ruf  für  die  Professur  der 
Haut-  und  Geschlechtskrankheiten. 


Schriftleitung:  Dr.  Ri  gl  er  in  Leipzig. 

Druck  von  Emil  Herrmann  senior  in  Leipzig. 


27.  Jahrgang. 


1909. 


fomcbrim  der  medizin. 

Unter  Mitwirkung  hervorragender  Fachmänner 

kerausgegeben  von 

Professor  Dr.  0.  Köster  PriMDoz.  Dr.  o.  griegerit 

in  Leipzig.  in  Leipzig. 

Schriftleitung:  Dr.  Rigler  in  Leipzig. 


Nr.  9. 


Erscheint  am  10.,  20.,  30.  jeden  Monats.  Preis  halbjährlich 
6  Mark,  inkl.  Zeitschrift  für  Yersicherungsmedizin  8  Mark. 


Verlag  von  Georg  Thieme,  Leipzig. 


30.  März. 


Originalarbeiten  und  Sammelberichte. 

Die  Schädigung  des  Auges  durch  Licht  und  ihre  Verhütung.*) 

Von  Prof.  Birch-Hirschfeld. 

M.  H. !  Daß  durch  Blendung  mit  hellem  Lichte  das  Auge  schweren 
Schaden  erleiden  kann,  ist  eine  uralte  Erfahrung.  Aber  erst  in  neuerer 
Zeit  hat  man  die  Art  dieser  Schädigung  genauer  untersucht,  hat  man 
sich  drei  Fragen  vorgelegt :  Welche  Strahlen  sind  die  für  das  Auge 
besonders  schädlichen?  Wie  wirken  sie?  und  wie  können  wir  uns  gegen 
sie  schützen  ?  - —  Diese  Fragen  gewinnen  an  praktischer  Bedeutung 
je  mehr  w!ir  in  unserer  lichtfrohen  Zeit  intensive  Lichtquellen  zur 
Beleuchtung,  zu  technischen  oder  zu  therapeutischen  Zwecken  in  An¬ 
wendung  ziehen. 

Welche  Strahlen  sind  für  unser  Auge  besonders  schädlich? 

Bekanntlich  können  wir  das  Spektum  jedes  Lichtes  in  drei  Be: 
zirke  teilen,-  den  ultraroten,  den  leuchtenden  und  den  ultravioletten. 
Nach  Wellenlängen  bezeichnet  würde  der  ultrarote  Teil,  dem  die  sog. 
Wärmestrahlen  angehören  bis  etwa  760  fx/Li  sich  erstrecken,  der  leuch¬ 
tende  Teil  von  760  bis  ca.  400  /li/li  —  die  Strahlen  von  kürzerer 
Wellenlänge  als  400  fxfi  bezeichnen  wir  als  ultraviolette. 

Ich  bemerke  hier  schon,  daß  diese  Einteilung  in  verschiedene 
Bezirke  nicht  auf  Gegensätzen  in  der  Wirkung  der  Strahlen  basiert. 

Die  physiologische  Wirkung  eines  Lichtes  ist  nicht  einfach  eine 
Funktion  der  Wellenlänge.  Sie  hängt  ab  von  dem  Gehalt  bestimmter 
Spektralgebiete  an  strahlender  Energie.  Hier  bieten  die  verschiedenen 
Spektren  wesentliche  Differenzen. 

Vergleichen  Sie  das  Spektrogramm  des  Sonnenlichtes,  des  elek¬ 
trischen  Bogenlichtes,  des  Eisens,  des  Magnesiums,  des  Cadmiums.  Sie 
bemerken  nicht  nur,  daß  die  verschiedenen  Lichter  sehr  verschieden 
reich  an  ultravioletten  Strahlen  sind  —  daß  z.  B.  das  Spektrum  des 
Eisenlichtes  doppelt  so  weit  reicht  nach  der  kurzwelligen  Seite,  als 
dasjenige  des  Sonnenlichtes.  Sie  bemerken  auch,  daß  die  Intensitäten 
in  den  einzelnen  Spektren  ganz  verschieden  verteilt  sind*  daß  z.  B. 
im  Magnesiumspektrum  eine  besonders  hohe  Intensität  bei  280  u/n 
im  Eisenspektrum  bei  257  [a/li  gelegen  ist. 

Wenn  wir  im  allgemeinen  mit  Hecht  die  kurzwelligen  Strahlen 
als  besonders  physiologisch  aktiv  bezeichnen  können,  so  liegt  das 

*)  Nach  einem  Vortrag  in  der  medizinischen  Gesellschaft  Leipzig.  23.  2.  1909. 

22 


338 


Birch-Hirschfeld, 


daran,  daß  ihre  Absorption  im  Gewebe  umgekehrt  proportional  zur 
Wellenlänge  ist,  eine  physiologische  oder  pathologische  Wirkung  aber 
nur  dort  zu  erwarten  ist,  wo  Strahlen  absorbiert  werden. 

Handelt  es  sich  nun  um  eine  Schädigung  des  Auges,  so  ist  es, 
ehe  wir  über  den  hierbei  in  Betracht  kommenden  Spektralbezirk  urteilen 
können,  notwendig,  die  Absorption  der  Augenmedien,  der  Hornhaut, 
des  Kammerwassers,  der  Linse  und  des  Glaskörpers  kennen  zu  lernen. 

Hierüber  liegen  verschiedene  Untersuchungen  vor,  die  jedoch  in 
mancher  Hinsicht  nicht  einwandfrei  sind,  sei  es,  daß  die  Spektro- 
gramme  nicht  genau  nach  Wellenlängen  analysiert  wurden,  die  zur 
Spektrographie  verwendete  Lichtquelle  kein  homogenes,  sondern  ein 
diskontinuierliches  Spektrum  besaß,  daß  die  brechende  Wirkung  der 
Augenmedien  und  ihre  Dicke  nicht  genügend  berücksichtigt  oder  end¬ 
lich  die  Expositionszeit  nicht  gleich  gewählt  wurde. 

Ich  habe  deshalb  eine  Leihe  von  spektrographischen  Untersuchungen 
angestellt  bei  möglichster  Vermeidung  dieser  Fehlerquellen  und  bin 
dabei  zu  folgenden  Resultaten  gekommen : 

Am  schwächsten  absorbiert  das  Kammerwasser  und  der  Glas¬ 
körper,  etwas  mehr  (bis  307  fifi)  die  Hornhaut,  am  stärksten  die  Linse. 

Die  Linse  hält  Strahlen  bis  330,  350,  in  manchen  Fällen  bis 
fast  400  fifx  zurück.  Sie  bildet  also  einen  wichtigen  Schutz  für  die 
Netzhaut. 

Strahlen  von  kürzerer  Wellenlänge  als  307  fifjb  können  nicht  bis 
zur  Linse,  solche  unter  330  ju/a  in  den  meisten  Fällen  bei  vorhandener 
Linse  nicht  zur  Netzhaut  gelangen. 

Außerdem  ergab  sich,  daß  nicht  unbeträchtliche  Differenzen 
in  der  Absorption  der  Linse  Vorkommen,  die  das  eine  Auge  zur  Schädi¬ 
gung  durch  kurzwelliges  Licht  mehr  disponieren  als  ein  anderes. 

Ob  unter  pathologischen  Verhältnissen  oder  mit  vorrückendem 
Lebensalter  eine  Abnahme  der  Absorptionskraft  der  Linse  eintritt, 
wie  behauptet  wird,  und  zugleich  eine  Abnahme  der  Fluoreszenz  im 
kurzwelligen  Lichte,  muß  noch  weiter  festgestellt  werden.  Bisher  habe 
ich  mich  hiervon  nicht  überzeugen  können. 

Fragen  wir  nun  —  welche  Schädigungen  des  Auges  durch  Licht 
sind  bisher  klinisch  und  experimentell  beobachtet?  ' 

Wenn  wir  von  den  rein  subjektiven  Beschwerden  absehen,  wie 
sie  namentlich  bei  nervösen  Personen  nach  Blendung  häufig  auftreten, 
können  wir  als  leichteste,  wenn  auch  recht  unangenehme  Blendungsfolge 
die  sog.  Ophthalmiia  electrica  bezeichnen. 

Mehrere  Stunden  nach  der  Blendung  stellt  sich  ein  Reizzustand 
des  vorderen  Augenabschnittes  ein  mit  Lichtscheu,  Tränenfluß  und 
meist  sehr  heftigen  Schmerzen  —  dem  Patienten  ist  es,  als  wenn  Tausende 
spitzer  Fremdkörper  sich  in  der  Bindehaut  hin-  und  herbewegen.  — 
Meist  sind  nur  die  Lider  und  die  Bindehaut  gerötet  und  geschwellt, 
in  schweren  Fällen  ist  auch  die  Hornhaut  getrübt  und  die  Iris  hyper- 
ämisch.  Die  Netzhaut  ist  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  nicht  beteiligt. 
Nach  einigen  Tagen  bilden  sich  die  Erscheinungen  zurück,  meist  ohne 
Folgen  zu  hinterlassen. 

Die  elektrische  Ophthalmie  ist  mit  Sicherheit  auf  Blendung  durch 
kurzwelliges  Licht  zu  beziehen.  In  erster  Linie  kommen  hier  wohl 
die  Strahlen  mit  geringerer -Wellenlänge  als  300  /ufi  in  Betracht,  die 
gar  nicht  ins  Augeninnere  eindringen  können,  aber  von  Bindehaut 
und  Hornhaut  stark  absorbiert  werden.  Aber  auch  die  Strahlen 


Die  Schädigung  des  Auges  durch  Licht  und  ihre  Verhütung. 


839 


zwischen  300  und  350  ULfJi  können  mitwirken.  Dagegen  kommen  die 
leuchtenden  Strahlen  hier  kaum  in  Betracht. 

Die  beschriebenen  Symptome  können  auf treten  1.  nach  Schnee¬ 
blendung  auf  hohen  Bergen  durch  Sonnenlicht,  das  reich  an  kurz¬ 
welligen  Strahlen  ist ;  2.  nach  Kurzschlußblendung  und  Blitzblendung ; 
3.  nach  Blendung  mit  künstlichem  Lichte,  das  reich  an  kurzwelligen 
Strahlen  ist  (elektr.  Bogenlampe,  Eisenlicht,  Quecksilberdampflicht 
usw.).  Sie  lassen  sich  leicht  experimentell  am  Kaninchen  hervorrufen. 

Ich  habe  die  Veränderungen  der  Bindehaut  bei  Ophthalmia  elec¬ 
trica  auch  anatomisch  untersucht  und  vor  allem  eosinophile  Zellen 
im  Sekret,  Plasmazellen,  Lympho-  und  Leukozyten  im  subepithelialen 
Gewebe  angetroffen. 

Blendete  ich  die  Kaninchenbindehaut  sehr  häufig  (mehr  als  100  mal) 
mit  dem  Lichte  der  Uviollampe  in  kurzen  Zwischenräumen,  so  ließen 
sich  auch  eigenartige  Veränderungen  am  Epithel  und  im  subepithelialen 
und  prätarsalen  Gewebe  hervorrufen,  die  den  Veränderungen  beim  Erüh- 
j  ahrskat arrh  ähnlich  sind. 

Dies  ist  nicht  ohne  Interesse,  da  neuerdings  die  Conjunctivitis 
vernalis  von  manchen  Seiten  auf  Lichtwirkung  zurückgeführt  wird. 

Durch  Blendung  mit  intensivem,  besonders  kurzwelligem  Lichte 
können  aber  auch  Störungen  dter  Netzhaut  hervorgerufen  werden. 

Im.  Laufe  des  letzten  Jahres  konnte  ich  fünf  Eälle  beobachten, 
wo  sich  nach  längerer  Einwirkung  von  Quecksilberdampflicht  eine 
partielle  Farbensinnstörung  der  Netzhaut  für  Bot  und  Grün,  und 
zwar  in  einem  ringförmigen  perizentralen  Gebiete  entwickelt  hatte, 
die  sich  erst  nach  mehreren  Wochen  zurückbildete.  Auch  nach  Schnee¬ 
blendung  sind  ähnliche  Erscheinungen  beschrieben  worden. 

Wieweit  hierbei  und  bei  der  Erythropsie  die  ultravioletten 
Strahlen  zwischen  400  und  350  wieweit  die,  leuchtenden  (besonders 
violetten)  Strahlen  als  Ursache  in  Betracht  kommen,  ist  schwer  zu  ent¬ 
scheiden.  Manches  spricht  dafür,  daß  wir  es  hier  mit  einer  kombinierten 
Wirkung  beider  zu  tun  haben. 

Das  gleiche  gilt  auch  für  die  Sehstörungen,  die  nach  Blitzblen¬ 
dung,  Kurzsc'hlußblendung  und  Blendung  durch  intensives 
künstliches  Licht  hervorgerufen  wurden.  Ich  habe  aus  der  Literatur 
einige  100  solcher  Fälle  zusammenstellen  können,  bei  denen  der  Augen¬ 
spiegel  entweder  keine  Veränderung  oder  nur  leichte  Verschleierung  der 
Papillengrenzen  entdeckte,  während  ein  zentrales  oder  parazentrales 
Skotom,  häufig  auch  konzentrische  Gesichtsfeldeinengung  und  eine 
nicht  selten  schwere  und  dauernde  Sehstörung  vorhanden  war. 

Daß  bei  diesen  Netzhautveränderungen  nur  das  kurzwellige  Licht 
das  schädliche  Agens  darstellt,  glaube  ich  nicht,  das  klinische  Bild 
spricht  vielmehr  für  eine  Mitwirkung  der  blauen  und  violetten 
Strahlen.  Bei  der  Somnenblendung,  die  nach  Beobachtung  von  Son¬ 
nenfinsternissen  mit  ungenügend  geschütztem  Auge  recht  häufig  beob¬ 
achtet  worden  ist,  scheinen  sogar  in  erster  Linie  oder  ausschließlich 
die  Strahlen  von  größerer  Wellenlänge  die  schädlichen  zu  sein. 

Endlich  ist  noch  auf  die  Schädigung  der  Linse  durch  Licht 
hinzuweisen.  Widmark  und  Hess  haben  experimentell  nachgewiesen, 
daß  nach  intensiver  und  lang  dauernder  Blendung  das  Kapselepithel 
des  Versuchstieres  Degenerationserscheinungen  darbieten  kann,  die  von 
Linsentrübung  gefolgt  sind. 

Das  legt  den  Gedanken  nahe,  daß  auch  der  sogen.  Blitz star 

22* 


340  Birch-Hirschfelcl,  Die  Schädigung  des  Auges  durch  Licht  und  ihre  Verhütung. 

und  der  Star  nach  Verletzung  durch  Kurzschluß,  durch  Strahlen¬ 
wirkung  entsteht  und  zwar  würde  hier  nach  der  Natur  des  blendenden 
Lichtes  und  der  Absorption  der  Linse  besonders  an  die  ultravioletten 
Strahlen  zu  denken  sein.  Indessen  —  wenn  wir  genauer  Zusehen  - — 
bemerken  wir,  daß  in  denjenigen  Fällen,  wo  nach  solchen  Verletzungen 
sich  Star  entwickelte,  keine)  reine  Blendung,  sondern  eine  direkte 
Wirkung  des  elektrischen  Stromes  auf  den  Körper  des  Betroffenen 
in  Frage  kommt.  Es  gibt  zwar  genug  Fälle  von  ec'hter  Kurz¬ 
schlußblendung  und  mehrere  Fälle  von  reiner  Blitzblendung, 
aber  in  diesen  blieb  die  Linse  ungetrübt. 

Die  klinischen  Verhältnisse  sprechen  also  mehr  gegen  als  für 
die  Entstehung  der  Katarakt  durch  Blendung  mit  kurzwelligem  Lichte. 

Nun  könnte  aber  in  mehr  chronischer  Weise  durch  Summation 
kleiner  Einzelschädigungen  des  Linsenepithels  Starbildung  bedingt 
werden. 

Hier  wäre  besonders  an  den  Glasbläserstar  zu  denken,  bei  dem 
man  neuerdings  der  Einwirkung  des  kurzwelligen  Lichtes  die  Hauptbe¬ 
deutung  beimißt.  Allein  —  hier  können  als  Ursache  der  Starbildung 
auch  die  Wärmestrahlen  in  Betracht  kommen.  Es  wäre  jedenfalls 
auffällig,  weshalb  Arbeiter  in  anderen  Betrieben,  die  gleichfalls  kurz¬ 
welligem  Lichte  sehr  ausgesetzt  sind,  z.  B.  in  Schmelzwerken  und  in 
ge w.  Zweigen  der  Beleuchtungsindustrie,  die  nicht  selten  an  den  Er¬ 
scheinungen  der  elektrischen  Ophthalmia  erkranken,  nicht  auch  früh¬ 
zeitig  von  Star  befallen  werden.  Ohne  deshalb  die  Mitwirkung  des 
ultravioletten  Lichtes  beim  Glasbläserstar  leugnen  zu  wollen,  bin  ich 
doch  der  Ansicht,  daß  hier  außerdem  noch  andere  Ursachen  mit  in 
Betracht  kommen. 

Will  man  nun  gar,  wie  manche  Autoren  es  tun,  den  grauen  Star 
schlechthin  auf  Schädigung  der  Linse  durch  Licht,  besonders  das  kurz¬ 
wellige  zwischen  300  und  350  fifi  zurückführen  —  so  geht  man,  wie 
ich  glaube,  viel  zu  weit. 

Das  Sonnenlicht  der  Ebene  ist  relativ  arm  an  kurzwelligem  Lichte, 
gerade  sein  Spektralbezirk  zwischen  300  und  350  fifi  wenig  intensiv. 

Außerdem  - —  müßten  wir  dann  nicht  erwarten,  daß  solche  Per¬ 
sonen,  die  kurzwelligem  Lichte  exponiert  sind,  die  Bewohner  hoch¬ 
gelegener  Orte,  die  Arbeiter  in  manchen  Betrieben  besonders  häufig 
an  grauem  Star  erkrankten,  daß  andere,  die  niemals  Blendungen  aus¬ 
gesetzt  sind,  davon  verschont  bleiben?  —  Würde  nicht  bei  der  erheb¬ 
lichen  Zunahme  der  Lichtintensität  und  der  kurzwelligen  Strahlen 
unserer  modernen  Lichtquellen  eine  Zunahme  des  grauen  Stars  nament¬ 
lich  bei  der  Stadtbevölkerung  ein  treten  müssen  ?  —  Bei  einem  so  häufigen 
Leiden,  wie  es  der  Altersstar  ist,  würde  sich  das  kaum  der  Beobach¬ 
tung  entziehen. 

Aber  selbst  wenn  man  an  der  Möglichkeit  festhält,  daß  neben 
anderen  Momenten  bei  der  Starbildung  auch  das  Licht  eine  Bolle 
spielt  - —  muß  man  sich  darüber  klar  sein,  daß  es  sich  um  eine 
Hypothese  und  nicht  um  eine  klinisch  oder  anatomisch  erwiesene  Tat¬ 
sache  handelt.  Das  Ergebnis  der  Versuche  von  Hess  und  Widmark 
beweist  nicht  das  Gegenteil. 

Zum  Schutz  gegen  Strahlenschädigung  des  Auges  stehen 
uns  verschiedene  Mittel  zur  Verfügung. 

Zunächst  können  wir  künstliche  Lichtquellen,  namentlich  solche, 
die  reich  an  kurzwelligen  Strahlen  sind,  so  anbringen,  daß  jede  Bien- 


Wohlwill,  Hamburger  Brief. 


341 


düng  ausgeschlossen  ist.  Da  die  Intensität  im  Quadrat  der  Entfernung 
abnimmt,  läßt  sich  das  leicht  erreichen. 

Das  Ideal  bildet  m.  E.  die  sogen,  indirekte  Beleuchtung,  hei  der 
die  Flamme  selbst  unsichtbar  ist. 

Zweitens  können  wir  die  Lampen  mit  Schutzglocken  oder  Zylindern 
umgehen,  die  den  größten  Teil  des  kurzwelligen  Spektrum  bis  400  y/r 
absorbieren.  Das  Beispiel  eines  solchen  Glases  bildet  das  von  Schanz 
und  Stockhausen  erschmolzene  Euphosglas. 

Doch  müssen  wir  bedenken,  daß  dieses  Glas  nur  gegen  ultra¬ 
violette  und  durch  seine  Gelbfärbung  in  geringem  Grade  gegen  blaue 
Strahlen  schützt. 

Da,  wie  wir  sahen,  besonders  für  die  Schädigungen  der  Netz¬ 
haut,  auch  die  leuchtenden  Strahlen  mit  in  Betracht  kommen,  werden 
wir  auch  diese  abzudämpfen  suchen,  was  leicht  durch  Färbung  oder 
Mattierung  geschehen  kann. 

Alle  Personen  aber,  die  bei  besonders  intensivem,  an  kurzwelligen 
Strahlen  reichem  Lichte  zu  arbeiten  haben,  sind  mit  Schutzbrillen  zu 
versehen,  die  durch  die  Glassorte  und  die  Färbung  sowohl  blauen  und  die 
violetten  als  die  ultravioletten  Strahlen  absorbieren. 

Hier  scheinen  mir  nach  meinen  spektrographischen  Aufnahmen 
besonders  das  sog.  Enixanthosglas  (Bodenstock-München),  das  Hallauer- 
glas  (Nitzsche  und  Günther-Bathenow)  und  das  Euphosglas  (Deutsche 
Spiegelglasaktiengesellschaft-Freden  a.  d.  Leine, '  —  namentlich  wenn 
dieses  etwas  dunkler  gefärbt  würde)  gute  Dienste  zu  tun. 

Meine  Spektrogramme  zeigen  außerdem,  daß  die  rauc'hgrauen 
Gläser  bezüglich  der  Absorption  für  kurzwellige  und  leuchtende  Strahlen 
wesentlich  günstiger  sind,  als  die  blauen  Schutzbrillen.  Es  wäre  wohl 
an  der  Zeit,  die  blauen  Schutzbrillen,  die  noch  viel  verordnet  werden, 
ganz  beiseite  zu  lassen. 

Für  kranke  Augen,  die  besonderen  Schutzes  bedürfen  (bei  Iritis, 
Keratitis,  Chorioiditis  usw.),  dürfte  eine  rauchgraue  Schutzbrille,  die 
bis  etwa  360  yy  die  ultravioletten  Strahlen  absorbiert,  die  leuchtenden 
Strahlen  stark  abdämpft,  für  gewöhnliche  Verhältnisse  völlig  ausreichen. 

Jedes  Auge  gegen  die  recht  hypothetische  Wirkung  des  kurz¬ 
welligen  Lichtes  auf  die  Linse  durch  Gläser,  die  bis  400  yy  absor¬ 
bieren,  zu  schützen,  halte  ich  nicht  nur  für  undurchführbar,  sondern 
für  überflüssig. 


Hamburger  Brief. 

Von  Dr.  Wohlwill,  Hamburg. 

Die  biologische  Sektion  des  ärztlichen  Vereins  hielt  ihre  zweite 
Sitzung  im  neuen  Jahr  am  19.  Januar;  ab.  Zunächst  demonstrierte 
Lieb  recht  verschiedene  Präparate  aus  dem  Gebiet  der  Ophthalmo¬ 
logie,  von  denen  besonders  Bilder  von  Protozoen  in  Augenmuskeln, 
sowie  der  Sehnerv  eines  Falles  von  Nonne  interessierte,  bei  dem  es 
infolge  Atoxylgebrauchs  zu  einer  totalen  Erblindung  gekommen  war. 
Anatomisch  fand  sich  in  dem  Fall  nur  in  den  zentralen  Teilen  des 
Optikus  eine  zentrale  Atrophie,  ein  Befund,  welcher  nur  ein  zentrales 
Skotom  zu  erklären  imstande  gewesen  wäre.  Jedoch  spielen  nach 
anderweitigen  Untersuchungen  für  die  totale  Erblindung  vielleicht  auch 
Schädigungen  der  Betina-Ganglien-Zellen  eine  Bolle. 


342 


Wohlwill, 


Edlefsen  berichtete  über  eine  von  ihm  gefundene  Methode  der 
quantitativen  Kreatininbestimmung  im  Harn,  welche  im  wesentlichen 
darauf  beruht,  daß  salizylsaures  Kreatinin  in  Äther  im  Gegensatz 
zu  salizylsaurem  Harnstoff  unlöslich  ist. 

Umber  wies  in  der  Diskussion  darauf  hin,  wie  wichtig  es  wäre, 
eine  praktisch  brauchbare  Methode  der  Kreatininbestimmung  zu  be¬ 
sitzen.  um  Herkunft  und  Bedeutung  dieses  Körpers  genauer  studieren 
zu  können. 

Hueter  demonstrierte  das  Herz  eines  plötzlich  verstorbenen 
Mannes,  in  welchem  sich  ein  großer  Septumdefekt  findet,  und  zwar 
tiefer  als  dem  gewöhnlichen  Sitz  der  kongenitalen  Defekte  entspricht. 
Unter  den  verschiedenen,  ausführlich  erörterten  Möglichkeiten  der  Ent¬ 
stehung  hält  H.  diejenige  aus:  einem  früheren  Myokardabszeß  für  die 
wahrscheinlichste,  während  Simmonds  nach  Analogie  mehrerer  anderer 
Präparate  eher  ein  Gummi  annehmen  würde.  Einen  derartigen,  genau 
untersuchten  Fall  demonstrierte  Fahr  in  der  nächsten  Sitzung.  Durch 
die  Gummigeschwulst  war  das  atrioventrikuläre  Bündel  in  Mitleiden¬ 
schaft  gezogen.  F.  gab  an  der  Hand  dieses  Falls  genauere  Details 
über  den  anatomischen  Verlauf  des  His’schen  Bündels,  und  erläuterte 
denselben  durch  zahlreiche  histologische  Präparate,  sowie  ein  instruk¬ 
tives  Modell.  Leider  war  der  betreffende  Fall  klinisch  nicht  beob¬ 
achtet,  so  daß  nicht .  bekannt  ist,  ob  der  Mann  intra  vitam  das  Bild 
einer  Adam  Stokes’schen  Krankheit  geboten  hat. 

In  derselben  Sitzung  stellte  Wiesinger  die  Organe  eines  Falles 
vor,  bei  dem  seit  vielen  Jahren  Ulzferationsprozesse  im  Dickdarm  be¬ 
standen  hatten,  welche  nach  langer  Zeit  relativen  Wohlbefindens  durch 
Darmperforation  zur  letalen  Peritonitis  geführt  hatten.  W.  hält  die 
Ulzerationen  nach  Ausschluß  aller  übrigen  Möglichkeiten  für  gonor¬ 
rhoischer  Natur. 

In  der  Diskussion  kam  namentlich  die  Therapie  dieser  Affek¬ 
tion  zur  Sprache.  W.  selbst  würde  heute  in  einem  solchen  Fall  eine 
möglichst  radikale  Exstirpation  versuchen.  Die  Gefahr  der  Erkran¬ 
kung  liegt,  wie  Simmonds  betont,  in  der  Amyloidentartung  der  Organe, 
welche  übrigens  in  diesem  Fall  nicht  vorlag. 

Jolasse  demonstrierte  ein  Präparat  von  hochgradigen  Ösophagus¬ 
varizen  bei  einem  siebenjährigen  Kind,  welche  zu  einer  tödlichen  Häma- 
temese  geführt  hatten.  Als  Ursache  fand  sich  nur  eine  erhebliche 
'Wandverdickung  sämtlicher  Pfortaderäste.  Differentialdiagnostisch 
ist  wichtig,  daß  bei  Kindern  eine  Hämatemese  öfter  auf  ösophagus- 
varicten,  als  auf  Ulcus  ventriculi  beruht. 

Simmonds  besprach  in  seinem  Vortrag  über  Hämochromatose 
die  verschiedenen  Zustände,  bei  denen  es  zur  pathologischen  Ablage¬ 
rung  von  eisenhaltigem  und  eisenfreiem  Pigment  kommt.  In  Betracht 
kommt  außer  der  perniziösen  Anämie  hauptsächlich  der  chronische 
Alkoholismus,  ferner  marantische  Zustände  verschiedener  Art.  In  den 
Fällen  von  Leberzirrhose  mit  Siderosis  ist  der  Alkoholismus  die  ge¬ 
meinschaftliche  Ursache  für  die  Bindegewebswucherung  in  der  Leber 
und  die  Pigmentablagerungen.  Derartige  Fälle  kombinieren  sich  bis¬ 
weilen  mit  Diabetes  (sogen.  Bronze-Diabetes).  Auch  hier  ist  die  Alkohol¬ 
intoxikation  das  primäre;  sie  fährt  im  Pankreas  zu  den  gleichen  Ver¬ 
änderungen  wie  in  der  Leber  und  somit  zu  Diabetes,  Leberzirrhose 
und  Siderosis. 


Hamburger  Brief. 


343 


In  der  Diskussion  berichtet  Fahr  über  die  Folgen  experimenteller 
Veronalvergiftung  beim  Hund.  Bei  sehr  großen  Dosen  konstatierte 
er  in  vielen  Fällen  einen  starken  Eisengehalt  der  Leber,  während  in 
andern  Fällen  diese  Erscheinung  ausblieb,  ohne  daß  zurzeit  eine  Er¬ 
klärung  dieses  wechselnden  Verhaltens  zu  geben  wäre. 

Im  ärztlichen  Verein  demonstrierte  am  26.  Januar  Holz  mann 
eine  Patientin,  welche  mit  urämischen  Krämpfen  ins  Krankenhaus  ein¬ 
geliefert  wurde;  die  mehr  zufällig  angestellte  Wasser  mann- Reaktion 
im  Serum  ergab  positiven  Ausfall.  Alle  Nachforschungen  auf  Lues 
bei  dem  15  jährigen  Mädchen,  sowie  bei  dessen  Eltern  ergaben  nega¬ 
tives  Resultat.  14  Tage  später  trat  Schuppung  auf,  und  die  nunmehr 
genauer  erhobene  Anamnese  ergab  das  Vorausgehen  einer  Scharlach¬ 
erkrankung  mit  Sicherheit.  Bei  mehreren  Nachuntersuchungen  wurde 
die  Wassermann -Reaktion  allmählich  schwächer,  um  schließlich  ganz 
zu  verschwinden.  Ein  derartiges  Verhalten  der  Komplementablenkungs- 
Reaktion,  und  zwar  ohne  daß  eine  antisyphilitische  Behandlung  erfolgt 
ist,  kann,  wenn  Syphilis  mit  Sicherheit  auszuschließen  ist,  und  Schar¬ 
lach  aus  anderen  Gründen  wahrscheinlich,  diese  letztere  Diagnose 
stützen. 

Deneke  hielt  einen  umfassenden  Vortrag  über  Blutdruckbestim¬ 
mung  am  Kranken.  Er  demonstrierte  außer  den  älteren  und  neueren 
gebräuchlichen  Apparaten  einen  von  ihm  konstruierten,  Avelcher  eine 
handlichere  und  billigere  Modifikation  des-  Apparates  von  Riva-Rocci 
darstellt.  Den  diastolischen  Druck  bestimmt  er  nach  der  oszillatorischen 
Methode.  Diese  wird  durch  die  Möglichkeit,  das  Gebläse  vom  Mano¬ 
meter  durch  einen  Hahn  abzuschließen,  erleichtert.  Er  bespricht  so¬ 
dann  die  verschiedenen  Erkrankungen,  bei  denen  Blutdruckbestimmungen 
von  Wichtigkeit  sind,  und  hebt  namentlich  die  Frühdiagnose  der  Arterio¬ 
sklerose  hervor,  welche  unter  Ausschluß  von  Aorteninsuffizienz  und 
Nephritis  durch  eine  pathologische  Erhöhung  des  Blutdrucks  ermög¬ 
licht  wird.  Doch  kann  dies;  Symptom  unter  noch  nicht  näher  geklärten 
Umständen  auch  fehlen.  Deneke  betont,  daß  die  Höhe  des  Blutdrucks 
auf  diejenige  Größe,  die  zu  kennen  für  die  Beurteilung  der  Herzkraft 
am  wichtigsten  wäre,  nämlich  das  Schlagvolum,  keinen  Schluß  zulasse, 
da  er  auch  von  der  Dehnbarkeit  der  Gefäße  abhänge.  Man  könne 
jedoch  bei  demselben  Menschen  die  Werte  vergleichen,  und  Verände¬ 
rungen  des  Blutdrucks  mit  einiger  Vorsicht  auch  auf  das  Schlagvolumen 
beziehen,  da  die  Dehnbarkeit  der  Gefäße  sich  nicht  so  schnell  ändere. 

In  der  Diskussion  zeigte  sich,  daß  unter  den  Ärzten  der  Wert 
der  Blutdruckbestimmungen  noch  verschieden  beurteilt  wird.  Kor  ach 
warnte  vor  zu  großem  Enthusiasmus,  gab  aber  selbst  verschiedene  Bei¬ 
spiele,  in  denen  sie  sich  als  wichtig  erweist,  so  für  die  Prognose  einer 
Pneumonie,  für  die  Indikationsstellung  zu  einer  Karellkur,  welche  er 
bei  einem  Blutdruck  von  unter  80  mm  für  aussichtslos  hält,  für  die 
Unterscheidung  zwischen  echter  Nephritis  und  orthostatischer  Albu¬ 
minurie  u.  a.  m. 

Hasebrook  wies  darauf  hin,  daß  die  Viskosität  des  Bluts  einen 
erheblichen  Faktor  für  die  Höhe  des  Blutdrucks  ausmache,  und  daß 
vermutlich  viele  sonst  nicht  erklärliche  Schwankungen  des  Blutdrucks 
auf  veränderten  Viskositätsverhältnissen  beruhen. 

Kotzenberg  teilte  mit,  daß  er  bei  systematisch  ausgeführten 
Blutdruckuntersuchungen  bei  akuter  und  subakuter  Appendizitis  meist 
einen  erhöhten  Druck  gefunden  habe,  während  dieser  Befund  auffallender- 


344  Vorläufige  Mitteilungen  und  Autoreferate. 

weise  bei  anderen  entzündlichen  Erkrankungen  der  Bauchhöhle  nicht 
erhoben  wurde. 

In  (der  Sitzung  vom  9.  Februar  stellte  Umber  einen  Kranken  mit 
multiplen  Lipomen  vor,  welche  sich  durch  eine  außerordentliche  Schmerz¬ 
haftigkeit  auszeichnen.  Die  mikroskopische  Untersuchung  ergab,  daß 
durch  all  diese  Lipome  ein  kleiner  Nerv  hindurchläuft,  es  sich  also 
um  perineurale  Lipome  handelt.  Nur  durch  Exzision  sämtlicher  Knöt¬ 
chen  (über  100)  konnte  de|r  Mann  von  seinen  erheblichen  Schmerzen 
befreit  werden. 

Heß  stellte  einen  ,Mann  vor,  bei  dem  die  paradoxe  Pupillen¬ 
reaktion  (Erweiterung  auf  Lichteinfall)  unter  allen  Kautelen,  nament¬ 
lich  auch  unter  Ausschluß  der  Wärmereaktion,  einwandsfrei  nach¬ 
gewiesen  werden  konnte.  Das  Vorkommen  dieser  Beaktion  wird  viel¬ 
fach  noch  bestritten,  und  es  liegen  bisher  nur  wenige  eindeutige  Be¬ 
obachtungen  vor. 

Lenhartz  demonstrierte  einen  Knaben,  bei  dem  er  wegen  einer 
seit  sechs  Jahren  bestehenden  chronischen  einseitigen  Tuberkulose  von 
der  I.  bis  IX.  Kippe  insgesamt  ca.  90  cm  reseziert  hat,  Um  die  sicher 
vorhandenen  Kavernen  zur  Schrumpfung  zu  bringen.  Die  eingreifende 
Operation  ist  ausgezeichnet  vertragen  und  hat  schon  nach  kurzer  Zeit 
den  Erfolg  gezeigt,  daß  die  Rasselgeräusche  erheblich  abgenommen 
haben. 

Haenisch  demonstrierte  eine  Reihe  schöner  Röntgenbilder  aus 
dem  Gebiete  der  Nierenerkrankungen.  Er  besprach  namentlich  die 
röntgenologische  Diagnose  der  Hydronephrose.  Charakteristisch  für 
diese  Erkrankung  ist  ein  Schatten,  welcher  nach  unten  mit  einer  dop¬ 
pelten  Bogenkontur  abschließt.  Der  eine  Bogen  entspricht  dem  Nieren - 
schatten,  der  andere  dem  erweiterten,  flüssigkeitgefüllten  Nierenbecken. 
Der  doppelte  Bogen  kommt  nur  dann  zustande,  wenn,  was  nicht  immer 
der  Fall  ist,  das  erweiterte  Nierenbecken  außerhalb  des  Nierenschattens 
liegt.  Auf  andern  Bildern  sah  man  den  eingeführten  Ureterenkatheter 
auf  gerollt  im  Nierenbecken  liegen. 

Zum  Schluß  sei  noch  berichtet,  daß  der  ärztliche  Verein  zusammen 
mit  mehreren  anderen  wissenschaftlichen  Vereinen  Hamburgs  am  13. 
und  14.  Februar  eine  Darwinfeier  veranstaltete,  bei  der  die  Professoren 
Waldeyer-Berlin,  Detmer-Jena  und  Klaatsch- Breslau,  sowie  unsere 
Hamburger  Professoren  Kraepelfn  und  Gott  sehe  Vorträge  hielten, 
in  denen  Darwin’s  Leben,  seine  Werke,  sowie  der  jetzige  Stand  der 
von  ihm  begründeten  Lehre  eine  vielseitige  und  lehrreiche  Beleuchtung 
erfuhren. 


Vorläufige  Mitteilungen  u.  Autor eferate. 


Zur  Pathologie  und  Therapie  der  Tränenwege. 

Von  Prof.  El  sehnig. 

(Wissenschaftliche  Gesellschaft  deutscher  Ärzte  in  Böhmen.  Sitzung  vom  12.  2.  1909.) 

Die  Konkrementbildungen  der  Tränenröhrchen,  die  einzige  bis¬ 
her  bekannte  Erkrankung  derselben,  wurden  früher  als  Leptothrix, 
später  als  Actinomyces  aufgefaßt,  welche  Auffassung  auch  Elschnig 
von  seinem  ersten  Falle  hatte,  den  er  jedoch  später  bald  als  Strepto- 


Vorläufige  Mitteilungen  und  Autoreferate. 


345 


thrix  erkannte.  In  einem  zweiten  Falle  fand  er  das1  Konkrement  als 
einen  von  Leukozyten  durchsetzten  Detritus  mit  spärlichen  Faden- 
pilzen.  Infolge  dieser  Nekrose  wahrscheinlich  die  schwere  Kultivier¬ 
bar  keit.  Ein  dritter  Fall  wurde  durch  die  einseitige,  langwierige  Kon¬ 
junktivitis  und  leichte  Schwellung  an  der  inneren  Extremität  des  be¬ 
troffenen  Lides  als  solcher  diagnostiziert.  Ausstrichpräparate  und 
Kulturen  ergaben  neben  Staphylokokkus  Streptothrix. 

Elschnig  beobachtete  im  abgelaufenen  Jahre  eine  gewiß  nicht 
gar  so  seltene,  wenn  auch  nur  von  älteren  Autoren  erwähnte  Blen¬ 
norrhoe  der  Tränenröhrchen  viermal,  davon  zweimal  ohne  gleichzeitige 
Tränensack-Blennorrhöe,  je  einmal  bei  Bindehauttrachom  und  normalem 
Bindehautsack ;  zweimal  nach  glatt  geheilter  Tränensackexstirpation, 
darunter  einmal  wieder  bei  Bindehauttrachom.  Therapie :  in  frischeren 
Fällen,  hei  normalem  Tränensack,  Ausspritzen  des  Tränenröhrchens 
mit  l°/0igem  Arg.  nitr.  oder  Oxyzyanidlösung ;  nach  Tränensackexstir¬ 
pation  und  hei  Bindehauttrachom,  wobei  Trachom  der  Tränenröhrchen¬ 
schleimhaut  wohl  die  Ursache  der  Blennorrhoe  ist,  Schlitzung  und 
Auskratzung  oder  Kauterisation. 

Elschnig  empfiehlt  ferner  die  von  Toti  1903  angegebene  Dakryo- 
zystorhinostomie  eingehender  Würdigung.  Die  von  ihm,  stets  unter 
Lokalanästhesie,  operierten,  prima  intentione  und  mit  ganz  kleiner 
Narbe  geheilten  zwölf  Fälle  zeigten  unter  den  bisher  ganz  geheilten 
zehn  Fällen  fünfmal  normale  Tränenahleitung,  fünfmal  leichtes  Ab¬ 
fließen  von  in  die  Tränenröhrchen  eingespritzter  Flüssigkeit  durch 
die  Nase.  Technik:  Freilegen  und  Ausmeißeln  des  Tränenbeines,  ent¬ 
sprechend  dem  Knochendefekt  Resektion  der  Nasenschleimhaut  und 
dann  der  medialen  Wand  des  Tränensackes,  so  daß  die  laterale  Wand 
mit  der  Mündung  der  Tränenröhrchen  direkt  in  die  Nasenwände  ein¬ 
gepflanzt  wird. 


Verein  deutscher  Ärzte  in  Prag,  22.  Januar  1909. 

Prof.  Elschnig  stellt  folgende  Krankheitsfälle  vor: 

18  jähriges  Mädchen  mit  rechtsseitiger  Amaurose  und  linksseitiger 
temporaler  Hemianopsie.  Ursache  nicht,  wie  a  priori  zu  vermuten  war, 
Läsion  des  Chiasma  durch  Hypophysen-  oder  Keilbeinerkrankung,  son¬ 
dern  ein  großer  10 — 12  cm  im  Durchmesser  haltender,  nach  außen 
promenierender  Tumor  (Osteosarkom),  entsprechend  dem  Hinterhaupts¬ 
lappen,  der  nach  dem  Röntgenbefunde  oberhalb  des  Tentoriums  in  die 
Schädelhöhle  vordringt ;  also  vorerst  homonyme,  linksseitige  Hemi¬ 
anopsie  durch  Läsion  des  rechten  Sehzentrums  im  Occipitallappen,  dann 
Erblindung  des  rechten  Auges,  leichte  konzentrische  Einengung  des 
erhaltenen  Gesichtsfeldes  und  Herabsetzung  des  Sehvermögens  auf 
Fingerzählen  in  l1/2  m  des  linken  Auges  durch  Stauungspapille. 
Der  Tumor  wird  operiert  werden. 

36 jähriger  Mann.  Vor  zwei  Jahren  Ahduzens-  und  Fazialisparese 
rechts,  auf  Schmierkur  geheilt ;  seit  fünf  Monaten  Schwäche  der  unteren 
Extremitäten,  zuletzt  im  Rückgehen,  und  schwere  Bewegungsstörungen 
der  Augen.  Schmierkur  vergeblich.  Es  besteht  dissoziierter  Nystag¬ 
mus  in  vertikaler  Richtung  hei  Deviation  conjuge©  nach  links,  überdies 
rotatorischer  Nystagmus  in  gleichem  Sinne,  die  Bulbi  scheinen  um  weit 
außerhalb  des  Bulbus  medialwärts  parallel  der  optischen  Achse  gelegene 


346 


Vorläufige  Mitteilungen  und  Autoreferate. 


Achsen  in  gleichem  Sinne  zu  rotieren,  so  daß  jeweilig  ein  Auge  nach 
oben,  ein  Auge  nach  unten  gedreht  wird.  Der  Höhenausschlag  nimmt 
heim  Blick  nach  links  unten  zu.  Es  besteht  komplette  Blicklähmung 
nach  rechts  mit  vollständig  erhaltener  Konvergenz,  so  daß 
hierbei  das  linke  Auge  bis  in  den  inneren  Lidwinkel  gebracht  werden 
kann. 

Auf  Grund  des  Nervenbefundes  (Dozent  Dr.  Margulies)  kann 
entweder  disseminierte  Bückenmarkssklerose  oder  ein  luetischer  Prozeß 
als  Ursache  der  Affektion  angenommen  werden.  Letzteres  erscheint 
trotz  negativen  Wassermanns  wahrscheinlich.  Der  Krankheitsherd  der 
Augenaffektion  ist  in  den  rechten  Hirnstamm  (Pons  oder  vordere  Vier¬ 
hügelregion,  hinteres  Längsbündel)  zu  lokalisieren. 


lieber  Wright’sche  Vaccine-Therapie. 

Von  Priv.-Doz.  Dr.  Strubeil,  Dresden. 

(Vortrag  im  Verein  für  innere  Medizin  in  Berlin.  Sitzung  vom  25.  Januar  1909.) 

S  trübe  11 -Dresden  berichtet  ausführlich  über  seine  Erfolge  mit 
der  Wright’schen  Vaccine -Therapie.  Die  Anwendung  der  Wright’schen 
Vaccine  zur  opsonischen  Behandlung  ist  bis  jetzt  leider  noch  immer 
an  die  langwierige,  technisch  so  außerordentlich  schwierige  Bestimmung 
des  opsonischen  Index  geknüpft  gewesen.  Dies  ist  natürlich  ein  großes 
Hindernis  für  die  Propagierung  der  Methode  in  weitere  ärztliche  Kreise. 
Strubeil  ist  nun  auf  Grund  seiner  Versuche  dahin  gekommen,  die 
Behandlung  lokaler  Tuberkulosen,  wenn  auch  nicht  dauernd,  wohl 
aber  nach  ein-  oder  zweimaliger  Feststellung  des  opsonischen  Index 
auf  eine  Zeitlang,  ohne  diese  etwas  komplizierte  'Kontrolle  auszu¬ 
führen  und  auf  solche  Weise  wenigstens  teilweise  diese  Behandlung 
in  die  Hände  des  praktischen  Arztes  zu  legen. 

Weit  günstiger  noch  als  auf  dem  Gebiete  der  lokalen  Tuberkulosen 
gestalten  sich  aber  die  Verhältnisse,  sobald  man  daran  geht,  lokale 
St aphy lok)okken|erkr ankungen  opsonisch  zu  vaccinieren.  Strubeil 
hat  in  der  Behandlung  dieser  Affektionen  (akute  und  chronische 
Furunkulose,  Akne  vulgaris,  Sycosis  coccogenes,  nässende  Ekzeme)  so 
unzweideutig  gute  Erfolge  mit  Staphylokokken vaccinen  ohne  Kontrolle 
durch  den  Index  erzielt,  daß  sich  ihm  naturgemäß  die  Frage  auf- 
drängte,  durch  Herstellung  im  Großen  solcher  Vaccinen  diese  ganze 
Behandlung  zu  popularisieren. 

Strubells  Versuche,  das  Wright’sche  Verfahren  der  Vaccine¬ 
bereitung  für  die  Herstellung  größerer  Mengen  technisch  auszuarbeiten, 
gelang  ihm  schon  sehr  früh,  sodaß  bereits  im  November  1907  von  der 
Chemischen  Fabrik  Güstrojw,  der  Strubeil  die  Darstellung  der 
Vaccine  übertragen  hat,  der  Schutz  des  Namens  ,,Opsonogen“  beim 
Kaiserl.  Patentamt  beantragt  wurde.  Die  Mitteilung,  daß  dieser  Schutz 
gesichert  sei,  erfolgte  im  März  1908.  Unter  diesem  Zeitpunkt  lag  auch 
eine  Publikation  Strubells  druckfertig  vor.  Nur  durch  äußere  Um¬ 
stände  ist  das  Erscheinen  dieser  Publikation  und  die  Lancierung  der 
Vaccine  verhindert  worden.  Von  nun  ab  bringt  die  Chemische  Fabrik 
Güstrow  der  DDr.  Hillringhaus  und  Heilmann  unter  dem  Namen 
„Opsonogen“  eine  S'taphylokokkienvaocine  von  dem  Standard 
von  100  Millionen  Staphylokokken  pro  Kubikzentimeter  in 
kleinen  Ampullen  von  je  1  ccm  zum  Preise  von  1  Mark  in  den 
Handel.  Jeder  Arzt  kann  nunmehr  die  opsonische  Behandlung  lokaler 


Vorläufige  Mitteilungen  und  Autoreferate. 


347 


Staphylokokkenerkrankungein  mit  Erfolg  in  die  Hand  nehmen, 
vorausgesetzt  daß  er  ein  aseptisches  Verfahren  einschlägt,  d.  h.  die 
Einspritzungen  mit  ausgekochter  Morphiumspritze  nach  ausgiebiger 
Desinfektion  der  Haut  ins  Werk  setzt.  —  Professor  Wright  hat  sich 
(Practitioner  Mai  1908)  zu  ganz  denselben  Prinzipien  bekannt  und  läßt 
seinerseits  in  der  Vaccineabteilung  seines  opsonischen  Departments  Vac¬ 
cinen  gegen  verschiedene  Infektionskrankheiten  zur  Anwendung  ohne 
Bestimmung  des  opsonischen  Index  bereiten.  Autoreferat. 


Über  die  Hämolyse  der  Streptokokken. 

Von  Prof.  W.  Zangemeister. 

Nachdem  die  Behauptung  Fromme’s;,  daß  virulente  Streptokokken 
sich  von  nicht  virulenten  durch  ihre  hämolytischen  Eigenschaften  unter¬ 
scheiden,  und  daß  der  Befund  hämolytischer  Streptokokken  bei  einer 
Wöchnerin  die  Prognose  als  ernst  erscheinen  ließe,  von  seiten  der 
Hallenser  Klinik  selbst  (Heyne mann)  widerlegt  worden  ist,  erschien 
es  wichtig,  die  Bedeutung  der  Streptokokkenhämolyse  einmal  genau 
festzustellen.  Durch  eingehende  Experimentaluntersuchungen  stellte 
ich  fest,  daß  die  Aufhellung  des  Blutagars  lediglich  durch  den  Farb¬ 
stoffaustritt  aus  den  roten  Blutkörperchen  bedingt  wird,  den  das  Strepto¬ 
kokkenwachstum  bedingt.  Eine  Resorption  oder  eine  Spaltung  des 
Hämoglobins  findet  dabei  nicht  statt  bezw.  nur  in  minimalen  Spuren. 
Die  Säurebildu,ng  ist  nicht  an  dem  Aufhellungshof  auf  Blutagar 
schuld. 

Die  hämolysierende  Substanz  muß  von  den  Streptokokken  selbst 
und  aus  ihnen  gebildet  werden  und  ist  in  mäßigem  Grad  diffussibel. 
Wahrscheinlich  handelt  es  sich  um  einen  kolloidaden,  in  Spuren 
auftretenden  Stoff,  der  ausgeschieden  wird ;  in  den  Streptokokkenleibern 
(Endotoxine)  ließ  er  sich  nicht  nachweisen.  Die  Hämolyse  ist  zahl¬ 
reichen  Mikroorganismen  eigen.  Die  hämolytischen  Streptokokken 
finden  sich  in  Sekreten,  die  hämoglobinhaltig  sind,  die  nicht  hämo¬ 
lytischen  in  hämoglobinfreien.  Die  letzteren  können  hämolytisch  wer¬ 
den  ;  der  Übergang  ließ  sich  einwandsfrei  beobachten.  Im  allgemeinen 
bewahren  die  hämolytischen  und  nicht  hämolytischen  Streptokokken 
diese  ihre  Eigenschaft  —  namentlich  auf  künstlichen  Nährböden  — 
äußerst  zäh.  Hämolysierende  Streptokokken  hämolysieren  stets  auf 
allen  Blutarten,  nicht  hämolysierende  auf  keinem  Blut.  Virulenz 
und  Hämolyse  gehen  nicht  völlig  Hand  in  Hand,  wenngleich  unter 
den  hämolytischen  Streptokokken  sich  häufiger  menschen-  und  tier¬ 
virulente  vorfinden  als  unter  den  nicht  hämolytischen.  Auch  fanden 
sich  typisch  hämolytische  Streptokokken  im  Uterus  von  gesund  bleiben¬ 
den  Wöchnerinnen  und  Kreißenden;  andererseits  fanden  sich  nicht  hämo¬ 
lytische  als  zweifellose  Erreger  nicht  leichter  Infektionen. 

Wenn  also  vorderhand  sich  die  Hämolyse  der  Streptokokken  nicht 
prognostisch  verwerten  läßt  (keinesfalls  im  Sinne  Fromme’s),  so  ist 
damit  doch  noch  nicht  die  Möglichkeit  ausgeschlossen,  der  hämolytischen 
Fähigkeit  der  Streptokokken  praktische  Bedeutung  einmal  abzuge- 
gewinnen.  Für  die  bakteriologische  Diagnostik  sowie  für  die  Züchtung 
ist  die  Hämolyse  resp.  die  Vorliebe  der  Streptokokken  für  Hämoglobin 
heute  schon  von  Wert.  Autoreferat. 


348 


Vorläufige  Mitteilungen  und  Autoreferate. 


Dauererfolge  der  Interpositio  uteri  veslco-vaginalis. 

Von  Dr.  Fuchs,  Danzig. 

(Vortrag,  gehalten  in  der  nordostdeutschen  Gesellschaft  für  Gynäkologie  am  23.  1.  09.) 

Vortragender  bespricht  kurz  die  historische  Entwicklung  der 
Uterus-Interposition,  als  deren  Ausgangspunkt  er  die  Dührssen’sche 
Vaginäfixur  bezeichnet,  als  die  erste  zielbewußte  operative  Behandlung 
der  Cystocele.  Diese  führte  unter  Verwertung  des  Freund’schen  Gej 
dankens  der  plastischen  pelottenartigen  Verwendung  des  Uterus  zu 
den  technisch  mustergültigen  Operationen  von  W ertheim  und  S'chauta. 
Kurze  Erörterung  der  Unterschiede  beider  Eingriffe.  Die  meisten 
Operateure  bevorzugen  den  Schaut a’schen  Modus  in  Rücksicht  auf 
die  vereinfachte  Wundheilung  und  ungeschmälerte  Kohabitationsfähig- 
keit  der  Vagina.  E.  kennt  und  übt  das  Schauta’sche  Verfahren  seit 
mehr  als  sieben  Jahren.  Er  legt  besonderes  Gewicht  auf  sorgfältige 
Ausführung  der  Hilfsoperationen  speziell  der  Amput.  colli.,  die  er, 
abgesehen  von  Fällen  mit  ausgesprochener  Portioatrophie,  stets  aus¬ 
führt,  ferner  ausgiebiger  Douglasresektion,  Kolporrhaphie  •  im  Bereich 
des  Fornix  vaginae  und  ausgiebigster  Scheidendammplastik.  Ist  das 
Corpus  uteri  zu  groß  für  die  Einbettung  ins  septum  vesieo-vaginale,  so 
wird  es  reseziert,  wie  Vortr.  dies  schon  früher  (Monatsschrift  f.  Geb 
Bd.  22,  S.  646)  angab  und  wie  es  dann  weiter  von  Cohn  aus  der 
Pf  annensitiel’schen  Klinik  empfohlen  wurde.  Die  Mißerfolge  Doeder- 
leins  (Monatsschr.  f.  Geb.  Bd.  28,  S.  723),  der  völlige  Gangrän  des 
resizierten  Uterus  erlebte,  legen  allerdings  den  Gedanken  nahe,  ob  man 
nicht  lieber  für  solche  Fälle  auf  den  Wertheim’schen  Modus  der 
Uteruseinpflanzung  ohne  völlige  vaginale  Bedeckung  seiner  Vorder¬ 
wand  zurückgreifen  solle.  Bei  atrophischem  Uterus  empfiehlt  F.  seit¬ 
liche  Blasenraffungsnähte  zu  legen  und  die  vordere  Scheidenwand  mit 
versenkten  Nähten  an  den  Uteruskanten  zu  fixieren.  So  gelingt  es  meist, 
auch  über  einem  schmalen  Uterusrücken  die  Blase  zu  retinieren.  F.  ver¬ 
fügt  jetzt  über  Erfahrungen  an  51  Fällen  Schauta’scher  Operation. 
Ein  Teil  des  Materials  ist  bereits  in  einer  früheren  Publikation  (1.  c.) 
berücksichtigt.  F.  hat  selber  31  Fälle  operiert.  Von  der  Gesamtzahl 
(51)  haben  sich  30  wieder  vor  gestellt,  davon  20  mit  einer  Beobachtung’s- 
dauer  von  6 — 53  Monaten  und  nur  10  mit  einer  solchen  von  2 — 5  [Monaten. 
Unter  den  30  Nachuntersuchten  war  nur  einmal  ein  Rezidiv  festzu¬ 
stellen,  d.  h.  es  ergaben  sich  96,7  Prozent  Dauerheilung.  Dazu  kommen 
acht  briefliche  Auskünfte  mit  ausnahmslos  vorzüglichen  subjektiven 
Erfolgen.  Mit  F.’s  Fällen  liegen  bis  jetzt  insgesamt  183  Nachunter¬ 
suchungen  vor,  die  von  Wertheim-Bucur  a,  Schauta,  DoedeiJein, 
Gawriloff  (Leipz.  Klinik)  und  Petri  (Prof.  Kl  ein --München)  bekannt 
gegeben  wurden.  Eine  Zusammenstellung  dieser  Mitteilungen  ergibt  das 
günstige  Resultat  von  89,7°/0  Dauerheilungen  für  die  Schauta’sche 
Prolapsoperation.  Die  einzige  Arbeit,  aus  der  sich  ein  Fiasko  des  Wert¬ 
heim’schen  bezw.  Scha/ul  a’schen  Eingriffes  ergibt,  ist  die  von  Thomsen 
aus  der  Jenenser  Klinik,  die  33,  3  (Wertheim)  bezw.  57,2°/0  (Se'hauta) 
Rezidive  ergibt.  Eine  Durchsicht  der  Operationstabellen  Thomsens 
ergibt  aber,  daß  in  keinem  der  acht  rezidiv  gewordenen  Fälle  eine 
Amputatio  'colli,  in  zwei  sogar  keine  Kolporrhaphie  vorgenommen  worden 
war.  Läßt  man  sich  die  Mühe  der  Hilfsoperationen  nicht  verdrießen, 
dann  wird  die  Einlagerung  des  Uterus  ins  Septum  vesieo-vaginale  bei 
großen  Vorfällen  Erfolge  auf  weisen,  wie  sie  bisher  in  der  Prolaps¬ 
therapie  nicht  zu  verzeichnen  waren.  Autoreferat. 


Vorläufige  Mitteilungen  und  Autoreferate. 


349 


Aus  der  Magdeburger  medizinischen  Gesellschaft. 

Dr.  A.  Käppis,  Sekundärarzt  der  chirurgischen  Abteilung  des 
Krankenhauses  Magdeburg-Sudenburg,  stellt  am  11.  Februar  1909  in 
der  medizinischen  Gesellschaft  Magdeburg  folgendes  vor: 

1.  15 1/2 jähriger  Glasarbeiter,  der  am  28.  Mai  1908  durch  Ver¬ 
brühung  mit  glühendem  Glas  eine  ausgedehnte  Verbrennnug 
dritten  Grjades  am  Hinterkopf,  Hals  und  Nacken  erlitten  hatte. 
Nach  Abstoßung  der  nekrotischen  Partien  und  Peinigung  der  ausge¬ 
dehnten  Granulationsfläche,  wurde  (ca.  vier  Wochen  nach  dem  Unfall) 
Thier’ sehe  Transplantation  aus  beiden  Oberschenkeln  versucht;  die 
transplantierten  Lappen  heilten  nur  zum  kleinsten  Teil  an ;  ebenso 
blieben  die  Entnahmestellen  an  den  Oberschenkeln  hartnäckig  offen. 
Deshalb  von  Ende  Juli  1908  ab  Behandlung  mit  Eosinpinselung  und 
Bestrahlung  mit  Sonnenlicht.  Hierdurch  geringe  günstige  Beeinflussung, 
aber  kein  rechter  Fortschritt. 

Von  Ende  August  1908  ab  Behandlung  mit  der  von  Schmie  den  - 
Berlin  empfohlenen  8°/0igen  Scharlachrotsalbe.  Täglicher  Verband¬ 
wechsel.  Wegen  Glasigwerden  und  Quellung  der  Granulationen  ab¬ 
wechselnd  Verband  mit  Scharlachsalbe  und  Borsalbe;  dadurch  wurde 
eine  zu  starke  Beizung  der  Granulationen  vermieden. 

Der  Erfolg  dieser  Behandlung  war  eklatant,  die  Epithelisierung 
erfolgte  sehr  rasch  vom  Band  her  und  von  einzelnen  stehengebliebenen 
Epithelinseln  aus. 

Nebenher  orthopädische  Übungen,  um  Schultern  und  Kopf  beweg¬ 
lich  zu  erhalten. 

Die  Heilungsdauer  war  auch  unter  dieser  Scharlachsalbenbehand¬ 
lung  lang,  aber  beachtenswert  ist  vor  allem  der  Endeffekt :  Das  neu¬ 
gebildete  Narbengewebe  ist  dick,  aber  trotzdem  weich,  gleicht  an  vielen 
Partien  fast  ganz  der  normalen  Haut  und  ist  vollkommen  gegen  die 
Unterlage  verschieblich;  Narbenkontrakturen  fehlen  vollständig,  Kopf 
und  Schultern  sind  ausgezeichnet  beweglich. 

K.  empfiehlt  nach  kurzer  theoretischer  Besprechung  des  Ver¬ 
fahrens,  auf  Grund  zahlreicher  Fälle  der  chirurg.  Klinik  Würzburg 
und  der  chirurg.  Abteilung  des  Krankenhauses  Sudenburg  die  An¬ 
wendung  der  Scharlachrotsalbe  (8°/0  Scharlachrot  mit  Ungt.  paraffini) 
zur  Behandlung  granulierender  (gereinigter  und  auch  nicht  ganz  ge¬ 
reinigter)  Wundflächen,  bei  denen  man  aus  irgend  einem  Grund  die 
Transplantation  nicht  machen  kann  oder  will. 

Eine  schädliche  Einwirkung,  die  schon  nach  den  experimentellen 
Untersuchungen  von  B.  Fischer,  Tores  u.  a.  nicht  in  Betracht  kommt, 
ist  bei  der  Anwendung  der  Scharlachsalbe  nie  beobachtet  worden. 

2.  Dünndarmvolvulus  *)  als  Folge  einer  schweren  eitrigen  Appen¬ 
dizitis  (zwei  Monate  nach  der  Appendixoperation). 

15  jähriger  Fleischerlehrling  früher  ganz  gesund.  Am  23.  Juli  1908 
Appendektomie ;  längere  Zeit  Tampon  und  Drain  -  nötig;  5.  Septem¬ 
ber  •  1908  vollkommen  geheilt  ohne  Bauchbruch  entlassen. 

*)  Der  Vortrag  über  Dünndarmvolvulus  wird  ausführlicher  an  anderer  Stelle 
erscheinen. 


350 


Vorläufige  Mitteilungen  und  Autoreferate. 


Am  24.  September  1908  Wiederaufnahme  ins  Krankenhaus  unter 
den  Erscheinungen  des  schwersten  Ileus :  Schwerer  Kollaps,  Kotbrechen, 
starke  meteoristische  Auftreibung  des  Leibes ;  bei  der  Peristaltik  deut¬ 
liche  Darmsteifung  (drei  quer  übereinander  liegende  Darmschlingen  in 
der  Höhe  des  Nabels  von  links  nach  rechts)  sichtbar. 

Sofort  Operation :  Medianschnitt  vom  Nabel  zur  Symphyse.  Achsen¬ 
drehung  des  Dünndarms  um  180°  im  Sinn  des  Uhrzeigers.  Größter 
Teil  des  Ileums  bis  auf  ein  kleines  (unterstes)  Stück  in  den  Volvulus 
einbezogen,  sehr  starke  Spannung.  Die  Grenze  des  geblähten  und 
kollabierten  Dünndarms  läßt  sich  zunächst  wegen  schwerer  teils 
f lächenhafter,  teils  strangförmiger  V erwachsungen  in  der  rechten  unteren 
Bauchseite  nicht  zur  Ansicht  bringen.  Nach  Lösung  der  Verwachsungen 
und  besonders  nach  Durchtrennung  eines  derben,  dicken,  vom  Cöcum 
nach  der  Grenze  von  geblähtem  und  kollabiertem  Darm  verlaufenden 
Stranges  dreht  sich  plötzlich  der  Volvulus  spontan  zurück.  Auch 
das  unterste  ca.  1  m  lange  Ileumstück  füllt  sich  wieder  und  so  gelingt 
die  Reposition  der  Därme  nach  leichter  Beckenhochlagerung  ohne  wesent¬ 
liche  Anstrengung.  Fortlaufende  Schichtnaht  der  Bauchwunde,  Drain 
ins  kleine  Becken;  Füllung  des  Bauches  mit  Kochsalzlösung.  Verband. 
Sofort  intravenöse  Infusion  von  0,9°/0  Kochsalzlösung  2000  ccm  -[~  10 
Tropfen  Suprarenin.  hydrochlor.  (1 : 1000),  dann  Hochsetzen  im  Bett, 
Physostygmin.  salicyl.  1  mgr.  Kasche  Hebung  des  Allgemeinbefindens, 
schon  am  nächsten  Tag  Flatus,  rasche  Wundheilung. 

K.  bespricht  kurz  die  Arbeiten  von  Wilms  u.  a.  über  Entstehung 
und  Mechanismus  des  Dünndarmvolvulus.  Der  vorgestellte  Fall  ist 
kein  sicherer  Beweis  für  die  Wilms’sche  Anschauung,  daß  zuerst 
eine  hochgelegene  Dünndarmschlinge  sich  dreht  und  dann  allmählich 
die  peripheren  Darmschlingen  nachzieht,  bis  ein  natürliches  (Cöcum) 
oder  neugebildetes  (Strang)  Hindernis  dem  Volvulus  Einhalt  gebietet. 

Wegen  des  plötzlichen  Auftretens  schwerster  Erscheinungen 
nimmt  K.  an,  daß  bei  seinem  Fall  ein  unkomplizierter  Volvulus  ohne 
Zirkulations-  und  Passagestörungen  schon  längere  Zeit  bestanden  hat, 
und  daß  die  wirkliche  Abschnürung  durch  plötzliche  abnorme  starke 
Peristaltik  ausgelöst  worden  ist.  Daß  der  derbe  Strang  eine  wesentliche 
Kolle  für  den  Volvulus  gespielt  hat,  geht  aus  der  spontanen  Auf¬ 
rollung  sofort  nach  Lösung  des  Stranges  mit  Sicherheit  hervor. 

K.  betont  die  Wichtigkeit  der  Prophylaxe,  d.  h.  die  Verhütung 
von  Verwachsungen  bei  B auchaff ektionen  und  Bauchoperationen  und 
führt  als  wesentliche  Momente  an: 

Frühzeitige  Operation  bei  Appendizitis.  Möglichst  frühzeitige 
Anregung  der  Darmtätigkeit :  Kochsalzeinläufe  evtl,  mit  Glyzerin, 
Kizinus ;  Dauereinläufe  mit  Kochsalzlösung,  Physostygmin -salicyl. 
dreimal  täglich  1  mgr  bis  zur  W irkung ;  evtl.  Magenspülung  und 
Rizinusöl  durch  den  Magenschlauch.  Baldige  Nahrungszufuhr.  Früh 
auf  stehen  lassen,  dazu  notwendigf:  nicht  zu  große  Schnitte,  möglichst 
exakter  Verschluß  der  Bauch  wunde  in  Etagen;  Drain  und  besonders 
Tampon  nur*  kurz  (einige  Tage)  liegen  lassen.  Unter  Umständen  Nach¬ 
behandlung  mit  Heizung  des  Bauches  (am  besten  Glühlichtbogen). 

Autoreferat. 


Referate  und  Besprechungen. 


351 


Referate  und  Besprechungen. 

Bakteriologie  und  Serologie, 

lieber  das  Tuberculinum  purum. 

(J.  Gabrilo witch.  Zeitschr.  für  Tuberk.,  Bd.  13,  Nr.  3,  1908.) 

Die  bisher  schon  recht  stattliche  Anzahl  von  Tuberkulinen  ist  durch 
ein  neues  Präparat  vermehrt  worden,  das  Ttiberkulinum  purum.  Dieses  wird 
aus  Kulturen  menschlicher  Tuberkelbazillen  nach  Art  des  Alttuberkulin  her- 
gestellt,  aber  durch  chemische  Reagentien  (Xylol,  Alkohol,  Äther  und  Chloro¬ 
form)  derartig  verändert,  daß  es  bei  subkutaner  Anwendung  keine  Allge¬ 
meinreaktion  hervorruft.  Es  kann  daher  auch  in  akuten  und  subakuten 
Fällen,  trotz  bestehender  Komplikationen,  in  großen,  rasch  gesteigerten  Dosen 
angewendet  werden. 

Die  bisherigen  Erfolge  sollen  gute  gewesen  sein.  Eine  Nachprüfung 
ist  vorläufig  nicht  möglich,  weil  Krankengeschichten  nicht  mitgeteilt  wer¬ 
den.  Bei  der  Beurteilung  wird  Vorsicht  geboten  sein,  da  sich  schon  in  der 
kurzen,  diesem  Referate  zugrunde  liegenden  Mitteilung  der  unerklärliche 
Widerspruch  findet,  daß  das  Tuberkulinum  purum,  „keine  allgemeinen  Reak¬ 
tionserscheinungen  hervorruft“,  ,aber  doch,  wenn  auch  nur  „äußerst  selten“, 
„Temperatursteigerungen  als  Reaktionserscheinungen“  zur  Folge  hat.  Bisher 
hat  man  die  Temperatursteigerung  gerade  als  die  wesentliche  Erscheinung 
der  Allgemeinreaktion  angesehen.  Sobotta  (Reiboldsgrün). 


Kartoffelnährbouillon  zur  Züchtung  der  Tuberkelbazillen. 

(Dr.  Jere witsch.  Zentralbl.  für  Bakt.,  Bd.  47,  H.  5,  1908.) 

Ausgeschälte  Kartoffeln  werden  gerieben.  Zu  500  g  Brei  werden  500  ccm 
HsO  zugesetzt.  Am  anderen  Tage  wird  dieses  Gemisch  durch  Leinwand  gut 
abgepreßt.  Das  erhaltene  Infus  wird  nach  V2  ständigem  Stehen  vom  Boden¬ 
sätze  abgegossen.  Gleichzeitig  wird  ein  Fleischinfus  hergestellt  (500  g  Fleisch 
auf  ein  Liter  Wasser).  Kartoffel-  und  Fleischinfus  werden  zu  gleichen  Teilen 
vermischt  und  mit  1/2%igem  Witte-Pepton  und  V^/oigem  NaCl  versetzt. 
Erwärmung  bis  zur  Lösung  des  Peptons  und  dann  eine  Stunde  lang  kochen 
im  Dampfapparat,  endlich  warm  filtrieren  durch  ein  Faltenfilter.  Das  Filtrat 
wird  alkalisiert  mit  3%igem  Glyzerin  und  mit  gesättigter  Sodalösung,  dann 
im  Autoklaven  Vr  Stunde  lang  bei  120°  gekocht  und  abgekühlt  filtriert, 
in  Gefäße  verteilt  und  bei  115°  eine  Stunde  lang  sterilisiert.  Die  Bouillon  muß 
bei  richtiger  Alkaleszenz  eine  dunkelbraune  Farbe  besitzen.  Die  so  bereitete 
Bouillon  läßt  sich  auch  zur  Darstellung  von  Kartoffelagar  benutzen. 

Schürmann  (Düsseldorf). 


Nachweis  von  Tuberkelbazillen  im  Blute  eines  Fötus. 

(Dr.  Huguenico.  Zentralbl.  für  Bakt.,  Bd.  48,  H.  4,  1908.) 

Von  anderen  Gelehrten  bestärkt,  glaubte  Verf.,  daß  es  bei  der  Tuber¬ 
kulose  wie  bei  der  Syphilis  einen  latenten  Mikrobismus  gibt,  d.  h„  daß  ein 
Organismus  Tuberkelbazillen  beherbergen  kann,  die  in  den  Organen  ihres 
Trägers  weder  makroskopisch  noch  mikroskopisch  sichtbare  Gewebsverände¬ 
rungen  verursachen.  Das  Herzblut  eines  nach  einer  künstlichen  Frühgeburt 
verstorbenen  Fötus  wurde  einem  Meerschweinchen  subkutan  injiziert.  Das 
Tier  magerte  ab.  An  der  Injektionsstelle  ergab  sich  in  14  Tagen  eine  kirsch¬ 
kerngroße  harte  Geschwulst.  Inhalt  breiig.  Tuberkel  fanden  sich  in  der  Milz, 
in  den  inguinalen  und  peritrachealen  Lymphdrüsen.  Mikroskopisch  in  der 
Milz,  Leber  usw.  Tuberkelbazillen.  Verf.  glaubt  bewiesen  zu  haben,  daß 
es  beim  menschlichen  Fötus  einen  latenten  tuberkulösen  Mikrobismus  gibt, 
wie  er  für  die  Lues  jedenfalls  besteht.  Schürmann  (Düsseldorf). 


352 


Referate  und  Besprechungen. 


Neue  differentialdiagnostische  Färbemethode  für  Tuberkel-Perlsucht  und 
andere  säurefeste  Bazillen,  nebst  Strukturstudien  bei  verschiedenen 

säurefesten  Bakterienarten. 

(Dr.  L.  y.  Betegh.  Zentralbl.  für  Bakt.,  Bd.  48,  H.  5,  1908.) 

Vermittelst  eines  neuen  Färbeverfahrens  ist  es  Verf.  gelungen  —  es 
ist  nämlich  die  ,,b-Tolin£ ‘-Methode  —  eine  deutliche  Unterscheidung  zwischen 
Tuberkel-  und  Perlsuchtbazillen  herbeizuführen.  Nach  Ausstrichen,  Fixieren 
in  der  Flamme  folgt  Beizen  der  Präparate  mit  2 — 3  Tropfen  15%iger  Salpeter¬ 
lösung  und  Erhitzen  über  der  Flamme  bis  zum  Aufsteigen  von  Dämpfen. 
Abspülen  mit  Wasser.  Nun  bringt  man  einen  Tropfen  Methylenblau  mit 
2—3  Tropfen  Karbolfuchsin  (oder  beide  Farben  ää)  auf  den  Objektträger 
und  erhitzt  wiederum  über  der  Flamme  bis  zur  Dampfbildung.  Abwaschen 
und  Entfärben  mit  60°/oigem  Alkohol,  abwaschen  in  Wasser,  trocknen, 
Kanada.  Eventuell  empfiehlt  sich  eine  Nachfärbung  mit  Malachitgrünlösung 
(einige  Sekunden). 

Es  erscheinen  nach  dieser  Methode  die  säurefesten  Bakterien  rot,  die 
Sporen  blau,  die  Leukozytenkerne  blauviolett,  Plasma-  und  Sekundärbakterien 
hellgrün. 

Aus  den  Beobachtungen  des  Verfassers  ergibt  sich,  daß  die  Tuberkel¬ 
bazillen  des  Menschen  und  die  Perlsuchtbazillen  jede  für  sich  eine  selb¬ 
ständige  Art  darstellen  und  nicht  bloß  ein  Typus  sind.  Diese  Eigenschaften 
sind  ebenfalls  morphologisch,  toxikologisch  und  strukturell  nachweisbar.  Die 
Vogeltuberkulose  hat  mit  der  Säugetiertuberkulose  nichts  zu  tun;  gemeinsam 
ist  nur  die  Säurefestigkeit.  Tuberkel-,  Perlsucht-  und  Vogeltuberkulosebazillen 
haben  Sporen. 

Diese  b-Tolinmethode  eignet  sich  sehr  zur  Darstellung  der  Sporen  von 
Tuberkel-,  Perlsucht-,  Vogel-,  Fischtuberkulose,  Smegma,  Lepra  und  Möller’s 
Grasbazillus  II.  Schürmann  (Düsseldorf). 


Eine  Silberimprägnationsmethode  zur  Unterscheidung  von  Lepra-  und 

Tuberkelbazillen. 

(Dr.  Yamamoto.  Zentralbl.  für  Bakt.,  Bd.  47,  H.  5,  1908.) 

Nach  der  gleich  angeführten  Methode  erscheinen  die  Leprabazillcn, 
da  sie  durch  Silbermittel  nicht  imprägniert  werden,  farblos,  während  die 
Tuberkelbazillen  sich  schwer  gefärbt  zeigen: 

1.  Anfertigen  eines  Ausstrichpräparates. 

2.  Lufttrocknen  und  fixieren  in  der  Flamme. 

3.  10  Minuten  langes  Erwärmen  in  5%  Silbernitratlösung  bei  55 — 60°. 

4.  5  Minuten  in  Reduzierungslösungen  (Acid.  pyrogallic.  2,0,  Acicl.  tannic. 
1,0,  Aqu.  dest.  ad  100,0). 

5.  Entfernen  des  schmutzigen  schwarzen  Niederschlages  mit  einem  Stück 
mit  Wasser  erweichten  Filtrierpapier. 

6.  Trocknen. 

Die  hellen  Leprabazillen  können  nach  dieser  Methode  mit  dem  Tiehl- 
schen  Karbolfuchsin  unter  Säurealkoholbehandlung  nachgefärbt  werden. 

Schürmann  (Düsseldorf). 


Beiträge  zur  Biologie  des  IViilzbrandbazillus. 

(Dr.  Sieber.  Zentralbl.  für  Bakt.,  Bd.  48,  H.  5,  1908.) 

Der  Zusatz  von  Galle  oder  gallensaurem  Salzen  beeinflußt  das  Wachs¬ 
tum  des  Milzbrandbazillus  auf  den  verschiedensten  Nährböden  wenig. 

Wachsen  Bazillen  auf  derartigen  Nährsubstraten,  so  wird  die  Infektion 
verzögert;  in  einigen  Fällen  trat  die  Infektion  nicht  ein.  Bei  den  über¬ 
lebenden  Tieren  trat  keine  Immunität  gegen  Milzbrand  ein. 


Referate  und  Besprechungen. 


353 


IJie  Galle  verändert  den  Milzbrandbazillus  weder  bezüglich  der  Virulenz 
noch  bezüglich  des  Wachstums,  denn  abzentrifugierte,  von  Galle  befreite 
Bazillen  behalten  ihre  Virulenz  und  Wachstumsfähigkeit.  Die  Galle  scheint 
im  Tierkörper  infektionswidrige  Wirkung  zu  entfalten. 

Schürmann  (Düsseldorf). 


Über  das  Verhalten  der  Choleravibrionen  dem  menschlichen  Mageninhalt 

gegenüber. 

(Dr.  Stern,  Saratow.  Zentralbl.  für  Bakt,,  Bel.  47,  H.  5,  1908.) 

Verf.  sieht  den  Magen  nicht  als  sichere  ,, Barriere“  für  Choleravibrionen 
an.  Es  bleiben  im  normalen  Mageninhalt  bei  0,2  °/0  HCl-Gehalt  nach  40 — 60 
Minuten  die  Choleravibrionen  virulent.  Wegen  des  vermehrten  Schleimgehaltes 
sind  Personen  mit  Magenkatarrh,  da  der  Schleimgehalt  nach  seinen  Ver¬ 
suchen  einen  günstigen  Einfluß  auf  die  Entwicklungsfähigkeit  der  Cholera¬ 
vibrionen  ausübt,  sehr  leicht  und  ganz  besonders  der  Infektion  ausgesetzt. 
Eine  Hyperazidität  hemmt  das  Aufkommen  der  Infektion  am  meisten.  Die 
Azidität  tritt  aber  erst  1  Stunde  nach  ^Eintritt  der  Speisen  in  den  Magen 
auf,  und  so  ist  es  immer  noch  möglich,  daß  die  Erreger  den  klagen  passieren 
können,  bevor  eine  abnorme  Azidität  auftritt.  Choleravibrionen  gehen  bei 
einem  HCl-Gehalt  von  0,04%,  wenn  sie  mit  Wasser  nüchtern  in  den  Magen 
gebracht  werden,  zugrunde.  Pepsine  verstärken  die  Wirkung  der  Salzsäure 
auf  Choleravibrionen,  Peptone  setzen  sie  herab.  Die  bakterizide  Wirkung 
der  HCl  wird  auch  durch  Galle  herabgesetzt.  Bei  Vorhandensein  von  Eiweiß 
bleiben  sie  bei  einem  Säuregehalte  von  0,1%  noch  sehr  lange  virulent. 

Schürmann  (Düsseldorf). 


Über  Beziehungen  des  Antitpxingehaltes  des  Diphtheriserums  zu  dessen 

Heilwert.  Über  Acidität  der  Antitoxine. 

(Kraus  u.  Schwoner.  Zentralbl.  für  Bakt.,  Bd.  47,  H.  1,  1908.) 

Verf.  kommen  zu  der  Ansicht,  daß  von  niederwertigen  Seris  ein  viel 
geringerer  Gehalt  an  J.  E.  heilend  wirkt  als  von  hochwertigen.  Kaninchen 
wurde  %  Std.  vor  der  Seruminjektion  das  Gift  intravenös  appliziert,  Meer¬ 
schweinchen  jedoch  2  Std.  vor  der  Serumgabe  subkutan.  Verfasser  glauben, 
daß  die  Bestimmungsmethode  des  Mischungswertes  nach  Ehrlich  zu  einem 
unrichtigen  Urteil  über  den  Heilwert  der  Sera  führt. 

Schürmann  (Düsseldorf). 


Innere  Medizin. 

Über  die  Lageveränderungen  des  Herzens  bei  relativer  Enge  des  Thorax. 

(Max  Herz.  Wiener  klin.  Rundschau,  Nr.  30,  1908.) 

Unter  relativer  Enge  dels  Thorax  versteht  Verf.  das  räumliche 
Mißverhältnis  zwischen  der  Gköße  des  Herzens  und  der  Weite  des 
Thorax.  Der  Brustkorb  kann  also  bei  normaler  Herzgröße  abnorm  verengt 
oder  das  Herz  kann  bei  normalen  Thoraxverhältnissen  vergrößert  sein  und 
endlich  können  beide  Umstände  Zusammentreffen.  —  Die  Beachtung  dieser 
Tatsachen  ist  bei  der  Perkussion  des  Herzens  von  praktischer  Wichtigkeit. 
Eine  Vergrößerung  des  H(erkens  im  sagittalen  Durchmesser  wird  zu 
einer  relativen  Enge  des  Thorax  führen.  Das  Herz  weicht  nicht  nach  rechts 
aus,  denn  der  geringste  Widerstand  liegt  in  der  linken  Thoraxhälfte.  Ist 
dieser  Spielraum  erschöpft,  so  wird  das  Herz  gegen  die  Brustwand  ge¬ 
drängt  und  perkutorisch  erscheint  eine  Verbreiterung  der  absoluten 
Dämpfungszone.  Steigert  sich  das  Mißverhältnis  zwischen  sagittalem  Herz¬ 
durchmesser  und  Thoraxraum  noch  weiter,  so  kann  es  sogar  zu  einer  Ein¬ 
keilung  des  Herzens  kommen.  Steyerthal-Kleinen. 


23 


354 


Referate  und.  Besprechungen. 


Das  Verhältnis  von  Arterien-  und  Kapillardruck  bei  Arteriosklerose. 

(Ch.  Finch.  Rev.  de.  med.,  28.  Annee,  Nr.  8,  S.  747 — 757,  1908.) 

Nach  Finck  bestehen  gar  keine  Beziehungen  zwischen  der  arteriellen 
Spannung  und  den  klinischen  Zeichen  der  Arteriosklerose ;  dagegen  existieren 
deutliche,  wenn  auch  nicht  konstante  Beziehungen  zum  Kapillardruck  t.  Aber 
ganz  ausgeprägt  und  parallel  verlaufend  stellen  sich  die  Beziehungen  des 
T 

Quotienten  —  zu  den  Störungen  im  Kreislauf  bei  Arteriosklerose  dar;  und 

zwar  etwa  in  der  Weise,  daß  zunächst  der  Druck  im  Kapillargebiet  steigt. 
Das  hat  dann  eine  Steigerung  des  arteriellen  Druckes  zur  Folge;  aber  schlie߬ 
lich  erlahmt  der  Herzmuskel,  er  gibt  den  Kampf  mit  dem  sich  immer  mehr 
steigernden  Kapillardruck  auf,  es  stellt  sich  das  Bild  der  Insuffizienz  ein. 
T 

Die  Größe  —  hatte  sich  dabei  zunächst  immer  auf  der  normalen  Höhe  von 

t 

1,5 — 2  gehalten  (T  beträgt  nach  Potain  17 — 18  cm  Hg;  t  nach  Gärtner 
9 — 10  cm);  allein  indem  T  allmählich  sinkt  und,  t  zuhimmt,  nähert  sich  der 
Quotient  der  Zahl  1,  d.  h.  der  Druck  in  den  beiden  Systemen  ist  gleich  ge¬ 
worden,  die  Zirkulation  ist  behindert.  Buttersack  (Berlin). 


Blutuntersuchungen  in  verschiedenen  peripheren  Gefäßprovinzen  bei 

Zirkulationsstörung. 

(M.  Krämer.  Wiener  klin.  Wochenschr.,  Nr.  34,  1908.) 

Die  Schlußfolgerungen  aus  den  sorgfältigen  Untersuchungen  des  Verf. 
lauten:  Bei  bettlägerigen  Kranken  mit  allgemeiner  Stauung  ist  gewöhnlich 
eine  Anhäufung  der  Ery  tjhr-ozy  ten  im  Blut  der  Zehen  nachweisbar. 
Damit  geht  fast  regelmäßig  eine  Erhöhung  des  spez.  Gewichtes  des  Zehen¬ 
blutes  einher.  Der  Unterschied  zwischen  Zehenblut  und  Ohrläppchen blut 
ist  ein  Merkmal  der  ungenügenden  Herzarbeit.  E.  Oberndörffer. 


Sphygmotonograph. 

(L.  Uskoff,  Zeitschr.  für  klin.  Med.,  Bd.  66,  S.  90,  1908.) 

U.  beschreibt  einen  angeblich  leicht,  auch  bei  Schwerkranken  anzu¬ 
wendenden  Apparat  (Kostenpunkt  ?),  der  den  maximalen  und  minimalen  Druck 
automatisch  aufzeichnet.  Im  Vergleich  mit  Frey’s  Tonographen  gibt  er 
(an  der  Hunde-Femoralis)  den  maximalen  Druck  um  6 — 48  mm  Hg  höher  an. 

H.  Vierordt  (Tübingen). 


Aus  dem  städtischen  Krankenhaus  Moabit  in  Berlin. 

Zur  Behandlung  der  perniziösen  Anämie. 

(G.  Klemperer.  Berliner  klin.  Wochenschr.,  Nr.  52,  1908.) 

Klemperer  weist  zunächst  auf  das  charakteristische  Verhalten  der 
perniziösen  Anämie  hin,  oft  in  Rezidiven  aufzutreten,  in  deren  Zwischenräumen 
sich  die  Patienten  leidlich  wohl  fühlen  können.  Seine  therapeutischen  Ver¬ 
suche  stellte  er  einmal  mit  Cholestearin  an,  das  im  tierischen  und  auch  pflanz¬ 
lichen  Körper  außerordentlich  verbreitet  ist.  Die  experimentellen  Erfahrungen, 
nach  denen  es  die  hämolytische  Fähigkeit  des  Saponin  und  Kobragiftes  zu 
hindern  vermag,  haben  ihn  auf  die  Idee  gebracht,  es  therapeutisch  zu  ver¬ 
wenden,  wobei  er  sich  aber  der  gegen  diese  Ansicht  sprechenden  Tatsachen, 
wie  z.  B.,  daß  die  perniziöse  Anämie  keine  Hämolyse  darstellt,  sowie  der 
gegen  diese  Therapie  erhobenen  Einwände  wohl  bewußt  ist.  Das  in  3%iger 
Öllösung  gegebene  Cholestearin  wurde  schlecht  vertragen,  war  auch  sehr 
teuer,  man  kann  es  viel  einfacher  in  Form  cholestearinhaltigen  Nahrungs¬ 
mitteln,  Butter  und  Sahne  geben.  Klemperer  hat  acht  Patienten  mit  mög¬ 
lichst  viel  Butter  und  Sahne  behandelt,  daneben  gemischte  Kost  und  bis 
auf  einen  Patienten  Arsen  verabreichen  lassen.  Zur  besseren  Verdauung 


Referate  und  Besprechungen. 


355 


der  fettreichen  Kost  verordnete  er  kleine  Mengen  Kognak  oder  Kalkpulver. 
W enn  er  auch  den  Eindruck  hatte,  als  ob  diese  Cholestearinzufuhr  hemmend 
auf  den  Verlauf  der  Krankheit  ein  wirke,  so  waren  doch  die  Erfolge  dieser 
Therapie  nicht  sehr  bedeutend.  Er  wandte  sich  daher  einem  anderen  Mittel 
zu,  dem  Arsen,  wobei  er  die  Anschauung  im  Auge  hatte,  daß  die  perniziöse 
Anämie  eine  Infektionskrankheit-  sei.  Als  wirksamstes  Arsenpräparat  versuchte 
er  das  Arsacetin,  von  dem  er  anfangs  0,1  g  in  10%iger  Lösung  injizierte, 
um  bis  auf  0,6  g  zu  steigen.  Die  Wirkung  bestand  in  einer  beträchtlichen 
Beeinflussung  der  Blutbildung.  Er  stellt  als  Regel  auf,  zunächst  am  ersten 
und  zweiten.  Tage  sofort  0,6  g  zu  injizieren,  worauf  eine  Woche  pausiert 
wird.  Gewöhnlich  geht  die  Besserung  nur  bis  zu  einer  bestimmten  Grenze. 
Nach  Verabreichung  von  im  ganzen  5  g  schreitet  die  Besserung  nicht  fort. 
Man  hört  also  dann  am  besten  mit  der  Kur  auf,  um  sie  beim  Eintreten 
eines  Rezidivs  wieder  beginnen  zu  können.  Üble  Nebenwirkungen  konnte  er 
hauptsächlich  bei  Frauen  beobachten.  Sie  bestanden  in  Übelkeit,  Erbrechen, 
Durchfall  und  Eieberbewegungen.  F.  Walther. 


Leukozytose  bei  Keuchhusten. 

(J.  Frank  Crombie.  Edinburgh  med.  Journ.,  New.  series,  Vol.  I,  S.  222,  1908.) 

Der  von  J.  Fröhlich  (1897)  u.  a,  gefundenen  Hyperleukozytose  bei 
Keuchhusten  ist  Crombie  in  allen  Stadien  der  Krankheit,  bei  verschiedenem 
Alter  der  Erkrankten,  auch  bei  Erwachsenen,  nachgegangen,  bei  welch  letzteren 
übrigens  selten  über  10000  und  eine  rasche  Rückkehr  zur  Norm  gefunden 
wurde.  Bei  73  (von  im  ganzen  112)  Fällen  unkomplizierten  Keuchhustens  war 
in  den  ersten  3  Wochen  der  Krankheit  nur  bei  7  Fällen  eine  Leukozytose 
unter  10000  zu  konstatieren.  Da  der  Grad  der  Leukozytose  mit  der  Schwere 
des  Falls  in  Beziehung  steht,  —  bei  ganz  leichten  Fällen  werden  ganz 
normale  Befunde  erhoben  — ,  so  ist  sie  Von  prognostischer  Bedeutung ;  nament¬ 
lich  ist  die  Vermehrung  der  Lymphozyten  über  die  polymorphen  ganz  her¬ 
vorstechend  und  es  findet  eine  „Inversion“  derart  statt,  daß  man  etwa  in  der 
2.  Woche  67%  Lymphozyten  und  31%  polymorphe  finden  kann.  Im  weiteren 
Verlauf  der  Krankheit  nehmen  die  letzteren  immer  mehr  zu,  die  Lymphozyten 
ab,  doch  ist  oft  viele  Wochen  lang  noch  eine  Verschiebung  zu  beobachten. 
Bei  Komplikation  mit  Pneumonie  wurden  in  2  von  4  Fällen  sehr  hohe 
Leukozytenwerte,  in  einem  sogar  mehr  als  200000,  festgestellt. 

H.  Vierordt  (Tübingen). 


Zur  Symptomatologie  der  Nierenentzündungen. 

(Th.  G.  Janovsky.  Rev.  de  med.,  28.  Annee,  Nr.  8,  S.  711 — 719,  1908.) 

Auf  drei  Punkte  lenkt  Janovsky  die  Aufmerksamkeit:  auf  die  psy¬ 
chische  Depression,  das  Ödem  und  die  Dyspnoe. 

Die  Veränderung  der  Psyche  ist  schwer  zu  beschreiben:  es  handelt 
sich  nicht  um  Schwindel  oder  Ohrensausen  oder  Übelkeit  oder  Mattigkeit, 
sondern  mehr  um  eine  eigentümliche  Form  von  Apathie.  J.  drückt  das 
subjektive  Empfinden  nach  eigener  Erfahrung  in  der  negativen  Fassung 
aus:  pas  de  maladie,  mais  pas  de  sante  non  plus.  Dieser  Zustand  scheint  mit 
den  allerersten  Anfängen  der  Nephritis  einzusetzen,  oft  noch  ehe  die  obligate 
Albuminurie  nachweisbar  ist  und  dauert  zumeist  nicht  lange;  er  klingt  ab, 
auch  wenn  die  Nierenentzündung  im  übrigen  ihren  gewöhnlichen  Verlauf 
nimmt. 

Die  zweite  Bemerkung  bezieht  sich  auf  die  Ödeme.  Neben  die  seiner¬ 
zeit  beliebten  chemischen  Erklärungen  rückt  er  ein  mechanisches  Moment : 
die  Elastizität  der  Gewebe.  In  manchen  Fällen  ist  die  erste  Gewebsläsion, 
welche  zur  Entstehung  von  interzellulärer  Flüssigkeitsansammlung  geführt 
hatte,  so  nachhaltig,  daß  keine  restitutio  in  integrum  eintritt,  daß  die  Ge¬ 
webe  sozusagen  überdehnt  bleiben,  bezw.  daß  schon  eine  kleine  Kraft  genügt, 
um  abermals  Flüssigkeiten  in  den  Gewebsmaschen  sich  ansammeln  zu  lassen. 

23* 


856 


Referate  und  Besprechungen. 


Auf  diese  Weise  erklärt  es  sich,  weshalb  Anasarka  sich  auch  im  späteren 
Leben  bei  ehemaligen  Nephritikern  einstellt,  z.  B.  nach  Anstrengungen,  Bergbe¬ 
steigungen,  reichlichen  Mahlzeiten;  vielleicht  ist  ein  Gefühl  von  Schwere 
und  manche  Bormen  von  Parästhesien  einem  unsichtbaren  Anasarka  äqui¬ 
valent.  Leichtbegreiflicherweise  kann  man  eine  Wiederkehr  der  normalen 
Elastizität  eher  bei  jungen  und  kräftigen  Personen,  als  bei  alten  und  runzeligen 
erwarten. 

Schließlich  spricht  J.  von  Kurzatmigkeit,  welche  noch  lange  in  die 
Rekonvaleszenz  hinein  andauere,  nachdem  die  übrigen  Krankheitserscheinungen 
sich  längst  verloren  hätten;  er  meint,  sie  komme  eben  deswegen  dem  Pat. 
in  der  Genesungsperiode  erst  recht  zum  Bewußtsein,  während  zuvor  seine 
Aufmerksamkeit  durch  allerlei  andere  Beschwerden  in  Anspruch  genommen  ge¬ 
wesen  sei.  Bezüglich  der  Entstehung  enthält  er  sich  einer  Erklärung ;  aber 
ich  glaube,  er  hätte  seine  Gedanken  über  die  Gewebselastizität  —  analog 
etwa  dem  Emphysem  —  ganz  wohl  auch  hierher  übertragen  können. 

'Buttersack  (Berlin). 


Die  diagnostische  Verwertbarkeit  der  Zusammensetzung  des  Harnes  bei 

der  Lungenentzündung. 

(E.  Zak.  Wiener  klin.  Wochenschr.,  Nr.  31  u.  32,  1908.) 

In  81%  her  Fälle  ist  der  Kalk  im  Urin  vermindert  oder  fehlt  ganz. 
Über  die  Ausscheidung  der  Magnesia  war  nichts  Sicheres  zu  ermitteln.  Die 
bekannte  Verminderung  der  Chlor- Ausscheidung  fand  sich  in  90%  der 
Fälle.  Geringe  Albuminurie,  1 — 2%0,  fand  sich  fast  regelmäßig;  sie  steht 
in  keinem  Zusammenhang  mit  der  Intensität  des  anatomischen  Prozesses. 
Am  4.  bis  5.  Tag  werden  oft  massenhaft  inkrustierte  Zylinder  ausgeschieden, 
doch  ist  dies  nicht  charakteristisch  für  Pneumonie.  Das  gleiche  gilt  für  die 
fast  stets  vorhandenen  Albumosen,  wogegen  der  durch  Kochsalz  ausfällbare 
Eiweißkörper  meistens  bei  dieser  Krankheit  und  zwar  vom  5.  Tag  bis  zur 
Krise  gefunden  wird.  Urobilin  ist  ein  fast  konstanter  Befund. 

E.  Oberndörffer. 


Aus  dem  chemisch-mikroskopischen  Laboratorium  von  Dr.  M.  und  A.  Jolles  in  Wien. 

Zur  quantitativen  Eiweißbestimmung  im  Harn. 

(A.  Jolles.  Allgem.  Wiener  med.  Zeitung,  Nr.  48,  1908.) 

Da  die  gewichtsanalytische  Methode  Scherer’ s  oft  versagt,  weil  in 
schleim-  und  eiterhaltigen  Harnen  das  Eiweiß  sich  nicht  vollständig  absetzt, 
bezw.  filtrieren  läßt,  und  auch  Tsiuehiya’s  Modifikation  von  Esbach’s 
Methode  zumal  bei  eitrigen  Harnen  des  öfteren  im  Stich  läßt,  hat  Jolles 
Scherer’s  Verfahren  in  der  Weise  abgeändert,  daß  er  das  Eiweiß,  auch 
aus  eiterigen  und  schleimigen  Härnen,  mit  folgendem  „Formolreagenz“  fällt: 

lu/0  Essigsäure  50,0 
Formol  50,0 

Natr.  chlor.  15,0. 

100  ccm  der  zu  untersuchenden  Flüssigkeit  werden  in  ein  Becherglas 
von  etwa  200  ccm  Inhalt  gebracht  und,  falls  sie  alkalisch  reagieren,  mit 
verdünnter  Essigsäure  neutralisiert.  Hierauf  fügt  man  5  ccm  des  Formol- 
reagenz  hinzu  und  erhitzt  in  kochendem  Wasserbade  zirka  30  Minuten,  bis 
außer  der  Abscheidung  des  Eiweißes  auch  eine  Klärung  der  darüber  stehen¬ 
den  Flüssigkeit  erfolgt.  Der  Niederschlag  wird  möglichst  rasch,  um  das 
Austrocknen  des  Eiweißes  an  den  Glaswänden  zu  vermeiden,  über  ein  vorher 
bei  110°  getrocknetes  Filter  filtriert,  mit  heißem  Wasser  und  hierauf  mit 
Alkohol  und  Äther  gewaschen,  bei  110°  bis  zur  Gewichtskonstanz  getrocknet 
und  gewogen.  Das  Filter  samt -Inhalt  wird  hierauf  in  einem  Platintiegel 
verascht  und  gewogen,  und  die  Asche  von  dem  gewogenen  Eiweiß  in  Abzug 
gebracht.  Die  Differenz  ergibt  den  Eiweißgehalt.  Esch. 


Referate  und  Besprechungen. 


357 


Asthma  bronchiale  und  Verkleinerung  des  Herzens. 

(A.  Götzl  u.  R.  Kienböck.  Wiener  klin.  Wochenschr.,  Nr.  36,  1908.) 

In  zwei  Fällen  fand  sich  bei  der  orthodiagraphischen  Untersuchung  des 
Herzens  eine  auffallende  Verschmälerung  und  Verkleinerung  des  Schattens, 
höchstwahrscheinlich  hervorgebracht  durch  das  Exspirationshindernis  in  den 
Bronchien,  welches  den  intrathorakalen  Druck  steigert  und  dadurch  die 
Füllung  des  Herzens  von  seiten  der  großen  Venen  behindert,  die  Austreibung 
des  Blutes  aber  unterstützt.  E.  Oberndörffer. 


Influenzabazillen  im  Bronchialbaum. 

(F.  Wohlwill.  Münch,  med.  Wochenschr.,  Nr.  7,  1908.) 

Unter  158  Leichen  (73  Phthisen,  26  akute  Infektionskrankheiten, 
59  Krankheiten  verschiedener  Art)  wiesen  29  einen  positiven  Befund  von 
Pf  eif  f  er’schen  Bazillen  in  den  Bronchien  auf.  Am  häufigsten  fand  sich 
der  Bazillus  bei  Phthisikern  (16  mal),  weiterhin  bei  Kindern  mit  Infektions¬ 
krankheiten  (Masern,  Keuchhusten).  In  diesen  Bazillenträgern  erblickt  der 
Autor  die  Vermittler  und  Weiterverbreiter  der  Influenzainfektion. 

E.  Oberndörffer. 


Zur  Kasuistik  der  abortiven  Pneumonie. 

(Dr.  Simon-Plauen  i.  V.  Münch,  med.  Wochenschr.,  Nr.  35,  1908.) 

Simon  berichtet  über  2  Fälle  von  Pneumonie  crouposa,  die  alle  Sym¬ 
ptome  einer  solchen,  wie  Temperaturerhöhung,  frequenten  Puls,  krepitierendes 
Rasseln,  Bronchialatmen,  Dämpfung,  verstärkten  Pektoralfremitus,  rostfarbenes 
Sputum  boten,  aber  nach,  2  Tagen  vollständig  wieder  hergestellt  waren.  Er 
erklärt  sich  diesen  abortiven  Verlauf  damit,  daß  der  sehr  eng  begrenzte 
Prozeß  vielleicht  nur  oberflächlich  gelegen  war  und  infolgedessen  leichter 
absorbiert  wurde  oder  daß  die  Virulenz  des  Diplokokkus  Friedländer  aus 
irgend  einem  Grunde  abgeschwächt  war.  F.  Walther. 


Rheumatismus  tuberculosus  (Poncet). 

(P.  Es  au.  Münch,  med.  Wochenschr.,  Nr.  8,  1908.) 

Bei  einem  6  jährigen  Kind  ohne  sonstige  Tuberkulose  und  ohne  here¬ 
ditäre  Belastung  wurden  nacheinander  beide  Knie-  und  Fußgelenke,  das 
rechte  Hüftgelenk  und  die  Halswirbelsäule  von  einer  teils  in  Ankylose, 
teils  in  Heilung  ausgehenden  Entzündung  befallen.  Der  Prozeß  verlief  mit 
Fieber  und  Schmerzen,  die  Hauttemperatur  über  den  kranken  Gelenken  war 
erhöht,  ein  Erguß  nicht  nachweisbar.  Antirheumatische  Therapie  war  er¬ 
folglos,  dagegen  hatte  die  Behandlung  mit  Saugapparaten  bemerkenswerte 
Resultate.  Charakteristisch  ist  der  Verlauf  in  Schüben,  der  häufige  Aus¬ 
gang  in  Ankylose,  Abmagerung,  Schweiße.  Gewöhnlich  werden  jugendliche 
Personen  mit  latenter  Tuberkulose  befallen.  E.  Oberndörffer. 


Psychiatrie  und  Neurologie. 

Beiträge  zur  Pathologie  des  Gehirns. 

(Hochhaus.  Deutsche  Zeitschr.  für  Nervenheilk.,  Bd.  34,  H.  3  u.  4,  1908.) 

Der  Verfasser  teilt  zwei  interessante  Fälle  mit,  im  ersten  handelt  es 
sich  um  ein  multiples  Gliom  von  ungewöhnlicher  Ausdehnung.  Im  zweiten 
Fall  liegt  von  einem  frisch:  nach  Masern  entstandenen  Fall  von  ,, zerebraler 
Kinderlähmung“  ein  Obduktionsbefund  vor.  Das  ist  sehr  wertvoll.  Denn 
so  oft  „alte“  Fälle  dieser  Art  untersucht  sind,  so  selten  gibt  sich  die  Gelegen¬ 
heit,  frische  Fälle  also  noch  im  akuten  Stadium  zu  untersuchen.  Bei  den 


358 


Referate  und  Besprechungen. 


brennenden  Fragen  der  Pathologie  des  kindlichen  Gehirns  ist  dies  eine  be¬ 
sonders  beachtenswerte  Untersuchung.  Anatomisch  fand  sich  ein  starkes  sul- 
ziges  Ödem  der  Pia  und  der  linken  Zentralwindungsgegend  und  eine  mäßige 
Meningoencephalitis  dieser  Gegend.  Der  Befund  ist  nicht  gerade  hochgradig, 
von  den  Erklärungen  für  die  Deutung  der  klinischen  Erscheinungen,  die  der 
Verfasser  anführt,  ist  jedenfalls  die  zu  bevorzugen,  in  der  er  sagt,  daß 
beim  kindlichen  Gehirn  weniger  umfangreiche  Entzündungen  mit  Ödem  tief¬ 
greifende  Schädigungen  der  Funktion  hervorrufen  können.  H.  Vogt. 


Über  falsche  Lokalisation  der  Schmerzempfindung  bei  Rückenmarks- 

Kompression. 

(Renner.  Deutsche  Zeitchr.  für  Nervenheilk.,  Bd.  34,  H,  3  u.  4,  1908.) 

Die  Arbeit  betrifft  eine  kurze  klinische  Mitteilung  zu  der  vor  einiger 
Zeit  von  Lewandiowsky  erörterten  Tatsache,  daß  bei  einer  Rückenmark- 
kompresision  die  in  den  unteren  Extremitäten  gesetzten  Schmerzreize  in  der 
oberen  empfunden  wurden.  Im  beobachteten  Falle  wurden  alle  Reize,  die  an 
den  unteren  Extremitäten  gesetzt  wurden,  in  eine  der  Kompressionsstelle  ent¬ 
sprechende  hyperästhetische  gürtelförmige  Hautzone  lokalisiert.  Das  Phäno¬ 
men  kann  physisch  oder  psychisch  bedingt  sein.  H.  Vogt. 


Zur  Diagnostik  des  Rückenmarktumors. 

(Heilbronner.  Deutsche  Zeitschr.  für  Nervenheilk.,  Bd.  34,  H.  3  u.  4,  1908.) 

Der  interessanten  Mitteilung  liegt  folgender  Fall  zugrunde :  Ein 
55  jähriger  Mann  erkrankt  mit  Schmerzen  im  Rücken,  ausstrahlenden  Schmerzen 
und  Parästhesien  in  den  Beinen;  nach  fünf  Wochen  Parese  der  Beine,  die 
nach  weiteren  drei  Monaten  in  Paralyse  übergeht.  Die  Lähmung  ist  schlaff, 
nicht  spastisch.  Die  Bauchmuskulatur  bleibt  willkürlich  beweglich,  Blasen- 
und  Mastdarmstörungen  setzen  im  dritten  bezw.  vierten  Krankheitsmonat  ein. 
Die  Parese  ist  erst  links  geringer  als  rechts.  Die  Berührungsempfindlichkeit 
im  dritten  Monat  noch  vorhanden,  die  anderen  sensiblen  Qualitäten  unsicher. 
Die  Wahrnehmung  passiver  Bewegungen  fehlt  von  Anfang  an.  Dann  treten 
zunächst  rechts  anästhetische  Flecken  auf,  nach  vier  Monaten  besteht  eine 
ziemlich  totale  Anästhesie  der  beiden  unteren  Extremitäten,  rechts  mit  Ein¬ 
schluß  des  Nabels,  links  ist  die  Grenze  etwas  tiefer;  außerdem  vor  dieser 
Zone  getrennt  rechts  eine  anästhetische  drei  Finger  breite  Zone  mit  einer 
unteren  Grenze  ca.  zwei  Finger  oberhalb  des  Nabels.  Exitus  an  den  Folgen 
der  Cyst-itis  nach  wochenlangen  Fieberdelirien. 

Verf.  setzt  im  Schlußteil  seiner  Arbeit  die  prinzipielle  Bedeutung  des 
Falles  auseinander:  Bei  rapidem  Verlauf  kann  die  Hypertonie  der  Muskulatur 
fehlen,  so  daß  sich  eine  Kombination  von  Atonie  mit  Reflexsteigerung  ergibt, 
die  eine  kombinierte  Strangaffektion  vorzutäuschen  vermag.  Es  kann  also 
gewissermaßen  zu  einer  Dissoziation  zwischen  Mark-  und  Wurzelerscheinungen 
kommen.  Daß  die  ersten  sensiblen  Ausfallserscheinungen  infolge  der  Kom¬ 
pression  mit  besonderer  Vorliebe  die  distalen  Partien  der  unteren  Extremi¬ 
täten  betreffen,  ist  eine  bekannte  Erscheinung:  sie  werden  auch  nach  ge¬ 
lungener  Operation  zuletzt  wieder  empfindlich.  Im  Falle  H.’s  hat  sich  nicht 
nur  der  sensible,  sondern  auch  der  motorische  Teil  so  tief  abgegrenzt  und 
stabilisieit  unter  Verschonung  einer  von  sensibler  und  motorischer  Störung 
freien  Strecke  zwischen  den  Mark-  und  Wurzelzonen,  so  daß  die  Annahme 
eines  einzigen  Tumors  ausgeschlossen  schien.  Es  schien  sich  um  multiple 
Tumoren  zu  handeln,  doch  hat  die  Autopsie  nur  einen  singulären  Tumor  er¬ 
geben,  der  extramedullär,  walzenförmig  von  ca.  2  cm  Länge  rechts  an  der 
Dura  zwischen  sechster  und  siebenter  Dorsalwurzel  saß ;  mikroskopisch  handelte 
es  sich  um  ein  Rundzellensarkom:  das  Rückenmark  war  an  der  betreffenden 
Stelle  eingedrückt,  nicht  erweicht. 

Die  Mitteilung  derartiger  komplizierter  Fälle  ist,  trotz  oder  vielleicht 
gerade  durch  die  Fehldiagnose,  von  großem  allgemeinem  Wert,  H.  Vogt. 


Referate  und  Besprechungen. 


859 


Die  präaktive  Spannung. 

(Richard  Stern.  Wiener  klin.  Rundschau,  Nr.  26,  27  u.  28,  1908.) 

Zwischen  Wille  und  Handlung  kann  ein  Zeitabschnitt  liegen,  wenn 
die  Handlung  nämlich  nicht  gleich,  sondern  erst  zu  einem  bestimmten  Zeit¬ 
punkte  beabsichtigt  wird.  Die  Tat  erfolgt  dann  gewissermaßen  impulsiv, 
denn  Wille  und  Ausführung  sind  zeitlich  voneinander  getrennt  —  impul¬ 
sive  Willenshandlung.  Wer  innerviert  nun  dieses  impulsive  und  doch 
gewollte  Handeln?  Der  Verf.  antwortet  darauf:  Die  Lösung  der  präak¬ 
tiven  Spannung.  Diese  ersetzt  den  Willen  bis  zur  Aktion  und  besteht 
vorwiegend  in  einer  dauernden  Kontraktion  der  Muskeln  des  Beckenbodens 
und  der  Ohrmuskeln.  Die  Lösung  dieser  Muskelspannungen  wirkt  aktivie¬ 
rend  wie  der  Wille  selbst.  —  Das  an  sich  physiologische  Phänomen  kann  eine 
pathologische  Bedeutung  erlangen  durch  die  übertriebene  Dauer  und  die 
Multiplizität  der  Muskelkontraktionen,  welche  schließlich,  zu  einer  anhalten¬ 
den  Dysthymie  führen.  Die  Therapie  liegt  nahe:  Beachtung  der  präaktiven 
Spannungen  und  Entspannung  auf  der  ganzen  Linie.  —  Die  klaren  und 
scharfsinnigen  Ausführungen  des  Verf.  verdienen  Beachtung,  insbesondere 
können  sie  auch  zur  Erklärung  mancher  nervöser  Angstphänomene  wesent¬ 
liche  Dienste  leisten.  Steyerthal-Kleinen. 

Über  die  Behandlung  der  essentiellen  Urininkontinenz  (Enuresis  nocturna). 

(P.  Bazy  u.  M.  Dechamps,  Paris.  Rev.  de  Ther.  u.  Allgem.  Wiener  med.  Zeitung, 

Nr.  47—51,  1908.) 

Von  Maßnahmen  gegen  das  Leiden  nennen  die  Verfasser  1.  die  empiri¬ 
schen  Mittel:  Strafandrohung,  Versprechen  von  Belohnung,  Apell  an  das 
Scham-  und  Reinlichkeitsgefühl.  Sie  sind  teils  unwirksam,  teils  schädlich. 
Besonders  •  gilt  das  letztere  auch  von  den  mechanischen  Mitteln  des  Harn¬ 
röhrenverschlusses  durch  Kompressionsmaßregeln,  Kollodium  usw.  Zu  emp¬ 
fehlen  ist  harte  Unterlage,  Erhöhung  des  Bettendes,  Verminderung  der  Flüssig- 
keitszufuhr,  Seitenlage,  nächtliches  Wecken,  Gewöhnung  an  langes  Zurück¬ 
halten  des  Urins  zur  Erhöhung  der  Blasenkapazität. 

2.  Äußere  Maßnahmen:  Sie  sollen  entweder  die  Sensibilität  der 
Schleimhaut  wecken  oder  die  erhöhte  Reizbarkeit  des  vesikospinalen  Zentrums 
herabsetzen.  Es  wurden  empfohlen:  Sondieren  (5 — 6mal  alle  zwei  Tage), 
Instillation  von  Arg.  nitr.  usw.,  Urethralmassage  mit  Katheter,  Dilatation 
der  Harnröhre,  Blasenmassage  durch  (wechselwarme)  Irrigationen,  ferner  all¬ 
gemeine  kalte,  aromatische  und  Seebäder,  lokale  kalte  Umschläge  (Blase  und 
Damm),  1/4-stüncliger  kalter  Wickel  mit  nachfolgender  Abreibung  morgens 
und  abends,  kalte  Sitzbäder  und  Klysmen,  Klopfung  der  Lenden-  und  Sakral¬ 
region,  Massage  und  Vibration  des  Blasenhalses. 

3.  Innerlich  wurde  Belladonna  und  Atropin  versucht  mit  oder  ohne 
Brom,  ferner  Antipyrin,  Cupr.  sulf.  ammoniac.,  Strychnin,  Ergotin,  Rhus 
toxicodendror,  und  raclicans. 

Bei  Hyperazidität  des  Urins  ist  Alkali  zu  geben  und  der  Eleischgenuß 
zu  untersagen,  bei  Zystitis  das  Grundleiden  zu  behandeln;  ev.  ist  an  Schilcl- 
drüsen-Insuffizienz  zu  denken  und  ein  Versuch  mit  der  Opotherapie  zu 
machen,  auch  wurden  Erfolge  von  Nebennierenpräparaten  berichtet,  Methylen¬ 
blau  zu  suggestiven  Zwecken  gereicht.  Die  medikamentöse  Therapie  hat 
im  allgemeinen  wenig  Bedeutung. 

4.  Die  elektrische  Behandlung  wird  in  verschiedenen  Formen  und 
Kombinationen  angewandt,  wobei  man  den  negativen  Pol  perineal  oder  intra- 
urethral  (vaginal)  appliziert. 

5.  Die  Suggestionsbeh.ancllung  kann  sowohl  im  Wachzustand  wie 
im  hypnotischen  und  jm  natürlichen  Schlaf  wirksam  sein.  Bei  letzterem 
wird  sie  entweder  ,,präsomnal“  oder,  wenn  „intrasomnal“,  nach  Erwecken 
zum  halb-  oder  traumwachen  Zustande  ausgeführt.  Mit  Vorteil  suggeriert 
man  zunächst  das  Fühlen  der  Notdurft  und  das  Aufstehen,  später  erst  den 
Widerstand  gegen  den  Urindrang;  sehr  suggestibelen  Kindern  kann  man  die 
Unmöglichkeit,  im  Liegen  zu  urinieren,  suggerieren. 


360 


Referate  und  Besprechungen. 


6.  Injektionsbehandlung  mit  artefiziellem  Serum  (epidural  und  retro- 
rektal)  sowie  Lumbalpunktion  ergab  zuweilen  Erfolge. 

7.  Chirurische  Behandlung  muß  bei  Mißbildungen  platzgreifen,  die 
die  Inkontinenz  verursachen  (Präputiale  Anheftungen,  Phimose,  Urethral- 
stenose,  Klitorisanomalien). 

Im  Allgemeinen  ist  vor  allem  die  Ursache  des  Leidens  festzustellen.  Bei 
der  essentiellen  I.  sind  zunächst  die  einfachsten  Maßregeln  anzuwenden. 
Elektrotherapie,  Sondierung,  Katheterisierung,  Suggestion,  Instillation,  Ein¬ 
schränkung  des  Fleisches,  Verbot  von  Alkohol,  Kaffee,  Tee,  Gewürz,  Frei- 
luftbewegung  usw.  Esch. 


Katatonie  im  Kindesalter. 

(Ra ecke.  Arch.  für  Psych.,  u.  Nervenheilk.,  Bd.  45,  H.  1,  1908.) 

Der  Verf.  ma'cht  auf  die  Tatsache  aufmerksam,  daß  die  Unkenntnis  über 
das  Bestehen  der  Kinderkatatonie  vielfach  in  äußeren  Umständen  liege. 
Das  Vorhandensein  dieser  Kinderpsychose  kann  gar  nicht  bezweifelt  werden, 
die  Arbeit  von  Ra  ecke  würde  jedenfalls  den  letzten  Zweifel  hierüber  be¬ 
seitigen.  Es  werden  zehn  sehr  interessante  und  gut  beobachtete  Fälle  aus 
der  Kieler  Klinik  mitgeteilt,  es  sei  hier  der  erste  Fall  etwas  näher  referiert : 
Ein  12 jähriger  Knabe,  sehr  gut  begabt,  verfällt  allmählich  in  einen  Stupor, 
der  mit  Negativismus,  Mutismus,  Stereotypien,  Nahrungsverweigerung,  Ein¬ 
nässen  und  gelegentlich  auf  tretenden  kurzen  Erregungen  einherging :  also  das 
ausgesprochene  Bild  einer  Katatonie.  In  der  Klinik  allmähliche  Besserung, 
nach  der  (zweiten)  Entlassung  blieb  bis  zum  Ende  der  kontrolllierten  Zeit 
(l1/2  Jahre)  der  Zustand  anscheinend  dauernd  ein  guter.  Sechs  von  den 
zehn  Kindern  waren  gut  begabt,  jedenfalls  nicht  imbezill ,  doch  ließ  sich 
eine  gewisse  Disposition  (Verschlossenheit,  mürrisches  Wesen,  auffallend  stilles 
Benehmen)  in  manchen  Fällen  nachweisen.  Dem  Alter  nach  standen  vier 
Fälle  im  12.  Lebensjahr,  die  anderen  waren  nur  wenig  älter.  Übereinstimmend 
war  in  allen  Fällen  der  jähe  Wechsel  zwischen  Hemmung  und  Erregung  mit 
Neigung  zu  Stereotypien  und  zum  triebartigen  Bizarren,  zu  impulsiven  moto¬ 
rischen  Entladungen  und  zu  blindem  Widerstreben  bei  Fehlen  von  ausge¬ 
prägteren  Affektanomalien  und  Bewußtseinstrübung.  In  einzelnen  Fällen 
stand  mehr  Stupor,  Mutismus,  Nahrungsverweigerung,  Unsauberkeit,  Flexi- 
bilitas  oerea,  in  anderen  ein  unmotiviert  verschrobenes  Wesen  im  Vordergrund: 
ein  ausgeprägt  kindliches  Gebahren  faßt  der  Autor  als  den  Ausdruck  des 
Zurückbleibens  der  psychischen  Entwicklung  im  Verhältnis  zum  Lebens¬ 
alter  auf.  Die  Ähnlichkeit  mit  den  Katatonieformen  der  Erwachsenen  erscheint 
unverkennbar:  es  seien  noch  der  Vollständigkeit  halber  gelegentliche  hysteri- 
forme  Züge  und  typisches  Vorbeireden  erwähnt.  Nach  der  Lösung  des 
Stupor  vermochten  die  Kinder  keine  befriedigende  Auskunft  zu  geben,  warum 
sie  so  starr  gelegen  und  nichts  gegessen  hatten.  Doch  war  die  Erinnerung 
an  die  Tatsache  des  Erlebten  bei  einigen  Fällen  recht  klar.  Der  Verfasser 
kommt  zu  folgenden  beachtenswerten  Schlußsätzen:  ,,Die  Katatonie  tritt  auch 
im  Kindesalter  auf,  vor  allem  im  Alter  vom  12. — 15.  Jahre  und  weicht  hier 
in  ihren  Hauptzügen  nicht  von  der  Katatonie  der  Erwachsenen  ab.  In  der 
Regel  läßt  sich  eine  angeborene  psychische  Minderwertigkeit  als  Grundlage 
nachweisen,  auf  welcher  sich  die  Psychose  entwickelte,  während  äußere  Ur¬ 
sachen  keine  wesentliche  Rolle  spielen.  Manche  sog.  Imbezille  mit  katatonen 
Symptomen  mögen  schon  in  der  Kindheit  einen  Anfall  von  Katatonie  durch¬ 
gemacht  und  dabei  ihre  Geistesschwäche  ganz  oder  zum  größten  Teil  er¬ 
worben  haben.  Das  Bestehen  einer  imbezillen  Grundlage  hat  auf  das  äußere 
Krankheitsbild  und  auf  die  Psychose  der  Katatonie  keinen  merklichen  Einfluß.“ 

Trotz  des  u.  E.  vom  Verf.  nachgewiesenen  Vorhandenseins  einer  echten 
Katatonie  im  Kindesalter  scheint  die  Diskuslsion  darüber  noch  offen  zu 
sein,  inwieweit  manche  „Imbezille  und  Idioten  mit  katatonen  Symptomen“ 
aus  dem  Rahmen  der  von  Raeicke  dargestellten  Gruppe  doch  herausfallen 
und  der  von  Weygandt  seinerzeit  näher  gewürdigten  Genese  zuzuzählen  sind. 

H.  Vogt. 


Referate  und  Besprechungen. 


361 


Trigeminusneuralgie,  hervorgerufen  durch  Veränderungen  an  den  Zähnen. 

(W.  Wallisch.  Wiener  klin.  Wocliensclir.,  Nr.  24,  1908.) 

Die  Beobachtungen  des  Verfassers  sind  ebenso  interessant  als  praktisch 
wichtig.  In  mehreren  Fällen  von  Trigeminusneuralgie  erwiesen  sich  Zähne 
mit  Wurzelplomben  als  die  Ursache;  die  Zähne  waren  lege  artis  gefüllt 
und  völlig  unempfindlich,  trotzdem  hörte  die  Neuralgie  erst  nach  Entfernung 
der  Plombe  auf.  Ferner  können  falsche  Belastung  des  Zahnes  beim  Kauen, 
besondere  Größe  der  Plomben  £  Verletzungen  der  Pulpa  beim  Plombieren 
den  Nervenschmerz  verursachen.  Zähne  mit  Kronen,  solche  mit  Gebißklammern 
wirken  in  gleicher  Richtung,  ebenso  Alveolarpyorrhoe.  Die  Neuralgie  der 
Zahnlosen  sowie  die  Trigeminusaffektion  bei  Empyem  der  Kieferhöhle  sind 
wohl  allgemein  bekannt,  E.  Oberndörffer. 


Über  die  Neurasthenie. 

(X.  Congres  francais  de  med.  Genf,  1908.) 

„Standpunkte  sind  nicht  raisonabel“  hat  W.  Griesinger  einmal  ge¬ 
sagt  und  —  könnte  man  hinzufügen  — -  die  Verständigung  ist  um  so  schwie¬ 
riger,  je  mehr  mit  Worten,  Abstraktionen  operiert  wird.  Auf  dem  10.  fran¬ 
zösischen  Internistenkongreß  stand  die  Pathogenese  der  neurasthenischen  Zu¬ 
stände  auf  dem  Programm,  und  zwei  Parteien  platzten  mit  Vehemenz  auf¬ 
einander.  Die  eine,  vertreten  durch  Prof.  Dubois  aus  Bern,  faßte  die  Frage 
sozusagen  am  psychologischen  Zipfel,  während  die  andere,  unter  Führung 
von  Deschamps  und  Lepine,  am  physiologischen  zog. 

Dubois  sieht  das  Wesen  der  Erkrankung  in  einer  gesteigerten  Er¬ 
müdbarkeit  verbunden  mit  einer  gewissen  Erregbarkeit,  also  was  wir  etwa 
mit  reizbarer  Schwäche  bezeichnen.  Die  Pat.  sind  nicht  Philosophen  genug, 
um  über  den  Dingen  zu  stehen ;  es  fehlt  ihnen  das  moralische  Rückgrat 
der  Selbstbeherrschung;  deshalb  sind  sie  äußeren  Vorkommnissen  hilflos  preis¬ 
gegeben.  Die  Ursache  dieses  Verhaltens  sieht  D.  teils  in  ererbter  Konsti¬ 
tution,  teils  in  den  schädlichen  Einflüssen  übertriebener  körperlicher  und 
geistiger  Arbeit,  Vergnügungen  und  Aufregungen.  Der  einseitigen  Erziehung, 
welche  hauptsächlich  auf  Aufspeicherung  von  vielen  Kenntnissen  —  l’ecole 
nous  en  bourre  sans  former  notre  jugement  —  ausgeht,  die  ethischen  Quali¬ 
täten  aber  (Dubois  nennt  das:  l’intelligenc'e  morale)  unentwickelt  läßt,  kommt 
auch  ein  Teil  der  Schuld  zu,  während  somatische  Vorgänge,  wie  chronische 
Intoxikationen  vom  Magen-Darmkanal  aus,  Störungen  der  Drüsentätigkeit, 
Veränderungen  des  Blutes,  Obstipationen,  Cholämie  nicht  viel  zu  bedeuten 
haben.  Wie  können,  so  frägt  er,  diese  Faktoren  Neurasthenie  erzeugen,  da  es 
doch  genug  Leute  mit  Verdauungsstörungen,  Gicht,  chronischem  Ikterus  usw. 
gibt,  bei  denen  sich  keine  Spur  von  Neurasthenie  findet?  —  Die  Therapie 
ergibt  sich  bei  diesem  Standpunkt  von  selbst.  Die  Hilfsmittel  der  Phar¬ 
makopoe  und  des  physikalisch-diätetischen  Arsenals  müssen  zurücktreten  hinter 
dem  erziehlichen  Einfluß,  den  der  Arzt  auf  seinen  Schützling  ausüben  muß. 
Die  Aufgabe  solchen  Patienten  gegenüber  ist  im  Grunde  die  gleiche,  welche 
man  bei  der  Erziehung  normaler  Menschen  zu  erfüllen  hat;  man  muß  bei 
ihnen  . ,,ce  jugement  ethique  sain“  entwickeln  ,,ce  gros  bon  sens  qui  vaut  mieux 
que  l’erudition  acquise  ä  l’ecole  ou  clans  les  livres“.  ■ 

Ganz  anders  faßt  die  Gegenpartei,  Lepine  und  sein  Lehrer  Deschamps, 
die  Sache  an.  Sieht  Dubiois  das  Wesen  der  Neurasthenie  in  einem  Mangel 
der  moralischen,  psychischen  Energie,  so  ist  ihnen  der  ganze  Erscheinungs¬ 
komplex.  nur  der  Ausdruck  gestörter  chemischer,  molekularer  Energie.  Was 
ist  Kraft,  Energie,  anderes  als  Umsetzung  molekularer  Strukturen,  als  die 
chemischen  und  physikalischen  Operationen  der  Assimilation  und  der  Des¬ 
assimilation  ?  wenn  diese  Prozesse  alle  glatt  und  richtig  ablaufen,  haben  wir 
Kraft,  Stärke,  Gesundheit;  sind  sie  irgendwo  gestört:  Schwäche,  Krankheit. 
Wir  wissen,  daß  jedes  Organ  für  sich  allein  insuffizient  sein  kann;  ist  das 
zufällig  das  Nervensystem,  dann  haben  wir  die  Neurasthenie,  wie  wir  in 


362 


Referate  und  Besprechungen. 


ähnlicher  Weise  Insuffizienzerscheinungen  am  Herzen,  an  den  Nieren,  Schild¬ 
drüsen  auftreten  sehen. 

Solche  Insuffizienz  des  Nervensystems  kann  die  Folge  von  Erschöpfung, 
von  zu  raschem  Verbrauch  sein,  oder  von  angeborener  Schwäche,  oder  das 
Ergebnis  von  Hemmungen  (z.  B.  durch  Vergiftungen,  psychische  Faktoren). 
Die  Patienten  der  ersten  Kategorie  kann  man  wieder  völlig  hersteilen,  die 
der  beiden  anderen  aber  nur  relativ;  d.  h.  man  kann  nicht  mehr  tun  als  sie 
in  ein  Milieu  bringen,  das  keine,  ihre  Kräfte  übersteigende  Anforderungen 
an  sie  stellt.  Aber  es  ist  einleuchtend,  daß  diese  absolute  bezw.  relative 
Heilung  sich  nur  durch  Regelung  des  Chemismus  erzielen  läßt. 

Von  den  Diskussionsrednern  (Bernstein,  Levy,  de  Fleury,  Teissier, 
Gr  an  jux)  sprachen  die  meisten  im  Sinne  der  chemischen  Lehre. 

Beide  Parteien  können  sich  auf  große  Erfolge  stützen.  Auch  Syden- 
ham  und  Morton,  Friedr.  H, offmann  und  G.  E.  Stahl  waren  zu  ihren 
Zeiten  berühmte  Ärzte,  obwohl  sie  von  verschiedenen  Theorien  ausgehend 
ganz  entgegengesetzte  Mittel  anwandten;  und  wenn  man  die  Geschichte  der 
Medizin  durchsieht,  wird  man  finden ,  daß  die  Mittel  eigentlich  weniger 
wirkten  als  die  Persönlichkeiten  derer,  die  sie  verordneten.  Carlyle  sagt 
in  seinem  Buch:  Helden  und  Heldenverehrung:  ,,Mit  unseren  Wissenschaften 
und  Enzyklopädien  sind  wir  geneigt,  in  unseren  Laboratorien  das  Gött¬ 
liche  zu  vergessen  ....  aber  ich  meine,  die  meisten  Wissenschaften  wären 
alsdann  gar  totes  Zeug,  welk,  streitsüchtig,  leer.“  So  wird  die  Sache  auch 
in  der  Neurasthenie-Frage  liegen,  und  wenn  Lepine  am  Ende  seines  Vor¬ 
trags  mit  einer  höflichen  Verbeugung  von  seinem  Gegner  sagt:  ,,M.  Dubois 
n’exerce  pas  seulement  sur  ses  malades  le  charme  imperieux  d’une  autorite 
morale  puissante,  il  meit  a  leur  secours  toutes  les  ressources  d’un  excellent 
medecin“,  so  wird  man  bei  ihm  den  Satz  umdrehen  und  sagen  können:  Eben 
durch  seine  ausgezeichneten  Maßnahmen  übt  Lepine  auf  seine  Kranken 
den  Zauber  einer  überlegenen  Persönlichkeit  aus. 

Und  damit  ist  der  Verschiedenheit  der  Meinungen  jede  Schärfe  genommen. 

Buttersack  (Berlin). 


Diätetik. 

Der  Eiweißbedarf  des  Kindes. 

(F.  Sieg  er  t.  Arch.  für  exper.  Pathol.  u.  Pharmakol.  Festschr.  für  Schmiedeberg, 

Supplementband,  S.  489,  1908.) 

Sieg  er  t  nimmt  an,  daß  die  Voit’sche  Forderung  für  die  Ernährung  des 
Erwafchenen  mit  1,7  g  Eiweiß  pro  kg  und  Tag  [=  118  g  bei  70  kg 
Körpergewicht]  durch  die  neueren  Versuche,  insbesondere  die  von  Chitten- 
den,  auf  0,9 — 1,0  g  festgestellt  sei. 

Der  Säugling,  der  im  5.  Monat  sein  Gewicht  verdoppelt  und  in  12  Mo¬ 
naten  verdreifacht,  braucht  nicht  einmal  1  g  pro  kg  und  Tag  in  Milch, 
in  der  sich  das  Eiweiß  zu  den  nichtstickstoffhaltigen  Bestandteilen  wie 
1:15  verhält.  Im  Gegensatz  dazu  wird  für  h  er  an  wT  ach  sende  Kinder  von 
C  am  er  er  und  E.  Müller  3 — 4  g  Eiweiß  pro  kg  und  Tag  als  notwendig 
bezeichnet, 

Sieger t  hat  zur  Feststellung  des  Eiweißbedarfs  und  des  Opti¬ 
mums  der  Eiweißzufuhr  bedeutend  geringere  Eiweißmengen  verwendet,  die 
nur  9 — 10%  der  Gesamtkalorienzufuhr  der  Nahrung  repräsentieren  (gegen¬ 
über  16,6%  Rubner),  und  hat  die  untere  Bedarfsgrenze  ermittelt  (Einzel¬ 
heiten  in  Dissertation  von  Lungwijtz,  Halle  1908). 

Nach  Siegert’s  früheren  Versuchen  nimmt  der  Säugling  im  ersten 
Lebensvierteljahr  125 — 180  ccm  Muttermilch  (80 — 117,5  Kal.)  pro  kg 
und  Tag  zu  sich.  Sicher  führen  etwa  150  ccm  (100  Kal.)  in  der  Zeit  des 
maximalen  Wachstums  beim  Säugling  zu  kräftiger  Entwickelung.  Im  zweiten 
Lebenshalbjahr  sinkt  das  Energiebedürfnis  des  Säuglings  auf  80 — 70  Kal. 

Ganz  anders  bei  Ernährung  mit  Kuhmilch,  die  dreimal  eiweißreicher 


Referate  und  Besprechungen. 


368 


ist  und  etwa  den  gleichen  Kaloriengehalt  aufweist  als  Frauenmilch.  Von 
ihr  braucht  der  Säugling  eine  größere  Menge,  aber  niemals  zu  seinem  Vorteil 
(erhöhte  Eiweißzersetzung,  Wärmeproduktion,  NH3- Ausscheidung  im  Harn, 
verminderte  aktive  Immunität).  Mit  dem  Übergang  zur  gemischten  Kost  im 
zweiten  Lebensjahr  ergibt  sich  eine  neue  radikale  Änderung,  welche  noch 
nicht  aufgeklärt  ist. 

Es  wurden  in  der  Kinderklinik  der  Akademie  für  praktische  Medizin 
in  Köln  19  Versuche  an  10  Kindern  im  Gewicht  bis  zu  35  kg  anges, teilt ; 
einzelne  derselben  erhielten  1,6 — 1,23  g  Eiweiß  pro  kg  und  Tag  (8,1 — 7,55% 
Kaloriengehalt  der  Gesamtnahrung).  Die  Versuche  erstreckten  sich  bis  auf 
31  Tage.  Das  Optimum  scheint  bei  9 — 10%  Eiweißkalorien  zu  liegen;  eine 
Eiweißzufuhr  von  2,0 — 1,8  g  pro  kg  und  Tag  bei  Kindern  von  3 — 6  Jahren 
(13 — 20  kg  Körpergewicht),  später  pro  Gewichtszunahme  von  2 — 3  kg  um 
0,1  g  sinkend  bis  auf  1,3  g  (35  kg  Körpergewicht)  und  weiter  pro  Gewichts¬ 
zunahme  von;  5  kg  um  weiter  0,1  g  bis  zum  Eiweißbedarf  1,0  g  der  Erwachse¬ 
nen  (50  kg  Körpergewicht)  scheint  eine  recht  günstige  Ernährung  des  wachsen¬ 
den  Kindes  zu  sein. 

Gleichwohl  ist  Verf.  aber  „für  eine  im  allgemeinen  reichliche 
Eiweißmenge  und  Gesa’m  tenergiezuf  uhr“,  wie  dies  Oamerer  und 
J.  Förster  fordern,  weil  die  Verhältnisse  des  Lebens,  besonders  beim  Prole¬ 
tarier,  ganz  andere  seien  als  im  Krankenhaus  (unverdauliche  Kost,  schlechte 
Kleidung  und  ungünstige  Wohnung,  die  eine  größere  Wärmeabgabe  zur 
Folge  haben,  größere  Körperarbeit).  E.  Rost  (Berlin). 


Aus  der  inneren  Abteilung  der  städtischen  Diakonissenanstalt  in  Bromberg. 

Wesen  und  Bedeutung  der  künstlichen  Nährmittel. 

(Dr.  Lipowski.  Oberarzt.  Med.  Klinik,  Nr  50,  1908.) 

Lipowski  gibt  eine  gedrängte,  aber  dabei  sehr  instruktive  Übersicht 
über  das  Wesen  der  verschiedenen  künstlichen  Nährpräparate.  Sie  können 
sämtlich  in  bezug  auf  Geschmack,  Bekömmlichkeit  und  Preis  die  natür¬ 
lichen  Nährmittel  nicht  ersetzen.  Dort,  wo  langanhaltende  fieberhafte  Krank¬ 
heiten  bestehen,  wo  eine  ausreichende  Ernährung  durch  die  gebräuchlichen 
Nährmittel  so  gut  wie  ausgeschlossen  ist,  sodann  da,  wo  die  Peristaltik  des 
Magen-Darmkanals  nicht  sehr  angeregt  werden  soll,  hält  er  sie  für  unent¬ 
behrlich.  Im  ganzen  und  großen  ist  er  aber  der  Ansicht,  daß  ihr  Wert  zu 
sehr  überschätzt  wird.  Ein  eingehenderes  Studium  der  Krankenküclie  würde 
sie  sicher  in  manchen  Fällen  entbehrlich  machen.  F.  Walther. 


Das  Fasten  als  Heilmittel. 

(Guelpa.  Soc.  de  med.  de  Paris,  25.  Dezember  1908.  —  Progr.  med.,  Nr.  2,  S.  29,  1909.) 

Unter  dem  Einfluß  der  Kalorienlehre  und  der  Ernährungstherapie  haben 
viele  vergessen,  daß  Weniger  nicht  selten  mehr  ist.  Der  Vergleich  des 
menschlichen  Organismus  mit  einer  Maschine  —  ein  Vergleich,  dessen  Hinken 
nicht  überall  klar  erkannt  wird,  namentlich  dort  nicht,  wo  der  Begriff  der 
Selbststeuerung  verloren  gegangen  ist  —  hat  das  Prinzip  der  Überernährung 
ungebührlich  in  den  Vordergrund  gerückt.  Es  mutet  also  fast  wie  eine  Neu¬ 
entdeckung'  an,  wenn  da  und  dort  Stimmen  sich  erheben,  welche  die  alte 
Weisheit:  ayav  predigen.  Dazu  gehört  auch  Guelpa.  Seine  Aus¬ 

führungen  erscheinen  einfach:  Bei  und  nach  jeder  Krankheit  ist  der  Organis¬ 
mus  mit  Zerfallsprodukten  aller  Art  überschwemmt;  man  hüte  sich  also, 
durch  Hineinstopfen  von  sog.  Nahrungsmitteln  den  Organismus  noch  mehr 
zu  belasten  und  die  Abfuhr  der  im  Blute  kreisenden  Abfallstoffe  zu  be¬ 
hindern.  Seine  Therapie  besteht  also  in  Fasten  und  in  Abführmitteln,  bezw. 
Klistieren,  und  war  ihm  oft  von  großem  Nutzen. 

Hippokrates  schreibt  in  seinem  Buch  rcsp't  SiätTrjc  bf-eLv  „Vollständige 
Entziehung  der  Speisen,  bis  der  Höhepunkt  der  Krankheit  überschritten 
ist,  ist  oft  nützlich,  falls  der  Patient  es  so  lange  aushält“.  Guelpa  hat 
also  ein  gutes  Vorbild.  Buttersack  (Berlin). 


864 


Referate  und  Besprechungen. 


Die  Wirkung  des  Fleisches  auf  Vegetarianer. 

(P.  Albertoni  u.  F.  Rossi.  Arch.  für  exper.  Path.  u.  Pharmakol.  Festschr.  für 

Schmiedeberg,  Supplementband,  S.  29,  1908.) 

Im  Süden  von  Italien,  in  den  Abruzzen,  leben  unter  den  elendesten 
Lebensbedingungen  Bauern,  die  seit  alten  Zeiten  fast  ausschließlich  von 
vegetabilischer  Nahrung:  Maismehl  (Polenta,  ungesäuertes  Brot  —  pizza 
— ,  Hefebrot  —  pizzorullo  — ),  Gemüse  (Kohl  und  Rübenblätter),  Olivenöl 
leben  und  nur  selten  Mehlspeisen  (Maccaroni)  und  höchstens  drei-  oder  viermal 
im  Jahr  Fleisch  (fettes  Schweinefleisch)  genießen.  Die  Speisen  sind  volu¬ 
minös,  wenig  schmackhaft  und  schwer  verdaulich;  sie  sättigen  schnell.  Im 
Winter  nehmen  die  Leute  nur  zweimal,  morgens  10  Uhr  und  nachmittags 
4  Uhr,  Mahlzeiten  zu  sich.  13  Personen  (drei  Familien)  zeigten  im  Durch¬ 
schnitt  einen  N-Gehalt  des  Harns  von  8  g  (Männer  im  Gewicht  von  57  kg) 
und  6,7  g  (Frauen  im  Gewicht  von  51  kg).  Der  Kaloriengehalt  der  Nahrung 
betrug  für  Männer  2746,  für  Frauen  2204.  Eine  Familie,  bestehend  aus 
fünf  dieser  Leute,  die  im  Jahr  nur  424  Frs.  für  die  Ernährung  verbraucht, 
erhielt  zu  ihrer  Nahrung,  die  sie  bei  gewöhnter  Arbeits-  und  Lebensweise 
frei  wählen  durfte,  Fleisch  und  zwar  während  15  Tagen  täglich  100  g 
Rindfleisch  und  darauf  wieder  15  Tagje  lang  200  g;  am  Ende  jeder  Periode 
wurde  während  drei  Tagen  der  Stoff  Umsatz  bestimmt.  Die  Versuchspersonen 
wählten  entsprechend  weniger  Wgetabilien;  die  Kalorienzufuhr  blieb  unver¬ 
ändert.  Die  Verluste  mit  dem  Kot  gingen  herab  bis  auf  10,6%  Die 
Ausnutzung  der  Speisen  im  Darm  verbesserte  sich  also  sofort,  auch  die  mit¬ 
genossenen  Vegetabilien  wurden  vollkommener  ausgenutzt.  Die  Menge  des 
für  den  Stoffwechsel  verwertbaren  Eiweißes  nahm  beträchtlich  zu  und  die 
körperliche  Leistungsfähigkeit  wuchs,  obwohl  die  Versuchspersonen  keine 
Muskel  Übungen  ausführten.  Verff.  halten  damit  die  Versuche  des  Ameri¬ 
kaners  C  kitten  den,  wonach  der  Körper  selbst  bei  angestrengter  Muskelarbeit 
nur  sehr  geringer  Mengen  N  im  Eiweiß  bedürfe,  für  widerlegt. 

E.  Rost  (Berlin). 


Vergiftungen. 

Chininintoxikation. 

(O.  Salomon.  Münch,  med.  Wochenschr.,  Nr.  34,  1908.) 

Eine  Patientin  mit  Lupus,  die  schon  früher  Chinin  bekommen  und  ver¬ 
tragen  hatte,  erkrankte  nach  einer  ganz  kleinen  Dosis  (0,45  g  in  24  Stunden) 
unter  Atemnot,  blutigem  Erbrechen,  blutigen  Diarrhöen,  Hämaturie,  Schleim¬ 
haut-  und  Hautblutungen,  welch  letztere  sich  im  Gesicht  auf  die  Lupus¬ 
unter  Atemnot,  blutigem  Erbrechen,  blutigen  Diarrhöen,  Hämaturie,  Schleim- 
wieder  verschwunden.  E.  Oberndörffer. 


Tödliche  Montaninvergiftung. 

(J.  Rosner.  Wiener  klin.  Wochenschr.,  Nr.  21,  1908.) 

Das  Montanin  ist  eine  fast  farblose,  geruchlose  Flüssigkeit  mit  einem 
Gehalt  von  etwa  22%  Kieselfluorwafssers  tof  f säure.  Es  wird  fast  nur 
in  Brauereien  zu  Konservierungszwecken  verwendet.  Der  Patient  hatte  ver¬ 
sehentlich  ca.  V8  Liter  davon  getrunken  und  starb  nach  15  Minuten  unter 
heftigen  Magenschmerzen,  Erbrechen,  Dyspnoe  und  Krämpfen.  Die  Obduktion 
ergab  das  Bild  der  Säureverätzung.  Eine  weitere  Patientin,  welche  von  der¬ 
selben  Flüssigkeit  nur  einen  Eßlöffel  geschluckt  hatte,  bot  dieselben  Erschei¬ 
nungen  in  leichterem  Grade  und  genas  nach  Ablauf  einer  leichten  toxischen 
Nephritis.  Die  Vergiftung  mit  Montanin  ist  noch  niemals  beschrieben  worden. 

E.  Oberndörffer. 


Bücherschau. 


365 


Aus  der  medizinischen  Poliklinik  in  Jena. 

Über  Chrysarobinvergiftung  bei  interner  Anwendung. 

(Dr.  O.  Friedrich,  I.  Assistensarzt.  Med.  Klinik,  Nr.  49,  1908. ) 

Nach  kurzem  Überblick  über  Herkunft,  chemische  Beschaffenheit  und 
Anwendungsweise  des  Chrysarobin  bespricht  Friedrich  eine  Intoxikation 
durch  dasselbe  bei  innerlicher  Anwendung.  Diese  beruhte  auf  einem  Ver¬ 
sehen  des  Apothekers.  3  keuchhustenkranke  Kinder  nahmen  statt  Chininum 
tannicuir.  je  eine  Messerspitze  Chrysarobin.  Eine  Stunde  danach  erfolgte 
heftiges  Erbrechen,  worauf  sofort  durch  Magenspülung  noch  ziemlich  viel 
Chrysarobin  entfernt  wurde.  Das  Befinden  der  Kinder  blieb  in  der  Folge 
gut,  eine  Schädigung  der  Nieren  trat  nicht  ein.  Dieser  glückliche  Verlauf 
dürfte  einmal  darin  seine  Ursache  haben,  daß  starkes  Erbrechen  eintrat 
und  dann  darin,  daß  sich  das  Chrysarobin  in  der  wässerigen  Lösung  des 
Speisebreis  befand  und  daher  nicht  leicht  resorbiert  werden  konnte.  Der 
bFall  lehrt,  daß  das  Mittel  als  Emetokathartikum  völlig  entbehrlich  ist  und 
zu  den  differenten  Stoffen  zu  rechnen  ist.  F.  Walther. 


Über  einen  Fall  von  Vergiftung  nach  Formaminttabletten. 

(A.  Glaser.  Med.  Klinik,  Nr.  25,  1908.) 

Einem  von  Rote'r’s  mitgeteilten  Falle  von  Vergiftungserscheinungen  nach 
dem  Gebrauch  von  Formaminttabletten  (zwei  Stunden  nach  Einnahme  von 
6 — 8  Formaminttabletten  Auftreten  einer  schweren  von  Kopfschmerzen,  Fieber, 
Schlaflosigkeit  fund  Schwindelanfällen  begleiteten  Urticaria,  die  erst  am 
fünften  Tage  nachzulassen  begann,  während  die  Schwindelanfälle  noch  bis 
zum  zehnten  Tage  dauerten)  stellt  Glaser  einen  Parallelfall  zur  Seite.  Nur 
trat  in  diesem  die  sehr  heftige  und  ebenfalls  ziemlich  lang  anhaltende  (acht 
Tage)  Urticaria  schon  nach  dem  Gebrauch  von  zwei  Formaminttabletten  auf, 
ja  derselbe  Kranke  erinnerte  sich  nachträglich,  schon  drei  Wochen  vorher 
nach  Einnahme  von  einer  Formaminttablette  mehrere  juckende  Quaddeln  auf 
der  Brust  bekommen  zu  haben.  Wenn  auch  besonders  wohl  im  letzten 
Falle  eine  Idiosynkrasie  gegen  das  Mittel  anzunehmen  ist,  so  kann  auf  der 
anderen  Seite  von  einer  absoluten  Unschädlichkeit  der  Formaminttabletten 
ebensowenig  die  Rede  sein  und  Glaser  empfiehlt  das  Mittel  dem  Hand¬ 
verkauf  in  den  Apotheken  zu  entziehen.  R.  Stüve  (Osnabrück). 


Bücherschau. 


Vorlesungen  über  Tuberkulose.  I.  Die  mechanische  und  psychische  Be¬ 
handlung  der  Tuberkulösen  besonders  in  Heilstätten.  Von  G.  Liebe, 
Waldhof-Elgershausen.  J.  F.  Lehmann’ s  Verlag,  München  1909.  5  Mk. 

Die  nicht  gehaltenen  Vorlesungen,  die  den  Unterricht  der  Mediziner  an  den 
Hochschulen  zu  ergänzen  bestimmt  sind,  bringen  eine  reiche  Fülle  von  Gedanken 
und  die  Früchte  langer  praktischer  Erfahrung  neben  fleißiger  Verwertung  der 
Literatur.  Man  wird  zwar  von  verschiedenen  Seiten  in  diesem  oder  jenem  Punkte 
dem  Verf.  widersprechen,  aber  im  ganzen  doch  anerkennen  müssen,  daß  die  Fragen 
frei  von  Einseitigkeit  und  rationell  behandelt  sind,  daß  gewisse  Gesichtspunkte,  die 
sonst  leicht  vernachlässigt  werden,  zu  ihrem  vollen  Rechte  kommen,  so  die  Frage 
der  Konstitution  und  Disposition,  der  Überernährung  usw.  Viele  Arzte,  denen  die 
Verhältnisse  und  das  Getriebe  in  einer  Lungenheilanstalt  noch  nicht  bekannt  sind, 
und  Studierende,  die  sich  über  dieses  Gebiet  unterrichten  wollen,  werden  aus 
Liebes  Vorlesungen  einen  tiefen  Einblick  gewinnen  und  sowohl  über  die  noch 
umstrittenen  Fragen  der  mechanischen  Behandlung  wie  über  die  Wichtigkeit  der 
psychischen  Behandlung,  die  allgemein  anerkannt  ist,  Aufklärung  erhalten. 

Sobotta  (Reiboldsgrün.) 


366 


Bücherschaäi. 


Die  sexuelle,  psychogene  Herzneurose  (Phrenokardie).  Von  Priv.-Doz. 
Dr.  Max  Herz,  Wien.  Aus  dem  diagnostisch- therapeutischen  Institut  für 
Herzkranke  in  Wien.  Wilhelm  Braumüller,  Wien  u.  Leipzig  1909.  1,20  Mk. 

Man  hört  in  [der  Literatur  immer  von  Herzneurosen,  ganz  allgemein,  aber 
nirgends  wird  ein  Versuch  gemacht,  einen  bestimmten  Typ  abzugrenzen.  Diesen 
Versuch  unternimmt  nun  Verfasser  und  hofft  durch  die  Abgrenzung  eines  be¬ 
stimmten  Gebietes  wenigstens  Klarheit  in  dessen  Grenzgebiete  zu  bringen.  Der 
Name  der  neuen  Neurose  ergibt  sich  aus  dem  Folgenden.  Ihrer  Kardinalsymptome 
sind  drei:  1.  Der  Schmerz,  2.  Die  Veränderungen  der  Atmung  und  3.  Das  Herzklopfen. 

Der  Schmerz:  Sitz  in  der  linken*  Brust  unter  der  Herzspitze,  stechender 
krampfhafter  Art,  seltener  als  Gefühl  des  Wundseins,  von  verschiedener  Intensität, 
anfallweise  auftretend,  und  zwar  ziemlich  häufig,  nach  Gemütserregungen  oder  zu 
bestimmten  Tageszeiten,  eng  zusammenhängend  mit  der  Atmung  insofern  als  er 
beim  Inspirium  auftritt,  und  nicht  selten  einen  Atmungsstillstand  zur  Folge  hat: 
ein  Muskelschmerz  wahrscheinlich  im  Zwerchfell,  analog  dem  Lumbago  oder  dem 
Wadenkrampf. 

Die  Atemveränderungen :  Atemnot,  aber  kein  Lufthunger,  sondern  Folge 
einer  Insuffizienz  des  Herzmuskels ;  tiefe,  seufzende  Inspiration  bedingt  durch  Tief¬ 
stand  des  Zwerchfells  in  tonischer  Kontraktion,  durch  dessen  dauernde  Inspirations¬ 
stellung.  Dadurch  Verschiebung  des  Herzens  nach  unten:  Tropfenherz,  und  lang¬ 
gezogenes  weiches,  oft  aber  auch  rauhes  systolisches  Geräusch.  Große,  von  der 
Psyche  beeinflußte  Labilität  des  Herzens.  Puls:  hie  und  da  intermittiert  durch 
Extrasystolen,  meist  höher  als  bei  Gesunden.  Charakteristisch  dafür  die  Selbst¬ 
hemmungsprobe:  Aufforderung  an  den  Kranken,  den  rechten  Arm  möglichst  lang¬ 
sam  und  gleichmäßig  zu  strecken  und  zu  beugen.  Dabei  zeigt  das  gesunde  Herz 
gleichbleibende,  das  degenerierte  verminderte  und  das  nervöse  enorm  gesteigerte 
Pulszahl,  weil  eben  die  ganze  Aufmerksamkeit  auf  diesen  Vorgang  gerichtet  ist. 

Weitere  Symptome:  Kriebeln,  Kältegefühl,  großer  Wechsel  des  Allgemein¬ 
befindens,  häufig  gestörter  Schlaf,  oft  eigenartige  Wirkung  vonWitterungsverhältnissen, 
ziehende  Schmerzen  in  den  oberen  Extremitäten  und  am  Halse,  die  an  die  Gefäße 
verlegt  werden,  spastische  Obstipation  und  Pseudoperiostitis  Angio-neurotica. 

Im  Anfall  gibt  der  Kranke  im  wesentlichen  das  Bild,  als  ob  er  unter  einem 
großen  seelischen  Schmerz  leide.  Die  Ähnlichkeit  mit  der  Angina  pectoris  und 
dem  Asthma  cardiale  ist  groß. 

Differentialdiagnostisch  kann  Arteriosklerose  und  Myokarditis  in  Frage 
kommen.  Im  Allgemeinen  stellt  das  weibliche  Geschlecht  das  größte  Kontingent. 

Ätiologie  kurz:  Alterationen  des  Gemütes  durch  einen  Dauereffekt,  den  man 
am  besten  als  Sehnsucht  nach  Liebe  bezeichnet;  Masturbation  und  sexuelle  Exzesse 
kommen  nicht  in  Betracht. 

Behandlung:  im  wesentlichen  psychisch,  unterstützt  durch  Baldrian,  Auf- 
klärüng  hinsichtlich  der  Ursache.  v.  Schnizer  (Danzig). 


Mechanik  und  Therapie  der  in  der  Austreibungsperiode  befindlichen  Quer¬ 
lagen  („verschleppte  Querlagen“).  Aus  der  königl.  Universitäts-Frauen¬ 
klinik  zu  Königsberg  i.  Pr.  Von  W.  Zangemeister  (Mit  9  Abb.) 
Leipzig,  Verlag  von  F.  C.  W.  Vogel,  1908.  3  Mk. 

Abgesehen  von  der  sog.  Selbstwendung,  durch  welche  vor  Beginn  der  Aus¬ 
treibungsperiode  aus  der  Querlage  eine  Längslage  wird,  verläuft  die  spontane  Ge¬ 
burt  aus  Querlage  entweder  als  Geburt  conduplicato  corpore  oder  in  Form  der 
sog.  Selbstentwicklung.  Beide  Geburtsarten  durchlaufen  einen  gemeinsamen 
ersten  Akt:  Umwandlung  der  querliegenden  und  in  ihrer  Haltung  viel  zu  um¬ 
fangreichen  Frucht  in  ein  gebärfähiges  Objekt;  der  zweite  Akt,  die  eigentliche 
Ausstoßung  ist,  wie  gesagt,  bei  beiden  verschieden  und  zwar  verläuft  die  Selbst¬ 
entwicklung  für  sich  noch  auf  zweierlei  Weise. 

Erster  gemeinsamer  Akt:  Durch  eine  Verbiegung  in  der  Wirbelsäule 
nach  Art  der  Kyphoskoliose  wird  der  Kopf  dem  Beckenende  genähert.  Der  Mittel¬ 
punkt  der  Wirbelsäulenbiegung  pflegt  die  Gegend  des  3. — 5.  Brustwirbels  zu  sein, 
kann  aber  auch  weiter  steißwärts  liegen.  Die  Schulter  muß  infolgedessen  ihre 
mediane  Stellung  in  der  Sagittalebene  verlassen  und  nähert  sich  derjenigen  Becken¬ 
wand,  über  welcher  der  Kopf  liegt.  Bei  Armvorfall  liegt  die  Umbiegungstelle  der 
Wirbelsäule  näher  dem  Kopfe,  als  wenn  der  Arm  nicht  vorgefallen  ist.  Der  Arm¬ 
vorfall  begünstigt  demnach  die  Selbstentwicklung  und  erschwert  die  Geburt  condu¬ 
plicato  corpore. 


Bücherschau. 


367 


Zweiter  Akt:  1.  Die  Geburt  concluplicato  corpore:  Mit  dem  Pas¬ 
sieren  des  großen  Kopfrumpfdurchmessers  durch  den  Beckeneingang  schneidet  auch 
schon  der  untere  Fruchtpol,  die  Skapula,  ein.  Während  des  weiteren  Herabtretens 
dreht  sich  die  Rückenbreite  in  den  schrägen  Durchmesser,  der  Kopf  tritt  nach  vorn 
oder  hinten.  Lag  die  Biegungsstelle  der  Wirbelsäule  mehr  steißwärts,  dann 
schneidet  auch  ein  tieferer  Teil,  ev.  sogar  der  Steiß  zuerst  durch.  (Uebergangsfall 
zur  Selbstentwicklung.)  Die  Geburt  conduplicato  corpore  kommt  nur  bei  besonders 
günstigen  mechanischen  Verhältnissen  vor,  also  bei  frühgeborenen  oder  mazerierten 
Früchten,  Zwillingskindern  und  dergl.  Unreife  Kinder  können  lebend  geboren  werden. 

2.  Die  Selbstentwricklung:  a)  Douglas’scher  Mechanismus:  Hierbei 
treiben  die  Wehen,  während  der  Kopf  über  dem  Beckeneingang  zurückgehalten 
wird,  an  dem  in  die  Länge  gezogenen  Hals  den  Rumpf  herab.  Da  dieser  in  der 
Kreuzbeinaushöhlung  den  meisten  Platz  findet,  so  dreht  sich  jetzt  die  Fruchtmasse 
um  ihre  vertikale  Achse,  Hals  und  Schulter  treten  nach  vorn,  letztere  unter  den 
Schambogen.  Hierdurch  wird  Raum  im  kleinen  Becken  und  es  kann  nun  der 
letzte  noch  über  dem  Becken  befindliche  Teil  des  Rumpfes,  der  Steiß,  neben  dem 
Promontorium  ins  Becken  herabtreten.  Thorax,  Bauch  und  Steiß  werden  jetzt 
rasch  geboren.  Dieser,  der  leichtere  Mechanismus  kommt  häufiger  bei  dorsoan- 
terioren  Lagen  vor.  Die  Kinder  können  völlig  ausgetragen  sein,  sind  aber  dann 
stets  tot. 

b)  Denman’scherMechanismus:  dieser  tritt  dann  ein,  wenn  demDouglas’schen 
irgendwelche  Schwierigkeiten  im  Weg  stehen;  z.  B.  sehr  große  Kinder.  Es  bleibt 
hierbei  die  Schulter  im  Becken  stecken  und  der  Rumpf  muß  ebenfalls  im  Becken 
an  ihr  vorbei.  Dazu  muß  die  Schulter  aber  doch  etwas  ausweichen;  das  tut  sie 
nach  hinten  in  die  Kreuzbeinaushöhlung.  Der  Kopf  kommt  dabei  auf  die  Ileosakral- 
verbindung  zu  liegen.  Im  Gegensatz  zum  Douglas’ sehen  Mechanismus  wird  da¬ 
durch  ein  etwa  vorgefallener  Arm  etwas  zurückgezogen.  Der  Rumpf  tritt  vorn 
seitlich  herab  und  zwar  zuerst  die  seitliche  Bauchgegend  oder  die  Hüfte.  Mittels 
dieses  Mechanismus  kann  ein  nahezu  ausgetragenes  Kind  lebend  geboren  werden, 
meist  sind  aber  die  Kinder  tot  gewesen.  Im  Grunde  genommen,  ist  der  Den m  an’ sehe 
Mechanismus  eine  Selbstentwicklung  im  kleinen  Becken.  Übergänge  zwischen  allen 
drei  beschriebenen  Arten  kommen  vor. 

Für  den  Geburtshelfer  am  wichtigsten  sind  die  Fälle,  in  denen  die  Aus¬ 
treibung  in  Querlage  nicht  zu  Ende  geht.  Die  Stockung  tritt  meist  schon  im 
ersten  (gemeinsamen)  Stadium  ein.  Je  enger  das  Becken,  je  größer  die  Frucht, 
je  schwächer  die  Wehen,  desto  eher  sistiert  die  Austreibung.  Diagnostisch  ist 
nächst  dem  Tiefstand  der  Schulter  deren  Abgewichensein  aus  der  Medianebene 
wichtig.  Der  unterste  Fruchtpol  wird  deshalb  nicht  durch  die  Schulter  selbst  ge¬ 
bildet,  sondern  durch  einen  Teil  des  Brustkorbes;  die  Richtung  des  Halses  ist 
eine  nahezu  senkrechte,  er  verläuft  schließlich  parallel  der  Führungslinie.  Die 
Schulter  steht  natürlich  fest,  man  kann  neben  der  Frucht  kaum  die  Finger  in  die 
Scheide  einführen,  der  Kontraktionsring  steht  hoch  etc.  Wichtig  ist  es,  darauf  zu 
achten,  ob  etwa  bereits  eine  der  drei  Arten  des  zweiten  Aktes  in  Gang  ist:  dann 
hat  man  sich  im  allgemeinen  abwartend,  nur  nachhelfend  zu  verhalten.  Ist  das 
nicht  der  Fall,  so  hat  man  so  schnell  wie  möglich  zu  entbinden.  Man  unterlasse 
jeglichen  Wendungsversuch!  Derselbe  ist  nur  der  Ausdruck  eines  Verkennens  der 
Sachlage.  Indiziert  ist  vielmehr  die  Dekapitation.  Um  die  Hauptschwierigkeiten 
zu  überwinden:  Engigkeit  der  Scheide,  schwere  Zugänglichkeit  des  steil  stehenden, 
seitlich  liegenden  Halses,  mache  man  tiefe  Narkose,  eventl.  einen  großen  Scheiden¬ 
dammschnitt,  mache  die  Hände  schlüpfrig,  z.  B.  mit  Kaliglyzerinseife,  und  schneide 
nie  einen  vorgefallenen  Arm  ab,  wie  dies  neuerdings  unverständlicherweise  wieder 
empfohlen  werden  ist.  Ferner  heherzige  man  die  alte  Braun’ sehe  Vorschrift  und 
bringe  bei  ersten  Lagen  die  rechte,  bei  zweiten  die  linke  Hand  an  den  Hals.  Gelingt 
es  nicht,  den  Daumen  vorn,  Zeige-  und  Mittelfinger  hinten  herumzulegen,  so  be¬ 
gnüge  man  sich,  nur  vor  dem  Hals  zwei  Finger  zur  Leitung  des  Braun’schen 
Hakens  in  die  Höhe  zu  führen.  Diesem  Haken  hat  Z.  eine  zweckmäßigere  Krüm¬ 
mung  gegeben,  damit  er  nicht  beim  Drehen  so  leicht  nach  oben  entweicht.  Ist 
die  Dekapitation  nicht  mehr  möglich  oder  zweckmäßig,  so  hat  an  ihre  Stelle  nicht 
die  Spondylotomie  zu  treten,  sondern  die  Exenteration  mittels  Nägele’s  Per- 
f Oratorium  und  Siebold’s  Schere.  Nach  Entfernung  von  mehreren  Rippen,  Leber, 
Lunge  und  Herz  wird  die  Extraktion  conduplicato  corpore  gemacht,  oder  die  Selbst¬ 
entwicklung  nachgemacht  durch  Zug  am  Steiß  mittels  Krallenzange. 

R.  Klien  (Leipzig). 


368 


Bücherschau. 


Emanation  und  Emanationstherapie.  E.  Sommer.  München,  Ärztliche 
Rundschau,  (O.  Gmelin),  1908.  68  Seiten.  2,50  Mk. 

Wer  nicht  gerade  physikalisch  sehr  begabt  ist,  wird  die  vielerlei  Mitteilungen  über 
Radium  und  Radiumtherapie  schwerlich  zu  einem  harmonischen  Gänzen  haben  zu¬ 
sammenfügen  können.  Die  Schrift  von  Sommer  wirkt  da  ungemein  klärend  und 
belehrend,  um  so  mehr  als  sie  leichtverständlich  geschrieben  ist.  Von  den  ersten 
Radiumversuchen  bis  zu  den  offiziellen  Eichscheinen  und  der  therapeutischen  Ver¬ 
wendbarkeit  ist  alles  in  dem  Heft  enthalten.  S.  empfiehlt  die  Radiumtherapie  zu¬ 
nächst  bei  subakuten  und  chronischen  rheumatischen  Affektionen  und  Neuralgien, 
sowie  als  Resorptionsmittel,  und  gibt  von  den  Emanationspräparaten  dem  Radio¬ 
gienwasser  der  Emanatoren  der  Radiogesellschaft  in  Charlottenburg  den  Vorzug. 

-  Buttersack  (Berlin). 

Ratgeber  und  Wegweiser  durch  die  ärztlichen  Kurse  Berlins.  Von 

Schacht.  Culm,  Westpreußen,  1907.  95  Seiten.  1  Mk. 

„Nack  Paris  strömt  fast  die  ganze  medizinische  Jugend.  Nirgends  sind  die 
Verhältnisse  großartiger,  bunter,  vielgestaltiger  und  weniger  übersichtlich  und 
nirgends  so  sehr  dem  Wechsel  unterworfen  als  daselbst.  Gibt  es  also  je  eiiie  Stadt, 
die  einen  medizinischen  Kondukteur  nötig  macht,  so  ist  dies  Paris.“  —  Mit  diesen 
Worten  leitete  1841  C.  A.  Wunderlich  seine  berühmte  Broschüre:  „Wien  und 
Paris“  ein.  Setzt  man  im  obigen  Satz  statt  Paris:  Berlin,  dann  paßt  er  genau 
auf  Schacht’ s  Heftchen. 

Welch  eine  Fülle  historischer  Gedanken  löst  die  Gegenüberstellung  aus! 
Wie  stolz  können  wir  sein,  daß  die  Flagge  des  Fortschrittes  jetzt  nicht  mehr  an 
den  Ufern  der  Seine,  sondern  an  der  Spree  weht!  Aber  vergessen  wir  nicht,  daß 
die  Bilder  im  Kaleidoskop  der  Geschichte  schnell  vergänglich  sind  und  wechseln! 
Wie  Paris  seine  Anziehungskraft  ausübte,  lange  nachdem  die  großen  Männer  und 
Begründer  der  französischen  Schule,  die  Corvisart,  Bichat,Broussais,  Laennec, 
Dupuytren  von  der  Bühne  abgetreten  waren,  und  als  in  Andral,  Bouillaud, 
Louis,  Piorry,  Chomel,  Rochoux,  Double,  Rayer,  Ricord  u.  a.  Sterne 
zweiter  Größe  glänzten,,  so  müssen  wir  die  Beobachtung  machen,  daß  sich  auch  bei 
Berlin  dieselbe  Erscheinung  zeigt:  unsere  Heroen:  Helmholtz,  Frerichs,  Graefe, 
Lange nbeck  usw.  sind  schon  lange  tot,  und  doch  ist  es  nur  ihr  Geist,  der  die 
Fremden  anzieht. 

Aber  auch  in  der  Art  der  Behandlung  des  Themas  äußert  sich  die  Verschieden¬ 
heit  der  Zeiten.  Während  es  sich  bei  Wunderlich  zu  einer  kritisch -philoso¬ 
phischen  Studie  entwickelte,  finden  wir  bei  Schacht  nur  präzise  Angaben  über  die 
tatsächlichen  Verhältnisse;  unsere  Zeit  verlangt  solche  Schriften,  jene  ganz  andere. 

Sachlich  ist  über  den  S  ch acht’schen  Wegweiser  für  die  Teilnehmer  an  ärzt¬ 
lichen  Fortbildungskursen  nichts  Besonderes  zu  bemerken,  als  daß  er  m.  E.  seinen 
Zweck  vollauf  erfüllt  und  jedem  angehenden  Kursisten  von  großem  Nutzen  ist. 

-  Buttersack  (Berlin). 

In  G.  Ehrkes  Zeitschriftenverlag  ist  soeben  die  erste  Nummer  der 

Zeitschrift  für  Stadthygiene, 

herausgegeben  von  Ingenieur  CI.  Dörr  und  Dr.  Lungwitz,  erschienen.  Sie  er¬ 
scheint  monatlich  und  kostet  12  Mk.,  den  Mitgliedern  der  Deutschen  Gesellschaft 
für  Stadthygiene  (Beitrag  10  Mk.  jährlich)  wird  sie  gratis  geliefert. 

Die  erste  Nummer  enthält  Aufsätze  über  die  Müllabfuhr  bezw.  -Verbrennung, 
über  Kanalisation,  Ernährung  in  öffentlichen  Anstalten  und  Säuglingsfürsorgestellen. 
Unter  den  Mitwirkenden  befinden  sich  neben  Aerzten  Chemiker,  Ingenieure,  Archi¬ 
tekten  u.  a.,  sodaß  die  Zeitschrift  von  der  Einförmigkeit  ärztlicher  Blätter  voraus¬ 
sichtlich  zu  ihrem  Vorteil  abstechen  wird.  F.  von  den  Velden. 

Die  Winterkur  im  Süden.  Von  Dr.  Hans  Wen  drin  er.  Ein  ärztliches 
Vademekum  für  Rekonvaleszenten  und  Lungenkranke.  Stuttgart,  Ernst 

Heinrich  Moritz,  1908.  2  Mk. 

Das  Büchelchen  ist  durchaus  zu  empfehlen.  In  übersichtlicher  Weise  finden 
sich  praktisch  wichtige  Winke  und  gute  ärztliche  Ratschläge  zusammengestellt. 
Die  einzelnen  Kapitel  behandeln  Reisevorbereitungen,  die  Reise,  W ahl  der  Pen¬ 
sionen,  Ratschläge  für  die  Kur,  Klimatische  Grundbegriffe,  die  südlichen  Kurorte, 
die  Rückkehr  usw.  Neumann. 

Schriftleitung:  Dr.  Ri  gl  er  in  Leipzig. 

Druck  von  Emil  Herrmann  senior  in  Leipzig. 


27.  Jahrgang. 


1909. 


Tomcbriitc  der  mcdizin. 


Unter  Mitwirkung  hervorragender  Fachmänner 

herausgegeben  von 

Professor  Dr.  0.  Köster  Prio.-Doz.  Dr.  o.  griegern 

in  Leipzig.  in  Leipzig. 

Schriftleitung:  Dr.  Rigler  in  Leipzig. 


Nr.  10. 


Erscheint  am  10.,  20.,  30.  jeden  Monats.  Preis  halbjährlich 
6  Mark,  inkl.  Zeitschrift  für  Yersicherungsmedizin  8  Mark. 


Verlag  von  Georg  Thieme,  Leipzig. 


10.  April. 


Originalarbeiten  und  Sammelberichte. 

Ueber  plastische  Operationen  am  Knochensystem. 

Von.  Dr.  Georg  Axhausen, 

Privatdozent  und  Assistenzarzt  der  chirurgischen  Klinik  der  Charite,  Berlin. 

Die  plastische  Chirurgie,  die  operative  Heilkunde,  die  es  sich 
zur  Aufgabe  macht,  nicht  angebildete  oder  verloren  gegangene  Teile 
des  Körpers  schöpferisch  zu  ersetzen,  ist  im  Altertum,  selbst  an  den 
Blütestätten  der  operativen  Technik,  nach  unseren  bisherigen  Kennt¬ 
nissen  unbekannt  gewesen.  In  einer  Zeit,  in  der  fast  ausschließlich  die 
Frage  um  Lehen  oder  Tod  den,  Chirurgen  ans  Krankenbett  rief,  war 
kein  Platz  für  operative  Maßnahmen,  die  anderen  Zwecken  als  der 
Lebenserhaltung  des  Kranken  dienten. 

Erst  die  Renaissance  in  ihrem  gesteigerten  Schönheitsbedürfnis 
hat  Männer  gefunden,  die  sich  aus  Gründen  der  Ästhetik  den  Qualen 
wiederholter  schmerzhafter  Operationen  unterwarfen,  und  sie  hat 
Chirurgen  hervorgebracht,  die  es  der  Mühe  für  wert  fanden,  ihr  Denken 
und  Können  der  Korrektur  entstellender  Verstümmelungen  zu  widmen. 
Diese  Zeit  der  plastischen  Chirurgie  ist  die  Zeit  der  Rhinoplastiken 
und  Otoplastiken.  Und  auf  dem  gleichen  Gebiete  bewegten  sich  die 
späteren  Bestrebungen,  die  im  wesentlichen  der  Vervollkommnung  der 
Technik  dienten,  bis  in  das  Ende  des  verflossenen  Jahrhunderts. 
Die  Bildung  eines  gestielten  Hautlappens,  das  Annähen  und  Anheilen- 
lassen  des  freien  Lappenrandes  an  dem  gewünschten  Ort  sowie  die 
spätere  Durchschneidung  des  Stiels  nach  erfolgter  Anheilung  —  das 
waren  die  Mittel,  die  znm  Ziele  führten,  sei  es,  daß  die  umgebende 
Gesichtshaut,  sei  es,  daß  der  genäherte  Arm  als  Entnahmequelle  diente. 

Die  unvermeidliche  Narbenschrumpfung  des  wunden  Lappens  und 
das  Fehlen  einer  knöchernen  Stütze  führten  dazu,  daß  in  den  meisten 
Fällen  auch  die  schönsten  unmittelbaren  kosmetischen  Erfolge  im  Lauf 
der  Zeit  stark  beeinträchtigt  wurden.  Solche  unangenehme  Erfahrungen 
waren  es,  die  Koenig  veranlaßten,  das  Knochensystem  mit  zu  den 
plastischen  Operationen  heranzuziehen.  Indem  er  mit  dem  Hautlappen 
aus  der  Stirn  die  unterliegende  Knochenhaut  und  eine  dünne  Knochen¬ 
lamelle  gleichzeitig  entnahm  und  verpflanzte,  schuf  er  der  nengebildeten 
Nase  ein  formbares  knöchernes  Gerüst.  Durch  den  Zusammenhang  mit 
der  ernährten  Haut  mußte  auch  die  Ernährung,  die  Erhaltung  und  die 
Einheilung  des  Knochens  gewährleistet  sein. 


24 


370 


Georg  Axhausen, 


Dies  Beispiel  einer  Knochenlappenplastik  hat,  mannigfach 
variiert,  auf  weiten  Gebieten  der  Chirurgie  Nachahmung  gefunden, 
und  die  Erfolge  wurden  durch  die  Ausbildung  der  modernen  Wund¬ 
behandlung  nahezu  unfehlbar. 

Mit  gleichen  Hautperiostknochenlappen  wurden  kleinere  und 
größere  Defekte  der  Schädelkapsel  knöchern  gedeckt,  Defekte,  die  teils 
nach  schweren  Verletzungen,  teils  nach  spezifischen  Entzündungen, 
teils  nach  Hirnoperationen  zurückgeblieben  waren.  Demselben  Gedanken 
verdanken  die  Bestrebungen  ihre  Entstehung,  Unterkieferdefekte,  die 
nach  Entfernung  bösartiger  Tumoren  entstanden  waren,  durch  gestielte 
Lappen,  die  unterliegende  Teile  des  Brustbeins  oder  des  Schlüsselbeins 
einschlossen,  zur  Deckung  zu  bringen.  Und  auf  dem  gleichen  Boden 
entwickelten  sich  die  Versuche,  kleinere  Defekte  der  kurzen  und  der 
langen  Röhrenknochen  durch  abgespaltene  Teile  des  erhaltenen  oder 
eines  benachbarten  Knochens  unter  Belassung  ihrer  Verbindung  mit 
den  Weichteilen  zu  überbrücken. 

Allein  allen  diesen  Maßnahmen  haften  erhebliche  Nachteile  an ; 
ihnen  ist  aus  mechanischen  Gründen  nur  allzuleicht  eine  Grenze  gesteckt. 
Große  Lappen  erzeugen  große  Wunden  und  umfangreiche  Narbenbil¬ 
dung  ;  die  notwendige  Lappen  Verschiebung  führt  zu  störender  Wulst¬ 
bildung  und  die  sekundäre  Deckung  der  Entnahmestelle  erzeugt  oft 
verbreitete  Narbenflächen.  Alles  dies  führt  zu  erheblichen  Änderungen 
der  natürlichen  Körperformen,  die  besonders  am  Schädel  und  am  Gesicht 
recht  störend  sein  müssen.  Das  Material  ist  spärlich ;  die  Entnahme¬ 
stellen  sind  eng  begrenzt ;  die  Beweglichkeit  der  Lappen  ist  beschränkt : 
oft  sind  die  gestielten  Knochenplastiken  aus  mechanisch-technischen 
Gründen  unausführbar. 

Der  weitere  Fortschritt  der  plastischen  Operationen  am  Knochen¬ 
system  kann  auf  diesem  Wege  nicht  liegen.  Er  ist  einzig  und  allein 
auf  dem  Wege  der  freien  Osteoplastik  zu  suchen,  d.  h.  der  Über¬ 
tragung  und  Einheilung  von  Knochenstücken,  die  ganz  aus  der  Um¬ 
gebung  gelöst  sind. 

Dieser  Weg,  der  solchen  Operationen  eine  schier  unbegrenzte  An¬ 
wendungsmöglichkeit  verschaffte,  ist  schon  in  den  sechziger  Jahren 
des  vorigen  Jahrhunderts  von  einem  Mann  beschritten  worden,  der 
Ideenreichtum  mit  Eorscherfleiß  und  höchstem  chirurgischem  Geschick 
verband:  von  Olli  er. 

0 liier  erkannte  als  Erster  die  Fähigkeit  der  Knochenhaut,  selb¬ 
ständig  Knochen  zu  bilden,  eine  Fähigkeit,  die  diesem  Organ  auch 
nach  der  Übertragung  auf'  einen  anderen  Körper  gleicher  Species  erhalten 
bleibt.  Dies  überlebende,  einheilende  und  Knochen  produzierende  Periost 
vermittelt  nach  ihm  auch,  die  Einheilung  und  Erhaltung  frei  transplan¬ 
tierten  Knochens,  wenn  es  als  Decke  mit  übertragen  wird.  Solcher  Kno¬ 
chen  wird  zu  einem  dauernden,  lebenden  Bestandteil  des  neuen  Organis¬ 
mus  und  kann  jede  mechanische  Leistung  entfalten.  Anderer,  besonders 
toter  Knochen  kann  auch  einheilen;  aber  er  wird  als  toter  Fremdkörper 
eingekapselt  und  wird  früher  oder  später  vom  Körper  auf  gesaugt. 
Der  artgleiche,  periostgedeckte  frische  Knochen  dagegen  entspricht  allen 
Anforderungen,  die  die  operative  Chirurgie  nur  irgend  stellen  kann. 

Damit  war  der  praktischen  Anwendung  der  Weg  gewiesen.  Solch 
Knochen  war  leicht  zu  beschaffen;  das  Material  bot  der  eigene  Körper, 
dem  Knochenstücke  selbst  größeren  Umfanges  z.  B.  von  dem  leicht  zu¬ 
gänglichen  Schienbein  ohne  irgend  welche  Störungen  entnommen  werden 


Ueber  plastische  Operationen  am  Knochensystem. 


371 


konnten.  Das  Kehlen  des  Stieles  verschaffte  jede  mögliche  Bewegungs¬ 
freiheit;  die  Narbenbildung  war  auf  ein  Minimum  reduziert.  Dazu 
kam,  daß  die  Ausbildung  der  modernen  Wundbehandlung  die  bei  O liier 
noch  häufige  Störung  durch  Eiterung  fast  gänzlich  beseitigte. 

Und  doch  trat  der  Anerkennung  und  Verbreitung  der  Methode  noch 
einmal  ein  Hemmnis  entgegen. 

Mitte  der  neunziger  Jahre  vermochte  Barth  durch  seine  Unter¬ 
suchungen  und  die  aus  ihnen  gezogenen  Konsequenzen  die  ganze  Lehre 
Ollier’s  in  Mißkredit  zu  bringen.  Es  gelang  Barth,  die  chirurgische 
Welt  davon  zu  überzeugen,  daß  entgegen  O liier  der  artgleiche,  frisch 
samt  Periost  entnommene  Knochen  keinen  anderen  Wert  besäße  als 
irgend  ein  anderes  totes  Knochenmaterial,  da  auch  solcher  Knochen 
samt  Knochenhaut  und  Mark  abstürbe.  Die  hierauf  sich  grün¬ 
dende  ausschließliche  Anwendung  toten  mazerierten  Materials  hat  der 
Entwicklung  der  freien  Osteoplastik  empfindlich  geschadet.  Mißerfolge 
bei  der  Anwendung  dieses  Materials,  die  nach  Ollier’s  Lehre  ein- 
treten  mußten,  wurden  der  freien  Osteoplastik  überhaupt  zur  Last 
gelegt. 

Erst  die  letzten  Jahre  haben  wieder  zur  Wahrheit  zurückgeführt. 
Zunehmende  chirurgische  Erfahrungen  lehrten,  daß  die  Barth’ sehen  Kon¬ 
sequenzen  irrig  sein  mußten,  und  daß  die  Auffassungen  und  Vorschriften 
Ollier’s  zu  Unrecht  verlassen  worden  waren.  Mit  der  Wiederbefolgung 
der  Ollier’schen  Methodik,  zu  der  die  Mehrzahl  der  praktischen! 
Chirurgen  empirisch  den  Weg  zurückgefunden  hatte,  ließen  die  Erfolge 
der  ausgeführten  freien  Knochentransplantationen  nichts  mehr  zu 
wünschen  übrig.  Dies  war  der  einheitliche  Ton,  auf  den  die  Ausfüh¬ 
rungen  des  letzten  Chirurgenkongresses  abgestimmt  waren. 

Die,  Frage  nach  dem  Grunde  der  Überlegenheit  des  frischen  periost¬ 
gedeckten  Menschenknochens  wurde  in  den  Diskussionen  offen  gelassen. 
Seitdem  habe  ich  •  für  die  empirisch  wiedergefundenen  Tatsachen  die 
histologischen  Beweise  am  Menschen  und  am  Tierkörper  erbringen 
können  und  ich  habe  die  Darlegungen  Ollier’s  nach  histologischer  und 
praktisch-chirurgischer  Seite  hin  ergänzen  und  erweitern  können. 

Wohl  verfällt  auch  bei  der  Übertragung  artgleichen,  periostge¬ 
deckten  lebenden  Knochens  das  transplantierte  Knochengewebe  selber 
in  ganzem  Umfange  der  Nekrose  —  in  diesem  Punkte  bestand  die  Auf¬ 
fassung  Barth’s  entgegen  Ol  Her  vollkommen  zu  Recht.  Nicht  aber 
betrifft  die  Nekrose  auch,  wie  Barth  behauptete,  in  gleicher  Weise 
das  Periost  und  das  Mark.  Sind  die  äußeren  Bedingungen  einigermaßen 
günstig,  so  bleiben  wesentliche  Teile  dieser  beiden  knochenproduzierenden 
Organe  am  Leben  und  geraten  in  lebhafteste  Tätigkeit.  Diese  von  0 liier 
richtig  erkannte  und  von  Barth  mit  Unrecht  bestrittene  Tatsache 
erklärt  zwanglos  die  Überlegenheit  der  Ollier’schen  Methodik.  Das 
überlebende  Periost  und  Mark  tritt  mit  den  umgebenden  Weichteilen 
rasch  in  innigste  organische  V erbindung  und  vermittelt  eine  solche 
auch  mit  dem  unterliegenden  implantierten  Knochen;  die  von  der 
Proliferation  beider  Organe  ausgehende  Knochenneubildung  ersetzt 
das  implantierte,  absterbende  Knochengewebe  rasch  durch  lebendes 
Knochengewebe,  so  daß  nach  Ablauf  einiger  Zeit  sich  ein  lebender, 
gewöhnlich  nicht  unwesentlich  verdickter  Knochen  an  der  Stelle  der 
Implantation  befindet;  die  von  den  überpflanzten  ossifikationsfähigen 
Geweben  ausgehende  Knochenbildung  trägt  bei  der  Deckung  von  Kon- 

24* 


372 


Georg  Axhausen,  Ueber  plastische  Operationen  am  Knochensystem. 


tinuitätsdefekten  an  den  Enden  ein  Wesentliches  zur  raschen  knöchernen 
Konsolidation  hei. 

Weitere  praktisch  wichtige  Einzelheiten,  die  ich  im  Verlauf  der 
Untersuchungen  feststellen  konnte,  können  hier  nicht  im  einzelnen  aus¬ 
geführt  werden,  so :  der  Einfluß  von  Species  und  Individuum,  die  Bedeu¬ 
tung  des  Entnahmeortes  (Schädel-,  Böhrenknochen),  die  Bolle  anhaftender 
Muskulatur,  die  Bedeutung  der  Formation  des  Periostes  und  der  äußeren 
Gestaltung  des  zu  transplantierenden  Knochens  u.  a.  m.  Ich  verweise 
wegen  aller  dieser  Einzelheiten  aüf  meine  ausführliche  Arbeit  (Lang. 
Auch.  Bd.  88.  H.  1). 

Der  Siegeszug  der  freien  Osteoplastik  wird  nunmehr  nicht  mehr 
aufgehalten  werden  können ;  sie  ist  für  plastische  Operationen  am 
Knochensystem  die  Methode  der  Wahl. 

Die  Schwierigkeiten,  die  vordem  umfangreichen  Besektionen  langer 
Böhrenknochen  entgegenstanden,  existieren  nicht  mehr.  Selbst  Total¬ 
defekte  der  langen  Böhrenknochenschäfte,  wie  sie  nach  schweren  Osteo¬ 
myelitiden  und  nach  Entfernung  maligner  Tumoren  entstehen  können, 
ebenso  wie  angeborene  Totaldefekte  mancher  Knochen  sind  mit  der 
freien  Osteoplastik  spielend  zu  ersetzen,  worüber  uns  bereits  Erfahrungen 
zur  Verfügung  stehen.  Die  Möglichkeit  der  konservativen  Behandlung 
ist  dadurch  erweitert,  die  Kotwendigkeit  verstümmelnder  Operationen 
erheblich  eingeschränkt  worden. 

Und  der  eingesetzte,  zunächst  vielleicht  dünne  Knochenstab  ge¬ 
winnt  im  Lauf  der  Zeit  durch  die  Tätigkeit  des  deckenden  Periostes 
und  unter  der  Wirkung  der  mechanischen  Inanspruchnahme  vollkommen 
die  Dicke  des  ursprünglich  vorhandenen  Knochens  wieder.  Auf  diesem 
Gebiete  der  Anpassung  an  den  Ort  und  die  Beanspruchung,  der  Um¬ 
modelung  im  Sinne  der  Statik  liegt  einer  der  wichtigsten  Vorteile  der 
Ollier  sehen  Methode.  Das  Böntgenbild  zeigt  uns,  wie  eine  schmale, 
au  Stelle  eines  verloren  gegangenen  Mittelhandknochens  eingepflanzte 
Knochenspange  im  Lauf  der  Monate  nicht  nur  sich  verdickt,  sondern 
in  ihrer  äußeren  Gestalt  und  in  ihrer  inneren  Konfiguration  mehr  und 
mehr  einem  normalen  Mittelhandknochen  ähnlich  wird,  bis  zu  einem 
Grade  schließlich,  daß  nach  Jahr  und  Tag  dieser  neuerzeugte  Mittel¬ 
handknochen  auch  röntgenologisch  kaum  von  seinen  Nachbarn  zu  unter¬ 
scheiden.  ist  —  fürwahr  ein  schöner  Beweis  von  dem  regeneratorischen 
Wirken  der  Natur !  Und  in  gleicher  Weise  sehen  wir  auch  an  einge¬ 
pflanzten  Stücken  die  regulären  Knochenfortsätze  sich  herausbilden. 

Wir  verwenden  die  freie  Osteoplastik  weiter  zur  Ausfüllung  von 
Knochenhöhlen ;  wir  nehmen  sie  für  die  operative  Vereinigung  nicht 
heilender  Knochenbrüche  zu  Hilfe,  indem  wir  die  Vereinigungsstelle 
durch  frei  eingepflanzte  Knochenstücke  überbrücken  und  sozusagen 
„lebend  schienen“.  Wir  nehmen  zur  „Verzapfung“  von  Knochenbrüchen 
nicht,  wie  früher,  rein  mechanisch  wirkende  Elfenbeinstifte,  sondern 
ebenfalls  wieder  frei  überpflanztes  lebendes  Knochenmaterial.  Wir 
können  in  solchen  Fällen,  wenn  die  mangelnde  Heilung  des  Bruches 
durch  schlechte  Knochenhauttätigkeit  hervorgerufen  ist,  z.  B.  bei  be¬ 
stimmten  Nervenleiden,  der  Hoffnung  leben,  durch  Entnahme  der 
Knochenstücke  von  gesunden  .jugendlichen  Individuen  normale  Knochen¬ 
bildung  an  der  Bruchstelle  zu  erzeugen.  Eine  ähnliche  „lebende  Schie- 
nung“  mit  überpflanzten  Knochenstücken  vermag  auch  die  Methoden 
der  künstlichen  Gelenkversteifung,  der  Arthrodesen,  zu  vereinfachen. 


Hummel,  Beobachtungen  und  Tricks  aus  der  Landpraxis.  373 

Und  neue  Gebiete  stehen  der  freien  Osteoplastik  offen :  Man  kann 
versuchen,  die  knöcherne  Deckung  von  Wirbelsäulenspalten  auf  diesem 
Wege  zu  erzielen;  und  nach  gelungener  Laminektomie  werden  durch 
entsprechende  Implantationen  die  störenden  mechanischen  Folgeerschei¬ 
nungen  vielleicht  hintangehalten  werden  können ;  bei  veralteten  Knie¬ 
scheibenbrüchen,  die  direkt  nicht  vereinigt  werden  können,  wird  eine 
knöcherne  V erbindung  der  Fragmente  auf  diesem  Wege  herzustellen 
sein  u.  a,.  m. 

Auch  eine  nicht  ideale  Asepsis  des  Wundgebietes,  so  z.  B.  die  An¬ 
wesenheit  von  Fisteln,  besonders  tuberkulöser  Natur,  schließt  die  An¬ 
wendung  der  freien  Osteoplastik  keineswegs  aus.  Ich  konnte  experi¬ 
mentell  und  am  Menschen  zeigen,  daß  der  periostgedeckte  implantierte 
Knochen  milde  Infektionen  überwindet  und  daß,  selbst  bei  profusen 
Eiterungen,  nicht  der  ganze  Knochen  ausgestoßen  zu  werden  braucht, 
sondern  daß  nach  Abstoßung  kleiner  sequestierter  Teile  die  Haupt¬ 
masse  gleichwohl  zur  Einheilung  gelangen  kann. 

Nimmt  man  dazu,  daß  nach  meinen  experimentellen  Untersuchungen 
infolge  der  zähen  ,,vita  propria“  der  Periostzellen  auch  die  periost¬ 
gedeckten  Knochen  toter  Individuen  gleicher  Species  noch  bis  24  Stunden 
nach  dem  Tode  ein  gutes  Implantationsmaterial  darstellen  und  daß  es, 
wie  Lexer  zeigte,  nach  der  Olli,  er 'sehen  Methode  auch  möglich  ist, 
ganze  Gelenke  zu  überpflanzen,  so  sieht  man,  daß  sich  auf  dem  Gebiete 
der  freien  Osteoplastik  dem  chirurgischen  Können  eine  schöne  Per¬ 
spektive  eröffnet. 


Diagnostische  und  therapeutische  Beobachtungen  und  Tricks 

aus  der  Landpraxis. 

Von  Dr.  Hummel,  Herrnhut. 

(Fortsetzung  aus  Nr.  31,  1908.) 

Otitis  media  purulenta. 

Ein  Skeptiker  könnte  nun  bezweifeln,  daß  bei  der  vorgeschlagenen 
Art  der  primitiven  Gehörgangsspülung,  mit  abwechselnder  leichter 
Aspiration,  die  Spülflüssigkeit  wirklich  bis  zum  Sitz  der  Eiterung, 
also  in  die  Paukenhöhle  gelbst  vordringe.  Da  letztere  in  den  betr. 
Fällen  nicht  nur  Eiter,  sondern  auch  Luft,  von  der  Perforations¬ 
öffnung  oder  der  Tube  her,  enthält,  so  wäre  es  denkbar,  daß  diese 
Luftsäule  einen  Gegendruck  auf  die  Flüssigkeitssäule  im  Gehörgang 
ausübt  und  dieselbe  nicht  zur  Trommelfellfistel  hereingelangen  läßt. 
Es  bedeutete  dann  das  Ver fahren  nur  eine  Gehörgangsspülung  mit 
Finessen  und  Zeitverlust.  Dem  ist  aber  meines  Erachtens  nicht  so. 
Allerdings  wird  im  Anfang  der  Prozedur  meistens  nur  der  Gehörgang 
gereinigt,  und  zwar  so  lange,  bis  die  Perforationsöffnung  frei,  d.  h.  der 
meist  in  derselben  klebende,  eventuell  völlig  obturierende  Eiterpfropf 
losgespült  und  aspiriert  ist.  Das  erfordert  ja  freilich  öfters  einige 
Geduld  und  wiederholte  Aspirationen.  Liegt  aber  die  Öffnung  dann 
frei,  so  kann  man  zunächst  mittels  tropfenweise  langsamen  Einträufelns 
der  Luft  Kaum  und  Zeit  zum  Entweichen  geben  und  dies  durch  Vor- 
und  Zurückdrehen  des  seitlich  stark  nach  der  gesunden  Seite  geneigten 
Kopfes  unterstützen ;  man  wird  dann  oft  erleben,  daß  der  Patient 
beim  Weiterspülen  anfängt  zu  räuspern  und  zu  spucken  mit  der  An¬ 
gabe,  daß  ihm  etwas  in  den  Hals  laufe !  Die  Spülflüssigkeit  hat  also 


374  Hummel, 

die  Perforation  und  die  Paukenhöhle  passiert  und  ist  durch  die  Tube 
teilweise  abgeflossen,  der  Pest  ist  in  der  aspirierten  Flüssigkeit.  Ge¬ 
lingt  es  mit  den  bisher  genannten  Maßnahmen  nicht,  sich  von  der 
Paukenspülung  zu  überzeugen,  so  wirkt  oft  folgender  Kniff.  Nach 
gründlichster  Peinigung  des  Gehörgangs,  wenn  die  Aspirationsflüssig¬ 
keit  wiederholt  völlig  rein  zurückkam,  füllt  man  ihn  aufs  neue 
vollständig,  d.  h.  bis  zum  Überlaufen,  mit  der  schwach  antiseptischen 
Lösung  (s.  Nr.  31  d.  Fortschritte),  *zieht  nun,  bei  vorgenannter  Seiten¬ 
lage  des  Kopfes,  die  betr.  Ohrmuschel  etwas  nach  vorne  —  gesichtswärts, 
und  drückt  zugleich  mit  einem  Finger  der  andern  Hand  mit  mäßiger 
Gewalt  und  wiederholt,  gewissermaßen  rhythmisch,  auf  den  Tragus. 
Dieser  wirkt  wie  der  Stempel  einer  Druckpumpe  auf  die  im  Gehör¬ 
gang  eingespannte  Flüssigkeit  und  preßt  sie  durch  die  Fistel  in  die 
Paukenhöhle,  wie  das  alsbaldige  Würgen  und  Spucken  des  Patienten 
(s.  o.)  dokumentiert,  vorausgesetzt  natürlich,  daß  die  Tube  wegsam 
ist.  Aspiriert  man  jetzt,  so  ist  sehr  oft  die  vorher  wiederholt  ganz 
klar  befundene  Flüssigkeit  plötzlich  wieder  trüb,  mit  Schleim-  und 
Eiterpartikeln,  Eiterfäden  usw.  durchsetzt,  ein  ziemlich  sicherer  Be¬ 
weis  dafür,  daß  man  mittels  des  einfachen  Tricks  in  noch  nahezu  oder 
ganz  unbespülte  Ohrregionen,  d.  h.  die  Paukenhöhle,  gelangt  sein  muß  ! 
Ich  glaube  bis  jetzt,  daß  diese  Art  der  Ohrspülung  der  gewöhnlich 
geübten  Methode  der  einfachen  Gehörgangsausspritzung  oder  Aus- 
tupfung  etwas  überlegen  und  ungefährlich  ist,  ich  habe  wenigstens 
noch  keinerlei  Unfälle,  noch  Verschlimmerungen  damit  erlebt;  möchte 
sie  daher  den  Herrn  Kollegen  zur  eventuell  gütigen  Nach¬ 
prüfung  unterbreiten,  mit  der  Einschränkung  auf  unkomplizierte 
Mittelohreiterungen,  mit  der  Warnung  vor  zu  spitzen  oder  stechenden 
Tropfgläschen,  und  mit  dem  wohl  selbstverständlichen  Hinweis  auf 
die  notwendige  aseptische  Haltung  des  Instrumentes. 

Pseudotyphlitis  bei  Influenza? 

Während  einer  unlängst  herrschenden  Influenzaperiode  bekam  ich 
kurz  hintereinander  drei  Patienten  in  Behandlung,  davon  zwei  Kinder 
und  ein  Erwachsenes,  die  sämtlich  bettlägerig  und  mäßig  fiebernd 
(38,5 — 39,5°  Abendtemperatur)  unter  Appetitlosigkeit,  Aufstoßen  und 
Konstipation  über  spontane  Schmerzen  in  der  Blinddarmgegend  klagten. 
Es  bestand  auch  deutliche  Druckempfindlichkeit  an  der  MacBurney’sehen 
Zone  und  bei  zweien  zugleich  geringer  Meteorismus.  Entzündlicher 
Tumor  dagegen  war  in  keinem  Falle  fühlbar.  Es  lag  offenbar  sehr  nahe, 
jeweils  Typhlitis  zu  diagnostizieren  und  zu  behandeln,  doch  glaubte 
ich  mich  für  Influenza  resp.  eine  Spielart  von  Influenza  entscheiden 
zu  sollen  und  zwar  in  Rücksicht  auf  die  im  Verhältnis  zur  Körper¬ 
temperatur  auffallend  starken  Kopfschmerzen,  die  Empfindlichkeit  der 
Bulbi,  die  mit  leichtem  Konjunktivalkatarrh  und  Lichtscheu  vereinigt 
war,  und  endlich  im  Hinblick  auf  die  jedesmal  vorhandenen,  allerdings 
sehr  unbedeutenden  katarrhalischen  Lungensjmptome.  Somit  wurde 
keine  eigentliche  Typhlitisbehandlung  eingeleitet,  deren  Möglichkeit 
vielmehr  nur  mittels  sehr  vorsichtiger  Diät  Rechnung  getragen, 
im  übrigen  Salipyrin  und  warme  Bauchpackungen  —  letztere  eigentlich 
mehr  zwecks  leichter  Diaphorese  als  behufs  Schmerzstillung  —  ver¬ 
ordnet.  Das  Salipyrin  wirkte  jedesmal  prompt  auf  Fieber,  Kopfschmerz, 
sowie  auf  die  besagten  typhlitisartigen  Symptome :  zwei  Fälle  waren 
innerhalb  dreier  Tage  in  voller  Rekonvaleszenz,  unter  Eintritt  spontanen 


Beobachtungen  und  Tricks  aus  der  Landpraxis. 


375 


Stuhlgangs,  beim  dritten,  dem  hartnäckigsten,  dauerte  es  allerdings 
etwa  acht  Tage.  Bei  keinem  sind  irgendwelche  abdominalen  Symptome 
zurückgeblieben  oder  wieder  eingetreten !  Es  ist  nun  wohl  möglich, 
bei  diesen  skizzierten  Fällen  jene  auf  Typhlitis  beziehbaren  Sym¬ 
ptome  mittels  viszeraler  Neuralgie,  die  bei  Influenza  dem  theoretischen 
Verständnis  per  analogiam  wohl  keinerlei  Schwierigkeiten  bietet,  be¬ 
friedigend  zu  erklären.  Andererseits  wäre  aber  doch  auch  an  die 
Möglichkeit  zu  denken,  daß  der  Influenzabazillus  bisweilen  den  Pro¬ 
cessus  vermiformis  oder  das  Cöcum  lokal  befallen  könnte,  um  dort 
leichtere,  (stets  ?)  sogen,  katarrhalische  Entzündungen  hervorzurufen, 
die  unter  spezifischer  Allgemeintherapie  ohne  Eis  und  Opium  usw. 
leicht  zur  Ausheilung  kämen !  (immer  ?).  Vielleicht  interessiert  sich 
irgend  ein  Pathologe  für  diese  Frage  und  richtet  bei  gelegentlichen 
Influenzaleichen  regelmäßig  sein  geübtes  Auge  auf  jene  Organe,  even¬ 
tuelle  positive  Befunde  wären  mindestens  ätiologisch  interessant. 

Ischias. 

Als  Ischiasbehandlung  hat  sich  mir  folgende  Methode  oft  recht 
gut  bewährt,  und  zwar  bei  akuter  Ischias  wie  bei  den  chronischen 
F ormen : 

1.  Bei  heftigen  Schmerzen:  Salipyrin  und  Phenacetin  ana  1,  clrei- 
bis  viermal  täglich  1/2  Pulver ;  bis  zum  Verschwinden  der  ärgsten 
Schmerzen,  gewöhnlich  drei  bis  vier  Tage,  dazu  Bettruhe,  warme 
Kompresse. 

2.  Nach  Aufhören  der  heftigsten  Attacken  sofort  Massage  des 

kranken  Beines,  plus  Gesäß  und  Kreuz,  mit  Bheumasanersatz,  mög¬ 
lichst  vom  Arzt  selbst  vorgenommen,  lege  artis,  etwa  20  Minuten  pro 
Sitzung,  sanft  beginnend,  allmählich  kräftiger,  und  Tapotements  dabei 
nur  schwach  ausführend  oder  samt  Dehnungsversuchen,  bis  zur  wesent¬ 
lichen  Abnahme  der  Schmerzen,  vermeidend.  Pro  Woche  3 — 4  solcher 
Sitzungen.  Oberschenkel,  kranke  Gesäßhälfte  und  meist  mitbeteiligte, 
gleichseitige  Lendenpartie  müssen  bei  Beendigung  der  Massage  trocken, 
etwas  gerötet  und  deutlich  wärmer  sein,  als  die  nicht  massierte, 
andere  Seite,  andernfalls  ist  die  Massage  wenig  wirksam !  Hierauf 
Geh-,  Steig-,  Beugbewegungen  mäßiger  Intensität ;  gewaltsame  Nerven¬ 
dehnung,  wenn  nötig  erscheinend,  erst  später,  etwa  nach  14 tägiger 
Behandlung ;  sie  frischt,  unzeitig  ausgeführt,  des  öftern  die  kaum 
abgeklungenen  Schmerzen  in  heftigster  Weise  wieder  auf  und  raubt 
dem  Patienten  das  Vertrauen  zu  —  und  die  Ausdauer  in  —  der  Be¬ 
handlung.  Mit  der  Massage  einige  Wochen  zu  warten,  wie  manche 
Autoren  Vorschlägen,  erst  lange  zu  elektrisieren  nebst  Einreibungen, 
Nervina  multa  usw.  usw.  habe  ich  bis  jetzt  nie  nötig  gehabt,  vielmehr 
waren  die  Patienten  mit  Ausnahme  eines  einzigen,  der  sich  der  Be¬ 
handlung  baldigst  entzog,  im  Zeitraum  von  10  Tagen  bis  zu  33  Tagen 
in  maximo,  alle  im  klinischen  Sinn  geheilt,  d.  h.  voll  arbeitsfähig. 
Freilich  standen  sie  alle  noch  im  kräftigeren  Lebensalter  (18 — 50  Jahre) 
und  unter  acht,  im  letzten  J  ahr  so  behandelten  Fällen  waren  nur 
zwei  als  veraltet  (chronisch)  anzusprechen.  Neben  dieser  Behandlungs¬ 
art,  die  allerdings  für  den  Arzt  etwas  anstrengend  ist,  für  den  Patienten 
aber  meist  eine  wesentliche  Abkürzung  der  Erwerbsunfähigkeit  er¬ 
zielt,  habe  ich  bis  jetzt  andere  Maßnahmen:  (Elektrizität,  Bäder  usw.) 
anzuwenden  keine  Veranlassung  gehabt.  (Fortsetzung  folgt.) 


376 


C.  Kabisch, 


Beitrag  zur  Therapie  der  Rachitis 

Von  Dr.  med.  C.  Kabisch,  Frankfurt  a.  M. 

Man  braucht  heutzutage  nicht  ausgesprochener  Kinderarzt  zu  sein, 
um  mit  einer  großen  Menge  interessanter  und  wichtiger  Kinderkrank¬ 
heiten  in  Berührung  zu  kommen.  Namentlich  dürfte  dies  in  den  großen 
Städten  und  industriereichen  Gegenden  mit  bedeutender  Arbeiterbe¬ 
völkerung  der  Fall  sein,  wo  sich  meist  ein  viel  stärkerer  Familien¬ 
zuwachs  findet,  als  bei  den  sogenannten  besser  situierten  Kreisen. 

Es  liegt  dies  in  der  Hauptsache  wohl  an  der  minder  guten  und  aus¬ 
giebigen  Ernährung  und  dann  besonders  an  den  Wohnungsverhält¬ 
nissen,  indem  meistens  nicht  genügend  Luft  und  Licht,  besonders 
während  der  kälteren  Jahreszeit,  in  die  Wohnräume  gelangt,  und  viel¬ 
fach  bei  den  ganz  kleinen  Leuten  auch  noch  das  einzige  geheizte 
Zimmer  zugleich  Küche  und  Arbeitsstätte  des  Familienvaters  darstellt. 
Daß  sich  nun  an  und  für  sich  schwächliche,  von  kranken  oder  krankhaft 
veranlagten  Eltern  erzeugte  Kinder  unter  solchen  Umständen  nicht 
besonders  gut  entwickeln  können,  ist  eine  Erfahrungstatsache. 

Eine  der  hierhin  mit  am  meisten  gehörenden  Kinderkrankheiten, 
die  aber  ebenso  gut,  wenn  auch  seltener  in  besseren  und  besten  Familien 
Vorkommen  kann,  ist  die  sogenannte  englische  Krankheit  oder  Rachitis. 

Wenn  auch  Pfister  vor  einigen  Jahren  nachgewiesen  hat,  daß 
sich  die  Krankheit  keineswegs  hauptsächlich  in  Gegenden  mit  feuchtem, 
ungesundem  Klima,  bei  ärmeren  Familien  und  rasch  aufeinanderfol¬ 
genden  Geburten  vorfindet,  indem,  wie  ich  soeben  erwähnte,  ihr  Vor¬ 
kommen  auch  bei  den  besser  Situierten  zu  verzeichnen  ist,  so  muß  man 
doch  unbedingt  derartige  Momente  als  besonders  begünstigende  Fak¬ 
toren  betrachten.  Auch  die  von  Esser  angeführte  Überfütterung  als 
direkte  Ursache  der  Rachitis  läßt  sich  anfechten,  indem  doch  gerade 
bei  den  ärmeren  Leuten,  von  einer  Überfütterung  sicherlich  nicht  die 
Bede  sein  kann.  Treffend  sagt  Weiß  mann,  daß  viele  überfütterte 
Kinder  rachitisch,  aber  nicht  alle  rachitischen  Kinder  überfüttert  sind. 

Bezüglich  der  Ätiologie  dürfte  es  gerade  bei  der  Rachitis  noch 
zahlreiche  Kontroversen  geben,  ehe  eine  absolute  und  einwandsfreie 
Klärung  erfolgt.  Jedenfalls  können  und  müssen  wir  aber  daran  fest- 
halten,  daß  die  Disposition  zu  derselben,  die  teils  erworben,  teils  direkt 
ererbt  sein  kann,  eine  bedeutende  Rolle  spielt.  Ich  habe  eine  wesentlich 
größere  Anzahl  von  rachitischen  Kindern  in  Behandlung  gehabt  und 
zurzeit  in  Behandlung,  bei  'denen  entweder  beide  Eltern  oder  wenigstens 
eines  von  ihnen  ebenfalls  rachitisch  waren,  als  solchen,  wo  jedes  Vor¬ 
kommen  der  Krankheit  in  der  Familie  geleugnet  wurde.  Sei  dem  nun 
auch  wie  ihm  wolle,  wir  müssen  die  Rachitis  als  eine  reguläre  Stoff¬ 
wechselanomalie  betrachten  und  demgemäß  unsere  Maßnahmen,  quoad 
Verhütung  und  Behandlung  treffen. 

Daß  solche  Kinder  ganz  besonders  gut  und  kräftig  ernährt  und 
durch  entsprechende  Körperpflege  gekräftigt  und  abgehärtet  werden 
müssen,  ist  von  vornherein  selbstverständlich,  aber  damit  allein  genügt¬ 
es  nicht,  wie  jeder  Praktiker,  der  viele  derartige  Kinder  Zu  seiner 
Klientel  rechnet,  ohne  weiteres  zugeben  wird. 

Seit  langer  Zeit  spielt  der  Lebertran  und  speziell  der  Phosphor¬ 
lebertran  bei  der  Behandlung  der  Rachitis  eine  große  Rolle,  und  es  sind 
auch  die  Erfolge,  die  man  damit  neben  einer  geeigneten  physikalisch- 


Beitrag  zur  Therapie  der  Rachitis. 


377 


diätetischen  Behandlung  erzielt,  recht  nennenswerte.  Wie  oft  hat  man 
es  aber  mit  Kindern  zu  tun,  welche  gegen  den  entsetzlichen  und  grä߬ 
lichen  Lebertrangeschmack  einen  solchen  Widerwillen  und  Ekel  haben, 
daß  sie  ihn  entweder  überhaupt  nicht  nehmen,  oder  den  ganzen  Appetit 
verlieren,  und  infolgedessen  noch  schlechter  dran  sind  als  solche 
Kinder,  denen  man  ihn  überhaupt  nicht  gibt.  Man  hat  nun  im  Laufe 
der  Zeit  eine  ganze  Masse  trefflicher  Ersatzmittel  für  Lebertran  und 
Phosphorlebertran  in  den  Handel  gebracht,  z.  B.  Scotts  Emulsion, 
Lahusens  Phosphorlebertran,  Ossin  Stroschein  usw.,  aber  keines  von 
ihnen  kann  sich  rühmen,  aller  Mängel  in  bezug  auf  Geschmack,  Be¬ 
kömmlichkeit  und  Verdaulichkeit  frei  zu  sein. 

Es  interessierte  mich  deshalb  ganz  besonders,  als  ich  im  ver¬ 
gangenen  Jahr  ein  neues  Präparat  kennen  lernte,  das  mir  durch  die 
Liebenswürdigkeit  des  Herrn  Kollegen  Dr.  Lungwitz  in  Berlin 
zum  Zwecke  ausgedehnter  Versuche  zur  V erfügung  gestellt  wurde. 
Dieses  Präparat,  welches  von  der  Firma  Dr.  Degen  und  Kuth  in 
Düren  fabriziert  wird,  trägt  den  Kamen  Rachisan  und  enthält  als 
wirksame  Bestandteile  30°/0  Lebertran,  0,05  °/0  Phosphor,  berechnet 
auf  P,  0,8  °/0  Jod,  an  freie  Fettsäuren  gebunden,  l°/0  freie  Fettsäuren, 
0,8  °/0  Lezithin,  1,75  °/0  Nukleine,  0,3  °/0  Eisen,  organisch  an  Ovo -Vitellin 
gebunden,  6°/0  Mannit  als  ^erbindungsmittel  des  Eisens  mit  dem  Vitel¬ 
lin.  Hierzu  kommen  noch  Corrigentia  und  Aqua  destillata  ad  100. 
Alkohol  enthält  das  Präparat  nicht. 

Wenn  auch  bei  dem  neuen  Mittel  dank  der  sorgfältigsten  tech¬ 
nischen  und  chemischen  Bemühungen  und  Vervollkommnungen  haupt¬ 
sächlich  danach  gestrebt  wurde,  demselben  einen  möglichst  angenehmen 
Geruch  und  Geschmack  zu  geben,  so  ist  es  begreiflicherweise  doch 
nicht  zu  erreichen  gewesen,  den  immerhin  in  großer  Menge  vorhandenen 
Lebertran  als  vollkommen  geschmacklos  erscheinen  zu  lassen.  Jeden¬ 
falls  ist  es  aber  gelungen,  dem  Präparat  einen  wesentlich  bessern  Ge¬ 
schmack  zu  verleihen  als  ihn  der  freie  Lebertran  oder  der  gewöhnliche 
Phosphorlebertran  oder  auch  diverse  der  andern  Ersatzmittel  tragen. 
In  vielen  Familien,  deren  Kinder  alle  die  genannten  Präparate  nicht 
nehmen  wollten,  wurde  mir  wiederholt  gesagt,  daß  die  Kleinen  direkt 
nach  dem  Rachisan  verlangt  haben,  was  doch  entschieden  für  einen 
angenehmen  Geschmack  spricht. 

Man  gibt  das  Mittel  am  besten  2 — 3  mal  täglich,  je  einen  Kaffee¬ 
löffel  voll  und  verordnet  sonst  eine  möglichst  leichte,  aber  kräftigende 
Diät,  entsprechend  dem  Alter  des  Kindes  und  den  sozialen  Verhält¬ 
nissen  der  Eltern.  Außerdem  lasse  man  den  Kindern  Salzbäder  geben, 
kräftigende,  kühle  bis  kalte  Abreibungen  machen  und  sie  möglichst 
viel  ins  Freie  bringen. 

Unter  Zugrundelegung  dieser  Bedingungen  habe  ich  eine  ganze 
Reihe  von  Kindern  mit  Hilfe  des  Rachisans  behandelt  und  werde  mir 
erlauben,  an  einigen  Fällen  meine  Erfahrungen  etwas  näher  zu  illu¬ 
strieren. 

1.  Zwei  Kinder,  A.  und  E.  Sch.,  im  Alter  von  l1/2  und  2 1/2  Jahren, 
v  äußerst  elend  und  schwächlich,  mit  skrofulösen  Drüsen,  eiternden  Ohren, 
noch  nicht  ganz  geschlossener  Fontanelle,  rachitischem  Thorax,  ausge¬ 
sprochenem  Rosenkranz,  das  kleinere  nicht  imstande,  sich  auf  die  Füße 
zu  stellen.  Die  Wirkung  des  Rachisans  war  gerade  in  diesen  beiden 
Fällen  so  charakteristisch,  daß  ich  nicht  verfehlen  möchte,  dieselben 


378 


C.  Kabisch,  Beitrag  zur  Therapie  der  Rachitis. 


an  erster  Stelle  zu  erwähnen.  Der  bei  beiden  Kindern  sehr  starke 
Ausschlag  im  Gesicht  verschwand  nach  kurzer  Zeit  vollkommen,  die 
Drüsen  gingen  zurück,  bald  begann  das  kleinere  Kind  zu  laufen.  Im 
übrigen  erhielten  die  Kinder  Salzbäder  und  kalte  Abreibungen.  Heute 
sehen  sie  wesentlich  gesünder  und  kräftiger  aus,  als  vor  einigen  Monaten. 
Unter  den  gleichen  Symptomen  war  den  Leuten  im  vorigen  Sommer  ein 
Mädchen,  ebenfalls  hochgradig  rachitisch,  gestorben. 

2.  Kind  A.  G.,  3  Jahre  alt.  Diagnose  Skrofulöse,  postrachitische 
Erscheinungen,  wie  Hühnerbrust,  Rosenkranz,  krumme,  sehr  schwäch' 
liehe  Beinchen,  infolgedessen  sich  das  Kind  nur  in  ängstlicher,  wackeln¬ 
der  Form  voranbewegen  konnte  und  sehr  oft  hinfiel.  Auf  die  Dar¬ 
reichung  von  Rachisan,  welches  das  Kind  ebenso  wie  die  beiden  vor¬ 
genannten  sehr  gern  nahm  und  gut  vertrug,  während  es  den  Lebertran 
stets  zurückwies,  trat  zusehends  eine  merkliche  Besserung  ein,  indem 
das  Kind  innerhalb  einiger  Wochen  mehrere  Pfund  an  Gewicht  zu¬ 
nahm,  das  Aussehen  ein  frischeres  und  gesünderes,  und  der  Gang  des 
Kindes  ein  sicherer  und  fester  wurde.  Die  Eltern  sowohl,  wie  Bekannte 
der  Familie  drückten  mir  wiederholt  ihr  Erstaunen  über  die  fort¬ 
schreitende  Besserung  aus. 

3.  Drei  Kinder  eines  hiesigen  Beamten  im  Alter  von  zwei  bis  fünf 
Jahren,  A.  E.  und  W.  Iv.,  alle  drei  rachitisch,  elend  und  kränklich, 
ohne  Appetit  und  infolgedessen  fast  andauernd  in  ärztlicher  Behandlung, 
erholten  sich  auf  den  Gebrauch  des  Rachisans  in  auffallender  Weise, 
indem  der  ganz  mangelhafte  Appetit  sich  besserte,  die  blasse  und 
welke  Gesichtsfarbe  einer  frischeren  und  gesünderen  Platz  machte, 
und  das  Körpergewicht  seitdem  ständig  zunahm. 

4.  Kind  L.  Schn.,  8 jähriges,  an  Furunkulose  und  Skrofulöse  lei¬ 
dendes  Mädchen,  welches  nach  Angabe  der  Eltern  in  den  ersten  Jahren 
sehr  stark  mit  der  englischen  Krankheit  zu  tun  hatte.  Das  hochge¬ 
schossene,  sehr  schmale,  bleich  und  elend  aussehende  Kind,  das  außer¬ 
dem  an  chronischem  Bronchialkatarrh  und  leichter  Affektion  der  rechten 
Spitze  litt,  ließ  auf  den  längeren  Gebrauch  des  Rachisan  eine  deutliche 
Besserung  nach  jeder  Richtung  hin  erkennen.  Heute  ist  das  Kind  gegen 
mehrere  Monate  zurück  fast  nicht  wieder  zu  erkennen,  indem  es  breiter 
und  kräftiger  geworden  ist  und  speziell  die  schlaffen  Muskeln  der 
Arme  und  Beine  fester  und  voller  geworden  sind. 

5.  S.  K.  9  jähriges,  früher  sehr  rachitisches,  schwächliches  Mädchen 
mit  schwerem  Herzklappenfehler  und  bedeutenden  asthmatischen  Be¬ 
schwerden,  welches  fast  das  ganze  Jahr  hindurch  nur  zeitweise  die 
Schule  besuchen  konnte,  erholte  sich  auf  Rachisan  hin,  unter  gleich¬ 
zeitiger  Anwendung  von  Salzbädern  nach  mehreren  Monaten  derart, 
daß  es  jetzt  schon  längere  Zeit  regelmäßig  zur  Schule  geht.  Die 
asthmatischen  Anfälle  sind  sehr  viel  seltener  und  das  Herz  ruhiger 

O 

geworden,  der  Appetit  hat  sich  wesentlich  gehoben,  und  das  Körper¬ 
gewicht  um  mehrere  Pfund  zugenommen. 

6.  Kind  J.  H.,  zweijähriges  stark  rachitisches,  äußerst  elendes 
Kind  mit  noch  sehr  lockerer  Schädeldecke,  ausgesprochenem  Rosenkranz 
und  sehr  schwächlichen  krummen  Beinchen.  Nahrungsaufnahme  war 
absolut  ungenügend,  so  daß  das  Kind  andauernd  abnahm.  Als  ich 
gerufen  wurde,  gab  ich  dem  Kinde  Rachisan,  das  es  nach  einigen 
Tagen  ganz  gern  nahm,  während  es  den  Lebertran  stets  zurückgewiesen 
hatte.  Nach  einigen  Wochen  war  der  Appetit  ein  ziemlich  normaler 


Ascher,  Breslauer  Brief. 


379 


geworden,  die  Kräfte  begannen  sich  zu  heben,  und  das  ganze  Aussehen 
des  Kindes  wurde  ein  besseres.  Heute,  nach  etwa  dreimonatlichem 
Gebrauch  des  Mittels  hat  das  Kind  um  mehrere  Pfund  zugenommen, 
die  Kopfnähte  sind  fester  geworden,  und  das  Kind  versucht,  sich  seiner 
Beinchen  zu  bedienen. 

7.  Kind  El.  K.,  1 1/2 jähriges,  ebenfalls  stark  rachitisches  Kind, 
zeigte  auf  den  Gebrauch  des  Rachisans  die  gleiche  günstige  Reaktion, 
indem  auch  eine  wesentliche  Appetitssteigerung  und  nach  Verlauf  von 
sechs  Wochen  eine  deutliche  Besserung  des  Allgemeinbefindens  eintrat. 

,  8.  Kind  Fr.  F.,  sieben  Jahre  alt,  nach  Aussage  der  Eltern  in  den 
ersten  J ahren  sehr  rachitisch,  jetzt  schwer  skrofulös  mit  mächtigen 
Drüsenpaketen  am  Halse,  triefenden  Augen  und  Ohrenfluß.  Nahrungs¬ 
aufnahme  sehr  minimal  und  Kräftezustand  äußerst  unbefriedigend. 
Lebertran  war  oft  und  viel,  aber  ohne  Erfolg  gegeben  worden  und 
in  der  letzten  Zeit  stets  zurückgewiesen  worden.  Rachisan  wurde  und 
wird  gerne  genommen,  Appetit  und  Allgemeinbefinden  besserte  sich, 
die  Gewichtszunahme  betrug  innerhalb  mehrerer  Wochen  vier  Pfund. 

Da  bei  dem  Präparate  alle  die  Bedingungen  erfüllt  sind,  welche 
man  an  ein  wirklich  gutes  und  brauchbares  Antirachitikum  stellen 
muß,  nämlich  möglichst  angenehmer  Geruch  und  Geschmack,  größt¬ 
möglichste  Verdaulichkeit  und  Resorbierbarkeit  des  Lebertrans, 
Haltbarkeit  und  Verwendbarkeit  zu  allen  Jahreszeiten,  Vor¬ 
kommen  des  Phosphors  in  organischer  Verbindung,  mithin  in  ungif¬ 
tiger  Form,  so  verdient  dasselbe  unbedingt  Beachtung.  Da  außerdem 
sowohl  nach  meinen  eigenen  Erfahrungen  als  auch  denen  anderer  ge¬ 
schätzter  Fachgenossen  die  Resultate  .  recht  gute  zu  nennen  sind,  so 
sollte  es  mich  sehr  freuen,  wenn  ich  durch  meine  Auseinandersetzungen 
erreicht  hätte,  eine  möglichst  große  Anzahl  von  Kollegen  zu  weiteren 
Versuchen  mit  dem  neuen  Mittel  anzuregen,  das  vielleicht  bestimmt 
sein  wird,  über  kurz  oder  lang  eine  willkommene  und  schätzenswerte 
Bereicherung  unseres  Arzneischatzes  zu  bilden. 


Breslauer  Brief. 

Von  Dr.  Ascher. 

Anfang  November  taten  sich  die  hiesigen  Chirurgen  unter  dem 
Vorsitz  des  Professors  Dr.  Küttner  zu  einer  „Breslauer  Chirurgischen 
Gesellschaft“  .zusammen.  Dieselbe  bezweckt  die  besondere  Pflege  der 
Spezialwissenschaft  sowie  das  Eintreten  für  die  wirtschaftlichen  Inter¬ 
essen  der  Chirurgen.  Sie  setzt  sich  aus  ordentlichen  und  außerordent¬ 
lichen  Mitgliedern  zusammen.  Außerordentliches  Mitglied  kann  jeder 
approbierte  Arzt  werden.  Ordentliche  Mitglieder,  ansässige  Chirurgen, 
Oberärzte  in  größeren  Krankenhäusern  und  Privatdozenten  der  Chirurgie 
sind  stimmberechtigt.  Die  Gesellschaft  tagt  jeden  zweiten  Monat  hier 
in  Breslau,  doch  kann  die  Tagung  auch  nach  auswärts  verlegt  werden. 
Zum  Schriftführer  wurde  der  hiesige  Chirurg  Professor  Dr.  Gott  stein 
ernannt. 

In  der  ersten  Sitzung  am  26.  November  demonstrierte  Küttner 
das  Fulgurations verfahr en  an  einer  Patientin  mit  inoperablem 
Brustkrebs.  Tietze  spricht  sich  in  der  Diskussion  skeptisch  über  den 
Wert  des  Verfahrens  aus,  will  aber  diesbezügliche  Versuche  fortsetzen. 


380 


Ascher, 


Küttner  demonstrierte  ferner  drei  Patienten  mit  operierten 
malignen  Tumoren  der  Tonsille.  Er  gibt  eine  genaue  Beschreibung 
des  Operationsverfahrens,  welches  er  (in  Bruns,  Beitr.  der  Chirurg-. 
B.  XX,  1898)  veröffentlicht  hat. 

Ausräumung  der  .submentalen,  submaxillaren  und  tiefen  zervikalen 
Lymphdrüsen,  Exstirpation  beider  Gl.  submaxiilares.  Ligatur  beider 
Art.  linguales  und  maxillares  extern,  von  einem  Kreuzschnitt,  dessen 
vertikaler  Teil  vom  Kinn  bis  zum  Jugulum,  dessen  horizontaler  Teil 
leicht  bogenförmig  in  Höhe  des  Zungenbeines  von  einem  Kopfnicker- 
rande  zum  andern  verläuft. 

In  der  Diskussion  betont  Part  sch  die  isoliert  auftretende  Meta¬ 
stasenbildung  in  den  Lymphdrüsen  unterhalb  des  Processus  mastoideus 
und  hebt  den  Wert  des  KoCher’schen  Verfahrens  hervor.  Küttner 
bestätigt  dieses.  Auch  sein  Verfahren  ermöglicht  von  diesem  Schnitte 
aus  die  Ausräumung  der  oberflächlichen  Nackendrüsen. 

Küttnelr  demonstrierte  ferner  zwei  Fälle  von  Be  Sektion  der 
H  umerus^iäphy  se  zwecks  direkter  Nerven  Vereinigung  bei  großen 
traumatischen  Defekten  der  Oberarmnerven.  Der  erste  Fall  zeigte 
nach  Resektion  und  Wiedervereinigung  des  gelähmten  Medianus  eine 
Wiederherstellung  der  motorischen  Funktion  in  den  Muskeln  (Ent¬ 
artungsreaktion).  Der  Befund  spricht  für  das  gelegentliche  Vorkommen 
einer  prima  intentio  der  Nervenleitung. 

In  der  Diskussion  weist  Part  sch  auf  gute  von  Löbker  erzielte 
Resultate  von  Knochenplastik  bei  Nervendefekten  hin.  Bei  Durch¬ 
trennung  von  Medianus  und  U Inaris  ist  ihm  mitunter  eine  so  geringe 
Anästhesie  begegnet,  wie  sie  absolut  in  keinem  Verhältnis  zur  Aus¬ 
breitung  ihrer  Bahnen  zu  bringen  ist.  Küttner  bestätigt  die  außer¬ 
ordentliche  Verschiedenheit  der  sensiblen  Störungen  bei  Durch trennung 
einzelner  Nerven stamme  und  verweist  auf  die  instruktiven  Abbil¬ 
dungen  in  dem  Werke  von  He  a  d.  Für  die  motorischen  Funktionen 
trifft  die  Verschiedenheit  der  Ausfallserscheinungen  nicht  zu. 

Küttner  sprach  dann  über  fünf  Fälle  von  Dickdarmtumor eü. 
Mitunter  wird  ein  Karzinom  von  einem  stenosierenden,  isolierten,  tuber¬ 
kulösem  Geschwür  vorgetäuscht  und  umgekehrt  nimmt  man  bei  Phthi¬ 
sikern  Darmtuberkulose  an,  so  findet  man  nicht  selten  einen  Krebs. 
Solche  Fälle  sind  geeignet,  eine  Statistik  der  operativen  Dauerresultate 
bei  Dickdarmkarzinom  in  günstigem  Sinne  zu  beeinflussen.  Er  fordert 
ständige  histologische  Untersuchung. 

Im  Anschlüsse  daran  demonstriert  Oelsner  das  mikroskopische 
Präparat  eines  Falles  von  Kankroid  des  Dünndarmes,  kombiniert 
mit  Tuberkulose,  aus  der  chirurgischen  Universitätsklinik  in  Bern. 

Küttner  spricht  über  fünf  Fälle  von  Rückenmarkstumoren. 
Intradurale,  ein  Psammom  und  ein  Fibrom  der  Cauda  equina,  waren 
gut  abgekapselt  und  konnten  leicht  entfernt  werden. 

Demonstration  der  vollständig  geheilten  und  voll  arbeitsfähigen 
Patienten.  Die  drei  extraduralen  waren  bösartig  und  nicht  radikal 
operierbar.  (Zwei  Karzinome,  ein  Sarkom.) 

In  der  Diskussion  weist  Tietze  auf  die  Schwierigkeit  der  Diagnose 
der  -  in  Rede  stehenden  Tumoren  hin. 

F oerster  berichtet  über  einen  Fall  von  Kompression  der 
Cauda  equina  durch  Karzinommetastasen  im  dritten  Lendenwirbel, 
welche  totale  schlaffe  Lähmung  beider  Beine,  totale  Lähmung  der 
Blase  und  des  Mastdarmes,  hochgradige  Schmerzen  in  beiden  Beinen 


Breslauer  Brief. 


381 


und  Anästhesie  beider  Beine  gemacht  hatten.  Ferner  berichtet  er  über 
einen  Fall  von  Tabes  dorsalis  mit  foudroyantem  Beginn.  Mit  totaler 
schlaffer  Paraplegie  der  Beine,  Blasenstörungen  und  bis  zum  Nabel 
reichender  Anästhesie.  Nach  Entfernung  eines  subkutanen  Lipoms  in 
der  Gegend  des  zweiten  Lendenwirbels  (T  fetze),  Rückgang  der 
Lähmung. 

Ludloff  über  die  Iüdikationsstellung  zur  Behandlung  der 
Gelenktuberkulose.  (Bericht  folgt  später,  weil  die  Diskussion  auf 
•  die  nächste  Sitzung  vertagt  wird.) 

C  o  e n  e  n  demonstrierte 

a)  ein  teleangiektatisches  Granulom  (Botryomykom)  der  Hohlhand ; 

b)  multiple  teleangiektatische  Granulome  auf  dem  behaarten  Kopf 
eines  älteren  Mannes  und  auf  dem  Rücken  eines  Jünglings.  (Häma¬ 
togene  Entstehung) ; 

c)  zwei  Fälle  eigentümlicher  Sarkomformen  bei  älteren  Personen, 
tellerartig,  flach  in  die  Haut  hineinwuchernd.  Der  Verdacht  einer 
Infektion  liegt  sehr  nahe.  Für  Sarkoide  ist  Infektion  mit  einiger 
Sicherheit  anzunehmen ; 

d)  einen  entzündlichen  Bauchdeckentumor  nach  Typhlitis ; 

e)  ein  kongenitales  fasziales  Dermoid  der  vorderen  Bauchwand 
bei  einem  4  jährigen  Knaben. 

Ein  Spindelzellensarkom  der  Fußgelenkkapsel  bei  einem  44  jährigen 
Arbeiter. 

'  Winkler  demonstriert  einen  14  jährigen  Knaben  mit  einem 
Divertikel  der  Harnblase  (Cystoskopisch  festgestellt). 

Operation,  extraperitoneale  Entfernung  des  Divertikels,  Resektion 
des  Ureters,  Implantation  an  normaler  Stelle,  Dauerkatheter,  Heilung. 
Der  Fall  wird  nach  dem  Vorgänge  von  Englisch  als  Doppelblase 
angesprochen. 

In  der  schlesischen  Gesellschaft  für  vaterländische  Kultur  sprach 
am  8.  Januar  1909  Privatdozent  Danielsen  über  ,, Hirnpunktion“. 

Neuerdings  ist  neben  Röntgendurchleuchtung,  Tuberkulinreaktion 
und  Serodiagnostik  die  Hirnpunktion  gekommen,  um  den  Sitz  eines 
zerebralen  Leidens  festzustellen.  Bei  Blutungen  soll  man  sie  umgehen, 
bei  Verdacht  auf  einen  Tumor  ist  sie  indiziert.  D.  erzielte  in  drei 
Fällen  positive  Resultate.  In  einem  Falle  mit  wiederholten  negativen 
Punktionsversuchen  handelte  es  sich  um  einen  Pseudotumor.  Durch 
Entleerung  von  Zerebrospinalflüssigkeit  kann  man  bei  Drucksteige¬ 
rungen  große  Erleichterungen  schaffen. 

Danach  sprach  Dr.  Goetsch  über  „die  Bekämpfung  der 
Kindertuberkulose  durch  den  Volksheilstättenverein  vom 
roten  Kreuz“. 

G.  besprach  die  Einrichtungen  in  den  modernen  Lungenheilstätten. 
Denselben  ist,  was  besonders  zu,  erwähnen  ist,  ein  Heim  für  Knochen- 
und  Gelenktuberkulose,  eine  Gärtnerei  für  Knaben  und  eine  Haus¬ 
haltungsschule  für  Mädchen  angegliedert. 

Tuberkuloseverdächtige  und  Genesende  sind  in  besonderen  Häusern 
untergebracht.  Die  Behandlung  besteht  neben  roborierender  Kost 
in  Injektionen  von  Alt -Tuberkulin,  die  sich  mitunter  über  eine 
Zeitdauer  von  5 — 6  Monaten  erstreckten.  Er  empfahl  die  Errichtung 
von  Lungenheilstätten  in  großen  Städten,  um  mit  Tuberkulin  eine 
Auswahl  verdächtiger  Fälle  zu  treffen  und  sie  dann  weiter  in  den 
Heilstätten  mit  Injektionen  zu  behandeln. 


382 


Ascher, 


In  der  Diskussion  warnt  Professor  Czerny  vor  dem  Gebrauch 
von  Alttuberkulin  bei  Kindern  wegen  großer  Gefahr.  Dasselbe  ist 
absolut  nicht  imstande,  während  der  Behandlung  das  Auftreten  neuer 
Herde  im  Körper  zu  verhindern.  C.  hält  nichts  von  der  Heilstätten- 
behandlung.  Besseres  Aussehen  und  Appetit  sind  mit  der  Heilung 
der  Tuberkulose  nicht  identisch. 

Ob  ein  Pall  wirklich  geheilt  ist  oder  nicht,  dazu  bedarf  es  jahre¬ 
langer  Beobachtungen.  Die  erreichten  Heilerfolge  sind  größtenteils 
bei  Kindern  mit  nicht  tuberkulöser  Skrofulöse  eingetreten.  Man  hat 
zwei  Arten  von  Tuberkulose  zu  unterscheiden : 

a.)  die  äußere  mehr  benigne  Form,  die  meist  spontan  zur  Heilung 
kommt ; 

b)  die  Tuberkulose  der  inneren  Organe,  diese  letztere  ist  bösartig 
und  spottet  jeder  Behandlung,  hauptsächlich  die  Lungentuberkulose. 

Die  jetzigen,  selbst  die  neuesten  Untersuchungsmethoden,  wie  die 
Böntgendurchleuchtung  affizierter  Bronchialdrüsen  oder  die  Hautreak¬ 
tion  von  Pirquet  sind  einzeln  absolut  nicht  genügend;  nur  wenn 
alle  Symptome  Zusammentreffen,  kann  man  ziemlich  sicher  die  Diagnose 
stellen. 

Zum  Schluß  anwortete  Goetsch  durch  Hinweis  auf  das  gesund¬ 
heitliche  Plus  der  mit  Injektionen  behandelten  Kinder  gegenüber  den 
anderen  nicht  spezifisch  behandelten. 

Am  15.  Januar  1909  sprach  Geh.  Med. -Bat  Prof.  Dr.  Küstner 
in  der  schlesischen  Gesellschaft  über  die  Sectio  caesarea  und  ihre 
Indikationen.  Gleichzeitig  gab  er  einen  Überblick  über  seine  Er¬ 
fahrungen  auf  dem  Gebiete  der  Sectio  caesarea.  Seit  dem  Jahre  1891, 
wo  er  der  Leiter  der  Universitätsklinik  war,  sind  108  Kaiserschnitt¬ 
operationen,  ausgeführt  worden.  22  fallen  davon  auf  seine  Assistenten. 
33 mal  wurde  an  Sterbenden  operiert;  dreimal  wurde  die  Sectio  caesarea 
an  Toten  vorgenommen.  Hierbei  gelang  nur  einmal  ein  Kind  am 
Leben  zu  erhalten. 

Unter  den  sterbenden  Müttern  wurde  einmal  bei  einem  Herzfehler, 
einmal  bei  einer  Phthise,  einmal  bei  einer  Meningitistuberkulose  ope¬ 
riert.  Nur  bei  der  letzt  Operierten  gelang  es,  das  Kind  einige  Tage 
lebend  zu  erhalten.  Bei  den  ersten  beiden  Bällen  konnten  die  Kinder 
sich  von  der  schweren  Asphyxie  nicht  erholen. 

Iv.  kommt  zu  dem  Besume :  Die  Sectio  caesarea  soll  man  nur 
vornehmen,  wenn  der  Tod  plötzlich  erfolgt,  dagegen  ist  bei  langsamem 
Tode  wegen  der  schlechten  Ventilation  des  Blutes  kein  Erfolg  zu 
erhoffen.  Bei  Moribunden  muß  die  Sectio  caesarea  relativ  früher  vor¬ 
genommen  werden.  Pür  die  Bälle,  wo  die  Brau  dem  sicheren  Tode 
verfallen  ist,  ist  der  vaginale  Kaiserschnitt  indiziert. 

Bei  Eklampsie  wurde  in  sieben  Fällen  operiert.  Die  Erfahrungen 
waren T  keine  guten.  Doch  besserte  sich  das  Besultat  nach  der  Ein¬ 
führung  der  Gummihandschuhe  und  Manschetten  an  der  Klinik.  Be¬ 
friedigende  Erfolge  waren  nur  in  zwei  Fällen,  wo  die  Mutter  am 
Leben  blieb,  zu  verzeichnen.  K.  will  jetzt  bei  der  Eklampsie  früh 
operieren,  auch  zieht  er  den  vaginalen  Kaiserschnitt  wegen  geringerer 
Zeitversäumnis  bei  den  Vorbereitungen  vor. 

In  sechs  Bällen  wurde  die  Sectio  caesarea  bei  Carcinoma  cervicis 
gemacht.  Wenn  große  voluminöse  Tumoren  der  Portio  vaginalis  vor¬ 
liegen,  so  ist  eine  Indikation  zur  Operation  vorhanden.  In  zwei  Bällen 
wurde  die  Badikaloperation  sofort  angeschlossen.  In  diesen  beiden 


Breslauer  Brief. 


383 


Fällen  gelang  es,  das  Kind  am  Leben  zu  erhalten.  Scheint  eine  Total¬ 
exstirpation  im  Anschluß  an  die  Sectio  caesarea  aussichtslos,  wird 
die  supravaginale  Porrooperation  gemacht.  Trotzdem  nach  menschlicher 
Berechnung  die  Mutter  verloren  war,  so  scheute  sich  K.  doch  davor, 
den  vaginalen  Kaiserschnitt  zu  machen.  Die  Extraktion  durch  die 
bröckligen  Geschwulstmassen  und  eine  gesteigerte  Infektionsmöglichkeit 
hielten  ihn  davon  zurück. 

Die  Totalexstirpation  wurde  in  vier  Fällen  gemacht. 

In  einem  Falle  wurde  auch  die  supravaginale  Amputation  nach 
der  Sectio  caesarea  wegen  allzugroßer  Ausbreitung  der  Tumoren  ab¬ 
gelehnt.  Bei  starkem  Wachstum  des  Krebses  pflegt  Iv.  nicht  lange 
zu  warten,  auch  wenn  der  Fötus  weit  zurück  ist,  wird  die  Total¬ 
exstirpation  gemacht. 

In  einem  Falle  erfolgte  die  Sectio  caesarea  bei  Narbenatresie  der 
Zervix,  in  zwei  Fällen  bei  Antefixation  des  Uterus. 

K.  ist  der  Ansicht,  daß  die  Antefixation  ein  schweres  Geburts¬ 
hindernis  bildet.  Die  vordere  Wand  des  antefixierten  Uterus  beteiligt 
sich  nicht  an  der  Fruchtbildung.  Ihre  Muskelelemente  werden  in  ge¬ 
wissem  Sinne  atrophisch,  infolgedessen  findet  eine  starke  Belastung 
der  Hinterwand  statt,  durch  deren  fast  alleinige  Tätigkeit  eine  kom¬ 
plizierte  Lage  und  Austreibung  des  Kindes  die  Norm  bildet. 

Nach  früheren  Uterusrupturen  wurde  die  Sectio  caesarea  zweimal 
gemacht,  K.  fürchtete  einen  Biß  an  derselben  Stelle,  die  bei  früherem 
Partus  schon  ein  Geburtshindernis  bildete. 

Bei  Zervix-Blasen-Scheidenfistel  wurde  einmal  operiert.  K.  wies 
auf  die  Schwierigkeit  dieses  Falles  hin,  der  durch  ein  enges  Becken 
kompliziert  war,  und  wo  es  durchaus  darauf  ankam,  ein  lebendes 
Kind  zu  erhalten. 

In  zwei  Fällen  boten  myomatöse  Uteri  Indikationen  für  den  Kaiser¬ 
schnitt.  Einmal  wurde  gleich  die  Myotomie  angeschlossen.  Einen 
interessanten  Anlaß  bot  ein  gleichzeitiger  Echinokokkus,  der  schon 
einmal  von  Mikulicz  operiert  Worden  war,  zur  Sectio  caesarea.  Echino¬ 
kokkus  und  Uterus  wurden  beide  exstirpiert.  Trotz  der  ungeheuren 
Wunde  blieb  die  Frau  am  Leben. 

Ein  Kuriosum  bot  ein  von  K.  ausgeführter  Kaiserschnitt  bei 
einem  Affen.  Derselbe  war  einem  größeren  Affen  zur  Gesellschaft 
beigegeben  und  von  ihm  geschwängert  worden.  Da  es  sich  um  eine 
große  Frucht  handelte,  war  es  anzunehmen,  daß  der  Partus  sich  nicht 
der  Norm  nach  abspielen  werde.  Bei  der  Operation  trat  fast  gar  keine 
Blutung  auf.  Nach  zwei  Wochen  wurde  der  Affe  als  geheilt  in  den 
Zoologischen  Garten  zurückgeschickt.  Ein  Jahr  später  gebar  er,  von 
einem  Affen  seiner  Spezies  belegt,  auf  normale  Weise  lebende  Junge. 

Was  die  Sectio  caesarea  bei  Placenta  praevia  betraf,  so  besprach 
K.  ausführlicher  die  Anregung  amerikanischer  Autoren.  Er  selbst 
ist  ein  Gegner  dieser  Idee.  Er  hat  nach  seiner  Statistik  75— 80°/0 
lebende  Kinder  und  0,6  °/0  tote  Mütter,  im  Gegensätze  zu  den  ameri¬ 
kanischen  Statistiken  von  86°/0  toter  Kinder  und  20°/0  toter  Mütter. 
Er  hat  diesen  Eingriff  nach  Braxton-Hicks  vollständig  fallen  ge¬ 
lassen  und  wendet  fast  ausschließlich  die  Hystereuryse  an.  Iv.  führt 
darauf  seine  guten  Erfolge  zurück.  —  Bei  engem  Becken  wurde  81  mal 
operiert,  und  zwar:  in  18  Fällen  bei  I  para. 

K.  steht  auf  dem  Standpunkt,  bei  engem  Becken  der  Sectio  caesarea 
vor  anderen  Operationen  den  Vorzug  zu  geben.  Die  Mortalität  der 
Mütter  nach  künstlicher  Frühgeburt  beträgt  40°/0. 


384 


Ascher,  Breslauer  Brief. 


Je  mehr  die  Erfahrungen  über  den  Kaiserschnitt  wachsen,  desto 
mehr  wird  er  angewandt  werden.  In  wiederholten  Fällen  ist  der 
Kaiserschnitt  hei  zwölf  Frauen  gemacht  worden :  bei  elf  Frauen  zwei¬ 
mal  und  bei  einer  Frau  dreimal.  Die  Befunde  der  wiederholt  Lapa- 
ratomierten  boten  insofern  großes  Interesse,  als  die  vor  dem  Jahre 
1900,  also  vor  Einführung  der  Gummihandschuhe,  operierten  Frauen 
starke  bindegewebige  Adhäsionen  in  Abdomine  aufzirweisen  hatten. 
Bei  den  andern  war  dieses  nur  ‘in  ganz  geringem  Maße  der  Fall. 
Bei  Frauen,  die  außerhalb  der  Klinik  untersucht  wurden,  oder  denen 
schon  vor  längerer  Zeit  das  Fruchtwasser  abgelaufen  ist,  lehnt  K. 
den  Kaiserschnitt  ab. 

Am  Schlüsse  seiner  Ausführung  kommt  K.  kurz  auf  die  von 
Frank  und  Seil  heim  angegebenen  extraperitonealen  Kaiserschnitt¬ 
modifikationen  zu  sprechen.  Nach  Seilheim  hat  er  in  zwei  Fällen 
gute  Resultate  erzielt,  die  Frank’sche  Modifikation  ist  ihm  bei  einer 
Operation  nicht  geglückt.  K.  hält  diese  Methoden  bei  weiterem  Ausbau 
unbedingt  für  einen  Fortschritt. 

In  der  Diskussion  rät  Rosenfeld  beim  Kaiserschnitt  an  Mori¬ 
bunden  einen  Versuch  mit  dem  Gärtner’schen  Sauerstoffapparat  zu 
machen,  der  durch  Zuführung  von  Sauerstoff  in  eine  Vene  das  Kind 
vor  dem  Tode  durch  Kohlensäureüberschuß  im  mütterlichen  Blute 
retten  soll.  Baumm  hat  in  den  letzten  l1/2  Jahren  nach  der  Frank¬ 
schein  Methode  25  Fälle  mittels  zervikalen  Kaiserschnittes  operiert 
und  nur  einen  Exitus  erlebt.  Im  großen  Ganzen  ist  Vortragender 
vorsichtig  bei  stinkendem  Fruchtwasser,  bei  Verdacht  auf  häufige 
Untersuchungen  und  bei  abgeflossenem  Fruchtwasser.  Die  wirkliche 
extraperitoneale  Operation  hält  Vortragender  für  nicht  durchführbar, 
weil  er  bis  auf  einen  Fall  das  Peritoneum  immer  verletzt  hat.  Um 
ein  abschließendes  Urteil  zu  fällen,  bedarf  es  der  Erfahrung  betreffs 
der  Dauerresultate,  besonders  bei  wiederholten  Geburten.  In  der  Technik 
der  Operation  hat  er  eine  Modifikation  insofern  angewandt,  als  er 
statt  des  angegebenen  Querschnittes  einen  Längsschnitt  oberhalb  der 
Symphyse  macht,  er  durchschneidet  dann  das  parietale  und  uterine  Blatt 
des  Peritoneums  in  querer  Richtung  in  10  cm  Ausdehnung.  Dann 
wird  das  Peritoneum  miteinander  vernäht  und  der  Uterus  eröffnet. 
Je  nach  Lage  der  Situation  geschieht  das  in  querer  oder  Längsrichtung. 
Ist  der  Verdacht  einer  Infektion  vorhanden,  so  wird  nach  außen  hin 
drainiert,  sonst  wird  die  primäre  Naht  angeschlossen. 

Asch  polemisiert  gegen  die  Benennung  „vaginaler  Kaiserschnitt“, 
die  nur  zu  Irrtümern  Anlaß  gibt,  außerdem  glaubt  er  doch  dem  fun- 
dalen  transperitonealen  Kaiserschnitt  wegen  Weiterstellung  der  Indi¬ 
kationen  den  Vorzug  geben  zu  -können.  Bei  engem  Becken  zieht  er 
fast  unter  allen  Umständen  die  künstliche  Frühgeburt  vor.  Er  wendet 
mit  Vorliebe  das  Bougie  an.  Die  Chance  für  Mutter  und  Kind  ist 
gut.  Besonders  das  letztere  ist  lange  nicht  so  gefährdet  wie  man 
annimmt.  Nach  der  Jacobi’schen  Statistik  der  Meermann’schen 
Klinik  sind  in  228  Fällen  nur  6°/0  toter  Mütter  zu  verzeichnen.  65% 
der  Kinder  sind  am  Leben  geblieben.  Bei  Eklampsie  ist  der  Kaiser¬ 
schnitt  deshalb  anzuraten,  weil  er  die  gefährlichen  Wehen  beseitigt. 
Um  eine  Sterilisierung  zwecks  Verhütung  einer  neuen  Gravidität  zu 
erzielen,  durchtrennt  Vortragender  die  Tube  und  vernäht  das  uterine 
Tubenende  im  Peritoneum. 


Vorläufige  Mitteilungen  und  Autoreferate. 


385 


Im  Schlußwort  erklärt  K„  auf  die  Anregung  ßo senfe ld’s  eingehen 
zu  wollen  und  die  Methode  in  künftigen  Fällen  zu  erproben.  Er 
erklärt  sich  mit  der  Polemik  Asch’s  gegen  die  ungenaue  Benennung 
„vaginaler  Kaiserschnitt“  vollständig  einverstanden.  Gleichzeitig  billigt 
er  das  Verfahren  der  Einleitung  einer  künstlichen  Frühgeburt,  doch 
bevorzugt  er  die  Kolpeuryse.  Er  warnt  vor  allzu  großem  Eifer  in 
der  Indikationsstellung  für  die  neue  Methode  des  Kaiserschnittes.  Er 
selbst  hat  gute  Erfolge  bei  Kreißenden  mit  stinkendem  Fruchtwasser 
gehabt,  (doch  muß  man  sie  extraperitoneal  operieren.  Er  selbst  hält 
die  Ablösung  des  Peritoneum  von  der  Gebärmutter  für  keine  Unmög¬ 
lichkeit.  Man  muß  sich  links  seitwärts  von  der  leicht  emporgehobenen 
Zervix  an  die  Ablösung  des  Peritoneums  machen,  weil  die  meisten 
Uteri  dextrovertiert  sind.  Auf  diese  Weise  läßt  sich  das  Bauchfell 
leicht  in  toto  ablösen. 

Am  22.  Januar  fand  in  der  „Schlesischen  Gesellschaft“  ein  klini¬ 
scher  Abend  statt. 

Harttung  demonstriert  einige  Fälle  von  ausgeheilter  Spät- 
sjT'philis.  Vortragender  ist  der  Meinung,  daß  im  Primärstadium  der 
Lues  die  Gelenkerkrankung  auf  Invasion  der  Spirochaeta  pallida  und 
nicht  auf  Allgemeinintoxikation  zurückzuführen  ist.  Auf  Quecksilber 
tritt  entzündliche  Reaktion  ein.  Im  sekundären  Stadium  tritt  die 
Affektion.  multilokulär  auf  und  immer  an  symmetrischen  Gelenken. 
Demonstration  eines  Patienten  mit  ausgeheilter  doppelseitiger  Knie¬ 
gelenksentzündung.  Bei  Lues  hereditaria  hat  H.  häufig  Spondylitiden 
und  Koxitiden  gesehen. 

In  der  sich  anschließenden  Diskussion  demonstriert  Levy  die 
Röntgenbilder  einer  multiplen  syphilitischen  Gelenkerkrankung 
aus  der  Königlichen  Klinik.  Er  hält  die  Gelenkschwellungen  der 
Tabiker  und  hauptsächlich  die  leichten  Arthropathien  für  syphilitischer 
Natur. 

Fräulein  Dr.  Bieber  demonstrierte  die  Präparate  eines  Cysti¬ 
cercus  und  Echinokokkus  des  Gehirns. 

Neißer  stellte  einen  Fall  von  Leukämie  vor  mit  Kombinations¬ 
erkrankung  des  Zentralnervensystems.  Milztumor,  keine  Drüsenschwel¬ 
lungen.  Gleichmäßige  Ataxie  beider  Beine,  Babinski  positiv.  Fehlen 
des  Patellarreflexes.  Parese  der  Adduktoren,  der  Ileopsoas,  Quadriceps, 
Sensibilitätsstörungen  am  Oberschenkel. 

Fo  er  st  er  stellte  die  Nervendiagnose,  daß  es  sich  um  eine  lokali¬ 
sierte  Erkrankung  des  Lendenmarks,  wahrscheinlich  Gefäß  Verlegung 
infolge  Obturation  der  Arteria  lumbalis  durch  Arteriosklerose  handelt. 


Vorläufige  Mitteilungen  u.  Autoreferate. 

Erkennung  und  Behandlung  der  Erkrankungen  des  Pankreas. 

Von  Karl  Walko. 

(Vortrag  im  Verein  deutscher  Arzte  in  Prag  am  19.  Februar  1909.) 

Nach  einem  kurzen  Hinweis  auf  die  Begleiterscheinungen  der 
Pankreasaffektionen,  so  Magen-Darmkatarrhe,  Störungen  der  Sekretion 
und  Motilität  des  Magens,  Duodenalstenosen,  -geschwüre  und  Darm¬ 
blutungen,  Gallengangsverschluß  und  Cholelithiasis  werden  sämtliche 
Methoden  besprochen,  die  eine  Erkennung  der  Funktionsstörungen  der 

25 


386 


Vorläufige  Mitteilungen  und  Autoreferate. 


Bauchspeicheldrüse  ermöglichen :  die  Bestimmung  der  Resorptionsgröße, 
der  qualitative  Nachweis  der  Störungen  der  Fett-  und  Eiweiß  Verdau¬ 
ung,  die  alimentäre  Steatorrhöe,  spontane  und  alimentäre  Glykosurie, 
der  Nachweis  der  Fermente  des  Pankreas,  die  Schmidt’sche  Nuklein¬ 
verdauungsprobe,  die  Cammidge’sche  Reaktion  usw.  Die  interne,  Nament¬ 
lich  die  diätetische  und  medikamenteile  Therapie  gründet  sich  auf 
die  Kenntnis  der  normalen  physiologischen  Vorgänge  der  Saftsekretion 
des  Pankreas  und  ihrer  Beeinflussung  durch  psychische  Erregung,  durch 
Vermittlung  der  Salzsäure  des  Magens,  durch  den  spezifischen  Reiz 
der  Nahrungsmittel  und  durch  sekretionsbefördernde  und  hemmende 
Mittel.  Ein  therapeutischer  Versuch  einer  Steigerung  der  meist  sehr 
niedrigen  Salzsäurewerte  des  Magens,  Verabreichung  von  Salzsäure 
selbst  hatte  keinen  deutlichen  Erfolg.  Zur  Ruhigstellung  und  Ent¬ 
lastung  des  sezernierenden  Parenchyms  der  meist  geschwollenen,  ent¬ 
zündlich  hyperämischen  Drüse  empfiehlt  sich  eine  möglichst  einfache 
Kostform  wie  bei  entzündlichen  Magen-Darmaffektionen,  namentlich 
aber  als  Schonungsdiät  eine  leicht  verdauliche  Fleischfettkost.  Zur 
Erreichung  der  Ruhigstellung  des  erkrankten  Pankreas  dienen  weiter 
länger  dauernde  körperliche  Ruhe,  heiße  Umschläge,  Trinkkuren  mit 
alkalischen  und  glaubersalzhaltigen  Quellen  und  Regelung  des  Stuhles. 
Sehr  günstig  wirkt  in  vielen  Fällen  eine  antiluetische  Behandlung 
und  die  Substitutionstherapie  mit  Pankreon.  Eine  interne  Behandlung 
ist  nur  bei  chronischen  nicht  komplizierten  Fällen  aussichtsreich,  akute 
Erkrankungen  des  Pankreas,  schwere  Schädigungen  der  benachbarten 
Organe,  Gallengangsverschluß,  langdauernde  Schmerzen,  zunehmende 
Abmagerung  und  Kachexie  erfordern  rechtzeitig  einen  chirurgischen 
Eingriff.  Autoreferat. 


Seltene  Spaltbildung  der  Hand  und  angeborene  Fingergelenksankylosen. 

Von  Privatdozent  Dr.  Hilgen  reiner. 

(Nach  einem  Vortrag  in  der  Wissenschaftlichen  Gesellschaft  deutscher  Ärzte  in 

Böhmen  am  12.  Februar  1909.) 

Bei  einer  25  jährigen  Wöchnerin  findet  sich  der  fünfte  Mittelhand¬ 
knochen  der  rechten  Hand  bis  zur  Handwurzel  abgespalten  und  stark 
ufnarwärts  abduziert,  so  daß  er  fast  rechtwinklig  zur  Längsachse  der 
Hand  gestellt  erscheint.  Der  dazugehörige  Kleinfinger  verläuft  nicht 
in  der  Richtung  des  Metakarpus,  sondern  zeigt  eine  starke  radiale 
Ablenkung,  wodurch  er  fast  parallel  zu  den  übrigen  Fingern  zu  stehen 
kommt.  Er  erscheint  dabei  spindelförmig  ohne  jedwede  Gliederung, 
ohne  Gelenkfalten,  die  beiden  Interphalangealgelenke  sind  ankylotisch, 
das  Nagelglied  mangelhaft  entwickelt.  An  der  linken  Hand  findet  sich 
ebenfalls  eine  Ankylose  des  ersten  Interphalangealgelenkes  des  Klein¬ 
fingers  und  ebenso  an  beiden  Händen  des  Kindes,  bei  welchem  sich 
überdies  an  der  linken  Hand  ein  überzähliger  Kleinfinger  in  Form 
eines  zweigliedrigen  Appendix  vorfindet.  Die  aufgenommenen  Röntgen¬ 
bilder  lassen  die  Ankylosen  im  ersten  Interphalangealgelenke  des  fünften 
Fingers  beiderseits,  und  zwar  .sowohl  bei  der  Mutter  wie  beim  Kinde 
als  bindegewebige  und  nur  die  Ankylose  im  zweiten  Interphalangeal¬ 
gelenke  des  rechten  Kleinfingers  der  Mutter  als  knöchern  ansprechen. 

Autoreferat, 


Vorläufige  Mitteilungen  und  Autoreferate. 


387 


Aus  dem  Zander-Institut  der  Ortskrankenkasse  Leipzig. 

Leit.  Arzt  Dr.  Lilienfeld,  Spezialarzt  für  orthop.  Chirurgie. 

L.  stellt  am  9.  Februar  1909  in  der  medizinischen  Gesellschaft  zu 
Leipzig  einen  11  jährigen  Knaben  vor  mit  „Hochstand  des;  linken  Schulter¬ 
blattes,  bedingt  durch  hysterische  Kontraktur  der  M.  M.  rhomboidei“. 
Anamnestisch  gab  die  Mutter  an,  daß  der  Junge  immer  etwas  schwäch¬ 
lich  gewesen  sei,  an  Kopfschmerzen  leide  und  „sehr  nervös  sei“,  sie 
selbst  leide  an  schweren  Gesichtsneuralgien  mit  Muskelzuckungen. 
Seine  jetzige  Affektion  wurde  bei  dem  Knaben  zuerst  von  der  Mutter 
vor  14  Tagen  bemerkt,  ohne  daß  eine  äußere  Veranlassung  vorhanden 
war.  Die  Höhendifferenz  der  unteren  Schulterblattwinkel  beträgt  6  cm, 
ihre  Entfernung  von  der  Dornfortsatzlinie  links  5  cm,  rechts  10  cm. 
Der  untere  Winkel  schwebt  in  der  Luft  und  droht  die  Haut  zu  durch¬ 
bohren,  das  ganze  Schulterblatt  ist  nach  oben  und  vorne  umgekippt. 
Zum  Unterschied  von  dem  angeborenen  Hochstand  der  sogenannten 
„SprengeUschen  Deformität“  bestehen  keine  Muskeldefekte,  keine 
Kyphose,  kein  Ausfall  der  Oberarmfunktion  und  vor  allem  keine  Fixa¬ 
tion.  Durch  Annäherung  des  Schulterblattes  an  die  Wirbelsäule  und 
durch  Herabdrücken  gelingt  es,  den  Muskelkrampf,  um  den  es  sich 
hier  handelt,  zu  lösen,  aber  nur  auf'  einen  Moment,  dann  sieht  man  neben 
dem  inneren  Fände  des  Schulterblattes  eine  Wellenbewegung  unter 
der  Haut  und  mit  einem  Kuck  tritt  der  Hochstand  wieder  ein.  Durch 
verschiedene  Manipulationen  mit  dem  Knaben,  dessen  Armfunktion  nach 
allen  Kichtungen  vollständig  intakt  ist,  schließt  L.  eine  etwa  vorhandene 
Serratuslähmung  aus  und  beweist  per  exclusionem,  daß  es  sich  hier 
nur  um  einen  Muskelkrampf  der  M.  M.  rhomboidei  handeln  kann. 
L.  zeigt  im  Anschluß  hieran  die  Photographie  eines  schweren  Caput 
obstipum  dextrum  mit  Sdoliosis  convexa  dextra  dorsalis  auch  auf 
nervöser  Grundlage  bei  einem  fünfjährigen  Knaben,  den  er  nach  drei¬ 
wöchentlicher  Behandlung,  nachdem  die  Affektion  im  ganzen  sechs 
Wochen  bestanden  hatte,  vollständig  geheilt  hat.  Er  stellt  infolge¬ 
dessen  die  Prognose  im  vorliegenden  Fall  nicht  ungünstig,  warnt  aber 
vor  jedem  brüsken  Vorgehen  bei  der  Behandlung  und  glaubt  im  Hin¬ 
blick  auf  diese  Fälle,  daß  man  in  ursächlicher  Beziehung  bei  gewissen 
Deformitäten  eine  größere  Bedeutung  der  Muskelwirkung  zuschreiben 
muß,  als  bisher  geschehen  ist.  •  Autoreferat. 


Dementia  paralytica  (Lues  Zerebrospinalis?)  in  der  Gravidität. 

(Zur  Kenntnis  der  Krämpfe  in  der  Gravidität.) 

Von  E.  Meyer. 

(Vortrag,  gehalten  in  der  gynäkologischen  Gesellschaft  für  Ost-  und  Westpreußen.) 

Bei  einer  36  jährigen  Frau,  bei  der  bis  dahin  nichts  Krankhaftes 
bemerkt  war,  traten  im  vierten  Monat  der  zweiten  Gravidität  Krämpfe 
im  ganzen  Körper  mit  langanhaltender  Bewußtlosigkeit  auf,  gleichzeitig 
wurde  viel  Eiweiß  im  Urin  konstatiert.  Daraufhin  künstlicher  Abort, 
keine  Anfälle  in  der  nächsten  Zeit,  Eiweiß  blieb  im  Urin  nachweis¬ 
bar.  Seitdem  leicht  erregbar,  zuweilen  verkehrte  Keden. 

September  und  November  1908  wieder  epileptiforme  Anfälle,  seit 
der  Zeit  zunehmende  Schwäche  der  gesamten  Geisteskräfte.  Ende 
Dezember  1908  (klinische  Beobachtung):  Differente,  fast  lichtstarre 
Pupillen,  artikulatorische  Sprachstörung,  Schwäche  im  rechten  VII 

25* 


388 


Vorläufige  Mitteilungen  und  Autoreferate. 


und  XII,  Kniephänomen  links  schwach,  rechts  erloschen  usw.,  hoch¬ 
gradige  Urteils-  und  Gedächtnisschwäche.  Lymphozytose  und  patho¬ 
logischer  Eiweißgehalt  (Nonne’sche  Probe :  Phase  I  -f-)  im  Liquor 
cerebrospinalis.  Im  Urin  Eiweiß.  Genitalorgane  ohne  Veränderung. 
Augenhintergrund  frei. 

M.  führt  aus,  daß  das  gleichzeitige  Auftreten  von  epileptiformen 
Krämpfen  und  Eiweißbefund  im  Urin  bei  einer  bisher  gesunden  Frau 
nichts  anderes  als  Eklampsie  vermuten  lassen  konnte.  Jetzt  handelt 
es  sich  mit  Bestimmtheit  auf  Grund  der  somatischen  wie  psychischen 
Symptome  um  progressive  Paralyse,  höchstens  könnte  man  noch  an 
Lues  cerebrospinalis  denken.  Für  ein  mit  Eklampsie  in  Zusammenhang 
stehendes  Gehirnleiden  oder  für  einen  Tumor  cerebri,  etwa  als  Metastase 
von  einer  Geschwulst  der  Genitalorgane,  fand  sich  kein  Anhaltspunkt. 

So  täuschte  hier  der  die  Paralyse  einleitende  Anfall  einen  eklamp- 
tischen  vor.  Daß  Paralyse  und  Eklampsie  nebeneinander  bestehen, 
ist  gezwungen  anzunehmen,  es  haben  wohl  die  Zirkulations-  und  Stoff¬ 
wechseländerungen  der  Gravidität  die  latente  Paralyse  zur  Entwick¬ 
lung  gebracht,  neben  der  ein  Nierenleiden  besteht. 

M.  bemerkt  zum  Schluß,  daß  an  und  für  sich  eine  Paralyse  weder 
das  Zustandekommen  noch  den  regelrechten  Ablauf  der  Gravidität 
zu  hindern  braucht.  Autoreferat. 


Nasale  Ursachen  und  Behandlung  der  Erkrankungen  der  Tränenwege 

und  der  Bindehaut. 

Von  Arthur  Meyer.  (Zeitsclir.  für  Augenheilk.,  Bd.  21,  H.  2.) 

Verf.  hat  mehrere  hundert  Fälle  auf  das  Vorhandensein  nasaler 
Erkrankungen  untersucht  und  meist  eine  für  das  Auge  erhebliche 
Affektion  gefunden.  Er  teilt  die  Fälle  in  vier  Gruppen,  deren  erste 
diejenigen  mit  negativem  Nasenbefund,  ungefähr  10— 15°/0  von 
allen  umfaßt.  Bei  der  zweiten  Gruppe  liegt  infolge  raumbeschrän¬ 
kender  Momente  im  unteren  Nasengang,  Deformationen  des  Septum, 
Anliegen  der  Muschel,  Hypertrophie,  eine  rein  mechanische  Hem¬ 
mung  des  Thränenabf lusses  vor;  hierher  gehört  ungefähr  die  Hälfte 
der  Fälle  von  Epiphora,  Die  dritte  Gruppe  umfaßt  eitrige  und 
entzündliche  Zustände  der  Nase,  des  Nasenrachens  und  der  Neben¬ 
höhlen,  welche  auf  verschiedene  Art  Entzündungen  oder  Geschwüre 
des  Tränenschlauchs,  der  Konjunktiva,  Kornea  und  der  Lider  verursachen 
oder  unterhalten ;  namentlich  die  adenoiden  Vegetationen,  die  Ozäna,  die 
Nebenhöhleneiterungen  sind  wichtig  für  die  Ätiologie  der  Augenleiden. 
Die  vierte  Gruppe  umfaßt  spezifisch  infektiöse  Prozesse,  welche 
durch  den  Tränenschlauch  kontinuierlich  aufwärts  kriechen ;  bei  weitem 
am  wichtigsten  ist  hier  der  Lupus  der  Nasenschleimhaut. 

Therapeutisch  hat  der  Bhinologe  bei  der  zweiten  Gruppe  die 
Aufgabe,  den  unteren  Nasengang  wegsam  zu  machen,  durch  Umknickung 
der  Muschel,  Korrektur  der  Stellung  des  Septum,  Abtragung  von  Hyper¬ 
trophien.  Bei  der  dritten  und  vierten  Gruppe  ist  das  Nasenleiden  mög¬ 
lichst  zu  beseitigen,  oder  wo  das  nicht  angängig  (z.  B.  Ozäna),  die 
Nase  von  Sekreten  und  Krusten  rein  zu  halten.  Daneben  muß  bei  der 
dritten  und  vierten  Gruppe  die  augenärztliche  Therapie  gehen,  die 
von  den  gleichzeitigen  nasalen  Eingriffen  ziemlich  unabhängig  ist.  — 
Endlich  werden  einige  neuere  Bestrebungen,  von  der  Nase  'aus  direkt 


Referate  und  Besprechungen. 


389 


auf  den  Tränenkanal  einzuwirken,  besprochen ;  so  die  retrograde  Son¬ 
dierung,  die  permanente  Drainage  der  Tränenwege  mittelst  Seidenfaden 
(Ko  st  er  und  Kan),  die  „Dakryozystorhinostomie“  von  Toti,  die  intra- 
nasalen  Methoden  der  Eröffnung  des  Tränensacks  (Killian,  Passow, 
Oku  new).  All  diesen  Versuchen  haften  schwere  Nachteile  an,  so  daß 
die  Tätigkeit  des  Rhinologen  sich  im  allgemeinen  auf  die  Behandlung 
des  auslösenden  Nasenleidens  beschränkt.  Autoreferat. 


Referate  und  Besprechungen. 

Bakteriologie  und  Serologie. 

Ueber  Immunisierungsversuche  gegen  Tuberkulose  und  Perlsucht. 

(Sammelref  erat.*) 

Als  Versuchstiere  dienten  Meerschweinchen  und  Kaninchen,  die  durch- 
„weg  gesunden  Zuchten  entstammten.  Als  Immunisierungsmaterial  verwandten 
Verfasser 

1.  Tuberkelbazillen  aus  Kultur,  die  längere  Zeit  bei  37°  in  Organen  ge¬ 
sunder  Tiere  gehalten  worden  waren.  In  den  Organen  gelangten  die  Tuberkel¬ 
bazillen  in  den  Organstückchen  eingeschlossen  zur  subkutanen  Verimpfung. 

2.  Tuberkelbazillen  aus  Kultur,  die  lange  bei  37°  in  Lymphdrüsen- 
dekokten  suspendiert  gehalten;  dann  wurden  von  diesen  Mischungen  bakterien¬ 
freie  Filtrate  hergestellt,  die  zu  Immunisierungsversuchen  benutzt  werden. 

3.  Tuberkelbazillen  in  solchen  Filtraten,  die  längere  Zeit  bei  37°  gehalten 
wurden  und  diese  Mischungen  einmal  oder  wiederholt  verimpft. 

Solche  vorbehandelte  Tiere  nennen  die  Verfasser  die  ,, Immuntiere 
Die  Tiere  entwickelten  sich  gut  weiter,  lie'ßen  aber  durchweg  lymphatische 
Hyperplasien  erkennen.  Sehr  selten  trat  Marasmus  mit  brauner  Atrophie 
der  Organe  auf.  Organstücke  solcher  Tiere  auf  gesunde  überimpft,  ließen 
diese  frei  von  manifester  Tuberkulose.  Daneben  hatten  Verfasser  auch  Kon- 
trolltiere. 

Als  virulentes  Material  benutzten  sie 

1.  Kulturbazillen. 

2.  Tuberkulöse  Meerschweinchenorgane. 

3.  Tuberkelbazillen  aus  Kulturen,  die  längere  Zeit  bei  37°  in  sauren  und 
alkalischen  Lymphdrüsendekokten  gehalten  worden  waren. 

Bei  der  Bereitung  des  Immunisierungsmaterials,  wie  zur  virulenten 
Infektion,  wurden  Bazillen  des  Typus  humanus  oder  bovinus  in  wechselnder 
Kombination  verwendet. 

Aus  den  angeführten  Versuchsprotokollen  geht  hervor:  Einmal  immuni¬ 
sierte  Tiere,  die  später  mit  Kulturaufschwemmungen  virulenter  Tuberkel¬ 
bazillen  infiziert  wurden,  zeigten  ein  ungestörtes  Befinden ;  Obduktion 
(141  Tage  t)  ergab  verkäste  Lymphdrüsen,  Miliartuberkulose  von  Milz  und 
Leber,  chronische  Tuberkulose  der  Lungen  mit  Kavernen.  Die  Kontrolltiere 
starben  am  79.  und  71.  Tage  nach  der  Infektion  an  hochgradiger  Tuberkulose.  — 
Zweimalige  subkutane  Immunisierung  mit  bakterienfreien  Filtraten, 
Filtratstoffe  aus  Immunsierungsmaterial  und  virulenter  Kulturaufschwemmung 
ergaben :  Tod  des  Immuntieres  am  58.  Tage  an  Lungen-,  Leber-,  Milztuber¬ 
kulose;  die  Kontrolltiere  verendeten  am  48.  Tage.  Obduktion  ergab:  Impf- 


*)  Zu  diesem  Referate  wurden  benutzt: 

1.  Arbeiten  von  Regner  und  Stenström:  „Versuche  mit  v.  Behring’s 
Bovovacein“. 

2.  Arbeiten  von  Bartel  und  Härtel  und  Bärtel  und  Neumann: 
„Immunisierungsversuche  gegen  Tuberkulose  und  Perlsuchtt.  (Zentralbl.  f. 
Bakt.  Bd.  48.  H.  5.) 


390 


Referate  und  Besprechungen. 


tuberkulöse  mit  allgemeiner  Ausbreitung.  Bei  subkutan  immunisierten  Tieren 
mit  späterer  virulenter  intraperitonealer  Infektion  mit  tuberkulösen  Meer¬ 
schweinchenorganen  war  das  Ergebnis  folgendes : 


Tod  des  Immuntieres: 
am  26.  Tage 
„  48. 


*  US-  „ 

n  23.  „ 

*  54.  „ 

66. 

*  48.  „ 

*  18-  „ 


in  Mittel  61,5.  Tage 


Tod  des  Kontrolltieres : 
am  122.  Tage 
„  8. 


«  54.  „ 

«  74.  „ 

A  63.  „ 

A  52.  „ 

7. 


resp.  35.  Tage. 


Obduktion  der  Immuntiere  und  der  Kontrolltiere  ergab  stets  Tuberkulose  der 
Organe. 

Immunisierungsversuche  mit  nachfolgender  subkutaner  resp.  intraperi¬ 
tonealer  virulenter  Infektion  mit  tuberkulösen  Meerschweinehenorganen  er¬ 
gaben  folgendes  Verhalten  der  Tiere  nach  ihrer  Lebensdauer  im  Verhältnis 
zum  Kontrolltier : 

Beim  Immuntier  im  Mittel  88  Tage,  beim  Kontrolltier  58  Tage. 

Gleichzeitige  intraperitoneale  Einverleibung  tuberkelbazillenfreier 
Filtratstoffe  aus  Immunisierungsmaterial  und  virulenter |Kultur auf schwemmung, 
ergab:  ein  Verhalten  der  Versuchstiere  nach  ihrer  Lebensdauer  im  Ver¬ 
hältnis  zum  entsprechenden  Kontrolltier  im  Mittel  beim  J.  M.  59,5,  beim 
Kontrolltier  88  Tage.  —  Dann  haben  Verfasser  Immunisierungsversuche  mit 
bakterienfreien  Filtraten  mit  längerer  Zeit  in  denselben  suspendiert  gehaltenen 
Tuberkelbazillen  mit  nachfolgender  intraperitonealer  Infektion  mit  Tuberkel¬ 
bazillen  aus  Kultur,  die  längere  Zeit  in  Lymphdrüsendekokten  suspendiert  ge¬ 
halten  waren,  angestellt. 


Tod  der  Kontrolltiere:  der  Immuntiere: 

am  27.  Tage  am  86.  Tage 

A  82.  „  „  101.  „ 

A  76.  „  fl  55.  A 

Die  Obduktion  ergab  stets  Tuberkulose  der  Organe. 

Noch  eine  Versuchsreihe  wurde  angestellt  : 

Nach  Immunisierung  mit  tuberkelbazillenhaltigem  Material  und  nach¬ 
folgender  intraperitonealer  Infektion  mit  Perlsuchtbazillen  aus  Kultur 
zeigte  sich: 

Kontrolltier:  Immuntier: 

am  131.  Tage  am  155.  Tage  (Keine  Tb.) 

nach  9  Mon.  getötet  9  Monate 

Keine  Tb. 

188.  Tage:  getötet:  Keine  Tb. 

Welches  waren  die  pathologischen  Befunde  der  Immuntiere? 

Zirrhose  der  Leber  mit  Milztumor  und  Aszites;  chronische  Tuberkulose 
von  Bronchiallymphclrüsen  und  Lungen  mit  Kavernenbildung;  isolierte  chro¬ 
nische  Tuberkulose  der  Lungen,  Neigung  der  rechten  Lunge  zu  tuberkulösen 
Erkrankungen ;  Freibleiben  des  Immuntieres  von  Tuberkulose,  wo  das  Kontroll¬ 
tier  der  Tuberkulose  erliegt. 

Die  Immuntiere  verendeten  also  zum  Teil  früher,  zum  Teil  später  wie 
die  Kou  troll tiere.  Verfasser  kommen  zu  dem  Schlüsse,  daß  bei  ihren  Immun¬ 
tieren  V  orgänge  und  Zustände  einer  Immunität  gegen  Tuberkulose  ausgelöst 
wurden. 

Sie  betrachten  es  als  erwiesen,  „daß  es  gelingt,  eine  bestimmte  Beein¬ 
flussung  von  Tuberkelbazillen  durch  Organgewebe,  speziell  lymphozytärer 
Natur,  zum.  Ausgangspunkt  eines  erfolgreichen  spezifischen  Immunisierungs¬ 
verfahrens  zu  machen“. 


Referate  und  Besprechungen. 


391 


In  der  gleichen  Art  wurden  Versuche  mit  Perlsucht  angestellt: 

Zur  virulenten  Infektion  wurden  Aufschwemmungen  von  Perlsucht¬ 
bazillen  verwendet.  Es  folgen  einige  Versuche. 

Ein  Kontrolltier  starb  am  34.  Tage  nach  der  Infektion.  Immuntier  am 
84.  Tage  getötet. 

oder:  Kontrolltier  starb  am  61.  Tage.  Immuntier  am  77.  Tage  gestorben 

n  „  „  „  121.  „  *  „  201.  „  getötet. 

Bei  allen  Tieren  ergab  der  Obduktionsbefund  jedoch  Tuberkulose  der 
inneren  Organe. 

Die  Ergebnisse  fassen  Verfasser  dahin: 

Die  Lungen,  die  bei  normalen  Kaninchen  schon  zur  Tuberkulose  neigen, 
sehen  sie  auf  metastatischem  Wege,  vorwiegend  oder  auch  isoliert  manifest 
tuberkulös  erkrankt,  wo  die  Eintrittspforten  und  deren  regionärer  lympha¬ 
tischer  Apparat  in  spezifisch  tuberkulösem  Sinne  Unverändert  gefunden  wurden. 
Auch  hier  war  Neigung  der  rechten  Lunge  zur  manifest  tuberkulösen  Er¬ 
krankung  vorhanden. 

Die  hinteren  resp.  oberen  Lungenpartien  lassen  deutlich  Lungenlymph¬ 
knötchen  hervortreten.  Auch  besteht  große  Neigung  zu  Verkalkungen.  Bei 
Verimpfungen  von  Organen  der  immunisierten,  dann  virulent  infizierten 
Kaninchen  zeigte  es  sich,  daß  die  Verimpfung  von  nicht  spezifisch  tuberkulös 
veränderten  Organen  aus  dem  Eintrittspfortenbereich  im  Meerschweinchen¬ 
versuch  ein  negatives  Resultat  ergab.  Diese  Tiere  zeigten  aber  jene  lymphatischen 
Schwellungen  und  das  Blutserum  zeigte  positive  Agglutination  auf  Tuber¬ 
kulose. 

Von  Regner  und  Steil  ström  werden  nach  der  von  Behring  ange¬ 
gebenen  Methode  mit  Bovovaccin  Versuche  an  nicht  gegen  natürliche  Tüber- 
kuloseinfektion  geschütztem  Rindvieh  angestellt. 

Das  ursprüngliche  Impfverfahren  war  folgendes :  0,001  g  einer  4  bis 
6  Wochen  alten  Serumkultur  I  (Menschentuberkerlelbazillen)  wurden  einem 
gegen  Tuberkulin  nicht  reagierenden  5 — 7  Monate  alten  Tiere  intravenös 
eingespritzt;  4  Wochen  später  erhält  das  Tier  eine  25 mal  so  große  Dosis, 
also  0,025  g  (getrockneter  Impfstoff  =  0,004  g  =  Tb  1  =  11.  E.). 

Bei  der  ersten  Impfung  dürfen  die  Tiere  nicht  über  12  Monate  alt 
und  nicht  nachweisbar  krank  sein. 

Für  die  zweite  Impfung  wird  ein  besonderes  Tuberkulosevirus  angewandt. 

Auf  einem  anderen  Gutshofe  hat  sich  unter  19  Tieren  kein  einziges 
infiziert  gezeigt.  Es  werden  die  Ursachen  zu  diesem  merkwürdigen  Verhält¬ 
nis  auf  diesem  Gute  kurz  geschildert. 

Auf  dem  Versuchsgute  VI  reagierten  50%  der  8  geimpften  Tiere,  von 
denen  nur  eins  auf!  1  I.  E.  reagiert  hatte.  Bei  einem  Tiere  (307)  scheint  das 
Bovovaccin  heilend  gewirkt  zu  haben. 

Auf  dem  Gutshofe  VIII  ist  das  Material  zu  gering,  um  es  für  be¬ 
weiskräftig  zu  halten.  Es  wurden  hier  9  Tiere  geimpft,  aber  nur  die  erste 
Impfgruppe,  sowie  2  Kontrolltiere  einer  Probe  mit  Tuberkulin  unter¬ 
zogen.  Es  reagierten  nach  1%  Jahr  von  5  Impftieren  2  nach  5  I.  E.  und 
beide  Kontrolltiere. 

Auf  dem  letzten  Gutshofe  wurden  16  Kälber  geimpft  und  15  Kontroll¬ 
tiere.  Bei  der  ersten  Impfung  zeigten  sich  wider  Erwarten  nur  7  oder 
43,8  %  ansteckungsfrei,  von  den  Konfrontieren  dagegen  12  oder  80%. 

Es  wurde  ein  reagierendes  Impftier  und  ein  Kontrolltier  wegen  des 
eigentümlichen  Ausfalles  des  Resultates  geschlachtet. 

Kontrolltier  zeigte  sich  frei  von  Tb;  beim  Impftier  fand  man  ein 
verkalktes  Konglomerat  in  einer  Mesenterialdrüse,  vereinzelte  vergrößerte 
Mesenterialdrüsen.  Impfung  bei  Meerschweinchen  mit  positivem  Resultate. 

Verf.  betrachten  dieses  paradoxe  Resultat  als  einen  Zufall.  Nur  in 
4  Fällen  hat  hier  das  Bovovaccin  eine  kurative  Wirkung  gehabt. 

Verf.  halten  die  Bovovaccination  für  eine  leicht  ausführbare  unschäd¬ 
liche  Impfmethode ;  sie  schreiben  dem  Bovovaccin  eine  therapeutische  Kraft  zu. 


892 


Referate  und  Besprechungen. 


Ob  die  Bovovaccination  mit  hygienischen  Maßregeln  befriedigende  Resultate 
gibt  oder  nicht,  werden  weitere  Versuche  dartun  müssen. 

Die  Impfmethoden  wurden  im  Laufe  der  Jahre  abgeändert.  1905  wurde 
von  Marburg  aus  bekannt  gegeben,  daß  nur  gesunde  Kälber  im  Alter 
von  2 — 12  Wochen  geimpft  werden  sollten.  Bei  septischer  Kälberpneumonie 
soll  eine  Behandlung  mit  Pneumoniegerum  vorgenommen  werden  und  4  Wochen 
darauf  sollen  die  Tiere  bovovacciniert  werden. 

Prüft  man  ein  Tier  frühestens  1  Jahr  nach  der  zweiten  Impfung  mit 
Tuberkulin  und  reagiert  es  dann,  so  kann  man  nach  Römer  mit  Sicher¬ 
heit  annehmen,  daß  eine  Lokalisation  der  Krankheit  (ein  Tuberkelherd)  vorliegt. 

Es  folgen  die  verschiedenen  Versuche  auf  den  verschiedensten  Guts¬ 
höfen. 

Auf  dem  Versuchsgute  I  haben  sich  bei  der  Obduktion  oder  bei  der 
Tuberkulinprobe  oder  bei  beiden  von  44  Impftieren  13  als  tuberkelfrei,  31  als 
tuberkulös  erwiesen. 

Unter  den  13  Fällen  sind  einige  mitgerechnet,  die  auf  1  I.  E.  reagiert 
haben.  Das  Bovovaccin  scheint  hier  eine  theraxjeutische  Wirkung  gehabt 
zu  haben. 

Kälber,  die  zweifelsohne  von  der  Tuberkulose  angesteckt  waren,  sind 
durch  das  Bovovaccin  dahin  beeinflußt  worden,  daß  sie  sich  frei  von  Tuber¬ 
kulose  bei  der  Obduktion  erwiesen. 

Auf  dem  zweiten  Gute  waren  3  auf  Tuberkulin  nicht  reagierende  und 
10  tuberkulöse  Impftiere.  Eines  der  ersteren  und  4  der  letzteren  haben  auf 
1  I.  E.  reagiert. 

Reaktionsfrei  waren  hier  33,3 °/0  der  Impftiere. 

Ein  Tier  reagierte  auf  1  I.  E.  stark,  nicht  aber  auf  Tuberkulin  ein 
Jahr  nach  5  I.  E. 

Auf  dem  Versuchsgute  III  hatte  man  17  von  der  Tuberkulose  angesteckte 
Tiere.  Ansteckungsfrei  29,2%.  Die  17  mit  Tuberkulin  geimpften  Tiere  haben 
reagiert  vor  der  Bovovaccinbehandlung ;  sie  sind  also  durch  das  Bovovaccin 
vor  der  Ansteckungsgefahr  geschützt  worden.  Schürmann  (Düsseldorf). 


Innere  Medizin. 

Über  epidemische  Meningitis. 

(Prof.  Matthes  u.  Prof.  Hochhaus.  Med.  Klinik,  Nr.  20,  1908. 

Beide  Autoren  berichten  über  ihre  gelegentlich  der  Epidemie  von  Genick¬ 
starre  im  Jahre  1907  gemachten  Beobachtungen  und  Erfahrungen.  Matthes 
hat  35  Fälle,  davon  13  gestorben,  Hochhaus  42  Fälle  (28  gestorben)  auf 
der  von  ihm  geleiteten  Krankenabteilung  beobachtet.  Hinsichtlich  der  Diagnose 
berichten  die  Autoren  übereinstimmend,  daß  die  Regel  war  ein  akuter  Beginn  oft 
mit  Frost  und  Erbrechen  und  meningitischen  Symptomen,  unter  denen  Nacken¬ 
steifigkeit,  starker  Kopfschmerz  die  häufigsten  waren,  wenn  auch  in  ihrer 
Intensität  wechselnd.  Sehr  häufig  wurde  dann  noch  von  beiden  das 
Kernig’sche  Symptom  (Kontraktion  im  Kniegelenk  bei  einer  Beugung  des 
Oberschenkels  gegen  den  Rumpf'  von  90 — 100°)  beobachtet.  Merkwürdig 
ist,  daß  Matthes  an  seinem  Material  Lähmungen  im  Fazialisgebiet  über¬ 
haupt  nicht  sah,  während  Hoch  h  aus  isolierte  Lähmungen  am  häufigsten 
im  Fazialisgebiet  beobachtete.  —  Die  Diagnose  ist  zwar  im  ganzen  meist  nicht 
schwierig;  Matthes  weist  aber  darauf  hin,  daß  sie  bei  perakutem  tödlichen 
Verlauf,  in  Fällen,  in  denen  nur  das  Bild  einer  schwersten  Infektion  mit 
Benommenheit  oder  Delirien,  ohne  daß  somatische  Zeichen  auf  das  Bestehen 
einer  Meningitis  hinweisen,  wie  sie  namentlich  bei  jüngeren  Kindern  Vor¬ 
kommen,  ohne  Spinalpunktion  vollständig  unmöglich  sein  kann.  —  Markante 
Befunde  bei  Blutuntersuchungen  wurden  von  beiden  Autoren  vermißt,  eben¬ 
sowenig  gelang  jemals  der  Nachweis  der  Meningokokken  aus  dem  Blute, 
während  deren  Nachweis  in  der  bei  der  Spinalpunktion  erhaltenen  Flüssigkeit 
meist  leicht  gelang ;  wie  überhaupt  die  Ergebnisse  der  Lumbalpunktion  die 


Referate  und  Besprechungen. 


393 


Diagnose  in  zweifelhaften  Fällen  mehrfach  leicht  entschieden.  Für  die  Er¬ 
leichterung  der  Ausführung  der  Lumbalpunktion  empfiehlt  Matthes  an 
Stelle  Anwendung  lokaler  Anästhesie  eine  ganz  leichte  Narkose.  —  Die 
Prognose  der  Krankheit  ist  mit  Sicherheit  nicht  zu  stellen.  —  Die  Behandlung 
bestand  in  heißen  Bädern,  die  in  Dauer  von  15  Minuten  und  bis  zu  40°  C 
gegeben  wurden  (M.),  und  beide  Autoren  stimmen  darin  überein,  daß  diese 
den  Kranken  subjektive  Erleichterung  brachten.  Daneben  symptomatische 
Behandlung.  Die  Spinalpunktion  war  therapeutisch  (Herabsetzung  des  Druckes) 
ohne  wesentlichen  Nutzen  (M.) ;  beide  Autoren  haben  von  der  Serumbehand¬ 
lung,  weder  bei  der  Anwendung  des  Höchster-,  noch  bei  der  Anwendung 
des  Wassermann’schen  Serums  irgendwelche  Erfolge  oder  einen  Einfluß 
auf  die  subjektiven  Beschwerden  oder  die  objektiv  feststellbaren  Symptome 
gesehen;  Matthes  berichtet  dagegen  von  einigen  zum  mindesten  unerwünsch¬ 
ten  Nebenwirkungen.  Auch  die  Anwendung  der  Bier’schen  Stauung  erwies 
sich  nach  den  Angaben  von  Matth  eis  teils  als  nutzlos,  teils  als  lästig  für 
die  Kranken.  R.  Stüve  (Osnabrück). 


Aus  dem  Karolinen-Kinderspitale  in  Wien.  Dirig.  Primararzt  Dozent  Dr.  Wilhelm 

Knöp  felmache  r. 

Über  Komplikationen  und  Serumtherapie  bei  Meningitis  cerebrospinalis 

epidemica. 

(Dr.  Stephanie  Weiß-Eder.  Med.  Klinik,  Nr.  35,  1908.) 

Weiß-Eder  berichtet  über  43  Fälle  von  Meningitis  cerebrospinalis 
epidemica,  deren  Diagnose  stets  durch  mikroskopische,  z.  T.  außerdem  noch 
kulturelle  Untersuchung  gesichert  wurde.  Das  Kindesalter  war  besonders 
befallen,  vor  allem  die  blühenden  Brustkinder.  Die  Krankheit  trat  spora¬ 
disch  auf,  ihr  Maximum  lag  in  den  Monaten  Februar  bis  Mai,  ihr  Minimum 
in  Juni,  Juli,  August.  Von  den  Komplikationen  nennt  die  Verf.  eine  Meningo- 
kokkenseptikämie,  eine  Meningokokkenendokarditis,  eine  Nervenerkrankung, 
die  in  Halbseitenlähmung  bestand  und  ihren  Grund  in  einem  encephalitischen 
Herd  haben  durfte,  ferner  kamen  Gelenkaffektionen,  Herpesausbrüche,  Otitis 
media  acuta  purulenta,  Augenmuskellähmungen,  Neuritis  optica  und  Akko¬ 
modationsparese  zur  Beobachtung.  Alle  bisher  gebräuchlichen  Behandlungs¬ 
methoden  waren  bisher  ohne  Erfolg,  nur  die  stets  angewandte  Lumbalpunktion 
zeigte  Besserung,  einen  heilenden  Einfluß  mißt  Weiß -Eder  ihr  aber  gleich 
falls  nicht  bei.  Von  den  43  Fällen  wurden  23  mit  Seruminjektionen 
behandelt  und  zwar  17  mit  dem  im  Wiener  serotherapeutischen  Institut 
hergestellten  Meningokokken-  und  sechs  mit  dem  Jochmann’schen  Serum. 
Bei  der  Technik  der  intraduralen  Injektion  ist  darauf  zu  achten,  daß  mehr 
Flüssigkeit  abgelassen  wie  injiziert  wird.  In  vier  Fällen  wurde  intradural 
und  subkutan  injiziert,  in  einem  Fall  nur  subkutan.  Je  nach  der  Schwere 
werden  die  Injektionen  bis  zu  vier  Wochen  fortgesetzt.  Von  Bedeutung  ist, 
daß  der  Erfolg  um  so  größer  ist,  je  eher  mit  der  Serumbehandlung 
begonnen  wird,  sowie,  daß  größere  Dosen  (Erwachsene  bis  zu  40  ccm) 
therapeutisch  wirksam  sind.  ‘Von  Nebenwirkungen  konnte  Weiß-Eder  nur 
in  zehn  Fällen  Serumexantheme  beobachten.  Was  nun  die  Wirkung  anbe¬ 
trifft,  so  betont  die  Verf.  von  vornherein,  daß  es  bei  der  mit  so  großen 
Schwankungen  einhergehenden  Krankheit  sehr  schwer  ist,  ein  sicheres  Urteil 
darüber  zu  gewinnen.  Nur  durch  Gegenüberstellung  von  einer  größeren  Zahl 
teils  mit,  teils  ohne  Serum  behandelter  Fälle  läßt  sich  vielleicht  ein  solches 
bilden.  Als  Maßstab  für  die  Wirksamkeit  der  Serumtherapie  hat  dabei  weniger 
das  Verhalten  der  Temperatur,  als  vor  allem  die  Betrachtung  der  Heilungs¬ 
verhältnisse  zu  gelten.  Bei  dem  Begriff  der  Heilung  sind  zwei  Ausgänge 
zu  berücksichtigen.  1.  Vollständige  Heilung,  2.  Heilung  mit  Ausgang  in 
Hyd  rocephalus.  Die  Resultate  der  Behandlung,  die  ausführlich  wiedergegeben 
sind,  sind  nun  dahin  zusammenzufässen,  daß  20  nicht  mit  Serum  be¬ 
handelte  Fälle  eine  Mortalität  von  85%  und  23  Injizierte  eine  Sterblichkeit 
von  39%  aufweisen.  Von  ersteren  gingen  fünf  Fälle  in  das  hydrocephalische 


394 


Referate  und  Besprechungen. 


Stadium  über,  von  letzteren  13.  Dabei  ist  zu  beachten,  daß  die  Kinder 
auch  nach  ihrer  Entlassung  weiter  verfolgt  wurden  und  ihr  ferneres  Ver¬ 
halten  bei  der  Aufstellung  in  Betracht  gezogen  wurde.  Bei  der  Beurteilung 
dieser  Resultate  ist  nun  einmal  auf  die  großen  Schwankungen  der  Mortalität 
in  den  verschiedenen  Epidemien,  sowie  auf  das  Alter  der  Patienten  Rück- 
nicht  zu  nehmen.  Je  jünger  die. Kinder,  desto  gefährdeter  sind  sie.  Es 
findet  sich  in  vorliegendem  Falle,  daß  auch  bei  der  Serumtherapie  meist  die 
alten  Kinder  geheilt  wurden.  Trotzdem  kommt  Weiß-Eder  zu  dem  Schluß, 
daß  sicher  ein  Einfluß  des  Serums  auf  die  Meningitis  zu  verzeichnen  ist. 

E.  Walther. 


Rapports  du  Goitre  exophthalmique  et  du  rheumatique. 

(E.  Sorel.  Arch.  med.  de  Toulouse,  Kr.  10,  1908.) 

Ätiologisch  kommen  jetzt  für  Basedow  zwei  Theorien  in  Betracht, 
die  nervöse  und  die  Thyreoideatheorie.  Die  erstere  ist  in  zwei  Lager  geteilt : 
die  einen  nehmen  als!  Ursache  eine  bulbäre  Läsion,  die  anderen  eine  Altera¬ 
tion  des  Sympathikus  an.  Hinsichtlich  der  zweiten  Theorie  stehen  sich 
folgende  Ansichten  gegenüber :  Störung  in  der  Sekretion  oder  Hypersekretion 
der  Thyreoidea  (Möbius)  oder  abnormer  Sekretion  (Jodothyrin)  mit  bulbo- 
protuberantiellen  Läsionen  als  Folge  (G  aut  hier),  oder  endlich  (Marie  und 
Briissaud)  primäre  Läsion  des  Nervensystems  und  als  Folge  Steigerung  oder 
Störung  der  Thyreoideasekretion.  Sicher  ist  von  all  diesen  Theorien  keine. 
Nun  hat  Vincent  in  der  Mehrzahl  der  schweren  oder  mittleren  Fälle  von 
fieberhaftem  Rheumatismus  ein  ,,signe  thyroidien“  festgestellt,  einer  schmerz¬ 
haften  Schwellung  der  Thyreoidea,  die  gewöhnlich  auf  Salizylmedikation 
zurückgeht.  (Chivret,  Babinsky  und  Person  haben  ja  auch  Basedow 
durch  salizylsaures  Natron  günstig  zu  beeinflussen  gesucht.)  Diese  Beobach¬ 
tung  hat  S  erg  ent  nicht  nur  bei  akutem  Rheumatismus,  sondern  auch  bei 
Typhus  bestätigt.  Er  faßt  die  Schjwellung,  ähnlich  wie  die  der  Milz  als 
Defensivmaßnahme  des  Organismus  auf.  Gewöhnlich  ist  die  Schwellung  ephe¬ 
mer,  sie  kann  aber  auch  wochenlang'  bestehen  und  nach  der  Heilung  des 
Rheumatismus  sich  ganz  allmählich  zu  einem  Basedow  weiter  entwickeln. 
In  den  Handbüchern  ist  die  Thyreoidea  -  Schwellung  wenn  überhaupt,  nur 
ganz  allgemein,  erwähnt.  Verf'.  beschreibt  nun  einen  Fall,  bei  dem  Gelenk¬ 
rheumatismus  und  Basedow  gleichzeitig  bestehen.  Vincent  hat  das  ,,signe 
thyroidien“  in  68%  beobachtet  und  zwar  geht  es  gewöhnlich  Hand  in  Hand 
mit  der  Schwere  des  Falles.  In  seltenen  Fällen  wurde  eine  plötzliche  Ver¬ 
kleinerung  der  Drüse  beobachtet,  ein  Signal  für  einen  neuen  Rheumatismus¬ 
rückfall  und  wieder  bei  anderen  Fällen  blieb  die  Schwellung  mit  ihren  Folgen 
auch  noch  nach  Schwinden  des  Rheumatismus  bestehen.  Beim  chronischen, 
deformierenden  Gelenkrheumatismus  findet  man  nach  Ansicht  der  Forscher 
stets  Insuffizienz  und  Verkleinerung  der  Thyreoidea;  Ser  gen  t  hat  in  einem 
Falle  eine  kalkige  Entartung  des  linken  Lappens  festgestellt.  Vinc'ent  hat 
sogar  der  hereditären  rheumatischen  Disposition  einen  Einfluß  auf  die  Thy¬ 
reoidea  zugeschriebem.  Den  Umstand,  daß  Rheumatismus  im  Kindesalter 
nicht  selten  ist,  wohl  aber  Basedow,  führt  er  darauf  zurück,  daß  die  Thy¬ 
reoidea  eben  erst  in  der  Pubertät  völlig  ausgebildet  ist. 

v.  Schnizer  (Danzig). 


Durchfälle  bei  Morbus  Basedow. 

(H.  Salomon  u.  M.  Almagia.  Wiener  klin.  Wochenschr.,  Nr.  24,  1908.) 

Bei  zwei  Basedowkranken,  die  an  Diarrhöen  litten,  wurde  der  Stuhl¬ 
gang  bei  bestimmter  Kost  quantitativ  untersucht.  Bei  dem  ersten  Patienten, 
einem  gewaltigen  Esser,  fand  sich  bei  reichlicher  Fettzufuhr  eine  sehr  schlechte 
Ausnutzung  des  Fettes,  sowie  auch  eine  verminderte  Stickstoffresorption,  welch 
letztere  aber  fortfiel,  sobald  der  Darm  nicht  mehr  mit  Fett  überlastet  wurde. 
Da  nicht  der  für  Pankreasinsuffizienz  charakteristische  Butterstuhl  auftrat, 


Referate  und  Besprechungen. 


395 


sondern  das  Fett  mit  dem  Ivot  innig  vermischt  war,  da  ferner  die  Pankreon- 
darreichung  keine  Wirkung  hatte,  so  beruhte  die  Verschlechterung  der  Aus¬ 
nützung  nicht  auf  einer  Störung  der  Pankreasfunktion.  Den  Beweis  hierfür 
liefert  der  zweite  Fall,  bei  dem  die  obengenannten  Kennzeichen  einer  Pankreas¬ 
affektion  vorhanden  waren :  die  Obduktion  ergab  Atrophie  der  Drüse  infolge 
Steinverschlusses  der  Ausführungsgänge.  E.  Oberndörffer. 


Noma  bei  Erwachsenen. 

(A.  Weiß.  Wiener  klin.  Wochenschr.,  Kr.  19,  1908.) 

Beschreibung  eines  tödlich  verlaufenen  Falles  bei  einer  37  jährigen  Frau. 
Von  Interesse  war  die  lange  Dauer  (9  Wochen),  die  vorwiegende  Beteiligung 
der  Mundschleimhaut  in  den  späteren  Etappen  der  Krankheit,  endlich  die 
Erhebung  eines  Blutbefundes,  der  dem  Bilde  einer  akuten  gemischtzeiligen 
Leukämie  entsprach.  Da  diese  Erscheinung  aber  erst  im  septischen  Stadium 
des  Leidens  bemerkt  wurde,  ist  nicht  zu  entscheiden,  ob  die  Blutkrankheit 
primär  oder  sekundär  war.  Die  Therapie  mußte  sich  auf  symptomatische 
Maßnahmen  beschränken.  E.  Oberndörffer. 


Therapie  der  Angina. 

(L.  Berliner.  Münch,  med.  Wochenschr.,  Nr.  13,  1908.) 

Berliner  verwendet  eine  Salbe  von  folgender  Zusammensetzung:  Pro- 
targol  1,5,  solve  in  aq.  frig.  2,5,  tere  c.  lanol.  6,0,  adde  Menthol.  0,1,  Saccharin 
0,3,  Vaselin  ad  15,0.  Diese  wird  in  die  Nase  gebracht  und  fließt  dann  mit 
dem  Sekretstrom  (bei  Katarrh)  durch  die  Choanen  hinunter.  Der  Autor  sah 
günstige  Erfolge  bei  verschiedenen  Erkrankungen  der  Mandeln,  auch  bei 
Diphtherie.  E.  Oberndörffer. 


Aus  der  Akademie  für  praktische  Medizin  in  Köln.  Innere  Abteilung.  Prof.  Hochhaus. 

Zum  Verhalten  des  Stimmfremitus  bei  kruppöser  Pneumonie. 

(Dr.  Jos.  Wolter.  Deutsche  med.  Wochenschr.,  Nr.  39,  1908.) 

Die  Behauptung  von  Arneth,  daß  im  2.  Stadium  der  kruppösen  Pneu¬ 
monie  keine  Verstärkung  des  Pektoralfremitus  vorkomme,  sondern  nur  im 
1.  und  3.,  weil  in  diesem  Stadium  bis  zu  einer  Entfernung  von  3 — 4  cm 
von  der  Lungenoberfläche  alle  Lumina  mit  Gerinnsel  ausgefüllt  seien,  und  sich 
diese  Schicht  genau  so  wie  eine  gleich  dicke  Schicht  eines  pleuritischen  Exsu¬ 
dates  in  physikalischer  Beziehung  verhalte,  hat  Wolter  an  ca.  100  Fällen, 
von  denen  er  einige  genauer  schildert,  nachgeprüft.  Seine  Erfahrungen  gehen 
dahin,  daß  das  Verhalten  des  Stimmfremitus  in  den  verschiedenen  Stadien 
ein  sehr  mannigfaltiges  ist,  daß  die  Ansicht  Arneth’s  sich  nicht  bestätigt, 
da  er  sehr  häufig  im  2.  Stadium  eine  Erhöhung  des  Pektoralfremitus  konsta¬ 
tieren  konnte.  Die  bisher  für  dieses  Phänomen  gegebenen  Erklärungen  scheinen 
ihm  allerdings  auch  nicht  sehr  haltbar.  Eine  für  alle  Fälle  brauchbare  Er¬ 
klärung  für  das  Verhalten  des  Stimmfremitus  vermag  er  aber  auch  nicht  zu 
geben,  hat  er  doch  sogar  eine  Verstärkung  desselben  bei  bestehendem  Exsudat 
beobachten  können.  F.  Walther. 


Rückwirkung  des  Lungenemphysems  auf  den  Verlauf  des  Asthmas. 

(M.  Saenger.  Münch,  med.  Wochenschr.,  Nr.  28,  1908.) 

Emphysem  kann  bei  Asthmatikern  bestehen,  ohne  daß  diese  an  Dyspnoe 
oder  Anfällen  leiden ;  hochgradige  Dyspnoe  und  zahlreiche  Attacken  kommen 
ohne  jede  Spur  von  Lungenerweiterung  vor.  Durch  Gewöhnung  (psychische 
Anpassung)  oder  durch  Kräftigung  der  Exspirationsmuskeln  (mechanische 
Anpassung)  kann  nämlich  das  Emphysem  so  kompensiert  werden,  daß  kein 
subjektiver  Luftmangel  sich  fühlbar  macht.  Außerdem  kann  man  durch 
vorwiegende  Inanspruchnahme  der  abdominalen  Atmung  die  Entstehung  des 
Emphysems  verhüten.  E.  Oberndörffer. 


396 


Referate  und  Besprechungen. 


Aus  der  ersten  medizinischen  Klinik  der  Universität  in  Wien.  Vorsteher:  Prof. 

Dr.  C.  von  Noorden. 

Zur  Frage  nach  der  Entstehung  der  Lungenblähung. 

(Dr.  Ludwig  Hofbauer.  Deutsche  med.  Wochenschr.,  Nr.  51,  1908.) 

Hofbauer  hatte  gemeinsam  mit  Holzknecht  bei  seinen  radiologischen 
Untersuchungen  feststellen  können,  daß  bei  vertiefter  Atmung  ein  Teil  der 
Inspirationsluft  noch  am  Ende  der  Ausatmung  in  der  Lunge  zurückbleibt, 
woraus  sich  bei  Fortsetzung  dieser  Vertiefung  der  Atmung  immer  mehr 
sich  ausprägender  Tiefstand  des  Zwerchfells  ergibt.  Diese  Beobachtung  glaubt 
er  für  die  Erklärung  der  Entstehung  des  Emphysem  verwerten  zu  können. 
Um  den  Einwand  Bönniger’s,  daß  nur  unwillkürliche  Atmung  beweisend 
sein  könne,  zu  begegnen,  hat  er  nun  an  bewußtlosen  Patienten  Unter¬ 
suchungen  angestellt,  dabei  sich  aber  aus  verschiedenen  Gründen  der  pneumo- 
graphisehen  Methode  bedient.  Bei  einem  42jährigen  Urämiker  mit  Cheyne- 
Stokes’schen  Atemtypus,  dessen  Krankengeschichte  er  wiedergibt,  zeigte  sich, 
daß  der  Thorax  während  der  Atemperiode  nie  wieder  in  die  Stellung  zurück¬ 
kehrt,  die  er  beim  Aussetzen  der  Atmung  inne  hatte,  daß  also  ein  Teil 
der  bei  der  vertieften  Atmung  auf  genommenen  Luft  in  der  Lunge  zurückblieb 
und  erst  beim  Nachlassen  der  vertieften  Atmung  wieder  exspiriert  wurde. 
Damit  glaubt  Hofbauer  die  Entstehung  der  Lungenblähung  durch  ver¬ 
tiefte  Atmung  bewiesen  zu  haben;  sowie,  daß  bei  jeder  Atmungsvertiefung 
die  knöchernen  Thoraxwände  und  das  Zwerchfell  dauernd  vom  Thoraxzentrum 
weiter  wegrücken  und  auch  am  Ende  der  Exspiration  davon  weiter  entfernt 
bleiben,  wie  in  der  Norm.  Außer  der  Radiograjihie  und  Pneumographie  konnte 
dies  auch  durch  die  Spirometrie  bewiesen  werden.  F.  Walther. 


Leukozytose  bei  Nephritis. 

(Renon  u.  Moncany.  Soc.  med.  des  höpit.,  15.  Jan.  1909.  —  Bull,  med.,  S.  54,  1909.) 

Bei  der  Unsicherheit  des  Urteils,  wie  eine  Nierenentzündung  verläuft, 
ist  vielleicht  die  Notiz  der  beiden  französischen  Kliniker  von  Interesse. 
Danach  wird  jede  Nephritis  von  Leukozytose  begleitet  und  zwar  ist,  wie  es 
scheint,  die  Leukozytenvermehrung  parallel  der  Schwere  der  Nephritis;  bei 
ödematösen  Formen  ist  sie  allerdings  relativ  gering. 

Wer  das  Krankheitsbild,  welches  wir  —  a  potiori  fit  denominatio  — 
Nierenentzündung  nennen,  nicht  als  isolierte  Affektion  dieses  Organs  ansieht, 
sondern  als  eine  Allg-emeinerkrankung,  die  sich  hauptsächlich  am  Nieren¬ 
gewebe  unseren  Augen  sinnfällig  darbietet,  kann  sich  ohne  große  Mühe 
einen  Zusammenhang-  zwischen  der  Nieren-  und  Leukozytenreizung  kon¬ 
struieren.  Buttersack  (Berlin). 


Nephritis  hämorrhagica  durch  Tetragenus. 

(Pincherle.  II  Morgani,  1.  Jan.  1909.  —  Bull,  med.,  S.  7,  1909.) 

Daß  der  Tetragenus  allerlei  Unheil  anrieh ten  kann,  ist  bereits,  wenn  auch 
nicht  gerade  häufig,  mitgeteilt  worden ;  daß  er  aber  auch  zu  schweren  Nieren¬ 
entzündungen  führen  kann,  dürfte  wohl  noch  nicht  beobachtet  sein.  Pincherle 
teilt  zwei  solcher  Fälle  aus  der  Kinderklinik  von  Bologna  mit,  das  eine  Mal 
handelte  es  sich  um  einen  4jährigen  Jungen,  das  andere  Mal  um  ein  11  jähriges 
Mädchen.  Die  Eingangspforten  waren  offenbar  die  Mandeln. 

Die  Keime  ließen  sich  aus  Urin  und  Blut  in  Reinkulturen  züchten  und 
gaben  mit  dem  betr.  Blutserum  die  Agglutinationsprobe. 

Beide  Fälle  endigten  in  Genesung.  Buttersack  (Berlin). 

Verhalten  der  Lymphdrüsen  bei  GelenkafFektionen. 

(E.  Plate.  Münch,  med.  Wochenschr.,  Nr.  21,  1908.) 

Plate  beobachtete  in  mehreren  Fällen  von  subakutem  (genuinem  oder 
gonorrhoischem)  Gelenkrheumatismus,  daß  unter  resorptionsbefördernder  Be¬ 
handlung  der  Gelenke  die  regionären  Drüsen  anschwollen  und  zugleich  der 


Referate  und  Besprechungen. 


397 


Zustand  der  Gelenke  eher  schlechter  als  besser  wurde.  Erst  nach  ent¬ 
sprechender  Behandlung  und  Verkleinerung  der  Drüsen  hatte  die  Therapie 
Erfolg.  Der  Autor  nimmt  an,  daß  die  aus  den  Gelenken  resorbierten  Massen 
die  Lymphwege  in  den  Drüsen  verstopft  und  so  eine  weitere  Resorption 
der  Gelenkexsudate  verhindert  hatten.  E.  Oberndörffer. 


Involutionserscheinungen  beim  Mann. 

(P.  Blum.  Gaz.  med.  de  Paris,  Nr.  26,  1908.) 

Mit  Unrecht  hält  man  das  Klimakterium  für  eine  ausschließliche  Er¬ 
scheinung  am  weiblichen  Organismus ;  auch  der  männliche  bietet  Analogien 
dazu,  die  im  wesentlichen  in  einem  Nachlaß  der  physischen  und  der  psy¬ 
chischen  Kräfte  zutage  treten.  Die  Veränderung  setzt  in  den  40er  Jahren 
ein  und  äußert  sich  in  Unlust  zur  Arbeit,  schnellem  Ermüden  der  Aufmerk¬ 
samkeit,  Abnahme  des  Gedächtnisses.  Die  Leute  wachen  mit  einem  uner¬ 
klärlichen  Gefühl  von  Verstimmtsein  auf,  und  die  frühere  Erische  und  Elasti¬ 
zität  hat  Unentschlossenheit,  Unsicherheit  Platz  gemacht,  welche  jede  Kleinig¬ 
keit  tragisch  nimmt.  Zerstreuungen  wirken  nicht  mehr;  Geselligkeit,  Theater 
usw.  vermögen  die  deprimierte  Psyche  nicht  aufzurütteln ;  die  Geschleehts- 
funktionen  sind  herabgesetzt.  An  ihrem  Heim,  ihren  Kindern  haben  solche 
Pat.  keine  Freude  mehr;  sie  suchen  die  Einsamkeit  und  geben  sich  bis 
dahin  ungewohnten  Ausschweifungen  hin. 

Die  Haut  wird  grau,  das  Gesicht  sieht  verfallen  aus,  die  Zunge  ist  be¬ 
legt,  der  Atem  übelriechend ;  es  besteht  Verstopfung,  Leberschwellung ;  der 
Urin  sieht  braunrot  aus,  ist  hochgestellt  (1025),  enthält  gelegentlich  Zucker 
oder  Eiweiß,  zeitweise  Polyurie  geht  mit  Besserung  des  Wohlbefindens  einher. 
Am  Herzen  nichts  Abnormes;  der  2.  Aortenton  nicht  verstärkt;  Pulsfrequenz: 
80—100.  Der  Blutdruck  ist  herabgesetzt,  die  Arterien  fühlen  sich  weich  an; 
die  roten  Blutkörper  sind  ungewöhnlich  zerbrechlich.  Die  physische  Kraft 
ist  herabgesetzt ;  alle  Leistungen  müssen  mit  Aufwand  von  viel  Energie 
erzwungen  werden. 

Dieser  Zustand  dauert  einige  Monate,  im  Mittel  3 — 5  Wochen;  Rezi¬ 
dive  kommen  nicht  vor. 

Von  chronischer  Nephritis,  Arteriosklerose,  Melancholie  und  der  ge¬ 
wöhnlichen  Neurasthenie  lassen  sich  diese  Zustände  leicht  abgrenzen. 

Nach  Bluni’s  Ansicht  handelt  es  sich  um  eine  allgemeine  Ernährungs¬ 
störung,  wahrscheinlich  um  Störungen  der  sog.  inneren  Sekretion,  speziell 
der  Testikel.  Demgemäß  gestaltet  sich  die  Therapie:  man  gebe  Orchitin 
oder  Thyreoidin,  Abführmittel,  Lavements,  Sol-  oder  Schwefelbäder  mit 
nachfolgender  schottischer  Dusche  und  allgemeiner  Massage;  auch  Theo¬ 
bromin,  Urotropin  und  die  Quellen  von  Contrexeville  seien  indiziert.  Die 
Prognose  ist  günstig ;  denn  der  frühere  Zustand  stellt  sich  wieder  her,  sobald 
die  innere  Sekretion  sich  ausgeglichen  hat.  Buttersack  (Berlin). 


Chirurgie. 

Zur  operativen  Behandlung  des  chronischen  Lungenabszesses. 

(Prof.  Perthes.  Arch.  für  klin.  Chir.,  Bd.  86,  H.  4,  1908.) 

Bei  dem  akuten  Lungenabszeß  genügt  meist  die  Eröffnung  und  Drai¬ 
nage  durch  die  einfache  Pneumotomie,  um  fistellose  Heilung  zu  erzielen ; 
die  Abszeßwand  fällt  spontan  zusammen  und  verödet. 

Viel  schwieriger  ist  die  Therapie  des  chronischen  Lungenabszesses, 
namentlich  was  die  Verhütung  und  Beseitigung  der  Lungenfistel  angeht: 
Die  Abszeßhöhle  ist  meist  sehr  groß,  die  Thoraxwand  recht  wenig  nach¬ 
giebig  und  die  Pleura  über  dem  Abszeß  schwielig  verdickt. 

Perthes  schlägt  vor:  Zunächst  den  Abszeß  nur  durch  Pneumotomie 
zu  eröffnen  und  zu  drainieren ;  zweckmäßig  wird  dies  nach  der  zweizeitigen 
Methode  gemacht.  Der  erste  Akt,  die  Rippenresektion  und  Pleuranaht,  er- 


398 


Referate  und  Besprechungen. 


folgt  in  Narkose  hei  leerem  Abszeß;  der  zweite  Akt,  der  wenige  Tage  darauf 
folgt,  besteht  in  der  Probepunktion  des  gefüllt  gehaltenen  Abszesses  von 
der  Wunde  aus  und  in  seiner  Eröffnung  ohne  Narkose  mit  dem  Paquelin. 

Für  die  spätere  Operation,  welche  die  Verödung  der  Abszeßhöhle  er¬ 
zielen  soll,  kommt  außer  den  bisherigen  Verfahren  die  Exstirpation  der 
gesamten  Höhlenwandung  mit  Aufheilen  von  Hautmuskellappen  direkt  auf 
die  Lungenwunde  in  Betracht,  eventl.  unter  Verzicht  auf  einen  besonderen 
Nahtverschluß  der  Bronchialöffnungen. 

Perthes  hat  in  einem  sehr  langwierigen  Fall  damit  ein  recht  gutes 
Resultat  erzielt.  Lemmen. 


Postoperative  Magen-Darmblutungen  speziell  nach  Appendizitisoperationen. 

(G.  Schwalbach,  Berlin.  Deutsche  Zeitschr.  für  Chir.,  Bd.  95,  H.  1 — 5.) 

Die  Kasuistik  der  nach  Appendizitisoperationen  eintretenden  Magendarm¬ 
blutungen  umfaßt  bisher  nur  30  Fälle,  von  denen  17  tödlich  endeten.  Von 
diesen  liegen  10  Sektionsberichte  vor.  Auffallend  ist  das  Überwiegen  des 
kindlichen  Alters  (V3  der  Fälle)  und  des  männlichen  Geschlechts. 

Die  Blutungen  entstehen  durch  Thrombosen  des  venösen  und  arteriellen 
Gefäßsystems  des  Netzes  und  des  Mesenteriolums.  Pathologisch-anatomisch 
finden  sich  Hämorrhagien,  Ulzerationen  und  Erosionen  im  Magen  und  Darm. 
Auch  im  Tierexperiment  gelingt  die  Erzielung  derartiger  Veränderungen. 

Die  Prognose  ist  zweifelhaft;  die  Behandlung  ist  eine  abwartende,  da 
der  schwere  Allgemeinzustand  einen  Eingriff  verbietet.  F.  Kayser  (Köln). 


Die  Behandlung  der  allgemeinen  Peritonitis  nach  Appendizitis. 

(D.  N.  Eisendrath.  Amer.  Journ.  of  Surg.,  Nr.  12,  1908.) 

Eisendrath  hat  mehrmals  allgemeine  Peritonitis  ohne  makroskopische 
Perforation  des  Wurmfortsatzes  beobachtet  und  führt  gleichlautende  Beobach¬ 
tungen  anderer  Autoren  an.  Seine  leitenden  Grundsätze  bei  der  Behandlung 
der  Peritonitis  sind  1.  beinahe  aufrecht  sitzende  Stellung  des  Kranken  in 
den  ersten  Tagen,  erreicht  mit  ,Hilfe  einer  verstellbaren  Rückenlehne  mit 
Armkrücken.  Die  untere  Fläche  des  Zwerchfells  mit  ihren  Lymphgängen, 
welche  stärker  resorbiert,  als  das  übrige  Peritoneum,  wird  dadurch  dem 
Eiter  entzogen  und  dieser  nach  abwärts  den  Drains  zugeleitet.  2.  Der 
Darm  wird  bei  der  Operation  möglichst  wenig  aus  seiner  Lage  gebracht, 
der  Appendix  von  einer  kleinen  Inzision  aus  schonend  entfernt.  3.  Be¬ 
ständige  Rektalinfusion  von  körperwarmer  Salzlösung,  etwa  ein  Tropfen  in 
der  Sekunde,  wobei  der  von  heißem  Wasser  umgebene  Irrigator  nur  20  cm 
höher  steht  als  das  Bett.  Hierdurch  wird  für  reichliche  Diurese  gesorgt, 
Zunge  und  Haut  feucht  gehalten  und  der  Durst  soweit  beseitigt,  daß  nur 
sehr  wenig  Flüssigkeit  (stündlich  30 — 60  g)  vom  Munde  aus  aufgenommen  zu 
werden  braucht.  Die  Beschränkung  des  Trinkens  hält  E.  für  sehr  wichtig. 

Die  Ausspülung  der  Bauchhöhle  erklärt  E.  für  überflüssig,  da  gleichgute, 
vielleicht  bessere  Resultate  ohne  sie  erreicht  werden.  Die  Art  der  Drainage 
hält  er  für  ziemlich  gleichgiltig,  gewöhnlich  wendet  er  einen  Gummidrain 
oder  einen  Mikulie'z’sehen  Tampon  an.  Abführmittel  vermeidet  er,  gibt 
aber  jeden  Tag  ein  Klistier.  v 

Zu  spät  eingelieferte  Fälle  werden  nicht  operiert,  sie  werden  mit  Dauer¬ 
klistier  mit  Zusatz  von  Kaffee  und  Alkohol  in  sitzender  Stellung  behandelt 
und  kommen  so  zuweilen  durch. 

E.  hat  zehn  Fälle  am  Tag  der  Erkrankung  operiert  mit  neun  Heilungen, 
zehn  am  zweiten  Tag  mit  acht  Heilungen,  sechs  am  dritten  Tag  mit  vier 
Heilungen-;  also  recht  günstige  Resultate.  Bei  vorgeschrittenen  Fällen  mit 
Darmlähmung  und  nach  der  Operation  andauerndem  Erbrechen  hat  er  mit 
gutem  Erfolg  die  Enterostomie  ausgeführt.  Er  ist  überzeugt,  daß  bei  Ein¬ 
lieferung  innerhalb  der  ersten  72  Stunden  nach  Beginn  der  Peritonitis  die 
Mehrzahl  der  Kranken  gerettet  werden  kann.  F.  von  den  Velden. 


Referate  und  Besprechungen. 


399 


Über  Gallensteinileus. 

(Lesk,  Wien.  Deutsche  Zeitschr.  für  Chir.,  Bd.  94,  H.  1 — 2.) 

In  Anschluß  an  5  seihst  beobachtete  Fälle  von  Gallensteinileus,  von 
denen  4  geheilt  sind,  1  starb,  bespricht,  V erf.  eingehend  das  eigenartige  Krank¬ 
heitsbild  des  Gallensteinileus. 

Der  Gallensteinileus  befällt  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  Frauen  und 
zwar  im  vorgeschritteneren  Alter. 

Plötzlich  eintretender  Schmerz  in  der  Gallenblasengegend,  welcher  je¬ 
doch  nie  zum  Shok  führt,  eröffnet  die  Szene.  Oft  setzt  frühzeitig  Erbrechen 
ein.  Der  weitere  Verlauf  gestaltet  sich  offenbar  in  Verbindung  an  den  ver¬ 
schiedenen  Sitz  verschiedenartig.  Je  nachdem  der  Stein  höher  oder  tiefer 
sitzt,  erscheint  das  Abdomen  mehr  oder-  weniger  aufgetrieben.  Den  Stein 
als  Tumor  nachzuweisen,  gelingt  nur  in  seltenen  Fällen.  Eine  Verwechslung 
mit  einem  appendizitischen  Abszeß  ist  möglich,  wenn  der  Tumor  in  der 
Ileokökalgegend  auftritt.  Normale  Temperatur,  erhöhte  Pulsfrequenz,  erheb¬ 
liche  •  Störung  des  Allgemeinbefindens,  welche  jedoch  nicht  die  Schwere  wie 
beim  Strangulationsileus  erreicht,  vervollständigen  das  klinische  Bild. 

Die  verschiedenen  Theorien  über  das  Zustandekommen  des  Gallenstein¬ 
ileus  gibt  Verf.  kurz  referierend  wieder;  er  meint,  daß  die  sich  entwickelnde 
Darmlähmung  infolge  Obturation  des  Darms  die  letzte  Ursache  der  Erschei¬ 
nungen  ist,  daß  man  also  nicht  von  einer  Einklemmung  (Inkarzeration)  eines 
Gallensteins  sprechen  sollte. 

Sitz  des  Steins  ist  zumeist  das  untere  Jejunum.  Die  Größe  des  Steins 
schwankt  zwischen  3 — 4  cm  im  Längendurchmesser  und  2 — 3  cm  im  Breiten¬ 
durchmesser.  Das  durchschnittliche  Gewicht  beträgt  20  g. 

Die  Ileussymptome  erstrecken  sich  durchschnittlich  auf  2—6  Tage. 

Die  Operationsresultate  wTaren  früher  sehr  ungünstig.  Hieraus  sowie 
aus  der  relativ  hohen  Zahl  von  Spontanheilungen  (56%  Courvoisier,  44% 
Naunyn)  erklärt  sich  der  selbst  von  Chirurgen  vertretene  abwartende 
Standpunkt.  Frühzeitige  Operation  ist  aber  jedenfalls  geboten,  sobald  die 
medikamentösen  und  physikalischen  Mittel  versagen.  Bei  fazettierten  Steinen 
ist  eine  Revision  der  Gallenblase  und  der  geblähten  Darmschlingen  wegen 
der  Wahrscheinlichkeit,  daß  weitere  Steine  vorliegen,  erforderlich;  bei  ab¬ 
gerundeten  Steinen  ist  dagegen  prinzipiell  von  einer  Entwicklung  des  ge¬ 
blähten  Darm  abzusehen.  Als  Schnittführung  der  Wahl  kommt  wohl  nur 
die  mediane  Laparotomie  unterhalb  des  Nabels  in  Betracht,  da  die  Operation 
lediglich  auf  eine  Wahrscheinlichkeitsdiagnose  hin  vorgenommen  wird. 

_  F.  Kayser  (Köln). 

Das  Fadenrezidiv  nach  Gallensteinoperationen. 

(H.  Flörken,  Würzburg.  Deutsche  Zeitschr.  für  Chir.,  Bd.  93,  H.  3,  1908.) 

Bei  einer  27jährigen  Frau,  bei  welcher  fünf  Jahre  früher  nach  Ent¬ 
fernung  von  Steinen  eine  Cholecystotomie  ausgeführt  war,  wurde  wegen  neuer 
Beschwerden  die  Exstirpation  der  Gallenblase  vorgenommen.  In  der  Gallen¬ 
blase  lagen  außer  zwei  freien  Steinen,  die  nach  Ansicht  des  Verf.  bei 
der  ersten  Operation  wohl  zurückgeblieben  waren,  drei  aus  Cholestearin  und 
Bilirubinkalk  bestehende  Konkremente,  in  denen  sich  ein  wohlerhaltener  Seiden¬ 
faden,  offenbar  von  den  Fixationsnähten  der  Gallenblase  an  der  Bauchwand 
herrührend,  fand. 

In  der  Literatur  liegen  ähnliche  Beobachtungen  nur  in  acht  Fällen 
vor.  Durch  die  Fixation  an  der  Bauchwand  wird  die  Kontraktilität 
der  Gallenblase  herabgesetzt;  die  um  die  Fäden  gelagerte  kapilläre 
Flüssigkeitsschicht  erleichtert  die  Ahsiedlung  von  Bakterien.  In  diesen  Tat¬ 
sachen  vielleicht  im  Verein  mit  dem  Bestehen  der  Lüschka’schen  Gänge 
ist  mit  Wahrscheinlichkeit  die  Ursache  der  Bildung  von  Steinen  um  Fäden 
zu  suchen.  Da  schon  nicht  inkrustierte  Fäden  typische  Beschwerden  auslösen 
können,  ist  die  Zurücklassung  von  Fäden  streng  zu  vermeiden.  Das  Faden¬ 
rezidiv  wird  verschwinden,  wenn  prinzipiell  für  die  Gallenblasennaht  nur  Kat- 
gut  benutzt  wird  oder  die  benutzten  Seidenfäden  lang  gelassen  werden. 

___ _  F.  Kayser  (Köln). 


400 


Referate  und  Besprechungen. 


Über  die  nach  Gastroenterostomie  auftretenden  Beschwerden  und  das 
radiologische  Verhalten  des  anastomosierten  Magens. 

(S.  Jonas,  Wien.  Arch.  für  Verdauungskrankh.,  Bd.  14,  H.  6,  1908.) 

Nicht  allzu  selten  kommt  es  vor,  daß  längere  Zeit  nach  einer  wohl¬ 
gelungenen  Gastroenterostomie  lästige  Beschwerden  auftreten,  als  Drücken, 
Aufstoßen,  Übelkeit,  Brechreiz,  Erbrechen.  Es  lag  nahe,  die  Ursache  derartiger 
Beschwerden  durch  Verwendung  der  Röntgendurchleuchtung  zu  ergründen. 
Zuvor  aber  war  es  nötig,  das  normale  (Verhalten  des  gastroenterostomierten 
Magens  im  Röntgenbilde  kennen  zu  lernen.  Der  zu  diesem  Zwecke  durch¬ 
leuchtete  Fall  zeigte,  daß  sich  der  Magen  durch  die  eingebrachte  Wismut¬ 
mahlzeit  nicht  füllte,  daß  diese  vielmehr  sofort,  und  zwar  ohne  den  Pylorus 
zu  passieren,  den  Magen  verließ,  so  daß  die  Ingesten  sich  im  Dünndarm 
nachweisen  ließen.  Zur  Feststellung  der  Verhältnisse  bei  vorhandenen  Be¬ 
schwerden  standen  Jonas  7  Fälle  von  wegen  Pylorusstenose  Gastroenterosto¬ 
mierten  zur  Verfügung;  Fälle  von  Gastroenterostomie  wegen  Ulkus  oder 
Karzinom  wurden  von  der  Untersuchung  ausgeschlossen.  Es  ergab  sich,  daß 
die  Schuld  an  den  längere  Zeit  nach  der  Gastroenterostomie  —  bei  nicht  voll¬ 
kommen  verödeter  Anastomose  —  auftretenden  Beschwerden  die  Stagnation 
jener  Ingesta  trägt,  die  sich  in  dem  durch  die  Operation  geschaffenen,  mehr 
oder  minder  großen  kaudalen  Säckchen  ansammeln.  Ihr  Druck  ist  um  so 
größer,  je  größer  die  Menge  der  Ingesten  ist,  welche  sich  in  dem  kaudalen 
Säckchen  anzustauen  vermögen,  d.  h.  je  höher  oben  die  Anastomose  angelegt 
wird  und  je  weniger  durchgängig  sie  ist,  wobei  die  Anastomose  bisweilen 
infolge  Schlaffheit  des  Magens  durch  Dehnung  des  kaudalen  Säckchens  nach 
oben  verschoben  wird.  Die  Verminderung  der  Wegsamkeit  der  Fistel  ist 
bald  eine  temporäre  (z.  B.  Verlegung  durch  ein  eingekeiltes  Speisefragment), 
bald  eine  dauernde  (Circulus  vitiosus  Mikulicz),  und  wird  radiologisch  daran 
erkannt,  daß  die  Ingesta  (besonders  die  breiigen)  die  Anastomose  nur  zu  ge¬ 
ringem  Teile  passieren  und  erst  unter  dem  erhöhten  Druck  effleurageartiger 
Handgriffe  in  den  Darm  getrieben  werden  können. 

Prophylaktisch  ist  es  in  erster  Linie  wichtig,  daß  die  Anastomose  mög¬ 
lichst  tief  angelegt  wird,  damit  der  kaudale  Sack  möglichst  klein  wird. 
Muß  sie  jedoch  aus  irgend  einem  Grunde  höher  angelegt  werden,  so  ist  dafür 
zu  sorgen,  daß  sich  die  Ingesta  im  kaudalen  Sack  nicht  anstauen,  und  daß 
jede  weitere  Dehnung  des  letzteren  hintangehalten  wird.  Hierzu  eignet 
sich  am  besten  das  möglichst  frühzeitige  Tragen  einer  Leibbinde  zur  Ver¬ 
stärkung  des  Widerlagers  der  Bauchdecken.  Um  jedoch  die  Stauung  der 
Ingesta  auch  dort  hintanzuhalten,  wo  infolge  teilweiser  Verlegung  der  Fistel 
eine  solche  bereits  stattgefunden  hat,  soll  durch  radiologische  Untersuchung 
jene  Lagerung  des  Patienten  gefunden  werden,  bei  der  die  Entleerung  der 
Ingesta  am  besten  vor  sich  geht,  und  diese  Lage  haben  die  Patienten  für 
längere  Zeit  nach  dem  Essen  einzunehmen.  Ferner  sind  Massageprozeduren 
vorzunehmen,  einmal  um  die  Muskulatur  des  Magens  und  der  Bauchdecken 
zu  kräftigen,  dann  aber  auch,  um  den  Abfluß  der  Ingesta  aus  dem  Magen 
zu  fördern.  Zu  diesem  Zwecke  ist  radiologisch  die  Stelle  der  Anastomose 
aufzusuchen  und  auf  der  Bauchhaut  zu  markieren,  um  die  Massage  in  der 
Körperstellung,  in  der  sie  aufgefunden  wurde  und  in  der  Richtung  der 
Anastomose  wirken  zu  lassen.  M.  Kaufmann  (Mannheim). 


Die  Verwendung  der  freien  Knochenplastik  nebst  Versuchen  über  Ge¬ 
lenkversteifung  und  Gelenktransplantation. 

(Prof.  Erich  Lex  er.  Arch.  für  klin.  Chir.,  Bd.  86,  Heft  4,  1908.) 

Die  Demonstrationen  Lex  er  s>- erregten  auf  dem  vorjährigen  Chirurgen-' 
Kongreß  berechtigtes  Aufsehen.  Er  veröffentlichte  kühne,  aber  erfolgreiche 
Versuche  auf  dem  Gebiete  der  freien  Knochenplastik,  die  bekanntlich  wie 
die  gesamte  Extremitätenchirurgie  in  den  letzten  Jahren  etwas  in  den  Hinter¬ 
grund  getreten  war. 


Referate  und  Besprechungen. 


401 


Lex  er  benutzte  ausschließlich  frisches,  mit  Periost  versehenes  Knochen¬ 
material,  das  lebenswarm  und  ohne  jede  mechanische  oder  chemische  Schä¬ 
digung  sofort  nach  der  Entnahme  verpflanzt  wird.  Das  Material  liefern 
fast  durchweg  amputierte  Glieder,  die  meist  wegen  Altersbrand  abzusetzen 
waren;  nur  in  wenigen  Eällen  benutzte  er  vom  Kranken  selbst  ein  Rippen¬ 
stück  oder  die  vordere  Tibiakante  resp.  Ulna  und  Fibula.  Er  legt  Wert 
darauf,  um  überflüssige  Reizerscheinungen  zu  vermeiden,  das  Knochenmark 
des  Ersatzstückes  vor  der  Implantation  auszulöffeln  und  durch  Jodoform¬ 
knochenplombe  zu  ersetzen ;  sonst  wird  das  einzusetzende  Knochenstück  in 
keiner  Weise  präpariert. 

Es  gelang  Lexer,  vollkommen  periostlose  Knochendefekte  von  25  bis 
30  cm  Länge  (Oberschenkel,  Oberarm,  Tibia  bei  Sarkom  usw.)  durch  frischen, 
periostbekleideten  Knochen  zu  ersetzen.  Damit  die  Ersatzstücke  ordentlichen 
Halt  bekamen,  wurde  in  ihre  Enden  je  ein  Knochenbolzen  (etwa  10  cm 
langes  Stück  der  Fibula)  zur  Hälfte  eingetrieben  und  die  übrige  Hälfte 
in  die  Markhöhle  der  resezierten  Knochenenden  eingefügt. 

Durch  ähnliche  Bolzung  konnte  er  in  19  Fällen  paralytische  Sprung¬ 
gelenke  zur  Versteifung  bringen.  Von  der  Sohlenfläche  der  Ferse  her  wurde 
mit  der  Fraise  ein  Kanal  bis  in  die  Tibia  hineingebohrt  und  durch  Calcaneus 
und  Talus  in  die  Tibia  eine  frische  Periostknochenspange  eingetrieben.  In 
allen  Fällen  aseptische  Einheilung  und  gutes  funktionelles  Resultat.  Für 
das  paralytische  Kniegelenk  allerdings  bevorzugt  Lexer  vorläufig  noch  die 
alte  Arthrodese,  da  die  hier  vorgenommenen  vier  Versuche  nicht  vollkommen 
befriedigten. 

Weiter  teilt  er  seine  Erfahrungen  mit  Gelenktransplationen  mit;  es 
gelang  ihm,  in  vier  Fällen  selbst  an  großen  Gelenken  (Knie  und  Schulter) 
halbe  Gelenkdefekte  durch  primäre  Transplantation  eines  geeigneten,  mit 
Gelenkknorpel  und  Periost  ausgestatteten  Knochens  zu  ersetzen  und  da¬ 
durch  bezüglich  der  späteren  Funktion  nahezu  normale  Ergebnisse  zu  er¬ 
zielen. 

Endlich  noch  zwei  Fälle,  in  denen  er  das  rechtwinklig  ankylosierte 
Kniegelenk  (einmal  nach  Eiterung,  das  andere  Mal  nach  Tuberkulose)  durch 
Keilresektion  streckte  und  in  den  drei  querfingerbreiten  Spalt  zwischen  Ober¬ 
und  Unterschenkelresektionsfläche  aus  frisch  amputierten  Beinen  das  ganze 
Kniegelenk  einsetzte.  Auch  hier  ein  sehr  ermunterndes  Resultat:  aseptische 
EiDheilung,  Schmerzen  weder  beim  Stehen,  noch  beim  Gehen;  keine  seitliche 
Wackelbewegung.  Lemmen. 


Die  Behandlung  des  kontrakten  Plattfußes  im  Schlafe. 

(Dr.  Hübscher,  Basel.  Zentralbl.  für  Chir.,  Nr.  42,  1908.) 

Der  reflektorische  Muskelspasmus,  welcher  den  kontrakten  Plattfuß 
bedingt,  verschwindet  nach  den  Erfahrungen  H.’s  ohne  Ausnahme  im  Schlafe. 
Gelingt  es,  mittels  angegebenen  Apparates,  ohne  den  Schlaf  zu  unterbrechen, 
den  Fuß  in  volle  Supinationsstellung  zu  bringen,  so  wird  der  Fuß  beim 
Aufwachen  aktiv  supiniert  und  proniert.  Es  kann  sofort  ein  Gipsabguß 
für  die  Zelluloideinlage  nach  Lange  gemacht  werden.  Es  wird  auf  diese 
Weise  die  oft  lang  andauernde  Immobilisierung  des  Fußes  im  Gipsverbande 
umgangen;  dabei  ist  der  nächtliche  Zugverband  sehr  schonend  und  einfach. 
Wird  nach  Anlegung  des  Verbandes  am  nächsten  Morgen  die  Supination 
nicht  erzielt,  so  weiß  man,  daß  ein  Redressement  in  Narkose  notwendig  ist, 
weil  dann  bereits  Fixationen  durch  Verwachsungen  vorliegen. 

Der  Apparat  besteht  aus  sandalenartigem  Fußbrettchen  und  drei  elasti¬ 
schen  Zügen  aus  Kautschukrohr,  die  in  ebenso  einfacher,  wie  sinnreicher 
Art  befestigt  werden.  (Vergleiche  Abbildung  im  Original.)  Sobald  der  Patient 
sich  zur  Ruhe  begeben  hat,  wird  das  Fußbrettchen  angeschnallt  und  der 
Zug  in  Aktion  gesetzt.  Mellin  (Steglitz). 


26 


402 


Referate  und  Besprechungen. 


Fersenschmerzen. 

Ein  Beitrag  zur  Pathologie  des  Calcaneus  und  der  Achillessehne. 

(H.  Jacobsthal.  Arch.  für  klin.  Chir.,  Bd.  88,  H.  1,  1908.) 

Um  die  Unklarheiten  zu  beseitigen,  welche  in  der  Deutung  der  Affek¬ 
tionen  der  Achillessehne  und  des  Calcaneus  bestehen,  hat  J.  die  seit  dem  Herbst 
1904  in  der  chirurgischen  Poliklinik  in  Jena  zur  Beobachtung  gekommenen 
diesbezüglichen  Fälle  unter  Auslassung  der  genau  definierten  Erkrankungen, 
wie  Tuberkulose  der  Bursa  achillea,  Tuberkulose  des  Calcaneus,  akuter  infek¬ 
tiöser  Osteomyelitis  desselben,  der  Plattfüße,  gesammelt  und  einer  kritischen 
Analyse  unterzogen.  Es  handelt  sich  um  42  Fälle,  welchen  folgende  Er¬ 
krankungen  zugrunde  lagen :  einmal  Tendinitis  achillea  traumatica,  einmal 
Kontusion  der  Achillessehne,  zweimal  partielle  Ruptur  der  Achillessehne, 
einmal  Verknöcherung  der  Achillessehne,  zweimal  Fibrom  der  Achillessehne, 
einmal  Peritendinitis  achillea,  achtmal  Bursitis  achillea  profunda,  dreimal 
Exostose  des  hinteren  oberen  Calcaneusendes,  sechsmal  Epiphysenerkrankung, 
sechsmal  Calcaneussporn,  viermal  Kontusion  des  Calcaneus.  Siebenmal  konnte 
die  Ursache  der  Fersenschmerzen  nicht  diagnostiziert  werden.  Die  Zusammen¬ 
stellung  zeigt,  wie  mannigfach  die  Ursache  für  Fersenschmerzen  sein  können; 
wie  verschieden  ihre  Lokalisation  und  wie  schwierig  die  Diagnose.  In  einer 
Anzahl  von  Fällen  wird  ein  operativer  Eingriff  Heilung  bringen,  andererseits 
sieht  man  lange  bestehende  Beschwerden  oft  ohne  jede  Ursache  verschwinden, 
so  daß  die  Indikation  für  einen  operativen  Eingriff  nur  mit  Vorsicht  zu 
stellen  ist  (Röntgenbild).  H.  Stettiner  (Berlin). 


Was  aus  der  Frakturbehandlung  alter  Zeiten  zu  lernen  ist. 

(Amer,  Journ.  of  Surg.,  Nr.  10,  1908.) 

„Enthusiastische  Chronisten  erinnern  uns  so  oft  an  die  wunderbaren 
Fortschritte  der  Medizin,“  sagt  E.  M.  am  angef.  O.,  „daß  es  schwer  ist 
zu  glauben,  irgend  etwas  Wertvolles  sei  in  der  Medizin  vor  den  letzten  Jahr¬ 
zehnten  bekannt  gewesen.  Bei  solchen  periodischen  Exazerbationen  ärztlichen 
Bewußtseins  ist  es  gut,  daran  zu  erinnern,  daß  unsere  Vorfahren  erhebliche 
Kenntnisse  in  der  Medizin  hatten,  und  zwar  ehe  die  ärztliche  Literatur 
begann,  und  daß  in  der  Frakturbehandlung  ihre  Kenntnisse  sich  mit  den 
heutigen  mit  Vorteil  vergleichen  lassen.“  Jones  hat  die  Gebeine  vop 
6000  Ägyptern  untersucht,  die  im  alten  Nubien  ausgegraben  worden  sind  und 
bis  4000  vor  unserer  Zeitrechnung  datieren,  und  kommt  zum  Resultat,  daß 
die  Knochenheilungen  gerade  so  gut  und  in  vielen  Fällen  wahrscheinlich 
besser  waren  als  heute.  Femurbrüche  sind  ohne  merkliche  Dislokation  ge¬ 
heilt,  mit  einer  durchschnittlichen  Verkürzung  von  nur  11  mm,  Humerus¬ 
brüche  oft  nur  mit  einer  Verkürzung  von  3  mm. 

Die  relative  Häufigkeit  der  verschiedenen  Frakturen  ist  sehr  ähnlich 
der  heutigen,  nur  sind  Brüche  der  Hand  und  der  Knochen  unterhalb  des 
Knies  seltener,  wahrscheinlich  weil  es  damals  weder  Treppen,  Pflaster  und 
Randsteine,  noch  Maschinen  gab.  F.  von  den  Velden. 


Die  Therapie  der  Verbrennungen. 

(Prof.  Pels-Leusden,  Leiter  der  chirurgischen  Universitäts-Poliklinik  in  der 
König!  Charite  in  Berlin.  Deutsche  med.  Wochenschr.,  Nr.  48,  1908.) 

Die  Allgemeinerscheinungen  bei  Verbrennungen,  die  nur  bei  ausge¬ 
dehntesten  1/3 — V*  der  Körperoberfläche  einnehmenden  Brandwunden  ernstlich 
in  Frage  kommen,  verdienen  große  Beachtung.  Sie  ziehen  Herz,  Nieren 
und  Gehirn  in  Mitleidenschaft  und  sind  vermutlich  durch  die  infolge  der 
Hitze  entstehenden  toxisch  wirkenden  Stoffe  zu  erklären'.  Bei  äußerst  ge¬ 
schwächter  Herztätigkeit  wird  am  besten  durch  intravenöse  Injektion  von  Diga- 


Referate  und  Besprechungen. 


403 


len,  sowie  durch'  Zufuhr  reichlicher  Mengen  rasch  resorbierbarer  Flüssigkeiten 
(Kaffee,  Tee,  Klysmata  von  physiologischer  Kochsalzlösung)  angeregt,  der 
Schmerz  am  besten  durch  Atropin  gelindert.  Vorsicht  ist  dagegen  bei  dem 
permanenten  Wasserbad  geboten,  da  dieses  den  Gefäß tonus  herabsetzt.  Lokal 
dürfen  nur  Mittel  angewandt  werden,  welche  die  Herztätigkeit  nicht  beein¬ 
trächtigen.  Nach  5—6  Tagen  ist  gewöhnlich  die  Gefahr  vorüber,  doch  sind 
auch  mit  8 — 10  Tagen  noch  Todesfälle  unter  starken  Durchfällen  oder  Duodenal¬ 
geschwürsblutungen  beobachtet  worden. 

Verbrennungen  ersten  Grades  heilen  gewöhnlich  ohne  jede  Therapie. 
Bei  solchen  zweiten  und  dritten  Grades  empfiehlt  sich  die  Methode  von 
Tslchmarke,  die  in  einer  peinliehst,  mit  heißem  Wasser,  Seife,  Bürste, 
Alkohol  und  Sublimat  ausgeführten  Desinfektion  und  darauffolgenden  asep¬ 
tischen  Verbände  (möglichst  nicht  Jodoform)  besteht  wegen  ihrer  Schmerz¬ 
haftigkeit  aber  gewöhnlich  unter  Lokalanästhesie  oder  Äthernarkose  ausgeführt 
werden  muß.  Damit  hat  der  Verf.  glänzende  Erfolge  erziehlt;  Sekundär¬ 
infektion,  Fieber,  langdauernde  Eiterungen  werden  vermieden. 

Ist  dieses  Verfahren  nicht  anwendbar,  so  ist  die  Behandlung  mit  Bar- 
del  eb  erf scher  Wismutbrandbinde  angebracht,  die  gleichfalls  auf  nur  sorg¬ 
fältig  gereinigte  Wunden  aufgelegt  werden  darf.  Die  Hausmittel  Kalkwasser 
mit  Leinöl  sind  zu  verwerfen. 

Bei  tiefgehender  Verbrennung  mit  Geschwürsbildung  ist  für  Abstoßung 
der  Schorfe  und  Reinigung  der  Geschwüre  zu  sorgen.  Sind  letztere  sehr 
ausgedehnt,  ist  das  permanente  Wasserbad  empfehlenswert. 

Bei  Hinzutreten  von  Infektion  verwendet  er  feuchte  Verbände.  Gegen 
Bildung  von  Kontrakturen  sind  bisweilen  Schienenverbände  erforderlich. 

F.  Walther. 


Eine  neue  Sterilisierungsmethode  der  Haut  bei  Operationen. 

(Dr.  Antonio  Großich,  Fiume.  Zentralbl.  für  Chir.,  Nr.  44,  1908.) 

Anstelle  jeder  Waschung  hat  Grossich  bei  seinem  großen  chirurg. 
Krankenhausmaterial  lediglich  mit  Jodtinktur  (10 — 12%)  frische  Wund¬ 
ränder  und  Umgebung  bestrichen  und  dann  genäht.  Dabei  hat  er  aus¬ 
gezeichnete  Resultate,  wenn  vorher  noch  keine  Zeichen  von  Entzündung  an 
der  Wunde  bestanden  und  wenn  er  keine  Seifenwaschung  u.  dergl.  voraus¬ 
schickte.  Die  Haare  werden  trocken  rasiert.  Das  Jod  imbibiert  in  der  alko¬ 
holischen  Lösung  alle  Spalten,  Interzellularräume  und  Lymphbahnen ;  geht 
eine  Waschung  voraus,  so  quellen  die  Epidermiszellen  und  verstopfen  den 
Eintritt  der  Kapillarspalten.  G.  hält  das  Bestreichen  mit  Jodtinktur  für 
das  beste  Desinfektionsverfahren  der  Haut;  er  ist  dazu  bei  allen  asep¬ 
tischen  Operationen  übergangen  (auch  Laparotomien  und  bei  Herniotomien). 
In  diesen  Fällen  läßt  er  allerdings  die  Kranken  einen  Tag  vor  der  Operation 
baden.  Vor  der  Narkose  wird  mit  einem  mit  Jodtinktur  getränkten  Tupfer 
die  Haut  bestrichen  und  ein  zweites  Mal  kurz  vor  der  Operation ;  ebenso 
wird  die  Nahtreihe  noch  einmal  mit  Jodtinktur  bestrichen  und  dann  ein 
Verband  mit  steriler  Gaze  angelegt. 

Ganz  neu  ist  die  Methode  in  Deutschland  nicht.  Referent  erinnert 
sich,  daß  zur  Desinfektion  des  schwer  zu  desinfizierenden  Nabels  und  ekze¬ 
matöser  Haut  in  verschiedenen  Kliniken  Jodtinktur  in  gleicher  Weise  und 
Absicht  seit  Jahren  zur  Verwendung  gekommen  ist;  auf  vorausgegangene 
Waschung  mit  Wasser  und  Seife,  Alkohol  und  Sublimat  wurde  allerdings 
nie  verzichtet.  Sollte  sich  die  Jodtinktur  bei  der  erweiterten  Anwendung 
dauernd  bewähren,  so  wäre  namentlich  für  den  Praktiker  eine  schnelle  Des¬ 
infektionsmethode  proklamiert  und  dafür  dem  Autor  großer  Dank  zu  sagen. 

Mellin  (Steglitz) 


26* 


404 


Referate  und  Besprechungen. 


Röntgenologie  und  physikalische  Heilmethoden. 

Biologische  Gesichtspunkte  im  Gebiete  der  Klimatotherapie. 

(Zoltän  von  Dalmady.  Zeitschr.  für  phys.  u.  diätet.  Therapie,  Bd.  12,  S.  415 — 428, 

190&/09.) 

Bei  vielen  Arbeiten,  welche  in  den  medizinischen  Zeitschriften  er¬ 
scheinen,  kann  man  sich  fragen,  ob  ihr  Verfasser  ein  wirklicher  Arzt  ist  oder 
nicht  vielmehr  ein  mit  dem  medizinischen  Doktorhut  geschmückter  Physiker 
bezw.  Chemiker.  Je  schwerer  ärztliche  Erfahrungen  und  Anschauungen  sich 
in  Worte  fassen  lassen,  um  so  seltener  sind  derartige  Abhandlungen.  Wollte 
man  die  verschiedenen  Wochenschriften,  Archive,  Zentralblätter  usw.  daraufhin 
durchsuchen,  so  wäre  —  glaube  ich  —  die  Ausbeute  gering. 

In  Dalmady’s  Studie  über  Klimatotherapie  findet  man  nichts  von 
Sauerstoffspannung,  Atemvolumen,  Zunahme  der  roten  Blutkörperchen  usw. 
Dagegen  zieht  er  die  Erfahrungen  der  Gärtner  und  Pflanzenphysiologen, 
der  Tropenärzte,  der  Rassenbildung  und  dergl.  heran,  um  darzutun,  daß 
ein  kurzer  Klimawechsel  nach  Art  eines  physikalischen  Reizes  allerlei,  im 
einzelnen  nicht  definierbare  Reaktionen,  Akkommodationen  auslöse,  daß  da¬ 
gegen  ein  langer  Aufenthalt  in  fremdem  Klima  tiefgreifende,  artumstimmende, 
konstitutionsändernde  Wirkungen  habe.  Es  ist  also  nicht  bloß  ein  quanti¬ 
tativer,  sondern  ein  qualitativer  Unterschied,  ob  wir  jemand  kurz  oder  lang 
in  ein  anderes  Klima  schicken.  Buttersack  (Berlin). 


Die  Hydriatik  des  Typhus  abdominalis. 

(J.  Sa  dg  er,  Wien-Gräf  enberg.  Berliner  Klinik,  H.  242,  1908.) 

Nach  einer  geschichtlichen  Einleitung  bespricht  Sadger  die  günstigen 
Wirkungen  der  Hydriatik  hinsichtlich  der  Prognose:  Unter  ihr  verläuft  der 
Typhus  leichter,  weil  die  Temperatur  nicht  so  hoch  wird,  der  eigentliche 
Status  typhosus  gelangt  nicht  zur  Ausbildung,  der  Kranke  bleibt  ruhig,  es 
tritt  keine  Herzschwäche  ein,  ebensowenig  ernstere  Komplikationen  von  seiten 
des  Respirationssystems.  Von  augenfälligem  Nutzen  ist  die  Hydrotherapie 
des  Typhus  besonders  für  die  Verdauungsorgane:  Lippen,  Zähne  und  Zunge 
bleiben  weich  und  feucht,  der  Durst  ist  gering,  Darmgeschwüre,  Durch¬ 
fälle  usw.  kommen  nicht  zustande,  die  Ernährung  und  Verdauung  gehen 
gut  von  statten.  Sadger  warnt  bei  dieser  Gelegenheit  vor  der  schädlichen 
Überernährung. 

Von  besonderem  Interesse  ist* die  durch  die  Hydriatik  erzielte  Stärkung 
der  Nieren-  und  Hautfunktion.  S.  tritt  energisch  für  die  Bedeutung  der 
noch  immer  nicht  genügend  gewürdigten  kritischen  Ausscheidungen 
seitens  dieser  Organe  ein. 

So  bleibt  bei  der  systematischen  Wasserbehandlung  vom  gewöhnlichen 
Typhusbild  nur  übrig:  leichtes  Eieber,  Milzschwellung,  Roseola,  Infiltration 
der  Darmdrüsen,  unbedeutender  Bronchialkatarrh  (Brand). 

Medikamente  hält  S.  bei  Typhus  für  überflüssig.  Sein  Verfahren  ist 
folgendes : 

1.  Im  Prodromalstadium  zweimal  täglich  eine  triefende  Ganzabrei¬ 
bung  (10.°  R)  mit  nachfolgendem  Luftbad  und  fleißigem  Spazierengehen.  Bei 
Hyperthermie  (von  39,5°  in  asilla  an)  2 — 3mal  täglich  „gewechselte 
Packung  mit  Halbbad  oder  Abreibung  am  Schluß“.  Diese  Packung 
(stubenwarm  ?  Ref.)  bleibt  nur  so  lange  liegen,  bis  sie  sich  zu  erwärmen 
beginnt,  also  zuerst  5 — 10,  dann  10 — 20,  dann  eventuell  30  Minuten.  Das 
dann  folgende  Halbbad  soll  20 — 22°  R  haben.  Zwischen  diesen  zwei  öfter 
zu  wechselnden  Packungen  werden  1 — 2  stündlich  gewechselte  Stammumschläge 
appliziert. 

Diese  Behandlung  ist  auch  bei  unklarer  Diagnose  unschädlich.  2.  Bei 
ausgesprochenem  Typhus  folgt  die  Bäderbehandlung.  S.  zieht  die 
Halbbäder  den  Vollbädern  vor.  Ihre  Temperatur  soll  20 — 18°,  bei  älteren 
Leuten  und  sehr  Dekrepiden  24 — 20°,  ihre  Dauer  5 — 15  Minuten  betragen. 


Referate  und  Besprechungen. 


405 


Der  Frost  soll  nicht  abgewartet  werden.  Nur  bei  besonders  resistenter  und 
hoher  Hyperthermie  und  bei  Pneumonie  18 — 16°  und  längere  Dauer.  Im 
Halbbad  soll  der  ganze  Körper  mit  Ausnahme  des  Unterleibs  kräftig  frottiert 
werden,  auch  vom  Patienten  selbst.  Bei  drohender  Herzschwäche  ist  vor-  und 
nachher  Alkohol  zu  geben,  ferner  kalte  Kopf-  und  Nackengüsse  alle  3 — 5  Min. 
(8 — 10  °).  Letztere  wirken  auch  bei  Somnolenz  vorzüglich.  Nach  dem  Bad 
wird  Patient  trocken  gerieben  und  im  Bett  an  Armen  und  Beinen  bis  zur 
Erwärmung  frottiert.  Brust  und  Bauch  erhalten  einen  Umschlag. 

Die  Bäder  sollen  höchstens  dreistündlich  wiederholt  werden,  also  nicht 
mehr  wie  achtmal  in  24  Stunden,  sechsmal  am  Tage,  zweimal  in  der  Nacht, 
sobald  die  Rektal temperatur  39°  übersteigt.  Das  letztere  kann  oft  hintange¬ 
halten  werden  durch  häufig  gewechselte  große  Umschläge  zwischen 
den  Bädern  (zimmerkalt).  Unter  ihrer  Mitwirkung  sind  die  Bäder  oft  nur 
vierstündlich  und  noch  seltener  nötig. 

Die  Temperatur  ist  im  allgemeinen  dreistündlich  zu  messen,  dazu  15  Mi¬ 
nuten  nach  dem  Bade.  Die  nämliche  Zeit  ist  auch  die  geeignetste,  den 
Kranken  seine  Nahrung  zu  reichen,  die  bis  zur  Deferveszenz  ausschließlich 
flüssig  sein  soll,  je  V4  Liter  nach  jedem  Bad.  Daneben  reichlich  Wasser 
trinken ! 

Vor  Beginn  der  Bäderbehandlung  ist  durch  eine  kalte  Teilabreibung 
die  Reaktion  der  Haut  zu  prüfen.  Das  ist  besonders  wichtig  bei  „areolar- 
zyanotischer“  Injektion  oder  anderen  kollaps  verdächtigen  Zeichen.  Hier  sind 
statt  der  Bäder  eventuell  nur  die  präparatorisch  wirkenden  Stammumschläge 
zu  machen.  Zwischen  die  erste  und  zweite  Lage  derselben  schiebt  man  bei 
Herzschwäche  und  Kollapsgefahr  den  Herzkühler. 

Unterstützend  und  ableitend  wirken  stündlich  gewechselte  Wadenbinden 
und  dreimalige  Teilabreibungen  des  ganzen  Körpers. 

Resistente  Hyperthermie,  die  das  Halbbad  nicht  stürzt,  weicht  dem 
vor  demselben  applizierten  häufig  gewechselten  feuchten  Wickel  oder 
dem  Luftwasserbad. 

3.  In  der  Deferveszenz  soll  nicht  brüsk  mit  den  Bädern  abgebrochen, 
vielmehr  in  der  dritten  Woche  die  Badegrenze  auf  38,5  0  herabgesetzt  werden. 
Erst  wenn  auch  diese  Temperatur  nur  abends  erreicht  wird,  kann  man  die 
Bäder  bei  Tag  aussetzen  und  /sie  dann  allmählich  überhaupt  unterlassen. 
Jedoch  können  die  Halbbäder  in  der  Deferveszenz  wärmer  und  kürzer  sein 
(24 — 20°  und  3 — 5  Minuten).  Die  Nahrung  wird  konsistenter,  Fleisch  und 
feste  Nahrung  aber  erst  nach  3 — 4  fieberfreien  Tagen  gegeben. 

Bei  der  seltenen  hypothermischen,  adynamischen  Form  verfährt  man 
wie  oben  bei  Herzschwäche:  kalte  Teilabreibung  usw.,  das  Halbbad  soll 
24—22  0  und  3 — 5  Minuten  lang  mit  kräftigsten  Friktionen  appliziert  werden : 
hierbei  sinkt  die  Temperatur  nicht,  sondern  sie  steigt,  während  alle  übrigen 
Symptome  sich  bessern,  „der  anormale  Typus  wird  in  einen  normalen  ver¬ 
wandelt“. 

Ähnliches  gilt  vom  Typhus  der  Greise.  Kinder  bekommen  besser  kältere 
und  kürzere  als  lange  und  laue  Applikationen. 

Bei  Pneumonie  werden  die  Halbbäder  kälter,  bei  Herzaffektionen  zwei¬ 
mal  täglich  eine  Stunde  der  Herzkühler  verwandt.  Gegen  starke  Diarrhöen 
helfen  die  großen  Kompressen,  verbunden  mit  einem  kleinen  6 — 8  °igem 
Klistier  nach  jeder  Entleerung.  Die  Milch,  die  man  gibt,  muß  entrahmt 
werden. 

Bei  Perforation  und  Peritonitis  Aussetzen  der  Bäder,  Kombination 
der  Umschläge  mit  einem  Kühler,  durch  den  tagelang  quellkaltes  Wasser 
fließen  muß. 

Bei  Blutspuren  im  Kot,  meist  in  der  ersten  Zeit,  wirken  die  Bäder 
günstig,  bei  den  später  auftretenden  stärkeren  Blutungen  mit  Puls-  und 
Temperaturveränderung,  Ohnmacht  nur  Stammumschläge  und  Kühler.  Bäder 
sind  also  nur  kontraindiziert  bei  Perforation,  Peritonitis  und  schwerer  Blutung. 

Esch. 


406 


Referate  und  Besprechungen. 


Die  Hydriatik  der  Masern. 

(J.  Sa  dg  er.  Wiener  klin.  Rundschau,  Nr.  52,  1908.) 

Daß  die  Masern  in  der  weitaus  überwiegenden  Mehrzahl  der  Bälle 
von  selber  heilen,  gibt  der  Verf.  zu,  aber  trotzdem  tritt  die  Wasserbehand¬ 
lung  bei  dieser  Krankheit  in  ihre  Rechte.  Bei  bösartigen  Epidemien  kann 
man  zuweilen  durch  prophylaktische  kühle  Abreibungen  die  Kinder  vor 
der  Ansteckung  bewahren.  Gelingt  das  nicht,  so  wird  der  Prozeß  selbst 
durch  die  Hydrotherapie  erheblich  abgekürzt.  Der  Ausschlag  geht  schneller 
vorüber  und  die  Abschuppung  dauert  nicht  so  lange  wie  sonst.  Bei  der 
schweren,  typhösen  Form  der  Masern  mit  bedrohlichen  Gehirnsymptomen 
ist  die  Bedeutung  der  Methode  bereits  allbekannt.  Vor  allem  sind  es  die 
Nachkrankheiten  der  Respirationsorgane  —  Bronchitis,  Pneumonie, 
Larynxkroup  und  Tuberkulose  —  welche  eine  liydriatische  Behandlung  ver¬ 
langen  und  gleichzeitig  die  Größe  der  Methode  zeigen.  —  Die  Wasseran¬ 
wendungen  selbst  sind  bei  den  kleinen  Patienten  außerordentlich  einfach : 
Halbbäder  von  20 — 18°  R  und  3  Min.  Dauer,  Ganzabreibungen  von  12°, 
Abwaschungen  von  10°,  Packungen,  Nackengüsse  und  dergl.  —  Einfache,  über¬ 
all  anzuwendende,  unschädliche  und  dabei  überaus  segensreiche  Handgriffe ! 
Goldene  Ratschläge  für  die  Praxis !  Schade,  daß  bei  dem  Kapitel  Hydro¬ 
therapie  so  oft  tauben  Ohren  gepredigt  wird.  Steyerthal-Kleinen. 


Ueber  die  Behandlung  der  Herzkrankheiten  mit  oszillirenden  Strömen. 

(Th.  Rumpf,  Bonn.  Deutsche  med.  Wochenschr.,  Nr.  52,  1908.) 

Rumpf  hat  seine  Versuche  nach  den  bisherigen  günstigen  Erfahrungen, 
auf  die  verschiedensten  Herzaffektionen  ausgedehnt,  wobei  er  in  gleicher 
Weise  verfahren  ist,  wie  bisher.  Seine  Resultate  bestehen  bei  39  Fällen  in 
wesentlicher,  ja  überraschender  Besserung,  bei  16  Fällen  in  einer  deutlichen, 
aber  weniger  beträchtlichen  und  vorübergehenden  Besserung,  bei  11  Fällen 
in  keinem  Dauererfolg.  Ungeeignet  zur  Behandlung  waren  frische  Fälle 
von  entzündlichen  Herzaffektionen  desgleichen  Herzhypertrophien  mit  chro¬ 
nischer  Nephritis.  Prognostisch  günstiger' gestaltete  sich  die  Behandlung  bei 
abgelaufenen  älteren  Prozessen  mit  ihren  Folgen,  sowie  vor  allem  bei  Herz¬ 
hypertrophie  mit  Arteriosklerose,  zumal  wenn  diese  nur  gering  war.  Er 
schildert  3  Fälle,  die  'unter  dem  Einfluß  des  oszillierenden  Stromes  eine 
Besserung  sowohl  der  subjektiven,  in  Kurzatmigkeit,  Schwindelanfällen,  Oppres- 
sionsgefühl  bestehenden  als  auch  der  objektiven  in  orthodiagraphisch  deut¬ 
lich  nachweisbarer  Vergrößerung  des  Herzens  bestehenden  Symptomen  bieten. 

Am  meisten  eignen  sich  für  die  Behandlung  Patienten  mit  einfacher 
Dilatation  ohne  Arteriosklerose,  von  denen  er  einige  ausführlich  schilderf 
und  gleichzeitig  Schattenrisse  des  Herzens  vor  und  nach  der  Behandlung 
beifügt.  14  Fälle  nervöser  Herzkrankheiten  ergaben  bis  auf  2  Basedowkranke 
keine  befriedigenden  Resultate. 

Zum  Schluß  erörtert  Rumpf  die  Frage  nach  der  Wirkungsart  der  oszil¬ 
lierenden  Ströme.  Auf  Grund  seiner  experimentellen  Erfahrungen  glaubt  er 
ihnen  eine  kursierende  Wirkung  auf  Herzmuskulatur  und  Gefäßsystem  zu¬ 
sprechen  zu  dürfen.  F.  Walther. 


Die  Beeinflussung  der  Herzdilatation  durch  C0,-Bäder. 

(Dr.  Grödel  II.  u.  III,  Nauheim.  Monatsschr.  für  die  phys.-diät.  Heilmethod.,  H.  1,  09.) 

An  der  Hand  von  Orthodiagrammen  berichten  die  Verfasser  über  Herz¬ 
verkleinerungen  nach  mehrwöchigen  Badekuren  in  Nauheim:  Die  stärkste 
betrug  nicht  mehr  als!  2  cm  im  queren  Durchmesser,  im  Gegensatz  zu  manchen 
anderen  Beobachtern,  welche  bis  16.  cm  und  mehr  gesehen  haben  wollten, 
Immerhin  ist  selbst  eine  ,, Reduktion  des  Breitendurchmessers  um  1  cm  als 
eine  recht  erhebliche  Volumabnahme  des  Herzens“  anzusehen,  wenn  man 
diese  Liniendifferenz  ins  Körperliche  überträgt.  Krebs. 


Referate  und  Besprechungen. 


407 


Die  Wirkung  der  Sauerstoffbäder. 

Jos.  Tornai.  Zeitschr.  für  phys.  u.  diätet.  Therapie,  Bd.  12,  S.  424 — 434,  1908/09.) 

Die  günstigen  Berichte  über  die  Sauerstoffbäder  mehren  sich.  Das 
ist  auch  leicht  begreiflich;  denn  in  einer  Sauerstoffatmosphäre  zu  baden 
erscheint  ohne  weiteres  bekömmlicher  als  das  Baden  in  einer  C02-Atmosphäre. 
Indessen,  die  C024Bäder  sind  nun  einmal  eingebürgt;  und  deshalb  trifft 
vorerst  der  Spruch:  das  Bessere  ist  des  Guten  Feind,  praktisch  noch  nicht  za. 

Auch  an  der  II.  midizinischen  Klinik  zu  Budapest  sind  die  Sarason- 
schen  O-Bäder  verwendet  worden  und  haben  günstige  Resultate  gehabt.  Sie 
wirken  schlaf-  und  appetitbefördernd,  Dyspnoe  jeder  Art  wurde  prompt 
beseitigt,  Zyanose  machte  rosenroter  Färbung  Platz. 

Als  Indikationen  stellt  Tornai  auf:  inkompensierte  Herzschwäche  mit 
Atembeschwerden,  Zyanose,  Tachykardie,  Arhythmie,  nervöse  Schlaflosigkeit, 
funktionelle  Neurosen. 

Daß  einem  Ungarn  stilistische  Versehen  mitunterlaufen  (z.  B.  „das 
Bad  beeinträchtigte  durchwegs  günstig  den  Schlaf“,  S.  430),  soll  ihm  nicht 
zum  Vorwurf  gemacht  werden.  Aber  vielleicht  kann  die  Redaktion  da  helfend 
eingreifen;  „denn  mit  der  Korruption  einer  Sprache  ist  es  eine  gefährliche 
Sache:  ist  sie  einmal  eingerissen  und  in  Schrift  und  Volk  gedrungen,  so  ist 
die  Sprache  nicht  wieder  herzustellen.“  (Schopenhauer,  über  die  Verhun¬ 
zung  der  deutschen  Sprache.)  Buttersack  (Berlin). 


Der  Einfluß  warmer  Bäder  auf  die  Viskosität  des  Blutes. 

(Walter  Hess.  Wiener  klin.  Rundschau,  Nr.  38,  1908.) 

Experimentelle  Untersuchungen,  welche  sich  auf  82  Bäder  erstrecken. 
Es  erfolgte  60  mal  eine  Herabsetzung  der  Viskosität,  10  mal  blieb  der  Wert 
gleich  und  12  mal  war  eine  Erhöhung  zu  beobachten.  Der  Verf.  schließt 
aus  seinen  Versuchen  folgendes:  Warme  Bäder  haben  die  Tendenz,  die  Vis¬ 
kosität  des  Blutes  herabzusetzen,  die  Änderung  ist  indessen  selbst  bei  den 
größten  Schwankungen  so  gering,  daß  ihr  vom  hämodynamischen  Stand¬ 
punkte  eine  praktische  Bedeutung  nicht  zukommt. 

Verwendet  wurden  Warmwasserbäder  35°  C  von  10—15  Min.  Dauer. 

Steyerthal-Kleinen. 


Allgemeines. 

Körperkultur.  Eine  neue  Methode  der  Hautpflege  nach  griechischem  Muster. 

(C.  L.  Schleich.) 

Die  kleine  Arbeit,  die  zugleich  als  Prospekt  der  SchleiclTschen  Präpa¬ 
rate  dient,  macht  Mitteilungen  von  einigen  neuen  Präparaten  zur  Pflege 
der  Haut,  die  sämtlich  Bienenwachs  enthalten.  Schleich  geht  von  dem  Ge¬ 
dankengang  (für  dessen  Richtigkeit  auch  Verf.  vielfach  eingetreten  ist)  aus, 
daß  durch  Waschen  und  Baden  der  Haut  notwendige  Stoffe  entzogen  werden, 
und  glaubt  diese,  da  sich  Wachs  in  der  menschlichen  Haut  findet  und  von 
altersher  in  der  Kosmetik  bewährte  Anwendung  findet,  durch  ein  wasser¬ 
lösliches  Wachspräparat  ersetzen  zu  können.  Es  ist  jedenfalls  der  Mühe 
wert,  mit  der  Schleich’schen  Wachspaste  und  Wachspastenseife  Versuche 
anzustellen. 

Indessen  scheinen  dem  Ref.  solche  Präparate  doch  nur  für  Personen  ange¬ 
zeigt,  die  entweder  eine  sehr  empfindliche  Haut  haben  oder  dem  Waschen 
und  Baden  mehr  ergeben  sind  als  sie  es  vertragen.  Für  den  gesunden 
Menschen  ist  es  sehr  wohl  möglich,  die  mittlere  Linie  zwischen  Unsauberkeit 
und  Auslaugung  der  Haut  mit  Seife  zu  finden.  Wer  die  Seife  nicht  ver¬ 
trägt,  wird  in  der  Regel  die  gewünschte  Reinlichkeit  auch  mit  heißem  Wasser 


408 


Referate  und  Besprechungen. 


erzielen,  welches  der  Haut  lange  nicht  in  dem  Grade  die  Schutzstoffe  ent¬ 
zieht.  Und  wer  an  übelriechender  Hautausdünstung  leidet,  soll  zunächst 
seinen  Stoffwechsel  in  Betracht  ziehen.  Schließlich  dürfte  selbst  Schleich 
zugeben,  daß  die  von  der  Haut  selbst  präparierten  und  an  Ort  und  Stelle  ge¬ 
brachten  Schutzstoffe  immer  noch  besser  sind  als  seine  Wachspaste. 

Einige  Übertreibungen  mögen  wohl  der  Einführung  der  Sehleich’schen 
Präparate  nützlich  sein,  sollen  aber  doch  nicht  unerwidert  bleiben.  „Wir 
wissen,  daß  dieser  „Naturschutz“  (nämlich  die  Schmutzhülle)  der  Träger  ge¬ 
fährlichster  Krankheitserreger  ist.“  Die  Botschaft  haben  wir  oft  gehört, 
allein  es  fehlt  der  Glaube.  „Fort  mit  den  Bürsten  und  wir  würden  eine 
Menge  Krankheiten  nicht  mehr  kennen!“  Welche  denn?  ist  wohl  erlaubt 
zu  fragen.  „Die  Haut  ist  die  einzige  uns  zugängliche  Angriffsstelle  zur 
Stärkung  und  Konservierung  unserer  Gefäßelastizitat  und  so  haben  wür 
also  in  einer  rationellen  Hautpflege  eine  nicht  hoch  genug  zu  schätzende 
Möglichkeit,  unsere  lebenswichtigsten  Funktionen  gleichsam  systematischen 
Turnübungen  zu  unterziehen.“  Sei  ein  Trinker  und  pflege  deine  Haut  nach 
Schleich,  so  wirst  du  deinem  Schlaganfall  nicht  entgehen.  Und  woher 
kommen  die  gesunden  Blutgefäße  eines  Holzknechts,  dessen  Haut  überhaupt 
keine  Pflege  angedeiht,  wenn  man  das  nicht  so  nennen  will,  was  Sonne  und 
Wind  ihr  an  tun  ?  •  F.  von  den  Velden. 


Ueber  den  Sonnenstich. 

(Andrew  Dune  an.  Med.  Klinik,  Nr.  27,  1908.) 

Der  Sonnenstich  beruht  nach  Andr.  Dune  an  auf  der  Einwirkung 
der  aktinischen,  d.  h.  der  chemisch  wirksamen  Strahlen  des  Sonnenlichts 
auf  das  Zentralnervensystem.  Auf  Grund  der  Erfahrungen  am  eigenen  Leibe 
empfiehlt  D.  als  ein  bewährtes  Mittel  den  Sonnenstich  zu  verhüten,  die 
Kopfbedeckung  und  den  Teil  des  Rockes,  welcher  das  Rückgrat  bedeckt, 
mit  orangefarbenem  Stoff  zu  füttern.  R.  Stüve  (Osnabrück). 


Eine  seltene  menschliche  Mißbildung  und  ihre  Bedeutung  für  die  Ent¬ 
wicklungsgeschichte. 

(E.  Falk.  Virchow’s  Archiv  für  path.  Anatomie,  Bd.  192,  H.  3,  S.  544,  1908.) 

Verf.  beschreibt  aus  dem  Berliner  pathologischen  Museum  eine  Frucht 
von  26  cm  Länge,  deren  Entwicklung  jedoch  ungefähr  dem  achten  Monat  des 
intrauterinen  Lebens  entspricht.  Das  geringe  Längenmaß  ist  durch  die  auf¬ 
fallende  Kürze  der  Extremitäten  bedingt,  die  in  manchen  Punkten  äußerlich 
eine  gewisse  Ähnlichkeit  mit  den  Veränderungen  der  fötalen  Chondrodystrophie 
zeigen.  Es  handelt  sich  jedoch  um  eine  andere  Entwicklungsstörung,  die 
zu  einer  Zeit,  in  der  das  Skelettsystem  sich  noch  im  vorknorpeligen  Stadium 
befand,  die  normale  Ausbildung  des  knorpeligen  Skeletts  verhinderte.  Es 
zeigt  diese  Mißbildung  so  an  einzelnen  Teilen  durch  Hemmung  der  Entwicklung 
den  Zustand  des  Skelettes  erhalten,  wie  er  sich  bei  einer  Frucht  von  6  Monaten 
findet.  Der  Fall  beweist  nach  F„  daß  in  der  Tat  auch  beim  Menschen  eine 
Aufnahme  von  spinalen  Wirbeln  in  den  Schädel  zur  Entwicklung  des  Occipi- 
pitale  erfolgt,  daß  der  sogenannte  Occipitalwirbel  in  diesem  Falle,  wie  die 
Durchbohrung  seines  lateralen  Teiles  durch  den  Hypoglossus  beweist,  aus 
zwei  Segmenten  entstanden  sein  muß,  daß  somit  die  Rosenber  g’sche  Theorie, 
nach  der  ein  kaudales  Vorrücken  des  Schädels  während  der  embryonalen 
Entwicklung  des  Menschen  stattfindet,  zu  Recht  besteht. 

Eine  mechanische  Entstehung  dieser  Entwicklungshemmung  durch  äuße¬ 
ren  Einfluß  hält  Verf.  für  nicht  möglich.  Er  glaubt,  daß  sie  wegen  ihrer 
Ausdehnung  über  das  ganze  Skelettsystem  am  wahrscheinlichsten  durch  eine 
Ernährungsstörung  des  aus  dem  Mesenchym  entstehenden  skeletogenen  Ge¬ 
webes  erklärt  werden  müsse.  W.  Risel-Zwickau. 


Referate  und  Besprechungen. 


409 


Wirkung  des  Frauen-Wahlrechts  (?). 

In  Finnland  besitzen  die  Frauen  das  aktive  und  das  passive  Wahlrecht; 
17  weibliche  Abgeordnete  sitzen  im  Parlament.  Aber  auf  der  anderen  Seite 
leidet  die  weibliche  Psyche  unter  den  politischen  Aufregungen,  für  die 
sie  nun  einmal  nicht  geschaffen  ist.  Onni  Granholm,  ein  finnischer  Ge¬ 
lehrter,  hat  gefunden,  daß  die  Psychosen  beim  weiblichen  Geschlecht  seit 
Einführung  des  neuen  Wahlrechts  erheblich  zugenommen  haben;  in  der  kleinen 
Stadt  Nur m es  z.  B.  gab  es  bei  12000  Einwohnern  1900  nur  29  weibliche 
Geisteskranke,  1907  aber  67  (!).  Er  sieht  der  Weiterentwicklung  der  Dinge 
mit  Sorgen  entgegen,  die  sich  zu  dem  Alarmruf  verdichten:  ,,die  Frauen¬ 
bewegung  bringt  die  Menschheit  noch  ins  Irrenhaus.“ 

Buttersack  (Berlin). 


Aus  der  amerikanischen  periodischen  medizinischen  Literatur. 

(November-Dezember  1908.) 

I.  The  Post-Graduate  Novbr.  1908. 

1.  Der  Monat.  Von  den  Herausgebern.  Gelegentlich  des  6.  internat. 
Tuberkulose-Kongresses  wird,  außer  einem  Rückblick  auf  R.  Koch,  seine 
Entdeckungen  und  seine  Lehre,  u.  a.  die  Frage  aufgeworfen,  warum  so 
wenige  Ärzte  in  den  gesetzgebenden  Körperschaften  seien,  handele  es  sich 
doch  bei  der  Bekämpfung  der  Tuberkulose  auch  um  Gesetzgebung  und  Er¬ 
ziehung  des  Publikums.  Also  mehr  Ärzte  ins  Parlament!  Daß  so  wenige 
Amerikaner  fremde  Sprachen  sprechen  und  daher  die  meisten  deutschen  und 
französischen  Vorträge  auf  dem  Kongreß  fast  verloren  gingen,  liegt  am 
Schulunterricht,  der  zu  viel  Gewicht  auf  Grammatik  und  zu  wenig  auf 
Sprachen  legt.  Die  folgenden  fünf  Artikel  beschäftigen  sich  sämtlich  mit 
der  ektopischen  Schwangerschaft.  2.  Vorstellung  von  Beispielen  ekto- 
pisbher  Schwangerschaft.  Von  Dr.  Thompson  Sweeny,  Lehrer  d. 
Frauenkrankh. ;  P.  Gr.  school  and  hosp.  Irrtümer  in  der  Diagnose  kommen 
vor.  In  einem  von  S.  operierten  Fall  konnte  die  Diagnose  erst  nach  Eröffnung 
der  Bauchhöhle,  in  einem  anderen  Fall  erst  nach  Ruptur  der  Tube  gestellt 
werden.  Man  operiere  stets  so  früh  wie  möglich  und  opfere  die  schuldige 
Tube !  Denn  alle  Fälle  von  Tubenschwangerschaf  t  sprechen  von  vorher- 
gegangener  Sterilität,  die  eben  auf  dem  Verschluß  dieser  Tube  beruht.  In 
zwei  von  drei  solchen  Fällen  sah  S.  hinterher  Uterinschwangerschaft.  Der 
dritte  Fall  ist  noch  in  Behandlung.  3.  Zwei  Fälle  von  operierter  ekto¬ 
pischer  Schwangerschaft.  Von  Dr.  C.  A.  Finley,  Lehrer  d.  Frauenkr. 
P.  Gr.  school  and  hosp.  4.  Ein  innerhalb  von  sieben  Monaten  zweimal 
wegen  rechts-  und  linksseitiger  Tubenschwangerschaft  operierter 
Fall.  Von  Dr.  Cora  Ballard,  Lehrer  d.  Frauenkrankh.,  P.  Gr.  sch.  and 
hosp.  5.  Die  Diagnose  der  Extra-Uterinschwangerschaft.  Von  Dr. 
H.  St.  J.  Boldt,  Prof,  der  Frauenkr.;  P.  Gr.  sch.  and  hosp.  6.  Behandlung 
der  Extra-Uterinschwangerschaft.  Von  Dr.  James  N.  West,  Prof, 
usw.  —  Alle  diese  Vorträge  wurden  in  der  Oktober-Sitzung  1908  der  klinischen 
Gesellschaft  der  New- Yorker  Post-Graduate  medical  school  and  hospital  unter 
Vorsitz  von  Dr.  Samuel  Wiyllis  Bandler  gehalten.  7.  Neue  Unter¬ 
suchungsmethoden  in  der  Diagnose  der  Tuberkulose  bei  Kindern 
in  der  New- Yorker  P.  Gr.  sch.  and  hosp.  Von  Dr.  Henry  Dwight 
Chapin,  Prof,  der  KinderkL,  P.  Gr.  sch.  and  hosp.  und  Dr.  T.  Homer  Ooffin, 
Lehrer  der  Pathologie,  ebenda.  Der  Vortrag  ist  am  8.  Oktober  1908  auf  dem 
6.  internat.  Tuberkulose-Kongreß  gehalten.  70  Fälle  von  Tuberkulin-Oph- 
thalmodiagnose.  8.  Glaukopa.  Symptome,  Diagnose  und  Behandlung. 
Von  Dr.  Charles  W.  Kinney.  Vortrag  in  der  Richmond.  med.  Gesellsch. 
9.  X-Strahlen  in  Medizin  und  Chirurgie.  Mit  einem  Überblick  des 
Werkes  des  letzten  Jahres  in  der  New-Yorker  P.  Gr.  sch.  and  hosp. 
Von  Dr.  Byron  David,  klinischer,  elektrotherapeutischer  und  X-Strahlen- 
Assistent,  ebenda.  Vortrag  in  der  Zöglings-Versammlung  der  genannten  Schule. 


410 


.Referate  und  Besprechungen. 


II.  The  american  jour,nal  of  the  medical  Sciences.  Dez;br.  1908. 

1.  Behandlung  des  Tetanus  mit  Subarachnoidal-In  j  ek  tionen 
von  Magnesium-Sulfat.  Von  Dr.  Robert  T.  Miller,  resident  surgeon 
am  John  Hopkin’s  Hospital  und  Lehrer  der  Chirurgie  an  der  gleichnamigen 
Universität  in  Baltimore.  Anknüpfend  an  die  Versuche  Metzler’s  im  Jahre 
1905  (medical  record  1905,  J.  XVIII,  965),  sowie  Haubold’s  und  Meyers 
in  1906  über  den  Einfluß  intravenöser  Infusionen  bezw.  subarachnoidaler 
Injektionen  von  Magnesiumsulfat,  analysiert  M.  14  damit  behandelte  Tetanus¬ 
fälle,  davon  elf  subarachnoidal.  Von  letzteren  elf  genasen  5  .=  55%  Mortalität. 
Die  Fälle  waren  alle  schwerste.  Drei  mit  Infusion  (intravenös)  behandelte 
genasen  alle.  Das  Resultat  ist  ermutigend.  Magnesium-Sulfat  bewirkt  Muskel¬ 
erschlaffung  und  ermöglicht  so  die  Nahrungsaufnahme  usw.  2.  Der  Zug  in 
der  Behandlung  der  Hüftgelenkskrankheiten.  Von  Dr.  E.  H.  Brad¬ 
ford,  orthopäd.  Harvard-Professor  und  Dr.  Rob.  Soutter,  chirurg.  Assistent 
am  Kinderhospital,  Boston.  Vergleich  der  gebräuchlichen  Behandlungsmetho¬ 
den  mit  zahlreichen  erläuternden  Abbildungen.  Empfehlung  des  Zuges.  3.  Das 
Herz  in  der  Lungentuberkulose.  Von  Dr.  Lawrason  Brown,  resident 
physican,  Adirondack  cottage  sanitarium,  Saranac  lake,  New-York.  Der  Zu¬ 
stand  des  Herzens  bei  Lungentuberkulose  ist  wichtig  für  Diagnose,  Prognose 
und  Behandlung,  je  nachdem  es  mit  erkrankt  ist  oder  nicht.  Sich  die  Be¬ 
trachtung  des  miterkrankten  Organs  noch  vorbehaltend,  betrachtete  B.  das 
nicht  miterkrankte  Herz  in  bezug  auf  Lage,  Größe,  Erweiterung  und  aus¬ 
kultatorische  Zeichen,  ferner  den  Puls  und  Palpitationen.  4.  Das  Herz 
während  der  frühen  Periode  der  Konvaleszenz  nach  akuten  Infek¬ 
tionskrankheiten.  Von  Dr.  Beverley  Robinson,  klin.  Professor  d. 
Med.  an  d.  Univers.  und  dem  Bellevue-Hospital,  New-York.  Der  Zustand  des 
Herzens  während  der  genannten  Zeit  ist  noch  nicht  genügend  studiert.  Daraus 
ergibt  sich  das  weitere.  Als  R.  seine  Studien  niedergeschrieben  hat,  erfährt 
er,  daß  der  verstorbene  Architekt  W.  W.  Smith  von  New-York  der  Korpo¬ 
ration  des  New- Yorker  St.-Lucas-Hospital  drei  Mill.  Doll,  vermacht  hat  für 
bedürftige  Rekonvaleszenten  nach  akuten  Krankheiten,  Operationen  usw.  ohne 
Unterschied.  5.  Nicht  tö(dlj.ches  Koma  bei  Diabetes.  Von  Dr.  C.  N. 
B.  Camac,  Lektor  d.  Medizin  an  d.  medical  College  der  Cornill-Universität 
und  Besuchsarzt  am  Stadthospital  New-York.  In  einem  drei  Monate  lang 
beobachteten  Fall  von  Diabetes  bekam  der  Kranke  Koma,  genas  davon 
und  starb  vier  Monate  später  infolge  einer  Hemiplegie.  Ausführliche  Be¬ 
schreibung  des  Falles.  Sektion.  Betrachtungen  über  die  Ätiologie  des  Koma. 
6.  Pathologische  Veränderungen  in  der  Thyreoidea  in  Beziehung 
zu  den  verschiedenen  Symptomen  der  Graves-Krankheit.  Von  Dr. 
Louis  B.  Wilson,  Direktor  der  Laboratorien  am  St.  Mary’s  Hospital, 
Rochester,  Minn.  Basiert  auf  den  pathologischen  Befunden  in  294  Fällen 
von  1898 — 1908,  davon  zwei  nicht  operiert.  Zahlreiche  Photographien  und 
Mikrophotographien  von  Patienten  und  Präparaten.  7.  Polioenöephalitis 
inferior  bei  einem  vierjährigen  Kinde  mit  Ausgang  in  Genesung. 
Von  Dr.  Charles  J.  Judson,  Arzt  am  Christopher  Hospital  und  Dr.  Horace 
Carncross,  Philadelphia.  8.  Der  Go;nokokkus  als  Faktor  für  Infek¬ 
tionen  nach  Abort  oder  rechtzeitiger  Entbindung.  Von  Dr.  Fraser 
B.  Gurd,  erster  Assistent  der  Pathologie  am  allgemeinen  Montreal-Hospital, 
Montreal.  Der  Gonokokkus  verursacht  häufiger  Puerperalfieber  als  allgemein 
angenommen  wird.  Daraus  ergibt  sich  die  Notwendigkeit  einer  genauen 
Anamnese  und  Untersuchung  der  Vagina  der  Schwangeren.  9.  Eine  neue 
Färbemethode  für  Diphtheriehazillen.  Von  Dr.  Wm.  H.  Rush, 
St.  Louis.  Grübler’s  Methylenblau,  Grübler’s  Eosin  ,,W.  G.“,  acid.  tart., 
96%iger  Alkohol,  Aq.  dest.  Farbentafel.  10.  Die  Natur  der  postopera¬ 
tiven  Phlebitis  femoralis.  Von  Dr.  Walter  Hermann  Buhlig,  Lehrer 
d.  klin.  Pathologie  an  der  Northwestern  university  medical  school,  Chikago. 
Die  Bezeichnung  Phlebitis  isit  nicht  immer  korrekt.  Viele  als  Thrombose  oder 
Thrombophlebitis  bezeichnete  Fälle  sind  phlegmasia  alba  dolens. 


Krankenpflege  und  ärztliche  Technik. 


411 


III.  The  St.  Paul  medical  journal.  Dezember  1908. 

1.  Postoperative  Behandlung.  Von  Dr.  H.  J.  O’Brien,  St.  Paul. 
Der  Operateur  soll,  wenigstens  in  der  ersten  Zeit  nach  der  Operation,  die 
Nachbehandlungen  selbst  leiten  und  nicht  anderen  überlassen.  Zu  der  Nach¬ 
behandlung  gehört  auch  die  Sorge  für  den  Komfort  des  Kranken,  das  Über- 
Avachen  von  Übelkeit  und  Erbrechen,  Schmerzlinderung,  Ernährung,  Bettruhe 
und  —  offene  Wundbehandlung.  2.  Akute  Mittelohr  eit  er  ung  mit 
Mastoiditis.  Von  Dr.  E.  W.  Benham,  Mankato.  Eine  ausführliche  Dar¬ 
stellung  der  Pathologie  und  Therapie.  3.  Die  einfache  Atrophie  der 
Kinder  und  ihre  Beziehung  zur  Nahrung.  Von  Dr.  Walter  K.  Ram- 
sey,  St.  Paul.  Unter  einfacher  Atrophie  versteht  B.  diejenige,  die  nicht 
sekundär  nach  Krankheiten  oder  Operationen  usiw.  eintritt,  sondern  Polge  unge¬ 
eigneter  Ernährung,  mangelhafter  Hygiene  und  schlechter  Umgebung  ist 
(sog.  Inanition,  einfacher  Marasmus,  Unterernährung  usw.).  Von  den  beiden 
großen  Gruppen  dieser  —  Atrophie  aus  äußeren,  u.  a.  aus  inneren  Ursachen 
nach  Czerny  —  betrachtet  er  hauptsächlich  die  zweite  und  von  den  inneren 
Ursachen  besonders  die  Milchfrage.  4.  Der  Gehilfe  in  der  Kranken¬ 
stube  (siek  room  helpers).  Von  Dr.  Haldor  Sneve,  St.  Paul.  Forde¬ 
rung  von  Krankenpflegerschulen,  die  an  Stelle  „erfahrener“  Krankenpfleger 
in  allen  Zweigen  ausgebildete  liefern.  5.  Die  0 phthalmo -Tuberkulin- 
Reaktion.  Von  Dr.  H.  W.  Miller,  Jamestown.  Von  21  klinisch  Tuber¬ 
kulösen  reagierten  20  =  mehr  als  95%  positiv,  einer  negativ,  von  59  Ver¬ 
dächtigen  40  =  68%  positiv,  19  negativ.  Von  24  klinisch  Nichttuberkulösen 
reagierten  20  =  über  83%  negativ,  vier  positiv.  Verwendet  wurde  Kocks 
altes  Tuberkulin,  zur  Entfernung  des  Glyzerins  und  Fleischextrakts  mit 
Alkohol  präzipitiert  und  wieder  gelöst  in  normaler  Salzlösung.  Die  Reaktion 
kann  die  Diagnose  nur  unterstützen,  für  sich  allein  nicht  führen. 

In  den  klinischen  und  therapeutischen  Noten,  die  dem  Heft  am  Schluß 
beigegeben  sind,  erwähnt  Dr.  F.  R.  Woodard,  Minneapolis,  vier  Fälle  von 
Descensus  der  Hoden  mit  Operation,  davon  zwei  eigene  und  Dr.  A.  W.  Ab  bot, 
Minneapolis,  einen  interessanten  Fall  von  Extrauterin-Schwangerschaft.  - — 
Die  Anatomie  von  Henry  Gr'ay  (vergl.  Fortsehr.  d.  Med.,  Heft  2,  1909)  ist 
in  der  17.,  von  Chalmers,  Da  Costa  und  Spitzka  durchgesehener,  ver¬ 
besserter  und  vermehrter  Auflage  für  sechs  bezw.  sieben  Dollar  bei  Lea  & 
Febiger,  New-York,  käuflich.  Peltzer. 


Krankenpflege  und  ärztliche  Technik. 

Ein  Leib-Büsten-Hüften-Halter. 

Von  Dr.  Langemak. 

Spezialarzt  für  Chirurgie  und  Orthopädie  in  Erfurt. 

Um  dem  Rücken  sowohl,  wie  dem  Unterleib  eine  gute  Stütze  zu 
sehen,  habe  ich  nach  langen  Versuchen  einen  Halter  hergestellt,  der 
in  sich  ein  Korsett,  eine  Leibbinde  und  ein  Hüftenmieder  vereinigt, 
aber  die  Schädlichkeiten  der  sonst  üblichen  Korsetts  vermeidet.  Wrährend 
bei  allen  anderen  Korsetts  die  Taille  eingeschnürt  und  der  Leib  nach 
unten  gedrängt  wird,  hat  mein  Halter,  der  den  Hüftknochen  aufmodelliert 
wird,  den  Vorzug,  daß  die  Lenden-  und  Magengegend  frei  von  jedem 
Druck  bleibt  und  die  untere  Partie  des  Leibes  in  die  Höhe  gehoben  wird. 
Die  beiden  seitlichen  Schnürvorrichtungen,  die  der  Trägerin  leicht  zu¬ 
gänglich  sind,  gestatten  es,  je  nach  Wkmsch  und  Bedarf  die  Abflachung 
des  Leibes  zu  regulieren,  während  die  hintere  Schnürvorrichtung  nach 
einmaliger  Anpassung  kaum  geändert  werden  braucht.  Der  Halter 
ist  jederzeit  ohne  fremde  Hilfe  anzulegen,  und  seitdem  auch  die  Strumpf- 


412 


Krankenpflege  und  ärztliche  Technik. 


bänder  an  den  Laschen  festgenäht  sind,  nicht  mehr  wie  in  der  Abbil¬ 
dung  mit  Knopf  und  Öse  befestigt  werden,  erfordert  das  Anlegen  des 
Halters  nicht  mehr  Zeit  als  das  jedes  gewöhnlichen  Korsetts. 

Der  Halter  bietet  den  Kranken,  die  für  die  nach  Operationen, 
Entbindungen  usw.  geschwächten  Bäuchdecken  einen  guten  Halt  haben 
wollen  den  großen  Vorteil,  daß  Korsett  und  Leibbinde  vereinigt  ist,  den 
korpulenten  oder  an  Hängebauch  leidenden  Frauen  die  Annehmlichkeit, 
daß  die  Figur  schlanker,  der  Leib  kräftig  gestützt  wird.  Nicht  minder 
gerne  wird  aber  der  Halter  von  gesunden  Frauen  getragen,  weil  er 
unter  Vermeidung  jeglicher  Schädlichkeit  die  Vorteile  für  eine  elegante 
Figur  in  sich  vereint,  die  sonst  ein  Büstenhalter  und  ein  Hüftenhalter 


erzielt.  Ein  Verschieben  ist  unmöglich,  weil  unten  die  Strumpfbänder, 
oben  die  Achselträger  einen  festen  Sitz  garantieren.  Dabei  ist  die 
Bewegungsfreiheit  in  keiner  Weise  behindert.  Bei  den  neuen  Modellen 
sind  nämlich  die  vorderen  Enden  der  Achselträger  aus  Gummistreifen 
gefertigt,  die  beliebig  verstellt  werden  können ;  Amm  Busenteil  gehen 
unter  den  Armen  zwei  Gummizüge  nach  dem  Bückenteil,  dessen  unterer 
Abschnitt  ebenfalls  aus  breitem  Gummi  hergestellt  ist.  Es  wird  durch 
diese  Anordnung  ein  vorzüglicher  Übergang  des  Kückens  in  das  Gesäß 
hervorgerufen  und  gleichzeitig  eine  ideale  Anpassung  des  eigentlichen 
Bauchbindenteiles  erzielt.  Dieser  geht  nur  in  einfacher  Lage  über 
den  Unterleib,  trägt  also  gar  nicht  auf.  Die  jetzige  Ausführung  ist  in 
vieler  Hinsicht  noch  vollkommener  und  eleganter,  als  das  erste  in  den 
Abbildungen  wiedergegebene  Modell;  das  Wesentliche  der  Konstruktion 
geht  aber  aus  den  Zeichnungen  hervor. 


Krankenpflege  und  ärztliche  Technik. 


413 


Der  Leib-Büsten-Hüften-Halter  ist  vom  Patentamt  unter  Nr.  853900 
als  Gebrauchsmuster  geschützt  und  von  der  Leibbinden-  und  Korsett- 
Fabrik  Friedrich  Schunck  in  Coburg  zu  beziehen.  Der  Preis  beträgt 
je  nach  Ausführung  12,  15,  25  und  30  Mark.  Die  Ausführung  auch 
des  billigsten  Modelles  ist  eine  so  vorzügliche,  daß  sie  angelegentlichst 
empfohlen  werden  kann. 


Zur  Technik  der  Bandagenbehandlung  der  Brüche. 

Von  Dr.  Paul  Bernstein. 

(Zeitschr.  für  ärztl.  Fortbildung,  5.  Jahrg.,  Nr.  23.) 

Von  den  drei  in  Betracht  gezogenen  Typen  von  Bruchbändern  für 
Unterleibsbrüche  sei  zunächst  das  älteste,  das  Dr.  Wolf ermann’sche  Bruch¬ 
band  in  bezug  auf  Konstruktion  und  besondere  Eigenschaften  einer  Be¬ 
sprechung  unterzogen.  Das  gesteckte  Ziel,  ein  Bruchband  zu  konstruieren, 
welches  auf  jede  Form  und  etwaige  Verlagerung  des  Bruches  einzuwirken 
vermag,  führte  zur  Herstellung  dieses  in  den  drei  stereometrischen  Achsen 
verstellbaren  Bruchbandes,  wie  es  in  toto  durch  Fig.  1  dargestellt  ist. 


Fig.  1. 


Der  Pelotenkörper  hat  nicht  die  flache  Form  gewöhnlicher  Bruchband- 
peloten,  sondern  ist  oval  geformt  und  tritt  in  der  Mitte  stark  konvex  hervor. 
Durch  diese  Form  wird  eine  nachhaltige  Kompression  des  Leistenkanals  ge¬ 
währleistet,  ohne  welche  eine,  die  Heilung  des  Bruches  einleitende  Verklebung 
der  Wandungen  des  Leistenkanals  nicht  herbeizuführen  ist.  Die  eigentümliche 
Tiefenwirkung,  die  durch  den  Druck  dieser  Pelote,  deren  Art  und  Form 
aus  Fig.  2  und  3  deutlich  erkennbar  ist,  auf  die  Bruchpforte  und  den 


Fig.  2. 


Fig.  3. 


Leistenkanal  in  seiner  ganzen  Ausdehnung  ausgeübt  wird,  läßt  sich  bei 
körperlicher  Anstrengung  irgendwelcher  Art  dadurch  verstärken,  daß  der 
Druckkörper  der  Pelote  durch  eine  einfache  Schiebevorrichtung  ausgelöst 
und  in  federndem  Zustande  in  dieser  druckverstärkenden  Stellung  erhalten 
wird.  Fig.  2  zeigt  die  Pelote  in  Ruhestellung,  so  wie  sie  bei  ruhiger 
Lebensweise  eingestellt  sein  muß ;  Fig.  3  stellt  die  Pelote  so  dar,  wie  sie 


414 


Krankenpflege  und  ärztliche  Technik. 


zur  Erzielung  des  verstärkten  Druckes  hergerichtet  wird.  Diese  Druck¬ 
regulierung  geschieht  mittels  Knopfschiebers,  der  an  Fig.  2  und  3  sicht¬ 
bar  ist.  Die  nachhaltige  und  erforderlichenfalls  zu  verstärkende  Tiefen¬ 
wirkung  der  Pelote  wird  somit  durch  eine  sinnreiche  Kräftekombination,  die 
aus  Federspannung  und  Hebelwirkung  hervorgeht,  erzeugt.  Zu  erwähnen 
ist  noch,  daß  der  Druckkörper  selbst  aus  weichem,  mit  Sammet,  Leder 
oder  Trikot  überzogenem  Gummi  besteht.  Die  Heilwirkung  dieses  Bruch¬ 
bandes  zeigt  sich  dergestalt,  daß  häufig  schon  nach  wenigen  Monaten  des 
Gebrauchs  eine  partielle  Verklebung  des  Bruchkanals  und  die  hieraus  resul¬ 
tierende  V erkleinerung  des  Bruches  in  die  Erscheinung  zu  treten  pflegt. 
Von  da  bis  zur  Heilung  des  Bruches  ist  bei  sonst  günstigen  JSTebenumständen 
nur  eine  Zeitfrage. 

Um  das  vorstehend  beschriebene  Dr.  Wolf  ermann’sche  Bruchband 
auch  bei  erheblichen  Senkungen  und  sonstigen  Verlagerungen  des  Leisten- 
bezw.  Hodenbruches  wirksam  zu  erhalten,  und  um  es  auch  selbst  für  Schenkel¬ 
brüche  verwendbar  machen  zu  können,  war  es  nötig,  auf  eine  größere  Ver¬ 
stellbarkeit  der  Längs-  und  Querachse  der  Pelote  Bedacht  zu  nehmen.  Dr.  Paul 
Bernstein,  hat  es  sich  angelegen  sein  lassen,  das  Dr.  Wo  1  ferm  amt  sehe 
Bruchband  entsprechend  zu  modifizieren. 


Fig.  4.  Fig.  5. 


Man  sieht  in  Fig.  4  und  5,  daß  dieses  Bruchband  mit  dem  gleichen 
Mechanismus  zur  Druckverstärkung  versehen  ist,  wie  das  vorher  beschriebene. 
Ein  wesentlicher  Unterschied  besteht  in  der  Anbringung  der  Beckenfeder  mit 
dem  Dreischlitzsystem  b,  die  mit  ihrem  vorderen  Ende  auf  der  Peloten- 
platte  c  festgeschraubt  ist.  Der  eigentliche  Druckkörper  a  besteht  auch 
bei  diesem  Bruchbande  aus  weichem  Gummi.  Fig*.  6  zeigt  die  freiliegende, 


Fig.  6. 


aus  dem  Beckengürtel  entfernte  Feder  mit  ihrem  dreifachen  Schlitzsystem, 
welches  dieses  Bruchband  mehr  als  jedes  andere  befähigt,  einer  Verlagerung 
des  Bruches  entgegenzuwirken.  Auch  diese  Bandage,  ,,Dr.  Wolfermann- 
Bernstein  sches  Bruchbiand‘‘  genannt,  hat  gleich  dem  vorhin  beschriebenen 
eine  bruch verkleinernde  und,  günstige -Umstände  vorausgesetzt,  heilende  Wir¬ 
kung.  Der  ebenfalls  nach  Dr.  Berns  tein’s  Angabe  hergerichtete  eigen¬ 
artige  Bezug  des  Pelotenkörpers  und  Beckengürtels  befähigt  dieses  Bruch¬ 
band  in  .  besonders  hohem  Maße  zur  Schweißaufsaugung  und  Schweißver¬ 
dunstung. 


Krankenpflege  und  ärztliche  Technik. 


415 


Schließlich  sei  noch  auf  das  in  dem  eingangs  erwähnten  Artikel  an¬ 
geführte  ,,Dr.  Ber  nstein’s  Tropenbruchhand  Multiform“  hingewiesen, 
welches  unlängst  bereits  in  der  „Berliner  klinischen  Wochenschrift“  einer 
eingehenden  Besprechung  unterzogen  worden  ist.  Dieses  Bruchband  führt 
seinen  Namen,  weil  es  nicht  allein  für  hohe  Temperaturen  und  stark  trans¬ 
pirierende  Personen  geeignet  ist,  sondern  weil  andererseits  auch  die  Pelote 
je  nach  Bedarf  in  vielfacher  Form  ohne  weiteres  eingefügt  werden  kann. 
Auch  mit  diesem  Bruchbande  ist  daher  eine  durchaus  individuelle  Behandlung 
des  Bruchleidenden  möglich.  Die  Bruchbänder  dieses  Typs  sind  zwar  außer¬ 
ordentlich  bequem  und  leicht,  jedoch  nicht  geeignet,  auf  Heilung  hinzuwirken ; 
sie  gebieten  nur  der  V ergrößerung  des  Bruches  Einhalt,  und  sind  nur  bei 
kleineren  Brüchen,  eventuell  Bruchanlage  verwendbar. 


Das  ,,Dr.  Berns tßin’sche  Tropenbruchband  Multiform“  ist,  wie 
Fig.  7  zeigt,  in  seine  einzelnen  Teile  zerlegbar.  A  stellt  den  aus  elfenbein- 
farbigem  Zelluloid  hergestellten  Pelotendeckel  dar,  dessen  gekröpfter  Band 
zur  Aufnahme  des  neben  B  sichtbaren  Druckkörpers  bestimmt  ist.  Letzterer 
besteht  aus  einer  außerordentlich  weichen,  gummiähnlichen  Masse;  er  kann 
mit  der  Hand  aus  dem  Pelotendeckel  herausgehoben  werden  und  ist  hierdurch 
leicht  durch  einen  Beservedruckkörper,  der  jedem  Bruchbande  beigefügt  wird, 
zu  ersetzen.  Diese  'Auswechselbarkeit  macht  sich  bei  empfindlicher  Haut 
und  starker  Transpiration  sehr  angenehm  fühlbar.  Die  aus  feinstem  Stahl 
hergestellte  Beckenfeder  C  macht  infolge  ihres  mehrfachen  Schlitzsystems  die 
Pelote  in  der  Länge  und  Quere  vielfach  verstellbar,  so  daß  einer  Verlagerung 
bezw.  Senkung  des  Bruches  durch  Umstellung  der  Pelote  leicht  Bechnung 
getragen  werden  kann.  Sogar  die  Druckverhältnisse  auf  das  Os  pubis  lassen 
sich  mit  Leichtigkeit  regulieren.  D  zeigt  den  von  der  Feder  abgezogenen 
Beckengürtel. 

Das  Gewicht  dieses  Bruchbandes  beträgt  nur  ca.  150  g.  Diese  Bandagen 
werden  hergestellt  in  der  Bandagenfabrik  von  E.  Kraus,  Berlin  S.  14,  Kom¬ 
in  and  an  t-enstr.  55. 


416 


Kongresse  und  Versammlungen. 


Kongresse  und  Versammlungen. 

Zweiter  Kongreß  der  Deutschen  Gesellschaft  für  Urologie. 

Vom  18.  bis  22.  April  d.  J.  im  Langenbeckhaus  Berlin,  Ziegelstraße  10/11. 

Sonntag,  den  18.  April,  nachmittags  4  Uhr:  Vorstandssitzung  in  der  Geschäfts¬ 
stelle  Berlin  W.,  Viktoriastraße  19. 

Abends  Slj2  Uhr:  Begrüßung  und  Empfang  der  Kongreßteilnehmer  mit  ihren 
Damen  durch  die  Berliner  Mitglieder  der  Deutschen  Gesellschaft  für  Urologie 
im  Preußischen  Abgeordnetenhause. 

Montag,  den  19.  April,  pünklich  9  Uhr,  Eröffnung  des  Kongresses  im  Langenbeck- 
hause  und  daran  anschließend  eine  wissenschaftliche  Sitzung. 

Thema:  Urologie  und  Gynäkologie. 

Referenten:  Prof.  Dr.  Sto eckel-Marburg. 

Prof.  Dr.  Wertheim- Wien. 

Nachmittags  21/2  Uhr:  Sitzung,  Vorträge  aus  dem  Gebiete  der  Harnröhren¬ 
krankheiten. 

Dienstag,  den  20.  April,  vormittags  9  Uhr  Sitzung. 

Thema:  Die  eitrigen,  nicht  tuberkulösen  Affektionen  der  Nieren. 

Referenten:  Prof.  Dr.  v.  Frisch- Wien. 

Prof.  Dr.  B  arth- Danzig. 

Nachmittags  2  Uhr:  Sitzung,  Vorträge  aus  dem  Gebiete  der  Nierenkrankheiten, 
anschließend  Projektionsabend. 

Abends  8 */2  Uhr:  Bankett  mit  Damen  im  Kaiserhof. 

Mittwoch,  den  21.  April,  vormittags  9  Uhr:  Sitzung. 

Thema:  Blasentumoren. 

Referenten:  Prof.  Dr.  C asp er-Berlin. 

Prof.  Dr.  Zuck  er  kan  dl- Wien. 

Nachmittags  2l/2  Uhr:  Sitzung,  Vorträge  aus  dem  Gebiete  der  Blasen-  und 
Prostatakrankheiten. 

Donnerstag,  den  22.  April,  vormittags  9  Uhr:  Sitzung,  Vorträge  über  verschiedene 
Themata  aus  der  Urologie. 


26.  Kongreß  für  innere  Medizin. 

Vom  19.  bis  22.  April  wird  zu  Wiesbaden  unter  dem  Vorsitze  des  Geh.  Med.- 
Rat  Prof.  Dr.  Schultze  (Bonn)  der  26.  Kongreß  für  innere  Medizin  tagen.  Die 
Sitzungen  finden  im  Paulinenschlößchen,  Sonnenberger  Straße  8  a,  statt.  Das  Bureau 
befindet  sich  ebendaselbst.  Als  schon  länger  vorbereitete  Verhandlungsgegenstände, 
für  welche  Autoritäten  ersten  Randes  die  Referate  übernommen  haben  und  welche 
bedeutendes  aktuelles  Interesse  haben,  stehen  auf  dem  Programme:  Der  Mineral¬ 
stoffwechsel  in  derklinischenPathologie.  Referent:  Magnus-Levy  (Berlin). 
Hierzu  findet  ein  Vortrag  Wi dal  (Paris) :  Die  therapeutische  Dechloruration 
statt.  Am  dritten  Sitzungstage:  Mittwoch,  den  21.  April  wird  He  ad  (London)  einen 
Vortrag  über  Sensibilität  und  Sensibilitätsprüfung  halten. 

Weitere  Vorträge  sind  u.  a.  angemeldet  und  zwar  über: 

Kreislaufkrankheiten  von  v.  Bergmann  und  Plesch,  Hering,  Horn¬ 
berger,  Külbs,  Lüdke,  Otfried  Müller,  Friedei  Pick,  Rumpf,  J.  Stras- 
burger,  Strobel,  Strauß. 

Über  Lungenkrankheiten  und  Atmung  von  Bauer,  Bönninger, 
Engel,  Fischer,  Goldscheider,  Schilling. 

ÜberNervenkrankh eiten  vonN aegeli-Naef , Sch önborn,  A. Siegmund. 

Über  Verdauung  von  A.  Bickel,  Lenhartz,  Determann  und  Wein¬ 
gärtner,  Kirchheim,  Mohr  und  Beuthen  uiüller,  Plönies,  Rodari,  Schütz 
—  und  eine  große  Reihe  von  Vorträgen  aus  verschiedenen  Gebieten. 


Schriftleitung:  Dr.  Ri  gier  in  Leipzig. 

Druck  von  Emil  Herrmann  senior  in  Leipzig. 


27.  Jahrgang. 


1909. 


Tortscbritte  der  medizin. 


Unter  Mitwirkung  hervorragender  Fachmänner 

herausgegeben  von 

Professor  Dr.  0.  Köster  Prio.-Doz.  Dr.  e.  gricgern 

in  Leipzig.  in  Leipzig. 

Schriftleitung:  Dr.  Rigler  in  Leipzig. 


Nr.  11. 


Erscheint  am  10.,  20.,  30.  jeden  Monats.  Preis  halbjährlich 
6  Mark,  inkl.  Zeitschrift  für  Tersicherungsmedizin  8  Mark. 


Verlag  von  Georg  Thieme,  Leipzig. 


20.  April. 


Originalarbeiten  und  Sammelberichte. 

Arbeit  als  Kurmittel  in  der  Psychotherapie. 

Von  Dr.  A.  Stegmann. 

(Vortrag,  gehalten  am  30.  Januar  1909  in  der  Gesellschaft  für  Natur-  u.  Heilkunde 

zu  Dresden.) 

Daß  man  regelmäßige  Arbeit  als  Kurmittel  bei  krankhaften  Seelen¬ 
zuständen  verwenden  kann,  ist  eine  altbekannte  Tatsache,  und  be¬ 
sonders  in  der  Psychiatrie  hat  man  ganze  Systeme  auf  dem  Prinzip 
der  geordneten  Beschäftigung  der  Kranken  aufgebaut.  Die  kolonialen 
Anstalten  und  die  Einrichtungen  zur  familiären  Irrenpflege  sind  in 
erster  Linie  deshalb  geschaffen  worden,  um  ausreichende  und  passende 
Arbeitsgelegenheit  für  Kranke  zu  haben,  welche  einer  länger  dauernden 
psychischen  Behandlung  bedürfen,  und  wenn  in  den  großen  .Irren¬ 
anstalten  noch  heute  zahlreiche  chronisch  Kranke  gar  nicht  oder  nur 
ungenügend  beschäftigt  bleiben,  so  liegt  dies  nicht  an  einem  Mangel 
theoretischer  Erkenntnis  von  seiten  der  Ärzte,  sondern  in  erster  Linie 
an  der  LTnzulänglichkeit  der  Einrichtungen  und  der  finanziellen  Mittel. 
Auch  die  Sanatorien  und  die  Heilstätten  für  Nervenkranke  haben  von 
jeher  das  Bestreben  gehabt,  ihren  Kranken  Gelegenheit  zu  systema¬ 
tischer  Betätigung  zu  geben,  und  ganz  besonders  die  Volksheilstätten 
für  Nervöse  bemühen  sich  anscheinend  mit  Erfolg  in  dieser  Dichtung, 
aber  schon  in  den  für  wohlhabendere  Kreise  bestimmten  Sanatorien, 
und  noch  mehr  in  der  freien  Praxis  stellen  sich  diesen  Bestrebungen 
Hindernisse  entgegen,  deren  Überwindung  einer  ganz  besonderen  Auf¬ 
merksamkeit  und  Sorgfalt  des  Arztes  und  meist  eines  großen  Zeitauf¬ 
wandes  bedarf,  und  es  scheint  mir  daher  nicht  überflüssig,  auf  die 
Bedeutung  der  Arbeit  als  Kurmittel  bei  der  Behandlung  Nervenkranker 
etwas  näher  einzugehen.  Ein  solches  Thema  nach  allen  Seiten  hin  zu 
beleuchten  ist  allerdings  in  einem  Vortrag  nicht  möglich,  ich  werde 
mich  vielmehr  auf  die  Hervorhebung  einiger  für  die  Praxis  wichtiger 
Punkte  beschränken  müssen  und  werde  versuchen,  Ihnen,  soweit  mög¬ 
lich,  an  der  Hand  von  Bruchstücken  einzelner  Krankengeschichten  zu 
zeigen,  woran  es  liegt,  daß  es  oft  schwer  ist,  zu  bestimmen,  ob  ein 
Kranker  überhaupt  arbeiten  soll,-  wann  er  damit  zu  beginnen  hat  und 
welches  Maß,  welche  Art  von  Tätigkeit  für  ihn  paßt. 

Daß  Nervenkranke  ihr  Leiden  als  Vorwand  benützten,  um  nicht 
arbeiten  zu  müssen,  daß  sie  faul  seien,  wird  zwar  oft  behauptet, 
genauere  Beobachtung  lehrt  aber,  daß  die  Mehrzahl  von  ihnen,  ganz 

27 


418 


A.  Stegmann, 


im  Gegensatz  zu  dieser  landläufigen  Anschauung,  einen  starken  Trieb 
zur  Tätigkeit  hat.  Verschiedene  Gründe  hindern  freilich  die  Um¬ 
setzung  des  guten  Willens  in  die  Tat  und  diese  Gründe  festzustellen, 
ist  die  erste  Aufgabe  des  behandelnden  Arztes. 

Liegt  körperliche  Erschöpfung  vor,  sei  sie  nun  durch  Organ¬ 
erkrankungen  oder  auch  durch  mangelhafte  Ernährung  bedingt,  so  ist 
eine  Besserung  des  Kräftezustandes  natürlich  zuerst  anzustreben  und 
dazu  wird  meist  eine  Zeit  unbedingter  körperlicher  und  geistiger  Buhe 
erforderlich  sein ;  aber  diese  völlige  Ausschaltung  jeder  Tätigkeit  darf 
nicht  zu  lange  fortgesetzt  werden,  sonst  geht  dem  Kranken  die  Fähig¬ 
keit  sich  aufzuraffen  überhaupt  verloren,  und  die  körperliche  Schwäche 
wird  unvermerkt  abgelöst  durch  eine  Willenslähmung,  die  dann  wieder 
ihrerseits  das  Allgemeinbefinden  ungünstig  beeinflußt.  So  fand  ich 
eine  Lehrersfrau  in  einem  Dorfe  der  Lausitz  aufs  höchste  abgemagert  im 
Bett  liegend.  Sie  war  'bereits  seit  mehr  als  einem  J ahr  nicht  zum  Auf¬ 
stehen  zu  bewegen,  hielt  das  Zimmer  verdunkelt  und  fürchtete  jeden 
Luftzug.  Das  Leiden  sollte  sich  im  Anschluß  an  Gelenkrheumatismus 
eingestellt  haben,  es  fanden  sich  aber  keine  organischen  Veränderungen, 
und  es  gelang  mir  schon  beim  ersten  Besuch,  die  Kranke  zu  überzeugen, 
daß  sie  stehen  und  den  Versuch  zu  gehen  machen  konnte.  Sie  hat  dann, 
wie  ich  höre,  durch  regelmäßige  Übungen,  allerdings  erst  im  Laufe  von 
zwei  J ahren,  einigermaßen  ihre  freie  Beweglichkeit  wieder  erhalten 
Wäre  sie  von  Anfang  an  zu  regelmäßigen  Muskelübungen  angehalten 
worden,  so  hätte  die  Krankheitsdauer  sicher  ganz  erheblich  abgekürzt 
werden  können.  In  den  meisten  Fällen  freilich  beruht  die  Arbeitsunfähig¬ 
keit  auf  psychisch  bedingten  Störungen  und  stellt  sich  bei  näherer 
Betrachtung  als  eine  Folge  mehrerer  schädlich  wirkender  Momente  dar, 
unter  denen  die  Menge  der  geleisteten  Arbeit,  die  „Überarbeitung“ 
zwar  das  am  häufigsten  angegebene,  in  Wirklichkeit  aber  keineswegs 
das  wichtigste  ist.  Die  einfache  Überarbeitung  pflegt  ihre  Grenze 
zu  finden  in  körperlicher  Erschöpfung  und  ihre  Folgen  gleichen  sich 
verhältnismäßig  rasch  aus,  wenn  die  Ursache  beseitigt  ist,  ohne  daß 
es  einer  eingreifenderen  ärztlichen  Behandlung  bedürfte.  So  kann  die 
Überlastung  mit  Berufsarbeit  als  selbständige  Krankheitsursache  aus 
unseren  Betrachtungen  ausscheiden,  dafür  aber  haben  wir  uns  einer 
Form  der  Überanstrengung  zuzuwenden,  aus  der  Nervenleiden  auch 
bei  Menschen  entstehen  können,  die  eine  nutzbringende  Tätigkeit  nie¬ 
mals  oder  doch  seit  langer  Zeit  nicht  mehr  ausgeübt  haben.  S.  Freud 
hat  uns,  bestimmter  als  es  je  vorher  geschehen  ist,  gelehrt,  welch 
enorme  Kräfteanspannung  die  innere  Verarbeitung  von  Affekten  ver¬ 
langt,  deren  normales  Abklingen  aus  irgendwelchen  Gründen  verhindert 
wird.  Freud  hat  bekanntlich  die  Behauptung  aufgestellt,  daß  die 
wichtigste  und  bei  genauerer  Psychonalyse  stets  nachweisbare  Ursache 
der  Neurosen  im  Gebiet  der  Sexualempfindungen  zu  suchen  sei,  und 
er  bringt  in  seinen  zahlreichen  Arbeiten  so  viele  Beweise  für  diese 
Ansicht,  daß  meiner  Überzeugung  nach  nicht  mehr  an  ihrer  Nichtigkeit 
gez  weif  eit  werden  kann.  Den  naheliegenden  und  oft  gehörten  Vor¬ 
wurf  der  Einseitigkeit  und  der  Übertreibung  habe  auch  ich  an  dieser 
Stelle  mehrfach,  und  zuletzt  noch  im  vorigen  Jahre,  wenn  auch  nur 
bedingt  ausgesprochen,  ich  halte  ihn  aber  für  völlig  unberechtigt,  seit 
ich  die  Werke  des  Wiener  Autors  genau  kenne.  Daß  der  von  ihm 
behauptete  ätiologische  Zusammenhang  besteht,  ist  sicher,  aber  Freud 
selbst  sagt  nicht,  daß  man  in  jedem  Falle  danach  forschen  müsse.  Oft 


Arbeit  als  Knrmittel  in  der  Psychotherapie. 


419 


genug  ist  der  praktische  Zweck  schon  zu  erreichen,  wenn  nur  die 
sekundären  Krankheitsursachen  beseitigt  werden,  und  hei  der  Mehrzahl 
der  leichteren  Erkrankungen  sind  wir  nicht  zur  Anwendung  der  syste¬ 
matischen  Psychoanalyse  genötigt.  Will  man  aber  die  Krankheit  mit 
der  Wurzel  ausrotten  oder  handelt  es  sich  um  jene  schweren  Formen, 
hei  denen  alle  anderen  Kurversuche  erfolglos  geblieben  sind,  so  kommt 
man  ohne  dieses  Verfahren  nicht  aus.  Freud  hat  nie  verlangt,  daß 
man  jeden  Kranken  nach  seinem  Sexualleben  fragen  solle,  er  lehrt 
uns  aber  eine  neue  Art  der  Anamnesenerhebung,  er  zeigt,  wie  man 
den  leidenden  Menschen  zum  Aussprechen  seelischer  Vorgänge  anleitet, 
wie  man  ihn  ausfragt,  ohne  etwas  in  ihn  hinein  zu  fragen.  Diese 
Art  des  vorurteilslosen  aber  doch  vorsichtigen  und  schonenden  Eingehens 
auf  alle,  auch  die  nicht  klar  bewußten,  psychischen  Regungen  läßt 
uns  in  vielen  Fällen  rasch  die  wahren  Ursachen  der  Überarbeitung 
finden  und  die  Hindernisse  beseitigen,  die  der  Aufnahme  der  Arbeit 
entgegenstehen.  So  klagte  z.  B.  ein  Referendar,  der  körperlich  unge¬ 
wöhnlich  kräftig  und  an  allerlei  Sport  gewöhnt  war,  daß  er  die  seit 
einiger  Zeit  ihm  obliegende  angestrengtere  Arbeit  nicht  mehr  leisten 
könne.  Er  schlief  schlecht,  war  gedankenlos,  müde,  mißmutig,  gereizt 
und  äußerte  Lebensüberdruß.  Die  nähere  Befragung  ergab,  daß  ihm 
bei  einem  Entmündigungstermin  der  Gedanke  aufgeschossen  war,  er 
könne  geisteskrank  werden.  Er  fügte  sofort  ungefragt  hinzu,  daß 
er  fürchte,  sein  Gehirn  durch  Onanie  geschädigt  zu  haben  und  daß 
er  nun  vor  Sorgen  und  Selbstvorwürfen  niemals  zur  Ruhe  komme. 
Belehrung  über  die  Grundlosigkeit  seiner  Angst  genügte,  um  ihn  wieder 
arbeitsfähig  zu  machen,;  und  nun  schien  ihm  seine  Tätigkeit  nicht 
mehr  zu  schwer,  obgleich  er  natürlich  noch  keineswegs  ganz  gesund 
war.  In  solchen  Fällen  wäre  es  ein  verhängnisvoller  Fehler,  eine  Ruhe¬ 
kur  anzuordnen,  hier  darf,  wenn  irgend  möglich,  die  Berufsarbeit  gar 
nicht  unterbrochen  werden.  Aber  auch  in  den  Fällen,  die  eine  länger 
dauernde  Analyse  nötig  machen  und  in  denen  die  Fortsetzung  der 
bisher  gewohnten  Tätigkeit  aus  irgendwelchen  Gründen  unmöglich  ist, 
muß  die  Gewöhnung  an  regelmäßige  Beschäftigung  einen  wesentlichen 
Teil  des  Kurplanes  bilden,  hier  bedarf  es  indessen  oft  einer  längeren 
Vorbereitung’,  ehe  man  den  Kranken  auch  nur  zur  geringsten  Leistung 
zu  bringen  vermag.  Ziemlich  lange  dauerte  dies  bei  einem  jungen 
Ingenieur,  der  tagsüber  wegen  eigentümlicher  Magenbeschwerden  nicht 
sitzen  und  nicht  liegen  konnte.  Man  hörte  bei  ihm  spontan  entstehende 
plätschernde  Geräusche  in  der  Magengegend  und  von  Zeit  zu  Zeit 
erfolgte  unter  knallendem  Geräusch  Aufstoßen  von  Luft.  Dabei  trat 
Angst  und  Beklemmungsgefühl  ein,  so  daß  Patient  aufspringen  und 
im  Zimmer  umherlaufen  mußte.  Solange  dieser  Zustand  anhielt,  war 
natürlich  jede  Beschäftigung  ausgeschlossen,  sie  konnte  erst  beginnen 
nach  Beseitigung  der  quälendsten  Symptome  durch  Psychonalyse. 

Je  eher  es  aber  gelingt,  die  Aufnahme  irgend  einer  Tätigkeit 
durchzusetzen,  um  so  besser  ist  es,  und  auch  anfängliche  Mißerfolge 
dürfen  uns  nicht  von  der  Wiederholung  des  Versuchs  abschrecken. 
So  bemühte  ich  mich  lange  Zeit  vergeblich,  einen  jungen  Kaufmann  zur 
Aufnahme  einer  Beschäftigung  zu  bewegen,  der  an  Zwangsneurose,  litt. 
Im  Geschäft  hatte  er  stundenlang  vor  den  einfachsten  Arbeiten  gesessen, 
da  er  nicht  wagte,  das  Blatt  im  Buche  umzuwenden,  einen  Brief 
äbzuschicken  u.  dergl.  Zu  Hause  war  er  äußerst  verschlossen,  sprach 
anfangs  fast  gar  nichts  und  verbrachte  den  Tag  in  angstvollem  Grübeln. 

27* 


420 


A.  Stegmann, 


Als  er  dann  anfing  etwas  zugänglicher  zu  werden,  trug  ich  ihm  leich¬ 
teste  schriftliche  Arbeiten  auf,  er  vermochte  sie  aber  nicht  zu  leisten 
und  es  bedurfte  immer  neuer  Anleitung,  bis  es  endlich  doch  gelang. 

Nichts  wäre  allerdings  verkehrter,  als  in  solchen  Fällen  mit 
Vorwürfen  und  mit  Ermahnungen  zu  größerem  Fleiß  einen  Zustand 
bekämpfen  zu  wollen,  der  wohl  nach  außen  hin  als  Trägheit  erscheinen 
mag,  der  aber,  wie  wir  gesehen  haben,  in  Wirklichkeit  eine  Art  krampf¬ 
hafter  innerer  Tätigkeit  dar, stellt.  Der  Leidende  selbst  hat  hiervon 
gewöhnlich  nur  eine  unbestimmte  Vor  Stellung.  Solche  Patienten  er¬ 
scheinen  sich  leicht  selbst  als  faul  und  machen  sich  die  schwersten 
Vorwürfe,  während  sie  doch  zugleich  den  von  anderen  ausgesprochenen 
Tadel  als  unberechtigt  und  kränkend  empfinden,  ein  Zwiespalt,  der 
nur  weiter  dazu  beiträgt,  die  Beunruhigung  zu  steigern  und  die  Kräfte 
lahm  zu  legen.  Hier  muß  eine  systematische  Anleitung  einsetzen, 
die  mit  ganz  geringen  Anforderungen  beginnend  die  Einstellung  des 
Willens  auf  ein  bestimmtes  Ziel  und  die  Überwindung  störender  Emp¬ 
findungen  lehrt,  seien  diese  nun  Ermüdungsgefühle  und  Schmerzen 
oder  Angst  und  innere  Unruhe.  Anfangs  fehlt  die  Fähigkeit  hierzu 
noch  und  deshalb  dürfen  die  Ansprüche  nur  sehr  bescheiden  sein, 
wenn  wir  die  Fortsetzung  der  Arbeit  auch  dann  verlangen  wollen, 
wenn  die  Beschwerden  stärker  werden.  Sobald  wir  das  dem  Kranken 
erreichbare  Maß  überschreiten,  verliert  er  das  Vertrauen  zu  unserer 
Führung  und  gerät  in  eine  Oppositionsstellung,  aus  der  ihn  zu  be¬ 
freien  immer  sehr  schwer  und  oft  nur  durch  einen  Wechsel  des  behan¬ 
delnden  Arztes  möglich  ist.  So  verdarb  ich  mir  in  einem  sehr  inter¬ 
essanten  Fall  den  Erfolg.  Eine  junge  Frau  hatte  schon  vor  der  Geburt 
des  ersten  Kindes  an  heftigem,  die  ganze  Zeit  hindurch  anhaltendem 
Erbrechen  gelitten ;  ihre  zweite  Gravidität  war  unterbrochen  worden, 
weil  durch  die  Hyperemesis  das  Leben  bedroht  erschien,  und  begreif¬ 
licherweise  war  sie  in  großer  Angst,  als  sie  wieder  schwanger  wurde. 
Sie  legte  sich  zu  Bett  und  konnte  nichts  zu  sich  nehmen  ohne  heftiges 
Erbrechen,  auch  jede  Bewegung  löste  krampfhaftes  Würgen  aus.  Ich 
konnte  mich  bald  überzeugen,  daß  die  Erscheinungen  nur  psychisch 
bedingt  waren,  und  es  gelang  in  der  Tat,  die  Kranke  zum  Essen,  zum 
Auf  stehen  und  sogar  zum  Spazierengehen  zu  bringen.  Das  Erbrechen 
blieb  anfangs  nur  in  meiner  Gegenwart,  später  aber  überhaupt  weg 
und  die  Patientin  konnte  ins  Bad  reisen.  Bis  hierher  war  ein  energisches, 
zeitweilig  sogar  schroffes  Vorgehen  nötig  gewesen,  ich  machte  aber 
den  Fehler,  eine  weitere  rasche  Steigerung  der  körperlichen  Leistungen 
zu  verlangen  und  verlor  dabei  die  Fühlung  mit  der  Kranken;  pie 
entzog  sich  meiner  Behandlung  und  ich  hörte  vom  weiteren  Verlauf 
nur,  daß  sie  wegen  erneuten  Erbrechens  einen  Gynäkologen  konsultierte, 
daß  aber  eine  Unterbrechung  der  Schwangerschaft  nicht  nötig  wurde. 

Solchen  Kranken  fehlt  oft  auch  völlig  die  Technik  des  Arbeitens ; 
dann  ist  es  zunächst  notwendig,  sie  zu  einer  regelmäßigen  Zeiteinteilung 
anzuhalten,  denn  die  Neigung,  sich  willenlos  von  den  Empfindungen 
des  Augenblicks  beherrschen  zu  lassen,  bringt  in  der  Pegel  eine  schon 
in  der  äußeren  Lebensführung  erkennbare  Vernachlässigung  jeder  Ord¬ 
nung  hervor,  die  dann  ihrerseits  natürlich  wieder  höchst  ungünstig 
wirken  muß.  Man  möchte  nicht  glauben,  wie  hohe  Grade  solche  Ver¬ 
wahrlosung  annehmen  kann,  und  ich  führe  ihnen  deshalb  einen  extremen 
Fall  dieser  Art  an.  Eine  Kranke,  die  an  schwerer  Hysterie  litt,  hatte 
sich  allmählich  gewöhnt,  die  Tageszeiten  völlig  umzukehren,  so  daß 


Arbeit  als  Kurmittel  in  der  Psychotherapie. 


421 


sie  erst  abends  spät  statt  morgens  früh  auf  st  and,  mitten  in  der  Nacht 
ihre  Hauptmahlzeit  einnahm  und  gegen  Morgen  wieder  zu  Bett  ging, 
um  dann  den  ganzen  Tag  über  liegen  zu  bleiben.  Es  war  mir  zwar, 
wie  ich  vorausschicken  will,  nicht  möglich,  sie  wirklich  herzustellen, 
aber  soviel  konnte  ich  doch  erreichen,  daß  sie  wenigstens  wieder  die 
Nächte  zur  Schlafenszeit  und  den  Tag  zum  Auf  stehen  bestimmte,  und 
zwar  gelang  dies  hauptsächlich  dadurch,  daß  ich  die  Einleitung  einer 
Hypnosebehandlung,  von  der  sie  sich  außerordentlich  viel  versprach, 
von  ihrem  Erscheinen  in  meiner  AVohnung  abhängig  machte  und  sie 
nötigte,  die  Termine  hierzu  allmählich  immer  genauer  einzuhalten. 
Die  Folge  davon  war,  daß  sie  bei  diesen  Wegen  in  die  Stadt  selbst 
begann  eine  Menge  kleiner  Besorgungen  zu  übernehmen,  die  sie  bis 
dahin  nicht  hatte  ausführen  können ;  sie  ernährte  sich  wieder  regel¬ 
mäßig,  machte  später  auch  größere  Beisen  und  erreichte  eine  verhält¬ 
nismäßig  große  Beweglichkeit ;  daß  sie  nicht  völlig  geheilt  wurde, 
hatte  seinen  Grund  in  Komplikationen,  die  hier  kein  Interesse  bieten, 
ich  führe  den  Fall  auch  nur  an,  weil  er  deutlich  zeigt,  wieviel  schon 
allein  dadurch  erreicht  Werdens  kann,  daß  die  Grundlage  aller  Arbeit, 
Ordnung  und  Zeiteinteilung,  geübt  wird. 

In  den  meisten  Fällen  freilich  wird  man  von  vornherein  etwas 
weitergehen  und  gleich  zu  Beginn  bestimmte  Anforderungen  an  die 
körperliche  und  geistige  Leistungsfähigkeit  stellen  können.  Oft  erweist 
sich  dabei  ein  Stundenplan  nützlich,  doch  ist  bei  manchen  Kranken 
die  Angst  vor  allzu  fester  Bindung  an  bestimmte  Zeiten  so  groß,  daß 
man  zunächst  hiervon  Abstand  nehmen  muß,  während  andere  wieder 
in  einer  schriftlichen  Verordnung,  die  sie  immer  zur  Hand  haben, 
eine  willkommene  Stütze  finden,  um  sich  über  ihre  bisherige  Unordnung 
hinweg  zu  helfen. 

Für  die  körperliche  Betätigung  kommen  naturgemäß  zunächst 
die  gymnastischen  Übungen  in  Frage,  deren  Nützlichkeit  aber  doch 
meiner  Ansicht  nach  im  allgemeinen  überschätzt  wird.  Zunächst  haftet 
ihnen  der  Fehler  an,  daß  Isie  nur  um  ihrer  selbst  willen  ausgeführt  werden 
müssen  und  daß  sie  deshalb  niemals  ein  solches  Gefühl  der  Befriedigung 
gewähren  können,  wie  es,  die  Leistung  einer  im  praktischen  Leben 
verwendbaren  Arbeit  mit  sich  bringt.  Schlimmer  aber  noch  ist  es, 
daß  sie  sehr  häufig  falsch  ausgeführt  werden  und  deshalb  bedürfen 
sie  einer  ständigen  und  eingehenden  Kontrolle  seitens  des  Arztes  nach 
verschiedenen  Bichtungen  hin.  Zunächst  kommt  es  vor,  daß  die  Kranken 
aus  irgend  welchen  Gründen  keinen  genügenden  Eifer  bei  derartigen 
Übungen  zeigen  und  daß  sie  es  versäumen,  sie  regelmäßig  und  in  der 
vorgeschriebenen  Dauer  auszuführen.  Meiner  Erfahrung  nach  ist  dies 
aber  doch  der  seltenere  Fall;  viel  häufiger  erlebt  man  es,  daß  nach 
dem  Grundsatz  ,,Viel  hilft  viel“  die  vorgeschriebene  Zahl  der  Übungen 
überschritten,  dafür  aber  die  ordnungsmäßige  Ausführung  derselben 
nicht  genügend  beobachtet  wird.  Gerade  bei  denjenigen  Kranken,  die 
im  Gefühl  sich  gegen  den  V orwurf  der  Faulheit  verteidigen  zu  müssen, 
eine  unruhige  Vielgeschäftigkeit  an  den  Tag  legen,  gilt  es,  eine  Begebung 
der  Muskelarbeit  nach  Dauer  und  Menge  zu  lehren.  In  anderen  Fällen 
wieder  wird  man  zunächst  auf  selbständige  Übungen  verzichten  und 
sich  mit  passiver  Gymnastik  begnügen  müssen,  um  überhaupt  die 
Muskeltätigkeit  erst  einmal  wieder  anzuregen.  Immer  aber  ist  das 
Hauptaugenmerk  darauf  zu  richten,  daß  den  Übungen  die  vollste 
Aufmerksamkeit  zugewendet  wird.  Geschieht  dies,  so  stellen  auch  die 


422 


A.  Stegmann,  Arbeit  als  Kurmittel  in  der  Psychotherapie. 


allereinfachsten  Bewegungen  für  manche  Kranke  eine  recht  erhebliche 
Anstrengung  dar  und  es  ist  notwendig,  ihnen  eine  Ruhepause  folgen  zu 
lassen,  zu  deren  Einhaltung  wiederum  die  ärztliche  Autorität  oft  mit 
aller  Energie  eingesetzt  werden  muß,  denn  auch  das  Buhen  muß  in 
solchen  Fällen  meist,  erst  durch  systematische  Übungen  gelehrt  werden. 
Ganz  besonders  zweckmäßig  ist  hierfür  das  Liegen  im  Freien;  es  bietet 
die  Vorteile  der  so  beliebten  übertrieben  langen  Spaziergänge  und  ver¬ 
meidet  doch  deren  bedenklichen  Nachteil,  die  übermäßige  Muskelan¬ 
strengung. 

Daß  die  höchsten  Grade  von  Muskelschwäche  auf  psychischem 
Wege  entstehen  können,  ist  ja  bekannt  und  wir  wissen  von  den  hyste¬ 
rischen  Lähmungen  her,  die  so  oft  plötzlich  durch  suggestive  Beein¬ 
flussung  geheilt  werden,  daß  es  hierbei  nicht  an  der  rohen  Kraft  des 
Muskels,  sondern  vielmehr  an  der  Fähigkeit  fehlt,  das  Organ  durch 
den  Willen  in  Tätigkeit  zu  versetzen. 

Einen  solchen  Fall  von  äußerster  Erschwerung  der  motorischen 
Funktionen  durch  reine  Willensschwäche  kenne  ich  seit  dem  Jahre  1906; 
es  handelt  sich  um  eine  an  Hysterie  leidende  Frau,  bei  welcher  all¬ 
mählich  unter  der  V orstellung  schwerer  körperlicher  Erschöpfung  die 
Leistungsfähigkeit  immer  mehr  zurückging,  so  daß  sie  zunächst  Treppen, 
dann  aber  auch  ebene  Strecken  nicht  mehr  gehen  konnte  und  schlie߬ 
lich  an  den  Fahrstuhl  gefesselt  war,  in  dem  sie  nur  dann  sich  wohl 
befand,  wenn  der  ganze  Körper  einschließlich  des  Kopfes  gut  unter¬ 
stützt  war;  schon  das  bloße  Aufrichten  strengte  sie  so  an,  daß  sie 
Herzklopfen  und  Angst  bekam.  Das  Essen  vermochte  sie  nicht  selbst 
zu  nehmen,  und  allmählich  wurde  ihr  auch  das  Kauen  so  schwer,  daß 
sie  nur  mehr  flüssige  Nahrung  zu  sich  nehmen  mochte.  Turnübungen 
von  dieser  Kranken  zu  verlangen,  wäre  völlig  aussichtslos  gewesen, 
wohl  aber  gelang  es  durch  passive  Bewegungen,  ganz  allmäh¬ 
lich  wieder  eine  gewisse  Muskeltätigkeit  einzuführen,  und  nachdem 
die  Kranke  sich  überzeugt  hatte,  daß  nichts  von  ihr  verlangt  wurde, 
was  sie  nicht  leisten  könnte,  fing  sie  bald  an,  leichte  selbständige  Be¬ 
wegungen  zu  üben  und  lernte  allmählich  nicht  nur  die  vorgeschriebenen 
Übungen  exakt  und  in  etwas  größerer  Zahl  auszuführen,  sondern  sie 
begann  auch,  sich  freier  zu  bewegen,  verließ  ihren  Liegestuhl,  zunächst 
auf  kurze  Zeit,  dann  dauernd,  und  nahm  mit  einem  Eifer,  den  man 
früher  für  unmöglich  gehalten  hätte,  Versuche  im  Spazierengehen  vor, 
bis  es  ihr  gelang,  auch  Treppen  wieder  zu  steigen  und  die  für  die 
Leistung  des  Haushaltes  notwendigen  Arbeiten  zu  übernehmen.  Sie 
ist  jetzt  zwar  noch  keineswegs  geheilt,  aber  sie  ist  doch  fähig,  ihrem 
Hauswesen  vorzustehen.  Daß  hier  wie  in  allen  ähnlichen  Fällen  nicht 
die  Anleitung  zur  Arbeit  allein  den  Krankheitsprozeß  überwinden 
konnte,  bedarf  wohl  keiner  besonderen  Betonung.  Es  handelt  sich 
ja  stets  um  eine  systematische  Erziehung  des  Willens,  bei  welcher 
die  verschiedensten  Hilfsmittel  herangezogen  werden  müssen;  im  eben 
skizzierten  Fall  bildeten  aber  die  Übungen  den  wichtigsten  Teil  der 
Behandlung  und  er  ist  ein  lehrreiches  Beispiel  dafür,  daß  man  zuweilen 
mit  allerkleinsten  Anforderungen  beginnen  und  sich  so  gewissermaßen 
langsam  einschleichen  muß,  um  dem  Kranken  zunächst  Selbstvertrauen 
und  die  Lust  an  eigener  Mitarbeit  zu  verschaffen.  (Schluß  folgt). 


Wassermeyer,  Zur  Frage  von  den  Abstinenzdelirien. 


423 


Zur  Frage  von  den  Abstinenzdelirien. 

(Erwiderung  auf  das  Referat  von  Herrn  Dr.  Holitscher  in  Nr.  4,  09  dieser  Zeitschrift.) 

Von  Dr.  Wassermeyer,  Privatdozent  in  Kiel. 

Gegen  vorgefaßte  Meinungen  ist  schwer  zu  kämpfen.  Man  gewinnt 
leider  oft  den  Eindruck,  daß  der  von  Vorurteilen  befangene  Kritiker 
nicht  imstande  ist,  fremde  Untersuchungsergehnisse  objektiv  zu  be¬ 
urteilen,  sondern  daß  er  immer  nur  das  herausliest,  was  gerade  zu 
seinen  Anschauungen  paßt  und  alles  andere  mehr  oder  weniger  über¬ 
sieht.  Nur  so  vermag  ich  es  mir  zu  erklären,  daß  Dr.  Hoditscheir 
einige  Punkte  meiner  Arbeit  „Delirium  tremens“  (Arch.  f.  Psych. 
Bd.  44,  Heft  3)  aus  dem  Zusammenhang  greift  und  in  unzutreffender, 
entstellender  Weise  wiedergibt. 

Nachdem  er  erwähnt  hat,  daß  sich  unter  meinem  Material  3,87  °/0 
sog.  Abstinenz delirien  finden,  fährt  er  fort :  „W.  bringt  nur  eine  ein¬ 
zige  Krankengeschichte  im  Auszuge,  aus  der  man  allerdings  die  abso¬ 
lute  Überzeugung,  daß  es  sich  hier  nur  um  ein  Abstinenzdelirium  habe 
handeln  können,  nicht  gewinnt.“ 

Dazu  ist  zu  bemerken,  daß  ich  in  meiner  Arbeit  von  den  als 
Abstinenzdelirien  gedeuteten  Fällen  keine  Krankengeschichte,  auch 
nicht  im  Auszuge,  mitgeteilt  habe,  ich  habe  vielmehr  an  der  betr. 
Stelle  ausdrücklich  betont,  daß  ich  glaube,  irgendwie  fragliche  Fälle 
ausgeschaltet  zu  haben,  ,,so  z.  B.  einen  Mann,  der  als  gemeingefähr¬ 
lich  wegen  Eifersuchtswahn  ein  geliefert  wurde,  der  nur  etwas  Tremor 
zeigte,  in  der  ersten  Nacht  wenig  schlief,  am  Tage  schwitzte  tund 
zittrig  war,  in  der  darauffolgenden  Nacht  aber  ohne  Mittel  gut  schlief 
imd  am  darauffolgenden  Mittag  plötzlich  anfing  zu  delirieren,  bei 
dem  sich  aber  von  Anfang  an  im  Urin  Albumen  fand,  welches  nach 
dem  Delirium  geschwunden  war“  (S.  51  des  Separatabdr.). 

Es  heißt  dann  in  dem  Referat  weiter,  daß  ich  auf  Grund  dieser 
meiner  Überzeugung  (vom  Vorkommen  der  Abstinenzdelirien)  auch 
für  prophylaktische  Verabreichung  des  Alkohols  behufs  Verhütung 
des  Deliriums  ein  trete.  In  dieser  Verallgemeinerung  ist  dies  jedoch 
nicht  zutreffend.  Ich  habe  vielmehr  hervorgehoben  (S.  66  unten),  daß 
ich  glaube,  man  brauche  mit  der  Prophylaxe  nicht  so  weit  zu  gehen 
wie  Aschaffenburg,  der  es  für  zweckmäßig  hält,  in .  Gefängnissen 
usw.  den  Säufern  Alkohol  in  Form  einer  Medizin  zu  verabfolgen,  um 
dem  Ausbruch  des  immerhin  nicht  ganz  ungefährlichen  Deliriums  vor¬ 
zubeugen. 

Ich  habe  ferner  ausgeführt  (S.  66  oben),  der  Ausbruch  des  Deliriums 
infolge  plötzlicher  Alkoholentziehung  sei  verhältnismäßig  selten  und 
es  scheine  mir  daher  nicht  gerechtfertigt,  jedem  Trinker  ohne  weiteres 
bei  seiner  Aufnahme  ins  Krankenhaus  Alkohol  zu  verabreichen. 

Prophylaktisch  scheine  mir  die  Alkoholdarreichung  bei  sehr  dekre- 
piden  und  verletzten  sowie  operierten  Säufern  ratsam,  um  den  Aus¬ 
bruch  des  für  diese  Art  Kranken  oft  so  verhängnisvollen  Deliriums 
nach  Möglichkeit  zu  verhüten  (S.  68). 

Daß  ich  Alkohol  nach  Ausbruch  des  Deliriums  empfehle,  ist  inso¬ 
weit  richtig,  als  ich  dies  bei  Komplikationen  und  Kollapsgefahr  Un¬ 
zweckmäßig  erachte,  außerdem  allerdings  auch  bei  stärkerer  motorischer 
Unruhe  vorwiegend  zur  Verhütung  der  Kollapsgefahr,  und  hier  auch 
in  größerem  Umfange  als  jetzt  im  allgemeinen  geraten  wird,  und  zwar 
mit  gutem  Erfolge.  Daß  ich  mich  damit  im  Gegensatz  „zu  fast  allen 


424 


S.  Leo, 


Autoren“  befinde,  entspricht  für  die  erstgenannten  Fälle  jedenfalls 
nicht  den  Tatsachen,  wie  eine  Durchsicht  der  Literatur  ergibt  (Bon- 
hoeffer,  Eichelberg,  Eisholz,  Friedrich,  Fürstner,  Ganser, 
Jacobson,  Kirchhoff,  von  Kraf ft-Ebing,  Krukenberg,  Mendel, 
Meynert,  Oppenheim,  Pick,  Pilcz,  Salgö,  Wagner  von  Jauregg, 
Wern  icke,  Ziehen).  Ob  man  aber  Alkohol  im  Kollaps  oder  unmittel¬ 
bar  vorher  verordnet,  oder  schon  etwas  früher  zur  Verhütung  derselben, 
ist  meines  Erachtens  ein  mehr  gradueller  als  prinzipieller  Unterschied. 


Wiener  Brief. 

Ein  Sammelbericht.  —  Von  Dr.  S.  Leo. 

Theodor  Escherich  stellte  in  der  „Gesellschaft  der  Ärzte“  zwei 
Kinder  mit  Erythema  infeÖtiosum,  recte  Erythema  multiforme  vor, 
einer  Erkrankung,  die  zwar  nicht  neu,  aber  doch  noch  viel  zu  wenig 
gekannt  ist,  und  über  deren  Natur  und  Bedeutung  noch  völlige  Unklar¬ 
heit  herrscht.  Sie  besteht  in  einem  Ausschlag,  der  bei  Kindern  meist 
zwischen  vier  bis  zwölf  Jahren  in  epidemischer  Ausbreitung  auf  tritt. 
Der  jüngste  Pat.,  den  E.  beobachtete,  war  14  Monate  alt.  Der  Aus¬ 
schlag  erscheint  ohne  Vorboten  im  Gesicht  in  Form  eines  blauroten,  leicht 
erhabenen  Erythems,  das  sich  nach  der  Nasolabiaifalte  hin  scharf  ab¬ 
grenzt,  nach  den  Ohren  und  der  Stirn  sich  in  große  Flecke  auflöst. 
Bisweilen  sind  die  Ohren  stark  gerötet,  und  geschwellt.  Die  unter 
dem  Ohrläppchen  gelegene  Lymphdrüse  ist  deutlich  fühlbar  und  etwas 
schmerzhaft.  Außerdem  findet  sich  vorwiegend  an  den  Streckseiten 
der  Extremitäten,  sowie  in  der  Glutäalgegend  ein  großfleckiges,  masern¬ 
artiges  Exanthem,  seltener  und  schwächer  ausgeprägt  am  Stamme. 
Der  Ausschlag  kann  durch  8  bis  14  Tage  in  wechselnder,  allmählich 
abnehmender  Intensität  bestehen  bleiben.  Vor  seinem  völligen  Ver¬ 
schwinden  kommt  es  manchmal  zu  einer  netzartigen  Marmorierung  der 
Haut.  Lymphdrüsenschwellung,  begleitende  Schleimhautkatarrhe,  All¬ 
gemeinerscheinungen  fehlen,  Komplikationen  und  Nachkrankheiten  sind 
nicht  bekannt.  Die  Bedeutung  der  Krankheit  liegt  darin,  daß  sie  leicht 
von  demjenigen,  der  sie  nicht  kennt,  mit  Scharlach  oder  Mastern 
oder  Böteln  verwechselt,  evtl,  als  Bezidive  derselben  aufgefaßt  werden 
kann.  Die  Verwechslung  ist  um  so  leichter  möglich,  als  die  epidemische 
Häufung  dieser  Fälle  sich  gerade  an  Masern-  und  Bötelepidemien  an¬ 
schließt.  Die  Erkrankung  ist  durchaus  nicht  so  selten,  als  die  spär¬ 
lichen  Bemerkungen  in  der  Literatur  erwarten  lassen.  Sie  scheint  beson¬ 
ders  auf  österreichischem  Boden  heimisch  zu  sein  und  von  hier  nach 
Norden  vorzudringen.  Sie  wurde  zuerst  von  Tschamer  in  Graz  1889 
als  eine  Abart,  der  Bubeoien,  als  „örtliche  Böteln“  beschrieben.  Hier¬ 
auf  erschienen  folgende  Arbeiten:  Gumplowicz,  1891,  A.  Schmidt, 
1899,  Prof.  Sticker  beschrieb  sie  als  „neue  Kinderseuche  in  der  Um¬ 
gebung  von  Giessen  1899“,  und  PI  achte  (Berlin)  unter  dem  Namen 
Melagerythema  epidemicum  1904.  E.  hat  die  Beobachtung  gemacht,  daß 
die  Fälle  in  deh  einzelnen  Epidemien  in  bezug  auf  die  Form  und 
Örtlichkeit  des  Ausschlages  große  Verschiedenheiten  aufweisen,  und 
daß  sie  in  der  Lokalisation,  wie  dem  Verhalten  der  Effloreszenzen  in 
auffälliger  Weise  an  das  Erythema  multiforme  erinnern  und  Über¬ 
gänge  zu  demselben  auf  weisen.  Ferner  beobachtete  E.  in  Begleitung 
des  Exanthems  typische  Knoten  von  Erythema  nodosuni,  Gelenkschmer¬ 
zen,  einmal  auch  Endokarditis.  Es  spricht  dies  für  eine  engere  Beziehung 


Wiener  Brief. 


425 


zu  der  Gruppe  der  rheumatischen  Erkrankungen,  zu  denen  auch  das 
Erythema  multiforme  gehört.  Dafür  spricht  auch,  daß  nicht  selten 
hei  dem  typischen  Gelenkrheumatismus  der  Kinder  ein  Erythema 
gyratum  angetroffen  wird.  Auch  das  Erythema  multiforme  tritt  so 
wie  das  Eryth.  inf.  zu  gewissen  Zeiten  gehäuft  auf,  ohne  daß  eine 
Kontagiosität  nachweisbar  wäre,  geradeso  wie  heim  Eryth.  inf.  E. 
spricht  daher  seine  Zweifel  an  der  Auffassung  dieses  Zustandes  als 
einer  neuen  kontagiösen  Infektionskrankheit  aus,  und  nimmt  entschieden 
die  ältere,  schon  in  der  Schmidt’ sehen  Arbeit  ausgesprochene  Ansicht 
an,  daß  es  sich  bei  dieser  Krankheit  um  besonders  leicht  verlaufende 
Fälle  von  Erythema  multiforme  Hebrae  handelt,  das  vielleicht  gerade 
hei  Kindern  dieses  Alters  in  dieser  leicht  abortiven  Form  in  Erscheinung 
tritt.  Salomon  Ehr  mann  schließt  sich  in  der  Diskussion  der  An¬ 
schauung  Escherich’s  an,  daß  es  sich  um  eine  Abart  des  Erythema 
multiforme  exsudativum  und  nicht  um  ein  akutes  Exanthem  handelt. 
Auch  das  typische  Erythema  exs.  multif .  tritt  zu  gewissen  Zeiten  gehäuft 
auf,  so  daß  man  eine  externe  Infektion  aus  der  Atmosphäre  annehmen 
muß,  was  unter  der  Bezeichnung  „rheumatische  Erkrankung“  ja  ver¬ 
standen  werden  isoll ;  es  kommt  zuweilen  auch  bei  Erwachsenen  vor,  und 
zwar  nicht  bloß  mit  Eryth.  nodosum  vergesellschaftet,  sondern  auch 
mit  dem  echten  Erythem,  multiforme,  das  ist  Erythem,  papulatum, 
urticäns,  und  annulare,  bezw.  Erythema  iris  und  gyratum.  Namentlich 
zur  Zeit,  als  die  großen  Wiener  Verkehrsanlagen  im  Bau  waren,  und 
große  Erdbewegungen  stattfanden,  hat  Ehr  mann  diese  Form  bei  Ar¬ 
beitern  und  ihren  Familien  beobachtet. 

In  derselben  Gesellschaft  stellte  Hermann  Schlesinger  eine 
30 jährige  Frau  vor,  die  seit  vielen  Jahren  an  Syringomyelie  leidet, 
mit  sehr  ausgedehnten  Störungen  der  Schmerz-  und  Temper aturemp fin - 
düng.  Sie  hat  zwei  Graviditäten  durchgemacht.  Während  der  Gravi¬ 
ditäten  fehlte  das  Gefühl  der  Kindesbewegungen  vollkommen.  Der 
Partus  erfolgte  zur  richtigen  Zeit ;  es  wurden  lebende,  kräftige  Kinder 
geboren.  Die  erste  Geburt  war  vollkommen  schmerzlos,  die  zweite  bei 
vielstündiger  Dauer  nur  (in  der  letzten  Viertelstunde  schmerzhaft. 
(Einriß  des  Dammes,  der  normale  Schmerzempfindung  aufwies.)  Die 
Libido  sexualis  fehlt  vollkommen.  Die  Menses  waren  stets  regelmäßig ; 
die  Milchsekretion,  die  Pigmentation  der  Mammae  und  der  Bauchhaut 
verhielten  sich  wie  bei  gesunden  Frauen.  Es  bestehen  auch  hochgradige, 
objektiv  nachweisbare  Störungen  der  Uterussensibilität,  keine  moto¬ 
rischen  Blasen-,  geringe  Mastdarmstörungen.  Im  Anschluß  an  diesen 
Fall  behandelt  Sch.  die  Frage:  Wie  fühlt  die  Gravide  die  intrau¬ 
terinen  Kindelshe wegungen  ?  Man  möchte  glauben,  daß  die  oft 
sichtbaren  Bewegungen  der  Frucht,  Erschütterungen  der  Bauchwand 
hervorbringen,  die  gefühlt  werden  können.  In  diesem  Falle  wäre  es 
möglich,  daß  die  Kindesbewegungen  auf  dem  Wege  der  Berührungs- 
(Tast-)empfindung  der  Bauchhaut  zur  Kenntnis  des  betreffenden  Indi¬ 
viduums  gelangen.  Unsere  Beobachtung  lehrt,  daß  die  Berührungs¬ 
empfindung  der  Haut  mit  der  eigentümlichen  Sensation  der  Kindes¬ 
bewegungen  nichts  zu  tun  hat.  Denn  in  diesem  Falle  war  das  Gefühl 
für  Kindesbewegungen  trotz  darauf  gerichteter  Aufmerksamkeit  er¬ 
loschen,  während  die  Berührungsempfindung  der  Bauchhaut  vollkommen 
intakt  war,  so  daß  selbst  die  feinsten  Berührungen  mit  einem  Haar 
wahrgenommen  wurden.  Dies  hängt  mit  der  Affektion  der  Medulla 
spinalis  zusammen.  Vielmehr  kommt  Sch.  zu  folgender  Hypothese: 


426 


S.  Leo, 

Es  gibt  eine  spezifische  Organempfindung,  die  von  der  Wand  des  Uterus 
(oder  vom  Peritoneum)  ausgelöst  wird,  Erschütterungen  (Kindesbewe¬ 
gungen)  anzeigt,  auf  dem  Wege  des  Sympathicus  zur  Medulla  spinalis 
gelangt,  und  bei  Rückenmarksaffektionen  isoliert  erhalten  bleiben  oder 
erlöschen  kann.  Die  spezifische  'Empfindung  für  Kindesbewegungen 
kann  bei  ungestörter  taktiler  Empfindung  der  Bauchwand  verloren 
gehen.  Die  zentralen  Bahnen  für  diese  Empfindung  verlaufen  im  Rücken¬ 
mark  nicht  über  den  ganzen  Querschnitt  verbreitet,  sondern  wahr¬ 
scheinlich  gesammelt,  aber  nicht  mit  den  Bahnen  für  die  Berührungs¬ 
empfindung  der  Bauchhaut.  Die  Bahnen  für  die  spezifische  Empfindung 
für  Kindesbewegungen  treten  oberhalb  des  Sakralmarks  in  das  Rücken¬ 
mark  ein,  die  Bahnen  für  den  Wehenschmerz  in  das  Sakralmark.  Die 
zentralen  Bahnen  für  den  Wehenschmerz  verlaufen  wahrscheinlich  den 
Bahnen  für  die  Schmerzempfindung  der  Haut  benachbart.  Die  spezifische 
Empfindung  für  Kindesbewegungen  und  der  spezifische  Uterusschmerz 
kann  bei  partieller  Querschnitterkrankung  (Läsion  der  Hinterhörner, 
vielleicht  auch  der  benachbarten  Teile  der  weißen  Substanz)  zugrunde 
gehen.  Das  Erlöschen  dieser  Empfindungen  muß  nicht  von  schweren 
Blasen-,  Mastdarmstörungen  begleitet  sein.  Es  gibt  eine  Dissoziation 
(zentraler  Natur)  der  uterinen  Sensibilität;  isolierter  Verlust  der  spezi¬ 
fischen  Empfindung  für  Kindesbewegungen  oder  des  Wehenschmerzes.  — 
in  der  Diskussion  bemerkte  W.  Latzko,  daß  die  Empfindung  der 
Kindesbewegung  normalerweise  von  der  Uterusinnenfläche  ausgelöst 
werde,  möglicherweise  auch  vom  Peritonealüberzug  des  Uterus.  Der 
Wehenschmerz  und  die  Empfindlichkeit  der  Oberfläche  und  Innenfläche 
des  Uterus  haben  nichts  miteinander  zu  tun. 

Alfred  Exil  er  stellt  eine  Pat.  vor,  die  er  seinerzeit  als  mit 
Akromegalie  behaftet,  vorgestellt  hat  und  bei  der  auf  nasalem  Wege 
die  Hypophyse  freigelegt  wurde,  und  ein  walnußgroßer  Tumor  exstir- 
piert  wurde.  Trotz  Eröffnung  der  Dura  von  der  gewiß  nicht  keim¬ 
freien  Nasenhöhle  aus  zeigten  beide  Frauen  (auch  ein  zweiter  maligner 
Fall  wurde  auf  der  Klinik  Hochenegg  operiert)  nie  die  Spur  einer 
meningealen  Infektion.  Es  mag  dies  dadurch  begründet  sein,  daß  die 
Knochenwand  des  Hypophysenwulstes  nur  zu  einem  kleinen  Teil  ent¬ 
fernt  wurde,  und  auch  die  Dura  nur  an  einer  kleinen  Stelle  eröffnet 
wurde,  gerade  groß  genug,  um  mit  dem  scharfen  Löffel  eingehen  zu 
können.  Es  gelingt  auf  diese  Weise  ganz  gut,  den  weichen  Tumor 
partienweise  zu  entfernen,  was  für  den  Erfolg  der  Operation  genügt, 
daß  bei  dieser  Methode  Tumorreste  Zurückbleiben,  die  zum  Teil  auch 
noch  im  weiteren  Verlauf  durch  Blutkoagula,  Granulationsbildung  ge¬ 
schädigt  werden  können,  ist  zweifellos,  doch  ist  dies  nicht  von  allzu 
großer  Bedeutung,  da  eine  radikale  Entfernung  im  Sinne  einer  Karzinom¬ 
operation  auf  diesem  Wege  auch  bei  ausgiebigster  Eröffnung  der  Dura 
nicht  möglich  erscheint.  Drainiert  wurde  das  Bett  der  Hypophyse  durch 
Jodoformdochte,  die  durch  ein  Drain  geleitet,  von  dem  infektiösen 
Sekret  der  Nase,  so  gut  als  möglich  isoliert  wurden.  Histologisch 
war  der  Tumor  in  beiden  Fällen  ein  Adenom.  Seit  der  Operation 
haben  die  früher  heftigen  Kopfschmerzen  fast  aufgehört.  Die  Haut 
der  Hände  und  Füße  ist  dünner  geworden,  läßt  sich  nun  gut  in  Falten 
abheben,  was  früher  unmöglich  war.  Der  Umfang  der  Zehen  und 
Finger  hat  abgenommen.  Der  Umfang  der  großen  Zehe  hat  in  der 
Mitte  seit  der  Operation  um  ca.  3/4  cm  abgenommen,  der  Umfang  des 
Mittelfingers  um  ca.  1/2  cm.  Die  Mehrzahl  der  borstigen  Schnurbarthaare 


Wiener  Brief. 


427 


sind  ausgefallen,  ebenso  ist  die  Behaarung  in  der  Mitte  des  Unterbauches 
bedeutend  spärlicher  geworden.  Die  Zunge  wurde  kleiner.  Die  Zähne 
rückten  näher  aneinander.  Die  Frau  hat  4  kg  an  Gewicht  zugenommen. 
Diese  Rückbildungen  lassen  sich  nur  erklären,  wenn  wir  die  Hyper¬ 
sekretion  der  Hypophyse  als  Ursache  der  Akromegalie  annehmen. 
Der  innige  Zusammenhang  zwischen  Hypophyse  einerseits,  Thyreoidea 
und  Keimdrüse  anderseits,  läßt  sich  auch  hier  zeigen.  Seit  der  Operation 
hat  .sich  ein  deutlich  palpabler  Mittellappen  der  Schilddrüse  ent¬ 
wickelt,  der  früher  nicht  vorhanden  war.  Auf  den  Einfluß  der  Ovarien 
ist  der  Ausfall  der  Schnurbarthaare,  und  der  Haare  in  der  Linea  alba  zu¬ 
rückzuführen.  In  der  Diskussion  bemerkt  v.  Eiseisberg,  daß  bei  einem 
Falle  von  Hypophysenoperation  nach  sechs  Tagen  reaktionslosen  Ver¬ 
laufes  meningeale  Symptome  auftraten ;  im  Lumbalpunktale  wurden 
Streptokokken  nachgewiesen.  Die  Pat.  ivurde  mit  Paltauf’schem  Strep¬ 
tokokkenserum  und  subkutanen  Injektionen  von  Elektrargol  behandelt 
und  es  kam  zum  Schwinden  der  meningitischen  Reizsymptome. 

Im  „Wiener  mediz.  Doktorenkollegium“  sprach  Ottokar  Chiari 
über  die  Diagnose  der  Eiterungen  der  Nebenhöhlen  der  Nase: 
Die  häufigsten  Ursachen  dieser  Erkrankung  sind  die  Katarrhe  der 
Nase  und  namentlich  solche  Katarrhe,  welche  die  Folgen  heftiger 
Infektionen  sind.  Den  ersten  Rang  nimmt  dabei  die  Influenza  ein, 
dann  folgen  die  akuten  Exantheme,  hauptsächlich  der  Scharlach 
und  die  anderen  infektiösen  Erkrankungen.  Seltener  und  nur  die 
Kieferhöhle  betreffend  ist  als  ätiologisches  Moment  die  Periostitis  um 
die  Zahnwurzeln  herum  zu  nennen.  Noch  seltener  geben  Verletzun¬ 
gen,  Fremdkörper,  Tuberkulose  die  Veranlassung.  Die  Eiterungen 
der  Nebenhöhlen  können  akut  oder  chronisch  auftreten  und  ferner 
freien  Ausfluß  in  die  Nasenhöhlen  haben  oder  in  solchen  Höhlen 
verlaufen,  deren  Ostien  verschlossen  sind.  Die  akuten  Entzündungen 
der  Nebenhöhlen  kommen  sehr  häufig,  fast  bei  jeder  heftigen  Koryza 
vor,  verlaufen  aber  meist  unter  mäßigen  Erscheinungen  und  heilen 
spontan  aus.  Manchmal  überdauern  sie  aber  die  Entzündung  der  Nase, 
weil  die  Ostien  namentlich  der  Kieferhöhle  und  auch  der  Keilbein¬ 
höhle  ungünstig,  d.  ,h.  höher  als  der  tiefste  Punkt  der  Höhle  selbst 
gelegen  sind.  Ferner  weil  die  Ostien  eng  sind  und  leicht  durch  ent¬ 
zündliche  Schwellung  verschlossen  werden;  dadurch  kommt  es  zur 
Stauung  des  Sekretes,  welches  dann  die  Schleimhaut  der  Nebenhöhle 
zur  Hyperämie,  Hypertrophie,  ja  sogar  zur  Polypenbildung  bringt, 
welche  Veränderungen  nicht  selten  selbst  unter  fleißiger  Ausspritzung 
des  pathologischen  Sekretes  sich  nicht  mehr  zurückbilden  und  derart 
Veranlassung  zu  chronischen  Entzündungsständen  der  Höhle  geben.  Am 
schwierigsten  zu  diagnostizieren  sind  jene  chronischen  Eiterungen, 
welche  als  Residuen  der  leichteren  akuten  Entzündungen  Zurückbleiben. 
Das  hervorstechendste  Symptom  ist  nur  ein  eitriger  Ausfluß  der  Nase. 
Es  ist  daher  begreiflich,  daß  diese  Formen  so  lange  der  Diagnose  ent¬ 
gingen.  Sie  sollten  aber  auch  von  dem  Praktiker  diagnostiziert  werden, 
weil  sie  nicht  bloß  den  Kranken  durch  den  Eiterausfluß  belästigen, 
sondern  auch  bei  stärkerer  Sekretion  einen  nicht  gleichgültigen  Säfte¬ 
verlust  veranlassen.  Ferner  kann  das  ohnehin  enge  Ostium  durch 
entzündliche  Schwellung  seines  Randes  oder  durch  Polypen  ver¬ 
schlossen  werden,  wodurch  dann  Stauung  des  Eiters  erfolgt,  oder  es 
kann  die  knöcherne  Wand  nekrotisch  werden  und  eine  Fistelbildung 
nach  außen  stattfinden,  oder  es  kann  die  Eiterung,  sei  es  durch  eine 


428 


S.  Leo,  * 


solche  Fistel  oder  durch  die  Vermittelung  von  Blut  und  Lymphgefäßen, 
in  die  Orbita  oder  sogar  in  die  Schädelhöhle  durchbrechen.  Endlich 
kann  eine  Eiterung  in  der  Keilbeinhöhle  oder  in  den  hinteren  Siebbein¬ 
zellen  in  ähnlicher  Weise  den  N.  opticus  gefährden.  All  das  sind 
Gründe,  daß  man  jede  Eiterung  in  den  Nebenhöhlen  frühzeitig  diagno¬ 
stizieren  soll.  Was  die  Nomenklatur  anbelangt,  hat  man  anfangs  alle 
Eiterungen  in  den  Nebenhöhlen,  nämlich  auch  solche,  welche  freien  Aus¬ 
fluß  in  die  Nasenhöhlen  hatten,  Empyeme  genannt.  Später  hat  man 
für  Eiterungen  mit  freiem  Ausfluß  den  Namen  Sinuitis  (Sinusitis), 
für  Eiterungen  im  Siebbein  Cellulitis  eingeführt,  während  Ch.  diese 
Antritis  nennt.  Bei  der  Diagnose  muß  man  vor  allem  jene  Prozesse 
ausschließen,  die  ähnliche  Erscheinungen,  wie  die  chronischen  freien 
Eiterungen  der  Nebenhöhlen  hervorrufen:  1.  der  chronische  Schnupfen 
mit  starker  Sekretion  ist  eigentlich  selten  und  erweckt  immer  den 
Verdacht  auf  eine  Nebenhöhleneiterung.  2.  Infolge  von  Syphilis  kommen 
nicht  selten  Geschwüre  und  Nekrosen  in  der  Nase  vor,  welche  Eiterungen 
veranlassen.  Diese  Eiterung  ist  sehr  häufig  beiderseitig,  ist  gewöhn¬ 
lich  mit  üblem  Geruch  verbunden,  der  beim  Vorhandensein  von  nekro¬ 
tischen  Knochen  einen  stechenden  Charakter  hat  und  die  Umgebung 
sehr  belästigt.  Das  Geschwür  ist  meist  leicht  zu  sehen  und  die  Nekrose! 
durch  die  Sonde  nachweisbar.  Häufig  besteht  zugleich  periostitische 
schmerzhafte  Schwellung  der  Nasenbeine.  Manchmal  sieht  man  auch 
aridere  syphilitische  Erscheinungen  an  anderen  Körperstellen,  wie  im 
Bachen,  an  der  Haut,  die  Drüsen  usw.  Doch  verlaufen  nicht  so  selten 
ein  oder  mehrere  Dezennien  nach  dem  primären  Affekt,  ohne  daß 
Sekundärerscheinungen  auftreten,  bis  endlich  in  der  Nase  allein  sich 
ein  Gumma  oder  eine  Nekrose  entwickelt.  3.  Fremdkörper  oder  Bhino- 
lithen  veranlassen  bei  ihrem  Verweilen  in  der  Nase  ebenfalls  eitrigen, 
gewöhnlich  aber  auch  stark  stinkenden  Ausfluß,  fast  ausnahmslos  ein¬ 
seitig.  Die  Untersuchung  mit  der  Sonde  gibt  gewöhnlich  Aufschluß. 
4.  Die  Ozäna  endlich  veranlaßt  oft  beiderseitigen  übelriechenden  Aus¬ 
fluß,  der  die  Umgebung  stark  belästigt,  aber  dem  Patienten  selbst 
nicht  zum  Bewußtsein  kommt,  weil  meist  durch  den  atrophischen  Pro¬ 
zeß  auch  das  Biechepithel  zugrunde  gegangen  ist.  Neben  dem  nicht 
immer  vorhandenen  flüssigen  Eiter  bilden  sich  auch  stinkende  Borken 
und  Krusten.  Die  Krankheit  besteht  meist  seit  Kindheit  und  läßt 
sich  leicht  durch  die  Bhinoskopie  erkennen.  Es  sind  dabei  nicht  bloß 
die  Schleimhautteile,  sondern  auch  die  knöchernen  Grundlagen  der 
Muscheln  hochgradig  atrophiert,  so  daß  die  Nasenhöhle  ungewöhnlich 
weit  ist.  Die  gewöhnlichen  Symptome  der  chronischen  Nebenhöhlen¬ 
eiterung  mit  freiem  Ausfluß  sind  dagegen  folgende:  Der  Eiterausfluß 
findet  meist  einseitig  statt,  am  stärksten  in  den  Vormittagsstunden, 
wenn  eben  das  Sekret  in  den  Nebenhöhlen  durch  die!  aufrechte  Körper¬ 
stellung  und  die  Bewegungen  des  Körpers  mehr  zum  Abfließen  ge¬ 
bracht  wird.  Das  Sekret  ist  meist  dünnflüssig  eitrig,  aber  bei  sehr 
kleinen  Höhlen,  welche  wenig  Eiter  und  diesen  nur  langsam  absondern, 
kommt  es  oft  zur  Bildung  von  Borken.  Das  Sekret  hat  nicht  immer 
einen  üblen  Geruch.  Dieser  üble  Geruch  wird  meistens  nur  von  dem 
Patienten  selbst  wahrgenommen  in  dem  Moment,  als  es  in  den  gemein¬ 
schaftlichen  Nasenausgang  austritt  (subjektive  Ivakosmie).  Wie  das 
Sekret  aus  der  Nase  herauskommf,  verliert  es  schnell  in  der  kühleren 
Außenluft  seinen  üblen  Geruch,  doch  kann  bei  reichlicherem  Aus¬ 
fluß  von  zersetztem  Sekret  auch  die  Umgebung  manchmal  stark  be- 


Wiener  Brief. 


429 


lästigt  werden.  Bei  der  Rhinoskopie  sieht  man  den  Eiter  ineist  immer 
von  derselben  Stelle  der  Nasenhöhle  hervorkommen,  und  nach  seiner 
Entfernung  wieder  nachfließen.  In  dieser  Gegend  finden  sich  dann 
gewöhnlich  Hypertrophien  nnd  Polypen.  Was  die  relative  Häufigkeit 
der  Eiterungen  aus  den  verschiedenen  Nebenhöhlen  betrifft,  so  stehen 
an  erster  Stelle  die  Kieferhöhle,  an  zweiter  die  Stirnhöhle,  dann  folgen 
die  Siebbeinzellen  und  die  Keilbeinhöhlen. 

Der  Bericht  der  Gewerbeinspektoren  über  ihre  Amtstätigkeit 
im  Jahre  1907  bestätigt  den  alten  Satz:  Eine  gute  industrielle  und 
wirtschaftliche  Konjunktur  ist  die  sicherste  Stütze  des  sozialpolitischen 
Fortschrittes.  Die  Hochkonjunktur,  die  erst  in  den  letzten  Monaten 
des  Jahres  ihr  Ende  erreicht  hatte,  hat  den  Unternehmer  geneigt  ge¬ 
macht,  einen  Teil  des  Konjunkturgewinnes  der  Verbesserung  der  wirt¬ 
schaftlichen  Lage  der  Arbeiter  zu  widmen  und  die  Gewerbeinspektoren, 
die  seit  jeher  Vorkämpfer  für  den  sozialen  Fortschritt  waren,  fanden 
ein  williges  Ohr,  wenn  es  galt,  V erbesserungen  der  hygienischen  Ein¬ 
richtungen  zu  fördern  und  Unfallsgefahren  zu  bannen.  Gerade  für 
den  hygienischen  Fortschritt  bilden  alte  Fabriken  oft  ein  Hindernis, 
da  es  hier  beim  besten  Willen  manchmal  nicht  möglich  ist,  die  sani¬ 
tären  Bedingungen  des  Arbeitsprozesses  günstiger  zu  gestalten.  Das 
Jahr  1907  ist  ein  Jahr  der  Fabriksneubauten.  3b8  Fabriken,  42  große 
Steinbrüche,  42  Maschinenziegeleien,  101  Sägewerke,  63  Elektrizitäts¬ 
zentralen,  3  Gas-  und  2  Azetylengasanstalten  wurden  1907  neu  in 
Betrieb  gesetzt.  Unter  den  neuen  Unternehmungen  befinden  sich  51 
Textilfabriken,  17  median.  Baumwollwebereien,  13  Maschinenfabriken, 
13  Metallwarenfabriken,  9  Walzwerke,  15  Zuckerfabriken,  12  Dampf- 
und  Kunstmühlen  und  zahlreiche  chemische  Fabriken.  Bei  allen  diesen 
Anlagen  wurde  der  Rat  der  Gewerbeinspektoren  eingeholt  und  berück¬ 
sichtigt.  Die  Neubauten  schaffen  hygienisch  entsprechende  Fabriken, 
mindern  durch  zweckmäßige  Raumeinteilung  die  Unfallsgefahren. 
Selten  wurde  auf  das  Wohl  der  Arbeiterschaft  bei  diesen  Neubauten 
nicht  Rücksicht  genommen ;  diese  Fälle  werden  mit  Recht  in  dem  Be¬ 
richte  tadelnd  hervorgehoben.  Auch  die  Einführung  von  Dampfturbinen 
macht  Fortschritte.  Ihre  Konstruktion  bietet  besondere  Vorteile  vom 
Standpunkte  des  Arbeitsschutzes ;  auch  hier  geht  technischer  Fort¬ 
schritt  mit  dem  sozialen  Hand  in  Hand.  Bemerkenswert  ist  die  fort¬ 
gesetzte  Herabsetzung  der  Arbeitszeit.  Die  Anzahl  der  Fabriks¬ 
betriebe  mit  elfstündiger  Arbeitszeit  hat  wieder  erheblich  abgenommen. 
In  der  Textilindustrie  ist  zum  Teil  der  Zehnstundentag  eingeführt 
worden.  In  mehreren  Wiener  Fabriken  trat  am  Samstag  die  61/2stündige 
Arbeitszeit  in  Geltung.  In  einzelnen  Großbetrieben  wird  die  Arbeit 
an  diesem  Wochentage  schon  um  12  Uhr  mittags  beendet,  ein  späterer 
Arbeitsbeginn  um  eine  halbe  bis  eine  Stunde  an  Montagen  konzediert 
und  damit  eine  Forderung  der  Arbeiterschaft  erfüllt.  Auch  die  Klagen 
über  die  Übertretung  der  Sonntagsruhevorschriften  sind  seltener  ge¬ 
worden,  ebenso  die  Anstände  wegen  Unterbringung  der  Arbeiter  seitens 
der  Fabriken.  Weiteren  Anlaß  zu  Klagen  bieten  die  Ziegeleien  und 
kleingewerblichen  Betriebe.  Beim  Kleingewerbe  ist  nicht  selten  die 
Notlage  der  Kleinmeister  daran  schuld.  Infolgedessen  aber  wird  die 
Bewegung  unter  den  kleingewerblichen  Arbeitern  immer  intensiver, 
sich  von  dem  noch  aus  patriarchalischen  Zeiten  stammenden  Brauche, 
für  einen  Teil  der  geleisteten  Arbeit  durch  Gewährung  freier  Kost 
und  freiem  Logis  entschädigt  zu  werden,  gänzlich  zu  emanzipieren. 


430 


Vorläufige  Mitteilungen  und  Autoreferate. 


Dadurch  werden  die  Beschwerden  über  das  Wohnungselend  der  klein¬ 
gewerblichen  Gehilfenschaft  beendigt  werden.  Sehr  erfreulich  ist  die 
fortgesetzte  Vergrößerung  und  Neueinrichtung  von  Badegelegenheiten 
und  Waschräumen.  In  früheren  Berichten  wurde  darüber  geklagt, 
daß  die  Arbeiter  nur  schwer  zur  Benutzung  dieser  Wohlfahrtseinrich¬ 
tungen  zu  bringen  sind.  Die  Klage  ist  verstummt.  Es  zeigt  sich, 
daß  die  Benutzung  von  Wohlfahrtseinrichtungen  oft  von  der  Hebung 
des  Intelligenzniveaus  der  Arbeiterschaft  abhängig  ist.  Neben  diesen 
Lichtbildern  fehlt  es  nicht  an  Schattenseiten.  Es  gibt  noch  immer 
Arbeitgeber,  die  das  Truckverbot  ignorieren,  noch  immer  wird  über 
die  mißbräuchliche  Verwendung  jugendlicher  Arbeiter  geklagt.  Das 
größte  Kontingent  dazu  stellen  die  fabriksmäßigen  Unternehmungen 
in  Tön  und  Glas.  In  den  Ziegelwerken  werden  Kinder  verwendet, 
selbst  solche,  die  noch  nicht  einmal  das  Alter  von  zehn  Jahren  er¬ 
reicht  haben.  Große  Sorgfalt  widmen  die  Gewerbeinspektoren  der  Be¬ 
obachtung  von  Berufskrankheiten.  Besonders  zahlreich  waren  die 
Milzbranderkrankungen ;  ferner  wurden  fünf  Fälle  von  Phosphornekrose 
konstatiert.  Bücksichtlich  dieser  Gefahren  steht  das  Verbot  des  Wei߬ 
phosphors  in  Aussicht.  Die  Konstatierung  der  häufigen  Trachom¬ 
erkrankungen  ist  ein  neuerlicher  Ansporn  für  die  Errichtung  eigener 
Trachomstationen  am  Wiener  allg.  Krankenhaus. 


Vorläufige  Mitteilungen  u.  Autoreferate. 

Ueber  Spätfolgen  der  Epityphlitis. 

Von  Dr.  O.  Retzlaff. 

Assistenzarzt  der  chirurgischen  Abteilung  der  Krankenanstalt  Magdeburg-Sudenburg. 
(Nach  einem  in  der  medizinischen  Gesellschaft  zu  Magdeburg  gehaltenen  Vortrage.) 

Unter  den  Epityphlitisfällen  aus  dem  Materiale  der  chirurgischen 
Abteilung  der  Sudenburger  Krankenanstalt  (Oberarzt  Prof.  Wendel) 
beobachtete  B.  einige  Komplikationen,  die  erst  nach  langer  Zeit,  nach 
scheinbar  völliger  Heilung,  Erscheinungen  gemacht  hatten.  Zuerst 
werden  zwei  Fälle  von  Bauchdeckentumoren  beschrieben,  von  denen 
der  eine  drei  Jahre,  der  andere  fünf  Monate  nach  der  Operation  in  der 
Narbe  aufgetreten  waren.  Es  handelte  sich  um  Granulationsgeschwülste, 
ähnlich  den  Ligatureiterungen.  Der  eine  drei  Jahre  bestehende  wurde 
eröffnet,  excochleirt’  und  heilte  nach  Inzision  eines  Bubo  inguinalis 
derselben  .  Seite,  mikroskopisch  fand  sich  Granulationsgewebe  mit  Ab¬ 
szessen,  der  andere  verschwand  in  drei  Wochen  unter  Thermophor-  und 
S  augb  ehandlung . 

Es  folgt  dann  ein  diagnostisch  interessanter  Fall.  Bei  einem 
9jährigen  Knaben  war  ohne  besondere  Ursache  eine  Beugekontraktur 
im  rechten  Hüftgelenke  aufgetreten,  so  daß  die  Diagnose  Coxitis  wahr¬ 
scheinlich  war.  Erst  bei  der  Untersuchung  in  Narkose  zeigte  sich 
eine  Besistenz  am  Ileopsoas  und  da  das  Gelenk  frei  war,  wurde  als 
Ursache  ein  Epityphlitisrezidiv  angenommen.  Die  Appendicektomie 
brachte  Heilung.  Ferner  wurde  ein  Fall  von  Strangulationsileus  beob¬ 
achtet.  Bei  einem  25  jährigen  Mädchen,  das  1902  im  Intervall  operiert 
worden  war,  hatten  sich  Adhäsionsbeschwerden  eingestellt,  so  daß  zwei 
Jahre  später  eine  Laparatomie  nötig  wurde,  wo  Verwachsungen  am 
Coecum  gelöst  wurden.  Pat.  wurde  31/2  Jahr  später  gravide  und  bekam 


Vorläufige  Mitteilungen  und  Autoreferate. 


431 


im  fünften  Monate  Ileuser scheinungen  mit  Icterus  und  Koterbrechen. 
Bei  der  Laparatomie  fanden  sich  zwischen  Uterus  und  Flexur  flächen¬ 
hafte  V erwachsungen.  20  cm  oberhalb  der  Ileocoecalklappe  umschnürt 
ein  vom  Becken  zum  Mesenterium  ziehender  Strang  das  Ileum,  das 
weiter  abwärts  nochmals  von  einem  2  cm  breiten  Strange  eingeengt 
wird.  In  der  Darmserosa  befanden  sich  außerdem  noch  derbere  narbige 
Stellen.  Nach  Lösung  aller  Verwachsungen  und  Stränge  war  der  Darm 
frei,  und  es  erfolgte  der  normale  rechtzeitige  Partus.  Es  hatte  also 
die  in  unmittelbarer  Nähe  des  graviden  Uterus  ausgeführte  Operation 
keinen  ungünstigen  Einfluß  auf  die  Schwangerschaft  ausgeübt. 

Eine  besondere  Beachtung  verdienen  die  isolierten  Abszesse  in  den 
Spätstadien  der  Epityphlitis. 

Einem  39  jährigen  Pat.  war  der  Processus  wegen  Gangrän  ent¬ 
fernt  worden,  und  er  fühlte  sich  völlig  beschwerdefrei,  bis  er  drei 
Monate  später  akut  unter  peritonitischen  Erscheinungen  erkrankte.  Bei 
der  Laparatomie  wurde  eine  große  retroperitoneale  Eiterung  gefunden, 
die  durch  die  Wurzel  des  Dünndarmgekröses  in  die  Bauchhöhle  durch¬ 
gebrochen  war.  Bei  der  Sektion  fand  sich  eine  Peritonitis,  ein  binde¬ 
gewebig  abgeschlossener  Abszeß  medianwärts  vom  Coecum,  an  die  vor¬ 
dere  Bauchwand  anstoßend,  je  ein  mit  Exsudatmembranen  ausgeklei¬ 
deter  Hohlraum  zwischen  Colon  ascendens,  Leber  und  Duodenum  und 
zwischen  Colon  descendens,  Badix  mesenterii  und  Dünndarmschlingen, 
beide  kommunizierend  durch  die  Badix  hindurch. 

Nunmehr  geht  B.  zur  Besprechung  der  thrombotischen  und  embo- 
lischen  Vorgänge  in  der  Nähe  der  Appendix  und  der  Verschleppung 
der  Emboli  in  Lunge  und  Leber  über. 

Bei  einem  25  jährigen  Manne  stellten  sich  im  Anschluß  an  eine 
schwere  abszedierende  Epityphlitis  Lungenerscheinungen  embolischen 
Ursprunges  ein  und  auch  Schüttelfröste,  die  sich  stets  bei  Berührung 
der  Wunde,  so  z.  B.  bei  jedem  Verbandwechsel  zeigten,  deuteten  auf 
ausgedehnte  thrombophlebitische  Prozesse  hin.  Der  Pat.  wurde  geheilt 
entlassen. 

Die  Beteiligung  der  Leber  wurde  bei  zwei  Patienten  beobachtet. 
Im  ersten  Falle  handelte  es  sich  um  einen  48jährigen  Pat.,  der  vor 
zehn  Jahren  zum  ersten  Male  an  Blinddarmentzündung  erkrankt  war 
und  dann  fast  in  jedem  Jahre  ein  leichtes  Bezidiv  gehabt  hatte.  Er 
wurde  sehr  elend  eingeliefert,  es  war  ein  Abszeß  nachweisbar,  der 
eröffnet  wurde.  Später  mußten  Gegeninzisionen  in  der  Lumbalgegend 
gemacht  und  noch  ein  subphrenischer  Abszeß  eröffnet  werden,  Exitus. 
Bei  der  Sektion  findet  sich  eine  retrocoecale  Abszeßhöhle,  mit  der  die 
Spitze  der  Appendix  verwachsen  ist.  Bindegewebiger  Verschluß  der 
V .  ileocolica  und  mesenterica  magna.  V ereiterte  Thromben  in  der  Pfort¬ 
ader,  in  den  intrahepatischen  Ästen  derselben  und  in  der  V.  mesenterica 
parva,  Vereiterung  eines  Teiles  ihrer  Wand,  Abszeß  im  Mittellappen 
der  Leber.  Seröseitrige  Flüssigkeit  in  der  rechten  Pleurahöhle,  seröser 
Erguß  in  der  linken. 

Der  zweite  Pat.  wurde  Mitte  Februar  1908,  30  Stunden  nach  dem 
Anfalle  operiert,  in  der  Bauchhöhle  war  bereits,  ein  eitriges  Exsudat 
vorhanden.  Der  Prozessus  wird  exstirpiert  und  man  findet  bei  Unter¬ 
bindung  des  Mesenteriolums  eine  Gangrän  im  basalen  Drittel,  in  deren 
Bereiche  zwei  Kotsteine.  Im  Mai  erkrankte  Pat.,  der  sich  bis  dahin 
völlig  wohl  gefühlt  hatte,  plötzlich  unter  Atemnot  und  Herzschwäche. 
In  der  rechten  Pleurahöhle  fand  sich  ein  trübseröses,  später  eitriges 


432 


Vorläufige  Mitteilungen  und  Autoreferate. 


Exsudat.  Noch  ehe  die  Rippenresektion  gemacht  werden  konnte,  starb 
er  an  Herzschwäche. 

Bei  der  Sektion  finden  sich  in  der  rechten  Pleura  mehrere  Liter 
einer  dünnen  schmutzigbraunen  Flüssigkeit,  die  das  Herz  stark  nach 
links  verschoben  hat.  Diei  rechte  Lunge  hat  die  Größe  einer  Männer¬ 
faust,  beide  Pleurablätter  sind  mit  einem  dicken  graugelben  Belage 
versehen.  Auf  der  Leber  ist  in  der  Gegend  des  Lig.  coronarium  eine 
gut  handtellergroße  Partie  der  Leberoberfläche  mit  dem  Zwerchfell 
verwachsen,  nach  deren  Lösung  ein  dicker  grüngelber  Belag  zwischen 
Leber  und  Zwerchfell  sichtbar  wird.  Unter  diesem  Belage  finden  sich 
in  der  Leber  zwei  ca.  walnußgroße  Höhlen  mit  dickem  graugelbem 
trübem  Inhalte,  ihre  Wand  ist  ebenfalls  mit  graugelbem  Belage  ans¬ 
gekleidet. 

In  dem  ersten  Falle  hatten  wir  eine  Reihe  von  Komplikationen, 
einen  Abszeß  in  der  Nähe  der  Appendix,  Thrombophlebitis  purulenta 
der  Pfortader,  Leberabszesse  und  schließlich  noch  Empyem  der  rechten 
und  einen  serösen  Erguß  der  linken  Pleurahöhle.  Im  zAveiten  Falle 
war  die  Infektion  von  Anfang  an  sehr  schwer  gewesen,  nach  schein¬ 
barer  Heilung  war  die  Beteiligung  der  Pleura  das  einzige  Symptom, 
das  Beschwerden  gemacht  hatte. 

Eingehender  werden  die  Infektionsmöglichkeiten  der  Pleura  be¬ 
sprochen. 

Bei  der  geringen  Aussicht,  in  diesen  Stadien  therapeutisch  etwas 
zu  erreichen,  empfiehlt  R.  dringend  auf  Grund  der  guten  Resultate 
der  Frühoperationen,  in  der  Epityphlitisbehandlung  das  Messer  des 
Chirurgen  nicht  als  ultima  ratio  zu  betrachtein,  sondern  durch  die  früh¬ 
zeitige  Exstirpation  der  Appendix  vorbeugend  die  Quelle  des  infizieren¬ 
den  Materiales  zu  verstopfen,  ehe  dasselbe  seinen  verderblichen  Weg 
in  den  Körper  genommen  hat.  Autoreferat. 


Über  Ureterverschluß. 

Von  Dr.  Hube  sch. 

(Vortrag  im  Verein  deutscher  Ärzte  in  Prag,  5.  März  1909.) 

Vortragender  stellt  drei  operierte  Fälle  von  Ureterverschluß  vor 
(Röntgenbilder).  Das  eine  Mal  fand  sich  eine  Knickung  des  linken 
Ureters  mit  Hydronephrose  (37 jähriger  Mann),  wahrscheinlich  ent¬ 
standen  durch  Wanderniere,  die  beiden  anderen  Male  handelte  es  sich 
um  Steine  mit  Pyonephrose.  In  diesen  beiden  Fällen  lag  das  eine  Mal 
ein  verzweigter  Nierenbeckenstein  (55jährige  Frau),  das  andere  Mal 
ein  ca.  bohnengroßer  Stein  im  Ureter  und  mehrere  kleine  Konkremente 
in  der  Niere  vor  (22 jähriges  Mädchen). 

In  den  Fällen  von  Ureterknickung  und  Nierenbeckenstein  wurde 
die  fast  parenchymlose  Hydro-  resp.  Pyonephrose  primär  exstirpiert, 
in  dem  Falle  von  Ureterstein  wurde  ein  konservatives  Vorgehen,  da 
noch  Nierengewebe  erhalten  war,  versucht:  Zunächst  die  Nephrotomie 
vorgenommen  und,  da  von  dieser  aus  nicht  auch  der  Ureterstein  ent¬ 
fernt  werden  konnte,  drei  Wochen  später  durch  Ureterotomie  der  Stein 
entfernt.  Jetzt  nach  21/2  Monaten  besteht  noch  die  Nierenfistel,  fast 
aller  Harn  entleert  sich  in  die  Blase,  hat  jedoch  eine  Cystitis  erzeugt, 
so  daß  wegen  Gefährdung  der  anderen  noch  gesunden  Niere  nunmehr 
die  Nephrektomie  vorgenommen  werden  muß. 


Referate  und  Besprechungen. 


433 


Ein  Fall  von  Favus. 

Von  Dr.  Galewsky. 

(Nach  einem  Vortrag  im  ärztlichen  Verein  in  Dresden.) 

Vortragender  demonstriert  einen  achtjährigen  Knaben  aus  Kiew 
in  Rußland,  der  seit  langer  Zeit  an  Favus  leidet.  Ergriffen  ist  der 
behaarte  Kopf,  am  Körper  und  Nägeln  ist  nichts  Pathologisches  zu 
finden.  Die  Behandlung  soll  in  Röntgenbeleuchtung  und  Behandlung 
mit  desinfizierenden  Seifen  und  Salben  bestehen.  Autoreferat. 


Ueber  die  Verwendbarkeit  der  Komplementbindungsmethode  zur  Diagnose 

der  Meningitis  epidemica. 

Von  Dr.  W.  Schürmann.  (Med.  Klinik,  Nr.  43,  1908.) 

Verfasser  brauchte  zur  Anstellung  seiner  Versuche: 

1.  einen  Bazillenextrakt  als  Antigen, 

2.  Patientenserum  resp.  Lumbalflüssigkeit  als  Antikörper, 

3.  Meerschweinchenserum  als  Komplement, 

4.  Serum  eines  mit  Hammelblut  vorbehandelten  Kaninchens, 

5.  eine  gewaschene  5°/0ige  Hammelblutkörperchenaufschwemmung. 
In  zehn  Fällen  von  echter  epidemischer  Genickstarre  fand  Verf. 

sowohl  im  Blutserum,  wie  in  der  Spinalflüssigkeit  eine  Ablenkung. 
Acht  Patienten  gaben  im  Stadium  der  Rekonvaleszenz  ebenfalls  ein 
positives  Resultat.  In  zwei  Fällen  (Hydrozephalus)  versagte  die  Probe. 
Bei  tuberkulöser  Meningitis  und  in  einem  Falle  von  Gehirnabszeß 
fand  er  keine  Komplementbindung.  Neun  Kontrollen  mit  normalem 
Blute  ergaben  ein  negatives  Resultat ;  das  Blutserum  eines  Typhus¬ 
kranken  und  eines  an  Icterus  catarrhalis  leidenden  Kindes  verhielten 
sich  ebenso  wie  das  eines  normalen  Menschen.  Verf.  rät  zur  Prüfung 
der  Methode  an  einem  großen  Krankenmaterial,  da  in  einigen  Fällen, 
wo  erst  später  kulturell  Meningokokken  festgestellt  wurden,  Verf. 
Voraussagen  konnte,  ob  es  sich  um  eine  Meningitis  epidemica  handelte 
oder  nicht.  Die  Methode  ist  demnach  zur  Diagnosenstellung  recht 
gut  verwendbar.  Autoreferat. 


Referate  und  Besprechungen. 

Bakteriologie  und  Serologie. 

(Aus  der  dermatologischen  Klinik  des  städtischen  Krankenhauses  Frankfurt  a.  M. 

Prof.  Herxheimer.) 

Was  leistet  zurzeit  die  Wassermann’sche  Reaktion  für  die  Praxis? 

(Dr.  Fritz  Höhne,  Oberarzt.  Med.  Klinik,  Nr.  47,  1908.) 

Die  für  ihre  praktische  Bedeutung  wichtige  Hauptforderung,  daß  die 
Serodiagnostik  für  Lues  spezifisch  ist,  dürfte  wohl  nach  den  bisherigen  Er¬ 
fahrungen  erfüllt  sein.  Sie  fällt  hei  der  Mehrzahl  der  Luetiker  positiv 
aus,  während  sie  hei  gesunden  Menschen  ein  negatives  Resultat  liefert. 
Die  hei  Scharlach  gefundene  positive  Reaktion  konnte  nicht  bestätigt  werden. 

Was  die  Methode  anbetrifft,  so  ist  die  von  Wassermann,  Neißer 
und  Bruck  angegebene  am  zuverlässigsten.  Diagnostisch  ist  darauf  hin¬ 
zuweisen,  daß  der  positive  Ausfall  zwar  sicher  beweisend  für  das  Vorhanden¬ 
sein  einer  Lues  ist,  nicht  aber  dafür,  daß  die  gerade  bestehende  lokale  Er¬ 
scheinung  luetischer  Natur  ist.  Weiter  ist  hei  negativem  Ausfall  nicht 
ohne  weiteres  die  Diagnose  Lues  hinfällig.  Die  klinische  Beobachtung  wird 

28 


434 


Referate  und  Besprechungen. 


demnach  nicht  überflüssig.  Wertvolle  Dienste  kann  die  Serodiagnostik  einmal 
in  differentialdiagnostischer  Hinsicht,  sowie  bei  Syphilophoben,  bei  klinisch 
gesunden  Kindern  syphilitischer  Eltern,  endlich  den  Neurologen,  Ophthalmo¬ 
logen  und  Chirurgen  leisten.  Die  prognostische  Bedeutung  ist  nur  gering, 
da  der  schwache  oder  starke  Ausfall  nach  einer  Kur  nicht  viel  besagt. 

Auf  die  Therapie  hat  die  Reaktion  dagegen  bedeutenden  Einfluß. 
Höhne’s  Urteil  geht  dahin,  daß  die  Wassermann’sche  Reaktion  entschieden 
großen  Wert  besitzt,  da  wir  durch  sie  aus  dem  Gebiete  der  Vermutungen 
und  Annahmen  herausgekommen  sind  und  mit  sicheren  Tatsachen  rechnen 
können.  F.  Walther. 


Bewertung  der  Wassermann’schen  Reaktion  für  die  Frühdiagnose  und  die 

Therapie  der  Syphilis. 

(W.  Fischer.  Med.  Klinik,  Nr.  4,  1909.) 

Aus  den  Untersuchungen  Fiscjher’s,  die  im  Institut  für  Infektions- 
krankheiten  ausgeführt  worden  sind,  geht  hervor,  daß  die  Wassermann- 
sche  Reaktion  um  so  häufiger  gefunden  wird,  je  längere  Zeit  seit  der  In¬ 
fektion  verstrichen  ist.  Bei  einer  Infektion  vor  4  Wochen  ergab  die  Reak¬ 
tion  0%,  vor  5 — 6  Wochen  27%,  vor  9 — 10  Wochen  80%  positive  Resul¬ 
tate.  Des  ferneren  stellte  sich  heraus,  daß  dasselbe  Individuum  überhaupt 
nicht  immer  in  gleicher  Weise  auf  den  sich  in  ihm  abspielenden  syphili¬ 
tischen  Prozeß  mit  positiver  Reaktion  antworten  muß,  wenn  auch  eine  solche 
bei  früheren  Erscheinungen  zu  konstatieren  gewesen  war. 

Fischer  erzählt  einige  Fälle,  in  welchen  nach  antisyphilitischen  Kuren 
die  Reaktion  =  0  geworden  war  und  trotzdem  gleich  darauf  sich  neue  Exan¬ 
theme,  maligne  Formen,  apoplektislche  Insulte  eingestellt  hatten;  er  meint 
demgemäß,  daß  für  die  Therapie  und  für  die  Prognosie  mit  der  Wasser- 
m  an  Aschen  Reaktion  nicht  viel  anzufangen  sei.  Buttersack  (Berlin). 


Experimentelle  Untersuchungen  über  die  Leistungsfähigkeit  des 
Komplementbindungsphänomens  für  die  Typhusdiagnose. 

(Dr.  Raskin.  Zentralbl.  für  Bakt.,  Bd.  48,  H.  5,  1909.) 

Eine  Versuchsreihe  mit  verschiedenen  Typhusstämmen  wurde  nach  den 
Vorschriften  von  Wjasse;rmann-Leuohs  angestellt  und  im  ganzen  acht 
Immunsera,  die  von  Kaninchen  stammten,  die  mit  Typhusstämmen  und  Para¬ 
typhusbazillen  vorbehandelt  waren,  geprüft.  Als!  Antigen  dienten  dem  Ver¬ 
fasser  Extrakte  von  Organen  oder  Bazillen ;  die  Bazillenextrakte  wurden  genau 
nach  der  Vorschrift  von  L;euc(hs  und  Schöne  hergestellt. 

68  Versuche  wurden  im  ganzen  ausgeführt.  Es  ergibt  sich,  daß  die 
Art  des  die  Immunität  herbeiführenden  Typhusstammes  auf  das  Zustande¬ 
kommen  und  die  quantitative  Wertigkeit  der  Komplementbindungsreaktion 
einen  nicht  zu  verkennenden  Einfluß  ausübt.  Auch  spielt  die  Art  des  als 
Antigen  dienendes  Extraktes  eine  wesentliche  Rolle. 

Verf.  hält  es  vor  der  Hand  noch  verfrüht,  wegen  der  Kompliziertheit 
des  Verfahrens,  es  für  praktische  Zwecke  zu  empfehlen. 

Schürmann  (Düsseldorf). 


Über  die  Gefahr  der  Reinjektion  größerer  Mengen  von  Heilserum. 

(G.  Klemperer.  Ther.  der  Gegenw.,  Nr.  9,  1909.) 

Eine  Wöchnerin,  über  deren  Gesundheitszustand  nichts  Nachteiliges  be¬ 
kannt  ist  und  die  ohne  Hilfe  zum  vierten  Male  geboren  hatte,  bekam  zehn 
Tage  später  einen  Schüttelfrost  ohne  lokale  Erscheinungen.  Da  das  Fieber 
nicht  abfiel,  spritzte  ein  zugezogener  Gynäkologe  am  nächsten  Tage  30  ccm 
Antistreptokokkenserum  ein.  Die  Temperatur  fiel  langsam  ab,  aber  vier 
Tage  später  entwickelte  sich  ein  starkes  Serumexanthem,  dem  weitere  vier 


Referate  und  Besprechungen. 


435 


Tage  später  unter  40°  eine  Schwellung  des  Schultergelenks  folgte  und  im 
weiteren  Verlauf  zwei  Kollapse,  denen  die  Kranke  mit  genauer  Not  ent¬ 
rissen  wurde. 

Daß  weder  Exanthem,  noch  Gelenkentzündung,  noch  Kollapse  auf  die 
fieberhafte  Wochenbetterkrankung  zurückzuführen  sind,  darüber  dürfte  kein 
Zweifel  bestehen;  wohl  aber  über  die  Frage,  ob  die  Seruminjektion  allein 
dafür  verantwortlich  zu  machen  ist.  Klemperer  erinnert  an  die  Erfahrung, 
daß  nach  Injektionen  von  Pferdeserum  eine  sehr  gesteigerte  Empfindlichkeit 
gegen  dasselbe  beobachtet  worden  ist  und  glaubt  eine  solche  bei  der  Kranken 
voraussetzen  zu  dürfen,  da  sie  drei  Jahre  früher  mit  Diphtherieserum  be¬ 
handelt  worden  war.  Jedenfalls  ein  neuer  Grund,  mit  den  Serumeinspritzungen 
sehr  zurückhaltend  zu  sein!  Klemperer  formuliert  seine  Ansicht  in  muster¬ 
haft  vorsichtig -deutlicher  Weise  in  dem  Satze:  wenn  die  Injektionen  von 
großen  Serummengen  mit  Rücksicht  auf  etwaige  Überempfindlichkeit  in  Zu¬ 
kunft  öfter  unterbleiben  sollten,  so  dürfte  durch  solche  Unterlassung  nach 
dem  bisherigen  Stande  unserer  Erfahrungen  wohl  kaum  jemals  ein  Schaden 
geschehen.  E.  von  den  Velden. 


Klinische  Untersuchung  und  Konjunktival-Reaktion  auf  Tuberkulose. 

(H.  Mery,  L.  Dufestel  u.  P.  Armand-Delille.  Bull,  med.,  S.  1099,  1908.) 

Mit  sicherem  Blick  hatte  Gr  an  eher  erkannt,  daß  man  den  Kampf 
gegen  die  Tuberkulose  am  erfolgreichsten  bei  den  Kindern  aufnehmen  könne, 
und  zwar  um  so  erfolgreicher,  je  früher  die  Infektion  erkannt  würde ;  die 
erwachsenen  Tuberkulösen,  unsere  Heilstätten-Insassen,  erschienen  ihm  als 
mehr  oder  weniger  verlorene  Posten.  Die  Frühdiagnose  erschien  da  als 
Haupterfordernis,  und  als  die  Konjunktivalreaktion  veröffentlicht  wurde, 
haben  sich  Grancher’s  Schüler  dieses  diagnostische  Hilfsmittel  sofort  nutz¬ 
bar  zu  machen  gesucht.  In  einer  Mädchenschule  untersuchten  sie  447  Kinder ; 
von  diesen  erschienen  109  (=  24,38%)  klinisch  suspekt;  10  (=  2,23%)  boten 
die  Zeichen  des  ersten  Stadiums  der  Lungentuberkulose  dar. 

Die  Konjunktivalreaktion  wurde  bei  82  Kindern  angestellt  (1  Tropfen 
0,5%iges  Tuberkulin  in  den  inneren  Augenwinkel);  und  zwar  bei  67  Ver¬ 
dächtigen  und  bei  15  klinisch  Gesunden.  Von  den  67  Verdächtigen  reagierten 
42  deutlich,  neun  undeutlich;  also'  bei  wohlwollender  Beurteilung  51  positiv. 
16  reagierten  nicht,  wobei  zu  bemerken  ist,  daß  zwölf  auch  bei  wiederholten 
klinischen  Untersuchungen  verdächtig  blieben. 

Von  den  15  klinisch  gesunden  Kindern  reagierten  zwölf  nicht,  drei 
geringfügig. 

Ähnliche  Resultate  hatte  Krantz  im  Sanatorium  Hendaye  erhalten: 
von  315  als  tuberkuloseverdächtig  auf  genommenen  Kindern  hatten  nur  242 
konjunktival  positiv  reagiert. 

Man  kann  also  slagen:  Die  klinische  Beobachtung  ist  immer  noch  feiner 
und  zuverlässiger  als  die  Konjunktivalreaktion,  welche  überdies  im  Massen¬ 
betrieb  Schwierig  auszuführen  und  schwierig  zu  deuten  ist;  auch  an  die  nicht 
ganz  seltenen  zurüc'kbleibenden  Reizerscheinungen  ist  zu  denken.  Und  wenn 
man  jede  geringe  Reaktion  als  positiv  deuten  will,  gelangt  man  zu  praktisch 
ganz  unbrauchbaren  Resultaten:  on  sie  trouverait  en  presence  d’un  probleme 
insoluble  si  Ton  voulait  appliquer  des  mesures  speciales  de  preservation  ä 
tous  cos  enfants  ayant  reagi.  Also:  Seul  Toxämien  elinique  peut  fournir 
des  indications  precises  permettant  une  selection  utile. 

Und  damit  möge  die  Frage  ihr  Bewenden  haben.  Buttersack  (Berlin). 


Das  Marmorek’sche  Serum  bei  Lungentuberkulose. 

(K.  Kroner.  Zeitsclir.  für  phys.  u.  diät.  Therap.,  Bd.  12,  H.  11,  S.  645 — 658, 

Februar  1909.) 

Man  sollte  denken,  die  Frage,  ob  ein  Mittel  hilft  oder  nicht,  sei  ein¬ 
fach  zu  entscheiden ;  allein  das  ist  ein  Irrtum.  Um  die  Serumtherapie  streitet 

28* 


436 


Referate  und  Besprechungen. 


man  sich  mit  Eifer  und  beiderseits  anscheinend  guten  Gründen,  und  wenn 
gelegentlich  ihre  Parteigänger  ,, magno  hiatu“,  wie  G.  E.  Stahl  zu  sagen 
pflegte,  ihr  Lob  singen,  so  finden  sich  andererseits  unter  den  Hörern  genug 
skeptische  Köpfe,  welche  die  Politik  des  passiven  Widerstandes  befolgen. 
Sie  finden  neue  Nahrung  in  dem ‘vorliegenden  Bericht  von  Kroner  über 
19  Tuberkulöse  II.  Grades,  welche  mehr  oder  weniger  lange  mit  Marmorek- 
Serum  behandelt  worden  waren,  also  keinen  durchschlagenden  Erfolg  er¬ 
kennen  ließen.  Kroner  ist  zwar  geneigt,  dem  Serum  eine  gewisse  spezifische 
Wirkung  zuzuschreiben,  die  er  in  einer  Einwirkung  auf  die  von  den  Bakterien 
produzierten  toxischen  Substanzen  sucht.  Aber  sie  sei  weder  so  konstant 
noch,  so  bemerkenswert,  daß  es  berechtigt  erscheine,  dem  Serum  einen  Platz 
in  der  Therapie  der  Lungentuberkulose  zuzuweisen.  Buttersack  (Berlin). 


Marmorek's  Tuberkulose-Serum. 

(Ch.  Monod.  Bull.  med.  S.  55,  1909.) 

Am  19.  Januar  1909  hat  Monod  der  Akademie  de  Medecine  über  die 
neueren  Arbeiten  berichtet,  welche  im  In-  und  Ausland  über  Marmorek’si 
Tuberkuloseserum  erschienen  sind.  Im  Ganzen  liegen  nunmehr  Mitteilungen 
über  1379  Tuberkulosekranke  aller  Art  und  Schwere  vor;  danach  sind  65% 
der  Kranken  mit  innerer,  72%  jener  mit  chirurgischer  Tuberkulose  günstig 
beeinflußt  worden.  Monod  traut  dem  Serum  bessere  Wirkungen  zu  als  sonst 
irgend  einer  Therapie.  Etwas  Begeisterung  gehört  ja  schließlich  auch  zu  den 
therapeutischen  Erfolgen. 

Die  Applikation  per  clysma  vermeidet  die  sog.  Anaphylaxie,  ist  deshalb 
der  subkutanen  Injektion  vorzuziehen. 

Was  die  therapeutischen  Erfolge  betrifft,  so  scheinen  mir  die  sog. 
Besserungen,  günstigen  Beeinflussungen  nicht  allzu  hoch  zu  bewerten  zu 
sein ;  bei  ihnen  kann  man  auch  an  den  Spruch  denken :  Ein  langes!  Leiden  ist 
ein  langer  Tod.  Buttersack  (Berlin).i 


Intraderma-Tuberkulin-Reaktion. 

(Hutin el.  Gaz.  med.  de  Paris,  Nr.  24,  15.  November  1908.) 

,,Qui  uni  objecto  valde  intentus  est  idque  praesertim  quasi  ecstatice 
contemplatur,  alia  simul  externis  organis  obvia  non  sentit.“  Dieser  Satz  findet 
sich  bei  einem  der  bedeutendsten  naturwissenschaftlichen  Geister,  Franciscus 
Glisson,  in  seinem  Tractatus  d,e  natura  substantiae  energeticae  vom  Jahre 
1672.  Aber  er  gilt  auch  noch  unvermindert  im  Jahre  1909.  Die  Geister 
sind  so  sehr  von  der  Frage  hypnotisiert:  Wie  läßt  sich  mit  Hilfe  des  Tuber¬ 
kulins  erweisen,  ob  jemand  tuberkulöse  Herde  in  sich  trägt?  daß  ihnen  die 
von  den  pathologischen  Anatomen  nachgewiesene  90%ige  Häufigkeit  tuber¬ 
kulöser  Ansiedelungen  fast  ganz  entgangen  ist.  Die  subkutane  Injektion 
nach  Koch  usw.,  die  Hautreaktion  nach  v.  Pirquet,  die  Konjunktivalreaktion 
nach  Wolff-Eisner  haben  mancherlei  Unbequemlichkeiten;  darum  hat  Man¬ 
toux  in  Cannes  Injektionen  in  die  Cutis  O/ioo  mg)  vorgeschlagen  und 
Hutinel  ist  sein  Prophet.  Er  preist  die  Reaktion  als  leicht  anstellbar,  un¬ 
gefährlich,  schmerzlos  und  leicht  deutbar;  aber  ihre  Resultate  sind  im  wesent¬ 
lichen  die  gleichen,  wie  bei  den  anderen  Methoden.  Zwar:  wenn  die  Reaktion 
ausbleibt,  kann  man  auf  völlige  Tuberkulosefreiheit  schließen,  z.  B.  bei 
Kindern  in  den  ersten  Lebensmonaten ;  es  ist  nur  schade,  daß  bei  diesen 
die  Frage  zumeist  nicht  akut  ist.  Bei  Erwachsenen  bleibt  die  Reaktion  aus 
bei  Sterbenden,  bei  Masernkranken,  bei  Frischgeimpften  und  bei  Kachektischen 
(vielleicht  auch  noch  unter  anderen  Bedingungen),  ist  mithin  nicht  eindeutig. 
Und  mit  einer  positiven  Reaktion  ist  praktisch  erst  recht  nicht  viel  anzu¬ 
fangen  ;  denn  man  weiß  nicht,  ob  es  ein  frischer,  fortschreitender  oder  ein 
alter,  abgekapselter,  ausgeheilter  Herd  ist,  der  die  typische  Infiltration 
auslöste. 

Also:  der  Aphorismus:  ^  8e  7te1pa  acpaXspf,  r\  oe  xpiaig  X.a^£7ai  kann  noch  nicht 
außer  Kurs  gesetzt  werden.  Buttersack  (Berlin). 


Referate  und  Besprechungen. 


437 


Über  Züchtung  von  anaeroben  Mikroorganismen  der  Mundhöhle. 

(Dr.  Mühle  ns.  Zentralbl.  für  Bakt.,  Bd.  48,  H.  4,  1908.) 

Das  Spirillum  sputigenum,  das  Verf.  reichlich  in  der  Mundhöhle  vor¬ 
fand,  läßt  sich  anaerob  im  Pferdeserumagar  gut  züchten.  Er  sieht  es  nicht 
als  eine  Entwicklungsform  des  Bacillus  fusiformis  an ;  denn  bei  letzterem 
waren  weder  Geißeln  noch  aktive  Bewegungen  nachweisbar. 

Verf.  konnte  im  Serumagar  auch  einen  Vibrid  der  Mundhöhle  züchten 
und  einen  anderen  anaeroben  Geißelbazillus,  dessen  Geißeln  sich  gut  nach 
Giemsa  darstelle.n  lassen.  Schürmann  (Düsseldorf). 


Über  die  Wirkung  der  toxischen  Produkte  der  Pestbazillen  auf  die 

Atmung. 

(Dr.  Bonis  u.  Pietroforte.  Zentralbl.  für  Bakt.,  Bd.  48,  H.  5,  1908.) 

Die  Versuche  wurden  an  Kaninchen  gemacht,  die  für  die  toxischen 
Produkte  der  Pest  sehr  sensibel  sind.  Es  zeigte  sich  nun,  daß  bei  der  In¬ 
jektion  mit  toxischen  Filtraten  der  Pestbazillen  intraperitoneal  oder  intra¬ 
venös  keine  Veränderungen  der  Atmungsfunktion  stattfanden. 

Intraperitoneale  oder  intravenöse  Injektion  mit  dem  Nukleoproteid  er¬ 
gab  eine  Zunahme  der  Heftigkeit  und  Häufigkeit  der  Atmungsbewegungen, 
die  bei  größeren  Intoxikationen  unregelmäßig  im  Rhythmus  und  der  Häufig¬ 
keit  werden.  Autopsie  ergab  Anzeichen  von  funktionellen  und  anatomischen 
Störungen,  so  Stase,  Hyperämie  und  Infarkte  in  den  Lungen. 

Gut  ging  die  Temperatur  bei  der  Injektion  des  Nukleoproteids  zurück. 

Aus  den  Versuchen  geht  hervor,  daß  die  Symptome,  die  sich  auf  die 
Atmungsfunktion  beziehen,  auf  das  Nukleoproteid  zurückzuführen  sind.  Die 
Atmungsstörungen  rühren  wohl  von  Intoxikationen  der  Zentren,  jedoch  auch 
zum  großen  Teil  von  den  veränderten  zirkulatorischen  und  anatomischen 
Bedingungen  her.  Schürmann  (Düsseldorf). 


Über  die  Übertragung  der  Tollwut  durch  die  Nasenschleimhaut. 

(Dr.  Repetto.  Zentralbl.  für  Bakt.,  Bd.  48,  H.  5,  1908.) 

5  schwarze  Ratten  wurden  dreimal  mit  fixem  Virus  auf  der  Nasenschleim¬ 
haut  infiziert. 

Es  zeigte  sich,  daß  60%  der  Ratten  an  Wut  zugrunde  gingen,  daß  ein 
Teil  der  Ratten  am  6.  Tage  Lähmung  aufwies  und  am  7.  Tage  verendete  und 
andere  am  7.  Tage  Lähmungen  aufwiesen  und  am  8.  Tage  starben. 

Schiirmann  (Düsseldorf). 


Gynäkologie  und  Geburtshilfe. 

Die  Ergebnisse  der  Blutuntersuchung  in  prognostischer  Hinsicht  beim 

Wochenbettfieber. 

(Himmelheber,  Heidelberg.  Monatschr.  für  Geburtsli.  u.  Gyn.,  Bd.  28,  Nr.  3.) 
Eine  vollständige  klinische  Blutuntersuchung  muß  den  Nachweis  der 
Infektionserreger  im  Blute,  die  numerischen  und  qualitativen  Veränderungen 
der  roten  und  weißen  Blutkörperchen  und  den  Hämoglobingehalt  umfassen. 
Die  Aussicht,  einen  positiven  Bakterienbefund  zu  erhalten,  hängt  mit  der 
Schwere  der  Infektion  und  der  Zeit  der  Blutentnahme  zusammen,  dabei  zeigt 
sich,  daß  nicht  nur  Staphylo-  und  Streptokokken  für  die  puerperale  Sepsis, 
sondern  auch  Gono-  und  Pneumokokken,  Koli  u.  a.  in  Betracht  kommen. 
Gerade  die  Staphylomykosen  geben  eine  ungünstige  Prognose  ab.  Durch 
die  Bakterieneinwirkung  kommt  es  zu  Schädigungen  der  Erythrozyten  und 
Verminderung  des  Hämoglobingehaltes  (bis  auf  10 — 15%).  Die  Hyperleuko¬ 
zytose  ist  nach  H.  meist  nur  durch  lokale  entzündliche  Veränderungen  be¬ 
dingt,  während  sie  bei  reiner  Puerperalsepsis  fehlt.  Demnach  kommt  auch 


438 


Referate  und  Besprechungen. 


dem  „Leukozytensturz“  (Dützmann)  nur  eine  geringe  prognostische  Be¬ 
deutung  zu.  Die  Leukozytose  ist  stets  bedingt  durch  Vermehrung  der  poly¬ 
nukleären  neutrophilen  Elemente ;  die  mononukleären  Formen  sind  absolut 
oder  relativ  vermindert.  Die  Eosinophilen  verschwinden  während  des  Eiebers 
nahezu  vollkommen.  Wir  erhalten  also  in  der  neutrophilen  Hyperleukozytose 
einen  Maßstab  für  die  Heftigkeit  der  Reaktion  des  Organismus  auf  die 
Bakterieneinwirkung;  die  Eosinophilie  zeigt  die  Neutralisation  der  bakteriellen 
Toxine  an ;  die  Mononukleose  belehrt  uns  über  die  Regenerationsfähigkeit 
der  entstandenen  Gewebsdefekte  (Rekonvaleszenzmononukleose).  Die  Beobach¬ 
tung  des  Am  ethischen  neutrophilen  Blutbildes  allein  scheint  leider  pro¬ 
gnostisch  keine  sicheren  Anhaltspunkte  zu  gewähren. 

Frankenstein  (Köln). 


Die  Nierendekapsulation  bei  Eklampsie. 

Sammelreferat. 

(Priv.-Doz.  Dr.  E.  Kehrer.  Zeitschr.  für  gyn.  Urol.,  Nr.  2,  1909.) 

K.  zieht  aus  den  bisher  veröffentlichten  Arbeiten  den  Schluß,  daß 
die  Dekapsulation  in  jenen  schweren  Fällen  von  puerperaler  Eklampsie  mit 
vorwiegender  Beteiligung  der  Nieren  berechtigt  ist,  ja  sogar  empfohlen  wer¬ 
den  darf,  in  denen  trotz  erfolgter  Entbindung,  trotz  Venaesectio  und  aller 
übrigen  die  Ausscheidungsorgane  anregender  Maßnahmen  eine  Verstärkung 
der  Anfälle  und  Verschlimmerung  des  Allgemeinzustandes  erfolgt.  Doch 
darf  in  solchen  Fällen  mit  der  Dekapsulation  nur  wenige  Stunden  gewartet 
werden.  Es  ist  zu  h[offen,  daß  dann  ein  Teil  der  20%  Eklampsien,  die  sich 
nach  der  Entleerung  des  Uterus  nicht  bessern  oder  danach  erst  auf  treten,  ge¬ 
heilt  werden.  Unbeeinflußt  sind  und  bleiben  natürlich  die  verzweifelten 
Fälle  von  degenerativen  Veränderungen  anderer  Organe,  insbesondere  der 
Leber  und  des  Herzens,  die  Fälle  von  Lungenödem  und  von  Blutungen  jn 
inneren  Organen.  Das  letzte  Wort  über  die  Berechtigung  der  Nierendekapsu¬ 
lation  werde  aber  erst  die  Zukunft  zu  sprechen  haben,  ob  nicht  durch  Ein¬ 
hüllung  der  Nieren  in  unnachgiebige  bindegewebige  Schwielen  die  spätere 
Nierenfunktion  beeinträchtigt  wird.  R.  Klien  (Leipzig). 


Aus  der  Provinzial-Hebammenlehranstalt  zu  Köln. 

Ovariotomie  während  der  Geburt. 

(Dr.  K.  Hartmann.  Med.  Klinik,  Nr.  40,  1908.) 

Unter  24000  Geburten  wurden  in  Köln  nur  drei  mit  Ovarialtumoren 
komplizierte  beobachtet;  doch  handelte  es  sich  nur  um  kleinere  Geschwülste, 
die  sub  partu  nach  oben  auswichen.  Jüngst  ereignete  sich  ein  Fall,  wo  ein 
großes  Ovarialkystom  z.  T.  über,  z.  T.  im  Becken  saß,  so  ein  Geburtshindernis 
abgebend.  Laparotomie.  Exstirpation  des  Tumors.  Bei  noch  offener,  nur 
provisorisch  zugedeckter  Bauchhöhle  Wendung  und  Extraktion  mit  folgen¬ 
der  manueller  Plazentarlösung  (Grund  hierfür  nicht  angegeben).  Nach  Revi¬ 
sion  der  Ligaturstümpfe  Schluß  der  Bauchhöhle.  Am  dritten  Tag  Perito¬ 
nitis.  Bei  der  Wiedereröffnung  des  Leibes  entleerte  sich  %  Liter  einer  gelben, 
serösen  Flüssigkeit;  Drainage  mittels  gazeumhüllten  Gummirohres.  Von  da 
ab  glatte  Heilung. 

Ovarialgeschwülste  geben  sub  partu  nur  dann  Anlaß  zu  besonderen 
Eingriffen,  wenn  sie,  im  [kleinen  Becken  eingekeilt,  ein  Geburtshindernis 
abgeben.  Vollständig  zu  verwerfen  ist  eine  gewaltsame  Entbindung  mittels 
Zange  oder  Wendung  (57  bez.  35%  Mort.)  Ebenso  gefährlich  ist  die  ein¬ 
fache  Punktion  und  der  Versuch  der  Reposition,  wenn  diese  nicht  sehr  leicht 
gelingt.  Etwas  besser  ist  es  schön  nach  Fritsch’s  früherem  Vorschlag,  nach 
Spaltung  des  hinteren  Douglas  die  Zystenwand  anzunähen  und  nun  breit  zu 
eröffnen.  Das  rationellste  bleibt  jedenfalls  die  Laparotomie.  Die  vaginale 
Exstirpation  wird  nur  in  gewissen  Fällen  durchführbar  sein.  H.  wirft, 


Referate  und  Besprechungen. 


439 


wohl  unter  dem  Eindrücke  des  beschriebenen  Falls,  die  Frage  auf,  ob  in 
jedem  Fall  die  Bauchhöhle  zu  schließen  sei.  Diese  Frage  dürfte  von  Fall 
zu  Fall  zu  entscheiden  sein  nach  den  sonst  üblichen  Grundsätzen. 

R.  Klien  (Leipzig). 


Achselhöhlenbrüste  bei  Wöchnerinnen. 

(F.  Kayser,  Köln.  Arch.  für  Gyn.,  Bd.  85,  H.  2,  1908.) 

Verf.  beschreibt  6  Fälle  von  Geschwulstbildungen  in  der  Achselhöhle 
von  Wöchnerinnen,  welche  sämtlich  das  gleiche  klinische  Bild  boten:  bis 
gänseeigroße,  vorn  vom  Pedt.  major,  hinten  vom  Latissimus  begrenzte  mit 
der  Brustdrüse  in  keinem  nachweisbaren  Zusammenhang  stehende  auf  der 
Unterlage  gut  verschiebliche  Tumoren  von  derber  höckeriger  Konsistenz.  Die 
Punktion  der  Geschwülste  ergab  eine  weißliche  mikroskopisch  als  Milch 
anzusprechende  Flüssigkeit.  Die  am  2.  bis  4.  Tag  meist  unter  schmerzhafter 
Spannung  auftretenden  Geschwülste  gingen  vom  6.  bis  8.  Tag  in  typischer 
Weise  spontan  zurück,  so  daß  am  10.  bis  12.  Tag  nur  noch  flache,  kaum 
druckempfindliche  Resistenzen  nachweisbar  waren.  Die  Voraussage  der  Ge- 
sehwulstbildungen  ist  daher  eine  gute,  die  Behandlung  eine  abwartende. 

Im  Gegensatz  zu  Seitz,  welcher  neuerdings  die  gleichen  Bildungen 
als  Schwellungen,  die  infolge  einer  Hypersekretion  der  Schweiß-  und  Talg¬ 
drüsen  mit  zeitweiliger  Retention  des  Sekrets  entstehen,  beschrieben  hat 
(Arch.  f.  Gyn.  Bd.  80.  H.  3),  faßt  Verf.  die  Tumoren  als  Geschwülste  auf, 
welche  einem  in  der  Achselhöhle  liegenden,  in  der  Laktationsperiode  in  Tätig¬ 
keit  tretenden  Drüsengewebe  ihre  Entstehung  verdanken.  Abgesehen  von 
der  dafür  sprechenden  Art  ihrer  Entwicklung  bezieht  er  sich  zur  Begrün¬ 
dung  seiner  Ansicht  aufl  die  neueren  embryologischen  Ergebnisse,  welche  den 
Verlauf  des  „Milchstreifens“  bis  in  die  Achselhöhle  nachweisen,  und  vor 
allem  auf  die  Resultate  der  Arbeiten  Hirschla nd’s.  Dieser  wies  bei  4  Em¬ 
bryonen  von  7  bis  14  mm  Länge  eine  im  ganzen  sehr  beschränkte  Milch¬ 
drüsenanlage  nach,  welche  gerade  unter  der  oberen  Extremität  ihren  Sitz 
hatte.  Ist  die  Annahme  des  Verf.  richtig,  so  dürfen  weitere  Feststellungen 
derartiger  Tumoren  insofern  ein  ethnologisches  Interesse  gewinnen,  als  aus 
der  Häufigkeit  der  Anlage  vielleicht  ein  Rückschluß  auf  die  Vermischung 
mit  Elementen  der  slawischen  Rasse  ermöglicht  wird,  bei  welcher  nach  den 
bisherigen  Beobachtungen  Polythelie  besonders  häufig  vorkommt. 

F.  Kayser  (Köln). 


Aus  der  königl.  Universitäts-Frauenklinik  zu  Marburg. 

Über  den  Blasensitus  nach  Zystozelenoperation. 

(Dr.  H.  Sieber.  Zeitschr.  für  gyn.  Urol,,  Nr.  2,  1909.) 

Von  3  Fällen  von  einfacher  Ivolporrhaphie  wiesen  2  bald  nach 
der  Operation  wieder  Senkung  des  Blasenfundus  und  des  vorderen  Teils  des 
Trigonums  auf.  Von  13  Fällen,  bei  denen  die  Ivolporrhaphie  mit  Vagino¬ 
fixation  verbunden  worden  war,  klagten  11  über  Blasenbeschwerden! 
12  Pat.  hatten  3 — 14  Tage  nach  der  Operation  katheterisiert  werden  müssen; 
sechsmal  fanden  sich  zystoskopisch  erheblichere,  fünfmal  leichtere  entzünd¬ 
liche  Erscheinungen.  Zweimal  waren  Symptome  alter  Entzündungen  zu  finden. 
Diese,  wie  es  scheint,  nach  der  Vaginofixation  regelmäßig  auf  tretenden  Ent¬ 
zündungen  erklärt  S.  durch  die  postoperative  Verzerrung  des  Blasen- 
bodens,  in  den  sich  der  Uterusfundus  von  hinten  her  hineinbohrt;  dadurch 
muß  eine  erhebliche  Störung  in  der  Blasenentleerung  eintreten:  Residualharn, 
Zersetzung  desselben,  Zystitis  ev.  sogar  Pyelitis.  Berücksichtigt  man  noch, 
daß  nach  Vaginofixation  auch  Rezidive  der  Zystozele  nicht  ausbleiben,  so  ist 
die  Methode  wohl  möglichst  nicht  anzuwenden.  —  Ganz  anders  und  besser 
waren  dagegen  die  Blasenbefunde  nach  der  Schau  ta’schen  Prolapsoperation. 
So  operierte  Frauen  klagten  nie  über  Blasenbeschwerden,  es  fanden  sich  bei 
ihnen  auch  nie  entzündliche  Veränderungen,  anfängliche  seitliche  Rezessus 


440 


Referate  und  Besprechungen. 


bildeten  sich  nach  einiger  Zeit  zurück :  der  verlagerte  Ureter  streckt  sich 
offenbar  nach  und  nach  von  selbst.  Die  Schauta’sche  Operation  ist  also 
in  Fällen,  wo  eine  Konzeption  nicht  mehr  in  Betracht  kommt,  sehr  zu 
empfehlen,  da  sie  auch  sehr  rezidivsicher  zu  sein  scheint.  Ähnlich 
schlecht,  wie  nach  Vaginofixation,  waren  die  Blasenverhältnisse  nach 
Totalexstirpation  mit  vorderer  Kolporrhaphie. 

R.  Klien  (Leipzig). 


Aus  der  Universitäts-Frauenklinik  in  Bonn. 

Zur  Behandlung  schwerer  Entzündungen  der  weiblichen  Blase» 

(Priv.-Doz.  Dr.  Erich  Zurhelle.  Zeitschr.  für  gyn.  Urol.,  Nr.  2,  1909.) 

Z.  empfiehlt  zur  Behandlung  schwerer  Zystitiden  reinigende  Dauer- 
Spülungen  mittels  eines  von  ihm  angegebenen  Rücklaufkatheters  mit  nach¬ 
folgender  Einspritzung  von  100  ccm  1%  Kollargollösung.  Diese  kann  stun¬ 
denlang  in  der  Blase  belassen  werden,  ohne  irgendwelche  Reizerscheinungen 
zu  machen.  Z.  ist  mit  den  Erfolgen  dieser  Behandlung  sehr  zufrieden.  Die 
Kollargoleinspritzungen  dürften  sich  auch  prophylaktisch  gegen  Operations- 
zystitis  eignen,  besonders  nach  Karzinomradikaloperationen. 

R.  Klien  (Leipzig). 

» 

Aus  der  königl.  Universitäts-Frauenklinik  zu  Königsberg  i.  Pr. 

Weibliche  Inkontinenz  durch  Narbenzug. 

(Prof.  Zangemeister.  Zeitschr.  für  gyn.  Urol.,  Nr.  2,  1909.) 

Z.  macht  darauf  aufmerksam,  daß  die  nach  Fisteloperationen  relativ 
häufig  zurückbleibende  Inkontinenz  sehr  oft  auf  eine  Zerrung  der  hinteren 
Blasenwand  zurückzuführen  ist  durch  die  entstandene  Narbe.  Dehnt  man 
diese  Narbe  durch  Massage  oder  durch  blutige  Durch trennung,  so  ist  die 
Inkontinenz  oft  mit  einem  Schlage  beseitigt.  Z.  empfiehlt  des  weiteren, 
bei  der  Operation  der  Blasenscheidenfisteln  möglichst  die  Naht  durch  quer 
gelegte  Nähte  zu  schließen,  damit  eine  sagittale  Narbe  resultiert.  Eine  solche 
vermag  nicht  jenen  verderblichen  Zug  auf  die  hintere  Harnröhrenwand  aus¬ 
zuüben.  R.  Klien  (Leipzig). 


Verschluß  der  weiblichen  Blase. 

(Prof.  Zangemeister.  Zeitschr.  für  gyn.  Urol.,  Nr.  2,  1909.) 

Z.  bespricht  auf  Grund  der  Untersuchungen  Kalischer’s  aus  dem 
Jahre  1900  den  Verschluß  der  weiblichen  Blase.  Für  die  Erhaltung  der 
Kontinenz  ist  einzig  maßgebend  die  glatte  Muskulatur  und  zwar  die  der 
oberen  Harnröhre.  In  Fonrn  eines  schräg  gelagerten  hinten  mächtigeren  Ringes 
umfaßt  hier  die  glatte  Muskulatur  Harnröhre  plus  Trigonum  der  Blase. 
Dagegen  gehört  der  vordere  Teil  der  am  Blasenostium  selbst  gelegenen  Mus¬ 
kulatur  zur  Blasenmuskulatur.  Es  stehen  also  die  glatte  Muskulatur  der 
Blase  und  der  Harnröhre  nidht  in  direktem  Zusammenhang,  sie  gehen  nicht 
ineinander  über.  Infolge  der  Einlagerung  eines  Teils  der  als  Sphinkter  fungie¬ 
renden  (Harnröhren-)muskulatur  in  die  Blase  selbst  (Trigonum)  und  der, 
wie  gesagt,  vollständigen  Trennung  der  übrigen  Blasenmuskulatur  von  der 
der  Harnröhre  ist  es  verständlich,  daß  bei  der  Kontraktion  der  Blase  deren 
Ausgang  nicht  mit  verengt  wird.  —  Von  mechanischer  Bedeutung  für  den 
Blasenverschluß  ist  ferner  auch  die  nicht  radiäre,  sondern  etwas  schräge 
Einmündung  der  Harnröhre  in  die  Blase.  —  Es  findet  also  der  Verschluß 
der  weiblichen  Blase  nicht  zirkulär  statt,  sondern  durch  die  Verteilung 
der  Muskulatur  hauptsächlich  auf  den  hinteren  Teil  der  Zirkumferenz  der 
oberen  Harnröhre  erfolgt  die  Verengerung  des  Lumens  mehr  wie  durch  einen 
Quetschhahn,  und  zwar  auf  einer  relativ  langen  Strecke.  Sehr  gute  Bilder 
veranschaulichen  die  Verhältnisse.  R.  Klien  (Leipzig). 


Referate  und  Besprechungen. 


441 


Aus  der  Universitäts-Frauenklinik  in  Freiburg  i.  Br. 

Ein  Beitrag  zur  Lehre  der  „essentiellen“  Hämaturie. 

(Dr.  Devaux.  Zeitschr.  für  gyn.  Urol.,  Nr.  2,  1909.) 

Ein  24 jähriges  Mädchen,  sonst  gesund,  hatte  eine  einmalige  ziemlich 
erhebliche  Nierenblutung-.  Die  Untersuchung  nach  Albarran  ergab,  daß 
die  blutende  rechte  Niere  relativ  funktionsfähig-  war,  die  linke  Niere  ließ 
keine  Erkrankung  erkennen.  Obwohl  sich  die  Blutung  innerhalb  acht  Tagen 
nicht  wiederholt  hatte,  wurde  die  rechte  Niere  exstirpiert.  Verlauf  gut,  die 
linke  Niere  funktionierte  hinreichend.  Die  anatomische  Diagnose  der  rechten 
Niere  lautete  auf  in  Ausheilung  begriffene  hämorrhagische  Nephritis! 

R.  Klien  (Leipzig). 

Medikamentöse  Therapie. 

Physiologische  Wertbestimmung  von  Arzneimitteln. 

(R.  Gottlieb.  Münch,  med.  Wochensclir.,  Nr.  24,  1908.) 

Die  Anwendung  chemisch  reiner  Körper  gewährt  den  Vorteil  exakter 
Dosierbarkeit  und  den  der  Trennung  von  den  sonstigen  wirksamen  Bestand¬ 
teilen  der  Droge.  Wo  diese  Isolierung  nicht  möglich,  wie  z.  T.  beim  Mutter¬ 
korn,  tritt  die  physiologische  Prüfung  in  ihr  Recht.  Das  bekannteste  Bei¬ 
spiel  eines  solchen  Mittels  ist  die  Digitalis,  in  welcher  außer  dem  Digitoxin 
und  Digitalin  noch  andre,  unbekannte  wirksame  Stoffe  enthalten  sein  müssen. 
Die  einzelnen  Bestandteile  werden  offenbar  in  verschiedener  Menge  und 
Schnelligkeit  im  Körper  aufgespeichert ;  auch  sind  sie  verschieden  bezüg¬ 
lich  der  gleichzeitigen  Verengerung  bestimmter  Gefäßgebiete  und  bezüglich 
der  Vaguswirkung.  Die  Digitalisblätter  haben  nun  aber  einen  überaus  ver¬ 
schiedenen  Effekt  je  nach  Standort  der  Pflanze  und  Alter  der  Droge.  Eine 
einwandfreie  physiologische  Prüfung  wäre  hier  ebenso  notwendig  wie  beim 
Diphtherieserum.  Die  Methoden  sind  vorhanden,  ebenso  wie  bei  den  Neben¬ 
nierenpräparaten,  wo  man  die  Erweiterung  der  Froschpupille  als  Maßstab 
der  Verdünnung  benutzt.  Das  Mutterkorn  läßt  sich  durch  seine  Wirkung 
auf  den  überlebenden  Uterus  der  Katze  dosieren.  E.  Oberndörffer. 


Über  Digitaliswirkung  an  Gesunden  und  an  kompensierten  Herzkranken. 

(A.  Fraenkel,  Badenweiler  u.  G.  Schwartz.  Arch.  für  exper.  Path.  u.  Pharmakol. 

Festschr.  für  Schmiedeberg,  Supplementband,  S.  188,  1908.) 

In  Fortsetzung  ihrer  1907  S.  849  besprochenen  therapeutischen  Ver¬ 
suche  mit  intravenöser  Einspritzung  von  Strjophan thin  (1  mg)  bei  schweren 
Kompensationsstörungen  haben  Verf.  Strophanthin  bei  6  Herzgesunden  und 
bei  6  Herzkranken  ohne  jede  oder  ohne  beträchtliche  Kompensationsstörung 
untersucht.  Herz  gesunde  ertrugen  1  mg  ohne  Störung;  die  Pulsfrequenz 
wurde  so  gut  wie  nicht,  der  Blutdruck,  die  Pulsamplitude  sowie  die  Harn¬ 
menge  nicht  verändert.  Das  gesunde  Herz  arbeitet  eben  mit  optimalen  Systolen, 
so  daß  eine  therapeutische  Dosis  eines  Digitalisstoffs  sie  nicht  erhöhen 
kann.  Die  Dosis,  die  ein  gesundes  Herz  nicht  zu  beeinflussen  vermag,  ist  im¬ 
stande,  das  kranke  Organ  wirksam  in  seiner  Leistungsfähigkeit  zu  steigern. 
Bei  den  übrigen  Kranken  zeigte  sich  wiederum  wie  früher,  daß  nur  da  eine 
Wirkung  der  Strophanthininjektion  eintrat,  wo  eine  gewisse  Dekompensation 
vorhanden  war,  indem  hier  eine  geringe  Erhöhung  der  Pulsamplitude  und 
eine  geringe  Abnahme  der  Pulsfrequenz  bei  Besserung  des  Befindens  sich  ein¬ 
stellte,  so  daß  man  aus  dem  Verhalten  der  Amplituden  bei  Stfophanthininjek- 
tion  sehr  wohl  einen  Schluß  auf  die  funktionelle  Leistung  des  Herzens 
machen  kann. 

Aus  den  Befunden  bei  der  Darreichung  von  Strophanthin  (Böh ringer)  in 
ebenfalls  bei  6  Kranken,  ließen  sich  sichere  Schlüsse  nicht  ziehen. 

E.  Rost  (Berlin). 


442 


Referate  und  Besprechungen. 


Über  eine  spezifische  Nierenwirkung  der  Digitaliskörper. 

(Jonescu  u.  Otto  Loewi.  Arch.  für  exper.  Path.  u.  Pharmakol.,  Bd.  58,  S.  71,  1908.) 

Obwohl  eine  der  wichtigsten  Heilwirkungen  der  Digitalisstoffe  die 
Hervorrufung  und  Unterhaltung  profuser  Diuresen  ist,  hat  man  dem  Mecha¬ 
nismus  der  diuretischen  Wirkung  bisher  nur  wenig  Aufmerksamkeit  ge¬ 
widmet.  Man  hat  dabei  wohl  angenommen,  daß  die  Diurese  alleinige  Folge 
der  durch  die  Digitalisstoffe  bewirkten  Steigerung  der  Herztätigkeit  sei. 
Die  Herzwirkung  kann  aber  nur  in  den  Fällen  zur  Erklärung  herangezogen 
werden,  wo  vorher  der  Blutdruck  abnorm  niedrig  war  und  wo  Digitalis 
den  Blutdruck  steigert,  allein  durch  Vermehrung  der  Herzarbeit  ohne  gleich¬ 
zeitige  Verengerung  der  Gefäße.  Dies  geschieht  aber  nur  bei  medizinalen 
Gaben;  bei  großen  Dosen  verengern  sich  alle  Gefäße  und  damit  auch  die 
Gefäße  der  Niere,  die  Folge  davon  ist  eine  Herabsetzung  oder  Unterdrückung 
der  Harnsekretion.  Wenn  der  Blutdruck  nach  Digitalis  dagegen  nicht  oder 
nicht  nennenswert  ansteigt,  kann  eine  eintretende  Diurese  wohl  nur  die 
ausschließliche  Folge  einer  direkten  Wirkung  der  Digitalis  auf  die  Niere 
selbst  sein.  Loewi  konnte  nun  in  Versuchen  an  Kaninchen  zeigen,  daß 
die  Ursache  für  diese  Vermehrung  der  Harnmenge  nach  Digitalisdosen,  die 
den  Blutdruck  nicht  erhöhen,  eine  Erweiterung  der  Gefäße  in  der  Niere 
ist,  wobei  die  Digitalis  direkt  peripher  angreift.  E.  Rost  (Berlin). 


Euphyllin,  ein  neues  Diuretikum. 

(Dessauer.  Ther.  Monatsh.,  Nr.  8,  1908.) 

Das  Euphyllin  ist  nach  D.  ein  Diuretikum!,  das  vielen  anderen  Diu- 
retizis  nicht  nachsteht,  sie  in  manchen  Fällen  an  Wirksamkeit  sogar  über¬ 
troffen  hat.  Sein  wesentlicher  Vorteil  besteht  darin,  daß  es  infolge  seiner 
Leichtlöslichkeit  und  Resorbierbarkeit  die  Anwendung  per  Rektum  gestattet 
und  als  Suppositorium  oder  Klysma  gegeben,  auffallend  gute  Fähigkeit  hatte, 
die  im  Körper  zurückgehaltenen  pathologischen  Wassermengen  zu  eliminieren. 
Am  besten  bewährt  es  sich  bei  Kranken  mit  Ödemen,  welche  auf  primäre 
Schwächezustände  des  Herzens  zurückgeführt  werden.  Ferner  bei  dem  Nach¬ 
lassen  der  Kompensation  eines  Klappenfehlers  oder  der  Insuffizienz  eines 
myokardi tischen  Herzens,  sowie  deren  Folgeerscheinungen ;  bei  Erkrankung 
der  Nieren  wirkt  es  ebenfalls,  wenn  nicht  die  Erkrankung  des  Nierenparen- 
parenchyms  zu  weit  vorgeschritten  ist.  Auch  bei  Leberzirrhose  wurde  in 
einem  Falle  ein  Erfolg  konstatiert.  Das  Euphyllin  (eine  Verbindung  von 
Theocin  und  Ätylendiamin)  wird  am  besten  in  Form  von  Suppositorien  ver¬ 
wendet.  Diese  kommen  direkt  in  den  Handel  und  bestehen  aus:  0,36  Euphyl¬ 
lin.  pur.  2,5  Kakaobutter.  Es  wurden  meist  2 — 4  Suppositorien  täglich  ge¬ 
geben.  Will  man  das  Mittel  per  Klysma  anwenden,  so  empfehlen  sich 
folgende  Formeln:  Rp.  Euphyllin  pur.  1,0,  solv.  in  aq.  dest.  qt.  sat.  Decoct 
Salep  ad.  120,0,  —  D.  S.  —  Zu  2 — 4  Klysmen.  Bei  der  Anwendung  per 
os  setzt  man  am  besten  Tae  Cort.  Auranth.  zu,  nach  folgender  Formel : 
Rp. :  Sol.  Euphyllin  pur.  1,0:160,0  Sir  simpl.  Tae  Cort.  Auranth.  ää  20,0, 
Ds.  2stüncll.  1  Eßlöffel.  Neumann. 


Di  un  Alcaloide  del  gruppo  delle  Tropeine  e  sua  azione  fisiologica  e 

medicamentosa. 

(Massini.  II  Tommasi,  Nr.  20,  1908.) 

Auf  Veranlasslung  von  Prof.  Tedeschi  verwandte  M.  das  Eumydrin 
verschiedentlich  bei  Stenosis  spastica,  Gastralgie,  nervösem  Vomitus,  Ivardia- 
krämpfen  usw.,  und  kommt  auf  Grund  seiner  Erfahrungen  zu  dem  Resultat, 
daß  das  Eumydrin  bei  dies'en  Magenerkrankungen  ein  ausgezeichnetes  Ersatz¬ 
mittel  für  Atropin  ist  infolge  seiner  sekretions-  und  krampfstillenden  Wirkung; 
daß  es  gut  vertragen  wird  und  auch  noch  insofern  den  Vorzug  vor  Atropin¬ 
sulfat  verdient,  weil  es  erheblich  weniger  toxisch  ist  als  das  letztere  und 
auch  die  unangenehmen  Nachwirkungen  des  letzteren  nicht  besitzt.  Neumann. 


Referate  und  Besprechungen. 


448 


Aus  der  Königl.  Universitätsklinik  für  Hautkrankheiten  in  Breslau.  Direktor: 

Geheimrat  Neißer. 

Erfahrungen  über  Anwendung  von  Isoform  als  Streupulver,  Gaze,  Zahn¬ 
paste  (Saluferin-Zahnpaste)  etc. 

(Dr.  Konrad  Siebert.  Therap.  Monatsh.,  November  1908.) 

Das  Isoform  kommt  als  Pulvis  Isoformi,  das  eine  Mischung  von  Para- 
jodanisol  und  Calium  phosphor.  ää  darstellt,  in  den  Handel.  Seine  Vorzüge  be¬ 
stehen  in  hoher  bakterizider  Kraft,  relativer  Ungiftigkeit  und  Geruchlosig¬ 
keit.  Während  es  für  die  Haut  ganz  indifferent  ist,  führt  es  bei  Wunden 
und  Granulationen  zu  oberflächlicher  V ereiterung.  Infolgedessen  darf  man 
es  nur  so  lange  anwenden,  als  es  sich  um  verschmierte,  unreine  Wunden 
handelt.  Sind  an  Stelle  dieser  Beläge  reine  Granulationen  getreten,  so  geht 
man  besser  zu  einem  indifferenten  Streupulver  oder  einem  2 — 5°/oiS’en  Iso- 
formpulver  über. 

Vor  allem  hat  sich  das  Isoform  als  Gaze  bewährt,  die  in  1,3  und 
10%iger  Stärke  in  den  Handel  kommt.  Bei  ihr  gilt  in  bezug  auf  Anwendungs¬ 
art  dasselbe,  wie  beim  Pulver!.;  In  Gestalt  der  5%  Isoform  enthaltenden 
Saluferinzahnpaste  (Norddeutsche  chemische  Werke,  Berlin)  dient  das  Iso¬ 
form  als  Prophylaktium  und  als  therapeutisches  Mittel  gegen  Stomatitis 
mercurialis.  Wenn  auch  nicht  stets  eine  solche  bei  energischen  Quecksilber¬ 
kuren  zu  vermeiden  war,  so  konnte  Siebert  doch  beobachten,  daß  sie  nicht 
in  so  heftiger  Weise  auf  trat.  An  den  von  vielen  nicht  angenehm  empfundenen 
Geschmack  gewöhnen  sich  die  Patienten  sehr  bald.  Gegen  die  Stomatitis 
mercurialis  ist  das  Bestreichen  des  Zahnfleisches  mit  einem  10%igen  Iso¬ 
formbrei  oder  die  Tamponade  zwischen  Zahnfleisch  und  Wange  mit  1  bis 
3%iger  Isoformgaze  von  großem  Nutzen.  F.  Walther. 


In  die  neue  französische  Pharmakopoe  (le  nouveau  codex)  sind  Bella- 
donna-Poclophyllin-Pillen  aufgenommen : 

Rp. :  Podophyllin  0,8 

Extract  Belladonn.  0,1 
Sap.  med.  0,3. 

f.  pilul.  N.  X. 

Da  das  Podophyllin  als  Abführmittel  bei  vielen  unverdienterweise  in  Ver¬ 
gessenheit  geraten  ist,  so  darf  bei  dieser  Gelegenheit  vielleicht  wieder  darauf 
hingewiesen  werden.  Buttersack  (Berlin). 


Von  Medikamenten  sind  nach  Onde,rdonk  (Med.  Prog.,  Nov.  08)  die 
Baldrianpräparate  bei  der  Hysterie  die  wichtigsten.  Gute  Erfolge  erhielt 
Verf.  auch  mit  Bromural,  das  sich  ihm  in  nicht  zu  schweren  Fällen  ganz  laus- 
gezeichnet  bewährte.  Gerade  bei  Hysterischen  kommt  es  weniger  auf  ein 
starkes  Narkotikum  an,  als  vielmehr  auf  ein  Sedativum,  das  die  Reizbarkeit 
des  Nervensystems  herabsetzt,  einen  leichten  erfrischenden  Schlaf  herbeiführt 
und  keine  Benommenheit  hinterläßt.  Neumann. 


Röntgenologie  und  physikalische  Heilmethoden. 

Magendarmtätigkeit  im  Röntgenbild. 

(M.  Faulhaber  bzw.  G.  Friedei.  Arch.  für  phys.  Med.  u.  med  Technik,  Bd.  3, 

H.  3/4,  S.  20—274  u.  294-302,  1908.) 

Wie  sich  die  Dinge  im  Magen  und  Darm  abspielen,  ist  auffallend  wenig 
bekannt;  die  auf  bleibende  Zuständlichkeit  ausgehende  normale  und  patho¬ 
logische  Anatomie  schenkte  diesen  Vorgängen  leichtverständlicherweise  keine 
große  Aufmerksamkeit.  Da  setzt  nun  der  Röntgenschirm  ein,  und  das  Studium 
der  eingehenden  Abhandlung  Faulhabers  kann  nur  jedem  empfohlen  werden. 


444 


Referate  und  Besprechungen. 


Nicht  minder  wichtig  sind  die  Bilderserien  von  Friedei,  aus  welchen 
erhellt,  daß  die  Verstopfung,  jene  verbreitete  Klage  des  weiblichen  Ge¬ 
schlechts,  in  vielen  Fällen  nur  der  Ausdruck  eines  Tiefstands  und  einer 
Atonie  des  gesamten  Kolons  ist.  Magen  und  Dünndarm  arbeiten  bei  solchen 
Patientinnen  in  sekretorischer  wie  motorischer  Hinsicht  ganz  normal ;  nur 
die  Reste  früherer  Peritonitiden  (nach  Metritis,  Appendizitis  u.  dgl.)  sind  es, 
welche  durch  Einschnürungen  jene  Beschwerden  hervorrufen. 

«gl  Buttersack  (Berlin). 


Das  heiße  Bad. 

(E.  Baelz.  Monatsschr.  für  die  phys.-diät.  Heilmethoden  in  der  ärztl.  Praxis. 

1.  Jahrg.,  H.  1,  Januar  1909. 

Das  vorliegende  Heft  stellt  die  Fortsetzung  der  bekannten  Winternitz- 
schen  Blätter  für  klinische  Hydrotherapie  dar;  die  Monatsschrift  wird  jetzt 
von  J.  Marcuse  und  A.  Strassfer  redigiert  und  erscheint  bei  J.  F.  Leh¬ 
mann  in  München.  Der  Beitrag  von  Professor  E.  Baelz  ist  eine  Empfehlung 
der  heißen  Bäder.  Heiß  sind  Bäder  von  über  37°;  mäßig  heiß  sind  solche 
von  40 — 42°,  sehr  heiß  die  von  42°  und  darüber.  B.  bedauert  es,  daß  dieses 
wirksame  Agens  in  Europa  so  wenig  benützt  werde;  bei  guter  Ventilation 
des  Baderaums  und  bei  vorherigen  heißen  Übergießungen  des  Kopfes  sei 
es  ganz  unschädlich. 

Als  Indikationen  bespricht  er  kurz:  akute  Erkältungen,  Rheumatismus, 
Gicht,  Syphilis,  Skrophulose,  Pseudokrup,  akute  und  chronische  Bronchitis, 
Asthma  (Schwefelbäder  von  38 — 40°),  Bronchopneumonie  der  Kinder,  Nephritis 
acuta,  chronische  Beckenexsudate,  Menstrualbeschwerden  (heiße  Sitzbäder 
von  42  °). 

Kontraindikationen  sind:  Herzleiden,  Atherom,  reizbares  Nervensystem, 
organische  Nervenleiden,  Tuberkulose,  Diabetes. 

Mag  auch  manch  einem  diese  japanische  Therapie  etwas  zu  energisch 
Vorkommen,  so  muß  er  sich  doch  dem  klinischen  Probatum  est  beugen.  Jeden¬ 
falls  ist  der  Hinweis  auf  ,,die  heutige  schüchterne  Anordnungsweise,  bei 
welcher  die  Bäder  in  bezug  auf  Wärme,  Zahl  und  Dauer  in  oft  lächerlich 
ängstlicher  und  wichtigtuerischer  Weise  zudekretiert  werden“  beherzigens¬ 
wert.  Warum  soll  auch  ein  Rheumatiker  oder  Syphilitiker  nicht  mehrmals 
am  Tage  baden  ?  Natürlich,  nervösen  Indiviuen  wird  man  nicht  allzuviel 
zumuten ;  aber  schließlich  gibt  es  gelegentlich  doch  auch  noch  einige  nicht¬ 
nervöse  Mitmenschen.  Buttersack  (Berlin). 

Balneotherapie  bei  durch  StofFwechselstörungen  bedingten  Herz-  und 

Gefäßerkrankungen. 

(Dr.  Maurus  Fisch,  Wien-Franzensbad.  Med.  Klin.,  Nr.  28,  1908. 

Zu  den  Stoffwechselstörungen,  die  Herz-  und  Gefäßerkrankungen  zur  Folge 
haben  können,  sind  einmal  diejenigen  zu  rechnen, #  die  ihren  Grund  in  unge¬ 
nügender  Verdauung  oder  mangelhafter  Nieren-  und  Leberfunktion  haben 
und  die  hauptsächlich  nur  durch  Blut-,  Harn-  und  Kotanalyse  exakt  nach¬ 
gewiesen  werden  können.  Fisch  lenkt  hierbei  das  Augenmerk  besonders  auf 
die  Beschaffenheit  des  Gebisses,  von  der  eine  befriedigende  Verdauung-  mehr 
abhängt,  als  gewöhnlich  angenommen  wird.  Weiter  gehören  hierher  die  ura- 
tische  Diathese,  der  Diabetes  mellitus,  die  Adipositas  universalis  und  die 
U  nter  ern  ährung. 

Die  Therapie  dieser  Herz-  und  Gefäßerkrankungen  muß  in  erster  Linie 
auf  die  Regulierung  der  Diät  gerichtet  sein.  Eventuell  kommen  hier  unter¬ 
stützend  noch  alkalisch-salinische  Mineralwässer  in  Betracht.  Selbstredend 
muß  auf  die  Herztätigkeit  gleichfalls  eingewirkt  werden.  Auf  Schonung  und 
gleichzeitig  auch  Übung  derselben  ist  Bedacht  zu  nehmen.  Dazu  gesellen 
sich  Kohlensäure-Solbäder  und  alle  in  Frage  kommenden  physikalischen  Be¬ 
handlungsmethoden.  F.  Walther. 


Referate  und  Besprechungen. 


445 


Eine  neue  Form  von  Kataplasmen  zur  Erzeugung  trockner  Wärme. 

(Dr.  Markus e,  Partenkirchen.  Monatsschr.  für  die  phys.-diät.  Heilmethod.,  H.  1,  1909.) 

Sehr  praktische,  nicht  teure,  —  12 — 13  Mk.  —  und  leichte  Apparate, 
hergestellt  von  Hilzinger  in  Stuttgart,  welche  aus  einer  Hülle  von  Trikot¬ 
stoff  bestehen,  in  denen  sich  ein  System  von  Widerstandsdrähten  befindet. 
An  jede  elektrische  Stromart  von  nicht  über  120  Volt  Spannung  anschlie߬ 
bar,  werden  diese  Kataplasmen  in  entsprechender  Formung  für  Extremitäten 
usw.  hergestellt.  Stromverbrauch  minimal.  Ein  Versuch  mit  diesen  Wärme¬ 
trägern  scheint  empfehlenswert.  Krebs. 


Wirkung  lokaler  Arsonvalisalion. 

(Fr.  Linn.  Arch.  für  phys.  Med.  u.  med.  Technik,  Bd.  3,  H.  3/4,  S.  275—293,  1908.) 

Die  therapeutische  Wirkung  der  sog.  Teslaströme  auf  den  Allgemein¬ 
zustand  scheint  diesseits  und  jenseits  der  Vogesen  verschieden  zu  sein;  bei 
uns  sind  die  Resultate  leider  negativ  geblieben.  Dagegen  sind  bei  lokaler 
Anwendung  der  Hochfrequenzströme  physiologische  Effekte  nicht  zu  leugnen. 
Linn  teilt  solche  mit,  die  teils  mit  den  gewöhnlichen  Knopf-Platten-  oder 
Spitzenelektroden,  teils  mit  der  sog.  Kondensatorelektrode  erzielt  worden 
sind;  bei  der  letzteren  ist  im  Inneren  eines  beliebig  geformten  Glasmantels 
Graphit  oder  ein  Metalldraht  enthalten ;  letzterer  stellt  den  inneren,  die 
Haut  des  Pat.  den  äußeren  Kondensatorbelag  dar,  der  Glasmantel  selbst 
repräsentiert  das  Dielektrikum. 

Versuche  an  Kröten,  Laubfröschen,  Salamandern,  Schlingnattern,  Meer¬ 
schweinchen  und  Kaninchen  ergaben:  Schmerzgefühl,  Veränderung  von  Respi¬ 
ration  und  Zirkulation  (wohl  aus  Schmerz),  hämostatische  Wirkungen,  Ver¬ 
änderung  der  Hautfarbe,  Verbrennungserscheinungen,  Lähmungen  und  Tod. 

Ein  Einfluß  auf  das  freigelegte,  noch  pulsierende  Froschherz  war  nicht 
nachweisbar;  dagegen  scheint  die  hämostatische  Wirkung  etwas  Spezifisches 
zu  sein.  Auch  die  Leitungsbahnen  im  Rückenmark  scheinen  besonders  emp¬ 
findlich  gegen  Arsonalströme  zu  sein. 

Merkwürdig  ist  die  übermäßige  Produktion  des  Hautsekrets  bei  Am¬ 
phibien,  welche  die  Tiere  bis  zum  Tode  erschöpfen  kann ;  z.  B.  ein  Salamander 
war  als  Folge  einer  Bestrahlung  von  10  Minuten  mit  einem  weißen,  rahmartigen 
Sekret  überzogen  und  nach  24  Stunden  tot,  ohne  sichtbare  Veränderungen 
an  den  inneren  Organen,  speziell  am  Zentralnervensystem. 

Von  funktionellen  Neurosen  hat  Linn  hysterische  Ptosis,  Kontrakturen, 
Stimmbandlähmungen  durch  wenige  Sitzungen  beseitigt,  ebenso  Warzen  und 
spitze  Kondylome.  Leider  ist  das  Instrumentarium  zurzeit  noch  sehr  teuer. 

_ _ _  Buttersack  (Berlin). 

Die  Erfolge  der  Radiotherapie. 

(Dr.  Kienböck,  Wien.  Referat  aus  der  Kölner  Naturforscher- Versammlung,  vergl. 

Münch,  med.  Wochenschr.,  Nr.  43,  1908.) 

Die  Röntgenstrahlen  wirken  besonders  auf  in  Proliferation  befindliche 
Gewebe.  Überflüssige  Haare  fallen  2 — 3  Wochen  nach  der  Sitzung  aus, 
bis  zum  definitiven  Effekt  ist  die  Behandlung  IV2  Jahre  fortzusetzen. 
Alopecia  areata  bleibt  meist  unbeeinflußt,  gut  wirkt  die  Radiotherapie  bei 
Favus,  Herpes  tonsurans,  Follikulitis,  Sykosis,  Aknekeloid.  Bei  Prurigo 
und  Pruritus  wird  die  Juckung  gehoben.  Psoriasis  heilt  nur  vorübergehend, 
Lupus  und  Lepra  gar  nicht. 

Das  Hautepitheliom  wird  in  50 — 80%  der  Fälle  geheilt,  sonstige  Kar¬ 
zinome  zerfallen  nur  oberflächlich,  bei  Sarkomen  wurde  oft  Verkleinerung 
beobachtet,  bei  Syringomyelie  Besserung.  Leukämie  wurde  in  70 — 90%  günstig 
beeinflußt,  die  akute  Form  nimmt  aber  trotzdem  ihren  rapid  letalen  Verlauf. 
Milztumor  und  Symptome  gehen  zurück  (Gefahr  von  Toxämie  infolge  des 
Tumorenzerfalls). 

Chronische  Milztumoren  bleiben  meist  unbeeinflußt,  Strumen  und 
M.  Basedow  zeigen  zuweilen  Besserung.  Esch. 


446 


Bücherschau. 


Bücherschau. 


Die  Wechselbeziehungen  zwischen  Diabetes  und  dem  Generationsprozesse. 

Von  H.  Offergeld.  (Würzburger  Abhandlungen  IX,  3/4.  Heft). 
Würzburg  Kurt  Kabitzsch  1909.  8°.  92  Seiten.  Einzelpreis  1,70  Mk. 

Die  Abhandlung  hat  zum  Gegenstand  die  Komplikation  des  (schweren) 
Diabetes  mellitus  mit  Schwangerschaft  und  gründet  sich  auf  63  Fälle,  darunter 
3  eigene.  Meist  handelt  es  sich  um  Mehrgebärende;  nur  in  24  Fällen  erreichte  die 
Schwangerschaft  ihre  normale  Dauer,  31  mal  wurde  sie  vorzeitig  beendet,  davon 
12  mal  im  8.  Monat,  17  starben  während  der  Geburt  oder  in  den  nächsten  Tagen 
am  Koma  diabeticum,  14  innerhalb  der  folgenden  30  Monate,  wobei  außer  dem 
Diabetes  selbst  namentlich  Lungentuberkulose  in  Betracht  kam.  Unter  57  Be¬ 
obachtungen  starben  29  Kinder  schon  intrauterin  ab,  6  schwach  entwickelte  in 
den  ersten  Lebenstagen,  7  in  den  ersten  Lebensjahren.  Demnach  sind  die  Aus¬ 
sichten  im  allgemeinen  für  Mutter  und  Kind  im  ganzen  wenig  gute  und  es  wäre 
bei  schweren  Formen  des  Diabetes  die  Ehe  prinzipell  zu  widerraten,  andererseits 
unter  günstigen  Verhältnissen  bei  milden  stationären  Formen  zu  gestatten.  In 
schweren  Fällen  ist  bei  der  schwangeren  Diabetica  die  Frühgeburt  einzuleiten,  0. 
meint  auch  dann,  wenn  die  (diabetische)  Azidose  unter  Verschlechterung  des  All¬ 
gemeinbefindens  und  stetiger  Gewichtsabnahme  an  Stärke  zunimmt.  Ueber  3—3,5  g 
Ammoniak- Ausscheidung  pro  Tag  bei  rapide  absinkender  N-Ausscheidung  recht- 
fertigen  nach  O.  die  künstliche  Frühgeburt,  die  auch  bei  negativer  Sahli’scher 
Glutoidprobe,  wenn  Verdacht  auf  Pankre  as- Diabetes  besteht,  als  Palliativum  vor¬ 
zunehmen  wäre.  H.  Vierordt  (Tübingen). 


Wie  ernähren  wir  uns  am  zweckmäßigsten  und  billigsten?  Von  Dr. 

L.  Reinhardt.  (Naturwissenschaftliche  Volksbücher  Nr.  4/6.)  Verlag 
des  „Kosmos“,  Gesellschaft  der  Naturfreunde  (Geschäftsstelle:  Franckh’sche 

Verlagshandlung)  Stuttgart.  75  Pfg. 

Eine  zweckmäßige  und  zugleich  möglichst  billige  Ernährung  ist  für  alle 
Schichten  der  Bevölkerung  von  der  allergrößten  Bedeutung.  Von  ihr  hängen 
Leistungsfähigkeit  und  Gesundheit  des  einzelnen  ab.  Trotzdem  sind  gerade  über 
die  Frage  einer  gesunden  und  zweckmäßigen  Ernährung  in  den  weitesten  Kreisen 
überaus  falsche  Ansichten  verbreitet.  Die  immer  teurer  werdende  Lebenshaltung 
verlangt  aber,  den  Wert  unserer  täglichen  Nahrung  sorgfältig  abzuschätzen.  Hier 
bietet  sich  das  Reinhardt’sche  Buch  als  treuer,  zuverlässiger  Ratgeber  an.  Der 
Verfasser  ist  ein  Praktiker,  dessen  Arbeit  sich  auf  zwanzigjährige  fachmännische 
Tätigkeit  und  auf  die  neuesten  Forschungen  stützt.  Den  Nährwert  der  einzelnen 
Nahrungsmittel  untersucht  er  genau  und  gibt  eingehend  ganz  vortreffliche  Anlei¬ 
tungen  zur  Zubereitung  nahrhafter,  gesunder  Speisen.  Jedem,  dem  körperliches 
Wohlbehagen  eine  Hauptbedingung  ist,  sei  das  Reinhardt’sche  Werk  empfohlen. 

Neumann. 


Atlas  und  Grundriß  der  topographischen  und  angewandten  Anatomie. 

Von  Prof.  Dr.  O.  Schultz e.  2.  Auflage.  Mit  22  Tafeln  und  205  Ab¬ 
bildungen.  Verlag  von  J.  F.  Lehmann  in  München.  16  Mk. 

Die  zweite  Auflage  des  bewährten  Schultze’schen  Atlas  hat  innerlich  und 
äußerlich  manche  Änderung  und  Bereicherung  erfahren.  Die  Abbildungen  wurden 
um  nicht  weniger  als  115  vermehrt.  Auch  diese  neuen  zeigen  dieselbe  Klarheit 
und  Übersichtlichkeit  wie  die  bisherigen. 

Von  großem  Nutzen  sind  die  im  Schlußabschnitt  nach  jedem  Kapitel  zu¬ 
sammengefaßten  „ Anwendungen“,  die  zugleich  die  Lektüre  des"  Buches  für  jeden 
Leser  äußerst  anregend  und  interessant  gestalten.  In  den  wenigen  Monaten  seit 
dem  Eintreffen  des  Buches  hat  sich  Ref.  schon  oft  aus  ihnen  unmittelbar  für  die 
Praxis  wichtigen  Rat  geholt. 

Des  Verfassers  Wunsch,  dem  er  in  dem  Vorwort  zur  ersten  Auflage  Ausdruck 
gegeben  hat,  daß  es  ihm,  dem  Arzt  ohne  Praxis,  eine  Freude  sein  würde,  wenn 
er  auch  in  seiner  Weise  die  Praxis  fördern  würde,  ist  sicher  bei  allen  denen,  die 
den  Atlas  besitzen,  im  reichsten  Maße  in  Erfüllung  gegangen.  R. 


Bücherschau. 


447 


Wandlungen  der  Medizin  und  des  Ärztestandes  in  den  letzten  50  Jahren. 

Von  O.  v.  Bollinger.  Rektoratsrede.  München,  J.  F.  Lehmann,  1909. 

44  Seiten.  1  Mk. 

Es  ist  interessant  zu  sehen,  wie  sich  in  dem  abgeklärten  Auge  eines  hervor¬ 
ragenden  Mannes  die  jüngste  Vergangenheit  und  die  Gegenwart  spiegelt.  Alle 
wesentlichen  Fragen,  die  unsere  Zeit  bewegen,  sind  kurz,  aber  scharf  beleuchtet, 
etwas  ausführlicher  die  soziale  Miseres  des  Ärztestandes  infolge  der  sozial-politischen 
Gesetzgebung.  Was  mögen  die  Leute,  die  in  abermals  50  Jahren  die  Rede  lesen, 
über  die  Zustände  von  1909  denken?  Buttersack  (Berlin). 


Angina  pectoris.  Von  Louis  Peiser,  Stuttgart.  Verlag  von  Ferdinand 

Enke  1908.  8°.  106  S.  2,80  Mk. 

Eine  die  Pathologie  der  Angina  pectoris  in  genügender  Ausführlichkeit 
(namentlich  auch  bezüglich  der  Ätiologie  der  Arteriosklerose)  behandelnde*  Mono¬ 
graphie,  die  wesentlich  praktische  Ziele  verfolgt.  Mit  A.  Fränkel  nimmt  P.  als 
A.  p.  vera  nur  solche  an,  die  auf  Grund  einer  bereits  vorhandenen  Affektion  des 
Gefäß apparates  sich  entwickelt.  Die  A.  p.  spuria  s.  Pseudoangina  stelle  nur  eine 
rein  funktionelle  Herzstörung  dar.  Einzelne  lassen  ja  überhaupt  nur  eine  Angina 
coronaria  mit  organischen  Veränderungen  der  Kranzarterien  zu.  P.  teilt  außer  8 
eigenen  11  charakteristische  Krankengeschichten,  zum  Teil  mit  Sektionsbefund, 
aus  der  Literatur  mit  und  bespricht,  ohne  freilich  eigentlich  neues  zu  bringen,  das 
ganze,  nur  allzu  große  therapeutische  im  Anfall  und  im  Intervall  anzuwendende 
Rüstzeug.  Er  selbst  hat  in  einem  Fall  durch  Agurindarreichung  bei  funktions¬ 
tüchtigen  .Nieren  sehr  guten  Erfolg  gehabt.  Auch  die  Angina  spuria  und  vasomo- 
toria  sind  berücksichtigt.  Einige  Seiten  sind  der  Prophylaxe  gewidmet.  Das 
Ganze  beschließt  ein  Literaturverzeichnis,  worin  bei  Alb ertini’s  bekannter  Schrift 
(1726  verfaßt,  1748,  nicht  1721  erschienen)  die  Wiederausgabe  durch  M.  H.  Rom¬ 
berg  (Berolini  1828)  Erwähnung  verdient  hätte.  H.  Vierordt  (Tübingen.) 


Grundzüge  der  allgemeinen  pathologischen  Histologie.  Von  J.  Stein¬ 
haus.  Leipzig,  Akademische  Verlagsgesellschaft.,  1909.  10  Mk. 

Der  frühere  Prosektor  am  Krankenhaus  Czyste  in  Warschau  und  jetzige 
Vorsteher  des  Laboratoriums  für  Krebsforschung  in  Brüssel  hat,  von  der  Auf¬ 
fassung  ausgehend,  „mit  Hilfe  von  Mikrophotogrammen  leichter  und  besser  als 
mit  Hilfe  von  Zeichnungen  belehren“  zu  können,  in  den  vorliegenden  Grundzügen 
auf  jede  Zeichnung  verzichtet  und  nur  Mikro  ph otogramme  von  beobachteten 
Fällen  in  Lichtdruck  der  Darstellung  zugrunde  gelegt.  Auf  25  Tafeln  werden  etwa 
150,  größtenteils  eigene  Photogramme,  die  sorgfältig  ausgewählt  sind  und  fast 
durchgängig  als  gut  und  sehr  instruktiv  bezeichnet  werden  müssen,  zusammen¬ 
gestellt.  Dadurch,  daß  jeder  Tafel  ein  Blatt  mit  Erläuterungen,  die  allerdings  für 
den  Anfänger  bisweilen  etwas  ausführlicher  hätten  gehalten  werden  können,  bei¬ 
gegeben  ist,  wird  der  Gebrauch  dieser  Tafeln  sehr  erleichtert. 

Auf  162  Seiten  Text  werden  knapp,  klar  und  übersichtlich  die  Untersuchungs¬ 
methoden,  *  Härten,  Fixieren,  Färben,  Schneiden  usw.  (wobei  die  Untersuchung 
frischer,  ungefärbter  Ge  websschnitte  mehr  empfohlen  werden  könnte)  —  und  die 
Grundlagen  der  allgemeinen  pathologischen  Histologie  (Regressive  Gewebsände- 
rungen,  Regeneration,  Hypertrophie  der  Gewebe,  Entzündung  und  Neubildungen) 
behandelt. 

Das  Buch  kann  empfohlen  und  die  Nachfolge  der  als  eventuell  erscheinend 
angekündigten  speziellen)pathologischen  Histologie  gewünscht  werden. 

E.  Rost  (Berlin). 


Die  Luftelektrizität,  Methoden  und  Resultate  der  neueren  Forschung. 

Von  Alb.  Gockel.  Leipzig,  S.  Hirzel,  1908.  206  Seiten.  6  Mk. 

Seitdem  die  Chemiker  die  Luft  für  ein  ziemlich  konstantes  Gemisch  von 
Gasen  erklärt  hatten,  hat  sich  die  Allgemeinheit  nicht  viel  um  das  Milieu  ge¬ 
kümmert,  in  dem  wir  leben;  auch  die  Hygieniker  begnügten  sich  mit  Feststellung 
der  Temperaturverhältnisse,  der  Sonnenscheinstunden,  Windbewegungen  usw.  Mit 
welchem  Erstaunen  muß  es  da  jeden  Denkenden  erfüllen,  wenn  er  an  Gockels 
Hand  einen  Einblick  in  das  elektrische  Gewoge  tut,  das  sich  in  der  scheinbar  so 
harmlosen  Luft  fortdauernd  abspielt! 


448 


Hochschulnachrichten. 


Es  ist  natürlich  nicht  möglich,  den  Inhalt  des  Buches  auch  nur  annähernd 
wiederzugeben.  Eine  geordnete  Darstellung  mit  gesicherten  Ergebnissen  kann  ja 
gar  nicht  gegeben  werden  über  ein  Gebiet,  dessen  Grenzen  der  Geist  noch  kaum 
überschritten  hat;  das  Buch  trägt  demgemäß  auch  mehr  den  Charakter  von  Zu¬ 
sammenstellungen  zum  persönlichen  Gebrauch.  Aber  immerhin,  auch  so  verfehlt 
es  seine  Wirkung  nicht.  Denken  wir  uns  die  Erde  als  negativ  geladene  Kugel  in 
einer  mit  negativen  und  positiven  Jonten  —  der  Plural:  Jone  ist  schrecklich!  — 
erfüllten  Atmosphäre,  dann  kann  sich  jeder  ungefähr  eine  Vorstellung  davon 
machen,  wie  labil  die  Jonisations Verhältnisse,  das  Potentialgefälle  im  elektrischen 
Erdfeld,  die  elektrischen  Strömungen  in  der  Atmosphäre  sein  müssen,  und  er  wird 
wenigstens  eine  Ahnung  bekommen,  welche  Schwankungen  im  ersteren  vor  sich 
gehen  mögen,  und  daß  Kräfte  vorhanden  sein  müssen,  welche  die  Jonisation  immer 
wieder  unterhalten;  wir  pflegen  sie  z.  B.  als  radioaktive  Faktoren  zu  bezeichnen. 

Aber  es  sind  nicht  gesetzlose  Schwankungen,  sondern  wir  können  bereits  da 
und  dort  tägliche  und  jährliche  Perioden  erkennen,  und  unwillkürlich  lenkt  sich 
der  Blick  über  die  Erde  hinaus  in  das  Sonnen-  und  das  ganze  Milchstraßensystem, 
von  dem  wir  ein  so  kleiner  Teil  sind  und  zu  dessen  Riesenorganismus  unsere 
Sonne  als  winziger  Bruchteil  gehört.  Das  Individuum  versinkt,  und  wie  eine  neue 
Religion  öffnet  sich  dem  Auge  die  unergründliche  Unendlichkeit. 

Aber  andererseits  stehen  wir  Individuen  mitten  drin  in  diesem  Gewoge, 
und  wenn  wir  erfahren,  wie  z.  B.  bei  Böenregen  das  Potentialgefälle  in  wenigen 
Sekunden  von  —  6000  Volt  zu  -j-  6000  Volt  m  übergehen  kann,  oder  daß  ein 
Regen  das  Erdfeld  in  einem  Umkreis  von  800  km  stört,  dann  dämmert  wohl  jedem 
das  Verständnis  für  Erschütterungen  unseres  Organismus,  denen  wir  dauernd  aus¬ 
gesetzt  sind  —  und  von  denen  wir  bis  jetzt  nichts  ahnten.  Von  exakten  Ver¬ 
suchen  im  Sinne  unserer  Modernen  oder  von  physiologischen  Beobachtungen  kann 
freilich  noch  lange  keine  Rede  sein. 

Am  Anfang  des  19.  Jahrhunderts  unternahm  A.  v.  Humboldt  den  Versuch, 
die  Erdoberfläche  mit  Stationen  zu  korrespondierenden  Messungen  der  magnetischen 
und  elektrischen  Verhältnisse  der  Atmosphäre  zu  überziehen.  (H.  W.  Dove,  korre¬ 
spondierende  Beobachtungen  über  die  regelmäßigen  stündlichen  Veränderungen 
und  über  die  Perturbationen  der  magnetischen  Abweichung  26.  9.  1880).  Der  große 
Mann  war  seiner  Zeit  voraus,  seine  Idee  geriet  anscheinend  völlig  in  Vergessenheit. 
Wie  würde  er  sich  freuen,  diese  neueste  Phase  zu  sehen,  die  sein  Geist  vorahnend 
geschaut!  Buttersack  (Berlin). 


Hochschulnachrichten. 

Berlin.  Geh.  Med.-Rat  von  Renvers  ist  verstorben.  Der  Vorsteher  der  Seuchen¬ 
abteilung  am  Königl.  Institut  für  Infektionskrankheiten  Dr.  Otto  Lente  er¬ 
hielt  den  Titel  Professor. 

Breslau.  Oberarzt  Dr.  E.  Müller  hat  den  Ruf  nach  Marburg  als  ao.  Professor 
angenommen. 

Gießen.  Dr.  Hohlweg  (innere  Medizin)  habilitierte  sich. 

Göttingen.  P.-D.  Dr.  Birnbaum  wurde  zum  Professor  ernannt. 

Halle  a.  S.  Prof.  Dr.  E.  Leser  wurde  zum  Geh.  Sanitätsrat  ernannt.  • 

Jena.  Als  Professor  der  allg.  Pathologie  und  path.  Anatomie  wurde  der  o.  Prof. 
Dr.  Ernst  Schwalbe  in  Rostock  ausersehen,  er  hat  aber  den  Ruf  abgelehnt. 

Kiel.  P.-D.  Dr.  H.  Noesske  erhielt  den  Titel  Professor.  Neuer  P.-D.  für 
Physiologie  Dr.  R.  Höher  vorher  Privatdozent  in  Zürich. 

Königsberg.  Der  ao.  Prof,  der  gerichtlichen  Medizin  Dr.  Puppe  erhielt  einen 
Lehrauftrag  für  soziale  Medizin. 

Marburg.  Prof.  Dr.  Brauer,  Direktor  der  inneren  Klinik,  erhielt  einen  Ruf 
nach  Greifswald  als  Nachfolger  Minkowskis.  Er  lehnte  den  Ruf  ab. 

München.  Dr.  F.  Plaut  u.  Dr.  E.  Rüdin  habilitierten  sich  für  Psychiatrie. 
Dr.  A.  Hasselwerder  habilitierte  sich  für  Anatomie.  Prosektor  Dr.  H.  Hahn 
habilitierte  sich  für  Anatomie. 

Straß  bürg  i.  E.  Prof.  Dr.  O  Kohts  wurde  zum  Geh.  Medizinalrat  ernannt. 

Tübingen.  Dr.  E.  Holzbach  habilitierte  sich  für  Gynäkologie.  Prof.  Dr.  Kruse 
erhielt  einen  Ruf  als  Direktor  des  hygienischen  Instituts.  Zu  ao.  Professoren 
wurden  ernannt:  P.-D.  Dr.  Blauel  (Chirurgie),  Dr.  von  Brunn  (Chirurgie), 
Dr.  Lins  er  (Hautkrankheiten). 

Schriftleitung :  Dr.  Ri  gl  er  in  Leipzig. 

Druck  von  Emil  Herrmann  senior  in  Leipzig. 


27.  Jahrgang. 


1909. 


Tortschritte  der  Medizin. 

Unter  Mitwirkung  hervorragender  Fachmänner 

herausgegeben  von 

Professor  Dr.  6.  Köster  Priv.-Doz.  Dr.  v.  ßriegern 


in  Leipzig. 

Schriftleitung: 


in  Leipzig. 

Dr.  Rigler  in  Leipzig. 


Nr.  12. 


Erscheint  am  10.,  20.,  30.  jeden  Monats.  Preis  halbjährlich 
6  Mark,  in  kl.  Zeitschrift  für  Versicherungsmedizin  8  Mark. 


Verlag  von  Georg  Thieme,  Leipzig. 


30.  April. 


Originalarbeiten  und  Sammelberichte. 

Arbeit  als  Kurmittel  in  der  Psychotherapie. 

Von  Dr.  A.  Stegmann. 

(Vortrag,  gehalten  am  30.  Januar  1909  in  der  Gesellschaft  für  Natur-  u.  Heilkunde 

zu  Dresden.)  ' 

(Schluß). 

Diese  Lust  an  eigener  Mitarbeit  zu  wecken  ist  bekanntlich  be¬ 
sonders  schwer  bei  den  rentenberechtigtein  sogenannten  Unfallkranken. 
Bei  ihnen  werden  alle  Krankheitsgefühle  durch  den  Gedanken  ver¬ 
schärft,  daß  die  Bemessung  der  Rente  vom  Grade  der  Krankheit  ab¬ 
hängt,  und  sie  können  nur  genesen,  wenn  es  gelingt,  sie,  von  der 
Sucht  nach  Rente  abzulenken  und  sie  auf  irgendeine  Weise  zu  über¬ 
zeugen,  daß  sie  durch  Wiederherstellung  ihrer  früheren  Leistungs¬ 
fähigkeit  in  jeder  Beziehung,  besonders  auch  materiell,  am  besten  gestellt 
werden.  Hier  haben  Turnübungen  und  zumal  diejenigen  an  Apparaten 
und  in  Turnsälen  den  geringsten  Wert,  denn  es  gilt  ja  noch  weniger 
als  bei  anderen  Nervösen,  die  Kräfte  einzelner  Muskelgruppen  wieder 
herzustellen,  sondern  es  handelt  sidh  um  Stärkung  des  Willens  und  um 
Wiederbelebung  der  natürlichen  Freude  an  der  Arbeit.  Deshalb  gehört 
die  Beschaffung  einer  den  Verhältnissen  des  Verletzten  entsprechenden. 
Erwerbsmöglichkeit  zu  den  Forderungen,  deren  Erfüllung  immer  wieder 
verlangt  werden  muß,  wenn  sie  auch  vorläufig  nur  selten  erreicht 
werden  kann.  Kein  Schema  kann  hier  zum  Ziel  führen,  am  wenigsten 
aber  wird  erfahrungsgemäß  durch  Zwang  in  irgend  einer  Form  er¬ 
reicht.  Jeder  Schein  einer  ungerechtfertigten  Verkürzung  drängt  den 
Kranken  znm  Kampf  um  die  Rente  und  schafft  damit  Verschlim¬ 
merungen  des  Leidens,  die  nach  dem  Stande  unserer  Rechtsprechung 
als  Unfallsfolge  zu  entschädigen  sind.  Wir  müssen  vor  allem  ver¬ 
suchen,  durch  sachliches  Eingehen  auf  die  Beschwerden  und  genaue 
Untersuchung  das  Vertrauen  des  Kranken  zu  gewinnen,  dann  werden 
wir  nicht  selten  ungerechtfertigte  Ansprüche  im  Keim  ersticken  und 
die  Entstehung  der  so  bedenklichen  Rentenprozesse  verhindern  können. 
Niemals  darf  der  Arzt  sich  damit  begnügen,  auf  Grund  des  objektiven 
Befundes  die  Rente  herabzusetzen,  er  muß  vielmehr  versuchen,  den 
Kranken  soweit  zu  belehren,-  daß  er  mit  dem  vorgeschlagenen  Prozent¬ 
satz  zufrieden  ist  und,  wenn  das  nicht  gelingt,  ihm  mit  ruhiger  Be¬ 
stimmtheit  darlegen,  daß  und  warum  seine  weitergehenden  Ansprüche 
unerfüllbar  sind.  Eine  wirkliche,  Erfolg  versprechende,  Behandlung 

29 


450 


A.  Stegmann, 


kann  nur  in  den  Fällen  einsetzen,  in  denen  es  gelungen  ist,  auf  diese 
Art  eine  gesunde  Grundlage  zu  schaffen  und  sie  gestaltet  sieh  dann 
im  wesentlichen  ebenso  wie  bei  andern  Nervenkranken.  In  allen  Fällen, 
besonders  aber  dann,  wenn  eine  Einigung  mit  dem  Kranken  unmög¬ 
lich  ist,  muß  natürlich  auch  das  schriftliche  Gutachten  die  Gründe 
für  unser  Urteil  so  klar  und  bestimmt  darlegen,  daß  sie  der  Laie 
verstehen  kann.  Dann  aber  werden  wir,  zumal  bei  einiger  Kenntnis 
der  bisher  ergangenen  grundsätzlichen  Entscheidungen,  erreichen,  daß 
unsere  Abschätzung  auch  von  den  höheren  Instanzen  anerkannt  wird. 
Nur  unter  dieser  Voraussetzung  ist  die  Kürzung  der  Rente  zweckmäßig, 
im  andern  Falle  wird  damit  nichts  bewirkt  als  eine  Schädigung  der 
Arbeitsfähigkeit  des  Kranken  und  eine  Erhöhung  der  für  ihn  zu 
leistenden  Aufwendungen. 

Ähnlich  wie  beim  Unfallkranken,  bei  dem  die  Furcht,  seine  Rente 
zu  verlieren,  die  Arbeitslust  vernichtet,  haben  wir  bei  den  an  nar¬ 
kotische  Mittel  Gewöhnten,  den  Morphinisten  und  Alkoholisten,  vor 
allen  Dingen  die  Aufgabe,  den  Trieb  zur  Betätigung  neu  zu  wecken ; 
hier  finden  wir  eine  auf  der  spezifischen  Wirkung  jener  Gifte  beruhende 
geistige  Trägheit,  während  die  Körperkräfte  nur  bei  den  Morphinisten 
längere  Zeit  darnieder  zu  liegen  pflegen.  Alkoholkranke  erholen  sich 
fast  immer  unter  strenger  Abstinenz  rasch  wieder  so  weit,  daß  sie  zu 
regelmäßiger  körperlicher  Tätigkeit  fähig  sind,  und  die  Hauptauf¬ 
gabe  der  Behandlung  ist  es,  sie  zunächst  zu  solcher  Arbeit  zu  ver¬ 
anlassen.  Heilstätten  für  Alkoholkranke  pflegt  man  daher  als  land¬ 
wirtschaftliche  Betriebe  einzurichten  und  auch  die  Niederlassung  unseres 
sächsischen  Volksheilstätten  Vereins  „Seefrieden“  bei  Moritzburg  hat, 
wie  Sie  wohl  wissen,  die  Form  eines  kleinen  Landgutes  erhalten,  was 
sich  bisher  so  gut  bewährt,  daß  man  sicher  bei  weiteren  Gründungen 
ebenso  verfahren  wird.  Es  ist  erstaunlich  zu  beobachten,  wie  es  dem 
freundlichen  Zuspruch  eines  im  Umgang  mit  Alkoholkranken  erfahrenen 
Hausvaters  und  der  ermunternden  Wirkung  einer  auf  gemeinsame  Arbeit 
gestimmten  Umgebung  gelingt,  die  landwirtschaftliche  Tätigkeit  selbst 
solchen  Kranken  schmackhaft  zu  machen,  die  aus  der  Großstadt  stam¬ 
men,  und  die  vielleicht  bis  dahin  überhaupt  niemals  körperlich  gearbeitet 
haben.  Andererseits  haben  wir  die  Erfahrung  machen  müssen,  daß 
geistige  Arbeit  selbst  von  den  daran  gewöhnten  Alkoholkranken  in 
den  ersten  Wochen,  manchmal  sogar  Monaten,  der  Heilstättenbehandlung 
nicht  verlangt  werden  kann,  und  daß  alle  Versuche,  sie  dazu  zu  er¬ 
muntern,  an  einem  passiven  Widerstand  scheitern,  einem  Widerstand, 
der  in  günstig  verlaufenden  Fällen  allerdings  nach  einiger  Zeit  völlig 
verschwindet  und  oft  sogar  einem  gewissen  Übereifer  Platz  macht. 
Diesen  Schaffensdrang  in  die  richtigen  Bahnen  zu  lenken,  ist  die 
weitere,  schwierigere  Aufgabe  der  ärztlichen  Leitung ;  wenn  es  aber 
gelingt,  auf  ernster  Arbeit  beruhende  Lebensfreude,  für  deren  Mangel 
ja  bis  dahin  Ersatz  im  Rausch  gesucht  wurde,  wieder  zu  beleben, 
dann  kann  man  auch  mit  Sicherheit  auf  eine  dauernde  Heilung  rechnen. 

Gelingt  es  schon  nicht  leicht  bei  körperlichen  Übungen  ein  festes 
allgemeingültiges  Maß  zu  finden,  so  ist  dies  bei  geistiger  Tätigkeit 
fast  ganz  unmöglich ;  die  Grundsätze,  nach  denen  wir  verfahren,  bleiben 
aber  natürlich  dieselben.  Auch  hier  haben  wir  mehr  auf  die  Art  der 
Ausführung  als  auf  die  Menge  der  Leistung  zu  sehen  und  wir  werden 
oft  mit  ganz  geringen  Anforderungen  beginnen  müssen.  Dabei  kommt 
uns  die  größere  Mannigfaltigkeit  der  Arbeitsmöglichkeiten  zu  statten, 


Arbeit  als  Kurmittel  in  der  Psychotherapie. 


451 


die  uns  erlaubt,  etwa  vorhandenen  Neigungen  entgegenzukommen  und 
besondere  Hemmungen  zu  berücksichtigen.  Auch  hier  wieder  emfiehlt 
sich  die  Einrichtung  fester  Arbeitszeiten  und  ein  allmähliches  Fort¬ 
schreiten  von  geläufigen  und  altgewohnten  Beschäftigungen  zu  eigent¬ 
licher  ernster  Arbeit.  So  veranlaßte  ich  einen  jungen  Mann,  der  wegen 
hypochondrischer  Angst  jede  Tätigkeit  auf  gegeben  hatte,  zunächst  ein¬ 
mal  die  Briefe  von  Freunden  und  Verwandten  zu  beantworten,  die 
er  seit  Monaten  liegen  gelassen  hatte,  und  schrieb  ihm  hierzu  eine  be¬ 
stimmte  Tageszeit  vor;  in  anderen  Fällen  wird  man  mit  dem  Lesen 
eines  Buches  beginnen  und  entweder  gleich  oder  später  verlangen,  daß 
über  den  Inhalt  kurze  Aufzeichnungen  gemacht  werden.  Ordnen  von 
Sammlungen,  Betrachten  von  Kunstwerken,  womöglich  wieder  mit 
schriftlicher  Fixierung  der  Eindrücke,  Musizieren,  Übersetzungen, 
Handarbeiten  und  unzählige  andere  leichte  Beschäftigungen  sind  für 
die  ersten  Anfänge  zu  verwerten,  aber  niemals  darf  der  Arzt  versäumen, 
sich  persönlich  für  die  Fortschritte  seines  Patienten  zu  interessieren, 
oft  ist  sogar  unmittelbares  Mitarbeiten  nötig,  um  die  ersten  Bedenken 
und  Schwierigkeiten  überwinden  zu  helfen  und  die  nötige  Konzentration 
der  Aufmerksamkeit  sicher  zu  stellen.  Nicht  selten  nämlich  stutzen 
die  jeder  energischen  Anspannung  entwöhnten  Kranken  vor  einer 
Tätigkeit,  die  sie  im  Lauf  des  täglichen  Lebens  ganz  unbedenklich 
ausführen,  sobald  der  Begriff  „Arbeit“  damit  verbunden  wird,  und 
hier  ist,  wie  wir  auch  bei  der  Gymnastik  sahen,  eine  geduldige  und 
verständnisvolle  Anleitung  für  den  Erfolg  unerläßlich.  Soll  Lektüre 
als  Übungsmittel  dienen,  so  wird  man  hierzu  nur  selten  Zeitungen 
mit  ihrem  sprunghaft  wechselnden  Inhalt  verwenden  können ;  auch 
humoristische  Werke,  die  oft  empfohlen  werden,  weil  sie  Zerstreuung 
und  Ablenkung  von  traurigen  Stimmungen  bringen  sollen,  sind  nur 
selten  von  Nutzen,  jm  Gegenteil  soll  man  das  Interesse  für  ernste 
Stoffe  zu  wecken  suchen  und  soll  sich  nicht  scheuen,  dem  Kranken 
Bücher  in  die  Hand  zu  geben,  die  ihm  zunächst  schwer  verständlich 
erscheinen,  wobei  natürlich  stets  auf  seine  Vorbildung  und  seine  Inter¬ 
essen  Rücksicht  zu  nehmen  ist.  Indem  man  so  dem  Kranken  zeigt, 
daß  er  fähig  ist,  Aufgaben  zu  lösen,  die  ihm  selbst  der  Mühe  wert 
scheinen,  verschafft  man  ihm  ein  Gefühl  der  innern  Zufriedenheit  und 
Freiheit,  das  auf  anderen  Wegen  kaum  zu  erreichen  wäre. 

Mit  der  Wiederherstellung  der  bloßen,  sozusagen  mechanischen 
Arbeitsfähigkeit,  wie  wir  sie  durch,  die  geschilderten  Übungen  erreichen 
können,  ist  aber  unseren  Kranken  noch  nicht  gründlich  geholfen ;  es 
handelt  sich  vielmehr  weiter  darum,  sie  auch  zu  einer  wirksamen 
Ausnützung  der  neugewonnenen  Kraft  anzuleiten  und  ihnen  die  Über¬ 
zeugung  beizubringen,  daß  sie  eine  Stellung  im  Leben  auszufüllen, 
daß  sie  vor  allem  auch  für  andere  etwas  zu  leisten  vermögen.  Hann 
erst  sind  sie  reif  zur  Rückkehr  in  ihren  Beruf  und  manche  werden 
mit  dieser  geläuterten  Lebensauffassung  eine  Tätigkeit  erfreulich  oder 
doch  erträglich  finden,  die  ihnen  vorher  verhaßt  geworden  war. 

In  den  sehr  zahlreichen  Fällen,  in  denen  die  Krankheit  jiicht 
die  Arbeitsfähigkeit  an  und  für  sich  beschränkt,  sondern  nur  die 
Gemütsstimmung  verbittert  und  die  Freude  am  Leben  ausgeschaltet 
hat,  ist  diese  Anleitung  zu  altruistischem  Empfinden  geradezu  der 
Ausgangspunkt  der  psychotherapeutischen  Beeinflussung.  Der  Mangel 
eines  Berufes,  das  Gefühl,  zwecklos  auf  der  Welt  zu  sein,  ist  ja 
besonders  bei  weiblichen  Nervenkranken  aus  wohlhabenden  Kreisen 

‘29* 


452 


Bunck, 


ein  Haupthindernis  ihrer  Genesung,  während  dort  andererseits  der 
Lust,  sich  zu  betätigen,  eine  völlige  Unfähigkeit  zu  ernster  Arbeit, 
oft  auch  der  Mangel  an  Gelegenheit  dazu  entgegensteht.  Hier  genügt 
es  nicht,  die  Zeit  mit  Handarbeiten,  Übersetzungen  und  dergleichen, 
im  letzten  Ende  zwecklosen  Unternehmungen  auszufüllen ;  hier  muß 
man,  anknüpfend  an  die  praktisch  gegebenen  Möglichkeiten,  an  die 
Begabung  und  die  Kräfte  der  Kranken,  versuchen,  sie  zu  einer  Tätigkeit 
zu  führen,  die  einen  greifbaren  Nutzen  bringt.  Der  Gewohnheit,  mit 
Beschäftigung  zu  spielen,  muß  entgegengetreten,  an  Stelle  der  dilettan¬ 
tischen  Art  die  ernste,  systematische  Arbeit  gesetzt  werden.  Die 
mannigfachen  sozialen  Bestrebungen  unserer  Zeit  bieten  hierzu  ja  reich¬ 
lich  Gelegenheit  und  eine  Menge  brachliegender  Kräfte  kann  dafür 
nutzbar  gemacht  werden  zur  Freude  der  bis  dahin  untätigen  Nerven¬ 
kranken  und  zum  Nutzen  der  Allgemeinheit,  wenn  man  konsequent 
mit  der  Arbeitsbehandlung  vorgeht.  Gerade  nervöse  Damen  haben 
allerdings  meist  eine  große  Scheu  vor  jedem  Hervortreten  in  der  Öffent¬ 
lichkeit,  allmählich  aber  läßt  sich  auch  dieses  Hindernis  überwinden, 
wenn  man  nur  zunächst  die  Freude  an  der  Sache  zu  wecken  und  die 
Leistungsfähigkeit  zu  heben  vermag.  Säuglingspflege,  Unterricht  an 
unbemittelte  junge  Mädchen,  die  verschiedenen  Formen  der  Antialkohol¬ 
bewegung  u.  a.  m.  bieten  für  solche  nach  einem  Pflichtenkreis  ver¬ 
langende  Frauen  und  (Mädchen  ein  willkommenes  Arbeitsfeld. 

So  dient  die  Arbeit  dazu,  das  Individuum  für  das  Wirken  im 
Ganzen  zurückzugewinnen,  ihm  das  Gefühl  der  Daseinsberechtigung 
und  der  Lebensfreude  wiederzugeben,  und  hier  ist  der  Punkt,  wo 
Arbeit  als  Kur  mittel  sich  organisch  mit  den  mannigfachen  anderen 
psychotherapeutischen  Hilfsmitteln  zu  einem  System  zusammenschließt. 

M.  H. !  Ich  bin  am  Ende  meiner  Ausführungen!  Vieles  konnte 
ich  freilich  nur  andeuten,  was  erst  bei  näherem  Eingehen  Leben  und 
Interesse  gewinnen  würde,  und  manches  mag  Ihnen  allzu  selbstver¬ 
ständlich  erschienen  sein.  Immerhin  hoffe  ich,  Ihnen  gezeigt  zu  haben, 
daß  Arbeit  ein  unentbehrliches,  wenn  auch  nicht  ganz  leicht  zu  hand¬ 
habendes  Hilfsmittel  der  Psychotherapie  ist,  und  daß  die  Hindernisse, 
die  sich  ihrer  Verwendung  entgegenstellen,  auch  in  der  freien  Praxis 
keineswegs  unüberwindlich  sind. 


Jodival  in  der  Kinderpraxis. 

Von  Dr.  Runck,  Mnndenheim. 

Nachdem  ich  das  schon  vielfach  und  vielseitig  erörterte  Bromural 
in  seiner  kardinalen  Bestimmung  auf  seinen  Heilwert  geprüft1)  und 
kürzlich  wieder2)  zum  Gegenstand  erweiternder  Betrachtungen  gemacht 
habe,’  liegt  es  nahe,  daß  mein  Interesse  auch  den  korrespondierenden 
Halogen- Verbindungen  dieses  Körpers  sich  zuwandte.  Unter  diesen  inter¬ 
essierte  mich  vor  allem  das  Jodprodukt,  welches  nach  seinem  ganzen 
chemischen  Aufbau,  nach  seinem  im  menschlichen  Organismus  zu  erwar¬ 
tenden  Abbau  und  zuletzt  nach  den  erfreulichen  Erfahrungen  mit  dem 
stammverwandten  Bromural  zu  besonderen  Hoffnungen  berechtigte, 
wenn  diese  auch  nicht  an  eine  definitive  Lösung  der  Jodfrage  sich  hin¬ 
wagten.  Die  Bestätigung  meiner  Auffassung  sollte  nicht  lange  auf  sich 

1)  Münch,  med.  Wochenschr.,  Nr.  15,  1907. 

2)  Berl.  klin.  'Wochenschr.,  Nr.  24,  1908. 


Jodival  in  der  Kinderpraxis. 


453 


warten  lassen.  Schon  die  ersten  Ergebnisse  waren  von  überzeugender 
Kraft  und  die  weiteren  Erfahrungen  vermochten  das  Interesse  nur  zu 
steigern.  Dabei  gestaltete  sich  die  Einführung  des  Jodprodukts  in  die 
weite  Domäne  der  Internen  nicht  als  ein  ängstliches  Prüfen  und  Tasten, 
sondern  gestattete  schon  nach  den  ersten  erfolgreichen  Anfängen  ein 
so  bestimmtes  und  sicheres  Versieren,  als  habe  man  es  mit  einem  längst 
Vertrauten  zu  tun.  Wohl  ist  cliese  rasche  Intimität  mit  dem  neuen 
Jodprodukt  mit  die  Folge  einer  alt  eingeführten,  sorgfältig  gepflegten 
Jodliteratur,  aber  andererseits  ist  diese  in  die  Augen  fallende  Leich¬ 
tigkeit  seiner  praktischen  und  kritischen  Verwertung  zweifelsohne  auf 
die  hervorragenden  Eigenschaften  des  Präparates  zurückzuführen, 
welche,  von  Schwankungen  und  Nebenwirkungen  frei,  klar  und  scharf 
zum  Ausdruck  kommen. 

Dieses  Jodprodukt  ist  der  a-Monojodisovalerianylharnstoff,  welcher, 
ähnlich  dem  Bromural,  ein  halogensubstituiertes  Isovalerianylharnstoff- 
derivat  in  der  Zusammensetzung 

CH  •  CHJ  •  CO  •  NH  •  CONH2 

o 

darstellt. 

Dieser,  Jodival  benannte,  ebenfalls  von  Dr.  Saarn  dargestellte 
und  von  der  Firma  Knoll  &  Co.,  in  den  Handel  gebrachte  Körper 
ähnelt  in  seiner  weiß-kristallinischen  Pulverform  auch  äußerlich  dem 
nahestehenden  Bromural  und  ist  wie  dieses  unlöslich  in  kaltem  Wasser, 
löslich  in  heißem  Wasser,  Äther,  Alkohol,  Öl  und  alkalischen  Flüssig¬ 
keiten.  Die  Ähnlichkeit  erstreckt  sich  auch  auf  den  leicht  bitteren 
Geschmack,  der  bei  Jodival  noch  etwas  zurücktritt  und  daher  keine 
Schwierigkeiten  bereitet.  Ausgestattet  mit  einem  Jodgehalt  von  47°/0 
übertrifft  Jodival  die  Jodwerte  aller  bisher  verwendeten  organischen 
Erastzpräparate.  Dabei  sinkt  die  Gefahr  ein  tretenden  Jodismus  auf 
ein  Minimum,  weil  das  Präparat  unzerse  fczt  den  Magen  passiert,  im 
Darme  wohl  gelöst  und  resorbiert  wird,  aber  erst  in  den  Geweben  der 
Abspaltung  allmählich  anheimfällt. 

Wohl  wissen  wir,  daß  die  Konzentration  allein  nicht  maßgebend 
ist  für  die  Beurteilung  eines  Jodpräparates,  aber  ebensowenig  zweifel¬ 
haft  ist  die  Tatsache,  daß  bei  der  Beurteilung  der  therapeutischen 
Wirksamkeit  nur  die  Jodkomponente  und  die  Art  der  Abspaltung  des 
Jods  im  Organismus  in  die  Wagschale  fällt. 

Als  Begleitwirkung  kommt  hauptsächlich  eine  sedative  in  Betracht. 
Sie  ist  etwas  schwächer  als  bei  Bromural  und  schwindet  mit  der 
Trennung  des  Jod  von  dem  beruhigend,  fast  völlig  unwirksamen  Iso¬ 
valeriany  lharnstoff.  Da  die  Trennung  nur  allmählich  vor  sich  geht, 
so  ist  die  Haltbarkeit  der  Verbindung  von  hinreichender  Dauer,  um 
die  beruhigende  Wirkung  des  Jodivals  auch  klinisch  zum  Ausdruck 
zu  bringen.  Besonders  bei  Kindern,  bei  schwächlichen  und  älteren 
Individuen,  läßt  sich  deutlich  ein  leicht  sedatives  Initialstadium  wahr¬ 
nehmen.  Hat  diese,  die  eigentliche  Jodwirkung  einleitende  Aura  sedativa 
mit  ersterer  nichts  zu  tun  und  könnte  füglich  entbehrt  werden,  so  ist 
sie  andererseits  niemals  störend  empfunden  worden,  sondern  wußte 
sich  meist  in  solch  wohltuender  Weise  geltend  zu  machen,  daß  diese 
Begleitwirkung  eher  als  ein  Vorzug  angesprochen  werden  muß. 

Die  Fülle  der  Erfahrungen,  welche  ich  der  therapeutischen  Ver¬ 
wendung  des  Jodivals  verdanke,  stützt  sich  auf  ein  so  umfangreiches 
Krankenmaterial,  daß  ich  leider  genötigt  bin,  von  einer  deskriptiven 


454 


Runck, 


Besprechung  und  Zitierung  von  Einzelfällen  abzusehen  und  mich  mehr 
auf  eine  allgemeine  kritische  Erörterung  der  Jodival  Wirkung  zu  be¬ 
schränken.  Meine  Untersuchungen  erstreckten  sich  vorwiegend  auf 
Erkrankungen  des  Kindes  altera,  weshalb  ich  auch  diesen  bei  der  Be¬ 
sprechung  den  Vorzug  einräumen  möchte. 

Von  den  Erkrankungen  des  Kindesalters  beansprucht  wohl  das 
Hauptinteresse  die  unter  dem  Sammelnamen  Skrophulose  bekannte 
Krankbeitsform.  Da  wir  es  hier  fast  ausschließlich  mit  einer  erb¬ 
lichen  Krankheitsanlage  zu  tun  haben,  in  welcher  die  mehr  oder  weniger 
rein  überkommenen  Toxine  oder  Stoffwechselprodukte  zum  Ausdruck 
kommen,  so  bietet  sich  hier  dem  Jodival  die  beste  Gelegenheit,  als 
inneres  Desinfiziens  seine  reinigende,  entgiftende  Kraft  zu  beweisen. 

Wohl  ist  die  Jodbehandlung  der  Skrophulose  schon  längst  kein 
Novum  mehr  und  die  spezifische  Heilkraft  des  Jods  steht  außer  Zweifel, 
aber  zu  einer  generellen  Anwendungsweise  ist  es  trotz  mancher  ver¬ 
lockender  Einzelerfolge  nicht  gekommen.  Irritierender  Geschmack,  In¬ 
toleranzerscheinungen,  technische  Schwierigkeit  steigerten  bei  dieser 
meist  nicht  dringlichen  Krankheitsform  mehr  als  sonstwo  die  indivi¬ 
duellen  Bedenken  und  machten  alle  auf  Verallgemeinerung  hinzielenden 
Bestrebungen  bis  jetzt  illusorisch.  Um  so  gespannter  wurden  meine 
Erwartungen,  als  ich  bei  Jodival  diese  Untugenden  vergeblich  suchte 
und  jeder  neue  Versuch  eine  neue  Bestätigung  war.  Nach  Hunderten 
zählen  die  Kleinen,  welche  Jodival  meist  gern  und  ohne  Widerstreben 
nahmen.  Keines  ihachte  eine  Ausnahme,  selbst  der  zarte  Säugling 
beanspruchte  keine  Sonderrücksichten,  sondern  ging  mit  gutem  Beispiel 
voran,  indem  er,  ohne  Indigestionen  zu  äußern,  relativ  hohe  Dosen 
bezwang.  Wohl  konnte  hier  und  da  ein  leichter  Schnupfen  oder  eine 
leichte  Akne  bemerkt  werden,  indessen  kam  nie  eine  Störung  des  Allge¬ 
meinbefindens  zur  Beobachtung,  welche  eine  Unterbrechung  des  Jod¬ 
gebrauches  nahe  legte.  Kein  Wunder,  wenn  unter  diesen  Umständen 
meine  Voraussetzungen  immer  festeren  Fuß  gewannen  und  in  mir  die 
Überzeugung  festigten,  daß  der  generelle  Gebrauch  des  Jodival  nur 
eine  Frage  der  Zeit  sein  könne. 

Die  Bedeutsamkeit  dieser  Erkenntnis,  deren  Sanktionierung  zu¬ 
nächst  noch  der  Zukunft  angehört,  wäre  indessen  minder  wertvoll, 
wenn  sie  nicht  gleichzeitig  identisch  wäre  mit  der  generellen  Erschlies¬ 
sung  der  hervorragenden  Heilwirkungen  dieses  Mittels. 

Die  meisten  Kinder  lassen  schon  im  Laufe  der  ersten  Woche  die 
Jodival  Wirkung  erkennen.  Mehr  oder  weniger  beobachtete,  halb  latente 
Affektionen  bronchialer  oder  sonstwie  entzündlicher  Art  haben  sich 
merklich  gebessert,  sind  vielleicht  während  dieser  Zeit  schon  verschwun¬ 
den  und  haben  als  Ausdruck  dieser  stillen  Arbeit  ein  erhöhtes  sub¬ 
jektives  Befinden  hinterlassen,  das  besonders  in  dem  Eintreten  eines 
kräftigen  Appetits  sich  offenbart.  Dieser  Aufschwung  des  Allgemein¬ 
befindens  ist  bezeichnend  für  jeden  eine  gewisse  Dauer  umfassenden 
Jodivalgebrauch  und  pflegt  auch  in  der  Folge  stabilen  Charakter  bei¬ 
zubehalten,  zumal  wenn  die  Vorsicht  geübt  wird,  die  Kur  zeitweilig 
zu  wiederholen. 

Da  solche  erfreuliche  Wahrnehmungen  ohne  die  Voraussetzung 
einer  ungestörten  Magen-  und  Darmfunktion  undenkbar  sind,  so  kann 
es  keinem  Zweifel  unterliegen,  daß  Jodival  unverändert  den  kindlichen 
Magen  passiert  und  erst  im  Dünndarm  mit  dem  Überwiegen  der  Alkal- 
essenz  der  Auflösung  anheimfällt.  Das  Jodival  wird  erst  im  Gewebe 


Jodival  in  der  Kinderpraxis. 


455 


und  zwar  mit  Vorliebe  da,  wo  entzündliches  Protoplasma  vorhanden 
ist,  die  Jodkomponente  abgeben,  welche,  im  Status  nascendi  noch 
über  ungeschwächte  Kraft  verfügt.  So  nur  können  wir  uns  den  nun 
einsetzenden  kräftigen  Resorptions-  und  Oxydationsprozeß  erklären, 
so  nui’  die  Hebung  des  Appetits,  die  Vertiefung  der  Atmung,  welche 
für  den  Mehrbedarf  an  Sauerstoff  aufzukommen  hat. 

Wenn  wir  gleichzeitig  die  Wahrnehmung  machen,  wie  unter  dem 
Einfluß  des  Jodival  nach  und  nach  die  skrophulosen  Ekzeme  und 
katarrhalischen  Neigungen  der  Schleimhäute  verschwinden,  wie  die 
entzündlichen  Drüsen  zurückgehen,  das  Aussehen  der  Kinder  durch 
das  Aufhellen  der  Haut  und  der  Gesichtsfarbe  gewinnt,  dann  dürfen 
wir  wohl  annehmen,  daß  dieser  Stoffwechselprozeß  auch  eine  reini¬ 
gende  entgiftende  Aufgabe  erfüllt.  Es  erfolgt  gewissermaßen  eine 
Reformierung  der  Körpersäfte,  eine  Blutreinigung,  welche  der  Ent¬ 
wicklung  des  kindlichen  Organismus  in  genereller  Weise  zugute  kommt 
und  ihm  neue  und  günstigere  Lebensbedingungen  schafft,  ohne  daß 
sie  durch  Gegenleistungen  toxischer  Art  eine  Schmälerung  zu  befürchten 
haben. 

In  gleich  günstiger  Weise  wußte  sich  Jodival  die  Einführung 
bei  sonstigen  Erkrankungen  und  selbst  bei  Traumen  des  Kindesalters 
zu  sichern.  LTnd  da  seine  gleichbleibende  Toleranz  den  weitgehendsten 
Gebrauch  gestattete,  konnte  auch  die  Vielseitigkeit  seiner  Anlage  nicht 
lange  okkult  bleiben.  Bald  fesselt  uns  seine  Resorptions-  und  Desin¬ 
fektionskraft,  bald  sind  wir  geneigt,  ihm  als  Nervinum  und  Prophy- 
laktikum  den  Vorzug  zu  geben.  Bald  äußern  sich  seine  Wirkungen 
mehr  zentral,  bald  mehr  peripher. 

Der  Resorption  durch  Jodival  unterliegen  alle  protoplasmatischen 
Gebilde,  welche  durch  krankhafte  oder  gewaltsame  Störungen  aus  dem 
stützenden  organischen  Verband  ausgeschieden  sind  (gewissermaßen  nur 
noch  als  Fremdkörper  dem  Organismus  angehören).  Eine  Hydrocele 
schwindet  ebenso  willig  unter  dem  Einfluß  des  Jodivals,  wie  die  unver¬ 
meidlichen  Blutbeulen  älterer  Kinder,  ohne  daß  wir  dabei  unter  Bei¬ 
behaltung  der  üblichen  Kanteten  mit  der  Gefahr  der  Abszedierung 
rechnen  müßten.  Eine  Cephalhaematoma  neonatorum,  ein  entzündliches 
Transsudat  oder  Exsudat  verfällt  ebenso  prompt  der  Resorption,  wie 
die  interstitiellen  oder  artikulären  Blutextravasate  bei  Frakturen,  Luxa¬ 
tionen  und  Kontusionen,  welche  wieder  in  einer  beschleunigten  Heil¬ 
tendenz,  in  der  herabgesetzten  Neigung  zu  Rezidiven  und  Residuen 
wie  Callusbildung  zum  Ausdruck  kommt.  Selbst  Lymphangoitiden, 
Phlegmonen,  entzündliche  Drüsenschwellungen  sah  ich  auf  frühzeitigen 
Jodivalgebrauch  hin  manchmal  noch  unblutig  verlaufen,  öfter  aber 
noch  konnte  in  diesen  Fällen  eine  beschleunigte  Abszedierung  beobachtet 
werden.  Auch  diese  ist  zweifelsohne  durch  Jodival  bedingt,  unter 
dessen  Einfluß  das  Gewebe  der  Bakterienwanderung  einen  stärkeren 
Damm  entgegensetzt  und  so  durch  Herdbeschränkung  die  eitrige  Ein¬ 
schmelzung  derselben  begünstigt. 

Die  Annahme,  daß  Jodival  ähnlich  wie  Bromural  auf  das  Zentral¬ 
nervensystem  eine  bevorzugte  Wirkung  ausiibe,  fand  ich  durch  meine 
Beobachtungen  bestätigt.  Sie  finden  sich  hierbei  in  Übereinstimmung 
mit  den  Angaben  v.  d.  Velden’s,  denen  zufolge  nicht  allein  die  sedative, 
sondern  auch  die  spezifische  Jodentwicklung  und  -Wirkung  vorwiegend 
im  Großhirn  sich  abspielt.  Erstere  läßt  sich  bei  leichter  Unruhe  der 
Kinder,  bei  Dentition,  bei  fieberhaften  Erkrankungen  leicht  erkennen, 


456 


Runck, 


tritt  aber  bei  organischen  Erkrankungen  des  Nervensystems  hinter  der 
spezifischen  Jodwirkung  völlig  zurück.  Letztere  tritt  um  so  deutlicher 
zutage,  je  zentraler  der  Sitz  der  Erkrankung  gelegen  ist. 

Eine  anfängliche  generelle,  dann  mehr  auf  die  beiden  unteren 
Extremitäten  sich  beschränkende,  spinale  Kinderlähmung  zeigte  schon 
auf  niedrige  Gaben  hin  merklichen  Rückgang.  Unter  Steigerung  der 
Dosen  hielt  der  Fortschritt  an  und  heute  geht  die  Erkrankung,  unter¬ 
stützt  durch  die  belebende  Wirkung  des  galvanischen  Stromes,  nach 
mehrmonatiger  Dauer  der  Heilung  entgegen. 

Hierher  darf  ich  wohl  auch  einen  Fall  von  Hydrocephalus  inter¬ 
nus  zählen,  der  unter  Verlust  der  Ausfallsymptome  bald  wieder  nor¬ 
male  Funktion  erkennen  ließ.  Ein  Fall  von  schwerer  Commotio  cerebri, 
15  Jahre  alt,  erlangte  unter  dreistündlicher  Anwendung  von  0,3  g 
Jodival,  als  Suppositorien,  nach  acht  Stunden  wieder  das  Bewußtsein, 
nach  acht  Tagen  folgenfreie  Wiederherstellung. 

Der  Hinweis  auf  eine  in  Heilung  begriffene  Sklerodermie  einer 
Vierzehnjährigen,  welche  ich  mir  für  eine  spätere  Besprechung  Vor¬ 
behalten  möchte,  spricht  in  besonders  typischer  Weise  für  eine  zentrale 
Wirkung  des  Jodival  und  zeigt,  daß  auch  die  vasomotorisch  trophischen 
Neurosen  für  Jodival  die  Bedeutung  eines  noli  me  tangere  verloren 
haben. 

(  ■  _ 

Die  Erythromelalgie  des  Unterarmes  einer  Fünfzehnjährigen  er¬ 
gab  sich  nach  zwei  Wochen,  trotzdem  die  Erkrankung  volle  sieben 
J ahre  lang  bestanden  hatte. 

Ungeteilter  Gunst  erfreut  sich  Jodival  in  der  Behandlung  der 
infantilen  Lues.  Die  vorzüglichen  Ergebnisse  dürften  wohl  geeignet 
sein,  dem  Schrecken  dieser  Erkrankung  manches  zu  nehmen,  beson¬ 
ders  wenn  in  richtiger  Erkenntnis  eine  vernünftige  Prophylaxe  ge¬ 
übt  wird.  So  sah  ich  eine  syphilitische  Mutter,  welche  bereits  drei¬ 
mal  abortiert  hatte,  unter  dem  Schutze  des  Jodival  zum  ersten  Male 
ein  kräftiges  ausgetragenes  Kind  zur  Welt  bringen.  Da  letzteres, 
dem  Beispiel  der  Mutter  folgend,  Jodival  weiter  bezog,  hielt  auch 
die  fernere  günstige  Entwicklung  an. 

Die  meist  anämischen,  zu  Erkältungen  geneigten,  luetischen  Kin¬ 
der,  mit  ihren  dyspeptischen  Beschwerden,  den  unbestimmten  Fieber¬ 
zuständen  und  ewig  wechselndem  Allgemeinbefinden,  zeigten  auf  Jodi- 
valgebrauch  auffallende  Veränderungen.  Der  meist  unreine  Teint,  die 
von  Geschwüren  und  Hauteffloreszenzen  gerne  heimgesuchte  Haut 
hellt  sich  langsam  auf  und  wird  durchsichtiger.  Die  periodisch 
wiederkehrenden  Störungen  des  Allgemeinbefindens  werden  seltener  und 
bleiben  schließlich  ganz  aus ;  die  dyspeptischen  Beschwerden  vergehen, 
der  Appetit  macht  sich  geltend,  die  Anämie  geht  allmählich  zurück 
und  das  Kind  geht  ersichtlich  einer  ruhigeren  Entwicklung  entgegen. 

Zu  bemerkenswerten  Ergebnissen  führten  meine  Bemühungen,  den 
Indikationsbereich  auch  auf  suppurative  Erkrankungen  auszudehnen. 
Ein  Empyem  eines  zweijährigen  Kindes,  einen  abdominalen  tuberku¬ 
lösen  Abszeß  einer  Sechzehnjährigen,  welch  letzterer  nach  außen  per¬ 
forierte,  sah  ich  ohne  operative  Hilfe  völlig  verheilen. 

Unter  15  Appendizitiden  und  Perityphlitiden,  von  denen  etwa 
die  Hälfte  dem  Kindesalter  -angehörte,  sach  ich  13  unter  Jodival- 
wirkung  abheilen,  trotzdem  ein  guter  Teil  mit  Abszeßbildung  ein¬ 
herging.  Der  14.  wurde  operativ  behandelt,  nachdem  die  Erkrankung 
innerhalb  eines  Vierteljahres  dreimal  rezidiviert  hatte.  Letalen  Aus- 


Jodival  in  der  Kinderpraxis. 


457 


gang  nahm  ein  rapid  verlaufender  Fall,  der  mit  atypischen  Druck' 
schmerzep  und  peritonitischen  Erscheinungen  einsetzte  und  wohl  auch 
sub  cultro  keine  besseren  Chancen  geboten  hätte.  In  dubio  entschied 
ich  hier  für  Appendizitis. 

Bei  dieser  Gelegenheit  sei  mir  der  Hinweis  gestattet,  daß  der 
ätiologisch  nicht  zum  ersten  Male  geäußerte  Zusammenhang  von 
akuten  Infektionserkrankungen  insbesondere  von  Anginen  mit  den  Er¬ 
krankungen  des  Appendix  auch  meinerseits  in  vielen  Fällen  bestätigt 
werden  konnte. 

Durchweg  günstige  Resultate  zeitigte  der  Jodivalgebrauch  bei 
der  Otitis  media.  Neben  der  lokalen  Trockenbehandlung  beschränkte 
ich  mich  auf  die  Darreichung  von  zwei-  bis  viermal  täglich  0,3  g 
Jodival.  Nur  in  schwer  gelagerten  Fällen,  die  mit  alarmierenden, 
zerebralen  Symptomen  einhergingen,  ging  ich  zu  stärkeren  Gaben 
(dreistündlich  0,3  g  als  Suppos.)  über.  Die  "Wirkung  ließ  in  der 
Regel  nicht  lange  auf  sich  warten.  Zuerst  pflegte  sich  ein  reichlicher, 
dünnflüssiger  Fluor  einzustellen,  während  gleichzeitig  die  Patienten 
über  Abnahme  der  Schmerzen  oder  des  Fiebers  zu  berichten  wußten. 
Nach  einigen  Tagen  ließ  die  Sekretion  nach  und  die  Wunde  begann 
sich  zu  reinigen.  Die  sich  anschließende  Abheilung  meist  unter  Regene¬ 
ration  des  Trommelfelles  beanspruchte  selten  mehr  als  zwei  bis  vier 
Wochen. 

Auch  chronische  Otitiden  zeigten  sich  durchaus  zugänglich,  wenn 
sie  auch  etwas  längere  Zeit  zur  völligen  Vernarbung  beanspruchten. 

Bei  den  infektiösen  Erkrankungen,  wie  Masern,  Scharlach,  Diphthe- 
ritis,  Varizellen  u.  a.,  hatte  ich  Gelegenheit,  neben  der  internen  auch 
die  externe  Jodivalwirkung  kennen  zu  lernen.  Die  örtliche  Behand¬ 
lung  erstreckte  sich  auf  die  Bestäubung  der  erkrankten  Rachen-  und 
Kehlkopfpartien  und  frappierte  mitunter  durch  das  rasche  Einsetzen 
schmerzbefreiender  Wirkung.  Diese  lokale  Anästhesie  wurde  jedoch 
nur  teilweise  bestätigt  und  hat  daher  den  Nachteil,  daß  sie  leider 
inkonstant  ist.  Desgleichen  kam  auch  die  extern  desinfizierende  Wir¬ 
kung  ungleich  oder  verzögert  zum  Ausdruck. 

Bei  der  internen  Behandlung  fand  ich,  daß  die  bakterizide  Kraft 
wohl  über  leichtere  und  mittlere  Virulenzgrade  Herr  wird,  dagegen 
bei  schweren  Graden  in  den  üblichen  Dosen  (dreimal  täglich  bis  drei¬ 
stündlich  0,3  g  Jodival)  mitunter  versagt  oder  seine  Potenz  erst  noch 
zu  erweisen  hat.  Dafür  machte  ich  die  Beobachtung,  daß  Jodival 
eine  bemerkenswert  anregende  Wirkung  auf  das  subjektive  Befinden 
entfaltet,  welche  selbst  in  den  schwersten,  hochfebrilen  Fällen  das 
übliche  Krankheitsgefühl  vermissen  läßt.  Da  nun  das  Krankheits¬ 
gefühl  nach  der  geltenden  Auffassung  lediglich  als  Ausfluß  der  Stoff¬ 
wechselprodukte  in  Betracht  kommt,  so  darf  man  wohl  annehmen, 
daß  letztere  der  desinfizierenden  Kraft  des  Jodival  erliegen  und  so 
den  herabstimmenden  Einfluß  auf  das  subjektive  Befinden  verlieren. 3 * * * *  8) 
Diese  Erkenntnis  hatte  für  mich  die  praktische  Weiterung,  als  sie 
mir  vielfach  gestattete,  mit  Nutzen  der  medikamentösen  und  hydria- 


3)  Während  mir  der  Korrekturbogen  zur  Durchsicht  vorliegt,  nehme  ich 

Kenntnis  von  Prof.  Ehrlich’ s  Veröffentlichung  über  Partialfunktionen  der  Zelle 

(Nobelvortrag,  gehalten  am  11.  Dezember  1908  zu  Stockholm),  worin  dieser  Forscher 

in  präsumtiver  Weise  Jod  als  einen  Körper  bezeichnet,  der  für  die  Vernichtung 

der  Stoffwechselprodukte  in  Betracht  kommt.  Diese  Aufstellung  wird  durch  meine 

praktischen  Erfahrungen,  mit  Jodival  vollkommen  bestätigt.  Runck. 


458 


Runck, 


trischen  Bekämpfung  des  Fiebers  zu  entsagen  und  dafür  dessen  dia-, 
gnostisch-therapeutischen  Effekt  entgegenzunehmen. 

Als  eine  weitere  Folge  dieser  innerlichen  Antisepsis  möchte  ich 
eine  geringere  Neigung  zu  Komplikationen  und  sekundären  Affek¬ 
tionen  ansprechen. 

Bei  den  akuten  Erkrankungen  der  unteren  Luftwege  sehen  wir 
Jodival  schon  mehr  zur  Geltung  kommen.  Hier  bieten  sich  dem 
internen  Gebrauch  schon  dankbarere  Angriffsflächen  in  der  gesteiger¬ 
ten  Sekretion  der  erkrankten  Bronchien,  in  der  Anhäufung  entzünd¬ 
lichen,  lockeren  Protoplasmas  im  Bereiche  der  entzündeten  Bronchial- 
schleimhaut  und  der  beteiligten  Drüsen.  Dafür  sind  aber  auch  die 
Wirkungen  deutlicher,  fühlbarer,  konsequenter.  Ja  man  kann  ruhig 
sagen,  der  Effekt  ist  immer  da  und  zwar  um  so  prägnanter,  je  schwerer 
die  Symptome  einer  akut  einsetzenden  Tracheo-  oder  Bronchodyspnöe 
sich  geltend  machen.  Schon  eine  Stunde,  selten  länger  als  zwei  Stun¬ 
den  nach  Einnahme  äußern  die  Patienten  befriedigt  das  Gefühl  der 
Erleichterung  und  Befreiung  über  der  Brust.  Die  Atmung  wird  tiefer 
und  langsamer,  der  Schleim  flüssiger,  die  Expektoration  leichter,  und 
nach  einigen  Tagen  ist  die  Krankheit  behoben.  Bei  der  zähen  chronischen 
Form  läßt  sich  wegen  des  meist  vorhandenen  Hustenreizes  ein  Nar¬ 
kotikum  nicht  ganz  entbehren.  Im  übrigen  sind  hier  die  Wirkungen 
dieselben,  nur  weniger  augenfällig,  da  die  Beschwerden  auch  geringere 
sind.  In  einigen  Wochen  tritt  leicht  und  sicher  die  Heilung  ein. 

Anders  liegen  die  Verhältnisse  bei  der  tuberkulösen  Form.  Wohl 
sehen  wir  auch  hier  Jodival  seine  resolvierenden,  resorbierenden  Eigen¬ 
schaften  erfolgreich  entfalten,  aber  der  spezifische  Charakter  der  Er¬ 
krankung  entzieht  sich  zunächst  der  Jodivalwirkung.  Dagegen  sehen 
wir  Jodival  bei  längerem  Gebrauch  eine  ungemein  anregende,  aktive 
Wirksamkeit  entfalten.  Das  Aussehen  des  Patienten  verändert  sich 
unter  seinem  Einfluß  zusehends.  Wir  sehen  die  schmutzig  graue 
Gesichtsfarbe  langsam  weichen.  Der  Teint  wird  durchsichtiger,  heller, 
der  Appetit  stellt  sich  ein,  oft  überraschend  schnell,  sprungweise, 
manchmal  wieder  langsamer,  aber  stetig,  die  Formen  werden  nach 
und  nach  wieder  voller,  das  aufsteigende  Kraft-  und  Gesundungsgefühl 
verfehlt  nicht  seinen  belebenden  Einfluß  auf  die  Kranken  auszuüben. 

Auch  dort,  wo  vorgeschrittenere  Zerstörungen,  wo  Cavernen  und 
Schrumpfungen  die  Prognose  trüben,  bei  Miliartuberkulose  und  selbst 
im  Schlußstadium  der  Tuberkulose,  stets  sehen  wir  Jodival  seine  lin¬ 
dernde,  solvierende  .Wirkung  entfalten,  wenn  keine  Heilung,  so  doch 
Linderung. 

Schon  höher  werden  die  Anforderungen  an  das  Jodival  bei  jenen 
gewichtigen  Erkrankungen  der  Atmungsorgane,  welche  wie  die  krup¬ 
pöse  Form  der  Pneumonie  oder  wie  die  exsudative  der  Pleuritis  durch 
Ausschaltung  ganzer  Lungenbezirke  jene  schweren  dyspnoischen  Zu¬ 
stände  schaffen,  welche  abgesehen  von  ihrer  steigenden  Tendenz  noch 
bedrohlicher  sich  zuspitzen,  je  weniger  die  Kraftreserve  des  Herzens 
sich  zulängilch  erweist. 

Aber  auch  hier  machte  sich  Jodival  ausnahmslos  geltend  und 
zwar  zunächst  durch  eine  bemerkenswerte  Vertiefung*  und  Verlang¬ 
samung  der  Atmung,  welche  nach  Angabe  mitunter  schon  in  wenigen 
Stunden,  selten  später  als  nach  24  Stunden  eintritt,  und  dem  ganzen 
Krankheitsbilde  sein  charakteristisches  Gepräge  verleiht. 

Schon  die  erste  Nacht  pflegt  den  Kranken  einen,  wenn  auch 


Jodival  in  der  Kinderpraxis. 


459 


nur  nach  Stunden  bemessenen,  erquickenden  Schlaf  zu  bringen.  Sie 
äußern  sich  befriedigt  darüber,  ebenso  auch  über  den  Nachlaß  der 
Atemnot,  an  dessen  Stelle  das  Gefühl  der  Erleichterung  und  Befreiung 
getreten  sei.  Am  besten  kann  man  sich  von  den  eingetretenen  Wir¬ 
kungen  überzeugen,  wenn  man  Gelegenheit  hat,  den  Patienten  im 
Schlafe  zu  treffen.  Die  zuvor  mühsame  beschleunigte  Atmung  findet 
man  erstaunt  durch  einei  ruhige,  tiefe,  ausgiebige  ersetzt,  so  daß  man 
oft  gar  nicht  vor  dem  Bett  eines  Kranken  zu  stehen  glaubt. 

Indessen  ist  damit  die  Bedeutung  dieser  Wirkung  noch  nicht 
erschöpft.  Die  Vertiefung  der  Atmung  involviert  gleichzeitig  eine 
stärkere  Durchblutung  der  Lunge  und  damit  eine  sehr  wesentliche 
Entlastung  des  pulmonalen  Kreislaufs,  welche  dem  ohnehin  über¬ 
lasteten  und  weniger  kräftigen  rechten  Herzventrikel  zugute  kommt, 
andererseits  eine  Hebung  des  Atemchemismus  bezw.  der  Oxydation 
des  Blutes. 

Trotzdem  ist  wohl  zu  beachten,  daß  wir  es  nicht  gar  zu  oft  mit 
einem  intakten  Herzorganismus  zu  tun  haben,  dem  diese  Hilfe  von 
seiten  des  Jodival  genügt  und  daß  auch  der  intakte  Herzmuskel  mit 
der  depressiven  Wirkung  der  Infektionserreger  zu  rechnen  hat.  In¬ 
folgedessen  dürfte  es  die  Prophylaxe  wünschenswert  erscheinen  lassen, 
die  Wirkungen  des  Jodivals  auch  nach  dieser  Richtung  hin  zu  stützen 
bezw.  die  Herztätigkeit  schon  beizeiten  durch  Zuhilfenahme  geeigneter 
Cardiaca  wie  Digitalis,  Theobromin,  Bromural  zu  disziplinieren. 

Ähnlich  liegen  die  Verhältnisse  bei  der  Pleuritis,  gleichviel  ob 
die  feuchte  oder  trockne,  leichte  oder  schwere  Form  in  Frage  kommt. 
Mühelos  bricht  die  Jodivalwirkung  durch.  Schon  nach  wenigen  Dosen 
wird  die  Atmung  leichter.  Nach  1 — 2  Tagen  ist  die  Atemnot  fast 
unmerklich  geworden.  Die  Atemzüge  zeigen  fast  normales  Gepräge. 
Sie  sind  jetzt  ruhiger,  tiefer,  langsamer.  Der  Husten  ist  nicht  mehr 
trocken  und  quälend,  sondern  feucht,  lose,  befreiend.  Schlaf  und  Appe¬ 
tit  stellen  sich  wieder  ein  und  neue  Hoffnung  belebt,  die  Patienten. 
Nach  2 — 3  Wochen,  selten  länger,  ist  die  pleuri tische  Affektion  ver¬ 
schwunden  und  die  sonst  noch  vorhandenen  katarrhalischen  Affektionen 
hellen  sich  zusehends  auf.  Niemals  sah  ich  bis  jetzt  unter  Jodival¬ 
wirkung  ein  Empyem  sich  entwickeln  und  der  Erfolg  blieb  nur  da 
aus,  wo  tiefere  Zerstörungen  oder  schwerere  Komplikationen  gleich¬ 
zeitig  in  Frage  kamen. 

Auch  hier  leistete  die  Verbindung  mit  einem  geeigneten  Diure¬ 
tikum  oft  wertvolle  Dienste. 

In  geradezu  souveräner  Weise  wirkt  Jodival  auf  jene  angstvoll 
dyspnoischen  Attacken  von  Asthma  bronchiale,  über  dessen  Genese 
heute  noch  die  verschiedensten  Theorien  im  Umlaufe  sind,  ohne  daß 
es  gelungen  wäre,  eine  auf  allseitiger  Anerkennung  basierende  Einigung 
zu  erzielen.  Schon  in  kurzer  Zeit,  durchschnittlich  eine  Stunde  nach 
Einnahme  der  hier  üblichen  Dosis  von  0,3  g  Jodival  beginnen  die 
dyspnoischen  Beschwerden  zu  weichen,  so  daß  der  Kranke  bald  wieder 
befreit  aufatmen  und  seinen  unterbrochenen  Schlaf  fortsetzen  kann. 

Da  hier  aber  keine  entzündliche  Schwellung  der  Bronchien,  kein 
Infiltrat  oder  Sekretanhäufung  die  plötzliche  Atemnot  bedingt,  sondern 
ein  Krampf  der  Bronchialmuskulatur  in  Betracht  kommt,  so  kommen 
wir  mit  der  bisher  genügenden  Erklärung  der  vertieften  Atmung  nicht 
aus.  Wir  müssen  daher  nach  einer  anderen  Erklärung  suchen. 

Die  meisten  Autoren,  darunter  Einthoven,  Beer,  neigen  zu  der 


460 


Runck,  Jodival  in  der  Kinderpraxis. 


Anschauung,  daß  dieser  Bronchialspasmus  nervösen  Ursprungs  sei  und 
der  Krampfzustand,  welcher  dem  asthmatischen  Anfalle  zugrunde  liege, 
das  Werk  des  erregten  Nervus  vagus  sei,  und  demgemäß  auch  spasmo- 
lytischen  Mitteln  die  Aufgabe  zufiele,  die  Erregbarkeit  dieser  Nerven 
herabzusetzen.  Dieser  Forderung  (Einthovejn’s)  entspricht  nach  meinem 
Dafürhalten  Jodival,  welches  auf  die  Großhirnhemisphären  wie  den 
Nervus  vagus  beruhigend  und  spezifisch  einwirkt  und  damit  das  Ge¬ 
heimnis  der  vertieften  Atmung  erklärt. 

Nachdem  nun  diese  vertiefte  Atmung,  wie  wir  gesehen  haben, 
auch  bei  stärkeren  Infiltrationen  und  Verdrängungserscheinungen  zu 
beobachten  ist,  so  ergibt  sich  daraus,  daß  auch  bei  diesen  Prozessen, 
sei  es  aus  reflektorischen,  sei  es  aus  mechanischen  Gründen,  Bron¬ 
chialspasmus  oder  ein  stärkerer  Tonus  vorliegt,  welcher  nun  der  Ein¬ 
wirkung  des  Jodivals  unterliegend,  das  Phänomen  der  vertieften  Atmung 
dar  bietet. 

Beim  Emphysem  mögen  wohl  ähnliche  Vorgänge  sich  abspielen, 
jedoch  in  bedeutend  geringerem  Maßstabe.  Jedenfalls  werden  auch 
hier  die  Wirkungen  wohltuend  empfunden  und  vermögen  je  nach  dem 
Grade  der  Atrophie,  einer  vernünftigen  Diät  und  der  Dauer  der  Kur 
bessere  und  teilweise  haltbare  Verhältnisse  zu  schaffen.  Meine  durch¬ 
wegs  günstigen  Ergebnisse  sind  wenigstens  geeignet,  das  Jodival  auch 
nach  dieser  Richtung  nur  zu  empfehlen.  Als  ein  bemerkenswertes 
Ad j urans  darf  auch  hier  die  Theobrominkombination  gelten,  deren  oft¬ 
mals  beschleunigte  oder  erhöhte  Wirkungen  wohl  nicht  zu  Unrecht 
sich  der  dauernden  Gunst  meiner  Asthmatiker  erfreuen. 

Keinerlei  Ausstellungen  veranlaßte,  wie  schon  erwähnt,  das  Ver¬ 
halten  des  Jodivals  im  Darmtraktus.  Indigestionen,  welche  mit  Sicher¬ 
heit  auf  Jodival  zurückzuführen  waren,  wurden  nicht  beobachtet.  So¬ 
gar  bestehende  Darmstörungen  bildeten  keine  absolute  Kontraindika¬ 
tion.  In  vereinzelten  Fällen  vermochte  ich  sogar  positive  Resultate 
zu  erzielen.  So  sah  ich  ein  vier  Monate  altes  schwächliches  Kind  mit 
Soor  zweiten  Grades  unter  Jodivalwirkung*  genesen,  obwohl  es  tagelang 
in  einem  halbagonalen  Zustand  verharrte.  Trotzdem  bin  ich  weit 
entfernt,  daraufhin  einer  neuen  Indikation  das  Wort  zu  reden,  deren 
Sanktionierung  erst  noch  weiterer  Prüfungen  bedarf. 

Wenn  auch  die  Erfahrungen,  welche  ich  der  Verwendung  des 
Jodivals  bei  Erkrankungen  des  Kindesalters  verdanke,  infolge  dieser 
ßelbstgezogenen  Beschränkung  kein  erschöpfendes  Bild  seiner  Wirk¬ 
samkeit  ergeben,  so  zeigen  sie  doch  eine  bemerkenswerte  Einigung  in 
der  Anerkennung  seines  hohen  Heilwertes. 

Überraschend  wirkt  die  Fülle  der  Indikationsstellungen  und  deren 
mühelose  Übertragung  gerade  auf  jenes  Lebensalter,  das  aus  nahe¬ 
liegenden  Gründen  bisher  nur  in  bescheidenstem  Maße  die  therapeutische 
Verwendung  der  Jodprodukte  kannte.  Allerdings  tritt  uns  der  neue 
Repräsentant  in  vielfachem  Sinne  als  ein  Novum  gegenüber,  das  mit 
unbegrenzter  Aktionsfähigkeit,  erhöhte  Wirksamkeit  und  Toleranz  wohl 
zu  verbinden  weiß.  Darauf  basiert  die  umfassende  Indikationsstellung 
des  Jodival,  welcher  im  einzelnen  näher  zu  treten,  wohl  zu  weit  führen 
würde.  Für  zweckmäßiger  und  instruktiver  möchte  ich  es  erachten, 
aus  dem  Resümee  der  gewonnenen  Erfahrungen  die  Hauptmerkmale 
der  Jodivalwirkung  herauszugreifen  und  in  kurzen  Erfahrungssätzen 
wiederzugeben.  Diese  rekapitulierende  Form  der  Charakteristik  dürfte 
für  Jodival  den  vollkommenen  Wert  einer  detaillierten  Indikations- 


Vorläufige  Mitteilungen  und  Autoreferate.  461 

Stellung  und  nebenbei  den  Reiz  besitzen,  zu  weiteren  Indikationen  an¬ 
zuregen. 

In  diesem  Sinne  möchte  ich  folgende  Thesen  auf  stellen  :4) 

1.  Jodival  wird  durchschnittlich  gern  und  ohne  Widerstreben 
genommen.  Im  Verhinderungsfälle  (Erbrechen,  Trismus,  Koma,  Idio¬ 
synkrasie)  bietet  die  rektale  Einverleibung  vollkommenen  Ersatz. 

2.  Jodival  erzeugt  keine  Indigestionen,  wirkt  vielmehr  anregend 
auf  den  Appetit. 

3.  Jodival  erzeugt  keine  Intoxikationen,  welche  für  das  Allgemein¬ 
befinden  in  Betracht  kommen. 

4.  Die  Dispensation  ist  eine  sehr  elastische  und  gestattet  die  weit¬ 
gehendste  Anpassung  an  jede  Altersstufe,  jeden  Kräfte-  und  Krank¬ 
heitszustand.  (Dreimal  täglich  0,1  bis  dreistündlich  0,3.) 

5.  Das  Resorptions-  und  Desinfektionsvermögen  sind  gleich  hoch 
entwickelt.  Beide  sind  in  hohem  Grade  steigerungsfähig,  ohne  dabei 
an  Stetigkeit  der  Wirkung  einzubüßen. 

6.  Die  Resorption  erstreckt  sich  auf  alle  protoplasmatischen  Ge¬ 
bilde,  welche,  durch  Entzündung  oder  Trauma,  den  organischen  Kontakt 
verlöre/)  haben. 

7.  Die  Desinfektion  richtet  ihre  Hauptstoßkraft  auf  die  Ver¬ 
nichtung  der  Stoffwechselprodukte,  während  eine  ausgesprochen  bak¬ 
terizide  Wirkung  weniger  zu  beobachten  ist. 

8.  Spezifisch  ist  die  Jodival  Wirkung  bei  allen  Erkrankungen  und 
Traumen  des  Nervensystems  und  besonders  der  zentralen  Teile  des¬ 
selben.  Degenerationszustände  sind  natürlich  ausgeschlossen. 

9.  Die  Verbesserung  des  kapillaren  Kreislaufs,  die  Steigerung  der 
Gewebsoxydation  sind  teilweise  auch  zentralen  Ursprungs. 

10.  Die  leicht  sedative  Wirkung  kommt  nur  bei  intaktem  Nerven¬ 
system  zur  Geltung. 

Vorläufige  Mitteilungen  u.  Autor elerate. 

Ueber  den  operativen  (plastischen)  Ersatz  von  ganz  oder  teilweise  ver¬ 
lorenen  Fingern,  insbesondere  des  Daumens,  und  über  Handtellerplastik. 

Von  Dr.  Kurt  Noesske,  stellv.  Chirurg.  Oberarzt  am  Carolahaus,  Dresden. 
(Vortrag  am  13.  März  09  in  der  „Gesellschaft  für  Natur-  und  Heilkunde“  zu  Dresden.) 

N.  betont  die  Notwendigkeit  und  Möglichkeit  der  Erhaltung  von 
Fingern,  besonders  des  Zeigefingers  und  Daumens,  bei  vielen,  selbst 
sehr  schweren,  mit  ausgedehnten  Weichteildefekten  einhergehenden 
Verletzungen  der  Hand,  zumal  bei  gewissen  Berufen,  die  Zeigefinger 
und  Daumen  in  ganzer  Länge  nötig  haben,  sowohl  aus  technischen 
Gründen  (Uhrmacher,  Schreiber,  Schneider  usw.)  als  aus  kosmetischen 
(Künstler,  Lakaien).  Namentlich  bei  erhaltenen  Sehnen  und  Gelenken 
sollte  nicht  mehr  ohne  weiteres  amputiert  werden.  Die  italienische 
Plastik  („Stiellappen-Fernplastik“  ist  ein  bezeichnenderer  Name)  gebe 
hier  den  Weg  zur  konservativen  Extremitätenchirurgie  an  und  zeitige 
ausgezeichnete  Resultate. 

N.  demonstriert  stereoskopische  Aufnahmen  des  plastischen  Er¬ 
satzes  der  gesamten  volaren  Weichteile  am  Daumen  eines  43jährigen 
Arbeiters,  dessen  Daumen  trotz  gleichzeitigen  Trümmerbruches  des 
Zwischengelenks  und  dadurch  bedingter  Versteifung  mit  Hilfe  der  Plastik 


4)  Dieselben  gelten  mutatis  mutandis  auch  für  das  reifere  Lebensalter. 


462  Vorläufige  Mitteilungen  und  Autoreferate. 

wieder  ein  sehr  brauchbares  Organ  geworden  ist  (Plastik  aus  Brust¬ 
haut,  1905). 

Bisher  noch  nicht  anderweitig  ausgeführt  ist,  soweit  N.  die  Lite¬ 
ratur  kennt,  die  Neubildung- des  durch  Trauma  ganz  verlorenen 
rechten  Daumens  aus  Brusthaut  und  einem  Periostknochen¬ 
lappen  der  Tibia;  einen  13jährigen  Knaben,  den  N.  vorstellt,  hat 
er  im  Sommer  1908  so  operiert.  Der  neugebildete  Daumen  ist  also 
seit  3/4  Jahr  in  Punktion  und  ist  keiner  nachträglichen  Schrumpfung 
oder  gar  Rückbildung  (Knochenresorption)  anheimgefallen,  wie  auch 
drei  Röntgenbilder  beweisen.  Das  ist  interessant,  weil  bisher  freie 
Knochen  transplantationen  immer  nur  zwischen  zwei  andere  Knochen 
eingesetzt  bezw.  in  quasi  „ortsansässige“  Weichteile  eingebettet  wurden, 
während  hier  das  4  cm  lange,  1/2  cm  dicke  Tibiastück  bajonettartig 
als  periphere  Verlängerung  in  das  Capitulum  metacarpi  eingerammt 
wurde,  und  außerdem  von  „ortsfremdem“  Gewebe,  der  aus  Brusthaut 
gebildeten  Weichteilhülle,  umgeben  war.  Letztere  wurde  zuerst  ge¬ 
bildet,  und  zwar  wurde  eine  entsprechend  lange  und  dicke  Walze  aus 
Haut  und  Fettgewebe  so  an  den  Stumpf  (am  Capit.  metacarpi  gelegen) 
rings  angenäht,  daß  die  künftige  Volarfläche  des  Daumens,  abgesehen 
von  dieser  Zirkulärnaht,  narbenfrei  blieb.  Stieltrennung  nach  drei 
AVochen,  Formierung  der  Kuppe  des  Daumens.  Erst  nach  der  Wund¬ 
heilung  erneute  Längsspaltung  der  Dorsalnarbe,  Implantation  des  Tibia¬ 
stückes  (Corticalis  mit  sehr  reichlichem  Periostmantel) ;  Synostose  mit 
dem  Metacarpus  nach  drei  bis  vier  Wochen  fest,  strichförmige  Haut¬ 
narbe.  Der  neue  Daumen  ist  infolge  der  an  sich  ja  sehr  ausgiebigen 
Beweglichkeit  des  ersten  Metacarpus  trotz  Pehlens  des  Zwischen-  und 
Grundgelenkes  ein  recht  guter  Ersatz  eines  normalen  Daumens  ge¬ 
worden,  insbesondere  kann  er  soweit  adduziert  und  opponiert  werden, 
daß  auch  der  Kleinfinger  ihn  mühelos  mit  seiner  Kuppe  berührt,  und 
daß  also  sowohl  grobe  wie  auch  subtile  Verrichtungen  (gute  Hand¬ 
schrift  mit  gewöhnlichem  Federhalter)  ohne  Anstrengung  ausführbar 
sind.  Das  Gefühl  hat  sich  allmählich  bis  dicht  an  die  Kuppe  des 
Daumens  wieder  eingefunden  und  dürfte  bald  auch  in  dieser  normal 
sein.  Aus  kosmetischen  Gründen  beabsichtigt  N.  noch  demnächst  den 
Nagel  einer  Zehe  samt  Matrix  und  umgebender  Hautpartie  nach 
Art  eines  Kr  ause’schen  Lappens  auf  den  neuen  Daumen  zu  über¬ 
tragen. 

N.  skizziert  kurz  die  bisherigen  Methoden  des  Fingerersatzes 
(v.  Eiselsberg,  Nicoladoni,  Guermonprez,  Lauenstein  usw.)  und 
deren  Nachteile.  Ersatz  von  Fingern  durch  zweizeitige  (gestielte) 
Zehenüberpflanzung  ist  nach  N.  nur  da  anzuwenden,  wo  nicht  ein 
ganzer  Finger,  sondern  nur  ein  Glied  oder  wenig  mehr  zu  ersetzen  ist 
(Hänel- Dresden),  da  sonst  das  kosmetische  Resultat,  meist  auch  das 
funktionelle,  zu  unbefriedigend  seien,  zumal  wenn  nicht  die  erste  Zehe 
verwendet  werde,  was  beim  Daumenersatz  Erfordernis  sei,  wenn  man 
entsprechende  Kraft  bezw.  Widerstandsfähigkeit  von  dem  übertragenen 
Organ  erwarte.  Andererseits  sei  die  Wegnahme  der  Großzehe  für 
das  Gehvermögen  durchaus  nicht  gleichgültig,  abgesehen  von  der  Bläss¬ 
lich  keit  der  Verstümmelung  und  der  Gefahr  einer  spannenden  und 
empfindlichen  Amputationsnarbe  am  Fuße.  Überhaupt  hält  N.  die 
Beweglichkeit  des  neuen  Daumens  im  Zwischengelenk,  evtl,  auch  im 
Grundgelenk,  für  nebensächlich  wegen  der  besonderen  Beweglichkeit 
des  ersten  Metacarpus.  Seine  Methode  aber  gestatte  die  Herstellung 


Vorläufige  Mitteilungen  und  Autoreferate. 


468 


eines  beliebig  langen  und  beliebig  kräftig  gebauten  Daumens  von  aus¬ 
reichender  Beweglichkeit  und  kosmetisch  (zumal  nach  Nagelüberpflan¬ 
zung)  recht  befriedigender  Gestalt,  ohne  beschwerliche  oder  hässliche 
Verstümmelung  oder  Narben  an  den  Entnahmestellen  des  Knochens 
und  der  Haut,  auch  ohne  die  zwei-  bis  dreiwöchige  Zwangsstellung 
einer  Bandagierung  der  Hand  an  den  Euß ;  selbst  partielle  V erluste  des 
Metacarpus  seien  auf  diese  Weise  mit  ausgleichbar. 

Weiterhin  stellt  N.  einen  von  ihm  vor  41/2  Jahren  operierten, 
jetzt  13jährigen  Knaben  vor,  dem  er  die  Haut  fast  des  ganzen 
rechten  Handtellers,  die  durch  Abwälzung  (Überfahrung)  verloren 
gegangen  war,  aus  der  Brusthaut  mittels  der  Stiellappen-Fernplastik 
ersetzt  hat.  Interessant  ist  daran,  daß  der  Hautlappen  in  gleichem 
Maße  wie  die  normal  entwickelte  Hand  mit  gewachsen  ist.  Es  besteht 
absolut  freie  aktive  Beweglichkeit  der  Finger,  sogar  aktive  Über¬ 
streckung  ist  ziemlich  weithin  möglich.  Die  Haut  ist  weich,  auch 
bei  starkem  Druck  schmerzfrei,  die  Sensibilität  normal,  die  Verschieb¬ 
lichkeit  ist  ausgiebiger  als  beim  normalen  Handteller.  Die  anfänglich 
noch  bestandene  Flaumbehaarung  ist  beim  Gebrauch  der  Hand  ver¬ 
loren  gegangen,  dagegen  hat  sich  eine  ausgesprochene  bräunliche  Pig¬ 
mentierung  des  ganzen  Lappens  eingestellt,  die  anfangs  fehlte  und 
wohl  auf  die  chronischen  Insulte  zurückzuführen  ist,  die  den  neuen 
Handteller  betroffen  haben. 

Zuletzt  demonstriert  N.  mikroskopische  Präparate  und  Zeich¬ 
nungen,  die  das  Verhalten  der  mittels  Stiellappen-Fernplastik  über¬ 
tragenen  Haut  zeigen.  Dieselbe  macht  doch,  wenigstens  anfangs,  ehe 
sie  quasi  einheimisch  in  dem  neuen  Gebiete  wird,  mehr  Veränderungen 
durch,  als  angenommen  wird.  Die  Papillen  wuchern  zum  Teil  tief 
in  die  Cutis  hinab,  sich  oft  gabelnd.  Besonders  interessant  aber  ver¬ 
halten  sich  die  elastischen  Fasern,  an  denen  man  in  den  ersten 
Wochen  der  Plastik  vielfach  ein  deutliches  Hineinwqchern  in  die 
Epithelschicht  konstatieren  kann,  was  bisher  wohl  bei  Plastiken 
nicht  beobachtet  wurde.  Die  Präparate  rühren  her  von  Probeexzisionen 
gelegentlich  zweier  Plastiken  im  Jahre  1907  (große  Hautdefekte  an 
Ferse  bezw.  Knöchelgegend,  die  mit  Haut  vom  andern  Bein  zweizeitig 
gedeckt  wurden). 

Diskussion. 

Fr.  Hänel  beglückwünscht  den  Vortragenden  zu  seinen  Resultaten 
und  betont  die  Wichtigkeit  einer  gut  erhaltenen  Bewegungsfreiheit 
des  ersten  Metacarpus  beim  Ersatz  des  Daumens.  Seinen  vor  sechs 
Jahren  hier  vorgestellten  Fall  von  Ersatz  des  halben  Zeigefingers 
'  durch  die  zweite  Zehe  hat  H.  seit  J ahren  nicht  wiedergesehen ;  die 
Funktion  war  damals  gut,  das  Aussehen  erinnerte  aber  doch  an  das 
einer  Zehe. 

Schmor  1  wirft  die  Frage  auf,  ob  sich  die  Wiederbildung  des 
Daumens  nicht  durch  zweizeitige  Übertragung  eines  Hautperiostknochen¬ 
lappens  aus  der  Brust  mit  einem  Stück  Rippe  vereinfachen  lasse. 

Der  Vortragende  erwidert,  daß  er  von  diesem  Verfahren  ab¬ 
sichtlich  Abstand  genommen  habe  wegen  der  zu  dünnen,  biegsamen 
Kortikalis  der  Rippen  im  Gegensatz  zur  starren  Kortikalis  der  Tibia, 
und  weil  über  den  Rippen  immerhin  so  viel  Weichteile  lägen,  daß  der 
Daumen  gejviß  zu  wulstig  geworden  wäre.  Andererseits  sei  auch  über 
der  Ulna  oder  Clavicula  die  Entnahme  großer  Partien  von  Haut  und 
Fettgewebe  nicht  unbedenklich.  Autoreferat. 


464 


Vorläufige  Mitteilungen  und  Autoreferate. 


Ueber  Alkaptonurie. 

Von  Dr.  Oscar  Adler  u.  Dr.  Emil  Luksch  (Prag). 

(Vortrag,  gehalten  von  Dr.  Adler  in  der  Wissenschaftlichen  Gesellschaft  deutscher 

Ärzte  in  Böhmen  am  12.  März  1909.) 

Der  Vortragende  stellt  einen  Fall  von  Alkaptonurie  vor,  der  auf 
der  Klinik  des  Hofrates  Pr  ihr  am  zur  Beobachtung  kam.  Der  Patient 
hatte  wegen  Abmagerung,  Schwächegefühl  und  Kopfschmerzen  die 
Klinik  aufgesucht ;  während  seines  Aufenthaltes  auf  der  Klinik  schwan¬ 
den  diese  Symptome  bald  und  es  erfolgte  eine  erhebliche  Gewichts¬ 
zunahme.  Die  Alkaptonurie  besteht  in  diesem  Fall  seit  der  frühesten 
Kindheit ;  schon  damals  waren  der  Mutter  des  Patienten  die  dunklen 
Flecke  in  der  von  Urin  benetzten  Leibwäsche  aufgefallen.  Der  Harn 
des  Patienten  bietet  die  charakteristischen  Beaktionen  des  Alkaptonurie- 
harnes.  Aus  sieben  Litern  Harn  konnten  ca.  21  g  Homogentisinsäure 
da-rgestellt  werden.  Der  mit  Schwefelsäure  versetzte  Harn  wurde  in 
hohem  Vakuum  eingeengt,  mit  reinstem  absolutem  Äther  extrahiert, 
der  Äther  im  Vakuum  entfernt;  der  Bückstand  kristallisierte.  Die 
Substanz  wurde  aus  Wasser  unter  Zusatz  von  Tierkohle  umkristalli¬ 
siert.  F  =  147°.  Nach  dem  Auskochen  mit  Chloroform  war  F  =  150 
bis  152°.  „Uroleuzinsäure“  war  nicht  vorhanden.  Die  tägliche  Aus¬ 
scheidung  von  Homogentisinsäure  betrug  bei  reichlicher  Fleischkost 
durchschnittlich  ca.  7  g.  —  Mit  Bücksicht  auf  das  familiäre  V or- 
kommen  von  Alkaptonurie  wurde  auch  der  Harn  der  Schwester  und 
des  Kindes  des  Patienten  untersucht;  beide  Harne  waren  normal. 
Störungen  von  seiten  der  Gelenke,  die  bei  einigen  Fällen  von  Alkap¬ 
tonurie  beobachtet  wurden,  bestehen  bei  unserem  Patienten  nicht.  Auch 
die  Böntgenaufnahme  bietet  normale  Verhältnisse.  Da  der  Patient 
nicht  lange  auf  der  Klinik  verweilte,  konnten  nur  wenige  Stoffwechsel¬ 
versuche  angestellt  werden,  über  die  in  einer  späteren  Mitteilung  be¬ 
richtet  werden  soll.  Autoreferat. 


Verein  deutscher  Ärzte  in  Prag,  am  5.  März  1909. 

Dr.  Hecht:  Anschließend  an  die  Demonstration  eines  Falles  von 
ausgebreitetem  Lichen  lueticus,  der  trotz  anderweitiger  schwerster 
Symptome  der  Lues  bei  der  Untersuchung  des  Serums  nach  der  Wasser- 
mann’schen  Beaktion  ein  negatives  Besultat  ergab,  wird  die  Bedeutung 
dieser  Beaktion  für  den  praktischen  Arzt  besprochen.  Der  praktische 
Arzt  wird  diese  Beaktion  nur  selten  selbst  ausführen  können,  dagegen 
oft  in  die  Lage  kommen,  einem  Patienten,  der  sein  Serum  untersuchen 
ließ,  Auskünfte  erteilen  zu  müssen.  Da  ist  es  nun  wichtig,  zu  wissen, 
daß  man  bezüglich  des  Ehekonsenses,  bezüglich  der  Art  und  Dauer 
der  Behandlung,  der  Dauer  der  Erkrankung,  der  Infektiosität,  der 
Aussicht  betreffs  etwaiger  postsyphilitischer  Erkrankungen  bloß  mit 
Bücksicht  auf  den  Ausfall  der  Beaktion  nichts  Bestimmtes  sagen  kann. 
Dagegen  kommt  der  W.  B.  als  differentialdiagnostisches  Mittel  zur 
Unterscheidung  der  Lues  von  ähnlichen  Krankheitsbildern  ein  großer 
Wert  zu;  gebraucht  man  bei  der  Diagnosenstellung  die  Vorsicht,  nur 
komplette  Hemmungen  gelten  zu  lassen,  dann  wird  man  die  Bedeutung 
der  W.  B.  hoch  einzuschätzen  lernen.  Autoreferat. 


Referate  und  Besprechungen. 


465 


Referate  und  Besprechungen. 

Innere  Medizin. 

Ueber  neuere  Forschungen  aus  dem  Diabetesgebiete. 

(Ferdinand  Blumenthal.  Deutsche  med.  Wochenschr.,  Nr.  48,  1908.) 

Seit  jeher  sind  drei  Organe  für  die  Erklärung  des  Diabetes  herangezogen 
worden.  Blumenthal  faßt  die  Beteiligung  des  Nervensystems  so  auf,  daß 
Nervenfasern,  die  zur  Regulierung  des  Stoffwechsels  dienen,  durch  die  Medulla 
oblongata  gehen,  die  der  Sitz  des  Reizzentrums  für  die  Zuckerbildung  ist. 
Ihre  Reizung  ruft  Funktionsstörungen  in  den  für  die  Zuckerbildung  wichtigen 
Organen,  besonders  der  Leber  hervor. 

Der  Leber  vermag  er  keine  primäre  Rolle  zuzuweisen,  sondern  nur  eine 
sekundäre.  Die  zur  Störung  der  Glykogenbildung  führenden  Reize  gelangen 
nicht  direku  zu  ihr,  sondern  jedenfalls  erst  über  das  Nervensystem  und 
Pankreas. 

Dagegen  ist  das  Zustandekommen  des  Diabetes  durch  das  Pankreas  ein 
primäres.  Blumenthal  bespricht  eingehend  die  gegenteilige  Ansicht  Pflü- 
gieF s.  Wenn  auch  noch  kein  sicherer  Beweis  erbracht  ist,  so  steht  doch 
soviel  fest,  daß  Stoffe  im  Pankreas  gefunden  worden  sind,  die  den  fermenta¬ 
tiven  Zuckerabbau  aktivieren.  Ihr  Fehlen  bildet  eine  Ursache  für  das  Ent¬ 
stehen  des  Diabetes. 

Die  Muskulatur  hat  insofern  Einfluß,  als  in  ihr  die  Zuckerverbrennung 
vor  sich  geht.  Bei  mangelhafter  Funktionstüchtigkeit  tritt  Hyperglykämie 
und  Glykosurie  ein.  Schließlich  erörtert  Blumenthal  noch  die  Frage  nach 
der  Herkunft  des  Zuckers  beim  Diabetiker.  Die  eine  Quelle  sind  die  Kohle¬ 
hydrate,  die  andere  das  Eiweiß,  bei  welchem  die  Aminosäuren  von  großer 
Bedeutung  sind.  Auch  die  von  ihm  und  Neuberg  früher  behauptete  Bildung 
der  A.zetonkörper  aus  Eiweiß  ist  jetzt  bewiesen.  Dieselbe  Eigenschaft  kommt 
dem  Fett  zu ;  dagegen  ist  die  Zuc'kerbildüng  aus  diesem  noch  fraglich. 

F.  Walther. 


Ueber  den  Azetonkörpergehalt  der  einzelnen  Organe  beim  Phlorizindiabetes. 

(G.  Satta  u.  L.  Lattes.  Archiv  p.  1.  scienze  med.,  Bd.  32,  H.  5  u.  6,  1908.) 

Azeton  findet  sich  stets  in  den  Organen,  sowohl  im  Normalzustand 
wie  im  Hunger  wie  bei  Diabetes;  die  Werte  sind  aber  sowohl  für  die  ein¬ 
zelnen  Organe  als  auch  bei  verschiedenen  Beobachtern  für  das  gleiche  Organ 
sehr  verschieden.  Während  Geelmuyden  in  der  Leber  des  Diabetikers 
relativ  wenig  Azeton  gegenüber  anderen  Organen  fand,  erhielten  Halpern 
und  Landau  bei  phlorizin vergifteten  Kaninchen  den  geringsten  Wert  in 
den  Muskeln,  dann  aufwärtsi  in  Blut,  Leber,  Nieren,  Lungen.  Bei  normalen 
Hunden  fand  Maignon  den  kleinsten  Wert  im  Blut,  den  größten  in  den 
Nieren.  Für  ß-Oxybuttersäure  liegen  nur  Versuche  von  Magnus -Le  vy  an 
Diabetikern  vor,  die  die  größten  Werte  im  Blut,  dann  abwärts  in  Milz, 
Leber,  Muskeln  zeigten.  Satta  und  Lattes  untersuchten  die  Organe 
von  drei  phlorizinvergifteten  Hunden  auf  ihren  Gehalt  an  Azetonkörpern. 
Das  Ergebnis  war,  daß  ß-Oxybuttersäure  nur  einmal  im  Blute  sich  fand 
in  einer  Menge  von  0,088  mg  pro  100  c'cm,  während  Azeton  in  allen  unter¬ 
suchten  Organen,  sogar  in  der  Galle  nachgewiesen  wurde.  Die  größten  Zahlen 
wies  das  Blut  auf  (Durchschnitt  14  mg),  dann  Milz  (8,49),  Nieren  (5,31), 
Gehirn  (5,52),  Magendarm  (4,02),  während  Muskeln  (2,76)  und  Leber  (3,1) 
sich  neben  Lunge  (2,71)  durrch  die  niedrigsten  Werte  auszeichneten.  Für  die 
Bildungsstätte  der  Azetonkörper  beweisen  diese  Werte  allerdings  sehr  wenig, 
da  bei  dem  Gehalt  eines  Organs  an  diesen  Körpern  nicht  nur  sein  Bildungs¬ 
sondern  auch  sein  Zerstörungsvermögen  in  Betracht  kommt,  sowie  sein  Ge¬ 
halt  an  dein  azetonkörperreichen  Blut.  M.  Kaufmann  (Mannheim). 


30 


466 


Referate  und  Besprechungen. 


Über  den  Einfluß  von  diuretisch  wirkenden  Mitteln  auf  das  Zustande¬ 
kommen  der  alimentären  Glykosurie. 

(E.  Lützow.  Wiener  klin.  Rundschau,  Nr.  82,  1908.) 

Die  Existenz  des  ech'ten  renalen  Diabetes  ist  ungewiß,  dagegen  ist 
an  dem  Vorkommen  einer  transitorischen  renalen  Glykosurie  nicht 
zu  zweifeln.  Durch  Tierversuche  ist  festgestellt,  daß  durch  gewisse  Arznei¬ 
mittel  (besonders  Kof  f  ein -Pr  äp  a*rate)  eine  Vermehrung  der  Harnsekretion 
und  Übergang  von  Zucker  in  den  Harn  hervorgerufen  werden  kann.  —  Diese 
Versuche  hat  der  Verf.  an  sechs  Patienten  nachgeprüft.  Er  kommt  auf 
Grund  seiner  Erfahrungen  zu  dem  Schlüsse,  daß  beim  Menschen  bei  gleich¬ 
zeitiger  Darreichung  von  Traubenzucker  und  diuretisch  wirken¬ 
den  Mitteln  eine  nicht  unerhebliche  Glykosurie  zu  erzielen  ist,  welche 
ohne  die  Diuretika  nicht  eintreten  würde.  Steyerthal-Kleinen. 


Aus  der  medizinischen  Universitätsklinik  in  Leipzig,  Prof.  Dr.  Curschmann. 

Ein  Fall  von  Friedreich’scher  Krankheit  mit  Diabetes  mellitus. 

(Dr.  Meitzer,  K.  S.  Oberarzt.  Münch,  med.  Wochenschr.,  Nr.  48,  1908.) 

Das  Leiden,  das  schon  im  26.  Lebensjahre  begonnen  hatte,  bietet  in 
seinem  Symptomenbild  völlig  den  von  Friedreich  auf  gestellten  Typus.  Den 
ein  Jahr  nach  Auftreten  der  Gehstörungen  entstandenen  Diabetes  mellitus 
glaubt  Meitzer  in  Zusammenhang  mit  der  Friedr  eich’schen  Ataxie  bringen 
zu  können.  Die  Ataxie  beruht  ja  auf  einer  degenerativen  Erkrankung  der  weißen 
und  z.  T.  auch  der  grauen  Substanz  der  Medulla  spinalis  und  es  wäre  theo¬ 
retisch  wohl  denkbar,  daß  diese  Degeneration  auch  die  Stelle  des  vierten 
Ventrikels  in  Mitleidenschaft  gezogen  hat,  deren  experimentelle  Verletzung 
beim  Zuckerstich  Diabetes  verursacht.  Verschiedene  Literaturangaben  lassen 
diese  Vermutung  nicht  unmöglich  erscheinen.  F.  Walther. 


Alimentäre  Lävulosurie. 

(A.  v.  Sabatowski.  Wiener  klin.  Wochenschr.,  Nr.  22,  1908.) 

Die  Seliwanof  f’sche  Reaktion  ist  bis  zu  einer  Verdünnung  von  0,005% 
positiv.  Die  Untersuchungen  des  Verfassers  erstreckten  sich  auf  78  Kranke, 
darunter  20  Fälle  von  Leberzirrhose.  Die  Patienten  bekamen  100  g  Lävulose 
auf  nüchternen  Magen.  Nur  zwei  Fälle  von  Leberzirrhose  waren  negativ. 
Auch  bei  Ikterus  catarrhalis  war  die  Reaktion  stets  positiv;  ein  Gallen¬ 
abschluß  ist  zu  ihrem  Zustandekommen  nicht  nötig,  vielmehr  beruht  sie  auf 
einer  toxischen  Parenchymerkrankung  der  Leber.  Auf  gleiche  Weise  ist 
die  häufige  Lävulosurie  bei  Typhus  und  Pneumonie  zu  erklären.  Bei  16  Kranken 
mit  Stauungsleber  war  die  Reaktion  mit  einer  Ausnahme  negativ,  weil  die 
Gewebsschädigung  erst  relativ  spät  die  periportale  Zone  der  Acini  erreicht. 
Auch  bei  Diabetes  ist  die  Lävulosurie  selten.  E.  Oberndörffer. 


Eine  neue  Harnsäure-Reaktion. 

(Ganassini.  Soc.  med.  chir.  de  Padova,  10.  April  1908.  —  Gazette  med.  de  Paris, 

Nr.  25,  1908.) 

Eine  wässerige  Lösung  von  Harnsäure  oder  einem  harnsauren  Salz 
gibt  mit  einer  wässerigen  Lösung  von  Zinksulfat  einen  gelatinösen  Nieder¬ 
schlag  von  basisch  harnsaurem  Zink.  Sammelt  man  diesen  Niederschlag 
auf  einem  Filter,  so  nimmt  er  allmählich  —  offenbar  durch  Luftoxydation  — 
eine  grünliche,  dann  eine  himmelblaue  Farbe  an.  _ 

Die  Probe  sei  feiner  als  die  Murexydprobe ;  Eiweißkörper  stören 
sie  nicht.  Buttersack  (Berlin). 


Referate  und  Besprechungen. 


467 


Zur  Pathologie  und  Anatomie  des  Skorbuts. 

(T.  Säte  u.  K.  N ambu.  Virchows  Archiv  für  pathol.  Anatomie,  Bd.  194,  S.  151,  1908.) 

Die  Arbeit  gründet  sich  auf  die  Untersuchung  von  etwa  700  Mann 
der  kriegsgefangenen  russischen  Besatzung  von  Port  Arthur,  mit  13  Sek¬ 
tionen. 

Die  Verff.  kommen  zu  dem  Schlüsse,  daß  die  bisherige  Theorie,  daß 
der  Skorbut  nur  auf  dem  Mangel  von  frischem  Pleisch  und  Gemüse,  d.  h. 
auf  der  verminderten  Kalizufuhr  beruhe,  nicht  haltbar  sei,  daß  der  Skorbut 
vielmehr  eine  spezifische  Infektionskrankheit  sei,  welche  sich  besonders  gern 
einer  fehlerhaften  Ernährungsart  und  ungünstigen  hygienischen  Verhältnissen 
anschließt  Die  Hauptsymptome  bestehen  in  der  Alteration  des  Blutes  (Ver¬ 
minderung  der  roten  Blutkörperchen  und  des  Hämoglobingehaltes)  und  der 
hämorrhagischen  Diathese.  Die  Ursache  der  Blutung  beruht  wahrscheinlich 
auf  vermehrter  Durchlässigkeit  der  Kapillaren  und  feineren  Gefäße,  be¬ 
dingt  durch  unbekannte  Veränderungen  an  denselben  infolge  der  Blutalte- 
rationi.  Was  die  letztere  betrifft,  so  halten  es  die  Verff.  für  sehr  wahr¬ 
scheinlich,  daß  im  Blute  eine  toxische  Substanz  zirkuliert,  die  Blut,  Ge¬ 
fäßwände  und  innere  Organe  schädigt.  W.  Risel  (Zwickau). 


Polyglanduläre  Störungen  (in  Hypophysis,  Thyreoidea,  Ovarium). 

(L.  Renon,  Arth.  Delille,  Monier-Vinard.  Soc.  möd.  des  hopit.,  4.  Dez.  1908.  — 

Tribüne  med.,  S.  760,  1908.) 

Vor  einiger  Zeit  hatten  Claude  und  Gougerot  in  der  Revue  de  Mede- 
cine  (1908,  Nr.  10/11)  den;  Satz  aufgestellt,  daß  die  innere  Sekretion  zumeist 
nicht  in  einer  einzelnen  der  mysteriösen  Drüsen  gestört  sei,  sondern  in  allen, 
wenn  auch  bald  in  dieser,  bald  in  jener  mehr  in  die  Erscheinung  tretend.  Ge¬ 
wissermaßen  als  Illustration  hierzu  stellten  Renon,  Delille  und  Monier- 
Vinard  in  der  Societe  medical  e  des  hopitaux  ein  16 jähriges  Mädchen  vor 
mit  folgenden  Erscheinungen: 

1.  Das  Mädchen  war  ungewöhnlich  groß:  1,68  m,  aber  nicht  proportio¬ 
niert  entwickelt:  Spannweite  der  Arme  =  1,80  m;  Länge  der  Beine  =  1,03  m. 

2.  Auf  Erkrankung  der  Hypophysis  deuteten  Anfälle  von  heftigen 
Kopfschmerzen  mit  dem  Sitz  zwischen  Orbita  und  Schläfe,  Schwindel,  Brech¬ 
neigung,  weiße  Atrophie  der  Papillen,  Verbreiterung  der  Sella  turcica  (radio- 
skopisc.h  festgestellt). 

3.  Insuffizienz  seitens  der  Thyreoidea:  Verstopfung,  kalte  Eüße,  trübe 
Gedanken,  Fehlen  eines  Schilddrüsenkörpers  beim  Betasten,  reichliche  Fett¬ 
entwicklung  am  Rumpf. 

4.  Insuffizienz  der  Ovarien :  Amenorrhoe,  Kreuzschmerzen,  infantile 
Brüste,  männliches  Becken,  Fehlen  der  Scham-  und  der  Achselhaare,  fliegende 
Hitze  mit  Schweißausbrüchen. 

Mag  auch  im  einzelnen  viel  Hypothetisches  mit  unterlaufen,  so  muß 
doch  das  physiologische  Denken,  welches  die  Störung  von  Funktionen  über 
die  anatomische  Veränderung  eines  isoliert  betrachteten  Organes  stellt,  als 
Reaktion  gegen  das  deskriptiv-anatomische  Denken  begrüßt  werden. 

Butter  sack  (Berlin). 


Thyreoidea  und  Fettsucht. 

(Labbe  u.  Furet.  Soc.  de  Biologie,  Nov.  1908.  —  Bull,  med.,  1908.) 

Während  man  allgemein  annimmt,  daß  mit  Hilfe  der  Schilddrüsen  - 
Therapie  die  Fettsucht  zu  bekämpfen  sei,  haben  Labbe  und  Furet  auf 
Grund  von  Stoffwechselversuchen  herausgebracht,  daß  Schilddrüsenpräparate 
die  Muskeln  zerstören,  die  Verbrennung  des  Fettes  hindern  und  somit  einer 
Entfettung  entgegenwirken. 


30* 


468 


Referate  und  Besprechungen. 


„Ipsaque  praxeos  principia  tantopere  turbata  sunt,  ut  inter  peritissimos 
hodie  non  facile  constet,  quid  tenendum  ?  cui  credendum  ?  qua  demum  via 
progrediendum  sit?“  (Baglivi,  opera  omnia  medico-practica,  edit.  IX.  Ant. 
werpiae  MDCCXV,  S.  121.)  Buttersaok  (Berlin). 


Aus  dem  pathologischen  Institut  der  Universität  Göttingen. 

Zur  Differentialdiagnose  der  Leukämien. 

(Priv.-Doz.  Dr.  Walter  H.  Schultze.  Münch,  med.  Wochr.,  Nr.  4,  1909.) 

Während  die  Unterscheidung  der  chronischen  lymphoiden  und  myeloischen 
Leukämien  keine  Schwierigkeit  bereitet,  ist  die  Differntialdiagnose  der  akuten 
Formen  schwieriger.  Als  wertvolle  diagnostische  Hilfsmittel  bezeichnet 
Schultze  1.  die  genaue  histologische  Untersuchung  der  Organe.  Er  konnte 
eine  Myeloblastenleukämie  beschreiben,  bei  der  das  lymphoide  Gewebe  völlig 
atrophisch  und  durch  myeloblastisches  verdrängt  war.  Umgekehrt  sind  Fälle 
von  lymphoider  Leukämie  bekannt,  bei  denen  das  lymphoide  Gewebe  ge¬ 
wuchert  war. 

2.  Die  morphologischen  Unterschiede  zwischen  Myelo-  und  Lymphoblasten, 
wie  sie  Schridde  beschrieben  hat,  die  aber  praktisch  nicht  so  große  Be¬ 
deutung  haben. 

3.  Die  chemischen  Verschiedenheiten,  die  zwischen  den  Zellen  der  Knochen¬ 
mark-  und  lymphatischen  Reihe  bestehen.  Die  Knochenmarkzellen  und  vor 
allem  die  Leukozyten  sind  Träger  verschiedener  Fermente,  die  Lymphozyten 
nicht.  Solche  Fermente  sind  ein  proteolytisches,  ohne  allgemeine  praktische 
Bedeutung  und  ein  oxydatives,  das  nur  den  Leukozyten  zukommt.  Sein 
Vorhandensein  hat  zu  zwei  verschiedenen  Reaktionen  geführt.  Die  eine 
besteht  in  der  Verwendung  der  Guajaktinktur,  die  Leukozyten,  nicht  aber 
Lymphozyten  zu  bläuen  vermag,  die  andere  wichtigere  ist  die  sogenannte 
Oxydasereaktion  oder  Indophenoblausynthese.  Ihre  Ausführung  ist  am  besten 
im  Original  nachzulesen.  Sie  kann  sowohl  an  formolfixiertem  Material,  wie 
auch  an  Blutpräparaten  ausgeführt  werden  und  hat  nur  den  einen  unwesent¬ 
lichen  Nachteil,  daß  die  Präparate  nur  für  Stunden  haltbar  sind. 

F_  Wälth'er. 


Beeinflussung  der  Gerinnbarkeit  des  Blutes  als  Prophylacticum. 

(Ch ant em esse.  Bull,  med.,  Nr.  3,  S.  21,  1909.) 

Nach  den  Arbeiten  der  letzten  Jahre  weiß  man,  daß  die  Eiweißkörper 
des  Blutplasmas  sich  in  verschiedenen  Molekularzuständen  befinden,  die  einen 
mehr  im  Zustand  der  Suspension,  die  andern  mehr  in  Lösung,  und  dabei 
spielen  die  Salze  insofern  eine  Rolle,  als  die  Kalksalze  die  Gerinnung  be¬ 
fördern,  die  Zitrate,  Oxalate,  Fluorverbindungen  dagegen  die  Löslichkeit. 
Durch  Zuführen  dieser  Salze  kann  man  die  Gerinnfähigkeit  nach  Belieben 
beeinflussen :  c’est  le  jeu  d’un  balancier  qu’on  meut  ä  volonte. 

Ch.  hat  nun  gefunden,  daß  bei  Typhuskranken  vor  Darmblutungen 
die  Gerinnfähigkeit  des  Blutes  abgenommen,  nach  denselben  zugenommen 
hatte;  ebenso  verhielten  sich  Frauen  mit  Uterusfibromen  vor  und  nach  der 
Operation.  Durch  Eingeben  von  Kalziumchlorid  (4 — 6  g  in  viel  Wasser 
täglich)  bezw,  von  Acid.  citr.  (12 — 18  g  pro  die,  aber  nur  während  2  bis 
3  Tagen)  kann  man  die  Gerinnfähigkeit  regulieren  und  insbesondere  drohende 
Phlebitiden  bezw.  Thrombosen  wirksam  bekämpfen.  Leider  ist  die  Methode, 
im  gegebenen  Falle  die  Gerinnfähigkeit  des  Blutes  festzustellen,  etwas  um¬ 
ständlich,  und  auch  die  Therapie  dürfte  nicht  nach  jedermanns  Geschmack 
sein.  Buttersack  (Berlin). 


Referate  und  Besprechungen. 


469 


Chirurgie. 

Über  offene  und  subkutane  Verletzungen  der  Bauchorgane. 

(Oberarzt  Dr.  Lampe,  Bromberg.  Med.  Klinik,  Nr.  34,  1908. 

Lampe  bespricht  in  einem  äußerst  interessanten  Vortrage  die  Symptome 
der  Bauch  Verletzungen,  deren  richtige  Deutung  ja  oft  außerordentlich  schwierig 
ist,  von  deren  richtigem  Erkennen  aber  meist  das  Leben  der  Bauchverletzten 
abhängt.  Zumal  die  subkutanen  Verletzungen,  bei  denen  keine  Verletzung 
der  äußeren  Bauchhaut  zu  bemerken  ist,  bieten  diagnostische  Schwierigkeiten, 
und  von  dem  Handeln  des  zunächst  zugezogenen  Arztes,  also  im  allgemeinen 
des  praktischen  Arztes,  ob  konservatives  oder  operatives  Verfahren,  wird 
es  abhängen,  ob  der  betreffende  Patient  noch  zu  retten  ist  oder  nicht. 
Es  handelt  sich  also  um  die  Erühdiagnose  in  der  Indikationsstellung  für 
chirurgisches  Eingreifen.  Wenn  man  von  den  Fällen  schwerer  innerer  Blutung 
absieht,  bei  denen  sich  unter  den  Augen  des  Arztes  die  Zeichen  schnell  zu¬ 
nehmender  Anämie  entwickeln,  wenn  man  ferner  absieht  von  jenen  Fällen, 
in  denen  bei  breit  klaffender  Verletzung  der  Bauchwand  eine  direkte  In¬ 
spektion  der  verletzten  Eingeweide  möglich  ist,  so  müssen  wir  bekennen, 
daß  die  so  dringend  nötige  Frühdiagnose  unmittelbar  nach  dem  Unfall 
oft  nicht  zu  stellen  ist.  Aus  dem  Auftreten  eines  Nervenschokes  nach  Bauch¬ 
verletzungen  kann  man  bestimmte  Schlüsse  nicht  ziehen ;  er  kann  in  aus¬ 
ausgesprochenem  Maße  vorhanden  sein  bei  einer  einfachen  Kontusion  der 
Bauchdecken,  und  er  kann  fehlen  bei  schwerer  Mitbeteiligung  der  Bauch¬ 
organe,  so  daß  Leute  mit  zerborstenem  Darm,  mit  rupturierter  Milz  sich 
bald  nach  dem  Unfall  zu  Fuß  nach  Haus  oder  in  die  Wohnung  des  Arztes 
begeben  können.  In  solchen  Fällen  bleibt  nichts  anderes  übrig,  als  einmal 
an  der  Hand  von  Erfahrungstatsachen,  andererseits  unter  Berücksichtigung 
des  anatomischen  Sitzes  der  Verletzung  und  schließlich  unter  Analyse 
des  Verletzungsmechanismus  im  einzelnen  Falle  eine  Wahrscheinlichkeits¬ 
diagnose  zu  stellen,  um,  wenn  irgend  möglich  schon  vor  dem  Eintreten  deut¬ 
licher  diagnostischer  Merkmale  die  chirurgische  Intervention  herbeizuführen. 
Von  den  Erfahrungstatsachen  müssen  wir  bezüglich  der  offenen  Verletzungen 
der  Bauchhöhle  folgende  kennen:  Schußverletzungen  gehen  so  gut  wie 
immer  mit  Verletzungen  der  inneren  Organe  einher.  Also  unbedingt  Laparo¬ 
tomie!  Bei  Stichverletzungen  können  die  Darmschlingen  eventuell  aus- 
weichen;  ist  der  Stich  aber  mit  einem  scharfen,  spitzen  Instrument  und  mit 
großer  Kraft  ausgeführt,  so  kommt  es  auch  hier  in  den  meisten  Fällen  zu 
Verletzungen  der  Bauchorgane.  Also  meist  Laparotomie,  und  lieber  einmal 
mehr  die  Bauchhöhle  revidieren  lassen,  als  einmal  zu  wenig !  Dies  über  die 
offenen  Verletzungen. 

Hinsichtlich  der  subkutanen  Verletzungen  der  Bauchhöhle  wissen 
wir,  daß  schnell  und  zirkumskript  die  Bauchhöhle  treffende  Gewalten,  wie 
Huf  schlag,  Stoß  usw.,  zumeist  innere  Verletzungen  verursachen.  Trifft  der 
Schlag  die  blutreichen  drüsigen  Organe,  so  kommt  es  zu  einer  Ruptur  derselben 
im  Sinne  einer  hydraulischen  Sprengung  (Leber,  Milz),  trifft  er  die  Hohl¬ 
organe  (Darm),  so  kommt  es  durch  Überspannung  der  Elastizitätsgrenze 
derselben  zu  Berstungen.  Ebenso  führen  die  schweren  Gewalteinwirkungen, 
Überfahren,  Verschütten,  Pufferquetschungen  meistens  zu  inneren  Verletzungen. 
Hier  kommt  es  meist  zu  Zerreißungen  des  Darmes,  besonders  gern  an  der 
Flexura  duodeno-jejunalis  oder  zum  Abreißen  des  Darmes  von  seinem  Mesen¬ 
terium  durch  Anpressen  gegen  die  Wirbelsäule.  In  allen  diesen  Fällen,  direkt 
nach  der  Verletzung,  muß  man  sich  also  mit  der  Wahrscheinlichkeitsdiagnose 
begnügen. 

Anders  steht  es  mit  der  Diagnose,  wenn  bereits  einige  Stunden  nach 
dem  Unfall  verstrichen  sind.  Ausgetretener  Darminhalt  oder  ausgetretenes. 
Blut  haben  dann  bereits  die  erste  Reizung  des  Bauchfells  gesetzt,  das  eine 
Mal  im  Sinne  einer  Entzündung,  das  andere  Mal  im  Sinne  einer  Fremdkörper¬ 
reizung,  und  es  kommt  nun  alles  darauf  an,  diese  erste  peritoneale  Reizung 


470 


Referate  und  Besprechungen. 


festzustellen  und  richtig  zu  deuten,  weil  in  diesem  „relativen  Frühstadium“ 
durch  chirurgische  Hilfe  meist  noch  Bettung  möglich  ist.  Das  erste  dia¬ 
gnostische  Merkmal  dieser  ersten  peritonealen  Reizung  ist  die  Spannung  der 
Bauchdecken,  die  Spannung  der  Muskulatur  der  vorderen  Bauchwand.  Dieses 
Symptom  ist  überaus  wichtig  und  sichertauch  noch  eine  „relative  Frühdiagnose“, 
zu  einer  Zeit,  wo  man  chirurgisch  noch  helfen  kann.  Dieser  Bauchmuskel¬ 
spasmus  ist  entweder  im  Bereich  der  ganzen  vorderen  Bauchmuskulatur 
bemerkbar,  oder  die  geraden  Bauchmuskeln  sind  besonders  gespannt,  oder 
der  Spasmus  ist  auf  die  Muskelpartie  über  dem  Ort  der  inneren  Verletzung 
beschränkt.  Das  Eindrücken  der  gespannten  Bauchwand  wird  häufig  schmerz¬ 
haft  empfunden;  hin  und  wieder  findet  man  auch  das  sog.  B 1  umber g- 
sche  Zeichen,  daß  nämlich  der  Schmerz  erst  auf  tritt  im  Moment  des  Nach¬ 
lassens  des  Druckes,  bei  dem  Zurückfedern  der  Bauchwand.  Dazu  kommt 
als  zweitwichtiges  Symptom:  ein  beschleunigter  Puls  und  mit  ihm  kor¬ 
respondierend  beschleunigte  oberflächliche  Atmung.  Diesen  Haupt¬ 
symptomen  gesellt  sich  zu:  fahle  Gesichtsfarbe,  kühle,  spitze  Nase,  ängst¬ 
licher  Gesichtsausdruck,  Leibschmerzen,  Brechreiz.  In  vorgerückteren  Fällen 
kommen  dann  eventuell  auch  die  physikalischen  Zeichen  der  Gas-  und  Flüssig¬ 
keitsansammlung  in  der  freien  Bauchhöhle  hinzu;  es  muß  aber  ausdrücklich 
betont  werden,  daß  es  grundfalsch  ist,  auf  diese  Symptome  zu  warten,  denn 
dann  ist  es  zur  Operation  meist  schon  zu  spät. 

Wir  kommen  nun  noch  zu  den  Fällen,  wo  die  Frühdiagnose  ärztlicher¬ 
seits  „verpaßt“  ist,  oder  wenn,  wie  das  ziemlich  oft  vorkommt,  der  Arzt  zu¬ 
nächst  überhaupt  nicht  zugezogen  worden  ist.  Es  ist  ja  eben  das  Heimtückische 
vor  allem  der  subkutanen  Verletzungen,  daß  der  Verletzte  die  Mitbeteiligung 
der  Bauchorgane  zunächst  gar  nicht  empfindet  oder  daß  nach  Überstehen 
eines  geringen  Sc'hoks  eine  Periode  relativen  Wohlbefindens  eintritt.  Die 
Katastrophe  kommt  dann  aber,  bei  Berstuugen  des  Darms  in  Form  der  sep¬ 
tischen  Peritonitis,  bei  Ruptur  der  drüsigen  Organe  in  Form  der  Nachblutungen 
oder  der  Verjauchung  des  Blutextravasates.  Nur  wenige  Fälle  heilen  spontan 
aus  oder  können  durch  die  Spätoperation  noch  gerettet  werden. 

Diese  Ausführungen  belegt  Lapppe  mit  einer  Anzahl  von  Kranken¬ 
geschichten.  Zunächst  Fälle  mit  „relativer  Frühdiagnose“ :  1.  elfjähr. 
Junge  schießt  sich  versehentlich  mit  einer  Teschingpistole  in  den  Unter¬ 
leib,  geht  noch  den  halben  Kilometer  zu  Fuß  nach  Haus,  kommt  5  Stunden 
nach  der  Verletzung  in  die  Klinik  :  Allgemeineindruck  gut,  Puls  und  Atmung 
normal,  Einschußöffnung  3  Querfinger  über  dem  Nabel,  Musikeispasmus 
der  vorderen  Bauohwand,  bes.  links-  Laparotomie.  2  Darmschlingen 
sind  durchschossen.  Heilung.  2.  Messerstich  in  den  Bauch.  8  Stunden  da¬ 
nach  in  die  Klinik :  Gesicht  fahl,  ängstlicher  Gesichtsausdruck,  ziemlich 
unruhig,  Puls  96,  Atmung  oberflächlich,  beschleunigt.  Einstich  Öffnung  unter¬ 
halb  des  Rippenbogens,  aus  der  Wunde  sieht  Netz  heraüs,  gespannte  Baudh- 
decke,  leichter  Meteorismus.  Laparotomie.  Das  Netz  ist  in  Länge  von1  6  cm 
von  der  großen  Kurvatur  des  Magens  abgetrennt.  Ein  Magenblutgefäß  spritzt 
stark.  Heilung.  3.  Huftritt  gegen  die  linke  Brustseite.  14  Stunden  danach 
in  der  Klinik:  blasse  Hautfarbe,  Nase  spitz  und  kühl,  große  psychische 
Unruhe,  Puls  schwach,  100  pro  Minute.  Atmung  sehr  frequent.  Abdomen 
meteoristisch,  stark  gespannte  Recti.  Im  linken  oberen  Bauchquadranten 
deutliche  Dämpfung.  Diagnose:  innere  Blutung,  eventuell  Milzruptur.  Lapa¬ 
rotomie:  Milzruptur.  Da  aber  die  Milz  zahlreiche  Verwachsungen  aufwies, 
wird  von  der  sonst  einzig  richtigen  Behandlung  der  Milzexstirpation  abge¬ 
sehen  und  fest  tamponiert.  Heilung.  4.  Durch  Sturz  aus  4  Meter  Höhe 
Milzruptur.  Aufnahme  nach  ca.  24  Stunden.  Milzexstirpation.  Heilung. 
5.  Schlag  mit  einer  Wagendeichsel  gegen  den  Unterbauch.  Sofort  ohnmächtig, 
schwerer  Schok.  19  Stunden  darauf  in  der  Klinik :  Pat.  blaß,  hohläugig, 
Nasenspitze  kühl,  Puls  klein,  frequent,  Leib  meteoristisch  aufgetrieben, 
Baudhdecken  gespannt.  Harnblase  nicht  zu  palpieren  oder  zu  perku- 
tieren,  trotzdem  Pat.  24  Stunden  trotz  reichlicher  Wasserzufuhr  nicht  uri¬ 
niert  hat;  Harndrang,  ohne  daß  Pat.  imstande  wäre,  Harn  zu  lassen. 


Referate  und  Besprechungen. 


471 


Diagnose:  intraperitoneale  Blasenruptur.  Laparotomie:  intraperitonealer  Bla¬ 
senriß.  Naht.  Gazedrain,  Heilung. 

Die  Spätoperationen  haben  selbstredend  viel  schlechtere  Prognose: 

Fall  1.  Schlag  mit  einer  Maschine  gegen  den  Bauch.  Geringer  Schok, 
am  nächsten  Tag  Übelkeit,  Brechneigung ;  am  dritten  Tag  Erbrechen,  das 
schließlich  kotig  wird.  Am  vierten  Tag  zum  Chirurgen:  Gesichtsfarbe  blaß, 
Nasenspitze  kühl,  Puls  klein,  112  pro  Min.,  Abdomen  meteoristisch  aufge¬ 
trieben,  in  der  Höhe  der  Kontusionsstelle  des  Bauches  leichte  Resistenz- 
Laparotomie;  diffuse  Peritonitis,  an  der  Verletzungsstelle  ein  zweifaust¬ 
großes  Konglomerat  von  Dünndarmschlingen,  von  denen  eine  einen  Defekt 
von  Markstückgröße  trägt.  Exitus  vier  Tage  nach  der  Operation.  Fall  2. 
Pufferquetschung  im  Oberbauch  durch  Lokomotive.  Ohnmacht  von  wenigen 
Minuten,  Patient  geht  zu  Fuß  nach  Haus.  Am  nächsten  Tag  zweistündige 
Bahnfahrt.  Die  nächsten  Tage  leidliches  Wohlbefinden,  Darmtätigkeit  in 
Ordnung.  Nach  acht  Tagen  plötzlich  schwere  Verschlimmerung:  Blässe,  kalter 
Schweiß,  Ohnmachtsanwandlungen.  Aufnahme  in  die  Klinik :  Puls  136,  sehr 
klein,  schwerer  Kollaps,  Abdomen  mäßig  aufgetrieben,  gespannte  Recti.  Aus¬ 
gesprochene  Dämpfung  im  linken  oberen  Bauchquadranten.  Diagnose:  Innere 
Blutung,  Milzruptur  mit  Nachblutung.  Laparotomie:  In  der  Bauchhöhle 
reichlich  flüssiges  Blut,  über  der  Milz  geronnenes  Blut.  Mehrere  Milzrisse. 
Pankreas  zeigt  zahlreiche  Rißquetschwunden.  Tamponade.  Von  der  Milz¬ 
exstirpation  muß  Abstand  genommen  werden  wegen  des  pulslosen  Zustandes 
des  Patienten.  Exitus  zwölf  Stunden  nach  der  Operation.  — 

Fall  3.  Eine  Teschingpatrone  dringt  einem  9jährigen  Knaben  durch 
Spielerei  mit  der  Patrone  in  die  Bauchwand  zwischen  Nabel  und  Symphyse. 
Kein  Arzt  zugezogen,  da  die  Einschußöffnung  vom  Vater  nur  für  eine 
Brandwunde  gehalten  wird.  Am  Ende  des  zweiten  Tages  Verschlechterung 
des  Zustandes.  Am  vierten  Tage  Zeichen  der  diffusen  Peritonitis.  Lapar¬ 
otomie:  Aus  der  Bauchhöhle  stürzen  Eiter  und  Kot  hervor.  Zwei  der 
geblähten,  mit  eitrigen  Fibrinmembranen  bedeckten  Darmschlingen  sind  durch¬ 
schlagen.  Naht  des  Darmes.  Ausspülen  der  Bauchhöhle.  Drainage.  Heilung 
wider  alles  Erwarten,  indem  die  Peritonitis  allmählich  zurückgeht  und  die 
Peristaltik  in  Ordnung  kommt.  —  Härting  (Leipzig). 


Hautkrankheiten  und  Syphilis.  —  Krankheiten  der  Harn-  und 

Geschlechtsorgane. 

Therapie  des  Hautkrebses. 

(E.  Gaucher.  Assoc.  franeaise  pour  Petude  du  cancer,  21.  Dezember,  1908.  —  Rev. 

de  med.,  Januar  1909.  (Supplement.) 

Gaucher  ist  ein  ausgesprochener  Feind  des  Messers  bei  Hautkrebsen; 
denn  er  sah  immer  die  Operierten  früher  sterben  als  die  Nichtoperierten. 
Statt  dessen  empfiehlt  und  verwendet  er  auf  seiner  Abteilung  die  Kaute¬ 
risation  bei  kleinen  Kankroiden  (von  etwa  Markstückgröße),  das  Radium 
bei  größeren  Neoplasmen  und  solchen  der  Schleimhäute,  endlich  bei  ganz 
großen  und  tiefulzerierten  die  Fulguration.  Buttersack  (Berlin). 


Weitere  Beiträge  zur  ätiologischen  Therapie  der  Syphilis. 

Dr.  Ludwig  Spitzer,  Wien.  Deutsche  med.  Wochensehr.,  Nr.  1,  1909.) 

Die  Technik  der  aktiven  Immunisierung  Luetischer  besteht  darin,  daß 
die  verriebenen  Sklerosen  unter  aseptischen,  aber  nicht  antiseptischen  Vor¬ 
sichtsmaßregeln  in  das  subkutane  Gewebe  der  Umgebung  des  Nabels  inji¬ 
ziert  werden.  ; 

Diese  Sklerosen  werden  anfangs  stark  verdünnt  (1 :  200),  später  immer 
konzentrierter  (1 :  20)  eingespritzt.  Die  Zahl  der  Injektionen  schwankt  zwischen 


472 


Referate  und  Besprechungen. 


14  und  20.  Eine  lokale  Reaktion  konnte  Spitzer  nie  beobachten,  desgleichen 
keine  subjektiven  Beschwerden  von  seiten  der  Patienten.  Die  ersten  Beob¬ 
achtungen  im  Jahre  1905  an  15  JUranken  hatten  ergeben,  daß  der  Ablauf  der 
Erscheinungen  bei  frisch  Infizierten  anscheinend  günstig  beeinflußt  wird. 
Jetzt  kann  er  über  23  Fälle  berichten,  bei  dem  die  durch  den  Spirochäten¬ 
nachweis  zeitiger  mögliche  Diagnose  von  Bedeutung  ist.  Von  diesen  23  Patien¬ 
ten  blieben  bei  10  die  Allgemeinerscheinungen  der  Lues  aus,  wobei  zu  be¬ 
merken  ist,  daß  er  dieselben  lange,  d.  h.  1V2 — 4  Jahre  in  Beobachtung  be¬ 
hielt.  Bemerkenswert  war  bei  einem  Luetiker,  daß  er  sich  21/2  Jahre  nach 
der  Infektion,  während  deren  er  frei  von  Allgemeinerscheinungen  geblieben 
war,  von  neuem  mit  Syphilis  infizierte. 

Trotz  dieser  günstigen  Ergebnisse  möchte  Spitzer  es  doch  nicht  wagen, 
diese  10  Kranken  frei  von  Syphilis  zu  erklären.  F.  Walther. 


Aus  der  Königl.  Universitätsklinik  für  Hautkrankheiten  in  Kiel.  Prof.  Dr.  Klingmüller. 

Die  praktische  Bedeutung  der  Serodiagnostik  bei  Lues. 

(Priv.-Doz.  Dr.  Fr.  Behring,  Oberarzt.  Münch,  med.  Wochenschr.,  Nr.  48,  1908.) 

Behring  hat  bei  seinen  Untersuchungen  die  Bauer’sche  Modifikation 
der  Wassermann-Neißer-Bruck’schen  Seroreaktion  verwendet,  deren  Vor¬ 
teile  darin  bestehen,  daß  kein  Hammelblutimmunkörper  und  weniger  Serum 
nötig  ist.  Kontrolluntersuchüngen  haben  die  völlige  Zuverlässigkeit  der 
Methode  ergeben.  Bei  primärer  Lues  waren  die  Befunde  relativ  wenig  positiv, 
bei  sekundärer  fast  immer.  W ährend  der  positive  Ausfall  die  Diagnose  sichert, 
ist  der  negative  Ausfall  sehr  vorsichtig  zu  verwerten.  Behring  hält  die  Serum¬ 
reaktion  für  ein  sehr  wertvolles  (diagnostisches  Hilfsmittel,  sowohl  in  diffe¬ 
rentialdiagnostischer  Beziehung  als  auch  in  Fällen,  wo  eine  klinisch  nicht 
mit  voller  Sicherheit  zu  stellende  Diagnose  gesichert  und  kontrolliert  wer¬ 
den  soll. 

Für  die  Therapie  hat  die  Reaktion  vorläufig  noch  keine  so  hohe  Be¬ 
deutung.  Bei  einem  Primäraffekt  ist  es  ratsam,  noch  vor  dem  positiven 
Ausfall  die  Behandlung  energisch  einzuleiten«  Durch  ein  derartiges  Ver¬ 
fahren  können  zuweilen  Sekundärerscheinungen  verhütet  werden  und  der 
Ausfall  der  Reaktion  negativ  bleiben.  Weiter  hat  man  gefunden,  daß  durch 
Quecksilberbehandlung  der  Ausfall  der  Serumreaktion  beeinflußt  wird,  und 
es  empfiehlt  sich  daher  stets,  die  positive  Reaktion  in  eine  negative  umzu¬ 
wandeln,  also  der  chronisch  intermittierenden  Behandlung  den  Vorzug  vor 
der  symptomatischen  zu  geben.  Vor  einer  allzuhohen  Bewertung  der  Reaktion 
für  die  Therapie  ist  aber  zu  warnen,  da  es  in  dieser  Beziehung  noch  allzuviel 
schwierige  Fragen  zu  lösen  gibt.  F.  Walther. 


Zur  Syphilisbehandlung  mit  grauem  Öl. 

(Dr.  Geyer,  Zwickau.  Münch,  med.  Wochenschr.,  Nr.  4,  1909.) 

Da  Injektionen  mit  grauem  Öl  und  anderen  Quecksilberemulsionen  ziem¬ 
lich  gefährlich  sind,  hat  Geyer  ein  Verfahren  ausgesonnen,  das  jeder  Arzt 
ausführen  kann.  Er  kocht  10  g  Olivenöl  in  einer  weithalsigen  Flasche  aus, 
läßt  es  auf  40°  abkühlen  und  fügt  30  g  ein  331/3°/0igen  Hg-Mitinsalbe 
hinzu,  wobei  darauf  zu  achten  ist,  daß  die  erste  kleine  Portion  abgestrichen 
wird.  Nach  gründlichem  Durschütteln  des  Gemisches  entsteht  eine  Salbe, 
die  bei  Zimmertemperatur  ziemlich  fest  ist.  In  erwärmtem  Zustand  füllt  man 
sie  in  Pravazspritzen,  die  man  zur  Vermeidung  von  Infektion  in  Formalin¬ 
kästen  aufbewahrt.  Je  nach  der  Masse  des  Körpers  injiziert  er  nun  1/i — 1/2 
Spritze  in  Zeiträumen  von  5 — 7  Tagen.  Mikroskopische  Untersuchungen  der 
Salbe  haben  stets  eine  feine  Verteilung  des  Quecksilbers  ergeben. 

F.  Walther. 


Referate  und  Besprechungen. 


473 


Uber  die  Behandlung  der  Prostatahypertrophie  mittels  Injektion  von 

artfremdem  Blut. 

(O.  Jüngling,  Berlin.  Deutsche  Zeitschr.  für  Chir.,  Bd.  95,  H.  6,  1908.) 

Die  Versuche,  durch  Einspritzung  entzündungserregender  Stoffe  in  patho¬ 
logisch  vergrößerte  Organe  auf  dem  Wege  sekundärer  Narbenschrumpfung 
eine  Verkleinerung  des  Organs  zu  erzielen,  sind  alt,  aber  längst  verlassen.  Bier 
hat  neuerdings  auf  Grund  der  nach  Einspritzung  artfremden  Blutes  bei  Kar¬ 
zinomen  gemachten  Beobachtungen  den  Gedanken  wieder  aufgenommen  und 
zwar  hat  er  artfremdes  Blut  in  die  Prostata  bei  Prostatikern  injiziert;  über 
15  so  behandelte  Fälle  berichtet  die  Arbeit  unter  ausführlicher  Wiedergabe 
der  Krankengeschichten. 

Benutzt  wurde  vorwiegend  Schweine-  und  Lammblut,  vereinzelt  Ilinder- 
blut.  Das  im  sterilen  Kolben  aufgefangene  Blut  wurde  3—4  Minuten  kräftig 
geschüttelt  und  vor  der  Injektion  durch  ein  steriles  Sieb  filtriert.  Während 
der  Zeigefinger  des  Operateurs  im  Rektum  des  in  Knieellenbogenlage  befind¬ 
lichen  Patienten  sich  befand,  wurde  durch  die  in  den  Damm  eingestoßene 
Hohlnadel  12 — 15  ccm  Blut,  verteilt  auf  verschiedene  Bezirke  der  Drüse,  in  die 
Prostata  eingespritzt.  Als  Folgeerscheinungen  fanden  sich  lokal  eine  ent¬ 
zündliche  Schwellung:  der  Prostata  bezw.  des  periprostatischen  Gewebes 
und  in  einzelnen  Fällen  Temperatursteigerungen  bis  38,8°.  Gerade  deshalb 
stellte  die  oft  in  kürzester  Frist  nach  der  Injektion  auftretende  spontane 
Urinentleerung  ein  sehr  auffälliges  Symptom  dar ;  vielleicht  wird  sie  erklärt 
durch  die  durch  die  Einspritzung  angeregte  Kontraktion  der  Prostatamusku¬ 
latur  oder  durch  die  bekannte  schmerzlindernde  Wirkung  des  entzündlichen 
Ödems.  Zur  Erzielung  eines  dauernden  Erfolgs  sind  selbstverständlich  stärkere 
Veränderungen  des  Gewebes  im  Sinne  einer  Narbenschrumpfung  erforderlich. 
Diese  anatomisch  mit  Sicherheit  nachzuweisen  ist  aus  leicht  verständlichen 
Gründen  nicht  möglich.  Auch  die  klinische  Beobachtung  gestattet  keine 
bindenden  Schlüsse.  Sichergestellt  ist  jedoch,  abgesehen  von  4  unbeeinflußt 
gebliebenen  Fällen,  eine  Besserung  des  Harnstrahles  und  eine  damit  Hand  in 
Hand  gehende  Herabsetzung  der  Zahl  der  Miktionen;  auch  die  Cystitis  wurde 
in  12  Fällen  erheblich  gebessert.  Über  die  Dauer  der  Besserung  läßt  sich  bei 
der  Kürze  der  Behandlungszeit  nichts  Bestimmtes  berichten.  Anscheinend 
sind  bei  kräftigen  Patienten  mit  akuter  Verhaltung  die  besten  Erfolge  zu 
erzielen.  Über  Zufälle  wurde  bisher  nichts  beobachtet. 

Ein  abschließendes  Urteil  ist  bisher  nicht  gewonnen;  trotzdem  fordern 
die  Beobachtungen  nach  Ansicht  des  Verf.  zu  weiteren  Versuchen  auf. 

F.  Kayser  (Köln). 


Die  Diagnose  und  Therapie  der  Reizzustände  in  der  Blase. 

(Pirkner.  Internat.  Journal  of  Surg.,  Sept.  1908.) 

Reizzustände  der  Blase  kommen  sowohl  in  der  Praxis  des  prakt.  Arztes 
als  des  Spezialisten  ziemlich  häufig  vor.  Wenn  man  von  den  Fällen  von 
Dysurie,  namentlich  bei  Kindern,  absieht,  so  handelt  es  sich  in  der  Praxis 
des  Gynäkologen  meist  um  schwangere  Frauen,  oder  um  solche,  bei  denen 
die  interne  Behandlung  erfolglos  blieb. 

D  a  es  sich  häufig  nur  um  lokale  Neurosen  handelt,  empfiehlt  P.  chirur¬ 
gische  Eingriffe,  wenn  eben  möglich,  zu  vermeiden. 

Dysurie  tritt  besonders  bei  Erkrankungen  der  Harnröhre,  der  Blase 
oder  der  der  Blase  benachbarten  Organe  und  Gewebe  auf,  sowie  auch  als 
rein  nervöse  Erscheinung. 

Erkrankungen  der  Harnröhre  beruhen  in  den  meisten  Fällen  auf  Ure¬ 
thritis  oder  Geschwülsten. 

Blasenkrankheiten  werden  durch  systematische  Prüfung  des  Urins  er¬ 
mittelt.  P.  beschreibt  eingehend  die  von  ihm  angewandte  Prüfungsmethode 
zur  Ermittlung,  welcher  Art  die  Blasenerkrankung  ist. 

Blasensteine  Werden  mit  dem  Zystoskop  sondiert.  Das  Zystoskop  ist 


474 


Referate  und  Besprechungen. 


häufig  das  beste  Mittel,  die  Beziehungen  zwischen  Erkrankung  der  Geschlechts¬ 
teile  und  der  Blase  zu  erkennen. 

Die  Behandlung  der  Dysurie  beruht  auf  der  Behandlung  der  einzelnen 
Symptome.  Bei  nervösen  Reizzuständen  der  Blase  sollten  Instrumente  nicht 
angewandt  werden,  da  sie  gelegentlich  Zystitis  hervorrufen,  oder  den  Zu¬ 
stand  verschlimmern. 

Zuweilen  beheben  Narkotika  in  Form  von  Suppositorien  die  Beschwer¬ 
den,  z.  B.  Opium  und  Belladonna  usw.  oder  auch  Nervina  und  Antispasmotika 
wie  z.  B.  die  Brompräparate  oder  deren  Baldrianderivate.  Es  ist  schwer, 
Regeln  darüber  aufzustellen.  Sollte  jedoch  ein  chirurgischer  Eingriff  not-, 
wendig  werden,  so  ist  die  erwähnte  interne  Behandlung,  vor  der  Operation 
angewandt,  von  Wert. 

Obgleich  ein  Spezifikum  gegen  die  verschiedenen  gynäkologischen  Be¬ 
schwerden  bei  Dysurie  nicht  zur  Verfügung  steht,  erfreuen  sich  die  Balsa¬ 
mika  berechtigter  Beliebtheit.  Das  für  die  innere  Darreichung  geeignetste 
Präparat  dieser  Art  ist  das  Santyl;  es  pflegt  die  Beschwerden  prompt  zu 
beheben.  Es  scheint  von  vornherein  als  Anästhetikum  auf  die  Blase  zu 
wirken,  so  daß  es  selten  nötig  ist,  noch  zu  einem  Sedativum  zu  greifen. 
P.  verordnet  gewöhnlich  25  Tropfen  Santyl  dreimal  täglich  auf  Zucker, 
oder  in  Fällen  von  Diabetes!  in  Kapseln.  Im  Gegensatz  zum  Oleum  Santali 
wild  das  Santyl  vorzüglich  vertragen  und  kann  längere  Zeit  verabreicht 
werden. 

In  rein  neurasthenischen  Fällen  pflegen  nach  6 — 10  Wochen  Rück¬ 
fälle  einzutreten,  die  durch  innere  Behandlung  jedoch  wieder  behoben  wer¬ 
den.  P.  betont  zum  Schluß,  daß  eine  lokale  Behandlung  (selbst  milde  Ein¬ 
spritzungen)  nur  bei  genauer  Beobachtung  der  technischen  Feinheiten  vor¬ 
genommen  werden  soll.  Neumann. 


Diätetik. 

Grundzüge  der  diätetischen  Behandlung  des  schweren  Diabetes. 

(Kolisch,  Wien-Karlsbad.  Zeitschr.  für  phys.  u.  diät.  Therap.,  Bd.  12,  1908/09.) 

„Non  is  tarnen  sum,  qui  negem  chimicis  laboribus  mirabiles  Opera¬ 
tionen  aliquando  fieri.  Seel  nego  semper  ubique  utile  esse“,  urteilte  Borelli 
in  seinem  berühmten  Werke  de  motu  animatium;  und  der  in  den  letzten 
Jahren  ob  seines  klinischen  Scharfsinnes  wieder  gefeierte  Bretormeau  be¬ 
klagte,  je  größer  seine  klinischen  Erfahrungen  wurden,  um  so  mehr  die 
verhängnisvollen  Mißgriffe,  zu  denen  ihn  seine  geliebte  Chemie  verleitet 
hatte,  „et  le  peu  de  partie  qu’il  en  avait  tire  pour  la  therapeutique“  (Trou|s- 
seau,  Clinique  medicale  II,  451).  Unwillkürlich  wird  man  daran  erinnert, 
angesichts  der  Kritik,  welche  Kolisch,  ein  klinisch  denkender  Kopf,  an 
den  chemischen  Theorien  des  Diabetes  übt.  Es  ist  natürlich  nicht  entfernt 
möglich,  den  Inhalt  des  vorliegenden  Aufsatzes,  der  ein  kritisches  Referat 
darstellt,  wiederzugeben;  so  yiel  aber  ist  jedenfalls  sicher,  daß  die  naive 
Vorstellung ,  welche  den  Zucker  einfach  durch  den  Körper  hindurchgehen 
läßt,  falsch  ist.  Der  Vorgang  ist  tiefer  zu  fassen  und  zwar  in  der  Weise, 
daß  der  normale  kontinuierliche  Vorgang  der  Abspaltung  von  Zucker  aus 
dem  Protoplasma  gesteigert  zu  denken  ist.  Normaliter  kreist  der  Zucker 
in  einer  komplizierten,  nicht-diffusiblen  Verbindung  im  Blut,  kann  somit 
nicht  von  den  Nieren  ausgeschieden  werden.  Wird  aber  das  Blut  mit  Zucker 
überschwemmt,  dann  kann  diese  nicht-diffusihle  Verbindung  nicht  herge¬ 
stellt  werden:  ergo  muß  er  im  Urin  auftreten. 

Für  den  physiologisch  Denkenden  erhebt  sich  natürlich  sofort  die  Frage: 
was  für  ein  Reiz  ist  es  denn,  der  diese  abnorme  Zuckerabspaltung  aus  der 
lebendigen  Substanz  bewirkt?  und  Ko  lisch  gibt  darauf  die  präzise  Antwort: 
das  Eiweiß  ist  jenes  Nahrungsmittel,  welches  den  größten  Reiz  auf  die 
Zelle  ausübt.  Woraus  die  Zelle  ihren  Zucker  fabriziert  hatte,  ob  aus  Kohle¬ 
hydraten,  Eiweißkörpern  oder  Fetten,  tritt  demgegenüber  in  den  Hintergrund. 


Referate  und  Besprechungen. 


475 


Die  praktischen  Konsequensen  ergaben  sich  daraus  leicht:  Zunächst 
ist  der  Organismus  auf  ein  niedrigeres  Nahrungsbedürfnis  einzustellen,  das 
Nahrungsausmaß  ist  auf  das  tunlichste  Minimum  herabzudrücken.  Haupt¬ 
sächlich  aber  sind  Eiweißkörper  zu  vermeiden,  und  tatsächlich  ertragen  die 
Diabetiker  diese  Reduktion  auf  50 — 60  g  ausgezeichnet,  ja  sie  setzen  dabei 
noch  N  an.  Am  unschädlichsten  ist.  Pflanzeneiweiß,  dann  —  gradatim  stei¬ 
gend  —  Ei,  Muskelfleiseh,  Kasein.  Gelingt  es,  die  Eiweißkörper  zu  ver¬ 
ringern,  so  kann  man  andereseits  ungestraft  entsprechend  mehr  Kohlehydrate 
geben,  und  das  läßt  sich  in  der  Praxis  am  besten  in  Eorm  vegetabilischer 
Kost,  namentlich  mit  Hilfe  frischer  Gemüse,  ermöglichen. 

Natürlich,  in  letzter  Linie  ist  nicht  das;  Eiweiß  als  abnormer  Reiz 
das  Wesentliche,  sondern  die  abnorme  Reizbarkeit  der  lebendigen  Substanz. 
Allein  hier  muß  die  Therapie  Halt  machen ;  denn  deren  Konstitution  zu 
beeinflussen,  sind  wir  noch  lange  außerstande.  Buttersack  (Berlin). 

Bedeutung  der  Karellkur  bei  der  Beseitigung  schwerer  Kreislaufstörungen 

und  der  Behandlung  der  Fettsucht. 

(L.  Jacob.  Münch,  med.  Wochenschr.,  Nr.  16 — 17,  1908.) 

Die  von  Karep.1  vor  40  Jahren  angegebene,  aber  fast  völlig  vergessene  Kur 
besteht  in  einer  rigorosen  Hunger-  und  Durstperiode  von  5 — 7  Tagen,  während 
welcher  der  Kranke  nur  4X200  ccm  Milch  zu  bestimmten  Tageszeiten  be¬ 
kommt.  In  den  nächsten  2 — 6  Tagen  kommt  dazu  ein  Ei  und  etwas  Zwie¬ 
back,  dann  2  Eier  und  Schwarzbrot,  gehacktes  Fleisch,  Gemüse  oder  Reis 
usw.,  bis  nach  ca.  12  Tagen  eine  gemischte  Kost  erreicht  ist,  wobei  aber 
immer  (im  ganzen  2 — 4  Wochen)  nur  800  ccm  Flüssigkeit  erlaubt  sind. 
Unterstützt  wird  die  Kur  durch  Abführmittel.  Diese  Kur,  die  nach  der 
Versicherung  des  Autors  fast  immer  durchzusetzen  ist,  wirkt  entlastend 
und  schonend  auf  das  Herz,  namentlich  bei  Muskelerkrankungen,  weniger  bei 
Kompensationsstörungen.  Ihre  Hauptdomäne  sind  die  Fälle  mit  Hydrops  und 
Aszites,  wo  der  Puls  noch  einigermaßen  fühlbar  und  die  Nierenfunktion  nicht 
zu  stark  gestört  ist.  Die  Dyspnoe  bessert  sich  rasch,  Schlaf  stellt  sich  ein ; 
nach  2 — 3  Tagen  erfolgt  oft  eine  gewaltige  Diurese,  vier  Liter  und  mehr,  und 
das  Körpergewicht  nimmt  durch  Schwinden  des  Hydrops  und  Aszites  kolossal 
ab.  Vielfach  kann  man  dabei  auf  Herzmittel  verzichten.  Wahrscheinlich 
spielt  der  geringe  Salzgehalt  der  Milch  eine  wichtige  Rolle  bei  der  Ent¬ 
fernung  der  Transsudate.  Zahlreiche  Krankengeschichten  und  Kurven  illu¬ 
strieren  die  Wirkung  der  Kur  mit  oder  ohne  gleichzeitige  oder  vorher¬ 
gehende  Darreichung  von  Digitalis. 

Ein  zweites  Anwendungsgebiet  der  Methoden  ist  die  hochgradige  Fett¬ 
sucht,  bei  welcher  aber  nach  den  Milchtagen  keine  gemischte  Kost,  sondern 
eine  aus  Fleisch,  Gemüse,  gekochtem  Obst  und  Schwarzbrot  bestehende  ge¬ 
geben  wird.  Dabei  wird  durch'  Massage,  Gymnastik  usw.  für  Kräftigung 
des  Herzens  gesorgt;  in  den  ersten  8—10  Tagen  allerdings  ist  Bettruhe  not¬ 
wendig,  da  die  Kur  angreifend  ist.  Die  Gewichtsabnahme  kann  5 — 10  kg 
in  6 — 8  Tagen  betragen.  —  Wo  der  Herzmuskel  schwer  entartet  ist,  bleibt 
die  Kur  natürlich  ohne  Erfolg.  E.  Oberndörffer. 

Über  Übungstherapie  und  Flüssigkeitsbeschränkung  bei  Zirkulations¬ 
störungen. 

(Ein  Gedenkblatt  für  M.  J.  Oertel.  Prof.  v.  Noorden,  Wien.  Monatsschr.  für 

die  physik.-diätet.  Heilmethoden,  Heft  1,  1909.) 

Würdigung  der  von  Oertel  vor  25  Jahren  in  die  Therapie  der  Herz¬ 
krankheiten  eingeführten  methodischen  Übung  für  das  muskelschwache  Herz. 
Abgesehen  von  törichten,  naturgemäß  mit  Fehlschlägen  verbundenen  Übertrei¬ 
bungen,  hat  sich  nach  Noorden  auch  die  Terrainkur  durchaus  bewährt; 
Die  vordem  nur  geübte  Schonung  der  Herzkranken  ward  seit  O.  durch  die 
Übung  ergänzt;  zu  ihren  Methoden  rechnet  No orden  außer  der  eigentlichen 
Bewegungstherapie  auch  die  hydriatischen  Prozeduren  und  C02-Bäder. 


476 


Referate  und  Besprechungen. 


Aber  auch  die  Schonungstherapie  des  Herzens  hat  Oertel  durch  die 
Beschränkung  der  Flüssigkeitszufuhr  in  hervorragendem  Maße  gefördert.  Wenn 
auch  seine  Theorie  —  bei  Fettherz  sollte  die  geringe  Wasserzufuhr  eine 
stärkere  Einschmelzung  des  Fettes  bedingen  —  nach  der  heutigen  Auffassung 
als  irrig  anzusehen  ist,  die  Tatsache  bleibt  bestehen,  daß  die  Wasserbe¬ 
schränkung  (HA — l1/ 2  Liter)  bei  ödematösen  Herzleiden  und  bes.  im  Stadium 
der  beginnenden  Inkompensation  und  in  der  Rekonvaleszenz  dennoch  oft 
von  größter  Bedeutung  ist.  Die  Wasserbeschränkung  entlastet  einmal  das 
Herz,  das  um  so  weniger  zu  arbeiten  braucht,  je  weniger  Flüssigkeit  im 
Zirkulationssystem  von  ihm  in  Bewegung  gesetzt  werden  muß,  und  ferner 
setzt  sie  gleichzeitig  den  Blutdruck  mehr  weniger  nachhaltig  herab.  An  der 
Hand  von  19  Fällen  mit  stark  erhöhtem  Blutdruck  —  Arteriosklerose  und 
Schrumpf niere  —  tritt  No orden  schließlich  warm  für  die  beschränkte 
Flüssigkeitsaufnahme  bei  den  genannten  Krankheiten  aus  prophylaktisch- 
therapeutischen  Gründen  ein.  Krebs. 


Epilepsie  und  Ernährung. 

(R.  Brunon.  Bull,  med.,  Nr.  82,  S.  901 — 903,  1908.) 

Der  bekannte  Kliniker  von  Rouen  hat  eine  Reihe  von  Fällen  gesehen, 
in  denen  die  epileptischen  Zufälle  trotz  großer  Bromdosen  fortgesetzt  auf¬ 
traten,  solange  die  Pat.  Fleisch  aßen;  sie  hörten  aber  auf  bei  einer  Milch- 
Pflanzendiät,  manchmal  sogar  ohne  Brom.  Die  Nutzanwendung  ergibt  sich 
von  selbst;  ein  Versuch  kann  jedenfalls  nichts  schaden.  Buttersack  (Berlin). 

Medikamentöse  Therapie. 

Beiträge  zur  Kenntnis  der  Digitalisbehandlung. 

(Müller.  Münch,  med.  Wochenschr.,  Nr.  51,  1908.) 

Bei  der  Digitalisordination  entspringt  aus  der  Vielgestaltigkeit  der 
zu  behandelnden  Krankheitsbilder  eine  gewisse  Neigung  zur  individualisie¬ 
renden  Indikationsstellung  in  der  Therapie.  Dies  ist  an  und  für  sich  ganz 
gut,  häufig  auch  notwendig,  jedoch  darf  in  der  Individualisierung  des  Einzel¬ 
falles  der  im  großen  und  ganzen  doch  recht  gleichartige  und  charakteristische 
therapeutische  Effekt  der  Digitalismedikation  nicht  zu  sehr  in  den  Hinter¬ 
grund  treten.  Dies  gilt  vor  allem  für  die  Darreichung  in  sehr  kleinen  oder 
verzettelt  gegebenen  Dosen,  bei  denen  eine  Kontrolle  der  Digitaliswirkung 
unmöglich  wird. 

Ebenso  zu  verurteilen  ist  die  längere  Zeit  planlos  fortgesetzte  Dar¬ 
reichung  {größerer  Dosen  wegen  der  Gefahr  einer  schweren  Digitalisver¬ 
giftung. 

Da  man  heute  auf  dem  Standpunkt  steht,  daß  gerade  in  der  Kombination 
der  in  den  Digitalisblättern  wirksamen  Bestandteile  das  Wesentliche  des 
therapeutischen  Effektes  begründet  ist,  so  lassen  sich  die  verschiedenen  Me¬ 
thoden  der  Digitalisdarreichung  jetzt,  nachdem  man  in  ihrer  Wirkungsstärke 
gut  zu  vergleichende  Digitalispräparate  besitzt,  weit  gründlicher  und  exakter 
studieren  als  bisher. 

Bei  einer  vergleichenden  Prüfung  kommen  milde  Kuren  natürlich  kaum 
in  Betracht,  es  handelt  sich  hier  vielmehr  darum,  mit  einem  Digitalisprä¬ 
parat  eine  energische  Wirkung  ohne  unliebsame  Nebenerscheinungen  zu  er¬ 
zielen. 

Zur  Prüfung  gelangte  das  von  Prof.  Gottlieb  eingestellte  „Digipura- 
tum“  (Extractum  Digitalis  depuratum  Knoll),  welches  fast  die  Gesamtheit 
der  wirksamen  Bestandteile  der  Digitalisblätter  enthält  und  eine  bestimmte 
unverändert  haltbare  Wirkungsstärke  besitzt.  Die  wirksamen  Bestandteile 
darin  sind  in  kaltem  Wasser  und  Säuren  unlöslich,  aber  in  verdünnten  Alka¬ 
lien  sehr  leicht  löslich.  Die  mit  Digipuratum  behandelten  Fälle  betrafen  in 
erster  Linie  sehr  schwere  Zustände  akuter  und  chronischer  Herzinsuffizienz 
im  Gefolge  von  Klappenfehlern,  Herzmuskel-  und  Gefäßerkrankungen.  Dazu 


Referate  und  Besprechungen. 


477 


kamen  chronische  Nephritiden,  Arteriosklerose  ohne  schwerere  Kompensations¬ 
störungen,  akute  Pneumonien,  Septikämien,  Pleuritiden  und  Perikarditiden. 

Bei  letzteren  war  natürlich  eine  objektive  Kritik  des  neuen  Digftalis- 
präparates  unmöglich;  es  ließ  sich1  aber  feststellen,  daß  bei  diesen  Erkrankungen 
das  Digipuratum  ohne  nachteilige  oder  unangenehme  Nebenerscheinungen  so¬ 
wohl  in  kleinen  als  auch  in  größeren  Dosen  gegeben  werden  konnte. 

Vollkommen  konstant  ist  der  Effekt  bei  energischer  Dosierung  in  allen 
Fällen  stärkerer  Herzinsuffizienz,  wo  sehr  prompt  eine  rationelle  Verbesse¬ 
rung  der  gestörten  Kreislaufsverhältnisse  erfolgt,  die  sich  neben  der  sehr 
offensichtlichen  Hebung  des  darniederliegenden  Allgemeinzustandes  in  der 
günstigen  Beeinflussung  der  Qualität  und  Quantität  des  Pulses,  dem  An¬ 
steigen  der  Amplitude  und  vor  allem  in  dem  Einsetzen  der  mehr  oder  weniger 
stockenden  Diurese  bemerkbar  macht. 

Sehr  bald  und  vollständig  wurden  die  schwersten  Stauungserscheinungen 
zum  Verschwinden  gebracht,  sei  es,  daß  sie  sich  als  einfache  Ödeme  oder 
als  Stauungsbronchitiden,  Stauungsleber  oder  Stauungsniere  dokumentierten. 
Auch  in  den  Fällen,  wo  esi  sich  Um  eine  mehr  oder  weniger  starke  funktionelle 
Schwäche  des  Herz-  und  Gefäßsystems  handelt,  besonders  bei  akuten  In¬ 
fektionskrankheiten,  bei  nicht  eigentlich  dekompensierten  Arteriosklerosen  und 
Herzerkrankungen  entspricht  das  Digipuratum  allen  Erwartungen. 

Außer  diesen  qualitativ  günstigen  Erfolgen  ist  die  quantitative  Wir¬ 
kung  des  Digipuratums  sehr  befriedigend.  Schon  mit  12  Tabletten  kommt 
man  in  vielen  Fällen  bis!  zum  Eintritt  der  Digitaliswirkung.  Meistens  wird 
man  etwa  2  g  Digipuratum  verwenden,  um  die  Wirkung  noch  zu  vertiefen 
und  besonders  nachhaltig  zu  gestalten.  Sehr  wesentlich  gefördert  wird  dieses 
Ziel  durch  die  gute  Bekömmlichkeit  des  Präparates  und  das  fast  völlige  Fehlen 
von  Nebenerscheinungen,  ganz  besonders  von  Störungen  des  Intestinal trak- 
tus.  Auch  bei  länger  dauernder  Darreichung  werden  bei  gutem  Erfolg  keine 
unangenehmen  Nebenerscheinungen  wahrgenommen,  es  empfiehlt  sich  dann, 
auf  0,05  g  pro  dosi  herabzugehen.  Das  Digipuratum  besitzt  also  vor  allem 
folgende  Vorzüge: 

Mit  Digipuratum,  im  Gegensatz  zu  anderen  Digitalispräparaten,  sind 
Intoxikationserscheinungen  besonders  leicht  zu  verkleiden. 

Es  lassen  sich  infolgedessen  energische  Digitaliskuren  ohne  Intestinal* 
Störungen  durchführen. 

Das  Digipuratum  bleibt  in  seiner  Wirkungsstärke  konstant.  Neumann. 

Die  heutigen  Methoden  zur  Anregung  der  Diurese. 

(Prof.  Dr.  Bömberg.  Münch,  med.  Wochenschr.,  Nr.  39,  1908.) 

Die  Diurese  wird  heutigen  Tages  nur  noch  angeregt,  um  Wasseran¬ 
sammlungen  im  Körper  zu  beseitigen.  Zu  diesem  Zweck  sucht  man  entweder 
den  gesamten  Blutumlauf  zu  verbessern  oder  die  Nierentätigkeit  direkt  zu 
beeinflussen.  Um  das  erstere  zu  erreichen,  kommt  es  hauptsächlich  darauf 
an,  die  Stromgeschwindigkeit  zu  erhöhen  und  infolgedessen  kommen  die 
Herzmittel  im  wesentlichen  zur  Geltung  und  zwar  entweder  die  Digitalis, 
oder  das  Digalen,  Strophantus  und  Strophantin.  Außer  bei  Herzkranken 
wendet  man  diese  Mittel  bei  akuten  und  chronischen  Nierenerkrankungen  an, 
dagegen  nicht  bei  Amyloid,  Pyelonephritis,  Hydronephrose,  kachektischem 
Ödem  und  Ergüssen  unkomplizierter  Natur  bei  Tuberkulose  und  dgl.,  weil 
bei  diesen  Erkrankungen  ein  mangelhafter  Kreislauf  besteht,  in  dem  den 
Gefäßen  der  der  vermehrten  Herzarbeit  entsprechende  Widerstand  fehlt.  Oft 
geht  die  Steigerung  der  Diurese  nur  sehr  verzögert  vor  sich  infolge  einer 
Kompression  von  Gefäßen  durch  größere  Ergüsse.  Durch  Inzision  oder  Punk¬ 
tion  wird  dem  Übel  aber  sehr  leicht  abgeholfen. 

Zur  Steigerung  der  Nierentätigkeit  bedient  man  sich  am  besten  der 
Körper  der  Purinreihe.  Zunächst  ist  das  Theophyllin  oder  Theozin  zu  nennen. 
Zur  Vermeidung  übler  Nebenwirkungen  gibt  man  auf  2mal  tgl.  0,1,  genügt 
dies  nicht,  2  mal  0,2  und  zwar  einen  Tag  um  den  andern  und  geht  so  langsam 
auf  3 — 4mal  0,2. 


478 


Referate  und  Besprechungen. 


Das  Diuretin  wirkt  nicht  so  energisch.  Man  gibt  es  anfangs  in  Dosen 
von  0,5  3 — 4  mal  in  einem  halben  Tag  und  steigt  bis  auf  4  mal  1,0. 

Das  Theobromin  und  Koffein  wirken  fast  gar  nicht  und  werden  am 
besten  weggelassen. 

Von  den  pflanzlichen  Diuretizis  sind  hauptsächlich  die  Golaz’schen 
Dialysate  (Species  diureticae  dialysatae  7 mal  je  V2  Kaffeelöffel)  zu  verwerten. 

Was  das  Salizylsäure  Natron  und  das  Kalomel  angeht,  so  sind  sie  sehr 
differente  Mittel.  Ganz  ungeeignet  sind  die  Salze,  reichliche  Wasserzufuhr 
und  der  von  See  empfohlene  Milchzucker.  I11  bezug  auf  die  Indikation  für 
die  Anwendung  der  verschiedenen  Mittel  empfiehlt  Rombeyg  bei  Herz¬ 
schwäche  und  örtlichen  Erkrankungen  der  Nieren  vor  allem  das  Theozin 
und  Diuretin,  durch  die  eine  Erweiterung  der  Nierenblutbahnen  bewirkt 
wird,  wodurch  dann  erst  die  Digitaliswirkung  voll  in  Kraft  treten  kann. 

Bei  exsudativen  Pleuritiden  oder  Perikarditiden  kann  man,  wenn  der 
Kreislauf  in  Ordnung  und  die  Nieren  gesund,  das  Salizylsäure  Natron  in 
Dosen  von  4 — 6  g  pro  die  anwenden. 

Das  Kalomel  soll  immer  nur  als  Notbehelf  dienen  und  bei  Nierenkranken 
ganz  gemieden  werden.  Eür  die  pflanzlichen  Diuretizis  ist  keine  bestimmte 
Norm  aufzustellen. 

Für  alle  Fälle  muß  aber  als  Regel  gelten,  die  übermäßige  Wasser¬ 
zufuhr  einzuschränken.  Auch  empfiehlt  sich  eine  kochsalzarme  Nahrung.  Hier¬ 
bei  muß  man  sich  aber  vorsehen,  da  es  leicht  zu  Abnahme  der  Kräfte  und 
zu  nervösen  Störungen  kommt.  Schließlich  teilt  er  einen  Fall  von  Bauchfell¬ 
tuberkulose  mit,  bei  dem  durch  eine  derartige  Diät  die  Diurese  gesteigert 
wurde  und  der  Aszites  zurückging.  F.  Walther. 


Aus  der  medizinischen  Universitätsklinik  in  Halle  a.  S.  Direktor:  Prof.  Ad.  Schmidt. 

Über  Veronalnatrium  und  die  Erregbarkeit  des  Atemzentrums,  sowie  den 
Sauerstoffverbrauch  im  natürlichen  und  künstlichen  Schlaf. 

(Winternitz.  Deutsche  med.  Wochenschr.,  S.  2248,  1908.) 

Das  Natriumsalz  der  Diäthylbarbitursäure,  oder  Veronalnatrium  hat 
vor  dem  Veronal  den  Vorzug  schnellerer  Wirksamkeit,  vorausgesetzt,  daß 
der  Magen  leer  ist  und  der  Möglichkeit,  es  rasch  in  geringer  Menge  Flüssig¬ 
keit  aufzulösen.  Im  übrigen  sind  sich  beide  Präparate  in  bezug  auf  Wirkung* 
und  Nebenwirkung  gleich.  Winternitz  hat  das  Veronalnatrium  in  ver¬ 
schiedener  Form  gegeben.  Als  Suppositorium  ist  es  unzuverlässig.  Vor  allem 
hat  er  Versuche  mit  subkutaner  und  intramuskulärer  Injektion  gemacht, 
wobei  er  eine  10%ige  wässerige  Lösung  verwandte,  von  der  er  5 — 10  ccm 
injizierte.  Die  Einspritzung  verlief  stets  reaktionslos.  Der  Erfolg  war  folgen¬ 
der:  Die  hypnotische  Wirkung  war  auffallenderweise  ganz  geringfügig  und 
trat  meist  erst  nach  3 — 4  Stunden  ein,  wobei  zu  bemerken  ist,  daß  er  nur 
Ischias  und  Interkostalneuralgien  bei  seinen  Versuchen  zur  Verfügung  hatte. 
Dagegen  war  die  schmerzstillende  Wirkung  außerordentlich  frappant,  so 
daß  Winternitz  die  Veronainatriuminjektion  bei  Neuralgien  geradezu  emp¬ 
fiehlt.  Beim  Vergleich  zwischen  innerer  und  subkutaner  Verabreichung  ergab 
sich  die  Tatsache,  daß  bei  ersterer  die  Intensität  des  Schlafes  bedeutend 
stärker  war  wie  bei  letzterer.  Die  Erklärung  dafür  dürfte  vielleicht  darin 
bestehen,  daß  das  Veronalnatrium  lokal  am  Ort  der  Injektion  von  den  daselbst 
angehäuften  lipoiden  Substanzen  festgehalten  und  nur  allmählich  an  das 
Blut  abgegeben  wird.  Sicher  ist  aber,  daß  das  Veronalnatrium  nicht  das  ge¬ 
suchte  subkutan  anwendbare  Hypnotikum  ist.  Winternitz  hat  dann  ferner 
Respirationsversuche  im  Veronalschlaf  angestellt  und  gefunden,  daß  das  Ver¬ 
halten  der  Atmungsleistung  und  der  Erregbarkeit  des  Atemzentrums  im 
Veronal-  und  im  natürlichlichen -Schlaf  nahezu  das  gleiche  ist  und  zwar  zeigte 
sich,  daß  die  Erregbarkeit  des  Atemzentrums  bei  beiden  Schlafarten  be¬ 
deutend  herabgesetzt  ist.  Die  Resultate  Loewy’s,  der  keine  Herabsetzung 
der  Erregbarkeit  fand,  erklärt  er  mit  der  verschiedenen  Versuchsanordnung, 
vor  allem  damit,  daß  er  seine  Versuche  bei  Nacht  anstellte,  also  in  einer 


Bücherschau. 


479 


Zeit,  wo  die  im  Blute  zirkulierenden  Ermüdungsstoffe  die  Erregbarkeit 
herabsetzen,  was  am  Morgen  nicht  mehr  der  Fall  ist.  Winternitz  kommt 
also  zu  dem  Schluß,  daß  ein  natürlicher  Schlaf  die  Herabsetzung  der  Atmungs¬ 
tätigkeit  durch  die  Verminderung  oder  den  Fortfall  der  Atmungsreize  senso¬ 
rischer  und  psychischer  Natur  und  durch  die  Abnahme  der  Erregbarkeit  des 
Atemzentrums  verursacht.  Durch  Veronal  und  ähnliche  Narkotitis  wird 
diese  Schlafwirkung  noch  verstärkt.  F.  Walther. 

Über  den  Einfluß  von  Chininlösungen  auf  die  Phagozytose. 

(Th.  Grünspan.  Zentralbl.  für  Bakt.,  Bd.  48,  H.  4,  1908.) 

Die  Versuche  des  Verf.  gingen  dahin,  die  Einwirkung  des  Chinins 
auf  das  phagozytäre  V ermögen  der  Leukozyten  zu  untersuchen.  Als  V er¬ 
suchstiere  dienten  ihm  Batten,  die  intraperitoneale  Injektionen  von  Eiweiß- 
Karmin  nach  einer  Aleuronat-Bouillon-Vorbehandlung  erhielten  mit  1/2  ccm 
salzsaurer  Chininlösung  in  verschiedenen  Verdünnungen. 

Später  wurden  Pf  elf  f  er’sche  Versuche  gemacht,  Ausstriche  angefertigt 
und  mit  Methylenblau  gefärbt,  die  Leukozyten  gezählt  und  der  Prozentgehalt 
berechnet,  in  dem  die  Leukozyten  das  Karmin  aufgenommen  hatten. 

Es  wurden  zwei  Versuchsreihen  angesetzt: 

1.  Intraperit.  Injektion  von  reinem  Karmin  in  physiol.  NaCl-Lösung. 

2.  Intraperit.  Injektion  von  Eiweiß-Karmin. 

Die  Ausstriche  ergaben  folgendes  Besultat: 

Die  Phagozytose  wird  durch  Eiweiß-Karmin  nicht  energischer  beeinflußt, 
wie  bei  Verabreichung  von  reinem  Karmin;  man  kann  also  wohl  sagen,  daß 
das  Eiweiß  kein  Mittel  zur  Anregung  der  Phagozytose  ist. 

.3.  Intraperit.  Injektion  von  0,l%igen  und  0,002 °/0igen  Chininlösungen 
in  Verbindung  mit  Eiweiß-Karmin. 

Hier  ergab  sich,  daß  schwache  Chininlösungen  in  vivo  keinen  nach¬ 
teiligen  Einfluß  auf  die  Phagozytose  haben;  daß  eine  0,002 %ige  Chinin¬ 
lösung  eine  relative  Erhöhung  der  Phagozytose  herbeiführt, während  eine 
0,l%ige  Chininlösung  die  Phagozytose  bedeutend  schädigt. 

Auch  wurden  Versuche  angestellt,  ob  Chininlösungen  auf  die  Phago¬ 
zytose  der  Bakterien  von  günstigem  Einflüsse  sind. 

Die  Batten  erhielten  1  ccm  einer  Staphyloc.  aureus-Aufschwemmung 
intraperitoneal  und  nach  verschiedenen  Zeiträumen  wurden  die  Pfeiffer¬ 
schen  Versuche  gemacht,  die  Ausstriche  gefärbt  und  der  Prozentsatz  be¬ 
rechnet,  in  welchem  die  Leukozyten  die  Bakterien  aufgenommen  hatten, 
wenn  0,1-,  0,01-,  bezw.  0,002  %ige  Chininlösung  injiziert  wurde. 

Aus  den  Versuchen  konnten  keine  günstigen  Einflüsse  auf  die  Phago¬ 
zytose  der  Bakterien  einwandsfrei  bewiesen  werden. 

Eiereiweiß  führt  keine  Erhöhung  der  Phagozytose  herbei. 

Sind  die  von  den  Leukozyten  auf  genommenen  Staphylokokken  als  ab¬ 
getötet  zu  betrachten  oder  erliegen  sie  einer  allmählichen  Auflösung  innerhalb 
der  Leukozyten  ? 

Zum  Nachweise  wurde  Neutralrot  verwandt.  Die  Farbenreaktionen 
deuten  jedenfalls  darauf  hin,  daß  die  intrazellulären  Staphylokokken  als 
lebend  aufzufassen  sind.  Schürmann  (Düsseldorf). 


Bücherschau. 


Die  Migräne,  ihre  Entstehung,  ihr  Wesen  und  ihre  Behandlung  resp.  Heilung. 

Von  W.  Brügelmann.  J.  F.  Bergmann,  Wiesbaden  1909.  51  S.  1  Mk. 

Verfasser  geht  von  dem  Grundgedanken  aus,  daß  Migräne,  Asthma  und  Ur¬ 
tikaria  wesensgleich  seien  und  sowohl  in  der  Familie  wie  im  Individuum  sich  ver¬ 
treten  können.  Es  ist  das  ein  Gedanke,  der  sich  schon  bei  Trousseau  findet 
(Clinique  medical  e  II.  S.  399):  „Les  dartres,  les  affections  rliumatismales,  la  goutle, 
la  gravelle,  les  hemorrhoides,  la  migraine  et  Fasthme,  expressions  differentes  d’une 


480 


Bücherschau. 


meme  diathese,  penvent  se  remplacer  les  unes  les  autres.“  Für  Brügelmann  ist 
dabei  das  eigentlich  Primäre  der  Krampf,  ausgelöst  durch  eine  Herzneurose  nebst 
der  konsekutiven  Zirkulationsstörung  (S.  10/11);  bei  Migräne  handelt  es  sich  um 
einen  Krampf  in  der  Dura  und  Pia  mater.  Er  unterscheidet  die  häufigste  gast¬ 
rische  Form  von  der  reflektorischen  und  der  zerebralen.  Charakteristische  Begleit¬ 
erscheinungen  der  gastrischen  Form  sind :  N  ackenstarre,  zyanotische  Hautfarbe,  Angst, 
Neuralgien  im  Rücken  und  in  den  Beinen,  oft  eine  Ischias  vortäuschend.  Therapie: 
kreisrunde  Reibungen  des  Magens  und  Zwerchfells  (mit  etwas  Kognak  und  Salz), 
heiße  Gummiblase  (Thermophor)  auf  den  Leib  appliziert,  salinische  Abführmittel, 
1  g  reine  Salicylsäure  in  Kapseln  (zur  Entgiftung  des  Mageninhaltes),  heißer  Ka¬ 
millentee  mit  Op.;  zur  Vermeidung  von  Darmfäulnis:  dauernder  Gebrauch  von 
Pankreon  oder  Yoghourt. 

Die  reflektorische  Form  kann  von  überallher  ausgelöst  werden;  am  häu¬ 
figsten  vom  N.  olfactorius,  acusticus,  opticus,  trigeminus  aus,  aber  auch  seitens  der 
Sexualsphäre  (Zervixkrämpfe).  Die  Therapie  ergibt  sich  dann  von  selbst 

Die  z  erebrale  Migräne  ist  in  der  Hauptsache  ein  hysterisches  Symptom;  bei 
ihr  verlangen  die  Patienten  warme  Umschläge  um  den  Kopf,  während  Patienten 
mit  der  gastrischen  Form  Kälte  begehren.  Suggestion  ist  das  souveräne  Heilmittel. 

Der  theoretische  Aufbau  des  Büchleins,  z.  B.  die  Vorstellung  eines  Krampfes 
der  Dura  und  Pia  mater  findet  vielleicht  nicht  überall  Anklang;  allein  dafür  ist 
es  so  reich  an  Niederschlägen  aus  einer  großen  Erfahrung,  daß  jeder,  der  selbst 
im  Kampf  mit  diesen  Tatsachen  steht,  gern  Belehrung  und  Rat  aus  der  kleinen 
Schrift  entnimmt.  Buttersack  (Berlin). 


Die  atonische  und  die  spastische  Obstipation.  Ihre  Differentialdiagnose 
und  Behandlung.  Von  Gustav  Schneider,  Wien.  Sammlung  zwang¬ 
loser  Abhandlungen  aus  dem  Gebiete  der  Verdauungs-  und  Stoffwechsel¬ 
krankheiten.  Herausgegeben  von  A.  Albu,  1.  Band,  6.  Heft.  Halle  a.  S. 

Karl  Marhold,  Verlagsbuchhandlung  1909.  46  Seiten.  1  Mk. 

Das  Heftchen  bringt  auf  knappem  Raum  vieles  und  auch  der  Erfahrene  wird 
es  mit  Nutzen  lesen.  Sehr  gut  ist  die  Darstellung  der  Therapie;  sympathisch 
berührt  der  häufige  Hinweis  darauf,  „daß  der  Gegensatz,  der  für  die  Schulfälle  beider 
Typen  aufgestellt  wird,  sich  in  praxi  nicht  immer  völlig  aufrecht  erhalten  läßt. 
Kombinationen  und  Übergangsformen  sind  hier  das  Häufigere/  Für  nicht  sehr 
glücklich  hält  Ref.  die  Wahl  des  klinischen  Beispieles  für  die  atonische  Obstipation: 
es  ist  hier  ein  extrem  schwerer  Astheniker  beschrieben,  so  schwer,  daß  man  ihn  kaum 
als  Schulbeispiel  für  die  atonische  Obstipation  betrachten  kann.  Ferner  vermißt 
Referent  bei  der  Behandung  der  Enteroptose  jeden  Hinweis  auf  die  StillePsche 
Asthenie.  .  M.  Kaufmann  (Mannheim). 


Kurzes  Lehrbuch  der  Desinfektion.  Von  C.  Czaplewski.  3.  Auflage. 

Martin  Hager,  Bonn  1908.  178  S. 

Das  als  Nachschlagebuch  für  Desinfektoren,  Ärzte,  Medizinal-  und  Ver¬ 
waltungsbeamte  gedachte  Werk  ist  in  seiner  8.  Auflage  wesentlichen  Änderungen 
unterworfen  worden.  Der  Text  der  Einleitung,  welche  Belehrung  über  die  In¬ 
fektionskrankheiten  und  deren  Erreger,  sowie  über  die  Weiterverbreitung  des  An¬ 
steckungstoffes  bringt,  wie  auch  der  Text  des  Abschnitts  I,  in  dem  die  Desinfektions¬ 
mittel,  ihre  Anwendung  und  die  Kontrolle  der  Desinfektionsapparate  abgehandelt 
werden,  haben  eine  völlige  Umarbeitung  erfahren.  Es  sind  dabei  die  neu  erlassenen 
Seuchengesetze  eingehend  berücksichtigt  worden.  Besonderen  Wert  hat  Cz.  darauf 
gelegt,  den  Desinfektoren  den  ihnen  fremden  Stoff  durch  Vergleiche  mit  ihnen  ge¬ 
läufigen  Begriffen  näher  zu  rücken.  So  ist  das  Werk  in  seiner  dritten  Auflage  als 
dem  jetzigen  Stande  der  Wissenschaft  völlig  entsprechend  zu  bezeichnen.  Fraglich 
erscheint  nur,  ob  für  die  Desinfektoren  ein  so  umfangreiches  Werk  erforderlich  ist, 
ob  nicht  die  Fülle  der  Tatsachen  verwirrend  wirkt.  Man  findet  oft  genug  bereits 
bei  Ärzten  ganz  wunderbare,  unzutreffende  Ansichten,  daß  kaum  erwartet  werden 
kann,  daß  Desinfektoren  ein  derartiges  Lehrbuch  mit  vollem  Verständnis  ver¬ 
wenden  können;  dagegen  werden  die  Medizinal-  und  Verwaltungsbeamten  in  ihm 
einen  sicheren  Ratgeber  ‘finden.  H.  Bischoff. 

Schriftleitung:  Dr.  Ri  gl  er  in  Leipzig. 

Druck  von  Emil  Herrmann  senior  in  Leipzig. 


27.  Jahrgang. 


1909. 


Tortscbritte  der  Medizin. 


Unter  Mitwirkung  hervorragender  Fachmänner 

herausgegeben  von 

Professor  Dr.  <L  Köster  Prio.-Doz.  Dr.  o.  Criegem 

in  Leipzig.  in  Leipzig. 

Schriftleitung:  Dr.  Rigler  in  Leipzig. 


Nr.  13. 


Erscheint  am  10.,  20.,  30.  jeden  Monats.  Preis  halbjährlich 
6  Mark,  in  kl.  Zeitschrift  für  Versicherungsmedizin  8  Mark. 

=====  Verlag  von  Georg  Thieme,  Leipzig. -  . 


10.  Mai. 


Originalarbeiten  und  Sammelberichte. 

Ueber  die  Entstehungsweise  der  Fovea  centralis  retinae  beim 

Menschen. 

Von  Privatdozent  Stabsarzt  Dr.  Seefelder  in  Leipzig. 

(Vortrag,  gehalten  in  der  medizinischen  Gesellschaft  in  Leipzig  am  23.  Febr.  1909.) 

Nach  der  Ihnen  in  der  vorletzten  Sitzung  durch  Herrn  Geheimen 
Bat  Flechsig  gemachten  Mitteilung,  daß  die  Markscheidenbildung  im 
Sehnerven  und  im  okulomotorischen  Nervenapparat  sehr  spät  erfolgt, 
dürfte  für  Sie  auch  die  Tatsache  von  Interesse  sein,  daß  die  Ausbildung 
der  wichtigsten  Stelle  unseres  Sehorgans,  der  Fovea  centralis,  ebenfalls 
einer  späten  Entwicklungsperiode  Vorbehalten  ist. 

Es  ist  Ihnen  wohl  bekannt,  daß  diese  Stelle  im  ausgewachsenen 
Organ  vor  der  übrigen  Netzhaut  durch  besondere  anatomische  Merk' 
male  ausgezeichnet  ist,  von  welchen  ich  nur  die  auffälligsten  anführen 
möchte,  nämlich  die  Verdickung  der  Ganglienzellenschicht  im  Um¬ 
kreise  und  die  Abnahme  sämtlicher  Zellschichten  im  Grunde  der  Fovea, 
ferner  die  größere  Länge  und  Feinheit  der  Zapfen.  Die  letztere  Eigen¬ 
schaft  ist  zugleich  die  wichtigste,  da  auf  ihr  die  funktionelle  Über¬ 
legenheit  der  Fovea  über  die  übrigen  Netzhautpartien  beruht. 

Die  Fovea  centralis  ist  aber  keine  ausschließliche  Eigentümlichkeit 
der  Menschenretina,  sondern  findet  sich  auch  bei  zahlreichen  Tieren, 
z.  B.  den  Affen,  bei  verschiedenen  Reptilien  und  Fischen  und  fast 
bei  allen  bekannteren  Vogelarten.  Ja,  es  gibt  viele  Vögel,  welche 
uns  in  dieser  Hinsicht  sogar  überlegen  sind  und  sich  des  Besitzes 
zweier  Foveae  erfreuen,  die  natürlich  an  ganz  verschiedenen  Stellen 
der  Netzhaut  liegen. 

Dieser  Gruppe  von  Tieren  steht  eine  andere  große  Gruppe  gegen¬ 
über,  zu  welcher  z.  B.  die  meisten  unserer  Haussäugetiere  gehören, 
bei  welchen  die  Stelle  des  schärfsten  Sehens  nicht  durch  eine  Abnahme, 
sondern  durch  eine  Vermehrung  der  Zahl  sämtlicher  Netzhautzellen  ge¬ 
kennzeichnet  ist.  Die  Netzhaut  erscheint  dadurch  an  dieser  Stelle  ver¬ 
dickt  und  wir  bezeichnen  diesen  verdickten  Bezirk  zum  Unterschied 
von  der  Fovea  als  Area  centralis  retinae. 


Anmerkung:  Die  vorgetragenen  Tatsachen  bilden  teils  eine  Bestätigung 
teils  eine  Ergänzung  und  Erweiterung  von  Befunden,  welche  von  Chievitz  in 
mehreren  anatomischen  Zeitschriften  publiziert  worden  sind,  was  ausdrücklich 
hervorgehoben  sei. 


31 


482 


Seefelder, 


Endlich  ist  zu  erwähnen,  daß  es  Tiere  gibt,  bei  welchen  weder 
eine  Eovea  noch  eine  Areja  centralis  nachzuweisen  ist,  z.  B.  hei  der 
Ratte,  Ziege,  Huhn  usw. 

Es  kann  keinem  Zweifel  unterliegen,  daß  diese  anatomischen  Ver¬ 
schiedenheiten  in  der  Differenzierung  der  hochwertigsten  Netzhaut¬ 
stelle  mit  der  Lebensweise  und  den  Existenzbedingungen  der  verschie¬ 
denen  Tiere  auf  das  innigste  Zusammenhängen  und  wir  begreifen  ohne 
weiteres,  daß  der  im  Fluge  seine  Beute  pfeilschnell  erhaschende  Raub¬ 
vogel  mit  einer  geradezu  prächtigen  Eovea  centralis  ausgestattet  ist. 

Es  ist  nun  von  großem  entwicklungsgeschichtlichen  Interesse, 
daß  beim  Menschen  in  einer  gewissen  Entwicklungsperiode,  und 
zwar  bis  in  den  sechsten  fötalen  Monat  hinein  an  der  Stelle  der 
späteren  Fovea  centralis  eine  Verdickung  der  Netzhaut,  also 
ein  der  Area  centralis  verschiedener  Tiere  vergleichbarer  Zustand  vor¬ 
handen  ist,  und  zwar  ist  diese  Verdickung,  wie  Sie  aus  diesem  Präpa¬ 
rate  eines  fünfmonatlichen  menschlichen  Fötus  ersehen,  in  erster  Linie 
durch  die  größere  Mächtigkeit  der  Ganglienzellenschicht  ver¬ 
ursacht. 

Eine  Täuschung  in  bezug  auf  die  Orientierung  ist  dabei  voll¬ 
ständig  ausgeschlossen,  da  andere  unverkennbare  Merkmale  dafür  bür¬ 
gen,  daß  wir  uns  an  der  richtigen  Stelle  befinden.  Es  ist  dies  die 
weiter  vorgeschrittene  Differenzierung  dieses  Netzhaut¬ 
bezirkes  überhaupt,  welche  übrigens  schon  in  viel  jüngeren  Stadien, 
ja  schon  im  dritten  Monat,  angedeutet  ist  und  vorzugsweise  in  der 
hier  zuerst  nachweisbaren  Abspaltung  der  äußeren  Körner-  und 
der  Amakrinenschicht  von  der  bis  dahin  gemeinsamen  Zellschicht 
besteht. 

Die  äußere  Körnerschicht  wird  aber  zunächst  nur  von  einer  ein¬ 
fachen  Zellreihe  dargestellt  und  verharrt  in  diesem  primitiven  Zu¬ 
stande  noch  geraume  Zeit  bis  über  die  Geburt  hinaus. 

Die  ersten  Anzeichen  einer  Eovea  centralis  sind  gegen 
das  Ende  des  sechsten  bezw.  zu  Anfang  des  siebenten  fötalen 
Lebensmonats  nachzuweisen.  Sie  sehen  hier  in  diesem  Präparate,  wel¬ 
ches  von  einem  34,5  cm  langen  Fötus  herstammt,  eine  zwar  kleine 
aber  deutliche  Vertiefung  an  der  Innenfläche  der  Netzhaut.  Aber 
auch  sonst  haben  sich  bemerkenswerte*  Veränderungen  vollzogen. 

Die  Amakrinen  oder,  wie  sie  früher  bezeichnet  wurden,  die 
Spongioblasten,  sind  von  der  übrigen  inneren  Körnerschicht  viel  weiter 
abgerückt,  und  der  dadurch  geschaffene  Zwischenraum  wird  durch 
ein  Gerüst  von  feinen  schräg  verlaufenden  Fasern  ausgefüllt.  Diese 
Easerschicht  ist  eine  exquisit  fötale  Bildung,  welche  einige  Zeit  nach 
der  Geburt  nicht  mehr  als  selbständige  Schicht  nachzuweisen  ist  und 
hat  aus  diesem  Grunde  den  Namen  transitorische  Easerschicht 
erhalten. 

Die  äußere  Körnerschicht  ist  nach  wie  vor  einreihig  und  zeigt 
die  gleiche  epitheliale  Anordnung  wie  bei  dem  vorigen  Stadium. 
Gegen  die  innere  Körnerschicht  ist  sie  durch  eine  ziemlich  deutliche 
und  nur  von  den  zur  Limitans  externa  ziehenden  Müller’schen  Radiär¬ 
fasern  durchbrochene  Linie  abgegrenzt,  an  welcher  die  Zapfenzellen 
endigen,  ohne  daß  sich  zu  dieser  Zeit  eine  Zaj)fenfaser  nachweisen  läßt. 

Was  uns  aber  am  meisten  interessiert,  das  ist  die  Tatsache,  daß 
im  Bereich  der  Eovea  noch  keine  Anzeichen  einer  Zapf enentwick- 
lung  nachweisbar  sind.  Zwar  ist  das  Protoplasma  der  Zapfenzellen 


Über  die  Entstehungsweise  der  Fovea  centralis  retinae. 


483 


in  der  äußeren  Hälfte  dunkler  tingiert  als  in  der  inneren,  und  weist 
eine  etwas  über  die  Membrana  limitans  externa  hervorragende  kupp  ei¬ 
förmige  Abrundung  auf,  doch  kann  diese  noch  keineswegs  als  ein 
Zapfenaußen-  oder  -innenglied  bezeichnet  werden.  Das  Pigmentepit  hei 
grenzt  vielmehr  fast  unmittelbar  an  die  Membrana  limitans 
externa.  Wenn  wir  uns  aber  ein  wenig  von  der  Fovea  entfernen, 
dann  treten  immer  deutlicher  zapfenförmige  Fortsätze  der  Zellen  der 
äußeren  Körnerschicht  zutage,  zunächst  allerdings  erst  als  plumpe, 
unvollkommene  Gebilde  ohne  Andeutung  eines  Außengliedes,  aber  bereits 
in  einiger  Entfernung  von  der  Fovea  —  etwa  halbwegs  zwischen 
Fovea  und  Papille  —  in  einer  Entwicklung,  welche  der  des  ausgebildeten 
Organs  nicht  mehr  allzuviel  nachsteht.  Hier  sind  denn  auch  zwischen 
den  Zapfen  ebenso  gut  entwickelte  Stäbchen  anzutreffen,  die  bekannt¬ 
lich  im  Grunde  der  Fovea  und  in  ihrer  nächsten  Umgebung  das  ganze 
Leben  hindurch  fehlen.  Auch  ist  die  äußere  Körnerschicht  außerhalb 
des  makularen  Bereichs  bereits  durch  mehrere  Zellreihen  vertreten.  — 

Nun  muß  allerdings  hervorgehoben  werden,  daß  diese  Zapfen- 
und  Stäbchenentwicklung  auch  nur  in  einem  beschränkten  Bezirke  und 
zwar  ungefähr  bis  zum  Äquator  bulbi  vorhanden  ist,  es  bleibt  aber 
immerhin  die  höchst  auffällige  Tatsache  bestehen,  daß  das  Neuro- 
epithel  an  der  hochwertigsten  Stelle  der  Netzhaut  beinahe 
am  längsten  in  einem  rudimentären  Zustande  verharrt. 

Dieses  eigenartige  Verhalten  erfährt  auch  in  den  nächsten  Monaten 
keine  Veränderung. 

Betrachten  wir  zunächst  die  Fovea  eines  achtmonatlichen 
Fötus  von  42  cm  Körperlänge,  so  sehen  wir  die  Zapfenentwicklung 
nunmehr  zwar  bis  auf  die  Fovea  ausgedehnt,  insofern  jetzt  auch  hier 
zapfenförmige  Fortsätze  über  der  Membrana  limitans  externa  hervor¬ 
ragen,  aber  es  sind  und  bleiben  zunächst  noch  unvollkommene  Gebilde, 
die  erst  in  der  ersten  Entwicklung  begriffen  sind. 

Im  übrigen  sind  einige  weitere  Fortschritte  in  der  Entwick¬ 
lung  zu  konstatieren. 

Die  sog.  transitorische  Faserschicht  hat  an  Ausdehnung  zuge¬ 
nommen,  die  Amakrinenschicht  ist  einreihig  geworden  und  die  Fovea 
erscheint  wesentlich  voluminöser,  dadurch  daß  sich  die  Verschmäle¬ 
rung  der  Ganglienzellenschicht  auf  ein  größeres  Areal  erstreckt  hat. 
Sie  ist  noch  sehr  flach,  nähert  sich  aber  in  bezug  auf  ihre  Form  der 
des  erwachsenen  Auges.  Die  innere  Hälfte  der  Zapfenzelle  hat  sich  jetzt 
zur  allerdings  noch  unfertigen  Zapfenfaser  differenziert,  und  es  ist 
damit  die  erste  Entwicklung  der  später  so  mächtigen  Faserschicht 
vollzogen,  welche  nach  ihrem  Entdecker  den  Namen  Henle’sche  Faser- 
schicht  erhalten  hat. 

Das  nächste  Präparat  eines  gleichaltrigen  Fötus  zeigt  Ihnen  analoge 
Verhältnisse;  ich  führe  es  Ihnen  nur  vor,  weil  die  Netzhaut  dieses 
Fötus  im  ganzen  offensichtlich  dünner  ist  als  die  eben  gezeigte,  und 
daraus  hervorgeht,  daß  auch  bereits  im  fötalen  Leben  physiologische 
Schwankungen  der  Netzhautdicke  Vorkommen. 

Auch  bei  einem  etwas  älteren  45  cm  langen  Fötus  ist  kein  weiterer 
Fortschritt  in  der  Entwicklung  zu  konstatieren,  so  daß  ich  darauf  ver¬ 
zichten  kann,  ihnen  davon  Präparate  zu  demonstrieren. 

Dies  ist  erst  j.n  dem  Auge  eines  neugeborenen  Kindes  der 
I  all,  von  dem  ich  Ihnen  durch  die  Freundlichkeit  des  Kollegen  Wolf  rum 
ein  sehr  schönes  Präparat  zu  zeigen  vermag. 


31* 


484 


Seefelder,  Über  die  Entstehungsweise  der  Fovea  centralis  retinae. 


Sie  sehen  jetzt  deutlich,  daß  der  Abstand  zwischen  der  inneren 
und  äußeren  Körnerschicht'  infolge  einer  entsprechenden  Verbreiterung 
der  Hßnle’schen  Faserschicht  erheblich  zugenommen  hat.  Die  Fovea  ist 
wesentlich  tiefer  geworden,  dadurch  daß  die  Ganglienzellenschicht  bis 
auf  eine  einfache  -Zellreihe  reduziert  ist. 

Aber  im  übrigen  ist  es  mit  der  Entwicklung  der  Fovea  immer 
noch  recht  schlecht  bestellt.  Die  innere  Körnerschicht  durchzieht  nach 
wie  vor  als  eine  2 — 3  fache  gesonderte  Zellschicht  den  Grund  der  Fovea 
und,  was  das  Wichtigste  ist,  die  Zapfen  sind  immer  noch  ganz  plumpe 
kurze  Gebilde,  welche  eben  erst  die  ersten  Anzeichen  eines  Außen¬ 
gliedes  erkennen  lassen. 

M.  H. !  Schon  auf  Grund  dieses  anatomischen  Verhaltens  allein 
könnten  wir,  wenn  uns  nicht  die  allltägliche  praktische  Erfahrung 
zur  Seite  stände,  mit  Sicherheit  behaupten,  daß  die  funktionelle  Wer¬ 
tigkeit  der  Neugeb  orenenfovea  nur  höchst  bescheiden  sein  kann,  und 
daß  noch  ein  weiter  Weg  zurückzulegen  ist,  bis  sie  ihre  definitive 
Höhe  erreicht. 

Daß  dem  so  ist,  werden  die  nächsten  Präparate  beweisen : 

Bei  einem  acht  Wochen  alten  Kinde  ist  die  Fovea  auf  einer 
Entwicklungsstufe  angelangt,  welche  wenigstens  auf  eine  Gleichwer¬ 
tigkeit  mit  den  benachbarten  Netzhautpartien  schließen  läßt. 

Die  Zahl  der  Zapfen  in  der  gleichen  Kaumeinheit  hat  beträcht¬ 
lich  zugenommen  und  Hand  in  Hand  damit  ist  eine  Vermehrung  der 
Zapfenkerne  gegangen,  welche  nunmehr  in  der  Fovea  ebenso  vielreihig 
sind  als  in  den  angrenzendetn  Netzhautpartien.  Die  Henle’sche  Faser¬ 
schicht  ist  auffallend  breit,  die  innere  Körnerschicht  dagegen  ein¬ 
reihig  geworden,  doch  sind  von  einer  Verschmelzung  zwischen  ihr 
und  der  Ganglienzellenschicht  immer  noch  keine  Anzeichen  nachweisbar. 

Sind  wir  demnach  jetzt  so  weit  gekommen,  daß  die  Zapfenent¬ 
wicklung  in  der  Fovea  der  in  der  übrigen  Netzhaut  nicht  nachsteht, 
so  kann  doch  immer  noch  nicht  von  einer  ausgesprochenen  Überlegen¬ 
heit  des  fovealen  Bezirkes  gesprochen  werden.  Die  Zapfen  sind  näm¬ 
lich  im  Grunde  der  Fovea  noch  ebenso  dick  als  in  der  Umgebung, 
es  fehlt  also  noch  gerade  die  spezifische  Differenzierungs¬ 
stufe,  durch  welche  die  fertige  Fovea  vor  der  übrigen  Netzhaut  ausge¬ 
zeichnet  ist. 

Dieser  Stufe  nähert  sich,  wie  Ihnen  das  nächste  Präparat  demon¬ 
striert,  die  Fovea  eines  16  Wochen  alten  Kindes. 

Die  Länge  und  Feinheit  der  Zapfen  hat  weiterhin  zugenommen, 
wenn  sie  auch  noch  weit  entfernt  ist  von  der  im  erwachsenen  Organ, 
die  Zahl  der  Zapfenzelleu  im  Grunde  der  Fovea  ist  entsprechend 
gestiegen,  die  Ganglienzellen-  und  innere  Körnerschicht  beginnen  zu 
einer  einfachen  Zellage  zu  verschmelzen,  und  zum  erstenmal  sehen 
wir  die  Membrana  limitans  externa  einen  nach  dem  Glaskörper  zu 
konvexen  Bogen  beschreiben  und  die  sog.  Fovea  externa  bilden, 
welche  ihre  Existenz  einzig  und  allein  der  größeren  Länge  der  Zapfen 
in  der  Fovea  verdankt. 

Trotzdem  wird  Ihnen  der  große  Unterschied  zwischen  dieser  und 
der  folgenden  aus  dem  Auge  eines  Erwachsenen  stammenden  Fovea 
ohne  weiteres  in  die  Augen  springen,  sowohl  was  die  Höhe  als  die 
Feinheit  der  Zapfen  anlangt,  ganz  abgesehen  von  den  übrigen,  eben¬ 
falls  nicht  unbeträchtlichen  Veränderungen  in  der  Ganglienzellen-  und 
inneren  Körnerschicht,  die  jetzt  zu  einer  einfachen  und  nicht  einmal  mehr 
lückenlosen  Zellreihe  verschmolzen  sind. 


Max  Hirsch,  Der  30.  Baineologenkongreß  in  Berlin. 


485 


Die  Höhe  eines  Zapfens  in  der  Fovea  des  Erwachsenen  beträgt 
65  /u,  während  sie  in  der  des  12  Wochen  alten  Kindes  kaum  37  /x 
erreicht,  eine  Differenz,  die  auch  in  der  verschiedenen  Ausbildung 
der  Fovea  externa  zum  Ausdruck  gelangt.  Und  die  Dicke  eines  Zapfen- 
innengliedes  in  der  erwachsenen  Fovea  beträgt  2,5  fx  gegen  3,5  [x  im 
Auge  des  16  Wochen  alten  und  5  jtt  des  neugeborenen  Kindes. 

Wenn  wir  uns  nun  vor  Augen  halten,  daß  der  Grad  der  Seh¬ 
schärfe  durch  die  Feinheit  der  Zapfen  bestimmt  wird,  oder  mit  anderen 
W orten,  daß  die  Sehschärfe  um  so  höher  ist,  je  feiner  die  Zapfen 
sind,  so  ergibt  sich  aus  dem  Gesagten  die  praktisch  wichtige  Schlu߬ 
folgerung,  daß  die  Sehschärfe  des  Menschen  von  der  Geburt 
an  eine  mit  der  Verfeinerung  der  Zentralzapfen  einher¬ 
gehende  allmähliche  Steigerung  erfährt. 

Aber,  m.  H.,  die  Dicke  der  Zapfen  bildet  auch  im  Auge  des 
Erwachsenen  durchaus  keine  konstante  Größe.  In  einer  soeben  erschie¬ 
nenen  Arbeit  von  Fritsch*)  in  welcher  das  Ergebnis  der  anatomischen 
Untersuchung  von  400  menschlichen  Augen  der  verschiedensten  Fassen 
niedergelegt  ist,  erfahren  wir,  daß  in  dieser  Hinsicht  sowohl  große 
individuelle  als  Kassenunterschiede  obwalten. 

Und  es  ist  eine  für  uns  betrübende,  wenn  auch  nicht  gerade  über¬ 
raschende  Kunde,  daß  nach  den  Untersuchungen  von  Fritsch  die  durch¬ 
schnittliche  Veranlagung  des  Sehvermögens  der  europäischen  Kassen 
geringer  ist  als  die  anderer  Kassen,  welche  aber  durchaus  nicht  aus¬ 
schließlich  die  in  dieser  Hinsicht  sprichwörtlich  gewordenen  Natur¬ 
völker  zu  sein  brauchen. 

Von  besonderem  Interesse  ist  endlich  noch  für  uns  die  Mitteilung, 
daß  mit  die  beste  Veranlagung  dem  Hottentottenauge  zuzusprechen 
ist,  und  wir  begreifen  jetzt,  wie  es  kam,  daß  unsere  Gegner  in  Deutsch- 
Südwestafrika  manchmal  mit  bloßem  Auge  mehr  zu  sehen  vermochten, 
als  unsere  mit  den  besten  optischen  Hilfsmitteln  ausgerüsteten  Lands¬ 
leute. 


Der  30.  Baineologenkongreß  in  Berlin. 

Von  Dr.  Max  Hirsch,  Arzt  in  Bad  Kudowa. 

Der  30.  Baineologenkongreß,  welcher  vom  4. — 9.  März  1909  in 
Berlin  tagte,  war  recht  zahlreich  besucht.  Zum  zweiten  Male  tagte 
der  Kongreß  unter  Leitung  von  Geheimrat  Prof.  Dr.  Brieger;  zum 
ersten  Male  hatte  er  auch  die  V orbereitungen  zu  dem  Kongreß  im 
Verein  mit  dem  Generalsekretär  der  Gesellschaft,  Geheimrat  Dr.  Brock, 
getroffen.  53  Vorträge  konnten  auf  diesem  Kongreß  gehalten  werden, 
die  dafür  Zeugnis  ablegen,  wie  sehr  die  wissenschaftliche  Kichtung 
in  der  Balneologie  vorangeschritten  ist.  Mit  einer  gewissen  Wehmut 
vernahm  die  Gesellschaft  durch  ihren  Generalsekretär,  Geheimrat  Dr. 
Brock,  am  ersten  Sitzungstage  nach  einem  warmen  Nachruf  auf  den 
dahingeschiedeneji  Vorsitzenden,  Geheimrat  Prof.  Dr.  Liebreich,  die 
Nachricht,  daß  Hofrat  Prof.  Dr.  Wilhel  m  Wintern itz-Wien  sein 
Amt  als  stellvertretender  Vorsitzender  wegen  hohen  Alters  nieder¬ 
legen  mußte.  An  seine  Stelle  wurde  einstimmig  gewählt  Kaiserl.  Kat 
Dr.  Fellner -Franzensbad,  der  in  jahrzehntelanger  wissenschaftlicher 
und  praktischer  Tätigkeit  sich  einen  glänzenden  Namen  erworben  hat. 


*)  Fritsch,  Bau  und  Bedeutung  der  area  centralis  des  Menschen.  Berlin  1908. 


486 


Max  Hirsch, 


Der  Vorstand  der  Gesellschaft  ernannte  Geheimrat  Prof.  Dr.  Senator 
in  Berlin,  in  Anerkennung’  seiner  großen  Verdienste  um  die  Wissen¬ 
schaft,  speziell  um  die  Balneologie,  zu  ihrem  Ehrenmitgliede.  In  dem 
Dank,  den  Geheimrat  Senator  der  Gesellschaft  aussprach,  betonte  er, 
daß  er  vom  Beginn  seiner  Praxis  an,  also  über  1/2  Jahrhundert,  stets 
darauf  bedacht  gewesen  sei,  die  Balneologie  zu  fördern. 

Die  Vortragsreihe  eröffnete  Ewald -Berlin  mit  seinem  Vortrage 
„Neuere  —  besonders  radioskopische  —  Ergebnisse  aus  dem  Gebiet 
der  Magen-  und  Darmuntersuchungen“.  Vortr.  gibt  einen  interessanten 
Überblick  über  die  Fortschritte  in  der  Magen-  und  Darmdiagnostik, 
hebt  die  Arbeiten  von  Pawloff  und  Bickel  hervor,  ferner  das  von 
ihm  und  Boas  eingeführte  Probefrühstück  u.  a.  m.  Unter  den  neuren 
diagnostischen  Untersuchungsmethoden  stellt  er  die  Röntgenoskopie 
sehr  stark  in  den  Vordergrund.  Vor  allem  könne  sie  einen  guten  Auf¬ 
schluß  geben  über  die  physiologischen  Verhältnisse  des  Magen-Darm¬ 
kanals  und  auch  die  Frühdiagnose  des  Krebses  erleichtern.  Selbst¬ 
redend  spielt  die  Erkennung  von  Fremdkörpern  im  Verdauungskanal 
in  der  Röntgendiagnostik  eine  sehr  große  Bolle.  Diesen  Vortrag  ergänzte 
Cohn -Berlin  durch  eine  Reihe  von  Röntgenbildern  des  Magen-Darm¬ 
kanals,  welche  vor  allem  die  Veränderungen  der  Lage  und  der  Form  des 
Magens  bei  der  Atmung  zeigten.  Vortr.  hat  deshalb  das  Röntgen  verfahren 
dadurch  verbessert,  daß  er  eine  schnelle  Expositionszeit  einführte, 
welche  ermöglichte,  in  einer  Atmungsphase  die  Aufnahme  zu  machen. 

Einen  ähnlichen  Gegenstand  behandelte  Schürmayer- Berlin,  näm¬ 
lich  „Beiträge  zur  röntgenologischen  Diagnose  der  Erkrankungen  des 
Verdauungstraktus“.  Diese  Unter suclmngsmethode  ist  erst  ermöglicht 
worden  durch  die  Einführung  der  Rieder’schen  Bismutbreitechnik,  deren 
genaue  Innehaltung  Vortr.  sehr  empfiehlt.  Vortr.  verwirft  das  von 
vielen  Autoren  geübte  Verfahren,  durch  größere  Mengen  von  Bismutbrei 
den  Magen  zu  überlasten,  da  hierdurch  die  Normalform  des  Magens 
verändert  werden  kann.  Sodann  demonstrierte  er  eine  Reihe  von  Röntgen¬ 
bildern,  welche  die  Erschlaffungszustände  des  weiblichen  Magens 
zeigten,  die  Pylorusinsuffizienz  bei  männlichen  Mägen  u.  a.  m.  Im 
Verein  mit  der  Probekost  nach  Ad.  Schmidt  gibt  die  Ried  er’ sehe 
Bismutmethode  auch  Aufschluß  über  den  Ablauf  der  Darmfunktion 
sowie  der  Sekretionsgröße  im  Darme. 

Ad.  Schmidt-Halle  spricht  „über  den  Durchfall“.  Er  betont 
vor  allem,  daß  das  Wesen  des  Durchfalls  die  Absonderung  einer  fäulnis¬ 
fähigen  Flüssigkeit  durch  die  Darmwandung  ist,  welche  die  erhöhte 
Peristaltik  auslöst.  Für  die  medikamentöse  Therapie  kommen  die 
Opiate,  die  Adstringentien  und  die  Desinfizientien  in  Betracht.  Als 
bestes  Desinfizienz  erwies  sich  das  Wasserstoffhyperoxyd  und  zwar 
in  Verbindung  mit  Agar  —  Agar,  das  als  Oxygar  in  den  Handel 
kommt. 

Kionka-Jena  bespricht  das  Thema  „Einwirkung  von  Mineral¬ 
wässern  auf  die  Darmtätigkeit“.  Wasser  und  Mineralwasser  verlassen 
den  nüchternen  Magen  verhältnismäßig  rasch.  Kalt  genossenes  Wasser 
kann  daher  auch  Kältewirkungen  noch  im  Darm  erzeugen.  Ebenso 
wirken  auch  die  mit  dem  Mineralwasser  eingeführten  Salze  aüf  den 
Darm.  Durch  Versuche  an  isolierten  Darmschlingen  wurde  festgestellt, 
daß  bei  der  Einwirkung  von  Salzen,  wie  sie  in  der  Lösung  der  Mineral¬ 
wässer  vorliegen,  eine  häufig  sehr  starke  gegenseitige  Beeinflussung 
der  vorhandenen  Ionen  in  bezug  auf  ihre  Resorption  im  Darme  statt- 


Der  80.  Baineologenkongreß  in  Berlin. 


487 


findet.  Auch  lassen  sich  auf  die  abführenden  Wirkungen  der  Mineral¬ 
wässer  zum  Teil  direkt  Schlüsse  ziehen.  Weitere  Arbeit  auf  diesem 
Gebiete  wird  sicher  noch  weitere  Resultate  zeitigen. 

L.  Kuttner-Berlin  bespricht  die  „Vorteile  und  Nachteile  der 
Über-  und  Unterernährung“.  Beide  Behandlungsmethoden  haben  ihre 
bestimmten  Indikationen  und  sollten  nur  bis  zu  einer  gewissen  Grenze 
durchgeführt  werden,  aber  bei  beiden  Kuren  werde  gegen  diese  Vor¬ 
schriften  so  oft  gefehlt.  Eine  zu  reichliche  Nahrungsaufnahme,  eine 
Überfütterung,  zeigt  sich  heute  schon  im  Säuglings-  und  Kindesalter. 

Im  späteren  Alter  werden  Über ernährungs kuren  am  meisten  ver¬ 
ordnet  bei  Blutarmut,  bei  Nervosität  und  Hysterie,  bei  Rekonvales¬ 
zenten  und  im  Anfang  der  Tuberkulose.  Man  könnte  mit  diesem  V er¬ 
fahren  gute  Erfolge  erzielen.  Vorbedingung  für  eine  Steigerung  der 
Nahrungszufuhr  sei  ein  normales  Verhalten  der  Verdauungsorgane. 
Man  muß  sorgf  ältig  individualisieren,  wie  weit  die  Überernährung  gehen 
darf  und  ob  der  Patient  während  der  Kur  ruhen  oder  sich  bewegen  soll. 
Eine  strenge  Ruhe  kann  oft  direkt  schädlich  sein.  Fettleibigkeit  muß 
vermieden  werden,  vor  allem  aber  darf  man  es  nicht  bis  zu  einer  Herz¬ 
schwäche  in  der  Überernährung  bringen.  Besonders  bei  Stoffwechsel¬ 
krankheiten  ist  große  Vorsicht  am  Platze.  Mehr  noch  als  bei  Über¬ 
ernährungen  wird  bei  Unterernährungen  durch  unzweckmäßiges  Ver¬ 
halten  geschadet.  Bei  Entfettungskuren  soll  man  auf  den  Zustand 
des  Patienten  die  größte  Rücksich  nehmen,  vor  allem  Schnellkuren 
vermeiden  und  bei  jeder  Entfettungskur  Muskelarbeit  mit  heranziehen, 
da  diese  am  sichersten  einem  schädlichen  Eiweißverlust  vorbeugt.  Auch 
bei  den  Schonungsdiäten  soll  man  sehr  vorsichtig  sein,  vor  allem  mit 
der  Einschränkung  der  Elüssigkeitszufuhr  nicht  zu  rigoros  Vorgehen, 
da  man  damit  mehr  schaden  als  nützen  kann. 

Paris  er -Homburg  sprach  über  „Entfettungskuren“.  Zunächst 
schildert  er  den  höchst  interessanten  Fall  von  Fettsucht  nach  einer  Ent¬ 
fernung  des  Ovariums.  Die  Schilddrüse  sei  der  eigentliche  Regulator 
der  Oxydationsenergie  für  den  Zellenhaushalt  des  Körpers.  Bei  der 
Fettsucht,  die  ihren  Ursprung  auf  die  Schilddrüse  zurückführt,  emp¬ 
fiehlt  Vortragender  die  Schilddrüsenpräparate,  doch  nur  dann,  nicht 
aber  bei  Mastfettsucht.  Selbstredend  ist  dabei  die  Entfettungsdiät  nicht 
zu  vernachlässigen. 

Gott schalk- Berlin  bespricht  das  Thema  „Balneotherapie  und 
Menstruation“.  Er  ist  der  Ansicht,  daß  man  die  Trinkkur  während 
der  Menstruation  ruhig  fortsetzen  kann,  wenn  er  auch  zugibt,  daß 
^mitunter  blutdrucksteigernde  Wirkungen  durch  das  Trinken  erzielt 
werden.  Bäder  sollten  während  der  Menstruation  lieber  nicht  gegeben 
werden.  Als  Gründe  dafür  gibt  er  zunächst  die  Möglichkeit  einer  ört¬ 
lichen  Schädigung  durch  das  Eindringen  der  Badeflüssigkeit  in  die 
Scheide  an,  wobei  auch  pathogene  Mikroorganismen  ein  dringen  können 
und  während  der  Menstruation  einen  besonders  günstigen  Nährboden 
finden.  Besonders  möchte  Vortr.  noch  hervorheben,  daß  protrahierte 
kalte  Seebäder  die  Menstruation  sistieren  können.  In  der  sehr  regen 
Diskussion  findet  der  'Vortr.  mit  seinen  Ausführungen  allseitig 
Zustimmung,  wobei  Engelmann-Kreuznach  noch  das  Unästhetische 
des  Badens  während  der  Menstruation  hervorhebt. 

Determann-St.  Blasien  spricht  über  „Viskosität  und  Eiwei߬ 
gehalt  des  Blutes  bei  verschiedener  Ernährung,  besonders  bei  Vege¬ 
tariern“.  Dabei  greift  er  auf  seine  vor  einigen  Jahren  mitgeteilten 


488 


Max  Hirsch,  Der  30.  Balneologenkongreß  in  Berlin. 


Befunde  relativ  geringer  Blutviskositätswerte  an  gesunden  Vegetariern 
im  Vergleich  mit  Fleisch-*  resp.  Gemischtessern  zurück.  Er  fand,  daß 
unter  den  Eiweiß  arten  das  Globulin  der  bei  weitem  zäheste  Blut¬ 
eiweißstoff  ist,  daß  Zucker  und  Kochsalzlösungen  an  sich  kaum  eine 
Bolle  spielen.  Die  an  fünf  Vegetariern  und  vier  Gemischtessern  vor¬ 
genommenen  Untersuchungen  der  Viskositätsgröße  und  des  Eiweißge¬ 
haltes  des  Blutes  und  der  periodenweise  eiweißreicher,  eiweißarmer,  fett¬ 
reicher  Ernährung  und  unter  relativer  Hungerkost  ergaben  negative 
Resultate.  Nach  einigen  Bemerkungen  darüber,  daß  die  Viskosität  auch 
von  anderen  Umständen  als  dem  Eiweißgehalt  abhängt,  gibt  Vortr. 
noch  eine  Übersicht  der  bis  jetzt  vorhandenen  Apparate  zur  Prüfung 
der  Viskosität,  wobei  er  seinem  Apparat  den  Vorzug  gibt  und  betont, 
daß  ein  Hirudinzusatz  zum  Blut  unbedingt  notwendig  ist. 

Sarason-Berlin  spricht  über  „die  Bedeutung  von  Freilufthäusern 
für  Kurorte“.  Vortr.  demonstriert  eigens  konstruierte  Modelle,  welche 
die  beste  Art  von  Freiluftwohnungen  vorstellen  sollen,  indem  die  oberen 
Etagen  terrassenförmig  zurückrücken  und  Balkons  vor  jedem  Zimmer 
sich  befinden.  Die  Kombination  dieser  beiden  Faktoren  macht  nach 
Ansicht  des  Vortragenden  sein  System  besonders  wertvoll. 

Engelmann-Kreuznach  sprach  über  „die  Gewinnung  hochgradig 
radioaktiver  Salze“  aus  dem  Rückstände  der  Kreuznacher  Quellen  und 
deren  medizinische  Verwertung.  Vortr.  hebt  hervor,  daß  die  Quellen 
Kreuznachs  andauernd  viel  radioaktive  Substanzen  aus  dem  Erdinnern 
an  die  Oberfläche  befördern.  Diese  finden  sich  hauptsächlich  in  dem 
Sinter,  der  jährlich  mehrere  hundert  Zentner  beträgt,  so  daß  der  Ge- 
*  danke  nahe  lag,  die  Herstellung  der  Badiumsalze  fabrikmäßig  zu  be¬ 
treiben.  Die  Produkte  dieser  Fabrikation  kamen  hauptsächlich  für 
rheumatische  Leiden,  Neuralgie  und  Ischias  in  Verwendung.  In  neuester 
Zeit  finden  sie  viel  Verwendung  in  dem  Krebsinstitut  von  Czerny  in 
Heidelberg,  der  sich  große  Hoffnungen  von  dem  Kreuznacher  Radium 
macht. 

Fu er s t en her g- Berlin  hob  in  der  Diskussion  hervor,  daß  die 
Emanation  sehr  schnell  aus  den  Bädern  entweiche  und  der  Erfolg  nach 
radioaktiven  Bädern  sehr  gering  sei.  Durch  die  intakte  Haut  könne 
die  Emanation  nicht  hindurchdringen.  Am  besten  wirke  Radium  inner¬ 
lich  und  als  Inhalation ;  in  letzter  Form  hätte  er  bei  den  Phthisikern 
Temper atursteigerungen  beobachtet.  Zweifellos  bestehe  ein  Zusammen¬ 
hang  zwischen  Reaktion  und  Besserung. 

Schuster- Aachen  spricht  über  das  Thema  „Ist  die  Kombination 
von  Quecksilber  kuren  mit  Schwefelbädern  rationell?“  Vortr.  gibt  einen 
Überblick  über  die  neueren  Untersuchungen  über  die  Aachener  Kur, 
d.  h.  die  Kombination  von  Thermalbädern  und  Einreibun  obskur  en.  Er 
ist  der  Ansicht,  daß  sich  die  Annahme,  es  müsse  sich  bei  dieser  Kur 
unwirksames  Schwefelquecksilber  bilden,  nicht  beweisen  lasse  und 
kommt  zu  folgenden  Resultaten.  Die  Quecksilberschwefelbadekur  ist 
zweckmäßig,  weil  dadurch  eine  energische  Aufnahme  und  Ausscheidung 
des  Quecksilbers  stattfindet,  weil  die  Kur  lange  und  intensiv  einwirkt 
und  dem  Aachener  Thermalwasser,  ein  therapeutischer  Einfluß  auf 
die  Syphilis  zukommt. 

Lichtensite, in -Frankfurt  a.  0.  spricht  über  „Die  Heilerfolge 
des  Aderlasses“.  Auf  Grund  langjähriger  Beobachtungen  führt  Vortr. 
an,  vom  Aderlaß  gute  Erfolge  gesehen  zu  haben  in  der  Behandlung 
schwerer  Anämien,  bei  Gelenkrheumatismus,  bei  Lungenentzündung, 


W.  Zeuner,  Indikationen  für  Vial’s  Wein. 


489 


bei  Epilepsie,  bei  chronischer  Nierenentzündung,  bei  chronischen 
Ekzemen,  Tetanus,  Pyämie,  vielleicht  auch  bei  Konstitutionsschwäche. 

Ledermann-Berlin  spricht  über  ,,die  Bedeutung  der  Wasser- 
mann’schen  Serumreaktion  für  die  Diagnostik  und  Behandlung  der 
Syphilis“.  Unter  800  untersuchten  Fällen  befanden  sich  250,  die  weder 
klinisch  noch  anamnestisch  für  Syphilis  sprachen.  In  all  diesen  Fällen 
war  das  Untersuchungsresultat  negativ.  An  der  Hand  einer  ausführ¬ 
lichen  Tabelle  zeigt  Vortr.,  daß  der  diagnostische  Wert  der  Wasser- 
mann’schen  Reaktion  ein  sehr  hoher  ist.  Der  Wert  der  negativen 
Reaktion  liegt  besonders  jenseits  des  fünften  Jahres  zu  einer  Zeit,  wto 
man  gut  behandelte,  seit  J ahren  symptomfreie  Patienten  bisher  im 
klinischen  Sinne  als  geheilt  betrachtete.  Hier  ist  die  negative  Reaktion 
ein  Glied  mehr  in  der  Kette  derjenigen  Beweismittel,  welche  uns 
erlauben,  einen  Syphilitiker  als  geheilt  anzusehen.  Andererseits  soll 
man  sich  in  schweren  Krankheitsfällen  niemals  beim  negativen  Aus¬ 
fall  der  Reaktion  in  seinem  therapeutischen  Handeln  beeinflussen  lassen, 
wenn  der  klinisch  begründete  Verdacht  einer  bestehenden  Syphilis  vor¬ 
liegt.  Zuverlässig  ist  die  positive  Reaktion,  wobei  V ortr.  darauf  hin¬ 
weist,  man  möge  die  Träger  derselben,  wenn  sie  auch  lange  Zeit  frei 
von  Symptomen  werden,  sorgfältig  beobachten,  namentlich  in  bezug 
auf  ihr  Nervensystem.  Für  die  Therapie  soll  die  positive  Reaktion 
allein  nicht  maßgebend  sein,  sondern  nur  in  Verbindung  mit  klinischen 
Methoden. 

Möller -Berlin  besprach  die  „hydriatische  Behandlung  der  Lungen¬ 
schwindsucht“.  Er  führt  au]s,,  daß  schon  Brehmer  Bäder,  Abrei¬ 
bungen  und  Duschen  verordnet  habe.  Man  muß  daran  denken,  daß  ein 
Teil  der  Lunge  seine  Funktion  eingebüßt  habe  und  das  ein  kleinerer 
Teil  der  Lunge  den  Gasaustausch  besorgen  muß,  somit  der  Gaswechsel, 
der  in  der  Lunge  stattfindet,  nicht  ausgiebig  genug  erfolgen  kann. 
Deshalb  muß  man  das  andere  Organ,  das  in  der  Respiration  eine  große 
Rolle  spielt,  zur  Hilfe  heranholen,  nämlich  die  Haut.  Der  Blutkreislauf 
wird  durch  eine  regere  Hautzirkulation  angeregt,  Katarrhe  werden 
günstig  beeinflußt  und  beseitigt,  die  Produkte  des  Tuberkelbazillus, 
die  auf  den  Organismus  giftig  wirken,  werden  teils  beseitigt,  teils  ver¬ 
nichtet,  die  Schutzkräfte  des  Körpers  gegen  die  Bakterien  werden 
durch  die  Erhöhung  der  Zellt ätigkeit  gesteigert.  Das  Blut  wird  ge¬ 
bessert,  seine  Alkaleszenz  erhöht,  wodurch  das  Wachstum  des  Tuberkel- 
bazillus  wesentlich  behindert  wird.  Die  Wirkung  der  hydristischen 
Behandlung  zeigt  sich  in  der  Abnahme  der  Atmungs-  und  Pulszahl. 
Hauptsächlich  kommen  in  Frage  Einpackungen,  Abreibungen  und 
Duschen.  (Fortsetzung  folgt.) 


Indikationen  für  Vial’s  Wein. 

Von  Dr.  W.  Zeuner,  prakt.  Arzt  in  Berlin. 

Tonika  sind  in  allen  denjenigen  Fällen  angebracht,  wo  es  sich 
darum  handelt,  die  gesunkene  Ernährung  zu  heben,  vorhandene  Schwäche¬ 
zustände  zu  beseitigen,  also  eine  allgemein  stärkende  Wirkung  als 
Heileffekt  zu  erzielen.  Die  Tonika  sollen  durch  Zuführung  normaler, 
aber  im  erkrankten  oder  geschwächten  Organismus  in  verminderter 
Menge  vorhandener  Mischungsbestandteile  zu  dem  Blut  und  zu  den 
Geweben  eine  gesteigerte  Bildung  von  Blut  und  Zellen  hervorrufen, 
sie  sollen  die  nutritive  Tätigkeit  fördern,  indem  sie  auf  den  Verdauungs- 


490 


W.  Zeuner,  Indikationen  für  Vial’s  Wein. 


apparat  günstig  ein  wirken,  die  Verdauungssekretion  normal  machen 
und  anregen,  indem  sie  weiter  die  assimilierende  Tätigkeit  der  Magen- 
und  Darmschleimhaut  befördern,  wodurch  eben  eine  Besserung  der  Blut¬ 
bildung  sowie  der  Gesamternährung  erreicht  wird. 

Vial’s  Wein,  ein  flüssiges  Nährmittel  von  hervorragender 
Güte  und  von  besonderem  Wohlgeschmack,  erfüllt  die  Anforderungen, 
die  an  ein  wirksames  Tonikum  zu  stellen  sind,  in  bester  Weise,  denn 
er  ist  ein  ganz  vorzüglicher  Chinawein,  welchem  Fleischextrakt  und 
Kalziumlaktophosphat  hinzugesetzt  ist.  Er  wirkt  appetitanregend  und 
sehr  kräftigend  und  wird  von  den  Patienten  gern  genommen,  weil 
er  ausgezeichnet  mundet  und  in  der  Regel  schon  in  kurzer  Zeit,  nach 
Verbrauch  von  ein  oder  zwei  Flaschen,  ein  wohltuendes,  erwünschtes 
Kräftigungsgefühl  sich  bemerkbar  macht. 

Das  Präparat  von  Autoritäten  wie  Erb  und  Liebreich,  Fischer, 
Freund,  Eulenburg  usw.  empfohlen,  ist  angezeigt  bei  allgemeinen 
Schwächezuständen,  bei  Rekonvaleszenten  nach  schweren  Krankheiten 
und  nach  schweren  Operationen,  bei  Blutarmen,  insbesondere  auch  bei 
vielen  Nervenleiden,  speziell  bei  Neurasthenie  und  Hysterie,  bei  hef¬ 
tiger  Migräne,  aber  auch  bei  Tabes  und  multipler  Sklerose  neben  son¬ 
stigen  Kurmethoden,  ferner  noch  bei  Altersschwäche. 

In  zahlreichen  Fällen  von  Tabes,  bei  Karzinom-  und  Syphilis- 
Kachexien,  bei  schwerer  Neurasthenie,  nervösem  Magenkatarrh, 
sowie  bei  senilem  Marasmus,  in  denen  allen  die  Ernährung  dar¬ 
niederlag  und  der  Kräftezustand  viel  zu  wünschen  übrig  ließ,  habe 
ich  Vial’s  tonischen  Wein  mit  sichtbarem  Erfolge  nehmen  lassen,  ebenso 
wie  von  solchen  Leidenden,  die  wegen  allgemeiner  Schwächlichkeit  nicht 
recht  gedeihen  wollen,  obwohl  außer  zeitweiliger  Anämie  keine  beson¬ 
dere  Krankheit  weiter  vorzuliegen  scheint.  Individuen,  die  durch  lang¬ 
wieriges  Krankenlager  und  Operationen  arg  heruntergekommen  waren, 
erholten  sich  nach  Verordnung  von  Vial’s  Wein  zusehends,  wobei  es 
als  besonders  erfreulich  zu  beobachten  war,  daß  die  Eßlust  danach  bald 
zurückkehrte. 

Das  Präparat  stellt  sich  für  solche,  die  aus  einem  der  oben  ange¬ 
gebenen  Gründe  der  Kräftigung  bedürftig  sind,  als  ein  wirkliches 
Labsal  dar,  es  ist  ein  Nährpräparat  in  fertiger,  flüssiger,  angenehmer 
und  wohl  bekömmlicher  Form,  welches  den  großen  Vorzug  besitzt, 
den  Patienten  nicht  überdrüssig  zu  werden.  Vor  allem  ist  die  An¬ 
regung  des  Appetits  bei  seinem  Gebrauch  hervorzuheben,  die  es  ermög¬ 
licht,  hartnäckige  dyspeptische  Beschwerden  und  die  mangelhafte  Assi¬ 
milation  zu  beseitigen.  Der  spanische  Edelwein,  Chinarinde,  Fleisch¬ 
saft  uni  Kalk-Laktophosphat  führen  dem  Körper  Stoffe  zu,  die  nicht 
nur  die  Schleimhaut  des  Magens  und  Darms  mit  ihren  zugehörigen 
Drüsen,  sondern  auch  die  Nervenzellen  günstig  beeinflussen. 

Erwachsene  nehmen  dreimal  täglich  vor  den  Mahlzeiten  je  ein 
Likörglas  voll  oder  bei  sehr  erheblicher  Störung  der  Ernährung  ein 
kleines  Weinglas  voll.  Kindern  gibt  man  je  nach  dem  Alter  zweimal 
täglich  etwa  je  10  g. 

Einige  Krankengeschichten  seien  kurz  beigefügt : 

L.  P.,  Kaufmannsgattin,  48  Jahre  alt,  in  sehr  schlechtem  Er¬ 
nährungszustand.  Gewicht  am  1.  Dezember  1906  110  Pfund.  Leidet 
an  Neurasthenie,  Globus  hystericus,  Schlaflosigkeit,  hat  künstliches 
Gebiß.  Luetische  Infektion  ab  uxore  vor  15  Jahren.  Infolge  mehrerer 
Todesfälle  in  der  Familie  (der  Mann  starb  an  progressiver  Paralyse, 


Ascher,  Breslauer  Brief. 


491 


der  Sohn  durch  Suicidium)  ist  sie  meist  in  ganz  niedergedrückter  Stim¬ 
mung,  neigt  viel  zum  Weinen,  klagt  über  allgemeine  Unlust,  Schwäche¬ 
gefühl,  Appetitmangel,  Magendrücken,  Gefühl  von  Vollsein  im  Leib, 
Kopfschmerzen.  Zunge  fast  ständig  etwas  belegt.  Verschiedene  Kuren 
in  Badeorten,  sowie  zahlreiche  Medikamente  und  Diätvorschriften 
brachten  keinen  rechten  Erfolg,  während  sich  bei  Gebrauch  von  Viabs 
Wein  bald  der  Ernährungszustand,  sowie  der  Appetit  und  die  Stimmung 
besserten,  so  daß  im  Verlaufe  von  acht  Wochen  das  Körpergewicht 
um  zehn  Pfund  stieg.  Ordiniert  wurde  zweimal  täglich  ein  Weinglas 
voll  Viabs  Wein  während  der  Hauptmahlzeiten. 

E.  L .,  Ingenieur,  47  Jahre  alt,  wurde  am  4.  Februar  1907  wegen 
Perityphlitis  operiert,  nachdem  er  schon  vier  Wochen  daran  krank 
gelegen  hatte.  Bei  der  Operation  fand  sich  der  Blinddarm  tief  ins 
kleine  Becken  retrahiert,  die  Dünndarmschlingen  waren  zu  einem  dicken 
Konvelut  verwachsen,  im  kleinen  Becken  war  ein  großer  Abszeß,  bei 
dessen  Eröffnung  sich  der  übelriechende  Eiter  über  das  Peritoneum 
ergoß.  Die  Wunde  wurde  tamponiert,  nicht  geschlossen.  Prognose 
infaust.  Langsame,  schwierige  Bekonvaleszenz.  Nach  sechs  Wochen 
konnte  Patient  die  Klinik  verlassen.  Der  vorher  wohlbeleibte,  kräftige 
Mann  war  äußerst  abgemagert,  ganz  entkräftet,  ohne  Appetit.  Nach 
Gebrauch  von  fünf  Flaschen  Viabs  Wein,  wie  oben  verordnet,  fanden 
sich  Appetit  und  Kräfte  wieder  ein.  Gewichtszunahme  in  fünf  Wochen 
ca.  20  Pfund.  Die  weitere  Bekonvaleszenz  verlief  günstig. 

Frl.  E.  M.,  Schauspielerin,  38  Jahre  alt,  Tabes  auf  luetischer 
Basis.  Ataxie  der  Beine,  lanzinierende  Schmerzen  in  den  Unterschenkeln, 
Anästhesie  der  Blase.  Durch  achtwöchentliches  Krankenlager  und  die 
infolge  der  Schmerzen  meist  schlaflosen  Nächte  kam  die  Patientin 
sehr  herunter,  bis  Viabs  Wein,  der  besser  als  viele  andere  Stomachika 
vertragen  wurde,  allmählich  wieder  Kräftigung  und  Appetit  brachte, 
nachdem  die  tabischen  Symptome  durch  andere  Mittel  größtenteils 
behoben  waren.  Nach  Verbrauch  von  acht  Flaschen  des  tonischen  Weines 
stieg  das  Körpergewicht  im  Verlauf  von  acht  Wochen  um  22  Pfund. 
Später  verschwanden  auch  die  Schmerzen,  und  die  Ataxie  nahm  schlie߬ 
lich  erheblich  ab. 

Dr.  E.  S.,  Geheimrat,  76  Jahre  alt,  Magen-Scirrhus  und  seniler 
Marasmus,  vertrug  fast  gar  keine  feste  Nahrung  bei  gänzlich  darnieder¬ 
liegender  Appetenz,  während  nach  Verordnung  von  Vial’s  Wein,  der 
gern  genommen  wurde,  sich  wieder  Eßlust  zeigte  und  die  gesunkenen 
Kräfte  sich  deutlich  merkbar  hoben,  soweit  dies  bei  dem  bösartigen 
Grundleiden  überhaupt  möglich  war.  Als  besonders  erfreulich  war 
auch  in  diesem  Falle  hervorzuheben,  wie  der  wohlschmeckende  und 
nahrhafte  Viabs  Wein  die  Lebensfreude  bei  dem  schwer  Kranken, 
der  sehr  niedergeschlagen  war,  wieder  erweckte. 


Breslauer  Brief. 

Von  Dr.  Ascher. 

In  der  am  5.  Februar  stattgefundenen  Sitzung  der  schlesischen 
Gesellschaft  demonstrierte  Zieler  einen  schon  einmal  gezeigten  Malleus- 
f all ;  derselbe  wurde  mit  Injektionen  von  Mallein  und  mit  Böntgen- 
bestrahlung  behandelt.  Er  bekam  im  ganzen  fünf  Injektionen  von 
Vio — 3/ 4  Öse.  Trotzdem  er  auf  die  letzte  Dose  noch  mit  Fieber  reagiert 


492 


Ascher, 


hat,  ist  der  Prozeß  zum  Stillstand  gekommen  und  kann  klinisch  als 
geheilt  betrachtet  werden.  ^  Es  besteht  ausgedehnte  Narbenbildung.  Die 
Prognose  der  Dauerheilung  ist  dubiös.  Der  Vortragende  schreibt  den 
Malleininjektionen  eine  energische  Beschleunigung  des  Heilungs¬ 
prozesses  zu. 

Als  Zweiter  stellt  Danielsen  ein  12 jähriges  Mädchen  mit 
Ösophagusstenose  auf  diphterischer  Grundlage  vor.  Das  Kind  über¬ 
stand  im  vorigen  Jahre  in  der  medizinischen  Klinik  eine  Diphtherie. 
Bald  nach  der  Entlassung  stellte  sich  steigerndes  Erbrechen  ein.  Es 
konnte  nur  flüssige  Nahrung  genommen  werden.  Die  eingeführte  weiche 
Sonde  und  die  Wismutsäule  im  Böntgenbilde  wiesen  auf  eine  Ösophagus¬ 
stenose  in  der  Höhe  von  30  em  hin.  Analoge  Fälle  sind  nur  zwei, 
von  Jungnickel  und  Kolodzinski  veröffentlicht  worden.  Ein 
Fall  war  durch  Perforation  in  das  Mediastinum  kompliziert.  Es 
handelt  sich  meistenteils  um  Gewebsnekrosen,  um  direkte  Tiefenwir¬ 
kung  des  Bazillus. 

Hier  in  diesem  Falle  trat  nach  zwei  Seruminjektionen  glatte 
Heilung  der  Bachendiphtherie  ein.  Die  jetzige  Therapie  der  Stenose 
besteht  in  Bougierung  mit  stärker  werdenden  Sonden  und  in  Thiosin- 
amininjektion.  Diselbe  ist  jetzt  für  1  cm  dicke  Sonden  durchgängig. 
Komplizierend  wirkt  die  Absetzung  der  Stenose  in  mehreren  Höhen. 

In  der  sich  anschließenden  Diskussion  betont  v.  Strümpell  die 
Schwierigkeit  der  Diagnosestellung,  wobei  die  Sondenuntersuchung  den 
Ausschlag  gibt.  Er  bespricht  einen  Fall,  den  er  bei  einem  Kinde  von 
11  Jahren  in  Erlangen  beobachtet  hat.  Der  verstorbene  Chirurg 
H  einicke  machte  die  ösophagotomia  externa  und  erweiterte  die  Striktur 
durch  Einlegen  von  Dauerbougies. 

Gottstein  sah  mehrere  Fälle  von  postdiphterischer  Ösophagus¬ 
lähmung,  auf  deren  Bückgang  die  Gastrostomie  wegen  Entlastung  der 
Speiseröhre  vorzüglichen  Einfluß  gehabt  hat. 

Als  Dritter  stellte  Ludloff  einen  Fall  von  posttraumatischer 
Myositis  ossificans  am  Ellenbogen  vor.  Auffallend  ist  hier,  daß  der 
Vater  des  Patienten  gleichfalls  eine  Myositis  ossificans  auf  traumatischer 
Grundlage  hat,  die  ebenfalls  am  Ellenbogen  ihren  Sitz  hat. 

L.  betont  das  relativ  häufige  Vorkommen  dieser  Affektion  in 
der  hiesigen  Klinik  und  glaubt  sie  auf  die  frühzeitige,  von  Mikulicz 
inaugurierte,  Massage  des  posttraumatischen  Hämatoms  zurückführen 
zu  können.  Er  warnt  vor  der  Anwendung  derselben.  Therapeutisch 
versucht  er  jetzt  die  von  Koste  angegebenen  Fibrolysininjektionen. 

Als  Vierter  sprach  Bruck  „über  spezifische  Behandlung  gonor¬ 
rhoischer  Prozesse“.  Vortragender  bespricht  ausführlich  die  Immuni¬ 
tätsvorgänge,  die  bei  der  Gonorrhöe  in  Betracht  kommen.  Er  bespricht 
die  Wassermann’schen  Endotoxine  und  die  Versuche,  die  man  gemacht 
hat,  um  die  Gonokokken  auf  das  Tier  zu  übertragen.  Er  hält  eine 
antitoxische  Therapie  für  aussichtslos;  auch  sind  seine  Versuche  mit 
ambozeptorenhaltigem  Gonokokkenserum  ohne  bemerkenswerten  Erfolg 
gewesen.  Dagegen  glaubt  er  mit  einem  von  ihm  her  gestellten  Gono- 
kokkenvaccin  bei  gonorrhoischen  Epididymitiden,  Artritiden  und  der 
Vulvo-vaginitis  kleiner  Mädchen  Positives  erreicht  zu  haben.  Die 
Verimpfung  des  Gonokokkenvaccins  bildet  ein  Analogon  zur  Pir quet¬ 
schen  Tuberkulosereaktion.  Es  tritt  nach  Einimpfung  eine  lokale 
Cutisreaktion  bei  Gonorrhoikern  auf. 


Breslauer  Brief. 


493 


In  der  sich  anschließenden  Diskussion  appelliert  Heißer  an  alle 
anwesenden  Kollegen,  B.  durch  Übersendung  geeigneter  Fälle  in  seinen 
Forschungen  zu  unterstützen.  Er  bezeichnet  die  Cutisreaktion  in  foren¬ 
sischer  Beziehung  als  einen  Fortschritt. 


In  der  zweiten  Sitzung  der  Breslauer  chirurgischen  Gesellschaft 
wurde  über  das  Thema  des  Dr.  Ludlof'f  ,,Zur  operativen  Behandlung  der 
Gelenktuberkulose“  diskutiert.  L.  stellte  folgende  Thesen  auf : 

1.  Das  tuberkulös  erkrankte  Gelenk  ist  öfter  der  einzige  tuber¬ 
kulöse  Herd  im  Körper,  nach  einer  Sektionsstatistik  von  Koenig  bei 
21°/0  seiner  Fälle. 

2.  Die  Behandlung  hat  in  erster  Linie  die  Eliminierung  des  Krank¬ 
heitsherdes  zu  erstreben,  die  Erhaltung  der  Funktion  kommt  erst  an 
zweiter  oder  dritter  Stelle,  denn  an 

granulierender  Tuberkulose  gingen  in  18  Jahren  25°/0  zugrunde 
und  an  eitriger  ,,  ,,  ,,  18  „  46°/0  „ 

3.  Jede  Operation,  die  die  Tuberkulose  angreift,  muß  radikal 
sein  oder  unterlassen  werden.  Anoperierte  Fälle  verhalten  sich  wesent¬ 
lich  schlechter,  als  gar  nicht  operierte. 

Amputation  und  Exartikulation  sind  nur  als  Ultimum  refugium 
auszuführen. 

4.  Knochenherde  müssen  operativ,  leichte,  rein  synoviale  Formen 
müssen  erst  konservativ,  gemischte  Formen  von  vornherein  operativ 
behandelt  werden. 

5.  Die  Resektion  am  Knie,  Fuß  uod  Ellenbogengelenk  ist  ein  ver¬ 
hältnismäßig  leichter  und  funktionell  befriedigender  Eingriff,  die 
Resektion  der  Hüfte  ein  schwerer  und  funktionell  unbefriedigender. 

6.  Weder  das  kindliche  noch  das  Greisenalter  geben  an  sich  Kontra¬ 
indikationen  gegen  die  Resektion. 

Küttner  teilt  den  Standpunkt  des  Vorredners,  daß,  wenn  man 
operiert,  man  unbedingt  radikal  operieren  müsse ;  Rücksicht  auf  die 
Funktion  des  betreffenden  Gliedes  kommt  erst  in  zweiter  Reihe.  Er 
ist  von  den  subperiostalen  Gelenkresektionen  abgekommen,  weil  sie 
eine  totale  Entfernung  des  Herdes  nicht  möglich  machen.  Er  wendet 
häufig  die  sogenannte  Frühoperation  an,  die  in  der  Entfernung  benach¬ 
barter  Knochenherde  besteht,  bevor  sie  das  Gelenk  in  Mitleidenschaft 
ziehen.  Die  Röntgenaufnahme  in  verschiedenen  Richtungen  bestimmt 
den  Eingriff.  Er  verwirft  die  Resektion  jenseits  des  50.  Lebensjahres 
und  behandelt  konservativ  oder  amputiert  im  äußersten  Falle.  Er 
kommt  mehr  und  mehr  von  der  konservativen  Therapie  ab,  da  die 
Heilungen  bei  langer  Beobachtung  unbefriedigende  Resultate  geben. 
Bei  konservativer  Behandlung  bevorzugt  er  die  Jodoformtherapie.  Er 
hat  bei  Abszessen  und  bei  diffusen  synovialen  Formen  gute  Resultate 
erreicht.  Er  benutzt  10°/0  Jodoformmandelöl. 

Hüft-  und  Handgelenk  sind  nach  seiner  Erfahrung  für  die  konser¬ 
vative  Behandlung  geeignet.  Schulter-,  Knie-  und  Fußgelenk  müssen 
operativ  angegriffen  werden.  Das  Ellbogengelenk  ist  individuell  ver¬ 
schieden. 

Bei  der  konservativen  Behandlung  der  Coxitis  wird  der  Gips¬ 
verband  angewendet,  fehlerhafte  Stellungen  werden  evtl,  durch  Oste¬ 
otomie  korrigiert. 


494 


Ascher, 


Bei  der  Tuberkulose  des  Fußgelenkes  wendet  er  die  Resectio  tibio- 
calcanea  nach  v.  Bruns  an,  bei  der  des  Schultergelenkes  das  Barden¬ 
heu  er’sche  Verfahren. 

Bei  der  Tuberkulose  des  Handgelenkes  ist  trotz  Ausheilung  des 
Herdes  auffallenderweise  die  Prognosis  (quoad  vitam)  wegen  Ausbrei¬ 
tung  des  Prozesses  zu  fürchten. 

Parts  eh  will  doch  mehr  die  konservative  Therapie  berücksichtigt 
wissen.  Daß  in  21°/0  der  Fälle  die  lokale  Tuberkulose  der  einzige 
Herd  sei,  beruht  doch  nur  auf  dem  nicht  sofortigen  Erkennen  der  affi- 
zierten  Stellen.  Man  muß  mit  der  Diagnose  rein  synovialer  Form  der 
Tuberkulose  vorsichtig  sein,  weil  öfter  ein  kleiner  Knochenherd  in  der 
Nähe  liegt,  der  übersehen  wird.  Außerdem  sei  eine  konservative  Be¬ 
handlung  ein  Indikator  für  die  Operation,  da  Aufhören  der  Schmer¬ 
zen,  Wohlbefinden,  Appetit  usw.  bei  derartig  chronisch  Erkrankten 
nicht  gering  bewertet  werden  dürfen. 

Drehmann  bemerkt,  daß  bei  Kindern  die  Knochentuberkulose 
sehr  selten  der  einzige  Herd  im  Körper  ist.  Hier  soll  möglichst  eine 
konservative  Therapie  herrschen.  Zur  Entlastung  empfiehlt  er  den 
Hessing’schen  Apparat,  aber  nur,  wenn  er  vom  technisch  geschulten 
Arzte  selbst  angepaßt  und  gewechselt  wird. 

Methner  schließt  sich  seinem  Vorredner  an  und  spricht  gegen 
Resektionen  im  Kindesalter.  Als  Altersgrenze  betrachtet  er  das  14. 
bis  15.  Lebensjahr.  Nach  dem  15.  Lebensjahr  ist  die  Aussicht,  daß 
das  tuberkulöse  Gelenk,  der  einzige  Krankheitsherd  im  Körper  sei, 
viel  sicherer.  Auch  ist  eine  Kombination  der  Erkrankung  mit  here¬ 
ditärer  Lues  im  Auge  zu  behalten,  was  für  die  einzuschlagende  Therapie 
von  Wichtigkeit  sein  kann. 

Goebel  empfiehlt  die  vorbereitende  Jodoformbehandlung  vor 
operativen  Eingriffen.  Es  tritt  eine  Aktivierung  der  Leukozyten 
des  tuberkulösen  Eiters  auf,  die  die  Reaktionsfähigkeit  des  Körpers 
erhöht.  Er  steht  auf  dem  Standpunkt,  die  Tuberkulose  des  späteren 
Alters  für  eine  relativ  gutartige  zu  halten. 

Tietze  sprach  sich  darüber,  jedem  Gelenk  eine  besondere  Pro¬ 
gnose  und  Therapie  zu  stellen,  beifällig  aus:  Schon  Mikulicz  hat 
darauf  hingewiesen.  Er  selbst  legt  auf  die  spätere  Funktionsfähigkeit 
ein  größeres  Gewicht.  Auch  glaubt  er  den  sozialen  Verhältnissen 
Rechnung  tragen  zu  müssen,  wenn  es  sich  um  konservative  Therapie 
handeln  sollte.  Er  spricht  gegen  die  Auffassung  Ludloff’s,  im  Kindes¬ 
alter  ohne  weiteres  zu  resezieren.  Er  hat  mit  konservativer  Behandlung 
gute  Resultate  zu  verzeichnen.  (Demonstration.) 

Selbst  spontane  Heilungen  unter  miserablen  sozialen'  V erhältnissen 
gehören  nicht  zu  den  Seltenheiten.  Deshalb  kommt  er  zu  dem  Schluß: 
„Im  Kindesalter  ist  die  konservative  Behandlung  die  Regel,  die  opera¬ 
tive  die  Ausnahme. 

Im  Schlußwort  betont  L.,  daß  er  gerne  den  konservativen  Stand¬ 
punkt  der  Vorredner  teilen  möchte,  doch  habe  er  den  Verdacht,  daß 
die  so  schön  ausgeheilten  Fälle  von  Tuberkulose  gar  keine  Tuberkulose 
gewesen  seien. 

Auch  das  Röntgenbild  schützt  hier  nicht  vor  diagnostischen  Irr- 
tümern.  Innerhalb  von  vier  Jahren  hat  er 


Breslauer  Brief. 


495 


311  Spondylitiden 
230  Coxitiden 


124 

Tuberculos 

genu. 

44 

V 

pedis 

31 

n 

cubiti 

41 

V 

man  us 

14 

n 

(caries  sicca)  behandelt. 

Bei  Nachprüfung  der  Fälle  zeigte  sich  ein  großer  letaler  Aus¬ 
gang:  Deshalb  warnt  er  vor  der  „allzu  konservativen“  Methode.  Er 
kann  den  Standpunkt  von  Part sch,  so  lange  konservativ  zu  behandeln, 
solange  man  den  Eindruck  einer  Besserung  hat,  nicht  teilen.  Das 
ist  oft  ein  trügerisches  Phänomen.  Multilokuläre  Tuberkulose  auf 
chirurgischem  Wege  anzugreifen  ist  wenig  aussichtsvoll.  Da  soll  die 
Czerny’sche  Methode  Platz  greifen.  Er  empfiehlt  statt  des  Hessing- 
schen  Apparates  den  un abnehmbaren  Gipsverband.  Von  der  Jodoform¬ 
glyzerininjektion  erwartet  er  nur  bei  den  Gelenken  der  oberen  Extremi¬ 
tät  eine  günstige  Beeinflussung,  sonst  hat  sie  nach  seinen  Beobach¬ 
tungen  versagt. 

Als  Erster  stellt  Drehmann  zwei  Fälle  von  Coxa  vara  adolescen- 
tium  vor. 

Dem  schließt  sich  Tietze  mit  einem  Vortrag  über  „Magenschuß“ 
an.  Bei  der  Demonstration  fragt  er  an,  wie  Küttner  sich  zur  Frage 
der  Schußverletzung  des  Bauches  im  Frieden  stellt.  Er  berichtet  dann 
über  vier  Fälle: 

1.  Fall  (Demonstration).  Magenschuß  mit  Verletzung  des  linken 
Leberlappens. 

2.  Fall.  Perforation  einer  Dünndarmschlinge  mit  lokaler  Peri¬ 
tonitis. 

3.  Fall.  Perforation  einer  Dünndarmschlinge  mit  lokaler  Peri¬ 
tonitis. 

Fall  1 — 3  sind  operiert  worden.  (Heilung.) 

4.  Fall.  Schuß  Verletzung  des  Magens  mit  Browning-Pistole  (nicht 
operiert).  Es  bestand  zirkumskripte  Peritonitis.  (Heilung.) 

Küttner  will  einen  strengen  Unterschied  zwischen  Schußver¬ 
letzung  im  Kriege  und  im  Frieden  gemacht  wissen.  Im  ersten  Falle  ist 
wegen  ungünstiger  äußerer  Verhältnisse  die  Laparotomie  tunlichst  zu 
vermeiden.  Im  Frieden  soll  man  so  früh  wie  möglich  operieren. 

Picht  er  präzisiert  den  Unterschied  von  Friedens-  und  Kriegs¬ 
schußverletzungen  in  bezug  auf  Größe  und  Pasanz  der  Geschosse  und 
ihrer  Verletzungen.  Er  gibt  die  genaue  Schilderung  eines  Falles,  wo 
ein  Schuß  aus  einem  Mausergewehr  den  gefüllten  Magen  eines  Soldaten 
traf  und  wo  die  Nachbarorgane  durch  den  hydraulischen  Druck  zum 
großen  Teil  zerrissen  wurden. 

Gottstein  betont  die  Wichtigkeit  der  sofortigen  Operation  unter 
günstigen  Verhältnissen  an  der  Hand  eines  Falles,  wo  der  Schuß  die 
A.  coron.  ventric.  verletzt  hatte.  Nach  Unterbindung  sistierte  die 
Blutung.  (Heilung.) 

Als  Fünfter  sprach  Goldenberg  unter  dem  Titel  „Beiträge  zur 
Gehirnchirurgie“ ; 

a)  Demonstration  eines  Falles  von  operiertem  tuberkulösem  Klein¬ 
hirnabszeß. 

Es  handelte  sich  um  einen  kleinapfelgroßen  Herd,  der  auffallender¬ 
weise  keine  Erscheinungen  gemacht  hatte.  Eine  Erklärung  dafür  kann 


496 


Vorläufige  Mitteilungen  und  Autoreferate. 


nur  in  dem  Fehlen  des  darüber  liegenden  Knochendaches  (Einschmelzung) 
und  Ausgleich  des  Druckes  herangezogen  werden. 

b)  Demonstration  eines  Falles  von  operiertem  Gehirnschuß. 

c)  Bericht  über  einen  am  Sitzungstag  früh  fünf  Uhr  operierten 
Gehirnschuß. 

Als  Sechster  spricht  Fo  er  st  er  über  das  Thema  „Beiträge  zur 
Gehir  nchir  ur  gie  ‘  ‘ . 

In  der  sich  anschließenden  Diskussion  betont  Landmann,  daß 
bei  allen  Verletzungen  der  Augenspiegelbefund  nichts  Besonderes  bot. 
Einmal  bei  Verletzung  des  Optikus  trat  am  zehnten  Tage  plötzlich 
die  Atrophie  des  Sehnerven  auf. 


Vorläufige  Mitteilungen  u.  Autor eferate. 

Ueber  das  Elektrokardiogramm. 

Von  Prof.  H.  E.  Hering,  Prag. 

(Autoreferat  nach  einem  in  der  Wissenschaftlichen  Gesellschaft  deutscher  Arzte  in 

Böhmen  am  26.  Febr.  1909  gehaltenen  Vortrage.) 

Daß  das  Herz  bei  seiner  Aktion  elektrische  Ströme  entwickelt, 
ist  seit  mehr  als  einem  halben  Jahrhundert  bekannt.  Während  man 
aber  früher  die  Ableitung  dieser  Aktionsströme  immer  direkt  vom 
Herzen  vornahm,  fand  im  Jahre  1887  der  englische  Physiologe  A.  D. 
Waller,  daß  man  auch  am  un)  vier  letzten  Tiere  die  Ströme  des  Herzens 
nachzuweisen  vermag,  wenn  man  von  bestimmten  Stellen  des  Körpers 
ableitet.  Damit  war  die  Möglichkeit  gegeben,  auch  die  Aktionsströme 
des  menschlichen  Herzens  abzuleiten,  und  es  hätte  schon  damals  die 
elektrographische  Methode  in  die  Klinik  eingeführt  werden  können, 
wenn  sie  technisch  vollkommener  gewesen  wäre.  Das  Kapillar  elektro- 
meter  von  Lippmann,  welches  Waller  benutzte,  gibt  jedoch  die 
raschen,  rhythmisch  wiederkehrenden  elektrischen  Schwankungen  so 
ungetreu  wieder,  daß  man  erst  durch  umständliche  Messungen  und 
Berechnungen  aus  der  photographisch  registrierten  Kurve  sich  jene  Kurve 
konstruieren  muß,  deren  Form  den  möglichst  genauen  Ausdruck  der 
wirklichen  Potentialschwankungen  darstellt. 

Da  kam  W.  Einthoven  im  Jahre  1903  auf  den  Gedanken,  das 
Prinzip  eines  neuen  Registrier  apparates  für  submarine  Kabel,  den  ein 
französischer  Telegrapheningenieur,  Ader,  schon  im  Jahre  1897  an¬ 
gegeben  hatte,  zum  Zwecke  der  Registrierung  der  Aktionsströme  zu 
benutzen.  Indem  er  jenen  Apparat  in  vorzüglicher  Weise  noch  ver¬ 
feinerte  und  für  seine  Zwecke  modifizierte,  konstruierte  er  das  Saiten¬ 
galvanometer,  welches  das  beste  Instrument  ist,  welches  wir  bis  jetzt 
besitzen,  um  die  Aktionströme  des  Herzens  möglichst  getreu  zu  ver¬ 
zeichnen. 

Verbindet  man  die  Saite  dieses  Instrumentes,  welche  aus  einem 
bis  unter  0,003  mm  dünnen,  versilberten  Quarzfaden  besteht,  z.  B.  mit 
den  beiden  Händen  des  Menschen,  so  zeigt  das  durch  Vergrößerung 
und  Projektion  sichtbar  zu  machende  Saitenbild  Excursionen  im  Rhyth¬ 
mus  des  Herzschlages,  welche  sich  photographisch  reproduzieren  lassen. 
Die  auf  diesem  elektrographischen  Wege  gewonnene  Kurve  bezeichnet 
man  als  Elektrokardiogramm. 

Letzteres  besteht  beim  Menschen  im  wesentlichen  aus  drei  Zacken, 


Vorläufige  Mitteilungen  und  Autoreferate. 


497 


von  welchen  eine  Zacke  (P)  der  Vorkammerkontraktion,  zwei  Zacken 
(B  nnd  T)  der  Kammerkontraktion  ihre  Entstehung  verdanken.  Das 
steht  ganz  fest.  Warum  jedoch  die  Kammerkontraktion  zwei  Zacken 
und  nicht  nur  eine  veranlaßt,  das  wissen  wir  bis  jetzt  nicht. 

Gotch,  der  am  Froschherzen  experimentierte,  hat  im  Jahre  1907 
für  das  Auftreten  der  Zacke  T  folgende  Erklärung  gegeben :  Die  Er¬ 
regung  geht  in  der  Kammer  von  der  Basis  und  zwar  von  ihrem  Vor¬ 
hofabschnitt  zur  Spitze  und  dann  von  dort  zurück  wieder  zur  Basis 
und  zwar  zum  aortalen  Teil  derselben.  Nikolai  hat  diese  Anschauung 
auf  das  Säugetierherz  übertragen. 

Die  Zacke  T  zeigt  schon  bei  verschiedenen  normalen  Menschen 
Verschiedenheiten,  welche  sich  besonders  in  ihrem  Größen  Verhältnis 
zur  Zacke  B  ausdrücken.  Während  T  zumeist  kleiner  als  B  ist,  kommt 
es  aber  auch  vor,  daß  Ts  bei  normalen  menschlichen  Herzen  ebenso 
groß  als  B  oder  größer  als  B  wird,  ja  es  kann  einundeinhalbmal 
größer  sein  als  B,  was  die  sieben  projizierten  Elektrokardiogramme 
normaler  Menschen  alles  deutlich  erkennen  lassen.  Die  Ableitung  er¬ 
folgte  hierbei  immer  von  den  beiden  Händen.  Nimmt  man  bei  dieser 
Ableitung  das  Elektrokardiogramm  eines  und  desselben  Menschen  bei 
verschiedener  Körperlage  (Bückenlage,  Bauchlage,  linke  und  rechte 
Seitenlage,  Stehen)  auf,  so  ändert  sich  das  Elektrokardiogramm  nicht 
prinzipiell,  aber  es  sind  die  Zacken  in  der  linken  Seitenlage  am  klein¬ 
sten,  beim  Stehen  am  größten.  Unter  abnormen  Verhältnissen  kann 
die  Form,  die  Größe,  die  Zahl,  das  zeitliche  Verhältnis  und  die  Bich- 
tung  der  Zacken  sich  ändern. 

Es  fragt  sich  nun,  wie  wir  uns  über  die  Bedeutung  dieser  Ände¬ 
rungen  Aufklärung  verschaffen  können.  Es  gibt  da  drei  Möglichkeiten : 
Klinische  Beobachtung,  Sektionsbefund  und  Tierexperiment.  Es  ist 
klar,  daß  letzteres  hier  an  erster  Stelle  steht.  Daher  habe  ich  mich 
auch  hauptsächlich  mit  der  experimentellen  Analyse  des  patholo¬ 
gischen  Elektrokardiogramms  beschäftigt.  Für  diese  ist  es  nun  schon 
sehr  hinderlich,  daß  wir  bei  der  gleichzeitigen  mechanischen  Begistrie- 
rung  der  verschiedenen  Abteilungen  des  Herzens  kein  mechanisches 
Äquivalent,  wenn  man  so  sagen  darf,  für  die  Zacke  T  kennen.  Über¬ 
haupt  ist  zu  sagen,  daß  wir  alle  jene  Zacken. und  deren  Verände¬ 
rungen,  für  welche  wir  kein  mechanisches  Äquivalent  be¬ 
sitzen,  bis  jetzt  nicht  zu  deuten  vermögen. 

Das  Elektrokardiogramm  zeigt  uns  in  verschiedener  Hinsicht 
mehr  als  die  mechanische  Begistrierung,  und  darin  besitzt  die  elektro- 
graphische  Begistriermethode  ein  Übergewicht  über  die  bekannten 
mechanischen  Begistriermethoden  der  Flerztätigkeit ;  andererseits  ver¬ 
mögen  wir  aber  bis  jetzt,  wie  erwähnt,  die  Veränderungen  des  Elektro¬ 
kardiogramms  ohne  gleichzeitige  Kenntnis  des  jeweiligen  mechanischen 
Äquivalentes  nicht  sicher  zu  deuten;  dadurch  verliert  jenes  Übergewicht, 
wenigstens  vorläufig  etwas  an  Bedeutung.  Immerhin  macht  uns  das 
abnorm  gestaltete  Elektrokardiogramm  (tadellose  Technik  vorausgesetzt) 
auf  ein  verändertes  Geschehen  aufmerksam. 

Die  Elektrokardiogramme  der  40  Projektionsbilder,  die  ich  jetzt 
demonstrieren  will,  wurden  an  Hunden,  Katzen  und  Kaninchen  ge¬ 
wonnen;  die  Tiere  waren  kurarisiert  und  wurden  künstlich  ventiliert; 
der  Thorax  war  geöffnet,  um  mit  dem  Elektrokardiogramm  gleichzeitig 
die  Suspensionskurven  des  rechten  Vorhofes  und  der  rechten  Kammer 
zu  verzeichnen ;  außerdem  war  eine  Karotis  mit  einem  Tonometer  ver- 

32 


498  Vorläufige  Mitteilungen  und  Autoreferate. 

bunden,  so  daß  man  auch  über  die  Tätigkeit  der  linken  Kammer  Auf¬ 
schluß  erhielt.  Die  Ableitung  zum  Galvanometer  erfolgte  von  den 
beiden  Vorderpfoten. 

Kommt  es  bei  Vagusreizung  zum  Kammersystolenausfall,  so  fehlen 
die  Kammerzacken  und  es  tritt  nur  die  der  Vorhof kontraktion  ent¬ 
sprechende  Zacke  P  auf.  Treten  andererseits  bei  der  Vagusreizung 
automatische  Kammerschläge  auf,  die  sich  bekanntlich  dadurch  aus¬ 
zeichnen,  daß  ihnen  keine  Vorhofkontraktion  vorausgeht,  so  fehlt  auch 
die  vorausgehende  Zacke  P  und  es  treten  bei  dem  automatischen  Kammer¬ 
schlag  nur  die  Kammerzacken  auf. 

Kommt  es  bei  der  Vagusreizung  zu  abgeschwächten  Kammer¬ 
systolen,  dann  kann  die  Größe  der  Ausschläge  des  Kammerelektro¬ 
kardiogramms  sehr  verschieden  sein  von  der  Größe  der  mechanischen 
Kurve  und  zwar  in  dem  Sinne,  daß  erstere  bedeutend  größer  sein  können 
als  letztere. 

Bei  Vagusreizung,  aber  auch  ohne  diese  kann  P  zweizackßg 
werden,  was  wahrscheinlich  auf  die  sukzessive  Aktion  des  rechten  und 
linken  Vorhofes  zu  beziehen  ist. 

Bei  atrioventrikulärer  Schlagfolge  sieht  man  das  Intervall  P — B 
bedeutend  kleiner  werden ;  es  kann  dann  statt  0,1  Sek.  nur  0,02  Sek. 
betragen.  Bei  rückläufiger  Schlagfolge,  bei  der  die  Kammern  vor  den 
Vorhöfen  schlagen,  folgt  P  der  Zacke  B  nach;  sie  ist  dann  zwischen 
B  und  T  eingeschaltet. 

Besonders  eingehend  habe  ich  mich  mit  der  Aufnahme  von  Elektro¬ 
kardiogrammen  bei  Herzalternans  beschäftigt;  letzterer  wurde  durch 
Glyoxylsäure  hervorgerufen. 

Der  Kammeralternans  prägt  sich  sowohl  an  der  Zacke  B  als 
auch  an  der  Zacke  T  aus ;  gewöhnlich  zeigt  er  sich  an  beiden  Zacken 
gleichzeitig,  er  kann  jedoch  auch  nur  an  B  oder  nur  an  T  zu  sehen 
sein.  Fernerhin  kann  der  Alternans  des  Elektrokardiogramms  und  der 
Alternans  der  mechanisch  registrierten  Kurven  gegensinnig  sein, 
indem  die  kleinen  Kurven  hier  den  größeren  dort  entsprechen  und 
umgekehrt. 

Bei  rückläufiger  Schlagfolge  zurzeit  des  Kammeralternans  kann 
man  eine  Spaltung  der  Zacken  B  und  T  beobachten,  was  vielleicht 
auf  eine  sukzessive  Aktion  der  beiden  Ventrikel  hindeutet.  — 

Auf  Grund  dieser  Experimente  ist  zu  sagen,  daß  wir  wohl  imstande 
sind,  viele  Veränderungen  im  Elektrokardiogramm  an  der  Hand  der 
mechanisch  registrierten  Kurven  zu  erklären ;  fehlt  uns  aber  bei  geän¬ 
derten  Elektrokardiogramm  eine  entsprechende  Veränderung  in  der 
mechanisch  registrierten  Kurve,  dann  sind  wir,  wie  schon  erwähnt, 
oft  nicht  imstande,  jene  Änderung  zu  erklären.  So  fehlt  uns  bis 
jetzt  das  mechanische  Äquivalent  für  das  Negativwerden 
von  P,  B  oder  T  bei  un geänderter  Ableitung.  Besonders  leicht 
kann  T  negativ  werden.  Die  Zacke  T  ist  überhaupt  diejenige,  welche 
am  häufigsten  Änderungen  aufweist,  was  klinisch  gewiß  von  Bedeu¬ 
tung  ist. 

Solange  wir  jedoch  nicht  wissen,  wie  die  Zacke  T  zustande  kommt, 
haben  vorläufig  ihre  Veränderungen,  wie  überhaupt  fast  alle  Ver¬ 
änderungen  des  Elektrokardiogramms  ohne  entsprechendes  mechanisches 
Äquivalent,  nur  allgemeinen  Andeutungswert,  d.  h.  sie  deuten 
uns  ganz  allgemein  ein  verändertes  Geschehen  an,  ohne  uns  jedoch 
im  Spezielleren  zu  sagen,  was  sich  am  Herzen  geändert  hat. 


Vorläufige  Mitteilungen  und  Autoreferate. 


499 


Durch  diesen  allgemeinen  Andeutungswert  des  abnormen  Elektro¬ 
kardiogramms  ohne  mechanisches  Äquivalent  dokumentiert  aber  gerade 
die  elektrographische  Methode  ihr  Übergewicht  über  die  mechanischen 
Registriermethoden. 


Die  Wirkung  der  ultravioletten  Lichtstrahlen  auf  das  Auge. 

Von  Dr.  Fritz  Schanz  und  Dr.  Ing.  Stockhausen  in  Dresden. 

Nach  einem  in  der  Gesellschaft  für  Natur-  und  Heilkunde  zu  Dresden  am  13.  März  1908 

gehaltenem  Vortrag. 

Die  ultravioletten  Lichtstrahlen  vermögen  am  Auge  ebenso  wie 
an  der  Haut  Entzündungen  hervorzurufen.  Bei  Leuten,  die  viel  der 
direkten  Einwirkung  des  Sonnenlichts  ausgesetzt  sind,  kommt  es 
neben  Bräunung  der  Haut  oft  zu  Rötung  der  Augen  und  Erscheinungen 
des  chronischen  Bindehautkatarrhs.  Stadtbewohner  bekommen  bei  Par¬ 
tien  durch  besonders  sonniges  Gelände,  bei  Schnee-,  Wasser-  und  Berg¬ 
sport  akute  Reizungen  am  äußeren  Auge.  Bei  Hochgebirgstouren  können 
sich  neben  den  Reizungen  der  Haut  (Gletscherbrand)  die  Entzündungen 
am  Auge  so  steigern,  daß  die  Betroffenen  „schneeblind“  werden. 
Mit  künstlichem  Licht  lassen  sich  dieselben  Erscheinungen  am  Auge 
hervorrufen.  Sie  werden  am  häufigsten  bei  Arbeiten  an  elektrischen 
Bogenlampen  beobachtet,  man  bezeichnet  dieselbe  Erkrankung  dann 
als  „elektrische  Ophthalmie“. 

Die  ultravioletten  Strahlen  dringen  aber  auch  in  das  Augeninnere 
ein.  Sie  veranlassen  lebhafte  Fluoreszenz  der  Linse  und  Netzhaut. 
Widmark  hat  die  Frage  aufgeworfen,  ob  nicht  bei  der  Fluoreszenz 
der  Linse  durch  Umsetzung  der  Energie  im  Laufe  des  Lebens  Ver¬ 
änderungen  in  derselben  erzeugt  werden,  die  im  Alter  in  der  Form 
des  Altersstars  zum  Ausdruck  gelangen.  Er  konnte  auch  leichte  Trü¬ 
bung  der  Linse  am  intensiv  belichteten  Auge  feststellen,  wenn  er  sie 
mit  derjenigen  des  nichtbelichteten  Auges  verglich.  Ferner  spricht 
für  seine  Annahme,  daß  die  Glasmacher,  die  besonders  intensiv  der 
Lichteinwirkung  ausgesetzt  sind,  im  frühzeitigen  Alter  an  einer  ihnen 
eigentümlichen  Starform  erkranken,  und  daß  Prof.  Hess  nach  inten¬ 
siven  Belichtungen  in  der  Linsenkapsel  mikroskopische  Veränderungen 
nachweisen  konnte.  Auch  die  Netzhaut  wird  durch  ultraviolette  Strah¬ 
len  gereizt.  Die  ultravioletten  Strahlen  werden  dem  normalen  Auge 
unter  Umständen  sichtbar  und  in  erhöhtem  Grade  kann  sie  der  Star¬ 
operierte  wahrnehmen.  Die  Erscheinungen  der  Erythropsie  sind  auf 
ihre  Wirkung  zu  beziehen,  ebenso  die  Earbensinnstörungen,  die  Prof. 
Birch-Hinsc'hfeld*)  an  Arbeitern  bei  Quecksilberdampflicht  feststellen 
konnte.  Dem  letzteren  ist  es  auch  gelungen,  die  durch  diese  Strahlen 
veranlaßten  anatomischen  Veränderungen  in  der  Netzhaut  mikroskopisch 
festzustellen,  sie  bestehen  in  Veränderungen  in  den  Ganglienzellen  und 
in  den  Körnerschichten. 

Da  die  ultravioletten  Strahlen  auf  verschiedene  Augenteile  ver¬ 
schieden  einwirken,  suchte  Schanz  und  Stockhausen  nachzuweisen, 
welchen  Spektralbezirken  die  Strahlen  angehören,  die  die  verschiedenen 
Erscheinungen  hervorrufen.  Sie  haben  zu  diesem  Zweck  die  Augen¬ 
teile  zwischen  zwei  Quarzplatten  gebracht,  sie  mit  dem  Licht  einer 
Bogenlampe  belichtet  und  das  austretende  Licht  mit  einem  Quarz- 

*)  Siehe  auch  Fortschritte  der  Medizin,  Nr.  9,  1909.  Anm.  d.  Red. 

32* 


500 


Vorläufige  Mitteilungen  und  Autoreferate. 


spektrographen  zerlegt.  Sie  kamen  dabei  zu  folgenden  Ergebnissen : 
Die  ultravioletten  Strahlen  von  3:00 — 375  /u/u  Wellenlänge  veranlassen 
die  Fluoreszenz  der  Linse  und  der  Netzhaut  und  sie  können  allein 
für  die  Veränderungen  in  der  Netzhaut  verantwortlich  gemacht  werden. 
Die  ultravioletten  Strahlen  von  375 — 320  ßß  Wellenlänge  sind  an  der 
Fluoreszenz  der  Linse  nur  wenig  beteiligt,  sie  werden  von  ihr  intensiv 
absorbiert,  sie  werden  die  nachgewiesenen  Veränderungen  hervorrufen. 
Die  ultravioletten  Strahlen  von  weniger  als  320  ßß  Wellenlänge  werden 
schon  von  der  Hornhaut  absorbiert  und  erzeugen  in  erster  Linie  die 
Veränderungen  am  äußeren  Auge. 

Brillengläser  bieten  keinen  genügenden  Schutz,  sie  absorbieren 
nur  die  Strahlen  von  weniger  als  300  ßß  Wellenlänge.  Die  ungeeig¬ 
netsten  Schutzbrillen  sind  die  blauen,  sie  sind  besonders  durchlässig 
für  ultraviolette  Strahlen.  Auch  die  grauen  lassen  in  ihren  schwachen 
Nummern  noch  viel  Ultraviolett  hindurch.  Die  sogen.  Jagdgläser  (gelb¬ 
braun)  absorbieren  am  besten  im  Ultraviolett.  Darauf  beruht  wahr¬ 
scheinlich  ihre  Wirkung.  Sie  vermindern  die  Fluoreszenz  der  Linse 
und  Netzhaut  und  erhöhen  dadurch  die  Schärfe  des  Lichteindrucks 
auf  die  Netzhaut,  außerdem  halten  sie  die  Ermüdung  der  Netzhaut 
dadurch  auf,  daß  sie  das  Fluoreszenzlicht  von  ihr  abhalten.  Die 
Fieuzal-,  Enixanthos-  und  Hailauergläser  schwächen  gleichzeitig  die 
sichtbaren  Strahlen  mehr  als  die  Jagdgläser  und  sind  ihnen  gegen¬ 
über  im  Nachteil.  Die  Euphosgläser  bieten  den  ultravioletten  Strah¬ 
len  gegenüber  aber  einen  noch  besseren  Schutz  als  die  gelbbraunen 
Jagdgläser.  Dieselben  sind  gelbgrün  gefärbt.  Die  schwachen  Num¬ 
mern  reichen  da  aus,  wo  die  Augen  nicht  ganz  intensivem  Licht  aus¬ 
gesetzt  sind.  Die  stärkeren  Nummern  sind  so  abgepaßt,  daß  sie  die 
ultravioletten  Strahlen  einer  Bogenlampe  von  10  Ampere  vollständig 
absorbieren;  sie  eignen  sich  für  Wasser-,  Schnee-  und  Bergsport.  Für 
Staroperierte,  denen  die  Linse,  das  Hauptschutzorgan  gegen  die  ultra¬ 
violetten  Strahlen,  aus  dem  Auge  entfernt  ist,  dürften  solche  Brillen¬ 
gläser  besonders  angebracht  sein. 

Für  kranke  Augen  und  für  Arbeiter  an  Schmelzöfen  usw.  sind 
Brillen  zu  empfehlen,  bei  denen  die  sichtbaren  Strahlen  gleichzeitig 
nach  Art  der  rauchgrauen  Gläser  gleichmäßig  geschwächt  werden. 

Gegen  die  ultravioletten  Strahlen  unserer  künstlichen  Lichtquellen 
bedürfen  wir  auch  eines  Schutzes.  Das  Licht  der  künstlichen  Licht¬ 
quellen  wird,  wie  Schanz  und  Stock  hausen  gezeigt  haben,  immer 
mehr  durch  ultraviolette  Strahlen  verunreinigt.  Die  Industrie  steigert 
die  Temperatur  der  Leuchtkörper  und  erreicht  damit,  daß  das  Licht 
qualitativ  immer  reicher  an  ultravioletten  Strahlen  und  damit  immer 
schlechter  wird.  Man  würde  aber  das  Licht  unserer  künstlichen  Licht¬ 
quellen  verbessern,  wenn  man  sie  mit  Glashüllen  umgeben  würde,  die 
die  ultravioletten  Strahlen  in  erhöhtem  Maße  absorbieren.  Einen 
solchen  Schutz  bietet  das  Euphosglas,  aus  dem  jetzt  alle  möglichen 
Lampenhüllen  hergestellt  werden.  Ein  solcher  Schutz  ist  um  so  not¬ 
wendiger,  da  wir  bei  der  künstlichen  Beleuchtung  unsere  Augen  viel 
mehr  der  direkten  Bestrahlung  aussetzen.  Bei  dieser  kommen  die 
natürlichen  Schutzmittel  unseres  Auges  weniger  zur  Geltung  und  die 
Beinigung  des  Lichts  durch  diffuse  Beflektion,  die  beim  Tageslicht 
eine  große  Bolle  spielt,  fällt  weg. 


Referate  und  Besprechungen. 


501 


Ueber  Coxa  valga  congenita. 

Von  Dr.  C.  Springer,  Priv.-Doz.  für  Chirurgie. 

(Vortrag  in  der  Wissenschaftl.  Gesellschaft  deutscher  Ärzte  in  Böhmen.  26.  2.  1909.) 

Steilstellungen  des  Schenkelhalses  wurden  bisher  meist  nur  im 
Zusammenhänge  mit  anderen  Deformitäten,  nach  hohen  Amputationen, 
Osteomyelitis  usw.  beobachtet,  als  selbstständige  Erkrankung  außer 
nach  Halsfrakturen  in  einzelnen  Fällen.  In  einem  solchen,  vom  Vor¬ 
tragenden  gefundenen  (öjähr.  £),  bestand,  seit  das  Kind  zu  normaler 
Zeit  zu  laufen  anfing,  eine  eigentümliche  Unsicherheit  des  Ganges,  der 
mit  seitlichen  Schwankungen  in  der  Lendenwirbelsäule  erfolgte,  ganz 
ähnlich  wie  bei  einer  angeborenen  Hüftluxation  bei  der  die  Reposition 
nur  eine  exzentrische  Einstellung  erreichte.  Beweglichkeit  in  der  Hüfte 
kaum  in  einer  Richtung  eingeschränkt.  Auffällig  war  ferner  Flachheit 
des  Beckenkontur s  durch  Steilstellung  der  Darmbeinschaufeln ;  Tro¬ 
chanterspitzen  standen  in  RN-Linie,  die  Resistenz  der  Köpfe  in  inguine 
war  etwas  höher  und  nach  außen  vom  Femoralispulse  zu  fühlen. 

Die  Röntgenaufnahme  in  Normalstellung:  (Beine  aneinander  ge¬ 
legt,  Patellae  nach  oben  sehend)  zeigte  eine  Erweiterung  des  Schenkel¬ 
hals-Neigungswinkels  auf  160°,  bei  Innenrotation  derselben  auf  142°. 
Letztere  sind  sein  wirkliches  Maß,  gegenüber  der  Norm  eine  beträcht¬ 
liche  Vergrößerung.  Der  große  Unterschied  durch  die  beiden  Meßarten 
beweist  zugleich,  daß  eine  abnorm  starke  Anteversion  des  Schenkel¬ 
halses  besteht.  Außerdem  zeigten  sich  die  Pfannen  sehr  flach,  das 
Pfannendach  steil  aufstrebend,  die  Darmbeine  ohne  die  Schwingung 
nach  außen.  Der  Befund :  Flachheit  der  Pfanne,  steil  aufsteigende 
Kämme,  starke  Anteversion  ist  der  Coxa  valga  gemeinsam  mit  der 
angeborene  Hüftluxation.  Vortr.  weist  darauf  hin,  daß  bereits  im 
Jahre  1906  Drehmann  und  er  gleichzeitig  und  unabhängig  voneinander 
die  Vermutung  aussprachen,  beide  Verbildungen  stünden  einander  nicht 
nur  im  Wesen,  sondern  auch  genetisch  nahe.  Abnorme  Haltung  des 
Foetus  in  utero,  etwa  Ausbleiben  der  Adduktion  bei  Flexion  der  Beine 
(Peiser)  könnte  zur  Erklärung  herangezogen  werden. 

Therapeutisch  ist  im  Falle  des  Vortr.  bei  der  Geringfügigkeit 
der  Gebrauchsstörung  vorläufig  nichts  beabsichtigt.  Osteotomien  könn¬ 
ten  nur  in  den  schwersten  Fällen  erlaubt  erscheinen;  am  ehesten  wmrde 
der  Versuch  plausibel  erscheinen,  für  einige  Monate  in  frontaler  Ab¬ 
duktion  einzugipsen,  analog  der  Verbandstellung  bei  Hüftluxation, 
um  zunächst  eine  Kontraktur,  später  eine  Vertiefung  der  Pfanne  zu 
erreichen.  Nach  der  Erfahrung  aber,  daß  Subluxation  mit  schlechterem 
Erfolge  operiert  werden  als  komplette  angeborene  Luxationen,  verspricht 
sich  Vortr.  auch  von  diesem  Vorgehen  nicht  viel.  Autoreferat. 


Referate  und  Besprechungen. 

Physiologie. 

Über  Bau  und  Funktion  des  Eileiterepithels  beim  Menschen  und  bei 

Säugetieren. 

(Schaffer,  Wien.  Monatschr.  für  Geburtshilfe  u.  Gyn.,  S.  526  u.  666,  1908.) 

In  einer  sehr  fleißigen  Arbeit,  welche  im  2.  Teile  an  der  Hand  einer 
vollständigen  Literaturübersicht  eine  genaue  Darstellung  des  gegenwärtigen 
Standes  dieser  Frage  bringt,  revidiert  Sch.  die  bisher  herrschenden  An- 


502 


Referate  und  Besprechungen. 


sichten  über  die  histologische  und  histochemische  Beschaffenheit  des  Eileiter¬ 
epithels.  i  ‘ 

Sch.  fand  hei  der  Kaninchen tube  neben  den  flimmer tragenden  Zellen 
hohe  heulen-,  birn-,  oder  kelchglasförmige  Zellen  mit  körnigem  Inhalte,  der 
starke  Basophilie  zeigt.  Zwischen  den  gekörnten  („sezernierenden“  oder 
,,Drüsen“-)Zellen  und  den  Flimmerzellen  finden  sich  noch  alle  möglichen 
Zwischenformen,  die  Sch.  zum  Schlüsse  veranlassen,  daß  die  Drüse nzellen 
keine  Gebilde  sui  generis,  sondern  durch  Funktionswechsel  aus  Flimmer¬ 
zellen  hervorgegangen  sind.  Die  Tuben  von  Meerschweinchen,  weißen  Ratten, 
Mäusen,  Katzen,  Pferden,  Schweinen,  Kühen,  Ziegen  und  Affen  zeigen  im 
allgemeinen  ähnliche  Epithelverhältnisse,  deren  Einzelbeschreibung  im  Ori¬ 
ginale  nachzulesen  sind. 

Am  menschlichen  Eileiter  unterscheidet  Sch.  3  Hauptgruppen  von  Zellen: 
vollentwickelte  Flimmerzellen,  vollkommen  flimmerlose  Zellen  und  Übergangs¬ 
formen.  Den  flimmerlosen  Zellen  sind  am  freien  Ende  gröbere  Körnchen 
eingelagert,  die  sich  von  den  entsprechenden  Gebilden  der  Kaninchentube 
durch  fehlende  Basophilie  unterscheiden.  Bei  den  Übergangsformen  finden 
sich  ungleichmäßige  Längenabnahme  der  Zilien,  die  sich  ab  und  zu  in  eine 
propfartige  Masse  verwandeln  oder  gänzlich  verschwinden,  ferner  eine  ober¬ 
flächliche  Lage  rundlicher  Körner,  wohl  Reste  des  Basalknötchensaumes,  und 
das  Auftreten  von  Körnchen  im  oberen  Teile  des  Zelleibes.  Aus  diesen 
Befunden  schließt  Sch.,  daß  auch  bei  der  menschlichen  Tube  die  flimmer¬ 
losen  Zellen  wiederum  durch  Funktionswechsel  aus  Flimmerzellen  entstanden 
sind.  Die  in  der  Literatur  vielfach  vertretene  Ansicht  von  einem  ganz  gleich¬ 
mäßigen  Flimmerbesatz  des  Tubenepithels  ist  demnach  nicht  zutreffend. 

Frankenstein  (Köln). 


lieber  die  Selbständigkeit  des  Gehirns  in  der  Regulierung  seiner  Blut¬ 
versorgung. 

(Ernst  Weber.  Engelmann’s  Archiv  für  Physiol.,  S.  457 — 536,  1908.) 

Yerf.  hat  an  mehr  alsi  300  Tieren  die  Blutfülle,  das  Volumen  jeder 
der  beiden  Hemisphären  gleichzeitig  mit  Hilfe  von  zwei  Onkometern  ge¬ 
messen  und  damit  auch  Blutdruckmessungen  in  der  Femoralis,  plethysmo¬ 
graphische  Bestimmungen  aller  Art  verbunden. 

Die  Resultate  der  ungemein  interessanten  Arbeit  sind  nicht  ganz  leicht 
zusammenzufassen.  Verf .  selbst  präzisiert  sie  etwa  folgendermaßen : 

1.  Im  Vagus  und  Halssympathikus  verlaufen,  individuell  ganz  ver¬ 
schieden  gemischt,  pressorische  und  depressorische  Fasern.  Die  anatomische 
Konfiguration  gibt  keinen  Anhalt  für  die  physiologische  Bedeutung ;  so 
können  z.  B.  zufällig  einmal  alle  wirksamen  Sympathikusfasern  im  Vagus 
verlaufen  (S.  477). 

2.  Während  bei  Depressorreizung  alle  von  Vasomotoren  versorgten  Ge¬ 
fäße  des  Körpers  sich  erweitern,  erwies  sich  das  Gehirn  [ebenso  wie  die 
Lungen]  unabhängig  vom  sog.  Vasomotorenzentrum. 

3.  Im  Vago-Sympathikus  verlaufen  Fasern,  welche  das  Hirnvolumen 
vergrößern  und  solche,  die  es  verkleinern.  Bei  länger  dauernden  Versuchen 
überwiegt  der  erstere  Effekt;  mithin  ein  Gegensatz  zu  den  Beobachtungen, 
wonach  die  sog.  Vasodilatatoren  schneller  ermüden. 

4.  Einen  Tonus  besitzen  die  im  Vago-Sympathikus  verlaufenden 
Fasern  nicht. 

5.  Zerstörung  des  sog.  Vasomotorenzentrums  hiebt  die  Wirkung  der 
Vago-Sympathici  aufs  Gehirn  nicht  auf,  allerdings  beobachtet  man  danach 
viel  häufiger  Vergrößerung  des  .Gehirns  als  Verkleinerung. 

6.  Nach  Nikotinisierung  erfolgt  nur  noch  Volumenzunahme  des  Gehirns, 
dagegen  ist  der  Effekt  der  Verminderung  des  Volumens,  welche  Webey 
der  herrschenden  Anschauung  gemäß  einer  primären  Verengerung  der  Gefäße 
zuschreibt,  aufgehoben. 

7.  Der  allgemeine  Blutdruck  hat  keinen  Einfluß  auf  das  Gehirnvolumen. 


Referate  und  Besprechungen. 


503 


8.  Erregung  aller  peripheren  sensiblen  Nerven  kann  eine  beträchtliche 
Zunahme  des  Gehirnvolumens  bewirken;  dieselbe  wird  schnell  von  einer 
energischen  Abnahme  abgelöst,  und  zwar  vermag  die  dazu  erforderliche 
motorische  Kraft  eine  erhebliche  Blutdrucksteigerung  zu  überwinden. 

9.  Die  Effekte  der  Sympathikusreizung  sind  jedesmal  an  beiden  Hemi¬ 
sphären  gleich,  ebenso  wenn  der  Reiz  an  irgend  einer  beliebigen  Stelle  der 
Hirnrinde  wirkt. 

10.  Erstaunlich  ist,  daß  die  Volumenschwankungen  des  Gehirns  ein- 
treten  vom  Brustmark  aus,  auch  wenn  das  Halsmark  und  die  Vago-Sympathici 
durchschnitten  sind;  es  muß  also  das  Brustmark  mit  dem  Gehirn  auch  noch 
auf  anderen  Wegen  als  dem  Vago-Sympathikus  in  Verbindung  stehen. 

11.  Verf.  weist  auf  die  Analogie  der  Volumenzunahme  des  Gehirns 
bei  psychischer  Arbeit  hin  und  vermutet  ein  besonderes,  noch  unbekanntes, 
hirnwärts  von  der  Medulla  gelegenes  , Vasomotorenzentrum.  — 

Der  Kliniker,  der  den  Organismus  als  einheitliches  Kunstwerk,  als 
ein  Individuum,  ein  Unteilbares  betrachtet,  schreckt  natürlich  zurück  vor 
den  eingreifenden  Experimenten  Weber’s,  und  frägt  sich,  ob  denn  bei  einem 
Tier,  dem  die  Halsnerven,  das  Rückenmark  mehrfach  zerschnitten,  die  Medulla 
zerstört,  Löcher  in  die  Hirnschale  gebohrt,  die  Dura  mater  stellenweise 
losgelöst  und  das  schließlich  noch  mit  Nikotin  vergiftet  ist,  noch  normale 
Reaktionen  zu  erwarten  sind.  Er  wird  auch  nicht  ohne  ewiteres  daran  vorüber¬ 
gehen,  daß  die  Experimente  keineswegs  immer  gleichmäßig  ausgefallen  sind; 
so  hatte  z.  B.  Sympathikusreizung  bei  1/4  aller  Tiere  überhaupt  keine  Volumen¬ 
änderung  des  Gehirns  zur  Folge,  und  in  den  3/4  der  ,, positiven“  Fälle  wurde 
ebensogut  Zu-  wie  Abnahme  des  Gehirnvolumens  beobachtet  (S.  479/480). 
Allein  interessant  bleibt  die  Abhandlung  doch,  und  wenn  sie  den  aufmerk¬ 
samen  Leser  auch  nur  dahin  bringt,  an  einigen  der  z.  Z.  gangbaren  Lehren 
im  Stillen  zu  zweifeln,  hat  sie  großen  Nutzen  gestiftet. 

Buttersack  (Berlin). 


Der  Blutfarbstoff. 

(Diesing.  Wiener  klin.  Rundschau,  Nr.  49,  1908.) 

Der  wichtigste  Bestandteil  des  Blutes  ist  der  Blutfarbstoff.  Kein 
physiologischer  Vorgang  spielt  sich  ohne  ihn  ab,  er  ist  der  Träger  aller 
vitalen  Prozesse.  —  Die  Aufnahme  von  Gasen  durch  das  Blut,  wie  sie  bei 
der  Atmung  stattfindet,  ist  nach  der  Ansicht  des  Verf.  von  dem  wechselnden 
Mengenverhältnis  des  Eiseps  und  des  Schwefels  im  Hämoglobin  ab¬ 
hängig.  Eisen  bindet  Sauerstoff,  Schwefel  bindet  Kohlensäure. 
Bei  jeder  Passage  durch  die  Körperkapillaren  wird  eisenhaltiger  Farbstoff 
an  die  Gewebe  abgegeben  und  die  chemische  Valenz  zugunsten  des  Schwefels 
verschoben.  Die  im  Körper  fortwährend  kreisenden  Metalle  und  Metalloide 
übertragen  chemisch  gebundene  Lichtenergie,  die  in  Form  der  Farb¬ 
stoffe  gebunden  ist.  —  Die  Idee  ist  nicht  schlecht,  aber  die  Physiologie  ist 
eine  grausame  Wissenschaft  und  ein  neuer  Gedanke  muß  ihr  erst  seine 
vitale  Kraft  erweisen,  sonst  dreht  sie  ihm  den  Hals  um.  Steyerthal-Kleincn. 


Die  Farbstoffe  der  Nebennieren. 

(Diesing.  Wiener  klin.  Rundschau,  Nr.  51,  1908.) 

Bei  der  wichtigsten  Funktion  des  Blutes,  der  Atmung  fällt  die  Arbeits¬ 
leistung  vorzugsweise  dem  Blutfarbstoffe  zu.  Der  wichtigste  Regu¬ 
lator  des  Farbstoffwechsels  sind  die  Nebennieren.  Darauf  lassen  die 
Kardinaleigenschaften  ihrer  Sekrete,  die  Reduktionskraft,  sowie  das  Vermögen, 
die  Körpertemperatur  herabzusetzen  und  den  Gefäßtonus  zu  erhöhen,  mit 
großer  Wahrscheinlichkeit  schließen.  —  Die  Funktion  der  Nebennieren 
sieht  der  Verf.  darin,  überßchüssigen  und  verbrauchten  Farbstoff 
zu  reduzieren  und  auf  diese  Weise  regulatorisch  auf  den  Farbstoffwechsel 


504 


Referate  und  Besprechungen. 


und  die  Wärmeproduktion  im  Organismus  einzuwirken.  —  Wenn  es  gelingt, 
diese  Theorie  einwandsfrei  zu  beweisen,  so  werden  wir  unsere  Anschauungen 
über  Haushalt  und  wirtschaftliche  Bilanz  des  Körpers  gründlich  revidieren 
müssen.  Steyerthal-Kleinen. 


Zahl  der  roten  Blutkörperchen  während  der  Menstruation. 

(P.  Carnot  u.  Mlle.  C.  S.  Deflandre.  Soc.  de  Biologie,  9.  Jan.  1909.) 

Zahlreiche  Untersuchungen  haben  ergeben,  daß  selbst  bei  ganz  gering¬ 
fügiger  Menstrualblutung  die  Zahl  der  roten  Blutkörper  in  den  ersten  vier 
bis  fünf  Tagen  um  eine  Million  abnimmt;  nach  10 — 12  Tagen  finden  sich 
wieder  die  früheren  Zahlen. 

Die  Frage,  ob  es  sich  wirklich  um  einen  Untergang  der  Blutzellen 
handelt  oder  nur  um  eine  andere  Verteilung  im  Organismus,  soll  durch  weitere 
Untersuchungen  geklärt  werden.  Buttersack  (Berlin). 


Contributo  alla  conoscenza  della  fine  stuttura  delT  ipofisi. 

(Dott.  Ettore  Savagnone,  Palermo.  Rivist.  ital.  di  Neuropath.,  Psich.  ed  Elettroter., 

Vol.  II.,  Fase.  I.,  p.  8,  1909.) 

Auf  mikrophotographischem  Wege  (nach  Cajal)  wird  die  feinere  Struktur 
des  hinteren  Lappens  der  Hypophysis  bei  Katze  und  Mensch  zur  Anschauung 
gebracht.  Das  Grundgewebe  bilden  echte  Nervenfasern,  die  ein  Netz  von 
verschiedener  Dichtigkeit,  aber  immer  größter  Feinheit  darstellen  und  in 
dichten  Geflechten,  wie  S.  durch  Serienschnitte  nachweist,  sich  aus  dem 
Infundibulum  ableiten.  Der  hintere  Lappen  zeichnet  sich  weiter  durch  aus¬ 
gedehnte  Vaskularisation  und  durch  multipolare  Zellen  sowie  granulierte 
Elemente  aus,  die  die  Zwischenräume  im  Nervengeflecht  einnehmen  und 
den  Gegenstand  weiterer  Untersuchungen  bilden  sollen. 

Fiseher-Defoy  (Quedlinburg). 


Allgemeine  Pathologie  und  pathologische  Anatomie. 

Über  die  Vermehrung  erkrankter  Lymphdrüsen. 

(R.  Hammerschlag.  Virchows  Archiv  für  pathol.  Anatomie,  Bd.  194,  S.  320,  1908.) 

Bei  der  Untersuchung  tuberkulöser  und  hyperplastischer  Lymphdrüsen 
anderer  pathologischer  Herkunft  fand  Verf.,  daß  entsprechend  den  Resul¬ 
taten  von  Bayer  über  die  Neubildung  von  Lymphdrüsen  nach  Exstirpation 
sich  neue  Lymphdrüsen  in  der  Nähe  erkrankter  im  benachbarten  Fette  und 
Bindegewebe  entwickeln. 

Bei  tuberkulösen,  hyperplastischen,  in  beschränktem  Maße  auch  bei 
karzinomatösen  und  sarkomatösen  Lymphdrüsen  vermehrt  sich  die  Zahl  dadurch, 
daß  die  Lymphdrüsen  in  gleichmäßiger  oder  ungleichmäßiger  Weise  sprossen 
und  daß  parallel  mit  diesem  Vorgänge  vom  Hiluls  aus  eine  Trennung  der 
vergrößerten  Drüsen  in  mehrere  selbständige  Drüsenkörper  erfolgt.  Diese 
Veränderungen  sind  an  bestimmte  Individuen  geknüpft  und  mit  dem  ätio¬ 
logischen  Faktor  in  einer  gewissen  Beziehung.  Die  Teilungslinien  folgen 
bestimmten  Bahnen,  zu  allererst  den  weiten  Lymphwegen,  ferner  den  Be¬ 
rührung  slinien,  in  welchen  die  von  Saxer  beschriebenen  Bindegewebskerne 
zu  Bildungen  höherer  Ordnung  zusammentreten  und  die  sich  zumeist  an 
gewisse  Trabekelzüge  anschließen. 

Die  Veränderungen  der  Oberfläche  entstehen  hauptsächlich  durch  Pro¬ 
liferation  der  Rindenfollikel.  Das  kann  zu  verschiedenen  Zapfenbildungen 
führen,  es  kann  aber  auch  durch  Sprossung  und  Abschnürung  eine  Ver¬ 
mehrung  der  Lymphdrüsenzahl  daraus  resultieren.  Die  neuen  Lymphdrüsen 
lehnen  sich  entweder  an  den  Mutterkörper  an  oder  entwickeln  sich  ins 


Referate  und  Besprechungen. 


505 


umliegende  Gewebe,  um  sich  völlig  zu  isolieren.  Es  kann  aber  auch  Vor¬ 
kommen,  daß  die  jungen  Lymphdrüsen  die  kranken  förmlich  umfassen  und 
in  deren  Achse  sich  weiter  entwickeln.  W.  Risel  (Zwickau). 


Einfluß  der  Toxine  auf  den  Eiweißabbau  der  Zelle. 

(Hess  u.  Saxl.  Wiener  klin.  Wochenschr.,  Nr.  8,  1908.) 

Zusatz  von  Diphtherietoxin  zu  Organen,  die  der  Autolyse  überlassen 
werden,  bewirkt  anfangs  eine  Hemmung,  später  eine  Steigerung  des  Eiwei߬ 
abbaues.  Den  gleichen  Effekt  haben  Tetanus-,  Choleratoxin  und  Tuberkulin. 
Möglicherweise  hat  der  gesteigerte  intravitale  Eiweißzerfall  bei  Infektions¬ 
krankheiten  gleichfalls  einen  toxischen  Ursprung.  E.  Oberndörffer  (Berlin). 


Untersuchungen  zur  Biologie  und  Ätiologie  der  Tumoren. 

(Dr.  Saul.  Zentralbl.  für  Bakt.,  Bd.  49,  H.  1.) 

Borrel,  der  in  Mäusetumoren  Helminthen  oder  deren  Trümmer  fand, 
urteilte  dahin,  daß  derartige  Organismen  für  die  Übertragung  des  Krebsvirus 
in  Erage  kommen  könnten.  Vom  Verfasser  sind  die  tumorbildenden  Eigen¬ 
schaften  der  Helminthen  geprüft  worden. 

Er  zeigt  zahlreiche  Photogramme  vom  Cystericus  fasciolaris  und  von 
Tumoren,  die  nach  Implantation  eines  Cysticercus-Stückes  auftraten.  Die 
weiteren  Photogramme  stellen  den  Formenreichtum  der  Impftumoren  dar,  die 
von  ein  und  demselben  Spontantumor,  einem  Mammakarzinom  der  Maus  ge¬ 
wonnen  wurden.  Unter  den  Tümoren  fanden  sich  Adenokarzinome,  Adenome, 
Fibrome.  Bei  einem  geimpften  Tiere  fand  Verf.  in  dem  rechten  unteren 
Lungenlappen  eine  Metastase,  die  ein  schlauchförmiges  Nest  von  Zellen  dar¬ 
stellte,  die  die  Neigung  zu  akinöser  Anordnung  zeigten,  wie  die  Epithelien 
des  Primärtumors.  Schürmann  (Düsseldorf). 


Antikörper  bei  Tumoren. 

(Weile  u.  Braun.  Wiener  klin.  Wochenschr.,  Nr.  18,  1908.) 

Die  zur  Syphilisdiagnostik  verwertete  Methode  der  Lezithinausflockung 
durch  das  Serum  des  Patienten  wurde  bei  Geschwulstkranken  angewendet 
und  ergab  in  50%  der  Fälle  ein  positives  Resultat.  Es  müssen  also  Anti¬ 
körper  im  Blut  kreisen,  über  deren  Natur  weitere  Studien  angestellt  werden 
sollen.  Vielleicht  entstehen  sie  durch  die  ständige  Resorption  von  Tumor¬ 
zellen,  die  man  als  körperfremde  Substanzen  auffassen  kann. 

E.  Oberndörffer  (Berlin). 


Aus  dem  pathologischen  Institut  in  Berlin. 

Über  „lipoide  Degeneration“. 

(Fritz  Munk.  Virchow’s  Archiv  für  pathol.  Anatomie,  Bd.  194,  S.  527.) 

Als  lipoide  Substanzen  bezeichnet  Verf.  nach  dem  Vorgänge  von 
Kaiserling  die  unter  verschiedenen  Bedingungen  auf  tretenden,  in  ihren 
tinktoriellen  Eigenschaften  dem  Fette  ähnlichen,  aber  anisotropen,  sogen. 
Myelinformen  bildenden  Substanzen,  die  in  die  drei  Gruppen  der  Lezithine 
(Verbindungen  der  Fettsäuren  mit  Glyzerinphosphorsäure  Und  einer  Am¬ 
moniumbase),  des  Protagons  (einer  komplizierten  N-  und  P-haltigen  Ver¬ 
bindung)  und  des  Cholesterins  zerfallen. 

Seine  Arbeit  kommt  zu  folgenden  Schlüssen : 

Die  fettige  Degeneration  ist  der  Ausdruck  einer  Funktionsstörung  der 
Zelle.  Das  morphologisch  wahrnehmbare  Fett  kann  dabei  stammen  teils 
aus  dem  von  der  schon  geschädigten  Zelle  aus  dem  Säftestrome  noch  auf¬ 
genommenen  Fette,  teils  bei  fortgeschrittener  Schädigung  aus  einer  mole¬ 
kular-physikalischen  Dekonstitution  des  präexistierenden  Fettes. 


506 


Referate  und  Besprechungen. 


Die  lipoide  Degeneration  ist  der  Ausdruck  einer  Schädigung  der  Zelle 
höheren  Grades,  ihres  Unterganges.  Die  doppeltbrechende  Substanz  deutet 
die  Auflösung  des  Kernes  an.  Nur  bei  allmählichem  Absterben  der  Zelle 
im  menschlichen  Körper  werden  Lipoide  gebildet.  Der  die  Doppelbrechung 
bewirkende  Körper  ist  wahrscheinlich  Cholesterinester,  der  sich  den  Fett¬ 
tröpfchen  zugemischt  hat.  W.  Risel  (Zwickau). 


Über  plötzliche  durch  Obduktionsbefund  nicht  mit  Sicherheit  erklärliche 
Todesfälle  bei  Kindern  und  ihre  forensische  Bedeutung. 

(Durlacher.  Wiener  klin.  Rundschau,  Nr.  46 — 48,  1908.) 

Als  „plötzliche  Todesfälle“  bezeichnen  wir  solche,  die  im  Laufe 
einer  Erkrankung  unerwartet,  dem  klinischen  Befunde  nach  unmotiviert  oder 
gar  inmitten  scheinbaren  Wohlbefindens  ein  treten.  Forensisch  besonders 
bedeutungsvoll  sind  diejenigen  plötzlichen  Todesfälle,  deren  Ursache  selbst 
die  Obduktion  nicht  aufklärt.  —  Bei  Kindern  gehört  das  zu  den  Selten¬ 
heiten.  Unter  1797  Fällen  des  Wiener  gerichtlichen  medizinischen  Instituts 
war  der  Obduktionsbefund  nur  viermal  negativ.  —  Zuweilen  findet  man 
in  Kinderleichen  Erstickungserscheinungen  bei  starker  Thymus. 
Diese  Befunde  sind  in  foro  von  Bedeutung.  —  Verf.  teilt  das  ausführliche 
Sektionsprotokoll  einer  derartigen  Beobachtung  mit  (acht  Monate  altes,  mor¬ 
gens  tot  im  Bett  aufgefundenes  Kind)  und  kommt  nach  eingehender  Er¬ 
wägung  aller  Begleitumstände  und  des  vorliegenden  wissenschaftlichen  Mate¬ 
rials  zu  dem  Schlüsse,  daß  zwischen  der  Thymushypertrophie  und  dem 
plötzlichen  Tode  des  Kindes  ein  Kausalnexus  bestanden  hat  (Thymus- 
t  o  d).  Steyerthal-Kleinen. 


Aus  dem  pathologischen  Institut  in  Bonn. 

Über  psammomähnliche  Bildungen  in  der  Wand  einer  Meningocele. 

(P.  Peyer.  Virchows  Archiv  für  pathol.  Anatomie,  Bd.  194,  S.  121.) 

Bei  einem  18  j  ähr.  Manne  wurde  eine  etwa  walnußgroße  kongenitale  Ge¬ 
schwulst  des  Nackens  exstirpiert.  Sie  erwies  sich  als  eine  Meningocele,  die 
vorwiegend  aus  derbem  Bindegewebe  bestand  und  durch  epithelähnliche  Zell¬ 
züge  mit  ausgesprochener  Neigung  zu  konzentrischer  Anordnung  und  Kugel¬ 
bildung  ausgezeichnet  war.  Diese  Bildungen  erinnern  sehr  an  die  von  M.  B. 
Schmidt  früher  in  der  normalen  Dura  mater  beschriebenen  kompakten  Zell¬ 
züge,  die  von  dem  arachnoidealen  Deckendothel  herstammen. 

W.  Risel  (Zwickau). 


Innere  Medizin. 

Die  auskultatorische  Blutdruckmessung  im  Vergleich  mit  der  oszillatorischen 
(Recklinghausen),  und  ihr  durch  die  Phasenbestimmung  bestimmter 

klinischer  Wert. 

(Jos.  Fischer.  Zeitschr.  für  phys.  u.  diät.  Ther.,  Bd.  12,  H.  7,  S.  389—400.) 

Die  Blutdruckmessung  ist  ein  Lieblingsfeld  der  modernen  Kliniker.  Es 
erinnert  das  etwas  an  die  Zeit,  in  welcher  die  Körperwärme  im  Vorder¬ 
gründe  des  Interesses  stand.  Auch  damals  hätte  man  am  liebsten  eine  Normal¬ 
zahl  festgestellt,  nach  Art  der  Verwaltungsbestimmungen  im  bürgerlichen 
Leben.  Das  gelang  nun  freilich  nicht,  man  mußte  eine  gewisse  Breite  der 
Temperaturen  zulassen,  bis  Wunderlich  die  Lehre  aufstellte:  Nicht  die 
Bestimmung  der  absoluten  Temperatur  ist  die  Hauptsache,  sondern  die  Labi¬ 
lität  als  Ausdruck  etwaiger  Regulationsstörungen.  Diese  physiologische  Denk¬ 
weise  konnte  natürlich  in  den  physikalisch-chemisch  gestimmten  Gemütern 
nicht  recht  Wurzel  fassen,  und  so  sehen  wir  noch  heutigen  Tages,  wie  hohe 
Temperaturausschläge  überschätzt,  kleine  unterschätzt  werden. 


Referate  und  Besprechungen. 


507 


So  einfach  wie  ein  Thermometer  lassen  sich  die  Apparate  zur  Blut¬ 
druckmessung  nicht  handhaben.  Darum  hat  Korotkow  1905  eine  hand¬ 
lichere  und  billigere  Methode  vorgeschlagen.  Er  legte  um  den  Oberarm 
eine  breite  Ri  va-Rocci-Recklinghausen’sche  Manschette,  steigerte  den 
Manometerdruck  über  die  zu  erwartende  Norm  hinausi  und  auskultierte  die 
Kubitalis,  während  er  den  Druck  in  der  R-R-R-Manschette  langsam  sinken  ließ. 
Dann  lassen  sich  vier  Phasen  unterscheiden:  Zunächst  treten  Töne  auf,  dann 
Geräusche,  dann  wiederum  Töne  und  schließlich  abermals  leise  Geräusche. 
Fischer  hat  Korotkow’s  Angaben  nachgeprüft  und  bestätigen  können. 
Vergleiche  mit  Recklinghausen’s  oszillatorigchem  Blutdruckmeßapparat 
haben  ihm  ergeben,  daß  die  absoluten  Zahlen  übereinstimmten,  ja  mit  der 
auskultatorischen  Methode  leichter  und  präziser  bestimmbar  sind. 

Laute  bezw.  leise  Töne  der'  dritten  Phase  deuten  auf'  vermehrte  bezw. 
verminderte  Herzarbeit.  Leise  Töne  der  dritten  Phase  bei  kräftiger  Herz¬ 
tätigkeit  deuten  auf  Aortenstenose,  sehr  laute  Töne  bei  sinkendem  Blutdruck 
auf  Aorteninsuffizienz. 

Das  Verhältnis  der  dritten  zur  vierten  Phase  gibt  Aufschluß  über  das 
Verhältnis  von  Herzarbeit  zur  Gefäßspannung,  mithin  über  die  Blutzirku¬ 
lation,  und  wenn  die  Töne  über  dem  Herzen  aus  physikalischen  Gründen 
(Emphysem  exsudativer  Perikarditis)  leise  gehört  werden,  so  bietet  die 
Auskultation  einer  peripheren  Arterie  einen  Ersatz  zur  Beurteilung  der 
Herzkraft  und  der  Gefäßspannung. 

Über  Schwankungen  dos  Blutdrucks  findet  sich  nur  die  kurze  Notiz, 
daß  sie  „bei  stärkeren  Neurasthenikern  zwischen  der  ersten  und  zweiten 
Messung  oft  recht  erheblich“  waren;  ich  möchte  glauben,  daß  die  Unter¬ 
suchungen  über  solche  Schwankungen,  über  die  Labilität  des  Organismus, 
ebenso  interessant  wären,  wie  die  Bestimmungen  des  absoluten  Druckes. 

Buttersack  (Berlin). 


Aus  der  zweiten  medizinischen  Klinik  der  Universität  Berlin.  Direktion:  Geh. 

Med. -Rat  Prof.  Dr.  F.  Kraus. 

Über  Aorteninsuffizienz  und  Lues. 

(Julius  Citron,  Assistent.  Berliner  klin.  Wochenschr.,  Nr.  48,  1908.) 

Die  syphilitische  Aortenerkrankung,  wie  sie  bei  jungen  Individuen 
meist  im  ascendierenden  Teil  vorkommt,  kennzeichnet  sich  durch  kleine  strahlig 
eingezogene  und  grübchenförmige  Vertiefungen  an  der  Innenfläche  des  Ge¬ 
fäßes,  die  ihren  Ausgang  von  der  Adventitia  und  Media  nimmt.  Ob  diese 
histologische  Veränderung  spezifischer  Natur  ist,  ist  noch  nicht  sicher  er¬ 
wiesen,  nur  soviel  weiß  man,  daß  die  Lues  die  häufigste  Veranlassung  ist. 
Ferner  steht  fest,  daß  diese  von  March  and  als  Mesaortitis  productiva  be- 
zeichnete  Erkrankung  eine  außerordentlich  häufige  Komplikation  der  Lues 
überhaupt  darstellt.  So  fand  z.  B.  Chiari  in  mehr  als  der  Hälfte  aller 
sezierten  Luetiker  diese  Form  der  Aortenerkrankung.  Citron  hat  nun  alle 
Fälle  von  Aorteninsuffizienz  serologisch  untersucht  und  erhielt  bei  62,6% 
ein  positives  Resultat.  Er  kommt  daher  zu  dem  Schluß,  daß  die  Lues 
ein  viel  häufigeres  ätiologisches  Moment  abgibt,  als  Anamnese,  Kranken¬ 
geschichte  und  klinischer  Befund  vermuten  lassen.  Auch  bei  Fällen,  wo 
Gelenkrheumatismus  und  toxische  Noxen  in  Betracht  kommen,  empfiehlt  er 
nach  Lues  zu  forschen.  Er  berichtet  zum  Schlüsse  einige  Krankengeschichten, 
aus  denen  einmal  hervorgeh’t,  daß  oft  schon  sehr  kurze  Zeit  nach  der  In¬ 
fektion  die  Gefäßerkrankung  auf  treten  kann,  sowie,  daß  die  Wasser  mann- 
sche  Reaktion  diagnostisch  durchaus  zuverlässig  ist.  Er  hält  es  daher  für 
unbedingt  erforderlich,  bei  positivem  Ausfall  der  Reaktion  eine  Behandlung 
einzuleiten,  um  den  luetischen  Herd,  der  ungefähr  in  der  Hälfte  der  Fälle 
in  der  Aorta  zu  finden  ist,  wenigstens  vorübergehend  zu  beseitigen. 

F.  Walther. 


508 


Referate  und  Besprechungen. 


Zur  Differentialdiagnose  der  Appendizitis. 

(Alfred  Meisl.  Wiener  klin.  Rundschau,  Nr.  2,  1909.) 

Die  Appendizitis  ist  in  unseren  Tagen  zur  allgemeinen  Epidemie  ge¬ 
worden,  aber  man  kann  wohl  getrost  der  Annahme  des  Verfassers  beitreten, 
daß  „die  Diagnose  Appendizitis  noch  häufiger  ist,  als  die  Er¬ 
krankung  selbst“.  —  Von  solchen  Krankheiten,  welche  eine  Entzündung 
des  Wurmfortsatzes  Vortäuschen  können,  lassen  sich  drei  Arten  unterscheiden : 

1.  Die  Blinddarmkolik  durch  Koprostase, 

2.  die  hysterische  und  endlich 

3.  die  gichtisch-rheumatische  Appendizitis. 

Es  ist  sicher  verdienstlich  bei  dem  modernen  Furor  operativus  gerade 
solche  Krankheitsbilder  scharf  zu  kennzeichnen,  welche  eine  Blinddarment¬ 
zündung  Vortäuschen  und  dadurch  eine  zwecklose  Operation  veranlassen 
können,  wenn  der  Verf.  aber  hofft,  durch  seine  Mitteilung  ein  Scher flein 
dazu  beizu tragen,  um  „die  Indikationen  des  operativen  Eingriffs  den  tatsäch¬ 
lichen  Verhältnissen  entsprechend  einzuschränken“,  so  ist  das  ein  beneidens¬ 
werter  Optimismus.  Besser  ist  es  unbedingt,  sich  mit  dem  beruhigenden 
Bewußtsein  zu  trösten,  daß  jeder  Mensch  nur  eine  einzige  Appendix  besitzt. 
Welch  ein  Malheur,  wenn  wir  zwei  solcher  Unglückswürmer  bei  uns  be¬ 
herbergten  !  Steyerthal-Kleinen. 


Ueber  Blinddarmentzündung  und  deren  Behandlung. 

(Leo  Silberstein.  Wiener  klin.  Rundschau,  Nr.  27,  1908.) 

Verf.  redet  der  Opiumbehandlung  bei  Perityphlitis  das  Wort, 
ohne  die  operative  Methode  dadurch  in  den  Hintergrund  drängen  zu  wollen.  Er 
verwendet  Suppos.  Opii  0,03 — 0,04.  —  Von  den  Patienten,  deren  Kranken¬ 
geschichten  angeführt  werden,  ist  der  eine,  dessen  Operation  der  Chirurg 
als  aussichtslos  abgelehnt  hatte,  durch  diese  Methode  geheilt.  Ein  zweiter 
sehr  schwerer  Fall  ist  bei  der  gleichen  Behandlung  ebenfalls  sehr  günstig 
verlaufen.  Steyerthal-Kleinen. 


Der  Ursprung  der  Pneumokoniosen. 

(Dr.  Guido  Ruata.  Zentralbl.  für  Bakt.,  Bd.  48,  H.  1.) 

Zur  Inhalation  verwandte  Verfasser  Sporen,  die  einem  von  Biffi  iso¬ 
lierten  saprophyten  Bazillus  angehören,  der  von  ihm  Bacillus  clavatus  be¬ 
nannt  wurde.  Die  Kulturmerkmale  und  das  mikroskopische  Aussehen  wird 
kurz  erwähnt.  Nach  15  Tagen  schabte  man  den  oberflächlichen  Belag  der 
Agaikulturen  ab,  vermengte  ihn  feucht  mit  Amidostaub,  trocknete  die 
Mischung,  zerrieb  sie  fein  im  Mörser.  Vermittelst  eines  Flagon  wurde  die 
Inhalation  vorgenommen.  Verschluckungs  versuchen  diente  die  Sonde. 

Bei  den  Verschluckungs  versuchen  des  Inhalationsmaterials  ergibt 
sich,  daß  der  Verdaungskanal  bei  den  gesunden  Tieren  für  die  Partikelchen, 
die  keine  Eigenbewegung  haben,  eine  undurchdringliche  Schranke  darstellt, 
durch  welche  in  diesem  Falle  die  Sporen  des  Klavatus,  weder  zur  Lunge 
noch  zu  den  mesenterialen  Ganglien  gelangen  können. 

Sodann  wurden  Inhalationsversuche  gemacht.  Die  zu  verschiedenen 
Zeiten  nach  der  Inhalation  getöteten  Tiere  zeigen  in  ihren  Lungenaussaaten 
bei  100°  und  durch  20  Minuten  hindurch  sterilisiert  alle  den  Bacillus 
clavatus. 

So  glaubt  Verf.  sich  berechtigt,  anzunehmen,  daß  im  normalen  Organis;- 
mus  die  Pneumokoniosen  ihren  Ursprung  aus  der  Inhalation  ziehen  und  nicht 
aus  der  Verschluckung  von  Staubmaterialien.  Schürmann  (Düsseldorf). 


Referate  und  Besprechungen. 


509 


Zur  Behandlung  der  Pneumonie. 

(Roux,  Lorient.  Bull,  med.,  Nr.  74,  S.  828,  1908.) 

Mit  folgender  Therapie  hat  D.  Roux  außerordentlich  schnelle  Heilungen 
der  Pneumonie  bei  Kindern  und  Greisen  erzielt:  Er  gibt  frische  Bierhefe 
(Kindern  2 — 3  Tee-,  Erwachsenen  2 — 3  Eßlöffel  pro  die),  1 — 4  Blutegel  auf 
die  erkrankte  Seite;  Digitalin.  cry stall,  0,0001 — 0,0005;  Belladonna  bei  Kin¬ 
dern,  Morph,  bei  Erwachsenen.  Dazu  fettfreie  Bouillon,  Orangen,  Tee,  Kaffee, 
Wein  und  Wasser,  aber  keine  Milch. 

Wenn  auch  die  Pneumonie  in  Lorient  vielleicht  unter  einem  anderen 
Zeichen  steht,  als  im  übrigen  Frankreich  und  insbesondere  in  Deutschland, 
so  lohnt  sich  doch  ein  Versuch  mit  dieser  einfachen  Therapie.  Im  übrigen 
sei  bei  dieser  Gelegenheit  auf1  diesen  Satz  von  Roux’s  großem  Landsmann 
Trousseau  hingewiesen,  mit  dem  er  die  Leute  mit  feststehenden  therapeu¬ 
tischen  Maximen  abtut:  ,,On  reste  convaincu,  d’une  part,  de  l’etroitesse  de 
vue  des  medecins  qui  restent  toujours  dans  la  meme  voie,  malgre  le  change¬ 
ment  de  Constitution;  d’autre  part,  de  l’influence  extreme  que  ce  changement 
de  Constitution  exerce  sur  le  monde  d’action  des  memes  medicaments  dans  une 
maladie  dont  la  manifestation  locale  est  la  meme“.  (Clinique  medicale  I  1865, 
S.  744.)  Buttersack  (Berlin). 


Untersuchungen  über  Genickstarre  in  der  Garnison  Würzburg. 

(Dr.  Mayer.  Zentralbl.  für  Bakt.,  Bd.  49,  H.  1.) 

Verf.  nimmt  an,  daß  ein  Einzelfall  des  Jahres  1908  auf  einen  Kokken¬ 
träger  zurückzuführen  ist,  durch  den  drei  weitere  Zimmergenossen  zu  Kokken¬ 
trägern  wurden. 

Bei  den  Zimmergenossen  der  Genickstarrekranken  fand  sich  eine  auf¬ 
fallende  Häufung  krankhafter  Prozesse  der  oberen  Luftwege.  Verf.  glaubt, 
daß  eine  sofortige  Isolierung  der  Umgebung  des  Kranken,  die  frühzeitige 
bakteriologische  Untersuchung,  sowie  allgemeine  Desinfektionsmaßnahmen 
als  die  einzig  wirksamen  Mittel  zur  Bekämpfung  der  Genickstarre  zu  be¬ 
trachten  sind.  Kokkenträger  sollen  erst  nach  einer  innerhalb  14  Tagen  er¬ 
folgenden,  mindestens  dreimal  negativen  Untersuchung  kokkenfrei  erklärt 
werden. 

Eine  heilende  Wirkung  Schreibt  er  der  Pyocyanase  zu.  Der  Ku  t  scher - 
sehe  Nährboden  empfiehlt  sich  zur  Züchtung  von  Meningokokken. 

Beim  gesunden  Menschen,  der  nicht  mit  Meningokokkenkranken  in  Be¬ 
rührung  kam,  fanden  sich  Bakterien  im  Rachenschleim,  die  sich  biologisch 
nur  durch  die  Agglutinationshöhe  von  Meningokokken  unterscheiden.  Eine 
Agglutination  der  Meningokokken  durch  hochwertiges  Serum  dürfte  nur  in 
einer  Verdünnung  von  mindestens  1  :  500  als  Kriterium  für  wirkliche  Meningo¬ 
kokken  anzusehen  sein.  Schürmann  (Düsseldorf). 

Hals-,  Nasen-  und  Kehlkopfleiden. 

Die  Behandlung  des  akuten  Schnupfens. 

(Dr.  Hugo  Löwy,  Karlsbad.  Münch,  med.  Wochenschr,  Nr.  29,  1908.) 

Zur  Behandlung  des  Schnupfens  empfiehlt  Löwy  das  Protargol.  Er 
legt  einen  kleinen  mit  einer  10%igen  Protargollösung  getränkten  Watte¬ 
bausch  auf  einige  Minuten  in  den  vorderen  Teil  der  mittleren  Muschel,  wobei 
auf  dem  Transport  dahin  die  Lösung  die  untere  Muschel,  den  mittleren  Nasen¬ 
gang  und  den  Sulcus  olfactorius  bespülen  soll.  Nebennierenpräparate  verwendet 
er  wegen  der  häufig  danach  auftretenden  Reizerscheinungen  nicht.  Da  dieses 
Verfahren  nur  vom  Arzt  ausgeführt  werden  kann,  rät  er  noch  nebenbei 
Instillationen  mit  einer  2 — 5%igen  Lösung  vornehmen  zu  lassen,  die  mit 
völlig  rückwärtsgebeugten  Kopfe  verabreicht  werden  müssen.  Seine  Erfolge 
mit  dieser  Methode  sind  sehr  gute,  besonders  in  frischen  Fällen,  sowie  in 
mehrere  Wochen  verschleppten. 


510 


Referate  und  Besprechungen. 


Eine  andere  Therapie  besteht  in  Inhalationen  von  Menthol  und  Kampfer 
im  Verhältnis  4:2.  Er  gibt  einige  Tropfen  davon  in  ein  Reagenzglas  mit 
etwas  siedendem  Wasser  Und  läßt  die  Patienten  2 — 3 mal  täglich  5 — 10  Min. 
die  Dämpfe  inhalieren.  Ähnliche  Inhalationen  empfehlen  auch  Mader  und 
Krause. 

Was  die  Allgemeinbehandlung  anbetrifft,  so  nennt  er  dafür  diaphore¬ 
tische  Maßnahmen  sowie  vor  allem  den  Gebrauch  der  Nasenatmung  besonders 
bei  akutem  Schnupfen. 

Besonders  letztere  Vorschrift  ist  auch  von  prophylaktischer  Bedeutung. 

E.  Walther. 


Über  die  Beziehungen  der  Rhinitis  chron.  atroph,  zur  Diphtherie. 
Therapeutische  Verwendbarkeit  der  Pyozyanase  bei  Ozäna. 

(L.  Wolff.  Med.  Klinik,  Nr.  83,  1908.) 

Die  Untersuchungen  Wolff ’s  bestätigen  zunächst  die  Tatsache,  daß 
bei  der  sogenannten  genuinen  Ozäna  auffallend  häufig  die  Anwesenheit  echter 
Diphtheriebazillen  festgestellt  wird;  trotzdem  hält  Wolff  sich  nicht  für  berech¬ 
tigt,  nach  dem  Vorgänge  Symep  jede  genuine  Ozäna  als  chronische  Diphtherie 
der  Nase  zu  bezeichnen.  —  Die  Anwendung  von  Pyocyanase,  die  in  sechs 
Fällen  geschah,  beseitigte  zwar  einen  Teil  der  Symptome,  brachte  insbesondere 
auch  den  Eötor  zum  Verschwinden;  jedoch  erwies  siofi  die  Wirkung  nicht 
als  eine  dauernde,  indem  nach  Aussetzen  der  Behandlung  die  ursprünglichen 
Symptome  wiederkehrten.  Insbesondere  gelang  eine  dauernde  Beseitigung 
und  ,, Abtötung“  der  Diphtheriebazillen  in  keinem  Falle. 

R.  Stüve  (Osnabrück). 


Direkte  Endoskopie  der  Kieferhöhle. 

(Sargnon.  Arch.  internat.  de  laryng.,  Bd.  26,  S.  705,  1908.) 

Sargnon  hat  ein  Spekulum  von  der  Form  eines  verlängerten  Ohr¬ 
trichters  und  von  4 — 5  mm  Durchmesser  konstruiert.  Dasselbe  wird  durch 
eine  künstliche  oder  natürliche  Fistel  in  die  Höhle  eingeführt.  Man  kann 
so  die  Beschaffenheit  der  Schleimhaut  (granulierend  oder  nicht)  sowie  die 
Anwesenheit  von  Fremdkörpern  erkennen,  und  man  kann  unter  Leitung  des 
Auges  sondieren. 

Ref.  möchte  darauf  aufmerksam  machen,  daß  schon  vor  mehreren  Jahren 
A.  Hirsch  mann  ein  dem  Zystoskop  nachgebildetes  „Antroskop“  hat  kon¬ 
struieren  lassen.  Es  ist  zwar  vermutlich  teurer  als  Sargnon’s  Spekulum, 
dafür  kann  man  mit  letzterem  wohl  nur  einen  kleinen  Teil  der  Höhle  übersehen. 

Arth.  Meyer  (Berlin). 


Adenoider  Schlundring  und  endothorakale  Drüsen. 

(Blumenfeld.  Zeitschr.  für  Laryng.,  Bd.  1.  H.  4,  1908.) 

Die  Tuberkulose  der  thorakalen  Drüsen  führt  zu  Atelektasen  und  oft 
wiederholten,  fieberhaften  Katarrhen,  die  die  Kranken  zum  Arzt  führen. 
Der  Ernährungszustand  ist  schlecht,  der  Thorax  in  einem  Zustande  der  Aplasie, 
meist  in  der  Zwerchfellgegend  eingezogen,  oben  ausgeweitet.  Die  Venen 
des  Brustkorbes  sind  erweitert,  geschlängelt,  beim  Husten  stärker  hervor¬ 
tretend.  Fast  ausnahmslos  bestehen  adenoide  Vegetationen  (oder  sind  kürzlich 
entfernt  worden),  sowie  Affektion  der  zervikalen  Drüsenkette.  Die  Perkussion 
erweist  neben,  öfters  auch  auf  der  Wirbelsäule  eine  schwache  Dämpfung 
zwischen  dem  2. — 4. — 5.  Brustwirbel,  vorn  sind  die  Fehlerquellen  größer. 
Auskultatorisch  läßt  sich  eine  Verbreiterung  des  Bezirks  feststellen,  in  dem 
normal  Bronchialatmen  gehört  wird  (auf,  und  unmittelbar  neben  der  Wirbel¬ 
säule  bis  zum  4.  Wirbel  abwärts),  und  auf  dem  Sternum  ein  tieferes  Hinab¬ 
reichen  des  bronchialen  Atemgeräusches.  Bisweilen  wurde  durch  Bronchoskopie 
Kompression  der  Bronchien  nachgewiesen.  Die  Durchleuchtung  ergibt  nicht 


Referate  und  Besprechungen. 


511 


immer  deutlichen  Aufschluß,  wo  aber  gute  Bilder  mit  positivem  Resultat 
zu  erzielen  sind,  bestätigt  sie  aufs  sicherste  die  Diagnose.  Kutane  Tuberkulin¬ 
reaktion  gibt  über  die  Natur  der  Schwellung  Aufschluß. 

Einen  kausalen  Zusammenhang  mit  der  Vergrößerung  der  Rachenmandel 
nimmt  Bl.  mit  Sicherheit  an,  trotz  der  anatomischen  Einwürfe  Most’s,  der 
einen  Zusammenhang  der  zervikalen  und  thorakalen  Drüsen  leugnet.  —  Die 
bronchialen  Drüsen  sind  die  plausibelste  Erklärung  für  diejenigen  Thorax¬ 
veränderungen,  die  als  Folge  der  adenoiden  Vegetationen  beschrieben  werden. 
Die  Verringerung  der  Elastizität  des  Thoraxinnern  sowie  die  Ernährungs¬ 
störungen,  welche  durch  die  thorakalen  Drüsen  lumoren  bedingt  werden,  sind 
weit  eher  für  die  Veränderung  der  Thoraxform  anzuschuldigen,  als  das 
Atemhindernis  im  Nasenrachen.  —  Das  Vorhandensein  bronchialer  Drüsen 
modifiziert  wesentlich  die  günstige  Prognose,  die  wir  Kindern  mit  Adenoiden 
zu  stellen  pflegen.  Oft  zwar  heilen  auch  die  tuberkulösen  Drüsen,  aber  die 
Gefahr  der  Infektion  anderer  Organe,  oder  schwerer  Ernährungsstörungen 
läßt  den  Zustand  doch  viel  ernster  erscheinen.  —  Die  Behandlung  besteht 
in  Adenotomie,  klimatischer  Kur,  Solbädern  und  Schmierseifeneinreibungen. 

Arth.  Meyer  (Berlin). 


Anatomie  und  Behandlung  der  fibrösen  Nasenrachen-Polypen. 

(Jaques.  Rev.  hebd.  de  laryng.,  Nr.  48,  1908.) 

Verf.  widerspricht  dem  Dogma,  daß  die  Nasenrachenfibrome  stets  von 
der  Faserknorpelschicht,  die  unter  der  Rachenmandel  liegt,  ausgingen.  Er 
erklärt  diese  Lokalisation  für  die  Ausnahme,  dagegen  den  Ursprung  von 
der  Vorderfläche  des  Keilbeins,  dem  Anfangsteil  des  Pterygoidf ortsatzes, 
dem  Nasendach,  dem  Reeessus  spheno-ethmoidalis  für  die  Regel.  Die  Ge¬ 
schwülste  sind  demnach  meist  nasal,  ihr  Rachenfortsatz  geht  keine  enge 
Verbindung  mit  dem  Rachendach  ein.  Durch  6  lesenswerte  Krankengeschichten 
operierter  Fälle  erhärtet  J.  seine  Ansicht.  Mehrfach  hatten  die  Tumoren  das 
Siebbein  durchwachsen,  Kiefer-  und  Keilbeinhöhle  ausgefüllt  und  erweitert. 
Einmal  bestand  beiderseitige  Erblindung  durch  Druck  auf  den  Optikus.  — 
Der  Lokalisation  entsprechend  muß  auch  die  Operationsmethode  nasal 
gewählt  werden.  Vom  inneren  Ende  der  Brauen  wird  ein  Schnitt  abwärts 
geführt,  der  in  der  Nasenwangenfurche  verläuft  und  den  Nasenflügel  ab¬ 
trennt.  Nach  Abschabung  des  Periosts  wird  die  apertura  piriformis  durch 
Abmeißelung  von  Teilen  des  Nasenbeins  und  des  Stirnfortsatzes  des  Ober¬ 
kiefers  erweitert,  so  daß  auch  die  tiefen  Regionen  der  Nase  zugänglich 
werden.  Der  Tumor  wird  mit  Hakenzangen  vor-  und  abwärts  gezogen  und 
teils  mit  einem  scharfen  Elevatorium,  teils  mit  dem  Finger  aus  seinen  Ver¬ 
bindungen  gelöst.  Die  Blutung  ist  erheblich,  aber  durch  Kompression  meist 
in  Schranken  zu  halten.  Bisweilen  ereignen  sich  Rezidive,  von  übersehenen 
Fortsätzen  des  Tumors  ausgehend,  welche  Nachoperation  erfordern. 

Arth.  Meyer  (Berlin). 


Plastik  bei  Verwachsung  des  Rhinopharynx. 

(Iw  an  off.  Zeitschr.  für  Laryng.,  Bd.  1,  H.  5,  1908.) 

Die  luetischen  Verwachsungen  zwischen  Gaumensegel  und  hinterer 
Rachenwand  zu  trennen,  ist  leicht,  ihre  Wiederverwachsung  zu  verhüten  je¬ 
doch  äußerst  schwierig;  selbst  Umsäumung  der  Wundränder  (Dief f  en  bach) 
schützt  nicht  davor.  Für  solche  Fälle,  in  denen  die  Uvula  erhalten  ist, 
schlägt  J.  folgendes  Verfahren  vor:  Von  der  Basis  der  Uvula  aus  wird  nach 
jeder  Seite  die  Synechie  bis  zur  seitlichen  Rachenwand  getrennt.  Sodann 
wird  die  Uvula  durch  einen  Scherenschlag  in  eine  vordere  und  hintere  Hälfte 
getrennt;  jede  derselben  wird  seitlich  nach  rechts  bezw.  links  umgeschlagen 
und  mit  einigen  Seidennähten  mit  dem  Schnittrande  des  weichen  Gaumens 
vereinigt.  Nun  bilden  die  beiden  Hälften  des  Zäpfchens  den  hinteren  Rand 
des  neugebildeten  Gaumensegels.  Der  Nasenrachenraum  wird  14  Tage  lang 


512 


Referate  und  Besprechungen. 


jeden  zweiten  Tag  tamponiert.  Zeigt  sich  Neigung  zu  neuer  Verengerung, 
so  kann  man  durch  Einführung  und  Aufspreizen  einer  Adenoidenzange  der¬ 
selben  entgegenwirken.  J.’  unterwies  seine  Patientin  seihst  im  Gebrauch 
dieses  Instruments.  Arth.  Meyer  (Berlin). 


Blutungen  bei  Eiterungen  des  Pharynx. 

(Newcomb.  Arch.  internat.  de  laryng.,  Bd.  26,  Nr.  5,  1908.) 

Bei  einem  55  jährigen  Mann  tritt  nach  Inzision  eines  peritonsillären 
Abszesses  eine  hartnäckige  Blutung  auf.  Da  Tamponade  und  andere  Ma߬ 
nahmen  versagen,  wird  die  Carotis  communis  unterbunden,  worauf  die  Blutung 
steht.  —  In  der  Literatur  sind  50  Fälle  mitgeteilt,  in  denen  nach  peri¬ 
tonsillären  und  retropharyngealen  Abszessen  oder  Gangrän  der  Tonsille, 
entweder  spontan  oder  nach  Eröffnung  schwere  Blutung  eintrat.  16  mal 
wurde  die  Carotis  communis,  einmal  die  externa  unterbunden.  Letztere  Ope¬ 
ration,  bei  Blutung  nach  Tonsillotomie  meist  genügend,  ist  für  Abszesse 
weniger  geeignet,  da  die  Art.  Pharyngea  ascendens,  oft  die  Quelle  der  Blutung, 
dicht  an  der  Bifurkation  entspringt.  Im  vorliegenden  Falle  folgten  der 
Unterbindung  wochenlange  Kopfschmerzen  und  Schlaflosigkeit,  aber  keine 
schweren  Erscheinungen.  —  Wo  die  Schwellung  des  Pharynx  Verdacht  auf 
ein  Aneurysma  erweckt,  tut  man  besser,  die  Arterie  freizulegen;  einzelne 
Todesfälle  sind  auf  Inzision  eines  Aneurysma  zurückzuführen. 

Arth.  Meyer  (Berlin). 


Mediane  Pharyngotomie. 

(Mouret.  Rev.  hebd.  de  lar.,  17.  Okt.  1908.) 

a)  Pharyngotomia  subhyoidea.  8 — 10  cm  lange  Querinzision  durch 
Haut  und  Platysma;  Durchtrennung  der  Zungenbeinmuskeln  fingerbreit  unter 
ihrem  Ansatz  (behufs  Erleichterung  der  Naht)  und  der  Membr.  hyothyroidea 
dicht  am  Zungenbein,  um  den  Nerv,  laryngeus  sup.  zu  vermeiden.  Der 
Einblick  ist  gut;  aber  die  Wiedervereinigung  ist  schwer,  die  Nähte  durch 
Schleimhaut,  Bänder,  Muskeln,  die  alle  quer  zur  Spannung  durchschnitten 
sind,  halten  nicht.  — 

b)  Pharyngotomia  transhyoidea.  Medianer  Hautschnitt  vom  Kinn 
zum  Schildknorpel,  Inzision  zwischen  den  Mylohyoidei,  Durchtrennung  des 
Knochens  und  der  Membr.  thyrohyoidea  in  der  Medianlinie,  sodann  der  Schleim¬ 
haut  in  der  glossoepiglottischen  Falte.  Die  Wiedervereinigung  gelingt  leicht, 
die  Fragmente  des  Zungenbeins  lassen  sich  durch  einen  um  dieses  geschlungenen 
Faden  gut  aneinander  fixieren.  Der  Einblick  genügt  aber  nur  für  die  Epi¬ 
glottis  selbst  und  zwar  für  nicht  zu  ausgedehnte,  gutartige  Tumoren  derselben. 
Die  Aryknorpel  liegen  in  der  Tiefe  eines  engen  Trichters.  — 

c)  Pharyngo thyrotomie  gibt  den  besten  Einblick,  ohne  die  letzt¬ 

genannte  Operation  an  Schwere  sehr  zu  übertreffen.  Schnitt  vom  Kinn 
zum  Sternum;  Tracheotomie-Punktion  der  Membr.  cricothyr.,  Tamponade  des 
Larynx  mit  Kokaingaze  von  hier  aus:.  Medianschnitt  durch  Schildknorpel, 
Weichteile  über  dem  Zungenbein,  Membran  und  Schleimhaut  der  glosso¬ 
epiglottischen  Falte,  Durchtrennung  des  Zungenbeins.  Die  Epiglottis  wird, 
wenn  krank,  entfernt,  wenn  gesund,  in  der  Mitte  gespalten.  Der  Tumor 
wird  entfernt;  Drüsen  erfordern  einen  besonderen  Einschnitt.  Die  Tracheal¬ 
kanüle  bleibt  48  Stunden  liegen;  die  Ernährung  geschieht  durch  Dauersonde, 
die  durch  die  Nase  eingeführt  wird  und  3 — 4  Tage  liegen  bleibt.  Nach  Blut¬ 
stillung  wird  das  Zungenbein  (wie  oben),  der  Schildknorpel  und  die  Membr. 
cricothyroidea.  durch  Katgutnaht  vereinigt,  die  Muskeln  vor  dem  Larynx 
zusammengezogen,  die  Hautwunde  bis  auf  ein  Drain  geschlossen,  ein  leichter 
Druckverband  angelegt.  Arth.  Meyer  (Berlin). 


Referate  •  und  Besprechungen. 


513 


Vasomotorische  Störungen  des  Gesichts. 

(Cartaz.  Rev.  hebd.  de  laryng,  Nr.  49,  1908.) 

Fall  1.  9 jähriger,  sonst  gesunder  Knabe.  Sobald  ein  stark  schmecken¬ 
der  Bissen  in  den  Mund  genommen  wird,  erscheint  eine  unregelmäßig  ge¬ 
formte  Röte  des  Gesichts,  die  um  so  intensiver  ist,  je  stärker  der  Geschmack 
der  Speise.  Schweiß,  Speichelfluß  und  andere  Phänome  fehlen. 

Fall  2.  31jähriger  Kaufmann  hat  vor  2  Jahren  einen  starken  Schnupfen 
durchgemacht  und  leidet  seitdem  an  mäßiger  Nasenverstopfung  und  andauern¬ 
der  Schweißsekretion  der  rechten  Gesichtshälfte ;  starkschmeckende  Speisen 
erhöhen  die  Absonderung.  In  der  Nase  ein  Sporn  rechts. 

Fall  3,  (cit.  nach  Tackenberg):  29 jähriger  Mann  mit  völliger  Ver¬ 
stopfung  der  rechten  Nasenseite  durch  eine  Deviation.  Auf  der  gleichen  Seite 
des  Gesichts  wird,  sobald  Pat.  zu  sprechen  beginnt,  reichlicher  Schweiß  in 
Tropfen  abgesondert.  Nach  teilweiser  Wegsammachung  der  Nase  erhebliche 
Besserung.  Hier  lag  sicher  ein  pathologischer  Reflex  vor. 

Arth.  Meyer  (Berlin). 


Die  professionelle  Laryngitis. 

(Ernst  Barth.  Wiener  klin.  Rundschau,  Nr.  26,  1908.) 

Der  ewige  Kehlkopfkatarrh  der  Pastoren,  Lehrer,  Anwälte  und  der 
übrigen  berufsmäßigen  Sprecher  ist  eine  Crux  für  Ärzte  und  Patienten. 
Die  örtliche  Behandlung  hat  meist  nur  wenig  Erfolg  und  nach  einer  er¬ 
folgreichen  Badekur  ist  zu  Hause  alsbald  die  alte  Geschichte  wieder  da.  — 
Das  hat  seinen  guten  Grund  denn  die  Veränderungen  im  Kehlkopfe  brauchen 
gar  nicht  groß  zu  sein  und  trotzdem  können  erhebliche  Stimmstörungen 
auftreten,  weil  Fehler  hei  der  Atmung  und  der  Stimmbildung  ge¬ 
macht  werden :  Schlürfendes  Einatmen  durch  den  Mund,  nicht  genügend  er¬ 
weiterte  Glottis,  Sprechen  in  zu  hoher  Tonlage,  harter  Stimmeinsatz  u.  dgl. 
—  Diese  Fehler  müssen  korrigiert  werden,  der  Redner  muß  ridhtig 
atmen  (kostoabdominale  Atmung,  sparsames  Luftholen,  unhörbares  Ein¬ 
atmen)  und  richtig  sprechen  lernen  (Lockerlassen  der  Halsorgane,  Ent¬ 
spannung  aller  für  die  Stimmbildung  entbehrlichen  Muskeln).  —  Es  leuch¬ 
tet  ein,  daß  mancher  alten  Laryngitis,  die  ferro  et  igni  trotzt,  durch  solche 
pädagogische  Maßregeln  abgeholfen  werden  könnte.  Steyerthal-Kleinen. 


Ictus  laryngis  bei  Keuchhusten. 

(Jourdin.  Arcli.  internat.  de  laryng.,  H.  6,  1908.) 

Ictus  laryngis  tritt  fast  nur  bei  Männern  von  35 — 50  Jahren  auf,  die 
meist  arthritische  Konstitution  und  alte  Katarrhe  der  oberen  Luftwege  haben. 
Im  Laufe  eines  Hustenanfalls  wird  das  Gesicht  rot,  der  Kranke  verliert  das 
Bewußtsein  und  fällt  nieder  oder  sein  Kopf  sinkt  vornüber  auf  den  Tisch. 
Er  erwacht  schnell  wieder,  ohne  vom  Vorgefallenen  zu  wissen;  Vorboten  und 
Nachwirkungen  fehlen  völlig.  —  Was  man  als  „Kehlkopfschwindel“  be¬ 
schreibt,  ist  etwas  anderes,  denn  beim  rechten  Iktus  ist  der  Gleich- 
gcwichtsapparat  nicht  beteiligt.  Der  bei  Tabes  und  Epilepsie  beschriebene 
Iktus  hat  nichts  Besonderes,  und  wird  von  Verf.  ein  zufälliges  Zusammen¬ 
treffen  angenommen.  Von  den  verschiedenen  Erklärungsversuchen  erscheint 
nur  die  Annahme  einer  reflektorischen  Einwirkung  auf  das  Vaguszentruin 
plausibel.  —  In  seltenen  Fällen  äst  Iktus  beim  Keuchhusten  Erwachsener 
beobachtet  worden;  Verf.  fügt  2  neue  Fälle  hinzu.  Bekanntlich  ist  der  Keuch¬ 
husten  Erwachsener  schwer  zu  erkennen,  da  die  krampfartigen  Anfälle  nicht 
sehr  ausgesprochen  sind;  auch  muß  man  sich  vor  Verwechslung  mit  den 
sehr  ähnlichen  Hustenanfallen  hüten,  welche  bei  Mediastinaltumoren  Vor¬ 
kommen.  In  den  Beobachtungen  Jourdin’s  kam  Iktus  nur  während  des 
spastischen  Stadiums  vor,  nicht  während  der  einleitenden  und  beschließen¬ 
den  katarrhalischen  Periode.  Die  Therapie  ist  ziemlich  machtlos,  verhindern 

38 


514 


Referate  und  Besprechungen. 


kann  man  den  Iktus  nicht,  der  ja  aber  eine  recht  harmlose  Komplikation 
darstellt  und  den  Kranken  erschreckt,  ohne  ihn  zu  gefährden. 

Arth.  Meyer  (Berlin). 


Contusion  des  Kehlkopfs. 

(Seifert.  Rev.  hebd.  de  laryng.,  Nr.  45,  1908.) 

Ein  38 jähriger  Mann  erhält  einen  Schlag  mit  dem  Rudergriff  gegen 
den  Hals.  Sich  steigernder  Schmerz,  heftige  Dysphagie  stellen  sich  ein ; 
nach  ärztlicher  Digitaluntersuchung  und  Brechmittel  auch  hohes  Fieber.  In 
11  Tagen  33  Pfund  Gewichtsverlust.  An  der  rechten  Seite  von  Zungenbein 
und  Kehlkopf  große  Empfindlichkeit,  ohne  daß  Krepitation  zu  fühlen  wäre. 
Weicher  Gaumen  und  linker  hinterer  Gaumenbogen  blutunterlaufen,  Uvula 
gangränös.  Laryngoskopisch  Ödem  des  Zungengrundes  und  des  ganzen  Kehl¬ 
kopfeingangs,  Beweglichkeit  der  Stimmbänder  verringert.  Nach  Anästhesie¬ 
rung  kann  Pat.  flüssige  Nahrung  zu  sich  nehmen  und  ist  nach  kurzer  Zeit 
geheilt.  —  S.  erklärt  den  Fall  so,  daß  außer  der  äußeren  Verletzung  auch 
das  Hämatom  des  Gaumensegels  direkt  auf  den  Unfall  zu  beziehen  ist,  während 
die  Infektion  wahrscheinlich  von  der  wenig  zarten  Fingeruntersuchung  her¬ 
rührt  und  ihrerseits  das  Ödem  der  benachbarten  Teile  und  das  Fieber  ver¬ 
schuldet.  hat.  —  Die  Therapie  soll  ab  wartend  sein  und  sich  auf  Anästhesierung 
und  Kälteapplikation  beschränken ;  Skarifikationen  führen  leicht  zur  sep¬ 
tischen  Infektion.  Arth.  Meyer  (Berlin). 


Luftembolie  oder  Synkope? 

(J.  Märer,  Szesceny.  Allg.  Wiener  med.  Zeitung,  Nr.  47,  1908  ) 

Verf.  schildert  in  ausführlicher  Weise  den  Fall  einer  Patientin,  die 
infolge  eines  perilaryngealen  Abszesses  zu  ersticken  drohte  und  der  er  unter 
Infiltrationsanästhesie  durch  eine  Inzision  im  seitlichen  Halsdreieck  ca.  500  g 
Eiter  aus  einer  faustgroßen  Höhle  entleerte.  Die  von  der  Erstickungsgefahr 
befreite  Frau  wurde  aber  auf  dem  Heimwege  plötzlich  bewußtlos  und  konnte 
erst  nach  einstündiger  Bemühung  durch  künstliche  Atmung  und  Äther- 
Kampherinjektionen  wiederbelebt  werden.  Derselbe  Vorgang  wiederholte  sich 
nach  ca.  zwei  Stunden  nochmals. 

Zur  Erklärung  dieses  Ereignisses  zieht  Verf.  nach  Ausschluß  von  Lufi- 
röhrenläsion,  Hysterie,  Stenokardie  entweder  einen  wiederholten  Ohnmachts¬ 
anfall  oder  Luftembolie  durch  angeschnittene  Hautvenen  oder  endlich  zu 
rasche  Expansion  der  relativ  atelektatisch  gewesenen  Lunge  heran.  (Auch 
die  Möglichkeit  einer  Intoxikation  oder  Idiosynkrasie  gelegentlich  der  In¬ 
filtrationsanästhesie  wäre  nicht  von  der  Pland  zu  weisen.  Ref.)  Esch. 


Röntgenologie  und  physikalische  Heilmethoden. 

Zur  Physiologie  der  Massage, 

.(Karl  Rosenthal,  Berlin.  Zeitschr.  für  phys.  u.  diät.  Ther.,  Bd.  12,  1908/09.) 

In  einer  Anzahl  von  Arbeiten  berichtet  R.  über  die  Ergebnisse  seiner 
Untersuchungen,  die  darauf  abzielten,  die  Lücken,  die  noch  bezüglich  der 
physiologischen  Grundlagen  der  Massage  so  zahlreich  vorhanden  sind,  nach 
Möglichkeit  auszufüllen.  R.  kommt  dabei  zu  sehr  interessanten  Resultaten. 
Zunächst  wurde  der  Einfluß  der  Massage  auf  die  elektrische  Erregbarkeit 
des  ermüdeten  und  ruhenden  Muskels  geprüft.  Dabei  zeigte  sich  für  den 
Kaltblütermuskel,  daß  eine  Massage  von  fünf  Minuten  Dauer  eine  bedeutende 
Erhöhung  der  elektrischen  Erregbarkeit  des  ermüdeten  Muskels  bewirkt 
und  zwar  eine  viel  bedeutendere  als  sie  durch  Ruhe  von  gleicher  Dauer  je 
erreicht  werden  kann.  Auf  den  nicht  ermüdeten  Muskel  hat  die  Massage 
bezüglich  einer  Veränderung  der  elektrischen  Erregbarkeit  keinen  Einfluß. 
Für  den  Warmblütermuskel  ergaben  sich  bezüglich  dieser  Fragen,  die  gleichen 


Referate  und  Besprechungen. 


515 


Verhältnisse.  —  Was  nun  einen  anderen,  auch  für  die  Praxis  sehr  wich¬ 
tigen  Punkt  betrifft,  wieweit  nämlich  der  mechanische  Einfluß  der  Massage 
auf  das  Fettgewebe  reicht,  so  ergaben  hier  ganz  exakt  vorgenommene  Probe¬ 
exzisionen  mit  nachfolgender  Härtung  und  Färbung,  daß  das  Fettgewebe 
keinem  noch  so  starkem  Drucke  ohne  Läsion  weicht,  daher  Massage  der  Bauch¬ 
deeken  behufs  Entfettung*,  wie  bisher,  zu  verwerfen  ist.  —  Es  wurden 
auch  plethysmographische  Untersuchungen  über  die  Volumenveränderung  des 
menschlichen  Arms  durch  Massage  angestellt.  Da  zeigte  sich,  daß  der  ermüdete 
Muskel  blut-  und  stoff reicher  ist  als  der  ruhende.  Die  Blut-  und  Saftfülle 
wird  durch  Massage  noch  erhöht;  dies  erklärt  sich  theoretisch  wohl  daraus, 
daß  bei  der  Ermüdung  eine  Art  Stauung  des  Blut-  und  Lymphstroms  zu¬ 
stande  kommt,  während  die  durch  die  Massage  bewirkte  Beschleunigung 
der  Blut-  und  Säftezirkulation  die  bereits  begonnene  Regeneration  des  Mus¬ 
kels  beschleunigt  und  verstärkt.  Fuerstenberg. 


Radium  als  Kropferzeuger. 

(Repin.  Academie  des  Sciences,  19.  Oktober  1908.) 

Rep  in  hat  14  Quellen  in  den  Departements  Savoie  und  Haute-Savoie  auf 
ihren  Radiumgehalt  untersucht  und  dabei  beträchtliche  Zahlen  erhalten.  Weil 
in  diesen  Gegenden,  ebenso  wie  in  anderen,  wo  das  Wasser  aus  großen  Tiefen 
bezw.  aus  Eruptivgestein  herstammt,  der  Kropf  sehr  verbreitet  ist,  so  bietet 
sich  der  Kausalnexus  von  selbst  dar.  Besonders  interessant  ist  der  Ort 
Bourg-d’Oisans ;  dessen  Bewohner  sind  kropffrei,  dagegen  haben  alle  vier 
Personen  in  einem  Gehöft,  das  von  einem  besonderen,  radioaktiven  Brunnen 
versorgt  wird,  vergrößerte  Schilddrüsen. 

Wenn  Repin  außerdem  noch  auf  die  Häufigkeit  des  Kretinismus  in 
den  schweizerischen,  steirischen,  norischen  Alpen,  in  Sardinien  und  Korsika, 
Karpathen,  Pyrenäen,  Ural,  Himalaya,  Tibet  usw.  hingewiesen  hätte,  wäre 
das  eine  weitere  Stütze  für  seine  Theorie,  die  unzweifelhaft  viel  Bestechen¬ 
des  hat,  Buttersack  (Berlin). 


Über  Technik  und  Wirkung  der  Stauungshyperaemie  und  ihre  Ver¬ 

wendung  in  der  Praxis. 

(Kurt  Schmidt.  Wiener  klin.  Rundschau,  Nr.  36,  37,  38  u.  39,  1908.) 

Wenn  der  Angabe  des  Verf.,  daß  „die  Berechtigung  und  der  Wert  der 
Bie.r’schen  Stauung  heute  ziemlich  allgemein  anerkannt  sei“  auch  nicht 

ganz  beigepflichtet  werden  kann,  so  verdient  die  Frage,  die  er  sich  stellt : 

„Ist  die  Hyperämie  als  Heilmittel  für  den  praktischen  Arzt  brauchbar?“ 
um  so  mehr  Beachtung.  — -  Nach  eingehender  Erörterung  der  Technik,  an 
die  sich  eine  sehr  bemerkenswerte  Empfehlung  der  unerläßlichen  Vorsichts¬ 
maßregeln  anschließt,  bespricht  der  Verf.  die  Heilwirkungen  der  Methode 
und  kommt  zu  dem  Schlüsse:  „Jedenfalls  bedeutet  die  Behandlung  mittels 
Hyperämie  auf  dem  weiten  Gebiete  der  äußeren  Entzündungen  und  auch 

bei  manchen  inneren  Krankheiten  einen  gewichtigen  Fortschritt  in  der  The¬ 
rapie,  den  auch  der  praktische  Arzt  ergiebiger  als  jetzt  ausnützen  könnte.“ 

Steyerthal-Kleinen. 


Orthodiagraphische  Beobachtungen  über  Veränderungen  der  Herzgröße 
bei  Infektionskrankheiten,  bei  exsudativer  Perikarditis  und  paroxysmaler 
Tachykardie  nebst  Bemerkungen  über  das  röntgenologische  Verhalten 

der  Pneumonie. 

(Dr.  H.  Di  et  ler,  Straßburg.  Münch,  med.  Wochenschr.,  Nr.  40,  1908.) 

Verfasser  hat  bei  Scharlach,  Diptherie,  akuter  Polyarthritis,  Typhus 
abdominalis,  fibrinöser  Pneumonie  und  Sepsis  orthodiagraphische  Unter¬ 
suchungen  des  Herzens  vorgenommen.  Er  fand  bei  jeder  dieser  Krankheiten 
einen  mehr  oder  weniger  großen  Prozensatz  von  Fällen,  in  denen  die  Fläche 

33* 


516 


Referate  und  Besprechungen. 


des  orthodiagraphischen  Herzbildes  das  normale  Durchschnittsmaß  übertraf. 
Am  häufigsten  wurden  diese  Herzveränderungen  bei  Scharlach,  Diphtherie 
und  akuter  Polyarthritis,  am  seltesten  beim  Typhus  gefunden.  Bei  Schar¬ 
lach  und  Diphtherie  trat  die  Herzvergrößerung  gegen  Ende  der  ersten  und 
zu  Anfang  der  zweiten  Krankheitswoche  auf  und  ging  nur  sehr  allmählich, 
und  fast  nie  vollständig  zurück,  blieb  sogar  in  dem  einen  Palle  dauernd 
bestehen.  Nebenbei  wurden  mitunter  Veränderungen  des  Pulses,  des  Spitzen¬ 
stoßes  und  des  auskultatatorischen  Befundes  beobachtet.  Bei  der  akuten 
Polyarthritis  war  bemerkenswert,  daß  be|i  8  Fällen  von  Herzvergrößerung  nur 
einmal  Endokarditis  nachweisbar  war  und  daß  bei  3  Fällen  mit  Endo¬ 
karditis  keine  Herzvergrößerung  gefunden  wurde. 

Bei  3  Tachykardien  wurde  während  der  Anfälle  orthodiagraphisch 
keine  Vergrößerung,  sondern  eine  geringe  Verkleinerung  des  Herzens  nach¬ 
gewiesen. 

Bei  der  fibrösen  Lungenentzündung  konnte  D.  als  Nebenbefund  fest- 
steilen,  daß  vor  dem  Auftreten  und  dem  Abklingen  des  charakteristischen 
Perkussionsbefundes  sich  eine  Schattenbildung  in  der  Hilusgegend  nach- 
weisen  ließ. 

Am  Schluß  spricht  D.  über  die  röntgenologische  Differentialdiagnose 
zwischen  Herzerweiterung  und  perikarditischem  Exsudat: 

Das  Schattenbild  des  Exsudates  ist  das  eines  dem  Zwerchfell  platt  auf- 
sitzenden  Beutels  mit  sehr  schmalem,  wenn  auch  sehr  kurzem  Halse.  Sein 
Querdurchmesser  ist  ebenso  lang  oder  länger  als  der  Längsdurchmesser,  so 
daß  oft  die  rechte  Grenze  die  rechte  Brustwarze,  die  obere  das  Schlüssel¬ 
bein  erreicht,  was  beim  vergrößerten  Herzen  nie  vorkommt. 

Die  Schattengrenze  bei  Exsudat  ist  glatt  und  ohne  Pulsation.  Hahn. 


Glühlichtbäder  bei  Asthma  bronchiale. 

(Al.  Straß  er.  Monatsschr.  für  d.  pliys.-diät.  Heilmethoden,  Bd.  1,  S.  17 — 32,  1909. 

In  der  ,, Medizinischen  Klinik  1908“,  Nr.  1  hatte  Ad.  Strümpell  aufs 
wärmste  die  Behandlung  des  Asthmas  mit  elektrischen  Glühlichtbädern  emp¬ 
fohlen;  Strass  er,  der  diesem  Rat  gefolgt  war,  bestätigt  die  Wirksam¬ 
keit  dieser  Therapie.  Er  gab  die  Lichtbäder  allemal  einen  um  den  andern  Tag 
und  füllte  die  Zwischentage  mit  leichten,  tonisierenden  hydriatischen  Pro¬ 
zeduren  aus.  Im  Lichtkasten  ließen  sich  auch  schwere  Fälle  auf  der  Höhe 
des  Anfalls  koupieren. 

Bei  der  Schwierigkeit  der  Therapie  des  Asthmas  erscheint  jeder  Hinweis 
dankenswert,  der  irgendwie  Besserung  verspricht.  Buttersack  (Berlin). 


Zur  Hydriatik  des  IVIorb.  Brightii. 

(J.  Sadger,  Wien-Gräf enberg.  Tlier.  Rundschau,  Nr.  47,  1908.) 

Während  die  frühere  Annahme,  daß  durch  Hyperämisierung  der  Haut 
eine  Dekongestionierung  der  Nieren  bewirkt  werde,  sich  als  unhaltbar  er¬ 
wiesen  hat,  ist  das  funktionelle  Eintreten  der  Haut  für  die  Nieren  eine  thera¬ 
peutisch  sehr  wichtige  Tatsache;  denn,  wenn  auch  die  angestrengteste  Haut¬ 
tätigkeit  auf  die  Dauer  die  Nierenfunktion  nicht  völlig  ersetzen  kann,  so 
ist  diese  Ersatztätigkeit  doch  weitaus  die  bedeutsamste  für  die  durch  die 
Niereninsuffizienz  bedrohte  Erhaltung  des  Lebens. 

t  Gegen  die  von  altersher  erstrebte  Beseitigung  der  Ödeme  durch  Schwitz¬ 
prozeduren  wurde  neuerdings  von  Leube  und  Strauß  das  Bedenken  erhoben, 
daß  die  in  den  Ödemen  deponierten  krankhaften  Stoffwechselprodukte  mit 
dem  Schwinden  jener  wieder  in  die  Blutbahn  gelangen  und  Urämie  hervor- 
rufen  könnten.  Diese  theoretischen  Bedenken  hat  die  Praxis  jedoch  nicht 
bestätigt,  man  muß  nur  die  Diaphorese  nicht  zu  sehr  forcieren  und  sie  bei 
Schrumpfniere  und  den  Übergangsformen  zu  dieser  ganz  unterlassen. 

Als  ein  sehr  wichtiges  diuretisches  Heilmittel  bei  Hydrops  hebt  S. 
sodann  die  Kar  eil’ sehe  Milchkur  hervor  (3 — 4'mal  tgl.  je  60—200  g  abge- 


Referate  und  Besprechungen. 


517 


rahmte  Milch  5 — 6  Wochen  lang  unter  ev.  Steigerung  bis  auf  3  1  täglich 
langsam  trinken,  lassen,  in  der  2.  oder  3.  Woche  bei  ausgesprochenem 
Hunger  eine  altbackene  Semmel  oder  etwas  Milchsuppe  mit  Grütze).  Unter¬ 
ernährung  tritt  dabei  nicht  ein,  wie  ja  auch  diese  Kur  beweist,  daß  der 
Mensch  nur  die  Hälfte  der  bisher  angenommenen  Kalorienzahl  bedarf. 

Was  die  spezielle  Hydriatik  der  einzelnen  Formen  betrifft,  so  emp¬ 
fiehlt  S.: 

1.  bei  akuter  Nephritis  z.  B.  bei  Scharlach,  die  übliche  Halbbäder¬ 
behandlung,  hier,  da  Kälteapplikationen  nicht  vertragen  werden,  in  der  Tempe¬ 
ratur  von  32 — 29°  unter  kräftiger  Frottierung;  bei  geringem  Fieber  und  starken 
Ödemen  sind  schweißtreibende  Prozeduren  indiziert  (heiße  Wannen-,  Dampf¬ 
kasten-,  Wannendampf-,  Heißluft-,  elektrische  Licht-  oder  Sandbäder).  Speziell 
das  heiße  Bad  beginne  mit  38°  und  steige  rasch  auf  40°,  nicht  länger  als  1/4 
bis  höchstens  1/2  Stunde  bei  Erwachsenen  mit  1 — 2  ständigem  Nachschwitzen 
in  Wolldecken.  Sind  wenig  Ödeme  vorhanden,  so  können  auch  indifferente 
Bäder  von  34—35°  und  1 — l1/2stündiger  Dauer  gegeben  werden.  Strasser 
wechselt  bei  Ödemen  praktisch  mit  beiden  Prozeduren  ab. 

2.  bei  der  subakuten  und  chronischen  Nephritis  und  vor  allem 
bei  der  Schrumpfniere  ist  besonders  auf  das  Herz  und  auf  die  schlechte 
Hautreaktion  und  Temperaturempfindlichkeit  des  Nephritikers  zu  achten. 
Wenn  hier  ja  auch  Kälteapplikationen  im  Gegensatz  zur  akuten  Nephritis  zur 
Anwendung  kommen  können,  so  dürfen  sie  doch  nur  kurz  und  flüchtig  und 
nicht  zu  kalt  sein,  und  müssen  stets  mit  energischer  Friktion  bis  zur  Haut¬ 
rötung  einhergehen;  die  Reaktion  muß  auf  jede  Art  erzwungen  werden. 

a)  Bei  den  leichteren  Formen  der  chronischen  Nephritis  (Albuminurie 
ohne  sonstige  Erscheinungen)  beginnt  man  mit  15°igen  Teilabreibungen  um 
zu  22 — 20°  Ganzabreibungen  überzugehen,  ferner  kurze  14°  Übergießung,  kurzes 
Tauchbad,  20 — 18°,  1  Minute,  kurze  Duschen  20 — 18°.  Vorwärmung  ist  nur 
selten  erforderlich. 

b)  Bei  den  schweren  Formen,  noch  ohne  Ödeme  und  Urämie  werden  eben¬ 
falls  Teil-  und  Ganzabreibungen,  Begießungen,  Duschen,  alle  mit  etwas  höheren 
Graden,  auch  Halbbäder  von  28 — 25  0  und  3  Minuten  Dauer,  mit  Vorwärmung 
im  Dampfkasten  oder  Dampfbadewanne  bis  zu  25  Minuten  (Herzkühler !)  ange¬ 
wandt.  Strasser  empfiehlt  systematische  Behandlung  mit  indifferenten 
Bädern  von  34 — 35  0  C  und  1 — iy2stündiger  Dauer  mit  nachfolgender  einstüncli- 
ger  Bettruhe. 

Treten  trotzdem  Ödeme  auf,  dann  braucht  man  keineswegs,  wie  bei 
der  akuten  Nephritis  auf  jede  kalte  Prozedur  zu  verzichten,  vielmehr  soll  die 
Herz  ton  isierung  jetzt  unsere  vornehmste  Rücksicht  sein.  Man  macht  früh¬ 
morgens  im  Bett  eine  15°  Teilabreibung  mit  gut  ausgewundenem  Tuch.  Die 
Ödeme  verlangen  jetzt  allerdings  die  eingangs  erwähnten  Schwitzprozeduren 
immer  mit  eingelegtem  Herzkühler,  nach  dem  1/2 — 1  ständigen  Nachdunsten 
im  Bett  kommt  dann  aber  immer  die  Abkühlung,  allerdings  mit  etwas  höheren 
Graden  z.  B.  20°  Übergießung  oder  Duschen  mit  kräftigem  Trockenfrottieren, 
nachher  ein  wenig  Bewegung  in  freier  Luft.  Bei  fortgeschrittenen  Leiden 
fällt  letztere  fort,  die  Abkühlung  erfolgt  vor  dem  Nachdunsten. 

W  egen  der  notwendigen  Herzschonung  darf'  das  Schwitzen  stets  nur 
gelinde  sein  und  muß  bei  hochgradiger  Herzschwäche  ganz  unterbleiben.  In 
letzterem  Falle  statt  dessen  2  mal  tägliche  Teilabreibung  und  Herzkühler. 

c)  Beim  akuten  urämischen  Anfall  neben  Exzitantien  und  Aderlaß  kurze 
heiße  Bäder,  40 — 43°  und  5 — 10  Min.  mit  kalten  Übergießungen  und  kalten 
Klistieren.  Die  chronische  Urämie  wird  gleich  dem  Grundleiden  behandelt, 
bei  Kopfschmerzen  ständige  heiße  Fußbäder,  kalte  Kopfumschläge,  bei 
Übelkeit,  Brechen,  Singultus  nach  Winternitz  Stammumschlag  mit  einge¬ 
legtem  heißen  Schlauch  auf  die  Magengegend,  bei  Durchfall  Leibbinde  und 
wechselwarme  Sitzbäder  (35°  10  Min.,  dann  15°  2  Min.)  bei  zerebralen  Sym¬ 
ptomen  kurze  Halbbäder  von  28 — 25°,  2 — 3  Min.  mit  20°  Nackenübergießung, 
die  längeren  indifferenten  Bäder  sind  bei  chronischer  Urämie  kontraindiziert, 
dergleichen  bei : 


518 


Referate  und  Besprechungen. 


d)  der  Schrumpf nier e.  Sie  erfordert  ebenfalls  Teil-  und  Ganzab¬ 
reibungen,  Begießungen,  Duschen,  Herzkühler,  endlich,  was  auch  symptoma¬ 
tisch  sehr  günstig  wirkt,  kurze  Halbbäder  28 — 25°,  2 — 3  Min.  ev.  mit 
Vorwärmung,  Verminderung  der  Flüssigkeitszufuhr,  geeignete  Herzgymnastik. 


Esch. 


Aus  dem  Institut  für  physikalische  Heilmethoden  in  Wien. 

Hysterie  und  Hochfrequenzströme,  nebst  Bemerkungen  zur  Pathogenese 

der  Hysterie. 

(Dr.  Max  Kaliane.  Med.  Klinik,  Kr.  43,  1908.) 

Die  Hochfrequenzströme  haben,  wie  K  aha  ne  auf  Grund  seiner  jahr- 
langen  Beobachtungen  gefunden  hat,  im  allgemeinen  bei  lokaler  Anwendung 
gefäßverengende,  sekretionsbeschränkende,  schmerz-  und  juckreizlindernde,  bei 
allgemeiner  Anwendung  beruhigende  und  zugleich  anregende  Wirkung.  Ein 
auffallender  Unterschied  zeigte  sich  bei  ihrer  therapeutischen  Verwertung 
an  Neurasthenikern  und  Hysterikern;  während  erstere  außerordentlich  günstig 
beeinflußt  wurden,  lehnten  die  Hysteriker  schon  nach  der  ersten  Sitzung 
eine  Weiterbehandlung  wegen  der  Verschlimmerung  ihres  Zustandes  ab.  Diese 
Tatsache  veranlaßt  Kahane,  auf  das  Wesen  der  Hysterie  etwas  einzugehen, 
deren  Pathogenese  noch  völlig  ungeklärt  ist.  Das  Versagen  der  anatomisch-histo¬ 
logischen  und  der  chemischen  Untersuchungen  einerseits  und  das  auffällige 
Verhalten  gegen  Hochfrequenzströme  andererseits  läßt  den  Gedanken  auf¬ 
komm  en,  mittels  der  Physik  einer  Erklärung  zu  suchen,  wobei  man  daran  denken 
könnte,  die  Hysterie  als  eine  Zustandsänderung  des  Nervensystems  hinsicht¬ 
lich  der  Reaktion  gegen  bestimmte  elektrische  Energieformen  zu  erklären, 
was  soviel  heißen  würde  als  die  vitale  Elektrizität  zur  Forschung  über  die 
Pathogenese  der  Neurosen  wieder  heranzuziehen.  F.  Walther. 


Allgemeines. 

Aus  der  amerikanischen  periodischen  medizinischen  Literatur. 

(Dezember — Januar  1908/09.) 

The  Poist-Graduate.  Dezember  1908. 

1.  Der  Monat.  Erjslatz  kranker  Arterien  und  Organe  durch  ge¬ 
sunde.  Von  Dr.  Alexis  Carrel,  Philadelphia,  S.  Spezialreferat!  2.  Einige 
gerichtlich-medizinische  Punkte  der  Trunkenheit.  Von  Dr.  Alfred 
Lawrence,  Lehrer  der  Geistes-  und  Nervenkrankh.  an  d.  P.  Grad.  med. 
sch.  and  hosp.,  New-York.  Läuft  darauf  hinaus,  daß,  wie  es  bereits  Spezialisten 
für  Geistes-  und  Nervenkrankheiten  gibt,  es  auch  Experten  oder  Spezialisten 
zur  Bekämpfung  der  Trunksucht  (inebrietists)  geben  sollte.  3.  Pyurie  bei 
Frauen.  Von  Dr.  Henry  Dawson  Furniss,  Lehrer  der  Frauenkrankheiten, 
P.  Gr.  sch.  and  hosp.,  New-York.  Die  kurze  Urethra,  die  Beziehungen  des 
Uterus  und  der  Ovarien  zur  Blase  des  Weibes  machen  die  Pyurie  bei  diesen 
verschieden  von  der  des  Mannes.  Dies  rechtfertigt  eine  besondere  Betrach¬ 
tung  der  ersteren,  jedoch  nur,  soweit  der  Eiter  aus  der  Urethra  selbst  kommt, 
in  differentiell  -  diagnostischer  Beziehung.  4.  Gallensteine.  Lockere 
Nieren.  Von  Dr.  Robert  T.  Morris,  Vorstellung  eines  Falles,  wobei  M. 
darauf  hinweist,  daß  nicht  selten  cholecystitische  Adhäsionen  alle  Symptome 
eines  Gallensteinleidens  Vortäuschen.  Besprechung  seines  Operationsverfahrens. 
Bei  der  Vorstellung  eines  zweiten  Falles  Hinweis  darauf,  daß  eine  lockere 
Niere  einmal  den  Appendix  kongestionieren  und  empfindlich  machen  kann, 
wenn  sie  auf  die  obere  Mesenterialvene  drückt,  sodann  aber  gelegentlich  auch 
vorübergehend  Gelbsucht  verursacht,  5.  NierentuberkuLose,  Septi¬ 
scher  Niereninfarkt,  Von  Dr.  George  W.  Warren,  Lehrer  der  Uro- 
genital-Krankheiten,  P.  Gr.  med.  sch.  and  hosp.,  New-York.  Vorstellung  eines 
Falles  von  Nierentuberkulose.  Entfernung  der  linken  Niere  und  des  Ureters 
bis  zur  Blase.  Der  Fall  ist  noch  in  Behandlung.  Bei  Stellung  der  Diagnose 
ist  daran  zu  denken,  daß  bei  Nierentuberkulose  der  Harn  auch  klar  sein 


Referate  und  Besprechungen. 


519 


kann,  da  der  Tuberkelbazillus  meist  keine  Eiterung  macht.  In  einem  zweiten, 
ebenfalls  vorgestellten  Fall  von  Urämie  konnte  die  Diagnose  mit  Hilfe  der 
Cystoskopie  auf  Abszeß  der  linken  Niere  gestellt  werden,  die  entfernt  wurde 
und  die  Diagnose  bestätigte  —  sie  war  mit  miliaren  Abszessen  durchsetzt. 
Das  perirenale  Fettgewebe  zeigte  Koagulationsnekrose.  Genesung.  In  der 
Diskussion  wurde  Warnen  zu  diesen  Erfolgen  mit  Recht  beglückwünscht. 
6.  Der  Wert  der  Labor atoriumsi-Hilf  e  bei  der  Diagnose  des  Typhus. 
Von  Dr.  T.  Homer  Coffin,  Lehrer  der  Pathologie,  P.  Gr.  school  usw.  So 
wertvoll  die  Resultate  der  Blut-,  Stuhl-,  Harn-  usw.  Untersuchungen  im 
Laboratorium  sind,  so  soll  doch  die  Diagnose  auf  sie  allein  hin  nicht  gestellt 
werden.  Betrachtung  der  hierher  gehörigen  Untersuchungsmethoden.  Ein 
positiver  Widal,  in  der  zweiten  oder  dritten  Woche,  ist  ein  sicheres  Zeichen, 
ein  negativer  schließt,  besonders  in  den  frühen  Stadien,  Typhus  nicht  aus. 
Nach  Widal  kommt  die  Blutuntersuchung.  Die  relative  Vermehrung  der 
Mononuklearen  auf  Kosten  der  Polymorphonuklearen  und  das  Fehlen  einer 
Leukozytose  differenziert  Typhus  von  mit  Eiterbildung  einhergehenden  ent¬ 
zündlichen  Zuständen.  Am  sichersten  sind  Blutuntersuchungen,  sie  geben 
in  frühen  Stadien  die  meisten  positiven  Resultate.  Bakteriologische  Stuhl- 
und  Harnuntersuchungen  sind  wertvoll  in  zweifelhaften  Fällen.  In  der 
Diskussion  erwiderte  Coffin,  daß  die  Laboratoriumsfunde  nur  als  Hilfs¬ 
mittel  bei  der  Diagnose  betrachtet  werden  können  und  mit  den  klinischen 
Befunden  zusammengehalten  werden  müssen.  7.  Die  Wirkungen  der  Harn¬ 
säure  auf  das  Urogenitalsystem.  Von  Dr.  James  Pedersen,  Adjunkt- 
Professor  der  Urogenital-Chirurgie,  P.  Gr.  school  usw.  Übersaurer  Harn,  oft 
der  Vorläufer  der  harnsauren  Diathese,  bewirkt  als  Irritans  zuerst  Nieren¬ 
reizung,  nach  längerer  Einwirkung  interstitielle  oder  parenchymatöse  Nephri¬ 
tis,  Ureteritis,  Zystitis  und  Urethritis.  Harn  mit  harnsauren  Kristallen  wirkt 
traumatisch.  Beides,  die  Reizung  durch  den  übersauren,  und  das  Trauma 
durch  den  mit  Kristallen  beladenen  Harn  machen  die  betroffenen  Gewebe 
leichter  zugänglich  für  Infektionen.  Während  ein  Stein  oder  mehrere  lange 
in  der  Niere,  im  Nierenbecken  oder  im  Ureter  sein  können,  ohne  Schmerz 
oder  Hämaturie  zu  veranlassen,  wachsen  die  Harnsäurekristalle  durch  Apposi¬ 
tion  auch  von  Phosphaten,  bilden  Steine  und  machen  Eiterung.  Auf  ähnlichem 
Wege  entsteht  Pyelonephrose  und  Pyelonephritis,  Ureterverschluß,  Stein- 
anurie,  Blasensteine,  Urethritis,  Prostatitis.  In  der  Diskussion  antwortete 
P.  auf  die  Fragte,  was  er  unter  übersaurem  Harn  verstehe?  daß  er  solchen 
meine,  der  bei  der  gewöhnlichen  Lackmusreaktion  vermehrten  Säuregehalt 
anzeige.  Im  übrigen  lieferte  die  Diskussion  Beiträge  zum  Vortrage  P’s.  — 
in  dem  Referatenteil  (abstract  department),  der  nach  Spezialitäten  unter 
Leitung  von  Spezialisten  geordnet  ist  und  alle  Gebiete  umfaßt,  ist  fast  die 
Hälfte  der  Arbeiten,  über  welche  referiert  wird,  deutsch  (aus  der  Berliner 
klinischen,  der  deutschen  mediz.  Wochenschrift,  Virchow’s  Archiv  usw.).  Wir 
erwähnen  3  Referate.  1.  Eine  neue  Methode  gemischter  Narkosle.  Von 
Dr.  Br u n er i  (Gaz.  med.  Ital.  1908,  Nr.  30).  Zur  Vermeidung  der  Gefahren 
des  Chloroforms  gibt  B.  mehrere  Stunden  vor  der  Operation  eine  Kombina- 
tion  von  Veronal  und  Dionin,  die  besser  als  alle  anderen  sein  soll  und  nicht 
toxisch  wirkt-,  auch  bei  Kindern,  besonders  aber  bei  Nervösen,  da  Dionin 
spezifisch  auf  die  Nervenendigungen  wirkt,  Dosen  2  Stunden  vor  der  Ope¬ 
ration:  Veronal  8- — 12  Gran,  Dionin  1/6 — 1/2  Gran  bei  Männern.  Bei  Frauen: 
Veronal  6 — 8,  Dionin  ebenso.  Bei  Kindern:  Veronal  4 — -6,  Dionin  1 /6  Gran. 
Dann  genügen  gewöhnlich  75  mm  Chloroform  zur  Narkose.  Keine  Nach- 
symptome.  2.  Laborator|iumsmethoden  bei  der  Diajgmose  von  Pan¬ 
kreaskrankheiten.  Von  Dr.  Albert  E.  Taussig  (Interstate  medical  Jour¬ 
nal,  Sept.  1908).  Darstellung  der  wichtigsten  Laboratoriums- Untersuchungs- 
methoden,  die  bei  Pankreasleiden  zur  Stellung  der  Diagnose  beitragen  können. 
(Blut,  Mageninhalt,  Stuhl,  Urin.)  3.  Einige  Drogen  im  Harn.  The  Ho¬ 
spital,  1908,  24  Okt.,  S.  90).  Übersicht  fast  aller  Reaktionen,  die  der  Harn 
gibt,  (Copaiva,  Kubeben,  Rhabarber,  Santonin,  Salizyl,  Antipyrin,  Tannin. 
Karbol,  Bromnatrium,  Jodnatrium,  Chloral,  Morphin  usw.). 


520 


Referate  und  Besprechungen. 


The  american  journal.  o f  the  medical  siciences.  Januar  1909. 

1.  Die  klinische  Bedeutung  der  Glykosurie  bei  schwang'eren 
Frauen.  Von  Dr.  J.  Whitridge  Williams,  Prof,  der  Geburtshilfe  an 
der  John  Hopkin’s- Universität,  Baltimore.  Kaum  eine  Schwangerschafts¬ 
komplikation  hat  verschiedenere  Deutungen  erfahren  als  die  Glykosurie.  W. 
stellt  6  eigene  bezügliche  Fälle  vor  und  kommt  dann  nach  einer  Analyse 
der  Literatur  zu  folgenden  Schlüssen:  1.  Eine  positive  Reaktion  mit  Fehling- 
scher  Lösung  in  der  Schwangerschaft,  beweist  nicht  notwendig  Diabetes  son¬ 
dern  hängt  gewöhnlich  von  Laktosurie  oder  vorübergehender  alimentärer 
oder  rekurrierender  Glykosurie  ab.  2.  In  solchen  Fällen  muß  man  bestimmen, 
ob  der  Zucker  als  Laktose  oder  Glukose  vorkommt,  da  Laktosurie  ohne  klinische 
Zeichen  und  wahrscheinlich  mit  vorzeitiger  Brusttätigkeit  verbunden  ist. 
3.  Die  Bedeutung  der  Glykosurie  ist  nicht  so  klar.  Wenn  alimentär,  ist  sie 
unschuldig,  sie  kann  aber  auch  wahren  Diabetes  anzeigen.  4.  Schwanger¬ 
schaf  tsglykosurie  nicht  über  2%  und  ohne  Symptome,  verschwindet  meist 
am  Ende  der  Schwangerschaft.  5.  Ernster  wird  die  Sache,  wenn  der  Zucker 
früh  und  in  höherem  Maße  erscheint.  Eine  positive  Diagnose  ist  hier  erst 
nach  der  Entbindung  möglich,  wenn  der  Zustand  bei  Glykosurie  schwindet, 
bei  Diabetes  aber  bleibt.  6.  Eine  Diabetische  kann  schwanger,  eine  Schwangere 
diabetisch  werden.  Beides  ist  ernst,  aber  die  Prognose  nicht  so  schlimm  wie 
gewöhnlich  angenommen.  7.  Ist  der  Zucker  reichlich  und  kann  er  nicht 
kontrolliert  oder  durch  geeignete  Maßnahmen  vermindert  werden,  so  ist  künst¬ 
licher  Abort  selbst  in  anscheinend  nicht  ernsten  Fällen  angezeigt.  2.  Medi¬ 
zinische  Gymnastik  bei  myokardialer  Un  tüchtigkcit  (incompe- 
tence)  ohne  Klappenfehler.  Von  Dr.  Robert  Barcock,  ehemals  Pro¬ 
fessor  der  Brustkrankheiten  usw.  an  der  Universität  von  Illinois,  Chicago. 
Gemeint  sind  hauptsächlich  die  Geschäftsleiter,  die  beständig  unter  dem 
hohen  Druck  der  Anforderungen  des  modernen  Lebens  arbeiten,  welcher  Druck 
zwar  nicht  der  einzige  oder  auch  nur  hauptsächlichste  Faktor  zur  Herbei¬ 
führung  kardiomuskulärer  Schwäche  ist,  aber  stark  dazu  beiträgt.  Solche 
Leute  sterben  oft  an  Herzkrankheiten.  Als  ein  Prophylaktikum  empfiehlt  B. 
nach  seinen  Erfahrungen  in  frühen  Fällen  geeignet  geleitete  medizinische 
Gymnastik.  3.  Der  Wert  der  Inunktionsmetkode  bei  Kindern  (the 
value  of  the  inunction  rnethod  of  administrering  drugs  to  children).  Von 
Dr.  B.  R.  Rachford,  Prof,  der  Kinderkrankheiten  an  der  Universität  Cin¬ 
cinnati,  Ohio.  Seit  seiner  ersten  Veröffentlichung  vor  14  Jahren  ist  R.  zu 
der  Überzeugung  gelangt,  daß  Inunk tionen  von  Guajakol  das  beste  Mittel 
zur  Behandlung  der  Tuberkulose  bei  Kindern  sind.  Demzufolge  hat  er  die 
Tnunktion  auch  anderer  Drogen  bei  hereditärer  Syphilis  und  Brustkrank¬ 
heiten  (Bronchitis,  Pneumonie)  versucht  und  hält  diese  Methode  für  besser 
als  das  Eingeben  durch  den  Mund.  Aufzählung  der  Gründe  hierfür,  Be¬ 
schreibung  der  Technik,  Beispiele  von  Salizyl-,  Guajakol'-,  Jod-,  Öl-,  Winter- 
£>reen-,  Merkur-,  und  Kolloidsilber-Inunktionen,  welche  letzterer  auch  bei 
Septikämie  anwandte.  4.  Die  Behandlung  irreduzibler  angeborener 
Hüf tgelenksluxationen  auf  operativem  Wege.  Von  Dr.  Gwilym  G. 
D  avis,  Prof,  der  angewandten  Anatomie  und  Chirurg  am  orthopädischen 
Hospital,  Universität  Philadelphia.  Was  kann  in  Fällen  geschehen,  die  über 
die  Zeit  (10  Jahre)  hinaus,  sind,  wo  die  Luxation  auf  nicht-operativem  Wege 
zurückgebracht  werden  kann?  Vorstellung  dreier  von  ihm  operierter  Fälle. 
Abbildung  von  Instrumenten.  5.  Die  postoperative  Behandlung  malig¬ 
ner  Krankheiten.  Von  Dr.  Ennion  G.  Williams,  Radiograph  am  Me¬ 
morialhospital,  Richmond,  Virginia.  Die  Prinzipien,  auf  denen  die  post¬ 
operative  Behandlung  maligner  Krankheiten  mit  X-Strahlen  'basiert,  sind: 
entweder  sind  einige  Zellen  des-  malignen  Gewächses  im  Gewebe  zurückge¬ 
blieben  —  dann  ist  die  Behandlung  mit  X-Strahlen  von  spezifischer  destruk¬ 
tiver  Einwirkung  auf  diese  Zellen,  oder  es  sind  solche  nicht  zurückgeblieben, 
dann  ist  eine  derartige  Behandlung  nutzlos  und  nicht  indiziert.  Ersteres  ist 
zwar  jetzt  seltener  als  früher,  kommt  aber  bekanntlich  noch  vor.  Als  Bei¬ 
spiel  für  die  Durchführung  seines  Gedankenganges  nimmt  W.  ein  Karzinom 


Referate  und  Besprechungen. 


521 


und  kommt  zu  dem  Schluß,  daß  die  postoperative  Behandlung  mit  X-Strahlen 
stets  indiziert  ist,  um  dem  Kranken  bei  der  Möglichkeit  des  Zurückbleibens 
maligner  Zellen  die  möglichsten  Chancen  dauernder  Heilung  zu  geben. 
6.  Die  Differenzierung  der  ■  gewöhnlichen  Typen  protrahierter 
Fieber.  Von  Dr.  David  Bovaird,  Ir.,  Columbia-Universität,  Presby ter-Ho- 
spital,  New- York.  Die  Schwierigkeit,  protrahierte  Fieber  ohne  gleichzeitige 
Anwesenheit  anderer  charakteristischer  Zeichen  zu  differenzieren,  ist  bekannt: 
Im  Presbyter-Hospital  kamen  in  den  letzten  Jahren  mehrere  hierhergehörige 
Fälle  zur  Beobachtung,  B.  betrachtet  demzufolge  der  Reihe  nach  1.  typhöses 
Fieber,  2.  Tuberkulose,  3.  Septikämie,  4.  Influenza,  5.  unaufgeklärte  Fieber 
an  der  Hand  einzelner  Fälle  (Malaria  ist  absichtlich  ausgelassen)  und 
kommt  zu  folgenden  Schlüssen:  1.  Fieber  ohne  die  spezifischen  Blutparasiten 
ist  keine  Malaria.  2.  Typhöse  Fieber  sind  gleich  sicher  zu  erkennen  oder 
auszuschließen  durch  kombinierte  klinische  und  Laboratoriums-Untersuchung. 
3.  Tuberkulose  und  Sepsis  zeigen  oft  so  ähnliche  klinische  Züge,  daß  sie 
mitunter  nur  durch  den  Ausgang  oder  die  Autopsie  auseinander  gehalten 
werden  können.  4.  Protrahierte  Influenzafieber  können  gewöhnlich  durch 
die  Umstände,  unter  welchen  sie  auftraten,  den  plötzlichen  Beginn,  durch 
charakteristische  Symptome  und  den  Verlauf  erkannt  werden.  5.  Sepsis 
ist  in  einzelnen  Fällen  angezeigt  durch  sehr  hohen  Betrag  von  Leukozyten  mit 
hohem  Prozentgehalt  von  Polynuklearen,  bevor  noch  eine  Lokalisation  des 
Prozesses  erkennbar  ist.  6.  Blutkulturen  sind  sehr  wertvoll  besonders  bei 
Typhus  und  Endokarditis.  7.  Es  bleiben  Fälle  übrig,  die  bis  jetzt  noch  nicht 
genügend  klassifiziert  werden  können.  7.  Gewisse  Komplikationen  der 
Pneumonie.  Von  Dr.  M.  H.  Fusis’ell,  Assistent-Professor  d.  Med.  an  der 
Universität  von  Pennsylvanien,  Philadelphia.  Mitteilung  von  Fällen  aus  der 
Praxis  und  zwar  Nieren-  und  Verdauungsstörungen,  Mittelohrerkrankungen, 
Herzdilatation,  Peri-  und  Endokarditis,  Arthritis,  Meningitis,  Pleuritis. 
8.  Inf luen  za-Meningitis,  Von  Dr.  Bers-on  A..  Cohoe,  resident  pliysi- 
cian  am  John  Hopkins  Hospital,  Baltimore,  Die  bis  jetzt  publizierten  Fälle 
von  Influenza-Meningitis  mit  exakter  bakteriologischer  Diagnose,  dem  besten 
Beweis  der  vielfach  angez  weif  eiten  Pathogenizität  des  Pf  ei  ff  er’schen  Bazillus 
sind'  nicht  sehr  zahlreich,  werden  sich  aber  mit  genauerer  Untersuchung  der 
Cerbrospinalflüssigkeit  mehren.  Mitteilung  eines  Falles  bei  einem  Erwachse¬ 
nen  mit  Ausgang  in  Genesung.  Geschichtliches,  Pathologische  Anatomie, 
Bakteriologie,  Pathogenese,  Differentialdiagnose,  Alter  und  Geschlecht,  Be¬ 
handlung  werden  besprochen.  9.  Leuc;htgas-Vergif tung.  Von  Dr.  Glenn 
J.  Jones,  klinischer  Assistent  für  die  Außenkranken  am  George  Washington- 
Universitäts-Hospital,  Lehrer  der  Anatomie,  Washington.  Chemie  des  Leucht¬ 
gases.  Vorkommen  der  Leuch tgasvergiftung  (Statistik),  Symtomatologie,  Dia¬ 
gnose,  Prognose,  Pathologie,  Behandlung.  10.  Zirkumskripte  seröse 
Spinalmeningitis,  Von  Dr.  William  G.  Spiller,  Prof,  der  Neuropatho¬ 
logie  an  der  Pennsylvania-Universität,  Philadelphia.  Eine  Ansammlung  klarer 
Flüssigkeit  in  einer  Zyste  der  mater  pia  spinalis  ist  ein  in  Amerika  wenig 
bekannter  Zustand,  es  wird  nur  über  einen  Fall  berichtet  (Spill er,  Muser 
und  Martin  1903),  die  deutsche  Literatur  enthält  nur  wenige,  die  franzö¬ 
sische  und  englische  keine  Beispiele.  Spiller  bespricht  nun  die  bekannt 
gewordenen  Fälle  von  Mendiel  und  Adler,  Krause  und  Oppenheim  und 
meint  schließlich,  gewisse  Fälle  mit  den  Symptomen  eines  Spinaltumors 
seien  einer  chirurgischen  Intervention  zugänglicher  als  viele  andere. 
11.  Varix  einer  Nierenpapille  als  Ursache  persis tirender  Haema- 
turie.  Von  Dr.  Hugh  Cabot,  Chirurg  für  die  Außenkranken,  allgem. 
Massachusetts-Hospital,  Boston.  1898  hat  Hurry  Fenwick  über  einen  Fall 
von  Papillektomie  als  Ursache  einer  5  Jahre  dauernden  intermittierenden 
Hämaturie  berichtet,  in  welchem  variköse  Venen  in  der  Schleimhaut  der 
Papille  sich  fanden.  Seitdem  bat  er  5  ähnliche  Fälle  gesammelt.  In  Mass. 
scheint  noch  kein  derartiger  Fall  veröffentlicht  zu  sein.  Über  einen  solchen, 
von  Dr.  M.  H.  Richtar dsion  operierten,  berichtet  C.  mit  mikroskopischen 
Abbildungen  und  schließt  daran  die  6  Fälle  Fenwick’s.  12.  Das  Immuni- 


522 


Referate  und  Besprechungen. 


tätsproblem  hei  Tuberkulose.  Von  Dr.  Edwaird  R.  Baldwin,  New- 
York.  Erinnert  u.  a.  an  die  nicht  allgemein  bekannten  (schon  1889  in  Amerika 
angestellten  Immunisierungsversuche  mit  abgeschwächten  Kulturen  von  Dixon, 
Trudean  (1892),  E.  de  Schweinitz  (1894)  und  Theobald  Smith  (1895). 
13.  Die  Cammid ge- Reaktion  bei  experimenteller  Pankreatitis.  Von 
Dr.  John  Speese  und  Dr.  Edward  H.  Goodman,  Philadelphia.  Systema¬ 
tische  Experimente  über  den  Wert  genannter  Reaktion.  5  Hunden  wurden 
10 — 30  ccm  Baumwollensamen  öl  in  den  duct.  pancreat.  injiziert,  wodurch 
eine  schnelle  Nekrose  des  Pankreas  entsteht.  Bei  3  wurde  der  Urin  vor  und 
nach  der  Operation  untersucht,  bei  2  ersteres  unterlassen.  Die  Hunde  wurden 
nach  8  Stunden  getötet.  Fall  1:  Urin  vorher  nicht  untersucht.  Nachher 
positive  Reaktion.  Fall  2:  Reaktion  vorher  und  nachher  negativ.  Fall  3: 
Vorher  nicht  untersucht,  nachher  positive  Reaktion.  Fall  4:  Vorher  negative, 
nachher  positive  Reaktion.  Fall  5:  Vorher  und  nachher  negative  Reaktion. 
Um  nicht  —  akute  Pankreatitis  zu  erzeugen,  wurde  der  duct.  pancreat. 
unterbunden,  der  Urin  vor  Anlegung  der  Ligatur  und  24  Stunden  nach  der 
Operation  untersucht.  War  die  Reaktion  positiv,  so  wurde  der  Hund  ge¬ 
tötet.  und  das  Pankreas  mikroskopiert.  Eine  solche  mechanische  Obstruktion 
scheint  allemal  eine  positive  Cammidge-Reaktion  zur  Folge  zu  haben.  Die 
Versuche  werden  fortgesetzt.  14.  Einige  Beobachtungen  über  die  Chi¬ 
rurgie  der  Gallenblase  und  Gallengänge.  Von  D.  W.  D.  Hamilton, 
Mitteilung  von  8  Operationsfällen,  darunter  1  Cholecystenterostomie,  aus 
der  eigenen  Praxis  und  der  des  Dr.  Charles  S.  Hamilton  vom  1.  Jan. 
1907  bis  1.  April  1908,  die  meist  im  Mount  Carmel- Hospital  ausgeführt  wur¬ 
den.  In  diesem  waren  im  ganzen  59  Gallenkranke,  von  denen  56  nach  der 
Operation  genasen,  3  starben.  Hervorgehoben  wird,  daß,  wenn  die  Krank¬ 
heit  auf  die  Gallenblase  beschränkt  ist,  die  Gefahr  der  Operation  minimal 
ist,  aber  zunimmt,  wenn  der  duct.  commun.  Sitz  einer  obstruktiven  und  in¬ 
fektiösen  Cholangitis  ist,  denn  dann  leidet  der  Kranke  sowohl  an  chronischer 
Sepsis,  als  auch  an  cholämischer  Infektion.  Wenn  möglich,  soll  die  Gallen¬ 
blase  erhalten  werden,  und  die  Frage,  ob  sich  ihre  Funktion  und  die  des 
duötus  cysticus  nicht  wiederherstellen  läßt,  ist  vor  der  Cholecystektomie  sorg¬ 
sam  zu  erwägen. 

The  St.  Paul  medic'aJ  journal.  Nr.  1,  Januar  1909. 

1.  Die  Wichtigkeit  der  Sorge  für  arme,  an  Knochen-  und 
Gelenk  tuberkulöse  leidende  Kinder,  und  wie  der  Staat  Minnesota 
für  diese  sorgt.  Von  Dr.  Arthur  J.  Gillette,  Chirurg  am  Minnesota- 
Hospital  für  verkrüppelte  und  deformierte  Kinder,  Prof,  der  Orthopädie, 
St.  Paul.  Mit  Abbildungen  von  Parks,  Schulen  usw.  2.  Milch-  und  Fleisch- 
Inspektion.  Von  Dr.  A.  O.  Bj  eil  an  d,  Gesundheitskommissar  in  Man- 
kato,  Minn.  Forderungen  für  diese  Inspektion  auf  Grund  eigener  Erfahrungen. 
Beschäftigt  sich  u.  a.  mit  den  Ansichten  Koch’s  und  Behring’s.  3.  In- 
f  lueozä-G  astro-Enteritis.  Von  Dr.  M.  M.  Gh eint,  St.  Paul.  4.  Ein 
Fall  von  akuter  maniakalischer  Aufregung  bei  einer  82jährigen 
mit  einer  Studie  über  die  mögjliche  Beziehung  des  Blutdrucks 
zu  dem  Zustande.  Von  Dr.  Eugen  Riggs,  Prof,  der  Nerven-  und  Geistes¬ 
krankheiten,  Universität  Minnesota.  Der  normale  Blutdruck  bei  gesunden 
jungen  Erwachsenen  beträgt  110 — 130  mm  Hg,  starke  Anstrengung  kann 
ihn  um  20  mm  Hg  steigern,  und  klinisch  kann  das  Manometer  bis  auf 
300  mm  steigen.  260  hat  R.  häufig  gesehen.  Hypertonische  Arterienkon¬ 
traktion  kommt  allein  oder  mit  Arteriosklerose  und  Atherom  vor.  Die  Ge¬ 
fäßwand  wird  dicker,  der  Durchmesser  ist  reduziert  und  das  Lumen  ver¬ 
ringert.  Im  Gehirn  wird  durch  eine  solche  Hypertonie  lokale  Anämie  und 
bei  längerer  Dauer  Thrombose.,  .Erweichung  oder  Hämorrhagie  veranlaßt. 
Bei  der  in  Rede  stehenden  Kranken  betrug  der  Blutdruck  210  mm  Hg, 
durch  die  Behandlung  wurde  der  Arteriendruck  auf  130  herabgesetzt.  Gleichen 
Schritt  damit  hielt  die  Besserung.  Der  Hämoglobingehalt  betrug  68%;  rote 
Blutzellen  5240000,  weiße  17  350,  Urin  spez.  Gew.  1024,  sauer,  kein  Albumen, 
kein  Zucker,  Harnstoff  1,7%,  Indikan  im  Überschuß.  Gewicht  63  Pfund. 


Bücherschau. 


523 


13er  Überschuß  an  Indikan  wies  auf  Darmfäulnis  hin  und  war  wohl  die 
Ursache  von  Unreinigkeiten  im  Blut,  die  ihrerseits  die  arterielle  Hypertonie 
veranlaßten.  Alte  Leute  sind  für  Toxine  empfindlicher  als  junge.  Mit  Wieder¬ 
ansteigen  des  Blutdruckes  auf  180  mm  trat  ein  Rückfall  ein,  jetzt  ist  sie 
bei  130  mm  wieder  auf’  dem  Wege  der  Besserung.  5.  Die  Kosten  der  Krank¬ 
heit  der  Schwindsüchtigen,  die  1907  in  Minnesota  starben  und 
ihre  Verteilung.  Von  Christopher  Easton,  St.  Paul.  Eine  mehr  national¬ 
ökonomische  Studie.  Peltzer. 


Bücherschall. 


Medizinische  Logik;  Kritik  der  ärztlichen  Erkenntnis.  VonW.  Bieganski, 
übersetzt  von  A.  Fabian.  Würzburg,  C.  Kabitzscli.  1909.  237  Seiten. 

4,50  bezw.  5,50  Mk. 

Als  ein  Erbteil  aus  ihrer  mystischen  bezw.  naturphilosophischen  Periode 
scheint  den  Medizinern  im  Allgemeinen  ein  gewisser  Mangel  an  Logik  anzuhaften. 
Die  Geschichte  unserer  Wissenschaft  ist  voll  von  Irrtümern,  die  z.  T.  auf  un¬ 
genügender  Kritik  der  Prämissen,  z.  T.  auf  falscher  Verknüpfung  der  Tatsachen 
beruhen;  dahin  gehört  vor  allem  der  beliebte  Schluß:  post  hoc,  ergo  propter  hoc. 

Da  ist  es  ein  Verdienst,  wenn  von  Zeit  zu  Zeit  jemand  an  das  logische 
Gewissen  pocht.  Bieganski  tut  das  in  sehr  geschickter  Weise,  indem  er  zu¬ 
nächst  auf  die  Notwendigkeit  reinen,  nicht  durch  herrschende  Hypothesen  ge¬ 
färbten  Beobachtens  und  auf  die  Bedeutung  der  Anamnese  hinweist.  Wie  viele 
gibt  es  nicht  noch  heute,  die  das,  was  die  Patienten  angeben,  so  gering  als  möglich 
bewerten!  Freilich  „ist  die  Beschreibung  der  Tatsachen  durch  Kranke  oftmals 
irrig“  (S.  49);  aber  das  gilt  nicht  für  alle  Menschen,  jedenfalls  nicht  für  die  Ro¬ 
manen,  von  deren  vorzüglichen  Anamesen  ich  mich  wiederholt  persönlich  über¬ 
zeugen  konnte;  und  schließlich  kommt  es  nicht  auf  alle  Einzelheiten  an,  es  ge¬ 
nügen  oft  retrograde  Richtungslinien  allgemeiner  Art. 

Im  Abschnitt:  Krankheitsbegriff  faßt  B.  die  Pathologie  an  der  Wurzel.  Für 
ihn  ist  nicht  das,  was  am  Toten  der  Anatom  aufzeigt,  das  Wichtige,  sondern  was 
am  Lebenden  der  Kliniker  beobachtet.  Aber  die  Kunst  besteht  nicht  bloß  darin, 
möglichst  exakt  mit  Hilfe  der  physikalisch -chemisch -bakteriologischen  Unter- 
suchungsmethoden  ein  bestimmtes  Organ  als  erkrankt  nachzuweisen,  sondern  einen 
Einblick  in  den  Zusammenhang,  in  den  Ablauf  der  Phänomene,  mithin  in  das 
physiologische  Geschehen  zu  gewinnen.  Indessen,  das  ist  mehr  Intuition,  Kunst, 
als  Wissenschaft;  und  die  modernen  Hilfsmittel  des  Experiments  und  der  Statistik 
lassen  da  oft  im  Stich. 

Mit  großer  Wärme  tritt  B.  für  die  Zweckmäßigkeit  als  ein  biologisches 
Prinzip  ein,  sowie  für  die  elementare  Bedeutung  der  psychischen  Faktoren.  Die 
Bewertung  der  letzteren  ist  modern,  die  der  Zweckmäßigkeit  mehr  als  das;  denn 
sie  lehnt  sich  gegen  das  auf,  was  wir  heutzutage  unter  dem  Kausalgesetz  ver¬ 
stehen.  Aber,  so  lehrte  schon  vor  30  Jahren  der  geistreiche  Philosoph  Eduard 
Zeller,  bei  diesen  natürlichen  Ursachen  dürfen  wir  nicht  bloß  an  mechanische 
denken,  da  ihre  Wirkungen  weit  über  das  hinausgehen,  was  sich  aus  räumlichen 
Bewegungen  erklären  oder  in  solche  Bewegungen  auflösen  läßt;  und  wenn  aus 
denselben  neben  der  unorganischen  Natur  auch  das  Leben,  neben  dem  Vernunft¬ 
losen  auch  das  Bewußte  und  Vernünftige  nicht  etwa  nur  zufällig  im  Laufe  der 
Zeit  hervorgegangen  ist,  sondern  notwendig,  vermöge  ihrer  Natur,  hervorgeht  und 
immer  hervorging,  wenn  die  Welt  nie  ohne  Leben  und  Vernunft  gewesen  sein 
kann,  weil  die  gleichen  Ursachen,  welche  das  Leben  und  die  Vernunft  jetzt  hervor¬ 
bringen,  schon  von  Ewigkeit  her  wirkten  und  sie  daher  immer  hervorgebracht 
haben  müssen,  so  werden  wir  die  Welt  als  Ganzes,  trotz  der  Naturnotwendigkeit, 
die  in  ihr  waltet,  ja  gerade  wegen  derselben,  zugleich  das  Werk  der  absoluten 
Vernunft  nennen  müssen.1) 

Es  scheint,  als  ob  die  Präponderanz  der  pathologischen  Anatomie  ihrem 
Ende  entgegenginge,  und  als  ob  Cruveilhi er’s2)  Wunsch  in  Erfüllung  gehen 

„  • 

’)  Zeller:  Uber  teleologische  und  mechanische  Naturerklärung  in  ihrer  An¬ 
wendung  auf  das  Weltganze.  Abh.  der  Akad.  der  Wissetisch,  Philosoph. -histor. 
Klasse  ß.  1.  1876.  S.  38. 

2)  Couveilhier:  Anatomie  pathol.  Livr.  II.  S.  5, 


524 


Bücherschan. 


sollte:  „L’anatomie  pathologique  ne  doit  pas  etre  une  sterile  contemplation  de  la 
inort;  eile  est  appelee  ä  jeter«une  vive  furniere  sur  les  symptomes  souvent  si  in- 
coherents  des  maladies  et  a  diriger  les  applications  therapeutiques.“  Aber  so  ganz 
überwunden  sind  die  Zeiten  noch  nicht,  von  denen  K.  E.  v.  Baer3)  schrieb:  rEs 
wurde  als  ausgemacht  betrachtet,  daß  ein  Naturforscher,  der  von  Zweckmäßigkeit 
spreche,  ein  Dummkopf  sein  müsse.“  Da  kann  man  sich  nur  freuen,  wenn  immer 
neue  Stimmen  in  dieser  Richtung  sich  hören  lassen;  und  auch  wer  andere  Wege 
wandelt,  wird  dem  vorliegenden  Buche  in  jeder  Hinsicht  viele  Anregungen  und 
entnehmen.  Buttersack  (Berlin). 


Belehrungen 


Methoden  und  Technik  der  Gewinnung,  Prüfung  und  Konservierung  des 
zur  forensischen  Blut-  bezw.  Eiweißdifierenzierung  dienenden  Antiserums. 

Von  Dr.  Otto  Leers.  Verlagsbuchhdl.  von  R.  Schoetz,  Berlin  1908.  80  Pf. 


Verfasser  bespricht  die  für  den  Fachmann  schon  allgemein  bekannten,  für 
interessanten  und  lehn  eichen  Methoden  und  die  Technik  der 
Prüfung  und  Gewinnung  des  zur  forensischen  Blut-  resp.  Eiweißdifferenzierung 


den  Neuling  recht 


dienenden  Antiserums 


in  sehr 


klarer  und  anschaulicher  Weise.  Das  Material  zur 


Einspritzung  wird  bei  Prüfung  auf  tierische  Eiweiße  dem  Blutserum  der  Tiere,  bei 
Prüfung  auf  Menscheneiweiß  resp.  Blut  dem  Serum  von  Menschenblut  entnommen. 
Am  besten  eignet  sich  zur  Erzeugung  eines  spezifischen  Antikörpers  auf  die  be¬ 
stimmte  Eiweißart  das  Kaninchen.  Die  Einverleibung  des  Serums  geschieht  ent¬ 
weder  intravenös,  intraperitoneal  oder  auch  subkutan;  doch  ist  von  allen  Methoden 
die  intravenöse  vorzuziehen,  weil  sie  in  kürzerer  Zeit  mit  weniger  Material  zum 
Ziele  führt.  Ist  genügend  Antiserum  gebildet,  so  macht  man  eine  vorläufige 
Probeentnahme  und  eine  Probeuntersuchung,  indem  man  von  dem  zur  Einspritzung 
benutzten  Serum  eine  Verdünnung  1  :  1000  herstellt  und  hiervon  0,9  ccm  in  ein 
Tiemke’sches  Röhrchen  einfüllt  und  0,1  ccm  des  Antiserums  hinzufügt.  Es  muß 
spätestens  nach  2  Minuten  ein  deutlich  sichtbarer  Ring  an  der  Berührungsstelle 
der  beiden  Flüssigkeiten  auf  treten,  wenn  das  Antiserum  den  Anforderungen  ent¬ 
spricht.  Dieses  Antiserum  kann  man  nach  Entbluten  eines  Tieres  sich  aufbewahren, 
wofür  der  Verfasser  verschiedene  Verfahren  angibt.  Er  bespricht  darauf  die  Eigen¬ 
schaften,  die  ein  Antiserum  enthalten  muß,  bespricht  die  Bestimmung  der  Wertig¬ 
keit  und  der  Artspezifität.  Schürmann  (Düsseldorf). 


Die  Krebskrankheit  Ihre  Natur  und  ihre  Heilmittel.  Nach  dreißig¬ 
jähriger  Erfahrung  von  E.  Schlegel,  Arzt  in  Tübingen.  München, 
Verlag  der  Ärztl.  Rundschau,  Otto  Gmelin  1908.  VIII  und  252  S.  5  Mk. 

Während  die  Naturwissenschaften  unter  der  Führung  bedeutender  Geister, 
wie  E.  Mach  und  W.  Ostwald,  in  den  letzten  Jahrzehnten  zu  einer  freieren 
Auffassung  der  Erscheinungswelt  gelangt  sind  und  sich  einer  edeln  Einfalt  in  der 
Bezeichnung  wissenschaftlicher  Verhältnisse  befleißigen,  einer  Rückkehr  zur  Hoch¬ 
schätzung  der  Phänomenologie  der  Natur  und  ihrer  schlichtesten  Formulierung, 
bleibt  die  Medizin  darin  merkwürdig  zurück.  Es  fehlt  ihr  an  führenden  Intelli¬ 
genzen,  welche  über  aller  Mannigfaltigkeit  der  Forschung  großzügig  verbindliche 
Einfachheit  walten  lassen.  Die  wahren  Ziele  der  Heilkunde  sind  verschleiert  oder 
gar  nicht  mehr  sichtbar,  da  die  Stücke  in  der  Hand  noch  allein  da  zu  sein  scheinen. 
Die  Lebensbedeutung  der  Erkrankungen  und  ihre  biologischen  Grundlagen  werden 
in  vielfachen  lokalistisch  aufgefaßten  Behandlungsarten  gar  nicht  mehr  gewürdigt; 
selbst  die  anscheinend  kausalen  Methoden  der  Serumtherapie  lassen  die  autoch- 
thonen  organischen  Kräfte  aus  dem  Spiel. 

Von  solchen  Erwägungen  ausgehend  tritt  E.  Schlegel  —  und  sicher  nicht 
ohne  einen  schweren  inneren  Kampf  —  einer  übertriebenen  Bewunderung  der 
chirurgischen  Leistungen  auf  dem  Gebiete  der  Krebstherapie  entgegen,  um  eine 
Lanze  für  die  interne,  exspektative  Behandlung  einzulegen  und  auf  Grund  ein¬ 
gehender,  sich  über  ein  Menschenalter  erstreckender  Erfahrungen  der  in  weiten 
Kreisen  geradezu  kopflosen  Furcht  vor  dieser  sogenannten  Geißel  der  Menschheit 
entgegenzutreten. 

Der  Verfasser  ist  überzeugter  Homöopath  und  hat  die  Bedeutung,  wie  anderer¬ 
seits  auch  die  Begrenztheit  des  homöopathischen  Prinzips  in  zahlreichen  Schriften 


3)  K.  E.  v.  Baer:  Zeitschr.  für  Philosophie  von  Fichte  und  Ulrich  1877 
Bd.  71.  S.  21. 


Bücherschati. 


525 


darzulegen  versucht*).  Wer  sich  aber  nicht  durch  grundsätzliche  Voreingenommen¬ 
heit  gegen  eine  andere  Richtung  vom  Studium  seiner  Werke  von  vornherein  ab- 
halten  läßt,  wird,  auch  ohne  sich  zur  Homöopathie  zu  bekehren  —  wie  das  auch 
seitens  des  Bef.  nicht  der  Fall  ist  —  aus  der  Lektüre  der  auf  eine  breite  wissen¬ 
schaftliche  Basis  gestellten,  wohldurchdachten,  sogar  ausnahmslos  äußerst  geist¬ 
vollen  Schl  ege  Eschen  Arbeiten  einen  beträchtlichen  Gewinn  für  die  biologische  Auf¬ 
fassung  alles  Geschehens  im  Organismus  und  somit  auch  zur  Vertiefung  seines  Bewußt¬ 
seins  von  den  Pflichten  des  wahren  Arztes,  der  vor  allem  helfen  will,  davontragen. 

Die  allgemeine  Unwissenheit  über  die  Natur  der  Krebskrankheit  ist  durch 
die  wissenschaftliche  Behandlung  des  Problems  nur  sehr  schwach  gemildert  worden; 
sie  wurde  zur  „docta  ignorantia“.  Von  der  bloß  anatomisch-histologischen  Auf¬ 
fassung  mußte  man  zur  physiologisch-chemischen  übergehen  und  von  der.  bloß 
lokalen  zu  einer  organischen,  d.  li.  man  mußte  schließlich  das  unbekannte  X  der 
Krebsursache  in  Zuständen  des  Gesamtorganismus  suchen.  Solche  Zustände  sind 
ersichtlich:  Altera  des  Gesamtorganismus  oder  einzelner  Organe  und  wahrscheinlich 
eine  Beladung  des  Stoffwechsels  durch  Bürden  und  Hemmungen  giftiger  Art,  welche 
aus  lokalen  Reizungen  und  aus  allgemeinen  Beizungen  und  Überforderungen  (z.  B. 
diätetische  Fehler)  hervorgehen.  Dazu  tragen  aber  auch  ererbte  Anlagen  bei.  Die 
Krebskrankheit  ist  also  die  lokale  Äußerung  einer  innerlichen  allgemeinen  und 
örtlichen  Veränderung.  Die  ausschließlich  lokale  Beurteilung  der  Vorgänge  ist 
nicht  haltbar.  Es  kann  im  organischen  Zusammenhang  das  Gesunde  und  das 
Kranke  nicht  topisch  unterschieden  werden;  dementsprechend  ist  auch  die  rein 
lokale  Behandlung  mindestens  unzureichend  und  die  Entfernung  eines  Krebses  durch 
chirurgischen  Eingriff  kann  nicht  als  die  Trennung  des  Gesunden  vom  Kranken 
angesehen  werden.  —  Dagegen  ist  denkbar  und  ist  erwiesen,  daß  durch  allgemeine 
Einwirkungen  der  örtliche  Vorgang  beeinflußt  und  zur  Fleilung  geneigt  gemacht 
wird.  Operationen  sind  deshalb  —  und  aus  Gründen,  die  reichlich  den  traurigen 
Erfahrungen  zu  entnehmen  sind  —  nicht  als  heilende  Eingriffe  zu  betrachten. 

Heilungen  bei  Krebskranken  kommen  aber  aus  allerlei  Ursachen 
nicht  selten  vor:  manche  tatsächlich  infolge  von  Operationen,  welche  dann  als 
eine  starke  Veränderung  und  Erschütterung  des  phycliosomatischen  Betriebes  durch 
den  Aufruf  der  gesamten  Naturheilkräfte  im  Organismus  gewirkt  haben;  manche 
Heilungen  folgen  auf  unvollständige  Operationen,  was  ganz  unverständlich 
wäre  ohne  die  Annahme  einer  wichtigen  Allgemeinwirkung.  Ferner  kommen  Hei¬ 
lungen  vor  zufolge  von  Rotlauf  oder  anderen  dazwischentretenden  Krankheiten 
lokaler  und  allgemeiner  Art,  endlich  nach  Serumeinspritzungen  und  sonstigen 
pharmako-therapeutischen  Maßnahmen. 

Die  traurigste  Prognose  kommt  nach  S  chlegel,  dessen  Diagnose  n 
über  jeden  Zweifel  erhaben  sind,  den  Ösophagus-  und  Brustkrebsen  zu, 
während  Eingeweide-  und  Gebärmutterkarzinome  viel  leichter  aus¬ 
heilen  und  auch  die  konservativ  behandelten  Fälle  von  Mastdarmkrebs 
entschieden  besser  durch  kommen,  als  die  operierten. 

Äußerst  interessant  ist  übrigens  die  auf  der  ausgiebigen  Erfahrung  eines  so 
trefflichen  Beobachters  basierte  Notiz,  daß  Lippenkarzinome  in  den  letzten  Jahr¬ 
zehnten  entschieden  seltener  geworden  sind. 

Wird  das  Problem  des  Krebses  richtig  gesehen,  so  zeigt  es  eine  solche  Fülle 
natürlicher  Mannigfaltigkeiten,  daß  von  diesen  niemals  wird  abstrahiert  werden 
können.  Individualisierung  muß  sich  auch  hier  stets  geltend  machen,  und  das  Ge¬ 
meinsame  der  Fälle,  welches  sowohl  nach  der  Lokalisation  als  nach  der  Lebens¬ 
bedeutung  sich  oft  als  sehr  Unwesen tich  erweist,  muß  zurücktreten.  Nach  natur¬ 
wissenschaftlicher  und  energetischer  Auffassung  bedeutet  die  Frage  nach  „einem“ 
Krebsmittel  ein  falsches  Sehen  des  Problems.  Nicht  ein  Mittel  für  alle  Fälle, 

V  E.  Schlegel:  Innere  Heilkunst  bei  sogen.  Chirurg.  Krankheiten.  Reutlingen, 

J.  KochaFs  Buchh.,  1902. 

„  Reform  der  Heilkunde  durch  die  Homöopathie  Hahnemann’s. 

Brugg,  Schweiz,  Verlag  Ettingerhof  A.-G.,  1903. 

«  Hie  Annäherung  der  Schulmedizin  an  H ahnemann.  Zeitschrift 

der  Berl.  Vereins  homöop.  Ärzte,  Bd.  24,  1905. 

A  Prof.  Rosenbach  und  die  Homöopath.  Zeitschr.  der  Berl. 

Veremshomöop.  Ärzte,  Bd.  25,  1906. 

«  Paracelsus  und  seine  Bedeutung  für  unsere  Zeit.  München, 

O.  Gmelin,  1906. 

A  Has  homöopathische  Prinzip  in  der  allgem.  Therapie  und  seine 

Vertretung  durch  Paracelsus.  München,  O.  Gmelin,  1907. 

»  Paracelsus  über  den  psychosomatischen  Betrieb  und  über  die 

Relativität  des  Kleinen.  Fortschritte  der  Medizin  1907,  H.  6. 


526 


Krankenpflege  und  ärztliche  Technik. 


aber  eine  Methode  für  alle  Fälle,  d.  h.  eine  solche,  die  stets  zum  In¬ 
dividualisieren  zwingt,  gilt  es  zu  finden. 

Die  auf  einer  überaus  großen  Zahl  nachweislicher  Heilungen  gestützte  An¬ 
sicht  Schlegel’s,  daß  diese  Methode  bereits  gefunden  ist  und  zwar  in  der 
homöopathischen  Pharmakotherapie,  wird  uns  in  Anbetracht  seines  Standpunktes 
nicht  Wunder  nehmen  dürfen. 

Aber  auch  d ann,  w enn  wir  uns  die  -Schwierigkeiten  bindender 
Schlußfolgerungen  auf  dem  Gebiete  der  inneren  Medizin  nicht  ver¬ 
hehlen  und  dem  Autor  die  Gefolgschaft  auf  der  letzten  Strecke 
seines  Weges  versagen  müssen,  der  Einsicht  werden  wir  uns  auf  Grund 
seines  umfangreichen  und  gewissenhaft  benutzten  Materials  nicht  ver¬ 
schließen  können:  einmal,  daß  die  Prognose  des  Krebses  nicht  gen e.r eil 
so  trostlos  ist,  wie  man  das  meistens  an  nimmt  und  andrerseits  daß  sie 
v on  de r  w o  h  1  d u r c li d a c h t e n  u n d  d em  E i n z e  1  f  a  1 1  e  angepaßten  Anwen¬ 
dung  von  Maßnahmen,  wenigstens  in  gewissen  Grenzen,  abhängig  ist, 
die  wir  mit  O.  Rosen  hach  unter  den  Begriff  der  „hygienischen 
Therapie“  subsumieren.  Eschle. 

Vorlesungen  über  Magen-  und  Darmkrankheiten.  Von  Friedrich  Crämer. 
4.  Heft.  Chronischer  Magenkatarrh.  München  1908.  J.  F.  Lehmann’s 

Verlag.  168  Seiten.  4  Mk. 

Der  „chronische  Magenkatarrh“,  einst  die  alles  beherrschende  Magenkrank¬ 
heit,  ist  nach  dem  Gesetze  der  sich  berührenden  Extreme  vielfach  gar  zu  sehr  in 
den  Hintergrund  geschoben  worden,  und  es  ist  ein  verdienstvolles  Unternehmen 
Crämers,  ihm  diese  ausführliche  Monographie  gewidmet  zu  haben.  Fast  möchte 
man  sagen,  sie  sei  etwas  zu  ausführlich  geworden;  es  hätte  sich  ohne  Schaden 
vieles  kürzer  fassen  lassen,  besonders  in  den  ersten  Kapiteln.  Ein  großer  Vorteil 
ist  diese  Ausführlichkeit  in  den  der  Therapie  gewidmeten  Abschnitten,  und  jeder, 
der  in  der  Praxis  steht,  wird  dem  Autor  für  seineins  Einzelne  gehenden  Ratschläge 
Dank  wissen.  Den  Wert  eines  großen  Vorrats  therapeutischer  Einzelheiten  lernen 
wir  ja  alle  erst  in  der  Praxis  kennen,  und  dem  Kranken  ist  unsere  schönste  und 
feinste  Diagnose  gleichgültig,  wenn  ihm  nur  geholfen  wird.  Crämer  schreibt  aus 
der  Praxis  für  die  Praxis,  und  das  macht  seine  Monographien  doppelt  lesenswert. 

M.  Kaufmann  (Mannheim). 


Krankenpflege  und  ärztliche  Technik. 

Klebro-Binde. 

Von  den  Teuf  ersehen  Fabriken  orthopädischer  und  chirurgischer  Arti¬ 
kel  in  Stuttgart,  die  zuletzt  mit  dem  bekannten  ,, Diakonband'1  hervorgetreten 
sind,  wird  gegenwärtig  eine  wichtige  Neuheit  in  der  sogenannten 
Klebro-Binde  auf  den  Markt  gebracht,  einer  elastischen  und  klebenden 
Rollbinde  nach  Dr.  Ferd.  von  H.euß.  Sie  ist  ähnlich  wie  das  Diakonband 
im  Gewebe  elastisch,  aber  zugleich  klebend,  und  wird  im  Gegensatz  zu 
anderen  klebenden  Binden  ohne  Kautschuk  oder  Guttapercha  hergestellt;  sic 
ist  aus  diesem  Grunde  völlig  reizlos  für  die  Haut.  Da  der  Binde  auch  kein 
Zink  beigemengt  ist,  so  trocknet  sie  auch  nicht  aus,  während  zink-  und 
gummihaltige  Binden  leicht  brüchig  werden  und  nicht  völlig  reizlos  sind. 
Die  Klebrobinde  ist  so  zusammengesetzt,  daß  selbst  die  empfindlichste  Haut 
neugeborener  Kinder  nicht  im  geringsten  von  ihr  gereizt  wird,  so  daß  sogar 
nach  monatelangem  Liegen  der  Verbände  —  wie  es  bei  gewissen  ITautieiden 
nötig  ist  — -  keine  andere  als  eine  günstige  Wirkung  auf  die  betr.  Haut- 
partieu  ausgeübt  wird,  im  Gegenteil,  die  Binde  wirkt  außerordentlich  hei- 
lungsf ordernd  infolge  der  chemischen  Zusammensetzung  der  dabei  verwen¬ 
deten  Masse. 

Jedei  Fachmann  weiß,  wie  nötig  eine  derartige  Binde  auf  allen  Ge¬ 
bieten,  besonders  der  Chirurgie,  in  der  Wundbehandlung,  bei  Hautleiden  und 
in  orthopädischen  Heilanstalten  ist,  weil  bekanntlich  langes  Liegen  der  Ver¬ 
bände  den  Wunden  Ruhe  bringt  oder  den  beabsichtigten  Heilzweck  bei  Streck¬ 
verbänden  usw.  fördert,  daß  aber  alle  bisherigen  Binden  sich  bei  längerem 
Liegen  als  hautreizend  erwiesen  haben,  selbst  die  einfachen  Mullbinden. 


Krankenpflege  und  ärztliche  Technik. 


527 


Die  Klebrobiiule  ist  ihrer  vorgenannten  Eigenschaften  wegen  und 
noch  aus  anderen,  nachfolgend  erwähnten  Gründen  allen  anderen  Verband- 
methoden  wie  Gipsi-Leim-Stärke-Mullverbänden  usw.,  ferner  den  Zug-  und 
Druck  verbänden  aller  Art  und  sämtlichen  Wundverbänden,  Heftpflastern  usw. 
unbedingt  überlegen  und  vermag  daher  alle  diese  Formen  zu  ersetzen,  weil  sie 
alles  Bisherige  an  Brauchbarkeit,  Handlichkeit  und  Zweckmäßigkeit  übertrifft. 

Nach  ihrer  Zusammensetzung,  und  wie  die  Erfahrung  bestätigt,  darf 
man  die  Klebro binde,  direkt  auf  blutende  Wunden  auflegen,  wo  sie  blut¬ 
stillend  wirkt  und  den  Schluß  der  Wundränder  befördert,  Wundsekrete  ab¬ 
saugt  und  sie  verdunsten  läßt.  Bei  Hautgeschwüren  ist  ihre  Heilwirkung 
augenfällig,  weil  die  Verbände  wochen-  und  monatelang  ruhig  liegen  bleiben 
können,  die  Wundsekrete  außen  verdunsten  und  die  liegenden  Verbände  beim 
Baden  unter  Benutzung  von  Seife  gewaschen  werden  können.  Wasser  ver¬ 
ändert  die  Binde  nicht,  wirkt  weder  lösend  noch  verschmierend.  Auch  ist 
eine  ausgiebige  Wunddesinfektion  durch  die  poröse  Binde  hindurch  mit  prophy¬ 
laktischen  und  desinfizierenden  Mitteln  möglich. 

Wegen  ihrer  Klebkraft  erfordert  das  Anlegen  der  Binde  keine  Schu¬ 
lung  oder  Übung,  sie  wird  einfach  Tour  neben  Tour  um  den  verletzten  Körper¬ 
teil  gewickelt  und  durch  Andrücken  anmodelliert.  Dies  gilt  auch  beim  Ver¬ 
binden  von  Gelenken  und  ungleich  dicken  Körperteilen.  Das  Ende  braucht 
nicht  mit  Nadeln  befestigt,  sondern  nur  angedrückt  oder  untergesteckt  zu 
werden. 

Die  Binde  ist,  aus  der  Umhüllung  genommen,  ohne  weiteres  gebrauchs¬ 
fertig  und  hat  daher  in  allen  Fällen  schneller,  blutstillender  Notverbände, 
aber  auch  bei  Brüchen,  Zerreißungen,  Verrenkungen  (Militärfraktur  usw.), 
bei  Quetschungen,  Hieb-,  Stich-,  Schlag-  und  anderen  Verletzungen  unter 
Zuhilfenahme  irgendwelcher  immobilisierender  oder  fixierender  Materialien, 
wie  sie  gerade  zur  Hand  waren  (Bergstock,  Säbelscheide,  Baum¬ 
zweige  usw.)  lebensrettend  in  Lagen  gewirkt,  die  keinerlei  andere  Ver¬ 
bände  mit  gleicher  Schnelligkeit,  Sicherheit  und  Zweckmäßigkeit  ermöglicht 
hätten.  Nach  Abnahme  hinterläßt  sie  nur  einen  geringfügigen  Rückstand, 
der  sich  mit  Benzin  (und  auch  seiner  feuersicheren  Abart  Tetrachlorkohlenstoff) 
leicht  entfernen  läßt.  Mit  den  Haaren  verfilzt  sich  die  Klebrobinde  nicht, 
obwohl  sic  an  ihnen  haftet,  und  deshalb  ist  ihre  Anwendung  auch  in  der 
Veterinärmedizin  vorteilhaft. 

An  nicht  zu  warmem  Orte  auf  bewahrt,  ist  sie  dem  Verderben  nicht  aus- 
gesetzt,  hält  sich  vielmehr  ohne  Verlust  ihrer  Brauchbarkeit  lange  Jahre, 
da  ihre  physikalischen  und  chemischen  Eigenschaften  sich  nicht  verändern, 
wie  bei  gummihaltigen  und  mit!  Zink  versetzten  Binden.  Sie  wird  daher  das 
Sanitätshandwerkszeug  und  das  ganze  Verbandswesen  außerordentlich  ver¬ 
bessern,  vereinfachen  und  vereinheitlichen.  Schon  heute  bei  Hunderten  von 
Ärzten,  in  Krankenhäusern  und  bei  zahllosen  Privaten  ständig  im  Gebrauch, 
hat  sie  ihre  praktische  Überlegenheit  über  alle  Arten  Verbände  glänzend 
erwiesen. 

Für  Spezialzweck  wird  sie  noch  in  einigen  Abarten  mit  besonderen  In¬ 
korporationen  und  auf  verschiedenen  Stoffarten  geliefert,  stärkeren  und  dünne¬ 
ren,  für  gewisse  Zwecke  auch  auf  undurchlässigen  Stoffen.  Die  gewöhnliche, 
aus  Krepp  gefertigte  poröse  Binde  ist  dünn  und  leicht,  aber  infolge  ihrer 
gewissen  Elastizität  sehr  fest,  und  aus  praktischen  Gebrauchsrücksichten 
nur  der  Länge  nach  leicht  reißbar.  Ungedehnt  ist  sie  4  m  lang  und  U/2, 
-P/Ä  4,  5,  7  und  10  cm  breit.  Größere  Binden  werden  auf  Wunsch  geliefert. 
Die  schmalen  U/2  und  21/2  cm  breiten  Binden  sind  außerdem  auch  in  Blech¬ 
dosenpackung,  in  diesem  Falle  2  m  lang,  erhältlich  und  für  Touristen, 
Soldaten,  Ärzte,  Tierärzte,  Jäger,  Sportsleute  aller  Art  zum  Mitführen,  über¬ 
haupt  für  jedermanns  Westentasche  bestimmt. 


528 


Hochschulnachrichten. 


Seitens,  der  Nikotin-Entzieliungs- Anstalt  „Nea“1)  werden  über 
ihr  Verfahren  folgende  Angaben  gemacht: 

Die.  fertigen  Tabakfabrikate,  also  Zigarren,  Zigaretten  oder  Rauchtabak 
werden  in  luftdicht  abgeschlossenem  Raume  bis  zu  jener  Temperatur  erhitzt, 
bei  welcher  zwar  das  Nikotin  und  Ammoniak  und  das  Wasser  in  Dampf¬ 
form  entweichen,  während  bei  dieser  Temperatur,  welche  je  nach  Beschaffen¬ 
heit  des  Tabaks  zwischen  140  und  190  Grad  Celsius  liegt,  die  rein  aromati¬ 
schen  Bestandteile,  also  Apfelsäure,  Zitronensäure,  die  aromatischen  öle  usw. 
sich  noch  nicht  verflüchtigen.  Die  letzteren  bleiben  daher  vollständig  in  den 
Tabakfabrikaten  zurück,  während  die  Wasserdämpfe,  das  entweichende  Nikotin 
und  Ammoniak  sich  an  der  Decke  des  Erhitzungsgefäßes  infolge  äußerlicher 
Kühlung  niederschlagen  und  durch  Ab  tropfen  nach  außen  geführt  werden. 
Das  auf  gefangene  Nikotin  in  wässriger  Lösung  wird  für  technische  und 
landwirtschaftliche  Zwecke  verwendet. 

Durch  das  Verfahren,  bei  welchem  natürlich  der  gesamte  Wassergehalt 
in  Dämpfeform  entweicht,  werden  die  Zigarren,  Zigaretten  usw.  so  trocken, 
daß  sie  in  diesem  Zustande  einerseits  sehr  zerbrechlich  und  andererseits 
nicht  schmackhaft  genug  für  den  Raucher  sein  würden.  Die  nötige  Feuchtig¬ 
keit  wird  ihnen  daher  durch  mehrtägiges  Lagern  in  einem  eigens  konstruierten 
Eeuch träum  wieder  zugeführt,  worauf  sie  gebrauchsfertig  sind. 

Der  Vorzug  des  Verfahrens  liegt  nicht  nur  darin,  daß  es  unter  Ausschluß 
irgend  eines  chemischen  Prozesses  und  ohne  Beeinträchtigung  von  Geschmack 
und  Aroma  wirklich  bis  zu  80%  Nikotin  aus  dem  Tabak  entfernt,  sondern 
auch  darin,  daß  der  Raucher  nicht  genötigt  wird,  irgend  eine  bestimmte 
Sorte  sogenannter  „nikotinfreier“  Zigarren  zu  kaufen,  die  ihm  auf  die  Dauer 
langweilig  wird,  da  jede  beliebige,  dem  Raucher  gewohnte  und  liebgewordene 
Sorte  zur  Entnikotinisierung  übernommen  und  nach  wenigen  Tagen  wieder 
abgeliefert  wird. 


Ö  Neu,  Berlin  W.  9,  Potsdamerstraße  10/11. 


Hochschulnachrichten. 


Berlin.  Für  Physiologie  habilitierte  sich  Dr.  H.  Piper,  bisher  in  Kiel.  P.-D. 
Prof.  Dr.  Klemperer  wurde  als  o.  Professor  und  Direktor  der  medizinischen 
Poliklinik  nach  Bonn  berufen.  P.-D.  Dr.  E.  Müller  wurde  als  ao.  Professor 
für  innere  Medizin  nach  Marburg  berufen.  P.-D.  Dr.  H.  Boediker  (Psychiatrie) 
erhielt  den  Titel  Professor. 

Bonn.  ao.  Prof.  Dr.  W.  Kruse  wurde  zum  o.  Professor  der  Hygiene  und  Direktor 
des  hygienischen  Instituts  in  Königsberg  ernannt. 

Frankfurt  a.  M.  P.-D.  Dr.  H.  Vogt,  unser  geschätzter  Mitarbeiter,  erhielt  den 
Titel  Professor. 

Freiburg  i.  B.  Dr.  med.  Karl  J.  Gauß  habilitierte  sich  für  Gynäkologie  und 
Geburtshilfe. 

Göttingen.  Zum  Prosektor  am  anatomischen  Institut  wurde  P.-D.  Dr 


M.  Voit, 


bisher  in  Freiburg  i.  B.,  ernannt. 


Halle  a.  S.  P.-D.  Dr.  R.  Freund  erhielt  den  Titel  Professor. 

Heidelberg.  P.-D.  Dr.  H.  Arnsperger  erhielt  den  Titel  als  Professor. 

Jena.  Prof.  Dr.  B.  Fischer,  Frankfurt,  hat  den  Ruf  als  Professor  und  Direktor 
des  path.-anatom.  Instituts  abgelehnt. 

München.  Der  ao.  Prof,  für  gerichtliche  Medizin,  Med.-Rat  Dr.  M.  Hof  mann, 
wurde  auf  sein  Ansuchen  von  den  Vorlesungen  entbunden.  Prof.  Dr.  Hang 
ist  verstorben. 

Wien.  An  der  Klinik  von  Prof.  Höchen  egg  habilitierte  sich  Dr.  med.  A.  Exner 


für  Chirurgie. 


Schriftleitung:  Dr.  Ri  gl  er  in  Leipzig. 

Druck  von  Emil  Herrmann  senior  in  Leipzig. 


27.  Jahrgang. 


1909. 


Tomcbrim  der  Medizin. 


Unter  Mitwirkung  hervorragender  Fachmänner 

herausgegeben  von 

Professor  Dr.  0.  Köster  Prio.-Doz.  Dr.  o.  griefltrn 


in  Leipzig. 

Schriftleitung: 


in  Leipzig. 

Dr.  Rigler  in  Leipzig. 


Nr. 


14. 


Erscheint  am  10.,  20.,  30.  jeden  Monats.  Preis  halbjährlich 
6  Mark,  i  n  k  1.  Zeitschrift  für  Yersicherungsmedizin  8  Mark. 


Verlag  von  Georg  Thieme,  Leipzig. 


20.  Mai. 


Originalarbeiten  und  Sammelberichte. 

Ueber  Turmschädel  mit  Sehnervenatrophie. 

Von  Augenarzt  Dr.  Emil  Leyi,  Stuttgart. 

Folgender  Fall  kam  in  meine  Beobachtung: 

Der  24jährige  Mann,  Maler  von  Beruf,  leidet  an  zunehmender 
Sehschwache  seit  der  frühesten  Jugend.  Als  Ursache  findet  man  eine 
beiderseitige  Sehnervenatrophie,  die  links  stärker  ausgeprägt  ist  als 
rechts.  Sehvermögen  links  Fingerzählen  in  4  m  exzentrisch,  rechts  1/10. 
Gesichtsfeld  beiderseits  konzentrisch  eingeschränkt,  von  den  Farben  ist 
Rot  —  Grün  gänzlich  erloschen,  Blau  nur  um  den  Fixierpunkt  erhalten, 
Pupille  rechts  weiter  als  links,  bei  mittlerer  Beleuchtung  6 :  3,5  mm. 
Reaktion  normal.  Es  besteht  Exophthalmus  hohen  Grades,  so  daß 
die  Bulbi  leicht  umgriffen  werden  können  und  die  Sehne  des  M.  obliq. 
sup.  beiderseits  als  harter  Strang  entgegenspringt.  Der  Bulbus  liegt 
zum  größten  Teil  außerhalb  der  Augenhöhle,  und  er  könnte  ohne 
irgendwelche  Schwierigkeit  vollends  luxiert  werden.  Trotzdem  ist  die 
Bedeckung  und  der  Lidschluß  vollkommen.  Die  Beweglichkeit  ist  nach 
außen  leicht  beschränkt.  Der  Schädel  fällt  durch  seine  starke  Höhenaus¬ 
bildung  auf.  Der  Gesichtsschädel  ist  wenig  abweichend,  nur  die  Joch¬ 
beine  springen  etwas  vor.  Die  Orbitae  sind  breit,  die  Stirne  flieht  zurück, 
das  Hinterhaupt  ist  sehr  schwach  entwickelt.  Die  Maße  betragen : 
Umfang  über  den  Augenbrauen  52,5  cm,  über  den  Stirnhöckern  50,5  cm, 
Ohröffnung-Scheitelhöhe  17,0  cm,  Lambdawinkel-Glabella  25,0  cm.  Macht 
man  mit  dem  in  den  Hutgeschäften  gebräuchlichen  Apparat  eine  Messung 
des  Schädelumfanges,  so  erhält  man  eine  langgestreckte  Ellipse,  deren 
Länge  und  Breite  6,5  und  3,5  cm  messen  (in  dem  verkleinerten  Ma߬ 
stabe  des  Abdrucks).  An  der  breitesten  Stelle  ist  auf  der  rechten 
Seite  eine  leichte  Assymmetrie  zu  sehen  nach  außen.  Die  Abtastung 
des  Schädels  ist  durch  den  starken  Haarwuchs  erschwert ;  immerhin  fühlt 
man  die  Grenzen  der  einzelnen  Knochen  sehr  deutlich.  Das  Stirnbein 
ist  kaum  verkleinert,  das  Hinterhauptsbein  auch  nicht,  dagegen  sind 
die  Scheitelbeine  wesentlich  in  ihrem  Wachstum  zurückgeblieben.  Die 
Sut.  sagittalis  ist  ganz  verknöchert  und  kaum  fühlbar ;  die  sut.  coronaria 
ist  nur  an  den  Schläfenmuskelansätzen  etwas  zu  fühlen,  weiterhin  aber 
über  den  ganzen  Scheitel  verknöchert  und  hervorspringend.  Im  übrigen 
ist  der  Patient  völlig  gesund,  insbesondere  ist  kein  Symptom  einer 
manifesten  oder  latenten  Bleivergiftung,  woran  hei  dem  Maierberuf  zu 
denken  wTäre,  nachzuweisen.  Die  Intelligenz  ist  gut,  Patient  kam  in  der 

84 


530 


Emil  Levi, 


Schule  stets  gut  mit  und  besorgt  jetzt  selbständig  das  Geschäft  seines 
Vaters. 

Als  Ursache  der  ‘Erkrankung,  die  von  frühster  Jugend  an  be¬ 
standen  haben  soll,  wird  von  der  Mutter  ein  Fall  auf  den  Kopf  im 
dritten  Lebensjahre  angeschuldigt.  Krämpfe  hatte  er  nie,  Kopfweh 
bestand  zeitweise  in  früheren  Jahren.  Die  Geburt  war  normal  gewesen, 
Rachitis  bestand"  nicht.  Schon  in  der  Schule  war  er  stets  sehschwach 
gewesen,  hatte  aber  nie  seine  Augen  untersuchen  lassen.  Seit  einem 
neuerlichen  Falle  auf  den  Kopf  soll  das  Sehvermögen  rasch  weiter 
abgenommen  haben  bis  auf  den  heutigen  Zustand.  In  der  Familie, 
deren  Mitglieder  ich  z.  T.  untersuchen  konnte,  besteht  keine  ähnliche 
Erkrankung.  Trotz  der  entstellenden  Schädelbildung  ist  die  Ähnlich¬ 
keit  zwischen  dem  Patienten  und  seiner  übrigen  Familie  sehr  ausge¬ 
prägt  und  springt  besonders  in  die  Augen,  wenn  man  nur  den  Gesichts¬ 
schädel  betrachtet  und  den  Exophthalmus  in  Abzug  bringt. 

Ich  habe  versucht,  den  Prozeß,  wenn  auch  nicht  zu  bessern,  so  doch 
wenigstens  zum  Stillstand  zu  bringen  durch  Injektionen  von  Fibrolysin. 
Nach  acht  Injektionen  mußte  ich  leider  die  Kur  unterbrechen,  ohne 
daß  eine  objektive  Änderung  nachzuweisen  gewesen  wäre,  weil  Patient 
ein  akutes  Exanthem  an  beiden  Nates,  Oberschenkeln  und  Kücken 
bekam,  das  mit  starkem  J ucken  verbunden  war.  Indifferente  Puder¬ 
behandlung  und  Aussetzen  der  Injektionen  ließen  das  Exanthem  rasch 
wieder  verschwinden,  so  daß  die  Natur  des  Exanthems,  die  auch  der 
dermatologische  Kollege  Herr  Dr.  Tannhäuser  als  Intoxikations¬ 
exanthem  diagnostiziert  hatte,  bestätigt  wurde. 

Die  Pathogenese  des  Turmschädels  hat  in  den  letzten  Jahren 
mehrfache  Bearbeitung  gefunden.  Trotz  bedeutender  Erweiterung 
unserer  Einzelkenntnisse  wissen  wir  über  das  eigentliche  Wesen  der 
Anomalie  nichts  Bestimmtes.  Alle  Autoren  sind  darin  einig,  daß  das 
Primäre  die  Schädelerkrankung  ist.  Vorzeitige  Verknöcherung  der 
Schädelnähte,  immer  in  den  ersten  Lebensjahren  auftretend,  hindern  ein 
normales  Wachstum  des  Gehirns.  Schädel  und  Gehirn  weichen  aus 
und  wachsen  in  den  Richtungen,  wo  keine  vorzeitige  Verknöcherung 
im  Wege  steht.  Eine  solche  Anpassungsform  bei  Verknöcherung  der 
Sut.  coronaria  und  sagittalis  ist  der  Turmschädel.  Der  Name,  dessen 
Entstehung  unbekannt  ist,  drückt  das  abnorme  Höhenwachstum  des 
Schädels  aus,  aber  unter  dem  Namen  Turmschädel  und  dem  synonym 
gebrauchten  „Oxycephalie“  gehen  alle  möglichen  Schädelverbildungen, 
die  z.  T.  kritiklos  vermengt  werden,  so  neben  der  Oxycephalie  die 
Scaphocephalie  u.  a.  m.  , 

Enslin1)  kommt  auf  Grund  seiner  vergleichenden  Messungen  zu 
*  folgender  Definition  (S.  200) :  ,,Der  Turmschädel  ist  eine  durch  vor¬ 
zeitige  Verknöcherung  der  Sut.  coronaria  entstandene  Schädelform,  die 
eine  über  den  lokalen  Durchschnitt  hinausgehende  gleichmäßige  Höhen¬ 
entwicklung  aufweist,  während  Länge  und  Breite  den  örtlichen  Maßen 
angepaßt  sind.“  Also  typisch  ist  nui’  die  abnorme  Höhenentwicklung, 
während  die  übrigen  Maße  individuell  sind.  Um  nur  einiges  hervor¬ 
zuheben,  so  schreibt  Patry2)  (S.  22):  Le  front  est  droit,  ähnlich  Dorf- 
mann:  „Die  Stirn  ist  steil“.  Vergleicht  man  damit  die  eigenen  Abbil¬ 
dungen  Patry’s,  Nr.  2,  3,6,  7,  46  oder  den  in  Gräf  e-Sämisch’s  Hand¬ 
buch,  2.  Aufl.  von  Groenouw,  Bd.  XI,  I.  Abt.,  S.  261  abgebildeten 
Fall,  so  sieht  man  hier  im  Gegenteil  schräge  z.  T.  außerordentlich 
flache  Stirnen.  Mein  Kranker  fällt  durch  die  flache  Stirne  sosrar  auf, 

O 


Ueber  Turmschädel  mit  Sehnervenatrophie. 


531 


Weiter  sagt  Dorf  mann3)  bei  der  Beschreibung  des  mazerierten  Schädels 
aus  der  Wiener  anatomischen  Sammlung:  Der  horizontale  Umfang 
mißt  523  mm  und  ist  kreisrund,  während  mein  Fall  eine  langgestreckte 
Ellipse  als  Kopf  umfang  hat.  Die  widersprechenden  Befunde  am  Canalis 
opticus  gehören  auch  hierher.  Patry,  der  die  Weite  des  Canalis  an 
normalen  und  Turmschädeln  vergleichend  mittels  Katheterbougies  maß, 
fand  gar  keine  Unterschiede  im  Kaliber;  3,6  mm  war  bei  beiden  Kate¬ 
gorien  das  häufigste  Maß.  Dagegen  beschreiben  Michel  und  Pon,fick 
aufs  höchste  verengte  Canales  optici,  in  denen  die  Sehnerven  eingezwängt 
und  eingeschnürt  lagen.  Was  die  Schädelknochen  betrifft,  so  finden 
wir  einerseits  Verdünnung  beschrieben,  ja  selbst  Spontanperforationen, 


auf  der  andern  Seite  waren  Exostosen  und  diffuse  Hyperostosen  zu 
fühlen  (bei  Michel,  Ponfick,  Manz,  Vortisch).  Man  braucht  auch 
nur  einen  Blick  auf  Tafel  22,  Abb.  3  der  Dorf  mann’ sehen  Arbeit 
zu  werfen,  wo  sehr  belehrend  der  Querdurchschnitt  des  Turmschädels 
und  eines  normalen  Schädels  abgebildet  sind,  um  zu  sehen,  daß  hier 
von  einer  Barefikation  des  Turmschädelknochens  keine  Bede  sein  kann. 
Allerdings  sind  an  mehreren  Stellen  zelluläre  Iiäume,  aber  ringsum 
ist  der  Knochenquerschnitt  verbreitert  und  die  Diplöe  fast  ganz  ver¬ 
schwunden  Auch  Patry  sagt  S.  56:  Das  Gewebe  der  Schädelkalotte 
war  kompakt  und  hart,  an  mehreren  Stellen  bestanden  Exkreszenzen 
der  Schädelinnenwand.  An  zwei  Schädeln,  die  ich  der  Freundlichkeit 
des  Vorstandes  der  anatomischen  Anstalt  in  Tübingen,  Prof,  von 
Froriep,  verdanke,  fand  ich,  daß  der  eine  Schädel  mit  totaler  Ver¬ 
wachsung  der  Sut.  coronaria  und  sagittalis,  ferner  der  Sut.  spheno- 
temporalis  und  spheno-frontalis  keine  Verdickung  der  Schädelkapsel, 
sondern  bei  durchfallendem  Licht  stellenweise  Verdünnung  aufwies, 
so  daß  das  Licht  durchschien.  Der  andere  Schädel  dagegen  mit  Ver- 

34* 


532 


Emil  Levi, 


knöcherung  der  Sut.  coronaria  und  sagittalis  zeigte  ziemliche  diffuse 
Hyperostose  im  Schädelinnern.  Der  Querschnitt  des  Knochens  war 
verbreitert.  Bei  beiden  aber  war  am  Canalis  optikus  keine  Verenge¬ 
rung  zu  sehen.  Trotz  abnormer  Höhenentwicklung  war  der  erste 
Schädel  im  ganzen  der  eines  Mikrocephalen,  während  der  zweite  auch 
in  den  übrigen  Maßen  nicht  unternormal  war.  Ich  möchte  deshalb 
den  ersten  Schädel  nicht  als  echten  Turmschädel  betrachten. 

Ist  so  die  Schädelanomalie  selbst  keineswegs  klar,  so  daß  es 
dringend  zu  wünschen  ist,  daß  ein  Anthropologe  von  Fach  einmal 
das  gesamte  Material  untersucht,  so  sind  die  Beziehungen  zwischen 
der  Schädelanomalie  und  dem  Sehnervenleiden  vollends  unklar.  Über¬ 
einstimmung  herrscht  in  folgenden  Punkten: 

1.  Es  kann  ein  Turmschädel  dauernd  ohne  jede  Beteiligung  des 
Sehnerven  bestehen.  Hierfür  hat  jeder  Autor  an  Lebenden  und  an 
mazerierten  Schädeln  Beispiele  und  Messungen  erbracht  und  ich  selbst 
habe  gegenwärtig  auch  einen  Mann  in  Beobachtung,  der  ausgesproche¬ 
nen  Turmschädel,  aber  völlig  normalen  Sehnerv  und  Sehschärfe  besitzt. 

2.  Die  Sehnervenerkrankung  tritt  in  frühster  Jugend,  unter  dem 
Bilde  der  Stauungspapille  auf  und  führt  im  Laufe  der  Jahre  zu 
sekundärer  Atrophie  des  Sehnerven.  Völlige  Blindheit  ist  die  Aus¬ 
nahme;  meist  bleibt  ein  Best  Sehvermögen  erhalten. 

Wie  hängen  nun  Schädelleiden  und  Sehnervenerkrankung  zu¬ 
sammen?  Friedenwald  deutet  die  Neuritis  optika  als  echte  Stau¬ 
ungspapille,  d.  h.  als  Folge  des  gesteigerten  intrakraniellen  Drucks. 
Auch  Dorf  mann  hält  sich  an  die  Drucksteigerung  im  Schädelinnern. 
Bei  seinem  zweiten  Falle,  einem  vierjährigen  Mädchen,  versuchte  er 
durch  Trepanation  das  Leiden  zum  Stillstand  zu  bringen.  Tatsächlich 
erwies  sich  auch  die  Dura  mater  straff  gespannt,  wölbte  sich  in  die 
Trepanationsöffnung  vor,  die  Venen  waren  strotzend  gefüllt  und  die 
Operation  hatte  den  Erfolg,  daß  das  Sehvermögen  sich  etwas  besserte 
und  das  Kopfweh  zurückging.  Auch  die  Angabe,  daß  die  Sut.  occipito- 
mastoidea  3/4  cm  diastatisch  war,  weist  auf  eine  Kaumbeschränkung 
im  Schädelinnern  hin.  Trotz  aller  dieser  Punkte  kann  die  Erhöhung 
des  Binnendrucks  nicht  die  wesentliche  Ursache  der  Neuritis  sein. 
Zunächst  zeigt  die  Diastase  der  Sut.  occipito-mastoidea,  daß  bei  den 
wachsenden  Schädeln  der  ersten  Lebensjahre  auch  bei  frühzeitiger  Ver¬ 
knöcherung  einzelner  Nähte  doch  noch  Möglichkeit  vorhanden  ist,  daß 
der  Schädel  sich  nach  anderen  Kichtungen  genügend  ausdehnt  und 
ausweicht.  Daß  der  Turmschädel  eine  solche  Anpassungsform  ist,  haben 
die  oben  mitgeteilten  Resultate  Enslin’s  erwiesen.  Dorf  mann 
schreibt  selbst  auch:  ,,die  Papillitis  fehlt  beim  Turmschädel,  wenn 
die  Kompensation  seitens  der  Gehirnkapsel  zur  Behebung  der  intra¬ 
kraniellen  Drucksteigerung  ausreicht.“  Weiter  aber  schreibt  er: 
„Während  die  Knochen  der  mittleren  und  vorderen  Schädelgrube  dem 
Gehirndruck  nachgeben,  verbleibt  der  Keilbeinkörper  in  seiner  Lage 
und  bietet  dem  Gehirn  einen  größeren  Widerstand.“  Wie  sich  Dorf- 
mann  dies  vorstellt,  ist  mir  unklar.  Der  Gehirndruck  ist  doch  ein 
Flüssigkeitsbinnendruck,  der  allseitig  und  gleichmäßig  wirkt.  Eine 
Prädilektionsstelle,  wo  der  erhöhte  intrakranielle  Druck  seine  Wir¬ 
kung  am  stärksten  entfaltet,  gibt  es  nicht.  Alles  weist  vielmehr 
darauf  hin,  daß  zu  der  sicher  vorhandenen  und  auch  eine  gewisse 
deletäre  Wirkung  auf  den  Sehnerven  ausübenden  allgemeinen  Kaum¬ 
beengung  bei  dem  Turmschädel  eine  lokale  Ursache  am  Sehnerven 


Ueber  Turmschädel  mit  Sehnervenatrophie. 


selbst  noch  dazukommen  muß.  Schlagend  beweisen  dies  die  vielen 
Fälle  von  Turmschädel,  wo  dauernd  jede  Schädigung  des  Sehnerven 
fehlt.  Hirschberg,  gestützt  auf  eine  Äußerung  Virchow’s,  nimmt 
eine  Meningitis  der  Dura  mater  an,  welche  zugleich  Ursache  der  präma¬ 
turen  Synostosen  und  durch  Über  greifen  auf  den  Optikus  auch  der 
Neuritis  sein  soll.  Patry  schließt  sich  dieser  Meinung  an  (S.  66), 
weil  in  zwei  Fällen  bei  der  Sektion  eine  Verdickung  der  Dura  mater 
besonders  auch  um  das  Chiasma  gefunden  wurde.  Hält  man  diese 
Befunde  zusammen  mit  denen  von  Michel,  Ponfick  und  Manz, 
welche  eine  starke  Verengerung  des  Canalis  optikus  und  den  Nerven 
darin  geradezu  eingeschnürt  fanden,  so  liegt  wohl  genügend  Material 
vor,  um.  die  Hypothese  der  Entzündung  der  Dura  mater  zu  stützen. 
Freilich  darf  man  sich  hierunter  keine  echte  Entzündung,  etwa  gar 
infektiöser  Natur  vorstellen.  Schon  die  eine  Tatsache,  daß  neben  dem 
N.  optikus  nie  ein  anderer  Augen-  oder  Hirnnerv  beteiligt  ist,  daß 
nie  eine  Pupillenstörung  anderer  als  optischer  Natur  beobachtet  wurde, 
spricht  gegen  diese  Auffassung.  Der  Prozeß  muß  sich  streng  in  der 
Dura  mater  abspielen  und  die  übrigen  Hirnhäute  völlig  freilassen. 
Erinnert  man  sich,  daß  die  Dura  zugleich  das  Periost  der  Schädel¬ 
knochen  und  des  Can.  optikus  ist,  so  gewinnt  der  Begriff  der  Ent¬ 
zündung  der  Dura  mater  sofort  die  Bedeutung  einer  Periostitis,  die 
mit  Hyperostose  einher  geht.  Die  Neuritis  des  Optikus  ist  dann  eine 
Neuritis  durch  lokalen  Druck  infolge  der  raumbeengenden  Hyperostose 
im  Can.  optikus,  ganz  entsprechend  den  Befunden  von  Michel  und 
Ponfick.  In  diesem  Sinne  wollte  auch  Virchow  die  Entzündung 
aufgefaßt  wissen,  wenn  er  sagt  (zitiert  nach  Enslin):  „Die  Ossi¬ 
fikation  geschieht  unter  vermehrter  Hyperämie  und  zwar  nicht  bloß 
unter  stärkerer  Anhäufung  von  Blut  in  den  vorhandenen,  etwa  er¬ 
weiterten  Gefäßen,  sondern  wohl  auch  unter  gleichzeitiger  Neubildung 
von  Gefäßkanälen.  Zustände  dieser  Art  werden  der  ^gewöhnlichen  An¬ 
schauung  nach  unter  die  entzündlichen  gerechnet.“  Enslin  fügt  hinzu: 
Eine  Entzündung  im  Sinne  Cohn  hei  m/s  ist  dies  aber  nicht. 

Ein  Grund,  von  dieser  Erklärung  abzugehen,  liegt  meines  Er¬ 
achtens  nicht  vor.  Wenn  Weiß  und  Brugger  an  vier  Turmschädeln 
der  Heidelberger  Anatomie  ebenso  wie  Patry,  und  wie  Vor  tisch 
und  ich  an  den  zwei  Tübinger  Schädeln  keine  Verengerung  des  Foramen 
optikum  finden  konnten,  so  genügt  dies  nicht,  um  die  Virchow’ sehe 
Erklärung  umzustoßen.  Erstens  brauchen  ja,  wie  oben  erwähnt,  lange 
nicht  alle  Turmschädel  Veränderungen  am  Canalis  optikus  zu  bekommen 
—  über  das  Verhältnis  der  mit  und  der  ohne  Sehnervenbeteiligung 
ist  nichts  genaues  bekannt  — ;  zweitens  können  sich,  wovon  wir  eben¬ 
falls  nichts  wissen,  die  hyperostotischen  Veränderungen  im  Laufe  des 
Lebens  zurückbilden  und  normalen  Verhältnissen  oder  gar  Verdün¬ 
nungen  Platz  machen,  und  drittens  können  vergleichende  Messungen 
an  mazerierten  Schädeln  keine  Entscheidung  darüber  herbeiführen,  ob 
nicht  in  vivo  Verengerungen  bestanden  haben.  Die  wenigen  positiven 
Sektionsbefunde  wiegen  jedenfalls  schwerer  als  die  negativen,  zwar 
zahlreicheren,  aber  an  nicht  einwandsfreiem  Material  erhobenen  Be¬ 
funde.  Um  die  Frage  endgültig  zu  entscheiden,  brauchen  wir  noch 
Sektionsbefunde.  Freilich,  was  die  Ursache  der  Hyperostosis  interna 
cranii  ist,  so  könnte  man  die  Krankheit  nennen,  um  den  Nachdruck 
auf  die  Bedeutung  der  Dura  mater  als  Periost  zu  legen  und  um  das 
Fehlen  einer  eigentlichen  Entzündung  im  Namen  auszudrücken,  dies 


534 


Max  Hirsch, 


bleibt  noch  völlig  im  unklaren.  Rachitis  und  hereditäre  Lues,  wie 
einige  Autoren  meinten,  spielen  sicher  keine  Rolle;  familiäre  Momente 
spielen  noch  weniger  mit.  Und  die  von  den  Angehörigen  meist  heran¬ 
gezogenen  Traumen  können  höchstens  ein  Hilfsmoment  abgeben. 

Von  einer  Therapie  war  bis  vor  kurzem  überhaupt  nicht  die 
Rede,  sei  es  aus  Skepsis,  sei  es  aus  Mangel  an  einem  geeigneten 
Verfahren.  Her  Erfolg  Horfmann’s  mit  der  Trepanation  ist  leider 
noch  zu  kurz  beobachtet,  als  daß  er  entscheidende  Bedeutung  haben 
könnte.  Haß  ein  so  großer  Eingriff  wie  eine  Trepanation  schon  rein 
als  Aderlaß  durch  die  hervorgerufenen  Zirkulationsveränderungen  eine 
Wirkung  haben  muß,  ist  ja  sicher.  Her  weiteren  Einführung  der 
Trepanation  stehen,  selbst  wenn  sich  der  eine  Erfolg  auf  die  Hauer 
bestätigen  sollte,  mehrere  Punkte  im  Wege.  Hie  meisten  Patienten 
kommen  erst  in  späteren  Lebensjahren  zum  Arzte,  wenn  es  schon  zu 
sekundären  Veränderungen  am  Optikus  gekommen  ist ;  ferner  sind  die 
allgemeinen  Hirndrucksymptome,  die  Horfmann  bei  seinem  Palle  be¬ 
obachten  konnte  und  die  die  Indikation  zu  der  Operation  abgaben, 
als  seltene  Ausnahme  zu  bezeichnen,  ja  das  Pehlen  sonstiger  Hirn¬ 
drucksymptome  wurde  bisher  stets  als  charakteristisch  betrachtet.  Ob 
bei  dem  operierten  Kinde  Horfmann’s  sonst  noch  eine  Komplikation 
vorlag,  ist  bei  der  Besonderheit  des  Palles  nicht  von  der  Hand  zu 
weisen.  Als  friedliche  Therapie  erscheint  mir  deshalb  ein  Versuch 
mit  Einspritzungen  von  Thiosinamin  bezw.  Pibrolysin  wohl  zu 
empfehlen.  Mein  Mißerfolg  beweist  gegen  die  Gangbarkeit  des  Wegs 
nichts.  Has  verhältnismäßig  hohe  Alter  des  Kranken,  der  vorge¬ 
schrittene  Zustand  des  Sehnerven,  schließlich  das  Exanthem,  das  zur 
frühzeitigen  Unterbrechung  der  Kur  nach  nur  acht  Injektionen  nötigte, 
waren  zu  ungünstige  Momente.  Je  jünger  die  Kranken  und  je  weniger 
stark  der  Sehnerv  schon  verändert  ist,  um  so  günstiger  liegen  die 
Aussichten  für  einen  Erfolg  der  Therapie. 

Literatur : 

1.  Enslin:  Die  Augen  Veränderungen  beim  Turmschädel,  besonders  die  Seh¬ 

nervenerkrankung. 

v.  Gräfe’s  Archiv' für  Ophthalmologie,  Bd.  58,  S.  151. 

2.  Patry:  Oontribution  ä  etude  des  lesions  oculaires  dans  les  malformations 

craniennes,  specialement  dans  Poxycephalie.  Paris  1905. 

3.  Dorfmann:  Über  Pathogenese  und  Therapie  des  Turmschädels, 
v.  Gräfe’s  Archiv  für  Ophthalmologie,  Bd.  68,  S.  412. 

Alle  weitere  Literatur  ist  bei  1 — 3  zu  finden. 


Der  30.  Balneologenkongreß  in  Berlin. 

Von  Dr.  Max  Hirsch,  Arzt  in  Bad  Kudowa. 

(Fortsetzung.) 

Rothscliild-Soden  hatte  das  Thema  gewählt  ,, Bedürfen  wir  der 
Opsoninprüfung  bei  der  Behandlung  Tuberkulöser“  ?  Hie  Opsonine  sieht 
er  als  diejenigen  Stoffe  im  Blute  an,  welche  die  weißen  Blutkörperchen 
befähigen,  die  Tuberkelbazillen  zu  vernichten.  Ihre  Prüfung  ist  jedoch 
praktisch  wegen  der  technischen  Schwierigkeiten  kaum  durchzuführen. 
Vortr.  schlägt  statt  dessen  die  Zählung  der  im  Auswurf  nachweisbar 
von  weißen  Blutkörperchen  gefressenen  Bazillen  vor,  um  aus  ihrer 
größeren  oder  geringeren  Zahl  ein  Maß  für  die  Stärke  der  Tuberkulose 
zu  gewinnen.  Has  Tuberkulin  wirkt  um  so  sicherer  auf  die  Anreiche- 


Der  30.  Baineologenkongreß  in  Berlin. 


535 


rung  der  Schlitzstoffe  im  Blut,  je  artverwandter  es  den  im  Erkrankten 
befindlichen  Tuberkelbazillus  ist.  Vortr.  bereitet  deshalb  für  alle 
Patienten,  wo  dies  möglich  ist,  ein  eigenes  Tuberkulin  (Antituberkulin) 
aus  ihren  eigenen  Bazillen.  Wo  dies  unmöglich,  verwendet  er  mit 
Erfolg  Mischtuberkuline,  welche  möglichst  viele  artverschiedene  mensch¬ 
liche  Tuberkelbazillenstämme  enthalten. 

Wolf f-Eisn er -Berlin  spricht  über  ,,die  Prognosestellung  bei  der 
Lungentuberkulose  mit  Berücksichtigung  der  Beziehungen  zur  Balneo¬ 
logie“.  Vortr.  betont,  daß  die  Entdeckungen  der  letzten  Zeit,  die 
Kutan-  und  die  Konjuktivalreaktion,  zu  einer  Umwertung  vieler  Be¬ 
griffe  der  Tuberkuloseforschung  geführt  haben.  Der  Konjunktival- 
reaktion  legt  er  eine  große  Bedeutung  bei,  da  sie  schon  das  frühe 
Stadium  der  Tuberkulose  sichere.  Vor  allem  könne  man  damit  die 
Kollapsatelektase  von  der  Tuberkulose  differenzieren.  Schäden  ent¬ 
stehen  durch  die  Beaktion  nicht.  Die  diagnostische  Bedeutung  der 
lokalen  Beaktion  steht  auf  der  gleichen  Stufe  wie  die  prognostische. 
Alle  früheren  prognostischen  Behelfe  haben  versagt ;  mit  der  Bestim¬ 
mung  der  Tuberkulinempfindlichkeit  und  deren  kurvenmäßiger  Auf¬ 
zeichnung  erhalten  wir  einen  objektiven  Maßstab,  um  die  Widerstands¬ 
fähigkeit-  festzusetzen  und  die  Indikationen  für  die  Balneotherapie 
zu  wählen.  Patienten  mit  Dauerreaktion  wird  man  ins  Hochgebirge 
senden,  evtl,  auch  die  Patienten  mit  kräftiger  Normalreaktion.  Nicht 
mehr  reagierende  Phthisiker  soll  man  möglichst  nicht  mehr  fortschicken. 
Aus  der  Diskussion  sei  her  vor  gehoben,  daß  Br  ieger- Berlin  betonte, 
die  Tuberkulinbehandlung  sei  eine  sehr  eingreifende  Prozedur.  Sie 
dürfe  nur1  an  solchen  Leuten  vorgenommen  werden,  welche  noch  eine 
kräftige  Konstitution  besitzen.  Im  anderen  Falle  müßte  das  Bestreben 
der  Therapie  darauf  gerichtet  sein,  zunächst  eine  Kräftigung  der  Kon¬ 
stitution  vorzunehmen,  dann  erst  dürfe  mit  der  Tuberkulinbehandlung 
begonnen  werden. 

Schreiber- Königsberg  behandelte  das  Thema  „Über  flüchtige 
Albuminurie“.  Die  Albuminurien,  von  denen  Vortr.  spricht,  treten  sonst 
essentiell  auf,  sind  aber  außerordentlich  flüchtiger  Natur.  Sie  wurden 
in  einem  Falle  hervorgerufen  durch  Abdominalpalpation  bei  weichen 
Bauchdecken  im  mittleren  Teil  des  Epimesogas triums.  Auch  bei  Gesunden 
konnte  durch  diese  Prozedur  flüchtige  Albuminurie  erzeugt  werden. 
Dabei  handelt  es  sich  nicht  um  Stauung  infolge  von  Druck  auf  die 
großen  Abdominalgefäße,  sondern  um  Zirkulationsstörungen  in  der 
Niere.  Die  Methode  der  abdominellen  palpatorischen  Albuminurie  ist 
sehr  geeignet,  den  Zusammenhang  zwischen  Gefäßsystem  und  Albu¬ 
minurie  näher  zu  studieren. 

An  diesen  Vortrag  schloß  sich  eine  sehr  lebhafte  Diskussion  an, 
in  der  Brieger  erwähnte,  daß  bei  Versuchen,  die  er  in  Gemeinschaft 
mit  Ehrlich  vor  langer  Zeit  angestellt  hatte,  die  Kompression  der 
Aorta  vorübergehende  Albuminurie  erzeugt  hätte.  Die  Höhe  des  Blut¬ 
drucks  hätte  veranlaßt,  Nephritiker  möglichst  wenig  trinken  zu  lassen, 
und  doch  hätte  die  ausgiebige  Milchdiät  gute  Erfolge  erzielt.  Aus 
diesem  Grunde  empfiehlt  Brieger,  die  Einschränkung  der  Flüssigkeits¬ 
zufuhr  bei  Nierenkranken  fallen  zu  lassen. 

Pariser- Homburg  weist  darauf  hin,  daß,  wenn  ein  so  leichter 
Druck,  wie  ihn  Schreiber  angibt,  schon  Albuminurien  hervorruft, 
man  mit  Massagen  und  Duschen  aufs  Abdomen  sehr  vorsichtig  sein 
sollte. 


536 


Max  Hirsch, 


Löwen t h a .1- Braunschweig  sprach  über  ,, Kritisches  zur  physi¬ 
kalischen  Therapie“.  Vor  allem  tadelt  Vortr.  die  übertriebenen  unkri¬ 
tischen  Temperaturangaben  bei  Verwendung  von  Heißluftapparaten. 
Er  weist  nach,  daß  auf  die  Haut  tatsächlich  nur  Temperaturen  bis 
zu  46  Grad,  höchstens  48  Grad  C  ein  wirken  dürfen,  wenn  Verbrennungen 
ausbleiben  sollen.  Bezüglich  der  Elektrotherapie  warnt  Vortr.  vor  der 
unkritischen  Betonung  des  suggestiven  Faktors  und  zeigt,  wie  man  im 
Einzelfalle  die  Suggestion  als  Fehlerquelle  ausschalten  kann.  —  Schlie߬ 
lich  weist  Vortr.  auf  die  wissenschaftlichen  und  wirtschaftlichen  Ge¬ 
fahren  hin,  welche  der  physikalischen  Therapie  von  der  Überflutung 
mit  neuen,  rein  technisch  erdachten  Apparaten  erwachsen. 

Laqueur- Berlin  teilt  seine  Erfahrungen  mit  ,, neuen  Methoden 
der  maschinellen  Atmungsgymnastik“  mit.  Vortr.  demonstriert  zu¬ 
nächst  den  Boghean’schen  Atmungsstuhl,  der  im  Prinzip  im  wesent¬ 
lichen  darauf  beruht,  daß  bei  einem  in  einen  Lehnstuhl  sitzenden 
Patienten  durch  zwei  Pelotten  die  unteren  Partien  des  Brustkorbes 
rhythmisch  während  der  Ausatmung  komprimiert  werden.  Der  Apparat 
wird  elektrisch  betrieben  und  erlaubt  eine  genaue  Dosierung  der  Fre¬ 
quenz  und  der  Stärke  der  Kompressionen.  Ferner  demonstrierte  er 
einen  von  Hofbauer  angegebenen  Apparat,  der  auf  dem  Prinzip  beruht, 
durch  Verlängerung  der  Exspirationsphase  und  Kompression  der  Bauch¬ 
decken  den  Kranken  daran  zu  gewöhnen,  die  Ausatmungen  zu  verlängern 
und  zu  verstärken.  Schließlich  erinnert  Vortr.  noch  an  die  Strümpeil¬ 
sehe  Behandlung  des  Asthmas  mit  Glühlichtbädern.  In  der  Diskussion 
spricht  sich  Senator-Berlin  für  die  ganzen  maschinellen  Atmungs¬ 
apparate  aus  und  empfiehlt  auch  die  Kuhn’sche  Saugmaske. 

Günzel- Soden  bespricht  „eine  neue  Behandlung  \7on  Bronchial¬ 
asthma“.  Er  empfiehlt  in  jedem  Falle  von  Asthma,  wenn  bestimmte 
Grundkrankheiten  ausgeschlossen  sind,  die  Elektrisierung  der  Atmungs¬ 
nerven  mittels  hochfrequentem,  unterbrochenem  Gleichstrom,  welcher 
anästhesierende  Wirkungen  ausübt  und  in  wenigen  Minuten  erhebliche 
Erleichterung  in  der  gepreßten  Atmung  schafft,  die  Expektorationen 
stark  befördert  und  bei  mehrmaligen  Wiederholungen  oft  dauernden 
Nachlaß  des  Asthmas  erringt.  Die  positive  Elektrode  setzt  er  auf 
das  rechte  Halsdreieck  oder  führt  sie  in  das  Naseninnere  ein.  Zu  diesem 
Zwecke  hat  Vortragender  einen  sinnreichen  Apparat  konstruiert,  den 
er  demonstriert. 

Fisch- Franzensbad  spricht  über  „künstliche  Atmungs-  und  Herz¬ 
regulation“.  Vortr.  ist  der  Ansicht,  daß  jedes  Verfahren  für  künstliche 
Atmung  eine  möglichst  reichliche  Lungenventilation  gestatten  und  zu¬ 
gleich  eine  möglichst  große  Wirkung  ausüben  muß.  Dabei  muß  es  aber 
einfach  und  für  jedermann  leicht  erlernbar  sein.  Allen  diesen  Indi¬ 
kationen  genügt  das  vom  Vortragenden  ausgearbeitete  Verfahren  der 
mechanischen  Herzregulation,  welche  eine  vertiefte  Expiration  schafft 
und  auch  aktive  Inspirationen  ausführen  läßt.  Dabei  wird  auch  das 
Zwerchfell  mit  beeinflußt,  und  durch  das  mehr  oder  weniger  starke 
Tiefertreten  des  Zwerchfells  erfolgt  eine  inspiratorische  Erweiterung  des 
Brustraums.  Vortr.  demonstriert  den  Herzregulator,  den  er  konstruiert 
hat  und  empfiehlt  ihn  nachdrücklich  für  Verunglückte  und  Kranke. 

Lenne -Neuenahr  macht  einige  „Mitteilungen  aus  der  Praxis“, 
aus  denen  hervorgehoben  sei,  daß  er  gegen  Nephritis  in  manchen  Fällen 
die  Röntgenbehandlung  empfiehlt,  ferner  unterzieht  er  das  Präparat 
Diabeteserin  einer  Kritik.  Er  glaubt,  daß  die  Diät,  die  dabei  nebenher 


Der  30.  Balneologenkongreß  in  Berlin. 


537 


verordnet  wird,  das  maßgebende  sei.  Schließlich  demonstriert  er  zwei 
Gallensteine,  die  einer  Patientin  in  Neuenahr  abgegangen  sind. 

O.  Mül  ler -Tübingen  spricht  über  „die  Kreislauf  Wirkung  kalter 
und  warmer  Wasseraplikationen  sowie  verschiedener  Medizinalbäder“. 
Bei  Bädern  unterhalb  des  sogenannten  Indifferenzpunktes  (34°  C)  ziehen 
sich  die  Gefäße  der  Körperperipherie  zusammen,  die  des  Körperinnern 
(speziell  Darm  und  Gehirn)  erweitern  sich,  der  Blutdruck  steigt.  Die 
Schlagfolge  des  Herzens  wird  verlangsamt,  die  geförderte  Blutmenge 
(Schlagvolumen)  wird  nicht  nennenswert  verändert.  Bei  Bädern  ober¬ 
halb  des  Indifferenzpunktes  bis  hinauf  zu  etwa  39°  C  erweitern  sich  die 
Gefäße  der  Körperperipherie,  die  des  Körperinnern  verengen  sich ;  der 
Blutdruck  sinkt,  die  Schlagfolge  des  Herzens  wird  vermehrt,  die  ge¬ 
förderte  Blutmenge  ebenfalls  nicht  verändert.  Bei  Bädern  von  mehr 
als  39°  C  wird  das  Schlagvolumen  sehr  stark  gesteigert,  so  daß  trotz 
der  Gefäßerweiterung  in  der  Körperperipherie  der  Blutdruck  wächst. 
Ebenso  wie  die  heißen  Wasserbäder  wirken  die  Schwitzbäder  wie  Sand-, 
Heißluft-,  Dampf-  und  elektrische  Glühlichtbäder.  Alle  bewegten  Bade¬ 
formen,  wie  Wellenbäder,  Halbbäder  und  Duschen  wirken  qualitativ 
wie  die  unbewegten  Bäder  gleicher  Temperatur,  nur  entsprechend  dem 
starken  mechanischen  Effekt  kräftiger.  Kalte  Bäder  stellen  mithin 
große  Ansprüche  an  die  Gefäße,  heiße  Bäder  an  das  Herz.  Bei  kohlen¬ 
sauren  und  hydroelektrischen  Bädern  tritt  eine  Vergrößerung  der  vom 
Herzen  gelieferten  Blutmenge  ein.  Die  Stromgeschwindigkeit  in  den 
großen  Blutgefäßen  steigt.  Dabei  kommt  eine  Umschaltung  der  Blut¬ 
verteilung  in  der  Art  zustande,  daß  bei  kühlen  Bädern  dieser  Art  die 
peripheren  Gefäße  sich  verengen,  die  zentralen  sich  erweitern  und  daß 
der  Blutdruck  steigt.  Bei  entsprechenden  warmen  Bädern  aber  er¬ 
weitern  sich  die  peripheren,  während  sich  die  zentralen  verengen  und 
der  Blutdruck  sinkt.  Kühle,  kohlensaure  resp.  hydroelektrische  Bäder 
üben  also  das  Herz  durch  Vermehrung,  warme  schonen  es  durch  Ver¬ 
minderung  der  Widerstände  im  Gefäßsystem.  Bei  empfindlichen  Kranken 
wird  man  demgemäß  mit  warmen  Bädern  beginnen  und  nur  sehr  vor¬ 
sichtig  zu  kühlen  übergehen. 

Jacob-Kudowa  bespricht  die  Frage  „Welches  sind  die  erwiesenen 
Vorgänge  der  Zirkulation  beim  Gebrauch  von  Bädern,  die  zur  Besti- 
tution  des  geschwächten  Herzens  führen  ?“  Die  Untersuchungsmethode, 
deren  er  sich  zuerst  bediente,  ist  die  gewesen,  den  Thermometer  in 
eine  zentrale  und  zugleich  periphere  Stelle  des  Körpers  zu  bringen. 
Als  letztere  wählte  er  die  geschlossenen  Finger  oder  Hände.  Dabei 
stellte  er  fest,  daß  im  kohlensauren  Bade  die  Innentemperatur  sinkt 
und  die  Außentemperatur  steigt.  Die  intensive  Böte  der  Haut  sprach 
dafür,  daß  der  Hautblutstrom  beschleunigt  war.  Um  den  Aortendruck 
und  das  Arterienvolumen  zugleich  messen  zu  können,  verwendete  er 
das  Sphygmomanometer  von  Basch.  Er  ermittelte  dadurch,  daß  das 
kohlensaure  Bad  zwar  zeitweise  eine  Verengerung  der  Badialis,  aber 
weit  überwiegend  eine  Erweiterung  bewirkt. 

Aus  seinen  Untersuchungen  ergab  sich,  daß  das  kohlensaure  Bad 
in  den  Bahmen  der  Schonungstherapie  fällt. 

Gr äupner-Nauheim  sprach  „Über  die  Möglichkeit,  die  Druck¬ 
kraft  des  Herzmuskels,  die  Größe  des  Widerstand  im  Gefäßsystem  und 
die  Geschwindigkeit  zu  bestimmen“.  Als  Grundforderung  der  Kreis¬ 
laufsphysiologie  stellt  er  die  auf,  beim  Menschen  die  Größe  der  Druck¬ 
kraft  des  Herzmuskels,  die  Größe  des  Widerstands  im  Gefäßsystem  und 


588 


Max  Hirsch, 


die  Geschwindigkeit  vermittels  der  Methoden  der  Druckmessung  zu 
bestimmen.  Die  Lösung  dieser  Aufgabe  bezeichnet  Hürthle  als  ein 
Problem.  Die  Portsetzung  der  Untersuchungen  des  Vortr.  zeigten, 
daß  entsprechend  den  Gräupn  er’ sehen  Blutdruckkurven  bei  Körper¬ 
arbeit  die  Größe  der  Amplitude  als  Punktion  von  Druckkraft  und 
Widerstand  sich  einstellt.  Auf  diese  Weise  sind  die  drei  Paktoren  der 
Zirkulationsarbeit  beim  Menschen  bestimmbar  und  das  Problem 
Hürthle’s  als  gelöst  zu  betrachten. 

Kisch  jr. -Marienbad  hat  das  Thema  gewählt  „Über  das  Ver¬ 
halten  des  Pulsdrucks  bei  Arteriosklerose“.  Verf.  kommt  auf  Grund 
seiner  Untersuchungen  zu  der  Schlußfolgerung,  daß  aus  der  Art  des 
Verhaltens  von  Puls-  und  Maximaldruck  bei  quantitativ  bestimmter 
Arbeitsleistung  ein  Maß  für  die  Größe  der  Reserveenergie  des  Herzens 
sowie  seiner  Leistungsfähigkeit  und  Funktionstüchtigkeit  gewonnen 
werden  kann.  Bei  Arier iosklerotikem  ist  die  Leistungsfähigkeit  des 
Herzens  um  so  größer,  je  größer  das  Arbeitsquantum  ist,  je  größer  die 
Maximal-  und  Pulsdruckzunahme  ist,  je  geringer  das  Minimum  des  Puls¬ 
drucks  während  der  Arbeitseinstellung  ist.  Der  Pulsdruck  mit  gleicher 
Berücksichtigung  des  Maximaldruckes  gibt  durch  seine  Werte  in  Ruhe¬ 
stellung,  verglichen  mit  denen  bei  dosierter  Arbeit,  ein  Maß  für  die 
Größe  des  Widerstandes,  der  entsprechenden  Druckkraft  des  Herzens 
sowie  für  die  Größe  der  Reserveenergie  und  den  Grad  der  Punktions¬ 
tätigkeit  des  Herzens. 

Selig-Franzensbad  sprach  „Über  den  Herzschmerz“.  Er  hebt  her¬ 
vor,  daß  die  proteusartige  Erscheinung  des  Herzschmerzes  dem  Kranken 
wie  dem  Arzt  große  Plagen  verursache,  am  meisten  das  Herzklopfen. 
Das  zweite  unangenehme  Symptom  ist  die  Herzangst,  die  bei  Angina 
pectoris  ihren  Höhepunkt  erreicht.  Auch  die  Unregelmäßigkeit  des 
Herzschlages  und  des  Aussetzens  der  Schlagfolge  führt  zu  unangenehmen 
Störungen.  Vielfach  wird  das  Herz  bei  Frauen  durch  Hängebrüste 
gedrückt ;  deshalb  empfiehlt  Verfasser  den  sogenannten  Mammaelevator, 
welcher  in  jedes  Korsett  eingelegt  werden  kann.  Häufig  wird  der  Herz¬ 
schmerz  verwechselt  mit  Knochenschmerz,  mit  Interkostalneuralgie,  mit 
Gefäßkrisen  usw.  Auch  der  Magendarmkanal  kann  oft  Veranlassung 
zu  Herzbeschwerden  geben,  namentlich  V erstopfung  und  Flatulenz.  Auch 
eine  mangelhafte  Suspension,  das  Wanderherz,  kann  zu  Beschwerden 
führen,  ebenso  das  Mißverhältnis  zwischen  Herzgröße  und  Thoraxweite. 

Siebelt-Plinsberg  machte  „Die  Lichttherapie  in  der  Hand  des 
praktischen  Arztes“  zum  Gegenstand  seines  Vortrages.  Ohne  die  Frage 
zu  entscheiden,  ob  die  elektrische  Glühlampe  im  wesentlichen  durch  ihre 
Lichtstrahlen  oder  durch  die  Wärmestrahlen  wirksam  ist,  tritt  Vortr. 
dafür  ein,  daß  dieselbe  mehr  als  bisher  in  der  Hand  des  Praktikers 
Verwendung  finden  möge.  Besonders  bewährt  sich  das  blaue  Licht  in 
der  Form  der  Minin’schen  Lampe.  Redner  sah  gute  Erfolge  bei  Ge¬ 
lenkergüssen,  rheumatisch -neuralgischen  Erkrankungen,  auch  bei  den 
quälenden  Kreuzschmerzen  der  Hämorrhoidarier.  Ebenso  sind  manche 
Hautkrankheiten  dankbare  Behandlungsgegenstände,  wenn  auch  z.  B. 
Psoriasis,  Sykosis  u.  a.  unbeeinflußt  waren.  Schließlich  wird  noch 
darauf  hingewiesen,  daß  gegenüber  den  Dermatosen  eine  Art  kataphore¬ 
tischer  Wirkung  im  Spiele  zu  sein  scheine. 

Schade-Kiel  spricht  über  „Colloidchemie  und  Balneologie“.  Zu¬ 
nächst  versucht  Vortragender  eine  Definition  des  Begriffs  Colloidchemie 
zu  geben,  die  allerdings  recht  schwer  ist.  Sodann  setzte  er  die  vielen 
Beziehungen  auseinander,  die  zwischen  der  modernen  physikalischen 


Der  30.  Balneologenkongreß  in  Berlin. 


539 


Chemie  und  der  Serumtherapie  besteht.  Vor  allem  sucht  er  nachzu¬ 
weisen,  daß  der  Einfluß  des  Colloid  auf  die  Vorgänge  des  Organismus 
namentlich  in  bezug  auf  die  Salze  von  großer  Bedeutung  sei.  Schlie߬ 
lich  spricht  er  die  Ansicht  aus,  daß  die  Colloidchemie  noch  große 
Ziele  vor  sich  hätte,  deren  Lösung  namentlich  für  die  Balneologie  von 
außerordentlichem  Interesse  wäre. 

Grube- Neuenahr  spricht  über  die  ,, chemischen  Korrelationen  im 
Organismus“.  Zunächst  zeigt  er,  wie  die  verschiedenen  Organe  des 
Körpers  in  ihren  chemischen  Funktionen  aufeinander  einwirken  und  sich 
gegenseitig  regulieren.  Außer  den  nervösen  Beziehungen,  welche 
zwischen  den  einzelnen  Organen  vorhanden  sind,  müssen  auch  chemische 
Beziehungen  vorhanden  sein  und  zwar  handelt  es  sich  dabei  um  Stoffe, 
welche  in  den  Organen  gebildet,  vom  Blutstrom  aufgenommen  und  zu 
dem  Ort  ihrer  Wirksam  beit  getragen  werden.  Diese  Stoffe  bezeichnet 
man  neuerdings  als  „Hormone“.  Diese  Hormone  teilt  Vortr.  in  drei 
Klassen  ein,  nämlich  1.  in  diejenigen,  welche  die  Verdauung  regulieren 
und  die  Beziehungen  zwischen  den  einzelnen  Teilen  des  Verdauungs- 
traktus  hersteilen ;  2.  in  diejenigen,  welche  den  Stoffwechsel  der  aus 
dem  Verdauungskanal  in  den  Körper  übergegangenen  Nährstoffe  be¬ 
einflussen  und  3.  in  diejenigen,  welche  die  Wachstums  Vorgänge  regu¬ 
lieren.  Zum  Schluß  spricht  Vortr.  eingehend  über  diejenigen  Hormone, 
welche  für  den  Kohlehydratstoffwechsel  von  größter  Wichtigkeit  sind. 

•  S.  Munter-Berlin  trägt  „Neuerungen  auf  dem  Gebiete  der  Heil¬ 
gymnastik  der  Nerven-,  Herz-  und  Stoffwechselkrankheiten“  vor.  Er 
unterscheidet  bei  der  Therapie  der  Nervenkrankheiten  eine  bahnende 
und  eine  kompensatorische  Übung,  je  nachdem  noch  Fasern  vorhanden 
sind  oder  nicht.  Beim  Rückenmarkschwindsüchtigen  geht  eine  größere 
Nervenarbeit  vor  sich  als  beim  normalen  Menschen,  weswegen  er  auch 
leichter  ermüdet.  Deswegen  hat  Vortr.  Apparate  konstruiert,  mit  deren 
Hilfe  er  die  Nervenarbeit  bei  den  Übungen  bedeutend  erleichtert,  in¬ 
dem  er  die  einzelnen  Bewegungen  zerlegt,  den  Übenden  unterstützt 
und  die  Bewegungen  nicht  übermäßig  stark  werden  läßt.  Die  Be¬ 
wegungen  werden  durch  Lichtsignale  kontrolliert.  Er  hält  die  Apparate 
auch  für  geeignet  für  die  Behandlung  von  Herzkrankheiten  im  Sinne 
von  Schott. 

Bi  ekel -Berlin  sprach  über  die  „biologische  Forschung  in  der 
Balneologie“,  die  in  den  letzten  Jahren  in  seinem  Institut  ausgiebige 
Verwendung  fand.  Vortr.  betont  die  Wichtigkeit  wissenschaftlicher 
Forschung  in  der  Balneologie  überhaupt  und  besonders  die  der  biolo¬ 
gischen  Prüfung.  Die  empirische  Therapie  müßte  durch  die  wissen¬ 
schaftlichen  Untersuchungen  aller  Art  rückwärts  verfolgt  und  begrün¬ 
det  werden.  Aber  auch  für  die  Indikationsstellung  für  die  einzelnen 
Mineralwässer  sei  die  biologische  Untersuchung  von  großer  Bedeutung. 
An  einer  Reihe  von  Beispielen  legt  Vortr.  dar,  welche  Vorteile  die 
Balneologie  von  der  biologischen  Forschung  gehabt  hat.  Diese  Bei¬ 
spiele  entnimmt  Vortr.  seinen  und  seiner  Schüler  Arbeiten.  Vor  allem 
zeigt  er,  wie  die  verschiedenen  Mineralwässer  auf  den  Magen-  und 
Darmkanal  einwirken,  wie  sie  die  Motilität  und  die  Sekretion  des 
Magens  und  Darms  beeinflussen.  Zum  Schlüsse  betont  V ortr.  noch  die 
Wichtigkeit  der  biologischen  Forschung  in  der  Balneologie  überhaupt; 
denn  in  der  Balneologie  habe  nicht  nur  die  krasse  Empirie  ein  Wort 
zu  reden,  sondern  vor  allem  auch  die  Klinik  und  namentlich  das  Ex¬ 
periment.  (Schluß  folgt.) 


540 


Vorläufige  Mitteilungen  und  Autoreferate. 


Vorläufige  Mitteilungen  u.  Äutoreferate. 

Ueber  chronische  Diarrhöen. 

Von  Dr.  Berger,  Spezialarzt  für  Verdauungskrankheiten  in  Magdeburg. 

(Vortrag,  gehalten  in  der  med.  Gesellschaft  zu  Magdeburg  am  25.  März  1909.) 

B.  gibt  einen  kurzen  Überblick  über  die  wichtigsten,  heutzutage 
herrschenden  Ansichten  über  Begriff  ünd  Wesen  des  Durchfalles.  Er 
selbst  stellt  sich,  gestützt  auf  eine  Reihe  eigener,  in  der  Hallenser 
Klinik  ausgeführten  Untersuchungen,  auf  den  von  Ad.  Schmidt  ein¬ 
genommenen  Standpunkt,  den  dieser  auf  dem  letzten  Baineologenkongreß 
im  März  d.  J.  in  Berlin  folgendermaßen  präzisiert  hat:  ,,Das  Wesen 
des  Durchfalles  ist  die  Absonderung  einer  fäulnisfähigen  Flüssigkeit 
durch  die  Darmwand....,  und  sie“,  —  d.  h.  also  diese  fäulnisfähige, 
eiweißhaltige  Flüssigkeit,  die  sich,  da  sie  unmittelbar  mit  den  Mikro¬ 
ben  des  Darmes  in  Berührung  kommt,  außerordentlich  schnell  zer¬ 
setzt,  —  „ist  es,  welche  die  gesteigerte  Peristaltik  auslöst.“ 

Vortragender  legt  eingehend  die  Wichtigkeit  der  Darreichung  der 
Schmid  t’schen  Probekost  bei  Darmerkrankungen  dar,  nicht  nur  im  dia¬ 
gnostischen,  sondern  auch  im  therapeutischen  Interesse  und  bespricht 
sodann  die  verschiedenartigen  Stuhlbefunde,  wie  sie  nach  Genuß  der 
Probekost  bei  Durchfällen  erhoben  werden  können,  indem  er  sich  dabei 
die  Schinidt’sche  Einteilung  in  a)  organische  und  b)  funktionelle  Stö¬ 
rungen  zu  eigen  macht,  und  bei  letzteren  wiederum  die  motorischen,  die 
Resorptions-  und  die  Sekretionsstörungen  voneinander  zu  trennen  sucht. 

Nicht  immer  gelingt  es,  an  der  Hand  der  Stuhluntersuchung  diese 
Trennung  der  einzelnen  Formen  vorzunehmen,  insbesondere  da  sie  häufig 
kombiniert  auftreten  und  durch  hinzugetretene  sekundäre  Katarrhe  die 
primäre  Störung'  mehr  oder  minder  zurücktritt. 

Gut  abzugrenzen  sind  in  der  Regel  die  Krankheitsbilder  der  sogen, 
gastrogenen  Diarrhöen,  der  Gärungsdyspepsie  resp.  -katarrhe  und  meist 
der  in  der  Umgebung  der  Ileocöcalklappe  ihren  Sitz  habenden  Darm¬ 
störungen. 

Zum  Schluß  fügt  B.  einige  therapeutische  Bemerkungen  hinzu, 
warnt  vor  der  indikationslosen  Anwendung  des  Opiums  und  macht  Mittei¬ 
lung  über  die  günstige  antiseptische  und  gärungshemmende  Wirkung  eines 
von  ihm  in  Gemeinschaft  mit  Dr.  Tsuchiya  aus  Tokio  in  der  Hallen¬ 
ser  Klinik  erprobten,  auf  Veranlassung  von  Prof.  Ad.  Schmidt  in  der 
chemischen  Fabrik  Helfenberg-Sachsen  hergestellten  Präparates  „Oxy- 
gar“,  eines  mit  Wasserstoffsuperoxyd  geladenen  feingeschnittenen  Agar- 
Agar.  Eine  ausführliche  Veröffentlichung  über  diese  Untersuchungen 
wird  demnächst  erfolgen.  Autoreferat.  1 


lieber  Anaphylaxie. 

Von  Dr.  Gottlieb  Salus. 

(Verein  deutscher  Arzte  in  Prag.  Sitzung  vom  2.  April  1909.) 

Anaphylaxie  und  Überempfindliohkeit  sollten  nicht  verwechselt 
werden ;  zur  ersteren  rechnet  -  S.  nur  diejenigen  Formen,  die  nie  in 
Immunität  ausgehen  und  besonders  jene,  bei  denen  das  Antigen  für 
un vorbehandelte  Tiere  unschädlich  ist.  Die  Überempfindlichkeit  gegen 
bakterielle  Toxine  gehört  nicht  hierher,  dort  handelt  es  sich  um  art- 
liche  oder  individuelle  Ausnahmen  von  der  regulär  eintretenden  Immuni- 


Zeit-  und  Streitfragen. 


541 


tat,  ebenso  ist  das  Mießmuschelgift  kein  Anaphylaxieantigen,  denn 
auch  da  folgt  Immunität  nach. 

Bei  Versuchen  mit  Pferdeserum  konnte  S.  die  Beobachtungen  von 
Otto,  daß  bloßes  Pferdeserum  in  kleinen  Dosen  injiziert,  Anaphylaxie 
erzeugt,  bestätigen  und  viel  intensivere  Resultate  bekommen,  wenn 
das  Intervall  auf  25 — 35  Tage  ausgedehnt  wurde,  was  sich  auch 
in  Versuchen  bei  Vorbehandlung  mit  Diphtherietoxin  -|- Pferdeserum 
bewährte.  Es  konnte  gezeigt  werden,  daß  die  intensiv  steigernde  Fähig¬ 
keit  des  bei  der  Vorbehandlung  verwendeten  Diphtherie  toxi  ns  nicht 
auf  der  Erregung  von  Antitoxin  beruht,  daß  sie  vielleicht  in 
einer  allgemeinen  Steigerung  sekretorischer  Funktionen  besteht,  da  das 
Toxin  durch  Salizylsäure  ersetzt  werden  konnte.  Die  Über¬ 
tragung  der  Anaphylaxie  gelang  im  Sinne  von  U.  Friedemann. 

Ein  neues  Antigen  wurde  im  Dottereiweiß  gefunden,  auch 
hier  wird  der  Effekt  durch  Zusatz  von  Diphtherietoxin  bei 
der  Vorbehandlung  gesteigert.  Aktives  Rinderserum  ist  als 
Antigen  ungeeignet,  es  ist  von  Haus  aus  giftig,  ruft  lokale 
Reizerscheinungen  hervor,  die  sich  bei  intraperitonealer  Injektion  selbst 
zu  tödlichen  —  bei  sterilem  Peritoneum  —  steigern  können ;  die  Rein¬ 
fektion  führt  nie  zu  Allgemeinerscheinungen.  Die  große  Aktivität  des 
Rinderserums,  die  sich  auch  sonst  zeigt,  ist  aus  chemischen  Differenzen 
vom  Pferdeserum  nicht  erklärlich.  Eigentümlich  ist  auch  die  Spezifi¬ 
tät  der  Anaphylaxie;  obwohl  stets  physiologisch  gleichartige 
Giftwirkungen  zu  beobachten  sind,  reagieren  die  Tiere  nur 
auf  das  zur  Vorbehandlung  verwendete  Eiweiß,  was  dafür 
spricht,  daß  sie  dadurch  spezifische,  fermentartige  Mittel 
erlangen,  diese  eine  Eiweißart  so.abzubauen,  daß  dabei  giftige 
Spaltprodukte  entstehen  (Fermentoldtheorie  des  Autors). 


Zeit-  und  Streitfragen. 

Die  hier  zum  Abdruck  kommenden  Artikel  geben  die  subjektive  Ansicht  des  Autors  wieder. 
—  Unsere  Leser  werden  gebeten,  zu  den  „Zeit-  und  Streitfragen“  sich  möglichst  zahlreich  zu  äußern. 
Diese  Einsendungen  werden  an  der  gleichen  Stelle  publiziert  und  die  Diskussion  durch  ein  Schlußwort 
des  Autors  beendigt.  _____  Die  Schriftleitung. 

Weitere  Stimmen  zur  „Obligatorischen  Serumtherapie.*) 

Ein  Sammelreferat  von  Dr.  Esch. 

Während  Bagin sky  und  andere  der  Ansicht  sind,  die  moderne 
Wissenschaft  habe  durch  die  Serumtherapie  erreicht,  daß  wir  die 
Diphtherie  als  eine  überwundene  Krankheit  bezeichnen  können,  betont 
Morgenroth  (Ther.  Monatsh.  1909,  Nr.  1)  die  noch  immer  recht  erheb¬ 
liche  Todesziffer  bei  diesem  Leiden.  Um  sie  herabzusetzen,  schlägt  er  die 
Anwendung  von  20 — 30000  Einheiten  (wie  in  England  u.  Dänemark)  als 
intravenöse  Seruminjektion  vor,  bei  der  raschere  Resorption  der  Anti¬ 
körper  erfolge,  während  sie  bei  der  subkutanen  Einverleibung  oft  erst 
nach  1 — 3  Tagen  (!)  beendet  sei.  (Die  bei  letzterer  trotzdem  so  vielfach 
berichteten  Heilerfolge  sprechen,  ebenso  wie  die  weiterhin  von  M.  her¬ 
vorgehobene  Tatsache,  daß  nach  den  Feststellungen  Madsens  zeit¬ 
weise  ein  ganz  geringwertiges,  30faches  Serum  ausgedehnte  therapeu¬ 
tische  Anwendung  gefunden  habe,  für  die  Richtigkeit  der  in  Nr.  29/08 
der  F.  d.  M.  ausgesprochenen  Vermutung,  daß  die  Serumerfolge  wesent¬ 
lich  aul  Fremdstoff  Wirkung  zurückzuführen  seien.  Ref.) 


*)  s.  Nr.  29  u.  Nr.  36,  1908. 


542 


Zeit-  und  Streitfragen. 


Auch  Uffenhei m e r  hat  s ich  mit  der  Frage,  weshalb  das 
Diphtherieserum  so  oft  versage,  ganz  speziell  beschäftigt,  jedoch 
konnte  er  trotz  eifrigen  Bemühens  und  zahlreicher  Experimente  keine 
Klarheit  darüber  gewinnen.  Er  vermutet  (Münch,  m.  W.,  Nr.  12),  daß 
unsere  Anschauungen  über  den  Heilwert  des  Serums  überhaupt  auf 
falscher  Grundlage  beruhen,  daß  vor  allem  keine  direkten  Beziehungen 
zwischen  dem  Antitoxingehalt  und  dem  Heilwert  des  Serums  bestehen. 
Ähnlich  Pfaundler  (Münch,  m.  W.,  Nr.  13,  S.  683)  und  Kraus  und 
.Schwoner  (Zentr.  f.  Bakt.  1908,  Nr.  1). 

Meissen  (Ztschr.  f.  Tbk.  Bd.  X,  H.  4  1908)  betont,  ähnlich  wie 
Kogenbach,  Gl  äse  r  usw.,  im  allgemeinen  die  Unzulänglichkeit  der 
Tierversuche,  die  bestenfalls,  wahrscheinlich  aber  auch,  nur  unter  manchen 
Einschränkungen  beweisen,  daß  man  durch  gleichzeitige  oder  vor¬ 
hergehende  „spezifische“  Behandlung  Tiere  gegen  künstliche  In¬ 
fektion  schützen  könne.  Darüber  aber,  ob  diese  Therapie  auch  bei  natür¬ 
lich  entstandener  Infektion  wirke,  sagen  sie  nichts  aus.  Man  gehe 
zu  sehr  von  der  Voraussetzung  aus,  daß  diese  Therapie  helfen  müsse  und 
daß  der  mangelhafte  Erfolg  nur  in  der  ungenügenden  Zusammensetzung 
und  Anwendung  begründet  sei  (vgl.  oben  Morgenroth’s  Forderung 
von  30000  Einheiten). 

„Es  muß  endlich  einmal  wieder  ausgesprochen  werden“  sagt  Kogen¬ 
bach  (Arzt  c.  Bakteriolog.,  S.  101  ff.),  „daß  nicht  der  ein  wissenschaft¬ 
licher  Arzt  ist,  der  den  Niederschlag  an  neuen  Formeln  und  Begriffen 
sich  frühzeitig  aneignet  und  alles  Neue,  eben  weil  es  neu  und  modern 
(vulgo  wissenschaftlich)  ist,  gleich  mit  mehr  oder  weniger  Kritik  in 
Anwendung  zieht,  sondern  daß  nur  derjenige  auf  den  Namen  eines 
wissenschaftlichen  Arztes  Anspruch  erheben  darf,  der  selbständig 
denkt  und  prüft,  der  durch  langjährige  sorgsame,  objektive  Beobachtung 
der  Lebensverhältnisse  des  gesunden  und  kranken  Körpers  die  Fähig¬ 
keit  erlangt  hat,  einen  wahren,  bleibenden,  objektiven  Maßstab  an 
alles  Neue  zu  legen  und  den  Kern  der  Dinge  nicht  mit  ihrer  äußeren 
Form  zu  verwechseln. 

Er  wird  also  all  den  schematischen  Behandlungsmethoden,  die 
nicht  bloß  bei  allen  Fällen  derselben  ’Krankheitsform,  sondern  womöglich 
bei  den  ätiologisch  und  klinisch  differentesten  Prozessen  auf  einem 
und  demselben  Wege  ein  sicheres  Heilresultat  herbeiführen  wollen, 
mit  größtem  Mißtrauen  gegenüberstehen. 

Martius  (V.  u.  K.  Mon.  09,  Nr.  4)  meint:  „Merkwürdigerweise 
herrscht  noch  so  vielfach,  selbst  in  den  sog.  exakten  Wissenschaften 
die  Vorstellung,  als  sei  ein  Mensch  dem  andern  im  Aufbau,  in  der 
Beschaffenheit  und  damit  in  der  Widerstandsfähigkeit  seiner  Zellen, 
Gewebe  und  Organe  völlig  gleichwertig.  Namentlich  in  der  Bakterio¬ 
logie  hat  diese  stille  Voraussetzung  viel  Unklarheit  geschaffen  und 
den  wissenschaftlichen  Fortschritt  gehemmt.“ 

„Neuerdings“  meint  Gläser  (Ketzerische  Briefe,  Allg.  med.  Zen- 
tralztg.  1905),  „erscheint  es  ziemlich  gleichgültig,  was  man  einspritzt, 
wofern  man  nur  einspritzt:  Serum  von  immunisierten  und  nicht  immuni¬ 
sierten  Tieren,  Saprophyten,  abgeschwächte  Kulturen  oder  Serum  der 
gleichen  oder  einer  anderen  Krankheit.“ 

Was  vollends  die  Absurditäten  betrifft,  zu  denen  die  allgemeine 
Durchführung  der  Serum-Immunisierung  und  -Behandlung  führen  würde, 
wenn  es  je  gelingen  sollte,  „für  die  lOOOerlei  verschiedenen  Krankheiten 
ebenso  viele  spezifische  Sera“  zu  finden,  so  sind  diese  Konsequenzen 


Referate  und  Besprechungen. 


543 


ja  bereits  von  C.  Frankel  (vgl.  Gläser,  Ztrlbl.  f.  Kinderheilk.  1900, 
Nr.  5  u.  6),  Bofinger  und  Groddeck  (Ärztl.  Stimmen  über  Behring, 
Stuttgart  1896)  usw.  treffend  ausgemalt  worden. 

Hier  sei  nur  noch  folgendes  hervorgehoben : 

Die  Behandlung  des  Menschen  mit  dem  künstlich  gewonnenen 
Serum  künstlich  krank  gemachter  Tiere  hat  ja  schon  im  allgemeinen 
für  den  Unbefangenen  unter  anderen  das  Bedenken,  daßi  sie  so  enorm 
von  allem  natürlichen  Geschehen  ab  weicht.  Besonders  aber  gilt  das 
von  der  passiven,  speziell  hier  also  von  der  Diphtherie-Immunisierung 
und  -Behandlung,  bei  der  „so  und  so  viel  Einheiten,  so  und  so  viel 
Kilogramm  Versuchstier  oder  -mensch  retten“.  „Seit  langem“,  sagt 
Pfaundler  a.  a.  0„  „lehnen  die  Kliniker  die  Anwendung  des  einfachen 
Toxin -Antitoxin-Neutralisierimgsschemas  ab  und  nehmen  die  Mitwirkung 
des  Organismus  und  seiner  Wehrkräfte  als  Mittler  des  Effekts  an. 
Metschnikoff  und  seine  Schule  haben  bekanntlich  die  Lehre  von 
der  rein  passiven  Immunisierung  stets  bekämpft.  Behufs  einschlägiger 
Erklärung  der  wohl  nicht  gänzlich  zu  leugnenden  Serumerfolge  sei 
wiederholt  auf  die  früher  besprochene  Leukozytose  hingewiesen,  zu 
deren  Herbeiführung  uns  ja  die  verschiedensten  Wege  offen  stehen.*) 

So  erzielte  z.  B.  Grawitz  (Ther.  Monatsh.  1908,  Nr.  12)  mittels 
heißer  Bäder  und  anderer  einschlägigen  Maßnahmen  bei  Diphtherie 
ohne  Serum  die  gleichen  Erfolge,  wie  sie  von  letzterem  berichtet  werden. 
„Bei  der  Hochflut  täglich  neu  erfundener  Sera“,  meint  er,  „ist 
es  dringend  nötig  zu  betonen^  wie  viel  eine  rationelle  Behand¬ 
lung  heute  auch  ohne  jene  Spezifika  leisten  kann.“ 


Referate  und  Besprechungen. 

Gynäkologie  und  Geburtshilfe. 

Über  Schwangerschaftstoxikosen. 

(Fellner,  Wien.  Monatsschr.  für  Geburtsh.  u.  Gyn.,  Bd.  29,  S.  22,  1909.) 

F.  versteht  unter  Schwangerschaftstoxikosen  Erkrankungen,  die  in  ge¬ 
wissem  Abhängigkeitsverhältnisse  zur  Schwangerschaft  an  sich  stehen  und 
die  Annahme  nahelegen,  daß  irgend  ein  Graviditätstoxin  die  Ursache  ab¬ 
gibt,  trotzdem  dessen  Nachweis  chemisch  noch  nicht  gelungen  ist.  Ver¬ 
schiedene  klinische  Symptome  der  Schwangerschaft  weisen  direkt  auf  eine 
Intoxikation  hin  z.  B.  die  Alterationen  der  Nerven  und  der  Psyche,  die 
Knochenveränderungen,  die  Blut-  und  Urinveränderung,  die  Hypertrophie 
der  entgiftenden  Blutdrüsen  (Thyreoidea,  Hypophyse)  usw.  Das  Wachstum 
der  antagonistischen  Drüsen  (Nebennieren)  in  der  Gravidität  faßt  F.  als 
Folge  der  Blutdrüsenhypertrophie  auf  und  erklärt  durch  dieses  Faktum  die  Blut¬ 
drucksteigerung  und  vielleicht  auch  die  Albuminurie  in  der  Schwangerschaft. 
Er  versucht,  den  Nachweis  zu  führen,  daß  sämtliche  spezifischen  Schwanger¬ 
schaftserkrankungen  nur  eine  Steigerung  der  physiologischen  Schwanger¬ 
schaftserscheinungen  seien.  Demnach  führt  er  als  Graviditätstoxikosen  auf: 
Neuritis,  Chorea,  Tetanie,  Graviditätspsychosen,  Epilepsie  (die  vorher  latent, 
erst  durch  die  Gravidität  manifest  wurde)  Ptyalismus,  Hyperemesis,  Ikterus- 

*)  *Es  genügt,  z.  B.  bei  Meerschweinchen,  große  Mengen  eiweißhaltiger  Stoffe, 
Eiweißlösungen,  sterile  Bouillon,  ja  u.  U.  sogar  physiol.  Na-CL-Lösung  in  die  Bauch¬ 
höhle  zu  spritzen,  um  sie  eine  nachfolgende,  für  Kontrolltiere  tötliche  Infektion 
mit  irgendeiner  (!)  virulenten  Kultur  überstehen  zu  lassen.  Dieser  Satz  erstreckt 
sich,  wie  nochmals  ausdrücklich  betont  sei,  nicht  etwa  nur  auf  eine  bestimmte 
Infektion,  sodern  ist  allgemeiner,  nicht  spezifischer  Art.“  (Sobernheim, 
Lehre  von  der  Immunität  in  Krehl-Marchand,  Allg.  Ätiol.,  S.  433.) 


544 


Referate  und  Besprechungen. 


gravidarum,  Eklampsie,  Osteomalacie.  Ätiologisch  weist  er  auf  den  Locus 
minoris  resistentiae,  die  Schwäche  der  Abfuhrorgane  hin,  glaubt  aber  der 
Annahme  einer  mangelhaften  Antitoxinbildung  oder  einer  pathologischen  Über¬ 
produktion  von  Schwangerschaftstoxinen  (vielleicht  in  den  periphereren  Pla¬ 
zentarzellen  gebildet)  nicht  entraten  zu  können.  Gerade  diese  letzte  Hypothese 
könnte  auch  zur  Erklärung  der  Wochenbe  ttstoxikosen  dienen,  falls  sich 
hierbei  Retention  von  Plazentarresten  findet.  Indem  E.  weiterhin  auf  Ana¬ 
logien  zwischen  pathologischen  Menstruations-  und  Schwangerschaftserschei¬ 
nungen  hinweist,  zieht  er  den  hypothetischen  Schluß,  daß  die  Ursache  der¬ 
artiger  Erkrankungen  durch  die  Insuffizienz  eines  innersekretorischen  Or¬ 
gans  gegeben  sei.  Bei  Berücksichtigung  des  Verhaltens  der  Menstruation 
bei  Erauen,  welche  an  einer  Graviditätstoxikose  litten,  glaubt  er  einen  Zu¬ 
sammenhang  zwischen  der  Erkrankung  und  Menstruationsanomalien  feststellen 
zu  können.  Frankenstein  (Köln). 


Nebennierentherapie  bei  unstillbarem  Schwangerschaftserbrechen. 

(Silvestri  u.  Zanfrognini.  Riv.  crit.  di  Clin,  med.,  Nr.  3,  1909.) 

In  der  medizinisch -chirurgischen  Gesellschaft  zu  Modena  berichteten 
Silvestri  und  Zanfrognini  über  je  einen  Fall  von  hartnäckigstem  Gra¬ 
viditätserbrechen,  die  durch  Darreichung  von  Nebennierensubstanz  geheilt 
wurden.  Während  Silvestri  2  Tabloids  täglich  des  Borr  ough-Wellcome- 
sehen  Präparats  gab,  mit  dem  Erfolg,  daß  nach  2  Tagen  das  Erbrechen 
völlig  geschwunden  war,  verabreichte  Zanfrognini  das  Paraganglin  Vassale, 
das  bekanntlich  nur  ein  Extrakt  der  Marksubstanz  darstellt,  und  erzielte 
damit  auch  binnen  wenigen  Tagen  Heilung.  M.  Kaufmann  (Mannheim). 


Die  geburtshilfliche  Narkose. 

(Hegar,  Freiburg.  Aus  „50  Jahre  Geburtshilfe“.  Ther.  der  Gegenw.,  Nr.  1,  1909.) 

„Nachdem  durch  Simpson  die  Anästhesierung  mit  Chloroform  ein¬ 
geführt  war,“  so  führt  Hegar  aus,  „wurde  das  Mittel  anfänglich  nicht  nur 
bei  Geburten,  die  Kunsthilfe  erheischten,  sondern  ziemlich  allgemein  auch 
bei  normalen  Niederkünften  angewandt,  ja  von  den  Frauen  verlangt.  Da 
man  bis  zum  Durchschneiden  nur  kleine  Dosen  brauchte,  so  war  die  Gefahr 
sehr  gering.  Allmählich  kam  der  Gebrauch  des  Mittels  aber  wieder  ab. 
Es  war  in  Mode  gekommen  und  kam  auch  wieder  heraus.  Ben  Akiba  hat 
aber  wieder  einmal  Recht  gehabt:  In  unserer  Zeit  spielt  das  Skopolamin¬ 
morphium  dieselbe  Rolle  wie  damals  das  Chloroform.  Die  Meinungen  darüber 
sind  sehr  geteilt.  Die  einen  loben  es,  während  die  anderen  es  ungünstig 
beurteilen.  Das  Chloroform  hat  jedenfalls  den  Vorzug,  daß  man  jederzeit 
sofort  abbrechen  kann.  Auch  ist  der  ungünstige  Einfluß  auf  das  Kind 
nicht  vorhanden,  den  das  Skopolamin  in  reichlichem  Maße  ausübt.“  Esch. 


Aus  der  königl.  Uiversitäts-Frauenklinik  in  Tübingen. 

Zur  Behandlung  der  Placenta  praevia. 

(Dr.  Aug.  Fiessler.  Münch,  med.  Wochenschr.,  Nr.  4,  1909.) 

Der  von  F.  gegebene  kurze  Überblick  über  die  bisherigen  Behandlungs¬ 
arten  der  Placenta  praevia  gipfeln  in  der  Empfehlung  des  extraperitonealen 
Kaiserschnittes  für  die  Behandlung  der  Placenta  praevia,  wofür  bekanntlich 
schon  sein  Chef  Seilheim  eingetreten  ist.  Hatte  die  Wendung  nach  Brax- 
ton-Hicks  in  der  Klinik  eine  mütterliche  Mortalität  von  10%,  in  der 
allgemeinen  Praxis  eine  solche  von  20%,  so  beträgt  nach  F.’s  eigener  Be¬ 
rechnung  die  mütterliche  Mortalität  nach  Metreuryse  nur  6,3%.  F.  tut 
dieses  ausgezeichnete  Resultat  mit  den  Worten  ab:  „die  Sterblichkeit  der 
Mütter  nach  Metreuryse  ist  also  nicht  höher  als  die  der  kombinierten  Wendung“. 


Referate  und  Besprechungen. 


545 


Es  läßt  sich  dann  allerdings  leichter  der  extraperitoneale  Kaiserschnitt  emp¬ 
fehlen,  der  in-  Tübingen  bisher  neunmal  ohne  Todesfall  der  Mutter  ausgeführt 
worden  ist.  Allerdings  gibt  F.  zu,  daß  diese  kleine,  glückliche  Zahl  noch 
kein  definitives  Urteil  gestatte.  Erhalten  blieben  in  den  neun  Fällen  sieben 
Kinder.  Bei  der  kombinierten  Wendung  beträgt  die  kindliche  Mortalität  etwa 
60%,  bei  der  Metreuryse  40%.  R.  Klien  (Leipzig). 


Aus  der  Universitäts-Frauenklinik  in  Kiel. 

Über  die  transperitoneale  Sectio  caesaria  mittels  unteren  (cervico- 

mesouterinen)  Längsschnittes. 

(J.  Pf annenstiel.  Deutsche  med.  Wochenschr.,  Nr.  40,  1908.) 

Das  Wichtigste  an  der  vorliegenden  Arbeit  dürfte  die  auf  Grund  einer 
kritischen  Durchsicht  der  bisher  publizierten  Fälle  scharf  ausgesprochene 
Warnung  sein,  infizierte  oder  auch  nur  wahrscheinlich  infizierte  Fälle 
dem  extraperitonealen  Kaiserschnitt  zu  unterwerfen.  Die  Resultate  sind  näm¬ 
lich,  wie  Pf.  nachweist,  durchaus  nicht  so  glänzende,  wie  man  wohl  ge¬ 
meinhin  denkt.  Von  17  verdächtigen  Fällen  starben  2  an  Peritonitis  bezw. 
Eklampsie  mit  beginnender  Peritonitis.  Von  7  Fällen  mit  übelriechendem 
Fruchtwasser  starb  1  lan  Peritonitis,  5  andere  machten  z.  T.  schwere  Wund¬ 
eiterungen  und  Fieber  durch.  Nimmt  man  diejenigen  Fälle,  die  vor  der 
Operation  sicher  gefiebert  hatten,  —  es  sind  das  nur  4  —  so  sind  2  ge¬ 
storben,  1  erkrankte  an  schwerer  Wundeiterung.  Von  den  bisher  angege¬ 
benen  Methoden  (Frank,  Veit-Fromme,  Seilheim)  wäre  die  von  Seil¬ 
heim  sog.  Operation  durch  die  Uterusbauchdeckenfistel  noch  am  ehesten 
für  unreine  Fälle  geeignet.  Alle  anderen  Methoden  garantieren  kein 
sicher  extraperitoneales  Operieren.  Aber  auch  die  großen  Weichteil¬ 
wunden  sind  nicht  unbedenklich,  was  Pf.  mit  Nachdruck  hervorhebt.  Zum 
mindesten  müßte  von  der  Drainage  dieser  Wunden  ausgiebigster  Gebrauch 
gemacht  werden.  Für  infilzierte  Fälle  wird  der  vorsichtige  Geburtshelfer 
auch  heute  noch  die  Perforation  auch  des  lebenden,  sowieso  meist  ernstlich 
gefährdeten  Kindes,  (auch  in  der  Klinik  auszuführen  haben.  Versuche  mit 
den  neuen  Methoden  des  Kaiserschnittes  sind  auf  jene  Fälle  zu  beschränken, 
welche  zwar  schon  lange  gekreißt  haben,  aber  ohne  nennenswerte  Krankheits¬ 
erscheinungen  bekommen  zu  haben,  welche  verschiedentlich  untersucht  wor¬ 
den  sind  inner-  oder  außerhalb  der  Anstalt,  oder  bei  denen  unschädliche 
aber  vergebliche  Entbindungsversuche  gemacht  worden  sind,  vorausgesetzt 
natürlich,  daß  das  Kind  lebt.  —  Ganz  anders  beurteilt  Pf.  den  Wert  der 
modernen  Kaiserschnittstechnik  für  „reine“  Fälle.  Hier  biete  der  Schnitt 
im  unteren  Bereich  des  Uterus  nur  Vorteile.  Pf.  setzt  dann  seine  Technik 
des  transperitonealen  Längsschnittes  in  Verbindung  mit  seinem  Faszienquer¬ 
schnitt  ausführlich  auseinander.  Der  Schnitt  hat  sich  im  allgemeinen  inner¬ 
halb  des  unteren  Uterinsegmentes  zu  halten.  Nur  in  der  Schwangerschaft 
muß  man  den  Schnitt  nach  unten  in  die  Zervix  hinein  verlängern ;  in  diesen 
Fällen  muß  auch  die  Blase  von  der  Zervix  abgelöst  werden,  was  sonst  nicht 
nötig  ist.  Dem  modernen  Kaiserschnitt  will  Pf.  ein  etwas  größeres  Indi¬ 
kationsbereich  zuweisen,  als  dem  bisherigen  klassischen  Kaiserschnitt,  doch 
solle  das  nicht  auf  Kosten  der  Hebosteotomie  geschehen.  Dieser  sollten 
nur  Fälle  mit  sehr  engen  Weichteilen  und  solche  entzogen  werden,  denen 
eine  längere  Bettruhe  schädlich  sein  würde.  Ferner  sei  der  transperitoneale 
Kaiserschnitt  indiziert  bei  gefahrdrohenden  Zuständen,  welche  die  sofortige 
Entleerung  des  Uterus  erheischen,  als  Ersatz  des  vaginalen  Kaiserschnittes, 
wenn  abnorme  Enge  und  Rigidität  der  Vagina  und  Zervix  oder  sonstige 
Schwerzugänglichkeit  der  Zervix  vorliegt  ;  endlich  bei  verschleppten  Quer¬ 
lagen  oder  sonst  drohender  Uterusruptur  bei  lebendem  Kinde. 

R.  Klien  (Leipzig). 


35 


546 


Referate  und  Besprechungen. 


Aus  der  königl.  Universitäts-Frauenklinik  in  Greifswald. 

Die  Retroflexio  uteri  in  der  allgemeinen  Praxis. 

(Prof.  Dr.  Max  Henkel.  Münch,  med.  Wochenschr.  Nr.  4,  1909.) 

Die  Stimmen  mehren  sich  wieder,  daß  die  Retroflexio  uteri,  auch 
wenn  sie  unkompliziert  ist,  doch  sehr  oft  ganz  bestimmte  Beschwerden  hervor¬ 
ruft.  Bei  der  Diagnose  ist  die  mobile  Retroflexio  scharf  von  der  fixierten 
zu  trennen.  Im  Laufe  der  Zeit  pflegen  auch  bei  der  mobilen  Retroflexio 
die  Beschwerden  nicht  auszubleiben.  (Sterilität,  Inkarzeration  eines  retro- 
flektriert  liegenden  Uterus.)  Kongenitale  bezw.  vir  gineile  Retroflexionen  ver¬ 
ursachen  meist  nur  dann  Beschwerden,  wenn  sie  mit  einem  gewissen  In¬ 
fantilismus  des  Organs  oder  mit  besonders  scharfer  Knickung  nach  hinten 
kombiniert  sind.  Hier  würde  man  durch  eine  Lagekorrektur  nichts  erreichen, 
hier  heißt  es  den  Gesamtorganismus  kräftigen.  —  Um  in  der  Praxis  über 
die  Bedeutung  des  gerade  vorliegenden  Falles  von  Retroflexio  ins  Klare  zu 
kommen,  empfiehlt  H.,  den  Uterus  aufzurichten  und  mittels  Ring  zu  fixieren, 
ohne  der  Pat.  etwas  davon  zu  sagen.  In  den  Fällen,  wo  sich  das  durchführen 
läßt,  wird  man  so  ein  durch  Suggestion  nicht  beeinflußtes  Urteil  über 
die  auf  die  Retroflexio  an  sich  zurückzuführenden  Beschwerden  erhalten. 
Um  sich  bez.  etwaiger  Verwachsungen  zu  orientieren,  dient  das  Ver¬ 
fahren  der  bimanuellen  Aufrichtung  nach  Schul tze  oder  mittels  der  Sonde. 
Letztere  ist  natürlich  bei  Verdacht  auf  Gravidität  und  bei  frischem  Zer- 
vixkatarrh  unzulässig,  ebenso  bei  entzündeten  Adnexen.  —  Therapeutisch 
möchte  H.  mit  Pessar,  und  zwar  dem  Breuß’schen,  nur  die  Fälle  von 
frisch  im  Wochenbett  entstandenen  Retroflexionen  behandelt  wissen;  ein 
Teil  dieser  Fälle  heilt  durch  Ringbehandlung,  andere  Fälle  dagegen 
nach  H.’s  Erfahrungen  nie!  diese  sind  sämtlich  nur  durch  Operation  zu 
heilen.  Für  die  mobilen  Retroflexionen  gilt  die  Alexander- Adam’sche 
Operation,  vorausgesetzt  daß  der  aufgerichtete  Uterus  normal  hoch  liegt, 
daß  nicht  gleichzeitig  ein  Descensus  uteri  vorliegt  und  daß  die  Parametrien 
und  Adnexe  frei  sind.  Sind  letztere  entzündet  oder  ist  der  Uterus  selbst 
erheblich  vergrößert  oder  fixiert,  so  kommt  nach  Lösung  der  Adhäsionen 
usw.  als  lagekorrigierende  Operation  nur  die  Ventrof  ixation  in  Frage, 
und  zwar  die  Olshausen’sche  nach  Pf annens tiel’schem  Querschnitt.  Als 
Fixationsfäden  benutzt  H.  bei  beiden  Operationen  Seide.  Für  die  mit 
stärkerem  Prolaps  komplizierten  Fälle  von  Retroflexio  empfiehlt  H.  im 
allgemeinen  die  Sekauta’sche  Operation  mit  gleichzeitiger  tubarer  Sterili¬ 
sation;  meist  handelt  es  sich  ja  um  Frauen,  die  keinen  weiteren  Kindersegen 
mehr  brauchen.  —  Aus  dem  Gesagten  geht  hervor,  daß  in  der  Therapie  der 
Retroflexion  vieles  einfacher  und  dadurch  besser  geworden  ist;  vor  allem 
fallen  die  oft  nicht  befriedigenden  vaginalen  Eingriffe  fast  ganz  fort. 

R.  Klien  (Leipzig). 


Aus  der  Kieler  Frauenklinik. 

Eine  Nebennierengeschwulst  der  Vulva  als  einzige  Metastase  eines 
malignen  Nebennierentumors  der  linken  Seite. 

(E.  Gräfenberg.  Virchows  Archiv  für  pathol.  Anatomie,  Bd.  194,  S.  17,  1908.) 

Bei  einer  65  j ähr.  Frau  wurde  ein  gTobknolliger,  braunschwarzer,  pilz¬ 
förmiger  Tumor  entfernt,  der  der  Klitoris  und  Urethralmündung  links  auf- 
saß  und  auf  die  ganze  linke  kleine  Schamlippe  Übergriff,  in  einer  Größe  von 
etwa  41/2— 5  cm.  Die  mittleren  Teile  und  der  Stiel  bestanden  aus  hellgelbem 
Gewebe  mit  Fetteinlagerungen  und  waren  oben  von  einem  breiten  Saum 
schwarzgrauen  Gewebes  überlagert.  Die  oberflächlichen  Abschnitte  waren 
nekrotisch.  Mikroskopisch  bestand  das  Geschwulstgewebe  der  mittleren  Teile 
aus  hellen  protoplasmareichen,  fett-  und  glykogenhaltigen  Zellen,  die  sehr 
an  die  Elemente  der  Nebennierenrinde  erinnerten.  Die  schwarze  Färbung  der 
Peripherie  der  Geschwulst  war  durch  Einlagerung  grobkörniger,  amorpher 
Pigmentschollen  im  intervaskulären  Gewebe  bedingt,  die  keine  Eisenreak- 


Referate  und  Besprechungen. 


547 


tion  gaben.  Bei  der  Sektion  fand  sich  ein  etwa  kindskopfgroßer  suprarenaler 
Tumor  der  linken  Niere,  der  sonst  im  Körper  Metastasen  nicht  gemacht  hatte. 

Verf.  hält  sich  für  berechtigt,  den  Vulvatumor  nicht  als  ein  primäres 
Melanosarkom  der  Vulva,  sondern  als  eine  auf  dem  Wege  der  retrograden 
Embolie  entstandene  Metastase  dieses  Nierentumors  zu  deuten,  trotz  des 
Pigmentgehaltes  des  Scheidentumors.  W.  Risel  (Zwickau). 


Untersuchungen  über  die  chemische  Zusammensetzung  der  Myome  und 

der  Uterusmuskulatur. 

1.  Teil.  Die  Eiweißkörper. 

(Birnbaum  u.  Thalheim.  Monatsschr.  für  Geburtsh.  u.  Gyn.,  Bd.  28,  S.  1908.) 

Von  der  Erwägung  ausgehend,  daß  der  Zusammenhang  von  Myom- 
und  Herzerscheinungen  auf  toxische  Produkte  der  Myome  zurückzuführen  sei, 
haben  die  Autoren  es  unternommen,  den  Chemismus  der  Myome  zu  studieren. 
Allerdings  ist  zunächst  noch  nicht  abzusehen,  ob  das  gesteckte  Ziel,  näm¬ 
lich  die  supponierten  Giftstoffe  zu  isolieren,  erreichbar  ist.  Auf  Grund 
mühsamer  Arbeiten,  bei  denen  Fehlerquellen  leider  nicht  völlig  auszuschalten 
sind,  gelang  es  B.  und  Th.  durch  Verarbeitung  von  operativ  gewonnenen 
Präparaten  festzustellen,  daß  in  den  Myomen  und  in  der  Uterusmuskulatur 
im  wesentlichen  sich  zwei  Eiweißkörper  finden,  ein  Globulin  in  geringerer, 
ein  Albumin  in  ziemlich  großer  Menge.  Das  von  Velichi  und  Vincent 
in  der  glatten  Muskulatur  gewisser  Tiere  nachgewiesene  Nukleoproteid  scheint 
in  den  Myomen  zu  fehlen.  Frankenstein  (Köln). 


Aus  der  Üniversitäts-Frauenklink  in  Graz. 

Histologische  Untersuchungen  über  atypisches  Plattenepithel  an  der 
Portio  und  an  der  Innenfläche  der  Cervix  uteri. 

Mit  1  Tafel  und  6  Textabbildungen. 

(Dr.  W.  Schauen  st  ein.  Arch.  für  Gyn.,  Bd.  85,  H.  3,  1908.) 

Heterotopes  Plattenepithel  an  der  Innenfläche  der  Zervix  ist  ein  ziem¬ 
lich  häufiger  Befund.  Sch.  beschreibt  sehr  eingehend  drei  Fälle,  in  welchen 
sich  aus  solchem  heterotopen  Plattenepithel  ein  Karzinom  entwickelt  hat, 
sowie  einen  Fall,  in  welchem  sich  zweifellos  die  ersten  Anfänge  zum  Karzinom 
finden.  Diese  bestehen  erstens  in  den  veränderten  Zellformen:  die  Zell¬ 
grenzen  sind  nicht  mehr  oder  nur  schwierig  wahrnehmbar,  die  Kerne  sind 
groß  und  unregelmäßig,  färben  sich  meist  stärker  als  normal ;  zahlreich  sind 
atypische  Kernteilungsfiguren.  Zweitens  ist  der  Zellreichtum  ein  ganz  ex¬ 
zessiver,  die  Schichtung  ist  keine  typische  mehr,  die  Basalzellen  sind  nicht 
mehr  parallel  gestellt,  das  Stratum  corneum  oft  nur  angedeutet.  Drittens 
dringt  dieses  atypische  Epithel  dort  in  die  Tiefe,  wo  es  den  geringsten 
Widerstand  findet,  d.  h.  in  die  Ausführungsgänge  der  Drüsen  und  in  diese 
selbst,  und  zwar  dringt  es  dort  gleich  in  breiten  Massen  vor,  mit  Durch¬ 
brechen  der  Drüsenwände.  —  Zur  Beurteilung  solcher  Fälle  gehört  viel 
Erfahrung.  R.  Klien  (Leipzig). 


Aus  der  königl.  Frauenklinik  und  dem  histologischen  Institut  der  Universität  München. 

Über  das  Bindegewebe  der  weiblichen  Geschlechtsorgane. 

3.  Die  Bindegewebsfasern  der  Schleimhaut  des  Uterus.  4.  Die  Bindegewebsfasern 
in  der  Schleimhaut  der  Scheide  und  des  Scheidenteils.  Mit  2  Tafeln. 

(Priv.-Doz.  Dr.  Karl  Hör  mann.  Arch.  für  Gyn.,  Bd.  86,  H.  2,  1908.) 

„1.  Die  Gebärmutterschleimhaut  enthält  ein  außerordentlich  reiches 
fibrilläres  Fasergerüst,  das  sich  mit  der  Bi  eis  ch  owsky’ sehen  Silberimpräg¬ 
nation  sowohl  am  fötalen  als  am  kindlichen  und  geschlechtsreif en  Uterus 
nachweisen  läßt. 


35* 


548 


Referate  und  Besprechungen. 


2.  Die  Fasern  dieses  Gerüstes  liegen  rein  interzellulär,  d.  h.  sie  hängen 
nirgends  mit  Zellen  irgend  welcher  Art  zusammen.  Sie  bilden  Netze,  in 
deren  Maschen  die  Stromazellen  liegen,  umstricken  diese  von  allen  Seiten. 

3.  Das  Fasergerüst  setzt  sich  also  aus  exoplastischen  Fibrillen  zu¬ 
sammen,  und  zwar  sind  diese  aus  dem  Ergebnis  von  Kontrollfärbungen  kolla- 
gener  Natur. 

4.  Streng  zu  unterscheiden  von  diesem  kollagenen  Netze  ist  ein  daneben 
in  der  Uterusschleimhaut  vorkommendes  zelluläres  Netz,  das  durch  anasto- 
mosierende  Protoplasmaausläufer  benachbarter  Zellen  gebildet  wird.  Beide 
Netze  sind  völlig  unabhängig  von  einander. 

5.  Das  interzelluläre  kollagene  Stützfasergerüst  ist  am  zartesten  und 
dichtesten  in  der  fötalen  und  kindlichen  Uterusschleimhaut,  im  geschlechts- 
reifen  Organ  wird  es  loser  und  weitmaschiger,  während  gleichzeitg  die  Dicke 
der  Fasern  zunimmt. 

6.  Unter  dem  Oberflächen-  und  Drüsenepithel  der  Uteruskörper-  und 
Zervixschleimhaut  erfährt  das  kollagene  Fasergerüst  eine  membranartige  Ver¬ 
dickung  zu  einer  innig  verfilzten  „Grenzfaserschicht“,  welche  identisch  ist 
mit  der  Basalmembran  (Membrana  propria)  der  Autoren.  Diese  ist  demnach 
kein  strukturloses,  homogenes  Gebilde,  sondern  löst  sich  bei  geeigneter  Methodik 
in  feinste  Fasern  auf. 

7.  Die  Schleimhaut  der  Zervix  ist  in  keinem  Entwicklungstadium  wesent¬ 
lich  faserreicher  als  die  des  Körpers. 

8.  Auch  in  der  Decidua  graviditatis  läßt  sich  zwischen  den  Zellen 
der  Kompakta  ein  zartes  kollagenes  Fasergerüst  darstellen,  in  dessen  ge¬ 
räumigen  Maschen  die  großen  Deziduazellen  liegen. 

9.  Die  Schleimhaut  der  Scheide  (und  des  Scheidenteils)  geschlechts¬ 

reifer  Individuen  läßt  nach  dem  verschiedenen  Bau  des  Stützfasergerüstes 
deutlich  zwei  Zonen  unterscheiden,  eine  schmale  Tunica  propria  mit  feiner 
netzförmiger  Faseranordnung  und  ein  breites  Stratum  submucosum  mit  paral¬ 
leler  grober  Faserung.“  R.  Klien  (Leipzig). 


Psychiatrie  und  Neurologie. 

Gegenwärtiger  Stand  des  Irrenwesens. 

(B res ler.  Psycli.-neurol.  Wochenschr.,  Nr.  31,  S.  253,  1908.) 

B.  hat  sich  die  Aufgabe  gestellt,  vorwiegend  über  diejenigen  in  den 
letzten  Jahren  gemachten  Fortschritte  der  Irrenpflege  zu  berichten,  welche 
ihre  Anbahnung  und  ihr  Gelingen  der  Humanität  zu  verdanken  haben. 

Es  ist  eine  herrliche  Errungenschaft  der  Humanität,  daß  die  Anstalten 
sich  das  Ideal  der  zwanglosen  Behandlung  gesetzt  haben,  und  daß  man  sich 
allenthalben  bemüht,  in  den  Anstaltseinrichtungen  diejenigen  Bedingungen 
zu  erfüllen,  welche  Voraussetzung  für  die  möglichste  Annäherung  an  dieses 
Ideal  sind. 

Den  gegenwärtigen  Standpunkt  in  dieser  Frage  präzisiert  B.  dahin, 
daß  die  aus  ernsten  ärztlichen  Erwägungen  heraus  geschehende  Anwendung 
des  Restraints  und  der  Isolierung  nicht  gegen  die  Humanität  verstößt,  daß 
sie  nicht  nur  der  Kritik  standhält,  sondern  in  manchen  Fällen  wissenschaftlich 
begründet  und  geboten  ist  (im  allgemeinen  einverstanden,  Ref.). 

Eine  der  Hauptvoraussetzungen  für  möglichst  wenigen  Gebrauch  von 
Zelle  und  Zwangsmitteln  ist,  wie  B.  mit  Recht  betont,  ein  gutes  und  gut 
ausgebildetes  Pflegepersonal;  es  ist  deswegen  erfreulich,  daß  die  Einführung 
des  systematischen  Unterrichts  bei  dem  Pflegepersonal  in  den  letzten  Jahren 
erfreuliche  Fortschritte  gemacht  hat.  (Leider  ist  die  Teilnahme  an  dem  Unter¬ 
richt  noch  nicht  überall  obligatorisch.  Ref.) 

Vorbildlich  ist,  was  in  dieser  Richtung  in  den  Anstalten  des  Seine- 
Departements  geschaffen  ist  (s.  Original).  —  Die  Verwendung  weiblichen 
Pflegepersonals  bei  männlichen  Geisteskranken  findet  immer  mehr  Anwendung. 
(England,  Amerika,  Rußland.) 


Referate  und  Besprechungen. 


549 


Bezüglich  der  Beköstigung  der .  Anstaltsinsassen  ist  es  erfreulich,  daß 
nach  dem  Vorbild  von  Ucht  springe  in  den  Anstalten  des  Königreichs 
Sachsen  im  Jahre  1904  durch  königl.  Verordnung  bestimmt  worden  ist,  daß 
die  Beköstigung  lediglich  nach  direktoriellem  Ermessen,  jedoch  unter  Bindung 
an  die  festgestellten  Etatsätze  pro  Kopf,  versuchsweise  zu  erfolgen  hat. 
Die  Berichte  über  den  Erfolg  dieser  Maßnahme  lauten  bis  jetzt  günstig. 
Auch  das  finanzielle  Ergebnis  der  neuen  Beköstigungsweise  ist  ein  günstiges 
gewesen. 

Ein  weiterer  Fortschritt  ist  die  zunehmende  Errichtung  von  besonderen 
Häusern  für  epidemische  Erkrankungen.  Besonders  Beachtenswertes  bieten 
darin  einige  Anstalten  in  den  Vereinigten  Staaten. 

Für  die  Zukunft  ergibt  sich  für  die  Irrenanstalten  eine  weitschauende 
Perspektive  für  eine  prophylaktische  Tätigkeit  und  für  umfangreiche  sanitäre 
Vorkehrungen,  auf  Grund  der  Entdeckung,  daß  der  Typhus  häufig  durch 
sog.  Bazillenträger  verbreitet  wird.  Wenn  die  Prophylaxe  eine  gründliche 
sein  soll,  müssen  die  Dejektionen  sämtlicher  Anstaltsinsassen  untersucht  wer¬ 
den.  (Kaum  durchführbar  in  großen  Anstalten,  um  so  weniger,  da  neuer¬ 
dings,  wie  B.  hervorhebt,  nachgewiesen  worden  ist,  daß  Personen  auch  nach 
überstandener  Ruhr  noch  jahrelang  Dysenteriebazillen  ausscheiden  können. 
Referent.) 

Dem  erneuten  Interesse  der  Irrenärzte  empfiehlt  B.  die  Frage  der 
Entlohnung  der  arbeitenden  Anstaltspfleglinge. 

Die  Weiterentwicklung  der  Familienpflege  macht  überall  zum  Teil 
recht  erfreuliche  Fortschritte,  neuerdings  in  Ungarn. 

Was  die  Verwahrung  der  geisteskranken  Verbrecher  anbetrifft,  so  drängt 
man  jetzt  auch  in  Deutschland  zur  Errichtung  besonderer  Häuser  für  ge¬ 
meingefährliche  Geisteskranke,  (namentlich  für  Berlin  ist  eine  größere  An¬ 
zahl  solcher  Häuser  dringend  notwendig ;  vor  allem  nimmt  die  Zahl  der 
rückfälligen  und  gemeingefährlichen  Alkoholiker  zu.  Diese  Patienten  kann 
man  nur  aui  einem  festen  Hause  zur  längeren  Abstinenz  zwingen.  Ref.) 

Was  die  Therapie  anbetrifft,  so  ist  B.  der  Ansicht,  daß  staatlich erseits  viel 
mehr  Geldmittel  als  bisher  zu  therapeutischen  Studien,  insbesondere  Stoff¬ 
wechsel,  Blut-  usw.  Untersuchungen  ausgeworfen  werden  sollten. 

Koenig  (Dalldorf). 


Die  Behandlung  der  Chorea. 

F  ortbildungsvortrag. 

(Prof.  Dr.  G.  Köster,  Leipzig.  Deutsche  med.  Wochensclir.,  Nr.  1,  1909.) 

Nach  kurzem  Überblick  über  die  verschiedenen  Choreaformen  geht 
Köster  auf  deren  Ätiologie  ein,  die  zum  größten  Teil  wenig  geklärt  ist. 
Bei  allen  kommt  sicher  die  neuropathische  Anlage  sehr  in  Frage.  Wenn 
man  eine  allgemein  gehaltene  Erklärung  geben  will,  so  kann  man  die  Chorea 
als  eine  Krampfneurose  mit  einem  verschieden  lokalisierten  Angriffspunkt  am 
Zentralnervensystem  und  einer  nicht  einheitlichen  Ätiologie  bezeichnen.  Am 
meisten  dürfte  wohl  die  Chorea  minor  in  ätiologischer  Beziehung  bekannt 
sein.  Nach  Wollenberg’s  Untersuchungen  steht  sie  sicher  mit  den  In¬ 
fektionskrankheiten,  speziell  mit  der  rheumatischen  Infektion  in  Zusammen¬ 
hang.  Zwar  ist  vielleicht  eine  Entstehung  durch  Schreck  nicht  ganz  aus¬ 
zuschließen,  wobei  es  sich  meistens  um  Individuen  mit  dauernd  unter  ab¬ 
normen  Stoffwechselbedingungen  stehendem  Nervensystem  handelt,  aber  auch 
in  diesen  Fällen  hat  oft  ein  Blick  in  die  Mundhöhle  irgend  eine  Infektion 
dokumentiert.  Über  die  Chorea  gravidarum,  die  Hun tig ton’sche,  die  senile 
und  die  symptomatische  herrscht  noch  große  Unklarheit  in  ätiologischer 
Hinsicht. 

Die  Therapie  kann  nach  alledem  nur  in  den  wenigsten  Fällen  eine 
kausale  sein.  Auch  bei  der  hysterischen  Form  der  Chorea  ist  die  anscheinend 


550 


Referate  und  Besprechungen. 


kausale  Therapie  (Behandlung  kariöser  Zähne,  Eingeweidewürmer,  Phimosen) 
in  Wirklichkeit  eine  Suggestivjbehandlung.  Ist  die  Pseudochorea  hysterica  sicher 
diagnostiziert,  so  leisten  tinctura  amara  oder  valeriana,  sowie  Elektrizität 
Vortreffliches;  ist  man  unsicher,  ob  nicht  doch  ein  Chorea  minor  besteht, 
so  versucht  man  am  besten  die  dabei  in  Frage  kommende  Therapie.  Eine 
kausale  Behandlung  ist  bei  der  Chorea  gravidarum  möglich,  sie  besteht  in 
Unterbrechung  der  Schwangerschaft;  doch  soll  dieses  Mittel  nur  in  den 
alleräußersten  Notfällen,  wie  bei  außerordentlicher  Zunahme  der  Unruhe 
und  Hinzutreten  einer  Psychose,  oder  bei  weiteren  Komplikationen,  wie  Herz¬ 
störungen,  Hyperemesis  und  dergl.  in  Anwendung  kommen.  Sonst  genügt 
man  sich  mit  Brompräparaten  höchstens  noch  Narkotizis. 

Sehr  günstig  liegen  die  Verhältnisse  bei  der  Chorea  minor.  Hier  können 
wirklich  gute  Resultate  erzielt  werden.  Salizylpräparate  nutzen  allerdings 
wider  Erwarten  nichts,  was  seinen  Grund  darin  haben  dürfte,  daß  die  Salizyl¬ 
säure  zwar  die  Kokken,  deren  Stoffwechselprodukte  ja  die  Chorea  hervor- 
rufen,  töten,  nicht  aber  die  bereits  eingetretene  Vergiftung  des  Nerven¬ 
systems  beseitigen  können.  Die  Bromsalze  in  Dosen  von  1 — 3  g  je  nach 
dem  Alter  des  Kindes  oder  Bromglidine  zu  0,5 — 1,5  beruhigen  in  ganz 
frischen  Fällen  die  Kranken  sehr,  desgleichen  reduzierte  Bromural  oder  Veronal- 
dosen  bei  mehrmonatlichem  Gebrauch.  Am  empfehlenswertesten  ist  das  Arsenik, 
am  besten  in  flüssiger  Form.  Zur  Vermeidung  von  Vergiftungen  verdünnt 
man  die  Lösung  entsprechend  dem  Alter  und  verschreibt  z.  B.  einem  7  jährigen 
Kinde  7  g  Sol.  Fowleri  auf  13  g  Wasser,  wovon  man  dreimal  täglich  fünf 
Tropfen  nehmen,  alle  drei  Tage  um  je  einen  Tropfen  steigen  und  in  gleicher 
Weise  wieder  herabgehen  läßt.  Das  Arsen  eignet  sich  in  allen  Stadien  der 
Krankheit  und  kann  monatelang  angewandt  werden.  Gelegentlich  unterbricht 
man  es  durch  ein  Eisenpräparat. 

Das  neuerdings  empfohlene  Atoxyl  hat  Köster  wegen  etwTaiger  /Ver¬ 
giftung  serscheinungen  (Atoxylerblindung)  nicht  angewandt  und  rät  es  nur 
mit  allergrößter  Vorsicht  zu  versuchen. 

Was  nun  die  äußeren  Mittel  betrifft,  so  sind  die  Ansichten  über  ihre 
Wirksamkeit  sehr  geteilt.  Elektrizität  empfiehlt  er  nicht,  glaubt  auch,  daß 
es  sich  bei  den  damit  erzielten  Erfolgen  vielleicht  doch  um  eine  Pseudochorea 
hysterica  gehandelt  hat.  Dagegen  sind  gymnastische  Übungen  dringend  anzu¬ 
raten,  befestigen  sie  doch  im  Gehirn  des  Kranken  die  verloren  gegangene 
Vorstellung  eines  normalen  Bewegungsablaufs.  Sie  müssen  aber  von  einem 
intelligenten  Turnlehrer  oder  Masseur  vorgenommen  werden,  keinesfalls  sind  die 
Kranken  etwa  einer  Turnklasse  gesunder  Kinder  einzufügen.  Auch  die  Massage 
ist  von  gutem  Erfolg,  am  besten  gleichzeitig  mit  den  gymnastischen  Übungen. 
Unentbehrlich  sind  ferner  hydrotherapeutische  Maßnahmen,  wie  Schwamm¬ 
bäder  von  35 — 40°  und  folgender  Bettruhe,  warme  Wannenbäder  von  30° 
in  der  Dauer  1/2 — 1  Stunde.  Kalte  Bäder,  Sol-  oder  Seebäder  sind  bei 
stürmisch  verlaufenden  und  frischen  Fällen  nicht  am  Platze. 

Viel  kommt  natürlich  auf  die  Hebung  des  Allgemeinbefindens  an,  han¬ 
delt  es  sich  doch  meist  um  blutarme  oder  an  allgemeiner  Erschöpfung  leidende 
Kinder.  Je  nach  der  Schwere  des  Falles  ist  Bettruhe  erforderlich  oder  es 
genügt  nur  Überwachung,  wenn  angängig,  schickt  man  die  Patienten  längere 
Zeit  ins  Gebirge,  in  ein  See-  oder  Solbad  oder  wenigstens  aufs  Land. 

Der  Schulbesuch  ist  gewöhnlich  zu  unterbrechen  oder  es  ist  wenigstens 
eine  Dispensation  von  allen  schriftlichen  Arbeiten  und  vom  Turnunterricht 
erforderlich. 

Etwaige  Komplikationen,  wie  Endokarditiden  oder  andere  Herzstörungen 
sind  dementsprechend  zu  behandeln.  Aus  alledem  ersieht  man,  daß  die 
häufigste  Form  der  Chorea,  die  Chorea  minor  am  besten  von  allen  zu 
behandeln  ist  und  eine  recht  günstige  Prognose  ergibt.  F.  Walther. 


Referate  und  Besprechungen. 


551 


Zur  pathologischen  Anatomie  der  Friedreich’schen  Ataxie. 

(Wladislaus  Müller.  Wiener  klm.  Rundschau,  Nr.  49 — 52,  1908.) 

Seitdem  Friedreich  (1863)  zuerst  auf  das  ihm  zu  Ehren  benannte 
Krankheitsbild  aufmerksam  gemacht  hat,  sind  über  200  klinische  und  patho¬ 
logisch-anatomische  Befunde  analoger  Fälle  veröffentlicht,  aber  trotzdem  sind 
auch  jetzt  die  Meinungen  über  die  Pathogenese  des  Leidens  geteilt.  Während 
Frieldreich  selbst  glaubte,  daß  die  Krankheit  in  einer  auf1  familiärer 
kongenitaler  Basis  beruhenden  Entwicklungshemmung  des 
Rückenmarks  beruhe,  haben  andere  Forscher  (Senator,  Pierre  Marie)  das 
Kleinhirn  als  den  primären  Sitz  der  Erkrankung  bezeichnet.  Neuere  Unter¬ 
suchungen  ließen  dann  erkennen,  daß  das  Rückenmark  wie  das  Kleinhirn 
mit  seinen  Adnexen  gleichzeitig  ergriffen  sein  kann  und  endlich  sind  auch 
Veränderungen  im  Großjhixn  festgestellt.  —  Der  Verf.  veröffentlicht  die 
ausführliche  Krankengeschichte  nebst  Sektionsprotokoll  einer  17jähr.  Patientin, 
bei  welcher  die  klinischen  Symptome  auf  eine  diffuse  Erkrankung  des  ganzen 
Zentralnervensystems  hinwiesen  und  der  Befund  post  mortem  diese  An¬ 
nahme  bestätigte:  Charakteristische  Degeneration  des  Rückenmarks  und  Ver¬ 
kleinerung  des  Großhirns  und  Kleinhirns.  —  Verf.  schließt  aus  seinem  Be¬ 
funde,  daß  man  unter  Friedreioher  Ataxie  eine  Krankheit  zu  verstehen 
habe,  die  sich  möglicherweise  auf  das  gesamte  Zentralnervensystem  er¬ 
streckt  und  je  nachdem  ein  besonderer  Abschnitt  betroffen  ist,  verschiedene 
klinische  Bilder  ergibt  (spinaler,  zerebellarer,  zerebraler  Typus). 

Steyerthal-Kleinen. 


Über  Tabes  in  den  ersten  Jahren  nach  der  Infektion. 

(Galewsky.  Med.  Klinik,  Nr.  8,  1908.) 

Während  im  allgemeinen  zwischen  dem  Zeitpunkt  der  Infektion  mit 
Lues  und  dem  Auftreten  von  tabischen  Erscheinungen  — -  daß  zwischen 
Tabes  und  Lues  ein  kausaler  Zusammenhang  überhaupt  besteht,  wird  von 
neurologischer  und  syphilidologischer  Seite  kaum  noch  bestritten  —  ein 
Intervall  von  5- — 15  Jahren  liegt,  teilt  Galewjsky  einige  selbst  beobachtete 
Fälle  mit,  in  denen  die  Erscheinungen  der  Tabes  der  luetischen  Erkrankung 
sehr  viel  früher  folgten  und  die  Tabes  sich  sozusagen  unter  den  Augen  des 
Beobachters  entwickelte.  Besonders  interessant  ist  der  erste  Fall,  in  welchem 
schon  im  ersten  Jahre  nach  der  Infektion,  noch  während-  des  Bestehens 
sekundär-syphilitischer  Erscheinungen  (Plaques,  Roseola,  Paronychien,  Papeln), 
sich  tabische  Symptome  bezw.  Anzeichen  von  Hirnlues  zeigten.  Bei  einem 
weiteren  Falle  zeigten  sich  die  ersten  tabischen  Erscheinungen  im  zweiten 
Jahre,  bei  einem  dritten  im  vierten;  bei  drei  anderen  Kranken  sind  sie  im 
vierten  bezw.  im  fünften  Jahre  nach  der  Infektion  zuerst  bemerkt  worden.  — 
Einen  Schluß  auf  den  Wert  der  Quecksilberbehandlung  für  die  Entstehung 
der  Tabes  lassen  die  Fälle  nicht  zu;  doch  bestätigt  auch  das  Material  G.’s  die 
Erfahrung  Neißer’s,  daß  die  Quecksilberbehandlung  allein  nicht  vor  dem 
Auftreten  der  Tabes  zu  schützen  vermag.  Fragt  man,  welche  Ursachen  anderer¬ 
seits  die  Entstehung  der  Tabes  begünstigen,  so  könnten  in  den  Fällen 
Gal  ewsky’s  herangezogen  werden:  familiäre  Disposition,  Alkoholismus,  dieser 
im  Verein  mit  körperlichen  Strapazen,  neurasthenische  Veranlagung,  geistige 
Überreizung,  ferner  ausschweifendes  Leben.  Eine  besondere  Bösartigkeit  der 
Lues  könnte  nur  für  den  ersten  Fall  angenommen  werden,  da  in  den  übrigen  die 
Lues  verhältnismäßig  gutartig  auftrat.  R.  Stüve  (Osnabrück). 


Ueber  multiple  Sklerose  nach  psychischem  Shock. 

Dr.  G.  W.  Wallbaum,  Berlin.  Deutsche  ined.  Wochenschr.,  Nr.  50,  1908.) 

Nach  der  bisherigen  Auffassung  führt  der  psychische  Shock  zu  einer 
funktionellen,  das  mechanische  Insult  zu  einer  organischen  Nervenerkrankung. 
Es  ist  nun  das  Verdienst  von  Leyden’s,  den  psychischen  Shock  als  ätiologisches 


552 


Referate  und  Besprechungen. 


Moment  auch  für  organische  Erkrankungen  festgestellt  zu  haben.  In  der 
Folgezeit  wurde  dieser  Shock  hin  und  wieder  für  die  Entstehung  der  mul¬ 
tiplen  Sklerose  verantwortlich  gemacht.  Wallbaum  berichtet  über  3  Kranke 
mit  multipler  Sklerose,  deren  Leiden  auf  einen  derartigen  psychischen  Shock, 
bestehend  in  einem  heftigen  Schreck,  zurückzuführen  ist.  Mit  Sicherheit 
ist  ein  Bestehen  der  Erkrankung  vor  dem  Unfall  auszuschließen.  Was  nun 
die  Erklärung  für  das  Entstehen  der  multiplen  Sklerose  anbetrifft,  so  scheint 
Wallbaum  die  in  der  Literatur  geäußerte  Anschauung  am  wahrscheinlich¬ 
sten  zu  sein,  nach  der  sie  auf  vaskulärem  Wege  zustande  kommt,  wobei  myeli- 
tische  Prozesse  als  Vorläufer  der  Erkrankung  aufzufassen  sein  dürften.  Das 
als  Vorbedingung  geforderte  prädisponierte  Nervensystem  findet  sich  gleich¬ 
falls  bei  den  3  Patienten.  F.  Walther. 


Aus  der  Kuranstalt  Neuwittelsbach  bei  München.  Sanatorium  für  Nerven-  lind 

innere  Krankheiten. 

Ueber  den  Verlust  der  Sehnenreflexe  bei  funktionellen  Nervenkrankheiten. 

(Hofrat  Dr.  R.  v.  Ho  esslin.  Münch,  med.  Wochensehr.,  Nr.  50,  1908.) 

Hoesslin  kann  aus  seiner  Anstalt  über  3  Kranke  berichten,  bei  denen 
das  Westpharsche  Phänomen  vorhanden  war,  ohne  daß  irgend  welche  ana¬ 
tomische  Erkrankung  nachzuweisen  war.  Bei  2  weiteren  Patienten  erscheint 
ihm  die  Beobachtungsdauer  noch  zu  kurz,  als  daß  er  sie  mit  dazurechnen 
könnte ;  hat  er  doch  bei  einem  anderen  Falle,  der  gleichfalls  als  einziges 
Symptom  das  Fehlen  der  Patellarreflexe  bot,  6  Wochen  darauf  eine  manifeste 
Tabes  konstatieren  können.  Außer  der  längeren  Beobachtungszeit  muß  man 
noch  auf  das  Vorhandensein  einer  Neuritis  oder  von  Zuständen  achten,  welche 
eine  Neuritis  im  Gefolge  haben  können,  wie  Diabetes,  Alkoholismus  u.  dgl. 
Auf  Grund  seiner  Beobachtungen,  sowie  in  der  Literatur  kommt  Hoesslin 
zu  dem  Ergebnis,  daß  die  Patellarreflexe  auch  bei  funktionellen  Erkrankungen 
fehlen  können,  und  zwar  1.  infolge  einer  angeborenen  Anomalie  der  Reflexe,  wobei 
luetische  Erkrankung  der  Eltern  in  Frage  kommt.  2.  infolge  schwerer  Er¬ 
schöpfungszustände  (Manie).  3.  in  selteneren  Fällen  von  Hysterie  und  Neur¬ 
asthenie.  Die  Reflexe  können  in  den  letzten  beiden  Punkten  nach  Ablauf 
der  Erkrankung  wiederkehren.  Wenn  demnach  das  Fehlen  der  Reflexe  auch 
noch  nicht  ausschlaggebend  für  die  Diagnose  eines  organischen  Nervenleidens 
ist,  so  rät  Hoesslin  wegen  des  überaus  seltenen  Vorkommens  der  angeführten 
Beobachtungen,  doch  bei  vorhandenem  Westpharschen  Phänomen  stets  an 
eine  organische  Erkrankung  und  an  die  Möglichkeit  der  Lues  bereditariä 
zu  denken.  Zum  Schluß  berichtet  er  über  den  noch  viel  selteneren  Fall  des 
Bestehens  der  Lichtstarre  der  Pupillen  bei  funktioneller  Erkrankung,  die 
er  bei  einem  Patienten  beobachten  konnte.  F.  Walther. 


Schlaflosigkeit  auf  syphilitischer  Basis. 

(E.  Scho ull.  Gazette  med.  de  Paris,  Nr.  26,  1908.) 

Nach  den  Beobachtungen  von  Schoull  ist  häufiger  als  man  denkt 
die  Schlaflosigkeit  durch  früher  überstandene  Lues  bedingt;  dieselbe  kann 
20  und  mehr  Jahre  zurückliegen.  Charakteristisch  ist  in  diesen  Fällen  eine 
Art  von  Periodizität,  so,  daß  Zeiten  mit  gutem  und  solche  mit  schlechtem 
Schlaf  abwechseln.  Charakteristisch  ist  ferner,  daß  der  Schlaf  nicht  völlig 
ausbleibt,  sondern  daß  die  Betreffenden  regelmäßig  zu  einer  bestimmten 
Stunde  —  z.  B.  morgens  um  2  Uhr  —  aufwachen. 

Zumeist  führen  Arzt  wie  Patient  die  Insomnie  auf  Verdauungsstörungen, 
Neurasthenie,  Überarbeitung,  Alkohol,  Tabak,  Arteriosklerose  und  dergl.  zu¬ 
rück  ;  allein  die  Erfolglosigkeit  der  darauf  abzielenden  therapeutischen  Ver¬ 
suche  beweist  den  Irrtum  dieser  Ätiologie.  Dagegen  hilft  eine  spezifische 
Behandlung  sicher.  Buttersack  (Berlin). 


Referate  und  Besprechungen. 


553 


Deila  polineurite  sifilitica  primitiva  in  periodo  terziario. 

(Dott.  Cesare  Frugoni,  Firenze.  La  Rif.  med.,  Nr.  1,  1909.) 

Im  tertiären  Stadium  der  Lues  entwickelte  sich  bei  einem  Kellner  eine 
Polyneuritis  syphilitica  non  gummosa  mit  pseudotabischen  Symptomen. 
Sie  begann  mit  unregelmäßigem  Fieber,  Parästhesien  in  Armen  und  Beinen, 
Schmerz  im  linken  Plexus  brachialisi  und  gipfelte  in  einer  Amyotrophie  des 
linken  M.  deltoideus  und  Lähmung  des  linken  Armes.  Daneben  bestand 
Ataxie  der  unteren  Extremitäten ;  die  elektrische  Erregbarkeit  des  linken 
Nervus  axillaris  war  herabgesetzt,  die  Sehnenreflexe  der  unteren  Extremi¬ 
täten  fehlten.  Die  Hauptnervenplexen  waren  auf  Druck  empfindlich.  Sen¬ 
sible  Störungen  wurden  nicht  bemerkt.  Auf  energische  antisyphilitische 
Kur  trat  nach  mehreren  Monaten  Heilung  ein. 

Die  besondere  Lokalisation  auf  den  linken  Arm,  zumal  den  M.  deltoideus, 
wird  dadurch  erklärt,  daß  bei  dem  Kellnerberuf  der  linke  Arm  durch  seine 
besondere  muskuläre  Arbeit  einen  Locus  minoris  resistentiae  bildet.  Auf 
der  Handfläche  sind  bei  gebeugtem  Vorderarm  und  mäßig  gestrecktem  Oberarm 
größere  Lasten  zu  balancieren,  so  daß  u.  a.  auch  der  M.  deltoideus  besonders 
angestrengt  wird.  Fischer  Defoy  (Quedlinburg). 


Prognose  und  Behandlung  der  vasomotorisch-trophischen  Neurosen. 

(Cassirer.  Deutsche  med.  Wochenschr.,  Nov.  1908,  S.  1881.) 

Zu  den  vasomotorisch-trophischen  Neurosen  rechnet  0.  die  Akroparasthe- 
sien,  die  Raynaud’sche  Krankheit,  die  Erythromelalgie,  die  Sklerodermie 
und  Sklerodaktylie  und  das  flüchtige  Ödem  Quincke’s.  Es  handelt  sich  bei 
allen  um  funktionell  nervöse  Störungen.  Die  Art  des  Verlaufes  zeigt  die 
Neigung  zum  Auftreten  in  Anfällen. 

Die  Prognose  ist  für  die  große  Mehrzahl  der  Fälle  insofern  eine  günstige, 
als  ein  Übergang  in  ein  organisches  Leiden  nicht  vorkommt. 

Andererseits  kan,n  sich  das  Leiden  über  Jahre  und  Jahrzehnte  erstrecken. 
Die  Prognose  muß  vorsichtig  gestellt  werden,  da  die  Beziehungen  zu  den 
anderen  funktionellen  Psychosen  sehr  enge  sind.  Diese  Krankheitsbilder 
entstehen  auf  dem  Boden  der  hereditären  oder  erworbenen  neuropathischen 
Diathesei ;  alles  was  dieser  krankhaften  Anlage  entgegenwirkt,  wird  für  die 
Therapie  dieser  Neurosen  von  Bedeutung. 

C.  bespricht  des  weiteren  die  einzelnen  Formen  dieser  Neurosen.  Wir 
verweisen  auf  das  Original  und  wollen  hier  nur  auf  das  flüchtige  Ödem, 
die  am  wenigsten  bekannte  trophische  Neurose  eingehen.  Die  Prognose  in 
bezug  auf  die  Verhinderung  der  Wiederkehr  von  Anfällen  ist  eine  zweifel¬ 
hafte.  Im  übrigen  hat  das  Leiden  nur  bei  der  besonderen  Lokalisation  im 
Kehlkopf  in  einigen  wenigen  Fällen  zum  Tode  geführt. 

Die  Regelung  der  Diät  und  der  Darmtätigkeit  ist  von  besonderem  Wert, 
da  vielfache  Erfahrungen  darüber  vorliegen,  daß  zwischen  diesen  Faktoren 
und  der  Entstehung  flüchtiger  Ödeme  ursächliche  Zusammenhänge  obwalten. 
Chinin  ist  sehr  zu  empfehlen,  auch  Arsen.  Gelegentlich  bei  flüchtigem 
Larynxödem  kann  einmal  die  Tracheotomie  nötig  werden.  Das  die  An¬ 
schwellungen  begleitende  heftige  Jucken  erfordert  Pudern  mit  Salizylstreu- 
pulver  usw.  Die  in  der  Form  von  Brechanfällen  auftretenden  Symptome 
erfordern  die  Anwendung  von  Morphium.  Koenig  (Dalldorf). 


Ueber  ein  „Schutzbett“  für  erregte  Geisteskranke. 

(J.  K.  W alter.  Psych-neur.  Wochenschr.,  Bd.  29,  S.  237,  1908.) 

Verf.  beschreibt  seine  Erfahrungen,  welche  er  an  einem  von  Prof.  Woiff 
konstruierten  „Schutzbett“  gemacht  hat;  er  glaubt,  daß  dasselbe  einen 
wesentlichen  Nutzen  in  der  Behandlung  erregter  Geisteskranker  gewähren  kann. 

Auch  bei  vielen  nicht  im  eigentlichen  Sinne  motorisch  erregten  Kranken 
schafft  das  Schutzbett  eine  ganz  außerordentliche  Hilfe  und  Erleichterung 


554 


Referate  und  Besprechungen. 


(z.  B.  bei  Katatonikern  mit  negati  vis  tis  chen  Bestrebungen,  Patienten  in 
Dämmerzuständen).  Bei  diesen  wird  oft  nicht  nötig  sein,  das  Bett  völlig 
zu  schließen. 

Die  Erwartungen  des  Verf.  sind  nicht  getäuscht  worden,  sondern  es 
ergab  sich  in  praxi  noch  eine  andere  Indikation  für  das  Schutzbett.  Es 
hat  sich  gezeigt,  daß  dasselbe  auf  eine  Reihe  von  ängstlichen  Patienten 
(besonders  infolge  von  Halluzinationen)  beruhigend  wirkt,  weil  sie  sich  in 
demselben  geschützt  fühlen.  Das  Schutzbett  wurde  (seit  Erf.  acht  Schutz¬ 
betten  in  Gebrauch)  bei  72  Patienten  angewandt  (30  m.,42  w.)  bei  einem  durch¬ 
schnittlichen  Bestand  von  290  Kranken.  Die  Zahl  der  Einzelanwendungen  ist 
aber  erheblich  größer,  da  die  Patienten,  sobald  sie  ruhig  wurden,  wieder  in 
ein  gewöhnliches  Bett  gelegt  wurden. 

Zur  Beurteilung,  wie  das  Schutzbett  auf  die  Patienten  wirkt,  kann 
man  drei  Gruppen  von  Kranken  unterscheiden. 

1.  Solche,  die  sich  aus  dem  Schutzbett  zu  befreien  suchen,  weil  sie  es 
als  Fessel  empfinden. 

2.  Solche,  die  im  Schutzbett  zwar  noch  unruhig  sind  (nur  daß  sie  ge¬ 
zwungen  sind  im  Bett  zu  bleiben),  die  aber  in  keiner  Weise  versuchen  heraus¬ 
zukommen,  und  überhaupt  auf  das!  Schutzbett  als  solches  nicht  reagieren. 

3.  Diejenigen  Patienten,  auf  die  das  Schutzbett  eine  direkt  beruhigende 
W irkung  ausübt. 

Eine  strikte  Indikationsbehandlung  für  Schutzbettbehandlung  ist  ebenso¬ 
wenig  möglich  wie  für  alle  anderen  Beruhigungsmittel. 

Stark  maniakalisch  Erregte  eignen  sich  am  wenigsten,  weil  sie  das 
Schutzbett  am  meisten  als  Fessel  empfinden ;  trotzdem  ist  das  Schutzbett  auch 
in  diesen  Fällen  noch  der  Isolierzelle  vorzuziehen. 

Die  besten  Erfolge  waren  bei  katatonischen  und  epileptischen  Dämmer¬ 
zuständen  zu  verzeichnen.  Hier  wirkte  das  Schutzbett  oft  momentan.  Keiner 
dieser  Patienten  versuchte  gewaltsam  das  Bett  zu  öffnen. 

Bei  den  übrigen  Krankheitsformen  war  ein  wesentlicher  Unterschied 
nicht  zu  konstatieren. 

Von  geradezu  unschätzbarem  Wert  ist  das  Schutzbett  für  Patienten, 
die  nur  wegen  ihrer  impulsiven  Aggressivhandlungen  im  Schutzbett  gehalten 
werden,  weil  man  ihnen  gegenüber,  sofern  man  sie  nicht  isolieren  will,  völlig 
machtlos  ist. 

Das  Schutzbett  bietet  ferner  die  Möglichkeit,  erregte  und  aggressive 
Kranke  draußen  im  Freien  zu  haben.  Auch  für  die  Familienpflege  würde 
es  gute  Dienste  leisten. 

Durch  die  Einführung  des  Schutzbettes  wird  der  Gebrauch  der  Isolier¬ 
zelle  und  der  Hypnotika  weiter  eingeschränkt  werden. 

Es  besteht  keine  Berechtigung,  in  dem  Schutzbett  nichts  anderes  als 
ein  Zwangsmittel  in  hergebrachtem  Sinne  zu  sehen.  (Die  Herstellung  der 
Schutzbetten  erfolgt  durch  das  Sanitätsgeschäft  M.  Schaerer,  A.-G.,  Bern.) 

Koenig  (Dalldorf). 


Kinderheilkunde  und  Säuglingsernährung. 

Weshalb  versagt  das  Diphtherieserum  in  gewissen  Fällen? 

(Uf f  enheimer.  Sitzung  des  Münchner  ärztlichen  Vereins  vom  16.  Dezember  1908. 

Berliner  klin.  Wochenschr.,  Nr.  2,  1909.) 

U.  betont  zunächst  die  Abnahme  der  Morbidität  der  Diphtherie,  die  auch 
in  München  schon  vor  Einführung  der  Serum therapie  eintrat.  Die  relative 
Mortalität  hat  hingegen  keine  Veränderung  erlitten,  die  Epidemien  sind  ebenso 
bösartig  wie  früher. 

In  der  Titelfrage  haben  die  Experimente  U.’s  zu  keinem  Ergebnis  ge¬ 
führt.  Er  vermutet,  daß  unsere  Anschauungen  über  den  Heilwert  des  Serums 
überhaupt  auf  falscher  Grundlage  beruhen,  daß  vor  allem  keine  direkten 


Referate  und  Besprechungen. 


555 


Beziehungen  zwischen  dem  Antitoxin  gehalt  und  dem  Heil  wert 
des  Serums  existieren. 

Desgleichen  betonte  Pfaundler  in  der  Diskussion,  daß  wir  über  die 
Art  und  Weise,  wie  das  Serum  hilft,  überhaupt  noch  nichts  wissen.  Esch. 


Die  Pyozyanase-Behandlung  bei  Erkrankungen  der  Tonsillen,  des  Pharynx 
und  des  Nasenrachenraumes  mit  besonderer  Berücksichtigung  der 

Diphtherie. 

(Zucker.  Berliner  Klinik,  Nr.  247,  1909.) 

Pyocyanase  (Dresdener  ehern.  Laboratorium  Lingner)  ist  das  bakterio- 
lytische  Enzym  des  Pyocyaneus  und  von  Emmepich  so  benannt.  Dieser 
Bazillus,  wenig  pathogen,  bildet  in  seinen  Zellen  ein  sehr  wirksames  bakterien- 
auflösendes  Enzym,  das  in  ihm  als  unlösliches  Zymogen  vorhanden  ist,  aber 
bei  seiner  Autolyse  im  Nährmaterial  der  Kulturflüssigkeit  als  lösliches  Enzym 
in  diese  übergeht.  Die  Pyocyanase  löst  nun  nicht  nur  die  eigenen  Bakterien¬ 
leiber  auf  und  tötet  sie  ab,  sondern  auch  andere  Bakterienarten  (Diphtherie-, 
Milzbrand-,  Cholera-,  Typhus-,  Kolibazillen,  Meningo-  und  Gonokokken,  auch 
Staphylo-  und  Streptokokken).  Sie  wird  konzentriert  und  bakterienfrei  in 
Lösung  gewonnen,  kompliziert  weiter  in  Pulverform  übergeführt  und  wässerig 
aufgelöst,  haltbar  und  hitzbeständig,  lokal  mit  Pinsel  oder  Spray  appliziert, 
und  zwar  1 — 3 mal  tgl.  mit  1 — 3  ccm,  nachdem  vorher  gegurgelt  ist. 

Nach  Verf.  Ansicht  verhindert  die  Pyocyanase  nicht  die  Toxinwirkung 
des  Diphtheriebazillus,  beeinflußt  aber  wohl  in  manchen  Fällen  den  örtlichen 
Prozeß  und  damit  indirekt  den  Allgemeinzustand.  Glücklicherweise  weist 
Verf.  auf  die  Notwendigkeit  der  Serumbehandlung  neben  der  örtlichen  mit 
allem  Nachdruck  hin.  Besser  (als  andere  Gurgelwässer)  wirkt  die  P.  wohl 
auf  den  örtlichen  Prozeß  bei  septischen  Diphtherien  und  bei  schleppender 
Membranablösung  mit  dem  Serum  zusammen.  Bei  Staphylo-  und  Strepto¬ 
kokkenanginen  scheint  die  Pyocyanase  auch  den  Prozeß  abzukürzen  und  beim 
Scharlach  mit  malignen  Anginen  schnell  die  Bösartigkeit  des  Lokalprozesses 
zu  mindern.  Verf.  vertritt  zum  Schluß  mit  Emmerich  die  Meinung,  daß 
die  Pyocyanase  die  Diphtheriebazillen  nicht  nur  vernichtet,  sondern  auch 
in  eventuellen  Resten  in  ihrer  Weiterentwicklung  hemmt,  ebenso  auch  Strepto- 
und  Staphylokokken.  Krauße  (Leipzig). 


Behandlung  der  postdiphtherischen  Stenosen  des  Larynx  und  der  Trachea. 

(H.  Ko  schier.  Wiener  klin.  Wochenschr.,  Nr.  16,  1908.) 

Die  Behandlung  darf  erst  beginnen,  wenn  die  Narben,  die  die  Stenose 
bedingen,  fest  geworden  sind.  Bisweilen  ist  auch  das  knorplige  Gerüst  des 
Kehlkopfs  zerstört;  in  solchen  Fällen  wird  der  Larynx  gespalten,  um  die 
nötige  Übersicht  zu  gewinnen,  und  dann  ein  Drainrohr  von  der  Tracheo¬ 
tomiefiste]  aus  in  die  Stenose  eingeführt  und  diese  allmählich  dilatiert,  bis 
man  eine  (vom  Verf.  modifizierte)  Schornsteinkanüle  einführen  kann.  Bei 
vollständi  ger  Okklusion  empfiehlt  sich  die  zirkuläre  Resektion  des  steno- 
sierten  Teils  mit  darauffolgender  Naht  der  Stümpfe.  Bisweilen  gehen  durch 
langes  Tragen  der  Kanüle  die  Trachealknorpel  zum  Teil  zugrunde  und  die 
rein  membranöse  Luftröhre  wird  beim  Atmen  aspiriert.  Dieser  Zustand 
wird  erfolgreich  durch  Luftröhrenplastik  mittels  Zelluloidplättchen  behandelt. 

E.  Oberndörffer. 


Zur  Ätiologie  des  Keuchhustens. 

(Klimenko,  pathol.  Institut  zu  Petersburg.  Deutsche  med.  Wochenschr.,  Nr.  47,  1908.) 

\  erf.  Experimente  über  die  Spezifizität  des  Keuchhustenerregers  von 
Bordet  und  Gengon  bestätigen  die  Richtigkeit  der  Anschauung  obiger 
Autoren,  indem  es  zum  ersten  Male  gelang,  mit  dem  Keuchhustenstäbchen 


556 


Referate  und  Besprechungen. 


Affen,  junge  Hunde  und  Katzen  zu  infizieren,  sowie  diese  Bazillen  zu  züchten 
und  zwar  nicht  nur  ausi  den  Exkreten  Lebender,  sondern  auch  aus  dem  Herz¬ 
blut  und  dem  pneumonischen  *Lungensaft  eines  an  kompliziertem  Keuchhusten 
verstorbenen  Kindes.  Bei  der  Züchtung  der  Migroorganismen  auf  den  üblichen 
Laboratoriumsnährböden  verlieren  die  Keime  ohne  Tierpassage  an  Virulenz 
und  erhöhen  sie  im  umgekehrten  Falle.  Es  gelingt  sehr  leicht,  die  Tiere 
mit  obigen  Kulturen  in  sehr  charakteristischer  Weise  erkranken  zu  machen, 
so  daß  sie  auch  auf  andere  Tiere  infizierend  wirken.  Untersuchungen  des 
Nasenschleims  der  Keuchhustenkranken  müssen  obige  sehr  interessanten  Be¬ 
obachtungen  bestätigen.  Krauße  (Leipzig). 


Zur  Therapie  des  Keuchhustens. 

(Huftleber,  Breslau.  Deutsche  med.  Wochenschr.,  Nr.  2,  1909.) 

Verf.  schreibt  dem  Chinin  und  dem  Antipyrin  einen  nennenswerten 
kausalen  therapeutischen  Einfluß  auf  den  Keuchhusten  zu.  Die  Mißerfolge 
bei  diesen  Mitteln  sieht  er  vor  aillem  darin,  daß  sie,  unangenehm  schmeckend, 
von  den  Kindern  unwillig  genommen,  beim  Einnehmen  z.  T.  verschüttet 
und  schließlich  durch  den  im  Affekt  ausgelösten  Anfall  eventuell  in  den 
eingenommenen  Bruchteilen  wieder  herausgegeben  werden.  Er  verwendet  fast 
ausschließlich  das  Antipyrin,  und  zwar  bei  größeren  Kindern  per  os,  bei 
kleineren  in  25  ccm  Wasser  aufgelöst  und  per  klysma  hoch  hinauf  appliziert. 
Als  Dosierung  schlägt  Verf.  vor:  bis  zum  6.  Jahre  3mal  tgl.  so  viel  Dezi¬ 
gramm  wie  Jahre,  vom  7. — 12.  Jahre  3mal  0,75,  über  12  Jahr  3inal  1,0. 
Unangenehme  Nebenwirkungen  auf  das  Herz  sah  Verf.  nie,  trotz  reichlichen 
Gebrauches.  Die  Einspritzungen  in  den  Darm  sollen  10  Tage  lang  gemacht, 
8  Tage  ausgesetzt  und  danln  noch  einmal  8  Tage  wiederholt  werden,  wenn 
die  Anfälle  wieder  nennenswert  zunehmen.  Bisweilen  will  S.  sogar  einen 
kupierenden  Einfluß  vom  Antipyrin  gesehen  haben.  Krauße  (Leipzig). 


Behandlung  der  chirurgischen  Tuberkulose  im  Kindesalter. 

(A.  Tietze.  Med.  Klinik,  Nr.  12,  1908.) 

In  einem  längeren  Vortrage  tritt  Tietze  für  eine  möglichst  schonende 
Behandlung  der  chirurgischen  Tuberkulose  im  Kindesalter,  d.  h.  dafür'  ein, 
die  Operationen  im  Kindesalter  soweit  als  möglich  auszuschalten  und  sich 
auf  Jodoforminjektionen  und  Allgemeinbehandlung,  wobei  reichliche  Ernäh¬ 
rung  und  vor  allem  frische  Luft  und  Sonne  eine  Rolle  zu  spielen  haben, 
und  Bäder  usw.  zu  beschränken.  Er  befürwortet  die  Einrichtung  von  Kur¬ 
orten  bezw.  besonderen  Hospitälern  für  die  Behandlung  chirurgischer  Tuber¬ 
kulosen,  namentlich  für  die  Behandlung  des  Kindes. 

R.  Stüve  (Osnabrück). 


Zur  Behandlung  schwerer  Kinderlähmungen. 

(Mayer,  Köln.  Deutsche  med.  Wochenschr.,  Nr.  53,  1908.) 

Verf.  weist  noch  einmal  auf  die  Wichtigkeit  und  auf  besondere  Arten 
der  Sehnenüberpflanzung  hin  und  zeigt  an  sicheren  Fällen  Erwachsener  und 
Kinder,  wie  es  bei  entsprechender  Vor-  und  Nachbehandlung  mit  Massage 
und  Elektrizität  gelingt,  u.  U.  glänzende  Resultate  bei  veralteten  Fällen 
zu  erzielen.  Näheres  muß  in  der  Original arbeit  nachgesehen  werden. 

Krauße  (Leipzig). 


Die  Bedeutung  des  Selbststillens  im  Kampfe  gegen  die  Säuglingssterblich¬ 
keit;  bestehende  Einrichtungen  und  Vorschläge  zur  Förderung  derselben. 

(Jaschke,  Wien.  Monatschr.  für  Geburtsh.  u.  Gyn.,  Bd.  28,  Heft  2  u.  3,  1908.) 

J.  weist  aus  statistischen  Zusammenstellungen  die  hohe  Sterblichkeit 
der  Kinder  im  ersten  Jahre  und  besonders  im  ersten  Lebensmonate  nach,  und 


Bücherschau. 


557 


den  auffallend  hohen  Prozentsatz  der  Magendarmerkrankungen  als  Todes¬ 
ursache.  Er  weist  von  neuem  darauf  hin,  daß  wir  die  Säuglingssterblichkeit 
bekämpfen  können  durch  möglichste  Förderung  der  Ernährung  an  der  Mutter¬ 
brust  und  durch  Besserung  der  allgemeinen  hygienischen  Verhältnisse  und 
der  ganzen  Pflege  des  Kindes.  In  ausführlichen  Zusammenstellungen  weist 
er  den  Vorteil  der  Brusternährung  des  Säuglings  nach,  bespricht  die  Kontra¬ 
indikationen  des  Selbststillens,  die  bei  genauer  Feststellung  auf  ein  Minimum 
zusammenschrumpfen,  die  Ausbreitung  der  Stillfähigkeit  in  den  verschiedenen 
Ländern  und  zieht  den  Schluß,  daß  der  Rückgang  des  Stillens  vor  allem 
durch  die  sozialen  Verhältnisse  der  großen  Massen,  mangelhafte  Stilltechnik 
und  fehlende  Belehrung  der  Mütter  bedingt  ist. 

Weiterhin  legt  er  in  ausführlicher  Weise  die  Bestrebungen  zur  Herab¬ 
setzung  der  Kindersterblichkeit  in  Frankreich,  England,  Deutschland  und 
Österreich  dar  und  stellt  im  Anschlüsse  daran  prinzipiell  wichtige  Forde¬ 
rungen  auf,  die  geeignet  sind,  die  Lücken  in  der  bisherigen  Organisation 
der  Säuglingsfürsorge  auszufüllen.  J.  verlangt  bessere  Belehrung  der  ver¬ 
antwortlichen  Ratgeber  der  Frauen,  d.  h.  der  Ärzte  durch  Vertiefung  des 
klinischen  Unterrichtes  in  der  Säuglingsfürsorge  in  den  geburtshilflichen  An¬ 
stalten,  ferner  der  Hebammen  und  zwar  durch  Verbesserung  ihrer  sozialen 
Stellung,  eventuell  durch  staatliche  Anstellung,  durch  entsprechende  Ab¬ 
änderung  der  Hebammenausbildung  und  ihrer  Dienstvorschriften  und  durch 
Stillprämien.  Endlich  erwartet  er  von  einer  weitgehenden  Aufklärung  der 
Mütter  großen  Vorteil;  zu  diesem  Zwecke  schlägt  er  vor,  gute  populäre  Bücher, 
individuelle  Propaganda  nach  Budin,  ärztliche  Vorträge  in  allgemeinen 
Vereinen  und  Haushaltungsschulen,  Errichtung  von  Mutterschulen  (Esche- 
rich),  Dienstbarmachung  von  Kalendern,  Merktafeln  (bes.  in  Gebäranstalten), 
Museen  für  Säuglingsfürsorge  (Fried jung),  eventuell  Gründung  entsprechen¬ 
der  Vereine.  Frankenstein  (Köln). 


Allgemeines  Ödem  bei  Säuglingen. 

(P.  Lereboullet  u.  A.  P.  Marcorelles.  Soc.  de  Pediatrie,  15.  Dezember  1908. 

—  Bull,  med.,  Nr.  101,  S.  1171,  1908.) 

Die  beiden  Ärzte  haben  ausgedehnte  Ödeme  bei  5  Kindern  einer  Pari¬ 
ser  Kripp  3  beobachtet.  Das  eine  Mal  betraf  die  Affektion  ein  Kind  mit 
Syphilis  hereditaria,  das  andere  Mal  eines  mit  hyperämischen  und  skle- 
rosierenden  Prozessen  in  der  Leber ;  bei  den  3  anderen  war  das  Anasarka 
Begleiterscheinung  von  gastro- intestinalen  Störungen,  ähnlich  wie  Verfet¬ 
tungen  und  Blutungen  in  der  Leber  und  in  den  Nieren.  Es  handelte  sich 
also  um  schwere  Ernährungsstörungen  in  den  Geweben  und  nicht  bloß  um 
lokale  Zirkulationsstörungen.  Buttersack  (Berlin). 


Bücherschau. 


Forensische  Psychiatrie.  Von  Prof.  Dr.  W.  Weygandt,  Direktor  der 
Irrenanstalt  Friedrichsberg  in  Hamburg.  Erster  Teil:  Straf-  und  zivil- 
rechtlicher  Abschnitt.  (Sammlung  Göschen  Nr.  410.)  G.  J.  Göschen'sche 
Verlagshandlung  in  Leipzig.  Preis  in  Leinwand  gebunden  80  Pfg. 

Durch  den  gegebenen  Raum  war  eine  möglichst  knappe  Fassung  notwendig. 
Infolgedessen  war  es  nicht  leicht,  der  Darstellung  ein  individuelles  Gepräge  zu 
geben.  Immerhin  werden  Kenner  des  Stoffes,  der  ja  vor  allem  im  kriminellen  Be¬ 
reich  heutzutage  noch  zu  manchen  Kontroversen  der  Autoren  Anlaß  gibt,  doch 
alsbald  wahrnehmen,  daß  die  Ausführungen  einen  bestimmten  Standpunkt  festhalten, 
der  sich  in  Kürze  so  zusammenfassen  läßt:  Vom  Determinismus  ausgehend  hat 
der  Sachverständige  das  wichtigste  Objekt  der  forensischen  Psychiatrie,  den  hin¬ 
sichtlich  seines  Geisteszustandes  angezweifelten  Angeklagten,  mit  allen  Hilfsmitteln 
der  modernen  Psychiatrie  zu  untersuchen  und  jede  Abweichung  von  der  Norm 


558 


Bücherschall. 


darzulegen,  jedoch  hinsichtlich  der  Anwendung  des  die  Straffreiheit  bedingenden 
Zurechnungsfähigkeitsparagraphen,  dessen  gesamter  Inhalt  zweckdienlicherweise  zu 
berücksichtigen  ist,  soll  möglichste  Vorsicht  und  eine  gewisse  Zurückhaltung  geübt 
werden.  Der  bedeutsame  Begriff  der  verminderten  Zurechnungsfähigkeit  mit  seiner 
Konsequenz  einer  qualitativ  andern  Behandlung  des  Rechtsbrechers  kann  erst  durch 
die  Lex  ferenda  entsprechend  verwirklicht  werden. 

Während  das  erste  Bändchen  außer  den  strafrechtlichen  noch  die  zivilrechtlichen 
Bestimmungen  bespricht,  wird  das  demnächst  erscheinende  zweite  Bändchen  einen 
allgemein  und  speziell  klinischen  Teil,  einen  Abschnitt  über  die  verwaltungs¬ 
rechtlichen  Fragen  des  Irrenwesens  und  einen  über  die  Beziehungen  zwischen  der 
Unfallgesetzgebung  und  den  Geistesstörungen  enthalten.  Neumann. 


Immunitätsreaktionen  und  einige  ihrer  praktischen  Verwendungen  für 
Klinik  und  Laboratorium.  Von  R.  P.  van  Calcar.  Leiden,  bei  S.  C. 
van  Doesburgh.  Leipzig,  bei  Johann  Ambrosius  Barth,  1908.  134  S. 

5  Mark. 

Die  zusammenfassende  Studie,  welche  einerseits  für  den  Studenten  und  für 
den  praktischen  Arzt  zur  Einführung  in  das  heute  schon  so  sehr  ausgebaute  Ge¬ 
biet  der  Immunitätserscheinungen  dienen  soll,  andererseits  aber  auch  über  eine 
Reihe  von  Eigenbeobachtungen  berichten  will,  leidet  nach  Ansicht  des  Referenten 
unter  eben  dieser  Zweiteilung  ihrer  Aufgabe.  Denn  dadurch  wird  nicht  nur  eine 
gleichmäßige  Behandlung  des  heute  vorliegenden,  so  überaus  reichen  Tatsachen¬ 
materiales  beeinträchtigt,  wie  sie  der  Student  in  einem  brauchbaren  Wegweiser 
suchen  muß  und  finden  soll,  sondern  es  erscheint  auch  in  demselben  Maße  eine 
detaillierte  Wiedergabe  neuer  wissenschaftlicher  Befunde  und  Beobachtungen  in 
engem  Rahmen  unmöglich  gemacht,  welche  doch  einem  Nachuntersucher  mit  den 
Tatsachen  zugleich  in  peinlich  genauer  Weise  den  Weg,  auf  welchem  sie  aufgedeckt 
wurden,  an  die  Hand  geben  soll!  Deshalb  glaubt  Referent,  daß  der  Verfasser 
seiner  Sache  besser  gedient  hätte,  wenn  er  entweder  eine  Einführung  in  das  Studium 
der  heute  klargestellten  Immunitätserscheinungen  oder  aber  eine  Zusammenfassung 
seiner  neuen  Beobachtungen  geschrieben  hätte.  Was  die  Übersicht  über  die 
feststehenden  Tatsachen  der  Serologie  anlangt,  so  besitzen  wir  heute  schon  eine 
solche  Reihe  vorzüglicher,  erschöpfender,  dabei  knapp  gehaltener  und  gut  einge¬ 
führter  Kompendien  (Dieudonnö,  Düngern,  Hans  Sachs,  Oppenheimer, 
Müller  u.  a.  m.),  daß  gegen  sie,  bei  aller  Anerkennung  der  Leistungen  des  Ver¬ 
fassers,  eine  erfolgreiche  Konkurrenz  durch  das  vorliegende  Buch  kaum  zu  erwarten 
steht  und  das  umsomehr,  als  wir  auf  den  134  Seiten  des  Buches  auf  Schritt  und 
Tritt  Anschauungen  und  Angaben  begegnen,  die  entweder  auf  das  Gebiet  der 
reinen  Hypothese  und  somit  nicht  in  einen  Leitfaden  gehören,  oder  doch 
zum  mindesten  einer  Bestätigung  und  Kritik  noch  zu  bedürfen  scheinen. 
Was  den  rein  experimentellen  Teil  der  Arbeit  anlangt,  so  wäre  —  ohne  daß  Re¬ 
ferent  zum  Beispiel  über  die  Nebennieren  oder  Karzinomstudien  ohne  eine  vor¬ 
herige  Nachprüfung  ein  Urteil  sich  anmaßen  wollte  —  diesen  Mitteilungen,  wie 
schon  oben  erwähnt,  eine  mehr  in  das  Detail  gehende  Darstellung  sicherlich  nur 
förderlich  gewesen.  Nicht  unerwähnt  darf  endlich  für  die  deutsche  Ausgabe  die 
recht  mangelhafte  Behandlung  der  Sprache  bleiben,  die  oft  in  unangenehmer  Weise 
(z.  B.:  „vor  all“  statt  vor  allem,  „Patholog-Anatom“  statt  pathologischer  Anatom, 
„wir  sind  Weigert  viel  verschuldet“  etc.)  daran  erinnert,  daß  eine  Übersetzung 
aus  dem  Holländischen  vorliegt. 

Alles  in  allem:  Mag  das  vorliegende  Werk  auch  dem  Immunitätsforscher 
vielleicht  manche  Anregung  bringen,  zur  Einführung  in  die  Phänomene  der  Im¬ 
munitätslehre  erscheint  es  dem  Referenten  weniger  geeignet  zu  sein,  als  manches 
der  schon  vorliegenden,  oben  genannten  Bücher  ähnlichen  Inhaltes. 

H.  Pfeiffer  (Graz). 


Dialyse,  Eiweißchemie  und  Immunität.  Von  R.  P.  van  Calcar.  Leiden, 
bei  S.  C.  van  Doesburgh,  Leipzig,  bei  J.  A.  Barth,  1908.  81  Seiten. 

3  Mark. 

Der  Verfasser  kommt  auf  Grund  von  Trennungsversuchen  mittels  seines 
Amnion-Kautschuk-Dialvsators  zu  folgenden,  hier  nicht  näher  diskutierbaren  Schlu߬ 
folgerungen  : 


Bücherschau. 


559 


1.  a)  Unter  dem  Einfluß  des  Entziehens  von  Salzen  und  Alkalien  bleiben 
Eiweißstoffe,  die  einen  außergewöhnlich  hohen  osmotischen  Druck  zeigen,  in  Lösung. 
Sie  wirken  stark  Wasser  anziehend. 

b)  Alkalien  erhöhen  die  wasseranziehende  Kraft  einiger  Eiweißstoffe  (Albumine), 
erhöhen  also  auch  den  osmotischen  Druck.  Diese  Alkalialbuminate  dialysieren  nicht. 

c)  Salze  und  Säuren  entziehen  den  Albuminen  ihre  osmotische  Kraft  und 
machen  aus  nicht  dialysierenden,  dialysierende  Verbindungen. 

2.  Der  Dialyse  unterworfene  Eiweißstoffe  gehen  nicht  in  Fäulnis  über.  Diese 
Erscheinung  ist  von  der  osmotischen  Bewegung  und  nicht  von  der  Entziehung  be¬ 
stimmter  Stoffe  abhängig. 

3.  Eine  Beilie  von  Überlegungen  brachten  den  Verfasser  zu  der  Annahme, 
daß  das  Präzipitat,  welches  unter  dem  Einflüsse  eines  Immunserums  entsteht,  mit 
dem  Serumglobulin  identisch  ist  und  daß  die  Agglutination  korpuskularer  Elemente 
eine  Begleiterscheinung  der  Präzipitation  ist.  Nicht  die  Agglutination  sondern  die 
Präzipitation  ist  das  Charakteristische  der  Reaktion. 

4.  Wenn  man  in  einen  Organismus  einen  fremden  Eiweißstoff  einbringt,  so 

lernt  er  langsam,  die  Stoffe  umzusetzen  und  zwar  mit  Hilfe  von  Produkten  ferment¬ 
artiger  Natur.  Sowohl  bei  Abbau  durch  die  Verdauung,  als  auch  im  Gefäßsystem 
entstehen  Stoffe,  welche  Gifte  bilden.  Ihnen  muß  man  die  Erscheinung  der  Serum¬ 
krankheit  zuschreiben.  H.  Pfeiffer  (Graz). 


Die  Krankheiten  des  Afters.  Von  F.  Schilling,  Leipzig.  Berliner 
Klinik.  20.  Jahrgang.  Heft  246.  Dezember  1908.  Verlag  von  Fisch er’s 
med.  Buchhandlung  H.  Kornfeld,  Berlin.  25  Seiten.  60  Pfg. 

„Die  Erkrankungen  des  Afters  und  Mastdarms  Anden  in  der  allgemeinen 
Praxis  nicht  die  ihnen  ihrer  Häufigkeit  und  Bedeutung  nach  zukommende  Beach¬ 
tung.“  Dies  die  einleitenden  Worte  des  Verf.,  denen  nicht  widersprochen  werden 
kann.  Den  mannigfachen  Gründen,  die  Verf.  für  diese  Tatsache  anführt,  möchte 
Ref.  einen  hinzufügen:  man  hört  als  Student  in  der  Klinik  viel  zu  wenig  über  die 
Erkrankungen  des  Afters,  speziell  nichts  über  ihre  Behandlung.  Und  erst  in  der 
Praxis  erkennt  man,  wie  wichtig  gerade  diese  Dinge  sind.  Wenn  hier  Schilling  auf 
knappem  Raume  das  Wichtigste  über  die  Aftererkrankungen  zusammenträgt,  indem 
er  nach  einigen  allgemeinen  Bemerkungen  nach  einander  den  Pruritus  ani,  die 
Dermatitis  ani,  die  Fissura  ani  und  die  Hämorrhoiden  behandelt  unter  besonderer 
Berücksichtigung  der  Therapie,  so  hat  er  sicherlich  vielen  Kollegen  einen  Gefallen 
erwiesen,  und  der  billige  Preis  des  Heftchens  wird  jedem  Interessenten  die  An¬ 
schaffung  ermöglichen.  M.  Kaufmann  (Mannheim). 


Soured  Milk  and  Pure  Cultures  of  Lactic  Acid.  Bacilli  in  the  Treat¬ 
ment  of  Disease.  Von  George  Herschell.  2.  Aufl.  9.  Tausend. 
London,  H.  J.  Glaisher.  32  Seiten.  1909. 

Der  Verfasser  steht  auf  dem  Boden  der  Metschnikof f ’schen  Lehre  von 
der  Autointoxikation  vom  Darm  aus  und  hat  die  von  Frankreich  aus  inaugurierte 
Methode,  die  abnorme  Darmfäulnis  durch  Veränderung  der  Darmflora  vermittels 
der  Milchsäurebazillen  zu  unterdrücken,  in  vielen  Fällen  erprobt.  Dazu  empfiehlt 
er  aber  nicht  die  verschiedenen  Arten  von  saurer  Milch,  insbesondere  nicht  den 
Yoghourt,  sondern  die  Boucard’schen  Tabletten.  [Für  Interessenten  sei  beigefügt, 
daß  dieselben  vom  Laboratoire  de  Biologie,  Paris,  6  rue  Guillaume  Teil.  —  eine 
Schachtel  mit  45  Tabletten  (une  boite  =  45  comprimes)  Lactöol  nach  Boucard 
kostet  4  Fr.  —  zu  beziehen  sind.] 

Für  deutsche  Arzte  ist  es  wohl  überflüssig,  zu  betonen,  daß  man  die  Milch¬ 
säuretherapie  nicht  aufs  Geradewohl  inszenieren  soll,  sondern  erst  wenn  man  sich 
von  wirklich  vorhandenen  Anomalien  der  Darmflora  überzeugt  hat.  Dann  aber  ist 
diese  Therapie  erfolgreich  nicht  bloß  bei  Darmbeschwerden,  sondern  auch  bei 
Hautkrankheiten,  Neurasthenie,  Gicht,  Arteriosklerose,  Neuritiden  usw. 

Diesseits  der  Vogesen  scheint  man  dem  Milchsäurebazillus  noch  wenig  Be¬ 
achtung  zu  schenken,  und  doch  ließen  sich  gewiß  manche  exakte  Versuche  damit 
anstellen  oder  Arbeiten  darüber  schreiben.  Buttersack  (Berlin.) 


560 


Kongresse  und  Versammlungen.  —  Hochschulnachrichten. 


Kongresse  und  Versammlungen. 

Kursus  für  Schwachsinnigenwesen  in  Frankfurt  a.  M. 

Vom  21.  Juni  bis  8.  Juli  1909. 

Ein  Kursus  für  Schwachsinnigenwesen  findet  in  Frankfurt  a.  M.  vom  21.  Juni 
bis  3.  Juli  statt.  Es  werden  folgende  Vorlesungen  und  Demonstrationen 
abgehalten:  Anatomie  und  Pathologie  des  Nervensystems:  Prof.  Edinger 
(Bau  und  Tätigkeit  des  Gehirns),  Dr.  Röthig  (Entwicklung  des  Gehirns),  Prof. 
H.  Vogt  (Pathologie  und  pathologische  Anatomie  des  jugendlichen  Schwachsinns). 
— -  Psychologie  und  Psychopathologie:  Dr.  Am  ent- Würzburg  (Kinderpsycho¬ 
logie),  Vortragender  noch  unbestimmt  (Einführung  in  die  experim.  Psychologie), 
Prof.  H.  Vogt  (Einführung  in  die  Pathologie  der  kindlichen  Psyche).  — 
Unterricht  geistesschwacher  Kinder,  Hilfsschulwesen:  Rektor  A.  Henze 
(Geschichte,  Statistik,  Organisation,  Lehrmethodik),  Rektor  Bl  eher  (Sprachheil¬ 
kunde),  Hauptlehrer  End  erlin-  Mannheim  (Handfertigkeit).  —  Klinik:  Prof. 
Sommer- Gießen  (Ausgewählte  Demonstrationen),  Dr.  Kleefisch-Huttrop  (Anstalts¬ 
ärztliche  Tätigkeit),  Prof.  Sioli  (Klinik  der  jugendlichen  Psychosen),  Sanitätsrat 
La  quer  (Forensische  Psychiatrie  des  Schwachsinns),  Prof.  Dan  ne  mann  -Gießen 
(Hygiene  der  Hilfsschulen  und  Anstalten).  —  Fürsorge:  Prof.  Kl umker  (Soziale 
Fürsorge),  Direktor  Dr.  Polligkeit  (Kinderschutz,  Vormundschaften  usw.),  Vor¬ 
tragender  noch  unbestimmt  (Jugendgericht).  —  Es  wird  ferner  Gelegenheit  zum 
Besuch  der  Frankfurter  Hilfsschulen  gegeben  sein.  In  den  Hilfsschulen  wird  eine 
Ausstellung  von  Lehr-  und  Lernmitteln  für  Schwachsinnige,  sowie  von  Erzeugnissen 
des  Handfertigkeitsunterrichtes  zu  Besichtigung  und  Studium  bereit  stehen.  Auch 
wird  der  Besuch  der  sonstigen  einschlägigen  Frankfurter  Institute  (Neurologisches 
Institut,  städtische  Irrenanstalt  mit  Beobachtungsstation  für  Jugendliche,  Ein¬ 
richtungen  der  Zentrale  für  private  Fürsorge,  Kindergarten  für  schwachsinnige 
Kinder,  Jugendhorte,  psychologisches  Institut,  Kinderkliniken  usw.)  ermöglicht 
werden.  —  An  je  einem  Vormittag  werden  die  Taubstummen-  bezw.  die  Blinden¬ 
anstalt  besucht.  Die  betr.  Direktoren  (Dir.  Vadder  und  Dir.  Wiedow)  werden 
eine  orientierende  Übersicht  über  ihr  Arbeitsgebiet  hierbei  geben.  —  Auswärtige 
Besichtigungen:  1.  Hilfsschule  und  Alicenstift  für  bildungsfähige  Schwachsinnige 
in  Darmstadt;  2.  Psychiatrische  Klinik  und  psycho-physisches  Institut  der  Universität 
Gießen  (hier  finden  die  Vorträge  des  Prof.  Sommer  und  Prof.  Dannemann  [s.  oben] 
statt);  3.  Krüppelheim  und  Idiotenanstalt  in  Bad  Kreuznach  (Vortrag  von  Dr. 
Kühler  über  Krüppelfürsorge  mit  Demonstrationen).  Diese  Exkursionen  bean¬ 
spruchen  je  einen  Tag  innerhalb  des  Kursprogramms.  —  Anmeldungen  bis  1.  Juni 
erwünscht. 

Frankfurt  a.  M.,  Prof.  Dr.  H.  Vogt,  Neurologisches  Institut,  Gartenstraße, 
Rektor  A.  Henze,  Wiesenhüttenschule. 


81.  Versammlung  Deutscher  Naturforscher  und  Ärzte. 

Die  81.  Versammlung  Deutscher  Naturforscher  und  Arzte  findet 
vom  19.  bis  25.  September  in  Salzburg  statt.  Vorträge  und  Demonstra¬ 
tionen  sind  bis  Ende  Mai  anzumelden.  Geschäftsführer  sind:  Siadtphysikus  Dr. 
Fr.  Würtemberger  und  Prof.  E.  Fugger. 


Hochschulnachrichten. 

Berlin.  Prof.  Dr.  R.  Stern  geht  nach  Greifswald  als  Leiter  der  med.  Klinik. 
Gießen.  Es  habilitierte  sich  Dr.  H.  Hohlweg  für  innere  Medizin.  Zum  Leiter  des 
Untersuchungsamtes  für  Infektionskrankheiten  wurde  Dr.  E.  Bötticher  berufen. 
LIeidelberg.  Der  o.  Professor  der  Hygiene  und  gerichtlichen  Medizin,  Geh. 

Hof  rat  Dr.  Knauff  tritt  am  1.  Oktober  in  den  Ruhestand. 

Jena.  Prof.  Dr.  Lommel  ist  als  Nachfolger  von  Prof.  Dr.  Krause  zum  Direktor 
der  med.  Poliklinik  ausersehen. 

Königsberg.  Der  ao.  Professor  der  Ohrenheilkunde  Dr.  B.  Heine  hat  einen 
Ruf  nach  München  erhalten,  dem  er  folgen  wird. 

München.  Dr.  F.  Plaut  habilitierte  sich  für  Psychiatrie,  ebenso  Dr.  med.  E.  Rüdin. 
Dr.  A.  Hassel werder  habilitierte  sich  für  Anatomie.  Prof.  Dr.  Kräpelin 
feierte  sein  25 jähriges  Jubiläum  als  akademischer  Lehrer. 


Schriftleitung:  Dr.  Ri  gier  in  Leipzig. 

Druck  von  Emil  Herrmann  senior  in  Leipzig. 


27>  Jahrgang. 


1909. 


fomcbritte  der  Medizin. 


Unter  Mitwirkung  hervorragender  Fachmänner 

herausgegeben  von 

Professor  Dr.  G.  Köster  Prio.-Doz.  Dr.  o.  griegern 


in  Leipzig. 

Schriftleitung : 


in  Leipzig. 

Dr.  Rigler  in  Leipzig. 


Nr.  15. 


Erscheint  am  10.,  20.,  30.  jeden  Monats.  Preis  halbjährlich 
6  Mark,  in  kl.  Zeitschrift  für  Versicherungsniedizin  8  Mark. 


Verlag  von  Georg  Thieme,  Leipzig. 


30.  Mai. 


Originalarbeiten  und  Sammelberichte. 

Die  Verhütung  der  Erkrankungen  nach  Aufenthalt  in 

komprimierter  Luft. 

Nach  J.  S.  Haldane  im  Verein  mit  Boycott  u.  Damant. 

Journ.  of  Hygiene,  Vol.  VIII,  Nr.  3,  1908  und  Engl.  Komitee-Bericht  über  Tief- 
wassertauchen,  London,  Wyman  and  Sons,  August  1907. 

Besprochen  von  Prof.  N.  Zuntz,  Berlin. 

Die  umfänglichen  experimentellen  Untersuchungen  von  Haldane 
und  seinen  Mitarbeitern  bedeuten  einen  großen  Fortschritt  in  unserer 
Erkenntnis  der  hygienischen  Bedingungen  der  Arbeit  in  komprimierter 
Luft.  Ich  hatte  in  dieser  Zeitschrift  1897  Nr.  16  über  die  das  gleiche 
Thema  behandelnden  Untersuchungen  von  Heller,  Mager  und  von 
Schrötter  berichtet  und  bei  dieser  Gelegenheit  zum  ersten  Male  eine 
Berechnung  der  Zeitdauer  gegeben,  welche  voraussichtlich  nötig  ist, 
um  beim  Übergang  aus  atmosphärischer  Luft  in  höheren  Druck  die 
Gewebe  des  Körpers  mit  Stickstoff  zu  sättigen  und  um  andererseits) 
bei  der  Rückkehr  unter  normalen  Druck  den  Überschuß  von  Stickstoff 
•wieder  abzugeben.  Haldane-  bestätigt  im  wesentlichen  die  Richtig¬ 
keit  dieser  Rechnung  und  der  daraus  gezogenen  Folgerung,  daß  es  dar¬ 
auf  ankommt,  eine  möglichst  große  Spannungsdifferenz  des  Stickstoffs 
zwischen  Blut  und  Geweben  einerseits  und  Atemluft  andererseits  her¬ 
zustellen,  wenn  es  gelingen  soll,  den  Körper  in  nicht  zu  langer  Zeit 
von  dem,  wegen  der  drohenden  Blasenbildung  im  Blut  und  in  den 
Geweben  gefährlichen  Überschuß  an  Stickstoff  zu  befreien.  Der  von  . 
mir  damals  zur  Erzielung  dieser  Spannungsdifferenz  vorgeschlagene 
Weg*,  Einatmungen  von  reinem  Sauerstoff  oder  sauerstoffreichen  Gas¬ 
gemischen  während  der  Dekompression  wird  von  Haldane  als  bedenklich 
angesehen,  weil  reiner  Sauerstoff  schon  bei  einer  Spannung  von  etwa 
1 V2  Atm.  an  sich  gesundheitsschädlich  ist. 

,Paul  Bert  hat  bekanntlich  gezeigt,  daß  Sauerstoff  unter  dem 
Druck  mehrerer  Atmosphären  eingeatmet,  giftig  und  sogar  lebensge¬ 
fährlich  wirkt.  Diese  Beobachtung  ist  seitdem  mehrfach  bestätigt 
worden,  und  auch  Haldane  hält  auf  Grund  eigener  Erfahrungen  daran 
fest,  daß  Sauerstoff  Spannungen  von  l1/2  Atm.  und  darüber,  abgesehen 
von  allgemeinen  Erscheinungen,  sehr  leicht  entzündliche  Veränderungen 
in  der  Lunge  erzeugen.  Dies  ist  auch  der  Grund,  weshalb  längerer 
Aufenthalt  unter  einem  Druck  von  10  Atm.  und  mehr  entsprechend 

36 


562 


N.  Zuntz, 


einem  Tauchen  in  Meerestiefe  von  über  100  m  an  und  für  sich  gefähr¬ 
lich  ist.  Bei  den  gewöhnlichen  Arbeiten  der  Taucher  und  ebenso  bei 
den  gewöhnlichen  Caisson  arbeiten  kommen  aber  Drucke  über  6  Atm. 
kaum  in  Betracht.  Hierbei  liegt  die  einzige  Gefahr  in  der  Entwicke¬ 
lung  von  Gasblasen  bei  der  Dekompression. 

Haldane  hat  nun  im  Verein  mit  V  er  non  gezeigt,  daß  diese 
Gefahr  in  einzelnen  Geweben  des  Körpers  sehr  viel  größer  ist  als 
in  anderen.  Fett  und  Lipoide,  also  auch  speziell  die  Substanz  der 
Nervenfasern  und  des  Zentralnervensystems  absorbieren  bei  gleichem 
Druck  fast  sechsmal  soviel  Stickstoff  als  Wasser  und  die  wasser¬ 
reichen  Gewebe.  Dementsprechend  dauert  es  in  diesen  Geweben  viel 
länger  als  im  übrigen  Körper,  bis  die  volle  Sättigung  mit  Stickstoff 
nach  Beginn  der  Atmung  in  komprimierter  Luft  erreicht  ist,  anderer¬ 
seits  aber  auch  sehr  viel  länger,  ehe  bei  Bückkehr  unter  normalen  Druck 
das  Organ  sich  seines  Überschusses  an  Stickstoff  entledigt  hat.  Dement¬ 
sprechend  treten  bei  zu  schneller  Dekompression  reichlich  Gasblasen, 
besonders  im  Bückenmark  und  im  Fettgewebe  auf.  Im  ersteren  bedingen 
sie  die  schweren  Erscheinungen  von  Neuralgie  und  Lähmungen,  die 
ja  das  größte  Kontingent  unter  den  schweren  Formen  der  Caissonkrank¬ 
heit  bilden.  Es  kommt  also  außer  der  Zirkulationsstörung  durch  Gas¬ 
blasen  im  Blut,  die  bisher  wohl  allgemein  weniger  beachtete  Gas¬ 
bildung  im  Gewebe  des  Zentralnervensystems  in  Betracht.  Einmal  ent¬ 
standene  Gasblasen  im  Gewebe  werden  namentlich  in  so  schwach  durch¬ 
bluteten  Teilen,  wie  die  weiße  Substanz  des  Bückenmarks  tagelang  be¬ 
stehen,  ehe  sie  allmählich,  entsprechend  der  sehr  geringen  Spannungs¬ 
differenz  zwischen  ihrem  Stickstoff  und  dem  des  Blutes  resorbiert 
werden.  Zur  Unschädlichmachung  der  mechanischen  Wirkungen  dieser 
Gasblasen  ist  das  einzige  Mittel  die  Bekompression,  d.  h.  die  Bück- 
führung  des  Patienten  in  eine  sogenannte  Sanitätsschleuse,  in  der  er 
wieder  auf  nahezu  den  früheren  Druck  komprimiert  wird,  um  dann 
sehr  langsam  und  allmählich  unter  Beachtung  der  Symptome  wieder 
auf  atmosphärischen  Druck  gebracht  zu  werden. 

Haldane  hat  nun  zur  Verhütung  der  Caissonkrankheiten  eine 
neue  Methode  der  Dekompression  vorgeschlagen,  welche  sich  zunächst 
auf  die  vielfach  am  Taucher  namentlich  gemachte  Beobachtung  stützt, 
daß  ein  Überdruck  von  1— 11/2  Atm.  fast  momentan  aufgehoben  werden 
kann,  ohne  daß  ernstliche  Störungen  entstehen,  und  daß  dies  auch  dann 
der  Fall  ist,  wenn  der  Aufenthalt  in  komprimierter  Luft  lange  gedauert 
hat,  die  Gewebe  also  mit  Stickstoff  nahezu  gesättigt  waren. 

Da  die  Herabsetzung  des  Druckes  von  1  Atm.  Überdruck  auf  die 
Norm  eine  Halbierung  des  Totaldruckes  bedeutet,  schließt  Haldane 
aus  der  mitgeteilten  Beobachtung,  daß  man  in  allen  Fällen  rasch  unbe¬ 
denklich  den  Druck  auf  die  Hälfte  herabsetzen  darf,  also  ebensogut 
wie  in  den  mitgeteilten  Beobachtungen  von  2  Atm.  auf  1  Atm.,  so  auch 
von  6  Atm.  auf  3  Atm.  Dieser  Schluß  erscheint  berechtigt,  weil  die 
Masse  des  freiwerdenden  Gases  zwar  im  letzteren  Falle  dreimal  so 
groß  ist,  das  Volum  desselben  aber  nicht  größer  als  beim  Übergang 
von  2  Atm.  auf  1  Atm. 

Haldane  fordert  nun  weiter,  daß,  sobald  der  halbe  Druck  erreicht 
ist,  das  Individuum  längere  Zeit  bei  diesem  Drucke  zu  verweilen  imd 
möglichst  tief  und  anstrengend  zu  atmen  hat,  um  den  Gasdruck  in 
dem  Gewebe  dem  niedrigeren  Atmosphärendruck  zu  nähern.  Ist  dieses 


Die  Verhütung  der  Erkrankungen  nach  Aufenthalt  in  komprimierter  Luft  563 

geschehen,  so  kann  der  Druck  abermals  erniedrigt  werden  und  aber¬ 
mals  auf  diesem  niedrigeren  Stand  erhalten  werden.  Eine  genaue  Be¬ 
rechnung  auf  Grund  der  vorher  entwickelten  Prinzipien  zeigt,  daß 
in  der  Tat  durch  dieses  Verfahren  die  Zeit  der  Dekompression  ohne 
Gefahr  erheblich  verkürzt  werden  kann.  Ganz  verkehrt  ist  es,  wenn 
die  Dekompression  anfangs  in  langsameren  Tempo  erfolgt  als  später, 
wie  dies  z.  B.  in  den  Vorschriften  der  holländischen  Regierung  gefordert 
wird.  Nach  diesen  Vorschriften  soll  bis  zur  Erreichung  eines  Über¬ 
drucks  von  3  Atm.  der  Druck  in  3  Minuten  je  um  1/10  Atm.  verringert 
werden,  später  bis  zur  Grenze  von  D/o  Atm.  alle  2  Minuten  und  schlie߬ 
lich  bis  zur  Erreichung  des  Normaldruckes  alle  D/g  Minuten. 

Diese  Methode  ist,  wie  Haldane  mit  Recht  betont,  viel  gefähr¬ 
licher,  als  das  gleichförmige  Absinken  des  Druckes  und  erst  recht 
im  Nachteil  gegen  das  von  ihm  empfohlene  Verfahren,  am  Anfang 
rasch  und  später  immer  langsamer  den  Druck  sinken  zu  lassen.  Haldane 
hat  sich,  aber  nicht  begnügt,  diese  Anschauung  theoretisch  aus  dem 
Gesetze  der  Gasabsorption  und  den  älteren  Erfahrungen  abzuleiten, 
er  hat  sie  vielmehr  durch  umfängliche  Versuche  an  Ziegen  experimentell 
begründet.  Er  hat  Ziegen  deshalb  zu  den  Versuchen  gewählt,  weil  die 
Gefahr  der  Dekompression  bei  großen  Tieren,  dementsprechend  auch 
beim  Menschen  sehr  viel  größer  ist,  als  bei  kleineren  Tieren.  Das 
folgt  ohne  weiteres  aus  der  schnelleren  Blutzirkulation  bei  letzteren. 
Es  war  viel  eher  möglich,  von  den  Ziegen  Schlüsse  auf  den  Menschen 
zu  machen,  als  etwa  von  Viersuchen  an  Kaninchen  und  dergleichen,. 
Es  gelang  nun,  alle  vorher  entwickelten  Gesichtspunkte  in  den  Ver¬ 
suchen  zu  bestätigen,  speziell  auch  den  Nachweis  zu  führen,  daß  nach 
kurzem  Aufenthalt  unter  hohen  Druck  die  Dekompression  ungefährlich 
ist,  und  daß  selbst  bei  Ziegen  mehrere  Stunden,  beim  schwereren 
Menschen  also  eine  noch  längere  Zeit  des  Aufenthalts  in  komprimierter 
Luft  vergeht,  ehe  das  Maximum  der  Gefahr  bei  der  Dekompression, 
d.  h.  nahezu  volle  Sättigung  des  Körpers  mit  Stickstoff  erreicht  ist. 

Alle  beim  Viens  dien  beobachteten  Erscheinungen  von  leichten 
Schmerzen  in  den  Extremitäten  speziell  in  den  Gelenken  bis  zur  Lähmung 
des  Hinterteils  und  zum  akuten  Tode  durch  Luftembolie  konnten  bei 
Ziegen  unter  entsprechenden  Bedingungen  beobachtet  werden.  Durch 
Versuche  wurde  in  mehr  als  100  Fällen  gezeigt,  daß  bei  gleicher  Zeit¬ 
dauer  der  Dekompression  die  Zahl  der  Erkrankungen  etwa  fünfmal 
größer  war,  wenn  die  Dekompression  gleichförmig  erfolgte,  als  wenn 
sie  in  Etappen  nach  dem  vorher  angedeuteten  Schema  ausgef  ührt  wurde. 
Wenn  nur  die  ernstlichen  Erscheinungen  in  Betracht  gezogen  wurden, 
so  war  das  Verhältnis  noch  mehr  zugunsten  der  stufen  weisen  Dekom¬ 
pression,  indem  bei  dieser  zwei  Erkrankungen,  bei  gleichmäßiger  Dekom¬ 
pression  jedoch  50  Fälle  beobachtet  wurden. 

Die  umfassenden  Studien  von  Haldane  bedeuten  offenbar  einen 
sehr  großen  Fortschritt  in  der  Erkenntnis  und  Verhütung  der  besproche¬ 
nen  Störungen,  trotzdem  möchte  ich  glauben,  daß  die  Resultate  noch 
günstiger  gestaltet  werden  können  und  namentlich  ein  schnelleres  Ab¬ 
sinken  des  Druckes  und  eine  Heilung  von  aufgetretenen  Störungen  mög¬ 
lich  wäre,  wenn  man  die  Atmung  sauer stoff reicher  Gasgemische  unter 
Benutzung  der  aus  dem  früher  mitgeteilten  sich  ergebenden  Kaute  len 
anwenden  würde. 


36* 


564 


Wohlwill, 

Hamburger  Brief. 

Von  Dr.  Wohlwill,  Hamburg. 

Zunächst  ist  noch  über  die  Vorträge  von  Kümmelt  und  Lauen- 
stein  zu  referieren.  Kümmelt  besprach  in  ausführlicher  Weise  Diagnose 
und  Therapie  der  Anurie.  Zunächst  ist  zu  unterscheiden  zwischen 
falscher  oder  Okklusionsanurie  und  wahrer  oder  renaler  Anurie.  Die 
Okklusionsanurie  kommt  abgesehen  von  selteneren  Fällen  (Kompression 
durch  Tumoren  von  außen)  durch  doppelseitige  Uretersteine  oder  ein¬ 
seitigen  Stein  Verschluß  bei  Erkrankung  oder  Fehlen  der  andern  Niere 
zustande.  Die  wichtige  Entscheidung,  welche  Seite  zuletzt  verschlossen 
ist,  kann  durch  die  Palpation  (Druckempfindlichkeit,  Stauungshydro- 
nephrose)  ermöglicht  werden.  Im  übrigen  sind  stets  Ureterenkatheteris- 
mus  und  Röntgenographie  heranzuziehen.  Die  wahre  Anurie  kommt 
vor  bei  Herzfehlern,  bei  Schrumpfniere,  parenchymatöser  Nephritis, 
Intoxikationen  (Karbol,  Sublimat,  namentlich  Chloroform)  bei  doppel¬ 
seitiger  Zystenniere,  Tumoren,  Tuberkulose  usw.  Wichtig  ist  die  Frage 
der  sogen.  Reflexanurie.  Ihre  Existenz  wird  bewiesen  durch  das  Auf¬ 
treten  von  Anurie  nach  Ureterensondierung,  und  Tierexperimente  be¬ 
stätigen  die  Rolle  des  Nervensystems.  In  Wirklichkeit  wird  sie  aber 
zu  oft  diagnostiziert.  Namentlich  haben  FraenkeUs  mikroskopische 
Untersuchungen  an  Nieren  von  postoperativ  an  Anurie  zugrunde  ge¬ 
gangenen  Patienten  schwere,  wohl  durch  das  Chloroform  hervorgerufene 
Parenchymschädigungen  nachgewiesen.  Doch  wird  das  Vorkommen  von 
Reflexanurie  bei  Phimose,  nach  Lithothripsie,  sowie  namentlich  nach 
Exstirpation  oder  plötzlichem  Verschluß  nur  einer  Niere  nicht  in  Ab¬ 
rede  gestellt.  Nur  muß  für  letzteren  Fall  der  nicht  leicht  zu  führende 
Nachweis  erbracht  werden,  daß  die  andere  Niere  wirklich  gesund  ist. 
Für  die  Therapie  am  dankbarsten  ist  die  Okklusionsanurie.  In  Frage 
kommen  die  Nephrotomie  und  die  Nephrektomie.  Die  letztere  darf  nur 
gemacht  werden,  wenn  die  andere  Niere  zweifellos  gesund  ist.  Zur  Ent¬ 
scheidung  dieser  Frage  möchte  K.  die  Kryoskopie  nicht  missen.  Nur 
muß  man  mit  der  Tatsache  bekannt  sein,  daß  bei  beginnender  Anurie  der 
Gefrierpunkt  noch  nicht  pathologisch  herabgesetzt  zu  sein  braucht.  Bei 
renaler  Anurie  schlägt  K.  vor,  in  geeigneten  Fällen,  durch  die  Edebohlsj- 
sche  Dekapsulation  Entlastung  herbeizuführen ;  er  berichtete  über  ein¬ 
zelne  günstige  Resultate. 

In  der  Diskussion  bestätigte  zunächst  Prochownik  den  hohen 
Wert  der  Kryoskopie.  So  oft  er  einmal  sich  über  ihre  Resultate  hinweg¬ 
setzen  zu  sollen  geglaubt  hatte,  hat  er  es  zu  bereuen  gehabt.  Von  den 
zu  Anurie  führenden  Giften  machte  er  noch  auf  das  Chlorzink  aufmerk¬ 
sam,  vor  dessen  intrauteriner  Anwendung  er  warnte.  Betreffs  der 
Narkosen  anurie,  die  er  mit  Kümmell  für  nepliritischer  Natur  hält, 
erklärte  er  auch  den  Äther  für  nicht  ganz  gefahrlos.  Leider  habe  er 
aber  auch,  nach  Lumbalanästhesie  einmal  eine  Anurie  erlebt. 

Lauenstein  hob  noch  einmal  hervor,  wie  schwierig  die  Fest¬ 
stellung  der  Gesundheit  der  andern  Niere  sei  und  schlug  vor,  bei  dem 
geringsten  Zweifel  diese  stets  freizulegen.  Mit  der  Dekapsulation  hat 
L.  zweimal  sehr  gute  Resültate  gehabt. 

Staude  machte  darauf  aufmerksam,  daß  bei  Operationen  an  der 
Blase  bisweilen  durch  Reizung  der  Ureterenmündungen  eine  x/4  bis 
1/2stündige  Anurie  auf  treten  könne. 


Hamburger  Brief. 


565 


Klimme  11  führte  in  seinem  Schlußwort  die  xUnurie  nach  Lumbal¬ 
anästhesie  auf  Läsion  der  Nervenwurzeln  zurück.  Er  selbst  hat  nie 
etwas  derartiges  gesehen. 

Lauenstein  hielt  einen  Vortrag  über  die  beim  Bau  des  Elb¬ 
tunnels  beobachteten  Caissonerkrankungen,  nachdem  vorher  Herr  Bau¬ 
rat  Specht  diese  Anlage  in  interessanten  Ausführungen  technisch  er¬ 
klärt  hatte.  L.  konnte  über  232  Erkrankungsfälle  berichten,  von  denen 
die  schwereren  —  52  —  ins  Hafenkrankenhaus  aufgenommen  wurden. 
Die  Symptome  sind  sehr  wechselnd.  In  den  leichtesten  Fällen  handelt 
es  sich  nur  um  neuralgiforme  Schmerzen  in  der  Muskulatur  namentlich 
der  Unterextremitäten.  Sodann  treten  gastrische  Symptome  —  Er¬ 
brechen,  Flatulenz  —  auf,  ferner  Erscheinungen  seitens  des  Ohrs,  die 
in  schwereren  Fällen  den  Monier e’schen  Symptomenkomplex  darbieten; 
Fieber,  Zyanose,  Pulsbeschleunigung  kommen  vor,  endlich  schwerste 
Kollapserscheinungen  mit  Pulslosigkeit.  Was  die  Therapie  betrifft, 
so  ist  L.  nicht  für  die  meist  angewandte  Wiedereinschleusung  in  eine 
sogenannte  Sanitätsschleuse,  da  die  Wiederversetzung  unter  erhöhten 
Druck  neue  Schädigungen  bedinge.  Er  verwendet  Bäder,  Narkotika 
und  Abführmittel.  Zur  Verhütung  der  Krankheit  müssen  vor  allem 
die  Arbeiter  sorgfältig  ausgewählt  werden,  namentlich  Leute  mit  Tuben¬ 
verschluß  und  Fettleibige  sind  auszuschließen.  Ferner  legt  L.  großen 
Wert  auf  gute  Ernährung,  da  sich  die  geringste  Erkrankungsziffer  stets 
bei  der  Schicht  fand,  die  nach  dem  Mittagessen  eingeschleust  wurde. 
Eine  möglichst  langsame  Ausschleusung  ist  nur  unter  Vorbehalt  zu 
empfehlen,  da  sie  auch  Nachteile  hat. 

In  der  Diskussion  ging  Thost  zunächst  auf  die  Entstehung  der 
verschiedenen  Symptome  durch  Gasembolien  in  den  kleinen  Gefäßen 
ein.  Die  Erkrankungen  des  Labyrinths  glaubt  er  nicht  auf  diese 
zurückführen  zu  dürfen,  er  glaubt  eher,  daß  es  sich  hier  ebenso  wie 
bei  der  eigentlichen  Meniere’schen  Krankheit  um  eine  Blutung  handle. 
Eventuell  könne  eine  kleine  Blutung  später  noch  nachbluten,  wodurch 
das  Auftreten  der  Erscheinungen  erst  1 — 2  Stunden  nach  der  Aus¬ 
schleusung  erklärt  wird.  Th.  sprach  sich  für  das  Wiedereinschleusen 
aus ;  er  verwendet  im  übrigen  Schwitzkuren  mit  Pilokarpin,  warnt 
dringend  vor  Chinin,  das  nur  schaden  könne.  In  schweren  Fällen 
bleiben  Schwindel  und  Schwerhörigkeit  bestehen. 

Sieveking  besprach  nach  kurzer  Erläuterung  der  mechanischen 
und  der  chemischen  Erklärungsweise  der  Erkrankung  die  von  den  Be¬ 
hörden  getroffenen  Sicherheitsmaßregeln,  welche  neben  strenger  Aus¬ 
wahl  der  Arbeiter  und  ständiger  Überwachung  durch  einen  Schleusen¬ 
wärter  namentlich  in  der  verlängerten  Ausschleusungszeit  bestehen. 
Die  anfängliche  Ausschleusungszeit  von  30  Min.  hat  sich  als  zu  kurz 
herausgestellt.  Seit  sie  auf  fast  das  Doppelte  verlängert  ist,  ist  die 
Erkrankungsziffer  und  die  Schwere  der  Fälle  bedeutend  zurüokgegangen. 
In  einer  neuerbauten  geräumigeren  Schleuse  ist  dafür  gesorgt,  daß 
die  Arbeiter  sich  während  des  Ausschleusens  bewegen  können,  was 
die  Ausscheidung  des  Stickstoffs  beschleunigt.  S.  sprach  sich  sehr 
iür  die  Anwendung  der  Sanitätsschleuse  aus. 

Bor  ns t ein  stellte  zunächst  einen  eigentümlichen  Fall  von  Caisson¬ 
krankheit  vor.  Der  betreffende  Arbeiter  war  zunächst  nach  der  Aus¬ 
schleusung  an  den  üblichen  rheumatischen  Beschwerden  erkrankt.  Am 
nächsten  Tage  traten  unter  der  Haut  multiple  Tumoren  auf,  die  beim 
Einschneiden  sich  als  aus  Flüssigkeit  und  Gas  bestehend  erwiesen. 


566 


Wohl  will, 


Mikroskopisch  fand  sich  nur  Fett  und  Detritns  (wohl  durch  die  Gas¬ 
entwicklung  zerstörtes  Fettgewebe).  Beim  Wiedereinschleusen  wurden 
die  Tumoren  spontan  kleiner.  B.  berichtete  sodann  über  Untersuchungen, 
die  Gasaufnahme  und  -abgabe  betreffend,  welche  zeigten,  daß  pro 
Athmosphäre  Überdruck  1  Liter  N  in  der  Stunde  auf  genommen  wird, 
daß  die  Aufnahme  sehr  langsam  vor  sich  geht,  daß  nach  zwei  Stunden 
erst  80°/0  N-Sättigung  des  Bluts  erreicht  ist,  so  daß  also  ein  längerer 
Aufenthalt  in  der  Schleuse  auch  entsprechend  gefährlicher  ist.  Zur 
Anregung  der  Ausscheidung  bedient  man  sich  der  sogen,  staffelförmigen 
Ausschleusung  (schnelle  Dekompression  bis  zur  Hälfte  des  Drucks, 
dann  langsames  Sinken),  der  O-Atmung  und  der  körperlichen  Bewegung. 
B.  tritt  ebenfalls  warm  für  die  Sanitätsschleuse  ein.  Sie  könne  aller¬ 
dings  nur  die  entstandenen  Gasblasen  beseitigen.  Die  durch  sie  be¬ 
reits  gesetzten  Schädigungen  (Gewebszerrungen,  Stase  usw.)  bleiben 
natürlich  unbeeinflußt.  Deshalb  muß  die  Wiedereinschleusung  mög¬ 
lichst  bald  erfolgen. 

Engelmann  sprach  Bedenken  dagegen  aus,  daß  die  Ohrerschei¬ 
nungen  auf  das  Labyrinth  zurückzuführen  seien.  Sie  ließen  sich  alle 
auch  durch  zerebellare  und  zerebrale  Läsionen  erklären.  Um  schwere 
Labyrinthblutungen  könne  es  sich  schon  deshalb  nicht  handeln,  weil 
bisweilen  weitgehende  Besserung  bei  der  Wiedereinschleusung  beob¬ 
achtet  wurde. 

Sänger  wies  an  der  Hand  von  zwei  Fällen  auf  die  Schwierigkeiten 
der  Diagnose  hin,  welche  entstehen,  wenn  eine  Komplikation  mit  Hysterie 
vorliegt.  Er  besprach  sodann  die  in  der  Literatur  oft  erörterten  ,, akuten 
ischämischen  Bückenmarkserweichungen“  (spastische  Lähmungen  mit 
Sensibilitätsstörungen),  die  jedoch  in  Hamburg  nicht  zur  Beobachtung 
gekommen  sind. 

Lauen  stein  hielt  in  seinem  Schlußwort  - —  ohne  auf  die  Gegen¬ 
gründe  einzugehen  —  an  seinem  ungünstigen  Urteil  über  die  Sanitäts¬ 
schleuse  fest. 

Falk  stellte  einen  Fall  von  Osteomalacie  vor,  der  bemerkenswert 
war  erstens  durch  sein  Auftreten  in  der  ersten  Gravidität  und  zweitens 
dadurch,  daß  er  nach  sechs  Jahren  spontan  ausheilte.  Eine  neue 
Schwangerschaft  wurde  durch  künstlichen  Abort  beendet,  da  der  Kaiser¬ 
schnitt  verweigert  wurde.  F.  besprach  die  Theorien  der  Wirkungsweise 
der  Kastration.  Er  selbst  hat  Untersuchungen  über  den  Phosphor¬ 
säurestoffwechsel  gemacht,  welche  unter  genauer  Berücksichtigung  der 
Ernährung  keinen  Einfluß  der  Kastration  ergaben,  im  Gegensatz  zu 
der  Behauptung  Tarullis,  daß  kastrierte  Hündinnen  sehr  viel  mehr 
P205  retinieren. 

Lenhartz  sprach  über  Lungengangränoperationen.  Bis  jetzt  hat 
L.  112  Fälle  operiert.  Wenn  er  von  fünf  Tuberkulösen  und  von  sechs 
Fällen  absieht,  die  so  schwer  waren,  daß  nur  noch  ein  Bippenfenster 
angelegt,  der  Herd  aber  nicht  mehr  aufgesucht  werden  konnte,  so  hat 
er  70°/0  Heilungen  zu  verzeichnen.  Er  stellte  außer  einem  Fall  von 
geheiltem  Totalempyem  nach  Schwertverletzung  zwei  Gangränfälle  vor, 
von  denen  der  eine  durch  die  Lage  des  Gangränherds  in  der  Nähe  des 
Herzens  der  Operation  große  Schwierigkeiten  bot,  während  der  andere 
dadurch  bemerkenswert  war,  daß  nach  operativer  Heilung  eines  Herds 
sich  in  der  andern  Lunge  eine  neue  Gangrän  entwickelte,  welche  dann 
ebenfalls  durch  Operation  zur  Heilung  gebracht  wurde. 


Hamburger  Brief. 


567 


In  der  biologischen  Sektion  demonstrierte  Sänger  einen  Hirn¬ 
tumor,  der  durch  die  Inkongruenz  des  klinischen  und  autoptischen 
Befundes  bemerkenswert  war.  V on  Allgemeinsymptomen  war  nur  eine 
erheblichem  Wechsel  unterworfene  Somnolenz,  von  Lokalsymptomen  nur 
aphasische  Störungen  und  rechtsseitiger  Babinsky  vorhanden  gewesen. 
Dagegen  hatten  einerseits  Stauungspapille,  Erbrechen,  Pulsverlang¬ 
samung,  Erhöhung  des  Spinaldrucks,  andererseits  jegliche  Paresen  ge¬ 
fehlt.  Die  Sektion  ergab  ein  gefäßreiches,  von  Blutungen  durchsetztes 
Spindelzellensarkom  von  ungewöhnlicher  Ausdehnung,  vom  Frontal- 
lappen  bis  zum  Occipitallappen  sich  erstreckend,  an  vielen  Stellen  bis 
nahe  an  die  Binde  reichend.  Der  Tumor  ging  bis  in  nächste  Nähe 
der  inneren  Kapsel,  diese  selbst  war  aber  frei  geblieben.  Sänger  be¬ 
sprach  die  verschiedenen  Erklärungsmöglichkeiten  für  das  Ausbleiben 
der  Stauungserscheinungen.  Die  Erhöhung  des  Spinaldrucks  kann 
fehlen,  wenn  das  Foramen  occipitale  magnum  ganz  durch  die  Medulla 
oblongata  verlegt  ist,  die  Ausbildung  einer  Stauungspapille  kann  eben¬ 
falls  durch  lokale  Verhältnisse  verschiedener  Art  verhindert  werden. 
Im  vorliegenden  Fall  ist  wohl  am  wahrscheinlichsten  ein  ganz  all¬ 
mähliches  Wachstum  der  Geschwulst  mit  Supposition  der  Hirnsubstanz 
als  Grund  anzusehen. 

Dieser  Erklärung  gab  auch  Emden  in  der  Diskussion  den  Vor¬ 
zug,  unter  Hinweis  auf  das  konstante  Fehlen  von  Hirndruckerschei¬ 
nungen  bei  Aneurysmen  der  Hirnarterien,  das  dadurch  zu  erklären 
sei,  daß  der  Wachstumsdruck  der  Geschwulst  hier  nie  größer  werden 
könne  als  der  Hirndruck  selbst. 

Umber  berichtete  über  zwei  Fälle  von  Cauda-equina-Affektion. 
Er  besprach  zunächst  kurz  die  allgemeine  Symptomatologie  und  die 
schwierige  Differentialdiagnose  gegenüber  Läsionen  des  Conus  termi- 
nalis.  Für  Cauda-equina  spricht  eine  langsame  Entwicklung  der  Schmer¬ 
zen  und  ihr  Überwiegen  über  die  motorischen  Erscheinungen.  —  Der 
erste  Fall  kam  wegen  ischiasähnlicher  Beschwerden  und  bot  objektiv 
typische,  einseitige  „Beithosenanalgesie“,  Fehlen  des  Anal-  und  des 
linksseitigen  Achillessehnenreflexes,  leichte  Blasenstörungen.  Eine 
starke  Lymphozytose  des  Liquor  cerebrospinalis  (Globuline  waren  ver¬ 
mutlich  mit  (einem  erheblichen  Fibrin  gerinnsei  mit  niedergerissen)  machte 
wahrscheinlich,  daß  die  Affektion  syphilitischer  Natur  sein  möchte, 
eine  Annahme,  die  durch  den  prompten  Erfolg  eines  Traitement  mixte 
bestätigt  wurde.  Im  zweiten  Falle  lagen  eigentlich  nur  stärkste,  in 
die  Beine  ausstrahlende  Schmerzen  der  Kreuz-  und  Steißbeingegend 
vor,  außerdem  bestanden  nur  noch  ganz  geringe  Blasenstörungen.  Da 
die  Patientin  eine  zweifellose  Hysterica  war,  auch  die  Besch werden 
unter  Hypnose  sich,  zeitweilig  besserten,  so  war  die  Beurteilung  äußerst 
schwierig.  Die  außerordentliche  Konstanz  und  Heftigkeit  der  Schmer¬ 
zen  ließ  aber  doch  immer  wieder  an  etwas  Organisches  denken.-  Die 
im  Lauf  der  langdauernden  Beobachtung  mehrfach  ausgeführte  Lumbal¬ 
punktion  förderte  jedesmal  eine  gelbbraune  Flüssigkeit  zutage,  welche 
gleich  nach  dem  Austritt  gallertig  erstarrte.  Die*  Diagnose  wurde 
darauf  auf  zystische  Geschwulst  der  Cauda-equina  gestellt;  sie  wurde 
durch  die  Operation  bestätigt.  Wie  König  mitteilte,  konnte  er  nur 
eine  Entleerung  vornehmen.  Eine  Exstirpation  der  vielmaschigen  Zyste 
war  unmöglich.  Pat.  war  noch  fünf  Wochen  fast  schmerzfrei,  ging 
dann  durch  Infektion  der  Wunde  an  Meningitis  zugrunde. 


568 


Wohl  will, 


Sänger  betonte  in  der  Diskussion,  daß  der  Befund  der  gelben, 
schnell  erstarrenden  Spinalflüssigkeit  nicht  beweise,  daß  man  die  Zyste 
selbst  punktiert,  habe,  da  diese  Beobachtung  schon  wiederholt  bei  anders¬ 
artigen  Caudaaffektionen  gemacht  sei;  es  wäre  sehr  erfreulich,  wenn 
sich  dies  auch  weiterhin  bestätigen  würde  und  man  damit  ein  wich¬ 
tiges  Symptom  für  Cauda-  und  Konusaffektionen  gewinnen  würde. 

Hueter  besprach  die  pathologisch-anatomische  Natur  des  Tumors, 
der  noch  am  meisten  Ähnlichkeit  mit  den  Fibromen  der  Nerven-  hat, 
während  sich  im  Bereich  der  am  Tumor  adhärenten  Dura  riesenzellen¬ 
haltige  Granulationsgeschwülste  finden. 

In  der  nächsten  Sitzung  sprach  Schümm  über  Leuchtgasvergif¬ 
tung.  Man  nimmt  allgemein  an,  daß  die  Einwirkung  des  Leuchtgases 
auf  das  Blut  des  Menschen  mit  reiner  CO- Wirkung  identisch  sei.  Sch. 
hat  nun  die  sonst  in  der  Literatur  nicht  erwähnte  Tatsache  festgestellt, 
daß  (wenigstens  das  Hamburger)  Leuchtgas  nicht  ganz  unbedeutende 
Mengen  Blausäure  enthält.  Er  wurde  hierauf  aufmerksam  dadurch, 
daß  durch  Einleiten  von  Leuchtgas  eine  Methämoglobinlösung  rot 
wird  und  ebenso  eine  sonst  braune  alkalische  Hämatinlösung  leuchtend 
rot  wird  und  dann  im  Spektrum  einen  Streifen  gibt,  der  dem  CN-Hämatin 
absolut  entspricht.  Die  Menge  der  Blausäure  ist  zwar  absolut  klein, 
aber  toxikologisch  nicht  zu  vernachlässigen.  Es  fanden  sich  im  cbm 
0,36  g,  das  ist  das  sechsfache  der  letalen  Dosis.  Wenn  Sch.  auch  weit 
entfernt  ist,  hierdurch  die  außerordentlich  toxische  Wirkung  des  Leucht¬ 
gases  allein  erklären  zu  wollen,  so  glaubt  er  doch  eine  erhebliche  Ver¬ 
stärkung  durch  den  Blausäuregehalt  annehmen  zu  müssen.  Er  behält 
sich  vergleichende  Experimente  vor  mit  Tieren,  die  einerseits  mit  ge¬ 
wöhnlichem  Leuchtgas,  andererseits  mit  solchem  vergiftet  sind,  das 
durch  Durchleiten  durch  Kalilauge  CN  frei  gemacht  ist.  Im  Blut 
der  Versuchstiere  hat  er,  wie  er  Fraenkel  auf  eine  Anfrage  erwidert, 
Blausäure  bisher  nie  nachweisen  können. 

Fahr  hielt  einen  AMrtrag  über  die  Ganglien  des  menschlichen 
Herzens.  Die  Angabe  über  Zahl  und  Lage  der  Herzganglien  sind  noch 
sehr  widersprechend,  was  zum  Teil  an  der  Benutzung  verschiedener 
Tiergattungen  zu  den  Untersuchungen  liegt.  F.  hat  ein  Neugeborenen  - 
herz  zur  Untersuchung  herangezogen.  Er  hat  davon  lückenlose  Serien 
geschnitten  und  danach  ein  Plattenmodell  angefertigt,  auf  dem  er  die 
Lage  der  Ganglienzellen  eingezeichnet  hat.  Die  Hauptmenge  der  Gang¬ 
lien  fand  er  am  Dach  des  rechten  Vorhofs  zwischen  Vena  cava  superior 
und  inferior.  Von  hier  zieht  ein  Ganglienring  zur  Kammerwand  her¬ 
unter,  an  der  Grenze  zwischen  oberem  und  mittlerem  Drittel  des  Ven¬ 
trikels  endigend.  Außerdem  beschreibt  er  noch  mehrere  Gruppen  von 
Ganglien,  welche  sämtlich  dicht  unter  der  Oberfläche  liegen  und  nicht 
über  das  obere  Drittel  der  Kammern  hinausgehen.  Die  unteren  zwei 
Drittel  bleiben  frei.  Dieser  Befund  steht  im  Widerspruch  mit  dem 
Bethe’s,  welcher  —  allerdings  am  Frosch  —  die  Herzspitze  nur  gang¬ 
lienzellenarm  aber  nicht  -frei  fand.  Auch  mit  der  intra vitalen  Methylen¬ 
blaumethode  hat  F.  beim  Meerschweinchen  in  den  unteren  zwei  Dritteln 
keine  Ganglien  nüchweisen  können,  er  hält  aber  für  möglich,  daß  die 
Methode  versagt  haben  könne.  Die  Befunde  bestätigen  die  Ansicht, 
daß  der  Ausgangspunkt  der  automatischen  Herzreize  zwischen  Vena 
cava  superior  und  inferior  gelegen  sei.  Der  Nachweis  von  Ganglien 
in  der  Herzkammer  erklärt  die  Tatsache,  daß  Durchschneidung  des 
atrio-ventrikulären  Bündels  nicht  Herzstillstand  erzeugt.  Die  Beiz- 


Hamburger  Brief. 


569 


erzeugung  mag  demnach  wohl  nervöser  Natur  sein,  die  Heiz  Übertragung 
aber  ist  an  das  atrioventrikuläre  Bündel  geknüpft,  also  muskulärer 
Natur.  Dafür  spricht  1.  die  Langsamkeit  der  Reizübertragung,  2.  die 
Befunde  bei  Adam-S  toke's’scher  Krankheit.  Die  Schwierigkeit,  wie 
die  Übertragung  des  Reizes  von  den  Ganglien  auf  die  Muskeln  zu 
erklären  ist,  hat  sich  verringert,  seit  es  gelungen  ist,  das  Bündel  bis 
fast  zu  jenen  Ganglien  am  rechten  Vorhof  zu  verfolgen. 

In  pathologisch-anatomischer  Hinsicht  wird  die  Untersuchung  der 
Herzganglien  (z.  B.  mit  Nisslfärbung)  vielleicht  eine  große  Bedeutung 
erlangen  in  den  Fällen  (namentlich  Alkoholisten),  die  klinisch  unter 
dem  Bild  schwerster  Herzinsuffizienz  verlaufen,  während  der  patho¬ 
logische  Befund  negativ  ist. 

R recke  hielt  einen  Vortrag  über  Ösophagussarkome.  Primäre 
Sarkome  des  Ösophagus  sind  sehr  seltene  Befunde,  es  sind  im  ganzen 
bisher  28  Fälle  bekannt  geworden.  Bei  den  Sektionen  im  allgemeinen 
Krankenhause  Hamburg-Eppendorf  wurde  erst  kürzlich  das  erste  der¬ 
artige  Sarkom  beobachtet,  während  beispielsweise  schon  annähernd  400 
Karzinome  des  Ösophagus  in  den  20  Jahren  des  Bestehens  des  Kranken¬ 
hauses  gefunden  wurden.  Der  beobachtete  Fall  hat  besonderes  Inter¬ 
esse,  weil  das  ausgedehnte  Sarkom  keinerlei  klinische  Erscheinungen 
außer  sonst  nicht  erklärbarer  Kachexie  verursachte.  Der  46  jährige 
Kranke  wurde  mit  den  Symptomen  ausgedehnter  eitriger  Bronchitis 
aufgenommen,  zu  der  bald  bronchopneumonische-  Erscheinungen  hinzu¬ 
traten,  denen  der  Patient  nach  dreiwöchiger  Krankenhausbehandlung 
erlag.  Bei  der  Sektion  fand  sich  ein  über  fast  zwei  Drittel  des  Öso¬ 
phagus  ausgedehnter  zirkulärer,  knolliger,  weichelastischer  Tumor,  der 
in  das  Lumen  vorgewachsen  war  und  zu  einer  fast  zylindrischen  Er¬ 
weiterung  der  ösophaguswand  geführt  hatte.  Im  unteren  Drittel  des 
Tumors  fand  sich  geringer  oberflächlicher  trockennekrotischer  Zerfall. 
Aus  der  Weichheit  und  der  oberflächlichen  Glätte  des  Tumors,  der  Er¬ 
weiterung  des  Ösophagus  und  dem  Freibleiben  seiner  Umgebung  erklärt 
sich  das  Ausbleiben  von  Stenoseerscheiinungen.  Außer  in  einigen  klein¬ 
haselnußgroßen  Drüsen  am  rechten  Lungenhilus  fanden  sich  keine  Meta¬ 
stasen.  Mikroskopisch  erwies  sich  der  Tumor  als  großzelliges  Spindel¬ 
zellensarkom,  ausgehend  von  der  Submukosa. 

Die  in  der  Literatur  bisher  bekannt  gewordenen  Fälle  ergaben 
folgende  Gesichtspunkte : 

Die  Ösophagussarkome  kommen  in  zwei  Formen  vor:  einmal  als 
mehr  umschriebene  polypöse  oder  geschwürige,  mehr  gutartig  verlaufende 
und  zweitens  als  mehr  diffuse  infiltrierende  maligne  Tumoren,  die 
zu  raschem  Zerfall  und  zur  Metastasenbildung  neigen. 

Die  Symptome  zeigen  einige  Verschiedenheit  entsprechend  der 
Form  des  Tumors.  Bei  den  polypösen  Tumoren  überwiegen  die  Stenose¬ 
erscheinungen,  bei  den  geschwürigen  im  Anfang  mehr  die  Schmerzen. 

Die  Differentialdiagnose  gegenüber  dem  Karzinom  kann  nur  eine 
zufällig  richtige  sein,  wenn  nicht  eine  ösophagoskopische  Probeexzision 
sie  sicher  gestellt  hat. 

Therapeutisch  kann  bei  der  umschriebenen  Form  und  günstigem 
Sitz  des  Tumors  eine  Operation  in  Frage  kommen. 

Der  makroskopisch-anatomische  Befund  ergibt  in  manchen  Fällen 
ein  durchaus  charakteristisches  Bild,  welches  schon  mit  großer  Wahr¬ 
scheinlichkeit  die  Diagnose  Sarkom  stellen  läßt. 


570 


Max  Hirsch, 


Der  30.  Balneologenkongreß  in  Berlin. 

Von  Dr.  Max  Hirsch,  Arzt  in  Bad  Kudowa. 

(Schluß.) 

Erankenhäuser-Berlin  gibt  ausführliche  Darstellungen  über  den 
baineologischen  Unterricht  an  den  Universitäten.  Diesem  außerordent¬ 
lichen  interessanten  und  zeitgemäßen  Vortrage  entnehmen  wir  die  be¬ 
trübende  Tatsache,  daß  die  deutschen  Universitäten  von  jeher  auf  den 
baineologischen  Unterricht  ein  sehr  geringes  Gewicht  gelegt  haben. 
Die  Folge  davon  ist  die,  daß  die  weit  überwiegende  Mehrzahl  der  jungen 
Ärzte  in  die  Praxis  geht,  ohne  jemals  Balneologie  gehört  zu  haben. 
In  der  Klinik  ist  es  ja  nicht  möglich,  diesen  Fragen  eine  genügende 
Aufmerksamkeit  zu  widmen.  Daß  dieser  Zustand  sehr  viel  Schaden 
anrichtet,  und  auf  die  Dauer  nicht  haltbar  ist,  geht  ohne  weiteres 
daraus  hervor,  daß  doch  die  Balneotherapie  einen  wertvollen  Zweig  der 
Heilkunde  bedeutet  und  es  wohl  wenig  Ärzte  gibt,  die  nicht  in  die 
Lage  kommen,  ihren  Patienten  Bäder  zu  verordnen.  Vortr.  weist  auf 
die  außerordentlich  interessante  Statistik  von  K auf f mann  in  dem 
Deutschen  Bäderbuch  hin,  der  wir  entnehmen,  daß  die  deutschen  Kur¬ 
orte  jährlich  über  1000000  Kurgäste  auf  nehmen.  Zum  Schlüsse  macht 
Vortr.  einige  Vorschläge,  wie  der  Unterricht  in  der  Balneologie  zu 
fördern  sei  und  wie  die  Studierenden  gezwungen  werden  könnten,  sich 
eingehend  mit  Balneologie  zu  beschäftigen.  Solche  Maßnahmen  wären 
Prüfung  der  Balneotherapie  im  Staatsexamen,  Gründung  balneologischer 
Institute  an  allen  Universitäten  und  schließlich  regelmäßige  baineo¬ 
logische  Exkursionen  der  Studierenden.  Daß  der  Staat  ein  großes 
Interesse  daran  hat,  die  Balneologie  zu  kultivieren  und  bei  größter 
Sparsamkeit  für  den  Unterricht  in  der  Balneotherapie  materielle  Opfer 
zu  bringen  sind,  geht  daraus  hervor,  daß  unsere  Kurorte  einen  wich¬ 
tigen  Teil  unseres  Nationalvermögens  bedeuten,  indem  sie  schon  jetzt 
jährlich  mehr  als  370000000  Mark  einbringen.  In  der  sehr  lebhaften 
Diskussion  weist  D  et  er  mann  -St.  Blasien  darauf  hin,  daß  der  Student 
der  Medizin  heute  so  stark  mit  allen  anderen  Gegenständen  überlastet 
sei,  daß  für  die  Balneologie  keine  Zeit  übrig  bleibt.  So  sei  die  Balneo¬ 
logie  in  den  Studienplan  für  das  10.  Semester  und  für  dieses  auch  als 
nebensächlicher  Lehrgegenstand  empfohlen,  also  für  eine  Zeit,  in  welcher 
der  Student  seine  Sorgfalt  auf  die  für  das  Staatsexamen  ihm  wichtig 
erscheinenden  Gegenstände  verwendet.  Dieses  Schicksal  teile  die  Bal¬ 
neologie  mit  der  Ernährungslehre,  die  ebenfalls  als  ein  höchst  unwich¬ 
tiger  Gegenstand  angesehen  wird.  Kionka-Jena  sucht  die  balneologi- 
sclien  Vorlesungen  durch  Exkursionen  anziehender  zu  machen  und  glaubt, 
mit  Erfolg.  Br ieger- Berlin  spricht  sich  dafür  aus,  daß  besondere  In¬ 
stitute  für  die  gesamte  Therapie  errichtet  werden  müssen,  in  denen 
auch  die  Balneotherapie  kultiviert  würde.  Kisch  sen. -Marienbad  ist 
auch  der  Ansicht,  daß  den  Studenten  zu  wenig  Zeit  für  die  Balneo¬ 
therapie  bleibe,  so  daß  er  sich  gezwungen  sah,  diesen  wichtigen  Gegen¬ 
stand  am  Sonntag  zu  lesen,  damit  seine  Zuhörer  für  ihn  Zeit  hätten. 

Marc u,s -Pyrmont  machte  „die  Bestimmung  der  Blutbeschaffenheit 
in  ihrem  Bezug  auf  die  Verdauung“  zum  Gegenstand  seines  Vortrages. 
Er  führt  aus,  daß  im  Blüt  eine  Substanz  enthalten  sei,  welche  die 
fermentative  Zersetzung  der  eiweißhaltigen  Körper  verhindert.  Diese 
Substanz  ist  ein  Antiferment  des  Trypsins  und  wird  deshalb  Antitryp¬ 
sin  genannt.  Bei  vielen  Krankheiten  ist  sie  im  Blute  vermehrt,  bei 


Der  30.  Balneologenkongreß  in  Berlin. 


571 


anderen  vermindert.  Dieser  Umstand  hat  zu  dem  therapeutischen  Be¬ 
streben  geführt,  durch  eine  Verbesserung  des  Blutes  einen  heilenden  Ein¬ 
fluß  auf  die  betreffenden  Blutanomalien  auszuüben.  Es  ist  Brieger 
und  Trebing  gelungen,  den  bei  der  Krebskachexie  stark  vermehrten 
Antitrypsingehalt  des  Blutes  zur  Norm  zurückzubringen,  wobei  das 
Allgemeinbefinden  sich  bessert  und  das  Siechtum  auf  geh  alten  wird. 
Den  bei  Diabetes  herabgesetzten  Antitrypsingehalt  konnte  V ortragen¬ 
der  erhöhen  und  dadurch  auf  den  Diabetes  günstig  einwirken.  Da  die 
Veränderung  des  Antitrypsingehaltes  im  Blute  bei  einer  großen  Reihe 
von  chronischen  Krankheiten  vorkommt,  empfiehlt  Vortragender,  daß 
in  denjenigen  Kurorten,  in  denen  solche  chronischen  Zustände  günstig 
beeinflußt  werden,  ohne  daß  man  einen  bestimmten  Grund  für  die  Wirk¬ 
samkeit  der  Kurorte  bisher  nachweisen  konnte,  der  Antitrypsingehalt 
des  Blutes  besondere  Beachtung  finden  sollte.  Namentlich  sollte  der 
Antitrypsingehalt  des  Blutes  vor  und  nach  der  Kur  untersucht  werden. 

Brenn  er -Dürkheim  spricht  über  den  Wert  der  Antitrypsinbestim¬ 
mung  des  Blutes  für  Diagnose  und  Prognose  der  Anämie  und  die  Beein¬ 
flussung  durch  Arsenwasser.  Vortragender  fand  bei  fast  allen  Fällen 
von  Blutarmut  eine  mehr  oder  weniger  hohe  Steigerung  des  antitrypti- 
schen  Ferments.  Gleichzeitige  Untersuchungen  des  Hämoglobingehaltes 
und  der  korpuskulären  Elemente  ergaben  nur  in  etwas  der  Hälfte  der 
Fälle  sichere  Beziehungen,  derart,  daß  bei  verminderter  Zahl  der  roten 
Blutkörperchen  und  herabgesetztem  Hämoglobingehalt  sich  eine  entspre¬ 
chende  Vermehrung  des  Antitrypsins  findet.  In  den  Fällen,  in  denen  das 
Antitrypsin  wesentlich  verändert  und  das  Hämoglobin  wenig  ver¬ 
ändert,  ist  die  Prognose  sehr  ungünstig.  Vortragender  behandelte  eine 
Reihe  von  Patienten  mit  Dürkheimer  Maxquelle,  einem  kochsalzreichen 
Arsenwasser  und  konnte  damit  durchweg  gute  Erfolge  erzielen.  Dabei 
war  die  Antitrypsinbestimmung  der  beste  Beweis  für  den  augenblick¬ 
lichen  Zustand  des  Patienten. 

Brieger- Berlin  spricht  über  „den  Einfluß  physikalischer  Behand¬ 
lung  auf  die  Antifermentbildung  im  menschlichen  Blute“.  Vortragender 
führt  aus,  daß  sich  die  Brieger- Tr ebing’sche  Methode  für  die  Er¬ 
kennung  des  Krebses  als  sehr  wichtig  erwiesen  hat.  Es  hat  sich  außer¬ 
dem  gezeigt,  daß  man  durch  Pankreatin  vorübergehend  die  Kachexie  auf¬ 
halten  kann,  ohne  auf  das  Karzinom  selbst  zu  wirken.  Dabei  fand  sich, 
daß  weder  das  Trypsin  noch  Antitrypsin  in  Krebsknoten  selbst  war.  In 
einer  Reihe  von  Versuchen,  die  Vortragender  im  Verein  mit  Licht- 
witz  ausführte,  zeigte  sich,  daß  hydrotherapeutische  Prozeduren  auf 
den  Antifermentgehalt  von  gesunden  Menschen  keinen  Einfluß  aus¬ 
übten.  Dagegen  wurde  bei  anämischen  und  chlorotischen  Individuen 
durch  physikalische  Prozeduren  ein  abnormer  Antifermentgehalt  gün¬ 
stig  beeinflußt. 

L .  F  e 1 1 ne  r  -  Franzensbad  berichtete  über  , ,neue  U ntersuchungen  über 
die  physiologische  Wirkung  der  Kohlensäure-Gasbäder“.  Vortr.  hatte 
vor  einigen  Jahren  berichtet,  daß  kohlensaure  Gasbäder  die  Atmungs¬ 
und  Pulsfrequenz  zunehmen  und  den  systolischen  Blutdruck  steigen 
lassen.  Da  diese  Angaben  s.  Z.  auf  Widerspruch  stießen,  nahm  Vortr. 
die  Untersuchungen  wieder  auf  und  kam  zu  demselben  Ergebnis  wie 
früher  auch  mit  anderen  Untersuchungsmethoden  und  sieht  sich  aus 
dem  Grunde  verpflichtet,  die  Indikationen  und  Kontraindikationen  für 
die  kohlensauren  Gasbäder,  die  er  früher  aufgestellt,  aufrecht  zu 
erhalten. 


572 


Max  Hirsch, 


Strauß-Berlin  berichtet  über  ,, Blutdruck  und  Trinkkuren'*.  Vortr. 
sieht  es  als  eine  wichtige  Frage  für  die  Balneologie  an,  wie  weit 
Blutdrucksteigerungen  durch  Trinkkuren  beeinflußt  werden.  Am  wich¬ 
tigsten  sei  diese  Frage  bei  Nierenkrankheiten.  Neuere  Untersuchungen 
des  Vortr.  führten  zu  dem  Resultat,  daß  die  Zufuhr  mittlerer  oder 
größerer  Mengen  Flüssigkeit  die  Blutdrucksteigerung  nicht  ungünstig 
beeinflußt.  Da  frühere  Untersuchungen  des  Vortragenden  über  den 
Beststickstoffgehalt  im  Blutserum  und  auch  neuere  Befunde  dafür 
sprechen,  daß  die  Blutdrucksteigerung  bei  Nierenkranken  durch  eine 
Zurückhaltung  von  stickstoffhaltigen  Stoffwechselprodukten  bedingt 
ist,  welche  infolge  mangelhafter  Nierentätigkeit  nicht  genügend  aus¬ 
geschieden  werden,  so  glaubt  Vortr.,  daß  Trinkkuren  in  solchen  Fällen 
durch  die  Ausschwemmung  giftiger  Produkte  direkt  nützen  können. 
Die  Blutdrucksteigerung  bei  Nierenkranken  hält  Vortr.  für  einen  zweck¬ 
dienlichen  Vorgang.  Mit  Kochsalzzufuhr  soll  man  bei  Nierenkranken 
vorsichtig  sein,  wenn  sie  auch  den  Blutdruck  nicht  erhöhen.  Wie  weit 
abführende  Wässer  den  Blutdruck  herabsetzen,  muß  noch  weiter  unter¬ 
sucht  werden. 

Dove- Berlin  sprach  über  ,, klimatische  Fragen  in  der  Balneologie* ‘. 
Er  betont  die  Notwendigkeit,  das  meteorologische  Beobachtungsmaterial 
in  größerem  Umfange  als  bisher  den  Ärzten  zugänglich  zu  machen. 
Für  die  Zwecke  der  Mediziner  müßten  außerdem  für  diese  wenig 
brauchbaren  Mittelwerte  genaue  Angaben  der  Häufigkeit  bestimmter 
Extreme  und  Schwankungen  und  der  Dauer  gewisser  Perioden  und 
Witterungserscheinungen  (z.  B.  in  den  Sommerfrischen  der  Häufigkeit 
und  Dauer  bestimmter  Hitzeperioden)  veröffentlicht  werden.  Eine  Er¬ 
weiterung  des  Beobachtungsnetzes  ist  namentlich  in  den  von  Kur¬ 
gästen  und  Erholungsreisenden  besuchten  Gegenden  dringend  erwünscht. 

G utzmann-Berlin  trug  über  ,,die  Behandlung  der  Neurosen  der 
Stimme  und  Sprache“  vor.  Vortr.  bespricht  zunächst  nur  diejenigen 
Krankheitszustände,  auf  welche  sich  sein  Thema  bezieht.  Stottern, 
Aphthongie,  funktionelle  Aphasien,  die  traumatischen  Neurosen  der 
Stimme  und  Sprache  usw.  und  geht  dann  auf  die  Übungstherapie  über, 
die  in  neuerer  Zeit  durch  sorgfältige  praktische  Untersuchungen  der 
fehlerhaften  stimmlichen  und  sprachlichen  Vorgänge  wesentliche  Fort¬ 
schritte  gezeigt  hat.  Vortr.  zeigt  einige  Instrumente,  deren  er  sich  für 
seine  Ubungstherapie  bedient,  z.  B.  für  die  Einatmung  bei  gewissen 
Stimmstörungen  das  Druckdifferenz  verfahren  von  Brat,  die  elektrisch 
betriebene  Stimmgabel  usw.  Zum  Schlüsse  empfiehlt  er  eine  ausgiebige 
Allgemeinbehandlung  bei  den  Neurosen  der  Stimme  und  Sprache  und 
zeigt,  wie  Klimatotherapie,  Regelung  der  Diät  usw.  oft  genügten, 
um  eine  Heilung  herbeizuführen.  Die  Hypnose  verwirft  er  ganz  beson¬ 
ders  bei  Kindern  und  schließt  sich  dem  Urteil  Ziehens  an,  daß  Hypnose 
bei  Kindern  direkt  als  Unfug  anzusehen  ist. 

Beerwald- Altheide  sprach  über  ,,das  Verhalten  der  Kohlensäure 
in  künstlichen  und  natürlichen  Kohlensäurebädern“.  An  200  Unter¬ 
suchungen  des  Badewassers  und  der  Luft  über  dem  Bade  an  natür¬ 
lichen  und  künstlichen  Kohlensäurebädern  kam  Vortr.  zu  dem  Resultat, 
daß  in  den  künstlichen  Bädern  die  Kohlensäure  nicht  so  gleichmäßig 
verteilt  ist  wie  in  den  natürlichen,  daß  sie  ferner  bei  Zunahme  von 
Zeit  und  Wärme  bei  künstlichen  Bädern  schneller  entweicht  als  bei 
natürlichen.  Infolgedessen  ruht  beim  künstlichen  Bade  auf  der  Ober¬ 
fläche  eine  Kohlensäureschicht,  deren  Einatmung  für  den  Körper  schäd- 


Der  30.  Balneologenkongreß  in  Berlin. 


573 


lieh  ist  und  die  beim  natürlichen  Bade  unbedeutend  ist.  Für  die  künst¬ 
lichen  Bäder  ergibt  sich  daraus  die  praktische  Forderung,  daß  sie  nicht 
zu  lange  genommen  werden  dürfen,  und  daß  der  Kopf  des  Badenden 
ziemlich  hoch  über  der  Oberfläche  des  Badewassers  ist. 

Fürstenberg-Berlin  spricht  über  die  „hydriatische  Behandlung 
der  Neurasthenie“.  In  seinem  klaren,  übersichtlichen  Vortrag,  der 
namentlich  für  die  Praktiker  von  großer  Bedeutung  ist,  sieht  Vortr. 
die  Kunst  bei  der  Behandlung  der  Neurasthenie  durch  die  Hydro¬ 
therapie  in  der  exakten  Dosierung  der  hydriatischen  Beize.  Nur  die 
Beherrschung  der  hydriatischen  Technik  ermöglicht  es  dem  Arzte,  bei 
einer  unter  verschiedenartigen  Bildern  auftretenden  Krankheit,  wie 
es  die  Neurasthenie  ist,  die  richtigen  hydriatischen  Verordnungen  zu 
finden.  Vor  allem  sollte  man  sich  vor  dem  ,, Zuviel“  hüten.  Bei  der 
Behandlung  selbst  empfiehlt  Vortr.  in  Betracht  zu  ziehen,  ob  die 
Zeichen  der  gesteigerten  Erregung  oder  die  der  Erschöpfung  mehr  in 
den  Vordergrund  treten.  In  beiden  Fällen  kann  man  am  Morgen,  der 
sich  mehr  der  Allgemeinbehandlung  der  Neurasthenie  widmet,  mit 
Teilabwaschungen  beginnen,  die  sehr  milde  Beize  sind.  Später  geht 
man  dann  zu  Ganzabwaschungen,  Schwammbädern  oder  Halbbädern 
über.  Bei  Erregten  bewähren  sich  sehr  gut  Packungen  und  protrahierte 
und  indifferente  Bäder.  In  Krankenhäusern,  Sanatorien  usw.  stehen 
dem  Arzte  noch  viele  reaktionsbefördernde  Mittel  zur  Verfügung,  z.  B. 
wechselarme  Fächerduschen.  Die  einzelnen  Symptome  der  Neurasthenie, 
wie  Schlaflosigkeit,  Kopfschmerzen,  sexuell-neurasthenische  Erschei¬ 
nungen  lassen  sich  ebenfalls  sehr  gut  durch  richtig  angewandte  Hydro¬ 
therapie  bekämpfen.  Vortr.  hält  an  dem  Grundsatz  fest,  vor  allem 
stets  zu  individualisieren  und  die  einzelnen  Prozeduren  in  ihrer  Stärke 
den  gewünschten  Beizen  entsprechend  zu  geben. 

Tobias- Berlin  spricht  über  „intermittierendes  Hinken“.  An  der 
Hand  von  neun  von  ihm  beobachteten  Fällen  gibt  er  einen  Überblick 
über  dieses  Krankheitsbild.  Als  Hauptursache  sieht  er  die  Arterio¬ 
sklerose  an.  Man  unterscheidet  drei  Formen,  die  Charco  t-Erb’sche 
Form,  die  auf  arteriosklerotischer  Basis  beruht,  ferner  die  D  e  j  er  ine’ sehe 
Form  und  schließlich  die  Oppenheimsche  gutartige  Form.  Für  alle 
Gruppen  empfiehlt  er  eine  Regelung  des  hygienisch  diätetischen  Ver¬ 
haltens.  Für  die  Oppenheim  sche  Form  hält  er  Halbbäder  und  schot¬ 
tische  Duschen,  sowie  Kohlensäure-  und  Sauerstoffbäder,  galvanische 
Teilbäder  und  Übungskuren  für  indiziert.  Für  die  D  e  j  erine’sche  Form 
empfiehlt  er  die  Schmierkur  und  für  die  Charco  t-Erb’sche  Form  eine 
Allgemeinbehandlung  der  Arteriosklerose. 

Häb  er  l  ein- Wyk  a.  Föhr  spricht  über  „die  Kinderseehospize 
Europas  und  ihre  Besultate“.  Vortr.  berichtet,  daß  die  Seekur  seit  über 
100  Jahren  systematisch  benutzt  wird  bei  Skrofulöse,  Tuberkulose, 
Anämie  und  Katarrhen.  Die  Besultate  sind  sehr  günstige,  besonders 
in  Frankreich,  dessen  Seehospizwesen  am  meisten  entwickelt  ist.  Die 
schlechtesten  Besultate  erzielen  Deutschland  und  Italien  und  zwar 
deshalb,  weil  bei  ihnen  die  Durchschnittskur  eine  zu  kurze  ist  (4  bis 
6  Wochen),  während  in  Frankreich  die  Durchschnittskur  400 — 500  Tage 
beträgt.  Vortr.  gibt  einen  Überblick  über  die  Seehospize  in  den  einzelnen 
Staaten  und  zeigt  dabei,  daß  Deutschland  eine  untergeordnete  Bolle 
in  dem  ganzen  Seehospizwesen  einnimmt,  deshalb  empfiehlt  er,  daß 
sich  die  Städte  und  andere  Verbände  mehr  für  das  Seehospizwesen 
interessierten. 


574 


Max  Hirsch,  Der  80.  Baineologenkongreß  in  Berlin. 


I  mm  el  mann -Berlin  spricht  über  ,,die  Behandlung  der  Gelenk¬ 
steifigkeit  mittels  Bier’seher  und  T y  r  r  n au e r’  scher  Apparate“.  Vortr. 
ist  der  Ansicht,  daß  die  Behandlung  der  Gelenksteifigkeiten  mit  den 
genannten  Apparaten  gute  Erfolge  erzielen  läßt,  er  weiß  aber  die  Be¬ 
deutung  der  Röntgenuntersuchungen  nicht  zu  unterschätzen.  Handelt 
es  sich  bei  den  Gelenken  um  eine  knöcherne  Ankylose,  dann  wird  die 
genannte  Therapie  nutzlos  sein,  dagegen  bei  bindegewebiger  Ankylose 
gute  Erfolge  zeigen.  Yortr.  demonstrierte  die  Tyrrnaueir’schen  Appa¬ 
rate  und  hebt  ihre  Vorzüge  hervor,  ebenso  auch  die  Bier’schen  Appa¬ 
rate.  Zum  Schluß  hebt  er  die  Bedeutung  der  Massage  und  Gymnastik 
hervor. 

Hir  sch-Kudowa  bespricht  „die  Balneotherapie  im  Kindesalter“. 
Yortr.  geht  von  dem  Gedanken  aus,  daß  die  Balneotherapie  in  der 
Kinderheilkunde  noch  zu  wenig  Beachtung  findet.  Nur  auf  dem  Gebiete 
der  Sol-  und  Seebäder  werde  wissenschaftlich  und  praktisch  gearbeitet. 
Yortr.  gibt  dann  einen  Überblick  darüber,  in  welchen  anderen  Gruppen 
von  Bädern  sich  Kinderheilkunde  und  Balneotherapie  zusammenfinden. 
Besonders  weist  er  auf  die  Stahlbäder,  alkalischen  Quellen,  Moorbäder 
und  das  Höhenklima  hin.  Die  Ursache  für  diese  ungenügende  Berück¬ 
sichtigung  der  Balneotherapie  im  Kindesalter  sieht  Vortr.  in  wirt¬ 
schaftlichen  Verhältnissen  der  Bäder.  Er  spricht  zum  Schluß  die 
Hoffnung  aus,  daß  ebenso  wie  die  Seeheilstätten,  nachdem  sie  nur  in 
Angriff  genommen  wurden,  esl  zu  einer  großen  Bedeutung  gebracht  haben, 
auch  nur  das  Interesse:  für  die  Balneotherapie  im  Kindesalter  geweckt 
werden  braucht,  um  die  Segnungen  der  Bäder  auch  den  Kindern  zugute 
kommen  zu  lassen,  zumal  wir  ja  in  dem  „Jahrhundert  des  Kindes“  leben. 

Boro  den  ko -Charkow  trägt  seine  „Untersuchungen  zur  physio¬ 
logischen  Wirkung  kaukasischer  Mineralwässer  auf  die  Verdauungs¬ 
organe“  vor.  Die  Untersuchungen  Borodenkos  unter  Bickels  Leitung 
ergaben,  daß  die  Mineralwässer,  welche  die  Magensekretion  unter¬ 
drücken,  dieselbe  Wirkung  auf  die  Sekretion  des  Pankreas  ausüben, 
da  beide  Organe  im  engsten  Zusammenhänge  miteinander  stehen.  Wenn 
man  im  Organismus  in  bezug  auf  den  Alkaligehalt  eine  künstliche  Er¬ 
schöpfung  herbeiführt,  so  tritt  ein  Moment  ein,  in  welchem  das  Pankreas 
und  sein  gewöhnlicher  Erreger,  die  Salzsäure,  zu  reagieren  aufhört, 
wenn  man  jetzt  alkalische  Mineralwässer  einführt,  beginnt  das  Pankreas 
normal  zu  funktionieren.  Ebenso  ist  das  Verhältnis  der  Magensekretion 
bei  Kochsalzentziehung  und  späteren  Zuführung  von  Kochsalzwässern. 
In  der  Diskussion  hebt  Meyer -Kis singen  hervor,  daß  die  Geschwin¬ 
digkeit  der  Verweilung  vom  Trinkwasser  im  Magen  eine  geringere  sei 
als  bei  den  Kochsalzwässern  Kissingens.  Er  sieht  in  der  längeren  Ver¬ 
weildauer  der  salzhaltigen  Lösung  eine  Schutzvorrichtung  des  Orga¬ 
nismus. 

Weidenbaum-Neuenahr  machte  „Mitteilungen  über  das  deutsche 
Eango  aus  der  vulkanischen  Eifel“.  Diese  Substanz  sei  radioaktiv, 
weiche  von  dem  italienischen  Eango  in  der  Zusammensetzung  zwar 
ab,  aber  verhalte  sich  sowohl  physiologisch  wie  auch  therapeutisch 
genau  so  wie  jenes. 

Einen  Tag  vor  Beginn  des  Kongresses  fand  die  Führung  durch 
das  pathologische  Museum  durch  Prof.  Dr.  Beitzke  statt,  die  gro߬ 
artige  Sammlung,  welche  wohl  in  der  ganzen  Welt  nicht  ihres  gleichen 
aufzuweisen  hat  und  die  allgemeine  Bewunderung  hervorrief.  An  diese 
Führung  schloß  sich  ein  kurzer  Besuch  der  experimentell-biologischen 


Referate  und  Besprechungen. 


575 


Abteilung  des  pathol.  Instituts  an,  die  unter  Leitung  von  Prof.  Dr. 
Bickel  steht  und  den  modernsten  Zweig  der  medizinischen  wissen¬ 
schaftlichen  Forschung  darstellt.  Darauf  fand  eine  Demonstration  der 
Bi  ersehen  Hyperämiebehandlung  und  anderer  neuerer  physikalischer 
Maßnahmen  in  der  chirurgischen  Universitätsklinik  durch  Prof.  Dr. 
Klapp  statt.  In  einem  längeren  Vortrag  setzte  Prof.  Klapp  aus¬ 
einander,  daß  die  Beziehungen  zwischen  der  Balneologie  und  Chirurgie 
durch  die  neueren  physikalischen  Heilmethoden  gegeben  sind.  Zunächst 
besprach  er  die  moderne  Skoliosenbehandlung  nach  der  von  ihm  einge¬ 
führten  Kriechmethode.  Die  Tatsache,  daß  Vierfüßler  niemals  Skoliosen 
zeigen,  wohl  aber  Vögel  und  zwar  gerade  die  domestizierten  unter 
ihnen,  brachte  den  Vortr.  dazu,  skoliotische  Kinder  systematisch  kriechen 
zu  lassen  und  zwar  jedes  Kind  individuell  nach  eigenem  Rezept,  Vortr. 
demonstrierte  24  Kinder,  die  er  ihre  systematischen  Übungen  vor¬ 
nehmen  ließ.  Die  Mobilisierung  der  Wirbelsäule  geht  auf  diese  Weise 
am  besten  vor  sich.  Die  Stabilisierung  der  Wirbelsäule  wird  durch 
Übungen  erreicht,  welche  dem  deutschen  Turnen  entnommen  sind.  Diese 
Behandlungsmethode  der  Skoliose  ist  auf  rein  physiologischen  Grund¬ 
sätzen  aufgebaut.  Vortr.  empfiehlt  sie  im  Freien  vornehmen  zu  lassen, 
da  er  die  allgemeine  Kräftigung  des  Organismus  dabei  für  sehr  wichtig 
anspricht.  Sodann  demonstriert  Vortr.  eine  Reihe  von  Bier’schen  Appa¬ 
raten,  welche  der  Mobilisierung  von  Gelenken  dienen.  Die  größten 
Triumphe  erzielt  die  Bier’ sehe  Behandlung  bei  den  Gelenkgonorrhöen. 
Sodann  demonstriert  er  die  Heißluftkästen,  Saugapparate  usw.  Zuletzt 
erörtert  Vortr.  den  Heißluftstrom,  der  besondere  Erfolge  bei  Residuen 
der  Entzündungen  zeigt  und  bei  dem  neben  der  heißen  Luft  die  Stärke 
der  Windströmung  eine  Wirkung  ausübt. 

Von  der  geselligen  Seite  des  Kongresses  sei  der  Besuch  des  Eis¬ 
palastes  hervorgehoben,  jener  modernsten  Stätte  des  altbeliebten  Eis¬ 
laufsports  in  Berlin.  Der  Besuchsabend,  an  dem  gerade  der  Entschei¬ 
dungskampf  des  Hockeyspiels  stattfand,  war  außerordentlich  interessant 
und  ließ  die  Kunst  der  elastischen  Bewegungen  auf  dem  Eise  bewun¬ 
dern.  Einige  Momente  wurden  auch  dem  Zandersaal  des  Eispalastes 
gewidmet,  dessen  Zweckmäßigkeit  und  Eleganz  allseitigen  Beifall  fand. 

Der  nächste  Balneologen-Kongreß  wird  wiederum  in  Berlin  statt¬ 
finden  und  zwar  in  Verbindung  mit  der  Säkularfeier  der  Hufe  ländi¬ 
schen  Gesellschaft,  aus  deren  Reihen  die  Baineologische  Gesellschaft 
hervorgegangen  ist.  Wir  wollen  uns  hier  der  angenehmen  Hoffnung 
hingeben,  daß  der  Kongreß  sich  weiter  entwickeln  möge  zum  Segen 
unserer  Bäder  und  zur  Ehre  der  Wissenschaft. 


Referate  und  Besprechungen. 

Innere  Medizin. 

lieber  die  Tuberkulinbehandlung  der  Lungentuberkulose. 

(F.  Kl  e  mp  er  er.  Ther.  der  Gegenw.,  Nr.  2,  1909.) 

Klein  per  er  kommt  zu  dem  Schlüsse,  daß  das  Tuberkulin  kein  erwiesenes 
Heilmittel  der  Tuberkulose  ist.  Dabei  ist  er  kein  prinzipieller  Gegner  des 
Tuberkulins,  wendet  es  vielmehr  nicht-  selten  an,  vermeidet  aber  jede  Reaktion, 
bleibt  also  vermutlich  unter  der  Schwelle  der  Wirksamkeit  dieses  Arznei!  ?)- 
gifts.  — 

Es  ist  wohl  menschlich  verzeihlich,  wenn  jeder  sich  zu  seinen  Beobach- 


576 


Referate  und  Besprechungen. 


tungen  eine  Theorie,  die  seinen  geistigen  Bedürfnissen  entspricht,  zu  bilden 
versucht.  Das  Alttuberkulin  ist  ein  Auszug  giftiger  Stoffwechselprodukte 
der  Tuberkelbazillen.  Hat  davon  der  Phthisiker  nicht  schon  so  viel  in  sich, 
daß  sein  Bedarf  einigermaßen  gedeckt  ist?  Ref.  hat  alle,  die  Tuberkulin 
spritzen,  in  V erdacht  geheimen  Einverständnisses  mit  der  Homöopathie.  Was 
würde  man  sagen,  wenn  einer  einem  Gichtkranken  Harnsäure  oder  einem 
Diabetiker  Zucker  unter  die  Haut  spritzte? 

Zugegeben,  daß  solche  Erwägungen  falsch  sein  können,  weil  unbekannte 
Faktoren  außer  acht  gelassen  worden  sind.  In  solchen  Fällen,  wo  Theorie 
und  Erfahrung  einander  widersprechen,  hat  letztere  zu  entscheiden.  Aber 
nunmehr  nach  20  Jahren  müßten  doch,  wenn  wirklich  das  Tuberkulin  ein 
Heilmittel  wäre,  beweisende  Erfolge  in  erdrückender  Zahl  vorliegen!  Wer 
sie  vorhanden  glaubt,  der  beweist  die  geistige  Anspruchslosigkeit,  über  die 
sich  K  lern  per  er  in  vorliegender  Arbeit  mit  viel  Witz  lustig  macht. 

_  F.  von  den  Velden. 

Komplikation  des  Abdominaltyphus  mit  Gangrän  der  Extremitäten. 

(S.  E.  Biron.  Wiener  klin.  Wochenschr.,  Nr.  20,  1908.) 

Der  Autor  beschreibt  einen  Fall  von  Gangrän  des  Unterschenkels  in 
der  3.  Woche  eines  leichten  Typhus  bei  einem  21jährigen  Mädchen  und 
kommt  nach  eingehender  Würdigung  der  nicht  sehr  reichen  Literatur  zu 
dem  Schluß,  daß  die  Ursache  der  Erkrankung  in  toxischer  Endarteritis,  er¬ 
höhter  Gerinnbarkeit  des  Blutes  und  daraus  folgender  Thrombenbildung  zu 
suchen  ist.  Die  Prognose  ist  nicht  ganz  ungünstig.  E.  Oberndörffer. 


Typhusbazillen  52  Jahre  nach  der  Erkranknng  im  Körper. 

(Gregg.  The  med.  Rev.,  1908.  —  Gazette  med.  de  Paris,  Nr.  26,  1908.) 

In  einer  kleinen,  gut  geleiteten,  hygienisch  anscheinend  einwands¬ 
freien  Pension  kamen  1905 — 1908  sieben  Fälle  von  Typhus  vor.  Lange 
blieb  es  dunkel,  von  wem  die  Ansteckung  ausgegangen  sein  könnte,  bis  es 
jemand  einfiel,  daß  die  74 jährige  Wirtin  als  junges  Mädchen  1856  Typhus 
durchgemacht  hätte.  Sie  hatte  dann  1862  geheiratet  und  1902  ihren  Mann 
an  Schwindsucht  verloren,  war  während  der  ganzen  Zeit,  abgesehen  von 
gelegentlichen  Diarrhöen  mit  Kopfweh,  stets  gesund  gewesen.  Seit  1902 
besorgte  sie  die  Küche. 

Man  goß  sofort  Conradi-Drigalki-Platten  von  ihr,  und  da  wuchsen 
denn  auch  Kulturen,  welche  alle  Eigenschaften  des  sog.  Typhusbazillus  darboten. 
Die  Ätiologie  schien  mithin  klar  gestellt.  Ich  glaube,  daß  manch  einer  dieser 
Geschichte  skeptisch  gegenüber  steht  und  sich  an  Gregg’s  Landsmann,  den 
genialen  Franziscus  Glisson,  erinnert,  der  in  der  Vorrede  zu  seinem  be¬ 
rühmten  Tractatus  de  natura  substantiae  energetica  MDCLXXII  sagt:  ,,Qui 
uni  objecto  valde  inten tus  est  idque  praesertim  quasi  ecstatice  contemplatur, 
alia  simul  externis  organis  obvia  non  sentit.  Similiter  in  somnis  oiünes 
sensus  externi  otiantur“.  Buttersack  (Berlin). 

Ueber  die  Serumbehandlung  des  Milzbrandes  beim  Menschen. 

(A.  Läwen,  Leipzig.  Deutsche  Zeitschr.  für  Chir.,  Bd.  95,  H.  6.) 

Sclavo-Rom  hat  1895  Versuche  einer  passiven  Immunisierung  von 
Tieren  gegen  Milzbrand,  1897  die  ersten  Injektionen  beim  Menschen  mit 
günstigem  Erfolg  ausgeführt.  Verf.  berichtet  über  7  Fälle  der  Leipziger 
Klinik,  welche  mit  dem  von  Merck  in  den  Handel  gebrachten,  durch  kombi¬ 
nierte  aktive  und  passive  Immunisierung  von  Pferden,  Rindern  und  Schafen 
hergestellten  Sobernheim’schen  M’ilzbrandserum  behandelt  wurden.  Drei  Fälle 
endeten  letal.  Das  Ödem  nahm,  abgesehen  von  diesen  beiden  zum  Tode  führenden 
Fällen,  nach  der  Injektion  ab.  In  der  Regel  folgte  auf  die  Einspritzung  zunächst 
ein  Anstieg;  dann  folgte  ein  starker  Abfall,  welchen  man  freilich  auch  ah  und 
zu  bei  nicht  spezifisch  behandelten  Fällen  sieht.  Über  die  Beeinflussung 
der  Störungen  des  Sensoriums  waren  sichere  Beobachtungen  nicht  zu  erheben. 


Referate  und  Besprechungen.  • 


577 


Eine  rasche  Einwirkung  auf  den  Gesamtverlauf  der  Erkrankung,  wie  sie 
in  der  Literatur  mehrfach  berichtet  wird,  wurde  nicht  gesehen,  doch  war  in 
Übereinstimmung  mit  früheren  Mitteilungen  eine  schädigende  Wirkung  mit 
Sicherheit  auszuschließen. 

Wenn  daher  ein  abschließendes  Urteil  über  den  Wert  der  spezifischen 
Behandlung  auf  Grund  der  bisherigen  Beobachtungen  der  Klinik  nicht  mög¬ 
lich  ist,  so  darf  die  Therapie  doch  um  so  mehr  empfohlen  werden,  als  nach 
der  von  Sela vo  und  Men  de  z  gegebenen  Berechnung  die  Mortalitätsziffer 
auf  5 — 6%  herabgesetzt  ist.  Beim  Erwachsenen  sind  etwa  30 — 40  ccm  des 
Sobernheim’sehen  Serums  intravenös  zu  injizieren;  die  Injektion,  welcher 
in  den  nächsten  Tagen  subkutane  Injektionen  kleinerer  Serummengen  folgen, 
kann,  wenn  erforderlich,  am  gleichen  oder  folgenden  Tage  wiederholt  werden. 

_  F.  Kayser  (Köln). 

Die  Differentialdiagnose  des  Erysipels. 

(Milian,  Paris.  Progr.  med.,  Nr.  30,  1908.  —  Allg.  Wiener  mecl.  Ztg.,  Nr.  35,  1908.) 

Das  Erysipel  wird  häufig  verwechselt  mit  akutem  Ekzem,  artefizieller 
Dermatitis,  Herpes  zoster  ophth.,  von  den  Zähnen  ausgehenden  Entzündungs- 
zuständen,  Dakrocystitis,  Mumps  usw.  Der  meist  als  charakteristisches 
Zeichen  erklärte  Erysipelrand  ist  oft  nicht  vorhanden,  dagegen  konnte  Milian 
als  Leiter  der  Erysipelabteilung  im  Spital  der  Bastion  29  drei  konstante, 
absolut  pathognomonische  Kennzeichen  feststellen,  die  in  zweifelhaften  Fällen 
gute  Dienste  leisten.  Er  bezeichnet  sie  als: 

1.  Das  Kennzeichen  des  zentrifugalen  Maximums.  Im  Gegen¬ 
satz  zu  anderen  entzündlichen  Affektionen  befindet  sich  das  Maximum  der 
Schwellung,  Rötung  und  Schmerzhaftigkeit  nicht  im  Zentrum,  sondern  an 
der  Peripherie  lokalisiert  (eine  Ausnahme  bildet  das  Augenlid,  das  beim 
„zentrifugalen  Absehätzen“  nicht  in  Betracht  gezogen  werden  darf). 

2.  Das  Kennzeichen  des  Mi  tergrif' f  enseins  der  Ohrmuschel. 
Während  Abszesse,  Phlegmone,  Parotiticlen  an  der  Ohrmuschel  halt  machen, 
weil  ihr  das  subkutane  Zellgewebe  fehlt,  greift  das  Erysipel  als  Dermatitis 
auf  sie  über. 

3.  Das  Kennzeichen  der  Druckempfindlichkeit.  Es  muß  nach 

M.  mehr  als  bisher  beachtet  werden.  Dank  demselben  kann  man  z.  B.  immer 
die  Grenze  des  Erysipels  auf  der  behaarten  Kopfhaut,  wo  es  unsichtbar  ist, 
genau  abtasten.  Druckempfindlichkeit  fehlt  bei  Ekzem,  Herpes  zoster  ophthal- 
micus,  Parotitis,  sie  ist  bei  Parulis,  Dakryocystitis  nur  im  Zentrum  der 
Affektion  vorhanden,  während  sie  bei  Erysipel  überall,  besonders  aber  an  der 
Peripherie  konstatiert  werden  kann.  Esch. 


lieber  das  Verhalten  der  Bordefschen  Reaktion  bei  Variola. 

(Dr.  Beintker.  Zentralbl.  für  Bakt.,  Bd.  48,  II.  4,  1909.) 

Das  Resultat  seiner  Unter suchüngen  läßt  sich  kurz  dahin  zusammen¬ 
fassen,  daß  die  Kuhpockenlymphe  sich  gegen  das  Serum  eines  Variola  infi¬ 
zierten  Menschen  und  eines  mit  Pockenorganextrakt  immunisierten  Kanin¬ 
chens  wie  ein  Antigen  verhält.  Die  Kontrollen  mit  Normalserum  haben 
stets  ein  negatives  Resultat  ergeben.  Es  fragt  sich1,  ob  diese  Methode  der 
Komplementbindung  auch  als  differentialdiagnostisches  Mittel  bei  pocken¬ 
verdächtigen  Fällen  angewandt  werden  könnte.  Die  Methode  hat  ihre  Vor¬ 
züge,  da  die  Lymphe  weit  leichter  als  der  Organextrakt  zu  beschaffen  ist. 

_  Schürmann  (Düsseldorf). 

Contribution  au  traitement  du  mal  de  mer. 

(Dr.  Vandaele.  Les  nouveaux  remedes,  Nr.  2,  1909.) 

Man  unterscheidet  2  Formen:  die  psychische  und  die.  somatische  oder 
wirkliche  Naupathie.  Eine  genaue  Abgrenzung  ist  oft  recht  schwer.  Finden 
wir  einen  Anfall  bei  ruhiger  See,  so  haben  wir  es  meist  mit  der  1.  Form 
zu  tun,  ebenso  bei  recht  stürmischem  Verlaufe  des  Krankheitsbildes,  wobei 

37 


578 


Referate  und  Besprechungen. 


dann  meist  das  alte  Sprichwort,  gestrenge  Herren  regieren  nicht  lange,  recht 
voll  zum  Ausdruck  kommt.  Als  bestes  Mittel  hat  sich  das  Validol  bewährte 
Hinsichtlich  der  therapeutischen  Aktion  sind  3  Gesichtspunkte  zu  verfolgen : 
1.  Vermehrung  des  arteriellen  Druckes,  2.  Verminderung  der  zentralen  ner¬ 
vösen  Reizung  und  3.  analgetische  Einwirkung  auf  die  Magennerven.  Das 
beste  Mittel  ist  die  Hypnose  und  da  dies  meist  nicht  zur  Verfügung  steht, 
ist  man  auf  die  Methode  der  indirekten  Suggestion  unter  Hilfenahme  des 
Validol  angewiesen.  Man  läßt  den  Kranken  mit  gebeugten  Knien,  tiefliegen¬ 
dem  Kopf  am  besten  auf  der  rechten  Seite  liegen,  um  Magen  und  Herz 
nicht  zu  behindern,  und  verbietet  jede  Bewegung.  Dann  lenkt  man  ihn  zu¬ 
nächst  durch  eine  nicht  ermüdende  Unterhaltung  ab,  die  in  erster  Linie 
die  Anamnese  (eventuell  neuropathise'he  Anlage)  feststellt  und  dann  allge¬ 
meiner  Natur  wird,  gibt  dann  auf  einigen  kleinen  Stückchen  Zucker  oder 
Biskuit  7  Tropfen  Validol  mehrmals  in  20 — 25  Minuten  langen  Pausen,  ohne 
jedoch  dem  Kranken  das  Medikament  in  die  Hand  zu  geben;  entfernt  sich  in 
den  Zwischenpausen  ein  paarmal,  ihn  intensiv  auf  die  rasche  und  ausgiebige 
Wirkung  des  Validols  hinweisend.  Man  gibt  dem  Kranken  ruhig  zu  essen 
naeh  seinem  Geschmack,  feste  Nahrung,  verbietet  aber  jedes  Getränk,  oder 
wenn  dies  nicht  zu  machen  ist,  verabreicht  man  Eis,  Kaffee  oder  Champagner 
löffelweise.  Gewöhnlich  pflegt  der  Kranke  nach  der  Mahlzeit  einige  Stunden 
zu  schlafen.  Dem  Schwindel,  namentlich  bei  der  Vornahme  der  Toilette, 
begegnet  man  am  besten,  indem  man  den  Kranken  sich  wieder  in  kleinen 
Pausen  hinlegen  läßt,  während  er  schließlich  dabei  seine  Toilette  vollendet. 
Sobald  nun  eine  Besserung  erreicht  ist,  läßt  man  den  Patienten  auf  Deck, 
auf  seinen  Stuhl,  wo  er  zunächst  die  Augen  einige  Zeit  geschlossen  hält. 
Verf.  ist  nicht  für  die  Spaziergänge  auf  Deck  gleich  nach  dem  Essen.  Bei 
Schlaflosigkeit  gibt  man  1,0  Sulfonat,  außerdem  ist  eine  etwaige  Konstipation 
zu  bekämpfen. 

Was  die  somatische  Neupathie  anlangt,  so  ist  dieselbe  im  wesentlichen 
nach  der  herrschenden  Anschauung  eine  Reizung  des  plexus  solaris,  besonders 
der  semilunären  Ganglien.  Meist  ist  sie  mit  der  ersteren  kombiniert. 

Erreicht  man  auf  die  angegebene  Weise  keine  Besserung,  so  legt  man 
den  Kranken  ins  Bett,  appliziert  auf  die  Magengrube  einen  Wattebausch  und 
umgürtet  den  Bauch  fest  mit  einem  Handtuch.  Erreicht  man  auch  damit 
keine  Besserung,  so  verabreicht  man  alle  1/2  Stunden  anfangs  folgende  Arznei 
kaffeelöffelweise:  Morph,  mur.,  Cocain,  mur.  ää  0,1,  Chloroform  Gtt  V, 
Aq.  dest.  100,0.  v.  Sehnizer  (Danzig). . 


Chirurgie. 

lieber  Stauungsblutungen  nach  Kompression  des  Rumpfes. 

(E.  Ruppanner.  Korrespondenzbl.  für  Schweizer  Ärzte,  Nr.  2,  1909.) 

Mitteilung  von  vier  Fällen,  welche  die  bekannten  Ekchymosen  des  Kopfs 
und  der  Brust,  der  Konjunktiven  und  teilweise  der  Trommelfelle,  zyanotisches 
und  gedunsenes  Gesicht  aufwiesen.  Als  ungewöhnlicher  Befund  kam  bei 
zwei  Frauen,  die  bei  Gelegenheit  einer  Panik  gequetscht  worden  waren, 
Verwirrtheit  und  Amnesie;  Jaktation  und  Schreien  hinzu.  Zum  typischen 
Befunde  gehört  noch,  daß  die  Ekchymosen  nicht  druckempfindlich  sind  und 
schon  durch  kaum  drückende  Kleidungsstücke  an  der  Entstehung  verhindert 
werden;  so  hatte  einer  der  Verunglückten,  der,  als  sein  Leib  von  einem 
Straßenbahnwagen  eingeklemmt  wurde,  das  Hemd  an  der  Brust  offen  trug, 
eine  dem  unbedrückten  Brustteil  entsprechende  dreieckige  Ekchymose. 

Die  Frage,  warum  die  Ekchymosen  nur  an  der  obern  Körperhälfte  auf- 
treten,  führt  R.  in  Anlehnung  an  Vorgänger  darauf  zurück,  daß  beim  Menschen 
in  der  Regel  die  oberhalb  des  Herzens  gelegenen  Venen  keine  schlußfähigen 
Klappen  besitzen,  da  die  Rückstauung  des  Blutes  durch  die  Schwere  hin¬ 
reichend  verhindert  wird.  Infolgedessen  wird  das  Blut  nur  in  die  obere 
Körperhälfte  eingepreßt. 


Referate  und  Besprechungen. 


579 


Praktische  Wichtigkeit  hat  die  Bekanntschaft  mit  den  Kompressions¬ 
blutungen  wegen  der  möglichen  Verwechslung  mit  Strangulation  (scharfe 
Grenze  am  Halskragen),  mit  Zyanose  infolge  von  Glottisverschluß  und,  in 
dem  Falle,  daß  Blutung  aus  Nase  und  Ohr  damit  verbunden  ist,  mit  Frakturen 
der  Schädelbasis.  F.  von  den  Velden. 

Beitrag  zur  Chirurgie  des  unteren  Ösophagusschnitts. 

(O.  Hildebrand,  Berlin.  Berliner  klin.  Wochenschr.,  Nr.  12,  1908.) 

Durch  Verwendung  der  Ösophagoskopie  und  der  Röntgenographie  hat 
die  Diagnostik  der  Krankheiten  des  Ösophagus  zweifellos  große  Fortschritte 
gemacht,  während  jedoch  die  Therapie  nicht  gleichen  Schritt  gehalten  hat. 
Am  Hals-  und  oberen  Brustteil  des  Ösophagus  sind  Divertikel  und  Karzinome, 
wenn  auch  die  Todesfälle  nach  der  Operation  nicht  gering  sind,  mit  Erfolg 
operiert  worden.  Größer  sind  die  Schwierigkeiten  am  Brustteil  des  Öso¬ 
phagus.  Bei  rundlichen  hochsitzenden  Fremdkörpern  wird  man  mit  der 
Gastrotomie  zum  Ziele  kommen.  Handelt  es  sich  dagegen  um  Fremdkörper, 
die  sich  schon  längere  Zeit  im  Ösophagus  befinden  oder  mit  Haken  und 
Spitzen  festsitzen,  ist  die  Ösophaguswand  verdünnt  oder  sogar  schon  per¬ 
foriert,  so  wird  eine  Extraktion  nur  möglich  sein,  wenn  man  Ösophagotomie 
und  Gastrotomie  ausführt  und  bimanuell  vorgeht.  Dann  wird  es  gelingen, 
den  Fremdkörper  von  einem  hoch  und  kardialwärts  in  der  Vorder  wand  des 
Magens  angelegten  Schnitte  aus  in  die  von  oben  eingeführte  Zange  hinein¬ 
zuschieben.  Sitzt  der  Fremdkörper  fest  und  eingekeilt  in  einer  Nebenhöhle, 
so  kann  eine  Entfernung  nur  nach  Zerkleinerung  des  Fremdkörpers  (durch 
Durchglühen  nach  Killian  und  Mikulicz  oder  Zertrümmerung  mit  der 
Zange)  erfolgen.  Nur  ausnahmsweise  wird  es  notwendig  sein,  den  von  Forgue, 
Henle,  Enderlen  angewandten  thorakalen  Weg  einzuschlagen.  Unter  allen 
Umständen  aber  empfiehlt  Hildebrand  durch  eine  Gastrotomie  dem  Magen 
die  Nahrung  direkt  zuzufuhren,  um  den  Ösophagus  ruhig  zu  stellen  und 
so  weit  wie  möglich  vor  Infektion  zu  bewahren.  Wenn  nicht  schon  Phlegmone, 
Gangrän  oder  Perforation  vorhanden  sind,  gelingt  es  so,  selbst  Fälle  von 
außerordentlich  lange  Zeit  festsitzenden  Fremdkörpern  zur  Heilung  zu  bringen. 

Beim  Karzinom  des  unteren  Ösophagus  liegen  die  Verhältnisse  noch 
viel  ungünstiger.  Schon  bei  dem  Karzinom  des  Halsteils  des  Ösophagus 
erreicht  man  nur  selten  ein  Dauerresultat,  weil  die  Krebswucherung  meist 
den  Ösophagus  schon  überschritten  hat  und  infolge  der  anatomischen  Ver¬ 
hältnisse  eine  weiter  ausgedehnte  Operation  nicht  möglich  ist.  Die  Anatomie 
des  Ösophagus  im  Thorax  zeigt,  wie  gering  die  Aussichten  auf  einen  Erfolg 
sind,  zumal  eine  wirklich  radikale  Operation  nicht  vorgenommen  werden  kann. 
Nach  Hildebrand’s  Ansicht  leistet  die  Gastrotomie  für  das  Leben  des 
Patienten  viel  mehr  als  die  Resektion  des  Ösophagus. 

Carl  Grünbaum  (Berlin). 


lieber  die  chirurgische  Behandlung  des  Magengeschwürs  und  seiner 

Folgezustände. 

(H.  Ito  u.  Y.  Soyesima,  Kyoto  (Japan).  Deutsche  Zeitschr.  für  Chir.,  Bd.  95,  H.  5.) 

Die  Arbeit  berichtet  über  21  Fälle,  bei  denen  wegen  einer  nach  Ulcus 
ventriculi  zurückgebliebenen  Pylorusstenose  die  Gastroenterostomie  ausgeführt 
war.  Sämtliche  Fälle  sind  geheilt  bezw.  gebessert  entlassen  worden;  auch 
die  Spätresultate  sind  befriedigende.  Trotzdem  warnen  die  Verf.  im  Gegen¬ 
satz  zu  der  jetzt  vertretenen  Ansicht,  daß  die  Gastroenterostomie  die  Rolle 
des  souveränen  chirurgischen  Mittels  beim  Ulcus  ventriculi  darstelle,  wegen 
der  Gefahr  des  Auftretens  eines  peptischen  Geschwürs  vor  der  generellen 
Anwendung  des  Verfahrens.  Ihre  Grundsätze  sind  folgende:  Bei  Verdacht 
aul  Karzinom  Ausführung  der  Resektion;  in  allen  anderen  Fällen  ist  die 
Gastroenterostomie  erst  dann  vorzunehmen,  wenn  die  laterale  Gastroduodeno- 
stomie  bezw.  die  modifizierte  Pyloroplastik  nicht  ausführbar  ist. 

F.  Kayser  (Köln). 

37* 


580 


Referate  und  Besprechungen. 


Gibt  es  objektive  Gründe,  die  uns  veranlassen  können,  Blinddarmkranke 
nach  Operationen  in  fieberfreiem  Intervall  frühzeitig  aufstehen  zu  lassen? 

(Dr.  Mönch,  Hamburg.  Deutsche  med.  Wochenschr.,  Nr.  86,  1908.) 

Mönch  hat  bemerkt,  daß  bei  Blinddarmkranken,  die  im  fieberfreien 
Intervall  operiert  wurden  und  dann  zwei  bis  drei  Wochen  zu  Bett  lagen, 
die  Abendtemperatur  im  After  bei  gutem  Puls  und  gutem  Allgemeinbefinden 
oft  noch  38°,  ja  38,5°  betrug,  ohne  daß  von  irgend  einer  entzündlichen 
Reizung  des  Bauchfells  oder  der  Wunde  die  Rede  sein  konnte.  Diese  erhöhten 
Abendtemperaturen  verschwanden  sofort,  wenn  die  Kranken  nach  zwei  bis 
drei  Wochen  auf  standen,  und  wenn  sich  demnach  die  Blutzirkulation  erhöhte. 
Mönch  hat  nun  nach  Kümmels  Vorschlag  seine  im  fieberfreien  Intervall 
operierten  Blinddarmkranken  schon  drei  bis  fünf  Tage  nach  der  Operation 
aufstehen  lassen  und  auch  danach  diiei  vorher  erhöhte  Abendtemperatur  im 
After  heruntergehen  sehen.  Er  nimmt  an,  daß  diese  Erhöhung  der  Abend¬ 
temperatur  im  After  auf  eine  vermehrte  Blutfülle  im  Becken  zurückzuführen 
ist,  was  bei  dem  lange  vorausgegangenen  chronischen  Reiz  des  Blinddarms 
ja  nicht  wunderlich  sein  dürfte.  Bewegen  sich  die  Kranken  dann  möglichst 
bald  nach  der  Operation,  so  wird  die  Blut-zirkulation  angeregt  und  die 
Abendtemperatur  fällt.  Mönch  glaubt,  daß  dies!  mit  dazu  dienen  könnte, 
eine  Thrombose  und  Embolie,  die  durch  eine  Blutüberfüllung  im  Becken 
ja  sehr  nahe  liegt,  zu  verhüten,  und  glaubt  danach  Kümmels  Vorschlag, 
der  ja  auf  ein  Herabsetzen  der  Emboliegefahr  hinauslief,  unterstützen  zu 
müssen.  —  Harting  (Leipzig). 


Soll  der  Wurmfortsatz  bei  gynäkologischen  Laparatomien  mit 

entfernt  werden. 

(Weißwange.  Prager  med.  Wochenschr.,  Nr.  3,  1909.). 

Auf  Grund  längerer  Beobachtungen,  insbesondere  aber  auf  Grund  eines 
unangenehmen  Erlebnisses  in  einem  besonderen  Fall,  in  welchem  bei  einer 
wegen  eitriger  Adnexerkrankung  laparotomierten  Frau  der  gesund  erscheinende 
Wurmfortsatz  zurückgelassen  war,  der  nachträglich  aber  die  unangenehmsten 
Komplikationen  verursachte,  proklamiert  Weiß wange  folgenden  Standpunkt 
in  der  Frage:  der  Wurmfortsatz  ist,  auch  wenn  er  makroskopisch  keine  Ver¬ 
änderung  zeigt,  bei  allen  gynäkologischen  Laparotomien  grundsätzlich  mit 
zu  entfernen,  sofern  in  dem  Allgemeinzustand  der  Kranken  oder  in  sonstigen 
Gründen  keine  Gegenanzeige  liegt.  —  Es  ist  makroskopisch  nicht  festzustellen, 
weder  durch  Inspektion,  nocih  durch  Palpation,  ob  ein  Proc.  vermif.  gesund 
ist.  —  In  der  durch  die  Entfernung  der  Appendix  bedingten  Verlängerung 
der  Operation  dürfte  nur  ausnahmsweise  ein  Hinderungsgrund  zur  Ausführung 
liegen.  R.  Stüve  (Osnabrück). 

Milz-Anämie,  Splenektomie,  Genesung.  Mit  7  Jahre  langen  Blutstudien. 

(Dr.  Morris  J.  Lewis.  The  americ.  journ.  öf  the  med.  seien c„,  August  1908, 

S.  157—172.) 

Das  Interessanteste  an  dem  Fall  ist,  daß  der  Kranke  4  Jahre  vor  und 
3  Jahre  nach  der  Operation  beobachtet  werden  konnte,  daß  während  dieser 
langen  Zeit  von  7  Jahren  zahlreiche  Blutuntersuchungen  von  einem  und 
demselben  Dr.  W.  Es  toll  Lee,  Chefarzt  am  Pennsylviana-Hospital  in  Phila¬ 
delphia,  gemacht  wurden,  und  daß  er  nicht  nur  nach  einer  auf  die  Annahme 
eines  Magen-  oder  Darmgeschwürs  hin  unternommenen  Gastroenterostomie, 
sondern  auch  nach  totaler  Splenektomie  vollkommen  genas  und  sich  nach 
dieser  so  wohl  fühlt  wie  nie  zuvor,  ohne  Ermüdung  sehr  tätig  sein  kann, 
z.  B.  schwimmt,  an  Gewicht  zugenommen  und  zu  keiner  Zeit  irgend  welche 
Pigmentierung  der  Haut  oder  Vergrößerung  der  Schilddrüse  oder  der 
Lymphdrüsen  gezeigt  hat.  Unternommen  wurde  die  Splenektomie  wegen 
enormer,  nicht  auf  Malaria  beruhender  Vergrößerung  des  Organs,  und  Blu¬ 
tungen.  Die  Untersuchung  des  entfernten  Organs  ergab  chronische  Peri¬ 
splenitis  und  interstitielle  Splenitis.  Mehrere,  die  Resultate  der  Blutunter- 


Referate  und  Besprechungen. 


581 


suchungen  darstellende  Tafeln,  sowie  eine  Photographie  der  Milz  und  ein 
mikroskopisches  Bild  sind  beigefügt.  Der  Fall  ist  derselbe,  den  Dr.  Gr.  E. 
Armstrong-Montreal  und  Dr.  Gaston  Forr ance- Birmingham-Alabama  als 
erfolgreiche  Splenektomie  veröffentlicht  haben.  Peltzer. 

Über  einen  neuen  Weg,  Lokalanaesthesie  an  den  Gliedmaßen  zu  erzeugen. 

(Prof.  Aug.  Bier.  Arch.  für  klin.  Chir.,  Bd.  86,  H.  4,  1908.) 

Mit  dem  Verfahren  können  sämtliche  Operationen  an  den  Gliedmaßen, 
die  sich  unter  künstlicher  Blutleere  vornehmen  lassen,  schmerzlos  ausgeführt 
werden.  Bier  hat  am  Menschen  Gelenkresektionen,  Sehnentransplantationen 
und  ausgedehnte  Nekrotomien  gemacht. 

Um  das  anästhesierende  Mittel  den  Nervenendapparaten  und  Nerven- 
stämmen  zuzuführen,  benutzt  er  den  Weg  der  Blutbahn;  also  keine  Leitungs-, 
keine  Infiltrationsanästhesie. 

Die  Technik  ist  einfach :  Die  Gefäße  des  zu  anästhesierenden  Gebietes 
werden  durch  Umwickeln  des  Gliedes  von  der  Peripherie  her  möglichst  blut¬ 
leer  gemacht;  dann  wird  zunächst  etwas  oberhalb  des  Operationsfeldes  die 
betreffende  Extremität  abgebunden;  Bier  legt  Wert  darauf,  eine  weiche, 
dünne  Gummibinde  zu  verwenden,  um  nicht  durch  den  Druck  des  Schlauches 
überflüssige  Schmerzen  hervorzurufen.  In  gleicher  Weise  wird  unterhalb 
des  Operationsfeldes  abgebunden.  Zwischen  beiden  Binden  wird  eine  ober¬ 
flächliche,  nicht  zu  kleine  Vene  freigelegt  (am  Bein  die  vena  saph.  magna, 
am  Arm  die  vena  cephal.,  basil.  oder  med.  cubiti).  Das  zentrale  Ende  der 
Vene  wird  unterbunden,  in  das  periphere  mittels  gut  befestigter  Metall¬ 
kanüle  das  Anästhetikum  eingespritzt.  Zur  Erzeugung  einer  Analgesie  ge¬ 
nügen  100 — 150  ccm  einer  0,25%  Novokainlösung;  ist  bei  ängstlichen  Patienten 
vollkommene  Anästhesie  unumgänglich,  so  nimmt  man  40 — 80  ccm  einer 
0,5%  Lösung.  Das  Mittel  muß  zur  Vermeidung  von  Gewebsschädigungen  in 
physiol.  Kochsalzlösung  aufgelöst  sein;  Nebennierenpräparate  sollen  nicht 
zugesetzt  werden,  um  die  schmerzauf  heben  de  Wirkung  nicht  unnötig  zu  ver¬ 
längern.  Meist  tritt  die  Gefühlslähmung  unter  Weißerwerden  der  Haut 
sofort  ein. 

Die  Gefahr  der  Novokainvergiftung  ist  nicht  zu  befürchten;  denn  ein¬ 
mal  wird  das  Mittel  sehr  verdünnt  gebraucht,  zum  anderen  werden  die 
Operationen  unter  Blutleere  ausgeführt  und  dadurch  ein  großer  Teil  des 
Giftes  gebunden;  endlich  läuft  das  meiste  der  verwandten  Menge  vor  Ent¬ 
fernung  der  künstlichen  Blutleere  aus  der  Operationswunde  ab.  Ernstere 
Begleit-  oder  Nacherscheinungen  hat  Bier  bis  jetzt  nicht  erlebt;  eventl. 
empfiehlt  er,  die  Injektionskanüle  bis  zum  Schluß  der  Operation  liegen  zu 
lassen  und  durch  sie  vor  Abnahme  der  abschnürenden  Binde  das  ganze  Ge¬ 
fäßsystem  des  operierten  Gliedes  mit  physiologischer  Kochsalzlösung  iaus- 
zuspritzen.  Lemmen. 


Chirurgische  Indikationen  für  den  Gebrauch  der  Jodtinktur. 

(Dr.  Chas.  C.  Allison,  Omaha.  The  St.  Paul  med.  journ.,  Nr.  8,  S.  464.) 

Verf.  empfiehlt  dringend  die  Anwendung  der  (C  hu  r  eh  il  t’sehen)  Jod¬ 
tinktur  bei  Tuberkulose  der  Faszien  und  den  so  häufigen  Verletzungen  in 
der  Industrie  mit  Quetschung  und  Zerreißungen  von  Weichteilen,  wo  die 
Möglichkeit  besteht,  daß  Schmutz  in  die  Wunde  gelangt  ist,  ferner  bei  Stich- 
und  Explosivwunden.  Freilegen  und  Exzision  tuberkulöser  Faszien  sei  frei¬ 
lich  das  Richtige,  immerhin  blieben  einige  Bezirke  verdächtiger  Gewebe 
zwischen  den  Muskeln  usw.  übrig,  die  geschwollen  sind  und  die  man  nicht 
entfernt.  Gerade  hier  sei  die  Jodtinktur,  die  Verf.  bisher  stets  mit  gutem 
Erfolge  (abgesehen  von  einige  Male  mild  aufgetretenem  Jodismus  ohne  Nach¬ 
teil)  angewendet  sah,  von  großem  Wert.  Die  Wunden  müssen  natürlich 
gut  gereinigt  und  namentlich  auf  die  Anwesenheit  von  Fremdkörpern  unter¬ 
sucht  werden,  dann  aber  sei  die  Jodtinktur  ein  sicheres  Schutzmittel  gegen 
die  Infektion  mit  anaeroben  Keimen.  Peltzer. 


582 


Referate  und  Besprechungen. 


Desinfektion  der  Hände  und  der  Haut  mittels  JodtetrachlorkohlenstotF 

und  Dermagummit. 

(Wederhake.  Med.  Klinik,  Nr.  34,  1908.) 

Das  Dermagummit  stellt  eine  Lösung  von  bestem  Parakautschuk  in 
Tetrachlorkohlenstoff  (chemisch  =  Benzinoform,  aber  wesentlich  billiger  als 
dieses),  (4  g  Parak.  in  100  Tetrachlork.),  dar,  dem  dann  ebensoviel  einer 
Jodlösung  (0,4  Jod  pur.  :  100  Tetrachlorkohlenstoff)  zugefügt  werden.  Nach 
einiger  Zeit  entsteht  eine  dünnflüssige,  gut  sterilisierbare  —  die  Lösung  ist 
übrigens  an  sich  steril  und  wird  steril  von  der  Fabrik  (Dr.  Degen  &  Kuth 
in  Düren,  Rheinland)  geliefert  —  Flüssigkeit,  die  auf  der  Haut  einen  feinen, 
durchaus  haltbaren  Gummiüberzug  beim  Verdunsten  hinterläßt.  Der  Über¬ 
zug  kann  nach  der  Operation  mit  einem  in  Tetrachlorkohlenstoff  getränktem 
Tupfer  leicht  entfernt  werden.  Dem  Aufträge  der  Dermagummitlösung  voran 
geht  eine  Reinigung  der  Hand  mit  steriler  Bürste  in  Jodtetrachlorkohlenstoff 
während  drei  Minuten.  —  Seine  Beobachtungen  faßt  Wederhake  dahin 
zusammen,  daß  die  Jodtetrachlorkohlenstoff-Dermagummit-Desinfektion  sich 
ihm  im  Laboratorium,  in  der  Klinik  und  in  der  Praxis  auch  unter  den 
schwierigsten  Verhältnissen  in  jeder  Hinsicht  so  bewährt  habe,  daß  sie  dem 
Praktiker  empfohlen  werden  kann.  Sie  gibt  die  besten  Resultate,  ist  leicht  aus¬ 
zuführen,  schädigt  die  Haut  nicht  und  der  Preis  der  zu  verwendenden  Sub¬ 
stanzen  ist  gering;  sie  erfordert  kein  warmes  Wasser  und  ist  überall  leicht 
ausführbar.  —  Dermagummit  ist  in  den  Apotheken  erhältlich.  —  Hinsichtlich 
weiterer  Einzelheiten  sei  auf  das  Original  verwiesen. 

R.  Stüve  (Osnabrück). 


Ohrenheilkunde. 

Die  Feststellung  verschiedener  Nystagmus-Typen  mittels  graphischer 

Registrierung. 

(Dr.  Wojatschok,  St.  Petersburg.  Praktitscheski  Wratsch,  Nr.  22  u.  24,  1908.) 

Bäräny’s  Forschungen  über  Labyrinth-Nystagmus  regten  den  Verfasser 
an,  zum  Zwecke  genaueren  Studiums  eine  exakte  Methode  der  Gewinnung  von 
Nystagmus-Kurven  auszuarbeiten.  Der  hierzu  ersonnene  „Nystagmophoto- 
graph“  wurde  im  Oktober  1907  in  der  Gesellschaft  der  Kehlkopf-,  Nasen-  und 
Ohrenärzte  zu  St.  Petersburg  demonstriert.  Die  Aufnahme  der  Kurven 
geschieht  etwa  in  folgender  Weise.  Über  dem  geschlossenen  Auge  des  zu 
Untersuchenden  wird  ein  kleines,  ungemein  leichtes  Spiegelchen  befestigt. 
Der  Kopf  wird  nach  einem  besonderen  Verfahren  am  Apparate’  in 
völligste  Ruhestellung  gebracht.  Während  der  Patient  einen  bestimmten 
Punkt  fixiert,  fällt  auf  das  Spiegelchen  das  Licht  einer  (lOOkerzigen)  Nernst- 
Lampe,  nachdem  es  eine  mit  Sammellinsen  versehene  Röhre  passiert  hat  und 
durch  einen  Vertikalspalt  ausgetreten  ist,  und  wird  auf  eine  mit  licht¬ 
empfindlichem  Papier  beschickte  Trommel  reflektiert,  und  zwar  durch  einen 
zur  Trommelachse  parallelen  Horizontalspalt  des  Trommelgehäuses.  Die 
Kreuzungsstelle  des  in  vertikaler  Anordnung  auftreffenden  Lichtbündels  mit 
der  linearen,  durch  den  Horizontalspalt  freigelassenen  Zone  des  lichtempfind¬ 
lichen  Papiers  bildet  sich  auf  diesem  letzteren  als  dunkler  Punkt  ab,  und 
die  Gesamtheit  der  Punkte,  die  solcherart  auf  der  rotierenden  Trommel 
entstehen,  stellt  die  Kurve  der  Nystagmusbewegungen  dar,  allerdings  bloß 
der  horizontalen,  wie  leicht  einzusehen.  Die  Aufnahmen  finden  natürlich  im 
Dunkeln  statt.  Die  weitere  Behandlung  der  Kurven  geschieht  nach  den 
Regeln  der  photographischen  Technik.  —  Die  geschilderte  Methode  übt  W. 
seit  einiger  Zeit  an  der  Ohrenklinik  der  militärärztlichen  Akademie  in 
St.  Petersburg,  und  seine  Untersuchungen  ergaben  im  wesentlichen  eine  Be¬ 
stätigung  der  Bäräny’schen  Behauptung,  wonach  die  Augenschwingungen 
des  Labyrinth-Nystagmus  durch  ihr  „rhythmisches“  Verhalten  charakterisiert 
seien  gegenüber  den  „undulierenden“  Bewegungen  bei  Nystagmus  anderer 


Referate  und  Besprechungen. 


583 


Herkunft.  W.  untersuchte  beide  Arten  des  Labyrinth-Nystagmus,  den  künst¬ 
lich  erregten  (1.  durch  Drehung,  2.  durch  Kalorisation,  d.  h.  thermische 
Reizung  des  äußeren  Gehörganges,  3.  durch  Luftverdichtung  daselbst)  und  den 
ohne  künstliche  Beeinflussung  vorhandenen,  „spontanen“,  der  nach  Opera¬ 
tionen,  im  einen  Falle  durch  Zerstörung  eines  Bogenganges,  im  anderen,  nach 
Annahme  des  Autors,  durch  bloße  mechanische  Reizung  des  Labyrinths 
zurückgeblieben  war.  In  sämtlichen  Fällen  zeigten  die  Kurven  „rhythmischen“ 
Charakter:  eine  Aufeinanderfolge  von  ungleichschenkligen  Wellen,  ein  Zeichen 
dafür,  daß  eine  schnelle  Bewegung  nach  der  einen  Seite  mit  einer  langsameren 
nach  der  anderen  Seite  abwechselt.  Ein  ganz  anderes  Bild  geben  die  undu¬ 
lierenden  Wellen:  auf-  und  absteigende  Schenkel  von  gleicher  Steilheit  als 
Ausdruck  dafür,  daß  die  Geschwindigkeit  der  Bulbus-Schwankungen  nach 
beiden  Seiten  gleich.  Kurven  von  solchem  Charakter  lieferten  die  vom  Ver¬ 
dachte  der  Labyrinth-Erkrankung  vollkommen  freien  Fälle,  deren  Nystagmus 
auf  Refraktionsanomalien  oder  Strabismus  beruhte  oder  ( —  1  Fall  — )  als 
angeboren  betrachtet  werden  mußte,  und  deren  Ohrenbefund  normal  war. 
Wohl  kamen  auch  2  Augenfälle  zur  Beobachtung,  deren  Kurven  an  die  des 
Labyrinth-Nystagmus  erinnerten;  aber  jedesmal  fanden  sich  zwischen  un- 
gleichschenkeligen  Wellen  Undulationen  in  bemerkenswerter  Zahl.  So  ge¬ 
langt  W.  zu  dem  Ergebnis!:  In  zweifelhaften  Fällen  spricht  die  Nystagmus- 
Kurve  nur  dann  für  Labyrinth-Erkrankung,  wenn  ihre  Beschaffenheit  durch¬ 
aus  rhythmisch.  Undulierender  Charakter  jedoch  spricht  gegen  Labyrinth- 
Erkrankung  selbst  dann,  wenn  zwischen  den  undulierenden  Wellen  einzelne 
ungleichschenklige  Vorkommen.  Brecher  (Meran-Gas tein). 


Der  künstliche  Nystagmus  beim  Gesunden. 

(Pietri  u.  Maupetit.  Rev.  hebd.  de  lar.,  Nr.  47,  1908.) 

Von  den  Methoden,  Labyrinthreizung  zu  erzeugen,  haben  Verff.  nur 
die  Rotation  und  die  kalorische  Methode  geprüft.  Luftverdünnung  oder 
-Verdichtung  im  Gehörgang  ergab  nie  positive  Resultate.  Den  Drehungs- 
Nystagmus  prüft  man,  indem  man  die  Versuchsperson  auf  einen ‘  Dreh¬ 
schemel  setzt  und  in  20  Sek.  lOmal  um  sich  selbst  dreht.  Während  der  Drehung 
läßt  man  die  Augen  schließen,  im  Augenblick  des  Anhaltens  öffnen.  Man 
beobachtet  dann  Nystagmus  in  entgegengesetzter  Richtung,  als  die  Rotation 
erfolgte,  und  zwar  beim  Blick  geradeaus  von  0 — 10  Sek.  Dauer,  bei  seitlicher 
Blickrichtung  intensiveren  Nystagmus  von  30 — 40  Sek.  Während  der  Rota¬ 
tion  geht  das  Gefühl  der  Drehung  allmählich  verloren,  dann  stellt  sich  gleich¬ 
sinniger  und  beim  Anhalten  entgegengesetzter  Schwindel  ein. 

Den  kalorischen  Nystagmus  ruft  man  hervor,  indem  man  entweder 
kaltes  Wasser  von  15 — 20°  (nach  Barany  30°,  Ref.)  oder  warmes  Wasser 
von  40°  in  den  Gehörgang  injiziert.  Im  ersten  Fall  ist  der  Nystagmus  in¬ 
tensiv,  dem  nicht  gespülten  Ohr  zugewendet  und  dauert  15 — 20  Sek.,  bei 
Blick  zur  Seite  50 — 80  Sek.  Auch  die  Begleiterscheinungen  sind  heftig, 
Schwindel,  Nausea,  oft  kalter  Schweiß.  Bei  Injektion  warmen  Wassers  ist 
Intensität  und  Dauer  gering,  meist  ist  der  N.  nur  bei  Blick  zur  Seite  her¬ 
vorzurufen  ;  seine  Richtung  ist  nach  dem  gespülten  Ohre  zu. 

Beim  Kinde  ist  der  Nystagmus  heftiger,  namentlich  beim  Säugling, 
dessen  Gleichgewichtsapparat  noch  nicht  geübt  ist.  Beim  Greis  nimmt  die 
Erregbarkeit  ab.  Bei  Personen,  deren  Beruf  besondere  Ansprüche  an  den 
statischen  Sinn  stellt,  fanden  Verff.  ebenfalls  geringere  Erregbarkeit;  und  wo 
beruflich  vorwiegend  Drehung  in  einer  bestimmten  Richtung  ausgeübt  wurde, 
so  löste  die  Drehung  in  dieser  Richtung  geringeren  Nystagmus  aus  als  in 
der  entgegengesetzten,  (so  bei  Tänzerinnen,  Zirkusreitern).  —  Die  Kopf¬ 
haltung  bei  der  Labyrinthreizung  ändert  nicht  die  Richtung  des  Nystagmus, 
kann  ihn  aber  modifizieren,  verstärken,  auch  dem  horizontalen  N.  rotato¬ 
rischen  hinzufügen. 

DG  Baräny’sche  Theorie  besagt,  daß  bei  der  Drehung  der  Nystagmus 
stets  der  Ebene  der  jeweils  horizontal  gestellten  Bogengänge  ent- 


584 


Referate  und  Besprechungen. 


sprechen  und  daß  derjenige  Bogengang  gereizt  werde,  in  dem  die  Endolymphe 
nach  der  Ampulle  zu  fließt;  (die  Reizung  des  Arcus  der  anderen  Seite  könne 
praktisch  vernachlässigt  werden).  Der  Nystagmus  soll  dann  nach  dem  Ohr 
gerichtet  sein,  dem  der  vorwiegend  gereizte  Kanal  angehört.  Bei  der  kalo¬ 
rischen  Reizung  soll  die  Abkühlung  oder  Erwärmung  ein  Steigen  oder 
Ballen  der  Flüssigkeitsteilchen  bewirken;  danach  würde  der  jeweils  verti¬ 
kal  gestellte  Arcus  gereizt,  und  der  Nystagmus  sei  entgegengesetzt  dem 
Flüssigkeitsstrom,  der  ihn  hervorrufe.  — -  Diese  Theorie  weisen  Verff.  zurück, 
da  ihre  Versuchsergebnisse  durchaus  nicht  so  ausf  allen,  wie  es  nach  der¬ 
selben  erwartet  werden  müßte.  Die  Kopfhaltung  müßte  einen  weit  größeren 
Einfluß  haben. 

Die  Orientierung  des  Nystagmus  entspricht  nicht  konstant  derjenigen 
der  Kanäle;  diese  kann  man  nicht  einzeln  studieren.  Arth.  Meyer. 


Behandlung  von  Schwindel,  Ohrensausen  und  Schwerhörigkeit. 

(Tretröp.  Rev.  hebd.  de  lar.,  Nr.  46,  1908.) 

Die  genannten  Symptome  bleiben  oft  nach  einer  Influenza,  einem  Trauma 
des  Ohres,  nach  langem  Bestehen  von  Ceruminalpfröpfen  zurück.  Der  Sitz 
des  Leidens  ist  nicht,  wie  bei  dem  ernsteren  echten  Meniere-Komplex,  das 
Labyrinth,  sondern  das  Mittelohr.  T.  empfiehlt,  in  solchen  Fällen  den  Patien¬ 
ten  auf  eine  lange,  aber  endlich  erfolgreiche  Behandlung  vorzubereiten.  Zu¬ 
erst  stellt  man  die  Durchgängigkeit  der  Tube  mittelst  Katheterismus  und 
ev.  Bougierung  mit  den  von  T.  empfohlenen  Elephantenhaaren  her.  (Die¬ 
selben  vertragen  das  Kochen).  Dann  mobilisiert  man  Trommelfell  und  Ge¬ 
hörknöchelchen  mit  dem  Delstanche’schen  Rarefacteur.  Derselbe  hyper- 
ämisiert  zugleich  die  Pauke,  wodurch  die  Resorption  von  Exsudaten  ange¬ 
bahnt  wird,  und  zerreißt  oder  dehnt  Adhäsionen.  Man  darf  den  Delstanche 
aber  nicht,  wie  das  meist  geschieht,  dem  Pat.  in  die  Hand  geben ;  Intensität 
und  Dauer  des  Gebrauchs  sind  auszuprobieren  (unter  Beleuchtung)  und  all¬ 
mählich  zu  steigern.  T.  wendet  den  Apparat  4 — -6  Wochen  lang  3  mal  wöchent¬ 
lich  an,  und  zwar  in  20  Sek.  bis  1  Min.  dauernden  Sitzungen.  Die  Behand¬ 
lung  wird  stets  durch  Akumetrie  kontrolliert.  T.  berichtet  über  erfolgreich 
behandelte  Fälle.  Arth.  Meyer. 


Resultate  der  konservativen  Behandlung  der  chronischen  Otitis. 

(Scheibe.  Archiv  internat.  de  lar.,  Bd.  26,  Nr.  6.) 

Ein  objektives  Urteil  über  die  Wirksamkeit  konservativer  Behandlung 
erhält  man  nur  durch  die  Statistik  einer  genügend  großen  Zahl  von  un¬ 
komplizierten  Fällen,  in  der  solche  mit  zentraler  und  solche  mit  rand- 
ständiger  Perforation  gesondert  aufgeführt  sind.  Scheibe  hat  750  Fälle 
nach  Bezold  mit  direkter  Insufflation  von  Borsäure  nach  sorgfältiger  Aus¬ 
trocknung  mit  gebogenen  Sonden  behandelt.  Die  Insufflation  geschieht  mittels 
des  Paukenröhrchens,  selbst  die  Kleinheit  der  Öffnung  verhindert  sie  nicht. 
Die  Knöchelchen  werden  nicht  extrahiert,  da  ihre  sogen.  „Karies“  (in  Wirk¬ 
lichkeit  nur  Substanzdefekte)  nicht  die  Ursache,  sondern  die  Folge  der  Antrum¬ 
eiterung  sind.  Er  entfernt  die  Knöchelchen  nur  dann,  wenn  feststeht,  daß 
die  Amboß-Steigbügel-Verbindung  getrennt  ist,  und  wenn  sonst  der  Zugang 
zum  Antrum  zu  eng  wäre.  Auch  Ätzungen  werden  nicht  in  der  Nähe  des 
ovalen  Fensters  und  des  Fazialis  vorgenommen;  nach  Extraktion  der  Chole¬ 
steatommembranen  schwinden  die  Granulationen  von  selbst.  —  Bei  diesen 
Grundsätzen  brauchte  nur  in  12  von  750  Fällen  die  Radikaloperation  vorge¬ 
nommen  zu  werden,  weil  es  nicht  gelang,  die  Fötidität  zu  unterdrücken. 
Von  395  Fällen  mit  zentraler  Perforation  gelang  esi  in  24  (=  6%)  nicht, 
Heilung  zu  erreichen,  von  350  Fällen  mit  randständiger  Perforation  in 
34  (==  1 0 1/s °/ o)-  Verf.  und  Bezold  betonen,  daß  sie  nie  während  der  Behand¬ 
lung  eine  Komplikation  eintreten  sahen.  —  Freilich  ist  die  Therapie  auf 
Erwachsene  beschränkt,  welche  Zeit  und  Geduld  haben.  Arth.  Meyer  (Berlin). 


Referate  und  Besprechungen. 


585 


Behandlung  der  Sklerosen  des  Ohrs  durch  Elektro-Ionisierung. 

(Mal herbe.  Archiv  internat.  de  lar.,  Bd.  26,  S.  696.) 

Die  Therapie  der  Sklerose  ist  ein  wenig  erfreuliches  Kapitel;  so  ist 
es  nicht  verwunderlich,  daß  alle  Hilfsmittel  versucht  werden.  M.  führt 
verschiedene  Medikamente,  besonders  Pilokarpin,  Jodsalze,  Chlorzink  (1%)  usw. 
in  den  Gehörgang  ein.  Die  eine  Elektrode  wirkt  im  Gehörgang,  die  andere 
wird  entweder  indifferent  am  Bücken  befestigt  oder  in  die  Tuba  Entachii 
eingeführt.  Der  Strom  befördert  bekanntlich  das  Hineingelangen  der  medi¬ 
kamentösen  Ionen  in  den  Organismus.  Bei  einigen  Formen  der  Sklerose 
hat  M.  bemerkenswerte  Erfolge  gehabt.  Arth.  Meyer  (Berlin). 


Vergiftungen. 

Die  gewerbliche  Vergiftung  der  Haut  durch  Morphin  und  Opium. 

(L.  Lewin.  Med.  Klinik,  Nr.  43,  1908.) 

Das  von  Lewin  erstattete  und  zur  Publikation  gebrachte  Obergut¬ 
achten  behandelt  einen  Fall  von  Schädigung  der  Haut,  der  durch  Beschäftigung 
mit  Morphin  in  der  Weise  zustande  gekommen  war,  daß  ein  Arbeiter  in  einer 
chemischen  Fabrik  an  einem  bestimmten  Tage  Tücher  zu  reinigen  gehabt  hatte, 
durch  welche  unreines  Morphin  filtriert  worden  war.  Unmittelbar  im  An¬ 
schluß  an  diese  Verrichtung,  bei  welcher  er  außerdem  mit  Salzsäure,  Kalk  und 
Kohle  in  Berührung  gekommen  war,  erkrankte  er  an  einem  akuten  Ekzem 
beider  Hände  und  Unterarme,  das)  später  in  ein  chronisches  Hautleiden  (Derma¬ 
titis  exfoliativa)  überging.  In  ausführlicher  Weise  wird  entgegen  den  Auf¬ 
fassungen  und  Anschauungen  der  vorbegutachtenden  Ärzte  der  zwingende 
Beweis  des  Kausalnexus  geführt,  so  daß  dann  das  Reichsversicherungsamt 
auch  einen  Betriebsunfall  für  vorliegend  erachtete  und  der  Witwe  —  der 
Kranke  war  inzwischen  gestorben  —  die  Hinterbliebenenrente  zusprach.  — 
L.  hält  es  nicht  für  ausgeschlossen,  sondern  im  Gegenteil  für  wahrscheinlich, 
daß  die  krankmachende  Wirkung  des  Morphins  auf  die  Haut  im  vorliegenden 
Falle  durch  die  gleichzeitige  Anwesenheit  von  Salzsäure  ausgelöst  bezw. 
vorbereitet  worden  ist.  Im  übrigen  sind  Hauterkrankungen  nach  Anwen¬ 
dung  von  Morphin,  sowohl  innerer  wie  äußerer,  bekannt.  —  Der  Fall  ist 
geradezu  ein  klassisches  Beispiel  eines  Unfalles  durch  Gift. 

R.  Stüve  (Osnabrück). 


Verkannte  chronische  CO-Vergiftungen. 

(Edg.  Hirtz.  Bullet,  med.,  S.  35,  1909.) 

Dauernde,  an  sich  scheinbar  unschädliche  Zufuhr  minimaler  Giftmengen 
in  ihrer  pathogenetischen  Bedeutung  ist  schon  oft  erörtert  worden,  und  wenn 
Hirt  z  in  der  Association  medicale  des  höpitaux  auf  die  epidemische  Mangel¬ 
haftigkeit  der  französischen  Heizanlagen  als  Ursache  chronischer  Kohlen¬ 
oxydvergiftung  hinwies,  so  könnte  vielleicht  manch  einer  denken,  daß  wTir 
in  Deutschland  da  besser  daran  seien.  Indessen,  auch  in  unseren  Häusern 
brennt  Gas,  und  auch  unsere  Kochapparate  funktionieren  nicht  alle  tadellos. 

Wenn  wir  also  hören,  daß  namhafte  Kliniker  Patienten,  die  mit  wenig 
ausgesprochenen  Krankheitsbildern  zu  ihnen  kamen,  die  hauptsächlich  über 
Kopfweh,  Kox)fdruck,  Schwindel,  Unlust  zur  Arbeit,  verlangsamte  Leitung, 
Schläfrigkeit,  oder  —  in  höheren  Graden  —  über  Kribbeln,  Migräne,  Angina 
pectoris  klagten,  als  Anämiker  oder  Neurastheniker  behandelt  haben,  so  wird 
uns  das  zu  denken  geben  und  mit  solchen  Diagnosen  vorsichtig  sein  lassen. 
Hirtz  empfiehlt  in  solchen  Fällen  —  sie  können  sich  sogar  zu  Mono-  und 
Hemiplegien,  trophischen  und  psychischen  Störungen  steigern  —  die  Feue¬ 
rung  revidieren  zu  lassen ;  der  Rat  ist  gewiß  auch  für  manche  Gegenden 
Deutschland  beherzigenswert.  Aber  außer  dem  CO  gibt  es  noch  genug 


586 


Referate  und  Besprechungen. 


andere  Gifte,  die  uns  heimtückisch  auflauern,  und  fast  scheint  es,  als  ob 
trotz  der  chemischen  Stimmung  des  Zeitgeistes  diese  chemischen,  schleichenden 
Intoxikationen  noch  zu  wenig  in  den  Kreis  der  differentialdiagnostischen 
Überlegungen  gezogen  würden.  Buttersack  (Berlin). 


Über  Vergiftung  durch  Phosphoroxychlorid. 


(Th.  Rumpf  Med.  Klinik,  Nr.  36,  1908.) 

Rumpf  berichtet  über  drei  Fälle  von  /Vergiftung  mit  Phosphoroxychlorid 
(POCl3)  und  damit  über  die  ersten  Kenntnisse  der  Wirkungen  eines  neuen 
giftigen  Gases.  Die  Vergiftungen  waren  zu  gleicher  Zeit  in  einer  chemischen 
Fabrik  durch  Ausströmen  jenes  Gases  zustande  gekommen.  Die  Giftwirkungen 
beruhten  teils  auf  der  Chlorkomponente,  teils  auf  der  Phosphorkomponente 
des  Gases  und  betrafen  demnach  Erscheinungen  an  den  Respirationsorganen 
(Atemnot,  Bronchitis,  Bluthusten)  dem  Herzen  (Arythmie  des  Pulses,  Herz¬ 
erweiterung  (in  einem  Falle  genauer  beobachtet),  ferner  in  Schwellung  der 
Leber  und  Albuminurie  (ohne  Zylinder)  —  Herabsetzung  des  Hämoglobin¬ 
gehaltes  des  Blutes.  Die  Wirkung  des  giftigen  Gases  war  in  den  3  Fällen, 
trotz  gleicher  Bedingungen  des  Zustandekommens  der  Vergiftung  und  trotz 
gleicher  Anfangserscheinungen,  sowohl  hinsichtlich  der  Beteiligung  der  ein¬ 
zelnen  Organe  und  Organsysteme  im  einzelnen  Falle  verschieden,  als  auch 
hinsichtlich  der  Erscheinungen  an  den  einzelnen  Organen,  die  in  den  3  Fällen 
graduelle  Unterschiede  zeigten.  R.  Stüve  (Osnabrück). 


Pharmakologie  und  medikamentöse  Therapie. 

Über  ein  pharmakologisches  Grundgesetz. 

(Martin  Jacoby,  Berlin.  Deutsche  Zeitschr.  für  Chir.,  H.  1—5,  Bd.  95.) 

(Festschrift  für  Sonnenburg.) 

Wie  wirkt  ein  prompt  wirkendes  Arzeneimittel,  wie  z.  B.  die  Salizyl¬ 
säure  ?  Man  kann  sich  vorstellen,  daß  sie  entweder  die  spezifischen  Erreger 
direkt  vernichtet  oder  daß  sie  in  den  Gelenken  selbst  elektiv  wirkt,  d.  h., 
daß  sich  die  kranken  Gelenke  gewissermaßen  das  Heilmittel  aus  dem 
Säftestrom  herausholen.  Das  letztere  ist  in  der  Tat  der  Fall  ganz  im  Gegen¬ 
satz  zu  den  Beobachtungen  am  gesunden  Individuum,  bei  dem  das  Blut 
den  Lieblingsplatz  für  die  Salizylsäureablagerung  abgibt.  Es  ergibt  sich 
hieraus  die  für  das  Verständnis  der  Wirkung  ausschlaggebende  Lehre,  daß 
ein  Arzeneimittel  im  normalen  und  erkrankten  Organismus  eigenen  d.  h. 
besonderen  Verteilungsgesetzen  folgt.  Eine  analoge  Beobachtung  stellt  die 
Tatsache  dar,  daß,  wenn  man  ein  Auge  eines  Tieres  tuberkulös  macht  und  dem 
Tiere  Jod  zuführt,  das  Jod  sich  unter  Umständen  nur  in  dem  kranken  Auge 
findet.  Der  Schluß,  daß  bei  subtiler  Ausbildung  der  Methode  derartige 
Reaktionen  diagnostische  Hilfsmittel  darstellen  können,  liegt  nahe. 

F.  Kayser  (Köln). 


(A. 


Gibt  es  reduzierende  Fermente  im  Tierkörper. 

Heffler.  Arch.  für  exper.  Pathol.  u.  Pharmakol.  Schmiedeberg-Festschrift, 

S.  253,  1908.) 

Die  in  den  tierischen  Geweben  sich  abspielenden  Reduktions Vorgänge 
sind  in  zwei  Gruppen  zu  teilen.  Bei  der  einen  Gruppe  werden  die  Reduktions¬ 
vorgänge  durch  Blausäure  und  durch  Erhitzen  kaum  beeinflußt  (H2S-Bildung 
aus  Schwefel,  Reduktion  der  Arsensäure  zu  arseniger  Säure,  Reduktion  der 
Kakodylsäure,  Pikrinsäure  und  verschiedener  Farbstoffe).  Diese  Reduktionen 
werden  durch  den  labilen  H  der  Sulfhydrylgruppen  gewisser  Eiweißstoffe 
der  tierischen  Gewebe  verursacht.  Bei  der  anderen  Gruppe  (Umwandlung 
der  Nitrate  in  Nitrite  und  des  Nitrobenzols  in  eine  Aminoverbindung)  wird 
der  Reduktionsvorgnng  durch  Blausäure  gehemmt  und  durch  Aufkochen  völlig 


Referate  und  Besprechungen. 


587 


aufgehoben.  Aus  diesen  Gründen  hat  man  hier  einen  Enzym  Vorgang  ver¬ 
mutet. 

Auf  Grund  weiterer  Versuche  an  Lungenextrakten  führt  Heffter  den 
Nachweis,  daß  die  Reduktion  der  Nitrate  auf  demselben  Zellbestandteil  im 
Organextrakt  beruht  wie  die  des  Nitrobenzols,  und  daß  die  Aufhebung  durch 
das  Kochen  nur  beweist,  daß  der  wirksame  Stoff  ein  Kolloid  ist,  der  bei 
höherer  Temperatur,  sei  es  durch  Koagulation,  sei  es  durch  innere  Um¬ 
lagerung,  unwirksam  wird.  Auch  die  Hemmung  des  Vorgangs  durch  Blau¬ 
säure  ist  kein  zwingender  Grund  für  die  Annahme  der  Enzymnatur,  weil 
Blausäure  kein  allgemeines  Zellgift  ist,  sondern  nur  auf  Zymase  und  Katalase 
hemmend  wirkt.  Blausäure  beeinflußt  auch  sonst  reduzierende,  sicher  nicht 
enzymatische  Vorgänge  hemmend  (so  die  Reduktion  der  Jodsäure  durch 
Ameisensäure,  Zucker  usw). 

Der  Vorgang  der  Nitrat-  und  der  Nitrobenzolreduktion  dürfte  also  durch 
die  Annahme  einer  autoxydablen  kolloiden  Substanz  in  tierischen  Geweben 
zu  erklären  sein,  die  sich  auf  Kosten  des  Nitrat-N  leicht  oxydiert.  Da 
ferner  außer  der  Blausäure  noch  Hydroxylamin  und  Phenylhydrazin  diese 
Reduktionsvorgänge  hemmen,  könnte  man  sich  den  autoxydablen  Stoff  als 
Aldehyd,  etwa  als  Amino-  oder  Oxyaldehyd  vorstellen,  wodurch  sowohl  der 
großen  Verwandtschaft  zum  Sauerstoff  als  auch  der  Hemmungswirkung  der 
genannten  drei  Gifte  Rechnung  getragen  würde.  E.  Rost  (Berlin). 


Direction  logique  du  traitement  de  la  constipation. 

(G.  Bardet.  Bull.,  general,  de  Therap.,  Nr.  1,  1909.) 

Burlureaux  hat  den  jetzt  üblichen  Mißbrauch  der  Abführmittel  eine 
soziale  Gefahr  genannt.  Verf.  stimmt  dem  bei,  nur  mit  der  Modifikation, 
daß  das  Abführen  ein  notwendiges  Übel  ist,  und  daß  das  Kapitel  ,, Abführ¬ 
mittel“  einer  gründlichen  Umarbeitung  bedürfe,  unter  Vorausstellung  der 
Mittel,  die  eine  physiologische  und  keine  reizende  Wirkung  aus  üben.  Das 
Wesen  der  Konstipation  ist  leicht  zu  formulieren :  einem  erregten  Magen 
entspricht  immer  ein  gelähmter  Darm.  Damit  ist  auch  für  die  Laxation 
ein  Ziel  gesteckt.  Denn  die  mehr  minder  große  Lähmung  des  'Darms 
betrifft  hauptsächlich  die  Tätigkeit  der  Drüsen  und  der  Muskulatur,  wodurch 
die  für  die  Peristaltik  und  sonstwie  nötigen  Fermente  nicht  zur  Geltung  kommen. 
Die  richtige  Medikation  strebt  also  folgendes  an:  1.  das  Volum  der  Fäzes 
zu  vermehren.  2.  sie  anzufeuchten,  3.  die  Peristaltik  zu  regeln  und  4.  die 
Abschülferungen  infolge  langer  Konstipation  zu  beseitigen.  Dies  kann  auf 
milde  Weise  erreicht  werden,  z.  B.  bei  Greisen,  die  bei  seniler  Atonie  auch 
noch  wenig  essen,  durch  ein  Gemüseregime;  hypersthenische  Dyspep tiker 
ertragen  dies  aber  nicht. 

Medikamentös  läßt  sich  das  erreichen  durch  die  aus  Asien  kommenden 
verschied enen  Fukusarten,  deren  wirkendes  Agens  das  Caraghemin  oder  Fucia 
ist.  Diese  Mittel  sind  bei  manchen  asiatischen  Völkerschaften  seit  uralten 
Zeiten  in  Gebrauch. 

Die  beste  Lösung  ist  deshalb,  in  das  tägliche  Nahrungsprogramm  diese 
schleimigen  Stoffe  in  Gestalt  von  Fruchtkompotts  oder  Gemüsepürees  auf¬ 
zunehmen.  v.  Schnizer  (Danzig). 


Zur  diätetischen  und  pharmazeutischen  Epilepsiebehandlung  in  der 

Privatpraxis. 

(A.  Eulenburg.  Med.  Klinik,  Nr.  32,  1908.) 

Hinsichtlich  der  diätetischen  Behandlung  der  Epilepsie  ergibt  sich  aus  den 
Ausführungen  Eulenbur g’s,  daß  für  eine  blande,  reizlose  Kost,  die  aber 
doch  genügenden  Ernährungswert  besitzt,  gesorgt  werden  muß.  Dabei  müssen 
gleichzeitig  schädigende  Reize  für  den  Verdauungsapparat  wie  für  entfernte 
Organe  (Nieren)  ferngehalten  und  Überladung  auch  in  quantitativer  Hinsicht 
vermieden  werden.  —  Im  Prinzip  daher  kleinere  aber  öftere  Mahlzeiten.  — 


588 


Referate  und  Besprechungen. 


Geht  man  von  einem  Grundstöcke  der  Nahrung,  bestehend  aus  Weizenbrot, 
Milch,  Eiern  und  Butter  aus,  so  ist  die  Nahrung  in  quantitativer  und  quali¬ 
tativer  Hinsicht  anzureichern,  den  Bedürfnissen  des  Einzelfalles  entsprechend. 
Es  kommen  in  Frage  nicht  zu  große  Quantitäten  Fleisch  oder  Fisch.  Von 
den  Fleischsorten  ist  das  weiße  zu  bevorzugen ;  ungesalzener  Käse,  Gemüse, 
Süßspeisen,  Suppen  (Obstsuppen),  nötigenfalls  künstliche  Nährpräparate.  (Sana- 
togen,  Maltokrystol,  Glidine,  Protylin).  Als  Morgengetränke  sind  Milch,  Hafer¬ 
kakao  und  Kakao  oder  Schokolade  zu  empfehlen.  —  Von  Gemüsen  kommen 
in  Betracht  Erbsen,  Kartoffeln,  Makronen,  am  besten  in  Püreeform  und  be¬ 
sonders  Reis.  - —  Zu  vermeiden  sind  Fleischbrühe,  Fleischextrakte,  alle  scharfen 
Gewürze,  Kaffee;  Alkohol,  besonders  in  Form  von  Spirituosen  und  Likören, 
sowie  schwere  Weine ;  heiße  Alkoholgetränke  (Grog)  sind  unter  allen 
Umständen  zu  verbieten;  ganz  kleine  Mengen  Bier  oder  leichten  Weines, 
sind  ausnahmsweise  zu  gestatten.  Als  sonstige  Getränke  kommen  in  Frage 
natürliche  und  künstliche  kohlensaure  Wasser.  —  Von  Medikamenten  kommen 
vor  allem  die  Brompräparate  in  Betracht.  Wenn  auch  die  Akten  über  die 
Frage,  ob  es  zweckmäßig  sei,  das  Chlor  in  der  Nahrung  zu  beschränken 
und  durch  das  Brom,  als  das  nächstverwandte  Halogen,  zu  ersetzen,  noch  nicht 
geschlossen  sind,  so  haben  sich  doch  zwei  Nährpräparate,  ein  Brot  und  ein 
Zwieback,  bei  deren  Herstellung  das  Kochsalz  durch  Bromnatrium  ersetzt 
ist,  als  bequeme,  allerdings  nicht  billige,  Darreichungsmittel  für  Brom  durch¬ 
aus  bewährt  (Bela  Hoffmann’s  Bromopan  und  Schnizer’s  ,, Spasmos.it“), 
besonders  in  den  Fällen,  in  denen  verhältnismäßig  geringe  Mengen  von 
Brom  benötigt  werden.  — -  Als  Ersatz  der  Bromalkalien  haben  sich  ferner 
bewährt  das  Bromipin,  das  auch  in  Tablettenform  hergestellt  wird,  und 
neuerdings  scheint  sich  auch  das  von  Klopfer  hergestellte  Bromglidine,  in 
welcher  das  Brom  an  Lezithin-Eiweiß  gebunden  ist,  zu  bewähren.  —  Da¬ 
gegen  enthalten  die  unter  dem  Namen  Neuronal,  Bromural,  Bromalin  gehenden 
Sedativa  zu  geringe  Mengen  von  Brom,  als  daß  sie  gerade  für  die  Epilepsie¬ 
behandlung  geeignet  wären.  —  Versuche  mit  dem  von  v.  Poe  hl  hergestellten 
Cerebrin,  das  teils  innerlich,  teils  subkutan  angewandt  wurde,  haben  Eulen¬ 
burg  in  25  Fällen,  und  zwar  waren  es  meist  schwere  und  veraltete  Fälle, 
immerhin  beachtenswerte  und  nicht  ungünstige  Ergebnisse  geliefert,  so  daß 
es  in  schweren  und  für  die  Brombehandlung  weniger  geeigneten  Fällen  weiter 
erprobt  zu  werden  verdient.  Eine  Heilung  sah  E.  allerdings  nicht  und  in¬ 
sofern  kann  er  der  enthusiastischen  Lobrede  Lion’s  auf  das  Präparat  nicht 
beistimmen.  —  Die  Prognose  der1  Epilepsie  ist  bei  konsequenter  Behandlung 
vielfach  nicht  so  schlecht  wie  sie  meist  dargestellt  wird. 

R.  Stüve  (Osnabrück). 


Neuere  Brompräparate  in  der  Epilepsiebehandlung. 

(Hermann  FI ay mann.  Med.  Klinik,  Nr.  50,  1908.) 

Es  werden  die  in  den  letzten  10 — 15  Jahren  auf  den  Markt  gebrachten 
Brompräparate,  welche  im  wesentlichen  zum  Ersatz  der  Bromalkalien  dienen 
sollten,  von  Haymann  besprochen.  Von  ihnen  werden  eine  ganze  Anzahl, 
trotzdem  sie  anfangs  begeisterte  Lobredner  fanden,  kaum  noch  gebraucht 
(Bromeigon,  Bromalbazid  und  dergl.).  Das  gleiche  gilt  von  Bromokoll  und 
Bromalin,  die  zugleich  wegen  geringen  Bromgehaltes  in  ihrer  Verordnung  zu 
teuer  waren.  —  Von  den  Präparaten,  die  Haymann  näher  geprüft  hat,  sah  er 
vom  Bromipin  doch  gelegentlich  Appetitsstörungen ;  wo  diese  nicht  auftreten, 
und  es  auf  den  Pirfeis  nicht  ankommt,  kann  das  Mittel  versucht  werden; 
der  hohe  Preis  steht  auch  der  Anwendung  des  Neuronal  entgegen.  Brom¬ 
glidine  wurde  ebenfalls,  wenn  auch  in  beschränktem  Umfange,  geprüft;  von 
seiner  Anwendung  sah  Haymann  besondere  Vorzüge  nicht;  wohl  aber  wurde 
von  den  Kranken  gelegentlich  über  leichtere  Magenstörungen  geklagt.  Bün¬ 
dige  Schlüsse  über  das  Präparat  will  H.  aus  seinen  bisherigen  Beobachtungen 
nicht  ziehen.  Dagegen  hat  sich  ihm  das  Sabromin  (dibrombehensaures  Kalzium) 
infolge  Nachhaltigkeit  und  Konstanz  der  Wirkung,  ohne  daß  Gewöhnung 


Referate  und  Besprechungen. 


589 


eintrat,  gut  bewährt,  so  daß  er  es  für  alle  die  Fälle  der  Epilepsiebehandlung 
warm  empfiehlt,  für  die  sich  das  Bromalkali  nicht  eignet,  ausgenommen 
allein  sind  augenblicklich  zu  bekämpfende,  stärkere  Erregungszustände. 

_  It.  Stüve  (Osnabrück). 

Behandlung  der  Epilepsie  mit  Borax. 

(T.  Oe  rum,  Kopenhagen.  Med.  Klinik,  Nr.  41,  1908.) 

Oerum  macht  auf  Borax  (Natrium  „boracicum“  —  ist  wohl  biboracieum 
gemeint  ?  Ref.)  als  Ersatzmittel  der  Brompräparate  in  der  Behandlung  der 
Epilepsie  aufmerksam.  Das  Mittel  ist  von  Go  wer  s  zuerst  gegen  Epilepsie 
empfohlen  und  hat  auch  dem  Verf.  in  einzelnen  Fällen  gute  Dienste  geleistet. 
Dosierung  1 — 2  g  3mal  täglich.  —  Nach  den  von  anderen  Autoren  gemachten 
und  in  dem  Aufsätze  zitierten  Erfahrungen  scheinen  aber  unerwünschte 
Nebenwirkungen  mehrfach  nicht  ausgeblieben  zu  sein;  es  erscheint  daher 
besonders  im  Anfänge  Vorsicht  am  Platze  und  vorsichtige  Dosierung  not¬ 
wendig.  R.  Stüve  (Osnabrück). 


Pilokarpinzusatz  zu  Bromsalzen. 

(J.  u.  R.  Voisin.  Presse  med.,  1908.  —  Gazette  med.  de  Paris,  Nr.  27,  1.  Jan.  1909.) 

Die  Vergiftungserscheinungen  durch  Brom  kommen  dadurch  zustande, 
daß  Brom  in  unberechenbarer  Menge  im  Organismus  zurückgehalten  wird. 
Deshalb  fügen  die  beiden  Ärzte  ihren  Bromkali-Lösungen  etwas  Pilokarpin 
bei, 'welches  die  Bromausscheidung  durch  Urin  und  Schweiß  befördert.  Ihre 
Formel  lautet-  Bromkali  70,  Pilokarpinnitrat  0,036,  Sir.  aurant.  400,  Aq. 
ad  1000.  Buttevsack  (Berlin). 


Ein  Beitrag  zum  Vergleiche  der  Opium-  und  Morphinwirkung. 

(R.  Gottlieb  u.  A.  v.  d.  Eeckhout.  -  Arch.  für  exper.  Path.  u.  Pharmakol.  Fest- 
schr.  für  Schmiedeberg,  Supplementband,  S.  235,  1908.) 

Die  Überlegenheit  des  Opiums  und  seiner  pharmazeutischen  Zuberei¬ 
tungen  (Tinkturen  usw.)  gegenüber  dem  Morphin,  dem  Hauptalkaloid  des¬ 
selben,  bei  gewissen  Erkrankungen  und  insbesondere  bei  Durchfällen  ist  noch 
nicht  aufgeklärt;  ob  es  sich  dabei  wie  beim  Antagonismus  gewisser  Gifte  im 
Kampf  um  das  giftempfindliche  Substrat  (Ehrlich)  um  eine  veränderte  Ver¬ 
teilung  des  Morphins  und  der  Nebenalkaloide  im  Organismus  oder  um  eine 
Erhöhung  der  Reaktionsfähigkeit  bestimmter  Organelemente  handelt,  steht 
nicht  fest.  Kombination^  wirku  ngen  sind  auch  sonst  schon  beobachtet 
worden.  Bei  einem  Gemisch  von  Äther-  und  Chloroformdämpfen  wirken 
schon  geringere  Konzen t rationeu  der  beiden  Anästhetika  als  bei  der 
Inhalation  jedes  einzelnen  für  sich;  ebenso  wird  bei'  der  kombinierten  Mor¬ 
phin-Skopolaminanwendung  eine  tiefere  und  länger  dauernde  Narkose  er¬ 
zielt  als  durch  eine  der  beiden  Stoffe  allein. 

Beim  Vergleich  von  Opium tinktur,  morphinfreigemachter  Opiumtinktur 
und  Morphin  zeigte  sich,  daß  beim  Frosch  die  schwachwirkenden  Neben¬ 
alkaloide  in  Kombination  miteinander  weit  stärker  wirkten,  als  den  geringen 
Einzelwirkungen  der  uns  bekannten  Komponenten  entspricht.  Aber  auch  die 
Opiumtinktur  wirkte  weit  stärker  als  Morphin  in  entsprechender  Menge  allein. 
Beim  Warmblüter  führten  diese  Untersuchungen  nicht  zu  schlagenden  Er¬ 
gebnissen.  Dagegen  war  es  bei  Katzen,  die  bei  alleiniger  Milchnahrung  flüs¬ 
sige  Darmentleerung  zeigen,  möglich,  diese  Diarrhöe  durch  morphinfreige¬ 
machte  Opiumtinktur  zu  stopfen.  Hiernach  scheint  die  Resorptionsverzögerung 
des  Morphins  durch  die  übrigen  Bestandteile  der  Opiumtinktur  nicht  die 
einzige  Ursache  der  stärker  stopfenden  Wirkung  des  Opiums  gegenüber  Mor¬ 
phin  zu  sein.  Welche  der  Nebenalkaloide  hierbei  beteiligt  sind,  ist  noch  nicht 
ermittelt. 

Nach  den  wenigen  Versuchen  am  Menschen  scheint  die  morphinfrei¬ 
gemachte  Opiumtinktur  bei  pathologischen  Zuständen  des  Darms  nur  eine 
sehr  geringe  stopfende  Wirkung  zu  entfalten.  E.  Rost  (Berlin). 


590 


Referate  und  Besprechungen. 


Experimenteller  Beitrag  zur  Wirkung  des  Atoxyls  auf  den  tierischen 

Organismus. 

(Igersheimer.  Arch.  für  exper.  Path.  u.  Pharmakol.  Festschr.  für  Schmiedeberg, 

Supplementband,  S.  282,  1908.) 

Dem  Atoxyl,  dem  Natriumsalz  der  Paraaminophenylarsinsäure,  das 
bekanntlich  schon  wiederholt  bei  therapeutischer  Anwendung  Erblindung 
verursacht  hat,  kommen  neben  Arsen  Wirkungen,  die  unter  Umständen  sich 
geltend  machen  können,  noch  eigenartige  Wirkungen  zu,  unter  denen  außer 
Kopfschmerz,  Schlaflosigkeit,  Schwindelanfälle,  Harndrang,  Albuminurie, 
kolikartige  Leibschmerzen,  insbesondere  Amaurose  zu  nennen  sind.  Diese 
Amaurose  beruht  meistens  auf  einer  retrobulbären  Neuritis.  Versuche  an 
Tieren  (Hunden,  Katzen)  zeigten,  daß  nervöse  Störungen  (Koordinationsstörun¬ 
gen,  Ataxie,  Spasmen)  auftreten,  die  an  einen  myelitisch-degenerativen  Prozeß 
in  der  Medulla  spinalis  denken  lassen,  was  durch  die  mikroskopische  Unter¬ 
suchung  bestätigt  wurde.  E.  Rost  (Berlin). 


Ueber  die  Darreichung  des  Chinins  bei  Kindern. 

(Dr.  Pocrier,  Boulogne  La  Prov.  med.,  Nr.  81,  1908.) 

Jeder  Praktiker  kennt  die  Schwierigkeiten,  die  bei  der  Darreichung 
des  Chinins  in  der  Kinderpraxis  zu  überwinden  sind,  erstens  wegen  des 
bitteren  Geschmackes  dieses  Produktes  und  zweitens,  weil  es  nicht  möglich 
ist,  dasselbe  den  Kindern  in  Form  von  Oblaten  oder  Pillen  beizubringen,  da 
Kinder  diese  meist  nicht  verschlucken  können,  während  es  in  Suppositorien 
sehr  leicht  reizt. 

Verf.  stellte  nun  an  vier  Kindern  Versuche  mit  Aristochin  an.  Von 
allen  4  Kindern  wurde  dieses  Präparat  ohne  Widerwillen  und  mit  ausge¬ 
zeichneten  Resultaten  genommen. 

Die  beste  Methode  ist  die  von  Dr.  Mayet-Lyon  angegebene,  wonach 
das  Aristochin  in  Wasser  (worin  es  vollständig  unlöslich  ist)  verrührt  oder 
einem  Löffel  voll  Fruchtgelee  zu  geben  ist. 

Um  im  Magen  das  Freiwerden  des  Chinins  vom  Aristochin  (das  letztere 
ist  ein  kohlensaurer  Ester  des  Chinins)  zu  erleichtern,  ist  es  —  ausgenommen 
bei  Säuglingen  —  vorteilhaft,  einige  Minuten  nach  dem  Aristochin  einen 
Löffel  Salzsäure-Limonade  zu  geben.  Neumann. 


Intravenöse  Adrenalin-Kochsalzinfusionen. 

(Th.  Meissl.  Wiener  klin.  Wochenschr.,  Nr.  23,  1908.) 

Die  Infusion  wird  an  einer  Armvene  oder  an  der  V.  saphena  gemacht 
und  soll  25 — 30  Min.  dauern.  Die  physiol.  Kochsalzlösung  enthält  10 — 12 
Tropfen  der  käuflichen  (1 :  1000)  Adrenalinlösung  auf  1  Liter.  Die  beiden 
Fälle  MeißFs  betreffen  eine  Geburtsblutung  schwerster  Art  und  eine  eitrige 
Peritonitis.  Bei  der  ersteren  Patientin  waren  vorher  4  Liter  gewöhnlicher 
Kochsalzlösung  ohne  Erfolg  infundiert  worden.  Der  Effekt  der  Adrenalin- 
Kochsalzlösung  war  unmittelbar  und  überaus  günstig.  Beide  Kranke  genasen. 

E.  Oberndörffer. 


Ueber  den  Einfluß  der  Somatose  auf  die  Sekretion  der  Brustdrüsen. 

(Dr.  Georg  Joachim,  Berlin.  Allg.  med.  Zentralzeitung,  Nr.  48,  1908.) 

Verf.  ist  zu  der  Überzeugung  gelangt,  daß  es  tatsächlich  zweckmäßig  ist, 
die  Somatose  bereits  in  den  letzten  Monaten  der  Schwangerschaft  zu  geben, 
ohne  jedoch  von  der  ursprünglichen  Empfehlung,  das  Mittel  auch  während 
der  Zeit  des  Stillungsgeschaftes  weiter  zu  reichen,  abzugehen. 

Verf.  beschreibt  unter  Verzicht  auf  Anführung  der  gesamten  Kasu¬ 
istik  mehrere  besonders  bemerkenswerte  Fälle,  in  denen  die  betr.  Frauen 
bei  früheren  Geburten  entweder  gar  nicht  oder  nicht  genügend  zu  stillen 


Bücherschau. 


591 


imstande  waren,  nach  einer  systematisch  durchgeführten  Somatosekur  aber  unter 
Besserung  des  Allgemeinbefindens  den  Säugling  viele  Monate  hindurch  voll¬ 
kommen  zu  ernähren  vermochten,  z.  T.  sogar  soviel  Nahrung  in  den  Brüsten 
hatten,  daß  sie  noch  einen  zweiten  Sprößling  hätten  satt  machen  können. 

So  ist  die  Verwendung  der  Somatose  nicht  nur  bei  Kranken  und 
Rekonvaleszenten,  sondern  noch  vielmehr  bei  Schwangeren  und  Wöchnerinnen 
ein  großer  Gewinn  für  die  Leidenden,  für  die  Mütter  und  für  die  Kinder. 

_ _  Neumann. 

Une  nouvelle  medication  contre  les  douleurs  fulgurantes  du  Tabes  ou 

ataxie  locomotrice. 

Je  10  Tage  werden  mit  10  tägigen  Pausen  an  den  schmerzhaften  Punkten 
täglich  1  ccm  einer  1-,  2-  und  3%igen  Natriumnitritlösung  nacheinander 
steigend  injiziert.  Nach  40 — 50  Injektionen  darf  man  eine  konstante  Besserung 
erhoffen.  (Les  nouveaux  remedes,  Nr.  13,  1908.)  v.  Schnizer  (Danzig). 

Benassi  empfiehlt  das  Sajodin  als  exzellenten  Ersatz  des  Jk  bei  der 
Syphilisbehandlung,  0,5  während  oder  nach  der  Mahlzeit  in  Tabletten  oder 
Oblaten.  Es  erzeugt  absolut  keinen  Jodismus,  was  ich  selbst  nach  meinen 
Erfahrungen  als  richtig  bestätigen  kann.  (Les  nouveaux  remedes,  Nr.  22, 
1908.)  1  v.  Schnizer  (Danzig). 

Die  medikamentöse  Behandlung  der  Rachitis 

schlägt  Comby  folgendermaßen  vor:  bei  Kindern  unter  einem  Jahr  Misch¬ 
diät  mit  Phosphorkalk;  bei  Kindern  über  ein  Jahr:  1.  Phosphate  in  Milch, 
2.  Lebertran  und  3.  statt  dessen  im  Sommer  Jodphosphorbutter  nach  der 
Formel:  frische  Butter  500,0,  Kal.  Jodat.  25,0,  Bromkali  1,0,  Kochsalz  8,0, 
Phosphor  0,01.  (Bulletin  general  de  therapeutique,  Nr.  9,  1908.) 

v.  Schnizer  (Danzig). 


Bücherschau. 


Probleme  der  Protistenkunde.  I.  Die  Trypanosomen,  ihre  Bedeutung  für 
Zoologie,  Medizin  und  Kolonialwissenschaft.  Von  Dr.  Doflein,  ao.  Prof, 
der  Zoologie  an  der  Universität  München.  Jena,  Verlag  von  Gustav 

Fischer,  1909.  1  Mk. 

Die  unter  obigem  Titel  uns  zur  Besprechung  vorliegende,  57  Seiten  starke 
Broschüre  ist  der  Abdruck  einer  bedeutsamen  Rede,  welche  Professor  Doflein 
auf  Veranlassung  des  Vorstandes  der  70.  Versammlung  deutscher  Naturforscher 
und  Arzte  in  Köln  in  der  gemeinschaftlichen  Sitzung  der  medizinischen  und 
der  naturwissenschaftlichen  Hauptgruppe  am  24.  September  1908  gehalten  und 
in  der  er  Gelegenheit  genommen  hat,  das  Trypanosomenproblem  im  Zusammen¬ 
hang  darzustellen,  und  dabei  seine  eigene  Auffassung  auszusprechen,  die  von'  der 
herrschenden  Betrachtungsweise  dieses  Problems  abweicht.  Hierauf  näher  ein¬ 
zugehen,  würde  den  Rahmen  eines  Referats  überschreiten.  Das  Studium  der  Broschüre 
kann  aber  auch  denen,  die  sich,  wenn  auch  nur  theoretisch,  noch  nicht  mit 
Trypanosomen  beschäftigt  haben,  oder  welchen  diese  etwa  gar  noch  ganz  fremd 
sind,  umsomehr  dringend  empfohlen  werden,  als  sie,  wie  bereits  erwähnt,  darin  eine 
auch  für  den  Laien  verständliche  zusammenfassende  Darstellung  der  Trypanosomen¬ 
kunde  einschließlich  der  durch  die  Trypanosomen  veranlaßten  Krankheits¬ 
erscheinungen,  der  Trypanosomiasis,  finden.  Der  übrige  Inhalt  hat  ein  lediglich 
spezialistisches  Interesse.  Die  Folgerungen,  die  Verf.  zum  Schluß  aus  seinen  Dar¬ 
legungen  zieht,  beziehen  sich  namentlich  auf  unsere  Kolonialwirtschaft  und  besagen 
in  dieser  Beziehung,  daß,  wenn  es  nicht  möglich  sein  sollte,  der  Schlafkrankheit, 
dieser  gefährlichsten  Trypanosomenkrankheit,  anders  als  durch  eine  von  R.  Koch 
vorgeschlagene  Ausrottung  des  Großwildes  Herr  zu  werden,  in  großem  Stile  Tier¬ 
reservate  mit  wissenschaftlichen  Beobachtungsstationen  angelegt  werden  sollten, 
nicht  allein  zur  Förderung  der  Naturgeschichte  der  Tropen  überhaupt  sondern  auch 
des  Wissens  von  den  Trypanosomen  im  Besonderen.  Peltzer. 


592 


Bücherschaii. 


Lehrbuch  der  Greisenkrankheiten.  Von  J.  Schwalbe.  Stuttgart, 

F.  Enke,  1909.  850  Seiten.  26  Mk. 

Über  die  Krankheiten  der  Kinder  und  Frauen  gibt  es  eine  erdrückende 
Literatur,  über  diejenigen  der  Greise  besitzen  wir  kein  modernes  Werk.  Um  so 
dankbarer  wird  das  ärztliche  Publikum  den  vorliegenden  Band  begrüßen;  denn 
Dank  den  Fortschritten  der  Hygiene  rücken  ja  immer  mehr  Leute  in  die  Alters¬ 
periode  hinein,  und  Dank  der  modernen  Kultur  mit  ihren  Anforderungen  an  Körper 
und  Seele  setzt  der  Alterungsprozeß  immer  früher  ein,  etwa  entsprechend  dem  Satze 
von  Baglivi:  „Vivere  nostrum  siccescere  est.  Et  major  pars  corporum  curis, 
vino,  venere,  aetatis  et  annorum  cursu  squalet  (erstarrt)  primo,  deinde  siccescit.“ 

Den  Wert  dieses  Lehrbuches  kann  jeder  leichtabschätzen  an  den  Mitarbeitern, 
welche  Schwalbe  für  sein  Unternehmen  gewonnen  hat:  Naunyn  (allgemeine 
Pathologie),  C.  Hirsch -Göttingen  (Kreislauf),  E.  Grawitz  (Blut),  Hoppe-Seyler 
(Atmung),  Ewald  (Verdauung),  Ebstein  (Harnorgane),  Fürbringer  (männliche 
Geschlechtsorgane),  Siemerling  (Nerven),  Ortner-Innsbruck  (akute  Infektionen), 
Koranyi  (Gicht,  Diabetes,  Fettsucht),  Dan  sch- Göttingen  (Bewegungapparat), 
Jadassohn  (Haut  und  venerische  Krankheiten),  Max.  Sternberg  (Zoonosen  und 
Vergiftungen).  Wenn  ich  auch  nicht  hoffe,  daß  die  genannten  Autoren  aus  der 
Fülle  persönlicher  Erfahrungen  geschöpft  haben,  die  einst  Sydenhams  Abhandlung 
über  das  Podagra  zu  einem  Kabinetstück  der  medizinischen  Literatur  gemacht 
haben,  so  garantiert  doch  bei  vielen  ihr  Alter  volles  Verständnis  für  ihr  Thema. 
Peter ’s  Klage:  „que  la  Science  medicale  contemporaine  soit  exclusivement  faite 
avec  des  materiaux  d’höpital  et  par  des  jeunes  gens“  trifft  mithin  auf  das  vor¬ 
liegende  Werk  nicht  zu.  Buttersack  (Berlin). 


Handbuch  der  Krankenpflege.  Von  Salzwedel.  Berlin,  A.  Hirschwald, 
1909.  9.  Auflage.  500  Seiten.  6  bzw.  7  Mk. 

Die  Leute,  die  heutzutage  von  der  Therapie  sprechen,  haben  zumeist  ver¬ 
gessen,  daß  ohpaTisbeiv  =  dienstbar  sein,  pflegen  heißt,  und  je  gelehrter,  je  wissen¬ 
schaftlicher  die  Medizin  geworden  ist,  umsomehr  hat  sich  jene  Grundbedeutung 
verloren.  Der  heutige  Medicus  begnügt  sich  nicht  mehr  mit  der  Rolle  eines 
minister  naturae  et  interpres,  sondern  gefällt  sich  —  stolz  auf  die  sogenannten 
wissenschaftlichen  und  technischen  Errungenschaften  —  in  der  Toga  des  Magister 
und  bombardiert,  wie  das  z.  B.  Landouzy  in  der  Einleitung  zu  seinen  Sero- 
therapies  (Paris  1898)  sehr  charakteristisch  darstellt,  vom  Laboratorium  aus  mit 
seinen  Drogen  und  Seris  den  ungefügen  Organismus,  um  ihn  wieder  auf  den 
rechten  Weg  zu  zwingen. 

Daß  bei  solch  einer  Geistesrichtung  die  persönliche  Hingabe  des  Arztes  an 
seinen  Schützling,  jenes  ohpaTCEusiv  xai  atopa  xai  (Luyqv  (Plut.  Lucull.  22.)/  in  den 
Hintergrund  treten  mußte,  ist  klar;  es  entwickelte  sich  demgemäß  das  Zwischen¬ 
glied  der  Krankenpfleger.  Mit  den  Zeiten  änderten  sich  die  Ansprüche,  und  so  stellt 
das  Handbuch  der  Krankenpflege,  dessen  erste  Auflage  vor  nahezu  80  Jahren  er¬ 
schienen  ist,  in  seinen  verschiedenen  Metamorphosen  gewissermaßen  Querschnitte 
•  durch  ein  Partialgebiet  der  Kultur  dar.  Was  die  des  Jahres  1909  von  einem  guten 
Pfleger  erwartet,  ist  in  der  vorliegenden  neunten  Auflage  ausführlich,  aber  immer 
klar  und  in  einer  Form,  die  sich  leicht  verstehen  und  behalten  läßt,  dargestellt. 
Drei  Tafeln  in  Farbendruck  und  75  Bilder  im  Text  unterstützen  das  geschriebene 
bzw.  gesprochene  Wort. 

Eine  detaillierte  Angabe  des  Inhaltes  erübrigt  sich  wohl  der  Natur  des  Themas 
nach.  Aber  ich  kann  nicht  umhin,  zu  sagen,  daß  viele,  oft  nur  kurze  Bemerkungen, 
Ratschläge  u.  dergl.  mein  ärztliches  Denken  außerordentlich  angeregt  und  mir 
manche  bisher  weiter  nicht  beachtete  Erscheinungen  in  neuem  Lichte  gezeigt 
haben.  Fesselt  somit  das  Buch  auch  ältere  Ärzte,  so  sollte  es  den  angehenden 
erst  recht  zum  eingehendsten  Studium  ans  Herz  gelegt  werden;  denn  sogar  das 
Examensprädikat:  vorzüglich  in  Chemie,  Arzneimittellehre,  Perkussion,  Augen-, 
Kehlkopf-  usw.  Spiegeln  rtsw.  nützt  herzlich  wenig,  so  lange  der  Jünger  Äskulaps 
nicht  versteht,  einen  Kranken  anzufassen,  und  so  lange  er  seine  primitivsten  Be¬ 
dürfnisse  nicht  kennt.  Mängel  in  der  Pflege  bewertet  jeder  Kranke,  ob  hoch  oder 
gering,  ob  jung  oder  alt,  ungleich  höher,  als  diagnostische  Irrtümer  oder  die  Aus¬ 
wahl  eines  vielleicht  minder  geeigneten  Arzneimittels.  Buttersack  (Berlin). 

—  • 

Schriftleitung:  Dr.  Ri  gl  er  in  Leipzig. 

Druck  von  Emil  Herrmann  senior  in  Leipzig. 


27.  Jahrgang. 


1909. 


Tomcbrim  der  Medizin. 

Unter  Mitwirkung  hervorragender  Fachmänner 

herausgegeben  von 

Professor  Dr.  0.  Köster  Prio.-Doz.  Dr.  o.  Criegtrn 

in  Leipzig.  in  Leipzig. 

Schriftleitung:  Dr.  Rigler  in  Leipzig. 


Nr.  16. 


Erscheint  am  10.,  20.,  30.  jeden  Monats.  Preis  halbjährlich 
6  Mart,  in  kl.  Zeitschrift  für  Versicherungsmedizin  8  Mark. 


Verlag  von  Georg  Thieme,  Leipzig. 


10.  Juni. 


Originalarbeiten  und  Sammelberichte. 

Aus  der  chirurgischen  Klinik  des  städtischen  Krankenhauses  zu  Frankfurt  a.  M. 

Direktor:  Prof.  Dr.  L.  Kehn. 

Ueber  das  Coecum  mobile. 

Von  Dr.  Heinrich  Klose,  1.  Assistenzarzt  der  Klinik. 

(Vortrag,  gehalten  in  der  wissenschaftlichen  Vereinigung  am  städt.  Krankenhaus, 

Sitzung  am  2.  März  1909.) 

M.  H.  In  jüngster  Zeit  wurde  von  Wilms,  dem  Baseler  Chirurgen, 
ein  neues  Krankheitsbild  skizziert,  das  von  ihm  vor  der  Hand  als 
„Coecum  mobile“  bezeichnet  wurde.  Er  will  damit  sagen,  daß  sich  ihm 
die  Indikation  zu  speziellen  operativen  Maßnahmen  erst  während  des 
chirurgischen  Eingriffes  ergab,  weil  die  klinischen  Erscheinungen  nichts 
sicheres  präjudizierten.  Es  handelte  sich  in  der  Tat  um  40  Fälle,  die 
von  ihm  oder  von  anderen  Chirurgen  vor  mehr  oder  minder  langer 
Zeit  wegen  sogenannter  chronischer  Appendizitis  meistens  schon  ope¬ 
riert  worden  waren,  die  aber  trotz  der  Appendektomie  die  gleichen 
Beschwerden  behielten  und  nun  einer  zweiten  Operation  sich  unter¬ 
zogen,  in  welcher  eine  Fixation  des  abnorm  langen  und  beweglichen 
Cöcum  vorgenommen  wurde.  Die  Kranken  blieben  daraufhin  dau¬ 
ernd  geheilt.  Mit  anderen  Worten:  die  Patienten  waren  erstmalig 
unter  einer  falschen  Diagnose  einer  Laparatomie  unterworfen  wor¬ 
den,  nämlich  unter  der  Diagnose  der  chronischen  Appendizitis,  erst 
die  ausbleibende  Heilung  aber  belehrte  Operateur  und  Patient,  daß 
der  keineswegs  irrelevante  Eingriff  umsonst  geschehen  war  und  erst 
die  zweite  Laparotomia  probatoria  führte  zu  dem  gewünschten  Resultat. 
Nun  ist  gewiß  richtig,  daß  manchen  Chirurgen  schon  das  Gefühl  des 
Unbefriedigtseins,  ja  des  unnötigen  Operierens  beschlichen  hat,  der  in 
operatione  die  Inkongruenz  zwischen  dem  pathalogisch-anatomischen 
Substrat  und  den  klinisch-manifesten  Symptomen  wahrnahm.  Es  ist 
ebenso  richtig,  daß  bisher  keine  statistische  Kontrolle  über  die  Erfolge 
der  Operation  bei  sogenannter  chronischer  Appendizitis  existiert,  aber 
es  ist  auch  zweifellos,  daß,  zunächst  wenigstens,  auch  durch  dieWilm- 
sche  .Publikation  ein  klares  prägnantes  Krankheitsbild  weder  in  sub¬ 
jektiver  noch  in  objektiver  Richtung  angebahnt  ist.  Und  doch  läßt 
schon  die  kurze  Geschichte  dieses  Leidens,  abgesehen  von  prinzipiell- 
wissenschaftlichen  und  praktischen  Gründen,  eine  präoperative  Dia¬ 
gnose  dieser  Dinge  dringlicher  als  je  erscheinen!  Wilms  berichtet  nur, 
daß  die  Kranken  nie  schwere  Attacken  von  Blinddarmentzündung  durch- 

38 


594 


Heinrich  Klose, 


gemacht  hatten,  daß  sie  über  mehr  oder  minder  heftige,  schmerzhafte 
intermittierende  Empfindungen  in  der  rechten  Bauchseite  und  hart¬ 
näckige  Obstipation  geklagt  hatten.  Lokal  fand  er  einen  Druckschmerz 
des  Mac-Burney’schen  Punktes  und  eine  tumorartige  Resistenz  da¬ 
selbst,  die  so  mobil  war,  daß  sie  bei  oberflächlicher  Untersuchung  sogar 
mit  einer  Wanderniere  verwechselt  werden  könne.  Sind  diese  Erschei¬ 
nungen  vorhanden,  dann  nimmt  er  als  anatomisches  Kriterium  für  eine 
abnorme  Mobilität  des  Cöcum  und  für  die  Notwendigkeit  der  Fixation, 
die  Möglichkeit,  daß  man  das  Cöcum  ,, bequem“  vor  die  Bauch  wunde 
lagern  kann.  Wenn  man  diese  weit  weniger  als  eindeutigen  Angaben 
mit  allgemein  chirurgischen  und  klinischen  Erfahrungen  vergleicht, 
dann  möchte  man  allerdings  die  Behauptung  Curschmann’s  bestätigt 
glauben,  daß  das  Studium  der  Anomalie  und  Lage  des  Blinddarmes  — 
denn  darum  handelt  es  sich  —  chirurgisch  und  klinisch  so  gut  wie 
gar  nicht  studiert  sind.  Dem  ist  nun  nicht  so.  Zunächst  ist  zu  bedenken, 
daß  bei  den  meisten  Individuen  die  betreffenden  Form  Veränderungen 
im  Leben  ohne  jede  Folge  und  Bedeutung  sind,  daß  sie  nur  bei  einem 
ganz  kleinen  Prozentsatz  die  Grundlage  wichtiger  Störungen  und  chirur¬ 
gischer  Maßnahmen  werden.  Zweitens  geht  aus  älteren  Publikationen 
mit  Sicherheit  hervor,  daß  diese  Verlagerungen  des  Cöcum,  einmal 
in  klinische  Erscheinung  getreten,  in  früheren  Zeiten  nie  oder  zu  spät 
ihre  richtige  Deutung  im  Leben  fanden,  sondern  unter  intermittierenden, 
allmählich  zunehmenden  Ileuserscheinungen  konstant  mit  dem  Tode 
abschlossen.  Heute  ist  nicht  nur  eine  theoretische  Besserung  zu  kon¬ 
statieren.  Wilms  rechnet  damit,  daß  sogar  20 — 25°/0  seiner  chronischen 
Appendizitiden  an  solchen  Verlängerungen  des  Blinddarmes  leiden.  Auch 
wir  haben  seit  zwei  Jahren  unter  80  Fällen  von  chronischer  Appendizitis 
Zwölfmal  ein  Coecum  mobile,  d.  h.  in  15  °/0  dieser  Fälle  zu  operieren 
Gelegenheit  gehabt.  Darunter  haben  wir  siebenmal  die  Diagnose  nicht 
bezw.  eine  falsche  gestellt.  Bei  den  fünf  letzten  Fällen  jedoch  ver¬ 
mochten.  wir  auf  Grund  zunehmender  Erfahrung  die  Anomalie  ante 
operationem  festzulegen.  Sämtliche  Fälle  aber  sind  bis  heute,  die 
meisten  also  seit  mehr  als  zwei  Jahren  geheilt.  Stets  haben  wir 
die  Coecopexie  nicht  durch  komplizierte  Plastik  nach  der  Wilms- 
schen  Methode,  sondern  einfach  so  erreicht,  daß  wir  das  Coecum  an 
seiner  physiologischen  Stelle  durch  breitfassende  Sero-peritoneale  Seiden¬ 
knopfnähte  fixierten.  Von  jedem  der  gewöhnlichen  Bauchschnitte  aus 
ist  unsere  Operationsmethode  auszuführen.  Uns  leiteten  die  gleich¬ 
artigen  Erwägungen  wie  Wilms,  jedoch  unabhängig  von  ihm  und 
es  ist  mir  darum  möglich,  einiges  zur  Beantwortung  der  beiden  von 
Wilms  offen  gelassenen  Hauptfragen  beizutragen:  nämlich  erstens: 
lassen  sich  aus  der  Komplexheit  der  klinischen  Erscheinungen  solche 
abgrenzen,  die  etwas  sicheres  hinsichtlich  der  anatomischen  Abnor¬ 
mität  vorausagen  ?  und  zweitens,  wann  gibt  uns  die  Anatomie  das 
Recht,  von  einer  krankhaften  Länge  des  Cöcums  zu  sprechen?  Über¬ 
blicken  wir  unsere  Krankengeschichten,  so  resultiert  schon  jetzt  ein 
ziemlich  einheitliches  Bild.  Im  Vordergründe  desselben  stehen  inter¬ 
mittierende,  fieberfreie  oder  subfebrile  Koliken,  die  sich  nach  Monaten 
oder  Wochen,  nach  Tagen  oder  Stunden  periodisch  wiederholen  und  in 
allmählich  zunehmender  Intensität  1/4 — 2  Stunden  anhalten.  Die  Koliken 
sind  sichtlich  beeinflußt  von  der  Quantität  und  Qualität  der  Speisen 
und  von  dem  Bauchdeckentonus.  Darum  ist  das  weibliche  Geschlecht 
der  besseren  Lebenshaltung  bevorzugt.  Ich  betone,  daß  es,  dem  strengen 


Ueber  das  Coecum  mobile. 


595 


Sprachbe griff  folgend,  richtige  Dickdarmschmerzen  sind,  die  anfangs  in 
die  rechte  Regio  meso-  und  hypogastrica  verlegt  werden,  bald  auch  in  die 
linke  Iliacalgegend  ausstrahlen.  Stehen  und  Sitzen  verstärkt  die  Beschwer¬ 
den,  Liegen,  zumal  rechte  Seitenlage,  mindert  sie  oder  hemmt  sie  auch  ganz. 
Indessen  ist  selbstverständlich,  daß  diese  Koliken  weder  in  ihrer  Lokali¬ 
sation  noch  in  ihrer  Art  ein  absolut  zuverlässiges  Merkmal  für  die  diffe¬ 
rentialdiagnostische  Entscheidung  abgeben.  Denn  die  Kranken  kommen 
meistens  so  spät  in  klinische  Behandlung,  daß  die  Schmerzen  ausstrahlend 
oder  reflektorisch  in  ganz  entfernt  liegenden  Organen  empfunden  werden. 
Wie  auch  Niemann  bemerkt,  geht  regelmäßig  den  Attacken  eine  Periode 
der  Obstipation  und  Flatulenz  voraus.  Fast  immer  bilden  frequente  Stuhl¬ 
abgänge  den  Schluß  der  Szene  und  der  Schmerzen.  Zumeist  ist  als  ob¬ 
jektiver  Koeffekt  der  gemeinsamen  Ursache  eine  pralle  kleinapfelgroße 
Resistenz  in  der  Cöcumgegend  palpierbar,  die  über  die  Medianebene  hin¬ 
aus  beweglich  sein  und  dann  verschwinden  kann.  Diese  Geschwulst  bil¬ 
det  im  Verein  mit  den  paroxysmalen  Schmerzanfällen  den  wichtigsten 
Ausgangspunkt  für  die  klinische  Erörterung  der  differentiellen  Diagnose 
und  es  ist  in  der  Tat  von  größtem  Wert,  daß  wir  in  der  systematisch 
angewandten  Radiographie  eine  Untersuchungsmethode  besitzen,  die 
unsere  topische  Aufgabe  wesentlich  erleichtert.  Aber  von  vornherein 
dürfen  wir  nun  nicht  erwarten,  die  Frage  in  so  typischer  Darstellung 
entschieden  zu  sehen,  als  wir  sie  uns  theoretisch  konstruieren  möchten. 
Denn  die  radiographische  Aufnahme  ist  auf  Kranke  angewiesen,  deren 
Anfall  ab  geklungen  und  deren  zeitweise  und  statische  Organ  Verlagerung 
in  der  Mehrzahl  damit  aufgehoben  ist.  Die  Radiographie  wird  also 
auch  hier  nur  ein  indirektes,  die  Klinik  in  lokalisatorischer  Richtung 
ergänzendes  Verfahren  sein.  Die  Beobachtung  des  W ismutsohattens 
setzte  uns  bekanntlich  in  den  Stand,  absolut  sicher  und  prägnant  die 
motorische  Funktion  des  Darmes  zu  bestimmen  und  zwar,  wie  für  uns 
hier  wichtig  ist,  ohne  daß  die  Verwendung  eines  als  Obstipans  bekannten 
Stoffes  auf  die  motorische  Tätigkeit  retardierend  wirke.  Jedenfalls 
erlaubt  der  zeitliche  Vergleich  zwischen  Gesamtverdauung  der  Mahl¬ 
zeit  und  erstem  Bismutnachweis  im  Stuhl  nur,  eine  ganz  unbedeutende 
Verlangsamung  der  Dickdarmmotilität  anzunehmen.  Nach  der  Ein¬ 
verleibung  sehen  wir  den  Wismut  schatten  im  Magen,  nach  21/2  Stunden 
bereits  in  den  unteren  Ileumschlingen,  nach  4  Stunden  im  Cöcum  und 
Colon  ascendens,  da  der  Weg  durch  den  Dünndarm  in  1 — 2  Stunden 
zurückgelegt  wird.  Beim  gesunden  Menschen  hat  nach  unseren  Er¬ 
fahrungen  der  Bis  mutschatten  in  24  Stunden  das  Colon  desoendens 
und  das  Rektum  erreicht,  in  unseren  Fällen  von  Coecum  mobile  lagerte 
nach  24  Stunden  der  Bismuts dhatten  noch  im  Cöcum,  ja  nach  36- — 74 
Stunden  war  nicht  die  geringste  Veränderung  im  Skiagramm  zu  kon¬ 
statieren.  Ist  das  Cöcum  bereits  durch  sekundär  entzündliche  Prozesse 
in  der  Tiefe  des  kleinen  Beckens  fixiert,  also  in  einem  Stadium,  das 
ich  als  das  der  entzündlichen  Komplikationen  bezeichnen  möchte,  so 
läßt  natürlich  die  Lagevariation  des  Schattens  die  direkte  Diagnose 
stellen.  Diese  Erleichterung  trifft  nur  in  den  schwersten,  seltenen 
Fällen  zu.  In  den  häufigeren  jedoch  müssen  uns  komplizierte  Über¬ 
legungen  zu  Hilfe  kommen  (Demonstration  der  Röntgenbilder). 

Wo  bleibt  hier  die  krankhafte  Verlagerung  des  Cöcum,  so 
werden  Sie  mir  einwenden.  Natürlich  läßt  dieser  abnorm  lange,  im 
Cöcum  verweilende  Schatten,  allein  betrachtet,  nur  auf  eine  hoch¬ 
gradigste  Atonie  desselben  schließen,  vorausgesetzt,  daß  durch  andere 

38* 


596  Heinrich  Klose, 

Momente  organisch-stenosierende  Prozesse  im  Kolon  ausgeschlossen  sind. 
Diese  Frage  streifte  bereits  das  anatomisch-physiologische  Bereich  unserer 
Betrachtung  und  ist  eben  nur  dadurch  zu  beantworten.  Wir  sind 
nämlich  zu  der  Vorstellung  berechtigt,  daß  in  dem  unkomplizierten 
Stadium  des  Goecum  -mobile  dieses  durch  regulatorischen  Einfluß  der 
Dünndarmperistaltik,  der  Bauchpresse  zur  Zeit  des  freien  Intervalles 
an  normaler  Stelle  gehalten  wird.  Daher  die  von  alten  Beobachtern 
als  auffallend  betonte  Erscheinung,  daß  viele  Bauchdeckengesunde 
Menschen  hochgradige  Verlängerungen  symptomloser  tragen.  Es  ist  aus 
der  Physiologie  hinreichend  bekannt,  daß  gerade  im  Cöcum  der  Darm¬ 
inhalt,  sei  er  gasförmig  oder  breiig,  längere  Zeit  verweilt,  ehe  er  seine 
Wanderung  durch  das  auf  steigende  Kolon  fortsetzt.  Und  die  Anatomie 
lehrt,  daß  der  Umfang  des  Cöcums  erheblich  weiter,  seine  Wanddicke 
erheblich  geringer  ist,  als  die  anderer  Dickdarmteile.  Aus  physikalischen 
Gründen  lastet  aber  ein  erhöhter  Druck  in  einem  Böhrensystem  in 
gleicher  Stärke  auf  jedem  kleineren  Teil.  Infolgedessen  wirkt  auf  die 
Cöcumwand  wegen  der  größeren  Weite  ein  wesentlich  höherer  Druck 
als  in  den  übrigen  Gebieten  des  Dickdarmes.  So  wissen  wir,  daß  bei 
Stenosierungen  in  den  unteren  Dicktarmteilen  eine  isolierte  Dehnung 
des  Cöcums  zustande  kommt,  ein  Symptom,  das  nebenbei  bemerkt,  die 
größte,  leider  wohl  zu  wenig  gewürdigte  Bolle  in  der  Diagnose  noch 
nicht  palpabler  Dickdarmkrebse  spielt.  So  wissen  wir  weiter,  daß 
schon  normalerweise  das  Cöcum  seinen  wechselnden  Füllungsverhält- 
nissen  entsprechend  auf  seiner  Unterlage  ausgiebig  beweglich  ist. 
Das  Cöcum  ist  also  auf  eine  möglichst  günstige  Ortsver äncle- 
rung,  dabei  auf  eine  bei  anatomischem  Normal  verhalten  eben 
ausreichende  motorische  Suffizienz  eingestellt.  Die  Abhän¬ 
gigkeit  beider  Faktoren  voneinander  werden  uns  am  besten  aus  em¬ 
bryologischen  Erinnerungen  klar  werden. 

Der  embryonale  Darm  stellt  in  der  5. — 6.  Woche  der  Fötalzeit 
ein  Bohr  dar,  das  infolge  ungleichmäßigem  Längen-  und  Dickenwachs¬ 
tunis  in  zwei  Hauptsegmente  geschieden  werden  kann :  den  spindelförmig 
angeschwollenen,  vertikalgestellten  Magen  und  den  zwei  ziemlich  parallel 
und  nahe  beisammen  verlaufenden  auf-  und  absteigenden  Schenkeln  der 
Nabelschleife  mit  dem  Dottergang,  dem  Ductus  omphalomesentericus. 
Der  zwiefachen  Drehung  des  Magens  um  die  Sagittalachse  des  Körpers 
und  seine  eigene  Längsachse  folgt  im  dritten  und  den  folgenden 
Monaten  eine  Lageveränderung  der  Darmschleife  mit  ihrem  Mesenterium 
derart  um  ihre  Anheftungsstelle  an  der  Lendenwirbelsäule,  daß  sich 
der  aufsteigende  Schenkel,  welcher  zum  Dickdarm  wird,  in  schräger 
Bichtun g  in  der  Diagonale  des  Bauchraumes  über  den  absteigenden, 
zum  Dünndarm  auswachsenden  Schenkel  herüberschlägt  und  allmählich 
in  querer  Bichtung  den  Anf angsteil  des  Dünndarmes  kreuzt.  Durch 
diese  Drehung  gerät  der  ursprünglich  links  liegende  Anf  angsteil  des 
Dickdarmes  oder  das  Cöcum  zunächst  unter  die  Leber,  dann  ganz  in 
die  rechte  untere  Bauchseite.  Nun  ist  ausschlaggebend,  daß  den 
Anstoß  zu  der  Verlagerung  upd  für  die  Erreichung  des  ge¬ 
wollten  Endeffektes,  das  im  zweiten  Monat  beginnende  Län¬ 
genwachstum  und  die  Formierung  der  Dünndarmwindun¬ 
gen  ist. 

Es  ist  also  folgerichtig,  daß  ein  früher  oder  später  sistieren- 
des  Längenwachstum  des  Dünndarmes  auch  den  Grad  der  Ver¬ 
lagerung  des  Diokdarmes  beschränkt.  Wir  wissen  ja,  daß  die 


Ueber  das  Coecum  mobile. 


597 


Länge  des  Dünndarmes  zwischen  weniger  als  vier  Metern  und  mehr 
als  nenn  Metern  schwanken  kann.  Eine  weitere  Folge  dieser  mangel¬ 
haften  Verlagerung  ist  nun  wieder,  daß  entwicklungsgeschichtliehe  Ver¬ 
änderungen  ausbleiben,  die  sich  kurzweg  als  Verklebungs-  und  Ver¬ 
wachsungsprozesse  einzelner  Abschnitte  der  Gekröslamellen  mit  an¬ 
grenzenden  Partien  des  Bauchfells  kennzeichnen  lassen,  das  Cöcum 
behält  so  ein  langes  und  freies  Mesenterium,  der  Hebelarm 
für  die  Peristaltik  ist  zu  groß.  Freilich  wird  durch  Einflüsse  der 
modellierenden  Bauchpresse,  des  intraabdominellen  Druckes,  vielleicht 
durch  sekundäre  Konfiguration  der  Bauchhöhle  die  peristaltische  Über¬ 
arbeit  des  Cöcum  meistens  dauernd,  selten  nur  mehr  minder  längere  Zeit 
kompensiert :  und  dann  tritt  das  Coecum  mobile  in  klinische  Erschei¬ 
nung.  Wird  nämlich  einer  der  Komponenten  ausgeschaltet,  also  bei 
Frauen  durch  Geburten  oder  feste  Einschnürung  des  Leibes  durch  das 
Korsett,  dann  fällt  das  kotgestaute  Cöcum  ins  Becken,  das  Kolon  wird 
abgeknickt  und  die  Kolik  tritt  ein.  Ich  stelle  mir  ihre  Genese  im  einzel¬ 
nen  folgendermaßen  vor.  Wir  nehmen  mit  Cohnheim  an,  daß  Krankheit 
einen  Vorgang  bedeutet,  der  eine  gewisse  Minimaidauer  involviert,  daß  sich 
in  dieser  Zeit  an  die  primäre  Entwicklungshemmung  mehr  oder  weniger 
große  Sekundär  Veränderungen  anschließen,  die  nunmehr  den  Charakter 
der  Schädigung  an  sich  tragen.  Wir 'glauben  mit  Starling  und  B  ayliß  , 
daß  bei  Heizung  des  Darmes  oberhalb  der  Beizstelle,  also  auf  unsere 
Verhältnisse  übertragen  im  untersten  Ileum,  eine  Kontraktion,  eine 
Peristaltik  entsteht,  während  unterhalb  der  Beizstelle  der  Darm  er¬ 
schlafft,  eine  etwa  vorhandene  Kontraktion  des  Darmes  gehemmt  wird. 
Dieses  als  ,, Darmgesetz“  bezeiehnete  Verhalten  ist  nach  Meitzer  nur 
eine  Teilerscheinung  des  allgemeinen  Gesetzes  der  „konträren  Inner¬ 
vation“.  Danach  ist  es  zur  Ausführung  einer  zweckmäßigen  motorischen 
Funktion  erforderlich,  daß  mit  der  Bewegung  des  einen  Teiles  gleich¬ 
zeitig  eine  Hemmung  von  hindernden  oder  unnötigen  Bewegungen  anderer 
Teile  ein  tritt.  Nach  den  weiteren  Ausführungen  Meitzers  ist  es  für 
die  Fortbewegung  in  muskulösen  Schläuchen  notwendig,  daß  in  zwei 
benachbarten  Abschnitten  der  untere  gehemmt  wird,  während  der  obere 
sich  peristaltisch  kontrahiert.  Eine  Störung  dieser  funktionellen  An¬ 
ordnung’,  welche  dahin  führt,  daß  eine  heftige  Peristaltik  einen  Inhalt 
vor  sich  hertreibt,  während  eine  starke  Kontraktion  des  unteren  Ab¬ 
schnittes  den  Fortschritt  behindert,  bringt  das  Phänomen  hervor,  das 
unter  dem  Namen  „Kolik“  bekannt  ist.  So  entstehen  Darmkoliken. 
Wir  nehmen  an,  das  Coecum  mobile  leiste  die  dauernde  Mehrarbeit, 
die  ihm  durch  Abwesenheit  eines  genügend  festen  Hebelpunktes  für  die 
Peristaltik  zugemutet  wird,  unter  gewissen  Vorbedingungen  und  je 
nach  Individualität  in  ausreichender  Weise.  Danach  tritt  Erlahmung 
ein  und  nun  erfolgt  auf  summierte  Beizung,  die  das  Cöcum  je  länger, 
natürlich  um  so  häufiger  treffen,  eine  atypische  Peristaltik :  nämlich 
eine  starke  anhaltende  Kontraktion  der  gereizten  Darmsteile  und  eine 
heftige  peristaltische  Welle  in  der  benachbarten,  oberhalb  liegenden 
Stelle;  deren  Kombination  ja  klinisch  das  Zustandekommen  der  Kolik 
ausmacht.  Es  muß  damit  notwendigerweise  eine  Streckung  des 
Mesenteriums,  eine  Abknickung  des  Kolons  und  ein  Herab¬ 
sinken  des  Kolons  ins  Becken  verbunden  sein  und  wir  haben 
so  ein  anatomisches  Kriterium  für  die  operative  Fixierung. 
Denn  wollte  man  der  Wilm sehen  Angabe  folgen,  nach  der  jedes 
gut  hervorzuziehende  Cöcum  „mobil“  im  Sinne  der  Schädigung 


598 


Carl  Grünbaum, 


genannt  werden  kann,  so  müßte  man  in  70°/0  aller  dem  Auge  des 
Chirurgen  zu  Gesichte  kommender  Därme  das  Cöcum  fixieren.  Da¬ 
durch  dürfte  das  Problem  des  Coecum  mobile  keine  Förderung  er¬ 
fahren.  Und  wenn  es  uns  auch  die  interessante  und  viel  diskutierte 
Frage  der  Entstehung  der  Darmkolikschmerzen  bisher  in  keine  be¬ 
stimmte  Richtung  gelenkt  hat,  so  scheint  das  sich  mehrende  Interesse 
für  die  anatomische  Seite  dieser  Frage  doch  zu  zeigen,  daß  der  wenig 
erfreuliche  Satz  Sernoffs,  „nach  welchem  der  Darmchirurgie  aus  dem 
Studium  der  Topographie  der  Darmschlingen  keinerlei  praktisch  ver¬ 
wertbare  Ergebnisse  erwachsen  können“,  endgültig  widerlegt  ist. 


Linoval. 

Eine  neue  Salbengrundlage. 

Von  Dr.  Carl  Grünbaum,  Arzt  für  Hautkrankheiten,  Berlin. 

Vor  kurzem  ist  seitens  der  Norddeutschen  Ölwerke  Schmidt  &  Co. 
in  Altona  a.  E.  ein  neuer  Fettkörper,  unter  dem  Namen  „Linoval“, 
in  die  Therapie  eingeführt  worden. 

Beim  Raffinieren  von  Leinöl  wurde  außer  einem  bisher  nicht  her¬ 
gestellten,  leicht  flüssigen,  wasserhellen  Leinöl  aus  dem  dabei  gewon¬ 
nenen  Mucillagium  eine  chemisch  noch  nicht  bestimmte  flüchtige  Fett¬ 
säure  abgespalten,  welche  die  desinfizierenden  Eigenschaften  des  Ol. 
Lini.  in  erhöhtem  Maßie  auf  weist,  nicht  reizt  und  in  ü  her  r  as  ch  e  n  d  er  Weise 
analgesierend  wirkt.  Diese  Fettsäure  in  Vaselin  auf  gefangen,  mit  Am¬ 
moniak  fixiert  und  als  Geruchskorrigens  mit  etwas  Lavendelöl  versetzt, 
ergibt  das  Linoval  als  eine  neue  Salbengrundlage  mit  reizfreier,  stark 
bakterizider  Eigenschaft. 

Das  Präparat,  welches  93  Teile  Vaselin,  5  Teile  flüchtige  Fett¬ 
säure,  1  Teil  Ammoniak,  1  Teil  Lavendelöl  enthält,  ist  ein  gelblich¬ 
weißes,  nicht  unangenehm  rieöhendes  Fett,  von  weicher  Konsistenz, 
leicht  verreibbar,  nicht  körnig,  iihstande  15  °/0  Wasser  aufzunehmen. 

Im  Gegensatz  zu  anderen  leicht  ranzig  werdenden  Salbengrund¬ 
lagen  ist  es  von  unbegrenzter  Haltbarkeit,  so  lange  es  nicht  bis  zum 
Schmelzpunkte  (31°)  erwärmt  wird  und  bleibt  in  seiner  Wirkung  unver¬ 
ändert.  Schon  das  reine  Präparat  erweist  sich  bei  der  Bekämpfung  von 
Staphylokokken  und  Streptokokken  von  ganz  überraschender,  intensiver 
und  schneller  Wirksamkeit,  die  noch  durch  medikamentöse  Zusätze  nach- 
drücklichst  gehoben  werden  kann.  Mit  allen  Zusätzen,  als  welche  sich 
Teerpräparate,  Metalloxyde,  Salizylsäure,  Ichthyol,  Chrysarobin  beson¬ 
ders  eignen,  muß  Linoval  kalt  verrieben  werden.  Metallsäuren  und 
Alkalien  vertragen  sich  jedoch  nicht  mit  Linoval. 

Neben  seiner  stark  bakteriziden  Qualität  besitzt  es  noch  analge- 
sierende  Eigenschaften  und  erscheint  zur  Behandlung  schmerzhafter, 
entzündlicher,  juckender,  brennender  Dermatosen  besonders  geeignet. 

Als  erster  hat  Salomon  über  seine  Erfahrungen  mit  Linoval 
berichtet.  In  Ermanglung  von  Vaselin  gab  er  das  Präparat  einem 
Patienten  mit,  welcher  wegen  eines  sehr  schmerzhaften  exulzerierten 
Karzinoms  der  Wange  zur  Röntgenbestrahlung  erschienen  war.  Schon 
nach  acht  Tagen  war  eine  auffallende  Reinigung  der  ganzen  Geschwürs¬ 
fläche  und,  nach  den  spontanen  Angaben  des  Patienten,  vollkommene 
Schmerzlosigkeit  eingetreten.  Dieser  erste  günstige  Erfolg  veranlaßte 
Salomon,  das  Mittel  auch  bei  verschiedenen  anderen  Affektionen  der 
Haut  in  Gebrauch  zu  nehmen. 


Linoval,  eine  neue  Salbengrundlage. 


599 


Zur  Prüfung  der  bakteriziden  Wirkung,  insbesondere  Staphylo¬ 
kokken  und  Streptokokken  gegenüber  wandte  er  Linovalum  purum  bei 
Folliculitis  nuchae  und  bei  Furunkulose  an,  und  zwar  mit  so 
gutem  Erfolge,  daß  ein  alter  vernachlässigter  Fall  mit  27  tiefen  Furun¬ 
keln  des  Rückens  nach  acht  Tagen  abgeheilt  war;  auch  bei  Hordeolum 
bewährte  sich  das  Mittel,  namentlich  bei  bestehender  Idiosynkrasie  gegen 
Quecksilber  als  Ersatz  der  offizineilen  Augensalbe;  doch  empfiehlt  es 
sich,  zur  Verhütung  einer  Reizung  der  Konjunktiva  etwas  Kokain  zu¬ 
zusetzen. 

Absolut  reizlos  zeigte  sich  das  Mittel  in  einigen  der  bekanntlich 
sehr  empfindlichen  Fälle  von  Sykosis  non  parasitaria,  wogegen  bei 
Sykosis  parasitaria  die  abtötende  Wirkung  nicht  ausreichte  und 
deshalb  eine  Kombination  von  Linoval  mit  Chrysarobin  resp.  dem 
schwächeren  Lenirobin  gegeben  werden  mußte. 

Bei  Ulcus  cruris  trat  gute  Wirkung  durch  die  nicht  nur  schmerz¬ 
stillende  und  bakterizide,  sondern  auch  epithelialisierende  Kraft  des 
Präparates  ein.  Von  Ekzemen  scheinen  die  impetiginösen  und 
namentlich  die  durch  Pediculosis  hervorgerufenen  des  Kopfes  be¬ 
sonders  günstig  beeinflußt  zu  werden. 

Bei  schweren  Fällen  von  Ac'ne  vulgaris  erzielte  Verfasser  mit 
10°/0  Salizyllinoval  in  Verbindung  mit  Zucker’scher  Medizinalseife  sehr 
gute  Resultate.  Chronische  Handekzeme,  die  Salomon  mit  Lassar- 
scher  Zinkpaste  oder  Blaschko’ scher  essigsaurer  Tonerdepaste  unter  Er¬ 
satz  des  Vaselins  durch  Linoval  oder  Paste  -j-  Linoval  aa  partes  aequales 
behandelte,  scheint  das  Präparat  infolge  seiner  größeren  Tiefenwirkung 
schneller  zur  Heilung  zu  bringen,  als  andere  Salbengrundlagen. 

Verfasser  urteilt  daher:  „Jedenfalls  glaube  ich  aber  auf  Grund 
meiner  eigenen  Erfahrungen  und  der  Mitteilungen  hochgeschätzter  Fach¬ 
kollegen,  die  gleichzeitig  das  Präparat  erprobten,  dem  Linoval  eine 
Zukunft  Voraussagen  zu  können.  Seine  hervorragende  bakterizide  Kraft, 
gerade  den  so  viele  Krankheitsbilder  verursachenden  oder  doch  kompli¬ 
zierenden  Staphylokokken  und  Streptokokken  gegenüber,  seine  analge- 
sierende  und  epitheliasierende  Eigenschaft  werden  ihm  einen  dauernden 
Platz  im  dermatologischen  Heilschatze  sichern.“ 

In  größerem  Umfange  hat  Neumann  in  einer  dermatologischen 
Poliklinik  mit  Linoval  Versuche  bei  den  verschiedensten  äußeren  Krank¬ 
heiten  an gestellt. 

Sehr  gut  und  schnell  wirkte  Schwefellinoval  (5  Teile  Schwefel¬ 
blumen,  45  Teile  Linoval)  bei  starker  Schuppenbildung  der  Kopf¬ 
haut  und  Haarausfall,  indem  nach  dem  Schneiden  der  Haare  die 
Kopfhaut  mit  der  Salbe  eingerieben  und  der  Kopf  mit  einem  losen  Tuche 
umwickelt  wurde.  Der  Erfolg  war  —  besonders  bei  gleichzeitiger  Kopf¬ 
massage  —  nicht  nur  bezüglich  Entfernung  der  Schuppen,  sondern  auch 
bezüglich  der  Anregung  des  Haarwuchses  bei  Haarausfall  auf  para¬ 
sitärer  Grundlage  und  nach  Inunktionsküren,  bei  Alopecia  pityrodes 
und  seborrhoica  so  vorzüglich,  daß  bei  drei  Patienten  mit  Haarausfall 
auf  luetischer  Grundlage  schon  nach  6 — 10  tägiger  Anwendung  das  Vor¬ 
handensein  von  Lanugohaaren  festgestellt  werden  konnte. 

Des  weiteren  hat  Neümann  bei  Sykosis  ohne  die  schmerzhafte 
und  langwierige  Epilation  gute  Resultate  gehabt;  bei  Hordeolum  (mit 
etwas  Kokain-Zusatz)  blieben  Rezidive  aus;  bei  Intertrigo  von  Säug¬ 
lingen,  die  mit  allen  möglichen  Mitteln  behandelt  worden  waren,  erfolgte 


600 


Carl  Grünbaum, 


in  2- — 3  Tagen  Heilung;  bei  Acne  vulgaris  und  rosacea  wurde  mit 
5°/0  Salizyllinoval  Besserung  erzielt. 

Zur  Behandlung  von  Ekzemen  hat  Verfasser  das  Linoval  teils  in 
un vermischtem  Zustande,  teils  in  Verbindung  mit  Ichthyol  gebraucht 
und  rühmt  die  kühlende,  heilende,  reizlose  Wirkung  des  Präparates, 
unter  dem  nicht  nur  impetiginöse  und  durch  Pediculi  hervor  gerufene 
Ekzeme  ausheilten,  sondern  auch  Jahre  lang  bestehende  Ekzeme  der 
Hand  (Berufsekzeme)  sich  besserten.  Bei  Psoriasis  wurde  mit  5°/0 
Chrysarobin-Linoval,  bei  Uldus  molle  mit  5°/0  Kalomel-Linoval  schnelle 
Heilung  erzielt,  in  einzelnen  Fällen  von  Dammrissen,  Phlegmonen 
nach  der  Inzision,  Furunkulose,  Erysipel,  Lupus,  Ic'hthy osis, 
sollen  die  Erfolge  gleichfalls  recht  gute  gewesen  sein.  Seine  eminent 
juckstillende  Wirkung  bewies  das  Präparat  in  einem  Falle  von  Prurigo 
bei  einem  zweijährigen  Kinde,  das  durch  tägliche  lauwarme  Bäder  von 
v2  Stunde  Dauer  und  nachheiige  Applikation  von  5°/0  Zink-Linoval 
geheilt  wurde.  Ein  Versuch  mit  Chrysarobin-Linoval  bei  einem  schon 
14  Monate  lang  behandelten  Favus,  wo  der  Kopf  von  trockenen  stroh¬ 
gelben,  in  der  Mitte  vertieften  Borken  besetzt  war,  war  so  erfolgreich, 
daß  auch  ohne  Epilation  schon  am  zweiten  Tage  Abfall  der  trocken 
gewordenen  Borken  bemerkt  wurde;  ,,in  sechs  Tagen  war  der  Genesungs¬ 
prozeß  so  weit  vorgeschritten,  daß  eine  vollständige  Heilung  ganz 
außer  Zweifel  schien“. 

Als  schnelles  Heilmittel  wurde  das  Linoval  wegen  seiner  kühlenden 
und  heilenden  Wirkung  bei  Hautwunden  durch  Frost  und  in  drei 
Fällen  von  Brandwunden  ersten  und  zweiten  Grades  kennen  gelernt 
und  wurde  infolge  seiner  bakteriziden,  schmerzstillenden  Wirkung  als 
Prophylaktikum  gegen  eine  Infektion  bei  der  Vakkination 
empfohlen. 

In  einer  weiteren  Arbeit  werden  recht  gute  Resultate  der  mit  dem 
Linoval  angestellten  Versuche  berichtet;  danach  ist  das  Mittel  auch  ohne 
Zusätze  schon  imstande,  Staphylokokken  und  Streptokokken  zu  zer 
stören.  Verfasser  hält  die  Salbe  besonders  bei  denjenigen  Hautkrank¬ 
heiten  und  Hautreizungen  angezeigt,  die,  wie  juckende  Ekzeme,  Pru¬ 
rigo,  Impetigo,  Urticaria,  Pruritus  vulvae,  mit  Jucken  und 
Brennen  verlaufen.  Wenn  hier  schon  die  reine  Salbe  Linderung  und 
Kühle  schaffte,  so  war  sie  mit  einem  Medikamente  verrieben  von  noch 
intensiverer  Wirkung  und  führte  überraschend  schnell  zur  Heilung, 
zumal  ihr  größere  Resorptionsfähigkeit  und  beträchtlichere  Tiefen¬ 
wirkung  eigen  sind  als  anderen  Salbengrundlagen. 

Hartnäckige  Ekzeme  an  der  Ohrmuschel,  im  Gesichte  und 
auf  dem  Kopfe  kamen  mit  10°/0igem  Borlinovai  oder  5 — 10°/0igem 
Xeroformlinoval  zur  Heilung,  Furunkel  an  Hals  und  Nacken,  die 
trotz  Inzisionen  und  innerlicher  Behandlung  immer  rezidivierten,  heilten 
durch  14  tägige  tägliche  Applikation  von  reinem  Linoval,  mehrere  Fälle 
von  Akne  im  Gesicht,, an  der  Stirn  und  im  Nacken  —  bei  denen  schon 
vergeblich  alle  möglichen  Pasten,  Wässer,  Blutreinigungstees  ange¬ 
wandt  waren  —  bildeten  sich  unter  täglicher  Anwendung  von  10°/0igem 
Salizyllinoval  überraschend  schnell  zurück.  Bei  Urticaria  linderte 
das  reine  Linoval  durch  seine  kühlende  Eigenschaft  nicht  nur  das  Jucken 
und  Brennen,  sondern  beseitigte  auch  in  auffallend  schneller  Weise  die 
Frieseierscheinungen. 

Die  schmerzstillende,  bakterizide  und  granulationsfördernde  Wir¬ 
kung  der  neuen  Salbengrundlage  offenbarten  sich  bei  Behandlung  selbst 


Linoval,  eine  neue  Salbengrundlage. 


601 


veralteter  Unter sehenkelg;e.schwüre,  welche  teils  durch  reines  Lino¬ 
val,  teils  durch  5 — 10°/0ige  Xeroformmischung  schnell  und  prompt 
zur  Heilung  kamen. 

Einige  Fälle  von  Psoriasis  werden  mit  10°/0igem  Chrysarobin- 
Linoval  so  ungemein  günstig  beeinflußt,  daß  nicht  nur  sofort  das 
lästige  Jucken  nachließ,  sondern  auch  merkwürdig  rasch  die  Haut¬ 
schuppen  erweichten  und  abfielen,  daß  sich  nach  8 — 10  Tagen  eine 
schuppenlose,  glatte,  freilich  noch  gerötete  Hautfläche  präsentierte.  In¬ 
folge  seiner  leichten,  sühneilen  und  umfänglichen  Resorbierbarkeit  eignet 
sich  das  Präparat  in  Verbindung  mit  Quecksilber  vornehmlich  zu 
Schmierkuren,  und  ist  bei  Seiner  leichten  Gleitbarkeit,  seiner  völligen 
Reizlosigkeit  und  seinen  bakteriziden  Eigenschaften  zu  Mas'sage- 
z wecken  allen  anderen  Fettkörpern  und  Ölen  vorzuziehen. 

Endlich  wurde  das  Mittel  auch  noch  als  Kosmetikum  angewandt 
bei  Leuten,  die  an  Sprödigkeit  und  Rauhigkeit  der  Hände  und  des  Ge¬ 
sichtes  sehr  zu  leiden  hatten.  Es  macht  in  kurzer  Zeit  weiche,  glatte, 
geschmeidige  Haut  und  wird  deshalb  als  Hautkonser vierungsmittel 
namentlich  auch  den  Herren  Kollegen  empfohlen,  die  durch  viel  Han¬ 
tieren  mit  desinfizierenden  Flüssigkeiten  an  spröden,  rauhen  Händen 
leiden. 

Auch  als  Mittel  gegen  das  Wundlaufen  bei  starken  Personen  im 
Sommer  oder  bei  reichlicher  Schweißsekretion  leistete  das  Linoval 
teils  in  reinem  Zustande,  teils  mit  5  °/0  Salizyl  oder  Zinkoxyd  verrieben, 
unübertroffene  Dienste. 

Aus  einer  Reihe  privater  Zuschriften,  welche  eine  größere  Zahl 
Kollegen  über  ihre  mit  Linoval  erzielten  Resultate  in  sehr  lobendem 
Sinne  an  den  Fabrikanten  gerichtet  haben,  geht  schließlich  hervor,  daß 
sich  das  Präparat  bei  mehreren  Fällen  von  Pruritus  vulvae,  ver¬ 
schiedenen  Ekzemjen,  Vaginitts  gonorrhoica,  Phlegmone  mit 
partieller  Gangrän,  Gangräna  senilis,  bei  Ulcus  cruris,  bei 
Furunkulose,  bei  Schrunden  an  den  Brustwarzen  und  zu  Mas¬ 
sagezwecken  ausnehmend  gut  bewährt  hat. 

Obige  günstigen  Berichte  haben  mich  veranlaßt,  mit  dem  Präparate 
Versuche  anzustellen  und  zunächst  einmal  eine  mir  zur  Verfügung  ge¬ 
stellte  kleine  Probe  auf  ihre  Wirksamkeit  zu  prüfen.  Ich  muß  offen 
sagen,  daß  ich  bei  dem  massenhaften  Auf  tauchen  und  Wiederverschwin¬ 
den  so  vieler  Produkte  der  chemischen  Industrie,  mit  großem  Skeptizis¬ 
mus  an  diesen  ersten  Versuch  bei  einem  ganz  verzweifelten,  jahrelang 
bestehenden  Falle  eines  chronischen  Ekzems  beider  Hände  heran¬ 
trat  und  mir  keinen  weiteren  Erfolg  versprach.  Ich  war  aber  überrascht, 
als  sich  schon  nach  wenigen  Verbänden  mit  reinem  Linoval  eine  deutliche 
günstige  Beeinflussung  des  hartnäckigen  Ekzems  zeigte  und  der  Fall 
—  auf  den  ich  weiter  unten  noch  ausführlicher  zu  sprechen  komme 
in  relativ  kurzer  Zeit  ausheilte. 

Dieser  erste  günstige  Erfolg  ist  dann  auch  die  Ursache  gewesen, 
weshalb  ich  die  neue  Salbengrundlage  bei  einer  größeren  Reihe  von 
Fällen  aus  dem  Gebiete  der  Chirurgie  und  Dermatologie  einer  eingehen¬ 
deren,  objektiven  Prüfung  zu  unterziehen  bewogen  wurde. 

Die  chirurgischen  von  mir  mit  Linoval  behandelten  Fälle  ge¬ 
hörten  alle  in  das  Gebiet  der  sogenannten  kleinen  Chirurgie  und  betrafen 
hauptsächlich  Verbrennungein  zweiten  Grades,  Abschürfungen, 
Kontusionswunden,  Bißwunden,  Panaritien,  Abszesse.  Bei 
diesen  Arten  von  Verletzungen  lag  mir  in  erster  Linie  daran,  die  bakteri- 


602 


Carl  Grünbaum, 

ziele  Wirkung  des  reinen  Präparates  auf  Streptokokken  einer  unpartei¬ 
ischen  Prüfung  zu  unterziehen,  weshalb  ich  alle  Fälle  nur  mit  Linovalum 
purum  behandelte.  Besonders  sei  jedoch  hervorgehoben,  daß  die  mannig¬ 
fachen  Verwundungen  nicht  mehr  aseptisch,  sondern  meist  in  irgend  einer 
Form  verunreinigt  waren  resp.  bereits  leichte,  oberflächliche  Eiterung 
auf  wiesen. 

Die  erzielten  Erfolge  übertrafen  meine  Erwartungen. 

Bei  den  Verbrennungen  bestanden  in  vielen  Fällen  handteller¬ 
große  Brandblasen  an  Händen  und  Füßen  in  großer  Zahl.  Die  Behand¬ 
lung  erfolgte  in  der  Weise,  daß  nach  Eröffnung  der  Brandblasen  mit 
Linova.l  dick  bestrichene  Lagen  Tupfermull  auf  die  Wunden  gelegt,  mit 
einer  dünnen  Schicht  Watte  bedeckt  und  dann  durch  Mullbinden  befestigt 
wurden.  Der  starken  Sekretion  wegen  mußten  die  Verbände  täglich 
gewechselt  werden,  wobei  in  überraschender  Weise  der  fortschreitende 
Heilungs-  und  Überhäutungsprozeß  zur  Beobachtung  kam.  Ausgedehnte 
Verbrennungen  mit  starker  Blasenbildung  kamen  in  10 — 14  Tagen  zur 
Heilung,  so  daß  ich  die  Tatsache  feststellen  kann,  daß  Brandwunden 
bei  Behandlung  mit  reinem  Linoval  vermöge  der  bakteriziden,  granu¬ 
lationsanregenden,  in  die  Tiefe  dringenden  Wirkung  des  Präparates 
in  relativ  kürzerer  Zeit  der  Heilung  zugeführt  werden,  als  durch  die 
anderen  üblichen  Behandlungsmethoden. 

In  analoger  Weise  habe  ich  auch  mit  recht  gutem  Resultate  durch 
Fall  hervorgerufene  Schürfwunden  an  den  Extremitäten  behandelt. 
Ich  erinnere  mich  hierbei  eines  ganz  besonders  krassen  Falles.  Patient 
hatte  sich  beim  Turnen  am  Unterschenkel  gestoßen  und  eine  Verletzung 
am  linken  Schienbein  davongetragen.  Beim  Eintritt  in  meine  Behand¬ 
lung  bestand  eine  handtellergroße,  schmierige,  eitrig  -  belegte  Haut¬ 
abschürfung  in  der  Mitte  der  linken  Tibiakante,  die  noch  dadurch 
kompliziert  war,  daß  infolge  eines  aufgelegten  Heftpflasters  die  Haut 
in  der  Umgebung  der  Wunde  in  weitem  Umfange  lebhaft  gerötet  und 
gereizt  war.  Unter  Linovalverbänden  bildeten  sich  Rötung  und  eitriger 
Belag  schnell  zurück ;  Patient  konnte  nach  acht  Tagen  geheilt  entlassen 
werden,  während  doch  bekanntlich  Kontusionswunden  der  Schienbein¬ 
kanten  schwer  der  Behandlung  zugänglich  sind. 

Nicht  minder  ermutigend  waren  die  Erfolge  bei  Bißwunden 
durch  Hunde.  Ich  habe  in  solchen  Fällen  einige  Tage  Umschläge  mit 
essigsaurer  Tonerdelösung  machen  lassen  und  dann  mit  Linovalverbänden 
in  wenigen  Tagen  Heilung  erzielt.  So  heilte  auch  ein  Fall  schnell  und 
prompt,  bei  dem  infolge  zahlreicher  vernachlässigter  Bißwunden  an 
beiden  Händen  schon  eine  Phlegmone  im  Entstehen  begriffen  war,  ödema- 
töse  Schwellung  und  starke  Schmerzhaftigkeit  bestand. 

Meine  Beobachtungen  erstreckten  sich  auf  chirurgischem  Gebiete 
weiter  auf  eine  größere  Reihe  von  eitrigen  Erkrankungen  der  Extremi¬ 
täten,  wie  Fingerabszesse,  Panaritiem,  eingewachsene  Nägel 
und  durch  Vernachlässigung  von  Verletzungen  entstandene 
Granulationen  an  den  Fingern.  Solche  Fälle  wurden  zunächst  nach 
den  gebräuchlichen  chirurgischen  Prinzipien  behandelt,  indem  nach  In¬ 
zision  der  Panaritien  resp.  Exzision  der  Nägel  in  der  Regel  Verbände 
mit  essigsaurer  Tonerdelösung  oder  trockene  antiseptische  Verbände 
angelegt  wurden.  Sobald  die  Eiterung  nachzulassen  begann,  bei  täg¬ 
lichem  Verbandwechsel  gewöhnlich  schon  nach  wenigen  Tagen,  wurde 
Linovalum  purum  in  Gebrauch  genommen.  Die  Heilung  erfolgte  schnell 
und  in  viel  kürzerer  Zeit  als  bei  der  früher  gebräuchlichen  Behandlungs- 


Linoval,  eine  neue  Salbengrundlage. 


603 


weise,  so  daß  ich  die  Anwendung  des  Mittels  in  allen  denjenigen  chirur¬ 
gischen  Fällen  empfehlen  möchte,  in  welchen  sonst  andere  desinfizierende 
Salben  wie  Borsalbe  usw.  benutzt  werden. 

Ein  größeres  Beobachtungsmaterial  steht  mir  auf  dem  Gebiete 
der  Hautkrankheiten  zur  Verfügung.  Mein  erster,  schon  oben  er¬ 
wähnter  Fall,  bei  welchem  ich  mit  Linoval  Versuche  anstellte,  betraf 
ein  hartnäckiges,  chronisches  Ekzem  beider  Hände.  Patient,  ein 
52 jähriger  Fabrikant,  litt  schon  seit  zwei  Jahren  an  dieser  Affektion 
mit  tiefen  Rhagaden  in  beiden  Handflächen  und  enormer  Verdickung 
der  Hornschicht  in  den  Handtellern  und  den  Beugeseiten  der  Finger, 
so  daß  Patient  vollkommen  des  Gebrauches  seiner  Hände  beraubt  war. 
Jahrelange  Anwendung  aller  möglichen  Salben,  Pasten,  Pflaster  hatte 
nicht  nur  keine  Heilung  gebracht,  sondern  nicht  einmal  eine  kleine 
Besserung  von  Dauer  herbeizuführen  vermocht.  Versuchsweise  ließ 
ich  das  mir  gerade  zur  Probe  übersandte  kleine  Quantum  Linoval 
in  der  Weise  applizieren,  daß  die  Handflächen  und  Beugeseiten  der 
Finger  dick  damit  bestrichen,  mit  dünner  Schicht  Watte  verhüllt  lind 
dann  mit  Guttaperchapapier  bedeckt  wurden.  Entgegen  der  vom  Fabri¬ 
kanten  empfohlenen  Anwendungsform  ließ  ich  zur  Erhöhung  der  Wir¬ 
kung  mit  Guttaperchapapier  abdichten  und  muß  sagen,  daß  mich  der 
schon  nach  wenigen  Verbänden  zutage  tretende  Erfolg  direkt  frappierte. 
Trotzdem  ich  nur  un vermischtes  Linoval  anwandte,  konnte  ich  doch 
bei  jedem  der  täglichen  Verbandwechsel  ein  vorschreitendes  Schwinden 
der  dicken  Verhornungen  mit  allmählichem  Abheilen  der  tiefen  Risse 
beobachten,  und  konnte  den  Patienten,  indem  ich  später  zur  Steigerung 
der  Wirkung  5 — 10°/0  Teer  linoval  verordnete,  nach  einigen  Wochen 
geheilt  entlassen.  Prophylaktisch  muß  Patient  freilich  noch  allabend¬ 
lich  Einfettungen  der  Hände  mit  Linoval  vornehmen  und  darüber  nachts 
leichte  Leinenhandschuhe  tragen. 

In  analoger  Weise  habe  ich  in  der  Folge  eine  Reihe  von  Gewerbe- 
Ekzemen  der  Hände  bei  Metallarbeitern  mit  ausnehmend  günstigem 
Erfolge  behandelt.  Ein  46 jähriger  Klempner,  der  viel  mit  Kupfer  und 
Kupferbeize  (1/3  Salpetersäure,  2/3  Wasser)  arbeitet,  leidet  seit  10  Jahren, 
sobald  kalte  Witterung  ein  tritt,  an  tiefen  Rissen  beider  Hände  und  ein¬ 
zelner  Finger  mit  stellen  weiser  Verdickung  der  Hornschicht.  Patient, 
der  auch  mit  allen  möglichen  Mitteln  behandelt  und  einige  Jahre  nicht 
mehr  in  Behandlung  gewesen  war,  erhielt  anfangs  reines  Linoval, 
später  Teer  linoval,  mit  dem  Erfolge,  daß  nach  verhältnismäßig  kurzem 
Gebrauche  die  Rhagaden  verheilt  und  die  Handflächen  und  Finger 
glatt  waren.  Der  sehr  intelligente  Mann  erklärte  spontan,  daß  kein 
Mittel  so  schnell  geholfen  habe  und  daß  die  Wirkung  der  Salbe  besser 
war,  nachdem  er  die  Hände  V4  Stunde  in  warmem  Seifenwasser  gebadet 
hatte,  als  wenn  er  seine  Hände  in  gewöhnlicher  Weise  mit  Wasser  und 
Seife  gereinigt  hatte. 

Ein  anderer  Patient,  dessen  Arbeit  im  Bespinnen  der  Kupfer¬ 
saiten  zu  Klavieren  besteht,  litt  seit  zwei  Jahren  an  chronischem  Ekzem 
beider  Handteller  mit  starker  Schwielenbildung  imd  bestätigte  mir  nach 
kurzem  Gebrauche  des  Linovals,  daß  sein  Zustand  noch  niemals  so  gut 
gewesen  sei,  wie  nach  dem  neuen  Mittel.  Auch  dieser  Mann  war  schon 
verschiedentlich  ohne  dauernden  Erfolg,  zuletzt  mit  Röntgenbestrah¬ 
lungen  behandelt  worden. 

Ein  dritter  Kranker,  von  Beruf  Heizer,  war  von  mir  wegen  eines 
juckenden,  schweren  Ekzems  der  Vorderarme  und  Hände  he- 


604 


Carl  Grünbaum,  Linoval,  eine  neue  Salbengrundlage. 


handelt  und  geheilt  worden  bis  auf  das  Ekzem  der  Finger,  das  jeder 
Behandlung  trotzte.  Der  Zustand,  welcher  mit  Schuppenbildung  und 
Verdickungen  an  den  Fingern  einherging,  besserte  sich  unter  Linoval, 
das  Patient  noch  weiter  gebraucht,  zusehends.  Bei  dem  ab  und  zu 
auf  tretenden  Juckreiz  wird  die  kühlende  Wirkung  der  Salbe  sehr  gelobt 
und  allen  anderen  Mitteln  vorgezogen. 

Bei  einer  25  jährigen  Frau,  die  seit  längerer  Zeit  an  Bissen  und 
Bauhigkeit  beider  Hände  laboriert,  die  nach  dem  Waschen  aufplatzen 
und  leicht  bluten,  habe  ich  mit  reinem  Linoval  eine  wesentliche  Besse¬ 
rung  erzielt.  Die  Bisse  sind  verheilt,  die  Handflächen  glatter,  die 
Fingerbewegungen  leichter,  so  daß  ich  mit  dem  jetzt  verordneten 
5°/0igen  Teerlinoval  eine'  vollkommene  Heilung  der  Bhagadenbildung 
und  der  Disposition  dazu  zu  erzielen  hoffe. 

Prophylaktisch  verordne  ich  allen  geheilten  Fällen  abendliche 
Einfettungen  mit  reinem  Linoval. 

Bei  Frauen  habe  ich  variköse  Ekzeme  an  den  Unterschenkeln 
mit  5°/0  Zinkoxyd-Linoval  schneller  Heilung  zugeführt  und  empfehle 
bei  zirkumskripten  chronischem  Ekzemen  mit  starker  Infiltration 
und  intensivem  Juckreiz  statt  anderer  lösender  und  erweichender,  juck- 
stillender  Mittel  die  Anwendung  von  5 — 10°/0  Teerlinoval: 

Ol.  Busci  5,0 — 10,0 
Linoval  ad  100,0. 

Auch  bei  den  im  Sommer  bei  empfindlichen  Personen  unter  der 
Einwirkung  der  Wärme  auftretenden  Ekzemen  der  Finger  mit  Bläs¬ 
chenbildung  und  starkem  Jucken  habe  ich  mit  5°/0  Zinkoxyd-Linoval 
gute  Erfolge  gehabt. 

Da  die  Behandlung  der  Ekzeme,  speziell  der  chronischen  Formen, 
eine  der  am  schwersten  zu  lösenden  Aufgaben  der  Hautspezialisten  ist, 
so  haben  sich  meine  Versuche  vornehmlich  auf  die  Prüfung  der  Wir¬ 
kung  des  Linovals  auf  die  verschiedenen  Formen  von  Ekzemen  erstreckt, 
deren  ich  daher  eine  große  Anzahl  mit  dem  neuen  Präparat  behandelt 
habe.  Auf  Grund  meiner  Beobachtungen  muß  ich  sagen,  daß  ich  keine 
Salbe  kenne,  die  zur  schnellen  Beseitigung  von  Ekzemen  so  geeignet 
wäre,  wie  das  Linoval  vermöge  seiner  mannigfachen  vorzüglichen  Eigen¬ 
schaften. 

Bei  Psoriasis  bewirkte  das  Linoval  durch  seine  keratolytische 
Kraft,  welche  sich  schon  bei  Behandlung  von  chronischen  Ekzemen  mit 
Schwielenbildung  hervorragend  dokumentierte,  ein  schnelles  Erweichen 
und  Abfallen  der  Schuppen.  Wenn  die  Haut  auch  relativ  schnell  glatt 
und  weich  wurde,  so  war  das  unvermischte  Präparat  doch  nicht  imstande, 
eine  vollkommene  Beseitigung  des  Krankheitsprozesses  zu  bewirken. 
Deshalb  ist  es  ratsam,  die  Schuppenflechte  mit  10°/0  Chrysarobin-Linoval 
zu  behandeln. 

In  frischen  Fällen  von  Unterschenkelgeschwüren,  die  noch 
nicht  lange  bestanden,  habe  ich  mit  reinem  Linoval  schnelle  und  dauernde 
Heilung  erzielt.  Bei  den  schlaffen,  atonischen,  hartnäckigen  Formen 
varicöser  Geschwüre  reicht  jedoch  die  reine  Salbengrundlage  zur  Heilung 
nicht  aus;  deshalb  möchte  ich  einen  5 — 10°/0igen  Zusatz  von  Europhen 
empfehlen,  welches  sich  nach  meinen  Erfahrungen  zur  Heilung  von 
Ulcera  cruris  vorzüglich  eignet. 

Einige  Fälle  von  Pruritus  scroti  wurden  durch  Linovalum  purum 
wesentlich  gebessert  und  dann  durch  10  °/0  Kalomel-Linoval  einer  de¬ 
finitiven  Heilung  zugeführt. 


R.  Weißmann,  Ueber  die  Wirksamkeit  der  Irrigaltabletten. 


605 


Außer  diesen  Fällen,  von  denen  einzelne  durch  den  günstigen  Erfolg 
besonders  hervorragende,  eine  eingehendere  Besprechung  erfahren  haben, 
habe  ich  das  Linoval  noch  in  vereinzelten  Fällen  von  Furunkeln, 
Acne  vulgaris  und  roisadea,  Sycosis  non  parasitaria,  Ulcus 
molle,  Seborrhoea  capitis  in  Gebrauch  nehmen  lassen.  Die  bisherigen 
Erfolge  in  diesen  Fällen  sind  zwar  nicht  weniger  ermutigend;  da  die 
Beobachtungen  aber  noch  nicht  abgeschlossen  sind,  muß  ich  mir  ver¬ 
sagen,  jetzt  schon  ein  abschließendes  Urteil  über  die  Wirkung  des 
Linovals  bei  ihnen  zu  fällen,  nehme  aber  nach  den  vorliegenden  Be¬ 
richten  der  bisherigen  Beobachter  an,  daß  die  Resultate  denen  bei 
anderen  Hautaffektionen  nicht  nachstehen  werden. 

Auch  als  Kosmetikum  habe  ich  das  Linoval  einer  Prüfung 
unterzogen,  indem  ich  es  einer  Reihe  von  Patienten  mit  Ekzema 
squamosum  im  Gesicht  und  bei  Sprödigkeit  und  Rauhigkeit  der 
Hände  verordnete.  Die  Patienten  bekundeten  übereinstimmend,  daß 
das  Mittel  vorzüglich  sei;  das  Jucken  im  Gesicht  ließ  schon  nach  der 
ersten  Applikation  nach,  die  Haut  wurde  glatt,  weich  und  geschmeidig, 
das  lästige  Spannungsgefühl  des  Gesichts  hörte  auf.  "Wurde  es  all¬ 
abendlich  auf  rote,  rauhe,  aufgesprungene  Hände  eingerieben,  so  konnte 
schon  nach  kurzem  Gebrauch  festgestellt  werden,  daß  die  Hände  glatt, 
weich  und  weiß  wurden  und  die  Hautrisse  abheilten.  Als  Hautkos rneti- 
kum  ist  das  Linoval  anderen  auf  den  Markt  gebrachten  Zusammen¬ 
setzungen  ebenbürtig. 

Meine  mit  Linoval  gemachten  Erfahrungen  stimmen  also  mit  den 
günstigen  Berichten  anderer  Autoren  voll  überein.  Auch  ich  glaube, 
daß  das  Mittel  eine  überaus  wertvolle  Bereicherung  unseres  Arznei¬ 
schatzes  darstellt.  Durch  seine  vielen  vortrefflichen  Eigenschaften, 
seine  bakterizide,  analgesierende  und  epithelialisierende  Kraft,  seine 
kühlende,  granulationsanregende  und  keratoly tische  Wirkung,  verbunden 
mit  unbegrenzter  Haltbarkeit,  leichter  Verreibbarkeit  und  intensiver 
Tiefenwirkung,  ist  eine  Vielseitigkeit  der  Verwendung  ermöglicht,  wie 
sie  keinem  anderen  als  Salbengrundlage  dienenden  Fettkörper  eigen  ist. 
Das  Präparat  verdiente  in  weiterem  Umfange  als  bisher  therapeutisch 
verwertet  zu  werden. 


Ueber  die  Wirksamkeit  der  Irrigaltabletten. 

Von  Dr.  R.  Weißmann,  Lindenfels. 

Die  Prophylaxe  ist  zu  allen  Zeiten  die  vornehmste  Aufgabe  der 
Heilkunde  gewesen.  Auf  keinem  Gebiete  wird  die  Verhütung  von 
Erkrankungen  mehr  vernachlässigt,  als  bei  allem,  was  die  Behand¬ 
lung  der  weiblichen  Geschlechtsorgane  betrifft.  Der  viel  beschäftigte 
Praktiker  weiß,  wie  häufig  z.  B.  die  Verstöße  gegen  die  Forderungen 
der  persönlichen  Hygiene  zurzeit  der  Menstruation  sind.  Er  weiß, 
daß  unzweckmäßiges  Verhalten,  mangelhafte  Reinlichkeit  zu  dieser  Zeit 
sehr  häufig  den  Grund  legen  zu  ernsteren  Erkrankungen.  Er  weiß 
auch,  daß  bei  krankhaften  Zuständen  der  weiblichen  Geschlechts¬ 
organe  die  Frauen  oft  von  einer  staunenswerten  Gleichgültigkeit  sind. 
Die  Aufgabe  des  praktischen  Arztes  wird  es  deshalb  sein,  bei  jeder 
sich  nur  bietenden  Gelegenheit  auf  das  weibliche  Geschlecht  dahin  zu 
wirken,  daß  mehr  Prophylaxe  getrieben  wird.  Eine  der  wichtigsten 
Maßnahmen  zur  Verhütung  von  Sexualerkrankungen  ist  die  Reinlich¬ 
keit,  die  sich  sowohl  auf  die  äußeren  Geschlechtsteile  als  auch  auf 


606 


R.  Weißmann, 


das  Vaginalrohr  erstrecken  soll.  Regelmäßige  Scheidenausspülungen, 
wöchentlich  ein-  bis  zweimal,  auch  während  der  Menses  in  der  rieh’ 
tigen  Weise  angewendet,  sind  jedenfalls  geeignet,  eine  Reihe  von  Erkran¬ 
kungen  zu  verhüten.  Wenn  sich  solche  regelmäßigen  Ausspülungen  der 
Vagina  bisher  noch  nicht  in  wünschenswertem  Maße  eingebürgert  haben, 
so  liegt  das  vielleicht  an  dem  Mangel  eines  den  Frauen  genehmen 
Zusatzmittels  für  die  Spülflüssigkeit.  Das  sonst  sehr  geeignete  Kali 
permanganicum  ist  wegen  seiner  fleckenden  Eigenschaft  nicht  beliebt. 
Ein  zweites  sehr  gutes  Mittel  ist  der  Holzessig  mit  seiner  mild  adstrin¬ 
genden  und  schwach  desinfizierenden  Eigenschaft.  Was  ihn  aber  sehr 
unpraktisch  erscheinen  läßt,  ist  sein  intensiver,  unangenhemer  und  lange 
haftender  Geruch  und  die  flüssige  Form.  Der  chemischen  Fabrik 
H.  Barkowski  in  Berlin  O  27  ist  es  gelungen,  den  Holzessig  in  fester 
Form  herzustellen.  Er  wird  in  Tabletten  unter  dem  Namen  Irrigal- 
tabletten  in  den  Handel  gebracht.  Diese  Tabletten,  mit  denen  ich 
eine  Reihe  von  Versuchen  angestellt  habe,  sind  angenehm  parfümiert 
und  riechen  nach  Veilchen.  Zum  Gebrauch  wird  eine  Tablette  in  einer 
Tasse  oder  sonst  einem  kleinen  Gefäße  in  heißem  Wasser  gelöst.  Diese 
Lösung  wird  dem  in  den  Irrigator  gefüllten  Spülwasser  zugesetzt. 
Man  erhält  auf  diese  Weise  eine  angenehm  nach  Veilchen  riechende 
Flüssigkeit,  die  alle  wirksamen  Bestandteile  des  Holzessigs  enthalten 
soll.  Ich  habe  zunächst  die  Irrigaltabletten  einer  Anzahl  von  gesunden 
Frauen  zur  täglichen  Benutzung  empfohlen.  Alle  haben  mir  mitge¬ 
teilt,  daß  die  Ausspülungen  sehr  angenehm  empfunden  werden.  Die 
Temperatur  der  Spülflüssigkeit  war  bei  diesen  Spülungen  27 — -28°  R. 
Den  Irrigator  habe  ich  in  Kopfhöhe  aufhängen  lassen,  wenn  die  Frau 
sich  in  halb  liegender  Stellung  auf  das  Bidet  oder  eine  Stuhlkante 
gesetzt  hatte.  Bei  dreien  dieser  Frauen  konnte  ich  mich  durch  das 
Auge  überzeugen,  daß  keinerlei  nachteilige  Wirkung  auf  die  Vaginal¬ 
schleimhaut  mit  den  regelmäßigen  Ausspülungen  mit  Irrigal  verbunden 
war.  Ich  habe  die  Ausspülungen  auch  während  der  Menses  fortsetzen 
lassen,  die  Frauen  empfanden  sie  alle  als  sehr  wohltuend. 

Aber  auch  in  mehreren  Fällen  von  Erkrankungen  der  Sexual¬ 
organe  habe  ich  Ausspülungen  mit  Irrigal  machen  lassen  und  zwar 
handelte  es  sich  um  Katarrhe  der  Vagina,  des  Zervix,  um  Erosionen 
und  um  übermäßige  und  besonders  übelriechende  Sekretion  des  Uterus. 
Ich  lasse  kurz  die  Krankengeschichten  der  betreffenden  Fälle  hierunter 
folgen : 

1.  Frau  C.  H.,  ,29  Jahr  alt.  Alter  Dammriß,  klaffende  Rima, 
Ekzeme  der  der  Scheide  benachbarten  Teile  der  Innenfläche  der  Ober¬ 
schenkel,  Brennen  in  der  Scheide,  dünneitriger  reichlicher  Ausfluß. 
Mit  dem  palpierenden  Finger  fühlt  man  Schwellung  der  Schleimhaut. 
Im  Spekulum  sieht  man  Rötung  der  Schleimhaut,  Schwellung  der 
Falten  derselben.  Das  dünneitrige  Sekret  reagiert  sauer  und  zeigt 
unter  dem  Mikroskop  zahlreiche  Pflasterepithelien  mit  großem  Kern, 
Eiterkörperchen  und  Kokken. 

Wegen  des  akuten  Zustandes  des  Vaginalkatarrhs  werden  die 
Ausspülungen  mit  Irrigal  nur  22°  R  temperiert.  Nach  acht  Tagen 
hat  das  Brennen  nachgelassen,  der  Ausfluß  ist  wesentlich  geringer 
geworden,  das  Ekzem  der  Oberschenkel  ist  unter  Anwendung  von 
Ungt.  diachylon  abgeheilt.  Es  wird  nun  zu  Spülungen  von  28°  R  über¬ 
gegangen.  Nach  weiteren  acht  Tagen  hat  die  Patientin  keinerlei  Be¬ 
schwerden  mehr.  Das  sehr  geringe  Sekret  ist  rein  schleimig,  enthält 


Ueber  die  Wirksamkeit  der  Irrigaltabletten. 


607 


nur  wenig  Pflasterepitjiel,  keine  Kokken  und  reagiert  alkalisch.  Finger 
und  Auge  vermögen  krankhafte  Erscheinungen  nicht  mehr  nachzu¬ 
weisen. 

2.  Frau  W.  E.,  38  Jahr  alt,  zeigt  ebenso  wie  Fall  1  alle 
charakteristischen  Zeichen  des  Vaginalkatarrhs,  der  verursacht  wurde 
durch  ein  zu  lange  liegengebliebenes  Hartgummipessar.  Die  Behand¬ 
lung  bestand  in  Entfernung  des  Pessars  und  täglichen  Ausspülungen 
der  Scheide  mit  Irrigallösung  von  22°  P.  Nach  acht  Tagen  waren  die 
sämtlichen  Erscheinungen  zurückgegangen  und  es  wurde  nunmehr  zu 
Spülungen  von  28°  P  übergegangen.  Nach  weiteren  14  Tagen  völlig 
normaler  Befund.  Das  Pessar  konnte  wieder  eingelegt  werden,  die  Aus¬ 
spülungen  werden  noch  fortgesetzt. 

3.  Frau  M.  S.,  32  Jahr  alt,  Witwe.  Anämie,  neurasthenische 
Erscheinungen,  weißer  Ausfluß.  Die  Untersuchung  mittels  Spiegels 
ergibt  mäßigen  Katarrh  der  Vagina,  Katarrh  des  Zervix.  Ursache  der 
Erkrankung  ist  wahrscheinlich  Masturbation.  Die  Behandlung  besteht 
in  Ausspülungen  mit  Irrigallösung  von  Körper' wärme)  und  Darreichung 
von  Eisen.  Nach  acht  Tagen  haben  die  katarrhalischen  Erscheinungen 
nachgelassen.  Zur  Beschleunigung  des  Heilungsprozeßes  wird  der  Zervi¬ 
kalkanal  mit  50°/0igem  Karbolspiritus  mehrmals  ausgewischt.  Nach 
drei  Wehen  völlige  Heilung  auch  des  Katarrhs  der  Vagina. 

4.  Frau  C.  B.,  36  Jahr  alt,  sehr  korpulente  Frau,  klagt  über  sehr 
starken  und  übelriechenden  Ausfluß  mit  Ekzem  der  Umgehung  der 
Geschlechtsteile.  Scheide  eng.  Schleimhaut  geschwollen  und  gerötet. 
Gebärmutter  in  reitro flektierter  Lage,  gegen  Druck  empfindlich,  Erosion 
der  Muttermundslippen,  vereiterte  Follikel.  Zum  Studium  der  Wirkung 
des  Irrigais  wurde  zunächst  von  weiteren  Maßnahmen  abgesehen  und 
nur  Ausspülungen  mit  Irrigallösung  von  Körperwärme  gemacht.  Nach 
vierzehntägiger  Anwendung  hat  der  Ausfluß  an  Menge  wesentlich  ab¬ 
genommen  und  seinen  üblen  Geruch  verloren.  Das  Ekzem  der  Nates 
und  Oberschenkel  ist  abgeheilt,  die  Scheidenschleimhaut  nur  noch  wenig 
geschwollen  und  gerötet.  Systematische  Ausspülungen  der  Gebärmutter¬ 
höhle  mit  Kollargollösung,  Inzision  der  vereiterten  Follikel  und  Skari- 
fikationen  der  Portio  leiten  die  Heilung  ein.  Die  Patientin  ist  noch 
in  Behandlung. 

5.  Frau  A.  S.,  40  Jahr  alt,  klagt  über  übelriechenden  Ausfluß, 
Urindrang,  der  sich  bei  Hustenanfällen  zu  Urinträufeln  steigert,  und 
schlechten  Geruch  der  Menses.  Außer  einer  sehr  geringen  Bötung  der 
Vaginalschleimhaut  ist  eine  örtliche  Erkrankung  nicht  nachweisbar ; 
nur  klafft  die  Pirna  etwas  infolge  eines  mäßigen  Dammrisses.  Nach 
etwa  zehntägig  ausgeführten  Ausspülungen  mit  Irrigallösung  hat 
sich  nicht  nur  der  schlechte  Geruch  verloren,  sondern  auch  die  Incon¬ 
tinentia  urinae  hat  sich  auffallend  gebessert.  Als  dann  die  Menses  ein¬ 
traten,  wurden  die  Spülungen  fortgesetzt  und  hierdurch  ein  weniger 
unangenehmer  Geruch  der  ziemlich  reichlichen  Blutung  erzielt. 

Aus  meinen  Versuchen  mit  den  Irrigaltabletten  geht  hervor, 
erstens,  daß  die  Tabletten  keinerlei  schädliche  Wirkung  haben  und 
zweitens,  daß  sie  bei  Katarrhen  der  Vagina  und  bei  durch  sonstige 
Erkrankungen  der  Genitalien  bedingten  reichlichen,  eitrigen  und  übel¬ 
riechenden  Ausflüssen  eine  heilende  oder  doch  wenigstens  desodorierende 
Wirkung  besitzen.  Man  ist  daher  wohl  berechtigt,  die  Irrigaltabletten 
zu  prophylaktischen  Ausspülungen,  namentlich  auch  solchen  während 


608 


Wohlwill, 


der  Menses  —  vorausgesetzt,  daß  sie  richtig  gemacht  werden  —  auf 
das  angelegentlichste  zu  empfehlen.  Weiter  dürfte  ihre  Anwendung 
in  allen  Fällen  von  Scheidenkatarrh  und  bei  allen  durch  andere  Er¬ 
krankungen  bedingtem  Fluor  indiziert  sein. 


Hamburger  Brief. 

Von  Dr.  Wohlwill,  Hamburg. 

In  der  biologischen  Sektion  des  Ärztlichen  Vereins  demonstrierte 
am  16.  Februar  zunächst  Ho  me  y  er  ein  Präparat  von  exstirpiertem 
Rektumkarzinom,  in  welchem  sich  zwei  Knochenstücke  eingebettet  fan¬ 
den.  H.  sieht  die  Ursache  der  Ca-Entwickelung  bei  der  jugendlichen 
Patientin  in  diesen  Fremdkörpern  (chronisch  entzündliche  Heizung). 

Oe h lecker  demonstrierte  den  rechten  Fuß  eines  Mannes,  dem  vor 
neun  Jahren  wegen  derselben  Veränderungen  bereits  der  linke  ampu¬ 
tiert  war.  Es  handelt  sich  um  hochgradig  deformierende  Prozesse. 

Drei  Jahre  nach  der  ersten  Operation  war  Patient  beschwerdefrei 
geblieben,  dann  traten  Veränderungen  im  rechten  Fuß  auf,  welche 
allmählich  so  hochgradige  Beschwerden  verursachten  (Lymphangitiden 
usw.),  daß  auch  hier  die  Amputation  nötig  wurde.  Alle  lokalen  Ur¬ 
sachen  (Tuberkulose,  Lues,  Sarkom)  waren  durch  das  klinische  Bild 
und  den  anatomischen  Befund  auszuschließen. 

Es  mußte  sich  daher  wohl  um  eine  neurogene  Gelenkerkrankung 
handeln.  Allein  auch  für  Tabes  und  Syringomyelie  fand  sich  keinerlei 
Anhalt.  Es  könnte  sich  daher  höchstens  um  Spina  bifida  occulta  han¬ 
deln,  bei  welcher  gerade  in  der  Pubertätszeit  ähnliche  Veränderungen 
beschrieben  sind. 

In  der  Diskussion  besprach  König  die  eigentlichen  tabisehen  Ge¬ 
lenkveränderungen  unter  Demonstration  zahlreicher  Röntgenbilder.  Das 
tabische  Gelenk  zeichnet  sich  durch  besonders  monströse  Veränderungen 
aus,  am  Fuß  zerfließen  die  Knochen  förmlich  ineinander. 

Zahlreiche  freie  Knochenspikula  finden  sieh  in  der  Umgebung  des 
Gelenks.  Aber  auch  weiter  vom  Gelenk  entfernte  Knochenpartien  er¬ 
weisen  sich  als  erweicht.  Hierauf  und  auf  der  starken  Flüssigkeits- 
durchtränkung  der  Gewebe  beruhen  die  schlechten  Resultate  der  Resek¬ 
tion  in  solchen  Fällen. 

Much  hielt  einen  Vortrag  über  Tuberkulose-Immunität  und  -Uber¬ 
empfindlichkeit.  Der  Begriff  der  Überempfindlichkeit  stammt  von 
v.  Behring.  Es  handelt  sich  um  das  Phänomen,  daß  Versuchstiere 
durch  mehrmalige  Behandlung  mit  Bakterien  oder  Bakterienprodukten 
so  überempfindlich  gegen  diese  werden,  daß  sie  bereits  an  dem  tausend¬ 
sten  ja  zehntausendsten  Teil  der  anfangs  letalen  Dosis!  zugrunde  gehen. 
Die  Erscheinung  steht  im  Zusammenhang  mit  den  „Lysinen“ :  Ein  immu¬ 
nisierter  Organismus  vermag  die  Bakterienleiber  aufzulösen,  es  werden 
dadurch  endobazilläre  Gifte  frei,  die  das  Zentralnervensystem  angreifen. 

Much  studierte  diese  Erscheinungen  an  Meerschweinchen,  welche 
er  nach  einer  von  ihm  und  Deyeke  ersonnenen  Methode  gegen  Tuberkel¬ 
bazillen  immunisiert  hatte.  Infizierte  er  solche  immunisierten  Tiere  mit 
großen  Dosen  von  Tuberkelbazillen,  so  gingen  sie  schnell  unter  Ver¬ 
giftungserscheinungen  zugrunde,  während  Kontrolltiere  erst  nach  28 
Tagen  an  Tuberkulose  starben.  Bei  Anwendung  kleiner  Dosen  dagegen 
blieben  die  immunisierten  Tiere  vollkommen  gesund,  während  die  Kon¬ 
trolltiere  wiederum  tuberkulös  wurden.  Auch  sonst  tritt  das  Über- 


Hamburger  Brief. 


609 


empfindlichkeitsphänomen  nur  bei  massigen  Infektionen  zutage.  Auch 
die  Tuberkulinreaktion  soll  ein  Uberempfindlichkeitsphänomen  sein,  da 
das  Tuberkulin  stets  noch  Tuberkelbazillensplitter  enthält.  Es  wäre 
daraus  zu  schließen,  daß  ein  Tuberkulöser,  der  stark  auf  Tuberkulin 
reagiert,  noch  über  reichliche  Schutzstoffe  verfüge,  also  eine  gute 
Prognose  biete,  ferner,  daß  das  Bestreben,  gegen  Tuberkulin  unempfind¬ 
lich  zu  machen,  unzweckmäßig  sei  .  Doch  müßten  alle  diese  Theorien 
erst  durch  klinische  Beobachtungen  bestätigt  werden. 

Much  stellt  sich  die  Infektion  mit  Tuberkulose  folgendermaßen 
vor:  Jeder  Mensch  kommt  schon  als  Kind  mit  dem  Tuberkulosevirus 
in  Berührung.  In  den  meisten  Fällen  kommt  es  zur  Heilung  der  gering¬ 
gradigen  tuberkulösen  Prozesse,  und  es  verbleibt  eine  ziemlich  erheb¬ 
liche  Tuberkuloseimmunität.  Wenn  trotzdem  später  eine  schwere  tuber¬ 
kulöse  Erkrankung  ausbricht,  so  kann  das  erstens  daran  liegen,  daß 
der  Organismus  bei  der  ersten  Infektion  geschwächt  war,  oder  daran, 
daß  die  ,, Dosen  zu  massig“  waren. 

Praktisch  wird  es  sich  darum  handeln,  die  Bedingungen  zu  studie¬ 
ren,  unter  denen  solche  massigen  Infektionen  zustande  kommen,  und 
diese  dann  möglichst  zu  vermeiden.  Dagegen  schütze  man  die  jugend¬ 
lichen  Individuen  nicht  gegen  jede  Berührung  mit  dem  Tuberkulosevirus, 
wie  sich  denn  auch  faktisch  zeigt,  daß  z.  B.  Neger,  welche  aus  einer 
tuberkulosefreien  Gregend  stammen,  in  Europa  rettungslos  der  Tuber¬ 
kulose  zum  Opfer  fallen. 

In  der  Diskussion  bemerkte  Unna,  daß  durch  die  vorgetragenen 
Anschauungen  vielleicht  die  Tatsache  zu  erklären  wäre,  daß  Phthisische 
so  selten  an  Lupus  erkranken,  und  umgekehrt.  Bitter  schloß  sich  in  den 
meisten  Punkten  Much  an,  glaubte  aber  doch  aus  seinen  klinischen 
Erfahrungen  nicht  den  Schluß  ziehen  zu  können,  daß  Tuberkulinüber- 
empfindliehkeit  eine  gute  Prognose  bedeute. 

In  der  nächsten  Sitzung  stellte  zunächst  Pie  1  sticker  zwei  Prä¬ 
parate  von  kongenitaler  Lungensyphilis  vor.  Besonders  bemerkeinswert 
ist  das  eine,  in  welchem  sich  im  Oberlappen  ein  großer  Herd  befand, 
welcher  makroskopisch  als  Gummi  gedeutet  wurde.  Die  histologische 
Untersuchung  ergab,  daß  es  sich  um.  eine  anaemische  Nekrose  handelte, 
bedingt  durch  Endarteriitis  obliterans  des  zuführenden  Arterienastes. 
Es  gelang  P.,  in  der  Wand  des  verschlossenen  Gefäßes  Spirochäten  nach¬ 
zuweisen  . 

Fraenkel  betonte  in  der  Diskussion  zunächst  die  Wichtigkeit 
dieses  Spirochätenbefundes  bei  einer  Herderkrankung  bei  negativem 
Befunde  in  den  nicht  erkrankten  Abschnitten,  weil  ihm  gegenüber  ein 
Hauptargument  der  immer  noch  vorhandenen  Spirochätengegner  hinfällig 
sei.  Sodann  wies  er  unter  Demonstration  eines  entsprechenden  mikro¬ 
skopischen  Präparates  auf  die  Bedeutung  der  Gefäß  Veränderungen  für 
den  ganzen  Prozeß  der  Pneumonia  alba  hin.  In  dem  vorgezeigten  Gefäß 
war  einmal  eine  Blutung  zwischen  Media  und  Adventitia  und  ferner 
ein  miliarer  Gummiknoten  in  der  W and  sichtbar. 

Simmonds  demonstrierte  zwei  Fälle  von  Endo-  und  Perikarditis, 
hervorgerufen  durch  den  Gonokokkus.  In  beiden  Fällen  gelang  der 
mikroskopische,  in  dem  einen  auch  der  kulturelle  Nachweis  des  Erregers 
in  den  Klappenauflagerungen,  während  das  Blut  steril  blieb. 

Bevorzugt  sind  die  Aortenklappen,  demnächst  die  Pulmonalklappen, 
selten  erkrankt  die  Mitralis. 


39 


610 


Wohlwill, 


.Pfister  hielt  einen  Vortrag  über  traumatische  peri-  und  parostale 
Ossifikationen.  Er  besprach  zunächst  den  Namen,  wies  den  der  trau¬ 
matischen  Exostosen  als  falsch  zurück  und  empfahl  den  von  König 
eingeführten:  „frakturlose  Kallusgeschwülste“.  Um  echte  Geschwulst¬ 
bildungen  handelt  es  sich  übrigens  nicht,  eher  schon  um  entzündliche 
Vorgänge.  Jedes  Gewebe,  welches  Bindegewebe  enthält,  vermag  Knochen¬ 
gewebe  zu  bilden,  wenn  zwei  Dinge  hinzukommen:  Nekrose  und  Kalk¬ 
ablagerung.  Die  Knochenbildung  tritt  meist  3 — 4  Wochen  nach  dem 
Trauma  auf.  Dies  kallusartige  Gewebe  sitzt  dem  Knochen  entweder 
breit  oder  gestielt  auf,  oder  ist  ganz  ohne  Zusammenhang  mit  ihm. 
Mehrfach  konnte  die  allmähliche  Resorption  in  späterer  Zeit  verfolgt 
werden.  Der  Ansicht  von  Stieda,  daß  es  sich  bei  den  in  der  Gegend 
des  Epicondylus  medialis  femoris  gefundenen  Knochenfragmenten,  um 
Absprengungen  handele,  kann  ,P.  sich  nicht  anschließen,  da  er  den 
Knochensohatten  allmählich  auf  treten  und  wieder  verschwinden  sah. 
Die  Diagnose  dieser  traumatischen  Ossifikationen  ist  mit  Hilfe  des 
Röntgenbildes  meist  nicht  schwierig,  die  Therapie  soll  möglichst  kon¬ 
servativ  sein.  Vor  allem  soll  nicht  opeirert  werden  zu  einer  Zeit,  wo 
die  Knochenbildung  noch  im  Zunehmen  begriffen  ist. 

In  der  Diskussion  bemerkte  Preis  er,  daß  nach  seinen  Beobach¬ 
tungen  es  sich  bei  der  erwähnten  „Stieda’ sehen  Fraktur“  häufig  um 
indirekte  Traumen  handele.  Er  glaubt  daher,  die  Entstehung  durch  einen 
Abriß  durch  das  Ligamentum  oollaterale  mediale  erklären  zu  können. 
Er  konnte  diese  Fraktur  an  der  Leiche  experimentell  hervorrufen.  Dem¬ 
gegenüber  hielt  König  es  für  sehr  unwahrscheinlich,  daß,  wenn  es 
sich  um  eine  Fraktur  handelte,  eine  so  schnelle  Resorption  stattfinden 
könne,  wie  er  es  beobachtet  habe.  Er  wies  dann  ferner  auf  die  auffallend 
großen,  und  wohl  nur  durch  Nerveneinfluß  zu  erklärenden  Verschieden¬ 
heiten  der  Kallusbildung  hin. 

Einstein  und  Haenisöh  machten  noch  darauf  aufmerksam,  daß 
es  nötig  sei,  in  derartigen  Fällen  auch  die  andere  Extremität  röntgeno¬ 
logisch  zu  untersuchen,  da  sich  schon  mehrfach  derartige,  mit  einem 
Trauma  in  Beziehung  gebrachte  Schatten,  bei  genauerer  Untersuchung 
als  ganz  etwas  anderes  (Kalkkonkremente  usw.)  erwiesen  hätten. 

Im  Hauptverein  demonstrierte  Kellner  den  Schädel  eines  Homo 
australiensis  palinander.  Derselbe  stammt  aus  Neu  -  Mecklenburg  und 
entspricht  völlig  dem  von  Haeckel  unter  obigem  Namen  beschriebenen. 
Es  handelt  sich  wahrscheinlich  um  den  Rassentypus  der  noch  jetzt 
lebenden  Ureinwohner  Australiens.  Der  Schädel  zeichnet  sich  aus  durch 
fliehende  Stirn,  geringe  Schädelkapazität,  Fehlen  der  Hinterhauptswöi- 
bung,  starkes  Vorspringen  sowie  starke  Ausbildung  des  Orbitalrandes 
und  endlich  das  Bestehen  einer  neunten  Alveole  im  linken  Oberkiefer. 

Sodann  demonstrierte  Fraenkel  mehrere  Präparate;  zunächst  gich¬ 
tische  Ablagerungen  in  den  Crico- Arytaenoid-  Gelenken,  ein  bisher  bei 
Sektionen  nur  sehr  selten  erhobener  Befund.  Es  ist  wichtig,  auch  dieses 
Gelenk  bei  Gicht  post  mortem  zu  untersuchen. 

Ferner  demonstrierte  er  mehrere  Wirbelsäulen.  Zunächst  eine  solche 
mit  tuberkulöser  Spondylitis,  bei  welcher  sich  als  zufälliger  Befund 
ein  Geschoß  in  einem  Wirbelkörper  fand,  der  übrigens  selbst  von 
tuberkulösen  Veränderungen  frei  war.  Bei  einem  weiteren  Präparat 
von  Spondylitis  tbc.  waren  neun  Wirbel  knöchern  miteinander  ver¬ 
schmolzen.  Es  stellt  dies  einen  Heilungsprozeß  dar,  jedoch  war  es 
hierdurch  zu  einer  hochgradigen  Kyphose  gekommen,  und  infolge 


Hamburger  Brief. 


611 


davon  zu  Zirkulationsstörungen  (schwerste  Cyanoise),  welche  den  Tod 
herbeiführten.  Endlich  demonstrierte  er  noch  drei  Fälle  von  Karzinom¬ 
metastasen  in  der  Wirbelsäule,  hei  denen  sich  sowohl  oszifizierende 
wie  rarefizierende  ,Prozesse  an  Körpern  und  Bögen  fanden.  Zugleich 
zeigte  er  Röntgenbilder  von  metastatischen  Tumoren  der  Wirbelsäule, 
und  sprach  dabei  den  Wunsch  aus,  daß  auch  intra  vitam  bei  möglichst 
vielen  Karzinompatienten  eine  Röntgenaufnahme  der  Wirbelsäule  vorge¬ 
nommen  werde. 

In  der  folgenden  Sitzung  berichtete  E  mb  den  über  einen  Patienten, 
welcher  nach  Kopftrauma  über  Abnahme  der  Intelligenz  und  Schwindel¬ 
gefühl  klagte.  Es  fand  sich  bei  ihm  als  Symptom  einer  zerebralen 
Störung  eine  starke  ,Polyurie  (bis  71).  Auf  dies  Symptom  muß  besonders 
geachtet  werden,  da  die  Patienten  es  oft  spontan  nicht  angeben.  Ferner 
demonstrierte  er  einen  sechsjährigen  Jungen  mit  Eacialislähmung.  Der 
Pat.  war  im  November  mit  hohem  Fieber  und  Allgemeinerscheinungen 
erkrankt.  Erst  mehrere  Tage  später  trat  die  Gesichtslähmung  auf, 
und  zwar  ist  der  untere  Ast  mehr  als  der  obere  beteiligt.  Nach  dieser 
Anamnese  und  diesem  Befund  faßt  E  mb  den  die  Lähmung  als  eine 
pontine  auf  und  bringt  sie  in  Zusammenhang  mit  den  neuerdings  gehäuft 
auf  treten  den  Fällen  von  Poliomyelitis.  Entsprechende  Beobachtungen 
wurden  in  der  von  Wiek  man  beschriebenen  skandinavischen  Epidemie 
gemacht.  E.  machte  dann  noch  Angaben  über  das  z.  Zt.  in  Hamburg  und 
Umgegend  gruppenweise  Auftreten  von  Poliomyelitisfällen. 

Sodann  berichtete  Nonne  über  ein  junges  Mädchen  von  16  Jahren, 
welches  14  Tage  vor  der  Aufnahme  ins  Krankenhaus  mit  leichten 
Schmerzen  im  Rücken  und  Nacken  erkrankt  war,  wozu  sich  später  eine 
Schwäche  in  den  Beinen  und  Blasen  Störungen  gesellt  hatten.  Bei  der 
Aufnahme  fand  sich  eine  spastische  Paraplegia  inferior  mit  leichten 
Sensibilitätsstörungen  und  motorische  Schwäche  der  Arme.  Der  Prozeß 
schritt  ohne  Temperatursteigerung  zunächst  nach  unten  fort,  so  daß 
die  Lähmung  jetzt  eine  schlaffe  wurde,  und  dann  auch  nach  oben:  Be¬ 
teiligung  der  Arme  und  Indiehöherücken  der  Sensibilitätsstörung.  Nach 
acht  Tagen  traten  schwere  zerebrale  Symptome  auf,  welche  schnell  zum 
Tode  führten.  Könne  besprach  ausführlich  die  Differentialdiagnose, 
welche,  unter  Ausschluß  von  Meningitis  (Lumbalpunktion)  Landry- 
scher  Paralyse  (Sensibilitätsstörungen !)  Syphilis  und  zentraler  Rücken¬ 
markstuberkulose  zwischen  akuter  Myelitis  aus  unbekannter  Ursache 
und  zentralem  Rückenmarkstumor  schwankte.  Die  Sektion  ergab,  daß 
die  letztem  Annahme  die  richtige  war.  (Demonstration  von  Photo¬ 
graphien  und  mikroskopischen  Schnitten.) 

Simmonds  berichtete  über  eine  eigentümliche  Form  von  Ileus, 
welche  zuerst  von  Glenard  beschrieben  ist.  Es  handelt  sich  um  einen 
Verschluß  des  Duodenums,  bei  welchem  man  bei  der  Sektion  nur  einen 
enorm  aufgetriebenen  Magen  und  Duodenum  findet. 

Der  Verschluß  tritt  ein  durch  Druck  der  das  Duodenum  kreu¬ 
zenden  Radix  mesenterii.  Von  Bedeutung  für  das  Zustandekommen 
ist  einmal  die  Ektasie  eines  pto  tischen  Magens  und  andererseits  eine 
besondere  Enge  der  ebenfalls  nach  abwärts  gesenkten  Dünndarm¬ 
schlingen.  AVenn  intra  vitam  die  Diagnose  möglich  ist,  soll  nach 
Simmonds’  Vorschlag  versucht  werden,  einfach  durch  Hochstellen  des 
Fußendes  des  Bettes  eine  Entleerung  des  Magens  zu  erzielen.  -----  Über 
die  Vorträge  von  Kümmel!  und  Lauenstein  soll  erst  referiert  werden, 
nachdem  die  Diskussion  über  dieselben  stattgefunden  haben  wird. 

39* 


612  Ascher, 

Breslauer  Brief. 

Von  Dr.  Ascher. 

Am  26.  Februar  sprach  Rosen  fei  dt  in  der  ,, Schlesischen  Gesell¬ 
schaft“  über  Behandlung  der  Zuckerkrankheit.  In  seiner  Einleitung 
wies  R.  kurz  auf  die  Wandlungen  in  der  Therapie  dieser  Krankheit 
hin.  Man  ver  ordnete  früher  eine  Fleischdiät  und  entzog  die  Kohle¬ 
hydrate.  Dadurch  wurde  der  Patient  zwar  zuckerfrei,  aber  zusehends 
magerer  und  schwächer.  Dann  ging  man  daran,  das  Toleranzstadium 
zu  bestimmen.  Das  Einsetzen  einer  Eiweißfettdiät  hat  seine  Bedenken, 
die  zunächst  in  der  drohenden  Komagefahr  liegt,  dann  aber  ein  genaues 
Bestimmen  der  Toleranzgrenze  nicht  möglich  macht,  weil  der  Dia¬ 
betiker  nach  der  Entzuckerung  bedeutend  mehr  Kohlehydrate  verträgt 
als  ohne  diese  Kur.  Vortragender  unterscheidet  alimentäre  und  kon¬ 
stitutionelle  Zuckerfälle.  Unter  den  ersteren  leichte  und  schwere  For¬ 
men.  Die  leichten  Formen  können  sich  verschlimmern,  die  schweren 
entschiedene  Neigung  zur  Besserung  haben.  An  der  Hand  von  Tabellen 
aus  beiden  Gruppen  weist  er  nach,  daß  mit  der  Toleranzgrenze  nicht 
die  für  den  Patienten  günstigste  Toleranz  erreicht  wird,  wenn  auch 
Zuckerfreiheit  damit  verbunden  ist.  Nach  Rosenfel  dt  ist  diejenige 
Toter  an  zgrenze  die  günstigste,  die  immer  einen  konstant  bleibenden 
Prozen tzatz  von  Zuckerausscheidung  zur  Folge  hat.  Ist  diese  er¬ 
reicht,  dann  hebt  sich  der  Kräftezustand,  es  verschwinden  eine  Reihe 
nervöser  Symptome  wie  Magenbeschwerden,  Neuralgien,  Schlaflosigkeit; 
letztere  wohl  durch  das  Zurückgehen  des  Zuckers  im  Blute  und  im 
Urin.  Bei  den  meisten  alimentären  Fällen  ist  eine  totale  Entziehung 
der  Kohlehydrate  nicht  nötig  und  bedeutet  für  den  Patienten  eine 
Qual ;  eine  Diät  von  80—100  g  Semmel  pro  die  erleichtert  den  Kranken 
ihren  Zustand  ungemein  und  ist  nicht  schädlich.  Er  verfolgt  im  all¬ 
gemeinen  das  Prinzip,  bei  schweren  konstitutionellen  Fällen  Semmel 
zu  gestatten  und  macht  aber  doch  einen  Unterschied  zwischen  leichteren 
Fällen,  wo  die  Toleranz  anfangs  größer  ist  und  schwereren,  wo  der 
Effekt  jeder  Gabe  von  Kohlehydraten  immer  ein  negativer  bleibt.  Je 
geringer  das  Gewicht  der  Kohlehydrate  ist,  desto  kleiner  ist  aller¬ 
dings  der  negative  Wert,  aber  positive  Zahlen  oder  gar  Zuckerfreiheit 
lassen  sich  nicht  erreichen.  Vortragender  kommt  auf  seine  Versuche 
vom  Jahre  1885  zu  sprechen,  wo  er  von  dem  Gedanken  ausging,vdaß 
das  Eiweiß  als  Muttersubstanz  des  Azetons  anzusehen  ist,  während 
nach  seiner  heutigen  Meinung  das  Fett  dafür  zu  gelten  habe.  Die 
Fette  verbrennen  im  Feuer  der  Kohlehydrate.  Fette,  die  nicht  ver¬ 
brennen,  bleiben  in  der  Leber  liegen.  In  den  Endstadien  des  Diabetes 
tritt  dann  die  Lipämie  ein.  Ist  die  Verbrennung  eine  teilweise,  so 
werden  die  Fette  bis  zur  /^-Oxy buttersäure,  Azetessigsäure  und  zum 
Azeton  verbrannt.  Da  im  Coma  diabeticum  die  ^-Oxy  butt  er  säure  reich¬ 
lich  vorhanden  ist,  so  müssen  Kohlehydrate  gegeben  werden,  damit  der 
Diabetiker  das  Fett  oxydieren  kann.  Lävulose  im  Gegensatz  zur 
Dextrose  von  Ketoncharakter,  erscheint  nach  mehreren  Tagen  im  Urin 
und  verwandelt  sich  scheinbar  in  Glykogen,  das  aus  der  Galaktose 
gebildet  wird.  Die  Versuche  mit  Glyzerin  haben  keine  besonderen 
Resultate  ergeben.  Die  Forschungen  des  Vortragenden  haben  ferner 
ergeben,  daß  der  Zucker  auf  anhepatischem  Wege  oxydabel  ist.  Die 
Darreichungsmethode  ist  die  per  Klysma  und  die  intravenöse  Appli¬ 
kation.  Die  Versuche  nach  dieser  Richtung  hin  sind  noch  nicht  ab- 


Breslauer  Brief. 


613 


geschlossen.  Die  Herabsetzung  der  Zucker-  und  Azetonausscheidung 
bei  der  Glutarsäure  müsse  auch  durch  die  Ausschaltung  des  Leber¬ 
weges  erklärt  werden.  Der  Alkohol  erweist  sich  beim  leichten  alimen¬ 
tären  Diabetes  als  Schädigungsmittel,  bei  schweren  konstitutionellen 
Fällen  wirkt  er  einige  Tage  antiglykosurisch,  dann  aber  oft  schwer 
schädigend.  Am  Schlüsse  seiner  Ausführungen  verweist  R.  auf  einen 
mittels  der  Hafer  kur  von  ihm  behandelten  Fall  von  schwerem,  kon¬ 
stitutionellem  Diabetes,  mit  dem  er  einen  vorzüglichen  Erfolg  aufzu¬ 
weisen  hatte.  Bei  der  Hafer  kur  glaubt  er  auch  einen  anhepatisohetn 
Weg  annehmen  zu  müssen.  Seine  Versuche  nach  dieser  Richtung  hin, 
sind  noch  nicht  abgeschlossen. 

In  der  sich  anschließenden  Diskussion  betont  O p-p ler,  daß  er 
mit  der  Hafer  kur  keine  günstigen  Erfolge  aufzuweisen  hat,  Hyrtle 
wünscht  Beweise  für  die  Umgehung  des  Leberweges  bei  der  Hafer  kur. 

Die  Sitzung  der  schlesischen  Gesellschaft  am  5.  März  1909  fand 
als  klinischer  Abend  in  der  Chirurgischen  Universitätsklinik  statt  und 
bot  ein  reichhaltiges  Programm. 

Als  Erster  stellte  Küttner  eiinen  21  jähr.  Patienten  vor,  bei  dem 
er  wegen  ausgedehnter  chronischer  adhäsiver  Perikarditis  die  B  rauer - 
sehe  Operation  gemacht  hat.  Die  Indikation  besteht  in  der  Verwach¬ 
sung  mit  Brustwand,  Mediastinum,  Pleura,  Lunge  und  der  daraus 
resultierenden  Überlastung  und  schließlichen  Erlahmung  des  Herzens. 
Er  beschreibt  kurz  die  Operationsmethode.  Sämtliche  Beschwerden  sind 
verschwunden,  ein  geringer  Aszites  ist  noch  übrig  geblieben.  Er  hat 
einen  Fall  in  noch  vorgeschrittenerem  Stadium  mit  dem  gleichen  gün¬ 
stigen  Erfolge  operiert.  Die  Fälle  sind  zwar  nicht  anatomisch,  aber 
doch  klinisch  als  geheilt  zu  betrachten.  Er  empfiehlt  die  Anwendung 
des  Ätherrausches,  gegenüber  der  lumbalen  Anästhesie. 

Er  demonstrierte  ferner  einen  49  Jahre  alten  Patienten  mit  einem 
operierten  Krebs  der  Epiglottis.  Er  hat  in  zwei  Zeiten  operiert,  weil 
sich  eine  schwere  Asphyxie  einstellte,  die  nur  durch  Trachektomie  zu 
beseitigen  war.  10  Tage  später  erfolgte  die  zweite  Operation.  Frei¬ 
legen  des  linken  Larynx,  Pharinx.  Eröffnung  des  Larynx  durch  die 
Fissur’.  Erst  als  in  querer  Richtung  das  Zungenbein  durchtrennt  war, 
gelang  es,  den  Krebs  zu  entfernen. 

Darauf  demonstrierte  K.  zwei  Fälle  von  malignen  Klavikular- 
tumoren.  Ein  Spindelzellensarkom  und  ein  Myxo-chondro-osteo-Sarkom. 
Bei  beiden  ist  die  Exartikulation  der  Klavikula  im  Sternalgelenk  ge¬ 
macht  worden.  Er  wies  auf  die  Schwierigkeit  der  Operation  wegen  der 
sehr  nahe  liegenden  Vena  subclavia  hin,  die  meistenteils  von  dem  Tumor 
mitergriffen  ist.  Funktionell  sind  die  Resultate  so  vorzüglich,  daß  K. 
zu  dem  Schluß  kommt,  die  Klavikula  sei  vollständig  entbehrlich.  Dann 
besprach  er  zwei  Fälle  von  Kleinhirn-Brückenwinkeltumoren.  Der  erste 
Fall  kam  ad  exitum,  bevor  man  noch  an  den  Tumor  herangekommen  war. 
Die  Sektion  (Dr.  Ascher)  ergab  Tod  durch  Kompression  des  Atem¬ 
zentrums.  Die  abundante  Blutung  ist  auf  einen  erschwerten  Abfluß 
des  venösen  Blutes  zurückzuführen.  Der  zweite  Fall  betrifft  eine 
30jährige  Frau  (Demonstration).  Die  Patientin  ist  jetzt  vier  Wochen 
nach  der  Operation,  und  allmählich  beginnen  die  früheren  Symptome 
zu  schwinden.  Da  das  Kleinhirn  sich  nach  der  Luxation  nicht  mehr 
zurückbringen  ließ,  mußte  es  teilweise  reseziert  werden.  In  der  Dis¬ 
kussion  betont  Bonhoeffer  die  relative  Gutartigkeit  der  Kleinhirn- 
Brückenwinkeltumoren  und  hält  sie  in  der  großen  Mehrzahl  der  Fälle 


614 


Ascher,  Breslauer  Brief. 


für  Akustikustumoren.  Gewöhnlich  sind  Hörstörungen  die  ersten  sub¬ 
jektiven  Symptome. 

Herr  Foerster  spricht  über  die  Charakteristik  tabischer  Krisen. 
Xach  den  Hea.d’schen  Hy  per  äs  tesie  tafeln  glaubt  er  eine  tabische  gastri¬ 
sche  Krise  von  Erbrechen,  die  durch  Reiz  des  Zentrums  oder  durch 
ein  Karzinom  hervorgerufen  werden,  unterscheiden  zu  können.  Xach 
He  ad  entspricht  bei  Magenkrisen  die  Hyperästhesie  der  Gegend  des 
VII. — IX.  spinalen  Segmentes. 

Vortragender  demonstriert  dann  einen  ungefähr  50  jährigen  Mann, 
dem  von  Ivüttner  die  VII.,  VIII.  u.  IX.  Wurzeln  durchschnitten  worden 
sind.  Die  Operation  wurde  in  zwei  Zeiten  gemacht.  Der  Patient  hat 
andauernd  drei  Wochen  hintereinander  Erbrechen  gehabt.  Er  schwebte 
in  Gefahr,  zu  verhungern.  Die  Tagesdose  Morphium  stieg  ständig.  Sofort 
nach  dem  Eingriff  hörten  die  Beschwerden  auf.  Patient  konnte  essen 
und  befindet  sich  in  einem  relativ  günstigen  Zustande.  Doch  fällt  die 
allmähliche  Morphiumentwöhnung  sehr  schwer. 

In  der  sich  anschließenden  Diskussion  spricht  Küttner  über  die 
Operationstechnik.  Bonhoeffer  fragt  an,  ob  die  Head’schen  Tafeln 
von  den  Internisten  bestätigt  worden  sind. 

v.  Strümpell  erklärt,  daß  die  wenigen  und  nicht  sehr  ausge¬ 
dehnten  Versuche,  die  Head'schen  Angaben  nachzuprüfen,  fast  sämt¬ 
lich  negativ  ausgefallen  sind.  Er  selbst  hat  fast  nie  aus  diesen  Angaben 
einen  differentialdiagnostischen  Schluß  ziehen  können.  Dem  schließt 
sich  auch  Stern  an. 

Foerster  erklärt,  über  interne  Leiden  keine  Erfahrungen  zu 
haben.  Er  erwähnt  einen  Head' sehen  Fall,  wo  bei  einem  Herpes  zoster 
der  VIII  u.  IX.  hinteren  Wurzel  schwere  gastrische  Erscheinung'en 
aufgetreten  waren.  Er  hat  ferner  tabische  Magenkrisen  beobachtet, 
die  mit  Herzaffektionen  einhergingen,  er  will  das  als  einen  Beweis  an- 
sehen,  daß  auch  der  Vagus  den  Magen  versorgt. 

Fabiunke  demonstriert  einen  nach  seinen  Angaben  konstruierten 
Röntgenspiegel  zur  Durchleuchtung  der  Kieferhöhle  und  zur  genaueren 
Beleuchtung  von  Kieferfrakturen.  Ferner  eine  Kopfstütze  mit  drei 
Platten  zur  Fixierung  bei  Kopfaufnahmen  und  einen  Tubus  zur  Auf¬ 
nahme  der  obersten  Halswirbel.  Dieser  ist  kegelförmig  und  wird  mit 
seinem  spitz  zulaufenden  Ende  bis  an  die  hintere  Rachenwand  geführt. 

Im  Anschluß  daran  demonstriert  Danielsen  ein  Sarkom  des 
Musculus  brachialis  internus,  das  sich  gut  exstirpieren  ließ.  Er  macht 
auf  die  Schwierigkeit  der  Differentialdiagnose  zum  Muskelgummi  auf¬ 
merksam.  Heute  sind  die  Schwierigkeiten  durch  die  Serumreaktion 
gehoben. 

Vortragender  demonstriert  ferner  ein  Lipom  des  linken  Oberarms 
mit  intramuskulärer  Entstehung.  Lieblingssitz  für  derartige  Tumoren 
sind  Biceps  imd  Quadriceps.  In  der  Diskussion  betont  Küttner  die 
Seltenheit  der  Tumoren. 

Ludloff  demonstriert  einen  Patienten  mit  einem  doppelseitigen 
Supra  kondylären  Bruche  beider  Oberschenkel.  Die  Bruchstellen  sind 
operativ  freigelegt  worden,  durch  eiserne  Bänder  und  Schrauben  mit¬ 
einander  verbunden  und  in  festen  Gips  gelegt  worden. 

Die  Metallteile  sind  per  primarn  reaktionslos  verheilt.  Das  Resul¬ 
tat  ist  vorzüglich.  Vortragender  warnt  vor  der  kritiklosen  Anwendung 
des  Röntgenphotogramms  in  solchen  Fällen,  weil  die  Hämatome  falsche 
Bilder  vortäuschten.  Er  bespricht  dann  die  verschiedenen  Behandlungs- 


Vorläufige  Mitteilungen  und  Autoreferate. 


615 


methoden,  wie  die  Extensionsmethode  mit  dem  Supping’ sehen  Apparate, 
die  Extension  an  einem  quer  durch,  die  Kondylen  getriebenen  Stabe, 
die  Ausschaltung  der  Gastrocnaemii  durch  Tenotonomie  der  Achilles¬ 
sehne. 

Er  hat  mit  seiner  Methode  sieben  Vorderarmfrakturen  behandelt 
und  vorzügliche  Erfolge  gehabt.  (Demonstration  eines  12jährigen 
Patienten.)  Er  bevorzugt  den  frühzeitigen  Eingriff,  bevor  die  Kallus¬ 
bildung  sich  noch  nicht  verbraucht  habe.  Es  folgt  die  Demonstration 
eines  Patienten,  der  sich  zweimal  hintereinander  die  Quadricepssehne 
unterhalb  der  Patella  restlos  abgerissen  hatte.  Die  Patella  wurde  durch 
20  dicke  Seidenstränge  mittels  Naht  an  der  Tibia  fixiert.  Jetzt  nach 
sechs  Monaten  werden  die  Eäden  ausgestoßen,  doch  hat  sich  inzwischen 
ein  so  festes  Bindegewebe  entwickelt,  daß  der  Verlust  der  Seide  nicht 
mehr  schaden  kann.  Dann  wird  ein  schon  einmal  demonstrierter  Patient 
mit  Myositis  ossificans  gezeigt.  Die  Eibrolysinbehandlung  hat  vorzüg¬ 
liche  Erfolge  gezeitigt. 

Koenen  demonstriert  zwei  Ringe,  die  von  dem  Penis  bei  zwei 
Patienten  durch  Aufsägen  haben  entfernt  werden  müssen;  die  starke 
Kompression  hat  den  Membris  nichts  geschadet,  weil  der  Penis  eine 
starke  Blutversorgung  aufzuweisen  hat.  Dann  zeigt  Pritsch  einen 
17  Jahre  alten  Patienten  mit  einem  Abriß  der  Spina  tibiae,  und  einen 
älteren  Patienten  mit  einer  Beckenfraktur  mit  starker  Dislokation. 

Levy  demonstriert  ein  ab  gekapseltes  Epitheliom  der  Oberlippe 
und  zwei  Fälle  von  Artritis  deformans  der  "Wirbelsäule.  Fall  1,  40  j ähr. 
Mann.  Entzündung  des  Hüftgelenkes  mit  leichter  Ankylosierung  der 
"Wirbelsäule.  Fall  2,  45 jähriger  Mann  mit  ausgesprochener  Ankylo¬ 
sierung  der  "Wirbelsäule. 


Vorläufige  Mitteilungen  u.  Autoreferate. 

Die  praktischen  Konsequenzen  der  Wassermanrvschen  Luesreaktion  für 

den  Frauenarzt. 

Von  Dr.  Pust. 

(Xaeli  einem  Vortrag  in  der  gynäkologischen  Gesellschaft  zu  Dresden  am  18.  8.  09. 

Nachdem  jetzt  so  viele  tausend  Emzelbeobaehtungen  vorliegen, 
kann  die  Methode  in  die  einzelnen  Disziplinen  übernommen  werden, 
da  wesentliche  Einschränkungen  nicht  mehr  zu  erwarten  sind.  Die 
Fehlerquellen  sind  bekannt.  Ihre  Ausschaltung  ist  Sache  des  Labora¬ 
toriums,  zum  Teil  des  Klinikers  resp.  Praktikers.  Für  unsere  Gegenden 
kommt  nur  Scharlach  in  Betracht.  Sonst  besteht  imbedingt  der  Satz 
zu  Recht :  WM  die  Reaktion  positiv  ausfällt,  da  ist  auch  Lues.  Die 
Lmkehrung  ist  nicht  möglich,  da  z.  B.  im  Primärstadium  und  häufig 
nach  einer  Kur  die  Reaktion  negativ  ist.  Eine  negative  Reaktion  kann 
aber  wieder  positiv  werden,  da  Heilung  und  negative  Reaktion  nicht 
gleichbedeutend  sind.  Prognostisch  ist  die  Methode  nicht  oder  jeden¬ 
falls  nur  mit  ganz  erheblichen  Einschränkungen  zu  verwerten.  Für 
den  Frauenarzt  ergeben  sich  speziell  folgende  praktischen  Konsequenzen 
aus  dieser  neuen  Errungenschaft. 

1.  In  allen  klinisch  auch  nur  ganz  entfernt  verdächtigen  Fällen 
ist  möglichst  die  Reaktion  anzustellen,  namentlich  aber  bei  mehrfachen 
Aborten. 


616 


Vorläufige  Mitteilungen  und  Autoreferate. 


2.  Bei  positivem  Ausfall  ist  unbedingt  auf  eine  Behandlung  und 
möglichst  auch  auf  eine  längere  intermittierende  serologische  Über¬ 
wachung  zu  dringen. 

3.  Der  Ehekonsenz  kann  nicht  von  dem  Ausfall  abhängig  g'emacht 
werden,  sondern  muß  sich  wie  bisher  nach  der  Behandlung  und  den 
Erscheinungen  richten.  Eine  längere  serologische  Überwachung  ist 
wünschenswert.  Negativer  Ausfall  der  Reaktion  erhöht  die  Chancen 
für  eine  gesunde  Ehe. 

4.  Bei  nachgewiesener  Lues  der  Eltern  soll  auch  das  Kind  sero¬ 
logisch  untersucht  und  —  wegen  der  Ansteckungsgefahr  —  überwacht 
werden. 

5.  Bei  der  Untersuchung  Prostituierter  verspricht  die  Methode 
nur  zur  Sicherung  der  Diagnose  Erfolge.  Solange  nicht  ein  weiterer 
Parallelismus  zwischen  Behandlung  und  Reaktion  sich  ergeben  sollte, 
dürfte  sie  für  die  Überwachung  der  Prostitution  nicht  wesentlich  in 
Betracht  kommen. 

6.  Keine  Klinik  sollte  eine  Amme  ohne  Anstellung  der  Wasser¬ 
mann  sehen  Reaktion  empfehlen,  auch  wenn  sie  klinisch  gesund  und 
an  amnestisch  unverdächtig  ist. 

7.  Jede  Amme  mit  positivem  Ausfall  der  Reaktion  muß  unbedingt 
vom  Stillen  fremder  Kinder  ausgeschlossen  werden. 

8.  Bei  luesverdächtigen  Eltern  ist  auch  der  Säugling  zum  Schutze 

für  die  Amme  mehrmals  zu  untersuchen.  "  Autoreferat. 


Bakteriologische  und  serologische  Untersuchungen  bei  Scharlach. 

Von  Dr.  Felix  Schleiß n er. 

(Verein  deutscher  Ärzte  in  Prag.  Sitzung  vom  19.  März  1909.) 

S.  hat  an  einem  größeren  Material  Blutuntersuchungen  vorge¬ 
nommen  und  ist  zu  folgenden  Resultaten  gelangt:  1.  Es  scheint,  daß 
in  jenen  Fällen  von  Scharlach,  wo  man  zeitig  genug  untersuchen  kann, 
noch  vor  Beginn  der  Angina  auf  den  Tonsillen  sich  fast  ausschließlich 
Streptokokken  finden,  die  bei  Abimpfung  und  Züchtung  auf  Rinder¬ 
serum  beinahe  in  Reinkultur  aufgehen.  2.  In  auffallend  vielen  Fällen 
von  Scharlach  kann  man  aus  dem  Blute  Streptokokken  züchten,  ohne 
daß  ihr  Auftreten  irgendwie  schlechtere  prognostische  Bedeutung  hätte. 
3.  Die  Sera  von  Scharlachkranken  der  2. — 5.  Woche  geben  mit  Emulsio¬ 
nen  mancher  Streptokokken,  die  aus  Scharlachblut  gezüchtet  wurden, 
Komplementbindung,  enthalten  also  Streptokokken-Antikörper.  In  der 
ersten  Woche  scheinen  diese  Körper  noch  nicht  gebildet  zu  sein,  in  der 
6.  Woche  verschwinden  sie  aus  dem  Blute;  den  Höhepunkt  scheint  ihre 
Bildung  am  10.  Tage  zu  erreichen ;  diese  Körper  verhalten  sich  in  ihrem 
Auftreten  ähnlich,  wie  die  anderen  Antikörper.  4.  Eine  Differenzie¬ 
rung  der  verschiedenen  Streptokokkenarten  ergibt  sich  aus  dem  Ver¬ 
halten  der  Komplementbindung  nicht  mit  Sicherheit.  Autoreferat. 


Ueber  den  Infektionsweg  der  Larynxtuberkulose. 

Von  Dr.  Arthur  Meyer,  Berlin. 

(Autoreferat  aus  der  Zeitschr.  für  Laryng.,  I.,  H.  6.  Festschrift  für  P.  Heymann.) 

Die  Entstehung  einer  Schleimhauttuberkulose  sind  wir  a  priori 
immer  geneigt  auf  Oberflächeninfektion  zur ückzuf ähren,  weil  nur  diese 
die  Erkrankung  eines  einzelnen  Organs  und  nur  seiner,  dem  Kontakt 


Vorläufige  Mitteilungen  und  Autoreferate. 


617 


mit  infektiösem  Material  ausgesetzten  Fläche  erklärt.  Wir  müssen 
aber,  um  Positives  auszusagen,  erst  noch  nachweisen,  daß  diese  Infek¬ 
tion  möglich  ist,  und  daß  mit  diesem  Übertragungsmodus  in  stati¬ 
stischer,  ätiologischer  und  anatomischer  Beziehung  das  Bild  der  ört¬ 
lichen  Erkrankung  vereinbar  ist. 

1.  Der  Kehlkopf  kann  von  der  Schleimhaut  aus  mit  Tuberkulose 
infiziert  werden.  Gelegenheit  dazu  ist  beim  Phthisiker  geboten,  und 
der  Bau  des  Kehlkopfes  ermöglicht  die  Inokulation.  Tierversuche 
von  A.  Meyer,  Frese,  Albrecht  haben  dargetan,  daß  durch  Ein¬ 
reiben  von  tuberkulösem  Material  die  Schleimhaut  des  Larynx  tuber¬ 
kulös  erkrankt.  Auch  die  sicheren  Fälle  von  primärer  Kehlkopf¬ 
phthise  sind  nicht  anders  als  durch  örtliche  Inokulation  zu  erklären. 

2.  Nur  bei  Lungenphthisikern  erkrankt  der  Kehlkopf,  nicht 
bei  solchen  Patienten,  die  an  Tuberkulose  anderer  Organe,  selbst  der 
zervikalen  Lymphdrüsen,  leiden ;  also  nur  wo  Sputum  vorhanden  ist. 
Das  Fehlen  erkrankter  Halsdrüsen  bei  Larynxphthise  spricht  gegen 
die  Entstehung  dieser  auf  dem  Lymphwege.  Nur  der  Lupus  kriecht 
in  den  Lymphspalten  abwärts  zum  Larynx,  und  in  seltenen  Fällen 
kann  sich  auch  ulzeröse  Tuberkulose  des  Pharynx  oder  Zungengrundes 
auf  diesem  Wege  auf  den  Kehlkopf  fortpflanzen ;  doch  ist  das  klinische 
Bild  solcher  Fälle  verschieden  von  den  gewöhnlichen. 

3.  Das  männliche  Geschlecht  ist  mehr  exponiert,  entsprechend  der 
erhöhten  Zahl  von  Schädigungen,  denen  das  Epithel  des  Larynx  beim 
Manne  ausgesetzt  ist,  und  welche  Eingangspforten  für  die  Bazillen 
schaffen.  Im  Sinne  der  Kontaktinfektion  liegt  es,  daß  vorwiegend 
Patienten  mit  vorgeschrittener  Lungentuberkulose  am  Larynx  er¬ 
kranken;  Besold  u.  Gidionsen’s  entgegenstehende  Angabe  erklärt 
sich  dadurch,  daß  kehlkopf kranke  Phthisiker  früher  auf  ihr  Leiden 
aufmerksam  werden  als  kehlkopfgesunde,  und  sich,  selbst  bei  minder 
ausgesprochener  Lungenerkrankung,  leichter  zur  Sanatoriumsbehandlung 
entschließen.  Die  von  manchen  Autoren  behauptete  „laterale  Kor¬ 
respondenz“,  die  als  Beweis  für  eine  Entstehung  auf  dem  Lymph¬ 
wege  herangezogen  wird,  hat  nach  den  Angaben  der  meisten  keine 
Bedeutung. 

4.  Die  von  der  Tuberkulose  bevorzugten  Stellen  des  Kehlkopfes 
sind  diejenigen,  welche  beim  Husten  und  Sprechen  dem  größten  Druck 
ausgesetzt  sind,  und  welchen  zugleich  das  Flimmerepithel  fehlt,  näm¬ 
lich  Stimmbänder  und  regio  mterarytaenoidea.  „Kontaktgeschwüre“ 
an  symmetrischen,  einander  berührenden  Punkten  der  Stimmbänder  oder 
Aryknorpel  sind  nur  durch  Inokulation  erklärlich. 

5.  Der  histologische  Befund  ist  an  sich  weder  für  die  Blut-  oder 
Lymph-  noch  für  die  Oberflächentheorie  beweisend.  Untersucht  man 
wirklich  beginnende  Affektionen,  so  findet  man  miliare  Tuberkel 
in  der  Mukosa  unter  intaktem  Epithel.  Ganz  das  gleiche  Bild  ergibt 
aber  auch  die  allgemeine  Miliartuberkulose  des  Kehlkopfs,  nur 
daß  der  Sitz  der  Tuberkel  vorwiegend  die  Epiglottis  und  die  Taschen¬ 
bänder  sind.  Und  auch  bei  der  künstlichen  Inokulationstuberkulose 
ist  das  histologische  Bild  das  gleiche. 

Es  sprechen  also  alle  Tatsachen  für  die  Entstehung  der  Kehl¬ 
kopfphthise  von  der  Oberfläche  aus.  Auch  vom  praktischen  Stand¬ 
punkte  aus  ist  dies  bedeutsam,  denn  nur  durch  diese  Feststellung  ist 
uns  eine  Handhabe  zur  Verhütung  der  Kehlkopferkrankung  gegeben. 


618 


Referate  und  Besprechungen. 


Referate  und  Besprechungen. 

Chirurgie. 

Gangrän  der  Gallenblase  durch  Stieldrehung. 

(Dr.  Nehrkorn,  Elberfeld.  Deutsche  Zeitschr.  für  Chir.,  Bd.  96,  H.  1 — 8.) 

Bei  einer  74  jährigen  Erau,  bei  welcher  wegen  peritonitischer  Erschei¬ 
nungen  unter  der  Diagnose  „Gallenblasenempyem“  auf  eine  überfaustgroße 
Resistenz  der  Gallenblasengegend  eingegangen  wurde,  zeigte  sich  die  bräunlich 
gefärbte  Kuppe  der  Gallenblase  rings  von  Netz-  und  Darmadhäsionen  um¬ 
schlossen.  Die  aus  ihren  Verwachsungen  gelöste  Gallenblase  hing  frei  an 
einem  Stiel,  welcher  einmal  vollkommen  um  sich  selbst  torquiert  war.  Zentral- 
wärts  von  der  Drehungsstelle  spannte  sich  eine  kurze  Bandverbindung  vom 
Cysticus  zur  Leber.  Exstirpation  der  Gallenblase,  deren  Wand  völlige  Nekrose 
zeigte. 

Es  gibt  in  sehr  lockerer  Verbindung  mit  der  Leber  stehende  am  Cysticus 
wie  an  einem  Stiel  hängende  Gallenblasen.  Wenn  eine  Achsendrehung  einer 
derartigen  Wandergallenblase,  um  welche  es  sich  offenbar  in  dem  Fall  ge¬ 
handelt  hat,  auch  verständlich  erscheint,  so  dürfte  eine  zu  einer  völligen 
Unterbrechung  der  Blutzirkulation  führende  Stieldrehung  doch  ein  sehr  selten 
gesehenes  Ereignis  sein.  F.  Kayser  (Köln). 


Gallensteine  in  der  Harnblase. 

(F.  Michel,  Koblenz.  Zentralbl.  für  Gyn.,  Nr.  1,  1909.) 

Bei  einer  29  jährigen  Patientin,  welche  vor  3  Jahren  an  einer  heftigen 
Gallensteinkolik  und  im  weiteren  Verlauf  wiederholt  an  Anurie  und  Blasen¬ 
beschwerden  gelitten  hatte,  wurden  aus  der  von  der  Scheide  aus  eröffneten 
Blase  vier  mittelgroße  fast  ausschließlich  aus  Cholestearin  bestehende  Steine 
entfernt.  Da  vor  der  Operation  und  auch  jetzt  noch  der  Urin  zitronengelbe, 
dicke  ölige  Beschaffenheit  zeigt,  ist  anzunehmen,  daß  noch  jetzt  eine  Ver¬ 
bindung  zwischen  den  Harnorganen  und  den  Gallenwegen,  die  die  Einwanderung 
der  Steine  in  die  Blase  ermöglicht,  besteht ;  ob  es  sich  um  eine  Fistel  der 
Gallenblase  mit  einem  Ureter  oder  der  Blase  handelt,  konnte,  da  die  Patientin 
eine  cystoskopische  Untersuchung  ablehnte,  nicht  festgestellt  werden. 

F.  Kayser  Köln). 


Gallensteine  bei  einem  71/« jährigen  Knaben. 

(W.  Stelzner.  Med.  Klinik,  Nr.  1,  1909.) 

Kasuistische  Mitteilung,  einen  Knaben  von  71/2  Jahren  betreffend,  bei 
dem  etwa  14  Tage  nach  Einsetzen  eines  mit  Frost,  Leibschmerzen  und  wieder¬ 
holtem  Erbrachen  beginnenden  und  mit  Fieber  und  Leberschwellung  ein¬ 
hergehenden  Ikterus  etwa  20  kleine  facettierte  Steine,  teils  in  Bruchstücken 
spontan  entleert  wurden,  die  sich  bei  näherer  Untersuchung  als  Cholestearin- 
steine  erwiesen.  R.  Stüve  (Osnabrück). 


Wie  sollen  Münzen  aus  der  Speiseröhre  entfernt  werden? 

(Massei.  Zeitschr.  für  Laryng.,  Bd.  1,  H.  6.  Festschr.  Heymann.) 

Es  stehen  folgende  Verfahren  zu  Gebote:  Blind-Extraktion  mit  dem 
Gräfe’schen  Instrument  oder  dem  Kirmisson’schen  Münzenfänger.  Extrak¬ 
tion  unter  seitlicher  Kontrolle  durch  Röntgendurchleuchtung  nach  Hen- 
rard;  Ösophagoskopie;  Ösophago- oder  Pharyngotomia  externa.  Die  Ösophagos¬ 
kopie  ist  nicht  günstig  bei  Münzen,  die  im  Eingang  der  Speiseröhre  liegen, 
jedoch  für  andersgeartete  Fremdkörper  das  ideale  Verfahren.  Bei  der  Wahl 
der  Methode  ist  zu  berücksichtigen,  daß  der  Eingriff  oft  dringlich  ist,  und  daß 
es  sich  gewöhnlich  um  Kinder  handelt.  Daher  ist  die  an  sich  vorteilhafte 


Referate  und  Besprechungen. 


619 


Röntgenuntersuchung  oft  nicht  durchführbar;  auch  die  Ösophagoskopie,  die 
nur  in  spezialistischen  Händen  liegt,  fällt  oft  fort,  da  der  Landarzt  die  Ent¬ 
fernung  selbst  vorzunehmen  gezwungen  sein  kann.  Die  Pharyngo-  oder  Öso¬ 
phagotomie  hat  hohe  Mortalität  (20 — 38%)  und  ist  für  die  Fälle  zu  reser¬ 
vieren,  in  denen  die  Ösophagoskopie  vergeblich  blieb.  —  Massei  hat  fast 
stets  mit  dem  Gräfe’schen  Münzenfänger  oder  dem  Kirmisson’schen  Haken 
Erfolg  gehabt.  Die  Gefahren,  die  das  Gräfe’sche  Instrument  bei  brüsker, 
unverständiger  Anwendung  involviert,  werden  durch  den  Haken  vermieden. 
M.  kokainisiert  den  Rachen  und  Zungengrund  und  operiert  nach  Anlegung 
eines  Mundsperrers.  Arth.  Meyer  (Berlin). 


Die  direkte  Bluttransfusion  —  Beschreibung  eines  einfachen  Verfahrens. 

(J.  A.  Hartwell.  Amer.  Journ.  of  Surg.,  Nr.  3,  1909.) 

Aus  der  Arbeit  ersieht  man,  daß  die  in  Europa  ziemlich  ad  acta  gelegte 
Tranfusion  in  Amerika  an  der  Tagesordnung  ist,  gewiß  teilweise  wegen  der 
technischen  Schwierigkeiten,  an  denen  mancher  hofft  sich  die  Sporen  zu 
verdienen ;  übrigens  auch  aus  Indikationen,  die  uns  unwahrscheinlich  Vor¬ 
kommen,  z.  B.  wegen  Sarkom.  Da  die  direkte  Naht  zwischen  einer  Arterie 
des  Gebers  und  einer  Vene  des  Empfängers  sehr  heikel  ist  und  die  Kanülen 
sich  gewöhnlich  durch  Gerinnsel  verschließen,  so  hat  H.  ein  Verfahren  er¬ 
probt,  das  er  für  einfach  und  ungefährlich  hält. 

Die  Radialis  des  Gebers  wird  auf  5  cm  freigelegt  (unter  Kokain¬ 
anästhesie)  und  eine  Schlinge  um  das  distale  Ende  geführt.  Eine  oberfläch¬ 
liche  Vene  unterhalb  der  Ellenbogenbeuge  des  Empfängers  wird  in  ähnlicher 
Weise  freigelegt,  ligiert  und  zentral  von  der  Ligatur  durchschnitten ;  die 
Adventitia  wird  zurückgestreift  und  durch  Media  und  Intima  drei  feine, 
mit  Vaseline  imprägnierte  Seidenfäden  gelegt;  dazu  dienen  gewöhnliche  runde 
Daimnadeln.  Nun  wird  die  Arterie  ligiert,  eine  Klammer  unter  geringem 
Druck  um  ihr  zentrales  Ende  gelegt  und'  die  Arterie  selbst  mit  einer  feinen 
Schere  durchschnitten.  Am  durchschnittenen  Ende  wird  die  Adventitia  ent¬ 
fernt  und  aufwärts  auf  2 — 3  cm  Länge  abgestreift;  durch  das  so  gebildete 
Röllchen  wird  eine  Seidennaht  gelegt  und  geknotet.  Dann  wird  die  Arterie 
in  Vaseline  getaucht  und  direkt  in  die  mit  Hilfe  der  drei  Suturen  offen  ge¬ 
haltene  Vene  gesteckt.  Ein  Faden  der  Vene  wird  dann  mit  dem  Faden  der 
Arteria  durch  eine  Klammer  verbunden  und  der  Überschuß  des  Venen um- 
fangs  abgeklemmt,  so  daß  sie  die  Arterie  ohne  Druck  eng  umschließt.  Nun¬ 
mehr  läßt  man  das  Blut  überströmen,  wobei  man  genötigt  sein  kann,  durch 
Kompression  den  Strom  zu  verlangsamen,  damit  das  rechte  Herz  des  Emp¬ 
fängers  nicht  überlastet  wird. 

Das  Verfahren  ist  an  Hunden  oft,  am  Menschen  nur  einmal  erprobt 
worden,  wobei  es  leicht  auszuführen  war  und  gut  funktionierte.  Man  ließ 
die  Anastomose  %  Std.  bestehen. 

Die  Bestimmung  der  übergeleiteten  Blutmenge  ist  bis  jetzt  mit  einiger 
Genauigkeit  nicht  möglich. 

Während  des  Überfließens  soll  dem  Geber  durch  Enteroklyse  oder  sub¬ 
kutane  Infusion  Flüssigkeit  zugeführt  werden,  um  Kollaps  zu  vermeiden. 

H.  sieht  bei  der  Bluttransfusion  vier  Gefahren :  hämolytische  Wirkung 
eines  Blutes  auf  das  andere,  Blut-  oder  Luftembolie,  unbekannte  übertrag¬ 
bare  Blutkrankheit  beim  Geber  und  Überlastung  des  geschwächten  rechten 
Herzens.  Vor  der  ersteren  Gefahr  ist  man  niemals  sicher.  Patienten  mit 
primären  oder  sekundären  Blutkrankheiten  oder  Sepsis  scheinen  ihr  besonders 
ausgesetzt  zu  sein. 

Die  Frage  der  Technik  scheint  also  ziemlich  gelöst  zu  sein;  ob,  entgegen 
den  vielfachen  Erfahrungen  früherer  Zeit,  die  Bluttransfusion  zur  Heilung 
von  Krankheiten  verwandt  werden  kann,  ist  eine  andere  Frage.  Theoretische 
Erwägungen  sprechen  nicht  für  ihre  Bejahung.  Denn  wenn  auch  das  Blut, 
das  Kommunikationsmittel  des  Leibes,  kein  toter  Körper  ist,  so  ist  es  doch 
durchaus  abhängig  von  den  Organen,  die  es  aufbauen,  zu  ihm  hinzufügen 


620 


Referate  und  Besprechungen. 


und  von  ihm  hinwegnehmen;  sobald  gesundes  Blut  in  den  kranken  Körper 
transfundiert  ist,  tritt  es  in  Beziehung  zu  dessen  kranken  Organen,  die 
nicht  verfehlen  werden,  seine  guten  Eigenschaften  in  kurzer  Zeit  zu  zer¬ 
stören.  Es  ist  darum  zu  verwundern,  daß  man  von  der  Bluttransfusion  je¬ 
mals  mehr  als  ganz  vorübergehende  Wirkungen  erwartet  hat. 

Er.  von  den  Velden. 


Die  Vermeidung  der  Hämolyse  bei  der  Transfusion. 

(M.  Rehling  u.  R.  Weil.  Amer.  Journ.  of  Surg.,  Nr.  3,  1909.) 

Dem  27  jährigen,  an  Anaemia  splenica  erkrankten  Patienten  wurde  durch 
direkte  Transfusion  eine  Stunde  lang  frisches  Blut  zugeführt.  Alsbald  Frost, 
blutiger  Urin,  der  nach  12  Stunden  blutfrei  wurde,  aber  noch  Albumen  und 
Hämoglobin  enthielt.  Es  hatte  sich  also  starke  Hämolyse  entwickelt,  obgleich 
hei  der  vor  der  Transfusion  vorgenommenen  Prüfung  der  beiden  Blutarten 
nur  eine  leichte  Andeutung  von  Hämolyse  gefunden  worden  war. 

Die  Verfasser  sind  der  Ansicht,  daß  trotz  des  großen  Unterschiedes 
zwischen  der  Prüfung  in  vitro  und  der  Transfusion  die  erstere  stets  ausge¬ 
führt  werden  solle  und  daß,  auch  wenn  sich  nur  Spuren  von  Hämolyse 
zeigen,  ein  anderes  Individuum  zur  Bluthergabe  zu  wählen  sei.  Betreffs 
der  Ausführung  der  Prüfung  muß  auf  das  Original  verwiesen  werden. 

F.  von  den  Velden. 


Bericht  über  3000  Skopolamin-Chloroform-Äthernarkosen. 

(Dr.  D.  Schoemaker  im  Haag.  Deutsche  med.  Wochenschr.,  Nr.  7,  1909.) 

Schoemaker  ist  mit  den  Erfolgen  dieser  Narkosenmethode  recht  zu¬ 
frieden.  Dem  Pat.  wird  dadurch  die  Angst  kurz  vor  der  Operation  erspart, 
die  Narkose  seihst  ist  viel  ruhiger  und  weniger  angreifend  für  den  Kranken 
und  endlich  kommt  dieser  über  die  ersten  Stunden  nach  der  Operation  ohne 
Beschwerden  hinweg.  Die  Technik  handhabt  er  so,  daß  er  nachts  um  12  Uhr 
1  g  Verona!  gibt,  früh  1/27  Uhr  die  erste  Spritze  (0,00025  Skopolamin  mit 
0,0075  Morphium),  um  1/28  Uhr  die  zweite  Spritze  von  gleicher  Stärke. 
Um  8  Uhr  beginnt  die  Inhalationsnarkose.  Die  Nachteile  bestehen  vor  allem 
in  der  ungleichmäßigen  Wirkung  des  Skopolamins  auf  die  verschiedenen  Pat. 
In  3  Fällen,  die  er  ausführlich  wiedergibt,  erlebte  er  Exitus,  der  sicher  auf 
die  Skopolaminanwendung  zurückzuführen  war.  Er  zieht  aus  diesen  Fällen 
die  Lehre,  bei  alten  und  schwachen  Leuten  mit  sehr  kleinen  Dosen  1/s  mg 
zu  beginnen  und  bei  Albuminurie,  die  ihren  Grund  in  langdauernden  Eite¬ 
rungen  hat,  ganz  auf  das  Skopolamin  zu  verzichten.  Schwacher  Puls  bildet 
dagegen  keine  Kontraindikation,  da  er  durch  das  Skopolamin  voller  und 
kräftiger  wird. 

Schoemaker  betont  zum  Schluß,  daß  er  die  Methode  nicht  als  einen 
Ersatz  für  die  Inhalationsnarkose,  sondern  als  eine  Verbesserung  und  Vor¬ 
bereitung  derselben  betrachtet.  F.  Walther. 


lieber  sakrale  Anästhesie. 

(W.  Stoeckel,  Marburg.  Zentralbl.  für  Gyn.,  Nr.  1,  1909.) 

St.  hat  den  seinerzeit  von  Cathelin  empfohlenen  Versuch,  durch 
Injektionen  von  Anästheticis  in  den  Sakralkanal  die  Inkontinenz  zu  beein¬ 
flussen,  auf  die  Geburtshilfe  übertragen,  da  die  nahen  Beziehungen  zwischen 
der  Innervation  von  Blase  und  Uterus  eine  Beeinflussung  der  Uterussensi¬ 
bilität  wahrscheinlich  machten. 

Die  Technik  der  Injektion  ist  folgende:  Der  Zeigefinger  der  linken  Hand 
markiert  den  Hiatus  sacralis,  d.  h.  die  an  der  Grenze  zwischen  Kreuzbein 
und  Steißbein  liegende,  von  einer  Doppellamelle  überspannte  dreieckige  Öff¬ 
nung,  welche  dem  fühlenden  Finger  den  Tasteindruck  einer  Fontanelle  bietet; 
durch  diese  Membran  wird  die  Spritzennadel  langsam  eingeführt ;  die  richtig 


Referate  und  Besprechungen. 


621 


liegende  Nadel  liegt  unverschieblich  fest.  Als  Injektionsflüssigkeit  wurden 
benutzt:  physiologische  Kochsalzlösung,  Novokain  und  Eukainlösungen  mit 
und  ohne  Suprareninbeifügung  in  einer  durchschnittlichen  Menge  von  30  bis 
35  ccm. 

Die  Beobachtungen  erstrecken  sich  auf  141  Fälle  und  zwar  89  I  p. 
und  52  Multip. ;  bei  96  Fällen  wurde  während  der  Eröffnungsperiode,  bei  45 
wählend  der  Austreibungsperiode  injiziert. 

Die  Einwirkung  auf  die  Geburtsschmerzen  war  eklatant:  völlige  Be¬ 
seitigung  oder  Verminderung  lediglich  der  Kreuzschmerzen  in  72  Fällen,  der 
der  Kreuz-  und  Leibschmerzen  in  39  Fällen.  Der  Durchtritt  des  Kopfes  durch 
die  Vulva  war  in  9  Fällen  völlig  schmerzlos,  in  16  Fällen  wenig  schmerzhaft. 
Bei  drei  Frauen  konnte  das  Kind  mit  der  Zange  entwickelt,  bei  zwei  anderen 
ein  Dammriß  ohne  Schmerzäußerung  genäht  werden.  Durch  eine  sehr  deut¬ 
liche  Erschlaffung  der  Muskulatur  des  Dammes  und  des  Beckenbodens  wurde 
der  Dammschutz  wesentlich  erleichtert. 

Ein  Einfluß  auf  die  Wehen  in  heimmendem  Sinn  wurde  nur  bei  sehr 
frühzeitiger  Einspritzung  gesehen.  Die  in  kräftiger  Aktion  befindliche 
Wehentätigkeit  wurde  durch  die  Injektionen  nicht  beeinflußt.  Einige  Atonien, 
welche  beobachtet  wurden,  scheinen  piit  der  Methode  nicht  im  Zusammen¬ 
hang  zu  stehen.  Schädliche  Einwirkungen  auf  das  Kind  waren  nicht  nach¬ 
zuweisen.  Eine  Harnverhaltung  blieb  in  sämtlichen  Fällen  aus. 

Die  Methode  ist  bis  jetzt  keinesfalls  eine  ideale;  sie  ist  aber  jedenfalls, 
da  die  injizierte  Flüssigkeit  wahrscheinlich  außerhalb  des  Rückenmarks  mit 
seinen  Häuten  bleibt,  im  Gegensatz  zur  Lumbalanästhesie  und  auch  zum 
Skopolamin-Morphiumdämmerschlaf  eine  gefahrlose,  die  zu  weiteren  Versuchen 
auff ordert.  Von  selbst  ergibt  sich  bei  der  Ähnlichkeit  des  Menstruations-  und 
Geburtsschmerzes  die  Perspektive,  daß  die  sakrale  Anästhesie  auch  bei  der 
„essentiellen“  Dysmenorrhöe  Gutes  leistet  (5  Fälle  des  Verf.  sprechen  dafür)  und 
daß  durch  sie  möglicherweise  auch  die  Kreuzschmerzen  bei  gynäkologischen 
Erkrankungen,  bei  denen  es  sich  wohl  zum  teil  um  sakrale  Neuralgien 
handelt,  günstig  beeinflußt  werden.  F.  Kayser  (Köln). 


Jodtinktur  zur  Desinfektion  der  Haut, 

(Porter.  Brit.  med.  Journ.,  6.  Februar  1909.) 

Anstelle  der  komplizierten  Desinfektionsmethoden,  welche  dermalen  ope¬ 
rativen  Eingriffen  vorherzugehen  pflegen,  ist  schon  von  mehreren  Seiten 
einfaches  Bepinseln  des  Operationsgebietes  mit  Jodtinktur  empfohlen  wor¬ 
den.  Auch  Porter  hat  davon  Gebrauch  gemacht,  z.  B.  bei  der  Radikal¬ 
operation  von  Hernien,  bei  Blinddarm  —  Varikozele-Operationen  usw. ;  jedes¬ 
mal  erfolgte  die  Heilung  per  primam.  Buttersack  (Berlin). 


Kinderheilkunde  und  Säuglingsernährung. 

Was  heißt  Scharlach? 

(P.  Gallois.  Le  Bull,  med.,  Nr.  14,  S.  159—162,  1909.) 

In  den  Lehrbüchern  und  in  den  Vorstellungen  unserer  Zeit  erscheint 
das  Seharlachfieber  als  eine  wohlabgegrenzte  Einheit,  und  daraus  leitet  sich 
zwanglos  der  Glaube  an  einen  spezifischen  Scharlachbazillus  ab.  P.  Gallois 
ist  anderer  Ansicht.  Ihm  stellt  es  sich  als  Streptokokkensepsis  dar,  deren 
sedes  morbi  im  lymphatischen  Rachenring  zu  suchen  ist  und  zu  welcher 
das  Exanthem  als  etwas  Sekundäres  sich  hinzugesellt;  also  als  eine  Angina 
mit  Hautausschlag.  Abgesehen  von  dem  letzteren  biete  aber  der  Scharlach 
nichts  Charakteristisches ;  Nephritis,  Endokarditis,  Gelenkentzündungen  usw. 
kommen  auch  bei  anderen  Anginen  vor. 

Die  Abschuppung  sei  eine  nebensächliche  Erscheinung  und  habe  mit 
der  Übertragung  der  Krankheit  nichts  zu  tun.  Ein  Student  der  Medizin 


622 


Referate  und  Besprechungen. 


habe  einmal  große  Stücke  seiner  sich  schuppenden  Haut  an  Verwandte  und 
Freunde  gesandt,  ohne  daß  einer  davon  erkrankt  sei  (offenbar  war  hei  dem 
jungen  Kollegen  der  Forschungstrieb  größer  als  die  Rücksicht  auf  seine 
Mitmenschen). 

Man  brauche  also  nur  die  Erscheinungen  im  Nasen-Rachenraum  zu 
beachten :  sobald  diese  geschwunden  seien,  könne  man  den  Pat.  als  geheilt 
ansehen.  Aber  diese  Gegend  müsse  man  allerdings  genau  inspizieren  und 
dürfe  sich  nicht  auf  die  Tonsillen  beschränken,  sondern  solle  durch  Auslösen 
des  Würgreflexes  sehen,  ob  nicht  noch  hinter  dem  Zäpfchen  eitrige  oder 
schleimige  Massen  als  Ausdruck  einer  Rhino-Pharyngitis  zum  Vorschein 
kommen. 

Sobald  die  Reizerscheinungen  in  diesem  Gebiete  geschwunden  seien, 
könne  der  Pat.  essen  und  spazieren  gehen  ganz  nach  Belieben.  — 

Was  die  zugrunde  liegende  Idee  von  der  Bedeutung  der  Affektion  der 
Rachenorgane  betrifft,  so  ist  sie  keineswegs  neu.  Schon  der  geistige  Vater 
der  Bakteriologie,  J.  Henle,  hat  in  seinen  pathologischen  Untersuchungen 
über  Miasmen  und  Kontagien,  1840,  jener  ersten  genialen  und  bis  heute 
noch  nicht  ausgeschöpften  bakteriologischen  Abhandlung,  ausdrücklich  betont, 
daß  die  Exantheme  der  Schleimhäute  jenen  der  äußeren  Haut  vorangehen 
und  hat  die  Konjunktiven,  Nase,  Rachen,  Mundhöhle  usw.  als  Eingangspforten 
erkannt.  Und  die  andere  Vorstellung  von  dem  Streptokokkus,  der,  je  nachdem, 
bald  Masern,  bald  Scharlach,  bald  sonst  eine  Krankheit  hervorrufe,  ist  schon 
Anfang  der  90  er  Jahre  in  Deutschland  aufgetaucht,  hat  aber  nicht  eben 
viele  Anhänger  gefunden.  Immerhin  ist  an  Gallois’  Ausführungen  dieses 
verdienstlich,  daß  er  davor  warnt,  die  Diagnose  Scharlach  und  dergleichen 
nur  bei  den  typischen  Fällen  zu  stellen,  und  die  sogenannten  Abortivformen, 
die  gewiß  häufiger  sind  als  die  ausgeprägten,  in  den  Vordergrund  rückt. 
Aber  das  haben  wohl  alle  Praktiker  von  selbst  getan ;  ihnen  hat  der  heute 
so  wenig  geschätzte  klinische  Blick  schon  längst  das  gezeigt,  was  die  Mikro- 
skopiker  trotz  allen  Suchens  noch  immer  nicht  gefunden  haben,  nämlich  die 
ätiologische  Einheit  verschieden  abgestufter  Krankheitsbilder. 

Buttersack  (Berlin). 


Aus  der  Infektionsabteilung  des  Krankenhauses  zu  Riga. 

Der  Scharlach  und  seine  Komplikationen. 

(Dr.  August  Berkholz.  Monatschr.  für  Kinderheilk.,  Dez.  1908.) 

Einleitend  bemerkt  Verfasser  die  außerordentliche  Variebilität  des  Exan¬ 
thems  in  seiner  Intensität.  Wichtig1  ist  das  Enanthem,  welches  differential¬ 
diagnostisch  von  allergrößter  Bedeutung  zu  sein  scheint.  Der  hart  .und  weiche 
Gaumen  weist  eine  feinpunktierte  Rötung  auf,  welche  dieselben  charakteristi¬ 
schen  Zeichen  trägt  wie  das  Exanthem.  Diese  Enanthem  ist  nach  Berkholz’ 
Ansicht  zur  Sicherung  der  Diagnose  deshalb  so  wesentlich,  weil  wir  bei 
Abwesenheit  desselben  bei  scharlachähnlichen  Hauterkrankungen  wie  Serum¬ 
oder  Arzneiexanthemen,  septischen  Exanthemen  oder  Rubeola  in  der  Lage 
sind,  Scharlach  auszuschließen.  Verfasser  entwirft  dann  ein  anschauliches 
Bild  von  der  sekundären  Streptokokkeninfektion  und  anderen  Komplikationen 
des  Scharlachs.  Er  kommt  dabei  zu  folgenden  beachtenswerten  Schlußsätzen: 

„Die  größte  Mehrzahl  der  Scharlachfälle  kompliziert  sich  mit  Strepto¬ 
kokken,  diese  sekundäre  Infektion  kann  zu  septischen  lokalen  Komplikationen 
in  allen  Organen  oder  zur  allgemeinen  Sepsis  führen.  In  der  regelmäßigen 
Schädigung  des  Parenchyms  des  Herzens  und  der  Nieren  durch  die  Toxine 
des  Scharlachs  liegt  mit  ein  Grund  für  den  oft  bösartigen  Verlauf  der  sekun¬ 
dären  Streptokokkeninfektion.“ 

Verfasser  folgert  aus  diesen  klinischen  Beobachtungen  in  therapeutischer 
Hinsicht:  „im  Verlauf  jeder  Scharlachinfektion,  dem  Herzen  und  den  Nieren 
eine  besondere  Schonung  angedeihen  zu  lassen“.  So  empfiehlt  er  langdauernde 


Referate  und  Besprechungen. 


623 


Bettruhe,  Schonung  der  Nieren.  Das  letztere  scheint  ihm  hauptsächlich  durch 
Einschränkung  der  Flüssigkeitszufuhr.  (Referent  hat  bei  Nierenerkrankungen 
mehrfach  gute  Erfolge  mit  einer  Flüssigkeitsverminderung  gesehen,  so  daß 
er  Berckholz  nur  beipflichten  kann.)  A.  W.  Bruck. 


Die  Behandlung  des  Scharlach. 

(B.  Bendix.  Zeitschr.  für  ärztl.  Fortbildung,  Nr.  4,  1909.) 

Aus  der  kurzen  Übersicht  über  die  heutige  Behandlung  des  Scharlach 
geht  hervor,  daß  wesentliche  neue  Gesichtspunkte  für  die  Therapie  dieser 
Infektionskrankheit  sich  in  den  letzten  Jahrzehnten  nicht  ergeben  haben, 
da  die  Anwendung  der  verschiedenen,  gegen  das  Scharlach  empfohlenen  Sera 
(das  von  Aronson  soll  bakterizid  wirken  und  seine  Wirksamkeit  haupt¬ 
sächlich  gegen  die  sekundäre  Infektion  richten,  dem  Moser’schen  wird  eine 
antitoxische  Wirkung  zugeschrieben)  über  die  Versuchsstadien  noch  nicht 
hinaus  ist  und  ihr  Wert  zum  mindesten  sehr  verschieden  beurteilt  wird. 
Auch  die  über  das  Marpmann’sche  Serum  gesammelten  Erfahrungen  sind, 
zumal  bei  dem  Mangel  an  einwandfreier  klinischer  Durcharbeitung,  noch 
nicht  ausreichend,  um  darüber  ein  Urteil  abgeben  zu  können.  Ein  sehr  wesent¬ 
licher  Teil  in  der  Bekämpfung  des  Scharlach  fällt  der  Prophylaxe  zu,  d.  h.  der 
Verhinderung  der  Weiterverbreitung  durch  strenge  Isolation  der  erkrankten 
Individuen  nötigenfalls  in  einem  Krankenhause.  Während  die  eigentliche 
Behandlung  des  unkomplizierten  Scharlach  sich  abwartend  verhalten  kann, 
fordern  die  Komplikationen  zu  eiligem  Vorgehen  auf.  Treten  toxische  Sym¬ 
ptome  (Sopor  oder  Delirien,  Jaktationen)  auf,  erweisen  sich  warme  Bäder  mit 
kühlen  bis  kalten  Übergießungen  als  sehr  wirksam;  eintretende  Herzschwäche 
erfordert  die  Anwendung  von  Exzitantien.  —  Die  etwa  eintretende  Nephritis 
ist  nach  den  bekannten  Regeln  zu  behandeln ;  das  als  medikamentöses  Prophy- 
laktikum  gegen  die  Nephritis  empfohlene  Urotropin  hat  sich  als  solches 
nicht  bewährt.  —  Bei  Versiegen  der  Harnsekretion  —  Absinken  der  Harn¬ 
menge  unter  5 — 400  cbcm,  ferner  dem  Eintritt  von  Zeichen  der  Harnretention 
(Erbrechen,  Kopfschmerz)  sind  entweder  lokale  Blutentziehungen  (2 — .3  Blut¬ 
egel  in  jeder  Nierengegend)  oder  Aderlaß  angezeigt  (100 — 150 — 200  cbcm  je 
nach  dem  Alter  des  Kindes).  —  Den  Ohren  ist  ständige  Aufmerksamkeit  zu 
schenken,  besonders  bei  Wiedereintritt  höherer  Temperaturen.  —  Bei  etwaiger 
Anwendung  von  Bädern  empfiehlt  sich  Schutz  der  Ohren  durch  Wattetampons. 
—  Die  Abschuppung  kann  durch  warme  Bäder,  nötigenfalls  mit  nachfolgenden 
Waschungen  mit  Seifenspiritus  beschleunigt  werden.  —  In  jedem,  auch  dem 
leichtesten  Fälle  von  Scharlach  ist  mindestens  3  Wochen  lang  Bettruhe  einzu¬ 
halten.  —  Die  Ansteckungsgefahr  ist  mit  erfolgter  Abschuppung  als  er¬ 
loschen  zu  betrachten;  man  rechnet  gewöhnlich  6  Wochen  für  die  Unter¬ 
brechung  des  Schulbesuches.  R.  Stüve  (Osnabrück). 


Die  Diphtheriefälle  des  Jahres  1907  in  der  Krankenanstalt  Sudenburg. 

(O.  Retzlaff.  Archiv  für  Kinderheilk.,  Bd.  49,  H.  3  u.  4.) 

Die  Therapie  besteht  in  sofortiger  Anwendung  des  Diphtherieserums 
(1500  Immunisierungseinheiten),  bei  Gefahr  eine  zweite  Injektion.  Lokale 
Behandlung  der  Beläge  2 mal  tgl.  mit  2°/0iger  Kollargollösung.  Gurgelungen 
mit  verdünntem  Wasserstoffsuperoxyd.  Einblasungen  mit  Natr.  sozojodol. 
Auftietende  Komplikationen  sind:  Neben  fast  nie  fehlenden  Drüsenschwel¬ 
lungen  am  Hals  Abszedierungen,  Katarrh  des  Mittelohrs,  Myokarditis  (nach 
Rom  b  erg  10 — 20%),  Albuminurie,  Bronchitiden;  beim  Absteigen  der  Diph¬ 
therie  auf  die  Atmungsorgane  Croup  (23,57%).  Von  150  Fällen,  unter  denen 
nur  etwa  20  nicht  einwandfrei  als  Diphtherie  nachgewiesen  wurden,  wurden 
127  geheilt  entlassen  (84,66%).  Reiss. 


624 


Referate  und  Besprechungen. 


Zur  Statistik  und  Klinik  der  Diphtherie  im  Krankenhause  Bethanien  zu  Berlin. 

Juni  1903 — 1908. 

Ein  Beitrag  zur  Serumtherapie. 

(Eugen  Schultze,  Berlin.  Archiv  für  klin.  Chir.,  Bd.  88,  H.  2.) 

Aus  der  sehr  interessanten  Arbeit  seien  nur  einzelne  Punkte  hervor¬ 
gehoben.  Im  ganzen  kamen  in  den  5V2  Jahren  602  Diphtheriekranke  zur 
Beobachtung,  von  denen  106  =  17,61%  starben.  197  —  32,72 %  mußten  operiert 
werden.  Von  ihnen  starben  69  =  35,02%,  während  von  den  405  nicht  operierten 
37  =  9,11%  starben.  Die  gegen  früher  bedeutend  geringere  Zahl  der  Trache¬ 
otomien  glaubt  Verfasser  artf  die  günstige  Serumwirkung  zurückführen  zu 
können.  Es  waren  233  Fälle  von  ausgeprägter  Larynxstenose  zu  verzeichnen, 
bei  denen  36 mal  =  15,45%  die  Tracheotomie  nicht  nötig  wurde,  indem 
12 — 24  Stunden  nach  der  Seruminjektion  die  zum  Teil  erheblichen  Stenose¬ 
erscheinungen  zurückgegangen  waren.  Besonders  eindringlich  kommt  aber 
die  Wirksamkeit  des  Heilserums  durch  die  Tatsache  zum  Ausdruck,  daß 
von  den  am  ersten  Krankheitstage  Gespritzten  nur  6,98  %  starben,  von  denen 
am  zweiten  8,99%,  am  dritten  12,5%  und  so  fort  in  lückenloser  Progression 
bis  zum  sechsten  Tage  mit  45%  Mortalität.  Als  unangenehme  Folgen  der 
Injektion,  die  aber  nie  dauernden  Schaden  den  Patienten  gebracht,  wurden 
17mal  Serumexanthem  und  11  mal  Abszesse  beobachtet.  Nephritiden  wurden 
80mal  =  13,28  %  beobachtet.  42  von  diesen  =  52,5  %  starben.  Die  post- 
diphtherischen  Lähmungen  haben  nach  Einführung  der  Serumtherapie  nicht 
zugenommen.  Es  wurden  15  =  2,49%  beobachtet.  Herzschwäche  bedrohlicher 
Art  trat  in  7  Fällen  auf.  Abszedierungen  von  Drüsen  kamen  8  mal,  Otitis 
media  purulen ta  11  mal  vor.  Was  die  Tracheotomiefrage  betrifft,  so  wurde  in 
der  Regel  die  Tracheotomia  inferior  ausgeführt.  Bei  älteren  Kindern  gelang 
es  meist,  die  Kanüle  nach  48 — 60  Stunden  zu  entfernen,  bei  jüngeren  mußte 
sie  oft  des  Nachts  wieder  eingeführt  werden,  um  erst  am  folgenden  Tage  end¬ 
gültig  beseitigt  werden  zu  können.  Das  sogenannte  erschwerte  Decanulement 
wurde  ungefähr  10 mal  beobachtet.  8  Kinder  starben  vor  Fortlassung  der 
Kanüle  einige  Wochen  nach  Beginn  der  Erkrankung.  Viermal  waren  Ke- 
tracheotomien  wegen  Granulationsstenose  nötig.  Zu  erwähnen  ist  noch,  daß 
in  der  letzten  Zeit  in  vielen  Fällen  die  Pyocyanase  angewandt  wurde,  daß 
aber  auch  sie  meist  bei  den  septischen  Fällen  im  Stich  gelassen  hat. 

H.  Stettiner  (Berlin). 


Der  Eiweißgehalt  und  die  Lymphozytose  des  Liquor  cerebrospinalis  bei 

Säuglingen  mit  Lues  congenita. 

(L.  Barai.  Jahrb.  für  Kinderheilk.,  Jan.  1909.) 

Umfangreiche  klinische  Nachprüfung  der  Lymphozytose  >  des  Liquor 
cerebrospinalis  bei  Lues  congenita  (im  (Waisenhause  Rummelsburg). 

Im  Gegensatz  zu  den  Beobachtungen  anderer  kommt  Verfasser  zu  dem 
Resultat,  daß  die  Lumbalpunktionen  kein  sichereres  Ergebnis  bringen  als  die 
klinische  Untersuchung;  der  Feststellung  des  Eiweißgehaltes  kann  er  keinen 
unbestreitbaren  Wert  beilegen,  ein  positiver  zytologischer  Befund  ist  nicht 
beweisend,  ein  negativer  erst  recht  ohne  Bedeutung. 

Die  Lumbalpunktion  scheint  Verf.  keineswegs  geeignet,  uns  zur  Früh¬ 
diagnose  der  Lues  congenita  zu  verhelfen.  A.  W.  Bruck. 


Verblutungstod  neugeborener  Kinder. 

(P.  Lissmann.  Wiener  klin.  Rundschau,  Nr.  41  u.  42,  1908.) 

Ein  Nasciturus  kann  sich  vor,  während  und  nach  der  Geburt  verbluten. 
Fälle  ersterer  Kategorie  sind  selten,.  Während  des  Geburtsaktes  kann  ein 
anormaler  Ansatz  der  Nabelschnur,  die  geleistete  Kunsthilfe  und  eine  Reihe 
anderer  Gründe  die  Verblutung  bedingen  (Insertio  velamentosa,  Ruptura 
hepatis  etc.).  —  Forensisch  am  wichtigsten  ist  der  Verblutungstod  nach 


Referate  und  Besprechungen. 


625 


der  Geburt:  Abreißen  der  Nabelschnur,  fahrlässige  und  krimi¬ 
nelle  Verletzung  der  Leber,  akute  multiple  Fettdegeneration 
(Buhrsche  Krankheit),  Melaena  neonatorum.  —  Der  Gerichtsarzt  wird 
zuerst  die  Frage  beantworten  müssen:  Hat  das  Kind  gelebt?  —  Die  auffallende 
Anämie  der  Lungen  und  der  Leber  wird  die  Diagnose  des  Verblutungstodes 
unschwer  ermöglichen,  und  dann  erst  kommt  die  Frage  zur  Entscheidung : 
Liegt  eine  Tötung  des  Kindes  oder  ein  natürliches  Ereignis  vor  ? 

Steyerthal-Kleinen. 


Versuche  mit  Albulaktin  bei  künstlich  genährten  Säuglingen. 

Mitteilung  von  Krankengeschichten  von  Säuglingen  nebst  Gewichtstabellen. 

(J.  Cassel  u.  H.  Kamnitzer,  Berlin-Wilmersdorf.  Archiv  für  Kinderheilk., 

Bd.  49,  H.  8  u.  4.) 

Resultat:  I.  Günstige  Beeinflussung  der  Kuhmilchgerinnsel  nach  Zusatz 
von  Albulaktin  bei  zahlreichen  ausgeheberten  Mageninhalten. 

II.  Die  Gewichtszunahme  der  Säuglinge  in  der  Albulaktinperiode  besser 
als  vorher. 

III.  Frischeres  Aussehen,  größere  Munterkeit  und  Agilität,  größere 

Teilnahme  an  der  Umgebung  bei  den  Albulaktinkindern.  Reiß. 


Zur  Geschichte  und  Kenntnis  des  Milchalbumins. 

(Peter  Berg  eil,  Berlin.  Archiv  für  Kinderheilk.,  Bd.  49,  H.  8  u.  4.) 

Die  bisherige  Frauenmilcheiweißfrage  ist  durch  die  Untersuchungen 
Sebelieus  im  wesentlichen  zu  einer  Laktalbuminfrage  geworden.  Lakt¬ 
albumin  ist  in  der  Frauenmilch  in  großen  Mengen  enthalten,  in  außer¬ 
ordentlich  geringer  Menge  in  der  JCuhmilch.  Dem  Brustkind  wird  täglich 
ein  ganz  beträchtlicher  Teil  des  von  ihm  benötigten  Stickstoffes  in  einer 
überaus  leicht  löslichen  und  resorbierbaren  Form  einverleibt  (5  g  Albumin), 
während  dem  Flaschenkind  1,8  g  Albumin  geboten  werden,  dabei  ist  der 
Stickstoff  durch  die  Siedehitze  seiner  leichten  Löslichkeit  beraubt.  Das 
gereinigte  Laktalbumin  muß  in  leicht  lösliche  Form  übergeführt  werden  und 
wird  als  Albulaktin  von.  Joh.  A.  Wülfing  in  den  Handel  gebracht.  Reiss. 


Ueber  akute  und  chronische  Bronchiektasie  bei  Kindern. 

(Prof.  Dr.  W.  Tschernow,  Kiew,  Jalirb.  für  Kinderheilk.,  Jan.  1909.) 

Bronchiektasien  sind  bei  Kindern  keine  sehr  häufige  Erscheinung. 
Tschernow  sah  in  25  Jahren  15  derartige  Fälle. 

Dieses  Material  hat  Verfasser  genau  beobachtet  und  gibt  einen  Überblick 
über  die  Ätiologie,  Klinik  und  Therapie  mit  gleichzeitiger  Angabe  der  Prognose. 

Hinsichtlich  des  klinischen  Verhaltens  macht  er  auf  den  oft  plötzlichen 
Beginn  der  Erkrankung  mit  fast  gleichzeitigem  Auftreten  von  eitriger  Bron¬ 
chitis  und  auf  die  Entwicklung  des  subkutanen  Emphysems  aufmerksam. 

In  seinen  Fällen  von  akuter  Bronchiektasie  fand  sich  gleichzeitig  eine 
Affektion  der  Lunge  in  Form  von  Bronchopneumonie.  Dieses  Zusammen¬ 
treffen  ist  eine  recht  häufige  Erscheinung,  besonders  nach  Masern  und  nach 
Keuchhusten.  In  der  Frage  der  Ätiologie  steht  Tschernow  auf  dem  Stand¬ 
punkte  Lichtheiner’s,  daß  nicht  die  Verstopfung  des  Bronchus  zur  Ent¬ 
stehung  einer  Bronchiektasie  führt,  sondern  das  sich  in  denselben  ansammelnde 
Sekret,  in  dem  es  in  den  Bronchien  eine  Entzündung  hervorruft,  zur  Herab¬ 
setzung  der  Widerstandsfähigkeit  der  Wände  führt.  So  wird  die  Entstehung 
von  Bronchiektasien  einerseits,  das  Zusammenfallen  der  Lunge  andererseits 
(Atelektase)  begünstigt. 

Die  anatomischen  Veränderungen  hängen  vielleicht  von  den  in  dieser 
Zeit  entstehenden  Fermenten  ab,  die  das  Eiweiß,  die  elastischen  Fasern  usw. 
verdauen. 


40 


626 


Referate  und  Besprechungen. 


Zur  Therapie  bemerkt  Ts  ehern  ow,  daß  bei  akut  entstehenden  Bronchi- 
ektasien  die  ganze  Aufmerksamkeit  des  Arztes  auf  die  bestehende  Broncho¬ 
pneumonie  gerichtet  sein  muß.  Diese  muß  zunächst  mit  den  bekannten  Mitteln 
bekämpft  werden.  Sodann  muß  die  Ursache  der  Bronchiektasie  konstatiert 
werden :  Fremdkörper,  eitrige  Bronchitis  usw. 

Verfasser  sucht  hauptsächlich  desinfizierend  zu  wirken  und  glaubt  die 
Reinigung  der  Bronchien  zu  erzielen  durch  Anwendung  häufiger  Dampf- 
inhalationen  mit  alkalischen  Wässern  (Vichy,  Borshorn,  Ems);  sowie  Zusatz 
von  aromatischen  Ölen.  Dabei  empfiehlt  er  besonders  Ol.  Terebinthin  10,0, 
Ol.  Menth,  gutt.  XV,  Ol.  jeimper.  3,0.  15  Tropfen  auf  ein  Gläschen  des 
Inhalationsapparates.  Eine  leichte  Massage  trägt  ebenfalls  zu  einer  Er¬ 
leichterung  der  Absonderung  des  Sputums  bei.  Von  inneren  Mitteln  Guajakol- 
und  Thiokolpräparate.  Aufenthalt  auf  dem  Lande  und  im  Fichtenwalde. 

Die  Prognose  ist  ernst  und  richtet  sich  nicht  zum  mindesten  nach  den 
Lebensbedingungen  und  materiellen  Mitteln.  A.  W.  Bruck. 


Universitäts-Kinderklinik  Prof.  Dr.  M.  Pfaundler. 

Ueber  lordotische  Albuminurie. 

(Hugo  Nothmann.  Archiv  für  Kinderheilk.,  Bd.  49,  H.  8  u.  4.) 

Es  ist  dem  Verfasser  gelungen,  durch  künstlich  hervorgerufene  Lordose 
(Einschieben  eines  Keilpolsters),  bei  geeigneten  Fällen  künstlich  Albumen- 
und  Essigsäurekörper-Ausscheidung  im  Liegen  zu  erzielen.  Besonders  inter¬ 
essant  sind  die  Ausführungen  und  Experimente  bei  Scharlach-Rekonvaleszenten, 
die  geeignet  sind,  auf  die  Art  der  Nierenschädigung  bei  Skarlatina  Aufschluß 
zu  geben.  Es  besteht  manchmal  eine  leichte  postskarlatinöse  Nierenschädigung, 
die  sich  in  rasch  vorübergehender,  geringer,  manchmal  nur  orthotisch  auf¬ 
tretender  Eiweißausscheidung  und  Vorhandensein  eines  spärlich  geformten 
Sedimentes  kundgibt.  Bei  diesen  Kindern  ist  das  in  der  3. — 4.  Krankheits¬ 
woche  ausgeführte  lordotische  Experiment  positiv.  Die  Ursache  dieser  Eiwei߬ 
ausscheidung  ist  eine  durch  Skarlatina  gesetzte  Nierenschädigung  mehr  funk¬ 
tioneller  als  anatomischer  Art.  Die  Erkrankung  ist  gutartig  und  heilt 
bei  Bettruhe  in  wenigen  Tagen  aus.  Reiss. 


Hais-,  Nasen-  und  Kehlkopfleiden. 

Ozäna  und  Syphilis. 

(A.  Alexander.  Zeitschr.  für  Laryng.,  Bd.  1,  H.  6.  Festschr.  Hey  mann). 

Obgleich  schon  in  den  70er  Jahren  der  Begriff  der  Ozäna  von  dem  der 
Nasenlues  getrennt  wurde,  hält  eine  Gruppe  von  Forschern  noch,  immer  daran 
fest,  daß  auch  die  echte  Ozäna  wenigstens  in  einem  beträchtlichen  Teil  der 
Fälle,  auf  syphilitischer  Basis  beruhe.  Die  einen  denken  an  eine  metasyphili¬ 
tische  Erkrankung  wie  Tabes  und  Paralyse,  andere  an  Späterscheinung  und 
Residuen  hereditärer  Lues,  (so  in  letzter  Zeit  namentlich  Frese,  vgl.  Referat 
1908,  S.  775).  Um  der  Frage  näher  zu  kommen,  unterwarf  Alexander 
26  Patienten,  mit  Ausschluß  von  solchen,  die  Nebenhöhleneiterungen  und 
syphilitische  Anamnese  oder  Befund  darboten,  der  Wassermann’schen  Serum¬ 
reaktion.  Alle  26  reagierten  negativ.  Jedoch  ist  Verf.  weit  entfernt, 
hieraus  zu  folgern,  daß  die  Ozäna  nichts  mit  Lues  zu  tun  habe.  Alexander 
hat  öfters  nach  geheilter  Lues  nasi  sich  eine  echte  Ozäna  entwickeln  sehen, 
fast  ohne  daß  irgend  welche  Zeichen  auf  die  durchgemachte  Infektion  hin- 
wieisen.  In  anderen  Fällen  konnte  er  bei  Leuten,  die  seit  der  Kindheit  an 
Ozäna  litten,  Syphilis  der  Eltern  nachweisen ;  auch  5  Fälle  Frese’s,  die 
neben  der  Ozäna  Zeichen  hereditärer  Lues  aufweisen,  sind  recht  überzeugend. 
Zudem  ist  es  erstaunlich,  daß  man  gar  keine  Fälle  von  Ozänösen  kennt,  die 
sich  nachträglich  luetisch  infiziert  haben  (außer  nicht  zweifelfreien  Angaben 
von  Frese  und  Steiner).  Hierzu  kommen  die  klinischen  Ähnlichkeiten: 
Lues  nasi  und  Ozäna  sind  die  einzigen  Nasenkrankheiten,  die  mit  „Atrophie, 


Referate  lind  Besprechungen. 


627 


Borkenbildung  und  Fötor“,  sowie  mit  Einsinken  des  Nasengerüsts  einher¬ 
gehen,  sie  sind  auch  die  einzigen  hereditären  Erkrankungen  der  Nase,  und 
um  die  Analogie  zu  vervollständigen,  berichtet  Schestakow,  daß  auch  bei 
Ozäna  bei  der  Sektion  oft  interstitielle  Veränderungen  innerer  Organe  ange¬ 
troffen  werden.  —  Natürlich  ist  nicht  für  alle,  aber  doch  für  einen  erheblichen 
Teil  der  Ozänafälle  syphilitische  Ätiologie  anzunehmen. 

Es  ist  interessant,  wie  verschiedene  Folgerungen  aus  gleichen  Ergeb¬ 
nissen  gezogen  werden  können.  Am  19.  März  1909  berichtete  Sobernheim 
in  der  Berliner  laryngologischen  Gesellschaft  gleichfalls  über  Untersuchungen 
mittelst  der  Wassermann’schen  Reaktion  an  17  Fällen  von  Ozäna.  Auch 
hier  reagierten  alle  negativ.  Sobejrnheim  vergleicht  hiermit  die  Resul¬ 
tate  anderer  bei  Tabes  und  Paralyse,  sowie  bei  hereditär  Luetischen,  die 
einen  hohen  Prozentsatz  positiver  Reaktionen  (aufweisen;  man  kennt  keine 
Erkrankung,  die  irgend  etwas  mit  Lues  zu  tun  hätte  und  .100  %  negativer 
Reaktionen  ergibt.  S.  lehnt  daher  jeden  Zusammenhang  der  Ozäna  mit 
Syphilis  ab.  Seine  Ansicht  wurde  in  der  Diskussion  von  berufener  Seite 
unterstützt. 

Bei  so  entgegengesetzten  Anschauungen  muß  man  folgern,  daß  die 
Frage  noch  nicht  hinreichend  geklärt  ist.  Es  scheint,  daß  sorgfältige  Nach¬ 
forschung  in  einem  Teil  der  Fälle  spezifische  Ätiologie  ergibt,  besonders  wenn 
auch  die  Familie  mit  untersucht  wird ;  andererseits  kann  man  sich  doch  über 
das  negative  Resultat  der  Serumuntersuchung  nicht  hinwegsetzen.  Erst  weitere 
mühevolle  Forschungen  werden  die  Materie  aufhellen.  Arthur  Meyer  (Berlin). 


Endonasale  Operation  des  Kieferhöhlenempyems. 

(Kronenberg.  Zeitschr.  für  Laryng.,  Bd.  1,  H.  6.  Festschr.  Hey  mann.) 

Kronenberg  tritt  warm  für  die  endonasale  breite  Eröffnung  ein,  die 
für  chronische  Empyeme  in  den  meisten  Fällen  angezeigt  ist.  Nur  wenn 
diese  Methode  versagt,  oder  wenn  man  von  irgend  einer  künstlichen  Öffnung 
der  Kieferhöhle  aus  durch  Sondierung  schwere  Veränderungen  der  Schleimhaut 
oder  des  Knochens  nachweisen  kann,  ist  die  bukkonasale  Methode  (Luc- 
Caldwell  oder  Denker)  am  Platze.  Iv.  geht  zweizeitig  vor:  In  der  ersten 
Sitzung  entfernt  er  nur  den  vorderen  Teil  der  unteren  Muschel ;  nach  einigen 
Tagen  macht  er  einen  horizontalen  Schnitt  am  Muschelansatz  entlang  und  an 
dessen  vorderem  und  hinterem  Ende  zwei  senkrechte  Schnitte  abwärts.  Nun 
löst  er  den  so  umschriebenen  rechtwinkligen  Schleimhautlappen  von  der  Wand 
des  unteren  Nasenganges  und  z.  T.  des  Nasenbodens  los  und  fixiert  ihn  durch 
Tampons  am  Septum.  Dann  wird  ein  Meißel  senkrecht,  möglichst  weit 
vorn,  in  die  Kieferhöhle  eingestoßen,  und  die  naso-maxillare  Wand  vom 
Nasenboden  abgemeißelt.  Der  Knochen  wird  nun  mit  einer  Nasenzange  ge¬ 
faßt  und  entfernt,  der  Schleimhautlappen  in  die  Kieferhöhle  hinein  tamponiert. 
—  Die  Technik  weicht  von  den  bisher  ausgeübten  Methoden  von  Claoüe, 
Rethi,  Onodi,  Gerber,  Stur  mann  ein  wenig  ab  und  erscheint  recht  zweck¬ 
mäßig.  Verf.  hat  mehrfach  nach  seiner  Operation,  wie  nach  anderen  auch, 
eine  nachweisbare  Verkleinerung  der  Höhle  beobachtet. 

Arthur  Meyer  (Berlin). 


Behandlung  der  tuberkulösen  Epiglottis. 

(Gerber.  Zeitschr.  für  Laryng.,  Bd.  1,  H.  6.  Festschr.  Hey  mann.) 

Gerber  empfiehlt  zur  Abtragung  der  Epiglottis,  anstatt  der  galvano- 
kaustischen  Schlinge  und  der  scharfen  Instrumente,  die  kalte  Schlinge. 
Diese  durchschneidet  das  Gewebe  leicht  und  glatt,  der  Wundverlauf  ist  fast 
reaktionslos.  Blutung  und  Schmerzen  sind  gering.  Arth.  Meyer  (Berlin). 


40 


628 


Referate  und  Besprechungen. 


Medikamentöse  Therapie. 

Zur  Digitalisbehandlung. 

(L.  Müller.  Münch,  med.  Wochenschr.,  Nr.  51,  1908.) 

Die  Verschiedenheit  der  Wirksamkeit  der  Folia  Digitalis,  je  nach  ihrer 
Herkunft,  ist  von  jeher  für  die  Therapeuten  fatal  gewesen.  Den  Versuchen, 
ein  konstantes  Präparat  herzustellen,  hat  die  Firma  Kn  oll  &  Co.  in  Ludwigs¬ 
hafen  a.  Rh.  einen  neuen  hinzugefügt,  indem  sie  in  ihrem  Extractum  Digitalis 
depuratum  Knoll  (=  Digipuratum)  ein  gereinigtes  Digitalisextrakt  von  physio¬ 
logisch  ausgewerteter  Stärke  in  den  Handel  bringt.  In  das  Extrakt  geht 
fast  die  Gesamtheit  der  wirksamen  Bestandteile  der  Blätter  über,  während 
die  unnötigen  bezw.  schädlichen  Beimischungen  beseitigt  sind. 

L.  Müller  berichtet  über  40  Kranke  der  verschiedensten,  in  den  Bereich 
der  Digitalistherapie  fallenden  Arten,  welche  alle  mit  den  Knoll’schen 
Tabletten  erheblich  gebessert  worden  sind.  Er  rät,  zunächst  vier  Tabletten 
ä  0,1  pro  die  zu  geben  und  dann  allmählich  zurückzugehen.  12  Tabletten 
genügen  im  allgemeinen  zur  Herbeiführung  der  gewünschten  Wirkungen 
auf  Diurese  und  Puls ;  läßt  man  dann  noch  8 — 12  Tabletten  weiter  nehmen, 
so  werden  die  Wirkungen  noch  vertieft  und  nachhaltiger  gemacht. 

Da  sich  das  übliche  Digitalisinfus  erfahrungsgemäß  leicht  zersetzt, 
so  scheinen  diese  Tabletten,  welche  auch  bei  längerem  Lagern  nichts  von 
ihrer  Wirksamkeit  einbüßen,  für  die  Praxis  manche  Vorzüge  zu  bieten. 

Buttersack  (Berlin). 


lieber  Gebrauch  und  Mißbrauch  der  Digitalis 

schreibt  Dr.  Janeway  folgendes:  Der  Erfolg  bei  diesem  Heilmittel  ist  im 
wesentlichen  abhängig  von  der  richtigen  Ernte,  richtigen  Aufbewahrung;  die 
Droge  darf  nicht  über  ein  Jahr  alt  sein  und  muß  jedesmal  frisch  bereitet 
werden.  Am  meisten  Vertrauen  verdienen  das  Infus,  die  Tinktur  und  eventuell 
das  Pulver.  Das  Präparat  sollte  nur  angewandt  werden,  wenn  man  beabsich¬ 
tigt,  auf  die  Kontraktilität,  den  Tonus  und  die  Erregbarkeit  des  Herzens 
einzuwirken ;  im  wesentlichen  nur  bei  Ventrikelinsuffizienz.  8  g  im  Infus 
während  einiger  Tage  unter  steter  Beobachtung  der  Herztätigkeit,  der  auf¬ 
genommenen  Flüssigkeitsmenge  und  des  Urins  sind  völlig  genügend.  Nicht 
verschrieben  werden  darf  die  Digitalis,  um  eine  Tachykardie  herabzusetzen, 
oder  im  Fieber,  oder  um  die  Diurese  bei  akuter  Nephritis  anzuregen,  oder 
um  eine  entzündliche  Pleuraaffektion  zum  Schwinden  zu  bringen.  (Les  nou- 
veaux  remedes,  Nr.  5,  1909.)  v.  Schnizer  (Danzig). 


Ueber  Strophantus,  dessen  Präparate  und  Anwendung, 

(C.  Focke.  Zeitschr.  für  ärztl.  Fortbildung,  Nr  1,  1909.) 

Ueber  intravenöse  Strophantusinjektionen. 

(Dr.  Engelen,  Düsseldorf.  Zeitschr.  für  ärztl.  Fortbildung,  Nr.  2.) 

Die  verschiedenartige  Beurteilung,  welche  die  Wirksamkeit  des  Stro¬ 
phantus  bisher  erfahren  hat,  dürfte,  wie  aus  den  Bemerkungen  F  ock  es  hervor¬ 
geht,  an  nicht  genügender  Kenntnis  der  verschiedenen  Strophantus-Drogen  und 
ihrem  ungleichmäßigen  Gehalt  an  wirksamer  Substanz  liegen.  Man  sichert 
sich  aber  die  gleichmäßige  Wirkung,  wenn  man  sich  der  Tinct.  Stroph. 
titrat.  bedient,  die  in  Deutschland  von  den  Firmen  Caesar  &  Loretz  in  Halle 
und  Schollmeyer  in  Marburg  hergestellt  wird.  —  Wenn  auch  die  Wirkung 
des  Stroph.  derjenigen  der  Digitalis  im  großen  und  ganzen  sehr  nahe  steht, 
so  unterscheidet  sie  sich  in  folgendem  von  der  der  Digitalis.  1.  Der  Stro¬ 
phantus  besitzt  eine  beruhigende  Wirkung  auf  das  Nervensystem;  2.  die 
Glukoside  des  Strophantus  sind  besonders  leicht  in  Wasser  löslich  und  werden 
daher  schnell  resorbiert  und  3.  klingt  die  Wirkung  des  Strophantus  schneller 
ab  als  diejenige  der  Digitalis.  Demgemäß  sind  das  Indikationsgebiet  des 


Referate  und  Besprechungen. 


629 


Strophantus  vor  allem  diejenigen  Herzleiden,  bei  denen  nervöse  Symptome 
vorherrschen,  ferner  aber  auch  Zustände  schwerer  und  akuter  Herzinsuffizienz, 
einerlei,  aus  welchen  Ursachen.  Die  Dosis  im  ersteren  Falle  beträgt  10  Tropfen 
der  Tinct.  titr.  am  besten  mit  einer  spirituöslen  Tinktur  ää  (Tinct.  a'ur.  oder 
Valerian)  verordnet.  Im  zweiten  Falle  braucht  man  ausnahmsweise  auch  ein¬ 
mal  20 — 25  Tropfen  der  Tinktur  auf  einmal  zu  geben  sich  nicht  zu  scheuen. 
Indessen  ist  in  solchen  Fällen,  besonders  wenn  sie  mit  Lebensgefahr  ver¬ 
bunden  sind,  die  intravenöse  Injektion  verzuziehen.  Hierfür  kann  man  ein 
von  Bloch  (Basel,  Pharmazie  St.  Leonhardt)  hergestelltes  Präparat  (1  Phiole 
=  1  ,cc.m  =  1  mg  Strophantin)  oder  ein  ähnliches  von  Böhringer  (dieselbe 
Dosis)  benutzen;  beides  sind  wässerige  Lösungen.  Zur  subkutanen  Anwen¬ 
dung  ist  Strophantus  in  jeder  Form  unzweckmäßig;  höchstens  kann  bei  dem 
Kollaps  bei  1 — 4jähr.  Kindern  (z.  B.  bei  Masernpneumonie)  die  intramusku¬ 
läre  Anwendung  versucht  werden.  Die  Dosis  beträgt  von  1  Spritzenteil  = 
0,1  der  Tinktur  -j-  9  Teilstrichen  Wasser  1 — 4  Teilstriche  pro  Inj.  je  nach 
den  Jahren  des  Kindes. 

In  einer  Reihe  von  Fällen  akuter  Herzinsuffizienz  hat  dann  Engelen  zu 
intravenösen  Injektionen  von  Strophantus  gegriffen  (Präparat  Bloch),  mit 
dem  Ergebnis,  daß  er  in  dem  Mittel  auf  Grund  seiner  Beobachtungen  ein 
wertvolles  Medikament  erkannt  hat,  mit  welchem  bei  plötzlichen  Versagen  des 
Herzens  ein  sofortiger  sicherer  Erfolg  von  ausreichend  nachhaltiger  Wirk¬ 
samkeit  erzielt  werden  konnte.  R.  Stüve  (Osnabrück). 


Pyrenol  bei  Lungenemphysem  und  Asthma. 

(O.  Boellke.  Med.  Klinik,  Nr.  8,  1909.) 

Bei  den  genannten  beiden  Erkrankungen  hat  Verf.  sehr  gute  Resultate 
von  3 — 4  g  Pyrenol  (Siambenzoesäure  -j-  Thymol  -j-  Benzoesäure  Oxybenzoe- 
säure),  pro  die  in  Dosen  von  je  1  g  gesehen.  Die  subjektiven  und  objek¬ 
tiven  Erscheinungen  gingen  zurück,  Nebenerscheinungen  wurden  nicht  be¬ 
obachtet.  Buttersack  (Berlin). 


Zur  medikamentösen  Behandlung  der  Lungentuberkulose. 

(Dr.  Koch,  Freiburg  i.  B.  Therap.  Rundschau,  Nr.  7,  1909.) 

Spezifika  gegen  die  Krankheit  gibt  es  nicht,  nur  Adjuvantia.  Unter 
diesen  nimmt  der  Kampfer  die  erste  Stelle  ein.  Solange  man  dieses 
schätzbare  Medikament  nur  per  os  dem  Körper  zuführen  konnte,  war  seine 
Anwendung  in  der  Praxis  wegen  unangenehmer  Nebenwirkungen  eine  be¬ 
schränkte  und  auch  die  subkutanen  Injektionen  sind  für  den  Patienten  lästig. 
Um  nämlich  die  nötige  Quantität  dem  Körper  zuzuführen,  sind  zum  min¬ 
desten  längere  Zeit  —  Wochen  und  Monate  —  tägliche  Einspritzungen 
notwendig. 

Der  Arzt  muß  die  subkutanen  Injektionen  selbst  machen  und  Verf.  hat 
am  eigenen  Leibe  erfahren,  was  das  für  Zeit  kostet  und  hat  deshalb  teils 
aus  Zeitmangel,  teils  aus  Bequemlichkeit  die  perkutane  Kampferanwendung 
im  Prävalidin  angegeben.  Der  Effekt  ist  fast  durchgängig  der,  daß  sich 
die  Expektoration  in  den  ersten  Tagen  vermehrt,  dann  allmählich  abnimmt 
und  eventuell  bis  auf  einen  Morgenauswurf  verschwindet. 

Man  kann  daneben  den  Appetit  erhöhen  durch  Pneumin,  dreimal  täg¬ 
lich  eine  Messerspitze  nach  dem  Essen,  Tct.  Chinae  compos.  und  wie  die 
Mittel  alle  heißen.  Sehr  brauchbar  ist  auch  die  Guajakolsomatose,  bei 
der  sich  der  Nährwert  der  Somatose  mit  dem  Guajakol  in  einem 
wohlschmeckenden  Präparat  verbindet.  Ob,  wie  von  mancherlei  Seite  be¬ 
hauptet  wird,  der  Gehalt  an  Guajakol  wirklich  spezifisch  auf  die  Tuber¬ 
kulose  wirkt,  erscheint  dabei  zweifelhaft.  Die  Wirkung  aber  ist  jedenfalls 
vorhanden,  daß  das  Sputum  sich  leichter  entleeren  kann  und  daß  ein  manch- 


630 


Referate  und  Besprechungen. 


mal  geradezu  überraschender  Appetit  sich  einstellt.  Das  konnte  Verf.  nicht 
nur  bei  Tuberkulosen,  sondern  auch  gerade  bei  Leuten  mit  Bronchitis  und 
anderen  harmlosen  Erkrankungen  des  Respirationstraktus  feststellen. 

Neumann. 


Über  Pantopon, 

ein  die  Gesamtalkaloide  des  Opiums  in  leicht  löslicher  und  auch  zu  subkutaner 
Injektion  geeigneter  Form  enthaltendes  Opiumpräparat. 

(Prof.  Dr.  H.  Sahli,  Direktor  der  med.  Klinik,  Bern.  Ther.  Monatsh.,  Nr.  1,  1909.) 

Das  Bestreben,  die  Gesamtalkaloide  des  Opiums  in  praktisch  verwend¬ 
barer  Form  zu  gewinnen  und  therapeutisch  zu  verwerten,  hält  Sahli  trotz 
der  modernen  Ansichten,  nur  genau  definierbare  chemische  Körper  anzu¬ 
wenden,  für  berechtigt,  da  die  Nebenalkaloide  schwererhältlich,  noch  nicht 
genügend  erprobt,  ja  noch  nicht  (einmal  alle  bekannt  sind.  Das  offizielle 
Extract.  opii  aquosum  kann  nicht  als  ein  derartiges  Mittel  gelten,  da-  es 
eigentlich  nur  ein  ungenügend  gereinigtes  Opium  ist,  was  schon  daraus  her¬ 
vorgeht,  daß  seine  Toxizität  und  Wirksamkeit  nicht  viel  größer  ist,  wie 
die  des  Opiums.  Durch  Dr.  Schärges,  (Hoffmann,  Laroche  und  Co. 
Basel)  wurde  nun  zunächst  ein  Präparat  hergestellt,  das  die  Gesamtalkaloide 
des  Opiums  in  Form  von  weinsauren  Salzen  enthielt,  aber  den  Nachteil  hatte, 
daß  die  Lösungen  nicht  haltbar  waren.  Er  verwandte  nun  statt  der  Weinsäure 
Salzsäure,  und  so  entstand  das  als  Pantopon  bezeichnete  Präparat.  Es  ist  ein 
amorphes,  bräunliches  Pulver,  das  leicht  löslich  ist  und  bräunliche  Lösungen 
gibt,  und  reagiert  sauer.  1  g  Pantopon  entspricht  5  g  Opium  (=  0,5  g 
Morphin)  -f-  0,4  g  Nebenalkaloide  (=  0,9  g  Gesamtalkaloide).  Die  Lösungen 
können  in  Siedetemperatur  sterilisiert  werden  und  sind  durch  Zusatz  von 
5 — -10%  Alkohol  steril  zu  erhalten.  Die  Dosis  des  Pantopons  ist  etwa  doppelt 
so  groß,  wie  die  des  Morphiums.  Sahli  verwendet  eine  2%ige  Lösung,  also 
entspricht  eine  ganze  Pravazspritze  der  Normaldosis.  Innerlich  gibt  er  es 
in  Pillenform  oder  als  Pulver  oder  als  Zusatz  zu  Hustenmixturen.  Seine 
Erfolge  sind  günstig,  doch  wartet  er  noch  weitere  Beobachtungen  ab ;  vor 
allem  fragt  es  sich,  ob  die  chemische  Zusammensetzung  der  Lösung  bei 
längerem  Auf  bewahren  nicht  Veränderungen  erleidet. 

Außer  dem  Pantopon  ist  noch  ein  weiteres  Präparat,  das  Pleistopon 
hergestellt  worden,  das  die  Gesamtalkaloide  mit  Ausnahme  des  Narkotin 
enthält.  Auch  hiermit  hat  er  gute  Resultate  erzielt.  F.  Walther. 


F.  J.  Lambkin  berichtet  über  seine  Erfahrungen  mit  Soamin,  einem  neuen 
Arylarsenat.  Er  injizierte  0,4  subkutan  und  intramuskulär  jeden  3.  Tag, 
bis  die  Gesamtmenge  von  6,0  erreicht  war.  Gewöhnlich  schon  nach  8  bis 
10  Injektionen  Besserung.  Später  injizierte  er  jeden  2.  Tag  0,65  g  bis  6,5  g 
im  ganzen  erreicht  waren.  Soamin  ist  dem  Atoxyl  vorzuziehen,  ist  weniger 
giftig  als  dieses.  Innerlich  kann  es  nicht  gegeben  werden,  da  es  die  Säuren 
des  Magens  verändern.  Von  65  Luetikern,  die  im  Militärhospital  in  Rochester 
Row  behandelt  wurden,  waren  55  in  steter  Beobachtung  und  als  völlig  ge¬ 
heilt  zu  bezeichnen,  8  wurden  wegen  eines  Rezidives  zum  zweiten  Male  be¬ 
handelt. 

Nach  seiner  Anschauung  ist  das  Mittel,  frühzeitig  und  in  genügender 
Dosis  angewandt,  ein  gutes  Prophylaktikum  gegen  die  sekundären  und  ter¬ 
tiären  Erscheinungen;  insbesondere  scheint  es  auf  alle  luetischen  Ulzerationen 
einen  günstigen  Einfluß  auszuüben,  und  endlich,  ohne  das  Soamin  als  ein 
zweites  Spezifikum  gegen  Lues  anzusehen,  muß  man  betonen,  daß  cs  einen 
außerordentlich  unterstützenden  Einfluß  auf  die  phagozytische  Verteidigung 
des  Organismus  ausübt.  (Les  nouveaux  remedes,  Nr.  3,  1909.) 

v.  Schnizer  (Danzig). 


Referate  und  Besprechungen. 


631 


Diätetik. 

Wie  viel  Eiweiß  braucht  der  Mensch? 

(Alexander  Haig,  Sep.-Abdr.  aus  Med.  Press  and  Circular,  13.  Jan.  1909.) 

Die  Arbeit  ist  um  so  bedeutsamer,  als  Haig ,  dessen  Lebensarbeit  darin 
besteht,  die  Schäden  einer  Anhäufung  von  Stoffwechselprodukten  des  Ei¬ 
weißes  im  Körper  zu  erweisen,  hier  gegen  die  Richtigkeit  der  Resultate 
Chittendens  auftritt. 

Vor  Voit  nahm  man  an,  daß  der  Mensch  vom  Durchschnittsgewicht 
von  70  kg  etwa  75 — 80  g  Eiweiß  brauche,  um  auf  der  Höhe  der  Leistungs¬ 
fähigkeit  zu  bleiben.  Voit  erhöhte  diesen  Satz  auf  100  g  oder  darüber, 
und  Chittenden  will  ihn  auf  die  Hälfte  (50  g)  herabdrücken. 

So  wünschenswert  es  nun  in  diesen  schlechten  Zeiten  wäre,  daß  Chitten¬ 
den  recht  hätte,  so  kann  sich  doch  Haig  davon  nicht  überzeugen.  Er 
gründet  sein  Urteil  weniger  auf  physiologische  Versuche,  bei  denen  Fehler¬ 
quellen  reichlich  vorhanden  und  nicht  einmal  sämtlich  bekannt  sind,  als  auf 
klinische  Beobachtung.  „Vor  unseren  Augen  gehen  täglich  Hunderte  von 
Menschen  vorüber,  die  beständig  interessante  physiologische  Versuche  an  sich 
selbst  machen,  wir  brauchen  nur  die  Augen  offen  zu  halten  und  die  Resul¬ 
tate  abzulesen.“ 

Wenn  ein  normaler  Körper  weniger  Eiweiß  erhält  als  er  braucht,  so 
spart  er  zuerst,  nimmt  dann  nur  das  nötigste  von  seinen  Körpergeweben 
und  ersetzt  vielleicht  einen  Teil  des  Eiweißes  durch  Fett,  so  den  äußeren 
Umfang  behaltend,  bis  er  schließlich  zusammenbricht.  Fett  wird  leichter 
angesetzt,  wenn  die  Eiweißnahrung  spärlich  ist,  denn  bekanntlich  muß  man, 
um  Tiere  zu  mästen,  nicht  nur  die  Kohlehydrate  und  Fette  der  Nahrung 
vermehren,  sondern  auch  das  Eiweiß  vermindern. 

Zwei  Zeichen  lassen  erkennen,  daß  mangelhafte  Eiweißernährung  an¬ 
fängt,  ihre  üblen  Folgen  zu  entwickeln:  Muskelschwäche  mit  verlangsamter 
Zirkulation  und  Veränderung  des  Bluts,  schon  äußerlich  an  der  Farbe  der 
Schleimhäute  erkennbar  (Haig’s  Farbentafel  der  Schleimhäute  und  die  Be¬ 
obachtung  der  Kapillarrückflußzeit  können  dabei,  wie  Ref.  bestätigen  kann, 
gute  Dienste  leisten). 

Haig  hat  durch  30jährige  Beobachtung  gefunden,  daß  wenige  Menschen 
mit  weniger  als  1,1  g  Eiweißnahrung  auf  das  Kilogramm  Körpergewicht, 
d.  h.  mit  75 — 80  g  für  den  Menschen  von  70  kg  auf  die  Dauer  auskommen. 
Seine  Zahl  hält  also  die  Mitte  zwischen  den  Zahlen  Voit’s  und  Chitten- 
den’s  und  stimmt  mit  der  vor  Voit  angenommenen  Zahl  überein.  Für  den 
körperlich  arbeitenden  Menschen  rechnet  er  etwa  10 — 15%  mehr  Eiwei߬ 
bedarf  als  für  den  mit  sitzender  Lebensweise. 

Seine  Überzeugung  gründet  sich  auf  die  Beobachtung  zahlreicher  Indi¬ 
viduen,  die  es  versucht  haben,  mit  weniger  Eiweiß  als  1,1  g  auf  das  Kilo¬ 
gramm  Körpergewicht  zu  leben  und  die,  mit  einer  oder  zwei  zweifelhaften 
Ausnahmen,  bei  dem  Versuch  zusammenbrachen.  Er  hält  sich  deshalb  für 
berechtigt,  in  Chittenden’s  Versuchen  einen  Fehler  zu  vermuten.  Auf  zwei 
mögliche  Fehlerquellen  macht  er  aufmerksam.  Es  ist  ihm  oft  genug  vorge¬ 
kommen,  daß  Personen  behaupteten,  mit  dem  Chittenden’schen  Quantum 
auszukomlnen,  aber  die  Untersuchung  des  Urins  erwies,  daß  sie  die  von 
"  ihnen  aufgenommene  Eiweißmenge  unterschätzten.  Ferner  muß  man  bei  fetten 
Individuen  eine  Korrektur  anbringen,  um  richtige  Resultate  zu  erhalten : 
hier  ist  nicht  das  absolute  Gewicht  maßgebend,  sondern  das  Gewicht,  das 
die  Person  hatte,  ehe  sie  fett  wurde,  denn  mit  der  Eiweißnahrung  wird 
die  Muskulatur  ernährt  und  nicht  das  Fett.  Beachtet  man  das  nicht,  so 
kommt  man  zu  viel  zu  niedrigen  Sätzen  der  Eiweißnahrung. 

Wenn  also  Haig  recht  behält  und  das  ist  bei  einem  so  sorgfältigen 
und  scharfsichtigen  Beobachter  anzunehmen,  so  hat  Voit  nun  ebensoviel  zu 
weit  als  Chittenden  zu  kurz  geschossen,  und  das  Ziel  liegt  in  der  Mitte. 

Haig  schließt  mit  den  der  Beherzigung  werten  Worten:  Den  Praktikern, 
die  keine  Zeit  haben  zur  Verfolgung  der  physiologischen  Arbeiten,  bei  denen 


632 


Referate  und  Besprechungen. 


immer  einige  Grundlagen  unzuverlässig  sind,  kann  ich  nur  raten :  laßt  den 
Physiologen  reichlich  Zeit,  um  ihre  Theorien  auszuarbeiten  und  verlaßt  euch 
bis  dahin  auf  klinische  Resultate,  die  leicht  zu  erreichen  sind  und  sich  als 
zuverlässig  erwiesen  haben.  F.  von  den  Velden. 

Die  kochsalzarme  Diät  als  Heilmittel. 

(Dr.  Felix  Mendel,  Essen  a.  d.  Ruhr.  Münch,  med.  Wochenschr.,  Nr.  9  u.  10,  1909.) 

Der  Kochsalzmangel  scheint  die  hauptsächlichste  Ursache  für  die  Er¬ 
folge  der  KarelPschen  Milchkur  zu  sein.  Deshalb  hat  Mendel  dieselbe 
durch  eine  kochsalzarme  Diät  ersetzt  und  dabei  die  gleich  günstigen  Resul¬ 
tate  erzielt,  so  z.  B.  in  einem  Fall  von  Myokarditis,  wo  erst  die  Kar  eil  kur 
und  bei  einem  späteren  Anfall  wegen  Widerwillens  gegen  Milch,  die  koch¬ 
salzarme  Kost  gegeben  wurde.  Es  unterliegt  also  wohl  keinem  Zweifel, 
daß  das  Kochsalz  im  Haushalte  des  menschlichen  Organismus  eine  wichtige 
Rolle  spielt.  Aus  den  bisher  gemachten  Beobachtungen  und  Versuchen  geht 
hervor,  daß  schon  bei  normaler  Kochsalzzufuhr  die  Flüssigkeitsmenge  des 
Körpers  um  IV2 — 3  Liter  vermehrt  wird.  Wird  die  Zufuhr  vermehrt,  so 
kann  es  bei  gesunden  Nieren  zu  vermehrter  Kochsalzwasserretention  kommen, 
wird  sie  vermindert,  so  wird  das  kochsalzhaltige  Wasser  und  das  Kochsalz 
wieder  ausgeschieden.  Ist  der  Organismus  gesund,  so  verträgt  er  eine  der¬ 
artige,  von  Cohn  heim  als  hydrämische  Plethora  bezeichnete  Flüssigkeits¬ 
ansammlung  ohne  Störung.  Anders  liegen  die  Verhältnisse,  wenn  die  Gefäße, 
vor  allem  deren  Intima,  durch  lokale  oder  allgemeine  Zirkulationsstörungen 
geschädigt  sind.  Transsudation  und  Exsudation  ist  dann  die  Folge.  So  führt 
diese  Plethora  bei  parenchymatöser  Nephritis  infolge  der  Alteration  der 
Hautkapillaren  zu  Ödemen,  bei  Herzerkrankungen  wiederum  verursacht  sie 
Kreislaufswiderstände,  wodurch  die  Herzdekompensation  und  das  Auftreten 
von  Stauungsödemen  begünstigt  wird.  Ebenfalls  ungünstig  wirkt  sie  bei 
Entzündungen,  die  mit  Exsudatbildung  verknüpft  sind,  z.  B.  bei  Entzün¬ 
dungen  der  Gelenksynovia,  bei  Pleuritis  usw.,  ferner  bei  Hautkrankheiten,  bes. 
dem  Ekzem.  Finkel  st  ein  hat  als  erster  das  Ekzem  der  Kinder  durch 
kochsalzarme  Diät  bekämpft.  Es  empfiehlt  sich  also  bei  allen  auf  einer 
derartigen  Plethora  beruhenden  Störungen  die  Anwendung  dieser  Diät.  Zu¬ 
weilen  führt  erst  die  Kombination  mit  derselben  zu  einem  Erfolg,  wie  Mendel 
an  einem  Fall  schwerer  Herzdekompensation,  in  dem  Digitalis  allein  nicht 
anschlug,  zeigt.  Außer  der  Verminderung  der  Transsudate  und  Exsudate 
beschleunigt  die  Diät  auch  die  Resorption  und  Ausscheidung  dieser  Krankheits¬ 
produkte.  An  einer  Reihe  von  Krankengeschichten  liefert  er  den  Beweis 
dafür.  Zum  Schluß  gibt  er  genauere  Vorschriften  für  die  Ausführung  der 
Methode.  Mehr  wie  2 — 4  g  darf  das  Gesamtquantum  der  täglichen  Nahrung 
nicht  enthalten.  Ist  es  durchführbar,  empfiehlt  sich  daher  die  Karellkur, 
nur  bei  skrofulösen  Kindern  muß  auch  da  noch  die  Milch  entsalzt  werden. 
Bei  chronischen  Erkrankungen  beginnt  man  am  besten  mit  der  Karellkur 
und  geht  dann  zur  kochsalzarmen  Kost  über.  Die  Strauß’schen  Tabellen 
geben  eine  genaue  Übersicht  über  den  NaCl- Gehalt  der  einzelnen  Nahrungs¬ 
mittel  und  sind  daher  bei  Aufstellung  des  Speisezettels  zu  Rate  zu  ziehen. 

-  F.  Walther. 

Schmackhaftmachen  der  Milchund  Verwendung  desApfelsinderKrankenkost. 

(Aus  Zeitschr.  für  Krankenpflege,  Nr.  2,  1909.) 

Zur  Verdeckung  des  weichlichen  Geschmacks  der  in  der  Krankenpflege 
so  überaus  wichtigen  Milch  dient  außer  dem  bekannten  Kaffee-,  Tee-,  Kakao¬ 
oder  Kognakzusatz  mit  Vorteil  auch  Magne'sia  usta  (eine  Messerspitze),  Rosen¬ 
wasser,  Mandelmilch  und  besonders  Vanillezucker. 

Der  Apfel  wird  als  Mus  (Püree),  Apfelsuppe,  Apfelreis  verwandt. 
Apfelwein  mit  Zucker  und  Wasteer  dient  als  erfrischendes  Getränk.  Kranken, 
die  rohes  Obst  essen  dürfen,  wird  es  auf  einer  gläsernen  Apfelreibe  (Rummel, 
Berlin  W,  Neue  Winterfeldstr.)  fein  verteilt  gereicht,  wobei  Geschmack  und 
Aroma  völlig  erhalten  bleiben.  Esch. 


Referate  und  Besprechungen. 


633 


Röntgenologie  und  physikalische  Heilmethoden. 

Karzinom  und  Jontophorese. 

(Rud.  Eisenmenger,  Szäszväros  (Ungarn).  Zeitschr.  für  phys.  u.  diät.,  Bd.  12, 

H.  12,  S.  725—728,  1.  März  1909.) 

Zu  Eisenmenger  kam  eine  41jährige  Frau  mit  einem  Karzinomrezidiv, 
welches  l1/2  Jahre  nach  einer  vaginalen  Totalexstirpation  aufgetreten  war. 
Da  eine  Operation  aussichtslos  erschien,  versuchte  E.  folgendes  Verfahren: 
Er  legte  der  Patientin  einen  25  cm  breiten  Gürtel  aus  dünnem  Bleiblech  um 
den  Leib ;  die  einhüllenden  Gazeschichten  wurden  mit  schwach  angesäuertem, 
warmem  Wasser  getränkt  (negative  Elektrode). 

Darauf  goß  er  der  mit  dem  Becken  hochgelagerten  Patientin  ein  Gemisch 
von  Formalin,  Thymol,  Acid.  benz.,  Acid  salicyl.,  Acid.  mur.,  Alkohol  und 
Wasser,  später  Eisenchloridlösungen  durch  das  Spekulum  in  den  in  der  Vagina 
fühlbaren  Krater  und  tauchte  darein  die  sondenförmige,  mit  Watte  umgebene 
Anode,  jedoch  so,  daß  diese  selbst  nirgends  mit  dem  Gewebe  in  Berührung 
kam.  Es  wurden  nun  drei  Wochen  hindurch  täglich  15  Minuten  lang  Ströme 
von  5 — 50  (vorübergehend  sogar  100)  M.  A.  hindurchgeschickt  und  die  Prozedur 
nach  vier  Wochen  noch  einige  Male  wiederholt. 

Der  Effekt  war  ein  vollkommen  glattwandiger  Krater,  leichte,  narbige 
Resistenz,  normale  Drüsen.  Buttersack  (Berlin). 


Aus  dem  allgemeinen  Krankenhause  St.  Georg  in  Hamburg  (Prof.  Dr.  Deneke). 

Ueber  ein  neues  Verfahren  zur  Erzeugung  von  Hautreizen. 

(Dr.  Erich  Plate.  Münch,  med.  Wochenschr.,  Nr.  10,  1909.) 

Analog  der  von  der  Industrie  hergestellten  Apparate,  die  mit  Hilfe 
von  Druckluft  kleinere  Körperchen  fortschleudern,  hat  Plate  einen  solchen 
zur  Erzeugung  von  Hauthyperämien  konstruiert,  wobei  er  an  Stelle  von 
Sand,  Samenkörner  (Mohn,  Hirse,  Rübsamen)  benutzt.  Die  Konstruktion 
und  Anwendungsart  des  Apparates  ist  am  besten  im  Original,  das  mit  Ab¬ 
bildungen  versehen  ist,  nachzulesen.  Er  nennt  ihn  Grandinator  (von  grando  = 
Hagel,  wegen  des  bei  Hagelwetter  entstehenden  Hautreizes).  Durch  Auf¬ 
treffen  der  Körner  auf  die  Haut  entsteht  eine  arterielle  Hyperämie,  die  nie 
in  eine  venöse  übergeht.  Die  therapeutische  Verwendung  erstreckt  sich  auf 
Anästhesien,  Verhütung  von  Varizenbildung  (infolge  der  kontraktionserregen¬ 
den  Wirkung),  atrophische  Zustände,  Muskelrheumatismus,  Schmerzen  nach 
Quetschungen,  chronisch  entzündete  Gelenke  und  Neuralgien.  F.  Walther. 


Die  Heilgymnastik  in  der  Therapie  des  praktischen  Arztes. 

(M.  Immelmann,  Berlin.  Klin.-therap.  Wochenschr.,  Nr.  10,  1909.) 

Eine  Reihe  von  den  sonst  den  Spezialärzten  vorbehaltenen  heilgym¬ 
nastischen  Maßnahmen  kann  auch  der  praktische  Arzt  leicht  alltäglich  zur 
erfolgreichen  Anwendung  bringen.  Dahin  gehören:  I.  Massage  (Streichen, 
Reiben,  Kneten,  Erschüttern);  zu  beachten  ist  absolute  Sauberkeit  des  be¬ 
treffenden  Körperteils  des  Patienten  und  der  Hände  des  Arztes;  Lagerung 
des  Patienten  muß  derartig  sein,  daß  die  Zirkulation  der  Gewebssäfte  nicht 
behindert  ist;  Mäßigung  der  angewendeten  Gewalt  ist  zu  empfehlen,  damit 
keinesfalls  blaue  Flecke  als  Folgeerscheinung  auf  treten.  —  II.  Gymnastik ; 
a)  aktive:  Die  Bewegungen  werden  dem  Patienten  vom  Arzt  eingeübt,  er  führt 
sie  in  liegender,  sitzender  oder  stehender  Körperhaltung  aus;  b)  Widerstands¬ 
gymnastik:  entweder  setzt  der  Arzt  dem  Patienten  oder  der  Patient  dem 
Arzt  den  Bewegungswiderstand  entgegen ;  c)  passive :  die  Bewegungen  werden 
vom  Arzt  ohne  jedes  Zutun  des  Patienten  ausgeführt.  III.  Orthopädische 
Maßnahmen.  Der  beim  Tragen  orthopädischer  Stützapparate  entstehenden 
Atrophie  der  Muskulatur  muß  der  Arzt  durch  Massage  und  Gymnastik 
entgegenarbeiten.  Die  Erkrankungen,  bei  denen  der  Arzt  diese  Maßnahmen 


634 


Referate  und  Besprechungen. 


anwenden  kann,  sind:  Kontusionen  der  Haut  und  des  Unterhautzellgewebes 
und  Narbenbildungen  derselben  nach  Operationen;  Kontusionen  und  Distor¬ 
sionen  der  Gelenke,  Erkrankungen  der  Gelenkbänder,  Sehnen,  Sehnenscheiden, 
Schleimbeutel ;  Erkrankungen  der  Muskulatur,  Atrophie  derselben  nach  Krank¬ 
heiten  und  Frakturen,  sowie  Muskelrheumatismus;  Verbiegungen  der  Wirbel¬ 
säule,  die  man  durch  Massage,  Widerstandsbewegungen  und  Suspensionsapparat 
beeinflussen  kann;  Nervenerkrankungen,  speziell  Neuralgien,  z.  B.  des  Trige¬ 
minus,  des  Ischiadikus  usw.,  chronische  Herzkrankheiten,  Fettherz,  kompen¬ 
sierte  Klappenfehler;  Krankheiten  der  Verdauungsorgane,  besonders  chronische 
Obstipation.  Peters  (Eisenach). 


Aus  dem  Berliner  Ambulatorium  für  Massage. 

Massage  und  Heißluftbehandlung. 

(Kirchberg.  Med.  Klinik,  Nr.  51,  1908.) 

Zur  Zerreibung  und  Verkleinerung  fester  pathologischer  Gebilde  und 
bindegewebiger  Neubildungen  und  Verklebungen  bedient  man  sich  zweck¬ 
mäßig  einer  Kombination  der  Massage  mit  der  Heißluftbehandlung.  Während 
einerseits  die  Resorption  dadurch  beschleunigt  wird,  dient  die  aktive  Hyper- 
ämisierung  andererseits  dazu,  die  Empfindlichkeit  des  zu  behandelnden  Körper¬ 
teils  herabzusetzen.  Verf.  bedient  sich  zur  Erzeugung  der  Hyperämie  bei 
der  Behandlung  der  Affektionen  im  Gebiet  der  Extremitäten  des  Lin  d  e¬ 
in  an  n’schen  Elektro  therms  (zu  beziehen  von  J.  Schneider  in  Friedenau 
bei  Berlin)  der  elektrisch  geheizt  wird  und  von  seiner  ganzen  Grundfläche 
aus  eine  gleichmäßige,  beliebig  regulierbare  Wärme  ausstrahlt.  Man  beginnt 
namentlich  bei  empfindlichen  Patienten  mit  einer  Anfangstemperatur  von 
wenig  über  40°,  steigert  dann  allmählich  bis  auf  100°,  immer  natürlich 
unter  genauer  Beobachtung  der  individuell  sehr  verschiedenen  Empfindlich¬ 
keit,  Die  meist  besonders  empfindlichen  Zehen  müssen  ev.  durch  Watte¬ 
einpackung  geschützt  werden,  ebenso  ist  bei  Narbengewebe  besondere  Vor¬ 
sicht  am  Platze.  Ist  die  Hyperämisierung  durchgeführt,  schließt  sich  die 
gleichfalls  dem  Falle  angepaßte  Massage  an.  Dieser  kombinierten  Behand¬ 
lung  sind  mit  gutem  Endresultat  zugänglich :  Neben  veralteten  traumatischen 
Gelenkerkrankungen,  seröse  Gelenkergüsse,  auch  empfiehlt  sich  das  Verfahren 
zur  Nachbehandlung  gonorrhoischer  Gelenkprozesse,  wo  die  drohende  Muskel¬ 
atrophie  die  Massage  der  Muskulatur  unter  sorgfältiger  Schonung,  und  Un- 
berührtlassen  des  Gelenkes  selbst  erfordert,  ebenso  eignen  sich  Fingerver¬ 
steif  ungen  und  alte  Frakturen  der  Hand.  Bei  der  Behandlung  der  Neuralgien 
speziell  der  Ischias  kombiniert  K.  die  Massage  mit  der  Applikation  eines 
Heißluftstromes  aus  einer  Luftdusche.  Endlich  sind  auch  der  Muskelrheu- 
matismus  und  die  Myosititiden  ein  dankbares  Feld  für  die  Kombination 
von  Massage  und  Heißluftbehandlung  in  der  einen  oder  anderen  Form. 

Neumann. 


Aus  dem  Röntgeninstitut  des  allgemeinen  Krankenhauses  St.  Georg  in  Hamburg. 

Die  Bestimmung  der  Herzgröße  mit  besonderer  Berücksichtigung  der 
Orthophotographie  (Distanzaufnahme,  Teleröntgenographie). 

(Prof.  Albers-Schönberg.  Fortschr.  auf  dem  Gebiete  der  Röntgenstrahlen,  Bd.  12.) 

A.  mißt  die  Größe  der  Herzen  auf  zweierlei  Arten:  1.  durch  röntgeno¬ 
graphische  Aufnahme  bei  einem  Plattenröhrenabstand  von  2,50  m. 

2.  dadurch,  daß  er  den  Patienten,  der  auf  einer,  rechtwinklich  zum  Zen¬ 
tralstrahl  verschieblichen  Stelle  sitzt,  soweit  nach  rechts  und  links  bewegt, 
bis  der  Zentralstrahl  die  rechte  bez.  linke  Herzgrenze  auf  dem  Fluoreszenz¬ 
schirme  abbildet. 

Während  die  letztere  Methode  eine  Abart  der  Orthodiagraphie  dar¬ 
stellt,  die  nur  kein  besonderes  Instrumentarium  benötigt,  sondern  sich  be¬ 
quem  mit  dem  A.’schen  Blendenkasten  ausführen  läßt,  beruht  die  erste  Methode 
darauf,  daß  mit  zunehmendem  Röhrenabstand  die  röntgenographischen  Vor- 


Referate  und  Besprechungen. 


635 


Zeichnungen  immer  geringer  werden  und  bei  einem  Abstand  von  2,50  m  so 
klein  sind,  daß  sie  praktisch  nicht  in  Frage  kommen. 

Großen  Wert  legt  A.  darauf,  daß  der  Zentralstrahl  in  der  Sagittal- 
ebene  des  Körpers  vorläuft. 

Die  eingehende  Beschreibung  der  Technik  ist  am  besten  im  Originale 
nachzulesen.  Die  Distanzaufnahme  hat  vor  der  Orthodiagraphie  den  Vor¬ 
zug,  daß  bei  ihr  die  Subjektivität  des  Untersuchers  ausgeschaltet  wird. 

Hahn. 


Die  Untersuchungen  des  Magens  und  des  Darms  mit  der  Wismuth-Methode. 

(Prof.  Albers-Schönberg,  Hamburg.  Med.  Klinik.  Nr.  45,  1908.) 

Um  den  Magen  und  Darm  für  die  Röntgenuntersuchung  sichtbar  zu 
machen,  verwendet  man  Wismutsalze  und  zwar  in  der  ,  letzten  Zeit  das 
basisch -kohlensaure  Salz,  da  beim  Gebrauch  des  basisch-salpetersauren  Salzes 
durch  Abspaltung  der  Salpetersäure  Vergiftungen  aufgetreten  sind.  A.  ver¬ 
abreicht  zunächst  den  sog.  Wismutbolus,  d.  h.  2  g  Wismut  in  eine  Oblate 
gehüllt,  oder  eine  Aufschwemmung  von  15  g  Wismut  in  50  g  Wasser. 

Diese  kleine  Wismutmenge  dient  zur  Bestimmung  des  unteren  Magen- 
pols.  Um  die  Form  des  Magens  darzustellen,  wird  dem  Kranken  die  sog. 
Riecler’sche  Mahlzeit,  bestehend  aus  einem  dicken  Griesbrei,  dem  30 — 40  g 
Wismut  zugesetzt  sind,  verabreicht.  Kinder  erhalten  natürlich  wesentlich 
weniger ;  bei  ganz  kleinen  Kindern  hebt  sich  der  bloß  mit  Milch  gefüllte 
Magen  bei  der  Durchleuchtung  deutlich  ab.  Mitunter  führt  A.  zugleich 
noch  etwas  Brausepulver  ein,  wodurch  er  außerordentlich  scharfe  Kontraste 
erzielt. 

Bei  der  Untersuchung  ist  es  stets  zu  empfehlen,  die  Durchleuchtung 
mit  der  röntgenographischen  Aufnahme  zu  kombinieren,  weil  beide  Methoden 
einander  ergänzen.  Die  Durchleuchtung  führt  A.  mit  Hilfe  seines  allge¬ 
mein  bekannten  Durchleuchtungskasten  aus,  und  zwar  beim  stehenden  Patien¬ 
ten  in  sagittaler  wie  in  frontaler,  beim  liegenden  Patienten  meistens  nur  in 
sagittaler  Richtung.  Darauf  folgt  die  Untersuchung  auf  dem  Trochoskop. 
Jeder  Durchleuchtung  schließt  A.  die  Aufnahme  an.  Er  braucht  dann  nur 
den  Leuchtschirm  gegen  die  Kasette  auszuwechseln.  Um  scharfe  Bilder 
zu  erzielen,  ist  ein  gutes  Abblenden  nötig.  Für  gewisse  Fälle,  besonders 
zum  Nachweis  von  Tumoren,  wendet  A.  die  von  Goldammer  empfohlene 
Aufnahme  in  Bauchlage  an,  nur  ist  seiner  Ansicht  nach  besonderer  Wert 
auf  die  Benutzung  der  Kompressionsblende  zu  legen. 

Man  ist  imstande,  mittels  der  Röntgenuntersuchung  über  die  Form, 
Größe  und  Lage  des  Magens,  über  seine  Peristaltik,  die  Austreibungszeit 
der  Speisen,  Auskunft  zu  erhalten.  Auch  kann  man  mitunter  den  Sand¬ 
uhrmagen,  Stenosen  am  Pförtner  (sowie  auch  Tumoren  nachzuweisen.  In 
seltenen  Fällen  läßt  sich  sogar  das  Magengeschwür,  wenn  auf  der  Wundfläche 
das  rein  gegebene  Wismut  haften  geblieben  ist,  auf  der  photographischen 
Platte  deutlich  erkennen.  Hahn. 


Die  Röntgentherapie  in  der  Gynäkologie. 

(Prof.  Albers-Schönberg,  Hamburg.  Zentralbl.  für  Gyn.,  1909.) 

Zur  Technik  gynäkologischer  Röntgenbestrahlungen. 

(Prof.  Albers-Schönberg,  Hamburg.  Fortschr.  auf  dem  Gebiete  der  Röntgen¬ 
strahlen,  Bd.  12.) 

Verfasser  hat,  angeregt  durch  die  Publikation  von  Foveau  de  Cour- 
melle,  Deutsch,  Lengfelder,  Görl  und  Fraenkel  Versuche  über  Rönt¬ 
gentherapie  der  Uterusmyome  angestellt.  Es  gelang  ihm,  oft  schon  nach 
wenigen  (etwa  5)  Sitzungen,  Blutungen  und  Ausfluß  zu  beseitigen. 

Weiterhin  beobachtete  er  wesentliche  Verkleinerung  der  Myome,  Nach¬ 
lassen  des  Druckes  im  Leibe,  der  Stuhlverstopfung  und  der  Schwellungen 
der  Beine. 


636 


Bücherschau. 


Da  diese  guten  Resultate  ziemlich  schnell  auftreten,  glaubt  er  nicht, 
daß  sie  indirekt  durch  Beeinflussung  der  Eierstöcke  hervorgerufen  werden. 

Allerdings  tritt  nach  den  Bestrahlungen  eine  ziemlich  schnelle  Atrophie 
der  Eierstöcke  ein,  die  mitunter  von  Ausfallerscheinungen:  Wallungen, 
Schweißausbrüchen  begleitet  ist.  Er  empfiehlt  daher,  die  Röntgentherapie 
nur  bei  Frauen  in  der  Klimax  oder  da,  wo  eine  Totalexstirpation  in  Frage 
kommt,  anzuwenden.  Bei  Ausführung  der  Bestrahlung  ist  darauf  zu  achten, 
daß  genügend  starke  Röntgendosen  in  die  Tiefe  dringen,  ohne  daß  stärkere 
Hautreizungen,  als  Braunfärben  der  Haut  auftreten. 

Technik  der  Bestrahlung :  Der  13  Zentimeterzylinder  der  vom  Ver¬ 
fasser  eingeführten  Kompressionsblende  wird  hart  über  der  Symphyse  so 
eingestellt,  daß  seine  Achse  schräg  in  das  kleine  Becken  verläuft,  und 
dann  nach  Zwischenlagerung  eines  Luffaschwammballes  leicht  komprimiert. 
Man  ist  dadurch  imstande,  die  Därme  wegzudrücken  und  so  einesteils  eine 
Schädigung  der  Därme  zu  verhüten,  anderenteils  den  Uterus  stärker  zu  be¬ 
strahlen.  Bei  größeren  Myomen  wird  entweder  der  20-Zentimeterzy linder 
oder  der  engere  in  zwei  seitlichen  Stellungen  benutzt.  Zur  Härtung  der 
Strahlen  wird  zwischen  Zylinder  und  Haut  entweder  ein  Stück  dickes  Sohlen¬ 
leder  oder  eine  vierfache  Schicht  weichen  Ziegenleders  mit  sechsfachen  Staniol- 
zwischenlagen  gelegt.  Die  Bestrahlungen  werden  mit  einer  voll  (4—5  M.  A.) 
belasteten  harten  Beckenröhre  von  6 — 8  Waltereinheiten  bei  einer  parallelen 
Funkenstrecke  von  24  cm  ausgeführt.  Bei  Benutzung  der  Müller’schen 
Wasserkühlröhre  und  des  Snook’schen  Apparates,  erhält  A.  innerhalb  von 
6  Minuten  eine  Dosis  von  3 — 4  Kienböck’schen  Einheiten.  Er  verabreicht 
diese  oder  etwas  geringere  Strahlenmengen  (21/2  Einheiten)  zunächst  in  4  ein¬ 
anderfolgenden  Tagen,  macht  dann  14  Tage  Pause  und  läßt  dann  Serien  von 
3  kurz  nacheinanderfolgenden  Bestrahlungen  abwechselnd  mit  14  tägigen  Pausen 
folgen,  bis  der  gewünschte  Erfolg  eintritt.  Es  sind  13—23  Bestrahlungen  nötig. 

Menorrhagien  und  Dysmenorrhöen  myomatösen  oder  anderen  Ursprunges 
behandelt  Verf.  unmittelbar  nach  Schluß  der  Periode  und  kurz  vor  Beginn 
der  neuen  Periode  mit  je  4 tägig  hintereinanderfolgenden,  etwas  schwächeren 
Bestrahlungen.  (Dauer  5  Min.,  Dosis  2 1/2  Rienböck’sche  Einheiten.) 

Zur  Linderung  der  Beschwerden  genügen  8  solche  Bestrahlungen,  wäh¬ 
rend  völlige  Menopause  erst  durch  längere  Bestrahlung  zu  erzielen  ist. 

i  -  Hahn. 


Bücherschau. 


Geschichte  des  Medizinalwesens  im  Gebiete  des  ehemaligen  Königreichs 
Hannover.  Von  Dr.  med.  IT.  Deichert,  prakt.  Arzt  in  Hannover.  Ein 
Beitrag  zur  vaterländischen  Kulturgeschichte.  Verlag  der  Hahn’schen 

Buchhandlung  in  Hannover. 

Das  Werk,  welches  den  vorstehenden  Titel  trägt,  ist  gleichzeitig  der  26.  Band, 
der  vom  historischen  Verein  für  Niedersachsen  herausgegeben:  „Quellen  und  Dar¬ 
stellungen  zur  Geschichte  Niedersachsens“  (Hahn’sche  Buchhandlung,  Hannover 
und  Leipzig,  1908).  Das  mit  einer  gut  orientierenden  Inhaltsübersicht  und  mit  einem 
alphabetischem  Namenverzeichnis  ausgestattete  Werk  bildet  einen  stattlichen  Band 
von  356  Seiten  und  gliedert  sich,  abgesehen  von  einer  die  Mönchsmedizin  und  die 
ersten  weltlichen  Ärzte  behandelnden  Einleitung  in  10  Kapitel.  Dieselben 
besprechen  im  1.  Kapitel  den  Staat  und  die  Heilkunde,  wobei  anhangsweise  die 
geschichtliche  Entwicklung  der  Bezahlung  ärztlicher  Hilfe  und  deren  Regelung 
durch  den  Staat  geschildert  wird.  Das  2.  Kapitel  handelt  von  der  Chirurgie  und 
ihren  Vertretern,  das  3.  Kapitel  von  dem  Hebammenwesen  und  der  Geburtshilfe,  das 
4.  Kapitel  bespricht  das  Apothekenwesen,  das  5.  Kapitel  das  Kurpfuschertum,  welchem 
Kapitel  ein  Anhang  über  die  Homöopathie  beigegeben  ist.  Das  6.  Kapitel  schildert 
die  Geschichte  der  öffentlichen  Gesundheitspflege,  das  7.  Kapitel  die  Geschichte 
der  Seuchen,  anhangsweise  die  der  Malaria,  das  8.  Kapitel  die  Geschichte  der 
Heilquellen  und  Badeorte,  das  9.  Kapitel  die  Geschichte  des  Militärsanitätswesens, 
deren  erste  Hälfte  bis  zur  Konvention  von  Artlenburg  1803,  die  zweite  bis  zur 


Bücherschau. 


637 


Annexion  von  Preußen  1866  umfaßt.  Das  letzte  (10.)  Kapitel  behandelt  die  Geschichte 
der  fürstlichen  Leibärzte  und  zwar  zuerst  die  dieser  Ärzte  aus  älterer  Zeit  und 
deren  Rangordnung  und  sodann  die  der  Leibärzte  des  18.  und  19.  Jahrhunderts. 
Der  Verfasser  hat  sich  bestrebt,  die  für  die  Entwicklung  des  Medizinalwesens  in 
den  einzelnen  Landesteilen  Hannovers  maßgebenden  Gesichtspunkte  und  Geschehnisse 
anzuführen.  Als  Quellenmaterial  dienten  dem  Verfasser  die  in  dem  Kgl.  Staats¬ 
archiv  in  Hannover  aufbewahrten  Akten  des  ehemaligen  Königreichs  Hannover 
sowie  die  einschlägige,  in  zahlreichen  Fußnoten  unter  dem  Text  angeführte  Literatur. 
Ist  es  schon  an  und  für  sich  lehrreich,  die  historische  Entwicklung  des  Medizinal¬ 
wesens  eines  in  sich  geschlossenen  Staates  kennen  zu  lernen,  so  gewinnt  das  vor¬ 
liegende  Werk  dadurch  eine  besondere  Bedeutung,  daß  der  Verfasser  bei  seinen 
Ausführungen  nicht  nur  Vergleiche  mit  anderen  deutschen  Staaten  betreffs  der  in 
Betracht  zu  ziehenden  Verhältnisse  angestellt,  sondern  auch  die  Beziehungen  der 
früheren  mit  den  gegenwärtigen  Zuständen  des  Medizinalwesens  erörtert  hat.  Wie 
die  Inhaltsübersicht  bereits  lehrt,  enthält  das  Werk  nicht  nur  eine  Geschichte  des 
amtlichen  Medizinalwesens,  die  im  wesentlichen  in  Kapitel  6,  von  dem  der  Verfasser 
sagt,  daß  es  sehr  heterogene  Dinge  enthält,  abgehandelt  ist,  sondern  alles,  was  die 
medizinischen  Verhältnisse  im  weitesten  Sinne  des  Wortes  betrifft.  Dahin  gehört 
u.  a.  auch  die  Geschichte  des  Militärsanitätswesens  and  besonders  auch  eine  Geschichte 
der  Seuchen,  welche  Hannover  heimgesucht  haben.  Ich  will  hier  auf  Einzelheiten 
nicht  eingehen,  sondern  nur  im  allgemeinen  bemerken,  daß  das  Deichert’sche 
Werk  demgemäß  nicht  nur  für  den  beamteten  Arzt  und  für  den  ganzen  Kreis  des 
ärztlichen  Berufes,  sondern  für  die  große  Zahl  der  Allgemeingebildeten  von  erheblichem 
Wert  ist,  die  ein  Interesse  für  das  Volkswohl  und  damit  natürlich  auch  für  ihr  eigene 
Wohlergehen  haben.  Für  die  Durchführung  der  Hygiene  in  seinem  Haus  kann 
überdies  jedermann  recht  viel  aus  dem  D eich ert’schen  Buche  lernen.  Der 
Verfasser  gibt  am  Schlüsse  des  Vorwortes  an,  daß  sein  Buch  unter  den  Mühen  und 
Sorgen  der  ärztlichen  Praxis  entstanden  ist  und  glaubt  deshalb  um  Entschuldigung 
bitten  zu  sollen.  Das  hat  er  aber  nicht  nötig.  Mir  wenigstens  haben  Inhalt  und 
Form  des  Buches  ein  gleich  großes  Vergnügen  gemacht.  Ich  zweifle  nicht  daran, 
daß  das  Buch  in  den  weitesten  Kreisen  die  gebührende  Beachtung  finden  wird. 
Insbesondere  ist  es  auch  für  alle  die  unentbehrlich,  die  sich  für  die  Geschichte  der 
Medizin  interessieren.  W.  Ebstein  (Göttingen). 


Aus  der  Werkstatt  großer  Forscher.  Von  Fr.  Dannemann.  Leipzig, 

W.  Engelmann,  1908.  450  S.  6  Mk. 

Es  ist  ein  merkwürdiger  Widerspruch,  daß  in  keiner  anderen  Wissenschaft 
der  Entwicklungsgedanke  so  herrschend  geworden  ist,  wie  in  den  unter  dem  Szepter 
der  normalen  und  pathologischen  Physiologie  vereinigten  Disziplinen,  daß  aber  diese 
Wissenschaften  ihrer  eigenen  Entwicklung,  ihrer  Geschichte  kein  rechtes  Plätzchen 
gönnen  wollen.  Leute,  die  heutzutage  Sydenham,  Boerhave,  G.  E.  Stahl, 
Bi chat  lesen,  sind  selten  und  werden  am  letzten  Ende  als  Sonderlinge  betrachtet. 
Indessen,  der  Spruch:  „que  comprendre,  c’est  pardonner“  gilt  auch  hier.  Die  meisten 
haben  vor  lauter  neuen  Entdeckungen,  Ankündigungen  und  Assignaten  auf  die 
Zukunft  gar  keine  Zeit  mehr,  ihre  Wurzeln  tiefer  als  in  das  gerade  abrollende 
Kalenderjahr  oder  Dezennium  zu  treiben,  und  indem  sie  mit  Bewunderung  vor  dem 
letzten  Artikel  ihrer  Wochenschrift  erfüllt  sind,  haben  sie  den  Maßstab  zur  Bewertung 
anderer,  früherer  Leistungen  verloren.  Sie  halten  den  gerade  tonangebenden 
Professor  oder  Geheimen  Rat  für  die  Akme  der  Medizin,  sind  aber  jederzeit  bereit 
zu  rufen:  le  roi  est  mort,  vive  le  roi! 

Die  geistige  Überlegenheit  derjenigen,  die  imstande  sind,  sich  außerhalb  der 
Tagesströmungen  einen  Beobachtungsposten  zu  schaffen,  von  dem  aus  sich  das 
Heute  und  das  Früher  in  gleichen  Äbständen  darbietet,  ergiebt  sich  von  selbst. 
Sie  besteht  in  einer  Kühle  des  Urteils  und  einem  kritischen  Vermögen,  welches 
weiß,  was  geschichtlich  notwendig  ist,  und  Verirrungen  deshalb  leichter  erkennt. 
Aber  freilich,  auf  solch  einen  Standpunkt  kann  man  sich  nicht  so  ohne  weiteres 
aus  eigener  oder  fremder  Kraft  hinaufschwingen;  er  muß  als  Niederschlag  geistiger 
Erlebnisse  errungen,  erworben,  erkämpft  sein.  Man  muß  sich  in  den  Geist  der 
Geschichte  versenken,  und  da  uns  dieser  nur  in  dem  Geiste  großer  Männer  faßbar 
entgegentritt,  so  muß  man  sich  in  diese  vertiefen.  Es  genügt  nicht,  zu  wissen,  daß 
Galilei  die  Fallgesetze,  Newton  das  Gravitationsgesetz,  Franklin  den  Blitz¬ 
ableiter  und  Rob.  Mayer  das  Wärmeäquivalent  „entdeckt“  hat.  Man  muß  sich  in 
die  geistige  Werkstatt,  in  die  Assoziationsbahnen  der  großen  Forscher  begeben  und 
nachfühlend  mit  ihnen  wandeln.  Wie  scheinbar  einfach  geht  da  alles  zu!  und  wie 
wenig  geistreichen,  schwerverständlichen  Hypothesen  begegnen  wir  da! 


638 


Bücherschau. 


Da  nicht  jeder  die  Energie  besitzt,  diesen  Zweig  des  Wissens  selbstsuchend 
zu  pflegen,  so  hat  Dannemann  durch  seine  Zusammenstellung  von  Exzerpten  aus 
den  größten  Naturforschern  aller  Zeiten  das  Studium  zu  erleichtern  gesucht,  und 
ich  finde,  er  hat  dabei  eine  glückliche  Auswahl  getroffen.  Von  Aristoteles, 
Theophrast  und  Archimedes  führt  er  uns  Schritt  für  Schritt  zu  Pasteur, 
Brücke,  Hertz,  und  wenn  auch  unsere  Spezial  Wissenschaft  relativ  gering  darin 
vertreten  ist,  so  darf  das  keinen  abhalten,  das  Buch  in  die  Hand  zu  nehmen,  am 
allerwenigsten  diejenigen,  die  mit  so  viel  Emphase  die  Medizin  für  nichts  anderes 
als  eine  Naturwissenschaft  erklären. 

Gewiß  legen  viele  das  Buch  aus  der  Hand  mit  überlegenem  Lächeln  über 
diese  „überwundenen  Standpunkte“.  Solche  mögen  versichert  sein,  daß  unsere  Epigonen 
schon  in  50  Jahren  sie  ebenso  beurteilen  werden.  Wer  aber  Fühlung  mit  dem 
Geiste  der  Geschichte  gewann,  stellt  den  roten  Faden  dar,  der  sich  siegreich  durch 
die  Jahrhunderte  hindurchspinnt.  Buttersack  (Berlin). 


Die  Erziehung  zur  Arbeit  und  durch  Arbeit  als  souveränes  Mittel  der 
psychischen  Therapie.  Von  F.  C.  R.  Eschle.  Zeitschrift  für  Psycho¬ 
therapie  und  medizinische  Psychologie.  Herausgegeben  von  A.  Moll. 
Band  I,  Heft  1.  Stuttgart,  F.  Enke,  1909. 

Der  Arzt  Harith  kam  zu  einem  Kranken  und  sprach:  „Ich  und  du  und  die 
Krankheit  sind  drei.  Wenn  du  zu  mir  hältst,  so  besiegen  wir  sie;  wenn  nicht,  wirst 
du  besiegt.“  Leider  sagt  diese  in  Arnolds  Chrestomathia  arabica  erzählte  Geschichte 
nichts  Näheres  über  den  Inhalt  dieses  Bündnisses,  nichts  darüber,  was  wohl  der 
weise  Kollege  von  seinem  Patienten  verlangt  hat;  aber  daß  es  eine  Form  der  aktiven 
Betätigung  gewesen  ist,  können  wir  als  sicher  annehmen. 

Und  aktives  Mitarbeiten  im  Gegensatz  zu  den  vielen  Hydro-,  Massage,-  Licht-, 
Wärme-  usw.  Therapien,  welche  heutzutage  die  Kranken  passiv  über  sich  ergehen 
lassen,  wähnend,  ihre  Gesundheit  sei  in  einer  schottischen  Dusche  oder  in  irgend 
einer  Form  der  strahlenden  Energie  enthalten,  predigt  auch  Eschle,  der  verdienst¬ 
volle  Leiter  der  Pflegeanstalt  Sinsheim  bei  Pleidelberg.  Der  Patient  muß  arbeiten, 
nicht  im  Sinne  der  Heilgymnastik  und  Übungstherapie  oder  um  den  Stoffwechsel 
anzuregen,  sondern  die  Arbeit  soll  ihm  ein  Regulator  seiner  psychischen  Funktionen 
sein,  ein  bestimmtes  Zentrum  und  damit  eine  sichere  Basis  seiner  gesamten  Strebungen. 

Arbeit  lenkt  ab  von  Unluststimmungen,  befördert  die  sozialen  Triebe,  stärkt 
die  Energie  und  verleiht  mit  dem  Pflichtgefühl  der  ganzen  Persönlichkeit  ein 
moralisches  Rückgrat.  Man  sieht,  das  Arbeiten  steht  in  striktem  Gegensatz  zu  den 
beliebten  Zerstreuungen  und  auch  zu  den  sportlichen  Vergnügungen,  in  denen 
dermalen  viele  den  Gipfel  hygienischer  Maßregeln  erblicken;  wie  viele  Leute  gibt 
es  nicht,  die  den  Sport  mit  Fanatismus  betreiben  und  dabei  doch  im  tiefsten 
Innern  unbefriedigt,  unglücklich,  psychisch  kränkelnd  herumlaufen! 

In  welcher  Weise  der  Arzt  seinen  Schutzbefohlenen  zum  Arbeiten  erzieht, 
ist  eine  Kunst,  die  man  noch  weniger  generell  fixieren  kann  als  eine  Appendizitis¬ 
operation  oder  die  Behandlung  eines  Tuberkulösen.  Eschle’s  Ausführungen  und 
Gesichtspunke  muß  jeder  selbst  lesen  und  durchdenken. 

Ich  möchte  nur  beifügen,  daß  sich  diese  Überlegungen  auch  auf  das  Gebiet 
der  inneren  Medizin  übertragen  lassen,  und  daß  die  oft  lang  ausgedehnte  Bettruhe, 
welche  wir  aus  ängstlicher  Vorsicht  unseren  Typhus-Pnenmonie-  usw.  Kranken  zu¬ 
diktieren,  vielleicht  auch  ihre  Nachteile  hat,  indem  sie  zwar  den  Brust-  und  Bauch¬ 
organen  die  mechanische  Arbeit  erleichtert,  dafür  aber  auf  das  Organ  der  Psyche 
schwächend,  destruierend  wirkt  und  dadurch  den  Gesamtorganismus  zum  mindesten 
nicht  fördernd  beeinflußt.  Buttersack  (Berlin). 


Das  Affen-Problem.  Prof.  Ernst  HaeckeFs  neueste  gefälschte  Embryonen- 
Bilder.  Von  I)r.  A.  Braß.  Leipzig,  Biologischer  Verlag.  1  Mk. 

Braß  sucht  hier  Haeckel  die  absichtliche  Fälschung  gewisser  Embryonen¬ 
zeichnungen  nachzuweisen.  Hat  diese  Broschüre  schon  an  und  für  sich  genug  Staub 
aufgewirbelt,  so  wird  sie  am  besten 'kritisiert  durch  die  ja  auch  in  alle  Tages¬ 
zeitungen  übergegangene  Erklärung,  mit  der  gegen  50  deutsche  Anatomie-  und 
Zoologie-Professoren,  Direktoren  anatomischer  und  zoologischer  Institute  und  natur- 
historischer  Museen  dazu  Stellung  genommen  haben:  „Daß  sie  zwar  die  von  Haeckel 
in  einigen  Fällen  geübte  Art  des  Schematisierens  nicht  gutheißen,  daß  sie  aber  im 
Interesse  der  Wissenschaft  und  der  Freiheit  der  Lehre  den  von  Braß  und  dem 


Krankenpflege  und  ärztliche  Technik. 


639 


„ Keplerbunde“  gegen  Haeckel  geführten  Kampf  aufs  schärfste  verurteilen;“ 
eine  Kritik,  der  man  sich,  vor  allem  wegen  des  so  wenig  vornehmen  Stiles  und  der 
unfeinen  Form,  in  der  Braß  seinen  Kampf  gegen  Haeckel  zu  führen  sucht,  nur 
voll  und  ganz  anschließen  kann!  Werner  Wolff  (Leipzig). 


Die  Hauptpunkte  der  sexuellen  Aufklärung  nach  dem  gegenwärtigen  Stande 
ärztlicher  Erfahrung.  Von  L.  Loewenfeld.  Wiesbaden,  J.  F.  Bergmann, 

1909.  52  Seiten.  80  Pfg. 

Wenn  das  Publikum  die  große  Menge  von  Aufklärungsschriften  nur  zum 
Teil  in  sich  aufgenommen  hätte,  könnte  man  das  Thema:  sexuelle  Aufklärung 
ruhig  beiseite  stellen.  Das  Bedürfnis  scheint  aber  noch  nicht  erloschen  zu  sein, 
und  daLoewenfeld’s  Heftchen  ruhig  und  sachlich  verfaßt  ist,  so  mag  es  besonders 
hervorgehoben  sein.  Es  behandelt  kurz  die  Anatomie  des  Geschlechtsapparates, 
Onanie  und  Pollutionen,  die  Gesundheitsschädigungen,  die  Enthaltsamkeit,  den 
Präventivverkehr,  die  Menstruation  und  Schwangerschaft,  die  Libido,  die  Ehe  und 
die  Potenz. 

Indessen,  ich  glaube,  der  Kernpunkt  der  Frage  liegt  nicht  im  Wissen,  sondern 
im  Charakter  der  Menschen,  und  den  beeinflussen  Papier  und  Druckerschwärze 
nicht  nachhaltig  genug.  Buttersack  (Berlin). 


Krankenpflege  und  ärztliche  Technik. 

Neue  Elektrisiermethode  nach  Dr.  Erfurth. 

Es  ist  eine  merkwürdige  Tatsache,  daß  man  bis  in  die  neueste  Zeit 
hinein  noch  relativ  wenig  Verständnis  erlangt  hat  für  eine  Eigenschaft 
des  elektrischen  Stromes,  auf  die  Schnee,  der  Erfinder  des  Vierzellen¬ 
bades  mit  besonderer  Betonung  die  Aufmerksamkeit  zu  lenken  suchte,  nämlich 
die  Fähigkeit,  Blut-  und  Gewebsflüssigkeit  in  der  Stromrichtung  von  positiv 
zu  negativ  mit  fortzubewegen.  Die  Richtigkeit  dieser  Erscheinung  ist  durch 
ein  einfaches  Experiment  bewiesen,  das  von  Niessen  angestellt  hat:  ,,Man 
bringt  einen  Tropfen  Blut  unter  das  Deckgläschen  und  läßt  von  zwei  Seiten 
je  ein  Pinselhaar,  hineinführend  in  den  Tropfen,  mit  unterdecken.  Ver¬ 
bindet  man  diese  mit  den  beiden  Polen  des  galvanischen  Stromes,  so  werden 
die  Blutkörperchen  unter  dem  Mikroskop  in  einem  Strom  vom  positiven  zum 
negativen  Pol  fortgerissen,  als  ob  sie  innerhalb  eines  Gefäßlumens  dahin¬ 
ström  ten.  Unterbricht  man,  so  tritt  sofort  Stillstand  ein.“ 

Die  Konsequenz  der  dem  elektrischen  Strome  zukommenden  Transport¬ 
fähigkeil  ist  notwendigerweise  die:  Alle  Blut-  und  Gewebsströmung,  welche 
in  gleicher  Richtung  verläuft,  wie  der  vom  positiven  zum  negativen  Pole 
gehende  elektrische  Strom,  wird  durch  diesen  beschleunigt,  alle  in  entgegen¬ 
gesetztem  Sinne  verlaufende  Strömung  wird  durch  ihn  verlangsamt.  Man 
kann  also  dementsprechend,  wenn  man  die  Pole  an  den  Körper  gleichsinnig 
mit  der  arteriellen  Strömung  ansetzt,  diese  beschleunigen  bei  gleichzeitiger 
Stauung  des  venösen  Gebietes  und  umgekehrt,  wenn  man  die  Pole  gleich¬ 
sinnig  der  venösen  Stromrichtung  ansetzt,  diese  beschleunigen  bei  gleich¬ 
zeitiger  V erlangsamung  des  arteriellen  Stromgebietes. 

A.us  diesem  Grunde  legte  Schnee  auch  so  großen  Wert  auf  die  außer¬ 
ordentliche  Mannigfaltigkeit  der  mit  seinem  Vierzellenbad  herzustellenden 
verschiedenen  Stromrichtungen.  Er  übersah  jedoch  eine  Folgeerscheinung, 
die  sich  aus  der  Applikation  sowohl  des  positiven  als  auch  des  negativen 
Pols  an  den  Extremitäten  ergeben  muß,  nämlich  die,  daß  der  elektrische  Strom, 
wenn  er  an  den  oberen  Extremitäten  zentripetal  verläuft,  an  den  unteren 
Extremitäten  zentrifugal  verlaufen  muß  oder  umgekehrt,  während  der  Blut¬ 
strom  sowohl  des  linken  als  auch  des  rechten  Herzens  im  ganzen  Körper 
stets  entweder  zentrifugal  vom  Herzen  fort  gleichartig  nach  der  gesamten 
Peripherie  oder  zentripetal  von  der  ganzen  Oberfläche  des  Körpers  zum 
Herzen  zuströmt.  Hieraus  folgt,  daß  bei  der  Schnee’schen  Anordnung  nie- 


640 


Krankenpflege  und  ärztliche  Technik. 


mals  in  den  zur  Stromapplikation  benutzten  Extremitäten  eine  gleichzeitige 
Wirkung,  entweder  Hyperämie  oder  Anämie  im  arteriellen  oder  venösen  Strom¬ 
gebiet  erzeugt  werden  kann,  sondern  stets  beide  Wirkungen  gleichzeitig  ein- 
treten  müssen,  und  zwar  in  den  einen  Extremitäten  die  entgegengesetzte  als 
in  den  anderen.  .  * 

Von  dem  Gedanken  ausgehend,  daß  es  in  vielen  Eällen  wertvoll  ist, 
in  gleichartiger  Weise  entweder  Hyperämie  oder  Anämie  an  der  Peripherie 
zu  erzeugen,  ersetzte  Dr.  Erfurth  das  Schnee’sche  Vierzellenprinzip  durch 
eine  andere  Anordung,  mit  welcher  er  eine  allgemeine  „zentrifugale“  Elektri- 
sation  zu  erzielen  vermag.  Im  Gegensatiz  zu  Schnee  appliziert  er  nur  den 
einen  Pol  an  die  Extremitäten,  entweder  den  negativen  oder  den  positiven, 
je  nachdem  die  Peripherie  hyperämisiert  oder  anämisiert  werden  soll,  während 
der  andere  Pol  am  Rücken  angebracht  wird,  so  daß  er  die  Zentralorgane 
Herz  und  Rückenmark  trifft.  Auf  diesem  Wege  wird  eine  konstitutionelle 
Therapie  möglich,  welche  alle  vitalen  Prozesse  in  günstigem  Sinne  zu  beein¬ 
flussen  vermag. 

Die  Technik  der  Erf ur th’schen  Methode  beruht  auf  der  Herstellung 
schmiegsamer,  sich  gleichmäßig  großen  Körperflächen  adaptierender  Elektroden, 
um  den  von  Schnee  so  stark  betonten  Vorteil,  durch  große  Elektroden¬ 
flächen  die  Stromdichte  herabzusetzen  und  hierdurch  eine  größere  Elektri¬ 
zitätsmenge  schmerzlos  in  den  Körper  einführen  zu  können,  ebenfalls  nutzbar 
zu  machen.  Solche  Elektroden,  mit  Moosmasse  gefüllt,  werden  an  einem 
bequemen  Liegestuhle  muldenartig  angeordnet,  um  die  Arme  und  Beine,  wie 
in  einer  Hängematte  liegend,  aufzunehmen.  Der  Rücken  des  Patienten  preßt 
sich  in  eine  gleichartige  Elektrode  ein,  welche  auf  der  Lehne  des  Stuhles 
angeordnet  ist.  Diese  wird  mit  dem  einen  Pole  verbunden,  während  die 
anderen  vier  Elektroden  an  den  anderen  Pol  der  Stromquelle  angeschlossen 
werden.  Das  untenstehende  Bild  zeigt  die  Anordnung  des  Er  für  th’schen 
Stuhles. 


Der  Apparat  wird  von  der  Firma  Reiniger,  Gebbert  &  Schall, 
Aktiengesellschaft,  geliefert. 


Schriftleitung:  Dr.  Rigler  in  Leipzig. 

Druck  von  Emil  Herrmann  senior  in  Leipzig. 


27.  Jahrgang. 


1909. 


?ort$cbrim  der  IIHdizin. 

Unter  Mitwirkung  hervorragender  Fachmänner 

herausgegeben  von 

Professor  Dr.  6.  Köster  Priv.-Doz.  Dr.  v.  Criegern 

in  Leipzig.  in  Leipzig. 

Schriftleitung:  Dr.  Rigler  in  Leipzig. 


Nr.  17. 


Erscheint  am  10.,  20.,  30.  jeden  Monats.  Preis  halbjährlich 
6  Mark,  inkl.  Zeitschrift  für  Yersicherungsmedizin  8  Mark. 

==  Verlag  von  Georg  Thieme,  Leipzig.  = 


20.  Juni. 


Originalarbeiten  und  Sammelberichte. 

Aus  der  medizinischen  Klinik  in  Göttingen.  Direktor:  Prof.  C.  Hirsch. 

Ueber  Fieber  und  Fieberbehandlung.*) 

Von  Privatdozent  Dr.  L.  Lichtwitz,  Assistent  der  Klinik. 

Die  Vögel  und  die  Säugetiere  sind  vor  allen  andern  Lebewesen 
dadurch  ausgezeichnet,  daß  sie  eine  konstante  Temperatur  besitzen 
und  diese  trotz  erheblicher  Schwankungen  der  Außentemperatur  auf¬ 
recht  erhalten.  Die  einzige  Wärmequelle  für  alle  lebendigen  Ge¬ 
schöpfe,  die  gleichwarmen  sowohl  wie  die  wechselwarmen,  sind  die  Oxy¬ 
dationen  und  Zersetzungen,  die  sich  in  jedem  Organismus  abspielen. 
Für  die  Erhaltung  einer  gleichmäßigen  Körperwärme  ist  es  er¬ 
forderlich,  daß  die  Intensität  dieser  Prozesse  gewisser  Abstufungen 
fähig  ist  und  daß  Vorrichtungen  vorhanden  sind,  die  eine  Regulation 
der  Wärmeabgabe  gestatten.  An  der  Wärmeproduktion  sind  alle  Or¬ 
gane  nach  der  Intensität  ihres  Stoffwechsels  beteiligt.  Die  Intensität 
des  Stoffwechsels,  der  Energieveränderung,  ist  abhängig  von  der  Größe 
der  Arbeit.  Will  man  über  die  Größe  und  den  Ort  der  Wärmeproduktion 
ein  Urteil  und  einen  'Maßstab  gewinnen,  so  ist  es  notwendig,  die  Wärme¬ 
bildung  bei  vollständiger  körperlicher  Ruhe  und  in  nüchternem  Zu¬ 
stande  zu  messen.  Bei  einem  Menschen  von  70  kg  beträgt  die  Wärme¬ 
bildung  etwa  1700  Kalorien.  Nach  den  Berechnungen  von  Zuntz, 
Loewy  und  v.  Schrottes  entfallen  davon  70  Kalorien  auf  die  Herz¬ 
arbeit,  150  auf  die  Atmungsarbeit,  370  auf  die  Arbeit  der  Leber 
und  75  auf  die  der  Nieren.  Den  anderen  Drüsen  kommt  bei  Ruhe  und 
Hunger  keine  größere  Bedeutung  zu.  Der  Rest  von  1000  Kalorien 
wird  von  den  Skelettmuskeln  (mit  Ausnahme  der  Atemmuskeln)  gedeckt, 
die,  wie  aus  den  Untersuchungen  von  Ale  ade  Smith  hervorgeht,  auch 
im  Ruhezustand  eine  beträchtliche  Wärmeentwicklung  aufweisen.  Die 
Wärmebildung  steigt  mit  der  Arbeit,  die  die  einzelnen  Organe  und 
Organsysteme  leisten,  bei  Muskelarbeit  in  der  Muskulatur,  bei  der 
Verdauung  in  den  dieser  dienenden  Organen,  besonders  in  der  Leber, 
die,  wie  wir  aus  den  bekannten  Untersuchungen  von  C.  Hirsch  wissen, 
den  Ort  der  höchsten  Wärmebildung  darstellt.  Die  Steigerung  der 
Wärmeproduktion  bei  der  Tätigkeit  führt  aber  nicht  zu  einer  Erhöhung 
der  Temperatur,  weil  der  Organismus  imstande  ist,  die  Abgabe  der 
Wärme  zu  erhöhen  durch  Erweiterung  der  Hautgefäße,  durch  ver- 


*)  Nach  einer  Probevorlesung,  Göttingen  9.  12.  1908. 


41 


642 


L.  Lichtwitz, 


mehrte  Strahlung  und  Leitung  und  Verdampfung  größerer  Wasser¬ 
mengen  in  der  Lunge  und  auf  der  Haut.  Umgekehrt  vermag  der  homoi- 
otherme  Organismus  durch  eine  Einschränkung  dieser  Funktionen 
unter  Kontraktion  der  Hautgefäße  seine  Temperatur  gegen  Abkühlung 
zu  schützen  und  in  Fällen,  wo  diese  physikalische  Regulation  nicht 
ausreicht,  durch  Steigerung  seiner  Zersetzungen,  durch  chemische  Re¬ 
gulation,  seine  Wärmebildung  zu  erhöhen.  Da  der  Organismus  keine 
Organe  besitzt,  die  nur  der  Wärmeerzeugung  dienen  (wie  unsere  Öfen), 
sondern  aus  der  zur  Verfügung  stehenden  potentiellen  Energie  im 
Körper  immer  Arbeit  und  Wärme  entsteht,  so  kann  die  Steigerung 
der  Zersetzungen  und  der  Wärmeproduktion  bei  der  chemischen  Re¬ 
gulation  nicht  ohne  ein  entsprechendes  Äquivalent  von  Arbeit  erfolgen. 
Und  so  sehen  wir  in  der  Tat  —  zum  mindesten  beim  Menschen  — 
Muskelkontraktionen  auftreten.  „Es  ist“,  wie  Tiger stedt  hervorhebt, 
„unzweideutig,  daß  die  im  Dienste  der  Wärmeregulation  stattfindende 
Zunahme  des  Stoffwechsels  vor  allem  durch  kleinere  und  größere 
Muskelbewegungen  hervorgebracht  wird.“ 

Die  physikalische  und  chemische  Regulation  der  Eigenwärme  er¬ 
folgt  durch  Vermittlung  des  Zentralnervensystems.  Wir  wissen,  daß 
nach  Verletzung  des  Corpus  striatum  fast  regelmäßig  und  mitunter 
nach  Verletzung  anderer  Stellen  im  Gehirn  eine  Temperatursteigerung 
auf  tritt.  Die  Entdeckung  des  Wärmestichs  hat  dazu  geführt,  im  Cor¬ 
pus  striatum  ein  Wärmezentrum  anzunehmen,  dessen  mechanische  oder 
elektrische  Reizung  zu  einer  gesteigerten  Wärmebildung  führt.  „Dieses 
Zentrum  kann  aber“,  wie  Tiger  stedt  hervorhebt,  „nicht  das  ein¬ 
zige  sein,  da  eine  gesteigerte  Wärmebildung  von  der  gesteigerten  Tätig¬ 
keit  der  Organe  abhängt,  also  von  allen  Teilen  des  Zentralnervensystems, 
die  überhaupt  bei  den  peripheren  Organen  eine  dissimilatorische  Wir¬ 
kung  hervorrufen,  beherrscht  wird.“  Das  Zusammenwirken  verschie¬ 
dener  Organe  ist  bei  der  Wärmeregulation  ein  anderes  als  bei  der 
Atmung,  der  Brechbewegung  oder  dem  Kreislauf.  „Es  handelt  sich 
hier  nicht  um  ein  koordiniertes  wohl  abgepaßtes  Zusammenwirken 
einzelner  Organe,  sondern  die  hier  tätigen  Körperteile  werden  ,en  bloc‘ 
erregt.“ 

Die  Wärmeregulation  bedarf  daher  nicht  eines  besonderen  Zen¬ 
trums,  sondern  „die  nervösen  Zentren  der  Muskelbewegung,  der  Haut¬ 
gefäße  und  Schweißdrüsen  reagieren  bei  Temperatur  Veränderung  in 
einer  dem  Bedarf  der  Wärmeregulation  entsprechenden  Weise“. 

Ist  diese  Regulation  gestört,  so  kommt  es  zu  einer  Erhöhung  der 
Eigenwärme  des  Organismus.  Eine  solche  kann  man  künstlich  hervor¬ 
rufen  durch  Behinderung  der  Wärmeabgabe  in  einem  warmen  Bade 
oder  in  warmer  feuchter  Luft.  Hier  versucht  der  Körper  mit  seinen 
wohl  erhaltenen  physikalischen  Regulationsmechanismen  gegen  die 
Überhitzung  anzukämpfen.  Eine  chemische  Regulation  steht  ihm  hier 
nicht  zu  Gebote,  da  der  Organismus  unter  ein  bestimmtes  Mindestmaß 
der  Zersetzungen  nicht  heruntergehen  kann.  Ist  aber  die  Wärme¬ 
zufuhr  von  außen  größer  als  die  Wärmeabgabe,  so  steigen  bei  stei¬ 
gender  Temperatur  auch  die  Zersetzungen,  so  daß  dann  der  Körper 
von  außen  und  von  innen  zu  gleicher  Zeit  erwärmt  wird. 

Eine  derartige  Überhitzung  des  Körpers  durch  Steigerung  der 
Wärme bildung  bei  Muskelarbeit  und  ungünstigen  Bedingungen  der 
Wärmeabgabe  führt  zu  den  höchsten  Temperaturen,  die  beobachtet 
worden  sind  (47,6°  in  einem  letal  verlaufenen,  46,1°  in  einem  geheilten 


Ueber  Fieber  und  Fieberbehandlung.  643 

Falle,  zit.  nach  F.  March  and)  und  dem  Krankheitsbild  des  Hitz- 
schlags.  Es  ist  bemerkenswert,  daß  Rekonvaleszenten,  Indisponierte 
und  besonders  Leute  mit  labilem  Kreislauf  häufiger  und  leichter  vom 
Hitzschlag  betroffen  werden.  Das  Blut  hat  die  Aufgabe,  die  Wärme 
auszugleichen,  sie  von  den  Orten  der  gesteigerten  Erzeugung  dahin 
zu  führen,  wo  sie  nach  außen  abgegeben  werden  kann,  an  die  Lungen 
und  an  die  Haut.  Die  Wärme  des  Blutes  ist  es  auch,  die  eine  Reizung 
des  Kopfmarks  bedingt  und  beim  Hunde  zur  Polypnoe  führt,  also  die 
physikalische  Regulation  anregt.  Ist  der  Kreislauf  zu  schwach,  um 
den  Anforderungen  dieser  Regulation  zu  genügen,  so  kommt  es  zu  einer 
Wärmestauung,  unter  der,  wie  aus  dem  Auftreten  von  Delirien  und 
Benommenheit  beim  Hitzschlag  hervorgeht,  vor  allem  das  Gehirn  leidet. 

Eine  Schädigung  des  Gehirns  kann  aber  seinerseits  zu  einer  Tem¬ 
peratursteigerung  führen  und  so  einen  circulus  vitiosus  bedingen,  der 
auch  bei  schroffster  Wärmeentziehung  eine  noch  stundenlange  Über¬ 
hitzung  unterhält. 

Auch  bei  anderen  krankhaften  Prozessen  im  Gehirn  sehen  wir 
Temperatursteigerung  auf  treten,  die  in  einem  Teil  der  Fälle  infektiösen 
Ursprungs,  zu  einem  zweiten  die  Folge  von  Blutungen  oder  Gewebs- 
zertrümmerungen  ist.  Das  Auftreten  hoher  Temperaturen  bei  Krämpfen 
kann  nicht  allein  durch  die  große  Muskelarbeit  erklärt  werden, 
da  nicht  in  allen  solchen  Fällen  eine  Erhöhung  der  Eeigenwärme  ein- 
tritt,  sondern  es  muß  sich  hier  um  eine  Schädigung  der  wärmeregu¬ 
latorischen  Einrichtungen  handeln,  die  auch  isoliert  von  motorischen 
Erscheinungen,  z.  B.  als  psychogene  Temperatursteigerung  auftreten 
kann  und  augenscheinliche  Beziehungen  zu  dem  experimentellen  Wärme¬ 
stich  hat. 

In  diesem  und  in  den  künstlichen  Hyperthermien  haben  wir 
ein  ausgezeichnetes  Mittel,  um  die  Temperatursteigerung  aus  dem 
verwickelten  Komplex  des  Fiebers  und  der  Infektion  herauszulösen 
und  zu  studieren. 

Denn  gerade  die  Temperatur  Steigerung  und  die  Beobachtung  ihres 
Verlaufs  ist  es,  der  wir  am  Krankenbett  die  größte  Aufmerksamkeit 
schenken,  die  uns  ein  führendes  pathognostisches  und  klinisches  Zeichen 
ist  und  die,  wie  Naunyn  sagt,  für  Diagnose  und  Prognose  wichtiger 
ist,  als  irgend  ein  anderes  Einzelsymptom. 

Am  häufigsten  ist  das  Fieber  auf  die  Einwirkung  von  Bakterien 
oder  Protozoen  zurückzuführen.  Die  fundamentalen  Beobachtungen 
von  Wunderlich  und  seiner  Schule  haben  uns  gelehrt,  daß  fast  jeder 
Lifektionskrankheit  ein  Fiebertypus  zukommt.  Daß  an  dem  Zustande¬ 
kommen  der  typischen  Kurve  die  Spezifizität  der  Erreger  in  erster 
Linie  beteiligt  ist,  sehen  wir  vor  allem  bei  der  Malaria,  deren  Fieber¬ 
verlauf  mit  dem  Entwicklungsgang  der  Plasmodien  aufs  engste  ver¬ 
knüpft  ist.  „Beim  Typhus  abdominalis  sind  die  Temperatur  Verände¬ 
rungen  im  Verlaufe  der  Krankheit  der  Ausdruck  der  bakteriellen 
Giftwirkung  und  der  ihr  folgenden  allgemeinen  Körper-  und 
Organveränderungen“  (Curschmann).  Gerade  bei  dieser  Krankheit 
aber  sehen  wir  auch  deutlich,  daß  nicht  allein  die  Bakterien 
die  Höhe  und  den  Verlauf  des  Fiebers  bedingen,  sondern  auch  die 
Reaktionsfähigkeit  des  Organismus  in  hervorragendem  Maße  beteiligt 
ist,  daß  Kinder,  jugendliche  und  kräftige  Personen  hoch  fiebern,  wäh¬ 
rend  ältere  Leute  eine  auffallend  niedere  und  unregelmäßige  Tempe¬ 
ratur  auf  weisen.  Vergleichen  wir  damit  die  Mortalität,  die  mit  zu- 

41* 


644 


L.  Lichtwitz, 


nehmendem  Alter  rapide  steigt,  s-o  werden  wir  zu  der  Auffassung  kom¬ 
men,  daß  an  dem  Fiebertypus  neben  der  Spezifizität  der  Erreger  auch 
die  Spezifizität  gewisser  Abwehrkräfte  des  Organismus  beteiligt  ist. 

Außer  diesen  Beziehungen  zur  Immunitätsreaktion,  von  denen 
später  noch  die  Hede  sein  wird,  steht  das  Fieber  (als  Teilerscheinung 
der  Infektion)  im  engsten  Zusammenhang  mit  Störungen  des  Stoff¬ 
wechsels,  der  Zirkulation,  der  Atmung. 

Der  Stoffwechsel  im  Inf ektionsfieber  ist  seit  langer  Zeit 
im  Mittelpunkt  des  Interesses,  weil  die  Kenntnis  seiner  Größe  und 
seiner  Art  zur  Beantwortung  der  Frage :  Wie  entsteht  im  Fieber  die 
Temperatursteigerung  ?  notwendig  ist. 

Die  Erwärmung  des  Körpers  muß  durch  ein  Mißverhältnis  zwi¬ 
schen  Bildung  und  Abgabe  von  Wärme  hervorgerufen  sein. 

Zahlreiche  Untersuchungen  über  die  Wärmeproduktion  im  Fieber 
haben  ergeben,  daß  die  Gesamtoxydationen  in  einer  nicht  geringen 
Anzahl  von  Fällen,  besonders  im  Beginn  der  Erkrankung,  gesteigert 
sind.  An  dem  gesteigerten  Stoffwechsel  ist  das  Eiweiß  in  hervorragen¬ 
dem  Grade  beteiligt.  Wir  beobachten  bei  allen  fieberhaften  Prozessen 
eine  gesteigerte  Stickstoffausscheidung.  Diese  vermehrte  Stickstoff¬ 
ausscheidung  könnte  eine  Folge  der  Temperaturerhöhung  sein. 

Stoffwechseluntersuchungen  bei  künstlicher  Erwärmung  haben 
ergeben,  daß  beim  Menschen  erst  Temperaturen  über  40  Grad  einen 
vermehrten  Eiweißzerfall  zur  Folge  haben,  der  sich  durch  Kohlehydrat¬ 
zufuhr  nicht  in  demselben  Maße  einschränken  läßt,  wie  bei  normaler 
Eigenwärme  (Lins er  und  Schmidt).  Die  Temperaturerhöhung  allein 
kann  daher  nur  zu  einem  ganz  kleinen  Betrage  eine  größere  Stickstoff¬ 
ausscheidung  bedingen,  die  eine  zweite  Quelle  hat  in  dem  Zerfall  der 
entzündlichen  Exsudationen  und  eine  dritte  in  der  Inanition.  Im  Be¬ 
ginn  und  auf  der  Höhe  einer  akuten  fieberhaften  Krankheit  liegt  der 
Appetit  darnieder.  Die  Sekretion  des  Speichels  und  der  Salzsäure  ist 
vermindert.  Beim  Abdominaltyphus  sind  wir  durch  die  krankhaften 
Prozesse  im  Darm  genötigt,  eine  flüssige  und  eiweißarme  Kost  zu 
reichen. 

Da  der  Gesamtwert  der  Nahrung,  die  man  einem  Infektionskranken 
auf  der  Höhe  des  Prozesses  beibringt,  nur  etwa  1/3  des  Bedarfs  ent¬ 
spricht,  so  muß  der  Körper  von  seinem  eigenen  Bestände  zehren  und 
auch  von  seinem  Eiweiß,  so  daß  auch  diese  Verhältnisse  an  der  nega¬ 
tiven  N-Bilanz  beteiligt  sind.  Weiterhin  wissen  -wir  aus  den  Unter¬ 
suchungen  von  Kraus  und  seinen  Schülern,  daß  die  Immunitätsreaktion, 
die  Produktion  der  Antikörper,  einen  den  Eiweißbestand  stark  angrei¬ 
fenden  kostspieligen  Prozeß  darstellt.  Diese  Quote  des  Eiweißzerfalls 
hängt  eng  zusammen  mit  dem  durch  die  Infektion  selbst  bedingten 
toxischen  Eiweißabbau.  Betrachtet  man  das  Verhältnis  des  N -Stoff¬ 
wechsels  zur  Temperatur,  so  sehen  wir,  daß  andere  Prozesse,  die  einen 
vermehrten  Eiweißzerfall  zur  Folge  haben,  wie  die  Basedow’ sehe  und 
die  Banti’sche  Krankheit,  maligne  Tumoren,  Phosphorvergiftung,  doch 
nicht  zu  einer  Steigerung  der  Temperatur  führen.  Weiterhin  kann 
man  beobachten,  daß  der  Eiweißzerfall  bereits  vor  der  Temperatur¬ 
steigerung  auf  treten  kann  und  in  vielen  Fällen  das  Fieber  überdauert 
(epikritische  Harnstoffausscheidung).  Es  ist  auch  gelungen,  die  Er¬ 
scheinungen  der  Temperaturerhöhung  und  des  Eiweißzerfails  von¬ 
einander  zu  lösen.  Bei  der  Malaria  setzt  der  Eiweißzerfall  selbst  dann 


Ueber  Fieber  und  Fieberbehandlung. 


645 


ein,  wenn  die  Temper aturs te  iger  un g  unter  der  Wirkung  des  Chinins 
ausbleibt. 

Wenn  wir  aus  diesen  sicher  gestellten  Tatsachen  resümieren,  daß 
weder  die  Temperaturerhöhung  als  solche  im  wesentlichen  Grade  einen 
erhöhten  Eiweißumsatz  bedingt,  noch  daß  andererseits  ein  vermehrter 
Eiweißumsatz  zu  einer  Temperaturerhöhung  führt,  so  werden  wir 
unsere  Aufmerksamkeit  auf  die  anderen  Brennmaterialien  richten,  die 
dem  Organismus  zu  Gebote  stehen,  auf  das  Fett  und  die  Kohlehydrate. 

Was  das  Fett  betrifft,  so  ist  die  Geltung  der  ursprünglichen  Auf¬ 
fassung  von  Senator,  daß  im  Fieber  nur  Eiweiß  zersetzt  und  Fett 
sogar  zum  Ansatz  gebracht  werden  kann,  durch  die  Untersuchungen 
von  Staehelin  eingeschränkt  worden,  der  am  Surra-infizierten  Hunde 
einen  Fettabbau  beobachtete. 

Daß  das  Glykogen  im  Fieber  rasch  verschwindet,  wird  von  vielen 
Beobachtern  übereinstimmend  angegeben.  Jedoch  ist  der  Einfluß  der 
Temperatursteigerung  auf  die  Verbrennung  der  Kohlehydrate  ein 
wechselnder.  In  einer  Reihe  von  Fällen  verschwindet  beim  fiebernden 
Diabetiker  die  Zucker  ausscheidung  und  steigt  die  Toleranz  der  Kohle¬ 
hydrate,  in  anderen  aber  wirkt,  wie  Mohr  fand,  das  Fieber  gerade 
umgekehrt.  Und  auch  beim  Nichtdiabetiker  soll  im  Fieber  alimentäre 
Glykosurie  leichter  zu  erzielen  sein,  als  im  normalen  Zustande. 

Was  nun  die  Größe  der  Gesamtoxydationen  betrifft,  so  sind  die¬ 
selben,  wie  bereits  bemerkt,  in  einem  Teil  der  Fälle,  besonders  im 
Anstieg  und  auf  der  Höhe  des  Fiebers,  gesteigert,  in  andern  aber  nicht. 
Es  ist  sicher  gestellt,  daß  zwischen  der  Höhe  der  Temperatur  und  der 
Größe  des  Stoffwechsels  ein  Parallelismus  nicht  besteht  und  daß  diese 
beiden  Erscheinungen  nebeneinander  hergehen. 

Bei  dieser  Inkonstanz  hat  es  nicht  an  Stimmen  gefehlt,  die  jede 
Beziehung  zwischen  Temperatur  und  Stoffzerfall  in  Abrede  stellen 
und  die  Steigerung  der  Zersetzungen  für  die  Folge  von  Muskelbe¬ 
wegungen  halten.  Wenn  man  berücksichtigt,  daß  gerade  beim  anstei¬ 
genden  Fieber  und  speziell  im  Schüttelfrost  die  Oxydationen  am  mei¬ 
sten  gesteigert  sind,  und  daß  das  Fieber  häufig  zu  einer  motorischen 
Unruhe  und  immer  zu  größerer  Tätigkeit  der  Herz-  und  Atemmusku¬ 
latur  führt,  und  erwägt,  daß  Muskelbewegungen  die  Gesamtzersetzungen 
in  sehr  viel  höherem  Grade  steigern,  als  selbst  die  höchsten  Tempera¬ 
turen,  so  gewinnt  dieser  Einwand  an  Bedeutung. 

Wenn  also  in  dem  quantitativen  Ablauf  des  Stoffwechsels  eine 
Erklärung  der  Temperatursteigerung  nicht  gefunden  werden  kann,  so 
bietet  die  Art  des  Eiweißabbaus  im  Fieber  einige  Besonderheiten,  die 
im  kausalen  Verhältnis  zum  Fieber  stehen  könnten. 

Nach  Krehl  und  Matthe s  schlägt  die  Zerlegung  des  Eiweißes 
im  Fieber  abnorme  Bahnen  ein,  indem  es  im  Sinne  der  Hydratation 
abgebaut  wird.  Einen  genaueren  Einblick  in  diese  Verhältnisse  gewährt 
die  Tatsache,  daß  im  Fieber  der  Schwefel  viel  schneller  ausgeschieden 
wird  als  der  Harnstoff.  Da  sich  trotzdem  in  dem  Blute  und  den  Or¬ 
ganen  des  Fieberkranken  ein  vermehrter  Harnstoff gehalt  nicht  findet 
(Naunyn),  so  besteht  die  Auffassung  Liebermeisters,  daß  im  Fieber 
die  Vorstufen  des  Harnstoffs  längere  Zeit  im  Körper  bleiben,  zu  Recht. 
In  der  Tat  finden  wir  ja  nicht  nur  im  Fieberurin  Albumosen  und  Amino¬ 
säuren,  vermehrte  Mengen  von  Harnsäure  und  Kreatinin,  sondern  Kraus 
fiat  auch  im  Blut  von  Typhuskranken  und  Pneumonikern  Albumosen 
nachweisen  können.  Da  man  nun  durch  Einspritzung  von  Albumosen 


646  Richard  Blum,  Die  Behandlung  der  Gebärmutterblutungen  mit  Styptol. 


Temperatursteigerung  hervorrufen  kann,  so  lag  es  nahe,  diese  pyre- 
togenen  Stoffe  mit  dem  Fieber  in  einen  kausalen  Zusammenhang  zu 
bringen.  Man  müßte  dann  annehmen,  daß  die  Albumosen  oder  andere 
Stoffe,  die  bei  der  Zerstörung  der  Körperzellen  frei  werden,  einen 
chemischen  Reiz  auf  das  Wärmezentrum  ausüben,  wie  der  Wärme¬ 
stich  einen  physikalischen  ausübt.  Dieser  Versuch  einer  Erklärung 
reicht  aber  in  keiner  Weise  aus,  da  wir  auch  bei  anderen  krankhaften 
Zuständen,  die  gewöhnlich  ohne  Fieber  verlaufen,  Albumosen  im  Blute 
finden,  z.  B.  bei  der  Leukämie,  und  weil  ebensowenig  wie  die  Stei¬ 
gerung  der  Oxydation  überhaupt  die  zentrale  Anregung  dieser  Stei¬ 
gerung  sicher  ist.  Krehl  und  Soetbeer  haben  gezeigt,  daß  auch  beim 
Kaltblüter,  bei  dem  jede  nervöse  Beeinflussung  des  Stoffwechsels  fehlt, 
die  Intensität  der  V erbrennungsprozesse  durch  eine  Infektion  gestei¬ 
gert  wird.  (Schluß  folgt.) 


Die  Behandlung  von  Gebärmutterblutungen  mit  Styptol. 

Von  Dr.  Richard  Blum,  Berlin. 

Die  Behandlung  der  Gebärmutterblutungen  hat  in  den  letzten 
Jahren  insofern  einen  gewissen  Fortschritt  erfahren,  als  die  konser¬ 
vative  Behandlung  viel  stärker  in  den  V ordergrund  gerückt  ist.  J a 
man  kann  überhaupt  lokale  Maßnahmen  wie  Tamponaden  vielfach  ver¬ 
meiden,  seitdem  man  die  Wirkung  der  innerlich  anzuwendenden  Hämosta- 
tika  besser  kennen  gelernt  hat.  Der  große  Vorzug,  den  ein  sicher 
wirkendes  und  dabei  unschädliches  internes  Mittel  bei  Gebärmutter¬ 
blutungen  besitzt,  liegt  auf  der  Hand.  In  dieser  Hinsicht  genügten 
aber  gerade  die  seit  alters  her  benutzten  Mutterkornpräparate  durch¬ 
aus  nicht,  weil  sie,  abgesehen  von  unerwünschten  Nebenwirkungen, 
ungenügend  haltbar  waren  und  deshalb  ihre  Wirkung  oft  völlig  ver¬ 
sagte.  Auch  die  eine  Zeitlang  so  viel  benützte  Tinktura  Hydrastis  war 
nicht  konstant  in  der  Wirkung  und  verursachte  sehr  häufig  Magen¬ 
beschwerden.  Ein  Präparat,  welches  den  notwendigerweise  zu  stellenden 
Anforderungen  von  Konstanz  des  wirksamen  Prinzips  und  Fehlen  unlieb¬ 
samer  Nebenwirkungen  entsprach,  wurde  nun  vor  einigen  Jahren  in 
dem  phtalsauren  Salz  des  Cotarnins  auf  gefunden  und  unter  dem  Namen 
Styptol  in  die  Therapie  eingeführt.  Trotzdem  das  Styptol  von  ver¬ 
schiedenen  Seiten  in  der  Literatur  warm  empfohlen  worden  ist,  scheint 
es  doch  vom  praktischen  Arzte  bisher  nicht  so  beachtet  worden  zu 
sein,  wie  es  dieses  Mittel  verdient.  Ich  möchte  deshalb  durch  die  kurze 
Mitteilung  meiner  Erfahrungen  zu  weiterer  Verwendung  des  Mittels 
anregen. 

Ich  habe  das  Styptol  in  einer  großen  Anzahl  von  Fällen  angewandt 
und  durchweg  die  stark  blutstillende  Wirkung  des  Mittels  beobachten 
können.  Das  Styptol  wird  bekanntlich  in  verzuckerten  Tabletten  zu 
0,05  g  verordnet  (ein  Röhrchen  mit  20  Tabletten  kostet  1  Mark). 

Schon  bei  der  relativ  geringen  Dosis  von  viermal  täglich  einer 
Tablette  tritt  meistenteils  die  Wirkung  ein.  Man  kann  aber  auch 
aufs  Doppelte  und  Dreifache  dieser  Dosis  gehen,  ohne  daß  üble  Neben¬ 
wirkungen  beobachtet  werden,  wie  ich  mich  in  einem  Falle  überzeugen 
konnte,  wo  eine  Patientin  statt  der  gewöhnlichen  Dosis  versehentlich 
das  Vierfache  nahm.  Die  hohen  Dosen  von  dreimal  täglich  drei  Tab¬ 
letten  wurden  besonders  von  Jacoby  bei  schweren  Fällen  von  Dysmenor¬ 
rhöe  angewandt.  Bei  der  geringen  Giftigkeit  des  Mittels  sind  jeden- 


Berliner  Brief. 


647 


falls  ganz  unbedenklich  hohe  Dosen  zu  geben,  wenn  die  gewöhnlichen 
niedrigen  Dosen  nicht  wirksam  genug  sind.  Nur  in  einem  einzigen 
Falle  habe  ich  eine  Idiosynkrasie  gegen  Styptol  feststellen  können, 
indem  die  Patientin  wiederholt  erbrach.  Man  kann  Styptol  ganz 
allgemein  bei  den  verschiedensten  Arten  von  Uterusblutungen  be¬ 
nutzen,  bei  denen  ein  internes  Mittel  überhaupt  zu  versuchen  ist. 
Bei  Aborten  und  nach  Abrasio  mucosae  habe  ich  es  in  über  50  Fällen 
mit  Erfolg  angewandt.  Sehr  zu  empfehlen  ist  Styptol  bei  den  starken 
Menorrhagien  anämischer  Mädchen  und  junger  Frauen,  bei  denen  sich 
anatomisch-pathologische  Veränderungen  meist  nicht  konstatieren  lassen. 
Ferner  habe  ich  bei  Endometritis  ebenso  wie  bei  Myomblutungen  gute 
Erfolge  gesehen.  Endlich  möchte  ich  noch  auf  die  sedative  Wirkung 
des  Mittels  aufmerksam  machen,  die  besonders  bei  der  Verabreichung 
größerer  Dosen  hervortritt.  Durch  diese  Eigenschaft  leistet  Styptol 
zur  Behandlung  der  verschiedenen  dysmenorrhoischen  Beschwerden  die 
besten  Dienste.  Besonders  bei  länger  fortgesetzter  Anwendung  kleiner 
Dosen,  wie  sie  Abel,  von  Elischer  und  Jaeoby  empfahlen,  erreicht 
man  es  leicht,  daß  die  Beschwerden  ganz  ausbleiben  und  die  Menses 
normal  werden. 


Berliner  Brief. 

Im  Verein  für  innere  Medizin  erstattete  Kraus  ein  Referat 
über  die  Methoden  zur  Bestimmung  des  Blutdrucks  am  Lebenden  und 
ihre  Bedeutung  für  die  Praxis.  Die  Methoden,  die  sich  in  der  Praxis 
am  besten  bewährt  haben,  sind  die  Methoden  des  völligen  Verschlusses 
von  Vierordt  und  die  Methode  der  entspannten  Arterienwand  von 
Marey.  Vielleicht  erlangt  auch  die  Sahli’ sehe  Sphygmobolometrie, 
welche  die  vom  Puls  geleistete  Arbeit  mißt,  eine  klinische  Bedeutung. 
Die  zweckmäßigsten  Apparate  für  die  Praxis  sind  die  von  v.  Reckling¬ 
hausen  und  Ushoff,  von  denen  der  erste  die  Blutdruckwerte  auf 
Wasser,  der  letztere  auf  Quecksilber  berechnet.  Der  praktische  Wert 
der  Blutdruckmessung  ist  dadurch  gegeben,  daß  das  Pulsfühlen  nur 
eine  subjektive  Methode  ist,  die  sich  vorwiegend  nur  auf  die  Druck¬ 
schwankung  stützt.  Bevor  man  aus  einer  bestehenden  Hyper-  oder 
Hypotonie  irgend  welche  Schlüsse  zieht,  muß  man  natürlich  öfter 
wiederholte  Messungen  vornehmen  und  auf  etwaige  Änderungen  des 
Verhaltens  achten.  Dauernde  Hypertonien  findet  man  bei  indurativer 
Nephritis,  im  Frühstadium  der  Arteriosklerose,  bei  Hyperglobulie,  mit¬ 
unter  bei  Morbus  Basedowii ;  vorübergehend  tritt  sie  auf  bei  Muskel¬ 
arbeit,  Schmerz,  tabischen  Krisen,  neurasthenischen  Darmerkrankungen, 
Angina  pectoris,  bestimmten  Intoxikationen  und  Medikationen,  so  nach 
kohlensauren  Bädern.  Hypotonie  tritt  auf:  dauernd  bei  Herzkrank¬ 
heiten  und  Morbus  Addisonii,  vorübergehend  bei  Kollaps  und  bei 
gewissen  vasomotorischen  Neurasthenikern. 

Aus  der  Blutdruckmessung  allein  kann  man  jedoch  kein  Urteil 
über  die  jeweilige  Leistungsfähigkeit  des  Kreislaufes  gewinnen.  Dazu 
bedarf  es  auch  noch  der  Messung  der  Strömungsgeschwindigkeit,  die 
man  am  besten  mittels  der  Flammentachographie  von  v.  Kries  vor¬ 
nimmt.  Pie  sch  hat  eine  ausgezeichnete  Methode  ersonnen,  mit  der  es 
gelingt,  bei  jedem  Kranken  ohne  besondere  Schwierigkeiten  Aufschluß 
zu  erlangen  über  die  Größe  des  Minuten-  bezw.  des  Schlagvolumens. 
Das  Verfahren  Plesch’s  erfordert  die  Bestimmung  der  Gesamtsauer- 


648 


Berliner  Brief. 


stoffbindefähigkeit  des  Blutes,  des  Sauerstoff  Verbrauches  pro  Minute 
nach  Zuntz-Goeppert  und  des  Sauerstoff-  bezw.  Kohlensäuregehaltes 
des  Venenblutes  der  rechten  Kammer.  Auf  die  letzteren  Größen  wird 
geschlossen  aus  der  Spannung  derjenigen  Luft,  welche  mit  dem  Blut 
des  rechten  Herzens  Gleichgewicht  hält.  Das  Spannungsgleichgewicht 
wird  hergestellt  mit  dem  Gasinhalt  eines  Respirationssackes,  welcher 
gewissermaßen  einen  vergrößerten  Alveolus  darstellt.  Mit  Hilfe  dieser 
Methode  ist  es  bereits  gelungen,  den  Nachweis  zu  führen,  daß  der 
Sauerstoffverbrauch  bei  schweren  Anämien  nicht  vermindert  ist,  die 
Herabsetzung  der  Hämoglobinmenge  wird  durch  V ermehrung  des  Schlag¬ 
volumens  ausgeglichen. 

Im  Anschluß  an  den  Vortrag  von  Kraus  setzt  Pie  sch  seine 
Methode  ausführlich  auseinander. 

Über  die  klinische  Bedeutung  der  Serodiagnostik  der 
Syphilis  sprachen  Fritz  Besser  und  Blascbko.  Nach  des  ersteren 
Erfahrung  tritt  niemals  positive  Reaktion  auf,  ohne  daß  nicht  Syphilis 
oder  begründeter  Verdacht  auf  Syphilis  vorliegt.  Die  wenigen  Fälle 
von  Scharlach,  bei  denen  man  eine  positive  Reaktion  beobachtet  haben 
will,  kommen  nicht  in  Betracht.  Die  negative  Reaktion  spricht  nicht 
gegen  Syphilis  und  läßt  nur  einen  Wahrscheinlichkeitsschluß  zu.  Zu 
beachten  ist  jedoch  dabei,  daß  selbst  in  den  Fällen  von  hereditärer 
Lues  die  Reaktion  fast  stets  positiv  ist  und  das  erste  Jahrzehnt  über¬ 
dauert.  Ebenso  ist  bei  Verdacht  auf  Paralyse  die  Reaktion  fast  stets 
eine  positive;  ist  sie  es  nicht,  so  kann  man  den  Verdacht  ruhig  fallen 
lassen.  Zur  Differentialdiagnose  zwischen  Ulcus  durum  und  Ulcus  molle 
ist  die  Reaktion  ungeeignet ;  nur  in  ganz  seltenen  Fällen  ist  die  Reaktion 
schon  vor  dem  manifesten  Primäraffekt  positiv.  Der  Spirochätenbefund 
gibt  hier  besseren  Aufschluß.  Es  hat  sich  nun  gezeigt,  daß  selbst 
eine  frühzeitige  Exstirpation  eines  durch  Spirochäten  bestätigten  Primär¬ 
affektes  den  Ausbruch  einer  konstitutionellen  Syphilis  nicht  verhindern 
kann;  tritt  sie  nicht  auf,  so  muß  erst  die  Serumreaktion  den  Nachweis 
liefern,  daß  nicht  etwa  eine  latente  Syphilis  besteht.  Bei  Paralyse 
hat  L.  stets  eine  positive  Reaktion  gefunden ;  bei  Tabes  fand  er  nur 
in  56°/0  der  Fälle  positive  Reaktion;  das  führt  er  darauf  zurück, 
daß  bei  dem  sehr  chronischen  Verlauf  der  Tabes  die  Syphilis  im  Laufe 
der  Zeit  zur  Ausheilung  gekommen  sein  kann.  Denn  bei  frischen 
Tabesfällen  ist  die  Reaktion  in  7 5 °/0  der  Fälle  positiv  gewesen,  und 
zwar  wurde  Lues  in  45  Fällen  =  74°/ 0  zugegeben,  in  16  Fällen  negiert; 
von  diesen  16  Fällen  war  aber  13  mal  die  Serumreaktion  positiv.  Daher 
schließt  L.,  daß  alle  Fälle  von  Tabes,  in  denen  ein  Trauma  ursächlich 
nicht  in  Betracht  kommt,  syphilitischen  Ursprungs  sind.  Und  zwar 
sind  Tabes  und  Paralyse  syphilitische  Erkrankungen  in  dem  Sinne, 
daß  sich  ein  syphilitischer  Prozeß  in  den  Meningen  abspielt,  der  sekun¬ 
där  zur  Degeneration  von  Nervenbahnen  führt. 

In  35%  der  Fälle  gelingt  es  mit  der  bisher  als  Norm  angegebenen 
Kur  die  positive  Reaktion  zum  Schwinden  zu  bringen;  mitunter  genügt 
dann  auch  Jodkalium  allein.  Man  kann  meist,  ohne  dem  Kranken 
irgend  welche  Beschwerden  zu  verursachen,  die  Kur  bis  zum  Ver¬ 
schwinden  der  Reaktion  fort  setzen.  Nicht  gelingt  dies  bei  hereditärer 
Lues,  weil  sich  bei  den  Kindern  so  energische  Kuren  verbieten;  er¬ 
schwert  wird  die  Kur  durch  reichlichen  Alkoholgenuß.  Da  sich  ge¬ 
zeigt  hat,  daß  bei  positiver  Reaktion  das  Virus  noch  aktiv  ist,  so 
bedeutet  die  Reaktion  für  die  Therapie  den  Fortschritt,  daß  sie  erstens 


Berliner  Brief. 


649 


anzeigt,  ob  wir  während  eines  Latenzstadiums  behandeln  müssen ; 
zweitens,  wie  lange  wir  die  begonnene  Kur  fortzusetzen  haben. 

Aus  dem  das  gleiche  Thema  behandelnden  Vortrag  Blaschko’s 
will  ich  hervorheben,  daß  er  eine,  allerdings  nur  kleine  Zahl  von 
Fällen  beobachtet  hat,  bei  denen  trotz  klinisch  unleugbarer  Syphilis 
die  Reaktion  negativ  war.  Allerdings  waren  dies  auch  niemals  Fälle 
mit  ausgedehnten  Krankheitssymptomen.  Vielmehr  handelte  es  sich  ent¬ 
weder  um  isolierte  Papeln,  Plaques  oder  Ulcera  der  Haut  oder  Schleim¬ 
haut,  ferner  um  die  vorgeschrittenen  Fälle  von  Tabes  und  Hirnsyphilis, 
ganz  besonders  aber  fehlte  die  Reaktion  bei  ganz  ausgesprochenen  syphi¬ 
litischen  Knochenerkrankungen  (gummösen  Erkrankungen,  Exostosen). 
Auch  B.  sah  unter  Quecksilberbehandlung  die  Reaktion  schwinden.  In 
der  großen  Mehrzahl  ist  das  Verschwinden  der  Reaktion  nur  vorüber¬ 
gehend,  besonders  in  den  Frühfällen;  bei  den  Spätfällen  scheint  die 
Einwirkung  eine  nachhaltigere  zu  sein.  Wenn  wir  trotz  geringer  mani¬ 
fester  Erscheinungen  stark  positive  Reaktion  oder  noch  mehr,  trotz 
fehlender  Symptome,  positive  Reaktion  haben,  so  müssen  wir  behan¬ 
deln,  da  anzunehmen  ist,  daß  es  sich  hier  um  irgendwelche  nicht  nach¬ 
weisbare  Organerkrankungen  handelt.  Nach  Möglichkeit  soll  jede  Kur 
fortgesetzt  werden,  bis  die  Reaktion  verschwindet,  doch  ist  auf  All¬ 
gemeinbefinden  und  Toleranz  gegen  Hg  Rücksicht  zu  nehmen.  Jeden¬ 
falls  muß  man  bei  positiver  Reaktion  stets  die  Behandlung  einleiten. 

Prognostisch  ist  die  Reaktion  für  die  frischen  Fälle  in  den  ersten 
drei  Jahren  ohne  Bedeutung,  bei  den  Spätformen  können  wdr  wohl 
bei  dauernder  negativer  Reaktion  annehmen,  daß,  wenn  auch  nicht 
jegliche  Rezidive,  so  doch  wenigstens  die  schleichende  Entwicklung 
ausgedehnter  Organerkrankungen  ausgeschlossen  ist. 

In  der  diesen  Vorträgen  folgenden  sehr  lebhaften  Diskussion 
stimmen  alle  Autoren  über  den  diagnostischen  Wert  der  Reaktion,  ins¬ 
besondere  der  positiven,  überein.  Die  prognostische  Bedeutung,  die  ihr 
Blaschko  geben  will,  wird  allerdings  angez  weif  eit.  In  bezug  auf 
die  Therapie  hält  es  insbesondere  Bruhns  nicht  für  unbedenklich, 
sich  in  seinem  Handeln  durch  die  Reaktion  beeinflussen  zu  lassen. 
Fortsetzung  einer  Kur  bis  zur  Erzielung  einer  negativen  Reaktion 
könnte  leicht  Quecksilberintoxikation  zur  Folge  haben ;  ebenso  sollen 
wir  uns  nicht  durch  den  Ausfall  der  Seroreaktion  allein  von  unseren 
bewährten  Prinzipien  der  Behandlung  abbringen  lassen,  d.  h.  wir  sollen 
nicht  bei  negativer  Reaktion  Kuren  unterlassen,  die  wir  sonst  vor¬ 
genommen  hätten  oder  bei  positivem  Ausfall  ohne  sonstige  Symptome 
immer  wieder  Kuren  einleiten,  die  wir  sonst  nicht  vorgenommen  hätten. 

His  sprach  im  gleichen  Verein  über  Gicht  und  Rheumatismus. 
Vortragender  glaubt  nicht,  daß  das  Wesen  der  Gicht  allein,  wie  es 
nach  den  neuesten  Forschungen  behauptet  wird,  eine  Störung  des  Purin¬ 
stoffwechsels  ist.  ,Wir  begegnen  bei  der  Gicht  häufig  Symptomen¬ 
gruppen,  die  mit  der  Harnsäure  in  keiner  Beziehung  stehen :  Dyspepsien, 
Dermatosen,  Myalgien,  Neuralgien,  Arteriosklerose.  Das  spricht  dafür, 
daß  der  gestörte  Purinstoffwechsel  nur  ein  Symptom  einer  allgemeinen 
Störung  und  nicht  das  eigentliche  Wesen  der  Krankheit  ausmacht. 
Die  Gicht  ist  eine  Konstitutionskrankheit.  Vortragender  glaubt,  daß 
dieser  Begriff  klinisch  bisher  noch  nicht  ganz  verlassen  werden  kann ; 
ebenso  wie  wir  auch  jetzt  wieder  von  „Diathese“  sprechen.  Auch 
dem  Sammelbegriff  des  „Arthritisme“  der  Franzosen  liegt  manchem 
Tatsächliche  zugrunde. 


650 


Berliner  Brief. 


Die  chronischen  Arthritiden  teilt  H.  in  Übereinstimmung  mit 
Hoffer  und  Wollenberg  ein  in  1.  sekundären  chronischen  Gelenk¬ 
rheumatismus,  2.  chronische  progressive  Polyarthritis  (allmählich,  meist 
an  Finger-  oder  Zehengelenken  beginnend),  3.  Mono-  und  Oligarthritis 
deformans  (Senium  oder  Trauma),  4.  ankylosierende  Wirbelsäulenverstei¬ 
fungen,  5.  Heberden’sche  Knoten.  Anatomisch  unterscheidet  man 
die  Formen,  die  mit  einer  Degeneration  des  Knorpels  beginnen,  die  Ge¬ 
lenkkapsel  nur  sekundär  befallen,  und  diejenigen,  welche  mit  Entzün¬ 
dungen  der  Synovialis  beginnen  und  den  Knorpel  erst  nachträglich 
verändern.  Ätiologisch  kommen  in  Betracht:  Traumen,  Blutungen, 
Entzündungen,  Tuberkulose,  Osteomyelitiden;  ferner  der  akute  Gelenk¬ 
rheumatismus  als  Ursache  der  oben  sub  1  erwähnten  Form  und  andere 
Infektionskrankheiten,  wie  Scharlach,  Erysipel,  Sepsis,  Tuberkulose, 
Gonorrhöe,  Lues.  Eine  beträchtliche  Gruppe  erweckt  den  Anschein 
einer  Infektionskrankheit,  doch  sind  ihre  Bakterienfunde  bisher  nicht 
einheitlich.  Bei  einer  Anzahl  von  Fällen  bleibt  die  Ätiologie  noch 
dunkel,  so  bei  den  Heberden’schen  Knoten. 

H.  geht  dann  auf  pathologisch-anatomische  Untersuchungen  ein, 
die  er  gemeinsam  mit  Beitzke  vorgenommen.  Es  wurden  bei  62  Leichen, 
die  Knorpelveränderungen  aufwiesen,  ohne  daß  sie  zu  Lebzeiten  arthri- 
tisch  erkrankt  waren,  Auffaserung  der  Knorpelgrundsubstanz  gefunden 
wie  beim  Anfangsstadium  einer  deformierenden  Arthritis.  Es  ergab 
sich  aber,  daß  die  Personen  nicht,  wie  H.  erwartet  hatte,  an  konstitu¬ 
tionellen  Leiden,  sondern  an  ganz  verschiedenen  Erkrankungen  gestorben 
waren,  er  nimmt  somit  an,  daß  es  sich  hier  um  Ernährungsschädigungen 
handelt.  Ferner  prüfte  er,  ob  der  Purinstoffwechsel  auch  bei  Kranken 
mit  „Arthritisme“  gestört  sei,  mit  dem  Resultat,  daß  diese  Störung 
diesen  Erkrankungen  nicht  zukommt,  sondern  nur  der  echten  Gicht 
eigentümlich  ist. 

In  der  Diskussion  zu  diesem  Vortrag  versucht  zunächst  Immel- 
mann  nachzuweisen,  daß  es  durch  Röntgogramme  gelingen  kann,  die 
Differentialdiagnose  zwischen  Rheumatismus,  Gicht,  Arthritis  defor¬ 
mans  und  Tuberkulose  zu  stellen.  Goldscheider  glaubt,  daß  für  die 
Diagnostik  die  klinischen  Symptome  trotz  der  Ergebnisse  der  Stoff¬ 
wechseluntersuchungen  an  Bedeutung  nichts  eingebüßt  hätten.  G.  führt 
eine  diagnostisch  wichtige  Reihe  von  Symptomen  näher  an ;  hier  will 
ich  nur  erwähnen,  daß  er  insbesondere  auf  den  Tophus  am  Schleim- 
beutel  des  Olecranons  aufmerksam  macht,  der  viel  häufiger  sein  soll 
als  die  Gichtknoten  an  den  Ohrmuscheln.  Fürbringer  hält  in  Über¬ 
einstimmung  mit  His  den  gestörten  Purinstoffwechsel  nicht  für  das 
Wesen  der  Gicht,  sondern  nur  für  ein  Symptom.  Weiß -Homburg 
hält  die  verschleppte  und  bei  manchen  Gicht ikern  direkt  verminderte 
U-Ausscheidung  bei  stark  purinhaltiger  Nahrung  nach  vorhergehender 
purinfreier  Diät  für  pathognomonisch  und  differentialdiagnostisch 
gegenüber  Polyarthritis  von  größter  Bedeutung.  Magnus -Le  vy  weist 
auf  das  für  Gicht  typische  Knirschen  hin,  das  man  besonders  in  den 
Kniegelenken  fühlen  kann.  Posner  geht  näher  auf  die  Dupuytren- 
sche  Kontraktur  ein,  deren  Zusammenhang  mit  Gicht  wohl  jetzt  fest¬ 
steht,  sie  kommt  häufig  zusammen  mit  einer  Induratio  plastica  penis  vor. 

— r. 


S.  Leo,  Wiener  Brief. 


651 


Wiener  Brief. 

Ein  Sammelbericht.  —  Von  Dr.  S.  Leo. 

Als  Antrittsvorlesung  wählte  sich  Alfons  v.  Rosthorn,  der 
Nachfolger  Chrobak’s,  das  Thema:  Die  klinische  Beurteilung 
des  Schmerzes.  Nachdem  er  eingangs  die  verschiedenen  Theorien 
über  das  Schmerzproblem  gestreift  hatte,  weist  er  auf  die  Worte 
Dubois  in  seinem  Werke  über  Psychoneurosen  hin:  ,,Jede  Empfin¬ 
dung  ist  eine  psychische  Tatsache.  Was  an  der  durch  einen  Nadel¬ 
stich  erzeugten  Schmerzempfindung  physisch  ist,  das  ist  die  Ver¬ 
letzung,  die  Erregung  der  Endapparate  der  sensiblen  Nerven;  was 
daran  physikalisch  ist,  das  ist  die  Transmission  der  Nerven  Vibra¬ 
tionen  den  Nervenstämmen  entlang,  die  eine  Geschwindigkeit  von 
30  m  in  der  Sekunde  erreicht ;  was  daran  psychisch  ist,  das  ist  die 
Empfindung  selbst,  die  Wahrnehmung  dessen,  was  man  Schmerz  nennt, 
gesammelt  in  den  Zentren,  deren  Lokalisation  noch  nicht  endgültig 
bestimmt  ist,  die  aber  in  der  Hirnrinde  ihren  Sitz  haben  müssen“. 
Beachten  Sie  weiter,  daß  je  nach  dem  Allgemeinzustande,  besonders 
aber  je  nach  dem  Seelenzustande  des  Subjektes,  d.  i.  also  nach  seiner 
Disposition,  die  Wahrnehmung  wechseln  kann.  Sie  kann  durch  Zer¬ 
streuung,  durch  hemmende  Autosuggestion  vernichtet,  durch  gespannte 
Aufmerksamkeit,  Erwartung  geschärft,  vergrößert  werden.  Sie  kann 
aber  ohne  irgend  welchen  peripheren  Reiz  durch  geistige  Vorstellung 
geschaffen  werden.  Diese  Mitwirkung  des  Gedankens  macht  das 
Studium  der  Sensibilität  so  außerordentlich  schwierig,  wie  jenes  aller 
Erscheinungen,  bei  welchen  wir  als  Kriterium  nur  die  Aussage  des 
Versuchsobjektes  besitzen.  Uns  speziell  interessiert  die  Frage,  welche 
Schmerzkategorien  in  unserer  Beobachtungssphäre  Vorkommen  und 
wie  dieselben  als  Krankheitssymptome  in  praktischer  Hinsicht  zu  ver¬ 
werten  sind.  Goldscheider  teilt  den  Schmerz  genetisch  in  drei  Kate¬ 
gorien  :  1.  den  echten  Schmerz  im  engeren  Sinn,  2.  den  Dolor  spurius, 
die  andauernde,  unterschmerzliche  Empfindung,  das  Wehegefühl, 
3.  die  psychogene  Hyperästhesie,  den  ideellen  Schmerz  und  die  Kom¬ 
bination  dieser  Kategorien.  Lomer  unterscheidet  für  unser  Kranken¬ 
material  den  traumatischen,  den  Kontraktions-,  den  neuralgischen, 
den  entzündlichen  und  den  hysterischen  Schmerz.  Diese  Einteilung 
kann  vom  praktischen,  aber  nicht  vom  theoretischen  Standpunkt  ge¬ 
rechtfertigt  werden,  denn  sie  vermengt  den  genetischen  und  den  quali¬ 
tativen  Standpunkt.  Was  die  Vermittelung  des  Schmerzgefühls  in 
diesen  Regimen  betrifft,  so  haben  Langly  und  Anderson  festgestellt, 
daß  dem  sympathischen  System  eine  weitgehende  Selbständigkeit  zu¬ 
kommt,  daß  die  verschiedenen  motorischen  Zentren  der  Beckenorgane 
in  diesem  selbst  wahrscheinlich  zu  suchen  seien,  und  endlich,  daß 
die  alte  Lehre,  der  gemäß  die  sensiblen  Nerven elemente  für  die  inneren 
Genitalorgane  aus  den  sakralen  Nerven  stammen  sollen,  nicht  mehr 
zu  Recht  besteht.  Dabei  war  auch  die  physiologische  Bedeutungs¬ 
losigkeit  des  sakralen  Abschnittes  des  Grenzstranges  für  jene  Organ¬ 
teile  festgelegt  worden.  Klinische  Beobachtungen  bieten  in  dieser 
Hinsicht  vielleicht  eher  einige  Anhaltspunkte.  So  läßt  sich  aus  der 
Tatsache,  daß  den  mit  Bauchfell  bekleideten  Teilen  des  Sexualsystems 
keine  der  vier  bekannten  Gefühlsqualitäten  (Druck,  Wärme,  Kälte, 
Schmerzgefühl)  zukommt,  und  dieselben  sich  allen  Reizen,  seien  sie 
chemischer,  thermischer,  elektrischer  Art,  gegenüber  vollkommen  re- 


652 


S.  Leo, 


fraktär  verhalten,  der  berechtigte  Schluß  ziehen,  daß  diese,  ähnlich 
wie  die  übrigen  Bauchorgane,  wenigstens  in  diesen  Abschnitten  nur 
vom  Sympathikus  versorgt  werden.  Denn  schon  seit  Haller’s  und 
Magendie’s  Experimenten,  ihren  Reizungs-  und  Exstirpationsversuchen 
an  den  sympathischen  Geflechten  der  Bauchhöhle,  war  allem  vom 
Sympathikus  versorgten  Organen  die  Auslösung  von  Schmerzempfin¬ 
dungen  abgesprochen  worden.  Unsere  eigenen  Erfahrungen  gehen  dahin, 
daß  selbst  die  Totalexstirpation  der  Gebärmutter  ohne  Anwendung 
irgend  einer  Anästhesierungsmethode  oft  nahezu  schmerzlos  zur  Aus¬ 
führung  gebracht  werden  kann.  Nur  ein  starker  Zug  an  den  Ligamenten 
und  die  Durchtrennung  der  oberhalb  der  Scheidengewölbe,  also  para¬ 
zervikal  gelegenen  Bindegewebsmassen,  lösen  Schmerzen  aus.  Auch 
an  den  Eierstöcken  und  Eileitern  können  allerlei  Prozeduren  (Stechen, 
Schneiden,  Brennen  usw.)  vorgenommen  werden,  ohne  daß  die  Ope¬ 
rierten  über  irgend  welche  Schmerzen  Klage  führen.  Erst  die  Zerrung 
eines  Ovarialstieles  oder  dessen  Unterbindung  merkt  die  Kranke.  Es 
stimmt  dies  völlig  überein  mit  den  neueren  Erfahrungen  der  Chirurgen 
an  anderen  Organen  der  Bauchhöhle  (Darm,  Leber,  Niere),  besonders 
mit  den  Ergebnissen  der  systematischen,  eigens  darauf  gerichteten 
Untersuchungen  Lennander’s.  Gegenteilige  Anschauungen,  daß  dem 
Sympathikus  doch  ein  gewisser  Grad  von  Sensibilität,  unter  gewissen 
Umständen  eine  Empfindlichkeit  gegen  schmerzliche  Erregungen  zu¬ 
zugestehen  sei,  gehen  bereits  auf  Johannes  Müller  zurück.  M.  Buch 
trachtet  in  einem  Aufsatz,  für  die  Annahme,  daß  die  vom  Sympathikus 
zu  zerebrospinalen  Nerven  gehenden  Irradiationen  zum  Teil  wenigstens 
innerhalb  des  sympathischen  Systems  sich  abspielen,  eine  anatomische 
Basis  zu  gewinnen.  Die  Verbindung  zwischen  Sympathikus  und  Zentral¬ 
nervensystem  ist  durch  die  n.  splanchnici  und  die  rami  communicantes 
hergestellt.  Mittels  der  letzteren  gelangen  außer  den  motorischen  wohl 
auch  sensible  markhaltige  Easern  aus  dem  Rückenmark  in  das  sym¬ 
pathische  System.  Diese  letzteren  sollen  nach  Köllicker  zur  Aus¬ 
lösung  von  Schmerzempfindungen  in  den  Viszeralorganen  vollkommen 
genügen.  Die  Tatsache,  daß  das  Bauchfell  normalerweise  vollkommen 
unempfindlich  ist,  bei  entzündlichen  Veränderungen  jedoch  zu  dem 
schmerzreichsten  Organe  wird,  ist  von  Volkmann  in  hypothetischer 
Weise  so  gedeutet  worden,  daß  eben  unter  diesen  abnormen  Verhält¬ 
nissen  Reizungsbahnen  {eingeschlagen  werden  können,  welche  sonst 
nicht  benutzt  zu  werden  pflegen.  (Überspringen  des  Reizes  auf  andere 
Leiter.  Reil’s  Isolatorentheorie.)  Unsere  heutigen  Kenntnisse  von  den 
verschiedenen  Reflexmechanismen,  ebenso  wie  jene  über  Mitempfin¬ 
dungen,  jene  vielfachen  Irradiationen,  welche  die  Erkrankungen  der 
vom  Sympathikus  versorgten  Organe  zu  begleiten  pflegen,  dürften 
der  Lehre  von  den  sensiblen  Elementen  im  Sympathikus  eine  noch 
festere  Stütze  verleihen.  Zur  Auslösung  von  Reflexen  bedarf  es  zentri¬ 
petaler  Leitungsbahnen,  dabei  mag  der  Reflexbogen  in  das  Rücken¬ 
mark  oder  in  den  Ganglienapparat  des  autonomen  Systems  verlegt  wer¬ 
den.  Das  letztere  wird  bei  der  dem  Sympathikus  zugesprochenen 
Selbständigkeit  für  die  Auslösung  der  motorischen  Reflexe  jetzt  all¬ 
gemein  angenommen.  Eine  Kategorie  von  sensiblen  Reflex  Vorgängen 
bedarf  noch  einer  Würdigung,  das  ist  das  Auftreten  von  Hyperalgesie 
im  Bereiche  bestimmter  segmentaler  Hautzonen  bei  Erkrankungen  vis¬ 
zeraler  Organe.  Ihr  Entdecker,  Head,  hat  sie  sorgfältig  durchforscht. 
Den  inneren  Organen  fehlt  vor  allem  der  Lokalisationssinn;  sie  ver- 


Wiener  Brief. 


653 


halten  sich  ganz  analog  Hautabschnitten,  deren  Schmerzempfindung 
wesentlich  herabgesetzt  ist.  Der  das  Organ  betreffende  Reiz  wirkt 
nach  jenem  Rückenmarkssegment,  von  dem  seine  sensiblen  Nerven 
stammen.  Dort  kommt  er  in  nahe  Beziehung  zu  den  Schmerzempfin¬ 
dungsbahnen,  die  der  Körperfläche  angehören  und  aus  demselben  Seg¬ 
mente  stammen.  Aber  das  Lokalisationsvermögen  der  letzteren  über¬ 
trifft  das  der  inneren  Organe  derart,  daß  das  Diffusionsgebiet  ge¬ 
wissermaßen  durch  einen  Urteilsfehler  in  den  Bewußtseinkreis  gelangt 
und  der  Schmerz  auf  die  Körperoberfläche  anstatt  auf  das  tatsächlich 
erkrankte  Organ  bezogen  wird.  Viszerale  Erkrankungen  rufen  auch 
Steigerung  der  Hautempfindlichkeit  für  Hitze  und  Kälte,  niemals 
jedoch  eine  einfache  Berührungshyperästhesie  hervor.  Die  Beziehungen 
zu  den  trophischen  Nervenbahnen  finden  ihren  Ausdruck  in  analog 
ausgebreiteten  Störungen  (segmental  ausgebreiteter  Herpes  zoster). 

Wir  brechen  hier  die  Mitteilung  der  Antrittsvorlesung  ab,  um 
über  die  wuchtigsten  Vorkommnisse  in  den  ärztlichen  Gesellschaften 
zu  referieren. 

In  der  „Gesellschaft  der  Ärzte“  demonstrierte  Ludwig  Teleky 
einige  Fälle  von  Bleilähmung,  die  für  die  Richtigkeit  der  Edinger- 
schen  Aufbrauchtheorie  sprechen.  Zwei  Arbeiterinnen  aus  der  „Put¬ 
zerei“  einer  Eiaschenkapselfabrik,  die  beide  zu  wiederholten  Malen 
schwere  Bleivergiftungen  durchgemacht,  auch  bereits  Erscheinungen 
der  Encephalopathie  gezeigt  hatten  und  jetzt  das  Bild  schwerer  chro¬ 
nische]'  Bleivergiftung  darbieten  (die  eine  auch  Atrophie  n.  optici), 
zeigen  Lähmungen  der  Muskulatur  des  rechten  Daumenballens.  Bei 
der  einen  besteht  Atrophie  und  vollständige  Lähmung  des  Abductor 
pollicis  brevis,  bei  der  anderen  sind  auch  —  neben  vollständiger  Läh¬ 
mung  des  Abductor  brevis  —  die  übrigen  Muskeln,  Opponens,  Elexor 
pollicis  brevis  und  Abductor  stärker  mitbeteiligt,  es  besteht  auch  in 
diesem  zweiten  Falle  ganz  leichte  Parese  der  Handstrecker.  Diese 
Lokalisation  erklärt  sich  aus  der  Anstrengung  der  Daumenmuskulatur 
bei  der  Arbeit;  die  Nicht-  oder  ganz  geringe  Beteiligung  der  Strecker 
erklärt  sich  daraus,  daß  diese  Muskeln  bei  der  Arbeit  nur  wenig  in 
Anspruch  genommen  werden.  Trotzdem  T.  in  dieser  Arbeitergruppe 
zahlreiche  Fälle  schwerster  Bleivergiftung  sah,  beobachtete  er  nie 
Lähmung  der  Extensoren,  sondern  die  Lähmungen  der  anderen  Muskel¬ 
gruppen.  Ferner  zeigt  T.  die  Photographie  der  Hand  eines  Schlossers. 
Eine  Narbe  an  der  Kuppe  des  Mittelfingers  bewog  ihn,  den  Hammer¬ 
stiel  nur  mit  dem  vierten  und  fünften  Finger  zu  halten.  Nach  län¬ 
gerer  Arbeit  mit  minisiertem  Eisen  trat  eine  leichte  Streckerlähmung 
ein,  die  sich  auf  den  vierten  und  fünften  Finger  beschränkte.  Bei 
einem  Schuhmacher  mit  schwerer  Bleivergiftung  und  Extensoren¬ 
lähmung  beider  Hände  war  die  starke  Mitbeteiligung  der  Beine  (spa- 
stisch-paretischer  Gang)  auffallend ;  die  Erklärung  fand  sich  darin, 
daß  der  Kranke  bei  seiner  Arbeit  den  Schuh  stets  fest  zwischen  den 
Beine  geklemmt  hatte. 

Pal  macht  Mitteilungen  über  seine  Versuche,  welche  die  Wir¬ 
kung  des  Hypophysenextraktes  auf  die  Gefäßwand  verschiedener 
Gefäßbezirke  betreffen.  Die  Beobachtungen  wurden  an  Rinderarterien 
ausgeführt.  Versuchsanordnung  nach  Oskar  B.  Meyer.  Der  Hypo¬ 
physenextrakt  wirkt  auf  die  Art.  carotis,  mesenterica  und  femoralis 
mit  dem  Adrenalin  gleichsinnig,  auf  die  Koronargefäße  und  das  peri¬ 
phere  Stück  der  Art.  renalis  dem  Adrenalin  antagonistisch.  Er  ver- 


654 


Vorläufige  Mitteilungen  und  Autoreferate. 


engert  die  Coronararterie,  erweitert  die  Nierenarterie.  Auf  die 
Pupille  des  ausgeschnittenen  Frosch auges  wirken  beide  mydriatisch. 
Wenn  man  von  der  Annahme  ausgeht,  daß  der  Hypophysenextrakt 
die  wirksamen  Sekretionsprodukte  der  Hypophyse  enthält,  so  sind 
diese  Beobachtungen  für  die  Biologie  wichtig.  Ähnlich  dem  Hypo¬ 
physenextrakt  wirkt  das  Pilokarpin,  jedoch  erweiternd  auf  alle  Ab¬ 
schnitte  der  art.  renalis,  verengernd  auf  die  Pupille. 

(Schluß  folgt.) 


Vorläufige  Mitteilungen  u.  Äutoreferate. 

lieber  den  Herzschmerz. 

Von  Dr.  Selig,  Franzensbad. 

(Nach  einem  Vortrag  im  Verein  Deutscher  Ärzte  in  Prag  am  23.  April  1909.) 

Die  proteusartige  Erscheinung  des  Herzschmerzes,  die  Ätiologie 
und  Therapie  bereitet  dem  Arzte  oft  Schwierigkeit. 

Die  allgemeinste  Herzsensation  ist  das  Herzklopfen.  Die  Ur¬ 
sachen  beim  gesunden  Herzen  sind  kräftigere  Herzkontraktionen,  welche 
im  Anschluß  an  den  größeren  Blutbedarf  tätiger  Organe  auftreten 
(Bewegung,  Arbeit).  Abnorme  Zustände  des  gesamten  Nervensystems, 
welche  der  allgemeinen  Nervosität  oder  Neurasthenie  nahestehen,  rufen 
häufig  Störungen  von  seiten  des  Herzens  hervor  und  erzeugen  eigen¬ 
tümliche  Empfindungen  in  demselben.  Der  häufigste  Grund  des  Herz¬ 
klopfens  liegt  in  psychischen  Alterationen,  je  sorgfältiger  man 
auf  die  psychischen  Verhältnisse  des  Kranken  eingeht,  um  so  häufiger 
findet  mau  das  psychische  Moment  als  Auslösungsmotiv  des  Herz¬ 
klopfens.  Oft  jedoch  treten  diese  Sensationen  ohne  besondere  psychische 
Einwirkungen  auf.  Man  muß  hier  auf  das  sonderbarste  gefaßt  sein. 
Romberg  hebt  hervor,  daß  die  Anfälle  manchmal  zu  einer  bestimmten 
Stunde  ein  treten.  Aus  der  Praxis  seien  zwei  derartige  Fälle  angeführt. 
Ein  Fabrikdirektor  bekommt  beinahe  'täglich  zwischen  der  6.  u.  7. 
Abendstunde  Herzklopfen  ohne  jede  äußere  Veranlassung.  Seinen  Zu¬ 
stand  wohl  kennend,  lädt  er  seine  Freunde  zu  sich  ins  Bureau,  damit 
er  durch  anregende  Unterhaltung  sein  Herzklopfen  verliere.  Das  ge¬ 
lingt  ihm  in  der  Tat.  Eine  nervöse  Dame  bekommt  beim  Anbruch  der 
Dunkelheit  täglich  Herzklopfen ;  erst  wenn  im  Zimmer  Licht  gemacht 
wird,  verschwindet  dasselbe.  Das  Gefühl  der  Palpit ation  ist  dem 
Kranken  besonders  lästig,  wenn  es  sich  mit  dem  der  Herzangst  ver¬ 
bindet.  Angstgefühle  sind  eine  häufige  Erscheinung  bei  Herzkranken. 
Viele  haben  Angst,  es  könnte  ihnen  etwas  zustoßen,  bei  anderen  ist 
das  Angstgefühl  als  sensibles  Symptom  in  Abhängigkeit  von  Erkran¬ 
kungen  des  Herzens,  in  erster  Linie  bei  Sklerose  der  Kranzarterien 
und  Myokarditis.  Die  Kranken  klagen  über  ein  Gefühl  der  Ängstlich¬ 
keit,  der  Beengung,  des  Druckes  —  Empfindungen  schmerzhaften  Cha¬ 
rakters.  Der  Anlas  zu  den  Sensationen  ist  verschieden.  Sie  stellen 
sich  einmal  ein  bei  erhöhten  Anforderungen  an  die  Leistungsfähigkeit 
des  Herzens,  z.  B.  Muskelbewegungen,  das  andermal  treten  dieselben 
nachts  auf.  Es  handelt  sich  da  wohl  um  die  leichtesten  Formen  des 
kardialen  Asthmas  und  der  Stenokardie.  Die  am  stärksten  ausgeprägte 
Schmerzempfindung  dokumentiert  sich  bei  der  Angina  pectoris.  Diese 
stellt  einen  scharf  umschriebenen  Symptomenkomplex  dar.  Neben  dem 
Schmerz  im  Brustbein  —  der  Sensation  des  Eingespanntseins  im  Schraub- 


Vorläufige  Mitteilungen  und  Autoreferate. 


655 


stock  —  ist  das  Vernichtungsgefühl  nnd  die  Todesangst  am  meisten 
charakteristisch.  Die  Ausstrahlungen  des  Schmerzes  befallen  nicht 
nur  die  Arme,  sondern  auch  häufig  Rücken,  Epigastrium,  Beine  und 
Testikel.  Die  Ursache  der  Angina  pectoris  ist  nicht  allein  Arterio¬ 
sklerose,  häufig  lösen  psychische  Erregungen  Anfälle  aus.  In  der 
Praxis  spielt  die  Tabaksangina  eine  große  Bolle,  ebenso  können  all¬ 
gemeine  Krämpfe  der  Hautarterien  Anfälle  auslösen  (Angina  pectoris 
vasomotoria). 

Eine  weitere  Gruppe  von  Sensationen  werden  durch  Störungen 
der  Rhythmik  hervorgerufen.  Dieselben  finden  sich  bei  der  Myo¬ 
karditis,  Sklerose  der  Kranzarterien,  wie  bei  den  nervösen  Herzkrank¬ 
heiten.  Für  den  Praktiker  erwächst  die  äußerst  wichtige  Aufgabe 
der  Entscheidung,  ob  es  sich  um  nervöse  oder  myokarditische  Prozesse 
handelt,  oder  um  beides.  Es  gibt  die  unglaublichsten  Irregularitäten, 
welche  mangels  irgend  eines  verwertbaren  anamnestischen  Anhalts¬ 
punktes  für  Myokarderkrankung,  dennoch  in  das  Gebiet  der  nervösen 
Irregularität  einzubeziehen  sind.  Eine  besonders  zu  besprechende  Herz¬ 
sensation  wird  durch  das  Aussetzen  der  Schlagfolge  ausgelöst. 
Die  meisten  Kranken  klagen  in  diesem  Augenblick  über  Beklemmung 
und  Ängstlichkeit,  Stechen  im  Herzen  und  Gefühle,  wie  wenn  plötzlich 
das  Leben  erlösche.  Diese  Sensationen  werden  durch  die  frustranen 
Herzkontraktionen  ausgelöst. 

Die  von  den  Engländern  als  Fluttering  bezeichnete  Empfindung 
ist  dem  Oppressionsgefühl  nahe  verwandt.  Die  Kranken  fühlen  ihre 
meist  beschleunigte  und  schwache  Herztätigkeit  als  Schwirren  oder 
Flattern  des  Herzens  mit  gleichzeitigem  Beklemmungsgefühl. 

Viele  Kranke  klagen  über  eine  schmerzhafte  Stelle  unterhalb 
der  linken  Mamilla,  entsprechend  der  Lage  der  Herzspitze.  Diese 
Schmerzempfinduug  hat  meist  konstanten  Charakter,  steigert  sich  zu 
intensivstem  Schmerz  bei  forcierter  Palpation,  die  Kranken  zucken 
krampfhaft  zusammen. 

Diese  Empfindlichkeit  findet  man  bei  fettleibige^  Personen,  speziell 
bei  fetten  Frauen  mit  schweren  Hängebrüsten.  Die  Schmerz¬ 
haftigkeit  rührt  von  den  Fettklumpen  in  der  Mamma  her,  welche 
durch  die  Schwere  des  herabhängenden  Mammagewebes  gedrückt  wer¬ 
den.  Eine  Elevation  der  Mamma  von  unten  beseitigt  sofort  den  so¬ 
genannten  Herzschmerz.  Ein  von  Selig  unter  dem  Namen  „Herz- 
schutz“  angegebener  Apparat,  welcher  nach  Art  eines  Gummipolsters 
aufgeblasen  und  in  jedes  in  Gebrauch  stehende  Korsett  bequem  ein¬ 
gelegt  werden  kann,  leistet  großen  Nutzen.  Dieser  Apparat  kann 
auch  von  Männern  bei  erregter  Tätigkeit  und  Überempfindlichkeit  des 
Herzens  als  Herzstütze  Anwendung  finden.  Der  Apparat  wird  in 
drei  verschiedenen  Größen  vom  medizinischen  Warenhaus  Berlin, 
Karlstraße  geliefert. 

Häufig  wird  Herzschmerz  mit  Knochen  sch  merz  verwechselt. 
Gichtische  Ablagerungen  in  den  vorderen  Rippenpartien  entsprechend 
dem  Situs  des  Herzens  täuschen  dies  vor.  Hier  leisten  ausgiebige 
Pinselungen  mit  Jodtinktur  ausgezeichnete  Dienste.  Hier  und  da 
dürfte  Lues  im  Spiele  sein. 

Unter  der  Flagge  des  Herzschmerzes  segeln  sehr  häufig  die  Inter¬ 
kostalneuralgien.  Mit  der  Heilung  der  Neuralgie  verschwindet  auch 
der  Herzschmerz. 


656 


Vorläufige  Mitteilungen  und  Autoreferate. 


Auf  den  Zusammenhang'  von  Herz  und  Niere  wird  wenig  geachtet. 
Es  gibt  nervöse  Druckpunkte,  von  welchen  aus  Sensationen  in  dem 
Herzen  ausgelöst  werden  können. 

Sehr  häufig  ist  ein  solcher  unterhalb  der  Spitze  der  linken  Skapula. 

Vasomotorische  Einflüsse  können  Herzschmerzen  hervorrufen. 
Die  anginoiden  Zustände  der  Arteriosklerotiker  werden  z.  B.  durch 
kühles  Wetter  ungünstig  beeinflußt.  Die  Verengerung  der  Gefäße 
gibt  Veranlassung  zu  einer  Reihe  von  Beschwerden,  welche  man  unter 
dem  Namen  der  Gefäßkrisen  zusammen  faßt. 

Warme  Umschläge  in  der  Herzgegend,  ebenso  warmer  Herzschlauch 
leisten  gute  Dienste. 

Auch  vom  Magen-Darmkanal  können  schwerste  Herzsensationen 
mit  Arythmien  und  Palpit ationen  ausgelöst  werden.---  Zwerchfell¬ 
hochstand  durch  Uberfüllung  des  Magens,  Obstipation  und  Elatjulenz- 
zus  fände  wirken  ungünstig  auf  die  Herztätigkeit.  Die  Flatulenz¬ 
zustände  trotzen  oft  jeglicher  Behandlung.  Eine  Gruppe  von  Kranken 
bekommt  bei  kleinsten  Mahlzeiteü  schon  Herzzustände,  eine  andere 
Kategorie  bei  nüchternem  Magen  Sensationen,  welche  unter  der 
volkstümlichen  Bezeichnung  des  Herznagens  bekannt  sind.  Zweifellos 
spielen  Reflexe,  welche  die  Vagusfasern  erregen  oder  hemmen,  eine 
große  Rolle. 

Die  Lage  des  Herzens  und  seine  Exkursionsfähigkeit  gibt  häufig 
Veranlassung  zu  Herzbeschwerden.  Es  gibt  Wanderherzen,  d.  h. 
Herzen,  welche  infolge  mangelhafter  Suspension  den  verschiedensten 
Verschiebungen  ausgesetzt  sind.  Es  gibt  Gesunde  und  Kranke,  welche 
nur  in  einer  bestimmten  Lage  frei  von  Herzbeschwerden  sind. 

Auch  das  räumliche  Mißverhältnis  zwischen  Herzvolumen 
und  Thorax  gibt  Veranlassung  zu  mannigfachen  Herzsensationen.  Die 
genaue  Ermittlung  der  Ursache  des  Herzschmerzes  im  weitesten  Sinne 
sichert  auch  dessen  erfolgreiche  Behandlung. 


Orthopädische  Apparate  in  der  Kassenpraxis. 

Von  A.  Schanz,  Dresden. 

(Vortrag  in  der  Gesellschaft  für  Natur-  und  Heilkunde  in  Dresden  am  3.  4.  1909.) 

Auf  Grund  des  Paragraph  6  des  Krankenversicherungsgesetzes  vom 
15.  Juni  1883  findet  sich  in  den  Satzungen  unserer  gesetzlichen  Kranken¬ 
kassen  die  Bestimmung,  daß  die  Krankenkasse  verpflichtet  ist,  den 
bei  ihr  Versicherten  zu  gewähren:  Brillen,  Bruchbänder  und  ähnliche 
Vorrichtungen  oder  Heilmittel,  welche  zur  Heilung  des  Erkrankten, 
oder  zur  Herstellung  und  Erhaltung  der  Erwerbsfähigkeit  nach  be¬ 
endigtem  Heilverfahren  erforderlich  sind. 

Dieser  Paragraph  wird  von  den  Vorständen  der  Krankenkassen, 
sowie  in  der  Rechtsprechung  dahin  ausgelegt,  daß  neben  den  genannten 
Heilmitteln  orthopädische  Apparate  dann  zu  gewähren  sind, 
wenn  diese  notwendig  sind,  und  in  ihrem  Preis  von  dem  Durch¬ 
schnittspreis  der  Brillen  und  Bruchbänder  nicht  wesentlich 
ab  weichen.  Durch  diese  Auslegung  wird  die  Mehrzahl  der  orthopä¬ 
dischen  Apparate  von  der  Verwendung  in  der  Kassenpraxis  tatsächlich 
ausgeschlossen,  denn  es  sind  nur  verhältnismäßig  wenig  Apparate  vor¬ 
handen,  welche  nicht  wesentlich  teuerer  als  Brillen  und  Bruchbänder 
sind.  Es  kommen  da  fast  nur  die  Plattfußeinlagen  in  Frage,  und  diese 


Vorläufige  Mitteilungen  und  Autoreferate. 


657 


werden  von  den  meisten  Kassenverwaltungen  heutzutage  im  Bedarfs¬ 
fall  anstandslos  gewährt. 

Die  Lücke,  welche  dadurch  für  die  Kassenpraxis  in  unserem  thera¬ 
peutischem  Rüstzeug  entsteht,  wird  nur  zum  Teil  dadurch  ausgefüllt, 
daß  den  beiden  anderen  Versicherungsträgern,  der  Unfall-  und  der 
Invaliditätsversicherung,  die  Möglichkeit  gewährt  ist,  jederlei  Heil¬ 
verfahren  ein  treten  zu  lassen.  Es  unterliegen  aber  diesen  beiden  anderen 
Versicherungen  nur  verhältnismäßig  wenige  von  den  in  den  Kranken¬ 
kassen  Versicherten,  und  sodann  haben  sowohl  Berufsgenossenschaften 
wie  Landesversicherungsanstalten  zwar  das  Recht,  orthopädische  Appa¬ 
rate  jeder  Art  den  bei  ihnen  Versicherten  zu  geben,  aber  ob  sie  von 
diesem  Recht  Gebrauch  machen  oder  nicht,  steht  vollständig  in  ihrem 
Belieben.  So  kommt  es  vor,  daß  Ablehnungen  von  Anträgen  auf 
Apparate  ergehen  in  Fällen,  wo  diese  Ablehnung  geradezu  unbegreif¬ 
lich  ist. 

Vortragender  hat  wiederholt  schon,  z.  B.  bei  dem  achten  Kon¬ 
greß  der  Deutschen  Gesellschaft  für  orthopädische  Chirurgie,  später 
in  der  Zeitschrift  für  Krüppelfürsorge  und  an  anderen  Stellen  darauf 
hingewiesen,  wie  durch  diese  Verhältnisse  die  Interessen  der  Ver¬ 
sicherten,  wie  auch  der  Versicherungsträger,  wie  endlich  auch  des  ganzen 
Volkes  geschädigt  werden.  Durch  die  an  den  Reichstag  neuerdings 
eingebrachte  Reform  der  Arbeiterversicherung  ist  die  Möglichkeit  ge¬ 
öffnet,  daß  eine  Änderung  der  Gesetze,  auch  an  dieser  oben  bezeichneten 
Stelle  stattfindet. 

Um  nun  auch  dem  der  Orthopädie  Fernstehenden  klar  zu  machen, 
wie  viele  Fälle  hier  in  Frage  kommen,  stellt  er  eine  Reihe  von  Patienten 
mit  verschiedenen  Erkrankungen  vor,  bei  denen  allen  die  Arbeitsfähig¬ 
keit  durch  orthopädische  Apparate,  welche  nach  den  gesetzlichen  Be¬ 
stimmungen  nicht  von  den  Kassen  geliefert  werden  konnten,  wieder 
hergestellt  und  erhalten  worden  ist.  Die  vorgestellten  Fälle  betreffen 
Erkrankungen  der  Füße  (Plattfüßigkeit,  Fußgelenkstuberkulose),  des 
Knies  (Arthritis  deformans,  tabische  Gelenkentzündung,  Gelenktuber¬ 
kulose).  Weiter  werden  vor  gestellt  Hüftgelenkserkrankungen  (Arthritis 
deformans,  Hüftgelenkentzündung).  Von  den  Erkrankungen  der  Wirbel¬ 
säule  wird  die  Notwendigkeit  von  Stützapparaten  an  schwer  schmerz¬ 
haften  Skoliosen,  an  verschiedenen  Entzündungszuständen  nachgewiesen 
(Traumatische,  chronische  ankylosierende  Wirbelentzündung,  Wirbel¬ 
tuberkulose  usw.). 

Zum  Schlüsse  weist  Vortragender  darauf  hin,  daß  unter  den 
20  Fällen,  welche  im  einzelnen  besprochen  worden  sind,  kein  Fall 
von  Lähmung,  kein  Fall  von  Verlust  eines  Gliedes  ist,  daß  darunter 
kein  Fall  aus  der  Kinder  Orthopädie  sich  befindet,  daß  endlich  auch 
kein  Fall  darunter  ist,  wo  eine  Stützschiene  für  ein  deformes  Glied 
zur  Verwendung  gekommen  ist.  Derartige  Fälle  vorzuführen  ist  nicht 
erforderlich,  da  die  Notwendigkeit  der  Apparate  für  diese  Fälle  all¬ 
gemein  bekannt  ist. 

Endlich  zeigt  dann  Vortragender  noch  in  einem  eklatanten  Fall, 
wie  durch  die  Bestimmung,  daß  die  Apparate  auf  Kassenkosten  nicht 
geliefert  werden  können,  den  Kassen  schwere  Geldausgaben  erwachsen 
können.  Es  handelt  sich  um  eine  Patientin,  welcher  durch  einen  Hüft- 
apparat  in  kürzester  Zeit  die  verloren  gegangene  Erwerbsfähigkeit 
wieder  geschafft  werden  könnte.  Nachdem  es  nicht  gelungen  ist,  den 
Apparat  für  diese  Patientin  zu  erwerben,  mußte  die  Krankenkasse 

42 


658 


Referate  und  Besprechungen. 


derselben  26  Wochen  das  Krankengeld  bezahlen,  nnd  nach  dieser  Zeit 
fällt  die  Patientin  der  Invalidenversicherung  anheim.  Derartige  Fälle 
rechnerisch  durchzugehen  hat  seinen  Wert,  indem  es  eben  die  Schäd¬ 
lichkeit  der  in  Frage  stehenden  Gesetzesbestimmung  besonders  illustriert. 

Autoreferat. 


Referate  und  Besprechungen. 

Innere  Medizin. 

Zur  Klinik  der  Concretio  et  Accretio  cordis. 

(N.  Ortner.  Wiener  klin.  Wochenschr.  Nr.  14,  1908.) 

Im  Anschluß  an  eine  zu  Unrecht  auf  Concretio  pericardii  gestellte 
Diagnose  erörtert  der  Verfasser  in  fesselnder  Weise  die  Ätiologie  der  2  Haupt- 
symptomje  Stauungsleber  und  Stauungsaszites.  Für  die  erstere  macht  er 
eine  Kombination  von  Insuffizienz  des  rechten  Herzens  (z.  B.  hei  Emphysem) 
mit  lokaler  Pleurasynechie,  welche  die  Zwerchfellbewegungen  hindert,  ver¬ 
antwortlich.  Auch  die  schwielige  Mediastinitis,  die  häufig  mit  der  Concretio 
pericardii  vergesellschaftet  ist,  führt  zur  Zirkulationsbehinderung  in  den 
Venae  cavae,  mithin  Zur  Stauungsleber.  Ist  diese  ausgebildet,  so  können 
Ödeme  der  Beine  lange  ausbleib en,  weil  die  Leber  „sozusagen  das  ganze 
Quantum  des  Stauungsblutes  der  untern  Körperhälte  für  sich  in  Anspruch 
nimmt“.  —  Der  „Stauungsaszites“  ist  wahrscheinlich  oft  in  Wirklichkeit 
ein  entzündlicher  (chronische  Peritonitis !)  oder  gemischter,  transsudativ-exsu- 
dativer.  Bei  einer  Stauung,  hervorgerufen  durch  die  Überfüllung  der  Leber 
mit  Blut,  handelt  es  sich  nicht  um  Pfortader-,  sondern  um  Lebervenenstauung, 
wie  aus  dem  Fehlen  der  bei  Pfortaderstauung  auftretenden  Symptome  (Öso- 
phagusvaricen  usw.)  hervorgeht.  Wo  Leberschwellung  und  Aszites  gleich¬ 
zeitig  auf  treten,  kann  verminderte  Resorption  der  Peritonealflüssigkeit, 
sei  es  durch  den  Ausfall  der  Zwerchfellbewegung  (s.  o.)  oder  durch 

Peritonitis  subdiaphragmatica,  die  Ursache  sein.  Das  Diaphragma  spielt  mit¬ 
hin  für  das  Zustandekommen  der  genannten  Symptome  die  Hauptrolle. 

E.  Oberndörffer. 


Verhalten  des  Herzens  nach  langdauerndem  und  anstrengendem 

Radfahren. 

(Dietlen  u.  Moritz.  Münch,  med.  Wochenschr.,  Nr.  10,  1908.) 

Die  Verfasser  untersuchten-  7  Teilnehmer  einer  Fernfahrt  Leipzig-Stra߬ 
burg  (558  km)  vor  und  ,naJch  der  Fahrt  auf  Körpergewicht,  Herzgröße, 
(Orthodiagramm),  auskultatorischen  Herzbefund,  Blutdruck,  Pulszahl.  In 
keinem  einzigen  Fall  fand  sich  eine  Dilatation,  sondern  vielmehr  bei  allen 
eine  Verkleinerung  des  Herzens,  wie  dies  auch  von  anderen  Untersuchern 
bei  verschiedenen  Sportarten  festgestellt  worden  ist.  Wahrscheinlich  nimmt 
bei  solchen  Anstrengungen  das  Auswurfsvolumen  der  einzelnen  Herzkontraktion 
ab  und  das  Organ  stellt  sich,  da  die  diastolische  Füllung  geringer  wird, 
allmählich  auf  ein  kleineres  Volumen  ein.  Das  Plus  der  zirkulierenden  Blut¬ 
menge  wird  durch  Vermehrung  der  Frequenz  geliefert  (die  Pulsfrequenz  be¬ 
trug  116 — 192  unmittelbar  nach  Beendigung  der  Fahrt).  Geräusche  waren 
nur  in  einzelnen  Fällen  zu  hören.  Der  Blutdruck  war  stets  gesunken,  die 
Gewichtsabnahme  betrug  durchschnittlich  2,3  kg  (in  24  Stunden !),  bei  einem 
der  Teilnehmer  4  kg.  Merkwürdigerweise  war  der  Harn  in  allen  Fällen 
eiweißfrei.  Bemerkenswert  ist  noch,  daß  sämtliche  Radfahrer  vor  der  Tour 
eine  im  Verhältnis  zur  Körpergröße  und  zum  Gewicht  beträchtlich  vermehrte 
Herzmasse  besaßen.  E.  Oberndörffer. 


Referate  und  Besprechungen. 


659 


Über  Herzschmerzen. 

(Max  Herz.  Wiener  klin.  Rundschau,  Nr.  47,  1908.) 

Unter  Herzschmerzen  im  engeren  Sinne  will  der  Verf.  nur  solche  pein¬ 
liche  Sensationen  in  der  Herzgegend  verstanden  wissen,  deren  anatomische 
und  funktionelle  Ursachen  unbekannt  sind.  Diese  Herzschmerzen  teilt  er  ein 
in  stenokardis'dhe  und  nervöse.  Die  erstere  Form  ist  häufig  die  Be¬ 
gleiterscheinung  der  Koronarsklerose,  die  letztere  dagegen  betrachten  wir 
als  den  Ausdruck  irgend  einer  funktionellen  Störung  des  entsprechenden 
Rückenmarksegments.  Diagnostisch  ist  es  wichtig,  beide  Arten  von  Herz¬ 
schmerzen  zu  kennen.  —  Als  Pseudoperiostitis  angioneur  o  tica  hat 
der  Verf.  eine  schmerzhafte  Geschwulst  an  den  Rippen  und  dem  Sternum 
bezeichnet,  welche  meist  mit  den  Exazerbationen  der  nervösen  Herzschmerzen 
kommt  und  verschwindet.  Steyerthal-Kleinen. 


Aus  der  medizinischen  Klinik  der  Universität  in  Tübingen. 

Ueber  Herzdilatation. 

(Prof.  Ernst  Romberg.  Deutsche  med.  Wochenschr.,  Nr.  47,  1908.) 

Die  Beurteilung  der  Herzarbeit  ist  mit  den  uns  zur  Verfügung  stehenden 
Methoden  außerordentlich  schwierig.  Einen  Anhalt  geben  uns  dabei  in  der 
Hauptsache  die  Veränderungen  in  der  Größe  des  Herzens.  Dieses  Hilfs¬ 
mittel  ist  aber  schon  bei  sicher  bestehenden  Herzerweiterungen  nicht  leicht 
zu  verwenden.  Noch  viel  komplizierter  wird  es,  wenn  eine  beginnende  Dila¬ 
tation  konstatiert  werden  soll.  Aus  der  Herzgröße  allein  eine  solche  dia¬ 
gnostizieren  zu  wollen,  ist  sicherlich  sehr  schwer.  Romberg  weist  dabei 
auf  einen  Fehler  hin,  der  häufig  gemacht  wird.  Es  wird  nämlich  gern 
eine  Dilatation  da  diagnostiziert,  wo  ein  erregter  hoher  Herzstoß  die  Brust¬ 
wand  in  großer  Ausdehnung  nach  links  erschüttert.  Es  wird  dann  die  linke 
Herzgrenze  nicht  an  die  Stelle  der  stärksten  Pulsation  verlegt,  sondern 
fälschlicherweise  an  die  äußerste  Grenze  der  Pulsation. 

Sicherlich  ist  die  Entscheidung,  ob  wirklich  Dilatation  besteht,  durch 
verschiedene  Umstände  erschwert.  Hierher  sind  zu  rechnen,  erstens  die 
wechselnde  Lage  des  Herzens  zur  Brustwand  (bei  Emphysem,  Lungenschrump¬ 
fung  und  dergl.),  zweitens  die  verschiedene  Projektion  des  Herzens  auf  die 
wechselnd  gestaltete  Brustwand  (bei  sehr  fettleibigen  Patienten).  Die  Ortho¬ 
diagraphie  kann  zwar  diese  Schwierigkeiten  vermindern,  aber  auch  sie  leistet 
bei  der  Beurteilung,  ob  eine  vergrößerte  Perkussionsfigur  für  eine  beginnende 
Erweiterung  oder  eine  Lageanomalie  des  Herzens  spricht,  nur  wenig.  Es 
genügen  demnach  perkutorische  und  orthodiagraphische  Abweichungen  noch 
nicht  zur  Diagnose  einer  beginnenden  Herzerkrankung.  Es  muß  oft  der 
gesamte  Kreislauf,  der  sonstige  Befund  und  die  Anamnese  berücksichtigt 
werden  dadurch  ist  es  bisweilen  möglich,  eine  ganz  leichte  Herzstörung  auch 
zu  erkennen,  wenn  sichtbare  Veränderungen  am  Herzen  fehlen  und  man  eher 
eine  nervöse  Störung  vermutet.  F.  Walther. 


Mors  subita  der  Herzkranken. 

(E.  Kisch.  Münch,  med.  Wochenschr.,  Nr.  14,  1908.) 

Von  156  Fällen  standen  nur1  7  in  einem  Alter  unter  30  Jahren;  40  waren 
über  60  Jahre  alt,  die  meisten  plötzlichen  Todesfälle  treffen  auf  das  40.  bis 
60.  Jahr.  Anatomisch  fand  sich  Fettherz  35  mal,  Myodegeneratio  32  mal, 
Atheromatose  59  mal,  Aortensklerose  36  mal,  Koronarsklerose  nur  7  mal,  Aorten¬ 
aneurysma  13  mal,  chronische  Nephritis  36  mal.  Fettsucht  und  Arteriosklerose 
sind  also  die  Hauptursachen.  Vollkommen  irregulärer  Puls  oder  hochgradige 
Bradykardie  sind  Warnungssignale.  Unmittelbare  Todesursache  sind  körper¬ 
liche  Anstrengungen,  reichliches  Essen  und  Trinken,  Husten,  Darm-,  Leber¬ 
oder  Nierenkolik,  Stuhlgang,  Koitus,  Koronarerkrankungen  sind  durch  Wetter¬ 
sturz  besonders  gefährdet.  E.  Oberndörffer. 


42* 


660 


Referate  und  Besprechungen. 


Kunstgriff  zur  Unterdrückung  der  Anfälle  von  Angina  pectoris  und 

paroxysmaler  Tachykardie. 

(Max  Herz.  Wiener  klm.  Wochenschr.,  Nr.  22,  1908.) 

Der  Kranke  nimmt  etwas  Wasser  in  den  Mund  und  schluckt  es,  indem 
er  sitzend  den  Kopf  möglichst  weit  nach  hinten  beugt.  Gewöhnlich  treten 
dabei  Ruktus  auf  und  diese  Entleerung  der  Magengase  verhütet  in  manchen 
Fällen  den  drohenden  stenokardischen  Anfall  und  verkürzt  die  Dauer  der 
Attacke  bei  paroxysmaler  Tachykardie.  E.  Oberndörffer. 


Perkussionshammer  und  Plessimeter  zur  Schwellenwertsperkussion 

des  Herzens. 

(R.  Lenzmann.  Med.  Klinik,  Nr.  31,  1908.) 

L.  bedient  sich  zur  Ausführung  der  sogenannten  Schwellenwertsper¬ 
kussion  des  Herzens  nicht  mehr  der  Finger-Fingerperkussion,  sondern  mit 
gutem  Erfolge  der  Perkussion  mittels  eines  besonderen  Hammers  und  Plessi¬ 
meters.  Letzteres  trägt,  um  möglichst  kleine  Partien  zu  perkutieren  und 
Mitschwingungen  der  Umgebung  auf  ein  üiöglichst  geringes  Maß  zu  be¬ 
schränken,  einen  knopfförmigen  Ansatz  an  der  kleinen  Plessimeterfläche.  — 
Der  kleine  Hammer  trägt  an  Stelle  des  Gummiknopfes  einen  solchen  von  Blei, 
so  daß  zur  Perkussion  des  Herzens  das  Plessimeter  mit  dem  Hammer  nur 
eben  berührt  zu  werden  braucht,  um  einen  einfachen,  aber  deutlich  akzen¬ 
tuierten  Schall  zu  erzielen.  —  Für  die  Lungenperkussion  wird  über  den 
Knopf  des  Plessimeters  eine  Gummihülise  gezogen  und  es  werden  stärkere 
Schläge  angewandt.  Die  Instrumente  können  von  Gehr.  Johnen,  Instru- 
mentenfabrikanten,  Duisburg,  bezogen  werden.  R.  Stüve  (Osnabrück). 


Funktionelle  Diagnostik  medizinischer  Nierenkrankheiten. 

(V.  Blum.  Wiener  klin.  Wochenschr.,  Nr.  14,  1908.) 

Bei  funktioneller  Nierenuntersuchung  (Ureterenkatheterismus  und  ge¬ 
sonderte  Prüfung  der  Harnmenge,  der  Albuminmenge,  der  Indigkarminausr 
Scheidung  und  der  Phlorhizin-Glykosurie)  zeigte  sich,  daß  die  chronisch 
kranken  Nieren  beide  ganz  gleich  funktionieren.  Dagegen  wurde  bei  akuter 
Nephritis,  bei  Nachschüben  in  Fällen  chronischer  Erkrankung  eine  Differenz 
zwischen  beiden  Nieren  fast  immer  konstatiert.  Namentlich  kamen  Blutungen 
oft  nur  aus  einer  Niere  und  in  der  Zuckerausscheidung  nach  Phlorhizin-In- 
jektion  bestanden  merkliche  Unterschiede.  Es  scheint,  daß  die  parenchymatöse 
Nephritis  nicht  selten  einseitig  beginnt,  was  sich  durch  Hämaturie,  Eiwei߬ 
ausscheidung  und  Zylindrurie  ohne  sonstige  Nephritissymptome  (Ödeme  usw.) 
manifestiert.  Von  besonderem  Interesse  ist  eine  einseitige  orthostatische 
Albutaiinurie,  bei  der  zugleich  die  Erscheinungen  der  intermittierenden 
Hydronephrose  bestanden.  Die  Operation  ergab  eine  Abknickung  des  Ure¬ 
ters  durch  einen  abnorm  verlaufenden  Ast  der  A.  renalis,  welch  letzterer 
seinerseits  wieder  durch  die  Kreuzung  mit  dem  Ureter  zeitweise  kompri¬ 
miert  wurde,  was  zu  mangelnder  Ernährung  des  Parenchyms  führen  mußte, 
namentlich  bei  aufrechter  Körperhaltung.  Nach  Exstirpation  dieser  Niere 
verschwand  die  orthostatische  Albuminurie  vollständig.  E.  Oberndörffer. 


Einige  Nieren-Anomalien. 

(Dr.  L.  L.  McArthur,  Chicago.  The  St.  Paul  med.  journ.,  Nr.  8,  1908.) 

Mc Arthur  sprach  in  einer  Versammlung  der  Ramsey  county  med. 
soc.  am  27.  April  v.  Js.  über  einige  Nieren-Anomalien,  denen  er  kurz 
hintereinander  in  seiner  Praxis  begegnet  war.  1.  Bei  einem  wegen  Nieren- 


Referate  und  Besprechungen. 


661 


steinen  Operierten  fand  sich  eine  (rechte)  akzessorische  rudimentäre  Niere 
und  im  Becken  dieser  ebenfalls'  ein  Stein,  der  ebenfalls  durch  Operation 
entfernt  wurde.  Also  drei  Nieren  und  zwei  (gleichzeitige)  Steinoperationen ! 
2.  Ein  wegen  linksseitiger  Nephrolithiasis  Operierter  starb  fast  an  totaler 
Anurie.  Die  Obduktion  ergab  rechts  eine  rudimentäre  Niere,  kleiner  als 
die  eines  Neugeborenen,  die,  obwohl  sie  einen  völlig  normalen  Harn  abson¬ 
derte,  für  einen  Erwachsenen  trotzdem  nicht  ausreichte,  zumal  die  linke 
Niere  eben  operiert  war.  3.  Ein  Kind  hatte  einen  Tumor  im  Abdomen  dicht 
hinter  der  Symphyse;  bei  der  Operation  zeigte  sich,  daß  es  eine  zystische 
Niere  war,  mit  einem  erweiterten,  ungefähr  zwei  Zoll  langen  Ureter,  dessen 
Blasenmündung  verengt  war.  Die  Gefäßversorgung  stammte  von  den  linken 
Iliacis.  Verf.  sagt,  wie  es  möglich  gewesen  wäre,  hier  vor  der  Operation 
eine  Niere  zu  diagnostizieren,  wisse  er  nicht.  4.  Ein  19 jähriges,  sonst  ge¬ 
sundes  Mädchen  hatte  einen  Tumor  zwischen  Nabel  und  Symphyse,  der 
anscheinend  mit  dem  letzten  Lendenwirbel  verbunden  war,  über  dessen  Natur 
man  sich  aber  trotz  aller  Untersuchungshilfsmittel  nicht  recht  klar  werden 
konnte.  Der  Urin  war  normal.  Bei  der  Explorativ- Inzision  zeigte  sich  das 
laterale  Ende  einer  Hufeisenniere.  Eine  zweite  Niere  konnte  nicht  gefühlt 
werden.  Verf.  fragt:  was  tun?  Er  selbst  hielt  es  zurzeit  für  das  Beste, 
nichts  zu  tun.  Peltzer. 


Aus  dem  pathologischen  Institut  in  Köln  (Jores). 

Über  Entartungs-  und  Heilungserscheinungen  in  der  Amyloidniere. 

(R.  Sarrazin.  Virchows  Archiv  für  pathol.  Anatomie,  Bd.  194,  S.  286,  1908.) 

In  der  Amyloidniere  kann  man  fast  regelmäßig  in  einem  großen  Teil 
der  Epithelien  der  gewundenen  Harnkanälchen  die  Bildung  von  homogenen, 
glänzenden,  verschieden  großen  tropfigen  Gebilden  im  Protoplasma  beobach¬ 
ten  (tropfige  Entartung).  Diese  Tropfenbildung  führt  zum  Untergänge 
der  Zelle,  deren  der  Harnkanälchenlichtung  zugekehrter  Saum  bei  höheren 
Graden  der  Entartung  zu  bersten  scheint  und  den  Zellinhalt  z.  T.  in  das 
Harnkanälchenlumen  entleert.  Die  Zellkerne  gehen  ebenfalls  zugrunde. 

Den  Tropfen  ist  eine  Mitwirkung  bei  der  Zylinderbildung  nicht  ab¬ 
zusprechen.  Ihrer  chemischen  Natur  nach  sind  sie  vorläufig  in  die  Gruppe 
der  hyalinen  und  kolloiden  Stoffe  einzureihen. 

Die  Tropfenbildung  beruht  vielleicht  auf  dem  Einflüsse  von  Toxinen, 
die  auf  das  Protoplasma  eine  im  Alb  rech  t’schen  Sinne  entmischende  Wir¬ 
kung  ausüben. 

Man  kann  die  Gebilde  morphologisch  und  höchst  wahrscheinlich  auch 
physikalisch  als  Tropfen,  d.  h.  dem  flüssigen  Aggregatzustande  angehörend 
bezeichnen. 

Auch  bei  Nephrosen,  die  als  Eolgeerscheinung  allgemeiner  Sepsis  auf- 
treten,  ließ  sich  die  tropfige  Entartung  in  mäßiger  Ausdehnung  beobachten. 

Das  fast  regelmäßige  und  ausgedehnte  Vorkommen  der  tropfigen  Ent¬ 
artung  läßt  den  Schluß  zu,  daß  sie  im  Vereine  mit  der  amyloiden  und  fettigen 
Degeneration  den  Störungen  der  Nieren tätigkeit  bei  Amyloidose  zugrunde 
liegt.  Bestimmte  ursächliche  Beziehungen  zur  fettigen  Degeneration  und 
zu  interstitiellen  Wucherungsprozessen  ließen  sich  nicht  feststellen. 

Heilungs-  oder  Ausgleichserjscheinungen  werden  in  der  aJmy- 
loid  entarteten  Niere  bei  nicht  behinderter  Einwirkung  der  ätiologischen 
Schädlichkeit  nur  äußerst  selten  beobachtet.  Sie  treten  in  Gestalt  von  wenigen 
Mitosen  und  —  z.  T.  in  toto  abgestoßenen  —  Kernzellen  zutage.  Die  Gründe 
für  ihr  seltenes  Auftreten  liegen  darin,  daß  bei  der  Amyloidose  die  für  die 
Heilungsvorgänge  notwendigen  Vorbedingungen  fehlen,  die  vorzugsweise  die 
Ätiologie  und  den  allgemeinen  Körperzustand  bei  Amyloiderkrankung  be¬ 
treffen.  W.  Bisei  (Zwickau). 


662 


Referate  und  Besprechungen. 


Ausscheidung  der  Chloride  im  Harn  bei  Nierensteinerkrankungen. 

(L.  A.  Gluzinski.  Wiener  klin.  Wochenschr.,  Nr.  14,  1908.) 

Bei  einem  60  jährigen  Arteriosklerotiker,  der  an  Erscheinungen  abdo¬ 
minaler  Gefäßerkrankung  (Leibschmerzen,  Erbrechen)  litt  und  unter  urämie¬ 
ähnlichen  Erscheinungen  zügrunde  ging,  wurde  ein  vollständiges  Eehlen  der 
Chloride  im  Harn,  auch  bei  Zufuhr  von  8 — 16  g  Kochsalz,  beobachtet.  Die 
zugeführten  Chloride  wurden  durch  den  Magen  ausgeschieden,  d.  h.  der  Salz¬ 
säuregehalt  des  Erbrochenen  stieg.  Der  Autor  beobachtete  diese  Uraemia 
achlorica  außerdem  noch  dreimal,  bei  einem  Kranken  mit  allgemeiner  Arterio¬ 
sklerose  ohne  Albuminurie  und  bei  zwei  Fällen  von  Schrumpf niere.  Ferner 
sah  er  bei  akuter  Scharlachnephritis  gleichzeitig  mit  dem  Auftreten  von 
Ödemen,  Erbrechen  und  Appetitlosigkeit  die  Chloride  aus  dem  Harn  ver¬ 
schwinden,  während  Eiweiß  erst  9  Tage  später  auftrat  (doch  waren  von  An¬ 
fang  an  rote  Blutzellen  und  Zylinder  im  Harn).  Es  scheint  also  die  Retention 
der  Chloride  ein  Frühsymptom  der  Nierenerkrankung  zu  sein.  Mit  dem 
Erscheinen  des  Eiweiß  nimlnt  die  Menge  der  Chloride  wieder  zu  und  der 
Sedimentbefund  wird  spärlicher.  Bei  drei  zur  Sektion  gekommenen  Fällen 
wurde  parenchymatöse  Degeneration  der  Nieren  gefunden,  welche  vielleicht 
das  Anfangsstadium  einer  echten  Nephritis  darstellt.  E.  Oberndörffer. 


Wandernieren. 

(E.  L.  Bell.  Amer.  Journ.  of  Surg.,  Nr.  2,  1909.) 

Bell  leugnet,  daß  das  Schnüren  erheblich  zur  Ausbildung  der  Wander¬ 
niere  beitrage,  da  sie  bei  samoanischen  und  ägyptischen  Frauen  häufig  sei; 
man  kann  aber  doch  den  Eindruck  nicht  los  werden,  daß  ihr  beinahe  aus¬ 
schließliches  Vorkommen  beim  weiblichen  Geschlecht  und  auf  der  rechten 
Seite  auf  das  Herunterschnüren  der  Leber  zurückzuführen  ist.  Wäre  die 
Erschlaffung  des  Bauchs  durch  die  Schwangerschaft  von  so  großer  Bedeutung, 
so  wäre  vermutlich  der  Unterschied  zwischen  rechts  und  links  nicht  so  aus¬ 
gesprochen. 

Das  Tragen  von  Polstern  verdammt  B.  (mit  Recht),  nicht  dagegen  tief 
heruntergehende  Korsette  mit  geradem  Vorderteil,  die  am  besten  vor  dem 
Aufstehen  im  Bett  angelegt  werden. 

Im  Gegensatz  zur  europäischen  Gewohnheit  befürwortet  er  die  Opera¬ 
tion,  von  einem  vorderen  Schnitt  aus,  der  etwas  über  und  hinter  der  Spina 
anterior  superior  beginnt  und  sich  nach  hinten  oben  bis  unter  die  letzte 
Rippe  erstreckt.  Es  bietet  den  Vorteil,  daß  man  nötigenfalls  die  Bauchhöhle 
explorieren  kann  und  daß  die  Operation  in  Rückenlage  ausgeführt  wird. 
Ersteres  ist  deshalb  wichtig,  weil,  wie  EdebohLs  festgeistellt  hat,  60%  der 
Wandernieren  mit  Appendixbeschwerden  kompliziert  sind. 

F.  von  den  Velden. 


Medikamentöse  Therapie. 

Aus  der  medizinischen  Klinik  in  Zürich. 

Ueber  die  Wirkungen  des  Tartarus  depuratus. 

(Eichhorst.  Med.  Klinik,  Nr.  11,  1909.) 

Bei  einem  Patienten  mit  alkoholischer  Leberzirrhose  und  hochgradigem 
Aszites  bewährte  sich  Eich[horst,  wie  es  auch  schon  bei  früher  von  ihm 
beobachteten  Patienten  der  Fall  war,  der  Tartarus  depuratus  sehr. 

Es  gelang  ohne  Punktion  den  Aszites  zum  Verschwinden  zu  bringen, 
doch  muß  der  Tartarus  depuratus  -lange  Zeit  fortgegeben  werden. 

Verordnet  wurde: 

Rp.  Decoct.  radic.  Althaeae  10,0:180,0 
Tartari  depurati  15,0 

Sirup,  simpl.  20,0 

MDS.  Wohl  umgeschüttelt,  2  stdl.  15  ccm  zu  nehmen. 


Referate  und  Besprechungen. 


663 


Daneben  erhielt  der  Pat.  l1/2  Liter  gekochte  Milch,  leichte  Mehlspeisen, 
nur  wenig  Fleisch  und  keinen  Wein. 

Unter  diesem  Regime  nahm  .schon  nach  wenigen  Tagen  die  Harnmenge 
zu,  sie  erreichte  nach  5  Tagen  schon  2000  ccm.  Nachdem  der  Kranke  5  Wochen 
lang  ununterbrochen  den  Tartarus  depuratus  genommen  hatte,  fühlte  er  sich 
subjektiv  wieder  vollkommen  wohl.  Natürlich  wird  das  Grundleiden,  die 
Zirrhose  der  Leber  durch  die  Medikation  nicht  beeinflußt.  Der  Erfolg  wird 
veranlaßt  durch  die  milde  und  lange  anhaltende  diuretische  Wirkung  des 
Tartarus  depuratus,  dessen  Anwendung  in  ähnlichen  Fällen  Eichhorst  warm 
empfiehlt.  Neumann. 


Kantharidentinktur  bei  akuter  Nephritis. 

(E.  Lancereaux.  Bullet,  med.,  Nr.  13,  S.  149 — 150,  1909.) 

Die  Kanthariden  sind  als  zu  gefährlich  ziemlich  allgemein  außer  Ge¬ 
brauch  gekommen ;  aber  im  Gegensatz  zu  vielen  anderen  Medikamenten,  von 
deren  Wirkungsweise  man  im  Grunde  wenig  weiß,  wissen  wir  über  die 
Kanthariden  ganz  genau,  auf  welches  Organ  sie  wirken.  Lancereaux  ist 
auf  den  kühnen  Gedanken  gekommen,  dieses  Mittel  bei  akuter  parenchy¬ 
matöser  Nephritis  mit  Oligurie  bezw.  Anurie  anzuwenden,  und  indem  er 
Kindein  einen,  Erwachsenen  fünf  bis  sechs  Tropfen  der  Tinct.  Oantharidum 
in  einem  schleimigen  Vehikel  (etwa  auf  200  g  Mixt,  gummosa)  gab,  erzielte 
er  schnelle  Steigerung  der  Urinmengen,  Verschwinden  der  Ödeme  und  sehi 
schnelle  Heilung. 

Der  Name  des  bekannten  Klinikers  kann  zu  vorsichtiger  Aufnahme 
dieser  Medikation  ermutigen.  Buttersack  (Berlin). 


Desalgin,  ein  Chloroformpräparat  in  Pulverform  zu  internem  Gebrauch. 

(C.  L.  Schleich.  Ther.  u.  Gegenw.,  Nr.  3,  1909.) 

Desalgin  ist  ein  Eiweißköirper,  der  etwa  25%  Chloroform  enthält, 
getrocknet  und  pulverisiert.  Schleich  läßt  es  messerspitzenweise  3 — 4mal 
täglich,  bei  intensiven  Schmerzen  bis  zu  einem  halben  Teelöf  el  1  mal  täglich 
nehmen  und  hat  gute  Wirkung  bei  Gallensteinbeschwerden,  Appendizitis, 
Bronchitis  und  Phthise  beobachtet.  Er  erklärt  sich  dieselbe  teils  durch  die 
Hyperämie  des  Darmkanals,  teils  durch  die  der  Darmflora  feindliche  Wirkung 
des  Chloroforms,  teils  auch  einfach  durch  die  beruhigende  und  infolgedessen 
die  Sekretion  herabsetzende  Wirkung.  Er  empfiehlt  das  Desalgin  bei  allen 
Schmerzen  die  vom  Peritoneum  umkleidete  Organe  betreffen,  Koliken  des 
Magens,  Darms,  Gallensystems  und  Uterus;  ferner  zur  Beschränkung  der 
Darmflora  und  als  Narkotikum  bei  Lungen erkrankungen. 

Fr.  von  den  Velden. 


Jodomenin,  ein  neues  Jodpräparat  in  der  allgemeinen  Praxis. 

(Friedmann.  Berliner  klin.  Wochenschr.,  Nr.  11,  1909.) 

Mit  Rücksicht  auf  die  lästigen  Nebenwirkungen  der  Jodalkalien,  hat  man 
sich  in  letzter  Zeit  vielfach  bemüht,  Präparate  zu  finden,  die  diese  Neben¬ 
wirkungen  möglichst  vermeiden.  Hierher  gehört  neben  den  Jodeiweißpräpa¬ 
raten  auch  das  Jodomenin,  welches  das  Jod  in  einer  durch  Wismut  ver¬ 
mittelnden  Lösung  enthält  und  in  ganz  hervorragendem  Maße  die  Eigenschaft 
besitzt,  unaufgeschlossen  den  Magen  zu  passieren,  um  erst  im  Darmkanal  seine 
Wirkung  zu  entfalten.  Das  Jodomenin  löst  sich  nämlich  nicht  in  verdünn¬ 
ten  Säuren,  sodaß  der  Säuregehalt  das  Magens  das  Jod  nicht  abzuspalten 
vermag.  Die  langsame  Resorption  des  Jods  im  Darm,  bewirkt  eine  mildere, 
aber  länger  anhaltende  Jodwirkung  als  wie  sie  mit  den  Jodalkalien  zu  er¬ 
zielen  ist. 

Es  kommt  in  Tabletten'  ä  0,5  g  in  den  Handel  und  es  entspricht  eine 
derartige  Tablette  etwa  0,06  g  Jodkali.  Das  Jodomenin  ist  überall  dort 


664 


Referate  und  Besprechungen. 


indiziert,  wo  überhaupt  eine  Jodwirkung  am  Platze  ist.  Hervorgehoben  zu 
werden  verdient,  daß  es  sieh  in  der  Kinderpraxis  gut  bewährt  und  sich 
auch  hier  als  unschädlich  erwies. 

Fr.  sah  auch  bei  mehreren  Patienten,  die  sonst  Jod  nicht  vertrugen, 
daß  Jodomenin  ohne  Schaden  genommen  wurde.  Es  empfiehlt  sich  besonders 
für  langanhaltenden  Gebrauch,  z.  B.  bei  Arteriosklerose.  Neumann. 


L’uso  delle  Jotione  nella  pratica  Dermosifilopatica. 

(Rossi.  Gaz.  Med.  Lombarda,  Nr.  1,  1909.) 

Rossi  wandte  das  Jothion  bei  Adenitis  hyperplastica,  Epididymitis, 
bei  sekundärer  und  tertiärer  Syphilis  an  und  zwar  vorzugsweise  als  25%ige 
Jothionsalbe  mit  Vaselin  und  Lanolin.  Hiervon  wurden  zunächst  immer  2 — 3  g 
pro  die  verrieben  und  die  Dosis  allmählich  auf  4 — 5  g,  wohl  auf'  6  g  pro1  die 
gesteigert.  Verf.  ließ  unter  persönlicher  Beaufsichtigung  15 — 20  Minuten 
lang  einreiben. 

Es  wurden  niemals  Zeichen  von  Intoleranz  oder  starke  lokale  Reiz¬ 
erscheinungen  beobachtet  .  Nur  in  einigen  Fällen  machte  sich  eine  leichte 
Rötung  sowie  ein  geringes  Brennen  bemerkbar,  weshalb  die  Kur  jedoch 
niemals  aufgegeben,  sondern  höchstens  einmal  ein  paar  Tage  ausgesetzt  wer¬ 
den  mußte. 

Auf  Grund  dieser  Erfahrungen,  die  er  mit  einer  Anzahl  von  Kranken¬ 
geschichten  belegt,  kommt  der  Verf.  zu  dem  Schluß,  daß  bei  den  erwähnten 
Krankheitsformen  sehr  gute  Resultate  mit  Jothion  erzielt  werden.  Nur  in 
zwei  Fällen  wurde  es  eine  Zeitlang  ohne  Erfolg  angewandt  und  zwar 
bei  tuberkulöser  Epididymitis  und  beiderseitiger  Adenitis  inguinalis. 

Wenn  man  also  aus  Furcht  vor  Jodismus  in  bezug  auf  die  Wahl  einer 
geeigneten  Jodmedikation  besorgt  ist,  dürfte  das  Jothion  das  passende  Prä- 
parat  sein,  weil  selbst  in  Fällen,  wo  von  anderen  Jodpräparaten  Abstand  ge¬ 
nommen  werden  mußte,  keine  Intoleranzerscheinungen  beobachtet  wurden. 

Neumann. 


Erfahrungen  mit  wasserlöslichen  „Alcuentasalben“. 

(Kamprath.  Klin.-therap.  Wochenschr.,  Nr.  11,  1909.) 

In  dem  Alcuentum  wurde  eine  Salbengrundlage  geschaffen,  bei  der 
durch  feinste  Bindung  des  Fettes  mit  Alkohol  eine  Wasserlöslichkeit  der 
Masse  bewirkt  wurde.  Außerdem  kommt  das  der  Salbengrundlage  zugesetzte 
Medikament  zur  feinsten  Verteilung  und  es  macht  sich  die  Wirkung  des 
Alkohols  als  äußerem  Arzneimittel  voll  geltend.  Die  von  K.  mit  einem 
Alcuentum  hydrargyri  angestellten  Versuche  hatten  folgendes  Ergebnis: 

1.  Das  Alcuentum  wird  leicht  und  vollkommen  resorbiert. 

2.  Das  Alcuentum  hydrargyri  läßt  sich  in  kürzerer  Zeit  und  in  ge¬ 
ringen  Quantitäten  einreiben  als  die  gewöhnliche  graue  Salbe. 

3.  Die  mit  Alcuentum  behandelten  Stellen  fallen  nicht  störend  auf, 
was  insbesondere  in  der  Frauenpraxis  nicht  unwichtig  ist. 

4.  Follikulitis  und  Stomatitis  fehlen  immer. 

5.  Das  Alcuentum-Hg  beschmutzt  die  Hände  nicht,  denn  es  läßt  sich 

6.  von  den  Händen  sehr  leicht  mit  gewöhnlichem  Wasser  abwaschen. 

Neumann. 


Allgemeines. 

Marshall  Hall  und  der  Verfall  des  Aderlasses. 

(D’Arcy  Power.  The  Practitioner,  Nr.  8,  1909.) 

Hier  erfahren  wir,  daß  M.  Hall,  am  meisten  durch  seine  physiologischen 
Versuche  bekannt,  ohne  es  zu  wollen,  zu  dem  um  1840  rasch  eingetreteneln 
Verfall  des  Aderlasses,  der  hauptsächlich  Louis  in  Paris  zuzuschreiben  ist, 


Referate  und  Besprechungen. 


665 


beigetragen  hat.  Es  scheint,  daß  Hall  bis  zu  seinem  Tode  ein  Anhänger 
des  Aderlasses  gehliehen  ist,  aber  seine  Versuche,  Kontraindikationen  aufzu¬ 
finden  und  das  gedankenlose  Aderlässen,  bis  die  Blutung  von  seihst  stand, 
abzuschaffen,  haben  weit  über  seine  Absicht  hinaus  beigetragen,  den  Ader¬ 
laß  in  Verruf  zu  bringen,  von  dem  er  selbst  sagt,  daß  er  von  allen  'Mitteln 
das  wirksamste  sei  und  daß  seine  Unterlassung  in  Bällen,  zu  denen  er  passe, 
der  Krankheit  ein  gefährliches  Fortschreiten  gestatte. 

Noch  heute  von  Interesse  ist  seine  Tabelle  der  Blutmengen,  die  ent¬ 
zogen  werden  können,  ehe  Andeutungen  von  Ohnmacht  eintreten.  Wir  ersehen 
daraus,  daß  diese  Menge  beim  Gesunden  eine  mittlere  ist  (etwa  V 2  Liter), 
erhöht  ist  sie  bei  entzündlichen  Zuständen  (Bronchitis,  Pneumonie,  Peritonitis, 
Erysipel,  Wundfieber)  und  besonders  bei  Apoplexie  und  Gehirnkongestion 
(bis  zu  1%  Liter),  herabgesetzt  dagegen  bei  Verletzungen,  Magen-  und  Darm¬ 
störungen,  fieberhaften  Exanthemen,  Delirium  tremens  und  Eklampsie. 

Fr.  von  den  Velden. 


Risse  in  den  Injektionsnadeln. 

(Lafay.  Soc.  franc.  de  dermatol.  et  de  syphiligraphie,  März  1909.  —  Bull.  med. 

Nr.  22,  S.  263,  1909.) 

Auf  der  Suche  nach  der  Ursache  von  Abszessen,  Indurationen  u.  dergl. 
bei  Injektionen  von  Ol.  cinereum  kam  Lafay  auch  auf  die  Idee,  die  Injek¬ 
tionsnadeln  zu  revidieren.  Er  verschaffte  sich  Nadeln  von  6 — 8  cm  Länge 
von  den  besten  Firmen  und  bemerkte,  daß  5 — 18%  davon  mehr  oder  weniger 
kleine  Risse  aufwiesen.  Von  den  zur  Reparatur  geschickten,  ,,neu  aufge¬ 
arbeiteten“  (remis  ä  neuf)  hatten  sogar  46%  Sprünge. 

Lafay  führt  die  genannten  Zufälle  auf  ein  Austreten  von  Ol.  cinereum 
an  nicht  gewollter  Stelle  zurück ;  das  ließe  sich  wohl  unschwer  experimentell 
nachweisen.  Vielleicht  kommt  daneben  auch  noch  —  außer  ungenügender 
Reinlichkeit  —  der  mechanische  Reiz  einer  solchen  rauhen  Stelle  in  Betracht. 

Buttersack  (Berlin). 


Die  Müttersterblichkeit  in  Deutschland 

(„Die  neue  Generation“,  Organ  des  Bundes  für  Mutterschutz,  Dez.  1908.) 

ist  noch  immer  außerordentlich  hoch.  So  starben  in  Preußen  allein  im 
Jahre  1906  3722  Mütter  am  Kindbettfieber.  Von  je  10000  lebenden  Frauen 
starben  in  einem  Jahre  1,97  im  Kindbett,  von  10000  Entbundenen  nahezu 
29.  In  den  Städten  liegen  die  Verhältnisse  ungünstiger  als  auf  dem  Lande 
und  von  allen  Städten  am  ungünstigsten  steht  Berlin  da,  wo  gegen  den  Staats¬ 
durchschnitt  von  28,81  auf  10000  Entbundene  56,48  —  also  gerade  die  doppelte 
Zahl !  —  Todesfälle  an  Puerperalfieber  entfallen. 

Sollten  nicht  auch  diese  Zahlen  wieder  einen  neuen  Beweis  *  für  die 
Notwendigkeit  einer  Reform  unseres  Hebammenstandes  bilden? 

Werner  Wolff  (Leipzig). 


Die  geplante  Karlsruher  Mutterschaftskasse. 

(Dr.  med.  Alfons  Fischer,  Karlsruhe.  „Neue  Generation“,  Dez.  1908.) 

Ein  neuer  Weg  der  Wöchnerinnen-Unterstützung  soll  jetzt  in  Karlsruhe 
auf  Anregung  Dr.  Alfons  Fischer’s  versucht  werden,  ausgehend  von  dem 
Prinzip,  daß  es  vom  volkswirtschaftlichen  wie  auch  erzieherischen  Stand¬ 
punkte  zweckmäßiger,  statt  nur  den  Wohltätigkeitssinn  —  in  Form  der 
Stillprämien  —  walten  zu  lassen,  die  zu  unterstützen,  die  sich  tatkräftig  be¬ 
mühen,  sich  selbst  zu  helfen.  Geschehen  soll  dies,  nach  dem  Beispiele  der 
Pariser  Mutualite  maternelle,  in  Form  der  Versicherung',  die  während  der 
ersten  vier  Wochen  post  partum  die  Wöchnerinnen  unterstützen  soll.  Was 
nun  die  von  den  Versicherten  zu  leistenden  Beiträge  anlangt,  so  ist  dafür 
ein  Monatsbeitrag  von  50  Pfg.  geplant.  Dafür  soll  dann  —  wenn  die  vor- 


666 


Referate  und  Besprechungen. 


läufigen  Berechnungen  stimmen  —  die  Kasse  ihren  Mitgliedern  nach  ein¬ 
jähriger  Mitgliedschaft  für  den  Fall  der  Schwanger-  und  Mutterschaft 
20  Mk.,  nach  zweijähriger  Mitgliedschaft  30  Mk.,  nach  dreijähriger  40  Mk. 
und  nach  vierjähriger  50  Mk.  als  Unterstützung  gewähren.  Vor  Ablauf 
einer  wenigstens  ein  Jahr  dauernden  Zugeh örigkeit  zur  Kasse  wird  keine 
Rente  gezahlt,  dafür  steigt  mit  der  Dauer  der  Mitgliedschaft  die  Höhe  der 
Unterstützung,  und  wenn  diese  in  der  ersten  Zeit  auch  nur  kurz  bemessen, 
dürfte  sie  nach  längerer  Mitgliedschaft  der  Versichterten  doch  eine  beträcht¬ 
liche  Hilfe  gewähren. 

Es  fragt  sich  nun,  ob  bei  diesen  angenommenen  Beitrags-  bezw.  Unter- 
stützung'ssummen  die  Kasse  bestehen  könnte.  Nach  den  Erfahrungen  der 
Mut.  mat.  in  den  Jahren  1903 — 1906  werden  14,4— 21%  der  Kassenteilnehme¬ 
rinnen  jährlich  entbunden.  Nimmt  man  nun  das  ungünstigste  Verhältnis 
(2 1  °/ o)  für  die  Karlsruher  Kasse  an,  so  würde  diese  —  wiederum  bei  Zugrunde¬ 
legung  obiger  Bestimmungen  —  mit  einem  minimalen  J ahresdefizit  abschneiden. 
Da  nun  aber  schon  von  vornherein  nicht  nur  damit  gerechnet  wird,  daß 
die  Geburtenfrequenz  unter  den  Mitgliedern  der  Karlsruher  Kasse  weit  größer 
sein  wird  als  die  Geburtenzahl  in  Karlsruhe  überhaupt,  sondern  auch  damit, 
daß  hier  auch  die  Geburtenhäufigkeit  bei  den  Versicherten  die  des  französi¬ 
schen  Instituts  überschreiten  wird,  so  wird  doch  immerhin  bei  den  beab¬ 
sichtigten  Beiträgen  und  Unterstützungen  das  Defizit  mit  einigen  tausend 
Mark,  also  einem  verhältnismäßig  geringfügigen  Betrag,  gedeckt  werden. 
Um  nun  im  Anfang,  wo  doch  erst  Erfahrungen  gesammelt  werden  müssen, 
das  zu  erwartende  Defizit  nicht  allzu  groß  werden  zu  lassen,  soll  zunächst 
die  Zahl  der  Aufzunehmenden  begrenzt  werden,  damit  der  vor  der  Kassen¬ 
eröffnung  zu  sammelnde  Garantiefonds  zur  Sicherstellung  ausreicht.  Es  ist 
nämlich  beschlossen  worden,  zunächst  eine  a  fond  perdu  zu  gewährende 
Summe  aufzubrinngen,  die  vor  der  Sorge  des  Defizits  schützen  soll,  eine 
Summe,  die  mindestens  2000  Mk.  betragen  und  dementsprechend  auch  die 
Höchstzahl  der  Versicherten  sein  soll.  Dieser  Garantiefonds  soll  sich  tunlichst 
nur  aus  Beiträgen  öffentlicher  Kassen  zusammensetzen,  um  die  Privatwohl¬ 
tätigkeit  gar  nicht  in  Anspruch  zu  nehmen,  und  besteht  begründete  Hoffnung, 
daß  die  Stadtverwaltung  die  Hälfte  der  Summe  als  Beihilfe  gewähren  wird, 
während  sich  in  die  andere  Hälfte  wohl  die  Orts-  und  Betriebskrankenkassen 
und  die  Versicherungsanstalt  Baden  teilen  dürften. 

Wie  nun  die  geplante  Kasseneinrichtung  funktionieren  wird,  wieviel 
Frauen  sich  zur  Aufnahme  melden  werden,  wieviel  unter  ihnen  entbinden 
werden,  ob  die  Rentenhöhe  genügen  wird,  um  den  beabsichtigten  Schutz  für 
Mutter  und  Kind  zu  erreichen  —  all  dies  läßt  sich  im  Voraus  nicht  sagen, 
nicht  einmal  vermuten.  Es  kann  sich  im  Anfang  bei  dem  Unternehmen 
eben  um  nichts  anderes  als  um  einen  Versuch  handeln,  der  dazu  dienen  soll, 
Erfahrungen  zu  sammeln  und  vielleicht  auch  in  anderen  Städten  zu  ähnlichem 
Vorgehen  anzuregen.  Werner  Wolff  (Leipzig). 


Uneheliche  Geburten  und  Universitätsstädte. 

(Zeitschr.  für  Bekämpfung  der  Geschlechtskrankh.,  Bd.  8.  H.  5.) 

Geradezu  überraschend  sind  die  Aufschlüsse,  welche  die  Statistik  pro 
1906  über  die  Zahl  der  unehelichen  Geburten  in  Deutschland  und  ihr  Ver¬ 
hältnis  zu  den  ehelichen  gibt.  Sie  umfaßt  leider  nur  die  Orte  mit  15000 
und  mehr  Einwohnern,  eröffnet  aber  immer  noch  genug  interessante  Einblicke. 

So  waren  in  Berlin  17,3 °/0  aller  Lebendgeborenen  unehelich,  eine  an  sich 
schon  hohe  Ziffer,  die  aber  noch  vielfach  übertroffen  wird:  so  waren  es  in 
Celle  22,2%,  in  dem  kleinen  Neuruppin  18,9%  und  in  Paderborn  gar  23,4%. 

Am  merkwürdigsten  ist,  daß  die  absolut  und  relativ  größten  Ziffern 
des  Prozentsatzes  unehelicher  Geburten  für  die  deutschen  Universitätsstädte 
gelten.  Berlin  ist  mit  seinen  17,3%  schon  genannt.  Bonn  weist  21,7% 
auf,  während  die  nahegelegenen  Städte  Köln  und  Koblenz  nur  12%  bezw. 
6,1%  haben. 


Referate  und  Besprechungen. 


667 


Breslau  ist  mit  18,1%  immer  noch  schlimmer  daran  als  Berlin,  aber 
unvergleichlich  besser  als  Göttingen  mit  23,7%  oder  gar  Greifswald  mit 
31,1%.  Halle  hat,  als  scheinbar  solide  Stadt,  nur  15,1%  ebenso  wie  Kiel, 
während  Königsberg  schon  16,4%  zählt.  An  der  Spitze  von  allen  steht 
Harburg  mit  37,7%,  das  den  schlechtesten  Durchschnitt  im  Reiche  überhaupt 
hat!  Die  bayerischen  Universitätsjstädte  haben  16,1%  in  Erlangen,  20,4 % 
in  Wtirzburg  und  26,7%  in  München,  während  in  einer  Ausnahme  alle  Zahlen 
sonst  weit  hinter  diesen  Zurückbleiben. 

In  Sachsen  wird  Leipzig  mit  seinen  18,8%  nur  noch  von  der  Fabrik¬ 
stadt  Plauen  um  1%  übertroffen,  in  Württemberg  hat  Tübingen  mit  32,2 % 
beinahe  dreimal  so  viel  uneheliche  Geburten  als  die  Hauptstadt  Stuttgart. 

Heidelberg  hält  mit  25,4%  den  Rekord  in  Baden,  Gießen  mit  32,7% 
den  von  Hessen,  während  Darmstadt  nur  8,5%  hat. 

Rostock  steht  mit  17,4%  an  der  Spitze  von  Mecklenburg  und  Jena 
mit  24,4  %  an  der  von  Sachsen -Weimar. 

Es  haben  also  zweifellos  die  deutschen  Universitätsstädte  den  größten 
Prozentsatz  an  unehelichen  Geburten,  eine  Tatsache,  die  doch  vielleicht  etwas 
zu  denken  gibt!  Werner  Wolff  (Leipzig). 


Weniger  von  medizinischem,  als  vielmehr  von  allgemein  kulturhisto¬ 
rischem  Interesse  ist  eine  Zusammenstellung  der  Universitäten  und  Studie¬ 
renden  in  Europa.  Danach  besitzt 


Deutschland 

21 

Universitäten 

mit  49  000  Studenten 

Frankreich 

16 

n 

11 

32  000 

y 

Österreich-Ungarn 

11 

71 

30  000 

71 

England 

15 

11 

11 

25  000 

11 

Rußland 

9 

y 

n 

23  000 

y 

Spanien 

9 

7 7 

y 

12  000 

y 

Schweiz 

7 

17 

y 

6  500 

y 

Belgien 

4 

TI 

n 

5  000 

y 

Schweden 

3 

n 

y 

5  000 

y 

Rumänien 

2 

11 

y 

5  000 

y 

Niederlande 

5 

17 

n 

4  000 

y 

Italien 

21 

r 

y 

24  000 

71 

(Berlin  mit  13884  und  Paris  mit  12985  Studenten  stellen  die  größten 
Hochschulen  dar.') 

Man  sieht,  es  geht  ein  fast  pathologischer  Wissensdurst  durch  die  Lande; 
aber  trotz  all  der  vielen  Hochschulen  besteht  der  Satz  von  G.  Ch.  Lichten- 
berg  auch  heute  noch  zu  Recht:  ,,Das  Brauchbarste  in  unserem  Leben  hat  uns 
gemeiniglich  niemand  gelehrt.“ 

So  verschieden  die  Hochschulen  und  ihre  Lehrpläne  untereinander  sein 
mögen:  auf  keiner  einzigen  wird  die  Tugend  doziert;  und  doch  soll  sie 
nach  Sokrates  lehrbar  sein.  Entweder  liegt  da  ein  offenbarer  Mangel  vor, 
oder  es  gibt  neben  dem  Wissen  noch  andere  Faktoren,  die  bei  der  Bildung 
eine  Rolle  spielen;  wenn  ja,  dann  müßte  man  diese  doch  wohl  ebenso  pflegen 
wie  das  reine  Wissen.  Buttersack  (Berlin). 


Aus  der  amerikanischen  periodischen  medizinischen  Literatur. 

(Februar  1909.) 

The  american  journal  of  the  medic'al  Sciences.  Februar. 

1.  Gastrische  Neurosen.  Von  Dr.  John  B.  Deaver,  Chefchirurg  am 
deutsch.  Hosp.  in  Philadelphia.  Eine  ausführlich  begründete  Warnung  vor 
operativen  Eingriffen  bei  Neurosen  des  Magens. 

2.  Die  Beh  andlung  der  chronischen  Bronchitis.  Von  Dr.  F. 
Forchheimer,  Prof,  der  Med.  am!  jnedic.  College  in  Ohio,  Universität  v. 
Cincinati.  Seine  Erfahrungen  haben  F.  dahin  geführt,  zu  glauben,  daß  „der 
Praktiker  es  besser  ohne  die  noch  vielfach  angewandte  Pneumatotherapie  tut“, 
obgleich  er  deren  gelegentliche  gute  Erfolge  nicht  verkennt  —  eine  Ansicht, 


668 


Referate  und  Besprechungen. 


die  dadurch  gestützt  werde,  daß  die  pneumatischen  Apparate  aus  den  Zimmern 
der  Ärzte  verschwinden.  Demgemäß  Besprechung  der  Behandlung  der  ver¬ 
schiedenen  Formen  der  chronischen  Bronchitis  mit  und  ohne  Arzneien  (klima¬ 
tische  Behandlung). 

3.  Freiluft-  und  Hyperämie-Behandlung,  ein  mächtiges  Hilfs¬ 
mittel  bei  der  Behandlung  komplizierter  chirurgischer  Tuber¬ 
kulose  der  Erwachsenen.  Von  Dr.  Willy  Meyer,  Prof,  der  Chirurgie 
an  der  Post-Graduate  school  etc.  in  New -York.  An  gewissen  Stellen  des 
Körpers,  an  denen  der  tuberkulös  erkrankte  Knochen  an  sich  operiert  werden 
kann,  kann  doch  durch  die  Operation  allein  nicht  vollkommene  Heilung 
erzielt  werden,  so  am  os  sacrum,  am  Becken,  bei  mit  suppurativer  Koxitis 
komplizierter  Azetabulitis  usw.  Mitteilung  dreier  Fälle  zur  Illustrierung 
des  Gesagten.  M.  plädiert  daher  für  die  Einrichtung  besonderer  Stati  men 
für  derartige  Kranke  als  Adnexe,  der  bestehenden  Sanatorien  für  Schwind¬ 
süchtige,  in  denen  sie  von  besonders  für  diesen  Dienst  geschulten  ärztlichen 
Assistenten  mit  Bier’scher  Stauung  und  in  freier  Luft  behandelt  werden 
können. 

4.  Das  Herz  in  der  Lungentuberkulose.  Von  Dr.  Lawrason 
Brown,  resident  physician  am  Adirondack  cottage  Sanatorium,  Sawanak-See- 
New-York.  Eine  eingehende  Studie  über  das  Verhalten  des  Herzens  bei 
Lungentuberkulose,  wenn  es  1.  selbst  nicht,  2.  wenn  es  erkrankt  ist.  Der 
erste  Teil  ist  bereits  früher  veröffentlicht,  der  gegenwärtige  zweite  beschäf¬ 
tigt  sich  mit  der  Erkrankung  des  Herzens  während  einer  Lungentuberkulose 
(Myokarditis,  Veränderungen  im  Myokard,  Peri-  u.  Endokarditis,  Mitral¬ 
stenose,  Thrombose),  dem  Auftreten  einer  Tuberkulose  während  einer  Herz¬ 
krankheit  (Endokarditis,  Mitral-Insuffizienz  und  Stenose,  Aorten-Insuffizienz 
usw.)  sowie  der  Diagnose  und  Behandlung  unter  solchen  Umständen. 

5.  Der  bacillus  coli  communis  die  Ursache  einer  klinisch 
mit  Typhus  identischen  Infektion.  Von  Dr.  Warren  Coleman, 
Prof,  der  klin.  Medizin  an  der  Cornell-Universität,  New- York,  und  Dr.  T.  W. 
Hast  ings,  ebenso.  Mitteilung  1903  im  Bellevue-Hospital,  New-York,  selbst¬ 
beobachteter  Fälle  von  typhusähnlichem  Charakter  verursacht  durch  bacillus 
coli  communis,  wie  solche  schon  als  Folge  einer  Infektion  durch  den  bacillus 
faecalis  alcaligenes,  den  Paratyphoid-  und  Parakolon-Bazillus  (bacillus  para- 
typhosus,  Typus  A  und  B),  den  bacillus  enteritidis  und  den  bacillus  pisitta- 
cosis  (die  Bazillen  der  Typhokolon-Gruppe  oder  Typhaceen  Löffler’s)  be¬ 
obachtet  sind.  Lediglich  klinisch  können  diese  verschiedenen  Infektions¬ 
formen  nicht  differenziert  werden,  vorläufig,  bis  zu  einer  exakten  bakte¬ 
riologischen  Diagnose,  müssen  sie  klinisch,  wenn  sie  einen  typhusähnlichen 
Verlauf  nehmen,  als  Typhus  bezeichnet  werden.  Eine  bakteriologische  Klassi¬ 
fikation  würde  die  Einführung  einer  neuen  Nomenklatur  für  jede  einzelne 
Art  der  Infektion  erfordern. 

6.  Akute  Syphilis  der  Chorda  spinalis.  Von  Dr.  Joseph  Collins, 
Prof,  der  Nerven-  und  Geisteskrankheiten  gm  Post-Gr aduate-Hospital,  und 
Dr.  Charles  G.  Taylor,  klinischer  Assistent  für  Neurologie,  ebenda,  New- 
York.  Eine  Diskussion  über  syphilitische  Spinalparalyse  unter  Mitteilung 
von  2  Fällen  mit  Beibringung  von  Photographien  mikroskopischer  Rücken¬ 
markspräparate  (Spinalparalyse,  syphilitische  lleningitis). 

7.  Habituelle  oder  rekurrier  ende  vordere  Dislokation  der 
Schulter.  Von  Dr.  T.  Turner  Thomas,  Chirurg  an  der  Universität  von 
Pennsylvanien  und  den  general  Hospitals  in  Philadelphia.  Eine  Studie  über 
die  Kapsuloraphie  als  Ursache  der  genannten  Dislokation  mit  Mitteilung 
von  Fällen  und  Zeichnungen.  Th.  kommt  zu  dem  Schluß,  daß  nach  seiner 
Ansicht  die  gewöhnliche  vordere .  habituelle  oder  rekurrierende  Schulterdis¬ 
lokation  zurückzuführen  ist  auf  eine  traumatische,  durch  Narben  veranlaßt« 
vordere  Hernientasche  in  der  Kapsel  und  daß  es  daher  Aufgabe  der  Operation 
sei,  diese  zu  obliterieren. 

8.  Die  klinischen  Formen  der  Pyelonephritis.  Von  Dr.  Daniel 
N.  Eisendraht,  Prof,  der  Chirurgie,  Illinois-Universität,  Chikago.  E.  unter- 


Referate  und  Besprechungen. 


669 


scheidet  1.  einen  hämatogenen  Typus  und  zwar  a)  einen  hyperakuten,  b)  einen 
akuten,  c)  einen  subakuten.  2.  einen  urogenen  Typus  und  zwar  a)  einen 
rekurrierenden  fieberhaften,  b)  einen  kontinuierlichen  fieberhaften  (chroni¬ 
sche  Urosepsis).  3.  eine  Pyelonephritis  der  Kinder.  4.  eine  solche  der 
Schwangeren.  5.  eine  solche  im  Puerperium,  und  beschreibt  diese. 

9.  Die  operative  Behandlung  des  def taktierten  septum  nasale. 
Von  Dr.  Charles  W.  Richardlson,  Prof,  der  Rhinologie  und  Laryngologie 
an  der  G.  Washington-Universität,  Washington.  R.  operiert  submukös  (unter 
Kokain),  zieht  diese  Methode,  die  ausgezeichnete  Resultate  liefern  soll,  den 
älteren  Verfahren  vor  und  belegt  seine  Ansicht  mit  Gründen. 

10.  Ein  Fall  von  Tr acheal-Sklerom.  Von  Dr.  Emil  Mayer, 
Laryngologe  usw.  am  Mount  Sinai-Hospital,  New -York.  M.  stellte  den  Fall  zu¬ 
erst  vor  2  Jahren  in  der  amerikanischen  Laryngologischen  Gesellschaft  vor 
(dieses  Journal  1907,  Band  133,  S.  751).  Jetzt  kam  die  Kranke  mit  starker 
Dyspnoe  wieder,  es  kam  Tracheotomie  in  Frage  und  so  entschloß  sich  M. 
zu  einer  direkten  Behandlung  mit  X-Strahlen  durch  eine  Öffnung  in  der 
Trachea,  der  Erfolg  war  ausgezeichnet.  Noch  ein  Jahr  nach  der  Operation 
war  die  Trachea  völlig  normal. 

11.  Das  Vorkommen  von  Tuberkelbazilleln  im  zirkulierenden 
Blut  Tuberkulöser.  Von  Dr.  Rändle  C.  Rosenberger,  Assistent-Pro¬ 
fessor  am  Jefferson  medical  College  usw.,  Philadelphia.  Tuberkulose  scheint 
in  allen  ihren  Formen  eine  Bakterämie  zu  sein.  Tuberkelbazillen  kommen, 
wenngleich  in  geringer  Zahl,  im  Blut  selbst  bei  heilenden  oder  stillstehenden 
Fällen  vor. 

The  St.  Paul  medical  journal.  Februar. 

1.  Akute  traumatische  und  chronische  Synovitis  des  Knie¬ 
gelenks.  Von  Dr.  Robert  W.  Lovett,  Boston.  Der  Inhalt  läßt  sich, 
nach  L.  selbst,  zum  Teil  wie  folgt  zusammenfassen:  Chronische  Synovitis 
des  Kniegelenks  ist  nicht  eine  Wesenheit  für  sich,  sondern  ein  Symptom,. 
Sowohl  bei  der  akuten  als  auch  der  chronischen  S.  ist  die  Muskelatrophie 
und  seitliche  Beweglichkeit  des  Gelenks  von  großer  Bedeutung  und  muß  bei 
der  Behandlung  mit  ihr  gerechnet  werden.  Wo  sie  gemacht  werden  kann, 
ist  bei  chronischer  S.  eine  ätiologische  Diagnose  wünschenswert.  Hat  eine 
geeignete  Behandlung  keinen  Erfolg,  so  sollte  man  nicht  temporisieren,  son¬ 
dern,  außer  bei  Tuberkulose,  chronischem  degenerativem  Leiden  intermittieren¬ 
der  Synovitis  und  Hämophilie  das  Gelenk  öffnen. 

2.  Metabolismus  und  seine  Beziehung  zu  gewissen  nervösen 
und  geistigen  Zuständen.  Eine  klinische  Studie  von  Dr.  C.  Sugen|e 
Riggs,  Prof,  der  Nerven-  u.  Geisteskrankheiten,  Universität  von  Minnesota, 
St.  Paul.  R.  möchte  die  nach  ihm  gut  begründete,  wenn  auch  noch  nicht 
direkt  bewiesene  Theorie  Mac  Pherson’s  von  dem  toxischen  Ursprung  der 
Geisteskrankheit  auf  gewisse  nervöse  Zeichen  und  Zustände  ausgedehnt  wissen. 
Es  gebe  eine  nur  durch  Toxämie  zu  erklärende  Form  der  Neurastenie  und  so¬ 
lange  erstere  nicht  erkannt  und  beseitigt  sei,  steigere  sich  letztere  bis  zu 
Halluzinationen  und  könne  schließlich  zum  Tode  führen,  wenngleich  diese 
„metabolische  Neurasthenie“,  der  hauptsächlich  metabolische  Prozesse  zugrunde 
liegen,  allerdings  meist  milder  auf  tritt.  Die  Trennung  in  Neurosen  und 
Psychosen  sei  rein  arbiträr,  insofern  eine  Krankheit  als  Neurose  beginnen 
und  als  Psychose  enden  kann.  Unter  metabolischer  Toxämie  versteht  R. 
die  Anwesenheit  metabolischer  Toxine,  wahrscheinlich  der  Prä- Ureakörper 
und  in  geringerem  Grade  der  Schwefeläther  (,,pre-urea  bodies  and  etherial 
sulphates“)  im  Blute.  Sie  lösen  bestimmte  nervöse  und  psychische  Symptome 
aus,  die,  wie  R.  konstatiert  hat,  pari  passu  mit  der  Sekretion  des  Harns 
und  des  Harnstoffs  ab-  oder  zunehmen.  Nach  seiner  Erfahrung  sind  unge¬ 
fähr  25  °/0  aller  Neurasthenien  metabolisch.  (Mitteilung  von  5  klinischen 
Fällen).  Sie  spielt  ihre  Rolle  bei  Hysterie,  arterieller  Hypertonie  und  der 
Entstehung  von  Geisteskrankheiten,  bei  letzteren  infolge  der  Steigerung  des 
Blutdrucks.  Bei  der  Behandlung  kommt  es  darauf  an,  die  Toxine  zu  elimi¬ 
nieren  (Milch,  Wasser  trinken,  Abführmittel,  Bettruhe,  Tonika  usw.). 


670 


Referate  und  Besprechungen. 


3.  Die  Diagnose  der  Gielenkkr aükh'eiten.  Von  Dr.  Alex  Colvin, 
St.  Paul.  Wir  erwähnen  hier  nur,  was  C.  am  Schluß  seiner  Beobachtungen  durch 
7  Radiogramme  über  die  Radiographie  sagt.  Er  meint,  sie  solle  nur  zur  An¬ 
wendung  kommen,  wenn  der  klinische  Augenschein  erschöpft  ist,  denn  die 
X-Strahlen  sind,  obgleich  ein  sehr  wichtiger  Faktor,  doch  eben  nur  einer.  Bei 
einer  akuten  Gelenkkrankheit,  selbst  bei  einer  akuten  Erkrankung  der  Knochen, 
gibt  der  Radiograph  meist  ein  negatives  Bild,  er  ist  nur  ein  Schatten  des 
pathologischen  Zustandes.  Sieht  man  auf  der  Platte  eine  Knochenzerstörung, 
so  weiß  man  noch  nicht,  welcher  Prozeß  sie  hervorgebracht  hat.  Tuberkulose 
ist  früh  eine  Infiltration  und  kann  nicht  immer  erkannt  werden,  später  gibt 
sie  das  Bild  der  Zerstörung. 

4.  Die  Behandlung  der  Trigemj.üus-Neur  algie  mit  tiefen 
Alkohol-Injektionen.  Von  Dr.  Chas.  R.  Ball,  St.  Paul.  Außer  dem 
temporär  wirkenden  Morphium  versagen  bei  der  Behandlung  der  Trigeminus- 
Neuralgie  alle  anderen  Drogen.  Periphere  Resektion  des  Nerven  hat  nicht 
den  erwarteten  Erfolg,  zentrale,  an  seinem  Austritt  aus  dem  Schädel  ist  oft 
von  Paralyse  der  Augen  und  Geisichtsmuskeln  gefolgt,  die  Exstirpation  des 
ganglion  Gasseri  ist  ein  allerletztes  Mittel,  gefolgt  von  Atrophie  der  Muskeln 
auf  der  Seite  der  Operation.  Zuerst  Levy  und  Baudoin  1906,  Brissaud 
und  Sicard  in  Frankreich  1907  haben  eine  Reihe  von  Fällen  von  mit  tiefen 
Alkoholinjektionen  erfolgreich  behandelter  Trigeminusneuralgie  veröffentlicht, 
1907  folgte  Hugh  T.  Patrick,  Chicago,  mit  16  Fällen  (the  americ.  journ. 
of  the  med.  scienc.  1907,  Novbr.).  Die  Methoden  unterscheiden  sich  nicht 
viel  von  einander,  die  Hauptschwierigkeit,  die  Ball  fand,  ist,  dem  Nerven 
genügend  nahe  zu  kommen.  In  nicht  eiligen  Fällen  empfiehlt  sich  ein 
Intervall  von  mehreren  Tagen  zwischen  den  Injektionen.  Die  gebrauchte 
Lösung  ist  eine  80  oder  (90%ige  alkoholische  Lösung  von  1  Gran  Kokain 
auf  die  Unze.  Gebrauchte  B.  Alkohol  ohne  Kokain,  so  waren  die  Nach¬ 
schmerzen  heftiger.  Die  Menge  beträgt  ,2  ccm.  Mitteilung  von  7  Fällen. 
Für  andere  Nerven  empfehlen  Levy  und  Baudoin  die  Injektion  nicht  und 
erachten  sie  bei  Ischias  sogar  als  gefährlich.  B.  machte  einmal  bei  lanzinie- 
renden  Tabesschmerzen  mit  anscheinendem  Erfolg  Gebrauch,  läßt  es  aber 
dahingestellt,  ob  es  sich  nicht  [um  einen  Zufall  handelte. 

The  Post-Graduate.  Februar.1) 

1.  Der  Monat.  England  hat  sich,  ultrakonservativ  wie  es  ist,  lange 
ablehnend  gegen  die  Fortbildung  bereits  Graduierter  verhalten.  Jetzt  besteht 
in  London  das  Weist  London  Post-Graduate  College,  das  von  Armee-  und 
Marineärzten  besucht  werden  muß,  das  North-East  London  Post-Graduate  College, 
das  medical  Graduates’  College,  mit  Poliklinik,  aber  ohne  Hospital  und  die 
Londoner  Tropenmedizin -  Schule,  wo  ausreisende  Ärzte  die  aus  allen  Welt¬ 
teilen  zurückkehrenden  Kranken  studieren  können  und  wo  über  Helmintologie, 
Protozoologie  und  Entomologie  gelesen  wird.  —  Während  fremdsprachige 
Publikationen  in  Amerika  frei  eingehen,  zahlen  englische  Bücher  25,  wissen¬ 
schaftliche  Instrumente  45 — 80%  Zoll.  Es  ist  eine  Bewegung  im  Gange, 
diese,  namentlich  für  die  Ärzte  drückenden  Maßregeln,  abzuschaffen.  —  New- 
Ä7ork  hat  1908  die  bisher  niedrigste  Sterblichkeit  von  73171  Todesfällen  = 
16,32  %0  und  die  höchste  Geburtsziffer  (126863  =  28,68  °/0o)  gehabt.  Dagegen 
haben  die  Selbstmorde  um  151  über  den  Durchschnitt  der  letzten  fünf  Jahre 
zugenommen.  —  Im  Staate  New -York  darf  seit  1.  Januar  dieses  Jahres 
niemand  mehr  Augenuntersuchungen  zum  Zwecke  der  Verordnung  von  Augen¬ 
gläsern  vornehmen,  der  nicht  ein  Zertifikat  vom  New  York  stade  board  of 
examiners  in  optometry  hat. 

2.  Neuritis  und  ihre  Beziehung  zu  f äulniserregienden  Darm¬ 
prozessen.  Von  Dr.  Graeme  Hammond,  Prof,  der  Geistes-  und  Nerven¬ 
krankheiten,  P. -Grad,  school  and'  hosp.  New- York.  Mitteilung  von  zehn 
wohlstudierten  Fällen  aus  der  eigenen  Praxis  zum  weiteren  Belege  dafür, 
daß  viele  Fälle  von  Neuritis  nicht  ganz  klarer  Ätiologie  auf  Toxinen  be- 


L  Die  Januar-Nummer  ist  ausgeblieben. 


Referate  und  Besprechungen. 


671 


ruhen,  die  aus  der  Fäulnis  unverdauten  Materials  im  Darm  hervorgehen. 
6  mal  war  die  Neuritis  auf  ,eine  Extremität  beschränkt,  3  mal  auf  mehr 
als  eine  ausgedehnt  und  lmal  schwer.  Dabei  handelte  es  sich  8  mal  um 
Männer,  2  mal  um  Frauen,  alle  Patienten  waren  im  mittleren  Lebensalter 
oder  darüber,  waren  früher  starke  Esser  und  hatten  längere  Zeit  vor  dem 
Auftreten  der  Neuritiden  an  Verdauungsstörungen  gelitten.  Nur  ein  Kranker 
war  früher  starker  Trinker,  zwei  huldigten  mäßigem  Alkohol-  und  Tabak¬ 
genuß.  Rheumatismus  war  in  keinem  Falle  vorhanden.  Die  Toxine  (Indikan, 
Skatol,  Indol,  Buttersäure)  waren  in  jedem  Falle  reichlich  im  Urin  nach¬ 
weisbar.  Mit  dem  Verschwinden  dieser  unter  der  Behandlung  (Chininsulfat 
und  Aspirin  in  Kombination)  verschwanden  ,auch  die  Symptome,  vielleicht, 
weil  Chininsulfat  und  Aspirin,  letzteres  als  ein  Salizylat,  keimtötend  wirken. 

3.  Die  chirurgische  Beihandlüng  der  nicht-resolvierten  Pneu¬ 
monie.  Von  Dr.  Samuel  Lloyd,  Prof,  der  Chirurgie,  P.-G-rad.  school  usw., 
New- York.  Unresolvierte  Pneumonie  ist  nach  L.’s  Ansicht  nur  selten,  wenn 
überhaupt,  ein  medizinischer  Fall,  sondern  erfordert  chirurgische  Behand¬ 
lung.  Er  stellt  sich  auf  Grund  von  Beobachtungen  an  operierten  Fällen 
den  Gang  so  vor,  daß  |die  Pneumonie  zuerst  ihren  gewöhnlichen  Verlauf 
nimmt,  daß  dann  aber,  sei  es  infolge  einer  neuen  Infektion,  sei  es,  weil  der 
Pneumokokkus  pyogene  Eigenschaften  annimmt,  sich  ein  Abszeß  bildet,  der 
entweder  in  einen  Bronchus  oder  (in  die  Pleurahöhle  durchbricht  und  in 
letzterer  ein  Empyem  macht.  Hieraus  ergibt  sich  alles  weitere. 

4.  Idiotie  und  die  verwandten  (geistigen  Defekte  in  früher 
Kindheit.  Von  Dr.  Herman  B.  Sheffield,  Lehrer  der  Kinderkrankheiten, 
P.-Grad.  school  usw.  New -York.  Idiotie  ist  meist  angeboren  und  beruht 
dann  auf  einer  Krankheit  vor  der  Geburt  oder  einer  Entwicklungshemmung 
des  fötalen  Nervensystems,  andere  geistige  Defekte  sind  das  Resultat  eines 
Traumas  vor,  während  oder  nach  der  Geburt,  eine  kleine  Anzahl  von  Fällen 
verdankt  ihre  Entstehung  einer  Krankheit  oder  mangelhaften  Entwicklung 
in  früher  Kindheit.  Fälle  dieser  Art  zeigen  die  Stigmata  der  Degeneration 
am  deutlichsten  und  lassen  sich  am  besten  demonstrieren.  Besprechung  der 
charakteristischen  Degenerationszeichen  der  Idiotie  in  frühem  Lebensalter 
unter  Beifügung  von  Abbildungen  idiotischer  Kinder  usw. 

5.  Ein  hartnäckiger  Fall  von  Gumma  dies  Larynx,  der  den 
prolongierten  Gebrauch  einer  Trachealr öihre  erforderte.  Von  Dr. 
Charles  Graef,  Lehrer  der  Nasen-  und  Halskrankheiten,  P.-Grad.  sch. 
usw.  New -York.  Der  Fall  ist  bemerkenswert  dadurch,  daß  es  nötig  war, 
den  Tubus  zwei  Monate  lang  in  der  Trachea  zu  lassen  und  durch  die  unge¬ 
wöhnliche  Resistenz  des  Gumma  gegen  eine  spezifische  Behandlung,  wo¬ 
durch  dies  nötig  wurde. 

6.  Ein  Fall  von  wahrer  Angina  pectoris.  Von  Dr.  T.  Homer 
Co  ff  in.  Aus  der  Klinik  dels  Prof.  Edw.  Quintard.  Die  rechte  Koronararterie 
war  so  stark  obliteriert,  daß  man  gerade  noch  einen  Stecknadelkopf  ein¬ 
führen  konnte,  die  linke  an  der  Mündung  bis  auf  2  mm. 

7.  Die  Diagnose  des  früheren  Karzinoms  der  Brust.  Von  Dr. 
Adolf  Bonner.  Vortrag  mit  nachfolgender  Diskussion  (Prof.  Meyer,  Dr. 
Putnam,  Sweeny,  Dorm  an),  betr.  die  Schwierigkeiten  der  Diagnose  eines 
Mammakarzinoms  vor  dem  eigentlichen  Karzinomalter,  d.  h.  vor  dem  40.  Lebens¬ 
jahre. 

8.  Ein  Fall  von  purulenter  Kniegelenkentzlündung.  Von  Dr. 
A.  Bonner.  Vortrag. 

9.  Tinea  tricophytina  der  Labia  minora.  Von  Dr.  Thompson 
Sweeny.  Vortrag.  Die  seltene  Affektion  täuschte  zunächst  eine  venerische 
Affektion  vor,  der  mikroskopische  Nachweis  des  Mykels  und  der  Sporen  des 
Trichophytons  sicherte  die  Diagnose. 

(Diese  letzteren  vier  Vorträge  [6 — -8]  wurden  in  der  klinischen  Gesell¬ 
schaft  der  New -Yorker  ärztlichen  Fortbildungsschule  gehalten,  15.  Januar 
1909.)  Peltzer. 


672 


Bücherschau. 


Bücherschau. 


Taschenbuch  für  Krankenpflege.  Herausgegeben  von  Geh.  Medizinalrat 
Dr.  Pfeiffer,  Weimar.  Mit  zahlreichen  Abbildungen  und  zwei  anato¬ 
mischen  Tafeln.  5.  Aufl.  Weimar,  Hermann  Böhlau’s  Nachf.,  1908.  5  Mk. 

Das  Taschenbuch  ist  sowohl  für  den  Unterricht  von  Krankenpflegepersonal,  wie 
auch  für  den  Gebrauch  von  Ärzten  und  in  den  Familien  bestimmt.  Es  gliedert 
sich  dementsprechend  in  zwei  Teile.  Der  erste  Teil  umfaßt  alles  das,  was  etwa  in 
einem  einjährigen  Lehrkursus  der  Krankenpflegerin  vorgetragen  und  ihrer  Prüfung 
zugrunde  gelegt  werden  muß.  Die  zweite  Hälfte  enthält  die  Vorschriften  für  die 
Pflege  bei  den  einzelnen  Krankheiten,  und  es  wird  dieser  zweite  Teil  in  der  Hand  des 
verständigen  Laien,  der  nicht  dazu  neigt,  auf  Grund  der  erworbenen  Kenntnisse  in 
der  Krankenpflege  nun  auch  selbständig  kurieren  zu  wollen,  viel  Gutes  stiften.  Eine 
große  Anzahl  von  Mitarbeitern  hat  die  Bearbeitung  der  einzelnen  Kapitel  unter¬ 
nommen,  auch  Mitarbeiterinnen  sind  vertreten,  und  zwar  ältere  erfahrene  Schwestern, 
denn  wie  Pfeiffer  sagt,  kann  nur  das  vorbildliche  Mitwirken  von  gut  geschulten 
und  staatlich  gebildeten  Frauen  allein  den  Krankenpflegedienst  vor  dem  Herabsinken 
in  den  handwerkmäßigen  Lohnkampf  bewahren.  R. 


Die  Erkrankungen  der  Haut.  Von  E.  Gaucher.  Paris,  Bailiiere  et  fils 

1908.  508  Seiten.  10  bzw.  11,50  Fr. 

Der  vielerfahrene  Dermatologe  hat  als  Bd.  XIV.  das  vorliegende  Werk  zu 
dem  großen  Handbuch  von  Gilbert  und  Thoinot  (Nouveau  Traite  de  Medecine 
et  de  Therapeutique)  beigesteuert,  und  auch  dieseits  der  Vogesen  wird  mancher  mit 
Vorteil  sich  in  dem  mit  180  Photogravüren  geschmückten  Buche  Rats  erholen. 
Gaucher  behandelt  im  ersten  Teil  die  Erkrankungen  der  einzelnen  Elemente  der 
Haut,  im  zweiten  die  allgemeine  Ätiologie,  und  im  dritten  die  einzelnen  Krankheits¬ 
formen  mit  besonderer  Berücksichtigung  der  Therapie,  und  gerade  darin,  in  der 
Ver-  und  Bewertung  der  modernen  Heilmethoden,  liegt  der  Vorzug  des  Buches  für 
den  Praktiker. 

Wir  besitzen  in  der  deutschen  Literatur  freilich  eine  Reihe  vorzüglicher  Werke 
über  diese  Disziplin;  allein  ein  Blick  über  die  Grenzen  der  deutschen  Medizin 
hinaus  wirkt  immer  anregend.  Buttersack  (Berlin). 


Der  Arzt  am  Scheidewege.  Von  Bernard  Shaw.  Berlin,  Fischer.  2,50  Mk. 

Daß  auf  ein  Theaterstück  in  einer  ärztlichen  Zeitschrift  aufmerksam  gemacht 
wird,  ist  ungewöhnlich,  in  diesem  Falle  aber  berechtigt,  weil  kein  geringerer  als 
Shaw,  der  in  Deutschland  noch  zu  wenig  bekannte  Kritiker  und  Dichter,  hier  den 
ärztlichen  Beruf  einer  Würdigung  unterzieht;  freilich  wird  sie  nicht  nach  dem  Ge¬ 
schmack  der  meisten  Ärzte  sein.  Besonders  sei  aufmerksam  gemacht  auf  den  ersten 
Akt,  in  dem  dem  Erfinder  eines  neuen  Schwindsuchtsmittels  auf  wissenschaftlicher 
Basis,  die  Vertreter  verschiedener  Species  Ärzte,  der  alte  Arzt,  der  ausschließliche 
Chirurg,  der  ärztliche  Geschäftsmann,  der  Mann  mit  der  freien  und  mit  der 
Kassenpraxis  zu  den  Ehrungen  gratulieren,  mit  dem  die  unerprobte,  in  ganz  ver¬ 
kehrter  Weise,  aber  mit  dem  glücklichsten  Erfolg  an  einer  fürstlichen  Persönlich¬ 
keit  verwandte  Erfindung  belohnt  wurde.  Wer  zur  Meinung  geneigt  ist,  wer  nicht 
Arzt  sei  und  nichts  verstehe,  habe  es  leicht,  sich  lustig  zu  machen,  der  wird  be¬ 
merken,  daß  Shaw  auch  in  ärztlichen  Dingen  sehr  wohl  orientiert  ist. 

F.  von  den  Velden. 


Riedel’s  Berichte  —  Riedel’s  Mentor.  Herausgeber:  I.  D.  Riedel,  Aktien¬ 
gesellschaft,  Berlin  X.  39.  1909. 

‘  Die  Riedel’schen  Berichte  aus  dem  wissenschaftlichen  Laboratorium  der 
Fabrik  behandeln  dieses  Mal  folgende  Themata: 

Über  die  Einwirkung  von  Alkalidichromat  auf  Agaricinsäure. 

Über  die  künstlichen  Zeolithe. 

Über  die  Zusammensetzung  und  Prüfung  einiger  weder  im  deutschen  Arznei¬ 
buche  noch  im  Ergänzungsbuche  enthaltener  Präparate. 

Das  lesenswerte  Heft  wird  auf  Wunsch  den  Interessenten  durch  die  Fabrik 
zugestellt.  R. 

Schriftleitung:  Dr.  Ri  gl  er  in  Leipzig. 

Druck  von  Emil  Herrmann  senior  in  Leipzig. 


27.  Jahrgang. 


1909. 


fomcbritte  der  Medizin. 


Unter  Mitwirkung  hervorragender  Fachmänner 

herausgegeben  von 

Professor  Dr.  0.  Köster  Prio.-Doz.  Dr.  o.  ßriegern 


in  Leipzig.  in  Leipzig. 

Schriftleitung:  Dr.  Rigler  in  Leipzig. 


Nr.  18. 


Erscheint  am  10.,  20.,  BO.  jeden  Monats.  Preis  halbjährlich 
6  Mark,  inkl.  Zeitschrift  für  Yersicherungsmedizin  8  Mark. 


Verlag  von  Georg  Thieme,  Leipzig. 


50.  Juni. 


Originalarbeiten  und  Sammelberichte. 

26.  Kongreß  für  innere  Medizin  zu  Wiesbaden. 

19.— 22.  April  1909. 

Berichterstatter:  Dr.  Ehrmann  und  Dr.  Euld. 

I.  Sitzung:  Montag,  19.  April  1909,  vormittags. 

Eröffnung  durch  Schultze-Bonn. 

Der  Vortragende  betont  in  seiner  Begrüßungsrede  die  Selbständig¬ 
keit  der  inneren  Medizin  gegenüber  der  Bhysiologie  wie  gegenüber  der 
pathologischen  Anatomie ;  ebenso  zeigt  er,  daß  dieselbe  nicht  in  einzelne 
Spezialitäten  aufgelöst  werden  darf  und  beklagt,  im  Interesse  der 
Kranken  insbesondere,  die  völlige  Loslösung  der  Neurologie.  Er  wendet 
sich  sodann  zu  der  Forderung  sozial-medizinischen  Universitätsunter¬ 
richts  und  befürchtet  eine  Beeinträchtigung  der  eigentlich  medizinischen 
Fächer  durch  das  verlangte  fünfstündige  Kolleg.  Der  Zeitpunkt  für 
einen  derartigen  Unterricht  ist  das  praktische  Jahr,  und  der  Ort  even¬ 
tuell  die  medizinischen  Akademien,  sobald  diesen  vom  Staat  die  nötigen 
Vergünstigungen  gewährt  würden,  während  die  Universität  überall 
nur  die  Grundlagen  zu  legen  und  den  kritischen  Geist  zu  erziehen  hat. 

Magnus-Levy-Berlin :  Der  Mineralstoffwechsel  in  der  kli¬ 
nischen  Bathologie. 

Der  Referent  beginnt  mit  der  veränderten  Auffassung  der  Salz¬ 
lösungen,  die  auch  für  die  tierischen  Säfte  Geltung  hat.  Die  Auf¬ 
fassung  von  der  Ionisierung  der  Salze  erleichtert  die  Forschung  schon 
insofern,  als  wir  nicht  mehr  gezwungen  sind,  wie  früher,  nach  Schick¬ 
sal  und  Wirkung  zahlreicher  Salze,  die  nichts  weiter  sind  als  Ionen¬ 
kombinationen,  zu  fragen,  sondern  uns  auf  das  Studium  der  einzelnen 
Ionen  beschränken  können.  Die  Ionenlehre  erleichtert  aber  auch  die 
Auffassung  von  dem  Übergang  der  Mineralstoffe  in  organische,  fester 
oder  lockerer  Bindung.  Ein  solcher  Wechsel  aus  der  anorganischen 
in  die  organische  Form  findet  sehr  häufig  statt.  Die  Mineralstoffe, 
die  der  Organismus  in  organischer  Form  in  seinen  Geweben  beherbergt, 
werden  in  den  Nahrungsmitteln,  zum  Teil  schon  in  organischer  Bindung, 
zugeführt.  Jedoch  besitzt  der  Körper  die  Fähigkeit  seinen  Bedarf  an 
,, Mineralstoffen“  zu  decken,  sie  in  organische  Bindung  überzuführen, 
auch  wenn  man  sie  ihm  nur  in  anorganischer  Form  bietet.  Das  gilt 
für  die  Bhosphorsäure  des  Lecithins,  das  der  Organismus  selber  syn¬ 
thetisch  bereiten  kann,  es  gilt  für  den  Kalk,  dessen  organische  Bindung 

43 


674 


Ehrmann  und  Fuld, 


übrigens  fraglich  ist,  vor  allem  für  das  Eisen,  das  nach  Bunge’s  Lehre, 
in  gewöhnlicher  Salzform  zngeführt,  für  die  Bildung  des  eisenhaltigen 
Blutfarbstoffs  nutzlos  sein  (sollte.  Hier  hat  die  Erfahrung  der  Kliniker, 
die  die  Behandlung  der  Blutarmut  mit  Eisensalzen  zu  allen  Zeiten 
geübt  haben,  gegenüber  der  Theorie  Beeilt  behalten.  Zahlreiche  exakte 
Experimente  an  jungen  wachsenden  Tieren  haben  dn  den  letzten  15  Jahren 
gezeigt,  daß  tatsächlich  gewöhnliches  und  selbst  metallisches  Eisen 
(in  feinster  Pulverform  aufgenommen)  vom  Körper  verwertet,  d.  h. 
zum  Aufbau  des  komplizierten  eisenhaltigen  Blutfarbstoffes  verwendet 
wird.  Ja,  man  muß  sogar  daran  denken,  daß  auch  dieses  im  Organismus 
erst  aus  der  organischen  Bindung  gelöst  werden  müsse,  ehe  es  in  die 
neue  und  wahrscheinlich  ganz  andere  organische  Bindung  im  Molekül 
des  Blutfarbstoffs  (Verbindung  mit  einer  Beihe  von  Pyrrolkernen)  ein¬ 
gefügt  werden  könne. 

Von  den  Mineralstoffen  bespricht  der  Vortr.  an  erster  Stelle  die 
Bolle  des  Kalziums  bei  den  verschiedenen  Krankheiten  des  Skeletts. 
Die  Bachitis  der  Kinder  ausschließlich  auf  Kalkarmut  der  Nahrung 
zurückzuführen,  wie  man  es  früher  getan,  ist  nicht  mehr  erlaubt. 
W ohl  kann  man  bei  allen  untersuchten  jungen  Säugetieren  durch  kalk¬ 
arme  Nahrung  einen  ähnlichen  Zustand  erzeugen;  namentlich  die  Ver¬ 
biegungen  der  Knochen  und  die  Bewegungsstörungen  sind  genau  die 
gleichen.  Aber  im  mikroskopischen  Bild  und  auch  im  Verhalten  gegen 
zugeführte  Kalksalze  ist  ein  charakteristischer  Unterschied  zwischen 
spontaner  Bachitis  und  ,, Pseudorachitis“  vorhanden.  Wenngleich  Kalk¬ 
armut  der  Nahrung  sicherlich  nicht  ausschließlich  Ursache  der  Bachitis 
ist,  so  kann  sie  dennoch  eine  gewisse  Bolle  spielen.  Tatsächlich  ist  die 
menschliche  Milch  oft  verhältnismäßig  kalkarm,  und  man  muß  mit  der 
Möglichkeit  rechnen,  daß  Brustkinder  beim  Abstillen  in  6—8  Monaten 
nicht  genügend  Mineralstoffe  im  Knochen  angesetzt  haben.  Diese  Kalk¬ 
armut  ist  zwar  noch  keine  Bachitis,  bedeutet  aber  doch  vielleicht  einen 
minderwertigen  Zustand  und  macht  die  Kinder  vielleicht  gegen  die 
nunmehr  einsetzenden  Schädlichkeiten,  die  zur  Bachitis  führen,  weniger 
widerstandsfähig.  Die  Betrachtung  der  Knochenbrüchigkeit  der  Er¬ 
wachsenen  fällt  im  großen  und  ganzen  unter  die  gleichen  Gesichts¬ 
punkte  wie  die  Bachitis.  Wie  Eehling  gezeigt  hat,  bestehen  nahe 
Beziehungen  zwischen  der  Tätigkeit  der  Ovarien  und  dem  Knochen- 
system. 

Ein  gewisser  Schwund  des  Knochensystems  kommt  bei  allen  chro¬ 
nischen  Siechkrankheiten  vor.  Einen  besonderen  Charakter  trägt  sie 
beim  Diabetes  mellitus,  wo  sie  trotz  sonst  guten  Ernährungszustandes 
vorhanden  sein  kann.  Wahrscheinlich  hängt  sie  hier  zusammen  mit  der 
übermäßigen  Säurebildung,  der  Acidosis.  Dabei  ist  auch  die  Kalkmenge 
im  Urin  stark  erhöht,  bis  zu  2  und  3  g  am  Tage.  Organische  Säuren 
können  möglicherweise  auch  bei  der  Bachitis  und  bei  der  Gsteomalacie 
eine  gewisse  Bolle  spielen. 

Mit  stärkerer  Kalkabgabe  geht  gewöhnlich  auch  eine  Phosphor¬ 
abgabe  einher,  doch  ist  ein  Parallelismus  oft  nicht  zu  erkennen,  weil 
Kalk  auch  ohne  Phosphor  säure  angesetzt  und  abgegeben  werden  kann, 
und  weil  andererseits  Phosphorsäure  auch  aus  anderen  Organen  als 
den  Knochen  in  großen  Mengen  stammen  kann. 

Extreme  Phosphorsäureabgabe  beobachtete  der  Beferent  bei  akuter 
Leukämie.  Der  „Diabete  phosphatique“  besteht  zu  Unrecht.  Die  „chro¬ 
nische  Phosphaturie“  beruht  nicht  auf  einer  Vermehrung  der  Phos- 


26.  Kongreß  für  innere  Medizin  zu  Wiesbaden  . 


675 


phorsäure,  sondern  anf  einer  Zunahme  des  Harnkalkes  (Soetbeer), 
doch  ist  mit  dieser  Feststellung  das  Rätsel  dieses  Symptomenkomplexes 
noch  keineswegs  befriedigend  aufgeklärt. 

Die  Rolle  des  Schwefels  übergeht  der  Referent,  da  der  Schwefel¬ 
haushalt  ausschließlich  einen  Teil  des  Eiweißhaushaltes  bilde  und  so¬ 
mit  an  dieser  Stelle  kaum  mit  Vorteil  zu  behandeln  sei.  Auch  das 
Jod  wird  nur  kurz  gestreift,  da  die  Bedeutung  des  organischen  und 
anorganischen  Jodes  vor  zwei  Jahren  auf  dem  Kongreß  ausführlich 
erörtert  worden  ist.  Neu  festgestellt  ist  seitdem  nur,  daß  das  Jod 
im  Jodtyrosin  nach  Kraus’  Feststellungen  am  isolierten  Herzen  und 
nach  des  Referenten  Versuchen  am  gesunden  Hund  und  am  myxödem- 
kranken  Menschen  keine  von  den  Wirkungen  zeigt,  die  dem  jodhaltigen 
Eiweißkörper  der  Schilddrüse  und  dem  Jodothyrin  zukommen. 

Das  Hauptinteresse  ist  dem  Kochsalzstoffwechsel  zugewandt.  Hier 
haben  sich,  dank  den  Forschungen  der  letzten  zehn  Jahre,  höchst  über¬ 
raschende  und  unmittelbar  für  die  Praxis  nutzbare  Erkenntnisse  er¬ 
geben.  Am  wichtigsten  sind  diese  für  die  Behandlung  der  chronischen 
Nieren  kr  ankheiten  geworden. 

Der  Kulturmensch  pflegt  seine  Speisen  stark  zu  salzen,  im  Gegen¬ 
satz  zu  solchen  niederen  Stämmen,  die  als  Jägervölker  vorwiegend  auf 
tierische  Nahrung  angewiesen  sind. 

Jedenfalls  sind  die  großen  Salzmengen,  15 — 20  g  täglich,  für  ihn 
unschädlich.  Sie  verlassen  den  Körper  meist  innerhalb  24  Stunden 
wieder  mit  dem  Harn.  Anders  verhalten  sich  Nierenkranke:  Sie  ver¬ 
mögen  10  g  Salz,  die  man  ihnen  versuchsweise  zu  ihren  Speisen  zu¬ 
gibt,  nicht  in  einem  Tage  wieder  aus  dem  Körper  herauszuschaffen. 
Diese  Tatsache,  die  Kochsalzretention,  ist  ziemlich  gleichzeitig  in  Öster¬ 
reich,  Frankreich  und  Deutschland  festgestellt  worden.  Wenn  eine 
solche  Kochsalzzufuhr  sich  immer  wiederholt,  kann  diese  Aufstapelung 
im  Körper  schließlich  nicht  ohne  Einfluß  auf  den  kranken  Menschen 
bleiben.  Diese  Kochsalzanhäufung  ist  in  vielen  Fällen  die  Veranlassung 
zum  Auftreten  der  Wassersucht  der  Nierenkranken.  Widal  hat  das 
durch  enien  höchst  einfachen  und  trefflich  durchgeführten  Versuch 
bewiesen.  Es  gelang,  einen  wassersüchtigen  Nierenkranken  zu  belie¬ 
bigen  Malen  von  seiner  Wassersucht  zu  befreien,  sobald  man  ihm  eine 
ungesalzene  Kost  gab.  Und  mit  absoluter  Regelmäßigkeit  erschienen 
die  wassersüchtigen  Anschwellungen  (Ödeme)  wieder,  sobald  zu  der 
salzlosen  Kost  10 — 12  g  Kochsalz  täglich  zugegeben  wurden.  Schon 
immer  hatte  man  sich,  wie  es  auch  Widal  in  den  zwei  ersten  Reihen 
seines  Versuches  getan,  in  solchen  Zuständen  der  ,, reizlosen  Milch“ 
bedient  und  mit  ihr  Erfolge  erhalten.  Drei  Liter  Milch,  die  bei  aus¬ 
schließlicher  Ernährung  damit  notwendig  sind,  enthalten  aber  noch 
immer  5  g  Kochsalz.  Eine  gemischte  Kost,  bestehend  aus  Fleisch, 
Brot,  Kartoffeln,  Reis,  Butter  usw.,  enthält  noch  weniger  Salz,  nur 
1 — 2  g,  vorausgesetzt,  daß  jeder  Salzzusatz  auch  zum  Mehl  des  Brotes, 
vermieden  wird.  Auch  bei  einer  derartigen  Kost,  die  man  früher 
bei  solchen  Zuständen  gefürchtet  hat,  verschwinden  die  Anschwellungen 
des  Nierenkranken  in  eben  so  kurzer  Zeit,  wie  bei  ausschließlichem 
Genuß  von  Milch;  und  sie  hat  in  allerschwersten  Fällen  von  Undurch¬ 
gängigkeit  der  Nieren  für  Kochsalz  noch  Vorteile  vor  der  Milchdiät, 
weil  eben  der  Kochsalzgehalt  noch  niedriger  ist. 

Das  Regime  dechlorure,  die  „Diät  ohne  Salz“,  hat  seitdem  viel¬ 
fache  Anwendung  erfahren.  Sie  hat  sich  vor  allem  bei  der  Behand- 

43* 


676 


Ehrmann  und  Fuld, 

lung  der  wassersüchtigen  Anschwellungen  der  Nierenkranken  bewährt. 
Man  glaubte,  daß  auch  andere  Salze,  besonders  die  phosphorsauren, 
ebenso  wie  das  Kochsalz  retiniert  würden  und,  gleich  ihm,  V eranlas- 
sung  zur  Entstehung  von  Ödemen  geben  könnten.  Magnus-Levy  be¬ 
tont,  daß  zwar  im  Experiment  die  Erzeugung  von  Ödemen  gelinge, 
wenn  man  nephritisch  gemachten  Tieren  große  Mengen  davon  bei¬ 
brächte,  aber  derartige  Verhältnisse  kämen  im  natürlichen  Verlauf 
der  menschlichen  Nierenentzündung  nicht  in  dem  gleichen  Umfange 
vor,  hier  stände  tatsächlich  das  Kochsalz  als  ödemerzeugendes  Salz 
weit  im  Vordergrund.  Auch  in  der  Frage,  ob  die  Retention  von  Koch¬ 
salz  die  Aufstapelung  von  Wasser  in  den  Ödemen  herbeiführe  oder 
umgekehrt,  stellt  sich  der  Vortragende  auf  die  Seite  von  Widal  und 
S trau ss,  wonach  das  erste  der  Fall  sei. 

Die  Wassersucht  bei  Herz-  und  Leberkrankheiten  und  die  Ent¬ 
zündung  des  Brustfells  usw.  beruhen  auf  anderen  Ursachen,  als  die 
bei  Nierenkrankheiten,  und  werden  daher  auch  von  dem  Kochsalz¬ 
gehalt  der  Nahrung  nicht  oder  nicht  so  stark  beeinflußt,  wie  die 
Ödeme  der  Nierenkrankheiten.  Die  Kochsalzretention  bei  Pleuritis  be¬ 
ruht  auf  aktiv  entzündlichen  Prozessen  der  serösen  Häute,  die, bei 
Herz-  und  Leberleiden  hingegen  auf  rein  mechanischen  Ursachen ;  im 
akuten  Infekt  spielt  vielleicht  eine  aktive  Anziehung  des  Kochsalzes 
durch  die  Körperzellen  eine  Rolle.  Dennoch  kann  kochsalzlose  Diät, 
bei  Herzfehlern  und  bei  den  Bauchhöhlenergüssen,  bei  Leberverhär¬ 
tung  zu  deren  Schwinden  beitragen.  Tatsächlich  liegen  hier  eine  Reihe 
guter  Erfolge  vor.  Gewiß  verschwinden  solche  Ergüsse  auch  ohne 
Kochsalzentziehung,  bei  Anwendung  von  Arzneimitteln,  die  Herz  und 
Niere  zu  größerer  Tätigkeit  anspornen. 

Eine  Kochsalzanhäufung  findet  in  anderer  Form,  nämlich  ohne 
Auftreten  wässeriger  Ergüsse,  bei  anderen  Krankheiten  statt,  so  be¬ 
sonders  bei  der  Schrumpfniere  und  bei  einigen  damit  in  Beziehung 
stehenden  Zuständen,  wie  der  Arteriosklerose,  der  Gicht,  Emphysem 
u.  a.  Hier  werden  die  Zellen  selbst  mit  Kochsalz  überladen.  Die 
NaCl-Retention  kann  hier  auch  durch  Analyse  der  Leichenorgane  nach¬ 
gewiesen  werden. 

Auch  fast  bei  allen  akuten  Infektionskrankheiten  findet  eine 
Zurückhaltung  von  Kochsalz  statt,  deren  Mechanismus  und  Bedeu¬ 
tung  aber  noch  nicht  genügend  geklärt  sind. 

Noch  bei  anderen  Krankheitszuständen  kann  eine  Beschränkung 
der  Kochsalzzufuhr  Segen  stiften.  So  bei  der  Brombehandlung  der 
Fallsucht.  Hier  wurde  sie  von  Richet  vorgeschlagen,  und  die  Er¬ 
folge  haben  ihm  recht  gegeben.  Salzarme  Kost  läßt  das  Brom  länger 
im  Körper  der  Epileptischen  verbleiben,  wodurch  die  Wirkung  nach¬ 
haltiger  wird. 

Bei  der  Behandlung  der  sog.  zuckerlosen  Harnruhr  führt  nach 
Erich  Meyer  Enthaltung  von  Kochsalz  zu  wesentlicher  Verminde¬ 
rung  der  lästigen  übermässigen  Harnabscheidung.  Das  Säuglings¬ 
ekzem,  der  ,, Milchschorf“,  ein  weit  verbreitetes  Leiden,  ist  ebenfalls 
in  manchen  Fällen  nach  Finkelstein’s  Beobachtungen  einer  Besse¬ 
rung  oder  Heilung  durch  Verminderung  des  Kochsalzes  in  der  Kost 
zugängig. 

Die  große  Bedeutung,  die  das  Kochsalz  in  allen  diesen  Zuständen 
besitzt,  kommt  jedenfalls  auf  Rechnung  des  elektronegativen  Ions, 


26.  Kongreß  für  innere  Medizin  zu  Wiesbaden. 


677 


des  Chlors.  Doch  liegen  noch  nicht  genügend  Versuche  mit  dem  zwei¬ 
ten  Bestandteil  des  Salzes,  mit  Natrium  vor. 

Für  manche  der  hier  noch  nötigen  Untersuchungen  ist  der  Säug¬ 
ling  ein  weit  feineres  Objekt  als  der  Erwachsene,  weil  er  auf  geringe 
Störungen  seiner  Ernährung  viel  feiner  reagiert  als  der  Erwachsene. 
Er  antwortet  mit  Fieber,  Gewichtsstürzen,  mit  Eiweiß-  und  Fett¬ 
verlusten  da,  wo  der  Erwachsene  scheinbar  ganz  unbeeinflußt  bleibt. 
Einspritzungen  dünner  Kochsalzlösungen  unter  die  Haut  rufen  bei 
vielen  magendarmkranken  Kindern  leichtes,  rasch  vorübergehendes  Fie¬ 
ber  hervor.  Das  Fieber  bleibt  aus,  wenn  man  nach  dem  Vorgang 
des  amerikanischen  Physiologen  Loeb  der  Kochsalzlösung  kleine  Men¬ 
gen  von  Kalzium-  und  Kaliumsalzen  zusetzt, 

Widal-Paris:  Die  therapeutische  D echlorur ation. 

Der  Vortragende  erwähnt  in  seinem  klinischen  Referat,  daß  eine 
Reihe  von  Arbeiten  von  Bohne,  Marischer,  Achard  und  Loeper, 
Steyrer,  Strauss,  Claude  und  Maute  gezeigt  haben,  daß  das 
Kochsalz  während  gewisser  Nephritiden  zurückgehalten  Avird. 

Er  hat  mit  Hallion  und  Carrion,  Reichel,  Chauffard, 
Achard,  Strauss  gezeigt,  wie  unter  dem  Einflüsse  der  Wirkung 
des  Kochsalzes,  das  osmotische  Gleichgewicht  der  Säfte  zu  bewahren, 
das  zurückgehaltene  Kochsalz  alsdann  der  Ursprung  der  Wasser¬ 
retention  sein  muß. 

Achard  hat  bei  den  Kranken,  welche  die  eingenommenen  Salze 
nicht  ausschieden,  gesehen,  daß  der  Überschuß  des  Salzes  schneller 
aus  dem  Blute  als  aus  den  Säften  verschwand  und  durch  seine  Ex¬ 
perimente  mit  Loeper  dessen  Anhäufung  in  den  Geweben  bewiesen. 
Er  hat  außerdem  durch  die  Analyse  konstatiert,  daß  sich  der  Salz¬ 
gehalt  des  Blutes  nicht  im  Verhältnis  zu  den  zurückgehaltenen  Sal¬ 
zen  vermehrt. 

Im  Jahre  1902  hat  der  Vortragende  mit  Lemierre  die  Rolle, 
die  das  Kochsalz  in  der  Pathogenie  des  Bright’schen  Ödems  spielt, 
unzweifelhaft  bewiesen,  indem  er  durch  Zulage  von  Kochsalz  beim 
Nephritiker  regelmäßig  Ödeme  erzielen  konnte. 

Diese  Tatsachen  haben  ihn  und  Javal  später  dahin  geführt,  die 
Prinzipien  der  Chlorentziehungskur  aufzustellen. 

Bis  dahin  hatte  man  gedacht,  daß  die  verschiedenen  zurückgehal¬ 
tenen  Salze,  so  gut  wie  das  Kochsalz,  Ödeme  bewirken  können,  und 
v.  Korany  beschuldigte  die  Eiweißabbauprodukte. 

Achard  glaubte  seinerseits,  daß  in  der  Pathogenie  des  Bright- 
ödems  nicht  nur  das  Kochsalz,  sondern  auch  verschiedene  Substanzen, 
die  im  Blute  gelöst  sind,  eine  Rolle  spielen.  Der  Vortragende  hat 
in  einer  Reihe  von  Untersuchungen  in  Verbindung  mit  Javal  ge¬ 
zeigt,  daß  das  Kochsalz  hier  allein  in  Betracht  kommt.  Weiterhin 
zeigte  er,  daß  der  Harnstoff,  der  so  häufig  bei  der  Bright’schen 
Krankheit  zurückgehalten  wird,  sich  vor  allem  im  Blut  anhäuft. 

Strauss  hatte  gesehen,  daß  das  Ödem  mit  der  Polyurie  und 
Polychlorurie  überhaupt  verschwindet,  und  daraus  den  Schluß  gezogen, 
daß  bei  solchen  Krankheiten  die  Zuführung  des  Salzes  eingeschränkt 
und  für  eine  vermehrte  Ausscheidung  gesorgt  werden  muß. 

Um  die  Verminderung  der  Kochsalzzufuhr  herbeizuführen,  hatte 
er  einfach  die  Milchkur  und  keine  andere  Diät  empfohlen  und  zur 
Vermehrung  der  Kochsalzausfuhr  die  diuretischen  Arzneimittel  vor¬ 
geschlagen 


678 


Ehrmann  und  Fuld, 

Der  Vortragende  gab  mit  Javal  die  ersten  Resultate  über  die 
Chloren tziehungskur  bekannt  und  stellte  fest,  daß  selbst  die  Milch 
eine  noch  zu  salzhaltige  Nahrung  sein  kann. 

Sie  sahen  zum  ersten  Male  das  Unerwartete,  daß  Fleisch  und 
andere  Nahrungsmittel  (ohne  künstlichen  Salzzusatz),  die  bis  dahin 
für  schädlich  angesehen  wurden,  günstig  wirkten.  In  anderen  Fällen 
ist  wieder  die  Milch  vorzuziehen. 

Aber  wenn  man,  ohne  zu  rechnen,  Milch  gibt,  kann  man  leicht 
in  bestimmten  Fällen  eine  zu  wasser-  und  zu  salzhaltige  Kost  zu¬ 
führen,  die  schon  durch  ihren  Reichtum  an  Eiweißkörpern  schadet. 

Das  notwendige  Mindestmaß  an  Milch  enthält  beinahe  viermal 
soviel  Chlor  als  eine  gemischte  Kost  ohne  künstlichen  Salzzusatz ;  und 
dazu  enthält  die  erstere  noch  fast  drei  Liter  Wasser  und  wenigstens 
120  g  Eiweiß,  d.  h.  mehr  als  viele  Nephritiker  vertragen  können. 

Die  Ödembildung  findet  in  zwei  Zeiträumen  statt:  erstens  unter 
Bildung  von  nicht  sichtbaren  tiefen  Infiltrationen,  zweitens  unter  Bil¬ 
dung  von  sichtbaren  Unterhautödemen. 

Nur  durch  die  Wage  kann  man  die  tiefen  Infiltrationen  fest¬ 
stellen,  und  in  der  Tat  muß  man  das  Gewicht  der  Nephritiker 
regelmäßig  beobachten. 

Die  Dichtigkeit  der  Niere  gegen  das  Salz  ist  stets  eine  relative ; 
ferner  kann  sie  bei  ein  und  demselben  Kranken  in  verschiedenen  Sta¬ 
dien  der  Krankheit  variieren. 

Die  Chlorentziehungskur  bezweckt  zweierlei :  erstens  aus  dem 
Organismus  das  retinierte  Salz  und  damit  das  ödem  zu  entfernen, 
zweitens  eine  Diät  aufzustellen,  deren  Chlornatrium  noch  durch  die 
Nieren  ausgeschieden  werden  kann. 

Durch  das  Beobachten  des  Körpergewichts  und  der  Bilanz  der 
Salzmenge  kann  man  die  Grenzdosis  bestimmen,  die  bei  der  Ernäh¬ 
rung  nie  erreicht  werden  darf. 

Es  ist  sehr  leicht,  die  Menge  der  eingenommenen  Salze  festzu¬ 
stellen,  denn  wenn  der  Patient  eine  Milchdiät  durchmacht,  ist  die 
Rechnung  sehr  schnell  gemacht,  weil  die  Milch  1,60  g  Kochsalz  pro 
Liter  enthält;  wenn  er  eine  gemischte  Kost,  ohne  künstlichen  Salz¬ 
zusatz,  erhält,  kann  man  rechnen,  daß  er  täglich  1,50  g  Salz  ein¬ 
nimmt. 

Die  Diät  hat  bisweilen  nicht  den  gewünschten  Erfolg,  weil  die 
Chlorentziehung  manche  Schwierigkeit  darbietet. 

Bei  bestimmten  Kranken  gelangt  man  sehr  langsam  zum  Ziel, 
und,  um  die  Wirkung  der  Kur  zu  verstärken,  muß  man  noch  diuretische 
Arzneimittel  anwenden. 

Wenn  die  Ödeme  geschwunden  sind  und  das  Körpergewicht  wäh¬ 
rend  mehrerer  Tage  stehen  bleibt,  kann  man  dann,  die  Nieren  des 
Kranken  vorsichtig  prüfend,  bestimmen,  bis  zu  welchem  Grade  man 
berechtigt  ist,  der  Diät  Salz  zuzusetzen. 

Der  Vortragende  hat  gezeigt,  daß  bei  der  Bright’schen  Krank¬ 
heit  die  Insuffizienz  sich  sowohl  auf  die  Ausscheidung  der  Eiwei߬ 
abbauprodukte,  als  auch  auf  die  Chlornatriumausscheidung  beziehen 
kann.  Es  bestehen  so  zwei  Typen  des  Morbus  Brigthii. 

Stickstoff  und  Kochsalz  werden  oft  zu  gleicher  Zeit,  besonders 
während  der  Endperiode  der  Krankheit,  in  der  Niere  zurückgehalten. 

Die  beiden  Formen  —  die  N-Retention  und  die  NaCl- Retention 
—  der  Bright’schen  Krankheit  unterscheiden  sich  wesentlich. 


26.  Kongreß  für  innere  Medizin  zu  Wiesbaden. 


679 


Der  Harnstoff  häuft  sich  im  Blut  an,  das  Kochsalz  hingegen 
geht  mit  Leichtigkeit  aus  dem  Blut  in  die  Körpergewebe,  Daher  sieht 
man,  daß  die  Kochsalzretention  oft  mit  hydropischer  Urämie, 
die  Stickstoffretention  mit  trockener  Urämie  endigt. 

Bei  den  an  starker  Kochsalzretention  leidenden  Nephritikern 
kann  sogar  der  Harnstoff  im  Blute  nur  in  minimalen  Mengen  vor¬ 
handen  sein,  zwischen  0,20  und  0,50  g  pro  Liter  schwankend.  Findet 
man  eine  solche  Menge,  so  ist  das  ein  sicheres  Zeichen  für  vorhandene 
Kochsalz  retention. 

Wenn  das  Blut  mehr  als  1  g  Harnstoff  pm  Liter  enthält, 
hat  man  einen  Patienten  vor  sich,  bei  welchem  man  es  mit  der  Harn¬ 
stof  fretention  zu  tun  hat.  Steigt  der  Harnstoff  auf  3 — 4  g,  eine 
Menge,  die  nur .  in  der  Endperiode  der  Krankheit  beobachtet  wird, 
so  ist  die  Prognose  sehr  ernst.  Wir  wissen,  wie  schwer  in  gewissen 
Fällen  die  Prognose  der  urämischen  Zustände  zu  stellen  ist. 

Gewisse  Patienten  mit  Erbrechen,  mit  eklampsieartigen  Symp¬ 
tomen  oder  mit  Ödemen  können  sich  manchmal  sehr  schnell  bessern, 
während  andere  nur  mit  Schläfrigkeit  oder  Appetitlosigkeit  Er¬ 
krankte  plötzlich  in  ein  tödliches  Coma  verfallen.  In  diesen  Fällen 
kann  die  Bestimmung  des  Harnstoffs  im  Blute  die  Diagnose  und 
Prognose  sichern,  ob  nämlich  eine  Kochsalz-  oder  eine  Harnstoffreten¬ 
tion  vorliegt. 

Trotz  Ödeme  und  ernster  Symptome  gibt,  wenn  das  Blut  eine 
normale  Menge  Harnstoff  enthält,  was  soviel  bedeutet,  daß  es  sich 
um  eine  Chlorretention  handelt,  eine  Kochsalzentziehungskur  die  beste 
Prognose. 

Es  ist  zu  hoffen,  daß  sich  diese  Untersuchungsmethoden  in  die 
Praxis  einbtirgern  werden. 

Bei  N-Betention  muß  die  Nahrungszufuhr  beschränkt  werden. 

Bei  der  Chlor  entziehungskur  darf  kein  Salz  zu  den  Speisen,  auch 
nicht  zum  Brot,  zugefügt  werden.  Man  kann  aber  den  Patienten  1,5 
bis  2  g  Salz  abgewogen,  neben  seiner  Nahrung,  pro  Tag  geben.  Die 
Entziehung  ist  sonst  unschädlich,  da  die  ungesalzene  Nahrung  an 
sich  schon  genügend  Salze  für  den  Organismus  enthält,  Nephritiker, 
welche  während  mehrerer  Monate  in  einem  solchen  Gleichgewicht  mit 
nur  2  g  Kochsalz  pro  Tag  blieben,  zeigten  keine  Störungen. 

Auch  der  Nephritiker  ohne  Stauungen  soll  so  wenig  wie  mög¬ 
lich  gesalzene  Nahrung  zu  sich  nehmen,  weil  man  nie  wissen  kann, 
in  welchem  Moment  der  Genuß  des  Kochsalzes  wieder  schädlich  wird. 

H.  St  r auss-Berlin :  Über  Chlorentziehungskuren  bei  Nie¬ 
ren-  und  Her  zwassersucht. 

Der  Vortr.  führt  aus,  daß  er  schon  vor  Widal  Chlorentziehungs¬ 
kuren  zur  Behandlung  und  Verhütung  der  Nierenwasser  sucht  gefor¬ 
dert  und  begründet  habe.  Er  empfiehlt  in  solchen  Fällen  von  paren¬ 
chymatöser  Nephritis,  in  welchen  der  Torpor  renalis  hypochloruricus 
nicht  offenkundig  ist,  die  Anwendung  einer  Probediät.  Auch  sei  zu 
berücksichtigen,  daß  neben  der  Historetention  auch  Seroretention  ohne 
Hydropsien  als  Vorstadium  der  letzteren  vorkomme.  Er  fand  mit 
Maas,  daß  eine  reichliche  Kochsalzzufuhr  die  Flüssigkeitsaufnahme 
ganz  gewaltig  steigert  und  von  großem  Einfluß  auf  die  Hydropsie- 
bildung  ist.  Die  phosphorsauren  und  schwefelsauren  Salze  zeigen  in 
bezug  auf  die  Betentionsfrage  einen  Unterschied  gegenüber  dem  Koch- 


680 


Ehrmann  und  Fuld, 


salz.  Er  fand,  daß  nach  Kochsalzinjektionen  beim  Frosch  die  Epi- 
thelien  der  Froschhaut  wenigstens  Kochsalz  ansscheiden  können. 

In  bezug  auf  Kochsalzretentionen  seien  Herz-  und  Nierenkranke 
nicht  ohne  weiteres  zu  identifizieren.  Nur  bei  sehr  schweren  kardialen 
Kompensationsstörungen  seien  die  Verhältnisse  ähnlich. 

Bickel-Berlin:  Die  Wirkungen  der  Mineralstoffe  auf  die 
Drüsen  des  Verdauungsapparates. 

Die  Mineralien  beeinflussen  fast  ausschließlich  auf  dem  Wege 
nervöser  Reflexe  die  Verdauungsdrüsen,  z.  B.  die  Magendrüsen.  Diese 
Reflexe  nennt  der  Vortragende  ,,Mineralref lexe“.  Sie  gehen  sowohl 
von  den  sensiblen  Organen  der  Magien-  wie  auch  der  Darmschleim¬ 
haut  aus.  Durch  diese  Reflexe  kann  die  Sekretion  gesteigert  oder 
herabgesetzt  werden.  Eine  spezifische  Beeinflussung  der  Qualität  des 
Sekretes  findet  nicht  statt.  Die  Wirkung  desselben  Minerals  auf  die 
gesunde  und  kranke  Schleimhaut  kann  eine  verschiedene  sein.  Ferner 
spielt  die  Konzentration  der  Lösung  und  der  Angriffspunkt  der  Wirkung 
eine  Rolle.  Es  gibt  Mineralien,  die  bei  ihrer  Wirkung  vom  Magen 
aus  die  Sekretion  steigern,  während  sie  vom  Darme  aus  die  Sekretion 
des  Magens  herabsetzen.  Bemerkenswert  sind  weiterhin  die  Beziehungen, 
die  zwischen  chemischer  Konstitution  und  Einfluß  auf  die  Saftsekretion 
bestehen,  wie  ferner  die  Tatsache,  daß  eine  Änderung  des  physikalischen 
Zustandes,  z.  B.  die  Überführung  eines  Metalls  in  sein  Kolloid  die 
Wirkung  auf  die  Sekretion  ändern  kann.  Eine  genaue  Kenntnis  der 
Mineralwirkungen  ist  für  die  baineologische  und  medikamentöse  Be¬ 
handlung  der  Sekretionsstörungen  im  Magendarmkanal  von  praktischer 
Bedeutung. 

B lum- Straßburg :  Über  die  Rolle  von  Salzen  bei  Ent¬ 
stehung  von  Ödemen. 

Große  Mengen  Natrium  bicarbonicum  machen,  wie  der  Vortr. 
fand,  auch  bei  Gesunden  Ödeme  durch  Wasserretention.  Besonders! 
bei  schweren  Diabetikern,  die  noch  kein  NaHC03  erhalten  hatten. 
Bisher  wurde  Natrium  bicarbonicum  bekanntlich  gerade  im  Gegen¬ 
teil  als  Diuretikum  angewandt. 

Die  Gewebe  beim  Diabetiker  mit  Acidosis  retinieren  wahrschein¬ 
lich  das  Salz  infolge  ihrer  Salzarmut.  Dafür  spricht,  daß  auch  bei  ge¬ 
sunden  Individuen,  bei  salzarmer  Milchdiät,  eine  stärkere  Salz-  und  da¬ 
mit  Wasserretention  vom  Vortr.  gefunden  wurde,  als  bei  normaler  Kost. 

Diesing  -  Berlin :  Die  Regulierung  des  Mineralstoff¬ 
wechsels. 

Der  Vortr.  hat  organische  Mineralverbindungen  der  Drüsen  mit 
innerer  Sekretion  hergestellt  und  empfiehlt  sie  bei  Stoffwechselano¬ 
malien. 

2.  Sitzung  vom  19.  April  1909,  nachmittags. 

Vorsitzender :  Schul tze-Bonn. 

W.  Falta-Wien  gemeinsam  mit  G.  Bertelli-Padua,  C.  Bolaffio, 
C.  Rudinger  und  E.  Te  des  ko  -Wien:  Über  Beziehungen  der  in¬ 
neren  Sekretion  zum  Salzstoffwechsel. 

Vortragender  gibt  zuerst  einen  Überblick  über  die  bisher  ver¬ 
öffentlichten  Mitteilungen,  betreffend  die  Wechselwirkungen  von 
Thyreoidea,  Pankreas,  chromaffinem  System  und  Epithelkörperchen, 
ferner  über  neue  Untersuchungen  mit  dem  Pituitrin  von  Parke,  Davis 
&  Co.  (koktostabiler  Bestandteil  des  Infundibularanteiles  der  Hypo- 


26.  Kongreß  für  innere  Medizin  zu  Wiesbaden. 


681 


physe).  Diese  Untersuchungen,  sowie  bereits  in  der  Literatur  vor¬ 
liegende  Angaben  lassen  in  bezug  auf  Eiweiß-,  Kohlehydrat-  undEett- 
stoffwechsel  Wechselwirkungen  zwischen  den  einzelnen  Drüsen  mit 
innerer  Sekretion  erkennen,  welche  gestatten,  diese  in  zwei  Gruppen 
einzuteilen.  Der  einen  Gruppe  gehören  an :  Thyreoidea,  chromaffines 
System  und  Infundibularanteil  der  Hypophyse.  Diese  Gruppe,  welche 
innige  Beziehungen  zum  sympathischen  Abschnitt'  des  vegetativen 
Nervensystems  zeigt  und  daher  als  sympathische  bezeichnet  wird,  hat 
im  allgemeinen  einen  stoffwechselerhöhenden  Einfluß,  d.  h.  sie  stei¬ 
gert  den  Hungereiweißumsatz,  befördert  die  Kohlehydratmobilisierung 
und  erzeugt  bei  stärkerer  Wirkung  Hyperglykämie,  und,  soweit  Unter¬ 
suchungen  vorliegen,  steigert  sie  auch  den  Fettumsatz.  Die  Drüsen 
der  anderen  Gruppe,  Pankreas  und  Epithelkörperchen,  die  als  auto¬ 
nome  Drüsen  bezeichnet  werden,  wirken  normalerweise  hemmend  auf 
die  Stoffwechselvorgänge  ein,  d.  h.  sie  schränken  den  Eiweißumsatz 
ein,  wirken  der  Hyperglykämie  entgegen  und  schränken  (soweit  bis¬ 
her  Untersuchungen  vorliegen)  auch  den  Fettumsatz  ein.  Derselbe  Ant¬ 
agonismus  zeigt  sich  auch  in  bezug  auf  den  Salzstoffwechsel. 

Die  sympathischen  Drüsen  wirken  steigernd  auf  den  Salzstoff¬ 
wechsel  ein.  Diese  Steigerung  geht  meistens  Hand  in  Hand  mit  der 
Eiweißeinschmelzung,  kann  aber  auch,  wie  beim  schilddrüsenlosen 
Hund,  in  gewissem  Umfange  unabhängig  vom  Eiweißumsatz  erfolgen. 
Dabei  wird  bei  der  durch  Schilddrüsensaft  oder  Hypophysin  erzeugten 
Steigerung  der  Überschuß  an  Salzen  (z.  B.  Phosphor,  Natrium,  Kalium) 
durch  den  Darm  ausgeschieden,  während  nach  Adrenalininjektion  der 
Überschuß  nahezu  ausschließlich  durch  die  Nieren  abfließt.  Als 

u.  x 

Grund  hierfür  ist  ein  spezifisches  Verhalten  dieser  Hormone  zu  be¬ 
stimmten  Abschnitten  der  sympathischen  resp.  autonomen  Nerven  an¬ 
zunehmen.  Plingegen  wirken  die  autonomen  Drüsen  hemmend  auf  den 
Salzstoffwechsel,  denn  nach  Exstirpation  derselben  tritt  eine  enorme 
Steigerung  der  Salzausscheidung  ein,  und  es  ist  interessant,  daß  hier 
der  Überschuß  fast  ausschließlich  durch  die  Nerven  abfließt.  Einzelne 
Faktoren  des  Salzstoffwechsels  scheinen  aber  außerdem  auch  noch 
durch  die  einzelnen  Drüsen  in  ganz  besonderer  Weise  beeinflußt  zu 
werden.  So  zeigt  sich  z.  B.,  daß  die  durch  Überfunktion  der  sym¬ 
pathischen  Drüsen  hervorgerufene  Steigerung,  der  Hungersalzstof f- 
wecbsel,  die  minimale  Hungerchlorausscheidung  unbeeinflußt  läßt,  wäh¬ 
rend  bei  der  durch  Ausfall  der  autonomen  Drüsen  bedingten  Steige¬ 
rung  eine  enorme  Ausscheidung  von  Chlor  durch  die  Nieren  zu  be¬ 
obachten  ist.  Ein  fernerer  Antagonismus  zeigt  sich  in  den  Unter¬ 
suchungen  über  die  Beeinflussung  der  Eosinophilie  und  der  galva¬ 
nischen  Erregbarkeit  durch  diese  Drüsen. 

E.  Beiss -Frankfurt :  Kochsalzstoffwechsel  und  Wasser¬ 
gehalt  des  Blutserums. 

Der  Wassergehalt  des  Blutserums  ist  in  sehr  erheblicher  Weise 
von  dem  Wasser-  und  Salzstoffwechsel  des  Körpers  abhängig.  Da 
gewöhnlich  bei  Petent ion  von  Salzen  auch  Wasser  retiniert  wird  und 
umgekehrt,  so  erfolgt  in  solchen  Fällen  eine  Zunahme  des  Wasser¬ 
gehalts  der  Blutflüssigkeit,  während  ihr  osmotischer  Druck  normal 
bleibt.  Anders  bei  Urämie,  hier  fehlt  die  Verdünnungsreaktion  des 
Körpers,  der  osmotische  Druck  des  Blutes  steigt  und  die  Konzentration 
der  harn  fähigen  Substanzen  wird  allmählich  eine  so  hohe,  daß  Ver¬ 
giftungserscheinungen  auf  treten.  Wir  können  in  solchen  Fällen  die 


682 


Ehrmann  und  Fuld, 


letzte  Ursache  der  urämischen  Symptome  in  einer  Störung  der  Kor¬ 
relation  von  Wasser-  und  Salzhaushalt  erblicken. 

van  den  V el den- Elberfeld :  Zur  Wirkung  intravenöser  Zu¬ 
fuhr  hypertonischer  Salzlösungen. 

Die  Injektion  weniger  (3 — 5)  Kubikzentimeter  hypertonischer 
(5 — 10  proz.)  Salzlösungen  wirkt  hämostatisch.  Dieser  Eingriff  ist  bei 
Tieren  und  Menschen  durchaus  harmlos.  Eine  Leukozytenvermehrung 
ist  die  einzige  konstante  morphologische  Blutveränderung,  welche  er 
nach  sich  zieht.  Eine  Konzentrationszunahme  des  Blutes  ließ  sich  in 
keinem  Falle  nach  weisen,  sondern  allemal  nur  eine  leichte  reaktive  Ver¬ 
dünnung,  gemessen  an  dem  einzig  (konstanten  Blutbestandteil,  dem  Hämo¬ 
globin  (das  von  Beiß  nach  Ludwig  zugrundegelegte  Eiweiß  z.  B. 
ändert  sich  durch  Diffusion).  Es  tritt  eine  leichte  hydrämische  Plethora 
auf  durch  Heranziehung  des  Gewebswassers.  Damit  stimmt  überein, 
daß  Amboceptoren-,  Antitrypsin-  und  Antipepsingehalt  abnehmen. 

Hingegen  sieht  man  eine  Verkürzung  der  Gerinnungsdauer  während 
mindestens  einer  Stunde  auftreten,  ähnlich,  nur  schwächer  auch  bei 
großen  Mengen  isotonischer  Lösungen.  Wahrscheinlich  liegt  eine  Ver¬ 
mehrung  der  Thrombokinase  zugrunde  ;  dabei  ist  die  Menge  des  sich 
abscheidenden  Fibrins  vermindert.  Das  (zu  erwartende)  Auftreten  von 
Lieber  war  niemals  zu  konstatieren,  ebensowenig  dasjenige  von  Gly- 
kosurie. 

Diskussion. 

Hein  eke- München :  Trotz  scheinbar  quantitativer  Ausscheidung 
zugeführter  Salzmengen  beim  Gesunden  steigt  ohne  ersichtlichen  Grund 
der  Salzgehalt  des  Blutes,  ebenso  auch  beim  gesunden  Tier,  z.  B.  von 
0,640  beim  Kaninchen  bis  0,7  °/0. 

Mohr -Halle  hat  experimentell  versucht,  bei  salzarmen  Tieren 
nach  Erzeugung  einer  Nephritis  (Urannephritis)  durch  Wasserzufuhr 
Ödeme  zu  erzielen.  Dies  ist  an  Hunden  viermal  gelungen.  Daher  ist 
bei  der  Behandlung  von  Wassersüchtigen  nicht  nur  auf  die  Chlor-, 
sondern  auch  auf  die  Wasserzufuhr  zu  achten,  um  so  mehr,  als  die 
Chlorentziehung  nicht  so  harmlos  ist,  wie  man  sie  hinstellt.  Zwei 
Hunde  von  50—56  Pfd.  sind  bei  kochsalzarmer,  kalkreicher  Kost  ohne 
pathologisch-anatomischen  Befund  gestorben.  Bei  diesem  Begime  findet 
anfang's  übereinstimmend  mit  Bunge’s  Annahme  stärkerer  Kochsalz¬ 
verlust  statt,  aber  nur  ganz  vorübergehend  während  der  ersten  Tage. 
Daher  Vorsicht  bei  der  therapeutischen  Kochs  alzentziehung !  Fragen 
wir :  Ist  denn  das  Kochsalz  überhaupt  schädlich  ?  das  heißt,  lassen 
sich  Nephritiden  bei  Infektionskrankheiten  durch  Einschränkung  der 
Kochsalzzufuhr  verhüten,  so  scheint  es,  als  ob  diese  Frage  zu  bejahen 
sei.  12  Scharlachfälle  wurden  mit  gewöhnlicher  Milchkost  behandelt, 
10  andere  mit  salzarmer  Fleischkost.  In  der  ersten  Gruppe  trat  sechsmal, 
in  der  zweiten  bloß  zweimal  Nephritis  hinzu. 

Lommel- Jena :  Die  nervöse  „Phosphaturie“  ist  nicht  häufig; 
eigentlich  ist  es  eine  Kalkariurie.  Das  klinische  Verhalten  dieser 
Kranken  schien  auf  eine  Darmstörung  als  Ätiologie  hinzuweisen.  Doch 
fand  Bedner  bei  schwerem  Katarrh,  ja  Amyloid  das  Verhältnis  von 
Kot-  zu  Harnkalk  normal  und  die  Kalkresorption  ungestört.  Auch  im 
Tierexperiment  mit  artefizieller  Colitis  und  intravenöser  Kalkinjektion 
ergibt  sich  keine  Verschiebung  der  Belation.  Die  Verteilung  zwischen 
Niere  und  Darm  hängt  nicht  von  einer  Läsion  des  letzteren,  sondern 


26.  Kongreß  für  innere  Medizin  zu  Wiesbaden. 


683 


vielleicht  von  einer  Störung  im  Zusammenspiel  der  Hormone  ab,  im 
Sinne  Falta’s. 

Rothschild-Soden:  Nicht  nur  die  Bromwirkung  bei  Epilepsie, 
auch  die  Jodwirkung  bei  Lues  wird  gesteigert  durch  Kochsalzentziehung. 

Nur  hypertonische  Exsudate  sind  einer  alimentären  Beeinflussung 
unzugänglich,  nicht,  wie  Magnus-Le vy  meint,  alle. 

Gerhardt-Basel:  Trotz  schneller  Wiederherstellung  der  Nieren¬ 
permeabilität  können  noch  nach  Wochen  die  mikroskopischen  Symptome 
andauern.  Wie  sind  solche  Fälle  zu  beurteilen,  welches  Kriterium  ist 
das  maßgebende  ?  Eine  weitere  Schwierigkeit  für  die  Auffassung  liegt 
darin,  daß  subkutan  injizierte  Salzlösung  sehr  gut  ausgeschieden  wird, 
obwohl  das  im  Körper  enthaltene  Salz  retiniert  wird.  Jones,  unter¬ 
scheidet  eine  rote  Granulaniere  und  eine  sekundäre ;  nur  letztere  ist 
eine  eigentliche  Nierenkrankheit,  die  andere  eine  Gefäßkrankheit.  Herz¬ 
hypertrophie  machen  entgegen  den  Angaben  J.’s  beide.  Dagegen  scheint 
tatsächlich  eine  fundamentale  Verschiedenheit  im  Salzausscheidungs¬ 
vermögen  zu  bestehen  bezw.  die  unechte  Schrumpfniere  wird  durch 
Dechlorurierung  gebessert. 

Ist  der  präödematöse  Zustand  nach  Widal  als  tiefes  Ödem  an¬ 
zusehen  ?  Es  scheint  fast  so  nach  der  Intoleranz  solcher  Kranker  gegen 
NaHC03. 

Schott -Nauheim :  Bohne  hat  schon  im  Jahre  1897  auf  die  Be¬ 
deutung  des  Chlornatriums  hingewiesen.  Es  hängt  aber  viel  ab  von 
der  Form  der  Kochsalzzufuhr,  von  ihrer  Dosierung  sowie  davon,  ob 
der  Kranke  Bewegung  hat.  Andererseits  kann  Appetitmangel,  Gewichts¬ 
verlust,  ja  direkt  Ödem  durch  Salzentziehung  hervorgerufen  werden. 
Cardiaca  und  Diureticä  sind  nicht  etwa  bei  Herz-Nierenaffektionen 
beiseite  zu  lassen. 

Falta-Wien:  Josslin  hat  vor  einem  Jahre  die  gleiche  Beob¬ 
achtung  gemacht,  wie  Blum  sie  mitgeteilt  hat.  Auch  die  sog.  Hafer¬ 
ödeme  lassen  sich  oft  durch  Einschränkung  des  Bikarbonats  hintanhalten. 

Magnus-Levy-Berlin  (Schlußwort):  Gewichtszunahme  der 
schweren  Diabetiker  findet  auch  ohne  Bikarbonatzufuhr  statt ;  sie 
stellt  eine  Wiederherstellung  des  normalen  Wassergehaltes  dieser  aus¬ 
getrockneten  Patienten  dar. 

Bezüglich  der  kochsalzarmen  Diät  sind  Daten  zu  sammeln ;  un¬ 
erklärlicher  Tod  von  Hunden  findet  sich  im  Laboratorium  auch  ohne 
jede  Änderung  der  Lebensweise. 

Ivülbs-Kiel:  Über  die  Herzgröße  bei  Tieren. 

Das  Herzgewicht  von  Schwein  und  Rind  schwankt  um  3—4%, 
während  die  Zahlen  beim  freilebenden  Tiere,  dem  Reh  und  der  Gemse, 
ziemlich  konstant  sind.  Durch  Arbeit  bezw.  Ruhe  hat  er  beim  Hunde 
große  Verschiedenheiten  der  Proportionalgewichte  (erzeugen  können, 
ohne  daß  eine  chemische  Differenz  sich  hätte  feststellen  lassen. 

Beim  wilden  Kaninchen  ist  das  Herzgewicht  3,29,  sinkt  aber  nach 
Wochen  der  Ruhe  auf  2,51,  ähnlich  wie  beim  Stallkaninchen.  Gleich¬ 
zeitig  nimmt  das  Gewicht  der  Skelettmuskeln  zu.  Die  Schwankungen 
bei  dem  Stallkaninchen  um  den  Mittelwert  sind  dabei  viel  größer  ge¬ 
worden,  ebenso  der  innere  Fettgehalt  des  Herzens.  Kontrolltiere  haben 
gelbes,  Arbeitstiere  rotes  Knochenmark. 

F.  Volhar d- Mannheim :  Uber  die  Messung  des  diastolische, n 
Druckes  beim  Menschen. 


684 


Ehrmann  und  Fuld, 


Vortr.  verwendet  seit  einigen  Jahren  ein  transportables  Queck¬ 
silbermanometer,  das  sehr  gnt  oszillatorische  Messungen  gestattet,  wenn 
während  der  Messung  das  druckerzeugende  Gebläse  abgeklemmt  wird. 
Als  Minimaldruck  hat  V.  den  Punkt  angenommen,  bei  welchem  die 
Quecksilbersäule,  die  bei  höherem  Manschettendruck  erst  große,  dann 
kleinere  Oszillationen  macht,  bei  weiterem  Senken  des  Druckes  plötzlich 
in  Ruhe  verharrt  oder  nur  noch  ganz  kleine  Meniskusschwankungen 
ausführt. 

V.  hat  sich  durch  Messungen  des  systolischen  und  diastolischen 
Druckes  in  der  menschlichen  Arterie  mittels  zweier  Hg-Manometer 
mit  Maximum-Minimum ventil  davon  überzeugt,  daß  dieser  Punkt  auf¬ 
fallend  genau  dem  Minimal  druck  in  der  Arterie  entspricht. 

Man  kann  sich,  wie  V.  an  einer  Versuchs anordnung  zeigt,  an  aus¬ 
geschnittenen  Arterien,  welche  in  ein  mit  einer  Pipette  verbundenes 
T-Rohr  eingebunden  sind,  gut  davon  überzeugen,  daß  die  größten 
Volumschwankungen  bei  Variationen  des  Innen druckes,  nicht  bei  völlig 
entspannter  Arterie,  also  im  Stadium  des  Minimaldruckes,  sondern  erst 
dann  auf  treten,  wenn  der  Außendruck  den  Innendruck  übersteigt. 

Langstein-Berlin:  Diabetes  und  Glykosurie  im  Säug¬ 
lingsalter. 

Nach  einer  Kritik  der  älteren  Angaben  über  Zucker  ausscheidung 
beim  Säugling  und  Hervorhebung  der  alimentären  Galaktosurie  erwähnt 
Redner  zwei  von  ihm  beobachtete  echte  paroxysmale  Traubenzucker¬ 
ausscheidungen,  die  eine  bei  Krämpfen  auf  Grund  von  Hydrocephalus 
und  eine  ähnliche  bei  Anendephalie.  Er  berichtet  sodann  über  einen 
Säugling,  der  im  ganzen  200  g  Zucker  pro  die  erhalten  hatte,  ohne 
schwerere  Darmerscheinungen  zu  zeigen.  Erst  sein  Durst  und  die 
Steifheit  der  Windeln  veranlaßte  zur  ärztlichen  Untersuchung,  und 
es  ergab  sich  ein  Diabetes  mellitus.  Dabei  bestand  schwere  Acidosis. 
Nachdem  durch  zuckerfreie  Ernährung  der  Urin  zuckerfrei  geworden 
war,  erhielt  das  Kind  zwei  Tage  lang  hintereinander  je  einen  Liter 
Hafersuppe  durch  die  Sonde.  Die  Toleranz  stieg  nun  auf  400  g  Milch ; 
auf  500  g  wurden  0,6  °/0  ausgeschieden.  Die  therapeutische  Bedeutung 
der  Hafermehlkur  erhellt  aus  dieser  Beobachtung  aufs  neue.  Diese 
ist  für  die  Kinderheilkunde  von  besonderem  Interesse,  da  die  Erfahrung 
die  Notwendigkeit  eines  zweiten  Kohlehydrates  gezeigt  hatte,  wenn 
eine  Intoleranz  gegen  Eett  eine  Erhöhung  des  täglichen  Milchzucker¬ 
quantums  erheischt. 

Kir chheim  -  Köln :  Über  das  Verschwinden  der  Leber¬ 
dämpfung  bei  abdominalen  Erkrankungen. 

Das  Verschwinden  der  Leberdämpfung  im  Endstadium  der  Peri¬ 
tonitis  betrifft  das  ganze  Organ  und  kann  durch  dessen  Kantenstellung 
erklärt  werden.  Diese  Erklärung  ist  unzutreffend  im  Anfangsstadium 
der  Entzündung,  für  welches  dieses  Symptom  von  Sprengel  hervor¬ 
gehoben  wurde.  Hier  findet  man  um  so  mehr  von  der  Dämpfungs- 
figur  erhalten,  je  mehr  man  sich  dem  lateralen  Thoraxrand  nähert. 
Im  Endstadium  der  Peritonitis  zeigt  das  Röntgenbild  einen  Hoch¬ 
stand  des  Zwerchfells,  umgekehrt  im  Anfangsstadium.  Allerdings  sind 
seine  Exkursionen  auch  hier  eingeschränkt.  Eine  Kantenstellung 
durch  Darmaufblähung  herbeizuführen,  gelingt  nicht,  wohl  aber  fin¬ 
det  sich  diese  autoptisch  bei  Peritonitis.  Bläht  man  jedoch  die  Leiche 
gleichzeitig  durch  die  Trachea  und  den  Darm  auf,  so  reproduziert 
man  das  Bild  des  ungleichmäßigen  Verschwindens  der  Dämpfung. 


26.  Kongreß  für  innere  Medizin  zu  Wiesbaden. 


685 


Fixiert  man  das  Organ  durch  eingestoßene  Nadeln  und  eröffnet  das 
Abdomen,  so  findet  man,  daß  der  bewegliche  Abschnitt  des  Kolons 
sich  zwischen  Leber  und  Bauchwand  geschoben  hat.  Das  gemeinsame 
Moment  in  beiden  Fällen  bildet  die  Erweiterung  der  unteren  Thorax¬ 
apertur,  hier  durch  passive  Dehnung,  im  Initialstadium  der  Peri¬ 
tonitis  durch  aktive  Muskelspannung,  eine  Art  Defense  des  Zwerch¬ 
fells,  herbeigeführt. 

Meinertz-Rostock :  Etwas  über  Druck  und  Strömung  ifn 
den  Venen. 

Der  Kollaps  der  Hautvenen  der  Hand  in  bestimmtem  Niveau 
(Venen phänomen)  ist  nicht  vom  Vorhofdruck  allein  abhängig.  Es 
muß,  wie  auch  Frey  es  tut,  Blutfüllung  und  Gesamtquerschnitt  der 
Venen  bahn  zur  Erklärung  herangezogen  werden.  Von  Bedeutung  ist 
dabei  der  Scheitelpunkt  der  Bahn  in  der  Höhe  der  Vena  subclavia, 
auf  den  v.  Recklinghausen,  aufmerksam  gemacht  hat.  Die  Haut¬ 
venen  kollabieren,  wenn  bei  erhobener  Extremität  die  Vis  a  tergo 
infolge  der  abnehmenden  Schwerkraftwirkung  der  Blutsäule  genügt, 
in  der  Zeiteinheit  die  der  zugeführten  gleiche  Blutmenge  ohne  Zu¬ 
hilfenahme  der  oberflächlichen  Bahnen  zum  Scheitelpunkt  emporzu¬ 
führen.  Infolgedessen  tritt  das  Venenphänomen  im  Liegen,  wo  der 
Scheitelpunkt  nicht  höher  liegt  als  der  Vorhof,  in  einem  im  Ver¬ 
hältnis  zum  Vorhof  tieferen  Niveau  ein  als  im  Sitzen. 

Trotzdem  ist  das  Venenphänomen  auch  nicht  als  Maß  für  die 
Durchblutung  der  Extremität  anzusehen,  wie  Versuche,  bei  denen  die 
Durchblutung  auf  verschiedene  Weise  gesteigert  wurde,  zeigten.  Offen¬ 
bar  ändert  sich  auch  bei  stärkerer  Durchblutung  meist  nicht  das 
Verhältnis  zwischen  Venenquerschnitt  und  Gesamtblutmenge.  In  eini¬ 
gen  Fällen,  besonders  solchen  mit  Zirkulationsstörungen,  sind  aller¬ 
dings  besondere  Abweichungen  in  der  Reaktion  der  peripherischen 
Gefäße  vorhanden. 

Soetbe  er -Giessen  :  Urämbegif  t. 

Dies  ist  nicht  im  Harn,  sondern  diesseits  der  Niere  zu  suchen; 
selbst  dafür,  daß  es  im  Blut  sich  findet,  wie  man  annahm,  ist  kein 
Beweis  vorhanden.  Daher  hat  Redner  auch  den  abiureten  Stickstoff 
des  Hirns,  der  Leber  und  der  Muskeln  herangezogen.  Nephrektomierte, 
im  Gegensatz  zu  Hungerhunden,  lassen  im  Gehirn  und  den  Muskeln 
eine  erhebliche  Zunahme  dieser  Fraktion  nach  Fleischfütterung  er¬ 
kennen,  während  sie  in  der  Norm  nur  in  Leber  und  Blut  nachweisbar 
sind.  Vielleicht  genügen  diese  Anhäufungen  von  ca.  40°/0  schon  zur 
Her  vorruf  ung  urämischer  Erscheinungen  an  Hirn  und  Muskel  - —  in¬ 
dessen  mögen  auch  ganz  andersartige  Stoffe  gebildet  sein,  als  in  der 
Norm;  80°/0  dieser  Körper  im  Blut  sind  Harnstoff  —  aber  die  anderen 
20 °/0  sind  wegen  der  Schwierigkeit  der  Materialbeschaffung  noch  un¬ 
bekannt.  Erst  Versuche  des  Redners  an  Pferden  eröffnen  die  Hoff¬ 
nung,  genügende  Quantitäten  zur  Analyse  zu  erhalten. 

Um  durch  vikariierende  Sekretion  das  Gift  in  reinerem  Zustand 
zu  erhalten,  wurden  ferner  an  Speichelfisteltieren  Analysen  des  nach 
Pilokarpininjektion  sich  ergießenden  Speichels  ausgeführt;  der  Fil¬ 
tratstickstoff  steigt  nach  Nephrektomie  um  das  zehnfache.  Da  aber 
der  Gehalt  nicht  den  des  Blutes  übersteigt,  so  kann  man  eine  vikari¬ 
ierende  Sekretion  nicht  statuieren.  Nephrektomierte  Tiere  zeigen  nicht 
die  bekannte,  intermittierende,  sondern  eine  kontinuierliche  Sekretion 
von  normalem  Magensaft,  Der  Filtratstickstoff  verdoppelt  sich  dabei 


686 


L.  Lichtwitz, 


und  das  Ammoniak  verachtfacht  sich  sogar,  doch  sind  die  absoluten 
Werte  klein  (32  mg  pro  100  ccm). 

In  der  isolierten  Darmschlinge  findet  man  nach  Pilokarpin¬ 
injektion  analoge  Sekretionsverhältnisse,  daneben  aber  eine  starke  Ent¬ 
zündung,  sei  es  durch  das  Eklampsiegift,  sei  es  durch  das  angewen¬ 
dete  Pilokarpin. 

Die  chemische  Entlastung  durch  vikariierende  Sekretion  ist  in 
ihrem  Betrage  außerordentlich  überschätzt  worden  und  die  ableitenden 
Encheiresen  entfalten  ihre  therapeutischen  Wirkungen  eher  durch  die 
Verbesserung  der  Zirkulationsverhältnisse  der  Nieren. 

Diskussion. 

Um  her -Altona:  Bei  Sublimatvergiftung  findet  man  achttägige 
Anurien.  Bei  der  Blutuntersuchung  solcher  Patienten  stellte  Redner 
starke  N-Retention  im  Blute  ohne  jede  urämische  Erscheinung  fest; 
der  Gefrierpunkt  aber  war  normal.  (Fortsetzung  folgt.) 


Aus  der  medizinischen  Klinik  in  Göttingen.  Direktor:  Prof.  C.  Hirsch. 

Lieber  Fieber  und  Fieberbehandlung. 

Von  Privatdozent  Dr.  L.  Lichtwitz,  Assistent  der  Klinik. 

(Schluß.) 

Wenn  wir  uns  nun  zu  der  zweiten  Komponente  der  Wärme- 
konstanz,  der  W ärmeabgahe,  wenden,  so  werden  wir  positivere  Er¬ 
gebnisse  bereits  aus  der  klinischen  Beobachtung  gewinnen.  Bei  einigen 
Krankheiten  sehen  wir  im  Beginn,  bei  anderen  auch  im  weiteren  V er¬ 
lauf  eine  Erscheinung  auf  treten,  die  von  jeher  das  Interesse  der  Arzte 
erregt  hat,  den  Schüttelfrost.  Dieser  schien  den  alten  Ärzten  mit 
der  beim  Eieber  sonst  beobachteten  Temperatursteigerung  so  unverein¬ 
bar  zu  sein,  daß  Boerhaave  dadurch  bewogen  wurde,  nicht  die  erhöhte 
Temperatur,  sondern  die  gesteigerte  Pulsfrequenz  als  pathognomonisches 
Fiebersymptom  zu  bezeichnen.  Als  aber  de  Haen  im  Jahre  1760  als 
erster  im  Eroststadium  eine  Innentemperatur  von  40°  C  fand,  wurde 
es  unzweideutig,  daß  der  Schüttelfrost  und  die  Temperatursteigerung 
zum  Eie  her  zustand  gehören. 

Dieser  anscheinend  so  widerspruchsvolle  Symptomenkomplex  des 
Schüttelfrostes  kommt  dann  zustande,  wenn  im  Beginn  der  Infektion 
durch  eine  zentrale  Reizung  die  Hautgefäße  kontrahiert  werden,  die 
Haut  schlechter  durchblutet  und  blaß  wird.  Dieses  Verhalten  der 
Haut  empfindet  die  Mehrzahl  der  Individuen  als  Kälte. 

Der  Organismus  verhält  sich  dann  wie  ein  Körper,  dem  durch 
ein  kühles  Bad  Wärme  entzogen  wird.  Es  steigen  die  Zer¬ 
setzungen,  und  auch  bei  dieser  Steigerung  des  Stoffwechsels  muß,  da, 
wie  bereits  erwähnt,  immer  nur  Arbeit  und  Wärme  gebildet  werden 
kann,  eine  vermehrte  Arbeit  resultieren,  die  wir  bei  dem  Bilde  des 
Schüttelfrostes  in  Muskelkontraktionen  (Zittern  und  Zähnekiappern) 
in  die  Erscheinung  treten  sehen.  Durch  diese  Reaktion  des  Organismus 
wird  nun  ein  circulus  vitiosus  geschaffen,  da  bei  andauernder  Ver¬ 
minderung  der  Wärmeabgabe 'eine  vermehrte  Produktion  durch  die 
erhöhte  Temperatur,  die  Eieberursache,  und  die  bei  den  Muskelkon¬ 
traktionen  gebildete  Wärme  erfolgt. 

Dieses  Stadium  des  Schüttelfrostes  dauert  so  lange,  bis  die  Kon¬ 
traktion  der  Hautgefäße  nachläßt,  die  Haut  rot  und  warm  wird  und 
die  W ärmeabgabe  steigt. 


Ueber  Fieber  und  Fieberbehandlung. 


687 


Auf  der  Höhe  des  Fiebers  bleibt  die  Wärmeabgabe  stets  hinter 
der  Wärmeproduktion  zurück.  Es  wäre  aber  falsch,  zu  sagen,  daß 
der  Fieberkranke  die  Fähigkeit  der  physikalischen  Wärmeregulation 
gänzlich  eingebüßt  hat.  Wir  sehen,  daß  der  Fiebernde  leicht  friert 
und  durch  ein  kühles  Bad  leichter  abzukühlen  ist,  als  der  normale. 

Die  Temperatur  Fieberkranker  ist  also  gegen  äußere  Einwirkungen 
labiler.  Wir  beobachten  aber,  daß  die  erhöhte  Temperatur  weder  durch 
x4bkühlungen,  noch  durch  Fiebermittel  für  längere  Zeit  zu  erniedrigen 
ist,  sondern  daß  die  Eigenwärme  stets  wieder  steigt.  Von  dem  Nor¬ 
malen  unterscheidet  sich  also  der  Fiebernde  nicht  prinzipiell,  sondern 
nur  dadurch,  daß  die  Reaktion  gegen  die  Abkühlung  verspätet,  tor¬ 
pide  ein  tritt.  Die  Wärmeregulation  ist  also  im  Fieber  erhalten,  aber 
nicht  so  leistungsfähig.  Sie  funktioniert  träge  um  ein  höher  einge¬ 
stelltes  Niveau  der-  Temperatur  (Lieb  er  meist  er). 

Diese  Störungen  in  der  Wärmeabgabe,  die  ihren  Grund  in  einer 
Reizung  entsprechender  Orte  des  Zentralnervensystems  hat,  über¬ 
dauert  in  vielen  Fällen  das  Fieber  und  tritt  noch  in  der  Rekonvaleszenz 
in  die  Erscheinung.  So  beobachten  wir,  speziell  nach  Typhus,  daß 
zu  reichliche  Nahrungsaufnahme,  Erregungen  und  Muskelbewegungen 
bei  diesen  Individuen  Temperatursteigerungen  hervorrufen,  als  An¬ 
zeichen,  daß  die  Wärmeabgabe  dieser  geringen  Mehrproduktion  noch 
nicht  gewachsen  ist. 

Wenn  wir  nach  diesen  Darlegungen  den  Störungen  der  physika¬ 
lischen  Regulation  an  dem  Zustandekommen  der  Temperatursteigerung 
eine  größere  Rolle  zumessen,  als  der  Wärmeproduktion,  so  war  für 
diese  geringe  Einschätzung  der  Produktion  der  Umstand  bestimmend, 
daß  eben  Fieber  auch  ohne  eine  vermehrte  Gesamtoxydation  und  so¬ 
gar  bei  einer  Verminderung  derselben  eintreten  kann.  Es  ist  aber  frag¬ 
lich,  ob  es  erlaubt  ist,  die  Größe  der  Oxydationen  mit  der  gebildeten 
Wärmemenge  ohne  weiteres  zu  identifizieren. 

Wir  wissen,  daß  im  Körper  ebenso  wie  bei  einer  Kraftmaschine 
Brennmaterial  in  Arbeit  und  Wärme  verwandelt  wird,  und  wir  be¬ 
zeichnen  den  Prozentsatz  des  Brennwertes,  der  als  Arbeit  erscheint, 
als  den  Nutzeffekt  der  Maschine. 

Bestimmungen  des  Nutzeffekts  für  den  Menschen  haben  bei  ver¬ 
schiedenen  Individuen  verschiedene  Werte  (13,3  —  16,2  —  19,6 °/0)  er¬ 
geben  (Atwater).  Es  ist  nun  klar,  daß  bei  gleichbleibender  Verbren¬ 
nung  um  so  mehr  Wärme  gebildet  wird,  je  geringer  der  Nutzeffekt  ist. 

Untersuchungen  über  den  Nutzeffekt  im  Fieber  gibt  es  nicht 
und  wird  es  auch  bis  auf  weiteres  nicht  geben,  da  die  Schwierigkeiten 
der  Untersuchung  kaum  zu  bewältigen  sind.  Immerhin  sehen  wir, 
daß  im  Infektionsfieber  die  Arbeitsfähigkeit  des  Organismus  außer¬ 
ordentlich  sinkt,  daß  eine  leichte  Ermüdbarkeit  der  Skelettmuskulatur 
und  ein  Nachlassen  des  Tonus  der  Gefäß-  und  Darmmuskulatur  eintritt. 

Wenn  also  die  Möglichkeit,  hier  auch  bei  Gleichbleiben  der  Ge¬ 
samtoxydationen  noch  eine  Wärmequelle  zu  finden,  besteht,  so  kommt 
doch  zweifellos  die  größte  Bedeutung  den  Störungen  der  Wärme¬ 
abgabe  zu. 

Das  Verhalten  des  Stoffwechsels  ist  im  IUeber  nicht  nur  von 
Interesse  für  die  Erklärung  der  Temperatursteigerung,  sondern  vor 
allem  bedeutungsvoll  für  das  Schicksal  des  Fieberkranken.  Wenn 
in  einem  langdauernden  Fieber  durch  die  erwähnten  Faktoren 
eine  fortschreitende  Konsumption  des  Körpers  und  besonders  des  Ei- 


68S 


L.  Lichtwitz, 


Weißbestandes  einträte,  so  würden  die  Infektionskrankheiten  in  einem 
viel  höheren  Prozentsatz  letal  verlaufen,  als  es  wirklich  der  Fall  ist. 
Wir  sehen  aber,  daß  hier  eine  Selbsthilfe  des  Organismus  einsetzt, 
daß  im  Verlauf  eines  längeren  Fiebers  Eiweißumsatz  und  Oxydationen 
außerordentlich  niedrig  werden  und  daß  sich  die  Patienten  mit  einer 
Kost,  die  nur  23 — 25  Kal.  pro  kg  Körpergewicht  enthält,  im  Gleich¬ 
gewicht  halten  können. 

Daß  trotzdem  so  häufig  infektiöse  Prozesse  letal  verlaufen,  hat 
seinen  Grund  darin,  daß  außer  den  lokalen  Prozessen  das  Fieber  und 
die  Infektion  zu  einer  schweren  Schädigung  lebenswichtiger  Organe 
führen,  von  denen  in  diesem  Zusammenhänge  nur  die  besprochen  werden 
sollen,  die  zu  einer  Veränderung  der  Temperatur  Beziehungen  haben. 
So  sehen  wir,  insbesondere  beim  Gelenkrheumatismus,  in  seltenen  Fäl¬ 
len  ganz  exzessive  Temperatursteigerungen  auf  treten,  die  als  solche 
das  Lehen  bedrohen.  Diese  Hyperthermien  gehen  mit  zerebralen  Er¬ 
scheinungen,  Benommenheit  und  Delirien,  einher  und  sind  wohl  durch 
die  Wirkung  von  Toxinen  auf  das  Zentralnervensystem  zu  erklären. 

Daß  eine  solche  Giftbindung  im  Gehirn  außerordentlich  hohes 
Fieber  bedingen  kann,  sehen  wir  beim  Tetanus,  bei  dem  die  hohen 
Temperaturen  nicht  allein  durch  die  Krampfzustände  erklärt  werden 
können  und  dessen  Giftstoffe  ja  eine  besondere  Affinität  zu  der  Nerven- 
substanz  haben. 

Im  Gegensatz  zu  diesen  Hyperthermien  sehen  wir  im  Verlaufe 
der  Infektionskrankheiten  nicht  selten  ein  bedrohliches  Sinken  der 
Temperatur  auf  treten,  einen  Kollaps,  dessen  Nähe  sich  dem  Kundigen 
bereits  durch  ein  Nachlassen  der  Spannung  der  Gefäßwand,  das  Weich¬ 
werden  und  die  Dikrotie  des  Pulses  bemerkbar  macht.  Wenn  wir  paral¬ 
lelgehend  mit  dieser  verminderten  Spannung  der  Gefäßmuskulatur 
beim  Unterleibstyphus  sowohl  wie  bei  der  Pneumonie  einen  zunehmen¬ 
den  Meteorismus  des  Magens  und  des  Darmes  beobachten,  so  werden 
wir  den  Grund  dieser  Tonusabnahme  in  der  diesen  Gebilden  gemein¬ 
schaftlichen  Innervation  zu  suchen  haben,  die  von  dem  sympathischen 
Nervensystem  besorgt  wird.  Das  Eintreten  des  Kollapses  hängt  von 
zwei  Bedingungen  ab,  einmal  der  Konstitution  des  Individuums,  für 
die  uns  eine  präzise  Definition  fehlt,  dann  aber  von  der  Menge  des 
toxischen  Stoffes. 

Erfahrungen  am  Tier  und  am  Krankenbett,  besonders  auch  bei 
Tuberkulininjektionen,  haben  gezeigt,  daß  derselbe  Stoff  in  geringer 
Menge  Temperaturerhöhung,  in  größerer  Sinken  der  Temperatur  und 
Kollaps  erzeugen  kann.  Bömberg  und  Paß ler  haben  gezeigt,  daß 
der  Kollaps  auf  einer  Lähmung  der  Vasomotoren  und  einer  Gefä߬ 
erweiterung,  besonders  im  Gebiet  des  Splanchikus,  beruht.  Bei  diesem 
Verbluten  in  die  Bauchhöhle  sinkt  der  Blutdruck.  Mit  der  mangel¬ 
haften  Blutversorgung  der  Muskulatur  nehmen  Verbrennungsprozesse 
und  Wärmebildung  ab,  und  die  Körpertemperatur  fällt. 

Daß  der  Blutdruck  und  die  gute  Blut  Versorgung  an  der  Höhe 
der  Temperatur  beteiligt  sind-,  sehen  wir  an  den  dem  Kollaps  verwandten 
Temperaturstürzen,  die  bei  schweren  Blutungen  im  Fieber,  z.  B.  der 
Darmblutung  eines  Typhuskranken,  aiif treten.  Die  ominöse  Kreuzung 
der  Puls-  und  Temperaturkurve  läßt  uns,  wenn  wir  einen  peritonealen 
Chok  nach  Perforation  eines  Darmgeschwürs  ausschließen  können,  fast 
mit  Sicherheit  blutige  Entleerungen  erwarten. 


Ueber  Fieber  und  Fieberbehandlung. 


689 


Die  Frage,  ob  die  Temperatursteigerung  bei  der  Infektion  schäd¬ 
lich,  gleichgültig  oder  nützlich  ist,  hat  von  jeher  die  Geister  bewegt. 
Die  Anschauungen  hierüber  haben  häufig  gewechselt.  Während  Lieber¬ 
meister  hohes  Fieber  für  unbedingt  lebensgefährlich  hielt,  haben 
andere  die  Auffassung  vertreten,  daß  das  Fieber  „durch  Feuer  reinige' \ 

In  neuester  Zeit,  wo  man  zu  teleologischer  Betrachtungsweise 
und  einem  erhöhten  Respekt  vor  der  Zweckmäßigkeit  der  Natur  zurück¬ 
gekehrt  ist,  hat  man  versucht,  diese  günstige  Einwirkung  der  Tem¬ 
peratursteigerung  auf  die  Infektion  auch  experimentell  zu  begründen. 

Daß  im  erwärmten  Organismus  Mikroorganismen  leichter  zugrunde 
gehen,  hat  sich  ebensowenig  exakt  bestätigen  lassen,  wie  die  Annahme 
Wassermanns,  daß  die  Produktion  der  Schutzstoffe  stets  mit  Fieber 
einhergehe.  Es  zeigte  sich,  daß  künstliche  Herabsetzung  der  Tem¬ 
peratur  durch  Antipyretika  beim  Kaninchen  die  Immunitätsreaktion 
nicht  wesentlich  störte,  und  zweifellos  gibt  es  auch  beim  Menschen 
Antikörperbildung,  die  ohne  Fieber  erfolgt  (chron.  Bachendiphtheroid). 

Wenn  also  auch  ein  positiver  Nachweis  noch  nicht  erbracht  ist, 
so  ist  doch  hier  weitere  Arbeit  notwendig,  weil  die  Beantwortung  dieser 
Frage  von  der  größten  Bedeutung  für  unser  therapeutisches  Verhalten  ist. 

Die  Behandlung  Fiebernder  hat  im  Laufe  der  Zeiten  die  größten 
Schwankungen  durchgemacht,  im  gleichen  Sinne  mit  der  Auffassung, 
die  man  über  das  Wesen  des  Fiebers  hatte.  Die  Zeiten,  in  denen  man 
versuchte,  dem  Fieber  das  Brennmaterial  zu  entziehen,  es  auszuhungern, 
sind  durch  die  Einsicht  hervorragender  englischer  Ärzte,  vor  allem 
Graves  und  Murchison,  vorüber.  Wir  nähren  das  Fieber  und  legen 
der  diätetischen  Behandlung  eine  um  so.  größere  Bedeutung  bei,  je  mehr, 
wie  besonders  beim  Typhus,  der  Verdauungstraktus  der  Sitz  der  Er¬ 
krankung  ist. 

Die  lange  Zeit  gültige  Auffassung,  daß  das  Fieber  eine  Krank¬ 
heit  an  sich  sei  und  daß  die  hohe  Temperatur  das  Leben  bedrohe, 
mußte  dazu  führen,  die  hohe  Temperatur  durch  forcierte  Abkühlung 
zu  bekämpfen. 

Die  Kaltwasserbehandlung,  die  von  dem  Liverpooler  Arzt  James 
Currie  zuerst  beim  Typhus  systematisch  angewandt  wurde,  hat  lange 
Zeit  hoch  im  Werte  gestanden,  besonders  seitdem  durch  Ziems sen 
die  brüske  Anwendung  kalten  Wassers  einem  schonenderen  und  mil¬ 
deren  Verfahren  gewichen  war.  Die  Einführung  des  Chinins,  die  Syn¬ 
these  der  Salizylsäure  und  die  Hochflut  der  Fiebermittelfabrikation 
haben  der  chemischen  Antipyrese  zu  größerem  Aufschwung  verholfen. 

In  neuerer  Zeit  erst  ist  man  zu  einem  exspektativen  Verhalten 
gekommen.  Die  Frage,  ob  wir  das  Fieber  überhaupt  behandeln  sollen, 
verneinen  wir  keineswegs  nach  rein  teleologischen  Gesichtspunkten. 

So  sehr  wir  bewundernd  der  Natur  eine  große  Heilkraft  zu¬ 
erkennen,  so  sind  doch  nicht  alle  Beaktionen  im  kranken  Organismus 
unbedingt  zweckmäßige,  wie  auch  aus  dem  Auftreten  der  Hyperthermie 
hervorgeht.  Wir  werden  uns  also  bei  der  Behandlung  des  Fiebers 
ebensowenig  für  eine  prinzipielle  Antipyrese  entscheiden,  wie  für  ein 
bedingungsloses  laisser  aller.  Wir  werden,  von  der  Auffassung  aus¬ 
gehend,  daß  das  Fieber  als  Beaktion  heilsame  Wirkungen  haben  kann, 
so  lange  die  Temperatur  ungestört  lassen,  als  ihre  Höhe  oder  ihre 
Dauer  keine  wesentlichen  Störungen  macht.  Treten  aber  derartige 
Störungen  auf,  werden  die  Patienten  benommen,  wird  die  Atmung 
oberflächlicher,  leidet  die  Nahrungsaufnahme,  so  wt erden  wir  eine 

44 


690 


Vorläufige  Mitteilungen  und  Autoreferate. 


milde  Antipyrese  anwenden.  Wir  werden  uns  hierbei  der  Fiebermittel 
nur  dann  bedienen,  wenn  mit  ihrem  Gebrauch  eine  spezifische  Wirkung 
auf  die  Krankheitsursache  verbunden  ist,  also  des  Chinins  bei  der  Ma¬ 
laria  und  der  Salizylsäure  bei  dem  Gelenkrheumatismus.  In  den  übrigen 
Fällen  bevorzugen  wir,  wenn  nicht  Gegenindikationen  vorliegen,  wie 
sie  z.  B.  eine  Darmblutung  beim  Typhus  darstellt,  milde  Wasser¬ 
prozeduren,  Abreibungen,  Abklatschungen  oder  Bäder,  deren  Tempe¬ 
ratur  allmählich,  aber  nicht  hochgradig  herabzusetzen  ist.  Eine 
Hyperthermie  bekämpfen  wir  mit  energischen  Mitteln,  und  gegen  den 
Kollaps  gehen  wir  mit  Digitalis,  Kampfer  und  Koffein,  mit  Wärme¬ 
zufuhr  von  innen  und  außen  vor.  Das  Prinzip  der  Behandlung  ergibt 
sich  aus  den  Resultaten  der  klinischen  und  experimentellen  Arbeit, 
im  Einzelfall  entscheidet  die  ärztliche  Kunst. 


Vorläufige  Mitteilungen  u.  Autoreferate. 

Ein  künstlicher  Extrakt  zur  Anstellung  der  Luesreaktion. 

Von  Dr.  W.  Schürmann.  (Med.  Klinik,  Nr.  17,  1909.) 

Die  bei  der  Wasser  mann’ sehen  Luesreaktion  wirksamen  Stoffe 
der  Organextrakte  sind  in  Alkohol  löslich ;  so  kam  denn  der  Wunsch 
auf,  künstliche,  konstant  bleibende  Extrakte  als  Antigen  zu  verwenden. 
Es  wurden  von  mir  Extrakte  hergestellt,  die  neben  Lezithin,  natrium 
glycerinum  phosphoricum  noch  das  vanadinsaure  Ammonium  enthielten, 
ein  Stoff,  der  katalysatorische  Wirkung  hervorrufen  soll. 

Zunächst  wurde  folgende  Extraktzusammensetzung  verwandt: 

Lezithin  0,3  g  )  hiervon  werden  20,0  g  genommen 

Natr.  glyc.  phosph.  0,8  g  >  und  30,0  g  1  °/0  Vanadins.  Ammon. 

Alcoliol  50,0  g  J  hinzugefügt. 

Dieses  Extrakt  zeigt  nur  hemmende  Eigenschaften  in  Gemeinschaft 
mit  dem  Syphilisserum. 

Die  vor  einiger  Zeitbekannt  gewordene  Tatsache,  Meerschweinchen¬ 
herzen  zu  extrahieren  und  als  künstliches  Extrakt  zu  benutzen,  regte 
in  mir  den  Gedanken  an,  daß  (vielleicht  die  Fleischmilchsäure  resp.  Milch¬ 
säure  das  wirkende  Agens  sei.  Die  folgenden  Extrakte  enthielten  daher 
Milchsäure  in  der  Verdünnung  1:10000.  Am  besten  und  geeignetsten 
erwies  sich  folgendes  Extrakt : 

Lezithin  0,3  g  :  50  ccm  Alcohol 

Natr.  glyc.  phosph.  0,3  in  5  ccm  0,75 °/0  Na-Cl-Lösung  gelöst. 

Von  dieser  Mischung  wurden  30,0  genommen  und  hinzugesetzt: 

Acid.  lact.  1  :  10000  5,0  g 

1  %  Vanadins.  Ammon.  10,0  g. 

Dieses  Extrakt  erwies  sich  in  der  Verdünnung  1:10  zur  Anstel¬ 
lung  der  Reaktion  geeignet.  Läßt  man  das  vanadinsaure  Ammonium 
fort,  so  erfüllt  zwar  das  Extrakt  noch  die  Vorbedingungen,  d.  h.  es 
wirkt  weder  antikomplementär  noch  hämolytisch,  aber  es  gibt  keine 
spezifische  Unterscheidung  zwischen  normalen  und  syphilitischen  Sera. 

_  Autoreferat. 

Luesnachweis  durch  Farbenreaktion. 

Von  Dr.  W.  Schürmann.  (Deutsche  med.  Wochenschr.,  Nr.  14,  1909.) 

Die  ideale  Methode  von  W assermann  zur  Luesdiagnose  bietet  für 
den  praktischen  Arzt  in  der  Ausführung  manche  Schwierigkeiten.  Es 
lag  deshalb  der  Gedanke  nahe,  eine  Vereinfachung  herbeizuführen.  Auf 


Referate  und  Besprechungen. 


691 


Grund  der  Überlegung  kam  Verfasser  zu  dem  Schlüsse,  daß;  eine  Far  ben  - 
reaktion  sich  als  das  einfachste  Diagnostikum  verwerten  ließe ;  und 
da  man  Extrakt  von  Herzmuskeln  von  Meerschweinchen  verwandte, 
glaubte  er,  daß  die  Milchsäure  vielleicht  eine  Rolle  bei  der  Ausführung 
der  syphilitischen  Luesreaktion  spielen  dürfte.  Das  Uf  Lelm,  an  n’ sehe' 
Reagens  an  sich  zu  dem  verdünnten  Blutserum  gesetzt,  ergab  kein  be¬ 
friedigendes  Resultat.  Erst  der  Zusatz  Perhydrol  zu  den  verdünnten 
Sera  und  nachfolgendes  Zugeben  0,5  ccm  des  Reagens,  welches  folgende 
Zusammensetzung  hatte:  Phenol  0,5  ccm,  Aqu.  dest.  34,5  ccm,  5°/0iges 
Eisenchlorid  0,62  ccm,  ergab  einen  starken,  schwarzbraunen,  stumpfen 
Ton  im  syphilitischen  Serum,  eine  Hellgrünfärbung  resp.  auch  Hellbraun¬ 
färbung  von  klarem  Durchsehen  im  normalen  Serum.  Die  Reaktion 
spielt  sich  im  Verlauf  von  1 — 2  Minuten  ab. 

39  nach  Wassermann  positiv  befundene  Sera  ergaben  auch  hier 
einen  positiven  Ausschlag.  Zwei  Scharlachsera  waren  negativ,  ebenso 
Hammelsera,  Kaninchen-  und  Meerschweinchensera.  Fortgesetzte  Unter¬ 
suchungen  werden  hoffentlich  zu  weiterer  Bestätigung  und  Einführung 
der  Methode  beitragen.  Autoreferat. 


Ueber  einen  Fall  von  Rhinophyma. 

Von  Richard  Hoffmann. 

(Gesellschaft  für  Natur-  und  Heilkunde  in  Dresden.  8.  April  1909.) 

Der  Vortragende  bespricht  die  Pathologie  und  Therapie  des  Rhino¬ 
phyma,  kritisiert  die  einzelnen  Operationsmethoden  und  berichtet  über 
einen  selbst  beobachteten  Fall,  dessen  Operation  nach  der  Methode  von 
Braun  vorgenommen  wurde  (Querschnitt  über  die  Nasenspitze,  von 
einem  Nasenflügel  zum  andern  mit  subkutaner  Exstirpation  der  hyper¬ 
trophischen  Massen  und  primärer  Naht).  Günstiges  kosmetisches  Re¬ 
sultat.  Ob  Rezidive  eintreten  werden,  bleibt  bei  der  kurzen  Beobach¬ 
tungszeit  abzuwarten. _  Autoreferat. 

lieber  einen  Fall  von  Höckernase. 

Von  Richard  Hoffmann. 

(Gesellschaft  für  Natur-  und  Heilkunde  in  Dresden.  3.  April  1909.) 

Der  Vortragende  referiert  über  die  verschiedenen  Methoden,  welche 
zur  Korrektion  äußerer  Formfehler  der  Nase  geübt  werden  und  demon¬ 
striert  an  Bildern  einen  Fall  von  Höckernase  mit  sehr  günstigem  kos¬ 
metischen  Resultat  nach  der  Operation.  Dieselbe  wurde  von  außen 
vorgenommen.  Die  Narbe  ist  unsichtbar.  Autoreferat. 


Referate  und  Besprechungen. 

Allgemeine  Pathologie  und  pathologische  Anatomie. 

Die  Beziehungen  der  Konstitution  zu  örtlichen  Leiden. 

(Sir  W.  H.  Ben  net.  The  Practitioner,  Nr.  2,  1909.) 

Bericht  über  einige  erheiternde  Fehldiagnosen,  die  entweder  darauf 
beruhten,  daß  vor  lauter  Anamnese  und  unter  dem  Eindruck  einer  konstitu¬ 
tionellen  Erkrankung  der  örtliche  Befund  vernachlässigt  oder  daß  der  Labora¬ 
toriumsbefund  einseitig  als  maßgebend  angenommen  wurde.  B.  beklagt,  daß 
die  Diagnostik  sich  mehr  und  mehr  auf  das  Laboratorium  stützt  (Rosen- 
bach’s  Diagnose  in  absentia)  und  daß  die  Kliniker  vor  30  Jahren  bessere 
Diagnose  stellten  als  heute.  Wenn  der  Laboratoriumsbefund  nicht  durch  die 
klinische  Beobachtung  kontrolliert  und  ihre  Wichtigkeit  gegeneinander  ab- 

44* 


692 


Referate  und  Besprechungen. 


wogen  wird,  so  kann  der  erstere  ebenso  leicht  irreführen,  als  behilflich  sein. 
Zum  Beweis  erzählt  er  Krankheitsfälle,  bei  deren  Trägern  Gonokokken  im 
Urin  gefunden,  bezw.  Syphilis  und  Typhus  serodiagnostisch  nachgewiesen 
wurden,  lange,  nachdem  diese  Krankheiten  aufgehört  hatten,  irgend  welche 
Symptome  zu  machen ;  die  Laboratoriumsdiagnose  beeinflußte  die  Diagnose 
akzidenteller  örtlicher  Krankheiten,  die  mit  jenen  Zuständen  gar  nichts  zu  tun 
hatten,  in  der  Weise,  daß  sie  falsch  wurde.  ,  Ferner  berichtet  er  über  einen 
beginnenden  Kniefungus,  bei  dessen  Trägerin  alle  Tuberkuloseproben  negativ 
ausfielen,  der  sich  aber  dadurch  in  der  Entwicklung  nicht  hindern  ließ  (B.  er¬ 
klärt  alle  Reaktionen  auf  Tuberkulose  für  unzuverlässig).  Dies  bewährte 
sich  auch  bei  einem  kerngesunden  Mädchen,  das  wegen  Schmerzen  im  Bein 
der  C almette’schen  und  anderen  Reaktionen  auf  Tuberkulose  unterworfen 
wurde.  Dieselben  fielen  positiv  aus,  das  Leiden  aber  entpuppte  sich,  als  man 
den  Schaden  näher  besah,  als  ein  Plattfuß  gewöhnlichster  Sorte. 

_  F.  von  den  Yelden. 

Zur  Pathologie  und  Therapie  der  tumorbildenden  stenosierenden 

lleocöcaltuberkulose. 

(Shiota,  Tokio.  Archiv  für  klin.  Chir.,  Bd.  87,  H.  4.) 

Die  im  Ileocöcum  lokalisierte,  sich  in  Form  eines  Tumors  darstellende 
stenosierende  Tuberkulose  ist  nicht  sehr  selten.  Pathologisch-anotomisch  ist 
der  Prozeß  durch  die  Kombination  von  Bindegewebsneubildung  mit  Tuber¬ 
kulose  und  langsam  fortschreitenden,  zugleich  vernarbenden  tuberkulösen  Ge¬ 
schwüren  bedingt  (hyperplastische  narbige  lleocöcaltuberkulose).  Die  Infek¬ 
tion  kann  von  der  Schleimhautseite  primär  und  sekundär  erfolgen.  Ob 
auch  eine  hämatogene  Infektion  stattfinden  kann,  ist  noch  nicht  erwiesen, 
ebensowenig  wie  eine  Infektion  von  den  Mesenterialdrüsen  aus.  Die  Be¬ 
handlung  soll  eine  chirurgische  sein  und  zwar  möglichst  frühzeitig.  (Resek¬ 
tion  —  Enteroanastomose  —  anus  praeternaturalis).  Die  Wahl  unter  den 
Operationen  kann  erst  nach  Eröffnung  des  Abdomens  getroffen  werden.  Die 
Laparotomie  ist  auch  schon  aus  diagnostischen  Gründen  indiziert. 

_  H.  Stettiner  (Berlin). 

Ueber  Narbenkarzinome. 

(Aloys  Eckermann.  Wiener  klin.  Rundschau,  Nr.  39  u.  40,  1908.) 

Fünf  Fälle  von  typischen  Narbenkarzinomen  aus  der  Tr  endelen  burg- 
schen  Klinik.  Drei  der  Patienten  hatten  sich  die  Narben,  aus  welchen  sich 
später  die  Neubildung  entwickelte,  in  früher  Jugend  zugezogen  —  Frost¬ 
gangrän  im  neunten  und  Verbrennung  im  sechsten  bezw.  dritten  Lebensjahre. 
Bei  zwei  Fällen  handelte  es  sich  um  Lupuskarzinom.  Weder  die  Anschauung 
von  der  parasitären  Natur  des  Krebses,  noch  auch  die  Cohnheim’sche  Hypo¬ 
these  von  der  Entstehung  der  Karzinome  aus  kongenitalen  Geschwulstkeimen, 
findet  an  den  Fällen  von  Narbenkarzinomen  eine  Stütze.  Steyerthal-Kleinen. 

Ein  Fall  von  angeborenen  Fibromen  am  Finger  nebst  Beiträgen  zur  Kasuistik 

der  Fingertumoren. 

(Alfred  Frank.  Wiener  klin.  Rundschau,  Nr.  42 — 45,  1908.) 

Neubildungen  der  Finger  sind  selten,  insbesondere  gehören  die  reinen 
Fibrome  der  Finger  zu  den  Raritäten.  Verf.  teilt  einen  solchen  Fall 
mit,  der  um  so  interessanter  ist,  als  es  sich  um  angeborene  Fibrome 
handelt.  Die  Tumoren  saßen  an  den  Endphalangen  des  vierten  und  fünften 
Fingers  bei  einem  neugeborenen  Kinde,  vom  vierten  Monat  an  begannen  sie 
langsam  aber  beständig  zu  wachsfen  und  wurden,  als  sie  die  Größe  zweier 
Erbsen  erreicht  hatten,  exstirpiert.  Die  mikroskopische  Untersuchung  ergab 
eine  fibröse,  papillär  gebaute,  subepitheliale  Geschwulst.  —  Verf. 
gibt  dann  noch  eine  umfassende  Übersicht  über  die  Theorie  dieser  Tumoren 
mit  zahlreichen  kasuistischen  Mitteilungen  aus  der  Literatur.  Steyerthal-Kleinen. 


Referate  nncl  Besprechungen. 


693 


Bakteriologie  und  Serologie. 

lieber  die  Immunisierung  des  gesunden  Menschen  mit  Koch’schen  Tuberkulin. 

(Prof.  E.  Bertareil i.  Zentralbl.  für  Bakt.,  Bd.  48,  H.  3.) 

Verf.  nahm,  da  in  seiner  Familie  Gefahr  einer  tuberkulösen  Infektion 
bestand,  an  sich  eine  Schutzbehandlung  mit  Tuberkulin  vor.  Er  ging  von 
der  Ansicht  aus,  den  Organismus  gegen  die  tuberkulinischen  Intoxikationen 
widerstandsfähiger  zu  machen  und  glaubte  an  ein  Ausbleiben  wenigstens 
einiger  Allgemeinerscheinungen,  die  die  Tuberkulose  begleiten,  z.  B.  des 
Fiebers.  Er  begann  mit  den  Einspritzungen  mit  geringen  Dosen  (5/i00o  mg) 
und  stieg  bis  auf  1,25  ecm.  Im  ganzen  machte  er  72  Injektionen,  die  nie 
Störungen  des  Allgemeinbefindens  verursachten. 

Hat  nun  eine  derartige  Behandlung  beim  gesunden  Menschen  eine  Wirk¬ 
samkeit  ?  Er  kommt  zu  den  Schlüssen,  daß  eine  fortgesetzte  Behandlung 
mit  graduellen  Einspritzungen  von  altem  Kpe'h’ sehen  Tuberkulin  nicht  das 
Auftreten  von  Agglutininen  für  den  Ko  dh’ sichen  Bazillus  bedingt,  daß  eine 
bakterizide  Wirkung  des  Serums  von  mit  Tuberkulin  Behandelten  die  des 
normalen  Serums  nicht  übertrifft.  Jedoch  sind  in  dem  Serum  des  Verfassers 
Antikörper  für  den  Tuberkelbazillus  vorhanden,  die  sich  mit  dem  Keime 
binden  und  das  Komplement  fixieren.  Es  hatte  also  das  Serum  komplement- 
ablenkende  Eigenschaften  aufzuweisen. 

Es  reagiert  also  der  Organismus  auf  die  Tüberkulininjektionen,  wenn 
auch  die  bei  dieser  Reaktion  erzeugten  Substanzen  eine  sehr  schwache  Wirkung 
auf  den  Tuberkelbazillus  entfalten.  (Abwesenheit  des  Agglutinationsvermögens 
und  des  bakteriziden  Vermögens  des  Serums.)  Schürmann  (Düsseldorf). 


Über  Tuberkulinimmunität. 

(Priv.-Doz.  Dr.  F.  Hamburger,  Vorstand  der  Kinderabteilung  in  der  allgemeinen 
Poliklinik  in  Wien.  Münch,  med.  Wochenschr.,  Nr.  42,  1908.) 

Als  Tuberkulinimmunität  bezeichnet  man  eine  vollkommene  oder  fast 
völlige  Unempfindlichkeit  gegen  hohe  Tuberkulindosen  nach  einer  regelrechten 
Tuberkulinkur.  Die  auffallende  Tatsache,  daß  bei  Kindern  fast  niemals  Un¬ 
empfindlichkeit  gegen  höhere  Dosen  erzeugt  werden  kann,  sowie  die  Be¬ 
obachtung,  daß  bei  der  oft  eintretenden  Spontanheilung  der  Tuberkulose 
im  Kindesalter  niemals  gleichzeitig  Unempfindlichkeit  vorhanden  ist,  haben 
Hamburger  auf  den  Gedanken  gebracht,  daß  die  künstlich  erworbene  Tuber- 
kulinimmunität  als  Antikörperabsättigung  durch  überschüssiges  Tuberkulin 
zu  erklären  ist.  Aus  der  Literatur  ist  ersichtlich,  daß  auch  schon  früher 
die  Unempfindlichkeit  als  eine  erzwungene  Reaktionsunfähigkeit  durch  iknti- 
körperabsättigung  angesehen  worden  ist,  wofür  auch  der  Umstand  spricht, 
daß  nach  längerer  Pause  in  der  Therapie  schon  ziemlich  kleine  Dosen  eine 
bedeutende  Reaktion  hervorrufen.  Hamburger  teilt  zwei  Fälle  mit,  die 
dies  demonstrieren.  Er  will  damit  aber  nicht  behaupten,  daß  alle  Fälle 
von  Tuberkulinimmunität  auf  dieser  Reaktionsunfähigkeit  beruhen. 

F.  W alther. 


Weitere  Beobachtungen  in  der  Tuberkulosetherapie  bei  der  Anwendung 

von  Marmorekserum. 

(Oberarzt  Dr.  Schenker,  Aarau.  Münch,  med.  Wochenschr.,  Nr.  3,  1909.) 

Schenker  h'at  bei  60  Tuberkulösen  hauptsächlich  II.  und  III.  Grades 
Versuche,  mit  Marmorek’s  Antituberkuloseserum  angestellt.  Er  injizierte 
es  entweder  in  Dosen  von  5  dem  subkutan  oder  applizierte  Dosen  von  5 — 10  ccm 
per  rectum,  wobei  zu  bemerken  ist,  daß  letztere  Methode  weder  Kindern  noch 
Erwachsenen  schadet,  die  subkutane  Anwendung  aber  sicherer,  rascher  und 
ökonomischer  ist.  Nach  einer  Serie  von  10 — 20—30  Dosen  wurde  eine  Pause 
von  1 — 2  Wochen  eingeschaltet.  Bei  der  Beurteilung  seiner  Erfolge  betont 


694 


Referate  und  Besprechungen. 


Schenker,  daß  er  als  geheilt  solche  Pat.  betrachtet,  die  wieder  völlig  arbeits¬ 
fähig  sind.  Von  den  60  Kranken  konnten  17  dafür  gelten,  25  waren  teil¬ 
weise  arbeitsfähig,  6  wenig  gebessert  und  12  nicht  gebessert,  verschlimmert 
oder  gestorben.  Die  Besserung  ging  gewöhnlich;  nur  langsam  vor  sich,  die 
Rasselgeräusche  nahtinen  anfangs  zu  und  verschwanden  dann  allmählich,  an 
ihre  Stelle  trat  gewöhinlich  verlängertes  In-  und  Exspirium.  Bei  Harnblasen¬ 
oder  Nierentuberkulose  wurde  die  Zahl  der  Bazillen  im  Sediment  langsam 
geringer. 

Um  die  Annahme  vieler  Autoren  zu  widerlegen,  daß  die  Kranken,  die 
meist  in  ungünstigen  sozialen  Verhältnissen  leben,  mehr  durch  die  bessere 
Verpflegung,  wie  durch  das  Serum  gebessert  würden,  hat  Schenker  bei 
39  derartigen  Patienten,  die  im  Jahre  1906/1907  behandelt  wurden,  nach¬ 
geforscht  und  gefunden,  daß  ein  Viertel  davon  auch]  jetzt  noch  völlig  arbeits¬ 
fähig  ist  und  ein  weiteres1  Viertel  teilweise  seinem  Berufe  nachgehen  kann. 
Auf  Grund  seiner  Beobachtungen  kommt  er  zu  dem  Schluß,  daß  das  M ar- 
mor  ek  serum  an ti toxische  Wirkung  hat  und  am  besten  bei  Lungentuberkulose 
I.  und  II.  Grades,  aber  auch  bei  Knochen-,  Bauchfell-,  Nieren-  und  Harnblasen- 
tub erkühn e  leichteren  Grades  wirkt.  Auch  bei  Lungentuberkulose  III.  Grades 
kann  es  oft  die  Krankheit  zum  Stillstand  bringen ;  man  darf  aber  nicht 
zu  zeitig  mit  der  Anwendung  aufhören.  Neben  der  speziellen  Behandlung 
dürfen  aber  die  anderen  therapeutischen  Hilfsinittel,  besonders  die  Freiluftkur 
nicht  außer  Acht  gelassen  werden.  E.  Walther. 


Aus  Dr.  Turban’s  Sanatorium  Davos-Platz. 

Oie  praktische  Bedeutung  des  opsonischen  Index  bei  Tuberkulose. 

(Dr.  K.  Turban  u.  G.  Baer,  Reiboldsgrün.  Münch,  med.  Wochenschr.,  Nr.  38,  1908.) 

Die  Verfasser  haben  bei  84  Tuberkulösen  und  6  nicht  Tuberkulösen 
ca.  1000  Einzelbestimmungen  des  opsonischen  Index  gemacht,  deren  Resultate 
besser  im  Original  nachgelesen  werden.  Soviel  geht  jedenfalls  daraus  hervor, 
wie  die  Verfasser  auch  selbst  betonen,  daß  der  O.  J.  stets  nur  den  augen¬ 
blicklichen  Stand  der  Erkrankung  angibt.  Für  die  Prognose  ist  sein  Wert 
deshalb  auch  sehr  gering,  zumal  er  durch  häufige  Wiederholungen  in  großen 
Zeiträumen  festgestellt  werden  muß,  während  die  klinischen  Erscheinungen 
allein  schon  für  die  Prognose  das  Nötige  besagen. 

Auch  bei  Patienten,  die  spezifisch  behandelt  werden,  kommt  dem  O.  J. 
keine  allzu  große  Bedeutung  zu.  Die  Verfasser  sind  der  Meinung,  daß  es  bei 
der  Tuberkulinbehandlung  angebrachter  ist,  die  Temperatur  zu  beobachten 
und  die  lokalen  Reaktionen  in  den  Krankheitsherden  genau  zu  verfolgen, 
als  den  O.  J.  zu  bestimmen,  der  durch  seine  bedeutenden  Schwankungen  den 
Arzt  ängstlich  und  den  Pat.  empfindlich  macht.  Jeder  Wert  ist  ihm  aber 
selbstredend  nicht  abzusprechen,  da  sein  Verhalten  auf  den  Erfolg  der  Kur 
einige  Schlüsse  ziehen  läßt.  F.  Walther. 


Beitrag  zur  Kritik  der  Ophtalmoreaktion. 

(Heinrich  Boral.  Wiener  klin.  Rundschau,  Nr.  40,  1908.) 

Die  Pirquet’sche  Methode  hält  der  Verf.  bei  Erwachsenen  für  voll¬ 
kommen  unverläßlich,  die  Calmette’sche  Ophthalmoreaktion  hat  in  zwei 
von  ihm  beobachteten  Fällen  zu  schweren  Erscheinungen  —  lokale  Reizung 
und  Störung  des  Allgemeinbefindens  —  geführt.  Es  ist  trotzdem  nicht 
ratsam,  die  Methode  aufzugeben,  wohl  aber  ist  Vorsicht  bei  Auswahl  der 
Präparate  angebracht.  Das  Tuberkulin -Test  Calmette’s,  sowie  das  Höchster 
Präparat  ist  zu  vermeiden,  die  Versuche  sind  nur  mit  frisch  bereiteter  l%iger 
Lösung  von  Alttuberkulin  anzustellen.  Steyerthal-Ivleinen. 


Referate  und  Besprechungen. 


695 


Wiederholte  Hautimpfungen  mit  Tuberkulin. 

(L.  Guinard.  Bull,  med.,  Nr.  2,  S.  11,  1909.) 


Zu  den  positivsten  Tuberkulinreaktionen  gehört  das  unermüdliche  Inter¬ 
esse,  das  die  Ärztewelt  diesem  Bakterienextrakt  entgegenbringt.  Immer  wieder 
treten  neue  Autoren  auf  den  Plan,  ob  mit  dem  Extrakt  nicht  doch  vielleicht 
zuverlässige  diagnostische  Resultate  zu  erzielen  sein  möchten;  aber  noch 
schwanken  die  Behauptungen  hin  und  her,  so  daß  es  dem  objektiven  Zu¬ 
schauer  just  ebenso  ergeht,  wie  dem  alten  Baglivi  gegenüber  den  Rumoribus 
Chymicorum:  inter  peritissimos  hodie  facile  non  constat,  quid  tenendum,  cui 
credendum  sit. 

Guinard  hat  im  Sanatorium  Bligny  allmählich  bei  202  Patienten  die 
v.  Pirquet’ sehe  Probe  angestellt  mit  diesem  Ergebnis.  Es  reagierten 

negativ 
5  =  9°/0 
1=4, 
47  =  40  „ 


von  57  Tuberkulösen  des  1.  Stadiums 
„23  „  „  2.  „ 

„118  „  „  3. 

„  4  Gesunden 


deutlich 
43  =  75°/0 
20  =  87  „ 
37  =  35  „ 

4. 


schwach 
9  =  16% 
2  =  9  „ 
34  =  29  „ 


Also:  la  valeur  diagnostique  de  cette  methode  merite  encore  d’etre  tres 
serieusement  reservee. 

Guinard  hat  dann  85  Patienten  alle  acht  Tage  wieder  geimpft  bis  zu 
21  bezw.  25  Wochen;  von  diesen  haben  39  dauernd  deutlich,  31  dauernd  schwach 
bezw.  gar  nicht  reagiert;  bei  15  waren  die  Ergebnisse  der  einzelnen  Impfungen 
ganz  widersprechend.  Von  einer  Sensibilisierung  oder  Immunisierung  kann 
somit  keine  Rede  sein,  aber  andererseits  auch  nicht  von  einem  diagnostischen 
Wert :  il  me  parait  impossible  de  tirer  des  deductions  ayant  quelque  valeur. 

Angesichts  aller  der  widerspruchsvollen  Resultate  ist  kaum  daran  zu 
denken,  daß  eines  schönen  Tages  eine  allgemeingültige  arbiträre  Lösung 
gefunden  wird.  Man  möchte  als  unbeteiligter  Zuschauer  eher  annehmen, 
daß  die  zugrundeliegende  Frage  nicht  richtig  gestellt  sei,  und  wünschen, 
daß  die  der  Tuberkulinreaktion  gewidmeten  Arbeiten  lieber  anderweitig  nutz¬ 
bringend  verwendet  würden.  Buttersack  (Berlin). 


Aus  der  zweiten  inneren  Abteilung  des  Landesspitals  in  Lemberg. 

Erfahrungen  mit  Marmoreks  Antituberkuloseserum. 

(Dr.  E.  Damanski  und  Dr.  G.  G.  Wilenko.  Med.  Klinik,  Nr.  36,  1908.) 

Die  Verfasser  berichten  über  5  Fälle  von  Lungentuberkulose,  die  sie 
genau  nach  der  Vorschrift  mit  Marmolrek’s  Antituberkuloseserum  behandel¬ 
ten.  In  2  Fällen  war  eine  geringe  Besserung  zu  konstatieren,  während  in 
den  übrigen  entweder  keine  oder  direkt  ungünstige  Wirkungen  auftraten. 
Dazu  kamen  noch  unangenehme  Nebenwirkungen,  wie  Gelenkschwellungen 
und  Ödeme.  Auf  Grund  dieser  Erfahrungen  haben  die  Verfasser  die  Ver¬ 
suche  mit  dem  Serum  nufgegeben.  F.  Walther. 


Züchtung  des  Tukerkelbazillus  auf  Galle. 

(H.  Calmette  u.  C.  Guerin.  Acad.  d.  Sciences,  Januar  1909.) 

Der  Rindertuberkelbazillus  auf  Ochsengalle  gezüchtet  dringt  bei  der 
Verfütterung  leicht  durch  die  Darmwand  hindurch  und  ruft  dann  Läsionen 
hervor,  welche  überraschend  schnell  verkalken. 

Bei  intravenöser  Applikation  entwickeln  sich  keine  Tuberkula,  sondern 
eine  fieberhafte  Allgemeinkrankheit  vom  Typus  einer  sog.  Typho-Bazillose. 

Der  Menschen-  und  Vogel tuberkelbazillus  entwickelt  sich  auf  Ochsengalle 
kaum  bezw.  gar  nicht,  dagegen  sehr  üppig  auf  Menschen-  oder  Hühnergalle. 
Damit  wäre  also  ein  Mittel  zur  Unterscheidung  dieser  Arten  gegeben. 

Buttersack  (Berlin). 


696 


Referate  und  Besprechungen. 


Ueber  das  Vorkommen  von  Tuberkelbazillen  in  der  Milch  und  den 

Lymphdrüsen  des  Rindes. 

(Dr.  H.  Srnit.  Zentralbl.  für  Bakt.,  Bd.  39,  H.  1.) 

In  der  Milch  kommen  des  öfteren  Tuberkelbazillen  vor.  Die  Milch  von 
Rindern  mit  gesunden  Eutern,  die  aber  an  chronischer  Tuberkulose  leiden, 
enthält  nur  selten  Tuberkelbazillen.  Verunreinigungen  kommen  stets  in  ihr 
vor.  Es  muß  für  peinlichste  Reinlichkeit  im  Stalle  Sorge  getragen  werden, 
da  bei  offener  Tuberkulose  die  Tuberkelbazillen  aus  allen  Körperöffnungen 
ausgeschieden  werden.  Auch  müssen  Tiere  mit  offener  Tuberkulose  aus 
den  Stallungen  ausgeschieden  werden.  Die  auf  Tuberkulin  reagierenden  Tiere 
sind  ebenfalls  aus  den  Stallungen  zu  entfernen  und  getrennt  unterzubringen. 
Die  Milch  dieser  Tiere  muß  immer  für  verdächtig  gehalten  werden.  Verf. 
gibt  den  Rat,  jede  Milch  vor  dem  Genuß  zu  kosten.  Schürmann  (Düsseldorf). 


Bericht  über  die  7.  internationale  Tuberkulose-Konferenz,  Philadelphia  1908. 

(Prof.  Dr.  Pannwitz,  Berlin-Charlottenburg,  1909.) 

In  den  Verhandlungen  der  internationalen  Tuberkulose-Konferenz  sind 
hauptsächlich  Fragen  der  Prophylaxe  und  der  Fürsorge  besprochen.  Ein 
rein  theoretisches  Thema  behandelt  nur  der  Vortrag  von  Mäher  über  die 
Bedingungen,  unter  denen  Bazillen  die  Säurefestigkeit  erwerben  -oder  ver¬ 
lieren.  Die  übrigen  Vorträge  enthalten  Vorschläge  über  die  Durchführung 
der  Anzeigepflicht,  die  Isolierung  Schwerkranker,  die  von  Lebensmitteln 
(Milch)  und  in  Verkehrseinrichtungen  (Schlafwagen)  drohenden  Ansteckungs¬ 
gefahren.  Über  die  an  Heilstätten  zu  stellenden  hygienischen  Anforderungen 
und  über  die  Infektionsgefahr,  die  die  Heilstätten  für  die  Bewohner  der 
Umgebung  mit  sich  bringen,  wurde  Übereinstimmung  erzielt,  während  die 
Infektionsgefahren  für  das  Pflegepersonal  bei  Tuberkulösen  noch  verschieden 
beurteilt  werden.  Die  Verdienste  des  Roten  Kreuzes  in  der  Tuberkulose¬ 
bekämpfung  werden  gebührend  gewürdigt.  Für  die  Prophylaxe  im  großen 
wird  eine  hygienische  (an ti tuberkulöse)  Erziehung  gefordert  und  die  Wich¬ 
tigkeit  der  Volksaufklärung  betont.  —  Den  Beschluß  machen  die  Berichte 
über  die  Fortschritte  der  Tuberkulosebekämpfung  in  den  einzelnen  Ländern. 

Sobotta  (Reiboldsgrün). 


Chirurgie. 

Die  Fraktur  der  distalen  Fingerphalanx  infolge  Abriß  der  Strecksehne. 

(Dr.  Felix  Davidsohn.  Berliner  klin.  Wochenschr./Nr.  23,  1908.) 

Die  Fraktur  der  Basis  der  distalen  Fingerphalanx  gehört  zu  den 
außerordentlich  seltenen  Verletzungen.  Sie  ist  bedingt  durch  Abriß  der 
Sehne  des  Musculus  extens.  digit.  commun.,  deren  zwei  Zipfel  an  der  Basis 
der  Nagelphalanx  ansetzen  und  kann  entstehen,  wenn  auf  den  gestreckten 
Finger  eine  Gewalt  einwirkt.  Die  klinischen  Erscheinungen  sind  meist  Schmer¬ 
zen,  Anschwellung,  Unmöglichkeit  aktiver  Streckung  der  Nagelphalanx,  die 
in  einem  Winkel  von  45°  gebeugt  steht. 

Davidsohn  teilt  zwei  von  ihm  beobachtete  Fälle  dieses  Bruches  mit. 
In  dem  ersten  Falle  handelte  es  sich  um  einen  23  jährigen  Mann,  der  beim 
Heraufschreiten  einer  Treppe  stolperte,  sich  mit  der  ausgestreckten  rechten 
Hand  festzuhalten  suchte  und  plötzlich  Schmerzen  im  Endglied  des  fünften 
rechten  Fingers  verspürte.  Im  zweiten  Falle  erhielt  ein  24 jähriger  Mann, 
der  sich  mit  einem  Freunde  im  Scherz  boxte,  einen  Hieb  auf  die  rechte  Hand, 
nach  dem  er  Schmerzen  im  Endglied  des  vierten  rechten  Fingers  verspürte. 
Die  Röntgenuntersuchung  ergab  in  beiden  Fällen  Fraktur  der  Nagelphalanx. 
Da  eine  Restitutio  in  integrum  schwer  oder  gar  nicht  möglich  ist,  empfiehlt 
es  sich  operativ  vorzugehen  und  die  Sehne,  eventuell  mit  Entfernung  des 
Knochensplitters  anzunähen.  Carl  Grünbaum  (Berlin). 


Referate  und  Besprechungen. 


697 


Zwei  Luxationsfrakturen  der  Wirbelsäule  ohne  Markläsion. 

(C.  Widmer.  Wiener  klm.  Rundschau,  Nr.  46  u.  47,  1908.) 

Die  Luxationsfrakturen  der  Wirbelsäule,  hei  denen  das  Rückenmark 
unverletzt  bleibt,  sind  seltene  Ausnahmen.  Der  Verf.  teilt  zwei  solche  Beob- 
bachtungen  mit.  Beide  Male  handelt  es  sich  um  Bahnangestellte,  die  während 
ihres  Dienstes  einen  schweren  Stoß  in  den  Rücken  bekamen  und  dadurch 
eine  Verletzung  der  Wirbelsäule  erlitten.  Die  Diagnose  wurde  gleichmäßig 
auf  Luxationsfraktur  des  10.  Brustwirbels  gestellt,  obwohl  das  Fehlen 
aller  motorischen  Störungen  auffällig  war.  —  Der  eine  Patient  wurde 
geheilt,  der  andere  starb  an  hypostatischer  Pneumonie.  Die  Sektion  erwies 
die  gestellte  Diagnose  als  vollständig  richtig.  Steyerthal-Kleinen. 


Die  Schädigung  des  Nervus  medianus  als  Komplikation  des  typischen 

Radiusbruches. 

(Blecher,  Straßburg.  Deutsche  Zeitschr.  für  Chir.,  Bd.  93,  H.  1.) 

Bei  einem  23 jährigem  Kaufmann,  welcher  eine  typische  Radiusfraktur 
2  cm  oberhalb  der  Gelenkfläche  der  Radiusepiphyse  erlitten  hatte,  zeigte 
sich  4  Tage  nach  der  Verletzung  beim  Verbandwechsel  eine  behinderte 
Beugung  des  2.  und  3.  Fingers  und  verminderte  Opposition  and  Abduktion 
des  Daumens.  Unter  der  eingeleiteten  Behandlung  (Bäder,  Massage,  Fara- 
disation)  trat  im  Laufe  der  nächsten  6  Monate  eine.  Besserung  ein,  derart, 
daß  nur  noch  eine  geringradige  Atrophie  des  Daumenballens  und  eine  leichte 
Gefühlsstörung  der  Fingerspitzen  zurückblieb. 

Diesem  eigenen  Fall  stellt  Verf.  9  aus  der  Literatur  gesammelte  Fälle 
gegenüber,  unter  denen  eigentümlicherweise  nur  2  von  deutschen  Autoren 
berichtete  Beobachtungen  sich  finden. 

Die  Statistik  zeigt,  daß  die  den  N.  medianus  beteiligende  Störung  durch 
einen  Radiusbruch  primärer  und  sekundärer  Natur  sein  kann.  Der  Nerv 
kann  primär  durch  Druck  und  Überdehnung  geschädigt  werden.  Die  sekundäre 
Schädigung  wird  durch  den  volalen  Bruchkallus  hervorgerufen,  welcher  den 
Nerven  ähnlich  einer  über  den  Steg  gespannten  Violinsaite  empordrängt.  Diese 
ist  die  bei  weitem  häufigere.  Da,s  Ausdehnungsgebiet  der  beobachteten  vaso¬ 
motorischen  und  trophischen  Störungen  ergibt  sich  ohne  weiteres  aus  der  Be¬ 
rücksichtigung  der  anatomischen  Verbreitung  des  Nerven. 

Die  V oraussage  der  primären  Medianusverletzung  ist  stets  zweifelhaft ; 
völlige  Regeneration  erfolgt  nicht  immer.  Die  Revision  hat  unbedingt  zu 
erfolgen,  wenn  nach  3  Monaten  keine  Besserung  beobachtet  wird.  Die  Vor¬ 
aussage  der  sekundären  Nervenschädigung  ist  günstig;  Wegnahme  des  Kallus 
erzielt  Heilung. 

Bemerkenswert  ist,  daß  die  primäre  Medianusverletzung  auf  die  Hei¬ 
lung  des  Knochenbruchs  keinen  hemmenden  Einfluß  ausübt,  daß  dagegen 
die  Wiederherstellung  durch  die  schwere  Beeinträchtigung  der  Funktion  von 
Hand  und  Unterarm  weit  hinausgeschoben  wird.  F.  Kayser  (Köln. 


Ischämische  Muskelkontraktur  und  Gipsverband. 

(Prof.  Hildebrand,  Berlin.  Deutsche  Zeitschr.  für  Chir.,  Bd.  95,  H.  1—5.) 

1.  Fall.  8 jähriger  Knabe,  der  5  Tage  nach  einem  Fall  auf  den  aus- 
gestreckten  Ellenbogen  mit  Schienenverband  eingeliefert  wird.  Befund:  Finger 
extendiert;  leichte  Störungen  im  Medianusgebiet;  Puls  nicht  deutlich.  Typische 
suprakondyläre  Fraktur.  14  Tage  nach  der  Verletzung  blutige  Reposition; 
gute  Verheilung.  6  Wochen  später  Operation  wegen  starker  Versteifung 
in  dem  Finger-  und  Karporadialgelenk  bei  fast  vollkommen  erloschener  elek¬ 
trischer  Erregbarkeit.  Der  im  Narbengewebe  eingebettete  atrophische  Medianus 
wird  partiell  reseziert;  der  im  Narbengewebe  liegende  Gefäßstumpf  der 
A.  cub.  freigelegt.  Resultat:  Vensteifung  der  Finger,  des  Hand-  und  Ell¬ 
bogengelenks. 


698 


Referate  und  Besprechungen. 


2.  Fall.  11  jähriger  Knabe  mit  spitzwinkliger  Abknickung  des  Ober¬ 
arms  oberhalb  des  Ellbogengelenks.  Puls  an  Radialis  und  Ulnaris  nicht  deutlich 
zu  fühlen.  Der  Bar  d<en  heu  er’sche  Streckverband  wird  nicht  vertragen. 
Bei  der  4  Wochen  nach  der  Verletzung  wegen  Parästhesien  und  Paresen 
in  den  Beugemuskeln  des  Daumens  und  Zeigefingers  vorgenommenen  Operation 
zeigt  sich,  daß  die  A.  cubit.  und  der  N.  medianus  durch  das  nach  vorn 
gerückte  Bruchstück  verletzt  und  gleichzeitig  durch  Narbengewebe  kompri¬ 
miert  sind.  Lagerung  des  freigelegten  Nerven  auf  eine  Muskelbrücke.  Resultat: 
Mäßige  Beugestellung. 

Nach  alter  Ansicht  wird  die  ischämische  Muskelkontraktur  als  Folge¬ 
erscheinung  des  Gipsverbands  angesprochen.  Die  beiden  Fälle  beweisen  von 
neuem,  daß  sie  auch  ohne  Gipsverband  nach  Verletzung  der  Blutgefäße 
entstehen  kann.  Sie  begründen  die  Forderung,  daß  man  bei  Frakturen  der 
Ellbogengegend,  zumal  bei  Kindern,  sorglich  auf  den  Puls  der  Radialis  und 
Ulnaris  achtet,  um  nicht  durch  einen  zu  fest  angelegten  Gipsverband  den 
letzten  Rest  der  Möglichkeit  eines  Kollateralkreislaufes  zu  rauben,  und  um 
sich  vor  ungerechtfertigten  Entschädigungsansprüchen  zu  schützen. 

F.  Kayser  (Köln). 


Aus  der  1.  chirurgischen  Universitäts-Klinik  (v.  Eiseisberg)  in  Wien. 

Ein  Fall  von  coxa  vara  congenita. 

(Dr.  O.  v.  Frisch.  Wiener  klin.  Wochenschr.,  Nr.  39,  1908.) 

Verf.  teilt  die  im  Kindesalte.r  vorkommende  Coxa  vara  ätiologisch 
in  3  Hauptgruppen,  deren  häufigste,  die  rachitische,  stets  eine  Teil¬ 
erscheinung  allgemeiner  rachitischer  Symptome  ist  und  ihre  anatomische 
Ursache  weniger  in  einer  Verkleinerung  des  Schenkelhalswinkels,  als  viel¬ 
mehr  in  einer  Verkrümmung  des  ganzen  koxalen  Femurendes  hat. 

A.ls  2.  Gruppe  bezeichnet  er  jene  Form,  die,  analog  den  Erscheinungen 
am  Erwachsenen,  sich  infolge  von  Epiphysenlösung  oder  typischer 
Schetnkelhal!sfraktur  mehr  oder  weniger  akut  entwickelt.  Diese  Art  von 
Coxa  vara  ist  eingeleitet  durch  eine  Kontinuitätstrennung  und  kann  unter 
dem  Einfluß  der  Belastuhg  einen  besonders  hohen  Grad  erreichen.  Diese 
beiden  Formen  unterscheiden  sich  klinisch,  besonders  aber  im  Röntgenbilde 
voneinander,  sowie  von  jener  als  a(nge]b'orenen  Coxa  vara  bezeiehneten, 
von  Kr  edel  zuerst  beobachteten,  früher  von  Hoffa  genau  beschriebenen 
und  als  eine  Krankheit  sui  generis  präzisierten  Deformität,  von  der  ein 
tj^pischer  Fall  beschrieben  und  'durch  Abbildungen  erläutert  wird. 

Aus  der  Krankengeschichte  verdient  folgendes  hervorgehoben  zu  wer¬ 
den:  Das  jetzt  7  jährige  kräftige  Mädchen,  aus  gesunder  Familie  und  außer 
Diphtherie  auch  selbst  bisher  gesund,  lernte  mit  1 Vr  Jhren  laufen,  wobei 
den  Eltern  ein  eigentümlicher  „watschelnder“  Gang  auffiel,  der  sich  im 
Laufe  der  Jahre  um  ein  Weniges  noch  verschlechterte.  Über  Schmerzen  oder 
Ermüdung  klagte  das  Kind  nie.  Jegliches  Trauma  entschieden  verneint. 

Das  Becken  ist  stark  nach  vorn  geneigt,  die  großen  Rollhügel  treten 
an  den  Darmbeintellern  deutlich  hervor  und  wenn  das  Kind  geht  oder 
läuft,  wiegt  es  sich  in  charakteristischer  Weise,  dabei  ausgesprochenes  Tren¬ 
del  enburg’sclies  Phänomen  —  der  Troch.  maior  steht  beiderseits  4 1J2  cm 
oberhalb  der  Roser-Neloton’schen  Linie  —  so  daß  eine  Luxatio  coxae 
cong.  duplex  vorzuliegen  (scheint.  Bei  weiterer  Untersuchung  findet  man 
aber,  daß  der  Schenkelkopf  nicht  am  Darmbeinteller,  sondern  an  seiner  richtigen 
Stelle,  im  S'carpa’ sehen  Dreieck,  zu  tasten  ist.  Dementsprechend  gelingt  es 
auch  nicht,  wie  bei  der  angeborenen  Hüftverrenkung,  den  Femur  in  seiner 
Längsrichtung  zu  verschieben.  Weiter  fällt  auf,  daß  die  Abduktionssphäre 
ganz  bedeutend  eingeschränkt  ist,  hingegen  die  für  Coxa  vara  sonst  cha¬ 
rakteristische  Außenrotation  fehlt  und  das  Kind  mit  Parallelstellung  der 
Füße  geht.  Symptome  abgelaufener  oder  noch  bestehender  Rachitis  nicht  nach¬ 
weisbar.  Das  Röntgenbild  bestätigt  dann  die  Diagnose  einer  hochgradigen 
Coxa  vara  duplex:  Femurschaft  einerseits,  Hals  und  Kopf  andererseits  bilden 


Referate  und  Besprechungen. 


699 


miteinander  einen  spitzen  Winkel,  der  links  ungefähr  62°,  rechts  ungefähr 
68°  beträgt. 

Was  die  ÄtioRfoigie  dqs  Leidens  anlangt,  so  wendet  sich  krisch 
dann  gegen  die  Hof'fja’sche  Hypothese,  daß  der  Knorpel  der  Kopfepiphysen- 
fuge,  dem  alle  ,, bioplastische  Energie“  fehle,  durch  eine  intrauterin  durch¬ 
gemachte  Krankheit  die  Eigenschaft  des  Wachstums  verloren  habe,  und 
kommt  zu  dem  Schluß,  daß  die  vertikale  Stellung  der  Kopfepiphyse,  sowie 
ihre  häufige  Gabelung  vielleicht  als  eine  Störung  der  Ossifikation  auf¬ 
zufassen  sei.  Werner  Wolff  (Leipzig). 


Was  dürfen  wir  von  der  heutigen  Skoiiosenbehandlung  erwarten? 

(Dr.  Wahl,  München.  Münch,  med.  Wochenschr.,  Nr.  28,  1908.) 

Wahl  berichtet  über  seine  Methode  der  Behandlung  der  beweglichen 
und  der  fixierten  Skoliosen.  Für  die  bewegliche  Skoliose  bildet  die  ortho¬ 
pädische  Gymnastik  den  Angelpunkt  der  Therapie.  Dieselbe  wird  aber  nicht 
in  homöopathischen  Dosen  verordnet,  sondern  sehr  energisch,  sie  muß  sogar 
mehrmals  am  Tage  betrieben  werden.  Außerdem  kommen  Massage  in  Betracht 
und  orthopädische  Hausturngeräte,  an  denen  die  Patienten  zu  Haus  üben 
können,  um  nicht  auf  die  orthopädischen  Institute  allein  angewiesen  zu  sein. 
Dabei  ist  dem.  technischen  Können  des  betr.  Orthopäden  viel  Spielraum  ge¬ 
lassen.  Anders  bei  der  fixierten  Skoliose.  Von  den  zunächst  bestehenden 
Resultaten  des  forcierten  Redressements  mit  nachfolgendem  Dauergipsverband 
ist  W.  sehr  zurückgekommen,  wegen  der  Nachteile,  die  eine  so  lange  Im¬ 
mobilisation  der  Wirbelsäule,  besonders  für  die  Rückenmuskulatur  mit  sich 
bringt.  Er  ist  deshalb  dazu  übergegängen,  ein  Reklinationsbett  zu  kon¬ 
struieren,  mit  dem  man  eine  ähnlich  stark  redressierende  Wirkung  ausüben 
kann,  als  mit  dem  Gipskorsett  und  welches  die  Patienten  zu  Haus  selbst 
benutzen  können.  Sie  gewöhnen  sich  nach  W.  angeblich  sehr  schnell  daran, 
und  schlafen  nachts  stets  in  diesem.  Außerdem  bringt  W.  bei  den  fixierten 
Skoliosen  noch  die  Hilfsmittel  zur  Anwendung,  die  er  bei  den  beweglichen 
Skoliosen  verwendet.  Er  hat  selbst  einen  Redressions -Turnapparat  kon¬ 
struiert,  den  die  Patienten  zu  ffaus  ohne  fremde  Hilfe  anwenden  können. 
(G  lisson’sche  Schlinge  schräg  an  einem  Mast  angebracht  mit  adressierender 
Gabel  in  der  Höhe  der  Abbiegung ;  das  Redressement  wird  durch  die  Schwere 
des  eigenen  Körpers  hervorgebracht.)  Außerdem  verwendet  W.  noch  ein 
redressierendes  Korsett.  Die  damit  erzielten  Resultate  sind  nach  W.  ganz 
gute.  —  Härting  (Leipzig). 


Primäre  Wundheilung  nach  Operation  septischer  Fälle. 

(J.  Heckmann,  New-York.  New-Yorker  med.  Monatsschr.,  Nr.  8,  1908.) 

Im  Hinblick  auf  die  vielfältig  gemachten  Erfahrungen,  daß  Peritoneum 
und  Brustfell  eine  große  Widerstandsfähigkeit  gegen  septisches  Material 
zeigen,  falls  die  Druck-,  Zirkulations-  und  Absorptionsverhältnisse  nicht  be¬ 
trächtlich  gestört  sind  und  nicht  eine  abnorme  Reizung  (z.  B.  durch  die  früheren 
Antiseptika)  gesetzt  wird,  versuchte  Verf.,  auch  die  mit  viel  geringerer 
Resistenz  (?)  begabten  Gewebe  der  äußeren  Haut-  und  Weichteile  nach 
Entfernung  des  betr.  Eiterherdes  primär  zur  Heilung  zu  bringen. 

Er  behandelte  demgemäß  29  schwere  in  den  Tropen  aquirierte  inguinale 
Drüsenabszesse  nach  weichem  und  gemischtem  Schanker  mit  totaler  Ent¬ 
fernung  des  Drüsengewebes  unter  Schonung  der  Blutgefäße,  absoluter  Blut¬ 
stillung,  Desinfektion  mit  reinem  Alkohol  und  nachfolgender  Auswaschung 
mit  steriler  NaCl- Lösung,  indem  er  die  Wundhöhle  durch  Schichtnähte  exakt 
verschloß  und  die  Patienten  darauf  12 — 14  Tage  Bettruhe  einhalten  ließ. 
Es  trat  entzündliche  Reaktion  und  leichter  Serumerguß  ein,  jedoch  heilten 
die  Wunden  unter  täglichem  Verbandwechsel  in  19  Fällen  primär  in  durch¬ 
schnittlich  15  Tagen.  In  fünf  Fällen  trat  oberflächliche,  bei  drei  unruhigen 


700 


Referate  und  Besprechungen. 


Patienten  gänzliche  Wundöffnung  ein,  erstere  brauchten  ca.  27,  letztere 
73  Tage  zur  Heilung.  Zwei  ungenähte  waren  in  acht  Wochen  wieder 
hergestellt. 

Im  ganzen  ergab  sich,  daß  die  radikale  Operation  der  konservativ- 
operativen  Behandlung  vorzuziehen  ist,  und  daß  bei  der  „primären  septischen“ 
Heilung,  wenn  sie  auch  nicht  so  einfach  und  rasch  verläuft  wie  die  aseptische, 
doch  sehr  viel  Zeit  für  den  Patienten  gewonnen  wird. 

Zurzeit  ist  Heckmann  mit  Versuchen  beschäftigt,  die  postoperative 
Alkoholeinschüttung  nach  dem  Vorgang  von  Mikulicz  und  französischen 
Autoren  durch  Verwendung  von  sterilem  Serum  zu  ersetzen.  Esch. 


Gynäkologie  und  Geburtshilfe. 

Aus  der  Innsbrucker  Universitäts-Frauenklinik. 

Ein  Beitrag  zur  traumatischen  Schwangerschaftsruptur  des  hochgraviden 
Uterus  mit  Austritt  des  ganzes  Eies  in  die  Bauchhöhle. 

Mit  einer  Textabbildung. 

(E.  Ehrendorfer.  Arch.  für  Gyn.,  Bel.  86,  H.  2,  1909.) 

Eine  37jährige  IV-grav.  stürzte  im  achten  Schwangerschaftsmonat  aus 
einer  Höhe  von  21/2  m  auf  die  Tenne  herab  und  zwar  direkt  auf  den  Bauch. 
Nach  einem  dreiwöchentlichen  Krankenlager,  das,  z.  T.  unter  dem  Bilde  einer 
peritonitischen  Reizung  verlief,  konnte  sie  allmählich  ihrer  früheren  Be¬ 
schäftigung  wieder  nachgehen.  Seit  dem  Sturz  hatte  die  Erau  keine  Kinds¬ 
bewegungen  mehr  gespürt.  Bei  der  einige  Zeit  nach  dem  regulären  Geburts¬ 
termin  vorgenommenen  Laparotomie  kam  eine  dem  achten  Lunarmonat  ent¬ 
sprechende  Frucht,  in  bereits  beginnender  Mumifikation  befindlich,  zutage; 
die  Plazenta  überdeckte  pilzförmig  die  Organe  des  kleinen  Beckens,  und 
inserierte  stielförmig  in  einer  nahe  dem  Fundus  uteri  in  der  Vorderwand 
gelegenen  Perforationsstelle. 

Supravaginale  Amputation  des  Uterus  mit  retroperitonealer  Stielver¬ 
sorgung.  Heilung.  —  In  Ergänzung  der  von  Bai  sch  gesammelten  Fälle 
führt  E.  noch  einige  Fälle  von  traumatischer  Zerreißung  des  schwangeren 
Uterus  aus  der  Literatur  an.  R.  Klien  (Leipzig). 


Aus  der  Universitäts-Frauenklinik  in  Leipzig. 

Kritische  und  experimentelle  Studie  zur  Toxikologie  der  Plazenta,  zugleich 
ein  Beitrag  gegen  die  plazentare  Theorie  der  Eklampsieätiologie. 

Mit  2  Tafeln. 

(Dr.  F.  Lichten  stein.  Arch.  für  Gyn.,  Bd.  86,  H.  2,  1908.) 

L.  hat  Experimente  an  Kaninchen  angestellt.  Sie  laufen  darauf  hinaus, 
die  Theorien  von  Weicjhardt,  Piltz  und  von  R.  Freund  zu  widerlegen, 
daß  die  Eklampsie  hervorgerufen  werde  durch  bei  der  Zytolyse  gebildete 
toxische  Substanzen  bei  Frauen,  in  deren  Blut  nicht  genug  hemmende  Be¬ 
standteile  vorhanden  seien,  und  daß  jede  Plazenta  ein  Gift  enthalte,  welches 
zentral  wirke.  —  L.  machte,  analog  den  gen.  Autoren  intravenöse  Injek¬ 
tionen  von  Plazentarauf schwemmungen,  jedoch  in  verschiedener  Verdünnung 
und  auch  von  Argillasuspensionen  ebenfalls  verschiedener  Stärke.  Es  stellte 
sich  heraus,  daß  es  nur  von  dem  Konzentrationsgrade  des  Injektionsmaterials 
abhängt,  in  welcher  Zeit  das  injizierte  Tier  zugrunde  geht  und  ob  es  über¬ 
haupt  zugrunde  geht,  ganz  unabhängig  von  der  organischen  oder  anorganischen 
Natur  des  Injizierten.  Je  gröber  und  zahlreicher  die  eingespritzten  korpus- 
kulären  Elemente  waren,  um  so  schneller  verendete  das  Tier.  L.  berichtet 
ferner,  daß  er  durch  Injektionen  von  Argillasuspensionen  dieselben  klinischen 
Erscheinungen  und  pathologischen  Veränderungen  habe  hervorgebracht,  wie 
mit  Injektionen  von  Plazentarzotten trümmern.  Damit  sei  widerlegt,  daß 
der  Tod  der  Tiere  nach  intravenöser  Injektion  von  Plazentaraufschwemmungen 


Referate  und  Besprechungen. 


701 


durch  ein  Zellg'ift  bedingt  sei,  durch  ein  Endotoxin  (W  ei  c  har  dt  und  Piltz) 
oder  durch  ein  Plasmagift  (Freupd).  Es  hängen  somit  alle  Schlußfolge¬ 
rungen,  welche  jene  Autoren  auf’  Grund  dieser  nach  L.’s  Ansicht  falschen 
Annahme  gezogen  haben,  in  der  Luft;  Freund’s  Behauptung,  Plazentar- 
preßsäfte  durch  Filtrieren  entgiften  zu  können,  sei  ebenso  unbewiesen  wie 
die,  bei  Tieren  durch  Injektion  kleiner  Dosen  von  Plazentarsubstanz  eine 
Resistenzerhöhung  herbeifuhren  zu  können.  —  Auch  gegen  die  Veit’sche 
Theorie  der  Synzytiolyse  wendet  sidh  L.  Er  konnte  nämlich  nachweisen, 
daß  das  Einbringen  nicht  nur  von  Plazentarbrei,  sondern  auch  von  eiwei߬ 
haltigen  Flüssigkeiten  ohne  Epithel-  und  Stromazellen  in  die  Bauchhöhle 
von  Kaninchen  Albuminurie  macht.  Auch  Liepmann’s  Ansicht,  daß  das 
Eklampsiegift  vom  Chorionepithel  gebildet  werde,  sei  falsch,  und  es  seien 
bei  der  Liepm ann’sehen  Verarbeitungsweise  der  Plazenten  Fäulnisvorgänge 
nicht  auszuschließen,  auch  vermißt  L.  bei  den  Liepm  an  n’schen  Experimenten 
solche  mit  anderen  Organpräparaten.  R.  Klien  (Leipzig). 


Aus  der  Universitäts-Frauenklinik  zu  Kiel. 

Ueber  das  Corpus  luteum  und  den  atretischen  Follikel  des  Menschen  und 

deren  zystische  Derivate. 

Mit  2  Tafeln. 

(Dr.  Franz  Cohn.  Archiv  für  Gyn.,  Bd.  87,  H.  2,  1909.) 

C.  hat  seine  an  über  100  Ovarien  angestellten  Untersuchungen  in 
einer  sehr  ausführlichen,  vor  allem  auch  die  einschlägige  Literatur  ein¬ 
gehend  berücksichtigenden  Arbeit  niedergelegt.  Seine  Schlußfolgerungen 
lauten:  Die  Entwicklung  des  Corpus  luteum  und  des  atretischen  Follikels 
stellen  zwei  prinzipiell  verschiedene  Prozesse  dar.  Der  Begriff  der  Lutein* 
zelle  ist,  wie  das  bereits  andere  Autoren  festgestellt  haben,  kein  einheitlicher ; 
Luteinzellen  können  aus  Epithelien  und  aus  Bindegewebe  entstehen.  Die 
des  C.  1.  entstehen  aus  den  Epithelien  der  Membrana  granulosa.  Das  Binde- 
gewebsgerüst  des  C.  1.  wird  durch  Invasion  von  Bindegewebssprossen  von 
der  Theca  interna  aus  gebildet.  In  der  Bildung  des  C.  1.  graviditatis  und 
menstruationis  bestehen  keine  prinzipiellen  Unterschiede.  Während  der  Ent¬ 
wicklung  des  C.  1.  bildet  auch  die  Theca  interna  ein  von  den  Granulosa* 
Luteinzellen  verschiedenes  Luteingewebe.  Dasselbe  stellt  die  Matrix  für  die 
Bindegewebsinvasion  in  den  gelben  Körper  dar.  Beim  Menschen  persistieren 
Reste  der  Theca-Luteinschicht  häufig  auch  am  fertig  ausgebildeten  C.  1.  Das 
C.  1.  ist  eine  nach  außen  abgeschlossene  Bildung.  Es  kommen  wohl  Ab¬ 
schnürungen  peripherer  Teile  des  C.  1.  vor;  diese  sind  aber  ebenfalls  gegen 
das  Stroma  gut  abgegrenzt.  Die  Gewebsproliferation.  im  C.  1.  erfolgt  in  zentri¬ 
petaler  Richtung.  Das  menschliche  C.  1.  neigt  zur  Ausbildung  eines  weiten 
zentralen  Hohlraumes  und  zur  Entstehung  von  Blutergüssen.  Letztere  treten 
entweder  während  der  Entwicklung  des  gelben  Körpers  oder  nach  völliger 
Ausbildung  der  Lu'teinschicht  ein.  Als  Rückbildungsprodukt  des  C.  1.  ist 
das  kompakte  C.  albicans  anzusehen.  Bei  der  Follikelatresie  findet  während 
und  nach  der  Degeneration  des  Eies  und  des  Epithels  eine  Wucherung  der 
Theca  statt,  die  zur  Bildung  einer  Theca-Luteinschicht  führt,  namentlich 
wmhrend  der  Schwangerschaft  und  unter  pathologisch-hyperämischen  Zuständen 
der  Genitalien,  aber  auch  unter  normalen  Verhältnissen.  Der  atre tische  Follikel 
ist  eine  rein  bindegewebige  Bildung.  Das  Wachstum  der  Theca-Luteinzellen 
erfolgt  in  zentrifugaler  Richtung  nach  dem  Stroma  zu.  Die  scharfe  äußere 
Begrenzung  des  Follikels  geht  bei  der  Atresie  verloren.  Die  Follikelatresie 
erfolgt  entweder  nach  dem  zystischen  oder  dem  obliterierenden  Typus.  Bei 
letzterem  ist  die  Theca-Luteinzellenbildung  meist  lebhafter.  Die  Ausfüllung 
der  Follikelhöhle  beim  obliterierenden  Typus  erfolgt  nicht  durch  die  Theca- 
Luteinzellen,  sondern  durch  kleine  Bindegewebszellen  aus  dem  Fasergerüst 
der  Theca.  Nach  innen  von  der  Theca-Luteinschicht  ist  häufig  die  hyalin 
degenerierte  ,, Grenzfaserschicht“  des  Follikels  als  helles  gewundenes  Band 


702 


Referate  und  Besprechungen. 


sichtbar.  Die  ein  solches  schmales,  gekräuseltes  Band  aufweisenden  Rück¬ 
bildungsprodukte  sind  als  Derivate  des  atretischen  Follikels  anzusehen.  Die 
Theca-Luteinzellen  bilden  sich  bei  der  Rückbildung  des  atretischen  Follikels 
zu  Stromazellen  um,  bei  manchen  Tierspezies  jedoch  in  sehr  verlangsamtem 
Tempo.  Die  noch  nicht  zurückgebildeten  Theca-Luteinzellen  bilden  das  inter¬ 
stitielle  Ovarialgewebe  mancher  Tierspezies.  Beim  atypischen  Verlauf  der 
Follikelatresie  können  sich  Reste  der  Granulosa  erhalten  und  sich  zu  Granu- 
losa-Luteinzellen  umwandeln.  Luteinzysten  können  sowohl  vom  C.  1.  wie 
auch  vom  atretischen  Follikel  abstammen.  Die  Luteinzysten  bei  Blasenmole 
und  Chörionepitheliom  sind  mit  Sicherheit  auf  atretische  Follikel  zurück¬ 
zuführen.  Die  Luteinzellenwucherung  stellt  hierbei  nichts  für  die  Blasen¬ 
mole  Spezifisches,  sondern  nur  eine  gesteigerte  Follikelatresie  dar.  Epithel- 
ausgekleidete  Luteinzysten  können  durch  atypische  Follikelatresie  mit  Per¬ 
sistenz  von  Epithelresten  entstanden  sein.  Die  Entstehung  von  Luteinzysten 
wird  durch  hyperämisierende  Prozesse  im  Genitalgebiet  angeregt;  derartige 
Ursachen  ließen  sich  in  zwei  Drittel  der  Fälle  nachweisen.  — -  Die  Lutein¬ 
abszesse  stehen  an  Häufigkeit  hinter  den  einfachen  Luteinzysten  zurück. 
Bei  der  Entstehung  größerer  Abszesse  spielt  die  Verschmelzung  benachbarter 
kleinerer  Abszeßräume  eine  Rolle.  Die  Follikelzysten  stellen  nichts  von 
den  Follikelluteinzysten  prinzipiell  Verschiedenes  dar;  nur  fehlt  bei  ihnen 
die  Theca-Luteinzellenbildung.  R.  Klien  (Leipzig). 


Aus  der  Klinik  der  k.  k.  Hebammenschule  in  Lemberg. 

Zur  Tubenmenstruation. 

(Adam  Czyzewicz  jun.  Archiv  für  Gyn.,  Bd.  85,  H.  1,  1908.) 

Um  die  Frage  zu  entscheiden,  ob  es  normalerweise  eine  echte  Tuben¬ 
menstruation  beim  Weibe  gibt,  hat  C.  einige  durch  Laparotomie  gewonnene 
Tuben  mikroskopisch  untersucht,  von  denen  die  Menstruationstermine  ihrer 
Trägerinnen  genau  bekannt  waren.  Zwei  dieser  Tuben  stammten  vom  ersten 
resp.  zweiten  Tag  der  Periode.  Es  fand  sich  in  ihnen  zwar  etwas  Blut,  be¬ 
sonders  in  den  tieferen  Buchten,  aber  dieses  Blut  mußte  von  außen  in  das 
Tubenlumen  hineingekommen  sein.  Es  fand  sich  nirgends  ein  zerrissenes 
Gefäß,  es  fehlten  subepitheliale  Blutaustritte  mit  Erhebung  des  Epithels, 
dessen  Zellen  vielmehr  eng  aneinander  lagen  und  nirgends  entartet  waren. 
Offenbar  stammte  das  Blut  aus  dem  Uterus,  ist  dorthin  entgegen  dem  Zilien¬ 
strom  durch  Uteruskontraktionen  gelangt,  wird  aber  sehr  rasch  von  dem 
Zilienstrom  wieder  zurückbefördert,  denn  in  einer  Tube  vom  vierten  Tag 
nach  der  beendeten  Menstruation  fand  C.  bereits  kein  Blut  mehr  im  Eileiter. 

R.  Klien  (Leipzig). 

Über  die  Herkunft  des  Fruchtwassers. 

(J.  Bondi,  Wien.  Allg.  Wiener  med.  Zeitung,  Nr.  6,  1909.) 

An  der  Hand  der  einschlägigen  Literatur,  sowie  auf  Grund  eigener 
V  ersuche  kommt  B.  zu  dem  Schlüsse,  daß  das  Fruchtwasser  überhaupt  der 
einheitlichen  Quelle  entbehrt.  An  seiner  Entstehung  sind,  ebenso,  wie  das  auch 
bei  anderen  Körperflüssigkeiten  der  Fall  ist,  verschiedene  Faktoren  be¬ 
teiligt.  In  der  Hauptsache  entsteht  es  durch  Transsudation  und  zwar  so¬ 
wohl  aus  den  mütterlichen,  als  (besonders  in  der  2.  Schwangerschaftshälfte) 
aus  kindlichen  Gefäßen.  Sein  -charakteristisches  Gepräge  aber  erhält  es  erst 
durch  die  Tätigkeit  des  Amniosepi thels.  Als  ausgeschlossen  kann  heute 
wohl  die  Annahme  gelten,  daß  dem  Fruchtwasser  in  normalen  Fällen  kind¬ 
licher  Urin  in  nennenswerter  Menge  beigemischt  sei.  Esch. 


Bücherschau. 


703 


Zum  Prinzip  der  Adhäsion  in  der  Scheide. 

(E.  Kraus,  Brünn.  Klin.-ther.  Wochenschr.,  Nr.  8,  1909.) 

Verhütung  der  Konzeption  ist  bei  vielen  Frauen  aus  mannigfachen. 
Gesundheitsrücksichten  —  konstitutionellen  Krankheiten,  Becken  Verengerungen 
usw.  —  geboten ;  die  bisher  gebräuchlichen  Mittel  und  Methoden  sind  sämt¬ 
lich  nicht  absolut  sicher  und  zuverlässig.  Ein  vollkommen  fester  Verschluß 
des  Muttermundes  wird  auch  durch  die  gebräuchlichen  Okklusivpessarien 
nicht  erreicht;  zu  seiner  Erzielung  hat  Verf.  eine  eigene  Methode  ersonnen, 
bei  der  er  sich  das  Prinzip  der  Adhäsion  zunutze  macht.  Durch  ein  genau 
angegebenes,  technisch  nicht  sehr  schwieriges  Verfahren  wird  mittels  eines 
langgestielten,  mit  Stents  oder  Gips  gefüllten  Löffels  ein  genauer,  form¬ 
vollendeter  Abdruck  der  Portio  gewonnen,  der  jedes  Fältchen,  jede  kleinste 
Erosion  wiedergibt.  Hiernach  wird  nach  bekanntem  Verfahren  das  Positiv 
und  nach  diesem  wieder  das  Negativ  aus  vulkanisiertem  Kautschuk,  Zelluloid, 
Gold  usw.  angefertigt.  Diese  mittels  Spekulums  genau  an  die  Portio  an¬ 
gelegte  Platte  haftet  nach  den  Gesetzen  der  Adhäsion  so  fest  an  der  Portio, 
daß  sogar  ein  absolut  luftdichter  Verschluß  erreicht  wird,  was  auf  experi¬ 
mentellem  Wege  mit  Bestimmtheit  nachzuweisen  gelungen  ist.  Selbst  wochen¬ 
langes  Liegen  des  Negativs  ist  von  keinerlei  schädlichen  Folgen  begleitet. 
Das  Okklusivpessar  erreicht  nur  eine  Konzeptionserschwerung,  das  Portio- 
negativ  eine  absolute  Konzeptions  Verhütung.  Peters  (Eisenach). 


Bücherschau. 

Lehrbuch  der  klinischen  Arzneibehandlung  für  Studierende  und  Ärzte. 

Von  Dr.  Franz  Penzoldt.  Mit  einem  Anhang,  Chirurgische  Technik 
der  Arzneianwendung  von  Dr.  v.  Kryger.  7.  vermehrte  Auflage.  Verlag 
von  Gustav  Fischer,  Jena,  1908.  426  Seiten.  Preis  7,50  Mk. 

Ein  unmittelbar  für  die  Praxis  geschriebenes  Buch,  daß  auch  in  seiner 
7.  Auflage  sicher  auf  zahlreiche  Leser  rechnen  kann.  Die  ungeheure  Produktion 
neuer  und  neuester  Heilmittel  macht  es  für  jeden  zur  unerläßlichen  Bedingung, 
sich  einem  sicheren  Führer  durch  alle  die  Medikamente  anzuvertrauen  und  ein 
solcher  ist  Penzoldt  in  jeder  Weise.  Sein  Buch  soll  keine  Arzneimittellehre  in 
der  gebräuchlichen  Bedeutung  des  Wortes  sein,  er  legt  vielmehr  das  Hauptgewicht 
auf  die  Arzneibehandlung  und  auf  die  therapeutische  Verwendbarkeit  der  einzelnen 
Arzneimittel,  wie  sie  die  Beobachtung  am  Krankenbett  lehrt.  Auch  der  v.  Kryger 
bearbeitete  Schlußabschnitt  verdient  gebührende  Beachtung.  Er  enthält  in  kurzer 
Fassung  alles  wichtige  über  subkutane  Injektionen,  Infusionen,  Iniiltrationsanästhesie 
und  Lumbalanästhesie.  R. 


Die  Reize  der  Frau  und  ihre  Bedeutung  für  den  Kulturfortschritt. 

Von  H.  Sellheim,  Tübingen.  Verlag  von  Ferd.  Enke,  Stuttgart,  1909. 

39  Seiten. 

Das  Büchlein,  welches  mit  einer  trefflichen  Wiedergabe  des  Bildnisses 
der  Jeanne  d’Aragon  im  Louvre  geschmückt  ist,  bringt  den  Abdruck  eines  am 
17.  Dezember  1908  in  Stuttgart  im  Deutschen  Frauenverein  für  Krankenpflege  in 
den  Kolonien  gehaltenen  öffentlichen  Vortrags.  Die  interessanten,  in  formvollendeter 
Sprache  gegebenen  Ausführungen,  die  teilweise  sehr  subjektives  Gepräge  tragen, 
beziehen  sich  auf  die  Verschiedenheit  der  Ansichten  über  die  Reize  der  Frau  und 
ihre  Bedeutung;  die  Analyse  der  Anziehungskraft  der  Frau;  den  Umschwung  in 
der  Reizwirkung  infolge  der  Vermehrung,  Verfeinerung  und  häufigeren  Einwirkung 
der  Reize  unter  unseren  heutigen  Kulturverhältnissen;  Beruf  und  Stellung  der  Frau; 
moderne  Frauenfragen. 

Der  Grundton  des  Vortrags  klingt  in  die  Worte  aus:  rDie  Reize  der  Frau 
stehen  nicht  nur  im  Dienst  der  Fortpflanzung  des  Einzelnen,  sondern  sie  dienen 
der  Erhaltung  und  Fortentwicklung  des  Menschengeschlechts.  Somit  erfüllt  die 
Frau  in  der  Ehe  nicht  nur  die  herrlichste  Natur-,  sondern  auch  die  herrlichste 
Kulturaufgabe.“'  F.  Kayser  (Köln). 


704 


Bücherschau. 


Das  Altern  als  abwendbare  Krankheit.  Eine  biologische  Studie  von 
Dr.  M.  Tranjen,  Plewna.  Halle,  Marliold,  1908.  35  S. 

Ein  köstliches  Büchlein!  Wie  Verfasser  die  polygamische  Veranlagung  des 
Mannes,  „die  Don-Juannatur  des  Ur-Romeo“,  die  monogamische  des  Weibes  natur¬ 
wissenschaftlich  begründet,  das  sollten  alle  unsere  Gleichheitsfanatiker,  Frauen¬ 
rechtlerinnen  usw.  lesen  und  beherzigen,  damit  sie  ferner  nicht  das  Berechtigte  an 
ihren  Bestrebungen  durch  falsche  Behauptungen  diskreditieren. 

Ebenso  interessant  ist  seine  Auffassung  und  Erläuterung  des  Alterns  als 
„chronische  Autointoxikation“.  Am  schönsten  aber  —  vorausgesetzt  daß  sie  satirisch 
gemeint  —  ist  die  Konsequenz,  die  er  aus  dem  modernen  Serum-Enthusiasmus 
zieht:  Wir  sollen  versuchen  „durch  die  Einverleibung  der  Säfte  greiser  Organismen 
bei  jugendlichen  Individuen  Unempfänglichkeit  für  jene  Stoffe  zu  erzielen,  die  das 
Altwerden  und  mithin  den  natürlichen  Tod  bedingen“.  Esch. 


Diagnose  und  Therapie  der  Syphilide.  Von  S.  Jeßner.  2.  Auflage. 

Würzburg,  Stüber,  1909.  2,50  Alk. 

Auch  in  der  zweiten  Auflage  findet  der  Praktiker  alles  Wissenswerte  aus 
dem  Gebiete  der  Diagnose  und  Therapie  der  Syphilide  in  übersichtlicher  Form 
zusammengestellt.  Ich  vermisse  nur  eingehende  Ausführungen  über  die  Wasser- 
mann’sche  Reaktion,  deren  enorme  praktische  Bedeutung  doch  heute  nicht  mehr 
geleugnet  werden  kann.  Max  Joseph  (Berlin). 


Vermischtes. 

Röntgen-Kurse  Hamburg-St.  Georg. 

Abgehalten  vom  25.  Oktober  bis  6.  November  1909  im  Rahmen  des  Vorlesungs¬ 
wesens  der  Oberschul-Behörde. 

Honorar  für  den  Gesamtkurs  75  Mk.,  für  Ausländer  100  Mk. 
Anmeldungen  und  Anfragen  zu  richten  an  Prof.  Albers-Schönberg,  Hamburg, 

Klopstockstr.  10. 

Die  Hamburg-St.  Georger  Röntgenkurse  umfassen  das  gesamte  Gebiet  der 
ärztlichen  Röntgenologie  und  ihrer  physikalischen  Grundlagen.  Es  sollen  folgende 
Kurse  gehalten  werden:  Prof.  Dr.  Walter:  Die  physikalischen  Grundlagen  der 
Röntgen-Technik,  über  Röntgen-Apparate  und  Röntgen-Röhren,  ßstündig.  —  Prof. 
Dr.  Albers-Schönberg  und  Dr.  Quiring:  1.  Medizinische  und  chirurgische  Auf¬ 
nahme-  und  Durchleuchtungs -Technik,  einschließlich  der  Trochoskop -Technik, 
Moment-  und  Teleaufnahmen,  Stereoskopie-  und  moderne  Wechselstrom- Apparate. 
10  tägig,  l1/2stündig.  2.  Über  Einrichtungen  der  Röntgen-Institute  von  Kliniken 
und  Krankenhäusern,  lstündig.  3.  Die  Anwendung  der  Röntgenstrahlen  in  der 
Gynäkologie,  lstündig.  —  Dr.  med.  Haenisch:  1.  Herzmeßmethoden  und  die 
Orthodiagraphie.  4stündig.  2.  Zahnärztliche  Technik  und  die  Technik  der  Unter¬ 
suchung  der  Nebenhöhlen  des  Schädels.  3stündig.  3.  Über  die  biologischen  Eigen¬ 
schaften  der  Röntgenstrahlen,  einschließlich  der  Behandlung  der  Bluterkrankungen. 
2stündig.  —  Prof.  Dr.  Deneke:  Röntgen  -  diagnostische  Übungen  am  Lebenden. 
Die  Erkrankungen  der  Brustorgane,  Herz,  Aorta,  Lungen  usw.  4  ständig.  — 
Dr.  med.  Jo llasse:  Die  Erkrankungen  des  Magen-  und  Darm-Traktus.  4 ständig.  — 
Dr.  med.  Sudeck:  Knochen-Erkrankungen.  Platten-Diagnostik  und  Projektionen. 
4 ständig.  —  Dr.  med.  Saenger:  Die  Röntgen-Diagnostik  in  der  Neurologie. 
2stündig.  —  Dr.  med.  Hahn:  Die  Behandlung  der  Hautkrankheiten  und  die  ver¬ 
schiedenen  Methoden  der  Dosierung.  3stündig.  —  Dr.  med.  Schwarz:  Die 
forensischen  Gesichtspunkte  bei  der  Amvendung  der  Röntgenstrahlen.  4stiindig.  — 
Dr.  med.  Wichmann:  Radium-Forschung  und  Therapie.  4stündig.  —  Dr.  Wagner: 
Photographische  Technik  des  Röntgen -Verfahrens,  einschließlich  des  Herstellungs¬ 
verfahrens  von  Diapositiven  für  Projektionszwecke,  sowie  der  Vergrößerung  von 
Röntgenplatten.  Gstündig. 


Schriftleitung :  Dr.  Ri  gier  in  Leipzig. 

Druck  von  Emil  Herrmann  senior  in  Leipzig. 


27.  Jahrgang. 


1909. 


fomcbrim  der  Medizin. 


Unter  Mitwirkung  hervorragender  Fachmänner 

kerausgegeben  von 

Professor  Dr.  0.  Köster  Prio.  Doz.  Dr.  o.  Criegern 


in  Leipzig.  in  Leipzig. 

Schriftleitung:  Dr.  Rigler  in  Leipzig. 


Nr.  19. 


Erscheint  am  10.,  20.,  30.  jeden  Monats.  Preis  halbjährlich 
6  Mark,  in  kl.  Zeitschrift  für  Yersicherungsmedizin  8  Mark. 


Verlag  von  Georg  Thieme,  Leipzig. 


10.  Juli. 


Originalarbeiten  und  Samm elberichte. 

Seltenere  Erscheinungsformen  der  infantilen  Tetanie. 

Von  Prof.  Dr.  Rudolf  Fischl,  Prag. 

Der  Beginn  des  Frühjahrs  mit  seinem  regelmäßigen  Anstieg  der 
Frequenz  von  Tetaniefällen,  welcher  sich  heuer  in  besonders  intensiver 
Weise  bemerkbar  machte,  woran  vielleicht  der  abnorm  strenge  Winter 
schuld  trug,  hat  meiner  poliklinischen  Abteilung  eine  größere  Zahl 
interessanter  Beobachtungen  aus  diesem  Krankheitsgebiete  zugeführt. 
Über  zwei  derselben,  welche  ich  auch  Gelegenheit  nahm,  im  Verein 
deutscher  Ärzte  zu  demonstrieren,  möchte  ich  an  dieser  Stelle  kurz 
berichten  und  im  Anschlüsse  noch  einige  Vorkommnisse  aus  meiner 
privaten  Praxis  mitteilen,  die  gleichfalls  zu  dieser  nosologischen  Gruppe 
in  Beziehung  stehen. 

Seit  dem  Jahre  1896,  in  welchem  ich  die  Ehre  hatte,  im  Auftrag 
der  Gesellschaft  für  Kinderheilkunde  gemeinsam  mit  Loos  das  Bef  erat, 
betreffend  die  Beziehungen  zwischen  Laryngo  spasmus,  Tetanie  und 
Bhachitis,  auf  der  Tagung  in  Frankfurt  a.  M.  zu  erstatten,  verfolge 
ich  das  mir  zufließende  Material  mit  besonderem  Interesse  und  bin 
bemüht,  es  zu  sichten  und  nach  Möglichkeit  zu  verwerten.  Der  Wechsel 
in  den  Anschauungen  über  das  Wesen  der  Tetanie,  die  Einheitsbestre¬ 
bungen  auf  diesem  Gebiete,  die  neuerdings  mit  guten  Gründen  betonte 
Abhängigkeit  des  Leidens  von  Veränderungen  der  Epithelkörperchen, 
all  das  ist  ganz  danach  angetan,  immer  neue  Anregungen  zu  bieten 
und  die  Aufmerksamkeit  stetig  wach  zu  erhalten. 

In  der  meisterhaften,  vor  kurzem  erschienenen  Monographie 
Escherich’s1)  ist  die  Entwicklung  und  der  jetzige  Stand  der  Lehre 
von  der  Tetanie  des  Kindesalters  in  so  ausgezeichneter  Weise  wiederge¬ 
geben,  daß  ich  den  Leser  auf  das  Studium  derselben  mit  allem  Nach¬ 
drucke  hinweisen  muß  und  mich  selbst  bei  mehrfachem  Anlaß  auf  sie 
beziehen  werde. 

Wenn  ich  in  den  folgenden  Zeilen  den  bescheidenen  Versuch  wage, 
einige  Beiträge  zur  Kenntnis  dieser  Erkrankung  zu  liefern,  so  geschieht 
dies  nicht  etwa  in  der  Absicht,  neue  Gesichtspunkte  zu  entwickeln, 
sondern  lediglich  zu  dem  Zwecke,  die  herrschende  Ansicht  durch  eigene 
Beobachtungen  zu  stützen  und  meine  persönliche  Anschauung  über 

ß  Th.  Esch erich:  Die  Tetanie  der  Kinder,  Wien  und  Leipzig,  A.  Holder,  1909. 

45 


706 


Rudolf  Fischl, 


die  sogenannten  „tetanoiden  Zustände“  auf  Grund  von  jahrelang  ver¬ 
folgten  Fällen  zu  präzisieren. 

Der  erste  Fall,  den  ich  mitteilen  will,  betrifft  ein  Kind  männlichen 
Geschlechtes,  welches,  zuerst  im  Alter  von  neun  Monaten,  in  unsere  poli¬ 
klinische  Beobachtung  kam  und  während  der  mehrwöchentlichein  Dauer 
derselben  den  typischen  Symptomenkomplex  der  infantilen  Tetanie,  also 
starke  mechanische  Ubererregbar  keiil  der  peripheren  Nervenstämme, 
laryngospastische  Anfälle,  Tr ousseau’sches  Phänomen  und  karpopedale 
Spasmen  von  intermittierendem  Charakter  darbot,  daneben  mäßige  Er¬ 
scheinungen  florider  Rhachitis  zeigte  und  bei  galvanischer  Untersuchung 
eine  Steigerung  der  Erregbarkeit  im  anodischen  Sinne  (v.  Pirquet) 
aufwies,  indem  die  Anodenöffnungszuckung  bereits  bei  einer  Strom¬ 
stärke  von  weniger  als  drei  Milliampere  in  lebhafter  Weise  erfolgte. 
Neben  diesen  vom  gewöhnlichen  Typus  der  infantilen  Tetanie  nicht 
abweichenden  Symptomen  zeigte  der  Knabe  jedoch  eine  Veränderung, 
welche  im  frühen  Kindesalter,  im  Gegensatz  zu  dem  Verhalten  tetanie- 
kranker  Erwachsener,  als  große  Seltenheit  bezeichnet  werden  muß. 
Es  handelte  sich  nämlich  um  trophische  Störungen  an  den  Nägeln 
beider  Daumen,  welche  nach  etwa  vierzehntägiger  Dauer  der  Erkrankung 
sich  zu  verfärben  begannen,  große  Sprödigkeit  und  Längsriefung  zeigten, 
um  sich  schließlich  langsam  abzustoßen,  während  vom  Nagelgrunde 
her  frische  Nagelsubstanz  von  normalem  Aussehen  nachrückte.  An 
den  übrigen  Fingern  der  Hände,  sowie  an  den  Zehen  war  nichts  der¬ 
artiges  zu  konstatieren,  ebenso  zeigten  die  Linsen  beider  Augen  keine 
Trübung,  und  auch  an  den  Zähnen  des  Kindes,  zur  Zeit  der  Beobachtung 
die  beiden  mittleren  oberen  und  unteren  Incisivi,  waren  keine  Ver¬ 
änderungen  vorhanden.  Die  ausschließliche  Lokalisation  der  trophischen 
Störung  an  den  Daumennägeln  ließ  mich  annehmen,  daß  der  Druck, 
dem  dieselben  während  der  Handkrämpfe  ausgesetzt  waren,  bei  denen 
bekanntlich  die  Daumen  in  die  Vola  eingeschlagen  sind,  während  sich 
die  anderen  Finger  darüber  legen,  ihre  Ursache  bildet. 

Wie  bereits  erwähnt,  gehören  trophische  Störungen  bei  infantiler 
Tetanie  zu  den  größten  Seltenheiten ;  die  Literatur  bringt  nach  dieser 
Richtung  nur  einen  Fall  von  Hoff  mann1),  bei  dem  es  sich  gleichfalls 
um  Veränderungen  an  den  Nägeln  handelte,  und  eine  Beobachtung  von 
Peters2),  die  einen  Schichtstar1  betrifft,  und  aus  diesem  Grunde  glaubte 
ich,  won  dem  Vorkommnis  kurze  Erwähnung  tun  zu  dürfen. 

Uber  den  weiteren  Verlauf  des  Falles  ist  zu  berichten,  daß  er 
sich  durch  eine  gewisse  Hartnäckigkeit  auszeichnete,  indem  weder  Phos¬ 
phorlebertrandarreichung,  noch  wiederholt  durchgeführte  temporäre 
Mehl  diät  imstande  waren,  die  laryngospastischen  Anfälle  prompt  zu  be¬ 
seitigen,  wie  dies  sonst  meist  gelingt ;  jetzt  sind  dieselben  geschwunden, 
was  offenbar  mit  dem  Eintritt  warmen  Wetters  zusammenhängt,  die 
Daumennägel  sind  völlig  restituiert  und  nur  noch  etwas  höckerig.  Das 
Kind  sieht  gut  aus,  bietet  jedoch  in  der  besonders  beim  Weinen  deutlich 
verkniffenen  Physiognomie  (U  f  fenheimer’s  Tetaniegesicht),  dem  immer 
noch  sehr  lebhaften  Fazialisphänomen  (zweiten  Grades  nach  v.  Frankl- 
Ho  eh  wart)  und  der  deutlichen  Ubererregbarkeit  der  großen  Nerven¬ 
stämme  an  den  Extremitäten,  das  Bild  des  tetanoiden  Zustandes  dar. 

Während  im  allgemeinen  die  infantile  Tetanie  meist  mit  Beginn 

ß  Hoff  mann:  Deutsches  Archiv  für  klin.  Medizin,  Bd.  43,  S.  109. 

2)  Peters:  Zeitschr.  für  Augenheilk.,  Bd.  5,  S.  99. 


Seltenere  Erscheinungsformen  der  infantilen  Tetanie. 


707 


des  zweiten  Lebenshalb jahres  einsetzt  und  mit  Abschluß  des  zweiten 
Jahres  schwindet,  sind  Fälle,  in  denen  die  manifesten  Symptome  ent¬ 
weder  später  beginnen  oder  länger  dauern,  ziemlich  selten.  Ich  kann 
auch  über  ein  solches  Vorkommnis  berichten,  welches  in  die  Kategorie 
der  von  Escherich  als  ,, akute  rezidivierende  Tetanie“  bezeichneten 
Gruppe  gehört. 

Es  handelt  sich  um  einen  Knaben,  der  im  Alter  von  3  LG  Jahren 
in  unsere  Beobachtung  kam.  Soweit  die  Anamnese  seitens  der  ziemlich 
unintelligenten  Mutter  erhoben  werden  konnte,  war  das  Kind  in  normaler 
Kopflage  leicht  geboren  worden,  hatte  post  partum  keine  auffallende 
Asphyxie  dargeboten,  sich  anfangs  normal  entwickelt  und  im  Alter 
von  acht  Monaten  zum  ersten  Male  Tetanieerscheinungen  gezeigt, 
die  in  Form  von  spontan  auftretenden  intermittierenden  Spasmen  der 
oberen  und  unteren  Extremitäten  sowie  laryngospas  tischen  Anfällen 
sich  manifestierten.  Diese  Erscheinungen  wiederholten  sich  alljährlich 
gegen  Ende  des  Winters  und  zu  Beginn  des  Frühlings,  um  im  Sommer 
wieder  zurückzugehen,  zeigten  also  typisch  rezidivierenden  Charakter, 
und  wir  hatten  Gelegenheit,  die  vierte  Attacke  der  manifesten  Tetanie- 
phaso  zu  beobachten.  Daneben  entwickelte  sich  bei  dem  Kinde  eine 
schwere  Khachitis,  welche  seine  Gehfähigkeit  stark  beeinträchtigte, 
so  daß  es  erst  mit  2 1/2  Jahren  die  ersten  Versuche  damit  machen  konnte. 
In  den  Tetaniezeiten  traten  während  des  Gehens  oft  Krämpfe  in  den 
Beinen  auf,  welche  dem  Patienten  große  Schmerzen  verursachten  und 
häufig  ein  plötzliches  Hinstürzen  zur  Folge  hatten. 

Als  wir  das  Kind  zum  ersten  Male  im  März  d.  J.  sahen,  bestand 
hochgradige  Khachitis,  besonders  im  Bereiche  des  Schädels  und  der 
Extremitätenknochen,  welch’  letztere  starke  Auftreibung  der  Epiphysen 
und  bedeutende  Verkrümmungen  zeigten ;  an  den  Zähnen  war  nichts 
abnormes  zu  konstatieren.  Der  in  seiner  geistigen  Entwicklung  ziem¬ 
lich  stark  zurückjgebliebene  Knabe  zeigte  das  typische.  Tetaniegesicht 
in  klassischer  Weise,  ein  überaus  lebhaftes  Fazialisphänomen,  starke 
mechanische  Übererregbarkeit  beim  Beklopfen  des  Kadialis  und  Peroneus, 
sowie  deutlichen  Trousseau  nach  drei  Minuten  langer  Kompression 
des  Plexus  brachialis.  Die  wegen  großer  Unruhe  nicht  ganz  leicht 
durchführbare  galvanische  Untersuchung  ergab,  wie  im  vorigen  Falle, 
anodische  Ubererregbarkeit  (An.  Ö.  Z.  <J  als  2  Milliamp.,  An.  S.  Z.  bei 
4  M.  A.,  K.  S.  Z.  bei  2,5  M.  A.,  K.  Ö.  Z.  bei  6  M.  A.).  Daneben  be¬ 
standen  ziemlich  häufige  und  recht  intensive  laryngospastische  Anfälle. 
Die  Untersuchung  der  inneren  Organe  ergab  etwas  Katarrh  über  den 
Lungen,  ziemlich  beträchtlichen  derben  Milztumor,  sowie  mäßige  In- 
tumeszenz  der  Leber ;  die  tastbaren  Lymphdrüsen  waren  sämtlich  in 
geringem  Grade  vergrößert  und  hart.  Die  Temperatur  erwies  sich 
als  normal. 

Als  ich  das  Kind  am  2.  April  d.  J.  im  Ärzteverein  demonstrierte, 
hatte  sich  sein  Zustand  insofern  verändert,  als  seit  dem  Vortage 
tieber  aufgetreten  war.  Das  Fazialisphänomen  ließ  sich  nicht  hervor- 
rufen,  eine  Erscheinung,  auf  die  ich  noch  zurückkommen  werde,  hin¬ 
gegen  war  die  starke  mechanische  Erregbarkeit  an  Kadialis  und 
Peroneus  prompt  zu  zeigen,  Trousseau  noch  vorhanden,  jedoch  ent¬ 
schieden  schwächer  als  vorher. 

Drei  Tage  später  meldete  uns  die  Mutter  den  Tod  des  Knaben, 
welcher,  nach  ihrer  Schilderung,  in  einem  laryngospastiscben  Anfalle 
vom  Charakter  des  Tetanus  apnoicUs  (Escherich)  erfolgt  sein  mußte, 

45* 


708 


Rudolf  Fisch], 


denn  die  Frau  gab  an,  das  Kind  sei  atemlos  und  dabei  vollkommen 

steif  gewesen. 

Die  prinzipielle  Bedeutung  des  Falles,  die  Literatur  enthält  keinen 
Sektionsbefund  neueren  Datums,  der  das  Verhalten  der  Epithelkörper¬ 
chen  berücksichtigen  würde,  veranlaßte  mich,  die  Eltern  zur  Bewilligung 
der  Obduktion  zu  bewegen,  welche  am  6.  April  im  deutschen  patho¬ 
logisch-anatomischen  Institute  von  Privatdozent  Dr.  F.  Lucksch  vor¬ 
genommen  wurde.  Aus  dem  hierüber  verfaßten  Protokoll  seien  hier 
nur  die  wichtigsten  Punkte  mitgeteilt : 

Die  Dura  mater  stärker  gespannt,  die  inneren  Meningen,  sowie 
das  Gehirn  stärker  durchfeuchtet,  die  Ventrikel  des  letzteren  erweitert 
und  mit  klarer  Flüssigkeit  erfüllt.  Die  Epithelkörperchen  von 
rötlicher  Farbe  (Blutungen  in  denselben  mit  freiem  Auge  nicht  wahr¬ 
nehmbar);  die  ary  epiglottisc'hen  Falten  leicht  ödematös.  Die 
Lymphdrüsen  des  Halses  leicht  vergrößert,  z.  T.  weiß,  z.  T.  rot, 
ohne  Zeichen  von  Tuberkulose.  Die  Thymus  zirka  4  cm  lang  und 
2  cm  breit.  In  beiden  Pleurahöhlen  etwa  1/4  Liter  klare  Flüssigkeit 
Die  Lungen  frei,  an  ihrer  Oberfläche,  besonders  rechts,  reichliche 
miliare  Knötchen.  In  der  rechten  Lunge  um  den  Stammbronchus  ein 
Paket  kleinkirschgroßer  verkäster  Lymphdrüsen,  und  um  diese  herum 
am  reichlichsten,  aber  auch  sonst  in  der  ganzen  rechten  Lunge  miliare 
Knötchen.  In  der  linken  Lunge  nur  vereinzelte  solche.  Im  PLerz- 
beutel  klares  Serum;  das  Herz  oberflächlich  ekchymosiert,  in  all 
seinen  Anteilen  vergrößert,  sämtliche  Höhlen  dilatiert  und  mit  schwarzen 
Cruormassen  prall  gefüllt.  Klappen  und  Intima  der  Aorta  zart.  Im 
Bauchraum  klare  bräunliche  Flüssigkeit.  Leber  groß,  stumpf randig, 
blaurot,  von  einzelnen  miliaren  Knötchen  durchsetzt.  Milz  vergrößert, 
Kapsel  gespannt,  Parenchym  schwarzrot,  enthält  miliare  Knötchen. 
Die  Nieren  blaß,  gleichfalls  miliare  Knötchen  zeigend.  Am  Skelett 
frische  rhachitische  Veränderungen. 

Die  pathologiscih-anatomisiche  Diagnose  lautete:  (Tetania 
recidivans),  Oedema  glottidis,  Rhachitis  florida  (Hydrocephalus  chroni¬ 
cus,  Intumescentia  costarum,  Genua  vara),  Tbc.  chronica  glandul. 
lymphatic.  bronchial.  Tbc.  miliaris  universalis.  Hydrops  universalis. 

Bei  der  Präparation  der  Epithelkörperchen  gelang  es  nur,  die 
beiden  linken  und  das  rechte  obere  aufzufinden,  welche,  ebenso  wie 
Schilddrüse  und  Hypophyse,  in  10°/0ige  Formolmutterlösung  eingelegt 
wurden  (die  Thymus  wurde  leider  nicht  aufbewahrt). 

Die  histologische  Untersuchung  der  Thyreoidea  und  .Hypophyse, 
welche  Lucksch  vorzunehmen  die  Güte  hatte,  ergab  normale  Verhält¬ 
nisse.  Von  den  drei  Epithelkörperchen  fertigte  er  Serienschnitte  an, 
die  mit  Boraxkarmin -Berlinerblau  gefärbt  und  mir  freundlichst  zur 
Untersuchung  überlassen  wurden.  Der  Befund  war  folgender:  Im 
rechten  oberen  Epithelkörperchen  erscheinen  die  Gefäße  ziemlich 
stark  erweitert  und  blutgefüllt;  an  der  Peripherie  sieht  man  im  inter¬ 
stitiellen  Bindegewebe  einzelne  aus  homogenen  gelbbraunen  Schollen 
bestehende  Haufen  von  verändertem  Blutfarbstoff  (positive  Berliner¬ 
blaureaktion).  In  einzelnen  Schnitten  ist  auch  ein  größerer  derartiger, 
gleichfalls  peripher  im  Bindegewebe  situierter  Herd  zu  finden.  An  den 
Epithelien  selbst  sind  keine  Veränderungen  zu  bemerken,  Mitosen  der 
Kerne  fehlen,  die  glykogenhaltigen  Elemente  sind  spärlich,  oxyphile 
überhaupt  nicht  vorhanden. 

Das  linke  obere  Epithelkörperchen  zeigt  die  gleichen  Ver- 


Seltenere  Erscheinungsformen  der  infantilen  Tetanie. 


709 


änderungen,  jedoch  in  viel  ansgesprochenerem  Maße.  Besonders  stark 
ist  die  Hyperämie  im  Bereiche  der  peripher  ziehenden  Gefäße,  und 
längs  der  Bindegewebskapsel  sieht  man  einen  ganzen  Kranz  der  oben 
beschriebenen  Herde  von  Blutfarbstoff  in  den  interstitiellen  Faser zügen 
eingelagert,  wobei  nahe  Beziehungen  zu  den  dilatierten  Bluthahnen  be¬ 
stehen.  Spärlichere  und  kleinere  derartige  Herde  erscheinen  auch  in 
den  zentralen  Bindegewehszügeh  gelagert. 

Das  linke  untere  Epithelkörperchen  bietet  in  den  Schnitten 
eine  besonders  hochgradige  Gefäßfüllung  dar,  welche  sich  auch  auf 
die  Kapillaren  erstreckt,  so  daß  diese  wie  in  einem  Injektionspräparat 
hervortreten.  Die  mehrfach  erwähnten  Anhäufungen  von  Blutfarbstoff¬ 
schollen  sind  in  diesem  Epithelkörperchen  viel  spärlicher  (1 — 2  in  jedem 
Schnitte)  und  ziemlich  klein.  Miliartuberkel  konnten  bei  sorgsamer 
Durchsicht  der  Präparate  in  denselben  nicht  gefunden  werden. 

Wir  haben  also  in  einem  Falle  von  sogenannter  akuter  rezidivieren¬ 
der  Tetanie,  der  bereits  die  vierte  Attacke  der  manifesten  Symptome 
darbot,  Veränderungen  in  den  Epithelkörperchen  gefunden,  welche  auf 
vor  längerer  Zeit  in  ihr  Gewebe  erfolgte  Blutungen  hinweisen  und 
sich  völlig  mit  der  Beschreihung  decken,  wie  sie  Yanase1)  und  Erd¬ 
heim2)  geben,  und  deren  Aussehen  auf  etwa  einjähriges  Zurück¬ 
liegen  der  Hämorrhagien  deutet.  Die  ungemein  ausgesprochene  Blut¬ 
überfüllung  der  Gefäße  im  linken  unteren  Epithelkörperchen  läßt  ver¬ 
muten,  daß  es  bei  Fortbestand  der  Erkrankung  in  diesem,  vielleicht  auch 
in  den  anderen,  zu  neuen  Blutaustritten  gekommen  wäre,  so  daß  wir 
ungezwungenerweise  annehmen  können,  das:  Rezidivieren  der  manifesten 
Erscheinungen  in  den  einzelnen  Jahren  sei  auf  immer  wieder  sich  er¬ 
neuernde  Epithelkörperchenblutungen  zurückzuführen.  W elches  die  letz¬ 
ten  Ursachen  derselben  sind,  darüber  kann  man  sich  allerdings  nur 
vermutungsweise  äußern;  hochgradige  Stauungserscheinungen  waren  ja 
an  der  Leiche  vorhanden,  die  starke  Intumeszenz  von  Milz  und  Leber 
lassen  auch  an  Abweichungen  von  der  normalen  Hämatopoese  denken, 
die  floride  Rhachitis  mag  gleichfalls  ihren  Anteil  haben,  und  so  wirkten 
mehrere  Momente  mit,  um  in  diesen  offenbar  schon  von  der  Geburt 
her  geschädigten  Organen  immer  wieder  neue  Veränderungen  zu  setzen, 
welche  den  Symptomenkomplex  der  manifesten  Tetanie  und  ihrer  inter- 
vallären  Symptome  bei  dem  Kinde  dauernd  unterhielten. 

Ich  sehe  gerade  darin  die  prinzipielle  Bedeutung  des  Falles  und 
eine  wesentliche  Stütze  der  parathyreoidalen  Theorie  der  Tetanie,  daß 
ein  Verlauf  von  eminent  chronischem  und  rezidivierendem  Charakter 
mit  greifbaren  und  relativ  frischen  Veränderungen  an  den  Epithel¬ 
körperchen  einherging. 

Der  Tod  war  offenbar  in  einem  laryngospastischen  Anfalle  er¬ 
folgt,  und  ist  auch  der  Befund  des  aryepiglottischen  Ödems  ziemlich 
selten,  da  solche  Kinder  meist  nur  Herzdilatation  ohne  lokale  Erschei¬ 
nungen  im  Larynx  aufweisen.  Es  spricht  dies  dafür,  daß  nicht  jeder 
Exitus  im  Laryngospasmus  als  reiner  Herztod  aufzufassen  ist. 

Die  miliare  Tuberkulose  war  offenbar  erst  in  den  letzten  Tagen 
entstanden,  die  Dissemination  auch  noch  ziemlich  spärlich  und  kam 
nicht  als  Todesursache  in  Betracht. 

Während  ich  bisher  nur  die  einzelnen  in  kasuistischer  und  ätio- 


3)  Yanase:  Jahrb.  für  Kinderheilk.,  Bd.  67,  1908,  Ergänzungsheft,  S.  57. 

2)  Erdheim:  Zeitschr.  für  Heilk.,  1904. 


710 


Rudolf  Fischl, 


logischer  Richtung  bemerkenswerten  Beobachtungen  aus  der  letzten 
Zeit  mitgeteilt  habe,  möchte  ich  mich  nunmehr  noch  in  aller  Kürze 
mit  den  unter  der  Bezeichnung  tetanoider  Zustand  (Esic'herich),  oder 
spasmophile  Diathese  (Th ie mich)  gehenden  Zuständen  beschäftigen, 
für  welche  ich  gleichfalls  einige  aus  der  privaten  Praxis  stammende 
Paradigmen  von  recht  leigentümlichem  Charakter  beizubringen  in  der 
Lage  bin. 

Zunächst  will  ich  über  einen  jetzt  7  Jahre  alten  Knaben  berichten, 
den  ich  von  der  Geburt  an  kenne,  dessen  Familiengeschichte  mir  genau 
vertraut  ist,  und  welcher  ganz  merkwürdige  Erseheinungen  und  eine 
ganz  besondere  Entwicklung  dieses  Leidens  darbietet.  Um  die  genauere 
Erkenntnis  und  Dauer  beobachtung  derartiger  Fälle  haben  sich  in  den 
letzten  Jahren  besonders  Thiemich1),  Thiemich  und  Birk2),  sowie 
Potpeschnigg3)  verdient  gemacht,  auf  deren  Arbeiten  ich  hiermit 
verweise. 

Der  in  Red  o  stehende  Knabe  stammt  von  einem  neur  asthenischen  an 
Glykosurie  (welche  auch  einige  Brüder  darbieten)  leidenden  Vater  und 
einer  sehr  zarten,  kleinen,  anämischen  Mutter,  die  gleichfalls  zu  den 
Nervösen  gehört  und  im  Alter  von  etwa  17  Jahren  einen  Anfall  von 
Cholelithiasis  durchgemacht  hat.  Beide  Eltern  haben  in  ihrer  Jugend 
niemals  an  Krämpfen  gelitten  und  zeigen  kein  Fazialisphänomen.  Der 
Knabe  wurde  etwas  vorzeitig  spontan  in  Kopflage  leicht  geboren,  wog 
2600  Gramm  und  entwickelte  sich  bei  einer  Ammei  in  durchaus  befrie¬ 
digender  Weise.  Er  hat  weder  nennenswerte  Erscheinungen  von 
Rhachitis,  noch  irgendwelche  auf  Tetanie  deutende  Symptome  gezeigt, 
wenigstens  war  in  den  ersten  1 1/2  Jahren  seines  Lebens  nicht  der 
geringste  Anlaß  vorhanden,  ihn  nach  dieser  Richtung  zu  untersuchen. 
Im  Mai  des  Jahres  1904  trat  bei  ihm  im  Gefolge  einer  mit  leichtem 
Fieber  einhergehenden  Verdauungsstörung  ein  heftiger  eklamp  bischer 
Anfall  auf,  dem  sich  in  kurzem  Intervall  weitere  Attacken  anschlossen, 
bis  sich  schließlich  im  Verlaufe  zweiep  Tage  ein  schwerer  Status 
eclampticus  entwickelte,  der  mit  völligem  Schwund  des  Bewußtseins 
und  so  bedrohlichen  Erscheinungen  einherging,  daß  zur  Chlor oform- 
tnarkose  geschritten  werden  mußte.  Diese  beendete  die  Krämpfe,  nach 
welchen  durch  mehrere  Wochen  eine  Parese  des  linken  Mundfazialis 
zurückblieb,  die  sich  später  spurlos  verlor.  Nach  der  Genesung  war 
ich  in  der  Lage,  bei  dem  Jungen  ein  überaus  intensives  Fazialisphänomen 
nachzuweisen,  das  seitdem  in  unverminderter  Stärke  andauert.  Eine 
mechanische  Übererregbarkeit  an  Radialis  und  Peroneus  bestand  nie, 
auch  waren  seit  dieser  Zeit  weder  klonische,  noch  tonische  Krämpfe, 
noch  laryngospastische  Attacken  zu  konstatieren.  Hingegen  ist  eine 
V  erdauungsstörung  zurückgeblieben,  die  in  Neigung  zu  Stypsis,  reich¬ 
licher  Xndicanurie  und  häufig  wiederkehrendem  Lichen  urticatus  ihren 
Ausdruck  hat.  Als  neues  Symptom  stellten  sieb  mit  21/2  -Jahren  eigen¬ 
tümliche  an  Petit  mal  erinnernde  Anfälle  ein,  die  in  verschiedenen  Inter¬ 
vallen,  am  seltensten  in  der  warmen  Jahreszeit,  auftraten,  bald,  mehrmals 
im  Tage  sich  wiederholten,  bald  wochen-  bis  monatelange  Pausen  machten 
und  in  ihrer  Intensität  im  Laufe  der  Jahre  eine  entschiedene  Ab¬ 
schwächung  zeigen.  Sie  gingen  niemals  mit  völligem  Schwund  des 
Bewußtseins  einher,  auch  das  Erinnerungsvermögen  war  nie  wesentlich 

0  Thiemich,  Monatsschr.  für  Kinderheilk.,  Bd.  1,  S.  160. 

2)  Thiemich-Birk,  Jahrb.  für  Kinderheilk.,  Bd.  65,  S.  16. 

3)  Potpeschnigg:  Archiv  für  Kinderheilk.,  Bd.  47,  S.  360. 


Seltenere  Erscheinungsformen  der  infantilen  Tetanie. 


711. 


beeinträchtigt,  die  Pupillenreaktion  während  der  Attacke  erhalten.  Meist 
klagte  das  sich  intellektuell  ungemein  rasch  entwickelnde,  entschieden 
frühreife  und  altkluge  Kind  über  Übelkeit,  die  durch  eine  unangenehme 
Geruchsempfindung  (es  beschuldigte  den  Rauch  einer  Zigarre,  auch 
wenn  in  dem  Zimmer  nicht  geraucht  wurde)  hervorgerufen  war,  wurde 
blaß,  sank  in  Sessel  zurück,  erholte  sich  jedoch  nach  1 — 2  Minuten 
wieder,  war  aber  danach  schlaf  süchtig  und  verfiel  meist  in  1 — 2  Stun¬ 
den  dauernden  Schlummer.  In  den  letzten  zwei  Jahren  sind,  vielleicht 
unter  dem  Einflüsse  protahierter  Bromtherapie,  die  Attacken  seltener 
geworden,  das  Kind  fühlt  den  Anfall  kommen,  dessen  Dauer  nur  noch 
wenige  Sekunden  beträgt,  und  der  keine  Schlafsucht  zurückläßt.  Eine 
gewisse  Beziehung  zur  gestörten  Darmtätigkeit  ist  unverkennbar,  denn 
zuzeiten  stärkerer  Stypsis  häufen  sich  diese  Anfälle,  und  erst  der 
Ausbruch  einer  reichlichen  Strophuluseruption  beendet  eine  solche  Epoche. 

Die  im  Mai  dieses  Jahres  von  mir  vorgenommene  galvanische 
Untersuchung  ergab  eine  stark  kathodische  Übererregbarkeit  (K.  0.  Z. 
bei  unter  2  Milliampere).  Geistig  hat  sich  der  Knabe  in  geraduzu  be¬ 
ängstigender  Weise  entwickelt,  führt  altkluge  Reden  und  überrascht 
seinen  Lehrer  durch  die  dem  Alter  weit  vorauseilende  Auffassungsgabe. 
Körperlich  ist  er  zurückgeblieben,  ein  kleiner  Mann,  bei  dem  die  früh¬ 
reifen  Aussprüche  doppelt  merkwürdig  erscheinen.  Eine  eigentümliche 
Beschaffenheit  zeigen  die  Schneidezähne  im  Ober-  und  Unterkiefer, 
welche  ganz  kurz  wie  abgebrochen  erscheinen  und  nur  wenig  über 
den  Saum  der  Gingiva  hervorragen.  Ob  dies  durch  Schmelzdefekte  und 
nach  hörige  partielle  Abbröckelung  entstanden  ist,  kann  ich  nicht  sagen, 
da  das  Kind  nicht  in  Prag  lebt  und  mir  nur  von  Zeit  zu  Zeit  vorge¬ 
führt  wird. 

Sein  psychisches  Verhalten  ist  gleichfalls  ein  ganz  eigentümliches : 
ich  kann  es  nicht  anders  als  mit  der  Bezeichnung  unhemmbarer  Taten¬ 
drang  charakterisieren.  Ohne  jede  Veranlassung  schlägt  der  Knabe 
mit  den  Händen  auf  Polster  oder  Stühle  los,  seine  Liebkosungen  zeigen 
einen  geradezu  dramatischen  Zug,  mag  man  ihm  noch  so  oft  am  Tage 
vor  Augen  kommen,  die  Schilderung  seiner  Fähigkeiten  ist  eine  stark 
übertriebene  (,,ich  kann  springen,  daß  die  ganze  Weit  zittert“)  und 
steht  zu  seinem  wirklichen  Geschick  in  gar  keinem  Verhältnis ;  dabei 
ist  ein  egoistischer  Zug  in  seinem  Wesen  stark  ausgesprochen,  jäher 
Stimmungswechsel  an  der  Tagesordnung ;  Störrigkeit  und  geringe  Nei¬ 
gung  zum  Folgen,  sowie  geringe  Reaktion  auf  moralische  Strafen  oder 
körperliche  Züchtigung  ergänzen  das  eigentümliche  Bild. 

Ein  jüngerer,  jetzt  1 1/2  Jahre  alter  Bruder  ist  sowohl  in  körper¬ 
licher  als  geistiger  Hinsicht  sein  gerades  Widerspiel  und  zeigt  keine 
Spur  von  Übererregbarkeit,  der  Typus  eines  somatisch  glänzend  ent¬ 
wickelten,  ruhigen,  gutmütigen  und  in  normalem  Tempo  geistig  heran¬ 
reifenden  Knaben. 

Es  ist  nicht  leicht,  sich  über  das  Wesen  des  vorliegenden  Zustandes 
ein  sicheres  Urteil  zu  bilden.  Ich  glaube  nicht,  daß  wir  berechtigt 
sind,  den  Fall  zur  infantilen  Tetanie  zu  rechnen,  denn  eine  so  lange 
Latenz  der  Erscheinungen  wäre  wohl  nicht  gut  erklärlich.  Anderen 
seits  aber  sprechen  das  intensive  Fazialisphänomen,  die  kathodische 
Ubererregbarkeit  und  die  an  Petit  mal  erinnernden  Attacken  für  einen 
tetanoideo  Zustand,  dessen  Beginn  wir  allerdings  nicht  in  die  Zeit  der 
Geburt,  sondern  etwa  in  das  vierte  Lebenshalbjahr  verlegen  müssen,  also 
in  die  Zeit  des  gehäuften  Auftretens  der  eklamptischen  Anfälle.  Ich 


712 


Rudolf  Fischl, 


stelle  mir  vor,  daß  diese  zu  Blutungen  in  die  Epithelkörperchen  ge¬ 
führt  haben,  als  deren  weitere  Folgen  sich  die  geschilderten  Zustände 
entwickelten. 

Gleichfalls  ziemlich  eigentümliche  Symptome  zeigt  eine  Kusine 
des  Knaben,  ein  jetzt  6  Jahre  altes  Mädchen.  Ihre  Mutter  ist  tadellos 
gesund  und  kräftig,  der  Vater,  ein  Bruder  des  Vaters  des  vorerwähnten 
Patienten,  hat  vor  etwa  18  Jahren  eine  luetische  Infektion  durch¬ 
gemacht  und  laboriert  seit  dieser  Zeit  an  Magenbeschwerden.  Seiner 
Ehe  sind  zwei  Kinder  entsprossen,  die  ältere  ist  unsere  Patientin,  die 
jüngere  war  ein  überaus  kräftiges  Mädchen,  das  im  Sommer  vorigen 
Jahres  einer  dysenteriformen  Oolieolitis  verlag  und  niemals  auf  Teta¬ 
nie  oder  einen  tetanoiden  Zustand  hinweisende  Symptome  aufwies. 
Ebenso  zeigen  die  Eltern  keine  Fazialisphänomen.  Das  ältere  Töchter- 
chen,  welches  ich  von  seiner  Geburt  an  beobachte,  hat  sich  bei  der 
Amme  brillant  entwickelt  und  weder  belangreichere  rhachi tische  Sym¬ 
ptome,  noch  irgendwelche  Erscheinungen  von  seiten  des  Nervensystems 
gezeigt,  die  in  die  Gruppe  der  tetanoiden  gerechnet  werden  könnten. 
Nur  ein  überaus  lebhaftes  Eazialisphänomen,  welches  ihre  jüngere  seither 
verstorbene  Schwester  stets  vermissen  ließ,  mußte  in  dieser  Richtung 
gedeutet  werden,  an  den  übrigen  peripheren  Nerven  bestand  keine 
mechanische  Ubererregbarkeit,  und  eine  galvanische  Untersuchung  hatte 
ich  bisher  keine  Gelegenheit  vorzunehmen.  Sonst  zeigt  die  Kleine,  welche 
sich  in  intellektueller  Hinsicht  normal  entwickelt,  deutliche  hysterische 
Manifestationen,  so  Lidflattern,  ein  eigentümliches  kokettes  "Wesen, 
wenig  ausgebreitte  Anästhesie  im  Bachen  und  Anfälle  von  heftigem 
Erbrechen  mit  Azetonurie,  deren  hysterischer  Charakter  in  diesem  Falle 
aus  dem  prompten  Erfolg  einer  rein  suggestiven  Therapie  mit 
ziemlicher  Sicherheit  hervorgeht.  Sie  hat  im  Vorjahre,  gleichzeitig 
mit  ihrem,  diesem  Leiden  erlegenen  Schwesterchen,  eine  dysenteriforme 
hoch  febrile  Colitis  (kulturell  lediglich  Bact.  coli)  durchgemacht  und 
sich  seitdem  körperlich  in  ausgezeichneter  Weise  entwickelt. 

Sind  wir  berechtigt)  diesen  Fall,  der  in  gewissem  Sinne  fami¬ 
liäre  Beziehungen  zu  dem  vorigen  aufweist,  die  Väter  der  beiden  Kinder 
sind  ja  Brüder,  als  tetanoiden  Zustand  aufzufassen,  oder  ist  das  überaus 
starke  Fazialisphänomen  den  sonstigen  bei  dem  Kinde  vorhandenen 
hysterischen  Manifestationen  zuzuzählen  ?  Eine  gewisse  Entscheidung 
dürfte  die  Prüfung  mit  dem  galvanischen  Strome  bringen,  welche  übri¬ 
gens,  meiner  festen  Überzeugung  nach,  gesteigerte  Werte  ergeben  wird, 
da  so  lebhafte  Fazialisphänomene  erfahrungsgemäß  mit  einer  solchen  ein¬ 
hergehen.  Aber  auch  ohne  dieselbe  möchte  ich  die  Erscheinungen  der 
Hj’sterie  und  des  tetanoiden  Zustandes  als  ätiologisch  nicht  zueinander 
in  Beziehung  stehende,  sondern  lediglich  nebeneinander  vorhandene  deu¬ 
ten,  und  von  tetanoidem  Zustand  bei  einem  hysterischen  Kinde  sprechen. 
Denn  ich  stehe,  auf  Grund  meiner  Erfahrungen,  völlig  auf  dem  von 
Chvostek1)  entwickelten  Standpunkte,  daß  höhergradige  Fazialis¬ 
phänomene  in  das  Gebiet  der  tetanoiden  Kennzeichen  gehören. 

In  wie  eigentümlicher,  ich  möchte  sagen  skizzenhafter  Form,  ein 
solcher  tetanoider  Zustand  eine  ganze  Familie  nur  streifen  kann,  zeigt 
die  folgende  Beobachtung.  Es  handelt  sich  um  die  Gattin  und  die  fünf 
Kinder  eines  seit  etwa  zwei  J ahnen  in  Prag  tätigen  Kollegen.  Die  Dame, 
welche  Anfang  der  Vierziger  steht,  und  einen  völlig  gesunden  Eindruck 


1)  Chvostek:  Wiener  klin.  Wo chens ehr.,  Nr.  17,  1907. 


Seltenere  Erscheinungsformen  der  infantilen  Tetanie. 


713 


macht,  sie  ist  lediglich  Trägerin  einer  kleinen  parenchymatösen  Struma, 
soll  in  ihrer  Kindheit  viel  und  in  intensiver  Weise  an  Krämpfen  ge¬ 
litten  haben,  die  hei  ihr  in  so  heftiger  und  gehäufter  Art  auftrafen, 
daß  sie  von  den  Ärzten  wiederholt  aufgegeben  wurde.  Sie  hat  ihre 
sämtlichen  fünf  Kinder  selbst  gestillt,  ohne  während  der  Gravidität 
und  Laktation  irgendwelche  Tetaniesymptome  gezeigt  zu  haben.  Momen¬ 
tan  bietet  sie  ein  lebhaftes  Fazialisphänomen  dar,  welches,  nach  dem 
Bericht  ihres  Gatten,  vor  einiger  Zeit,  als  die  Dame  wegen  der  Be¬ 
schwerden,  welche  ihr  die  Struma  verursachte,  Schilddrüsentabletten 
nahm,  besonders  intensiv  gewesen  sein  soll. 

Als  ich  den  jüngsten,  drei  Jahre  alten,  prächtig  entwickelten  und 
geistig  überaus  geweckten  Knaben  wegen  einer  febrilen  Indigestion  behan¬ 
delte,  nahm  ich  in  der  Rekonvaleszenz  zufällig  Gelegenheit,  ihn  auf  die 
Wangen  zu  klopfen  und  entdeckte  dabei  sein,  äußerst  lebhaftes  Fazialis¬ 
phänomen.  Ich  ließ  nun  auch  die  andern  vier  Kinder,  drei  Knaben 
und  ein  Mädchen  im  Alter  von  13  bis  zu  7  Jahren,  sämtlich  blühende 
und  kerngesunde  Individuen,  aufmarschieren  und  konstatierte  bei  allen 
die  gleiche  Erscheinung.  Keines  dieser  Kinder  soll,  nach  den  anamnesti¬ 
schen  Erhebungen,  jemals  an  Laryngospasmus  oder  ähnlichen  Zuständen 
gelitten  haben,  und  nur  der  Zweitälteste  Knabe  hatte  im  Alter  von 
1 V2  Jahren  zwei  kurzdauernde  eklamp  tische  Anfälle,  die  ohne  Hinter¬ 
lassung  von  irgendwelchen  Folgen  rasch  vorübergingen.  Die  geistige 
Entwicklung  der  Kinder  ist  eine  völlig  normale,  ihre  Lernfähigkeit 
ausgezeichnet  und  ihr  körperliches  Befinden  entspricht,  wie  schon  er¬ 
wähnt,  auch  hochgespannten  Anforderungen.  Der  Vater,  ein  kräftiger 
robuster  Mann,  abgehärtet  und  passionierter  Jäger,  zeigt  kein  Fazialis¬ 
phänomen. 

Wir  müssen  also  für  diese  interessante  Familienbeobachtung  an¬ 
nehmen,  daß  die  Mutter  in  ihrer  frühen  Kindheit  schwere  Tetanie 
und  Eklampsie  gezeigt  hat,  als  deren  Residuum  bei  ihr  noch  die  Uber¬ 
erregbarkeit  des  Fazialis  zurückgeblieben  ist,  während  bei  der  Des¬ 
zendenz  ein  tetanoider  Zustand  sich  entwickelte,  dessen  Grundlage 
die  auf  dem  Wege  der  Saugung  und  der  mütterlichen  Heredität  über¬ 
mittelte  Hypofunktion  der  Epithelkörperchen  ist,  welche  bei  den  Kin¬ 
dern  in  dem  lebhaften  Fazialisphänomen  zum  Ausdrucke  kommt.  Bei 
einem  derselben  vermochte  eine  Gelegenheitsursache  die  schlummernde 
Krampfdisposition  zum  eklamp  tischen  Anfall  zu  steigern,  bei  den 
anderen  ist  der  Zustand  auf  der  niedrigsten  Stufe,  die  man  geradezu 
als  forme  fruste  bezeichnen  kann,  stehen  geblieben. 

Eine  Beobachtung,  welche  ich  bisher  in  allen  mir  untergekommenen 
Fällen  von  lebhafterem  Fazialisphänomen,  und  zwar  auch  im  Verlaufe 
manifester  Tetanie  und  in  Kombination  mit  anderen  Latenzsymptomen, 
machen  konnte,  ist  Schwund  desselben  bei  febrilen  Temperaturerhebungen 
und  Wiederkehr  nach  Fieber abf all.  Für  die  sonstigen  der  Untersuchung 
zugänglichen  Nervenstämme  gilt  dies .  nicht,  und  für  das  elektrische 
A  erhalten  habe  ich  noch  nicht  Gelegenheit  gehabt,  es  zu  prüfen.  Immer¬ 
hin  verdient  diese  bisher  nirgends  erwähnte  Tatsache  der  Hervorhebung. 

Das  genauere  Studium  und  die  längere  Verfolgung  der  unter  die 
Krankheitsgruppe  Tetanie  und  tetanoide  Zustände  einzureihenden  Be¬ 
obachtungen  ergibt  somit  eine  Reihe  von  interessanten  und  bemerkens¬ 
werten  Gesichtspunkten,  zu  denen  bescheidene  Beiträge  aus  der  eigenen 
Erfahrung  beizubringen  ich  in  vorstehenden  Zeilen  bemüht  gewesen  bin. 


714 


A.  Stühmer,  Luesnachweis  durch  Farbenreaktion. 


Aus  der  inneren  Abteilung  der  Krankenanstalt  Altstadt  zu  Magdeburg. 

Oberarzt:  Dr.  Schreiber. 

Luesnachweis  durch  Farbenreaktion. 

Von  A.  Stühmer,  Medizinalpraktikant. 

Die  Arbeit  von  Bi  ach  in  der  Wiener  klin.  Wochenschrift  1909, 
Nr.  17  über  die  von  Schür  mann  in  Düsseldorf  angegebene  Farben¬ 
reaktion  anf  Syphilis  veranlaßt  mich,  auch  meine  Erfahrungen  über 
diese  Reaktion  bekannt  zu  geben. 

In  Nr.  14  der  Deutschen  medizinischen  Wochenschrift  1909  gibt 
Schür  mann  in  einer  „vorläufigen“  Mitteilung  ein  Verfahren  an,  das 
durch  seine  Einfachheit  geeignet  ist,  die  Aufmerksamkeit  des  Prak¬ 
tikers  in  hohem  Maße  auf  sich  zu  lenken.  Die  theoretischen  Grund¬ 
lagen  der  Reaktion  deutet  Sch.  nur  an,  und  es  erübrigt  sich  daher, 
darauf  näher  einzugehen.  Es  mag  genügen  zu  erwähnen,  daß  Sch. 
die  Milchsäure  als  spezifisch  für  luetische  Sera  ansieht  und  dement¬ 
sprechend  mit  dem  Uf  f  elmann’schen  Reagens  operiert.  Die  Technik 
gibt  er  wie  folgt  an : 

„0,1  Serum  verdünnte  ich  mit  physiologischer  NaCl-Lösung  auf 
3  resp.  4  ccm,  fügte  einen  Tropfen  Perhydrol  (Merck)  zu,  schüttelte 
die  Lösung  gut  durch  und  setzte  0,5  ccm  des  Reagens  zu.  Bei  meinen 
Anfan gsversuchen  habe  ich  folgendes  Reagens  benutzt : 

Phenol  0,5 

5°/0  Eisenchlorid  0,62 

Aqua  destill.  34,5.“ 

Beim  Einbringen  des  Reagens  sollen  nun  folgende  Erscheinungen 
zu  beobachten  sein: 

„Die  normale  Blutserumverdünnung  zeigt  nach  Einbringung  des 
Reagens  eine  leichte  Grünfärbung  am  oberen  Rande,  die  beim  Schütteln 
entweder  vollkommen  vergeht  oder  einen  leicht  grünblauen  Farbton 
hinterläßt ;  die  Mischung  an  sich  bleibt  stets  durchsichtig  klar.  Ganz 
anders  verhält  es  sich  bei  dem  syphilitischen  Blutserum.  Hier  tritt 
meistens  sofort  nach  dem  Zusammenbringen  mit  dem  Reagens  ein 
schwarzbrauner,  stumpfer  Ton  auf ;  die  Lösung  an  sich  macht  beim 
Schütteln  einen  dickflüssigen  Eindruck.  —  Das  syphilitische  Blut  zeigt 
im  Gegensatz  zum  normalen  nach  Einbringen  des  Reagens  stets  ein 
starkes  Schäumen.  Die  Reaktion  an  sich  verläuft  in  1 — 2  Minuten. 
Ein  späteres  Nachdunkeln  der  schon  einige  Zeit  hell  gebliebenen  Flüssig¬ 
keit  ist  ohne  diagnostische  Bedeutung.  Ein  leichtes  Braunwerden,  aber 
vollständiges  Durchsichtigbleiben  der  Flüssigkeit  deutet  höchstens  auf 
eine  leichte  Hemmung  hin,  wie  sie  auch  die  Was'sermannsche  Re¬ 
aktion  zeigt.“ 

Ich  habe  nach  dieser  Methode  50  Fälle  untersucht  unter  Kontrolle 
der  Wassermann  sehen  Reaktion  und  folgendes  festgestellt: 

Ich  wählte  einerseits  sicher  luetische  und  andererseits  sicher 
nicht  luetische  Sera.  Unter  den  letzteren  befanden  sich  Sera  von 
Phthisis,  Pneumonie,  Influenza,  Scharlach,  Magendarmerkrankungen, 
Nephritis  und  dergl.  ohne  jede  Auswahl.  Was  nun  zunächst  das  Auf¬ 
schäumen  der  luetischen  Sera,  betrifft,  so  kann  ich  die  Angaben  Sch. ’s 
nicht  bestätigen.  Beim  Einbringen  des  Reagens  schäumte  kein  ein¬ 
ziges  auf.  Wohl  aber  war  beim  Zusatz  des  Perhydrols  eine  leichte 
Schaumbildung  bei  allen  zu  beobachten,  die  aber  mit  der  luetischen 
Natur  des  Serums  nichts  zu  tun  haben  dürfte,  vielmehr  eine  Folge 
der  Reduktion  des  Blutfarbstoffs  ist. 


Ehrmann  und  Fuld,  26.  Kongreß  für  innere  Medizin  zu  Wiesbaden. 


715 


Die  Farbenveränderungen,  die  an  den  Seris  vorgingen,  las  ich 
zu  den  verschiedensten  Zeiten  ab.  Gleich  nach  dem  Einbringen  des 
Reagens  verhielten  sich  alle  Sera  fast  gleich.  Es  bildete  sich  am  oberen 
Rande  der  Flüssigkeit  ein  bräunlicher  oder  grüner  Ring,  der  bei  allen 
nach  dem  Schütteln  verschwand  und  einer  leichten  Blaugrünfärbung  der 
gesamten  Flüssigkeit  Platz  machte.  Einige  Sera  aber  keineswegs,  nur 
die  luetischen  gingen  alsbald  in  einen  mehr  braunen  Farbenton  über, 
blieben  dabei  aber  hell  und  durchsichtig.  Nach  zwei  Minuten  konnte 
ich  bei  keinem  einzigen  Röhrchen  einen  ,, stumpfen,  undurchsichtigen 
Farbenton“  wahrnehmen.  Erst  nach  längerem  Stehen  schied  sich  bei 
einer  Reihe  ein  schwarzbrauner  Niederschlag  ab,  der  sich  im  Verlauf 
einiger  Stunden  am  Boden  absetzte.  In  dieser  Weise  sah  ich  die  Re¬ 
aktion  bei  Phthisis,  Pneumonie  und  Lues  ohne  jeden  Unterschied  ab¬ 
laufen.  Einige  sicher  luetische  Sera  blieben  absolut  klar  und  fast 
farblos,  während  wiederum  sicher  nicht  luetische  einen  dicken  Boden¬ 
satz  vor  allen  anderen  absetzten. 

Trotz  sorgfältigster  Beachtung  der  von  Schür  mann  gegebenen 
Vorschriften  konnte  ich  also  ein  spezifisches  Verhalten  der  luetischen 
Sera  nicht  beobachten.  Inzwischen  sind  Schmincke,  Stoeber,  Mei- 
rowsky  und  Galambos  (Deut.  med.  W.  1909,  Nr.  21  u.  22)  zu  dem¬ 
selben  Ergebnis  gekommen. 

So  wünschenswert  es  auch  wäre,  eine  Reaktion  auf  Lues  zu  be¬ 
sitzen,  die  einfach  anzustellen  wäre  wie  dies  Sch.’sche  Verfahren,  so 
muß  doch  diese  Methode  als  völlig  unbrauchbar  abgewiesen  werden. 
Vielleicht  gelingt  es  auf  einem  ähnlichen  Wege  dies  Ziel  zu  erreichen. 
Jedenfalls  bleibt  bisher  eine  der  Komplementbindungsmethoden  immer 
noch  das  ultimum  refugium. 


26.  Kongreß  für  innere  Medizin  zu  Wiesbaden. 

19.— 22.  April  1909. 

Berichtserstatter:  Dr.  Ehrmann  und  Dr.  Ful(l. 

(Fortsetzung.) 

III.  Sitzung  vom  20.  April  1909,  vormittags. 

Vorsitzender:  Schultze-Bonn. 

Lenhartz  -  Hamburg :  Über  die  Behandlung  des  Magen¬ 
geschwürs, 

Die  Leube’sche  Schonungsdiät  führt  manchmal,  besonders  bei 
stark  ausgebluteten  und  entkräfteten  Patienten,  doch  nicht  zum  Er¬ 
folg.  Außerdem  kann  man  die.  vorhandene  freie  Salzsäure  am  besten 
mit  Eiweiß  sättigen.  Daher  hat  L.  eine  eiweißhaltige  Diät  seiner¬ 
zeit  vorgeschlagen  und  sie  seither,  ebenso  wie  auch  andere  Kliniker, 
mit  sehr  gutem  Erfolg  durchgeführt.  295  Fälle,  262  davon  nach  star¬ 
ker  Blutung,  wurden  nach  der  Methode  vom  Vortr.  behandelt.  Da¬ 
von  starben  nur  7,  d.  h.  2,3°/0.  Nur  18  Patienten  zeigten  eine  Wieder¬ 
holung  der  Blutung  während  der  Behandlung.  Narkotika  wurden,  im 
Gegensatz  zur  Leubekur,  nicht  gegeben.  Der  Vortr.  gibt,  wie  be¬ 
kannt,  sofort  nach  der  Blutung  geschlagenes  Ei,  insgesamt  zwei  Eier 
und  200  ccm  Milch  am  ersten  Tage.  Im  Laufe  einer  Woche  wird 
bis  zu  acht  Eiern  und  einem  Liter  Milch  angestiegen. 

Von  Minkowski  wurden  mit  dieser  Behandlung  ebenfalls  gün¬ 
stige  Erfahrungen  gemacht.  Der  Vortr.  hat  mit  seiner  Kur  eine  bes¬ 
sere  Mortalitätsstatistik  erzielt,  als  man  bisher  mit  der  Leubekur  hatte. 


716 


Ehrmann  und  Fuld, 


Als  geheilt  wurden  die  Patienten  erst  entlassen,  wenn  mehrere 
Wochen  lang  die  Fäces  blutfrei  blieben.  Zeigen  die  Päces  jedoch  an¬ 
dauernd  weiter  Blut,  so  muß  man  auf  Karzinom,  Leberzirrhose  usw. 
schließen. 

Bosenfeld  -  Breslau :  Über  Behandlung  von  Magenkrank¬ 
heiten. 

Für  alle  Magenleiden  ist  die  leichtest  zu  ertragende  Substanz 
das  Fett,  besonders  als  Sahne.  Die  Eröffnung  des  Pylorus  ist  be¬ 
stimmend  für  alle  Maßnahmen  und  wird  in  erster  Beihe  bedingt 
durch  die  Ordination  von  Fett.  Die  in  zweiter  Beihe  auszuwählende 
Begleitkost  wird  nach  dem  Vorhandensein  oder'  dem  Mangel  von  Salz¬ 
säure  bestimmt,  so  nämlich,  daß  bei  den  aziden  Mägen  Eiweißkörper 
gegeben  und  Kohlehydrate  in  Form  von  Stärkemehl  sorgsam  vermieden 
werden,  da  sie  die  Eröffnung  des  Pylorus  erschweren.  Die  Begleit¬ 
kost  für  andere  Mägen  besteht  in  wenig  Eiweiß  und  reichlich  Kohle¬ 
hydraten.  Die  Mahlzeiten  sollen  sechs  Stunden  auseinanderliegen, 
damit  der  Magen  auch  einmal  Buhe  bekommt.  Vor  dieser  Kur,  be¬ 
sonders  aber  bei  Magenschmerzen,  wendet  B.  eine  Vorkur  an,  die 
,, Nichtsalzsahnenkost“,  welche  darin  besteht,  daß  vier  Tage  lang  drei- 
oder  viermal  je  1/2  1  Sahne  verabfolgt  wird,  was  sofort  schmerzstil¬ 
lend  wirkt.  Auch  bei  Magenblutungen  wirkt  diese  Kost  sofort  blut¬ 
stillend,  indem  sie  denselben  Bedingungen  genügt,  wie  die  Gastro¬ 
enterostomie.  Sie  eröffnet  den  Pylorus  und  bewirkt  außerdem  die 
Verminderung  der  Salzsäure.  Diese  Kur,  die  zwei  Jahre  vor  der 
Lenhartz’schen  Publikation  mitgeteilt  wurde,  genügt  allen  theore¬ 
tischen  und  klinischen  Indikationen  bei  der  Behandlung  des  bluten¬ 
den  Ulkus. 

Diskussion. 

v.  Leube -Würzburg :  Er  habe  schon  vor  elf  Jahren  2°/0  Morta¬ 
lität  gehabt  gegen  13°/0  vor  Einführung  seiner  Kur.  Seitdem  hat  er 
insgesamt  627  Patienten  mit  Ulkus  behandelt,  davon  starben  nur 
0,3  °/0.  Auch  bei  blutenden  Geschwüren  hat  er  nur  2,5 °/0  Mortalität 
gehabt. 

Es  gibt  Fälle,  bei  denen  jede  Nahrungszufuhr  Erbrechen  macht 
und  eine  neue  Blutung  hervorrufen  kann.  Deshalb  ist  Abstinenz  not¬ 
wendig.  Morphium  hat  er  nur  zur  Buhigstellung  der  Peristaltik  ge¬ 
geben.  Gegen  Blutung  gibt  er  30  Tropfen  1  prom.  Adrenalins.  Eisen 
wird  während  der  Kur  nicht  gut  vertragen. 

Bei  nicht  blutenden  Ulcera  hatte  er  keinen  Todesfall  und  90°/0 
Heilungen  meist  in  .4 — 5  Wochen. 

Fuld-Berlin:  Bei  Ulcus  ventriculi  fehlt  Antipepsin  und  Anti¬ 
trypsin.  Er  hat  bei  chronischem  Ulkus  gemeinsam  mit  Katzen  stein 
ein  Präparat  aus  trockenem  gepulvertem  Serum,  Amynin  (Freund  & 
Bedlich)  gereicht  und  gute  Erfolge  erzielt. 

v.  M ü  11  er- München :  Superazidität  ist  in  München  bei  Ulkus 
sehr  selten.  Daher  ist  dort  auch  der  Schmerz  nicht  zu  finden.  Am 
Lebenden  kann  eine  Heilung  .des  Ulkus  nicht  festgestellt  werden.  Der 
Hungerzustand  bedeutet  keine  Schädigung  des  Gesamtorganismus.  Bei 
hohen  Adrenalingaben  per  ps  hat  er  ungünstigen  Ausgang  gesehen. 

v.  Krehl  -  Heidelberg :  Die  Lenhartz’sche  Methode  läßt  sich 
individuell  sehr  abändern,  was  ein  großer  Vorteil  sei. 


26.  Kongreß  für  innere  Medizin  zu  Wiesbaden. 


717 


Auch  er  hat  regionäre  Unterschiede  gesehen  bezüglich  der  Hyper¬ 
sekretion.  Man  muß  auf  dem  empirischen  Wege,  nicht  auf  dem  ex¬ 
perimentellen  hier  weiterzukommen  suchen. 

Fl  einer- Heidelberg:  Magengeschwüre  sind  sehr  verschieden  nach 
Sitz,  Größe  usw.  Er  geht  bei  der  Behandlung  sehr  vorsichtig  nach 
Leube  im  Anfang  vor.  Dann  kann  man  mit  der  Kost,  ganz  nach 
den  individuellen  Verhältnissen,  vorsichtig  weitergehen. 

Eine  gute  Kontraktion  des  Magens  durch  heiße  Umschläge  oder 
Eisblase  ist  dabei  wichtig. 

Gerhardt-Basel:  Seit  D/2  Jahren  behandelt  er  nach  Lenhartz; 
vorher  wurde  unter  Hls  nach  Leube  behandelt.  Beide  Methoden  haben 
gleich  günstige  Resultate  nach  seiner  Statistik  ergeben. 

P  lönies- Dresden :  Die  Milch  bildet  dicke  Brocken  im  Magen; 
er  gibt  daher  Schleimsuppen  mit  Ei. 

Stintzing- Jena:  Eier  und  Zucker,  was  Lenhartz  gibt,  wer¬ 
den  manchmal  nicht  gern  genommen.  Er  hat  auch  bei  blutenden 
Ulcera  mit  Lenhartz’ scher  Kost  Erfolge  gehabt.  Man  solle  die  Aus¬ 
drücke  Perazidität,  Subazidität,  Inazidität  statt  der  Barbarismen  an¬ 
wenden. 

A.  Schmidt-Halle:  Das  Wichtigste  in  der  Behandlung  ist  die 
Bettruhe ;  die  Diät  kommt  erst  an  zweiter  Stelle.  Die  Bettruhe  muß 
möglichst  lange  dauern.  Vielleicht  spielt  hierbei  der  Übergang  der 
Rieder’schen  Hakenform  des  Magens  in  die  Kuhhornform  eine  Bolle. 

v.  T ab  ora- Straßburg :  3 — 4  mg  Atropin  unterdrücken  die  Salz¬ 
säuresekretion  und  sollten  daher  als  Medikament  gereicht  werden.  Er 
hat  mit  der  Leubekur  bessere  Erfolge  gesehen.  Der  Hungerzustand 
kann  dabei  nicht  sehr  schädigen,  denn  42°/0  Patienten  wiesen  sogar 
eine  Körpergewichtszunahme  auf. 

Kraf  t-Görbersdorf :  In  Süddeutschland  wird  nicht  so  viel  Ei¬ 
weiß  als  in  Norddeutschland  genommen.  Daher  muß  man  demgemäß 
auch  die  Kranken  regionär  verschieden  behandeln. 

Moritz-Straßburg :  Die  Leube’sche  Kost  ist  jedenfalls  schonen¬ 
der,  die  Len  har  tz’sche  vielleicht  kräftigender. 

Die  Pylorusgegend  ist,  nach  seinen  Untersuchungen,  bei  Nah¬ 
rungsaufnahme  nicht  ruhig  zu  stellen. 

Lenhartz  (Schlußwort):  Es  hat  sich  jedenfalls  gezeigt,  daß  man 
weniger  streng  Vorgehen  darf,  als  man  bislang  tun  zu  können  glaubte. 
Der  Hunger zustand  ist  doch  nicht  ungefährlich  für  ausgeblutete 
Patienten.  Eisen  schadet  nichts,  wenn  die  Pillen  nicht  zu  hart  sind. 

Goldscheider:  Über  abgestufte  Lungenperkussion. 

Nachdem  sich  durch  die  Untersuchungen  des  Vortr.  über  Per¬ 
kussion  herausgestellt  hatte,  daß  schon  die  leiseste  Beklopfung  die 
ganze  Lunge  durchdringt  und  daß  ferner  die  perkutorische  Feststel¬ 
lung  eines  luftleeren  von  einem  lufthaltigen  Medium  bedeckten  Ob¬ 
jektes  um  so  schärfer  ausfällt,  je  leiser  die  Perkussion  ist,  ja,  daß 
die  Schwellenwertsperkussion  luftleere  Objekte  auf  ansehnliche  Strecken 
hin  erkennen  läßt,  welche  selbst  bei  geringer  Steigerung  der  Perkus¬ 
sionsstärke  nicht  mehr  wahrgenommen  werden  können  (Goldscheider’s 
Glaskugelversuch),  war  zu  erwarten,  daß  die  sehr  leise  Perkussion 
wie  für  die  Herzuntersuchung,  so  auch  für  die  Lungenuntersuchung 
sich  geeignet  erweisen  würde.  Jedoch  gestattet  dieselbe  nicht,  die 
jeweilige  Intensität  einer  Dämpfung  zu  beurteilen.  Hierzu  bedarf  es 
vielmehr  der  Anwendung  verschiedener  Perkussionsstärken.  Die 


718 


Ehrmann  und  Fuld, 


Yariierung  der  Klopfstärke  kann  nicht,  wie  bisher  gelehrt  wurde, 
dazu  benutzt  werden,  mehr  oder  weniger  weit  in  die  Tiefe  zu  wir¬ 
ken,  sondern  lediglich  dazu,  die  Größe  der  Schallabsorption  durch 
ein  dämpfendes  Objekt  zu  bestimmen.  Schwache  pathologische  Dämp¬ 
fungen  sind  nur  hei  schwacher  Perkussion  nachweisbar,  verschwinden 
bei  stärkerer.  Die  dämpfungerzeug'ende  krankhafte  Veränderung  ist 
um  so  beträchtlicher  anzunehmen,  als  bei  zunehmender  Perkussions¬ 
stärke  die  Dämpfung  noch  nachweisbar  bleibt.  Die  abgestufte  Per¬ 
kussion  läßt  diese  Erscheinungen  am  besten  hervortreten  hei  gleich¬ 
zeitig  eng  umgrenzter  Perkussionsfläche.  Besonders  wertvolle  Auf¬ 
klärungen  ergibt  dieselbe  bei  der  Phthisis  incipiens,  indem  sie  die 
Ausdehnung  und  die  Intensität  der  schon  in  den  frühesten  Stadien 
vorhandenen  Verdichtungen  erkennen  läßt.  Wo  die  übliche  mittel¬ 
starke  Finger-Fingerperkussion  nur  eine  geringfügige  Spitzendämpfung 
ergibt,  zeigt  die  sehr  leise  (etwas  oberhalb  des  Schwellenwertes  sich 
haltende)  Perkussion  oft  ausgedehnte  Dämpf imgsbezirke,  welche  man 
durch  stufenmäßige  Steigerung  der  Perkussion  wieder  gleichsam  weg¬ 
radieren  kann.  Besonders  wichtig  ist  die  Untersuchung  vorn  zwischen 
den  Köpfen  des  Sternocleidomastoideus  und  des  medialen  Gebietes  der 
Inf raklivikular grübe,  hinten  oben  unmittelbar  neben  der  Wirbelsäule 
bei  stark  nach  hinten  geschobenen  Schulterblättern.  In  vielen  Fällen 
fand  der  Vortragende  mittels  sehr  leiser  Perkussion  Spitzendämpfung'en, 
wo  die  mittelstarke  Finger-Fingerperkussion  und  auch  die  Krönig- 
sche  Methode  gar  keinen  pathologischen  Befund  ergeben  hatte.  Die 
Perkussionsergebnisse  wurden  stets  durch  die  Röntgenuntersuchung 
(Levy-Dorn)  kontrolliert  und  zeigten  mit  den  durch  letztere  erhobe¬ 
nen  Lungenbefunden  einen  über  Erwarten  hohen  Grad  von  Überein¬ 
stimmung.  Dabei  täuscht  die  Methode,  deren  Technik  einfach  ist,  wenn 
sie  auch  eine  subtile  Ausführung  erfordert,  keineswegs,  wie  man  denken 
könnte,  Dämpfungen  vor,  welche  nicht  da  sind;  vielmehr  zeigte  das 
Röntgenbild  zuweilen  doch  noch  Verdichtungen,  welche  sich  nicht 
perkutorisch  ausgedrückt  hatten.  Nur  in  wenigen  Fällen  fehlte  das 
röntgoskopische  Korrelat,  aber  auch  diese  waren  so  beschaffen,  daß 
das  klinische  Bild  dem  perkutorischen  Ergebnis  eine  größere  Wahr¬ 
scheinlichkeit  der  Richtigkeit  zuerkennen  ließ.  Nur  in  der  kleineren 
Hälfte  der  Fälle  waren  Rasselgeräusche  vorhanden,  wobei  selbst  ganz 
vereinzelte,  nur  nach  Hustenstößen  auftretende  krepitierende  Geräusche 
mitgezählt  sind,  während  sonst  nur  die  weniger  beweisenden  auskul¬ 
tatorischen  Zeichen,  wie  verschärftes  In-  oder  Exspirium,  verlängertes 
Exspirum,  abgeschwächtes  Atmungsgeräusch,  sakkadiertes  Atmen  usw. 
oder  normales  Atmungsgeräusch  vorhanden  waren.  Nur  in  einem  Falle 
habe  er  Geräusche  ohne  Perkussionsbefund  gefunden.  In  einer  großen 
Anzahl  von  Fällen  fehlte  Sputum. 

Hieraus  erhellt  die  diagnostische  Wichtigkeit  der  leisesten  bezw. 
abgestuften  Perkussion  für  die  Erkenntnis  der  Lungenverdichtungen. 
Eine  Anzahl  von  Abbildungen,  welche  den  perkutorischen  Befund  neben 
dem  jedesmaligen  Röntgenbefund  wiedergeben,  wird  demonstriert. 

Im  Stadium  der  Resolution  von  pneumonischen  Infiltrationen  findet 
man  zu  einer  Zeit,  wo  die  mittelstarke  Perkussion  keine  Dämpfung  mehr 
aufweist,  mittels  abgestufter  Perkussion  oft  nach  Dämpfungen,  welche 
die  kontrollierende  Röntgendurchleuchtung  als  Ausdruck  von  noch  be¬ 
stehenden  Infiltrationsresten  erkennen  läßt.  Bei  Pleuritis  zeigt  die  ab¬ 
gestufte  Perkussion  oft,  daß  die  Ausdehnung  des  Prozesses  viel  größer 


26.  Kongreß  für  innere  Medizin  zu  Wiesbaden. 


719 


ist  als  die  stärkere  Beklopfung  vermuten  ließ.  Pneumonische  Infiltra¬ 
tion  in  einer  emphysematosen  Lunge,  bei  der  üblichen  Perkussion  oft 
schwer  zu  erkennen,  präsentiert  sich  bei  leisester  Perkussion  auf  das 
deutlichste.  Die  abgestufte  Perkussion  spielt  für  die  Erkenntnis  der 
Lungenverdichtungen  die  Polle  einer  Lupe. 

Diskussion.  J.  Citr  on-Berlin :  Bei  Unterschieden  zwischen  Per¬ 
kussion  und  Röntgenbefund  entscheidet  bisweilen  die  Verdeutlichung 
des  Perkussionsbefundes  nach  Tuberkulfninjektion. 

Schlossmann-Düsseldorf:  Über  den  Einfluß  der  Ernährung 
auf  den  respiratorischen  Stoffwechsel. 

Der  Vortragende  hat  eine  Reihe  weiterer  langstündiger  Versuche 
mit  Hilfe  des  nach  Zuntz  und  Oppenheimer  modifizierten  Apparates 
von  Regnault  und  Reiset  angestellt.  Dabei  hat  sich  zunächst  die 
Tatsache  ergeben,  daß  in  der  Tat  der  respiratorische  Stoffwechsel  pro¬ 
portional  der  Oberfläche  sich  abspielt.  Die  entgegenstehenden  An¬ 
schauungen,  wie  sie  wiederholt  in  der  letzten  Zeit  geäußert  worden 
sind,  haben  sich  also  nicht  bestätigt.  So  hat  ein  und  dasselbe  Kind  im 
Alter  von  144  Tagen  pro  Quadratmeter  Oberfläche  11,05  g  Sauerstoff 
verbraucht  und  13,78  g  Kohlensäure  produziert.  Im  Alter  von  284 
Tagen,  also  doppelt  so  alt  und  um  die  Hälfte  schwerer  als  ursprünglich 
war  die  Kohlensäureausscheidung  13,99  g  und  der  Sauerstoff  verbrauch 
n,05  g. 

Eine  ganze  Reihe  von  Untersuchungen  an  Meerschweinchen  haben 
ergeben,  daß  auch  bei  diesen  der  respiratorische  Stoffwechsel  ganz 
proportional  der  Oberfläche  und  dementsprechend  gleich  bei  alten  und 
jungen  Tieren  einher  geht. 

Aus  den  Versuchen  ergibt  sich,  daß  in  der  ersten  Stunde  nach  der 
Darreichung  von  Muttermilch  der  Milchzucker  vorzugsweise,  und  zwar 
so  gut  wie  ausschließlich,  verbrannt  wird.  East  die  Hälfte  des  ge¬ 
samten  in  der  Nahrung  enthaltenen  Milchzuckers  ist  nach  einer  Stunde 
bereits  verwertet.  Eine  irgendwie  in  Betracht  kommende  Verbrennung 
von  Fett  und  Eiweiß  kann  in  dieser  Zeit  nicht  statthaben,  da  der  respi¬ 
ratorische  Quotient  in  der  ersten  Stunde  dicht  bei  1  liegt.  Da  spezielle 
Gesetze  für  den  respiratorischen  Stoffwechsel  für  den  Säugling  nicht 
vorliegen,  so  kann  also  das,  was  nach  dieser  Richtung  ermittelt  wurde, 
mutatis  mutandis  auch  auf  den  Erwachsenen  übertragen  werden. 

Diskussion.  S taehed in- Berlin :  Er  hat  bereits  früher  mit  Gigon 
Kinder  mit  älteren,  gleich  großen  Personen  verglichen  und  dieselben 
Resultate  wie  der  Vortragende  erhalten. 

Gigon-Basel:  Das  Ansteigen  des  respiratorischen  Quotienten  in 
der  ersten  Stunde  beweist  nichts  für  die  Verwertung  des  Zuckers. 

Plesch-Berlin  bittet  um  Erklärung  des  hohen  Quotienten. 

Schlos  s  mann -Düsseldorf :  Schlußwort. 

Deneke- Hamburg :  Blutdruckmessungen  in  der  ärztlichen 
Praxis. 

Besprechung  eines  Apparates,  ähnlich  dem  Riva-Rocci’schen,  der 
leicht  transportabel  und  schnell  zusammenzusetzen  ist,  so  daß  er  sich 
zur  allgemeinen  Anwendung  empfiehlt. 

Plesch-Berlin:  Sauerstof f Versorgung  und  Zirkulation  in 
ihren  komj^ensatorischen  Wechselbeziehungen. 

Mit  der  zahlenmäßig  bestimmbaren  Größe  des  Minutenvolumens 
bei  gesunden  und  kranken  Herzen,  wie  sie  der  Vortragende  gewonnen 
hat,  wird  die  Berechnung  einer  ganzen  Reihe  von  Größen,  im  Kreislauf 
möglich. 


720 


Ehrmann  und  Fuld, 

Die  Methode  von  Loewy  und  Schrott  er  kann  hierzu  wegen  ihrer 
theoretischen  und  praktischen  Mängel  nicht  angewandt  werden. 

Der  Vortragende  ermittelt  den  Minutensauerstoff  verbrauch  des 
Organismus,  die  Sauerstoffkapazität  des  Blutes  und  den  Sauerstoff¬ 
gehalt  des  venösen  Blutes.  Durch  diese  drei  Faktoren  ist  das  Minuten¬ 
volumen  direkt  bestimmbar. 

Er  fand  das  Minutenvolumen  beim  gesunden  Menschen  im  Mittel 
zu  4,3  Litern  und  das  Schlagvolumen  zu  60  ccm.  Die  Maxima  und 
Minima  der  gefundenen  Werte  liegen  zwischen  drei  und  fünf  Litern 
bezw.  zwischen  40  und  80  ccm.  Die  Ausnützung  des  arteriellen  Sauer¬ 
stoffs  nach  Bestimmungen  des  Gasgehaltes  im  Blute  zeigte,  wie  der 
Vortragende  fand,  daß  sie  individuell  sehr  erheblichen  Schwankungen 
unterliegt. 

Mit  einer  praktisch  einfach  auszuführenden  und  den  Kranken 
kaum  belästigenden  Methode,  wobei  der  Betreffende  in  ein  Sacksystem 
atmet,  ergibt  sich,  wieviel  Sauerstoff  vom  Organismus  aus  dem  arte¬ 
riellen  Blute  verbraucht  worden  ist. 

Es  ergab  sich,  daß  die  Ausnützung  des  arteriellen  Sauerstoffes 
im  Mittel  29°/0  ausmacht,  so  daß  das  Blut  noch  mit  68 — 70°/0  Sauer¬ 
stoff  beladen  nach  dem  Herzen  zurückkehrt.  In  pathologischen  Fällen 
oder  bei  der  Arbeit  kann  dieser  Wert  bis  auf  52  °/0  sinken.  Die  ge¬ 
ringste  Ausnützung  beim  Menschen  war  eine  Sättigung  des  venösen 
Blutes  von  78  °/0  Sauerstoff.  Eine  Ausnahme  besteht  nur  bei  offener 
Kommunikation  mit  dem  linken  Herzen.  Hier  fanden  sich  Zahlen  von 
83  und  88°/0  Sauerstoff  im  venösen  Blute;  andere  kongenitale  Vitien 
ohne  solche  Kommunikation,  wie  z.  B.  die  Pulmonalstenose,  gaben 
normale  Werte.  Die  Sackversuche  kann  man  daher  als  ein  diagno¬ 
stisches  Mittel  zur  Entscheidung  der  Frage  nach  dem  Vorhandensein 
einer  Kommunikation  zwischen  rechtem  und  linkem  Ventrikel  benutzen. 

Es  besteht  im  Organismus  nicht  die  Tendenz,  für  längere  fort¬ 
gesetzte  Arbeit  durch  bessere  arterielle  Ausnutzung  den  erhöhten  Sauer¬ 
stoffbedarf  bei  der  Muskelarbeit  zu  decken.  Höchstens  eine  Verdoppe¬ 
lung  des  Sauerstoffverbrauches  durch  die  Arbeit  wäre  mittels  einer 
Ausnützung  des  Blutes  bis  auf  300/o  möglich.  Jede  weitere  Verviel¬ 
fachung  des  Sauerstoffverbrauches  muß1  mit  einer  Erhöhung  des  Minuten¬ 
volumens  einhergehen.  Eine  Erhöhung  des  Sauerstoffbedarfes  um  das 
22  fache  des  Buhewertes  ist  bei  maximalster  Arbeit  für  kürzere  Zeit 
beobachtet  worden. 

Bezüglich  des  Schlagvolumens  bei  Krankheiten  wurde  gefunden, 
daß  bei  kompensierten  Vitien,  z.  B.  bei  Mitralstenose,  das  Schlag¬ 
volumen  durchaus  nicht  kleiner  war,  ja,  es  kann  selbst  das  Schlag¬ 
volumen  erhöht  sein,  ebenso  das  Minutenvolumen.  Bei  den  Klappen¬ 
fehlern  wird  durch  die  Methode  des  Vortragenden  nur  dasjenige  Schlag¬ 
volumen  ermittelt,  welches  von  der  Aorta  peripherwärts  weiterströmt, 
über  die  regurgitierenden  Blutmengen,  z.  B.  bei  Aorteninsuffizienz 
oder  diejenigen  Mengen,  welche  bei  der  Mitralinsuffizienz  in  den  Vor¬ 
hof  zurückgeworfen  werden,  gibt  sie  keinen  Aufschluß.  Man  muß 
also  hierbei  zweierlei  Schlagvolumina  auseinanderhalten :  das  dem 
Körper  zugute  kommende  Volumen,  das  der  Vortragende  als  systolisches 
Fördervolumen  bezeichnet,  andererseits  das  Volumen,  welches  der  Ven¬ 
trikel  bei  einer  Systole  insgesamt  aus  sich  herauswirft,  das  systolische 
Totalvolumen. 


26.  Kongreß  für  innere  Medizin  zu  Wiesbaden. 


721 


Diese  Unterscheidung  kommt  nur  bei  den  Insuffizienzen  der  Herz¬ 
klappen  in  Betracht,  da  bei  den  Stenosen  beide  Volumenarten  gleich  sind. 

Die  vor  zwei  Jahren  auf  dem  Kongreß  mitgeteilte  Bestimmungs¬ 
methode  der  Gesamtblutmenge  hat  der  Vortragende  verbessert.  In  Ge¬ 
meinschaft  mit  Zuntz  hat  er  ein  Verfahren  beschrieben,  mittels  dessen 
solche  Bestimmungen  bequem  und  sehr  genau  klinisch  auszuführen 
sind.  Kennt  man  die  Blutmenge,  die  in  der  Minute  vom  Herzen  ge¬ 
fördert  wird,  so  weiß  man  auch,  in  wieviel  Sekunden  die  gesamte 
ermittelte  Blutmenge  einmal  das  Herz  passiert  hat,  d.  h.  man  kennt 
die  Umlaufsdauer.  Es  stellte  sich  bei  dieser  Berechnung  heraus, 
daß  beim  gesunden  Menschen  die  Umlaufsdauer  im  Mittel  in  55  Sekunden 
und  mit  65  Pulsschlägen  ausgeführt  wird.  Diese  Berechnung  stützt 
sich  nicht,  wie  alle  bisherigen,  auf  angenommene  Werte,  sondern  auf 
Faktoren,  die  sämtlich  experimentell  festgestellt  wurden.  Bei  maxi¬ 
malster  Muskelarbeit  könnte  die  Umlaufsdauer  bis  zu  fünf'  Sekunden 
beschleunigt  werden.  Ähnliche  Beschleunigungen  sind  ständig  vor¬ 
handen  bei  Anämischen,  wenn  nämlich  die  Gesamtblutmenge  bei  ihnen 
abgenommen  und  das;  Minutenvolumen  gewaltig  zugenommen  hat.  Um¬ 
gekehrt  ist  bei  großem  Minutenvolumen  solcher  Anämien,  die  eine 
Vermehrung  der  Gesamtblutmenge  zeigen  —  häufig  bei  Chlorosen  — , 
die  Umlaufsdauer  nur  in  geringerem  Maße  beschleunigt.  Für  die  Um¬ 
laufsdauer  bei  Anämien  ergaben  sich  Werte  von  7—30  Sekunden,  im 
Gegensatz  zur  Normalumlaufsdauer  von  55  Sekunden.  Diese  Schwan¬ 
kung  steht  im  wesentlichen  in  direktem  Zusammenhang  mit  dem  Grade 
der  Hämoglobinarmut.  Man  kann  also  sagen,  je  größer  die  Anämie, 
um  so  schneller  der  Umlauf. 

Bei  den  Nephritiden  kann  die  Blutmenge  um  fast  das  Doppelte 
vermehrt  sein.  Hier  wurde  die  längste  Umlaufsdauer  beobachtet,  zumal 
das  Minutenvolumen  nicht  erhöht  war. 

Auch  die  sogenannte  Strömungsgeschwindigkeit  des  Blutes  ist 
festgestellt  worden.  Beim  gesunden  Menschen  wird  das  Blut  mit  einer 
translatorischen  Geschwindigkeit  von  42  cm  in  der  Sekunde  fortbewegt. 

Es  wird  natürlich  diese  Geschwindigkeit  mit  der  Erweiterung  der 
Gefäßbahn  abnehmen.  Sie  ist  deshalb  in  den  Kapillaren  am  kleinsten. 
Hieraus  geht  hervor,  daß  das  Blut  zu  den  Gefäßen  zweiter  und  dritter 
Ordnung  sehr  schnell  gelangen  muß.  Da  die  Umlaufsdauer  55  Sekunden 
beträgt,  so  wird  für  den  Weg  in  den  großen  und  mittleren  Gefäßen 
nur  etwa  der  zehnte  Teil  der  gesamten  Umlaufsdauer  für  einen  Bluts¬ 
tropfen  verstreichen.  Ein  Blutstropfen,  der  vom  Herzen  nur  den  ganz 
kurzen  Weg  durch  den  Pectoralis  zu  nehmen  hat,  braucht  also  kaum 
viel  weniger  Zeit,  als  einer,  der  die  Kapillaren  einer  Zehe  zu  pas¬ 
sieren  hat. 

Was  die  Herzarbeit  anlangt,  so  hat  das  Herz  dabei  folgende  Arbeit 
zu  leisten:  1.  das  Einpressen  des  Blutes  in  die  Aorta  unter  Über¬ 
windung  der  in  dieser  herrschenden  Spannung,  die  Hubarbeit  ;  2.  muß 
das  Herz  dem  Blute  die  Geschwindigkeit  erteilen,  mit  der  es  dann  in 
der  Aorta  weiterströmt,  die  sogenannte  Strömungsarbeit.  Die  Strömungs¬ 
arbeit  macht  kaum  2 — 3°/0  der  Hubarbeit  aus.  Die  Hubarbeit  hängt 
von  dem  Minutenvolumen  und  von  dem  Blutdrucke  ab.  Diese  zwei 
Faktoren  bestimmen  ihre  Größe.  Die  Hubarbeit  des  ganzen  Herzens 
beträgt  in  Buhe  und  in  der  Minute  12  mkg,  sie  kann  bei  größter  Arbeit 
bis  auf  das  Zehnfache  anwachsen.  Man  weiß,  daß  für  1  mkg  Arbeit 
ein  Muskel  1,3  ccm  Sauerstoff  nötig  ist,  dementsprechend  wird  das  Herz 


722 


S.  Leo, 


für  sich  in  der  Ruhe  14,  bei  maximalster  Arbeit  bis  106  ccm  Sauerstoff 
brauchen,  das  macht  etwa  6°/0  des  Gesamtsauerstoffbedarfs  aus.  Aus 
diesen  Daten  berechnete  der  Vortragende  die  Blut  Versorgung  des  Herzens 
durch  die  Koronararterien.  Es  passiert  durch  den  Herzmuskel  in  einer 
Minute  180  ccm  Blut,  danach  ist  die  Durchblutung  des  Herzens  eine 
achtmal  bessere  als  die  des  gesamten  Körpers.  Nur  auf  diese  Weise 
wird  es  verständlich,  daß  die  bei  der  Arbeit  auftretenden  Ermüdungs¬ 
produkte  so  schnell  aus  dem  Herzmuskel  geschafft  werden  können. 

Auch  die  Atmungsarbeit  wurde  berechnet.  Sie  ist  um  1/4  größer 
als  die  Herzarbeit, 

Bei  einer  Erhöhung  des  Minuten  Volumens,  wie  sie  z.  B.  bei  der 
Anämie  vorhanden  ist,  wird  dementsprechend  auch  die  Herzarbeit  eine 
größere  sein.  Kraus  hat  zuerst  auf  einen  erhöhten  Sauerstoffbedarf 
der  Anämiker  hingewiesen.  Die  vermehrte  Herz-  und  Atmungsarbeit 
der  Anämiker,  die  eine  direkte  Folge  der  Anämie  ist,  genügt  rechne¬ 
risch,  um  die  Erhöhung  des  Gesamtsauerstoffbedarfs  beim  Anämiker 
zu  erklären.  (Fortsetzung  folgt). 


Wiener  Brief. 

Ein  Sammelbericht.  —  Von  Dr.  S.  Leo. 

(Schluß.) 

Julius  Boese  lieferte  einen  Beitrag  zur  Ätiologie  der  akuten 
Ajjpendizitis :  Bei  einem  Falle  lag  eine  Möglichkeit  eines  kausalen 
Zusammenhanges  zwischen  Hautaffektion  (Impetigo  contagiosa  cruci- 
nata)  und  der  akuten  Appendizitis  vor.  Es  wurde  daher  der  Absze߬ 
eiter,  der  Inhalt  eines  unverletzten  Impetigobläschens,  der  Stuhl  und 
das  Blut  des  Mädchens  bakteriologisch  untersucht.  Die  Untersuchung 
ergab  sowohl  in  den  Impetigobläschen,  also  auch  im  Eiter  der  Ap¬ 
pendizitis  und  im  Stuhle  der  Kranken  einen  nach  morphologischen 
und  biologischen  Eigenschaften  anscheinend  identischen  Staphyloc.  pyog. 
aureus.  Bei  der  Lokalisation  der  Hautaffektion  an  den  Fingern  kön¬ 
nen  wohl  besonders  bei  einem  Kinde  —  sei  es  durch  direkte  Berüh¬ 
rung,  sei  es  mit  den  Nahrungsmitteln  —  'Bakterien  in  den  Mund  und 
weiterhin  in  den  Verdauungskanal  gelangen.  Die  Schleimhaut,  anfangs 
resistent,  wurde  durch  die  stetige  neue  Zufuhr  von  infektiösem  Material 
schließlich  in  einen  Zustand  der  Entzündung  vörsetzt,  was  klinisch 
seinen  Ausdruck  in  kolikartigen  Bauchschmerzen  und  Diarrhoen  fand. 
Daß  diese  Schmerzen  hauptsächlich  am  Ileocöcum  lokalisiert  waren, 
spricht  für  eine  intensivere  Beteiligung  gerade  dieses  Darmabschnittes. 
Die  Bakterien  gelangten  dann  in  die  Appendix  und  führten  dort  eine 
gangränöse  Entzündung  herbei  mit  Perforation  der  Appendix  und  Ab¬ 
szeßbildung.  Die  Pat.  erlag  trotz  operativem  Eingriff  einer  Kompli¬ 
kation  durch  einen  subphrenischen  Abszeß,  der  in  die  rechte  Pleura¬ 
höhle  durchbrach. 

Robert  Barany  stellte  eine  30jährige  Erau  vor,  die  er  wegen 
rezidivierenden  Cholesteratoms  und  Polypen  operiert  hatte.  Das 
weit  ins  Antrum  reichende  Cholesteatom  wurde  ausgeräumt.  Dann 
entfernte  B.  unter  sorgfältiger  Schonung  des  Epidermis  Überzuges  der 
Trommelhöhle  den  Hammerrest.  Dura  und  Sinus  wurden  nicht  frei¬ 
gelegt.  Bogengang  intakt.  Im  Verlaufe  der  Nachbehandlung  trat 
reichliche  Granulationsbildung  auf,  insbesonders  zeigte  sich  ein  über¬ 
hängendes  Granulom  in  der  Steigbügelgegend,  das  entfernt  wurde.  Da- 


Wiener  Brief. 


723 


bei  batte  die  Pat.  ein  wenig  Schwindel,  B.  dachte  sofort  an  einen 
Einriß  im  Befestigungsbande  des  Steigbügels.  Er  stellte  nun  eine  Probe 
an,  die  darin  besteht,  daß  die  Olive  eines  Otoskops  luftdicht  in  den 
Gehörgang  des  zu  untersuchenden  Ohres  eingesetzt  wird  und  nun 
mittels  eines  Gummischlauchs  abwechselnd  Luftverdichtung  und  Luft¬ 
verdünnung  im  Gehörgange  vorgenommen  wird.  Besteht  eine  Laby¬ 
rinthfistel,  so  tritt  ein  rotatorischer  Nystagmus  beider  Augen  auf. 
Dieser  trat  auch  hier  auf.  Die  weitere  Behandlung  bestand  lediglich 
in  täglich  ausgeführtem  Verbandswechsel  mit  lockerer  Tamponade  der 
Wundhöhle  und  öfterem  Einblasen  von  Borpulver.  Dabei  verschwand 
das  Fistelsymptom.  Der  Steigbügel  ist  nicht  sichtbar ;  er  ist  durch 
einen  Vorsprung  des  Fazialissporns  gedeckt.  Die  kalorische  Reaktion 
durch  Einblasen  kühler  Luft  ist  prompt  auslösbar.  Das  Gehör  hat 
sich  seither  wesentlich  gebessert  und  beträgt  5 — 6  m  für  Flüstersprache. 
Der  Fall  ist  bemerkenswert,  weil  trotz  der  nachgewiesenen  Stapes- 
verletzung  ein  ausgezeichnetes  Hörvermögen  erzielt  wurde.  Die  Radikal¬ 
operation  bringt  zumeist  eine  Verschlechterung  des  Gehörs  dort  mit 
sich,  wo  vor  der  Operation  ein  gutes  Gehör  bestanden  hatte.  Immer¬ 
hin  wurden  auf  der  Klinik  Politzer  und  Urbanitschitsch  schon 
wiederholt  Fälle  beobachtet,  wo  nach  der  Radikaloperation  mit  Ent¬ 
fernung  der  Gehörknöchelchen  ein  ausgezeichnetes  Hörvermögen  bis 
zu  10  m  Flüstersprache  konstatiert  werden  konnte. 

Rudolf  Bergmeister  demonstrierte  ein  Lymphangiom  der 
Orbita.  Bei  einem  21/2 jährigen  Knaben  besteht  folgender  Befund: 
Die  Verdickung  des  linken  Oberlids  rührt  von  einer  weichen,  schlecht 
abgegrenzten  Geschwulst  her,  die  ziemlich  kompressibel  ist  und  sich 
allmählich  in  der  Haut  der  Schläfe  verliert.  Bei  Blutdruckhemmung 
tritt  kein  An-  oder  Abschwellen  der  Geschwulst  ein.  Der  Bulbus 
selbst  ist  nicht  protrudiert,  aber  etwas  nach  innen  unten  verschoben. 
Fundus  beiderseits  normal.  Von  besonderem  Interesse'  sind  zahlreiche, 
über  Brust  und  Rücken  verbreitete  Pigment  flecken  von  Linsen-  bis 
Kinderhandgröße.  Diese  sind  im  Sinne  von  Recklinghausen  als  be¬ 
ginnende  Neurofibromatose  der  Hautnerven  aufzufassen.  Das  Neuro¬ 
fibrom  oder  Rankenneurom  der  Lider  ist  klinisch  oft  nicht  vom  Lymph¬ 
angiom  auseinanderzuhalten,  beide  sind  auch  anatomisch  verwandte 
Prozesse.  Hervorzuheben  ist  das  Fehlen  der  Protrusion  des  Bulbus,, 
wie  dies  bei  Lymphangiomen,  die  von  der  Optikusscheide  abgehen, 
die  Regel  ist.  Therapeutisch  wird  wegen  der  schlechten  Abgrenzbar- 
keit  der  Geschwulst,  die  eine  reine  Ausschälung  für  unmöglich  erscheinen, 
läßt,  das  elektrische  Verfahren  eingeleitet  werden. 

In  der  „Gesellsichaft  für  innere  Medizin“  sprach  Erich  Stoerk 
über  verschiedene  Formen  einer  Bindegewebserkrankung  (Skleroder¬ 
mie).  Bei  ihr  handelt  es  sich  um  verschiedene  Prozesse,  die  mit  einem 
Namen  zusammen  gef  aßt  werden.  Zugrunde  liegt  ihr  eine  Erkrankung 
des  Bindegewebes  an  seinen  verschiedenen  Fundorten,  wie  in  der  Haut, 
im  subkutanen  Zellgewebe,  in  der  Muskulatur  und  sogar  im  Knochen¬ 
system.  Je  nach  der  Lokalisation  der  Erkrankung  ergeben  sich  ver¬ 
schiedene  Krankheitsbilder.  Bei  der  isolierten  Erkrankung  der  Haut 
ist  diese  glatt,  glänzend,  ohne  Papillen,  hart  anzufühlen.  Bei  Er-> 
krankung  des  Unterhautzellgewebes  finden  sich  daselbst  derbe  Platten, 
bei  Ergriffensein  des  Muskelgewebes  sind  die  Muskeln  hart,  und  bei 
elektrischer  Reizung  eines  Muskels  kontrahieren  sich  auch  die  Nachbar¬ 
muskeln,  als  ob  sie  mit  den  gereizten  Muskeln  fest  verbunden  wären. 

46* 


724 


S.  Leo, 


Wenn  das  Bindegewebe  des  Skeletts  ergriffen  ist,  kommt  es  zu  mannig¬ 
fachen  Deformitäten  desselben,  z.  B.  zn  hochgradiger  Kyphose.  Als 
Ursache  des  Leidens  werden  lokale  Erkrankungen  des  Bindegewebes, 
neurogene  Momente  oder  eine  Angiotrophoneurose  angenommen ;  die 
letzte  Annahme  ist  die  (Wahrscheinlichste.  In  einem  Teil  der  Fälle 
könnten  auch  Funktionsstörungen  von  Blutdrüsen  die  Ursache  des 
Leidens  abgeben. 

Karl  Wirth  berichtet  über  die  Serumanwendung  bei  Blu¬ 
tungen.  Der  Erfolg,  den  W.  durch  Seruminjektionen  bei  einer  Haemo¬ 
philen  mit  unstillbarer  Blutung  erzielte,  veranlaßte  ihn,  diese  Methode 
auch  bei  schweren  Blutungen  anderer  Art  zu  verwenden.  Zu  den 
Injektionen  wurde  Pferdeserum  verwendet,  die  Dosis  betrug  gewöhn¬ 
lich  20  ccm.  Die  Injektion  erfolgte  unter  die  Haut  des  Oberschenkels 
oder  des  Bauches,  üble  Zufälle  wurden  dabei  nicht  beobachtet.  W. 
hat  auf  diese  Weise  acht  Fälle  behandelt,  in  allen  ergab  sich  ein  guter 
Erfolg,  in  einigen  waren  früher  alle  möglichen  Methoden  der  Blut¬ 
stillung  vergebens  angewendet  worden.  Die  einzelnen  Fälle  waren  fol¬ 
gende:  Nachblutung  nach  Tonsillotomie,  Nasenbluten  bei  Arterio¬ 
sklerose,  Hämoptoe  bei  Phthise,  Darmblutung.  Gewöhnlich  genügte 
eine  einzige  Injektion  zur  Blutstillung,  und  die  Wirkung  setzte  sehr 
rasch  ein.  Wo  es  anging,  wurde  auch  das  Serum  lokal  angewendet, 
z.  B.  beim  Nasenbluten  wurde  ein  mit  Serum  getränkter  Wattebausch 
in  die  Nase  eingelegt;  bei  Darmblutung  wurde  das  Serum  im  Klysma 
mit  gutem  Erfolg  angewendet.  Bei  Hämoptoe  wurde  die  Serum¬ 
injektion  in  neun  Fällen  ausgeführt,  sie  wirkte  sehr  prompt. 

Die  österreichische  Gesellschaft  für  Kinderforschulng 
besprach  auf  ihrer  letzten  Versammlung  das  Thema  der  Schulärzte. 
Prof.  v.  Es  eher  ich  wies  in  der  Eröffnungsansprache  auf  die  schul¬ 
ärztlichen  Einrichtungen  im  Deutschen  Beiche  hin,  das  auf  diesem 
Gebiete  Österreich  weit  voran  ist.  Bei  uns  weist  von  größeren  Städten 
nur  Brünn  einen  organisierten  Schulärztedienst  auf.  Das  Verständnis 
der  Bevölkerung  für  diese  Frage  müsse  erst  geweckt  werden.  Das  Be- 
ferat  erstattete  Dr.  Dehne,  der  auf  Initiativen  des  Herrenhausmit- 
glieds  Krupp  in  der  Fabriksschule  in  Berndorf  mehrere  Jahre  Unter¬ 
suchungen  angestellt  hatte.  Es  habe  die  Untersuchung  der  Schul¬ 
rekruten  im  Herbst  möglichst  bald  nach  Schulbeginn  zu  geschehen, 
vorher  jedoch  mögen  Fragebogen  an  die  Eltern  abgeschickt  werden. 
Von  jedem  Kinde  ist  ein  Gesundheitsschein  anzulegen.  Die  Untersuchung 
der  Kinder  muß  dann  mindestens  zweimal  monatlich  vorgenommen 
werden.  Einmal  monatlich  hält  der  Arzt  eine  ärztliche  Besuchsstunde 
im  Schulhause  ab.  Von  allen  Krankheitsanlagen,  Krankheiten  oder 
Gebrechen  sind  die  Eltern  zu  benachrichtigen.  Zur  Abwehr  der  Tuber¬ 
kulose  müßten  die  Kinder  bei  jeder  Gelegenheit  zur  Beinlichkeit  und 
Befolgung  von  Gesundheitsregeln  ermahnt  werden.  Überhaupt'  soll 
auf  Kräftigung  und  Abhärtung  der  Kinder  Wert  gelegt  werden.  Neben 
dem  Turnunterricht  sollen  die  Lauf-  und  Bewegungsspiele  im  Freien 
eifrig  gepflegt  werden.  Die  Schaffung  von  Schulspielplätzen,  von 
Schulbrausebädern  und  die  Förderung  von  Schwimmbädern  ist  wichtig. 
Für  Augen-  und  Ohrenuntersuchungen  sind  Spezialisten  heranzuziehen, 
ebenso  für  die  Zahnpflege.  Von  größtem  Werte  für  die  Erhaltung 
der  Zähne  künftiger  Generationen  wird  eine  energische  Bekämpfung 
der  Bachitis  durch  eine  umfassende  Stillpropaganda  sein.  Der  Schul¬ 
arzt  soll  auch  den  Konferenzen  der  Lehrerschaft  und  den  Sitzungen 

Ö 


Wiener  Brief. 


725 


des  Ortsschulrates  mit  beratender  Stimme  beiwohnen.  Hierauf  besprach 
Es  che  rieh  die  Bedeutung  der  Infektionskrankheiten  in  der 
Schule.  Von  akuten  Infektionskrankheiten  kommen  hier  eigentlich 
bloß  Masern  in  Betracht;  Diphtheritis,  Keuchhusten  und  Scharlach 
spielen  da  keine  wesentliche  Bolle ;  die  direkte  Infektion  ist  in  der 
Schule  die  weitaus  häufigere.  Im  allgemeinen  kann  der  Schularzt 
zur  Verhütung  dieser  Infektion  sehr  wenig  leisten ;  es  sei  denn  bei 
täglicher  Untersuchung,  die  sich  jedoch  als  eine  unmögliche  Anfor¬ 
derung  darstellt.  Die  Hauptaufgabe  fällt  hier  den  Lehreren  zu,  die 
über  äußere  Erscheinungen  der  Infektionskrankheiten  einigermaßen 
aufgeklärt  werden  und  ein  infektionsverdächtiges  Kind  sofort  dem 
Schularzt  überweisen  sollen.  Eine  wichtige  Aufgabe  fällt  dagegen 
dem  Schulärzte  bei  chronischen  Infektionskrankheiten  zu,  vor  allem 
bei  der  Tuberkulose. 

Nach  längeren  Verhandlungen  ist  die  Errichtung  eines  ständigen 
Museums  für  Technik  und  Industrie  in  Wien  gesichert.  Das 
Museum  soll  nach  Art  des  Deutschen  Museums  in  München  die  Ge¬ 
schichte  und  die  Entwicklung  der  Industrie  und  Technik  an  historischen 
Maschinen,  Apparaten  und  Modellen  veranschaulichen.  Für  uns  hat 
dieser  Plan  noch  das  besondere  Interesse,  daß  er  auch  dem  Gewerbe- 
hygienische^  Museum  endlich  eine  würdige  Stätte  bereiten  soll. 
Das  Museum  soll  auf  den  sogenannten  ,, Spitzackergründen“  gegenüber 
dem  kaiserlichen  Lustschloß  Schönbrunn  erbaut  werden.  Für  diesen 
Monumentalbau  sind  sechs  Millionen  Kronen  als  notwendig  angenommen 
worden,  die  Gemeinde  Wien  spendet  den  Bauplatz,  die  Begierung 
anderthalb  Millionen  Kronen.  Der  fehlende  Betrag  soll  durch  Bei¬ 
träge  der  Industriellen,  freiwillige  Spenden  und  durch  Beihilfe  des 
Landes  Niederösterreich  aufgebracht  werden. 

Der  Minister  für  öffentliche  Arbeiten,  der  Dr.  rerum  technic.  Bitt 
(nebenbei  gesagt,  der  erste  Fall,  daß  ein  Techniker  in  Österreich 
Minister  wurde),  hat  folgenden  Erlaß  an  die  öffentlichen  Landesstellen 
gerichtet:  In  der  Absicht,  der  Wasserversorgung  der  Gemein¬ 
den  und  der  Ab  wäss  erbe  seit  igung  die  staatliche  Fürsorge  zu¬ 
zuwenden  und  das  Zustandekommen  von  technisch  einwandfreien 
Wasserversorgungs-,  Kanalisations-  und  Abwässerreinigungsanlagen  zu 
fördern,  habe  ich  das  Hydrographische  Zentralbureau  angewiesen,  der 
Behandlung  folgender  Agenden  besondere  Aufmerksamkeit  zuzuwenden : 

1.  Prüfung  von  Projekten  von  Wasserversorgungs-,  Kanalisations-  und 
Abwässer anlagen  von  Städten,  Ortschaften  und  solchen  industriellen 
Unternehmungen,  bei  denen  öffentliche  Interessen  berührt  werden,  auf 
die  Bichtigkeit  der  hydrologischenund  hydrotechnischen  Gesichtspunkte  ; 

2.  Durchführung  von  technischen  Voruntersuchungen  für  solche  Pro¬ 
jekte  an  Ort  und  Stelle;  3.  Erteilung  von  Batschlägen,  Intervention 
bei  Lokalverhandlungen  und  Erstattung  von  Gutachten  in  den  ein¬ 
schlägigen  Fragen ;  4.  Veröffentlichung  der  bezüglichen  wissenschaft¬ 
lichen  Forschungsergebnisse.  Die  Behandlung  dieser  Agenden  vom 
sanitären  Standpunkte  ist  ausgeschlossen.  In  etwaigen  Fällen  ist  die 
geologische  Beiehsanstalt  zu  Bäte  zu  ziehen,  die  Kosten  der  Inter¬ 
vention  sind  von  den  betreffenden  Bauherren  zu  tragen. 


726 


Vorläufige  Mitteilungen  und  Autoreferate. 


Vorläufige  Mitteilungen  u.  Äutoreferate. 


Indikationen  bei  Behandlung  der  Stirnhöhleneiterungen. 

Von  Prof.  Dr.  L.  Harm  er. 

(Vortrag  im  Verein  Deutscher  Ärzte  in  Prag  am  80.  April  1909.) 

Seit  dem  Bekanntwerden  der  Killian’schen  Radikaloperation  der 
chronischen  Stirnhöhleneiterung  hat  sich  in  den  Anschauungen  der 
Rhinologen  eine  Wandlung  vollzogen,  und  mit  der  Zunahme  der  An¬ 
hänger  des  Killian’schen  Verfahrens  wächst  auch  die  Zahl  derjenigen, 
welche  dieses  Verfahren  in  der  Mehrzahl  der  Fälle,  selbst  in  akuten, 
an  gewendet  wissen  wollen;  es  ist  daher  an  der  Zeit,  die  Frage  auf¬ 
zurollen,  ob  denn  durch  die  Killian’sche  Operation  die  anderen  Be¬ 
handlungsmethoden  in  den  Hintergrund  gedrängt  worden  seien. 

Zufolge  der  variablen  Verhältnisse  der  Stirnhöhle,  sowohl  was 
Größe  und  Form,  als  was  Beschaffenheit  der  Schleimhautauskleidung 
und  des  Ausführungsganges  betrifft,  ist  es  keineswegs  leicht,  in  jedem 
einzelnen  Falle  die  geeignetste  Behandlungsmethode  zu  finden,  doch 
ist  es  durchaus  nicht  zu  rechtfertigen,  wenn  man  ohne  zwingende 
Gründe  zu  einem  radikalen  Mittel  greift.  Tatsächlich  heilen  viele 
Erkrankungen  entweder  spontan,  oder  durch  eine  endonasale  Behand¬ 
lung,  endlich  auch  durch  einfache  Trepanation  aus.  Bei  akuten  Eite¬ 
rungen  genügt  eine  konservative  Behandlung  in  der  überwiegenden 
Mehrzahl  der  Fälle,  aber  selbst  bei  schweren  Komplikationen  soll  man 
höchstens  die  Trepanation,  jedoch  keine  Badikaloperation  ausführen. 
Auch  bei  chronischen  Eiterungen  muß  im  Prinzip  der  konservative 
Standpunkt  so  viel  wie  möglich  gewahrt  bleiben.  Nur  solche  Fälle 
erfordern  unbedingt  eine  radikale  Behandlung,  welche  mit  konserva¬ 
tiven  Methoden  nicht  zur  Heilung  kommen  oder  infolge  schwerer  Kom¬ 
plikationen,  Fistelbildung,  abnormer  Größe  der  Höhle,  hochgradiger 
Veränderungen  der  Schleimhaut  usw.  keinen  anderen  Ausweg  lassen. 

Die  Killian’sche  Operation  bedeutet  einen  großen  Fortschritt, 
und  speziell  unter  den  Radikaloperationen  gebührt  ihr  unstreitig  der 
erste  Rang;  doch  kann  eine  plan-  und  kritiklose  Anwendung  derselben 
nur  Schaden  stiften.  Wenn  man  schon  von  der  Schwere  des  Eingriffes, 
dem  man  die  Kranken  doch  nicht  unnötigerweise  aussetzen  soll,  oder 
von  der  Dauer  der  Nachbehandlung  absieht,  so  darf  man  doch  nicht 
übersehen,  daß  durch  die  fast  unausbleibliche  und  zuweilen  sehr  be¬ 
trächtliche  Entstellung  dem  Kranken  ein  schwerer  Schaden  erwächst. 
Kann  und  darf  man  ohne  zwingende  Gründe  diese  Verantwortung  über¬ 
nehmen  ? 

Gewiß  ist  der  Weg  der  konservativen  Behandlung  der  lang¬ 
wierigere  und  mühevollere,  auch  führt  er  nicht  immer  und  überall 
zum  gewünschten  Ziel,  aber  dessenungeachtet  ist  er  der  einzig  rich¬ 
tige  ;  wer  daran  festhält,  wird  die  Zahl  der  Radikaloperationen  wesent¬ 
lich  einschränken  können  und  darin  größere  Befriedigung  finden,  als 
in  einer  stattlichen  Anzahl  von  Heilungen,  die  ausschließlich  durch 
radikale  Operationen  erzielt  wurden.  Autoreferat. 


Referate  und  Besprechungen. 


727 


Ueber  Röntgen-,  Schnell-  und  Momentaufnahmen. 

Von  Dr.  F.  Bardachzi. 

(Nach  einem  Vortrag  im  Verein  Deutscher  Ärzte  in  Prag.) 

Die  Möglichkeit,  kurzzeitige  Aufnahmen  zu  erzielen,  stellt  be¬ 
sonders  für  die  innere  Medizin  einen  großen  Fortschritt  dar.  An  der 
Hand  zahlreicher  Bilder  bespricht  Vortr.  die  Wichtigkeit  der  Atem¬ 
stillstandsaufnahmen  besonders  für  die  Diagnose  der  Tuberkulose,  so¬ 
wie  den  Wert  der  Teleaufnahmen  als  Ersatz  der  orthodiagraphischen 
Methoden.  Die  Technik  ist  infolge  der  schon  von  Gilmer  gemachten 
Erfahrung,  daß  man  mit  Röhren  von  ca.  10  Wehmelteinheiten  durch¬ 
weg  die  besten  Strukturaufnahmen  erhält,  eine  wesentlich  einfachere. 

Autoreferat. 


Walter  Beyer  hat  die  Angaben  Calmette’s  über  die  Eigenschaft 
des  auf  58°  erhitzten  Blutserums  Tuberkulöser  mit  Cobragift  zusammen 
rote  Blutkörperchen  zu  lösen,  während  dies  im  allgemeinen  Blutseren 
Nichttuberkulöser  nicht  tun  sollen,  an  einem  Material  von  insgesamt 
über  300  Fällen  der  Krankenanstalt  Altstadt  in  Magdeburg  nachge¬ 
prüft.  Es  stellte  sich  heraus,  daß  die  Reaktion  zwar  ungefähr  in 
dem  von  Calmette  beobachteten  Prozentsatz  bei  Tuberkulösen  auf¬ 
trat,  daß  sie  jedoch  auch  sehr  häufig  bei  der  Syphilis  und  noch  häufiger 
bei  den  verschiedensten  akuten  Infektionskrankheiten  zu  finden  war. 
B.  hält  daher  die  Reaktion  zur  Diagnosenstellung  der  Tuberkulose 
für  ungeeignet  und  sieht  vielmehr  in  ihr  ein  ganz  allgemein  bei  Infek¬ 
tionen  auf  tretendes  Phänomen,  dem  höchstwahrscheinlich  eine  durch 
die  Infektionserreger  verursachte  Vermehrung  des  im  Blute  vorhandenen 
Lecithins  zugrunde  liegen  dürfte.  Vortr.  hat  eine  Lecithin ophilie  der 
verschiedensten  Infektionsträger  im  Reagenzglas  nachweisen  können. 

Autoreferat. 


Referate  und  Besprechungen. 

Gynäkologie  und  Geburtshilfe. 

Aus  der  städtischen  Dudenstift-Frauenklinik  zu  Dortmund. 

Ueber  Abortbehandlung. 

(Fritz  Engelmann.  Med.  Klinik,  Nr.  45,  1908.) 

E.  verbreitet  sich  ziemlich  eingehend  über  die  Symptomatologie  und 
Diagnose  des  Abortes.  Bez.  der  Behandlung  empfiehlt  er  auf  Grund  einer 
Umfrage  bei  in  der  Praxis  stehenden  Kollegen  sowie  auf  Grund  eigener 
günstiger  Erfahrungen  für  den  unvollständigen  Abort,  anstatt  der  viel¬ 
fach  geübten  Scheiden-Uterustamponade,  die  digitale  bez.  in  der  Regel  die 
Ausräumung  mittels  der  breiten  Kürette.  Dieser  hat  eine  mäßige  Dilatation 
vorauszugehen.  R.  Klien  (Leipzig). 


Zuckerkrankheit  und  Schwangerschaft  in  ihren  Wechselbeziehungen. 

(Dr.  Heinrich  Offergeld.  Archiv  für  Gyn.,  Bd.  86,  H.  1,  1908.) 

Im  allgemeinen  bildet  bekanntlich  der  Diabetes  mellitus  eine  zwar  seltene, 
aber  sehr  ernste  Komplikation  der  Schwangerschaft.  Es  ist  daher  sehr 
dankenswert,  daß  O.  61  Fälle  aus  der  Literatur  gesammelt  hat,  denen  er 
zwei  eigene  Beobachtungen  anreiht.  —  Von  57  Kreißenden  starben  direkt 
im  Koma  17  =  30°/0.  Von  den  Testierenden  43  Fällen  müssen  mangels 


728 


Referate  und  Besprechungen. 


langer  Beobachtung  29  ausscheiden ;  die  letzten  14  sind  in  den  nächsten 
30  Monaten  nach  der  Entbindung  gestorben,  und  zwar  am  Diabetes  an  sich 
oder  seiner  Komplikation  mit  Lungentuberkulose;  diese  letztere  beginnt  im 
Wochenbett  sehr  oft  unter  dem.  Bilde  einer  Bronchitis.  Es  beträgt  also 
die  Gesamtmortalität  nach  2V2  Jahren  mindestens  50%.  Was  die  Kinder 
anlangt,  so  starben  von  den  57  bereits  intrauterin  29  =  51%,  6  weitere 
(10,6%)  in  den  ersten  Lebenstagen  infolge  schlechter  körperlicher  Entwicklung, 
weitere  7  (starben  in  den  ersten  Lebensjahren  an  Hydrozephalus,  Diabetes  und 
Polyurie.  Das  Schicksal  der  übrigen  ist  unbekannt.  Mindestens  2/ä  der  Kinder 
blieben  also  nicht  am  Leben.  Dabei  verschlechterte  sich  die  Prognose  für  die 
Mütter  noch  bei  abgestorbenem  Kinde,  da  unter  25  solchen  Fällen  17mal  = 
70%  der  Tod  der  Kreißenden  erfolgte. 

Liegt  somit  die  prinzipielle  Empfehlung  der  künstlichen  Unterbrechung 
der  Schwangerschaft  nahe,  so  rät  O.  doch  dazu,  zu  individualisieren.  Bei 
den  leichten  Fällen,  welche  während  der  Schwangerschaft  ihren  milden 
Charakter  bewahren,  in  welchem  sich  weder  diabetische  Azidose  noch  Nephrose 
entwickelt,  beschränkte  man  sich  auf  das  bekannte  interne  Regime  und 
auf  die  Herbeiführung  seelischer  Ruhe. 

Bei  den  schweren  Fällen  dagegen,  wenn  sie  sich  frühzeitig  als  solche 
zu  erkennen  geben,  soll  der  künstliche  Abort  bezw.  die  künstliche  Früh¬ 
geburt  eingeleitet  werden.  Zu  diesen  schweren  Fällen  sind  solche  zu  rechnen, 
bei  denen  in  der  vorhergegangenen  Gravidität  bereits  Intoxikationserschei¬ 
nungen  bestanden,  diabetische  Azidose,  eventuell  vergesellschaftet  mit  Albu¬ 
minurie  und  Zylindrurie  (toxische  Nephrose),  Erscheinungen,  welche  nach 
der  Entbindung  wieder  schwanden ;  bei  denen  ferner  Puerperium  und  Rekon¬ 
valeszenz  lange  dauerten  und  Bronchitis  oder  gar  Tuberkulose  der  Lungen 
auftrat.  Die  künstliche  Frühgeburt  darf  natürlich  beim  Diabetes  nie 
im  Interesse  des  Kindes,  sondern  (lediglich  in  dem  der  Mutter  ausgeführt 
werden,  so  z.  B.  bei  Hydramnios.  Sie  bezweckt  durch  Ausschaltung  der  einen 
Ausgabestelle,  des  Fötus,  die  Verarmung  des  mütterlichen  Organismus  an 
Eiweißstoffen  zu  vermindern.  —  Bei  schon  bestehendem  Koma  ist  es  fraglich, 
ob  man  den  Uterus  noch  schnell  entleeren  soll  oder  nicht.  — 

Das  Stillen  ist  einer  diabetischen  Puerpera  zu  verbieten,  ebenso  erneute 
Schwängerung.  R.  Klien  (Leipzig). 


lieber  die  Tätigkeit  des  Ovariums  in  der  Schwangerschaft. 

(Dr.  Otfried  0.  Fellner.  Archiv  für  Gyn.,  Bd.  87,  H.  2,  1909.) 

Man  nahm  bisher  ziemlich  allgemein  an,  daß  die  Tätigkeit  des  Ovariums 
während  der  Schwangerschaft  still  stehe.  Das  ist  nicht  der  Fall.  Die 
Eireifung  kann  ganz  sicher  weiter  gehen.  F.  belegt  dies  mit  einer  Anzahl 
sicherer  Fälle  von  Superfötation.  F.  sucht  aber  ferner  an  der  Hand  der  be¬ 
kannten  Schatz’schen  und  eigener  Schwangerschafts  -  Blutdruckkurven  den 
Nachweis  zu  führen,  daß  auch  die  sekretorische  Funktion  des  Ovariums 
in  der  Schwangerschaft  weiter  bestehen  bleibt.  In  Anlehnung  an  Schatz 
will  F.  eine  Mens truations-  und  eine  Konzeptionskurve  bezw.  -welle 
unterscheiden,  oder  anders  ausgedrückt,  eine  ovarielle  bezw.  uterine  und  eine 
fötale  resp.  plazentare  Welle.  Letztere  tritt  in  der  Schwangerschaft  als 
Novum  auf,  erstere  bleibt  dagegen  aus  der  Zeit  vor  der  Schwangerschaft 
einfach  weiter  bestehen.  Aus  der  von  F.  nachgewiesenen  Bildung  von  Follikel- 
luteinzellen  in  der  Schwangerschaft  schließt  F.  sogar  auf  eine  gesteigerte 
sekretorische,  entgiftende  Tätigkeit  des  Ovariums  während  der  Schwanger¬ 
schaft.  F.  stellt  sich  vor,  daß  das  Sekretionsprodukt  dieser  Zellen  ebenso 
entgiftend  auf  die  eventl.  Sekretionsprodukte  des  Uterus  und  der  Plazenta 
einwirken,  wie  außerhalb  der  Schwangerschaft  die  Luteinzellen  und  viel¬ 
leicht  die  interstitiellen  Zellen  auf  das  supponierte  Sekretionsprodukt  des 
Uterus.  Da  sich  aber  diese  Zellen  zu  einer  Zeit  bilden  müssen,  wo  der  Follikel 
noch  nicht  reif  ist,  wird  die  Reifung  der  Follikel  zum  größten  Teil  be¬ 
hindert.  —  F.  beobachtete  übrigens  auch  bei  Myom  eine  ganz  bedeutende 


Referate  und  Besprechungen. 


729 


Entwicklung  von  Follikelluteinzellen,  sie  sind  also  möglicherweise  nur  die 
Reaktion  des  Ovariums  auf  die  gesteigerte  Sekretion  des  Uterus.  —  F.  erklärt 
zum  Schluß  die  normale  Schwangerschaftsdauer  von  272 1/2  Tagen  aus 
der  21  tägigen  „Schwangerschaftsperiode“,  21  X  13.  Beträgt  die  ovarielle 
Periode  mehr  als  28  Tage,  dann  beträgt  auch  die  Schwangerschaftsperiode 
mehr  als  21  Tage  und  es  nimmt  mit  zunehmender  Länge  des  Periodenintervalls 
die  Anzahl  der  Schwangerschaftsmonate  ab.  R.  Klien  (Leipzig). 


Aus  der  königl.  Universitäts-Frauenklinik  zu  Marburg. 

Ein  Beitrag  zur  Tuberkulose  in  der  Schwangerschaft. 

(Priv.-Doz.  Dr.  A.  Rieländer  u.  Dr.  K.  Meyer.  Archiv  für  Gyn.,  Bd.  87,  H.  1,  1909.) 

Wegen  progredienter  Phthise  wurde  bei  einer  V-gr.  im  3.  Schwanger¬ 
schaftsmonat  der  schwangere  Uterus  samt  Adnexen  per  vaginam  entfernt.  Die 
Frau  erholte  sich  in  den  nächsten  Monaten  sowohl  sub-  wie  objektiv.  Bei 
der  mikroskopischen  Untersuchung  fanden  sich  in,  der  Dezidua  basalis  an 
verschiedenen  Stellen  nekrotische  Herde,  höchstwahrscheinlich  tuberkulöser 
Natur,  wenn  auch  Bazillen  sowie  Riesenzellen  fehlten.  Diese  Herde  sind 
höchstwahrscheinlich  auf  dem  Wege  der  Blutbahn  infiziert  worden.  Verff. 
nehmen  an,  daß  bei  einem  Fortschreiten  des  Prozesses  zunächst  die  in  die 
Dezidua  eingepflanzten  Haftzotten,  sodann  die  intervillösen  Räume  und  das 
Zottengewebe  selbst  befallen  worden  sein  würden;  damit  wäre  die  Infektion 
des  Fötus  selbst  ermöglicht.  —  Sollte  sich  in  Zukunft  heraussteilen,  daß  bei 
progredienter  Tuberkulose  der  Mutter  häufig  eine  Infektion  der  Plazenta 
erfolgt-,  dann  würde  die  Indikation  zur  Unterbrechung  der  Schwangerschaft, 
und  zwar  in  Form  der  Totalexstirpation  des  graviden  Uterus  samt  der  Adnexe 
wohl  begründet  sein.  R.  Klien  (Leipzig). 


Aus  der  königl.  Universitäts-Frauenklinik  in  München. 

Ueber  den  Einfluß  der  Schwerkraft  auf  die  Entstehung  der  Schädellagen. 

Mit  7  Textfiguren. 

(Priv.-Doz.  Dr.  Ludwig  Seitz.  Archiv  für  Gyn.,  Bd.  86,  H.  1,  1908.) 

Auf  Grund  selbst  angestellter  Schwimmversuche  zerstört  S.  hoffentlich 
definitiv  die  Legende,  daß  die  Schwerkraft  einen  Einfluß  auf  die  Entstehung 
der  Schädellagen  habe.  In  den  früheren  Schwangerschaftsmonaten,  wo  der 
Steiß  noch  das  Übergewicht  über  den  Kopf  hat,  vermag  sich  sogar  entgegen 
der  Schwere  die  Kopflage  herzustellen.  Die  Ursache  für  die  Häufigkeit  der 
letzteren  ist  vielmehr  in  der  Form  des  Uterus  und  der  Gestalt  des  Kindeä 
zu  suchen.  Der  Fötus  füllt  ganz  einfach  in  seiner  intrauterinen  Haltung  den 
vorhandenen  Raum  am  besten  dann  aus,  wenn  sich  im  breiten  Fundus  Steiß 
und  Beinehen,  im  engeren  unteren  Uterinsegment  der  Kopf  befindet. 

R.  Klien  (Leipzig). 


Aus  dem  Frauenspital  Basel. 

Der  Blasenriß  bei  der  künstlichen  Frühgeburt. 

(Otto  v.  Herff.  Münch,  med.  Wochenschr.,  Nr.  50,  1908.) 
v.  H.  hält  zunächst  auf  Grund  von  etwa  700  Fällen  aus  der  Literatur 
der  Hebosteotomie  ihr  Sündenregister  vor:  0,3°/0  der  Frauen  starben 
an  Verblutung,  15°/o  trugen  schwere  Risse  davon,  von  diesen  starben  12%,  in 
12%  wurde  die  Blase  verletzt,  4%  trugen  eine  dauernde  Incontinentia  urinae 
davon,  in  7V2%  blieben  Hernien  in  der  Knochenspalte  zurück;  im  Ganzen 
starben  5%  der  Mütter,  fast  10%  der  Kipder.  In  der  größten  und 
besten  einheitlichen  Statistik,  der  Bumm’schen  —  sie  erstreckt  sich  auf  53  Fälle 
—  beträgt  die  mütterliche  Sterblichkeit  1,9%,  die  kindliche  13%.  Was 
für  eine  ungefährliche  und  bez.  der  Kinder  auch  leistungsfähige  Operation 
sei  dagegen  die  in  neuerer  Zeit  so  viel  geschmähte  Frühgeburt,  besonders 


730 


Referate  und  Besprechungen. 


wenn  man  dieselbe  nach  den  mannigfach  erprobten  Vorschriften  v.  H.;s  aus¬ 
führe,  nämlich  mittels  des  Blasenrisses,  nicht  -stiches.  Derselbe  wird  im 
Spekulum  mittels  eines  zweckmäßig  konstruierten  Blasensprengers  ausge¬ 
führt,  das  einfachste,  ungefährlichste,  sauberste,  was  es  geben  kann.  Man 
braucht  dann  nur  auf  die  Wehen  zu  warten,  die  stets  nach  6 — 12  Stunden 
eintreten.  —  Die  Vorurteile  gegen  den  künstlichen  Blasensprung  an  sich  seien 
vollständig  unbegründet,  denn  v.  H.  beweist  an  der  Hand  von  etwa  700  Fällen 
aus  seiner  Anstalt,  daß  selbst  der  vorzeitige  spontane  Blasensprung  bei  ge¬ 
wöhnlichen  Geburten  ganz  ungefährlich  sei,  wobei  zu  beachten  ist,  daß  der¬ 
selbe  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  sich  bei  engen  Becken  ereignet.  Es  ergab  sich, 
daß  diese  Geburten  eher  rascher  verliefen,  es  war  weder  die  Mutter  durch 
Infektion,  noch  das  Kind  durch  Asphyxie  in  einem  höheren  Grade  geschädigt 
als  sonst.  —  v.  H.  bekennt  sich  freimütig  dazu,  daß  er  in  der  Indikations¬ 
stellung  zur  künstlichen  Frühgeburt  sehr  liberal  sei.  Sein  Bestreben  gehe  da¬ 
hin,  den  Kreißenden  die  sonst  sehr  erschwerte  Geburt  nach  Möglichkeit  zu  er¬ 
leichtern.  Es  sei  dies  nur  human,  humaner  als  wenn  man  die  Frauen  die 
Qual  einer  Geburt  bei  engem  Becken  so  lange  aushalten  läßt,  bis  sie  nur 
noch  mittels  gefährlicher,  großer  Eingriffe  in  einer  Anstalt  entbunden  werden 
können,  wenn  man  nicht  auf  das  Leben  des  Kindes  von  vornherein  verzichten 
will.  Der  Satz  ist  wohl  zu  beherzigen:  ,,Ivann  denn  eine  einzige  dauernde 
Blasenlähmung  mit  ihren  bekannten  schrecklichen  Folgen  ein  kleines  Mehr 
an  Kindern  überhaupt  aufwiegen  ?“  v.  H.  konnte  80%  frühgeborene  Kinder 
lebend  entlassen  und  sie  lebten  sogar  so  gut  weiter,  wie  rechtzeitig  geborene ! 

R.  Klien  (Leipzig). 


Ruptur  der  Symphyse  während  der  Geburt. 

(P.  Sch  eurer.  Korrespondenzbl.  für  Schweizer  Ärzte,  Nr.  4,  1909.) 

Mitteilung  des  seltenen  Falles  von  Ruptur  der  Symphyse  bei  der  Zangen¬ 
entbindung  einer  29  jährigen  Primipara,  bei  der  keine  starke  Gewalt  ange¬ 
wendet  wurde.  Die  durch  einen  um  das  Becken  gelegten  Ledergurt  fixierten 
Fragmente  heilten  bei  5  wöchiger  Bettruhe  zusammen.  Die  Beckenverengerung 
war  gering,  die  Mutter  sehr  klein  und  das  Kind  4000  g  schwer.  Die  Ileo- 
sakralfugen  waren  nicht  gesprengt  und  die  Weichteilverletzungen  nicht  schwer, 
woher  sich  der  glatte  Verlauf  erklärt.  F.  von  den  Velden. 


Aus  der  Universitäts-Frauenklinik  in  Tübingen. 

Der  Einfluß  der  Asepsis  und  Infektion  auf  die  Technik  der  Entbindung 

durch  Schnitt. 

(Hugo  Seilheim.  Deutsche  med.  Wochenschr.,  Nr.  40,  1908.) 

Auch  S.  ist  dazu  gelangt,  den  sog.  extraperitonealen  Kaiserschnitt  nur 
noch  bei  ,, reinen“  Fällen  zu  machen,  infizierte  Fälle  dagegen,  wenn  nötig, 
durch  die  „Uterusbauchdeckenfistel“  zu  entbinden,  falls  es  sich  um  Er¬ 
haltung  des  kindlichen  Lebens  handelt.!  Sehr  schwierig  gestalte  sich  die 
Frage  nach  unserem  Tun  bei  den  zweifelhaften  Fällen.  Für  den  „alles 
versprechenden“  extraperitonealen  Kaiserschnitt  ist  es  zu  spät,  um  sich  zur 
Behandlung  „nach  dem  rücksichtsloseren  Prinzip“  für  infizierte  Fälle  zu 
entschließen,  ist  es  noch  nicht  spät  genug.  Für  diese,  sowie  auch  für  die 
infizierten  Fälle  selbst  liege  die  Zukunft,  wie  S.  ausführt,  in  der  Prophy¬ 
laxe.  „Wer  als  verantwortlicher  Geburtsleiter  es  zur  Infektion  kommen 
läßt,  hat  es  sich  selbst  zuzuschreiben.  —  Die  Entscheidung  zur  Entbindung 
durch  Schnitt  gehört  spätestens  in  die  Geburtszeit  vor  dem  Bankerott  der 
natürlichen  Organisation.“  „In 'der  Antizipation  der  Indikationsstellung  liegt 
die  Wurzel  für  einen  gesunden  Konservativismus  der  Geburtshilfe,  während 
der  falsche  Konservativismus  so  lange  schont,  bis  durch  Warten  geschadet 
ist.“  S.  gibt  sich  selbst  nicht  der  Hoffnung  hin,  daß  sich  dieser  „weit¬ 
schauende  Geburtsbeistand“  je  wird  praktisch  durchführen  lassen.  Dazu 


Referate  und  Besprechungen. 


731 


müßten  entweder  alle  Entbindungen  in  Anstalten  abgemacht  werden  oder  es 
müßte  an  jedem  Kreißbett  ein  Spezialarzt  für  Geburtshilfe  sitzen.  —  Übrigens 
scheint  auch  S.  die  Perforation  des  lebenden  Kindes  für  gewisse  Fälle  zu 
akzeptieren.  R.  Klien  (Leipzig). 


Die  Gefahren  der  natürlichen  Geburtsbestrebungen  bei  Placenta  praevia 
und  ihre  Verminderung  durch  den  extraperitonealen  Uterusschnitt. 

(H.  Sellheim,  Tübingen.  Zentralbl.  für  Gyn.,  Kr.  40,  1908.) 

Zur  Behandlung  der  Placenta  praevia. 

(B.  Krönig,  Freiburg.  Zentralbl.  für  Gyn.,  Kr.  46,  1908.) 

Seilheim  hat  das  Prinzip  des  extraperitonealen  Uterusschnittes  auf 
die  Fälle  von  Placenta  praevia  übertragen.  Platz  zum  extraperitonealen 
Entbinden  ist  sowohl  in  der  Schwangerschaft,  wie  in  den  ersten  Stadien  der 
Geburt  genügend  vorhanden.  Das  Durchschneiden  des  Uterus  hat  keine 
Bedenken;  man  hat  vielmehr  den  Eindruck,  daß  die  dünne  Uteruswand 
nicht  so  stark  blutete,  wie  der  Uterusschnitt  beim  klassischen  Kaiserschnitt. 
Auch  der  weitere  Blutverlust  ist  nicht  zu  fürchten.  Außer  leichter  Tam¬ 
ponade  des  oberen  Uterusabschnittes  hat  sich  das  Auf  drücken  von  Kompressen, 
die  in  heißer  Kochsalzlösung  ausgerungen  sind,  gut  bewährt.  Die  direkte 
Freilegung  der  blutenden  Gefäße  gewährt  das  Gefühl  der  Sicherheit,  da  jeden 
Augenblick  die  zur  Blutstillung  erforderlichen  Maßnahmen  einsetzen  können. 

S.  berichtet  über  8  extraperitoneale  Uterusschnitte  bei  Plac.  jjraev. 
Resultat:  8  lebende  gesunde  Mütter,  8  lebende  gesunde  Kinder. 

Auf  Grund  dieser  Erfahrungen  hat  sich  in  der  Tübinger  Klinik  das 
Behandiungsprinzip  herausgebildet:  bei  sicherer  Diagnose  der  Plac.  praev. 
extraperitonealer  Uterusschnitt  mit  nachfolgender  Tamponade,  sobald  das  Kind 
lebt  und  die  Asepsis  der  Geburt  gewahrt  ist.  Der  vaginale  und  klassische 
Kaiserschnitt  kommen  als  Konkurrenzverfahren  kaum  in  Betracht.  Die  beim 
vaginalen  Kaiserschnitt  erforderliche  Zerrung  der  Plazentainsertion  muß 
ebenso  wie  die  Distraktion  beim  spontanen  Geburtsverlauf  vermieden  werden. 
Beim  klassischen  Kaiserschnitt  wird  das  Zentrum  des  Gebärapparats  statt 
folgerichtig  dessen  Ausgang  verletzt:  der  klassische  Kaiserschnitt  gibt 
eine  weniger  gute  Restitutio  ad  integrum  wie  der  extraperitoneale  Uterus¬ 
schnitt,  welcher  zudem  die  blutende  Fläche  direkt  freilegt.  So  scheint  der  extra¬ 
peritoneale  Kaiserschnitt,  wenn  man  ihn  auf  aseptische  Fälle  beschränkt, 
berufen,  Mutter  und  Kind  auf  die  natürlichste  und  schonendste  Weise  aus 
der  Lebensgefahr,  in  welcher  sie  schweben,  zu  retten.;  Er  bedeutet  aller¬ 
dings  einen  gewaltsamen  Eingriff  in  den  natürlichen  Geburtsverlauf.  Wenn 
aber  Mutter  und  Kind  durch  ein  eigentümliches  Spiel  der  Katur  in  Lebens¬ 
gefahr  geraten,  so  ist  es  eben  unsere  Aufgabe,  durch  unser  Behandlungsprin¬ 
zip  die  normale  Geburt  auszuschalten. 

Auch  Krönig  kommt  zu  der  Ansicht,  daß  gegenüber  den  schlechten 
Resultaten  der  Statistiken  von  Zweifel  und  Veit  (6% — 10%  mütterliche, 
60 %— 80%  kindliche  Mortalität)  ein  radikaleres  Vorgehen,  wie  es  bisher  geübt 
wird,  indiziert  ist.  Ihm  fehlen  Erfahrungen  über  den  extraperitonealen  Uterus¬ 
schnitt  bei  Placenta  praevia.  Er  plaidiert  für  den  abdominellen  Kaiser¬ 
schnitt,  den  er  6  mal  mit  gutem  Erfolg  für  Mutter  und  Kind  ausgeführt 
hat.  Selbstverständlich  ist  bei  fast  völlig  erweitertem  Muttermund  nach 
wie  vor  die  Wendung  mit  nachfolgender  spontaner  Geburt  vorzunehmen; 
bei  infektionsverdächtigen  Fällen  suche  man  sich  über  den  Sitz  der  Plazenta 
zu  orientieren  und  mache  bei  hinten  sitzender  Plazenta  den  zervikalen  Kaiser¬ 
schnitt;  bei  vorn  sitzender  Plazenta  behandle  man  nach  Braxton  Hicks. 
(Ob  bei  der  Eile,  welche  bei  der  durch  Plac.  praev.  bedingte  Blutung  meist 
erforderlich  ist,  eine  solche  Orientierung  oft  gelingt  ?  Ref.) 

Auffällig  erscheint,  daß  bei  beiden  Autoren  die  Behandlung  der 
Placenta  praevia  mit  der  Hystereuryse,  deren  vorzügliche  Resultate  (bei 


732 


Referate  und  Besprechungen. 


119  Frauen  5%  mütterliche,  nur  49%  (!)  kindliche  Mortalität)  neuerdings 
wieder  von  Hannes  (Placenta  praevia:  Hystereuryse  oder  Braxton  Hicks  ? 
Zentralbl.  f.  Gyn.  1908,  29,  42)  hervorgehoben  werden,  keine  Erwähnung 
findet.  (Bef.)  F.  Kayser  (Köln). 


Was  leistet  die  moderne  Therapie  bei  der  Placenta  praevia? 

(W.  Hannes,  Breslau.  Zentralbl.  für  Gvn.,  Kr.  3,  1909.) 

Hannes  berichtet  über  246  Fälle  von  Placenta  praevia,  welche  in  der 
Zeit  vom  1.  April  1894  bis  Okt.  1908  in  der  Breslauer  Klinik  zur  Beobachtung 
und  Behandlung  kamen.  Er  stellte  die  Busul  täte  für  Mutter  und  Kind  bei 
den  verschiedenen  angewandten  Entbindungsmethoden  (Hystereurye,  Blasen¬ 
sprengung,  Zange,  Perforation  und  Kraniaklasie,  Ivolpeurye,  Scheidentam¬ 
ponade)  kritisch  zusammen  und  kommt  zu  einer  warmen  Empfehlung  des  von 
ihm  bereits  früher  gerühmten  Verfahrens  der  Hystereuryse.  Wird  sie  als 
souveränes  Mittel  angewendet,  so  läßt  sich  die  kindliche  Mortalität  auf  etwa 
20—25%,  die  mütterliche  auf  etwa  7,8%  herabdrücken  —  ein  sehr  bemerkens¬ 
wertes  Resultat,  wenn  man  erwägt,  daß  diesen  Zahlen  bei  Anwendung  der 
älteren  Methoden,  besonders  des  viel  geübten  Braxton-Hicks,  75—80%  kind¬ 
liche,  etwa  2,2%  mütterliche  Mortalität  gegenübersteht. 

Die  Hystereuryse  ist  besser  wie  die  kombinierte  Wendung  und  hat  vor 
dem  vaginalen  und  korporalen  Kaiserschnitt  den  großen  Vorteil  voraus, 
daß  er  auch  bei  den  infektionsverdächtigen  Fällen  —  und  zu  ihnen  gehören  alle 
poliklinischen  —  zur  Anwendung  kommen  kann.  Nachblutungen  und  Störungen 
der  Plazentarperiode  gehören  bei  ihr  zu  den  größten  Seltenheiten.  Die  ge¬ 
wichtigste  Bedeutung  besitzt  sie  aber  insofern,  als  sie  von  jedem  Praktiker 
allerorts  geübt  werden  kann ;  auch  für  ihre  Resultate  gilt  selbstverständlich 
die  Forderung,  daß  die  Fälle  möglichst  frühzeitig,  d.  h.  nicht  in  ausgeblutetem 
Zustand  in  Behandlung  kommen. 

Der  große  Vorzug  der  Hystereuryse,  die  übrigens  bereits  eine  große 
Anhängerschaft  gefunden,  geht  aus  den  gebrachten  Daten  in  überzeugender 
Weise  hervor.  Ob  aber  für  die  geradezu  überraschend  günstigen  Resultate, 
über  welche  H.  jn  „kritischer“  Weise  berichtet,  nicht  vielleicht  auch  das 
Wort  Lord  Palmerston’s  gilt :  „Dreierlei  Lügen  gibt  es,  die  harmloseste 
ist  die  Notlüge,  schlimmer  ist  die  zielbewußte  Lüge,  und  dann  gibt  es  noch 
die  Statistik“  ?  (Ref.)  F.  Kayser  (Köln). 


Welchen  Einfluß  hat  das  Ueberdecken  der  Maske  mit  einem  Handtuche 

auf  den  Verlauf  der  Chloroformnarkose? 

(Dr.  Hof  mann,  Kalk-Köln.  Zentralbl.  für  Chir.,  Nr.  22,  1908.) 

H.  veröffentlicht  seine  günstigen  Erfahrungen  bei  der  Chloroform¬ 
narkose.  Er  führt  sie  darauf  zurück,  daß  er  die  gewöhnliche  Schimmel- 
busch’sche  Maske  mit  einem  doppelt  zusammengelegten  Handtuch  über¬ 
decken  läßt.  Zwischen  Maske  und  Handtuch  soll  ein  gewisser  Luftraum 
entstehen,  im  übrigen  das  Handtuch  das  Gesicht  berühren.  Man  braucht 
so  viel  weniger  Chloroform.  Das  Chloroform  wird  auf  die  Maske  gegeben 
und  das  Handtuch  dazu  gelüftet.  Die  Narkose  kommt  sehr  schnell  in  Gang, 
Exzitation  und  Erbrechen  bleiben  aus.  Kommt  es  zur  Exzitation,  so  hält 
H.  diese  für  eine  Folge  der  Überdosierung.  H.  scheint  danach  in  der  glück¬ 
lichen  Lage  zu  sein,  nicht  viel  Potatoren  chloroformieren  zu  müssen.  Nach 
Ansicht  des  Referenten  bekommt  auf  diese  Weise  der  Patient  eben  schneller 
mehr  Chloroform  zur  Einatmung,  als  wenn  das  Chloroform  frei  verdunstet 
und  darauf  beruht  die  promptere  Wirkung.  Bei  der  Äthernärkose  ist  die 
Methode  ja  bereits  allgemein  üblich  und  bezweckt  das  gleiche. 

Mellin  (Steglitz). 


Referate  und  Besprechungen. 


733 


Zur  Kasuistik  der  Uterus  perforationes  mit  Darmverletzung. 

(Prof.  Ssadowski,  Petersburg.  Zentralbl.  für  Gyn.,  Nr.  41,  1908.) 

Eine  schier  unglaubliche  Beobachtung!  Bei  einer  25jährigen  Patientin, 
die  vor  einem  Monat  einen  Abort  überstanden  hatte,  hatte  ein  Arzt  nach 
vorausgegangener  Dilatation  eine  Kürettement  vorgenommen,  mit  der  Abort¬ 
zange  ,, etwas  Weiches“,  welches  er  gefaßt  hatte,  vorgezogen  und  abgetragen, 
Bei  der  wegen  der  Diagnose  „Darmverletzung“  vorgenommenen  Laparotomie 
zeigte  sich  die  Bauchhöhle  mit  einer  Menge  flüssigen,  fäkal  riechenden  Blutes 
gefüllt,  in  der  vorderen  Wand  des  Uterus  eine  2  cm  lange  Perforation,  in 
welches  der  dicht  an  der  Bauhin’schen  Klappe  von  seinem  Mesenterium  ab¬ 
gerissene  Dünndarm  einmündete.  Resektion  des  Darms  an  Stellen,  an 
welchen  eine  genügende  Ernährung  gewährleistet  schien;  Schluß  des  Darm¬ 
stücks  an  der  Bauhinkchen  Klappe.  Koloenteroanastomose.  Supravaginale 
Amputation  des  Uterus,  Peritonisierung  des  Uterusstumpfes.  Mehrfache  Drai¬ 
nage.  Nach  schwerem  fieberhaften  Verlauf  innerhalb  der  ersten  8  Tage 
glatte  Rekonvaleszenz.  Heilung. 

Das  von  den  Angehörigen  dem  Operateur  nachträglich  überbrachte, 
von  dem  Arzt  abgeschnittene  Darmstück  hatte  eine  Länge  von  278  cm  und 
setzte  sich  aus  drei  glatt  abgeschnittenen  Stücken  zusammen ! 

F.  Kayser  (Köln). 


Innere  Medizin. 

Angeborener  Herzfehler  und  Polycythämie. 

(F.  Parkes  Weber.  Edinburgh  med.  Journ.,  new  series,  Vol.  2,  S.  18,  1909.) 

W.  beobachtete  bei  einem,  in  der  Entwicklung  etwas  zurückgebliebenen 
(Gewicht  41  kg)  jungen  Mann  von  22  Jahren  mit  starker  Zyanose,  Trommel¬ 
schlegelfingern,  systolischem  Geräusch  in  der  Mittellinie,  orthostatischer  Albu¬ 
minurie,  die  ungewöhnlich  hohe  Polycythämie  von  10300000  bei  7000  weißen. 
Hämoglobin  („nach  Haldane“)  160.  Derartige  hohe  Werte  sind  nur  in  ganz 
vereinzelten  Beobachtungen  berichtet.  Die  roten  Blutkörperchen  erschienen 
im  übrigen  normal.  H.  Vierordt  (Tübingen). 


Ueber  Herzinsuffizienz. 

(Hans  Eppinger.  Med.  Klinik,  Nr.  14,  1908.) 

Über  die  Ursache  der  Insuffizienz  des  hypertrophischen  Herzmuskels 
bestehen  bislang  Meinungsverschiedenheiten.  Eppinger  hat  nun  mit  Hilfe 
einer  im  Original  näher  mitgeteilten  Methode  Messungen  angestellt  über  das 
Verhältnis  des  Lumens  der  Koronargefäße  zur  Herzgröße  (Herzgewicht).  Die 
teils  an  „normalen“  und  hypertrophischen  Herzen  im  gleichen  Alter  ver¬ 
storbener  Individuen  gewonnenen  Meßresultate,  weisen,  obwohl  die  Anzahl 
der  untersuchten  Herzen  noch  klein  ist,  darauf  hin,  daß  infolge  relativer 
Kleinheit  des  Kalibers  der  Koronargefäße  an  den  hypertrophischen  Herzen  die 
Bedingung  für  eine  ausgiebige  Ernährung  sich  bei  diesen  ungünstig  gestaltet 
haben  mußten,  als  für  das  normale  Herz,  und  daß,  wo  intra  vitam  Insuffizienz¬ 
erscheinungen  in  den  Vordergrund  getreten  waren,  die  Ernährungsbedingungen 
besonders  ungünstig  waren.  Eppinger  setzt  die  Untersuchungen  fort  und 
stellt  weitere  Mitteilungen  in  Aussicht.  R.  Stüve  (Osnabrück). 


Aus  dem  diagnostisch-therapeutischen  Institut  für  Herzkranke  in  Wien. 

Über  das  Verhalten  systolischer  Geräusche  bei  Lagewechsel. 

(Priv.-Doz.  Dr.  Max  Herz.  Med.  Klinik,  Nr.  46,  1908.) 

Herz  kommt  auf  Grund  seiner  Beobachtungen  zu  folgendem  Resultat: 
„1.  Die  Rückenlage  und  noch  mehr  die  linke  Seitenlage  geben  zum  Zu¬ 
standekommen  akzidenteller  systolischer  Geräusche  dadurch  Veranlassung, 


734 


Referate  und  Besprechungen. 


daß  sie  die  Querlagerung  des  Herzens  steigern  und  die  normale  Stromricihtung 
beim  Austreten  des  Blutes  aus  den  Kammern  in  die  großen  Gefäße  gegen¬ 
über  der  Norm  ändern. 

2.  Über  der  Wurzel  der  linken  Aorta  erscheinen  häufig  bei  arterio¬ 
sklerotischen  Veränderungen  daselbst  im  Anschluß  ani  den  ersten  Ton  kurze 
rasche  systolische  Geräusche  in  Rückenlage  durch  Andrängen  dieser  Teile 
an  die  vordere  Brustwand. 

3.  Beim  Tropfenherz  pflegen  die  systolischen  Geräusche  in  der  linken 
Seitenlage  dadurch  zu  verschwinden,  daß  die  Spitze,  der  Schwere  folgend, 
nach  links  rückt  und  das!  Herz  seine  normale  schräge  Stellung  annimmt. 

4.  Bei  stark  dilatiertem  beziehungsweise  hypertrophirtem  linken  Vorhof 
bei  der  Kombination  von  Mitralinsuffizienz  und  Stenose  des  linken  venösen 
Ostiums,  können  systolische  Geräusche  in  der  Rückenlage  auftreten  infolge 
der  Kompression  des  linken  Vorhofes  zwischen  dem  Ventrikelkonus  und  der 
Wirbelsäule;  in  der  linken  Seitenlage  verschwinden  diese  Geräusche.“ 

F.  Walther. 


Angina  pectoris  und  Enteritis  muco-membranacea. 

(Maurice  Loeper.  Bull,  med.,  Nr.  7,  S.  75 — 77,  1909.) 

Das  vielgerühmte  anatomische  Denken,  das  ohne  Zweifel  ein  notwendiges 
Durchgangsstadium  unserer  Wissenschaft  gewesen  ist,  hat  es  mit  sich  gebracht, 
daß  die  Aufmerksamkeit  mancher  Ärzte  wie  hypnotisiert  ausschließlich  auf 
das  Organ  gebannt  bleibt,  welches  durch  seine  Störungen  in  den  Mittelpunkt 
des  Interesses  gerückt  erscheint.  Wenn  also  ein  Pat.  Durchfälle,  Herzklopfen 
usw.  hatte,  ohne  daß  nachher  der  Obduzent  makro-  oder  mikroskopische  Ge¬ 
webeveränderungen  am  Darm,  Myokard  usw.  aufweisen  kann,  so  sehen  sie 
darin  —  wie  DubosiReymohd  zu  sagen  pflegte  —  einen  Ausdruck  der 
Perfidie  der  Natur. 

Die  Geschichte  der  Auffassung  der  Angina  pectoris  ist  in  dieser  Be¬ 
ziehung  lehrreich.  Von  der  Theorie  der  Koronarsklerose,  welche  übrigens,  wenn 
ich  nicht  irre,  seinerzeit  Fothergill  nur  so  nebenbei  aufgestellt  hatte,  ist 
man  allmählich  zur  Reflextheorie  übergegangen,  und  die  vorliegende  Abhand¬ 
lung  sucht  darzutun,  daß  die  Angina  pectoris  nicht  selten  eine  Reflexerschei¬ 
nung  seitens  des  Darms  sei  und  sich  bei  Pat.  mit  Enteritis  muco-membranacea 
relativ  häufig  finde.  Allerdings  brauchen  beide  Krankheiten  nicht  immer 
typisch  ausgeprägt  zu  sein,  beide  können  in  rudimentären  Formen  auftreten; 
aber  die  Hauptsache,  der  reflektorische  Zusammenhang,  bleibe  darum  doch 
bestehen.  Loeper  denkt  sich  diesen  Reflex  in  Form  eines  Krampfes  der 
Koronararterien  und  macht  damit  sein  Kompliment  vor  der  alten  anatomischen 
Lehre.  Da  sich  dieser  Krampf  wohl  kaum  beweisen  und  damit  aus  dem  Ge¬ 
biet  der  Hypothesen  in  jenes  der  Tatsachen  überführen  läßt,  so  erübrigt  sich 
eine  Erörterung  hierüber.  I 

Der  Hinweis  Loeper’s  verdient  aber  jedenfalls  volle  Beachtung,  auch 
wenn  man  die  beiden  Phänomene  nicht  als  subordiniert,  sondern  als  koordiniert, 
als  Ausdruck  derselben  Grundstörung  auf  verschiedenen  Gebieten  anzusehen 
geneigt  ist.  s 

Therapeutisch  empfiehlt  L.  Valeriana,  Digitalis,  Spartem  (von  Brom, 
Opium,  Belladonna  rät  er  ab);  warme  Umschläge  um  den  Leib,  C02-Bäder 
(keine  kalten  Duschen !) ;  Milch  und  vegetabilische  Diät,  wenig  weißes  Fleisch ; 
als  Abführmittel  Ölklystiere  und  Ol.  Ricini.  Die  übrigen  Purgantien  und  sog. 
Darmdesinfektionsmittel  seien  eher  schädlich  als  nützlich. 

Buttersack  Berlin). 


Beitrag  zur  Pathogenese  und  Therapie  der  anginoiden  Zustände. 

(Th.  Jaschke.  Med.  Klinik,  Nr.  5  u.  6,  1908.) 

Während  auf  die  die  Pathogenie  der  anginoiden  Zustände  des  Herzens 
behandelnden  und  an  Einzelheiten  reichen  Ausführungen  Jaschke’s  im 


Referate  und  Besprechungen. 


735 


Rahmen  eines  kurzen  Referates  einzugehen  nicht  möglich  ist  und  dieserhalb 
auf  die  Originalarbeit  verwiesen  werden  muß,  sei  bezüglich  der  Therapie 
dieser  Zustände  mitgeteilt,  daß  es  vielfach  geboten  erscheint,  neben  einem 
Herztonikum  noch  Mittel  gleichzeitig  anzuwenden,  welche  den  arteriellen 
Blutdruck  herabsetzen.  Wegen  seiner  vasokonstriktorischen  Wirkung  ist  die 
Digitalis  in  solchen  Fällen  nur  mit  Vorsicht  zu  gebrauchen;  erstens  über¬ 
haupt  nur  dann,  wenn  keine  schweren  Schädigungen  des  Myokards  anzu¬ 
nehmen  sind  und  zweitens  unter  möglichster  Ausschaltung  der  vasokonstrik¬ 
torischen  Komponente.  (Durch  Darreichung  von  Amylnitrit  im  Anfall  oder 
Erythroltetratnitrat  zur  Erzielung  von  Dauerwirkung  s.  u.)  Digitalis  ist 
am  besten  als  Mazerationsinfus  (frigide  parat.)  der  zerschnittenen  Blätter 
zu  verabfolgen  und  es  sind  kleinere  Dosen  zu  wählen.  —  Sehr  bewährt  hat  sich 
dagegen  in  der  Behandlung  der  anginoiden  Zustände  als  Herztonikum  die 
Tinct.  Stroph.  mit.  Val.  aeth.  ää.  Am  ersten  Tage  3  mal  10 — 15  Tropfen,  am 
nächsten  Tage  3  mal  7  Tropfen.  Nach  ca.  8  Tagen  bei  gutem  Erfolge  noch 
weniger,  allmählich  bis  auf  3  mal  4  Tropfen.  Schließlich  werden  2  mal 
4  Tropfen  längere  Zeit  nach  dem  Mittag-  und  Abendessen  genommen.  — 
Strophantin  (Böhringer)  und  Digalen  sind  nur  im  Anfall  selbst  bei  akuter 
Herzschwäche  und  dann  intravenös  anzuwenden.  —  Als  sonstige  Ersatz¬ 
mittel  der  Digitalis  kommen,  wenn  diese  nicht  vertragen  wird,  noch  Digitoxin 
(Tabl.  ä  V2  mgr  1 — 2  Stück,  besser  als  Klysma)  oder  Dialysat  fol.  digital. 
Golaz  3  mal  7 — 15  Tropfen  in  Betracht.  —  In  Fällen  von  akuter  Herzschwäche 
sind  im  Anfall  auch  Coff.  natr.  benzoic.  —  In  Fällen,  in  denen  der  asthmatische 
Charakter  vorwiegt,  wirken  oft  die  Theobrominpräparate  (besonders  Diuretin 
in  einer  Tagesdosis  von  2—3  g.  sehr  gut.  —  Zur  Erzielung  der  Herabsetzung 
des  arteriellen  Druckes  bewährt  sich  für  rasche  Wirkung  am  besten  Amylnitrit, 
daneben  heiße  Fußbäder,  warme  Umschläge  auf  die  Brust,  Beklopfen  der 
Herzgegend  im  Rythmus  Ter  Herztätigkeit.  Zur  Erzielung  von  Dauer¬ 
wirkungen  Erythrol.  tetranitrat  werden  davon  0,15  g  mit  Extr.  gent.  et.  pulv. 
gent.  zu  30  Pillen  geformt  und  hiervon  in  den  ersten  Tagen  3 — 4  Stück  ge¬ 
geben,  bei  günstigem  Resultat  zurückgegangen  auf  täglich  je  eine  Pille 
morgens  und  abends.  Bei  vollständigem  Wohlbefinden  wird  nach  14  Tagen 
ein  Tag  ausgesetzt  und  diese  Versuche  tastend  wiederholt,  und  nach  längerer 
Pause  dann  mal  wieder  ein  T'ag  4  Pillen  gereicht.  Mit  dem  bisher  gleichzeitig 
gereichten  Strophantus  ist  dann  zu  wechseln  und  Coff.  natr.  benz.  2— 3  mal 
tägl.  0,2  g  in  Lösung  an  seiner  Stelle  zu  geben.  —  In  leichten  Fällen,  nament¬ 
lich  bei  nachweisbarer  Arteriosklerose  kann  auch  eine  Dauertherapie  mit 
Jodkali  versucht  werden.  Kal.  jodat.  Natr.  bicarb.  ää  5,0  mit  150  g  Aqu. 
DS.  2  mal  tägl.  1  Eßlöffel  zu  nehmen.  Diese  Medikation  ist  in  jedem 
Monat  3  Wochen  durchzuführen,  für  den  Rest  des  Monats  auszusetzen  usf. 
V2  Jahr  lang.  Dann  wird  etwa  für  2 — 4  Monate  ausgesetzt  und  nachher  wieder 
begonnen.  R.  Stüve  (Osnabrück). 


Aus  der  medizinischen  Klinik  in  Kiel. 

Über  nervöse  Störungen  der  oberen  Extremität  bei  Arteriosklerose. 
(Dyskinesia  und  Puraesthesia  intermittens.) 

(Prof.  Dr.  Oskar  Wandel.  Münch,  med.  Klinik,  Nr.  44,  1908.) 

w  andel  glaubt  für  die  Bedingungen,  unter  denen  nervöse  Störungen 
bei  peripherer  Arteriosklerose  zur  Entwicklung  kommen,  auf  Grund  seiner 
an  32  Fällen  gesammelten  Erfahrungen  einige  Anhaltspunkte  liefern  zu  können. 
Es  treten  bei  sämtlichen  Kranken  periphere  Gefäßstörungen  auf,  die  unter  be¬ 
stimmten  Veranlassungen  zu  schmerzhaften  Paroxysmen  und  motorischen  Aus¬ 
fallserscheinungen  führen  können.  Es  werden  die  Berufszweige  mit  einseitiger 
Extremitätenbelastung  vor  allem  ergriffen.  Für  gewöhnlich  finden  sich  da  nur 
Akroparästhesien  und  Ermüdungsgefühle.  Nur,  wenn  immer  wieder  energisch 
die  Arbeit  versucht  wird,  kommt  es  zu  den  erwähnten  Störungen.  Als  inter¬ 
essanten  Ausnahmefall  führt  Wandel  einen  Patienten  an,  bei  dem  schon 


736 


Referate  und  Besprechungen. 


geringfügige  Anstrengungen  schmerzhafte  Paroxysmen  im  Ulnarisgebiet  aus¬ 
lösten,  die  oft  auch  auf  das  Medianus  gebiet  übergingen.  Hier  kommt  ätio¬ 
logisch  Alkohol  und  Nikotinabusus  in  Frage.  Bei  seinen  übrigen  Kranken 
spielen  diese  Allgemeinschädlichkeiten  sowie  die  neuropathische  Diathese  von 
Bing,  Higier  und  Idelsohn  (ätiologisch  keine  Rolle.  Vielmehr  ist  die 
funktionelle  Belastung  dafür  verantwortlich  zu  machen.  Der  Beruf  seiner 
Patienten  bringt  hauptsächlich  Erkältung  und  Durchnässung  der  Glieder 
mit  sich,  die  einen  abnutzenden  reflektorischen  Reiz  auf  die  peripheren  Gefäße 
ausüben.  Mikroskopisch  handelt  es  sich  vorzugsweise  um  eine  Läsion  der 
Intima,  die  zur  Endarteriitis  obliterans  führt.  F.  Walther. 


Kleines  Herz  bei  Leberzirrhose. 

(P.  Carnot.  Progres  med.,  Kr.  5,  S.  61 — 63,  1909.) 

Car  not  unterscheidet  zwei  Arten  von  Leberzirrhose:  die  eine  geht 
einher  mit  Oligurie,  Ödemen,  vermindertem  Blutdruck  (10 — 13  cm  Hg)  und 
kleinem  Herz ;  die  andere  hat  keine  Ödeme,  normalen  Urin,  erhöhten  Blutdruck 
(15 — 20  cm  Hg),  Arteriosklerose,  chronische  Nephritis  und  ein  vergrößertes  Herz. 

Indem  er  nur  die  erste  Kategorie  näher  betrachtet,  ist  er  geneigt,  die 
Kleinheit  des  Herzens  und  (die  Blutdruckerniedrigung  auf  eine  gemeinsame 
Ursache  zurückzuführen,  nämlich  auf  Störungen  im  Pfortaderkreislauf.  Er 
stellt  sich  den  Vorgang  dann  so  vor,  daß  infolge  eines  solchen  Strömungs¬ 
hindernisses  weniger  Blut  ins  Herz  gelange,  daß  dieses  Organ  somit  weniger 
zu  leisten  habe,  sich  seinem  kleineren  Kontentum  anpasse  und  daß  infolge 
davon  der  Druck  im  Aortensystem  sinke;  ähnliche  Verhältnisse  finden  sich 
bei  Lungenschwindsucht  und  bei  Mitralstenose.  Carnot’s  Deutung  hat  viel 
Bestehendes  und  wird  ohne  Zweifel  von  allen  mechanistisch  Denkenden  gern 
aufgenommen  werden.  Buttersack  (Berlin). 


Verteilung  des  Stickstoffs  im  hypertrophischen  Herzmuskel. 

(J.  Bence.  Zeitschr.  für  klin.  Medizin,  Bd.  66,  S.  441,  1908.) 

Das  nach  der  Methode  von  Wil'h.  Müller  in  seine  einzelnen  Teile  zer¬ 
legte  Herz  wurde  in  6  Fällen,  darunter  einem  normalen,  auf  Fettgehalt  unter¬ 
sucht.  So  weit  aus  wenigen  Fällen  geschlossen  werden  darf,  ergab  sich 
gleichmäßige  Verteilung  des  Stickstoffgehalts  für  die  einzelnen  Herzabschnitte, 
auch  beim  hypertrophischen  und  beim  „erschöpften“  Herzen,  bei  welch  letzterem 
allerdings  der  Stickstoff  eine  prozentuale  Abnahme  erfährt.  Herzhypertrophie 
wie  Herzerlahmung  führt  B.  auf  rein  mechanische  Ursachen  zurück. 

H.  Vierordt  (Tübingen). 


Herzkranke  im  Gebirge. 

(Felix.  Korrespondenzbl.  für  Schweizer  Ärzte,  Nr.  4,  1909.) 

Entgegen  der  verbreiteten  Regel,  daß  Herzkranke  das  Hochgebirge 
vermeiden  sollen,  berichtet  F.  über  einige  Kranke  mit  Aortenaneurysmen, 
die  sich  in  der  Höhe  von  1400  m  und  darüber  wohler  fühlten  und  viel  leistungs¬ 
fähiger  waren  als  in  den  mittleren  Höhen  oder  in  der  Ebene.  Darunter  ist  ein 
Fall  kompliziert  mit  Stenose  der  Art.  pulmonalis  und  Hypertrophie  des 
rechten  Ventrikels,  der  mit  einem  Klappenfehler  durchaus  vergleichbar  ist. 
Doch  will  F.  darauf  hin  nicht  die  Berechtigung  der  Ansicht  bestreiten,  daß 
Herzkranke  bedeutende  Höhen  besser  vermeiden.  F.  von  den  Velden. 


Ueber  die  Veränderung  des  Magenchemismus  nach  Gastroenterostomie. 

(L.  Schönheim,  Budapest.  Archiv  für  Verdauungskrankh.,  Bd.  14,  H.  5.) 

Schönheim  prüfte  bei  4  Gastroenterostomiefällen  vor  und  (3  Monate 
bis  2  Jahre)  nach  der  Operation  (bei  einem  5.  Falle  nur  10  Tage  nach  Gastro- 


Referate  und  Besprechungen. 


737 


enterostomie)  den  Magenchemismus.  Er  kam  dabei  zu  folgenden  Ergebnissen: 
l.In  den  meisten  Fällen  von  Gastroenterostomie  regurgitiert  Galle  und  Pankreas¬ 
saft  in  den  Magen.  Bei  fettfreier  Kost  sind  dieselben  nach  längerer  Zeit,  bei 
fettreicher  Kost  schon  nach  einer  halben  Stunde  nachweisbar.  2.  Die  alkalischen 
Darmsäfte  setzen  durch  chemische  Reaktion  die  Azidität  des  Magensaftes  herab, 
das  Pepsin  wird  in  vielen  Fällen  (im  alkalischen  Medium)  unwirksam,  während 
das  Trypsin  auch  in  schwachsaurem  Medium  seine  Wirkung  zu  entfalten  ver¬ 
mag.  3.  Wir  sind  imstande,  durch  fette  Speisen,  häufige  Mahlzeiten  und  durch 
reichliche  Wasserzufuhr  die  Salzsäure  gänzlich  zu  eliminieren  und  dadurch 
die  Heilung  des  Magengeschwürs  zu  fördern.  4.  Wenn  auch  die  Gastroenterosto¬ 
mie  der  kausalen  Therapie  des  Magengeschwürs  entsprechende  günstige  Um¬ 
stände  liefert,  wollen  wir  doch  nur  jene  Fälle  des  Magengeschwürs  der  opera¬ 
tiven  Behandlung  zugeführt  sehen,  die  trotz  langer  und  sorgfältiger  innerer 
Behandlung  keine  Tendenz  zur  Heilung  zeigen.  M.  Kaufmann. 


Über  die  Restbestimmung  des  Mageninhalts  nach  Mathieu-Remond. 

(A.  Schüle.  Arch.  für  Verdauungskrankh.,  Bd.  14,  H.  6,  1908.) 

Nachdem  schon  mehrfach  Zweifel  an  der  Zuverlässigkeit  der  Rest¬ 
bestimmung  nach  Mathieu-Remond  erhoben  worden  waren,  unterzog  Schüle 
die  Methode  einer  Nachprüfung  an  einem  Kranken,  bei  dem  sie  13 mal 
angewendet  wurde.  Als  zu  .bestimtnjender  Mageninhalt  wurden  300  ccm 
salzsäurehaltige  Milch  eingegossen.  Die  Restbestimmung  ergab  Inhaltsmengen 
von  170 — 600  ccm;  nur  viermal  ergab  die  Berechnung  gerade  300  ccm,  vier¬ 
mal  weniger,  fünfmal  mehr.  Ursache  der  schlechten  Resultate  ist,  daß  es 
nur  mangelhaft  gelingt,  das  nachgegossene  Wasser  mit  dem  Ohymus  zu 
mischen.  Eine  gründlichere  Mischung  ließe  sich  ja  wohl  durch  Schütteln, 
Lageveränderungen  der  Patienten  usw.  erzielen;  aber  derartige  Manipulationen 
scheitern  oft  an  der  Empfindlichkeit  der  Patienten,  und  das  mehrfache  Herein- 
und.  Heraushebern  des  Mageninhalts,  der  die  bessere  Mischung  befördern 
könnte,  scheitert  daran,  daß  während  dieses  Vorgangs  nicht  unerhebliche 
Mengen  Chymus  in  den  Darm  übertreten  können.  Eine  bessere  Methode  können 
wir  aber  vorläufig  nicht  an  die  Stelle  der  Mathieu-Remond’schen  setzen, 
und  es  dürfte  zum  Zwecke  der  Restbestimmung  nichts  übrig  bleiben,  als 
den  Patienten  nach  gehöriger  Einübung  und  eventueller  Kokainisierung  des 
Schlundes  so  weit  zu  bringen,  daß  er  den  Mageninhalt  völlig  exprimiert. 

M.  Kaufmann  (Mannheim). 


Lieber  den  Einfluß  des  Wasserstoffsuperoxyds  auf  die  Sekretion  des  Magens. 

(A.  Petri,  Baden-Baden.  Archiv  für  Verdauungskrankh.,  Bd.  14,  H.  5.), 

Petri  benutzte  zu  seinen  Versuchen  1/4 — 3/4°/o  Lösungen  von  Wasser¬ 
stoffsuperoxyd;  über  Magenbeschwerden  wurde  danach  niemals  geklagt.  Die 
ersten  Versuche  betrafen  Vergleiche  mit  den  Säurewerten  nach  Probefrühstück, 
indem  an  den  Versuchstagen  der  Tee  des  Probefrühstücks  durch  die  Wasser - 
stoffsuperoxydlösung  ersetzt  wurde;  es  fand  sich  ausnahmslos  in  allen  Fällen, 
in  denen  nach  gewöhnlichem  Probefrühstück  freie  HCl  vorhanden  war,  nach 
Verabreichung  des  H202-Probefrühstücks  eine  bedeutende  Herabsetzung  sowohl 
der  Gesamtazidität,  als  auch  besonders  der  freien  HCl,  ja  in  einigen  Fällen 
sogar  ein  vollständiges  Verschwinden  der  letzteren.  Ein  Vergleich  dieser 
säurehemmenden  Wirkung  mit  der  des  Öls  ergab,  daß  sie  noch  viel  intensiver 
ist.  Hand  in  Hand  mit  der  Säurehemmung  geht  eine,  wie  es  scheint,  geringere 
Herabsetzung  des  Pepsingehalts  des  Magens.  Jedenfalls  besitzen  wir  in  dem 
V  asserstoffsuperoxyd  das  stärkste  bekannte  säurehemmende  Mittel,  von  dem 
in  der  Praxis  —  unbeschadet  der  Fälle,  wo  Öl  vorzuziehen  ist  —  gelegentlich 
Gebrauch  gemacht  werden  kann.  Blutungsgefahr  ist  nicht  zu  fürchten ;  im 
Gegenteil  kann  Neigung  zu  solchen  günstig  beeinflußt  werden.  Der  unan¬ 
genehme  Geschmack  der  wässerigen  Lösung  verschwindet,  wenn  man  statt 

47 


738 


Referate  und  Besprechungen. 


Wasser  Mandelmilch  benutzt.  Man  kann  das  H202  auch  morgens  nüchtern 
1 — 3  auf  200 — 300  ccm  Wasser  nehmen  lassen,  oder  1/4 — V2%  zur  Magen-’ 
Spülung  verwenden.  Gut  vertragen  wird  das  H202  auch  in  Form  von  Magne- 
sium-Perhydrol  3 mal  tägl.  2  Tabletten  a  0,5;  die  säurehemmende  Wirkung 
derselben  kann  allerdings  auch  auf  das  darin  enthaltene  Alkali  zu  beziehen  sein. 

M.  Kaufmann. 


Klinische  Bedeutung  der  Differenz  zwischen  Rektal-  und  Axillartemperatur, 

speziell  bei  Peritonitis. 

(Propping.  Münch,  med.  Wochenschr.,  Nr.  10,  1908.) 

Die  Achseltemperatur  steigt  durch  Muskelanstrengung  und  durch  Haut¬ 
abkühlung,  in  beiden  Fällen  durch  erhöhte  Wärmeproduktion  in  den  Muskeln, 
welche  die  Achselhöhle  umschließen.  Die  Rektaltemperatur  steigt  dabei  gar 
nicht  oder  viel  weniger,  die  Differenz  zwischen  den  beiden  Temperaturen 
wird  also  kleiner.  Bei  Krankheiten  ergeben  sich  ganz  verschiedene  Ver¬ 
hältnisse,  indem  die  Differenzen  sehr  stark  schwanken ;  keinesfalls  läßt  sich 
behaupten,  daß  ein  dem  Rektum  nahegelegener  Entzündungsherd  die  Rektal¬ 
temperatur  erhöht.  Andererseits  sieht  man  z.  B.  beim  Schüttelfrost,  daß 
es  auf  die  Wärmebildung  in  den  Muskeln  ankommt,  indem  hier  die  Differenz 
klein  oder  gleich  Null  ist.  Bei  100  Peritonitisfällen  fand  der  Autor  25  mal 
eine  Differenz  von  mehr  als!  1°,  was  nach  den  obigen  Ausführungen  nur 
beweist,  daß  die  W ärmebildung  in  den  Muskeln  gering  und  gleichzeitig  die 
Wärmeabgabe  in  diesen  Fällen  herabgesetzt  ist  —  warum,  das  wissen  wir 
nicht.  Da  aber  diese  Fälle  eine  sehr  hohe  Mortalität  zeigen,  so  ergibt  sich 
aus  der  großen  Temperaturdifferenz  rein  empirisch  eine  ernste  Prognose. 

E.  Oberndörffer. 


Zur  Frage  der  Schleimbildung  im  Darm. 

(A.  Kaabak  u.  A.  Rosenschein.  Virchows  Archiv  für  pathol.  Anatomie,  Bd.  194, 

S.  515,  1908.) 

Bei  Hunden  ergab  sich  bei  Reizung  eines  isolierten  Darmabschnittes, 
daß  nur  in  diesem  und  nicht  auch  in  entfernteren  eine  vermehrte  Schleim¬ 
bildung  auf  tritt.  Es  ist  danach  unwahrscheinlich,  daß  bei  normalem  Nerven¬ 
system  eine  reflektorische  Schleimbildung  auf  dem  Wege  über  das  zentrale 
Nervensystem  oder  den  großen  Sympathikus  vom  Darm  selbst  möglich  wäre. 
Auch  das  Sympathikusgeflecht  der  Darmwand  selbst  kann  keine  reflektorische 
Schleimbildung  in  dem  oben  genannten  Sinne  zustande  bringen.  Dieses  Er¬ 
gebnis  entspricht  früheren  Versuchen  von  Bickel,  nach  denen  die  nach 
Reizung  der  Magenschleimhaut  auftretende  Schleimbildung  sich  nur  als  lokale 
Reaktion  auf  einen  lokalen  Reiz  darstellt.  Demnach  wäre  auch  bei  der  Colitis 
membranacea  die  Schleimbildung  als  durch  krankhaften  Reiz  auf  die  Darm¬ 
schleimhaut  ausgelöst  anzusehen.  W.  Risel  (Zwickau). 


Heiße  Gelatineklistiere  bei  Darmblutungen. 

(Ernst  Michaelis.  Med.  Klinik,  Nr.  2,  1908.) 

Von  der  blutstillenden  Eigenschaft  der  Gelatine  hat  M.  an  der  Innen¬ 
abteilung  des  Friedrichshain-Krankenhauses  in  der  Weise  Gebrauch  gemacht, 
daß  er  in  Fällen  von  Darmblutungen  heiße  Gelatineklistiere  anwandte.  Er 
berichtet  über  2  Fälle  unbekannter  Ätiologie  und  11  Fälle  von  Typhus; 
in  den  beiden  erstgenannten  hatten  die  Klistiere  prompten  Erfolg,  wenigstens 
hörten  die  Blutungen  auf.  Von  den  11  Typhuskranken  starben  7,  trotzdem 
die  Blutungen  nach  den  Klistieren  stets  zum  Stillstand  gebracht  waren,  so  daß 
bei  den  Sektionen  der  betreffenden  Fälle  kein  frisches  Blut  mehr  im  Darm 
angetroffen  wurde.  In  manchen  Fällen  erwiesen  sich  die  Gelatineklistiere 
sehr  wirksam,  wo  andere  Mittel  versagt  hatten.  Was  die  eigentlichen  Todes- 


Referate  und  Besprechungen. 


739 


Ursachen  angeht,  so  wird  für  den  Tod  der  betreffenden  Kranken  4  mal  die 
Schwere  der  Infektion  (2  mal  Typhussepsis)  verantwortlich  gemacht,  2  Kranke 
starben  an  Perforationsperitonitis,  eine  erlag  einer  Bronchopneumonie.  — 
Die  Anwendung  der  Gelatine  als  Klysma  geschah  meist  in  5%iger  —  2  mal 
auch  in  20%igen  Lösungen,  in  Mengen  von  je  250 — 300 — 500  cbcm  pro  Ein¬ 
gießung;  die  Lösungen  wurden  bei  einer  Temperatur  von  48—50°  C  2 — 4  mal 
täglich  angewandt.  —  (Der  Beweis  dafür,  daß  an  allen  Fällen  der  Stillstand 
der  Blutung  mit  der  Anwendung  der  Gelatineklistiere  in  ursächlichen  Zu¬ 
sammenhang  zu  bringen  sei,  dürfte  stets  schwer  zu  führen  sein ;  der  kritische! 
Beobachter  wird  sich  stets  mit  einer  mehr  oder  minder  großen  Wahrschein' 
lichkeit  des  Zusammenhanges  zwischen  Mittel  und  der  Wirkung  zufrieden 
geben  müssen.  Diese  ist  aber  in  Fällen,  in  denen  der  Tod  an  dem  der  Injek¬ 
tion  folgenden  Tage  eintritt,  wie  es  bei  einzelnen  der  Fälle  M.’s  der  Fäll  war, 
gering,  da  bei  großen  Blutverlusten  bekanntermaßen  die  Blutung  durch  die 
einsetzende  Herzschwäche  ,auch  von  selbst  zum  Stehen  kommen  kann.  So 
wenig  ich  im  übrigen  gegen  die  Anwendung  der  heißen  Gelatineklistiere) 
auch  bei.  Typhus  abdom.  im  gegebenen  Falle  etwas  einwenden  würde,  so*, 
würde  ich  doch  aus  naheliegenden  Gründen  davor  scheuen,  Mengen  wie  500  cbcm 
auf  einmal  zu  injizieren.  Ref.)  R.  Stüve  (Osnabrück). 


Die  Rektoskopie  und  ihre  Bedeutung  für  die  Diagnose  und  Therapie  der 

Colitis  ulcerosa. 

(Walter  Zweig.  Wiener  klin.  Rundschau,  Nr.  29,  1908.) 

Die  Colitis  ulüerosa  (Boäs)  ist  eine  seltene  Krankheit,  die  wahr¬ 
scheinlich  bakteriellen  Ursprungs  ist.  Vielleicht  passieren  die  Keime  be¬ 
sonders  leicht  in  den  Darm,  wenn  der  Magen  keine  freie  HCl  enthält,  also 
bei  Achylia  gastrica.  Das  Leiden  neigt  zu  Rezidiven  und  wird  durch  Per¬ 
forationen  und  andauernde  Blutungen  sehr  gefährlich.  —  Verf.  empfiehlt 
zur  Diagnose  und  Behandlung  das  Rek to-Rom,anoskop,  das  einen  Über¬ 
blick  über  die  erkrankten  Partien  gewährt  und  eine  lokale  Behandlung  er¬ 
möglicht.  (Trockenbehandlung  mit  Dermatol  u.  Acid.  tannic.  aa  10,0  Natr. 
chlor  at.  5,00.)  Steyerthal-Kleinen. 


Chirurgie. 

Zur  Behandlung  der  Knochenbrüche  durch  Extension. 

(A.  Wettstein.  Korrespondenzbl.  für  Schweizer  Ärzte,  Nr.  3,  1909.) 

W.  ist  der  Ansicht,  daß  die  Gipsverbände,  besonders  an  den  unteren 
Extremitäten,  ganz  verschwinden  sollten,  und  daß  die  operative  Behand¬ 
lung  der  Frakturen  nur  selten  nötig  sei.  An  der  Bar denheuer’schen  Methode 
bemängelt  er  den  zu  starken  Zug,  der  häufig  zur  Muskelschwäche  und  weiter¬ 
hin  zu  Schlottergelenken  führe,  für  deren  Ursache  er  nicht  Kapselerschlaffung, 
sondern  eben  die  Muskelschwäche  hält.  W.  kommt  mit  viel  geringeren  Be¬ 
lastungen  aus  als  Bardenheuer,  am  Oberschenkel  mit  4 — 6  kg  statt  15  bis 
20  kg,  am  Unterschenkel  mit  3 — 5  kg,  seit  er  die  von  Zuppinger  angegebene 
Methode  befolgt,  den  Zug  an  der  in  allen  Gelenken  leicht  flektierten  Extre¬ 
mität  anzubringen;  dabei  sind  alle  Muskeln  relativ  schlaff  und  die  zur 
Überwindung  des  Muskelzugs  nötige  Belastung  viel  geringer  (über  die  Zup- 
pinger’schen  Extensionsapparate  geben  die  Prospekte  der  Hausmann- A.-G. 
Auskunft)  Dies  Verfahren  macht  auch  das  Einschlagen  von  Nägeln  in  die 
Knochen  zur  Anbringung  des  Zugs  überflüssig. 

Übrigens  gibt  W.  zu,  daß  man  auch  ohne  die  Zup pinger’schen  Apparate 
auskomme,  wenn  man  die  Heftpflasterextension  mit  etwas  Geschick  und 
Nachdenken  anlege.  F.  von  den  Velden. 


47* 


740 


Referate  und  Besprechungen. 


Sporotrichose  der  Tibia  unter  dem  Bilde  einer  Osteomyelitis. 

(Josset-Moure.  Soc.  med.  des  hopit.,  4.  Dez.  1908.  — ,  Tribüne  med.,  S.  761,  1908.) 

Ein  Mann  von  55  Jahren  war  mit  Erscheinungen,  welche  auf  Osteo¬ 
myelitis  im  unteren  Ende  der  Tibia  hindeuteten,  erkrankt  und  daran  innerhalb 
dreier  Jahre  viermal  operiert  worden,  aber  ohne  Erfolg.  Diese  Erfolglosig¬ 
keit  bewog  Josset-Moure,  den  Eiter  bakteriologisch  zu  untersuchen,  und 
es  gelang  mit  Hilfe  der  Serodiagnostik  von  Widal  und  Abrami,  sowie 
mittelst  der  Kultur  das  Sporotrichum  Beurmann  zu  finden. 

Jodkali  heilte  den  Patienten  in  vier  Wochen. 

Von  zwei  ähnlichen  Fällen  berichteten  in  der  Sitzung  vom  27.  Novem¬ 
ber  1908  Widal  und  Joltrain  und  zwar  bei  Vetter  und  Base.  Das  17jährige 
Mädchen  hatte  ausgedehnte  Ulzerationen,  Narben  und  gummiartige  Ge¬ 
schwülste  an  den  Beinen  und  der  rechten  Schulter.  Sie  hatte  sich  offenbar 
bei  ihrem  Vetter,  einem  10jährigen  Jungen,  angesteckt,  der  zwei  Jahre 
zuvor  ähnliche  Erscheinungen  dargeboten  hatte  und  z.  Z.  noch  die  Narben 
davon  hat.  Die  Agglutination  erwies  auch  diese  Erkrankung  nachträglich 
als  Sporotrichose.  Da  das  Mädchen  erst  acht  Monate  nach  der  Heilung 
des  Jungen  erkrankte,  so  dient  dieser  Vorfall  als  neue  Bestätigung  der  Be¬ 
hauptung  von  Beurimann  und  Gougerot,  daß  die  Parasiten  lebens-  und 
ansteckungsfähig  bleiben,  lange  nachdem  die  klinischen  Erscheinungen  ge¬ 
schwunden  sind.  Buttersack  (Berlin). 


Epiphysenfraktur  des  oberen  Humerusendes.  Zwei  auf  eine  neue  Art 

erfolgreich  behandelte  Fälle. 

(Fred  H.  Albee.  The  Post- Graduate,  Juni  1908,  S.  340.) 

Epiphysenfrakturen  des  oberen  Humerusendes  kommen  am  häufigsten 
in  der  Jugend  vom  10. — 18.  Jahr  vor  und  bieten  den  üblichen  Behandlungs¬ 
methoden  gewöhnlich  die  größten  Schwierigkeiten  dar.  Das  obere  Fragment 
in  Position  zu  halten,  ist  ohne  Operation  und  Draht  häufig  unmöjglich, 
ja,  man  hat  geraten,  bei  starker  Dislokation  den  Humeruskopf  zu  ent¬ 
fernen.  A.  behandelte  einen,  von  einem  Baum  gefallenen  16jährigen  Knaben, 
der  angeblich  vorher  von  den  besten  Ärzten  behandelt  und  in  14  Tagen 
dreimal  geäthert  war,  um  die  Fragmente  wieder  auseinander  zu  bringen. 
Nach  Abnahme  des  Verbandes  trat  jedesmal  wieder  Dislokation  ein.  Ein 
Skiagramm  zeigte  das  obere  Humerusende  nach  oben  und  vor  den  Humerus¬ 
kopf  disloziert.  Krepitation  konnte  nicht  „gefühlt  werden.  A.  legte  die 
Fraktur  durch  einen  U -förmigen,  durch  eine  Zeichnung  veranschaulichten 
Schnitt  mit  der  Spitze  ungefähr  l1/2  Zoll  oberhalb  der  Insertion  des  Deltoideus 
bloß,  klappte  Haut,  Faszie  und  Deltoideus  zusammen  nach  oben  und  fand  die 
Fragmente  in  ihrer  falschen  Stellung1  zu  einander  so  befestigt,  daß  sie  nur 
mit  Mühe  getrennt  werden  konnten.  Nach  Entfernung  einiger  Knochensplitter 
wurden  die  Fragmente  bei  geeigneter  Stellung  des  Armes  reponiert  und 
mit  Silberdraht  fixiert.  Als  jedoch  der  Arm  an  die  Seite  gelegt  wurde, 
rotierte  der  Kopf  nicht,  und  die  Drähte  begannen  zu  reißen.  Der  Arm  wurde 
daher  in  einer  Stellung  fixiert,  bei  der  der  Humerus  nach  innen  rotiert  war. 
Der  Deltoideus  wurde  mit  einer  unterbrochenen  Chrom-Katgutnaht  heran¬ 
geholt  und  schließlich  der  Arm  mit  rechtwinklig  gebeugtem  Ellenbogengelenk 
in  eine  Spika  gelegt;  der  Kranke  blieb  zu  Bett.  Nach  3  Wochen  passive 
Bewegungen,  nach  9  Wochen  praktisch  normale  Beweglichkeit.  Ein  zweiter 
ähnlicher  Fall  (mit  Abbildungen  des  Skiagramms  und  der  Spika)  wurde 
ähnlich  behandelt,  woraus  F.  den  Schluß  zieht,  daß  Frakturen  der  in  Rede 
stehenden  Art  auch  von  Erfahrenen  mit  Verrenkung  verwechselt  werden, 
daß  das  obere  Fragment  durch  Muskelzug  stets  diskloziert  und  in  dieser 
Stellung  erhalten  wird  und  daß  es  daher  am  rationellsten  sei,  das  untere 
Fragment  in  Abduktionsstellung  zu  bringen,  um  es  auf  diese  Weise  passend 
zum  oberen  zu  stellen.  Peltzer. 


Referate  und  Besprechungen. 


741 


Ueber  kongenitales  Femursarkom,  geheilt  durch  operative  und  Röntgen¬ 
behandlung. 

(Carl  Goebel.  Archiv  für  klin.  Chir.,  Bd.  87,  H.  1.) 

Es  handelte  sich  um  ein  dreiwöchiges  Kind  mit  einem  kongenitalen, 
d.  h.  bei  der  Geburt  sofort  bemerkten  und  dann  rasch  gewachsenen  periostalen 
Spindelzellensarkom  der  rechten  unteren  Oberschenkelepiphyse,  das  durch 
kombinierte  operative  und  Röntgenbehandlung  (56  Min.  in  9  Sitzungen)  bis 
jetzt  (14  Monate  lang)  vollkommen  geheilt  wurde. 

Die  Röntgenstrahlenwirkung  auf  die  Tumorzellen  ist  eine  mehr  oder 
weniger  ausgesprochene  Nekrobiose,  vom  Schwinden  der  Chromatin-Substanz 
des  Kerns  bis  zu  ausgesprochener  Nekrose.  Dazu  treten  entzündliche  Er¬ 
scheinungen.  Die  operative  Behandlung  (Inzision  und  Exkochleation)  des 
Tumors  unterstützt  die  Röntgenisierung  vielleicht  dadurch,  daß  sie  eine 
seröse  und  leukozytäre  Durchtränkung  des  Tumors  und  damit  eine  Art  von 
„Sensibilisierung“  herbeiführt. 

Die  Kienböck’sche  Ansicht  von  der  guten  Reaktion,  gerade  der  zell¬ 
reichen,  rasch  wachsenden  Sarkome  auf  die  Radiotherapie  und  die  Förster- 
ling’schen  Tierexperimente  über  die  Eernwirkung  auch  nur  kurzer  Bestrah¬ 
lung  auf  jugendliches  Gewebe  werden  durch  den  beschriebenen  Fall  bestätigt. 
(Das  bestrahlte  Beinchen  blieb  wesentlich  im  Wachstum  zurück.)  Bemmen. 


Transplantation  von  Gliedmaßen. 

(A.  Carrel.  Revue  de  med.,  Dez.  1908.  —  Bull,  med.,  S.  9,  1909.) 

Der  New -Yorker  Chirurg  Carrel  hat  einem  Foxterrier  ein  Bein  abge¬ 
schnitten  und  auf  den  Stumpf  das  Bein  eines  anderen  Foxterriers  mit  pünkt¬ 
lichen  Nähten  aufgenäht.  Nach  14  Tagen  war  das  Bein  gut  angeheilt  und 
nur  daran,  daß  dasselbe  etwas  schlanker  gebaut  war  und  andere  Krallen 
hatte,  konnte  man  erkennen,  daß  esi  nicht  das  eigene  Bein  des  Tieres  war. 

Natürlich  möchte  jeder  gern  wissen,  wie  es  nun  mit  der  Gebrauchs¬ 
fähigkeit  des  Beines  stand;  indessen,  der  boshafte  Hund  entzog  sich  der 
weiteren  Beobachtung  durch  den  Tod. 

Mir  scheint,  Carrlel  könnte  mit  Harvey  über  seine  Mitteilungen 
sagen:  „Adeo  nova  sunt  et  inaudita,  ut  verear,  ne  habeam  inimicos  omnes 
homines“.  (De  cordis  et  sanguinis  motu  1648,  S.  101.) 

Buttersack  (Berlin). 


Ueber  einen  kongenitalen,  teratoiden  Sakraltumor  mit  Metastasierung. 

(Hermann  Hinterstoisser.  Archiv  für  klin.  Chir.,  Bd.  87,  H.  1.) 

Bei  einem  kräftigen  Mädchen  in  der  Kreuzsteißbeingegend  eine  kinds¬ 
kopfgroße  längsovale  Geschwulst,  die  stellenweise  beginnende  Gangrän  zeigt. 
Am  4.  Lebenstage  nach  Abtragung  des  Steißbeins  verhältnismäßig  leichte 
Exstirpation  des  Tumors  (teratoide  Sakralgeschwulst  mit  vielfachen  zystischen 
Hohlräumen,  Knochen  und  Knorpelstücken,  die  zum  Teil  mit  einem  weichen, 
papillären  Gewebe  bedeckt  sind;  hier  histologisch  Rundzellensarkom).  Jetzt 
nach  2  Jahren  großer,  rezidivierender  retroperitonealer  Tumor,  dessen  Exstir¬ 
pation  mißlingt.  Auf  der  Pleura,  im  Lungengewebe  und  in  der  Leber  Meta¬ 
stasen  (großzelliges  alveolares  Sarkom  mit  derbem,  weitmaschigem  Stroma). 

Lemmen. 


Ueber  die  v.  Mosetig-Moorhof’sche  Jodoformknochenplombe. 

(Hans  Brun.  Korrespondenzbl.  für  Schweizer  Ärzte,  Nr.  4,  1909.) 

Brun  zeigt,  wie  schon  mancher  vor  ihm,  daß  die  Jodoformplombe  nur 
deshalb  nicht  mehr  in  Aufnahme  kommt,  weil  nicht  hinreichend  genau  ge¬ 
arbeitet  wird.  Tuberkulöse  Herde  nimmt  er  möglichst  frühzeitig,  osteo- 
myoli tische  lieber  zu  spät  als  zu  früh  in  Angriff.  Nach  Anlegung  des  Ver- 


742 


Referate  und  Besprechungen. 


bandes  und  Aufhebung  der  Konstriktion  lagert  er  die  Extremität  stundenlang 
steil  in  die  Höhe,  um  Nachblutung  zu  vermeiden.  Erkrankte  Stellen,  die  nicht 
ganz  entfernt  werden  können,  z.  B.  in  der  Nähe  der  Operationsstelle  be¬ 
findliche  Fisteln,  schließt  er  von  dieser  durch  Verkleben  mit  Watte  und 
Kollodium  ab.  Wenn  möglich,  wird  die  Plombe  mit  Haut  bedeckt.  Der 
erkrankte  Knochen  wird  völlig  entfernt,  bliebe  auch  nichts  übrig  als  das 
Periost.  Die  Austrocknung  der  Höhle  geschieht  mit  dem  Thermokauter  en 
distance;  wo  Konstriktion  nicht  möglich  ist,  tamponiert  man  mit  Vorteil 
zunächst  und  füllt  die  Plombe  nach  2 — 3  Tagen  ein.  Im  übrigen  hält  Br. 
sich  möglichst  an  die  Mosetig’schen  Vorschriften. 

Mit  den  Resultaten  ist  er  sehr  zufrieden,  besonders  in  den  nicht  mit 
Eiterung  komplizierten  Fällen.  Die  Plombe  ging  nie  verloren  und  Jodo¬ 
formvergiftungen  treten  nicht  ein,  dank  der  sehr  langsamen  Resorption  der 
Plombe,  die  im  Röntgenbild  leicht  zu  verfolgen  ist.  Br.  schließt  mit  den 
Worten:  Den  Fungus  exstirpieren,  womöglich  bevor  er  abszediert,  gründlich 
im  Gesunden,  die  resultierenden  starren  Höhlen  plombieren ;  wir  schaffen 
damit  unendlich  mehr  Gutes,  als  mit  dem  nutzlosen  Jodanstreichen  und 
Aufschneiden  kalter  Abszesse. 

Ein  temperamentvoller  Chirurg  wird  aber  nie  eine  gute  Jodoform¬ 
plombe  zustande  bringen.  F.  von  den  Velden. 


Ueber  einen  Fall  von  doppelseitiger  Zerreißung  der  Quadricepssehne. 

(Stierlin.  Korrespondenzbl.  für  Schweizer  Ärzte,  Nr.  5,  1909.) 

Bei  plötzlichen  übermäßigen  Anforderungen  an  den  Streckapparat  des 
Oberschenkels  reißt  bekanntlich  in  weitaus  den  meisten  Fällen  die  Knie¬ 
scheibe,  warum  sie  zuweilen  sich  fester  erweist  als  die  Quadrizepssehne, 
ist  nicht  aufgeklärt;  vermutlich  spielen  Degenerationsprozesse'  in  der  Sehne 
dabei  eine  Rolle,  die  in  manchen  Fällen  auch  nachgewiesen  sind.  Das  Besondere 
am  vorliegenden  Falle  ist,  daß  den  Betroffenen,  einem  100  kg  schweren 
42jährigen  Mann,  zunächst  die  eine  Quadrizepssehne  und  ein  Vierteljahr 
später  beide  auf  einmal  rissen.  Das  erstemal  wurde  mit  Massage  behandelt 
und  das  Resultat  war  eher  besser  als  das  zweitemal,  wo  Sehnennaht  ange¬ 
wandt  wurde;  denn  jetzt  verblieb  eine  Unsicherheit,  die  den  Mann  nötigte, 
bei  weiteren  Gängen  zwei  Stöcke  zu  gebrauchen  und  die  Treppen  rückwärts 
hinabzugehen.  Seine  starke  Fettleibigkeit  und  vielleicht  Degeneration  in  der 
Sehnensubstanz  sind  jedenfalls  an  dem  seltenen  Unfall  beteiligt. 

*  F.  von  den  Velden. 


Die  Fulgurationsbehandlung  der  Krebse  nach  Keating-Hart. 

(Dr.  Erich  Rosenkranz.  Berliner  klin.  Wochenschr.,  Nr.  20,  1908.) 

Der  Marseiller  Spezialist  für  Elektro-  und  Radiotherapie  Dr.  de  Kea¬ 
ting-Hart  hat  im  September  1906  über  seine  neue  Methode  zur  Behandlung 
des  Krebses  die  ersten  günstigen  Berichte  gebracht,  die  durch  Beobachtungen 
von  Pozzi,  Desplats,  v.  Czerny  ihre  Bestätigung  fanden.  Rosenkranz 
hat  im  Czerny’schen  Samariterhaus  in  Heidelberg  und  in  der  Marseiller 
Klinik  des  Autors  das  Verfahren  einem  eingehenden  Studium  unterzogen. 

Keating-Hart,  der  viele  Karzinomrezidive  und  inoperable  Karzinome 
zu  behandeln  hatte,  kam(  auf  den  Gedanken,  zu  dieser  Behandlung  den 
Funken  der  hochgespannten  und  hochfrequenten  Wechselströme,  der  sogen. 
Teslaströme  zu  verwenden  (folgt  Beschreibung  des  Instrumentariums). 

Um  die  kaustische  Wirkung  der  Funken  auszuschalten,  arbeitete  er 
nur  mit  gekühlten  Funken,  die  eine  eigenartige  Wirkung  auf  die  Gewebe 
ausüben;  sie  bewirken  Ischämie '  und  Gänsehautbildung  der  Haut,  Wunden 
nehmen  glasige  Beschaffenheit  an,  Muskeln  und  Fett  werden  dunkel,  kapilläre 
Blutungen  werden  gestillt,  Tumormassen  werden  analgesiert,  anämisiert  und 
erweicht,  wonach  abundante  Wundsekretion  mit  polynukleären  Leukozyten 
einsetzt.  \ 


Referate  und  Besprechungen. 


743 


Keating-Hart  glaubte  durch  die  elektive  Wirkung  der  Funken  auf 
die  Tumorzellen  eine  Vernichtung  der  bösartigen  Massen  erreichen  zu  können, 
da  aber  die  Tiefenwirkung  ungenügend  war,  da  der  Organismus  unter  der 
profusen  Lymphorrhöe  vergebliche  Anstrengungen  machte,  das  abgetötete  Krebs¬ 
gewebe  abzustoßen,  so  ging  er,  statt  die  zerstörende  Wirkung  der  Funken  zu 
erhöhen,  dazu  über,  die  vorher  bestrahlten  kranken  Massen  mit  Messer,  Schere, 
Kürette  zu  entfernen  und  dann  erst  die  erneute  Bestrahlung  des  Operations¬ 
feldes  als  Hauptakt  des  Verfahrens  anzusehen. 

3  Kategorien  von  Tumoren  kamen  zur  Behandlung.  1.  Krebse  der 
äußeren  Bedeckungen.  2.  Tumoren  unter  den  äußeren  Bedeckungen,  also 
hauptsächlich  Brustkrebse.  3.  Krebse  der  Schleimhäute,  Zunge,  Mund,  Rek¬ 
tum,  Uterus. 

Wenn  auch  bei  den  Haut-  und  namentlich  den  Gesichtskrebsen  Röntgen¬ 
strahlen  und  Radium  mitunter  gutes  Resultat  ergeben,  so  wirkt  doch  die 
Fulguration  insbesondere  bei  vorgeschrittenen  Fällen  mit  Beteiligung  des 
Knochens  und  bei  rezidi vierten  Fällen  schnell  und  gründlich.  Von  der  radi¬ 
kalen  chirurgischen  Behandlung  hat  das  Verfahren  zudem  den  Vorzug,  daß 
es  ermöglicht,  sich  an  den  Grenzen  des  Gesunden  zu  halten,  miterkrankten 
Knochen  energisch  mit  dem  scharfen  Löffel  zu  bearbeiten :  Auffallend  rasche 
Epithelisation  und  erstaunlich  günstiges  kosmetisches  Resultat  sind  weitere 
Vorzüge  der  Beblitzung.  Keating-Hart  hat  jetzt  wohl  70  Hautkrebse, 
fast  alle  mit  gutem  Erfolge  behandelt,  von  denen  Verfasser  einige  durch  das 
Resultat  besonders  eklatante  eingehender  bespricht  und  durch  Abbildungen 
veranschaulicht. 

Bei  der  zweiten  Kategorie  von  Fällen,  hauptsächlich  Brustkarzinome, 
handelte  es  sich  meist  um  ulzerierte,  weit  vorgeschrittene  Tumoren  mit 
ulzerierten  Drüsenmetastasen  und  multiplen  Hautmetastasen,  chirurgisch  in¬ 
operable  Fälle.  Der  Eingriff  dabei  besteht  darin,  daß  die  Knoten  und  die 
fühlbaren  Drüsen  einfach  entfernt  werden.  Auffallend  ist,  daß  bei  der 
1.  Sitzung  zurückgelassene  Drüsen  und  Knoten  von  selbst  zurückgehen,  und 
daß  Rezidive  einen  benignen  Charakter  angenommen  haben.  7  so  behandelte 
Patientinnen  sind  1 — 1 1/2  Jahre  in  gutem  Zustande. 

Besonders  frappant  ist  der  Fall  einer  50  jährigen  Frau,  die  auch 
Sonnenburg  gesehen  hat,  die  nach  zweimaliger  Operation  mit  Ulzerationen 
in  der  Mitte  der  Brust  und  in  der  Achselhöhle  sowie  mit  geschwollenem. 
Arme  in  Behandlung  kam.  Vor  2  Jahren  wurden  die  Tumoren  fulguriert 
und  abgekratzt,  rasche  Vernarbung;  vor  einem  Jahre  die  Knoten  in  der 
Achselhöhle  und  5  Hautmetastasen  entfernt  und  fulguriert.  Der  Frau  geht 
es  wieder  gut,  sie  kann  den  Arm  frei  bewegen. 

Mit  den  Erfolgen  bei  Schleimhautkarzinomen  ist  zwar  Keating-Hart 
noch  nicht  recht  zufrieden,  doch  werden  beachtenswerte  Resultate  in  je  einem 
Falle  von  Rektum-Karzinom  und  Karzinom  des  Zungengrundes  mitgeteilt. 
Bei  Uteruskarzinomen  rühmt  Pozzi  die  Beseitigung  der  Schmerzen,  der 
Jauchung  und  der  Blutung. 

Auch  in  einigen  Fällen  von  Lupus  sind  Erfolge  zu  verzeichnen. 

Wenn  auch  die  Beobachtungsdauer  zu  kurz  ist,  um  ein  abschließendes 
Urteil  über  das  neue  Verfahren  fällen  zu  können,  so  wird  man  doch  den 
Worten  des  angesehenen  Pariser  Chirurgen  Pozzi  zustimmen  müssen:  „Mit 
Keating-Hart  erkenne  ich  an,  daß  der  hochgespannte,  hochfrequente  Funke 
blut-  und  schmerzstillend  ist,  daß  er  einen  eigenartigen,  umbildenden  Und 
unmittelbaren  Einfluß  auf  das  Krebsgewebe  hat,  daß  er  außerdem  eliminierend 
und  vernarbend  wirkt.  Was  soll  man  von  mehr  oder  weniger  entfernten 
Resultaten  sagen.  Es  scheint  mir  sicher,  daß  sie  in  sehr  schweren  Fällen, 
wo  die  Chirurgie  allein  es  ablehnte  einzugreifen,  Wirkungen  erzielte,  die 
keine  andere  Methode  hätte  erreichen  können/'  Auf  die  Frage,  ob  damit 
das  Mittel  zur  Krebsheilung  gefunden  sei,  meint  Pozzi:  „Es  wäre  wenig 
wissenschaftlich,  dies  zu  behaupten,  und  ich  erkenne  die  Zurückhaltung  des 


744 


Referate  und  Besprechungen. 


Autors  an,  der  es  der  Zeit  und  den  Erfahrungen  anderer  anheimstellt,  diese 
Frage  zu  entscheiden;  aber  für  einen  beträchtlichen  Zeitraum  die  Vernarbung 
eines  Rektumkarzinoms  herbeigeführt  und  die  Kachexie  beseitigt  zu  haben, 
ferner  ein  rasch  wachsendes  Karzinom  der  Stirn  und  des  Stirnbeins,  einen 
weichen,  ulzerierten,  an  Muskeln  und  Rippen  adhärenten  Brustkrebs  be¬ 
seitigt  zu  haben,  und  dies  lediglich  durch  einfache,  unvollkommene  Aus¬ 
schälungen  mit  Kürette  und  Skalpell  unter  vorhergehender  und  nachfolgender 
Beblitzung,  das  nenne  ich  neue  Tatsachen  in  der  Medizin,  die  für  uns  hohes 
Interesse  haben.“ 

Eine  gewissenhafte  Nachprüfung  der  Methode  —  exakt  und  konsequent 
nach  den  Intentionen  des  Autors  —  dürfte  sich  nicht  nur  für  vorgeschrittene, 
chirurgisch  inoperable  Krebse  oder  Krebsrezidive  zur  Erreichung  palliativer 
Erfolge  empfehlen,  sondern  auch  bei  operablen  Fällen  zur  Erzielung  besserer 
Dauererfolge  angezeigt  sein.  Carl  Grünbaum  (Berlin). 


Gelegentlich  des  21.  französischen  Chirurgenkongresses  berichtete  Juge 
(Marseille)  über  40  mit  Fulguration  behandelte  Krebsfälle.  Bei  24  hat  er 
Heilung  erzielt;  davon  waren  11  inoperabel,  6  nur  mit  enormen  Abtragungen 
operabel  gewesen.  Die  Methode  erfordert  nur  ein  Wegnehmen  des  Tümors, 
soweit  er  makroskopisch  sichtbar  ist ;  dann  läßt  man  die  hochgespannten 
Stromentladungen  auf  die  Wundfläche  einwirken.  Die  Lymphbahnen  er¬ 
fordern  keine  besondere  Behandlung. 

Sobald  irgend  ein  neuer  kleiner  Knoten  sich  zeigt,  wird  er  mit  Fulgu¬ 
ration  unschädlich  gemacht.  Buttersack  (Berlin). 


Kompendiöser  Kasten  für  Instrumente,  Verbandstoffe  und  Medikamente, 

der  gleichzeitig  als  Kochgefäß  dient. 

(Stabsarzt  J.  Müller,  Brandenburg.  Zeitschr.  für  Krankenpflege,  Nr.  2,  1909.) 

Der  Metallkasten  hat  die  Abmessungen  6,5  X  14  X  22  cm,  trägt  in  seiner 
einen  Hälfte  Instrumente,  in  der  anderen  Medikamente,  Verbandstoffe,  Irri¬ 
gator,  Spirituslämpchen  usw.  und  kann  sowohl  am  Fahrrad  wie  in  der 
Satteltasche  untergebracht  werden.  Esch. 


4 

Die  Behandlung  des  eingewachsenen  Nagels  mit  Eisenchlorid. 

(Lehmann.  Deutsche  militärärztl.  Zeitschr.,  Nr.  21,  1908.) 

Lehmann  beschreibt  eine  einfache,  von  Professor  Rehn  in  Frankfurt 
angegebene  und  an  dessen  Klinik  seit  15  Jahren  angewandte  Methode  der 
operationslosen  Behandlung  eingewachsener  Nägel.  Man  läßt  mittels  eines 
mit  Watte  umwickelten  Holzstäbchens  unverdünntes  Eisenchlorid  sowohl  auf 
den  entzündlichen  Wall  der  überstehenden  Weich  teile  wie  auf  den  einge¬ 
wachsenen  Teil  des  Nagels  selbst  wirken.  Man  muß  das  Mittel  recht  tief 
hineintupfen,  den  Wattebausch  mit  Eisenchlorid  eine  Zeitlang  hineingedrückt 
halten.  Es  empfiehlt  sich,  diese  Prozedur,  die  leicht  schmerzlos  gemacht 
werden  kann,  recht  gründlich  Jauszuführen.  Tamponade  ist  nicht  nötig. 
Eventuell  Wiederholung  von  24  zu  24  Stunden.  Das  Eisenchlorid  wirkt 
rasch  austrocknend,  der  Entzündungswall  schrumpft,  wird  fest  und  zieht 
sich  zurück,  der  Nagel  wird  jrnürbe,  der  Schmerz  schwindet.  In  leichten 
Fällen  ist  die  Heilung  bald  beendet,  aber  selbst  phlegmonöse  Prozesse  gehen 
wieder  zurück.  In  einfachen  Fällen  kann  die  Behandlung  ambulatorisch 
(natürlich  nur  bei  passendem  Schuhwerk)  erfolgen ;  bei  starken  Entzündungs¬ 
erscheinungen  ist  einige  Tage  Bettruhe  erforderlich.  W.  Guttmann. 


Referate  und  Besprechungen. 


745 


Medikamentöse  Therapie. 

Die  Antiseptica  in  der  Dermatologie. 

(L.  M.  Pautrier.  Bull,  med.,  Nr.  96,  S.  1079,  1908.) 

In  der  Annahme,  die  Antiseptika  könnten  auf  die  Erreger  der  Derma¬ 
tosen  —  weil  sie  scheinbar  oberflächlich  sitzen  —  energisch  einwirken, 
benützt  man  diese  Mittel  noch  viel  zu  viel  in  der  Dermatologie.  In  der  Tat 
ist  ihre  bakterientötende  Kraft  gleich  Null ;  dafür  schädigen  sie  aber  das 
lebendige  Gewebe.  Umschläge  mit  gekochtem  "Wasser,  mit  Kamillen-,  Hol¬ 
lunder-,  Nußblätter-,  Blaubeeren- Abkochungen  sind  bei  Hautreizungen  vor¬ 
zuziehen. 

Von  den  sog.  Antiseptizis  kommen  für  den  Dermatologen  nur  in  Betracht : 
Jod,  Silbernitrat,  Wasserstoffsuperoxyd,  übermangansaures  Kali.  Jod  — 
in  Alkohol,  Azeton  oder  Chloroform  gelöst  —  empfiehlt  sich  bei  epidermalen 
Prozessen.  Bei  Streptokokken  —  Impetigo,  bei  Impetigo  von  Bockhart, 
Ekthyma,  Pustelbildungen  und  dergl.  wende  man  zunächst  erweichende  Mittel 
an,  betupfte  sie  dann  mit  Sol.  Argent.  nitr.  1 :  100  bis  1 :  50  und  verbinde 
dann  mit  einfacher  Zinkpaste  oder  mit  einer  Zink-Borsäure-Kampfer-Paste 
(Camphor.  trit.  0,5,  Acid.  bor.  1,0,  Zinc.  oxyd.  6,  Lanolin  6,  Vaselin  pur.  8). 
Auch  Alibour  =  Wasser  (Aq.  dest.  200,  Camphor.  zur  Sättigung,  Zinc.  sulf.  7, 
Kupfersulf.  2,  Safran  0,4  S.  mit  der  3 — 4  fachen  Menge  Wasser  zu  ver¬ 
dünnen)  empfiehlt  sich  sehr;  man  spült  die  betr.  Stellen  damit  zweimal  im 
Tag  ab.  Buttersack  (Berlin). 


Medizinische  Öle  als  Pulver. 

(J.  Silberstein.  Progres  med.,  Nr.  4,  S.  39,  1909.) 

Eine  Präparation,  die  sich  gewiß  schnell  Freunde  erwerben  wird,  ist 
die  Verreibung  schlecht  schmeckender  Öle  (Ol.  Ricini,  Santali,  Filicis  maris, 
Kreosot,  Lebertran)  mit  Magnesia.  Auf  diese  Weise  entsteht  ein  ganz  trockenes 
Pulver  ohne  Geruch  und  ohne  Geschmack,  das  man  in  beliebiger  Form  als 
Pulver  oder  als  Emulsion  nehmen  kann.  Große  und  kleine  Patienten  haben 
es  ohne  weiteres  genommen,  und  was  speziell  das  Ol.  Ricini  betrifft,  so  kommt 
man  in  dieser  Pulverform  mit  geringeren  Dosen  aus  als  in  der  bisher  üblichen 
ölig-flüssigen.  In  Paris,  6  tfue  Michel  Chasles,  hat  sich  eine  Societe  frangaise 
des  huiles  medicinales  en  poudre  aufgetan ;  es  wird  nicht  lange  dauern,  daß 
dasselbe  auch  im  deutschen  Handel  erscheint.  Buttersack  (Berlin). 


Alypin  in  der  Zahnheilkunde. 

(Arno ne.  La  Stomatologia,  Nr.  6,  1908.) 

Verf.  verwandte  das  Alyp,in  bei  den  schwierigsten  und  schmerzhaftesten 
Zahnoperationen,  bei  Wurzel extraktionen  mit  Kieferhöhlenentzündung,  Fisteln 
trotz  komplizierender  Alveolennekrose  bei  der  Extraktion  von  Weisheits¬ 
zähnen  mit  Abszessen  und  Trismus.  Gewöhnlich  wurden  2  ccm  einer21/i>%igen 
sterilen  isotonischen  Lösung  injiziert,  in  schwereren  Fällen  jedoch  auch  4  bis 
5  ccm.  Die  Wirkung  war  immer  eine  gute,  oftmals  ausgezeichnete  und  nie¬ 
mals  traten  Intoleranzerscheinungen  auf.  So  wurde  einer  62  jährigen,  schwäch¬ 
lichen  Dame  5  ccm  einer  2,5°/0igen  Alypinlösung  ohne  weiterem  Nachteil  als 
geringer  Parese  der  Lippen  injiziert. 

Manchmal,  z.  B.  bei  Periostitis  wurde  der  Lösung  einige  Tropfen 
Adrenalin  hinzugefügt.  Verf.  hält  esi  für  das  Richtigste,  das  Alypin  jedes¬ 
mal  frisch  aufzulösen,  jedoch  kann  auch  eine  vorrätige  Lösung  öfters  ge¬ 
braucht  und  —  was  im  Gegensatz  zum  Kokain  bemerkenswert  ist  —  wieder¬ 
holt  durch  kurzes  einmaliges  Aufkochen  sterilisiert  werden. 

Verf.  beschreibt  dann  den  seltenen  Fall  einer  nicht  in  die  Kieferhöhle 
hineinragenden  Gaumenfistel.  Die  Operation  derselben  dauerte  20  Minuten 
lang  und  3  g  der  21/2%igen  Alypinlösung  genügten,  um  das  Periost  aus- 


746 


Referate  und  Besprechungen. 


zuschneiden  und  das  nekrotische  Gewebe  schmerzlos  auszukratzen.  Ferner 
wurden  einer  Patientin  auf  einmal  drei  Wurzeln  eines  Backenzahnes,  die 
oft  die  Ursache  von  Periostitis  und  Abszessen  gewesen  waren,  vollkommen 
schmerzlos  ausgezogen.  Neumann. 


Ueber  einige  interessante  Beobachtungen  mit  Pyrenol. 

(G.  Bartsch.  Deutsche  Medizinalzeitung,  Nr.  12,  1909.) 

B.  befürwortet  Verabreichung  des  Pyrenols  bei  Cholelithiasis  neben 
der  gewöhnlichen  Behandlung.  Er  nimmt  an,  daß  dem  Pyrenol  cholagoge 
und  darmdesinfizierende  Eigenschaften  zukommen.  Zwei  einschlägige  Fälle 
werden  angeführt,  und  er  bittet  um  Nachprüfung  des  Pyrenols  in  der  ange¬ 
deuteten  Richtung.  Es  würde  mit  dem  Gebrauch  dieses  Mittels  bei  Er¬ 
krankung  der  Gallenwege  der  Indikationskreis  eines  als  vorzügliches  Anti¬ 
febrile,  Antirheumatikum,  Expextorans  und  Sedativum  bereits  bestbekannten 
Mittels  wesentlich  erweitert  werden.  Koenig  (Dalldorf). 


Über  Coryfin  und  seine  Anwendung. 

(Dr.  A.  v.  Kirchbauer  in  Nürnberg.  Deutsche  med.  Wochenschr.,  Nr.  51,  1908.) 

Der  Äthylglykolsäureester  des  Menthol,  Coryfin  genannt,  wird  von 
Kirchbauer  bei  akutem  Schnupfen  alle  2 — 3  Stunden  auf  die  Nasenschleim¬ 
haut  gepinselt  und  danach  Nasenatmung  anempfohlen.  Ähnlich  verfährt  er 
auch  bei  chronischem  Schnupfen,  bei  dem  er  ganz  besonders  viel  Wert  auf 
die  Nasen atmung  legt.  Mit  seinen  Erfolgen  ist  er  sehr  zufrieden. 

Bei  Kehlkopfkatarrhen  läßt  er  8 — 10  Tropfen  durch  den  Sänger’schen 
Arzneiverdampfapparat  drei-  bis  viermal  täglich  inhalieren ;  oder  alle  2  bis 
3  Stunden  ein  mit  3 — 4  Tropfen  getränktes  Stück  Zucker  im  Munde  zer¬ 
gehen,  an  dessen  Stelle  neuerdings  die  Ooryfinbonbons  ä  0,02  getreten  sind. 
Auch  bei  Bronchialkatarrhen  sind  Inhalationen  zusammen  mit  ein  paar  Körn-' 
bhen  Thymol  am  Platze. 

Gute  Erfolge  erzielte  er  endlich  bei  Neuralgien  des  Nervus  frontalis 
und  auriculo-temporalis,  sowie  bei  der  Migräne  durch  Aufpinseln  des  Mittels 
auf  die  Schmerzstellen.  F.  Walther. 


Magnesiumsulfat  bei  Verbrennungen. 

(Stowe.  Internat.  Journ.  of  Surg:,  Fase.  X,  1908.) 

Baden  in  gesättigter  Lösung  von  Magnesiumsulfat  von  16°  oder  ‘  Um¬ 
schläge  damit  isollen  den  Schmerz  sofort  stillen  und  die  Reaktionserscheinungen 
mäßigen.  Man  kann  auch  die  Wundfläche  mit  Magnesiumsulfat  einpudern 
und  dann  einen  trockenen  Verband  herumlegen. 

Ähnliche  Mitteilungen  sind  m.  W.  schon  früher  erfolgt. 

Buttersack  (Berlin). 


Die  Anwendung  von  physiologisch  reinem  Lezithin. 

(Kleinertz.  Med.  Klinik,  Nr.  6,  1908.) 

Bei  der  Anwendung  von  Lezithinpräparaten  vermißte  Kleinertz  öfter 
die  gewünschte  Wirkung  und  glaubte  die  Ursache  in  dem  zu  geringen  oder 
schwankenden  Gehalt  der  Präparate  an  Lezithin  erblicken  zu  sollen.  Denn 
von  dem  Augenblicke  an,  von  dem  er  ein  unter  dem  Namen  Biocitin  in  den 
Handel  kommendes  Präparat,  das  das  Lezithin  in  besonders  reinem  Zustande 
und  in  der  Menge  von  10,7%  enthält,  verwandte,  waren  seine  Erfolge,  wie 
die  auszugsweise  mitgeteilten  Krankenbeobachtungen  dartun,  anscheinend  sehr 
befriedigende.  Dabei  soll  ein  verhältnismäßig  niedriger  Preis  die  Heranziehung 
des  Präparates  auch  bei  minder  bemittelten  Kranken  ermöglichen. 

R.  Stüve  (Osnabrück). 


Referate  und  Besprechungen. 


747 


Ueber  das  Verhalten  des  arsenparanukleinsauren  Eisens  und  der  arsenigen 

Säure  im  Organismus. 

(E.  Salkowski.  Biochem.  Zeitschr.,  S.  321,  1908.) 

Das  arsenparanukleinsaure  Eisen,  das  in  der  ärztlichen  Praxis  im  Arsen- 
Triferrin  und  Arsen-Triferrol  (vergl.  Berlin.  Klin.  Wochenschr.,  Nr.  4,  1908) 
Verwendung  findet,  wird  im  Gegensatz  zum  arsensauren  Eisen  vom  Darm¬ 
kanal  aus  schnell  resorbiert.  Der  Harn  enthält  reichlich  Arsen.  Hieraus 
geht  auch  hervor,  daß  das  arsenparanukleinsaure  Eisen  eine  chemische  Ver¬ 
bindung  darstellt.  Nach  Einführung  der  genannten  Verbindung  findet  sich 
das  Arsen  im  Harn  fast  ausschließlich  in  organischer  Bindung,  in  den  ersten 
Tagen  kann  auch  etwas  anorganisches  Arsen  vorhanden  sein ;  mit  Hilfe  der 
Alkoholfällung  läßt  sich  im  alkalischen  Kaninchenharn  organisch  gebundenes 
Arsen  vom  anorganischen  leicht  unterscheiden.  Ebenso  gut  wie  vom  Darm¬ 
kanal  wird  das  arsenparanukleinsaure  Eisen  auch  vom  Unterhautzellgewebe 
resorbiert. 

Die  Toxizität  des  arsenparanukleinsauren  Eisens  richtet  sich  nach  dem 
in  dieser  Verbindung  enthaltenen  Arsen;  bei  Kaninchenversuchen  ist  zu  be¬ 
rücksichtigen,  daß  diese  Tiere  reichliche  Mengen  Arsen  vertragen.  Das  Arsen 
wird  aus  dem  Körper  nur  teilweise  ausgeschieden,  ein  anderer  Teil  kommt 
im  Körper  zur  Ablagerung,  so  wurden  z.  B.  bei  Verfütterung  von  Natrium- 
arsenit  in  den  ersten  6  Tagen  nur  62°/0  des  eingeführten  Arsens  im  Harn 
wiedergefunden.  Neumann. 


Über  ein  neues  Santalolpräparat  des  Thyresol. 

(Dr.  Bornemann,  Charlottenburg.  Med.  Klinik,  Nr.  48,  1908.) 

Bornemann  empfiehlt  das  von  den  Elberfelder  Farbwerken  herge¬ 
stellte  Thyresol,  einen  Santalotmethyläther.  Es  belästigt  im  Gegensatz  zu 
den  übrigen  Balsamizis  den  Magen,  die  Nieren  und  die  Blase  nicht  und 
eignet  sich  zum  inneren  Gebrauch  bei  allen  entzündlichen  Beizzuständen 
der  Harnröhre  bes.  bei  Gonorrhöe.  Hier  mildert  das  Thyresol  den  Urin¬ 
drang  und  die  Schmerzen  wesentlich.  Von  den  verschiedenen  Darreichungs¬ 
formen  (Tropfen,  Perles  gelatineuses  a  0,25  und  Tabletten  ä  0,25)  eignen 
sich  die  Tabletten,  die  wegen  ihrüß  Gtethaltes  an  Magnesiacarbonica  leicht 
abführende  Wirkung  haben,  besonders  gut.  Man  nimmt  3 — 4  mal  täglich 
2  Stück  davon,  am  besten  zwischen  den  Mahlzeiten.  F.  Walther. 


Ueber  Arhovin. 

(R.  Blum.  Ther.  Zentralbl.,  Nr.  17,  1908.) 

Das  Arhovin  intern  eingenommen,  verringert  in  kurzer  Zeit  die  sub¬ 
jektiven  Beschwerden  sowohl  bei  akuter  als  bei  chronischer  Gonorrhöe;  es 
wirkt  entwicklungshemmend  auf  die  Gonokokken.  Bei  Cystitiden  und  Pyeli¬ 
tiden,  auch  nicht  gonorrhoischen  Ursprungs,  werden  mit  Arhovin  gute  Erfolge 
erzielt.  Zum  internen  Gebrauch  wird  das  Arhovin  in  Gelatinekapseln  ä  0,25  g 
dispensiert.  Zu  Injektionen  wird  2 — 5%  von  Arhovin  in  Ol.  olivarum 
verwendet.  Ferner  werden  noch  Stäbchen  mit  einem  Gehalt  von  0,05  g 
Arhovin  und  Vaginalkugeln  mit  0,10  g  Arhovin  hergestellt. 

Koenig  (Dalldorf). 


Röntgenologie  und  physikalische  Heilmethoden. 

Die  Röntgentherapie  der  Basedow’schen  Krankheit. 

(Gottwald  Schwarz.  Wiener  klin.  Wochenschr.,  Nr.  38,  1908.) 

Die  Röntgenbehandlung  des  Basedow  wurde  eingeführt  1905  von  dem 
New -Yorker  Chirurgen  Karl  Beck  und  dann  weitergeführt  vor  allem  in 
Wien  von  Stegmann,  Widermann,  Rudinger,  Hirschl,  Dahan  und 


748 


Referate  und  Besprechungen. 


Schwarz,  der  auch  jetzt  wieder  über  die  während  dreier  Jahre  an  40  Fällen 
gesammelten  Erfahrungen  berichtet.  Was  die  von  ihm  geübte  Technik  an¬ 
langt,  so  muß  darüber  im  Original  nachgelesen  werden,  was  die  Dauer  der 
Behandlung  betrifft,  so  soll  dieselbe  —  mit  14 tägigen  Intervallen  —  bis 
zu  drei  .Vierteljahren  fortgesetzt  werden.  Was  seine  Erfolge  anlangt,  so 
macht  schon  bald  —  oft  wenige  Tage  —  nach  der  Einleitung  der  Röntgen¬ 
therapie,  sich  eine  Änderung  der  nervösen  Verstimmung  geltend:  Die  Patienten 
werden  beruhigter,  ihre  Reizbarkeit  nimmt  ab.  Meist  steigt  dabei  gleich¬ 
zeitig  das  Körpergewicht,  manchmal  außerordentlich  rasch,  so  daß  Ge¬ 
wichtszunahmen  von  6—8  kg  innerhalb  eines  Monats,  ohne  Diätänderung, 
nichts  Ungewöhnliches  sind! 

Sehl  bald  zeigt  sich  die  Beschränkung  der  Giftzufuhr  von  seiten  der 
bestrahlten  Drüse  in  der  Besserung  der  kardial|en  Symptome:  Die 
Zahl  der  Herzschläge  nimmt  ab,  meist  um  20 — 30  pro  Minute,  das  Gefühl 
des  Herzklopfens  schwindet.  Nicht  selten  kommt  es  auch  in  kürzerer  Zeit 
zur  Verringerung  des  Exophthalmus,  wenngleich  er  gewöhnlich  am 
hartnäckigsten  und  namentlich  bei  längerem  Bestehen  schwer  zu  beein¬ 
flussen  ist. 

Ähnliches  gilt  von  der  Struma,  bei  der  kleine  Volumsabnahmen  (2 — 3  cm 
Halsumfangsverminderung)  häufig  sind,  ausgiebigere  Schrumpfungen  jedoch 
seltener !  Jedoch  scheinen  chronische,  durch  viele  Monate  fortgesetzte  Be¬ 
strahlungen  auch  in  dieser  Richtung  von  Erfolg  zu  sein. 

Günstig  werden  auch  die  Schweiße  und  Diarrhöen  beeinflußt,  wie 
auch  die  sogen.  Formes  frustes  für  die  Röntgenbehandlung  geeignet  sind, 
wie  Verf.  an  einer  Patientin  erweist,  bei  der  außer  unstillbaren  Diarrhöen 
kein  anderes  Basedow-Symptom  vorhanden  war  und  bei  der  nur  anamnestisch 
eine  viele  Jahre  zurückliegende  Basedow- Attacke  ermittelt  werden  konnte. 
Die  Kranke,  die  monatelang  vergeblich  mit  Styptizis  behandelt  worden  war, 
verlor  ihre  15 — 20  Diarrhöen  pro  Tag  nach  einigen  Bestrahlungen. 

Zum  Überblick  über  den  Wert  der  Röntgenbehandlung  bei  den 
einzelnen  Symptomen  gibt  Schwarz  dann  eine  aus  seinen  40  Fällen 
gewonnene  Tabelle,  aus  der  hervorgeht,  daß  —  bei  einer  durchschnittlichen 
Behandlungsdauer  von  3  Monaten  —  die  nervösen  Symptome  stets,  die  Tachy¬ 
kardie  in  fast  allen  Fällen  (bei  36  von  40  =  90%),  die  Abmagerung  bei  über 
der  Hälfte  (26  von  40),  der  Exophthalmus  bei  15  von  40,  die  Struma  jedoch 
nur  in  einem  Fünftel  der  Fälle  (bei  8  von  40)  gebessert  wurden. 

Im  großen  und  ganzen  sind  die  von  Schwarz  erreichten  Resultate 
als  recht  günstige  zu  bezeichnen,  vor  allem  wegen  der  fast  regelmäßig  er¬ 
zielten  Besserung  der  kardialen  Symptome. 

Geht  man  auch  nicht  so  weit  wie  Kraus,  dann  schon  von  „Heilung“ 
zu  sprechen,  wenn  einmal  die  Tachykardie  längere  Zeit  geschwunden,  so 
bedeutet  die  Behebung  der  prognostisch  so  wichtigen  Basedo  w’schen  Herz¬ 
affektion  —  zumal  auf  eine  so  schmerzlose  und  unfühlbare  Art,  immerhin 
einen  sehr  bedeutenden  Erfolg!  Werner  Wolff  (Leipzig). 


Maligne  Tumoren  mit  Radium-Strahlen  von  hoher  Penetrationskraft 

behandelt. 

(H.  Dominici.  Bull,  de  PAssociat.  francaise  pour  Petude  du  cancer.,  Tome  I,  4,  1908. 

—  Rev.  de  med.,  H.  1,  1909.  (Supplement.) 

Dominici  ist  auf  die  Idee  gekommen,  den  Radiumstrahlen  die  schäd¬ 
lichen  Elemente  wegzunehmen.  Als  solche  betrachtet  er  die  leicht  absorbier¬ 
baren  a-  und  ß-  Strahlen,  und  indem  er  die  Radiumsalze  (die  teils  mit  Hilfe 
von  Firnis  auf  Leinwand  oder  Metall  aufgetragen  waren  oder  frei  zwischen 
zwei  Glasplatten  lagen)  mit  einer  Bleihülle  von  2,5 — 3  mm  Dicke  umgab, 
schaltete  er  die  a- Strahlen  gänzlich,  die  ß- Strahlen  zum  größten  Teil  aus 
und  behielt  nur  die  y- Strahlen  übrig.  Allerdings  gehen  dabei  99%  her  Gesamt- 


Referate  und  Besprechungen. 


749 


Strahlung  verloren ;  allein  der  Best  ist  immer  noch  kräftig  genug,  um  allerlei 
therapeutische  Effekte  zu  erzielen.  Die  Montierung  ist  höchst  einfach :  Man 
umgibt  die  Strahlenquelle  mit  den  dünnen  Bleiplatten,  legt  —  zur  Ver¬ 
meidung  von  Sekundärstrahlen  —  eine  Papierhülle  herum  und  wickelt  das 
Ganze,  das  beliebig  groß  gemacht  werden  kann,  in  Kautschuk  ein.  Dieses 
Element  befestigt  man  entweder  außen  auf  der  betr.  Stelle  oder  führt  es 
mittels  eines  kleinen  Schnittes  in  das  Innere,  z.  B.  eines  Tumors,  ein ;  man  kann 
es  ununterbrochen  liegen  lassen  (bis  zu  120  Stunden)  oder  in  beliebigen 
Intervallen  abnehmen  und  wieder  wirken  lassen. 

Domini  ci  stellte  der  Gesellschaft  teils  in  persona,  teils  im  Bild  eine 
Beihe  von  geheilten  Fällen  vor :  Kankroide  im  Gesicht,  am  Penis,  an  der 
Nase,  fatale  Schleimhautkrebse,  Oberkieferkarzinome,  sowie  solche  des  Uterus 
und  der  Mamma;  auch  Sarkome,  Lymphosarkome  und  -Adenome  wurden 
damit  völlig  beseitigt.  Angesichts  dieser  Erfolge  müssen  eventl.  theoretische 
Bedenken  schweigen,  und  da  andererseits  kein  Schaden  damit  angerichtet 
worden  ist,  so  verdienen  die  Mitteilungen  Beachtung  und  Nachprüfung,  ins¬ 
besondere,  da  diese  Therapie  nicht  bloß  tuto,  sondern  auch  jucunde  wirkt. 

Buttersack  (Berlin). 


Über  die  Rolle  der  Salze  im  Bade. 

(M.  Herz,  Wien.  Klin.-therap.  Wochenschr.,  Nr.  1,  1909.) 

Die  zu  Badezwecken  verwendeten  Salzlösungen  wirken  bei  verschiedenen 
Krankheitszuständen  heilend.  Die  Erklärung  für  die  beobachteten  Verände¬ 
rungen  des  Allgemeinbefindens  ist  in  Beeinflussungen  der  Körperoberfläche 
durch  die  gelösten  Badesubstanzen  zu  suchen,  welche  einen  indirekt  auf  das 
Nervensystem  und  den  Stoffwechsel  einwirkenden  Hautreiz  ausüben,  da  nach¬ 
weislich  die  Salze  lange  Zeit  in  kristallinischer  Form  der  Haut  anhaften. 
Frankenhäuser  hat  hieraus  die  Behauptung  einer  Herabsetzung  der  Wasser¬ 
verdunstung  der  Hautoberfläche  nach  Salzbädern  hergeleitet.  Verf.  hat  aber 
durch  angestellte  Versuche  das  nur  dann  für  zutreffend  befunden,  wenn  der 
mit  Salzlösung  (Chlorkalziumlösung)  bestrichene  Körperteil  im  Zimmer,  bei 
Körperruhe  und  in  warmer  Kleidung  gehalten  wurde;  alsdann  trat  lebhaftes 
Wärmegefühl  auf,  das  verschwand,  sobald  die  Kleidung  entfernt  wurde, 
sowie  bei  Bewegung  und  vollends  bei  Aufenthalt  im  Freien.  Desgleichen  wurde 
ein  auf  die  bestrichene  Stelle  geleiteter  warmer  Luftstrom  intensiv  warm 
empfunden,  während  ein  kalter  Luftstrom  an  derselben  Stelle  ein  lebhaftes 
Kältegefühl  erzeugte.  Daraus  folgt,  daß  bei  raschem  Wechsel  der  den  Körper 
unmittelbar  umgebenden  Atmosphäre  die  Auflagerung  des  Salzes  eine  größere 
Anteilnahme  der  Haut  an  den  Temperaturschwankungen  der  unmittelbaren 
Umgebung  bewirkt.  Peters  (Eisenach). 


Aus  der  Universitätsklinik  für  Hautkrankheiten  in  Kiel. 

Ueber  die  Behandlung  von  Hautkrankheiten  mit  der  Kromayer’schen 

Quarzlampe. 

(Dr.  Bering.  Deutsche  med.  Wochenschr.,  Nr.  2,  1909.) 

B.  bevorzugt  die  Kromay er’sche  Quecksilberlampe  vor  allen  anderen 
Lampen.  Ihr  einziger  Nachteil  besteht  darin,  daß  sie  leicht  Oberflächen¬ 
nekrosen  hervorruft,  die  aber  mit  einer  glatten  und  nicht  pigmentierten 
Narbe  abheilen.  Die  von  anderen  ^Autoren  bemängelte  Schmerzhaftigkeit 
der  Bestrahlungen  kann  B.  nicht  bestätigen,  da  er  die  Lampe  auch  bei  Kindern 
anwenden  kann.  Zur  Behandlung  eignen  sich  die  Alopecia  areata,  die  Acne 
rosacea,  die  oberflächlichen  Gefäßmäler,  die  oberflächlichen  Formen  der 
Trichophytie  und  der  Lupus  erytematodes.  Tiefgehende  Gefäßmäler  eignen  sich 
nicht  zur  Behandlung.  Den  Lupus  vulgaris  behandelt  er  mit  gutem  Erfolg, 
kombiniert  mit  Röntgenbestrahlungen  und  Pyrogallussalben.  Hahn. 


750 


Bücherschau. 


Über  Thermoärotherapie  durch  Heißluft  und  Wechselduschen. 

(Adolf  Schnee.  Med.  Klinik,  Nr.  3,  1909.) 

Kurze  Beschreibung  und  Abbildung  eines  Apparates  zur  Erzeugung 
von  heißen  Luftduschen,  die  eventuell  mit  'kalten  kombiniert  werden 
können.  Der  Apparat,  „Fön“  genannt,  wird  von  der  Elektrizitätsgesell¬ 
schaft  ,,Sanitas“-Berlin  fabriziert  und  kann  an  jede  elektrische  Kraft-  und 
Lichtleitung  angeschlossen  werden.  Die  Anwendung  der  Heißluftduschen 
bewährten  sich  nach  Schnee  bei  allen  rheumatischen,  gichtischen,  ja  selbst 
gonorrhoischen  Gelenkerkrankungen,  ferner  bei  Lumbago,  Ischias,  Neural¬ 
gien,  sowie  auch  bei  Furunkulose.  Weitere  Mitteilungen  werden  in  Aus¬ 
sicht  gestellt.  R.  Stüve  (Osnabrück). 


Heißlufttherapie  bei  diabetischer  Gangrän. 

(Ricard.  Soc.  de  Chir.,  24.  Februar  1909.) 

Bei  5  Diabetikern  hatten  sich  allerlei  gangränöse  Stellen  an  Fingern 
und  Zehen  gebildet.  Ricard  leitete  zunächst  über  die  abgestorbenen  Stellen 
einen  Luftstrom  von  600 — 700°  und  behandelte  dann  die  angrenzenden  ge¬ 
sunden  Partien  mit  Luft  von  60°.  Die  Abstoßung  erfolgte  schnell  und 
ebenso  die  Narbenbildung.  Buttersack  (Berlin). 


Zur  rationellen  Anwendung  und  Konstruktion  des  Glühlichtbades. 

(J.  Deutsch  (Kiew).  Zeitschr.  für  phys.  u.  diät.  Ther.,  Bd.  12,  H.  11,  S.  670—678, 

Februar  1909.) 

Deutsch  setzt  auseinander,  daß  das  Wirksame  bei  den  Glühlichtbädern 
nicht  die  geleitete,  sondern  die  gestrahlte  Wärme  sei.  Bei  ungenügender  Venti¬ 
lation  machen  sich  die  immer  wieder  mitgeteilten  unerwünschten  Neben¬ 
erscheinungen  als  Folge  von  Wärmestauung  bemerklich,  SO'  daß  also  an  Stelle 
der  üblichen  verschlossenen  Glühlichtkästen  offene,  gut  ventilierte  Apparate 
treten  müßten.  Am  besten  komme  die  strahlende  Energie  zur  Verwendung 
bei  gewöhnlichen  weißen  Lampen  mit  parabolischen  Reflektoren ;  diese  müssen 
in  ihrer  Entfernung  vom  Kranken  regulierbar  sein.  Buttersack  (Berlin). 


Sterilisation  der  Milch  durch  ultraviolette  Strahlen. 

(V.  Henri  u.  G.  Strodel.  Acad.  des  Sciences,  März  1909.) 

Die  beiden  Experimentatoren  haben  Milch,  teils  im  natürlichen  Zustand, 
teils  nach  Versetzung  mit  allerlei  Bouillonkultur.en  (von  Coli-,  Milchsäure¬ 
bazillen  usw.)  ultravioletten  Strahlen  ausgesetzt  und  dadurch  absolute  Keim¬ 
freiheit  erzielt. 

Die  Kunde  ist  gewiß  erfreulich;  nur  müßte  man  auch  wissen,  ob  nicht 
die  Milch  in  ihrem  organischen  Gefüge  durch  die  Prozedur  verändert  worden 
ist.  Leider  besagt  die  Mitteilung  hierüber  nichts.  Buttersack  (Berlin). 


Bücherschau. 


Zentralblatt  für  Herzkrankheiten  und  die  Erkrankungen  der  Gefäße. 

Redigiert  von  Privatdozent  Dr.  Max  Herz.  Verlag  und  Administration 

Wien  IX,  Nußdorferstraße  4. 

Unter  obigem  Titel  liegt  eine  neue  Zeitschrift  vor.  Nachdem  sich  in 
der  Praxis  in  den  großen  Städten  und  den  Badeorten  zahlreiche  Spezialisten  für 
Herzkrankheiten  entwickelt  haben  und  auch  eine  Anzahl  wissenschaftlicher  Forscher 
die  Physiologie  und  Pathologie  der  Zirkulationsorgane  vorwiegend  oder  ausschließlich 
bearbeiten,  kann  man  die  Berechtigung  für  ein  derartiges  Zentralorgan  nicht  be¬ 
streiten.  An  zu  referierendem  Stoff  kann  es  nicht  mangeln  und  ein  Leserkreis 
wird  sich  auch  finden. 


Bücherschau. 


751 


Bisher  sind  erschienen:  Nr.  1  (32  Seiten  stark),  Nr.  2  (16  Seiten),  Nr.  3  u.  4 
(Doppelnummer  von  29  Seiten).  Der  Herausgeber,  neuerdings  durch  das  von  ihm 
angegebene  praktische  tragbare  Sphygmomanometer  viel  genannt,  nimmt  in  der 
ersten  Nummer  das  Wort  zu  einem  Originalartikel  über  Angina  pectoris.  Er  zerlegt  den 
Symptomenkomplex  in  einzelne  Typen,  den  spinalen  Typus,  den  glossopharyngeus- 
vagus  Typus,  den  pelvicus  Typus,  wie  man  sieht,  nach  Ausstrahlungserscheinungen. 
Indessen  führt  er  die  Trennung  nur  skizzenhaft  aus,  etwas  eingehender  für  die 
beiden  erstgenannten  Formen.  Ganz  scharf  würde  sie  wohl  auch  kaum  durch¬ 
zuführen  sein.  Dankbar  ist  der  Leser  für  einige  therapeutische  Hinweise,  von 
denen  aber  die  medikamentösen  noch  großenteils  fehlen  und  bezüglich  deren  ein 
besonderer  Artikel  in  Aussicht  gestellt  wird.  Im  übrigen  enthalten  die  Nummern 
Referate,  sauber  eingeteilt  in  die  Gruppen:  Anatomie  und  allgemeine  Pathologie, 
Klinik,  Therapie,  Sitzungsberichte,  Bücher,  was  die  Benutzung  sehr  erleichtert. 
Von  Mitarbeitern  haben  sich  unterzeichnet  (von  Nr.  2  ab)  Julius  Schütz-Marien¬ 
bad,  Rosenfeld-Stuttgart,  Buttersack-Berlin,  Risel-Zwickau,  Ruppert-Salz- 
uflen.  von  Criegern. 


Einführung  in  die  Psychiatrie  mit  spezieller  Berücksichtigung  der 
DifFerentialdiagnose  der  einzelnen  Geisteskrankheiten.  Von  Th.  Becker. 
Vierte  vermehrte  und  veränderte  Auflage.  Leipzig  1908,  Verlag  von 

Georg  Thieme.  4  Mk. 

Ein  ausgezeichneter  Leitfaden  für  Anfänger  in  der  Psychiatrie  und  besonders 
auch  für  praktische  Arzte.  Auch  der  intelligente  Laie,  namentlich  wenn  er  Jurist  ist, 
dürfte  dieses  Buch,  welches  seine  vierte  Auflage  wohl  verdient  hat,  mit  Nutzen 
studieren. 

Es  ist  dem  Verfasser  gelungen,  wie  er  sagt,  mit  kurzen  Worten,  in  knapper 
Form,  mit  besonderer  Hervorhebung  der  differentialdiagnostischen  Merkmale  ein 
Bild  der  häufigeren  Formen  und  Erscheinungsweisen  der  psychischen  Erkrankungen 
zu  entwerfen,  welches  sich  dem  Leser  plastisch  einprägt. 

Die  Änderungen  in  dieser  Auflage  sind  das  Resultat  der  Erfahrungen,  die 
Verfasser  in  seiner  fünfjährigen  Tätigkeit  als  ordinierender  Sanitätsoffizier  der 
Station  für  Nervenkranke  des  Garnisonlazeretts  in  Straßburg  und  bei  seinem  zwei¬ 
jährigen  Kommando  zur  Klinik  für  psychische  und  nervöse  Krankheiten  in  Gießen 
gesammelt  hat.  Koenig  (Dalldorf). 


Die  Zuckerkrankheit.  Von  R.  Ldpine,  Professor  an  der  Universität  Lyon. 
Verlag  von  Felix  Alcan,  Paris.  704  S.  16  Fr. 

Das  Buch  stellt  sich  als  das  Resultat  einer  langjährigen  Beobachtung  in  der 
Praxis  dar,  in  Verbindung  mit  zahlreichen  Versuchen  im  Laboratorium  und  klinischen 
Untersuchungen  an  der  Universität  Lyon.  Verfasser  gibt  eine  Darstellung  des 
Diabetes,  bei  der  er  sich  an  Claude  Bernard  anschließt  und  seiner  Methode 
folgt,  die  er  aufs  Sorgfältigste  weiter  ausgebaut  hat.  Sowohl  die  Entstehung  der 
Glykosurie  wie  ihr  Wesen  finden  ihre  genaue  Besprechung  auf  Grund  der  neuesten 
Arbeiten.  Vom  praktischen  Standpunkt  aus  hat  sich  der  Autor  es  angelegen  sein 
lassen,  den  Beweis  zu  erbringen,  daß  im  allgemeinen,  wenn  keine  schweren  Komplika¬ 
tionen  vorliegen,  die  Zuckerkrankheit  als  heilbar  zu  betrachten  ist,  vorausgesetzt, 
daß  medikamentöse,  diätetische  und  hygienische  Maßnahmen  gemeinsam  zur 
Anwendung  kommen.  R. 


Im  Verlage  von  Gustav  Fischer  in  Jena  sind  einige 

Neue  preiswerte  Lehrbücher  für  den  Studierenden  und  den  praktischen  Arzt 

erschienen,  auf  die  wir  unsere  Leser  aufmerksam  machen  möchten. 

Die  im  folgenden  genannten  Lehrbücher 

Axenfeld:  Lehrbuch  der  Augenheilkunde 
Binswanger-Siemerling:  Lehrbuch  der  Psychiatrie 
Küstner:  Kurzes  Lehrbuch  der  Gynäkologie 
Mering-Krehl:  Lehrbuch  der  inneren  Medizin 
Riecke:  Lehrbuch  der  Haut-  und  Geschlechtskrankheiten 
Wullstein- Wilms:  Lehrbuch  der  Chirurgie 


752 


Bücherschau. 


sind  nach  einheitlichem  Plane  bearbeitet.  Es  vereinigten  sich  die  hervorragendsten 
jüngeren  Gelehrten  der  betreffenden  Gebiete  zu  gemeinsamer  Arbeit.  Durch  diese 
Arbeitsteilung  konnte  auf  möglichst  eng  begrenztem  Raume  Erschöpfendes  geboten 
werden,  und  wie  die  Aufnahme  der  schon  in  mehreren  Auflagen  vorliegenden 
Werke  (Mering,  Küstner,  Binswanger)  beweist,  erfreut  sich  diese  Art  der 
Bearbeitung  der  größten  Erfolge. 

Die  Herausgeber  waren  bestrebt,  das  Allerbeste  unter  Berücksichtigung  des 
neuesten  Standes  der  Forschung  zu  bieten;  der  Verlag  hat  es  als  seine  Aufgabe 
angesehen,  die  Werke  trotz  ihrer  reichen  Ausstattung  so  billig  wie  möglich  auf 
den  Büchermarkt  zu  bringen.  R. 


Vermischtes. 

Die  nächste  internationale  Konferenz  für  Krebsforschung  wird 
Ende  September  1910  in  Paris  stattfinden. 


Die  geplante  Zentralstelle  für  Balneologie  soll  am  1.  Januar  1910  in 
Frankfurt  a.  M.  eröffnet  werden. 


Hochschulnachrichten. 

Berlin.  Dr.  H.  Köllner  habilitierte  sich  für  Augenheilkunde,  ebenso  Dr.  A.  Leber. 
Dr.  A.  Dönitz  habilitierte  sich  für  Chirurgie.  Der  Vortragende  Rat  im  Kultus¬ 
ministerium,  Geh.  Ober-Med.-Rat  Prof.  Dr.  Schmidtmann,  wurde  zum  Wirk]. 
Geh.  Obermedizinalrat  ernannt.  Geh.  Med.-Rat  Prof.  Dr.  A.  Guttstadt,  einer 
der  Hauptvertreter  der  Medizinalstatistik,  ist  verstorben.  Die  Professoren  Dr. 
med.  A.  Frankel  und  Dr.  A.  Hartmann  wurden  zu  Geh.  Sanitätsräten  ernannt. 
Zu  Abteilungsvorstehern  am  physiologischen  Institut  sind  der  ao.  Prof.  Dr.  H. 
Steudel  in  Heidelberg  und  P.-D.  Prof.  Dr.  H.  Piper  ernannt  worden.  Prof. 
Dr.  Greef  hat  den  Ruf  nach  Halle  als  Nachfolger  von  Geh. -Rat  Prof.  Dr. 
Schmidt-Rimpler  abgelehnt.  Berufen  wurde  nunmehr  Prof.  Dr.  Hippel 
aus  Heidelberg. 

Bonn.  Geh.  Med.-Rat  Prof.  Dr.  E.  Pflüger  feierte  seinen  80.  Geburtstag. 

Breslau.  Geh.  Med. -Rat  Prof.  Dr.  Pfeiffer  hat  einen  Ruf  nach  Heidelberg 
abgelehnt. 

Gießen.  P.-D.  Dr.  G.  Mönckeberg  (path.  Anatomie)  wurde  zum  ao.  Professor 
ernannt. 

Greifswald.  P.-D.  Dr.  H.  Gebb  habilitierte  sich  für  Augenheilkunde. 

Halle  a.  S.  Geh.  Med.-Rat  Prof.  Dr.  Schmidt-Rimpler,  Direktor  der  Augen¬ 
klinik,  gedenkt  mit  Ablauf  dieses  Semesters  vom  Lehramt  zurückzutreten. 

Heidelberg,  ao.  Prof.  Dr.  H.  Steudel  wurde  zum  ao.  Professor  in  der  Berliner 
med.  Fakultät  ernannt.  Dr.  E.  Tomasczewski  habilitierte  sich  für  Haut- 
und  Geschlechtskrankheiten. 

Leipzig.  Das  25  jährige  Jubiläum  als  o.  Professor  beging  am  17.  Mai  der  Pharma¬ 
kologe  Geh.  Med.-Rat  Prof.  Dr.  R.  Böhm.  Dr.  0.  Sick  habilitierte  sich  für 
Chirurgie. 

Marburg.  P.-D.  Dr.  A.  Lohmann  erhielt  den  Titel  Professor. 

München.  Geh.  Hofrat  Prof.  Dr.  v.  Ranke  ist  verstorben. 

Rostock.  P.-D.  Dr.  H.  Brünning  wurde  zum  ao.  Professor  für  Kinderheilkunde 
ernannt. 

Straßburg.  Die  Errichtung  eines  besonderen  Lehrstuhles  für  Kinderheilkunde 
ist  vom  Landesausschuß  bewilligt  worden. 

Tübingen.  P.-D.  Oberarzt  Dr.  B.  Fleischer  wurde  zum  ao.  Professor  ernannt. 
(Augenheilkunde.) 


Schriftleitung:  Dr.  Ri  gl  er  in  Leipzig. 
Druck  von  Emil  Herr  mann  senior  in  Leipzig. 


27.  Jahrgang. 


1909. 


Tortscbritie  der  Medizin. 


Unter  Mitwirkung  hervorragender  Fachmänner 

herausgegeben  von 

Professor  Dr.  6.  Köster  Prio.-Doz.  Dr. «.  Criegern 


in  Leipzig.  in  Leipzig. 

Schriftleitung:  Dr.  Rigler  in  Leipzig. 


Nr.  20. 


Erscheint  am  10.,  20.,  30.  jeden  Monats.  Preis  halbjährlich 
6  Mark,  inkl.  Zeitschrift  für  Yersicherungsmedizin  S  Mark. 

: - Verlag  von  Georg  Thieme,  Leipzig.  . :  - 


20.  Juli. 


v 


Originalarbeiten  und  Sammelbericlite. 

Ueber  mongoloide  Idiotie. 

Von  Oberarzt  Dr.  Meitzer,  Waldheim  i.  Sa. 

(Nach  einem  Vortrag,  gehalten  am  5.  Mai  1909  in  der  med.  Gesellschaft  in  Chemnitz.) 

Seitdem  die  Medizin  und  speziell  die  Psychiatrie  Zeit  und  Ge¬ 
legenheit  gehabt  hat,  sich  auch  mit  der  Idiotie  zu  befassen,  ist  es 
ihr  allmählich  gelungen,  aus  diesem  großen  Krankheitskomplexe  ein¬ 
zelne  wohlcharakterisierte  klinische  Bilder  zu  entwickeln,  die  auch 
allgemeines  Interesse  verdienen.  Nächst  dem  Kretinismus  ist  es  der 
Mongoloismus,  der  in  den  letzten  Jahrzehnten  die  meiste  Beachtung 
gefunden  hat.  Die  ausführlichste  Beschreibung  findet  man  in  der  Zeit¬ 
schrift  zur  Erforschung  des  jugendlichen  Schwachsinns  (Gustav  Fischer, 
Jena)  I.  Bd.,  6.  Heft  in  dem  Artikel  von  Vogt -Frankfurt,  der  auch 
ein  gutes  Bild  eines  mongoloiden  Idioten  bringt,  demnächst  in  der  von 
Schröter  und  mir  herausgegebenen  Zeitschrift  zur  Behandlung  Schwach¬ 
sinniger  (Dresden,  Hofbuchhandlung  Burdach)  29.  Jahrgang,  lieft  5, 
in  der  dieser  Vortrag  in  extenso  wiedergegeben  ist. 

Der  eigentümliche  Name  Mongoloismus  stammt  von  englischen  Au¬ 
toren,  die  auf  diese  Form  der  Idiotie  zuerst  aufmerksam  machten,  indem 
sie  auf  die  große  Ähnlichkeit  mit  Vertretern  der  mongolischen  Rasse  hin¬ 
wiesen.  Diese  Ähnlichkeit  wird  in  erster  Linie  hervorgerufen  durch  den 
Schiefstand  und  die  Schmalheit  der  Augenspalten,  die  anstatt  wie  bei 
uns  wagerecht  zu  stehen,  leicht  von  außen  oben,  nach  innen  unten  kon¬ 
vergieren.  Oft  schiebt  sich  zu  beiden  Seiten  des  Nasenrückens  über 
den  inneren  Augenwinkel  ein  Epikanthus  vor,  der  ja  auch  für  die 
mongolische  Rasse  typisch  ist.  Außerdem  ist  der  Schädel  auffällig 
rund,  —  es  sind  Brachycephalien  mit  Längenbreiten-Indices  bis  zu  100 
beobachtet  worden,  —  das  Gesicht  ist  breit,  die  Backenknochen  vor¬ 
tretend,  die  Nasenbrücke  breit,  die  Nasenwurzel  tief  liegend,  die  Nasen¬ 
löcher  leicht  nach  vorn  geöffnet,  die  Lippen  gewulstet ;  der  Hals  ist 
kurz,  der  Bauch  dick,  meist  mit  Nabelhernie  behaftet,  die  Extremitäten 
kurz  und  plump..  Ganz  eigenartig  ist  die  zwar  nicht  bei  allen,  aber 
bei  sehr  vielen  Fällen  beobachtete  winklige  Stellung'  der  letzten  Pha- 
lange  des  kleinen  Fingers  zur  vorletzten  in  der  Horizontalebene  der 
Hand ;  seltener  auch  am  Daumen  beobachtet.  Allen  Fällen  gemeinsam 
ist  eine  abnorme  Gelenkschlaffheit,  die  es  gestattet,  diesen  Kindern 
die  Finger  bis  zum  Handrücken  umzubiegen;  einzelne  können  ihre 
Beine  bis  zur  Horizontale  spreizen.  Dieser  übermäßigen  Biegsamkeit 

48 


754 


Meitzer, 


gesellt  sich  hinzu  eine  ganze  besondere  Weichheit  der  Muskulatur 
und  eine  gute  Fettunterpolsterung  der  gesamten  Haut,  die  besonders  stark 
ausgeprägt  hei  den  kindlichen  Individuen  ist.  Man  kann  sich  denken, 
daß,  wenn  Skelett  und  Weichteile  eine  derartige  Übereinstimmung  zeigen, 
dann  diese  Idioten  in  ihrem  ganzen  Äußern  sich  ähneln  müssen.  Wie 
sich  Neugeborene  bis  zu  gewissem  Grade  ähnlich  sehen  und  noch 
mehr  die  Föten  aller  Menschen,  sio  haben  auch  die,  mongoloiden 
Idioten  untereinander  eine  auffallende  Ähnlichkeit,  die  soweit  gveht, 
daß  es  Eltern,  die  ihr  mongoloides  Kind  in  der  Änstalt  besuchein, 
schwer  fällt,  dieses  von  anderen  mongoloiden  Idioten  zu  unterscheiden. 
Sie  sehen  alle  aus  wie  Geschwister  einer  Familie,  eines  Stammes, 
während  sie  sich  von  ihren  leiblichen  Geschwistern  unterscheiden  wie 
Tag  und  Nacht.  Sehr  richtig  bemerkt  Vogt,  es  gehe  ihnen  das  Indi¬ 
vidualistische  der  Erscheinung  verloren. 

Die  Haut  ist  im  allgemeinen  glatt  und  elastisch  und  zu  Schwei߬ 
produktion  fähig  im  Gegensatz  zu  dem  sporadischen  Kretinismus,  der 
Myxidiotie,  bei  der  sie  trocken,  abschilfernd  und  faltig  ist.  Auch 
haben  wir  beim  Mongoloiden,  der  äußerlich  und  innerlich  in  mancher 
Hinsicht  dem  kretinoiden  Idioten  ähnelt,  nicht  die  bekannten  dicken 
mvxödematösen  Hautwülste.  Ist  die  Haut  bei  diesem  mehr  blaß  und 

1/ 

farblos,  so  sehen  wir  beim  Mongoloiden  oft  frisch -rote  Backen,  die 
z.  Teil  allerdings  auf  skrofulösem  Boden  entstanden  sind ;  die  Haut 
um  Mund  und  Nase  zeigt  bläulich  roten  Schimmer.  Deutlich  zyanotisch 
und  kühl  anzufühlen  ist  sie  an  Händen  und  Füßen,  marmoriert  an  den 
Extremitäten  und  abhängigen  Teilen. 

Diese  letzteren  Erscheinungen  erklären  sich  durch  eine  mangel¬ 
hafte  Trieb-  und  Saugkraft  des  Herzens.  Bei  einer  großen  Zahl  zur 
Sektion  gekommener  Mongoloiden  hat  man  Entwicklungsfehler  des 
Herzens,  wie  Offenbleiben  des  Ductus  Botaili,  Septumdefekte,  Pul- 
mona  Hehler  u.  a.  gefunden.  Aber  nicht  immer  hat  man  offenbare 
Herzfehler  bei  der  Obduktion  nachweisen  können  und  noch  öfter  ver¬ 
birgt  sich  dem  auskultiernden  Ohre  in  vivo  die  Herzanomalie.  Ich 
habe  sämtliche  Mongoloiden  x/4  Jahr  lang  zu  bestimmter  Stunde  auf 
ihre  Körperwärme  messen  und  danach  den  Blutdruck  mit  dem  Gärtner- 
scheu  Tonometer  untersuchen  lassen.  Dabei  hat  sich  gezeigt,  daß,  je 
höhergradig  der  Mongoloismus  ausgebildet  war,  desto  niedriger  die 
Körperwärme  und  der  Blutdruck  war.  Während  bei  andern  nicht  zu 
dieser  Gruppe  gehörigen  Idioten,  selbst  bei  Herzfehlerkranken  die  Tem¬ 
peratur  selten  unter  36,5  und  der  Blutdruck  unter  80  betrug,  sonstiges 
Wohlsein  natürlich  vorausgesetzt  — ,  hatten  wir  bei  unsern  Mongo¬ 
loiden  oft  Temperaturen  unter  36,0  und  Blutdruckzahlen  von  70 — 45  ! 
Es  besteht  also  wohl  bei  allen  Mongoloiden  eine  Herzinsuffizienz,  die, 
wenn  nicht  wie  häufig  durch  organische  Fehler,  durch  Schwäche  der 
Herzmuskulatur  oder  Innervation  bedingt  sein  muß.  So  erklärt  sich 
auch,  was  praktisch  wichtig,  daß  diese  Idioten  im  Gegensatz  z.  B. 
zu  den  Mikrozephalen  in  ihrer  Lebensdauer  beschränkt  sind.  Erwachsene 
Mongoloiden  sind  eine  Ausnahme;  ich  kenne  nur  einen,  der  über  30  Jahre 
alt  ist.  Von  den  gesamten  Idioten,  die  ich  überhaupt  seziert  habe, 
waren.  50%  Mongoloiden.  Entweder  fallen  sie  schon  leichteren  inter¬ 
kurrenten  Krankheiten  zum  Opfer,  wie  gewöhnlich  in  gut  eingerichteten 
Anstalten,  oder  sie  sterben  an  Tuberkulose,  zumal  wenn  sie  aus  den 
hygienischen  Verhältnissen  der  Anstalt  in  eine  Häuslichkeit  zurück¬ 
kehren.  in  der  man  gesundheitliche  Regeln  nicht  beobachtet.  Ihrer 


Ueber  mongoloide  Idiotie. 


755 


zarten  und  leicht  anfechtbaren  Natur  entspricht  es  auch,  daß  alle 
Leiden  hei  ihnen  besonders  hartnäckig  auf  treten.  Ganz  besonders  gilt 
dies  von  den  skrofulösen  Erscheinungen  auf  Haut  und  Schleimhäuten. 
Füße  und  Hände  fangen  schon  im  Oktober  bei  niedriger  werdender 
Außentemperatur  an  anzuschwellen  und  sich  noch  blauroter  zu  ver¬ 
färben  als  sie  schon  sind. 

Abgesehen  vom  Herzen  hat  man  bis  jetzt  bei  den  Mongoloidem 
an  den  inneren  Organen  keine  besonderen  Anomalien  gefunden,  auch 
nicht  an  den  Drüsen  mit  innerer  Sekretion.  Namentlich  die  Schild¬ 
drüse  zeigt  bald  eine  mäßige  Vergrößerung,  bald  normale  Größe,  bald 
erscheint  sie  zu  klein.  Wenig  zusammenstimmend  sind  auch  die  Be¬ 
funde  am  Knochen.  Die  Psychiater  Vogt  und  Weygandt  haben  ver¬ 
spätete  Ossifikation  gesehen,  die  Pädiater  Kassowitz;  und  Neu  mann 
fanden  gegen  gleichalterige  Kinder  keine  wesentlichen  Unterschiede ; 
Siegert  beobachtete  neben  verzögerter,  vorzeitige  Ossifikation.  Man 
hat  es  also  scheinbar  mit  großen  Unregelmäßigkeiten  des  Knochen¬ 
wachstums  zu  tun. 

Auf  psychischem  Gebiete  ist  für  den  Mongoloiden  ein  hoch¬ 
gradiger  Schwachsinn  charakteristisch.  Viele  von  ihnen  bleiben  trotz 
der  größten  Bemühungen  um  sie  stumm  und  stumpf,  wie  sie  es  vom 
ersten  Tage  an  gewesen  sind.  Die  Eltern  können  sich  zuweilen  nicht 
besinnen,  das  Kind  schreien  oder  weinen  gehört  zu  haben.  Verspätet 
lernen  sie  den  Kopf  heben,  aufrecht  sitzen,  laufen ;  und  wenn  sie  über¬ 
haupt  sprechen  lernen,  so  erscheinen  die  ersten  Wortnachahmungen 
in  Jahren,  wo  andere  Kinder  bereits  geläufig  sprechen.  Nur  wenige 
lernen  überhaupt  richtig  sprechen ;  auch  dann  sind  sie  einsilbig.  Ihre 
Sprache  hat  stets  einen  rauhen  heiseren  Klang.  In  gemütlicher  Be¬ 
ziehung  wechseln  bei  ihnen  oft  Tage,  in  denen  sie  zu  allerlei  Faxen  und 
Grimassen  neigen,  und  die  Spaßmacher  der  Abteilung  sind,  mit  solchen, 
an  denen  sie  ungesellig  abseits  sitzen,  die  große,  rissige  Zunge  zwischen 
dem  halbgeöffneten  Munde,  und  so  recht  das  Bild  des  Stumpfsinns 
darbieten.  Es  gibt  natürlich  auch  hier  Eormes  frustes,  die  den  Über¬ 
gang  zur  Normalität  bilden  und  die  dann  auch  somatisch  wie  psychisch 
bessere  Behandlungsresultate  ergeben  als  der  Durchschnitt.  Diese 
lernen  dann  auch  lesen  und  schreiben,  erwerben  auch  praktisch  eine 
gewisse  Ausdauer  und  Selbständigkeit,  die  sie  befähigt,  eine  einfache 
Arbeit  mit  Nutzen  zu  verrichten.  Schilddrüsenkuren,  die  man  mit 
ihnen  gemacht  hat,  waren  nur  von  symptomatischem  Erfolg.  Es  besserte 
sich  danach  nicht  wie  bei  dem  Kretin  der  Gesamthabitus,  sondern  nur 
einzelne  Symptome  wie  die  Obstipation,  der  Nabelbruch,  die  sterto- 
röse,  auf  drüsigen  Wucherungen  beruhende  Atmung  u.  a.  Solche  Kuren 
sind  aber  wegen  der  manchmal  erst  bei  dieser  Gelegenheit  sich  nach 
außen  kundgebenden  Herzinsuffizienz  nicht  ungefährlich  und  sollten 
nur  unter  ständiger  ärztlicher  Überwachung  stattfinden. 

Als  Ursache  dieses  eigentümlichen  Krankheitsbildes  hat  man  viel¬ 
fach  eine  Herabsetzung  der  elterlichen  Produktionskraft  angesehen,  weil 
Mongoloide  oft  das  letzte  Glied  einer  langen  Reihe  von  normalen  Kindern, 
zuweilen  auch  das  einzige  Kind  der  Eltern  sind,  oder  weil  die  Eltern  zur 
Zeit  der  Zeugung  oder  die  Mutter  in  der  Gravidität  in  ihrer  Generations¬ 
kraft  offenbar  geschädigt  waren.  Doch  müßte  dann  der  Mongoloismus 
wohl  viel  häufiger  sein.  Nach  Vogt  ist  es  wahrscheinlich,  daß  es  sich 
um  eine  Entwicklungshemmung  handelt,  um  eine  unfertige,  embryonale 
Anlage,  die  nicht  zur  Ausreifung  gelangt  ist.  Dafür  sprechen  die 

48* 


756 


O.  Aronade, 


Hemmungsbildungen  auf  seiten  des  Gefäßapparates,  der  einfache  Bau 
des  Hirns,  die  Kleinheit  gewisser  Hirnteile, wie  sie  namentlich  Flechsig 
hei  verschiedenen  ihm  von  mir  überlassenen  Gehirnen  auffiel,  die  Per¬ 
sistenz  des  fötalen  Zustandes  der  Augenspalte  und  das  ganze  Außere 
des  Mongoloiden,  der  mit  seinem  ausdruckslosen,  breitem  Gesicht,  seinem 
runden  Ivopf,  seiner  gut  unterpolsterten,  lanugobedeckten  Haut  und 
der  großen  Gelenkschlaffheit  einem  Fötus  der  letzten  Monate  ähnelt. 
Fnklar  bleibt  aber  der  Zeitpunkt  und  das  primum  movens  dieser 
Hemmung.  Es  ist  auch  nicht  unmöglich,  daß  wir  es  hier  mit  einer 
divergierenden  Entwicklung  zu  tun  haben,  infofern  die  Natur  einmal 
versucht,  sjnuingweise  etwas  Neues  zu  schaffen,  wie  es  denn  wahrschein¬ 
lich  ist,  daß  sich  auf  diese  Weise  einmal  die  Passen  getrennt  haben, 
nur  daß  damals  unter  günstigen  Verhältnissen  lebens-  und  fortpflanzungs¬ 
fähig  blieb,  was  jetzt  unter  anderen  Verhältnissen  dem  vorzeitigen  Unter¬ 
gang  entgegengeht.  Auch  können  wir  es  mit  einer  Bückerinnerung 
an  Vorzeiten  zu  tun  haben,  in  denen  sich  beide,  die  mongolische  und 
kaukasische  Passe  vorübergehend  gekreuzt  haben.  Hie  Grundver¬ 
schiedenheit  beider  Passen  würde  es  erklären,  daß  es  nur  vereinzelt 
zu  solchen  Anklängen  kommt,  und  daß  diese  meist  ein  pathologisches 
Gepräge  tragen. 


Wiesbadener  Brief. 

Von  Dr.  0.  Aronade. 

Am  18.  April,  einen  Tag  vor  Eröffnung  des  Kongresses  für  innere 
Medizin,  fand  im  Kurhaus  die  gemeinsame  Tagung  der  niederrheinisch¬ 
westfälischen  und  südwestdeutschen  Kinderärzte  statt. 

Nach  der  Begrüßung  durch  Hr.  Lu  gen  bü  hl  übernahm  Geh.  Rat 
Biedert  den  Vorsitz . 

Zunächst  besprach  Schütz- Wiesbaden  in  einem  eingehenden  Vor¬ 
trage  ,,T)ber  chronische  Magen-Darm-Dyspepsie  und  chronische  dyspep¬ 
tische  Diarrhöen  des  Kindesalters“  das  klinische  Bild  charakteristischer 
Ernährungsstörungen  bei  Kindern  von  2 — 12  Jahren  und  gab  weiterhin 
eine  Kritik  der  Untersuchungsmethoden  von  Sc'hmidt  und  S tras bür¬ 
ge  r.  Der  Vortrag  erscheint  demnächst  in  den  Therapeut.  Monatsheften. 
Die  grundlegenden  Untersuchungen  sind  im  Jahrbuch  für  Kinderheil¬ 
kunde,  Bd  62  und  im  Deutschen  Archiv  für  klin.  Medizin,  Bd.  80 
und  Bd.  94  niedergelegt. 

In  der  Diskussion  bestätigt  Lugenbühl  die  Schütz’schen  Beobach¬ 
tungen  ;  er  weist  darauf  hin,  daß  es  sich  meist  um  neuropathische  Kinder 
handelt,  und  daß  die  Schwierigkeiten  der  Ernährung  bei  diesen  Kindern 
oft  schon  im  Säuglingsalter  zutage  treten.  Selter  hat  die  Binde- 
gewebsprobe  in  einzelnen  Fällen  im  Stich  gelassen,  von  dem  Einflüsse 
der  Heredität  hat  er  sich  nicht  überzeugen  können. 

Es  folgte  eine  Mitteilung  von  Selter- Solingen  über  günstige 
Erfahrungen  mit  dem  Spengle  Eschen  Immunkörper  bei  Kinder  tuber¬ 
kulöse,  der  Vortrag  von  Aronade  über  Säuglingstuberkulose  und  der 
Vortrag  von  Bohmer-Köln  über  anatomische  Heilungsvorgänge  der 
Lungentuberkulose  des  Säuglings.  Aronade  erörtert  an  der  Hand 
von  acht  klinisch  und  anatomisch  untersuchten  Fällen  die  Frühdiagnose 
der  Säuglingstuberkulose ;  er  demonstriert  fünf  Röntgenbilder  von  Säug¬ 
lingen  mit  tuberkulöser  Erkrankung  der  Bronchialdrüsen  und  Lungen, 
sowie  die  Lungen  und  mikroskopischen  Präparate  von  vier  zur  Sektion 


Wiesbadener  Brief. 


757 


gekommenen  Säuglingen.  Nach  Besprechung  der  Infektionsmöglich¬ 
keiten,  besonders  in  allgemeinen  Krankenhäusern  mit  Säuglingsstation, 
unterzieht  er  die  von  Schloßmann  in  die  Klinik  eingeführte  Tuber¬ 
kulinbehandlung  der  Säuglingstuberkulose  einer  Kritik.  Nach  seinen 
Erfahrungen  ist  der  natürlich  oder  künstlich  genährte  Säugling  der 
tuberkulösen  Infektion  der  Bronchialdrüsen  und  Lungen  gegenüber 
wehrlos.  Bei  bestehender  Lungenerkrankung  ist  die  Anwendung  des 
Tuberkulins,  auch  in  der  Dosis  von  1/100  mg  bedenklich  und  kann 
zu  Katastrophen  führen.  Bei  isolierter  Knochentuberkulose  ist  die 
Prognose  auch  für  den  Säugling  günstig,  hier  kann  die  Tuberkulin¬ 
behandlung  vielleicht  die  Heilung  beschleunigen.  Der  Vortrag  erscheint 
in  den  „Beiträgen  zur  Klinik  der  Tuberkulose“.  Böhmer  hat  von  der 
Tuberkulinbehandlung  des  Säuglings  keine  Schädigungen  gesehen,  bei 
drei  mit  Tuberkulin  behandelten,  an  interkurrenten  Krankheiten  ge¬ 
storbenen  Kindern  hat  er  reichliche  Bindegewebsentwickelung  in  den 
Lungen  gefunden,  die  er  als  Tuberkulinwirkung  auffassen  möchte.  Die 
Versuche  sind  noch  nicht  abgeschlossen.  In  der  lebhaften  Diskussion, 
die  sich  an  die  Tuberkulosevorträge  anschloß,  präzisiert  Schloß  mann 
seinen  Standpunkt  dahin,  daß  er  nur  die  in  Knochen  und  Drüsen  lokali¬ 
sierten  Tuberkulosen  mit  Tuberkulin  behandelt  wissen  will.  Auch  er 
hält  die  spezifische  Behandlung  der  Lungentuberkulose  beim  Säug¬ 
ling  für  erfolglos.  Die  Tuberkulin  versuche  sollen  vorläufig  auf  die 
Klinik  beschränkt  bleiben.  Die  Prognose  der  Säuglingstuberkulose 
hängt  davon  ab,  ob  die  miliare  Aussaat  erfolgt  ist  oder  nicht. 

Biedert  erinnert  daran,  daß  er  als  erster  die  einschleichende 
Tuberkulinbehandlung  mit  kleinsten  Dosen  angegeben  hat. 

Engel  verweist  auf  seine,  mit  Bauer  verfaßte,  im  Druck  be¬ 
findliche  Abhandlung  über  Tuberkulin,  in  der  die  von  Aron  ade  ge¬ 
forderten  Indikationen  und  Kontraindikationen  besprochen  werden.  Das 
Tuberkulin  kann  natürlich  nur  einer  der  Faktoren  sein,  welche  Einfluß 
auf  die  Heilung  haben. 

Grosser  teilt  einen  Fall  von  Bronchialdrüsentuberkulose  eines 
Säuglings  mit,  in  welchem  zwei  Wochen  nach  einer  Injektion  (0,1  g) 
an  den  Injektionsstellen  Abszesse  auf  traten,  in  denen  Tuberkelbazillen 
nach  gewiesen  wurden. 

Bauer  möchte  diese  Erscheinung  als  Überempfindlichkeitsphä¬ 
nomen  aufgefaßt  wissen. 

Weintraud  weist  darauf  hin,  daß  nach  seinen  Erfahrungen  bei 
Erwachsenen  die  Anwendung  des  Spengler’schen  J. — K.  Präparates 
keine  günstigen  Besultate  gezeitigt  habe. 

Im  Schlußwort  ergänzt  Selter  seine  Mitteilung  dahin,  daß  es 
sich  in  seinem  Falle  um  eine  Drüsen-  und  Gelenktuberkulose  gehan¬ 
delt  habe. 

A.ronade  betont  im  Schlußwort,  daß  er  über  die  schlechte  Prognose 
der  von  ihm  behandelten  Säuglinge  nicht  im  Zweifel  gewesen  sei. 
Es  lag  ihm  daran,  Erfahrungen  über  die  Wirkung  des  Tuberkulins 
auf  den  Organismus  des  Säuglings  zu  sammeln;  er  freut  sich,  daß 
diese  sich  mit  den  in  Düsseldorf  gemachten  Erfahrungen  decken,  zu¬ 
mal  die  erste  Mitteilung  Schloßmann’s  (Deutsche  med.  Wochensehr., 
Nr.  7,  1909)  geeignet  war,  die  günstigen  Erwartungen  höher  zu  spannen. 

An  die  Tuberkulosevorträge  schloß  sich  eine  Beihe  von  Vorträgen 
über  Ernährungsfragen. 


758 


O.  Aronade, 


In  seinem  Vortrage  „Uber  den  derzeitigen  Stand  der  Buttermilch  - 
Therapie  und  -Ernährung  des  Säuglings“  weist  Koppe- Gießen  auf 
die  mangelhafte  theoretische  Begründung  der  vorzüglichen  Wirkung 
der  Buttermilchsuppe  hin  und  fordert  weitere  Untersuchungen.  Er 
selbst  hat  den  Gehalt  des  Vilbeler  Buttermilchpräparates  an  Bohr¬ 
zucker,  Kasein  und  Mineralbestandteilen  eingehend  untersucht  und  be¬ 
richtet  über  seine  Ergebnisse. 

Zur  Biologie  des  Kolostrums  macht  Bauer -Düsseldorf  inter¬ 
essante  Mitteilungen.  Milch  und  Blutserum  derselben  Tierart  lassen 
sich  durch  Komplementablenkung  differenzieren.  Ein  Kolostrumanti¬ 
serum  gibt  im  Gegensätze  zu  einem  Milchantiserum  mit  gleichartigem 
Blutserum  Komplementbildung.  Die  Erühmilch  der  Kuh  und  Ziege 
besitzt  im  Gegensätze  zur  Spätmilch  hämolytisches  Komplement.  Hier¬ 
aus  geht  hervor,  daß  das  Eiweiß  des  Kolostrums  z.  T.  ein  Abkömm¬ 
ling  des  Serumeiweißes  ist. 

Engel -Düsseldorf  berichtet  über  umfangreiche  Untersuchungen 
über  den  Kaseingehalt  der  Frauenmilch.  Er  kommt  zu  der  schon 
früher  von  ihm  vertreteten  Auffassung,  daß  der  Schwerpunkt  der  Frauen¬ 
milch  Verdauung  im  Darm  liegt. 

Nach  einem  Vortrage  von  Grosser -Frankfurt  a.  M.  „Über  albu¬ 
minfreie  Säuglingsernährung“  —  die  Versuche  sind  noch  nicht  abge¬ 
schlossen  — ,  fand  eine  gemeinsame  Diskussion  statt,  in  welcher 
Grosser  auf  die  Bedeutung  der  Eettarmut  der  Buttermilch  hinwies, 
die  einer  entsprechenden  Magermilch  gleichzusetzen  sei.  Demgegen¬ 
über  betonen  Schloßmann,  Biedert,  Hirsch,  Hoffa  die  Überlegen 
heit  der  Buttermilch. 

Wieland-Basel  bringt  wertvolle  Beiträge  zur  Knochenphysio¬ 
logie  und  -Pathologie  des  Fötus  und  Säuglings.  Als  Ergebnis  sei 
hervorgehoben,  daß  das  physiologische  Osteoid  in  vermehrtem  Maße 
und  um  so  größerer  Fläch  enausdehnung  sich  findet,  je  weiter  man 
in  der  embryonalen  Skelettentwickelung  zurückgeht.  Abweichungen 
von  den  Standardzahlen  für  den  Breitendurchmesser  des  Osteoids  wer¬ 
den  nur  bei  syphilitischen  Früchten  gefunden.  Die  Lehre  von  der 
angeborenen  Bachitis  erscheint  hiermit  auch  histologisch  einwandfrei 
widerlegt. 

Frank- Wiesbaden  berichtet  über  das  typische  Bild  der  akuten 
toxischen  Diphtherie,  das  er  unter  317  Diphtheriefällen  14mal  be¬ 
obachtet  hat.  Der  Zustand  tritt,  nachdem  die  schweren  Bachenerschei¬ 
nungen  geschwunden  sind,  3 — 13  Tage  nach  Beginn  der  Erkrankung 
ein  und  äußert  sich  in  psychischer  Verstimmung,  Erbrechen,  starker 
Albuminurie  und  einer  charakteristischen  Pulsverlangsamung  (40  bis 
60  Schläge  in  der  Minute).  Die  Herzstörung  bietet  in  den  leichteren 
Fällen  das  Bild  einer  dauernden  wohlcharakterisierten  Irregularität 
(Extrasystolen,  Herzleitungstörung,  Adams -Stokes’scher  Symptomen- 
komplex).  Die  Therapie  erwies  sich  bei  allen  bis  zum  Ende  beobachteten 
Fällen  unwirksam. 

Hoffa-Barmen  zeigt  Moulagen  eines  Falles  von  Dermatitis  ex¬ 
foliativa  und  berichtet  über  Beobachtungen  bei  der  endemischen  Grippe 
der  Säuglinge,  an  der  Hand  von  Temperatur-  und  Gewichtskurven. 

Sonnenberger-Worms  bespricht  die  Einrichtung  des  im  Bau 
begriffenen  Wormser  Erholungsheims  für  Kinder  und  demonstriert  die 


Wiesbadener  Brief. 


759 


Pläne  desselben.  Er  betont  die  Wichtigkeit  eines  längeren  Verweilens 
der  Kinder  im  Heim,  auch  im  Winter,  den  Wert  der  hygienischen  Ein¬ 
richtung  und  der  ärztlichen  individuellen  Aufsicht. 

Wieland  und  Schulten  weisen  ebenfalls  auf  die  Erfolge  der 
Winter  kuren  in  den  Erholungsheimen  zu  Basel  bezw.  Elberfeld  hin. 

Hierauf  folgte  die  Besichtigung  der  neuen  Kinderabteilung  des 
Stadt.  Krankenhauses  unter  Führung  von  Prof.  Weintraud  und 
Dr.  Aron  ade. 

Bei  der  prinzipiellen  Wichtigkeit  der  Einrichtung  von  Kinder¬ 
abteilungen  in  allgemeinen  Krankenhäusern  nach  modernen  pädiatri¬ 
schen  Grundsätzen  sei  hier  einiges  über  die  innere  Einrichtung  mit¬ 
geteilt.  Die  Abteilung  bietet  Baum  für  40 — 45  Betten  mit  Ausschluß 
von  Infektionskranken.  Von  dem  breiten  Tagesraum,  der  eine  Über¬ 
sicht  über  die  ganze  Abteilung  ermöglicht,  zweigen  auf  der  einen 
Seite  die  Säuglingszimmer  ab,  die  eine  weitgehende  Isolierung  ge¬ 
statten  ;  die  Abteilung  für  ältere  Kinder  —  ein  Knaben-  und  ein 
Mädchensaal  —  ist  durch  ein  Spielzimmer  mit  eigenem  Zugang  zur 
Veranda  von  der  Säuglingsabteilung  getrennt.  Alle  Neuauf genommenen 
passieren  das  Quarantänezimmer,  dessen  Insassen  bis  zur  Sicherung 
der  Diagnose  als  infektiös  betrachtet  werden.  Drei  Säuglingszimmer 
mit  je  vier  Betten  sind  für  ernährungsgestörte  Säuglinge  bestimmt, 
eines  für  die  gesunden  Ammenkinder.  Den  Schluß  der  Reihe  bildet 
ein  Boxensaal  für  acht  ein-  bis  zweijährige  Kinder,  die  bekanntlich 
durch  Kontaktinfektion  am  meisten  gefährdet  sind.  In  dem  anschließen¬ 
den  Badezimmer  für  Säuglinge  werden  die  fahrbaren  Wannen  auf  be¬ 
wahrt,  die  in  den  einzelnen  Zimmern  gefüllt  und  entleert  werden 
können. 

Der  Vorbau  nach  der  Gartenseite  wird  einerseits  durch  das  Ammen¬ 
zimmer,  anderseits  durch  die  sehr  geräumige,  gedeckte,  mit  Liege¬ 
stühlen  ausgestattete  Veranda  eingenommen.  Eine  noch  nicht  fertig 
gestellte  Brücke  wird  es  ermöglichen,  die  Säuglinge  direkt  nach  dem 
Garten  zu  bringen. 

In  allen  Bäumen  befindet  sich  Zentralheizung  und  Ventilations¬ 
schacht. 

Im  Souterrain  ist  die  aus  Spül-,  Kühl-  und  Mkchraum  bestehende 
Milchküche  untergebracht ;  sie  enthält  eine  Flaschenreinigungsmaschine 
mit  AVasserbetrieb,  einen  Abtropf  Ständer,  Sterilisator  für  51  Flaschen, 
Sprays  zur  .sofortigen  Kühlung  der  sterilisierten  Milch,  Rahmzen tri  fuge 
und  Eisschrank. 

Im  Ganzen  ist  der  Versuch  gemacht  worden,  eine  Abteilung  zu 
schaffen,  die  im  Rahmen  des  Krankenhauses  eine  sachgemäße,  pädia¬ 
trische  Behandlung  kranker  Kinder,  speziell  der  Säuglinge,  gewähr¬ 
leistet  (vergl.  auch  Wesener,  Die  Behandlung  von  Säuglingen  in 
allgemeinen  Krankenhäusern.  Wiesbaden  1906).  Nachdem  Aronade 
nocli  einige  Fälle  auf  der  Abteilung  demonstriert  hatte  (Myelitis  trans¬ 
versa,  doppelseitige  Klauenhand,  amniotische  Abschnürungen,  zwei 
Luesfälle),  kehrten  die  Teilnehmer  nach  dem  Kurhaus  zurück  und 
beteiligten  sich  an  dem  Begrüßungsabend  des  Kongresses  für  innere 
Medizin. 


760 


Ehrmann  und  Fuld, 


26.  Kongreß  für  innere  Medizin  zu  Wiesbaden. 

19.— 22.  April  1909. 

Berichterstatter:  Dr.  Ehrmann  und  Dr.  Fuld. 

4.  Sitzung  vom  20.  April  1909,  nachmittags. 

Vorsitzender:  Schultz©. 

v.  Bergmann  und  Plesch- Berlin :  Hie  Anpassung  des  Schlag¬ 
volums  des  Herzens  an  funktionelle  Ansprüche. 

v.  Bergmann:  Steigert  man  das  Sauerstoffbedürfnis  des  Ge¬ 
sunden  durch  Arbeit  am  Ergostaten,  so  wächst  das  Minutenvolum,  wobei 
das  Schlagvolum  nicht  mitzuwachsen  braucht  —  ja  ausnahmsweise 
sinken  kann,  wenn  nur  die  Frequenz  entsprechend  gesteigert  ist  — , 
meistens  allerdings  steigen  beide  und  endlich  verbessert  sich  die  Sauer¬ 
stoffausnutzung  des  Blutes,  so  daß  der  O-Gehalt  des  venösen  Blutes 
von  72  auf  62  zurückgeht. 

Bei  Basedowkranken  ist  der  Sauerstoffverbrauch  erhöht  (z.  B. 
8,5  ccm  pro  kg  und  Minute),  ebenso  das  Minutenvolum,  das  Schlagvolum 
jedoch  normal.  Dennoch  ist  die  Minutenarbeit  des  Herzens  erhöht. 

Die  Ausnützung  des  arteriellen  Sauerstoffs  ist  bei  diesen  Kranken 
höchst  schwankend,  ja  kaum  bestimmbar. 

Bei  hypertrophiert-dilatiertem  linken  Ventrikel,  z.  B.  interstitieller 
Nephritis,  ist  das  Schlagvolum  96  (statt  80 — 40),  das  Minutenvolum 
nur  5700  also  nicht  sehr  erhöht,  bloß  entsprechend  der  Anämie. 

Bei  Adams-S tokes’scher  Krankheit,  mit  z.  B.  40  Pulsen  pro 
Minute,  ist  das  Minutenvolum  sehr  hoch  (die  Kranke  war  gleichzeitig 
anämisch !),  9000,  das  Schlagvolum  200 !  Diese  V olumvermehrung  muß 
eine  Dilatation  des  linken  Ventrikels  herbeiführen.  Bei  Muskelarbeit 
schalten  sich  ventrikuläre  Extrasystolen  ein,  bis  zu  normaler  Frequenz, 
die  einzige  Art,  wie  die  Sauerstoffversorgung  in  diesen  Fällen  noch 
verbessert  werden  kann. 

Beim  Tropfenherzen  ist  das  Schlagvolum  meist  klein,  dafür  die 
O-Ausnützung  sehr  gut. 

Bei  Anämien  ist  die  Ausnützung  des  arteriellen  Blutes  der  Norm 
gegenüber  nicht  verbessert ;  hingegen  ist  das  Minutenvolum  entsprechend 
der  Verminderung  der  Sauerstoffkapazität  erhöht  bis  auf  19  luter 
(statt  ,3 — 5).  Mit  einem  solchen  Schlagvolum  (bis  zu  200)  ist  eine 
Arbeitsleistung  selbst  bei  voll  erhaltener  Arbeitskraft  des  Herzens 
unmöglich,  da  die  physiologische  Grenze  bereits  in  der  Buhe  fast 
erreicht  ist. 

Diskussion. 

B  o  n  d  i  -  W ien :  N  ach  der  Müll  er  sehen  hämodynamischen  Methode 
wurde  in  ca.  250  Fällen  das  Schlagvolumen  bestimmt.  Die  Werte 
waren  60  ccm  bei  der  gesunden  Frau,  beim  Manne  etwas  höher,  also 
durchaus  ähnlich  den  von  Plesch  und  v.  Bergmann  ermittelten. 
Jedoch  bei  Mitralstenose,  wenigstens  hochgradiger,  findet  man  keine 
normalen  Werte,  sondern  bloß  20 — 18  ccm.  Dieser  Befund  erklärt  die 
Adynamie  solcher  Kranken.  Bei  gewissen  Anämien  allerdings  findet 
man,  wie  die  Vorredner  angaben,  eine  Erhöhung  des  Schlagvolums 
bis  110,  allein  bei  Chlorose  .umgekehrt  eine  Verminderung.  Diese 
Differenzen  beruhen  auf  der  unzulässigen  Voraussetzung  Plesclks, 
daß  die  Zusammensetzung  der  Alveolarluft  sich  nur  durch  Diffusion, 
nicht  durch  Sekretion  regele.  Andere  Einwände  sollen  bis  zur  Publi¬ 
kation  der  Pie  seit sehen  Methode  zurückgestellt  werden. 


26.  Kongreß  für  innere  Medizin  zu  Wiesbaden. 


761 


Ivr  e hl- Heidelberg :  Bei  Muskelarbeit  erfolgt  nach  Plesch  und 
v.  Bergmann  die  Anpassung  durch  Vermehrung  der  Pulszahl,  während 
doch  bekannt  ist,  daß  das  Herz  unter  diesen  Umständen  in  der  Systole 
verkleinert,  das  Schlagvolum  also  vermehrt  ist. 

Mohr -Halle  hat  am  Tier  mit  der  Zuntz’ sehen  Bestimmun  gs- 
methode  des  Schlagvolums  ganz  den  Plesch-Bergmann'schen  analoge 
Befunde  erhoben  —  die  Methode  dieser  Autoren  muß  also  richtig 
sein.  Die  erhöhte  Sauerstoffkajmzität  des  Hämoglobins  bei  Anämie 
entsprechend  Bohr’s  und  seiner  Auffassung,  ist  von  Morawitz  nicht 
beobachtet  worden,  besteht  aber  dennoch  wahrscheinlich  zu  Becht,  weil 
dieser  das  Methämoglobin  des  Blutes  als  Hämoglobin  mitgerechnet  hat. 

K  raus -Berlin:  Arbeitsgewohnte  Menschen  leisten  Arbeit  durch 
Vergrößerung  des  Schlagvolums.  Verkleinerung  des  Herzens  bei  nicht 
maximaler  Arbeit  ist  jedenfalls  nicht  das  Normale. 

Butterfield  berichtet  über  Untersuchungen  an  Menschenhämo¬ 
globin  betreffend  dessen  Sauerstoffkapazität. 

Por gesAVien :  Mittels  der  Plesch’schen  Methode  findet  man  bei 
Herzkranken  statt  einer  Vermehrung  der  Kohlensäure  in  der  Alveolar- 
luft  eine  Verminderung.  Die  Lunge  ist  eben  eine  Drüse  und  keine 
tote  Membran.  Ähnliche  Verhältnisse  müssen  erst  recht  für  den 
schlechter  diffundierenden  Sauerstoff  gelten. 

P lese h- Berlin :  Die  plethysmographische  Methode  Müller’s  und 
Bondi’s  ist  wegen  der  verschiedenen  Blutverteilung  bei  Herzkranken 
nicht  anwendbar.  Demgegenüber  ist  die  Sauerstoffkapazität,  die  er 
bestimmt,  eine  konstante,  physiologische  Zahl,  ebenso  die  beiden  anderen 
Faktoren,  daher  seine  Methode  exakt.  Das  Schlagvolum  kann  nur 
kleiner  werden,  wenn  die  Pulsfrequenz  steigt,  sonst  erstickt  der  Mensch. 
Denn  eine  bessere  Ausnützung  des  arteriellen  Blutes  findet  bei  Stenose 
tatsächlich  nicht  statt.  Die  Theorie  von  Bohr  sagt,  daß  ein  Drittel 
des  Sauerstoffs  in  der  Lunge  absorbiert  wird.  Doch  ist  die  kompli¬ 
zierte  Methodik,  mit  welcher  er  seine  Lehre  stützt,*  nicht  schlüssig. 

P äßler-Dresden :  Zur  Pathologie  und  Therapie  einiger  von 
der  Mundhöhle  ausgehender  Sepsisformen. 

Bei  mannigfachen  septischen  Erkrankungen  sind  die  Tonsillen 
häufig  der  Ausgangsort.  Manchmal  finden  sich  große  Tonsillen  mit 
Pfropfen,  manchmal  sind  die  Tonsillen  klein,  aber  in  den  Becessus 
tonsillaris  besteht  eine  Eiteransammlung.  Auch  in  den  Bachenton¬ 
sillen  finden  sich  Herde  meist  mit  Strepto-  und  Staphylokokken.  Selbst 
schmerzlose,  nicht  akut  entzündete  Zähne  können  die  Infektionsquelle 
sein.  Die  zahnärztliche  Desinfektion  des  Wurzelkanals  gelingt  nicht. 
Bei  Pyorrhoea,  alveolaris  enthalten  die  tiefen  Taschen  oft  große  Mengen 
Eiter.  Mit  Hilfe  einer  Sammelstatistik  hat  er  eine  Beihe  von  auf¬ 
fallenden  Fällen  eines  Zusammentreffens  von  Mundhöhleneiterung  und 
Sepsis  ermittelt.  Er  schildert  eine  Beihe  derartiger  von  ihm  durch 
Behandlung  der  Mundhöhle  geheilter  Fälle.  Bei  Polyarthritis  ist  es 
schwer,  ein  klares  Bild  über  die  Frage  zu  gewinnen,  was  das  primäre 
und  was  das  sekundäre  Leiden  ist ;  sehr  häufig  aber  scheint  die  primäre 
Läsion  in  der  Mundhöhle  ihren  Sitz  zu  haben.  Plötzliche  Herzerkran¬ 
kungen  junger  Leute  haben  gewöhnlich  die  gleiche  tonsillare  Ätiologie 
und  müssen  ätiologisch  behandelt  werden. 


762 


Ehrmann  und  Fuld, 


Diskussion. 

Lange -Frankfurt  a.  M.  berichtet  über  zwei  Fälle  von  Sepsis  mit 
Bacillus  phlegmonosus  emphysematosus,  ausgehend  von  diphteroiden 
Geschwüren  der  oberen  Respirationswege. 

H  amp ein  -Riga  macht  auf  eine  einschlägige  ältere  Arbeit  von 
Hoppe-Seyler  - Kiel  aufmerksam. 

Straßburger  -  Bonn  :  Physikalisch  -  anatomische  Unter¬ 
suchungen  zur  Lehre  von  der  Enge  des  Aortensystems. 

Der  Aortenumfang  ist  im  Alter  und  bei  Männern  größer.  Mes¬ 
sungsresultate  geben  keine  Grundlage  für  die  Lehre  von  der  Enge 
des  Aortensystems.  Auch  von  dem  Widerstand  leisten  die  großen  Ge¬ 
fäße  unter  allen  Umständen  nur  den  kleinsten  Teil. 

Das  Wesentlichere  ist  die  „Weitbarkeit“  des  Arteriensystems.  Bei 
älteren  Personen  ist  diese  Kapazitätszunahme  geringer  gefunden  wor¬ 
den ;  auch  bei  Frauen  beträgt  dieselbe  nur  2/3 — 1/2  von  der  des  Mannes, 
eine  Verminderung,  die  durch  das  geringere  Körpergewicht  der  Frauen 
nicht  \mllig  erklärt  wird. 

Bei  Kindern  ist  trotz  der  Kleinheit  der  Aorta  die  Weitbarkeit 
sehr  groß,  noch  mehr  bei  Tieren.  Die  absoluten  Maße  an  der  Leiche 
berechtigen  daher  zu  keiner  pathologischen  Diagnose.  Arteriosklero¬ 
tische  Gefäße  führen  natürlich  zu  einem  Kreislaufhindernis ;  bei  jün¬ 
geren  Personen  mit  geringer  Weitbarkeit  kann  ein  solches  höchstens 
ganz  ausnahmsweise  bestehen.  Fortschritte  in  dieser  Frage  sind  nur 
von  der  Mitarbeit  der  Klinik  zu  erwarten. 

Cur  sch  mann -Mainz  :  Über  die  diagnostische  und  progno¬ 
stische  Bedeutung  der  Sehnen-  und  Hautreflexe  bei  Nephri¬ 
tis  und  Urämie. 

Bei  urämischen  Zuständen  ist  es  wichtig,  den  Anteil  und  die 
Bedeutung  der  gleichzeitigen  Kreislaufstörung  zu  bestimmen. 

Hier  gibt  das  Verhalten  der  Sehnen-  und  Hautreflexe  nach  Red¬ 
ners  Erfahrungen  einen  Anhaltspunkt.  Die  Sehnenreflexe  steigern 
sich  bei  Schrumpfniere  erst  dann,  wenn  Urämie  im  Anzug  ist ;  in  der 
Folge  tritt  Fußklonus  und  das  BabinskTsche  Phänomen  auf.  Be¬ 
sonders  wichtig  ist  es,  daß  auch  bei  Scharlachkranken  das  Verhalten 
analog  ist.  Auch  bei  der  protahierten  Urämie,  bei  subakuter  Nephritis 
konnte  die  Reflexsteigerung  gefunden  und  durch  eine  entsprechende 
Therapie  beseitigt  werden.  Eine  Hypertonie  der  Muskulatur  besteht 
dabei  nicht.  Die  Reflexsteigerung  kann  auch  einseitig  sein  - —  eine 
solche  ist  natürlich  besonders  beweisend.  Einmal  sah  er  auf  der  be¬ 
troffenen  Seite  eine  Pseudoapoplexie  auf  treten.  Es  muß  daher  eine 
Wirkung  des  hypothetischen  Urämiegiftes  auf  das  Hirn  angenommen 
werden ;  ob  diese  durch  Intoxikation  oder  Erzeugung  von  Piaödem 
zustande  kommt,  bleibt  dahingestellt ;  die  günstige  Wirkung  der 
Lumbalpunktion  deutet  auf  letztere  Alternative.  Die  mitgeteilten  Be¬ 
obachtungen  haben  eine  hohe  praktische  prognostische  und  therapeu¬ 
tische  Bedeutung. 

Embden  und  Wir th-Frankfurt  a.  M. :  Über  den  Abbau  von 
Fettsäuren  im  Tierkörper. 

Bei  Leberblutung  bildet  -  sich  Azetessigsäure,  welche  durch  Zu¬ 
satz  bestimmter  Substanzen  vermehrt  wird. 

Zur  Ausscheidung  gelangt  dieses  Zwischenprodukt  des  Stoff¬ 
wechsels  beim  gesunden  wie  beim  diabetischen  Menschen  stets  nur  bei 
einseitiger  Ernährung.  Auch  im  Durchblutungsversuch  führt  die  Hinzu- 


26.  Kongreß  für  innere  Medizin  zu  Wiesbaden. 


768 


fügung  von  verbrennlichen  Substanzen  zur  Durchblutungsflüssigkeit 
zu  einer  Aufhebung  der  Azetonkörperbildung.  So  läßt  sich  z.  B.  die 
Azetessigsäurebildung  aus  Kapronsäure  total  hemmen  durch  Zusatz 
von  normaler  Valeriansäure. 

Durchblutet  man  eine  glykogenreiche  Leber,  so  tritt  ebenfalls 
niemals  Azetessigsäure  auf.  Jedoch  kann  der  Durchblutungsflüssig¬ 
keit  zugesetzter  Traubenzucker  an  einem  glykogenfreien  Organ  das 
Glykogen  nicht  vertreten.  Zucker,  obwohl  er  von  der  Leber  gebunden 
wird,  ist  daher  weniger  angreifbar  als  das  Glykogen. 

Alle  Störungen  des  Kohlehydratstoffwechsels  beim  Diabetiker 
würden  sich  sonach  durch  eine  Störung  der  glykogenbildenden  Funktion 
der  Organe  erklären  lassen. 

Die  antihetogene  Wirkung  von  Zusätzen  richtet  sich  genau  nach 
dem  Grade  ihrer  Verbrennlichkeit.  Vielleicht  gewinnen  diese  Ergeb¬ 
nisse  praktische  Bedeutung  für  die  Therapie  der  Azidosis. 

E  mb  den -Frankfurt  a.  M.  und  F.  K  raus  -Karlsbad :  Beitrag 
zur  Lehre  vom  Abbau  der  Kohlehydrate  im  Tierkör;per. 

Aus  welcher  Muttersubstanz,  stammt  die  Milchsäure  im  Orga¬ 
nismus  ?  Bei  Durchblutung  glykogenfreier  Lebern  findet  man  eine 
Abnahme  der  Milchsäure,  umgekehrt  bei  einer  abnorm  glykogenreichen 
Leber  eine  enorme  Zunahme.  In  diesem  Fall  läßt  sich  der  Glykogen¬ 
gehalt  der  Organe  in  gewissem  geringen  Maß  durch  Zusatz  von  Trauben¬ 
zucker  zum  Durchblutungsblut  ersetzen.  Andrerseits  scheint  auch  die 
Annahme  berechtigt,  nach  der  das  Eiweiß  die  Quelle  der  Milchsäure 
sei.  Denn  auch  ein  Produkt  des  Eiweißabbaues,  das  Alanin,  vermag 
im  Durchblutungsversuch  Milchsäure  zu  bilden.  Wahrscheinlich  wird 
es  zuerst  in  Brenztraubensäure  verwandelt,  und  aus  dieser  entsteht 
durch  Beduktion  die  Milchsäure.  Wir  sehen  somit  in  der  Milchsäure 
ein  Abbauprodukt  sowohl  der  Kohlehydrate  als  auch  der  Eiweißkörper. 

An  pankreaslose  Hunde  verabreicht  ist  die  Milchsäure  ihrerseits 
ein  gewaltiger  Zuckerbildner.  Dieser  Übergang  von  Milchsäure  in 
Glukose  und  umgekehrt  ist  in  Zusammenhang  zu  bringen  mit  dem 
Befund  Minkowski’ s  über  die  Anwesenheit  von  Milchsäure  in  den 
Muskeln  von  Gänsen  nach  Leberexstirpation.  Jedoch  muß  noch  eine 
dritte  Quelle  der  Milchsäure  angenommen  werden  auf  Grund  folgender 
Beobachtung:  Frischer  Muskelpreßsaft  nimmt  binnen  einer  Stunde 
einen  erheblichen  Milchsäuregehalt  an.  Alanin  und  Traubenzucker  kom¬ 
men  hier  nicht  in  Betracht,  ja,  Zusatz  von  solchen  ist  belanglos.  Es 
mag  hier  ein  Polymeres  (oder  dergl.)  der  Milchsäure  vorliegen.  Xnter- 
essanterweise  unterbleibt  bei  pankreaslosen  Tieren  diese  Milchsäure¬ 
bildung  im  Muskelpreßsaft, 

Diskussion. 

M  orit z- Straßburg :  Isovaleriansäur e  erzeugt  nach  den  Be¬ 
obachtungen  L.  Blum’s  beim  Hungerhund  Azeton. 

Am  gefütterten  Tiere  führt  dieselbe  zu  keiner  Azetonvermehrung. 
Dieser  Versuch  stimmt  mit  denjenigen  Embden’s  gut  überein. 

Rumpf-Bonn:  Orthodiagraphie  des  Herzens  und  Thorax¬ 
verschiebung. 

Beim  Übergang  aus  der  aufrechten  Stellung  in  die  Horizontal¬ 
lage  findet  bei  der  Mehrzahl  der  Menschen  eine  beträchtliche  Ver¬ 
schiebung  des  Thorax  statt.  Durch  die  Vertikalstellung  erfährt  das 
Brustbein  eine  Gesamt bewegung  nach  oben  und  vorn,  so  daß  die  obere 
Thoraxapertur  sich  vergrößert.  Die  oberen  Winkel  des  Thorax  er- 


764 


Ehrmann  und  Fuld, 


weitern  sieh  demgemäß  hei  der  Vertikalstellung,  ebenso  der  gesamte 
Thoraxraum. 

Die  Hebung,  welche  der  Processus  xiphodeus  beim  Übergang  aus 
der  Horizontallage  zur  Vertikalstellung  erfährt,  läßt  sich  durch  die 
Legung  gewisser  Richtungslinien  messen.  Die  Verschiebungen  des  Tho¬ 
rax  sind  im  allgemeinen  bei  älteren  und  korpulenten  Menschen  stärker. 

Damit  einher  geht  naturgemäß  eine  entsprechende  Bewegung 
der  Rippen.  Soweit  das  Herz  an  der  Bewegung  des  Thorax  nicht 
teilnimmt,  erfährt  es  infolge  der  Vertikalstellung  eine  anschei¬ 
nende  Bewegung  nach  abwärts.  Die  differenten  Bilder  und  an¬ 
scheinenden  Lageyeränderungen  des  Herzens,  welche  Moritz  beim  Ver¬ 
gleich  von  Horizontalorthodiagrammen  mit  Vertikaldiagrammen  er¬ 
hält,  erklären  sich  zum  Teil  durch  Verschiebung  der  vorderen 
Thoraxwand,  ein  anderer  Teil  durch  wirkliche  Lageverände¬ 
rungen  der  inneren  Organe. 

Weitere  Verschiebungen  des  Herzschattens  werden  durch  das 
Hinaufrücken  der  Leberkuppe  beim  Liegen  bewirkt;  in  patholo¬ 
gischen  Fällen  kann  durch  starke  Füllung  der  Bauchhöhle  die  Leber 
die  höhere  Lage  auch  in  der  Vertikalstellung  einnehmen.  Es 
kommt  dann  leicht  zu  Störungen  der  Herzfunktion.  Hier  ist  die  ge- 
ringere  Füllung  der  Bauchhöhle  und  die  systematische  Zwerch¬ 
fellatmung  das  beste  Unterstützungsmittel  für  die  Herztätigkeit. 

Otfried  Mü  11  er  -Tübingen  :  Die  Herz-  und  Gefäß  Wirkung 
einiger  Digitaliskörper  bei  gesunden  und  kranken  Menschen. 

Intravenöse  Injektion  von  1  ccm  Strophanthin  hat  auf  das  Gefä߬ 
kaliber  weder  beim  Gesunden  noch  beim  Kranken  einen  Einfluß  (plethys¬ 
mographisch  gemessen).  Auf  Eisumschläge  kontrahiert  sich  unter  Stro- 
phanthuswirkung  das  Gefäß  genau  wie  vorher. 

Auch  beim  Digalen  sieht  man  keine  Gefäßwirkung,  wohl  aber  in 
beiden  Fällen  eine  solche  auf  das  Schlagvolum  (beobachtet  am  Flammen¬ 
tachogramm),  welches  sich  zumal  beim  Herzkranken  ganz  erheblich  ver¬ 
mehrt.  Dies  liegt  nicht  an  der  plethysmographischen  Methode,  denn  diese 
gestattet  die  Demonstration  der  kontrahierenden  resp.  erschlaffenden 
Wirkung  von  Koffein  und  Natrium  nitrosum.  Die  Digitalispräparate) 
sind  daher  beim  Menschen  Herzmittel  (in  den  entgegenstehenden  Tier¬ 
versuchen  wurden  toxische  Dosen  angewendet),  nicht  Vasomotorenmittel, 
wie  die  Kohlensäurebäder. 

Diskussion. 

Fleischmann-Berlin  sprach  über  intravenöse  Strophanthinthera¬ 
pie  bei  Verwendung  von  kristallisiertem  Strophanthin.  Er  hat  auf 
der  ersten  medizinischen  Klinik  in  zahlreichen  Fällen  Strophanthin 
intravenös  injiziert.  Das  von  ihm  zu  diesen  Injektionen  verwandte 
Präparat,  das  „kristallinische  Strophanthin“,  war  bisher  noch  nicht 
therapeutisch  gebraucht,  da  alle  bisherigen  Autoren  das  sogenannte 
Böhringer’sche  Strophanthin,  ein  amorphes  Präparat,  anwandten.  Die 
Erfolge  waren  namentlich  bei  Herzkranken  ganz  frappante,  indem  oft¬ 
mals  schon  wenige  Minuten  nach  der  Einspritzung  der  Puls  zur  Norm 
zurückkehrte,  die  Atemnot  und  Zyanose  verschwand  usw. 

Pr änkel- Badenweiler:  Der  therapeutisch  beste  Digitaliskörper 
wird  der  löslichste  sein.  Die  Gefahren  sind  allemal  die  der  Summation ; 
daher  ist  es  wichtig  zu  erfahren,  ob  vorher  per  os  Digitalis  gegeben 
wurde.  Je  schwerer  der  Fall,  desto  geringer  muß  die  Dosis  sein. 
Herzgesunde  vertragen  viel,  desolate  Fälle  sehr  wenig,  höchstens  1/4  mg 


765 


26.  .Kongreß  für  innere  Medizin  zu  Wiesbaden. 


(des  Böhr  in  geloschen  Präparates).  Identisch  sind  das  amorphe  und 
das  kristallisierte  Präparat  nicht.  In  einer  neuen  Serie  von  60  In¬ 
jektionen  hat  er  nur  einen  Todesfall  durch  Akkumulation  gesehen,  da 
das  schlecht  ausgeschiedene  Thoms’sche  Präparat  vorher  gegeben 
worden  war. 

Volhard- Mannheim :  Bei  schwerster  Kreislaufschwäche  (septischer 
Pneumonie)  wurde  1/2 — 1  ccm  Adrenalin  injiziert.  Der  Kranke  wurde 
blaß  und  die  Herzaktion  hob  sich  gründlich  und  dauernd.  Dieses  Gefäß- 
mittel  besitzt  also  auch  eine  Herzwirkung. 

K  raus- Berlin :  Die  gewählte  Dosis  ist  zu  gering.  Man  kann 
die  bezeichnet©  Einzelgabe  sechsmal  pro  die  geben.  Geschwüre  wie 
beim  Hunde  treten  nicht  auf.  Die  Herzwirkung  ist  am  Elektrokardio¬ 
gramm  deutlich  und  damit  gegenüber  Lewandowsky  definitiv  be¬ 
wiesen. 

His -Berlin:  Die  Wirkung  des  Strophanthins  bei  Hochdruck¬ 
stauung  muß  eine  Gefäßwirkung  sein. 

O.  Müll  er- Tübingen :  Die  Drucksenkung  in  diesen  Fällen  muß 
durch  die  Bradykardie  bedingt  sein  - —  die  Gefäße  ändern  sich  tatsäch¬ 
lich  nicht. 

Ealta-Wien:  Beim  Menschen  steigt  der  Druck  (anders  als  beim 
Hund)  unter  Adrenalin  Wirkung  dauernd.  Kur  bei  älteren  Leuten  kann 
es  zu  Schüttelfrösten  kommen. 

Moritz -Straßburg  fragt,  wie  sich  das  S]:danchnikusgebiet  ver¬ 
hält.  Das  Chlorbaryum  wirkt,  wie  bekannt,  dem  Adrenalin  analog  und 
auch  ebenso  günstig.  Jenes  bewirkt  am  Tier  eine  Verkleinerung  des 
Herzens. 

Ptässler-Dresden :  Wenn  die  Blutgeschwindigkeit  wächst,  fällt 
der  Grund  für  die  dyspnoische  Stauung  weg. 

E.  Pick -Prag:  An  der  Niere  bewirken  die  Digitaliskörper  eine 
Gefäßerweiterung,  ebenso  an  der  Milz. 

0  Müll  er -Tübingen  :  Nach  der  verbesserten  Weber’schen  Methode 
(Rektalplethysmographie  unter  Korsett)  lassen  sich  gröbere  Wirkungen 
im  Splanc.hnikusgebiet  nicht  nachweisen. 

Moritz  und  v.  Tab ora- Straßburg :  Über  exakte  Venendruck- 
messung  beim  Menschen. 

v.  Tabor a,- Straßburg :  Die  Entlastung  des  venösen  Systems 
durch  Venaesektion  und  „Abbinden  der  Glieder“. 

Die  Bestimmung  des  Venendrucks  geschieht  am  liegenden  Patienten 
bei  einer  solchen  Armhaltung,  daß  die  Blutzirkulation  möglichst  unge¬ 
hindert  ist  (Arm  bei  gebeugtem  Ellbogen  und  pronierter  Hand  recht¬ 
winklig  abduziert).  Man  läßt  unter  vorübergehender  Abbindung  des 
Armes  durch  eine  Pravazkanüle  wässrige  Flüssigkeit  aus  einer  Kürette 
einfließen  und  notiert  den  Flüssigkeitsstand  (in  Kubikzentimetern), 
bei  welchem  ein  Einströmen  nicht  mehr  stattfindet.  Als  Nullpunkt  wird 
die  Lage  des  rechten  Vorhofs  angenommen. 

Als  Flüssigkeit  dient  eine  Lösung  von  1  Chinosol  zu  2000  Ringer¬ 
lösung  —  davon  gelangen  in  die  Vene  übrigens  nur  Bruchteile  eines 
Kubikzentimeters.  Der  Eingriff  entspricht  etwa  einer  intravenösen  In¬ 
jektion  und  hat  tatsächlich  niemals  Schaden  angerichtet.  Beim  Nor¬ 
malen  ist  der  Venendruck  meist  =  40 — 60  ccm  Wasser,  höchstens 
80—100. 


766 


Vorläufige  Mitteilungen  und  Autoreferate. 


Unter  jmthologischen  Bedingungen  steigt  er  bis  zn  300  ccm  Wasser 
(bei  Pneumonie).  Bei  Herzfehlern,  und  zwar  nur  bei  Kompensations¬ 
störung,  sieht  man  gleichfalls  hohe  Werte.  Durch  Arbeitsleistung  er¬ 
zielt  man  ebenfalls  Steigerung. 

Ein  Fall  von  Lungenödem,  in  welchem  die  Abbindung  der  Extremi¬ 
täten  heilend  gewirkt  hatte,  gab  Anlaß,  den  Effekt  dieses  Manövers 
auf  den  erhöhten  Venen  druck  zu  messen. 

Ein  Aderlaß  muß  schon  350—500  ccm  groß  sein,  um  normale 
Werte  erreichen  zu  lassen.  Ganz  ebenso  wirkt  aber  die  Abbindung  der 
Extremitäten.  Es  kommen  Abstürze  vor  von  143  cdm  (aUerdings  nicht 
in  jedem  Fall). 

Die  Messung  des  Venendrucks  wird  die  Indikationsstellung  des 
Aderlasses  sowohl  wie  die  Überwachung  seiner  Ausführung  erleichtern. 


Vorläufige  Mitteilungen  u.  Autoreferate. 

Ueber  Vergiftungen  mit  bleihaltigem  Brotmehl  in  Negenborn. 

Von  Sanitätsrat  Dr.  Niemann,  Holzminden. 

Verf.  hat  im  Januar  1908  im  Dorfe  Negenborn  durch  bleihaltiges 
Brotmehl  entstandene  Bleivergiftungen  festgestellt,  welche  bis  in  den 
Herbst  1906  zurückreichen.  Der  Bleigehalt  des  Viehles  war  dadurch 
entstanden,  daß  ein  Müller  die  Löcher  des  Mühlsteins  mit  Blei  aus¬ 
gegossen  hatte. 

Verf.  stellte  119  Fälle  von  Bleivergiftung  fest.  Seiner  Schätzung 
nach  sind  in  den  Jahren  1906  und  1907  bis  Januar  1908  200  Fälle 
von  Bleivergiftung  unter  1096  Einwohnern  vorgekommen. 

In  100  g  Brot  waren  durchschnittlich  0,017  g  metallisches  Blei 
enthalten. 

Die  manifesten  Symptome  traten  ein,  nachdem  3 — 4  Wochen  Blei¬ 
brot  und  damit  im  ganzen  2,6  bis  3,5  g  Blei  eingeführt  waren. 

In  bezug  auf  die  Symptome,  Kolik  und  Bleisaum,  wurden  be¬ 
merkenswerte  Unterschiede  zwischen  Erwachsenen  und  Kindern  fest- 
gestellt. 

Während  die  Männer  ausnahmslos  schwere  Koliken  hatten,  litt 
von  den  untersuchten  14  Kindern  im  Alter  von  5 — 15  Jahren  nur 
eins  an  Koliken.  - —  Bei  13  Kindern  traten  statt  der  Koliken  Durch¬ 
fälle  und  Erbrechen  auf,  als  deren  Ursache  die  Ätzwirkung  des  im 
klagen  gelösten  Bleies  angenommen  werden  muß,  auf  welche  der  kind¬ 
liche  Magen  mit  Erbrechen  und  Durchfall  reagiert. 

In  38  frischen  Fällen  war  der  Bleisaum  29  mal  vorhanden  und 
fehlte  in  neun  Fällen.  Zu  letzteren  gehört  ein  Zahnloser  und  das 
jugendliche  Alter  von  5—23  Jahren. 

Unter  den  Kindern  bis  zum  15.  Jahre  hatte  nur  ein  lljähr.  Mäd¬ 
chen  einen  hauchartigen  Saum. 

Während  der  Verf.  die  Bildung  des  Bleisaums  auf  eine  zuerst 
eintretende  mechanische  Anlagerung  der  Bleiteilchen  am  Zahnfleisch¬ 
saum  und  alsdann  eine  damit  einhergehende  chemische  Wirkung  auf 
dieselben  annimmt,  erklärt  derselbe!  das  Fehlen  des  Bleisaums  bei 
jugendlichen  Individuen,  insbesondere  bei  Kindern  damit,  daß  der 
Zahnfleischrand  bei  diesen  den  Zähnen  so  fest  anliegt,  daß  hier  sich 
Bleiteilchen  nicht  festsetzen  können,  und  daß  durch  Fehlen  der  Zahn- 


Vorläufige  Mitteilungen  und  Autoreferate. 


767 


beläge,  selbst  bei  ungenügender  Mundpflege,  die  Bedingungen  zur  Bil¬ 
dung  von  Schwefelwasserstoff  nicht  gegeben  sind.  Die  von  ihm  an 
von  bleikranken  Müttern  geborenen  Kindern  vorgenommenen  Blut¬ 
untersuchungen  ergaben  das  vermehrte  Vorhandensein  gekörnter  Ery- 
throzythen,  welches  nach  Growitz,  Hamei,  Büsing  und  P.  Schmidt 
unter  gewissen  Voraussetzungen  als  charakteristisch  für  Bleivergif¬ 
tungen  anzusehen  ist. 

Der  Hämoglobingehalt  des  Blutes  der  Bleikranken  schwankte 
zwischen  48  und  65  °/0  und  erreichte  in  fünf  Pallen  die  Höhe  von  70°/0. 

(Archiv  für  Hygiene,  Bd.  LXIX.)  Autoreferat. 


Verein  deutscher  Ärzte  in  Prag,  30.  April  1909. 

Rubritius  demonstriert  1.  einen  19jährigen  Mann  mit  mäßiger 
Plattfußbildung,  welche  in  der.  Pubertätszeit  sehr  starke  Schmerzen 
am  inneren  Pußrand  verursacht  hatte.  Seit  sieben  Monaten  besteht 
eine  Beugekontraktur  der  großen  Zehe  im  Grundgelenk  (Hammerzehen¬ 
bildung).  Nikoladonis  Hammerzehenplattfuß. 

2.  einen  20  jährigen  Mann  mit  hochgradigen  Plattfüßen,  welche 
früher  ebenfalls  Schmerzen  bereitet  hatten ;  seit  drei  Monaten  besteht 
eine  Deformität  der  Zehen,  indem  diese  ohne  Beteiligung  der  Metatarsi 
im  Sinne  der  Plantarflexion,  Adduktion  und  Supination  abgelenkt  sind. 
Rechts  ist  die  Deformität  stärker  als  links.  Also  eine  Kombination 
von  Pes  valgus  mit  Pes  varus.  Klumpzehenplattfuß. 

R.  faßt  sowohl  den  Hammerzehenplattfuß  als  auch  den  Klump¬ 
zehenplattfuß  als  den  Pes  valgus  kompensierende  Deformitäten  auf. 


Referat  über  die  am  7.  Mai  in  der  „Wissenschaftlichen  Gesellschaft 
deutscher  Ärzte  in  Böhmen“  gehaltene  Demonstration. 

Prof.  Ivleinhans  dem.  das  durch  Operation  gewonnene,  in  L.  Pie  la¬ 
scher  Flüssigkeit  konservierte  Präparat  eines  Falles  von  primärem 
Scheidenkarzinom,  bestehend  aus  Uterus,  Scheide  und  einem 
12  cm  langen  Stück  Mastdarm  im  Zusammenhang. 

50 j ähr.  VII  para.  Seit  1/2  Jahr  Schmerzen  beim  Sitzen  und 
wässerig-blutigen  Ausfluß, 

In  der  hinteren  Scheidenwand  zwei  flache,  oberflächlich  ulzerierte 
Karzinomknoten  von  21/2  und  lx/2  cm  Durchmesser,  der  obere  an  der 
Grenze  zwischen  oberem  und  mittlerem  Scheidendrittel.  Diesem  ent¬ 
sprechend  ist  die  Mastdarmwand  ergriffen ;  auch  die  Schleimhaut  (Rekto¬ 
skopie)  verändert,  kleinknollig,  wenn  auch  nicht  ulzeriert. 

Operation  in  Lumbalanästhesie :  Abpräparieren  der  Scheide  (unter 
Aussparung  des  Urethralwulstes)  von  der  Blase  bis  zur  Plica ; 
nach  Eröffnung  dieser  und  Luxation  des  Uterus  nach  vorne  Abbinden 
und  Durchtrennen  der  Ligam.  und  Parametrien,  Eröffnung  des  Douglas 
und  Abschluß  gegen  die  Bauchhöhle  unter  Einnähung  der  Ligament¬ 
stümpfe.  Umschneidung  des  Introitus,  Ablösung  des  unteren  Scheiden¬ 
randes  vom  Rektum  bis  über  den  Sphinkter.  Rechtsseitiger  Schnitt 
bis  gegen  die  Steißbeinspitze  und  Auslösung  von  Rektum  und  Scheide 
im  Zusammenhang.  Herabziehen  des  Rektums,  Abbindung  und  Re¬ 
sektion  eines  12  cm  langen  Stückes  Rektum  im  Zusammenhang  mit 
der  Scheide  unter  Erhaltung  des  Sphincter  ani.  Nach  Abtragung  der 
Sphinkterschleimhaut  Durchziehen  des  proximalen  Rektumendes  und 


768 


Referate  und  Besprechungen. 


Befestigung 
ponade  der 
Kontinenz. 
K.  ist 


unten  und  oben  am  Sphinkter  durch  Kopf  nähte.  Tam- 
AV undhöhle.  Entlassung  nach  vier  AVochen  bei  völliger 

für  ein  derartiges  radikales  Vorgehen  in  allen  Fällen 
Karzinom  der  hinteren  Ar  aerinalwand  in  Anbe- 


von  primärem  ix.au  <ij.nviu  nox  m-iiu&xon  »  mg 
tracht  der  sonst  so  schlechten  Dauerheilungsresultate. 


Referate  und  Besprechungen. 

Bakteriologie  und  Serologie. 

Bacillus  Ebertb  und  Bacillus  coli. 

(de  Techoueyres.  Bull.  med.,  Nr.  76,  S.  840,  1908.) 

Der  Trieb  zum  Systematisieren,  Registrieren,  Etikettieren  ist  dem 
Menschengeschlecht  angeboren;  offenbar  als  Mittel,  mit  den  verschiedenen 
Naturerscheinungen  fertig  zu  werden.  Aber  wie  so  oft,  so  hat  sich  auch 
hier  immer  wieder  die  Erfahrung  bestätigt,  daß  die  Methode  nicht  der  Diener 
des  Forschers  bleibt,  sondern  sein  Führer  wird;  und  so  ist  es  gekommen, 
daß  wir  Menschen  geneigt  sind,  Kategorien  und  Scheidewände  in  die  Natur 
hineinzuprojizieren,  die  tatsächlich  gar  nicht  darin  enthalten  sind. 

Ein  klassisches  Beispiel  hierfür  bietet  der  Typhus  abdominalis.  Wir 
haben  uns  daran  gewähnt,  darunter  ein  mehr  oder  weniger  typisches  Krank¬ 
heitsbild  uns  vorzustellen,  mit  reglementsmäßigen  Symptomen  und  der  vor¬ 
schriftsmäßigen  Temperatur -Kurve.  Daß  es  aber  auch  Typhen  mit  einem 
anderen  Verlaufe  gibt,  bewerten  nur  wenige  im  ganzen  Umfange,  und  doch 
hat  schon  Griesinger  präzis  gesagt,  daß  ,, unser“  Typhus  nur  eine  der 
Abstufungen  darstelle,  welche  aus  der  Reihenfolge  der  Intoxikationen  sich 
besonders  heraushebe  (Infektionskrankheiten  1864,  §■  213). 

Interessant  ist,  wie  diese  Gedankengänge,  welche  von  der  Klinik  — 
in  enger  Fühlung  mit  der  Natur  —  tolerant  entwickelt  wurden,  sich  in  der 
Bakteriologie  gestalteten,  welche  um  so  intoleranter  sein  muß,  je  mehr  sie 
den  Anspruch  auf  eine  ,, exakte“  Wissenschaft  erhebt.  Jedermann  weiß, 
mit  welcher  Zähigkeit  von  der  einen  Seite  der  sog.  Typhusbazillus  als  ein 
Ding  sui  generis,  als  der  wahre  und  einzige  Erreger  der  Krankheit  hin- 
gestellt  wird,  während  die  andere  Partei  angesichts  der  Unmöglichkeit,  den 
Bac.  typhi  scharf  von  den  vielen  Koliarten  abzugrenzen,  ihn  nur  als  Spezies 
in  der  Familie  der  Kolibakterien  gelten  lassen  will. 

Diese  Auffassung  steht  der  klinischen  natürlich  viel  näher  und  be¬ 
wertet  insbesondere  auch  die  Reaktionsformen  der  einzelnen  Individuen;  denn 
schließlich  ist  das,  was  wir  Krankheit  nennen,  keine  Leistung  des  Erregers, 
sondern  des  reagierenden  Organismus.  Demgemäß  fügt  Noel  den  vorstehenden 
Ausführungen  eine  Anzahl  von  Epidemien  beim  Militär  hinzu,  bei  welchen 
durch  übermäßige  Anstrengungen,  enge  Kasernierung  usw.  die  für  gewöhnlich 
ausreichende  Widerstandskraft  gegen  die  Kolibakterien  erlahmte  und  es  zu 
typhoiden  Erscheinungen  aller  Art  kam;  sobald  den  Truppen  mehr  Ruhe 
gegönnt  war  bezw.  sobald  die  Quartiere  weniger  eng  belegt  waren,  erlosch 
die  Seuche,  ohne  daß  sonst  etwas  geändert  wurde,  insbesondere  ohne  daß 
ausgedehnte  Desinfektionen  oder  Änderungen  in  der  Wasserversorgung  vorge¬ 
nommen  wurden.  Buttersack  (Berlin). 


0n  a  new  test  for  difFerentiation  of  the  bazilli  of  the  typhoid  group. 

(By  C.  Chatterjee. '  Zentralbl.  für  Bakt.,  Bd.  48,  H.  2.) 

Der  Verfasser  bespricht  zuerst  die  von  den  verschiedensten  Forschern 
bisher  angewandten  Methoden  zur  Differenzierung  der  zur  Typhusgruppe 
gehörigen  Bazillen.  Im  Verlauf  seiner  eigenen  diesbezüglichen  Versuche  fand 


Referate  und  Besprechungen. 


769 


er  folgenden  Weg  am  einfachsten  und  sichersten,  davon  ausgehend,  daß  Nähr¬ 
böden.  die  zuerst  dem  Wachstum  eines  Bakteriums  günstig  sind,  sich  mit 
der  Zeit  ändern,  so  daß  dieses  Bakterium  nicht  mehr  darauf  wächst,  sei  es, 
daß  der  Nährboden  erschöpft  wird,  oder  daß  er  von  diesem  Bakterium  aus¬ 
geschiedene  Toxine  in  sich  aufnimmt  — -  beschickte  C.  Agarröhrchen  mit 
Typhusbazillen.  Nach  dreitägigem  Wachstum  bei  37°  C  wurde  der  reich¬ 
lich  gewachsene  Rasen  mit  steriler  NaCl-Lösung  abgewaschen.  Impfte  C. 
nun  diese  Agarröhrchen  aufs  neue  mit  Typhusbazillen,  so  zeigte  sich  kein 
Wachstum,  während  andere  typhusähnliche  Stämme  (Paratyphen,  Bac.  Shiga, 
Bac.  coli  communis)  ungehindert  darauf  gediehen.  Daß  das  wachstum¬ 
hemmende  Agens  ein  Toxin,  und  zwar  ein  thermomobiles  Toxin  ist,  schließt  C. 
daraus,  daß  ebenso  behandelte  Agarröhrchen,  die  er  nach  dem  Abspülen 
mit  NaCl-Lösung  1  Stunde  auf  55°  C  erhitzte  und  dann  wieder  mit  Typhus¬ 
bazillen  beschickte,  nach  48  Stunden  wieder  dicht  bewachsen  waren.  Dieses 
spezifische  Toxin  im  Nährboden  hindert  nur  das  Wachstum  des  betreffenden 
Bazillus,  agglutiniert  oder  tötet  ihn  aber  nicht,  hebt  auch  seine  Beweglichkeit 
nicht  auf.  Die  Aussat  bleibt  monatelang  lebendig  und  gedeiht  auf  frischen 
Nährboden  weiter. 

In  gleicher  Weise  machte  C.  Versuche  mit  Ausstrichen  von  typhus¬ 
ähnlichen  Bazillen.  Auch  diese  erzeugten  Nährböden,  die  für  den  eigenen 
Stamm  steril  wurden,  ohne  das  Wachstum  verwandter  Gruppen  zu  beschränken. 
Nur  die  mit  Coli  vorbehandelten  Nährböden  zeigten  einen  Unterschied;  sie 
hinderten  auch  das  Wachstum  der  anderen,  der  Typhusgruppe  angehörigen 
Stämme,  blieben  aber  für  ganz  artfremde  Bakterien  wie  Kommabazillen, 
Staphylokokken  usw.  verwendbar.  Schürmann  (Düsseldorf). 


Ueber  den  Wert  von  Typhusbazillen  —  Mischbouillon  zur  Serodiagnose 

des  Typhus. 

(Dr.  Geisse.  Zentralbl.  für  Bakt.,  Bd.  48,  H.  4.) 

Die  WiclaFsche  Reaktion  mit  einem  gut  agglutinablen  Stamme  hat 
dem  Verfasser  gleich  gute  Resultate  ergeben,  wie  die  gleichzeitige  Ver¬ 
wendung  mehrerer  Typhusstämme  in  Form  einer  Typhusbazillenmischbouillon. 
Nach  seiner  Ansicht  enthält  ein  gut  agglutinabler  und  gut  agglutininbildender 
Stamm  alle  für  Typhusbazillen  charakteristische  Aggliftinogene  in  größter 
Menge  in  seinem  Protoplasma.  Einzelne  Agglutinogene  weist  nur  ein  schlecht 
agglutinabler  Stamm  in  größerer  Menge  auf.  Zur  Feststellung  der  Typhus- 
agglutinine  im  Serum  eines  Patienten  bietet  ein  gut  agglutinabler  Stamm 
die  günstigsten  Chancen.  Die  Verwendung  einer  Typhusbazillenmischbouillon 
erhöht  die  Wahrscheinlichkeit,  daß  möglichst  alle  agglutinogene  Gruppen 
für  nachzuweisende  Typhusagglutinine  vorhanden  sind,  aber  diese  sind  der 
gesamten  Bazillenzahl  entsprechend  nur  wenig  vorhanden.  Die  Agglutination 
der  Typhusbazillenmischbouillon  wurde  in  den  Versuchen  des  Verfassers  meist 
schlechter  agglutiniert,  als  ein  gut  agglutinabler  Stamm  allein. 

Je  größer  die  Anzahl  der  in  einer  Mischbouillon  vertretenen  Typhus¬ 
stämme,  desto  größer  ist  auch  die  Gefahr  der  Reaktion  von  Gruppenaggluti¬ 
ninen.  Die  Verwendung  von  Mischbouillon  bietet  keine  Vorteile,  sondern 
begünstigt  sogar  eine  Verwechslung  mit  anderen,  dem  Typhus  biologisch  nahe¬ 
stehenden  Krankheitsformen.  Schürmann  (Düsseldorf). 


Kleiner  Beitrag  zur  Frage  der  Identität  des  Typhus  und  Kolibazillus. 

(Dr.  Gynla  u.  Benczus.  Zentralbl.  für  Bakt.,  Bd.  48,  H.  3.) 

Die  Versuche  des  Verfassers  gingen  dahin,  zu  erforschen,  ob  bei  Züch¬ 
tung  der  Typhus-  und  der  Colibazillen  unter  Verhältnissen,  die  ihr  Wachs 
tum  wesentlich  erschweren,  eine  Annäherung  beider  Bazillen  in  ihren  Eigen¬ 
schaften  stattfänden.  Er  setzte  die  Kulturen  genannter  Bazillen  einer  Tem¬ 
peratur  von  43 u  C  aus,  er  züchtete  sie  auf  stark  alkalischen  Nährböden,  er 
setzte  dem  Nährboden  einige  Tropfen  einer  20/oioen  Chininlösung  zu.  Verf. 

49 


770 


Referate  und  Besprechungen. 


untersuchte  ferner  den  Agglutinationstiter  der  beiden  Stämme.  Die  Ver¬ 
suche  zeigen  sicher,  daß  die  Eigenschaften  beider  Bazillen  eine  große  Be¬ 
ständigkeit  besitzen.  Man  ist  also  nicht  berechtigt,  anzunehmen,  daß  die 
beiden  Bazillen  innerhalb  des  Organismus  oder  in  der  Außenwelt  ineinander 
übergehen  können.  Schürmann  (Düsseldorf). 


Zur  Geschichte  der  Typhusschutzimpfung  des  Menschen. 

(E.  Wright.  Zentralbl.  für  Bakt.,  Bd.  46,  H.  2.) 

Friedberger  gibt  in  einer  seiner  Arbeiten  an,  daß  die  Arbeit  Wright’s 
nur  über  die  Erzeugung  seröser  Hämorrhagien  durch  die  Typhusimpfüng 
handelt.  Friedberg'er  macht  Ansprüche  auf  die  Priorität  der  Typhus¬ 
schutzimpfung  am  Menschen  für  Kjolle  und  Pfeiffer. 

Wjright  gibt  die  Erklärung  ab,  daß  die  Hämorrhagien  durch  In¬ 
jektionen  erzeugt  seien,  nur  um  sie  als  unangenehme  Nebenerscheinungen 
bei  der  Schutzimpfung  zu  bekämpfen.  Schürmann  (Düsseldorf). 


Über  das  Aufwärtswandern  der  Bakterien  im  Verdauungskanal  und  seine 
Bedeutung  für  die  Infektion  des  Respirationstraktus. 

(F.  Dieterlen.  Zentralbl.  für  Bakt.,  Bd.  45,  H.  5,  1908.) 

Nach  der  Ficker’schen  Technik  sind  vom  Verfasser  Versuche  an  Kanin¬ 
chen,  Meerschweinchen,  Hunden,  Ziegen  und  Katzen  mit  dem  Bacillus  pro- 
digiosus,  Geflügelcholera  und  Tüberkelbazillen  menschlicher  Herkunft  an¬ 
gestellt  worden.  Ein  Aufwärtswandern  der  Bakterien  vom  Magen  aus  gelang 
nur  bei  Pflanzenfressern,  wurde  aber  niemals  bei  Fleischfressern  beobachtet. 

Schürmann  (Düsseldorf). 


Wutinfektion  und  antirabische  Immunisierung  auf  endorektalem  Wege. 

(Claudio  Fermi.  Zentralbl.  für  Bakt.,  Bd.  47,  H.  5,  1908.) 

Es  gelingt  bei  Kaninchen,  Ratten  und  Meerschweinchen  die  Wutinfek¬ 
tion  durch  fixus  Virus  auf  endorektalem  Wege  und  zwar  in  100%  bei  Meer¬ 
schweinchen,  in  80%  bei  den  Kaninchen  und  in  60%  bei  Ratten.  Die  In¬ 
fektion  tritt  bei  intakter  Schleimhaut,  ohne  irgendwelche  Läsion  derselben 
auf;  es  handelt  sich  somit  um  eine  Wutinfektion  durch  die  gesunde  Darm¬ 
schleimhaut  hindurch.  Junge  Katzen  zeigen  sich  empfindlich,  alte  Katzen 
und  Hunde  dagegen  geben  negative  Resultate. 

Ratten,  die  mit  Straßenvirus  subkutan  infiziert  waren  und  dann  endo- 
rektal  mit  normaler  oder  Wutnervensubstanz  immunisiert  wurden,  starben  alle 
an  Tollwut.  Ratten,  die  sofort  nach  der  endorektalen  Immunisierung  mit 
Straßenvirus  subkutan  infiziert  wurden,  überlebten  zur  Hälfte;  es  starben 
aber  alle  diejenigen,  die  8  Tage  nach  der  erfolgten  Immunisierung  infiziert 
waren.  Die  endorektale  Immunisierung  mit  normaler  Nervensubstanz  rettete 
die  Hälfte  der  Ratten  gegen  eine  endorektale  Infektion  mit  fixem  Virus. 

Schürmann  (Düsseldorf). 


Der  Erreger  der  Pneumonie  eines  Königstigers  (Bazillus  pneumoniae  tägris). 

(Prof.  Marx,  Zentralbl.  für  Bakt.,  Bd.  47,  H.  5,  1908.) 

Es  wurde  bei  einer  hämorrhagischen  Pneumonie  eines  Tigers  ein  Mikrobe 
gefunden,  der  große  Ähnlichkeit  mit  dem  Influenzabazillus  zeigte.  Er  war 
sehr  klein,  zeigte  Polfärbung  und  war  hämophil.  Er  wurde  wegen  seines 
kulturellen  Verhaltens  und  seiner  Tierpathogenität  in  die  Reihe  der  Pasteu- 
rollosen  eingereiht.  Schürmann  (Düsseldorf). 


Referate  und  Besprechungen. 


771 


Diagnose  des  Rotzes  am  Kadaver  mittels  Komplementbindung. 

(F.  Kayser.  Zentralbl.  für  Bakt.,  Bd.  49,  H.  3.) 

Zur  Diagnosenstellung  des  „Rotzes“  hatte  man  bisher  nur  drei  Hilfs¬ 
mittel  zur  Hand : 

1.  Mikroskopische  Besichtigung  der  Deckglaspräparate,  die  aus  ver¬ 
dächtigen  Herden  angefertigt  werden. 

2.  Die  Agglutination. 

3.  Die  Meerschweinchenimpfung  (de  Jong). 

Infolge  abweichender  Resultate  bei  dieser  Impfung  und  des  zu  spät 
zu  erfahrenden  Resultates  wandte  Verf.  die  Komplementbindungsmethode 
an.  Aus  der  Tabelle  geht  hervor,  daß  die  Sera  der  verdächtigen  Pferde,  im 
Gegensatz  zum  normalen  Pferdeserum,  bei  Einwirkung  auf  die  Rotzkultur¬ 
flüssigkeit  Komplement  zu  binden  imstande  waren,  daß  jene  Sera  also  Rotz¬ 
ambozeptoren  enthielten. 

Es  würde  sich  lohnen,  diese  Methode  an  einem  großen  Material  auszu¬ 
probieren.  Schürmann  (Düsseldorf). 


Lieber  die  Zerstörung  des  Wutvirus  in  situ. 

(Claudio  Fermi.  Zentralbl.  für  Bakt.,  Bd.  49,  H.  1.) 

Es  folgt  aus  seinen  Untersuchungen,  daß  bei  Resorption  des  Wutvirus 
von  der  gesunden  Nasen-  und  Darmschleimhaut  und  von  der  gesunden  Augen¬ 
bindehaut  aus  es  schon  nach  15  Minuten  unmöglich  ist,  durch  reichliche 
Waschungen  mit  Sublimat  und  mit  Thymol  (Darmschleimhaut)  die  Infektion 
zu  verhindern..  Schürmann  (Düsseldorf). 


Die  Wirkung  des  Speichels  auf  das  Wutvirus. 

(Claudio  Fermi.  Zentralbl.  für  Bakt.,  Bd.  49,  H.  1.) 

Der  Speichel  besitzt  keine  wuttötende  Wirkung.  Selbst  Verdünnungen 
der  Virus  fixe  zu  1  :  10000  machte  der  Speichel  nicht  einmal  auf  subkutanem 
Wege  avirulent.  Speichel  von  durch  Virus  fixe  verendeten  Kaninchen  wurde 
benutzt. 

Es  ist  überhaupt  anzunehmen,  daß  Speichel,  der  doch  die  Wutkrankheit 
normalerweise  überträgt,  nicht  abschwächend  auf  das  Wutvirus  wirken  dürfte. 

Schürmann  (Düsseldorf). 


Ein  Trypanosoma  des  Wisent  von  Bielowesch. 

(K.  Wrnblewski.  Zentralbl.  für  Bakt.,  Bd.  48.  H.  2.) 

Verfasser  ist  es  gelungen,  beim1  Wisent  (Bonasus),  welches  noch  in  Litauen 
im  Walde  von  Bielowesch  lebt,  ein  Trypanosoma  aufzufinden.  Die  Länge 
der  Trypanosomen  schwankt  zwischen  30  und  50  [J-  Im  Mittelteil  des  Trypa¬ 
nosoma,  das  verdickt  erscheint,  liegt  der  Kern  als  quergelagertes,  an  den 
Enden  schwach  abgerundeten  Stäbchens.  Weiter  nach  vorn  beginnt  die  Geißel 
mit  einer  kolbenförmigen  Anschwellung.  Am  freien  Ende  ist  die  Geißel 
wieder  etwas  verdickt.  Vakuolen  finden  sich  im  ganzen  Trypanosomenleibe 
verteilt.  Längsteilung  in  zwei  Individuen  wurde  beobachtet,  aber  auch  wurden 
Teilungsbilder  gefunden,  wo  der  Kern  in  mehrere  (6)  Stücke  zerfällt. 

Verfasser  glaubt  annehmen  zu  dürfen,  daß  dieses  Trypanosoma  eine  be¬ 
sondere  selbständige  Art  darstellt,  Schürmann  (Düsseldorf). 


lieber  einen  vom  Meerschweinchen  isolierten  Tetragenus. 

(Dr.  Guiseppe  Altana.  Zentralbl.  für  Bakt.,  Bd.  48,  H.  1.) 

Aus  der  Leber  und  aus  dem  Blute  erkrankter  Meerschweinchen  gelang 
es  Verfasser,  einen  Mikroorganismus  zu  züchten,  der  sich  in  vier  vereinigt 
bleibende  Individuen  teilte,  die  von  einer  deutlichen  Hülle  umgeben  waren. 
Das  Verhalten  dieses  Mikroorganismus  ist  von  ihm  auf  den  verschiedensten 

49* 


772 


Referate  und  Besprechungen. 


Nährböden  geprüft  worden.  Wegen  seines  langsamen  Wachstums  auf  Gelatine 
nennt  er  ihn  Tetragenus  tardissimus.  Ein  Hervorrufen  der  Erkrankung 
bei  Meerschweinchen,  die  in  Abmagerung,  Haarausfall  bestand,  experimentell 
teils  durch  subkutane,  teils. intrapleurale  resp.  peritoneale  und  durch  direkte 
Impfung  von  Kulturen  ins  Blut  gelang  nicht.  Eingeben  von  Tetragenus- 
Bouillonkulturen  per  os  blieben  auch  erfolglos.  Schürmann  (Düsseldorf). 


Übertragungsversuche  der  Spirochaetagallinarum  durch  Argus  reflexusFahr. 

(Schellack.  Zentralbl.  für  Bakt.,  Bd.  46,  Nr.  6.) 

Die  Zecke  Argus  miniatus  überträgt  in  Amerika  die  Spirochaeta  Galli- 
narum. 

Experimentell  läßt  sie  sich  auch  durch  die  afrikanische  Zecke  Ornitho- 
dorus  monbata  übertragen. 

In  Deutschland  lebt  eine  Zecke  Argus  reflexus.  Durch  sie  ist  dem 
Verfasser  auch  eine  Übertragung  von  Spirochaeta  gallinarum  gelungen.  Bis 
64  Tage  bestand  die  Infektiosität  der  Zecken.  Schürmann  (Düsseldorf). 


Impfversuche  mit  spirillenhaltigem  Blut. 

(C.  Fraenkel.  Zentralbl.  für  Bakt.,  Bd.  47,  S.  319.) 

F  r.  ist  es  gelungen,  vor  längerer  Zeit  Rekurrenzspirillen  auf  Ratten 
und  Mäuse  zu  übertragen.  Die  Bösartigkeit  der  Spirillen  steigert  sich  nach 
Beobachtungen  des  Verfassers  nach  Jahresfrist.  Bei  Infektion  überstandenen 
Ratten  und  bei  den  wenigen  die  Infektion  überlebenden  Mäusen  waren  zu 
verschiedenen  Zeiten  Krankheitserreger  im  Blute  wieder  nachzu weisen.  Ein 
Unterschied  in  der  Empfindlichkeit  zwischen  jüngeren  und  älteren  Tieren 
besteht  nicht.  Schürmann  (Düsseldorf). 


Behandlung  der  Blennorrhoea  neonatorum  mit  Rinderserum. 

(W.  Gilbert.  Münch,  med.  Wochenschr.,  Nr.  30,  1908.) 

Es  gelingt,  durch  zweistündliches  Bespülen  mit  Rinderserum  —  nach 
dem  Prinzip  der  Müller-Peiser’schen  Antifermenttherapie  —  auch  schwerste 
Fälle  in  2—3  Wochen  ohne  Argentum  zu  heilen.  Man  kann  eine  Vermehrung 
der  Phagozytose  dabei  feststellen;.\  Immerhin  warnt  der  Autor  davor,  zu¬ 
nächst  diese  Therapie  allein  anzuwenden,  nachdem  wir  im  Argentum  nitricum 
ein  altbewährtes  Mittel  besitzen.  E.  Oberndörffer. 


Einige  weitere  Versuche  mit  Vitralin. 

(Dr.  Xylander,  Stabsarzt,  Dresden.  Deutsche  med.  Wochenschr.,  Nr.  3,  1909.) 

Die  Untersuchungen  der  Hochglanzfarbe  Vitralin  auf  ihre  bakterizide 
Eigenschaft  hatten  schon  früher  ergeben,  daß  auf  den  damit  gestrichenen 
Platten  Tuberkel-,  Typhus-,  Paratyphus-  und  Diphtheriebazillen,  sowie  Strepto¬ 
kokken  nach  mehr  oder  weniger  langer  Zeit  absterben.  Auch  jetzt  kommt 
Xylander  zu  den  gleichen  Ergebnissen,  die  er  noch  dahin  ergänzt,  daß 
die  desinfizierende  Kraft  monatelang  anhält,  nur  ist  dazu  Licht,  Wärme, 
Sauerstoff  und  ein  mittlerer  Gehalt  an  Feuchtigkeit  unbedingt  erforderlich. 
Der  Wandanstrich  empfiehlt  sich  daher  besonders  für  Räume,  die  dauernder 
oder  häufiger  wiederkehrender  Infektion  ausgesetzt  sind.  Ein  Vorzug  ist 
auch  die  große  Widerstandsfähigkeit  gegen  äußere  Einflüsse.  Zu  beachten 
ist,  daß  das  Vitralin  zwar  die  damit  gestrichenen  Flächen  keimfrei  erhält, 
nicht  aber  deren  Umgebung.  Die  Wohnungsinfektion  bleibt  also  trotzdem 
erforderlich.  F.  Walther. 


Referate  und  Besprechungen. 


773 


Innere  Medizin. 

lieber  die  Zunahme  der  Todesfälle  an  Diabetes  und  die  Möglichkeit,  den 
Ausbruch  der  Krankheit  zu  verhindern  oder  hinauszuschieben. 

(R.  T.  Williams on.  The  Practitioner,  Nr.  4,  1909.) 

Der  Diabetes  greift  in  allen  Kulturländern  um  sich,  wenn  auch  diese 
Erscheinung  zum  teil  nur  auf  genauere  Diagnosen  zurückzuführen  ist.  W.,  der 
viel  mit  Diabetikern  zu  tun  hat,  hält  die  Gastwirte  für  am  meisten  gefährdet, 
demnächst  Rechtsanwälte ;  erst  in  großer  Entfernung  folgen  beschäftigte 
Ärzte,  dann  Chemiker  und  Drogisten.  Geistige  Überanstrengung  ist  eine 
wichtige  Ursache,  aber  auch  nach  körperlicher  Überarbeitung  (Überstunden 
bei  Arbeitern,  Nachtarbeit)  hat  W.  oft  Diabetes  sich  entwickeln  sehen.  Nach 
seinen  Beobachtungen  ist  nicht  nur  Bier-  oder  Weingenuß,  sondern  auch 
starker  Genuß  von  Temperenzlergetränken,  von  stark  gesüßter  Milch  oder 
Tee  der  Entwicklung  des  Diabetes  günstig.  Nicht  selten  hat  er  ihn  bei 
Frauen  nach  Bauchoperationen  entstehen  sehen  (Entfernung1  von  Uterus  oder 
Ovarien),  wo  indessen  zweifelhaft  bleibt,  ob  die  Aufregung  oder  die  künst¬ 
liche  Menopause  (die  Zunahme  der  Diabeteserkrankungen  um  die  natürliche 
Menopause  wird  bekanntlich  behauptet),  oder  beides  als  Ursache  anzu¬ 
sehen  ist.  ' 

Für  wichtig  hält  W.,  den  Ausbruch  des  Diabetes  bis  nach  dem  40.  Jahre 
hinauszuschieben,  da  er  dann  milder  verläuft.  Vorsichtsmaßregeln  hält  er 
für  angezeigt: 

1.  bei  Diabetes  der  Eltern  und  besonders  der  Geschwister; 

2.  bei  geistig  stark  Angestrengten,  besonders  bei  Juden; 

3.  bei  Frauen  mit  vorübergehender  Glykosurie  in  der  Schwangerschaft; 

4.  bei  Gicht,  früh  entwickelter  Fettsucht  und  Akromegalie; 

5.  bei  40 — 50  Jahre  alten  Personen,  die  sich  stark  geistig  angestrengt 
und  sich  wenig  körperliche  Bewegung  gemacht  haben ;  zumal  wenn  sie  gut 
gelebt  haben  und  fett  werden ; 

6.  bei  starken  Frauen  nach  dem  Klimakterium  oder  nach  Unterleibs¬ 
operationen  ; 

7.  wenn  Spuren  von  Zucker  zeitweise  nach  akuten  Krankheiten,  Ver¬ 
letzungen,  Exzessen  in  Süßigkeiten  oder  bei  der  Untersuchung  für  die  Lebens¬ 
versicherung  gefunden  werden ; 

8.  bei  allen  Fällen  geringer,  aber  andauernder  Glykosurie. 

W.’s  Vorkehrungen  gegen  die  Entwicklung  des  Diabetes  stimmen  in  der 
Hauptsache  mit  den  bei  uns  gebräuchlichen  überein.  Besonderen  Wert  legt 
er  auf  körperliche  Übungen  im  Freien  und  allgemeine  Mäßigkeit,  Zurück¬ 
haltung  im  Zuckergenuß  erst  in  zweiter  Linie.  Ist  Glykosurie  in  der  Schwanger¬ 
schaft  aufgetreten,  so  hält  er  weitere  Schwangerschaften  für  sehr  unerwünscht. 

Fr.  von  den  Velden. 


Zur  Therapie  des  Pankreasdiabetes. 

(Dr.  Franz  Bruck,  Berlin.  Med.  Klinik,  46,  1908.) 

Auf  Grund  der  Annahme  von  Zuelzer,  daß  die  wirksame  Substanz 
der  Nebennieren,  das  Adrenalin  und  das  Pankreassekret,  Antagonisten  seien 
und  daß  ihr  Zusammenwirken  die  Glykosurie  verhindere,  ist  Bruck  auf 
den  Gedanken  gekommen,  ob  man  nicht  analog  der  Therapie  der  Basedotw- 
schen  Krankheit  bei  geeigneten  Tieren  durch  möglichste  Ausschaltung  des 
Adrenalins  aus  der  Zirkulation  das  Pankreassekret  von  seinen  Antagonisten 
befreien  könne,  um  dann  durch  das  Serum  oder  die  Milch  derartiger  Tiere 
die  bei  Pankreasdiabetes  vermehrte  Adrenalinmenge  unwirksam  zu  machen. 
Dadurch  könnte  dem  Diabetiker  das  fehlende  neutralisierende  Pankreassekret 
zugeführt  werden.  Bruck  stellt  diesen  Gedanken  zur  experimentellen  Nach¬ 
prüfung  zur  Verfügung.  F.  Walther. 


774 


Referate  und  Besprechungen. 


Coxa  vara,  ein  Frühsymptom  bei  Osteomalazie. 

(Wilhelm  Ortloph,  Wiener  klin.  Rundschau,  Nr.  33 — 35,  1908.) 

Der  Verf.  kommt  auf  Grund  seiner  Beobachtungen  an  zwei  Patientinnen 
und  nach  eingehendem  Studium  von  fünf  osteomalazischen  Becken  zu  dem 
Schlüsse,  daß  die  als  Coxa  vara  bezeichnete  Verbiegung  des  Schenkelhalses 
mit  Reduktion  seines  Neigungswinkels  zum  Femurschafte  ein  Frühsymptom 
der  Osteomalazie  darstellt.  Besonders  instruktiv  in  dieser  Hinsicht  ist  die 
erste  der  beiden  angeführten  Krankengeschichten.  Bei  dieser  Patientin  tritt 
zu  einer  doppelseitigen  Adduktionskontraktur  der  Oberschenkel  durch  einen 
Zufall  auf  der  einen  Seite  eine  Schenkelhalsfraktur  mit  Pseudarthrose  hinzu 
und  dies  Ereignis  bringt  die  Kontraktur  zum  Schwinden.  —  Früher  war 
die  Mechanik  dieser  Kontrakturen  des  Oberschenkels  bei  Osteomalazie  strittig, 
besonders  hat  man  wiederholt  eine  zentrale  Einwirkung  auf  die  Muskulatur 
dafür  herangezogen.  Auf  Grund  seiner  Studien  schließt  0.  jetzt  eine  solche 
Ursache  mit  Bestimmtheit  aus.  Steyerthal-Kleinen: 


Was  nennen  wir  Skrofulöse. 

(Prof.  Dr.  Theod.  Escherich.  Wiener  klin.  Wochenschr.,  Nr.  7,  1909.) 

Unter  obigem  Titel  veröffentlicht  E.  einen  Vortrag,  den  er  in  der 
k.  k.  Gesellschaft  der  Ärzte  in  Wien  im  Februar  er.  gehalten,  und  in  dem 
er  sich  in  eingehender  Weise  vor  lallem  über  das  Wesen  der  Skrofulöse 
(äußert.  Wenn  man  früher  diese  für  eine,  wenn  auch  nur  in  sehr  einge¬ 
schränktem  Maße  selbständige  und  von  der  Tuberkulose  verschiedene  Er¬ 
krankung  hielt,  so  wurde  diese  Ansicht  widerlegt,  als  man  durch  die  Ver¬ 
wendung  der  Tuberkulindiagnostik  in  die  Lage  gesetzt  wurde,  in  allen 
bisher  für  rein  skrofulös  gehaltenen  Fällen  das  Bestehen  latent¬ 
tuberkulöser  Herde  nachzuweisen,  so  daß,  nach  Esch.,  die  Skrofu¬ 
löse  jetzt  nichts  anderes  als  ein  Teil  der  infantilen  Tuberkulose 
ist  und  wenigstens  ätiologisch  im  Begriff  der  letzteren  auf  gehen 
tnuß.  Aber  da  es  von  vornherein  unmöglich  ist,  von  einem  einheitlichen 
Bilde  der  Kindertuberkulose  zu  sprechen  und  auch  wenn  die  Annahme  zu¬ 
trifft,  daß  es  sich  bei  der  Skrofulöse  stets  um  tuberkulös  infizierte  Kinder 
handelt,  bleiben  diesem  Krankheitsbilde  doch  so  viel  eigenartige  Züge,  daß 
man  es  ohne  Schwierigkeit  aus  anderen  Formen  der  Kindertuberkulose  her¬ 
auszufinden  vermag,  so  daß  auch  kein  Grund  vorliegt,  den  altgewohnten 
Namen  der  Skrofulöse  aufzugeben,  zumal  ja  für  diese  auch  ganz  bestimmte 
therapeutische  Indikationen  vorliegen. 

Als  diejenigen  Erscheinungen,  die  im  klinischen  Bild  als  charakte¬ 
ristisch,  in  gewissem  Sinne  als  pathognomonisch  für  die  Skrofulöse  bezeichnet 
werden  müssen,  nennt  E.  vor  allem  die  Drüsen  sch  wellungen  des  Hal¬ 
ses  und  die  chronisch  entzündlichen  Prozesse  des  Knochensystems:  den  Tu¬ 
mor  albus  und  die  osteomyeli tischen,  zur  Fistelbildung  führen¬ 
den  Herde,  jedoch  der  histologische  Befund  wie  der  Nachweis  der  Tuberkel 
haben  gezeigt,  daß  es  sich  bei  diesen  2  Gruppen  tatsächlich  um  lokale  Tuber¬ 
kulose,  um  bazilläre  Krankheitsherde  handelt,  die  mit  den  bei  nicht  skro¬ 
fulösen  Kindern  und  bei  Erwachsenen  auftretenden  ätiologisch  und  klinisch 
identisch  bleibt.  Es  bleibt  als  dritte  und  für  diese  Krankheit  charakteristische 
Gruppe  von  Symptomen,  die  auf  der  Haut  und  den  Schleimhäuten 
auf  tretenden  entzündlichen  Veränderungen,  vor  allem  der  ersten 
Kindheit,  die  E.  unter  dem  Namen  der  skrofulösen  Ober  flächenver¬ 
änder  ungen  oder  der  Skrofulide  zusammenfaßt:  die  Plyktänen,  die  chron. 
Blepharitis,  die  Rhinitis,  die  verdickte  Oberlippe,  die  gewissen  Ekzeme  usw., 
die  in  ihrem  wechselnden  klinischen  Bilde  und  der  charakteristischen  Nei¬ 
gung  zu  Rezidiven  einen  höchst  eigenartigen  Symptomenkomplex  darstellen, 
wie  er  bei  keiner  anderen  Krankheit  vorkommt  und  daher  mit  Recht  als 
charakteristisch  und  bis  zu  einem  gewissen  Grade  als  pathognamonisch  für 
die  Skrofulöse  bezeichnet  werden  kann,  wie  dies  auch  schon  alle  früheren 
guten  Beobachter  getan  haben. 


Referate  und  Besprechungen. 


775 


Was  nun  das  Wesen  und  die  Eigenart  dieser  Krankheitsprozesse 
an  langt,  so  ist  schon  früher  darauf  hingewiesen,  daß  in  den  skrofulösen 
Oberflächenerkrankungen  sowohl  Tuberkulosebazillen  als  Riesenzellen  vermißt 
werden  und  daß  es  sich  dabei  um  nicht  spezifische,  entzündliche  Vorgänge  in 
den  oberen  Gewebsschichten  handelt,  wie  sie  durch  die  Einwirkung  eines  von 
außen  eindringenden,  chemisch  reizenden  Giftstoffes  hervorgebracht  werden. 
Die  Intensität  und  die  lange  Dauer  der  entzündlichen  Vorgänge,  insbesondere 
aber  die  häufige  Wiederkehr  derselben  an  den  gleichen  Körperstellen  setzt 
eine  Vulnerabilität  und  Widerstandslosigkeit  dieser  Gewebe,  eine 
individuelle  örtliche  Disposition  voraus,  ein  Verhalten,  das  namentlich 
die  älteren  Autoren  zur  Abnahme  einer  angeborenen  skrofulöslein  An¬ 
lage  geführt  hat,  die  auch  von  neueren  Autoren  geteilt  und  durch  verschiedene 
Hypothesen  (angeborene  Widerstandslosigkeit  der  Zellen,  abnorme  Weite  der 
Lymphgefäße,  veränderter  Chemismus  der  Körpersäfte)  gestützt  wird.  Jedoch 
ist,  nach  E.,  die  Annahme  eines  angeborenen  skrofulösen  Zustandes  schon 
aus  dem  Grunde  unzulässig,  weil  die  skrofulösen  Symptome  erst  gegen  Ende 
des  ersten  Lebensjahres  in  Erscheinung  treten  und  weil  alsdann  regelmäßig 
schon  eine  positive  Reaktion  auf  Tuberkulin,  also  eine  tuberkulöse  Infektion, 
vorhanden  ist,  die  bekanntlich  beim  Neugeborenen  und  während  der  ersten 
Lebensmonate  fehlt.  Diese  Infektion  hat  auch  bereits  zu  einer  Einwirkung 
auf  den  gesamten  Organismus  und  zu  einer  Umstimmung  desselben  geführt, 
die  sich  in  der  Reaktion  gegenüber  kleinsten  Dosen  des  spezifischen  Toxins 
zu  erkennen  gibt.  So  ergab  sich,  daß  mit  skrofulösen  Erscheinungen  be¬ 
haftete  Kinder  eine  Überempfindlichkeit  gegen  das  Alttuberkulin 
Koch  aufweisen,  wie  sie  bei  keiner  anderen  Form  der  Tuberkulose  vorkommt, 
die  sich  auch  schon  zeigt  in  einer  bei  Skrofulöse  stark  ausgezeigten  örtlichen 
Reaktion  an  der  Applikations-  resp.  Einstichstelle,  wo  die  Rötung  und  ins¬ 
besondere  die  Infiltration  einen  ganz  ungewöhnlich  hohen  Grad  und  Umfang 
erreicht.  In  allen  Fällen  zeigte  sich,  daß  geringste  Mengen  von  TuberkuJo- 
toxin  auf  der  Haut  Skrofulöser  eine  ungewöhnlich  intensive  Reaktion  hervor- 
rufen,  die  erheblich  stärker  ist  als  die  sonst  bei  latenter  Tuberkulose  beobach¬ 
tete,  so  daß  man,  nach  E.,  die  lokale  Überempfindlichkeit  der  Integu¬ 
mente  gegenüber  Tuberkulotoxin  als  eine  allgemeine  Eigenschaft 
der  skrofulösen  Kinder  betrachten  kann.  Erwähnung  verdient  auch, 
daß  E.  durch  Tuberkulin-Injektionen  auch  eine,  wie  er  selbst  schreibt,  „über¬ 
raschende“  Abheilung  der  skrofulösen  Oberflächenkatarrhe  erzielte,  allerdings 
keine  dauernde  Besserung,  denn  einige  Wochen  nach  Aussetzen  der  Injektionen 
pflegten  die  Skrofulide  sich  wieder  einzustellen. 

Was  die  Frage  anlangt  nach  den  Reizen,  die  durch  ihre  Einwirkung 
auf  die  Integumente  die  reaktiven  Entzündungserscheinungen 
her  vor  rufen,  so  zeigt  die  klinische  Erfahrung  ja,  daß  Insbesondere  die 
unter  ungünstigen  hygienischen  Verhältnissen  einwirkenden  chemischen  Reize 
und  mechanischen  Läsionen  imstande  sind,  die  skrofulösen  Katarrhe  hervor¬ 
zurufen,  jedenfalls  aber  sie  wesentlich  zu  verschlimmern.  Aber  oft,  speziell 
für  die  im  Auge,  einem  so  wohlgeschützten  Organe,  auftretenden  Krankheits¬ 
erscheinungen,  fehlt  oft  jeder  Anhaltspunkt  für  einen  von  außen  einwirkenden 
Reiz,  so  daß  man  gezwungen  ist,  nach  im  Organismus  selbst  gelegenen 
Ursachen  zu  suchen.  Erinnert  man  sich  der  früher  erwähnten  spezifischen 
Überempfindlichkeit  der  Integumente  gegenüber  dem  Tuberkulotoxin,  so  kann 
man  wohl  annehmen,  daß  es  bei  Kindern,  in  deren  Säften  dies  Toxin  zirkuliert, 
auf  hämatogenem  Wege  zur  Bildung  örtlicher  Krankheitsherde  in  der 
Haut  und  den  Schleimhäuten  kommen  kann.  Es  ist  aber  noch  ein  anderer 
Weg  möglich:  nämlich  die  Ausscheidung  des  Toxins  mit  den  drüsigen 
Sekreten  und  der  entzündlichen  Exsudation  auf  die  Haut  und  die 
Schleimhäute.  Auf  diesem  Wege  würde  das  Gift,  auch  wenn  es  in  kleinsten, 
nicht  nachweisbaren  Mengen  ausgeschieden  wird,  in  einer  der  örtlichen  Appli¬ 
kation  entsprechenden  Weise  zur  Wirkung  gelangen.  Wenn  es  auch  bis 
jetzt  noch  nicht  gelungen  ist,  den  Nachweis  des  spezifischen  Toxins  in  den 
Sekreten  zu  erbringen,  so  glaubt  E.  trotzdem  zu  der  bestimmten  Erkenntnis 


776 


Referate  und  Besprechungen. 


gekommen  zu  sein,  daß  die  skrofulösen  Oberflächenkatarrhe  tuber- 
kulo toxische  Erscheinungen  sind,  wenn  er  auch  keineswegs  leugnet, 
daß  nicht  schon  vor  Ausbruch  der  skrofulösen  Symptome  eine  besondere, 
auch  klinisch  bemerkbare  Anomalie  des  Organismus  vorhanden  sei,  die  von 
altersher  als  lymphatischer  Habitus  bezeichnet  wird  und  die  einen  wesent¬ 
lichen  und  bestimmenden  Einfluß  auf  das  typische  Krankheitsbild  der  Skrofu¬ 
löse,  vor  allem  auf  deren  klinischen  Verlauf,  nehme. 

Zum  Schluß  faßt  E.  die  in  dem  längeren  Aufsatze  entwickelten  An¬ 
schauungen  über  die  Entstehung  der  Skrofulöse  zu  folgenden  kurzen  Leit¬ 
sätzen  zusammen : 

Schon  vor  dem  Auftreten  der  ersten  skrofulösen  Erscheinungen  zeigen 
die  Kinder  die  Merkmale  der  unter  dem  Namen  des  Status  lymphaticus  be¬ 
kannten  Konstitutionsanomalie,  die  auch  während  der  ganzen  Krankheits¬ 
dauer  nachweisbar  bleiben. 

Die  Infektion  mit  Tuberkelbazillen  führt  zur  Bildung  eines  äußerlich 
zumeist  nicht  erkennbaren,  abgekapselten  tuberkulösen  Krankheitsherdes. 

Als  weitere  Folge  entwickelt  sich  der  Allergische  Zustand,  der  bei 
diesen  Kindern  zu  einer  besonderen  Vulnerabilität  und  Überempfindlichkeit 
der  Integumente  gegen  äußere  Schädlichkeiten,  insbesondere  gegen  kleinste 
Mengen  von  Tuberkulotoxin  führt,  die  vielleicht  in  den  Sekreten  enthalten  sind. 

Als  Folge  derselben  entwickeln  sich  die  skrofulösen  Oberflächenkatarrhe, 
Skrofulide,  welche  das  pathologische  Merkmal  der  Skrofulöse  darstellen. 

Erst  später  kommt  es  auf  lympho-  oder  hämatogenem  Wege  zur  Ent¬ 
stehung  metastatischer  bazillärer  Herde  und  damit  zum  Bilde  der  lokali¬ 
sierten  oder  generalisierten  Tuberkulose. 

Als  Skrofulöse  im  modernen  Sinne  des  Wortes  wäre  also  nur  die  auf 
dem  Boden  der  lymphatischen  Konstitution  entstandene  und  durch  die  Neigung 
zu  Oberflächenkatarrhen  charakterisierte  Form  der  infantilen  Tuberkulose 
zu  bezeichnen.  Werner  Wolff  (Leipzig). 


Absolute  und  relative  Indikation  zur  Alkoholanwendung  bei  einigen 

nervösen  Zuständen. 

(H.  Röder.  Med.  Klinik,  Nr.  45,  1908.) 

Röder  faßt  seine  beherzigenswerten  Betrachtungen  in  Schlußsätzen, 
die  nur  teilweise  im  folgenden  wiedergegeben  werden  können,  zusammen.  Der 
arzeneilichen  Anwendung  des  Alkoholes  steht  sein  allgemeiner  Gebrauch  als 
Genußmittel  entgegen.  Absolute  Indikationen  zu  seiner  Anwendung  kommen 
bei  unseren  wirtschaftlichen  Zuständen  sehr  selten  und  immer  nur  zeitlich 
engbegrenzt  vor.  Relative  Indikationen  sind  weit  seltener  als  sie  den  tat¬ 
sächlich  getroffenen  Verordnungen  entsprechen,  Welche  weder  die  Summ!© 
der  neueren  Alkoholforschungen  berücksichtigen  noch  den  Umstand,  daß  die 
Verbreitung  des  Alkohols  als  Genußmittel  die  Menschen  (durch  Gewöhnungs¬ 
und  Vererbungsschäden)  dermaßen  ungleichmäßig  beeinflußt  hat,  daß  im 
gegebenen  Fall  niemals  die  körperliche  und  seelische  Wirkung  einer  be¬ 
stimmten  Alkoholgabe  vorausgesehen  werden  kann.  Die  Anwendung  des 
Alkohols  ist  meistens  ein  Zurückweichen  vor  einer  jahrtausendelang  nicht 
genügend  bekämpften  Volksmeinung,  gegen  welche  anzukämpfen  der  einzelne 
Arzt,  zumal  im  Beginne  seiner  Tätigkeit,  wirtschaftlich  zu  schwach  ist, 
weshalb  die  Alkoholsitten  (besser  -Unsitten,  Ref.),  in  denen  die  Quelle  der 
Alkoholschäden  zu  suchen  ist,  nur  durch  die  ärztlichen  Verbände,  Kliniken  usw. 
wirksam  bekämpft  werden  können.  Zu  dem  Zwecke  sind  weiter  Alkohol¬ 
unterricht  und  Examenszwang  sowohl  für  Mediziner  als  auch  für  Verwaltungs¬ 
beamte  und  Erzieher  allgemein,  zu  fördern.  Den  heute  feststehenden  Tat¬ 
sachen  gegenüber  ist  es  der  medizinischen  Praxis  unwürdig,  daß  bei  der  Ver¬ 
ordnung  von  Alkohol  immer  noch  Begriffe  wie  Stärkung,  Erwärmung,  kultu¬ 
relles  Bedürfnis  eine  Rolle  spielen.  R.  Stüve  (Osnabrück). 


Referate  und  Besprechungen. 


777 


Allgemeines. 

Die  kalten  Füße  unserer  Schüler. 

St  an, ge -Leipzig  fand,  daß  die  Schüler  nach  der  Frei  Viertels  Linde, 
während,  der  sie  auf  dem  mit  festgetretenem  Schnee  und  Eis  bedeckten  Schul¬ 
hofe  spazieren  gingen,  über  kalte  Füße  klagten.  Da  nun  stundenlanges 
Sitzen  mit  kalten  Füßen  zu  mehr  oder  minder  schweren  Gesundheitsstörungen 
führen  kann,  so  empfiehlt  er,  die  Schüler  während  der  kalten  Jahreszeit 
in  den  Pausen  nicht  mehr  auf  den  Schulhof  zu  lassen. 

Demgegenüber  schlägt  Sieger t  vor,  durch  eine  andere  Stundeneintei¬ 
lung  dafüi  zu  sorgen,  daß  der  Schulhof  nicht  von  allen  Klassen  gleichzeitig 
benutzt  werden  muß,  so  daß  die  Kinder  nicht  im  langsamen  Schritt  spazieren 
gehen  müssen,  sondern  sich  frei  tummeln  können.  Nach  der  Pause  sollen 
im  Sitzen  etwa  2  Minuten  lang  die  Füße  kräftig  gebeugt,  gestreckt  und 
gekreist  werden. 

Außerdem  sollen  Pantoffeln  zum  Wechseln  der  Fußbekleidung  vorrätig 
gehalten,  trockene  Strümpfe  von  den  Schülern  mitgebracht  werden.  Esch. 


Zur  Behandlung  des  Schweißfußes  in  der  Armee. 

(Schminck  u.  Schädel.  Deutsche  militärärztl.  Zeitschr.,  Nr.  23,  1908.) 

Den  Anforderungen,  die  man  an  ein  auf  wissenschaftlicher  Grundlage 
hergestelltes  Schweißfußmittel  stellen  muß,  entspricht  vollkommen  das  Borsyl. 
Es  enthält  als  Hauptbestandteil  Borsäure,  außerdem  als  feine  pulverisierte 
Schutzkörper  Walrat  und  Äthal.  Borsyl  ist  reinlich  in  seiner  Anwendung, 
einfach  und  nicht  giftig.  Die  Fußlappen  und  Strümpfe  der  Leute  werden 
morgens  vor  dem  Marsche  stark  eingepudert.  Ein  Waschen  der  Füße  am 
Abend  vorher  ist  zweckmäßig,  aber  nicht  unbedingt  nötig.  Ausgedehnte  Ver¬ 
suche  zeigten,  daß  Borsyl  in  der  Tat  ein  durchaus  rationelles  Schweißfu߬ 
mittel  ohne  jede  schädlichen  Nebenwirkungen  ist.  W.  Guttmann. 


Die  zunehmende  Entvölkerung  Frankreichs  und  die  Antikonzeptionsliga. 

(L.  Jullien.  Bull,  med.,  Nr.  10,  S.  111—117,  1909.) 

Die  großen,  vielgerühmten  Fortschritte  der  Naturwissenschaften  haben 
auch  ihre  Schattenseiten.  Man  verlor  die  respektvolle  Scheu  vor  dem  Wunder 
des  Organismus  und  erkühnte  sich,  ihm  in  das  Handwerk  zu  pfuschen.  Die 
Polypragmasie  in  der  Therapie  schadete  schließlich  nicht  viel;  die  vis  vitalis 
wird  zum  Glück  nicht  bloß  mit  Mikrobien,  sondern  auch  mit  —  wie  Lan- 
douzy  einmal  sagte  —  mit  den  medecins-traitants  und  den  medecins-guerisseurs 
fertig.  Aber  man  hat  einen  anderen  Punkt  erspäht,  an  welchem  sich  die 
physiologischen  Vorgänge  nachhaltig  beeinflussen  lassen:  die  Vorgänge  bei 
der  Zeugung. 

Es  ist  geradezu  eine  geistige  Epidemie,  welche  derzeit  unser  schönes 
Nachbarland  durchseucht,  nämlich  das  Bestreben,  keine  Kinder  zu  bekommen, 
und  der  Geburtenrückgang,  der  sich  seit  ca.  20  Jahren  statistisch  verfolgen 
läßt,  demonstriert  den  Gang,  die  Entwicklung  dieser  Epidemie  mit  erschrecken¬ 
der  Deutlichkeit,  Schon  läßt  sich  der  Zeitpunkt  absehen,  an  dem  die  Wehr¬ 
kraft  Frankreichs  so  herabgesetzt  ist,  daß  es  in  kriegerischen  Verwicklungen 
unterliegen  muß,  und  damit  taucht  naturnotwendig  das  Ende  dieses  Staaten¬ 
gebildes  am  Horizonte  auf.  Kein  Wunder,  daß  da  alle  gutgesinnten  Bürger 
Alarm  schlagen;  auch  Jullien  gehört  dazu  und  wähnt,  mit  rücksichtsloser 
Bekämpfung  der  offenen  und  versteckten  Reklame  für  antikonzeptionelle 
Mittel  und  der  beinahe  gewerbsmäßig  betriebenen  Aborte,  mit  Erleichterung 
und  Unterstützung  der  schwangeren  und  entbundenen  Frauen,  durch  Gründung 
von  Elternvereinen,  in  denen  die  heranwachsende  Jugend  in  der  Richtung* 
auf  die  joies  magnifiques  qu’une  famille  grandissante  peut  seule  procurer 
erzogen  wird,  usw.  das  Verhängnis  aufhalten  zu  können.  Eitler  Wahn! 
Hätte  Jullien  die  Schriften  seines  großen  Landsmannes  Gustave  Le  Bon 
gelesen,  dann  wäre  er  auf  Sätze  gestoßen  wie:  ,,Un  egoisme  sans  borne 


778 


Referate  und  Besprechungen. 


se  developpe  partout.-  L’individu  finit  par  d’avoir  plus  cl’autre  preoccupation 
que  lui-meme.  Les  consciences  capitulent,  la  moralite  generale  s’ahaisse  et 
graduellement  s’eteint.  —  Une  visible  decadence  menace  serieusement  la  vitalite 
de  la  plupart  des  grandes  nations  europeennes  ....  La  satisfaction  de  besoins 
materiels  toujours  Croissants  tend  a  devenir  leur  unique  ideal.  La  famille 
se  dissocie.  les  ressorts  sociaux  se  detendent.  —  Changer  tout  cela  serait  une 
lourde  tache.“  (Lois  psychologiques  de  Involution  des  peuples.  8e  edit.  1907, 
S.  165—168.) 

Und  schon  150  Jahre  vor  ihm  schrieb  einer  der  scharfsinnigsten  Köpfe, 
welcher  die  Geschichte  kennt,  Montesquieu,  in  seinem  Esprit  des  lois  (1748) 
über  den  Rückgang  der  Bevölkerung:  ,,Le  mal  presque  incurable  est  lorsque 
la  depopulation  vient  de  longue  main,  par  un  vice  interieur  ....  Les  kommes 
y  ont  peri  par  une  maladie  insensible  et  habituelle“  (Livre  XXIII,  Chap. 
XXVIII).  Wir  stehen  da  vor  einem  erschütternden  Drama  größten  Stils; 
allein  die  moderne  Vorstellung  von  Wissenschaftlichkeit,  welche  alles  Heil 
nur  von  spezialistischer  Forschung  und  Mikro-Studien  erwartet,  hindert  viele, 
das  Drama  in  seinem  ganzen  Umfange  zu  erkennen.  Die  wenigen  aber,  die 
dessen  fähig  sind,  wissen,  daß  gegen  das  Altern  und  das  schließliche  Er¬ 
löschen  bei  den  Völkern  so  wenig  zu  machen  ist  wie  beim  Einzelwesen.  In¬ 
dessen  mögen  auch  die  Individuen  und  die  Kationen  wechseln:  den  Faden  des 
Geistes,  der  Ideen  spinnt  Klotho  unentwegt  durch  die  Jahrtausende  und 
schneidet  Atropos  erst  mit  dem  letzten  denkenden  Geschöpfe  endgültig  ab. 

Buttersack  (Berlin). 


Die  Behandlung  der  Trunksucht. 

(L.  W.  Weber.  Deutsche  med.  Wochenschr.,  H.  18,  S.  26,  1908.) 

Das  wichtigste  ist  zunächst  die  Prophylaxe.  Sie  kann  sich  bei  drei 
Gruppen  von  Individuen  erfolgreich  betätigen:  bei  Jugendlichen,  hei  endogen 
Veranlagten  und  bei  den  durch  exogene  Schädlichkeiten  Prädisponierten. 
Alkoholika  haben  niemals  eine  kräftigende  Wirkung  auf  den  heranwachsenden 
Organismus.  Abstinenz  macht  niemals  alkoholintolerant.  Die  heranwachsende 
Generation  soll  lernen,  daß  Alkohol  kein  erstrebenswerter  Genuß  ist. 

Die  Behandlung  der  Trunksucht  hat  zwei  Aufgaben  zu  erfüllen: 

1.  Der  Kranke  muß  zur  freiwilligen  Abstinenz  erzogen  werden. 

2.  Die  durch  die  chronische  Alkoholvergiftung  entstandenen  körperlichen 
und  psychischen  Veränderungen  müssen  behandelt  und  möglichst  geheilt  werden. 

Die  Behandlung  muß  in  einer  geeigneten  Anstalt  stattfinden,  in  welcher 
eine  so  genaue  Aufsicht  stattfindet,  daß  jeder  Alkoholgenuß  verhindert  wer¬ 
den  kann.  Die  zur  Erleichterung  der  Entziehung  empfohlene  Atropin- 
Strychnindarreiehung  ist  bei  der  Anstaltsbehandlung  unnötig.  Aber  auch 
außerhalb  der  Anstalt  ist  sie  wirkungslos.  Das  gleiche  gilt  für  die  sog. 
Verekelungskuren  und  die  Suggestiv-  oder  Hypnosebehandlung.  Die  Ver¬ 
abfolgung  von  narkotischen  Mitteln  zum  Ersatz  für  Alkoholika  ist  auch  zu 
widerraten.  Arzte  und  Anstaltspfleger  müssen  abstinent  sein.  Zur  Gewöhnung 
an  die  Abstinenz  ist  eine  1 — l1/2jährige  Anstaltsbehandlung  erforderlich. 

Für  frühere  Trunksüchtige  gibt  es  keinen  mäßigen  Genuß.  Jeder 
Tropfen  ist  hier  vom  Übel. 

Der  Beitritt  zu  einem  der  Abstinenzvereine  ist  dringend  zu  empfehlen. 

Koenig  (Dalldorf). 

Aus  der  amerikanischen  periodischen  medizinischen  Literatur. 

März  1909. 

The  american  journal  of  the  medical  scienes.  März. 

1.  Die  diätetische  Behandlung  des  Diabetes.  Von  Dr.  Theodore 
C.  Janeivay,  attending  physician  am  St.  Lucas-  und  am  City-Hosiptal, 
New -York.  Wie  wir  bei  Tuberkulose  am  meisten  Aussicht  haben,  Erfolge 
zu  erzielen,  wenn  die  Krankheit  so  früh  wie  möglich  diagnostiziert  und  in 
Behandlung  genommen  wird,  so  bei  Diabetes,  wenn  wir  möglichst  früh  mit 


Referate  und  Besprechungen. 


779 


der  (diätetischen)  Behandlung  beginnen.  Dabei  handelt  es  sich  natürlich 
um  Klassifikation  der  Fälle  je  nach  ihrer  Toleranz  für  Kohlehydrate  (Naunyn, 
v.  Noorden).  In  diesem  Sinne  gibt  J.  Diätzettel  1.  für  strikte  Diät,  2.  mit 
beschränktem.  Proteingehalt,  3.  allgemeine  Diät,  4.  für  milde  Fälle,  5.  für 
grüne  Tage  und  eine  Tabelle  der  Äquivalente. 

2.  Herzgefahren  in  großen  Höhen.  Von  Dr.  J.  N.  Hall,  Prof, 
der  .Medizin,  Denver,  Colorado.  Eine  Warnung  für  Herzkranke,  besonders 
solche  mit  Myokarditis,  Dilatation  und  Klappenfehlern,  ferner  Arteriosklero- 
tiker  vor  großen  Höhen.  Mitteilung  eigener  Beobachtungen. 

3.  Thrombose  der  Vena  cava  inferior.  Von  Dr.  E.  R.  Stillmann 
und  Dr.  H.  W.  Carey,  New -York.  Mitteilung  zweier  seltener  Fälle,  deren 
einer  akut  und  wahrscheinlich  Folge  einer  Influenza  war,  während  bei  dem 
anderen  die  Diagnose  durch  die  Kollateralzirkulation  ermöglicht  wurde.  Ab¬ 
bildung  dieses  in  der  Front  und  auf  der  rechten  Seite  des  Abdomens.  Be¬ 
trachtung  der  Umstände,  unter  denen  Thrombosen  überhaupt  Zustandekommen 
und  der  Symptome. 

4.  Vollkommene  Aurikulo ventrikulär  -  Trennung  (auriculo- 
ventricular  dissociation)  ohjne  synkopale  ode;r  epileptif  orme  An¬ 
fälle.  Von  Dr.  George  Bachmann,  resident  physiologist  am  Jefferson 
med.  College  hosp.,  Philadelphia.  Die  früheste  Beobachtung  einer  solchen 
(Herzblock),  die  B.  in  der  Literatur  finden  konnte,  datiert  von  Mayo  (1838): 
,, zeitweise  konnten  zwei  unvollkommene  Ventrikelaktionen  gehört  werden 
zwischen  zwei  stärkeren,  die  allein  von  einem  Puls  am  Handgelenk  be¬ 
gleitet  waren“.  Die  nächste  Beobachtung  stammt  von  Stokes  (1846).  Der 
Mayo’sche  Kranke  litt  an  Schwindel  und  epileptiformen  Anfällen  (Puls  21 
bis  34),  der  Stokes’sche  an  apoplektiformen  ohne  nachfolgende  Paralyse 
(Puls  28 — 40).  Dann  kam  1879  Blondeau,  1885  Chauveau  und  1899  His 
mit  seinem  ,, Herzblock“.  Huchard  nannte  den  Symptomenkomplex  Adams- 
Stokes’sche  Krankheit  zu  Ehren  der  beiden  Dubliner  Ärzte,  die  er  für  die 
ersten  Beschreiber  hielt.  Die  Krankheit  ist  nicht  häufig,  obgleich  vielleicht 
systematische  Untersuchung  eines  jeden  Falles  von  Pulsverlangsamung  mittels 
graphischer  oder  radioskopischer  Methoden  ihr  öfteres  Vorkommen  nachweisen 
würde.  Mitteilung  eines  Spezialfalls  und  klinische  Studie  über  den  Gegen¬ 
stand,  mit  zahlreichen  Pulskurven.  Im  ganzen  hat  B.  von  Morgagni  an 
177  Fälle  von  Adams-Stokes’scher  Krankheit  gesammelt,  von  denen  87  evi¬ 
dente  Aurikulo  ventrikulär -Trennung  waren.  Bis  Kranke,  eine  45  jährige  Frau, 
wurde  mit  Strophantus,  Atropin  und  Jodnatrium  behandelt. 

5.  Die  Entstehung  der  Neuleder-  und  trockenen  Reibegeräusche 
.(„new  leather“  and  ,,dry  frictio;n  sounds“)  bei  der  Auskultation. 
Von  Dr.  med.  et  phil.  Henry  Sewall,  Prof,  der  physiolog.  Med.  am  Denver 
and  Gross  med.  College,  Denver,  jColorado.  Als  Beleg  dafür,  wie  unsicher 
oft  die  Deutung  der  auskultatorischen  Zeichen  ist  und  manches  in  sie  nur 
hineininterpretiert  wird,  teilt  S.  einen  Fall  von  linksseitigem  Pneumothorax 
mit,  in  welchem  deutlich  Neuledergeräusch  und  trockenes  Reiben  (dry  pleural 
friction  rub)  gehört  wurde,  während  die  Lunge,  wie  die  Sektion  zeigte, 
auf  Faustgroße  zusammengesunken  und  drei  Zoll  von  der  Thoraxwand  entfernt 
war.  S.  meint,  daß  die  Geräusche  in  der  Thoraxwand  durch  Aneinanderreiben 
ihrer  Elemente  entstanden  sein  müssen. 

6.  Habituelle  oder  rekurrioren,de  Dislokation  der  Schulter 
nach  vorn  (anterior  dislocation).  Von  Dr.  T.  Turner  Thomas,  Phila¬ 
delphia.  (Fortsetzung  der  gleichnamigen  Studie  aus  dem  Februar  -  lieft. 
II.  Die  Behandlung.)  Apparate,  gewöhnlich  aus  Leder,  verhüten  nicht  immer 
Rezidive,  Th. ’s  Patient  bekam  solche,  trotz  Verhaltungsmaßregeln,  während 
er  einen  Apparat  trug.  Von  Massage,  Elektrizität  und  aktiven  und  passiven 
Bewegungen  ist  nicht  viel  zu  erwarten.  Bleibt  nur  die  Operation  (Capsulor- 
rhaj)hie,  Verkürzung  der  Kapsel  —  shortening  the  capsule).  Beschreibung 
dieser  im  Anschluß  an  einen  persönlichen  Fall  (23 jähriger  Athlet)  mit  Ab¬ 
bildungen.  S.  meint,  dem  Zustande  sollte  mehr  Aufmerksamkeit  zugewendet 
werden  als  bisher,  besonders  im  Hinblick  auf  das  Fehlen  einer  Statistik  über 


7-0 


Referate  und  Besprechungen. 


die  Häufigkeit  seines  Vorkommens  und  die  guten  Resultate  der  Operation. 
Die  Hauptursache  sei  eine  Erschlaffung  der  Kapsel,  hervorgerufen  dadurch, 
daß  sich  eine  neue  Karbe  über  die  Ränder  des  alten,  durch  die  erste  Dislo¬ 
kation  veranlaßten  Risses  in  der  vorderen  Portion  der  Kapsel  legt. 

7.  Eine  röntgenographische  Peristaltikstudie:  Die  Beziehung 

der  Wellenform  zu  funktioneller  Aktivität  la  R öntgenographic  study 
cd  peristalsis  the  relation  of  wave  form  to  functional  activity ).  ^  on  Dr. 

Charles  Lester  Leonard.  Philadelphia.  Neuere  Fortschritte  in  der  Her¬ 
stellung  der  Apparate  und  der  Technik  haben  es  ermöglicht.  Augenblicks-Rönt- 
g  nogiamme  vom  Magen  und  Darm  aufzunehmen,  die  einige  der  verschiedenen 
Formen  der  Peristaltik  unter  normalen  und  pathologischen  Verhältnissen  des 
Magens  zeigen  und  gewisse  Schlüsse  in  bezug  auf  die  Differenzierung  stheni- 
scher  und  asthenischer  Zustände  desselben  ermöglichen.  Sie  zeigen,  daß  eine 
konstante  Beziehung  besteht  zwischen  der  Form  und  der  Amplitude  der  peri¬ 
staltischen  Welle  und  dem  Betrag  der  zu  leistenden  Arbeit,  daß  He  Wellen¬ 
amplitude  variiert  mit  dem  Charakter  der  eingeführten  Nahrung,  der  Position 
des  Patienten  und  dem  Betrag  des  Mageninhalts.  Die  Variationen  in  den 
sthenischen  und  asthenischen  Formen  der  Gastrektasie  sind  so  bestimmt, 
daß  danach  eine  Gastrektasie  aus  Muskelschwäche  von  einer  solchen  wegen 
Pylorusstenose,  eine  organische  von  einer  spasmodischen  unterschieden  werden 
kaun.  12  R  öntgenogramme  ( Expositionsdauer  Vs — 1  Minute»,  auf  genommen 
unmittelbar  nach  der  Ingestion  und  in  verschiedenen  Intervallen,  illustrieren 
das  Gesagte.  Die  eingeführte  Nahrung  bestand  in  Wismut  in  Wasser.  Kurniß, 
Brot  und  Milch  oder  Reispudding. 

8.  Darmsand,  die  Banane  eine  seiner  Quellen.  Von  Dr.  Jesse 
S.  Meyer,  lec-turer  in  medicine.  Washington-Universität  und  Dr.  Jerome 
E.  Cook.  St.  Louis.  Missouri.  Über  das  Vorkommen  von  Darmsand  herrscht 
sowohl  in  bezug  auf  die  Symptomatologie  als  auch  auf  die  Nomenklatur  und 
Beschreibung  in  der  Literatur  noch  ein  Chaos.  M.  und  C.  beschreiben  einen 
Fall  von  wirklichem  Sand  im  Stuhl  und  gehen  die  Literatur  durch.  Die  bei 
Lntersuchung  des  Falles  <24 jährige  Frau»  ausgesprochene  Vermutung  des 
Dr.  Wm  Rush,  daß  der  Sand  vegetabilischen  Ursprungs  sei  und  wahr¬ 
scheinlich  von  einer  Banane  herrühre,  bestätigte  sich.  Da  sich  die  Be¬ 
schreibungen  in  der  Literatur  vielfach  mit  diesem  Fall  decken,  so  hat  es  sich 
wahrscheinlich  häufig  um  einen  ähnlichen  Ursprung  gehandelt. 

9.  Allgemeine  und  spezifische  Resistenz  gegen  tuberkulöse 
Infektion.  Von  Dr.  Karl  von  Ruck.  Asheviile.  North  Carolina.  Primi¬ 
tive  Völker  der  Infektion  mit  Tuberkulose  ausgesetzt,  weisen  eine  enorme 
Sterblichkeit  auf.  andere,  die  seit  langer  Zeit  infiziert  sind,  infolge  der  An¬ 
passung  und  des  Überlebens  der  Tüchtigsten,  eine  verhältnismäßig  geringere. 
Bei  diesen  nimmt  die  Krankheit  mehr  den  chronischen  Charakter  an.  Daraus 
folgt,  daß  sich  bei  letzteren  spezifische  Schutzeinrichtungen  gegen  den  Tuber¬ 
kulose-Bazillus  und  seine  Toxine  entwickelt  haben  müssen. 

10.  Eine  klinische  Studie  über  den  Effekt  der  Tuberkulin¬ 
behandlung  auf  die  Serumagglutination  der  Tuberkelbazillen. 
1  on  Dr.  Hugh  M.  Kinghorn  und  Dr.  C.  Twichell,  Saranac  lake,  New- 
York.  »Aus  dem  Saranac-Laboratorium  des  Dr.  E.  L.  Trude  au,  Direktor.; 
^  erf.  kommen  zu  dem  Schluß.-  daß  sich  ihnen  die  Agglutinationsjjrobe  als 
nicht  wertvoll  zur  Kontrolle  der  Tuberkulinbehandlung  bei  Lungentuber¬ 
kulose  erwiesen  hat.  Das  einzige  Mittel,  solche  Fälle  richtig  zu  leiten,  ist, 
sie  nach  jeder  Dose  Tuberkulin  genau  zu  beobachten  und  auf  das  geringste 
Zeichen  einer  Reaktion  zu  achten,  mit  anderen  Worten  die  klinische  Be¬ 
obachtung. 

11.  DerV  ert  der  Röntgenstrahlen-L  ntersuc-hung  bei  der  Diagnose 
der  Lungentuberkulose,  besonders  in  Beziehung  auf  frühe  Tuber¬ 
kulose.  ^  on  Dr.  Paul  Krause,  Prof,  der  Medizin  und  Direktor  der  med. 
Poliklinik  in  Jena  (Deutschland;.  Vortrag,  gehalten  auf  dem  internationalen 
Tuberkulose-Kongreß  in  Washington,  September-Oktober  1908.  Bespricht  zu¬ 
nächst  kurz  die  Technik  der  X-Strahlenuntersuchung  bei  Lungenkrankheiten 


Referate  und  Besprechungen. 


781 


und  sodann,  was  dies  bei  der  Frühtuberkulose  a.)  der  Erwachsenen,  b)  der 
Kinder  und  Jugendlichen  leistet. 

12.  Die  Behandlung  der  tinea  tonsurans.  Von  Dr.  R.  L.  Sutton, 
1.  Assistent  für  Dermatologie  am  University  medical  College,  Kansas  city, 
Missouri.  Empfiehlt  nach  Tierversuchen  und  klinischen  Beobachtungen  in 
5  Fällen,  von  denen  einer  sehr  schwer  war,  zunächst  die  zuerst  von  Schiff 
und  Freund  (Wien.  med.  Woc-henschr.  1897,  S.  856)  angegebene  Depilation 
durch  X-Strahlen  vor  der  Applikation  von  Antiseptizis.  und  sodann  als 
pestdepilatorisches  Mittel  Einreibung  einer  Jod-Gänsefett-Mischung  (Gänse¬ 
fett  dringt  am  besten  in  die  Haut),  worauf  1  2  Stunde  später  die  Einreibung 
eine:  2  igen  hydrarg.  c-hlorat.  (mercuric-  ehlorirle- Gänsefettsalbe  folgt.  Es 
bildet  sich  Quecksilber  jodid).  Doch  dürfen  beispielsweise  bei  einem  lOjähr. 
Kinde  nicht  mehr  als  30 — 35  qcm  auf  diese  Weise  bedeckt  werden. 

The  St.  Paul  medical  journal  1909,  Xr.  3,  März. 

1.  Die  medizinische  Geschichte  von  Edgar  Allan  Poe.  Von 
Dr.  Charl  es  Greenl  C'umston.  Boston.  C’.  gelangt  zu  dem  Schluß,  daß 
P.  ein  ausgezeichnetes  Beispiel  für  den  durch  ein  polymorphes  Delirium 
charakterisierten  Wahnsinn  Degenerierter  unter  dem  schon  erblichen  Einfluß 
von  Alkohol  von  Degeneration  und  Dipsonsanie  ist.  Die  Studie  erinnert  an 
die  Möbius'schen  Pathographien  über  Rob.  Schumann  und  Scheffel,  so¬ 
wie  die  medizinische  Geschichte  von  Fr.  Reuter. 

2..  Genossenschaftliche  ärztliche  Verteidigung  —  ihr  gegen¬ 
wärtiger  Stand.  Von  Dr.  Frederick  Leavitt.  St.  Paul.  Die  vor  23  Jahren 
als  eine  besondere  Form  der  Gesellschaftsorganisation  von  England  unter  dem 
Xamen  British  medical  defense  league  ausgegangene  genossenschaftliche  ärzt¬ 
liche  Verteidigung  < co-operative  medical  defense»  —  eine  Versicherung  der 
Mitglieder  gegen  Klagen  wegen  ungesetzlicher  Handlungen  (suits  for  mal- 
practice*  —  umfaßt  in  Amerika  gegenwärtig  10  Staaten  —  Vereine  und 
3  große  Bezirksgesellschaften  (county  societies».  Die  Aufbringung  der  Kosten 
ist  verschieden:  in  Xew-York  werden  sie  aus  dem  Fonds  der  Gesellschaft 
gezahlt,  an  anderen  Orten  zahlt  jedes  Mitglied  einen  Beitrag  von  10  Cents 
tPenns.  state  med.  society»  bis  2  Dollar.  Die  Leistungen  bestehen  in  der 
Gewährung  legalen  Rats  in  Prozessen  ,.for  malpractice".  In  Chicago  wird 
zu  diesem  Zweck  für  5  Dollar  jährlich  eine  Anwaltsfirma  angenommen. 

3.  Die  Behandlung  des  Gesichts-  und  Hals-iXacken-  Kre  bses. 
Von  Dr.  E.  S.  Judd.  junior  surgeon  am  St.  Mary  s  Hospital  in  Roc-hester. 
Minn.  ,.Ein  Umriß  der  befriedigendsten  Methoden  der  Behandlung  des  Krebses 
an  Gesicht.  Hals  und  Xacken,  basiert  auf  Pathologie.  Ausdehnung,  lymphati¬ 
scher  Invasion  und  Metastase." 

4.  Wird  in  der  Erziehung  unserer  Medizin-Studierenden  der 
ärztlichen  Ethik  genügend  Rechnung  getragen?  Von  Dr.  Andrew 
Henderson,  Seanlon.  Minn.  Vortrag  vor  der  Minnesota-Akademie  der  Medizin 
am  6.  Juni  1909.  Redner  fordert  obligatorische  Kurse  über  Jurisprudenz  und 
ärztliche  Ethik  an  der  L  niversität  und  den  Medizinschulen,  ohne  deren  Ab¬ 
solvierung  keiner  zur  Praxis  zugelassen  werden  sollte. 

Der  Herausgeber  =  (redaktionelle)  Teil  (editorial)  dieser  Xummer  des 
St.  P.  journal  beschäftigt  sich  noch  einmal  mit  der  Frage,  ob  Poes  Dip¬ 
somanie  erblich  war.  wie  Cum s ton  (s.  oben  Xr.  1)  argumentiert,  oder  nicht 
vielmehr  akquiriert  und  kommt  ebenfalls  noch  einmal  auf  die  ,, co-operative 
medical  defense  against  mal-practise  suits"  zurück.  Wir  gestehen,  daß  wir 
uns  aus  den  Artikeln  nicht  völlig  klar  darüber  werden  konnten,  ob  es  sich 
hier  nur  um  eine  Versicherung  gegen,  bezw.  einen  Schutz  in  Klagen  wegen 
Kunstfehler  oder  allgemein  gegen  gerichtliche  Klagen  handelt. 

The  Post-Graduate  1909,  Xr.  3,  März. 

1.  Amaurotische  Familien-Idiotie.  Von  Dr.  Edward  Davis. 
Prof,  der  Augenkrankheiten.  Xew-York  und  Dr.  Edward  L.  Oatman.  Chirurg. 
Die  Krankheit  ist  selten,  bis  heute  sind  ungefähr  100  Fälle  gezählt.  Die 
Beobachtung  eines  grauweißen  Schleiers  um  die  kirschrote  macula  durch 
Warren  Tay  1881  führte  zur  Entdeckung.  T.  hielt  den  Zustand  noch  für 


782 


Bücherschau. 


lokal,  erst  Sachs  (Nefw-York)  erkannte  1887  den  allgemeinen  Charakter, 
von  ihm  stammt  auch  der  Name  der  Krankheit.  Die  Symptome  sind  nach 
Sachs :  1.  während  der  ersten  wenigen  Lebensmonate  intellektuelle  Ver¬ 
schlechterung,.  die  zu  absoluter  Idiotie  führt.  2.  Paresen  oder  Paralysen. 

3.  Pehlen  oder  Steigerung  der  Reflexe.  4.  Verschlechterung  des  Sehens, 
schließlich  absolute  Blindheit  (Veränderungen  in  der  Makula,  Optikusatrophie. 
5.  Marasmus,  Exitus.  6.  Erkrankung  mehrerer  Glieder  einer  Familie.  7.  Ge¬ 
sundheit  von  der  Geburt  bis  zum  3.  oder  5.  Monat.  —  Einen  hierher  gehörigen 
Fall  teilt  Davis  mit  Bemerkungen  über  die  Ätiologie  und  Differential¬ 
diagnose  mit,  während  Oatman  die  histologische  Untersuchung  eine^  9  Stunden 
nach  dem  Tode  entfernten  Auges  beschreibt. 

2.  Ein  Fall  von  chronischer  Poly cy thaemia  splenomegalica. 
Von  Dr.  Arthur  C.  Chace,  Adjunkt-Professor  d.  Medizin,  New-York.  Die 
Aufmerksamkeit  auf  chronische  Zyanose  mit  Polycythämie  lenkte  zuerst  1892 
H.  Vaquez  in  den  compt.  rend.  de  la  soc.  de  biologie,  Paris,  Mai  7,  1892. 
Seitdem  sprach  man  von  einer  Vaquez-Krankheit.  Elf  Jahre  später  berichtete 
Osler  in  dem  americ.  journ.  of  the  med.  scienc.  August  1903  über  9  Fälle, 
davon  4  eigene,  und  zählte  im  folgenden  Jahr  17  zusammen.  In  den  folgenden 
5  Jahren  sind  ungefähr  40  Fälle  beschrieben  worden.  Einen  hierher  gehörigen 
Fall  mit  Angabe  der  neueren  Literatur  beschreibt  jetzt  Chace. 

3.  Die  Technik  der  supr apubischen  Prostatektomie.  Von  Dr. 
Willy  Meyer,  Prof,  der  Chirurgie,  New-York.  Früher  als  andere  Chirurgen 
hat  T r  e nde le n  bu r  g -  Bonn  (jetzt,  Leipzig),  dessen  Assistent  W.  Meyer  seiner¬ 
zeit  war,  bei  den  verschiedensten  Blasenkrankheiten  mit  Erfolg  die  supra- 
pubische  Methode  geübt,  zu  der  sich  jetzt  auch  M.  bekennt,  nachdem  er  die 
Bottini-Operation  und  verschiedene  andere  perineale  Technizismen  ausprobiert 
hat.  Beschreibung  seiner  Methode,  für  die  er  zwar  keine  Originalität  oder 
Spezialität  beansprucht,  von  der  er  aber  hofft,  daß  sie  sich  Freunde  er¬ 
werben  wird.  Der  Kranke  liegt  in  30°  Trendelenburg-Position.  An  der 
rechten  Seite  des  Kranken  stehend,  enukleiert  M.  nach  Eröffnung  der  Blase 
mit  dem  2.  und  3.  linken  Finger  die  Prostata  gewöhnlich  in  15 — 20  Minuten. 

4.  Biologie  ,  das  Grundprinzip  in  der  Kinderernährung.  Von 
Dr.  Henry  Dwight  Chapin,  Prof,  der  Med.  (Kinderkrankheiten).  New-York. 

5.  Glasdrainageröhren  in  der  Prostatachirurgie.  Von  Dr.  Pollen 
Cabot,  Prof,  der  venerischen  und  Urogenitalkrankheiten,  New-York.  Emp¬ 
fehlung  von  Glasdrainageröhren  statt  solcher  von  Gummi,  die  C.  nicht  befriedigt 
haben,  wie  sie  Tiemann  &  Co.,  New-York  für  C.  hersteilen  (eine  doppel¬ 
läufige,  rechtwinklig  gebogene  Glastube). 

6.  Die  Sorge  für  das  (Kind.  Von  Dr.  E.  G.  Whinna,  ärztlicher 

Schulinspektor,  Philadelphia.  Im  Vordergrund  steht  die  Sorge  für  das  Kind 
von  dem  Augenblick  an,  wo  es  zuerst  das  Elternhaus  verläßt  und  die  Schule 
betritt  und  vor  Ansteckung  geschützt  werden  muß.  Peltzer. 


Bücherschau. 


Das  Problem  des  Lebens.  In  kritischer  Bearbeitung  von  Generalarzt 
Prof.  Dr.  Berthold  Kern.  Berlin,  August  Hirschwald,  1909.  592  S. 

Im  „Zeitalter  der  Häufung  der  Tatsachen“,  wie  O.  Rosenbach  die  auch  jetzt 
noch  nicht  abgeschlossene  Epoche  unserer  medizinischen  Entwicklung  treffend 
nannte,  erachtete  man  es  bis  vor  kurzem  noch  für  einen  des  Naturforschers  allein 
würdigen  Standpunkt,  jede  Frage  nach  dem  „Warum?“  zu  perhorreszieren.  Gerade 
aber  ein  so  eminent  kritisch  veranlagter  Geist,  wie  es  dieser  uns  zu  früh  entrissene 
Forscher  war,  hatte  demgegenüber  in  den  Hinweisen  darauf  sich  garnicht  genugtun 
können,  daß  die  bloße  Beschreibung  nur  ein  Zweig  oder  eine  Methode,  aber  nicht 
das  Wesen  der  Wissenschaft  ist  und  daß  das  Wort  Bacons:  „desideratur  nimirum 
philosophia  naturalis  vera  et  activa  scientia,  cui  medicina  inaedificetur“  auch  noch 
heute  gilt. 

Und  in  der  Tat  kann  bei  dem  so  umfangreichen  Material  von  isolierten 


Bücherschau. 


783 


Beobachtungen  und  Beschreibungen  das  Ziel  der  naturwissenschaftlichen  und  ebenso 
der  speziell  medizinischen  Forschung  nicht  darin  gesehen  werden,  noch  einige  mehr 
oder  weniger  auffallende  Tatsachen  zu  sammeln,  sondern  wieder  einmal  feste 
Grundlagen  für  ihre  Ordnung  zu  schaffen.  Was  uns  fehlte,  war  die  Verknüpfung 
der  mehr  als  reichlich  vorhandenen  Beobachtungen  zu  neuen,  umfassenden  und 
darum  gesicherten  Urteilen  über  den  Zusammenhang  der  Geschehnisse.  Nur  aus 
der  kritischen  Sichtung  des  Materials  erwächst  für  den  jetzigen  und  den  späteren 
Forscher  die  Möglichkeit,  allen  Beobachtungen  gegenüber  einen  festen  Standpunkt 
zu  gewinnen,  um  nicht,  wie  das  heute  fortwährend  geschieht,  von  neuen  Tatsachen 
aufs  äußerste  verblüfft  zu  werden  und  haltlos  jede  neue  Feststellung  zur  Grundlage 
einer  neuen  Theorie  oder  gar  eines  neuen  —  natürlich  mehr  oder  weniger  wissen¬ 
schaftlich  verbrämten  —  Dogmas  zu  machen. 

Wer  aber  diese  Voraussetzungen  gelten  läßt,  wird  von  den  Arbeiten  B.  Kerns 
—  und  durch  jedes  neue  Werk  dieses  als  Arzt  nicht  minder  als  Philosoph  bedeutenden 
Mannes  in  immer  erhöhtem  Maße  —  befriedigt  werden,  selbst  wenn  er  sich,  wie 
das  seitens  des  Bef.  der  Fall  ist,  Einzelheiten  gegenüber  die  Freiheit  seiner 
individuellen  wissenschaftlichen  Überzeugung  wahrt.  Denn  gerade  durch  die  Werke 
Kerns  zieht  sich  wie  ein  roter  Faden  die  Tendenz  zur  Verknüpfung  der  bei  ihrer 
Zahl  und  Mannigfaltigkeit  geradezu  verwirrenden  Details  durch  ein  geistiges  Band. 
Immer  wieder  bricht  durch  die  bei  aller  Leidenschaftslosigkeit  und  Objektivität 
doch  mit  großer  Wärme  vorgetragene  und  darum  auch  den  Leser  überzeugende 
Gewiß  heit  hervor,  daß  dieFehde,  in  der  Philosophie  und  Natur  Wissenschaft 
im  abgelaufenen  Jahrhundert  miteinander  lagen,  mit  dem  entgiiltigen 
Bunde  beiderWissenschaften  endigen  muß:  „nicht  allerdings  im  Kähmen 
einer  .überlebten  Naturphilosophie,  sondern  als  lebensfrischer  Bund 
zwischen  reiner  Naturwissenschaft  und  reiner  Philosophie.  Dieser 
Bund  allein  kann  der  naturwissenschaftlichen  Forschung  ihr  Selbst¬ 
vertrauenwahren,  ihre  Wege  sichern,  sie  vor  Mystik  und  Dogma  schützen 
und  unser  Geistesleben  auf  eigene,  sich  selbst  die  Ziele  steckende 
Füße  stellen.  Er  trägt  die  Herrschaft  über  die  Welt  der  Erkenntnis 
und  über  die  Ziele  des  Lebens  in  sich.“ 

Unendlich  groß  ist  die  Zahl  der  Fragen,  die  wir  nicht  lediglich  auf  der 
Basis  des  Experiments  und  der  Einzelbeobachtung,  sondern  nur  durch  die  Anwendung 
philosophischer  Methoden  und  Wahrheiten  auf  die  Naturwissenschaften  zu  lösen 
vermögen,  wenn  wir  uns  nicht  auf  Irrwege  begeben  wollen. 

Wenn  wir  von  den  Grundbegriffen  ausgehen:  was  ist  Stoff  und  was  ist 
Kraft?  Wie  verhält  sich  die  Masse  als  raumerfüllende  Substanz  zur  Materie  als 
reine  Kombination  und  Verschmelzung  von  Bewegungsvorgängen?  In  welchen 
Beziehungen  stehen  die  Begriffe  Energie,  Kraft  und  Arbeit  zu  einander?  Ist  die 
Kraft  lediglich  ein  psychologisches  Denkgebilde  subjektiver  Logik  oder  ein  physischer, 
d.  h.  reiner  Maß-  und  Rechnungsbegriff?  Ist  die  Kraft  etwas  Mystisches,  hinter 
der  wir  uns  anthropomorphisch  einen  Träger  der  Kraft  hinzuzudenken  haben  oder 
nicht  vielmehr  ein  bloßer  Beziehungsbegriff:  die  Feststellung  der  mathematischen 
Funktion  von  Masse  und  Bewegung,  das  Maß  für  die  Größe  der  Energiewirkung? 
Ist  die  Energie  als  Begriff  allen  Vorgängen,  einschließlich  der  mechanischen  Arbeit 
übergeordnet,  oder  ist  sie,  wie  das  vielfach  angenommen  zu  werden  scheint,  einfach 
dem  Arbeitsvorrat  gleichzusetzen?  Oder  ist  sie  gar  die  „Ursache“  der  Bewegung, 
der  Arbeit?  Und  was  ist  wieder  Ursache?  Ist  die  Ursache  ein  Vorgang,  welcher 
auf  ein  Geschehen  ursächlich  einwirkt  oder  im  substantiellen  Sinne  eine  Kraft? 

Wodurch  unterscheidet  sich  die  anorganische  von  der  organischen  Natur? 
In  welchen  Beziehungen  steht  die  organische  Zweckmäßigkeit  zur  zielstrebigen 
Entwicklung?  Sind  die  Entwicklungsvorgänge  als  passiv  oder  aktiv  aufzufassen? 
Sind  sie  aus  äußeren  Einwirkungen  oder  aus  inneren  Ursachen  zu  erklären?  Und 
bei  letzterer  Annahme  wieder:  sind  sie  kausal  bedingt  oder  müssen  sie  teleologisch 
gedeutet  werden?  Haben  wir  eine  Erklärung  dafür,  daß  das  Keimplasma  die 
Bedingungen  bewahrt  und  überträgt,  die  die  gesamte  Entwicklung  des  Stammes 
und  der  Art  beherrschen? 

Existieren  wirklich  bei  der  höchsten  irdischen  Organisation,  der  menschlichen, 
die  scheinbaren  Elemente  unseres  Geisteslebens:  Empfindung,  Gefühl,  Wille?  Oder 
ist  dem  passiven  Beeinflußtsein  das  aktive  Denken,  der  gegebenen  Organisation  des 
menschlichen  Geistes  die  in  der  Erfahrung  erworbene  Organisation  unseres  Denkens, 
der  erschaffenen  Anlage  die  stammesgeschichtliche  Entwicklung,  den  fatalistisch 
angeborenen  die  phylogenetisch  angeeigneten  Fähigkeiten,  der  durch  menschliches 
Denken  getrübten  die  vom  Objekt  bestimmte  und  deshalb  für  menschliches  und 
übermenschliches  Denken  gültige  Erkenntnis  und  dann  uneingeschränkter  Wahrheit 
gegenüberzustellen  ? 


784 


Bücherschau. 


Für  unsere  heutige  Zeit  ist  die  endgültige  Lösung  aller  dieser  Fragen  nicht 
möglich,  will  inan  sich  auf  das  G  ebietlediglich  auf  Grund  „intuitiver Erkenntnis“  basierter 
Spekulation  begeben.  Deshalb  sieht  sich  auch  der  in  seinen  Urteilen  und  Schlüssen 
äußerst  vorsichtig  urteilende  Autor,  wo  er  diesen  kein  unumstößliches  Tatsachen¬ 
material  zugrunde  legen  kann,  veranlasst,  eine  exakte  Lösung  vielfach  der  Zukunft 
zu  überlassen.  In  solchen  Fällen  ist  schon  die  Markierung  der  Grenzlinien,  an  denen 
die  Spekulation  den  realen  Boden  verlassen  würde,  von  hohem  Wert.  Und  in 
diesem  Sinne  gerade  ist  es  eines  der  großen  Verdienste  Kerns,  allerlei  Irrwege 
für  das  Fortschreiten  der  biologischen  Wissenschaft  prinzipiell  ausgeschaltet  und 
der  exakten  Forschung  allerlei  Steine  des  Anstoßes  (richtiger  sperrende  Felsblöcke) 
aus  dem  Wege  geräumt  zu  haben.  Aber  recht  groß  ist  demgegenüber  doch  die 
Zahl  der  Fragen,  für  die  der  Verf.  in  einer  einfachen  und  alle  Phrasen  und  Schlag¬ 
worte  ängstlich  vermeidenden  Darstellung  in  seiner  schönen  und  edlen  Sprache 
die  Lösung  bis  zum  Ende  sucht.  Deren  Charakterisierung  in  kurzen  Worten  und 
ohne  hinlängliche  Wiedergabe  ihrer  Begründung  könnte  den  wahrhaft  hohen  Genuß 
an  der  Lektüre  nur  beeinträchtigen;  zu  dieser  zu  ermuntern,  soll  aber  der  ver¬ 
nehmlichste  Zweck  dieser  dem  bedeutsamen  Werke  gewidmeten  Zeilen  sein.  Daß 
immerhin  subjektive  Momente  bei  der  Behandlung  dieser  bis  zum  Grunde  alles 
Seins  reichenden  Probleme  nicht  auszuschalten  sind,  bedarf  weiterer  Ausführung 
nicht.  Und  daß  für  manchen,  der  sich  diese  Fragen  gleichfalls  vorgelegt  hat,  die 
Lösung,  wie  schon  oben  angedeutet,  nicht  in  allen  Punkten  mit  der  von  seiten  des 
geschätzten  Autors  gegebenen  übereinstimmen  kann,  darf  nicht  Wunder  nehmen. 
Aber  Kern  beabsichtigt  ja  auch  in  der  weisen  Zurückhaltung  und  Selbstbeschränkurg, 
die  sich  nur  der  wahre  Meister  nach  dem  Ausspruche  eines  der  führenden  Geister 
unserer  Nation  auferlegt,  nichts  als  eine  kritische  Sichtung  aller  Resultate  die 
die  wissenschaftliche  Forschung  nach  dem  Problem  des  Lebens  auf  ihrem  gegen¬ 
wärtigen  Stande  ergeben  hat.  Er  selbst  gibt  zu,  daß  manche  eine  andere  Auffassung 
jener  Ergebnisse  für  richtiger  halten  können  und  dürfen.  Aber  eine  ernste  Nach¬ 
prüfung  der  für  die  Wahl  seines  individuellen  Standpunktes  maßgebend  gewordenen 
Gründe  darf  der  kritische  Denker  und  redliche  Erforscher  der  Wahrheit,  von  jedem, 
der  es  ernst  mit  seiner  Wissenschaft  meint,  verlangen!  Eschle. 


Jahresbericht  über  die  Fortschritte  der  inneren  Medizin  im  In-  und  Auslande. 

Von  Schreiber  u.  Rigler.  Bd.  I:  Bericht  über  die  Jahre  1902  u.  1903. 

776  S.  29,10  Mk. 

Als  vor  annähernd  100  Jahren  Cuvier  sein  berühmtes  Werk  über  das  Tier¬ 
reich  in  seiner  Organisation  herausgab,  schrieb  er  in  der  Vorrede  zur  2.  Auflage: 
„Es  wird  immer  schwerer,  alle  Schriften  der  Naturforscher  um  sich  zu  sammeln 
und  die  Übersicht  ihrer  Resultate  zu  vervollständigen“.  Was  damals  nur  schwer 
gewesen,  ist  heute  unmöglich  geworden,  so  daß  ein  Zusammenarbeiten  von  vielen 
notwendig  wurde,  um  auch  nur  ein  Teilgebiet  zu  bewältigen. 

Die  Idee  Ebsteins,  Jahresberichte  über  die  innere  Medizin  erscheinen  zu 
lassen,  ist  von  Dr.  Schreiber-Magdeburg  und  Dr.  Rigi  er- Leipzig  aufgenommen 
und  mit  Unterstützung  von  jugendfrischen  Kräften  weitergeführt  worden.  Der  erste 
von  Ebstein  besorgte  Bericht  erstreckte  sich  auf  die  Erscheinungen  des  Jahres  1901. 
Nun  liegen  1902  und  1903  abgeschlossen  vor,  1908  und  1904/05  sollen  noch  in  diesem 
Jahre  folgen,  so  daß,  wenn  im  nächsten  Jahre  die  Berichte  über  1909  und  dann 
über  1906/07  erschienen  sind,  die  gesamten  Fortschritte  von  1901  ab  leicht  über¬ 
sehbar  vorliegen.  Besprochen  sind  die  Konstitutionskrankheiten  von  Bendix- 
Köln,  Blut,  Nieren  und  Harnorgane  von  Friedeberg- Magdeburg,  Gewaltein¬ 
wirkungen  (Berg- Caisonkrankheit,  Elektrizität,  Hitzschlag,  Sonnenstich),  sowie 
Krebs  von  Sch  reib  er- Magdeburg,  Bewegungsorgane  von  M  enzer- Halle,  Respira¬ 
tionsapparat  von  Uff enor de- Göttingen,  Schreiber  und  Beyer,  Zirkulations¬ 
organe  von  Mein ertz-Rostock,  Verdauungsorgane  von  Schlüter-Magdeburg. 
Die  Nerven-  und  Infektionskrankheiten,  stehen  noch  aus;  sie  sollen  im  2.  Bande, 
Herbst  1909,  erscheinen.  Aber  auch  so  ist  die  Ausbeute  noch  groß  genug,  und 
wenngleich  die  Darbietung  äußerst  bequem  und  mundgerecht  ist,  so  überkommt 
einen  doch  ein  gelinder  Schrecken  beim  Gedanken,  daß  man  eigentlich  von  all 
diesem  mühsam  Erarbeiteten  wenigstens  gehört  haben  sollte. 

Die  Jahresberichte  werden  zweifellos  zu  dem  unentbehrlichen  wissenschaft¬ 
lichen  Rüstzeug  unserer  Aera  gehören.  Buttersack  (Berlin). 

Schriftleitung:  Dr.  Rigler  in  Leipzig. 

Druck  von  Emil  Herr  mann  senior  in  Leipzig. 


I 


27.  Jahrgang. 


1909. 


fomcbritte  der  Medizin. 


Unter  Mitwirkung  hervorragender  Fachmänner 

herausgegeben  von 

Professor  Dr.  0.  Köster  Prio.  Doz.  Dr.  o.  griegern 


in  Leipzig.  in  Leipzig. 

Schriftleitung :  Dr.  Rigler  in  Leipzig. 


Nr.  21. 


Erscheint  am  10.,  20.,  30.  jeden  Monats.  Preis  halbjährlich 
6  Mark,  in  kl.  Zeitschrift  für  Yersicherungsmedizin  8  Mark. 


Verlag  von  Georg  Thieme,  Leipzig. 


30.  Juli. 


Originalarbeiten  und  Sammelberichte. 


Aus  der  Universitäts-Kinder-Klinik  Leipzig.  Direktor:  Geheimrat  Prof.  Dr.  Soltmann. 

Spasmophilie  und  Ernährung  im  frühen  Kindesalter. 

Von  Dr.  Hans  Eisei. 

Die  Neigung  der  jungen  Kinder  und  Säuglinge  zu  Konvulsionen 
ist  bekannt.  Dieses  Krankheitssymptom  hat  durch  seine  Natur  stets 
die  Aufmerksamkeit  des  Laien  auf  sich  gezogen.  So  sind  auch  vom 
Arzt  stets  therapeutische  Maßnahmen  gefordert  worden,  und  daher  reicht 
die  Lehre  von  den  Krämpfen  im  Kindesalter  schon  einige  Zeit  zurück. 
Neuerdings  ist  man,  zum  Teil  im  Gegensatz  zu  den  älteren  Anschau¬ 
ungen,  zu  der  Einsicht  gekommen,  daß  die  Mehrzahl  aller  Krämpfe  des 
jugendlichen  Alters  funktioneller  Natur  sind  und  nur  ein  Symptom 
der  Spasmophilie  oder  der  spasmophilen  Diathese.  Unter  Spasmophilie, 
diese  zusammenfassende  Benennung  wird  nur  als  die  heute  gebräuch¬ 
lichste  gewählt,  ist  dann  jener  Symptomenkomplex  zu  verstehen, 
welcher  eklamp tische  Erscheinungen,  tonische  Krampf znstände  und 
Laryngospasmen  in  sich  vereinigt.  Er  macht  sich  am  Kranken  meist 
durch  das  Ch  vostek’sche,  das  Eacialisphänomen,  als  Ausdruck  der 
gesteigerten  mechanischen  Erregbarkeit  des  Nerven  und  das  Trous- 
se  au'  sehe  Phänomen  des  Auftretens  einer  Pfötchenstellung  der  Hand 
bei  Druck  auf  den  Sulcus  bicipitalis  geltend.  Sein  charakteristisches, 
gemeinsames  und  die  Zusammengehörigkeit  aller  dieser  verschiedenen 
Sjunptome  zu  einem  Krankheitsbild  beweisende  Zeichen  ist  aber  die 
gesteigerte  elektrische  Erregbarkeit  des  peripheren  Nervensystems,  das 
Erb’ sehe  Phänomen.  Für  ihr  Zusammengehören  spricht  aber  auch, 
daß  jederzeit  aus  einer  sogenannten  latenten  Tetanie  eine  manifeste 
hervorgehen  kann,  und  daß  dort,  wo  zunächst  nur  die  elektrische  Er¬ 
regbarkeit  gesteigert  war,  eklamptische  Znstände  oder  Laryngospas- 
.  men  hinzutreten  können.  So  werden  heute  die  früher  getrennten  Krank¬ 
heitsbilder  der  Eklampsie,  der  infantilen  Tetanie  und  des  Laryngo- 
spasmus  in  dem  Symptomenkomplex  der  Spasmophilie  zusammengefaßt, 
wobei  allerdings  nicht  behauptet  wird,  daß  nicht  auch,  besonders  im 
I.  Lehen  squartal,  Krampf  znstände  anderer  Genese  im  Säuglingsalter 
beobachtet  werden. 

Das  maßgebende  für  die  Diagnose  Spasmophilie  sind  also  die 
Werte  der  elektrischen  Erregbarkeit.  Nach  T  hie  mich  und  Mann 

50 


786 


Hans  Risel, 


liegen  sie  bei  Kindern  nach  der  achten  Woche  normaler  Weise  für  den 
Medianus, 

für  die  KSZ  ASZ  AÖZ  KÖZ 

bei  1,4  2,2  3,6  8,2  Milliampere, 

werden  dagegen  bei  der  Spasmophilie  für  alle  Zuckungen  wesentlich 
höher,  also  0,7  1,1  0,9  2,2. 

Das  charakteristische  und  pathognomonische  ist  dabei  das  Auftreten 
der  KÖZ  bei  Werten,  die  unter  5  Milliampere  liegen.  Auch  Werte 
für  die  AÖZ  unter  5  Milliampere  müssen  wohl  als  pathologisch  an¬ 
gesehen  werden.  —  Indem  man  nun  systematisch  kei  kleinen  Kindern 
die  elektrische  Erregbarkeit  prüfte,  fand  man,  daß  sie  nach  dem  I.  Quar¬ 
tal  in  ganz  weitem  Maße  von  der  Ernährungsweise  abhängig  ist.  Die 
folgenden  Erörterungen  gründen  sich  auf  die  Nachprüfung  der  Ver¬ 
hältnisse.,  wie  sie  besonders  von  Finkeistein  klargelegt  wurden.  Es 
wurden  zu  diesem  Zwecke  fortlaufend  täglich  untersucht  die  elektrische 
Erregbarkeit,  auf  Chvost ek’sches  und  Trousseau’sches  Phänomen  und 
die  Zahl  der  laryngospastischen  Anfälle  unter  verschiedenen  Ernäh¬ 
rungsperioden  bei  38  Kindern  klinischen  Materials.  Der  Wert  der 
therapeutischen  Maßnahmen  konnte  an  62  Kindern  der  Poliklinik  in 
allerdings  weniger  exakter,  aber  zeitlich  möglichst  ausgedehnter  Be¬ 
obachtung  beurteilt  werden.  Ergänzt  werden  diese  Erfahrungen  durch 
eine  große  Zahl  Einzeluntersuchungen. 

Als  erstes  hat  sich  nach  dem  I.  Quartal  nun  ergeben :  Die  ge¬ 
steigerte  elektrische  Erregbarkeit  ist  ein  ganz  außerordentlich  häufiges 
Sj^mptom,  aber  nur  bei  Flaschenkindern,  während  sie  geradezu  eine 
Seltenheit  bei  Brustkindern  ist.  Nach  Einkelstein  zeigt  sie  sich 
bei  55,7  °/0  aller  Flaschenkinder,  bei  natürlich  genährten  Kindern  aber 
nur  in  2°/0.  Ich  sah  bei  einer  großen  Reihe  untersuchter  nur 
ein  einziges  allein  an  der  Brust  genährtes  Kind  mit  pathologischen 
elektrischen  Werten  und  Laryngospasmen.  Dieses  war  in  seiner  Er¬ 
nährungsfunktion  schwer  geschädigt.  Dieser  Unterschied  der  natür¬ 
lichen  und  der  künstlichen  Ernährung  macht  sich  aber  auch  bei  den 
Kindern  geltend,  welche  an  manifesten  Symptomen  der  Spasmophilie 
erkrankt  sind,  und  zwar  in  der  Weise,  daß  dort,  wo  bei  einer  Er¬ 
nährung  mit  Kuhmilch  klonische,  tonische  Krämpfe  oder  Laryngo¬ 
spasmen  bestehen,  diese  auf  Erauenmilchernährung  mehr  oder  weniger 
prompt  verschwinden.  Wie  weit  bei  diesem  Antagonismus,  in  dem  natür¬ 
liche  und  künstliche  Ernährung,  respektive  Frauenmilch  und  Tiermilch 
stehen,  der  Umstand  mitspielt,  daß  wir  Kinder,  die  an  der  Brust 
genährt  werden,  ja  nur  sehr  selten  in  einem  auch  nur  annähernd  so 
schlechten  Gesundheitszustand  sehen,  wie  wir  es  beim  Flaschenkind 
ganz  gewohnt  sind,  ist  noch  nicht  aufgeklärt. 

Für  die  künstliche  Ernährung  hat  sich  ergeben,  daß  überhaupt 
jede  Art  derselben  zum  Vortreten  der  Symptome  der  Spasmophilie 
beitragen  kann.  Relativ  selten  werden  schwere  Formen  echter  Spas¬ 
mophilie  bei  Kindern  beobachtet,  die  einseitig  mit  Kohlehydraten,  also  , 
vor  allem  Mehlabkochungen  ernährt  werden.  Einen  ganz  einseitigen 
Einfluß  macht  aber  auf  ihr  Manifestwerden  die  Kuhmilch  geltend. 
Besonders  deutlich  tritt  dies  gerade  hervor  bei  den  Fällen  mit  Laryngo¬ 
spasmen.  In  ihrer  Ernährungsanamnese  findet  man  in  einem  hohen 
Prozentsatz,  daß  entweder  Vollmilch  schon  in  sehr  jugendlichem  Alter, 
im  oder  gleich  nach  Vollendung  des  ersten  Quartals,  gefüttert  wird, 
oder  daß  bei  Kindern  um  die  Wende  des  ersten  Lebensjahres  eine 


Spasmophilie  und  Ernährung  im  frühen  Kindesalter.  787 

dauernde  ausschließliche  Milchernährung  statthat,  in  einzelnen  Fällen 
mit  ganz  unsinnig  hohen  Gaben,  die  das  zulässige  Maß  von  1  Liter 
weit  übersteigen.  Diese  Erfahrung  wird  durch  das  Experiment  bestätigt. 
Man  kann  bei  manchen  jungen  Kindern,  die  frei  von  Spasmophilie  sind 
und  deren  Anamnese  keine  dahingehenden  Anhaltspunkte  bietet,  die 
Symptome  der  Erkrankung  durch  große  Milchgaben,  d.  h.  1 — 11/2  Liter 
pro  die  hervorrufen.  Noch  klarer  als  hei  diesen  meist  rhaehitischen 
und  der  Spasmophilie  doch  von  vornherein  verdächtigen  Kindern  macht 
sich  aber  der  Einfluß  der  Milchernährung  dort  geltend,  wo  schon  das 
eine  pathologische  Symptom,  die  gesteigerte  elektrische  Erregbarkeit, 
besteht.  Hier  genügen  häufig  schon  1/2  Liter  um  zunächst  nicht  vor¬ 
handenes  Ch  vostek’sches  und  Trousseau’sches  Phänomen  und  Laryngo- 
spasmen  von  heute  auf  morgen  wachzurufen.  Diese  Abhängigkeit  der 
genannten  Erscheinungen  von  der  Kuhmilchernährung  tritt  aber  auch 
klar  zutage  durch  ihr  gänzliches  Schwinden  beim  Aussetzen  der  Milch. 
Daher  ist  das  sicherste  Mittel,  Krämpfe  im  Kindesalter  zu  unterdrücken, 
ein  Fortlassen  jeglicher  Nahrung  unter  alleiniger  Deckung  der  Wasser¬ 
verluste',  durch  Tee  auf  24  Stunden.  Schließt  sich  hieran  eine  mehr¬ 
tägige  Ernährung  mit  Mehlabkochungen  und  Breien,  so  bleibt  in  der 
größeren  Zahl  der  Fälle  der  Zustand  so  lange,  normal,  als  die  milch- 
fr  eie  Diät  fortgesetzt  wird.  Das  in  Bede  stehende  Abhängigkeitsver- 
hältnis  ist  so  groß,  daß  das  Schwinden  auch  der  bedrohlichsten  Sym¬ 
ptome  nach  24  Stunden  ganz  vollendet  sein  kann,  daß  aber  sofort 
innerhalb  1 — 2  Stunden  die  Symptome  hei  vorher  erkranktem  Kinde 
wieder  aufgetreten  sein  können,  nachdem  statt  der  milchfreien  Kost, 
hei  welcher  tagelang  normale  Verhältnisse  bestanden  hatten,  100  ccm 
oder  wenig  mehr  Milch  verfüttert  wurden.  Wie  Kuhmilch  wirkt  Ziegen¬ 
milch  und  auch  Eselsmilch. 

Das  Wieder  auf  treten  der  Erscheinungen  ist  sicherer  und  vor  allem 
innerhalb  kürzerer  Zeit  zu  erwarten  als  das  Schwinden.  Bei  der  Bück- 
kehr  folgen  sich:  gesteigerte  elektrische  Erregbarkeit,  Chvostek’sches 
und  Trousseau’sches  Phänomen,  und  schließlich  die  Laryngospasmen. 
Eklamptische  Zustände  treten  meist  erst  nach  alle  diesen  auf.  Etwa 
gerade  umgekehrt  ist  die  Beihenfolge  beim  Bückgang  der  Erkrankung, 
so  daß  also  die  bedrohlichen  Symptome  zuerst  verschwinden  oder  doch 
schon  abklingen,  während  die  harmloseren  noch  vorhanden  sind  oder 
wohl  auch  ganz  bestehen  bleiben  können.  Aus  der  längeren  Nach¬ 
wirkung  der  Schädigung  ist  es  verständlich,  daß  die  Kurve  der  elek¬ 
trischen  Werte  innerhalb  24  Stunden  auf  ziemlich  gleicher  Höhe  sich 
bewegt,  ohne  daß,  wie  man  voraussetzen  könnte,  die  vierstündigen 
Pausen  am  Tag  und  die  achtstündige  in  der  Nacht  zwischen  den 
Mahlzeiten  sich  mit  Einsenkungen  als  Ausdruck  eines  Bückgangs  der 
Erregbarkeit  geltend  machten.  Eine  jedesmalige  Steigerung  durch  die 
einzelne  sonst  immer  gleiche  Nahrungszufuhr  zu  erwarten,  liegt  noch 
näher,  doch  habe  ich  sie  bisher  in  meinen  Kurven  über  24  Stunden 
nicht  einwandsfrei  beobachten  können. 

Wegen  der  großen  Empfindlichkeit  einzelner  an  Spasmophilie  er- 
erkrankten  Kinder  bedarf  die  Milchfütterung  an  solche  großer  Sorg¬ 
falt.  Es  ist  eine  gesicherte  Tatsache,  daß  unter  den  gewöhnlichen 
Pflegebedingungen  viele  Kinder  allein  durch  unvorsichtige  Milchgaben 
getötet  werden.  Die  Kinder  kommen  meist  im  laryngospastischem  An¬ 
fall  zum  Exitus.  Viele  der  plötzlichen  Todesfälle  im  Säuglingsalter 
fallen  mithin  neben  dem  großen  Kontingent  der  reinen  Ernährungs- 

50* 


788 


Hans  Eisei, 


Störungen  durch  Vermittelung  der  Spasmophilie  auch  noch  der  Er¬ 
nährungsweise  zur  Last. 

Nun  ist  natürlicherweise  die  Frage  aufgeworfen  worden,  welcher 
Bestandteil  der  Kuhmilch  denn  diese  eigentümliche  Wirkung  haben 
möchte.  Man  hat  deshalb  die  Milch  in  ihre  Komponenten  zerlegt, 
Kasein  und  Fett  von  den  Molken  getrennt,  und  diese  Bestandteile  ge¬ 
sondert  verfüttert.  Für  das  Fütterungsresultat  ist  es  gleichgültig, 
ob  diese  Zerlegung  der  Milch  durch  Lab-  oder  Säurefällung  statlfindet. 

Es  hat  sich  ergeben,  daß  Kasein  und  Fett  getrennt  oder  zusammen 
verabreicht  in  bezug  auf  die  Spasmophilie  vollkommen  indifferente 
Nahrungsbestandteile  der  Milch  sind,  daß  dagegen  der  Molke  roh  und 
gekocht  alle  jene  gefährlichen  Eigenschaften  zukommen  wie  der  Milch 
als  ganzes.  Woran  diese  nun  in  der  Molke  gebunden  sind,  ist  bisher 
noch  ungeklärt.  Ein  neuer  Anhaltspunkt  dafür  konnte  auch  in  meinen 
Versuchen  bisher  nicht  erbracht  werden.  Denn  verfüttert  man  weiter 
die  Molkekomponenten,  Milchzucker,  einzelne  Milchzalze  oder  durch 

H.  N.,  Nr.  1858/08. 

Milliampere  0  12./12.  14./12.  16./12.  18./12.  20./12.  22./12.  24./12.  26./12.  28./12.  30./12. 

1 


KOZ 


Facialis 

+ 

-f 

+? 

0 

0 

+? 

4 — h 

H — b 

+ 

+ 

1 

+ 

+ 

0 

0 

“b 

Trousseau 

+ 

+? 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

Laryngospas. 

25 

60 

49 

22 

22 

23 

43 

58 

48 

42 

30 

23 

25 

21 

30 

23 

5 

4 

5 

10 

38° 

Temperatur  37° 
36° 

Gewicht 
Ernährung 
Menge  1000 


8760 


8460 


8120 


8230 


8150 


8000 


7980 


7850 


8400 


8500 


600 


400 


200 


I 

Spasmophilie  und  Ernährung  im  frühen  Kindesalter.  789 

Abdampfen  der  Molken  gewonnene  Salze  als  ganzes,  so  erhält  man 
wohl  hier  und  da  einen  Ausschlag,  besonders  der  elektrischen  Werte 
ms  -Pathologische  hei  Verfütterung  von  Salzen, '  aber  nie  ist  bisher 
jemals  ein  so  klarer  eindeutiger  Einfluß  und  die  Rückkehr  des  ganzen 

feymptomenkomplexes  gesehen  worden,  wie  das  bei  den  Molken  oder 
der  Milch  so  auffällig  ist. 

...  Von  dem  gesagten  gibt  es  Ausnahmen,  doch  sind  diese  nicht 
häutig.  Unter  meinen  Beobachtungen  befinden  sich  Fälle,  wo  auch 
bei  Ernährung  mit  Frauenmilch,  Kasein-Fett,  Mehlsuppe  die  krankhaften 
Erscheinungen  wieder  auftraten.  Doch  geschah  das  nicht  in  der  stür¬ 
mischen  Weise  wie  bei  den  Molken,  sondern  erst  nach  einigen  Tagen 
normalen  Zustandes  kehrten  langsam  die  alten  Symptome  zurück.  Nie¬ 
mals  habe  ich  aber  das  Ausbleiben  des  pathologischen  auf  Molke- 

i  •  *  i  ^  .  in  den  Fällen,  deren  individuelle  Reaktionsfähig¬ 
keit  vorher  sicher  gestellt  war.  ö 


H.  N.,  ]Nr.  1858/09.  Fortsetzung  der  vorigen  Seite. 

13’E  16’;i-  20.il.  22. /I.  24. /l.  26./1.  28. /I.  30/1. 


790 


Hans  Risel, 


M 

Qi 

CD 

o3 

H 


ai 

Sh 

c3 

*“2 


00 

o 

00 

00 


Sh 

ft 

ft 

w 


QITOS 

1 

i 

°  5—i 

1 

y 

Qi  g 

H 

IO 

IO 

co 

8760 

bß 

Ö 

y 

43 

o3 

& 

Sh 

Qi 

03 

rP 

ü 

Qi 

bß 

Ö 

Qi 

s 

3 

PC 

y 

M 

03 

Ö 

y 

-+H 

<1 

30 

03 

•snoix 

+ 

•onj 

+ 

ZOH 

8,75 

ZOV 

© 

03" 

ZSV 

1 

ZSX 

1 

P=3 

© 

y 

iO 

rH 

c3 

p 

00 

© 

03 

03 

r— H 

t-H 

r-H 

© 

C— 

© 

T— H 

© 

t-H 

© 

t— H 

r-H 

r-H 

t-H 

r-H 

r-H 

r-H 

03 

^H 

r-H 

03 

O 

O 

GO 

Cb 

Ob 

Ol 

00 

-H 

O 

T* 

co 

CO 

O 

03 

00 

03 

O 

i>- 

o- 

IO 

© 

© 

IO 

C- 

IO 

0- 

I- 

© 

© 

i" 

E- 

C'- 

c- 

L"- 

co 

co 

co 

co 

co 

co 

CO 

co 

co 

CO 

co 

CO 

co 

co 

co 

CO 

co 

co 

co 

03 

l> 

03 

O 

O 

CO 

03 

CO 

O 

O 

GO 

CO 

03 

CX> 

03 

03 

Cb 

CO 

IO 

© 

t>* 

IO 

I— 

c- 

© 

t- 

c- 

© 

co 

£>- 

c- 

© 

i'- 

C" 

© 

© 

co 

co 

co 

co 

co 

co 

co 

co 

co 

co 

co 

co 

co 

co 

co 

co 

co 

co 

co 

© 

© 

© 

© 

© 

© 

© 

© 

© 

| 

| 

© 

1 

03 

| 

co 

1 

30 

1 

© 

1 

00 

1 

30 

1 

© 

1 

© 

1 

1 

1 

1 

03 

1 

r-H 

1 

© 

1 

© 

1 

00 

1 

1 

30 

00 

00 

00 

00 

OO 

c- 

i'- 

00 

OO 

O 

Sh 

ft 

PC 

PC 

PC 

<X> 

Sh 

M 

o 

Sh 

Qi 

© 

Qi 

44 

© 

Ö 

SJ 

44 

Qi 

Qi 

y 

r-H 

Sh 

PC 

PC 

PC 

PC 

y 

N 

eT 

ny 

o 

PS 

o 

N 

Sh 

rP 

o 

PS 

PC 

Sh 

-y 

o 

Ph 

PC 

Pc 

PC 

PC 

Pc 

P= 

PC 

o 

Ci 

y 

N 

^ - * 

O 

Ph 

30 

© 

Ph 

PC 

PC 

PC 

o 

30 

o 

S-T 

30 

PS 

a; 

Sh 

co 

A 

Qi 

O 

co 

PC 

PC 

PC 

PC 

-X- 

m 

o 

c3 

Qi" 

w. 

c3 

PC 

PC 

PC 

PC 

PC 

PC 

PC 

30 

* 

«N 

-+H 

0> 

^  p  p  p  p 

ä 

•  rH 

Qi 

02 

cQ 

M 

o  o  o  o  o 

xo  30  iO  30  io 

t>-  t"  L  "  t  -  tr- 


O  05  N  (M  CO 
CD  CQ  (M  W 


+  ®  ©  ©  © 


O  ©  -f- 


©^  ©^ 
<N  ©3 


30  50  30 

AA  A 


30  30 

IO  ©^  !>■  CO 
l-H  r-H  ©3  CO  CO 


Ol 

Ph 

0 

02 

2 

Qi 


Ö 

Qi 

4P 


o 

3© 

I> 


o 

30 

C" 


co  co 

■H  30 


©  © 


H — h 

-b  + 


00  30 


©  © 
r-T  CvT 


oo^  w  io  ©  © 

©>  ©)  l“H  l-H  O 


©^  ©^  00^  ©  © 
i— (  ©  ©  i— (  O 


f  K  C  S  R 
>Q  ©  ©  lO 

©  CT  CT  (M 

©  ©  30-  H  © 


00  00  OO  00  OO 

©  ©  ©  ©  © 


Cd  M  M  03  Ci 


(03  CO  ^  IO  ©  C— 


©  t— 

»N  *\ 

©  © 


so 

03  (03 

*\  »'s 

o  o 


p  p 

9  ° 

iß 

sO  30 


OO  00 

©  © 


(03  (03 


00  © 


H-3 

H-H 

Qi 

pH 


Qi 

«2 

OS 

M 

©©©©©©©© 
30  30  10  30  30  30  30  30 
io  io  to  io  to 


00(03©C030tO©C0 
H  H  CO  CQ  (03  03  CO  03 


©  ©  ©  ©  © 


hh  lO  ^-O  i_0  |  |  LO 

S-aS-aa  I  I  A 


co  ©  co  X?  |  | 

Ol"  03*'  CdT  A  A 


© 

IO 

co" 


30  30  30 

CO  03  30  03  03 


Sh 

Qi 

t/1 

t/1 

c3 


Qi 

^  PC  PC  p; 

Ö 

•  rH 

Qi 

m 

oi 

M 

©  ©  ©  © 
©  ©  03  00 
©  00  ©  00 


30  "H  © 


+ 


,  30  ,  30 

I  A  I  A 


30 

A 


©^ 

h" 


03 


30 

IO  ©  30  03  03 

rv  r«  r«  *s  «s 

<0  *"H  r-H  r-H  r-H 


Ci 

*N 

o 


p  p  p  p  p 

io  o  iO  kO  o 

H  C4  H  H  Ol 

©  00  SO  SO  H 


30 


aoooooooooooonoo 

©©©©©©©© 


0303030303030303 


Oh03C0^30©I> 

0303030303030303 


30 

IO 


© 

to 


30 

IO 


30 


o 

« 

30 


00  00  00  00 

©  o  ©  © 


03  03  03  03 


00  ©  ©  <— I 
03  03  CO  CO 


Spasmophilie  und  Ernährung,  im  frühen  Kindesalter.  791 


Sh 

CD 

CD 

3 

N 

Sh 

X 

o 

Ph 

o 

iß 

oT 


m 


CD 

k=H 

O 

© 

iß 

« 


<D 

£ 


OD 

co 

cö 

M 


es 


o  o  o  o 
o  o  o  o 
o  o  o  o 


©  ^  tß 


o  o  o  o 


-h 


o  o  o 


iß  iß  iß  iß 

A  A  A  A 


iß  Iß 

AA 


©^  lß^ 
iß  -Tfl 


r-H 

t-h 

t-H 

o 

r-H 

l-H 

o 

r-H 

t-H 

r-H 

T—l 

Cd 

T-H 

© 

Cd 

© 

T— H 

© 

t-h 

© 

t-H 

rH 

o 

00 

GO 

£> 

© 

O 

01 

rH 

O 

O 

Tf 

CO 

o 

Ol 

CO 

O 

Ci 

O 

O 

Iß 

t" 

CO 

co 

co 

© 

iß 

Iß 

Iß 

o- 

o- 

Iß 

© 

Iß 

iß 

© 

iß 

© 

iß 

iß 

CO 

CO 

co 

co 

co 

CO 

co 

co 

CO 

co 

co 

CO 

co 

co 

co 

co 

co 

co 

co 

co 

co 

er 

H< 

rH 

30 

Ol 

iß 

o 

CO 

O 

C0 

iß 

O 

co 

Ol 

O 

Ci 

CO 

o 

iß 

© 

CO 

CO 

co 

co 

© 

© 

© 

© 

© 

© 

© 

iß 

© 

iß 

iß 

© 

© 

© 

© 

© 

co 

CO 

CO 

co 

co 

co 

co 

co 

CO 

co 

co 

CO 

co 

co 

co 

co 

co 

co 

co 

co 

co 

o 

o 

© 

o 

o 

© 

© 

© 

© 

© 

© 

iß 

1 

iß 

I 

oo 

I 

Cd 

o 

1 

© 

1 

© 

1 

co 

1 

© 

| 

iß 

| 

tß 

1 

OS 

1 

iß 

1 

1 

iß 

1 

© 

1 

Iß 

1 

iß 

1 

co 

1 

Cd 

1 

Cd 

1 

tß 

tß 

tß 

iß 

Iß 

Iß 

tß 

Iß 

Iß 

Iß 

Iß 

o  cc  iß 


Iß 

CO  (M  ^ 


•S  »v 


f:  R  f;  F 

o  iß  o 

rH  iß 

C ^  CD  CD  io 


O  »  O  »)  Oj 

o  o  o  o 


CO  -^t1  iß  CO 


Sh 

OD 

44 

o 

33 

N 

Sh 

43 

O 

Ph 

o 

o 

iß 

< D 
33 
33 
=1 

co 

2 

od 


o 

o 

iß 


©  ©  © 

co  cci  cd 

tß  Tt*  rti 

•N 

43 

cd 


§  *  * 

33 

o3 

Sh 

pH 

O  o  o 
f'  QO  oo 
CO  iß  iß 


CO  oo 


Ol 


©  © 

©  © 

Iß  iß 

A  A 

4,2 

8,7 

r-H  t-H 

r-H  t-H 

F  F 

O  O 

iß  -T 

zo  co 

OS  OS  os 

o  o  o 


o  oo  o 


Sh 

CD 

44 

CD 

33 

N 

Sh 

B  B  B  B  B 

O 

Ph 

o 

o 

iß 

CD*' 

33 

33 

33 

co 

t  H 

^  »3  r  f;  p  f 

0> 

S 

o 

o 

IO 

O  O  O  O  O  O 

o  o  o  o  o  o 

^ 

•N 

43 

CD 

•  rH 

3  b  b  b  b  b 

43 

33 

w 

o  o  o  o  o  o 

o  o  o  o  o  o 

CO  co  co  co  co 


co  os 


00  co  co 


o  o  o  o  o  o 


iß 

iß  ©^  ©^  ©^  co^ 

Cd"  co"  co"  co"  co"  co" 


iß  iß  iß 

CO  (M  O  l>  t>  O 


co  co 


co 


iß  iß 

iß  O  Iß  Iß  Iß  1-H 

»s  »\  »N  *\  «>  »N 

O  t— <  O  ©>  ©>  t-h 


iß 

O  ©^  ©^  00 

t-h  t-h  t-h  <©  <©  ^3 


io  o  ics  o 

O  es  HT  rH 

iß  00  co  iß  I— l  CO 


cD  h  Oh  Oh  Oh  Oh  Oh 

o  o  o  o  o  o 


O  H  (N  80  H#  Iß 

co  co  co  co  co  co 


Sh 

CD 

44 

CD 

33 

N 

Sh 

43 

o 

pH 

o 

o" 

iO 

OD 

33 

33 

31 

cc 

3 

OD 


o 

o~~ 

iß 

es 


H-S> 

OD 

pH 

33 

Ö 

•iH 

OD 

03 

c3 

M 


d 


Ö 

OD 

44 

o 

a 

43 

33 

M 

o 

o 

co 


oooooooo 

oooooooo 

oooooooo 


00 


CO  ^  -n  H  CO  ^  t> 

‘  -■  '*'•4  i  i  i  ' 


o  o  o  o  o 


o  o  o 


++  I  + 


iß  ^  iß  O  I  ^3) 

iß"  A  A  A  tjT 


A 


CO  “?*?“?  O  CO  I  00 


co 


AAA 


co 


co 


iß  iß  co  co 


iß 


iß  iß 

O  C0  CO  OS  Iß  OS  I  OS 

T— H  t-H  t-H  O  <^> 


O  O  iß  ©  I  »o 
iß  tH  iß  co 

io  co  io  iO  1  CM 


qJp  0*p  «3  OS  O  •)  p 

oooooooo 


r-H  t-h  t-h  t-H  t-H  t-H  C\]  Cvl 

O  00  O  O  r-H  h  (N 

Cd  Cd  (M  Cd  CO  CO 


*)  Kasein-Fett  wurde  mit  Labessenz  ausgefällt,  mit  Wasser  gewaschen,  durchgesiebt  und  mit  Wasser  bis  zur  früheren  Milchmenge 
auf  geschwemmt. 

**)  Zur  Herstellung  der  Suppe  werden  die  statt  Wassers  nötige  Menge  Kuhmilch-Labmolken  verwendet. 


792  Hans  Risel,  Spasmophilie  und  Ernährung  im  frühen  Kindesalter. 

Zu r  weiteren  Erläuterung  der  Verhältnisse  diene  eins  der  Ver¬ 
such  sprotokolle,  In  den  übrigen  Fällen  wurde  in  ähnlicher,  systemati¬ 
scher  Weise  vorgegangen.  Die  elektrischen  Werte  sind  mit  Normal¬ 
elektroden  am  Medianus  festgestellt,  zuerst  die  Werte  für  die  Kathode 
dann  die  der  Anode.  Die  Laryngospasmen  wurden  von  Untersuchung  zu 
Untersuchung  gezählt. 

Herbert  N.,  Nr.  1858/08,  U/2  Jahr  alt,  wird  am  12.  Dezember  1908  wegen 
Stimmritzenkrampfes  eingeliefert.  Dieser  soll  schon  längere  Zeit  bestehen,  doch 
erst  innerhalb  der  letzten  Woche  vor  der  Einlieferung  bedrohlichen  Charakter 
angenommen  haben.  In  letzter  Zeit  war  das  Kind  mit  täglich  einem  Liter  Vollmilch 
ernährt  worden  und  hatte  daneben  nur  etwas  Zwieback  bekommen.  Uber  den  Ver¬ 
lauf  des  ersten  Jahres  kann  die  Ziehmutter  nur  aussagen,  daß  längere  Zeit  hindurch 
Ernährungsstörungen  bestanden  haben. 

Aufnahmebefund:  Mäßig  kräftiges,  etwas  blasses  und  pastöses  Kind,  mäßige 
Statik,  sitzt  eben,  läuft  nicht.  Rachitis  der  Knochen  des  Kopfes,  des  Thorax  und 
der  Extremitäten.  Mund  und  Rachenschleimhaut  ohne  Veränderung,  Respirations¬ 
und  Zirkulationssystem  frei  von  krankhaften  Erscheinungen,  leichte  Drüsen¬ 
schwellungen  in  allen  Gebieten.  Abdomen  groß,  aufgetrieben  und  gespannt,  mäßige 
Leber-  und  Milzvergrößerung.  Reflexe  etwas  lebhaft. 

Den  übrigen  Befund  und  den  hier  wesentlichen  Verlauf  ergibt  Tabelle  I. 
In  Tabelle  II  ist  der  Reaktionsverlauf  auf  200  ccm  Molkenfütterung  am  30.  Januar 
1909  wiedergegeben. 


Tabelle  II. 

Tageskurve:  H.  N.,  Nr.  1858/08,  l1/2  Jahre,  30.  1.  09. 


Zeit 

KSZ 

ASZ 

AÖZ 

KÖZ 

Fac. 

Ernährung 

5 50 

1,0 

1,3 

4,5 

>5 

0 

nüchtern 

7  • 

1,3 

1,5 

3,0 

4,5 

0 

6h-  200,0  Lab-Kuhmolken,  5 °/0  Rohr¬ 
zucker. 

810 

0,75 

1,25 

2,75 

4,0 

-j-  anged. 

95 

0,6 

1,3 

3,5 

3,8 

+ 

93°h.  130  Kasein  und  Fett,  Wasser, 

9  55 

1,0 

1J 

2,25 

3,5 

+ 

70  5°/0  Mehlsuppe,  5°/0  Rohr- 

12° 

0,8 

1,2 

2,25 

3,5 

0? 

zucker. 

^  40 

0,75 

1,1 

2,0 

3,25 

— 

1 h-  do. 

245 

0,6 

1,1 

2,0 

3,5 

+ 

3 50 

0,6 

1,25 

2,2 

4,25 

+ 

430h.  do. 

7° 

0,75 

1,3 

3,0 

4,5 

+ 

8° 

0,75 

1,1 

2,25 

4,5 

+ 

8  h.  .  do. 

Für  die  Therapie  ergehen  sich  die  Schlußfolgerungen  von  selbst. 
Sie  ist  neben  einer  medikamentösen,  Phosphorlebertran  0,01 : 100,0  zwei¬ 
mal  5,0  pro  die  und  Bromchloralhyratgahen  1,0 — 2,0  pro  die,  in  erster 
Linie  Sache  der  Ernährung.  Wo  schwere  Laryngospasmen  und  eklamp- 
tisehe  Zustände  bestehen,  wird  mit  5,0—10,0  Ol.  Ricini  abgeführt, 
eine  reine  Wasserdiät  auf  24  Stunden  gegeben  und  dieser  je  nach  Schwere 
des  Falles  eine  Ernährung  mit  5°/0  Mehlabkochungen  mit  3 — 5°/0 
Zuckerzusatz  auf  3 — 7  Tage  angeschlossen.  Der  Kaloriengehalt  dieser 
Mehlsuppe  kann  eventuell  mit  ausgefälltem  und  mit  Wasser  ausge¬ 
waschenem  Kasein-Fett  angereichert  werden.  Reine  Kasein-Fett- Wasser- 
aufschwemmungen  für  mehrere  Tage  sind  nicht  zu  empfehlen, 
sondern  es  soll,  so  bald  als  nach  Lage  des  Falles  möglich  erscheint, 
langsam  Milch  zugefüttert  werden.  Sind  dabei  auch  Rezidive  zu  be¬ 
fürchten,  so  hat  auch  eine  länger  als  8  Tage  ausgedehnte  Mehler- 


Lorand,  Der  Einfluß  der  Blutdrüsen  auf  die  Immunität  gegen  Infektionen  usw.  793 

nähning  und  besonders  eine  so  salzarme  Nahrung  wie  Kasein-Fett- 
Wasseraufschwemmungen  ihre  Gefahren  im  Säuglingsalter.  Letztere 
besonders  werden  bedenklich  durch  stärkere  Gewichtsverluste,  subnormale 
Temperaturen  und  unter  Umständen  durch  Eintritt  schwer  reparabler 
Kollapszustände. 

Nichts  verhütet  sicherer  als  die  natürliche  Ernährung  an  der  Brust 
das  Auftreten  der  Spasmophilie.  Wo  es  aber  zur  Flaschenernährung 
gekommen  ist,  da  muß  diese  mit  knappen  Milchmengen,  d.  h.  3/4  Liter 
bis  höchstens  1  Liter  Milch  pro  die  durchgeführt  werden,  wenn  die  Ge¬ 
fahren  des  Laryngospasmus  und  der  Eklampsie  mit  einiger  Sicherheit 
vermieden  werden  sollen. 

Zum  Schluß  aber  sei  gesagt,  daß  der  Ernährung,  so  wichtig  ihr 
Einfluß  ist,  doch  nur  eine  auslösende  Bolle  bei  der  Erkrankung  zu¬ 
kommt,  und  daß  sie  nur  einer  jener  Faktoren  ist,  welche  überhaupt 
spasmophile  Erscheinungen  zutage  treten  lassen  können.  Die  verschie¬ 
dene  Wirkung  der  einzelnen  Milcharten  dabei  ist  offenbar  begründet 
in  physikalischen  und  chemischen  quantitativen  Unterschieden,  deren 
Einfluß  durch  die  individuell  außerordentlich  wechselnde  Beaktions- 
fähigkeit  der  Kranken  hochgradig  modifiziert  wird.  Es  steht  zu  er¬ 
warten,  daß  durch  das  Studium  spasmophiler  Symptome  bei  kranken 
Brustkindern  und  bei  Verfütterung  von  Frauenmilch  an  mit  Spasmophilie 
erkrankte  und  gegen  sie  individuell  sehr  empfindliche  Kinder  die  Klinik 
dieser  Erkrankung  noch  um  manches  bereichert  werden  wird.  Weitere 
solche  Studien  sind  aber  nötig,  da  sich  bisher  keine  Lehre  über  das 
Wesen  der  Spasmophilie  allgemeine  Anerkennung  hat  verschaffen  können. 

Literatur: 

Finkeistein:  Fortschritte  der  Medizin,  Bd.  20,  1902. 

„  Lehrbuch  der  Säuglingskrankheiten,  Berlin  1905,  Kornfeld. 

Escherich:  Die  Tetanie  des  Kindes,  Wien  u.  Leipzig,  ly08,  Alfred  Hoelder. 

Hier  Literaturzusammenstellung  bis  Sommer  1908. 

Soltmann:  Gerhardßsches  Handbuch  der  Kinderkrankheiten  1880,  ältere  Literatur. 


Der  Einfluß  der  Blutdrüsen  auf  die  Immunität  gegen  Infektionen 

und  Intoxikationen. 

Von  Dr.  Lorand,  Karlsbad. 

Seit  unserer  Geburt  sind  wir  fortwährend  den  unermüdlichen  An¬ 
griffen  zahlloser  Bakterien  wie  auch  einer  großen  Menge  von  Giftstoffen 
ausgesetzt,  welche  entweder  von  außen  in  den  Körper  gebracht,  oder 
hier  selbst,  $o  z.  B.  durch  die  Vorgänge  des  Stoffwechsels,  gebildet 
werden.  Wenn  wir  nun  imstande  sind,  diesen  endlosen  Angriffen  zu 
trotzen  und  uns  in  guter  Gesundheit  zu  erhalten,  so  haben  wir  dies 
dem  Umstande  zu  verdanken,  daß  wir  über  eine  Anzahl  mächtiger 
Waffen  zur  Führung  dieses  Kampfes  verfügen.  Wir  besitzen  näm¬ 
lich  eine  Beihe  drüsiger  Organe,  die  uns  in  diesem  Kampfe,  in  dem 
es  auf  Leben  und  Tod  geht,  beschützen.  Es  sind  dies  die  Blutdrüsen, 
insbesondere  die  Schilddrüse  —  Nebenschilddrüsen,  die  Nebennieren, 
die  Geschlechtsdrüsen,  wie  auch  Leber  und  Nieren. 

Von  allen  spielt  aber  die  Schilddrüse  die  wichtigste  Bolle,  da  sie 
die  ausgesprochensten  antitoxischen  Eigenschaften  besitzt,  wie  dies  aus 
den  Untersuchungen  einer  Beihe  von  Forschern  hervorgeht.  So  zeigten 
Charrin  und  andere,  daß  Hunde,  welchen  die  Schilddrüse  entfernt 
wurde,  sehr  bald  allen  möglichen  Infektionen  erlagen.  Greenfield 


794  Lorand, 

fand,  daß  Personen,  die  an  Myxödem,  also  an  einem  Zustande,  wo  die 
Schilddrüse  degeneriert,  leiden,  sehr  häufig  Tuberkulose  akquirieren. 

Ebenso  konstatierte  Pel  in  Amsterdam,  daß  die  Tuberkulose  sehr 
häufig  in  den  Familien  myxödematöser  Personen  auf  tritt.  Möglicher¬ 
weise  steht  dies  mit  der  von  G.  R.  Murray  erwähnten  Tatsache  in 
Verbindung,  daß  die  Eigenschaften  der  Schilddrüse,  also  ihr  degene¬ 
rierter  Zustand,  auch  in  der  Regel  vererbt  wird,  was  übrigens  Lanz 
in  Amsterdam,  der  frühere  Assistent  Kocher’s  auch  an  Tieren,  z.  B. 
Ziegen  experimentell  demonstrieren  konnte. 

Wie  ich  am  letzten  Internationalen  Kongreß  für  Tuberkulose  in 
Paris  1905  gezeigt  habe,  kann  man  die  Tuberkulose  auffallend  häufig 
in  allen  den  Zuständen  antreffen,  wo  die  Schilddrüse  krankhaft  ver¬ 
ändert  ist,  oder  wo  sie  sich  in  einem  erschöpften  Zustande  befindet.  So 
kommt  die  Tuberkulose  überaus  häufig  nach  der  Schwangerschaft  vor, 
besonders  dann,  wenn  das  Kind  zu  lange  gesäugt  wird,  und  ebenso 
nach  geschlechtlichen  Exzessen.  Auch  tritt  sie  häufig  nach  vorher¬ 
gehenden  Infektionskrankheiten  auf,  nach  raschem  Wachstum  in  der 
Pubertät,  nach  schwerem  Diabetes,  sowie  auch  bei  chronischem  Alko¬ 
holismus.  Daher  können  wir  uns  durch  Agenzien,  welche  die  Schild¬ 
drüse  zu  einer  besseren  Tätigkeit  anregen,  so  durch  Fleisch-  und  Milch¬ 
kost,  gegen  die  Tuberkulose  wehren. 

Die  Schilddrüse  bewahrt  uns  auch  gegen  Gifte  verschiedenen  Ur¬ 
sprunges,  so  gegen  die  Produkte  des  Eiweißzerfalles,  wie  dies  aus 
den  Untersuchungen  von  Breisacher  und  F.  Blum  hervorgeht.  Blum 
behauptete  direkt,  daß  die  Schilddrüse  die  aus  dem  Zerfalle  des  Ei¬ 
weißes  sich  im  Darme  bildenden  Toxine  entgiftet.  Hierauf  beziehen 
sich  auch  die  experimentellen  Ergebnisse  von  Chalmers  Watson.  und 
Forsyth.  Galeotti  und  Lindemann  fanden  auch,  daß  gewisse  Pro¬ 
dukte  des  Eiweißzerfalles  imstande  sind,  die  Kolloidsubstanz  der  Schild¬ 
drüse  zu  vermehren.  Diese  Substanz  der  Schilddrüse  ist  aber  ihr  wahres 
Sekret.  Als  wichtiges  Element  enthält  sie  Jod,  das  aber,  wie  Oswald 
nachgewiesen,  an  die  Gegenwart  von  Kolloidsubstanz  gebunden  ist. 
Eine  Schilddrüse  ohne  Kolloid  hat  auch  kein  Jod.  Wenn  also  die 
Schilddrüse  mehr  Kolloid  abgibt,  so  gibt  sie  auch  mehr  Jod  ab. 

Nach  meinen  Untersuchungen  findet  man  auch  mehr  Kolloid¬ 
substanz  in  der  Schilddrüse  nach  der  Narkose  mit  Chloroform1-).  Wir 
können  dies  als  einen  Abwehrvorgang  der  Schilddrüse  gegen  das  Chloro¬ 
form  auffassen,  um  so  mehr,  da  Lanz  wie  auch  Walter  Edmunds 
nachgewiesen  haben,  daß  Tiere,  deren  Schilddrüse  exstirpiert  ist,  der 
Narkose  nur  schlecht  widerstehen.  Wie  gegen  das  Chloroform  scheint 
aber  die  Schilddrüse  uns  auch  gegen  andere  Gifte,  z.  B.  den  Alkohol 
zu  schützen.  Hierauf  bezieht  sich  die  interessante  und  von  Möbius 
hervorgehobene  Tatsache,  daß  manche  Frauen,  die  an  der  Basedo  w’schen 
Krankheit  leiden,  einen  dem  Alkoholrausche  ganz  ähnlichen  Zustand 
zeigen,  ohne  einen  Tropfen  Alkohol  getrunken  zu  haben.  Nun  ist 
aber  die  Basedow'sche  Krankheit  ein  Zustand  der  Ubertätigkeit  der 
Schilddrüse. 

Der  Umstand,  daß  Patienten,  die  von  Basedo  w’scher  Krankheit 
befallen  sind,  sowie  auch  Diabetiker,  bei  denen  nach  meinen  Unter¬ 
suchungen  die  Schilddrüse  sehr  häufig  verändert  ist,  die  Narkose  nicht 


9  C.  R,  S.  Biologie  25.  April  1906. 


Der  Einfluß  der  Blutdrüsen  auf  die  Immunität  gegen  Infektionen  usw.  795 


gut  vertragen,  mag  damit  in  engem  Zusammenhang  stehen.  Sehr  inter¬ 
essant  ist  es,  daß  wie  Schur  und  Wiesel  nachgewiesen,  die  Narkose 
auch  an  den  Nebennieren  Veränderungen  und  erhöhte  Sekretion  her¬ 
vorruft. 

Vor  einigen  Jahren  wurde  von  Hunt  gezeigt,  daß  die  Schild¬ 
drüse  uns  gegen  Gifte,  wie  das  Aoetonitril,  beschützt.  Er  zeigte  auch, 
daß  das  Jod  durch  die  Schilddrüse  wirke.  Garnier  wies  nach,  daß 
gewisse  chemische  Produkte,  z.  B.  Jod,  große  Änderungen  an  der  Schild¬ 
drüse  hervorrufen,  zuerst  Übertätigkeit  und  dann  Erschöpfung  mit 
Pehlen  von  Kolloid. 

Nicht  nur  gegen  chemische  Gifte,  sondern  auch  gegen  die  bak¬ 
teriellen  Toxine  kann  uns  die  Schilddrüse  beschützen,  was  auch  aus 
den  Untersuchungen  einer  Beihe  von  Forschern  hervorgeht,  die  fanden, 
daß  sich  die  Schilddrüse  hei  Infektionskrankheiten  in  einem  Zustande 
der  Ubertätigkeit  befindet,  die  später  in  einen  Erschöpfungszustand 
übergehen  kann. 

Von  diesen  Forschern  erwähne  ich  besonders  Hoger  und  Gar¬ 
nier,  Grispino,  Torri  Bayon  in  Würzburg,  de  Quervain  in  Freiburg. 

Hoger  und  Garnier  zeigten  an  vielen  Autopsien,  wie  auch  Tier¬ 
experimenten,  daß  bei  fieberhaften  infektiösen  Krankheiten  die  Schild¬ 
drüse  eine  bedeutende  Ubertätigkeit  mit  einer  manchmal  gewaltigen 
Vergrößerung  der  Follikel  aufweist,  welche  mit  einer  großen  Menge 
von  Kolloidsubstanz  derart  überfüllt  sind,  daß  diese  sogar  in  die  um¬ 
gebenden  Lymphräume  austreten  kann.  Auf  diese  Ubertätigkeit  der 
Schilddrüse  kann  aber  ihre  Erschöpfung  folgen,  so  daß  nach  einer  ge¬ 
wissen  Dauer  eines  hohen  Fiebers  man  in  den  Follikeln  überhaupt 
gar  kein  Kolloid  mehr  antreffen  kann.  Es  ist  daher  ganz  logisch, 
wenn  wir  annehmen,  daß  einem  solchen  pathologisch-anatomischen  Be¬ 
fund,  welcher  auf  eine  Ubertätigkeit  der  Schilddrüse  hindeutet,  auch 
das  klinische  Bild  einer  Übertätigkeit  dieser  Drüse  entsprechen  muß. 
Dieses  muß  aber  notwendigerweise  ähnlich  sein  dem  Bilde,  welches 
wir  in  dem  Zustande  der  Ubertätigkeit  der  Schilddrüse  y.a%  s<zo%ijv, 
nämlich  in  der  Basedow’schen  Krankheit  vorfinden. 

Das  typische  Symptom  einer  allgemeinen  Infektion  ist  das  Fieber. 
Ohne  jede  Fieberbewegung  besteht  schwerlich  oder  nur  sehr  selten  eine 
allgemeine  Infektionskrankheit.  Eine  lokale  Infektion  kann  ohne  Fieber 
besteben,  wenn  aber  diese  sich  ausbreitet  und  allgemein  wird,  so  rafft 
sich  der  Körper  zu  einer  energischen  Abwehr  auf  und  erzeugt  so  das 
Fieber.  Daß  beim  Entstehen  desselben  aber  die  Schilddrüse  die  Haupt¬ 
rolle  spielen  mag,  geht  aus  der  Tatsache  hervor,  daß  das  Fieber  wohl 
bei  allen  schweren  Infektionskrankheiten  mit  allgemeinen  Erscheinungen 
die  typischen  Symptome  einer  Übertätigkeit  der  Schilddrüse  aufweist, 
so  wie  wir  dies  auch  in  der  Basedow’schen  Krankheit  finden.  In 
beiden  Zuständen  haben  wir  als  typisches  Hauptsymptom  die  Tachy- 
kardie,  eine  Vermehrung  des  Pulses;  ohne  diese  kann  man  eine  wahre' 
Basedow’sche  Krankheit  nicht  diagnostizieren.  Es  besteht  in  den 
meisten  Fällen  dieser  Erkrankung  ein  Hitzegefühl,  und  die  Hitze  kann 
sogar  in  manchen  Fällen  als  Hyperpyrexie  hohe  Grade  erreichen,  ja 
sogar  Todesfälle  sind  bei  einigen  solchen  Basedow’schen  Kranken  be¬ 
obachtet  worden.  Der  Durst,  ein  häufiges  Fiebersymptom,  kann  eben¬ 
falls  bei  beiden  auftreten.  So  hat  Albert  Kocher  14  Fälle  von  Poly- 
dipsie  in  59  Fällen  verzeichnet.  Ähnliches  kann  auch  künstlich  durch 
Schilddrüsengaben  erzeugt  werden,  wie  Lanz,  Georgiewski  und 


796  Lorand, 

andere  gefunden  haben.  Nach  einer  gewissen  Dauer  des  Fiebers  können 
auch  andere  Symptome  einer  erhöhten  Tätigkeit  der  Schilddrüse  sich 
einstellen,  so  reichliches  Schwitzen  —  auch  ein  typisches  Basedow - 
Symptom,  das  ebenfalls  künstlich  durch  Verabreichung  von  Schilddrüsen¬ 
auszügen  erzeugt  werden  kann. 

Alle  diese  Symptome  sind  der  Ausdruck  einer  Selbsthilfe  der 
Natur.  Sie  werden  erzeugt,  damit  unser  Körper  mit  ihrer  Hilfe  giftige 
Produkte  ausscheiden  kann.  Wenn  dies  erfüllt  ist,  so  pflegt  ein  iU> 
fallen  der  Temperatur  und  damit  eine  Besserung  des  Fieberzustandes 
auf  zu  treten. 

Ähnlich  wirkt  auch  die  Diarrhöe,  die  wir  in  manchen  Infektions¬ 
krankheiten,  so  bei  Typhus,  Trypanosomiasis  usw.  vorfinden,  und  welche 
auch  ein  typisches  Symptom  der  Basedow’schen  Krankheit  darstellt. 
Hierher  gehört  ferner  die  Polyurie,  ebenfalls  ein  Basedow  Symptom, 
welches  nach  dem  Auf  hören  des  Fiebers  auf  treten  kann  und  giftige 
Stoffe  aus  dem  Körper  befördert.  Um  diese  Analogie  zu  vervollkomm¬ 
nen,  möchte  ich  noch  den  toxischen  Eiweißzerfall,  das  Sinken  des  Körper¬ 
gewichtes,  große  Muskelschwäche  und  die  vermehrte  Ausscheidung  von 
Harnstoff  und  Harnsäure  anführen,  welche  man  alle  bei  beiden  Krank¬ 
heitszuständen  als  typische  Symptome  an  treffen  kann.  Ebenso  ist  die 
Schlaflosigkeit  im  Fieber  ein  typisches  Symptom  des  Basedow  und 
kann  auch  durch  Schilddrüsengaben  erzeugt  werden. 

Wie  bei  der  Basedow’schen  Krankheit  besteht  auch  beim  Fieber 
eine  Erhöhung  der  Oxydationsvorgänge.  Ebenso  kommen  Glykosurie 
und  Azetonurie  bei  beiden  Zuständen  häufig  vor.  Hiermit  mag  auch 
das  Auftreten  einer  spontanen  Glykosurie  oder  selbst  eines  Diabetes 
nach  einer  vorhergehenden  Infektionskrankheit  Zusammenhängen.  Der 
infolge  der  Ubertätigkeit  der  Schilddrüse  bei  Infektionskrankheiten 
entstandene  Diabetes  kann  aber  im  Gegensatz  zu  anderen  Diabetesfälien 
nach  einer  gewissen  Zeitdauer  durch  die  darauf  folgende  Erschlaffung 
der  Schilddrüse  wieder  verschwinden,  es  wird  dann  zu  einem  myxöde- 
matösen  Zustande  kommen,  in  dem  aber  die  Glykosurie  äußerst  selten 
vorkommt  und  die  wenigen  publizierten  Fälle  betreffen  keinen  echten 
Fall  von  Myxödem. 

Sowohl  im  Fieber  als  bei  der  Basedow’schen  Krankheit  sind  die 
Stoffwechselprozesse  erhöht.  Infolge  der  Erschöpfung  der  Schilddrüse 
kann  es  daher  zu  einer  Verminderung  derselben  kommen,  und  häufig 
kann  man  nach  einer  ausgeheilten  Infektionskrankheit  eine  Fettsucht 
auftreten  sehen,  welche  ich,  wie  schon  gesagt,  als  endogene  Fettsucht 
bezeichnete  und  den  Veränderungen  der  Schilddrüse  zuschrieb. 

Das  Delirium  sowie  maniakalische  Exaltationszustände  in  den 
Fällen  hohen  Fiebers  sind  Analoga  zu  den  Exaltationszuständen,  welche 
man  manchmal  bei  B  ased  ow kranken  beobachtet.  Daß  bei  solchen 
ein  dem  Alkoholrausche  ähnlicher  Zustand  auftreten  kann,  haben  wir 
schon  oben  erwähnt. 

Als  weitere  Begleiterscheinungen  sowohl  des  Eiebers  als  der  Base¬ 
dow’schen  Krankheit  sind  die  Hautausschläge  zu  betrachten,  die  im 
allgemeinen  durch  die  Ausscheidungen  von  giftigen  Produkten  durch  die 
Haut  hervorgerufen  werden. 

Tonsillitis  ist  ebenfalls  eine  häufige  Erscheinung  sowohl  im  Eieber 
wie  auch  beim  Basedow.  Ich  konnte  sie  auch  an  mir  selbst  experi¬ 
mentell  durch  Gaben  von  Schilddrüsenpräparaten  oder  von  Jod  er¬ 
zeugen.  Möglicherweise  hängt  dieses  Phänomen  mit  den  für  wahr- 


Der  Einfluß  der  Blutdrüsen  auf  die  Immunität  gegen  Infektionen  usw.  797 

scheinlich  anzunehmenden  antitoxischen  Eigenschaften  der  Tonsillen  zu¬ 
sammen. 

Alle  diese  angeführten  Fiebersymptome  können  wir  als  den  Aus¬ 
druck  eines  Heilbestrebens  unseres  Körpers  ansehen,  welcher  durch  ihre 
Vermittlung  sich  giftiger  Produkte  entledigen  will.  Die  Infektionen 
im  allgemeinen  wirken  auf  die  Schilddrüse  ein,  und  sie  wieder  er¬ 
zeugt  durch  ihre  Ubertätigkeit  Symptome  ähnlich  denen,  die  wir  bei 
der  Basedow’ sehen  Krankheit  beobachten  können.  Daß  man  diese 
Symptome  insbesondere  das  reichliche  Schwitzen,  die  Diarrhöen,  welche 
bei  manchen  Infektionen  z.  B.  Typhus  auftreten,  weiter  die  Polyurie 
als  direkte  Folgen  einer  Erregung  der  Schilddrüse  betrachten  kann, 
geht  am  besten  aus  der  Tatsache  hervor,  daß  auch  die  Schilddrüse 
die  Funktionen  der  Haut,  des  Darmesi,  der  Nerven  in  großem  Maße 
beeinflußt ;  denn  wenn  sie  exstirpiert  oder  degeneriert  ist,  sind  alle 
diese  Funktionen  vermindert,  aber  im  entgegengesetzten  Zustande,  der 
B  a  s  e d o w’schen  Krankheit,  erhöht. 

Bezüglich  der  Nieren  möchte  ich  auf  meine  Mitteilung  an  die 
Pariser  Biologische  Gesellschaft  vom  25.  Februar  1907  hinweisen,  in 
welcher  ich  den  Nachweis  zu  führen  versuchte,  daß  die  Nieren  und 
Schilddrüse  in  sehr  engen  Beziehungen  zueinander  stehen  und  daß  die 
Gicht  durch  eine  Degeneration  der  Schilddrüse  und  nachfolgender  Reten¬ 
tion  der  Harnsäure  erzeugt  wird. 

Durch  die  Behandlung  mit  Schilddrüsenpräparaten  können  wir  die 
Ausscheidung  der  Harnsäure  manchmal  sogar  bedeutend  vermehren.  Im 
Myxödem,  dem  Zustande  der  Athyroidie,  ist  der  Harn  vermindert,  und 
seine  festen  Bestandteile  werden  in  der  Regel  auch  in  geringerer  Menge 
ausgeschieden.  Das  Gegenteil  beobachten  wir  bei  der  Basedo w’schen 
Krankheit,  dem  Zustande  der  Hyperthyroidie.  Hier  wie  auch  im  Fieber 
ist  die  Ausscheidung  des  Harnes  ebenso  wie  seine  soliden  Bestandteile 
vermehrt.  Einen  ähnlichen  Erfolg  erreichen  wir  auch  durch  Schilddrüsen¬ 
gaben,  wie  ich  dies  schon  in  meinen  verschiedenen  Arbeiten  gezeigt  habe. 
Das  Ähnliche  ist  auch  im  Diabetes  der  Fall,  bei  dessen  Entstehung  die 
Schilddrüse  eine  große  Rolle  spielt  (Lorand). 

Daß  die  obigen  Symptome  des  Fiebers  der  Übertätigkeit  der  Schild¬ 
drüse  zugeschrieben  werden  können,  geht  auch  zur  genüge  aus  der  Tat¬ 
sache  hervor,  daß  man  diese  Fiebersymptome  künstlich  durch  Verab¬ 
reichung  von  Schilddrüsenpräparaten  hervorrufen  kann,  was  ich  auch 
an  mir  selbst  zu  beobachten  Gelegenheit  hatte.  Wenn  ich  eine  Zeitlang 
Schilddrüsenpräparate  nahm,  konnte  ich  an  mir  selbst  Hitze,  rascheren 
Puls  und  ein  reichliches  Schwitzen  konstatieren.  Interessant  war  es 
ferner,  daß  alle  Wunden  und  Exkoriationen,  die  ich  während  meiner 
durch  mehrere  Jahre  mit  längeren  Intervallen  vorgenommenen  Eigen¬ 
versuche  erhielt,  ohne  jede  Eiterung  rasch  heilten,  viel  besser  als  in  der 
Zeit  vor  diesen  Versuchen. 

Fieberähnliche  Symptome  durch  Schilddrüsengaben  wurden  von 
einigen  Autoren  auch  an  Tieren  hervorgerufen.  So  sah  Lanz,  eine  Er¬ 
höhung  der  Pulsschläge  von  100  auf  140 — 160  und  Georgiewski  eine 
solche  auf  150 — 200  Schläge  eintreten. 

Ballet  und  Enrique z  erzeugten  ebenfalls  dadurch  ein  regel¬ 
rechtes  Fieber  bei  ihren  Tieren.  Easterbrook  erreichte  eine  Tempe¬ 
raturerhöhung,  „some  pyrexia“,  wie  er  bemerkt,  und  eine  Pulsvermeh¬ 
rung  um  40  Schläge  in  der  Minute.  Tannberg,  der  frühere  Assistent 
des  Physiologischen  Institutes  des  Universität  in  Christiania,  gab  mir 


798 


Eckermann,  Ueber  Thyresol,  ein  neues  Sandelölpräparat. 


an,  daß  er  nach  großen  Dosen  von  Schilddrüse  bei  Tieren,  denen  er 
dieselbe  vorher  exstirpierta,  eine  Temperaturzunahme  von  21/2  Graden 
beobachten  konnte.  Weiter  ist  von  der  größten  Wichtigkeit,  daß  die¬ 
jenigen  Arzneimittel,  welche  wir  gegen  das  Fieber  anwenden,  ähnliche 
Symptome  her  verrufen,  wie  die  Ubertätigkeit  der  Schilddrüse.  So  be¬ 
wirken  Salizylate  eine  Vasodilatation  und  reichliches  Schwitzen,  worauf 
Besserung  des  Zustandes  mit  Temperaturabfall  erfolgt.  An  mir  selbst 
konnte  ich  erproben,  wie  sich  nach  solchen  Präparaten  zuerst  Hitze 
und  dann  Schwitzen  einstellte.  Wenn  wir  gegen  eine  Erkältung  oder 
gegen  gichtische  Schmerzen  ein  heißes  Schwitzbad  nehmen,  so  entsteht 
zunächst  eine  Vasodilatation;  ein  großes  Hitzegefühl  tritt  ein,  der 
Puls  wird  rascher,  manchmal  fliegend,  und  hierauf  endlich  folgt  reich¬ 
liches  Schwitzen.  Indem  wir  also  künstlich  ein  Fieber  mit  den  Svm- 
ptomen  einer  Schilddrüsentätigkeit  erzeugen,  helfen  wir  der  Natur  in 
ihrem  Selbstheilbestreben  nach,  giftige  Stoffe  zu  vernichten  und  zu 
eliminieren.  Daß  Arzneimittel,  wie  z.  B.  das  Jod  durch  die  Schild¬ 
drüse  ihre  Tätigkeit  ausüben,  haben  wir  schon  oben  erwähnt.  Es  liegt 
nun  nahe  anzunehmen,  daß  die  verschiedenen  Arzneimittel,  die  wir 
zur  Bekämpfung  des  Fiebers  anwenden,  dies  auf  dem  Wege  durch  die 
Schilddrüse  besorgen.  Geben  wir  aber  zuviel  von  ihnen,  so  könnte  die 
Gefahr  der  Erschöpfung  dieser  wichtigen  Drüse  entstehen.  Garnier 
fand  daher  nach  großen  Dosen  Jod  eine  Verminderung,  ja  ein  totales 
Verschwinden  der  Kolloidsubstanz  der  Schilddrüse.  Kocher  erwähnt 
ähnliches.  Auch  wissen  wir,  daß  wir  einen  weichen  kolloidhaltigen 
Kropf  durch  große  Gaben  von  Jodkali,  ja  selbst  durch  Salben  mit  Jod 
zum  Verschwinden  bringen  können. 

Stets  aber  haben  wir  uns:  bei  Bekämpfung  des  Fiebers  von  In¬ 
fektionskrankheiten  zu  hüten,  allzu  große  Dosen  Antipyretica  zu  geben. 
Nur  wenn  es  zu  hohe  gefährliche  Grade,  wie  etwa  beim  Typhus,  erreicht, 
müssen  wir  energischer  einschreiten.  Mit  bewährten  Arzneimitteln  haben 
wir  die  Natur  in  ihrem  Heilbestreben  zu  unterstützen,  nie  aber  dürfen 
wir  gegen  sie  arbeiten.  (Schluß  folgt).  • 


lieber  Thyresol,  ein  neues  Sandelölpräparat. 

Von  Er.  Eckermann,  Berlin. 

Spezialarzt  für  Haut-  und  Harnleiden. 

Die  Literatur  der  letzten  Monate  brachte  verschiedene  Publika¬ 
tionen  über  einen  Arzneistoff,  der  eine  verbesserte  Form  des  Sandel¬ 
öls  vorstellt,  ein  Mittel,  das  den  Zweck  verfolgt,  nicht  nur  therapeu¬ 
tisch  das  Sandelöl  vollkommen  zu  ersetzen,  sondern  die  Nebenwirkungen, 
die  letzterem  zukommen,  soweit  dies  überhaupt  möglich  ist,  auszu¬ 
schalten.  Dieses  Präparat,  das  Thyresol,  ist  der  Methyläther  des 
Santalols ;  das  Santalol  wiederum,  der  Alkohol  des  Sandelöls,  der  Haupt- 
träger  seiner  therapeutischen  Wirkung.  Da  diese  Zeitschrift  über  das 
genannte  Mittel  eine  Mitteilung  noch  nicht  publizierte,  wollte  ich  nicht 
unterlassen,  den  Leserkreis  auf  dieses  Produkt  der  Elberfelder  Farb¬ 
werke  hinzuweisen.  Die  Referate  hierüber  lassen  ja  bereits  erkennen, 
um  was  es  sich  handelt;  es  soll  deshalb  nur  kurz  zusammengefaßt 
werden,  daß  aus  dem  Thyresol,  also  dem  Santalolmethyläther,  innerhalb 
des  Organismus  kein  Santalol  abgespaltet  wird,  der  Stoff  wird  viel¬ 
mehr  als  solcher  resorbiert  und  gelangt  als  solcher  zur  Wirkung.  Hier¬ 
aus  ergibt  sich  auch,  daß  die  dem  Sandelöl  und  einigen  hieraus  her- 


Referate  und  Besprechungen. 


799 


gestellten  Präparaten  zukommenden  Nebenwirkungen  bei  dem  Thyresol 
fortfallen  oder  wenigstens  bis  zu  einem  zulässigen  Maße  verringert 
werden.  So  beachtet  man  nur  in  wenigen  Fällen  Auf  stoßen,  und  wenn 
es  einmal  auf  tritt,  nur  in  geringerem  Maße.  Man  beobachtet  keine 
Magen  Störungen  und  keine  Reizungen  der  Nieren,  kurzum  es  besitzt 
in  dieser  Hinsicht  V orzüge  vor  dem  Gonosan,  dem  Sandelholzöl  und 
auch  dem  Santalol. 

Nachdem  sich  eine  Reihe  bekannter  Praktiker  mit  der  Prüfung 
des  Thyresols  befaßt  haben  und  ein  durchaus  günstiges  Urteil  hier¬ 
über  abgaben,  glaubte  ich  mich  berechtigt,  das  Mittel  auch  in  meiner 
eigenen  Praxis  zu  erproben  und  es  geschah  dies  bei  einer  ganzen  An¬ 
zahl  von  Patienten.  Es  kann  hier  nicht  meine  Aufgabe  sein,  in  einer 
Kasuistik  dasjenige  niederzulegen,  was  ich  als  Vorzüge  des  Präparates 
sah,  aber  ich  halte  es  doch  angesichts  der  günstigen  Erfolge  für  an¬ 
gezeigt,  zu  erklären,  daß  das  Thyresol  gewisse  vorteilhafte  Eigen¬ 
schaften  besitzt,  so  eine  gute  Verträglichkeit  seitens  des  Magens  und 
der  Nieren  und  demzufolge  Vorzüge  gegenüber  den  bekannten  Stoffen. 
Man  kann  getrost  sagen,  daß  es  therapeutisch  genau  dasselbe  leistet 
wie  das  Sandelöl,  man  kann  des  weiteren  als  feststehend  betrachten, 
daß  das  Thyresol  eine  schmerzlindernde  Wirkung  und  einen  günstigen 
Einfluß  auf  die  Sekretion  ausübt,  daß  es  demzufolge  also  alle  die¬ 
jenigen  Eigenschaften  in  sich  vereinigt,  die  wir  vom  ostindischen 
Sandelöl  sehen  und  von  ihm  erwarten  können. 

Ein  besonderer  Vorzug  vor  den  bekannten  Kapseln  besteht  noch 
darin,  daß  das  Thyresol  mit  Magnesia  carbon.  zu  Tabletten  kom¬ 
primiert  ist,  die  eine  anregende  Wirkung  auf  die  Peristaltik  ausüben, 
während  ja  bekanntlich  Ol.  santali  öfter  starke  Stuhlverstopfung  her¬ 
vorruft  ;  es  wird  hierdurch  u.  a.  das  Eintreten  einer  Epididvmitis 
verhindert. 

Da  der  Preis  von  Mk.  2, —  für  eine  Schachtel  Thyresoltabletten 
in  der  Privatpraxis  ein  nicht  zu  hoher  ist,  so  dürfte  sich  die  Einführung 
des  Präparates  auch  in  die  Kassenpraxis  empfehlen  (für  Kassen  1,80). 

Ich  halte  diese  meine  Beobachtungen  einer  Wiedergabe  und  weite¬ 
ren  Nachprüfung  wert. 


Referate  und  Besprechungen. 

Chirurgie. 

Ueber  die  Prophylaxis  der  chirurgischen  Infektionen  vermittels  präventiver 

Immunisierung. 

(Guidi  Lerda.  Archiv  für  klm.  Chir.,  Bd.  85,  H.  4.) 

Auf  Grund  von  experimentellen  und  klinischen  Versuchen,  die  ein¬ 
gehend  beschrieben  sind  und  einer  sorgfältig  gesammelten  in-  und  ausländischen 
Literatur  (164  Nr.),  kommt  Lerda  zu  folgenden  Ergebnissen: 

Bei  Kaninchen  und  Meerschweinchen  kann  man  durch  Einimpfen  von 
Gemischen  aus  sterilisierten  Kulturen  vielfacher  Varietäten  von  Staphylo- 
und  Streptokokken  oder  ihrer  Filtrate  (Endotoxine)  einen  beträchtlichen  Grad 
von  Immunität  gegen  diese  Keimarten  erzeugen ;  die  so  gewonnene  Immunität 
hat  einen  polyvalenten  Charakter. 

Bei  Menschen  verursacht  eine  derartige  aktive  Immunisierung,  die 
immerhin  8 — 12  Tage  zu  ihrem  Inkrafttreten  braucht,  keine  größeren  Störungen 
(vorübergehende  Temperaturerhöhung  bis  38,5°,  ausgeprägte  Rötung,  ödema- 
töse  Anschwellung  und  Schmerzgefühl  der  Impfgegend). 


800 


Referate  und  Besprechungen. 


Diese  Impfungen  wären  eine  nützliche  Ergänzung  unserer  aseptischen 
Verfahren,  welche  ja  bekanntlich,  selbst  in  ihrem  modernsten  Ausbau,  eine 
absolute  und  konstante  Asepsis  kaum  ermöglichen.  Doch  bedürfte  es  zu  der 
praktischen  Durchführung  eines  energischen  passiv  immunisierenden  Serums, 
das  schon  nach  24  Stunden  seine  Wirkungshöhe  erreicht,  allerdings  auch  eine 
kürzere  Wirkungsdauer  hat. 

(Der  praktische  Chirurg  tut  gut,  vorläufig  wenigstens  noch  sehr  skep¬ 
tisch  diesen  Immunisierungen  gegenüber  zu  stehen ;  die  Erfahrungen  mit  dem 
Tetanusserum  u.  a.  sind  nicht  gerade  ermutigend.  Ref.)  Lemmen. 


Die  Korrektur  äußerer  Nasendeformitäten. 

(J.  C.  Lester.  Amer.  Journal  of  Surg.,  Nr.  1,  1909.) 

Bericht  über  einen  Fall  von  Zertrümmerung  und  schlechter  Heilung 
des  Nasenbeins,  der  acht  Jahre  bestanden  hatte.  In  Narkose  wurden  die  ent¬ 
zündlichen  Adhäsionen  im  Innern  der  Nase  gelöst,  die  Nasenbeine  mit  der 
Septumzange  refrakturiert,  das  Septum  der  Länge  nach  inzidiert  und  gerade 
gerichtet.  Hierauf  wurden  nach  MasoAs  Vorgang  die  Fragmente  der  Nasen¬ 
beine  durch  2 — 3  chirurgische  Nadeln  fixiert,  die  auf  der  Seite  der  Haut 
aus-  und  eingestochen  wurden,  eventuell  pach  Durchbohrung  des  Knochens. 
Unter  die  Enden  der  Nadeln  wurden  modellierte  Hartgummistreifen  einge¬ 
schoben  und  das  Ganze  mit  Heftpflaster  fixiert.  Die  Streifen  wurden  täglich 
gereinigt  und  neu  angelegt  und  nach  16  Tagen,  als  die  Nadeln  entfernt 
wurden,  weggelassen.  Dann  wurde  noch  14  Tage  lang  eine  Klemme,  ähnlich 
dem  Mittelstück  eines  Kneifers,  getragen  (die  aber  kaum  viel  gewirkt  haben 
dürfte).  Während  der  ganzen  Zeit  wurde  das  Innere  der  Nase  mit  Salz¬ 
lösung  täglich  gereinigt,  L.  ist  mit  dem  kosmetischen  Resultat  zufrieden, 
obgleich  für  denjenigen,  der  nicht  selbst  der  Schöpfer  der  neuen  Nase  ist, 
das  Profil  entschieden  häßlicher  ist  als  vorher.  Die  beigegebene  Photographie 
eines  anderen,  von  Mason  operierten  Falles,  zeigt  allerdings,  daß  bei  dieser 
Methode  auch  kosmetisch  sehr  gute  Resultate  erzielt  werden  können. 

F.  von  den  Velden. 


Chirurgische  Behandlung  der  Hirngeschwülste. 

(Biro.  Deutsche  Zeitschr.  für  Nervenheilk.,  Bd.  84,  H.  8  u.  4,  1908.) 

Der  Verfasser  bespricht  in  einem  instruktiven  Aufsatz  die  allgemeinen 
Indikationen  und  Gesichtspunkte  der  Hirntumoroperation.  Nach  den  zahl¬ 
reichen  Erfahrungen,  die  in  den  letzten  Jahren  gesammelt  sind  und  nachdem 
die  erste  wohl  etwas  überschwängliche  Begeisterung  für  diese  Therapie  einer 
ruhigeren  Beurteilung  Platz  gemacht  hat,  läßt  sich  ein  objektiveres  Bild  von 
der  Angelegenheit  gewinnen.  Der  Verf.  meint  —  im  Hinblick  auf  die  nicht 
allzugünstige  Statistik  —  daß  wir  erwägen  müssen,  wie  lange  wohl  der 
Patient  und  in  welchem  Zustande  er  leben  würde  ohne  Operation.  Manche 
Tumoren,  Sarkome  z.  B.  wachsen  ja  zuweilen  gerade  durch  die  Operation 
schneller.  Einige,  so  Tuberkelbildungen,  erlauben  ja  überhaupt  kaum  einen 
Eingriff.  Am  meisten  geeignet  sind  Gliome,  Gliosarkome  (auch  Sarkome  selbst), 
Fibrome  und  Cysten.  Die  chirurgische  Behandlung  weist  bislang  ca,  2%  guter 
Erfolge  auf,  trotz  dieser  geringen  Zahl  ist  der  Eingriff  doch  stets  zu  erwägen 
und  eventl.  zu  empfehlen.  Natürlich  hängt  die  Gefahr  der  Operation  im 
wesentlichen  zusammen  mit  dem  Sitz  der  Tumoren:  je  näher  der  Plirnober- 
fläche,  der  Konvexität,  desto  geringer  die  Gefahr:  an  der  Konvexität' bieten, 
wie  Oppenheim  gezeigt  hat,  ja  auch  subkortikale  Tumoren  noch  eine  gute 
Prognose.  Die  motorische  Region  gibt  bis  jetzt  die  besten  Erfahrungen.  Bei 
der  Indikation  spielt  das  Verhältnis  der  Allgemein-  zu  den  Lokalsymptomen 
eine  wichtige  Rolle,  Besonders  bei  Tumoren  der  motorischen  Region  braucht 
man,  da  diese  ja  scharfe  Lokalsymptome  machen,  die  Allgemeinsymptome  nicht 
abzuwarten.  Der  Verf.  weist  darauf  hin,  daß  die  Stauungspapille  nicht  selten 
als  Spätsymptom  namentlich  bei  Tumoren  der  motorischen  Region  auftritt. 


Referate  und  Besprechungen. 


801 


Die  Jodtherapie  hat  —  wie  der  Ref.  bestätigen  kann  —  nicht  selten  auch 
bei  nicht  spezifischen  Tumoren,  im  Rail  des  Verf.  waren  es  Sarkome,  einen 
bessernden  Einfluß,  so  daß  man  aus  dem  Erfolg  der  Therapie  zunächst  auf 
luetische  Bildungen  schließen  mußte.  Eine  Reihe  von  technischen  Erörterungen 
für  Hirnchirurgie  beschließen  den  lesenswerten  Aufsatz.  H.  Vogt. 


Vorteile  des  Medianschnittes  bei  der  Appendizitisoperation. 

Emile  ßeymond.  21.  französische  Chirurgenkongreß.  —  Bull,  med.,  S.  946,  1908. 

Reymond  empfiehlt  die  Eröffnung  der  Bauchhöhle  in  der  Medianlinie 
aus  folgenden  Gründen : 

1.  Liegt  der  Wurmfortsatz  normal  (was  man  eben  hier  „normal“  nennen 
kann),  so  kann  man  ihn  von  der  Mittellinie  aus  ebenso  gut  erreichen,  wie  bei 
seitlicher  Eröffnung.  Liegt  er  aber  nicht  normal,  so  ist  er  leichter  faßbar, 
ebenso  auch  sekundäre  Herde. 

2.  Von  der  Mittellinie  aus  sind  auch  andere  Organe,  die  eventl.  in  Mit¬ 
leidenschaft  gezogen  sind,  leicht  zugänglich,  insbesondere  die  weiblichen  Gene¬ 
rationsorgane,  deren  Erkrankungen  ja  ohnehin  oft  genug  Blinddarmentzün¬ 
dungen  Vortäuschen. 

3.  Das  Cavum  peritonei  bleibt  dabei  besser  geschützt. 

4.  Bauchbrüche  kommen  nicht  vor. 

Reymond’s  Urteil  basiert  auf  47  Appendizitisoperationen. 

Buttersack  (Berlin). 


Lieber  die  Frage  der  hämatogenen  Infektion  bei  Appendizitis  und 

Cholecystitis. 

(Dr.  Canon,  Berlin.  Deutsche  Zeitschr.  für  Chir.,  Bd.  95,  H.  1 — 5.  Festnummer 

für  Sonnenburg.) 

*  Die  Epityphlitis  und  Cholecystitis  zeigen  bezüglich  der  Genese  beider'  Er¬ 
krankungen  wichtige  Analogien.  Beide  spielen  sich  in  der  Nähe  des  Darms 
in  Hohlräumen  ab,  welche  in  direkter  Verbindung  mit  dem  Darm  stehen; 
bei  beiden  wirken  widrige  mechanische  Umstände  infektionsbegünstigend. 
Die  Frage,  ob  die  Infektion  vom  Blut  oder  vom  Darm  aus  erfolgt,  ist  bis 
heute  noch  nicht  mit  Sicherheit  entschieden.  Wenn  ein  strikter  Beweis  für 
die  hämatogene  Infektion  bei  der  Epityphlitis  auch  nie  wird  erbracht 
werden  können,  da  immer  mit  der  Möglichkeit  zu  rechnen  ist,  daß  von  dem 
erkrankten  Wurmfortsatz  aus  Keime  in  das  Blut  gekommen  sind,  so  sprechen 
für  diese  Infektionsart  doch  eine  Anzahl  gewichtiger  Umstände. 

Zunächst  sind  die  Bedingungen  für  eine  hämatogene  Infektion,  d.  h.  die 
Anwesenheit  pathogener  Blutkeime  und  das  Vorhandensein  eines  locus  minoris 
resistentiae  häufig  gegeben.  Weiter  finden  sich  im  Appendixeiter  häufig  Bak¬ 
terien,  welche  im  Darm  nicht  heimisch  sind,  oft  aber  im  Blut  gefunden  wer¬ 
den.  Schließlich  tritt  die  Epityphlitis,  ganz  abgesehen  davon,  daß  Analogien 
in  Form  auf  dem  Blutweg  entstehender  lokaler  Infektionen  in  der  Nosologie 
ganz  bekannt  sind,  häufig  nach  Infektionen  auf,  bei  denen  eine  vom  Darm 
ausgehende  Wirkung  ausgeschlossen  werden  kann  (Karbunkel,  Erysipel  usw.). 

Auch  bei  der  Cholecystitis  besitzt  der  Blutweg  der  Infektionsträger 
sicher  eine  ätiologische  Bedeutung,  vor  allem  bei  der  Typhuscholecystitis, 
und  zwar  dann,  wenn  das  Blut  der  Sitz  der  Erkrankung  ist,  sowie  bei  In¬ 
fektionen  durch  Bakterien,  welche  im  Darm  nicht  heimisch  sind.  Bei  der 
Infektion  der  Gallenblase  durch  Bact.  coli  dürfte  nur  die  Infektion  vom  Darm 
aus  in  Frage  kommen. 

So  darf  angenommen  werden,  daß  sowohl  bei  der  Epityphlitis  wie  bei 
der  Cholecystitis  die  hämatogene  Infektion,  wenn  sie  auch  seltener  wie  die 
enterogene  ist,  doch  eine  wichtige  ätiologische  Rolle  spielt.  Ob  allerdings 
eine  Diagnosenstellung  auf  eine  „hämatogene“  oder  „enterogene“  .Form  möglich 
ist  oder  klinische  Verwertung  finden  kann,  müssen  weitere  Beobachtungen 
lehren.  F.  Kayser  (Köln). 

-  51 


802 


Referate  und  Besprechungen. 


Kinderheilkunde  und  Säuglingsernährung. 

Säuglingsfürsorge  und  ärztliche  Ausbildung. 

(B.  Salge.  Zeitschr.  für  Säuglingsfürs.,  H.  8,  1909.) 

Der  Herausgeber  der  Z.  f.  S.  weist  nachdrücklich  auf  die  Fortschritte 
in  der  Entwickelung  der  Pädiatrie  und  die  Notwendigkeit  des  pädiatrischen 
klinischen  Unterrichtes  hin.  „Die  Verbesserung  des  päditatrischen  Unterrichtes 
ist  die  beste  und  billigste  Fürsorge  für  Säuglinge“.  (Schloß mann.)  Zum 
Ausgangspunkte  seiner  Betrachtungen  nimmt  S.  die  Eingabe,  welche  die 
Münchener  Zentrale  für  Säuglingsfürsorge  an  das  bayr.  Parlament  gerichtet 
hat.  Verf.  spricht  mit  Recht  von  einer  Lücke,  die  infolge  der  raschen  Ent¬ 
wickelung  der  Pädiatrie  zwischen  dem  Pädiater  und  dem  jjraktischen  Arzte 
entstanden  ist.  Sie  kann  nur  dadurch  ausgefüllt  werden,  daß  bei  der  ärzt¬ 
lichen  Staatsprüfung  von  einem  Lehrer  der  Kinderheilkunde  geprüft  wird, 
nachdem  der  Student  die  Verpflichtung  erfüllt  hat,  als  Praktikant  ein  klini¬ 
sches  Kolleg  über  Kinderkrankheiten  zu  hören.  Es  wird  weiterhin  auf  die 
zu  Unrecht  bestehende  Anschauung  derjenigen  Praktiker  eingegangen,  daß 
die  bisherige  Ausbildung  des  Arztes  genüge,  ausreichende  Kenntnisse  in  der 
Kinderheilkunde  zu  gewährleisten,  und  auf  die  hieraus  resultierenden  Gegen¬ 
sätze  zwischen  Praktiker  und  Kinderarzt,  die  ein  ersprießliches  Zusammen¬ 
arbeiten  auf  dem  Gebiete  der  Säuglingsfürsorge  erschweren.  Aronade. 

Ärztlicher  Bericht  über  die  erste  Waldkrippe  des  Vereins  „Säuglings¬ 
milchverteilung“  in  Wien. 

(B.  Mautner.  Zeitschr.  für  Säuglingsfürs.  H.  1,  1909.) 

Verf.  berichtet  über  die  günstigen  Erfolge,  die  mit  der  Freiluftbehandlung 
Kranker,  besonders  rachitischer  Säuglinge  erreicht  wurden.  Die  Krippe,  die 
in  einer  Baracke  der  Gesellschaft  vom  roten  Kreuze  untergebracht  wurde, 
enthielt  14  Betten  mit  den  in  Säuglingsspitälern  gebräuchlichen  Utensilien. 
Auch  im  Freien  wurde  auf  möglichste  Isolierung  der  Säuglinge  geachtet, 
Infektionskranke  (Keuchhusten,  Angina  u.  a.)  abgewiesen.  Der  Bericht  ist 
geeignet,  zur  Errichtung  weiterer  Krippen  anzuregen,  deren  Betrieb  sich  sehr 
billig  einrichten  läßt.  Die  besprochene  stellt  den  ersten  derartigen  Versuch 
in  Österreich  dar,  in  Deutschland  hat  Schloß  mann  zuerst  in  der  Dresdener 
Heide  ein  Waldheim  für  die  Säuglinge  des  Dresdener  Säuglingsheims  ge¬ 
schaffen.  Aronade. 


Aus  der  Universitäts-Frauenklinik  zu  Greifswald. 

Ueber  Krämpfe  bei  Neugeborenen. 

Mit  Hervorhebung  der  intrakraniellen  Blutungen,  der  Eklampsie  und  der  Affektionen 

der  bulbären  Kerne. 

(Priv.-Doz.  Dr.  P.  Esch.  Archiv  für  Gyn.,  Bd.  88,  H.  1,  1909.) 

Der  E.’sche  Beitrag  ist  deshalb  zu  begrüßen,  weil  die  Krämpfe  der 
Neugeborenen  ein  bisher  recht  stiefmütterlich  behandeltes  Gebiet  sind.  Das 
beweist  am  besten  ein  von  Ei.  zunächst  gegebener  allgemeiner  Überblick 
über  die  jetzt  herrschenden  Ansichten.  —  Was  die  Erregbarkeit  der  Gro߬ 
hirnrinde  des  Neugeborenen  überhaupt  anlangt,  so  sei  an  dieser  nicht  zu 
zweifeln,  wie  gelegentliche  klinische  Beobachtungen  mit  Sicherheit  ergeben 
haben.  Zurzeit  müsse  man  die  Krämpfe  noch  einteilen  in  organische  und 
funktionelle,  je  nachdem  ein  organisches  Leiden  im  Zentralnervensystem 
nachweisbar  ist  oder  nicht.  Beim  Neugeborenen  überwiegen  die  organischen 
Krämpfe  im  Vergleich  zu  dem  späteren  Alter,  wo  Rachitis  und  andere  Krank¬ 
heiten  eine  wichtige  Rolle  spielen.  Die  sog.  Spasmophilie  komme  für  die 
Neugeborenen  nicht  in  Betracht,  weil  sich  dieselbe  erst  nach  dem  zweiten 
bis  dritten  Monat  entwickle,  andererseits  sei  ja  die  Erregbarkeit  des  Gro߬ 
hirns  Neugeborener,  wenn  auch  sicher  vorhanden,  so  doch  eine  sehr  geringe 
und  auch  die  peripheren  Nerven  des  Neugeborenen  seien  elektrisch  unter- 


Referate  und  Besprechungen. 


803 


erregbar.  Dagegen  sei  von  Bedeutung,  daß  dem  Großhirn  des  Neugeborenen 
die  Regulierfähigkeit  der  reizenden  und  hemmenden  Kräfte  noch  fehlt  (leicht 
hervorzurufende  Arrhythmie  der  Atmung  und  der  Herztätigkeit).  Auch 
die  Erblichkeit  spiele  wahrscheinlich  eine  Rolle,  Alkoholismus,  Lues,  Blei¬ 
vergiftung  u.  a.  Zur  Erklärung  der  Pathogenese  der  funktionellen  Krämpfe 
hat  man  Zirkulationsstörungen  im  Schädelinneren  herangezogen,  zerebrale 
Reflexe,  toxisch-infektiöse  (Kohlensäure,  Darminhaltzersetzungen).  —  Bezüg- 
züglich  der  Diagnose  soll  man  stets  nach  einem  Leiden  im  Zentralnerven¬ 
system  fahnden.  Da  spielen  die  supra-  und  infratentoriellen  Blutungen  eine 
Hauptrolle;  solche  können  bekanntlich  auch  nach  leichten  Spontangeburten 
eintreten.  Lumbalpunktion  und  Fontanellenspannung  kommen  behufs  Fest¬ 
stellung  in  Betracht.  Weiter  kommen  in  Frage  Mißbildungen,  Hydrozephalus, 
äußere  Verletzungen  des  Schädels.  —  Zu  den  funktionellen  Krämpfen 
durch  endogene  Intoxikationen  stellen  das  Hauptkontingent  die  Gelegenheits- 
krämpfc  bei  gastrointestinalen  Erkrankungen  und  sonstigen  kachektischen 
Zuständen,  wobei  meist  das  Bild  der  Myotonia  neonatorum,  der  persistierenden 
Beugekrämpfe  der  Extremitätenmuskulatur  und  Nackensteifigkeit  im  Vorder¬ 
gründe  stehen.  Hierher  gehört  auch  die  Eklampsie  der  Neugeborenen  bei 
gleichzeitiger  Eklampsie  der  Mutter.  Zu  den  neurogenen  reflektorischen 
Krämpfen  sind  diejenigen  zu  rechnen,  welche  auf  einen  äußeren  Reiz  ent¬ 
stehen,  z.  B.  durch  plötzlichen  Temperaturwechsel.  Was  die  Behandlung 
anlangt,  so  lassen  die  Krämpfe  infolge  supratentorialer  Blutung  auf  operativem 
Wege  eine  Heilung  erhoffen  (Fall  Seitz),  die  infolge  luetischen  Hydrozephalus 
durch  spezifische  Kur.  Die  allgemeine  Therapie  Desteht  in  Fernhaltung 
äußerer  Reize,  rektaler  Darreichung  von  Brom  und  Chloral,  ev.  Lumbalpunktion 
bei'  großer  Fontanellenspannung.  —  Von  bulbären  Affektionen  finden  Er¬ 
wähnung  der  Kernikterus  mit  absolut  infauster  Prognose,  die  Aplasie  der 
Kernregion,  sodann  die  indirekten  Reizungen  bei  infratentoriellen  Blu¬ 
tungen. —  Zur  Illustration  dienen  einige  Krankengeschichten. 

R.  Klien  (Leipzig). 


Beiträge  zur  Kenntnis  der  Diphtherievergiftung  und  ihrer  Behandlung. 

(Fritz  Meyer,  Berlin.  Archiv  für  exp.  Pathol.  u.  Pharmakol.,  Bd.  60,  S.  208,  1909.) 

Die  weitaus  meisten  Erscheinungen  in  dem  wohl  charakterisierten  Krank¬ 
heitsbild  der  Diphtherie  sind  als  Gif  twirkunigen  aufzufassen,  die  wir 
in  Deutschland  rein  an ti toxisch  behandeln;  nur  in  Frankreich  und  in  Italien 
hält  man  an  einer  gemischt  bakterizid-antitoxischen  Serumtherapie  fest. 

Der  Heil-  und  Schutzwert  des  antitoxischen  Serums  wird  durch  seinen 
Gehalt  an  Immunitätseinheiten  bestimmt.  Wie  überhaupt  die  bakteriellen 
Toxine  noch  wenig  experimentell  studiert  worden  sind  (vergleiche  dagegen 
Tetanustoxin  1904,  S.  56),  so  ist  auch  das  Diphtherietoxin  wenig  erforscht. 
Verf.  hat  in  v.  KrehTs  Klinik  und  im  Heidelberger  Krebsinstitut  die  Ein¬ 
wirkung  der  Diphtherietoxine  auf  den  Blutdruck  des  Kaninchens,  Komple¬ 
mentgehalt  und  Blutkörperchen  sowie  die  Heilwirkungen  des  Diphtherie¬ 
antitoxins  näher  untersucht.  Die  experimentelle  Toxinvergiftung  geht  mit 
nachweisbarer  Blutdrucksenkung  einher,  die  in  der  Regel  nach  24 — 30  Std. 
einsetzt  und  bis  zum  Tod  andauert.  Die  beim  Menschen  nicht  selten  zur 
Beobachtung  gelangende  hochgradige  Blässe  und  Pulsbeschleunigung 
dürften  im  wesentlichen  auf  einer  Lähmung  des  Gefäßnervenzentrams  und 
später  auf  sekundärer  Schädigung  des  Herzens  beruhen.  Durch  rechtzeitige 
Einspritzung  von  Antitoxin  gelingt  es,  die  Drucksenkung  zu  verhindern 
oder  wenigstens  hinauszuschieben.  Eine  bereits  vorhandene  Drucksenkung 
kann  aber  selbst  durch  die  größte  Serumdosis  nicht  aufgehoben  werden ; 
nur  eine  Adrenalin-Kochsalzinfusion  vermag  beim  schwer  kranken  Tier  momen¬ 
tane  Erfolge  zu  erzielen.  Die  Heilung  von  Diphtherievergiftung  (3 — 6  fach 
tödliche  Dosis)  gelingt  durch  Heilserum  bis  auf  9  Stunden  nach  subkutaner, 
bis  l1/2  Stunden  nach  intravenöser  Injektion  des  Giftes.  Die  Vergiftung 
geht  mit  nachweisbarer  Verringerung  des  Komplementgehalts  einher. 

51* 


804 


.Referate  und  Besprechungen. 


Auf  Grund  dieser  Versuche  empfiehlt  Verf.,  die  Diphtherie  Vergiftung 
nicht  nur  nach  den  örtlichen  Befunden  in  der  Mundhöhle,  sondern  insbesondere 
auch  nach  dem  Verhalten  des  Blutdrucks  und  Pulses  zu  beurteilen.  Wenn 
es  auch  heute  noch  Skeptiker  hinsichtlich  der  Wirkung  des  Antitoxins 
gebe,  so  dürfte  dies  im  wesentlichen  darauf  zurückzuführen  sein,  daß  das 
Serum  in  Deutschland  vielfach  in  zu  kleinen  Mengen  (2 — 4000  A.  E.)  gegen¬ 
über  Amerika  (8 — 70000  A.  E.)  angewendet  wird.  Sofern  ein  steriles, 
karbolsäurefreies  und  klares  Pferdeserum  eingespritzt  werde,  gebe 
es  überhaupt  keine  obere  Grenze.  In  verzweifelten  Eällen  sollte  auf  jeden 
Fall  ein  Heilversuch  mit  einer  großen  Dosis  (20 — 50000  A.  E.),  eventuell 
intravenös,  gemacht  werden.  E.  Rost  (Berlin). 


Hautkrankheiten  und  Syphilis.  —  Krankheiten  der  Harn-  und 

Geschlechtsorgane. 

Die  Wassermann’sche  Reaktion  bei  Leber-Syphilis. 

(Ch.  Es  me  in  u.  M.  Parvu.  Soc.  de  Biologie,  23.  Januar  1909.  —  La  Tribüne 

mech,  Nr.  5,  S.  71,  1909. 

Lebersyphilis  ist  gemeinhin  schwer  zu  diagnostizieren.  Die  Diagnose 
wird  jedoch  leicht,  wenn  man  nicht  nur  das  Blutserum,  sondern  auch  die 
Aszitesflüssigkeit  der  Wassermann’schen  Reaktion  unterwirft.  Der  Aszites 
erweist  sich  dann  als  viel  wirksamer,  so  daß  Esmein  und  Parvu  den 
Eindruck  gewonnen  haben,  als  ob  die  Leber  eine  besonders  ergiebige  Pro¬ 
duktionsstätte  der  interessanten  Körper  sei. 

Bei  ätiologisch  anders  begründeter  Bauchwassersucht  fiel  die  Wasser¬ 
mann’sche  Reaktion  negativ  aus.  Buttersack  (Berlin). 


Ueber  Syphilisfälle  ohne  rechtzeitige  Hauterscheinungen. 

(Watrarzewski.  Allg.  med.  Zentralzeitung,  13.  u.  20.  Feb.  1909.) 

In  25  Fällen  traten  nach  durchgeführter  Friktionskur  in  7  Fällen 
später  noch  leichte  Hautrezidive  auf,  und  zwar  nach  Ablauf  von  2  bis 
4  Monaten,  wogegen  in  18  Fällen,  in  denen  es  überhaupt  nicht  zu  kutanen 
Manifestationen  kam,  dieselben  auch  weiterhin  ausblieben  und  während  einer 
Beobachtungsfrist  von  l1/2 — 5  Jahren  nicht  zum  Vorschein  kamen.  Mit 
anderen  Worten  war  bei  ihnen  die  ganze  Symptomenkette  der  Lues  in  deren 
sekundärem  und  auch  im  späteren  Stadium  ohne  spezifische  Ilauterschei- 
nungen  abgelaufen. 

Diese  Fälle  zeichnen  sich  1.  durch  einen  benignen  Charakter  aus. 

2.  Sind  bei  ihm  für  gewöhnlich  die  Lymphdrüsen  deutlich  in  Mitleiden¬ 
schaft  gezogen. 

3.  Das  Körpergewicht  sowie  das  Allgemeinbefinden  verändern  sich  erst 
dann  deutlich  zum  Nachteile,  wenn  die  verspäteten  Hauteruptionen  resp. 
andere  Symptome  konstitutionellen  Charakters  zum  Vorschein  kommen. 

4.  Die  gerade  zu  dieser  Zeit  eingeleitete  spezifische  Therapie  brachte 
die  Symptome  zum  raschen  Schwinden  und  wirkte  rasch  und  vorteilhaft 
auf  das  Allgemeinbefinden  und  das  Körpergewicht  des  Kranken. 

5.  Die  Rezidive  pflegen  verhältnismäßig  selten  zu  sein  und  haben 
ebenfalls  einen  benignen  Charakter. 

6.  Die  Prognose  bei  solchen  Fällen,  wenn  sie  einer  rationellen  Therapie 
anheimfallen,  ist  als  günstig  aufzufassen. 

7.  Die  Therapie  muß  den  oben  erwähnten  Umständen  Rechnung  tragen; 
sie  soll  nicht  früher  eingeleitet  werden  als  bis  entweder  die  Hauterschei¬ 
nungen  schließlich  doch  zum  Vorschein  gelangen  oder  aber  andere  auf  kon¬ 
stitutionelle  Lues  zu  beziehende  Erscheinungen  allgemeinen  Charakters  bei 
gleichzeitig  nachteilig  beeinflußtem  Allgemeinzustande  und  Körpergewichte 
der  Kranken  das  Verordnen  einer  Merkurialkur  nötig  machen. 


Referate  und  Besprechungen. 


805 


Verf.  hat  seit  langen  Jahren  das  Prinzip,  daß  die  Syphilis  nicht 
Schema  tisch  zu  behandeln  ist,  und  daß  mit  dem  Merkurial  nicht  zu  früh 
eingeschritten  werden  darf.  Koenig  (Dalldorf). 


Aus  der  Unfversitäts-Frauenklinik  zu  Kiel. 

Der  Einfluß  der  Syphilis  auf  die  Nachkommenschaft. 

(Dr.  Gräfenberg.  Archiv  für  Gyn.,  Bd.  87,  H.  1,  1909.) 

G.  konnte  in  fast  sämtlichen  von  ihm  untersuchten  mazerierten  Früchten 
die  Spirochaeta  pallida  nachweisen.  Andere  Ursachen  des  Absterbens  der 
Früchte  treten  demnach  gegenüber  der  Lues  ganz  in  den  Hintergrund.  Von 
sämtlichen  kongenital-luetischen  Kindern  kamen  92%  mazeriert  zur  Welt. 
Es  sind  demnach  frischtote  luetische  Kinder  sehr  selten.  Die  kongenital- 
luetischen  Früchte  kommen  meist  frühzeitig  zur  Welt.  Von  den  Müttern, 
welche  spirochätenhaltige  Früchte  gebaren,  besaßen  nur  wenige  noch  deut¬ 
liche  Residuen  einer  Lues.  Floride  Lues  der  Mutter  war  auffallend  selten 
mit  charakteristischer  Lues  des  Kindes  verbunden.  —  In  Übereinstimmung 
mit  anderen  Autoren  konnte  auch  G.  die  Seltenheit  von  Spirochätenfunden 
in  der  Plazenta  bestätigen.  Dagegen  fand  er  fast  regelmäßig  in  dem  dem 
Hautnabel  benachbarten  Stückchen  der  Nabelschnur  Spirochäten,  wenn  sich 
solche  in  den  übrigen  fötalen  Organen  fanden;  ja  es  gelang  dieser  Nach¬ 
weis  sogar  bei  lebend  geborenen  kongenital-luetischen  Früchten  in  einer  Regel¬ 
mäßigkeit,  daß  sich  dieser  Befund  diagnostisch  verwerten  läßt.  Der  Sitz 
der  Spirochäten  ist  hauptsächlich  die  Media  der  Nabelschnur vene.  Zu  diesen 
Untersuchungen  empfiehlt  G.  die  Levaditi’sche  Silberimprägnierung.  Die 
Ausstrichfärbung  mit  Dunkelfeldbeleuchtung  erwies  sich  als  weniger  geeignet. 
Sie  ist  es  aber  für  die  Untersuchung  von  aspiriertem  Lebersaft  und  vor  allem 
zur  Untersuchung  mütterlicher  Sekrete,  besonders  des  Zervixsekretes.  Es 
ist  nämlich  G.  gelungen,  in  diesem  Sekret  bei  Sekundär-Syphilitischen  so  gut 
wie  regelmäßig  Spirochäten  nachzuweisen.  Dieser  Befund  ist  deshalb  sehr 
wichtig,  weil  er  manche  Fälle,  bei  denen  anscheinend  gesunde  Kinder  von 
luetischen  Müttern  geboren  werden,  die  aber  nach  einigen  Wochen  Zeichen 
sekundärer  Lues  (Exantheme)  bekamen,  als  sub  oder  post  partum  infiziert 
erkennen  läßt.  Bisher  deutete  man  solche  Fälle  bekanntlich  als  kongenital¬ 
luetische  mit  einer  Latenzperiode,  obwohl  die  Symptome  eigentlich  nicht  für 
kongenitale  Lues  paßten.  Bei  der  Infektion  sub  partu  scheint  die  Nase  sehr 
oft  die  Eingangspforte  abzugeben.  Die  Coryza  später  Luessymptome  auf¬ 
weisender  Säuglinge  sei  offenbar  oft  der  luetische  Primäraffekt.  Diese  Er¬ 
kenntnis  ist  in  prophylaktischer  Beziehung  wichtig.  —  Während  also  echt 
kongenital-luetische  Föten  meist  mazeriert  zur  Welt  kommen,  oder  mit  charak¬ 
teristischen  Erscheinungen  (Pemphigus,  Aszites,  Hydrozephalus),  so  wird  auch 
die  tertiäre  Form  der  kongenitalen  Syphilis  selten  in  die  Erwachsenenzeit 
hinübergenommen.  Die  in  den  späteren  Lebensjahren  auf  tretenden  tertiären 
Veränderungen  an  den  Sinnesorganen,  an  den  Gelenken  usw.  sind  wohl  immer 
Erscheinungen  der  während  oder  nach  der  Geburt  erworbenen  Kindersyphilis. 
Natürlich  fällt  mit  dieser  Erkenntnis  das  Profeta’sche  Gesetz.  —  Was 
den  Weg  betrifft,  auf  dem  die  Spirochaeta  pallida  in  den  kindlichen  Keim 
eindringt,  so  kommt  wohl  ausschließlich  die  germinative  Vererbung  in 
Betracht.  Die  Spirochäten  sind  entweder  dem  Sperma  oder  den  mütterlichen 
Genitalsekreten  beigemischt  und  dringen  eventl.  zugleich  mit  den  Sperma- 
tozöen  in  das  Eichen  ein.  Die  Plazenta,  welche,  wie  oben  erwähnt,  so  selten 
Spirochäten  enthält,  betrachtet  G.  geradezu  als  eine  Art  Scheidewand  zwischen 
patern  syphilitischer  Frucht  und  gesunder  Mutter;  Immunität  der  Mutter 
nach  dem.  Colles’schen  Gesetz.  Auch  der  mehrfach  beschriebene  Befund 
von  zweieiigen  Zwillingen,  von  denen  der  eine  mit,  der  andere  ohne  luetische 
Erscheinungen  zur  Welt  kam,  letzterer  auch  gesund  blieb,  spricht  für  die 
ganz  überwiegend  germinative  Syphilisübertragung  und  die  Seltenheit  einer 
etwaigen  plazentaren  oder  dezidualen.  R.  Klien  (Leipzig). 


806 


Referate  und  Besprechungen. 


Diagnose  und  Therapie  der  Syphilide. 

(Dr.  S.  Jessner,  Königsberg  i.  Pr.  Dermatologische  Vorträge  für  Praktiker, 

H.  11  u.  12,  Würzburg.) 

Die  subkutane  resp.  intramuskuläre  Anwendung  des  Quecksilbers  (In¬ 
jektionskuren)  hat,  seitdem  Lewin  die  Sublimatinjektionen  empfohlen  hat, 
sich  mit  Recht  sehr  eingeführt;  sie  hat  den  Inunktionskuren  bedeutenden  Ab¬ 
bruch  getan. 

Man  benutzt  am  häufigsten  eine  l%ige  Lösung  nach  folgenden  Formeln: 

Rp.  Sublimat  0,3  Rp.  Hydr.  oxycyan  0,3 

Natr.  chlorat.  3,0  Alypin  nitr.  0,15 

Aq.  destillat.  30,0  A.  destillat.  30,0 

D.  S.  Zur  Injektion.  D.  S.  Zur  Injektion. 

Alle  Injektionen  führt  man  am  besten  intramuskulär  aus,  indem  man 
die  Nadel  blitzartig  senkrecht  bis  ans  Ende  in  die  Haut  einsticht  und  dann 
die  betreffende  Lösung  injiziert.  Am  Schlüsse  zieht  man  die  Nadel  mit 
einem  Ruck  heraus.  Als  Desinfektion  der  Haut  genügt  das  Abreiben  mit 
in  Benzin  getauchter  Watte.  1 

Bei  dieser  Gelegenheit  betont  der  Verf.,  daß  jeder  Patient  seine  eigene 
Nadel  haben  muß.  Woran  das  liegt,  daß  bei  dem  einen  Patienten  eine  sehr 
heftige,  bei  dem  anderen  eine  kaum  merkbare  örtliche  Reaktion  eintritt, 
ist  nicht  immer  klar. 

Die  Schmerzhaftigkeit  der  Injektion  wird  auch  sehr  verschieden  an¬ 
gegeben.  Sehr  dringend  rät  er,  bei  schwächlichen  oder  sehr  erregbaren 
Individuen  die  Injektion  in  liegender  Stellung  zu  machen ;  in  dieser  hält 
man  erheblich  mehr  aus.  Auffallend  ist  die  Beobachtung,  daß  die  meisten 
Menschen  an  beiden  Körperhälften  nicht  gleich  empfindlich  sind. 

Behufs  Verminderung  des  Schmerzes  ist  es  von  Nutzen,  der  Lösung 
V o — 1%  Alypin  nitr.  zuzusetzen.  Die  mit  diesem  versetzte  Lösung  von 
Hydr.  oxycyanat.  scheint  besonders  wenig  Schmerz  zu  verursachen. 

Neumann. 


Medikamentöse  Therapie. 

Zur  Kenntnis  der  Digitalis  als  Blutstillungsmittel. 

(Hecht.  Ther.  der  Gegenw.,  Nr.  3,  1909.) 

Anschließend  an  eine  Arbeit  von  Focke  (Ther.  d.  G.,  Nr.  2,  1909) 
worin  dieser  die  Digitalis  als  Blutstillungsmittel  gegen  spontane  Blutungen 
wieder  empfiehlt,  eine  Indikation,  die  dem  ärztlichen  Wissen  verloren  ge¬ 
gangen  sei,  weist  Hecht  darauf  hin,  daß  Huchard  im  Jahre  1888  auf  diese 
Bedeutung  der  Digitalis  hingewiesen  habe  und  zu  diesem  Zweck  Pillen  von 
folgender  Zusammensetzung  angegeben  hat : 

Rp.  Ergotin 

Chinin,  sulf.  ™  2,0 
Pulv.  fol.  digital. 

Extr.  Hyoscyami  ü  0,2 
F.  pill.  Nr.  20. 

D.  S.  5  8 — 10  Pillen  tgl.  Neumann. 


Desalgin. 

(Schleich.  Ther.  der  Gegenw.,  Nr.  3,  1909.) 

Bei  seinen  Versuchen  zur  Herstellung  eines  Narkotikums  in  fester 
Form  gelang  es  Schleich,  einen  Eiweißkörper  aufzufinden,  welcher  das 
Chloroform  dauerhaft  und  fest  zu  binden  vermochte  und  von  ihm,  auch  ge¬ 
trocknet,  bis  zu  25%  dauernd  fixiert  wurde.  Durch  ein  besonderes  Ver¬ 
fahren  ließ  sich  daraus  ein  graues  amorphes,  fein  verteilbares  Pulver  ge¬ 
winnen,  das  gleichsam  kolloidales  Chloroform  in  fester  Form  darstellt,  und 
das  ausgesprochen  schmerzlindernde  Wirkungen  entfaltet.  Verf.  empfiehlt 


Referate  und  Besprechungen. 


807 


es  daher  bei  allen  Schmerzzuständen,  welche  vom  Peritoneum  umkleidete 
Organe  betreffen,  vorzüglich  gegen  kolikartige  Beschwerden  vom  Magen-, 
Darm-  und  Gallensystem  her.  Auch  bei  dysmenorrhoischen  Beschwerden 
hat  es  sich  gut  bewährt.  Die  antibakterielle  Kraft  des  Chloroforms  läßt  es 
außerdem  noch  indiziert  erscheinen  bei  bakteriellen  Erkrankungen  des  ganzen 
Intestinaltrakts,  aus  demselben  Grunde  wurde  es  bei  Phthisikern  angewandt. 
Eine  Messerspitze  Desalgin  enthält  etwa  0,0625  g  reines  Chloroform.  Bei 
Gallensteinkoliken  und  rezidivierenden  Appendizitiden  gab  Sch.  2 — 3  Wochen 
hindurch  das  Mittel  täglich  3 — 4mal  messerspitzenweise  und  hat  nie  irgend 
welche  nachteilige  Eolgen  davon  gesehen.  Bei  intensiven  Schmerzanfällen 
läßt  sieh  vorübergehend  die  Dosis  bis  zu  einem  halben  Teelöffel  für  einmal 
des  Tages  steigern.  Neumann, 


Ueber  Propäsin,  ein  neues  Lokalanästhetikum. 

(Kluger.  Ther.  Monatsh.,  Nr.  2,  1909.) 

Im  Propäsin,  dem  Prophylester  der  Paramidobenzoesäure  liegt  nach  den 
Beobachtungen  von  Kluger  ein  unschädliches  Anästhetikum  vor,  das  berufen 
scheint,  neben  Anästhesin,  dem  es  an  Wirksamkeit  überlegen  ist,  ein  Ersatz¬ 
präparat  für  Kokain  zu  werden. 

Auf  Grund  seiner  Eigenschaften  kann  Propäsin  im  ganzen  Gebiete 
der  praktischen  Medizin,  in  verschiedener  Form,  innerlich  und  äußerlich,  An¬ 
wendung  finden.  Per  os  wird  Propäsin  als  Pulver  oder  in  Form  von  Tabletten 
genommen.  Als  Pulver  ist  es  indiziert,  sowohl  bei  rem  nervösen  wie  auch 
bei  Ulkus  und  Karzinom  auftretenden  Magenschmerzen,  nervösen  Übelkeiten, 
Vomitus  gravidarum  usw.,  also  in  allen  den  Fällen,  in  denen  uns  bis  jetzt 
Kokain  seine  Dienste  leistet.  Weitere  Indikation  bilden  allerlei  Intestinal¬ 
schmerzen,  Koliken  usw.  Wenn  es  sich  um  die  Wirkung  im  Magen  handelt, 
gibt  man  Propäsin  als  Pulver  in  Oblaten,  um  keine  Anästhesierung  des 
Speisetraktus  hervorzurufen.  Um  im  Darm  zu  wirken,  wird  es  in  Keratin¬ 
pillen  dargereicht.  Da  die  Keratinpillen  sich  aber  größtenteils  als  unlöslich  im) 
Darmtraktus  erwiesen  haben,  wäre  es  besser,  wenn  man  anstatt  Keratin  den 
von  Professor  Jaworski  empfohlenen,  bei  Temperatur  von  45 — 50°  C  schmel¬ 
zenden  Hammeltalg  (Sebum  ovile)  als  Überzug  benutzen  möchte. 

Bei  Hustenreiz,  Schleimbeschwerden  usw.  wird  Propäsin  in  Form  von 
Troehisci  angewandt,  die  je  0,02  desselben  enthalten.  Außerdem  kann  Pro¬ 
päsin  in  Form  von  Salbe,  Hämorrhoidalsuppositorien,  Urethralstäbchen,  Emul¬ 
sionen  in  allen  den  Fällen  Anwendung  finden,  wo  es  sich  um  die  Linderung 
der  Schmerzen  oder  lokale  Anästhesierung  handelt. 

Das  gleichfalls  hergestellte  Dipropäsin,  aus  zwei  Propäsinmolekülen 
bestehend,  soll  erst  in  physiologisch -  alkalischer  Lösung  zur  Wirkung 
kommen. 

Die  Schattenseite  des  Propäsin  besteht  in  seiner  geringen  Löslichkeit 
in  Wasser,  weswegen  es  sich  zu  subkutanen  Injektionen  nicht  eignet. 

Neumann. 


Diplosal,  ein  neues  Antirheumatikum. 

(Strauch.  Ther.  Monatsh.,  Nr.  2,  1909.) 

Mit  Rücksicht  auf  die  vielfachen  unangenhmen  Nebenwirkungen  der 
freien  Salizylsäure  wurden  im  Laufe  der  letzten  Jahre  eine  Reihe  Ersatz¬ 
präparate  in  den  Handel  gebracht.  Mit  einem  derselben,  dem  Diplosal,  stellte 
Strauch  im  Krankenhaus  Bethanien  in  Berlin  Untersuchungen  an.  Das 
Diplosal  läßt  sich  auffassen  entweder  als  ein  Salol,  bei  dem  die  giftige 
Karbolsäure  durch  Salizylsäure  ersetzt  ist  oder  als  Aspirin,  das  an  Stelle 
der  indifferenten  Essigsäure  nochmals  die  wirksame  Salizylsäure  enthält. 
Das  Präparat  stellt  ein  geruch-  und  geschmackloses  Pulver  dar,  das  in 
Wasser  sehr  schwer,  in  Säure  unlöslich  ist. 


808 


Referate  und  Besprechungen. 


Das  Diplosal  wurde  bei  mehr  als  70  Fällen  von  akutem  und  chronischem 
Gelenkrheumatismus,  von  Ischias,  Perikarditis  exsudativa,  Arthritis  gonor¬ 
rhoica  angewandt. 

Die  beobachteten  Fälle  gehörten  in  der  Mehrzahl  zu  den  schweren 
Formen  der  Polyarthritis  rheumatica  und  waren  zum  großen  Teil  mit  Er¬ 
krankung  des  Herzens  kompliziert.  Die  täglich  verabreichten  Dosen  waren 
durchschnittlich  4  mal  1  g,  und  zwar  wurde  gewöhnlich  vormittags  gegen 
10  Uhr  ein  Pulver  a  1  g  und  nachmittags  um  4,  5  und  6  Uhr  je  1  g  ge- i 
geben.  Die  am  meisten  schmerzhaften  Gelenke  wurden  mittels  trocknen 
Watteverbandes  etwas  fixiert.  Nach  Ablauf  von  2  Stunden  nach  der  Ein¬ 
nahme  eines  Gramm  Diplosal  trat  auf  Eisenchloridzugabe  im  Urin  noch 
bei  100  fach  er  Verdünnung  eine  deutlich  violette  Färbung  auf. 

Bei  fieberhaften  Gelenkerkrankungen  beobachtete  man  nach  2 — 3  Tagen 
Fieberfreiheit  und  wesentliche  Abnahme  der  Gelenkschmerzen  und  schon  ge¬ 
ringe  Beweglichkeit.  Unangenehme  Nebenwirkungen  auf  Herz,  Magen  und 
Nieren  wurden  nie  beobachtet,  Ohrensausen  nur  in  wenigen  Fällen.  Auch 
Mengen  von  5 — 6  g  täglich  erzeugten  niemals  Magenbeschwerden,  Erbrechen 
und  Übelkeit;  selbst  bei  wochenlangem  Gebrauch  traten  weder  bei  jüngeren 
noch  bei  älteren  Individuen  unangenehme  Nebenerscheinungen  auf. 

In  Fällen  mit  hochgradiger  Gelenkschwellung  und  etwas  verzögertem 
Heilungsverlauf  ist  es  zweckmäßig,  die  innere  Darreichung  des  Diplosal 
mit  der  äußeren  Applikation  von  Spirosal-Alkohol  1  : 3  durch  Aufpinseln 
auf  die  schmerzhaften  Gelenke  zu  kombinieren  und  dann  die  Gelenke  mit 
trocknem  Watteverband  etwas  zu  fixieren.  Gerade  diese  Kombination  wirkt 
bei  sehr  schmerzhaften  und  stark  geschwollenen  Gelenken  prompt  und  sicher, 
ohne  jede  schädliche  Nebenwirkung.  Neumann. 


Ichthalbin. 

(L es  enger.  The  New  Albany  Med.  Herald,  Jan.  1909.) 

Die  Erfahrungen  des  Autors  mit  Ichthalbin,  einem  fast  geschmack¬ 
freien  Ichthyoleiweißpräparat,  beziehen  sich  vor  allem  auf  die  Kinderpraxis, 
in  der  das  Ichthalbin  von  L.  jahrelang  bei  Gastro-Intestinalstörungen,  Dysen¬ 
terie  und  tuberkulösen  Durchfällen  mit  bestem  Erfolge  verwandt  wurde. 
Besonders  gute  Ergebnisse  zeigten  sich  bei  chronischer  Colitis  und  bei  Darm¬ 
katarrh.  Selbst  in  den  unangenehmsten  Fällen  gingen  die  bedrohlichen 
Symptome  bald  zurück  und  die  Rekonvaleszenz  machte  infolge  der  besseren 
Assimilation  sehr  gute  Fortschritte.  Bei  chronischen  Darmerkrankungen  zeigte 
sich  die  Wirkung  des  Ichthalbins  vor  allem  in  einer  Besserung  des  Appetits 
und  einer  Herabsetzung  der  Darmfäulnis,  so  daß  die  Widerstandskräfte  des 
Körpers  gegen  diese  Krankheiten  sehr  gesteigert  werden.  Vor  allem  ist  Nach¬ 
druck  auf  das  Fehlen  von  Nebenwirkungen  zu  legen,  die  man  bei  der  inter¬ 
nen  Anwendung  des  Ichthyols  häufiger  beobachtet.  Die  Patienten  zeigen 
bald  durch  Gewichtszunahme  und  besseres  Aussehen  den  Erfolg  der  Ichthalbin- 
medikation.  Neumann. 


Une  methode  nouvelle  et  efficace  de  desinfection  des  appartements. 

Langhlin  sieht  die  Nachteile  der  Formaldehyddesinfektion  in  der 
Polymerisation  desselben,  sofort  nachdem  es  in  das  zu  desinfizierende  Zimmer 
eingeführt  ist,  was  sein  Penetrationsvermögen  und  damit  seine  desinfizierende 
Eigenschaft  lahmlegt.  Dies  kann  man  durch  Karbolsäurezusatz  verhindern, 
wie  er  gefunden  hat;  er  empfiehlt  eine  75  %ige  Mischung  einer  40%igen 
Formaldehyd-,  (  25% igen  Karbolsäurelösung  und  hält  davon  260  g  für  ge¬ 
nügend,  um  einen  1000  Kubikfuß  großen  Raum  zu  desinfizieren.  (Les  nou- 
veaux  remedes,  Nr.  23,  1908.)  v.  Schnizer  (Danzig). 


Bücherschau. 


809 


Bücherschau. 


Der  Kampf  um  Kernfragen  der  Entwicklungs-  und  Vererbungslehre. 

Von  Oskar  Hertwig.  Jena  1909,  Gustav  Fischer.  122  S.  3  Mk. 

Der  kindliche  Organismus  stellt  ein  Mischprodukt  dar,  das  sich  aus  Substanz 
von  Mutter  und  Vater  auf  baut  und  alles  spricht  dafür,  daß  Ei  und  Samen- 
fadeu,  obwohl  an  Quantität  der  Substanz  so  ungeheuer  verschieden,  in  Bezug  auf 
die  Vererbung  von  Eigenschaften  einander  gleichwertig  sind.  Nachgewiesenermaßen 
haben  die  Einheiten,  vermittels  welcher  sich  die  Arten  von  Pflanzen  und  Tieren 
durch  Fortpflanzung  erhalten:  Sporen,  Ei  und  Samenfaden,  den  Formwert  von  Zellen. 

Die  meisten  Forscher,  welche  über  das  Problem  der  Vererbung  tiefer  nachge¬ 
dacht  haben,  stellen  sich  vor,  daß  die  Zelle  zwar  ein  Elementarorganismus  im  Ver¬ 
gleich  zu  den  zusammengesetzten,  pflanzlichen  und  tierischen  Lebewesen  ist,  sich 
selbst  aber  aus  noch  kleineren  elementaren  Lebenseinheiten  aufbaut,  die  allge¬ 
mein  dem  ultramikroskopischen  Gebiet  angehören.  Diese  Einheiten  (die  „Protomeren“ 
der  ontogenetischen  Forscher,  die  „Energeten“  nach  O.  Bosenbach1)  sind  nach 
dieser  Auffassung  nicht  nur  außerordentlich  zahlreich  in  einer  Zelle,  sondern  auch 
zugleich  qualitativ  voneinander  unterschieden.  Je  nach  der  Art  ihrer  stofflichen 
Natur  sind  sie  auch  die  Träger  besonderer  Eigenschaften  und  damit  imstande, 
durch  direkte  Wirkung  oder  durch  verschiedenartig  kombiniertes  Zusammenwirken 
in  den  vom  Keime  abstammenden  Zellen  die  unzähligen  morphologischen  und 
physiologischen  Merkmale  zu  entwickeln,  die  wir  in  der  Organismenwelt  wahr¬ 
nehmen. 

Daß  die  Zelle,  welche  in  den  populären  Schriften  des  Darwinismus  als  etwas 
so  Einfaches  dargestellt  wird,  eine  unser  Denkvermögen  überschreitende  Fülle  von 
Verschiedenheiten  höheren  und  niederen  Grades  in  der  Organisation  des  Stoffes 
zuläßt,  geht  schon  daraus  hervor,  daß  es  die  Keimzelle  gibt  („ Artzellen“  nach 
O.  Hertwig),  die  schon  im  Beginn  der  Ontogenese,  also  schon  im  „einfachen  Zellen¬ 
stadium“  die  Organismen  durch  Stammes-,  Klassen-,  Ordnungs-Familien,  -Arten  und 
individuelle  Charaktere,  ebenso  gut  wie  später,  nur  in  andererWeise,  unterscheiden. 

Tritt  die  Zelle  im  ganzen  Organismenreich  unter  allen  übrigen  elementaren 
Einheiten  auch  ganz  besonders  hervor,  so  ist  sie  doch  immerhin  nur  eine  Stufe 
in  der  Organisation  der  lebenden  Substanz,  keineswegs  die  einzige  morphologische 
und  physiologische  Lebenseinheit,  in  die  sich  der  Körper  der  Pflanzen  und  Tiere 
zerlegen  läßt.  Vor  allem  sind  die  Zellen  nicht  Bausteinen  zu  vergleichen  (wie 
Heidenhain  in  seiner  „Bausteintheorie“  das  will),  da  sie  nicht  nur  in  einem  rein 
äußerlichen  Zusammenhänge,  sondern  in  einer  organischen  Verbindung  unterein¬ 
ander  stehen.  Die  Verbindung  ist  keine  chemische  sondern  eine  biologische, 
d.  h.  die  Zellen  haben  in  mehr  oder  minder  hohem  Maße  Teile  ihrer  Autonomie 
an  das  Ganze  abgetreten  und  werden  von  diesem  in  ihren  Lebensäußerungen  bedingt  : 
sie  sind  seine  integrierenden  Teile  geworden.  Zwischen  einem  Aggregat  von  Zellen, 
wie  sie  die  Bausteintheorie  annimmt,  und  einer  biologischen  Verbindung  von 
Zellen,  die  zu  Teilen  eines  Organismus  geworden  sind,  besteht,  um  den  Vergleich 
Hertwigs  zu  akzeptieren,  ein  ähnlich  großer  Unterschied,  wie  zwischen  Gemischen 
von  2  Volumen  Wasserstoff  mit  1  Volumen  Sauerstoff  auf  der  einen  Seite  und 
ihrer  chemischen  Verbindung  zu  Wassermolekülen  auf  der  andern. 

Gewiß  wäre  es  ein  großer  Fortschritt  in  der  Vererbungslehre,  wenn  sie  den 
Begriff  der  „Anlage“,  der  doch  nur  auf  eine  unbekannte,  in  der  Beschaffenheit  der 
Erbmasse  gelegene  Ursache  oder  auf  den  unbekannten  Grund  einer  Erscheinung 
hinweist,  die  im  Verlauf  des  Entwicklungsprozesses  in  einer  bestimmten  Organi¬ 
sation  des  Entwicklungsproduktes  mit  Gesetzmäßigkeit  zutage  tritt,  durch  Zerlegung 
in  seine  letzten  Elemente  und  Herausschälung  des  Kerns  der  verwickelten  Vor¬ 
gänge  anschaulich  und  greifbar  zu  machen  verstände.  Wir  sind  aber  nach  O.  Hert¬ 
wig  von  diesem  idealen  Ziele  der  Vererbungslehre  noch  so  weit  entfernt,  daß  es 
fast  unerreichbar  erscheinen  könnte.  Namentlich  glaubt  der  Autor,  trotz  manches 
Gemeinsamen  in  der  Anschauung,  der  Art  und  Weise  entgegentreten  zu  müssen, 
wie  Weismann  das  Problem  behandelt.  Wie  es  ihm  geradezu  willkürlich  und 
fehlerhaft  zu  sein  scheint,  die  Anwesenheit  eines  bestimmten  materiellen  Teilchens, 
eines  besonderen  „Bioblasten“  als  Träger  der  Vererbung  vorauszusetzen,  vermag 
er  sich  ebensowenig  mit  der  —  auch  von  Weismann  übernommenen  —  Deter¬ 
minantenlehre  Keinckes  zu  befreunden.  Er  macht  sich  im  Hinblick  auf  diese 


9  Vergl.  0.  Bosenbach.  Energetik  u.  Medizin.  2.  Auflage.  Berlin,  August 
Hirsch  wald,  1904. 


810 


Bücherschau. 


Erklärungen  den  in  Deutschland  von  Konrad  Günther  propagierten  Ausdruck 
des  französischen  Forschers  Yves  Delage  zu  eigen,  der  von  „Koffertheorien“ 
spricht,  (aus  dem  Koffer  kann  man  ja  alle  möglichen  Dinge  herausnehmen,  wenn 
man  sie  vorher  hineingepackt  hat).  Das  muß  aber,  worauf  hinzuweisen  ich  nicht 
unterlassen  möchte,  nach  den  Ausführungen  Poincare’s1)  nicht  nur  für  eine  große 
Zahl  der  naturwissenschaftlichen  Hypothesen,  sondern  sogar  auch  mehr  oder  weniger 
für  alle  mathematischen  Lehrsätze  gelten! 

Einverstanden  hingegen  erklärt  sich  O.  Hertwig  mit  Weismanns  An¬ 
nahme  der  Idioplasmatheorie  von  Naegeli.  Naegeli  unterscheidet  zwei  ver¬ 
schiedene  Arten  von  Protoplasma:  eine,  welche  im  Ei  und  Samenfaden  in  gleichen 
Mengen  vorhanden  und  Trägerin  der  erblichen  Eigenschaften  ist  (Idioplasma) 
und  eine  Art,  die  zwar  im  Ei  in  großen  Mengen  angehäuft  ist,  im  Samenfaden 
aber  ganz  oder  so  gut  wie  ganz  fehlt  und  die  vorzugsweise  Ernährungsprozessen 
dient  (gewöhnliches  Plasma,  Ernährungsplasma).  Das  Eigenartige  der 
Theorie  0.  Hertwigs  beruht  aber  in  der  Annahme  einer  Lokalisation 
des  Idioplasmas  in  der  Kernsubstanz. 

O.  Hertwig  war  der  erste,  der  für  die  tierischen,  E.  Straßburger,  der 
für  die  pflanzlichen  Objekte  zu  dem  beide  Male  gleichen  Ergebnis  kam,  daß  die 
Kerne  nach  der  Rolle,  die  sie  bei  der  Befruchtung,  bei  der  Entwicklung  und 
im  Zellenleben  im  allgemeinen  spielen,  als  die  Träger  der  erblichen  Anlage 
betrachtet  werden  müssen  und  daß  daher  ihre  Substanz,  besonders  wohl  das  Chroma¬ 
tin  dem  Idioplasma  von  Naegeli  entspricht.  Es  vollzieht  sich  im  Innern  des 
Eidotters  die  Verbindung  der  beiderseitigen  Kerne,  des  Ei-  und  des  Samentieres, 
zu  einem  Keimkern.  Der  Keimkern  ist  ein  durch  „Amphimyxis“  entstandener 
gemischter  Kern,  der  mütterliche  und  väterliche  Kernsubstanzen  in  gleichen  Be¬ 
trägen  in  sich  vereinigt.  Und  von  ihm  stammen  während  des  Entwicklungsprozesses 
durch  den  komplizierten  Vorgang  der  Kariokinese  alle  nachfolgenden  Kerngenera¬ 
tionen  ohne  Ausnahme  ab.  Der  Satz:  „omnis  cellula  e  cellula“  findet  so 
seine  Erweiterung  und  Ergänzung  in  dem  zweiten  gleich  wichtigen: 
„omnis  nucleus  e  nucleo“. 

Dieser  Theorie  0.  Hertwigs  und  E.  Straßburgers  schlossen  sich  bald 
Weismann,  Kölliker,  Hugo  de  Vries,  Richard  Hertwig,  Roux,  Boveri 
und  noch  andere  Forscher  an.  0.  Hertwig  selbst  aber  vervollständigte  die  Theorie 
zu  einer  Hypothese  die  er  das  „Gesetz  von  der  Äquivalenz  von  Ei-  und 
Samenkern“  nannte.  Danach  besitzen  durch  die  Teilungsprozesse  nach  erfolgter 
Amphimyxis  alle  Tochterzellen  in  entsprechenden  Phasen  des  Zellenlebens,  z.  B. 
gleich  nach  einer  neuen  Teilung,  denselben  Gehalt  an  erblicher  Kernsubstanz. 
Boveri  hat  dieses  auch  von  ihm  angenommene  Verhalten  mit  dem  kurzen  und 
treffenden  Ausdruck  als  „proportionales  Kernwachstum“  bezeichnet. 

Es  wäre  nun  nach  Hertwig  ganz  falsch,  wenn  man  sich  vorstellen  wollte,  daß 
dieselben  zwei  Idioblasten,  welche  durch  die  Befruchtung  zusammengeführt  werden, 
später  durch  die  Reduktion  der  Zellmasse  bei  der  Teilung  einfach  wieder  vonein¬ 
ander  getrennt  werden.  Er  schließt  sich  dabei  der  Hypothese  von  de  Vries  an, 
der  eine  Beeinflussung  der  Zellmasse  auf  materiellem  Wege  annimmt  und  dadurch 
den  Gegensatz  der  anscheinend  durch  die  Idioplasmatheorie  zwischen  Kernsubstanz 
und  Protoplasma  geschaffen  ist,  ausgleicht,  ohne  daß  dadurch  doch  der  Grund- 
cliarakter  der  Theorie  aufgehoben  wird.  Hertwig  glaubt  nicht  genug  hervorheben 
zu  können,  daß  mit  seiner  Hypothese  in  keiner  Weise  eine  Scheidewand  zwischen 
Protoplasma  und  Kern  errichtet  oder  letzterem  eine  Art  Monopol  für  die  Leistung 
aller  Lebensvorgänge  zugesprochen  werden  soll.  Protoplasma  und  Kernsubstanz 
betrachtet  er  vielmehr  als  zwei  für  das  Zustandekommen  der  Lebensprozesse  gleich 
wichtige  Substanzen,  die  keine  der  andern  entbehren  kann.  Denn  der  Kern  ist  in 
mehr  als  einer  Hinsicht  auf  das  Protoplasma  angewiesen,  in  dem  sich  die  Er- 
nährungsprozesse  von  erster  Hand  abspielen  und  überhaupt  der  Verkehr  mit  der 
Außenwelt  vermittelt  wird.  Nur  unter  Vermittelung  des  Protoplasmas  können  über¬ 
haupt  die  Merkmale,  welche  als  Anlagen  im  Kern  gewissermaßen  magaziniert  sind, 
zur  Entwicklung  gebracht  werden,  entstehen  Muskel-,  Nervenfib rillen,  Interzellular¬ 
substanzen  usw.  Er  teilt  also  gleichsam  die  Ausführung  dem  Protoplasma,  die  Lei¬ 
tung  dem  Kerne  zu.  De  Vries  —  und  mit  ihm  Hertwig  —  denkt  sich  im  Detail  die 
Sache  so,  daß  von  der  im  Kern  vorhandenen  Anlagesubstanz  einige  Bioblasten  oder 
Pangene  (de  Vries),  während  die  .meisten  einstweilen  inaktiv  bleiben,  wachsen, 
sich  vermehren  und  dadurch  auch  in  Wirksamkeit  treten,  daß  ein  Teil  von  ihnen 
in  das  Protoplasma  auswandert,  doch  nicht  daß  alle  Arten  von  Bioplasten  noch  im 


*)  Vergl.  Po  in  care,  Henry.  Wissenschaft  und  Hypothese.  Autorisierte 
deutsche  Ausgabe  von  E.  L.  Lin  de  mann.  Leipzig,  B.  G.  Teubner,  1904. 


Bücherschau. 


811 


Kern  vertreten  werden.  (De  Yries  nennt  den  subponierten  Vorgang  intrazelluläre 
Pangenesis“).  Wenn  man  will,  kann  man  also  unter  voller  Aufrechterhaltung  der 
Hertwigschen  Hypothese  neben  der  Vererbung  durch  den  Kern  auch  von  einer 
Vererbung  durch  das  Protoplasma  sprechen. 

Übrigens  protestiert  Hertwig  dagegen,  daß  sein  Standpunkt  in  irgend  einer 
Richtung  als  „vitalistischer“  bezeichnet  werde.  Er  will  keine  unüberbrückbare 
Kluft  zwischen  Lebewesen  und  unbelebter  Natur  errichten,  wenn  er  auch  der 
lebenden  Substanz  eine  viel  verwickeltere  und  tausendmal  kompliziertere  Organi¬ 
sation,  dadurch  aber  auch  die  Möglichkeit  zur  Entfaltung  eines  eigentümlichen 
und  ganz  anderen  Wirkens  zuschreibt,  als  die  es  ist,  mit  der  der  Chemiker  sich 
beschäftigt.  In  dieser  Beziehung  vermag  ich  ihm  bei  aller  Hochachtung  vor  seiner 
sonstigen  unbestreitbaren  Logik  nicht  zu  folgen.  Er  begründet  seinen  Standpunkt 
damit,  daß  ihm  mit  Rabl  die  Entwicklung  der  Organismen  im  Grunde  nur  als 
„eine  kontinuierliche  Kette  chemischer  Vorgänge  erscheint,  gebunden  und  reguliert 
durch  ein  bestimmtes  anatomisches  Substrat“.  Seinen  Leitsatz,  daß  unter  der  „Be¬ 
schaffenheit“  wesentlich  die  „Konfiguration“  zu  verstehen  sei,  die  die  Wertungs¬ 
weise  eines  materiellen  Systems  bedingen,  kann  ich  nur  beipflichten,  wenn  ich  mir 
mit  0.  Rosenbach1)  hinter  dem  Kunstwerk  auch  den  Künstler,  hinter  dem  Musik¬ 
stück  den  Komponisten,  hinter  dem  Klavier  seinen  Spieler  denke.  Eschle. 


Die  Summation  einzeln  unwirksamer  Reize  als  allgemeine  Lebenserscheinung. 

Von  E.  Steinach.  Bonn,  Martin  Hager,  1908.  112  S.  u.  7  Taf.  7  Mk. 

Daß  am  Nerv-Muskel präparat  durch  Häufung  minimaler  Reize,  welche  einzeln 
anscheinend  wirkungslos  bleiben,  Zuckungen  ausgelöst  werden  können,  ist  wohl 
bekannt.  Steinach  ist  diesen  Reizen  experimentell  nachgegangen  und  hat  mit 
sinnreichen  Versuchsanordnungen  sowohl  die  geringsten  Reize,  die  überhaupt  noch 
in  ihrer  Summation  Reaktionen  auslösen,  als  auch  die  zeitlich  zulässigen  Intervalle 
zwischen  den  Einzelreizen  bestimmt. 

Ein  ganz  besonderes  Verdienst  aber  kommt  ihm  zu,  weil  er  sich  nicht  auf 
Versuche  an  Muskelpräparaten  beschränkte,  sondern  auch  einzellige  Organismen 
(Flagellaten  und  Ziliaten),  Pflanzenzellen  (Spirogyra,  Mimosa,  Berberis,  Nitella)  und 
Leuchtzellen  in  den  Kreis  seiner  Betrachtungen  zog. 

Aus  seinen  Ergebnissen,  welche  durchweg  aufmerksamstes  Studium  verdienen, 
seien  folgende  besonders  herausgehoben:  Alle  lebendige  Substanz  besitzt  ein  starkes 
Summationsvermögen;  dasselbe  erstreckt  sich  einerseits  über  eine  Reizskala,  welche 
weit  unterhalb  die  Schwellenwerte  hinabreicht,  andererseits  läßt  es  Pausen  zwischen 
den  Einzelreizen  bis  zu  6  Sekunden  bei  Pflanzen  und  längsgestreiften  Muskeln, 
1  Sekunde  für  die  Nerven-,  0,2  Sekunden  für  die  Muskelzellen  zu. 

Das  Summations vermögen  ist  um  so  größer,  je  träger  die  Substanz  auf  Reize 
oder  spontan  reagiert. 

Ob  die  einzelnen  Reize  von  derselben  Seite  oder  von  verschiedenen,  ev.  ent¬ 
gegengesetzten  Seiten  zugeleitet  werden,  ist  gleichgültig. 

Bei  Ermüdung  erlischt  allmählich  die  Wirksamkeit  der  kleinsten  Reize,  so  daß 
die  Breite  des  Summationsvermögens,  die  Skala  der  unwirksamen  Reize  kleiner 
wird.  Dabei  bleibt  aber  die  gewöhnliche  Reizschwelle  intakt;  es  ist  somit  jene 
Einengung  des  Summationsvermögens  das  feinste  Reagenz  für  die  physiologische 
Leistungsfähigkeit  einer  Zelle.  Daß  demgemäß  schon  die  leisesten  Störungen  sich 
diesem  Reagenz  enthüllen,  erscheint  begreiflich;  so  hat  Steinach  beträchtliche 
Unterschiede  im  Summationsvermögen  bei  Fröschen  im  Oktober  und  im  März-April 
konstatieren  können,  und  bei  Zirkulationsstörungen,  Überanstrengungen,  Degenera¬ 
tionen  usw.  treten  sie  erst  recht  auf.  Umgekehrt  äußert  sich  die  Erholung  im 
Wiederanwachsen  der  Summationsbreite. 

Nach  Stein  ach  s  Untersuchungen  darf  das  Vermögen,  unterschwellige  Reize 
zu  summieren,  nicht  mehr  als  besondere  Eigenschaft  der  Nervenzellen  angesehen 
werden ;  es  ist  vielmehr  eine  allgemein  verbreitete  Lebenserscheinung,  welche  sich 
bei  vielen  und  ganz  verschiedenartigen  Substanzen  in  einer  ungleich  mächtigeren 
Ausbildung  vorfindet  als  bei  jenen  Gebilden,  bei  welchen  sie  entdeckt  und  als 
spezifische  Eigenschaft  gewürdigt  worden  ist.  Die  lebendige  Substanz  ist  bei  ihren 
natürlichen  Reaktionen  für  sämtliche  Reize  eingestellt. 

Ich  glaube,  jedem  physiologisch  Denkenden  werden  die  S tein ach’ sehen 
Mitteilungen  zu  denken  geben.  Er  wird  nicht  mehr  die  dicken,  groben,  katastrophen- 


1)  Vergl.  O.  Rosenbach.  Die  Seekrankheit  als  Typus  der  Kinetosen.  Wien, 
A.  Holder,  1886. 


812 


Bücherschau. 


mäßig  wirkenden  Reize,  wie  sie  die  Experimentalphysiologie  z.  B.  im  elektrischen 
Strom,  die  Ätiologie  in  einzelnen,  sich  besonders  heraushebenden  anamnestischen 
Momenten,  die  Therapie  in?  bestimmten  Arzneidosen  verwertet,  ausschließlich  be¬ 
rücksichtigen,  sondern  sich  stets  vor  Augen  halten,  daß  die  Lebenserscheinungen, 
welche  uns  sinnfällig  werden,  auf  jenen  minimalen  immerwährenden  Reizen  beruhen, 
wie  ja  in  ähnlicher  Weise  auch  das  Bewußtsein  ganz  im  Unbewußten  wurzelt.  Er¬ 
innern  wir  uns,  wie  alle  Organe  untereinander  in  engem  Zusammenhang  stehen, 
und  wie  jeder  Vorgang  eine  Resonanz  im  Gesamtorganismus  auslöst,  dann  scheint 
sich  für  einen  Augenblick  der  Schleier  von  dem  Mysterium  des  Lebens  zu  heben, 
um  freilich  sofort  in  dem  Gewirr  verschlungener  Kombinationen  um  so  dichter 
sich  wieder  herabzusenken.  Buttersack  (Berlin). 


Kinderschutz  gegen  Unfälle.  300  Regeln  für  Eltern,  Erzieher  und  Kinder 
von  Albert  Fleck,  Arzt  in  Berlin.  Berlin,  Verlag  von  Julius  Springer, 

1908.  47  S.  80  Pfg. 

Das  Werkchen  gibt  in  sehr  durchdachterWeise  und  unter  Vermeidung  aller 
überflüssigen  Redensarten,  zu  denen  das  Thema  vielleicht  verführen  könnte,  Be¬ 
lehrungen  über  die  Gefahren,  denen  unsere  kleinen  Lieblinge  ausgesetzt  sind,  und 
deren  Verhütung.  Man  könnte  bei  der  Fülle  der  Unfallschancen  —  nicht  nur  in 
den  großen  Städten,  sondern  auch  auf  dem  platten  Lande  trotz  seiner  einfacheren 
und  an  sich  gefahrloseren  Verkehrs  Verhältnisse  —  von  vornherein  an  dem  Erfolg 
jeder  Prophylaxis  durch  Belehrung  und  Warnung  verzweifeln:  aber  bei  einer  gründ¬ 
lichen  Vertiefung  in  die  Materie  wird  man  doch  dem  Verf.  recht  geben  müssen, 
der  nach  achtjähriger  Beobachtung  und  Sammeltätigkeit  zu  der  Überzeugung  ge¬ 
langte,  daß  die  Möglichkeiten,  zu  Schaden  zu  kommen,  zwar  vielgestaltig  genug,  aber 
immerhin  auch  wieder  in  gewissem  Maße  begrenzt  sind,  und  daß  sie  sich  fast  immer 
in  derselben  Verkettung  wiederholen.  Jedenfalls  gestattet  uns  diese  Erwägung 
nicht,  einfach  die  Flinte  ins  Korn  zu  werfen  und  auf  Warnungen  ganz  zu  ver¬ 
zichten  oder  uns  andererseits  mit  einer  derartig  übertriebenen  Ängstlichkeit  er¬ 
füllen  zu  lassen,  daß  wir  nun  durch  allzu  große  Häufung  von  Verboten  die 
Bewegungsfreiheit  und  damit  auch  die  harmlose  Fröhlichkeit  der  Jugend  völlig  unter¬ 
drücken.  Eschle. 


Leitfaden  für  den  geburtshilflichen  Operationskurs.  Von  Döderlein, 
8.  Aufl.  Mit  163  Abb.  240  S.  Georg  Thieme,  Leipzig,  1909.  4  Mk. 

Der  Döderlein-’ sehe  Leitfaden,  dessen  6.  Auflage  von  mir  in  diesen  Blättern 
(Fortschritte  der  Medizin,  1904,  S.  1254)  bereits  ausführlich  besprochen  ist,  liegt 
jetzt  in  8.  Auflage  vor.  Im  äußeren  Gewand  hat  sich  nichts,  im  Innern  wenig 
verändert.  Bilder  und  Text  haben  Verbesserungen  erfahren;  ein  Teil  der  Bilder 
wurde  erneuert,  einzelne  neue  wurden  hinzugefügt.  Ein  kurzer  Anhang  bringt  nach 
einem  kurzen  historischen  Überblick  und  einer  Erörterung  der  Indikationen  eine 
knapp  gehaltene  anschauliche  Schilderung  des  Kaiserschnitts  (auch  der  neuerdings 
so  aktuelle  „extraperitoneale  Kaiserschnitt“  wird  kurz  gestreift)  und  der  becken- 
erweiternden  Operationen.  Die  offenen  Operationsmethoden  der  Symphvseotomie 
und  Hebosteotomie  erklärt  Döderlein  für  überwunden;  die  subkutane  Durch¬ 
schneidung  der  Symphyse  nach  Frank  findet  allerdings  keine  Erwähnung. 

Daß  der  Bossi’sche  Dilatator,  dessen  Leistungsfähigkeit  in  geübter  Hand 
außer  Zweifel  steht,  in  einem  den  Zwecken  des  Studenten  und  Praktikers  dienenden 
Büchlein  keine  Erwähnung  findet,  ist  verständlich;  auffallend  erscheint  jedoch, 
daß  auch  Indikation  und  Technik  des  vaginalen  Kaiserschnitts  nicht  erörtert  wird. 
Die  Methode  ist  besonders  in  ihrer  Anwendung  bei  der  Eklampsie  längst  über  den 
Rahmen  eines  nur  für  die  Klinik  brauchbaren  Verfahrens  hinaus  gewachsen,  so 
daß  sie  auch  in  einem  kurzen  Abriß  der  wissenschaftlichen  Gehurtshilfe  nicht  mehr 
fehlen  sollte. 

Der  bekannte  Leitfaden  wird  auch  in  seiner  jetzigen  Gestalt  dem  lernenden  wie 
dem  ausübenden  Mediziner  sich  als  bewährter  Führer  erweisen.  F.  Kayser  (Köln). 


Die  Pflege  und  Ernährung  des  Neugeborenen.  Von  Prof.  A.  Martin. 
Fragen  des  Lebens.  Verlag  für  Volkshygiene,  Berlin.  30  Pfg. 

So  beherzigenswert  die  von  dem  bekannten  Gynäkologen  gegebenen  Winke 
sind,  soweit  sie  die  Hygiene  und  Diätetik  der  Wöchnerin  betreffen,  so  wenig  wird 


Bücherschau. 


813 


sich  der  Kinderarzt  mit  einigen  Angaben  über  die  Pflege  der  Kinder  einverstanden 
erklären  können.  Dazu  gehört  das  Badeverbot  für  die  ersten  Lebenstage,  die  von 
M.  empfohlene  Mundreinigung,  die  energische  Ablehnung  des  Schnullers,  die  für 
die  Zeit  der  Menstruation  geforderte  Unterbrechung  des  Stillens,  sobald  grünliche, 
dünne  Entleerungen  auftreten.  Anzuerkennen  ist  der  Hinweis  auf  rechtzeitiges 
Befragen  des  Arztes  bei  Erkrankung  und  die  recht  ausführliche  Besprechung  der 
Diätetik  der  Stillenden.  Die  beigegebene  Tabelle  für  künstliche  Ernährung  für  das 
erste  Lebensjahr  von  Ebert-Wilmersdorf  ist  im  allgemeinen  ausreichend.  Bef.  möchte 
hier  auf  das  ausgezeichnete  Büchlein  von  Pescatore:  Pflege  und  Ernährung  des 
Säuglings  hinweisen.  Aronade. 


Blutungen  und  Ausfluß  aus  dem  Uterus.  Ihre  Ursachen  und  Behandlung. 

Von  Hofrat  Dr.  A.  Teilhaber.  Verlag  von  Ernst  Reinhardt,  München, 

1909.  2,50  Mk. 

Vorliegendes  Heft  ist  eine  sehr  dankenswerte  Zusammenfassung  der  bis¬ 
herigen  Arbeiten  Teilhabers  und  seiner  Assistenten  auf  überschriftlich  genanntem 
Gebiet.  Bekanntlich  gipfelt  das  Resultat  dieser  Untersuchungen  bez.  der  Blutungen 
darin,  daß  nur  in  den  seltensten  Fällen  (abgesehen  von  Neubildungen)  das  Endo¬ 
metrium  die  Quelle  der  Blutungen  ist,  vielmehr  fast  ausschließlich  das  Myometrium. 
Erinnert  sei  an  den  von  Teilhaber  aufgestellten  Begriff  der  Insufficientia  uteri 
(analog  der  des  Herzens),  der  Myofibrosis  uteri,  des  Adnexuterus  u.  a.  Therapeutisch 
ist  der  ursächlichen  und  allgemeinen  Behandlung  mehr  Rechnung  zu  tragen,  neben¬ 
bei  wird  man  aber  meist  auch  zu  lokaler  greifen  müssen,  wobei  Auswischungen 
mittels  Wattestäbchen  mit  Formalin-  oder  Chlorzinklösungen  an  erster  Stelle  zu 
nennen  sind.  — Was  den  Ausfluß  anbetrifft,  so  sind  Theilhabers  Ansichten  hier¬ 
über  soeben  a.  a.  O.  in  diesen  Blättern  referiert  worden.  R.  Klien  (Leipzig.) 


Vorlesungen  über  Geschichte  der  Medizin.  Von  Prof.  Dr.  Ernst  Schwalbe. 
Zweite  umgearbeitete  Auflage,  mit  einer  kurzen  Übersichtstabelle  von 
Dr.  L.  Aschoff.  Verlag  von  Gustav  Fischer  in  Jena,  1909.  3,80  Mk. 

Die  Beschäftigung  mit  der  Geschichte  der  Medizin  erscheint  im  Studiengang 
unserer  Wissenschaft  als  ein  rechtes  Stiefkind  und  wird  es  auch  wohl  vorläufig  bleiben. 
Es  kann  das  auch  nicht  wundernehmen,  wenn  man  berücksichtigt,  wieviel  Vor¬ 
lesungen  in  den  klinischen  Semestern  gehört  werden  müssen  und  den  vorklinischen 
Semestern  fehlt  wohl  in  den  allermeisten  Fällen  noch  das  Interesse  für  diesen 
Zweig  unserer  Wissenschaft.  Und  doch  ist  die  Studienzeit  zweifellos  die  einzig 
geeignete,  um  sich  einige  historische  Kenntnisse  anzueignen,  denn  späterhin  wird 
es  den  meisten  im  Drange  der  Berufsgeschäfte  kaum  möglich  sein,  sich  in  den 
Geist  der  Zeiten  zu  versetzen.  Eine  historische  Grundlage  aber  sollte  sich  wenigstens 
jeder  zu  verschaffen  suchen  und  das  klar  und  übersichtlich  geschriebene  Werk  von 
Schwalbe,  der  großzügig  und  von  großen  Gesichtspunkten  aus  die  Geschichte  im 
Wandel  der  Zeiten  an  uns  vorbeiziehen  läßt,  bietet  dazu  die  sehr  geeignete  Gelegen¬ 
heit.  Es  wird  jeder  Leser  das  Buch  nicht  nur  dankbar,  in  dem  Bewußtsein,  nun¬ 
mehr  über  ein  abgerundetes  Bild  unserer  Wissenschaft  zu  verfügen,  aus  der  Hand 
legen,  auch  ein  praktischer  Nutzen  dürfte  sicher  aus  dem  Studium  dieser  Vorlesungen 
von  Schwalbe  resultieren,  wie  ihn  der  Autor  erhofft,  wenn  er  zum  Schluß  seiner 
Ausführungen  sagt:  „Wer  die  Geschichte  der  Medizin  etwas  sorgfältiger  kennen 
lernt,  den  wird  diese  Kenntnis  zu  einem  Gegner  jeder  oberflächlichen  Heilmethode 
machen,  jeder  Heilmethode,  die  sich  als  die  einzige  für  alle  Krankheiten  hinstellt. 
Wer  die  Geschichte  der  Medizin  kennt,  der  wird  in  besonderem  Maße  befähigt  sein, 
der  Kurpfuscherei  und  den  Auswüchsen  der  Medizin  selbst,  wie  der  Homöopathie, 
entgegenzu  treten. 

Und  noch  eine  Lehre  wollen  wir  aus  der  Geschichte  der  Medizin  schöpfen. 
Wir  können  beobachten,  daß  gerade  in  der  Zeit  stärksten  Theoretisierens  der  als 
Arzt  der  Mitwelt  am  größten  erschien,  der  theoretische  Streitigkeiten  ablehnend  in 
rastloser  Menschenliebe  seinem  Beruf  lebte,  so  Sydenham,  so  auch,  um  ein  Beispiel 
aus  der  Zeit  der  Naturphilosophie  zu  nennen,  der  —  alte  Heim  — .  Das  gibt  uns 
zu  denken.  Schwer  ist  der  Beruf  des  Arztes,  am  schwersten  wohl  des  Arztes,  der 
allein  auf  dem  Lande  den  mannigfachsten  Krankheiten  gegenübersteht. 

Der  Arzt  muß  zwei  Eigenschaften  verbinden,  die  ihn  allein  zu  seinem  Beruf 
geschickt  machen,  er  muß  mit  der  Fähigkeit  der  naturwissenschaftlichen  Beobachtung 
und  dem  Wissen,  das  ihm  sein  Studium  gibt,  die  Humanität  vereinen,  die  allein 
ihm  die  Begeisterung  verleiht,  die  sein  Beruf  erfordert. 


814 


Krankenpflege  und  ärztliche  Technik. 


Wenn  die  Geschichte  der  Medizin  wie  ich  sie  Ihnen  im  Überblick  gegeben 
habe,  ein  wenig  dazu  hilft,  durch  die  Bewunderung  und  das  Verständnis  für  unsere 
Vorgänger,  diese  Begeisterung  für  Ihren  Beruf  zu  stärken,  so  wäre  mir  das  eine 
hohe  Befriedigung.“ 

Die  von  Aschoff  bearbeitete  und  dem  Buche  beigegebene  Übersichtstabelle 
schließt  sich  demselben  sehr  gut  an  und  eignet  sich  vorzüglich  zur  schnellen 
Orientierung.  R. 


Krankenpflege  und  ärztliche  Technik. 

Die  Luftdusche  „Fön“. 

Zur  einfachen  und  bequemen  Erzielung  örtlich  begrenzter  Hyperämien 
unter  gleichzeitiger  Einwirkung  höherer  Temperaturen  hat  sich  die  Behand¬ 
lung  mit  strömender  Heißluft  besonders  wirksam  erwiesen.  Die  vorzüg¬ 
lichen,  auf  der  Bier’schen  Stauungstherapie  fußenden  Heilerfolge  sichern 
dieser  neuen  Behandlungsmethode  bei  den  verschiedensten  Gelenkerkrankungen 
und  Neuralgien  sowie  bei  Eurunkulosen  eine  dauernde  therapeutische  Ver¬ 
wertung. 


Das  neue  Behandlungsverfahren  konnte  sich  jedoch  in  ärztlichen  Kreisen 
nur  auf  Grund  eines  sowohl  in  konstruktiver  Hinsicht  wie  auch  in  bezug 
auf  Handlichkeit  und  Hygiene  jeder  Anforderung  entsprechenden  Apparates 
einbürgern. 

Alle  diese  Bedingungen  erfüllt  die  Heißluftdusche  „Fön“  in  hohem 
Maße,  die  durch  Verbindung  eines  kräftigen  Ventilators  mit  einem  im 
Handgriff  vorgesehenen  Motor  und  Verwendung  eines  eigenartig  konstru¬ 
ierten,  leicht  auswechselbaren  Heizkörpers  unmittelbar  nach  Anschluß  an 
eine  elektrische  Lichtleitung  einen  kräftigen,  konstanten  auf  über  100°  C 
erhitzten  Luftstrom  liefert.  Da  dieser  außerdem  absolut  trocken  ist,  ist 
jede  Verbrennungsgefahr  für  den  Patienten  ausgeschlossen.  Auch  kann  nach 
Bedarf  durch  Verwendung  von  Ansatztuben  mit  verschiedenen  kleineren  Aus¬ 
strahlöffnungen  nicht  nur  die  Intensität  des  Luftstromes  gesteigert,  sondern 
auch  dessen  Temperatur  auf  120—150°  'C  erhöht  werden.  Ferner  läßt  sich  der 
Heizkörper  ausschalten  und  der  Apparat  derart  gleichfalls  zur  Applikation 
eines  Kaltluftstromes  verwenden. ' 

Die  Heißluftdusche  wird  zweckmäßig  an  einer  Aufhänge-Vorrichtung 
befestigt,  die  Höhen-  und  Seitenverschiebungen  mit  absolut  sicherer  Fixierung 
gestattet. 

Das  geringe  Gewicht  des  Apparates  bietet  die  Möglichkeit  leichtester 


Krankenpflege  und  ärztliche  Technik. 


S15 


Transportabilität  und  damit  auch  der  Verwendung  desselben  zur  Behandlung 
bettlägeriger  Patienten  außer  Haus. 

Bei  allen  Vorzügen  dieser  Heißluftdusche  ist,  um  so  mehr  als  lästige 
Reparaturen  fast  ganz  in  Wegfall  kommen,  der  Preis  von  60  Mark  als 
ein  sehr  niedriger  zu  bezeichnen. 

Fabriziert  wird  dieser  Apparat  von  der  E.  G.  „Sanitas“-Berlin. 


Antiphone  und  Paraphone. 

Von  Dr.  Sprenger,  Stettin. 

Die  bisher  gebräuchlichen  Antiphone  sind  Kugeln  aus  Metall,  aus  Hart¬ 
gummi  oder  aus  Zelluloid  mit  einem  zur  Handhabe  dienenden,  daran  be¬ 
festigten  Anker.  Außerdem  gibt  es  handschuhfingerartige  Einlagen  in  den 
Gehörgang  aus  W eichgummi  und  endlich  W achsantiphone :  die  W achskugel 
wird  mit  den  Fingern  eingelegt  und  mittels  eines  daran  befestigten  Fadens 
oder  Drahtbügels  wieder  entfernt.  Diese  sämtlichen  Antiphone  sind  nach 
dem  Einlegen  sichtbar,  drücken,  verursachen  Sausen  und  schließen  schlecht  ab. 


Eine  Sonderstellung  nimmt  das  ,, Paraphon“  (Paraffin-Antiphon)  nach 
Dr.  Sprenger  ein.  Sprenger  ging  von  dem  Gedanken  aus,  daß  ein  Anti¬ 
phon  nach  dem  Eingelegtwerden  nicht  zu  sehen  sein  dürfe,  daß  es  weich 
sein  und  gut  schließen  müsse.  Da  alle  bisherigen  Antiphone  aus  hartem 
Metall  bestanden  —  auch  das  Wachs  macht  davon  keine  Ausnahme  —  so 
suchte  er  nach  einem  Stoffe,  der  beliebig  weich  verwendbar  wäre ;  als  sol¬ 
chen  fand  er  am  geeignetsten  das  Paraffin.  Hartparaffin  wäre  zu  hart 
gewesen,  Paraffinöl  zu  weich.  Er  mischte  also  diese  beiden,  bis  er  zu  einem 
Produkte  kam,  das  bei  Zimmertemperatur  gerade  hart  ist,  im  Ohre  aber 
öligweich  wird.  Eine  derartige  Paraffinkugel  kann  natürlich  nicht  ohne 
weiteres  als  Antiphon  benutzt  werden,  da  sie  nur  schwierig,  eventuell  nur 
durch  Ausspritzen  entfernt  werden  könnte. 

Es  wurden  deswegen  Watteröllchen  genommen  und  in  die 
erwärmte  Paraffinmischung  eingetaucht;  diese  Paraffin -Watte -Anti¬ 
phone  sind  sehr  gut  brauchbar,  aber  auch  schwierig  zu  entfernen,  da  sie 
manchmal  auseinanderreißen.  Sprenger  legte  deswegen  eine  Seiden¬ 
hülle  herum,  die  durch  Knüpfung  geschlossen  wird.  Durch  die 
Seidenhüllc  bekommt  das  Antiphon  einen  kleinen,  als  Handhabe  dienenden 
Stiel,  und  dieses  Paraffin -Watte -Antiphon  mit  Stiel  wird  nochmals  in  die 
Paraffinmischung  eingetaucht  und  bekommt  dadurch  einen  leichten  Paraffin¬ 
überzug.  Es  ist  bei  Zimmertemperatur  fest-weich  und  wird  im  Ohr  fast 
öligweich.  Es  wird  durch  Erfassen  des  Stieles  eingelegt  und  noch  zwei 
bis  drei  Minuten,  wenn  es  weich  geworden  ist,  mit  dem  Finger  angedrückt. 
Die  Entfernung  geschieht  durch  Anfassen  am  Stiel.  Zur  Erzielung  einer 
besonders  großen  Schwerhörigkeit  dient  eine  kleinere  Nummer  des  Para¬ 
phons,  die  mit  einer  besonderen  Pinzette  D.  R.  P.  tiefer  in  den 
Gehörgang  versenkt  wird,  nämlich  bis  zur  Grenze  des  knorpligen 
und  knöchernen  Gehörganges.  Die  Pinzette  unterscheidet  sich  von  den 
bisher  gebräuchlichen  Ohrpinzetten  dadurch,  daß  sie  einen  breiten  Körper 
und  kurze  Arme  hat.  Die  tiefe  Versenkung  des  Paraphons  hat  dreierlei  Vorteile : 

1.  völlige  Unsichtbarkeit, 

2.  absoluten  Schluß, 

3.  wird  keinerlei  Druckgefühl  und  keinerlei  Sausen  a-usgelöst.. 
Paraphone  D.  R.  P.  und  Pinzette  D.  R.  P.  sind  zu  beziehen  durch  die  Firma: 

„Unitas“-  Stettin,  Falkenwalderstr.  25. 


816 


Krankenpflege  und  ärztliche  Technik. 


Stetoscop  mit  Muscheln  aus  elastischem  Gummi 
und  einsteckbarem  Zwischenrohr.*) 

Nach  Dr.  med.  G.  Freuden thal. 

Die  Verbesserung  besteht  darin,  daß  die  sonst 
aus  Hartgummi  oder  anderen  nicht  elastischen  Mate¬ 
rialien  hergestellten  Muscheln  aus  Weichgummi  an¬ 
gefertigt  werden.  Die  große  Muschel,  welche  als  Ohr¬ 
stück  dient,  legt  sich  dem  Ohr  fest  und  passend  an, 
während  die  kleine  Muschel  sich  dem  Körper  (Rippen 
usw.)  anschmiegt  und  weder  durch  Druck  noch  Kälte 
den  Patienten  belästigt. 

Durch  den  fast  luftdichten  Weichgummi- Ab¬ 
schluß  wird  der  Schall  von  den  Organen  deutlich 
übertragen  und  äußere  Nebengeräusche  vermieden. 

Das  Zwischenrohr  ist  in  die  Muscheln  fest  ein¬ 
geklemmt  und  wird  aus  bestem  Hartgummi  herge¬ 
stellt,  doch  können  die  Muscheln  abgenommen  und 
lose  in  der  Tasche  getragen  werden. 


*)  Hannoversche  Gummi -Kamm -Compagnie,  Aktien- 
Gesellschaft,  Hanno ver-Limmer. 


Kronen-Fuß-Stütze. 

(Gesetzlich  geschützt  D.  R.  G.  M.) 

Von  E.  A.  Schuchardt,  Erfurt. 

Die  neue  Fußstütze  ist  aus  Leder  muldenförmig  mit  erhöhtem  Rand 
gewalkt  und  unterstützt  von  einer  Feder. 

Das  Ideal  der  Kronen-Fuß-Stütze  ist  der  erhöhte  Fersenrand,  wodurch 
das  bisherige  lästige  Verrutschen  unmöglich  und  dieselbe  leicht  auswechsel¬ 
bar  ist.  Die  Einlage  hält  sich  zwischen  Ferse  und  Schuh  fest,  so  daß  das 
Hinterteil  des  Fußes  in  einer  Mulde  ruht.  Der  umgewalkte  Lederrand  ist 
im  Gegensatz  zum  Schuh  etwas  nach  außen  gehalten,  wodurch  die  Einlage 
sich  an  den  Schuh  fest  anlegt. 

Es  ist  ferner  zu  beachten,  daß  der  Schuh  an  der  Ferse  gerade  gehalten 
ist,  durch  die  Rundung  der  Ferse  entsteht  ein  leerer  Raum,  welcher  dement¬ 
sprechend  von  der  Einlage  ausgefüllt  wird. 

Die  Feder  an  der  Einlage  selbst  ist  oval,  ohne  jede  Ecke  und  be¬ 
schränkt  sich  nur  auf  den  hohlen  Fuß,  wodurch  jeder  Druck  auf  die  Ferse 
und  den  großen  Zehenballen  vermieden,  sowie  ein  Zerbrechen  und  Durch¬ 
drücken  der  Feder  vollkommen  ausgeschlossen  wird,  ferner  ist  die  Feder- 
Erhöhung  so  breit  gehalten,  daß  dieselbe  den  Seitenpartien  des  Fußes  einen 
vollkommenen  ganzen  Halt  gibt.  Bei  vorsichtiger  Behandlung  lassen  sich 
bei  starker  Deformation  die  kurzen  Federeinschnitte  korrigieren. 

Die  Kronen-Fuß-Stütze  wird  in  9  Größen  angefertigt  und  zwar  für 
Kinder,  Damen  und  Herren  in  je  3  Größen  mit  der  näheren  Bezeichnung! 
bezw.  Einteilung  klein,  mittel  und  groß. 


Schriftleitung:  Dr.  Rigi  er  in  Leipzig. 
Druck  von  Emil  Herr  mann  senior  in  Leipzig. 


27.  Jahrgang. 


1909. 


Tomcbrim  der  medizin. 


Unter  Mitwirkung  hervorragender  Fachmänner 

herausgegeben  von 

Professor  Dr.  0.  Köster  Prio.-Doz.  Dr.  v.  Criegern 


in  Leipzig.  in  Leipzig. 

Schriftleitung:  Dr.  Rigler  in  Leipzig. 


Nr.  22. 


Erscheint  am  10.,  20.,  30.  jeden  Monats.  Preis  halbjährlich 
6  Mark,  in  kl.  Zeitschrift  für  Versicherungsmedizin  8  Mark. 


Verlag  von  Georg  Thieme,  Leipzig. 


10.  August. 


Originalarbeiten  und  Sammelberichte. 

Aus  der  medizinischen  Klinik  (Säuglings-  und  Kinderabteilung)  Marburg. 

Neuere  Ansichten  über  die  Ätiologie  der  Rhachitis. 

(Klinischer  Vortrag.) 

Von  Privatdozent  Dr.  Paul  Sittler. 

M.  H. !  Die  Beantwortung  der  Frage  nach  den  Ursachen  der 
Rhachitis  ist  im  Laufe  der  Zeiten  sehr  verschieden  gewesen. 
Zahlreiche  Faktoren  physikalischer,  chemischer  nnd  sogar  direkt  in¬ 
fektiöser  Natur  sind  zur  Erklärung  des  Auftretens  der  englischen  Krank¬ 
heit  angeschnldigt  worden.  Es  sei  nur  bezüglich  der  letztgenannten 
Momente  an  die  Hypothese  erinnert,  welche  in  der  Rhachitis  eine  analoge 
Infektionskrankheit  sehen  wollte,  wie  wir  sie  z.  B.  in  der  Malaria 
vor  uns  haben,  und  welche  znm  Beweis  dieser  Analogie,  die  Lei  Rhachitis 
so  oft  vorhandene  Milzvergrößerung  heranzog.  —  Ähnlich  hat  auch 
Mir  coli  in  der  Rhachitis  einen  entzündlich -infektiösen  Prozeß'  sehen 
wollen. 

Die  obige  Hypothese  hat  aber  niemals  eine  allgemeine  Verbreitung 
finden  können,  ebensowenig  wie  eine  andere  Annahme,  die  das  Ent¬ 
stehen  der  Rhachitis  nicht  auf  direkte  bakterielle,  sondern  auf  infek- 
töse  Einflüsse  chemisch-toxischer  Natur  zurückführen  wollte. 
Einer  der  Haupt  Vertreter  dieser  Ansicht  ist  Marfan.  Auf  gleiche 
Stufe  mit  anderweitigen  Stoffwechsel-  nnd  ähnlichen  Störungen  stellt 
er  auch  die  toxischen  Einwirkungen,  die  besonders  von  der  hereditären 
Lues  (auf  Knochenmark,  Milz  und  Drüsen)  ausgehen  nnd  sieht  hierin 
einen  schädlichen  Reiz,  der  das  Auftreten  von  Rhachitis  zu  bewirken 
vermag.  —  In  anderer  Weise  haben  Fede,  Jovane  und  Fo<rte  toxische 
Einflüsse  als  Ätiologie  der  Rhachitis  angeschuldigt.  Diese  Autoren  wollen 
bei  Tieren  Rhachitis  dadurch  erzeugt  haben,  daß  sie  systematische, 
subkutane  und  intravenöse  Injektionen  von  Fäzesextrakten  von  rhachi- 
tischen  nnd  magendarmkranken  Kindern  machten.  Daß  durch  diese 
toxisch  wirkenden  Injektionen,  —  die  für  die  Annahme  einer  Autoin- 
toxikation  heim  Menschen  als  Ursache  der  Rhachitis  sprechen  würden 
heim  Tiere  eine  echte  Rhachitis  erzeugt  werden  kann,  steht  noch 
nicht  einwandfrei  fest.  —  Denn  auch  durch  kalkarme  Fütterung  läßt 
sich  im  Tierversuch  eine  zwar  der  Rhachitis  klinisch  ähnliche,  aber  trotz¬ 
dem  (nach  den  mikroskopischen  Befunden)  nur  den  Namen  Pseudo- 
rhachitis  verdienende  Krankheitsform  bewirken.  (St ölt zner,M agniis- 
Levy).  — 


52 


818 


Paul  Sittler, 


In  das  Kapitel  der  chemisch-toxischen  Einflüsse  gehört  auch  die 
Ansicht  derjenigen  Autoren,  die  die  Ätiologie  der  Khachitis  in  der 
Insuffizienz,  d.  h.  in  der  mangelhaften  entgiftenden  Funktion  eines 
Organs  mit  innerer  Sekretion  gesucht  haben  So  wurde  schon  früher 
die  Schilddrüseninsuffizienz  (ebenso  auch  eine  Thymusinsuffizienz)  als 
ursächlich  angeschuldigt ;  therapeutische  Versuche  vermittels  Zufuhr 
von  Schilddrüsen-  (und  Thymus-)Substanz  haben  aber  durch  ihre  Un¬ 
wirksamkeit  die  Nichtberechtigung  dieser  Hypothese  bewiesen.  — -  Fast 
gleichzeitig  mit  dem  Nachweis  der  Erfolglosigkeit  der  Schilddrüsen¬ 
therapie  bei  Khachitis  wurde  hauptsächlich  von  Stöltzner  ein  anderes 
opotherapeutisches  Mittel,  die  Darreichung  von  Nebennierensubstanz 
bei  Khachitis  empfohlen.  Stöltzner  hatte  beim  Verfolgen  der  Frage 
nach  der  Bedeutung  der  Drüsen  mit  innerer  Sekretion  bei  Khachitis  in 
der  Nebenniere  das  Organ  zu  finden  geglaubt,  dessen  normale  Tätig¬ 
keit  das  Auftreten  von  Khachitis  verhindere.  Die  Folge  dieser  An¬ 
nahme  war  die  Empfehlung  (1900)  von  Nebennierensubstanz  in  Tabletten- 
form  als  Antirhachiticum  (Khachitoltabletten),  eine  Therapie,  die  aber 
von  Stöltzner  selbst  wieder  verlassen  wurde.  —  Im  Abschnitt  ,, Khachi¬ 
tis“  in  Pf  aundler-Schlossmann’s  Handbuch  der  Kinderheilkunde 
(1906,  Bd.  I,  2)  sagt  Stöltzner:  „Das  beste  Heilmittel  der  Khachitis 
ist  nach  meiner  Überzeugung  der  Phosphorleberthran“,  ein  Ausspruch, 
der  mir,  wenn  man  seinen  Umfang  auch  auf  einige  andere  Phosphor¬ 
präparate  ausdehnt,  heute  noch  seine  Gültigkeit  zu  haben  scheint.  — 
Nun  ist  aber  in  der  letzten  Zeit  Bossi,  nach  ihm  auch  wieder  Stöltzner 
auf  die  Frage  des  ursächlichen  Zusammenhangs  zwischen  Neben¬ 
nieren  und  Khachitis  zurückgekommen.  Insbesondere  Bossi  hat  in 
verschiedenen  Arbeiten  diesen  Konnex  (auch  zwischen  dem  Auftreten 
von  Osteomalazie  und  mangelhafter  Funktion  der  Nebennieren)  scharf 
betont  und  therapeutisch  bei  Khachitis  (wie  auch  bei  Osteomalazie) 
die  Verabreichung  von  Adrenalien  per  os  (in  Form  der  l°/oo  Lösung) 
empfohlen;  —  auch  subkutan  ist  Adrenalin  zugeführt  worden.  Ver¬ 
suche  an  Tieren  schienen  diese  Annahme  Bossi’s  nur  zu  stützen.  Den 
Anschauungen  Bossi’s  hat  sich  Stöltzner  angeschlossen  und  der  An¬ 
sicht  Ausdruck  gegeben,  ,,daß  bei  Khachitis  die  suprareninbildende 
Funktion  der  Nebennieren  insuffizient  ist“,  daß  diese  Insuffizienz  „keine 
Begleit-  oder  Folgeerscheinung,  daß  sie  die  nächste  Ursache  der  Kha¬ 
chitis  ist.“  Die  therapeutische  Verwendung  von  Adrenaiinlösung  hat 
sich  auch  Stöltzner  bei  Khachitis  bewährt.  Es  wäre  ja  a  priori  nicht 
auszuschließen,  daß  dem  Adrenalin  eine  therapeutische  Wirkung  zu¬ 
kommt,  während  die  wohl  nur  wenig  adrenalinhaltigen  Nebennieren¬ 
substanz-Tabletten  diese  Wirkung  nic'ht  besitzen.  —  Der  definitive 
Nachweis,  inwieweit  diese  Annahme  der  beiden  genannten  Autoren  ihre 
Berechtigung  hat,  muß  erst  durch  therapeutische  und  hauptsächlich 
histologische  Untersuchungen  an  einem  großen  Material  geliefert  wer¬ 
den.  Ein  Versuch,  bei  Sektionen  von  rhachitischen  Kindern  histologische 
Veränderungen  der  Nebennieren  zu  finden,  ist  von  Jovane  und  Pace  ge¬ 
macht  worden,  mit  negativem  Resultate.  Vom  anatomisch-histologischen 
Standpunkte  aus  wollen  diese  Autoren  „jedwede  Beziehung  zwischen 
Nebennieren  und  Khachitis  ausschließen“.  Dagegen  ließe  sich  allerdings 
immer  noch  der  Einwand  erheben,  daß  die  hypothetischen  Nebennieren¬ 
veränderungen  eben  nicht  anatomischer,  sondern  chemischer  Natur 
sind.  Die  gleichen  Autoren,  (welche  früher  (1907)  den  Zusammenhang 
zwischen  Nebenniereninsuffizienz  und  Khachitis  verteidigt  hatten),  haben 


Neuere  Ansichten  über  die  Ätiologie  der  Rhachitis. 


819 


in  letzter  Zeit  (1909)  auch  an  ihren  Tierexperimenten  gezeigt,  daß 
man  diese  Versuche  nicht  zum  Beweise  für  die  Bossi-Stöltzner’sche 
Anschauung  heranziehen  dürfe.  Denn  einerseits  gelinge  es  im  Tier¬ 
versuche  nach  Exstirpation  der  beiden  Nebennieren  nicht,  junge  Tiere 
lebend  zu  erhalten,  andererseits  mache  einseitige  Nebennierenexstir¬ 
pation  keine  Rhachitis.  —  Jedenfalls  ist  es  nach  dem  gegenwärtigen 
Stande  der  Frage  nicht  unangebracht,  den  Beziehungen  zwischen  Neben¬ 
nierenfunktion  und  Rhachitis  noch  eine  gewisse  Skepsis  entgegen  zu 
bringen.  — 

Hieran  anschließend  seien  die  von  der  Nahrung  ausgehenden 
Einflüsse  auf  das  Auftreten  der  Rhachitis  genannt.  Hier  handelt  es 
sich  um  Einwirkungen  rein  chemischer  Natur  von  verschiedener  Art. 
Einerseits  kann  die  Möglichkeit  ein  treten,  daß  mit  der  Nahrung  ein 
Minus  an  denjenigen  Stoffen  eingeführt  wird,  ohne  die  im  Körper  ein 
rhachitischer  Prozeß  zum  Ausbruch  kommen  kann  (z.  B.  Kalk)  oder 
daß  eine  unzweckmäßig  zusammengesetzte  Nahrung  zu  einer  vermehr¬ 
ten  Ausfuhr  dieser  Stoffe  Veranlassung  gibt.  Dann  übersteigt  der 
Verbrauch  oder  die  Ausfuhr  deren  Einfuhr,  d.  h.  die  Bilanz  dieser  Sub¬ 
stanzen  im  Stoffwechsel  wird  eine  negative.  —  Andererseits  könnte 
die  übermäßige  Zufuhr  irgend  eines  Bestandteiles  der  Nahrung  (z.  B. 
Eiweiß)  auch  in  einer  Weise  einwirken,  wie  wir  sie  uns  analog  bei 
der  Erkrankung  irgendeiner  Drüse  mit  innerer  Sekretion  vorstellen 
müssen.  Es  könnte  die  Mehrzufuhr  des  betreffenden  Bestandteiles  im 
Körper  u.  a.  auch  zur  Bildung  von  schädlich,  (Rhachitis  erzeugend) 
wirkenden  Produkten  im  intermediären  Stoffwechsel*)  führen. 

Zuerst  möge  hier  die  Bedeutung  der  Überfütterung  im  allge¬ 
meinen  für  das  Entstehen  der  Rhachitis  erwähnt  sein.  Schon  längst 
war  es  bekannt,  daß  es  auf  diätetischem  Wege  wohl  gelingt,  durch 
Zufuhr  einer  zweckmäßig  zusammengesetzten  (nicht  übermäßige  Mengen 
zuführenden)  Nahrung  sowohl  das  Auftreten  einer  Rhachitis  zu  ver¬ 
hüten.  als  auch  bei  schon  r ha chi tischen  Kindern  einen  Stillstand  der 
Erkrankung  herbeizuführen.  Der  Anschauung  vom  Zusammenhänge 
der  Rhachitis  mit  der  Menge  der  zugeführten  Nahrung  wurde  von 
Esser  in  einer  ganz  bestimmten  Weise  Ausdruck  gegeben.  Esser  hat 
die  direkte  Ätiologie  der  Rhabhitis  in  einer  Überfütterung  be¬ 
sonders  während  des  ersten  Lebensjahres  gesehen.  Der  Einfluß  der 
chronischen  Überfütterung  sowohl  bei  künstlicher  als  bei  natürlicher 
Ernährung  hat  nach  Esser  zum  Zwecke  „einer  vermehrten  Bildung 
leukozytärer  Elemente  eine  erhöhte  Inanspruchnahme  des  Knochen¬ 
marks  zur  Folge“  und  darin  besteht  für  diesen  Autor  das  ursächliche 
Moment  beim  Auftreten  des  rhachitis eben  Knochenprozesses.  Nach 
Esser  ist  es  hauptsächlich  die  Überfütterung  mit  Milch,  die  hier  in 
Präge  kommen  soll ,  während  dieser  Autor  „gar  nicht  so  häufig  der 
Mehlpäppelung“  als  Ursache  der  Rhachitis  begegnet  sein  will.  Einen 
ähnlichen  Standpunkt  hat  Orgler  vertreten,  daß  nämlich  „sowohl  nach 
einseitiger  Überernährung  mit  Milch  als  auch  nach  einseitiger  Kohle¬ 
hydratüberernährung  schwerste  Rhachitis  auftreten  kann“.  - —  In  welcher 
Weise  die  Überernährung  zur  Schädlichkeit  wird,  ist  von  den  betreffen¬ 
den  Autoren  dahingestellt  gelassen.  Nur  Aron  hat  z.  T.  durch  gemein¬ 
sam  mit  Sebauer  ausgeführte  Tierexperimente  am  Hunde  den  Versuch 

*)  Der  Bildung  von  autotoxisch  wirkenden  Produkten  im  Darm  ist  schon 
oben  gedacht. 


52* 


820 


Paul  Sittler, 


gemacht,  eine  Erklärung  hierfür  zu  geben.  Er  glaubt,  „daß  über¬ 
reichliche  Ernährung  —  eben  wegen  des  dadurch  hervorgerufenen 
stärkeren  Wachstums  —  selbst  mit  einer  sonst  ausreichend  Kalk  ent¬ 
haltenden  Nahrung  de  facto  eine  unzureichende  Kalkzufuhr  bedingt“, 
weil  in  diesem  Falle  die  Kalkretention  mit  der  übrigen  Körpergewichts¬ 
zunahme  nicht  gleichen  Schritt  zu  halten  vermöge.  — 

Nehmen  wir  hingegen,  wie  oben  an,  daß  die  Überfütterung  zur 
Bildung  krankmachender  Stoffe  im  intermediären  Stoffwechsel  führt, 
so  müßten  wir  eher  einen  einzelnen  Bestandteil  der  Nahrung,  wohl 
am  ersten  mit  Weißmann  die  Eiweißüberfütterung  als  ursächlich 
für  das  Auftreten  der  Bhachitis  ansehen.  Weiß  mann  hat  ausgehend 
von  der  auch  von  Lungwitz  bestätigten  Tatsache,  daß  bei  weitem 
nicht  jedes  überfütterte  Kind  an  Bhachitis  erkrankt  oder  nicht  jedes 
rhachitische  Kind  allgemein  überfüttert  ist,  die  einseitige  Ernährung 
mit  Eiweiß  als  ursächlich  angeschuldigt.  ,,Das  Eiweiß  liefert  (sc.  im 
intermediären  Stoffwechsel)  durchweg  saure  Spaltungsprodukte,  welche 
bei  gewissen  Konstitutionen  die  Kalksalze  indirekt  in  Lösung  erhalten 
und  ihre  Einlagerung  in  die  Knorpelsubstanz  verhindern.“  —  Einen 
analogen,  aber  auch  die  Eetternährung  beschuldigenden  Standpunkt 
scheint  Siegert  zu  vertreten,  wenn  er  therapeutisch  bei  Bhachitis 
eine  kohlehydratreiche,  fettarme,  mehr  vegetabilische  als  animalische 
Ernährung  empfiehlt. 

Im  direkten  Gegensatz  zu  den  Anschauungen  dieser  beiden  letzt¬ 
genannten  Autoren  stehen  die  Ansichten  einiger  amerikanischer  Ärzte. 
Southwort  und  auch  Kerley  empfehlen  bei  Bhachitis  als  direktes 
Therapeutikum  die  Verabreichung  einer  eiweißreichen  Kost  und 
Morse  hat  bei  fettreicher  Ernährung  der  Bhachitiker  sogar  bessere 
Besultate  gesehen  als  durch  Darreichung  von  Phosphor. 

Gehen  wir  nun  zur  erstgenannten  Möglichkeit  über,  nämlich  zu 
derjenigen  Auffassung,  die  die  Entstehung  der  Bhachitis  in  einem 
Mangel  an  irgendwelchen  Bestandtpilein  der  Nahrung  gehen 
will.  Es  ist  bei  der  Suche  nach  dem  Fehlen  eines  Nahrungsbestandteiles 
fast  natürlich,  daß  man  sehr  bald,  nachdem  man  in  der  Bhachitis 
eine  mangelnde  Knochen  Verkalkung  erkannt  hatte,  den  Mangel  an  Kalk¬ 
salzen  als  Ursache  dieses  Leidens  anschuldigen  wollte.  Nun  haben 
aber  einerseits  therapeutische  Versuche  durch  Zufuhr  von  Kalkpräpa¬ 
raten  allein  die  Bhachitis  nicht  zu  heilen  vermocht,  andererseits  wurde 
gezeigt,  daß  im  Körper,  auch  im  zirkulierenden  Blute,  mit  Ausnahme 
des  erkrankten  Knochengewebes,  bei  Bhachitis  genügend  Kalk  enthalten 
sei  (Stöltzner).  Diese  Annahme  Stöltzner’s  wurde  jüngst  von  Aron 
und  Dibbelt  bestritten.  Beide  Autoren  haben  betont,  daß  man  bei 
Bhachitis  entschieden  einen  primären  Kalkmangel  des  gesamten  Kör¬ 
pers,  bedingt  durch  einen  zu  geringen  Kalkgehalt  in  der  Nahrung  an¬ 
nehmen  müsse ;  auch  das  an  der  Mutterbrust  normal  ernährte  Kind 
erhalte  leicht  eine  zu  kalkarme  Nahrung  zugeführt.  Dibbelt  hat 
sogar  in  der  natürlichen  Ernährung  mit  ihrem  nach  seinen  Berechnungen 
allgemein  während  der  ersten  6 — 9  Lebensmonate  (im  Vergleich  zum 
Bedarf  des  Säuglings)  zu  geringem  Kalkgehalt,  ein  „prädisponieren¬ 
des  Moment  für  die  Entstehung  der  Bhachitis“  sehen  wollen.  Die 
Ansichten  dieser  beiden  Autoren  (die  beide  Nicht-Pädiater  sind),  stützen 
sich  auf  theoretische  Berechnungen  und  auf  Tierversuche.  Nun  zeigt 
uns  aber  die  praktische  Erfahrung,  daß  gerade  die  natürliche  Ernährung 
an  der  Mutterbrust  das  beste  Prophylaktikum  (Perier),  ja  auch  ein 


Neuere  Ansichten  über  die  Ätiologie  der  Rhachitis. 


821 


Therapeutikum  (Weiß mann)  gegen  Rhachitis  bildet.  Wir  müssen 
in  diesem  Ralle  unbedingt  den  Tatsachen,  die  uns  die  tägliche  Er¬ 
fahrung  an  unseren  menschlichen  Patienten  lehrt,  den  Vorzug  geben. 
Denn  die  Resultate  von  Tierversuchen  und  noch  viel  weniger  die  einer 
unsicheren  (Orgler)  theoretischen  Berechnung  lassen  sich  nicht  ohne 
weiteres  auf  die  menschliche  Pathologie  übertragen ;  ganz  abgesehen 
davon,  daß  von  anderen  Autoren  bestritten  ist  (s.  oben),  daß  die  durch 
kalkarme  Rütterung  beim  Tiere  entstehende  Knochenerkrankung  mit 
Rhachitis  irgendwelchen  innern  Zusammenhang  hätte.  —  Schabad 
spricht  von  einer  Pseudorhachitis  infolge  von  Kalkhunger  auch  beim 
Menschen;  ähnlich  Magnus-Levy. 

Stoffwechselversuche  an  rhachitischen  Kindern  haben  allerdings 
in  einzelnen  Rallen  eine  negative  Kalkbilanz  ergeben  (Birk, 
Dibbelt),  d.  h.  die  Ausfuhr  dieses  Mineralbestandteils  in  Kot  und  Urin 
überstieg  dessen  Einfuhr  mittels  der  Nahrung.  Aber  auc'h  der  gesamte 
Aschenstoffwechsel  und  neben  dem  des  Kalzium  speziell  der  Magnesium- 
und  der  Phosphorstoffwechsel  können  hier  ebenfalls  eine  negative  Bilanz 
zeigen,  trotzdem,  wie  die  spätere  Beobachtung  lehrt,  „die  Einfuhr  der 
Mineralien  nicht  ungenügend“  war  (Birk).  In  anderen  Rallen  von 
Rhachitis  fand  sich  nur  eine  verminderte  Retention  der  betreffenden 
Mineralbestandteile  oder  gar  keine  Unterschiede  ,,im  gesamten  Stoff¬ 
wechsel  gegenüber  dem  der  gesunden“  Kinder,  auch  keine  vermehrte 
Kalkausscheidung  (Cronheim-Müller). 

Nach  all  dem  ist  es  nicht  angängig,  „die  Rhachitis  der  Kinder 
ausschließlich  auf  Kalkarmut  der  Nahrung  zurückzuführen“  (Magnus- 
Levy),  oder  eine  Störung  des  Kalkstoffwechsels  allein  als  das  AVesen 
der  Rhachitis  anzusprechen.  Noch  weniger  aber  ist  es  gestattet,  auf 
der  Basis  dieser  unsicheren  theoretischen  Annahmen  a  priori  von  einer 
therapeutischen  Mehrzufuhr  von  Kalzium  allein  eine  ätiologische  Be¬ 
einflussung  der  Rhachitis  zu  erwarten. 

Außer  dem  Kalzium  ist  auch  schon  früher  eine  Störung  im  Stoff¬ 
wechsel  der  anderen  Mineralbestandteile  als  zur  Entstehung  der  Rhachitis 
von  Wichtigkeit  herbeigezogen  worden.  Zander  und  nach  ihm  Zweifel 
haben  die  Beziehungen  zwischen  Natrium-  und  Kaliumgehalt  der  Nah¬ 
rung  angeschuldigt.  Und  zwar  glaubten  diese  Autoren,  daß  eine  ver¬ 
mehrte  Kaliumzufuhr  eine  Erhöhung  der  Natriumausscheidung  (in  der 
von  Bunge  angedeuteten  Weise)  im  Gefolge  haben  müsse.  Der  ent¬ 
stehende  Natrium- (Kochsalz-)  Mangel  sollte  dann  den  rhachitischen 
Krankheitsprozeß  anfachen.  Aber  Natriumzufuhr  (als  Kochsalz)  bei 
Rhachitikern  bleibt  therapeutisch  erfolglos,  ebenso  wie  die  vermehrte 
Zufuhr  von  Kalium  nicht  das  Auftreten  einer  Rhachitis  begünstigt, 
wie  mir  ein  vier  Monate  dauernder  Versuch  an  eineiigen  Zwillingen, 
von  denen  der  eine  täglich  außer  der  gleichen  Nahrung  wie  der  andere 
0,1  g  Chlorkalium  (KCl)  erhielt,  zeigte.  Also  wirkt  hier  weder  die 
vermehrte  Natriumzufuhr,  noch  das  Kalium  an  sich  schädigend.  (Da¬ 
mit  ist  aber  nicht  gesagt,  daß  eine  vermehrte  Kaliumzufuhr  nicht 
auf  andere  Weise  - —  z.  B.  durch  Verminderung  der  natürlichen  Im¬ 
munität  —  schädlich  wirken  könnte.)  — 

Ich  habe  geglaubt,  darauf  hinweisen  zu  müssen,  daß  die 
Rhachitis  da  am  häufigsten  und  in  ihren  schwersten  Eormen  auf  tritt, 
wo  längere  Zeit  bei  künstlicher  Ernährung  eine  Rütterung  mit 
individuell  zu  großen  Mengen  von  Kohlehydraten,  insbesondere 
von  Mehl  durchgeführt  worden  ist.  Auch  ohne  daß  bei  den  be- 


822 


Paul  Sittler, 


treffenden  Patienten  eine  allgemeine  Überernährung  eintritt,  kommt 
es  bei  der  Mehlbeifütterung  sehr  oft  zum  Auftreten  von  Anfangs¬ 
erscheinungen  der  Rhachitis  (Craniotabes,  leichter  Rosenkranz).  Wird 
dann  die  Beigabe  von  Meh'l  zur  Nahrung  in  gleichem  oder  in  erhöhtem 
Maße  fortgesetzt,  so  verstärken  sich  die  rhachitischen  Symptome 
schneller  oder  langsamer  je  nach  der  Intensität  der  Einwirkung  der 
genannten  schädlichen  Einflüsse.  —  Umgekehrt  kann  man  die  be¬ 
ginnende  Rhachitis  allein  dadurch  zur  Heilung  bringen,  (insbesondere 
an  dem  Verschwinden  der  Craniotabes  zeigt  sich  dies  deutlich),  daß  man 
das  bisher  verabreichte  Mehl  (Kohlehydrat)  aus  den  Nahrungsgemischen 
fortläßt.  —  Macht  sich  gleichzeitig  mit  der  Mehlüberfütterung  eine 
allgemeine  Überernährung  (pastöses  gedunsenes  Aussehen  —  Mehl¬ 
nährschaden)  bemerkbar,  so  treten  die  Erscheinungen  der  Rhachitis 
meist  um  so  rascher  und  schwerer  in  die  Erscheinung.  —  Var  io  t 
und  Lassabliere  sahen  Säuglinge,  die  mit  in  Wasser  gekochtem  Brot 
(Brotsuppe)  ernährt  wurden,  ebenfalls  rhachitisch  werden.  —  Nicht 
nur  die  Mehlfütterung,  auch  die  Darreichung  von  allzu  großen  Mengen 
von  anderen  (löslichen)  Kohlehydraten,  insbesondere  von  Rohr- 
(Rüben-)Zucker  und  von  Malzzucker  scheint  mir  in  ähnlicher  Weise 
auf  das  Auftreten  einer  Rhachitis  begünstigend  zu  wirken,  allerdings 
findet  sich  dies  bei  weitem  nicht  so  oft  wie  bei  der  Mehlfütterung. 
Hier  sieht  man  sicherlich  häufiger  als  bei  jeder  anderen  Ernährung 
Rhachitis  auftreten,  ich  habe  aber  vereinzelt  auch  z.  B.  bei  Kindern, 
welche  längere  Zeit  Milch -Wassermischungen  mit  großem  Rohr¬ 
zuckerzusatz  erhielten,  ernstere  Formen  von  Rhachitis  auftreten 
sehen,  ebenso  wie  nach  länger  dauernder  Verabreichung  von  Malz- 
suppe.  Nicht  beobachten  konnte  ich  das  Auftreten  von  Rhachitis- 
fällen  schwerer  Art  bei  Kindern,  die  künstlich  nur  mit  Milch -Wasser¬ 
mischungen  unter  Zusatz  von  Milchzucker  ernährt  waren.  Ob  die 
Milch  zuckerverabreichung  erst  bei  einer  höheren  Grenze  schädlich  zu 
werden  anfängt,  oder  ob  bei  Herstellung  der  Milchmischungen  im  Hause 
vom  Milchzucker,  der  hier  meist  kaffeelöffelweise  abgemessen  zu  wer¬ 
den  pflegt,  als  einem  leichteren  und  viel  schwerer  löslichen  Pulver 
weniger  zugegeben  zu  werden  pflegt  als  bei  Rohr zucker zusatz,  mag 
dahingestellt  bleiben. 

Die  Grenze,  bei  der  das  Mehl  und  die  Kohlehydrate  anfangen, 
schädlich  zu  wirken,  ist  natürlich  eine  bei  verschiedenen  Kindern  sehr 
verschiedene.  Die  individuelle  Disposition  zur  Erkrankung  an  Rhachitis, 
auf  die  schon  Weiß  mann  (s.  o.)  aufmerksam  gemacht  hatte,  spielt 
zweifellos  hier  eine  große  Rolle.  Daß  auch  der  Vererbung  bei  Rhachitis 
eine  gewisse  Bedeutung  zukommt,  hat  S reger t  besonders  betont.  — 
Kinder  mit  irgendwelchen  angeborenen  Konstitutionsanomalien  unter¬ 
liegen  natürlich  ebenfalls  leichter  diesen  Einflüssen  als  normale  Kinder. 
Darin  mag  es  einen  Grund  haben,  daß  gerade  z.  B.  hereditär- syphi¬ 
litische  Patienten  oder  Kinder  mit  Skrofulöse  (exsudativer  Diathese) 
bei  gleichstarken  krankmachenden  Reizen  leichter  erkranken  als  gesunde. 

Es  ist  oben  darauf  hingewiesen,  daß  auch  Orgler  nach  ,, ein¬ 
seitiger  Kohlehydratüberernährung“  Rhachitis  auftreten  sah;  er  stellt 
aber  die  einseitige  Milchüberernährung  betreffs  der  Erzeugung  einer 
Rhachitis  hiermit  auf  gleiche  Stufe.  Ich  kann  diesen  Standpunkt  nicht 
teilen;  ich  muß  nach  meinen  Beobachtungen  gerade  die  stärkere 
Kohlehydratüberfütterung,  insbesondere  in  Form  der  Mehle, 
auch  dann  schon,  wenn  sie  noch  nicht  zur  „einseitigen  Kohlehydrat- 


Neuere  Ansichten  über  die  Ätiologie  der  Rhachitis. 


823 


Überernährung“  geworden  ist,  d.  h.  wenn  noch  keinerlei  Symptome  eines 
Mehlnährschadens  aufgetreten  sind,  als  den  wichtigsten  .Faktor  hei  der 
Entstehung  der  Rhachitis  ansprechen.  Besonders  aber  Kinder  mit  aus¬ 
geprägtem  Mehlnährschaden  bieten  die  stärksten  Prozentzahlen  von 
schwerer  Rhachitis.  - —  Anders  beim  Milchnähr  schaden ;  man  pflegt 
beim  unkomplizierten  Milchnährschaden  (bei  dem  eine  das  indivi¬ 
duelle  Normalmaß  übersteigende  Fütterung  mit  Kohlehydraten  sicher 
auszuschließen  war),  wohl  schwerere  Atrophien,  aber  keine  sehr 
schweren  Formen  von  Rhachitis  auftreten  zu  sehen.  Der  anderslautenden 
Ansicht  von  Esser  (s.  o.)  muß  ich  hier  entschieden  widersprechen. 
Meines  Erachtens  ist  die  Mehlschädigung  (Kohlehydratschädigung) 
das  häufigste  ätiologische  Moment  der  Rhachitis,  die  ich  infolgedessen 
als  eine  typische  Ernährungsstörung  im  Gefolge  eines  Kohle- 
hvdrat-N  ähr  Schadens  auffassen  möchte. 

Auf  welche  Weise  das  Auftreten  der  rhachitischen  Symptome 
zu  erklären  ist,  bleibt  eine  noch  offene  Frage.  —  Birk  zeigt,  daß 
eine  starke  Seifenbildung  im  Darm  bei  rhachitischen  Säuglingen  zu 
erhöhter  Kalkausscheidung  führt,  ein  Symptom,  das  sich  durch  thera¬ 
peutische  Zufuhr  von  Phosphorlebertran  beheben  läßt.  Hiermit  wäre 
nur  dann  eine  Erklärung  für  das  Auftreten  der  Rhachitis  gegeben, 
Avenn  wir  die  Störung  des  Kalkstoffwechsels  als  die  alleinige  Ursache 
dieser  Erkrankung  ansehen  dürften.  Andererseits  findet  sich  die  er¬ 
höhte  Seifenausscheidung  vorwiegend  beim  Milchnährschaden,  dessen 
Beziehungen  zur  Rhachitis  wir  ja  eben  fast  völlig  geleugnet  haben. 
Zwar  ist  die  Möglichkeit  nicht  von  der  Hand  zu  weisen,  daß  auch  durch 
die  infolge  der  Seifenstuhlbildung  beim  Milchnähr  schaden  entstehende 
Alkaliverarmung  des  Körpers  (relative  Azidose)  ein  das  Auftreten,  der 
Rhachitis  begünstigendes  Moment  geschaffen  wird.  Diese  relative 
Azidose  wird  aber  am  stärksten  bei  Zufuhr  von  sauren  (Buttermilch) 
oder  von  im  Darm  zur  sauren  Gärung  führenden  Nahrungsmitteln, 
also  hauptsächlich  von  Mehlen  und  anderen  Kohlehydraten.  Der  schäd¬ 
liche  Einfluß  saurer  Nahrung  wird  auch  von  Gilbert  bestätigt,  der 
sogar  soweit  geht,  zu  behaupten,  daß  „eine  Mutter,  die  viel  saure 
Speisen  zu  sich  nimmt,  und  saure  Milch  produziert,  ihr  Kind  bald 
rhachitisch  macht“.  —  Während  beim  Milchnährschaden  der  entleerte 
(meist  alkalisch  reagierende)  Seifenstuhl  eher  zur  Ausscheidung  von 
Kalzium  und  Magnesium  führt,  enthält  der  dünnere  saure  Gärungsstuhl 
bei  Mehlnähr  Schädigungen  mehr  Natrium  und  Kalium  (Freund).  Und 
gerade  in  diesem  letzteren  Falle  wird  hauptsächlich  das  Auftreten 
von  Rhachitis  begünstigt.  Es  scheint,  daß  diese  Entziehung  von  fixen 
Alkalien  eo  ipso  schon  schädlich  wirkt.  Da  zur  Neutralisierung  der 
im  intermediären  Stoffwechsel  gebildeten  sauren  Spaltungsprodukte 
bei  Mangel  an  fixem  Alkali  eine  vermehrte  Bildung  von  Ammoniak 
erfolgt,  so  entsteht  auch  keine  Anhäufung  von  Säuren  im  Körper  und 
keine  Verminderung  der  Blutalkaleszenz,  Faktoren,  denen  früher,  mit 
Unrecht  (cf.  Stöltzner),  eine  ursächliche  Wirkung  beim  Entstehen  der 
Rhachitis  zugeschrieben  wurde.  — 

Es  erscheint  mir  zweifellos,  daiß  wir  es  bei  der  Rhachitis  mit 
einer  echten  Ernährungsstörung  zu  tun  haben  und  daß  auch  die 
physikalischen  Faktoren,  welche  zur  Erklärung  des  Auftretens  dieses 
Leidens  herangezogen  worden  sind,  nur  von  nebensächlicher  Bedeu¬ 
tung  sind.  Es  läßt  sich  nicht  bezweifeln,  daß  die  Rhachitis  unter  un- 
hygienischen  Verhältnissen,  —  Mangel  an  Luft,  Licht,  Bewegung  — 


824 


Osterloh, 


häufiger  vorkommt  (Fe de,  Findlay,  Nakahara),  und  daß  die  Jahres¬ 
zeit  —  Winter  - — ,  während  der  die  Kinder  weniger  in  die  Luft  heraus¬ 
kommen,  erhöhte  Morbiditätszahlen  aufweist  (Stöltzner).  Aber  auch 
unter  diesen  unhygienischen  Verhältnissen  braucht  sich,  wie  bei  einem 
Vergleich  der  verschiedenen  Gegenden  Italiens  in  bezug  auf  die  Häufig¬ 
keit  der  Rhachitis  gezeigt  worden  ist  (Pfister),  kein  vermehrtes  Vor¬ 
kommen  von  Rhachitis  zu  zeigen,  wenn  die  Einwirkung  der  oben  ge¬ 
schilderten  Ernährungsschädigungen  —  durch  systematisch  durchge¬ 
führte  natürliche  Ernährung  —  vermieden  wird. 


Ueber  Skopomorphinnarkose. 

Von  Dr.  Osterloh. 

(Vortrag  gehalten  in  der  gynäkologischen  Gesellschaft  zu  Dresden  am  13.  Mai  1909.) 

Seit  dem  1.  Januar  1877  sind  von  dem  Vortragenden  bei  allen 
Operationen  die  Narkosen  in  der  Weise  ausgeführt  worden,  daß  eine 
halbe  Stunde  vor  der  Operation  0,01  Morphium  subkutan  gegeben  wurde. 
Einer  langen  Periode,  in  der  nur  die  Chloroformtropfmethode  Anwendung 
fand,  folgte  eine  gleiche  mit  fast  ausschließlicher  Ätherinhalation,  seit 
11  Jahren  aber  wird  Äther  bei  vorhandenem  Reizzustand  der  Schleimhaut 
der  Atemwege  vermieden,  andererseits  Chloroform  bei  Herzaffektionen. 
Häufig  wird  während  der  Operation  das  Narkotikum  gewechselt,  was 
mit  dem  jetzt  gebrauchten  Braun’schen  Apparat  sehr  einfach  geht. 
Hervorzuheben  ist,  daß  in  dieser  langen  Zeit  nur  ein  Fall  von  Pneumo¬ 
nie  infolge  von  Zersetzung  des  Chloroforms  bei  Gaslicht  beobachtet 
wurde,  die  aber  in  Genesung  ausging.  Todesfälle  in  der  Narkose  oder 
durch  die  Narkose  sind  nicht  vorgekommen. 

Ferner  war  von  Bedeutung,  daß  fast  nie  ein  Arzt  narkotisierte, 
sondern  stets  dieselbe  Schwester,  z.  B.  narkotisiert  die  jetzige  Schwester 
seit  fast  3  Jahren  (abgesehen  von  ihrem  Urlaub).  Ihre  ganze  Auf¬ 
merksamkeit  konzentriert  sich  auf  die  Narkose,  während  jeder  Arzt 
unwillkürlich  gern  seine  Aufmerksamkeit  auch  auf  den  Verlauf  der 
Operation  richtet.  Wenn  sonach  an  und  für  sich  kein  Anlaß  vorlag, 
mit  der  Narkosenmethode  zu  wechseln,  so  führte  doch  die  Kenntnis  der 
Korff’schen  Veröffentlichungen  in  der  Berl.  Klin.  Wochenschrift  1906 
und  1908  und  die  eignen,  in  der  Krönig’schen  Klinik  längere  Zeit 
gemachten  Beobachtungen  über  den  Skopolamin-Dämmerschlaf  dazu, 
einen  Versuch  mit  ihm  zu  machen,  um  vielleicht  die  Menge  von  Chloro¬ 
form  oder  Äther  erheblich  einzuschränken  und  die  Folgezustände  nach 
den  Operationen,  besonders  das  Erbrechen,  zu  verhüten. 

Zum  Versuch  stellte  in  dankenswertem  Entgegenkommen  die  Firma 
J.  D.  Riedel,  A.-G  Berlin  ihr  Skopomorphin  zur  Verfügung.  Das  Sko- 
pomorphin  kommt  in  zugeschmolzenen  und  sterilisierten  Ampullen  in 
den  Handel.  Die  Lösung  ist  zusammengesetzt  aus 

Scopolamin.  Hydrobrom.  „Riedel“  0,0012 
Morphin,  hydrochloric.  0,03 
Aqu.  dest.  ad  2  ccm. 

Die  Anwendung  geschah  genau  nach  den  Korff’schen  Vorschriften 
(Berl.  Klin.  Wochenschr.  1908,  Nr.  29)  und  den  von  der  Firma  J.  D. 
Riedel  beigelegten  (Deutsche  Mediz.  Zeitung  1906,  Nr.  81).  Dabei 
wurden  im  dunkeln  Zimmer,  mit  besonders  verdeckten  Augen  der  Frau 
und  unter  Vermeidung  jeden  Geräusches  die  Einspritzungen  gemacht. 


Ueber  Skopomorphinnarkose. 


825 


Die  erwähnten  Vorschriften  sind  an  den  bekannten  Stellen  nach¬ 
zulesen.  Die  34  Operationen,  die  unter  Beihilfe  von  Skopomorphin 
ausgeführt  wurden,  waren 

3  abdominelle  Uterusexstirpationen, 

1  vaginale,  desgl. 

3  Ovariotomien  (2  doppelte,  1  einseitige), 

2  supravaginale  Uterusamputationen  bei  Myom, 

1  unvollendete  Laparotomie  bei  Sarkom  des  Netzes, 

1  Ausschneidung  einer  tiefgehenden  Bauchfistel, 

11  Entfernungen  der  erkrankten  Gebärmutteranhänge, 

2  intraabdominale  Verkürzungen  der  Ligamenta  rotunda  nach 
Menge  bei  fixierter  Retroflexio  uteri, 

4  Alexander  Adam’s- Operationen, 

6  Prolapsoperationen. 

Hierbei  ist  hervorzuheben,  daß  in  keinem  Falle  irgend  eine  nach¬ 
teilige  Erscheinung  beobachtet  wurde;  abgesehen  von  der  Verlang¬ 
samung  der  Atmung,  die  nur  anfangs  auffällt,  wurde  Skopomorphin 
gut  vertragen. 

Es  ist  auch  zu  betonen,  daß  das  subjektive  Befinden  einiger 
Operierter  beim  Erwachen  aus  der  Narkose  ein  auffallend  gutes  war. 

Dagegen  ist  keine  Operation  überhaupt  ohne  Inhalation  von  Chloro¬ 
form  und  Äther  auszuführen  gewesen ;  in  mehreren  Fällen  trat  über¬ 
haupt  kein  tieferes  Einschlafen  durch  Skopomorphin  ein,  sondern  erst 
nach  Anwendung  von  einem  der  beiden  Narcotica.  Ferner  war  zwar 
die  Menge  des  während  der  Operation  zu  völliger  Narkose  dargereichten 
Chloroforms  oder  Äthers  oder  beider  meistens  nicht  unbedeutend  ge¬ 
ringer,  als  in  den  Fällen  ohne  Skopomorphin,  immerhin  war  sie  abeir 
in  der  Mehrzahl  der  Fälle  noch  so  bedeutend,  daß  bei  langdauernden 
Operationen  der  Unterschied  immer  mehr  verschwand.  So  wurde  z.  B. 
bei  den  supravaginalen  Amputationsfällen  nach  Skopomorphin  25  bis 
28  g  Chloroform  verbraucht,  in  den  entsprechenden  Fällen  ohne  Skopo¬ 
morphin  30 — 50  g. 

Am  geringsten  war  der  Verbrauch  in  den  Operationen,  die  schnell 
verliefen,  weil  ja  natürlicherweise  hier  die  Wirkung  der  0,03  Morphium 
am  meisten  zur  Geltung  kam. 

Wenn  also  eine  wesentliche,  die  Einverleibung  einer  so  bedeutenden 
Menge  Skopolamin  und  Morphium  rechtfertigende  Abminderung  der 
Chloroform-  oder  Äther-Inhalation  nur  sehr  selten  beobachtet  werden 
konnte,  so  gestaltete  sich  auch  die  Beobachtung  der  Folgezustände 
nach  den  Operationen  und  zwar  der  charakteristischsten,  nämlich  des 
Erbrechens  nicht  besonders  ermutigend.  Von  den  34  Operierten 
blieben  nur  9  frei  von  Erbrechen,  12  hatten  bald  vorübergehendes  mäßi¬ 
ges,  13  aber  heftiges,  bis  zu  21/2  Tage  anhaltendes  Erbrechen. 

Nach  diesen,  in  voller  Objektivität  gemachten  Erfahrungen  lag 
keine  Veranlassung  vor,  die  Versuche  fortzusetzen,  da  der  Unterschied 
der  Narkosen  mit  und  ohne  Skopomorphin  zu  gering  war,  um  die  vor¬ 
her  geübte  Narkosenmethode  aufzugeben.  Zu  betonen  ist  dabei,  daß 
die  Versuche  nicht  gemacht  wurden,  weil  eine  Unzufriedenheit  mit  den 
bisherigen  Narkosen  vorlag,  sondern  lediglich,  um  die  anderwärts  ge¬ 
machten  Erfolge,  wenn  möglich,  sich  zu  eigen  zu  machen. 


826  Lorand, 

Der  Einfluß  der  Blutdrüsen  auf  die  Immunität  gegen  Infektionen 

und  Intoxikationen. 

Von  Dr.  Lorand,  Karlsbad. 

(Schluß.) 

Daß  die  Schilddrüse  uns  vor  Infektionen  beschützt,  geht  auch 
daraus  hervor,  daß  sie  einen  nicht  geringen  Einfluß  auf  ctre  Phago- 
zvtose  ausübt.  Nach  den  Untersuchungen  von  Traube  und  Fassin 
fehlen  die  Alexine  nach  der  Exstirpation  der  Schilddrüse.  Sir  Alm- 
roth  Wright,  der  Begründer  der  Opsonintheorie,  schreibt  bei  der  Er¬ 
zeugung  der  Opsonine  der  internen  Sekretion  der  Blutdrüsen,  eine  wich¬ 
tige  Bolle  zu.  Sehr  wichtig  ist  die  Tatsache,  daß  wie  Step  an  off 
und  Marbe  durch  Arbeiten  am  Institut  Pasteur  in  Paris,  nachwiesen, 
die  Opsonine  nach  der  Exstirpation  der  Schilddrüse  fehlen,  dagegen 
aber  nach  Schilddrüsengaben  vermehrt  werden.  Wodurch  die  von  mir 
in  einer  im  Landet  6  Monate  früher  veröffentlichten  Arbeit  angenommene 
Hauptrolle  der  Schilddrüse  als  Abwehr  gegen  Infektionen  experimentell 
gestärkt  wird. 

Dieselben  Symptome  des  Fiebers  können  jedoch  von  verschiedenen 
Ursachen  herrühren.  Es  können  kleine  Lebewesen  des  Pflanzenreiches, 
wie  die  Bakterien,  gewisse  Pflanzen,  auch  Früchte,  Fieber  hervorrufen. 
So  sehen  wir  bei  manchen  Personen  nach  Genuß  von  Erdbeeren  Urti¬ 
caria  auf  treten.  Auch  kleine  Wesen  des  Tierreichs,  Protozoen,  wie 
hei  der  Trypanosomiasis  und  Syphilis,  rufen  Fiebererscheinungen  her¬ 
vor,  ebenso  kann  der  Genuß  tierischer  Nahrung,  wie  der  Austern, 
oder  der  Biß  gewisser  Tiere,  der  Schlangen,  Skorpione,  Taranteln,  Fieber 
erzeugen.  Es  ist  aber  nicht  unbedingt  erforderlich,  daß  die  Gifte  dem 
Körper  von  außen  zugeführt  werden.  Auch  in  ihm  selbst  können  sie 
durch  Abscheidung  gewisser  Drüsen,  so  der  Schilddrüse  entstehen  und 
das  Auftreten  von  Fieber  bedingen,  wie  wir  es  bei  der  Basedo w’ sehen 
Krankheit  finden.  Wenn  aber  so  viele  verschiedene  Ursachen  dasselbe 
Resultat  erzeugen,  so  liegt  es  nahe,  anzunehmen,  daß  allen  Fieberer¬ 
scheinungen  ein  und  dasselbe  Agens  zugrunde  liegt.  Wie  daher  bei 
der  Basedo w’ sehen  Krankheit  die  Ursache  des  Fiebers  in  der  Über- 
tätigkeit  der  Schilddrüse  zu  suchen  ist,  so  wird  diese  zweifellos  auch 
bei  Fieber erscheinungen  anderer  Krankheiten  eine  Hauptrolle  spielen. 

Schon  oben  wurde  erwähnt,  daß  die  Übertätigkeit  der  Schilddrüse 
in  Erschöpfung,  wie  beim  myxödematösen  Zustande,  übergehen  kann. 
Das  gleiche  beobachten  wir  bei  der  Trypanosomiasis.  Die  afrikanische 
Schlafkrankheit,  die  dieser  gewöhnlich  folgt,  zeigt  in  der  Tat,  wie  ich 
auf  dem  Kongresse  für  innere  Medizin  1905  in  Wiesbaden  nachgewiesen 
habe,  alle  Symptome  eines  myxödematösen  Zustandes.  Ebenso  sehen 
wir  im  sekundären  Stadium  der  Syphilis,  besonders  bei  Frauen,  mit 
dem  Auftreten  der  Roseolen  häufig  eine  Schwellung  der  Schilddrüse 
einhergehen.  Im  tertiären  Stadium  stellen  sich  auch  eine  Reihe  myxöde- 
matöser  Symptome,  zum  mindesten  solche  einer  Hypothyroidie  ein.  In 
solchen  Fällen  verabreichen  wir  daher  Jod,  das  Hauptelement  der  Schild¬ 
drüse,  oder  auch  Arsenik,  ebenfalls  einen  wichtigen  Bestandteil  der¬ 
selben,  wie  G  aut  hier  und  Bertram  d  zeigen. 

An  einer  an  Lepra  der  tuberoanästhetischen  Form,  erkrankten 
Dame,  die  einige  Jahre  früher  das  gelbe  Fieber  überstanden  hatte,  konnte 
ich  durch  Schilddrüsenbehandlung  auffallende  Besserung  erzielen.  Das 
gedunsene  Ödem  der  Hände  und  Füße  und  des  Gesichtes  verschwanden. 


Der  Einfluß  der  Blutdrüsen  auf  die  Immunität  gegen  Infektionen  usw.  827 

Der  Gesichtsausdruck  wurde  feiner.  Ihre  Bekannten  behaupteten,  sie 
sehe  bedeutend  jünger  aus.  Müdigkeit  und  Appetitlosigkeit  verschwan¬ 
den,  und  die  seit  vier  Monaten  ausgebliebenen  Menses  kehrten  wieder. 
Mit  ähnlichem  Erfolge  wurde  die  Behandlung  von  dem  Dermatologen, 
der  sie  mir  wegen  eines  durch  die  Behandlung  mit  Chaulmoogra  ver¬ 
ursachten  Magenkatarrhs  zugewiesen  hatte,  fortgeführt. 

Es  wäre  daher  sehr  angebracht,  bei  den  nach  den  verschiedensten 
Infektionskrankheiten  auftretenden  Folgezuständen  eine  vorsichtige 
Schilddrüsenbehandlung  zu  versuchen. 

Wenn  eine  Person  eine  gute  Schilddrüse  besitzt,  so  kann  bei  ihr 
nach  Erkältungen  ganz  spontan  ein  Gefühl  von  Hitze,  Rötung  des 
Gesichtes  und  wohltätiges  Schwitzen  ein  treten,  ohne  daß  irgend  ein 
Arzneimittel,  etwa  Salizylat  anzuwenden  nötig  wäre. 

Dagegen  tritt  bei  Personen  mit  untätiger  Schilddrüse  nur  selten 
nach  solchen  Agenzien  Fieber  auf.  So  beobachtete  ich  einen  jungen 
Spanier  von  22  Jahren  mit  ähnlichen  Symptomen,  wie  sie  Hertoghe 
für  die  Hypothyroidie  als  typisch  beschrieb.  Er  litt  seit  mehreren 
Tagen  an  einer  mäßigen  Angina,  ohne  daß  irgend  welche  Fiebersym¬ 
ptome  sich  einstellten,  aber  es  dauerte  auch  zehn  Tage,  bis  es  vorüber 
war,  und  auch  danach  fühlte  er  sich  recht  schwach.  Sein  Vater  starb 
kürzlich  an  Diabetes. 

Vor  zwei  Jahren  war  eine  Typhusepidemie  in  der  Irrenanstalt 
von  Colorno  in  der  Nähe  von  Pavia  ausgebrochen.  Wie  mir  Dr.  Gas- 
senghi  von  der  Universität  Pavia  mitteilte,  starb  die  Hälfte  der 
Patienten,  das  Merkwürdige  aber  war,  daß  man  bei  ihnen  kein  Fieber 
beobachten  konnte.  Das  mag  damit  Zusammenhängen,  daß  viele  Fälle 
von  Geisteskrankheiten  und  Idiotie  auf  einen  degenerierten  Zustand 
der  Schilddrüse  zurückgeführt  werden  können.  Ebenso  kommt  ein  hohes 
Fieber  bei  der  Pneumonie  von  Potatoren  nur  sehr  selten  vor,  dafür  aber 
sterben  sie  sehr  rasch. 

Aus  allen  obigen  Beobachtungen  schließen  wir  daher,  daß  solche 
Personen,  die  über  eine  gesunde,  recht  tätige  Schilddrüse  verfügen,  bessere 
Aussichten  in  einem  eventuellen  Kampfe  gegen  Infektionen  oder  In¬ 
toxikationen  haben.  Bei  ihnen  kann  es  eben  viel  leichter  zu  einer 
Übertätigkeit  der  Schilddrüse  mit  der  Ausscheidung  von  giftigen  Pro¬ 
dukten  durch  die  Organe,  die  unter  dem  Einflüsse  der  Schilddrüse 
stehen,  kommen  als  bei  solchen  Personen,  deren  Schilddrüse  degeneriert 
ist  und  deren  Haut  infolgedessen  trocken,  deren  Darm  verstopft  und 
deren  Nieren  untätig  sind. 

Wir  sehen,  daß  das  Fieber  im  allgemeinen  eine  recht  wohltätige 
Einrichtung  der  Natur  ist,  und  daß  es  wahrscheinlich  durch  eine  Über¬ 
tätigkeit  der  Schilddrüse  hervorgerufen  wird,  welche  eine  Ausscheidung 
der  für  den  Körper  sehr  schädlichen  Substanzen  bezweckt.  Das  Fieber 
ist  also  eine  Reaktion  gegen  Schädlichkeiten  verschiedener  Art,  und 
seine  Symptome  sind  der  direkte  Ausdruck  einer  Übertätigkeit  der 
Schilddrüse  zur  Ausscheidung  dieser  Schädlichkeiten.  Es  wäre  daher 
ein  Fehlgriff,  diese  Heiltendenz  der  Natur  zu  bekämpfen,  außer  es 
handelte  sich  um  Fälle  von  Hyperpyrexie.  Der  Arzt  als  der  Diener 
der  Natur  muß  sie  eher  unterstützen  und  mit  ihr,  nicht  gegen  sie- 
arbeiten !  Nicht  nur  das  Fieber  allein,  sonderi^  wahrscheinlich  alle 
Krankheiten  können  auf  dieser  Grundlage  als  eine  Reaktion  auf  Schäd¬ 
lichkeiten,  als  eine  Art  Selbsthilfe  der  Natur  betrachtet  werden. 


828 


Lorand, 


Allein  nicht  nur  die  Schilddrüse,  auch  die  anderen  Blutdrüsen 
können  ims  gegen  Infektionen  und  Intoxikationen  verteidigen.  So  die 
Hypophyse,  welche,  wie  von  Castelli,  Guerini,  Torri  und  in  letzter 
Zeit  insbesondere  von  Renten  und  seinen  Assistenten  Azam  undDelille 
gezeigt  wurde,  hei  den  verschiedenen  Infektionskrankheiten  ebenfalls 
verändert  ist.  So  fand  Torri  bei  vielen  Fällen  von  Pneumonie,  Typhus, 
Tuberkulose  und  Diphtherie  eine  Hyperplasie  der  c'hromophilen  Zellen 
der  Hypophyse  und  ein  Verschwinden  der  Kolloidsubstanz  aus  den 
Follikeln.  Garnier  konstatierte  Veränderungen  der  Hypophyse  bei 
chronischer  Tuberkulose. 

In  seiner  letzthin  veröffentlichten  These  berichtet  Tha,on  über 
Veränderungen  der  Hypophyse  in  vielen  Fällen  von  Infektionskrank¬ 
heiten  verschiedener  Art,  auch  in  Fällen  von  Intoxikationen  intesti¬ 
nalen  Ursprunges.  Er  kommt  zum  Schlüsse,  daß  die  Hypophyse  auf 
alle  Arten  von  Infektionen  oder  Intoxikationen  reagiert,  indem  sie 
daraufhin  Veränderungen  aufweist. 

Diesen  pathologisch-anatomischen  Veränderungen  der  Hypophyse 
müssen  aber  auch  klinische  Symptome  entsprechen,  und  so  wies  Re  n  on 
darauf  hin,  daß  die  Verminderung  des  Blutdruckes,  die  Erhöhung  der 
Pulszahl  im  Fieber,  die  Schlaflosigkeit,  das  Hitzegefühl,  das  Schwitzen 
usw.  auf  Veränderungen  der  Hypophyse  beruhe.  Allerdings  haben  wir 
oben  auf  Grund  unserer  Beobachtungen  alle  diese  Symptome  auf  die 
Schilddrüse  bezogen,  womit  wir  selbstverständlich  nicht  verneinen  woll¬ 
ten,  daß  auch  andere  Blutdrüsen  am  Entstehen  des  Fiebers  mit  be¬ 
teiligt  sein  können. 

Bei  gesundem  Zustande  der  Hypophyse  ist  der  Blutdruck  erhöht 
und  die  Pulszahl  vermindert.  Ist  sie  aber  degeneriert,  so  tritt  das 
Gegenteil  auf:  der  Blutdruck  ist  erniedrigt  und  die  Pulszahl  vermehrt 
(Oliver  und  Sc'häffer,  Livon,  Garnier  und  Thaon,  Hallion  und 
Carrion  usw.).  Es  liegen  hier  also  die  Verhältnisse  umgekehrt  wie 
bei  der  Schilddrüse,  so  daß  sich  unsere  Beobachtungen  mit  denen  Renons 
ergänzen.  Während  wir  im  Fieber  eine  Ubertätigkeit  der  Schilddrüse 
annehmen,  behauptet  er  eine  Untätigkeit  der  Hypophyse.  Tatsächlich 
auch  pflegt  neben  einer  Übertätigkeit  der  Schilddrüse  eine  Untätigkeit 
der  Hypophyse  zu  bestehen,  denn  es  wurde  auch  von  Ro'go witsch 
Stieda,  Ben  da  und  anderen  bewiesen,  daß,  wenn  man  die  Schilddrüse 
entfernt,  die  Hypophyse  hypertrophiert  und  victe  versa.  Auch  im  Myx¬ 
ödem  besteht  ähnliches  (Ponfick,  Coulon). 

Renon,  Delille  und  Azam  konnten  bei  zahlreichen  Fällen  von 
Infektionskrankheiten,  den  Blutdruck  erhöhen  und  den  Puls  vermindern, 
indem  sie  Extrakte  der  Hypophyse  verabreichten.  Gleichzeitig  erzielten 
sie  aber  auch  eine  bedeutende  Besserung  des  fieberhaften  Zustandes. 
Von  Sajous  wurde  die  Rolle  der  Schilddrüse,  Hypophyse  und  Neben¬ 
nieren  bezüglich  ihrer  antitoxischen  Eigenschaften  mit  umfangreicher 
Literatur  in  einer  großen  Monographie  besprochen1).  Auch  die  Neben¬ 
nieren  und  Geschlechtsdrüsen  spielen  in  der  Verteidigung  des  Körpers 
gegen  Infektionen  und  Intoxikationen  eine  wichtige  Rolle. 

Die  Ovarien  pflegen  in  den  meisten  schweren  Infektionskrank¬ 
heiten  Veränderungen  aufzuweisen.  Das  plötzliche  Auftreten  der  Men¬ 
struation  oder  von  Metrorrhagien  infolge  eines  solchen  Anlasses  spricht 
in  diesem  Sinne.  Beim  Typhus  wies  Cornil  eine  Hypertrophie  des 
Corpus  luteum,  also  des  wichtigsten  Teiles  der  Ovarien  nach. 

b  Sajous,  Internal  Secretions.  Davis  &  Co.  Philadelphia  1902. 


Der  Einfluß  der  Blutdrüsen  auf  die  Immunität  gegen  Infektionen  usw.  829 


Metsch  nikoff  und  Matchinski1)  stellten  nach  Injektionen  von 
Tetanustoxinen  die  größten  Mengen  derselben  in  den  Ovarien  oder 
Testikeln  der  Tiere  fest.  Auch  wiesen  sie  das  ähnliche  bezüglich  von 
Diphtherietoxinen  nach.  Auch  zeigten  die  Ovarien  weitgehende  Ver¬ 
änderungen.  Lingard2)  fand  bei  Rindern,  denen  er  Hodenextrakte 
subkutan  injiziert  hatte,  eine  erhöhte  Resistenz  gegen  die  Rinderpest. 
Auch  ist  von  großer  Bedeutung,  daß  das  Serum  solcher  Tiere  andere 
gegen  die  Rinderpest  immunisieren  kann.  Brown  Sequard  und  A’ Ar- 
son  val  wandten  Hoden extrakte  mit  Erfolg  in  Fällen  von  Tuberkulose 
und  Uspensky3)  in  solchen  von  asiatischer  Cholera  an. 

Es  wurde  auch  durch  eine  Reihe  von  Autoren  gezeigt,  daß  das 
Spermiri  von  Poehl  hei  Injektionen,  manchmal  sogar  in  Fällen  von 
Septikämie  gute  Dienste  erweisen  kann.  Loewy  und  Richter  fanden, 
daß  nach  Spermingaben  zuerst  eine  große  Verminderung  der  Leukozyten 
infolge  von  Leukolyse  stattfindet,  darauf  aber  ein  Zustand  von  Hyper¬ 
leukozytose  folgt.  Gleichzeitig  besteht  eine  bedeutende  Zunahme  der 
Alkalinität  des  Blutes. 

Diese  Forscher  konnten  auch  Tiere  durch  Injektion  von  Spermin  in 
Fällen  von  experimenteller  Pneumonie  heilen,  selbst  wenn  diese  Tiere 
das  drei-  bis  vierfache  einer  letalen  Dosis  von  Pneumoniekokken  er¬ 
hielten.  Ebenso  versuchten  sie  das  Spermin  bei  der  Diphtherie  anzu¬ 
wenden,  aber  hier  waren  die  Resultate  weniger  ausgezeichnet,  wenn 
auch  in  einigen  Fällen,  wo  gerade  eine  tödliche  Dosis  von  Mikroben 
gegeben  wurde,  ein  Erfolg  konstatiert  werden  konnte. 

Nach  Poehl  würde  die  Zunahme  der  Alkalinität  des  Blutes  durch 
das  Spermin  seine  Wirkung  gegen  die  Infektionen  erklären. 

Auch  gegen  Darmgifte,  so  gegen  die  Leukomaine,  das  Neurin  und 
Cholin,  welche  beim  Entstehen  einer  gastrointestinalen  Autointoxikation 
eine  gewisse  Rolle  spielen  dürften,  wandte  man  das  Spermin  mit  guten 
Resultaten  an  (v.  TarChanow  und  v.  Poehl). 

Wie  die  Schilddrüse,  können  auch  die  Hoden  oder  Ovarien  uns 
gegen  Gifte,  wie  das  Arsenik,  Chloroform  usw.  schützen.  Bezüglich 
des  Arseniks  wurde  dies  am  Pasteur-Institut  durch  die  Arbeiten  Mat- 
chinski’s  nachgewiesen.  Tarclhanow  fand,  daß  Frösche  oder  Hunde 
nach  einer  Injektion  mit  Spermin  die  Chloroformnarkose  viel  besser 
vertrugen  Dasselbe  konstatierten  Wedjaminoff  am  Menschen  und 
Krüger  nach  Äthernarkose  (nach  Poehl  zitiert). 

Auch  die  Leber,  ebenso  eine  Drüse  mit  innerer  Sekretion  (Gilbert, 
H.  Strauß),  spielt  beim  Schutze  unseres  Körpers,  wie  Heger  fand,  eine 
große  Rolle. 

Daß  die  Thymus,  die  zu  den  Blutdrüsen  in  naher  Beziehung  steht 
und  bei  Kindern  ein  wichtiges  epitheliales  Gebilde  ist,  ebenfalls  eine 
große  antitoxische  Bedeutung  hat,  wird  durch  Brieger,  Wassermann 
und  Kitasato  bewiesen,  welche  zeigten,  daß  Cholerabazillen  ihre  toxi¬ 
schen  Eigenschaften  durch  Thymusextrakte  verlieren. 

Es  kann  nach  all  dem  keinem  Zweifel  mehr  unterliegen,  daß  unsere 
Immunität  gegen  Infektionen  und  Intoxikationen  vom  Besitze  gut  funk¬ 
tionierender  Blutdrüsen  abhängt.  Wer  diese  hat,  ist  auch  mehr  gegen 
leben  verkürzende  Faktoren  gefeit.  Es  ist  wohl  möglich,  daß  auf  dieser 

x)  Annales  de  l’Institut  Pasteur  1900.  3  Mars  p.  113. 

2)  Zentralblatt  für  Bakteriologie  vol.  XXX  VIII,  H.  2.  S.  246. 

3)  C.  R.  Soc.  Biol.  5.  Nov.  1892. 


830 


Ascher, 


Grundlage  die  Frage  der  Lebensversicherung  in  einer  rationelleren  Weise 
gelöst  werden  kann. 

Bei  Personen,  deren  Blutdrüsen  in  nicht  ganz  vollkommenem  Zu¬ 
stande  sind,  kann  es  durch  den  geringsten  Anstoß  sehr  leicht  zur  Ent¬ 
stehung  einer  Infektion  oder  Intoxikation  kommen.  Die  vier  wichtigsten 
Ursachen  sind :  Unterernährung,  Erkältung,  Kummer  und  Sorgen,  ge¬ 
schlechtliche  Ausschweifungen,  wozu  weiter  noch  auch  alle  Fehler  gegen 
die  persönliche  Hygiene  im  weiteren  Sinne  gehören. 

Nach  dem  oben  mitgeteilten  werden  wir  leicht  verstehen,  weshalb 
kleine  Kinder  so  sehr  Infektionskrankheiten  ausgesetzt  sind.  Ihre  Blut¬ 
drüsen  sind  eben  noch  nicht  entwickelt.  Aber  auch  Greise  zeigen 
gegen  Infektionen  weniger  Widerstand,  weil  ihre  Blutdrüsen  schon 
degeneriert  sind. 


Breslauer  Brief. 

Von  Dr.  Ascher. 

In  der  ,, Schlesischen  Gesellschaft“  hielt  Küttner  einen  Vortrag, 
den  er  einen  „Appell  in  der  Apjmndizitis-  und  Cholelithiasisfrage“ 
nannte.  Dieser  Appell  richtet  sich  an  die  praktischen  Ärzte  und  Inter¬ 
nisten,  die  Patienten  möglichst  frühzeitig  dem  Chirurgen  zu  über¬ 
weisen.  Er  betont,  daß  gerade  in  Breslau  eine  merkwürdige  Animosi¬ 
tät  unter  den  Ärzten  gegen  den  chirurgischen  Eingriff  herrsche.  Im 
letzten  Jahre  wurden  der  chirurgischen  Klinik  zu  Breslau  70  Blind¬ 
darmaffektionen  im  akuten  Stadium  überwiesen. 

Im  Anfall  innerhalb  der  ersten  24  Stunden  2  Fälle,  innerhalb 
der  ersten  48  Stunden  6  Fälle. 

Auf  den  Wurmfortsatz  beschränkt  waren  7  Fälle,  in  43  Fällen 
traten  schwere  Abszedierungen  ein,  in  20  Fällen  diffuse  eitrige  Peri¬ 
tonitis. 

Der  letale  Ausgang  aller  Fälle  betrug  70°/0.  Rechtzeitig  operiert 
wurde  in  11  °/0-  Zu  spät  operiert  wurde  in  89 °/0.  Die  Gesamtmortalität 
betrug  26,5  °/0. 

Vortragender  vergleicht  die  Perityphlitis  mit  phlegmonösen  Pro¬ 
zessen  an  Extremitäten,  die  jeder  Arzt  doch  chirurgisch  behandle.  Die 
Basis  der  therapeutischen  Anschauung  muß  sein :  Appendizitis  ist  eine 
rein  chirurgische  Erkrankung.  Eine  vernünftige  Opiumtherüpie  führt 
mitunter  in  leichten  Fällen  zu  Erfolgen. 

Doch  besteht  die  Gefahr  der  Verschleierung  in  schweren  Fällen. 

Zur  Aufhebung  eines  deletären  Prozesses  ist  Opium  nicht  ge¬ 
eignet.  Empfehlenswert  ist  mitunter  eine  Morphiumgabe.  Abführ¬ 
mittel  sind  direkt  schädlich.  Der  Charakter  eines  Falles  kann  sich 
jeden  Augenblick  ändern,  wenn  auch  ein  momentanes  Abklingen  bei 
interner  Behandlung  zu  konstatieren  ist.  Appendizitiden  mit  glück¬ 
lichen  Ausgang  eines  einmaligen  Anfalles  sind  selten.  Vor  Rezidiven 
bewahrt  nur  der  frühzeitige  chirurgische  Eingriff.  Der  Eingriff  in 
den  ersten  48  Stimden  ist  Indikation.  Doch  haben  auch  "Eingriffe 
in  den  ersten  24  Stunden  mitunter  keinen  Erfolg  gehabt.  Das  sind 
besonders  die  Fälle  von  akuter  Gangrän  des  Darmes,  die  selbst  der 
Früh  Operation  spotten.  Es  gibt  zwei  Schwierigkeiten  bei  der  Förde¬ 
rung  der  Frühoperation,  die  Abneigung  der  Angehörigen  gegen  einen 
chirurgischen  Eingriff  und  die  nicht  sichere  Diagnose.  Die  Verant¬ 
wortung  für  die  Vornahme  des  Eingriffes  trägt  der  Chirurg. 


Breslauer  Brief. 


831 


Bei  Kindern  ist  besonders  auf  eine  plötzlich  eintretende  Harn¬ 
verhaltung  zu  achten.  Die  Frühoperation  verläuft  wie  eine  Intervall¬ 
operation,  es  tritt  keine  Hernienbildung  ein,  da  die  Schnitte  nicht 
groß  angelegt  werden.  Bei  länger  bestehenden,  sogenannten  leichten 
Beizun'gen,  ist  die  Gefahr  der  Perforation  eines-  Abszesses  in  das  Peri¬ 
toneum,  weil  dasselbe  dann  seine  Schutzstoffe  verbraucht  hat,  sehr 
groß.  Bei  der  Diagnose  kommen  Palpation,  Temperatur,  Puls  und 
Gesichtsausdruck  in  Betracht. 

Besonders  zu  beachten  ist  der  Gesichtsausdruck  (Facies  abdomi¬ 
nalis).  Auch  im  Intermediärstadium  werden  Nähte  gelegt,  nur  bei 
gangränösen  Prozessen  wird  tamponiert.  Selbst  in  scheinbar  ver¬ 
zweifelten  Fällen  soll  man  operieren,  doch  ist  die  Aussicht  bei  diffuser 
eitriger  Peritonitis  eine  sehr  schlechte. 

Im  Anschlüsse  daran  kommt  Vortragender  zu  den  Indikationen 
für  Cholelithiasisoperationen.  Er  selbst  hat  hier  im  ganzen  45  Gallen¬ 
stein-Laparotomien  gemacht.  Darunter 

13  Choledoehotomien, 

5  Leberabszesse  und 
23  komplizierte  Fälle. 

Die  Gesamtmortalität  betrug  6°/0.  Er  hält  die  Gallensteinchirur¬ 
gie  für  sehr  erweiterungsfähig.  Am  Schlüsse  seiner  Ausführungen 
präzisiert  er  seine  Indikationen,  die  Cholelithiasis  ist  nicht  wie  die 
Appendizitis  eine  rein  chirurgische  Erkrankung.  Etwa  50°/0  der  Fälle 
heilen  bei  interner  Behandlung  klinisch  aus.  Es  gibt 

1.  Absolute  Indikationen, 

2.  relative  Indikationen, 

3.  Gegenindikationen. 

1.  Absolute  Indikationen : 

a)  Die  akute  schwere  Cholezystitis.  Hier  ist  Abwarten  ge¬ 
fährlich  wegen  eventl.  eintretender  Gangrän.  Im  schweren 
Anfall  sofortige  Operation,  beim  leichten  Anfall  nach  Ab¬ 
klingen  derselben. 

b)  Der  Leber abszeß,  der  subphrenische  Abszeß,  die  eitrige 
Pericholezystitis. 

c)  Hydrops  und  Empyem  der  Gallenblase. 

d)  Folgezustände  von  Entzündungen,  Heus  und  Pylorusstenose. 

e)  Chronischer  Verschluß  des  Choledochus. 

2.  Belative  Indikationen : 

a)  Wenn  soziale  Verhältnisse  einen  schnellen  Abschluß  der 
Krankheit  verlangen  (Arbeiter,  Mutter  mit  vielen  Kindern). 

b)  Chronische  rezidivierende  Cholezystitis. 

3.  Gegenindikationen : 

a)  Seltene  Anfälle. 

b)  Schmerzloser  Abgang  von  Steinen. 

c)  Schlechtes  Allgemeinbefinden. 

d)  Akuter  Verschluß  des  Choledochus. 

In  der  Diskussion  weist  Ponfick  auf  die  weit  vorgeschrittene 
Kenntnis  der  Appendizitisbehandlung  hin,  um  die  sich  gerade  die  Chirur¬ 
gie  viele  Verdienste  erworben  hat.  Der  pathologisch-anatomische  Be¬ 
fund  deutet  geradezu  auf  die  Notwendigkeit  des  frühzeitigen  chirur¬ 
gischen  Eingriffes.  Er  hält  im  Gegensätze  zu  anderen  Pathologen  den 
Kotstein  für  die  Ursache  mancher  Appendizitis.  P.  betont  dann  das 
Auftreten  von  regionär  ganz  entgegengesetzt  liegenden  Eiterungen.  Zur 


832 


Ascher, 


Erklärung  dafür  müsse  das  Vorbeipassieren  der  in  Peristaltik  befind¬ 
lichen  Darmschlingen  an  dem  primären  Eiterherd  herangezogen  werden. 

Tietze  schließt  sich  im  allgemeinen  den  Ausführungen  Küttner’s 
an.  Von  167  in  den  letzten  Jahren  ausgeführten  Ap  peondiz  it  isoper  ation en 
hatten  fünf  einen  letalen  Ausgang.  Bei  allen  tödlich  verlaufenen* Fällen 
war  vorher  diffuse  Peritonitis  festzustellen.  Alle  Früh  Operationen,  und 
Intervalloperationen  hätten  ein  gutes  Resultat.  Poliklinisch  hat  Vor¬ 
tragender  92  Fälle  später  als  48  Stunden  operiert.  Darunter  22  Fälle 
mit  tödlichem  Ausgange.  Davon  war  bei  17  Patienten  vorher  diffuse 
Peritonitis  nachzuweisen.  Zwei  Patienten  gingen  an  Tuberkulose  zu¬ 
grunde.  Bei  57  Frühoperationen  hatte  er  nur  einen  Todesfall.  Er 
faßt  seine  Darlegungen  so  zusammen,  die  Frühoperation  ist  zwar  nicht 
unbedingt  notwendig,  doch  ist  sie  bei  konsequenter  Durchführung  das 
beste  therapeutische  Mittel.  Bei  Kindern  ist  die  Frühoperation  un¬ 
bedingt  zu  fordern.  Die  Gallensteinoperationen  hält  er  für  gefähr¬ 
licher  als  die  Blinddarmoperationen.  Rezidive  hat  er  nicht  selten  ge¬ 
sehen.  Seine  Indikationen  für  die  Operation  sind: 

1.  Chronische  rezidivierende  Cholezystitis. 

2.  Hydrops  und  Empyem  der  Gallenblase. 

3.  Verschluß  des  Choledochus  mit  Fieber,  Diarrhöen  und  Gewichts¬ 
abnahme. 

In  der  Diskussion  hebt  Fraenkel  die  Schwierigkeit  der  Diffe¬ 
rentialdiagnose  vom  Standpunkt  des  Gynäkologen  bei  perforierter 
Appendizitis  und  Torsion  von  Ovarialtumoren  hervor.  Die  Appen¬ 
dizitis  in  der  Gravidität  ist  nicht  selten,  wird  aber  oft  übersehen. 
Drei  bis  vier  Tage  post  partum  tritt  dann  die  Katastrophe  ein.  Er 
tritt  für  eine  genaue  Untersuchung  im  warmen  Vollbade  bei  Links¬ 
lagerung  ein  und  betont  die  Wichtigkeit  einer  präzisen  Anamnese. 

Schmeidler  ist  nach  40 jähriger  ärztlicher  Tätigkeit  unbedingter 
Anhänger  der  Frühoperation  geworden.  Er  hat  Opium  und  Morphium¬ 
therapie  fast  ganz  ausgesetzt,  empfiehlt  jedoch  in  den  ersten  Stunden 
kalte  Umschläge.  In  der  Cholelithiasisfrage  verhält  er  sich  mehr  re¬ 
serviert.  Er  schreibt  den  Ölkuren,  besonders  per  Klysma  dargereicht, 
günstige  Wirkungen  zu. 

Alexander  hat  nach  Ölkuren  nur  Seifensteine,  niemals  aber  echte 
Gallensteine  abgehen  sehen.  Um  Anhänger  der  Frühoperation  zu  wer¬ 
den,  will  er  erst  eine  einwandsfreie  Statistik  der  Chirurgen  sehen, 
die  bessere  Resultate  als  die  interne  Behandlung  aufzuweisen  hat. 
Er  will  doch  die  interne  Behandlung  mit  ihren  Erfolgen  nicht  gering 
anschlagen.  Der  Ausdruck  diffuse  Peritonitis  wird  öfters  zu  Unrecht 
gebraucht.  Nach  seiner  Ansicht  ist  eine  vernünftige  Opiumtherapie 
geeignet,  eine  frühzeitige  Abgrenzung  durch  Adhäsionen  hervorzurufen. 

Toeplitz  empfiehlt  bei  Kindern  dringend  die  Frühoperation,  weil 
sich  schwere  und  leichte  Fälle  nicht  unterscheiden  lassen. 

Im  Schlußwort  betont  Küttner  die  Wichtigkeit  des  Kotsteines 
als  Entstehungsursache  der  Appendizitis.  Bei  Komplikationen  der 
Appendizitis  mit  Gravidität  will  er  immer  den  Gynäkologen  zuge¬ 
zogen  wissen.  Er  warnt  noch  einmal  vor  der  Anwendung  des  Opiums 
und  empfiehlt  Bettruhe  und  Morphium.  Was  die  Frage  der  Chole- 
lithiasisoper ation  betrifft,  so  ist  er  der  Meinung,  daß  bei  richtig  ge¬ 
wählter  Operationszeit  die  Rezidive  ausgeschlossen  sind. 

Die  nächste  Sitzung  der  „Schlesischen  Gesellschaft“  fand  am 
12.  März  in  der  königlichen  Hautklinik  statt. 


Breslauer  Brief. 


838 


Als  Erster  demonstrierte  Zieler  einen  Fall  von  Boeck’schem 
Sarkoid.  Unter  dem  Namen  Miliarlupoid  ist  es;  in  letzter  Zeit  häufig 
in  Beziehung  zur  Tuberkulose  gebracht  worden.  Die  Pir quetsche 
Reaktion  war  negativ,  auch  eine  allgemeine  blieb  aus.  Die  Infiltrate 
sind  flach,  diffus  oder  vom  Zentrum  aus  abheilende  Herde.  Das  Bild 
ähnelt  sehr  dem  gewöhnlichen  Lupus,  weil  sich  einzelne  Knötchen 
unterscheiden  lassen.  Es  folgt  eine 

Demonstration  von  Moulagen,  in  denen  mehr  gelbliche  Farbe  der 
Knötchen  dominiert,  die  an  der  Stirn  besonders  auffallend  ist. 

Öfter  werden  diese  Fälle  für  Lupus  erythem.  und  Lues  angesehen. 
Es  besteht  allgemeine  indolente  Drüsenschwellung.  Die  Drüsen  gaben 
dasselbe  histologische  Bild  wie  die  eigentlichen  Hautaffektionen.  Die 
Herde  bestehen  aus  Epithel  und  Riesenzellen,  keine  Randzellenzone, 
keine  destruierende  T]endenz  im  Wachstum,  keine  Zerstörung  ist  zu  be¬ 
merken,  nur  Verdrängung  des  normalen  Gewebes.  Experimentell  war 
keine  Tuberkulose  zu  erreichen,  nur  ähnliche  Drüsenschwellungen  sind 
von  Bruck  durch  Impfung  dargestellt  worden.  Es  handelt  sich  um 
säurefeste  Bazillen. 

Die  ganze  Affektion  wird  als  chronisches,  infektiöses  Granulom 
angesprochen,  die  Ätiologie  ist  unbekannt.  Häufig  findet  man  Spina 
ventosa  ähnliche  Knochenauftreibung  mit  dieser  Affektion  vergesell¬ 
schaftet. 

Die  Therapie  besteht  in  protahierten  Arsendosen,  in  Einsen  und 
Röntgenbestrahlung.  Im  Anschluß  daran  wurden  einige  Pirquetreak¬ 
tionen  demonstriert.  Es  wurden  darunter  auch  einige  Fälle  gezeigt, 
die  nach  alter  Pirquetreaktion  lokal  auf  Tuberkulin  wie  echte  Tuber¬ 
kulose  reagierten.  Es  handelt  sich  dabei  nicht  um  traumatische  Tuber¬ 
kulose.  Die  späteren  Reaktionen  auf  Tuberkulininjektionen  waren 
immer  stärker  als  der  erste  Pirquet. 

Daran  schloß  sich  ein  Fall  mit  prurigoähnlichen .  Hauterschei¬ 
nungen,  wie  man  sie  bei  Leukämie  und  Pseudoleukämie  nicht  selten 
findet.  Der  Juckreiz  spricht  gegen  Tuberkulose,  trotzdem  die  Narben 
einen  solchen  Verdacht  aufkommen  lassen.  Auch  sind  solche  Haut- 
erscheinungen  bei  malignen  Lymphomen  und  Malaria  beobachtet  worden. 
Es  besteht  allgemeine  Drüsenschwellung,  doch  keine  reinen  Symptome 
irgend  einer  Grundkrankheit. 

Braendle  stellt  einen  Fall  vor,  bei  dem  multiple  Keloide  an  der 
Stelle  aufgetreten  sind,  wo  vor  fünf  Jahren  Kampferinjektionen  ge¬ 
macht  wurden.  Dieselben  sind  seit  zwei  Jahren  bemerkbar,  ohne  sub¬ 
jektive  Erscheinungen  hervorzurufen.  In  der  Diskussion  betont  Zieler 
einen  Fall,  den  er  in  München  gesehen  hatte,  bei  dem  ähnliche  Ver¬ 
änderungen  aus  der  gleichen  Ursache  aufgetreten  waren. 

Koppel  stellt  einen  Fall  zur  Diagnose,  bei  dem  Lichen  ruber 
oder  Lues  differentialdiagnostisch  in  Frage  kommen.  Außerdem  de¬ 
monstriert  er  einen  Fall  mit  einem  Primäraffekt  am  Mons  pubis,  der 
sich  unter  den  Erscheinungen  einer  gewöhnlichen  Haarbalgfollikulitis 
entwickelte. 

Hayassi  demonstriert  histologische  Präparate  von  Phlyktänen. 
Er  hält  dieselben  für  eine  rein  toxische  Wirkung  der  Tuberkelbazillen, 
da  Tierimpfungen  stets  resultatlos  verlaufen  sind. 

In  der  Diskussion  betont  Zieler  die  Annahme  einer  toxischen 
Tuberkulose.  Die  zentrale  Verkäsung  deutet  auf  eine  echte  Tuber- 

53 


834 


Ehrmann  und  Fuld, 


kulose  im  Gegensätze  zum  Pirquet  knoten,  der  niemals  zentrale  Ver¬ 
käsung  zeigt. 

Sieb  er  t  demonstriert  Moulagen  von  Syphilis  en  cocard. 

Hayn  spricht  über  die  Entstehung  von  Leukoderm.  Er  betont 
hauptsächlich,  daß  auch  Leukodermata  auf  treten  können,  wo  keine 
Effloreszenzen  gesessen  haben.  Zur  Differentialdiagnose  demonstriert 
er  Moulagen  mit  Leukoderm  nach  Psoriasis.  Zum  Schlüsse  zeigt  er 
einen  Patienten  mit  maligner  Lues. 

Zieler  präzisiert  die  Haupteharakteristika  der  malignen  Form. 
Die  Effloreszenzen  zerfallen  sofort,  die  ganze  Krankheitsform  läßt  das 
Individuum  sehr  herunterkommen.  Die  souveräne  Therapie  ist  Kalomel. 

Beinking  spricht  an  der  Hand  eines  Falles  von  Labyrinthlues 
über  verschiedene  Symptome  dieses  Krankheitsbildes. 

Plötzlich  einsetzende  Schwerhörigkeit  deutet  auf  eine  syphilitische 
Affektion  des  schallempfindenden  Apparates.  Das  Trommelfell  war 
in  diesem  Falle  ohne  jeden  Befund,  da»3  Mittelohr  vollständig  intakt. 
Starke  Einschränkung  der  oberen  Tongrenze,  die  der  unteren  nur  gering. 
Luftdusche  ohne  jeden  Erfolg.  Es  stellen  sich  starke  Kopfschmerzen 
ein.  Auf  eine  energische  Quecksilber-  und  Jodkalikur  schwanden  die 
Kopfschmerzen  und  das  Gehör  besserte  sich.  Der  Bogengangsapparat 
ist  nicht  beteiligt. 

Charakteristisch  für  diese  Affektion  ist  das  plötzliche  Einsetzen 
von  Taubheit  oft  innerhalb  von  24  Stunden,  die  immer  noch  progressiv 
sein  kann.  Ferner  starke  subjektive  Hörgeräusche.  Die  Krankheit 
spottet  oft  jeder  Therapie. 

Pathologisch -anatomische  Veränderungen  sind  nicht  viel  bekannt. 
Es  handelt  sich  meistens  um  periostitische  Veränderungen.  Die  bis  jetzt 
publizierten  Fälle  variieren  in  ihrem  Befunde, 

Pürckheimer  demonstriert  histologische  Präparate  von  Spiro- 
chaeta  pallida,  Knorpelknochengrenze  luetischer  Föten  und  experi- 
mentel  1er  Kaninchenkeratitis. 

Baumm  demonstriert  einen  Böntgendosimeter  nach  Saborand 
N  oire,  der  eine  bequeme  und  genaue  Abmessung  der  Strahlen  gestattet. 

Es  folgt  dann  eine  Demonstration  von  bestrahlten  Patienten. 

1.  Krebskranke  (werden  nur  dann  bestrahlt,  wenn  die  Operation 
aus  irgend  einem  Grunde  unmöglich  ist). 

2.  Lupuskarzinom. 

3.  Fall  von  Rosacea  (durch  Quarzlampe  geheilt). 

4.  Einige  Favusfälle  (mit  Böntgenbestrahlung  geheilt). 

5.  Lupus  (muß  neben  Bestrahlung  noch  antiparasitär  behandelt 
werden). 

6.  Psoriasisfälle  (mit  Röntgenstrahlen  behandelt). 


26.  Kongreß  für  innere  Medizin  zu  Wiesbaden. 

19.— 22.  April  1909. 

Berichtserstatter:  Dr.  Ehrmann  und  Dr.  Fuld. 

(Fortsetzung.) 

5.  Sitzung  vom  21.  April  1909,  vormittags. 

Vorsitzender :  Schultze-Bonn. 

Der  Kongreß  beschließt,  in  der  Begel  in  Wiesbaden  zu  tagen. 
Eppinger  und  Hess- Wien:  Zur  Pathologie  der  Basedow¬ 
schen  Krankheit. 


26.  Kongreß  für  innere  Medizin  zu  Wiesbaden. 


835 


Das  viszerale  Nervensystem  ist  teils  sympathischen,  teils  auto¬ 
nomen  Ursprungs ;  diese  Bestandteile  können  anatomisch  nicht  vonein¬ 
ander  getrennt  werden.  Wohl  aber  scheint  eine  solche  Sonderung  mög¬ 
lich  durch  Verwendung  pharmakologischer  Agenzien,  indem  das!  Adre¬ 
nalin  auf  das  sympathische  System  wirkt,  das  Pilokarpin  und  Physo¬ 
stigmin  vorwiegend  auf  das  autonomische  (Vagus-)  System.  Durch 
Heranziehung  dieses  Hilfsmittels  läßt  sieh  feststellen,  daß  die  beiden 
Systeme  im  Verhältnis  von  Antagonisten  stehen,  indem  das  eine  Beiz¬ 
wirkung  ausübt,  wo  das  andere  hemmend  wirkt.  Bei  einzelnen  Indivi¬ 
duen  nun  sieht  man  von  Pilokarpingaben  überhaupt  keine  Wirkung, 
weder  Speichelfluß  noch  Schweiße ;  aus  der  Erfahrung  im  Tierexperiment 
schließt  man  in  diesem.  Fall  auf  einen  Untertonus  des  Vagus.  Gerade 
bei  diesen  Menschen  läßt  sich  eine  Adrenalinglykosurie  leicht  hervor- 
rufen ;  umgekehrt  kann  man  da,  wo  diese  ausbleibt,  mit  Sicherheit 
Voraussagen,  daß  das  Pilokarpin  wirken  wird.  Menschen  von  dem 
zuletzt  angedeuteten  Verhalten  sind  vagusneurotische  (v.  Noorden), 
bradykardische,  spastisch  obstipierte  Leute  mit  nervöser  Hyperhidrose. 

Bei  Basedowkranken,  deren  autonomes  wie  sympathisches  System 
in  einem  Beizzustand  sich  befindet,  vermochte  Bedner  zwei  Typen  zu 
unterscheiden,  je  nachdem  der  Beizzustand  des  einen  oder  des  anderen 
überwog.  Bei  dem  einen,  dem  autonomen  Typus  z.  B.,  bestehen  nur 
Schweiße  und  Diarrhöen,  Möbius’sches  Symptom,  dagegen  kein  Exoph¬ 
thalmus  usw. 

In  diesen  Fällen  ließ  sich  durch  Adrenalinzufuhr  keine  Glykosurie, 
bei  dem  anderen  Typus  wiederum  keine  Pilokarpinspeichelung  hervor- 
rufen. 

Es  könnte  scheinen,  als  ob  wir  es  in  dem  einen  Fall  mit  Dys- 
thryeoidismus  und  in  dem  anderen  mit  Hyperthyreoidismus  zu  tun 
hätten.  Jedoch  liegt  in  Wahrheit  auch  beim  Basedowismus  mit  auto¬ 
nomem  Beizzustand  kein  Dysthyreoidismus  vor,  sondern  gleichfalls 
ein  Hyperthyreoidismus,  der  einen  vagotonischen  Menschen  befallen  hat. 

Diese  Einteilung  der  Menschen  in  Vago-  und  Sympathikotoniker  ist, 
wie  das  ausgeführte  und  andere  Beispiele  lehren,  für  Pathologie  und 
Therapie  von  großer  Bedeutung. 

Bönniger-Pankow-Berlin :  Zur  Ätiologie  des  Lungen¬ 

emphysems. 

Das  lokale  Emphysem  beruht  im  Gegensatz  zum  diffusen  auf  einer 
Überdehnung  der  Alveolen.  Es  gelang,  künstlich  ein  solches  an  normalen 
Lungen  zu  erzeugen,  welches  von  natürlichem  Emphysem  nicht  zu  unter¬ 
scheiden  ist.  Auch  die  Lokalisation  ist  eine  ganz  ähnliche,  wie  man  sie 
z.  B.  bei  Diphtherie  sieht.  Das  sogenannte  interstitielle  Emphysem  be¬ 
trifft  in  der  Begel  nicht  die  Interstitien,  sondern  die  ihnen  zunächst 
liegenden  Alveolen. 

Head-London :  Ü her  Sensibilität  und  Sensibilitätspr  iif ung. 

Es  ist  allgemein  bekannt,  daß  die  Sensibilitätsstörungen,  welche 
nach  Durchschneidung  der  peripheren  Nerven  auftreten,  den  Erwartungen 
nicht  entsprechen.  Der  Mensch  unterscheidet  auf  Grund  der  täglichen 
Erfahrung  eine  Empfindung  der  Berührung,  die  allmählich  in  eine 
schmerzlose  Druckempfindung  übergeht.  Schmerz,  Hitze  und  Kälte 
sind  für  uns  scharf  voneinander  getrennte,  einheitliche  Qualitäten. 

Wir  unterscheiden  ferner  eine  Gruppe  der  Empfindungen,  mit  deren 
Hilfe  wir  die  gereizte  Stelle  und  die  räumlichen  Verhältnisse  unserer 
Glieder  erkennen. 


53* 


836 


Elirmann  und  Fuld, 


Solche  Empfindungsqualitäten  müssen  von  spezifischen  Impulsen 
abhängig  sein;  aber  jeder  Versuch,  die  Sensibilitätsstörungen  nach  Ver¬ 
letzungen  der  peripheren  Nerven  oder  des  Rückenmarkes  in  solche, 
a  priori  ausgedachte  Kategorien  einzureihen,  scheitert  am  Widersprach 
mit  dem  tatsächlichen  Befund. 

Der  Kliniker  ist  deswegen  genötigt  worden,  andere  Sensibilitäts¬ 
qualitäten,  wie  z.  B.  die  „tiefe  Sensibilität“,  voraus  zu  hilfe  zu  nehmen, 
die  in  pathologischen  Fällen  als  allein  übrigbleibende  Empfindungs¬ 
gruppe  nachweisbar  ist.  Aber  trotz  aller  Annahmen  ist  es  nicht  möglich, 
die  Sensibilitätsstörungen,  die  nach  Läsionen  verschiedener  Abteilungen 
des  Nervensystems  zustande  kommen,  in  dieselben  Empfindungskate¬ 
gorien  einzureihen.  Man  redet  von  der  erwähnten  „tiefen  Sensibilität“, 
als  sei  diese  etwas  Definiertes ;  aber  diese  Sensibilität  bietet  nach  Ver¬ 
letzungen  der  peripheren  Nerven  ein  ganz  anderes  Bild,  als  bei  Läsionen 
des  Rückenmarks  oder  des  Gehirns. 

All  diese  Schwierigkeiten  verschwinden  nun,  sobald  man  die  An¬ 
nahme  macht,  daß  die  sensiblen  Impulse  in  ihrem  Verlauf  von  der 
Peripherie  bis  zum  Gehirn  auf  jeder  Stufe  des  Nervensystems  eine  Neu¬ 
gruppierung  erfahren. 

Ich  möchte  Ihnen  im  folgenden  zeigen,  wie  auf'  identische  Reize 
die  Empfindung  sich  jedesmal  anders  gestaltet,  je  nach  der  Stufe  des 
Nervensystems,  an'  welcher  die  Störung  angreift. 

Unsere  Resultate  stützen  sich  teils  auf  klinische,  teils  auf  experi¬ 
mentelle,  am  eigenen  Körper  nach  Durchschneidung  zweier  Nerven  aus¬ 
geführte  Untersuchungen. 

Die  Methoden  zur  Sensibilitätsprüfung,  die  ich  heute  besprechen 
werde,  sind  nicht  für  alle  klinische  Zwecke  brauchbar.  Denn  für  die 
Untersuchung  von  Kranken,  die  leicht  ermüden  und  kein  Interesse  an 
der  Prüfung  zeigen,  sind  die  einfachsten  Methoden  die  besten.  Die 
Prüfung  darf  nicht  zu  lange  dauern  und  bloß  die  einfachste  Selbst¬ 
beobachtung  verlangen. 

In  meinem  eigenen  Palle  glaubten  wir  uns  dagegen  der  strengsten 
psychophysischen  Methoden  bedienen  zu  sollen  und  haben  ein  besonderes 
Gewicht  auf  die  Ergebnisse  dieser  Selbstbeobachtung  gelegt. 

Der  Patient  hält  während  der  Prüfung  die  Augen  geschlossen,  oder 
es  wird  ein  Schirm  in  der  Weise  aufgestellt,  daß  der  untersuchte  Teil 
seines  Körpers  ihm  unsichtbar  wird.  Bei  der  Untersuchung  werden 
keinerlei  Fragen  gestellt,  von  vornherein  aber  wird  er  dahin  instruiert, 
zu  melden,  sobald  er  etwas  spürt.  Der  Sinn  für  oberflächliche  Be¬ 
rührung  wird  mit  einem  kleinen  Büschel  Baunrwolle  geprüft ;  es  muß 
jedoch  Sorge  getragen  werden,  daß  dieses  nicht  steif  genug  ist,  um 
Druckempfindungen  hervorzurufen  und  doch  so  steif,  daß  es  an  ver¬ 
dickten  Teilen  der  Haut,  wie  einer  hornigen  Hand  oder  Sohle  angewendet 
werden  kann. 

Leider  aber  ist  diese  bequeme  und  leicht  meßbare  Methode  bei 
Läsionen  des  peripheren  Systems  kein  differenzieller  Reiz  für  haar- 
bedeckte  Hautpartien ;  unter  gewissen  Bedingungen  ist  es  deswegen  not¬ 
wendig,  die  untersuchten  Teile  zu' rasieren.  Aber  in  vielen  Fällen  können 
Schwierigkeiten  vermieden  werden,  indem  man  von  Frey’s  „Reizhaare“ 
benützt.  Professor  von  Frey  hat  in  der  freundlichsten  Weise  eine 
Reihe  solcher  Haare  für  uns  angefertigt,  die  wir  bei  den  Untersuchungen 
an  meinem  Arm  benutzt  haben. 


26.  Kongreß  für  innere  Medizin  zu  Wiesbaden. 


837 


Die  Schmerzempfindung  ivird  in  der  gewöhnlichen  Weise  mittels 
eines  Nadelstiches  oder  des  f arabischen  Stromes  geprüft.  Bei  Rücken¬ 
marksläsionen  ist  jedoch  zu  beachten,  daß  der  Kranke  öfters  trotz 
totaler  Analgesie  die  Fähigkeit  behält,  die  Spitze  von  dem  Kopf  einer 
Stecknadel  zu  unterscheiden.  Daher  ist  er  imstande,  „Stich“  zu  ant¬ 
worten,  obwohl  die  Reizung  vollständig  schmerzlos  bleibt. 

Die  Drucksensibilität  wird  mit  irgend  einem  stumpfen  Objekt  ge¬ 
prüft.  Sobald  man  den  Druck  erhöht,  entsteht  eine  Schmerzempfindung, 
deren  Schwelle  man  mit  einer  Modifikation  des  Cattell’schen  Algo- 
meters  bestimmen  kann.  Ein  solches  Instrument  gibt  sehr  verschiedene 
Messungen  in  den  Händen  verschiedener  Beobachter,  je  nach  der  Ge¬ 
schwindigkeit,  mit  welcher  der  Druck  ausgeübt  wird  und  je  nach  der 
Intelligenz  des  Kranken.  Wir  haben  deswegen  stets  die  kranke  mit  der 
gesunden  Seite  des  Körpers  verglichen  und  kleine  Unterschiede  ver¬ 
nachlässigt. 

Zur  Prüfung  des  Temperatursinnes  benutzen  wir  meistens  mit 
heißem  oder  kaltem  Wasser  gefüllte  silberne  Gefäße, 

Die  Lokalisationsfähigkeit  wird  nach  vier  Methoden  geprüft.  Der 
Kranke  wird  aufgefordert,  den  gereizten  Ort  zu  nennen  und  nachher  mit 
dem  Finger  auf  ihn  zu  deuten.  Bei  intelligenten  Kranken  wird  die 
Henri’ sehe  Methode  benutzt,  besonders  wenn  die  Sensibilitätsstörung 
die  Haut  betrifft.  Zu  diesem  Zwecke  fertigt  man  zwei  lebensgroße 
Abbildungen  der  Hand  an;  auf  der  einen  werden  die  gereizten  Stellen 
notiert,  während  der  Kranke  auf  der  anderen  die  Stelle  auf  zeichnet,  wo 
er  glaubt,  gereizt  worden  zu  sein.  Diese  Methode  ist  besonders  lohnend 
bei  Läsionen  der  Hirnrinde.  Nach  der  Spear manschen  Methode  wird 
ein  mit  einem  Loch  versehenes  Blatt,  Pappdeckel  oder  steifes  Papier 
über  den  geprüften  Körperteil  gelegt.  Sämtliche  Reizungen  werden  durch 
das  Loch  gemacht;  die  Kranke  bezeichnet  mit  einem  Bleistift  die  Stelle, 
an  welche  er  den  Reiz  verlegt.  Die  Fähigkeit,  zwei  in  einiger  Ent¬ 
fernung  voneinander  aufgelegte  Hautreize  gesondert  zu  empfinden,  wird 
mittels  eines  Zirkels  mit  abgerundeten  Spitzen  geprüft.  Um  genaue 
Ergebnisse  zu  erhalten,  ist  es  notwendig,  bald  die  eine,  bald  beide 
Spitzen  in  einer  unregelmäßigen  Reihenfolge  anzulegen,  so  daß  schlie߬ 
lich  jede  Art  der  Reizung  gleich  oft,  z.  B.  zehnmal,  angewendet  worden 
ist.  Die  auf  die  Reizung  gegebenen  Antworten  können,  wie  McDougall 
vorgeschlagen  hat,  in  Form  eines  Bruches  aufgeschrieben  werden;  die 
Zähler  geben  die  Art  der  Antworten  an  für  Reizung  mit  einer  Spitze 
und  die  Nenner  diejenigen  für  zwei  Spitzen.  Niemals  versuchen  wir 
eine  Schwelle  zu  bestimmen,  aber  von  vornherein  werden  die  Spitzen 
des  Zirkels  auf  eine  solche  Entfernung  voneinander  gestellt,  daß  sie  auf 
der  normalen  Haut  unbedingt  getrennt  wahrgenommen  wurden. 

Um  die  Empfindung  passiver  Bewegungen  und  die  Lagewahr¬ 
nehmung  zu  prüfen,  wird  der  Kranke  aufgefordert,  die  Stellung  des 
bewegten  Gliedes  mit  der  Hand  nachzuahmen.  Wird  z.  B.  die  große 
Zehe  in  die  Strecksteilung  gebracht,  so  erhebt  er  den  Daumen,  wird 
der  Fuß  abwärts  bewegt,  so  beugt  er  die  Hand  usw. 

Es  ist  wesentlich,  die  Antworten,  wie  bei  dem  Zirkelversuch,  als 
Bruch  aufzuschreiben,  denn  durch  diese  Methode  allein  kann  man  den 
Einfluß  des  Zufalls  ausschalten. 

Das  Vibrationsgefühl  wird  in  der  gewöhnlichen  Weise  mit  einer 
Stimmgabel  geprüft,  die  128  Schwingungen  in  der  Sekunde  hat. 


888 


Ehrmann  und  Fuld, 

2.  Periphere  Anordnung“  der  Sensibilität. 

a)  Tiefe  Sensibilität. 

Nach  Durchschneidung  der  beiden  Nerven  an  meinem  Arm  trat 
ein  totaler  Empfindungs Verlust  ein  längs  einer  ausgedehnten  Fläche 
der  Haut  an  der  radialen  Hälfte  des  Vorderarmes  und  des  Handrückens. 
Reizung  mit  Baumwolle,  einer  Nadelspitze,  die  Applikation  jeder  Form 
von  Hitze  und  Kälte  blieben  unbemerkt.  "Wenn  jedoch  derselbe  Teil 
mit  der  Spitze  eines  Bleistiftes,  dem  Kopf  einer  Nadel  oder  selbst  mit 
dem  Finger  berührt  wurde,  wurde  der  Reiz  sofort  bemerkt  und  mit 
unerwarteter  Genauigkeit  lokalisiert.  Die  Vibration  einer  Stimmgabel 
und  die  Rauheit  eines  reizenden  Gegenstandes  wurden  ebensogut,  wie 
auf  der  normalen  Hand  erkannt. 

'Übermäßiger  Druck  in  dieser  Gegend  erzeugte  heftigen  Schmerz, 
und  mit  Cattell’s  Algometer  wurde  gefunden,  daß  solcher  mit  dem¬ 
selben  oder  selbst  einem  kleineren  Druck  als  auf  der  normalen  Seite 
ausgelöst  werden  konnte. 

Trotz  der  guten  Lokalisation  konnten  die  beiden  Spitzen  des 
Zirkels  nicht  unterschieden  werden,  aber  passive  Bewegungen  der  . 
Muskeln  wurden  ebensogut  erkannt  wie  auf  der  normalen  Seite. 

Man  sieht,  daß  auf  der  peripheren  Stufe  des  Nervensystems  die 
tiefe  Sensibilität  zur  Erkenntnis  und  Lokalisation  des  Druckes, 
der  Druckbewegung,  des  Druckschmerzes,  der  Vibration  einer  Stimm¬ 
gabel,  der  Rauheit  des  reizenden  Gegenstandes  und  der  passiven  Be¬ 
wegungen  der  Muskeln  und  Gelenke  dient.  Sie  bietet  keinerlei  Hilfe 
bei  der  spezifischen  Empfindung  der  leichten  Berührung,  des  Nadel¬ 
stiches,  der  Wärme  oder  Kälte  sowie  beim  Zirkelversuch. 

b)  Sensibilität  der  Haut. 

Nach  Durchschneidung  eines  peripheren  Nerven,  wie  z.  B.  des 
Medianus  oder  des  Ulnaris,  beschränkt  sich  die  Analgesie  auf  ein 
kleineres  Gebiet  als  das  der  anatomischen  Verbreitung  des  Nerven, 
Daneben  liegt  eine  dem  Innervationsgebiet  genau  entsprechende  Zone, 
innerhalb  deren  jede  Empfindung  für  leichte  Berührungen,  das  Er¬ 
kennen  der  Zirkelspitzen,  das  Erkennen  von  Temperaturen  zwischen 
22  und  40°  C  und  das  Vermögen  der  genauen  Lokalisation  aufgehoben 
ist,  während  in  demselben  Bezirk  der  Stich  einer  Nadel,  außerordent¬ 
liche  Kälte  und  (öfters)  Hitze  gut  erkannt  werden.  Die  Verbreitung 
dieser  intermediären  Zone  ist  sehr  verschieden,  aber  in  jedem  Fall 
sind  selbst  die  erhaltenen  Zahlen  der  Sensibilität  bedeutend  herab¬ 
gesetzt. 

Etwa  10  Tage  nach  der  Durchschneidung  fängt  die  Haut  dieser 
Zone  an  in  einer  merkwürdigen  Weise  zu  reagieren.  Auf  schmerzhafte 
Hautreize  wird  die  Empfindung  weit  unangenehmer  als  sonst  auf  der 
normalen  Haut  empfunden,  während  gleichzeitig  in  entfernte  Teile  der 
betroffenen  Fläche  ein  diffuses  Prickeln  verspürt  wird. 

Nun  ist  selbst  in  den  günstigsten  Fällen  innerhalb  dieser  inter¬ 
mediären  Zone  die  Sensibilität  selbst  für  schmerzhafte  Hautreize  stark 
erniedrigt,  wie  man  mittels  der  von  Frey’schen  ,, Schmerzhaare“  be¬ 
weisen  kann.  Trotzdem  ist  hier  die  Reaktion  auf  schmerzhafte  Haut¬ 
reize  noch  kräftiger  als  über  normaler  Haut. 

Diese  auffallende  Beobachtung  wird  durch  den  Zustand  meiner 
Hand  während  des  ersten  Stadiums  der  Regeneration  erklärt.  Die 
Wiederherstellung  der  Empfindung  geschah  nicht  durch  ein  gleich¬ 
mäßiges  Ansteigen  aller  Arten  der  Sensibilität,  vielmehr  wird  die 


26.  Kongreß  für  innere  Medizin  zu  Wiesbaden. 


839 


betreffende  Hautfläche  zuerst  für  Stiche  und  kurz  danach  allmählich 
auch  für  die  extremen  Formen  der  Kälte  und  Wärme  empfindlich. 

Erst  nach  einem  Jahre  fingen  die  höheren  Formen  der  Sensibilität 
a  n  zurückzukehren. 

In  diesem  ersten  Stadium,  das  ich  als  „protopathisches“  be¬ 
zeichnet  habe,  bestand  die  ganze  Sensibilität  der  Haut  in  der  Existenz 
von  Schmerz-,  Hitze-  und  Kältepunkten.  Die  ganze  Ausdehnung  der 
Hautfläche  blieb  für  leichte  Berührung  und  Temperaturen  von  26  bis 
38°  C  unempfindlich;  genaue  Lokalisation  und  getrennte  Empfindung 
der  beiden  Zirkelspitzen  war  ebenfalls  nicht  möglich. 

Wenn  man  die  Eigenschaften  dieses  protopathischen  Hautgebiets 
mittels  abstufbarer  Beize  genauer  untersucht,  so  findet  man,  daß  ein 
bestimmtes  Beizhaar  hier  unangenehmer  empfunden  wird,  als  auf  der 
normalen  Haut.  In  einer  ähnlichen  Weise  rufen,  trotz  der  beträchtlich 
erhöhten  Schwelle  für  Kälte  und  Wärme,  Temperaturen  wie  15  und  45°  C 
eine  auffallend  kältere  oder  wärmere  Empfindung  als  auf  der  normalen 
Haut  hervor.  Wir  gelangen  so  zu  dem  merkwürdigen  Besultat,  daß 
eine  Stelle,  die  eine  meßbare  hohe  Schwelle  besitzt,  mit  einer  stärkeren 
Empfindung  als  die  normale  Haut  reagiert. 

Wenn  ein  protopathischer  Teil  mit  Haar  versehen  ist,  so  erzeugt 
das  Ziehen  an  einem  Haare  eine  sehr  schmerzhafte  und  unangenehme 
Empfindung,  die  weithin  ausstrahlt.  Leichtes  Bürsten  mit  Baumwolle 
ruft  eine  Empfindung  hervor,  die  keineswegs  normal  ist ;  denn  sie  be¬ 
steht  nicht  nur  aus  einem  sonderbaren  Stechen  oder  Ameisenkriechen, 
sondern  sie  strahlt  weit  um  den  Beizpunkt  hin  aus  und  wird  obendrein 
häufig  auf  eine  entfernte  Gegend  bezogen.  Doch  wird  die  Haut  durch 
Basieren  vollkommen  unempfindlich  für  Baumwolle. 

Erst  nach  einem  Jahre  fing  die  Haut  an,  für  leichte  Berührung 
und  mittlere  Temperaturen  (zwischen  26  und  38°  C)  empfindlich  zu 
werden,  und  mit  dieser  Bückkehr  der  normalen  Empfindung  hielt  das 
Zurückgehen  der  erhöhten  Beaktion  auf  schmerzhafte  Kälte-  und  Wärme¬ 
reize  gleichen  Schritt. 

Auf  Grund  unserer  Beobachtungen  glauben  wir,  daß  die  Inner¬ 
vation  der  Haut  von  zwei  verschiedenen  Systemen,  besorgt  ist ;  das  eine, 
protopathische,  besteht  aus  drei  Arten  von  punktförmigen  Endorganen, 
die  auf  schmerzhafte  Beize,  auf  Hitze  über  38°  C  und  auf  Kälte  unter 
26°  C  reagieren.  Ist  dieses  System  allein  in  Funktion,  so  wird  die 
Beaktion  stärker  als  auf  der  normalen  Haut,  und  die  Empfindung  wird 
diffus  oder  sogar  in  einen  entfernteren  Teil  verlegt.  Diese  primitive 
Art  der  Empfindung  wird  in  günstigen  Fällen  mehrere  Monate  vor 
den  höheren  Empfindungsarten  wieder  hergestellt. 

Erst  nach  etwa  einem  Jahre  erscheinen  wieder  die  epikritischen 
Funktionen,  und  die  Haut  wird  wieder  für  leichte  Berührungen  und 
mittlere  Temperaturen  empfindlich ;  zwei  Spitzen  des  Zirkels  werden 
wieder  unterschieden  und  Hautreize  allmählich  immer  genauer  loka¬ 
lisiert. 

Die  Sensibilität  der  peripheren  Nerven  beruht  deswegen  auf  drei 
verschiedenen  Systemen. 

I  Tiefe  Sensibilität.  Druckberührung,  Druckschmerz,  Lokali¬ 
sation  des  Druckes,  Vibration,  Bauheit  des  reizenden  Gegenstandes. 

Die  sensiblen  Nervenfasern,  auf  deren  Vorhandensein  diese  Sensi¬ 
bilität  beruht,  verlaufen  mit  den  Nerven  für  Muskeln,  Sehnen  und 
Gelenken. 


840 


Ehrmann  und  Fuld, 


II.  Protopathische  Sensibilität.  Schmerz,  Kälte  unter  26°  C-, 
Hitze  über  38°  C,  eine  besondere  diffuse  Sensibilität  der  Haare. 

Von  diesem  System  werden  die  Schmerz-Kälte-  und  -Wärmepunkte 
inner  viert.  Seine  Fasern  regenerieren  binnen  6 — 24  Wochen  nach  der 
Wiederherstellung  der  Nerven. 

III.  Epikritische  Sensibilität.  Leichte  Berührung  (Reizhaare 
bis  5  grm/mm).  Sensibilität  für  Temperaturen  zwischen  26°  C  und 
38°.  Das  Erkennen  zweier  Zirkelspitzen.  Genaue  Lokalisation. 

Die  Wiederherstellung  dieses  Symptoms  braucht  wenigstens  ein 
Jahr.  Nach  Durchschneidung  der  peripheren  Nerven  wird  meistens 
diese  Sensibilität  auf  einer  größeren  Fläche  als  die  protopathische  ver¬ 
nichtet  ;  aber  in  seltenen  Fällen  kommt  die  entgegengesetzte  Dissoziation 
zustande,  und  trotz  einer  vollständigen  Analgesie  bleibt  eine  größere 
oder  kleinere  Hautfläche  empfindlich  für  leichte  Berührung. 

3.  Gruppierung  der  afferenten  Impulse  im  Rückenmark. 

Durch  das  Gesagte  wird  es  leicht  verständlich,  daß  auf  der  peri¬ 
pheren  Stufe  des  Nervensystems  gewisse  Dissoziationen  der  Sensibilität 
zustande  kommen  können,  andere  dagegen  unmöglich  sind.  Nun  aber 
werde  ich  versuchen,  Sie  zu  überzeugen,  daß  die  Dissoziationen  der 
Sensibilität  bei  Rückenmarkserkrankungen  sich  vollständig  anders  ge¬ 
stalten,  als  bei  Läsionen  des  peripheren  Nervensystems. 

a)  Schmerz. 

Nach  Durchschneidung  der  Nerven  an  meinem  Arm  erschien  eine 
vollständige  Dissoziation  zwischen  jeder  Form  der  schmerzhaften 
Empfindung  der  Haut  und  der  tieferen  Teile.  Die  Haut  wurde  gänzlich 
unempfindlich  gegen  alle  schmerzhaften  Reize.  Sobald  man  aber  auf 
die  tieferen  Teile  kräftig  drückte,  wurde  eine  schmerzhafte  Empfindung 
ebenso  leicht  auf  der  kranken  als  auf  der  normalen  Seite  erregt. 

Wenn  dagegen  bei  Läsionen  des  Rückenmarkes  der  Schmerz  bei 
einer  Reizart  fehlt,  so  fehlt  er  ebenso  bei  jeder  anderen  (abgesehen  von 
der  größeren  Intensität  des  Druckschmerzes). 

Ungeachtet  dieses  Verlustes  der  tiefen  Sensibilität  für  schmerzhafte 
Reize  bleiben  die  analgetischen  Teile  bei  der  leisesten  Berührung 
empfindlich ;  eine  allmähliche  Steigerung  des  auf  sie  ausgeübten  Druckes 
wird  ebenso  richtig  geschätzt  wie  in  der  Norm,  trotz  der  Unempfind¬ 
lichkeit  gegen  schmerzhafte  Druckreize. 

b)  Leichte  und  tiefe  Berührung. 

Eine  häufig  nach  peripher  en  Läsionen  zustande  kommende  Disso¬ 
ziation  der  Sensibilität  besteht  darin,  daß  leichte  Berührungen  nicht- 
erkannt,  tiefe  Berührung  und  Druck  dagegen  richtig  empfunden  werden. 
In  solchen  Fällen  würden  die  von  der  tiefen  Sensibilität  besorgten 
Empfindungen  notwendigerweise  das  Vorhandensein  des  Sinnes  der  pas¬ 
siven  Lage  und  Bewegung  in  sich  schließen.  Jede  Beeinträchtigung 
der  Empfindlichkeit  auf  tiefe  Berührung  wird  eine  gleichzeitige  Ver¬ 
minderung  dieses  Sinnes  mit  sich  bringen. 

WTenn  aber  die  Läsion  im  Rückenmark  liegt,  erscheinen  und  ver¬ 
schwinden  die  Impulse  auf  leichte  und  tiefe  Berührung  gleichzeitig. 
Im  Rückenmark  sind  alle  Tastimpulse  vereinigt;  die  Druckempfindung 
ist  für  dasselbe  bloß  eine  intensivere  Form  der  Berührung.  So  war 
in  einer  charakteristischen  Form  von  Brown-Sequard-Lähmung  das  ganze 
rechte  Bein  unempfindlich  gegen  Reizung  mit  Baumwolle,  gegen  von 
Frey’ sehe  Haare  und  gegen  Druck,  selbst  von  vielen  Kilogrammen. 
Dieser  Kranke  erkannte  jedoch  jede  passive  oder  aktive  Veränderung 


26.  Kongreß  für  innere  Medizin  zu  Wiesbaden. 


841 


in  der  Lage  des  sonst  unempfindlichen  Gliedes.  Eine  solche  Disso¬ 
ziation  könnte  niemals  infolge  einer  Läsion  der  peripheren  Nerven 
entstehen. 

c)  Passive  Lage  und  Bewegung. 

Wahrnehmung  der  passiven  Lage  und  Bewegung  nach  Durch¬ 
schneidung  der  peripheren  Nerven  ist  ein  Beweis  für  die  Integrität  des 
tiefen  Systems  der  SeAsibilitäjt.  Diese  setzt  die  Erhaltung  anderer 
Formen  der  tiefen  Sensibilität  voraus,  nämlich  tiefe  Berührung  und 
Druckschmerz.  Denn  nach  Läsionen  der  peripheren  Nerven  sind  alle 
drei  Arten  der  Sensibilität  zusammen  vorhanden  oder  fehlen  gemeinsam. 

Bei  einer  intramedullären  Läsion  kann  jedoch  jede  von  diesen 
drei  Gruppen  unabhängig  von  den  beiden  anderen  gestört  sein. 

Ferner  ist  es  allgemein  bekannt,  daß  bei  Fällen  von  Brown- 
Sequard-Lähmung  die  Empfindung  für  passive  Lage  und  Bewegung 
auf  der  (den  sonstigen  Sensibilitätsstörungen)  entgegengesetzten  Körper¬ 
hälfte  vollkommen  fehlt. 

d)  Hitze  und  Kälte. 

Nach  Durchschneidung  der  peripheren  Nerven  wird  von  den  drei 
protopathischen  Komponenten  die  Wärmesensibilität  am  meisten  be¬ 
einträchtigt.  Jedoch  selbst  in  Fällen,  die  in  dieser  Beziehung  die 
größte  Dissoziation  zeigen,  sind  alle  drei  Arten  der  Empfindung, 
Schmerz,  Kälte,  Hitze,  mehr  oder  weniger  vernichtet. 

Anders  bei  Bückenmarksläsionen ;  hier  bilden  Hitze-  und  Kälte¬ 
empfindung  zwei  getrennte  Qualitäten.  Jede  Art  der  Sensibilität  kann 
verloren  gehen,  ohne  daß  dann  die  andere  auch  nur  vermindert  zu  sein 
braucht  Ein  Ausfall  der  Empfindung  für  mittlere  Temperaturen  bei 
erhaltener  oder  gesteigerter  Sensibilität  für  die  extremen  Grade  kommt 
bei  Bückenmarkserkrankungen  nicht  vor. 

e)  Die  Zirkelprobe. 

Einer  der  bemerkenswertesten  Unterschiede  zwischen  dem  Empfin¬ 
dungsverlust  nach  Nervendurchschneidung  und  demjenigen  auf  Grund 
•  von  Bückenmarksläsionen  tritt  bei  der  Zirkelprobe  an  den  Tag.  Auf  der 
peripheren  Stufe  des  Nervensystems  hängt  die  Fähigkeit,  zwei  gleich¬ 
zeitig  aufgelegte  Spitzen  als  getrennt  zu  erkennen,  mit  der  Sensibilität 
für  leichte  Berührung  zusammen.  Umgekehrt  kann  es  bei  Bücken¬ 
markserkrankungen  Vorkommen,  daß  der  Kranke  bei  einem  Abstand 
von  20  cm  statt  zwei  Spitzen  nur  eine  fühlt,  obwohl  die  Empfindung 
für  die  leiseste  Berührung  erhalten  ist.  W enn,  aber  diese  Empfindung 
wirklich  einmal  gestört  ist,  so  betrifft  dieser  Ausfall  die  (den  sonstigen 
Sensibilitätsstörungen)  entgegengesetzte  Körperhälfte. 

Wir  haben  gezeigt,  daß  die  verschiedenen  Formen  der  peripheren 
Impulse  nach  ihrem  Eintritt  in  das  Zentralnervensystem  eine  neue 
Gruppierung  erfahren.  Diese  Umwandlung  findet  mit  mehr  oder  weniger 
großer  Geschwindigkeit  auf  derselben  Seite  wie  der  Eintritt  der  fmpulse 
statt.  Dies  ergibt  sich  aus  den  Beobachtungen  bei  einseitiger  Syringo¬ 
myelie,  da  hier  die  Sensibilitätsstörung,  obwohl  sie  rein  intramedullären 
Ursprungs  ist,  dieselbe  Körperseite  betrifft  wie  die  Muskelatrophien. 

Diese  umgeänderten  Impulse  treten  mit  verschiedener  Geschwindig¬ 
keit  in  die  gegenüberliegende  Bückenmarksseite  über,  um  in  den  langen 
Leitungsbahnen  zum  Gehirnstamm  aufzusteigen. 

Die  Impulse  für  Schmerz,  Hitze  und  Kälte  durchziehen  etwa  fünf 
bis  sechs  Bückenmarksegmente,  ehe  ihre  Kreuzung  vollendet  ist ;  die 


842 


Vorläufige  Mitteilungen  und  Autoreferate. 


Impulse  für  Berührung  jedoch  brauchen  eine  beträchtlich  längere  Strecke, 
ehe  sie  gänzlich  hinübergetreten  sind. 

Aus  diesem  Grunde  kann  es  gelegentlich  Vorkommen,  daß  bei  ein¬ 
seitigen  Rückenmarksläsionen  Störungen  der  Sensibilität  für  Schmerz, 
Hitze  und  Kälte  ohne  Verlust  der  Berührungsempfindung  auftreten. 

Ehe  sie  eine  Umordnung  erfahren,  steigen  sämtliche  sensiblen 
Impulse  in  den  Hintersträngen  auf.  Einige  werden  rasch  verändert, 
andere  langsamer  ;  aber  die  Impulse,  die  dem  Sinn  der  passiven  Lage 
und  Bewegung  und  dem  Erkennen  zweier  Spitzen  zugrunde  liegen, 
bleiben  allein  in  diesen  Strängen  bis  zu  den  Hinterstrangskeirnen,  wo 
auch  sie  eine  neue  Gruppierung  erleiden;  und,  wie  alle  seniblen  Impulse, 
gelangen  sie  endlich  auf  die  gekreuzte  Seite  des1  Nervensystems. 

Die  Umwandlung  der  seniblen  Impulse  besteht  übrigens  nicht 
allein  in  einer  Neugruppierung,  sondern  es  treten  auch  Hemmungen  für 
gewisse  periphere  Impulse  hinzu.  Wenn  man  z.  B.  die  Haut  dem  Reiz 
einer  Temperatur  von  45°  C  aussetzt,  so  ruft  man  im  allgemeinen  bloß 
ein  angenehmes  Wärmegefühl  hervor.  Auf  den  Teilen  der  Haut  jedoch, 
wo  keine  Wärmepunkte  existieren,  ruft  diese  Temperatur  eine  Empfin¬ 
dung  von  Kälte,  die  sogenannte  paradoxe  Kälte,  hervor.  Läßt  man  die 
Temperatur  bis  auf  40°  C  abf allen,  so  werden  die  Kältepunkte  nicht 
mehr  gereizt,  und  nun  verspürt  der  Patient  eine  reine  Schmerzempfin¬ 
dung.  Normalerweise  werden  also  bei  einer  Temperatur  von  45°  C,  die 
eine  angenehme  Wärmeempfindung  hervorruft,  Kälte-  und  Schmerz¬ 
impulse  gehemmt.  Erst  wenn  die  Wärmeempfindung  wegfällt,  so 
können  die  normalerweise  gehemmten  Impulse  zum  Vorschein  kommen. 

In  dieser  Einrichtung  liegt  die  Möglichkeit  der  Entwicklung.  Der 
Mensch  ist  nicht  mit  vollendetem  Nervensystem  erschaffen  worden, 
sondern  seine  sensiblen  Organe  haben  sich  aus  denen  der  niederen 
Tiere  entwickelt.  Diese  Entwicklung  besteht  in  der  allmählichen  Ver¬ 
vollkommnung  der  sensiblen  Impulse  auf  jeder  Stufe  des  höher  ent¬ 
wickelten  Nervensystems. 

Eine  solche  Theorie  setzt  voraus  nicht  allein  eine  phylogenetische 
Entwicklung,  sondern  auch  einen  täglichen  Kampf  ums  Dasein  auf  den  * 
physiologischen  und  psychologischen  Stufen. 

Darin  erblicken  wir  das  Mittel,  durch  welches:  ein  unvollkommener 
Organismus  bis  zu  höheren  Funktionen  und  psychischer  Einheit  sich 
hin  auf  gearbeitet  hat.  (Fortsetzung  folgt.) 


Vorläufige  Mitteilungen  u.  Autoreferate. 

Zur  Kasuistik  der  penetrierenden  Stichverletzungen  des  Abdomens. 

Von  Dr.  Köppl. 

(Wissenschaftliche  Gesellschaft  deutscher  Ärzte  in  Böhmen.  Sitzung  am  28.  Mai  1909.) 

Demonstration  eines  58  jährigen,  dementen  Patienten,  der  sich  in 
selbstmörderischer  Absicht  ein  gewöhnliches,  spitzes  Tischmesser  in  den 
Unterleib  stieß.  Das  Messer  war  senkrecht  genau  im  Nabel  einge- 
•  stoßen,  durchsetzte  die  Abdominalhöhle  und  stak  mit  der  Spitze  fest 
in  der  Wirbelsäule  haarscharf  -  neben  der  Aorta.  Nach  24  Stunden 
erst  kam  Pat.  zur  Operation,  die  Waffe  hatte  er  im  Abdomen  stecken 
lassen.  Es  bestanden  Stuhl-  und  Windverhaltung,  mäßiger  Meteoris¬ 
mus  und  Schmerzen  in  der  Umgebung  des  Einstiches,  sonst  Allgemein¬ 
befinden  nicht  alteriert.  Die  Laparotomie  ergab,  daß  keinerlei  innere 


Vorläufige  Mitteilungen  und  Autoreferate. 


843 


Verletzung  zustande  gekommen  war.  K.  erklärt  letzteres  damit,  daß 
erstens  die  Messerspitze  stumpf  war,  es  wurden  infolgedessen  die  Bauch¬ 
decken  vor  ihrer  Durchbohrung  zunächst  trichterförmig  bis  gegen  die 
Wirbelsäule  eingestülpt,  und  zweitens  ein  kolossal  verfettetes  und  ver¬ 
dicktes  Dünndarmmesenterium  vorhanden  war,  an  dessen  freiem  Bande 
der  mäßig  gefüllte  Dünndarm  nur  eine  Art  schmalen  Saumes  dar¬ 
stellte  ;  durch  genannte  trichterförmige  Einstülpung  der  Bauchdecken 
wurde  das  Mesenterium  der  vorliegenden  Dünndarmschlinge,  und  diese 
mit  ihm  wiederum  trichterartig  ausgebreitet.  Da  die  Spitze  des  Messers 
knapp  unterhalb  der  Ansatzlinie  der  Badix  mesenterii  in  die  Wirbel¬ 
säule  eindrang,  blieb  auch  das  Mesenterium  unverletzt. 

Heilung  per  secundam  in  acht  Wochen.  Autoreferat. 


lieber  präsenile  Gangrän  infolge  von  Arteriitis  obliterans. 

Von  Dr.  med.  Schümann. 

Sitzung  der  medizinischen  Gesellschaft  zu  Leipzig  am  11.  Mai  1909. 

Vortragender  berichtet  über  zwei  Fälle  von  prä seniler  Gan¬ 
grän,  die  in  der  Leipziger  chirurgischen  Universitätsklinik  zur  Be¬ 
obachtung  kamen. 

Der  erste  Fall  betrifft  einen  39  jährigen  Schuhmacher,  der  seit 
1 1/2  Jahren  an  heftigen  Schmerzen  im  rechten  Fuß  und  Unterschenkel 
litt ;  es  bestanden  die  typischen  Beschwerden  des  intermittierenden  Hin¬ 
kens.  Aufnahme  am  23.  Oktober  1908  einer  fortschreitenden  Zehen¬ 
gangrän  wegen.  Völliges  Fehlen  der  Fußpulse  auf  der  kranken  Seite. 
Amputation  nach  Pirogoff  (Geheimrat  Trendelenburg).  Heilung  ohne 
Komplikationen;  Patient  bietet  aber  jetzt  die  Erscheinungen  des  Be- 
zidivs  am  andern  Fuß.  Präparat:  Arterien  völlig  frei  von  Verkal¬ 
kung  und  Verfettung,  enorme,  an  den  kleineren  (Metatarsal-) Arterien 
zum  Verschluß  führende  Intimawucherung  (Demonstration). 

Beim  zweiten  Fall  handelt  es  sich  um  einen  36  jährigen  russisch- 
jüdischen  Händler,  Erscheinungen  dem  ersten  Fall  durchaus  ähnlich. 
Kein  Diabetes,  keine  allgemeine  Arteriosklerose,  kein  Herzfehler  nach¬ 
zuweisen.  Operation  nach  Pirogoff  am  24.  XII.  1907,  Esmarch’sche 
Blutleere  hierbei  völlig  entbehrlich.  Heilung.  Auch  bei  diesem  Patienten 
ist  ein  Bezidiv  am  andern  Fuß  eingetreten  (gangränöses  Geschwür 
am  Nagelbett). 

Bei  beiden  Patienten  ließ  sich  in  ätiologischer  Beziehung  Lues 
und  Alkoholismus  ausschließen,  wohl  aber  lag  Nikotinabusjus  stär¬ 
keren  Grades  vor.  (10 — 20  Zigaretten  bei  dem  einen  Patienten  seit 
dem  zwanzigsten,  20 — 30  Zigaretten  pro  die  bei  dem  andern  seit  dein 
zwölften  (!)  Lebensjahre.)  Hinweis  auf  die  Erb’schen  Statistiken  über 
den  Einfluß  des  Bauchens  sowie  auf  die  experimentelle  Arteriosklerose 
durch  intravenöse  Nikotininjektionen  (Henkel).  (Die  Arbeit  erscheint 
ausführlich  in  der  Münchner  med.  Wochenschrift.)  Autoreferat. 


Neue  Untersuchungsergebnisse  bei  der  Blutdruckmessung  mittels 

des  Tonographen. 

(Minimaldruckpunkt,  Pulsdruck  und  Schlagvolumen,  Gefäßtonus  und  seine 

Bestimmung  in  absoluten  Zahlen.) 

Von  Dr.  Silbermann,  Kudowa. 

Der  vom  Verf.  konstruierte  und  bei  seinen  Untersuchungen  an¬ 
gewandte  Tonograph,  stellt  sich  als  der  schreibende  Biva-Bocci’sche 


844 


Referate  und  Besprechungen. 


Blutdruckmesser  dar,  der  dementsprechend  ans  einem  Quecksilbermano¬ 
meter  mit  Schwimmer  und  Schreibnadel,  Pulsschreiber,  Zeitschreiber 
und  Kymographion  besteht.  Die  mit  dem  Apparat  erzielten  absoluten 
Werte  liegen  nur  5  mm  tiefer  als  beim  üblichen  Riva-Rocci.  (Nähere 
Beschreibung  des  Tonographen  siehe  Med.  Klinik  1908,  Nr.  35.) 

Verf.  stellt  in  seiner  Arbeit  folgende  Sätze  auf : 

1.  Der  Minimaldruckpunkt  entspricht  in  seiner  Lage  dem  größten 
bezw.  dem  ersten  mehrerer  gleich  großer,  vergrößerter  Pulse,  nicht 
dem  ersten  verkleinerten  Pulse. 

2.  Pulsdruck  und  Schlag volumen  sind  nicht  miteinander  zu  iden¬ 
tifizieren,  da  beim  Anstieg  des  Druckes  von  Minimal-  zu  Maximaldruck 
nicht  nur  der  Innendruck  sondern  auch  der  Gefäßtonus,  der  nur  zu 
einem  Teil  vom  Innendruck  abhängig  ist,  für  die  Erhöhung  von  wesent¬ 
lichem  Einfluß  ist. 

3.  Es  ist  zu  unterscheiden  zwischen  Minimal-  und  Maximaitonus, 
da  die  Wandspannung  nicht  nur  vom  Grade  der  Elastizität  der  Arterien 
abhängig  ist,  sondern  auch  vom  Innendruck,  dieser  aber  in  den  beiden 
Phasen  der  Arterie  ein  wesentlich  verschiedener  ist. 

4.  Die  Differenz  von  Minimaldruck  und  Minimaltonus  gestattet 
einen  Rückschluß  auf  den  Füllungszustand  der  Arterie  in  ihrem  Ruhe¬ 
zustand,  die  Differenz  von  Maximaldruck  und  Maximaltonus  auf  die 
Herzarbeit,  und  ferner  gibt  die  Differenz  von  Maximal-  und  Minimal¬ 
tonus  den  Grad  der  Wandspannungszunahme  vom  Ruhezustand  zum 
Zustand  höchster  Erweiterung  der  Arterie  an. 

Die  logische  Entwicklung  dieser  Sätze  eignet  sich  nicht  zu  kurzem 
Referat.  Autoreferat. 


Untersuchungen  über  5  Streptothrixstämme. 

Von  Dr.  W.  Schürmann.  (Zentralbl.  für  Bakt.,  Bd.  49,  H.  2.) 

Bei  der  Untersuchung  von  Originalpräparaten  diphtherieverdäch¬ 
tiger  Rachenabstriche  fand  Verfasser  häufig  Bakterienformen,  die  nach 
der  Neißer’schen  Färbemethode  eine  große  Ähnlichkeit  mit  dem  Diph¬ 
theriebazillus  aufwiesen.  Das  Plattenverfahren  ergab  keine  Diph- 
tb  erleb azillen.  Es  handelte  sich  bei  weiterer  genauer  Untersuchung 
um  Streptothrixarten.  Es  wurden  5  derartige  Stämme  untersucht,  die 
sowohl  in  ihrem  äußeren  Verhalten,  wie  in  ihrem  Wachstum  auf  den 
verschiedenartigsten  Nährböden  sich  verschieden  verhielten.  Besonders 
charakteristisch  war  ihr  Wachstum  und  die  Veränderung  des  Nähr¬ 
bodens  der  einzelnen  Stämme  auf  Lakmusmolke,  Barsiekow-Mannit  und 
Barsiekow-Milchzucker.  Beigefügte  Tafeln  illustrieren  die  Farbenver¬ 
änderungen  aufs  klarste. 

Keiner  der  untersuchten  Stämme  war  tierpathogen.  Autoreferat. 


Referate  und  Besprechungen. 

Bakteriologie  und  Serologie. 

Ueber  die  Anpassung  der  Bakterien  an  die  bakteriolytische  Eigenschaft 

des  Blutserums. 

(C arapelle  u.  Gueli.  Zentralbl.  für  Bakt.,  Bd.  46,  H.  7,  1908.) 

Fortlaufende  Züchtung  von  Bakterien  (Typhus,  Staphylococcus  aureus, 
Prodigiosus,  Coli)  in  frischem  Blutserum  brachte  nach  einigen  Passagen 


Referate  und  Besprechungen. 


845 


eine  Anpassung  an  die  bakterizide  Kraft  des  Serums.  Es  ließen  sich  die 
Bakterien  schließlich  in  frischem  Serum  gut  kultivieren.  Hierbei  erwarben 
sie,  wie  das  Tierexperiment  zeigte,  eine  große  Pathogenität.  Im  Blute  der 
Tiere  ließen  sich  die  verimpften  Bakterien  rasch  nachweisen,  während  dieser 
Nachweis  bei  nicht  angepaßten  Bakterien  mißlang. 

Schürmann  (Düsseldorf). 


Ueber  Anaphylaxie  beim  Kaninchen  unter  besonderer  Berücksichtigung 

des  „Arthus’schen  Phänomens“. 

(Dr.  Thompson  u.  W.  Marchildon.  Zentralbl.  für  Bakt.,  Bd.  48,  H.  4,  1908.) 

Das  als  „Arthus’sches  Phänomen“  bekannte  lokale  Auftreten  der  Serum- 
Anaphylaxie  beim  Kaninchen  beruht  auf  einer  Gewebsläsion  des  Kapillar- 
endotheliums,  welche  zu  Blutergüssen  führt.  Infolge  des  Mangels  an  Wider¬ 
standsfähigkeit  des  neugebildeten  Epitheliums  kommt  es  zu  einer  schlechten 
Abheilung  der  Nekrose  bei  Kaninchen.  Folgt  auf  eine  Seruminjektion  eine 
allgemeine  Reaktion,  so  wird  die  Haut  nicht  angegriffen.  Große  Injektionen 
von  Serum  oder  andauernde  Einspritzungen  immunisieren  das  Kaninchen,  so 
daß  spätere  Gaben  keine  lokale  Läsion  erzeugen.  Einspritzungen  von  Serum 
bei  einmal  schon  bestehendem  Serumexanthem  vergrößern  die  Ausdehnung 
der  Läsion  nicht. 

Pferdeserum  ist  für  das  subkutane  Gewebe  kein  Reizmittel ;  ebenso¬ 
wenig  reagiert  der  Körper  lokal  auf  eine  Injektion  von  Bouillon,  Milch, 
Pankreatin,  Harnstoff  und  Glyzerin.  Alkoholinjektion  erzeugt  nur  eine  lokale 
Veränderung;  es  tritt  nie  eine  Blutung  ein  im  Gegensatz  zu  der  hämorrha¬ 
gischen  Veränderung  bei  den  mit  Serum  behandelten  Tieren.  Behandelt  man 
Kaninchen  mit  Ascites-,  Hydrocelen-  und  Pleuraflüssigkeit,  so  tritt  eine 
gewisse  Anaphylaxie  ein.  Starke  subkutane  Injektionen  dieser  Flüssigkeiten 
bei  richtig  sensibilisierten  Kaninchen  erzeugen  eine  milde  Abart  des  ,,Arthus- 
schen  Phänomens.“ 

Auch  wurden  von  Verf.  Untersuchungen  mit  altem  Diphtherieanti¬ 
toxin  und  antitetanischem  Serum  vorgenommen.  Das  Ergebnis  dieser  Unter¬ 
suchungen  war,  daß  das  Alter  die  Toxizität  dieser  Sera  erhöht. 

Schürmann  (Düsseldorf). 


Kommt  der  bei  der  aktiven  Immunisierung  auftretenden  negativen  Phase 
eine  Bedeutung  im  Sinne  der  erhöhten  Empfänglichkeit  des  vaccinierten 

Individuums  zu? 

(Pfeifer  u.  Friedberger.  Zentralbl.  für  Bakt.,  Bd.  47,  H.  4,  1908.) 

Meerschweinchen,  die  mit  abgetöteten  Typhus-  oder  Cholerabazillen  im¬ 
munisiert  waren,  zeigen  keine  erhöhte  Empfänglichkeit  gegenüber  der  In¬ 
fektion  nach  der  Immunisierung,  sondern  in  den  ersten  24  Stunden  einen 
deutlichen  Schutz,  der  auf  allgemeiner  Resistenz  beruht.  Es  ist  also  auch 
beim  Menschen  im  Anschluß  an  die  Schutzimpfung  eine  Steigerung  der 
Empfänglichkeit  für  die  Infektion  wenig  wahrscheinlich. 

Schürmann  (Düsseldorf). 


aa 

Uber  Komplementbindung  bei  Immunisierung  mit  Corpus  luteum. 

(Miller.  Zentralbl.  für  Bakt.,  Bd.  46,  H.  7,  1908.) 

Behandelt  man  Kaninchen  mit  Corpus  luteum-Emulsionen  von  Kühen 
und  Schweinen,  so  gewinnt  des  Serum  des  Kaninchens  die  Fähigkeit,  mit  dem 
homologen  Luteinextrakt  und  dem  Extrakt  anderer  Organe  derselben  Tier¬ 
art,  Komplement  zu  binden.  Es  gelingt  diese  Komplementbindung  aber  nicht 
mit  heterologen  Lutein-  und  Organextrakten.  Ein  Nachweis  eines  spezifischen 
Sekretionsproduktes  des  Corpus  luteum  konnte  mit  der  Komplementbindung 
nicht  erbracht  werden,  vielmehr  handelt  es  sich  dabei  um  eine  Immunisierung 
mit  Organzellen  eines  fremden  Tieres.  Schürmann  (Düsseldorf). 


846 


Referate  und  Besprechungen. 


Opsonische  Kraft  und  kerative  Wirkung  einiger  therapeutischen  Sera* 

(J.  Staal.  Zentralbl.  für  Bakt.,  Bd.  49,  H.  2.) 

Die  Resultate  seiner  Untersuchungen  sind  folgende: 

Im  Immunserum  ist  die  opsonische  Kraft  höher  als  die  des  überein¬ 
stimmenden  Normalserums.  Das  bakterizide  Vermögen  ist  nicht  ausgesprochen 
höher  als  das  für  gleichartiges  Normalserum.  Ein  direkter  Zusammenhang 
zwischen  opsonischer  Kraft  und  kerativer  Wirkung  eines  Ser'ums  besteht  nicht. 
Ist  in  einem  Gemisch  von  Leukozyten-Serum-Bazillen  das  normale  Serum  vor¬ 
handen,  so  zerfallen  die  Leukozyten  eher,  als  wenn  das  kerative  Serum  zugegen 
ist.  In  Vitro  stark  opsonisches  Immunserum  fördert  bei  Injektion  eines  Tieres 
die  opsonische  Kraft  dessen  Serum  erheblich.  Schürmann  (Düsseldorf). 


Immunisierende  iepsizide  Wirkung  des  Cholestearins,  Lezithins  und  ver¬ 
schiedener  Lezithin  enthaltender  tierischer  Teile. 

(Fermi  Claudio.  Zentralbl.  für  Bakt.,  Bd.  48,  H.  3,  1908.) 

Welchem  Hirnbestandteile  kommt  die  immunisierende  Wirkung  gegen 
subkutane  Wutinfektion  bei  Muriden  zu? 

Lezithin  und  frisches  Eidotter  zeigte  eine  starke,  Cholestearin  eine 
schwache  immunisierende  Wirkung.  Lezithin  mit  Cholestearin  gemischt  er¬ 
wiesen  sich  gegenüber  einer  Infektion  mit  fixem  Virus  wirksamer  als  reines 
Lezithin.  Jedoch  ist  die  immunisierende  Kraft  der  Hirnsubstanz  erheblich 
stärker  als  sie  ihrem  Lezithin-  und  Cholestearingehalt  entspricht. 

Das  Serum  von  Tieren,  die  mit  einem  Gemisch  von  Lezithin -Cholestearin 
behandelt  waren,  zeigte  nur  geringe  Immunisierungskraft. 

In  vitro  fehlt  jede  wuttötende  Wirkung  bei  Lezithin,  Eidotter  und 
Hühnereiweiß  und  Serum  von  Kaninchen,  die  mit  dem  angegebenen  Lezithin- 
Cholestearingemisch  vorbehandelt  waren.  Schürmann  (Düsseldorf). 


Die  Schnellagglutination  und  ihre  Verwendung  bei  der  Serodiagnosedes  Rotzes. 

(Dr.  Miessner.  Zentralbl.  für  Bakt.,  Bd.  48,  H.  2.) 

Aus  bei  60°  abgetöteten  Rotzbazillen  stellte  Verf.  eine  Abschwemmung- 
mit  0,85%iger  Karbolkochsalzlösung  dar.  Je  2  ccm  dieser  Testflüssigkeit 
werden  mit  dem  fraglichen  Serum  in  verschiedenen  Verdünnungen  1  :  200  bis 
1  :  2000  zusammengebracht  und  24  Stunden  bei  37°  und  12  Stunden  bei  Zimmer¬ 
temperatur  stehen  gelassen.  Bei  vorhandener  Agglutination  ist  die  opale¬ 
szierende  Testflüssigbeit  klar  geworden,  während  sie  bei  Ausbleiben  der 
Agglutination  ihr  Aussehen  nicht  ändert  und  am  Boden  einen  undurchsichtigen, 
scharfbegrenzten  grauen  Klumpen  entstehen  läßt.  Diese  Agglutinationsmethode 
hat  einen  Nachteil,  der  darin  besteht,  daß  immer  zwei  Tage  vergehen,  ehe 
man  zum  Resultate  kommt.  Er  läßt  sich  durch  Zentrifugieren  vermeiden. 

Verf.  bewahrt  deshalb  die  in  Zentrifugierröhrchen  angefüllten  2  ccm 
Testflüssigkeit  mit  den  entsprechenden  Serumverdünnungen  10  Minuten  bei 
37°  auf,  zentrifugiert  10  Minuten  lang.  Der  Bodensatz  wird  geschüttelt  und 
man  erkennt  eine  deutliche  Körnung  und  Flockung  als  Zeichen  für  den 
positiven  Ausfall  der  Agglutination,  während  der  zopfförmige  Schleier  das 
Ausbleiben  der  Agglutination  anzeigt.  Die,se  vom  Verf.  angegebene  Methode 
ist  in  100  Fällen  angewandt  und  arbeitet  mit  großer  Sicherheit  und- 
Schnelligkeit.  Schürmann  (Düsseldorf). 


Ueber  die  Beeinflussung  des  hämolytischen  Komplementes  durch  Injektion 
Leukozytose  erregender  Mittel  (Hetol  und  Hefenukleinsäure). 

(Dr.  W.  Busse.  Zentralbl.  für  Bakt.,  Bd.  47,  H.  3,  1909.) 

Die  Menge  des  hämolytischen  Komplementes  im  Serum  zeigt  bei  Hetol- 
injektionen  im  Stadium  der  Hyperleukozytose  bei  starker  Leukozytose  eine 
geringe  Vermehrung;  bei  mäßiger  Leukozytose  zeigte  sich  eine  Zunahme, 


Referate  und  Besprechungen. 


847 


resp.  Abnahme  der  Komplementmenge.  Im  Gleichgewichtsstadium  zeigte  sich 
nach  24  Stunden  eine  geringe  Zunahme;  im  Stadium  der  Leukopenie  in  einem 
Versuche  eine  Zunahme,  im  anderen  Versuche  eine  Ahnahme  des  Komple¬ 
mentes.  Die  weiteren  Versuche  mit  Nukleinsäure  ergaben  ein  ähnliches  Resul¬ 
tat.  Verfasser  kommt  zu  der  Ansicht,  daß  man  nicht  von  einer  Beeinflussung 
der  hämolytischen  Komplementmenge  weder  bei  Hyperleukozytose  noch  bei 
Leukopenie  sprechen  könne  und  es  läßt  sich  für  die  klinisch  nachgewiesene 
Wirkung  der  Injektionen  infolge  der  geringen  Veränderungen  in  der  Menge 
hämolytischen  Komplementes  keine  Erklärung  abgeben.  Schürmann  (Düsseldorf). 


Beschleunigung  und  Verstärkung  der  Bakterienagglutination  durch 

Äntieiweißsera. 

(Moreschi.  Zentralbl.  für  Bakt.,  Bd.  46,  H.  5,  1908.) 

Die  an  Blutkörperchen  beobachtete  Erscheinung,  —  Agglutination  der 
roten  Blutkörper  durch  den  Einfluß  von  Antieiweißsierum  —  ist  auch  für 
Bakterien  gültig.  Aus  seinen  Versuchen  geht  hervor,  daß  Bakterien  hei 
Gegenwart  eines  homologen  Antieiweißserums  durch  subminimale  Dosen  agglu¬ 
tinierenden  Serums  verklumpt  werden.  Bei  schwer  agglutinablen  Stämmen  tritt 
diese  Erscheinung  sehr  deutlich  hervor.  Schürmann  (Düsseldorf). 


Über  die  Reduktionserscheinungen  der  Bakterien. 

(Dr.  E.  Car ap eile.  Zentralbl.  für  Bakt.,  Bd.  47,  II.  5,  1908.) 

Nicht  alle  Bakterien  reduzieren  Methylenblau;  das  Reduktionsvermögen 
mit  den  verschiedenen  Mikroorganismen  variiert.  Die  Reduktion  durch  ein 
und  denselben  reduzierenden  Mikroorganismus  ist  am  stärksten  in  Bouillon, 
weniger  in  Gelatine,  noch  weniger  in  Agar.  Der  Aspergillus  fumigatus  und 
einige  Mikroorganismen  der  Gartenerde  reduzieren  bei  Züchtung  in  Mineral¬ 
lösung. 

Mit  dem  Altern  der  Kultur  läßt  das  Reduktionsvermögen  nach,  in 
jungen  Kulturen  ist  es  intensiver.  Von  besonderem  Einfluß  auf  das  Reduk¬ 
tionsvermögen  ist  die  Temperatur;  bei  0°  hört  die  Reduktion  auf,  bei  37° 
ist  sie  beschleunigt,  bei  Zimmertemperatur  verlangsamt.  Die  Reduktions¬ 
prozesse  der  Mikroorganismen  werden  anfangs  durch  Sonnenlicht  begünstigt, 
nach  zehn  Stunden  der  Aussetzung  ins  direkte  Sonnenlicht  erfolgt  ein  Still¬ 
stand  der  Reduktion.  Bei  diffusem  Lichte  waren  mehrere  Tage  nötig,  bis 
dieses  Reduktionsvermögen  gänzlich  verschwand.  Eine  Steigerung  der  Alka- 
leszenz  oder  der  Azidität  des  Nährmediums  ruft  Verminderung  und  sogar 
das  Verschwinden  der  Reduktion  hervor;  ebenso  findet  eine  Herabsetzung 
durch  Einwirkung  der  Hypnotika  statt.  Endlich  kommt  Verf.  zu  dem  Schlüsse, 
daß  das  Reduktionsvermögen  zum  Teil  auf  die  Stoffwechselprodukte  zurück¬ 
zuführen  sei.  &  Schürmann  (Düsseldorf). 


Die  Kenopräzipitinreaktion  und  ihre  Beziehung  zur  Kenotoxinforschung. 

(Dr.  Weichardt.  Zentralbl.  für  Bakt.,  Bd.  48,  H.  4,  1909.) 

Verfasser  weist  seine  in  letzter  Zeit  angefochtene  Kenopräzipitinreaktion 
wieder  in  die  richtigen  Bahnen.  Sie  ist  keine  anorganische  Kalziumphosphat¬ 
fällung.  Denn  diese  Reaktion  läßt  sich  auch  herbeiführen,  wenn  man  den 
Kenopräzipitinpräparaten  vorher  Ammoniumoxalat  im  Überschuß  zusetzt  oder 
wenn  der  Lösung  kenopräzipitabler  Substanz  vor  dem  Versuche  genügende 
Mengen  von  Kalksalzen  zugesetzt  wurde. 

Auch  bedingt  das  Fehlen  der  Kenopräzipitinreaktion  durchaus  nicht 
die  Abwesenheit  von  Kenotoxin  oder  dessen  Antikörper,  denn  die  kenopräzipi- 
table  Substanz  ist  nur  ein  häufiger  Begleiter,  nicht  ein  Bestandteil  des 
Kenotoxins.  Für  den  sicheren  Nachweis  des  Kenotoxins  dient  das  biologische 
Experiment:  Inj ektions versuche  mit  zum  Teil  unvorbehandelten,  zum  Teil 
mit  Antikenotoxin  passiv  immunisierten  Tieren.  Schürmann  (Düsseldorf). 


848 


Referate  und  Besprechungen. 


Beitrag  zur  Züchtung  und  Isolierung  von  Anaerobien. 

(DDr.  Fehrs  u.  Sachs-Müke.  Zentralbl.  für  Bakt.,  Bd.  48,  H.  1.) 

Verfasser  bringen  sehr  einfache,  einleuchtende  Methoden  zur  Züchtung 
und  Isolierung  von  Anaerobien.  Sie  benutzen  die  großen  v.  Drygalski- 
Conra  di  sehen  Schalen.  In  die  beimpften  Agarplatten  setzen  sie  eine  kleinere 
Glasschale  resp.  Petrischale  fest  auf.  Man  kann  auch  den  Agar  in  den 
Schalendeckel  ausgießen,  die  Schale  selbst  darin  eindrücken  und  den  Raum 
zwischen  Schale  und  Deckel  mit  Agar  ausfüllen.  Photographische  Platten 
eignen  sich  zum  Auflegen  auf  den  Nährboden  mit  ebener  Oberfläche  am 
besten.  Sie  halten  dieses  Verfahren  gegenüber  dem  Lief  mann’ sehen  für 
billiger,  der  statt  der  Glasplatten  Glimmerplatten  benutzt;  auch  ist  hier 
die  dem  Sauerstoff  der  Luft  unzugängliche  Zone  größer  und  die  Anwendung 
der  gewöhnlichen  Nährböden  ohne  Zusatz  reduzierender  Substanzen  möglich. 
Beigefügte  Abbildung  veranschaulicht  die  Sache  recht  gut. 

Schürmann  (Düsseldorf). 


Ueber  Versuche,  aus  Gärungsstühlen  den  Granulobacillus  saccharobutyricus 

zu  züchten. 

(Dr.  Kemp.  Zentralbl.  für  Bakt.,  Bd.  48,  H.  1.) 

Verfasser  hat  mit  Sicherheit  nicht  entscheiden  können,  ob  die  in  Gärungs¬ 
stühlen  so  auffallend  häufig  auftretenden  ovalen,  sowie  Zitronen-  und  Spindel¬ 
formen  mit  dem  Gr aßiber geir  und  Schattenf roh’sehen  Granulobazillus 
und  dem  von  ihm  selbst  gezüchteten  identisch  sind.  Die  Kolonienbildung 
auf  Platten,  die  Klostridienbildung  mit  Granuloseablagerung  und  die  Beweg¬ 
lichkeit  sprechen  jedenfalls  für  seine  Identität. 

Schürmann  (Düsseldorf). 


Untersuchungen  über  die  Verbreitung  der  ultramikroskopischen  Keime  in 

der  Natur. 

(Dr.  Cano.  Zentralbl.  für  Bakt.,  Bd.  39,  H.  1.) 

Verf.  wählte  zu  seinen  Untersuchungen  Straßenstaub,  die  verschiedensten 
Waschwässer,  Gartenerde  usw.,  Stoffe,  die  verflüssigt  durch  Berkefeld-Filter 
filtriert  wurden.  Nach  Entnahme  der  filtrierten  Flüssigkeit  wurde  sie  in 
Bouillon  ausgesät,  direkt  mikroskopisch  angesehen  und  auf  die  einzelnen 
Enzyme  untersucht. 

Die  Versuche  fielen  negativ  aus.  Ultramikroskopische  Keime  ließen 
sich  nicht  nachweisen.  Schürmann  (Düsseldorf). 


Innere  Medizin. 

Hypophysis-Pulver  bei  Herzkranken. 

(L.  Renon  u.  Arth.  Delille.  Gaz.  med.  de  Paris,  15.  April  1909.) 

Die  Hypophysis  enthält  blutdrucksteigernde  Substanzen.  Mit  Dosen 
von  0,2  bis  0,4  g  haben  die  beiden  Kliniker  bei  geeigneten  Pat.  günstige  Er¬ 
folge  erzielt.  Die  Digitalis  werde  freilich  nicht  dadurch  verdrängt,  aber  in 
den  Intervallen  zwischen  zwei  Digitaliskuren  lasse  sich  die  Hypophysis  gut 
verwerten.  Buttersack  (Berlin). 


Schilddrüse  und  Infektionskrankheiten. 

(Vitello  Giuseppe.  II  Morgagni,  Nr.  2,  Februar  1909.) 

Schwellung  der  Schilddrüse  im  Verlaufe  von  Infektionskrankheiten  ist 
ein  signum  mali  ominis.  Buttersack  (Berlin). 


Referate  und  Besprechungen. 


849 


Rezidivierende  tuberkulöse  Polyarthritis  (Tuberkulöser  Gelenk¬ 
rheumatismus). 

(K.  Schaffer.  Zeitschr.  für  Tuberk.,  Bd.  13,  Nr.  5,  1908.) 

Die  Poncet’sche  Lehre  vom  tuberkulösen  Rheumatismus  wird  vollauf 
bestätigt.  Neben  den  typischen  tuberkulösen  Gelenkaffektionen  kommen  akute 
und  chronische  Gelenkerkrankungen  auf  tuberkulöser  Basis  Amr,  ohne  die 
charakteristischen  pathologisch-anatomischen  Veränderungen.  Als  Ursache  ist 
eine  Toxinwirkung  anzunehmen,  vielleicht  auch  eine  abgeschwächte  Viru¬ 
lenz  der  Tuberkelbazillen.  Man  beobachtet  außer  einfachen  Arthralgien, 
die  wohl  am  häufigsten  Vorkommen,  akute  und  subakute  Polyarthritis  und 
schließlich  die  chronische  Form,  die  unter  dem  Bilde  des  chronischen  Gelenk¬ 
rheumatismus  verläuft.  Der  tuberkulöse  Charakter  dieser  Erkrankungen 
wird  teils  durch  den  klinischen  Verlauf,  teils  durch  die  Tuberkulinreaktion 
und  Tierversuche,  seltener  durch  den  Bazillenbefund  erbracht. 

Die  Diagnose  macht  oft  Schwierigkeiten,  weil  das  Krankheitsbild  dem 
gewöhnlichen  Gelenkrheumatismus  vollständig  gleicht.  Jedoch  wird  darauf 
zu  achten  sein,  daß  beim1  tuberkulösen  Gelenkrheumatismus  niemals  Endo¬ 
karditis  auf  tritt,  und  daß  die  Salizyltherapie  versagt.  —  Mitteilung  von 
Krankengeschichten.  Sobotta  (Reiboldsgrün). 


Aus  der  Hautabteilung  der  Magdeburger  Krankenanstalt  Altstadt. 

Dr.  Schreiber,  Oberarzt. 

Zur  Behandlung  der  Arthritis  gonorrhoica. 

(Dr.  Paul  B endig.  Med.  Klinik,  Nr.  34,  1908.) 

Nach  kurzem  Überblick  über  die  verschiedenen  Behandlungsmethoden 
der  Arthritis  gonorrhoica  berichtet  B  endig  über  7  Fälle,  die  er  gleichzeitig 
mit  Kollargol  und  Stauung  ev.  Heißluftbädern  behandelt  hat.  Das  Kollargol 
wurde  bald  als  Klysma  in  Lösung  2,0 :  50,0,  bald  als  Einreibung  (Ung.  Crede) 
verordnet.  Die  günstigen  Erfolge  erklärt  er  einmal  durch  die  Vermehrung 
der  Leukozyten  in  der  Gelenkflüssigkeit  infolge  des  Kollargols  und  weiter 
durch  die  Hyperämie  infolge  der  Stauung.  F.  Walther. 


La  question  de  l’arthritisme  par  suralimentation. 

(Dr.  J.  Laumonier.  Bull.  gen.  de  therap.,  Nr.  13 — 16,  1908.) 

Die  klassischen  Theorien  leiten  den  Arthritismus  von  nutritiven  und 
nervösen  Stoffwechselstörungen  her,  die  sie  in  Beziehung  bringen  zu  einer 
fehlerhaften,  konstitutionellen,  hereditären  Disposition.  Nun  hat  Prof.  Mau¬ 
ree -Toulouse  als  wesentliche  Ursache  der  Entvölkerung  Frankreichs  die  Über¬ 
ernährung  angegeben  und  Pascaul t-Cannes  hat  dann  direkt  den  Satz  aus¬ 
gesprochen  :  der  Arthritismus  ist  Folge  einer  Überernährung. 

Es  gibt  heute  mehr  Arthritiker  als  man  glaubt,  und  zwar  in  Kreisen, 
bei  denen  man  es  nicht  vermutet ;  dies  bestätigen  alte  Landärzte  für  die 
Bauern,  die  Kassenärzte  bezüglich  der  Arbeiterbevölkerung  der  Städte.  Eine 
genaue  Anamnese  ergibt  fast  stets,  daß  die  Vorfahren  der  Gichtiker  und 
diese  selbst  Plethoriker  sind,  und  zwar  durch  Überernährung.  Diese  habituelle 
Überernährung,  die  man  heutzutage  in  allen  Ständen,  besonders  aber  in  der 
arbeitenden  Klasse  in  Paris  trifft,  ist  geradezu  erstaunlich.  Sie  ist  im 
Avesentlichen  eine  der  Folgen  unserer  Kulturfortschritte1:,  man  ißt  allerseits 
mehr  und  besser;  dasselbe  gilt  in  mancher  Beziehung  auch  vom  Trinken. 

Wie  hängt  dies  nun  mit  dem  Arthritismus  zusammen?  Man  unter¬ 
scheidet  2  Gruppen  von  Nahrungsmitteln,  die  plastischen  und  die  dyna- 
mophoren  (Eiweißstoffe,  Salze  —  Kohlehydrate,  Fette).  Im  großen  ganzen  und 
unter  sich  sind  diese  sehr  verschieden  hinsichtlich  ihres  Assimilationswertes 
und  hinsichtlich  ihrer  Reizfähigkeit  auf  die  einzelnen  Zellkonglomerate,  die 
Organe.  Da  ist  nun  in  erster  Linie  das  Fleisch,  ein  sehr  verdauliches,  nahr¬ 
haftes,  aber  auch  toxisches  und  die  Zellen  mehr  reizendes  Nahrungsmittel, 

54 


850 


Referate  und  Besprechungen. 


als  das  Pflanzeneiweiß.  Durch  diese  Eigenschaften  entsteht  bei  Mißbrauch  — - 
und  der  findet  reichlich  und  allerorts  statt,  —  und  ,wird  unterhalten  eine 
Hyperfunktion  aller  Organe,  Drüsen,  Muskeln,  Lungen,  Nieren  und  besonders 
des  Nervensystems.  Dazu  kommt,  daß  die  starken  Esser  aus  Gewohnheit 
nicht  nur  zu  viel  Fleisch  essen,  sondern  sich  auch  in  Gewürzen  und  Alko- 
holicis  übernehmen.  Und  diese  sind  nun  noch  schädlicher.  Ein  Organismus 
kommt  dann  in  pathologischen  Zustand,  wenn  er  mit  einer  anormalen  Inten¬ 
sität  funktioniert  und  die  Reaktion  bleibt  gewöhnlich,  wenn  dies  andauert 
nicht  allzu  lange  aus,  genau  wie  bei  einer  Maschine,  von  der  zu  viel  ver¬ 
langt  wird.  Und  so  unterscheiden  Maurel  und  Pascault  3  Perioden,  die 
man  gewöhnlich  bei  3  aufeinanderfolgenden  Generationen  beobachten  kann 
—  das  zu  gute  Leben  war  früher  nur  ein  Vorrecht  der  Besitzenden  — :  1.  die 
Periode  der  präarthritischen  Hyperfunktion,  2.  die  der  Dysfunktion  oder  des 
deutlichen  Arthritismus  mit  seinen  verschiedenen  klinischen  Formen,  haupt¬ 
sächlich  defensiver  Natur  und  3.  die  der  Hypofunktion  oder  der  all¬ 
gemeinen  Insuffizienz,  charakterisiert  durch  die  Unfruchtbarkeit  und  vor¬ 
zeitigen  Tod.  Davon  sind  uns  die  2  letzten  Perioden  wohl  bekannt,  während 
wir  von  der  ersten  fast  gar  nichts  wissen,  die  doch  in  vorbeugender  Hin¬ 
sicht  sehr  wesentlich  ist. 

Beim  überernährten  Präarthritiker  treten  als  erste  Erscheinungen  die 
der  Ermüdung,  der  Erschöpfung  auf.  In  jeder  lebenden  Zelle  entstehen 
Trümmer,  Ausscheidungsprodukte,  nicht  durch  Verbrauch,  sondern  im  Ge¬ 
brauch  :  die  Reste  der  plastischen  oder  dynamophoren  Substanzen,  qualitativ 
und  quantitativ  nach  der  Art  der  Nahrung  und  der  Intensität  der  Tätigkeit 
verschieden  Diese  Trümmer  sind  nun  löslich  oder  nicht  löslich.  Die  letzteren 
können  sich  sogar  in  den  einzelnen  Organen  niederschlagen  und  diese  ver¬ 
ändern,  wie  dies  gewöhnlich  im  Alter  der  Fall  ist.  Häufen  sich  die  lös¬ 
lichen  an,  so  entsteht  die  Ermüdung,  deren,  bestes  Heilmittel  die  Ruhe 
ist;  nimmt  die  Anhäufung  ohne  entsprechende  Elimination  immer  mehr  zu, 
so  ist  die  Autointoxikation  in  Permanenz  erklärt,  und  man  hat  die  Er¬ 
schöpfung.  Diese  Ermüdungserscheinungen  brauchen  nun  nicht  immer  zuerst 
als  digestive  Störungen  aufzutreten;  das  am  wenigsten  widerstandsfähige 
Organ  setzt  zuerst  aus.  Gewöhnlich  zwischen  45  und  50  Jahren  läßt  die  Ver¬ 
dauung  nach:  Blähungen,  vages  Unwohlsein,  Somnolenz  nach  den  Mahl¬ 
zeiten,  schlechter  Schlaf,  Kopfschmerzen,  Schwindel.  Die  funktionellen  Stö¬ 
rungen  greifen  vom  Magen  auf  die  Eingeweide  über:  die  Ausnutzung  des 
Darminhaltes  wird  eine  geringere,  der  Bakteriengehalt  mehrt  sich.  (Damit 
hängen  auch  die  häufigen  Blinddarmentzündungen  bei  den  Überernährten 
zusammen.  Die  nächste  Folge  Enteritiden,  Enterokolitiden  und  nervöse 
Manifestationen;  im  weiteren  Verlaufe  treten  dann  Störungen  von  seiten  der 
Leber,  der  Gefäße  (Varicen,  Hämorrhoiden)  und  des  Nervensystems  in  den 
Vordergrund,  die  Erregbarkeit  des  Herzens  nimmt  zu.  Weiterhin  versagt 
die  Tätigkeit  der  großen  Drüsen. 

Von  seiten  des  Nervensystems  sind  in  diesem  Stadium  Neurasthenie, 
Psychasthenie,  Neuralgie,  Migräne,  Arteriosklerose  als  direkte  Manifestationen 
des  freien  Arthritismus  zu  nennen. 

Übei  die  letzten  Ursachen,  die  eigentlichen  Gifte,  die  diese  Zustände 
veranlassen,  wissen  wir  nichts. 

.  Warum  fallen  nun  die  Deszendenten  eines  Überernährten,  eines  Ple- 
thorikers,  in  einem  Falle,  der  Gicht  in  andern  dem  Diabetes  oder  der  Fett¬ 
sucht  anheim.  Dies  sind  Abwehrmaßregeln  des  Organismus:  der  Körper 
eliminiert  den  Zucker  z.  B.,  den  er  nicht  verwenden  kann. 

Dank  diesen  Abwehrmaßregeln  tritt  ein  Stillstand  in  der  Entwickelung- 
des  Arthritismus  ein:  Die  Überfunktion  wird  bedrängt  durch  eine  unge¬ 
nügende,  zum  mindesten  tief  alt'erierte,  so  daß  oft  alle  Arzneimittel  nichts 
nützen:  die  2.  Periode. 

x  Dann  kommt  die  3.  Periode,  die  Zunahme  der  Insuffizienzen,  der  Ein¬ 
tritt  der  Sklerosen.  Bis  dahin  hat  gewöhnlich  noch  eines  standgehalten, 
die  Fruchtbarkeit:  sie  wird  jetzt  getroffen.  Während  der  Plethoriker  im 


Referate  und  Besprechungen. 


851 


allgemeinen  noch  recht  fruchtbar  ist,  haben  schon,  die  Ileredoarthritiker, 
seine  nächsten  Nachkommen,  nichts  mehr  darin  mit  ihnen  gemein:  schwäch¬ 
liche,  leidende,  von  jeder  Infektion  mitgenommene,  dabei  oft  ganz  intelligente 
Kinder,  von  kurzer  Lebensdauer,  oft  schon  von  Geburt  an  nervös;  und 
tatsächlich  ist  so  der  Arthritismus  schuld  an  dem  Aussterben  großer  Familien 
aller  Länder.  Sogar  in  Japan  ist  diese  Beobachtung  gemacht  worden.  So  daß 
man  ernstlich  die  Befürchtung  hegen  kann,  daß  dieses  Leiden  der  Tuberkulose 
als  Volksgeisel  gleichkomme. 

Dazu  kommt,  daß  der  Plethoriker  noch  der  bazillären  Infektion  leicht 
widersteht,  während  sein  heredoarthritischer  Nachkomme  mit  seinen  demi- 
neralisierten  Säften  fast  jeder  Infektion  zugänglich  ist  und  auch  leicht  erliegt. 

Dieses  ganze  Krankheitsbild  kann  nun  in  all  diesen  Etappen  bei  einem 
und  demselben  Individuum  Vorkommen,  viel  häufiger  verbreitet  es  sich  auf 
3 — 4  Generationen.  Von  den  3  großen  Perioden  dieses  Leidens  ist  eigentlich 
nur  die  erste  unserer  Therapie  zugänglich. 

Nach  dem  Vorangegangenen  versteht  man  Pascault’s  Ansicht:  der 
Arthritiker  stirbt  meist  am  Bauch. 

Von  den  allgemeinen  objektiven  Symptomen  sind  zunächst  zu  nennen 
die  Urinveränderungen,  die  recht  eingehend  untersucht  werden  müssen  und 
in  deren  Vordergrund  der  Überschuß  an  Säure  steht.  Die  Anamnese  ergibt  beim 
Präarthritiker  nichts  Wesentliches.  Gewöhnlich  findet  man  das  Cöcum  erwei¬ 
tert,- während  der  Magen  als  widerstandsfähiges  Organ,  ziemlich  lange  intakt 
bleibt.  Dyspeptische  Störungen  stehen  nicht  immer  im  Vordergrund.  Dagegen 
einzelne  Zeichen:  Intoleranz  gegen  gewisse  Nahrungsmittel,  namentlich  fette, 
Konstipation,  unruhiger  nicht  erfrischender,  häufig  auch  zu  ganz  bestimmten 
Stunden  unterbrochener  Schlaf  :  also  in  Wirklichkeit  eine  latente,  vorwiegend 
intestinale  Dyspepsie,  deren  letzte  Ursache  die  Leber  ist.  Diese  kann  man 
vergrößert  und  schmerzhaft  finden,  namentlich  im  linken  Lappen,  dem  „lobe 
d’alarmeu  Pascault’s.  Ferner  sind  konstant  die  Anzeichen  des  kleinen 
Brightismus  (Dieulafoy) :  Kopfschmerzen,  Schwindel,  Ameisenlaufen,  Beißen, 
Pollakyuric  usw. 

Die  Arteriosklerose  zeigt  sich  beim  Präarthr.  nur  in  ihren  Anfangs¬ 
symptomen.  Die  nervösen  Symptome  sind  sehr  verschieden,  sehr  undeutlich. 

Die  Prognose  ist  günstig,  wenn  —  die  Lebensweise  von  Grund  aus  ge¬ 
ändert  wird. 

Die  Behandlung  ist,  wie  leicht  erklärlich,  hauptsächlich  eine  diätetische 
und  eine  hygienische. 

Zu  erwähnen  ist  nur  die  irrige  Ansicht,  einen  Präarthritiker  wenig 
schlafen  zu  lassen.  Er  soll  viel  schlafen,.  Die  medikamentöse  Behandlung 
ist  hauptsächlich  symptomatisch  gegen  die  funktionellen  Störungen  gerichtet. 

Die  Behandlung  dauert  oft  recht  lange :  ihr  wesentlicher  Grundzug 
heißt  energisch  brechen  mit  alten  Gewohnheiten  und  Vorurteilen. 

_  v.  Schnizer  (Danzig). 

Ein  Fall  von  schwerer  Spondylarthritis  deformans  gebessert  durch 

Fibrolysinbehandlung. 

(Georg  Müller.  Med.  Klinik,  Nr.  3,  1909.) 

In  einem  sehr  schweren  Falle  von  Spondylarthritis  deformans  erzielte 
Müller,  nachdem  andere  Behandlungsmethoden  versagt  hatten,  durch  An¬ 
wendung  von  Fibrolysin  eine  so  auffallende,  überraschende  Besserung  des 
an  sich  eine  trostlose  Prognose  gebenden  Leidens,  daß  er  den  Fall  schon  jetzt 
mitteilt,  obwohl  die  Behandlung  noch  nicht  abgeschlossen  ist.  Es  wurden 
ßO  Einspritzungen  ä  2,3  g  des  Merck’schen  Präparates  in  die  Glutäen  im 
Laufe  von  4  Wochen  gemacht,  unter  Aussetzen  während  der  Menses,  und 
daneben  einen  Tag  ein  Lichtbad,  und  einen  Tag  heiße  Dampfdusche  auf  den 
Rücken  angewandt.  Ferner  wurden  nach  Beendigung  der  Einspritzungen 
Massage  und  passive  Bewegungen  ausgeführt.  Weitere  Einzelheiten  sind  im 
Original  einzusehen.  —  Die  Kur  soll  demnächst  wiederholt  werden. 

_  R.  Stüve  (Osnabrück). 

54* 


852 


Referate  und  Besprechungen. 


The  Local  Treatment  of  Rheumatism. 

(Hutchins.  Canad.  Journ.  of  Med.  and  Surg.,  Nr.  4,  1908.) 

Nach  den  Erfahrungen  Hutchin’s  wird  Mesiotan  nicht  nur  gut  resor¬ 
biert,  so  daß  es  auf  diese  Weise  direkt,  lokal  auf  den  Krankheitsprozeß  ein¬ 
wirkt,  sondern  es  übt  eine  ganz  ausgesprochene  Allgemeinwirkung  auf  den 
Organismus  aus.  Verf.  hat  Mesotan  seit  Monaten  in  zahlreichen  Bällen  von 
akutem  und  chronischem  Gelenk-  und  Muskelrheumatismus  gebraucht. 

Die  Wirksamkeit  des  Mesotans  bei  diesen  Erkrankungen  steht  außer 
Frage  und  zwar  bei  allen  Formen  des.  Rheumatismus,  vor  allem  bei  Muskel¬ 
rheumatismus,  wo  der  Effekt  oft  noch  rascher  zur  Geltung  kommt.  Neben¬ 
wirkungen  wurden  nie  beobachtet,  trotzdem  es  zeitweise  wochenlang  2 — 3  mal 
täglich  mit  seltener  Unterbrechung  appliziert  wurde.  Verf.  weist  noch  be¬ 
sonders  auf  die  bekannte  Tatsache  hin,  daß  Mesotan  nicht  kräftig  eingerieben 
werden  darf.  Neumann. 


Schilddrüse  und  Gelenkrheumatismus. 

(Diamantberger.  Soc.  med.  des  höpitaux,  16.  Okt.  1908.  —  Bull,  med.,  Nr.  83, 

S.  918,  1908.) 

Die  Beziehungen  zwischen  Schilddrüse  und  Gelenkrheumatismus  sind 
in  den  letzten  Jahren  mehrfach  erörtert  worden;  nun  dehnt  D.  dieselben  aus, 
indem  er  auf  ein  Zuviel  bezw.  Zuwenig  an  Jod  in  kolloidalem  Zustand  nicht 
allein  Gelenkschwellungen  mit  und  ohne  Fieber,  sondern  auch  chronische 
Deformitäten  an  Knochen  und  Bändern,  neuritische  und  Hautaffektionen 
zurückführt.  Fortgesetzte  Gaben  von  Jodothyrin  von  0,25  bis  2,0  g  im  Tag 
seien  da  von  Erfolg.  Buttersack  (Berlin). 


Adams-Stockes’sche  Krankheit  und  Syphilis. 

(Vaquez  u.  Esmein.  Soc.  med.  des  hopit.,  27.  Nov.  1908.  —  Bull,  med.,  Nr.  95, 

S.  1071,  1908.) 

Daß  so  ein  kleiner  Bazillus  den  ganzen  Körper  durchseuchen  kann, 
wissen  wir  alle  und  finden  das  weiter  nicht  wunderbar;  daß  er  aber  auch 
den  Geist  verseuchen  kann,  wird  weniger  beobachtet.  Zwar  im  allgemeinen 
scheint  sich  die  Hochflut  der  Überschätzung  der  Mikroben,  die  seinerzeit  in 
einer  fast  pathologischen  Bakteriophobie  zum  Ausdruck  gekommen  war,  all¬ 
mählich  zu  verlaufen;  dafür  äußert  sich  die  Infektion  jetzt  darin,  daß  manche 
Forscher  ihrem  Lieblingsbazillus  möglichst  viele  krankhafte  Erscheinungen 
in  die  Schuhe  schieben  möchten.  Die  Erreger  der  Schwindsucht  und  der 
Syphilis  sind  Prototypen  hierfür. 

So  setzen  Vaquez  und  Esmein  ganz  hübsch  auseinander,  daß  die 
Adams-Stokes’sche  Krankheit  (Pulsverlangsamung  und  epileptoide  Anfälle) 
in  zwei  Typen  verlaufe:  einmal  in  Form  plötzlich  eintretender  Bradykardie 
mit  heftigen  Anfällen,  das  andere  Mal  als  dauernde  Pulsverlangsamung  mit 
zeitweise  auf  tretenden  Bewußtseinstrübungen,  die  sich  allmählich  verlieren. 
[Unwillkürlich  fällt  einem  bei  dem  zweiten  Typus  Napoleon  I.  ein.]  Die 
beiden  Forscher  sehen  die  anatomische  Ursache  in  einer  Erkrankung  des 
His’schen  Bündels,  der  sog.  Blockfasern,  und  zwar  handle  es  sich  das  eine 
Mal  um  eine  unvollständige  Störung  der  Beziehungen  zwischen  der  Vorhofs¬ 
und  der  Kammertätigkeit,  während  im  anderen  Falle  die  Dissoziation  voll¬ 
ständig  sei  und  die  Ventrikel  ganz  selbständig  funktionieren. 

Aber  was  für  eine  Schädlichkeit  hat  die  Blockfasern  lädiert?  —  Natür¬ 
lich  der  Syphiliserreger.  Beweis :  von  20  Patienten  waren  sieben  nachgewiesene 
Syphilitiker,  und  die  anderen  werden  es  wahrscheinlich  auch  gewesen  sein; 
und  dann :  eine  Hg-Kur  hatte  mehrfach  günstige  Erfolge. 

Als  ob  das  Quecksilber  ausschließlich  bei  Lues  wirkte! 

Buttersack  (Berlin). 


Referate  und  Besprechungen. 


853 


Das  Verhalten  der  roten  Blutzellen  bei  der  Biermer’schen  progressiven 

Anämie. 

(Ernst  Block.  Med.  Klinik,  Nr.  4,  1909.) 

Das  wesentliche  Charakteristikum  der  sogenannten  Biermer’schen  pro¬ 
gressiven  Anämie  ist  in  dem  Auftreten  von  großen  roten  Blutkörperchen 
(sogenante  Megalohlasten)  in  vermehrter  Anzahl  im  Blute  zu  erblicken.  Die 
Megaloblasten  sind  durch  einen  relativ  hohen  Hämoglobingehalt  ausgezeichnet, 
im  übrigen  ist  ihre,  die  sonstigen  Blutelemente  überragende  Größe  das  einzige 
durchschlagende  Merkmal,  da  weder  das  V erhalten  zu  Farbstoffen,  noch  das  Vor¬ 
handensein  oder  Fehlen  eines  Kernes  für  die  Zugehörigkeit  einer  Blutzelle  zu  den 
Megaloblasten  der  Biermer’schen  Anämie  ausschlaggebend  ist.  Erythrocythen 
von  11— 12  [x  Durchmesser  und  darüber  sind  den  Megaloblasten  zuzurechnen; 
fehlen  solche  in  einem  gegebenen  Falle  im  Blute  konstant,  so  spricht  dieser 
Umstand  gegen  das  Bestehen  einer  Anämie  im  Sinne  Biermer’s.  Zugleich 
ist  der  Rückgang  dieser  Formen  unter  dem  Einflüsse  der  Therapie  als  ein 
prognostisch  günstiges,  das  konstante  Vorhandensein  als  ein  prognostisch  sehr 
ungünstiges  Zeichen  aufzufassen  und  es  ist  der  genannte  Umstand  für  die 
prognostische  Beurteilung  des  einzelnen  Falles  viel  wesentlicher,  als  der 
Hämoglobingehalt  oder  die  Zahl  der  roten  Blutkörperchen.  —  Alle  anderen,  bei 
der  Biermer’schen  Anämie  an  den  Erythrozyten  wahrzunehmenden  Verände¬ 
rungen  sind  für  diese  Erkrankung  nicht  charakteristisch,  da  sie  wie  die 
Poikylozytose,  Poly chrom atophilie  usw.  auch  bei  anderen  Erkrankungen  des 
Blutes  bemerkt  werden.  —  Das  Verhalten  des  Blutes  bei  der  progressiven 
Anämie  (Auftreten  der  genannten  Megaloblasten  mit  relativ  hohen  HämogUbin- 
gehalt)  zeigt  eine  auffallende  Ähnlichkeit  mit  dem  normalen  Bilde  des  Blutes 
im  embryonalen  Leben.  R.  Stüve  (Osnabrück). 


Blutserum  gegen  posthämorrhagische  Anämien. 

(Mlle  CI.  Deflandre.  Progres  med.,  Nr.  7,  S.  92 — 94,  1909.) 

P.  Carnot’s  eifrige  Mitarbeiterin  hatte  gefunden,  daß  das  Serum  von 
Tieren,  welche  zuvor  einen  ausgiebigen  Aderlaß  über  sich  hatten  ergehen 
lassen  müssen,  bei  anderen  Tieren  eine  erhebliche  Zunahme  der  roten  Blut¬ 
körperchen  hervorrufe.  Nachdem  sie  diesen  Effekt  auch  bei  anämischen 
Menschen  beobachtet  hatte,  ging  sie  dazu  über,  das  im  Handel  befindliche  sog. 
Diphtherieserum  zu  verwenden,  und  zwar  in  trockener  Form,  um  die  immerhin 
lästigen  Injektionen  zu  umgehen.  Sie  gab  es  mehreren  Frauen,  welche  teils 
durch  Menorrhagien,  teils  durch  Aborte  viel  Blut  verloren  hatten,  in  großen 
Quantitäten  und  konstatierte  bei  allen  subjektive  und  objektive  Besserung. 

Solch  eine  Verwendung  hätte  sich  das  Diphtherieserum  am  Anfang  seines 
Siegeszuges  gewiß  nicht  träumen  lassen.  Buttersack  (Berlin). 


Ueber  die  Addison’sche  Krankheit. 

(W.  Haie  White.  The  Practitioner,  Nr.  2,  1909.) 

Mitteilung  von  zwei  Fällen,  die  nur  insofern  etwas  besonderes  bieten, 
als  in  einem  ein  dunkler  Pigmentfleck  auf  der  Zunge  war,  im  anderen  die 
Fingernägel  dunkel  gefärbt  waren.  Haie  hat  öfters  bei  Addison  tuberkulöse 
Herde  auch  außerhalb  der  Nebennieren,  z.  B.  in  der  Wirbelsäule,  gewöhnlich 
in  der  Lendengegend,  beobachtet. 

„Wenn  zwei  oder  drei  Jahre  nach  Stellung  der  Diagnose  der  Kranke 
noch  lebt,  so  ist  sie  höchst  wahrscheinlich  falsch  gewesen“.  Haie  wendet 
als  einziges  Mittel  Adrenalininjektionen  an,  die  den  Blutdruck  etwas  steigern, 
von  denen  er  aber  nicht  glaubt,  daß  sie  das  Ende  hinausschieben. 

F.  von  den  Velden. 


854 


Referate  und  Besprechungen. 


Fieberbehandlung. 

(E.  Strasser,  Wien.  Blätter  für  klin.  Hydrotli.,  Nr.  10,  1908.) 

Strasser  betont  in  diesem  Auszug  aus  einer  größeren  Arbeit  vor 
allem,  daß  das  Fieber,  genau  wie  der  Entzündungsprozeß  ein  regulatorischer 
Vorgang  sei,  indem  die  stärkere  Oxydation  und  die  daraus  hervorgehende 
Wärmeproduktion  in  hohem  Grade  geeignet  erscheine,  überflüssige  und  schäd¬ 
liche  Produkte  durch  Verbrennung  zu  beseitigen.  Der  Infektionsstoff  selbst 
dagegen  werde  meist  nicht  auf  diesem  Wege  unschädlich  gemacht  —  die 
dazu  nötigen  Grade  erreicht  das  Fieber  nur  selten  —  vielmehr  beruhe  die, 
neben  der  selteneren  chemischen  Neutralisierung  viel  häufiger  vorkommende 
Ausscheidung  der  (noch  virulenten)  Mikroorganismen  auf  einer  Modifi¬ 
kation  ihres  Nährbodens,  des  menschlichen  Körpers,  durch  die  während 
des  Fiebers  in  ihm  vor  sich  gehende  Stoffwechselrevolution. 

Dazu  sind  sehr  hohe  Temperaturgrade  gar  nicht  nötig,  im  Gegenteil 
geht  der  regulatorische  Fieberprozeß  ja  in  seiner  Intensität  und  Dauer  oft 
über  das  notwendige  Maß  hinaus,  und  in  diesem  letzteren  Falle  ist  der  Zeit¬ 
punkt  gekommen,  wo  das  Fieber  bekämpft  werden  muß,  besonders  wenn  es 
mit  Schlaflosigkeit,  Kopfschmerz,  Delirien,  Somnolenz,  Verdauungs-,  Zirku¬ 
lationsstörungen  usw.  verbunden  ist. 

Die  Überlegenheit  der  hydrotherapeutischen  über  die  medikamentöse 
Antipyrese  ist  heute  allgemein  anerkannt.  Trotzdem  kann  z.  B.  Pyramidon 
in  kleiner  Dosis  (0,1 — 0,2)  infolge  der  Euphorie,  die  es  herbeiführt,  Ernährung 
und  Pflege  des  Kranken  wesentlich  erleichtern.  Die  bei  der  hydriatischen 
Antipyrese  früher  als  die  Hauptsache  betrachtete  Wärmeentziehung  wird 
heute  nichl  mehr  so  sehr  betont,  wie  die  Besserung  der  Nerven-,  Zirkulations¬ 
und  Respirationstätigkeit,  die  Hebung  der  Diurese,  des  Appetits  usw. 

Die  Temperatur  der  Brand’schen  Bäder  ist  von  15°  auf  22 — 32°  erhöht, 
ihre  Häufigkeit  durch  Waschungen,  Begießungen,  Umschläge  vermindert  wor¬ 
den,  wie  man  überhaupt  gelernt  hat,  sich  vor  hydriatischen  Übertreibungen, 
die  zu  Überreizung  führen,  zu  hüten.  Namentlich  ist  das  Eintreten  der 
Reaktion  wohl  zu  beachten. 

Die  bis  vor  kurzem  beliebte  „kräftige“  Ernährung  Fieberkranker  ist 
neuerdings  modifiziert  worden,  weil  eine  unzeitige  Belastung  des  Verdauungs¬ 
apparates  zu  schweren  Schädigungen  führen  kann,  während  Gewichts-  und 
Gewebs Verluste  in  die  Rekonvaleszenz  meist  rasch  ersetzt  werden.  Esch. 


Eine  neue  Methode  der  subkutanen  Serum-  usw.  Injektionen. 

(Dr.  Krautschneider,  Innsbruck.  Münch,  med.  Wochenschr.) 

Um  die  vor  allem  bezüglich  der  Asepsis  bestehenden  Mängel  der  bis¬ 
herigen  Injektionsspritzen  zu  beseitigen,  hat  Krautschneider  einen  wenig- 
verständlich  beschriebenen  Apparat  erfunden,  bei  dem  zusammenquetsehbare 
papierdünne  Zinnpatronen  in  einen  Metallzylinder  gebracht  und  nach  Auf¬ 
setzen  der  Nadel  langsam  durch  dieselbe  ausgequetscht  werden.  Die  Vor¬ 
teile  sollen  darin  bestehen,  daß  die  Spritze  stets  gebrauchsfertig  ist,  nicht 
jedesmal  gereinigt  werden  muß,  und  die  Injektion  langsam  erfolgen  kann, 
ohne  Entstehung  schmerzhafter  Quaddeln,  wobei  Luftinjektion  oder  Verlust 
von  Injektionsflüssigkeit  ausgeschlossen  ist.  Die  Spritze  wird  unter  dem 
Namen  „Injektor“  von  der  Firma  Evens  &  Pister  in  Kassel  in  den  Handel 
gebracht.  F.  Walther. 


Gynäkologie  und  Geburtshilfe. 

Über  chronische  Metritis. 

(Prosektor  Dr.  C.  Hueter.  Archiv  für  Gvn.,  Bd.  87,  H.  3,  1909.) 

Die  pathologische  Anatomie  der  chronischen  Metritis  ist  noch  ipamer 
nicht  recht  geklärt.  Erst  in  neuerer  Zeit  steht  den  Autoren  operativ  ge¬ 
wonnenes  Material  zu  Untersuchungszwecken  zur  Verfügung.  Im  allgemei- 


Referate  und  Besprechungen. 


855 


nen  kann  man  sagen,  daß  ies  sich  bei  der  chronischen  Metritis  um  einen 
Schwunnd  der  muskulären  und  eine  Vermehrung  der  bindegewebigen 
Elemente  handelt.  Der  Muskelschwund  scheint  auf  fettiger  Degeneration 
zu  beruhen,  die  Vermehrung  des  Bindegewebes  sehen  einige  neuere  Autoren 
als  einen  hyperplastischen  Vorgang  an.  H.  ist  der  Meinung,  daß  letzteres  nicht 
in  allen  Eallen  zutrifft.  Eine  Zunahme  des  Bindegewebes  könne  ebenso  gut 
durch  akute  entzündliche  Prozesse,  durch  Granulationsbildung,  zustande  kom¬ 
men.  Manche  Autoren  unterscheiden  auch  bei  der  chronischen  Metritis  ein 
primäres,  entzündliches  Stadium  mit  zelliger  Infiltration  und  ein  zweites 
Stadium  der  Bindegewebswucherung.  Einen  ganz  eklatanten  Ball,  wo  in 
dem  wegen  Blutungen  exstirpierten  Uterus  etwa  1/3  der  Muskulatur  fettig 
zugrunde  gegangen  war,  andererseits  eine  ganz  riesige  Bildung  von  entzünd¬ 
lichem  Granulationsgewebe  —  die  Uteruswände  waren  4 — 5  cm  dick  —  zu¬ 
stande  gekommen  war,  beschreibt  H.  ausführlich.  Der  Ball  scheint  bis  jetzt 
einzig  zu  sein.  Ob  in  diesem  Balle  eine  Regeneration  der  Muskelfasern  einge¬ 
treten  sein  würde  oder  ob  es  zu  einer  hochgradigen  Schrumpfung  des  ganzen 
Organes  gekommen  sein  würde,  muß  dahingestellt  bleiben.  Vielleicht  wird 
man  mit  Richelot  zwischen  chronischer  Metritis  und  Stauungssklerose  bez. 
-induration  zu  unterscheiden  haben.  R.  Klien  (Leipzig). 


Aus  der  Dührssen’schen  Privatanstalt  für  Geburtshilfe  und  Brauenkrankheiten. 

Die  Keilresektion  des  Corpus  uteri  wegen  chronischer  Metritis. 

(A.  Dührssen.  Archiv  für  Gyn.,  Bd.  85,  H.  8,  1908.) 

D.  nimmt  gegenüber  Pfannenstiel  die  Priorität  für  die  in  der  Über¬ 
schrift  genannte  Operation  energisch  für  sich  in  Anspruch,  indem  er  nach¬ 
weist,  daß  er  die  Operation  bereits  im  Jahre  1898  ausgeführt  und  empfohlen 
hat.  D.  macht  die  Resektion  stets  nur  an  der  vorderen  Korpuswand  oder 
am  Pundus  und  stellt  dadurch,  daß  er  die  Vaginifixur  bezw.  die  Vesici- 
fixur  (mit  isoliertem  Verschluß  der  Peritonealöffnung)  anschließt,  eine  Art 
extraperitonealer  Lagerung  der  vernähten  Uteruswunde  her.  Es  heilten  die 
Bälle  nämlich  meist  nicht  ganz  glatt,  sondern  mit  mehrtägigem  Bieber.  Bände 
nun  wirklich  einmal  eine  Vereiterung  der  Nahtstelle  statt,  so  würde  der 
Eiter  durch  die  Vaginalwunde  in  die  Vagina  durchbrechen  und  nicht  in  die 
Bauchhöhle.  Nach  einer  anfänglichen  bedeutenden  Anschwellung  des  Uterus, 
zurückzuführen  auf  die  venöse  Hyperämie,  welche  durch  die  vielen  zur 
Blutstillung  erforderlichen  Nähte  verursacht  wird,  trat  stets  eine  sehr  gute 
Um-  und  Rückbildung  des  Uterus  ein.  —  D.  empfiehlt  bei  dieser  Gelegenheit 
auch  angelegentlichst  die  Keilresektion  der  Tubenwinkel  aus  dem  Uterus 
bei  Exstirpation  der  entzündlichen  oder  tuberkulösen  Tuben.  Das  hat 
mit  der  Keilresektion  aus  der  Vorderwand  bezw.  dem  Bundus  des  Uterus  eigent¬ 
lich  nichts  zu  tun,  doch  scheint  es  in  der  Tat,  als  ob  dieses  bez.  der  Ver¬ 
meidung  von  Stumpfexsudaten  und  zurückbleibenden  Resten  entzündeter  Tuben 
so  sehr  wichtige  Verfahren  trotz  wiederholter  Empfehlung  von  den  ver¬ 
schiedensten  Seiten  noch  lange  nicht  allgemein  genug  geübt  würde:  insofern 
ist  D.'s  neue  Empfehlung  gewiß  zu  begrüßen.  Nicht  ohne  weiteres  ver¬ 
ständlich  ist  dagegen,  wie  D.  die  bei  der  keilförmigen  Tubenresektion  ge¬ 
setzten  Wunden  durch  Ventrifixur  des  Bundus  aus  der  Bauchhöhle  aus¬ 
schalten  will;  wenn  man  nicht  allzu  tief  reseziert,  wobei  allerdings  die  Blut¬ 
stillung  nicht  immer  ganz  exakt  durchzuführen  sein  dürfte,  erscheint  eine 
extraperitoneale  Lagerung  hier  überhaupt  nicht  indiziert,  weil  ja  alles  Ent¬ 
zündliche  entfernt  ist.  Bür  nicht  am  Platze  hält  D.  die  Keilresektion  aus 
der  Vorderwand  bezw.  aus  dem  Bundus  bei  Prolapsen,  entgegen  den  An¬ 
schauungen  der  Pf annenstiel’schen  Klinik,  denn  gerade  bei  Prolapsen  sei 
ein  großer  Uteruskörper  von  Nutzen;  in  der  Regel  handele  es  sich  hier  auch 
weniger  um  hochgradige  Metritis  corporis  als  vielmehr  um  eine  Elongatio  colli. 

R.  Klien  (Leipzig). 


856 


Referate  und  Besprechungen. 


Aus  der  akademischen  Frauenklinik  in  Düsseldorf. 

lieber  die  Beeinflussung  entzündlicher  Erkrankungen  der  weiblichen 
Genitalien  und  ihrer  Nachbarschaft  durch  Behandlung  des  Darmkanals. 

(Dr.  P.  Kuliga.  Gyn.  Rundschau,  H.  23,  1908.) 

Schon  vor  einigen  Jahren  hat  A.  Müller  auf  den  Zusammenhang  ge¬ 
wisser  entzündlicher  Erkrankungen  des  weiblichen  Genitalapparates,  bes.  der 
sog.  Parametritis  posterior  mit  Erkrankungen  des  Rektums  hingewiesen.  Wenn 
auch  Müller  diesen  ätiologisch  wichtigen  Zusammenhang,  indem  er  ihn  auf 
90°/o  der  Fälle  anwenden  wollte,  offenbar  überschätzt  hat,  so  ist  derselbe 
nach  den  Untersuchungen  K.’s  tatsächlich  recht  oft,  vielleicht  in  50 — 60 °/ 0 
zu  Recht  bestehend.  Gleichzeitige  Erkrankung  des  Rektums  bez.  sogar  des 
Kolons  fand  sich  außer  bei  der  Parametritis  post,  bei  entzündlichen  Adnex¬ 
erkrankungen,  bei  Dysmenorrhöe,  bei  Obstipation  allein  und  mit  entzünd¬ 
lichen  Prozessen  häufig,  dagegen  selten  bei  Retroflexio  uteri.  Um  die  Betei¬ 
ligung  des  Rektums  objektiv  nachzuweisen,  empfiehlt  K.  die  Palpation  des 
Rektums  von  der  Scheide  aus.  Man  kann  so  abnorme  Druckempfindlichkeit 
und  Abweichungen  in  dem  Kontraktionszustand  nachweisen.  Durchaus  nicht 
immer  stimmen  objektiver  Befund  und  subjektive  Beschwerden  —  Schmerzen 
und  Obstipation  bez.  Durchfälle  —  miteinander  überein.  Therapeutisch  hat  K. 
sehr  gute  Resultate  mit  der  Flein er’schen  Ölklystierkur  gesehen.  Fast  durch¬ 
weg  wurden  neben  der  Obstipation,  wenn  solche  bestand,  die  entzündlichen 
Genitalaffektionen  günstig  beeinflußt,  Dysmenorrhöen  und  Parametritis  post, 
oft  nur  dadurch  geheilt,  besser  noch  in  Verbindung  mit  Wärmeapplikation. 

R.  Klien  (Leipzig). 


Zur  Anatomie  der  Zysten  der  kleinen  Schamlippe. 

(Bon di,  Wien.  Monatschr.  für  Geburtsh.  u.  Gyn.,  Bd.  28,  S.  648,  1908.) 

B.  gibt  ausführlich  Krankengeschichte  und  anatomischen  Befund  von 
8  einschlägigen  Fällen  wieder.  In  7  Fällen  handelte  es  sich  um  reine  Schleim¬ 
zysten,  einmal  fand  sich  atheromatöser  Inhalt.  In  2  Zysten  konnte  deut¬ 
lich  Flimmerbesatz  des  auskleidenden  Epithels  nachgewiesen  werden.  In  den 
übrigen  Fällen  fand  sich  einschichtiges  Epithel  von  flacher,  niedriger  bis 
zu  hoher  Zylinderform  wechselnd,  bisweilen  papilläre  Exkreszenzen  auf¬ 
weisend.  Leider  lassen  die  histologischen  Befunde  keine  ausreichenden  Schlüsse 
bez.  der  Genese  der  Zysten  zu.  Es  scheint,  daß  sie  von  versprengten  Teilen 
des  Wolf  f’schen  Ganges,  zum  Teil  auch  von  peristierenden,  verlagerten 
Schleimdrüsen  des  Vestibulum  herstammen.  Frankenstein  (Köln). 


Aus  dem  Laboratorium  der  Frauenklinik  von  Geh. -Rat  L.  Landau  u.  Dr.  Th.  Landau 

in  Berlin. 

lieber  das  Lymphangioendothelioma  ovarii. 

Ein  Beitrag  zur  Kenntnis  der  endothelialen  Geschwulstbildungen  im  Eierstock. 

(Dr.  T.  Kubo.  Archiv  für  Gyn.,  Bd.  87,  H.  3,  1909.) 

Iv.  gibt  zunächst  eine  Literaturübersicht  über  52  Fälle  und  akzeptiert 
die  Borst’sche  Einteilung  in  intravaskuläre  und  perivaskuläre  Hämangio- 
endotheliome  und  in  Lymphangioendotheliome.  Einen  Fall  letzterer  Art 
beschreibt  er  ausführlich.  Bei  einer  41jährigen  Frau  wurde  ein  hämorrhagisch¬ 
nekrotischer  linksseitiger  Ovarialtumor  per  laparotomiam  entfernt  und  drei 
Jahre  später  zwei  Rezidivtumoren  unter  Resektion  eines  Stückes  Dünndarm 
nebst  einer  rechtsseitigen  Eierstockszyste.  Neun  Jahre  nach  dieser  Rezidiv¬ 
operation  war  die  Frau  noch  gesund.  Die  Histologie  des  Falles  deckte  sich 
mit  den  Befunden  von  L.  Pick  und  Pfannenstiel.  —  Das  Endothelioma 
ovarii,  welches  klinisch  nicht  von  anderen  Formen  bösartiger-  Ovarialtumoren 
zu  unterscheiden  ist,  zeigt  sich  zwar  auch  metastasierungsfähig,  scheint  aber 
von  weit  geringerer  Bösartigkeit  wie  das  Sarkom  oder  das  primäre  Karzinom 
des  Eierstockes  zu  sein.  *  R.  Klien  (Leipzig). 


Referate  und  Besprechungen. 


857 


Zur  operativen  Behandlung  der  puerperalen  Peritonitis  undThrombophlebitis. 

(G.  Leopold.  Archiv  für  Gyn.,  Bd.  85,  H.  3,  1908.) 

L.  hat  bereits  früher  a.  a.  O.  über  zwölf  Fälle  von  ^operativ  behandelter 
puerperaler  Peritonitis  und  Pyämie  berichtet,  von  denen  nur  3  starben,  weil 
sie  zu  spät  operiert  wurden.  Infolgedessen  suchte  L.  die  Beobachtung  am 
Krankenbett  so  zu  verschärfen  bez.  der  Symptome  der  puerperalen  Peri¬ 
tonitis,  daß  ihr  Beginn  mit  möglichster  Sicherheit  zeitig  festgestellt  werden 
konnte,  um  danach  baldigst  die  Eröffnung  der  Bauchhöhle  und  die  Ablassung 
des  Eiters  vorzunehmen.  Das  zeitigste  und  wichtigste  aller  Symptome  ist 
das  Klein-  und  Frequentwerden  des  Pulses;  er  steigt  in  wenigen  Stunden 
auf  120 — 140,  wobei  die  Temperatur  noch  ganz  normal,  das  Allgemeinbefin¬ 
den  ein  noch  ganz  ungetrübtes  sein  kann.  Das  zweite  sich  sehr  bald  ein¬ 
stellende,  höchst  pathognomonische  Symptom  ist  das  Auftreten  von  Singult us; 
hierauf  muß,  damit  es  nicht  der  Beobachtung  entgeht,  direkt  gefahndet  werden. 
Diese  beiden  Zeichen  genügen  L.,  die  Diagnose  auf  beginnende  Peritonitis 
zu  stellen.  Die  bald  noch  hinzukommenden  weiteren  Krankheitserscheinungen : 
zunehmender  Meteorismus,  Leibschmerz,  Dämpfung  in  den  seitlichen  Partien 
des  Leibes,  Fieber,  Verschlechterung  des  Allgemeinbefindens  vervollständigen 
zwar  das  Bild,  sollen  aber  nicht  erst  abgewartet  werden.  Wie  eine  Perforations¬ 
peritonitis,  z.  B.  nach  Appendizitis,  so  soll  nach  L.  auch  die  puerperale  Peri¬ 
tonitis  innerhalb  der  ersten  48  Stunden  operiert  werden.  Dann  ist  die 
Gefahr  der  Laparotomie  eine  viel  geringere  als  die  der  Peritonitis;  man  kann 
noch  auf  eine  vollständige  Abdrainierung  des  Eiters  hoffen,  zu  einem  Moment, 
wo  noch  keine  Überschwemmung  des  Blutes  mit  den  Infektionserregern  statt¬ 
gefunden  hat.  Sowie  dies  der  Fall  ist,  kommt  die  Operation  zu  spät,  ja  sie 
ist  sogar  jetzt  für  den  ganz  geschwächten  Körper  eine  viel  zu  gefahrvolle 
Maßnahme.  Diese  Kranken  sind  unrettbar  verloren.  —  L.  berichtet  in  der 
vorliegenden  Arbeit  übler  6  neue  Fälle;  5 mal  handelte  es  sich  um  puerperale 
Peritonitis.  Von  diesen  wurden  3  durch  die  Laparotomie  gerettet,  obwohl 
dieselbe  zum  Teil  erst  am  5.  Krankheitstag  gemacht  wurde.  Es  ist  sehr 
zu  bedauern,  daß  alle  diese  Fälle  nicht  einer  eingehenderen  bakteriologischen 
Bearbeitung  unterzogen  worden  sind.  Nirgends  wird  von  Kulturversuchen 
etwas  berichtet.  Es  gehört  das  aber  heutzutage  unbedingt  zur  exakten 
wissenschaftlichen  Bearbeitung  derartiger  Fälle  und  muß  von  einer  Klinik 
von  der  Bedeutung  der  Dresdener  unbedingt  gefordert  werden.  Es  würde  dann 
unmöglich  sein,  daß  L.  einen  Fall  in  der  Epikrise  für  Gonorrhöe  reklamiert, 
bei  dem  sich  im  abgelassenen  Bauchexsudat  massenhafte  Streptokokken  ge¬ 
funden  hatten  und  bei  dem  eine  Darmnaht  ausgeführt  worden  war.  (Fall  I.) 
Schwer  verständlich  und  nicht  überzeugend  ist  es  auch  in  Fall  III,  wo  in 
der  Klinik  die  Zange  gemacht  wurde,  die  Peritonitis  am  3.  Tage  einsetzte, 
ein  schmierig  belegter  Riß  in  der  rechten  Scheidenwand  gefunden  wurde, 
wenn  hier  eine  Infektion  von  außen  abgelehnt  wird,  wenn  vielmehr  erklärt 
wird,  daß  es  sich  auch  hier  um  einen  Fiebererreger  gehandelt  haben  werde, 
der  schon  in  der  Schwangerschaft  bezw.  in  den  letzten  Tagen  vor  Geburts¬ 
beginn  in  die  inneren  Teile  abgelagert  worden  sei.  Um  das  plausibel  zu  machen, 
gehört  mehr  als  die  Bemerkung,  daß  sich  in  der  Bauchhöhlenflüssigkeit 
.massenhaft  Eiterkörperchen,  „spärliche  Kokken  unbestimmter  Art“  gefunden 
hätten.  Genaue  bakteriologische  Untersuchungen  wären  schon  um  deswillen 
so  notwendig  gewesen,  um  den  ganz  auffallenden  Unterschied  in  den  Erfolgen 
der  Dresdner  Klinik  gegenüber  der  Hallenser  zu  erklären :  in  Halle  wurde 
von  fünf  puerperalen  Peritonitisfällen  durch  die  Laparotomie  kein  einziger 
gerettet!  In  diesen  Fällen  handelte  es  sich  durchweg  um  Infektion  mit 
dem  hämolytischen  Streptokokkus;  man  möchte  unwillkürlich  die  Frage  beant¬ 
wortet  haben,  um  was  es  sich  in  Dresden  gehandelt  hat.  —  Der  eine  tödlich 
verlaufende  Fall  wäre  vielleicht  durch  zeitigeres  Operieren  zu  retten  gewesen; 
er  wurde  am  vierten  Krankheitstage  operiert ;  in  der  Bauchflüssigkeit  waren 
„Streptokokken“.  Bei  dem  anderen  Todesfall  handelte  es  sich  um  einen  pro¬ 
trahierten,  offenbar  kriminellen  Abort,  bei  dem  eine  unbemerkt  gebliebene 
Verletzung  des  Kollum  stattgefunden  hatte,  die  sich  bei  der  Sektion  als 
septisch  erwies.  — 


858 


Referate  und  Besprechungen. 


Schließlich  berichtet  L.  noch  über  einen  Fall  von  venöser  Form  des 
Puerperalfiebers  nach  spontaner  Geburt  vom  9.  Tage  ab.  Doppelseitige  Throm¬ 
bose  der  Venae  femorales.  Später  Schüttelfröste.  Am  40.  Tag  transperi¬ 
toneale  Entfernung  der  thrombosierten  rechten  Vena  spermatica  interna.  Deren 
Thrombus  befand  sich  in  eitriger  Einschmelzung.  Genesung. 

R.  Klien  (Leipzig). 


Aus  der  königl.  Universitäts-Frauenklinik  Halle  a.  S. 

Die  prognostische  Bedeutung  bakteriologischer  Untersuchungen  bei 

abdominalen  Uterusexstirpationen. 

(Dr.  C.  Barth.  Archiv  für  Gyn.,  Bd.  87,  H.  2,  1909.) 

B.  fand  bei  einem  Material  von  55  Fällen,  daß  ungefähr  die  Hälfte 
aller  Uteruskarzinome  mit  dem  hämolytischen  Streptokokkus  infiziert  ist. 
Ob  im  Einzelfall  von  dem  positiven  Befund  deletäre  Folgen  abhängen,  richtet 
sich  nach  der  jeweiligen  Virulenz  der  vorhandenen  Kokken.  Infaust  ist 
die  Prognose,  wenn  sich  am  Schluß  der  Operation  virulente  hämolytische 
Streptokokken  auf  dem  Peritoneum  finden.  Diplokokken,  Stäbchen  und  der 
Streptococcus  viridans  sind  als  relativ  ungefährliche  Saprophyten  2.u  be¬ 
trachten.  Im  Gegensatz  zu  Liepmann  fand  B.  in  den  Parametrien  nur 
äußerst  selten  (einmal)  hämolytische  Streptokokken,  er  untersuchte  die  Para¬ 
metrien  aber  auch  sofort  nach  ihrer  Eröffnung  von  oben  her,  nicht,  wie 
Liepmann,  erst  nach  ihrer  Exstirpation.  Jener  eine  Fall  B.’s  genas,  in¬ 
folgedessen  ist  es  auch  nicht  zulässig,  bei  Befund  von  h.  Str.  in  den  Para¬ 
metrien  die  Prognose  infaust  zu  stellen.  —  Die  Virulenz  gefundener  Strepto¬ 
kokken  soll  nach  dem  übrigens  bereits  angezweif eiten  (Ref.)  Verfahren  von 
Fromme  nachzuweisen  sein.  Absolute  Vermeidung  von  Verunreinigung  des 
Peritoneums  durch  Karzinom-  und  Scheidensekret  sowie  Drainage  haben  sich 
bis  jetzt  als  bestes  Prophylaktikum  gegen  die  postoperative  Peritonitis  er¬ 
wiesen.  R.  Klien  (Leipzig). 


Aus  der  Universitäts-Frauenklinik  in  Innsbruck. 

Die  Ätiologie  des  Uterovaginalprolapses. 

Eine  klinisch-anatomische  Studie. 

(Dr.  Oscar  Nebeskv.  Archiv  für  Gyn.,  Bd.  87,  H.  3,  1909.) 

Von  der  sehr  breit  angelegten,  übrigens  preisgekrönten  Arbeit  können 
im  Referat  nur  die  Schlußsätze  berücksichtigt  werden:  Alle  Arten  des  Pro¬ 
lapses  sind  das  Produkt  der  gleichen  Faktoren :  der  Stärke,  Dauer  und  Rich¬ 
tung  des  intraabdominalen  Druckes,  der  Weite  und  Form  der  Bruchpforte  und 
der  Größe  der  Widerstände,  welche  durch  die  Organkohärenz  und  die  Ver¬ 
bindungen  der  Organe  untereinander  und  mit  der  Beckenwand  geleistet  wer¬ 
den.  Im  allgemeinen  kommt  N.  zu  denselben  Anschauungen  wie  Halban- 
T  an  eil  er  und  Küstner.  —  Sehr  zu  bedauern  ist  das  gänzliche  Fehlen  von 
Abbildungen.  R.  Klien  (Leipzig). 


Aus  der  Frauenklinik  von  L.  u.  Th.  Landau,  Berlin. 

Ueber  Duodenalverschluß. 

Mit  1  Textfigur. 

(Dr.  Beruh.  Rosenthal.  Archiv  für  Gyn.,  Bd.  86.  H.  1,  1908.) 

Eine  sehr  instruktive  Abhandlung  über  das  in  jüngster  Zeit  so  lebhaft 
diskutierte  Krankheitsbild.  R.  berichtet  über  zwei  Fälle  aus  der  Landau- 
scheu  Klinik  und  über  20  aus  der  Literatur.  In  dem  ersten  mitgeteilten  Falle 
war  zweifellos  der  Duodenalverschluß  das  Primäre,  die  Magenerweiterung  das 
Sekundäre.  Leichenversuche  ergaben,  daß  der  eigentlich  komprimierende  Strang 
die  Arteria  mesenterica  superior  ist,  daß  die  Zugwirkung  durch  die  in  das 
kleine  Becken  hinabgesunkenen  kollabierten  Dünndarmschlingen  vermittels 


Referate  und  Besprechungen. 


859 


ihres  Mesenteriums  ausgeübt  wird.  Dieser  Zug  wird  verstärkt  durch  den 
sich  dilatierenden  Magen,  kann  es  aber  ebenso  auch  durch  die  volle  dilatierte 
Blase  werden.  Im  Chloroform  dürfte  eine  Ursache  für  den  akuten  Duodenal¬ 
verschluß  nicht  zu  finden  sein,  wohl  aber  in  einer  Autointoxikation  für  die 
sekundäre  Magendilatation.  Sehr  magere  Personen  erscheinen  besonders  dis¬ 
poniert,  bei  ihnen  springt  die  Arteria  niesen terica  als  derber  harter,  unelastischer 
Strang  vor;  ferner  scheint  eine  Lordose  der  Lendenwirbelsäule  nicht  ohne 
Bedeutung  zu  sein.  Die  Diagnose  ist,  wenn  man  überhaupt  an  das  Krank¬ 
heitsbild  denkt,  nicht  schwer:  Durst,  Erbrechen  großer  Mengen  galliger 
Flüssigkeit.  Aufgetriebensein  des  Epigastriums,  Indikan  im  Harn  sind  die 
hervorstechendsten  Symptome.  Die  souveräne  Therapie  ist  bekanntlich  die 
Bauchlage  meist  kombiniert  mit  Magenspülungen.  R.  Klien  (Leipzig). 


Die  Gefahren  und  der  Nutzen  der  intrauterinen  Injektionen. 

(P.  Zweifel.  Archiv  für  Gyn.,  Bd.  86,  H.  2,  1908.) 

Z.  hat  systematische  Versuche  mit  Kontrolle  bei  nachfolgender  Lapa¬ 
rotomie  angestellt,  um  die  alte  Streitfrage  definitiv  zu  lösen,  ob  Arzneilösungen 
bei  intrauterinen  Einspritzungen  durch  die  Tuben  in  die  Bauchhöhle  fließen 
können.  Was  zunächst  intrauterine  Spülungen  mit  dem  Fritsch-Bozeman- 
schen  Katheter  anlangt,  so  flössen  dabei  in  der  Regel  wässrige  Lösungen, 
die  nicht  ätzen  und  nicht  reizen,  in  die  Bauchhöhle  über  unter  der  Be¬ 
dingung,  daß  jede  Anregung  zu  Zusammenziehungen  der  Gebär¬ 
mutter  vermieden  wird.  Alkoholische  Lösungen  traten  nur  in  die  Tuben, 
nicht  aber  in  die  Bauchhöhle  über;  Z.  sieht  den  Grund  hierfür  darin,  daß 
bei  alkoholischen  Lösungen  bereits  leichte  Kontraktionen  der  Gebärmutter 
und  wahrscheinlich  auch  der  Tuben  auftreten.  —  Was  die  Injektionen 
anlangt,  so  ergab  sich  zunächst,  daß  die  sog.  Pinselspritzen  nicht  anders  wirken, 
als  die  alte  Braun’sche.  Z.  hat  sich  zu  seinen  Versuchen  einer  Pinselkanüle 
bedient,  welche  in  der  Breite  der  amerikanischen  Silberstäbchen  möglichst 
platt  geformt  ist.  Auch  bei  Verwendung  dieser  Spritze  floß  Liquor  ferri, 
in  der  Menge  von  nur  1  ccm  eingespritzt  und  trotzdem  sich  die  umgewickelte 
Watte  bis  unter  den  äußeren  Muttermund  hinunter  mit  Liquor  voll  saugte, 
also  denselben  teilweise  ableitete,  in  beide  Tuben  ein,  ja  sogar  durch  die 
eine,  die  durchgängig  war,  bis  in  die  Bauchhöhle.  Es  ergibt  sich  hieraus, 
daß  man  in  die  Uterushöhle  überhaupt  keine  ätzende  Flüssigkeit  einspritzen 
darf  oder  höchstens  2 — 4  Tropfen  (v.  Braun),  wenn  der  Abfluß  nicht  voll¬ 
kommen  gesichert  ist.  Folgerichtig  muß  diese  strenge  Einschränkung  der 
intrauterinen  Einspritzungen  zu  einer  Empfehlung  der  Pinselbehan dlung 
führen.  Da  ergab  sich  aber,  wenn  Z.  sich  ganz  streng  an  die  bekannten 
Menge’schen  Vorschriften  hielt,  daß  die  allseitige  Verbreitung  des  Liquor 
in  der  Korpushöhle  nur  dann  gelang,  wenn  der  Muttermund  weit  war. 
Leider  ist  dies  in  praxi  nur  in  etwa  einem  Drittel  der  Fälle  der  Fall,  m  den 
anderen  zwei  Dritteln  müßte  maji  erst  dilatieren.  Z.  benutzte  eine  gebogene 
Metallröhre,  welche  nach  event.  leichter  Dilatation  eingeführt  wird,  und  goß 
in  diese  Röhre  den  Liquor  hinein.  Es  wurde  ein  feiner  Drahtwattepinsel  nach¬ 
geschoben,  um  die  Flüssigkeit  aufzusaugen  und  unter  allmählichem  Zurück¬ 
ziehen  des  Röhrchens  und,  ihm  folgend/,  des  Pinsels  mit  allen  Teilen  der 
Uterushöhle  in  Berührung  zu  bringen  sowie  schließlich  den  Liquor  sicher 
nach  unten  abzuleiten.  In  vielen  punderten  von  Fällen  hat  Z.  bei  dieser 
Anwendung  des  Liquor  ferri  (bei  Blutungen)  niemals  die  geringste  Störung, 
nie  einen  Krampfanfall,  nie  eine  Entzündung  des  Bauchfelles  gesehen.  Leider 
ist  aber  diese  Art  Pinselbehandlung  mit  Sicherheitsvorrichtung  wegen  der 
meist  erforderlichen  vorauszuschickenden  Dilatation  in  der  Regel  nicht  in 
der  Sprechstunde  ausführbar.  —  Durch  die  von  Z.  festgestellten  Tatsachen 
wird  aber  noch  eine  neue  Perspektive  eröffnet.  Da  injizierte  wässerige,  nicht 
ätzende  Flüssigkeiten  in  die  Tuben  eindringen,  falls  nur  deren  Orificium 
uterinum  offen  ist,  so  lassen  sich  beginnende  Fälle  von  aszen dienender 
Gonorrhöe  mittels  intrauterinen  Injektionen  von  wässrigen,  nicht  ätzenden, 


860 


Referate  und  Besprechungen. 


z.  B.  2%igen  Argentaminlösungen  behandeln;  dasselbe  gilt  für  ältere  Fälle, 
bei  denen  sich  die  Epithelien  bereits  wieder  regeneriert  haben.  Z.  hat  diese 
an  die  Gr ammaticati’sche  erinnernde  Behandlungsart  in  der  Tat  schon 
Jahre  lang  mit  sehr  guten  Erfolgen  durchgeführt.  Man  soll  vorsichtig  mit 
einigen  Tropfen  beginnen  und  erst  dann,  wenn  die  Toleranz  feststeht,  1  bis 
2 1/2  ccm  täglich  oder  jeden  zweiten  Tag  injizieren.  Es  pflegen  zwar  Schmerzen 
in  der  erkrankten  Seite  auf  zu  treten  für  1 — 2  Stunden,  aber  nie  Koliken. 
In  der  Mehrzahl  der  Fälle  konnten  die  Pat.  nach  durchschnittlich  dreiwöchent¬ 
licher  Behandlung  geheilt  entlassen  werden !  Das  wäre  in  der  Tat  ein  phä- 
nomales  Resultat.  Einige  blieben  ungebessert  und  wurden  operiert. 

R.  Klien  (Leipzig). 


Die  medikamentöse  Therapie  der  Endometritis. 

(Privatdozent  Dr.  E.  Kehrer.  Med.  Klinik,  Kr.  10,  1909.) 

Ein  ausgezeichnetes  Kolpitismittel  —  wenigstens  für  die  gonorrhoische 
Form  —  besitzen  wir  in  den  Hefepräparäten.  Ob  die  Tamponade  der  mit  in 
Silberlösung  getränkten  Gaze  (1%  Argent.  nitr.,  1 — 5°/0  Ichtharganglyzerin, 
5 — 10%  Pro targol- Glyzerin)  im  akuten  Stadium  zu  empfehlen  ist,  scheint 
fraglich.  Das  Uterussekret  kann  nicht  gut  abfließen  und  könnte  bei  reich¬ 
licher  Bildung  doch  wohl  nach  den  Tuben  zu  Vordringen.  Im  subakuten 
und  chronischen  Stadium  der  gonorrhoischen  Vaginitis  und  Endometritis 
bringen  diese  Mittel  jedoch  gute  Erfolge. 

In  diesen  Silberpräparaten  besitzen  wir  Mittel,  denen  man  eine  gerade¬ 
zu  spezifische  Wirkung  auf  die  Gonokokken  zuschreibt.  Wir  verlangen, 
daß  sie  die  Gonokokken  auf  der  Schleimhautoberfläche  abtöten,  eine  mög¬ 
lichste  Tiefenwirkung  entfalten  und  die  Schleimhaut  zur  Exsudation  reizen, 
ohne  sie  wesentlich  zu  schädigen.  Bezüglich  der  Reizwirkung  stellte  v.  Her  ff 
folgende  Skala  von  der  schwächsten  bis  zur  stärksten  Wirkung  auf:  Sophol, 
Protargol,  Novargan,  Nargol,  Largin,  Ichthargan  und  Argentum  nitricum. 
In  der  Praxis  erfreut  sich  das  Protargol  auch  wegen  seiner  adstringierenden 
Wirkung  großer  Beliebtheit  und  die  entzündliche  Exsudation,  zweifellos  ein 
unentbehrlicher  Heilfaktor  bei  der  Gonorrhöe,  wird  durch  Protargol  gerade 
stark  hervorgerufen.  Heumann. 

Über  resorptive  Zinkintoxikation  nach  intrauteriner  Chlorzinkätzung. 

(Buttersack,  Heilbronn.  Monatschr.  für  Geburtsh.  u.  Gyn.,  Bd.  29,  S.  11,  1908.) 

B.  berichtet  einen  einschlägigen  Fall,  bei  dem  am  14.,  16.  und  19.  Tage 
nach  einem  zweimonatlichen  Abort,  welcher  mittels  Abrasio  behandelt  wor¬ 
den  war,  je  eine  intrauterine  Chlorzinkätzung  mit  10 — 15 — 30%iger  alko¬ 
holischer  Lösung  vorgenommen  worden  war.  Am  1.  Tage  nach  der  letzten 
Ätzung  stürmische  Krankheitserscheinungen  mit  nephritischen,  gastrointesti¬ 
nalen  und  später  vesikalen  Symptomen.  Im  Urin  und  in  den  nach  18  Tagen 
ausgestoßenen  Ätzschorfen  gelingt  der  Zinknachweis.  Am  62.  Krankheits¬ 
tage  Exitus  im  urämischen  Anfall;  der  chemische  Nachweis  von  Zink  in 
den  Abdominalorganen  gelingt  ebenfalls.  Der  Fall  beweist  von  neuem,  daß 
die  Gefährlichkeit  der  intrauterinen  Chlorzinkbehandlungen  noch  immer  nicht 
bekannt  genug  ist.  Schon  die  früheren  Publikationen  über  die  lokalen 
Schädigungen  bei  intrauteriner  Chlorzinkätzung  hätten  wohl  genügen  müssen, 
derartige  Ätzungen  so  kurze  Zeit  nach  einem  Abort  nicht  auszuführen. 
Dieser  letzte  Umstand  dürfte  wohl  auch  die  Resorption  begünstigt  und 
damit  die  Intoxikation  bedingt  haben,  da  irgendwelche  Spuren  fehlten,  welche 
auf  eine  Passage  der  Lösung  durch  die  Tuben  in  den  Bauchfellsack  hindeuteten. 
Es  dürfte  an  der  Zeit  sein,  Chlorzinklösungen  aus  der  intrauterinen 
gynäkologischen  und  der  geburtshilflichen  Therapie  endgültig  zu 
streichen.  B.’s  Arbeit  ist  wegen  der  sehr  genau  geführten  Krankengeschichte 
lesenswert,  doch  würde  es  sich  empfehlen,  gerade  derartige  Aufsätze  noch  mehr 
zur  Kenntnis  nicht  nur  der  Spezialisten,  sondern  auch  der  Allgemeinpraxis 
treibenden  Ärzte  (Wochenschriften!)  zu  bringen.  Frankenstein  (Köln). 


Referate  und  Besprechungen. 


861 


Ist  eine  spezifische  Anregung  der  Milchsekretion  möglich? 

(Dr.  K.  Weiß,  Wien.  Allg.  Wiener  med.  Zeitung,  Nr.  41,  1908.) 

Von  verschiedenen  Nährpräparaten  ist  immer  und  immer  wieder  be¬ 
hauptet  worden,  sie  regten  die  Milchsekretion  quasi  spezifisch  an.  Wir 
wissen  ja  mit  Sicherheit,  daß  reichliche  Eiweißkost  zunächst  eine  Entwick¬ 
lung  oder  ein  Wachstum  der  sekretorischen  Elemente  und  des  Drüsenvolumens 
der  Brüste  veranlaßt,  und  proportioneil  damit  steigt  auch  die  Gesamtmenge 
des  Sekrets  und  der  Fettgehalt  desselben  (Luciani).  Es  handelt  sich  hier 
aber  wohl  um  eine  indirekte,  nicht  spezifische  Wirkung.  Wenn  es  nun 
überhaupt  spezifisch  die  Milchsekretion  anregende  Stoffe  - —  und  es  scheinen 
in  der  Tat  die  Ovarien  solche  Substanzen  zu  sezernieren  —  gibt,  so  hält 
W.  es  für  wahrscheinlich,  daß  ihre  Wirkung  als  eine  lymphagoge  zum  Aus¬ 
druck  kommt.  Alles  deutet  ja  daraufhin,  daß  die  Milchdrüse  besonders 
aus  dem  Serumeiweiß  der  Lymphe  das  Material  zur  synthetischen  Bildung 
der  Nukleoproteide  und  Glykoproteide  schöpft,  welche  die  Protoplasma¬ 
körnchen  zusammensetzen,  aus  deren  Zerfall  die  spezifischen  Bestandteile 
der  Milch  stammen.  Es  gibt  nun  eine  ganze  Reihe  von  Substanzen,  welche 
lymphagog  wirken,  zum  Beispiel  Hiradin,  Krebsmuskelextrakt,  Erdbeerex¬ 
trakt,  Albumosen  usw.  (merkwürdigerweise  scheinen  alle  Substanzen,  welche 
die  Lymphsekretion  vermehren,  gleichzeitig  die  Gerinnungsfähigkeit  des  Blutes 
zu  vermindern).  Es  schien  W.  daher  nicht  uninteressant,  den  Einfluß  der 
Albumosen  auf  die  Milchsekretion  einmal  genau  festzustellen.  Als  Typus 
eines  reinen  Albumosenpr äp ar ates  benutzte  er  die  Somlatose. 

In  einer  Versuchsreihe,  die  sich  auf'  Mutter  und  Kind  bezieht  und 
die  etwa  7  Wochen  umfaßt,  ergab  sich  eine  beträchtliche  Zunahme  des  Ge¬ 
wichtes  der  Mutter  von  rund  6  kg,  eine  entsprechende  Zunahme  des  Kindes 
(von  2300  auf  3700  g)  und  insbes.  eine  außerordentliche  Vermehrung  der  Milch¬ 
mengen  von  520  auf  840  g.  Dieser  Fall  illustriert  deutlich  die  günstige  Be¬ 
einflussung  der  Milchsekretion  durch  Somatose. 

Der  galaktagoge  Effekt  der  Somatose  ist  übrigens  schon  von  zahl¬ 
reichen  Beobachtern  festgestellt  worden.  Lewai  glaubt,  die  günstige  Beein¬ 
flussung  des  Stoffwechsels  veranlasse  eine  kräftigere  Durchblutung  des  Drüsen¬ 
gewebes,  vergrößere  dadurch  die  Milchdrüsen  und  vermehre  deren  sezernie- 
rende  Epithelzellen;  er  erklärt  ferner,  daß  die  Somatose  auch  in  nachweis¬ 
barem  Maße  den  Fettgehalt  hebt,  außerdem  die  Umwandlung  des  Kolostrums 
in  reine  Milch  erheblich  beschleunigt.  Lewai  macht  außerdem  noch  auf 
einen  wichtigen  Punkt  aufmerksam,  wodurch  sich  die  Somatose  als  Laktagogum 
von  allen  ähnlichen  Produkten  unterscheidet.  Die  Somatose  vergrößert  näm¬ 
lich,  wenn  sie  lange  gereicht  wird,  das  Volumen  der  Brustdrüsen  durch  Appo¬ 
sition  von  Bindegewebefett.  Diese  Erscheinung  ist  wohl  am  einfachsten  so 
zu  erklären,  daß  die  Drüse  infolge  einer  Steigerung  ihrer  Funktion  quasi 
zu  Hypertrophie  tendiert.  Gerade  aus  der  stärkeren  Entwicklung  der  Drüse 
läßt'  sich  aber  wieder  deduzieren,  daß  die  Somatose  einen  mächtigen  Reiz 
auf  die  Sekretion  der  Brustdrüsen  ausüben  muß,  wahrscheinlich  weil  die 
Albumosen  eine  spezifische,  lymphagoge  Wirkung  haben.  Neumann. 


Zur  Hygiene  der  Brustwarzen. 

(Gustav  Lennhoff.  Med.  Klinik,  Nr.  35,  1908.) 

In  dem  kleinen  Aufsatz  wird  eine  praktisch  erscheinende  kleine  Klemme 
beschrieben  und  abgebildet,  welche  dazu  dient,  erstens  bei  schwangeren  Frauen 
die  Bildung  zweckdienlicher  Brustwarzen  zu  befördern,  zweitens,  der  wich¬ 
tigere  Zweck,  das  lästige  Abfließen  von  Milch  aus  den  Brüsten  stillender 
Frauen  zu  verhindern.  Der  kleine  Apparat  kann  unter  dem  Hinweis  auf 
die  Äskulapgarantiemarke  in  allen  namhaften  Fachgeschäften  von  chirur¬ 
gischen  Instrumenten  erhalten  werden.  Die  Klemmen  sind  selbstverständlich 
nicht  dauernd  am  Tage  zu  tragen.  R.  Stüve  (Osnabrück). 


862 


Bücherschau. 


Bücherschau. 


Handbuch  der  Gynäkologie.  4.  Bd.,  1.  Hälfte.  Mit  185  Abbildungen  im 
Text  und  auf  10  Tafeln.  Von  J.  Veit,  Halle.  Verlag  von  J.  F.  Berg¬ 
mann,  Wiesbaden.  549  S.  16,60  Mk. 

Der  jetzt  vorliegende  4.  Band,  erste  Hälfte  bringt  die  Erkrankungen  des 
Eierstocks  und  des  Neben eierstocks,  bearbeitet  von  J.  Pfannenstiel  unter  Mit¬ 
wirkung  von  Kr ö in  er,  Berlin.  Auf  549  Druckseiten  gibt  das  Werk  eine  bis  in  die 
einzelnen  Details  gehende  Darstellung  der  Anatomie,  Pathologie  des  Ovariums,  Ätio¬ 
logie,  Diagnose,  Behandlung  der  Ovarialtumoren  und  der  Prognose  der  Ovariotomie. 
Druck  und  Ausstattung  auch  dieses  Werks  ist  eine  treffliche.  F.  Kayser  (Köln). 


Instinkt  und  Gewohnheit.  Von  C.  Lloyd  Morgan.  Deutsch  von 
Maria  Semon.  Berlin-Leipzig,  B.  G.  Teubner,  1909.  390  Seiten.  5  Mk. 

Der  Kreislauf  des  Interesses  der  Allgemeinheit  wendet  sich,  das  ist  wohl 
unverkennbar,  allmählich  von  den  anatomisch-materiellen  Dingen  wieder  funktionellen, 
psychischen  Fragen  zu,  und  mit  erneuter  Kraft  suchen  rührige  Forscher  die  Innenwelt 
des  Menschen  ebenso  zu  ergründen,  wie  das  die  Heroen  der  Naturwissenschaft  für 
die  Außenwelt  geleistet  hatten. 

Das  vorliegende  Buch  des  Professors  der  Zoologie  am  University  College  in 
Bristol  sucht  an  zahlreichen  Beispielen  aus  dem  Gesamtbereich  der  Tierwelt  darzutun, 
daß  die  Phänomene  des  Instinkts  die  biologische  Grundlage  der  psychologischen 
Entwicklung  bilden.  Das  im  Gefolge  der  Instinkttätigkeit  auftretende  Bewußtsein 
liefert  dann  das  „Grundgewebe  der  Erfahrung“,  und  die  Intelligenz  modifiziert  und 
erweitert  die  erblich  gegebenen  Reaktionsweisen. 

Das  Werk  ist  voll  von  feinen  Beobachtungen  der  Tierwelt  und  liest  sich 
demgemäß  ungemein  interessant.  Aber  es  teilt  mit  allen  verwandten  Versuchen  die 
Schwierigkeiten,  die  sich  für  den  Menschen  ergeben,  sich  in  die  Psyche  eines 
Hühnchens,  eines  Papagei,  eines  Foxterriers  usw.  zu  versetzen;  ist  doch  schon  die 
Geisteswelt  eines  Australnegers  oder  Botokuden  für  uns  immer  noch  höchst  rätselhaft. 

Allein  abgesehen  von  der  Frage  der  Zustimmung  oder  Ablehnung  ist  für 
uns  Deutsche  lehrreich,  die  Ideen  kennen  zu  lernen,  die  im  Vaterlande  DarwTns 
dermalen  herrschen  Der  Vergleich  schützt  vor  Einseitigkeit.  Buttersack  (Berlin). 


Die  atmosphärische  Elektrizität.  Von  L.  Mache  u.  E.  v.  Schweidler. 
Braunschweig,  Fr.  Vieweg  u.  Sohn,  1909.  236  S.  6  Mk. 

Vor  kurzem  (Nr.  11,  S.  447)  habe  ich  über  Gockels  Luftelektrizität  berichtet; 
daß  abermals  ein  Werk  über  dieses  Thema  vorliegt,  beweist  die  Wichtigkeit  der 
Angelegenheit.  Das  vorliegende  Buch  bildet  den  30.  Band  der  „Wissenschaft“, 
einer  Sammlung  naturwissenschaftlicher  und  mathematischer  Monographien,  welche 
die  berühmte  Verlagsanstalt  seit  einigen  Jahren  erscheinen  läßt. 

Die  einzelnen  Kapitel  behandeln  das  elektrische  Feld  der  Atmosphäre,  die 
Elektrizitätsleitung  der  Atmosphäre,  die  Jonten,  Jonisatoren  und  Elektrisatoren, 
die  elektrischen  Strömungen  und  die  leuchtenden  Entladungen  in  der  Atmosphäre, 
und  wenn  sie  auch  —  zunächst  für  Physiker  geschrieben  —  uns  Ärzten  ungewohnte 
Schwierigkeiten  darbieten,  so  möchte  ich  das  Buch  trotzdem  zum  Studium  empfehlen. 
Es  bildet  ein  dringend  notwendiges  Gegengewicht  gegen  das  z.  Zt.  prävalierende 
chemische  Denken  und  lenkt  den  Blick  von  hypothetischen  Atom-  und  Molekül¬ 
gruppen  wieder  auf  den  Makrokosmus  des  Weltgebäudes;  und  indem  es  dartut, 
wie  wir  und  die  ganze  sogen.  Schöpfung  nur  Teile  dieses  Riesengebäudes,  der  Un¬ 
endlichkeit,  sind,  eröffnet  es  neue  Ausblicke  in  ungeahnte  Gegenseitigkeits¬ 
beziehungen,  die  nicht'  bloß  dem  Arzt  für  seinen  Spezialberuf,  sondern  auch  dem 
Menschen  für  seine  ganze  Weltanschauung  förderlich  sind.  Buttersack  (Berlin). 


Nationale  Erziehung  und  sexuelle  Aufklärung.  Von  F.  Siebert.  München, 

Ärztl.  Rundschau,  1909.  54  S.  1,30  Mk. 

Aus  den  landläufigen  Abhandlungen  über  das  Liebesieben  ist  nicht  recht  er¬ 
sichtlich,  warum  eigentlich  die  verschiedenen  menschlichen  Gebilde  masculini  oder 


Bücherschau. 


863 


feminini  generis  nicht  ad  libitum  von  ihren  Sexualorganen  Gebrauch  machen  sollen. 
Siebert  bezeichnet  das  als  einen  Proletarier-Standpunkt,  der  im  wesentlichen 
darauf  basiert,  daß  das  Individuum  mit  seiner  materiellen  Erscheinungsform  und 
seinen  leiblichen  Gelüsten  viel  zu  sehr  in  den  Vordergrund  gerückt  wird,  und  stellt 
ihm  einen  höheren  gegenüber,  nämlich  jenen,  auf  welchem  der  irdische  Wanderer 
sich  nicht  als  ein  scharf  abgegrenztes,  egozentrisches  Etwas  der  Umgebung  gegenüber¬ 
stellt,  sondern  auf  dem  er  sich  als  integrierenden  Bestandteil,  kals  Glied  in  der 
Kette  seiner  Familie  und  seines  Volkes  fühlt.  Im  Lichte  einer  solchen  Welt¬ 
anschauung  löst  sich  die  sogen,  sexuelle  Frage  ganz  von  selbst;  denn  der  gemeine 
Begattungstrieb  wird  durch  aristokratische,  auf  sich  selbst  und  auf  die  Familie 
haltende  Rücksichten  geregelt  und  eingedämmt. 

Aus  der  Schrift  spricht  eine  volle  Persönlichkeit,  in  welcher  sich  Natur¬ 
wissenschaft  und  Religiosität  harmonisch  verschlungen  haben;  möchte  es  doch  recht 
viele  Persönlichkeiten  in  unserem  Volke  geben,  welche  die  Welt  mit  ähnlichen 
offenen,  heiligen  Augen  ansehen,  die  den  Weg  vom  toten  Atom  zur  weit-  und 
lebenschaffenden  Idee  zurückgefunden  haben!  Aber  wo  soll  der  Einzelne  die  Kraft 
hernehmen,  aus  der  Herrschaft  des  Augenblicks  mit  seinen  zahllosen  Ansprüchen 
und  aus  der  Herrschaft  anatomisch-materieller  Vorstellungen  sich  ins  Reich  des 
Grenzenlosen,  wie  Anaximander  sagte,  zu  flüchten?  Indessen,  wir  wollen  uns 
freuen,  daß  wenigstens  in  die  Kreise  der  geistig  am  höchsten  Stehenden  wieder  die 
Ideale  ihren  Einzug  halten.  Im  Laufe  der  Zeit  werden  sie  mit  Naturnotwendigkeit 
von  selbst  in  die  Masse  dringen,  und  auch  an  Siebert  und  seinen  Gesinnungs¬ 
genossen  wird  sich  des  großen  Empedo  kl  es  prophetisches  Wort  erfüllen:  „Schlie߬ 
lich  werden  die  Weisen  zu  Sehern  und  Sängern  und  Ärzten“.  Buttersack  (Berlin). 


Der  Haschisch.  Psychologische  Studien  über  ein  ephemeres  Paradies. 
Von  Raymond  Meunier.  Bibliotheque  de  Psychologie  experimentale 
et  de  Metapsychie.  Paris,  Blond  et  Cie.,  1909.  219  S.  3  Mk. 

Bei  aller  Hochachtung  vor  den  Naturwissenschaften  und  den  Fortschritten 
der  Erkenntnis,  die  wir  ihnen  verdanken,  ist  doch  nicht  zu  leugnen,  daß  unter  der 
Herrschaft  ihres  exakten  Geistes  die  gemütlichen  Qualitäten  der  Menschenseele  zu 
kurz  gekommen  sind.  Eine  Zeitlang  mochten  ja  die  Errungenschaften  auf  dem 
Gebiete  des  Materiellen  und  des  Energetischen  und  die  Perspektiven  auf  noch  größere 
Ausdehnung  der  Macht  den  Gedankenkreis  ausfüllen;  aber  allmählich  regen  sich 
auch  wieder  die  anderen  Seiten  der  Seele,  und  der  aufmerksame  Beobachter,  der 
nicht  weltfern  sich  in  den  mikroskopischen  Horizont  seines  Spezialgebietes  verirrt 
hat,  fühlt  da  und  dort  die  Sehnsucht  nach  Idealen  neu  sich  regen. 

Freilich,  diese  Sehnsucht  nach  dem  Unendlichen,  nach  dem  Guten,  Wahren, 
Großen,  Schönen  sucht  auf  verschiedenartige  Weise  Befriedigung.  Strebt  der  Weise 
nach  dem  Glücke  der  Erkenntnis,  indem  er  aus  dem  was  ist  und  aus  dem  was 
war,  den  Geist  der  Geschichte,  die  Idee  der  Welt  zu  begreifen  sucht  und  den 
Höhepunkt  des  Glückes  erreicht  hat,  in  welchem  sein  Ich  mit  jenem  Geist, 
mit  jener  Idee  zusammenfließt,  so  macht  sich  die  große  Menge  die  Sache  leichter 
dadurch,  daß  sie  mittels  Betäubungsmittel  die  Großhirnfunktionen  ausschaltet  und 
jene  Verschmelzung  im  Unterbewußtsein  vor  sich  gehen  läßt.  Daher  die  Herrschaft 
des  Alkohols  und  des  Opiums,  und  diesen  fügt  sich  der  Haschisch  als  weiteres 
Glied  zur  Trias  an. 

Es  ist  im  Grunde  die  gleiche  Geschichte  bei  allen  dreien,  nur  daß  vielleicht 
der  indische  Hanf  das  liebenswüdigste  Narkotikum  darstellt.  Die  Erregbarkeit  ist 
gesteigert,  die  Ideenassoziationen  fließen  leichter,  die  Suggestibilität  ist  erhöht:  auf 
diesen  Elementen  baut  sich  das  Paradies  auf,  zu  welchem  die  Haschisch-Pfeife 
den  bequemen  Eingang  bildet.  Aber:  „Haschisch  —  Träume  —  Wahnsinn“  ist 
die  markante  Überschrift  des  6.  Kapitels. 

In  welcher  Weise  sich  der  einzelne  sein  Paradies  ausmalt,  hängt  natürlich 
ganz  von  seiner  Individualität  ab.  Ob  man  daraus  brauchbare  Einblicke  in  die 
Gesetze  der  Psychologie  gewinnen  kann,  scheint  mir  zweifelhaft.  Meunier  glaubt, 
daß  das  Aufdecken  des  Unterbewußtseins  für  den  Arzt  von  diagnostischem  Wert  sei. 

Ich  glaube  nicht,  daß  wir  in  Deutschland  viel  mit  Haschischzuständen  zu 
tun  haben  werden  Das  Referat  soll  nur  darauf  aufmerksam  machen,  mit  welchen 
Mitteln  die  Menschheit  der  Not  der  Zeit  zu  entgehen  sucht,  später,  bei  fortschreitender 
pessimistischer  Weltauffaussung,  vielleicht  noch  mehr  als  heute. 

Buttersack  (Berlin). 


864 


Bücherschau. 


Die  Küche  in  der  modernen  Heilanstalt.  Von  W.  Sternberg.  Stuttgart, 

Ferd.  Enke,  1909.  78  S.  2  Mk. 

Die  diätetische  oder  Ernährungstherapie  ist  seit  langem  ein  vielgebrauchtes 
Schlagwort  in  der  Medizin;  aber  sie  blieb  in  dem  chemischen  Wahne  stecken,  daß 
es  nur  auf  die  Zusammensetzung  der  Speisen  und  ihren  kalorischen-  Effekt  ankomme. 
Daran,  daß  die  Speisen  den  Kranken  auch  schmecken  müßten,  ja  daß  das  eigentlich 
die  Hauptsache  sei,  dachte  niemand.  Erst  Sternberg  war  es,  der  diesen  Gesichts¬ 
punkt  in  den  Mittelpunkt  gerückt  hat,’ und  da  derselbe  jedem  Menschen  mit  einfachem 
Menschenverstand  ohne  weiteres  einleuchtet,  so  ist  anzunehmen,  daß  er  all¬ 
mählich  überall  festen  Fuß  faßt,  wenn  auch  zunächst  noch  allerlei  Bedenken  und 
Einwände  erhoben  werden. 

Mittlerweile  hat  Sternberg  aber  doch  da  und  dort  Beachtung  gefunden,  und 
man  fängt  an,  an  die  Küche,  dieses  Laboratorium  der  diätetischen  Heilkunst,  ähnliche 
Ansprüche  zu  stellen  wie  an  Zandersäle,  Röntgeninstitute  und  hydrotherapeutische 
Anstalten.  Man  fängt  an,  einzusehen  daß  der  Kranke  mit  seinem  kapriziösen 
Appetit  und  seiner  ohnehin  darniederliegenden  Psyche  in  den  Speisen  nicht  bloß  N, 
C,  H  und  0,  und  nicht  bloß  Kalorien  zugeführt  erhalten  müsse,  sondern  auch 
Lustgefühle.  Auf  welche  Weise  das  zu  bewerkstelligen  ist,  wie  die  Küche  gebaut, 
eingeteilt  und  geleitet  sein  muß,  die  Kunst  des  Kochens,  Anrichtens  und  Servierens: 
das  alles  ist  als  Niederschlag  aus  langen  Studien  und  vielen  literarischen  Publi¬ 
kationen  in  dem  vorliegenden  Buche  enthalten,  und  zwar  in  einer  mit  Geist  und 
froher  Laune  gewürzten  Darstellung,  —  wie  eben  eine  gute  Küche  schmecken  soll. 

Buttersack  (Berlin). 


Karlsbad.  Von  Ad.  Ritter.  München,  R.  Oldenbourg,  1908.  110  S.  1  Mk. 

Der  weitverbreitete  Ruf  Karlsbads  hat  es  wohl  mit  sich  gebracht,  daß  manche 
Arzte  sich  über  diesen  Heilfaktor  nicht  mehr  weiter  orientieren.  Um  dem  abzuhelfen, 
hat  der  Magistrat  einen  Preis  ausgesetzt  für  die  beste  Abhandlung  über  die 
Wirkungsweise,  Indikationen  und  den  Heilwert  der  Karlsbader  Mineralquellen;  die 
vorliegende  Broschüre  ist  als  Siegerin  aus  dem  Wettbewerb  hervorgegangen.  Sie 
enthält  in  der  Tat  alles  Wissenswerte  über  die  klimatischen  und  hygienischen 
Verhältnisse,  über  die  Quellen,  ihre  Salze  und  ihre  physikalisch-chemischen  Eigen¬ 
schaften,,  über  die  Badeanstalten  und  —  natürlich  am  ausführlichsten  —  über  die 
Wirkungsweise  und  die  Indikationen  einer  Karlsbader  Kur.  Das  Schriftchen  ist 
gewiß  verdienstlich,  aber  noch  besser  wäre  es,  wenn  die  Ärzte  sich  an  Ort  und 
Stelle  persönlich  von  dem  allen  überzeugen  wollten.  Buttersack  (Berlin). 


Kongresse  und  Versammlungen. 

16.  internationaler  medizinischer  Kongreß. 

Die  Leitung  des  16.  internationalen  medizinischen  Kongresses  zu  Budapest 
(29.  August  bis  4.  September  d.  J.)  begann  soeben  mit  der  Versendung  des  zweiten 
Rundschreibens.  Das  ansehnliche  Heft  enthält  neben  dem  wissenschaftlichen  Arbeits¬ 
programme  der  21  Sektionen  eine  ausführliche  Beschreibung  der  Kongreß-Ausflüge, 
wie  auch  alle  notwendigen  Aufklärungen  betreffs  Reise  und  Unterkunft  in  Budapest. 
Es  sei  auch  an  dieser  Stelle  ausdrücklich  bemerkt,  daß  die  Unterkunftsfrage  derart 
gelöst  wurde,  daß  jeder  Teilnehmer  am  Kongresse  ohne  Schwierigkeit  eine  seinen 
Verhältnissen  und  Wünschen  entsprechende  Unterkunft  finden  kann.  Der  Mitglieds¬ 
beitrag  beträgt  25  Kronen;  Gattinnen  und  Töchter  der  Mitglieder  zahlen  12.50  Kronen. 
Geldsendungen  wolle  man  an  den  Schatzmeister  des  Kongresses:  Prof.  Julius  v. 
Elischer,  Budapest,  VIII.,  Esterhazy- utca  7,  adressieren.  Es  liegt  in  der  Natur  der 
Sache,  daß,  obwohl  das  Rundschreiben  in  mehr  als  20000  Exemplaren  verschickt 
wird,  die  Gesamtheit  der  Kollegen  mit  demselben  nicht  bedacht  werden  konnte. 
Die  Kongreß leitung  bittet  daher  alle  Leser  unseres  Blattes,  diese  Mitteilung  als 
Einladung  zur  Teilnahme  am  Kongreß  zu  betrachten.  Allen  Interessenten,  die 
sich  an  die  Kongreßleitung  wenden,  wird  also  das  Rundschreiben  zugestellt,  wie 
dieselbe  auch  allen  sonstigen  Anfragen  und  Wünschen  bereitwilligst  entsprechen 
wird.  Adresse:  Bureau  des  16.  internationalen  Kongresses,  Budapest,  VIII., 
Esterhäzy-utca  7. 


Schriftleitung:  Dr.  Rigi  er  in  Leipzig. 
Druck  von  Emil  Herr  mann  senior  in  Leipzig. 


27.  Jahrgang. 


1909. 


fomcbrim  der  medizin. 

Unter  Mitwirkung  hervorragender  Fachmänner 

herausgegeben  von 

Professor  Dr.  0.  Köster  Prio.  Doz.  Dr.  o.  griegern 

in  Leipzig.  in  Leipzig. 

Schriftleitung:  Dr.  Rigler  in  Leipzig. 


Nr.  23. 


Erscheint  am  10.,  20.,  30.  jeden  Monats.  Preis  halbjährlich 
6  Mark,  in  kl.  Zeitschrift  für  Yersiclierungsniedizin  8  Mark. 


Verlag  von  Georg  Thieme,  Leipzig. 


20.  August. 


Originalarbeiten  und  Sammelberichte. 

Pathogenese  und  kausale  Therapie  der  Oedeme. 

Von  Medizinal  rat  Dr.  Eschle, 

Direktor  der  Pflegeanstalt  des  Kreises  Heidelberg  zu  Sinsheim  a.  E. 

Nach  der  Genese  pflegt  man  auch  heute  noch  drei  Formen  des 
Ödems  zu  unterscheiden,  nämlich  das  Stauuitgsödem,  das  entzünd¬ 
liche  ödem  und  das  hydraulische  oder  kachektische  Ödem. 

Man  denkt  sich  das  Zustandekommen  von  Flüssigkeitsansamm- 
lungen  in  den  Geweben,  die  ja  offenbar  mit  einem  Mißverhältnis  zwischen 
Zufluß  und  Abfluß  in  Zusammenhang  stehen  müssen,  lediglich  durch 
pathologische  Zustände  am  Gefäßapparat  bedingt  und  nimmt  an,  daß 
rein  mechanisch  ein  eiweißarmes  Transsudat  des  Blutplasmas  durch  die 
sonst  nur  in  beschränktem  Maße  den  Durchtritt  von  Lymphe  ge¬ 
stattende  Gefäßwand  hindurchgepreßt  würde,  teils  unter  dem  Einfluß 
eines  übermäßigen  intravaskulären  Drucks  und  abnormer  Strömungs- 
widerstände  (Stauungsödem),  teils  auch  schon  unter  ganz  oder  nahezu 
normalen  Druckverhältnissen  bei  einer  supponierten  —  objektiv  jedoch 
keineswegs  nachgewiesenen1)  —  pathologisch -anatomischen  Verände¬ 
rung  der  Gefäßwand,  speziell  einer  „gewissen  Lockerung  des  Zusammen¬ 
hanges  ihrer  Endothelzellen“2)  (entzündliches  und  hydropistih.es 
bzw.  kachektisches  Ödem). 

Diese  physikalisch-mechanische  Erklärungsweise  mag 
nun  vielleicht  den  Pathologen  befriedigen,  der  nur  die  End¬ 
resultate  lange  dauernder  und  vielfach  verschlungener  Pro¬ 
zesse  zu  sehen  bekommt,  aber  sie  kann  nicht  ohne  Widerspruch 
seitens  des  Arztes  hingenommen  werden,  der  Lebensvorgänge 
zum  Objekt  seiner  Beobachtungen  macht. 

Jeder,  der  ein  größeres  Menschenmaterial  in  ärztlicher  resp. 
hygienischer  Obhut  hat,  wird  gleich  mir  häufig  in  die  Lage  gekommen 
sein,  ein  ödem,  speziell  an  den  Fußknöcheln,  als  erste  Anomalie  an 
einem  Individuum  feststellen  zu  können,  das  bis  zu  diesem  Zeitpunkt 
gearbeitet  hat,  und  über  keine  oder  keinesfalls  so  große  Beschwerden 
irgend  welcher  Art  klagt,  daß  ihm  eine  ärztliche  Behandlung  erforder¬ 
lich  oder  auch  nur  wünschenswert  erscheint.  .Wie  oft  vermissen  wir 


ß  cfr.  E.  Ziegler,  Lehrbuch  der  allgemeinen  pathologischen  Anotomie  und 
Pathogenese,  4.  Aufl.,  Jena,  Gustav  Fischer,  1885,  p.  43  u.  128. 
ß  cfr.  E.  Ziegler  1.  c. 


55 


866 


Esckle, 


in  solchen  Fällen  trotz  genauester  und  wiederholt  vorgenommener  Unter¬ 
suchung  jede  objektive  Veränderung  an  den  lehenswichtigen  Organen ! 
Es  ist  schwer  zu  glauben,  daß  das  immer  an  unserer  mangelhaften 
Beherrschung  der  Untersuchungsmethoden  oder  an  der  Unzulänglichkeit 
dieser  selbst  liegen  sollte.  Erst  geraume  Zeit  später  sehen  wir  dann 
in  der  einen  Reihe  solcher  Fälle,  wie  ein  Herzleiden  immer  deutlicher 
und  deutlicher  zutage  tritt,  und  wie  in  der  anderen  bei  zeitweilig  — 
wenn  auch  nicht  immer  ohne  jeden  Einspruch  seitens  des  etwas  zwangs¬ 
weise  zum  Patienten  Gestempelten  —  schließlich  doch  durchgesetzter 
Bettruhe  (eventl.  auch  mäßigem  Digitalisgebrauch)  nicht  nur  das  er¬ 
wähnte  Symptom  schnell  schwindet  und  auch  in  Lustren,  ja  Dezennien 
nicht  wiederkehrt,  sondern  daß  der  vordem  leicht  Hydropische  sich 
anscheinend  auf  die  Dauer  einer  uneingeschränkten  Leistungsfähigkeit 
erfreut. 

Da  müssen  wir  uns  doch  fragen:  Wie  ist  das  zu  erklären? 
Wenn  stets  pathologische  Verhältnisse  am  Gefäßapparat  das 
Auftreten  von  Ödemen  verschulden  sollen,  warum  tritt  denn 
bei  anscheinend  völliger  Integrität  des  Herzens  oder  doch 
lange  vor  dem  Beginn  manifester  Erscheinungen  das  eine 
Mal  Flüssigkeit,  und  oft  in  großelr  Menge,  in  das  Gewebe 
(z.  B.  bei  akuter  Nephritis),  das  andere  Mal  trotz  größter 
Herzschwäche  nicht  (z.  B.  bei  Sklerose  der  Kranzarterien, 
bei  allgemeiner  Arteriosklerose,  bei  schwere)r  Albuminurie 
oder  im  letzten  Stadium  des  Diabetes)?  Warum  fehlen  ge¬ 
wöhnlich  Ödeme  bei  sogenannter  typislöher  Schrumpfniere, 
während  sie  bei  amyloider  vorhanden  sind?  Warum  sind  bei 
Emphysem  oder  Leberatrophie  jeden  Ursprungs  einmal  Hy¬ 
drops  bezw.  Aszites  enorm,  das  andere  Mal  kaum  nachweis¬ 
bar?  Warum  sammelt  sich  Ödemflüssigkeit  bei  akuter  Kon¬ 
gestion  und  Entzündung  bei  Vermehrung  des  Zuflusses 
ebenso  an,  wie  bei  Erschwerung  des  Abflusses  (z.  B.  akutem 
kongestivem  Stauungsödem  der  Lunge)? 

Diese  Fragen  sind  im  wesentlichen  schon  von  O.  Rosenbach  auf¬ 
geworfen  worden  und  wir  sind  sie  nur  zu  beantworten  imstande,  wenn 
wir  an  der  Hand  seiner  Arbeiten  die  Beziehungen  der  Herzarbeit  zur 
Organarbeit  ins  Auge  fassen,  vor  allem  aber  nicht  außer  acht  lassen, 
daß  Gefäßsystem  und  Parenchym  nicht  etwas  funktionell  Gegensätz¬ 
liches,  sondern  eine  Einheit  bilden,  und  daß  besonders  das  die  Kapillaren 
umbettende  Gewebe  keineswegs  die  lediglich  passive  Rolle  in  der  Zirku¬ 
lation  spielt,  die  ihm  in  der  Regel  zugesprochen  wird. 

Es  ist  nach  Rosenbach  eine  durchaus  einseitige  Auffassung, 
die  in  der  Überschätzung  der  physikalisch-mechanischen  Erklärungs¬ 
weise  physiologischer  Verhältnisse  begründet  ist,  wenn  man  das  Herz 
einfach  für  eine  Saug-  und  Druckpumpe,  die  Blutbewegung  ausschlie߬ 
lich  als  Effekt  der  Herzarbeit  an  sieht  und  wenn  man  die  Blutgefäße 
als  Leitungsröhren  und  das  Blut  selbst  nur  als  eine  Nährflüssigkeit 
von  einem  gewissen  spezifischen  Gewicht  bezw.  einem  konstanten  Gehalt 
an  Salzen  und  Albuminaten  betrachtet.  Rosenbach  war  der  Erste, 
der  mit  dieser  Anschauung  brach  und  die  These  aufstellte,  daß  der 
Blutkreislauf  nicht  aufrecht  erhalten  werden  könne,  wenn  nicht  die 
Tätigkeit  des  peripheren  Protoplasmas  resp.  der  peripheren  Organe  mit 
der  des  Herzens  regelmäßig  interferierte,  so  daß,  der  Systole  der  Peri¬ 
pherie  eine  Diastole  des  Herzens  entspricht  und  umgekehrt.  Die  Blut- 


Pathogenese  und  kausale  Therapie  der  Oedeme. 


867 


bewegung  kommt  nach  dieser  Auffassung  zunächst  durch  eine  Peri¬ 
staltik  bezw.  saugende  Wellenbewegung  der  Kapillarwände  zustande, 
die  sich  auf  die  Wände  der  größeren  Gefäße  und  des  Herzens  f ort¬ 
pflanzt.  Das  Herz  vermittelt  nur,  bewirkt  jedoch  nicht  ausschlie߬ 
lich,  ja  nicht  einmal  im  wesentlichen  die  Aspiration  des  Blutes 
aus  den  Kapillargebieten  einerseits  oder  der  Eintrieb  in  die  Kapillar¬ 
gebiete  in  dem  zentrifugalen  Stromgefälle  andererseits.  Die  Kapillaren 
selbst  sind  lediglich  Werkzeuge,  im  besten  Falle  Synergeten  des  Proto¬ 
plasmas,  dessen  rhythmische  Schwingungen  sie  fortpflanzen ;  sie  ver¬ 
halten  sich  in  ihrer  Funktion  zum  Protoplasma  wie  das  Herzarterien¬ 
system  zum  Herzmuskel.  Die  rhythmische  Tätigkeit  des  peripheren 
Protoplasmas  wird  durch  verschiedene  Momente  gefördert :  zunächst 
durch  den  arbeitssparenden  Faktor  des  Rhythmus  selbst,  der  in  der 
Wellenform  seinen  eklatanten  Ausdruck  findet,  ferner  durch  Atmung, 
Muskelbewegung,  durch  die  Fixation  des  Organgewebes  in  den  Säcken 
seröser  Höhlen,  kurz  durch  die  Fähigkeit  des  Organismus,  kapillare 
Räume  von  den  verschiedensten  Dimensionen  zu  bilden,  sie  periodisch 
zu  verkleinern  und  zu  vergrößern,  ohne  daß  das  Gewebe  in  der  Tat 
aber  komprimiert  oder  zur  trägen  Masse  verdichtet  wird.  Gerade  die 
Fixation  in  den  Säcken  der  serösen  Häute  hat  an  der  Vollkommenheit  der 
wunderbaren  Leistung  der  muskulären  (hohlen)  Organe  einenlwes entliehen 
Anteil.  Es  wird  so  eine  eigentümlich  stabil-lokale  Insertions-  resp. 
Operationsbasis  geschaffen,  die  die  Last  so  verteilt,  daß  die  vertikale 
Komponente  des  Massendrucks,  die  Schwere  möglichst  wenig  ihre 
dehnende  Wirkung  auf  das  Gewebe  ausüben  kann,  sondern  der  Druck 
jeder  Welle  auf  das  einzelne  Gewebsteilchen  enorm  gering  ist.  Bei  dem 
Zusammenwirken  von  Druck-  und  Saugtätigkeit  geht  die  Bewegung 
des  Inhalts  unmerklich  in  die  kraftersparende,  tangentiale,  spiralig- 
lokomotorische  über:  die  Wand  wird  nur  mit  einem  Partialkomponente 
der  Schwere  belastet.  Durch  die  Beteiligung  aller  Protoplasmabestand¬ 
teile  bis  zu  den  Gewebszellen  an  diesem  rhythmischen  Wechsel  von 
Systole  und  Diastole  ’  aber  wird  erst  der  Austausch  der  Stoffwechsel¬ 
produkte,  der  Kreislauf  der  Atome,  das  Ineinanderarbeiten  der  kleinsten 
Protoplasmamaschinen  (der  „Energeten“  Rosenbaöh’s,  gleichsam  der 
lebenden  Moleküle)  ermöglicht. 

Besonders  infolge  der  spiraligen  Anordnung  der  Gefäßmuskulatur 
braucht  daher  das  Herz  nur  die  Kraft  für  die  Überwindung  minimaler 
Reibungs--  und  Übergangswiderstände  und  zur  Bildung  der  „Signal- 
wellen‘‘  zu  liefern,  die,  dem  eigentlichen  Strome  vorauseilend  oder  rück¬ 
läufig  ihn  kreuzend,  den  Antrieb  für  Hemmung  oder  Verstärkung 
der  Kontraktionen  geben.  Denn  auch  die  Impulse  für  die  kinetische 
Energie  verlaufen  nach  Rosenbac'h  nicht  ausschließlich  nach  mecha¬ 
nischem  Schema  in  den  nachweislichen  Bahnen  des  Nervensystems,  son¬ 
dern  es  handelt  sich  auch  hier  um  einen  sich  geschlossenen  und  immer 
zu  dem  Punkte  des  Anstoßes  wiederkehrenden  Kreislauf :  um  eine  Summe 
von  verketteten  Prozessen,  gleichsam  um  ein  System  von  spiralig  sich 
kreuzenden  Bahnen,  die  den  Austausch  von  Schwingungen  und  Kraft¬ 
material.  zwischen  der  Außenwelt  und  den  kleinsten  wie  den  größten 
Elementen  des  organisierten  Individuums  vollziehen.  Das  wäre  aber 
nicht  möglich  ohne  eine  Regulation  der  Oberflächenspannung. 
Und  diese  außerordentlich  wichtige,  leider  bisher  fast  ganz 
übersehene  Funktion  erfüllt  das  Hautorgan. 

Der  auch  seinerseits  wechselnde  Tonus  der  Haut  —  einmal  als 

55* 


868  Eschle, 

Organ  und  auf  der  anderen  Seite  als  Gewebe  —  hat  die  Aufgabe, 
nicht  nur  die  Aufnahme  und  Transformation  der  feinsten  EnergLeströme 
der  Außenwelt,  die  als  mechanische  Reize  den  Betrieb  der  organischen 
Maschine  unterhalten,  besonders  im  diastolischen  Organtonus  während 
des  nächtlichen  Schlafes  zu  unterstützen,  sondern  auch  seinerseits,  wie 
alle  protoplasmatischen  Betriebe  durch  den  rhythmischen  Wechsel 
des  diastolischen  und  des  systolischen  Ge  web  st  onus  den  Kreislauf  — 
und  zwar  in  ganz  hervorragendem  Maße  —  nach  zwei  Richtungen  hin 
zu  unterstützen:  einmal  durch  Verringerung  des  Widerstandes  für  den 
Abfluß  aus  dem  arteriellen  System  und  dann  durch  (reziproke)  Er¬ 
höhung  des  Druckes  für  das  Quellengebiet  der  Venen. 

Wenn  wir  uns  an  der  Hand  des  oben  Gesagten  vergegenwärtigen, 
daß  jedes  Organ  durch  gesteigerte  Tätigkeit  kompensierend  für  die  ver¬ 
ringerte  Tätigkeit  eines  der  andern  Faktoren  der  Zirkulation  eintreten 
kann,  so  werden  wir  neben  dem  Hauttonus  und  der  Muskelarbeit,  die 
ja  ein  bekanntes  wichtiges  Moment  für  den  Umtrieb  des  Blutes  ist, 
namentlich  nicht  vergessen,  welche  wichtige  Rolle  auch  die  Lungen¬ 
tätigkeit  bei  der  Aufrechterhaltung  der  Zirkulation  spielt.  Durch  jede 
Inspiration  wird  die  Saugkraft  des  Herzens  ganz  außerordentlich  ge¬ 
steigert,  während  jede  Exspiration  die  Kontraktsfähigkeit  des  Herzmuskels 
beträchtlich  erhöht.  Nicht  minder  als  die  äußerlich  zutage  tretende 
Leistung  der  Lungen  ist  aber  auch  deren  innere  Gewebsarbeit,  durch 
welche  neben  der  Bewegung  einer  größeren  Blutmenge  auch  eine  schnelle 
und  reichliche  Sauerstoffaufnahme  und  -Verarbeitung  bemerkt  wird,  von 
der  größten  Bedeutung.  Und  gerade  in  den  Fällen,  in  denen  einer  der 
erwähnten  Faktoren  teilweise  versagt,  vermag  das  vikariierende  Eintreten 
der  Lungen,  die  regulatorisch  in  einen  Zustand  von  Hyperämie  treten, 
kompensatorisch  einen  Ausgleich  für  den  Ausfall  an  den  andern  den 
Kreislauf  aufrechterhaltenden  Kräften  zu  schaffen  —  wenigstens 
so  lange  der  interorganische  Verkehr  noch  nicht  wegen  völligen  Da- 
niederliegens  der  periodischen  Gewebstätigkeit  und  des  Hauttonus,  von 
dem  diese  abhängt,  total  zum  Stocken  gekommen  war. 

Das  führt  uns  auf  die  Frage  der  Zusammenhänge  von  aktiver  und 
passiver  Hyperämie  mit  dem  Ödem,  die  wohl  etwas  komplizierter  sind, 
als  man  es  gemeinhin  annimmt. 

Beide  Male  handelt  es  sich  ja  um  ein  Mißverhältnis  zwischen 
Zufuhr  und  Abfuhr.  Dieses  ist  bei  der  Kongestion  der  aktiven  Hyper¬ 
ämie  dadurch  bedingt,  daß  ein  innerer  Reiz  gewissermaßen  durch  Aus¬ 
schaltung  des  kongestionierten  Gewebes  zugunsten  der  intraorganischen 
(parenchymatösen)  Betätigung  das  harmonische  Verhältnis  zwischen  dieser 
und  dem  interorganischen  Verkehr  stört.  Die  Kongestion  als  Reaktion 
steht  jenseits  von  Gut  und  Böse:  sie  kann  den  Reiz  eliminieren,  aber 
auch  über  das  gerade  erforderliche  Maß  hinausgehen.  Je  mehr  das  sonst 
leistungsfähige  Gewebe  durch  die  im  letzteren  Fall  nutzlose  Mehrarbeit 
den  Widerstand  in  der  Venenbahn  zu  überwinden  sucht,  desto  mehr 
Blut  nimmt  es  in  der  entsprechend  verstärkten  Phase  der  diastolischen 
Spannung,  die  erst  allmählich  zur  Erschlaffung  wird,  auf  und  verarbeitet 
es.  Desto  mehr  füllen  sich  aber  auch  durch  akuteste  maximale  Tätig¬ 
keit  die  nächstliegenden  Reserveräume  mit  Betriebsflüssigkeit,  die  durch 
die  charakteristische  Anhäufung  mobilisierter  Rundzellen  als  entzünd¬ 
liches  Ödem  charakterisiert  ist. 

Der  Sitz  und  die  Form  der  Störung  wird  beim  entzündlichen  Ödem 
durch  den  lokalen  (Gewebs-)  Reiz  bestimmt,  man  kann  es  als  primäres 


Pathogenese  und  kausale  Therapie  der  Oedeme. 


869 


Ödem  gegenüber  dem  sekundären,  kollateralen  bezeichnen,  wie 
es  sich  bei  der  Beteiligung  größerer  Kapillar-  oder  richtiger  Protoplasma¬ 
gebiete  in  den  vom  Sitz  des  Reizes  mehr  oder  weniger  entfernten  Be¬ 
zirken  einstellt,  z.  B.  in  denjenigen  Abschnitten  der  Lunge,  in  denen  die 
Zirkulation  keine  direkte  Hemmung  erfährt,  wenn  etwa  ein  pneumonisches 
Exsudat  einen  Lungenabschnitt  füllt  oder  ein  Thrombus  die  Arterie  ver¬ 
stopft.  Das  Odem,  das  in  den  anscheinend  gesunden  Teilen  plötzlich 
auftritt,  hat  in  den  Verhältnissen  der  Blutzufuhr,  vor  allem  in  der 
Gemeinsamkeit  des  zuführenden  Blutkanals  und  in  der  kompensatorischen 
Inanspruchnahme  der  kollateralen  Gebiete  seinen  Grund.  Es  ist  hier  — 
um  einen  Vergleich  Rosenbachs  zu  gebrauchen  —  nicht  anders  wie 
bei  der  plötzlichen  Bewässerung  größerer  Gebiete.  Wenn  z.  B.  nach 
längerer  Trockenheit  ein  Fluß  anliegendes  Land  überschwemmt,  so  kann 
ein  Teil  für  einige  Zeit  so  viel  Wasser  zugeführt  bekommen,  daß  die  im 
Boden  wirksamen  motorischen  Kräfte  für  die  Versickerung  nicht  aus¬ 
reichen  und  daß  hier  Überschwemmung  eintritt.  Die  Analogie  mit  den 
Verhältnissen  bei  der  Entstehung  des  Ödems  ergibt  sich  leicht,  wenn 
dieses  auch  keineswegs  nur  auf  dem  rein  mechanischen  Wege  zustande 
kommt,  wie  die  Überschwemmung,  sondern  auf  Grund  einer  schon  beim 
primären  Odem  erwähnten,  entsprechend  stärkeren  lokalen  Tätigkeit  des 
Gewebes,  auf  die  aber  unten  noch  eingegangen  werden  wird. 

Im  Gegensatz  zu  der  arteriellen  regionären  Hyperämie  steht  die  durch 
übermäßige  interorganische  Abflußwiderstände  bedingte  venöse  oder  Stau¬ 
ungshyperämie.  Die  geweblichen  Kräfte  sind  hier  nicht  imstande, 
die  erforderliche  Quote  interorganischer  Arbeit  für  die  Überwindung  des 
herzwärts  gelegenen  Widerstandes  für  den  Abfluß  aufzubringen  und  es 
kommt  zu  Ödemen.  Aber  auch  hier  werden  nicht  etwa  die  wässe¬ 
rigen  Bestandteile  des  Blutes  einfach  durch  die  Wandungen 
gepreßt,  sondern  primär  aus  der  absoluten  Insuffizienz  der 
Protoplasmaelemente  und  aller  Spannungen  oder  erst  sekundär 
aus  der  Erschöpfung  durch  die  ihm  zugemutete  abnorm  gestei¬ 
gerte  Leistung  resultiert  die  veränderte  Arbeit  des  Gewebes, 
die  sich  in  der  mangelnden  Fähigkeit  dokumentiert,  das  W  asser 
in  der  gewöhnlichen  Weise  gebunden  zu  erhalten,  zu  akti¬ 
vieren.  Im  Gegensatz  zum  Ödemwasser  ist  das  im  Körper  zirkulierende 
oder  in  den  Geweben  Arbeit  leistende  Wasser  aktiv,  aktiver  als  in  ver¬ 
dünnten  Lösungen.  Es  entspricht  etwa  dem  Energiezustande  bei  chemischen 
Reaktionen,  wo  beständig  Wasser  zersetzt  oder  zusammengesetzt  wird 
(d.  h.  wo  sich  die  Atome  in  labilster  Spannung  befinden),  bzw.  dem  Zu¬ 
stande  komprimierter  Gase  oder  des  gespannten  Dampfes.  Das  Ödem¬ 
wasser  geht  in  den  tropfbar  flüssigen  Zustand  über  und  wird 
in  den  sich  zu  Hohlräumen  erweiternden  Gewebsspalten  vorder¬ 
hand  deponiert. 

Der  Fehler  unserer  ganzen  Anschauungen  über  das  Wesen  der 
Zirkulation  und  ihrer  Störungen  beruht  ja,  wie  bemerkt,  darin,  daß  uns 
immer  die  mechanischen  Verhältnisse  eines  Pumpwerks  vor  Augen 
schweben,  und  die  Inkonsequenzen  unserer  Auffassung  beruhen  zum 
ganz  wesentlichen  Teile  darauf,  daß  wir  in  diesem  supponierten  Pump¬ 
werke  unter  normalen  Verhältnissen  einen  kontinuierlichen  Druck 
voraussetzen. 

Kontinuierlicher  Druck,  der  durchweg  von  größtem  Vorteil  für  ein 
offenes  System  ist  (d.  h.  für  ein  System,  das  an  der  Öffnungsstelle 
andere  Druckverhältnisse  bietet)  bedeutet  einen  Nachteil  für  ein  ge- 


870 


Eschle, 


schlossenes,  wie  es  der  Kreislauf  darstellt.  Wenn  das  Herz  sich  kon¬ 
trahiert,  müssen  die  Arterien  sich  erweitern,  wenn  die  Arterien  sich 
kontrahieren,  muß  das  Gewebe  sich  erweitern  (sich  diastolisch  spannen); 
wenn  das  Gewebe  sich  kontrahiert,  müssen  die  Venen  bzw.  die  Vorhöfe 
sich  erweitern.  Wenn  die  Vorhöfe  sich  kontrahieren,  muß  der  Ventrikel 
sich  ad  maximum  dilatieren. 

Wenn  die  diastolische  Oberflächenspannung,  das  Espansionsbestreben 
im  Gewebe  und  in  der  Haut,  die  dilatative  (Hohlräume  schaffende) 
Fähigkeit  gegenüber  dem  aggregierenden  Drucke  der  Außenwelt  abnorm 
niedrig  geworden  ist,  muß  also  die  Propul sivkraft  für  den  rückläufigen 
Strom  sinken. 

Die  Ausbildung  von  Ödemen  steht  also  stets  im  Zusammen¬ 
hänge  mit  dem  Nachlaß  des  Tonus  der  Haut  und  des  Druckes 
in  der  Oberfläche  des  Körpers,  mit  der  Verringerung  der 
konzentrischen,  periodischen  (systolischen)  Wirkung  des 
Hautorgans.  Und  zwar  gilt  das  auch  für  die  durch  über¬ 
mäßigen  Zufluß  von  Blut  und  Beizen  oder  durch  besondere 
Steigerung  des  Arterien  druckes  bedingte  kongestive  bzw. 
entzündliche  Form. 

Durch  den  Nachlaß  des  Tonus  werden  hier  Reserveräume  ge¬ 
schaffen,  in  die  die  Flüssigkeit  austritt,  um  doch  wieder  im  Bedarfsfälle 
zur  Füllung  des  Venensystems  und  der  Lymphräume,  also  zum  schnellen 
Ausgleich  von  Druckunterschieden  oder  als  Hilfsmittel  bei  Veränderung 
des  inneren  geweblichen  Betriebes  (als  Lösungswasser)  zur  Disposition 
stehen. 

Da  nun  das  Blut  als  das  kostbarste  Material  natürlich  nicht  direkt 
in  die  dem  Verkehr  entzogenen  Bäume  hineingepreßt  wird,  sondern 
erst,  nachdem  es  dem  Bedürfnis  des  (Gewebs)-Stoffwechsels  genügt  hat, 
so  bleibt  in  den  Gewebslücken  nur  das  Material  zurück,  dessen  Trans¬ 
port  zum  Herzen  temporär  am  wenigsten  notwendig  ist,  durch  dessen 
Zurückhaltung  aber  die  Arbeit  für  den  Transport  und  die  sonstige  Be¬ 
einflussung  der  Blutmassen  wesentlich  erleichtert  wird,  nämlich  das 
Wasser.  Zum  rechten  Herz  und  der  Lunge  kehrt  so,  sobald  die  Inten¬ 
sität  des  Umtriebes  unter  der  mangelhaften  Funktion  des  Hauttonus  zu 
leiden  beginnt,  ein  entsprechend  konzentriertes  Blut  zurück  und  das  Ge¬ 
webe  vollzieht  seinen  Stoffwechsel  gleichsam  auf  kürzestem  Wege 
und  direkt,  indem  jeder  Reserveraum  gleichsam  als  Exkretionsraum 
dient,  wohin  ein  Teil  der  eliminierbaren  Substanzen  (geringe  Mengen 
von  Harnstoff,  Albumen  usw.),  vor  allem  aber  das  augenblicklich  nicht 
notwendige  Wasser  ausgeschieden  werden. 

Wenn  man  von  der  Vorstellung  ausgeht,  die  Gefäßwände  verhielten 
sich  wie  tierische  Membranen,  welche  eine  eiweißarme  Flüssigkeit  leichter 
als  eine  eiweißreiche  hindurchfiltrieren  lassen,  so  kann  man  sich  vor 
allem  das  hydrämische  oder  kachektische  Ödem  nicht  erklären. 
Jene  Anschauung  ist  s.  Z.  schon  von  Cohnheim  aufs  schärfste  be¬ 
kämpft  worden.  Eine  experimentell  erzeugte  Hydrämie  hat  kein  Ödem 
zur  Folge,  und  wenn  man,  wie  das  u.  a.  Ziegler  in  seinem  verbreiteten 
Lehrbuche  besonders  hervorhebt,1)  durch  Überfüllung  des  Gefäßsystems 
mit  verwässertem  Blute  eine  Steigerung  der  Transsudation  aus  den  Ge¬ 
fäßen  und  auch  wohl  Ödeme  erzielen  kann,  so  treten  diese  Ödeme  ein¬ 
mal  erst  bei  sehr  hohem  Wassergehalte  des  Blutes  auf,  sodann  entwickeln 


b  vgl.  Ziegler  1.  c.  p.  44. 


Pathogenese  und  kausale  Therapie  der  Oedeme. 


871 


sie  sich  aber  auch  nicht  an  den  nämlichen  Stellen,  wie  die  sogen,  hydra¬ 
ulischen  Ödeme  beim  Menschen.  Wir  müssen  daher  zum  mindesten  für 
die  Ödeme  der  Kachektischen,  sowie  für  die  der  Nephritiker  bzw.  von 
solchen  Individuen,  deren  Nierensekretion  gestört  ist,  eine  andere  Er¬ 
klärung  suchen.  Nach  Cohnheim  sollten  sie  wesentlich  einer  Alteration 
der  Gefäßwände  ihre  Entstehung  verdanken,  und  zwar  einer  Alteration, 
die  entweder  durch  die  hydrämische  Beschaffenheit  des  Blutes  oder  durch 
ein  im  Blute  zirkulierendes  Gift  veranlaßt  sein  sollte.  Eine  für  diese, 
aber  zugleich  auch  für  alle  anderen  Fälle  von  Hydrops  akzeptable  Er¬ 
klärung  gab  uns  jedoch  erst  O.  Rosenbach,  der,  wenn  auch  Schüler 
Cohnheims  und  diesem  persönlich  besonders  nahestehend,  doch  schon 
frühzeitig  durchaus  eigene  Wege  der  Forschung  einschlug.  Rosenbach 
konnte,  nachdem  er  sich  aus  eigener  Erfahrung  von  der  Unmöglichkeit 
überzeugt  hatte,  das  schwierige  Problem  auf  dem  Wege  des  Tierexperi¬ 
ments  endgültig  zu  lösen,  durch  unanfechtbare  Schlußfolgerungen  aus 
der  kritischen  Beobachtung  eines  überaus  reichen  Krankenmaterials  die 
Lehre  aufstellen,  daß  nicht  in  der  herabgesetzten  Elastizität  der  Gefäße, 
sondern  in  dem  sie  umschließenden  Protoplasma  und  seinen  wieder  vom 
Hauttonus  abhängenden  periodischen  Spannungsphasen  die  eigentliche 
Ursache  der  Wasseransammlungen  zu  suchen,  und  daß  der  enorme  Wasser¬ 
überschuß  im  Gewebe  nur  ein  Indikator  für  die  durch  diese  patholo¬ 
gischen  Spannungsverhältnisse  bedingten  Insuffizienz  des  gesamten  Proto¬ 
plasmas,  d.  h.  der  unzureichenden  Fähigkeit,  Wasser  zu  aktivieren,  und 
des  hieraus  wiederum  resultierenden  Defizits  in  der  Leistung  mechani¬ 
scher  Arbeit  ist.  Nicht  der  kachektische  Prozeß  an  sich  ist  danach 
die  letzte  Ursache  des  Ödems  - —  sonst  müßte  ja  auch  die  Krebs¬ 
kachexie  als  solche  und  unabhängig  vom  Sitz  des  Leidens  weit  häufiger 
Ödeme  mit  sich  bringen  — ,  sondern  die  tiefgehende  Beeinflussung  des 
Parenchyms  des  Hautorgans,  die  erst  die  Gewebsstörung  oder  die  Blut¬ 
anomalie  (den  nephritischen  Prozeß  oder  die  Veränderung  in  der  Zahl 
der  weißen  Rundzellen,  die  wir  als  Leukämie  bezeichnen)  hervorruft. 
Nicht  erst  infolge  des  sich  auch  pathologisch-anatomisch  dokumentie¬ 
renden  Symptoms,  sondern  nebenher  und  —  soweit  es  sich  um  einen 
(in  Anbetracht  der  individuellen  Leistungsfähigkeit)  tatsächlichen  Exzeß 
der  Regulation  handelt,  sogar  trotz  desselben  kommt  es  zu  hydrä- 
mischem  Ödem. 

Herz,  Gefäßsystem  und  Körperprotoplasma  wirken  zu¬ 
sammen  einerseits  als  Komponenten  der  Zirkulation,  andrer¬ 
seits  aber  auch  als  Bildner  kapillärer,  .oder  richtiger  luft¬ 
leerer  Räume,  in  die  die  Abscheidung  des  für  den  Betrieb 
zeitweilig  nicht  verwendbaren  Wassers  erfolgt. 

Wie  das  Herz  aber  sekundär  in  Mitleidenschaft  gezogen  wird,  so¬ 
bald  die  tonischen  und  kraftliefernden  Einflüsse  an  der  Peripherie  in¬ 
suffizient  werden  und  ihm  wegen  primären  Versagens  der  Leistung  — 
selbst  in  den  Ruheperioden  bzw.  im  Schlafe  —  nicht  mehr  Betriebs¬ 
material  in  hinreichender  Spannung,  vor  allem  mit  dem  Sauerstoff  in 
lockerster  molekularer  Bindung  vereinigtes  (und  daher  mit  dem  gewöhn¬ 
lichen  keineswegs  identisches)  Wasser  zufließen  lassen,  so  leidet  natürlich 
auch  umgekehrt  der  periphere  Betrieb,  sobald  ihm  vom  Herzen  resp. 
von  den  Lungen  her  nicht  mehr  die  nötige  tonische  und  rhythmische 
Beeinflussung  zuteil  wird. 

Mit  anderen  Worten:  die  sich  im  Ödem  kundgebende 
Anomalie  des  Hauttonus  ist  nicht  ausschließlich  und  nicht 


872 


Fritz  Reuter, 


immer  die  Folge  der  beeinträchtigten  Herzarbeit,  sondern  oft 
finden  wir  geradezu  das  umgekehrte  Verhältnis  —  das  Herz 
beginnt  zuweilen  erst  infolge  der  Erschwerung  des  Blutum- 
triebes  und  damit  seiner  eigenen  Versorgung  mit  Spannkraft¬ 
materialien  in  größerem  oder  geringerem  Grade  insuffizient 
zu  werden.  (Fortsetzung  folgt.) 


Milchüberfluß  eine  häufige  Ursache  des  vorzeitigen  Abstillens. 

Von  Dr.  med.  Fritz  Reuter,  Kalk-Köln. 

Eine  recht  häufige  Ursache  für  das  vorzeitige  Entwöhnen  des 
Brustkindes  ist  —  so  paradox  das  klingen  mag  —  Milchüberfluß  bei 
der  Mutter.  Wenigstens  hier  am  Rhein,  wo  die  Bevölkerung  und  be¬ 
sonders  auch  die  Frauen  des  Mittelstandes  und  der  besser  gelohnten 
Arbeiterkreise  sich  im  allgemeinen,  in  erster  Linie  aber  während  der 
Schwangerschaft,  im  Wochenbett  und  während  des  Stillens,  recht  gut 
und  vor  allem  recht  reichlich  ernähren.  Besonders  Überernährung  der 
Mutter  mit  Eiern  und  Milch  ist  eine  sehr  häufig  zu  beobachtende  Er¬ 
scheinung.  Auch  der  Alkohol  spielt  dabei  eine  wichtige  Rolle,  als 
Kognak,  „Blutwein“  und  vor  allem  als  Bier.  Kognak  mit  Ei  zum  ersten 
Frühstück,  Rotwein  zum  zweiten,  und  recht  viel  Bier  zum  Mittag- 
und  zum.  Abendessen  (wenn  möglich  als  Malzbier)  gilt  fast  als  Regel. 

Die  Folge  ist  dann  in  vielen  Fällen  ein  Überreichtum  an  Mutter¬ 
milch,  dem  das  Kind  nicht  oder  doch  nicht  ohne  Störung  der  Verdauung 
gewachsen  ist.  Ohne  schädliche  Folgen  für  das  Kind  bleibt  dieser 
Überreichtum  dann,  wenn  dasselbe  nicht  mehr  trinkt,  als  ihm  zukommt, 
was  jedoch  zu  den  Seltenheiten  gehört.  Auch  dann  tritt  meist  eine 
Störung  des  Befindens  beim  Säugling  nicht  ein,  wenn  derselbe  —  in 
größerer  Einsicht  als  seine  Mutter,  möchte  man  sagen  —  den  Überfluß 
wieder  von  sich  gibt.  „Speikinder  —  Gedeihkinder!“  sagt  in  guter 
Beobachtung  ein  altes  Sprichwort. 

In  den  meisten  Fällen  dagegen  nimmt  der  arme  Säugling  in  seinem 
Unverstand  ruhig  die  ihm  gebotenen  Mengen  an.  Daß  solche  Mütter 
ihre  Kinder  alle  1 — 2  Stunden  tagsüber  und  jedesmal  für  eine  halbe 
Stunde  trinken  lassen,  während  die  unglücklichen  Würmer  dann  meist 
auch  noch  die  ganze  Nacht  an  der  Brust  der  Mutter  liegen,  ist  wahr¬ 
lich  keine  Seltenheit.  Wenigstens  kommt  es  in  den  meisten  Fällen 
dieser  Art  sehr  schnell  dahin  und  zwar  auf  folgende  Weise.  Durch 
die  Unmengen  von  Nahrung  bekommt  das  Kind  sehr  bald  Beschwerden, 
der  Leib  ist  hart,  prall  gespannt,  der  Magen  aufs  äußerste  gedehnt, 
oft  sogar  überdehnt.  Das  arme  Wurm  wälzt  sich  ruhelos  auf  seinem 
Lager  oder  zieht,  wenn  es  das  infolge  der  festen  Wickel  nicht  kann, 
die  Knie  an  den  Leib  und  schreit.  Tag  und  Nacht  kann  es  keinen 
Schlaf  finden  und  wird  deshalb  von  der  Mutter  umhergeschleppt  und 
—  in  Ermangelung  der  heute  glücklicherweise  überwundenen  Wiege  — - 
auf  den  Armen  gewiegt.  Vor  allem  gleich  nach  dem  Trinken  sind  die 
Beschwerden  am  heftigsten,  deshalb  schreit  ein  derartiges  Kind  ganz 
besonders  nach  dem  Trinken.  J a  oft  läßt  es  schon  während  des  Trinkens 
häufiger  die  Brust  los,  um  zu  schreien.  Das  ist  nun  für  die  Ange¬ 
hörigen  der  sicherste  Beweis,  daß  das  Kind  „nicht  genug“  bekommen  hat. 

Nun  wird  zunächst  die  Mutter  noch  mehr  wie  bisher  gemästet, 
wenn  möglich,  muß  sie  noch  einige  Eier  und  noch  einen  Liter  Milch 
mehr  in  sich  hineintrichtern.  Vor  allem  aber  das  Kind!  Es  kommt 


Milchüberfluß  eine  häutige  Ursache  des  vorzeitigen  Abstilllens. 


873 


jetzt  fast  gar  nicht  mehr  von  der  Brust.  Sowie  es  schreit  —  und  es 
schreit  fast  ununterbrochen  —  wird  es  angelegt  und  das  arme  Wurm 
in  seiner  Verzweiflung  trinkt  und  trinkt,  aber  die  Schmerzen  wurden 
nur  immer  schlimmer,  das  Schreien  infolgedessen  immer  heftiger.  Häufig 
wird  es  dann,  sobald  es  die  eine  Brust  leer  getrunken  hat,  sofort  noch 
an  die  zweite  gelegt  und  oft  genug  wird  dann,  wenn  dadurch  natürlich 
nichts  gebessert  wurde,  hinterher  noch  Hafergrütze  und  ähnliches  dabei 
gefüttert,  bis  das  Kind  schließlich  früher  oder  später  ernstlich  krank 
wird,  Erbrechen  und  Durchfall  bekommt,  nachdem  vorher  der  Stuhl 
des  überfütterten  Kindes  meist  ziemlich  fest  gewesen  war,  und  nun 
vielleicht  endlich  einmal  der  Arzt  gefragt  wird,  der  dann,  wenn  ihm 
derartige  Fälle  bekannt  sind,  meist  sehr  leicht  den  Sachverhalt  durch 
einige  Kreuzfragen  feststellen  kann,  während  ihm  der  prallgespannte 
Leib  des  Kindes,  der  massenhafte,  meist  nur  halb  verdaute  Stuhl  und 
die  noch  reichlichere  Urinentleerung  eine  weitere  Bestätigung  gibt. 

Bei  den  Angehörigen  begegnet  er  zunächst  allerdings  einem  sehr 
energischen  Schütteln  des  Kopfes,  wenn  er  erklärt :  ,,Das  Kind  hat  zu¬ 
viel  bekommen,  es  muß  deshalb  jetzt  einmal  recht  knapp  gehalten 
werden“.  Häufig  genug  wird  auch  sein  Bat  zunächst  nicht  oder  nur 
unvollkommen  befolgt  aus  Furcht,  das  arme  Kind  müsse  verhungern. 
Wird  er  aber  befolgt,  dann  ist  auch,  wenn  das  Kind  noch  nicht  zu 
sehr  in  Grund  und  Boden  verdorben  ist,  der  Erfolg  meist  ein  geradezu 
überraschender.  Das  Kind  wird  ruhig,  findet  endlich  einmal  erquicken¬ 
den  Schlaf  und  ist  oft  schon  nach  1 — 2  Tagen  völlig  verwandelt.  In 
ganz  schlimmen  Fällen  habe  ich  derartige  Kinder  zunächst  für  24  Stun¬ 
den  nur  auf  Tee  gesetzt  und  dann  nur  dreimal  täglich,  später  dann 
fünfmal  nicht  länger  als  höchstens  10  Minuten  anlegen  lassen.  In 
gleicher  Zeit  muß  man  dann  allerdings  für  eine  Einschränkung  der 
Milchproduktion  bei  der  Mutter  durch  starke  Verringerung  der  Flüssig- 
keitsmengen  in  der  Uahrung  Sorge  tragen,  wenn  man  nicht,  wie  ich 
es  mehrfach  in  solchen  Fällen  mit  gutem  Erfolge  versucht  habe,  die 
Mutter  noch  ein  zweites  Kind,  dem  durch  vorzeitige  Entwöhnung  die 
Milch  der  eigenen  Mutter  unnötigerweise  entzogen  wurde,  nebenbei 
schenken  lassen  will.  Man  schlägt  dann  zwei  Fliegen  mit  einer  Klappe 
und  hat  die  größere  Gewißheit,  daß  nicht  so  leicht  ein  Bückfall  erfolgt. 

Anders  natürlich,  wenn  —  namentlich  in  den  heißen  Sommer¬ 
monaten  —  schon  eine  schwerere  Verdauungsstörung  besteht.  Dann 
hält  es  bei  solchen  überfütterten  Brustkindern  mitunter  ebenso  schwer, 
wie  bei  dyspeptischen  Flaschenkindern,  eine  normale  Verdauung  wieder 
herzustellen. 

Daß  ein  derartig  überfüttertes  Brustkind  in  heißen,  schwülen 
Sommertagen  plötzlich  an  einem  Hitzschlag  zugrunde  geht,  habe  ich 
mehrfach  erlebt.  Solche  Fälle  sind  besonders  dann  recht  traurig,  venn 
die  betreffenden  Kinder  vorher  noch  nicht  ernstlich  erkrankt  waren,  viel¬ 
mehr  infolge  ihres  übermäßigen  Fettansatzes  bei  den  Eltern  als  ganz 
besonders  gesund  und  kräftig  galten. 

In  den  allermeisten  Fällen  von  derartiger  Überernährung  bei  Brust¬ 
kindern  kommt  es  aber  gar  nicht  zu  einer  ernsteren  Erkrankung  des 
Kindes,  solange  es  die  Brust  bekommt,  weil  dasselbe  —  und  damit  komme 
ich  auf  die  in  der  Überschrift  angedeutete  paradox  erscheinende  Be¬ 
obachtung  —  schon  vorher  infolge  des  Überreichtums  an  vorhandener 
Muttermilch  entwöhnt  wird ! 

Das  Kind  schreit  ununterbrochen,  es  schreit,  wie  die  Angehörigen 


874 


S.  Leo, 


annehmen,  weil  nicht  genug  Nahrung  vorhanden  ist,  mithin  wird  es 
von  der  Brnst  getan.  Tnt  das  die  Mutter  nicht  aus  eigenem  Antriebe, 
so  geschieht  es  auf  Veranlassung  des  Ehemanns,  der  seine  Nachtruhe 
haben  will,  oder  die  Großmütter  und  Tauten  gehen  den  weisen  Bat,  der 
bekanntlich  von  den  unerfahrenen  Frauen  viel  strenger  befolgt  wird, 
als  der  des  Arztes.  Die  freundwilligen  Nachbarinnen  erklären,  sie 
hätten  das  von  vornherein  gewußt,  daß  die  Frau  zum  Schenken  ,,zu 
schwach“  sei  und  so  wird  denn,  mitunter  vielleicht  ungern,  meist  aber 
ganz  gern,  das  Kind  entwöhnt,  denn  der  Bat  leuchtet  der  Mutter  ohne 
weiteres  ein,  namentlich,  wenn  ihr  dann  auch  noch  klar  gemacht  wird, 
daß  die  Muttermilch  dem  Kinde  ja  augenscheinlich  ,, nicht  bekomme“. 
So  wird  denn  nun  dem  bisher  entsetzlich  überfütterten  Kinde  in  der 
Eiasche  eine  genau  abgemessene  Portion  gereicht  und  —  siehe  da !  — 
das  Kind  schreit  nicht  mehr.  Also  die  guten  Tanten  hatten  recht! 
Es  ist  nicht  satt  geworden,  das  arme  Kind ! 

Der  weitere  Verlauf  des  Falles  hängt  dann  meist  von  der  Jahres¬ 
zeit  ab.  Kommen  die  heißen  Sommermonate,  so  wird  der  Säugling 
krank  und  dann  erst  bekommt  in  den  meisten  Fällen  der  Arzt  das 
Kind  zu  sehen.  Fragt  er  dann,  woraus  man  denn  geschlossen,  daß  es 
nicht  genug  Nahrung  erhalten  habe,  so  hört  er,  daß  es  immer  ge- 
schrien  habe  usw.  Fragt  er  dann  weiter,  ob  sich  das  Kind,  solange 
es  nur  die  Brust  bekam,  wohl  immer  viel  naß  gemacht  habe,  dann 
bekommt  er  meist  die  stereotype  Antwort:  ,,Oh  ja,  bis  unter  die  Arme!“ 
Und  seitdem  es  die  Flasche  bekommt,  macht  es  sich  nicht  mehr  soviel 
naß.  Der  Fall  liegt  also  sehr  klar,  aber  nicht  immer  gelingt  es,  die 
Mutter  von  der  begangenen  Torheit  zu  überzeugen  und  in  den  meisten 
Fällen  ist  es  ja  auch  viel  zu  spät  für  eine  Beiakt ation,  obwohl  es  - — - 
den  guten  Willen  der  Mutter  vorausgesetzt  —  auch  nach  4 — 6  Wochen 
stets  noch  wenigstens  versucht  werden  sollte,  die  Funktion  der  Brust¬ 
drüse  wieder  in  Gang  zu  bringen.  Nach  2 — 3  Wochen  ist  mir  das 
mehrfach  noch  gelungen  und  es  sind  ja  Fälle  bekannt  geworden,  wo  es 
noch  nach  8 — 10  Wochen  erreicht  worden  ist.  Aber  guter  Wille  und 
Verständnis  muß  bei  der  Mutter  vorhanden  sein,  sonst  ist  alles  ver¬ 
gebliche  Mühe. 

Wiener  Brief. 

Ein  Sammelberickt.  —  Von  Dr.  S.  Leo. 

In  der  feierlichen  Jahressitzung  der  „Gesellschaft  der  Ärzte“, 
die  zum  Schlüsse  des  Wintersemesters  stattfindet,  warf.  Prof.  v.  Berg¬ 
meister  einen  Biickblick  auf  die  vergangene  Vortragssaison.  Es  fan¬ 
den  31  Sitzungen  statt,  in  denen  insgesamt  von  122  Mitgliedern  130  De¬ 
monstrationen  und  25  Vorträge  abgehalten  und  14  Mitteilungen  gemacht 
wurden.  Besonders  hebt  B.  den  Fest  vor  trag  über  den  Antagonismus  der 
Gifte  hervor,  die  Vorträge  über  orthotische  resp.  lordotische  Albuminurie, 
über  die  Tätigkeit  der  innersekretorischen  Organe  in  der  Schwangerschaft, 
über  den  Antagonismus  sjunpathischer  und  autonomer  Nerven  in  der 
inneren  Sekretion,  über  experimentell  erzeugte  Verlängerung  der  Trag¬ 
dauer  bei  Kaninchen,  über  Tuberkuloseschutzimpfung  beim  Binde,  über 
die  fortlaufende  Bestimmung  der  Beaktionsfähigkeit  auf  Tuberkulin 
während  der  Masern,  über  Anaphylaxie,  über  die  photo-dynamische 
*  hämolytische  Wirkung  chlorophyllhaltiger  Pflanzenextrakte,  über  die 
Spirochäten  der  Syphilis,  über  Pappatacifieber,  über  Hepatoptose,  über 
Blutdruckmessung,  über  eine  neue  Theorie  des  erworbenen  Platt-  und 


Wiener  Brief. 


875 


Klumpfußes,  über  Technik  und  Bedeutung  des1  Wassermann’schen  Ver¬ 
fahrens,  über  Volumsveränderungen  des  Herzens,  über  den  Einfluß  der 
Nebennierenexstirpation  bei  Hunden  auf  den  Blutzucker,  über  den  der¬ 
zeitigen  Stand  der  Diagnose  und  der  ätiologischen  Therapie  der  Cholera 
asiatica,  über  Herzbeengung,  über  Skrofulöse,  über  Hepatotoxin,  über 
Tetanie,  über  die  Funktion  der  Epithelkörperchen,  über  Eunuchoide  usw. 
Ein  Mitglied  berichtete  über  die  Wirkung  des  Hypophysisextraktes 
auf  die  Gefäßwand  verschiedener  Gefäßbezirke.  Die  Zahl  der  günstig 
verlaufenen  Operationen  bei  Hypophysentumoren  mit  Rückgang  der 
Skelettveränderungen  und  Wiederkehr  der  Genitalfunktionen  resp.  Ent¬ 
wicklung  der  rückständig  gebliebenen  Genitalentwicklung  wird  größer. 
Andererseits  wurde  über  einen  Fall  berichtet,  bei  dem  auf  Grund 
genitaler  Überentwicklung  intra  vitam  die  Diagnose  auf  Zerstörung  der 
Zirbeldrüse  gestellt,  und  diese  nekroskopisch  bestätigt  wurde.  Daneben 
beschäftigte  sich  die  Gesellschaft  auch  mit  allgemein  hygienischen 
Fragen.  Zur  Verhütung  und  Ausbreitung  der  Geschlechtskrankheiten 
wurde  eine  populäre  Broschüre :  An  unsere  Frauen,  Belehrungen  und 
Mahnungen,  verfaßt ;  ferner  wurde  ein  Komitee  für  die  Phosphorfrage 
eingesetzt,  und  sein  Bericht  an  die  zuständigen  Behörden,  ferner  an  das 
Abgeordneten-  und  Herrenhaus  gesendet,  ebenso  ein  Komitee  zur  Be¬ 
ratung  und  zeitgemäßen  Reform  des  Ammenwesens. 

Oskar  Hirsch  demonstrierte  eine  neue  Methode  für  die  endo- 
nasale  Operation  von  Hypophysentumoren.  Bei  einem  ge¬ 
schlossenen,  nicht  enthirnten  Schädel  hat  H.  durch  das  linke  Nasen¬ 
loch  die  mittlere  und  obere  Muschel  entfernt,  das  ganze  Siebbein  aus¬ 
geräumt,  und  die  vordere  Wand  der  linken  Keilbeinhöhle  in  toto  frei¬ 
gelegt  und  abgetragen.  Diese  Eingriffe  bilden  zusammen  eine  Opera¬ 
tionsmethode,  die  von  Doz.  M.  Hajek  zur  Behandlung  des  chronischen 
Keilbeinhöhlenempyems  angegeben  wurde  und  heutzutage  vielfach  aus¬ 
geführt  wird.  Nach  diesen  Eingriffen  konnte  H.  die  Keilbeinhöhle 
übersehen  und  die  Sella  turcica  zu  Gesicht  bekommen,  worauf  er  mit 
einem  schmalen  Meißel  eine  Öffnung  im  Knochen  der  Sella  turcica 
anlegte  und  mit  einer  Knochenstanze  erweiterte.  Die  Operation  voll¬ 
zieht  sich  also  nach  H.  folgendermaßen:  Unter  Kokainanästhesie  wird 
in  einer  ersten  Sitzung  die  mittlere  Muschel  entfernt,  nach  einigen 
Tagen  in  einer  zweiten  Sitzung,  ebenfalls  in  Kokainanästhesie,  das 
vordere  und  hintere  Siebbein  ausgeräumt.  Nach  einer  weiteren  Pause 
von  einigen  Tagen  wird  wieder  in  Kokainanästhesie  die  vordere  Keil¬ 
beinwand  in  toto  abgetragen  und  eventl.  unter  Einschaltung  einer  noch¬ 
maligen  Pause  von  mehreren  Tagen  die  Eröffnung  des  Hypophysen¬ 
wulstes  und  die  Schlitzung  der  Dura  vorgenommen.  Diese  Methode 
war  bloß  bei  solchen  Tumoren  anzuwenden,  die  tief  in  die  Keilbein¬ 
höhle  herabreichen.  In  der  Diskussion  hebt  Hajek  die  Schwierigkeiten 
der  neuen  Methode  hervor:  Um  zur  Hypophyse  zu  gelangen,  ist  es 
am  zweckmäßigsten,  die  Knochenwand  der  Sella  turcica  in  der  Mitte 
und  nicht  an  den  seitlichen  Teilen  zu  entfernen,  wo  man  mit  dem  Sinus 
cavernosus  in  gefährliche  Kollision  gelangen  kann.  Um  dies  tun  zu 
können,  müßte  man  beiderseits  endonasal  die  Keilbeinhöhle  freilegen, 
und  überdies  noch  die  hintere  Partie  der  Nasenscheidewand  entfernen. 
Auf  endonasalem  Wege  sind  hierzu  mindestens  5—6  operative  Ein¬ 
griffe  mit  Zwischenpausen  von  je  3 — 5  Tagen  nötig.  Aber  selbst 
dann  stellen  sich  große  technische  Schwierigkeiten  entgegen,  nämlich 
1.  die  beschränkte  Zugänglichkeit  durch  ein  Nasenloch  und  2.  die 


876 


S.  Leo, 


relativ  große  Distanz  von  der  äußeren  Nasenöffnung  bis  zum  Dach 
der  Keilbeinhöhle.  Egon  Ranzi  weist  darauf  hin,  daß  das  Indikations¬ 
gebiet  für  die  Hirsch’sche  Methode  ein  sehr  beschränktes  ist.  Denn 
H.  operiert  nur  dann,  wenn  die  Sella  weit  in  die  Keilbeinhöhle  vor¬ 
springt.  Unter  5  von  Eiseiberg  operierten  Fällen  war  dies  zweimal 
der  Fall.  Ferner  ist  die  Gefahr  der  Meningitis  eine  viel  größere. 
Julius  Tandler  warnt  vor  einer  eventuellen  Optikusverletzung. 
Artur  Schüller  bemerkt,  daß,  nachdem  bereits  Bartels  darauf  hin¬ 
gewiesen  hatte,  daß  bei  der  Häufigkeit  des  Vorkommens  breiig-flüssiger 
Beschaffenheit  der  Hypophysentumoren  eine  einfache  Punktion  des¬ 
selben  vom  Bachendach  aus  einen  genügenden  operativen  Eingriff  dar¬ 
stellen  dürfte,  es  wohl  berechtigt  war,  eine  analoge  palliative  Operation 
von  der  Nase  aus  in  Vorschlag  zu  bringen.  Diese  Methode  bietet, 
wrie  Sch.  sich  röntgenologisch  überzeugt  hat,  günstige  Chancen. 
0.  Hirsch  erwidert  im  Schlußworte  zuerst  Hajek,  daß  nicht  das 
Problem  vorliegt,  die  Schädelbasis  in  ausgedehntem  Maße  freizulegen ; 
es  genügt  eine  relativ  kleine  Öffnung  im  Hypophysen wulst  anzu¬ 
bringen;  auch  bei  den  nach  Schloffer  operierten  Fällen  ist  es  nicht 
gelungen,  den  Hypophysentumor  vollständig  zu  entfernen ;  schon  eine 
partielle  Entfernung  zeitigte  günstige  Resultate.  Hohenegg  selbst 
hat  empfohlen,  eine  möglichst  kleine  Öffnung  im  Hypophysenwulst 
anzulegen,  da  diese  für  die  Einführung  eines  scharfen  Löffels  und 
zur  Entfernung  des  meist  breiigen  Tumors  genügend  ist.  Die  Eröffnung 
der  Keilbeinhöhle  wird  in  Etappen  ausgeführt,  ohne  daß  eine  stärkere 
Blutung  auftritt ;  selbst  eine  Tamponade  ist  entbehrlich.  Gegenüber 
Ranzi  bemerkt  er,  daß  bezüglich  einer  drohenden  Meningitis  eine  Vor¬ 
aussage  nicht  gut  möglich  ist.  Die  Gefahr  einer  Optikusverletzung 
ist  nicht  so  groß. 

Rosthorn  kam  in  Fortsetzung  seiner  Antrittsrede  auf  das  Auf¬ 
treten  von  Hyperalgesie  im  Bereiche  bestimmter  segmentaler 
Haut zonen  bei  Erkrankungen  viszeraler  Organe  zu  sprechen.  Ihr  Ent¬ 
decker,  Tie  ad,  behauptet,  daß  den  inneren  Organen  vor  allem  der  Lokali¬ 
sationssinn  fehlt ;  sie  verhalten  sich  ganz  analog  den  Hautabschnitten, 
deren  Schmerzempfindung  wesentlich  herabgesetzt  ist.  Der  das  Organ 
betreffende  Reiz  wirkt  nach  jenem  Rückenmarkssegment,  von  dem  seine 
sensiblen  Nerven  herstammen.  Dort  kommt  er  in  nahe  Beziehung  zu 
den  Schmerzempfindungsbahnen,  die  der  Körperoberfläche  angehören, 
und  aus  demselben  Segment  stammen.  Aber  das  Lokalisationsvermögen 
der  letzteren  übertrifft  das  der  inneren  Organe  derart,  daß  das  Diffusions¬ 
gebiet  gewissermaßen  durch  einen  Urteilsfehler  in  den  Bewußtseins¬ 
kreis  gelangt  und  der  Schmerz  auf  die  Körperoberfläche  anstatt  auf 
das  tatsächlich  erkrankte  Organ  bezogen  wird.  Außer  dieser  Steigerung 
der  Hautempfindlichkeit  für  Schmerzen  rufen  viszerale  Erkrankungen 
auch  solche  für  Hitze  und  Kälte,  niemals  jedoch  eine  einfache  Be¬ 
rührungsanästhesie  hervor.  Die  Beziehungen  zu  den  trophischen  Nerven¬ 
bahnen  finden  ihren  Ausdruck  in  analog  ausgebreiteten  trophischen 
Störungen  (segment al  ausgebreiteter  Herpes  zoster).  Auf  eine  analoge 
gesetzmäßig  kausale  Beziehung  zwischen  Erkrankung  der  vegetativen 
Organe  und  ausstrahlenden  konsensuellen  Störungen  hat  Kyri  hinge¬ 
wiesen.  Er  betonte  hierbei  die  Beziehungen  des  Sympathikus  zu  Motili¬ 
tätsstörungen,  Tonuslähmungen,  für  welche  gewisse  anatomische  Be¬ 
funde,  so  der  Nachweis  sympathischer  Elemente  in  den  Spinalganglien 
maßgebend  sein  dürften.  In  Fällen  von  Ovarie  lassen  sich  nach  Kyri 


Wiener  Brief. 


bei  exakter  Prüfung  die  oberflächlich  gelegenen  Druckschmerzpunkte 
an  jenen  Stellen  nach  weisen,  an  denen  die  Rami  perforantes  die  faszielle 
Bekleidung  der  Bauchwandmuskeln  durchbrechen,  um  die  Haut  mit 
sensiblen  Ästen  zu  versorgen.  Andere  derartige  Durohbruchsstellen 
sind  die  des  N.  cutaneus  fein.  ext.  und  der  N.  cun.  superiores.  Ana¬ 
tomisch  entspringen  diese  Haut  äste  aus  den  Wurzeln  des  12.  dorsalen 
und  1.  und  2.  Lumbalnerven.  Diese  stehen  wieder  mit  den  renalen 
bezw.  spermatikalen  Ganglien,  von  denen  die  Ovarialnerven  abgehen, 
in  Verbindung.  Auch  die  Kreuz-  und  Rückenschmerzen  machen  sich 
immer  in  jener  Höhe  geltend,  in  der  diese  Nerven  mit  dem  mitaffizierten 
Rami  communicantes  in  Verbindung  stehen.  Für  den  Gynäkologen 
kommt  hier  zunächst  der  Eiersitock  in  Betracht,  Von  dem  nor¬ 
malen  Organ  geht,  wenn  es  bei  bimanueller  Untersuchung  stärker  kom¬ 
primiert  wird,  kein  Schmerz,  aber  eine  unangenehme  eigentümliche  Sen¬ 
sation  aus,  die  mit  der  durch  Kompression  des  Hodens  verglichen  zu 
werden  pflegt.  Bei  den  Operationen  erscheint  der  Eierstock  vollkom¬ 
men  unempfindlich.  Dagegen  ist  die  Abbindung  des  Stieles  schmerzhaft 
und  kann  sogar  Shokerscheinungen  im  Gefolge  haben.  Die  Kompression 
des  entzündlich  erkrankten  Organes  läßt  einen  ganz  bestimmten  Schmerz 
entstehen,  der  wie  der  spontane  Organschmerz,  von  der  Pat.  deutlich 
nach  der  Lendengegend,  zuweilen  auch  in  die  Gegend  oberhalb  oder 
seitlich  vom  Nabel  verlegt  wird.  Der  Schmerz  wird  demnach  nach 
der  10.  He  ad’ sehen  Dorsalzone  reflektiert.  Die  Charcot’sche  Ovarie 
hat  mit  dem  Ovarium  nichts  zu  tun.  Sie  dauert  trotz  erfolgter  Kastra¬ 
tion  hartnäckig  fort  und  kommt  auch  bei  Männern  vor.  Bei  ausge¬ 
sprochenem  Tiefstände  der  Ovarien  in  die  Dou  g  1  as’sche  Tasche  wird 
über  einen  eigenartigen  Zerrungsschmerz  geklagt.  Nach  Olshausen 
ist  das  eine  echte  Ovarialneuralgie ;  andere  bestreiten  dies.  Wenn  die 
Eierstöcke  in  Adhäsionen  eingehüllt  sind  (Perioophoritis),  dann  ist  die 
bimanuelle  Tastung  zuweilen  recht  empfindlich. 

Ebenso  stellt  sich  der  normale  Eileiter  als  vollkommen  unemp¬ 
findliches  Organ  dar;  der  entzündlich  erkrankte  ruft  ebenso  wie  der 
Eierstock  bei  Kompression  eine  bestimmte  Schmerzkategorie  hervor 
(Martins  Zeichen).  Derselbe  wird  an  der  Haut  analog  den  Verhält¬ 
nissen  beim  Nebenhoden  nach  der  11.  und  12.  Dorsalzone  Head’s  pro¬ 
jeziert.  Der  Organschmerz  kann  bei  Salpingitis  sehr  heftig  werden ; 
die  Tubenkolik  ist  eine  Art  Kontraktionsschmerz,  beruhend  auf  Zu¬ 
sammenziehung  der  hypertrophierten  Tubenmuskulatur  infolge  der  an¬ 
dauernden  Bestrebungen  zur  Ausstoßung  des  angestauten  eitrigen  In¬ 
halts.  Hydrosalpinxsäcke  sind  meist  ganz  unempfindlich.  Die  Ruptur 
eines  tubaren  Fruchtsackes  wird  oft  gar  nicht  bemerkt,  indes  die  Aus¬ 
stoßung  des  Eies  beim  tubaren  Abortus  einen  Schmerz,  auslöst,  der 
von  bereits  Geborenhabenden  mit  dem  Wehenschmerz  bei  der  gewöhn¬ 
lichen  Fehlgeburt  verglichen  wird.  Die  geringe  oder  gänzlich  fehlende 
Empfindlichkeit  der  Scheide  und  der  Portio  vagin.  sind  bekannt.  Selbst 
schwere  Schädigungen,  z.  B.  durch  zu  große  Pessarien  (Druckdekubitus), 
werden  gar  nicht  bemerkt,  es  sei  denn  durch  den  hartnäckigen  Aus¬ 
fluß.  Zur  Ausführung  plastischer  Operationen  bedarf  es  zumeist  nicht 
einmal  der  lokalen  Anästhesie,  wenn  nicht  der  Scheideneingang  oder 
der  Damm  in  Betracht  kommt.  Cal  mann  fand,  daß  der  Ortssinn 
nicht  einmal  für  eine  genauere  Unterscheidung  zwischen  Harnröhre  und 
Scheide  ausreicht,  und  daß  die  Beurteilung  für  Form,  Größe  und  Be¬ 
schaffenheit  eingeführter  Gegenstände  mangelt,  und  zwar  sowohl  bei 


878 


S.  Leo,  Wiener  Brief. 


Multiparen,  wie  Nulliparen.  Die  Tamponade  wird  nicht  empfunden ; 
nur  ein  geringes  Unterscheidungs  vermögen  von  Wärme  und  Kälte  be¬ 
steht.  Das  Anhaken  der  Portio  mit  dem  Häkchen  oder  mit  der  Museux- 
schen  Zange  wird,  wenn  auch  noch  so  vorsichtig  und  langsam  aus¬ 
geführt,  von  dem  Kranken  oft  unangenehm  empfunden,  während  Skari- 
fikation  und  Spaltung  bei  Diszission,  sowie  Anfrischung  und  Naht 
bei  der  Emmet’schen  Operation  kaum  gefühlt  wird.  Dagegen  ist 
der  Dehnungsschmerz  bei  eröffneter  Wehentätigkeit  bekannt,  sowie  der 
Schmerz  bei  brüsker  Dilatation  mit  Metallstiften,  die  von  B.  nur  in 
Narkose  ausgeführt  wird.  Die  Empfindlichkeit  der  Innenfläche  der 
Gebärmutter  ist  individuell  schon  im  normalen  Zustande  eine  wechselnde. 
So  wird  die  Sondierung  oft  gar  nicht  gefühlt.  Dies  ist  schon  von 
P.  Berger,  Tardieu  vom  forensischen  Standpunkt  aus  konstatiert  wor¬ 
den.  Manchmal  löst  die  Sondierung  jedoch  eine  deutliche  Empfindung 
aus,  die  von  einzelnen  Pat.  als  mit  einer  bei  der  Menstruation  auf¬ 
tretenden  Sensation  als  identisch  beschrieben  wird,  und  jener  beim 
Einlegen  von  Quellstiften  und  intrauterinen  Pessarien  gleichkommen 
soll.  Bei  engem  inneren  Muttermunde  und  zuweilen  auch  bei  Be¬ 
rührung  des  Eundus  uteri  mit  der  Sonde  wird  ein  ausgesprochener 
Schmerz  empfunden,  der  besonders  gern  nach  der  Magengegend  irradiiert. 
Die  Gebärmutter  hat  das  Bestreben,  Fremdkörper  oder  eingespritzte 
Flüssigkeit,  aber  auch  Blutgerinnsel  und  gestielte  Neubildungen  durch 
Zusammenziehen  auszustoßen.  Der  dabei  ausgelöste  Kontraktions¬ 
schmerz  wird  als  uterine  Kolik  bezeichnet.  Hierher  gehören  die  mecha¬ 
nische  Dysmenorrhöe  bei  Stenose,  die  Nachwehen  am  puerperalen  Uterus 
und  die  Schmerzen  bei  fibrösen  Polypen.  Während  die  normale  Gebär¬ 
mutter  unempfindlich  ist,  siehe  Perforation  und  Buptur,  so  ist  sie 
bei  entzündlichen  Veränderungen  der  Schleimhaut  sehr  empfindlich. 
Bei  Endometritis  dolorosa  überdauert  heftige  Schmerzempfindung  die 
Sondierung  sehr  lange.  Nach  He  ad  lassen  chronisch  entzündliche  Ver¬ 
änderungen  der  Zervix,  wenn  der  Schmerzsitz  wechselt  (Kreuz,  Lenden, 
Leistengegend),  annehmen,  daß  es  sich  um  zwei  verschiedene  Zonen 
handelt ;  der  untere  Teil  des  Zervix  oberhalb  des  äußeren  Muttermundes 
scheint  der  3.  und  4.  Sakralzone  die  obere  Partie  in  der  Gegend  des 
inneren  Muttermundes  der  11.  Dorsal-  und  9.  Lumbalzone  zu  entsprechen. 

Karl  Landsteiner  demonstrierte  mikroskopische  Präparate  von 
einem  menschlichen  und  zwei  Affenrückenmarken.  Der  Schnitt  des 
menschlichen  Bückenmarkes  zeigt  die  pathologischen  Veränderungen  der 
Poliomyelitis  acuta  in  hohem  Grade;  sie  stammen  von  einem 
Knaben,  der  nach  dreitägiger  Dauer  dieser  Krankheit  starb.  Mit  dem 
Bückenmarke  wurden  im  Vereine  mit  Popper  Kulturversuche  gemacht, 
die  ebenso  ergebnislos  verliefen,  wie  Injektionen  des  Materials  an  Kanin¬ 
chen,  Meerschweinchen  und  Mäusen.  Auch  2  Affen,  die  von  Syphilis¬ 
experimenten  her  vorrätig  waren  und  nach  Abheilung  der  Affekte  sich 
in  gutem  Gesundheitszustände  befanden,  wurde  zerrieben  in  Kochsalz¬ 
lösung  aufgeschwemmtes  Bückenmark  intraperitoneal  injiziert.  Der  eine 
Affe  (kleiner  Cynooeph.  Hamadryas)  verendete  8  Tage  nach  der  In¬ 
jektion,  nach  2  Krankheitstagen.  Lähmungen  wurden  nicht  gesehen. 
Die  histologische  Untersuchung  des  Bückenmarks  dieses  Affen 
ergab  den  Befund  typischer  hochgradiger  Poliomyelitis,  eben¬ 
so  die  mikroskopischen  Präparate.  Der  zweite  Affe  (klein.  Mac.  rhesus) 
ergab  dasselbe  Besultat ;  bei  ihm  wurde  auch  eine  vollständige  schlaffe 
Lähmung  beider  hinteren  Extremitäten  beobachtet.  (Schluß  folgt.) 


Vorläufige  Mitteilungen  und  Autoreferate. 


879 


Vorläufige  Mitteilungen  u.  Autoreferate. 

Hörtäuschungen  durch  Salizylsäure. 

Von  Dr.  Johannes  S ei tz,  Zürich.  (Korrespondenzbl.  für  Schweizer  Arzte,  Nr.  6, 

S.  185  u.  Nr.  7,  S.  225,  1909.) 

Die  Salizylsäure  bewirkt  nicht  nur  Ohrensausen  und  Ertauben, 
sondern  erregt  auch  frühere  Schalleindrücke  wieder  zu  Hörtäuschungen : 
W asserrauschen,  Läuten,  Tiergeräusche,  Stadtlärm,  Musik.  Eine  kleinere 
Rolle  spielen  Sehstörungen  und  Täuschungen  der  Allgemeingefühle. 

Das  erscheint  bei  geistig  vollkommen  normalen  Menschen  mit 
leichten  Körperstörungen,  welche  die  Gaben  dieses  Heilmittels  veran¬ 
laß  ten.  Die  „Deliranten“  berichten  in  vollständiger  Klarheit  und  rich¬ 
tigem  Urteil  über  diese  auffallenden,  scheinbar  vollkommen  naturwahren 
Erscheinungen.  So  ergeben  sich  sehr  lehrreiche  Vergleiche  mit  den 
Wirkungen  von  Alkohol,  Opium,  Haschisch,  mit  den  Wahnvorstellungen 
der  Irren. 

C,  H,  O,  N  usw.  mit  ihren  Verbindungen  sind  die  Träger  der 
geistigen  Vorgänge.  C7H603  ist  imstande,  aus  diesem  Konglomerat 
Bewußtseinsvorgänge  abzulösen,  genau  so,  als  ob  sie  durch  die  Außen¬ 
welf  frisch  erregt  worden  wären,  obschon  es  nur  Wiederbelebungen 
alter  Eindrücke  sind.  Das  ist  nur  möglich  durch  innigste  Beziehungen 
zwischen  der  einen  und  andern  chemischen  Gruppe.  Das  Medikament 
ist  imstande  einzugreifen  im  höchsten  Gipfel,  wo  der  Übergang  von 
chemischer  und  Bewußtseins-Energie  stattfindet. 

Solche  Tatsachen  nebst  vielen  anderen  lassen  den  Wunsch  ent¬ 
stehen,  es  möchte  schon  die  chemische  Formel  auch  andeuten,  daß  von 
den  Leistungen  des  Elementes  bis  zur  höchsten  geistigen  Tätigkeit 
eine  ununterbrochene  Kette  reichen  müsse.  Möge  der  Versuch,  eine 
solche  Formel  zu  gestalten,  der  Vorläufer  besserer  Aufstellungen  sein  ! 

Autoreferat. 


Ueber  arterielle  Thrombose  im  Verlaufe  der  kruppösen  Pneumonie. 

Von  Dr.  H.  Fette.  (Med.  Klinik,  Nr.  20,  1909.) 

Verf.  beschreibt  einen  Fall  von  kruppöser  Pneumonie,  in  deren 
Verlauf  das  sehr  seltene  Ereignis  einer  Thrombose  der  Arteria  femoralis 
eintrat.  Die  mikroskopische  Untersuchung  ergab  einen  atheromatösen 
Abszeß  in  der  Art.  circumflexa  femoris.  Hier  hatte  sich  der  Thrombus 
entwickelt.  Maßgebend  für  das  Zustandekommen  waren  die  Gefäßver¬ 
änderung,  der  verlangsamte  Blutstrom  und  die  Blutalteration. 


Zur  Vakzinebehandlung  der  infektiösen  Endokarditis  an  der  Hand  eines 

Falles  von  Streptococcus  mitis  Infektion. 

Von  Dr.  H.  Fette.  (Med.  Klinik,  Nr.  6,  1909.) 

Es  handelt  sich  um  einen  Fall  von  Endokarditis.  Als  Erreger 
wurde  der  oben  genannte  Streptokokkus  stets  im  Blut  gefunden.  Durch 
Injektion  von  Vakzinen,  die  aus  eigenen  und  korrespondierenden  Bak¬ 
terien  hergestellt  wurden,  konnte  eine  zeitliche  Besserung  erzielt  wer¬ 
den.  Der  tödliche  Ausgang  wurde  erklärt  durch  die  enormen  Ver¬ 
änderungen  am  Herzen  und  an  den  Nieren.  Der  opsonische  Index 
wurde  nicht  bestimmt.  Dagegen  zeigten  die  täglich  gezählten  Leu¬ 
kozyten  eine  Abhängigkeit  von  der  Vakzination  derartig,  daß  nach 


880 


Referate  und  Besprechungen. 


jeder  Injektion  zuerst  ein  Sinken,  dann  eine  Steigerung  ein  trat,  die 
nach  sieben  Tagen  zur  Anfangszahl  zurückkehrte.  Verf.  ist  der  Ansicht, 
daß  die  Leukozytenkurve  als  leitendes  Moment  hei  der  Dosierung  der 
Vakzine  mit  in  Betracht  zu  ziehen  ist. 


Verein  deutscher  Aerzte  in  Prag,  Sitzung  am  11.  April  1909. 

Professor  Elschnig  stellt  einen  Fall  von  einfacher  Fraktur  des 
rechten  Jochbeins  durch  einen  Sturz,  mit  Impression  desselben  in  die 
Orbita,  vor.  25 jähriger  Mann.  Ungefähr  in'  der  Gegend  des  Foramen 
infraorbitale  ist  die  scharfe  Bruchstelle  zu  fühlen,  das  Jochbein  ist  — 
Betastung  und  Röntgenbild  —  l1/2  cm  tief  in  die  Orbita  eingedrückt, 
der  Bulbus  ist  um  l1/2  mm  nach,  oben,  2  x/2  mm1  nach  vorn  verdrängt. 
Kaubewegung  rechts  gestört,  die  Sensibilität  im  Infra, orbitalis-Bereich 
aufgehoben.  Chirurgischerseits  war  er  durch  drei  "Wochen  beobachtet 
und  jetzt  Paraffininjektion  zur  Behebung  der  Entstellung  vorgeschlagen 
worden.  Elschnig  legte  das  Jochbein  durch  einen  Bogenschnitt  am 
Orbitalrand  bloß,  lockerte  die  Frakturstelle  mit  Messer  und  Meißel, 
reponierte  das-  Jochbein  durch  den  Zug  mit  dem  stumpfen  Hacken.  Voll¬ 
ständige  restitutio  ad  integrum. 


Referate  und  Besprechungen. 

Innere  Medizin. 

Zur  Behandlung  des  pleuritischen  Exsudates. 

(Kaiser!  Rat  Dr.  L.  Fel  ln  er,  Franzensbad.  Deutsche  med.  Wochenschr.,  Nr.  15,  1909.) 

In  einem  Falle  äußerst  hartnäckiger  Pleuritis  mit  Exsudat,  das  Fellner 
schon  wochenlang  ohne  endgültigen  Erfolg  behandelt  hatte,  versuchte  er  die 
Anwendung  des  Dampfkasten-Schwitzbades.  Da  wegen  eines  Myoms  Vorsicht 
geboten  war,  benutzte  er  aber  einen  Apparat,  der  nur  die  eine  Thoraxhälfte 
deckte.  Zunächst  wandte  er  Temperaturen  von  80—100°  C,  später  von  120  bis 
140°  an.  Die  Dauer  der  Sitzungen,  die  zunächst  jeden  zweiten  Tag,  'dann  2,  3 
und  endlich  4  Tage  hintereinander  stattfanden,  betrug  erst  15,  zuletzt  30 
Minuten.  Nach  14  Tagen  war  das  Exsudat  hinten  und  seitlich  bedeutend 
zurückgegangen,  nach  35  Sitzungen  waren  alle  Reste  der  Entzündung  ge¬ 
schwunden.  F.  Waltherf. 


Zur  Untersuchung  der  Lungen  bei  Spitzentuberkulose  mit  spezieller 
Berücksichtigung  der  Krönig’schen  Ergebnisse. 

(Dr.  G.  Richter,  Wölfeisgrund.  Deutsche  med.  Wochenschr.,  Nr.  8  u.  9,  1909.) 

Richter  betont  die  Wichtigkeit  der  Frühdiagnose  für  die  Lungen¬ 
tuberkulose,  um  die  sich  besonders  Krönig  verdient  gemacht  hat.  Schon 
die  Inspektion  ist  von  Bedeutung.  Heterotopie  und  Heteromorphie  der  Lungen¬ 
spitzen  geben  oft  den  ersten  Fingerzeig.  Bei  der  Perkussion,  die  sich  übrigens 
am  besten  am  sitzenden  Patienten  empfiehlt,  sind  die  Krönig’schen  Lungen¬ 
schallfelder  von  besonderem  Wert..  Ihre  Feststellung  muß  durch  möglichst 
leise  Perkussion  erfolgen,  wobei  die  Resultate  sofort  mit  dem  Hautstift 
aufgezeichnet  werden  müssen.  Im  frühesten  Anfangsstadium  konnte  Krönig 
eine  Verschleierung  einer  oder  beider  Begrenzungslinien  beobachten.  In  etwas 
weiter  vorgeschrittenem  Stadium  findet  sich  neben  einer  verschieden  starken 
Dämpfung,  Verschiebung  des  Lungenschallfeldes.  Auch  auf  die  untere  Lungen- 


Referate  und  Besprechungen. 


881 


grenze  ist  zu  achten.  Nicht  selten  verschiebt  sie  sich  auf  der  Seite  der 
erkrankten  Spitzen  nur  träge  oder  gar  nicht.  Dabei  erwähnt  Richter  die 
Angabe  Krönig’s,  daß  der  Übergang  der  medialen  in  die  untere  Lungen¬ 
grenze  bereits  in  der  Nähe  des  neunten  Brustwirbels  vor  sich  geht.  Bei  der 
Auskultation  können  bisweilen  Muskelgeräusche  irre  führen  und  einen  Katarrh 
Vortäuschen.  Desgleichen  entstehen  durch  den  Schluckakt  oft  Geräusche, 
die  in  den  Spitzen  gehört  ^werden.  Daher  muß  bei  Vorhandensein  von  Ge¬ 
räuschen,  ohne  gleichzeitig  bestehender  Veränderung  des  Perkussionsschalles, 
stets  eher  an  derartige  Täuschungen  gedacht  werden.  Das  Symptom  des 
verlängerten  Exspirium  hat  sicher  Bedeutung.  Es  ist  jedoch  auf  die  Ver¬ 
schiedenheit  beider  Spitzen  Rücksicht  zu  nehmen,  aus  der  sich  oft  bei  völlig 
gesunden  Menschen  rechts  ein  schärferes  und  längeres  Exspirium  ergibt,  wie 
links.  Das  Vorkommen  von  Geräuschen  über  den  Spitzen  muß  ebenfalls 
mit  Vorsicht  bewertet  werden.  Ist  Katarrh  vorhanden,  so  gibt  Krönig  den 
Patienten  für  die  Abend-  und  Nachtstunden  so  viel  Codein  oder  Morphium, 
daß  sie  hustenlos  schlafen.  Das  Auffinden  von  spärlichen  Rasselgeräuschen 
ist  dann  früh,  bevor  die  Patienten  gehustet  haben,  bedeutend  erleichtert. 
Von  Bedeutung  ist  endlich  die  Auskultation  der  Elüsterstimme,  deren  Vor¬ 
handensein  über  der  Spitze  sehr  für  eine  Erkrankung  spricht.  R.  zieht 
aus  alledem  den  Schluß,  daß  bei  der  Beurteilung  eines  Palles  stets  äußerste 
Vorsicht  am  Platze  ist.  Was  die  Bedeutung  der  Röntgenstrahlen  anbelangt, 
so  ist  Krönig  im  Gegensatz  zu  Strümpell  der  Ansicht,  daß  dieselben 
für  die  Frühdiagnose  weniger  in  Betracht  kommen.  Auf  jeden  Fall  gehört 
ein  außerordentlich  geübter  Untersucher  dazu.  Zum  Schluß  teilt  Richter 
einige  Fälle  von  Lungentuberkulose  in  bezug  auf  ihren  lokalen  Befund  mit. 

_  F.  Walther. 

Schulterblattknacken  als  diagnostisches  Merkmal  für  Lungentuberkulose. 

(L.  Renon  u.  Moncany.  Bull,  med.,  Nr.  8,  S.  91,  1909.) 

Die  beiden  Autoren  haben  sich  eingehend  mit  den  eigentümlichen  knacken¬ 
den  und  reibenden  Geräuschen  beschäftigt,  welche  bei  vielen  Kranken  am 
inneren  Rande  des  Schulterblattwinkels  und  'etwas  darunter  zu  vernehmen 
sind.  Sie  treten  bei  tiefen  Inspirationen  und  Bewegungen  des  Armes  auf, 
lassen  sich  entweder  mit  der  aufgelegten  Hand  fühlen  oder  in  einiger  Ent¬ 
fernung  hören. 

Die  Intensität  des  Phänomens  ist,  ebenso  wie  sein  Charakter,  bei  den 
verschiedenen  Pat.  verschieden,  aber  beim  einzelnen  konstant  und  bald  mehr, 
bald  minder  schmerzhaft.  Es  hält  sich  jahrelang,  bis  zu  acht  Jahren. 

Wie  es  zustande  kommt,  darüber  zerbrechen  sich  Renon  und  Moncany 
nicht  weiter  die  Köpfe.  Es  genügt  ihnen  zu  konstatieren,  daß  sie  es  nicht 
fanden  bei  500  klinisch  Gesunden,  wohl  aber  bei  allen  acht  Tuberkulösen, 
die  sie  daraufhin  untersucht  haben.  Da  es  genug  Tuberkulöse  gibt,  so  hätten 
sie  diese  Anzahl  wohl  etwas  (größer  wählen  dürfen.  — 

Anscheinend  ist  die  Ursprungsstelle  der  Geräusche  in  die  Brustwand 
zu  verlegen  und  zwar  in  die  Muskulatur;  vielleicht  handelt  es  sich  unä  ent¬ 
zündliche  Prozesse  im  Lymphapparat  der  Muskeln,  welche  schließlich  zur 
Atrophie  der  kontraktiven  und  elastischen  Elemente  führen,  die  ihrerseits 
dann  weiterhin  zu  dem  bekannten  Bilde  des  flügelförmigen  Abstehens  der 
Schulterblätter  führt.  1 

Jedenfalls  sind  alle  Notizen  zu  begrüßen,  welche  —  entgegen  den 
Bestrebungen  der  deskriptiven  Anatomie  —  die  einzelnen  Organe,  in  diesem 
Falle  die  Lungen,  in  ihrem  Zusammenhang  mit  ihrer  Umgebung  zeigen.  Mir 
scheint,  das  geschulte  Auge  vermag  von  der  äußeren  Konfiguration  des 
Thorax  einen  großen  Teil  von  dem  schnell  und  sicher  abzulesen,  was  die 
Kunst  des  Perkutierens  und  Auskultierens  langsam:  und  stückweise  enthüllt. 
Aber  freilich,  die  Zeit,  welche  das  menschliche  Erkenntnisvermögen  durch 
immer  feinere  Apparate  und  geistreichere  Hypothesen  zu  erweitern  bestrebt  ist, 
hat  nicht  mehr  das  rechte  Verständnis  für  das,  was  mit  fünf  gesunden  Sinnen 
und  einfachem  Menschenverstand  zu  machen  ist.  Buttersack  (Berlin). 

-  56 


882 


Referate  und  Besprechungen. 


Die  Behandlung  der  Tuberkulose  durch  den  praktischen  Arzt. 

(Prof.  A.  Moeller,  Berlin.  Klin.-tlier.  Wochenschr.,  Nr.  4  u.  5,  1909.) 

Die  Tuberkulose  und  speziell  die  Lungentuberkulose  ist  eine  wahre 
Volksseuche;  15%  aller  Todesfälle  sind  ihr  zuzuschreiben;  ihre  Bekämpfung 
ist  sowohl  vom  national-ökonomischen,  wie  vom  humanitären  Standpunkt 
aus  dringend  geboten.  Man  unterscheidet  drei  Stadien:  I.  Infiltration  einer 
Spitze,  mit  oder  ohne  katarrhalische  Erscheinungen,  verändertes  Atemge¬ 
räusch  auf  einer  oder  beiden  Spitzen,  Allgemeinbefinden  wenig  gestört. 
II.  Ausgesprochene  Infiltration  beider  Spitzen  mit  oder  ohne  katarrhalische 
Erscheinungen,  häufig  Fieber  bis  38°,  Einsenkung,  Abmagerung,  Auswurf, 
Husten.  III.  Kavernensymptome;  hohes  Eieber,  starke  Abmagerung,  viel 
Husten  und  Auswurf.  Die  sichere  Diagnose  ist  im  II.  und  III.  Stadium 
leicht  durch  Nachweis  der  Tuberkelbazillen,  im  ersten  oft  schwierig,  weil 
Tuberkelbazillen  meist  fehlen,  darum  müssen  häufig'  andere  Erscheinungen, 
sowie  Heredität,  Habitus  usw.  zur  Beurteilung  *  herangezogen  werden.  — 
Bezüglich  der  Therapie  hat  vor  allem  die  spezifische  Behandlungsmethode 
mit  Tuberkulin  in  der  ambulanten  Behandlung  ausgezeichnete  Resultate  ge¬ 
zeitigt.  Tuberkulin  ist  sowohl  zu  diagnostischen,  wie  zu  therapeutischen 
Zwecken  zu  verwenden.  Als  diagnostisches  Hilfsmittel  ist  es  von  großem 
prophylaktischen  Wert,  mit  Rücksicht  auf  die  Infektionsgefahr  für  die  Um¬ 
gebung,  namentlich  im  I.  Stadium;  es  ist  ein  unentbehrliches  Hilfsmittel 
zur  sicheren  Feststellung  der  initialen  Tuberkulose.  Die  exakt  durchge¬ 
führte  Tuberkulinkur  zeitigt  Dauererfolge,  weil  die  Kranken  in  demselben 
Klima  genesen,  während  bei  Besserung  nach  klimatischen  Kuren  im  Süden 
oft  nach  Rückkehr  in  das  alte  Klima  Rückfälle  eintreten;  auch  ermöglicht 
die  ambulante  Behandlung  mittels  Tuberkulins  den  Patienten  die  ununter¬ 
brochene  Fortsetzung  ihrer  Arbeit.  Bezüglich  der  Verwendung  des  Tuberkulins 
rät  Verf.  zu  diagnostischen  (Zwecken  nur  das  alte  Koch’sche  Tuberkulin 
zu  nehmen;  Beginn  mit  Injektion  von  Zehntel-Milligramm  Tuberkulin  mittels 
jedesmal  frisch  herzustellender  geeigneter  Verdünnungen;  vorher  Bestimmung 
der  Normaltemperatur;  Kontraindikationen  sind:  Fiebertemperatur,  Nacht- 
schweiße,  Blutungen,  Herzkrankheiten,  Epilepsie,  Hysterie.  Die  Injektionen 
werden  mittels  Luer’scher  Spritze  in  die  Rückenhaut  beiderseitig  abwechselnd 
gemacht,  am  besten  in  den  Nachmittagstunden,  alle  drei  bis  vier  Tage 
eine  Einspritzung.  Als  Reaktion  gilt  Temperatursteigerung  bis  38°  (schwache), 
bis  38,7°  (mittelstarke),  über  38,7°  (starke);  sie  tritt  oft  erst  nach  wieder¬ 
holter  Injektion  mit  gesteigerter  Dosis  ein.  —  Zur  therapeutischen  Ver¬ 
wendung  empfiehlt  Verf.  das  alte  Koch’sche  und  das  Neu-Tuberkulin  (Bazillen- 
emulsion).  Geeignet  hierzu  sind  unkomplizierte  Fälle  mit  geringer  Gewebs¬ 
zerstörung;  Kontraindikationen  sind  schlechtes  Allgemeinbefinden  und  ab¬ 
norme  Gewichtsabnahme,  die  zunächst  durch  hygienisch-diätetische  Behand¬ 
lung  zu  bessern  ist,  ferner  Herzerkrankungen,  Blutungen.  Beginn  mit  Vio  mg 
Tuberkulin  und  Steigerung  der  Dosen  nach  dem  Verhalten  der  Körpertempe¬ 
ratur,  des  Allgemeinbefindens  und  des  Körpergewichts  bei  wöchentlich  zwei 
Injektionen,  und  Aufhören  nach  Verschwinden  aller  krankhaften  Erschei¬ 
nungen.  —  Für  Patienten,  die  einen  ebenso  unberechtigten  wie  unüberwind¬ 
lichen  Horror  vor  Injektionen  haben,  empfiehlt  Verf.  die  Einbringung  des 
Neu-Tuberkulins  vom  Darmkanal  aus.  Er  hat  zu  diesem  Zweck  die  Bazillen¬ 
emulsion,  die  infolge  Überempfindlichkeit  (des  Organismus  oft  schlecht  ver¬ 
tragen  wird,  mit  einem  Präparat  aus  der  Gruppe  der  „Säurefesten“,  dem 
Timothein,  und  ameisensaurem  Kalzium  in  Gelodurat-Kapseln,  die  er  Tuberoid- 
kapseln  nennt,  kombiniert;  hiervon  wird  täglich  eine  Kapsel  nach  dem  Essen 
genommen;  besonders  eignen  sich  diese  für  Kinder  mit  geschlossener  Drüsen¬ 
tuberkulose  (Skrofulöse).  —  Von  der  medikamentösen  Behandlung  ist  die 
Darreichung  von  Kreosotal  und  Duotal  zu  nennen,  deren  Einwirkung  auf 
den  tuberkulösen  Prozeß  selbst  jedoch  nicht  sicher  erwiesen  ist,  ferner  von 
Arsen,  das  die  Tuberkulose  selbst  nicht  beeinflußt,  Hetol-Landerer  (zimt¬ 
saures  Natron),  dem  ebenfalls  wenig  Einfluß  auf  den  eigentlichen  Krank- 


Referate  und  Besprechungen. 


883 


heitsprozeß  zuzusehreiben  ist;  dasselbe  gilt  von  den  anderen  empfohlenen 
Medikamenten  Tannin,  Phosphor,  Ichthyol,  Jod  usw.  —  Die  Inhalations¬ 
therapie  leistet  gute  Dienste  ,zur  Linderung  des  Hustenreizes,  Lösung  des 
Auswurfs.  —  Gegen  das  Fieber  sind  besonders  Maßnahmen  zur  Hebung 
des  Allgemeinzustandes,  Fernhalten  von  Schädlichkeiten,  hydriatisehe  Ma߬ 
nahmen,  unter  Umständen  bei  starken  Frostanfällen  außer  Bettruhe  und 
heißen  Getränken  0,3  g  Pyramidon  1 — IV2  Stunden,  vor  dem  zu  erwartenden 
Anfall  anzuwenden.  Nach tsch weiße  sind  durch  gute  Lüftung,  leichte  Be¬ 
deckung,  Abreibungen  mit  Essigwasser,  eventl.  Agaricin  (Pillen  zu  0,005) 
zu  bekämpfen.  Hustenreiz  kann  oft  durch  den  Willen  unterdrückt  oder 
durch  Hustenpastillen  gelindert  werden,  auch  Bachenpinselungen  mit  Tannin- 
Glyzerin  bringen  oft  Besserung.  Die  Expektoration  erleichtern  Kreuzbinden¬ 
einpackungen,  heiße  Milch  mit  alkalischen  Wässern,  isländ.  Moos-Tee,  sowie 
Inhalationen  von  Menthol  und  Orthokresol.  Narkotika  sind  nur  da  zu  geben, 
wo  der  Allgemeinzustand  unter  dem  Husten  leidet  (Nachtruhe);  meist  kommt 
man  mit  Kodein  und  Dionin  aus.  Bei  Lungenblutungen  ist  zu  unterscheiden, 
ob  eine  aktive  Blutung  vorliegt,  gegen  die  absolute  Bettruhe,  abkühlende 
Umschläge,  Eisbeutel,  Wadenpackungen,  eventl.  Morfin-Einspritzungen,  dünne, 
schleimige  Diät  bei  möglichst  beschränkter  Nahrungszufuhr,  sowie  Eispillen 
gegen  den  Durst  anzuwenden  sind,  oder  ob  es  sich  um  eine  Stauungsblutung 
handelt,  die  in  der  Begel  eine  Folge  von  Herzschwäche  ist ;  alsdann  muß 
man  von  absoluter  Ruhe  absehen  und  darf  keine  Narkotika  geben,  sondern 
muß  den  Kranken  zum  Tiefatmen  anregen  und  herzanregende  Mittel  geben. 
Atemgymnastik  ist  mit  Vorsicht  und  nur  in  ausgesuchten  Fällen  anzuwenden. 
Hauptsache  ist,  daß  der  Patient  während  der  Zeit  seiner  Erkrankung  stets 
unter  ärztlicher  Kontrolle  ist,  zumal  bei  der  häuslichen  Behandlung,  bei 
der  mit  den  angegebenen  Mitteln  bei  genauer  Befolgung  der  ärztlichen  An¬ 
ordnungen  sehr  befriedigende  Resultate  zu  erzielen  sind. 

Peters  (Eisenach). 


Physikalische  Behandlung  der  Lungentuberkulose  durch  Hyperämie, 
Lymphstrombeförderung  usw.  vermittels  der  Lungensaugmaske. 

(E.  Kuhn.  Zeitschr.  für  Tuberk.,  Bd.  13,  Nr.  4,  1908.) 

Die  Saugmaske  soll  durch  Behinderung  der  Einatmung  bei  unbehinderter 
Ausatmung  eine  Hyperämie  der  Lungen  herbeiführen  und  dadurch  für  die 
gesamte  Lunge  diejenigen  Bedingungen  hersteilen,  die  unter  natürlichen 
Verhältnissen  den  unteren  Lungenabschnitten  größeren  Schutz  gegen  die  Tuber¬ 
kulose  verleihen.  Die  durch  die  Saugmaske  herbeigeführte  Hyperämie  unter¬ 
scheidet  sich  von  der  sonstigen  Stauungsbehandlung,  wie  sie  z.  B.  bei  Gelenk- 
tuberkulöse  angewendet  wird,  dadurch,  daß  sie  nicht  auch  zu  einer  Lymph- 
stauung  führt.  Vielleicht  beruht  das  Versagen  der  Stauungsbehandlung  bei 
Gelenktuberkulose  häufig  auf  der  gleichzeitigen  Lymphstauung. 

Durch  den  stärkeren  Blutandrang  zur  Lunge,  der  sich  an  Tierversuchen 
zweifellos  nachweisen  läßt,  sollen  die  Bazillen  abgetötet  werden  und  eine 
bessere  Ernährung  des  Lungengewebes  mit  reichlicher  Bindegewebsbildung 
(Vernarbung)  herbeigeführt  werden.  Der  Gebrauch  der  Maske  führt  außerdem 
zu  einer  Veränderung  des  Atmüngstypus,  der  sich,  wie  die  Röntgenaufnahmen 
zeigen,  fast  rein  kostal  gestaltet  unter  Verlangsamung  der  Atemzüge  und 
Höherstellung  des  Zwerchfells.  Dies  ermöglicht  eine  rationelle  und  wirksame 
Widerstandsgymnastik  unter  Ausschluß  der  mit  der  Gymnastik  sonst  ver¬ 
bundenen.  Gefahren  (Lungendehnung,  Blutung  usw.).  Allmählich  kommt  es 
unter  dem  Gebrauche  der  Maske  infolge  der  veränderten  Atmung  zu  einer 
Weitung  und  stärkeren  Beweglichkeit  des  Brustkorbs.  Diese  Erweiterung 
des  Biustkorbes  ist  durch  zahlreiche  Beobachtungen  objektiv  nachgewiesen. 

Ebenso  wie  die  Lungen  wird  durch  die  Saugmaske  das  Herz  in  günstigere 
Ernährungsbedingungen  versetzt  und  gekräftigt  bezw.  entlastet.  Durch  den 
Reiz  der  verminderten  Sauerstoff  Spannung  auf  die  blutbildenden  Organe  kommt 
es  zu  einer  dauernden  Vermehrung  der  roten  und  weißen  Blutkörperchen 

56* 


884 


Referate  und  Besprechungen. 


und  des  Hämoglobins.  Diese  Veränderung  der  Blutbeschaffenheit  macht  sich 
nicht  allein  durcL  eine  Zunahmje  der  Schutzorgane  (Leukozyten)  geltend, 
sondern  wirkt  auch  günstig  auf  die  Verdauungssäfte  ein  und  fördert  somit 
die  Ernährung  der  Phthisiker. 

Schließlich  ist  noch  zu  erwähnen,  daß  die  Maske  eine  gewisse  Müdigkeit 
hervorruft  und  somit  schlafbefördernd  wirkt. 

Die  Maske  ist  gänzlich  unschädlich,  ruft  keine  Blutungen  hervor,  sondern 
soll  sie  sogar  unterdrücken.  Sie  kann  täglich  stundenlang  angelegt  und 
monatelang  angewendet  werden  und  soll  hauptsächlich  dazu  dienen,  die  An¬ 
staltsbehandlung  der  Tuberkulose  zu  unterstützen.  Die  bisher  in  Heilstätten 
und  Krankenhäusern  gemachten  Erfahrungen  sind  günstig. 

Sobotta  (Reiboldsgrün). 


Uber  Tuberkulinbehandlung  in  der  Praxis. 

(Dr.  Jahn,  Oberarzt  der  Direktorialabteilung  und  Dr.  Volhard,  Direktor  der 
städtischen  Krankenanstalten  in  Mannheim.  Münch,  med.  Wochenschr.,  Nr.  47,  1908.) 

Für  den  praktischen  Arzt  bietet  die  Durchführung  einer  Tuberkulinkur 
ziemlich  viel  Schwierigkeiten.  Die  Verfasser  möchten  daher  einige  Ratschläge 
geben,  um  ihm  trotzdem  dieses  therapeutisches  Hilfsmittel  zugänglich  zu 
machen.  Was  zunächst  die  für  eine  Tuberkulinkur  geeigneten  Fälle  betrifft, 
so  kommt  viel  auf  die  sozialen  Verhältnisse  der  Kranken  an.  Sind  diese 
günstig,  so  geben  trotzdem  die  Patienten  mit  kleinem  frequenten  Puls,  der 
in  keinem  Verhältnis  zur  Höhe  des  Fiebers  steht,  eine  ganz  ungünstige 
Prognose.  Auch  ist  genau  darauf  zu  achten,  daß  es  sich  nur  um  Erkrankung 
der  Lungen  handelt,  da  gleichzeitig  andere  Organerkrankungen  den  Fall 
zu  sehr  komplizieren.  Auf  die  Höhe  des  Fiebers  kommt  es  nicht  an,  zumal 
wenn  man  nicht  durchaus  Heilung  erwartet,  sondern  schon  mit  einer  Besserung 
zufrieden  ist.  Und  gerade  diese  kann  ziemlich  bedeutend  sein ;  es  kommt 
zur  Entfieberung,  der  Husten  und  der  Auswurf  läßt  nach,  das  Gewicht 
nimmt  zu. 

Die  Verfasser  verwenden  zur  Injektion  das  Neutuberkulin  Koch,  von 
dem  sie  sechs  verschiedene  konzentrierte  Lösungen  brauchen.  Das  Schema, 
nach  dem  sie,  wenn  auch  natürlich  nicht  sklavisch,  die  Einspritzung  vor¬ 
nehmen,  ist  am  besten  im  Original  nachzulesen.  Von  Wichtigkeit  ist  es, 
stets  jede  Reaktion  abklingen  zu  lassen,  bevor  wieder  gespritzt  wird.  Ferner 
muß  bei  Fieberanstieg  oder  bei  Eintritt  irgend  einer  interkurrenten  Krankheit 
die  Kur  längere  Zeit  unterbrochen  werden.  Die  Injektion  erfolgt  am  besten 
in  den  Nachmittagsstunden.  Die  Temperatur  ist  möglichst  zweistündlich 
zu  messen,  auf  die  Injektionsstelle,  auf  Stuhl,  Harnwege,  Auswurf  und 
subjektives  Befinden  ist  genau  zu  achten,  und  dies  alles  ist  am  besten  in 
eine  Kurve,  von  der  ein  Muster  beiliegt,  einzutragen.  Neben  der  Tuberkulinkur 
müssen  selbstverständlich  noch  physikalisch  -  diätetische  Verordnungen  ge¬ 
troffen  werden.  —  F.  Walther. 


Die  therapeutische  Beeinflußung  der  inneren  und  äußeren  Tuberkulose 

durch  Tuberkulin  und  verwandte  Mittel. 

(F.  Köhler  u.  R.  Lenzmann.  Beih.  zur  med.  Klinik,  Bd.  5,  Nr.  2,  1909.) 

Die  Vorträge  geben  einen  ausgezeichneten  objektiven  Überblick  über 
den  AVer!  der  Tuberkulinbehandlung  unter  Berücksichtigung  eigener  Erfah¬ 
rungen  und  der  in  der  Literatur  niedergelegten  Beobachtungen.  Die  Ansich¬ 
ten  über  die  Wirksamkeit  der  Tuberkuline  sind  noch  recht  geteilt,  und 
das  ist  zum  Teil  mit  dem  verschiedenen  „Temperament“  der  Beobachter  zu 
erklären,  z.  T.  aber  auch  damit,  daß  die  Beurteilung,  inwiefern  eine  Beein¬ 
flussung  des  tuberkulösen  Prozesses  stattfindet,  ungemein  schwierig  ist.  Es 
kommt  dabei  neben  dem  so  verschiedenartigen  Verlauf  der  Krankheit  die 
individuelle  Widerstandkraft  des  Organismus  und  die  Einwirkung  ander¬ 
weitiger  Heilfaktoren  in  Frage.  Zudem  sind  Prüfungen  der  Behandlungs- 


Referate  und  Besprechungen. 


885 


ergebnisse  an  der  Hand  der  Statistik  kaum  möglich,  weil  es  zu  schwierig 
ist,  gleichwertige  Fälle  mit  und  ohne  Tuberkulinbehandlung  gegenüberzu- 
stellen.  Die  Prüfung  auf  den  Gehalt  an  Antikörpern  oder  auf  Immunität 
gegen  Tuberkulin  ergibt  aber  keine  praktisch  brauchbaren  Ergebnisse,  weil 
hoher  Antik örp ergehalt  und  Tuberkulin-Immunität  nidht  identisch  sind 
mit  Immunität  gegen  Tuberkulose.  Die  Unempfindlichkeit  gegen  Tuber¬ 
kulin  bedeutet  durchaus  nicht  die  Abheilung  eines  tuberkulösen  Prozesses. 
Auch  die  Feststellung  des  opsonischen  Index  ist,  vorläufig  wenigstens,  noch 
nicht  hinreichend  zur  Beurteilung  der  erreichten  Immunität.  Wir  sind  da¬ 
her  auf  die  Ergebnisse  der  klinischen  Beobachtung  angewiesen.  Und  diese 
zeigt  uns  noch  kein  einheitliches  Bild,  sondern  verschiedenartige  und  un¬ 
sichere  Ergebnisse.  Eine  wirklich  spezifische  Wirkung  kann  keinem  der 
vielen  Tuberkuline  oder  Sera  zugesprochen  werden:  „der  Feind  im  Innern 
des  menschlichen  Organismus  verfügt  über  Kräfte,  die  wir  in  ihrer  Eigen¬ 
art  zweifellos  noch  nicht  in  vollem  Umfange  erkannt  haben“,  so  »laß  die 
in  den  Tuberkulinen  enthaltenen  toxiziden  und  bakteriziden  Stoffe  noch 
nicht  voll  zur  Geltung  kommen. 

Noch  deutlicher  als  bei  der  Lungentuberkulose  kommt  die  spezifische 
Wirkung  der  Tuberkuline  beim  Lupus  und  bei  der  chirurgischen  Tuberkulose 
zum  Ausdruck.  Besonders  das  Alt-Tuberkulin,  das  eine  lokale  Entzündung 
um  die  Tuberkel  hervorruft,  erweist  sich  als  ein  wertvolles  Hilfsmittel  für 
die  Behandlung. 

Über  die  verschiedenen  zur  Behandlung  der  Tuberkulose  empfohlenen 
Sera  werden  widersprechende  Urteile  abgegeben.  Eine  Immunisierung  läßt 
sich  durch  Sera  bisher  noch  nicht  erreichen,  wenn  auch1  die  antitoxische 
Wirkung  des  Marmorek-Serums  zugegeben  wird.  Es  erscheint  von  vorn¬ 
herein  zweifelhaft,  ob  es  möglich  sein  wird,  so  hochwertige  Sera  zu  ge¬ 
winnen,  daß  eine  passive  Immunisierung  zustande  kommt,  während  die  Aus¬ 
sichten  für  die  aktive  Immunisierung  günstiger  liegen,  da  eine  Vervoll¬ 
kommnung  der  Tuberkuline  wohl  denkbar  ist.  Sobotta  (Reiboldsgrün). 


lieber  den  Gaswechsel  der  Phthisiker. 

(Alb.  Robin.  Soc.  d’Etudes  scientif.  sur  la  Tuberc.,  11.  Februar,  1909.  —  Bullet. 

med.,  Nr.  18,  S.  211—213,  1909. 

Auf  Grund  wiederholter,  genauer  Untersuchungen  kommt  Robin  im 
Gegensatz  zu  den  bisher  üblichen  Anschauungen  zu  folgenden  Thesen: 

1.  Der  respiratorische  Gaswechsel  und  die  Ventilation  der  Lungen  ist 
auch  beim  nichtfiebernden  Phthisiker  größer  als  beim  Gesunden;  bei  diesem 
wiederum  größer  als  beim  Arthritiker. 

2.  Die  Abkömmlinge  von  Phthisikern  haben,  auch  wenn  sie  keinerlei 
krankhafte  Erscheinungen  darbieten,  in  etwa  der  Hälfte  der  Fälle  einen  er¬ 
höhten  Gaswechsel. 

3.  Wenn  infolge  von  Gewichtsverlusten  bei  gesunden  Menschen  der 
respiratorische  Gaswechsel  (pro  Minute  und  Kilo)  steigt,  so  steigt  er  beim 
Phthisiker  unter  den  gleichen  Bedingungen  noch  mehr. 

ä.  Nur  Tuberkulöse  von  sehr  (gutem  Ernährungszustand  lassen  diese 
Steigerung  des  Gas  Wechsels  vermissen.  Buttersack  (Berlin). 


Gynäkologie  und  Geburtshilfe. 

Behandlung  von  Störungen  in  der  Genitalsphäre  von  der  Nase  aus. 

(P.  Bonnier.  Acad.  des  Sciences,  18.  April  1909.) 

Leichte  Kautherisationen  des  vorderen  Abschnittes  der  Nasenschleimhaut 
haben  beseitigt:  Dysmenorrhöe  bei  15  Frauen  und  Mädchen  (7  Mißerfolge), 
10  Menstruationsmigränen  (davon  bestand  eine  seit  18  Jahren),  je  2  Schwindel¬ 
und  Magenkrampfanfälle  während  der  Periode,  Regelung  der  Periode  auf 
jedesmal  28  Tage  (gleichgültig,  ob  die  Blutungen  sich  zu  schnell  oder  zu 


886 


Referate  und  Besprechungen. 


langsam  folgten).  Bei  3  Patientinnen  wurden  Akne  und  Erythem  des  Ge¬ 
sichts,  bei  je  2  Pruritus  vulvae  und  Leukorrhoe  beseitigt;  auch  Incontinentia 
urinae  läßt  sich  auf  diese  Weise  beeinflussen. 

Ein  junger  Mann  von  23  Jahren  wurde  durch  2 malige  Kautherisationen 
von  allnächtlichen  Pollutionen,  an  denen  er  seit  11  Jahren  litt,  befreit. 

Buttersack  (Berlin). 


Aus  der  Universitäts-Frauenklinik  der  königl.  Charite. 

Ueber  das  Hämatoma  vulvae  als  Geburtshindernis. 

(Priv.-Doz.  Dr.  W.  Liepmann.  Berliner  klin.  Wochenschr.,  Nr.  11,  1909.) 

L.  schildert  kurz  vier  Fälle  von  großen  Hämatomen  der  Vulva  und 
der  Scheide  sub  partu.  Alle  vier  Kreißende  wurden  mit  der  Zange  ent¬ 
bunden.  In  einem  Fall,  wo  das  Hämatom  nur  links  saß,  wurde  rechts  eine 
Episiotomie  gemacht,  in  einem  anderen  Fall  wurden  nach  der  Überführung 
in  die  Klinik  die  beiden  Hämatome  gespalten  und  ausgeräumt;  erst  dann 
gelang  es,  die  Zange  einzuführen..  Im  allgemeinen  soll  man  aber  suchen, 
ohne  vorherige  Spaltung  die  Zange  anzulegen;  die  Resorption  des  Blutergusses 
erfolgt  im  Wochenbett  ziemlich  schnell.  Einen  spontanen  Geb  urts  verlauf 
wird  man  in  den  seltensten  Fällen  abwarten  können,  werden  doch  mit  jeder 
Minute  die  Verhältnisse  ungünstiger.  —  Wie  aus  der  Statistik  hervorgeht, 
sind  die  an  sich  sehr  seltenen  Hämatome  bei  Erstgebärenden  häufiger  als 
bei  Mehrgebärenden.  Veranlaßt  werden  sie  durch  starken  andauernden  Druck 
des  großen  harten  Schädels,  den  mangelhaften  Rücklauf  des  gestauten  Blutes 
durch  die  Kollateralen  des  Stammes  und  die  größere  Zerreißlichkeit  der 
peripheren  Venen  in  den  Labien.  Varizen,  Nephritis  und  Arteriosklerose 
spielen  keine  Rolle.  —  Die  Prognose  ist  gut,  bei  gewahrter  Asepsis. 

R.  Klien  (Leipzig). 


Welche  Profixur  (Antefixations-  Methode)  ist  bei  fixierter  Retroversio- 

flexio  am  zweckmäßigsten? 

(Otto  Klistner,  Breslau.  Zentralbl.  für  Gyn.,  Nr.  2,  1909.) 

Verf.  empfiehlt  die  Alexander- Adam’sche  Operationsmethode,  für 
welche  er  von  jeher  mit  Nachdruck  eingetreten  ist,  auch  für  die  Fälle  von 
fixierter  Retroflexio,  bei  welchen  er  durch  vorhergehende  Laparotomie  die 
Adhäsionen  löst.  Neu  ist  sein  Vorschlag,  in  solchen  Fällen  zur  Vermeidung 
dreier  Schnitte  die  Alexander-'Adam’sche  Operation  nur  auf  einer  Seite 
zu  machen.  Er  hat  bei  mehreren  derartig  operierten  Frauen  ein  orthopädisch 
gutes  Dauerresultat  jahrelang  hindurch  beobachtet  und  verspricht  sich  hiervon 
bei  etwa,  eintretender  Gravidität  eine  besonders  gute  Mobilität  des  Uterus. 
(Ob  aber  bei  der  bei  einer  Schwangerschaft  zweifellos  eintretenden  Latero- 
version  des  Uterus  nicht  durch  fehlerhafte  Lage  des  Kindes'  bedingte  Ge¬ 
burtsstörungen  zu  erwarten  sind  ?  Ref.) 

Daß  Verf.  auch  nach  Exstirpation  der  Adnexe  die  Alexander  -  Adam- 
sche  Operation  ausführt,  ist  auffällig,  da  doch  wohl  die  meisten  Gynäkologen 
auf  die  Lagerung  des  Uterus  nach  der  Adnexexstirpation  kein  Gewicht  legen. 

Für  die  Fälle,  bei  denen  es  auch  bei  der  Narkosenuntersuchung  zweifel¬ 
haft  bleiben  muß,  ob  Adhäsionen  vorliegen,  empfiehlt  Verf.,,  vermittelst  seines! 
Schnittes  den  Leib  zu  eröffnen,  die  inneren  Genitalien  zu  revidieren  und  erst 
nach  dieser  Probeinzision  eventuell  die  Alexander- Adam’sche  Operation  vor¬ 
zunehmen.  F.  Kayser  (Köln). 


Die  Behandlung  von  Gebärmutterblutungen  mit  Serum. 

(W.  Busse,  Jena.  Zentralbl.  für  Gyn.,  Nr.  7,  1909.) 

Die  Mitteilung  bezieht  sich  auf  10  Frauen,  bei  denen  wegen  sehr 
starker  durch  Kürettement  nicht  zu  stillender  menstrueller  Blutungen  10  ccm 
frisches  Menschenserum,  welches  im  übrigen  gesunden  Frauen  bei  läge  vor  bessern- 


Referate  und  Besprechungen. 


887 


den  Operationen  entnommen  war,  intraglutäal  injiziert  wurde  —  in  5  Fällen 
mit  ausgezeichnetem  Erfolg.  Unerwünschte  Nebenwirkungen  t lieben  abge¬ 
sehen  von  einer  in  2  Fällen  beobachteten  Appetitlosigkeit  aus. 

Verf.  empfiehlt  die  leicht  ausführbare,  einfache  und  ungefährliche 
Methode  zur  Nachprüfung  für  solche  Fälle  von  Blutungen,  bei  welchen  ein 
negativer  Untersuchungsbefund  oder  eine  Verlängerung  der  Blutgerinnungs¬ 
zeit  festgestellt  ist.  F.  Kayser  (Köln). 


Gleichzeitige  doppelseitige  Tubenschwangerschaft. 

(Alfr.  Labhardt,  Basel-Stadt.  Beiträge  zur  Geb.  u.  Gyn.,  Bd.  14,  H.  1.) 

Bei  einer  29  j.  II  p.,  welche  unter  den  Erscheinungen  einer  Extrauterin¬ 
gravidität  im  Kollaps  der  Klinik  zuging,  fand  sich  hei  der  Laparotomie  eine 
große  Menge  Blut  im  Abdomen,  am  Ende  der  rechten  Tube  ein  taubeneigroßer 
angerissener  Tumor,  aus  welchem  ein  großes  Blutkoagulum  mit  Eiteilen 
herausragte  und  ähnliche  Verhältnisse  am  linken  Tubenostium.  Resektion 
beider  Tuben.  Heilung.  ! 

Die  genauere  Untersuchung  ergab  in  der  rechten  dilatierten  Tube  ein 
Ei,  umgeben  von  einem  äußeren  Kapselhämatom ;  in  der  linken  Tube  wies  die 
mikroskopische  Untersuchung  nach  langem  'Suchen  einige  ganz  in  Blut  ein¬ 
gebettete  Zotten  nach. 

'  Es  handelte  sich  somit  um  eine  gleichzeitige  Entwicklung  von  Eiern 
in  beiden  Tuben.  Die  Beobachtung  beansprucht  deshalb  besonderes  Interesse, 
weil  sie,  soviel  aus  der  Literatur  hervorgeht,  bisher  nur  in  6  sichergestellten 
Fällen  gemacht  wurde.  Sie  begründet  aber  die  Forderung,  in  allen  zur 
Operation  kommenden  Fällen  die  zweite  Tube  einer  eingehenden  Untersuchung 
zu  unterziehen,  um  nicht  ein  unter  Umständen  für  die  Patientin  deletär 
werdendes  Übersehen  zu  begehen. 

Diese  Annahme  ist  selbstverständlich  bisher  nur  Hypothese,  da  der¬ 
artige  fatale  Ereignisse  in  der  Literatur  bisher  nicht  niedergelegt  sind. 

F.  Kayser  (Köln). 


Zur  Naht  des  frischen  Dammrisses. 

(W.  Sigwartz,  Berlin.  Zentralbl.  für  Gyn.,  Nr.  10,  1909.) 

Bericht  über  425  mit  MicheTschen  Klammern  genähte  Dammrisse, 
von  denen  nur  zwei  nicht  primär  heilten.  Die  Klammern  vereinigen  selbst¬ 
verständlich  nur  die  äußere  Haut  des  Damms,  nicht  auch  die  vaginale  Schleim¬ 
haut.  Zur  Verwendung  von  Hämatomen  und  guten  Adaptationen  der  Wund- 
flächen  ist  daher  die  Anlegung  tiefgreifender,  von  der  Scheide  aus  gelegter 
Katgutfäden  erforderlich. 

Die  Entfernung  der  Klammern  geschieht  mit  einer  Zange  in  leichter, 
für  die  Wöchnerin  schmerzloser  Weise.  F.  Kayser  (Köln). 


Kaiserschnitt.  Rückblick  und  Ausblick. 

(O.  Küstner,  Breslau.  Zeitschr.  für  Geb.  u.  Gyn.,  Bd.  63.) 

Zu  der  bereits  vielfach  diskutierten  Kaiserschnittfrage  bringt  die  Ar¬ 
beit  K.’s,  welche  sich  auf  104  in  der  Breslauer  Klinik  ausgeführte  Operationen 
bezieht,  einen  sehr  interessanten  Beitrag. 

In  sechs  Fällen  wurde  an  Toten  und  Sterbenden  operiert.  Verf.  plädiert 
dafür,  in  solchen  Fällen,  wenn  möglich,  nicht  die  Agonie  abzuwarten,  sondern1 
bereits  vorher  durch  den  vaginalen  Kaiserschnitt  zu  entbinden.  Bei  Eklam¬ 
psie  wurden  7  Kaiserschnitte  gemacht;  6  Wöchnerinnen  starben.  Wenn  auch 
die  Fälle  besonders  schwer  waren,  so  ist  doch  wegen  der  Größe  des  Operations¬ 
versuches  bei  der  Eklamptischen  der  klassische  Kaiserschnitt  durch  den  vagi¬ 
nalen  zu  ersetzen. 

6  Operationen  wurden  bei  Karzinom  vorgenommen  und  zwar  bei  starren 
voluminösen  Zervixkrebsen.  Unser  Bestreben  muß  dahin  gehen,  bei  Kompli- 


888 


Referate  und  Besprechungen. 


kation  mit  Karzinom  im  allgemeinen  sofort  die  abdominale  Totalexstirpation 
vorzunehmen ;  nur  bei  bald  zu  erwartender  extrauteriner  Lebensfähigkeit 
des  Kindes  ist  ein  exspektatives  Verfahren  berechtigt.  Atypische  Indi¬ 
kationen  (Narben  atresie  der  Zervix,  vorausgegangene  komplete  Uterusruptur 
und  Fisteloperation,  Myome,  Placenta  praevia)  führten  in  10  Fällen  zur  Opera¬ 
tion.  Im  allgemeinen  bildet  die  Gravidität  eine  Kontraindikation  für  die 
Myomotomie,  da  die  Kinder  auch  bei  myomdurchsetzter  Uteruswand  lebens¬ 
fähig  auf  natürlichem  Wege  geboren  werden.  Bei  Placenta  praevia  ist  die 
Sectio  caesarea  nur  bei  exakter  individueller  Abwägung  aller  Verhältnisse, 
berechtigt. 

Slmal  wurde  bei  engem  Becken  operiert,  80  Kinder  wurden  lebend 
entwickelt.  Verf.  gibt  der  Sectio  caesarea  den  Vorzug  vor  der  Hebosteotomie, 
bei  welcher  eine  ideale  versorgte  Wunde  nicht  zu  erzielen  ist  ( ?  Bef.).  Diese 
wendet  er  an  bei  suspekten  Fällen,  für  welche  auch  der  zervikale  Kaiser¬ 
schnitt  in  Frage  kommt.  > 

Die  Statistik  der  wiederholten  Kaiserschnitte  zeigt  in  interessanter 
Weise,  daß  seit  1900/01  die  Adhäsionen  weniger  intensiv  sind  —  offenbar  eine 
Folge  des  größeren  Schutzes  gegen  Keimimport,  welchen  Verf.  besonders  in 
dem  von  ihm  benutzten  Gummischutzsystem  sucht.  Dieser  findet  auch  seinen 
Ausdruck  in  der  geringen  Anzahl  von  postoperativ  fiebernden  Fällen,  in  dem 
Fehlen  peritonealer  Beizung  auch  geringeren  Grades.  Die  früher  so  oft  ge¬ 
sehene  Bewölbung  des  epigastrischen  Winkels  wurde  kaum  mehr  beobachtet. 
In  2  Fällen  erfolgte  der  Tod  unmittelbar  nach  der  Operation  infolge  Luft¬ 
eintritts  in  das  Venensystem.  Die  Beobachtungen  sind  insofern  Baritäten, 
als  bisher  in  der  Literatur  Luftembolien  nach  sectio  caesarea  sich  überhaupt 
nicht  finden. 

Verf.  operiert  mit  kleinem  Längsschnitt  in  die  Bauchdecken,  medianer 
Spaltung  des  Uterus  (weshalb  er  den  früher  geübten  Fritsch’schen  Fündal- 
schnitt  verlassen  hat,  gibt  er  nicht  an.  Bef.)  ohne  Hervorwälzung  des  Uterus 
und  mit  mehrschichtiger  Uteruskatgutnaht,  von  welcher  er  nie  Nachteile 
gesehen  hat. 

Eine  neue  Phase  in  der  Kaiserschnittfrage  bedeutet  der  Frank’sche  zer¬ 
vikale  Kaiserschnitt.  Verf.  plädiert  für  das  ursprünglich  experitoneale  Vor¬ 
gehen,  dessen  technische  Schwierigkeit  ihm  überwindbar  erscheint.  Er  glaubt 
aber,  daß  für  die  uninfizierten  Fälle  mit  intaktem  Ei  der  klassische  korporeale 
Kaiserschnitt  nach  wie  vor  —  den  Operationstypus  darstellt. — ■ 

In  einer  Frage,  die  auch  heute  noch  in  Fluß  in  Bewegung  ist,  sprechen 
naturgemäß  auch  die  Küst ne rschen  Ausführungen  nicht  die  letzten  Worte. 
Sie  bringen  aber  eine  Fülle  interessanten,  wenn  auch  von  einem  Gesichtswinkel 
betrachteten  Beobachtungsmaterials  und  wirken  durch  die  subjektive  Art  des 
Vortrags  in  hohem  Maße  anregend.  F.  Kayser  (Köln). 

Historisches  und  Kritisches  über  den  Kaiserschnitt. 

(F.  A.  Kehrer,  Heidelberg.  Beiträge  zur  Geb.  u.  Gyn.,  Bd.  14,  H.  1.) 

Die  kurze  Arbeit  ist  referierender  und  kritischer  Natur.  Nach  einem 
kurzen  historischen  Überblick  vom  ersten  Kaiserschnitt  nach  Lacerlata- 
Deleurge  bis  zur  jüngsten  Frank’schen  Modifikation  behandelt  Verf.  in 
kritischer  Weise  den  Bauchdeckenschnitt,  den  Uterusschnitt,  das  Ausziehen 
der  Frucht  und  der  Nachgeburt  und  die  Uterusnaht.  Er  resümiert  sich  dahin: 

1.  BA  reinen  Kaiserschnittfällen  sectio  caesarea  in  alter  Weise  mit  media¬ 
nem  oder  querem  Zervixschnitt  (den  queren  Fundalschnitt  verwirft  er  wegen 
der  Menge  der  zur  Blutstillung  erforderlichen  Nähte;  freilich  auf  Kosten  der 
Sicherheit  der  Naht.  Bef.). 

2.  Bei  zweifelhaften  oder  leicht  infizierten  Fällen:  Extraperitoneales 
Vordringen  zum  Uterus  mit  Tamponade  des  Uterus  und  Herausleiten  des  Tam¬ 
pons  in  die  Vagina;  Drainage  des  unteren  Wundwinkels. 

3.  Bei  septischer  Infektion  des  Uterus  und  relativer  Indikation  Per¬ 
foration  ;  bei  absoluter  Indikation  Porro  mit  Einnähen  des  Stumpfes  in  das 
untere  Ende  der  Bauchwunde. 


Referate  und  Besprechungen. 


889 


Man  sieht :  ein  allerdings  zumeist  auf  theoretischen  Spekulationen  be¬ 
ruhender,  zwischen  der  alten  und  neuen  Indikationsstellung  vermittelnder 
Standpunkt.  (Ref.)  P.  Kayser  (Köln). 


Zur  bakteriologischen  Diagnose  des  Puerperalfiebers. 

(Krönig  u.  Pankow.  Zentralbl.  für  Gyn.,  Nr.  5,  1909.) 

Auf  Grund  von  Untersuchungen,  welche  sich  auf  500  Wöchnerinnen  er¬ 
strecken,  weisen  Verff.  darauf  hin,  daß  der  Nachweis  von  Streptokokken  durch 
Aussaat  des  Sekrets  in  Traubenzuckerbouillon  für  die  Diagnose  der  puerperalen 
Infektion  ebenso  bedeutungslos  ist  wie  die  Feststellung  einer  geringen  Anzahl 
von  Streptokokken  im  Lochialsekret  des  Uterus.  Zu  fordern  ist  die  Verwendung 
fester  Nährböden,  am  besten  des  schwach  alkalisch  reagierenden  Agars,  da  nur 
auf  festen  Nährböden  die  Feststellung  der  Menge  der  in  dem  Sekret  befind¬ 
lichen  Streptokokken  möglich  ist.  Der  Nachweis  einer  großen  Zahl  Strepto¬ 
kokken  in  kleinsten  Sekretmengen  ist  aber  für  die  Diagnose :  puerperale 
Streptokokkenendometritis  —  unbedingt  erforderlich.  F.  Kayser  (Köln). 


Kinderheilkunde  und  Säuglingsernährung. 

Eine  Mißbildung  als  Ursache  unstillbarer  Blutung  bei  Neugeborenen. 

(Wirtz,  Straßburg.  Med.  Klinik,  Nr.  52.  1908.) 

Es  handelt  sich  um  einen  von  gesunden  Eltern  abstammenden  recht¬ 
zeitig  geborenen  Knaben,  der  bereits  intra  partum  weißen  fetzigen  Stuhl 
entleerte  und  nur  durch  Reizmittel  und  Sauerstoffinhalation  zu  ausgiebigem 
Atmen  gebracht  werden  konnte.  Bis  zum  3.  Tage  mehrfach  weißgraue  Darm¬ 
entleerungen,  dann  bei  leidlicher  Brustnahrung  flockige,  schleimige,  weißgraue 
Dejektionen.  Ikterus  der  Haut  und  Skleren,  ikterischer  Urin.  Am  5.  Tage 
Nabelabfall,  auffallend  schnelles  Eintrocknen  der  Nabelwunde.  Leichte  Be¬ 
nommenheit  des  Kindes,  mäßige  Nahrungsaufnahme,  Gewichtsstillstand.  Nach 
dem  8.  Tage  Ausstößen  kleiner  Blutungen  aus  dem  Munde,  Sugillationen  an 
dessen  Schleimhaut,  zunehmender  Verfall,  schwarze  Blutstühle.  Urin  eiweiß- 
un>d  gallenfarbstoffhaltig,  blutiges  Feuchtwerden  des  Nabels  mit  schweren 
unstillbaren  Blutungen,  allgemeine  Hautblutungen,  Bluterbrechen,  Blutstühle. 
Exitus  letalis.  Differentialdiagnostisch  kamen  Morbus  Werlhofii,  Hämophilie, 
Bluterkrankungen,  Sepsis  und  Lues  in  Frage,  alles  mußte  ausgeschlossen 
werden.  Die  Acholie  der  Stühle  in  den  ersten  Lebenstagen,  der  starke  Ikterus, 
der  cholämische  Sopor,  die  unstillbaren  Blutungen  ließen  eine  Störung  in  den 
abführenden  Gallengängen  vermuten :  die  Autopsie  bestätigte  es :  völlige  kon¬ 
genitale  Atresie  des  ductus  choledochus  bei  sonst  völlig  normalem  Kinde.  — 
Wohl  als  angeborene  Mißbildung  aufzufassen.  Krauße-Leipzig. 


Angeborne  Aplasie  der  Gallenwege  verbunden  mit  Lebercirrhose,  durch 

Operation  behandelt. 

(F.  Theodor,  Königsberg  i.  Pr.  Archiv  für  Kinderheilk.,  Bd.  49,  H.  5  u.  6.) 

Es  sind  nur  wenig  Fälle  von  Aplasie  der  Gallenwege  bekannt.  Th.  be¬ 
schreibt  einen  Fall,  der  ihm  in  der  Praxis  vorkam  ausführlich,  ebenso  die 
Operation,  Herstellung  einer  Anastomose  zwischen  intraperitonealen  Gallen¬ 
gängen  und  einer  Dünndarmschlinge.  Bei  der  Operation  zeigte  sich  voll¬ 
ständiger  Defekt  der  Gallenwege,  vergesellschaftet  mit  kongenitaler  Cirrhose. 
Glatte  Heilung.  Entschiedene  Besserung.  Nach  8  Tagen  Exitus  an  inter¬ 
kurrentem  Darmkatarrh.  Über  die  Ätiologie  der  Erkrankung  sind  die  An¬ 
sichten  geteilt.  Gessper  glaubt,  es  handle  sich  meist  um  Lues,  Hesck 
(Graz)  spricht  von  Hemmung  (Mißbildungen)  ebenso  Heubner. 

Reiss  (München). 


890 


Referate  und  Besprechungen. 


Zur  Prognose  der  spastischen  Pylorusstenose  der  Säuglinge. 

(Prof.  W.  v.  Starck,  Kiel.  Zentralbl.  für  Kinderheilk.,  Nr.  5,  1909.) 

Für  die  Diagnose  der  Erkrankung  waren  maßgebend : 

1.  Die  sichtbare  Magenperistaltik; 

2.  Das  Erbrechen  nach  jeder  Mahlzeit  und  entsprechende  Beeinträchti¬ 
gung  des  Ernährungszustandes ; 

3.  Verminderung  der  Urin-  und  Stuhlmenge; 

4.  Nachweis  eines  kleinen  Tumors  in  der  Pylorusgegend  (in  ca.  30%). 

Als  Therapie  bewährten  sich  zunächst  kleine  häufigere  Mahlzeiten, 

in  der  ersten  Woche  abgezogene  Muttermilch  aus  der  Flasche. 

Subkutane  Kochsalzinfusionen  waren  in  der  Hälfte  der  Fälle  im  Be¬ 
ginn  der  Behandlung  ab  und  zu  nötig. 

Regelmäßige  Magenspülungen  wurden  im  allgemeinen  nicht  gemacht, 
sondern  nur,  um  ein  Urteil  über  die  Größe  und  Zeitdauer  etwaiger  Rückstände 
zu  bekommen.  Auch  ohne  Spülung  sind  die  Fälle  günstig  verlaufen. 

Über  Salzsäure  des  Magensaftes  fehlen  ausreichende  Angaben. 

Die  motorische  Insuffizienz  war  in  allen  Fällen  sehr  ausgesprochen 
vorhanden. 

Die  Prognose  der  Erkrankung  ist  durchaus  günstig. 

Als  medikamentöse  Behandlung  wurden  verabreicht  kleine  Dosen  Opium 
mit  einem  Valerianainfus  oder  Chamomillaeinfus  oder  auch  Pulv.  Doweri,  in 
hartnäckigen  Fällen  Mf  subkutan  (1/10 — 3/io  mg). 

In  der  Magengegend  warmer  Umschlag  oder  Termophor.  Reiss  (München). 

Zur  Kasuistik  der  Peritonitis  im  Säuglingsalter. 

(Franz  Deiss,  Basel.  Zentralbl.  für  Kinderheilk.,  Nr.  3,  1909.) 

Peritonitis,  ebenso  wie  die  Perityphlitis,  selbst  in  ihrer  perforativen 
Form  ist  keine  Seltenheit  bei  Säuglingen. 

Mitteilung:  2  Fälle. 

Fall  I.  Knabe  12  h  post  partum  mit  gewaltig  aufgetriebenen  Abdomen. 
Nach  IV2  Std.  Operation  wegen  Darmverschluß.  Schnitt  wie  bei  Appendizitis. 
Es  entleert  sich  eine  fast  wasserdünne  trübe  Flüssigkeit,  die  geruchlos1  ist,  bei. 
Überimpfen  steril  bleibt,  im  Sediment  Epidermiszellen  und  feine  Wollhaare, 
ca.  V3  1.  Nach  12  Std.  fäkulentes  Erbrechen,  Ikterus,  exitus  40h  post 
operationem. 

Autopsie.  Darmverschluß,  Dünndarm  perforiert. 

Diesen  Befund  deutet  D.  als  Reste  einer  fötalen  Peritonitis.  Ätiologie 
unbekannt,  Tuberkulose  und  Lues  sind  sicher  auszuschließen. 

Fall  II.  M.  K.,  10  Monate. 

Mitten  im  vollen  Wohlbefinden  Erbrechen.  Seit  2  Tagen  obstipiert. 
Auftreibung  des  Leibes.  Temp.  38°.  In  Narkose:  Resistenz  der  Ileocöcal- 
gegend. 

Diagnose  schwankt  zwischen  Peritonitis  nach  Appendizitis  und  Ileus  in¬ 
folge  Invagination. 

Operation :  Strangulationsileus,  durch  den  abschnürenden,  gangränösen 
Wurmfortsatz.  Appendix  an  der  Spitze  2  feine  Perforationsöffnungen. 

Exitus  3  h  post  operationem.  Die  Sektion  ergibt  noch  eine  durchs 
Zwerchfell  fortgeleitete  rechtsseitige  Pleuritis. 

Es  handelt  sich  um  eine  Appendizitis  gangränosa  mit  Kotstei.uen  und 
universeller  Peritonitis,  kompliziert  durch  Strangulationsileus  und  fortge¬ 
leiteter  Pleuritis.  Reiss  (München). 

lieber  Beeinflussung  des  Strophulus  (Lichen  urticatus)  durch 

Scheinwerferbestrahlung. 

(Dr.  E.  Ruediger,  Marburg  a.  L.  Archiv  für  Kinderheilk.,  Bd.  49,  H.  5  u.  6.) 

R.  berichtet  von  recht  günstigem  Erfolg  bei  Strophulus  durch  Bestrah¬ 
lung  (weißes  Kohlenlicht)  tägl.  10 — 15  Minuten;  der  Brennpunkt  wurde 
stets  hinter  den  Patienten  verlegt.  Reiss  (München). 


Referate  und  Besprechungen. 


891 


Ueber  Pyozynasebehandlung  der  Diphtherie. 

(Grösz,  Ofen-Pest.  Münch,  med.  Wochenschr.,  Nr.  4,  1909.) 

Verfassers  Resultate  stammen  von  ausgesucht  schweren  Fällen  von 
Diphtherie,  die  natürlich  noch  alle  mit  Serum  behandelt  wurden.,  Vorher 
waren  bei  den  schwersten  Formen,  namentlich  bei  kleinen  Kindern  von 
1—2  Jahren,  niemals  so  günstige  Resultate  beobachtet,  wie  bei  der  kom¬ 
binierten  Serum-  und  Pyozyanasebehandlung.  Dieses  letzte  Produkt  wurde 
nicht  nur  in  dem  affizierten  Rachen  aufgesprayt,  sondern  auch  beim  Krupp 
direkt  in  den  Larynx  durch  einen  Sprayapparat  (Kolben  mit  Druckballon 
und  einem  zweimal  rechtwinklig  abgebogenen  Leitungsrohr)  und  zwar  un¬ 
verdünnt,  in  2 — 6  Sitzungen  pro  die.  Das  kurze  Endstück  des  Rohres  wurde 
wie  bei  der  Intubation  in  den  Larynx  bezw.  hinter  die  Epiglottis  eingeführt. 
Die  Vorbereitungen  zur  Intubation  mußten  für  alle  Fälle  getroffen  sein. 
Rascheres  Ablösen  der  Membranen  bei  der  kombinierten  Behandlung,  schneller 
Temperaturabfall,  rasches  Verschwinden  des  Foetors,  reichliche  Expektoration 
von  Membranen,  öfteres  Unnötigwerden  der  Intubation  und  frühere  definitive 
Extubation  sprechen  für  die  Pyozyanaseanwendung.  Krauße-Leipzig. 


Ein  Fall  von  tuberkulöser  Nephritis  nach  einer  Angina  bei  einem  sonst 

gesunden  Kinde. 

(F.  Theodor,  Königsberg  i.  Pr.  Archiv  für  Kinderheilk.,  Bd.  49,  H.  5  u.  6.) 

Wie  nach  Scharlach,  sollte  auch  nach  Angina  der  Urin  stets  auf  Ei¬ 
weiß  untersucht  werden.  Der  Verf.  teilt  einen  Fall  von  mild  verlaufener 
Angina  mit,  in  dessen  Gefolge  Albumen  im  Urin  auf  trat,  nach  4  Wochen 
neben  Leukozyten  und  vielen  Bakterien  Streptokokken  und  Tuberkelbazillen 
im  Harn.  Nach  3  Jahren  Exitus  an  einer  Exazerbation  der  Nierentuberkulose. 

Reiss  (München). 


Nebennierensubstanz  und  Rachitis. 

Experimentelle  klinische  Untersuchungen. 

(Antonio  Jovane  u.  Carlo  Pace, Neapel.  Archiv  für  Kinderheilk.,  Bd.  49,  H.  5  u.  6.) 

Es  wurden  rachitische  Kinder  den  hypodermischen  Adrenalininjektionen 
unterwarfen.  Das  Adrenalin  war  die  Viooo  Lösung  von  Parke  Dawis  oder 
Clin.  Die  Dosis  war  Vio  ccm!  bis  1  ccm  dieser  Lösung.  Die  Injektion 
begann  mit  Vio  ccm  und  jede  Injektion  wurde  um  Vio  ccm  vergrößert, 
tägl.  abwechselnd  subkutan  an  einem  andern  Punkte  des  Körpers.  Niemand 
von  den  Behandelten  bekam  mehr  als  16  Injektionen. 

2  Kranke  zeigten  Intoleranz,  von  den  andern  wurde  die  Kur  gut  er¬ 
tragen.  Solange  diese  Kinder  unter  der  Wirkung  der  Adrenalin-Injektionen 
standen,  war  eine  Besserung  der  rachitischen  Symptome  unverkennbar,  die 
aber  nach  Einstellung  der  Behandlung  alsbald  wieder  verschwand.  Die  Verf. 
erklären  diese  Besserung  als  Verstärkung  des  Muskel tonus,  hervorgerufen 
durch  die  Nebennierensubstanz,  die  wie  innere  Sekretion  wirkend,  den  orga¬ 
nischen  Stoffwechsel  günstig  beeinflußt. 

Als  Resultat  ihrer  histologischen  Untersuchung  fanden  die  Autoren 
die  Nebennieren  in  keiner  Weise  bei  Rachitis  verändert.  Vollständige  Neben¬ 
nierenexstirpation  führt  bei  Tieren  immer  zum  Tode. 

Einseitige  Nebennierenexstirpation  läßt  außer  einer  Vasodilatation  in 
den  Blutkapillaren  der  Knochenmarkräume  keine  histologischen  Beschädigungen 
entdecken. 

Resultat:  Pathologisch  anatomisch  keine  Beziehung  zwischen  Neben¬ 
niere  und  Rachitis. 

Die  chemisch-biologische  Seite  der  Frage  ist  noch  zu  erforschen. 

Reiss  (München). 


892 


Referate  und  Besprechungen. 


Ueber  Wundscharlach. 

(L.  Kredel,  Hannover.  Archiv  für  klin.  Chir.,  Bd.  87,  H.  4.) 

Während  in  der  vorantiseptischen  Zeit  der  Wundscharlach  eine  große 
Rolle  spielte,  trat  er  mit  Einführung  des  Antisepsis  mehr  in  den  Hinter¬ 
grund.  Auch  ließ  eine  strengere  Kritik  eine  große  Anzahl  von  Fällen, 
welche  als  Wundscharlach  beschrieben  waren,  als  septische  Exantheme  er¬ 
klären,  ja,  es  wurde  das  Vorkommen  von  Wundscharlach  überhaupt  ge¬ 
leugnet.  Kredel  teilt  nun  eine  Reihe  von  Fällen  mit,  die  als  typischer 
Wundscharlach  zu  bezeichnen  sind.  Unter  28  im  Laufe  des  letzten  Jahres 
im  Kinderkrankenhause  zur  Beobachtung  gekommenen  Fälle  traten  12  un¬ 
mittelbar  nach  einer  Operation,  einer  hei  einer  frischen  Verbrennung .  auf. 
Trotz  der  interkurrenten  Scharlachinfektion  sind  die  Wunden  mit  3  Aus- 
nahmen  aseptisch  gehliehen.  4  mal  konnte  mit  Sicherheit  der  Beginn  des 
Exanthems  von  der  Umgehung  der  Wunde  festgestellt  werden.  Das  schwerste 
Exanthem  trat  bei  einem  Kinde  auf,  welches  an  beiden  Füßen  operiert  war. 
Die  Inkubation  pflegt  beim  Wundscharlach  eine  auffallend  kurze  zu  sein. 
Die  Angina  wird  bei  ihm  häufig  vermißt,  mitunter  tritt  sie  verspätet  auf 
(2 — 5  Tage  nach  Ausbruch  des  Exanthems).  Verfasser  ist  der  Ansicht,  daß 
eine  Infektion  der  Wunde  während  der  Operation  stattfindet.  Er  wirft 
die  Frage  auf,  ob  man  in  solchen  Zeiten  einer  Scharlachepidemie  zur  Ver¬ 
hütung  der  Infektion,  die  Wunden  einer  vernünftigen  Antisepsis  —  alle 
seine  Fälle  sind  rein  aseptisch  behandelt  worden — -  unterwerfen  soll. 

H.  Stettiner  (Berlin). 


Beitrag  zur  Keuchhustenbehandlung. 

(R.  Schottin.  Med.  Klinik,  Kr.  7,  1908.) 

Die  Behandlung  des  Keuchhustens,  wie  sie  Schottin  seit  längeren  Jahren 
übt  und  empfiehlt,  besteht  darin,  daß  die  Kranken  in  einer  mit  Bromdämpfen 
geschwängerten  Athmosphäre  sich  zeitweise  aufhalten.  Die  Kranken  befinden 
sich  vor-  und  nachmittags  in  einem  Bromdampf zimmer  für  je  2 — 3  Stunden  und 
schlafen  auch  nachts  darin.  Um  die  Bromdämpfe  zu  erzeugen,  bedient  sich 
Schottin  eines  nach  seinen  Angaben  von  der  Marien- Apotheke  in  Dresden 
hergestellten  und  Bromotussin  genannten  Präparates.  Unter  der  Behand¬ 
lung  mit  Bromdämpfen  sollen  die  Keuchhustenanfälle  innerhalb  von  5 — 8  Tagen 
in  Bezug  auf  Heftigkeit  und  Anzahl  auf  die  Hälfte  absinken  und  nachj  3  bis 
4  Wochen  ohne  Rückfall  verschwinden.  In  einzelnen  Fällen  ging  die  Besse¬ 
rung  noch  schneller  von  statten  und  machte  sich  schon  nach  wenigen  Tagen 
bemerkbar.  R.  Stüve  (Osnabrück). 


Psychiatrie  und  Neurologie. 

Ein  neues  Verfahren  zur  Nervenzellenfärbung. 

(Savini.  Zentralbl.  für  Bakt.,  Bd.  48,  H.  5,  1909.) 

Die  Verfasser  liefern  einen  kleinen  Beitrag  zur  Nissl-Färbung  der 
Nervenzellen.  Sie  haben  die  Angaben  NissT’s  hier  und  dort  verändert. 
Die  Einbettung  der  Stücke  geschieht  in  Zelloidin. 

Die  einzelnen  Schnitte  werden  ,auf  numerierten  Papier  blättern  aufgefangen 
und  vor  der  Färbung  kurze  Zeit  in  96°/0igem  Alkohol  aufbewahrt.  Der 
Schnitt  wird  dann  in  die  Oberfläche  der  Farblösung  gebracht.  Die  Borax¬ 
methylenblaulösung  wenden  Verf.  nur  halbverdünnt  an.  Das  Färbebad  wird 
nur  bis  zur  deutlichen  Dampfbildung  etwa  zwei  Minuten  erwärmt.  Die 
Differenzierung  in  Anilinalkohol  soll  langsam  vor  sich  gehen.  Die  Differen¬ 
zierung  ist  unter  dem  Mikroskop  zu  überwachen.  Dann,  wenn  das  Präparat 
den  gewünschten  Grad  erreicht,  wird  es  in  Kajeputtöl  aufgehellt,  mit  Benzin 
gewaschen  und  in  Benzinkolophonium  eingeschlossen. 


Referate  und  Besprechungen. 


893 


Das  Boraxmethylenblau  gebrauchen  Verfasser  auch  zur  Romanowsky- 
Färbung  mit  einer  gleichzeitigen  l%0igen  Eosinlösung.  Die  genaue  Färbe¬ 
methode  wird  angegeben.  Diese  Färbung  eignet  sich  gut  für  Blut,  für 
Blutparasiten,  wie  Malaria,  Trypanosomiasen.  Schürmann  (Düsseldorf). 


Anatomische  Studien  über  den  Mongolismus. 

(Paul  Hellmann  Senkerg, Frankfurt  a.  M.  Archiv  für  Kinderheilk.,  Bd.49,H.  5u.6.) 

Der  Verf.  wirft  die  Frage  auf,  ob  Mongolismus  eine  Affektion  mit  hirn¬ 
anatomischer  Besonderheit  darstellt.  Nachdem  er  die  klinischen  Besonder¬ 
heiten  des  Mongolismus  gegenüber  anderen  Formen  der  Idiotie  an  Hand  ver¬ 
schiedener  Krankengeschichten  festgelegt  hat,  geht  er  an  die  Deutung  des 
anatomischen  Befundes.  Die  inneren  Organe,  die  drüsigen  Elemente,  be¬ 
sonders  die  Schilddrüse  zeigten  keine  verwertbare  Abweichung  von  der  Norm. 
Die  Kleinheit  des  Gehirnes  bei  einfachem  Windungstypus  unterscheidet  sich 
bei  Mongolismus  nicht  von  anderen  Formen  der  Idiotie.  Entzündliche  Ver¬ 
änderungen  an  den  mesodermalen  und  ektodermalen  Stützelementen,  an  der 
Pia  und  den  Gefäßen  sind  bei  Mongolismus  unter  allen  Umständen  auszu¬ 
schließen.  Die  quantitative  Verzögerung  und  Verminderung  der  Markbildung 
besonders  der  Rinde  bietet  keine  anderen  Veränderungen,  als  wir  sie  bei  jeder 
Idiotie  zu  sehen  gewohnt  sind.  Die  tieferen  Hirnteile  (Kleinhirn  und  Rücken¬ 
mark)  lassen  nichts  pathologisches  erkennen.  Die  Zeichen  einer  nicht  ganz 
fertigen  Entwicklung  der  Gehirnrinde  faßt  H.  als  Symptom  einer  tieferliegen¬ 
den,  uns  noch  nicht  bekannten  Krankheitsursache  auf.  Reiss  (München). 


Aus  dem  Sanatorum  für  innere  und  Nervenkrankheiten  Schloß  Hornegg  a.  N. 

Zur  Klinik  postdiphtherischer  Pseudotabes  (Liquorbefunde  bei 

postdiphtherischer  Lähmung). 

(Dr.  L.  Roemheld.  Deutsche  med.  Wochenschr.,  Nr.  15,  1909.) 

Die  Ähnlichkeit  des  klinischen  Bildes  der  Tabes  dorsalis  mit  dem  der 
schweren  Formen  postdiphtherischer  Lähmungen  veranlaßte  Roemheld,  Unter¬ 
suchungen  darüber  anzustellen,  ob  auch  das  Verhalten  des  Liquor  cerebro¬ 
spinalis  bei  diesen  beiden  Krankheiten  Ähnlichkeiten  aufweist.  Bei  einem 
erwachsenen  Patienten,  der  mit  Serum  behandelt  worden  war  und  2—3  Mo¬ 
nate  nach  der  überstandenen  schweren  Diphtherie  das  Bild  der  postdiphtherischen 
Lähmung  (Akkomodationsparese,  Gaumensegellähmung  und  im  übrigen  die  Sym¬ 
ptome  der  Pseudotabes)  bot,  konnte  er  eine  pathologische  Veränderung  des  Liquor 
cerebrospinalis  konstatieren.  Sie  bestand  in  Vermehrung  des  Eiweißgehaltes, 
weniger  in  Vermehrung  der  zeitigen  Elemente  und  ging  mit  der  Besserung 
der  klinischen  Symptome  zurück.  Die  Eiweißvermehrung  war  außerordentlich 
stark,  so  wie  man  sie  bei  Paralyse  oder  Meningitis  findet. 

Nach  zwei  Richtungen  hin  ist  diese  Beobachtung  von  Wert.  Erstens 
liefert  sie  einen  Beitrag  zur  Lösung  der  Frage  nach  dem  Sitz  der  post- 
diphtherischen  Lähmung.  Es  dürfte  sich  dabei  kaum  um  eine  einfache  peri¬ 
phere  Erkrankung  der  Nerven  handeln,  vielmehr  läßt  die  Hochgradigkeit  der 
Liquorveränderung  die  Möglichkeit  zu,  daß  die  nervösen  Zentralorgane  und 
ihre  Häute  durch  septisch  entzündliche  Prozesse  angegriffen  sind,  die  zu 
zentralen  anatomischen  Veränderungen  geführt  haben.  Dabei  bleibt  es  frei¬ 
lich  unentschieden,  ob  die  Liquorveränderung  die  Folge  einer  Diphtheriesepsis 
im  Beginn  der  Erkrankung  ist,  oder  ob  sie  erst  im  Stadium  der  postdiph¬ 
therischen  Lähmung  die  Folge  einer  aszendier enden  Entzündung  ist.  Zweitens 
lassen  solche  Beobachtungen  bei  akuten  Infektionskrankheiten  vielleicht  auch 
Rückschlüsse  auf  die  Entstehung  der  Lymphozytose  und  der  Eiweißvermehrung 
bei  metasyphilitischen  Erkrankungen  zu. 

Roemheld  führt  zum  Schluß  noch  einen  Fall  von  Imbezillität  an,  die 
im  Anschluß  an  eine  schwere  Diphtherie  mit  postdiphtherischer  Lähmung 
eingetreten  war.  Hier  fand  sich  gleichfalls  eine  pathologische  Liquorver- 
änderung.  Der  Fall  unterscheidet  sich  aber  dadurch  von  dem  ersten,  daß) 


894 


Bücherschau. 


nach  dem  Verschwinden  der  Lähmung  ein  außerordentlich  schweres  Krank¬ 
heitsbild  zurückgeblieben  ist,  und  zwar  ein  stationärer  Zustand  von  Im¬ 
bezillität,  von  Pleozytose  und  von  starker  Vermehrung  des  Eiweißgehaltes. 
Es  dürfte  aber  ganz  besonders  dafür  sprechen,  daß  die  Liquorveränderungen 
auf  anatomische  Läsionen  der  Zentralorgane  und  ihrer  Häute  zurückzuführen, 
also  nicht  toxischer  Natur  sind.'  F.  Walther. 


Die  Sanatogentherapie  bei  Erkrankungen  des  Nervensystems. 

(Bernhard  Westheim  er.  Med.  Klinik,  Nr.  47,  1908.) 

Von  der  Heranziehung  des  Sanatogens  zur  Unterstützung  der  Ernährung 
bei  den  verschiedensten  Erkrankungen  nervöser  Art,  sowohl  der  „rein  funk¬ 
tionellen“  Erkrankungen  wie  Hysterie,  Neurasthenie,  besonders  auch  sexueller 
Neurasthenie,  bei  Epilepsie  und  auch  bei  solchen  mit  organischen  Verände¬ 
rungen  (Tabes),  sah  Wert.heim.er  gute,  z.  T.  ausgezeichnete  Erfolge. 

R.  Stüve  (Osnabrück). 


Bücherschau. 


Die  chronischen  Krankheiten,  ihre  Entstehung,  Verhütung  und  Heilung. 

Entwurf  einer  biologisch  -  pharmakologischen  Zellulartherapie  unter 
besonderer  Berücksichtigung  der  Lehre  von  der  Infektion  und  Immunität. 
Von  Friedrich  Boesser.  Leipzig,  Paul  Schimmelwitz,  1909.  102  S. 

8°.  3  Mk. 

Nach  dem  Vorworte  soll  in  dem  Buche  gezeigt  werden,  daß  das  Problem 
der  chronischen  Krankheit  nicht  unlösbar  ist,  sondern  tatsächlich  durch  einen 
deutschen  Arzt  (gemeint  ist  der  unten  zu  erwähnende  Dr.  Kreidmann)  „eine 
überraschende  Lösung  gefunden  hat,  so  daß  die  Medizin  zurzeit  vor  einem; 
ihrer  größten  Wendepunkte  steht,  größer  noch  als  jener,  der  mit  der  Ent¬ 
deckung  des  Blutkreislaufes  durch  Harwey  erfolgte“.  Der  beigefügte  Prospekt 
des  Verlages  über  das  „inhaltsschwere  Werk“  führt  das  noch  weiter  mit 
hübschen  Worten,  aus. 

Das  darf  dem  Autor  (nach  Ausweis  des  Medizinalkalenders  „Spezialarzt 
für  innere  und  Kinderkrankheiten“  frühen  in  Chemnitz,  neuerdings  in  Weimar) 
beileibe  nicht  als  Unbescheidenheit  ausgelegt  werden,  da  er  wesentlich  nur  die 
Bolle  eines  Apostels  der  von  Kreidmänii  (gleichfalls  „Spezialarzt  für  innere 
und  Frauenkrankheiten“,  aber  in  Altona)  veränderten  Lehre  beansprucht, 
wenngleich  der  Tempel  [der  „Zellulartherapie“,  den  er  als  notwendige  Er¬ 
gänzung  der  Zellularpathologie  ,in  Gestalt  des  vorliegenden  Werkchens  er¬ 
richtet,  offenbar  auch  der  Bäusteine  eigenen  und  auch  recht  eigenartigen 
Gepräges  nicht  entbehrt. 

Alle  chronischen  Krankheiten  sind  nach  der  hier  vorgetragenen  Auf¬ 
fassung  nichts  als  Vergiftungen.  Die  Intoxikation  beginnt  schon  im  Mutter¬ 
leibe,  denn  die  Frucht  trinkt  schon  das  krankhafte  Fruchtwasser,  atmet 
seine  Gifte  in  die  Lungen  und  saugt  sie  in  die  oberflächlichen  und  tieferen' 
Hautschichten  anf-  Und  der  einmal  chronisch  krank  gewordene  Körper 
kann  niemals  „von  alleine“  wieder  vollkommen  genesen.  Wir  besitzen  aber 
nicht  nur  in  der  Salizylsäure,  in  Chinin  und  im  Quecksilber  unzweifelhafte 
„Antitoxine“  d.  h.  körperfremde  Agentien,  die  bei  der  Anwesenheit  der 
entsprechenden  Krankheits-  resp.  Intoxikationsstoffe  —  aber  auch  nur  dann  — 
heilen,  sondern  auch  Eisen,  Kupfer,  Jod,  Brom,  Phosphor,  Fluor,  Arsen  usw., 
kurz  die  ganze  Reihe  der  Metallika,  die  die  von  den  Krankheitsgiften  ge¬ 
setzten  Zellschädigungen,  wie  wir  belehrt  werden,  wieder  a-usgleichen  und 
weiter  auch,  in  einem  gewissen  Kontrast  zu  diesen  stehend,  die  „biochemischen“ 
Mittel  aus  dem  .  Pflanzenreich :  Morphin,  Belladonna,  Digitalis,  Strychnin, 
Pulsatilla,  Bryonia,  Rhus  toxicodendri  usw.  Die  biochemischen  Mittel  dürfen 
nur  zwischen  die  unzweifelhaft  anti toxischen  eingeschaltet  gegeben  werden ; 
die  Anwendung  und  Dosierung  der  Symptomatika  hängt  davon  ab,  ob  ein 
der  experimentellen  Arzneiwirkung  entgegengesetzter  oder  homologer  Zustand 
bei  dem  Kranken  vorhanden  ist:  im  ersteren  Falle  wirken  mittlere,  im  zweiten 
die  kleinsten  (homöopathische)  Gaben  heilsam. 


Bücherschau. 


895 


Doch  die  an ti toxische  Therapie  würde  den  Autor  vielleicht  nicht  zu  diesem 
Hymnus  begeistert  haben,  wenn  sie  sich  bloß  bei  chronischen  und  manifesten 
Krankheiten,  nicht  auch  bei  akuten  und  ebenso  prophylaktisch  bewährte. 
Es  ist  ja  gerade  charakteristisch  für  die  Enthusiasten  einer  Methode,  daß  diese 
stets  und  in  allen  Fällen  helfen  muß  und  daß  alle  Leiden  der  Menschheit  ver¬ 
möge  dieser  vermeintlichen  Errungenschaft  von  einem  Punkte  aus  kuriert 
werden  können.  Wir  müssen  also  nicht  nur  jeden  Fall  von  Schnupfen,  Influenza, 
Keuchhusten,  Masern,  Scharlach,  Diphtherie  usw.,  sondern  auch' jede'  Schwangere 
während  der  ganzen  Schwangerschaft  einer  symptomatischen  Behandlung  mit 
pflanzlichen  Antitoxinen  unterwerfen,  wir  müssen  ,,zur  größeren  Sicherheit 
vorläufig  noch"  jeden  Neugeborenen  etwa  drei  Wochen  lang  mit  pflanzlichen 
Antitoxinen  innerlich  und  äußerlich  behandeln,  „um  so  jeden  Rest  von  Frucht¬ 
wassergift  aus  der  Haut,  den  Schleimhäuten  und  in  den  Zellen  zu  beseitigen“. 

Auf  weitere  Details  gehe  ich  nicht  ein,  um  das  ,, zellularpathologische“ 
Fundament  dieser  eigenartigen  Lehre  Revue  passieren  zu  lassen.  Andernfalls 
unterschlüge  ich  den  Clou  des  Menus,  das  uns  Herr  ,, Doktor  der  Medizin  usw.“ 
Bo  esse  r  zu  servieren  die  Freundlichkeit  hat.  Ich  kann  also  nicht  umhin, 
diese  Pastete  den  verehrten  Lesern  zu  geneigter  deliziöser  Betrachtung  herum¬ 
zureichen.  Hier  ist  sie : 

Verbreitet  werden  die  „chronischen  Krankheitsgifte“  im  Organismus 
durch  den  „Nervenkreislauf“,  der  ihnen  ein  langsames  Durchwandern  des 
Körpers  ,  und  die  akute  ,, Durchseuchung“  bald  dieser,  bald  jener  Organe, 
z.  B.  bestimmter  Teile  des  Kopfes  von  bestimmten  Teilen  der  Brusthöhle, 
bestimmter  Organe  dieser  wieder  von  bestimmten  Organen  der  Bauchhöhle 
aus  ermöglicht.  Dieser  „Nervenkreislauf“  im  Sinne  des  Autors  und  Kreid- 
mann’s  setzt  aber  ein  wirkliches  Fließen  von  Flüssigkeit  in  präformierten, 
in  die  Nervensubstanz  eingebetteten  Röhren  voraus,  nicht  etwa  wellenförmige 
Schwingungen  eines  Leiters  oder,  wie  Rosienbach  es  annimmt,  einen  durch  die 
Kombination  physikalischer  und  chemischer  Prozesse  von  Teilchen  zu  Teilchen 
sich  fortpflanzenden  Energiestrom. 

Auf  die  Begegnung  mit  diesem  Geist,  den  ich  durch  Aussprechen  des 
Namens  „Rosenbach“  zitiere,  schon  gefaßt,  hat  sich  der  Verfasser  offenbar 
schon  beizeiten  mit  dem  ganzen  Stolze  gut  gemachter  Entrüstung  umgürtet, 
als  er  auszog,  um  seine  wissenschaftliche  Tat  zu  vollbringen.  Kinder  stimmen 
bekanntlich  mutig  klingende  Weisen  ,an,  wenn  sie  ihre  Verlegenheit  oder 
begründete  Furchtsamkeit  bemänteln  wollen,  und  so  vermaß  sich  auch  Herr 
Boesser,  mit  seinen  Enthüllungen  den  Entdeckungen  dieses  Forschers  „das 
Lebenslicht  auszublasen  und  den  unerhörten  Mißbrauch  mit  dem  Begriff  und 
Namen  des  Nervenkreislauf  es  zu  brandmarken“,  den  dieser  seiner  Meinung 
nach  getrieben  hat. 

Dabei  entblödet  sich  Boesser  nicht,  den  verstorbenen  großen  Forscher 
und  edlen  Menschen  ganz  unverblümt  des  Plagiates  zu  beschuldigen  und 
dabei  mit  der  Behauptung,  Rosenbach  habe  erst  nach  Erscheinen  des  Kreid- 
mann’schen  Buches  1893  resp.  1894  'und  nach  Überlassung  eines  „Rezensions¬ 
exemplars“  seitens  des  Autors  zwei  bis  drei  Jahre  später  „auch  einen  Nerven¬ 
kreislauf“  entdeckt,  als  Kämpe  „für  Ehre  und  Wahrheit  der  Wissenschaft“ 
zu  posieren. 

Diese  Behauptung  ist  für  jeden,  der  Rosen bach’s  Lehren  auch  nur 
oberflächlich  kennt,  von  einer,  ich  möchte  sagen,  so  „ehrlichen  Falschheit“, 
daß  niemand  durch  sie  getäuscht  werden  kann.  Aber  doch  darf  ich  als  Freund, 
Schüler  und  in  den  letzten  Jahren  auch  Mitarbeiter  des  Verstorbenen  diese 
Blasphemie  nicht  ohne  Richtigstellung  lassen. 

1.  Daß  Rosenbach  nach  dem  Erscheinen  des  Kreidmann’schen  Buches 
um  dessen  Zusendung  ersucht  hahen  mag,  ist  möglich  und  wäre  bei  dem 
Interesse,  das  jeder  Autor  an  der  V/erbreitung  seiner  eigenen  Ideen,  an  ihrer 
Ausgestaltung,  an  den  durch  die  Individualität  des  wirklichen  oder  vermeint¬ 
lichen  Nacharbeiters  gegebenen  Modifikationen  der  Auffassung,  ja  an  ihren 
Irrtümern  nimmt,  auch  erklärlich.  Sehr  zzweifle  ich  hingegen  an  der  Wahr¬ 
heit  der  Angabe,  daß  um  ein  „Rezensions“-Exemplar  gebeten  worden  sein  soll, 
schon  deshalb,  weil  Rosen  bach  sich  mit  Referaten  für  Zeitschriften  meines 
Wissens  überhaupt  nicht,  in  jener  Zeit  aber,  als  er  mit  den  Korrekturein 
seiner  72  Druckbogen  (1132  und  XVI  Seiten)  großen  Formats  umfassenden 
Monographie  der  Herzkrankheiten  (1893 — 1897)  beschäftigt  war,  mit  Sicher¬ 
heit  nicht  abgegeben  hat.  Wenn  sich  Boesser  —  oder  Kreidmann  durch  den 
Mund  Boesser’s  —  über  das  Ausbleiben  einer  Besprechung  beklagt,  so  kann 
ich  nur  betonen,  daß  Schweigen  oft  vielleicht  die  rücksichtsvollste  und  wohl- 


896 


Bücherschau. 


_  # 

wollen dste  Art  der  Kritik  und  nach  meiner  Erfahrung  nicht  gar  so  selten 

die  für  den  Autor,  wie  für  den  Rezensenten  angenehmste  Lösung  der  Aufgabe 
ist.  W äre  das  doch  auch  hier  nur  möglich  gewesen ! 

2.  Boesser  behauptet,  daß  Rosenbach  erst  „neuerdings14  (er  meint  zwischen 
1894,  dem  Jahre  des  Abschlusses  des  ersten  [Teiles  des  Kreidmann’schen  Buches, 
und  1896)  in  der  schon  erwähnten  Monographie  der  Herzkrankheiten,  deren  erste 
Hälfte  übrigens  1893  erschien  und  im  Heft  101  der  Berliner  Klinik,  November 
1896)  mit  der  Idee  des  Nervenkreislaufs  hervorgetreten  sei.  (Komisch  klingt 
bei  einem  Autor,  der  um  diese  Zieit  offenbar  noch!  nicht  Student  in  den  klinischen 
Semestern  war,  dieses  „neuerdings“!)  Aber  wenn  sich  Herr  Boesser  einesi 
recht  eingehenden  Studiums  der  Rosenb  ach’schen  Arbeiten  befleißigen  wollte, 
würde  er  finden,  daß  die  Grundzüge  der  Lehre  vom  Kreislauf  schon  in  dessen 
ersten  Publikationen  (seit  dem  Jahre  1873)  deutlich  zutage  getreten,  immer 
ausgesprochenere  Gestalt  annehmen  und  in  ganz  markanter  Form  erscheinen  in  dem 
Aufsätze  „Bemerkungen  zur  Mechanik  des  Nervensystems  (die  oxygene 
tonische  Energie)“,  der  1892  also  mindestens  ein  reichliches  Jahr  vor  dem' 
Erscheinen  des  Kreidin  ann’schen  Buches  in  Nr.  43 — 45  der  Deutsch.  Mediz. 
Wochenschrift  zum  Abdruck  gelangte.  Die  Abfassung  des  betr.  Kapitels 
für  die  Monographie  der  Herzkrankheiten  p.  831  ff,  bis  835  fällt  auch  in  diese 
oder  wenige  Monate  spätere  Zeit.  Der  Vortrag  in  der  Berliner  Klinik 
Heft  101,  „Bemerkungen  zur  Dynamik  des  Nervensystems;  der  Nervenkreis- 
lauf  und  die  tonische  Energie“  ist  nur  eine  etwas  erweiterte  Überarbeitung 
des  erwähnten  Artikels  in  der  Deutschen  Medizinischen  Wochenschrift,  wo¬ 
von  sich  jeder  überzeugen  kann.  Und  hier  —  ich  hebe  ausdrücklich  hervor  : 
in  dieser  1892  erschienenen  Arbeit  Rosenb ach’s  —  ist  nicht  nur,  wie  von 
jeher  betont,  daß  die  peripheren  Nerven  im  Gegensätze  zu  der  landläufigen 
Auffassung,  die  ihnen  lediglich  die  Rolle  von  bloßen  Leitern  im  physikali¬ 
schen  Sinne  zuerteilt,  und  ihre  spezifischen  Endapparate  aus  arbeitsleistenden; 
kleinen  Gewebsmaschinen  zusammengesetzt  sind,  die  als  Transformatoren  der 
Energie,  vielleicht  sogar  schon  als  Akkumulatoren  wenn  auch  geringerer 
Energiemengen  (in  den  Kernen  der  Scheiden)  dienen,  sondern,  daß  durch 
diese  Konstruktion  des  Nervensystems  die  Unterhaltung  eines  Stromes  von 
Energie  stattfindet,  der  von  der  Peripherie  des  Organismus  zu  den 
Zentren  und  umgekehrt  kursiert.  Durch  die  besonders  empfindlichen  End¬ 
apparate  im  Hautorgan,  das  sich  hei  der  bis  ins  kleinste  Detail  durchge¬ 
führten  Arbeitsteilung  der  höheren  Organisation  im  Laufe  der  phylogeneti¬ 
schen  Entwicklung  aus  den  anfangs  als  direktes  Empfängsorgan  aller  kineti¬ 
schen  Energie  dienenden  Körperprotoplasma  differenzierte,  werden  die  fein¬ 
sten  Energieströme  der  Außenwelt  aufgenommen,  transformiert,  von  einem 
lebenden  Molekül  zum  andern  unter  Fortführung  der  Transformation  weiter¬ 
gegeben  und  unter  teilweiser  Aufspeicherung  in  den  gewissermaßen  als  Akku¬ 
mulatoren  dienenden  Reservoirs,  den  Ganglien  die  Übertragung  des  aktivierten 
Sauerstoffs  in  alle  Köirpergewebe  bis  zu  den  nervösen  Zentralorganen  geleitet. 
Die  hier  zur  Aufspeicherung  gelangte  Energie  kehrt  dann  bei  entsprechender 
Gestaltung  des  Impulses  unter  Vollendung  des  Zirkels  als  kinetische  Energie 
zurück,  um  sich  hier  „außerwesentlich“  zu  beteiligen. 

3.  Rosenbach,  der  schon  in  der  Monographie  der  Herzkrankheiten 
das  Ineinandergreifen  von  4  Kreisläufen  (dem  Kreislauf  des  Gewebs-  und 
Protoplasmastromes,  dem  Blutkreislauf  [mit  dem  in  ihn  als  Nebenschließung 
eingeschalteten  Lymphkreislauf],  dem  Kreislauf  der  Lunge  und  dem  Nerven- 
kreislauf)  eingehend  geschildert  hat,  versteht  natürlich  unter  dem  „Nerven- 
kreislauf“  einen  ganz  anderen  Vorgang,  als  wie  ihn  Boesser  und  Kreid¬ 
mann  im  Auge  haben,  deren  einseitig  humoralpathologische  Anschauung 
ja  in  der  Darstellung  vom  Fließen  der  Nervenströme  „nach  Art  des  Inhalts 
einer  Röhrenleitung“  in  den  supponierten  „N ervenkapillaren“  —  einer  Ent¬ 
deckung,  die  ja  auch  von  der  bösen  Mitwelt  totgeschwiegen  wird  —  zum 
Ausdruck  kommt. 

Was  überhaupt  von  allen  den  Einfällen  lesbar  ist,  haben  andere  schon 
vorher  gedacht,  und  das  andere  sind  nackte  Plattheiten,  unbeweisbare  Be¬ 
hauptungen  und  zudem  wissenschaftliche  Ungereimtheiten.  Was  aber  die 
Verunglimpfungen  Rosenbachs  durch  Herrn  Boesser  anlangt,  so  scheint 
die  „Liebe  zur  Ehre  und  zur  Wahrheit  der  Wissenschaft“,  die  er  damit  zu 
dokumentieren  vorgibt,  doch  eine  recht  unglückliche  Liebe  zu  sein.  Eschle. 

Schriftleitung:  Dr.  Ri  gl  er  in  Leipzig. 

Druck  von  Emil  Herr  mann  senior  in  Leipzig. 


27.  Jahrgang. 


1909. 


fortscbritte  der  Medizin. 


Unter  Mitwirkung  hervorragender  Fachmänner 

lierausgegeben  von 

Professor  Dr.  0.  Köster  Prio.-Doz.  Dr. ».  griegern 


in  Leipzig.  in  Leipzig. 

Schriftleitung:  Dr.  Rigler  in  Leipzig. 


Nr.  24. 


Erscheint  am  10.,  20.,  30.  jeden  Monats.  Preis  halbjährlich 
6  Mark,  in  kl.  Zeitschrift  für  Versicherungsmedizin  8  Mark. 


Verlag  von  Georg  Thieme,  Leipzig. 


30.  August. 


Originalarbeiten  und  Sammelberichte. 


Ueber  einseitige  Augenbewegungen. 

Von  Prof.  Dr.  A.  Bielschowsky, 

1.  Assistent  an  der  Uni versitäts- Augenklinik  zu  Leipzig. 

(Nach  einem  in  der  biologischen  Gesellschaft  zu  Leipzig  am  21.  Mai  1909 

gehaltenen  Vortrage.) 

Es  ist  eine  alte  Streitfrage,  ob  die  gleichzeitig  und  in  der  Hegel  auch 
gleichmäßig  erfolgenden  Bewegungen  der  beiden  Augen  eine  präformierte 
Einrichtung  des  Zentralorgans  darstellen,  wie  die  Anhänger  der  nati- 
vistisehen  Anschauung  Joh.  Müllers  glauben,  oder  ob  die  motorische 
Anrknüpfung  der  beiden  Augen  erst  eine  im  Leben  des  Einzelnen  er¬ 
worbene  Tätigkeit  sei,  erlernt  durch  das  Bestreben,  den  Gegenstand  der 
Aufmerksamkeit  in  beiden  Augen  auf  den  Netzhautmitten  als  den 
Stellen  des  schärfsten  Sehens  zur  Abbildung  zu  bringen.  Die  letztere, 
von  Helmholtz  und  der  empdristischen  Schule  vertretene  Lehre, 
schien  eine  Stütze  zu  finden  in  den  gelegentlich  zu  beobachtenden 
einseitigen  bezw.  ungleichmäßigen  Augenbewegungen,  die  man 
auf  isolierte  bezw.  verschiedenartige  Innervation  der  beiden  Einzelaugen 
zu  beziehen  geneigt  war.  Demgegenüber  wies  Hering  einerseits  darauf 
hin,  daß  auch  ein  von  frühester  Kindheit  an  sehschwaches  oder  blindes 
Auge  stets  die  Bewegungen  des  zweiten  (sehtüchtigen)  Auges  gleich¬ 
sinnig  und  gleichmäßig  mitmache,  was  auf  eine  angeborene  nervöse 
Verknüpfung  ihrer  motorischen  Apparate  schließen  lasse.  Anderer¬ 
seits  zeigte  er,  daß  auch  die  beim  gewöhnlichen  Sehen  des  normalen 
Menschen  zu  beobachtenden  ungleichmäßigen  bezw.  einseitigen  Augen¬ 
bewegungen  auf  gleichmäßige  Innervation  der  beiden  Augen  zurück¬ 
zuführen  sind.  Wenn  jemand,  der  einen  fernen  Punkt  fixiert,  in  die 
linke  Gesichtslinie  nahe  vor  das  Auge  eine  Nadelspitze  bringt  und  die 
Augen  dann  auf  letztere  einstellt,  so  macht  nur  das  rechte  Auge  eine  starke 
Bewegung  nach  einwärts  (links),  am  linken  sieht  man  höchstens  eine 
minimale  Zuckung.  Trotzdem  hat  die  Änderung  der  Innervation,  die 
zur  Einstellung  auf  die  Nadelspitze  führte,  das  linke  Auge  in  der  näm¬ 
lichen  Weise  beeinflußt,  wie  das  rechte.  Daß  nur  letzteres  mit  einer 
deutlichen  Bewegung  reagierte,  liegt  daran,  daß  keine  einfache,  sondern 
eine  zusammengesetzte  Innervation  erteilt  worden  ist,  zusammengesetzt 
nämlich  aus  einem  (gegensinnigen)  Bewegungsimpuls  zur  Naliestel- 
lung  (Konvergenz)  und  einem  (gleichsinnigen)  Bewegungsimpuls 
zur  Linkswendung  des  Doppelauges.  (Nur  für  „unendliche“  bezw. 

57 


898 


A.  Bielschowsky, 

sehr  große  Entfernungen  spielt  der  Seitenabstand  der  Augen  von  der 
Medianebene  keine  Holle,  so  daß  man  ein  unendlich  fernes  Fixations¬ 
objekt  gleichzeitig  in  der  Medianebene  des  Körpers  und  in  jeder  der 
beiden  Gesichtslinien  liegend  erachten  kann  .  Innerhalb  endlicher  Ent¬ 
fernungen  jedoch  liegt  alles  „seitwärts“,  was  nicht  in  der  Medianebene 
liegt.  Nur  wenn  das  fixierte  Objekt  in  der  Medianebene  heranrückt, 
kann  die  Fixation  durch  ausschließliche  Änderung  der  Konvergenz¬ 
innervation  erhalten  bleiben.  Rückt  es  jedoch  in  einer  der  Gesichts¬ 
linien,  z.  B.  in  der  linken  heran,  so  muß  zur  Erhaltung  der  Fixation 
sich  mit  der  zunehmenden  Konvergenz-,  eine  entsprechend  zunehmende 
Linkswendungsinnervation  verbinden.)  Sowohl  der  Konvergenz-  wie 
der  Linkswendungsimpuls  treiben  das  rechte  Auge  in  dem  nämlichen 
Sinne  —  zu  einer  Adduktionsbewegung  —  an ;  am  linken  dagegen 
wirken  beide  Impulse  einander  derart  entgegen,  daß  eine  Stellungs¬ 
änderung  nicht  erfolgt.  Die  von  Hering  erbrachten  Beweise  dafür, 
daß  —  in  dem  als  Beispiel  gewählten  Falle  —  das  stillstehende  linke 
Auge  die  nämliche  In n e r v at i on s än derung  erfahren  hat,  wie  das  allein 
bewegte  rechte  Auge,  brauchen  hier  nicht-  rekapituliert  zu  werden. 

Durch  Einübung  kann  man  es  leicht  dahin  bringen,  ein  Auge 
isoliert  aus  der  Mittelstellung  nach  innen  und  wieder  zurück  zur  Mittel¬ 
stellung  wandeln  zu  lassen.  Man  muß  nur  lernen,  auch  ohne  ein  be¬ 
stimmtes,  nahegelegenes  Fixationsobjekt  einen  Konvergenzimpuls  auf¬ 
zubringen.  Tut  man  dies  und  achtet  man  gleichzeitig  auf  ein  ent¬ 
ferntes,  gut  von  der  Umgebung  abstechendes  Objekt,  so  erscheint  dieses 
in  gleichzeitigen  Doppelbildern.  Wenn  man  nun  den  Konvergenz impuls 
verstärkt,  während  man  dauernd  das  eine  von  den  Doppelbildern,  z.  B. 
das  linke,  fixiert,  so  bleibt  das  linke  Auge  unverrückt,  während  das 
rechte  Auge  sich  nach  innen  bewegt.  Hatte  man  das  rechts  gelegene 
Bild  andauernd  fixiert,  so  wäre  eine  isolierte  Bewegung  des  linken 
Auges  erfolgt. 

Viele,  die  an  latentem  oder  manifestem  Auswärtsschielen  leiden, 
sind  imstande,  die  Augen  nach  Belieben  nicht  nur  parallel,  sondern 
auch  in  Konvergenz  zu  stellen.  Wenn  sie  dabei  die  Aufmerksamkeit 
ständig  auf  die  Netzhautbilder  des  einen  —  des  führenden  —  Auges 
richten,  so  vollzieht  sich  ebenso  wie  in  dem  oben  geschilderten  Falle  der 
Übergang  aus  der  Divergenz-  in  die  Konvergenzstellung  einseitig, 
ebenso  die  entgegengesetzte  Bewegung,  die  bei  Nachlassen  der  Konver¬ 
genzanstrengung  eintritt.  Wiederum  liegt  der  einseitigen  Bewegung 
eine  bilateral-gleichmäßige  (aus  einem  gegen-  und  einem  gleich¬ 
sinnigen  Bewegungsimpulse  zusammengesetzte)  Innervation  zugrunde. 

Jemand,  dessen  Augen  in  ihrer  (anatomischen)  Ruhelage  nicht 
divergieren,  kann  die  einseitige  Bewegung  des  Auges  nach  außen  (die 
Abduktion)  nicht  erlernen,  weil  die  Divergenzinnervation  nicht  in  der 
AVeise  dem  Willen- unterstellt  ist,  wie  die  Innervation  zur  Konvergenz. 
Wohl  aber  kann  er  innerhalb  geringer  Grenzen  sowohl  einseitige 
Abduktion,  wie  auch  einseitige  Bewegung  nach  oben  oder  unten 
durch  Vermittelung  des  Fusionszwanges  ausführen.  Dieser,  den  man 
auch  als  „Streben  nach  binokularem  Einfachsehen“  bezeichnet  hat,  be¬ 
ruht  auf  der  an  einen  Reflexmechanismus  erinnernden  Abhängigkeit 
des  motorischen  vom  sensorischen  Apparate  des  Doppelauges.  Sobald 
nämlich  die  zu  demselben  Objekt  gehörigen  Bilder  auf  beiden  Netzhäuten 
gegeneinander  verschoben  werden  —  z.  B.  durch  Vorsetzen  eines  Prismas 


lieber  einseitige  Augenbewegungen. 


899 


vor  ein  Ang'e  — ,  so  daß  sie  nicht  mehr  anf  korrespondierenden  Stellen 
liegen,  wird  gleichsam  automatisch  —  ohne  Zutun  des  Betreffenden  — 
diejenige  gegensinnige  Innervation  ausgelöst,  welche  die  korrespondie¬ 
rende  Bildlage  wieder  hergestellt.  Auf  diese  Weise  kommen  (gering¬ 
gradige)  Augenbewegungen  zustande,  die  sonst  dem  Willen  nicht  unter¬ 
stehen  ;  aber  auch  für  diese  ist  der  Beweis  erbracht,  daß,  auch  wenn 
sie  einseitig  erfolgen,  stets  eine  bilateral-gleichmäßige  Innerva¬ 
tion  erteilt  worden  ist,  wobei  ein  Auge  durch  die  sich  gegenseitig 
auf  hebenden  Wirkungen  eines  gleich-  und  eines  gegensinnigen  Be¬ 
wegungsimpulses  in  seiner  Lage  erhalten  wird. 

Es  sind  zwar  wiederholt  Fälle  beschrieben  worden,  die  angeb¬ 
lich  nach  Belieben  ein  Auge  zu  abduzieren  oder  in  vertikaler  Lichtung 
zu  bewegen  vermochten,  doch  dürfte  bei  diesen  Individuen  stets  eine 
entsprechende  Anomalie  der  (anatomischen)  Buhelage  Vorgelegen  haben, 
die  zeitweilig  durch  den  Fusionszwang  latent  gehalten  wurde,  zeit¬ 
weilig  aber  —  bei  Auf  hören  des  Fusionszwanges  —  in  einseitiger  Schiei¬ 
ablenkung  zutage  trat.  Ein  besonders  charakteristisches  Beispiel  mag 
dies  erläutern.  Ein  junger  Mann  konnte  angeblich  seit  früher  Kindheit 
nach  Belieben  das  linke  Auge  isoliert  nach  oben  bewegen.  Wie  die  Unter¬ 
suchung  ergab,  war  eine  Parese  seines  linken  M.  obliquus  superior 
die  Unterlage  für  eine  Vertikaldivergenz  der  Gesichtslinien.  Vermöge 
eines  sehr  gut  entwickelten  Fusionszwanges  konnte  die  Anomalie  je¬ 
doch  latent  gehalten  werden :  Pat.  konnte  binokular  fixieren,  sobald 
er  den  betreffenden  Gegenstand  mit  Aufmerksamkeit  betrachtete,  und 
die  beiderseitigen  Netzhautbilder  mit  annähernd  gleichem  Gewicht  ins 
Bewußtsein  traten.  Wurde  eine  von  diesen  unerläßlichen  Voraus¬ 
setzungen  für  das  Wirksamwerden  des  Fusionszwanges  ausgeschaltet, 
so  war  es  dem  Pat.  nicht  möglich,  das  nach  oben  schielende  Auge 
dem  anderen  parallel  zu  stellen.  So  z.  TB-.,  wenn  man  die  Netzhautbilder 
eines  seiner  Augen  durch  ein  dunkelfarbiges  Glas  abschwächte.  Was 
einzig  und  allein  im  Belieben  des  Pat.  stand  und  die  Fähigkeit,  die 
Augen  isoliert  zu  innervieren,  vortäuschte,  war  das  Aufgeben  der  die 
Schieistellung  korrigierenden  Innervation.  Er  konnte  seine  Aufmerk¬ 
samkeit  den  Gesichtseindrücken  absichtlich  entziehen  —  wie  man  es 
macht,  wenn  man  „ins  Leere  starrt“  — :  dann  hörte  der  Fusionszwang 
auf,  und  die  Vertikaldivergenz  trat  in  der  Abweichung  des  einen  Auges 
zutage,  während  die  Fortdauer  des  Fixationsbestrebens  das  andere  Auge 
in  seiner  Stellung  erhielt. 

.  • 

Für  alle  bisher  besprochenen  Arten  einseitiger  Augenbewegungen 
ließ  sich  der  Nachweis  erbringen,  daß  die  einseitige  Bewegung  das 
Produkt  einer  beiden  Augen  gleichmäßig  zufließenden  Innervation 
darstellt,  die  sich  nur  deswegen  an  beiden  Augen  verschiedenartig  äußert, 
weil  die  zusammentreffenden  gegen-  und  gleichsinnigen  Bewegungs¬ 
impulse  sich  an  dem  einen  Auge  entgegenwirken,  während  sie  sich  am 
anderen  Auge  unterstützen.  Veranlaßt  sind  alle  derartigen  Bewegungen 
durch  die  Bedürfnisse  des  Sehakts  bezw.  durch  die  Abhängigkeit  des 
okulomotorischen  Apparates  von  den  zur  Binde  geleiteten  Erregungen 
der  Doppelnetzhaut. 

Es  gibt  indessen  zweifellos  aiuch  einseitige  Augenbewegun- 
gen,  die  durch  isolierte,  bezw.  verschiedenartige  (dissoziierte) 
Innervationen  der  Einzelaugen  entstehen.  An  ihrer  Entstehung 
sind  aber  Willen  und  Gesichtseindrücke  nicht  beteiligt,  und  darin 

57* 


900 


A.  Bielschowsky, 


liegt  das  wesentliche  Unterscheidungsmerkmal  gegenüber  allen  sonsti¬ 
gen  Augenbewegungen.  Dies  haben  bereits  Ibach  Im  ann  und  Wit- 
kowski  (1877)  in  der  Erklärung  der  von  ihnen  bei  Schlafenden, 
Kindern  in  den  ersten  Lebensitagen  und  bei  Narkotisierten  be¬ 
obachteten  atypischen  Augenbewegungen  mit  Hecht  hervorgehoben.  Sie 
fanden  neben  ganz  ungewöhnlichen  gegensinnigen  auch  rein  einseitige 
Augenbewegungen  im  Sinne  einseitiger  Abduktion,  Hebung  oder  Senkungf, 
aber  nur  unter  Umständen,  wo  es  ,,an  der  durch  das  Bedürfnis  des 
Einfachsehens  gegebenen  Nötigung  zur  zweckentsprechenden  Assoziation 
der  Augenbewegungen,  sowie  an  den  zu  dieser  Assoziation  notwendigen 
Willensimpulsen  fehlt“. 

Eine  weitere  Gruppe  von  einseitigen  Augenbewegungen  zeigt  einen 
ausgesprochen  krampfartigen  Charakter ;  dazu  gehört  vor  allem  der 
einseitige  Nystagmus,  der  in  mehr  als  2/3  der  beobachteten  Fälle  ein 
vertikaler,  viel  seltener  ein  horizontaler  oder  rotatorischer  ist.  An¬ 
gesichts  der  Tatsache,  daß  die  Zahl  der  einseitigen  bezw.  ungleich¬ 
mäßigen  Nystagmusformen  verschwindend  klein  ist  gegenüber  dem 
bilateralen,  streng  assoziierten  Nystagmus,  haben  manche  Autoren  ver¬ 
sucht,  auch  den.  einseitigen  Nystagmus  auf  bilaterale  Innervation  zu¬ 
rückzuführen.  Die  dazu  erforderlichen  Hilfshypothesen  erscheinen  mir 
jedoch  ebenso  gewaltsam  wie  unzulänglich.  Ich  will  daher  an  dieser 
Stelle  nicht  näher  darauf  eingehen,  zumal  im  folgenden  Belege  für 
die  Existenz  einseitig  wirkender,  voneinander  unabhängiger  okulomoto- 
rischer  Zentren  zu  erbringen  sein  werden,  die  meines  Erachtens  auch 
für  den  einseitigen  Nystagmus  verantwortlich  zu  machen  sind. 

Zuvor  nur  ein  kurzer  Hinweis  auf  eine  besondere  Art  einseitiger 
Augenmuskelkrämpf  e,  die  man  in  vereinzelten  Fällen  an  gelähmten 
Augenmuskeln  beobachtet  hat.  Es  handelte  sich  stets  um  einseitige,  aus 
frühester  Kindheit  stammende  oder  angeborene  Okulomotoriuslähmung, 
die  zuzeiten  das  bekannte  gewöhnliche  Krankheitsbild  (Ptosis,  Schielen 
nach  außen  und  unten,  Mydriasis)  am  gelähmten  Auge  bot.  In  ge¬ 
wissen  Intervallen  von  meist  nur  minutenlanger  Dauer  erfolgt  eine 
langsame  Hebung  des  sonst  schlaff  herabhängenden  Oberlides,  gleich¬ 
zeitig  verengt  sich  die  sonst  gänzlich  reaktionslose!  Pupille,  der  Ciliar¬ 
muskel  kontrahiert  sich  und  bewirkt  (einseitigen)  Spasmus  der  Akkom¬ 
modation,  daneben  läuft  auch  eine  einseitige  Bewegung,  die  das  diver¬ 
gierende  Auge  in  die  Mittelstellung  bringt,  mitunter  auch  etwas  senkt. 
Nachdem  der  Krampf,  der  das  nicht  gelähmte  Auge  völlig  unbeein¬ 
flußt  läßt,  einen  Bruchteil  einer  Minute  gedauert  hat,  läßt  er  allmählich 
nach :  Lid  und  Bulbus  kehren  in  die  gewöhnliche  Lage  zurück,  die 
Pupille  wird  wieder  weit,  die  Akkommodation  entspannt.  Die  wenigen 
(5)  bisher  beschriebenen  Fälle  dieser  Art  (Fuchs -Salz mann,  Ram- 
poldi,  Axenf eld-Schürenberg,  Bielschowsky)  zeigten  im  wesent¬ 
lichen  das  gleiche  eigentümliche  Verhalten,  nur  fehlte  in  meinem  Falle 
die  Beteiligung  des  levator  palp.  sup.  an  den  periodischen  Krämpfen. 
Was  den  ihnen  zugrunde  liegendem  Mechanismus  anlangt,  so  hat  wohl 
die  Annahme  am  meisten  für  sich,  daß  eine  Läsion  im  Kern-  bezw. 
Wurzelgebiet  des  einen  Okulomotorius  dessen  Erregbarkeit  für  Willens¬ 
impulse  aufgehoben  hat,  daß  aber  Besiduen  des  Krankheitsprozesses, 
die  auf  eine  unbekannte  Art  und  Weise  vasomotorischen  Einflüssen 
unterliegen,  eine  intermittierende  (zeitweilig  gehemmte)  Beizung  einige 
von  den  gelähmten  Muskeln  bewirken.  So  viel  ist  wohl  sicher,  daß 
diese  Augenmuskelkrämpfe  peripheren,  bezw.  nuklearen  Ursprungs  sind. 


Ueber  einseitige  Augenbewegungen. 


901 


Schwieriger  zu  deuten  ist  die  Entstehung  einer  anderen  Art  ein¬ 
seitiger  Augenbewegungen.  Bei  Untersuchungen  des  Sehens  der  Schie¬ 
lenden  fand  ich,  daß  Verdecken  des  schielenden  Auges  in  manchen 
Eällen  eine  isolierte  Bewegung  desselben  zur  Folge  hatte,  meist  der¬ 
art,  daß  es  bei  Verdecken  nach  oben  abwich,  bei  Wieder  fr  eilassen  in 
(oder  nahe  an)  die  horizontale  (konvergente  oder  divergente)  Lage  zu¬ 
rückkehrte.  Dieser  Vorgang  erinnert  an  das,  was  wir  als  Merkmal 
von  latentem  Schielen  kennen  gelernt  haben,  wo  die  einseitige  Be¬ 
wegung  des  vom  gemeinschaftlichen  Sehen  ausgeschlossenen  Auges  das 
Aufhören  der  vom  Fusion szw ange  unterhaltenen  Ausgleichsinnerva¬ 
tion  erkennen  läßt.  Jetzt  handelt  es  sich  aber  um  permanentes 
Schielen,  bei  dem  durch  Verdecken  des  Schielauges  eine  Änderung  der 
Schieirichtung  bewirkt  wird,  ohne  daß  es  je  zur  binokularen  Fixation 
kommt.  Denkbar  wäre  es  allerdings,  daß  trotz  Schielens  ein  gemein¬ 
schaftliches  Sehen  der  beiden  Augen  und  ein  hierauf'  gegründeter  Fusions¬ 
zwang  bestände,  vergleichbar  mit  dem,  der  an  die  normale  Netzhaut¬ 
korrespondenz  gebunden  ist.  In  der  Tat  sprechen  manche  Beobach¬ 
tungen  an  Schielenden  zugunsten  einer  solchen  Annahme.  Nicht  nur 
findet  man  bei  Schielenden  in  der  Hegel  kein  Doppeltsehen,  das  auf 
Grund  der  disparaten  Abbildung  der  Außendinge  zu  erwarten  wäre, 
sondern  in  vielen  Fällen  eine  der  Schieistellung  angepaßte  Änderung 
der  relativen  Raum-(Richfungs-)  Werte  der  Netzhaut  —  eine  Art 
anomaler,  erworbener  Korrespondenz  — ,  welche  die  Basis  für  ein, 
wenn  auch  unvollkommenes  Binokularsehen  geben  könnte.  Rudimente 
eines  solchen  sind  auch  insofern  nachgewiesen  worden,  als  manche  Schie¬ 
lende  zwei  Halbbilder  im  Steroskop  zu  einem  Sammelbilde  vereinigen, 
auch  ein  zwar  grobes,  aber  dem  einäugigen  Sehen  überlegenes  Tiefen¬ 
unterscheidungsvermögen  besitzen. 

Mit  Rücksicht  hierauf  konnten  die  oben  erwähnten  ein¬ 
seitigen  Bewegungen  des  Schielauges,  die  bei  dessen  Verdecken  und 
Freilassen  mit  ziemlicher  Gesetzmäßigkeit  bezgl.  der  Richtung  und 
des  Umfangs  der  Bewegung  erfolgen,  den  Eindruck  erwecken,  als 
stände  auch  der  okulomotorische  Apparat  unter  dem  Einfluß  der  er¬ 
worbenen  (anomalen)  Netzhaut -Beziehung.  Es  war  sehr  wohl  denk¬ 
bar,  daß  die  Ruhelage  der  Augen  im  Laufe  der  Jahre  nicht  die¬ 
selbe  geblieben  war,  wie  zur  Zeit  der  Entwicklung  der  anomalen  Netz¬ 
hautbeziehung,  daß  aber  die  Änderung  des  Schieiwinkels  nur  dann 
zutage  treten  könne,  wenn  (z.  B.  durch  Verdecken  des  Schielauges) 
der  Einfluß  des  („anomalen“)  Binokularsehens  ausgeschaltet  wäre.  Träfe 
diese  Auffassung  zu,  so  läge  der  einseitigen  Bewegung  des  Schiel¬ 
auges  —  speziell  der  bei  Freigabe  des  zuvor  verdeckten  Auges  zu  be¬ 
obachtenden  — eine  bilaterale  Innervation  zugrunde,  analog  der,  die  wir 
im  Anfang  unserer  Erörterungen  bei  den  typischen  Fusionsbewegungen 
kennen  gelernt  haben.  Zugunsten  dieser  Auffassung  schienen  auch 
Beobachtungen  von  Schlodtmann  und  Tschermak  zu  sprechen,  die 
während  der  Änderung  der  Stellung  des  Schielauges  am  fixierenden 
eine  Rollung  (Änderung  der  Meridianstellung)  beobachteten. 

Nachdem  ich  aber  im  Laufe  der  Jahre  in  weiteren  zahlreichen 
Fällen  von  Strabismus  die  einseitigen  Bewegungen  des  Schielauges  ver¬ 
folgt  habe,  bin  ich  zu  der  Überzeugung  gekommen,  daß  diese  Be¬ 
wegungen  vielfach  —  wo  nicht  immer’ —  unabhängig  sind  von  einer 
etwaigen  Verwertung  der  Schielaugeneindrücke  für  einen  binokularen 


902 


Eschle, 


Sehakt,  und  daß  die  den  Stellungsänderungen  des,  Schielauges  zugrunde 
liegende  Innervation  entweder  nur  einseitig  oder  doch  zum  mindesten 
nicht  bilateral-gleichmäßig  im  Sinne  des  Assoziationsgesetzes  er¬ 
folgt.  Bestimmend  für  diese  Anschauung  waren  nachstehende,  hier 
nur  kurz  anzuführenden  Feststellungen.  (Schluß  folgt.) 


Pathogenese  und  kausale  Therapie  der  Oedeme. 

Von  Medizinalrat  Dr.  Eschle, 

Direktor  der  Pflegeanstalt  des  Kreises  Heidelberg  zu  Sinsheim  a.  E. 

(Fortsetzung.) 

Darmerkrankungen,  ebenso  Haut-  und  Nierenentzündungen  können 
zur  Entstehung  von  Herzleiden,  ja  direkt  zu  Klappenfehlern  Veranlas- 
sung  geben.  Und  im  umgekehrten  Verhältnis  von  Ursache  und  Wirkung 
findet  sich  sehr  oft  bei  der  Aortenklappeninsuffizienz  die  typische  Form 
der  hämorrhagischen  Nephritis  als  Analogon  zur  braunen  Induration  der 
Nieren  bei  Mitralfehlern. 

Erst  wenn  man  sich  das  Ineinandergreifen  der  verschiedenen  Teile 
des  Betriebes  und  die  Mannigfaltigkeit  der  Transformationen  vergegen¬ 
wärtigt,  wird  der  scheinbare  Antagonismus,  in  dem  Haut  und  innere 
Organe,  Lunge  und  Haut,  Haut  und  Nieren,  die  einzelnen  Elemente 
des  Gewebes  und  die  höheren  Bildungen  der  Organe,  schließlich  der 
Organismus  und  die  Außenwelt  zueinander  stehen  und  auf  der  andern 
Seite  das  trotzdem  eine  harmonische  Einheit  schaffende  Zusammenwirken 
zur  Erreichung  eines  Zweckes,  und  die  damit  gegebene  komplizierte 
Selbststeuerung  des  Organismus  verständlich.  Man  kann  sagen,  daß 
verschiedene  Kreisläufe  sich  mit  dem  Gefäßkreislaufe  verbinden  bzw. 
in  ihn  eingeschaltet  sind,  um  den  Verkehr  des  Organismus  mit  der 
Außenwelt,  die  Aufnahme  von  Strömen  lebendiger  Energie  und  der 
Spannkraftmassen,  sowie  die  Abgabe  der  im  Körper  transformierten 
Ströme  und  Massen  der  Außenwelt  zu  vermitteln.  Diese  vier  Kreis¬ 
läufe  sind:  der  Nervenkreislauf,  der  Kreislauf  der  Lunge,  der  (nur 
scheinbar  geschlossene)  innere  Kreislauf  (Blut-  bzw.  Gefäßkreislauf,  in  den 
als  Nebenkreislauf  der  Lymphkreislauf  mit  den  die  Empfangsstation 
repräsentierenden  Verdauungsorganen  eingeschaltet  ist)  und  endlich  der 
Kreislauf  des  Gewebs-  oder  Protoplasmastromes.  So  hält  eine  Kette 
oder  eine  riesige  Summe  von  verketteten  Prozessen,  ein  System  von 
spiralig  sich  kreuzenden  Bahnen  den  in  sich  selbst  wiederkehrenden 
Kreislauf  und  den  kontinuierlichen  Austausch  von  Schwingungen  und 
Kraftmaterial  zwischen  der  Außenwelt  und  den  kleinsten  wie  größten 
Elementen  des  organisierten  Individuums  aufrecht.  Schon  eine  relativ 
kurze  Unterbrechung  kann  die  Existenz  des  Betriebes,  also  die  Verbin¬ 
dung  und  Schwingungsfähigkeit  der  Teile  gefährden;  aber  auf  der  an¬ 
deren  Seite  wird  gerade  durch  diese  Kompliziertheit  auch  die  Zahl  der 
Möglichkeiten  für  einen  Ausgleich  vermehrt  und  so  am  ehesten  ein 
gegenseitiges  Eintreten  geschwächter  oder  gar  defekter  Systeme  für  ein¬ 
ander  und  die  Aufrechterhaltung  einer  gewissen  mittleren  Gesamtleistung, 
kurz  die  Akkommodation  an  die  Ungunst  der  Arbeitsverhältnisse  bis 
zu  einem  gewissen  Grade  gewährleistet. 

Gerade  weil  die  Kompensation  der  Zirkulationserschei¬ 
nungen  nicht  allein  auf  eine  Verstärkung  der  Tätigkeit  des 
Herzens,  sondern  auf  einer  solchen  des  Protoplasmas  der  ver¬ 
schiedenen  Gebiete,  vor  allem  desjenigen  an  der  äußersten 


Pathogenese  und  kausale  Therapie  der  Oedeme. 


903 


Peripherie  angewiesen  ist,  ergibt  sich  zunächst  ganz  unge¬ 
zwungen  eine  Erklärung  für  das  Ausbleiben  von  Ödemen  bei 
vielen  Fällen  von  selbst  beträchtlicher  Herzschwäche. 

Wir  dürfen  eben  Ödeme  nicht  erwarten,  solange  der  Tonus  der 
Haut  (bzw.  auch  der  serösen  Häute)  so  stark  ist,  daß  er  die  Schwäche 
der  Herzleistung  kompensiert  und  imstande  ist,  positiv  ein  Gefälle  von 
der  Peripherie  nach  dem  Zentrum  (im  Venensystem)  und  negativ  den 
Abfluß  für  die  Arterien  in  genügender  Weise  aufrecht  zu  erhalten.  Und 
dieser  Ausgleich  wird  erreicht  durch  die  Verkleinerung  der  Wellen  bei 
gleichzeitiger  Steigerung  der  Anzahl  der  Einzelleistungen,  z.  B.  durch 
Erhöhung  der  Frequenz  der  Kontraktionen.  Unter  diesen  Umständen 
kann  das  Protoplasma  Wasser  in  beliebiger  Menge  gebunden  erhalten 
und  unter  eben  genügendem  Druck  bzw.  bei  regelmäßigem  Wellengänge 
eine  entsprechende  Quote  in  den  mit  Wandungen  versehenen  Ka¬ 
nälen  befördern,  denn  der  abnorme  Wasserüberschuß  der  Hydropischen 
ist  ja  nur  ein  Indikator  für  die  ungenügende  Fähigkeit  das  Wasser  zu 
aktivieren,  resp.  der  Ausdruck  eines  daraus  resultierenden  Defizits  in  der 
Leistung  der  mechanischen  Arbeit,  der  Massenbewegung. 

Nur  wenn  die  Zahl  und  Größe  der  unter  den  veränderten  Bedin¬ 
gungen  beanspruchten  Leistungen  durchaus  im  Mißverhältnis  zu  den  An¬ 
forderungen  steht,  wenn  der  Strom  des  Kreisprozesses  an  irgend  einer 
Stelle  vollkommen  stockt,  tritt  lokales  oder  allgemeines  Ödem  auf. 

Daß  eine  primäre  Schwäche  des  Herzens  die  Energetik 
abnorm  gestalten  kann,  das  beweist  ja  nicht  bloß  die  theore¬ 
tische  Erwägung,  sondern  vor  allem  die  klinische  Erfahrung, 
z.  B.  bei  Klappenfehlern  und  anderen  Formen  rein  lokaler 
Herzerkrankung  (Sklerose  der  Kranzarterien)  im  Stadium  der 
K  ompensationsstörung. 

Die  Stauungserscheinungen  sind  die  wichtigsten  Symptome  der 
Kompensationsstörung;  man  hat  sie  und  die  aus  ihnen  resultierenden 
Ödeme  sich  aber  nach  dem  Gesagten  nicht  als  einfach  durch  die  mecha¬ 
nischen  Verhältnisse  in  einem  durch  ein  Pumpenwerk  gespeisten  Köhren¬ 
system,  durch  eine  lediglich  passive  Dilatation  mit  Ündichtwerden  der 
Wände  bedingt  vorzustellen,  sondern  man  muß  in  der  Gewebsveränderung 
ein  Signal  dafür  erblicken,  daß  die  Grenze,  bis  zu  der  Kompensations-  und 
Akkqmmodationsleistung  möglich  war,  nunmehr  erreicht  ist.  Und  erst 
die  Überschreitung  dieser  Grenze,  die  Insuffizienz  der  Gewebe  für  die 
Lieferung  der  erforderlichen  Betriebsenergie,  wofür  ja  die  Befähigung 
zum  Wechsel  von  systolischem  und  diastolischem  Tonus  der  einzelnen 
an  der  Energieversorgung  in  reziproken  Phasen  beteiligten  Gewebe  die 
wesentliche  Vorbedingung  ist,  schafft  die  Situation  für  die  Entstehung 
von  Odemen.  Sehr  lehrreich  in  dieser  Hinsicht  ist  es,  die  Verhältnisse 
des  Ausgleichs  und  der  Kompensationsstörung  bei  den  Klappenfehlern 
und  in  erster  Linie  die  bei  der  wohl  häufigsten  Kategorie  von  solchen, 
den  Fehlern  am  Ostium  venös  um  sinistrum  eingehend  zu  analysieren. 

Durch  die  Insuffienz  der  Mitralis  wird  primär  nicht  die  schema¬ 
tische,  gewissermaßen  reglementsmäßige  Volumszunahme  des  linken  Vor¬ 
hofs,  sondern  so  ungemein  häufig  diese  auch  Platz  greift,  zunächst  eine 
Vergrößerung  der  linken  Kammer  bedingt.  Ja,  man  kann  sagen:  zu 
einer  mechanischen  Kompensation  der  Mitralfehler  gehört  in  leichteren 
Fällen  eine  bloße  Hypertrophie  des  linken  Ventrikels,  in  schwereren  ein 
ganzer  Komplex  von  akkommodativen  Einrichtungen,  unter  denen  eine 
aktive  Dilatation  und  eine  entsprechende  Hypertrophie  des  linken  Ven- 


904 


Esckle, 


trikels,  ferner  die  Hypertrophie  und  aktive  Dilatation  des  linken  Vor¬ 
hofs  in  die  erste  Linie  gerückt  sind.  Aber  damit  nicht  genug!  Die 
Selbststeuerung  des  Organismus  sucht  den  größeren  Bedarf  an  Energie, 
den  diese  Mehrleistung  des  linken  Herzens  erfordert,  durch  die  Erhöhung 
der  Gesamtleistung  zu  decken.  Da  eine  völlige  Kompensation  beim 
lebenden  Individuum  nicht  bloß  zur  Ausgleichung  eines  wesentlichen 
mechanischen  Hindernisses  dient,  sondern  auch  die  Akkommodation  für 
außerwesentlichen  Bedarf  und  somit  vor  allem  die  Mehrforderungen  in 
chemischer  Beziehung  zu  berücksichtigen  hat,  müssen  auch  die  dem  Gas¬ 
wechsel  dienenden  Apparate  ihre  Leistung  entsprechend  steigern.  Und 
das  können  sie  nur  auf  dem  Wege  eines  dauernd  erhöhten  Blutzuflusses 
zu  den  Lungen,  d.  h.  einer  allmählich  im  Volumen  pulmonum  auctum 
sich  auch  äußerlich  kundgebenden  aktiven  tonischen  Hyperämie  des 
Atmungsorgans,  die  dann  ihrerseits  wieder  die  Ausbildung  einer  Hyper¬ 
trophie  des  rechten  Ventrikels  zur  Voraussetzung  hat.  Es  wird  also 
in  allen  schwereren  Fällen  von  Mitralinsuffizienz  schließlich 
das  Manko  an  Energie,  das  aus  der  erforderlich  werdenden 
abnorm  hohen  wesentlichen  Leistung  des  linken  Herzens  er¬ 
wächst,  durch  Verstärkung  der  außerwesentlichen  Arbeit  des 
rechten  Ventrikels  gedeckt,  deren  Ergebnis  die  Hypertrophie 
auch  dieses  Herzabschnittes  ist. 

Bei  Insuffizienz  des  linken  Ventrikels  kommt  es  zu  passiver  Über¬ 
füllung  des  Lungenkreislaufs,  die  sich  in  chronischen,  rezidivierenden,  oft 
fälschlich  auf  andere  Ursachen  zurückgeführte  Bronchialkatarrhe,  und 
in  kardialer  Dyspnoe  (kardialem  Asthma  bei  anfallsweisem  Auftreten)  äußert. 

Im  Bereiche  des  großen  Kreislaufs  macht  sich  die  venöse  Stauung 
durch  allgemeine  Zyanose,  durch  Blutaustritte  (Petechien)  und  Hydrops, 
der  sich  bald  im  Ünterhautzellgewebe  entwickelt  (Anasarka),  bald  im 
Körperinnern  auftritt  (Aszites,  Hydrothorax)  bemerkbar. 

Einen  vorzeitigen  Eintritt  dieser  Kompensationsstörung  wird  aber 
auch  durch  einen  andern  Ausgleich  —  wenigstens  unter  entsprechenden 
Vorbedingungen  —  vorgebeugt. 

Eine  solche  Kompensation,  ein  Heilungsvorgang  für  die  Insuffizienz 
ist  gewöhnlich  die  Mitralstenose.  Eine  relative  Stenose  kann  aller¬ 
dings  ohne  Insuffizienz  auch  dadurch  entstehen,  daß  der  Klappen¬ 
ring  sich  nicht  —  gewöhnlich  handelt  es  sich  da  auch  um  irgend 
welche  Kompensationen  —  dem  Bedürfnis  entsprechend  dilatiert.  Aber 
selbst  bei  knopflochförmigem  Ostium  ist,  wenn  die  kompensierenden 
Apparate  nur  funktionieren  und  durch  interkurrierende  Zufälle  keine  zu 
großen  Anforderungen  gestellt  werden,  immer  eine  zufriedenstellende 
Kompensation  durch  Heranziehung  der  gleichen  Hilfsmechanismen,  wie 
sie  vordem  aufgezählt  wurden,  möglich,  nur  daß  zunächst  eine  Hyper¬ 
trophie  und  aktive  Dilatation  des  linken  Vorhofs  beobachtet  zu  werden 
pflegt.  Die  häufige  gleichzeitige  Hypertrophie  des  linken  Ventrikels  ist 
nach  Rosenbach  immer  dadurch  zu  erklären,  daß  eine  Insuffizienz  der 
Stenose  vorausgegangen  ist. 

Bei  der  Erklärung  der  Kompensationsvorgänge  am  Ostium 
venosum  sinistrum  wird  mit  der  Aspirationskraft  der  Herz¬ 
höhle,  die  bei  mangelnd  em -oder  erschwertem  Zufluß,  also  ge¬ 
rade  bei  der  Stenose  als  wesentlicher  Faktor  für  die  Erleichte¬ 
rung  und  Beschleunigung  der  Blutbewegung  dient,  gewöhnlich 
ebensowenig  gerechnet  wie  mit  der  Steigerung  der  Tätigkeit 
des  Lungengewebes  und  doch  ist  auch  die  Kompensation  der 


Pathogenese  und  kausale  Therapie  der  Oedeme. 


905 


Mitralstenosen  nicht  möglich  ohne  Mithilfe  dieser  verstärkten 
Protoplasmaarbeit  und  der  Reizkräfte,  welche  die  mechanische 
Störung  vom  Ostium  durch  Verringerung  der  Abflußwider¬ 
stände  auszugleichen  suchen.  Die  passive  Dilatation  kommt 
hier  wie  immer  erst  dann  zustande,  wenn  dieselben  Aufgaben, 
die  sonst  eine  Hypertrophie  verursachen,  an  ein  bereits  neu- 
rastisches  Herz  gestellt  Averden. 

Wenn  infolge  gesteigerter  Anforderungen  an  die  Körperarbeit  oder 
infolge  des  Fortschreitens  der  Gewebsprozesse  eine  weitere  Kompensation 
unmöglich  gemacht  oder  die  bereits  erreichte  wieder  gestört  wird,  pflegt 
sich  die  ein  tretende  Insuffizienz  in  einer  passiven  Dilatation  zu  doku¬ 
mentieren,  die  in  der  Regel  zuerst  das  linke,  bald  aber  auch  das  rechte 
Herz  befällt. 

Bei  der  Insuffizienz  des  linken  Herzens  dominieren  die  Zeichen 
der  Stauung  im  Lungenkreislauf.  Unter  teilweisem  Zugrundegehen  der 
ektatischen  Kapillaren  (Endarteriitis  proliferans)  wird  das  Bindegewebe 
\rerdickt,  der  Blutfarbstoff  verwandelt  sich  in  schwarzes  Pigment  und 
pigmentfaltige  Leukozyten  treten  auf  (braune  Induration).  Kurzum 
es  wiederholt  sich  an  den  Lungen  jener  Vorgang,  den  wir  an  der  Viere 
als  Stauungsniere,  an  der  Leber  als  Muskatnußleber  bezeichnen.  Klinisch 
aber  gibt  sich  diese  Lungenstauung  in  diffusen  Katarrhen  mit  Absonde¬ 
rung  eines  zähen,  schleimigen,  häufig  mit  hellrotem  oder  rostfarbigem 
Blute  durchsetzten  Sputums  kund,  das  nicht  selten  von  sogen.  Herz¬ 
fehlerzellen,  (eigentümlichen,  mit  rotbraunem  oder  gelbem  Pigment  er¬ 
füllten  Zellen)  durchsetzt  ist.  Zugleich  mit  starker  Zyanose  der  Gesicht- 
und  der  Schleimhäute  machen  sich  quälende  Paroxysmen  von  Atemnot, 
die  aber  nachts  geringer  zu  sein  pflegen,  und  heftiger  Husten  bemerkbar. 
Oft  kommt  es  zum  ausgeprägten  Lungenödem,  dem  Ausdruck  der 
stärksten,  arteriellen  und  venösen  Hyperämie  des  kleinen  Kreislaufs. 

Auf  die  Dauer  kann  aber  auch  bald  der  rechte  Ventrikel 
den  übermäßigen  Anforderungen  nicht  länger  genügen. 

Mit  der  Zunahme  der  Atonie  des  rechten  Ventrikels  ver¬ 
mindert  sich  zwar  zunächst  die  Stauung  im  Lungensysteme,  aber  mit 
dem  Langsamerwerden  des  Blutstroms  Avird  auch  die  Ernährung  der 
GeAvebe,  und  zwar  aller  GeAvebe,  immer  schlechter.  Das  Herz  macht 
frustrane  Kontraktionen,  denen  keine  PulsAArelle  entspricht,  und  nament¬ 
lich  der  linken  Kammer  Avird  es  sclrwer,  die  in  ihr  stockenden  Blut¬ 
mengen  auszutreiben.  Der  Ablauf  des  Venenblutes  wird  noch  mehr  er¬ 
schwert,  wenn  auch  der  Vorhof  sich  im  Zustande  atonischer  Dilatation 
befindet.  Im  großen  Avie  im  kleinen  Kreislauf  ist  schließlich  die  Menge 
des  interzellularen,  stark  verdünnten  Blutserums  aufs  höchste  gestiegen 
und  es  kommt  zu  hydropischen  Ansammlungen  im  Gewebe.  Bei 
den  Punktionsstärungen  am  Ostium  venosum  sinistrum  finden  sich  be¬ 
sonders  häufig  und  frühzeitig  Ödeme  der  Füße.  Diese  Fälle  sind  offenbar 
prognostisch  auch  günstiger  zu  beurteilen  als  diejenigen,  die  mit  Leber¬ 
anschwellung  einhergehen. 

Di eser  Hydrops,  der  bald  in  kleineren  oder  größeren  oder 
gar  in  allen  Gebieten  auftritt  und  aber  an  sich  durchaus  nicht 
unter  allen  LTmständen  den  Rückgang  der  motorischen  Leistung 
des  Herzens  und  der  muskulären  Elemente  im  Gefäßsystem  an¬ 
zeigt,  sondern  ihn  oft  erst  zur  Folge  hat,  schließt  auch  hier 
den  fehlerhaften  Zirkel  und  führt  durch  Unterernährung  und 
Atonie  der  G  e  av  e  b  e ,  speziell  der  Haut  und  mit  der  immer 


906 


Eschle, 

weiteren  Erschwerung  jeder  Organtätigkeit  auch  zum  völligen 
Versagen  der  blutbewegenden  Kräfte. 

Während  bei  den  Mitralfehlern  der  Hauptausgleich  im 
Kapillarsystem  der  Lunge  liegt.,  basiert  die  Kompensation  der 
Aortenfehler  im  Kapillarsystem  des  großen  Kreislaufs. 

Die  spezifische  Arbeit  des  Lungenprotoplasmas,  die  sekretorische  und 
exkretorische  Tätigkeit  vollzieht  sich  unter  wesentlich  günstigeren  Be¬ 
dingungen  als  die  des  geschädigten  arteriellen  Systems  im  Körperkreis¬ 
lauf  mit  seinen  ausgedehnten  Gefäßbezirken  und  seinen  komplizierten 
Sp  a  nnun  gs  Verhältnissen . 

Bei  der  Aorteninsuffizienz  ist  ja  im  Stadium  der  Kompensation 
Hyperämie  des  arteriellen  Systems,  Turgor  aller  Gewebe  im  großen 
Kreislauf  vorhanden,  wie  das  blühende  Aussehen  derartiger  Patienten 
beweist.  Ein  wesentlicher  Grund  für  den  relativ  malignen  Verlauf  der 
Aortenklappeninsuffizienz  liegt  nach  Bosen bach  wohl  darin,  weil  mangels 
aller  Beschwerden  und  vor  allem  bei  dem  langen  Intaktbleiben  des 
Lungenkreislaufs  eine  Vermeidung  der  beruflichen  Arbeitsleistung  nur  zu 
oft  allzuspät  für  notwendig  gefunden  wird.  Bekanntlich  wird  kaum  ein 
Klappenfehler  anfangs  —  nämlich  so  lange  er  kompensiert  wird  —  von 
relativ  so  wenig  Beschwerden  begleitet  als  die  Insuffizienz  der  Aorten¬ 
klappen,  aber  kein  Herzfehler  führt  in  der  großen  Mehrzahl  der  Fälle 
auch  so  rapid  zum  Exitus,  sobald  die  Störung  der  Kompensation  erst 
einmal  eingetreten  ist. 

Tritt  zuerst  Insuffizienz  des  linken  Ventrikels  ein,  so  haben  wir 
dieselben  Verhältnisse,  wie  sie  bei  den  Mitralfehlern  geschildert  wurden: 
die  Uberfüllung  des  kleinen  Kreislaufes  zeitigt  pathologisch -anatomisch 
das  Bild  der  braunen  Induration,  klinisch  die  gleichen  rezidivierenden 
Katarrhe. 

Versagt  —  was  prognostisch  ungünstiger  ist  —  der  rechte  Ven¬ 
trikel  früher  als  der  linke,  so  treten  die  Erscheinungen  der  Stauung 
ganz  auffallend  in  den  Vordergrund.  Weil  unter  dem  Einfluß  der 
Spannungszunahme  im  Körpersystem  die  Blutfülle  der  Gewebe  noch  viel 
stärker  ist  als  bisher,  bleibt  auch  im  kleinen  Kreislauf  eine  erhebliche 
Vermehrung  der  Stauungssymptome  nicht  aus:  Bronchialasthma,  resp. 
Anfälle  von  Atemnot,  zäh-schleimige,  häufig  mit  Blut  untermischte 
Expektorationen,  oft  schnell  hintereinander  folgende  Infarkte  (nicht 
embolischer,  sondern  thrombolischer  Natur).  Diese  Erscheinungen 
können  sich  aber  auch  jetzt  noch  bei  geeignetem  Begime 
zurückbilden,  und  bei  dem  relativ  guten  Funktionieren  des 
H  auttonus  sind  Ödeme  im  großen  Kreisläufe  selten,  trotz 
der  starken  Stauung  in  einzelnen  Protoplasmagebieten,  z.  B. 
in  der  Leber. 

Nur  wenn  der  rechte  und  der  linke  Ventrikel  gleich¬ 
zeitig  insuffizient  werden,  treten  neben  den  Anfällen  stärkster 
Atemnot,  Bassein  und  Pfeifen  über  der  ganzen  Lunge,  reichlich  blutig¬ 
schleimigem  Sputum,  neben  dem  Atmen  von  Cheyne-Stokes’schem  Typus 
und  neben  hämorrhagischer  Nephritis  sowie  Ernährungsstörungen  des 
Gehirns,  die  sich  in  Schwindel,  Sprachstörungen,  namentlich  Wort¬ 
verwechslungen,  Delirien  mit  Verfolgungsideen,  Sopor  usw.  kundgeben, 
schließlich  neben  Embolien  in  den  verschiedensten  Organen  auch 
Ödeme  auf. 

Bei  den  Stenosen  des  Aorten ostiums  haben  wir  es  entweder 
mit  einem  Folgezustand  einer  Insuffizienz  der  dortigen  Klappen  zu  tun 


Pathogenese  und  kausale  Therapie  der  Oedeme. 


907 


oder  mit  einer  arteriosklerotischen  Stenosierung  des  Aortenursprungs. 
So  wenig  wir  diese  Zustände  diagnostisch  voneinander  zu  trennen  ver¬ 
mögen,  so  sehr  fällt  am  Aortenostium  im  Gegensatz  zu  den  Störungen  am 
Ostium  mitrale  auf  den  ersten  Blick  der  Unterschied  zwischen  den  Be¬ 
funden  bei  Insuffizienz  und  bei  Stenose  auf.  Wir  werden  im  Verlauf 
der  späteren  Ausführungen  an  der  Hand  der  BosenbaclPschen  Arbeiten 
sehen,  Avie  diese  Differenz  nur  scheinbar  ist,  indem  es  sich  beide  Male 
nur  um  die  verschiedenen  Stadien  ein  und  desselben  Vorgangs  —  um 
eine  noch  ausstehende  oder  sich  vollziehende  resp.  schon  vollendete 
Kompensation  eines  Zustandes  relativer  Insuffizienz  —  handelt. 

Die  aus  akuter  Endokarditis  entstehende  Aorteninsuf¬ 
fizienz  findet  beim  Übergänge  in  die  chronische  Form  eben¬ 
falls,  A\7ie  Avir  das  für  die  Mitralklappen  bereits  feststellten, 
durch  eine  Verdickung  der  Klappen,  also  durch  Stenosen¬ 
bildung  ihre  Heilung.  Leider  ist  aber  infolge  der  vielen  interkurrenten 
Kompensationsstörungen  dieser  Ansgang  an  der  Aorta  viel  seltener  als 
an  der  Mitralis.  Die  endokarditischen  Veränderungen  zeigen  hier  auch 
weniger  Tendenz  zu  bindegewebiger  Verdickung,  und  die  Erkrankung 
rezidiviert  häufig  und  zerstört  oft  die  Klappen  total.  Die  immerhin 
also  seltenen  Fälle,  in  denen  es  zur  Ausheilung  durch  Stenose 
kommt,  unterscheiden  sich  dann  in  nichts  von  den  arterio¬ 
sklerotischen  Formen  der  Stenosenbildung,  die  primär  ohne 
ATorangegangene  Insuffizienz  (der  Aortenklappen,  aber  selten 
wohl  ohne  eine  solche  des  Zirkulationsmechanismus  an  sich!) 
ein  treten  können.  Während  die  Kompensationsfaser  des  linken  Ven¬ 
trikels  in  solchen  Fällen  von  Aortenstenose  ganz  deutlich  hyper¬ 
trophisch  ist,  bleibt  die  Dilatation  sehr  Avenig  ausgesprochen,  Aveil  die 
Selbstkompensation  der  Insuffizienz  durch  die  Stenose  den  muskulösen 
Verschlußmechanismus  gegenüber  dem  Zustande  vorher  A7iel  Aveniger  in 
Mitleidenschaft  zieht.  Auch  die  Stärke  der  Herzaktion  und  die  Inten¬ 
sität  des  Spitzenstoßes  ist  gegenüber  der  reinen  Insuffizienz  vermindert, 
ja  der  Spitzenstoß  kann  sogar  fast  unmerklich  Averden,  trotzdem  er  seine 
Stellung  im  sechsten  Interkostalraum  beibehält.  Und  mit  dem  Zunehmen 
der  Stenose  und  dem  Zurücktreten  der  Insuffizienz  verliert  der  Puls  all¬ 
mählich  immer  mehr  die  Eigenschaft  des  Hüpfens,  die  für  den  Pulsus  celer 
so  charakteristisch  ist.  Auch  das  nicht  minder  charakteristische  Pulsieren 
der  großen  Gefäße  hört  schließlich  ganz  auf,  obwohl  sie  als  geschlängelte 
Stränge  infolge  ihrer  verdickten  Wandungen  deutlich  Avahrnehmbar  sind. 
In  ausgeprägten  Fällen,  besonders  bei  der  arteriosklerotischen  Form, 
haben  Avir  mit  zunehmendem  Engerwerden  der  Arterien  sogar  einen  ex¬ 
quisiten  Pulsus  tardus.  Der  Puls  ist  jedoch  nicht  nur  gedehnt, 
sondern  auch  Arerlangsamt  (rarus)  infolge  der  geringeren  Füllung  der 
Koronararterien,  Avodurch  Avieder  nach  den  Untersuchungen  Lud av i g 
Trau b es  die  Ernährung  des  Herzens  leidet.  Und  damit  pflegt  dann 
auch  die  Kompensation  ihr  Ende  erreicht  zu  haben. 

Bei  der  auf  arteriosklerotischer  Basis  entstandenen  Aorten¬ 
stenose  muß  man  sich  ebenso  sehr  hüten,  aus  der  Stärke  der  physikali¬ 
schen  Störungen  einen  Rückschluß  auf  die  Größe  der  Störung  zu  ziehen, 
Avie  umgekehrt  beim  Fehlen  Avesentlicher  physikalischer  Zeichen  die  vor¬ 
handenen  subjektiven  und  funktionellen  Erscheinungen  zu  leicht  zu 
nehmen. 

Ganz  im  allgemeinen  hängt  ja  die  Prognose  der  Aorten¬ 
stenose  A^or  allem  A7on  dem  Verhalten  der  Kranzarterien  und 


908 


Eschle, 


dem  Ausfall  an  bewegender  Kraft  ab,  den  die  den  Prozeß  an 
der  Klappe  begleitende  Gewebsveränderung  des  Hauptblut¬ 
gefäßes,  der  Aorta,  mit  sich  führt  und  nur  zum  geringsten 
Teile  von  der  vorhandenen  Verengung  des  Ostiums. 

Bei  Aorteninsuffizienz  führt  die  beträchtliche  Hypertrophie  und 
Dilatation  der  linken  Kammer,  die  als  notwendige  Folge  der  Schlu߬ 
unfähigkeit  der  Klappen  auftritt,  zu  völlig  veränderten  Füllungsverhält- 
nissen  der  einleitenden  Gefäße,  und  zwar  zunächst  in  den  dem  Herzen 
benachbarten  und  später  in  den  weiter  entlegenen  Gebieten.  Das  Arterien¬ 
rohr  wird  nicht  nur  stärker  gefüllt,  sondern  auch  rapider  und  energischer 
von  der  Blutwelle  getroffen,  so  daß  es  an  Elastizität  und  Kontraktilität, 
sowie  in  seinem  Tonus  Einbuße  erleidet.  Die  arteriellen  Gefäße  werden 
weiter  und  können  sich  nicht  mehr  so  energisch  zusammenziehen.  Durch 
den  Ausfall  an  zirkulatorischen  Kräften  wird  aber  kein  Apparat  mehr 
beeinträchtigt,  als  der  Herzmuskel  selbst,  weil  seine  der  Ernährung 
dienenden  Gefäße  den  schädlichen  Einflüssen  der  übermäßigen  Aus¬ 
dehnung  am  meisten  und  gewissermaßen  aus  erster  Hand  ausgesetzt  sind. 

Eine  weitere  deletäre  Folge  der  nicht  kompensierten 
Fehler  am  Aortenostium  —  im  Gegensatz  zu  den  Mitralfehlern 
—  ist  die  frühe  Schädigung  des  Protoplasmas  im  großen  Kreis¬ 
lauf.  Gerade  bei  den  Aortenklapppenf ehlern  muß  dieses  un¬ 
ausbleiblich  und  zwar  so  schnell  einen  Verlust  an  seiner  vitalen 
Energie  erleiden,  weil  hier  die  Kompensationsvorgänge  auf 
den  Ausgleich  in  dem  überall  verzweigten  Kapillarsysteme 
des  großen  Kreislaufes,  und  nicht  wie  bei  den  Fehlern  der 
Mitralis  in  dem  der  Lunge,  angewiesen  sind.  Mit  dem  konse¬ 
kutiven  Fortfall  des  Gewebstonus  ist  aber  einer  der  wichtigsten 
Faktoren  für  die  Blutbewegung  ausgeschaltet,  und  alles  Sti¬ 
mulieren  des  Herzens  kann  den  fatalen  Effekt  der  vorhandenen 
Kreislaufsstörung  nicht  aufhalten. 

Trotzdem  ist,  wie  bemerkt,  ein  Ausgleich  möglich,  solange  die 
kleinsten  Gefäße  im  Aortensystem  genügende  Kompensationen  bilden. 
Bei  Einschränkung  der  außerwesentlichen  Leistungen  kann  er  sogar  von 
einer  gewissen  Dauer  sein.  Sobald  aber  die  Kompensation  versagt,  er¬ 
folgt  auch  unaufhaltsam  die  Katastrophe. 

Zu  bemerken  ist  dabei  namentlich,  daß  die  bei  der  Aorten¬ 
stenose  auf  arteriosklerotischer  Basis  schließlich  erfolgende  Kom¬ 
pensationsstörung  in  anderer  und  in  einer  weniger  stürmischen  Form 
eintritt,  als  wie  bei  der  Aorteninsuffizienz.  Das  Arteriensystem  wird  ja 
nach  Ausbildung  des  sklerosierenden  Prozesses  sogar  weniger  und  lang¬ 
samer  ausgedehnt  als  in  der  Vorm.  Es  findet  kein  Ausfall  an  bewegen¬ 
den  Kräften  in  den  Gefäßkanälen  statt,  oder  der  schon  erfolgte  Ausfall 
gleicht  sich  bis  zu  einem  gewissen  Grade  aus.  Die  Kompensations¬ 
störung  hängt  dann  einzig  und  allein  von  dem  Eintritt  der  In¬ 
suffizienz  des  linken  Ventrikels  ab,  die  sich  dann  in  derselben 
Weise  wie  bei  der  Nierenschrumpfung  kundgibt  (s.  unten!),  d.  h.  zuerst 
mit  den  schon  beschriebenen  Erscheinungen  der  Stauung  im  Lungen¬ 
kreisläufe  beginnt.  Wie  schon  bemerkt,  kommt  es  auch  zu  Ödemen 
in  diesem  Stadium  selten  oder  nie.  Erst  lange  nach  dem 
Übergreifen  des  sklerotischen  Prozesses  auf  die  Kranzarterien 
und  wenn  die  Insuffizienz  des  Herzens  proportional  den  hier 
vorhandenen  Gewebsstörungen  fortgeschritten  ist,  pflegen 
Ödeme  aufzutreten. 


Pathogenese  und  kausale  Therapie  der  Oedeme. 


909 


Trotzdem  sich  bei  keiner  Herzkrankheit  die  Symptome  der  all¬ 
gemeinen  Ernährungsstörung  so  frühzeitig  entwickeln  als  bei  der  Ver¬ 
schließung  der  Koronarien  durch  den  sklerotischen  Prozeß,  treten  bei 
reinen  Formen  der  Koronararteriosklerose  trotz  ausgeprägter  Erschei¬ 
nungen  von  Herzschwäche  Ödeme,  die  bei  andern  Funktionsstörungen 
des  Herzmuskels  ein  wesentliches  Glied  in  der  Symptom enkette  bilden, 
selten  und  dann  nur  in  geringem  Grade  auf.  Hier  ist  ja  auch  wegen 
der  Beschränkung  des  Prozesses  auf  einen  bestimmten,  wenn  auch  recht 
gefährlichen  Bezirk  eine  Kompensationstörung  im  großen  Kreislauf  mit 
konsekutiver  Beeinträchtigung  des  peripherischen  Gewebstonus  einiger¬ 
maßen  ausgeschlossen. 

Nur  nach  schweren  Anfällen  von  Angina  pectoris  werden  — 
übrigens  schnell  vorübergehende  —  Ödeme  der  Knöchel  und  des  Fu߬ 
rückens  als  Ausdruck  hochgradigster  Herzschwäche  nicht  selten  beob¬ 
achtet.  (Differentialdiagnostisch  ist  es  wohl  nicht  unwichtig,  daß  bei 
malignen  Tumoren  des  Mediastinums,  die  namentlich,  solange  sie  keinen 
größeren  Umfang  erreichen,  von  ganz  ähnlichen  Symptomen  wie  die 
Koronararteriosklerose  begleitet  sind,  ein  verhältnismäßig  starkes  Ödem 
des  Halses  und  Gesichtes  nach  sich  zu  ziehen  pflegen,  während  ein  solches 
bei  den  in  der  gleichen  Begion  lokalisierten  Aneurysmen  hinwiederum 
ausbleibt.  Erklärungen  für  diese  Erscheinungen  würden  aber  viel  zu  weit 
in  das  Gebiet  der  Spekulation  hinübergreifen.) 

Bezüglich  der  Funktionsstörungen,  die  die  Klappenfehler  des 
rechten  Herzens  setzen,  und  ihres  möglichen  Ausgleichs  darf  ich 
mich  mangels  eines  einwandfreien  Beobachtungsmaterials  und  weil  es  sich 
hierbei  mehr  oder  weniger  um  lediglich  theoretische  Konstruktionen 
handelt,  die  sich  auf  Analogien  zu  den  bei  anderen  Klappenfehlern  tat¬ 
sächlich  beobachteten  Erscheinungen  aufbauen,  kürzer  fassen.  Das  gilt 
speziell  für  die  äußerst  seltene  und  immer  angeborene  Insuffizienz  der 
Pulmonalklappen.  (Eine  intra  vitam  entstandene  Stenose  einzelner 
Äste  der  Pulmonararterie  hingegen  ist  bei  den  zahlreichen  Schrumpfungs¬ 
prozessen,  für  die  in  den  einzelnen  Teilen  der  Lunge  zur  Entwicklung 
reichliche  Gelegenheit  ist,  nicht  selten.  Aber  der  Ausgleich  vollzieht 
sich  hier  auf  Grund  der  günstigen  motorischen  Verhältnis  relativ  leicht.) 

Auch  von  den  möglichen  Symptomenkomplexen  einer  Insuffizienz 
des  Ostium  venös  um  dextrum  kann  man  sich  mangels  ausreichender 
klinischen  Beobachtungen  kaum  ein  richtiges  Bild  machen.  Man  nimmt 
gewöhnlich  an,  daß  hier  analog  den  Verhältnissen  bei  Mitralinsuffizienz 
die  Kompensation  dadurch  zustande  kommt,  daß  sich  eine  Hypertrophie 
und  Dilatation  des  rechten  Vorhofs  und  Ventrikels  entwickelt.  Sicher 
ist  nach  Posenbach,  daß  der  Eintritt  der  (sekundären)  funktio¬ 
nellen  oder  relativen  Trikuspidalinsuf fizienz  bei  Überfüllung  des 
Lungenkreislaufs  ein  Mittel  ist,  einer  allzu  großen  Stauung  in  den  Lungen¬ 
gefäßen  und  damit  einem  drohenden  Lungenödem  vorzubeugen,  wenn 
es  auch  zu  einen  solchen  „heroischen  Aderlaß  aus  dem  Lungenkreislauf  “ 
überhaupt  nur  in  ungünstigsten  Verhältnissen  kommen  kann.  Wird 
der  geschwächte  rechte  Ventrikel  wieder  funktionstüchtig,  so  gleicht  sich, 
sobald  auch  der  linke  Ventrikel  wieder  kräftiger  arbeitet  und  der 
Lungenkreislauf  entlastet  wird,  die  Störung  relativ  leicht  und  vollkommen 
aus  und  es  tritt  mit  Nachlaß  der  Stauungserscheinungen  für  lange  Zeit 
ein  relativ  befriedigender  Zustand  ein,  bis  es  endlich  zum  Versagen  dieser 
Kompensationseinrichtung  kommt  und  sich  dann  dauernde  Überfüllung 
des  großen  Kreislaufs  und  seine  Folgen  einstellen:  ungenügende 


910 


Ehrmann  und  Fuld, 

Leistung  des  gesamten  Körperprotoplasmas,  das  keine  .Regene¬ 
ration  mehr  zuläßt  und  dem  Leben  unter  massenhaften  hy dro- 
pischen  Ergüssen  in  alle  Körperhöhlen  ein  Ende  macht. 

Schon  die  vorstehenden  Betrachtungen  über  die  Kompensation  und 
ihre  Störungen  bei  Klappenfehlern  geben  uns  einigermaßen  Antwort  auf 
die  Frage,  wie  das  so  ungemein  häufige  Ausbleiben  von  Ödemen 
bei  Arteriosklerose  zu  erklären  ist.  (Fortsetzung  folgt.) 


26.  Kongreß  für  innere  Medizin  zu  Wiesbaden. 

19.— 22.  April  1909. 

Berichtserstatter:  Dr.  Ehrmann  und  Dr.  Fuld. 

(Fortsetzung.) 

Schönborn -Heidelberg:  Einige  Methoden  der  Sensibilitäts¬ 
prüfung  und  ihre  Ergebnisse  an  Nervenkranken. 

An  64  Fällen  wurden  die  Angaben  Head’s  nachgeprüft  und  ihre 
Richtigkeit  sowie  die  Brauchbarkeit  der  Methoden  bestätigt.  Außerdem 
wurde  der  Miescher’sche  Wärmetaster,  ein  mit  Wasser  durchström- 
bares  Instrumentchen,  sehr  brauchbar  gefunden  und  ein  neues  Algo- 
meter  konstruiert,  welches  mit  denselben  Einschränkungen  verwendbar 
ist  wie  die  vorhandenen  Apparate. 

Hie  Prüfung  der  tiefen  Empfindlichkeit  mit  dem  Cattel  Eschen 
Algometer  ist  sehr  vorsichtig  zu  verwerten. 

Redner  vertritt  gegenüber  He  ad  die  Möglichkeit,  Schwellenwerte 
zu  finden,  auch  beim  Ungebildeten.  Zur  Ergänzung  der  Head’ scheu 
Untersuchungen  am  Hypoästhetischen  hat  er  hyperästhetische,  neural¬ 
gische  Zonen  in  den  Kreis  seiner  Untersuchungen  gezogen.  Hoch  wur¬ 
den  nur  in  zwei  Fällen  von  Herpes  zoster  wirkliche  Hauthyperästhesien 
gefunden,  d.  h.  es  wurden  Reizhaare  unangenehm  empfunden,  von  einer 
Feinheit,  welche  sonst  keinen  derartigen  Effekt  hat.  In  allen  anderen 
Neuralgiefällen  bestand  nur  die  bekannte  tiefe  Empfindlichkeit. 

Bei  Syringomyelie  konstatiert  man  oft  eine  korrekte  Empfindung 
für  die  mittleren,  nicht  aber  die  extremen  Temperaturen, 

Sehr  kompliziert  liegen  die  Verhältnisse  bei  der  Tabes  dorsalis. 
Harum  wurde  allein  die  Kältehyperästhesie  der  Tabiker  untersucht. 
Bei  punktförmiger  Reizung  (selbst  am  Fiebernden)  sieht  man  im  all¬ 
gemeinen  niemals  ein  Zusammenschrecken  wie  beim  Tabiker  —  dieser 
hat  in  dem  hypertherniästhetischen  Gebiet  der  Bauchhaut  keine  Ver¬ 
mehrung  der  Zahl  seiner  Kältepunkte. 

Am  ehesten  wäre  das  Verhalten  vergleichbar  mit  dem  protopathi¬ 
schen  Unlustgefühl  Head’s.  Tatsächlich  hat  man  hier  eine  Art  proto¬ 
pathischer  Zone,  niese  Annahme  widerspricht  der  Lehre  Head’s,  nach 
welcher  eine  solche-  nur  bei  peripheren  Störungen  zu  erwarten  wäre. 
Hie  Erklärung  dieses  scheinbaren  Widerspruchs  ergibt  sich  daraus, 
daß  die  Krankheit  nicht  im  Rückenmark,  sondern  im  Wurzelgebiet 
ihren  Sitz  hat.  Hie  feinen  Methoden  sind  nötig,  aber  nur  bei  peripheren 
Störungen. 

Gerhardt-Basel:  Beitrag  zur  Lehre  von  der  Lokalisation 
sensibler  Lähmungen. 

Beobachtungen  an  Tumorkranken,  welche  durch  die  Operation  ge¬ 
heilt  wurden,  lassen  ein  in  letzter  Zeit  wenig  berücksichtigtes,  funktio¬ 
nelles  Gesetz  der  Sensibilitätsstörung  hervortreten.  Her  Tumor  fand 
sich  im  ersten  Falle  am  8.  Zervikalwirbel.  Her  Kranke  hatte  die 


26.  Kongreß  für  innere  Medizin  zu  Wiesbaden. 


911 


Symptome  der  Brown- Sequard’ sehen  Lähmung,  die  allmählich  an- 
stieg  und  erst  zuletzt  die  Ulnarseite  des  Armes  ergriff ;  binnen  einer 
Woche  nach  der  Exstirpation  bildete  sich  diese  znrück,  darauf  die  des 
Kumpfes,  zuletzt  die  der  Sohle.  Im  anderen  Falle  saß  der  Tumor  in 
der  Höhe  des  11.  Brustwirbels;  die  Sensibilität  stellte  sich  nach  der 
Exstirpation  langsam  wieder  ein  und  ließ  sich  daher  um  so  besser 
verfolgen. 

Die  verschiedenen  Hypothesen  der  nervösen  Zuordnung  werden  an¬ 
geführt;  alle  versagen  jedoch  gegenüber  den  beobachteten  Tatsachen. 
Die  Sensibilität  in  der  Steißgegend  und  Perinealgegend  tritt  gleich¬ 
zeitig  wieder  auf ;  erst  mehrere  Monate  später  diejenige  des  Fußes. 

Es  kann  dabei  nicht  die  periphere  Lagerung  der  langen  Bahnen 
(Flat au)  entscheidend  sein,  sondern  funktionelle  Momente;  ähnlich  wie 
die  Symptome  bei  Hirnapoplexien  durch  Eintreten  von  Bahnen  der 
anderen  Seite  nach  einem  bestimmten  Turnus  zurückgehen,  den  inan 
bei  den  verschiedensten  Affektionen  in  gleicher  Weise,  wiederkehren 
sieht.  Stets  ist  die  Peripherie  am  frühesten  geschädigt;  selbst  bei 
Tabes  kann  man  ähnliches  beobachten,  ebenso  bei  Syringomyelie  und 
multipler  Neuritis.  Vielleicht  erklärt  sich  dies  Gesetz  nach  der  Ab¬ 
nutzungstheorie  (E  ding  er),  —  indessen  ist  dieses  für  den  Kumpf  nicht 
recht  anwendbar.  Jedenfalls  sind  neben  den  anatomischen  auch  funk¬ 
tionelle  Faktoren  für  die  Lokalisation  der  Ausfallserscheinungen  von 
Bedeutung. 

Eventuell  kann  die  Außerachtlassung  dieser  Tatsachen  zu  un¬ 
richtigen  Annahmen  über  die  Lokalisation  von  Tumoren  des  Zentral¬ 
nervensystems  führen.  Übrigens  können  selbst  segmentär  angeordnete 
Störungen  funktioneller  Natur  sein,  eventuell  ebenfalls  auf  Grund 
stärkerer  Abnutzung  bestimmter  Segmente. 

Diskussion. 

Goldscheider-Berlin:  Die  Unterscheidung  eines  protopathischen 
und  epikritischen  Nervensystems  ist  nicht  ausreichend  begründet.  Ver¬ 
schiebungen  der  Erregbarkeitsverhältnisse  allein  genügen  zur  Erklärung 
der  Beobachtungen.  Was  He  ad  protopathischen  Zustand  nennt,  ent¬ 
spricht  durchaus  der  relativen  Hyperästhesie  von  Leyden’s,  Hyper¬ 
ästhesie  bei  erhöhter  Schwelle.  Nur  die  Unterscheidung  tieferer  und 
höherer  Sensibilität  ist  berechtigt.  Ähnliche  Verschiedenheit,  wie  die 
zwischen  der  Früh-  und  Spätperiode  ILead’s  sieht  man  im  Experiment 
bei  Kompression  der  Nerven,  ja  in  gewissem  Umfang  selbst  nach  Appli¬ 
kation  von  Menthol  auf  die  Haut.  Bereits  in  der  Norm  sprechen  ver¬ 
schiedene  Temperaturpunkte  verschieden  leicht  an  ;  es  ist  einleuchtend, 
daß  solche  Unterschiede  bei  Störungen  der  Leitung  noch  mehr  hervor- 
treten. 

Auch  bei  zentraler  Störung,  z.  B.  Hemiplegie,  beobachtet  man  der¬ 
artige  relative  Hyperästhesien.  Nicht  jeder  Befund  von  Dissoziation  der 
Empfindungen  berechtigt  sogleich  zu  einer  Unterscheidung  von  ver¬ 
schiedenen  Fasersystemen.  Die  Irradiation  im  protopathischen  Stadium 
kommt  einfach  her  von  der  zentralen  Verknüpfung  der  Nervenfasern: 
in  der  peripheren  Bahn  liegen  alle  diese  Elemente  zusammen ;  im  Kücken¬ 
mark  liegen  sie  getrennt,  werden  aber  andererseits  durch  Ganglienzellen 
verknüpft ;  und  dieses  räumliche  Auseinandertreten  der  Bahnen,  anderer¬ 
seits  ihre  Verknüpfung  erklärt  befriedigend  die  Phänomene  der  Sum¬ 
mation  und  Irradiation. 


912 


Ehrmann  und  Fuld, 


Die  Vorsicht  Head’s  in  der  Verwertung  der  Messungsmethoden  ist 
durchaus  angebracht;  jedoch  führt  selbst  die  Methode  der  richtigen  und 
falschen  Fälle,  die  Head  anwendet,  wegen  störender  Ermüdung  des 
Patienten  und  der  Schwankungen  seiner  Aufmerksamkeit  zu  ungenauen 
Resultaten. 

Schmidt- Halle:  Die  Beziehungen  der  spontan  auf  tretenden 
Schmerzen  zu  den  Sensibilitätsstörungen  sind  durchaus  keine  unmittel¬ 
baren.  Bekannt  ist  ja  die  Druckempfindlichkeit  der  Muskeln  bei  den 
Menin gitischen.  Dies  leitet  über  zu  der  Frage  nach  der  Entstehung  der 
eigentlichen  Neuralgien.  Niemals  kann  man  aus  der  Lage  eines  tiefen 
Druckpunktes  die  Lokalisation  der  zentralen  Läsion  ermitteln  —  viel¬ 
leicht  sind  bei  dem  tiefen  Schmerz  der  Neuralgischen  eher  die  Nervi 
nervorum  als  der  Nerv  selbst  beteiligt. 

Bei  Stovainisierung  des  Bückenmarks  sah  Finkelenburg  zuerst 
die  Schmerzempfindung  verschwinden.  'Weiter  gehört  in  diese  Reihe  die 
noch  völlig  ungeklärte  Präge  der  Myalgie. 

Kohn stamm- Königstein  weist  zur  Erklärung  von  Beobachtungen, 
wie  den  Gerhardt’ sehen,  auf  die  Wichtigkeit  der  anatomischen  Faser  - 
an  Ordnungen  hin.  Die  höher  oben  entspringenden  Fasern,  der  gekreuzt 
aufsteigenden  Bahn  halten  sich,  wie  anatomisch  nachgewiesen  ist, 
medialer,  als  die  Fasern,  welche  tiefere  Hautregionen  versorgen  und 
sind  daher  der  Kompression  durch  einen  in  der  Peripherie  gelegenen 
Tumor  weniger  ausgesetzt  als  diese.  Eine  weitere  Komplikation  ist 
dadurch  gegeben,  daß  die  gekreuzt  aufsteigenden  Fasern  nach  einer 
gewissen  Dauer  ihres  Verlaufs  in  die  graue  Substanz  zurückkehren  und 
durch  diese  Lage  für  längere  Zeit  von  einer  derartigen  Druckwirkung 
geschützt  sind.  Diese  Umschaltung  ins  Innere  der  grauen  Substanz  ist 
am  klarsten  nachweisbar  an  den  sensiblen  Kernen,  welche  im  Bereich 
des  Himstamms  die  gekreuzt  aufsteigende  Bahn  ungekreuzt  fortsetzen. 

Head:  Die  vorgetragene  Ausdrucksweise  enthält  wenig  Hypotheti¬ 
sches;  sie  sagt  einfach  aus,  wie  die  Impulse  sich  verknüpfen.  Dem¬ 
gegenüber  spricht  Goldscheider  von  Faser  Verbindungen  und  der¬ 
gleichen  rein  erschlossenen  Dingen. 

Daß  diese  Auffassung  den  Tatsachen  nicht  gerecht  wird,  kann  am 
besten  ein  Fall  von  Verletzung  des  untersten  Halswirbels  zeigen,  in 
welchem  außer  den  typischen  segmentären  Ausfallserscheinungen  pine 
isolierte  Störung  der  Sensibilität  des  Unterarms  vorkam  im  Sinne 
des  Auftretens  einer  protopathischen  Zone.  Zugleich  zeigt  dieser  Fall 
(neben  anderem),  daß  die  (zweifellos  betroffenen)  langen  Bahnen  ge¬ 
wissermaßen  eine  Verlängerung  der  peripheren  Nerven  darstellen.  Die 
Umschaltung  der  Impulse  findet  sonach  an  einer  räumlich  wenig  aus¬ 
gedehnten,  zirkumskripten  Stelle  statt, 

Falta  und  Rudinger- Wien :  Klinische  und  experimentelle 
Studien  über  die  Tetanie. 

Insuffizienz  der  Epithelkörperchen  setzt  bei  Hunden  die  Assimila¬ 
tionsgrenze  für  Dextrose  herab.  Während  schilddrüsenlose  Hunde  auf 
Adrenalin  nicht  glykosurisch  werden,  bewirkt  dieses  nach  kombinierter 
Exstirpation  von  Schilddrüse  und  Epithelkörperchen  starke  Glykosurie. 
Das  innere  Sekret  der  Epithelkörperchen  wirkt  demnach  unter  normalen 
Verhältnissen  der  Hyperglykämie  entgegen,  wahrscheinlich  dadurch, 
daß  es  bestimmte  Abschnitte  des  Sympathikus  im  Sinne  einer  Hemmung 
beeinflußt.  Auch  bei  menschlicher  Tetanie  ließ  sich  eine  Übererregbar¬ 
keit  des  Sympathikus  nach  weisen,  indem  in  vier  Fällen  von  Arbeiter- 


26.  Kongreß  für  innere  Medizin  zu  Wiesbaden. 


913 


tetanie  eine  subkutane  Injektion  von  Adrenalin  den  Blutdruck  viel 
prompter  ansteigen  ließ,  als  in  der  Norm.  Gleichzeitig  trat  unter  der 
Adrenalin  Wirkung  eine  akute  Exazerbation  des  tetanischen  Zustandes 
ein.  Nun  findet  sich  andererseits  bei  der  Tetanie  eine  erhöhte  mecha¬ 
nische  und  galvanische  Erregbarkeit  der  peripheren  Nerven.  Verschie¬ 
den  durchgeführte  Durchschneidungsversuche  (Dorsalmark,  periphere 
Nerven)  an  tetanischen  Tieren  ergaben,  daß  der  Sitz  der  Übererregbar- 
keit  in  den  Ganglienzellen  des  Hirnstammes  und  Bückenmarkes  zu  suchen 
sei  und  daß  diese  von  den  trophischen  Zentren  aus  sich  den  peripheren 
Neuronen  mitteile.  Es  ist  nun  die  Annahme  am  wahrscheinlichsten, 
daß  die  supponierten  Hemmungen  über  den  Sympathikus  zum  Zentral¬ 
nervensystem  gehen  und  daß  der  Funktionszustand  der  anderen  Drüsen 
mit  innerer  Sekretion  ebenfalls  einen  gewissen  Einfluß  auf  diesem 
Wege  auf  den  Erregungszustand  der  Ganglienzellen  ausübe,  da  Adrena¬ 
lininjektion,  wie  erwähnt,  den  Erregungszustand  steigert,  während  im 
Gegenteil  bei  schilddrüsenlosen  und  myxödematösen  Hunden  die  gal¬ 
vanische  Erregbarkeit  herabgesetzt  ist. 

6.  Sitzung  vom  21.  April  1909,  nachmittags. 

Vorsitzender :  Schultze-Bonn. 

Demonstrationen. 

E.  Hering-Prag:  Über  das  Elektrokardiogramm  (mit 
Lichtbildern). 

Die  experimentellen  Untersuchungen  (an  Hunden,  Katzen  und 
Kaninchen)  über  Herzalternans  ergaben  folgendes: 

Der  Herzalternans  kann  sich  sowohl  an  der  Zacke  B  als  auch  an 
der  Zacke  T  ausprägen ;  er  zeigt  sich  gewöhnlich  an  beiden  Zacken 
gleichzeitig,  ist  jedoch  unter  Umständen  nur  an  der  Zacke  B  oder  nur 
an  der  Zacke  T  zu  sehen ;  er  kommt  im  allgemeinen  an  der  Zacke  T 
stärker  zum  Ausdruck  als  an  der  Zacke  B. 

Der  Alternans  im  Elektrokardiogramm  und  der  Alternans  in  den 
mechanisch  registrierten  Kurven  kann  gegensinnig  sein,  d.  h.  es  ent¬ 
spricht  dann  die  kleine  Kurve  hier  der  großen  Kurve  dort  und  um¬ 
gekehrt. 

Hieraus  kann  man  schließen,  daß  nicht  nur  die  kleine  Systole, 
sondern  unter  Umständen  auch  die  große  Systole  des  Alternans  auf 
partieller  Asystolie  beruhen  kann. 

Der  Alternans  kommt  im  allgemeinen  in  den  mechanisch  registrier¬ 
ten  Kurven  stärker  zum  Ausdruck  als  im  Elektrokardiogramm. 

Eür  die  Erklärung  des  normalen  Elektrokardiogramms  erscheint  es 
von  großer  Bedeutung,  daß  das  Eroschherz,  welches  nur  eine  Kammer 
hat,  prinzipiell  dasselbe  Elektrokardiogramm  aufweist,  wie  das  Herz 
der  Säugetiere  und  des  Menschen. 

Eür  diejenigen  Erscheinungen  im  Elektrokardiogramm,  für  welche 
wir  kein  mechanisches  Äquivalent  besitzen,  fehlt  uns  bis  jetzt  auch  die 
entsprechende  Erklärung,  sie  deuten  uns  etwas  Besonderes  an,  ohne 
uns  jedoch  im  speziellen  zu  sagen,  was  sich  am  Herzen  geändert  hat. 

Immerhin  ergibt  sich  daraus  ein  Übergewicht  der  elektrographi- 
schen  Begistriermethode  über  die  mechanischen  Begistriermethoden  in¬ 
sofern,  als  die  elektrographische  Methode  Erscheinungen  zeigt,  auf 
welche  die  mechanischen  Begistriermethoden  bis  jetzt  noch  nicht  auf¬ 
merksam  gemacht  haben. 

Hof  f  mann -Düsseldorf :  Zur  Kritik  des  Elektrokardio¬ 
gramms. 


58 


914  Ehrmann  und  Fuld, 

Die  Untersuchungen  wurden  an  Tieren  (Katzen)  und  Kranken  der 
verschiedensten  Art  v o rgenommen .  Sie  ergaben,  daß  bei  den  ver¬ 
schiedenen  Ableitungen  I — V  sich  die  Zacken  des  typischen  Elektro¬ 
kardiogramms  verschieden  verhalten.  Sie  fallen,  wie  die  Versuche  mit 
der  gleichzeitigen  Aufschreibung  zweier  Galvanometer,  die  an  ver¬ 
schiedenen  Ableitungspunkten  angelegt  waren,  bei  den  verschiedenen 
Ableitungen  nicht  in  identische  Zeiten.  Einfluß  auf  die  Form  der 
Zacken  hat  vor  allem  die  Lage  des  Herzens,  was  besonders  bei  Auf¬ 
blähung  des  Magens  zu  sehen  ist. 

Die  Einalschwankung  des  Kammerelektrokardiogramms,  die 
Zacke  T,  welche  in  pathologischen  Fällen  oft  fehlt,  ist  in  ihrer  Größe 
direkt  abhängig  von  der  Schnelligkeit  der  systolischen  Erregung.  Sie 
entspricht  in  ihrer  Größe  nicht  der  Kontraktilität  des  Herzens,  sondern 
der  von  dieser  durchaus  verschiedenen  Erregbarkeit.  Die  zeitlichen 
Verhältnisse  der  Kurve  lassen  erkennen,  daß  Erregbarkeit  und  Kon¬ 
traktion  in  verschiedener  nicht  gleichsinniger  Weise  verlaufen  können. 
Es  sind  deshalb  Rückschlüsse  aus  der  Höhe  der  Kurven  (quantitative 
Ausmessung  des  Elektrokardiogramms)  auf  die  Kraft  des  Herzens  nicht 
statthaft. 

Dies  beweisen  besonders  die  beim  Herzflimmern  und  bei  Extra¬ 
systolen  aufgenommenen  Kurven,  bei  denen  die  Größe  der  Erregbarkeits¬ 
schwankung  in  direkt  umgekehrtem  Verhältnis  zum  mechanischen 
Effekt  steht. 

Auch  der  Rückschluß  aus  der  Form  der  Kurve  auf  den  Ent¬ 
stehungsort  eines  Extrareizes  ist  sehr  zweifelhaft,  da  sich  von  den  Ven¬ 
trikeln  direkt  abgenommene  Elektrokardiogramme  umgekehrt  verhalten 
wie  die  bei  künstlicher  Reizung  beim  Hunde  von  den  Ventrikeln  er¬ 
haltenen.  Es  ist  sicher,  daß  der  auf  die  Außenfläche  wirkende  künst¬ 
liche  Reiz  einen  anderen  Ausbreitungsweg  nehmen  muß,  wie  der  an  der 
Innenfläche  entstehende  oder  doch  verlaufendei  spontane  Reiz. 

Es  wurden  verschiedene  Fälle  von  Tachykardie  untersucht,  und  da 
zeigte  sich  ein  durchaus  verschiedenes  Verhalten  des  Elektrokardio¬ 
gramms  bei  einfacher  Tachykardie,  auch  Basedowtachykardie,  und  der 
im  Anfall  von  Herz  jagen  auf  tretenden.  Bei  letzterem  Falle  hatten  die 
einzelnen  Elektrokardiogramme  durchaus  die  Form  der  bei  Extrasystolen 
beobachteten.  Es  spricht  dies  für  eine  durchaus  eigenartige  Ent¬ 
stehung  der  Anfälle. 

Da  das  Elektrokardiogramm  das  Studium  einer  bis  dahin  der 
Untersuchung  nicht  zugänglichen  Eigenschaft  des  Herzens,  nämlich 
der  Erregbarkeit  ermöglicht,  so  muß  erst  eine  genauere  physiologische 
Grundlage  geschaffen  werden,  ehe  die  pathologischen  Befunde;  voll  ge¬ 
deutet  werden  können. 

Strubell-Dresden :  Die  Bedeutung  des  Elektrokardio¬ 

gramms  für  die  Klinik. 

Strub  eil  bespricht  nach  l1/^ jährigen  Erfahrungen  die  Bedeutung 
des  Elektrokardiogramms  für  die  Klinik  der  Herzkrankheiten.  Von  den 
typischen  Bestandteilen  des  normalen  Elektrokardiogramms  A  —  Vor¬ 
hofschwankung,  J  =  Initialschwankung,  F  =  Finalschwankung  ist  die 
letztere,  die  Finalschwankung,  allein  maßgebend  für  die  Deutung  des 
augenblicklichen  •Muskelfunktionszustandes  des  Herzens.  Die  Nach¬ 
schwankung  oder  Finalschwankung  ist,  wie  Kraus  und  Nikolai  ge¬ 
zeigt  und  Kahn  neuerdings  definitiv  erwiesen  hat,  der  funktionelle 
Ausdruck  der  Austreibungszeit  des  Herzens;  Veränderungen  der  Nach- 


26.  Kongreß  für  innere  Medizin  zu  Wiesbaden. 


915 


Schwankung1  im  Sinne  des  Kleinerwerdens,  Verschwindens  oder  gar 
Nega.tivwerdens  sind  der  Ausdruck  verschlechterter  Herzfunktion. 
Solche  Veränderungen  können  eintreten  einmal  im  Verlaufe:  des  höheren 
Alters,  ferner  durch  Vergiftungen  und  Krankheiten;  Herzmuskelent¬ 
zündungen,  Arteriosklerose  mit  folgender  Myodegeneratio  cordis  spielen 
die  wesentlichste  Holle,  während  die  Herzklappenfehler,  soweit  der 
Herzmuskel  intakt  bleibt,  auch  hochgradige  Aortenaneurysmen  keinen 
unmittelbaren  Ausdruck  im  Elektrokardiogramm  finden  müssen.  Die 
Nach  Schwankung  wird  günstig  beeinflußt  durch  die  Arbeit,  und  zwar 
momentan,  aber  auch  dauernd,  insofern  der  Sport  und  eine  reich- . 
liehe  körperliche  Betätigung  günstig  auf  das  Erhaltensein  derselben 
einwirken,  während  körperliche  Untätigkeit,  Exzesse  und  Aufregungen 
genau  in  demselben  Sinne  wie  die  Krankheiten  ein  frühzeitiges:  Ver¬ 
schwinden  derselben  begünstigen.  Die  Herzmittel  Strophantus  und 
Digitalis  erhöhen  ebenso  wie  balneotherapeutische  Maßnahmen,  z.  B. 
elektrische  Bäder,  die  Nachschwankung,  sofern  dieselbe  nicht  bereits 
negativ  geworden  ist;  dann  ist  eine  solche  Rückkehr  zur  Norm  nicht 
mehr  möglich.  Für  die  rhythmische  Störung  des  Herzens  und  des 
Pulses  (Arhythmie,  Inäqualität,  Extrasystolenbildung)  bietet  die  elektro- 
kardiographische  Untersuchung  vereint  mit  der  gleichzeitigen  Aufnahme 
der  Pulswelle  ein  neues,  unsere  Kenntnisse  wesentlich  erweiterndes,, 
diagnostisches  Moment.  Die  Feststellung  der  anomalen  Ventrikelschwan¬ 
kungen  hat  an  die  Stelle  der  früheren  Unsicherheit  etwas  Positives  ge¬ 
setzt,  die  Gewißheit,  daß  man  es  hier  zum  Teil  mit  einem  ganz  ver¬ 
änderten  Geschehen  im  Gegensatz  zum  normalen  Elektrokardiogramm 
zu  tun  hat,  indem  hier  die  Erregungswelle  sich  wirklich  gradlinig  über 
das  Herz  fortpflanzt.  In  der  elektrokardiographischen  Funktionsprüfung 
des  Herzens  existiert  eine  neue  Methode,  die  in  einer  Weise,  wie  es 
bisher  nicht  möglich  war,  einen  Einblick  in  das  jeweilige  Verhalten  des 
Herzmuskels  gestattet. 

Diskussion. 

Kr  aus -Berlin  rät,  das  Elektrokardiogramm  nicht  nur  klinisch, 
sondern  auch  experimentell  zu  studieren.  Das  Elektrokardiogramm  gibt 
in  vielen  Fällen  Auskunft,  wo  man  bei  der  mechanischen  Registrierung 
nichts  beobachtet.  Man  soll  aber  beide  Methoden  gleichzeitig  anwen¬ 
den.  Die  fehlende  Nachschwankung  kann  prognostisch  nicht  verwertet 
werden. 

Bei  der  Dissoziation  ist  die  Zahl  der  Herzschläge  sehr  gering, 
etwa  30.  Solche  Patienten  können  keine  Arbeit  leisten. 

Eine  Patientin  dieser  Art  wird  von  dem  Vortragenden  schon  länger 
beobachtet.  Sie  zeigt  extraventrikuläre  Systolen  und  dann  60  Schläge. 
Sie  ist  zur  Arbeit  befähigt. 

Friedl  Pick-Prag  spricht  über  Adams-Stokes’sche  Krank¬ 
heit  und  demonstriert  das  Elektrokardiogramm  eines  Falles,  welches 
in  ausgezeichneter  Weise  die  vollständige  Unabhängigkeit  im  Rhythmus 
der  Vorhöfe  (72)  von  dem  der  Kammer  (30)  erkennen  läßt.  Die 
komplette  Dissoziation  entstand  im  Anschlüsse  an  eine  Endoperikar- 
ditis  vor  vielen  J ähren  und  besteht  bei  dem  im  anstrengenden  Be¬ 
rufe  stehenden  Patienten  konstant,  während  die  anfänglich  vorhandenen 
Ohnmachtsanfälle  seit  mehreren  Jahren  ganz  ausgeblieben  sind.  Die 
Diagnose  dieser  Läsion  des  Atrioventrikularbündels  ist  natürlich  auch 
durch  das  Phlebigramm  möglich,  wie  P.  durch  Demonstration  der  von 
demselben  Fall  von  Hering  und  Iiihl  aufgenommenen  Kurven  zeigt,' 

58* 


916  Ehrmann  und  Fuld,  26.  Kongreß  für  innere  Medizin  zu  Wiesbaden. 

doch  stellt  das  Elektrokardiogramm  die  weitaus  bequemere  und  deut¬ 
lichere  Methode  dar. 

Hering -Prag:  Auf  die  von  den  Physiologen  gefundene  Tatsache, 
daß  der  Aktionsstrom  und  mit  ihm  die  Erregungswelle  der  Kontraktions¬ 
welle  um  einen  sehr  kleinen  Zeitteil  vorangeht,  habe  er  erst  kürzlich 
(Deutsche  med.  Woehenschr.,  Kr.  1,  1909)  wieder  aufmerksam  gemacht. 
E.  B.  Hof  mann  konnte  bei  den  stärksten  Graden  von  Muskarinvergif¬ 
tung  des  Froschherzens  makroskopisch  keine  Kontraktion  inehr  sehen, 
obwohl  noch  ein  Aktionsstrom  auf  trat;  dasselbe  sah  Noyons  bei  starker 
Vergiftung  des  Eroschherzens  mit  Digitoxin.  Trotzdem  möchte  er  vor¬ 
läufig  noch  nicht  so  weit  gehen  wie  A.  Ho  ff  mann.  Schon  der 
komplizierte  Bau  der  Kammer  läßt  es  nicht  erwarten,  daß  das  Kammer¬ 
elektrokardiogramm  die  Energie  der  Kammertätigkeit  genau  wiedeirgibt. 

An  der  Hand  der  von  Friedei  Pick  demonstrierten  Venen-  und 
Arterienkurven,  die  er  vor  4  Jahren  aufnahm,  konnte  er  die  Dissoziation 
in  diesem  Falle  nachweisen,  welche  der  Patient  gewiß  schon  seit  1893 
besitzt,  denn  schon  damals  schlug  das  Herz  nur  30 mal  in  der  Minute. 
Seit  dieser  langen  Zeit  ist  keine  Wiederherstellung  der  Überleitung  er¬ 
folgt,  was  gegen  die  Annahme  spricht,  daß  die  Überleitung  im  His- 
schen  Bündel  eine  nervöse  sei,  denn  Nerven  pflegen  im  allgemeinen 
leicht  zu  regenerieren. 

L.  B.  Mül ler -Augsburg :  Anatomische  und  histologische 
Studien  über  die  Beziehungen  der  sympathischen  Nerveü 
zum  zer ebrospinalen  System  (mit  Projektionen). 

Der  Vortr.  projiziert  zuerst  Zeichnungen,  welche  die  großen  Varie¬ 
täten  des  Verlaufes  der  Kami  communicantes  an  der  Brustwirbelsäule 
darlegen.  Noch  unregelmäßiger  als  hier  ist  die  Anordnung  der  Ver¬ 
bindungsstelle  zwischen  dem  Grenzstrange  und  der  Ursprungsstelle 
der  peripheren  Nerven  an  der  Lendenwirbelsäule.  Bei  dem  makro¬ 
skopischen  Studium  ist  eine  sichere  Unterscheidung  zwischen  weißen 
und  grauen  Kami  communicantes  nicht  möglich,  was  auch  schon  daraus 
zu  entnehmen  ist,  daß  häufig  nur  ein  Verbindungsbündel  gefunden  wird, 
dann  aber  wieder  drei  und  vier  solche  nachzuweisen  sind.  Zum  genauen 
Studium  des  Faserverlaufes  und  der  Anordnung  der  markhaltigen  und 
der  marklosen  Nervenfasern  in  den  Rami  communicantes  sind  mikro¬ 
skopische  Präparate  notwendig.  Die  Herstellung  von  solchen  ist  nicht 
ganz  einfach,  da  es  schwer  gelingt,  die  Einmündungsstelle  aller  Rami 
communicantes  in  den  peripheren  Nerven  auf  einem  Präparate  zu  treffen. 
Der  Vortr.  zeigt  an  Projektionsbildern,  daß  die  weißen,  d.  h.  mark- 
haltigen  Rami  communicantes  ihre  Fasern  vom  Rückenmark  her  be¬ 
ziehen,  und  daß  sie  fast  in  allen  Fällen  lateralwärts  von  den  Rami 
communicantes  grisei  aus  dem  peripherischen  Nerven  entspringen.  Die 
grauen  Rami  communicantes  ziehen  also  medialwärts  zum  Spinalnerven, 
ihre  Fasern  wenden  sich  zum  Teil  zentripetalwärts,  zum  großem  Teil 
verlaufen  sie  aber  mit  den  Fasern  des  Spinalnerven  nach  der  Peripherie. 
Sehr  häufig  sind  in  einem  Ramus  communicans  sowohl  markhaltige 
Fasern,  die  vom  Rückenmark  her  nach  dem  sympathischen  Ganglion 
ziehen,  als  auch  marklose  Bündel,  die  von  diesen  nach  der  Peripherie 
und  dort  zu  den  Organen  der-  Haut,  zu  den  Schweißdrüsen,  zu  den 
Haarbalgmuskeln  und  zu  den  V asomotoren  verlaufen,  vereint. 

Die  marklosen  Bündel  der  Rami  communicantes  entspringen,  stets 
aus  dem  nächstgelegenen  vertebralen  Ganglion  des  Grenzstranges.  Die 
markhaltigen  Fasern  der  Rami  communicantes  münden  aber  wenigstens 


S.  Leo,  Wiener  Brief. 


917 


im  Brustteil  des  Sympathikus,  meist  nur  zum  geringen  Teile  im  nächst¬ 
gelegenen  vertebralen  Ganglion,  die  meisten  ihrer  Fasern  ziehen  vielmehr 
an  der  Peripherie  dieses  Ganglions  zu  dem  llamus  internodialis,  um  im 
nächst  darüber  oder  darunter  gelegenen  vertebralen  Ganglion  zu  endigen, 
oder  in  die  weißen,  d.  h.  markhaltigen  Nerven  des  Halssympathikus 
oder  des  Splanchnikus  überzutreten. 

Auf  anderen  Projektionsbildern  zeigt  der  Vortr.,  daß  die  Ganglien¬ 
zellen  des  sympathischen  Systems  sich  ganz  verschieden,  je  nach  der 
angewandten  Färbungsmethode  darstellen.  Auf  Schnitten,  die  mit 
Hämatoxylin-Eosin  gefärbt  sind,  erscheinen  sie  als  rundliche  fortsatzlose 
Kugeln,  welche  den  von  einer  fibrillären  Kapsel  gebildeten  Hohlraum 
nicht  ganz  ausfüllen.  Bei  der  Anwendung  der  Bielschowsky’schen 
Tinktionsmethode  zeigt  sich  aber,  daß  die  Zellen  in  den  sympathischen 
Ganglien  ohne  Ausnahme  zahlreiche,  vielfach  stark  sich  verzweigende 
Fortsätze  haben.  Der  Autor  glaubt  in  den  verschiedenen  Ganglien  des 
sympathischen  Nervensystems,  wie  in  den  vertebralen,  prävertebralen 
und  in  dem  Plexus  vesicalis  auch  verschiedene  Typen  von  Zellen  ge¬ 
funden  zu  haben  und  belegt  diese  Behauptung  mit  mikrophotographischen 
Darstellungen. 

In  dem  Verbindungsast  zwischen  den  vertebralen  Ganglien,  dem 
sogenannten  llamus  internodialis,  als  in  dem  eigentlichen  Nervus  sym- 
pathicus  sind  stets  noch  sehr  zahlreiche  Ganglienzellen  festzustellen. 
Die  Nervenfasern  dort  bestehen  zum  Teil,  und  zwar  hauptsächlich  in  den 
Bandpartien  aus  dicken  markhaltigen  Fasern,  zum  Teil  haben  sie  aber 
eine  dünne  Markumhüllung,  und  in  der  überwiegenden  Mehrzahl  sind 
nackte  Achsenzylinder  zu  finden. 

In  dem  peripherischen  Nerven  des  autonomen  Systems,  d.  h.  in 
den  zarten  Bündeln,  welche  von  den  Ganglien  des  Grenzstranges  oder 
den  großen  Gangliengruppen  der  Bauchhöhle  zu  den  inneren  Organen 
ziehen,  sollen  nach  der  bisherigen  Anschauung  fast  alle  Nerven  nackten 
Achsenzylindern  entsprechen.  Sieht  man  aber  mit  starken  Ver¬ 
größerungen  und  nach  Färbung  der  Präparate  mit  der  Weigert' sehen 
Markscheidenmethode  genauer  zu,  so  muß.  man  feststellen,  daß  auch 
die  angeblichen  nackten  Achsenzylinder  sehr  häufig  auf  eine  kleine 
Strecke  hin  eine  ganz  zarte  sich  eben  grau  färbende  Markumhüllung 
aufweisen.  Daneben  sind  dann  stets  noch  vereinzelte  Nervenfasern 
festzustellen,  deren  Markumhüllung  zwar  schmal  ist,  sich  aber  intensiv 
schwarz  gefärbt  hat,  meist  kolbige  Auftreibungen  zeigt,  und  schließlich 
ist  in  jedem  von  diesen  peripheren  Bündeln  des  autonomen  Systems 
eine  oder  die  andere  dicke  Markscheide  aufzufinden,  die  dann  meistens 
die  Lantermann’sche  Segmentierung  zeigt.  Zum  Schluß  demonstriert 
der  Vortr.  ein  Schema  des  Faserverlaufes  in  den  Verbindungsästen 
zwischen  dem  sympathischen  Nervensystem  und  dem  zerebrospinalen. 

(Fortsetzung  folgt.) 


Wiener  Brief. 

Ein  Sammelbericht.  —  Von  Dr.  S.  Leo. 

(Schluß.) 

In  der  „Gesellschaft  für  innere  Medizin“  sprach  v.  Eiseisberg  über 
Tetania  parathyreopriva  nach  Kropf  Operation.  Die  im  Mai 
1905  wegen  hochgradiger  Stenose  der  Luftröhre  ausgeführte  Kropf - 
Operation  war  bei  dieser  Pat.  insofern  schwierig,  als  wegen  jilötzlicher 


918 


S.  Leo, 


Erstickungsanfälle  rasch  die  Tracheotomie  ausgeführt  werden  mußte. 
Dabei  wurde  die  frontal  abgeplattete  Trachea  auch  in  ihrer  hinteren  Wand 
durchschnitten  und  eine  dahinter  gelegene  Cyste  eröffnet,  so  daß  Pat. 
an  dem  durchfließenden  Cysteninhalt  zu  ersticken  drohte.  Es  wurden 
beide  Schilddrüsenlappen  bis  auf  Stücke  entsprechend  den  oberen  Polen 
entfernt.  Einige  Tage  später  stellten  sich  tonische  Krämpfe  in  Händen 
und  Füßen,  sowie  Chvostek’sches  und  Trousseau’sches  Phänomen 
ein.  Da  die  Verabreichung  von  Thyreoidintabletten  nur  vorübergehend 
Besserung  herbeiführte,  wurde  der  Pat.  im  Mai  1906,  weil  Epithelkörper¬ 
chen  nicht  zur  Verfügung  standen,  Stücke  von  einer  parenchymatösen 
Struma  in  die  Rektusscheide  eingepflanzt.  Unter  weiterer  Fütterung 
mit  roher  Kalbschilddrüse  und  Thyreoidintabletten  sistierten  die 
Krämpfe.  Seit  Juni  1908  ist  Pat.  gravid  und  seit  einem  Monat  bestehen 
heftige  Krämpfe  in  den  unteren  und  oberen  Extremitäten  und  Atem¬ 
beschwerden  in  der  Nacht.  Das  rechte  Stimmband  ist  paretisch,  die 
Stimme  heiser.  Der  1.  n.  ulnaris  zeigt  für  den  galvanischen  Strom 
ziemliche  Erregbarkeit,  die  aber  nicht  als  wesentlich  gesteigert  zu 
betrachten  ist.  Was  die  klinische  Seite  der  Tetanie  nach  Kropf  Opera¬ 
tionen  angelegt,  so  wurde  von  E.  bei  600  Strumenoperationen  15  mal 
leichtes  Chvostek’sches  Phänomen  beobachtet;  einigemal  war  dasselbe 
schon  vor  dem  Eingriff  nachweisbar.  10  mal  traten  deutliche  Tetanie¬ 
symptome  auf,  die  in  einem  Falle  zum  Tode  führten.  Es  war  dies  bei 
einer  67  jährigen  Frau,  die  nach  einer  Rezidivoperation  unter  tetani- 
schen  Erscheinungen  starb.  Ob  die  Tetanie  oder  die  gleichzeitig  be¬ 
stehende  Pneumonie  die  Todesursache  war,  ist  unentschieden.  Thera¬ 
peutisch  wäre  die  Einpflanzung  von  Epithelkörperchen  wünschenswert. 
Es  wurde  dieselbe  bereits  auch  zweimal  ausgeführt  und  je  ein  Epithel¬ 
körperchen  bei  der  Operation  kleiner  Cystenkröpfe  gewonnen,  wobei 
man  annehmen  mußte,  daß  die  übrigen  E.  K.  gänzlich  unbeschädigt 
blieben.  Da  aber  die  Beschaffung  dieses  Materials  doch  schwierig  ist, 
so  wurden  in  zwei  anderen  Fällen  E.  K.  von  Affen  zur  Implantation 
verwendet, 

Robert  Dehne  sprach  über  den  heutigen  Stand  des  Säuglings- 
schutzes  in  Österreich.  Der  vom  Vereine  „Säuglingsschutz“  ein¬ 
geschlagene  Weg  zur  Bekämpfung  der  Säuglingssterblichkeit  durch 
Förderung  der  natürlichen  Ernährung  und  durch  Beratung  der  Mütter 
über  rationelle  Säuglingspflege  ist  wie  die  Statistik  beweist,  der  rich¬ 
tige.  Es  ist  gelungen,  sowohl  Stillungshäufigkeit  als  auch  Stillungs¬ 
dauer  unter  den  Müttern  erheblich  zu  bessern  und  die  Sterblichkeit 
der  überwachten  Kinder  von  Jahr  zu  Jahr  bis  auf  ca.  10°/0  herab¬ 
zudrücken  (gegen  19°/0  sonst  in  Wien  und  gewiß  über  das  doppelte 
bei  den  in  Frage  kommenden  Schichten  der  Provinzbevölkerung)  hin¬ 
gegen  sind  die  absoluten  Zahlen  des  Geleisteten  gegenüber  dem  Aus¬ 
lande  verschwindend  kleine.  Abgesehen  von  der  Notwendigkeit  der 
Aufwendung  größerer  Geldmittel  ist  vor  allem  eine  Ausbildung  der 
kommenden  Ärztegeneration  in  den  Disziplinen  der  Säuglingsfürsorge 
dringend  geboten,  um  eine  Anstellung  sachlich  gebildeter  Säuglings¬ 
fürsorgeärzte  im  Sinne  Kellers  in  genügender  Anzahl  zu  ermöglichen. 
Ferner  müssen  die  Hebammen  zur  Förderung  des  Stillens  durch  Unter¬ 
richt  und  durch  Instruktionen  herangezogen  werden.  Zur  Durch¬ 
setzung  rationeller  Säuglingspflege  im  weitesten  Kreise,  müssen  Mutter¬ 
schulen  errichtet  werden,  an  den  Frauen  und  Mädchen  aller  Stände 
zu  den  Pflichten  der  Mutterschaft  erzogen  werden.  Das  Krippenwesen 


Wiener  Brief. 


919 


muß  modernisiert,  die  Krippen  dezentralisiert  nnd  als  Stillkrippen  an¬ 
gelegt  werden,  die  am  besten  an  die  Fabriken  anzugliedern  sind.  In 
der  Diskussion  hob  Siegfried  Weiß  hervor,  daß  die  Stillprämiierung 
nach  dem  System  der  Stillmilchkasse  des  Vereines  ,, Säuglingsmilch¬ 
verteilung a  einzurichten  wäre.  Zur  Verbreitung  der  Stillung  ist  es 
notwendig,  möglichst  frühzeitig  an  die  Mutter  mit  der  Aufmunterung 
zur  Sillung  heranzutreten ;  ferner  ist  es.1  geboten,  die  Stillbeihilfen  in 
einer  solchen  Höhe  zu  verabreichen,  daß  den  Frauen  nicht  bloß  eine, 
einer  Gnadengabe  ähnliche  Belohnung,  sondern  eine  wirkliche  Unter¬ 
stützung  zur  Aufbesserung  ihrer  Ernährung  gewährt  wird,  und  daß 
schließlich  diese  Unterstützung  auf  viele  Monate  hinaus  gegeben  wird. 
Diese  drei  Forderungen  zu  erfüllen,  müssen  die  Frauen  schon  in  der 
Schwangerschaft  zur  Ausführung  der  künftigen  Stillung  verpflichtet 
werden,  ferner  können  die  von  der  Wohltätigkeit  und  den  Gemeinden 
aufgebrachten  Subventionen  durch  eine  Selbstbesteuerung  seitens  der 
von  der  Stillpropaganda  geförderten  und  zu  erfassenden  Bevölkerungs¬ 
schichten  soweit  erhöht  werden,  daß  eine  in  bezug  auf  Anspruch  und 
Höhe  anstrebenswerte  Prämiierung  in  Aussicht  steht.  Schließlich  muß 
die  Stilldauer  fast  bis  zur  Grenze  des  physiologischen  Termines  aus¬ 
gedehnt  werden,  was  durch  ärztliche  Überwachung  gewährleistet  wer¬ 
den  soll. 

Im  „Wiener  med.  Doktorenkollegium“  sprach  Georg  LotheisSen 
über  die  „Chirurgie  der  Lungen“.  Die  Gefahr  des  Pneumothorax  vor 
allem  war  die  Ursache,  daß  die  Lungenchirurgie  erst  so  spät  zur  Ent¬ 
wicklung  gelangte.  Unter  den  Mitteln,  die  diese  Gefahr  bannen,  hebt 
L.  zuerst  die  Sauerbruch’sche  Unterdruckkammer,  ferner  den  Brauer- 
schen  Überdruckapparat  hervor.  Aber  auch  einfache  Vorrichtungen 
zur  Schaffung  von  Überdruck  scheinen  vielversprechend  zu  sein,  wenn 
auch  durch  diese  Mittel  noch  nicht  sämtliche  Gefahren,  z.  B.  bei  der 
Nachbehandlung  der  Operierten  beseitigt  erscheinen.  Während  man  bei 
den  Lungeneiterungen  auch  ohne  Druckdifferenzanwendung  sehr  gute 
Erfolge  erzielt  hat,  wird  die  Chirurgie  der  Lungenverletzungen,  so¬ 
wie  der  Lungentumoren  durch  das  Druckdifferenz  verfahren  erst  zur 
vollen  Entwicklung  gebracht  werden.  Unter  den  Verletzungen  der 
Lungen  ist  die  Commotio  thoracis  seltener,  die  penetrierenden  Lungen¬ 
wunden  werden  hingegen  sehr  häufig  gesehen,  bedürfen  jedoch  in  der 
großen  Mehrzahl  der  Fälle  keines  operativen  Vorgehens.  L.  führt 
hierfür  als  Beweis  einen  Pat.  mit  16  Stichen  in  der  Brust,  (die 
meisten  in  die  Lunge  penetrierend),  bei  welchem  unter  Buhe  und  Eis- 
applika.tion  rasch  volle  Heilung  eintrat.  Bei  starken  Blutungen,  nament¬ 
lich  nach  Lungenschüssen  wird  die  Thorakotomie  und  Lungennaht  am 
besten  bei  der  Druckdifferenz  das  geeignete  Verfahren  darstellen.  Bei 
Medistinalemphysem  hat  Sauerbruc'h  mittels  gleicher  Behandlung  zwei¬ 
mal  wenigstens  Besserung  des  Zustandes  erreicht,  doch  waren  die  Pat. 
in  zu  elender  Verfassung,  als  daß  sie  noch  zu  retten  gewesen  wären. 
L.  hat  in  mehreren  Fällen  auch  bei  anderen  Lungenerkrankungen  die 
Lungennaht  angewendet  und  kann  die  Angaben  Ivüttners,  daß  diese 
Naht  nicht  schwer  ist,  bestätigen.  Es  ist  einerlei,  ob  man  Katgut, 
Seide  oder  Zelluloidzwirn  als  Nähmaterial  verwendet.  Von  Tumoren 
der  Lungen  kommen  nur  die  primären  in  Betracht.  Das  Karzinom  der 
Bronchialwand  am  Hilus  wird  vorderhand  noch  nicht  operiert  werden 
können ;  doch  führt  es  öfters  zu  Bronchiektasien  und  Abszessen.  Von 
den  Karzinomen  des  Lungengewebes  selbst  wurde  bisher  noch  keines 


920 


Vorläufige  Mitteilungen  und  Autoreferate. 


vollständig  exstirpiert,  doch  haben  Excochleationen  für  Monate  Besse¬ 
rung  gebracht.  Unter  den  Entzündungsprozessen  der  Lunge  ist  die 
Aktinomykose  verhältnismäßig  selten,  doch  finden  sich  in  der  Literatur 
immerhin  über  90  Fälle  von  primärer  Lungenaktmomykose.  Die  Dia¬ 
gnose  der  Erkrankung  wird  durch  den  Nachweis  von  Pilzdrusen  im 
Sputum  gesichert.  Ist  der  Krankheitsprozeß  bis  an  die  Oberfläche  der 
Lunge  vorgeschritten,  so  erscheint  die  Operation  nicht  allzu  schwierig, 
und  es  sind  auf  diesem  Wege  sehr  schöne  Resultate  erzielt  worden. 
Bei  der  Tuberkulose  der  Lungen  hat  die  chirurgische  Behandlung  bis¬ 
her  noch  keine  glänzenden  Ergebnisse  aufzuweisen.  Die  Eröffnung 
von  Kavernen  ist  nur  dann  vorzunehmen,  wenn  Mischinfektion  und 
septisches  Eieber  bestehen.  Ausgedehnte  Rippenresektionen  um  die 
Kavernen  zum  Zusammenfallen  zu  bringen,  stellen  einen  sehr  bedeuten¬ 
den  Eingriff  dar,  den  man  in  der  Regel,  namentlich  bei  Blutungen  den 
Kranken  nicht  wird  zumuten  können.  Eür  derartige  Fälle  wird  der 
künstliche  Pneumothorax  durch  Stickstoffeinblasung  sich  besser  eignen. 
Der  Eingriff  ist  nicht  schwierig  und  bringt  dem  Pat.  sofort  Erleichte¬ 
rung.  Ereund’s  Operation,  die  prophylaktische  Pseudarthrosenbildung 
im  ersten  Rippenknorpel  ist  ein  vielversprechendes  Verfahren.  Die 
Abszesse  der  Lungen  entstehen  durch  Fremdkörper,  durch  Embolie  (diese 
sehr  häufig  multipel  und  daher  die  Prognose  weniger  günstig),  am 
häufigsten  sind  sie  metapneumonisch,  ev.  auch  kombiniert  mit  Lungen¬ 
gangrän.  Von  großer  Wichtigkeit  für  die  Art  des  Eingriffes  und  die 
Stellung  der  Prognose  ist  in  solchen  Fällen  eine  genaue  Herddiagnose. 
Die  Röntgenstrahlen  leisten  dabei  sehr  wertvolle  Dienste,  namentlich 
zur  Aufsuchung  eines  zweiten  und  dritten  Herdes.  Bestehen  bereits 
Pleuraverwachsungen,  so  ist  die  Eröffnung  mit  keinen  Schwierigkeiten 
verbunden,  da  ein  Pneumothorax  nicht  mehr  zu  fürchten  ist.  In  den 
meisten  Fällen  wird  man  sich  mit  der  Eröffnung  begnügen  müssen, 
und  die  Behandlung  der  starren  Höhle  auf  später  verschieben.  L.  ope¬ 
riert  jetzt  nur  in  Lokalanästhesie  und  hat  seitdem  keinen  Pat,  durch 
die  Operation  verloren.  L.  hat  bei  einem  Materiale  von  26  Operationen 
eine  Gesamtsterblichkeit  von  45  °/0,  bei  einfachen  Höhlen  von  18,2  °/0, 
erfreuliche  Resultate,  wenn  man  in  Betracht  zieht,  daß  früher,  ohne 
Operation,  etwa  75 — 80°/0  der  Kranken  gestorben  sind. 


Vorläufige  Mitteilungen  u.  Autoreferate. 

Ammen  im  Krankenhause. 

Von  Dr.  Clemens,  Chemnitz. 

(Vortrag  in  der  medizinischen  Gesellschaft  in  Chemnitz  am  5.  Mai  1909.) 

Im  Chemnitzer  Stadtkrankenhause  wurde  mit  dem  Jahre  1908  die 
Ernährung  kränker  Säuglinge  durch  Ammen  eingeführt.  Ich 
berichte  kurz  über  die  recht  erfreulichen  Ergebnisse  —  die  Vergleichs¬ 
zahlen  des  vorhergehenden  Jahres  sind  jeweils  in  Klammern  angeführt. 
Es  wurden  56  (57)  Kinder  bis  zu  einem  halben  Jahre  aufgenommen. 
Davon  starben  innerhalb  der  ersten  drei  Tage  12  (8).  Von  den  übrigen 
44  (49)  Kindern  sind  dann  weiterhin  noch  gestorben  19  (41),  das  sind 
43,2  (83,7)  °/q.  Gewiß  ist  diese  Zahl  immer  noch  hoch,  aber  man  muß 
in  Betracht  ziehen,  daß  z.  B.  1908  über  die  Hälfte  dieser  Kinder  nicht 
an  einfachen  Ernährungsstörungen  litten,  es  waren  einerseits  Früh- 


Referate  und  Besprechungen. 


921 


gebürten,  anderseits  Kinder  mit  Hasenscharten,  Pemphigus,  Pneumonie, 
Tuberkulose,  Meningitis  usw.  darunter.  Ungeheilt,  auf  Wunsch  der 
Eltern  oder  Behörden,  verließen  noch  das  Krankenhaus  1  (4)  Kinder. 
Aus  gleichen  Gründen  wurden  nur  gebessert  entlassen  4  (4).  Schlie߬ 
lich  konnten,  wir  fast  völlig  oder  völlig  wieder  hersteilen  20  (0).  Hier 
liegt  der  große,  unverkennbare  Erfolg,  doppelt  deutlich  für  den,  der 
weiß,  in  welchem  Zustande  vielfach  die  Säuglinge  ins  Krankenhaus 
geliefert  werden.  Es  bedurfte  dafür  freilich  meist  monatelangen  Auf¬ 
enthaltes,  wobei  dann  auch  Gewichtszunahmen  bis  zu  6  kg  erzielt 
wurden.  Bei  einem  Bestände  von  12 — 15  Säuglingen  kamen  wir  mit 
zwei  Ammen  vielfach  nicht  gut  aus,  wir  haben  darum  fürs  neue  Jahr 
eine  dritte  bewilligt  erhalten. 


Medizinische  Gesellschaft  zu 
Chemnitz. 

(Sitzung  vom  5.  Mai  1909.) 

In  der  Sitzung  der  Chemnitzer 
Medizinischen  Gesellschaft  stellte 
Clemens  zwei  in  Chemnitz  ge¬ 
bürtige  und  wohnhafte  Brüder 
vor,  die  seit  vielen  Jahren  an 
Dystrophia  musculorum  pro¬ 
gressiva  leiden.  Weitere  Fälle 
in  der  Verwandtschaft  sind  nicht 
bekannt.  Von  Interesse  ist,  daß 
bei  beiden  die  gleichen  Muskeln 
bezw.  Muskelgruppen  hypertro¬ 
phisch  (Deltoideus,  Trizeps  und 
Wadenmuskulatur)  und  die  gleichen 
atrophisch  sind  (lange  Kücken¬ 
strecken,  Unterarm-  und  Ober¬ 
schenkelmuskeln). 


. 

•'-x  :  ’  VAU 


Referate  und  Besprechungen. 

Psychiatrie  und  Neurologie. 

Psychische  Störungen  und  Hypophysis. 

(Laignel-Lavastine.  Rev.  de  Med.,  10.  März  1909,  29.  Jahrg.,  S.  172 — 181.) 

Die  Zirbeldrüse  erfreut  sich  in  Frankreich  eines  größeren  Interesses 
als  in  Deutschland,  und  insbesondere  in  unserer  Psychiatrie  spielt  sie  keine 
große  Rolle.  Laignel-Lavastine  sucht  sie  in  dieser  Hinsicht  ins  rechte 
Licht  zu  rücken,  indem  er  daran  erinnert,  wie  der  Riesenwuchs  und  die 
Akromegalie,  die  klassischen  Hypophysensyndrome,  mit  allerlei  psychischen 
Anomalien  verknüpft  seien  und  wie  es  eigentlich  logisch  sei,  diese  Ano¬ 
malien  —  Infantilismus,  geistiges  Zurückbleiben  —  auf  dieselbe  Grund¬ 
ursache  zurückzuführen. 


922 


Referate  und  Besprechungen. 


Eine  Bestätigung  seiner  Theorie  sieht  er  in  den  paar  günstigen  Er¬ 
folgen  der  Hypophysis-Organtherapie,  von  denen  L.  Levi  und  H.  de  Roth¬ 
schild  berichtet  haben. 

Immerhin  dürfte  es  angemessen  sein,  ebenso  wie  bei  den  Basedow- 
Kranken  auf  die  Schilddrüse,  so  bei  den  bedauernswerten  Mitbürgern,  di© 
gerade  noch  das  polizeilich  verlangte  Mindestmaß  von  Intelligenz,  laber 
keinen  Deut  mehr  besitzen,  auf  die  Zirbeldrüse  zu  achten.  Wenn  man  ihr 
nur  besser  beikommen  könnte !  Buttersack  (Berlin). 


Psychische  Störungen  von  den  männlichen  Genitalien  aus. 

(Laignel-Lavastine.  Revue  de  med.,  29.  Jahrg.,  1.  März,  S.  232 — 248,  1909.) 

Gegenüber  der  herkömmlichen  Auffassung,  welche  dem  Gehirn  und 
Geistesleben  eine  weitgehende  Autonomie  zuerkennt  und  auf  welcher  nicht 
nur  die  Psychiatrie  größtenteils  beruht,  sondern  auch  die  Psychologie,  Rechts¬ 
wissenschaft  usw.,  machen  sich  allmählich  entgegengesetzte  Bestrebungen 
geltend,  welche  mehr  die  peripheren  Vorgänge  in  den  Vordergrund  rücken. 
So  unterscheidet  Laignel-Lavastine  an  den  Testikeln  zwei  Elemente: 
die  Samenkanälchen  und  das  interstitielle  Bindegewebe,  dieses  für  innerej 
Sekretion  dienend,  jenes  für  die  äußere.  Störungen,  Insuffizienz  der  inneren 
Sekretion  bewirkt  vor  der  Pubertät  Entwicklungshemmungen  des  Gehirns, 
geistigen  Infantilismus;  -beim  Erwachsenen  kann  sie  allerhand  Delirien 
lau  sl  Ösen. 

In  ähnlicher  Weise  ist  die  Prostata  in  den  Kreis  der  Betrachtungen 
zu  ziehen.  Als  Anhaltspunkte  liegen  da  vor :  die  blutdrucksteigernde,  herz¬ 
beeinflussende  Wirkung  der  Prostataextrakte  bei  Tieren,  die  Häufigkeit 
der  Selbstmorde  nach  Prostatektomie,  die  neurasthenischen  Anwandlungen 
der  Prostatiker.  Danach  wären  der  inneren  Sekretion  auch  dieser  Drüse 
Einflüsse  auf  die  Psyche  zuzuschreiben. 

Ohne  Zweifel  werden  auch  noch  seitens  anderer  Organe  Wirkungen 
auf  die  Psyche  ausgeübt;  sie  alle  im  einzelnen  auszuwerten,  erscheint  der¬ 
malen  kaum  möglich.  Aber  das  Endresultat  läßt  sich  schon  jetzt  erkennen, 
nämlich,  daß  Wechselbeziehungen  zwischen  der  Seele  und  den  einzelnen 
Organen  bestehen,  ein  Resultat,  das  freilich  biologisch-denkenden  Köpfen 
weder  neu  noch  überraschend  sein  dürfte.  Buttersack  (Berlin). 


Paralytiker  in  ihrer  äußeren  Erscheinung. 

(Rob.  Mignot.  Revue  de  med.,  29.  Jahrg.,  Nr.  3,  S.  161 — 171,  10.  März  1909. 


Entgegen  den  zurzeit  mit  so  großer  Vorliebe  betriebenen  mikroskopi¬ 
schen  Studien  lenkt  Mignon,  der  Direktor  der  Maison  Nationale  in  Charen- 
ton  —  welche  etwa  einer  unserer  Privatirrenanstalten  für  bemittelte  Männer 
entspricht  —  die  Aufmerksamkeit  auf  den  äußeren  Habitus  der  Paralytiker 
und  kommt  dabei  zu  dem  Resultat,  daß  die  Mehrzahl  dieser  Kranken  zu  den 
schönen  Erscheinungen  gehören:  Le  paralytique  est  le  plus  souvent  „un  bei 


homme“. 

Er  hat  diesen  —  zunächst  allgemeinen  —  Eindruck  durch  Messungen 
zu  erhärten  gesucht  und  je  30  Paralytiker  und  30  andere  Geisteskranke 
(Melancholiker,  Dementia  epileptica,  praecox,  paranoides,  Verfolgungswahn 
usw.)  verglichen.  Dabei  ergaben  sich  als  Mittelzahlen: 


andere 

Geisteskrankheiten 
169  cm 
61  kg 
87  cm 

Man  könnte  einwerfen,  daß  unter  den  Paralytikkern  viele  Offiziere 
seien,  welche  gemeinhin  besonders  groß  zu  sein  pflegen.  Allein  auch  diesen 
Einwand  entkräftet  Mignon  durch  folgende  Tabelle;  danach  betrugen  die 
Mittelzahlen  für  Offiziere  mit 


Größe 

Gewicht 

Brustumfang 


Paralytiker 
172  cm 
68  kg 
96  cm 


Durchschnitt 
für  die  Franzosen 
164 — 165  cm 
61—  65  kg 
86 —  89  cm. 


Referate  und  Besprechungen. 


923 


Größe 

Gewicht 

Brustumfang 


Paralyse 
174  cm 
71  kg 
93  cm 


anderen  Geisteskrankheiten 
162  cm 
60  kg 
91  ein. 


Wie  häufig  die  Paralyse  im  französischen  Offizierkorps  vorkommt,  er¬ 
hellt  daraus,  daß  von  den  in  C  hären  ton  aufgenommenen  Of  fizieren  80% 
an  dieser  Krankheit  leiden. 

Woher  die  Vorliebe  der  Dementia  paralytica  gerade  für  große,  schöne 
Figuren  rührt,  sucht  Mignon  durch  allerlei  soziale  Verhältnisse  zu  erklären; 
vielleicht  spielt  auch  der  Umstand  mit,  daß  solche  Erscheinungen  zumeist 
auf  nervös-psychischem  Gebiet  etwas  zu  kurz  gekommen  sind  und  deshalb 
früher  verbraucht  werden.  Indessen,  wenn  auch  die  hier  mitspielenden  Ver¬ 
hältnisse  sich  auf  absehbare  Zeit  nicht  mit  einem  Schlagwort  klären  lassen, 
sei  das  nun  Syphilis  oder  Kleinheit  des  Gehirns  oder  Kulturkrankheit  u. 
dergl.,  so  erscheint  Mignon’s  Hinweis  doch  zum  mindesten  interessant. 

Buttersack  (Berlin). 


Syphilitische  Meningo-Myelitis  30  Jahre  nach  dem  PrimärafFekt. 

(Brissaud  u.  Bauer.  Societe  de  Neur.,  Januar  1909.) 

Während  die  exakte  Schule  vor  einigen  Dezennien  die  Anamnese  gegen¬ 
über  -  dem  Status  praesens  vielleicht  über  Gebühr  vernachlässigte,  scheint 
heutzutage  umgekehrt  die  Neigung  vorzuherrschen,  frische  Erkrankungen 
mit  weit  zurückliegenden  Momenten  in  ursächlichen  Zusammenhang  'zu 
bringen.  So  stellten  Brissaud  und  Bauer  einen  Kranken  vor,  der  in  seinem 
51.  Lebensjahr  mit  Schmerzen  in  den  Beinen  und  an  Inkontinenz  erkrankte; 
die  Spinalflüssigkeit  ergab  'ebenso  zahlreiche  polynukleäre  wie  Lympho¬ 
zyten.  Der  Mann  hatte  im  21.  Jahr  einen  Schanker  gehabt. 

Mir  persönlich  kommt  es  gewagt  vor,  den  Verbindungsfaden  dieser 
beiden  Ereignisse  unter  Hintansetzung  der  Faktoren,  welche  in  den  zwischen¬ 
liegenden  dreißig  Jahren  auf  den  Organismus  eingewirkt  haben,  über  so 
lange  Zeit  hinweg  zu  [knüpfen.  Aber  als  Gegengewicht  '.gegen  die  che¬ 
mische  Vorstellungsweise,  welche  die  Reaktionen  allzuschnell  aufeinander 
folgen  läßt,  bedeuten  diese  anamnestischen  Analysen  immerhin  einen  Fort¬ 
schritt,  und  wenn  erst  der  Blick  nicht  mehr  wie  hypnotisiert  an  der  Lues 
kleben  bleibt,  sondern  auch  andere  Dinge  bewertet,  wird  das  Denken  den 
Allgemeinheit  dabei  gewiß  nur  gewinnen  können.  Buttersack  (Berlin). 


Ziegenmilch  als  Heilmittel  des  Morbus  Basedow. 

(Clement.  Revue  de  la  Suisse  rom.,  Jan.  1909.  —  Bullet,  med.,  Nr.  8,  S.  85,  1909.) 

Eine  Dame  sollte  ob  ihres  Basedow  mit  Milch  einer  thyreodektomierten 
Ziege  behandelt  werden;  das  Tier  erlag  aber  diesem  Eingriff.  Das  mit¬ 
leidige  Herz  der  Pat.  wünschte  keine  Wiederholung  des  Versuchs;  sie  be¬ 
gnügte  sich  mit  einer  Milchkur  von  einer  normalen,  nicht  verstümmelten 
Ziege  —  und  wurde  geheilt. 

Für  die  schönen  Antikörper-  u.  dergl.  -Hypothesen  ist  diese  Notiz  ge¬ 
wiß  unbequem.  Buttersack  (Berlin). 


Kinderheilkunde  und  Säuglingsernährung. 

Aus  der  medizinischen  Universitätsklinik  Marburg,  Prof.  Dr.  Brauer. 

Biologische  Fragen  bei  der  natürlichen  und  künstlichen  Säuglingsernährung. 

(Priv.-Doz.  Dr.  Sittler.  Der  Kinderarzt,  Nr.  3  u.  4,  1909.) 

Die  künstliche  (unnatürliche)  Säuglingsernährung  steht  aus  mancherlei 
Ursachen  der  natürlichen  nach.  Zunächst  erfährt  die  Tiermilch  durch  den 
unvermeidlichen  Kochprozeß  gewisse  Veränderungen  in  ihren  wichtigsten  che¬ 
mischen  Bestandteilen:  das  Laktalbumin  gerinnt,  das  Kasein  dissoziiert,  mög- 


924 


Referate  und  Besprechungen. 


licherweise  tritt  auch  eine  Zerstörung  der  Fettbestandteile  ein  usw. :  außer¬ 
dem  werden  auch  die  so  wichtigen  Fermente  und  Antikörper  vernichtet, 
welch  letztere  mindestens  in  prophylaktischer  Hinsicht  von  Bedeutung  sind, 
aber  nur  vom  säugenden  Neugeborenen  unzersetzt  in  den  Körper  übergeführt 
werden  können,  und  zwar  nur  von  der  arteigenen  Milch  aus.  Aber  nicht  bloß 
theoretische  Erwägungen,  sondern  auch  Experimente,  namentlich  von  Brü¬ 
ning,  die  allerdings  nicht  ganz  unwidersprochen  geblieben  sind,  führen  zu 
dem  Ergebnis,  daß  sich  zur  Ernährung  des  Neugeborenen  am  besten  die  rohe 
arteigene  Milch  eignet,  am  schlechtesten  die  artfremde  rohe,  während  bei 
der  Unmöglichkeit  einer  natürlichen  Ernährung  die  Darreichung  von  art¬ 
fremder  gekochter  Milch  am  vorteilhaftesten  ist.  Die  wichtigsten  Unter¬ 
scheidungsmerkmale  zwischen  beiden  Ernährungsarten  sind  weniger  in  der 
verschiedenen  Verdaulichkeit  der  Eiweißkörper  zu  suchen  als  besonders  im 
Fett,  auf  welches  die  chronischen  Verdauungsstörungen  in  der  Mehrzahl  der 
Fälle  zurückzuführen  sind,  und  welches  als  die  Hauptursach^  des  sog.  Milch¬ 
nährschadens  und  der  daraus  resultierenden  Atrophie  (Dekomposition)  anzu¬ 
sehen  ist;  für  die  letztgenannten  Zustände  muß  nach  Ansicht  des  Verf.  auch 
die  Wirkung  der  Molken  noch  zur  Erklärung  herangezogen  werden,  während 
bezüglich  des  Zuckers  Unterschiede  zwischen  künstlicher  und  natürlicher  Er¬ 
nährung  sich  nicht  konstatieren  lassen.  Über  die  Bedeutung  der  Salze  sind 
eindeutige  Ergebnisse  noch  nicht  gefunden;  soweit  sie  für  die  Entstehung 
der  Rachitis  eine  Rolle  spielen,  die  ja  hauptsächlich  bei  künstlich  genährten 
Kindern  auftritt,  handelt  es  sich  vielleicht  nicht  bloß  um  ungenügende  Zu¬ 
fuhr,  sondern  auch  um  mangelhafte  Retention  von  Salzen,  speziell  von  Kalk, 
infolge  abnormer  Vorgänge  im  Darmkanal.  Steinhardt  (Nürnberg). 


Zur  Säuglingspflege  im  Krankenhaus. 

(Dr.  J.  Gewin,  Amsterdam.  Archiv  für  Kinderheilk.,  Bd.  49,  H.  5  u.  6.) 

Seit  1.  April  1905  wurde  im  Wilhelmina-Krankenhaus  zu  Amsterdam 
eine  Station  für  Säuglinge  eingerichtet.  Es  wurde  zu  diesem  Zwecke  ,ein 
Krankensaal  adaptiert.  Die  künstliche  Ernährung  wurde  im  allgemeinen 
nach  dem  Schema  von  Escherich  betätigt. 

Sehr  begrüßenswert  ist  die  Einrichtung,  daß  es  den  Müttern  kranker 
Brustkinder  unter  allen  Umständen  ermöglicht  wird,  das  Stillgeschäft  fort¬ 
zusetzen,  sie  bleiben,  wenn  es  die  Umstände  erfordern,  den  ganzen  Tag  im 
Krankenhaus  und  werden  auch  dort  verköstigt.  Das  gleiche  gilt  mutatis 
mutandis  für  kranke  Mütter,  die  ihr  Kind  mitbringen,  das  dann  auf  der 
Säuglingsstation  untergebracht  wird. 

Die  Säuglingspflege  geschieht  durch  geübte  Pflegerinnen,  denen  Schüle¬ 
rinnen  beigegeben  sind. 

Bis  1.  Januar  1908  wurden  286  Kinder  unter  1  Jahr  auf  dieser  Station 
verpflegt.  54  waren  bei  der  Aufnahme  nicht  krank.  9  wurden  gleich  in 
die  Couveuse  aufgenommen.  Es  waren  111  Knaben,  96  Mädchen;  die  durch¬ 
schnittliche  Verpflegungsdauer  betrug  34  Tage. 

Die  Sterblichkeitsziffer  inkl.  der  gefunden  Kinder  betrug  355/io%-  An 
dem  schlechten  Ernährungszustände  der  Kinder  bei  der  Aufnahme  ist  häufiger 
die  ungeschickte  und  gedankenlose  Art,  wie  die  Kinder  gefüttert  wurden 
schuld  als  Arbeitslosigkeit  und  ungenügender  Verdienst  der  Eltern.  Die 
Sterblichkeit  der  Kinder,  welche  nur  oder  höchstens  2  Monate  Muttermilch 
bekamen,  betrug  52,5%;  die  Mortalität  der  Kinder,  die  länger  als  2  Monate 
gestillt  wurden  29,5%;  gewiß  bemerkenswerte  Zahlen.  Reiss  (München). 


Beitrag  zur  Frage  der  biologischen  Beziehungen  zwischen  Mutter  und  Kind, 

(Carl  Stäubli,  Basel.  Archiv  für  Kinderheilk.,  Bd.  49,  H.  5  u.  6.) 

Verfasser,  dessen  Versuche  über  diese  Frage  weit  zurückliegen  und  in 
mehreren  Arbeiten  bereits  niedergelegt  sind,  will  durch  seine  Arbeiten  zur 
weiteren  Klärung  anregen.  Es  ist  ihm  nicht  gelungen,  Trichinelleninfektion, 
die  er  deshalb  wählte,  weil  sie  von  allen  Infektionskrankheiten  die  auffälligsten 


Referate  und  Besprechungen. 


925 


Veränderungen  setzt,  bei  den  Jungen  des  Versuchstieres  zu  erzielen.  Inwie¬ 
weit  die  Plazenta  die  Fähigkeit  besitzt,  Giftstoffe  für  die  Frucht  unschäd¬ 
lich  zu  machen,  ist  noch  nicht  vollkommen  geklärt.  Reiss  (München). 


Die  Giessener  Milchküche. 

(C.  Kockerbeck.  Zeitschr.  für  Säuglingsfürs.,  H.  1  u.  2,  1909.) 

Mitteilung  über  die  mit  einer  Mutterberatungstelle  verbundene,  nach 
modernen  Prinzipien  eingerichtete  Milchküche,  die  sich  —  bei  einer  Geburten¬ 
zahl  von  600  —  mit  220  Kindern  in  40  Wochen  eines  recht  regen  Besuches 
zu  erfreuen  hatte.  Es  werden  Erfahrungen  über  das  Verhalten  des  Energie¬ 
quotienten  mitgeteilt,  nach  welchen  dieser  vor  allem  bei  debilen  Kindern 
höher  liegt,  als  man  bisher  annahm,  (vergl.  auch  die  Arbeit  von  J.  Rosen¬ 
stern:  Deutsche  medizin.  Wochenschr.  1907,  Kr.  7).  Es  ist  Ref.  aufge- 
fallen,  daß  nur  Milchmischungen  verabreicht  werden,  doch  dürften  wohl 
Buttermilch  und  Liebigsuppe  nach  den  allgemeinen  günstigen  Erfahrungen 
auch  hier  eingeführt  werden,  zumal  wir  gerade  Ko eppen -Gießen  eine  wesent¬ 
liche  Bereicherung  unserer  Kenntnisse  von  der  Buttermilch  verdanken  und 
in  der  Vilbeler  Buttermilchmischung  ein  vorzügliches  Präparat  zur  Ver¬ 
fügung  steht.  Aronade. 


Rohe  Milch  in  der  Kinderernährung. 

(Mery  u.  Mlle.  Szczawinska.  Soc.  de  Ped.,  20.  4.  1909.) 

In  dem  ehemaligen  Landhause  Zola’s  in  Medan  ist  ein  Kinderheim 
eingerichtet  worden,  in  welchem  die  Kinder  —  Rekonvaleszenten  von  Magen¬ 
darmkatarrhen  und  solche  mit  chronischen  Dyspepsien  —  mit  roher  Milch 
ernährt  werden.  Von  73  Kindern  sind  52  gut  gediehen,  2  haben  sich  nicht 
erholt,  19  sind  gestorben.  Das  Gesamtergebnis  ist  dieses,  daß  Kinder  unter 
6  Monaten  mit  Darmaffektionen  die  Kuhmilch  schlecht  ertrugen. 

Da  jedoch  unter  den  Säuglingen  nicht  wenige  tuberkulöse  waren,  so 
lassen  sich  die  Mißerfolge  nicht  ohne  weiteres  gegen  die  rohe  Milch  verwerten. 
Daß  diese  natürlich  nicht  verdorben  sein  darf,  versteht  sich  von  selbst. 

Buttersack  (Berlin). 


Eine  Indikation  für  Fleischbrühe  in  der  Säuglingsernährung. 

(W.  Stöltzner.  Med.  Klinik,  Nr.  6,  1909.) 

Die  Verwendung  der  Fleischbrühe  als  Zusatz  zur  Milch  in  der  Ernährung 
von  Säuglingen,  die  künstlich  genährt  werden  müssen,  rührt  von  Breton  ne  au 
her.  Trotz  mancher  späteren  Empfehlungen  und  „Neu-Entdeckungen“  hat  sich 
in  Deutschland  das  Verfahren  keine  große  Anhängerschaft  erworben,  während 
in  Frankreich  die  Anwendung  der  Fleisch-  im  besonderen  der  Kalbfleischbrühe 
aus  der  Säuglingsbehandlung  niemals  ganz  wieder  geschwunden  ist.  Breton- 
neau  empfahl  die  Fleischbrühe-Milchmischung  besonders  bei  solchen  Säug¬ 
lingen,  die  an  Tabes  mesenterica  zu  „deutsch“  „Atrophie“  litten  und  sah 
gute  Erfolge.  Stoeltzü'er  teilt,  neue  Beobachtungen  mit,  wonach  sich  von 
den  verschiedenen  Formen  der  Atrophie  diejenige  ganz  besonders  zur  Be¬ 
handlung  mit  der  Fleischbrühe-Milchmischung  e  ignet,  welche  auf  eine 
Überfütterung  oder  ausschließliche  Ernährung  der  Säuglinge  mit  Mehl¬ 
präparaten  zurückzuführen  ist  und  als  „Mehlnährschaden“  bezeichnet  wird, 
der  eine  ziemlich  schlechte  Prognose  gibt.  —  Der  Nutzen  der  Milch- 
Fleischbrühemischung  zeigte  sich  manchmal  schon  nach  wenigen  Tagen, 
insofern  nicht  nur  die  vielfach  bestehenden  Durchfälle  aufhörten  und  das 
Gesamtbefinden  sich  besserte,  sondern  auch  wieder  Mehlzusatz  zur  Milch 
vertragen  und  Gewichtszunahme  erzielt  wurde.  Eis  handelt  sich  im  ganzen 
um  14  poliklinische  Fälle,  von  denen  5,  d;ie  längere  Zeit  beobachtet  werden 
konnten,  besonders  günstig  verliefen.  Die  Erfahrungen  Stöltzner’s  ermun¬ 
tern  zu  weiteren  Versuchen über  die  Frage,  wie  lange  etwa  die  Milch-Fleisch- 


926 


Referate  und  Besprechungen. 


brühediät  mindestens  durchgeführt  werden  muß,  und  wann  man  wieder  Kohle¬ 
hydrate  in  größerer  Menge  zu  Reichen  hat,  sind  weitere  und  besonders  klinische 
Untersuchungen  wünschenswert.  —  Die  Herstellung  der  Fleischbrühe  erfolgte 
in  der  im  Haushalte  üblichen  Weise  entweder  aus  Rind-  oder  Kalbfleisch  mit 
Salz,  aber  ohne  Grünzeug,  im  übrigen  weder  besonders  stark  noch  beson¬ 
ders  schwach.  Das  Mischungsverhältnis  mit  Milch  war  wechselnd,  meist  2/3 
bis  1/3  Fleischbrühe  und  V3 — 2/3  Milch;  vorübergehend  (1  Tag)  wurde  auch 
ausschließlich  Fleischbrühe  gereicht.  Der  Milch-Fleischbrühemischung  wurde 
niemals  Zucker  zugesetzt.  R.  Stüve  (Osnabrück). 

Zur  Behandlung  der  Entbindungslähmungen. 

(Otto  mar  Roh  de,  Greifswald.  Zentralbl.  für  Kinderheilk.,  Nr.  2,  1909.) 

I.  Schlaffe  Lähmung  des  linken  Armes  gleich  nach  der  Geburt. 

II.  Lähmung  der  rechten  Hand  und  in  geringem  Maße  des  rechten 
Armes. 

Fall  I.  Behandlung  mit  faradischen  und  galvanischen  Strömen,  Massage 
und  passive  Bewegungen. 

Nach  sechswöchiger  Behandlung  kein  Erfolg.  Exitus  an  interkurren¬ 
ter  Bronchitis  und  Enteritis.  1 

Fall  II.  8  Wochen  post  partum  Beginn  der  Behandlung. 

Ruhigstellung  des  gesunden  Armes.  Alle  Willensimpulse  scheinen  dem 
gelähmten  Gebiet  zugeführt  zu  werden.  Täglich  Massage  und  Elektrisierung 
beider  Arme.  Nach  etwa  5  Monaten  Heilung.  Reiss  (München). 

Augenheilkunde. 

Beitrag  zur  Ätiologie  des  Trachoms. 

(E.  Bertarelli  u.  G.  Cecchetto.  Zentralbl.  für  Bakt.,  Bd.  47,  S.  422,  1908.) 

Bei  Affen  gelang  die  Übertragung  des  Trachoms ;  nach  45  Tagen  sieht 
man  ein  in  starker  Entwicklung  befindliches  Trachom  bei  ihnen.  Verfasser 
konnten  nachweisen,  daß  das  Trachomvirus  Berkefeldkerzen  passiert.  Fär¬ 
bung  von  Ausstrichen  von  Affentrachom  mit  Giemsa  gab  unregelmäßige 
rötlich-violett  gefärbte  Körper  im  peripheren  Teil  der  Zelle,  außerdem  im 
Protoplasma  unregelmäßig  verteilte,  rötliche  Körperchen  und  endlich  rötliche, 
rundliche  oder  auch  läügliche  Körnchen,  die  bald  zusammengehäuft,  bald 
zerstreut  liegen.  Untersuchung  von  Menschentrachomen  lieferte  uns  die  Pro- 
wazek’schen  Körperchen,  die  in  der  Nähe  des  Kerns  gelegen  sind,  rundes 
oder  ovales  Aussehen  haben ;  die  Grundsubstanz  färbt  sich  bläulich  oder 
violett. 

Alle  genannten  Gebilde  halten  die  Verfasser  für  Prowazek’sche  Körper; 
sie  halten  dieselben  für  parasitäre  Elemente  und  für  Trachome  durchaus 
für  spezifisch.  Schürmann  (Düsseldorf). 


Die  Korrektion  der  Alterssichtigkeit  durch  pantoskopische  Augengläser. 

(E.  A.  Heimann.  Ther.  der  Gegenw.,  Nr.  3,  1909.) 

Hei  mann  hat  nach  einem  amerikanischen  Modell  liieren-  oder  bohnen¬ 
förmige  Augengläser  (Exkavation  nach  oben)  hersteilen  lassen,  die  es  Pres¬ 
byopen  ermöglichen,  beim  Sehen  in  die  Ferne  das  Glas  zu  vermeiden,  ohne 
den  Kopf  zu  senken  oder  die  Brille  auf  die  Stirne  zu  schieben.  Er  gibt 
an,  daß  die  Gläser  weniger  auffallend  aussehen  als  die  sonst  angewandten 
pantoskopischen  Gläser.  Fr.  von  den  Velden. 


Alkohol  und  Auge. 

In  einem  Aufsätze  über  „Psychose  und  Auge“  bespricht  Prof.  Dr.  Hugo 
Winterstein  auch  die  Beziehungen  zwischen  Alkohol  und  Auge.  Er  er¬ 
wähnt  zunächst  das  Doppeltsehen  bei  akuter  Alkoholvergiftung,  die  Bedeutung 
des  chronischen  Alkoholismus  für  die  Ätiologie  der  Arteriosklerose,  die  ihrer- 


Bücherschau. 


927 


seits  wieder  Retinitis  haemorrhagica  oder  auf  dem  Umwege  einer  Nephritis 
eine  Retinitis  albuminurica  zur  Folge  haben  oder  durch  Gehirnhämorrhagie 
eine  Hemianopsie  verursachen  kann;  ferner  die  Augenmuskellähmungen,  die 
entweder  durch  eine  periphere  alkoholische  Neuritis  des  III.,  IV.  oder  VI.  Ge¬ 
hirnnerven  oder  durch  eine  hämorrhagische  Entzündung  am  Boden  des  IV.  Ven¬ 
trikels  hervorgerufen  werden.  Am  wichtigsten  ist  aber  die  direkte  Läsion 
des  Sehnerven  bei  chronischem  Alkoholismus.  Diese  offenbart  sich  als  eine 
partielle  Atrophie  der  Papille,  bedingt  durch  eine  chronische  retrobubüre 
Neuritis  optica,  welche  in  charakteristischer  Weise  nur  das  sogenannte  papillo¬ 
makuläre  Bündel  ergreift.  Die  subjektiven  Symptome  bestehen  dabei  in 
Sehstörungen,  manchmal  auch  in  einem  geringen  Grade  von  Hemeralopie. 
Objektiv  ergibt  sich  ein  Skotom,  das  anfangs  nur  für  einzelne  Farben  gilt 
und  später  zum  absoluten  Skotom  wird.  Gewöhnlich  findet  sich  bald  eine 
Abblassung  eines  Teiles  der  Papille,  die  bekannte  decoloratio  nervi  optici, 
seltener  kommt  es  zu  ausgesprochener  Sehnervenatrophie.  Immerhin  konnte 
W.  unter  111  Alkoholikern  (Irrenhausinsassen)  neben  39  einfachen  Abblassungen 
der  Papille  fünf  ausgesprochene  Sehnervenatrophien  konstatieren,  also  39,6% 
atrophischer  Vorgänge  im  Sehnerven. 

Seltener  als  die  Decoloratio  nervi  optici  findet  sich  bei  Alkoholismus 
eine  Papillitis,  eine  Sehnervenentzündung.  Trifft  man  nur  einfache  Hyper¬ 
ämie  an  der  Papille  und  in  der  Netzhaut,  so  kann  diese  ein  Vorläufer  einer 
•solchen  Entzündung  sein,  braucht  es  aber  nicht  zu  sein ;  man  muß  erst  kon¬ 
statieren,  ob  nicht  etwa  ein  Delirium  tremens  unmittelbar  vorhergegangen 
ist,  welches  sich  in  einer  vorübergehenden  Kongestion  des  Augenhintergrundes 
äußert.  (Österr.  Ärztezeitung  Nr.  21,  1908,  S.  395.)  Neumann. 


Bücherschau. 


Die  Basedow  sche  Krankheit.  I.  Teil.  Symptomatologie.  Mit  fünf  Ab¬ 
bildungen  im  Text  und  einer  farbigen  Tafel.  Von  Dr.  med.  H.  Sattler, 
o.  ö.  Professor  der  Augenheilkunde  an  der  Universität  Leipzig.  Verlag 

von  Wilhelm  Engelmann,  Leipzig,  1909. 

In  dem  jetzt  erschienenen  ersten  Teil  (523  Seiten)  behandelt  der  Verfasser  die 
Symptomatologie  der  Erkrankung.  Die  gewaltige  Literatur  (2896  Arbeiten  sind 
berücksichtigt)  zusammengetragen  zu  haben,  ist  schon  eine  Achtung  gebietende 
Leistung.  Aber  weit  bewundernswerter  ist  die  überaus  kritische  und  von  reicher 
Erfahrung  getragene  Art  der  Einteilung  und  Bearbeitung  des  Stoffes,  der  hier 
seinen  Meister  gefunden  hat. 

Die  Symptomatologie  der  Basedowschen  Krankheit,  die  trotz  Möbius  noch 
ziemlich  ergänzungsbedürftig  war,  hat  durch  Sattler  eine  nahezu  erschöpfende 
Darstelluug  erfahren.  Daß  von  einem  Ophthalmologen  der  Besprechung  der  Augen¬ 
symptome  eine  besondere  Sorgfalt  gewidmet  wird,  ist  natürlich.  .  Der  innere 
Mediziner  und  Neurologe  wird  hierüber  nur  erfreut  sein  können.  Bei  der  sehr 
großen  Zahl  der  Basedow-Symptome  ist  es  unmöglich,  jede  einzelne  Krankheits¬ 
erscheinung  hier  eingehend  zu  erörtern.  Ich  muß  mich  vielmehr  mit  der  Hervor¬ 
hebung  der  wesentlichsten  Punkte  aus  dem  Sattler’sche  Buche  begnügen. 

So  möchte  ich  als  neu  besonders  hinweisen  auf  die  graphische  Darstellung 
der  Lage  des  protrudierten  Bulbus  bei  verschiedenen  Haltungen  des  Kopfes  und 
bei  Kompression  der  Abflüsse  nach  der  Vena  facialis,  die  Birch-Hirsclif  eld  auf 
Veranlassung  des  Autors  ausgeführt  hat. 

Neu  ist  ferner  die  Beweisführung,  daß  das  über  dem  Exophthalmus  hörbare 
Geräusch  ein  Muskelgeräusch  ist,  ferner  die  Häufigkeit  des  Vorkommens  eines  ein¬ 
seitigen  Exophthalums,  der  Lidsymptome  ohne  Exophthalums,  das  einseitige  Vor¬ 
kommen  der  Lidsymptome,  die  differential-diagnostischen  Fragen  bezüglich  der 
Lidsymptome  und  die  Erklärung  der  Lidsymptome.  Sehr  interessant  sind  die  Aus¬ 
führungen  Sattlers  über  Papillitis  und  Sehnervenatrophie,  die  nicht  selten  durch 
übermäßigen  Schilddrüsengebrauch  bedingt  sind.  Durch  experimentelle  Unter¬ 
suchungen  Birch-Hirschf elds  und  Inoujes,  die  auf  Sattlers  Veranlassung 
vorgenommen  wurden,  konnte  die  Existenz  einer  Thyreoidinamblyopie  erwiesen 
werden.  Interessant  sind  ferner  die  Hinweisungen  auf  die  vielen,  oft  nicht  genügend 


928 


Bücherschau. 


gewürdigten  Fehlerquellen  bei  der  Beurteilung  des  Möbius’schen  Symptoms  und  die 
Uebereinstimmung  des  Basedowr-Tremors  mit  dem  leichten  Tremor  normaler  Personen. 
Die  große  Zahl  der  übrigen  nervösen  Symptome  wird  von  Sattler  mit  sachgemäßer 
Gründlichkeit  behandelt,  so  daß  auch  der  Neurologe  viel  Belehrung  und  Anregung 
zu  weiterer  Beobachtung  aus  den  Ausführungen  des  Autors  empfängt.  Bemerkens¬ 
wert  ist  das  seltene  Auftreten  schmerzhafter  Krämpfe  oder  Tetanie-ähnlicher 
Krampfanfälle  oder  das  häufigere  choreiformer  Bewegungen.  Da  wo  die  Chorea 
sich  erst  im  Verlaufe  des  Basedow  entwickelte,  vermag  sich  Sattler  der  Ansicht 
nicht  zu  verschließen,  daß  Chorea  und  Basedow  durch  ein  und  dieselbe  Schädlich¬ 
keit  ausgelöst  werden  können. 

Besondere  Beachtungen  verdienen  die  bei  der  Basedowschen  Krankheit  vor¬ 
kommenden  Ophthalmoplegien  und  bulbären  Lähmungen,  die  entweder  zusammen 
oder  für  sich  allein  bestehen  können.  Eine  bei  M.  Basedowii  bestehende 
bilaterale  Ophthalmoplegia  exterior  muß  nach  Sattler  ihrem  Wesen  nach  als 
eine  mehr  oder  weniger  vollständige  assoziierte  Blicklähmung  aufgefaßt  werden. 
Eine  wirkliche  Konvergenzlähmung  bei  ungestörten  assoziierten  Bewegungen  für 
alle  Blickrichtungen  ist  bei  der  Basedowschen  Krankheit  ganz  außerordentlich 
selten.  In  einigen  Fällen  trat  zu  dem  Basedow  eine  akute  letale  Bulbärparalyse. 
Da  es  nicht  meine  Absicht  sein  kann,  alle  Symptome  und  Komplikationen  der 
BasedowSchen  Krankheit,  die  Sattler  mit  bewundernswertem  Fleiß  und  scharfer 
Kritik  zusammengestellt  hat,  einzeln  durchzusprechen,  so  sei  hier  nur  kurz  ver¬ 
wiesen  auf  die  Komplikationen  mit  Myasthenie,  die  nicht  zufällig  sondern  gemein¬ 
samen  toxischen  Ursprunges  zu  sein  scheint,  während  bei  Kombinationen  mit 
Hemiplegie  oder  spinaler  Muskelatrophie  der  Zufall  eine  Rolle  spielt.  Hervorgehoben 
seien  die  Ausführungen  über  das  Verhalten  der  Reflexe,  die  Kombination  der 
Basedowschen  Krankheit  mit  Hemicranie  und  Hysterie.  Eine  besondere  praktische 
Bedeutuüg  kommt  der  Beobachtung  zu,  daß  sich  Basedow  im  Anschluß  an  einen 
Unfall  zugleich  mit  den  Symptomen  einer  traumatischen  Neurose  resp.  Hysterie 
entwickelte. 

Außer  den  bekannten  Störungen  im  Seelenleben  der  Basedow-Kranken  be¬ 
schreibt  Sattler  die  ausgesprochenen  Psychosen,  die  depressiven  F ormen,  die  Dementia 
praecox,  die  akute  Verwirrtheit,  die  verschiedenen  Zustandsbilder  des  manisch- 
depressiven  Irreseins,  deren  toxischer  Charakter  unverkennbar  ist.  Sehr  eingehend 
ist  ferner  das  Kapitel  der  vasomotorischen  Störungen  bearbeitet,  unter  denen  nicht 
nur  die  bekannten  Schweißstörungen,  Hitzegefühle  und  Erytheme  in  Folge  von 
Sympathikusaffektionen  sondern  auch  Blutungen  aus  den  Schleimhäuten  und 
Hautblutungen  erwähnt  werden.  Erwähnt  seien  ferner  die  Zusammenstellungen 
über  die  Häufigkeit  des  Durchfalles  (30  Proz.)  und  des  Erbrechens  (15  Proz.),  sowie 
die  Bedeutung  des  Ikterus,  als  eines  prognostisch  ernsten  Symptomes. 

Unter  den  Veränderungen  der  Haut  bei  der  Basedow’schen  Krankheit, 
sei  vor  allem  auf  die  neuen  Beobachtungen  hingewiesen,  die  der  Abschnitt 
über  derbe  Hautschwellungen  mit  einer  künstlerisch  ausgeführten  Abbildung 
eines  von  Sattler  beobachteten  Falles  bringt.  Es  handelt  sich  hier  um  eine 
symmetrisch  lokalisierte  eigenartige  Hautverdickung  an  beiden  Unterschenkeln, 
der  nach  der  histologischen  Untersuchung  ein  Flüssigkeitserguß,  vermutlich 
angioneurotisehen  Ursprunges,  in  den  tieferen  Lagen  der  Lederhaut  zugrunde 
lag.  Nachdem  Sattler  das  Zusammentreffen  der  Basedow’schen  Krankheit  mit  der 
Sklerodermie,  der  Raynaud’schen  Krankheit,  der  Osteomalazie  und  dem  Riesenwuchs 
besprochen  hat,  geht  er  auf  die  Beziehungen  des  Myxoedems  zum  Basedow  ein. 
Sehr  interessant  ist  die  von  Sattler  hervorgehobene  Tatsache,  daß  im  Verlaufe 
der  Basedow’schen  Krankheit  einzelne  ihrer  Symptome  abgelöst  oder  ersetzt  werden 
durch  solche  des  Myxoedems  oder  daß  die  Basedow’sche  Krankheit  allmählich 
spontan  in  ein  Mvxoedem  übergehen  kann.  Am  längsten  persistieren  daiyi  zumeist 
die  Tachykardie  und  der  Exophthalmus. 

Schließlich  geht  des  Verfasser  auf  die  Stoffwechselstörungen  und  die  Basedow- 
Hyperthermie  sowie  die  Blutbeschaffenheit  bei  Basedow  mit  ganz  besonderer 
Sorgfalt  ein. 

Somit  ist  dieser  erste  Teil  der  Sattler’schen  Buches  ein  an  Reichhaltigkeit 
und  kritischer  Sichtung  des  Inhaltes  gleichmäßig  ausgezeichnetes  Buch,  das  nicht 
nur  dem  Spezialforscher  eine  Fülle  der  Anregung  bietet,  sondern  auch  für  den 
praktischen  Arzt  eine  willkommene.  Lektüre  zur  Bereicherung  seines  Wissens  und 
zur  Kontrole  seiner  Erfahrungen  sein  wird.  Dem  Erscheinen  des  zweiten  Bandes 
sehen  wir  daher  mit  Spannung  entgegen.  G.  Köster  (Leipzig). 

Schriftleitung:  Dr.  Ri  gl  er  in  Leipzig. 

Druck  von  Emil  Herr  mann  senior  in  Leipzig. 


27.  Jahrgang 


1909 


Tortscbriitc  der  Medizin. 

Unter  Mitwirkung  hervorragender  Fachmänner 

herausgegeben  von 


Professor  Dr.  0.  Köster  Prio.-Doz.  Dr.  o.  Criegern 

in  Leipzig.  in  Leipzig. 

Schriftleitung:  Dr.  Rigler  in  Leipzig. 


Nr.  25. 


Erscheint  am  10.,  20.,  30.  jeden  Monats.  Preis  halbjährlich 
6  Mark,  in  kl.  Zeitschrift  für  Yersicherungsmedizin  8  Mark. 


Verlag  von  Georg  Thieme,  Leipzig.  = 


10.  Septbr. 


Originalarbeiten  und  Sammelberichte. 

Aus  der  medizinischen  Klinik  zu  Marburg.  (Prof.  Dr.  Brauer.) 

Die  Behandlung  der  Schuppenflechte. 

Von  Privatdozent  Dr.  Hübner,  Arzt  der  Hautkrankenstation. 

-  Verhältnismäßig  häufig  sehen  wir  uns  vor  die  Aufgabe  gestellt, 
bei  der  Schuppenflechte  therapeutisch  einzugreifen  und  zwar  liegt  dies 
an  zwei  Umständen:  Erstens  handelt  es  sich  um  eine  an  sich  nicht  gar 
zu  seltene  Erkrankung,  d.  h.  ein  verhältnismäßig  nicht  ganz  kleiner 
Prozentsatz  aller  Menschen  wird  von  ihr  befallen  und  zweitens  sind 
dies  sozusagen  „geborene  Psoriatiker“,  d.  h.  sie  werden  in  der  Hegel 
immer  wieder  von  Nachschüben  ihrer  Krankheit  belästigt. 

PRid  damit  sind  die  Grenzen  unseres  therapeutischen  Könnens 
schon  gezogen.  So  sicher  es  auch  uns  gelingen  muß,  die  jedesmal 
vorhandenen  Erscheinungen  der  Schuppenflechte  zu  beseitigen,  so  wenig 
können  wir  das  Eintreten  von  Rezidiven  verhindern.  Aber  auch  bei 
der  Behandlung  des  typisch  entwickelten  Krankheitsbildes  wird  nur 
der  Therapeut  Erfolge  erzielen,  der  aus  der  großen  Zahl  der  vor¬ 
handenen  Antipsoriatika  das  nach  der  Eigenart  des  vorliegenden  Falles 
grade  passende  Mittel  auszuwählen  versteht,  und  der  den  Neben¬ 
wirkungen  dieser  Mittel  zu  begegnen  weiß.  Es  sei  mir  daher  gestattet, 
die  Behandlung  der  Psoriasis  grade  nach  der  Seite  der  speziellen  In¬ 
dikation  der  Mittel  hier  zu  erörtern. 

Hierzu  haben  wir  die  Fälle  zunächst  zu  sondern  in  frische, 
erste  Eruptionen  und  in  alte  inveterierte.  Bei  den  letzteren  tritt  die 
externe  Behandlung  in  ihr  Hecht,  die  bei  den  er steren,  den  frischen 
Fällen,  direkt  kontraindiziert  ist,  weil  sich  bei  ihnen  die  Haut  in  einem 
gesteigerten  Zustand  von  Reizbarkeit  befindet,  bei  dem  die  Anwendung 
der  äußeren  Antipsoriatica  zu  einer  Eruption  der  Krankheit  über  die 
ganze  Haut  führen  könnte. 

Zum  Glück  besitzen  wir  im  Arsen  ein  Mittel,  das  grade  diese 
frischen  Eruptionen  zum  Schwinden  bringt.  Dieses  „launische“  Mittel, 
wie  es  B  lasch  ko  einmal  genannt  hat,  wirkt  zwar  bei  der  Psoriasis 
nicht  mit  solcher  Sicherheit  wie  etwa  beim  Lichen  ruber,  aber  doch 
immerhin  in  der  großen  Mehrzahl  der  frischen  Fälle.  Die  Anwendungs¬ 
weise  dieses  nicht  ungefährlichen,  aber  in  der  Dermatotherapie  durchaus 
unentbehrlichen  Mittels  muß  genau  bekannt  sein. 

Wir  pflegen  das  Arsen  in  der  Form  der  sogenannten  asiatischen 
Pillen  ä  0,0025  zu  verordnen.  Der  Patient  beginnt  mit  3  Pillen  täglich, 

59 


930 


Hübner, 


je  einer  nach  dem  Frühstück,  dem  Mittag1-  und  dem  Abendessen.  Nach 
3  Tagen  steigt  er  auf  4,  nach  weiteren  3  auf  5  Pillen  usf .  bis  3  mal 
3  =  9  Pillen  täglich  genommen  werden.  Auf  dieser  Höhe  bleibt  der 
Patient  bis,  unter  schwachgrauer  Pigmentierüng,  die  Involution  der 
Piaques  beginnt.  Dann  folgt  langsamer  Abfall  der  Arsendosis  nach 
dem  gleichen  Schema.  Intoxikationserscheinungen  sind  bei  dieser  Art 
der  Verabreichung  des  Arsens  nicht  zu  befürchten.  Man  muß  sie 
und  ihre  drohenden  Vorboten  aber  kennen,  um,  falls  sie  doch  auf- 
treten  sollten,  richtig  zu  handeln.  Quälende  Trockenheit  im  Halse, 
schmerzhafte  Darmkoliken  und  Durchfall,  Erytheme  und  zosterähn¬ 
liche  Blaseneruptionen  auf  der  Haut  sind  die  Zeichen  der  beginnenden 
Arsenvergiftung :  Sie  erheischen  ein  rasches  Hinuntergehen  mit  der 
Dosis,  aber  kein  brüskes  Aufhören.  Letzteres  würde  die  bedrohlichen 
Erscheinungen  nur  noch  steigern. 

Gegenüber  der  angenehmen  sicheren  und  billigen  Darreichungs¬ 
weise  des  Arsens  in  der  Form  der  asiatischen  Pillen  treten  alle  anderen 
Arsenmedikationen  zurück.  Ähnlich  wie  die  Pillen  wirkt  die  Solutio 
Fowleri.  (3  mal  täglich  5 — 15  Tropfen).  Die  subkutane  oder  gar  die 
intravenöse  Injektion  der  l°/0igen  Lösung  von  Natrium  arsenicosum 
(1/4 — 1  cbcm  täglich)  wird  außerhalb  des  Krankenhauses  wohl  nur 
selten  gemacht  werden.  Das  sogenannte  Atoxyl  hat  seinen  Puf  als 
ungiftiges  Arsenpräparat  nicht  gerechtfertigt. 

Außer  dem  Arsen  gibt  es  noch  ein  zweites  internes  Mittel,  das 
imstande  ist,  Psoriasis  zum  Schwinden  zu  bringen:  das  Jodkali.  Aber 
es  wirkt  nur  in  exorbitant  hohen  Dosen  bei  Psoriasis.  Es  ist  Tat¬ 
sache,  daß  Jodkali  in  Tagesdosen  bis  zu  30  g,  längere  Zeit  gegeben, 
Psoriasis  heilt.  Es  sollen  auch  die  unangenehmen  Nebenwirkungen,  die 
dieses  Mittel  bei  manchen,  aber  durchaus  nicht  bei  allen  Patienten 
hat,  nicht  wesentlich  stärker  oder  häufiger  bei  diesen  hohen  Dosen 
auf  treten  wie  bei  den  sonst  üblichen.  Aber  trotzdem  hat  die  Jodkali- 
therapic  der  Psoriasis  etwas  Gewaltsames  an  sich  und  schon  der  hohe 
Preis  der  Kur  sowie  der  schlechte  Geschmack  des  Mittels  bei  der 
erforderlichen  Menge  desselben  wird  es  mit  sich  bringen,  daß  dieses 
Präparat  nur  sehr  selten  gegen  Psoriasis  angewendet  werden  wird. 

Da  die  inveterierten  Fälle  und  Rezidive  der  Zahl  nach  häufiger 
sind  als  die  frischen,  sind  wir  auch  öfters  in  die  Notwendigkeit  ver¬ 
setzt,  die  externe  Psoriasisbehandlung  anzuwenden  als  die  interne.  Vor¬ 
bedingung  für  die  Wirksamkeit  jedes  äußeren  Mittels  ist  die  Ent¬ 
fernung  der  Schuppen  von  den  Herden.  Diese  hat  der  Applikation  eines 
Antipsoriasismittels  jedesmal  vorauszugehen.  Sie  kann  rein  mechanisch 
im  warmen  Bade  mit  Seife  und  Wurzelbürste  erfolgen.  Zweckmäßiger¬ 
weise  nach  vorhergehender  Erweichung  der  Schuppen  mit  1 — 3°/0iger 
Salizylvaseline.  Auf  die  so  von  den  Schuppen  befreiten  roten  Plaques 
wird  dann  das  Antipsoriatikum  mit  einem  starken  Borstenpinsel  auf- 
gepinselt.  Aus  der  großen  Zahl  der  hier  in  Betracht  kommenden  Medi¬ 
kamente  sei  in  erster  Linie  das  Chrysarobin  genannt.  Seit  seiner 
Empfehlung  durch  Sequeira  ist  es  das  am  sichersten  und  schnellsten 
wirkende  Mittel  gegen  Psoriasis  geblieben.  Seine  Nachteile,  die  un¬ 
angenehmen  Nebenwirkungen,  kann  man  in  den  Kauf  nehmen  wogen 
der  prompten  Wirkung  auf  den  ganzen  Krankheitsprozeß  der  Psoriasis. 
Wirkliche  Vergib tungserscheinungen  sind  bei  äußerer  Anwendung 
selbst  auf  große  Hautpartien  nie  beobachtet  worden.  Dagegen  lassen 
sich  die  Reizerscheinungen  der  Haut,  die  sich  ausschließlich  an  den 


Die  Behandlung  der  Schuppenflechte. 


981 


gesunden  Hautpartien  und  an  der  Konjunktiva  zeigen,  wenn  nicht  ganz 
vermeiden,  so  doch  durch  einfache  antiphlogistische  Maßnahmen  in 
erträglichen  Grenzen  halten. 

Das  Chrysarobin  wird  am  häufigsten  in  Salbenform  angewandt, 
deren  Konzentration  sich  nach  der  Konstitution  des  Patienten  zu  richten 
hat.  Die  Haut  eines  kräftigen  Arbeiters  verträgt  eine  20°/0ige  Chry- 
sarobin salbe,  einem  jungen  blassen  Mädchen  wird  man  eine  5°/0ige 
ordinieren.  Diese  Salbe  wird  mit  einem  steifen  Borstenpinsel  kräftig 
in  die  Plaques  eingerieben  unter  möglichster  Schonung  der  gesunden 
Umgebung,  und  zwar  solange,  bis  die  erkrankten  Stellen  die  Farbe 
der  normalen  Haut  angenommen  haben,  während  die  Umgebung  unter 
der  Einwirkung  des  Chrysarobins  dunkel-braunrot  geworden  ist.  Diese 
doppelte  Farbenveränderung  ist  das  Zeichen,  daß  das  Chrysarobin  ge¬ 
nügend  eingewirkt  hat.  Man  sucht  dann  unter  reizmildernder  Behand¬ 
lung  (Pinselung  mit  Zinksuspension  usw.)  wieder  das  Chrysarobin- 
erythem  zum  Schwinden  zu  bringen. 

Handelt  es  sich  nur  um  einige  wenige  Plaques,  so  kann  man  wegen 
der  größeren  Sauberkeit  bei  der  Anwendung  an  Stelle  der  Salbe  das 
Traumatizin  als  Vehikel  für  das  Chrysarobin  in  der  gleichen  Kon¬ 
zentration  benutzen.  Auch  die  Anwendung  von  10°/0igem  Chrysa- 
robinpf laster  kann  bei  einzelnen,  isoliert  stehenden  Plaques  von  Vor¬ 
teil  erscheinen. 

Die  unangenehmen  Nebenwirkungen  des  Chrysarobins,  zu  denen 
auch  das  Verderben  der  Leibwäsche  zu  rechnen  ist,  haben  dazu  geführt, 
daß  man  nach  Ersatzpräparaten  immer  Umschau  gehalten  hat.  So  wurde 
durch  J  arisch  in  die  Psoriasistherapie  die  Pyrogallussäure  eingeführt. 
Sie  wirkt  nicht  mit  der  Schnelligkeit  und  Sicherheit,  wie  das  Chrysa¬ 
robin  auf  die  Krankheit  und  ist  auch  nur  in  Fällen  von  geringer  Aus¬ 
dehnung  des  Leidens  anwendbar.  Bei  Anwendung  der  5 — 10°/0igen 
Pyrogallus salbe  auf  größere  Hautpartien  besteht  die  Gefahr  der  Resorp¬ 
tion  dieses  nicht  unbedenklich  toxisch  wirkenden  Mittels.  Akute  Nieren¬ 
entzündungen,  selbst  solche  mit  tödlichem  Ausgang,  sind  nach  Anwendung 
des  Pyrogallus  bei  gleichzeitiger  Einreibung  an  gTößeren  Partien  des 
Körpers  beschrieben  worden.  Man  wendet  daher  dieses  Mittel  nur 
bei  lokalisierten  Formen  von  Psoriasis  bei  Erwachsenen  mit  nachweis¬ 
lich  gesunden  Nieren  an. 

Die  10°/0ige  offizielle  weiße  Präzipitatsalbe  wirkt  nur  langsam 
gegen  die  Psoriasis.  Ihr  Anwendungsgebiet  ist  daher  nur  die  Kopf¬ 
haut,  wo  das  Chrysarobin  wegen  der  Nähte  der  Augen  und  die  Pyrogallus- 
salbe  wegen  der  häßlichen  tintenartigen  Verfärbung  der  Haare  nicht 
anwendbar  ist. 

Der  Schwefel,  mit  dem  man  bei  der  Behandlung  des  der  Pso¬ 
riasis  klinisch  so  nahestehenden  Eczema  seborrhoicum  so  ausgezeichnete 
Erfolge  erringen  kann,  leistet  gegenüber  der  Psoriasis  fast  gar  nichts. 
Wohl  aber  ist  in  der  Zahl  der  Äntipsoriatizis  noch  der  Teer  zu  nennen. 
Dieses  bei  der  Behandlung  der  chronischen  Ekzeme  so  unentbehrliche 
Mittel  wird  bei  der  Schuppenflechte  von  manchen  Therapeuten  fast 
gar  nicht,  von  andern  wieder  fast  ausschließlich  benutzt.  Das  Urteil 
über  seine  Wirksamkeit  bei  der  Schuppenflechte  schwankt  also  noch. 
Ich  habe  das  Glück1,  an  zwei  großen  Hautkliniken  tätig  gewesen, 
zu  sein,  von  denen  bei  der  einen  die  Chrysarobin-  bezw-  Pyro- 
gallusbehandlung,  bei  der  anderen  die  Teerbehandlung  der  Psoriasis 
als  Standartkur  galt.  Ich  darf  mein  Urteil  über  den  Wert  beider 

59* 


932 


Hübner,  Die  Behandlung  der  Schuppenfiechte. 


Behandlungsmethoden  wohl  dahin  zusammenfassen,  daß  ich  sage,  der 
Vorteil  der  Teerbehandlung  liegt  in  der  absoluten  Reizlosigkeit,  während 
das  Chrysarobin  viel  sicherer  und  unvergleichlich  schneller  wirkt.  Die 
Nebenerscheinungen  bei  ihm  können,  wenigstens  im  Krankenhaus,  leicht 
verhindert  und  bekämpft  werden.  Im  Krankenhause  wird  daher  in 
der  Regel  dem  Chrysarobin  der  Vorzug  zu  geben  sein,  während  in 
der  außerklinischen  Behandlung,  wo  die  dauernde  ärztliche  Beobach¬ 
tung  nicht  gewährleistet  werden  kann,  und  wo  ein  besonders  rascher 
Heileffekt  nicht  so  sehr  notwendig  erscheint,  manches  Mal  der  Teer 
vorgezogen  werden  wird. 

Am  meisten  werden  sich  die  resorbierenden  Eigenschaften  des 
Teers  eignen  zur  Behandlung  älterer,  recht  inveterierter  Psoriasispla¬ 
ques.  Als  Anwendungsform  empfiehlt  sich  das  Teerbad.  Der  Kranke 
wird  in  ein  warmes  Vollbad  gesetzt,  nachdem  die  affizierten  Stellen 
mit  dem  Teerpräparat  gepinselt  worden  sind.  Die  Wahl  des  letzteren 
ist  ziemlich  irrelevant.  Die  Reinheit  des  Mittels  vorausgesetzt,  sind 
Tinctura  rusci,  oleum  rusci,  Lithranthol  u.  a.  gleichwertig. 

Der  Reihe  der  gegen  die  Psoriasis  gebräuchlichen  Mittel  wäre  noch 
anzu schließen  eine  Salbe,  die  die  wichtigsten  von  ihnen  vereint  ent¬ 
hält.  Wenn  auch  die  moderne  Medizin  im  allgemeinen  von  den  langen 
Rezeptformeln  der  früheren  J ahrzehnte  abgekommen  ist,  so  hat  sich  doch 
eine  Kombination  der  verschiedenen  Antipsoriatizis,  wie  sie  von  Dreuw 
vor  einigen  J ahren  angegeben  wurde,  in  der  Praxis  bewährt.  Die 
Dreuw’ sehe  Salbe  ist  nach  dem  Schema  der  bekannten  Wilkinson- 
schen  Salbe  zusammengesetzt,  und  enthält  die  keratolytisch  wirkende 
Salizylsäure,  grüne  Seife,  Chrysarobin  und  Oleum  rusci  nach  der 
Eormel : 


Acid.  salicyl. 

10,0 

Ol.  rusci,  Chrysarobini  aa 
Sapon.  viridis 

20,0 

Vaselin  i  Li 

25,0 

Der  hohe  Chrysarobingehalt  der  Salbe  wird  von  der  Haut  ohne 
starke  Reizung  vertragen,  da  sich  die  Chrysophansäure  mit  der  Seife 
zu  chrysophansaurem  Alkali  bindet. 

Neben  der  medikamentösen  Behandlung  der  Psoriasis  sind  in  letzter 
Zeit  auch  die  physikalischen  Behandlungsmethoden  gegen  diese  Der¬ 
matose  ins  Feld  geführt  worden.  Soweit  es  sich  dabei  um  rein  hydro¬ 
therapeutische  und  Schwitzprozeduren  handelt,  dürfte  der  scheinbare 
Erfolg  darin  bestehen,  daß  mechanisch  durch  diese  Maßnahmen  ein  Ver¬ 
schwinden  des  allerdings  am  meisten  in  die  augenfallenden  Symptoms 
der  Krankheit,  der  Schuppen,  erzielt  wird.  Auch  die  sogenannten  Glüh¬ 
lichtbäder  wirken  nur  durch  die  Wärme  der  Lampen,  also  als  Schwitz¬ 
kästen. 

Dagegen  hat  die  Röntgenbehandlung  der  Psoriasis  in  der  Hand 
versierter  Therapeuten  unleugbare  Erfolge,  ja  sie  könnte  wegen  des 
Fortfalls  all  der  schmutzenden  Salben  als  die  idealste  Psoriasisheil¬ 
methode  hingestellt  werden,  wenn  sie  nicht  auf  dem  schwierigen  Ge¬ 
biet  der  Röntgenbehandlung  der  Hautkrankheiten  überhaupt  das  schwie¬ 
rigste  Kapitel  darstellte.  Die-  oft  erwähnte  Reizbarkeit  der  Haut  zur 
Zeit  der  Psoriasiseruption  macht  die  richtige  Dosierung  der  Strahlen 
ungemein  schwierig. 

Als  ein  Nachteil  der.  Röntgen-,  von  anderer  Seite  übrigens;  auch 
der  Chrysarobinbehandlung  wird  das  rasche  Auftreten  schwer  zu  be- 


A.  Bielschowsky,  Ueber  einseitige  Augenbewegungen. 


933 


seitigender  Rezidive  erwähnt.  Der  statistische  Nachweis  für  diese 
Ansicht  steht  noch  ans  und  dürfte  überhaupt  schwer  zu  erbringen  sein; 
denn  die  Zahl  der  Rezidive  in  den  einzelnen  Rallen  ist  eben  sehr 
wechselnd  und  wir  wissen  nicht,  wodurch  sie  beeinflußt  wird.  Wir 
müssen  uns  bei  der  Unkenntnis  über  die  Ursache  der  Psoriasis!  gestehen, 
daß  unsere  Therapie  eine  rein  symptomatische  ist.  Wie  dieselbe  aber 
ausgebildet  und  mit  Erfolg  betrieben  werden  kann,  das  sollte  in  dem 
Vorstehenden  kurz  zusammenfassend  dargestellt  werden. 


Ueber  einseitige  Augenbewegungen. 

Von  Prof.  Dr.  A.  Bielschowsky, 

1.  Assistent  an  der  Universitäts- Augenklinik  zu  Leipzig. 

(Nach  einem  in  der  biologischen  Gesellschaft  zu  Leipzig  am  21.  Mai  1909 

gehaltenen  Vortrage.) 

(Schluß.) 

1.  Auch  bei  hoch-  und  höchstgradiger  Sehschwache  des  Schiel¬ 
auges  (infolge  von  Medientrübung,  Optikus-Atrophie,  Netzhautab- 
lösung  u.  a.),  wo  eine  binokulare  Verwertung  der  Netzhautbilder 
ausgeschlossen  erscheint,  ist  in  manchen  Fällen  die  einseitige  Be¬ 
wegung  des  Schielauges  hervof zurufen.  Und  zwar  auf  verschiedene 
Weise.  Wenn  das  amblyopische  Auge  noch  über  qualitatives  Sehen  ver¬ 
fügt,  bewirkt  Verdecken  desselben  eine  Änderung  seiner  Stellung 
meist  im  Sinne  einseitiger  Hebung.  Ist  nur  noch  quantitatives  Sehen 
übrig  (Unterscheidung  von  Hell  und  Dunkel,  Erkennen  von  Bewegungen 
dicht  vor  dem  Auge),  so  erfolgt  in  derartigen  Fällen  eine  Senkung 
des  amblyopischen  Auges,  wenn  vor  das  fixierende  Auge  ein  dunkles 
Glas  gehalten  wird,  wodurch  man  das  Bild  des  fixierten  Objektes 
(Flamme)  abschwächt.  In  einem  Falle  von  einseitiger  Optikus-Atrophie, 
wo  das  sehschwache  Auge  Handbewegungen  nur  noch  in  einem  kleinen, 
peripheren  Gesichtsfeldbezirk  erkannte,  genügte  schon  die  Abblendung 
des  von  der  Seite  her  ins  sehtüchtige  (fixierende)  Auge  fallenden  Lichtes 
zur  „Auslösung“  der  einseitigen  Abwärtsbewegung  des  anderen,  nahezu 
blinden  Auges.  Diese  einseitige  Bewegung  war  um  so  ausgiebiger,  je 
stärker  die  Verdunkelung  des  sehtüchtigen  Auges  war,  dessen  Stellung 
dabei  unverändert  blieb.  In  einem  anderen  Falle  war  die  Sehschärfe 
des  divergent  schielenden  Auges  auf  1/50  der  normalen  vermindert. 
Trotzdem  sah  der  Patient  spontan  —  was  er  seit  Jahren  bemerkt 
hatte  —  von  auffälligen  Objekten  (Flammen  usw.).  Doppelbilder, 
deren  Lage  zueinander  dem  Schielwinkel  genau  entsprach,  woraus  die 
Intaktheit  der  normalen  (präformierten)  Netzhautkorrespondenz  her¬ 
vorging.  Das  auswärtsschielende  Auge  stand  zeitweilig  etwas  nach 
oben,  mitunter  - —  aber  seltener  —  etwas  nach  unten  abgelenkt,  was 
auch  in  entsprechendem  Tiefer-  bezw.  Höherstande  des  zugehörigen 
(Trug-)Bildes  zum  Ausdruck  kam.  Auch  in  diesem  Falle  bewirkte 
Verdecken  des  Schielauges  erhebliche  Ablenkung  desselben  nach  obeli, 
während  ebenso  erhebliche  einseitige  Senkung  erfolgte,  sobald  ein 
dunkles  Glas  die  Netzhautbilder  des  fixierenden  Auges  abschwächte. 
War  durch  Verdecken  des  schielenden  Auges  die  Ablenkung  nach  oben 
herbeigeführt  worden,  so  kehrte  es  hinter  der  Deckung  zur  horizon¬ 
talen  oder  etwas  gesenkten  Lage  zurück,  sobald  das  fixierende  Auge 
verdunkelt  wurde. 


934 


-  A.  Bielschowsky, 

2.  Schielen  und  einseitige  Schwachsichtigkeit  sind  aber  durchaus 
nicht  unerläßliche  Vorbedingungen  für  das  Zustandekommen  dieser 
eigentümlichen  Art  von  einseitigen  Augenbewegungen.  Ich  habe  auch 
eine  Reihe  von  Fällen  mit  nur  geringer  oder  gar  keiner  Differenz  im 
beiderseitigen  Sehvermögen  gefunden,  bei  denen  das  jeweils  verdeckte 
Auge  nach  oben  abwich,  aber  sofort  (hinter  der  Deckung)  wieder  herunter 
ging,  wenn  das  fixierende  Auge  verdunkelt  wurde.  In  diesen  Fällen 
war  in  der  Regel  das  einseitige  Bewegungsphänomen  sowohl  am  linken 
wie  am  rechten  Auge  in  der  nämlichen,  eben  geschilderten  Art,  wenn 
auch  nicht  immer  in  beiderseits  gleichem  Umfange  nachzuweisen. 

Diese  Tatsache  gibt  uns  wenigstens  einen  Anhaltspunkt  für  die 
Deutung  des  merkwürdigen  Vorgangs.  Sämtliche  hierher  gehörigen 
.Fälle  nämlich  bilden  eine  Sondergruppe  unter  den  Motilitätsstörungen 
der  Augen  insofern,  als  die  Richtung  der  (latenten  oder  manifesten) 
Vertikalablenkung  die  gleiche  ist,  mag  das  eine  oder  das  ander©  Auge 
in  Schieistellung  sein.  Bei  den  gewöhnlichen,  an  Zahl  die  hier  erörterten 
weit  überwiegenden  Vertikalablenkungen  (paretischen  oder  nichtpare- 
tischen  Ursprungs)  findet  man,  wenn  das  zunächst  nach  oben  schielende 
(beispielsweise)  rechte  Auge  zur  Übernahme  der  Fixation  veranlaßt 
wird,  daß  das  (zuvor  fixierende)  linke  Auge  nach  unten  abweicht, 
weil  die  den  Fixationswechsel  bewirkende  Senkungsinnervation  beiden 
Augen  gleichmäßig  zufließt,  das  aufwärts  schielende  in  die  Hori¬ 
zont  als  tellung,  das  horizontal  stehende  zur  Senkung  bringt.  In  jener 
Sondergruppe  von  alternierendelm  Aufwärt&sichielen  erfolgt 
zwar  synchron  mit  der  Einstellung  des  nach  oben  schielenden  (z.  B. 
rechten)  Auges  in  die  horizontale  Richtung  eine  kurze  Abwärtsbewegung 
des  anderen  (linken)  Auges,  unmittelbar  anschließend  daran  aber  eine 
isolierte  Bewegung  des  letzteren  nach  oben,  so  daß  nunmehr  das  linke 
Auge  aufwärtsschielt.  Bisher  wußte  man  von  diesen  relativ  seltenen 
Fällen  nur,  daß  das  jeweils  verdeckte  Auge  nach  oben  abweicht, 
nicht  aber,  daß  —  wie  oben  gezeigt  wurde  —  die  Ab  Sch  wächung 
(Verdunkelung)  des  einen  (fixierenden)  Auges  eine  Senkung  des  an¬ 
deren  bewirkt,  bezw.  die  sonst  durch  Verdecken  des  letzteren  veranlagte 
Hebung  nicht  (oder  doch  nur  in  sehr  beschränktem  Maße)  zustande 
kommen  läßt. 

Die  Fälle,  in  denen  das  amblyopische  Auge  nicht  zentral  zu  fixieren 
vermochte,  in  denen  sich  also  nur  einseitige  Vertikalbewegungen  des 
amblyopischen  Auges  (durch  Verdecken  dieses  oder  Verdunkeln  des 
anderen)  hervorrufen  ließen,  gehören  zweifellos  in  die  zuletzt  be¬ 
sprochene  Gruppe :  d.  h.  sie  würden  ebenfalls  alternierend  aufwärts¬ 
schielen,  wenn  beide  Augen  zur  Fixation  befähigt  wären. 

Wie  sind  die  einseitigen  Augenbewegungen  der  soeben  erörterten 
Kategorie  zu  erklären?  Daß  es  sich  nicht  um  Fusionsbewegungen 
handelt,  deren  Anlaß  unter  allen  Umständen  eine  von  beiden  Netz¬ 
häuten  zum  Sensorium  geleitete  Erregung  sein  muß,  bedarf  nach  den 
angeführten  Versuchen  keiner  näheren  Begründung  mehr.  Es  genügt 
der  Hinweis  auf  die  eine  Tatsache,  daß  ein  vom  Sehakt  (durch  Ver¬ 
decken)  ausgeschlossenes  Auge  eine  Bewegung  ausführt,  sobald  das 
fixierende  Auge  etwas  verdunkelt  wird. 

Das  einseitige  Bewegungsphänomen  ist  nach  meinen  bisherigen 
Erfahrungen  beschränkt  auf  die  zu  alternierendem  Aufwärtsschielen 
veranlagten  Fälle.  Ich  habe  früher  („Uber  die  Genese  einseitiger  Ver¬ 
tikalbewegungen  der  Augen“,  Zeitschr.  f.  Augenheilk.,  XII,  S.  545, 


Ueber  einseitige  Augenbewegungen. 


935 


1904)  ausgeführt,  daß  das  Phänomen  des  alternierenden  Auf'wärts- 
schielens  nur  zn  erklären  ist  durch  die  Annahme  isolierter,  von  ein¬ 
ander  unabhängiger  Innervationen  jedes  Einzelauges,  die  nicht 
unter  dem  Einflüsse  des  Willens  stehen,  wohl  aber  insofern  vom  Seh¬ 
akt  abhängig  sind,  als  die  einseitige  (abnorme)  Heberinnervation  ge¬ 
hemmt  ist,  sobald  und  solange  die  Aufmerksamkeit  den  Netzhaut¬ 
bildern  des  betr.  oder  beider  Augen  zugewendet  ist. 

Diese  Anschauung  muß  jetzt  dahin  ergänzt  werden,  daß  die  bloße 
Belichtung  des  betr.  Auges  —  ohne  Zuwendung  der  Aufmerksamkeit 
auf  die  von  ihm  vermittelten  Eindrücke  —  die  automatische  Hemmung 
der  einseitigen  Erregung  der  Hebermuskeln  bewirkt. 

Es  müssen  außer  den  Zentren  für  die  assoziierten  Augen¬ 
bewegungen  noch  untergeordnete,  einseitig  wirksame  motorische 
Zentren  existieren,  die  von  einander  und  auch  vom  Willen  unabhängig 
sind.  Ihre  Wirkung  tritt  in  der  Pegel  nur  unter  Verhältnissen  zutage, 
in  denen  Wille  und  Fusionszwang  zugleich  mit  dem  Bewußtsein  fehlen 
(im  Schlaf,  in  der  Narkose);  ausnahmsweise  aber  auch  im  Avachen 
Zustande:  dann  nämlich,  wenn  eine  abnorme  Erregung  in  jenen 
einseitig'  wirkenden  Zentren  besteht. 

Die  abnorme  Erregung,  über  deren  Wesen  vorläufig  noch  gar 
nichts  zu  sagen  ist,  bleibt  bei  binokularem  Sehakt  überhaupt  latent, 
bei  zeitweiligem  Ausschluß  des  einen  Auges  vom  Sehen  wird  sie  an 
diesem  Auge  manifest,  am  anderen  bleibt  sie  latent.  Fehlt  das  bino¬ 
kulare  Sehen  infolge  einseitiger  Amblyopie  in  einem  Falle,  wo  jene 
abnorme  motorische  Erregung  vorliegt,  so  äußert  sich  letztere  gewöhn¬ 
lich  in  einer  zeitweiligen  oder  auch  ständigen  „Unruhe“,  die  eine  ge¬ 
wisse  Ähnlichkeit  mit  dem  Nystagmus  hat,  nur  fehlt  die  letzterem 
eigentümliche  Gleichmäßigkeit  im  BeAvegungsrhythmus,  Völliger  Licht¬ 
abschluß  vom  amblyopischen  Auge  bewirkt  bedeutende  Zunahme  der 
Unruhe,  in  der  Hauptsache  aber  einen  starken  (einseitigen)  Antrieb 
zur  Bewegung  des  Auges  nach  oben :  die  vorher  noch  bestehende,  wenn 
auch  unvollkommene  „Hemmung“  der  abnormen  Erregung  ist  durch  den 
Lichtabschluß  beseitigt. 

Wie  kommt  aber  die  Ab wärtsbewegung  des  amblyopischen 
bezw.  verdeckten  Auges  bei  Verdunkelung  des  fixierenden 
zustande  ? 

Wir  haben  angenommen,  daß  in  den  betr.  Fällen  beide  einseitig 
wirkenden,  voneinander  unabhängigen  motorischen  Zentren  in  abnormer 
Erregung  sind,  und  daß  die  letztere  auf  der  einen  oder  anderen  oder  auf 
beiden  Seiten  schon  durch  die  Belichtung  der  Augen  in  ihrer  Wirkung 
auf  die  Hebermuskeln  automatisch  gehemmt  ist,  während  Verdunke¬ 
lung  jene  Wirkung  hervortreten  läßt  bezAv.  steigert.  Wenn  nun  das 
fixierende  Auge  verdunkelt  wird,  ohne  daß  dadurch  das  fixierte  Objekt 
unsichtbar  wird,  so  wird  die  zuvor  bestehende  Hemmung  der  abnormen 
Heber-Innervation  so  ab  geschwächt,  daß  der  Pat.,  um  nicht  die 
Fixation  zu  verlieren,  mittels  eines  Senkungsimpnilses  dem  (unwill¬ 
kürlichen)  Antrieb  zur  Hebung  entgegenwirken  muß.  Dieser  Sen¬ 
kungsimpuls  fließt  aber  als  willkürliche  Innervation  beiden 
Augen  gleichmäßig  zu:  dem  einen  (fixierenden)  ermöglicht  er  den 
Verbleib  in  seiner  Stellung,  das  andere  (amblyopische  bezw.  verdeckte) 
Auge  treibt  er  zu  der  (einseitigen)  Abwärtsbewegung,  oder  verhindert 
die  sonst  durch  Verdecken  zu  erzielende  Abweichung  nach  oben. 


936 


Eschle, 


Passen  wir  die  aus  den  klinischen  Beobachtungen  abgeleiteten 
Folgerungen  noch  einmal  kurz  zusammen. 

I.  Die  durch  Willensimpulse  oder  Gesichtseindrücke  aus¬ 
gelösten  doppelseitigen  oder  einseitigen  Augenbe wegungen  sind  stets 
auf  gleichmäßige  Innervation  beider  Augen  zurückzuführen. 

II.  Wenn  der  okulomotorische  Apparat  weder  durch  Willens- 

impulse,  noch  durch  Gesichtseindrücke  —  im  Sinne  des'  Fusions¬ 
zwanges  —  beeinflußt  ist,  kommen  Augenbewegungen  vor,  die  auf 
isolierte  bezw.  ungleichmäßige  Erregungen  der  Einzel- Augen  zurück¬ 
geführt  werden  müssen  (im  Schlafe,-  in  der  Narkose,  hei  angeborener 
oder  frühzeitig  erworbener  „Anlage“  zum  alternierenden  Aufwärts¬ 
schielen).  [ 

III.  Die  isolierte  Innervation  der  beiden  Einzelaugen  geht  aus 
von  untergeordneten  (subkortikalen)  Zentren,  die  unabhängig  voneinander 
(isoliert)  in  einen  Erregungszustand  gelangen  können,  wenn  die  Tätigkeit 
der  ihnen  übergeordneten,  auf  Willensimpulse  und  (bewußtwerdende) 
Gesichtseindrücke  ansprechenden  Zentren,  die  nur  das  Doppel  äuge 
beeinflussen,  suspendiert  ist. 

IV.  Die  Existenz  der  einseitig  wirksamen  Zentren  wird  in  wachem 
Zustande  nur  ausnahmsweise  offenbar  in  Fällen,  in  denen  sich  jene 
Zentren  in  einem  abnormen  Erregungszust ande  befinden.  Die 
Ursache  dieses  letzteren  ist  noch  dunkel,  steht  aber  wohl  in  naher 
Beziehung  zur  Grundlage  des  Nystagmus. 

V.  Der  abnorme  Erregungsvorgang  in  jenen  Zentren  wird  beein¬ 
flußt:  1.  von  den  übergeordneten  okulomo torischen  Zentren,  indem 
nämlich  Fixationsabsicht  und  Fusionszwang  hemmend  auf  die  abnorme 
Erregung  des  einen  bezw.  jedes  der  beiden  Augen  wirken;  2.  reflek¬ 
torisch  auch  von  der  Netzhaut  des  gleichseitigen  Auges  aus:  das 
einseitig  wirksame  motorische  Zentrum  wird  durch  Verdunke¬ 
lung  bezw,  Belidh'tung  des  gleichseitig  gelegenen  Auges  anta¬ 
gonistisch  bee  in  f  1  u  ß  t. 

Das  in  den  obigen  Sätzen  enthaltene  Resümee  meiner  Beobach¬ 
tungen  bedarf  natürlich  in  mancher  Hinsicht  noch  näherer  Ausführung 
und  Begründung  an  der  Hand  der  Literatur  und  der  Einzelheiten  des 
Beobachtungsmaterials,  worauf  ich  a.  a.  O.  demnächst  zurückkommen  werde. 


Pathogenese  und  kausale  Therapie  der  Oedeme. 

Von  Medizinalrat  Dr.  Eschle, 

Direktor  der  Pflegeanstalt  des  Kreises  Heidelberg  zu  Sinsheim  a.  E. 

(Fortsetzung.) 

Bei  mäßiger  Verengerung  eines  großen  Gefäßes  muß  natürlich, 
wenn  das  Leben  nicht  vernichtet  werden  soll,  ein  zentraler  Abschnitt 
bzw.  das  Herz  eine  entsprechend  größere  Arbeit  leisten;  aber  dieses  trägt 
nicht  allein  die  volle  Last  der  Arbeit,  sondern  es  wird  ein  großer  Teil 
davon  durch  andere  Organe  übernommen  und  durch  eine  verstärkte 
(ansaugende)  Tätigkeit  des  ganzen  Protoplasmas,  durch  die  auf  reflek¬ 
torischem  Wege  erfolgende  Vermehrung  der  Arbeit  der  Gefäßwände 
(neben  der  der  Eröffnung  von  Kollateralen)  jede  das  Herz  allzu  schnell 
erschöpfende  Arbeit  von  diesem  und  den  zentralen  Gefäßgebieten  nach 
Möglichkeit  abgewälzt.  Dem  erhöhten  Blutdruck  kann  daher  nach 
Rosenbach  die  Bedeutung  in  der  Pathogenese  der  Arteriosklerose  nicht 
beigemessen  werden,  die  er  nach  der  landläufigen  Ansicht  haben  soll. 


Pathogenese  und  kausale  Therapie  der  Oedeme. 


987 


An  und  für  sich  sind  die  arteriosklerotischen  Veränderungen,  die 
man  gewöhnlich  als  Druckerscheinungen,  also  als  rein  passiven  Vorgang, 
als  Folge  der  Blutstauung  und  Dehnung  der  Gefäße  zu  betrachten  pflegt, 
nur  das  Resultat  der  erwähnten,  veränderten,  d.  h.  anfänglich  verstärkten 
und  schließlich  verminderten  Arbeit  des  Gewebes  der  Gefäßwand  selbst, 
die  zuletzt,  wenn  die  außerwesentliche  Arbeit  wegen  des  Stockens  der 
wesentlichen  immer  unergiebiger  wird,  in  Veränderungen  der  intermole- 
kulären  Struktur  ihren  Ausdruck  finden  muß.  Die  Arteriosklerose  ist 
im  Kompensationsstadium  nur  der  Ausdruck  der  Arbeitshypertrophie  der 
Wand,  im  Stadium  der  Kompensationsstörung  der  Degeneration  der 
W  andelemente. 

Ein  positiver  Wanddruck  ist  nicht  ohne  Ursache.  Er  kommt  auch 
bei  Verdickung  und  Verkalkung  der  Gefäßwand  nicht  zustande,  da 
gerade  dann  infolge  der  Vergrößerung  der  Stromgeschwindigkeit  und  der 
Ausbildung  eines  vollkommenen  Preßstrahls  das  Aufeinanderprallen  der 
Wand-  und  Blutmoleküle  —  wenn  es  überhaupt  je  stattfindet,  da  ja  die 
Randschichten  ruhen  —  immer  weniger  wahrscheinlich  wird.  Jedenfalls 
müßten  vor  völliger  Aufhebung  des  Tonus  ganz  ungewöhnliche  Verhält¬ 
nisse  vorliegen,  wenn  statt  der  axialen,  der  Fortbewegung  dienenden 
Komponente  eine  seitliche  oder  gar  zur  Stromrichtung  vertikale  wirksam 
würde  und  die  Energie  des  Stromes  wesentlich  vermindern  hülfe. 

Daß  jede  erhebliche  Veränderung  im  Gefäßsystem  beträchtliche 
Folgen  für  die  Zirkulation  und  somit  für  die  Leistung  der  Gewebe  mit 
sich  führen  muß,  namentlich  wenn  ein  für  die  Fortbewegung  des  Blutes 
oder  für  die  Erhaltung  des  Herzens  besonders  wichtiger  Gefäßabschnitt 
Einbuße  an  seiner  Leistungsfähigkeit  erlitten  hat,  ist  nach  Analogie  der 
die  Klappenfehler  begleitenden  Erscheinungen  ohne  weiteres  klar. 
Ebenso  klar  ist  es  auch,  daß  vor  Ausbildung  einer  sichtbaren  anatomischen 
Veränderung  schon  wesentlich  veränderte  Bedingungen  für  die  Arbeit 
des  ganzen  Organismus  oder  mindestens  des  betreffenden  Abschnitts  be¬ 
standen  haben  müssen.  Ein  Teil  der  schweren  Störungen  bei  Erkran¬ 
kungen  des  Gefäßsystems,  namentlich  bei  Läsionen  der  Aorta  und  der 
Kranzarterie,  ist  nur  auf  diesen  Ausfall  von  Arbeitsleistung  im  Proto¬ 
plasmagebiet  und  die  Unmöglichkeit  einer  Deckung  der  mangelnden 
Leistung  durch  die  Triebkräfte  der  Gefäßwand  selbst  zurückzuführen. 

Die  Verdickung  der  Wand,  die  wir  Arteriosklerose  nennen, 
ist  also  nicht  unter  allen  Umständen  eine  Erschwerung  für  die 
Abwickelung  der  Funktion,  sondern  sie  kann  der  Ausdruck 
eines  sie  erleichternden  Ausgleichs  sein.  Hierdurch  ist,  be¬ 
sonders  bei  dem  langsamen  Verlaufe  des  Prozesses,  die  Mög¬ 
lichkeit  einer  Ableitung  des  Gefälles  auf  andere  mit  der 
Außenwelt  in  Kommunikation  stehende  Bezirke,  vor  allem  die 
Haut,  gegeben.  Und  je  nach  dem  Grade  der  chemischen  und 
mechanischen  Leistung  der  Wandelemente  ist  die  Verdickung 
identisch  mit  Hypertrophie  und  Hyperplasie  oder  mit  Atro¬ 
phie  und  entsprechender  Bindegewebswucherung.  Nicht  infolge 
des  Druckes  sterben  im  Stadium  der  Kompensationsstörung 
die  spezifischen  Elemente  ab,  sondern  sie  tun  dies  aus  Mangel 
an  Reiz  und  Ernährungsmaterial  und  machen  dem  Binde¬ 
gewebe  oder  der  Verkalkung  Platz. 

Der  sklerotische  Prozeß  an  den  Arterien,  der  nur  der  Ausdruck  der 
erwähnten  vermehrten  Arbeit  und  eines  Ausgleichs,  aber  zugleich  der 
Indikator  für  die  Erreichung  der  Grenze  der  Ausgleichsmöglichkeit  ist, 


938 


Eschle, 


wird  daher  unabhängig  von  der  Kompensation  der  Klappenfehler,  nament¬ 
lich  dann  auftreten,  wenn  die  Anforderungen  der  Lebensarbeit  in  ihrer 
Summierung  ein  gewisses  —  individuell  natürlich  äußeist  variables  — 
Maß  überschritten  haben,  d.  h.  im  Senium.  Die  Gefäßdegeneration,  die 
wir  als  „Gefäßverkalkung“,  als  „Arteriosklerose“  im  engsten  Sinne  be¬ 
zeichnen,  wird  ebenso,  wie  die  Herzhyperthrophie  und  Herzdegeneration 
als  Folge  der  Steigerung  der  normalen  außerwesentlichen  Heize,  die  das 
Leben  mit  sich  bringt,  also  als  Erscheinung  des  höheren  Alters  selten 
fehlen,  weil  die  sozialen  und  sonstigen  Lebensbedingungen  nur  in  einer 
verschwindenden  Minderheit  von  Fällen,  die  Möglichkeit  gewähren, 
dauernd  und  uneingeschränkt  das  erforderliche  Spannkraftmaterial  aufzu¬ 
nehmen  und  durch  Auslösungsenergie  in  bestimmter  Weise  einzuöetzen. 
Daß  das  unter  Umständen  vorkommt,  ist  durch  Sektionen  sehr  alter 
Leute  mit  völlig  unversehrten  Arterien  erwiesen.  Ebenso  ist  aber  auch 
erwiesen,  daß  diese  Umbildung  auf  Grund  einer  konstitutionellen  Anlage 
zuweilen  schon  bei  Kindern  im  Alter  von  wenigen  Monaten  eintreten 
kann  und  mit  ihrem  Fortschreiten  die  Grenze  für  die  Steigerung  der 
Leistungsfähigkeit,  der  sich  der  Mensch  sonst  erst  mit  dem  Eintritt  in 
das  Senium  nähert,  schon  in  frühester  Jugend  erreicht  wird. 

Überhaupt  ist  die  Gefäß  Veränderung  nur  in  sehr  seltenen 
Fällen  (z.  B.  bei  primärer  Verengerung  oder  Verschließung  eines  Ge¬ 
fäßes  auf  Grund  von  Embolie,  durch  Druck  von  Geschwülsten  oder 
Narben  usw.)  die  Ursache  der  Veränderung  im  Protoplasma  des 
Gefäßgebietes,  sondern  meist  ist  sie  die  (kompensatorische) 
Begleit-  oder  Folgeerscheinung  der  durch  übermäßige  Leistung 
herbeigeführten  Funktionsveränderung  des  Gewebes  bestimm¬ 
ter  Organe. 

Vicht  die  direkte  Beeinflussung  der  Gefäßwand  durch 
gewisse  Heize,  deren  Resultat  schließlich  in  der  sichtbaren 
Läsion  zutage  tritt,  muß  notgedrungen  eine  Störung  der  Zir¬ 
kulation  nach  sich  ziehen.  Sie  kann  es  zwar  tun,  wenn  sie 
selbst  wieder  zum  Ausgangspunkt  einer  Erschwerung  der  Ar¬ 
beit  wird.  Immer  aber  ist  die  ungleichmäßige  Verteilung  der 
Arbeitsleistung  und  ihre  Insuffizienz  in  bestimmten  Proto¬ 
plasmagebieten  die  letzte  Ursache  der  Zirkulationsstörung. 
Und  solange  der  Tonus  der  Haut  noch  so  gut  funktioniert,  daß 
trotz  der  Minderleistung  einzelner  Bezirke  der  Kreislauf  des 
Blutes  aufrecht  erhalten  wird,  kommt  es  zu  Ödemen  nicht. 

Bei  sogen.  Nierenschrumpf ung,  bei  Pankreas-  und  Leber¬ 
zirrhose  muß  das  Gewebe  infolge  der  Einwirkung  von  zum  Teil  un¬ 
bekannten  Reizen  stärker  arbeiten  und  bedarf  deshalb  eines  größeren 
Blutzuflusses,  und  je  länger  diese  anormale  Arbeitsleistung  anhält  und 
je  mehr  auch  andere  Gebiete  des  Protoplasmas,  wie  das  Herz  usw.,  ge¬ 
reizt  werden,  desto  eher  bildet  sich  auch  bei  allen  diesen  Zuständen 
die  dauernde  akkommod ati ve  Veränderung  in  den  stärker  ar¬ 
beitenden  Gefäßen  aus,  die  wir  Arteriosklerose  nennen. 

Was  wir  wenig  treffend  als  Nierenschrumpfung  bezeichnen,  ist 
nach  Hosenbach  eine  Konstitutionskrankheit,  die  sich  uns  allerdings 
oft  unter  dem  Bilde  der  atrophischen  Niere,  der  Funktionsatrophie  des 
besonders  stark  belasteten  Ausscheidungsorgans  präsentiert,  während 
aller  Wahrscheinlichkeit  nach  nur  die  veränderte  Arbeit  des  gesamten 
Albuminatstoffwechsels  schließlich  in  dieser  W eise  anatomisch  zum  Aus¬ 
druck  kommt. 


Pathogenese  und  kausale  Therapie  der  Oedeme. 


939 


Wenn  nun  das  spezifische  Parenchym  eines  Organs  —  in  vorliegen¬ 
dem  Falle  das  der  Nieren  —  durch  lange  und  übermäßige  Arbeit  insuf¬ 
fizient  geworden  ist,  weil  auch  die  Kompensationsfähigkeit  der  Gefäße, 
die  das  Material  für  die  Mehrarbeit  liefern,  schließlich  versagt,  dann 
tritt  Atrophie  der  spezifischen  Teile  und  vikariierende  Bindegewebs¬ 
wucherung,  eben  die  „Schrumpfung“  ein,  die  ja,  wie  die  Verkalkung, 
nur  eine  andere  Form  der  Erhaltung  des  Zusammenhangs  darstellt.  Die 
Niere  atrophiert  nur  deshalb  oder  erscheint  uns  bei  unseren 
Methoden  am  meisten  beteiligt,  weil  sie  das  hauptsächlichste 
Organ  für  die  Ausscheidung  der  verarbeiteten  stickstoffhaltigen 
Bestandteile  des  Körpers  ist.  Und  dieser  Prozeß  wird  für 
lange  Zeit  aufgehalten  durch  die  verstärkte  Blutbewegung  und 
akkommodative  Gefäß  Veränderung,  die  sich  besonders  in  der 
Verdickung  der  Gefäßwände  kund  gibt.  Infolge  der  Verände¬ 
rungen  im  spezifischen  Organprotoplasma  aber  fällt  ein  wichtiger  Faktor 
für  die  Blutbewegung  fort  und  es  kommt  zum*  Stocken  des  Blutzuflusses 
und  zu  Ernährungsstörungen  der  Gefäßwand,  die  schließlich  ein  Absterben 
des  Endothels  und  Gerinnung  des  Inhalts  zur  Folge  haben  können. 
Wenn  nicht  eine  Apoplexie  dem  Leben  vorher  ein  Ende  macht  oder 
nicht  in  anderen  Fällen  in  einem  urämischen  Anfall  der  Exitus  letal  i 
erfolgt,  kann  es  —  immerhin  ist  das  recht  selten  der  Fall  —  in  dem  aller¬ 
letzten  Stadium,  wenn  man  schon  von  totaler  Insuffizienz  des  Betriebes 
und  aller  Kompensationsvorrichtungen  sprechen  darf,  auch  zu  Ödemen 
kommen.  In  der  Kegel  finden  wir  aber  gerade  bei  der  Nierenatrophie 
das  Auftreten  dieser  in  einer  direkten  Abhängigkeit  von  den  Regionen,  in 
denen  sich  die  Kompensationsfähigkeit  des  Gefäßsystems  aus  diesen  oder 
jenen  Gründen  zuerst  erschöpft;  deshalb  sind  bei  nicht  tödlich  verlaufenden 
apoplektischen  Insulten  schwächeren  Grades  mit  totaler  oder  partieller 
halbseitiger  Lähmung  nur  die  Extremitäten  der  gelähmten  Seite  stark 
hydropisch,  während  die  der  andern  Seite  frei  bleiben. 

Aus  den  nahen  Beziehungen  zur  Arteriosklerose  und  zur 
Schrumpfniere  macht  es  sich  auch  erklärlich,  daß  wir  bei  den 
schweren  Formen  der  Diabetes,  speziell  dem  „Diabete  maigre“ 
kaum  jemals  Ödeme  finden.  Die  Trias:  Diabetes,  Arteriosklerose, 
Nierenschrumpfung  bildet,  wie  Rosenbach  ausgeführt  hat,  gewissermaßen 
das  Schlußergebnis  einer  familiären  Unzulänglichkeit  gegenüber  erhöhten 
Anforderungen  des  Lebens.  Nur  fälschlich  wird  nach  Rosenbach 
die  Albuminurie  bei  Diabetes  als  Zeichen  einer  primären  entzündlichen 
Nierenaffektion  (Nephritis  diabetica)  angesehen  und  die  bei  der  Obduk¬ 
tion  sich  findende  Nierenschrumpfung  als  das  pathologisch-anatomische 
Substrat  ihres  letzten  Stadiums  betrachtet.  Aber  auch  wo  sich  noch 
nicht  die  Symptome  der  Nierenschrumpfung  vorfinden,  nicht  nur  bei 
allen  schweren,  sondern  auch  bei  den  mittelschweren  Fällen  von  Diabetes 
ohne  Adipositas  pflegt  die  Arteriosklerose  im  Vordergründe  des  Bildes 
zu  stehen. 

Die  Unmögligkeit,  die  kompensatorische  Gef äß Verände¬ 
rung  zu  produzieren,  die  wir  in  ihren  Endstadien  —  nach  Ver¬ 
sagen  der  Kompensation  —  als  Arteriosklerose  bezeichnen, 
erklärt  es  uns  aber,  weshalb  wir  bei  der  amvloiden  Entartung 
der  Niere,  die  der  Ausdruck  einer  herabgesetzten  Tätigkeit 
aller  G  ewebe  ist  und  nach  der  durchaus  plausiblen  Hypothese 
von  Hoffmeister  und  Meixner  eine  Unzulänglichkeit  des  Orga¬ 
nismus  für  die  Bindung  der  Nahrung,  namentlich  der  Eiweiß- 


Eschle, 


9  40 

Stoffe  oder  (wegen  der  ungenügenden  Fähigkeit,  anhaltend  die  genü¬ 
gende  Zahl  weißer  Blutkörperchen  für  die  Tätigkeit  des  Darmes  zu 
stellen)  sogar  für  die  Aufnahme  jener  Materialien  dokumen¬ 
tiert,  Ödeme  so  häufig  und  in  so  erheblichem  Grade  auf- 
treten  sehen. 

Aus  den  bisherigen  Ausführungen  ergibt  sich  aber  ferner, 
weshalb  bei  akuter  Nephritis  Ödeme  so  oft  und  so  schnell  ein¬ 
tret  en.  Allerdings  darf  nicht,  wie  Rosenbach  klargestellt  hat,  die 
bloße  Anwesenheit  von  Eiweiß  im  Urin  schon  die  Diagnose  Nephritis 
begründen:  die  Funktionsanomalie  ist  noch  nicht  Krankheit  und  es 
kann  sich  um  einen  reinen  regulatorischen  Vorgang  handeln,  um  die 
Elimination  von  im  Körper  nicht  verwertbarem  Eiweiß.  So  ist  ja  auch 
die  Albuminurie  bei  Arteriosklerose  nicht  der  Ausdruck  einer  primären 
Schädigung  oder  Schwächung  der  Niere,  sondern  das  Resultat  einer 
starken,  sogar  maximalen  Leistung  des  Organismus,  der  das  im  Blute 
gebundene,  resp.  von  den  Organen  nicht  akzeptierte  Eiweiß  nach  Be¬ 
darf  fortschafft.  Ebenso  ist  bei  der  Schrumpfniere  die  Albuminurie  rein 
regulatorisch  und  das  sogen,  dritte  Stadium  der  Nephritis  hat  mit  der 
Schrumpfniere  nichts  zu  tun.  Natürlich  kann  oft  aus  der  rein  funk¬ 
tionellen  Störung  bei  Fortdauer  der  verursachenden  Noxe  und  schließ- 
lichem  Insuffizientwerden  der  übermäßig  arbeitenden  Nieren  eine  Ent¬ 
zündung  resultieren.  Aber  erst  von  dem  Augenblicke  an,  wo  das  Organ 
den  ihm  gestellten  Anforderungen  nicht  mehr  genügt,  kommt  es  zu  Er¬ 
nährungsstörungen  in  seinem  Gewebe;  und  in  der  Regel  müssen  diese 
Mehrforderungen  schon  lange  bestanden  haben  oder  es  müssen  spezifische 
Reize  (Entzündungserreger)  in  die  unter  dem  Einfluß  einer  konstitu¬ 
tionellen  Erkrankung  stärker  arbeitende  Niere  gelangen.  Wie  aber  an 
und  für  sich  die  Größe  der  Eiweißausscheidung  nicht  ein  Zeichen  der 
lokalen  Erkrankung  und  damit  der  Gefahr  ist,  die  der  Niere  droht  oder 
von  ihr  ausgeht,  sondern  nur  ein  solches  der  mangelnden  Fähigkeit  der 
Gewebe,  Eiweiß  zu  verarbeiten,  so  sind  anderseits  Ödeme,  Herzaffek¬ 
tionen,  amyloide  Degeneration  den  verschiedensten  Formen  der  Nephritis 
gemeinsam.  Denn  nicht  minder  als  der  Stoffwechsel  auf  die  Organfunktion 
hat  auch  die  Organ erkrankung  bei  weniger  widerstandsfähigen  Individuen 
gewisse  Rückwirkungen  auf  den  Stoffwechsel  des  ganzen  Körpers  und 
damit  wieder  auf  die  Ernährungsbedingungen  noch  anderer  Organe. 
Chronische  Nephritis  disponiert  zu  Endokarditis,  aber  wie  die  Nieren  und 
Hautentzündungen  können  auch  Darmerkrankungen  zu  Klappenfehlern 
Anlaß  geben.  Oft  hinwiederum  —  das  ist  nach  Rosenbach  bei  der  dem 
Galopprhythmus  zugrunde  liegenden  Funktionsstörung  der  Fall  —  liegt 
der  Insuffizienz  des  Herzens,  der  Nieren  und  des  Gehirns  die  gleiche 
Allgemeinerkrankung  zugrunde. 

Welcher  Art  nun  auch  die  Einflüsse  sein  mögen,  ob  man 
toxische,  bakterielle  oder  andere  Reize  im  Einzelfalle  für  die 
Entstehung  der  Nephritis  verantwortlich  macht,  jedenfalls 
muß  die  ihr  zugrunde  liegende  Anomalie  in  der  Verarbeitung 
der  Eiweißstoffe  mit  einer  charakteristischen  Tendenz  zur 
vorwi egenden  Richtung  des  Wassergefälles  von  der  Oberfläche 
des  Körpers  zu  den  Nieren  verbunden  sein,  die  sich  aber  nicht 
erfolgreich  durchzusetzen  vermag.  Während  eine  gesteigerte 
Hauttätigkeit  lange  Zeit  die  vermehrte  Arbeit  der  Nieren  kompensieren 
kann,  scheint  bei  wirklichen  Erkrankungen  der  Nieren  ja  nicht  nur 
jene  vikariierende  Tätigkeit  auszubleiben,  also  nicht  nur  relativ,  d.  h. 


Pathogenese  und  kausale  Therapie  der  Oedeme. 


941 


im  Verhältnis  zu  den  erhöhten  Anforderungen  sondern  sogar  absolut, 
(d.  h.  der  Vorm  gegenüber),  vermindert  zu  sein;  denn  selbst  die  Mittel, 
die  sonst  schweißtreibend  zu  wirken  pflegen,  versagen  bei  gewissen 
Nierenkrankheiten  nicht  selten.  Auch  bei  der  Scharlachinfektion, 
besonders  sobald  sie  ohne  sichtbares  oder  mit  sehr  schwachem  und 
als  skarlatinös  nicht  ohne  weiteres  erkennbarem  Exanthem  verläuft, 
lenkt  oft  die  Trockenheit  und  die  blasse  oder  sogar  gelbliche  Verfär¬ 
bung  der  Haut  als  erstes  Zeichen  unseren  Verdacht  auf  das  Vorliegen 
einer  Nephritis  und  ganz  abgesehen  von  den  Fällen,  in  denen  eine 
späte  deutliche  Schuppung  ein  Licht  auf  die  Natur  der  überstandenen 
Hautaffektion  wirft,  schafft  hier  erst  die  durch  das  Daniederliegen  der 
Hautfunktionen  veranlagte  Urinuntersuchung  Klarheit  über  die  Situation. 

Versagt  aber  die  Hauttätigkeit,  so  muß  proportional  der 
Abnahme  der  Urinsekretion  die  Anhäufung  von  Wasser  im 
Körper  erfolgen.  Die  Unfähigkeit  des  Protoplasmas  Albuminate  zu 
verarbeiten  muß  auch  hier,  wenn  wir  RosenbaclFs  Schlußfolgerungen 
gelten  lassen,  mit  einer  Veränderung  der  Bindungsfähigkeit  des  Blutes 
für  Wasser  in  Verbindung  stehen;  wegen  der  Beeinträchtigung  der  Haut¬ 
tätigkeit  wird,  wenn  die  allein  übrigbleibende  Regulationsmöglichkeit 
durch  die  Nieren  erschöpft  ist,  das  nicht  aktivierte  Wasser  zurückhalten. 
Gerade  die  vielfach  berührten  antagonistischen  Beziehungen 
von  Niere  und  Haut  machen  das  Auftreten  von  Ödemen  an  der 
Peripherie  und  auch  weiter  den  Umstand  erklärlich,  daß  die 
Restitution  zum  großen  Teile  an  die  Reaktivierung  der  vollen 
Tätigkeit  des  Hautorgans  geknüpft  ist. 

Einige  Worte  wären  speziell  der  Leberatrophie  zu  widmen.  Es 
darf  hier,  worauf  Rosenbach  zuerst  und  zwar  mit  aller  Schärfe  hin¬ 
gewiesen  hat,  nicht  vergessen  werden,  daß  auch  bei  zeitig  vorgenommener 
Autopsie  das  Ergebnis  der  Untersuchung  großer,  blutreicher  parenchy¬ 
matöser  Organe,  namentlich  was  Größe  und  Konsistenz  anlangt,  unmög¬ 
lich  identisch  sein  kann  mit  dem  an  Lebenden  erhobenen  Befunde  und 
daß  namentlich  der  Umfang,  die  Konfiguration  und  Konsistenz  der  Leber, 
des  größten  und  blutreichsten  aller  drüsigen  Organe,  sich  nach  dem 
Tode  auffallend  schnell  verändert.  Man  findet  deshalb  fast  in  allen 
Fällen  mit  Ausnahme  der  reinen  Fettleber  und  amyloiden  Entartung, 
sicher  aber  in  allen  Fallen  von  akuter  Veränderung  der  Leber  das 
Organ  nach  dem  Tode  in  allen  Durchmessern  um  mehrere  Zentimeter 
verkleinert  und  alle  im  Leben  sicher  konstatierten  Unebenheiten  ganz 
auffallend  ausgeglichen.  Wie  häufig  die  „Leberatrophie“  im  Obduktions¬ 
protokoll  fälschlich  konstatiert  wird,  muß  also  von  vornherein  dahingestellt 
bleiben.  Sehr  oft  hat  es  sich,  worauf  gleichfalls  von  Rosenbach  hin¬ 
gewiesen  ist,  um  die  ; —  an  und  für  sich  keine  üble  Prognose  bietende  — 
Serositis,  um  eine  Perihepatitis  simplex  gehandelt,  die  oft,  sicher  bei 
Frauen  in  der  Gravidität,  wo  sie  besonders  häufig  vorkommt,  einer  Ver¬ 
änderung  des  Stoffwechsels  entspricht,  die  mit  gewissen  Blutanomalien 
in  ganz  sichtlichem  Zusammenhänge  steht.  Als  wichtigstes  ätiolo¬ 
gisches  Moment  für  die  Perihepatitis  muß  die  dauernde  oder  häufig 
eintretende  Hyperämie  der  Unterleibsorgane  bezeichnet  werden,  eine 
Hyperämie,  die  nach  RosenbaclFs  Auffassung  bei  weitem  mehr  aktiv 
als  passiv  ist,  also  weniger  von  der  mechanischen  Erscheinung  des  Ab¬ 
flusses  als  von  der  Erhöhung  der  den  Blutzufluß  zu  den  Organen  be¬ 
dingenden  (parenchymatösen)  Reize  und  der  Vermehrung  der  Fähigkeit 


942 


Wohlwill, 


des  ganzen  Gewebes,  Blut  aufzunehmen  und  zu  verarbeiten,  d.  h.  von 
einer  wahren  funktionellen  Plethora  herrührt. 

Jede  abdominelle  Plethora  —  auch  die  arterielle,  diese 
allerdings  nur  relativ  —  hat  bei  längerem  Bestehen  Stauungen 
*im  Gefolge.  Die  chemische  Überleistung  führt  zu  einem  Manko 
an  Energie  für  die  Bewegung  der  Säfte,  also  zu  einer  mecha¬ 
nischen  Insuffizienz  des  Protoplasmas  in  einem  oder  dem  andern 
Quellgebiete  der  Pfortader.  Und  mit  dem  Ausfälle  dieser 
kleinsten,  aber  ihrer  Vielheit  wegen  äußerst  einflußreichen 
Faktoren,  die  die  bewegenden  Kräfte  des  spezifischen  Paren¬ 
chyms  der  Organe  repräsentieren,  ist  ein  nicht  mehr  ausgleich¬ 
bares  Defizit  für  die  Fortbewegung  des  Blutes  gegeben.  Es 
resultiert  die  wahre  Stauung  (auch  im  Venensystem),  und  diese 
führt  auf  dem  Wege  des  bereits  oben  hinreichend  charakteri¬ 
sierten  Mechanismus  zum  Ödem.  (Schluß  folgt.) 


Hamburger  Brief. 

Von  Dr.  Wohlwill,  Hamburg. 

In  der  Sitzung  des  ärztlichen  Vereins;  vom  20.  April  demonstrierte 
Nonne  fünf  Fälle,  die  das  Gemeinsame  hatten,  daß  in  allen  eine  ganz 
unerwartete  Heilung  eintrat.  Im  ersten  Falle  handelte  esl  sich  um  einen 
Knaben,  der  mit  Kopfschmerzen,  Fieber  und  epileptischen  Konvulsionen 
erkrankt  war.  Es  schloß  sich  daran  ein  außerordentlich  bedrohlich  aus¬ 
sehender,  6—7  Tage  dauernder  Status  epilepticus,  der  danach  langsam 
wieder  abklang.  Als  alle  Erscheinungen  verschwunden  waren,  stellte 
sich  ebenso  plötzlich  eine  schwere  Koordinationsstörung  im  Gesicht,  in 
den  Ober-  und  Unterextremitäten  ein.  Auch  diese  Affektion.  heilte 
restlos.  Nonne  hat  in  der  letzten  Zeit  in  der  Gegend,  aus  der  der 
Kranke  stammte,  eine  ganze  Reihe  von  Poliomyelitis1-  und  Enzephalitis¬ 
fällen  gesehen,  die  letzteren  zeigten  alle  Ausgang  in  völlige  Heilung. 

Im  zweiten  Fall  handelte  es  sich  um  einen  jungen  Menschen, 
der  ohne  nachweisbare  Ätiologie  mit  Schwäche  in  den  Beinen  erkrankte. 
Bald  entwickelten  sich  schwer^  Spasmen  in  den  Unterextremitäten, 
dabei  Schmerzen,  Blasen-  und  Sensibilitätsstörungell,  die  einen  Tumor 
spinalis  wahrscheinlich  machten.  Bei  der  Probelaminektomie  fand  sich 
nichts,  nicht  einmal  Druckerhöhung  des  Liquor.  Trotzdem  gingen 
darauf  alle  Erscheinungen  zurück,  der  Mann  hat  noch  einen  beider' 
seitigen  Babinsky,  ist  sonst  subjektiv  und  objektiv  gesund.  Am  wahr¬ 
scheinlichsten  ist  jetzt,  daß  es  sich  um  eine  ganz  atypische  Form 
der  multiplen  Sklerose  handelt. 

Endlich  zeigte  er  drei  Fälle  von  Hämatomyelie,  zwei  traumatisch, 
einen  spontan  entstandenen.  In  allen  Fällen  hatten  schwerste  Läh¬ 
mungen,  einmal  der  Beine,  zweimal  aller  vier  Extremitäten  Vorge¬ 
legen.  Der  eine  ist  reistlos  geheilt,  der  zweite  zeigt  nur  noch  eine 
geringe  Schwäche  in  beiden  Tricipites,  der  dritte,  der  noch  in  voller 
Rekonvaleszenz  begriffen  ist,  kann  ebenfalls  wieder  gehen  und  seine 
Arme  benutzen.  Wichtig  ist  die  Diagnose  des  intramedullären  Sitzes 
der  Blutung,  damit  keine  nutzlosen  Laminektomien  bei  derartig  Ver¬ 
letzten  gemacht  werden. 

S  immens  hielt  einen  Vortrag  über  weibliche  Genital  tuberkulöse. 
Er  verfügt  über  ein  Material  von  80  Sektionsfällen  (l1/^  °/0  der  weib¬ 
lichen  Sektionen).  Es  erwiesen  sich  als  krank  die  Tuben  in  86  °/0, 


Hamburger  Brief. 


943 


der  Uterus  in  75 °/0,  beide  gleichzeitig  in  68°/0  der  Fälle;  die  Ovarien 
waren  nnr  viermal  erkrankt.  Bei  der  Salpinpitis  tbc.  unterscheidet 
S.  3  Formen :  1.  die  bekannte  Guir  1  anden form ,  bei  der  meist  ein  alter 
Verschluß  des  Fimbrienendes  durch  Verwachsungen  vorliegt,  die  Tuber¬ 
kuloseinfektion  erst  sekundär  erfolgt.  2.  Oberflächliche  Schleimhaut¬ 
nekrosen  mit  feinen  Knötchen.  3.  Tuben  mit  ganz  gesunder  Wand, 
deren  Inhalt  aus  tuberkelbazillenhaltigem  Eiter  besteht.  Letztere  Form 
hält  S.  für  das  Anfangsstadium:  Erst  vom  Inneren  des  Kanals  greift 
die  Affektion  auf  die  Wand  über.  Dasselbe  ist  beim  Uterus  der  Fall. 
Hier  spielt  ebenfalls  der  primäre  Verschluß  des  Os  externum  (Pyo- 
metra  der  Greisinnen)  eine  Bolle.  In  der  viel  erörterten  Frage,  ob  die 
Infektion  vorzugsweise  auf  dem  Blutwege  oder  von  außen  erfolge, 
nimmt  S.  den  Standpunkt  ein,  daß  letzterer  Modus  sehr  selten  sei ; 
er  hält  ihn  unter  seinen  80  Fällen  nur  einmal  für  wahrscheinlich. 
Wenn  Tube  und  Uterus  beide  erkrankt  sind,  ist  der  Prozeß  in  der 
Tube  meist  weiter  vorgeschritten.  S.  glaubt  aber,  daß  wohl  meist 
kein  Deszendieren,  sondern  ein  gleichzeitiger  und  gleichwertiger  Prozeß 
vor  liegt.  Ein  Übergang  der  Tuberkulose  vom  Peritoneum  auf  die  Tube 
war  nur  in  4  Fällen  anzunehmen.  Das  Umgekehrte  ist  etwas  häufiger 
der  Fall.  In  9  Fällen  bestand  zugleich  eine  Tuberkulose  des  uro- 
poetischen  Systems,  doch  lagen  nur  in  einem  Fall  die  Verhältnisse  so, 
daß  ein  direkter  Zusammenhang  wahrscheinlich  erschien.  Eine  Kon¬ 
zeption  findet  in  den  schwereren  Fällen  nicht  mehr  statt.  (Einmal 
sah  S.  wohl  infolge  der  Unwegsamkeit  Extrauteringravidität.)  Eine 
bestehende  Gravidität  wird  dagegen  nicht  gestört,  führt  aber  ihrer¬ 
seits  zu  schnellerem  Fortschreiten  des  Prozesses  und  event.  zu  Miliar¬ 
tuberkulose.  Betreffs  der  Diagnose  weist  S.  auf  die  immer  häufiger 
werdende  Möglichkeit  hin,  durch  Untersuchungen  von  Kurettements 
Tuberkel  oder  Tuberkelbazillen  nachzuweisen.  Die  Prognose  ist  stets 
ernst.  Heilungsvorgänge  sah  er  nie.  Er  rät  daher  zu  ziemlich  radi¬ 
kalem  Vorgehen  bei  Operationen. 

Im  Anschluß  hieran  hielt  in  der  nächsten  Sitzung  Prochownik 
einen  Vortrag  über  dasselbe  Thema  vom  klinischen  Standpunkt  aus. 
Betreffs  der  Pathogenese  (Seltenheit  der  primären  Genital  tuberkulöse 
usw.)  stimmt  er  mit  Simmomos  ganz,  überein.  Ziemlich  häufig  ist 
nach  P’s.  Erfahrungen  eine  Entstehung  auf  dem  Boden  anderer  (gonor¬ 
rhoischer)  Erkrankungen.  Bei  schwerer  Lungenphthise  ist  die  Er¬ 
krankung  der  Genitalien  auffallend  selten,  dann  aber  ausnahmslos  sehr 
schwer.  Die  Diagnose  muß  viele  Hilfsmittel  zu  Bäte  ziehen.  Klinisch 
spricht  für  Tuberkulose  ein  lang  anhaltender,  sonst  ätiologisch  nicht 
erklärbarer  (zumal  bei  Kindern  und  Virgines),  jeder  Therapie  trotzender 
eitriger  Katarrh,  der  mit  andauernden  geringfügigen  Blutungen,  sowie 
wenig  intensiven  aber  härtnäckigen  Schmerzen  einhergeht.  Fieber  ist 
meist  mäßig  aber  andauernd,  auf  jeden  kleinen  Eingriff  erfolgt  Tem¬ 
peratursteigerung.  Von  Bedeutung  ist  ferner  die  Bosenkranzform  der 
Tube  und  eine  bestimmte  Form  der  schrumpfenden  Parametritis.  Bazillen 
im  Sekret  wurden  nur  viermal  gefunden,  im  Kurettement  wurden  zwei¬ 
mal  Tuberkel,  zweimal  Bazillen  nachgewiesen.  Großen  Wert  legt  P. 
auf  die  probatorische  Tuberkulininjektion.  Für  die  Lokalisation  der 
Tuberkulose  an  den  Genitalien  sprechen  dann  bei  Ausbleiben  pulmo¬ 
naler  und  renaler  Beaktionen  starke  Genitalschmerzen  und  vermehrter 
Fluor,  in  dem  es  dann  noch  weitere  viermal  gelang  Tuberkelbazillen  nach¬ 
zuweisen.  Therapeutisch  empfiehlt  P.  große  Zurückhaltung.  Er  warnt 


944  Wohlwill, 

vor  dem  Kurettement  und  namentlich  vor  Atzungen.  In  den  leichteren 
Fällen  begnügt  er  sich  mit  leichter  lokaler  „ Trocken therapie“  und 
legt  den  Hauptwert  auf  die  Allgemeinbehandlung  (Tuberkulinkur,  Heil¬ 
stättenbehandlung).  Nur  in  schweren  Fällen  (mit  Sekundärinfektion, 
Fistelbildung  usw.)  operiert  er,  und  dann  möglichst  radikal,  er  ent¬ 
fernt  stets  beide  Tuben,  oft  aber  auch  den  Uterus. 

In  der  gemeinschaftlich  über  beide  Vorträge  geführten  Diskussion 
besprach  Fraenkel  zunächst  2  seltene  Formen  von  Genitaltuberkulose, 
1.  die  von  ihm  beschriebene  „papilläre  Zervixtuberkulose“,  die  makro¬ 
skopisch  kaum  von  einem  karzinomatösen  Blumenkohlgewächs  zu  unter¬ 
scheiden  ist  und  2.  die  einem  Sarkom  gleichende  geschwulstartige  Um¬ 
wandlung  von  Zervix  und  Portio.  Er  demonstrierte  sodann  ein  Prä¬ 
parat  der  sehr  selten  vorkommenden  Ovarialtuberkulose. 

In  der  weiteren  Diskussion  spielte  die  Frage  nach  der  primären 
Genital  tuberkulöse  die  Hauptrolle.  Man  war  sich  ziemlich  einig  darin, 
daß  sie  nur  an  Sektionsmaterial  zu  entscheiden  sei,  doch  wurde  der 
Einwurf  gemacht,  daß  auch,  wenn  gleichzeitig  z.  B.  Lungentuberkulose 
gefunden  würde^  die  primäre  Natur  dieser  letzteren  schwer  zu  er¬ 
weisen  sein  könnte.  Was  die  Prognose  anbelangt,  so  waren  die  Kliniker 
durchgehend  nicht  so  pessimistisch  wie  die  Pathologen.  Sie  wußten 
doch  von  einigen  erfreulichen  Besserungen  zu  berichten  auch  ohne,  daß 
eine  radikale  Exstirpation  vorgenommen  wäre. 

Im  biologischen  Verein  demonstrierte  Fraenkel  Präparate,  die 
von  einem  Fall  von  Gefäßverkalkung  im  Gehirn  stammen.  Es  handelt 
sich  um  einen  Prozeß,  der  mit  Arteriosklerose  nichts  zu  tun  hat  und 
von  Virchow  schon  vor  50  Jahren  unter  dem  Namen  „Kalkmetastasen“ 
beschrieben  ist.  Virchow  hatte  in  seinen  Fällen  auch  Kalkablagerungen 
in  den  Lungen  und  in  der  Magendarmschleimhaut  und  dabei  —  mit 
einer  Ausnahme  —  stets  schwere  mit  Auflösung  von  Kalksalzen  ein¬ 
hergehende  Knochenprozesse  gefunden.  Seither  sind  erst  wenige  gleich¬ 
artige  Fälle  —  u.  a.  von  Hansemann  —  beschrieben.  In  Fraenkels 
Fall  handelte  es  sich,  im  Gegensatz  zu  den  meisten  übrigen,  um  ein 
älteres  Individium,  bei  dem  sich  denn  auch  als  Komplikation  eine 
ausgesprochene  Arteriosklerose  der  Hirnbasisgefäße  fand.  In  beiden 
Streifenhügeln  und  in  beiden  Kleinhirnhemisphären  fanden  sich  Er¬ 
weichungsherde,  die  in  ihrem  Zentrum  Kalkkonkremente  bargen.  Auf 
dem  Durchschnitt  fanden  sich  nun  überall  in  der  Marksubstanz  Ge¬ 
bilde,  die  wie  ein  Heer  von  Borsten  oder  „wie  die  Stoppeln  eines 
schlecht  rasierten  Bartes“  über  die  Schnittfläche  hervorragen.  An  ganz 
besonders  schönen  Röntgenaufnahmen  von  ca,  1  cm  dicken  Gehirn¬ 
scheiben  sah  man  das  ganze  Netzwerk  verkalkter  Kapillaren  und 
kleinster  Gefäße  wie  an  einem  Injektionspräparat  scharf  her  vor  getreten. 
Fr.  konnte  an  diesen  Röntgenbildern  demonstrieren,  daß  auch  die  Hirn¬ 
rinde  nicht,  wie  früher  angenommen,  von  diesem  Prozeß  frei  bleibt, 
was  allerdings  makroskopischer  Betrachtung  entgehen  muß.  Die  Ab¬ 
lagerung  von  Kalk  findet,  wie  Elastikafärbungen  dartun,  in  erster 
Linie  in  den  Kapillaren,  demnächst  in  den  kleinen  Arterien,  dann  in 
den  Venen  statt. 

In  derselben  Sitzung  hielt  Jörns  einen  Vortrag  über  die  Vis¬ 
kosität  des  Blutes  und  ihre  Beeinflussung  durch  Jodkali.  Er  hat 
sich  der  Methode  von  Deteirmann  bedient.  Als  Durchschnittswert 
fand  er  für  Frauen  5,08,  für  Männer  5,37  (Durchlaufszeit  im  Vergleich 
zu  dest,  Wasser  von  20°).  Als  normal  gelten  Werte  von  4,5 — 5,5. 


Hamburger  Brief. 


945 


Abweichungen  von  der  Norm  fand  er  nur,  wenn  auch  sonst  das  Blut 
oder  das  Gefäßsystem  erkrankt  war.  Am  auffälligsten  ist  der  Parallelis¬ 
mus  mit  dem  Hämoglobingehalt  des  Bluts.  Den  niedrigsten  Wert 
von  1,73  fand  er  hei  einem  Hämoglobingehalt  von  10°/0.  Es  besteht 
zwar  auch  eine  gewisse  Abhängigkeit  von  der  Erythrozytenzahl,  doch 
entspricht  z.  B.  bei  Chlorose  die  Viskosität  nicht  letzterer,  sondern 
dem  Hämoglobin.  Venöses  Blut  zeigt  höhere  Viskositätswerte  als  arte¬ 
rielles,  dementsprechend  ist  die  Viskosität  erhöht  bei  pathologisch 
C02  =  reichem  Blut  (Pneumonie,  Emphysem,  Mitralstenose  usw.). 
Ferner  wurde  bei  Hemiplegie  vermehrte  Viskosität  konstatiert  und 
zwar  einmal  in  der  gelähmten  Seite  höhere  als:  in  der  gesunden.  Hohe 
Werte  finden  sich  meist  auch  bei  Arteriosklerose.  Nach  Ottfried 
Müller  sollte  das  Jodkali  die  Viskosität  herabsetzen  und  so  durch 
die  entsprechend  erhöhte  Stromgeschwindigkeit  die  durch  die  Gefä߬ 
wanderkrankung  verursachte  Zirkulationsstörung,  ausgleichen.  Die  Be¬ 
funde  fanden  Widerspruch.  Jörns  konstatierte  unter  8  Fällen  sech¬ 
mal  ein  erhebliches  Sinken  der  vorher  erhöhten  Viskosität,  während 
in  2  Fällen  mit  anfangs  normaler  Viskosität  eine  geringe  Zunahme 
eintrat. 

In  der  Diskussion  fügte  zunächst  Umber  ergänzend  hinzu,  daß 
sich  am  wirksamsten  die  chronische  Darreichung  kleiner  Joddosen  er¬ 
wiesen  habe. 

Müller  berichtete  über  Untersuchungen  die  er  an  126  chirurgisch 
Kranken  der  Abteilung  von  König  mit  der  Hess’ sehen  Methode  ge¬ 
macht  hat.  Aus  seinen  Befunden  ist  hervorzuheben,  daß  nach  schwere¬ 
ren  (und  zwar  nicht  besonders  blutigen  sondern  eingreifenden  z.  B. 
Abdominal-) Operationen  die  Viskosität  steigt,  obwohl  dabei  weder  Hämo¬ 
globin-  noch  C02-Gehalt  des  Bluts  vermehrt  ist.  Ferner  soll  ein  Unter 
schied  bestehen  zwischen  Fieber,  das  durch  Infektion  und  solchem, 
das  durch  Blutresorption  verursacht  ist,  indem  nur  ersteres  Steigerung 
der  Blutviskosität  verursacht.  Bei  Magenstenosen  soll  ein  niedriger 
Viskositätswert  für  Malignität  sprechen.  Bei  Hirndruck  ist  die  Vis¬ 
kosität  ebenfalls  erhöht.  In  einem  Fall  von  Dura-Hämaton  konnte 
M.  ein  gleichzeitiges  Wiederabsinken  des  Hirndrucks  und  der  Blut¬ 
viskosität  beobachten.  Daß  Arteriosklerose  oft  die  Viskosität  erhöhe, 
bestreitet  er. 

Denecke  erklärte  die  verschiedenen  Resultate  von  Jörns  und 
Müller  durch  die  verschiedenen  Untersuchungsmethoden.  Bei  der  durch 
Stauung  bedingten  Viskositätssteigerung  spielen  wohl  außer  der  Kohlen¬ 
säure  die  gesamten  Abbauprodukte  der  Gewebe  eine  Bolle.  In  den  ge¬ 
lähmten  Extremitäten  von  Hemiplegikern  ist  wohl  auch  die  Zirkulations¬ 
störung  die  Ursache  der  erhöhten  Viskosität. 

Sehr  interessante  Mitteilungen  machten  im  Hauptverein  Much 
und  Holz  mann  über  eine  Beaktion,  die  sie  gemeinschaftlich  als  bei 
gewissen  Geisteskrankheiten  im  Blut  vorkommend  nachgewiesen  haben. 
Die  Beaktion  beruht  auf  folgendem :  Kobragift  vermag  gewaschene 
menschliche  Blutkörperchen  aufzulösen.  Zusatz  von  menschlichem  Serum 
beeinflußt  im  allgemeinen  diesen  Vorgang  nicht.  Stammt  das  Serum 
jedoch  von  Kranken,  die  entweder  an  Dementia  praecox  oder  an  manisch- 
depressiven  Irresein  leiden,  so  wird  die  Hämolyse  gehemmt.  Diese 
von  den  Vortragenden  „Psychoreaktion“  genannte  Beaktion  war  in  allen 
Fällen,  in  denen  die  Diagnose  auf  eine  der  beiden  genannten  Krank¬ 
heiten  gestellt  war,  positiv.  In  einigen  wenigen  Fällen,  wo  sie  negativ 

60 


946  Wohlwill, 

war,  stellte  sich  bei  weiterer  Beobachtung  heraus,  daß  es  sich  mit 
Sicherheit  oder  großer  Wahrscheinlichkeit  um  eine  falsche  Diagnose 
handelte.  Gesunde  und  an  anderen  Krankheiten  leidende  Menschen  gaben 
die  Reaktion  nicht,  dagegen  war  sie  positiv  bei  einigen  sonst  geistig 
Gesunden,  die  aber  aus  einer  Familie  stammten,  in.  der  die  oben  ge¬ 
nannten  Krankheiten  vorgekommen  sind.  Es  wird  damit  die  Lehre 
von  der  hereditären  Disposition  zu  diesen  Krankheiten  bestätigt.  Daß 
die  Reaktion  von  weittragender  Bedeutung  für  die  theoretische  Auf¬ 
fassung  der  Psychosen  sowie  für  die  Diagnose  sein  wird,  liegt  auf 
der  Hand.  Much  sprach  auch  Hoffnungen  für  eine  darauf  aufzu- 
b  auen  de  Ther  ap  ie  au  s . 

Sick  demonstrierte  einen.  40jährigen  Mann,  dem  er  einen  dattel¬ 
förmigen  Tumor  des  Halsmarks  exstirpiert  hat.  Die  Wahrscheinlich¬ 
keitsdiagnose  war  lediglich  daraufhin  gestellt,  daß  der  sonst  durch¬ 
aus  nicht  neurasthenische  Mann,  bei  dem  es  auch  sonst  an  andern  ätio¬ 
logischen  Momenten  fehlte,  ganz  konstant  heftige  Schmerzen  hatte, 
welche  von  der  linken  Skapula  in  den  linken  Arm  ausstrahlten,  ,und 
besonders  stark  beim  Lachen  wurden.  Der  Tumor  fand  sich  —  wie 
auch  sonst  oft  —  höher,  als  den  Symptomen  nach  anzunehmen  war. 
Es  trat  vollkommene  Heilung  ein. 

Die  Sitzung  des  biologischen  Vereins  vom  11.  Mai  fand  im  tropen¬ 
hygienischen  Institut  statt  und  war  fast  ausschließlich  der  Besprechung 
von  Tropenkrankheiten  Vorbehalten.  Besonderes  Interesse  fanden  die 
Ausführungen  von  Giern sa  über  Beri-Beri.  N achdem  die  Suche  nach 
Parasiten  bei  dieser  Krankheit  resultatlos  geblieben  ist,  ist  man  auf 
den  früheren  Standpunkt,  in  ihr  eine  Ernährungskrankheit  zu  sehen, 
wiederzurückgekommen.  Die  Untersuchung  von  Segelschiffsproviant  von 
solchen  Schiffen,  auf  denen  die  Segelschiffsberiberi  geherrscht  hatte, 
hatte  zunächst  kein  Ergebnis!,  wohl  aber  die  von  Schaumann 
auf  Gie  m  s  a  ’  s  Vorschlag  angestellten  Untersuchungen  an  Exkre- 
tenvon  solchen  Kranken.  Es  fand  sich,  daß  die  Phosphorsäurei- 
ausscheidung  bei  ihnen  auf  1/3  gesunken  war,  nach  Zufuhr  frischer 
Nahrung  aber  wieder  zur  Norm  zurückkehrte,  ebenso,  wenn  man  die  in 
Ostasien  als  Heilmittel  der  Beri-Beri  bekannte  Katjang-idjo-Bohne  gab. 
Die  weiteren  Resultate  waren  folgende:  Zur  Gesunderhaltung  ist  orga¬ 
nisch  gebundener  Phosphor  unentbehrlich.  Nahrung,  welche  letzteren 
unzureichend  oder  in  denaturierter  Form  enthält,  verursacht  Beri-Beri. 
In  einer  ganzen  Reihe  von  Konserven  sind  die  Phosphorproteide- 
durch  die  Konservierungsprozesse  hydrolytisch  zersetzt,  dadurch  wasser¬ 
löslich  geworden  und  in  die  Büchsen flüssigbeit  übergegangen.  Reis 
verliert  von  seinem  an  und  für  sich  schon  geringen  Phosphorgehalt  2/3, 
wenn  mit  dem  „Schälen“  das  Silberhäutchen  verloren  geht,  Tauben, 
die  mit  solchem  Reis1  gefüttert  werden,  gehen  unter  Lähmungserschei- 
nungen  in  33  Tagen  zugrunde.  Zusatz  von  P-armem  Hühnereiweiß,  nicht 
P-haltigen  Mineralsalzen,  aber  auch  von  Kaliumbiphosphat,  Glyzerin¬ 
phosphorsäure  usw.  zur  Nahrung  vermögen  den  Tod  nicht  aufzu¬ 
halten.  Dagegen  ist  die  an  Nukleinensubstanzen  reiche,  getrocknete 
Hefe  und  die  Katjang-idjo-Bohne  imstandel,  sowohl  das  Entstehen  von 
Lähmungen  hintanzuhalten  als  auch  die  bereits  bestehenden  zur  Heilung 
zu  bringen.  Es  fand  sich  ferner,  daß  der  Segelschiff sproviant  in  der 
Tat  vielfach  ein  starkes  Minus  an  Nukleinen  aufweist.  Vielleicht  spielt 
außerdem  auch  Eisenarmut  der  Nahrung  mit,  da  diel  betreffenden  Kon¬ 
serven  ebenfalls  sehr  wenig  Fe  enthalten.  Da  sich  bei  der  Segelschiffs- 


Hamburger  Brief. 


947 


beriberi  zu  den  Lähmungen  häufig  auch  skorbutartige  Erscheinungen 
gesellen,  so  liegt  ein  Vergleich  mit  der  Barlow’schen  Krankheit  nahe, 
bei  welcher  ebenfalls  eine  Unterernährung  an  P  und  Fe  vorliegt.  * 

Sehr  auffallend  waren  die  pathologischen  Befunde,  die  Roden - 
waldt  im  Anschluß  an  den  Vortrag  mitteilte.  B.  hat  die  Nerven 
der  zu  den  Experimenten  benutzten  Tauben  an  Osmium-Zupf präparaten 
untersucht  und  dabei  schwerste,  oft  kaum  eine  Faser  freilassende 
degenerative  Veränderungen  nicht  nur  bei  den  gelähmten  Tauben  ge¬ 
funden,  sondern  auch  bei  solchen,  die  infolge  der  Auffütterung  schon 
seit  mehreren  Tagen  wiederhergestellt  waren.  R.  gab  folgenden  Er¬ 
klärungsversuch  :  Die  Tiere  können  mit  einem  kleinen  Bruchteil  ihrer 
Nervenfasern  auskommen ;  wird  auch  dieser  Rest  noch  geschädigt,  so 
brechen  sie  zusammen ;  hierbei  müßte  es  sich  dann  um  keine  völlige 
Degeneration  sondern  um  eine  der  Rückbildung  fähige  Läsion  handeln. 
—  In  Antwort  auf  eine  Anfrage  von  Eraenkel  bemerkte  er  noch, 
daß  an  den  Knochen  wesentliche  Veränderungen  nicht  gefunden  wurden. 

In  der  Diskussion  stand  die  auffallende  Diskrepanz  zwischen  dem 
pathologischen  Befund  schwerer  Nervendegenerationen  mit  dem  klini¬ 
schen  ganz  leicht  reparabler  Lähmungen  im  Vordergrund  des'  Interesses. 
Luce  setzte  sie  in  Parallele  zu  den  diphtherischen  Lähmungen,  bei  denen 
häufig  auch  in  klinisch  intakten  Nerven  schwere  Degenerationen  ge¬ 
funden  werden.  Saenger  erklärte  die  angewandte  Methode  für  un¬ 
geeignet.  Emden  regte  u.  a,.  Prüfung  der  elektrischen  Erregbarkeit  an. 

Die  skorbutoiden  Erscheinungen  sind,  wie  Noclit  hervorhob,  be¬ 
sonders  bei  der  Segelschiffsberiberi  ausgesprochen,  bei  der  echten,  Beri- 
Beri  treten  sie  weniger  hervor ;  hier  sind  dafür  die  Lähmungen  schwerer 
und  hartnäckiger.  Im  Tierexperiment  kommt  es  auf  die  Versuchsan¬ 
ordnung  an,  ob  Skorbut  entsteht  oder  nicht.  So  hat  Axel  Holst  bei 
seinen  Meerschweinchenversuchen  Knochenveränderungen  beobachtet,  die 
mit  skorbutischen  nahezu  identisch  sind.  Dies  wird  von  Eraenkel, 
der  die  Originalpräparate  selbst  gesehen  hat,  bestätigt. 

Mayer  sprach  über  Untersuchungen  über  das  ostafrikanische 
Küstenfieber  der  Rinder,  die  er  gemeinschaftlich  mit  Keystelitz  im 
Aufträge  der  Hamburger  wissenschaftlichen  Stiftung  ausgeführt  hat. 
Als  Erreger  hat  Koch  seinerzeit  ein  ,,Piroplasma  parvum“  beschrieben. 
Doch  bleibt  die  Bedeutung  dieses  Parasiten  unklar.  Es  Avurde  auch 
bei  gesunden  Rindern  gefunden.  Viele  Rinder  haben  in  ihrer  Jugend 
Texasfieber  durchgemacht,  welches  auch  durch  Piroplasmen  verursacht 
wird.  Die  Rinder  werden  dann  gegen  Texasfieber  immun,  bleiben  aber 
Parasitenträger ;  es  ist  wohl  möglich,  daß  bei  einer  andern  Infektion 
die  Parasiten  wieder  zum  Vorschein  kommen.  Fest  steht,  daß  die 
Krankheit  durch  Zecken  übertragen  wird.  Pathologisch-anatomisch  ist 
das  auffallenste  der  Befund  weißlicher  Knoten  in  den  Nieren,  die 
früher  meist  als  Infarkte  gedeutet  wurden.  In  ihnen  finden  sich  die 
von  Koch  als  für  das  Küstenfieber  charakteristisch  beschriebenen  Plas¬ 
makugeln,  außerdem  noch  in  Leber,  Milz  und  Knochenmark.  Sie 
entstehen  zum  Teil  im  Protoplasma,  zum  Teil  in  den  Kernen  (ver¬ 
änderte  Nukleolen  ?).  Ob  es  sich  hierbei  um  Reaktionsprodukte  auf 
den  unbekannten  Parasiten  handelt,  läßt  M.  dahingestellt.  Ähnliche 
Gebilde  fand  er  in  Organen  von  Rekurrensmäusen  und  Tsetsemeer- 
schweinchen. 

Sodann  demonstrierte  er  Blutpräparate;  die  von  einem  an  Verruga 
peruviana  leidenden  Mann  stammen.  Diese  in  den  Anden  heimische 

60* 


948 


Ehrmann  und  Fuld, 


Krankheit  beginnt  nach  2 — 4 wöchentlicher  Inkubationszeit  mit  un¬ 
regelmäßigem  Fieber,  Milz-  nnd  Drüsenschwellung,  Anämie  und  Durch¬ 
fällen  und  führt  entweder  schon  in  diesem  Stadium  zum  Tod  oder 
geht  nach  kurzer  Dauer  in  das  Stadium  der  Vor  rügen  über  (bisi  tauben¬ 
eigroße  Blasen  und  Knoten).  Als  Erreger  galt  früher  ein  Bakterium 
der  Typhus-Koligruppe.  Im  vorliegenden,  dem  Intervall  zwischen  1. 
und  2.  Stadium  entstammenden  Blutausstrich  finden  sich  kleine,  dunkel¬ 
rot  gefärbte,  kokkenartige  (den  Piroplasmen  nicht  unähnliche)  Gebilde, 
die  M.  für  Parasiten  hält. 

Prowazek  berichtete  über  Versuche  mit  Variolavirus.  Filtriert 
man  Vaccineflüssigkeit  durch  Agar,  so  bleiben  kleinste  diplokokken¬ 
ähnliche  Gebilde  zurück.  P.  hält  diese  für  identisch  init  den  von 
Paaschen  beschriebenen  und  sieht  in  ihnen  den  Erreger  der  Pocken. 
Er  fand  sie  stets  in  Synbiose  mit  Streptokokken.  Dem  entspricht, 
daß  Impfungen  von  Variolaflüssigkeit  zusammen  mit  Streptokokken 
viel  stärkere  Reaktion  an  der  Kaninchen-Kornea  hervorruft,  als  erstere 
allein.  Das  Virus  geht  nur  in  geringem  Maße  in  das  Blut  und  die 
inneren  Organe  über.  Impfungen  mit  Blut  von  Variolakranken  gingen 
dementsprechend  fast  nie  an.  Da  die  Guanerischen  Körperchen,  die 
jetzt  allgemein  als  Reaktionsprodukte  aufgefaßt  werden,  sich  nun  auch 
in  der  Leber  finden,  so  verdanken  sie  ihre  Entstehung  vermutlich  einer 
Reaktion  auf  die  Toxine,  nicht  auf  die  Parasiten  selbst. 


26.  Kongreß  für  innere  Medizin  zu  Wiesbaden. 

19 — 22.  April  1909. 

Berichterstatter:  Dr.  Ehrmann  und  Dr.  Fuld. 

(Fortsetzung.) 

R oos -Freiburg:  Untersuchungen  über  die  Sohallerschei- 
nungen  des  Herzens.  (Mit  Demonstrationen.) 

Der  Vortr.  demonstriert  eine  Anzahl  Bilder,  welche  Schallerschei¬ 
nungen  des  Herzens  darstellen,  reine  Töne  und  auch  Geräusche,  die  gut 
zur  Geltung  kommen.  Aus  dem  Verhältnis  der  Tonbilder  zum  Karotis- 
puls,  der  neben  den  Tönen  graphisch  geschrieben  wird  und  zeitlich  zu 
demselben  in  genaue  Beziehung  gebracht  ist,  lassen  sich  mancherlei 
Schlüsse  ziehen.  Dann  geht  Roos  noch  besonders  auf  den  Galopp¬ 
rhythmus  und  die  Verdoppelung  der  zweiten  Töne  ein.  Diese  bisher 
schon  studierten  Phänomene  sind  jetzt  durch  die  Aufnahme  der  Ton¬ 
erscheinurigen  einer  genaueren  Untersuchung  viel  zugänglicher  geworden. 

K.  Bürker:  Ein  einfaches  Vergleidhsspektr oskop  zur  Un¬ 
tersuchung  im  sichtbaren  und  wenig  sichtbaren  (violetten) 
Teile  des  Spektrums. 

Spektroskopische  Beobachtungen  gewinnen  wesentlich  an  Wert, 
wenn  sie  sich  auf  ein  Vergleichsspektrum  stützen  können.  Der  Vor¬ 
tragende  hat  ein  einfaches  handliches  Vergleichsspektrum  konstruiert, 
indem  er  von  dem  Spalt  eines  kleinen  geradsichtigen  Spektroskops 
den  Albrecht’schen  Glaskörper  und  vor  diesem  ein  aus  zwei  Ab¬ 
teilungen  bestehendes  Absorptionströgchen  anbrachte.  Der  Apparat  kann 
so  eingestellt  werden,  daß  die  zu  vergleichenden  Spektren  über-  oder 
nebeneinander  gelegen  sind,  er  kann  ferner  bei  gefülltem  Absorptions¬ 
trögchen  im  Auditorium  zur  Betrachtung  der  Spektren  herumgereicht 
werden. 


26.  Kongreß  für  innere  Medizin  zu  Wiesbaden. 


949 


Um  mit  diesem  Apparat  die  Untersuchung  im  lichtschwaehen 
violetten  Teile  des  Spektrums,  wo  der  für  den  Mediziner  so  wichtige 
Blutfarbstoff  noch  stärkere  Absorptionsstreifen  als  im  gut  sichtbaren 
Teile  aufweist,  vornehmen  zu  können,  muß  an  violetten  Strahlen  reiches 
Licht,  wie  direktes  Sonnenlicht  oder  das  Licht  der  Nernstlampe  in  den 
Kollimeter spalt  gelenkt  und  in  den  Gang  der  Strahlen  nach  dem  Vor¬ 
gänge  von  Potior  ein  blauviolettes  Glas  eingeschaltet  werden,  wodurch 
der  lichtstarke  Teil  des  Spektrums  abgeblendet,  der  lichtschwaehe  aber 
hervorgehoben  wird ;  unter  diesen  Umständen  kann  man  mit  dem  kleinen 
Apparate  das  Sonnenspektrum  bis  zu  den  dicken  Fraunh'of  er’schen 
Linien  H  und  K  übersehen. 

Der  Apparat  ermöglicht  es,  daß  in  kürzerer  Zeit  ein  genauerer 
spektroskopischer  Befund  erhoben  werden  kann  als  mit  einem  gewöhn¬ 
lichen  Handspektroskop. 

Franz  Groedel  III-Nauheim:  Röntgenkinematoigraphie. 

Der  Vortr.  zeigt  kinematographische  Röntgenaufnahmen  des  Herz¬ 
schlags  und  von  Bewegungen  in  den  Gelenken. 

Det  ermann  und  Weingartner  -  Freiburg :  Röntgenunter¬ 
suchungen  der  Diökdarmlage  bei  Darmstörungen,  besonders 
bei  Verstopfung. 

Die  Vortr.  haben  die  Dickdarmlage  im  Röntgenbild  nach  Dar¬ 
reichung  einer  wismuthaltigen  Mahlzeit  (300 — 500  g  Hafergrütze,  20  bis 
30  g  Bismutum  carbonicüm,  dazu  Bratensauce,  etwas  Butter  und  Ei  oder 
Sahne)  in  Serienbildern  geprüft.  Es  zeigte  sich,  daß  besonders  bei  Ver¬ 
stopfung  sehr  oft  die  Dickdarmlage  eine  abnorme,  meistens  eine  abnorm 
tiefe  ist.  Oft  schien  eine  scharfe  Abknickung  am  Cöcum  oder  im  Ver¬ 
lauf  des  Colon  ascendens  zu  bestehen.  Oft  war  die  Hubhöhe  vom  tief¬ 
liegenden  Querkolon  bis  zur  linken  Flexur  eine  sehr  große,  öfters 
auch  war  der  Sitz  des  Hindernisses  sicher  an  der  Flexura  sigmoidea. 
Ein  Zusammenhang  mit  allgemeiner  Enteroptose  war  dabei  häufig,  aber 
nicht  regelmäßig.  Zur  Klarstellung  der  Ursache  der  Verstopfung  er¬ 
scheine  die  Röntgenbeobachtung  sehr  wertvoll. 

Eine  Prüfung  der  Kolonlage  mittelst  Röntgenbeobachtung  sei  in 
allen  Fällen  von  Blinddarmreizung  und  bei  unklaren  gynäkologischen 
Befunden  von  Wichtigkeit. 

Bevor  man  Massierungen  vornehme,  müsse  man  die  Lage  des  Dick¬ 
darms  erst  feststellen. 

Diskussion.  H  i  s  -  Berlin :  Der  Zusammenhang  der  chronischen 
Obstipation  mit  Lageveränderungen  des  Dickdarms  wurde  zuerst  von 
Curschmann  festgestellt.  Er  läßt  sich  auch  einfach  mit  Luftauf¬ 
blähung  des  Darmes  nachweisen. 

Kästle-München :  Neue  Einblic'ke  in  den  Verlauf  der  Magen¬ 
bewegung  bei  der  Entleerung. 

Der  Vortr.  demonstriert  Röntgenbilder  vom  Entleerungsmechanis¬ 
mus  des  Magens,  die  er  gemeinsam  mit  Rieder  und  Rosenfeld  aufge¬ 
nommen  hat  (Münchener  med.  Wochenschr.,  Nr.  6,  1909). 

Gutzmann  -  Berlin :  Über  die  Unterschiedsempf indlidh- 
keit  des  sogenannten  Vibrationsgef ühles. 

Der  Vortr.  demonstriert  einen  nach  seinen  Angaben  von  E.  Zim¬ 
mermann-Leipzig  verfertigten  Stimmgabelapparat.  Mit  diesem  kam 
er  jetzt  zu  dem  Resultat,  daß  in  der  Tonreihe  von  A  bis;  e1,  also  in  dem 
Bereiche  der  Schwingungszahlen  108 — 325,  eine  Differenz  der  Vibrations¬ 
zahlen  durch  den  tastenden  Finger  mit  Sicherheit  wahrgenommen  wird, 


950 


Ehrmann  und  Fuld, 


wenn  die  beiden  Zahlen  sich  verhalten  wie  9  : 8,  d.  h.  wenn  sie  das 
Verhältnis  zweier  nm  einen  ganzen  Ton  voneinander  unterschiedener 
Schwingungszahlen  darstellen. 

Der  StimmgabeLapparat  überträgt  die  Vibrationen  mit  großer  Kraft 
und  Konstanz  auf  eine  Luftkapsel,  an  welcher  der  Finger  tastet.  Die 
gesamte  Einrichtung  ermöglicht  es  auch,  die  Amplituden  der  Vibrationen 
so  abzustufen,  daß  die  Unterschiedsempfindlichkeit  für  die  Intensität 
der  Vibrationen  ebenfalls  bestimmbar  wird. 

Der  Stimmgabelapparat  ist  auch  zu  therapeutischen  Zwecken  ver¬ 
wendbar,  so  zur  systematischen  Behandlung  funktioneller  Stimmstörun¬ 
gen  und  zur  Beseitigung  der  quälenden,  subjektiven  Gehörsempfindungen 
bei  Otosklerose. 

K 1  i e  n  e  b  e  r  ge  r -  Königsberg :  Bö  n  t  gen  de  m  o  ns  tr  a  t  i  o  neu . 

1.  Verkalkter  Hirntumor,  dem  Mark  des  hinteren,  unteren  Parietal¬ 
lappens  angehörend  und  klinisch  sonst  nicht  lokalisierbar. 

2.  Demonstrationen  einer  Beihe  von  Pyopneumothoraxes,  von  ge¬ 
ringem  Eitergehalt  und  mit  kleiner  Luftblase,  klinisch  als  Empyeme 
imponierend. 

3.  Böntgenbilder  kollabierter  Lungen  bei  Pneumothorax. 

Diskussion. 

Kr aus-Berlin :  Nach  sehr  vielen  Probej)unktionen  bildet  sich  eine 
kleine  dreieckige  Luftblase  durch  Anstechen  der  Lunge,  wodurch  dann 
der  Pyopneumothorax  auch  in  den  demonstrierten  Fällen  vielleicht  zu 
erklären  ist. 

Klieneberger-Königsberg :  Das  ist  auszuschließen,  da  nur  ein 
Teil  der  Fälle  vor  der  Durchleuchtung  punktiert  wurde,  und  da  über¬ 
dies  sämtliche  Fälle  die  für  Pyopneumothorax  non  tubercülosus  charak¬ 
teristische  gasbildende  Bakterienflora  aufweisen. 

B  odari-Zürich :  Untersuchungen  zur  medikamentösen 
Therapie  der  Hyperaziditätszustände  des  Magens  (mit  Demon¬ 
stration  von  Kurven). 

Experimentell-biologische  und  klinische  Untersuchungen  ergaben 
bei  gewissen  Adstr ingentien  folgende  verschiedene  Arten  der  Sekre¬ 
tionsbeeinflussung  des  Magens : 

1.  Körper,  welche  immer  eine  Sekretionssteigerung  hervorrufen; 

2.  Körper,  die  immer  eine  Sekretionshemmung  zur  Folge  haben. 

Die  Erklärung  hierfür  liegt  vorwiegend  in  der  chemisdhen  Be¬ 
schaffenheit  dieser  Substanzen. 

3.  Körper,  die  einen  Doppelmodus  der  Wirkung  auf  die  Sekre¬ 
tion  entfalten,  sowohl  eine  Steigerung  als  auch  eine  Hemmung.  Die 
Erklärung  hierfür  liegt  vorwiegend  oder  vielleicht  ausschließlich  in 
der  physikalischen  Beschaffenheit  der  Mucosa  bezw.  in  ihrer  kol¬ 
loidalen  Beschaffenheit  in  bezug  auf  ihren  Wassergehalt. 

Fet  zer -Tübingen :  Experimentelle  Untersuchungen  über 
den  Eisenstoffwechsel  in  der  Gravidität. 

Eisenfütterung  während  der  Schwangerschaft  wirkt  auf  den  Fe- 
Gesamtgehalt  der  Nachkommenschaft  vermehrend  ein,  Eisenentziehung 
kann  vorzeitiges  Gebären  zur  Folge  haben. 

Staehel in -Berlin :  Über  'die  Korotkow’sche  Methode  der 
Blutdruckbestimmung  (nach  Untersuchungen  mit  Wjasmenski). 

Die  Korotkew’sche  auskultatorische  Methode  der  Blutdruck¬ 
bestimmung  zeichnet  sich  durch  ihre  Einfachheit  aus,  andererseits  nach 
Angabe  russischer  Autoren  dadurch,  daß  sie  gestatten  soll,  einen  Ein- 


26.  Kongreß  für  innere  Medizin  zu  Wiesbaden. 


951 


blick  in  die  eine  Komponente,  die  die  Höhe  des  diastolischen  Blutdrucks 
und  die  Amplitude  bedingt,  in  den  Kontraktionszustand  der  Arterien, 
zu  gewinnen.  Wenn  der  Druck  in  der  Armmanschette  in  der  Höhe 
zwischen  maximalem  und  minimalem  Blutdruck  ist,  hört  man  an  der 
KubitaJarterie  Töne  oder  Geräusche.  Die  obere  Grenze  der  Töne  stimmt 
überein  mit  dem  maximalen  Blutdruck,  das  Leiserwerden  und  Ver¬ 
schwinden  des  Tones  fällt  zusammen  mit  der  Abnahme  und  dem  Klein¬ 
werden  der  nach  v.  Recklinghausen  beobachteten  Oszillationen, 
erlaubt  also  auf  einfache  Weise  die  Bestimmung  des  minimalen  Blut¬ 
drucks.  Dagegen  konnten  St.  und  W.  die  Angaben  der  russischen 
Autoren,  daß  aus  dem  Charakter  der  Schal  .Erscheinungen  irgendwelche 
Schlüsse  auf  den  Kontraktionszustand  der  Arterien  möglich  sei,  nicht 
bestätigen. . 

E.  Frank  und  S.  I  saab -Wiesbaden :  Zur  Frage  der  bei  der 
physiologischen  Regulation  des  Blutzuc'kergehaltes  wirk¬ 
samen  Faktoren. 

Die  Exstirpation  beider  Nebennieren  beim  Kaninchen  hatte  in 
der  Zeit  bis  zu  dem  nach  fünf  Tagen  erfolgenden  Tode  der  Versuchs¬ 
tiere  kein  Absinken  des  Blutzuckergehaltes  zur  Folge.  Die  Adrennlin- 
Glykosurie  wird  bedingt  durch  Beizung  der  sympathischen  Nerven¬ 
endigungen  in  der  Leber  und  ist  ein  spezieller  Fall  des  Gesetzes  von 
der  elektiven  Wirkung  des  Adrenalins  auf  die  sympathischen  Nerven¬ 
endigungen.  Die  Regulation  des  Blutzuckers  hat  man  sich  als  einen 
neuroch emischen  Vorgang  zu  erklären:  er  verläuft  in  sympathischen 
Bahnen,  die  durch  physiologische  sympathikotrope  Substanzen  ständig 
stimuliert  werden,  von  denen  eine  das  Adrenalin  ist.  Es  wird  weiter 
über  Versuche  berichtet,  die  auf  klären  sollten,  ob  den  sympathischen 
Nerven  auch  bei  der  Blutzuckerregulation  autonome  Nerven  als  Anta¬ 
gonisten  gegenüberstehen.  Als  autonomotrope  Substanz  wurde  das 
Cholin  verwendet;  es  hatte  in  variierten  Versuchen  an  Hunden  und 
Kaninchen  keinen  Einfluß  auf  die  Adrenalinhyperglykämie  und  -glyko- 
surie,  woraus  der  Schluß  gezogen  wird,  daß  das  autonome  Nerven¬ 
system  nicht  gut  bei  der  Zuckerregulation  beteiligt  sein  kann.  Pilo¬ 
karpin  scheint  sogar  die  Adrenalinglykosurie  eher  zu  verstärken. 

Diskussion.  Porges-Wien  hat  bei  zwei  Fällen  von  Morbus 
Addisonii  eine  Abnahme  des  Blutzuckergehaltes  konstatiert  und  glaubt, 
daß  man  dieses  Symptom  eventuell  diagnostisch  verwerten,  kann. 

Gigon-Basel:  Uber  den  Einfluß  deis  Opiums  auf  den  mensch¬ 
lichen  und  experimentellen  Diabetes. 

Beim  menschlichen  Diabetes  vermag  das  Opium  nicht  nur  die 
Glykosurie,  sondern  auch  die  Azetonausscheidung  regelmäßig,  wenig¬ 
stens  temporär,  herabzudrücken.  Die  gleiche  Wirkung  zeigt  es  beim 
pankreaslosen  Hunde.  Auch  beim  Phloridzindiabetes  tritt,  wenn  ein 
Normaltag  zwischen  zwei  Phloridzintagen  eingeschaltet  wird,  regel¬ 
mäßig  eine  deutliche  Herabsetzung  der  Harnzuckermenge  auf.  Diese 
Ergebnisse  deuten  auf  eine  spezifische  Wirkung  des  Opiums  hin.  Der 
Angriffspunkt  könnte  in  allen  drei  Fällen  die  Leber  sein. 

H eiln er -München :  Über  eine  Frage  aus  dem  Gebiet  der 
Eiweiß  Zersetzung. 

Reichlich  zugeführtes  Wasser  (nicht  aber  wasserhaltige  Nahrungs¬ 
mittel)  steigert  die  Fettzersetzung,  wenn  die  Flüssigkeit  sonst  keinen 
physiologischen  Zweck  erfüllt.  In  der  Norm  wird  solch  ein  Überschuß 
von  Wasser  nicht  aufgenommen. 


952  Ehrmann  u.  Fuld,  26.  Kongreß  für  innere  Medizin  zu  Wiesbaden. 

Während,  reines,  überschüssiges  Wasser  den  Eiweißstoffwechsel  nur 
wenig  steigert,  läßt  dieser  sich  durch  subkutan  injizierte  Lösungen 
von  Harnstoff  in  physiologischer  Kochsalzlösung  um  ca.  53°/0  in  die 
Höhe  treiben. 

Gewisse  Endprodukte  des  Stoffwechsels  scheinen  demnach  anregend 
auf  diejenigen  Stoffwechselvorgänge  zu  wirken,  hei  deren  Ablauf  sie 
sich  gebildet  haben. 

Diskussion.  Schittenhelm- Erlangen  glaubt  nicht  an  eine  An¬ 
regung  der  Fermente  durch  Körperabbauprodukte,  demgemäß  der  Stoff¬ 
wechsel  quasi  von  hinten  anfangen  würde.  Jedoch  können  durch  End¬ 
produkte  Ausschwemmungen  hervorgerufen  werden.  So  fand  S.,  daß 
nach  intravenöser  Einfuhr  von  Allantoin  beim  Hunde  ca.  80°/0  mehr 
ausgeschieden  wurden. 

Fr.  Rolly  und  Weltzer- Leipzig :  Stof fwechseluntersuChun- 
gen  im  Fieber  und  in  der  Rekonvaleszenz. 

XL  konnte  bereits  früher  schon  mit  Hornig  an  Typhuskranken 
mittels  des  Zuntz-Geppert’schen  Apparates  feststellen,  daß  im  Fieber 
bei  nüchternem  Zustande  ein  Defizit  von  0  in  der  Ausatmungsluft 
vorhanden  war  und  da  bei  diesen  Patienten,  wie  Versuche  zeigten, 
dieser  O  weder  durch  den  Urin  poch  durch  die  Haut  ausgeschieden 
sein  konnte,  so  mußte  ein  qualitativ  veränderter  Stoffwechsel  ange¬ 
nommen  werden,  d.  h.  es  mußte  ein  0-reicher  Körper  im  Fieber  retiniert 
worden  sein. 

Durch  Gaswechseluntersuchungen  bei  denselben  Typhuspatienten 
wurde  es  sehr  wahrscheinlich  gemacht,  daß  dieser  im  Fieber  zurück¬ 
gehaltene  0  als  C02  den  Organismus  in  der  Rekonvaleszenz  wieder 
verläßt. 

Jetzt  hat  R.  zusammen  mit  W.  weiterhin  festgestellt,  daß  ein 
derartig  qualitativ  veränderter  Stoffwechsel  bei  allen  Infektionskrank¬ 
heiten  statt  hat.  Es  wurden  im  Fieber  und  in  der  Rekonvaleszenz  bei 
7  Sepsisfällen,  4  Anginen,  1  katarrhalischen  Pneumonie,  1  Polyarthri¬ 
tis  rheumatica,  1  Erysipel  und  2  tuberkulösen  Patienten  analoge  Be¬ 
funde  wie  bei  Typhus  erhoben,  und  es  mußte  als  die  Ursache  dieser 
Erscheinung  im  Fieber  der  Inanitionszustand  und  die  fiebererregende 
Noxe  angesprochen  werden. 

.Weiterhin  wurde  durch  Versuche  festgestellt,  daß  auch  schon  bei 
einfachem  Inanitionszustand  ein  O-reicher  Körper  im  Organismus  zurück- 
gehalten  wurde.  Untersucht  wurden  in  dieser  Richtung  zwei  Patienten 
mit  Magengeschwür,  welche  in  den  ersten  Tagen  nach  der  Magenblutung 
nur  eine  minimale  Menge  Nahrung  zu  sich  nehmen  konnten,  außerdem 
sechs  Patienten,  welche  an  Krebs  und  ein  Patient,  welcher  an  Anämia 
perniciosa  erkrankt  war.  Bei  allen  diesen  Patienten  wurde,  solange 
das  Körpergewicht  abnahm  und  in  pathologischer  Weise  Körpersubstanz 
eingeschmolzen  wurde,  auch  eine  0-reiche  Substanz  im  Organismus 
zurückbehalten.  Bei  gleichbleibendem  Körpergewicht  war  die  O-Aus- 
scheidung  durch  die  Lungen  normal,  bei  Zunahme  des'  Körpergewichts 
wurde  der  früher  retinierte  0  durch  die  Lungen  als  C02  wieder  aus- 
geschieden 

Da  es  sich  nun  bei  der  Einschmelzung  von  Körpersubstanz  in  der 
Hauptsache  um  eine  solche  von  Eiweiß  und  Fett  handelt,  so  wurde  die 
N- Einfuhr  und  -Ausfuhr  zugleich  mit  dem  Lungengaswechsel  bestimmt 
und  es  konnte  auf  diese  Weise  gezeigt  werden,  daß  an  den  Tagen  mit 
negativer  N-Bilanz  0  im  Körper  retiniert  wurde,  an  den  Tagen  mit 


Vorläufige  Mitteilungen  und  Autoreferate. 


953 


N-Gleichgewicht  normale  O- Ausscheidung  durch  die  Lungen  und  an  den 
Tagen  mit  N-Ansatz  die  Ausscheidung  des  vorher  retinierten  0  stattfand. 

Bei  Zerfall  von  Eiweiß  entsteht  nun  ein  N-  und  ein  C-haltiger 
Körper.  Bei  alleiniger  Oxydation  des  N-haltigen  Körpers  entsteht  nach 
Bühner  ein  Verhältnis  der  C02 -Ausscheidung  zum  0 -Verbrauch  im 
Lungengaswechsel  von  etwa  0,4;  es  würde  in  diesem  Falle  ein  O-reicher 
Körper  im  Organismus  Zurückbleiben.  Bei  einer  derartigen  Annahme 
würden  sich  alle  Befunde  erklären  lassen.  Durch  weitere  Befunde 
wurde  eruiert,  daß  höchstwahrscheinlich  nur  das  Körpereiweiß  und 
nicht  das  Nahrungseiweiß  in  dieser  abnormen  Weise  zerfallen  kann. 

B.  kommt  zu  dem  Schlüsse,  daß  bei  allen  Zuständen,  welche  zu 
einer  Inanition  führen,  das  pathologisch  abgeschmolzene  Körpereiweiß 
in  gegen  die  Norm  veränderter  Weise  oxydiert  wird  und  zwar  so, 
daß  der  N-haltige  Teil  sofort  verbrannt,  der  C-haltige  Teil  aber  vom 
Körper  mit  großer  Zähigkeit  zurückgehalten  wird.  Dieser  C-haltige 
Teil  wird  alsdann  in  der  Bekonvaleszenz  unter  gleichzeitigem  N-Ansatz 
im  Körper  und  Zunahme  des  Körpergewichts  durch  die  Lungen  wieder 
ausgeschieden. 

•  Diskussion. 

’S tae helin- Berlin :  Es  handelt  sich  wahrscheinlich  nicht  um 
Eiweißzersetzung.  Nur  24lstündige  Versuche  können  hier  Wert  haben, 
nicht  kurzdauernde,  wie  sie  die  Vortr.  angestellt  haben. 

Salomon-Wien  hat  die  gleichen  Bedenken  gegen  die  Kürze  der 
Versuchsdauer. 

Bolly:  Bei  dem  Zuntz-Geppert’schen  Apparat  ist  eine  längere 
Untersuchungsdauer  nicht  notwendig.  (Fortsetzung  folgt.) 


Vorläufige  Mitteilungen  u.  Autoreferate. 

1.  Zur  Frage  der  Bazillenträger. 

Von  W.  G.  Esch,  Bendorf.  (Ther.  Rundschau,  Nr.  4,  1909.) 

2.  Beitrag  zur  Behandlung  der  Typhusbazillenträger. 

Von  Liefmann,  Halle.  (Münch,  med.  Wochensclir.,  Nr.  10,  1909.) 

1.  Unter  Hinweis  auf  die  den  latenten  Mikrobisinus  berührenden 
Arbeiten  von  Menzer,  Henkel,  Krönig,  Lüdke  (letztere  mit  zu¬ 
sammenfassender  Übersicht),  auf  Tarchettis  Autotyphisation  usw. 
kommt  Verf.  zu  folgendem  Schluß: 

Da  die  Bekämpfung  der  Infektionskrankheiten,  soweit  sie  sich 
gegen  die  mehr  oder  weniger  ubiquitären  Mikroorganismen  und 
ihre  Träger  richtet,  wenig  aussichtsreich  erscheint,  und  da  ferner 
,,Infektions“-Krankheiten  auch  ohne  direkte  Übertragung  sowohl 
vereinzelt  als  auch  epidemisch  dadurch  entstehen  können,  daß  infolge 
dispositionserhöhender  Einflüsse  (Kriegs-  und  Notzeiten,  meteorolo¬ 
gischer  Anomalien,  gemeinsamer  psychischer,  Ernährungs-Schädigungen 
usw.)  bisher  beim  Menschen  parasitisch,  saprophy tisch,  latent  vorhan¬ 
den  gewesene  Mikrobien  zur  Krankheitserregung  fähig  werden,  so 
dürfte  bei  aller,  hinsichtlich  Desinfektions-,  Isolierungsmaßregeln  usw. 
gebotenen  Vorsicht  das  Augenmerk  rationellerweise  doch  in  erster 
Linie  auf  jene  Faktoren  zu  richten  sein,  die  konstitutions verschlechternd, 
dispositionserhöhend  auf  die  Menschen  (u.  virulenzsteigernd  auf  die 
Mikrobien)  wirken.  Die  Bazillenträger  (im  weiteren  Sinne) 


954 


Vorläufige  Mitteilungen  und  Autoreferate. 


müssen  vor  allem  gegen  die  Gefahr  „immunisiert“  werden,  die 
ihnen  von  ihren  eigenen  Bazillen  droht. 

Wenn  auch  auf  diesem  Gebiet  noch  vieles  unklar  ist  und  gründ¬ 
liches  Studium  erfordert  (u.  a.  würde  es  sich  um  Weit  erbauen  auf  der 
von  v.  Pettenkofer,  Dunbar  gelegten  Grundlage  handeln),  wenn 
wir  auch  gegen  die  von  alter sher  zur  Erklärung  der  Epidemien  heran¬ 
gezogenen  meteorologischen  Einflüsse  an  sich  machtlos  sind,  so  kann 
doch  andererseits  hinsichtlich  der  Stärkung  der  Widerstandsfähigkeit 
des  Organismus  viel  Ersprießliches  geschehen. 

Vor  allem  hat  hier  die  „soziale“  Medizin,  die  Ernährungs-,  Klei- 
dungs:,  Wohnungshygiene  einzugreifen,  es  sind  alle  jene  Bestrebungen 
zu  unterstützen,  die  dafür  Sorge  tragen,  daß  immer  weitere  Bevöl¬ 
kerungskreise  eine  rationelle  Lebensweise  führen  können  und  —  wallen. 

Je  mehr  wir  in  dieser  Richtung  fortschreiten,  desto  weniger  brau¬ 
chen  wir  Bazillen  und  Bazillenträger  zu  fürchten,  und  desto  seltener 
werden  die  letzteren  selbst  in  Krankheitsgefahr  geraten. 

2.  Lief  mann  betont,  daß  nach  Untersuchungen  von  Frosch, 
Nieter  und  ihm  selbst  die  Bazillenträger  hinsichtlich  ihrer  Gefähr¬ 
lichkeit  für  andere  überschätzt  worden  sind.  Schritt  man  doch  sogar 
bei  ihnen  zur  Exstirpation  der  Gallenblase.  Da  ihre  dauernde  Isolierung 
usw.  untunlich  erscheint,  so  versuchte  L.  ihnen  auf  andere  Weise  bei¬ 
zukommen:  Angeregt  durch  die  Untersuchungen  von  Met  sehn  ik  off , 
v.  Drigalski  usw.  behandelte  er  eine  Anzahl  Bazillenträger  mit  Yogurth 
und  es  gelang  ihm,  deren  Darmflora  dadurch  so  günstig  zu  beeinflussen, 
daß  die  Typhusbazillen  aus  dem  Stuhl  verschwanden.  Dasselbe  will 
er  bei  Ruhr  und  Cholera  versuchen. 

Nach  Hain’s  Vorschlag  (vgl.  Bl.  f.  klin.  Hydr.,  Nr.  5)  könnte 
man  statt  Yogurth  auch  einfach  Sauermilch  verwenden,  da  der  vom 
Magendarmsaft  unbeeinflußt  bleibende  Milchsäurebazillus  andere  Bak¬ 
terien  „vertreibt“. 


Ueber  die  Bedeutung  der  positiven  Wassermann’schen  Reaktion. 

Von  Fritz  Hoehne.  (Dermatol.  Zeitschr.,  Bd.  13,  H.  5,  1909.) 

Verfasser  tritt  dafür  ein,  daß  eine  positive  Wassermann’sche 
Reaktion  in  unseren  Breiten  mit  Sicherheit  für  Lues  spricht.  Die 
einzige  Ausnahme  ist  der  Scharlach,  bei  welcher  Erkrankung  in  einem 
geringen  Prozentsatz  ebenfalls  die  Wasser  mann  sehe  Reaktion  positiv 
ausfallen  soll.  Verfasser  hat  daraufhin  133  Scharlachfälle  mehrmals 
in  den  verschiedensten  Stadien  dieser  Krankheit  untersucht  und  nur 
einmal  eine  schwache  positive  Reaktion  bei  einem  17  jährigen  Mädchen, 
bei  der  keine  Anhaltspunkte  für  Lues  Vorlagen,  konstatiert.  Eine  Reihe 
von  Gründen  spricht  dafür,  daß  ein  positiver  Wassermann  nicht  nur 
darauf  hinweist,  daß  der  Betreffende  einmal  Lues  gehabt  hat,  sondern, 
daß  er  noch  aktives  luetisches  Virus  beherbergt,  daß  er  also  gewisser¬ 
maßen  „Bazillenträger“  ist.  An  200  Fällen,  die  vor  und  nach  der 
Behandlung  untersucht  wurden,  konnte  gezeigt  werden,  daß  die  Therapie 
von  wesentlichem  Einfluß  auf  den  Ausfall  der  Reaktion  ist.  55,5  °/0 
dieser  Patienten  ließen  eine  deutliche  Beeinflussung  der  Reaktion  durch 
die  Therapie  erkennen.  Stellt  man  hieraus  die  „genügend“  Behandelten 
zusammen,  so  erkennt  man  sogar  bei  65,6  °/0  die  Einwirkung  der  Therapie. 
Immer  läßt  sich  ein  solcher  Einfluß  der  Behandlung  auch  durch  noch 
so  energische  Kur  nicht  erzielen.  In  einigen  Fällen  scheint  der  Organis- 


Referate  und  Besprechungen. 


955 


mus  sich  auch  ohne  Behandlung,  durch  eigene  Kraft,  der  die  Reaktion 
bedingenden  Stoffe  zu  entledigen. 

Verfasser  sieht  die  positive  Wasser mann’sche  Reaktion  ebenso 
für  ein  Symptom  der  Lues  an  wie  die  Haut-  und  Schleimhauterschei¬ 
nungen  dieses  Leidens,  und  es  liegt  nahe,  irgend  eine  Wechselwirkung 
zwischen  ihr  und  dem  Syphilisgift  anzunehmen.  Die  positive  Reaktion 
gibt  wie  jedes  Symptom  der  Lues  die  Berechtigung,  energisch  anti- 
luetisch  zu  behandeln,  falls  keine  Kontraindikationen  entgegenstehen. 

Autoreferat. 


Referate  und  Besprechungen. 

Innere  Medizin. 

Kupierung  und  Behandlung  des  Schnupfens. 

(W.  Winternitz.  Wiener  Bl.  für  klin.  Hvdroth.,  Nr.  11,  1908.) 

Die  interessante  Arbeit  von  Winternitz  sei  hier  hauptsächlich  wegen 
der  in  ihr  enthaltenen  all  g  ern  eitl  e  n  Bemerkungen  über  die  ,, Erkältungs¬ 
frage“  besprochen. 

Trotzdem  hier  noch  manche  Unklarheiten  bestehen,  so  führt  W.  aus, 
haben  doch  auch  Chodounsky’s  Experimente  die  Jahrtausende  alte  Er¬ 
fahrungstatsache  nicht  a,us  der  Welt  schaffen  können,  daß  bei  den  weitaus 
meisten  Menschen  Prädispositionspunkte  gegen  thermische  Unbilden  bestehen. 
Natürlich  ist  es  ganz  falsch,  die  Intensität  der  Abkühlung  oder  Erhitzung 
zum  Maßstab  für  die  Erkrankungshäufigkeit  zu  machen,  vielmehr  sind  gerade 
die  geringen,  kaum  merkbaren  Wärmeentziehungen  oder  Erhitzungen,  nament¬ 
lich  wenn  sie  längere  Zeit  hindurch  einwirken,  als  das  zu  Erkältungskrank¬ 
heiten  führende  Moment  anzusehen.  Denn  gerade  bei  den  milden,  aber  länger' 
dauernden  thermischen  Unbilden  treten  länger  anhaltende  Gefäßreflexe  ein, 
die  Reaktion  bleibt  unvollständig,  die  Zirkulationsstörung  führt  zu  einer 
Hemmung  der  Wechselwirkung  zwischen  Blut,  Gefäßwand  und  Geweben; 
mit  den  Störungen  der  normalen  Blutzufuhr  ändert  sich  aber  auch  der  lokale 
Stoffwechsel. 

Was  speziell  die  Nasenschleimhaut  betrifft,  so  ist  sie  wegen  ihres 
großen  Nervenreichtums,  ihrer  ^mächtigen  Blut-  und  Lymphgefäßverzweigungen 
ein  günstiger  Ort  für  Bildung,  Aufnahme,  Weiterverbreitung  toxischer  Stoff¬ 
wechselprodukte  (sowohl  lokal  entstandener  als  transitorischer,  intermediärer), 
die  ihrerseits  wieder  den,  auch  in  der  Nase  des  Gesunden  stets  vegetierenden 
mannigfachen  Organismen  günstige  Ernährungs-  und  Proliferationsbedingun¬ 
gen  bieten. 

Demgemäß  ist  also  'die  Entstehung  des  Schnupfens  (auch  des  infektiösen !) 
und  damit  auch  diejenige  der  Erkältungskrankheiten  überhaupt  auf  die  un¬ 
vollständige  Reaktion  nach  einer  mäßigen  thermischen  Unbilde  zurückzu¬ 
führen.  (Vgl.  Goldscheider,  „Erkältung  ist  Abkühlung  ohne  ausreichende 
Regulierung“.  Ref.)  Als  unterstützende  schädliche  Momente  sind  noch  zu 
nennen :  ein  die  Perspiratio  insensibilis  hemmender  großer  Feuchtigkeitsgehalt 
der  Luft,  weiter  unsere  undurchlässige,  zu  dicke  Bekleidung,  die  die  Reflex¬ 
erregbarkeit  und  das  Wärmeausgleichsvermögen  herabsetzt  und  ähnliche  die 
Abhärtung  hindernde  Kulturerrungenschaften.  Es  ist  aber  zu  betonen,  daß 
auch  der  Abgehärtetste  erkranken  kann,  wenn  thermischen  Unbilden  keine 
vollkommene  Reaktion  folgt. 

Therapeutisch  sollte  man  dementsprechend  von  hydriatischen  Prozeduren 
zur  Behandlung  oder  Kupierung  der  Erkältungskrankheiten  nur  solche  an¬ 
wenden,  denen  eine  vollkommene  Reaktion,  prompte  Wiedererwärmung  des 
Körpers  folgt,  d.  h.  sehr  niedrig  oder  sehr  hoch  temperierte,  kurze,  von 
kräftigem  mechanischem  Reiz  begleitete  Prozeduren:  Abreibungen  oder  Über¬ 
gießungen  mit  nachheriger  kräftiger  Trockenfrottierung. 


956 


Referate  und  Besprechungen. 


Medikamentös  empfiehlt  W.  hei  Schnupfen  Einatmung  einer  auf  der 
Hand  zerriebenen  10%igen  Mentholchloroformlösung,  die,  gleich  im  Anfang 
gebraucht,  durch  Zirkulationsvermehrung  und  gleichzeitige  Desinfektion  kupie¬ 
rend  wirken  kann. 

Ref.  möchte  noch  in  aller  Bescheidenheit  bemerken,  daß  er  bereits 
1904/05  in  der  Ztschr.  f.  physik.-diät.  Ther.  die  Erkältungsfrage  besprochen 
hat  und  dabei  zu  ganz  ähnlichen  Resultaten  wie  Winternitz  gekommen 
ist,  wobei  er  namentlich  die  Überlegenheit  der  konstitutionellen  über  die 
moderne  lokalis  tische  Pathologie  bezw.  bakterielle  Therapie  betonte.  Esch. 


lieber  Behandlung  von  Lungen-  und  Herzkrankheiten  mit  Hitze. 

(Dr.  A.  He  er  mann,  Deutz.  Deutsche  med.  Wochenschr.,  Nr.  12,  1909.) 

Heermann  wandte  bei  Katarrhen  der  Luftröhre  und  Bronchien,  sowie 
bei  Pneumonien  und  Pleuritiden  lokale  Erhitzung  der  erkrankten  Partien 
durch  Thermophore  u.  der  gl.  2  mal  täglich  in  der  Dauer  einer  Stunde  an  und 
erzielte  damit  gute  Heilerfolge.  Bei  einem  Falle  schwerer  kruppöser  Pneu¬ 
monie  mit  Asphyxie  versuchte  er  durch  einen  Heißluftapparat,  der  über  den 
Unterkörper  bis  zum  Magen  gesetzt  wurde,  den  stark  blutüberfüllten  Ober¬ 
körper  zu  entlasten,  was  ihm  gelang.  Dies  hat  ihn  veranlaßt,  beide  Ver¬ 
fahren  gemeinsam  anzuwenden.  Die  Wirkung,  die  er  oft  erprobt  hat,  be¬ 
steht  in  Beseitigung  der  Kopf-  und  Atembeschwerden,  Erleichterung  des  Aus¬ 
wurfs,  Abkürzung  des  Krankheitsprozesses,  Abnahme  der  Reibegeräusche  und 
Exsudate,  vor  allem  aber  in  einer  Zunahme  der  Herzkraft.  Dies  führte 
Heermann  dazu,  den  Heißluftapparat  auch  bei  Herzleiden  zu  versuchen. 
Die  Wirkung  bei  Herzschwäche  infolge  von  Sepsis,  Erysipel  u.  dergl.  aber 
auch  bei  Stauungserscheinungen  auf  Grund  von  Herzfehlern  war  gleichfalls 
sehr  günstig.  Natürlich  kann  diese  Methode  nur  eine  symptomatische  sein. 
Auch  die  Anwendung  lokaler  Wärme  auf  das  Herz  hatte  äußerst  günstige 
Wirkung.  Heer  mahn  ist  daher  der  Ansicht,  daß  man  nicht  bei  jedem 
Herzleiden  symptomatisch  Eis  anwenden  sollte,  sondern  es  erst  einmal  mit 
Wärme,  wenn  auch  zunächst  von  geringen  Graden,  versuchen  sollte. 

F.  Walthjer. 


lieber  Pleuritis  exsudativa. 

(Felix  Lommel.  Med.  Klinik,  Nr.  4,  1909.) 

In  dem  über  den  heutigen  Stand  der  Lehre  von  der  Pleuritis  exsudativa 
gegebenen  Überblicke  wird  zunächst  in  diagnostischer  Beziehung  darauf  hin¬ 
gewiesen,  daß  der  von  jeher  betonte  Unterschied  im  Verhalten  des  Stimm 
fremitus  bei  Pneumonie  und  pleuritischem  Exsudat  keineswegs  durchaus  kon¬ 
stant  ist,  wie  ja  mit  Ausnahmen  stets  gerechnet  wurde.  Keineswegs  soll  man 
sich  durch  Bronchialathmen  oder  vermehrtes  Stimmzittern  zu  lange  von  der 
Probepunktion  abhalten  lassen,  am  wenigsten  bei  Kindern,  bei  denen  oft  häufig 
über  massigem  Exsudat  lautes  Bronchialathmen  gehört  wird.  —  Dagegen  ist  das 
von  Grocco  zuerst  beschriebene,  in  seiner  Genese  noch  nicht  völlig  geklärte 
paravertebrale  Dämpfungsdreieck  auf  der  gesunden  Seite,  das  bei  einer  durch 
Pneumonie  bedingten  Dämpfung  niemals  beobachtet  wird,  differentialdiagno¬ 
stisch  zu  verwerten.  Ferner  hat  die  Anwendung  der  Röntgenstrahlen  öfter  den 
Nachweis  zentral  gelegener  Exsudate,  deren  Erkennung  sonst  unmöglich  gewesen 
wäre,  ermöglicht.  )—  Die  nähere  Unterscheidung  der  Art  des  Exsudates  ist  nur 
durch  die  Probepunktion  möglich.  Die  Grundlage  eitriger  Exsudate  bilden 
entweder  die  Tuberkulose  oder  Anwesenheit  von  Pneumo-,  Staphylo-  oder 
Streptokokken.  Sind  die  letzteren  meist  leicht  durch  einfache  mikroskopische 
Untersuchung  nachweisbar,  so  kann  man  den  tuberkulösen  Eiter  als  solchen 
daran  erkennen,  daß  ein  Tropfen  davon,  in  Millon’sches  Reagens  gebracht, 
sich  zusammenballt,  während  Kokkeneiter  ein  leicht  zerfließliches,  sich  bei 
längerem  Stehen  oft  sich  rötlich  färbendes  Scheibchen  bildet.  —  Die  Unter- 


Referate  und  Besprechungen. 


957 


Scheidung,  ob  es  sieh  hei  serösem  oder  serös-fibrinösem  Pleuraerguß  um  ein 
pleuritisch.es  Exsudat  oder  um  ein  Transsudat  handelt,  kann  abgesehen  von 
der  Verwertung  des  spezifischen  Gewichtes,  das  bei  Exsudaten  bekanntlich 
höher  ist  (1018 — 1024  bei  Exsudaten,  1012 — 1015  bei  Transsudaten)  auch  nach 
dem  größeren  Eiweißgehalt  der  Exsudate  herbeigeführt  werden.  Läßt  man 
einen  Tropfen  des  Exsudates  in  einen  mit  sehr  verdünnter  Essigsäure  gefüllten 
Glaszylinder  fallen,  so  bildet  sich  um  ihn  im  Niedersinken  ein  graues,  dem 
Zigarrenrauch  ähnliches  Wölkchen,  das  bei  Transsudaten  nicht  oder  nur  an¬ 
gedeutet  vorkommt.  —  Der  bei  der  Kochprobe  entstandene  Eiweißniederschlag 
besteht  bei  Exsudaten  aus  großen  groben,  klumpigen  schnell  zu  Boden  sinken¬ 
den  Flocken.;  bei  Stauungsergüssen  bilden  sich  dagegen  reichlich  große,  aber 
losere  und  leichter  zerfallende  Flocken,  die  ebenfalls  zu  Boden  sinken,  bei 
hydrämischen  Ergüssen  kleine,  lose,  lang  schwebende  Flocken.  Da  ein  sehr 
großer  Teil  aller  serösen  Pleuritiden  auf  tuberkulöser  Grundlage  beruht,  so 
spitzt  für  die  Praxis  sich  die  Frage  nach  der  'Ätiologie  von  Pleuritiden  in  der 
Regel  dahin  zu,  ist  eine  vorliegende  Pleuritis  serosa  tuberkulös  -oder  nicht. 
Für  die  sichere  Beantwortung  dieser  Frage  bleibt  nur  das  Kultur  verfahren 
oder  der  Tierversuch.  Allenfalls  läßt  das  Ergebnis  der  mikroskopischen  Unter¬ 
suchung  des  Zentrifugenrückstandes  für  die  Diagnose  sich  in  dem  Sinne 
verwerten,  daß  ein  Überwiegen  der  Lymphozyten  über  die  polymorphkernigen 
Leukozyten  bei  akuter  fieberhafter  Entstehung  des  Exsudates  für  Tuberkulose 
spricht.  —  Für  die  Therapie  des  pleuritischen  Exsudates  sind  wesentliche  neue 
Gesichtspunkte  nicht  hervorgetreten;  im  allgemeinen  ist  die  Entleerung  des 
serösen  Exsudates  durch  Punktion  nicht  zu  lange  hinauszuschieben  wenn  sich 
keine  Neigung  zur  Resorption  zeigt;  manchmal  genügt  die  Vornahme  der 
Probepunktion,  um  diese  Resorption  einzuleiten.  R.  Stüve  (Osnabrück). 


Aus  der  Abteilung  für  Chronischkranke  des  Bürgerspitals  zu  Straßburg  i.  E. 

Ueber  eine  einfache  Bestimmungsmethode  des  diastolischen  Blutdrucks. 

(Prof.  Dr.  Ehret,  Chefarzt.  Münch,  med.  Wochenschr.,  Nr.  12,  1909.) 

Ehret  empfiehlt  eine  Methode  zur  Nachprüfung,  bei  der  nur  die 
Recklinghausen’sche  Manschette  mit  Gebläse  und  ein  Quecksilberbarometer 
erforderlich  sind.  Er  palpiert  die  Arteria  cubitalis  am  unteren  Rand  der 
Manschette,  während  der  Druck  in  der  Manschette  langsam  erhöht  wird. 
Es  tritt  dann  gewöhnlich  ohne  jedes  Übergangsstadium  von  einem  Puls¬ 
schlag  zum  andern  auch  für  den  Ungeübten  eine  deutlich  wahrnehmbare 
„in  die  Finger  springende“  Pulsveränderung  auf,  die  sich  darin  bemerk¬ 
bar  macht,  daß  der  Puls  die  ganze  Umgebung  erschüttert,  auf  einen  Schlag 
„brutal“  wird.  Der  palpierende  Finger  empfindet  von  dem  ersten,  so  ver¬ 
änderten  Schlag  an  eine  schwingende,  plötzlich  aufblitzende,  harte  Pulsa¬ 
tion.  Etwas  anders  ist  das  Phänomen  bei  sehr  fettleibigen  Leuten,  wo  man 
die  Arteria  cubitalis  nicht  fühlt.  Hier  fühlt  der  senkrecht  zu  der  mut¬ 
maßlichen  Richtung  der  Arterie  aufgelegte  Finger  plötzlich  den  Puls  und 
gleichzeitig  eine  Erschütterung  der  Umgebung.  Aus  zahlreichen  Unter¬ 
suchungen  geht  nun  hervor,  daß  der  Manschettendruck,  unter  dem  das  Phä¬ 
nomen  auftritt,  dem  oszillatorisch  ermittelten  diastolischen  Druck  entspricht, 
wobei  natürlich  die  Differenzen  zu  berücksichtigen  sind,  die  dem,  Spiel¬ 
raum  der  oszillatorischen  Hemmung  entspringen,  die  5 — 10  mm  Hg  betragen. 

F.  W alther. 


Chronische  Appendizitis. 

(J.  Kaufmann,  New-York.  New-Yorker  med.  Monatsschr.,  Nr.  1,  1909.) 

Außer  den  Appendizitisfällen,  die  sich  als  episodische  Steigerung  einer 
chronisch  verlaufenden  Erkrankung  charakterisieren  und  der  chronisch-rezi¬ 
divierenden  Appendizitis  gibt  es  noch  eine  dritte  Form,  bei  der  es  nicht  zu 
akuten  Anfällen  kommt,  wo  der  von  vornherein  chronische  Prozeß  chronisch 


958 


.Referate  und  Besprechungen. 


bleibt  und  periodische  oder  kontinuierliche  Beschwerden  verursacht.  Gerade 
diese,  im  engeren  Sinne  chronische  A.  verdient  besondere  Beachtung,  weil 
sie  erfahrungsgemäß  sehr  oft  ohne  genügend  sichere  Basis  diagnostiziert 
und  —  operativ  behandelt  wird. 

Der  Grund  für  die  häufigen  Fehldiagnosen  liegt  darin,  daß  sowohl 
die  ob-  wie  die  subjektiven  Erscheinungen  oft  sehr  vage  sind. 

„Wenn  man  bedenkt,  wie  sehr  neuerdings  bei  allen  Abdominalbeschwerden 
die  Vorstellung  der  Appendizitis  das  Bewußtsein  von  Patienten 
und  Ärzten  beherrscht,  so  kann  es  bei  einer  so  vagen  Abgrenzung 
eines  Krankheitsbildes  picht  überraschen,  daß  die  verschiedenartigsten  Ab¬ 
dominalerkrankungen  als  chronische  A.  diagnostiziert  werden  und  daß  bei 
der  Operation  ein  normaler  Appendix  gefunden  wird,  daß  weiterhin  auch 
selbst  da,  wo  Veränderungen  am  A.  vorliegen,  diese  häufig  nicht  die  Ursache 
der  Beschwerden  waren,  deretwegen  man  operierte.  Da  letztere  nach  der 
Operation  unverändert  f ortbestehen,  ja  bei  manchen  sogar  gesteigert  wlerden, 
(Adhäsionen  usw.),  so  kann  man  sich  nicht  mit  dem  Hinweis  zufrieden  geben, 
daß  mit  der  Entfernung  des  A.  nichts  geschadet  wurde. 

K.  warnt  zunächst  davor,  allein  auf  die  Erscheinung  des  Druckschmerzes 
am  Mc.  Burney’schen  Punkt  die  Diagnose  A.  zu  gründen.  Er  ist  bei  ner¬ 
vösen  Patienten  häufig  und  kommt  selbst  nach  Entfernung  des  A.  noch  vor 
infolge  von  entzündlichen  Prozessen  am  Cöcum,  überhaupt  bei  chronischem 
Dickdarmkatarrh.  Ähnliches  gilt  von  den  in  den  rechten  Oberschenkel  aus¬ 
strahlenden  und  von  den  bei  gewissen  Lagen  und  Bewegungen  (II eo psoas) 
auftretenden  Schmerzen,  die  vielfach  auf  das  Bestehen  von  Adhäsionen  hin- 
weisen.  Sicherer  ,wird  die  Diagnose,  wenn  derartige  Schmerzen  mit  dem 
wiederholten  Auftreten  sog.  appendikulärer  Koliken  verbunden  sind.  Koch 
häufiger  kommen  reflektorisch  ausgelöste  Dünn-  und  Dickdarmkoliken,  even¬ 
tuell  gleichzeitig  mit  Diarrhoen  vor  im  Gegensatz  zu  der  bei  Gallenblasen-, 
Magen-,  Ureterkolik  usw.  meist  bestehenden  Verstopfung. 

Zur  Abgrenzung  gegen  Darmkolik  dienen  mit  Vorteil  die  erwähnten, 
lokalen  Schmerzhaftigkeiten.  Hinsichtlich  der  Fühlbarkeit  der  verdickten 
und  druckempfindlichen  Appendix  hüte  man  sich  vor  Täuschungen. 

K.  macht  im  allgemeinen  das  vorhergehende  Bestehen  akuter  Anfälle 
zur  Bedingung  der  Diagnose  und  glaubt,  durch  die  so  erzielte  Herabsetzung^ 
der  Zahl  der  Operierten  nichts  zu  versäumen.  Esch. 


Diagnose  des  Duodenalgeschwürs. 

(v.  Sohlern.  Med.  Klinik,  Kr.  51,  1908.) 

Ein  Ulcus  ventriculi  und  ein  Ulcus  duodeni  ist  nicht  immer  leicht 
zu  unterscheiden.  In  einem  solchen  Falle  neigt  v.  Sohlern  dahin,  Gly- 
kosurie  als  Zeichen  eines  Duodenalgeschwüres  aufzufassen.  Seine  Anregung 
verdient  Beachtung,  ist  auch  vielleicht  einmal  physiologisch  verwertbar. 

Buttersack  (Berlin). 


Gynäkologie  und  Geburtshilfe. 

Aus  der  Universitäts-Frauenklinik  in  Königberg  i.  Pr. 

Ueber  nicht  operative  Heilversuche  beim  Karzinom. 

(Prof.  Zangemeister.  Deutsche  med.  Wochenschr.,  Kr.  47,  1908.) 

Z.  gibt  eine  kurze  zusammenfassende  Schilderung  der  bisher  versuchten 
Mittel  und  Wege,  dem  Karzinom  ohne  Operation  beizukommen.  Leider  sind 
bisher  alle  sog.  „Heilmethoden''  als  durchaus  unzuverlässig  und  nutzlos 
erkannt  worden,  wenn  sie  streng  wissenschaftlich  nachgeprüft  wurden.  Trotz¬ 
dem  leugnet  Z.  nicht,  daß  einzelne  echte  Karzinome  gelegentlich  durch  Licht-, 
Röntgen-,  Radiumstrahlen,  ebenso  auch  spontan  geheilt  sind.  Im  einzelnen  gibt 
es  bis  heute  kein  Mittel,  welches  durch  isolierte  Schädigung  der  Krebszellen 


Referate  und  Besprechungen. 


959 


eine  Heilung  herbeizuführen  imstande  wäre :  in  diese  Kategorie  sind  zu  zählen 
die  verschiedenen  Strahlen,  ferner  chemische  Mittel  wie  Cholin,  Trypsin, 
Plazentarsaft,  tierische  Galle,  Nuklein,  artfremdes  Serum,  ja  sogar  der  spezi¬ 
fische  Immunkörper.  Ebensowenig  haben  sich  die  spezifischen  zyto-  oder 
karzinoly tischen  Stoffe  bez.  Sera  bewährt.  Es  dürfte  überhaupt  die  Anti¬ 
körperbildung  im  Tierkörper  bei  Karzinom  eine  unsichere  sein.  Ähnlich  wie 
bei  der  antibakteriellen  Therapie  käme  störend  die  Artfremdheit  des  verwen¬ 
deten  Tierserums  in  Betracht  (Z.  schlägt  infolgedessen  Affenblutserum  vor), 
ebenso  die  Zellart  (Karzinomzellen,  Normalzellen  irgendwelcher  Art),  mittels 
der  die  Antikörperbildung  ausgelöst  werden  soll.  Neuerdings  sind  auch  Ver¬ 
suche  in  der  Richtung  der  aktiven  Immunisierung  gemacht  worden,  bei  welchen 
Krebskranke  mit  dem  Karzinom  anderer  resp.  mit  ihrem  eigenen  Karzi¬ 
nom  geimpft  werden.  —  Endlich  sind  noch  zwei  ganz  andere  Wege  zur 
Karzinomheilung  eingeschlagen  worden :  man  hat  versucht,  den  Karzinomzellen 
wieder  einen  benignen  Charakter  anzuzüchten,  ohne  aber  bisher  dieses  theo¬ 
retisch  nicht  ganz  unmögliche  Ziel  zu  erreichen.  Zweitens  hat  man,  davon 
ausgehend,  daß  vom  Krebsgewebe  gewisse  chemische,  fermentative  Stoffe  pro¬ 
duziert  werden,  welche  das  alles  vernichtende  Umsichgreifen  der  Neubildung 
erst  ermöglichen,  versucht,  diese  Krebsfermente  zu  zerstören,  z.  B.  durch 
Radiumstrahlen  oder  durch  Antifermente.  Letzteres  sowie  Versuche  mit  all¬ 
gemein  fermenthemmenden  Mitteln  hält  Z.  für  theoretisch  von  vornherein  ver¬ 
fehlt.  —  Nicht  läugnen  läßt  sich  der  günstige  Einfluß  einer  absolut  vege¬ 
tarischen  Diät  auf  manche  Karzinome.  .  R.  Klien  (Leipzig). 


Kritik  der  prämonitorischen  Symptome  der  Thrombose  und  Embolie. 

(Dr.  Nacke,  Berlin.  Zentralbl.  für  Gyn.,  Nr.  33,  1908.) 

Verf.  hat  40  Wöchnerinnen  näher  beobachtet,  bei  denen  die  für  Thrombose 
als  charakteristisch  angegebenen  Symptome :  Kopfschmerzen,  Schmerzen  in  der 
Inguinalfalte,  aufgetriebener  Leib,  Blutungen,  Herzschwäche  die  Vermutung 
einer  entstehenden  Thrombosierung  von  Venen  wahrscheinlich  machten.  Nur 
zwei  von  den  Wöchnerinnen  sind,  die  eine  am  12.,  die  andere  am  18.  Tage,  post 
partum  erkrankt;.  Andererseits  hat  Verf.  in  den  Krankengeschichten  von 
Patienten,  welche  unzweifelhaft  an  Thrombose  litten,  die  prämonitorischen 
Symptome  vermißt  oder  sie  durch  zufällig  von  früher  herstammende  Erkran¬ 
kungen  erklären  können.  Selbst  der  „Mahl er’ sehe  Kletterpuls“  fehlte  häufig. 
Gerade  die  tödlich  verlaufenden  Embolien  hatten  regelrechte  Wochen¬ 
betten  durchgemacht.  —  Aus  diesen  .Beobachtungen  folgt  der  Schluß,  daß 
wir  in  den  meisten  Fällen  nicht  imstande  sind,  mit  einiger  Sicherheit  die 
Diagnose  auf  Thrombose  zu  stellen.  Unerwartete  Embolien  können  wir  daher 
nur  dann  vermeiden,  wenn  wir  durch  genügend  lange  Bettruhe  der  Wöch¬ 
nerinnen  eine  Organisation  etwa  vorhandener  Thromben  abwarten.  Das 
neuerdings  vielfach  geübte  frühzeitige  Aufstehenlassen  der  Wöchnerinnen 
ist  als  ein  gefährliches  Unternehmen  abzulehnen.  F.  Kayser  (Köln). 


Aus  der  deutschen  Universitäts-Frauenklinik  in  Prag. 

Klinische  und  anatomische  Beiträge  zur  operativen  Behandlung  des 

Uteruskarzinoms. 

(Dr.  Alexander  Scheib.  Archiv  für  Gyn.,  Bd.  87,  H.  1  u.  2,  1909.) 

Sch.  hat  das  Material  der  Prager  deutschen  Klinik  einer  eingehenden 
Bearbeitung  unterzogen.  Es  ergibt  sich,  daß  wir  heute  noch  immer  nicht 
den  Wert  der  einzelnen  Operationsverfahren  bez.  vollständiger  Heilung 
des  Uteruskarzinoms  kennen.  Nur  das  eine  ist  sicher,  daß  die  sog.  er¬ 
weiterten  Operationen  der  einfachen  vaginalen  Totalexstirpation  weit  über¬ 
legen  sind.  Das  gilt  sowohl  von  der  abdominalen,  wie  von  der  vaginalen  er¬ 
weiterten  Operation.  Es  spricht  jedoch  die  sehr  geringe  Zahl  der  Dauer- 
heilungen  bei  Fällen  mit  regionärem  Drüsenkarzinom  zur  Zeit  der  Operation 


960 


Referate  und  Besprechungen. 


nach  abdominaler  Entfernung  dieser  Drüsen  gegen  die  Nützlichkeit  der  Drüsen¬ 
ausräumung  im  allgemeinen;  damit  ist  der  Wert  der  abdominellen  Methoden 
überhaupt  in  Frage  gestellt.  Sollte  deren  Wert  hauptsächlich  in  einer  aus¬ 
giebigen  Entfernung  des  Parametriums  beruhen,  dann  muß  man  zugeben,  daß 
die  erweiterte  vaginale  Methode  nach  Schauta  fast  gleiches  leistet.  Die 
alle  anderen  Resultate  bei  weitem  überragenden  Erfolge  Wer theiim’s  und 
Maekenrodt’s  dürften  an  der  Person  hängen.  Da  jedoch  die  Bedeutung 
der  Entfernung  der  erkrankten  Drüsen  zurzeit  noch  nicht  genau  feststeht, 
empfiehlt  Sch.,  vorläufig  die  erweiterte  abdominale  Methode  weiter  zu 
üben,  besonders  da  zu  hoffen  ist,  daß  deren  primäre  Mortalität  in  Zukunft 
noch  weiter  sinken  wird.  R.  Klien  (Leipzig). 


Aus  der  Landau’schen  Frauenklinik  in  Berlin 

Das  Karzinosarkom  des  Uterus. 

(Dr.  Hjalmar  Forssner.  Archiv  für  Gyn.,  Bd.  87,  H.  2,  1909.) 

Zwei  Fälle  von  Karzinosarkom  des  Uterus.  In  dem  einen  war  offenbar 
ein  malignes  Adenom  mit  verschiedenen  Impfmetastasen  in  der  Korpusschleim¬ 
haut  von  einem  sich  später  entwickelnden  Sarkom  von  stärkerer  Wachstums¬ 
energie  angegriffen  worden  und  teilweise  zerstört,  so  daß  von  dem  Adenom 
schließlich  nur  noch  kleinere,  im  Sarkomgewebe  isolierte  Partien  nachweis¬ 
bar  waren.  Ob  sich  das  Sarkom  im  Stroma  des  malignen  Adenoms  oder  neben 
demselben  entwickelt  hatte,  ließ  sich  nicht  entscheiden.  —  Im  zweiten  Fall 
wurde  ein  Polyp  sekundär  sarkomatös,  während  rings  um  seine  Basis  ein 
ringförmiges  Karzinom  entstand.  Beide  Neubildungen  hatten  in  ihrem  weite¬ 
ren  Wachstum  offenbar  aufeinander  übergegriffen,  das  Sarkom  war  wieder 
der  Stärkere  und  hatte  z.  T.  das  Karzinom  vernichtet.  —  Bisher  sind  erst 
acht  ähnliche  Fälle  beschrieben.  R.  Klien  (Leipzig). 


Aus  dem  städtischen  Dudenstift  in  Dortmund. 

Ein  Beitrag  zur  Pathologie  und  Therapie  des  chondrodystrophischen 

Zwergbeckens. 

(Dr.  Fritz  Engelmann.  Archiv  für  Gyn.,  Bd.  86,  H.  1,  1908.) 

E.  gibt  eine  kurze  Darstellung  der  sog.  chondrodystrophischen  Zwerge, 
einer  wohlcharakterisierten  Art  (kurze  Extremitäten,  großer  Kopf),  auf  welche 
zuerst  von  französischer  Seite  aufmerksam  gemacht  wurde. 

Die  Becken  dieser  Zwerge  sind  wohl  alle  Kaiserschnittbecken,  sie  sind 
entweder  hochgradig  allgemein  verengt  und  platt  oder  hochgradig  platt  (Nieren¬ 
form  des  Eingangs)  mit  hochstehendem  Promontorium  und  stark  geneigtem 
Kreuzbein.  Die  Erkrankung  kann  familiär  sein.  —  E.  entband  selbst  eine 
chondrodystrophische  Zwergin  durch  Kaiserschnitt,  was  näher  beschrieben 
wird.  R.  Klien  (Leipzig). 


Experimentelle  Beiträge  zur  Kenntnis  der  automatischen  Bewegungen 
des  Uterus  und  deren  Bedeutung  für  die  Pathologie  und  Therapie  der 
uterinen  Infektionskrankheiten,  insbesondere  der  Gonorrhoe. 

(Dr.  Karl  Schindler.  Archiv  für  Gyn.,  Bd.  87,  H.  8,  1909.) 

Sch.  hat  die  bekannten  Versuche  Kur  dj.no  wsky’s  nachgeprüft  und 
fortgesetzt.  Die  Technik  war  die  von  Kurdinowsky  angewandte,  welche 
gestattet,  jeden  störenden  äußeren  Reiz  während  der  Versuchsdauer  von  den 
bloßgelegten  inneren  Genitalien  fernzuhalten.  Verwendet  wurden  90  z.  T. 
schwangere  Kaninchen  und  drei  Katzen.  Als  Narkose  diente  0,03  Morphium 
subkutan.  Sch.  konnte  folgende  Tatsachen  feststellen :  Der  Uterus  trägt 
—  automatische  —  Ursprungsreize  in  sich  selbst  und  die  Bewegungen  erfolgen 
rhythmisch-automatisch,  unabhängig  vom  Zentralnervensystem.  Ob  die 
Kraftquelle  für  die  Automatic  in  myo-  oder  neurogenen  Ursprungsreizen  zu 


Referate  und  Besprechungen. 


961 


suchen  ist,  will  Sch.  a.  a.  O.  dartun.  Jeder  Uterus  hat  ferner  seine  ihm 
eigene,  individuelle  Erregbarkeit.  Von  vollkommener  Trägheit  bis  zu 
beängstigend  lebhaften  Zusammenziehungen  kommen  alle  Übergänge  vor. 
Z.  T.  hängt  die  individuelle  Erregbarkeit  ab  von  dem  geschlechtlichen  Leben: 
virginelle  Uteri  sind  weniger  erregbar  ;als  Uteri  solcher  Tiere,  welche  ge¬ 
schlechtlich  bereits  verkehrt  haben.  Am  größten  ist  die  Erregbarkeit  zu 
Beginn  der  Schwangerschaft.  Trotzdem  hat  aber  auch  jeder  schwangere  Uterus 
seine  ihm  individuell  eigene  Erregbarkeit.  Die  rhythmisch- automatischen 
Bewegungen  kommen  jedoch  nicht  nur  dem  Uterus  zu,  sondern  auch  seinen 
Adnexen.  Die  Bewegungen  dieser  erfolgen  entweder  synchron  mit  denen 
des  Uterus  oder  für  sich  allein,  letzteres  im  Ermüdungsstadium.  Auch  die 
Vagina  arbeitet  individuell.  Endlich  kontrahiert  sich  der  gesamte  Band^- 
appasrat,  besonders  in  der  Schwangerschaft.  Die  automatisch-rhythmische 
Bewegung  des  Uterus  und  seiner  Adnexe  ist  eine  wellenförmige,  und  zwar 
sowohl  im  peris taltischen  Sinn  als  auch  im  antiperistaltischen.  Beize 
mechanischer,  chemischer,  besonders  aber  thermischer  Art  steigern  die  In¬ 
tensität  der  Bewegungen,  ebenso  gewisse  Gifte.  Eine  Vaginalspülung  mit 
39 — 40°  warmem  Wasser  kann  bereits  eine  stürmische  Steigerung  der  Automatie 
des  Uterus  und  der  Adnexe  hervorrufen,  desgleichen  Darmeingießungen  von 
gleicher  Temperatur.  3 — 10%ige  Argentum  nitricum- Lösung  wirkt  ebenfalls 
außerordentlich  reizend,  wobei  aber  wieder  jeder  einzelne  Uterus  ungleich 
reagiert.  1/2 — l%ige  Protargollösung  wirkt  weniger  erregend.  Was  die 
an tiperistal tischen  Bewegungen  anlangt,  so  ist  deren  Häufigkeit  verschieden; 
außer  in  der  Schwangerschaft  treten  sie  gegenüber  den  peristaltischen  zurück. 
Wurde  das  Tier  allmählich  dprch  U02r  Überladung  des  Blutes  erstickt,  so 
hörten  bei  beginnender  Zyanose  des  Uterus  die  automatischen  Bewegungen  auf; 
bei  wiederbeginnender  Arterialisation  begannen  auch  die  Bewegungen  wieder. 
Dieses  Spiel  konnte  Sch.  an  ein  und  demselben  Tier  3 — 4  mal  wiederholen. 
Ebenso  lähmte  Atropin  die  automatischen  Bewegungen,  ja  sogar  die  direkte 
mechanische  Erregbarkeit,  wenn  es  in  genügender  Konzentration  —  l°/0iger 
Lösung  — ■  in  die  Uterushörner  injiziert  wurde.  Die  Wirkung  hielt  mehrere 
Stunden  an  Diese  Atropinwirkung  ist  es  vor  allem,  die  Sch.  veranlaßt, 
die  Ergebnisse  seiner  Experimente  auf  den  Menschen  und  auf  die  Therapie 
entzündlicher  Prozesse  an  Uterus  und  Adnexen  zu  übertragen.  Für  Sch. 
besteht  kein  Zweifel,  daß  auch  der  menschliche  Uterus  rhythmisch-automatisch, 
unabhängig  vom  Willen,  in  regelmäßigem  Wechsel  zwischen  Buhe  und  Arbeit 
peri-  und  antiperistal tische  Bewegungen  ausführt,  daß  er  auf  Beize  im  allge¬ 
meinen  ebenso  reagieren  wird,  wie  der  Kaninchenuterus.  Man  muß  sich  also 
vor  allen  Dingen  hütein,  bei  uterinen  Infektionen  die  automatischen  Be¬ 
wegungen  zu  steigern.  Keimhaltiges  Sekret  kann  aus  der  Zervix  nicht  nur 
durch  antiperistaltische  Bewegungen  nach  oben  gezogen  werden,  sondern  unter 
gewissen  Umständen  auch  durch  die  peristaltischen.  (Regurgitation  von 
Eiter  z.  B.  im  Spätwochenbett,  während  der  Menstruation.)  Besonders  wichtig 
ist  die  Übertragung  der  neuen  Erkenntnisse  auf  die  akute  Gonorrhöe.  Die 
Schwere  des  Verlaufs  derselben  hängt  hiernach  fast  einzig  und  allein  ab  von 
der  ganz  individuellen  Erregbarkeit  des  Uterus,  mit  der  er  mecha¬ 
nische,  chemische  und  thermische  Beize  beantwortet.  Da  wir  nun  jene  Er¬ 
regbarkeit  im  konkreten  Palle  nie  kennen,  so  ist  jede  irgendwie  aktive 
Therapie  bei  frischer  gonorrhoischer  Infektion  des  Uterus,  und  bestünde 
sie  nur  in  warmen  Scheidenspülungen  oder  in  Prießnitzumschlägen  kontra- 
indizierfc.  Es  können  zu  leicht  antiperistaltische  Bewegungen  ausgelöst  werden. 
Vielmehr  ist  eine  strenge  Ruhigstellung  der  Organe  indiziert,  und  dies  ist 
neben  der  selbstverständlichen  Bettruhe  mit  Atropin  zu  erreichen.  Sch. 
schlägt  vor,  3  mg  pro  die  'innerlich  zu  reichen.  Man  kann  diese  Dosis 
wochenlang  fort  geben,  ohne  unerwünschte  Nebenwirkungen  dafür  in  Kauf 
nehmen  zu  müssen,  abgesehen  von  der  obligaten  Akkommodationslähmung. 
Ob  in  Anlehnung  an  die  C02-Experimente  eine  Saugbehandlung  mittels 
Vaginalspekulums  ratsam  ist,  mit  eventuell  sofort  folgender  vorsichtigster 
Auswischung  des  Zervikalkanals  mit  Protargollösung,  darüber  stehen  Sch. 

61 


962 


Referate  und  Besprechungen. 


noch  keine  genügenden  Beobachtungen  zu  Gebote.  —  Jedenfalls  sind  die 
mühsamen  Experimente  Sch. ’s  sehr  verdienstlich  und  es  dürfte  sich  wohl 
lohnen,  für  die  Therapie  Nutzen  aus  ihnen  zu  ziehen.  Den  Schlußsatz  Sch. ’s 
dürfte  man  wohl  schon  heute  (allseitig  akzeptieren:  „Auf  jeden  Fall  aber 
wird  die  systematische  Atropinisierung  des  Uterus,  seine  Ruhigstellung,  das 
A  und  0  der  zukünftigen  Gonorrhöetherapie  bei  Frauen  sein  und  bleiben“. 

R.  Klien  (Leipzig). 


Aus  der  Universitäts-Frauenklinik  der  Charite  in  Berlin. 

Beitrag  zur  Ätiologie  und  Therapie  der  weiblichen  Sterilität. 

(Dr.  Ernst  Runge.  Archiv  für  Gyn.,  Bd.  87,  H.  8,-  1909.) 

R.  hat  66,  seit  2V2 — 3  Jahren  steril  verheiratete  Frauen,  bei  deren 
Ehemännern  sowohl  die  Potentia  coeundi  ,als  auch  die  generandi  festgestellt 
war,  und  die  an  keinem  palpablen  gynäkologischen  Leiden  erkrankt  waren, 
6,  12  und  36  Stunden  post  coitum  untersucht.  Es  wurde  unter  den  nötigen 
Kautelen  untersucht  das  Sekret  des  hinteren  Scheidengewölbes,  des  Zervikal¬ 
kanals  und  des  Korpus.  Bei  34  Frauen  (51V2%)  konnten  überhaupt  keine 
Spermatozöen  nachgewiesen  werden,  das  Sperma  war  sehr  bald  post  coitum  aus¬ 
gelaufen.  Bei  17  zur  Kontrolle  untersuchten  Frauen,  die  bereits  geboren 
hatten,  fehlten  nur  in  3  Fällen  (17,6%)  die  Spermatozöen.  Also  ein  großer 
Unterschied!  Ähnlich  waren  die  Verhältniszahlen  für  die  einzelnen  Ab¬ 
schnitte  des  Genitalkanals.  R.  kann  aus  seinen  Untersuchungen  die  Ansicht 
seines  Lehrers  Bumm  vollauf  bestätigen,  daß  der  Grund  für  die  weibliche 
Sterilität  sehr  oft  in  mangelhafter  Ausbildung  der  inneren  Genitalien,  in 
Infantilismus  derselben  liegt.  Zwei  Momente  sind  es  hauptsächlich, 
welche  die  Ursache  für  die  Sterilität  bilden:  erstens  ein  Hindernis  für  das 
Eindringen  der  Spermatozöen  in  die  Uterushöhle,  zweitens  ein  zu  frühes 
Abfließen  des  Samens  aus  der  Scheide.  Das  Hindernis  liegt  bei  infantilem 
Uterus  am  äußeren,  noch  häufiger  am  inneren  Muttermund,  wie  das  auch  aus 
den  Untersuchungen  R.’s  hervorgeht.  Der  Spermagehalt  der  Zervikalhöhle 
erwies  sich  gegenüber  dem  des  hinteren  Scheidengewölbes  bedeutend  herab¬ 
gesetzt,  noch  mehr  aber  der  der- Korpushöhle  gegenüber  dem  der  Zervikalhöhle. 
Für  das  zu  kurze  Verweilen  des  Samens  in  der  Vagina  ist  nicht  mit  Kisch 
das  Ausbleiben  des  Wollustgefühls  zu  beschuldigen,  sondern  zu  geringe  Aus¬ 
bildung  der  Scheide,  eine  zu  große  Enge  derselben,  infolge  deren  sie  kein 
eigentliches  Receptaculum  seminis  bildet.  Meist  ist  das  Scheidengewölbe 
kongenital  verbildet,  mitunter  sind  auch  Verlagerungen  des  Uterus,  Ver¬ 
kürzungen  der  Douglasfalten  schuld.  Sodann  spielt  eine  Rolle  eine  schlecht 
entwickelte  Beckenbodenmuskulatur  mit  schlaffem  niedrigen  Damm  und  wage- 
rechtem  oder  gar  sich  absenkendem  Verlauf  der  Scheide.  Wenn  sich  beide 
obengenannten  Momente,  wie  das  häufig  der  Fall  ist,  kombinieren,  dann  wird 
die  Sterilität  erst  recht  begünstigt.  Ähnlich  sind  natürlich  die  Retroflexionen 
zu  bewerten,  denn  bei  ihnen  taucht  der  äußere  Muttermund  ja  auch  nicht 
in  die  Samenlake  ein. 

Die  Behandlung  hat  in  folgendem  zu  bestehen:  Findet  sich  schon 
kurze  Zeit  nach  dem  Koitus  kein  Sperma  mehr  in  dem  hinteren  Scheiden¬ 
gewölbe,  liegt  also  vorzeitiger  Abfluß  desselben  vor,  ist  der  Damm  dabei 
normal  hoch  und  auch  der  Verlauf  der  Scheide  nach  hinten  gesenkt,  dann 
muß  man  versuchen,  das  hintere  Scheidengewölbe  zu  dehmen,  um  ein  ge¬ 
eignetes  Receptaculum  seminis  zu  schaffen.  Fortgesetzte  Gazetamponade, 
Massage,  Quecksilberkolpeurynter,  Kolpeuryntermassage  sind  hierzu  geeignete 
Maßnahmen:  eventuell  sagittale-  Spaltung  der  hinteren  Scheidegewölbewand 
mit  nachfolgender  querer  Wiedervereinigung.  Bei  wagerechtem  oder  nach 
vorn  gesenktem  Verlauf  der  Vagina  ist  mäßige  Beckenhochlagerung  gleich 
nach  dem  Koitus  zu  versuchen.  Die  Stellung  ä  la  vache  wird  sich  prak¬ 
tisch  schwerlich  durchführen  lassen.  —  ^Findet  man  in  der  Vagina  noch 
Sperma,  in  der  Zervix  jedoch  nicht,  so  ist  das  Hindernis  im  äußeren  Mütter- 


Referate  und  Besprechungen. 


963 


mund  zu  suchen,  dieser  zu  erweitern;  findet  sich  Sperma  in  Vagina  und 
Zervix,  im  Korpus  aber  nicht,  so  ist  der  innere  Muttermund  als  Sitz  des 
Hindernisses  zu  erweitern.  R.  Klien  (Leipzig). 


Ein  Beitrag  zur  Serodiagnostik  der  Lues  in  der  Geburtshilfe. 

(F.  Engelmann,  Dortmund.  Zentralbl.  für  Gyn.,  Nr.  8,  1909.) 

Die  Wassermann’sche  Luesreaktion  ist  für  viele  praktische  Fälle, 
wie  bei  habituellem  Abort  mit  dunkler  Ätiologie,  die  Ammenuntersuchung  u.  ä. 
unentbehrlich;  sie  beansprucht  aber,  wie  es  scheint,  auch  noch  ein  darüber 
hinausgehendes  allgemeineres  Interesse.  Aus  der  Tatsache,  daß  bei  symptomen- 
freien  Müttern  luetischer  Kinder  die  Reaktion  positiv  ausfällt,  scheint  hervor¬ 
zugehen,  daß  das  sog.  Colles’sche  Gesetz  einer  Revision  bedarf,  d.  h.,  daß 
wir  es  mit  latent  syphilitischen  Frauen  zu  tun  haben.  Es  ist  ferner  fest- 
gestellt,  daß  bei  scheinbar  gesunden  Säuglingen  luetischer  Mütter  ein  posi¬ 
tiver  Ausfall  der  Serareaktion  auftritt.  Das  Prof eta’sche  Gesetz  besteht 
also,  wie  es  scheint,  auch  zu  unrecht.  Müssen  wir  aber  annehmen,  daß  derartige 
Menschen  mit  latenter  Syphilis  ihr  Leiden  übertragen  müssen  ?  Diese  Frage 
ist  in  bejahendem  Sinn  entschieden  und  zwar  durch  eine  sehr  interessante! 
Beobachtung  des  Verf.  Er  sah,  daß  eine  symptomenfreie  Frau,  aus  deren 
erster  Ehe  mit  einem  luetischen  Mann  mehrere  luetische  Kinder  entsprossen 
sind,  mit  einem  notorisch  gesunden  Mann  wieder  luetische  Kinder  erzeugte. 

All  diese  Tatsachen  weisen  darauf  hin,  daß  clie  kongenitale  Lues  wahr¬ 
scheinlich  stets  eine  materne  ist.  Den  Beweis  dafür  zu  erbringen,  ist  viel¬ 
leicht  die  Wassermann’sche  Reaktion  berufen. 

Dieser  Schluß  ist  zu  weitgehend,  weil  durch  die  neuesten  Erfahrungen 
nachgewiesen  ist,  daß  die  Wassermann’sche  Reaktion  nicht  ausschließlich 
bei  Lues  vorkommt.  (Ref.)  F.  Kayser  (Köln). 


Königl.  Universitäts-Frauenklinik  Genua;  Direktor:  Prof.  L.  M.  Bossi. 

Bromural  in  der  geburtshilflichen  und  allgemeinen  Frauenpraxis. 

(Privatdozent  Dr.  Varaldo.  La  Liguria  Medica,  Nr.  5,  1909.) 

In  der  Gynäkologie  hat  man  sehr  häufig  mit  Reflexneurosen  zu  tun, 
die  auf  Grund  von  Erkrankungen  der  Sexualorgane  sich  ausgebildet  haben, 
jedoch  nicht  immer  nach  Beseitigung  des  primären  Leidens  verschwinden; 
ferner  pflegen  während  der  Gravidität  und  des  Klimakteriums  sehr  häufig 
nervöse  Störungen  aufzutreten,  die  sich  zu  idiopathischen  Krankheiten  aus¬ 
bilden  können.  In  solchen  Fällen  ist  neben  der  Indicatio  causalis  ein  Seda¬ 
tivum  dringend  angezeigt. 

Verf.  bediente  sich  für  solche  Zwecke  des  Bromurals  mit  bestem  Er¬ 
folg.  Er  wandte  es  in  der  Geburtshilfe  bei  Frauen  an,  bei  denen  während 
der  Gravidität  infolge  der  Bewegungen  des  Fötus  sowohl  psychische  Er¬ 
regungen  als  auch  schwere  Schlaflosigkeit  bestanden.  Auch  die  bei  Pri- 
miparen  häufige  Furcht  vor  den  kommenden  Wehen  und  die  nervöse  Über¬ 
reizung,  die  häufig  schlaflose  Nächte  verursachen,  wurden  durch  Bromural 
stets  gut  beeinflußt.  Sogar  Konvulsionen,  charakterisiert  durch  klonische 
Zuckungen  sämtlicher  Körpermuskeln  wurden  durch  Bromural  gut  gebessert. 
Ganz  besonders  wirkt  das  Mittel  auch  auf  die  Hyperästhesie  der  Hautnerven. 

Unter  den  behandelten  Reflexneurosen  sind  besonders  die  Fälle  be¬ 
merkenswert,  bei  denen  nach  Beseitigung  des  Grundleidens  allgemeine  Un¬ 
ruhezustände  und  Angstgefühl  sowie  vasomotorische  Störungen,  die  sich  vor 
allem  durch  Tachykardie  bemerkbar  machten,  zurückgeblieben  waren  und 
erst  auf  Bromural-Behandlung  verschwanden. 

Ferner  wurde  das  Mittel  bei  den  nervösen  Störungen  der  Menopause 
und  der  Menses,  sowie  bei  postoperativer  Behandlung  nervöser  Frauen  mit 
Vorteil  verwandt.  Hervorzuheben  ist,  daß  niemals  irgend  eine  Nebenwirkung 
auf  Mutter  oder  Kind  beobachtet  wurde.  Neumann. 


61* 


964 


Referate  und  Besprechungen. 


Psychiatrie  und  Neurologie. 

lieber  Aktual-  und  Psychoneurosen  im  Lichte  der  Freud’schen  Forschungen 

und  über  die  Psychoanalyse. 

(S.  Ferenczi.  Wiener  klin.  Rundschau,  Nr.  48 — 51,  1908.) 

Die  Freud’sche  Lehre  von  der  Hysterie  hat  einen  Kampf  der  Geister 
entfesselt,  in  dem  die  schärfsten  Waffen  gerade  gut  genug  sind.  Gegen  die 
grausamste  Ironie  kämpft  ,die  überschwenglichste  Begeisterung.  Während 
der  eine  Forscher  glaubt,  diesen  Popanz  mit  vernichtender  Kritik  für  immer 
in  den  Orkus  befördern  zu  können,  melden  sich  auf  der  andern  Seite  tag¬ 
täglich  neue  Streiter,  denen  esi  bei  dem  neuen  Evangelium  wie  Schuppen  von 
den  Augen  gefallen  ist.  Das  pro  et  contra  Freud  wird  wohl  sobald  noch 
nicht  von  der  Tagesordnung  verschwinden.  —  Ferenczi  beginnt  seine  Arbeit 
mit  einer  ausführlichen  Darstellung  der  Neurosenlehre,  als  deren  begeisterter 
Anhänger  er  sich  bekennt  :  „Unter  solchen  Umständen  verkündet  das  Evange¬ 
lium  Freud’s  von  der  Entdeckung  des  wahren  Schlüssels  der  Hysterie  eine 
förmliche  Erlösung  für  Ärzte  und  Patienten“,  so  schreibt  er.  —  Die  Ein¬ 
leitung  der  F.’schen  Arbeit  enthält  weiter  nichts  Neues  und  kann  hier  über¬ 
gangen  werden,  nur  die  in  der  Überschrift  erwähnten  Begriffe  Aktuäl- 
und  Psycho neu roSen  bedürfen  der  Erwähnung.  Die  erste  dieser  Gruppen 
umfaßt  bei  Freud  die  Neuraslthlenie  und  die  Angstneu  rose,  die  zweite 
dagegen  die  Hysterie  und  die  Zwangsneurose.  Bei  allen  vier  Unter¬ 
abteilungen  steht  natürlich  die  Sexualität  als  unsichtbarer  Drahtzieher  im 
Hintergründe.  Die  Neurasthenie  entsteht  durch  Masturbation,  die  Angst¬ 
neurose  ist  das  Symptom  der  fälsch  geleiteten  sexuellen  Libido,  die  Hysterie 
hat  ihren  Grund  im  nicht  genügend  abreagierten  kindlichen,  sexuellen  Trauma, 
das  im  geheimen  fortwirkt  und  bei  der  Zwangsneurose  endlich  verschiebt 
sich  jener  körperliche  Reiz  auf  einen  quälenden  Gedankenkomplex.  —  Die 
von  F.  angeführten  sieben  Krankengeschichten  lassen  den  Panegyricus  auf 
die  neue  Lehre  nur  schwer  verständlich  erscheinen.  Gemeinsam  ist  allen 
diesen  sieben  Patienten  nur  das  eine:  nämlich  das  sexuelle  Erlebnis  in  der 
Jugend  oder  event.  auch  später.  Wie  man  daraus  die  hinterher  auftretende 
Neurose  erklären  will,  ist  völlig  unverständlich.  Es  wird  nur  wenige  Anam¬ 
nesen  sterblicher  Menschen  geben,  die  frei  sind  von  solchen  tragischen  Er¬ 
eignissen  und  es  gibt  doch  immerhin  noch  eine  ganze  Anzahl  neurosen¬ 
freier  Menschen !  Die  Hysterie  ebenso  wie  die  Angstneurose  und  all  die 
anderen  Kategorien  sind,  so  wie  sie  bei  Freud  erscheinen,  schwankende,  halt¬ 
lose  Begriffe  und  nur  das  Jagen  nach  solchen  vagen,  künstlich  zurecht¬ 
gesponnenen  Vorstellungen  erklärt  die  Entstehung  jener  Theorie. 

Steyerthal-Kleinen. 


Double  Absces  cerebral  diagnostique,  trepanation  et  guerison. 

(Julien  Bourguet,  Toulouse.  Arch.  med.  de  Toulouse,  Nr.  24,  1908.) 

An  der  Arbeit  interessiert  besonders  die  Epikrise.  Wenn  man  die 
klassischen  Werke  liest,  so  findet  man  gewöhnlich  eine  Menge  von  Symptomen 
verzeichnet,  mit  denen  aber,  wie  Lermpyez  sagt,  höchstens  der  Examens¬ 
kandidat,  der  einen  „Gehirnabszeß  bekommen“  hat,  brillieren  kann;  der  Prak¬ 
tiker  pflegt  sie  in  der  Regel  nicht  so  schön  und  abgerundet  in  einem  Falle 
vereinigt  zu  sehen.  Verf.  ist  für  breite  Öffnung  ohne  allzu  ängstliche 
Schonung  des  Gehirnparenchyms.  Er  wirft  nun  zum  Schlüsse  die  Frage 
auf:  woher  kommt  die  große  'Mortalität.  Zweifelsohne  liegt  ein  Mangel 
in  der  Technik  vor,  und  den  sehen  fast  alle  Operateure  in  der  Unzulänglichkeit 
der  Drainage.  Ein  anderer  gewichtiger  Grund  ist  aber,  daß  im  allgemeinen 
die  Diagnose  zu  spät  gestellt  wird.  v.  Schnizer  (Danzig). 


965 


Referate  und  Besprechungen. 

Hydrocephalus  internus  idiopathicus  chronicus  mit  Beteiligung  des 
IV.  Ventrikels,  erst  diagnostiziert,  dann  durch  Punktion  bestätigt  und 
durch  Operation  (Ventrikeldrainage)  zurzeit  geheilt. 

(P.-D.  Dr.  Halben,  Augenarzt,  Greifswald.  Deutsche  med.  Wochenschr.,  Nr.  10,  1909.) 

Die  Patientin,  eine  16  jährige  Seminaristin,  klagt  über  Abnahme  des 
Sehvermögens,  Doppeltsehen  und  Kopfschmerzen,  welche  bestehen,  solange 
sie  denken  kann,  seit  4 — 5  Monaten  aber  stärker  geworden  sind.  Der  Augen¬ 
befund  ergab  linksseitige  Abduzensparese,  doppelseitige  hohe  Stauungspapille, 
Sehvermögen  rechts  fast  1/2,  links  fast  1.  Nystagmische  Zuckungen,  Tremor 
an  Kopf,  Rumpf  und  Händen.  Bei  der  Diagnosestellung  glaubte  er  trotz  der 
Stauungspapille  einen  Tumor  ausschließen  zu  können.  Dazu  ist  der  Ver¬ 
lauf  ein  viel  zu  langsamer,  auch  ist  nur  der  Abduzens  ergriffen,  ohne  daß 
ein  anderer  Hirnnerv  in  Mitleidenschaft  gezogen  wird.  Gegen  die  Malignität 
oder  die  luetische  und  tuberkulöse  Natur  eines  Tumors  spricht  ferner  der 
Ernährungszustand  der  Patientin.  Am  häufigsten  kommt  nächst  den  Hirn¬ 
tumoren  die  Stauungspapille  bei  Hydrocephalus  und  Meningitis  serosa  vor. 
Gegen  letztere  spricht  der  sehr  chronische  Verlauf  und  die  nicht  allzu 
stürmischen  Erscheinungen.  Für  Hydrocephalus  paßt  auch  die  einseitige 
Abduzenslähmung,  die  auf  eine  Beteiligung  des  IV.  Ventrikels  hinweist. 
Damit  sind  auch  gleichzeitig  die  nystagmischen  Zuckungen  erklärt.  In  ätio¬ 
logischer  Beziehung  kommt  ein  neun  Jahre  vorher  überstandener  Scharlach 
in  Frage,  der  mit  vielleicht  nicht  diagnostizierter  Meningitis  einhergegangen 
sein  kann. 

Nach  vergeblicher  Jodkalikur  wurde  von  Prof.  Payr  die  Punktion 
des  rechten  Seitenventrikels  sowie  eine  Lumbalpunktion  vorgenommen.  Beides 
ergab  ein  Übermaß  an  Flüssigkeit  in  den  Ventrikeln  und  brachte  allerdings 
nur  vorübergehend  Besserung.  Es  wurde  nun  zur  Ausführung  der  Dauer¬ 
drainage  geschritten.  Der  Erfolg  bestand  in  Rückgang  aller  Symptome. 
Was  die  Dauer  desselben  anbetrifft,  so  ist  kaum  anzunehmen,  daß  nun 
nach  Ablauf  der  ersten  vier  Wochen,  noch  irgend  welche  Verlegung  der 
Abflußbahn  stattfinden  könnte.  F.  Walther. 


Psychoses  infectieuses,  confusion  mentale  aigue,  „Amentia“  (0.  Meynert). 

(Pilez.  Arch.  de  Neurol.,  Juli- August  1908.) 

Es  wird  die  Ätiologie  der  Intoxikationspsychosen  eingehend  besprochen 
und  speziell  deren  Beziehungen  zum  klinischen  Symptomenkomplex.  Der 
Verfasser  schließt:  Die  Pathologie  der  akuten  Psychosen,  die  man  unter 
dem  Namen  der  Amentia  von  Meymert  (akute  halluzinatoriche  Verwirrtheit) 
zusammenfaßt,  ist  eine  toxische,  sei  die  Intoxikation  endogenen  oder  exogenen 
Ursprungs,  von  einer  Infektion  oder  von  gastrointestinalen  Störungen  ab¬ 
hängig.  Die  Psychose  ist  dabei  nur  ein  Syndrom  eines  Krankheitsprozesses, 
der  eben  vornehmlich  das  Nervensystem  ergreift  und  zwar  besonders  die 
Hirnrinde;  aber  auch  das  periphere  Nervensystem  bleibt  nicht  intakt  (Neu¬ 
ritis),  außerdem  manifestiert  sich  die  Krankheit  durch  die  verschiedensten  Stö¬ 
rungen  der  vegetativen  Organe.  Es  werden  dann  Prognostik,  Verlauf  und 
Therapie  umgehend  besprochen.  II.  Vogt. 


Über  Tumoren  des  vierten  Ventrikels. 

(Stern.  Deutsche  Zeitschr.  für  Nervenheilk.,  Bd.  34,  H.  3  u.  4,  1908.) 

Verf.  teilt  einen  charakteristischen  und  gut  beobachteten  Fall  mit, 
dessen  Symptome  waren :  plötzlich  einsetzender  heftiger  Occipitalschmerz, 
eigenartig  steife  nach  vorn  gebeugte  Kopfhaltung,  sonst  keine  Herdsymptome, 
auch  keine  Stauungspapille.  Das  Fehlen  der  letzteren  ist  nach  Bruns  bei 
Tumoren  des  vierten  Ventrikels  recht  häufig.  Soweit  Herdsymptome  vorhanden 
waren,  erklären  sie  sich  also  aus  der  Anteilnahme  der  Medulla  und  des  Kleinhirns. 


966 


Referate  und  Besprechungen. 


Bruns  hat  für  den  freien  Cysticercus  des  vierten  Ventrikels  als  charakteristisch 
folgenden  Symptomenkomplex  angegeben :  plötzliches  Hinstürzen,  Auftreten 
heftiger  zerebraler  Erscheinungen,  Schwindel  und  Erbrechen  bei  plötzlichen 
Lageveränderungen  des  Kopfes.  Dieses  Symptom  fehlte  in  dem  mitgeteilten 
Fall  in  der  Tat:  es  ist  —  wie  der  Autor  dies  seinerzeit  angab  — offenbar 
zurückzuführen  auf  die  passiv  freie  Beweglichkeit  des  Cysticercus  im  Ven¬ 
trikel.  Der  Fall  zeigte  ferner  in  charakteristischer  Weise  periodischen  Verlauf 
und  plötzlichen  Tod.  Die  Diagnose  konnte  aus  dem  klinischen  Komplex  ge¬ 
stellt  und  namentlich  aus  den  erwähnten  Tatsachen  heraus  gegen  den  Cysticer¬ 
cus  abgegrenzt  werden.  Die  Prognose  bleibt  leider  infaust,  da  keine  unmittel¬ 
bare  Therapie  möglich  ist  (syphilitische  Tumoren  dieser  Gegend  sind  bislang 
nicht  beschrieben),  nach  dem  Verfasser  kommen  die  vorsichtig  ausgeführte 
Lumpalpunktion  und  die  Ventrikelpunktion  als  symptomatische  Heilmethoden 
in  Betracht  H.  Vogt. 


Drei  Fälle  sinnlicher  Geistesstörung  mit  dem  Symptom  „falscher 

Antworten“. 

(P.  Rosenbach.  Allg.  Zeitschr.  für  Psych.,  H.  22,  S.  928,  1908.) 

Betreff  der  Ganser’schen  Symptome  ist  Verf.  der  Ansicht,  daß  nicht 
jede  falsche  Antwort  hierher  gehöre.  Viele  Kranke,  sowohl  schwachsinnige 
als  auch  hysterische  oder  maniakalische,  können  auf  die  Frage,  wieviel 
Finger  sie  haben,  eine  falsche  Antwort  geben,  nicht  deshalb,  weil  sie  es  nicht 
wissen,  sondern  aus  verschiedenen  anderen  Gründen,  die  Frage  kann  ihnen 
als  beleidigend  Vorkommen,  oder  sie  sagen  aus  Mutwillen  oder  Scherz  elf 
statt  zehn,  oder  sie  antworten  mit  Willen  falsch,  damit  man  sie  in  Buhe  lasse. 

In  allen  den  von  R.  beobachteten  Fällen  stellte  das  Symptom  falscher 
Antworten  einen  Versuch  dar,  Schwachsinn  vorzutäuschen,  und  hatte  nichts 
gemein  weder  mit  hysterischem  Dämmerzustand,  noch  mit  katatonischem 
Stupor.  Die  Subjekte,  an  denen  es  beobachtet  wurde,  waren  Neurastheniker, 
Alkoholiker,  Degenerierte,  aber  nicht  geisteskrank,  und  das  Symptom  falscher 
Antworten  beruhte  bei  ihnen  nicht  auf  Bewußtseinsstörung,  sondern  auf 
der  Absicht,  den  Arzt  bezüglich  ihrer  Verstandstätigkeit  irrezuführen.  Verf. 
bemerkt,  daß  die  meisten  seiner  Fälle  sich  auf  Untersuchungsgefangene  be¬ 
ziehen.  Gerade  aus  diesem  Grunde  steht  Ref.  diesen  Ausführungen  skeptisch 
gegenüber.  Besonders  bei  Untersuchungsgefangenen  liegt  so  gut  wie  nie  eine 
böswillige  Simulation  vor;  es  handelt  sich  einfach  um  eine  Denksperrung,  die 
Folge  des  psychischen  Traumas,  welches  durch  die  Haft  gesetzt  wird;  dabei 
können  sämtliche  Symptome  der  Hysterie  vollkommen  fehlen.  Ich  habe 
viele  derartige  Fälle  eingehend  beobachtet  und  habe  noch  in  keinem  mich 
berechtigt  gefunden,  Simulation  zu  diagnostizieren,  im  Gegenteil  konnte  ich 
in  einer  ganzen  Reihe  solcher  Fälle,  die  als  der  Simulation  verdächtig  zu 
uns  kamen,  den  strikten  Nachweis  führen,  daß  diese  Annahme  nicht  richtig  war. 

Koenig  (Dalldorf). 


Ein  angebliches  Abstinenzdelirium. 

(K.  Graeter.  Zentralbl.  für  Nervenheilk.  u.  Psych.,  1.  Dez.-Heft,  S.  85,  1908.) 

G.  führt  aus,  mit  Rücksicht  auf  einen  von  Ho  sch  (Münchener  med. 
Wochenschrift,  Nr.  44,  1907)  veröffentlichten  Fall,  daß  bis  jetzt  ein  zwingen¬ 
der  Beweis  für  einen  ätiologischen  Zusammenhang  zwischen  Abstinenz  und 
Delirium  tremens  nicht  erbracht  worden  ist,;  trotzdem  würde  in  manchen 
neueren  Lehr-  oder  Handbüchern  noch  immer  ohne  jegliche  einschränkende 
Bemerkung  die  plötzliche  Alkoholentziehung  unter  den  Ursachen  desf  Deli¬ 
riums  tremens  angeführt.  Auch  das  zustimmende  Urteil  von  Cr  am  er  und 
Weber  über  den  Fall  Hbsdh  findet  G.  „einfach  unbegreiflich“. 

Koenig  (Dalldorf). 


Referate  und  Besprechungen. 


967 


Aus  der  Akademie  für  praktische  Medizin  in  Köln.  Innere  Abteilung. 

Ueber  Hirnerkrankungen  mit  tödlichem  Ausgang  ohne  anatomischen  Befund. 

(H.  Hochhaus.  Deutsche  med.  Wochenschr.,  Nr.  39,  1908.) 

Hochhaus  schildert  7  Bälle,  die  während  des  Lebens  ausgesprochene 
Hirnsymptome  boten,  wäürend  sich  bei  der  Sektion  nichts  von  zerebralen 
Herderscheinungen  nachweisen  ließ.  Beim  Suchen  nach  Momenten,  die  irgend¬ 
wie  eine  Erklärung  dafür  bieten  könnten,  fanden  sich!  in  6  Fällen  Zirkulations¬ 
störungen,  die  teils  auf  Arteriosklerose,  teils  auf  Vitium  cor  dis  beruhten.  Diese 
Störungen  wären  vielleicht  für  die  Erklärung  verwendbar.  Man  müßte  an¬ 
nehmen,  daß  eine  derartige  Störung  sich  in  einer  umschriebenen  Hirnpartie 
stärker  geltend  gemacht  hat,  wie  es  ja  auch  nicht  allzuselten  vorkommt, 
daß  eine  allgemeine  Stauung  siohj  auf  ein  bestimmtes  Organ  z.  B.  die  Leber 
beschränken  kann.  Hierzu  kommt  noch,  daß  in  2  Fällen  sich  noch  Residuen 
alter  Apoplexien  fanden.  Nur  bei  einem  Fall  läßt  jeder  Erklärungsversuch 
im  Stich.  F.  Walther. 


Un  cas  d’agitation  motrice  forcee  chez  un  degenere  psychasthenique. 

(Schmiergeld.  Arch.  de  Neurol.,  Aug.-Sept.  1908.) 

Bei  einem  Kranken,  der  den  Typus  der  Degenerierten  (zahlreiche  körper¬ 
liche  und  psychische  Stigmata)  bot,  der  wegen  seiner  Verminderung  der 
psychischen  Spannung  und  Gefühlsschwankung  als  Psychastheniker  bezeichnet 
wird,  traten  eigenartige,  vom  Willen  unabhängige  Krisen  motorischer  Art 
auf,  welche  anfallsartig  in  Erscheinung  traten.  Das  Bewußtsein  war  dabei 
erhalten,  auch  sonst  bestand  keine  Ähnlichkeit  mit  epileptischen  Zuständen. 
Es  handelt  sich  um  ein  Symptom,  das  weder  hysterisch,  noch  epileptisch  ist, 
vielmehr  mit  der  Grundkrankheit  zusammenhängt.  H.  Vogt. 


Über  Verstellungskontamination,  Sprachverwirrtheit  und  inhaltliche 

Verwirrtheit. 

(K.  Heilb rönne r.  Zentralbl.  für  Nervenheilk.  u.  Psych.,  H.  24,  S.  898,  1908.) 

Die  Kontamination  besteht  darin,  daß  man  aus  mehreren  Sätzen  (oder 
Teilen  von  Sätzen)  einen  macht,  aus  mehreren  Worten  eins.  Können  solche 
Kontaminationen,  abgesehen  vom  sprachlichen  Ausdruck,  auch  im  Verstellungs¬ 
ablauf  sich  vollziehen  und  nachgewiesen  werden?  Verfasser  ist  der  An¬ 
sicht,  daß  die  Frage  noch  nicht  spruchreif  ist.  Man  könne  bezweifelt, 
ob  es  überhaupt  jemals  gelingen  wird,  diese  so  außerordentlich  verwickelten! 
Probleme  völlig  zur  Lösung  zu  bringen.  Der  geeignete  Weg  dazu  scheint  H. 
nicht  die  nachträgliche  Analyse  des  mehr  oder  weniger  stabilisierten  End¬ 
produktes,  sondern  die  genaue  Verfolgung  der  Genese.  Diese  Endzustände 
können  sich  unter  Umständen  im  Verlaufe  von  wenigen  Jahren  entwickeln. 

Koenig  (Dalldorf). 


Zur  Frage  der  Benennung  der  Dementia  praecox. 

(G.  Wolff,  Basel.  Zentralbl.  für  Nervenheilk.  u.  Psych.,  H.  23,  S.  856,  1908.) 

W.  stimmt  mit  der  Majorität  der  Psychiater  darüber  ein,  daß  uns  das 
Wesen  der  Dementia  praecox  noch  sehr  unklar  ist.  Völlige  Einigkeit  scheint 
vor  allem  wenigstens  über  einen  Punkt  zu  herrschen,  daß  die  heutigen 
Anschauungen  den  Namen  „Dementia  praecox“  als  nicht  mehr  zutreffend 
erscheinen  lassen,  weil  er  sowohl  ,in  seinem  Gattungsnamen  wie  in  seiner 
Speziesbezeichnung  Kriterien  enthält,  die  für  das  Krankheitsbild  nicht  not¬ 
wendig  sind.  !  .  [  i  i  i  o| 

Eine  Demenz  braucht  keineswegs  in  allen  Fällen  der  Ausgang  des 
Leidens  zu  sein;  auch  tritt  die  Krankheit  in  so  verschiedenen  Lebensaltern 
auf,  daß  sie  nicht  mehr  als  „Jugendirrsinn“  bezeichnet  werden  kann.  Es  sei 
deshalb  wünschenswert,  wie  Bleuler  und  Jahrmärker  es  betont  haben,  den 


968 


Referate  und  Besprechungen. 


Namen  der  Krankheit  zu  ändern.  Der  vor  geschlagene  neue  Name  erweckt  aller¬ 
dings  manches  Bedenken.  (Sehr  richtig;  er  klingt  sogar  komisch.  Ref.)  Wollen 
wir  daher  den  Namen  ändern,  ohne  imstande  zu  sein,  das  Wesen  der  Krank¬ 
heit  auszu drücken,  slo  bleibt  nur  die  Möglichkeit  übrig,  einen  Namen  zu 
wählen,  der  gar  nicht  den  Versuch  macht,  über  das  Wesen  der  Krankheit  etwas 
auszlusagen,  einen  Namen  also,  der  nur  den  Anspruch  erhebt,  als  Etikette 
z!u  dienen,  und  welcher  dadurch,  daß  er  überhaupt  nichts  sagt,  sich  davor 
schützt,  etwas  Falsches  zu  sagen.  Nur  ein  solcher  Name  ist  imstande,  jeden 
nur  möglichen  Wechsel  in  unseren  Anschauungen  auszühalten.  Das  Wort 
,, Typhus“  ist  z.  B.  völlig  nichtssagend.  Das  Wort  ,, Dysenterie“  bildet  im 
medizinischen  Sprachgebrauch  auch  nur  die  Etikette  für  eine  ganz  bestimmte 
Darmerkrankung,  über  deren  Wesen  unsere  Anschauungen  ebenfalls  ganz 
fundamentale  Wandlungen  erfahren  haben,  ohne  daß  der  Name  Dysenterie 
dadurch  berührt  werden  konnte.  Verf.  schlägt  den  Namen  ,,Dysphrenie“ 
vor.  Diese  Bezeichnung  würde  sprachlich  weiter  nichts  bedeuten,  als  eine 
geistige  Krankheit.  (Eben  deswegen  muß  Ref.  diese  Bezeichnung  erst  recht 
als  eine  unglückliche  ansprechen,  da  jede  geistige  Erkrankung  schließlich 
eine  Dysphrenie  ist.)  Verf.  meint  allerdings,  daß  man  durch  einfache  Beiwörter 
alle  speziellen  Unter  formen  bezeichnen  könnte,  z.  B.  Dysphrenia  hebephrenica 
paranoides  usw.  Wenn  Verf.  wirklich  glaubt,  hierdurch  einen  Fortschritt 
in  der  Dementia  praecox-Frage  zu  sehen,  so  muß  man  seine  Bescheidenheit  be¬ 
wundern.  Es  wird  wirklich1  Zeit,  daß  man  in  der  Psychiatrie  aufhört,  nach 
neuen  Benennungen  zu  suchen.  Der  Ruf  der  psychiatrischen  Wissenschaft 
wird  dadurch  nicht  gerade  erhöht.  Koenig  (Dalldorf). 


Über  Rindenmessungen. 

(K.  Brodmann.  Zentralbl.  für  Nervenheilk.  u.  Psych.,  1.  Novemberheft,  S.  781,  1908.) 

Die  Ergebnisse  von  Br. ’s  Feststellungen  sind  folgende: 

Die  Breite  der  menschlichen  Großhirnrinde  schwankt  schon  unter  jdiysio- 
logischen  Verhältnissen  in  sehr  weiten  Grenzen,  und  zwischen  1,5  mm  und 
4,5  mm  auf  der  Kuppe  der  Windungen  (die  Insel  abgerechnet).  Man  hat 
bezüglich  der  Kuppenrinde  zu  unterscheiden: 

1.  Wesentliche  regionäre  Differenzen  zwischen  den  einzelnen  Rinden¬ 
feldern.  Diese  sind  in  allen  normalen  Gehirnen  gesetzmäßig  und  konstant 
und  bilden  ein  Hauptmerkmal  der  strukturellen  Verschiedenheiten  der  Gro߬ 
hirnoberfläche;  jedes  Strukturfeld  besitzt  demnach  eine  bestimmte  „mittlere“ 
Durchschnittsbreite,  durch  welche  es  sich  von  den  Nachbarfeldern  auszeichnet. 

2.  Örtliche  Schwankungen  geringeren  Grades  innerhalb  eines  Rinden¬ 
feldes.  Sie  betragen  immer  nur  Bruchteile  von  Millimetern  und  sind  teils 
bedingt  durch  äußere  morphologische  Verhältnisse,  wie  verschiedene  Gestalt 
und  Lage  der  Windungen,  teils  aber  bringen  sie  auch  einen  individuellen 
Faktor  zum  Ausdruck.  Die  Differenzen  dieser  Art  bilden  die  „mittlere 
Variation“  der  Rindenbreite  für  ein  Rindenfeld;  sie  sind  nicht  in  allen 
Teilen  der  Oberfläche  gleich;  es  gibt  vielmehr  Felder  mit  großer  mittlerer 
Variation  und  solche  mit  geringer. 

3.  Individuelle  Differenzen  zwischen  verschiedenen  Gehirnen.  Diese 

betreffen  sowohl  die  Durchschnittsbreite  der  einzelnen  Areae,  wie  deren 
mittlere  Variation.  Sie  können  für  einzelne  Felder  nicht  unerheblich  sein 
und  bis  zu  V2  mm  betragen.  Dazu  kommen  die  bekannten  in  dieser  Arbeit 
nicht  behandelten  Unterschiede  zwischen  der  Oberfläche  und  der  Furchen¬ 
tiefe  der  Windungen.  Koenig  (Dalldorf). 


Beitrag  zu  einer  Pflegerfrage. 

(Dr.  Lauschner.  Psych.-neurol.  Wochenschr.,  Nr.  24,  S.  193,  1908.) 

L.  bespricht  zunächst  in  kurzem  die  wesentlichen  der  noch  heute  in 
Anstalten  üblichen  Strafarten.  Diese  bestehen  aus  Verweis,  Sperrung  eines 


Referate  und  Besprechungen. 


969 


oder  mehrerer  Ausgänge,  Geldstrafen  zugunsten  der  Pflegerkasse,  Einstellung 
der  Vorrückung  in  eine  höhere  Lohnstufe,  Strafwachen,  Strafdienst,  strafweise 
Kündigung,  sofortiger  Entlassung;  die  Verbesserungsbestrebungen  des  Pflege¬ 
personals  in  der  Treptower  Anstalt,  an  welcher  Verf.  Oberarzt  ist,  zielen  in 
erster  Linie  nach  einer  Verbesserung  der  Stellung  in  pekuniärer  Hinsicht. 
L.  ist  gegen  Geldstrafen  im  allgemeinen  und  im  besonderen  gegen  das  zufließen- 
lassen  derselben  in  eine  Pflegerkasse.  Von  etischen  Gesichtspunkten  aus 
sei  es  nicht  gerechtfertigt,  daß  aus  dem  Vergehen  des  einen,  anderen  Vorteile 
entstehen. 

Ein  zweiter  wichtiger  Punkt  der  Verbesserungsbestrebungen  ist  die  Ge¬ 
währung  von  mehr  Urlaub.  Es  hat  demnach  auch  die  Straf  weite  der  Frei¬ 
heitentziehung  ihr  Bedenkliches.  Es  muß  auch  als  verfehlt  erscheinen,  den 
Pfleger  mit  einer  Mehrarbeit  zu  beladen,  wie  sie  mit  dem  sog.  Strafdienst 
und  den  Nachtwachen  verbunden  ist. 

Die  bisher  in  einzelnen  Anstalten  angewandten  Disziplinarmittel  ent¬ 
halten  manchen  heiklen  und  bedenklichen  Punkt.  In  Treptow  bedient  man  sich 
jetzt  keines  anderen  Strafmittels  als  des  Verweises,  wobei  ein  Unterschied  ge¬ 
macht  wird  zwischen  einfacher  Ermahnung,  dem  Verweis  ohne  und  mit  Ver¬ 
merk  in  den  Akten.  Die  Strafe  der  Urlaubsentziehung  ist  prinzipiell  niemals 
in  Anwendung  gekommen,  ebensowenig  Strafdienst  usw.  Verweis  und  Ent¬ 
lassung  müsse  so  ziemlich  das  einzige  werden,  was  zur  eventuellem  Besserung 
in  Anwendung  gebracht  werden  soll. 

Es  sollte,  wie  L.  mit  Recht  hervorhebt,  allgemeine  Einigkeit  darin  be¬ 
stehen,  daß  solche,  die  von  der  einen  Anstalt  wegen  Untauglichkeit  entlassen 
worden  sind,  nicht  mehr  in  einer  andern  wieder  auf  genommen  werden  können. 

Beistimmen  muß  man  dem  Verf.  auch  darin,  daß  in  solchen  Fällen 
erst  die  Akten  der  bisherigen  Anstalt  erbeten  werden  sollten,  und  daß  diese 
bei  der  Anstellung  den  Ausschlag  geben  müßten.  In  Dalldorf  werden  die 
Akten  solcher  Pfleger  einverlangt,  und  es  wird  ihnen  sofort  gekündigt,  falls 
die  weitere  Anstellung  auf  Grund  der  Akten  nicht  wünschenswert  erscheint. 
(Ref.)  Koenig  (Dalldorf). 


Hautkrankheiten  und  Syphilis.  —  Krankheiten  der  Harn-  und 

Geschlechtsorgane. 

Staphylokokkenserum  gegen  Akne. 

(A.  Maute.  Tribüne  med.,  6.  März  1909,  Nr.  10,  S.  152  u.  153.) 

Ein  junger  Mann  von  28  Jahren  litt  seit  vier  Jahren  an  Akne  pustu¬ 
losa  des  Gesichts,  die  in  immer  neuen  Schüben  ihn  quälte.  Alle  Thera¬ 
pien  :  vegetarische  Diät,  strenges  antidyspeptisches  Regime,  Arsen,  Alkohol¬ 
waschungen,  Schwefel  .waren  wirkungslos  geblieben.  Da  entschloß  sich 
Maute,  abgetötete  Staphylokokken  zu  injizieren.  Zuerst  injizierte  er 
100  Millionen  in  den  Oberschenkel,  dann  dreimal  je  200  und  schließlich 
zweimal  je  400  Millionen,  allemal  in  Intervallen  von  fünf  his  sechs  Tagen. 
Nach  der  neunten  Injektion  war  Pat.  geheilt.  —  Da  solche  Injektionen 
nicht  jedermanns  Sache  sind,  so  füge  ich  hinzu,  daß  mir  kürzlich  in  einem 
ähnlich  langwierigen  Falle  Massage  des  Gesichts  ein  ausgezeichnetes  Re¬ 
sultat  gegeben  hat.  Buttersack  (Berlin). 


Alis  der  dermatologischen  Klinik  der  Universität  in  Breslau.  (Direktor: 

Geh.  Medizinalrat  Prof.  Dr.  A.  Neisser.) 

lieber  spezifische  Behandlung  gonorrhoeischer  Prozesse. 

(Dr.  Carl  Bruck.  Deutsche  med.  Wochenschr.,  Nr.  11,  1909.) 

Während  man  bisher  annahm,  daß  es  eine  Immunität  gegen  Gonorrhöe 
nicht  gibt,  daß  ihr  klinischer  Verlauf  und  ihre  Komplikationen  nicht  auf  das 
Vorhandensein  einer  Immunitätsreaktion  von  seiten  des  Organismus  hinzu¬ 
weisen  scheint,  und  daß  nur  Endotoxine,  nicht  aber  Toxine  der  Gonokokken 


970 


Referate  und  Besprechungen. 


nachzuweisen  sind,  haben  neuerdings  Bruck  u.  a.  eine  Immunitätsreaktion 
des  menschlichen  Organismus  auf  gonorrhoische  Prozesse  nachweisen  können, 
wobei  sie  sich  des  von  Wassermalin  und  Bruck  angegebenen  Komple: 
mentbindungsverfahrens  mit  Bakterienextrakten  bedienten.  Durch  künstliche 
Vorbehandlung  von  Tieren  und  spontan  bei  gonorrhoischen  Allgemeinerkran¬ 
kungen  traten  Stoffe  von  Ambozeptorencharakter  im  Blutserum  auf.  Dieses 
Serum  wandte  Bruck  auf  gonorrhoische  Prozesse  an,  hatte  aber  weder  bei 
direkter  Auftragung  auf  die  Urethra  noch  bei  subkutaner  oder  intravenöser 
Injektion  den  gerinsten  Erfolg,  so  daß  also  eine  passive  Immunisierung  un¬ 
wahrscheinlich  ist.  Bruck  versuchte  nun  die  aktive  Immunisierung,  nahm 
aber  dabei  im  Gegensatz  zu  den  amerikanischen  Ärzten  nicht  den  opsonischen 
Index  zur  Grundlage  seines  therapeutischen  Handelns.  Sein  Verfahren,  das 
übrigens  noch  in  den  Anfängen  steht,  ist  folgendes.  Er  stellt  aus  Gonokokken¬ 
kulturen  ein  Stammvakzin  her  und  injiziert  davon  in  steigenden  Mengen 
und  Zwischenräumen  von  4 — 5  Tagen  unter  genauer  Beobachtung  der  Tem¬ 
peraturkuren.  Die  Injektionen  sind  meist  schmerzlos,  die  Temperatur  steigt 
in  der  Regel  nach  24  Stunden  um  1/4 — 1°.  Irgendwelche  Störungen  konnte 
er  nicht  beobachten.  Fiebernde  Patienten  eignen  sich  nicht  für  die  Methode. 
Seine  Erfolge  waren  nur  bisher  die:  Akute  oder  chronische  männliche  Ure- 
thralblenorrhöen  blieben  unbeeinflußt,  dagegen  konnte  er  bei  Epididymitisl 
teils  ein  deutliches  Zurückgehen  des  entzündlichen  Prozesses,  teils  ein  völliges 
Verschwinden  jeglicher  krankhafter  Erscheinung  beobachten.  Besonders  wich¬ 
tig  erschien  ihm  dabei  die  Angabe  der  Patienten,  daß  einige  Stunden  nach  der 
Injektion  der  Nebenhoden  schmerzhafter  wurde,  am  nächsten  Tage  aber  kleiner 
und  weicher  sich  anfühlte.  In  einem  Falle  von  Arthritis  und  einem  Falle 
von  Vulvovaginitis  kleiner  Mädchen  hatte  er  gleichfalls  deutlichen  Erfolg. 
Natürlich  sind  alle  diese  Fälle  wegen  ihrer  geringen  Zahl  nicht  beweisend. 

Was  nun  die  Wirkungsweise  der  aktiven  Immunisierung  anbetrifft,  so 
ist  das  Gonokokkenvakzin  eventuell  in  Analogie  mit  dem  Tuberkulin  zu  setzen, 
sie  scheint  weder  auf  einer  weiteren  Anregung  der  phagozytären  Tätigkeit, 
noch  auf  der  Vermehrung  der  komplementbildenden  Ambozeptoren  zu  beruhen. 

Bruck  hat  deshalb  mit  der  Untersuchung  der  Überempfindlichkeits¬ 
reaktion  begonnen  und  bisher  eine  Kutireaktion  durch  kutane  Impfung  mit 
Gonokokkenvakzin  erzielt.  F.  Walther. 


Hals-,  Nasen-  und  Kehlkopfleiden. 

Beziehungen  zwischen  Nase  und  Brustkorb. 

(Chauvet.  Rev.  hebd.  de  laryng.,  Nr.  12,  1909.) 

Im  ersten  Teil  seiner  Ausführungen  macht  Ch.  darauf  aufmerksam, 
daß  eitrige  Sekretionen  der  Nase  und  ihrer  Adnexe  chronische  Infiltration 
der  Lunge  am  oberen  inneren  Schulterblattwinkel  hervorrufen  können.  Diese 
entsteht  durch  Herabfließen  des  septischen  Sekrets  während  des  Schlafs. 
Sie  kann  erhebliche  Bedeutung  gewinnen  durch  Beeinträchtigung  des  All¬ 
gemeinzustandes  und  kann  der  Differentialdiagnose  gegen  Tuberkulose  oft 
Schwierigkeiten  bereiten. 

Auch  einfache  Verstopfung  einer  Nasenseite  ist  für  die  Brust  von 
Bedeutung.  Vf.  verschloß  sechs  Kaninchen  eine  Nasenhälfte  mit  Watte  und 
fand  nach  3 — 5  Wochen  eine  Skoliose  der  Brustwirbelsäule  nach  der  Seite 
der  unverschlossenen  Nase  zu.  Die  Rippen  der  verschlossenen  Seite  befan¬ 
den  sich  in  Exspirationsstellung,  der  untere  Teil  des  Sternum  wich  nach 
der  Seite  der  verstopften  Nasenhöhle  ab.  Es  bestand  also  eine  Beeinträch¬ 
tigung  der  gleichnamigen  Thoraxhälfte  zugunsten  der  anderen.  —  Auch 
bei  Menschen,  denen  die  eine  Nasenseite  zugehalten  wurde,  fand  sich  eine 
Veränderung  des  Atemgeräusches  der  gleichen  Brustseite;  dasselbe  war  leiser 
und  tiefer.  Dieselbe  einseitige  Veränderung  fand  sich  bei  Patienten,  die) 
an  einseitiger  Verengerung  der  Nase  litten.  —  Ch.  schließt  hieraus  auf 
einen  physiologischen,  reflektorischen  Zusammenhang  zwischen  dem  Grade 


Referate  und  Besprechungen. 


971 


der  Durchgängigkeit  jeder  Nasenhälfte  und  der  Thoraxmuskulatur  der  glei¬ 
chen  Seite;  jedoch  bedarf  es,  ehe  man  eine  so  wichtige  Entdeckung  unter 
die  Tatsachen  einreiht,  doch  noch  sehr  der  Nachprüfung.  — Infiltrationen  der 
Lungenspitzen  bei  Nebenhöhleneiterung  sind  übrigens  von  deutschen  Autoren, 
wiederholt  mitgeteilt  worden.  Arth.  Meyer. 


Zur  Kenntnis  des  dentalen  Empyems  der  Kieferhöhle. 

(M.  Hajek.  Wiener  klin.  Wochenschr.,  Nr.  16,  1908.) 

Unter  250  Antrumeiterungen  sah  Hajek  20  Empyeme  dentalen  Ur¬ 
sprungs.  Von  akuten  Prozessen  kommt  ätiologisch  in  Betracht  der  Wurzel¬ 
abszeß  (4  mal),  die  akute  Alveolarperiostitis  (5  mal),  die  zirkumskripte  und 
diffuse  Ostitis  des  Alveolarf  ortsatzes.  Von  den  chronischen  Prozessen  spielt 
die  Hauptrolle  die  Wurzelhautentzündung,  sowie  das  Durchwandern  der  Eiter¬ 
erreger  vom  erkrankten  Wurzelkanal  durch  die  ca.  1  cm  dicke  Knoehen- 
schicht  zwischen  Alveole  und  Kieferhöhle.  Bei  Behandlung  der  Zahnpulpa 
oder  der  Wurzelgranulome  kann  gleichfalls  eine  Kieferhöhlen  ei  terung  ent¬ 
stehen.  Bisweilen  wird  die  Eiterung  von  einem  plombierten,  nicht  schmerz¬ 
haften  Zahn  induziert.  Die  Radiologie  kann  krankhafte  Prozesse  an  den 
Wurzeln  scheinbar  gesunder  Zähne  auf  decken.  E.  Oberndorf  fer  (Berlin). 


Behandlung  der  Empyeme  der  oberen  Nebenhöhlen. 

(Hajek.  Arch.  internat.  de  laryng.,  Nr.  1,  1909.) 

Die  therapeutischen  Methoden  bei  Sinusitis  sind  in  3  Kategorien  ein¬ 
zuteilen  :  Die  Allgemeinbehandlung,  die  endonasalen  Maßnahmen  und  die  ope¬ 
rativen  Eingriffe  von  außen.  Die  Allgemeinbehandlung  ist  für  alle 
Höhlen  die  gleiche,  sie  ist  besonders  bei  akuter  und  sub akuter  Eiterung  ange¬ 
zeigt  und  warm  zu  empfehlen.  Sie  besteht  in  Schwitzkuren  mit  1 — 2  g  Aspi¬ 
rin  und  trockenen  Abreibungen  mit  Frottiertüchern.  —  Bei  Empyemen  der 
Stirnhöhle  bringt  man  den  vorderen  Teil  des  mittleren  Nasenganges  durch 
Kokain-Adrenalin  zum  Abschwellen  und  macht,  wenn  möglich,  Spülungen 
der  Höhle.  Bei  akuter  Eiterung  kommt  man  oft  so  zum  Ziele.  Wenn  nicht, 
entfernt  man  das  vordere  Ende  der  mittleren  Muschel,  indem  man  für  aus¬ 
giebige  Freilegung  des  Infundibulum.  Sorge  trägt,  und  beseitigt  etwaige 
Hypertrophien.  Radikale  Operationen  kommen  nur  dann  in  Frage,  wenn  ge¬ 
fährliche  Komplikationen  drohen,  oder  wenn  bei  erheblichen  Beschwerden  die 
endonasale  Behandlung  erfolglos  blieb;  in  letzterem  Falle  sind  sie  indes  nicht* 
eilig.  Die  beste  Operationsmethode  ist  die  Killian’sche,  nur  läßt  Hajek 
die  Wunde  eine  Zeitlang  offen. 

Akute  Eiterungen  des  Siebbeins  sind  ganz  besonders  der  Allgemein¬ 
behandlung  zugängig.  Bei  chronischen  Affektionen  geht  man  an  die  Eröff¬ 
nung  der  Zellen,  mit  der  Maßgabe,  alles  Kranke  zu  entfernen.  Bei  guter 
Anästhesierung  und  Anämisierung  gelingt  dies  oft  in  einer  Sitzung;  andern¬ 
falls  folgen  die  Eingriffe  einander  im  Abstand  von  mehreren  Wochen,  um 
Reaktionen  abklingen  zu  lassen.  Tamponade  ist  möglichst  zu  vermeiden, 
Granulationen  sind  mit  Argentumlösung  in  Schranken  zu  halten.  Bei  nicht 
zu  enger  Nase  ist,  mit  Ausnahme  der  Infundibularzellen,  das  ganze  Siebbein 
zugängig.  Sind  die  Infundibularzellen  schwer  erkrankt,  so  muß  von  außen 
operiert  werden,  mit  Wegnahme  des  proc.  frontalis  des  Oberkiefers,  ebenso 
wenn  orbitale  Komplikationen  vorliegen.  —  Bei  denjenigen  Fällen  von  diffu¬ 
sem  Siebbeinempyem,  die  unter  dem  Bilde  der  Ozaena  verlaufen,  sowie  bei 
diffuser  offener  Eiterung  verwirft  H.  die  Operation,  da  der  Erfolg  zu 
schlecht  ist. 

Die  Keilbeinh  öhle  bedarf  in  akuten  Fällen  der  örtlichen  Behand¬ 
lung  nur  dann,  wenn  das  Ostium  relativ  eng  ist.  Spülungen  sollen  nur  da 
gemacht  werden,  wo  die  Kanüle  sich  bequem  einführen  läßt,  sie  können  die 
Heilung  nur  unterstützen.  Die  Fortnahme  der  hinteren  Hälfte  der  mittleren 
Muschel  und  etwaiger  Hypertrophien  schafft  Raum  und  bringt  das  Ostiuml 


972 


Referate  und  Besprechungen. 


in  Sehlinie.  Die  Erweiterung  des  Ostium  mit  Haken,  Stanzen  oder  Fraise 
ist  nur  da  auszuführen,  wo  man  es  gut  sehen  kann,  da  bei  der  großen  Ten¬ 
denz  zui'  Verengerung  sonst  das  Offenhalten  nicht  gelingen  würde.  Die 
breite  Resektion  der  vorderen  Wand  der  Keilbeinhöhle  erfordert  die  Eröff¬ 
nung  der  hinteren  Siebbeinzellen,  um  auch  den  lateralen  Teil  der  Wand 
freizulegen.  Die  Nachbehandlung  besteht  in  Überwachung  der  Höhlenschleim¬ 
haut  und  Unterdrückung  der  Granulationen  an  der  Öffnung.  Eröffnung 
des  Sinus  von  außen  ist  nur  im  Anschluß  an  die  Operation  einer  anderen 
Höhle  indiziert.  Arth.  Meyer  (Berlin). 


Röntgentherapie  der  oberen  Luftwege. 

(Mader.  Arch.  internat.  de  laryng.,  Bd.  27,  H.  1.) 

Mader  behandelt  auch  Karzinome  des  Kehlkopfs  mit  Radiotherapie. 
Er  verwendet  dazu  besondere,  $og.  Mader-Rosentharsche,  von  der  Firma 
Polyphos  gefertigte  Röhren,  bei  denen  die  Strahlen  aus  einer  Verlängerung 
der  Röhre  senkrecht  zu  deren  Längsaxe  hervorgehen.  Diese  Verlängerung 
ist  derart  belegt,  daß  Mund  und  Rachen  geschützt  werden  und  die  Strahlen 
nur  aus  einer  kleinen  freien  Stelle,  wie  von  einem  Kehlkopfspiegel,  entspringen. 
Die  Bestrahlung  soll  nicht  etwa  die  Operation  ersetzen ;  umschriebene  Tumoren, 
bei  denen  man  gewiß  ist,  alles  Kranke  entfernen  zu  können,  bedürfen  chirurgi¬ 
scher  Behandlung.  Wo  das  Resultat  einer  Operation  zweifelhaft  ist,  infolge 
der  Ausdehnung  der  Geschwulst  oder  des  Zustandes  des  Patienten,  ist.  die 
Radiotherapie  am  Platz;  ebenso  wenn  ein  Eingriff  verweigert  wird  und  bei 
postoperativem  Rezidiv.  Arth.  Meyer  (Berlin). 


Fulguration  bei  Kehlkopfkarzinom. 

(Georges  Laurens.  Arcb.  internat.  de  laryng.,  Bd.  27.  Nr.  1.) 

L.  hat  die  De  Keating-Hart’sche  Methode  auf  das  Larynxkarzinom 
übertragen,  2  Fälle  operiert  und  schildert  die  Technik.  1.  Tiefe  Tracheotomie* 
Einlegen  einer  gläsernen  Tamponkanüle.  Narkose  mittels  dieser.  2.  Frei¬ 
legen  des  Larynx,  Unterbinden  sämtlicher  Gefäße,  um.  alle  metallenen  In¬ 
strumente  zu  entfernen.  Nach  Thyrotomie  Kokainisierung  des  Larynxinnern ; 
Beiseiteziehen  der  Kehlkopfhälften  mit  gläsernen  Ekarteurs  oder  mit  Seiden¬ 
fäden,  welche  durch  die  Schildknorpelplatten  gezogen  werden.  3.  Isolierung 
des  Larynx  von  Trachea  und  Schlund  durch  Tampons,  Schutz  der  gesunden 
Kehlkopfseite  durch  gläsernen  Schützer  oder  Tampons.  Erste  Fulguration. 

4.  Exzision  oder  Kürettement  des  Tumors  bis  etwa  zur  Grenze  des  Gesunden. 

5.  Nochmalige  Fulguration,  10 — 30  Min.,  je  nach  Ausdehnung.  Hierzu  werden 
besondere,  feine,  gläserne  Elektroden  benutzt,  um;  die  Wirkung  zu  lokalü-' 
sieren.  6.  Naht  unvollkommen,  so  daß  die  Wunde  drainiert  werden  kann. 
Die  Tamponkanüle  wird  durch  eine  gewöhnliche  ersetzt,  bei  kleinem  Tumor 
sofort  entfernt.  —  Im  Kehlkopf  wurde  leichtes  Ödem,  Ecchymose,  Laryngitis 
erythematosa  beobachtet,  es  bildete  sich  ein  Schorf  von  pseudomembranösem 
Charakter,  nach  dessen  Abstoßung  das  Stimmband  seine  Gestalt  wiederge¬ 
wann.  Schwere  Erscheinungen  wurden  nicht  beobachtet.  —  Über  den  wirk¬ 
lichen  Erfolg  enthält  sich  Verf.  mit  Recht  noch  jeden  Urteils. 

Arth.  Meyer. 


Röntgenologie  und  physikalische  Heilmethoden. 

Aus  dem  Laboratorium  des  Herrn  Prof.  Dr.  G.  Rosenfeld,  Breslau. 

Das  Karlsbader  Wasser  und  die  Harnsäure. 

(Dr.  Adalbert  Rosenthal,  Karlsbad-Breslau.  Berl.  klin.  Wochenschr.,  Nr.  15,  1909.) 

Rosenthal  hat  an  sich  selbst  Versuche  angestellt,  um  die  Wirkungs¬ 
weise  des  Karlsbader  Wassers  auf  die  Harnsäureausscheidung  zu  studieren. 
Die  Versuche  zerfallen  in  zwei  Abschnitte  von  je  10  resp.  9  Tagen  und  zwar 


Referate  und  Besprechungen. 


973 


war  die  Diät  in  beiden  die  gleiche,  dabei  nahm  er  im  ersten  Abschnitt  täglich 
1  Liter  Mühlbrunnen,  im  zweiten  nicht.  Jeder  Abschnitt  wurde  in  2  Perioden 
eingeteilt,  von  denen  die  erste  purinhaltige,  die  zweite  lakto-vegetabilische 
Kost  bot.  Das  Resultat  seiner  Untersuchungen  faßt  er  dahin  zusammen,  daß 
das  Karlsbader  Wasser  in  oben  genannter  Menge  sowohl  bei  purinreicher, 
wie  auch  bei  purinarmer  Kost  die  Harnsäureausscheidung  wesentlich  vermin¬ 
dert  hat.  Dabei  bleibt  es  zweifelhaft,  ob  dies  auf  eine  verminderte  Aus¬ 
scheidung  der  Harnsäure  oder  auf  eine  vermehrte  Zerstörung  zurückzuführen 
ist.  Letzteres  ist  allerdings  wenig  glaubhaft,  weil  einerseits  die  Harnmenge 
während  des  Gebrauchs  des  Brunnens  um  zirka  50%  gestiegen  war  und 
andererseits  die  harnsäurelösende  und  -ausschwemmende  Wirkung  kalkhaltiger 
Wässer  durch  die  Untersuchungen  von  Lehmann  und  Posner  nahegelegt  ist. 

P.  Walther. 


Behandlung  venerischer  Ulzerationen  mit  Röntgenstrahlen. 

(A.  Buschke.  Ther.  der  Gegenw.,  Jan.  1909.) 

Bei  einer  Reihe  von  syphilitischen  Geschwüren,  welche  auf  keine  der 
üblichen  Methoden  zur  Heilung  zu  bringen  waren,  hat  Buschke  zu  den 
X-Strahlen  als  ultimum  refugium  gegriffen  und  sah  darunter  die  hartnäckigen 
Ulzerationen  heilen. 

Daß  er,  wie  schon  früher,  in  den  typischen  Effloreszenzen  der  Syphilis 
maligna  die  Spirochaeta  pallida  nicht  fand,  sei  zur  Würdigung  dieses  mikro¬ 
skopischen  Gebildes  erwähnt.  Buttersack  (Berlin). 


Röntgendurchleuchtungen  beiTageslichtunter  vollkommenem  Strahlenschutz 

für  Arzt  und  Patienten. 

(Davidsohn,  Berlin.  Deutsche  med.  Wochenschr.,  H.  52,  1908.) 

D.  beschreibt  eine  einfache  und  sinnreiche  Einrichtung,  die  den  Zweck 
hat,  den  Arzt  völlig  gegen  Röntgenstrahlen  zu  schützen  und  die  Durch¬ 
leuchtung  in  nicht  verdunkeltem  Zimmer  vorzunehmen.  Die  Einrichtung 
hat  nur  den  Nachteil,  daß  nicht  mehrere  Personen  zugleich  beobachten  können 
und  daß  der  Arzt  nicht  imstande  ist,  den  Patienten  in  verschiedene  Stellen  zu 
drehen,  was  z.  B.  bei  Untersuchungen  des  Mediastinums  von  großer  Wichtig¬ 
keit  ist.  Hahn. 


Ueber  die  Behandlung  mit  Radiumemanation. 

(Dr.  Alfred  Fuerstenberg.  Deutsche  med.  Wochenschr.,  Nr.  52,  1908.) 

F.  hat  im  wesentlichen  das  emanationshaltige  Wasser  der  Radiogen- 
Gesellschaft  angewendet.  Am  wirksamsten  ist  seiner  Ansicht  nach  die  Trink¬ 
kur,  die  Badekur  dagegen  wirkt  wahrscheinlich  nur  durch  die  Inhalation 
der  dem  Bade  entweichenden  Emanation.  Es  wurden  durchschnittlich  jeden 
zweiten  Tag  10000  Einheiten  gereicht,  doch  konnten  auch  bedeutend  größere 
Mengen  (bis  zu  100000  Einheiten)  ohne  schädliche  Nebenwirkungen  getrunken 
werden.  Die  besten  Erfolge  wurden  bei  chronischen,  rheumatischen  oder 
gichtischen  Erkrankungen  erzielt,  und  zwar  war  die  Besserung  sowohl  sub¬ 
jektiv,  durch  Nachlaß  der  Schmerzen,  /als  auch  objektiv,  durch  Rückgang 
der  Schwellung  nachweisbar.  Bei  einer  Anzahl  von  Fällen  und  zwar  bei 
denen,  die  günstig  beeinflußt  wurden,  traten  nach  den  ersten  Behand¬ 
lungen  als  deutliche  Reaktion  lokalisierte  oder  über  den  ganzen  Körper 
verbreitete  Schmerzen,  sowie  Rötung  und  Schwellung  der  kranken  Gelenke 
auf.  Diese  Reaktion  hielt  2 — 24  Stunden  an.  Ihre  Stärke  und  Dauer  ent¬ 
sprach  der  Menge  der  verabreichten  Emanationseinheiten.  Hahn. 


974 


Referate  und  Besprechungen. 


Moderne  Frakturenbehandlung  mit  Zuhilfenahme  des  Röntgenverfahrens. 

(C.  Beck,  New-York.  New-Yorker  med.  Wochenschr.,  Nr.  4,  1909.) 

Lobeshymnus  auf  die  Röntgendiagnose  der  Frakturen.  So  sehr  der 
durch  sie  erreichte  Fortschritt  zu  preisen  ist,  erscheint  es  doch  zweifelhaft, 
ob  die  Bezeichnung  der  früheren  Behandlung  als  teilweise  „verbrecherisch“ 
angebracht  sein  dürfte.  Esch. 


Medikamentöse  Therapie. 

Die  Jodferratose  in  der  Kinderheilkunde. 

(Dedin.  Rasseg.  di  Terap.,  Nr.  28,  1908.) 

Verfasser  hat  sich  in  einer  früheren  Arbeit  mit  der  experimentellen 
Untersuchung  der  Jodferratose  beschäftigt  ;und  läßt  jetzt  diesen  Unteir-^ 
suchungen  seine  klinischen  Beobachtungen  folgen. 

Die  Wirkung  der  Jodferratose  wurde  an  einer  Anzahl  von  Kindern 
erprobt,  welche  an  Skrofulöse  und  Anämie  mehr  oder  weniger  stark  erkrankt 
waren.  Während  der  Behandlung  wurde  auf  das  Körpergewicht  der  Kinder, 
auf  verschiedene  physische  Merkmale,  auf  das  Allgemeinbefinden  und  auf 
den  Hämoglobingehalt  des  Blutes  besonders  achtgegeben.  Die  Erkrankungen 
der  Kleinen  waren  teils  auf  erbliche  Belastung,  teils  auf  ungünstige  hygie¬ 
nische  Verhältnisse  zurückzuführen. 

Das  Präparat  wurde  von  den  Patienten  durchweg  gut  vertragen  und 
erzeugte  auch  bei  größeren  Dosen  weder  Jodismus  noch  Verdauungsstörungen. 
Es  übte  vielmehr  stets  eine  gute  Wirkung  auf  die  Darmfunktion  und  auf 
den  Appetit  aus. 

Die  gute  Bekömmlichkeit  des  Präparates  zeigte  sich  auch  durch  das 
verbesserte  Aussehen  der  Patienten  und  die  Veränderung  im  Ernährungs¬ 
zustand  und  der  Hautfärbung.  Letztere  besonders  wurde  sehr  bald  frisch 
und  rosig,  und  das  ödematöse  Aussehen  verschwand.  Die  Jodferratose  wirkt) 
anregend  auf  die  Funktion  der  Organe  und  des  Lymphstromes  und  be¬ 
einflußt  günstig  fieberartige  Zustände;  ein  Fall  von  remittierendem  Fieber 
bei  einer  komplizierten  Polyadenitis  klang  in  besonders  rascher  Weise  abi. 
Wegen  seines  Wohlgeschmacks  nehmen  die  Kinder  das  Präparat  gern  ein. 

•  -■ _  Neu  mann. 

Untersuchungen  über  Spirosal. 

(Koch  u.  Schultz.  Ther.  Monatsh.,  Nr.  8,  1909.) 

■Verfasser  kombinierten  in  geeigneten  Fällen,  d.  h.  nach  Ablauf  der 
akuten  Erscheinungen  beim  Gelenkrheumatismus  die  Bier’sche  Stauung  mit 
der  perkutanen  Spirosal-Applikation,  und  zwar  wurden  die  erkrankten  Ge¬ 
lenke  mit  je  5  ccm  Spirosal- Alkohol  eingepinselt.  Die  Staubinde  war  vor¬ 
her  schon  angelegt  und  blieb  durchschnittlich  fünf  Stunden  liegen.  Es  er¬ 
gab  sich,  daß  die  Haut  des  gestauten  Gliedes  das  Spirosal  gut  resorbierte. 
Besonders  auffallend  war,  daß  die  ■Salizylausscheidung  im  Harn,  das  Spi¬ 
rosal  ist  der  Monosalizylsäureester  des  Äthylenglykols,  außerordentlich  lange 
Zeit  anhielt.  Ungünstige  Nebenerscheinungen  wurden  nicht  beobachtet.  Selbst 
solche  Kranke,  die  andere  Salizyl-Präparate  schlecht  vertrugen,  hatten  keine 
Beschwerden.  Nur  bei  einem  Patienten  mit  sehr  empfindlicher  Haut  träten 
nach  einmaliger  Spirosaleinpinselung  linsen-  bis  zehnpfennigstückgroße,  er¬ 
habene  rote  Flecken  auf,  die  nur  wenig  juckten  und  nach  wenigen  Tagen 
wieder  verschwanden.  , 

Gleich  den  früheren  Untersuchern  fiel  den  Verfassern  besonders  auch 
die  schmerzstillende  Wirkung  und  ein  auffallendes  Zurückgehen  sehr  hart¬ 
näckiger  Gelenkergüsse  auf.  „  Neumann. 


Kollodium  gegen  rheumatische  Schmerzen  wird  in  (Les  nouveaux  r£medes, 
Nr.  8,  1909)  nach  folgender  Formel  empfohlen:  Morphin,  hydrochlor.  2,0,  Aether  5,0, 
Kollodium  (mit  Ricinusöl)  25,0.  D.  S.  Aufpinseln.  v.  Schnizer  (Danzig). 


Bücherschau, 


975 


Gr.  Berti  tritt  warm  ein  für  die  Anwendung  des  grauen  Pulvers 
der  Engländer  bei  der  Syphilis  der  Neugeborenen.  Dieses,  der  Ethyops 
calcaire  der  Pharmakopoeen,  stellt  eine  Mischung  von  kohlensaurem  Kalk 
mit  metallischem  Hg  im  Verhältnis  67 :  33  dar.  Er  gibt  es  mehrmals  täg¬ 
lich  in  Dosen  von  0,03 — 0,09,  je  nach  dem  Alter  und  hat  gute  Resultate 
davon  gesehen.  (Les  nouveaux  remedes,  Nr.  23,  1908.) 

v.  Schnizer  (Danzig). 


Allan  behandelt  das  Erysipel  mit  reiner  Karbolsäure,  indem  er  es 
etwa  1  cm  über  die  Demarkationslinie  hinaus  aufpinselt,  bis  die  Oberfläche 
weiß  wird  und  dann  mit  95%  Alkohol  wieder  abwäscht.  Eventuell  wird  der 
im  ganzen  geringen  Schmerzen  wegen  eine  Alkoholkompresse  notwendig.  In 
12  Fällen  war  nur  eine  2lmalige  Anwendung  notwendig.  Narben  sind  in  keinem 
Falle  zurückgeblieben.  (Les  nouveaux  remedes,  Nr.  23,  1908.) 

v.  Schnizer  (Danzig). 


Bücherschau. 


Handbuch  der  Technik  und  Methodik  der  Immunitätsforschung.  Unter 
Mitwirkung  zahlreicher  Fachgenossen  herausgegeben  von  Prof.  Dr.  R.  Kraus 
und  Dr.  C.  Levaditi.  Zwei  Bände.  Verlag  von  G.  Fischer,  Jena, 

1908  und  1909. 

Das  große  zweibändige  Sammelwerk,  welches  bei  der  enormen  theoretischen 
und  praktischen  Bedeutung  der  Immunitätslehre  sowohl  von  dem  Fachmanne,  als 
auch  von  dem  hier  sich  wissenschaftlich  betätigenden  Kliniker  bei  seinem  Erscheinen 
auf  das  lebhafteste  begrüßt  wurde,  liegt  nunmehr  abgeschlossen  vor.  Damit  ist  auch 
eine  wesentliche  Lücke  ausgefüllt,  welche  das  Handbuch  von  W.  Ko  Ile  und 
A.  Wassermann  trotz  seiner  erschöpfenden  Behandlung  auch  der  Immunitäts¬ 
erscheinung  durch  das  Ziel  offen  lassen  mußte,  welches  zu  erreichen  es  sich  vor¬ 
gesteckt  hatte.  Dort  mußte  die  Technik  und  Methodik  der  Immunitätsforschung 
von  gewissen  zusammenfassenden  Kapiteln  abgesehen,  im  Zusammenhänge  mit  der 
Besprechung  der  einzelnen  Krankheitserreger  abgehandelt  werden.  Sie  konnte  dem¬ 
nach  nicht  in  den  Vordergrund  der  Darstellung  gelegt  werden.  Demnach  fehlte 
bisher  eine  ins  Detail  gehende  Gesamtdarstellung  der  tierischen  und  pflanzlichen 
Antigene  und  ihrer  Antikörper,  ebenso  wie  eine  den  gegenwärtigen  Wissensstand 
zusammenfassende  Übersicht  über  die  Methodik.  Dies  hatte  für  alle  auf  dem 
Gebiete  der  Immunitätserscheinung  Arbeitenden,  ganz  besonders  aber  für  den 
Neuling  zur  Folge,  daß  er  sich  die  bisher  aufgedeckten  Tatsachen  und  Methoden 
aus  der  heute  schon  unübersehbar  angeschwollenen,  manchmal  auch  schwer  zugäng¬ 
lichen  Literatur  zusammensuchen  mußte.  So  kommt  das  vorliegende  Werk  dem 
Bedürfnisse,  sowohl  als  Nachschlagewerk  im  Laboratorium,  als  auch  zur  Anleitung 
zu  eigenen  Arbeiten  zu  dienen,  ebenso  entgegen,  wie  es  gleichzeitig  eine  Orientierung, 
sowie  ein  Detailstudium  des  umgrenzten  Wissensgebietes  ermöglicht.  Die  Tatsache, 
daß  es  nunmehr  vollendet  vorliegt,  kann  nicht  warm  und  anerkennend  genug 
begrüßt  werden! 

Die  Herausgeber,  Prof.  R.  Kraus  (Wien)  und  Dr.  C.  Levaditi  (Paris)  haben 
bei  der  Durchführung  ihres  großen  Unternehmens  in  richtigem  Verständnisse  von 
der  Bedeutung  des  Zusammenschlusses  von  Fachmännern  aus  den  verschiedensten 
Ländern  und  Instituten,  hier  eine  solche  auch  tatsächlich  erreicht.  So  haben  für 
das  Werk  die  Begründer  dieses  Forschungszweiges  E.  Mets chnikof  f  und  P.  Ehrlich 
wertvolle  zusammenfassende  Beiträge  geliefert  und  unter  den  Mitarbeitern  finden 
sich  die  Namen  hervorragender  Forscher  und  die  Angehörigen  der  verschiedensten 
Institute  für  Serumforschung  und  Serumtherapie  (wie  Paris,  Lille,  Frankfurt, 
Kopenhagen,  .Wien,  Berlin,  Petersburg  u.  a.  m.).  Daß  diese  Zusammenarbeit  der 
verschiedensten  Vertreter  der  Immunitätsforschung  in  so  ausgeglichener  und  voll¬ 
kommener  Weise  möglich  war,  wie  es  hier  tatsächlich  geschehen  ist,  begründet  sich 
vielleicht  auch  in  dem  Umstande,  daß  gegenwärtig  die  lebhafte  Diskussion 
über  verschiedene  prinzipiell  wichtige  Fragen  wenn  auch  nicht  verstummt  oder  gar 
entschieden,  so  doch  eine  wesentliche  Abschwächung  erfahren  hat.  Die  Benützung 
dieses  Zeitpunktes  für  die  Abfassung  des  vorliegenden  Handbuches  ist  ihm  auch 
aus  den  oben  ängedeuteten  Gründen  sicherlich  nur  von  Vorteil  gewesen. 


976 


Bücherschau. 


Was  die  vortreffliche  Anordnung  des  großen  Stoffes  anlangt,  so  sind  im 
ersten  Bande  (1138  Seiten,  3  Tafeln,  1  Kurve,  126  teils  farbige  Abbildungen  im  Texte) 
die  Antigene  abgehandelt.  Dabei  wird  zuerst  von  M.  Neisser  das  Allgemeine 
über  bakterielle  Antigene  besprochen,  deren  Antikörper  bakteriolytische,  agglu¬ 
tinierende,  präzipitierende  Eigenschaften  auf  weisen  und  Thorwald  Madsen  faßt 
in  einer  Abhandlung  das  über  bakterielle  Antigene-Toxine  bekannte  zusammen, 
deren  Antikörper  antitoxische  Eigenschaften  besitzen.  Es  folgt  dann  die  Besprechung 
der  einzelnen  pflanzlichen  und  tierischen  Antigene  sowie  die  Technik  ihrer  Ge¬ 
winnung  im  besonderen  in  34  Kapiteln  durch  die  verschiedensten  Autoren,  wobei 
naturgemäß  der  Methodik  der  verschiedenen  Schutzimpfungen  ein  besonders  breiter 
Baum  gewährt  wurde.  Unter  den  Mitarbeitern  finden  wir  hier  die  Namen  von 
B.  Kraus,  Calmette,  H.  Sachs,  A.  Wassermann,  W.  Kolle,  Boemer, 
Wladimiroff  u.  a.  m.  Im  zweiten  Bande  (1219  Seiten,  2  Kurven,  1  Tafel,  101  teils 
farbige  Abbildungen  im  Texte)  wird  die  Antikörpererzeugung  bei  großen  (Kretz, 
Levaditi)  und  kleineren  Versuchstieren  (Thorwald  Madsen),  ferner  ihre  Dar¬ 
stellung  mittels  chemischer  und  physikalicher  Methoden  (E.  Pr ibr am)  abgehandelt 
und  ihre  Auswertung  erörtert.  Weiterhin  finden  wir  in  zahlreichen  Einzelarbeiten 
das  heute  über  die  verschiedenen  Antikörper  im  einzelnen  Erworbene  detailliert 
besprochen  (Thorwald  Madsen,  M.  v.  Eisler,  E.  Pribram,  B.  Grassberger 
u.  Schattenfroh,  Kraus,  Levaditi,  Calmette,  P.  Uhlenhuth,  Kolle  u.  a.  m.). 
Abhandlungen  über  das  Wesen  und  die  Technik  der  Agglutination  (E.  Volk, 
B.  Kr  eis  sei),  über  die  Technik  des  biologischen  Eiweiß-Differenzierungsverfahrens 
(P.  Uhlenhuth  u.  Weidanz),  über  die  Komplementbindungsmethode  (J.  Ci tron), 
über  Kolloide  und  Lipoide  in  ihren  Beziehungen  zur  Immunitätslehre  (O.  Porges) 
beschließen  das  Werk. 

So  repräsentierten  sich  die  zwei  Bände  nicht  nur  durch  die  Fülle  und  Lücken¬ 
losigkeit  des  gebotenen,  sondern  auch  eben  so  sehr  durch  das  Wie  der  Darstellung  als 
ein  Standard  work  allerersten  Banges,  welches  leider  im  Bahmen  eines  kurzen 
Beferates  nach  Gebühr  nicht  voll  gewürdigt  zu  werden  vermag.  Die  lebhafte  Zu¬ 
stimmung,  die  schon  das  Erscheinen  der  ersten  Lieferung  seinerzeit  in  den  beteiligten 
Kreisen  hervorrief,  erübrigt  jedes  Wort  der  Empfehlung.  Die  weite  Verbreitung, 
welche  dem  Werke  schon  vorneherein  sicher  war,  wird  den  Herausgebern  wie  dem 
Verlage  gewiß  erhärten,  welch  großes  Verdienst  sie  sich  damit  für  den  Fortschritt 
und  die  Verbreitung  der  Immunitätslehre  erworben  haben.  H.  Pfeiffer  (Graz). 


Die  Arbeitsteilung  in  der  Heilkunde.  Von  O.  Körner.  Wiesbaden, 

J.  F.  Bergmann,  1909.  24  Seiten. 

Wer  jeglichen  historischen  Sinnes  bar  ausschließlich  in  der  Gegenwart  lebt, 
dem  mag  wohl  eine  Strömung,  welcher  die  erdrückende  Mehrzahl  der  Zeitgenossen 
anhängt,  als  eine  elementare  Erscheinung  von  unabsehbarer  Dauer  erscheinen. 
Und  troßdem  sind  es  nur  Seifenblasen  der  Weltgeschichte,  die  dann  zerplatzen,  wenn 
sie  den  größten  Umfang  angenommen  haben.  So  geht  es  wohl  auch  mit  dem 
Spezialistentum.  Diese  Seifenblase  hat  offenbar,  wie  ein  Blick  in  die  literarischen 
Unternehmungen  und  ins  reale  Leben  zeigt,  ihren  größten  Umfang  noch  nicht 
erreicht;  aber  doch  melden  sich  schon  Stimmen  im  entgegengesetzten  Sinne.  Dazu 
gehört  der  Vortrag  des  bekannten  Kostocker  Otologen.  Freilich  eifert  er  in  der 
Hauptsache  gegen  eine  Trennung  von  Oto-,  Bhino-  und  Laryngologie,  welche  er 
neben  der  Ophthalmologie,  Dermatologie,  Psychiatrie,  Pädiatrie  usw.  als  organologische 
Fächer  der  inneren  und  chirurgischen  Klinik  als  den  methodologischen  Disziplinen 
gegenüberstellt.  Aber  daneben  kommt  doch  auch  die  allgemeine  Erkenntnis  zum 
Ausdruck,  daß  der  Spezialist  keineswegs  den  Höhepunkt  der  Heilkunst  verkörpert, 
und  manche  Stellen  muten  wie  eine  Rehabilitierung  des  Allgemein-Praktikers  an. 
Sätze  wie:  „Vor  der  persönlichen  Uberhebung  und  der  Überschätzung  seiner  spezia- 
listischen  Leistungen  schützt  ihn  die  Allgemeinpraxis,  indem  sie  ihm  beständig  zum 
Bewußtsein  bringt,  einen  wie  kleinen  Teil  der  Heilkunde  das  von  ihm  besonders 
gepflegte  Fach  einnimmt“  könnte  mancher  Spezialist  mehrmals  lesen.  Der  berühmte 
Dermatologe  Lewin  pflegte  zu  sagen:  „Das  Spezialistentum  soll  nicht  ein  Aus¬ 
wuchs,  sondern  eine  Blüte  an  dem  Baum  der  Medizin  sein“ ;  auf  denselben  Ton  ist 
auch  Körner’s  Vortrag  gestimmt.  Buttersack  (^Berlin). 


Schriftleitung:  Dr.  Rigler  in  Leipzig. 
Druck  von  Emil  Herrmann  senior  in  Leipzig. 


27.  Jahrgang. 


1909. 


fomcbrim  der  Medizin. 

Unter  Mitwirkung  hervorragender  Fachmänner 

herausgegeben  von 

Professor  Dr.  0.  Köster  Pm.-Doz.  Dr.  v.  Criegern 

in  Leipzig.  in  Leipzig. 

Schriftleitung:  Dr.  Rigler  in  Leipzig. 


Nr.  26. 


Erscheint  am  10.,  20.,  30.  jeden  Monats.  Preis  halbjährlich 
6  Mark,  inkl.  Zeitschrift  für  Yersicherungsmedizin  8  Mark. 


Verlag  von  Georg  Thieme,  Leipzig. 


20.  Septbr. 


Originalarbeiten  und  Sammelberichte. 

Aus  der  städtischen  Heilanstalt  Dösen  bei  Leipzig.  Direktor:  Obermedizinalrat 

Dr.  Lehmann. 

Ueber  choreatische  Bewegungsstörungen  bei  Neurosen  und 

Psychosen  und  Chorea  chronica. 

Von  Oberarzt  Dr.  Max  Liebers. 

(Nach  einem  in  der  medizinischen  Gesellschaft  zu  Leipzig  am  11.  Mai  1909 

gehaltenen  Vortrage.) 

Bekanntlich  versteht  man  unter  choreatischen  Bewegungen  un¬ 
willkürliche  und  unzweckmäßige  Muskelkontraktionen,  die  oft  gleich¬ 
zeitig',  nebeneinander  und  nacheinander  in  den  verschiedensten  Muskel¬ 
gebieten  des  Körpers  auf  treten  und  mit  mehr  oder  minder  ausgiebigen 
wechselnden  Bewegungseffekten  verbunden  sind.  Keineswegs  handelt 
es  sich  dabei  um  gänzlich  unkoordinierte  Muskelzuckungen,  wie  bei 
den  klonischen  Muskelzuckungen,  sondern  die  ausgiebigen  Bewegungs¬ 
wirkungen  erweisen  sie  schon  als  bis  zu  einem  gewissen  Grade  koordi¬ 
niert,  wenn  auch  als  unzweckmäßig  und  regellos  koordiniert.  Die»  cho¬ 
reatischen  Muskelzuckungen  erfolgen  meist  ziemlich  schnell,  blitzartig, 
und  gehen,  wenn  sie  langsamer  auf  treten,  ohne  scharfe  Grenze  in  die 
athetotischen  über.  Nur  erfolgen  bei  der  Athetose  die  einzelnen  Be¬ 
wegungen  mehr  gleichmäßiger  und  betreffen  mehr  die  distalen  Ab¬ 
schnitte  der  Extremitäten,  während  bei  der  Chorea  auch  die  proximalsten 
Teile  und  die  Rumpfmuskulatur  sowie  die  Muskeln  des  Kopfes  leb¬ 
haft  beteiligt  sind. 

Die  ticartigen  Zuckungen  unterscheiden  sich  von  den  choreatischen 
durch  ihre  mehr  systematisierte  Beschaffenheit,  durch  ihren  zwangs¬ 
artigen  Charakter,  mit  dem  sie  gewöhnlich  aufzutreten  pflegen,  und 
durch  die  sie  begleitenden  und  den  Kranken  oft  peinigenden  Unlust¬ 
gefühle.  Ticartige  Zuckungen  sind  immer  zwangsmäßig  auftretende 
Reflex-,  Abwehr-  und  Ausdrucksbewegungen.  Doch  wird  auch  das 
gleichzeitige  Vorkommen  der  Tickrankheit  und  der  Chorea  erwähnt 
(Oppenheim,  Raymond). 

Man  kann  sagen,  daß  fast  jede  Chorea  mit  psychotischen  Sym¬ 
ptomen  kompliziert  ist.  Auch  von  der  gewöhnlichen  Chorea  minor, 
der  hauptsächlichsten  und  häufigsten  Repräsentantin  aller  Erkrankungen 
mit  choreatischen  Bewegungsstörungen,  gilt  dasselbe.  Wir  beobachten 
bei  ihr  die  verschiedensten  psychischen  Erkrankungen,  so  vor  allem 
schwere  Depressionszustände,  halluzinatorische  Delirien,  paranoische  Zu- 

62 


978 


Max  Liebers, 


standsbilder  und  maniakalische  Erregungen.  Namentlich  die  Chorea 
minor  der  Erwachsenen  zeigt  diese  psychischen  Störungen  in  gesteiger¬ 
tem  Maße.  Aber  auch  die  Chorea  minor  der  Kinder,  bei  der  ausge¬ 
sprochene  Psychosen  schon  seltener  auftret, en,  zieht  die  Psyche  sehr 
häufig  in  Mitleidenschaft.  Diese  Kinder  führen  oft  ein  psychisches 
Binnenleben,  die  Beziehungen  zur  Außenwelt  sind  gestört,  sie  sind 
reizbar,  fahrig,  unaufmerksam,  oft  auch  verschlossen  und  in  sich  ge¬ 
kehrt.  Sie  zeigen  bei  genauerer  Prüfung  auch  eine  leichte  Ermüdbar¬ 
keit  und  Abnahme  ihrer  geistigen  Leistungsfähigkeit.  Interessant  ist 
ferner  die  bei  choreakranken  Kindern  oft  vorhandene  linkshändige 
Spiegelschrift,  die  mit  Ablauf  der  Erkrankung  gewöhnlich  schwindet 
und  auch  ein  Zeichen  der  schwer  gestörten  Psyche  bildet  (Soltmann). 

Auch  der  Übergang  der  choreatischen  Bewegungsunruhe  in  den 
Bewegungsdrang  der  Manie  wurde  von  Jolly  beobachtet. 

Das  Vorkommen  choreatischer  Erscheinungen  bei  manchen  organi¬ 
schen  Hirnerkrankungen  soll  nur  kurz  erwähnt  werden.  Es  gehören 
hierher  die  bei  Hemiplegikern  sich  oft  bei  Wiederkehr  der  aktiven 
Beweglichkeit  einstellende  sogenannte  Chorea  posthemiplegica  und  die 
choreatischen  Beizerscheinungen  bei  der  zerebralen  Kinderlähmung  und 
den  zerebralen  Diplegien. 

Die  Beobachtungen  choreiformer  Beizerscheinungen  bei  organischen 
Gehirnerkrankungen  bilden  gewissermaßen  einen  Übergang  zu  gewissen 
psychischen  Erkrankungen  mit  anatomischem  Befund,  von  denen  auch 
manche  sich  mit  choreaartigen  Erscheinungen  verknüpfen.  So  sieht 
man  gelegentlich  gar  nicht  zu  selten  in  den  Endstadien  der  Dementia 
paralytica  namentlich  in  Verbindung  mit  paralytischen  Krampfanfällen 
choreiforme  Muskelzuckungen.  Es  ist  auf  diese  auch  schon  den  älteren 
Autoren  bekannte  Erscheinung  in  neiuester  Zeit  wieder  von  Binswanger 
und  vor  allem  von  Dräseke  hingewiesen  worden.  Dräseke  gibt 
an,  sie  auch  schon  in  den  früheren  Stadien  dieser  Erkrankung  gesehen 
zu  haben. 

Auch  bei  der  Epilepsie,  bei  der  die  neuesten  Eorschungen  doch 
auch  organische  Veränderungen  namentlich  der  Hirnrinde  ergeben  haben, 
bildet  die  Chorea  öfters  ein  Begleitsymptom.  Gowers,  Eere  u.  a. 
bringen  entsprechende  Beobachtungen,  die  auch  das  Vorkommen  chorea¬ 
tischer  Zuckungen  in  der  interparoxysmalen  Zeit  beweisen.  Es  gehört 
hierher  die  Epileptia  Continua  russischer  Autoren  (Muratoff,  Kojew- 
nikoff,  Bechterew)  und  die  Epileptia  choreica  Bechterew’s.  In 
der  Tat  sieht  man  gelegentlich  bei  Beobachtung  mancher  älterer  Epi¬ 
leptiker  namentlich  bei  psychischen  Erregungen,  beim  Erschrecken,  brüs¬ 
kem  Anreden  von  hinten,  oft  deutliche  choreatische  Bewegungsstörungen. 
Sie  kommen  dann  auch  dadurch  zum  Ausdruck,  daß  die  Kranken  bei 
ihrer  Beschäftigung  auffallend  unsicher  und  ungeschickt  werden  und  die 
gewollten  Bewegungen  erst  nach  wiederholten  ausfahrenden  Abschwen¬ 
kungen  und  Abweichen  von  der  ursprünglichen  Bewegungsrichtung  zu 
Ende  führen  können.  Es  gibt  Epileptiker,  deren  Bewegungen  und  ganzes 
Gebaren  durch  diese  sich  bei  allen  intendierten  Bewegungen  störend 
einschiebenden  choreatischen  Muskelkontraktionen  etwas  Groteskes,  Um¬ 
ständliches  und  Weitschweifiges  erhält,  daß  man  schon  von  weitem 
oft  glaubt,  einen  Choreatiker  vor  sich  zu  haben. 

Nur  kurz  soll  an  dieser  Stelle  erwähnt  werden,  daß'  manche 
Autoren  (Möbius,  E.  Schultz, e,  Bötticher)  die  Un  verricht’ sehe 
Myoklonie,  eine  familiäre  Erkrankung,  die  sich  aus  epileptischen  An- 


Ueber  choreatische  Bewegungsstörungen  bei  Neurosen  usw.  979 

fällen  und  den  den  choreatischen  sehr  nahestehenden  myoklonischen 
Zuckungen  zusammenzetzt,  ganz  als  eine  Abart  der  Chorea  chronica 
betrachten. 

Relativ  häufig  finden  wir  choreatische  Reizerscheinungen  hei  Idio¬ 
ten  und  Imbezillen,  und  Oppenheim  macht  darauf  aufmerksam,  daß 
die  Chorea  minor  hei  geistesschwachen  Kindern  sich  besonders  lange 
hinziehen  soll. 

Die  auf  dem  Boden  der  Hysterie  sich  entwickelnde  hysterische 
Chorea  unterscheidet  sich  zunächst  einmal  schon  durch  ihre  Entstehung 
im  Anschluß  an  Gemütsbewegungen  und  ähnliche  Momente,  dann  sind 
die  Bewegungen  meist  stereotyper.  Der  Nachweis  von  anderweitigen 
hysterischen  Stigmata  wird  meist  die  Unterscheidung  ermöglichen.  Doch 
kann  in  einzelnen  Fällen  aus  der  Symptomatologie  allein  der  Nachweis 
der  hysterischen  Genese  oft  nicht  geführt'  werden,  so  z.  B.  bei  den 
durch  Nachahmung  entstandenen  Formen.  Sonst  sind  es  meist  kom¬ 
pliziertere  Bewegungen,  welche  diese  hysterische  Chorea  kennzeichnen, 
z.  B.  als  oh  der  Patient  sich  zum  Gruß  verneige,  mit  dem  Hammer 
auf  den  Amboß  schlüge  (Chorea  malleatoria)  usw.  Charakteristisch 
ist  ferner  das  oft  plötzliche  Auf  hören  der  Chorea  hysterica  im  An¬ 
schluß  an  einen  Anfall  usw. 

Französische  Autoren  (Brissand,  Fere  u.  a.)  machen  auf  eine 
bei  psychisch  Degenerierten  vorkommende  „Choree  variable  ou  poly¬ 
morphe“  aufmerksam,  die  sich  durch  große  Schwankungen  hinsichtlich 
Intensität  und  Charakter  der  Zuckungen  und  durch  eine  Beeinflußbar¬ 
keit  durch  den  Willen  kennzeichnen  soll,  und  Oppenheim  weist  darauf 
hin,  wie  sehr  dije  hei  nervösen  Personen  oft  in  der  Verlegenheit  einsetzende 
motorische  Unruhe  der  choreatischen  Unruhe  gleiche. 

Ferner  sieht  man  öfters  hei  manchen  Geisteskranken,  namentlich 
Paranoischen  eigentümliche  Bewegungen,  die  als  Abwehrbewegungen 
wahnhafter  feindlicher  Beeinflussungen  und  Belästigungen  angesehen 
werden  müssen.  Als  seelisch  bedingt  gehören  sie  natürlich  nicht  zu 
den  choreatischen,  gleichen  ihnen  aber  oft  sehr  in  ihrer  äußeren  Er¬ 
scheinungsform.  Eine  größere  Ähnlichkeit  und  nähere  Beziehungen  zu 
den  ehoreatischen  Phänomenen  zeigen  aber  ferner  manche  eigentümliche 
Bewegungsäußerungen  gewisser  sogenannter  Katatoniker.  Es  würde 
jedoch  zu  weit  führen,  auf  diesen  interessanten  Punkt  hier  näher  einzu¬ 
gehen. 

Noch  recht  unsicher  sind  unsere  Kenntnisse  über  die  anatomische 
Grundlage  der  choreatischen  Bewegungsstörungen.  Gewisse  Befunde 
von  Herderkrankungen  hei  der  Chorea  posthemiplegica,  die  sich  nament¬ 
lich  auf  gewisse  Teile  des  Thalamus  opticus  und  der  subthalamischen 
Region,  des  Nucleus  ruber  und  der  zu  diesen  Gebilden  ziehenden  zere¬ 
bellaren  Bahnen  erstreckten,  haben  zu  verschiedenen  Theorien  geführt 
(Kahler,  Pick,  Anton,  Hartmann,  Bonhöffer  u.  a.)  Die  aber 
teilweise  noch  recht  unsicher  sind.  Außerdem  muß  betont  werden,  daß 
hei  der  Chorea  minor,  der  häufigsten  Choreaform  meist  grob  anato¬ 
mische  Befunde  vermißt  werden,  und  dasselbe  gilt  natürlich  auch  von 
andern  Formen  der  Chorea.  Immerhin  kann  man  ganz  allgemein  sagen, 
daß  alle  diejenigen  pathologisch-anatomischen  Krankheitsprozesse  das 
Auftreten  choreatischer  Bewegungen  begünstigen,  welche  die  höheren 
motorischen  Hemmungsapparate,  die  wir  in  der  Hirnrinde  zu  suchen 
haben,  lähmen  und  dadurch  der  Tätigkeit  der  subkortikalen  automatischen 
Zentren  größeren  Spielraum  gewähren. 


62* 


980 


Max  Liebers, 


Was  nun  die  Zeitdauer  betrifft,  die  choreatische  Zuckungen  anzu¬ 
dauern  pflegen,  so  ist  ja  bekannt,  daß  die  Chorea  minor  meist  nur  mehrere 
Monate  bis  zu  einem  Jahre  anzuhalten  pflegt.  Doch  existieren  auch 
Beobachtungen  von  wesentlich  längerer  Dauer.  Oppenheim  z.  B.  sah 
Chorea  minor  hei  einem  Mädchen  vom  7. — 24.  Lebensjahr  sich  hinziehen. 
Bekannt  ist  ferner,  daß  die  Chorea  minor  häufig  auch  rezidiviert  und 
dadurch  schon  für  längere  Zeit  einen  chronischen  Charakter  annehmen 
kann.  Im  allgemeinen  scheint  ferner  die  Chorea  minor  um  so  länger 
sich  auszudehnen,  je  älter  das  Individuum  ist,  das  von  ihr  befallen 
wird.  Es  gibt  also  doch  zweifellos  Fälle,  wo  eine  gewöhnliche  Chorea 
minor  in  eine  Chorea  chronica,  die  fast  das  ganze  Leben  ausfüllen  kann, 
übergeht.  Auch  von  der  sogenannten  Chorea  senilis  gilt  dasselbe. 

Die  meisten  Fälle  sogenannter  Chorea  chronica  sind  aber  anderer 
Art.  Das  gilt  zunächst  einmal  von  der  sogenannten  Huntiington’schen 
Chorea  chronica.  Im  Gegensatz  zu  der  keineswegs  als  selten  zu  be¬ 
zeichnenden  Chorea  minor  handelt  es  sich  hier  um  eine  ziemlich  seltene 
Erkrankung  von  ausgesprochen  familiärem,  hereditären  Charakter.  Die 
Krankheit  pflegt  auch  gewöhnlich  zuerst  zwischen  dem  30.  und  40. 
Lebensjahr  aufzutreten  und  sich  fortzuerben.  Und  zwar  ist  dabei  die 
zuerst  von  Heilbronn  er  erwähnte  Tatsache  interessant,  daß  sie  bei  der 
Vererbung  in  immer  zeitigerem  Alter  auftritt.  Sie  ist  ferner  charakte¬ 
risiert  durch  eine  sich  mit  Fortschritt  des  Leidens  immer  mehr  ent¬ 
wickelnde  Demenz,  auf  deren  Boden  sich  dann  andere  schwere  psychische 
Störungen  namentlich  Depressionszustände  und  Erregungszustände  ent¬ 
wickeln  können.  Auch  paranoide  Symptome  konnte  ich  einmal  beo¬ 
bachten  und  Lähmung  vom  Typus  der  Hemiplegie  (Zentralblatt  für 
Nervenheilkunde  1905).  In  den  Endstadien  'treten  dann  oft  die  moto¬ 
rischen  Beizerscheinungen  zurück,  es  kommt  zur  Bildung  von  Beuge¬ 
kontrakturen,  und  die  Kranken  gehen  meist  an  interkurrenten  Erkran¬ 
kungen  (Pneumonien,  Dekubitus,  Cystitis  usw.)  im  Stadium  eines  dem 
paralytischen  Marasmus  sehr  ähnlichen  Zustandes  allgemeiner  Mazies 
und  Erschöpfung  zugrunde.  Die  choreatischen  Zuckungen  gleichen  sonst 
fast  genau  denen  bei  der  Chorea  minor,  sie  sistieren  wie  diese  gewöhnlich 
auch  im  Schlafe,  die  Augenmuskeln  bleiben  fast  immer  frei,  während 
die  Artikulationsmuskulatur  relativ  zeitig  sich  mitaffiziert  zeigt  und 
die  Sprache  oft  zu  einem  unverständlichen  Lallen  wird.  Auch  das 
Schlucken  ist  in  den  Endstadien  oft  erschwert,  und  man  kann  geradezu 
von  einem  bulbärparalytischen  Symptomenkomplex  sprechen.  Bei  see¬ 
lischen  Erregungen  nehmen  alle  choreatischen  Zuckungen  zu,  während 
intendierte  Bewegungen  oft  einen  vorübergehend  wenigstens  beschwich¬ 
tigenden  Einfluß  haben.  Auffallend  ist  mir  mehrmals  die  enorme 
Beteiligung  der  Bumpfmuskulatur  und  der  Muskulatur  der  großen 
Gelenke  gewesen,  namentlich  beim  Gehen  und  Stehen,  so  daß  die  Patien¬ 
ten  auch  ziemlich  leicht  infolge  Störung  des  Gleichgewichts  hinfielen. 
Ätiologisch  hat  sich  auch  bei  unsern  Fällen  nichts  Bestimmtes  eruieren 
lassen.  Überanstrengung  und  Erkältung  wurden  mehrmals  angegeben. 
Auch  konnte  ein  sporadischer  Fall  beobachtet  werden,  bei  dem  sich 
hereditäre  Momente  nicht  nachweisen  ließen.  Interessant  war  bei 
diesem  Patienten,  einem  50  Jahre  alten  Schlosser,  ein  gewisser  Paralle¬ 
lismus  zwischen  choreatischer  Bewegungsunruhe  und  seelischer  Erregung 
insofern  als  die  choreatischen  Zuckungen  auch  die  seelische  Erregung 
steigerten.  Auch  zeigte  der  Patient,  abgesehen  von  seiner  Demenz 
Beeinträchtigungswahnvorstellungen  seinen  Verwandten  gegenüber,  auch 


Ueber  choreatische  Bewegungsstörungen  bei  Neurosen  usw. 


981 


die  hypochondrische  Idee  herzkrank  zu  sein,  saß  bei  ihm  sehr  fest.  Ein 
später  hinzugekommenes  Trauma  hatte  offenbar  eine  starke  Steigerung 
des  Leidens  bewirkt. 

Zum  Schluß  soll  noch  an  der  Hand  eines  35  jährigen  Imbezillen 
mit  allgemeiner  Chorea  und  Athetose,  namentlich  der  Kopf  und  Nacken¬ 
muskulatur  und  der  Gesichtsmuskulatur  auf  einen  seltenen  Entstehungs¬ 
modus  allgemeiner  Chorea  hingewiesen  werden.  Ich  meine  nämlich  die 
Chorea  auf  dem  Boden  der  zerebralen  Kinderlähmung  und  der  zu  ihr 
gehörenden  Gruppe  der  zerebralen  Diplegien.  Bekanntlich  handelt  es 
sich  bei  dieser  Erkrankung  um  keine  nosologische  Einheit.  Allen 
Formen  gemeinsam  ist  nur  die  organische  Grundlage  und  zwar  eine 
frühzeitige  oft  schon  intrauterine  Schädigung  des  Hirns,  der  Hirn¬ 
rinde  und  anderer  Teile  durch  meningoencephalitische  und  thrombotisch- 
embolische  Prozesse,  durch  encephalitische  Erkrankungen  und  in  seltenen 
Fällen  wohl  auch  durch  Agenesien.  Pathologisch-anatomisch  finden  sich 
dann  die  verschiedensten  Veränderungen,  vor  allem  Porencephalien, 
Mikrogyrien,  Defektbildungen,  Heteropien  der  grauen  Substanz  usw. 
Die  wichtigsten  klinischen  Symptome  sind  spastische  Lähmungen,  Epi¬ 
lepsie  und  Chorea- Athetose  und  Idiotie.  Es  gibt  nun  Fälle,  Freud 
hat  sich  namentlich  um  die  Kenntnis  dieser  Dinge  verdient  gemacht, 
wo  im  späteren  Verlauf  Lähmungen  schwinden  und  Epilepsie  und  Chorea 
allein  Zurückbleiben.  Manche  später  dann  als  genuine  Epilepsie  be- 
zeichnete  Form  hat  diese  Grundlage,  und  von  der  Chorea  chronica  der 
Imbezillen  gilt  dasselbe.  Es  versteckt  sich  hier  dahinter  die  zerebrale 
Diplepie. 

Unser  Patient  hat  eine  schwere  Entbindung  durchgemacht.  Die 
Zange  mußte  dreimal  angelegt  werden,  er  war  schon  im  Mutterleib 
asj)hyktisch  und  konnte  nach  der  Geburt  nur  durch  langes  Schlagen 
und  Schütteln  zum  Atmen  gebracht  werden.  Bald  nach  der  Geburt 
fielen  choreatische  Zuckungen  des  Gesichts  und  der  Extremitäten  auf, 
während  die  linke  Seite  gleichzeitig  etwas  gelähmt  war.  Vom  dritten 
J  ahre  an  nahmen  die  choreatischen  Zuckungen  zu,  und  in  späteren 
Jahren  nahmen  namentlich  die  Muskeln  des  Kopfes  und  Nackens  daran 
lebhaft  teil  und  führten  zu  einer  enormen  Hypertrophie  der  Nacken¬ 
muskeln  und  zu  einer  beträchtlichen  Lordose.  Heute  besteht  noch  ein 
konstantes  Abweichen  der  Zunge  beim  Hervorstrecken  nach  links  und 
eine  geringe  Volumensabnahme  der  linken  Extremitäten  als  letzte  Beste 
der  ursprünglichen  Hemiparesis  sinistra.  Die  Chorea  zeigt  sich  heute 
vor  allem  in  beständigem  häßlichen  Grimassieren  und  Verdrehen  des 
Kopfes  nach  den  Seiten,  nach  oben  und  unten.  Außerdem  treten  noch 
langsame  choreatisch-athetotische  Bewegungen  an  Armen,  Händen  und 
Fingern  auf  und  der  Gang  zeigt  einen  eigentümlichen  spastisch-ataktisch¬ 
schleudernden  Charakter.  Die  Muskulatur  befindet  sich  meist  in  Hyper¬ 
tonie  und  an  den  Extremitäten  treten  bei  passiven  Bewegungversuchen 
reflektorische  lebhafte  Spasmen  auf.  Der  Patient  kann  nicht  sprechen, 
versteht  aber  einfache  Aufforderungen.  Psychisch  ist  er  imbezill  und 
leidet  außerdem  an  öfters  auftretenden  heftigen  Erregungszuständen. 

Es  handelt  sich  also  hier  Um  allgemeine  Chorea  mit  tonischer  Starre, 
für  die,  wie  in  den  meisten  derartigen  Fällen,  ein  Hirnschädigung  infolge 
erschwerter  Geburt  (Zange!)  verantwortlich  gemacht  werden  muß. 


982 


Eschle, 


Pathogenese  und  kausale  Therapie  der  Oedeme. 

Von  Medizinalrat  Dr.  Eschle, 

Direktor  der  Pflegeanstalt  des  Kreises  Heidelberg  zu  Sinsheim  a.  E. 

(Fortsetzung.) 

Große  Verwirrung  herrscht  offenbar  hinsichtlich  der  Beurteilung 
des  als  „Lungenblähung“  bezeichneten  Zustandes,  den  man  nicht  nur 
als  eine  Krankheit  sui  generis,  sondern  in  allen  Fällen  mit  dem  „Em¬ 
physem“  für  identisch  zu  halten  pflegt. 

Das  „Volumen  pulmonum  auctum“,  die  übermäßige  Aus¬ 
dehnung  der  Lungen  mit  Luft  als  aktiver  kompensatorischer 
Vorgang  ist  streng  von  der  atonischen  Dilatation,  dem  pas¬ 
siven  Aufgeblasensein  (s /tufvo ctco y  inflo,  tumefacio)  des  Em¬ 
physems  zu  unterscheiden.  Beim  Volumen  pulmonum  auctum 
finden  wir  eine  gleichmäßige  Verstärkung  des  In-  und  Ex- 
spiriums,  beim  Emphysem  infolge  konstanter  Dehnung  und 
Erweiterung  der  Lungen alve ölen  sowie  mehr  od er  minder  fort¬ 
geschrittenem  Schwunde  ihrer  Scheidewände  eine  charakte¬ 
ristische  Vermin derung  der  Inspirations-,  mehr  aber  noch  der 
Exspirationsfähigkeit. 

Wir  haben  schon  gesehen,  daß  ein  gut  kompensierter  Klappen¬ 
fehler  am  linken  venösen  Ostium  bei  einem  Menschen,  der  eine  mittlere 
außerwesentliche  Arbeit  zu  leisten  hat,  stets  mit  einer  Volumszunahme 
der  Lunge  vergesellschaftet  ist.  Ja  man  kann  soweit  gehen,  zu  sagen: 
Kein  Klappenfehler  am  linken  Herzen  überhaupt  kann  ohne 
Beteiligung  der  Lungen,  die  gewissermaßen  das  arterielle 
Reservoir  für  den  Herzmuskel  repräsentieren,  au sge glichen 
werden. 

Wir  müssen  eben  die  rein  mechanische  von  der  biologischen 
Kompensation  trennen.  Die  eine,  die  konsekutive  Hypertrophie  des 
Herzmuskels,  gleicht  nur  die  außerwesentlichen  mechanischen  Widerstände 
aus,  —  die  andere  muß  auch  Ersatz  schaffen  für  die  wesentlichen  An¬ 
forderungen  an  die  Bildung  der  oxygenen  Energie  und  der  Wärme,  die 
jeder  Klappenfehler  mit  sich  bringt.  Je  geringer  die  außerwesentlichen 
Anforderungen  sind,  desto  geringer  braucht  auch  die  wesentliche  Leistung, 
die  aktive  Hyperämie  der  Lunge  und  die  ihr  entsprechende  aktive 
Dilatation  (die  Hyperdiastole)  des  rechten  Ventrikels  auszufallen.  Die 
Größe  der  Hypertrophie  des  rechten  und  linken  Herzens  entspricht 
nur  der  Größe  des  durch  den  Klappenfehler  gesetzten  mechanischen 
Hindernisses,  wenn  wir  den  Widerstand  für  die  Strömung  des  Blutes  so 
bezeichnen  Avollen  —  die  Größe  der  tonischen  Dilatation  entspricht 
der  Mehrforderung  an  oxygener  Energie  und  Wärme  für  die  Erhaltung 
dieser  Massenzunahme  des  Herzmuskels.  Sie  ist  auch  in  gewissem 
Sinne  ein  Maß  für  die  Leistung  von  außerwesentlicher  Arbeit,  da  schlie߬ 
lich  jede  Form  der  Arbeit  im  Organismus  an  dem  Verbrauch  von  Sauer¬ 
stoff  gemessen  wird. 

Wenn  die  Anforderungen  an  die  Leistung  so  steigen,  daß  die  nötige 
Menge  von  oxygener  Energie  nicht  mehr  aufgebracht  wird,  so  tritt  die 
Kompensationsleistung  durch  atonische  Dilatation  ein:  das  Herz 
bleibt  auch  noch  in  der  Systole  erschlafft  und  eine  maximale  Kontrak¬ 
tion  kommt  nicht  mehr  zustande.  Es  ist  klar,  daß  diese  Form  der  Dilata¬ 
tion  ebenfalls  stets  mit  einer  Hyperämie  der  Lunge  vergesellschaftet  sein 
muß.  Denn  da  die  ihr  vorausgehende  tonische  Dilatation  (dilatative 


Pathogenese  und  kausale  Therapie  der  Oedeme. 


983 


Hypertrophie)  mit  einer  Blutüberfüllung  in  den  Lungen  verknüpft  war, 
muß  diese  nicht  nur  bestehen  bleiben,  sondern  sie  kann  unter  Umständen 
noch  vermehrt  werden,  nämlich  dann,  wenn  der  linke  Ventrikel  vor 
dem  rechten  erlahmt.  Jedenfalls  aber  ist  diese  Form  der  Blutüber¬ 
füllung  von  der  mit  der  tonischen  Dilatation  verknüpften  Hyperämie 
völlig  verschieden  (wie  das,  abgesehen  von  allen  andern  klinischen  Symp¬ 
tomen  gestörter  Kompensation,  schon  der  Nachlaß  der  Verstärkung  des 
Puhnonaltones  anzeigt). 

Volle  biologische  Kompensation  kann  also  nur  bei  tonischer  Er¬ 
weiterung  des  linken  und  rechten  Ventrikels  bestehen.  Und  diese  letztere 
ist  der  Ausdruck  der  gesteigerten  Tätigkeit  der  Lungen.  Die  Vergröße¬ 
rung  der  mechanischen  und  chemischen  Arbeit  im  Lungenkreislauf  und 
im  Lungengewebe  ist  auch  hier  wieder  charakterisiert  durch  die  Zunahme 
der  Atmungsfähigkeit,  durch  die  gleichzeitige  Beschleunigung  und  Ver¬ 
tiefung  der  Atemzüge,  sowie  durch  die  sich  bald  einstellende  Lungen¬ 
blähung,  des  Analogon  der  aktiven  (tonischen)  Dilatation.  Hier  ist 
trotz  des  anscheinenden  Tiefstandes  der  Lunge  die  respiratorische  Ex¬ 
kursion  noch  geradezu  maximal,  wie  die  Beobachtung  der  Zwerchfell- 
bewegung  erweist. 

Es  gibt  nach  allem  kaum  einen  Fall  von  ausgesprochener 
Arteriosklerose,  in  dem  nicht  mehr  oder  minder  auch  Lungen¬ 
blähung  vorhanden  wäre.  Und  diese  Erscheinung  ist  besonders 
dann  stark  ausgeprägt,  wenn  die  Leistungsfähigkeit  für  äußer¬ 
wesentliche  Muskelarbeit  stark  in  Anspruch  genommen  wird. 
Allerdings  können  sich  die  Begleiterscheinungen  der  Arteriosklerose  bzw. 
der  schließlich  zu  dieser  Veränderung  am  Gefäßsystem  führenden  Prozesse 
in  zwiefacher  Art  am  Atmungsapparat  äußern.  Es  kann  zunächst  —  das 
betrifft  aber  nur  die  Anfangsstadien  und  ganz  leichte  Fälle  —  zu  einer 
bloßen  Veränderung  des  Atmungstypus  kommen,  entsprechend  der 
Erscheinung  am  Zirkulationsapparat,  die  man  als  Pulsarhythmie  bezeichnet: 
sie  tritt  bald  als  Symptom  vorübergehender  Zirkulationsstörung  auf,  bald 
als  solches  weit  ausgedehnter  Veränderungen  an  den  Gehirngefäßen  (im 
letzteren  Falle  als  „zerebrales  Asthma“)  in  ausgeprägteren,  ja  eigentlich 
in  meisten  Fällen  mit  ausgeprägtem  Chey ne-Stokes’schem  Typus,  für 
den  mit  dem  Schlagworte  „Sauerstoffmangel“  natürlich  alles  nur  keine 
ausreichende  Erklärung  ausgegeben  ist.  Es  kommt  aber  auf  der  anderen 
Seite  auch  zu  jener  nachweislichen  Veränderung  der  Lunge,  zu  dem 
Zustand  Akkomodation,  die  wir  Lungenblähung  nennen. 

Die  Lungenblähung  auch  bei  der  Arteriosklerose  geht  geAvöhnlich 
parallel  mit  den  Erscheinungen  am  Herzen,  ja  es  besteht  sogar  meist 
schon  längst  ein  mäßiger  Grad  von  Volumen  auctum,  bevor  die  ersten 
Zeichen  der  Kompensationsstörung  am  Herzen  bei  größeren  Anforde¬ 
rungen  oder  gar  dauernd  sichtbar  werden  Allerdings  wird  oft  eine 
isolierte  Vergrößerung  der  Lungen  dadurch  vorgetäuscht,  daß  sich 
manifeste  Erscheinungen  am  Zirkulationsapparate  nicht  nachweisen  lassen, 
sei  es,  daß  die  Herzdilatation  gegenüber  der  —  durch  die  gewöhnliche 
und  auch  die  palpatorische  Perkussion  schwer  nachweisbaren  —  Hyper¬ 
trophie  zurücktritt,  sei  es,  daß  durch  die  Lungenblähung  an  sich  die 
aus  der  Vergrößerung  der  Herzhöhle  und  den  Veränderungen  des  Spitzen¬ 
stoßes  resultierenden  Zeichen  der  Hypertrophie  verdeckt  werden.  Durch 
hohe  Grade  der  Lungenblähung  wird  der  Zusammenhang  der  Erschei¬ 
nungen  insofern  verdunkelt,  als  der  Nachweis  der  Vergrößerung  des 
Herzens,  sowie  der  der  veränderten  Besistenz  des  Spitzenstoßes  und  auch 


984 


Esclile,  Pathogenese  und  kausale  Therapie  der  Oedeme. 


der  Verstärkung  des  zweiten  Aortentones  wesentlich  erschwert  wird. 
Und  gerade  derartige  Fälle  haben  die  Grundlage  für  die  Annahme  ge¬ 
liefert,  daß  die  Hypertrophie  des  (linken  und)  rechten  Ventrikels  erst  die 
Folge  des  „Emphysems“  sei,  die  notwendigerweise  durch  die  Widerstände 
im  Lungenkreislauf  und  die  sogen.  Kohlensäure- Anhäufung  im  Körper 
hervorgerufen  werden  müsse.  In  solchen  Fällen  dienen  oft  nur  das 
krankhafte  Aussehen  des  Patienten,  die  abnorme  Fülle  und  Spannung 
des  Pulses,  die  eigentümlichen  dyspnoischen  Anfälle  und  die  Anamnese, 
welche  keinen  Anhaltspunkt  für  das  Entstehen  eines  angeborenen  oder 
erworbenen  Emphysems  gibt,  zur  Stützung  der  Diagnose,  die  sonst  ge¬ 
wöhnlich  auf  reines  Emphysem  mit  sekundärer  Beteiligung  des  Gefä߬ 
apparates  gestellt  wird.  Eine  eingehende  und  wiederholte  Prüfung  wird 
aber  stets,  wenn  die  Aufmerksamkeit  des  Beobachters  auf  diesen  Punkt 
einmal  gerichtet  ist,  auch  ergeben,  daß  entweder  die  manifesten  Ver¬ 
änderungen  am  Herzen,  speziell  eine  Hypertrophie  des  linken 
Herzens  der  Veränderung  an  der  Lunge  entweder  vorausgeht,  oder  daß 
beide  Symptomenreihen  sich  gleichzeitig  als  Produkt  eines  und  desselben 
Reizes  ausbilden,  daß  es  sich  also  bei  der  Lungenblähung  — 
mindestens  in  einem  sehr  großen  Teil  der  Fälle  —  um  eine 
kompensatorische  Funktionsleistung  handelt,  indem  durch  die 
tiefe  Atmung  (energische  respiratorische  Exkursionen  und 
dauernde  Volumszunahme  der  Luftreservoirs)  das  dem  Orga¬ 
nismus  aus  der  Steigerung  der  Reize  einer  bestimmten  Kate¬ 
gorie  erwachs  ende  Bedürfnis  an  Sauerstoff  gedeckt  werden 
m  u  ß. 

Die  erwähnte  linksseitige  Herzhypertrophie  ist  ein  Korrelat  des 
die  Arteriosklerose  im  großen  Kreisläufe  bedingenden  Ausfalls  an  lokaler 
mechanischer  Leistung  im  Protoplasma.  Sie  ist  aber  nicht  imstande,  wo 
es  sich  auch  um  Veränderungen  des  chemischen  Teiles  der  Arbeit 
handelt,  völligen  Ausgleich  zu  bewirken.  Zu  voller  Kompensationsleistung 
für  den  mit  stärkeren  außerwesentlichen  Reizen  arbeitenden  Organismus, 
also  bei  vermehrtem  Bedarf  an  Spannkraftmaterial  und  Energie,  gehört 
auch  die  Vermehrung  des  Schlagvolumens  des  linken  Herzens,  die  in 
der  tonischen  Dilatation  (Hyperdiastole)  zum  Ausdruck  kommt.  Und 
da  natürlich  eine  Vermehrung  der  Blutquantität  des  linken  Ventrikels 
nur  durch  entsprechende  Vermehrung  der  Leistung  des  rechten  Herzens 
geliefert  werden  kann,  da  die  vermehrte  Blutmenge  zu  ihrer  Verarbeitung 
auch  eines  größeren  Quantums  in  der  Lunge  intensiv  verarbeiteten 
Sauerstoffs  bedarf,  so  erfolgt  vor  allem  jene  Verstärkung  der  Tätigkeit, 
die  nicht  identisch  ist  mit  einer  bloßen  Steigerung  der  Luftbewegung 
durch  Beschleunigung  der  Atmung,  sondern  die  eben,  weil  es  sich  hier 
auch  um  eine  Vermehrung  der  wesentlichen  (sekretorischen),  wie  um 
eine  Steigerung  der  außerwesentlichen  (mechanischen)  Arbeit  der  Lunge 
(Aufnahme  und  Bewegung  des  Luftvolumens)  die  Vergrößerung  der 
respiratorischen  Exkursion,  die  Vertiefung  der  Inspiration  zur  Voraus¬ 
setzung  hat. 

Eine  Rückbildung  der  Lungenblähung  ist  hier  übrigens  temporär 
noch  möglich  und  oft  zu  beobachten,  wenn  eine  Zeitlang  stärkere 
Körperbewegungen  vermieden  und  auch  sonst  ein  zweckmäßiges  Ver¬ 
halten  beobachtet  wird.  Die  verstärkte  Atmung  und  mit  ihr  die  Lungen¬ 
blähung  tritt  aber  mit  Fortschreiten  des  Grundleidens  wieder  auf  oder 
sobald  größere  Anforderungen  an  die  Herztätigkeit  gestellt  werden:  die 
Anomalie  wird  dann  allmählich  zu  einer  dauernden. 


Ehrmann  u.  Fuld,  26.  Kongreß  für  innere  Medizin  zu  Wiesbaden. 


985 


Aus  der  dauernden  tonischen  Dilatation  der  Lungen  kann  die 
atonische,  das  eigentliche  Emphysem  hervorgehen. 

Die  atonische  Dilatation  ist  zwar  auch  mit  dem  Tiefstand  des 
Zwerchfells  verbunden,  aber  hier  ist  bereits  eine  Verringerung  der  respi¬ 
ratorischen  Exkursionen  erfolgt,  und  es  besteht  deshalb  eine  mangel¬ 
hafte  Kompensation  für  die  außerwesentlichen  Anforderungen, 
als  deren  Zeichen  Dyspnoe,  Zyanose,  unter  Umständen  auch  Ödeme  usw. 
auftreten. 

Nicht  also  von  dem  Bestehen  oder  Nichtvorhandensein 
einer  Lungenblähung  oder  eines  Emphysems  (im  engeren 
Sinne)  hängt  das  Auftreten  von  Ödemen  ab,  sondern  von  der 
Art  ihm  zugrunde  liegenden  primären  Leidens  und  dem  Grade 
seiner  Kompensation.  (Schluß  folgt.) 


26.  Kongreß  für  innere  Medizin  zu  Wiesbaden. 

19.— 22.  April  1909. 

Berichtserstatter:  Dr.  Ehrmann  und  Dr.  Ful(l. 

(Fortsetzung.) 

7.  Sitzung  vom  22.  April  1909,  vormittags. 

Vorsitzender:  Schultze-Bonn. 

Friedei  Pick-Prag:  Uber  periodische  Schwankungen  der 
Herztätigkeit. 

Bei  der  Untersuchung  von  zu  begutachtenden  traumatischen  Fällen 
ist  dem  Vortr.  mitunter  eine  periodische  Zu-  und  Abnahme  der  Frequenz 
und  Intensität  des  Pulses  auf  gef  allen,  die  im  Sphygmogramm  der  Cubi- 
talis  sich  als  wellenförmige  Schwankungen  geltend  macht.  Diese  sind 
ganz  unabhängig  von  der  Atmung,  umfassen  15—20  Pulse,  im  Wellental 
sind  die  Pulse  höher  und  länger  als  am  Wellenberge.  Über  derartige!, 
von  der  Atmung  unabhängige  Schwankungen  ist  für  den  Menschen  gar 
nichts  in  der  Literatur  bekannt  (mit  Ausnahme  einer  nebenbei  gemachten 
Bemerkung  Kneifs),  während  beim  Tier  viele  Arten  solcher  Wellen 
beschrieben  sind  (Traube-Hering,  S.  Mayer  u.  a.),  allerdings  meist 
unter  besonderen  experimentellen  Bedingungen  (Curare,  Vagotomie  usw.). 
Während  diese  von  den  Experimentatoren  wegen  der  angeblich  dabei 
stets  gleichmäßigen  Herztätigkeit  meist  auf  Beeinflussungen  des  Vaso¬ 
motorenzentrums  bezogen  wurden,  kommt  P.  durch  Analyse  der  Sphygmo- 
gramme  zu  der  Annahme  periodischer  Schwankungen  in  den,  dasi  Herz 
regulierenden  Nervenzentren  in  der  Oblongata,  wie  sie  nach  Traumen 
des  Nervensystems  in  anderen  Gebieten  beobachtet  sind.  Daß  diese 
Schwankungen  bisher  nicht  beschrieben  wurden,  liegt  vielleicht  daran, 
daß  sie  nur  an  den  längeren  Kurven  des  Kygmographions  deutlich 
w erden ;  weitere  Beobachtung  muß  lehren,  ob  sie  nicht  vielleicht  als 
objektives  Zeichen  traumatischer  Erkrankungen  des  Nervensystems  ver¬ 
wertet  werden  könnten. 

Diskussion. 

Sahli- Bern  erklärt,  daß  ihm  derartige  Schwankungen  wohl  be¬ 
kannt  sind  und  bei  Benutzung  seiner  sphygmobolometrischen  Methode 
besonders  schön  hervortreten. 

Hering -Prag:  Die  auf  genommenen  Kurven  zeigen  die  Änderung 
der  Frequenz.  Bei  Erhöhung  der  Frequenz  sieht  man  den  Druck 
steigen. 


986 


Ehrmann  und  Fuld, 

End.  Funke- Prag :  Über  rhythmische  Schwankungen  der 
Pulswellenlänge  und  des  Blutdrucks. 

H.  Adam-Berlin:  Zur  Viskosität  des  Plasmas. 

Eine  Fülle  von  Viskositätswerten  ist  an  Gesunden  und  Kranken 
gesammelt  worden,  und  doch  ist  ihre  Deutung  noch  ganz;  unklar,  weil 
die  Bedingungen  nur  ungenügend  bekannt  sind,  welche  die  Viskosität 
verändern.  Das  Blut  besteht  aus  einer  kalloidalen,  Eiweiß  und  Salze  in 
Lösung  haltenden  Flüssigkeit,  dem  Plasma,  und  den  in  ihr  suspendierten 
halbfesten  Körperchen.  Der  Einfluß,  den  die  Zahl,  die  Größe  und  der 
Hämoglobingehalt  der  Körperchen  auf  die  Viskosität  ausübt,  ist  ge¬ 
nügend  bekannt,  weniger  der  Einfluß,  den  Veränderungen  des  Plasmas 
hervorrufen.  An  der  His’ sehen  Klinik  hat  der  Vortr.  folgende  Eesultate 
gefunden:  Mit  zunehmendem  Eiweißgehalt  steigt  die  Viskosität  rasch  an. 
Die  Salze  wirken  verschieden.  Einige  sind  positiv  viskos,  wie  Natrium-, 
Kaliumchlorid,  Bromnatrium  u.  a.,  andere  negativ  viskos,  wie  Brom¬ 
kalium  und  Natrium-,  Kalium-  und  Bubidiumjodid.  Die  Wirkung  auf 
Wasser,  Binger’sche  Lösung,  salzfreie  Serumalbuminlösung  und  Plasma 
erfolgt  in  demselben  Sinne.  Die  Viskosität  von  Hämoglobinlösungen 
schwankt  nach  dem  Kohlensäure-  bezw.  Sauer  st  off  geh  alt.  Löst  man 
kristallinisches  Hämoglobin  in  Plasma  und  leitet  C02  ein,  dann  sinkt 
zunächst  die  Viskosität,  um  bei  weiterer  Zufuhr  wieder  zu  steigen. 
K  oranyi  und  Ben  de  haben  das  für  das  lebende  Blut  bereits  nachge¬ 
wiesen.  Jenes  Minimum  der  Viskosität  zu  fixieren  ist  aus  zwei  Gründen 
wichtig:  einmal,  weil  wir  unsere  Viskositätswerte  unabhängig  von  jenem 
stetig  wechselnden  Faktor  haben  wollen,  den  der  Gaswechsel  bedingt, 
sodann,  weil  jener  Wert  gerade  für  das  Kapillargebiet  des  Körpers 
in  Frage  kommt.  Jenes  Minimum  der  Viskosität  findet  man  einiger¬ 
maßen  genau,  wenn  man  Hirudinblut  schüttelt  bis  soeben  die  dunkle 
Farbe  des  venösjen  in  die  rote  des  arteriellen  Blutes  übergeht.  Tut 
man  dies,  dann  erklären  sich  manche  Differenzen  der  Viskosität  in 
der  Hauptsache  durch  den  wechselnden  Gasgehalt.  So  fand  Deter- 
mann  Vermehrung  der  Viskosität  nach  Muskelarbeit,  nach  einer  kalten 
Brause  mit  guter  Beaktion.  Mit  seiner  Methode  fand  der  Vortr.  die 
Vermehrung  nur  sehr  gering,  und  diese  erklärt  sich  durch  eine  gleich¬ 
zeitige  Zunahme  der  Zahl  der  roten  Blutkörper,  die  auch  Determann 
nachwies.  0.  Müller  und  Inada  haben  am  Lebenden  eine  Viskositäts- 
erniederung  des  lebenden  Blutes  bei  Jodkalimedikation  gefunden,  was 
Determann  nicht  bestätigen  konnte.  Der  Vortr.  hat  bei  30  Menschen, 
die  Jodkali  (3  g  pro  die)  nahmen,  die  Viskosität  unter  Beachtung' 
des  Gasgehaltes  untersucht  und  gleichzeitig  außer  der  Viskosität  des 
Gesamtblutes,  die  des  Plasmas  bestimmt  sowie  die  Zahl,  die  Größe  und 
den  Hämoglobingehalt  der  roten  Blutkörper.  6  mal  fand  er  eine  Ver¬ 
minderung,  2  mal  eine  Zunahme.  Unter  den  6  Fällen  4  mal  gleich¬ 
zeitig  eine  Verminderung  der  Viskosität  des  Plasmas,  bei  den  anderen 
beiden  eine  Abnahme  des  Volumens  der  roten  Blutkörper. 

Diskussion. 

U  mb  er  -Altona  hat  auch  Hämoglobingehalt  und  Viskosität  in  Zu¬ 
sammenhang  gefunden.  Bei  starkem  Diabetes  wurde  von  U.  im  Koma 
ein  exorbitanter  Wert  der  Viskosität  gefunden. 

Salomon  und  Saxl-Wien:  Ein  Harnbefund  bei  Karzinom. 

Im  Harn  Karzinomatöser  sind  die  mit  sodaalkalischer  Silbernitrat-  ■ 
lösung  niederschlagbaren  Stickstoffsubstanzen  vermehrt.  Die  Ausschei¬ 
dung  dieser  Substanzen  beträgt  bei  normalen  oder  nicht  karzinoma- 


26.  Kongreß  für  innere  Medizin  zu  Wiesbaden. 


987 


tosen  Individuen  1 — 31/20/0  des  Gesamtstickstoffs,  hingegen  bei  Kar¬ 
zinomkranken  4 1/2 — 7  °/o-  Auch  die  absolute  Menge  dieser  Substanzen 
in  der  täglichen  Harnausscheidung  zeigt  bei  karzinomatösen  Individuen 
höhere  4Verte  als  hei  nicht  karzinomatösen.  Sie  beträgt  im  ersteren 
Falle  0,250 — 0,950  g  Stickstoff,  im  letzteren  0,120 — 0,250  g.  —  Die 
chemische  Natur  dieser  Substanzen,  die  dem  Allantoin  nahestehen,  wurde 
noch  nicht  näher  untersucht.  Es  wurde  vorderhand  nur  festgestellt, 
daß  eine  große  Anzahl  der  untersuchten  Karzinomfälle  eine  erhöhte 
Ausscheidung  dieser  Substanzen  aufwies,  während  nicht  Karzinomatöse 
immer  geringere  Ausscheidungen  aufwiesen.  Die  Ausscheidung  dieser 
Substanzen  ist  immer  unabhängig  von  der  Zusammensetzung"  der  Nah¬ 
rung  und  der  Kachexie. 

Diskussion. 

Schitt en  heim -Erlangen  hat  aus  großen  Mengen  menschlichen 
Urins  kein  Allantoin  bekommen,  dagegen  andere  stickstoffhaltige  Sub¬ 
stanzen  in  der  Allantoinfraktion.  Harnsäure  in  alkalischer  Lösung 
mit  Wasserstoffsuperoxyd  gibt,  wie  Sch.  fand,  Tetrakarbonimid,  dann 
Dikarbonylharnstoff,  der  als  Abbauprodukt  bisher  nicht  bekannt  war, 
schließlich  Harnstoff  und  Kohlensäure.  Die  beiden  ersten  Stoffe  sind 
wahrscheinlich  das,  was  in  die  Allan  toinfällung  hineingeht.  Solche 
Fällungen  solle  man  aber  nicht  zu  diagnostischen  Zwecken  heranziehen, 
ehe  man  sie  chemisch  kenne. 

Salomon-Wien  weist  auf  die  Kegelmäßigkeit  hin,  mit  der  man 
diese  Fällung  bei  Karzinom  vermehrt  finde,  auch  im  Anfangsstadium, 
so  daß  trotz  fehlender  chemischer  Charakterisierung  die  Reaktion  kli¬ 
nisch  von  Wert  sei. 

Liebermeiter-Köln :  Über  verschiedene  histologische  Er¬ 
scheinungsformen  der  Tuberkulose. 

Die  tuberkulöse  Infektion  verläuft  nicht  nur  unter  dem  als  typisch 
bekannten  histologischen  Bilde,  sondern  es  gibt  eine  untere  Grenze  der 
Infektion,  wo  der  Infektionsreiz  nicht  mehr  spezifisch,  sondern  nur 
als  nicht  charakteristischer  Reiz  wirkt,  und  eine  obere,  an  der  die 
Infektion  so  akut  und  schwer  verläuft,  daß  sie  den  eitrigen  Prozessen 
sehr  ähnlich  ist. 

Schott elius-Höchst :  Die  experimentellen  Grundlagen  der 
spezifischen  Therapie  der  Ruhr. 

Rosenthal  fand,  daß  der  Ruhrbazillus  ein  lösliches  Toxin  bildet. 
Dieses  Toxin  kann,  wie  der  Vortr.  untersuchte,  zu  aktiver  Immunisie¬ 
rung  benutzt  werden.  Am  Kaninchen  zeigen  sich  nach  der  Injektion 
des  Toxins  weniger  Erscheinungen  am  Darmkanal,  als  vielmehr  Läh¬ 
mung  der  Extremitäten  und  Lähmung  der  Harnblase.  Im  Rücken¬ 
mark  zeigen  sich  dabei  Hämorrhagien  mit  Zertörung  der  Ganglien¬ 
zellen  (Poliomyelitis  hämorrhagica  mit  Sklerosierung).  Pferde,  die  eben¬ 
falls  gegen  das  Toxin  empfindlich  sind,  können  zur  Gewinnung  von 
Antikörpern  verwandt  werden. 

Dieses  antitoxische  Heilserum  wirkt  noch  besser  als  die  bisherigen 
antibazillären  Heilsera,  deren  Wirkung  wahrscheinlich  größtenteils  auf 
die  Antitoxine  zurückgeführt  werden  müsse,  welche  auf  die  bei  der 
Immunisierung  mit  Bazillen  miteingeführten  Toxine  sich  gebildet  haben. 

Lü  dke -Würzburg :  Uber  Milztransplant ationen  und  deren 
Folgen  für  das  Blutleben. 

Im  Milzgewebe  eingepflanzt  erhalten  sich  Milzstücke  selbst  von 
anderer  Tierart  gut ;  von  Interesse  ist  es,  daß  mit  dem  transplantierten 


988  Ehrmann  u.  Fuld,  26.  Kongreß  für  innere  Medizin  zu  Wiesbaden. 

Organteilen  immunisierter  Tiere  bakterizide  Eigenschaften  auf  das 
Wirtstier  übertragen  werden  konnten,  die  sich  bisweilen  über  3  Monate 
noch  nachweisen  ließen. 

Daß  auch  gut  eingeheilte  Organe  später  doch  zur  Desorption 
kommen,  beruht  wahrscheinlich  auf  entstandenen  Cytolysinen.  Solche 
Cytolysine  konnte  der  Vortr.  wiederholt  im  Blute  der  Tiere  nachweisen. 

Falta  gemeinsam  mit  Benedidt-Boston  und  Joslin-Boston : 
Untersuchungen  mit  dem  Respirationskalorimeter  über  den 
Energieumsatz  beim  Diabetes  mellitus. 

Die  bisher  in  der  Literatur  vorliegenden  Untersuchungen  über  den 
Energieumsatz  der  Diabetiker  haben  zu  keinem  einheitlichen  Resultat 
geführt.  Sie  sprechen  aber  eher  dafür,  daß  der  Umsatz  nicht  erhöht 
ist.  Hingegen  haben  die  Untersuchungen  beim  pankreaslosen  Hund 
einen  erhöhten  Eiweiß-  und  Fettumsatz  ergeben.  Für  die  vorgetragenen 
Untersuchungen  an  Diabetikern,  die  im  Laboratory  of  Nutrition  in 
Boston  mit  dem  At  water -Bene  dict’schen  Respirationskalorimeter  an¬ 
gestellt  worden  sind,  war  folgende  Fragestellung  maßgebend :  Gibt  es 
schwere  Fälle  von  Diabetes  mellitus,  welche  trotz  reichlicher  Zucker¬ 
ausscheidung  im  Hungerzustand  keine  Erhöhung  des  Umsatzes  zeigen  ? 
Das  Resultat  läßt  diese  Frage  bejahen.  Die  Vortr.  fanden  bei  einem 
Quotienten  D :  N  von  5 — 3  im  Hunger  eine  Wärmeproduktion,  die  von 
der  unter  gleichen  V erhältnissen  beobachteten  Wärmeproduktion  gleich- 
gewichtiger  Personen  nicht  wesentlich  abwich.  Es  zeigt  sich  hier  ein 
Unterschied  gegenüber  dem  Diabetes  nach  Pankreasexstirpation,  der 
zusammen  mit  anderen  Momenten  (kein  gesteigerter  Eiweißumsatz,  ver¬ 
schiedenes  Verhalten  der  Lävulose,  größere  Intensität  der  Zuckerbil¬ 
dung)  als  ein  prinzipieller  anzusehen  ist  und  gemeinsam  mit  den  unbe¬ 
friedigenden  pathologisch-anatomischen  Befunden  am  Pankreas  darauf 
hinweist,  daß  beim  menschlichen  Diabetes  die  Insuffizienz  des  Pankreas 
gegenüber  der  gesteigerten  Mobilisierung  resp.  Bildung  von  Kohle¬ 
hydraten  nur  relativ  ist. 

Diskussion. 

We in  tr  au d -Wiesbaden  :  Die  mitgeteilten  Untersuchungen  be¬ 
weisen  wohl,  daß  der  hungernde  Diabetiker  keinen  erhöhten  Gesamt¬ 
umsatz  hat,  und  diese  Tatsache  sowohl  wie  die,  daß  der  rationell  er¬ 
nährte,  keinen  oder  nur  wenig  Zucker  ausscheidende  Diabetiker  keinen 
gesteigerten,  sondern  sogar  oft  einen  auffallend  geringen  Nahrungs¬ 
bedarf  hat,  stimmt  damit  gut  überein. 

Es  muß  demgegenüber  aber  doch  auf  die  Tatsache  hingewiesen 
werden,  daß  schwere  Diabetiker  bei  nicht  rationell  gestalteter  frei 
gewählter  Diät  oft  lange  Zeit  eine  Kost  von  solchem  Energiewert  zu  sich 
nehmen,  daß  auch  nach  Abzug  der  von  dem  ausgeschiedenen  Harn¬ 
zucker  repräsentierten  Kalorienmenge  die  Kalorienzufuhr  noch  über¬ 
mäßig  groß  ist.  Und  trotzdem  nehmen  sie  an  Gewicht  ab.  Es  scheint 
nicht  zulässig,  den  offenbar  gesteigerten  Gesamtumsatz,  der  hier  vor¬ 
liegt,  allein  mit  der  spezifisch-dynamischen  Wirkung  des  in  der  Kost 
allerdings  reichlich  enthaltenen  Eiweißes  zu  erklären.  Vielmehr  muß 
man  sich  fragen,  ob  der  nicht  rationell  und  überreichlich  ernährte 
zuckerausscheidende  Diabetiker  .nicht  —  trotz  der  vorliegenden  Hunger¬ 
versuche  —  doch  einen  gesteigerten  Umsatz  hat. 


(Schluß  folgt.) 


Referate  und  Besprechungen. 


989 


Referate  und  Besprechungen. 

Innere  Medizin. 

Aus  der  Diphtheriestation  der  chirurgischen  Klinik  Zürich  (Krönlein). 

Diphtherie  und  Heilserum. 

(Ph.  Schönholzer.  Korrespondenzbl.  für  Schweizer  Ärzte,  Nr.  8  u.  9,  1909.) 

Schönholzer’s  flott  und  anziehend  geschriebene  und  von  vorurteils¬ 
freiem,  objektiven  Denken  zeugende  Arbeit  sei  an  dieser  Stelle  kurz  be¬ 
sprochen,  weil  sie  sich  weitgehend  mit  der  in  den  F.  d.  M.  1908,.  Nr.  29 
ausgesprochenen  Anschauung  des  Ref.  deckt. 

Sch.  verwertet  ein  Material  von  2322  Diphtheriefällen  aus  den  Jahren 
1881 — 1908,  also  14  Jahre  vor  und  14  Jahre  nach  Einführung  des  Serums. 
Beim  Vergleich  der  Resultate  gelangt  er  zu  dem  Schluß,  daß  das  Serum 
die  Diphtherie  keineswegs  zu  einer  überwundenen  Krankheit  gemacht  habe, 
wie  manche  Enthusiasten  behaupten.  Sowohl  die  Zahl  der  operativen  als  die¬ 
jenige  der  Todesfälle  war  trotz  Anwendung  von  bis  zu  8000  Einheiten  immer 
noch  hoch:  Die  Gesamtmortalität  betrug  13,3%?  von  den  25,5%  operativen 
Fällen  endigten  32  vom  Hundert  letal. 

Allerdings  betrug  die  Gesamtmortalität  der  Vorserumperiode  in  der 
Klinik  39,9%;  jedoch  betont  Sch.  energisch,  daß  es  sich  hier  früher  um 
ein  ganz  an  de  ros  Material  handelte.  „In  der  Vorserumperiode  kamen 
durchweg  schwere,  meist  mit  Krupp  komplizierte  Diphtherien,  deren  Dia¬ 
gnose  infolge  der  ernsten  Symptome  zweifellos  war,  zur  Klinik,  in  der 
Serumzeit  dagegen  viele  leichte  Fälle,  einfache  Tonsillardiphtherien  (z.  B.  bei 
Arbeiterkindern,  die  oft  nur  wegen  der  Einspritzung  ins  Spital  geschickt 
wurden),  deren  diphtheritische  Natur  mehr  durch  den  bakteriologischen  Nach¬ 
weis  der  Löfflerbazillen  als  durch  die  klinischen  Erscheinungen  festgestellt 
wurde.  —  So  erklärt  sich  auch  der  Umstand,  daß  die  Serumperiode  650  Fälle 
mehr  aufweist  als  die  Vorserumperiode.  —  Daß  auf  diese  Weise  das  Serum 
gute  Erfolge  hat,  die  die  Statistik  verschönern,  ist  einleuchtend.“ 

Direkt  für  das  Serum  scheint  Sch.  nur  die  Tatsache  zu  sprechen, 
daß  die  Sterblichkeit  der  Operierten  seit  1895  fast  konstant  kleiner  ge¬ 
blieben  ist  als  früher.  Andererseits  ist  aber  in  Zürich  seit  1895  auch  keine 
schwere  Epidemie  mehr  aufgetreten.  „Im  Kampf  mit  ernsten  Epidemien 
haben  wir  das  Serum  noch  nicht  gesehen  — ,  hoffen  wir,  daß  es  uns  bei 
der  Wiederkehr  schlimmer  Zeiten  nicht  im  Stich  läßt!“  (vgl.  hierzu  die 
1898  er,  trotz  Injektion  von  8000  Einheiten  erreichte  Mortalität  von  32%  in 
Köln,  M.  m.  W.  1908,  Nr.  38,  Ref.). 

Der  Abfall  der  Krankenhausmortalität  von  40  auf  13%  ist  also  auch 
nach  Schönholzer  im  wesentlichen  der  gegen  die  Vorserumzeit  weit  gün¬ 
stigeren  Qualität  des  Krankenmaterials  zuzuschreiben,  indem  jetzt  auch  viele 
leichte  Fälle  ins  Krankenhaus  kommen. 

Die  Rolle  des;  Serums  erscheint  aber  noch  um  so  zweifelhafter  im  Hin¬ 
blick  auf  den  am  9.  Juni  1909  von  J.  Meyer  in  der  Berl.  meid,.  Gesellsch'. 
gehaltenen  Vortrag: 

Nachdem  noch  am  17.  Juni  1908  Baginski  dort  die  Diphtherie  als  eine 
durch  die  Serum  therapie  überwundene  Krankheit  bezeichnet  hatte,  zeigte 
jetzt  Meyer  (ebenso  wie  Morgenroth)  auf  Grund  von  Tierexperimenten, 
daß  bei  „schweren“  Fällen  die  bisher  üblichen  3 — 5 — 8000  Einheiten  unwirk¬ 
sam  und  intravenöse  Injektion  von  30  bis  50000  Einheiten  nötig  sei.. 

Da  nun  also  das  bisherige  Serum  bei  den  bekanntlich  von  selbst 
heilenden  „leichten“  Fällen  überflüssig,  bei  den  „schweren“  aber  wirkungslos 
war,  so  sind  seine  vielgerühmten  Erfolge  illusorisch,  und  wir  stehen  in  der 
Tat,  wie  Heubner  in  der  Diskussion  betonte  —  „vor  einer  neuen  Ära,  der 
Serumtherapie“.  — 

Weiter  hören  wir  aber  dann  von  Schönholzer,  daß  er  in  90  Fällen 
des  Vergleichs  wegen  nicht  geispritzt  und  doch  Heilung  erzielt  hat. 


990 


Referate  und  Besprechungen. 


Es  handelte  sich  meist  um  Kinder  mit  echter,  mittelschwerer  Rachendiphtherie 
und  teilweiser  Beteiligung  der  Nase.  ,,Ich  gestehe“,  sagt  Sch.,  ,,daß  mich 
häufig  der  rasche  Heilungsverlauf  überraschte  und  daß  der  Reinigungs¬ 
prozeß  sich  in  gleicher  Weise  und  in  derselben  Zeit  vollzog  wie  bei  den 
Eingespritzten.  Auch  war  das  Allgemeinbefinden  nicht  erheblicher  gestört, 
und  niemand  würde  bei  Durchsicht  der  Krankengeschichten  ent¬ 
scheiden  können,  ob  mit  oder  ohne  Serum  behandelt  wurde“. 

Diese  und  ähnliche  Beobachtungen  im  Verein  mit  der  Überlegung, 
daß  es  sich  bei  der  Serumtherapie  doch  um.  eine,  von  allem  natürlichen 
Geschehen  so  enorm  abweichende  Behandlung  kranker  Menschen  mit  dem 
künstlich  gewonnenen  und  artfremden  Serum  künstlich  krank  gemachter  Tiere 
handelt,  werden  hoffentlich  die  moderne  Heilkunde  allmählich  zu  der  Ein¬ 
sicht  führen,  daß  wir  nie  „für  die  tausenderlei  verschiedenen  Krank¬ 
heiten  ebenso  viele  spezifische  Heilmittel“  finden  werden,  daß 
wir  überhaupt  nicht  unsere  Krankheiten  „per  procuram“  durch 
Pferde  usw.  überstehen  lassen  können,  sondern  vielmehr  nur  da¬ 
für  zu  sorgen  imstande  sind,  daß  unser  Organismus  durch  eine 
gesundhei tsgefnäße  Lebensweise  befähigt  wird,  die  eventl.  nöti¬ 
gen  Antitoxine  selbst  zu  produzieren.  Esch. 


Diphtherie-Serum  bei  Erysipelas. 

(J.  G.  Apostoleanu.  Spitalul,  1.  Februar  1909.  —  Bull,  med.,  Nr.  21,  S.  245,  1909.) 

Im  großen  Krankenhaus  von  Bukarest  bekommen  seit  einiger  Zeit 
alle  Patienten  mit  Erysipelas  große  Quantitäten  von  Diphtherie-Serum  in¬ 
jiziert  und  sind  dann  nach  durchschnittlich  drei  Tagen  wieder  hergestellt. 

Diese  Notiz  ist  nicht  neu,  aber  immer  wieder  interessant,  für  die 
Lehre  von  der  Spezifität  der  Sera  mit  allen  darauf  aufgebauten  Hypo¬ 
thesen  freilich  nicht  gerade  bequem.  Buttersack  (Berlin). 


Diphtherie-Serum  bei  Asthma. 

(H.  F.  Gillette.  Therap.  Gaz.,  15.  3.  1909.  —  Bull,  med.,  Nr.  28,  S.  329,  1909.) 

Das  Diphtherie-Serum  wird  immer  interessanter:  es  hilft  nicht  bloß 
bei  Diphtherie,  sondern  auch  bei  manchen  Affektionen  gänzlich  anderer  Art, 
jetzt  auch  bei  asthmatischen  Zufällen;  wenigstens  berichten  das  amerikanische 
Doktoren.  Allein  noch  merkwürdiger  ist  es,  daß  dieses  Heilmittel  gelegent¬ 
lich  —  und  zwar  nicht  allzuselten  —  höchst  fatale  Nebenwirkungen  ent¬ 
falten  kann.  In  relativ  kurzer  Zeit  konnte  Gilette  28  Fälle  zusammenstellen, 
in  welchen  bei  Patienten  mit  Asthma  bronchiale,  cardiale  oder  Heufieber  die 
Diphtherieserum-Injektionen  schwere  Kollapszustände  hervorriefen;  15  davon 
sind  sogar  gestorben.  Nun  wird  wohl  niemand  mehr  zweifeln,  daß  das 
Diphtherie-Serum  wirklich  eine  wirksame  Substanz  sei. 

Buttersack  (Berlin). 


Große  Serumdosen  bei  schweren  Anginen  und  diphtheritischen  Lähmungen. 

(H.  Mery,  B.  Weill-Halle  u.  Parturier.  Bull,  med.,  Nr.  34,  S.  405,  1.  Mai  1909.) 

Die  3  Assistenten  von  Marf  an,  der  kein  großer' Anhänger  des  Diphtherie- 
Serums  ist,  haben  auf  seinen  Rat  die  Angina-  und  Diphtheriekinder  fortgesetzt 
unter  Serum  gehalten,  in  der  Art,  daß  zunächst  täglich  40,  50,  G0  ccm  inji¬ 
ziert  wurden  und  —  nach  Abstoßung  der  Membranen  usw.  —  alle  1  bis  2  Tage 
10—20  ccm;  manche  Kinder  haben  auf  diese  Weise  500  ccm  Serum  bekommen. 
Im  Winter  1908/09  haben  sie  in  der  Marf  an’schen  Klinik  keinen  Todesfall 
gehabt,  wohl  aber  18  Paralysen,  von  denen  jedoch  nur  3  schwer  waren. 
Überempfindlichkeitssymptome,  Serumkrankheit  u.  dgl.  sind  nicht  aufgetreten. 

Leider  haben  die  3  Verfasser  vergessen,  anzugeben,  wie  viele  Kinder 
im  ganzen  behandelt  worden  sind,  so  daß.  ihr  subjektiver  Eindruck  (l’emploi 
du  serum  systematique  .  .  .  .  a  paru  donner  des  resultats  favorables)  unkon¬ 
trollierbar  bleibt.  Buttersack  (Berlin). 


Referate  und  Besprechungen. 


991 


Lebensalter  und  Serumkrankheit. 

(Marfan  u.  Oppert.  Soc.  de  Pediatrie,  20.  4.  1909.  —  Bull,  med.,  Nr.  32,  1909.) 

Die  beiden  Kliniker  hatten  den  Eindruck  gewonnen,  daß  ganz  kleine 
Kinder  höchst  selten  von  Serum-Zufällen  befallen  wurden.  Ihre  daraufhin 
durchgesehene  Statistik,  welche  sich  auf  2682  Fälle  in  den  letzten  4  Jahren 
erstreckt,  ergab,  daß 


bei  Kindern 

von 

1— 

6  Monaten 

die 

Serumzufälle 

in 

4 

°/o 

7 

n 

V 

7— 

■12 

71 

71 

7 

5 

7 

n 

n 

7 

1— 

-  2  Jahren 

7 

71 

7 

11,8 

7 

7 

7 

7 

2- 

-  6 

71 

71 

7 

13 

7 

7 

71 

71 

6— 

15 

7 ) 

7 

7 

13,4 

7 

auftraten. 

In  Weiterführung  dieser  Statistik  fügte  Leroux  hinzu,  daß  in  der 
Pestabteilung  in  Frioul  44,7%  der  mit  Pestserum  behandelten  von  —  oft 
höchst  unangenehmen  und  langdauernden  Zufällen  heimgesucht  würden. 

Buttersack  (Berlin). 


Künstliche  Roseola. 

(Chauffard  u.  J.  Troisier.  Soc.  de  Biol.,  27.  März  1909.) 

Die  beiden  Forscher  haben  ganz  dünne  Lösungen  des  Merck’schen 
Typhus-Toxins  intra-  bezw.  subkutan  tropfenweise  injiziert  und  dann  typische 
Roseolaflecke  erhalten,  genau  so  wie  sie  bei  Typhösen  auftreten ;  nur  daß  sie 
schon  nach  24  bezw.  48  Stunden  wieder  verschwunden  waren.  Sie  erklären 
die  verschieden  lange  Dauer  damit,  daß  in  dem  einen  Falle  nur  das  —  relativ 
leicht  zu  beseitigende  Toxin,  im  andern  dagegen  die  lebendigen  Toxinbildner 
in  der  Haut  sitzen.  Buttersack  (Berlin). 


Ueber  das  Funktionieren  des  Darms  bei  Typhus. 

(Olm er  u.  Monges.  Province  med.,  Nr.  2,  1909.  —  Tribüne  med.,  Nr.  13,  S.  204,  1909.) 

Die  beiden  Autoren  haben  gefunden,  daß  das  Fett  der  Milch  von 
Typhuskranken  —  wenn  nicht  ebenso  gut  wie  von  Gesunden,  so  doch  immer¬ 
hin  viel  besser  ausgenutzt  wird,  als  man  gemeinhin  annimmt;  die  anderen 
Fette  dagegen  weniger  gut,  und  zwar  offenbar  infolge  von  Störungen  der 
Verseifung,  wofür  Olmer  und  Monges  das  Pankreas  verantwortlich  machen. 

Gelatinekapseln  mit  Natr.  salicyl.  (0,25  und  0,5  g)  wurden  ebenso 
prompt  wie  von  Gesunden  aufgelöst  und  der  Inhalt  resorbiert. 

Das  Resultat  der  Mitteilung  wäre  also  dieses,  daß  der  Darm  Typhöser 
erheblich  leistungsfähiger  und  lange  nicht  so  schwer  erkrankt  ist,  als  sich! 
die  Allgemeinheit  vorstellt.  Man  kann  daraufhin  geneigt  sein,  dieses  Funk¬ 
tionieren  auszunützen  und  dem  Kranken  geeignete  Speisen  zuzuführen.  Das 
klingt  freilich  ketzerisch;  allein  ebenso  w;i,ei  andefre  Ärzte  habe  guch  ich 
bis  jetzt  nur  günstige  Erfolge  von  einer  vorsichtigen  Ernährung  gesehen. 
Die  Furcht  vor  Rezidiven  schreckt  den  nicht,  der  weiß,  daß  solche  auch 
bei  der  sog.  absoluten  Diät,  d.  h.  beim  Fastenlassen,  auftreten.  Auf  der 
andern  Seite  verschlechtert  paan  sic)i  selbst  'die  Situation,  wenn  (man  zu 
dem  gesteigerten  Stoffverbrauch  während  des  Fiebers  noch  die  Gefahren 
der  Inanition  hinzufügt.  Buttersack  (Berlin). 


Ein  unter  dem  Bilde  einer  Miliartuberkulose  verlaufener  Typhus. 

(F.  Theodor,  Königsberg  i.  Pr.  Archiv  für  Kinderheilk.,  Bd.  49,  H.  5  u.  6.) 

Th.  berichtet  über  einen  atypisch  verlaufenen  Typhus,  der  erst  bei 
bakteriologischer  Untersuchung  in  der  Rekonvaleszenz  erkannt  wurde  und 
der  trotz  von  der  Norm  abweichender  Typhusdiät  in  vollkommene  Heilung 
überging.  Reiss  (München). 


992 


Referate  und  Besprechungen. 


Ueber  Ankylostomiasis. 

(O.  Henggeier.  Zentralblatt  für  Schweizer  Aerzte,  Nr.  11,  1909.) 

An  dem  Aufsatze  sind  von  besonderem  Interesse  die  Erfahrungen,  die 
Henggeier  in  Deli  an  den  chinesischen  und  javanischen  Plantagearbeitern 
gemacht  hat,  von  denen  eine  große  Anzahl  an  Ankylostomen  erkrankt  war. 
Da  bei  den  schweren  Formen  Herzbeschwerden  und  allgemeine  Ödeme  häufig 
sind,  so  wurden  diese  Fälle  häufig  mit  Beriberi  verwechselt,  ja,  es  ist  so¬ 
gar  mehrfach  versucht  worden,  Beriberi  auf  Ankylostoma  zurückzuführen. 
Als  wirksamste  Kur  erwies  sich  die  Anwendung  von  Thymol  in  Dosen  von 
6—8  g  nach  einer  fünftägigen  Abführkur  mit  Karlsbader  Salz.  Thymol 
wurde  meist  gut  vertragen,  und  die  Erholung  erfolgte  rasch,  nur  in  schweren 
Fällen  zog  sich  die  Genesung  in  die  Länge. 

Prophylaktisch  wurde  die  Krankheit  durch  Behandlung  aller  Wurm- 
träger  und  durch  Verabreichung  von  Tee  an  Stelle  des  ungekochten  Wassers 
bekämpft.  Natürlich  .wurde  sie  nicht  ausgerottet,  da  der  Kuli  noch  un¬ 
reinlicher  ist  als  der  deütsche  Grubenarbeiter.  Die  Anwendung  des  Tees! 
zeigt  jedenfalls,  daß  man  auf  den  Sundainseln  auch  der  Infektion  vom 
Mund  aus  noch  Wichtigkeit  beilegt  und  sich  von  der  Looss’schen  Ansicht, 
daß  fast  ausschließlich  von  der  Haut  aus  Infektion  erfolge,  nicht  über¬ 
zeugt  hat.  Fr.  von  den  Velden. 


Aus  dem  Institut  für  Schiffs-  und  Tropenkrankheiten  in  Hamburg. 

Die  Therapie  der  Malaria. 

(Prof.  Dr.  Nocht.  Deutsche  med.  Wochenschr.  Nr.  12,  1909.) 

Aus  den  Beobachtungen,  die  Schaudinn  über  die  Wirkungen  des 
Chinins  auf  die  Malariaparasiten  im  menschlichen  Körper  gemacht  hat,  geht 
einmal  hervor,  daß  eine  Malariainfektion  nicht  durch  einmalige,  auch  nicht 
zwei-  und  dreimalige  Dosen  von  Chinin  zu  heilen  ist,  weiter,  daß  die  Makro¬ 
gameten,  die  weibliche  Geschlechtsform  der  Parasiten,  die  langgesuchte  Latenz¬ 
form  zwischen  Erstlingsinfektion  und  Rezidiven  bilden.  Aus  der  Un¬ 
empfindlichkeit  dieser  Form  gegen  Chinin  erklärt  sich  die  Unmöglichkeit, 
bei  damit  behafteten  Kranken  Rezidive  zu  verhüten.  Weiter  ist  es  dringend 
erforderlich,  möglichst  zeitig  mit  der  Chinintherapie  z!u  beginnen,  da  sich 
die  Makrogamete  schon  sehr  früh,  nach  dem  zweiten  oder  dritten  Anfalle, 
bilden  können.  Endlich  ist  die  beste  Zeit  für  die  Chinindarreichung  die 
unmittelbar  vor  und  während  der  ersten  Stunden  nach  dem  Froststadium, 
eines  Anfalles. 

Die  Zahl  der  Methoden  der  Chinindarreichung  ist  unendlich  groß. 
Nocht  hat  sich  zunächst  der  von  den  deutschen  Tropenärzten  geübten  Art 
angeschlossen,  nur  mit  einigen  Modifikationen.  Er  gibt  bei  Erwachsenen 
möglichst  nur  volle  Grammdosen,  aber  nur  einmal  am  Tage  und  beginnt 
in  fieberfreier  Zeit  einige  Stunden  vor  dem  vermutlichen  Eintreten  des! 
Fieberanfalls,  oder  wenn  dies  nicht  vorauszusehen,  möglichst  bald  nach 
dem  Abklingen  des  gerade  bestehenden  Anfalls.  Dann  wird  das  Chinin  noch 
mehrere  Tage  (6 — -7)  weiter  gegeben,  dann  drei  Tage  pausiert,  sodann  vier 
Tage,  dann  fünf,  sechs  und  endlich  sieben  Tage.  Zwischen  diese  Pausen! 
werden  drei  Chinintage  a  1  g  eingeschoben.  In  Fällen,  wo  die  großen 
Dosen  nicht  vertragen  wurden,  gab  er  das  Mittel  in  kleineren,  öfters  wieder¬ 
holten  Dosen,  aber  so,  daß  die  Gesamttagesdosis  1  g  betrug.  Da  dies  gut 
vertragen  wurde,  gibt  Nocht  in  der  letzten  Zeit  sofort  nach  der  Diagnose¬ 
stellung  auch  während  des  Fiebers  das  Chinin  in  Form  von  0,2  g  fünfmal 
tgl.  und  verfährt  im  übrigen  nach  dem  o'ben  angegebenen  Modus.  Aus 
einer  Zusammenstellung  der  Fälle  mit  Grammdosen  und  der  mit  den  kleinen 
Dosen  ergibt  sich  kein  Unterschied  in  der  Wirkungsweise.  Unangenehme 
Nebenwirkungen  wurden  bei  der  neuen  Methode  gar  nicht  beobachtet.  Da¬ 
bei  ist  zu  bemerken,  daß  seine  Fälle  in  bezug  auf  Schwere  denen  in  den 
Tropien  nicht  nachstehen. 


Referate  und  Besprechungen. 


993 


Die  Chininpräparate  selbst  sind  nicht  gleichartig.  Nocht  empfiehlt  die 
freie  Chininbase,  das  salzsaure  Chinin,  das  Chinabisulfat  und  das  Chinintannat 
in  Form  von  Schokoladeplätzchen,  letzteres  aber  nur  dann,  wenn  es  sicher 
den  Anforderungen  des  deutschen  Arzneibuches  entspricht.  Die  Brauchbar¬ 
keit  der  Tabletten  und  Pillen  ergibt  sich  daraus,  daß  sie  in  Wasser  binnen 
wenigen  Minuten  sich  auflösen.  Die  Chininderivate,  von  denen  nur  das 
1  Vs  mal  schwächere  Euchinin  in  Frage  kommt  und  die  Ersatzmittel,  unter 
denen  das  sehr  langsam  wirkende  Methylenblau  zu  nennen  ist,  sind  sämt¬ 
lich  dem  Chinin,  nicht  gleichwertig.  Was  die  subkutane  oder  intramuskuläre 
Injektion  des  Chinin  anbetrifft,  so  hat  sie  neben  der  schwer,  vermeidlichen 
Abszeßbildung  vor  allem  den  großen  Nachteil,  daß  die  Resorption  viel  lang¬ 
samer  vor  sich  geht,  als  bei  der  Darreichung  per  os.  Nur  eine  Lösung  ist 
empfehlenswert,  der  Urethan  zugesetzt  ist.  Nach  Giemsa  lautet  das  Rezept 
folgendermaßen:  Chinin  mur.  10  g,  Aqu.  dest.  18  g,  Aethylurethan  5  g. 
Die  Lösung  wird  in  Ampullen  gefüllt  und  zwar  am  besten  so,  daß  jede 
1,6  ccm  enthält.  (1,5  ccm  enthält  0,5  Chinin.)  Die  Injektion  ist  schmerzlos, 
die  Resorption  geht  rasch  vor  sich.  Eine  Kontraindikation  gegen  Chinin  gibt 
es  nur  bei  schwerer  Chininidiosynkrasie  und  bei  Disposition  zu  Schwarz¬ 
wasserfieber.  Hier  muß  man  durch  Methylenblau  zu  helfen  suchen. 

Die  symptomatische  Behandlung  richtet  sich  gegen  Aufregungszustände, 
die  durch  Morphium  bekämpft  werden.  Erbrechen  hört  gewöhnlich  mit  der 
Chininwirkung  auf,  oder  man  gibt  Jodtinktur  1  Tr.  auf  ein  Weinglas  Wasser. 
Ziemann  wendet  folgendes  Rezept  an:  Chloroform  10,0,  Gummi  arabic.  10,0, 
Zucker  20,0  in  einem  Mörser  zerrieben  und  mit  Aqua  ad  200,0  versetzt.  Vor 
dem  Gebrauch  gut  umschütteln.  Man  gibt  davon  1 — 2stdl.  1  Teelöffel  bis  zu 
1  Eßlöffel.  Bei  Auftreten  von  Nervosität  empfiehlt  sich  Rückkehr  in  die 
Heimat,  in  der  zunächst  eine  gründliche  Chininkur  erforderlich  ist.  Daran 
schließt  sich  dann  erst  Bade-  und  Kuraufenthalt.  F.  Walther. 


'  Universal-Äeidimeter. 

(H.  Citron,  Berlin.  Zeitschr.  für  Krankenpflege,  Nr.  2,  1909.) 

Der  Apparat  dient  zur  Bestimmung  und  unmittelbaren  Ablesung 
der  freien  Salzsäure  und  der  Gesamtazidität  sowohl  größerer  und  mittlerer 
wie  ganz  kleiner  Mengen  Magensaft,  unter  Benutzung  von  Reagenstabletten. 

Er  besteht  aus  einem  starken  Glaszylinder  mit  drei  voneinander  ge¬ 
trennten  Gradierungen.  Ihm  ist  ein  Glasstab  zum  Zerkleinern  der  Tabletten 
und  ein  Fläschchen  mit  50  Reagenztabletten  beigegeben.  Bei  Zusatz  von 
V10  Normalnatronlauge  eintretender  Farbenumschlag  zeigt  die  Sättigung  usw. 
an.  Fabrikant  Schallmeyer  &  Co.,  Berlin  N.  Esch. 


Chirurgie. 

Narbengewebe,  seine  Beschränkung  und  Beseitigung. 

(Ch.  H.  Duncan.  Amer.  Journ.  of  Surg.,  Nr.  5,  1909.) 

Die  Vorteile  einer  narbenfreien  Technik  sind  teils  kosmetischer  Natur, 
Narbenschmerzen  und  Kontrakturen  werden  vermieden  und  die  Möglichkeit 
des  Auftretens  von  Iveloiden  wird  eingeschränkt.  Duncan  schneidet  die  Haut 
nicht  im  rechten  Winkel  ein,  sondern  in  einem  spitzen  Winkel  von  30°  zur 
Hautoberfläche,  so  daß  ein  Wundrand  den  anderen  deckt;  muß  aber  Haut 
exzidiert  werden,  so  legt  er  beide  Hautschnitte  schräg,  den  einen  nach  links, 
den  andern  nach  rechts  um  30°  von  der  Vertikalen  abweichend,  so  daß  die 
Wundränder  vor  der  Naht  an  der  Oberfläche  klaffen,  er  glaubt,  daß  so  die 
Ernährung  des  Wundrands  besser  ist,  weil  die  Epithelschicht  in  besserem! 
Zusammenhang  mit  den  darunter  liegenden  Schichten  steht.  Im  allgemeinen 
wendet  er  Drainage  erst  an,  wenn  die  Wunde  sich  als  infiziert  erweist, 
nur  über  sehr  fette  Gewebe  legt  er  für  24  Stunden  ein  Drain  ein,  um  das 
flüssige  Fett  abzuleiten.  Um  die  Spannung  der  Haut  zu  mindern,  legt  er 

63 


994 


Referate  und  Besprechungen. 


bei  Operationen  im  Gesicht  eine  subkutane  Matratzennaht  aus  Katgut,  die 
Hautnähte  aus  Seide  sind  ohne  Spannung”  und  nur  3  mm  voneinander  ent¬ 
fernt;  hierdurch  werden  Randnekrosen  vermieden.  Gesichtswunden  werden 
nur  mit  Seidenpflaster  bedeckt,  dieses  nach  24  Stunden  abgeweicht  und  nun 
die  Wunde  täglich  mit  einem  dicken,  nicht  reizenden  Öl  verbunden,  Coldcreanä 
oder  Vaseline  mit  einem  kleinen  Zusatz  von  Bienenwachs,  hierdurch  wird 
Ankleben  des  Verbandstoffs  und  Bildung  von  Blutgerinseln  verhindert.  Täg¬ 
lich  wird  die  Wunde  sanft  aber  gründlich  feucht  gereinigt  und  die  Nähte 
möglichst  früh,  vom  5.  Tage  an,  entfernt.  Kann  die  Spannung  der  Haut 
nicht  vermieden  werden,  so  werden  entlang  den  Wundrändern  durchlochte 
Heftpflasterstreifen  auf  geklebt  und  wie  ein  Schuh  zusammengeschnürt.  Auf 
diese  Weise  wird  die  Irritation  der  Wunde  möglichst  vermieden,  was  der 
wesentliche  Punkt  bei  der  Herstellung  einer  schönen  Narbe  ist.  Die  ver¬ 
wandten  Rette  werden  durch  Hitze  sterilisiert. 

Auf  die  Erhaltung  der  Nerven,  besonders  bei  Bauchoperationen,  macht 
Duncan  besonders  aufmerksam,  werden  sie  durchschnitten,  so  leidet  nicht 
nur  die  Ernährung,  sondern  auch  der  Tonus  der  Gewebe  und  Hernien  sind 
die  Rolge. 

Ein  weiterer  Teil  der  sehr  beachtenswerten  Arbeit  handelt  von  der 
Entfernung  der  Narben,  die  als  weniger  wichtig  hier  übergangen  werden  kann. 

Fr.  von  den  Velden. 


Aus  der  1.  chirurgischen  Universitäts-Klinik  in  Wien.  v.  Eiseisberg. 

Zur  Statistik  des  Zungenkarzinoms. 

(Hans  Ehrlich.  Archiv  für  klin.  Chir.,  Bd.  88,  H.  2.) 

Ohne  auf  die  technischen,  vom  Verfasser  berührten,  nicht  zu  unter¬ 
schätzenden  Fragen  an  dieser  Stelle  einzugehen,  sei  aus  den  Schlußsätzen 
hervorgehoben:  Trotz  der  hohen  Operationsmortalität  von  25%  und  der  ge¬ 
ringen  Zahl  dauernd  geheilter  (13%)  Fälle  ist  die  Operation  des  Zungen¬ 
karzinoms  in  allen  Fällen,  in  Welchen  die  Aussicht  auf  radikale  Entfer¬ 
nung  besteht,  dem  Patienten  zu  empfehlen,  da  auch  in  den  Fällen,  welche 
nicht  dauernd  geheilt  bleiben,  das  Leben  um1  mehrere  Monate  verlängert 
wird.  Besonders  wird  davor  gewarnt,  durch  Versuche  mit  Röntgenbehand¬ 
lung,  mit  der  direkte  Erfolge  beim  Zungenkarzinom  bisher  nicht  erzielt 
sind,  den  günstigen  Zeitpunkt  für  ein  operatives  Eingreifen  verstreichen! 
zu  lassen.  H.  Stettiner  (Berlin). 


Die  Behandlung  des  Karzinoms  mittels  Fulguration. 

(De  Keating-Hart.  Klin.-therap.  Wochenschr.,  Nr.  9,  1909.) 

Bei  des  Verfassers  Verfahren  handelt  es  sich  um  eine  Vereinigung 
der  Elektrizität  und  der  Chirurgie ;  hinsichtlich  ersterer  gelangt  ein  Funke 
von  hoher  Frequenz  und  hoher  Spannung  (zwei-  bis  dreihunderttausend  Volts) 
zur  Anwendung ;  daß  letztere  nicht  gefährlich  für  den  Menschen  wirkt, 
liegt  in  der  hohen  Frequenz  von  Millionen  von  Schwingungen  in  der  Minute 
begründet,  die  keine  tödlichen  Erschütterungen  zulassen.  Diese  Funken  ent¬ 
stehen  aus  Strömen  von  einer  Intensität  von  6—10  Amperes  auf  60 — 120  Volts 
und  werden  modizifiert  durch  sukzessives  Durchgehen  durch  einen  Trans¬ 
formator,  Kondensatoren  und  einen  Resonator.  Die  so  erzeugten  Maximal¬ 
funken  sind  von  solcher  Heftigkeit,  daß  eine  lokale  oder  allgemeine  Anäst¬ 
hesie  bei  ihrer  Anwendung  erforderlich  ist.  Die  Wirkung  des  Funkens  be¬ 
steht  in  einer  Herabsetzung  der  Vitalität  der  neoplastischen  Elemente  (Side*- 
ration).  Vereinigt  mit  chirurgischem  Eingriff  erfordert  die  Fulguration  eine 
allgemeine  Narkose.  Der  chirurgische  Eingriff  ist  der  erste,  die  elektrische 
Einwirkung  der  letzte  Akt,  auch  alternieren  beide  häufig  untereinander,  je 
nachdem  die  Sachlage  oder  die  Art  und  der  Sitz  des  Karzinoms  es  erfordern ; 
doch  ist  zur  Erzielung  eines  dauernden  Erfolges  die  chirurgisch  möglichst 
vollständige  Entfernung  aller  Partien  des  Neugebildes  als  notwendiges  Mini- 


Referate  und  Besprechungen. 


995 


mum  zu  betrachten.  Die  Fulguration  zerstört  die  an  der  Oberfläche  der  Wunde 
verbieiteten  Keime  und  wirkt  auch  auf  das  umgebende  und  das  darunter¬ 
liegende  Gewebe.  Die  Verlängerung  der  Eingriffsdauer  ist  die  einzige  Er¬ 
schwerung,  welche  die  Fulguration  bedingt.  Nach  der  Blutstillung  muß  die 
Wunde  drainiert  werden  wegen  der  reichlichen  serösen  Sekretion,  die  Wund¬ 
ränder  möglichst  vereinigt  werden.  Die  nach  der  Fulguration  sich  einstel¬ 
lende  Diapedesis  und  reichliche  Lymphorrhoe  bildet  einen  starken  Schutz 
gegen  Infektionen.  —  Die  Tiefenwirkung  des  Funkens  ist  nicht  groß,  zwei 
Zentimeter  Zerstörung  in  die  Tiefe  sind  das  Maximum.  In  dem  vom  erkrankten 
Gebiet  abhängigen  lymphatischen  Netz  treten  Rückbildung  und  Stillstand 
in  der  Entwicklung  der  Drüsen  ein  oder  rasche'  Entwicklung  mit  Abszedie¬ 
rung  und  käsigem  Zerfall  ihres  Inhalts.  —  Manche  Sarkome  sind  gegenüber 
dem  elektrischen  , Funken  besonders  empfindlich.  Bei  Karzinomfällen  mit 
entfernten  und  multiplen  Metastasen  wird  man  nur  ausnahmsweise  versuchen, 
mit  der  Fulguration  die  Schmerzen  zu  lindern.  Bei  anatomisch  inoperablen 
Karzinomen  ergänzt  Verf.  die  Wirkung  des  Funkens  mit  der  des  Radiums. 
Bei  den  chirurgisch  für  inoperabel  geltenden  Karzinomen  mit  Adhäsionen 
in  der  Tiefe,  starker  Drüsenbeteiligung  und  lebhafter  Rezidivneigung  nach 
dem  ersten  Eingriff  hat  Verf.  mit  seinem  Verfahren  die  schlagendsten  Er¬ 
folge  gehabt;  bei  den  eigentlichen  operablen  Fällen  ist  der  einzige  Nachteil 
die  Verlängerung  der  Heilungsdauer;  dafür  wird  aber  die  sonst  bestehende 
Gefahr  der  Rezidi vierung  beseitigt.  Die  bisherigen  Erfolge  des  Verfassers 
und  andrer  Autoren  sind  als  recht  günstige  zu  bezeichnen.  Peters  (Eisenach). 


Penetrierende  Bauchwunde  ohne  Symptome. 

(Ch.  Jaeger.  Amer.  Journ.  of  Surg.  Nr.  5,  1909.) 

Ein  dreizehnjähriger  Junge  litt  nach  einem  Sturz  an  einer  Eiterung 
an  der  Seite  des  Bauchs,  Flexion  im  Hüftgelenk  und  Spasmus  der  Wirbel¬ 
säule  nach  der  gleichen  Seite,  was  ihn  aber  nicht  tarn  Umhergehen  hinderte. 
Er  bekam  einen  Gipsverband  zur  Stellungskorrektur  und  die  Wunde  »wurde 
ambulant  behandelt.  Nach  zwei  Wochen  wurde  ein  Stück  Bleistift,  9  cm 
lang,  aus  der  Wunde  ausgestoßen,  das  nach  der  Lage  derselben  mit  Perfora¬ 
tion  der  Bauchhöhle  in  den  Psoas  eingedrungen  sein  mußte.  Es  erfolgte 
jetzt  rascher  Schluß  der  Fistel  und  Verschwinden  der  Spasmen. 

Es  muß  ein  recht  gesunder  Junge  gewesen  sein.  Fr.  von  den  Velden. 


Die  operative  Behandlung  der  Perikarditis. 

(Ernst  Venus.  Wiener  klin.  Rundschau,  Nr.  44  u.  45,  1908.) 

Die  Perikarditis  kann  nach  drei  Methoden  operiert  werden,  mittels 
Punktion  (Parazentese)  Inzision  des  Perikards  und  Inzision  nach 
voraufgegangener  Resectio  costae.  Der  einzuschlagende  Weg  wird  sich 
nach  der  Beschaffenheit  des  Exsudates,  der  Erfolg  im  wesentlichen  nach  der 
primären,  die  Perikarditis  hervorrufenden  Krankheit  richten.  Bei  eitrigem 
Exsudat  wird  man  nur  die  Rippenresektion  und  daran  anschließend  die 
Perikardiotomie  wählen. 

Es  empfiehlt  sich,  eine  vorsichtige  Spülung  mit  steriler  Kochsalzlösung 
folgen  zu  lassen.  Der  Erfolg  ist  statistisch  nicht  zu  berechnen.  Daß  Tuber¬ 
kulose,  Sepsis,  Pyämie,  Meningitis  und  ähnliche  Allgemeinerkrankungen  die 
Aussichten  auf  einen  günstigen  Ausgang  von  vornherein  sehr  gering  erscheinen 
lassen,  ist  selbstverständlich.  Steyerthal-Kleinen. 


Hernien  nach  Appendizitis-Operationen. 

(O.  G.  T.  Kiliani.  New- Yorker  med.  Monatsschr.,  Nr.  1,  1909.) 

Da  Mc.  Burney’s  Gridiron-Operation,  die  Kocher’s  Vorschrift  der 
physiologischen  Schnittrichtung  folgt,  bei  Vorhandensein  von  Eiter  usw. 
zwecklos  wird,  weil  das  mühsam  erhaltene  Muskelgerüst  dann  durch  Quer- 

63* 


996 


Referate  und  Besprechungen. 


trennung  zerstört  werden  muß  und  da  auch  der  Lenn  an  der -Schnitt  Nr.  3 
bei  Tumoren,  gewissen  Abszessen  usw.  unangebracht  erscheint,  so  bevorzugt 
Iv.  im  allgemeinen  die  pararektale  Schnittführung  Kämmerers  unter  mög¬ 
lichst  kurzer  Inzision  (meist  zwei  Zoll),  minimalster  Weich  teilquetschung, 
Schonung  aller  Nervenäste  und  möglichst  exakter  Etagennaht,  bei  eitrigen 
Fällen  bis  auf  eine  kleine  Öffnung.  Er  vermeidet  so  alle  Hernien,  außer 
in  den  Fällen,  wo  der  Versuch  des  Bauchverschlusses  infolge  von  Infektion 
mißlingt.  Esch. 


Der  entzündete  Hämorrhoidalknoten  und  seine  Behandlung. 

(E.  Payer.  Med.  Klinik,  Nr.  18,  1908.) 

Da  es  sich  bei  der  Entzündung  des  Hämorrhoidalknoten  meist,  wenn 
nicht  stets,  um  eine  Thrombosierung  dieser  Gebilde  handelt,  so  empfiehlt  Payer 
die  chirurgische  Behandlung  des  Leidens  mit  Ausräumung  des  Knotens  unter 
Lokalanästhesie.  Bezüglich  der  genau  angegebenen  Einzelheiten  der  Technik 
muß  auf  das  Original  verwiesen  werden.  —  Die  Behandlung  hatte,  ohne  daß 
P.  imstande  wäre,  Gründe  dafür  anzugeben  in  vielen  Fällen  auch  den  Nutzen, 
daß  die  Kranken  von  Rezidiven  längere  Zeit  und  zwar  Jahre  hindurch  ver 
schon  blieben.  R.  Stüve  (Osnabrück). 


Die  Operation  des  eingewachsenen  Nagels. 

(J.  E.  Jennings.  Amer.  Journ.  of  Surg.,  Nr.  5,  1909.) 

Jenningls  wirft  den  herkömmlichen  Operationen  des  eingewachsenen 
Nagels  vor,  daß  die  Nagelfalte  durch  Narbengewebe  ersetzt  wird,  das  kaum 
weniger  empfindlich  gegen  Irritation  ist  als  das  entfernte  Gewebe.  Die  von 
ihm  vorgeschlagene  Operation  berührt  die  Nagelfalte  nicht,  sondern  entfernt 
einen  Teil  der  Matrix  mit  einem  größeren  oder  kleineren.  Stück  Nagel.  Die 
Inzision  läuft  vom  Winkel  des  Nagels  (auf  der  erkrankten  Seite)  schräg 
nach  oben  außen,  Nagel  und  Nagelbett  werden  in  querer  Richtung  etwa 
entlang  dem  mittleren  Teil  des  Nagelfalzes  durchschnitten  und  die  Matrix 
der  kranken  Seite  gründlich  entfernt,  so  daß  auf  dieser  der  Nagel  nicht 
wieder  wachsen  kann,  auch  keine  irritierenden  Nagelrudimente  gebildet  werden 
können.  Je  nach  der  Blutung  wird  die  Wunde  vernäht  oder  tamponiert, 
sie  heilt  in  8 — 10  Tagen.  J.  behauptet,  mit  dieser  Operation  bessere  Resul¬ 
tate  als  mit  irgend  einer  anderen  zu  haben.  — 

In  der  vornarkotischen  und  voraseptischen  Zeit  betrachtete  man  den 
eingewachsenen  Nagel  als  ein  Zeichen  'verschlechterter  Konstitution,  einet 
Anschauung,  über  die  der  moderne  Chirurg  die  Achseln  bedauernd  zuckt, 
deren  teilweise  Berechtigung  man  aber,  wenn  man  erst  einmal  darauf  auf¬ 
merksam  geworden  ist,  leicht  erkennen  wird.  Der  eingewachsene  Nagel 
kommt  nicht  nur  von  schlechtem,  die  Zirkulation  beeinträchtigenden  Schuh¬ 
werk,  sondern  auch  von  einer  aus  allgemeinen  Ursachen  schlechten  Gewebs- 
ernährung,  an  diesem  exponiertesten  Posten  der  Blut-  und  Lymphzirkulation 
—  man  denke  nur  an  die  Gichtkonkremente,  die  sich  auch  gerade  die  große 
Zehe  als  ersten  Platz  ausgesucht  haben.  Daher  die  mangelhaften  Heilungs¬ 
resultate  trotz  gründlicher  und  chirurgisch  einwandfreier  Operation.  Gegen 
diese  Benachteiligung  der  großen  Zehe  wird  wohl  auch  die  Jennings’sche 
Operation  nicht  immer  aufkommen.  Ref.  hat  bei  ungesunden  Personen  den 
eingewachsenen  Negel  ohne  örtliche  Maßnahmen  nur  bei  weiteren,  die  Knickung 
im  Tarsometatorsalgelenk  vermeidenden  Schuhen  und  bei  Besserung  von  Kon¬ 
stitutionsanomalien  heilen  sehen  und  hält  bei  Schwindsüchtigen,  Zucker¬ 
kranken  oder  sonst  Heruntergekommenen  die  Operation  für  verfehlt. 

Fr.  von  den  Velden. 


Referate  und  Besprechungen. 


997 


Aus  der  chirurgischen  Abteilung  des  städtischen  allgemeinen  Krankenhauses  Linz  a.  D. 

Primärarzt:  Dr.  Brenner. 

Osteotomie  des  Keilbeins  bei  Hallux  valgus. 

(Herrmann  Riedl.  Archiv  für  klin.  Chir.,  Bd.  88,  H.  2.) 

Es  gibt  kaum  ein  Leiden,  das  so  verbreitet  ist,  wie  der  Llallux  valgus. 
Nicht  ausschließlich,  wenn  vielleicht  auch  in  der  Mehrzahl  der  Fälle,  ist  un¬ 
zweckmäßige  Fußbekleidung  die  Ursache  für  denselben.  Auch  fehlerhafte 
Keimanlage,  intrauterine  Druckverhältnisse,  Vererbung,  endlich  Prädisposi¬ 
tion  (Schwäche  der  Fußmuskeln,  Bänder  und  Knochen,  Rhachitis)  spielen 
bei  seiner  Entstehung  eine  Rolle.  Während  bei  den  leichten  Graden  des 
Leidens  die  unblutigen,  einfach  redressierenden  Methoden  zur  Anwiendung 
kommen,  muß  bei  hochgradigen  und  hartnäckigen  Beschwerden  ein  opera¬ 
tives  Verfahren  eingeschlagen  werden.  Nach  Ansicht  des  Verfassers  haben- 
aber  die  bisherigen  operativen  Methoden  deshalb  keinen  vollen  Erfolg  erzielt, 
weil  sie  zwar  die  starke  Köpfchenvorragung  des  Metatarsus  I  und  die  Val- 
gusstellung  der  Großzehe  ausglichen,  nicht  aber  die  abnorme  Abduktions¬ 
stellung  des  Metatarsus  beseitigten.  Nur  Loison  hat  einen  diesbezüglichen 
Vorschlag  gemacht,  der  aber  nicht  ausgeführt  zu  sein  scheint.  Das  von  Bren¬ 
ner  zuerst  ausgeführte  Operationsverfahren  besteht  darin,  daß  aus  dem  ersten 
Keilbein  ein  Knochenkeil  mit  lateral  gerichteter  Basis,  nach  Freilegung  des¬ 
selben  und  seiner  Gelenkverbindung  mit  dem  ersten  Mittelfußknochen  durch 
einen  Längsschnitt  am  inneren  Fußrande,  herausgeschlagen  wird,  worauf  es 
nach  Umschneidung  der  Basis  des  Metatarsus  I  gelingt,  dieses  gerade  zu  rich¬ 
ten  und  dann  das  Redressement  der  Großzehe  auszuführen.  Nach  Stillung 
der  Blutung  und  Naht  der  Wunde  wird  die  neue  Stellung  des  Metatarsus 
und  der  Großzehe  durch  einen  Gipsverband  fixiert.  Der  Fuß  wird  erst  dann 
belastet,  wenn  eine  feste  knöcherne  Vereinigung  der  Keilbeinstücke  erfolgt 
ist.  Brenner  hat  dies  Verfahren  in  einem  Falle  mit  doppelseitigem  Hallux 
valgus,  wie  die  Röntgenaufnahmen  zeigen,  mit  Erfolg  ausgeführt. 

H.  Stettiner  (Berlin). 


lieber  die  Behandlung  des  paralytischen  pes  equino  varus. 

(Walter  Sochaczewski.  Archiv  für  Kinderheilk.,  Bd.  49,  3  u.  4.) 

Bespricht  die  verschiedenen  Methoden  der  Behandlung  mit  Angabe 
der  Literatur;  ein  Urteil  über  die  Vor-  und  Nachteile  soll  nach  eingehender 
Prüfung  später  folgen.  Reiss. 


Ausbleiben  der  Wirkung  auf  das  Bewußtsein  bei  ungewöhnlich  großen 

Mengen  von  Narkose-Flüssigkeit. 

(Cr  am  er.  Med.  Klinik,  Nr.  13,  1909.) 

Zur  Entfernung  von  17  kariösen  Zähnen  wurde  bei  einer  zwar  nervösen, 
sonst  aber  sehr  gesunden  Patientin  die  allgemeine  Narkose  eingeleitet.  Es 
blieb  jede  Spur  von  Schlaf  Wirkung  selbst  nach  unglaublich  großen  Mengen 
der  gebräuchlichen  Narkotika,  Chloroform  und  Äther,  aus,  dagegen  zeigte 
sich  bei  völligem  Wachsein  der  Patientin  eine  volle  Schmerzunempfindlich¬ 
keit,  wie  sie  sonst  im  dritten  Stadium  der  Narkose  auf  tritt.  Es  konnte 
so  die  ursprüngliche  Absicht,  die  Entfernung  der  kariösen  Zähne,  bequem; 
durchgeführt  werden,  wobei  Patientin  sich  nur  'über  den  Blutgeschmack; 
im  Munde  beschwerte.  Sofort  nach  Reinigung  der  Mundhöhle  stand  sie 
auf  und  bemerkte  keinerlei  Nachwirkungen  von  der  Narkose. 

Vom  WitzeLschen  Narkose-Gemisch  waren  verbraucht  80  g,  im  An¬ 
schluß  daran  kamen  50  g  Chloroform  zur  Verwendung  und  schließlich  noch 
40  g  Äther.  Neumann. 


998 


Referate  und  Besprechungen. 


Bakteriologie  und  Serologie. 

Die  phagozytosebefördernden  StofFe  der  Normal-  und  Immunsera. 

(E.  Weil.  Zentralbl.  für  Bakt.,  Bd.  47,  H.  11  —  13.) 

Nach  kurzer  Einleitung  bespricht  Verf.  die  Fragen: 

1.  Angriffspunkt  und  Wirkungsweise  der  Opsonine. 

Nach,  den  Urteilen  mancher  Autoren  ist  die  Einwirkung1  der  Opsonine 
auf  die  Bakterien  unzweifelhaft  erwiesen.  Die  Opsonine  sind  häufig  oft 
gerade  gegenüber  solchen  Bakterien  nachweisbar,  die  weder  von  Aggluti- 
ninen  noch  von  Bakteriolysinen  beeinflußt  werden.  Wright’s  Ansicht  geht 
dahin,  daß  die  Bakterien  in  ihrer  Leibessubstanz  Stoffe  besitzen,  die  sm 
vor  der  Phagozytose  schützen ;  diese  werden  von  den  Opsoninen  zerstört. 
Dagegen  schreibt  Neufeld  den  Bakterien  und  körperfremden  Zellen  die 
Fähigkeit  zu,  Stoffe  abzugeben,  welche  die  Leukozyten  zur  Phagozytose  reizen ; 
bei  Ausbleiben  von  Abgabe  dieser  Reizstoffe  findet  auch  keine  Phagozytose 
statt.  Die  der  Phagozytose  Widerstand  leistenden  Keime  haben  eben  nicht 
diese  Schmeckstoffe  für  die  Leukozyten.  Bei  kapseltragenden,  phagozytose- 
resistenten  Bakterien  erfolgt  wegen  der  Kapsel  die  Diffusion  dieser  Reiz¬ 
stoffe  nicht. 

2.  Normal-  und  Immunopsonine. 

Neufeld  und  Rim  pan  hatten  in  gewissen  Immunseris  Bakteriotro- 
pine  gefunden;  sie  geben  nicht  zu,  daß  die  Normal-  und  Immunopsonine 
identisch  seien;  die  Immunopsonine  sind  thermostabil,  die  Normalopsonine 
aber  thermolabil. 

Verfasser  schließt  nach  einer  gründlichen  Kritik  der  verschiedenen 
Arbeiten  und  Angaben  für  und  wider  die  Identität  der  beiden  Stoffe  aus 
dem  Ganzen,  daß  aiur  eine  quantitative  Differenz  zwischen  Normal-  und 
Immunantikörpern  besteht  und  daß  die  Immunantikörper  die  durch  den 
Immunisierungsprozeß  vermehrten  Normalantikörper  darstellen,  gemäß  der 
Ehrlich’schen  Anschauung.  Normal-  und  Immunopsonine  seien  also  quali¬ 
tativ  gleichartig. 

3.  Die  Stellung  der  Opsonine  zu  den  bekannten  Immunkörpern. 

V erf asser  erwähnt  die  verschiedenen  Ansichten  der  einzelnen  Autoren 

über  die  Stellung  der  Opsonine  zu  den  bekannten  Immunkörpern.  Verfasser 
schließt  sich  der  Anschauung  von  Neufeld  und  Hektoen  an,  die  die 
Opsonine  für  keine  reaktivierbaren  Ambozeptoren  halten  und  keinen  kom¬ 
pletten  Bau  derselben  annehmen.  Sie  kommen  den  Agglutininen  in  ihrem 
Bau  sehr  nahe. 

4.  Die  Herkunft  der  Opsonine. 

Über  die  Bildungsstätte  der  Opsonine  herrscht  noch  große  Unklarheit. 
Man  denkt  ihren  Ursprung  in  die  Muskeln,  in  die  drüsigen  Organe,  in  die 
Leukozyten  zu  verlegen.  Neumann’s  Versuche,  aus  den  Leukozyten  das 
Opsonin  zu  gewinnen,  waren  ohne  Erfolg. 

5.  Opsonine  und  Agg  res  sine. 

Weil  und  Nakayama  schrieben  den  Aggressinen  eine  phagozytose¬ 
hemmende  Wirkung  zu.  Gr  über  gibt  an,  daß  im  Aggressin  einfach  in¬ 
folge  Opsoninmangels  die  Phagozytose  ausbleibt.  Aus  Versuchen  von  Weil 
und  Tsuda  geht  hervor,  daß  das  Dysenterieaggressin  die  Phagozytose  der 
Dysenteriebazillen  in  spezifischer  Weise  behindert,  indem  es  dieselben  bei 
Staphylokokken  und  Heubazillen  zuließ.  Man  glaubte  deshalb,  daß  das 
Aggressin  nicht  auf  die  Leukozyten,  sondern  auf  die  Bakterien  wirken  müsse. 
Das  Aggressin  schützt  dabei  die  Bakterien  vor  der  Phagozytose,  ähnlich  wie 
die  Kapsel  den  Milzbrandbazillus.  Im  Tierkörper  verhindern  die  Aggressine 
nicht  die  Phagozytose.  Ts chisto witsch  hat  in  neuerer  Zeit  eine  phago- 
zytose  Behinderung  der  Pneumokokken  erzielt.  Aus  dem  Waschwasserextrakt 
konnte  er  die  Phagozytose  befördernden  Stoffe  (Antiphagine)  auffinden.  Die 
gewaschenen  Bakterien  unterlagen  dann  der  Phagozytose.  Diese  Antiphagine 
sind  spezifisch,  sie  können  nur  auf  die  Bakterien  selbst,  nicht  auf  die 
Leukozyten  wirken. 


Referate  und  Besprechungen. 


999 


6.  Diagnostische  und  therapeutische  Verwertung  der  Opso¬ 
nine. 

Verf.  gibt  die  Technik  und  Methodik  der  Opsoninhestimmung  an.  Er 
vertritt  die  Anschauung  Baumgar ten’s,  daß  die  Phagozyten  nicht  befähigt 
seien,  alle  Bakterien  abzutöten  und  hierin  liegt  das  Bedenken,  was  man 
allen  therapeutischen  Bestrebungen  entgegen  bringen  muß.  Nur  jenen  Bak¬ 
terien  gegenüber  sind  Opsonine  erfolgreich,  die  von  den  Leukozyten  im 
Wachstum  gehemmt,  resp.  abgetötet  werden.  Zweifel  lassen  sich  nicht  unter¬ 
drücken  gegenüber  der  Wirksamkeit  der  Opsonine  gegen  Staphylokokken 
und  Tuberkelbazillen.  Schürmann  (Marburg). 


Ueber  eine  neue  Reaktion  der  Tuberkelbazillen  und  eine  darauf 
begründete  differentialdiagnostische  Färbungsmethode  derselben. 

(Demetrius  Gasis.  Zentralbl.  für  Bakt.,  Bd.  50,  H.  1.) 

Die  Methode  ist  folgende: 

1.  .Herstellung  des  Farbstoffs  (5  ccm  1%  Eosinlösung  werden  mit 
Quecksilber  im  Reagenzglase  gekocht). 

2.  Fixiertes  Ausstrichpräparat  mit  Farblösung  1 — 2  Min.  bedeckt. 

3.  Abspületn  in  Wasser,  Übergießen  mit  dem  Entfärbungsmittel  (0,5 
Natriumhydrat,  1,0  Kaliumjodid,  100  (50%)  Alkohol. 

4.  Abspülen  mit  Alcoh.  absol.,  Wasserspülung. 

5.  Gegenfärbung  mit  Methylenblaulösung.  2 — 3  Sekunden. 

6.  Wasserspülung,  Trocknen. 

Die  Bakterien  sind  hellrot,  das  übrige  blau  gefärbt.  Aus  seinen  weiteren 
Untersuchungen  geht  hervor,  daß  sich  die  Tuberkelbazillen  gegen  Säuren 
und  Alkalien  amphoter  verhalten,  daß  sie  zum  Teil  säure-  resp.  alkoholfest, 
aber  durchaus  alkalifest  sind. 

Die  neue  Reaktion  der  Tuberkelbazillen  (Alkalifestigkeit)  ist  wohl 
den  Nukleinen  der  Wachshülle  zuzuschreiben.  Schürmann  (Marburg). 


Ueber  eine  in  den  tuberkulösen  Lymphdrüsen  vorhandene,  Tuberkelbazillen 

tötende  Substanz. 

(Dr.  Fontes.  Zentralbl.  für  Bakt.,  Bd.  50,  H.  1.) 

Nur  in  kranken,  tuberkulösen  Lymphdrüsen  von  Meerschweinchen  be¬ 
findet  sich  eine  Substanz,  die  in  vitro  die  Zahl  der  Tuberkelbazillen  herab¬ 
setzt.  Die  größte  Wirkung  entfaltet  sie  bis  zu  der  120.  Stunde.  Sie  wird 
durch  frisches  Blutserum  eines  gesunden  Meerschweinchens  reaktiviert. 

Schürmann  (Marburg). 


Spezifische  Behandlung  bei  experimenteller  Tuberkulose. 

(Dr.  Zeuner.  Zentralbl.  für  Bakt,,  Bd.  50,  H.  1.) 

Verf.  hält  subkutane  Injektionen  von  einem  Filtrat  einer  Lösung  aus 
ölsaurem  Natrium  1 : 60  aqua,  die  mit  geschüttelten  und  dann  durch  lang 
andauernde  Erhitzung  abgetöteten  Tuberkelbazillen  bereitet  wird  für  ein  spe¬ 
zifisches  Mittel  zur  Behandlung  bei  experimenteller  Tuberkulose.  Die  In¬ 
jektionen  dieser  flüssigen  Ölseife  verursachen  weder  Abszesse  noch  andere 
spezifische  Schädigungen  bei  den  Versuchstieren.  Das  Präparat  soll  er¬ 
wiesenermaßen  lebensverlängernd  wirken.  Schürmann  (Marburg). 


Zur  kulturellen  Unterscheidung  zweier  Pseudotuberkulosebazillen  (Bazillus 
Pfeiffer  und  Bazillo  opale  agliaceo  Vinzensi)  der  Nagetiere. 

(Dr.  Livio  Vincenzi.  Zentralbl.  für  Bakt.,  Bd.  50,  H.  1.) 

Dem  Aussehen  nach  sind  beide  Bazillen  sehr  ähnlich ;  auf  der  Ober¬ 
fläche  von  Gelatineplatten  bildet  der  Bacillo  opale  agliaceo  helle,  feucht¬ 
glänzende  Kolonien  mit  bläulichem  Farben  ton;  der  Pf  ei  ff  er’sche  Bazillus 


1000 


Referate  und  Besprechungen. 


dagegen  zeigt  hlaßgelhe  trockene  Kolonien.  Beide  Bazillen  sind  für  Meer¬ 
schweinchen  und  Kaninchen  pathogen;  sie  verursachen  per  os  eingeführt, 
Pseudotuberkulose  der  Tiere.  Schürmann  (Marburg). 


Ueber  die  verschiedene  Wirkung  der  Pyozyanase  auf  Mikroben  in  festen 

und  flüssigen  Nährböden. 

(W.  Podwyssozki.  Zentralbl.  für  Bakt..,  Bd.  50,  H.  1.) 

Verf.  untersuchte  die  Einwirkung  der  Pyozyanase  auf  den  Bac.  diph- 
theriae,  Vibrio  cholerae  asiaticae  und  Bac.  coli  communis  und  fand,  daß 
die  Pyozyanase  am  schnellsten  und  wirksamsten  zerstörend  auf  den  Bac. 
diphtheriae,  am  schwächsten  auf  den  Bac.  coli  communis  wirkt.  Auf  festen 
Nährböden  wird  nur  die  oberste  Schicht  der  Kultur  angegriffen.  Offenbar 
diffundiert  die  bakterizide  und  proteolytische  Substanz  der  Pyozyanase  sehr 
schlecht  in  festen  Nährböden.  Bei  einzelnen  im  Schleim  zerstreuten  Diph¬ 
theriebazillen  reichen  wiederholte  Pyozyanase-Bestäubungen  aus  zur  Abtö- 
tung  der  Bazillen.  Auch  wurde  die  Einwirkung  der  Pyozyanase  auf  lebende 
und  abgetötete  Bakterien  im  Reagenzglase  versucht. 

Schürmann  (Marburg). 


Beitrag  zur  Biologie  des  Rotlaufbazillus. 

(W.  Stickdorn.  Zentralbl.  für  Bakt.,  Bd.  50,  H.  1.) 

Lange  Nährbodenpassage  setzt  die  Virulenz  des  Rotlauf bazillus  herab. 
Nach  Passage  durch  weiße  Mäuse  bleibt  die  Virulenz  für  weiße  Mäuse  er¬ 
halten,  für  graue  Mäuse  wird  sie  um  ein  Geringes  herabgesetzt.  Für  graue 
Mäuse  wird  die  Virulenz  nach  vorhergehender  Taubenpassage  dagegen  er¬ 
höht.  Gegen  Rotlauf  immunisierte  weiße  Mäuse  sterben  bei  gleichzeitiger 
Injektion  von  Rotlaufbazillen  und  einer  für  sich  allein  nicht  tödlichen  Dosis 
von  Kulturen  des  Bacterium  coli  commune  des  Schweines.  Ein  Wachstums¬ 
unterschied  im  Gelatinestich  besteht  bei  den  durch  längere  Nährböden,  — 
Mäuse  —  Taubenpassagen  erhaltenen  Rotlaufstämmen. 

Schürmann  (Marburg). 


Allgemeines. 

Lieber  die  steigernde  Wirkung  des  subkutan  eingeführten  Harnstoffs  auf 

den  Eiweäßstoffwechsel. 

(Ernst  Hei  ln  er.  Zeitschr.  für  Biol.,  Bd.  52,  S.  216 — 235.) 

Im  Verfolge  planmäßig  studierter  Injektionen  (bei  Kaninchen)  hat 
Heilner  auch  Harnstoff  bald  in  großen,  bald  in  kleinen  Mengen,  bald  in 
Aq.  destillata,  bald  in  Kochsalzsolutionen  gelöst  injiziert  und  dabei  gefunden, 
daß  dieser  Körper  die  N- Ausscheidung  ungemein  erhöht,  und  zwar  in  be¬ 
deutend  höherem  Grade,  als  dem  Stickstoff  des  Harnstoffs  an  sich  entspricht. 
Es  handelt  sich  also  nicht  um  eine  einfache  Durch-  oder  Ausschwemmung 
N- haltiger  Körper,  sondern  um  eine  Mehrzersetzung  des  Eiweißes.  Diese 
Mehrzersetzung  entspricht  ziemlich  genau  den  eingeführten  Harnstoffmengen: 
Bei  Zufuhr  von  10  g  beträgt  sie  88%  (heim  Kaninchen),  bei  1  g  =  38%. 

Die  Senkung,  welche  Injektionen  von  Aq.  destillata  bewirken,  werden 
durch  Zusatz  von  Harnstoff  ausgeglichen. 

Die  Mitteilungen  erscheinen  höchst  interessant,  und  wenn  der  Leser  der 
Auffassung  Heilner’s  beitritt,  daß.  gewisse  Endprodukte  des  Stoffwechsels 
eben  durch  ihre  Wirkung  diejenigen  Vorgänge  der  Zersetzung,  welchen  sie 
ihre  Entstehung  verdanken,  weiterhin  gewährleisten,  so  hat  er  damit  ein 
weiteres  Beispiel  für  das  die  ganze  Physiologie  beherrschende  Prinzip  der 
Selbststeuerung.  Buttersack  (Berlin). 


Referate  und  Besprechungen. 


1001 


Einfluß  des  Windes  auf  die  Ökonomie  des  tierischen  Körpers. 

(Maurel.  Gaz.  med.  de  Paris,  Nr.  31,  1.  März  1909.) 

Nach  Versuchen  am  Meerschweinchen,  welche  Maurel  in  der  Societe 
de  Biologie  vorgetragen  hat,  steigert  ein  Wind  von  12  km  in  der  Stunde 
die  Ausgabe  um  ca.  V6,  dafür  wird  aber  der  Hunger  so  lebhaft  angeregt, 
daß  das  Mehr  an  auf  genommener  Nahrung  das  Mehr  an  verbrauchter  Energie 
überwiegt  und  demgemäß  das  Wachstum  erheblich  zunimmt.  Es  entspricht 
also  gewissermaßen  einem  physiologischen  Bedürfnis,  daß  die  Kinder  sich 
so  gern  bei  Wind  und  Wetter  im  Freien  tummeln.  Buttersack  (Berlin). 


Die  Kunst  des  Atmens. 

(H.  Pudor.  Zeitschr.  für  phys.  u.  diät.  Ther.,  Bd.  12,  H.  11,  S.  678 — 684.) 

Jedermann  glaubt,  richtig  atmen  zu  können.  Aber  das  ist  ein  Wahn. 
Schon  oft  ist  auf  die  Unzulänglichkeit  unserer  Respiration  hingewiesen  wor¬ 
den,  z.  B.  von  Speck  (Das  normale  Atmen,  Marburg  1889),  und  die  Ohnmachts¬ 
anwandlungen  der  Patienten,  auf  die  wir  beim  Auskultieren  stets  gefaßt  sein 
müssen,  können  uns  jeden  Tag  eines  besseren  belehren.  Nun  macht  Pudor  auf 
eine  ganz  besonders  schädliche,  allgemein  verbreitete  Gewohnheit  aufmerksam, 
daß  nämlich  die  meisten  Kulturmenschen  den  Atem  anhalten  oder  nur  ganz 
oberflächlich  atmen,  sobald  sie  irgend  welche  größere  körperliche  Leistungen 
auszuführen  haben;  und  gerade  das  sind  Momente,  in  denen  durch  vertiefte 
Respirationen  das  Außeratemkommen  verhütet  und  die  Leistungsfähigkeit 
erhöht  werden  könnte.  Auch  wer  nur  über  die  heutige  offizielle  Physiologie 
in  ihren  Rudimenten  verfügt,  ist  imstande,  diesen  Gedanken  nach  der  theore¬ 
tischen  wie  praktischen  Seite  hin  durchzudenken,  weshalb  diese  kurze  Notiz 
hier  wohl  genügen  wird.  Buttersack  (Berlin). 


Schädigungen  durch  Telegraphie  ohne  Draht. 

(P.  Beleiee.  Arch.  de  Med.  navale,  März  1909.  —  Tribüne  med.,  S.  187,  1909.) 

Während  des  viermonatigen  Aufenthaltes  des  französischen  Schlacht¬ 
schiffes  „Descartes“  auf  der  Rhede  von  Tanger  wurden  so  viele  drahtlose 
Depeschen  befördert,  daß  B.  geneigt  ist,  eine  Reihe  von  gesundheitlichen 
Störungen  auf  die  Wirkung  des  Meeres  von  Hertz’schen  Wellen  zurückzu¬ 
führen,  in  welchen  die  Telegraphisten  leben  mußten.  Zuvörderst  führt  er 
Entzündungen  der  Konjunktiven  auf,  sowie  Keratitiden,  Ekzeme,  Anfälle 
Von  Herzklopfen  und  Präkordialschmerz ;  (da  der  betr.  Pat.  zugleich  seit 
einigen  Jahren  über  Abnahme  der  Sehkraft  klagte,  so  könnte  es  sich  in  diesem 
Falle  vielleicht  auch  um  chronische  Nephritis  oder  dergl.  gehandelt  haben). 

B.  macht  übrigens  mit  Recht  darauf  aufmerksam,  daß  die  Schädigungen 
durch  drahtlose  Telegraphie  nicht  akut  aufzutreten  brauchen,  sondern  sich 
schleichend  entwickeln  (ils  peuvent  se  produire  pour  ainsi  dire  silencieusement). 
Dieser  Satz  ist  gewiß  richtig,  gilt  aber  wohl  für  die  überwiegende  Mehrzahl 
aller  pathologischen  Vorgänge  und  wird  ohne  Zweifel  den  stillschweigenden 
Fundamentalsatz  der  heutigen  Experimentalpathologie  ebenso  überwinden,  wie 
die  LyelPsche  Evolutionslehre  die  Katastrophentheorie  von  Cu  vier  über¬ 
wunden  hat. 

B.  hat  die  Augen  seiner  Telegraphisten  durch  Brillen  mit  blauen,  gelben 
oder  orangefarbigen  Gläsern  zu  schützen  gesucht.  Die  Farbe  tut  da  nichts 
zur  Sache;  man  wird  in  solchen  Fällen  besser  tun,  Gläser  von  Jena  zu  be¬ 
ziehen,  welche  keine  ultravioletten  Strahlen  durchlassen. 

Buttersack  (Berlin). 


1002 


Bücherschau. 


Bücherschau. 


Die  Mitarbeit  der  Hausfrau  an  den  Aufgaben  der  Volksgesundheitspflege. 

Von  Emilie  Eschle.  München,  Verlag  der  ärztlichen  Rundschau, 

Otto  Gmelin. 

Die  geistvolle  Verfasserin  will  in  der  vorliegenden  Schrift  zeigen,  daß  auch 
die  verständige  Hausfrau,  die  den  großen  Fragen  unserer  Zeit  Interesse  entgegen¬ 
bringt,  wohl  imstande  ist  in  ihrem  kleinen  Kreis  an  der  Volksgesundheitspflege  in 
ganz  bedeutender  Weise  mitzuwirken.  Diese  Aufgabe  ist  ihr  in  jeder  Weise  ge¬ 
lungen  und  es  ist  nur  zu  hoffen  und  zu  wünschen,  daß  die  deutschen  Hausfrauen 
in  recht  ausgedehntem  Maße  das  Buch  nicht  nur  lesen,  sondern  auch  seine  Forde¬ 
rungen  beherzigen.  Aber  nicht  nur  unter  den  modernen  Frauen,  —  wohlverstanden 
im  guten  Sinne!  —  wünsche  ich  der  Schrift  viele  Leser.  Die  verschiedenen  in  dem 
Buch  berührten  sozialen  Fragen  und  praktischen  Ratschläge  werden  auch  den  Arzt 
fesseln,  besonders  den  im  Anstaltsbetriebe  tätigen,  denn  gerade  auf  diesem  Ge¬ 
biet  schöpft  die  Verfasserin  aus  einem  Born  reicher  Erfahrung.  R. 


Grundzüge  der  Ernährungstherapie  auf  Grund  der  Energetik.  Von 

Dr.  Bi r cher-Benne r  Zürich.  Berlin,  Salle,  1909.  4  Mk. 

Ein  originelles  und  interessantes  Buch,  das  auch  der  mit  Nutzen  lesen  wird, 
der  dem  Verfasser  nicht  in  die  äußersten  Konsequenzen  folgt.  Bircher,  der  Leiter 
eines  nach  seinen  Prinzipien  geführten  Sanatoriums,  fußt  auf  Haig,  Rubner, 
Emil  Fischer,  Chitt enden  u.  a. ,  geht  aber  vielfach  noch  über  sie  hinaus.  Er 
ist  Vegetarianer  mit  Ablehnung  aller  Genuß-  und  Reizmittel,  des  Fleischs,  der  Eier 
und  sogar  der  Milch  und  mit  starker  Neigung  zur  Rohkost  ;  den  Eiweißbedarf  nimmt 
er  noch  niedriger  als  Chi  tt enden  an  (30 — 40  gr)  und  will  ihn  nur. aus  dem  Pflanzen¬ 
reich  decken.  Die  Rohkost  gilt  ihm  als  das  ideale  Nährmittel,  mit  der  originellen 
Begründung,  daß  das  chemische  Potential  oder  die  Energiespannung  in  keiner 
anderen  Nahrung  größer  sei,  daß  es  sowohl  durch  Kochen  als  durch  die  Passage  durch 
den  Tierkörper  vermindert  werde;  jede  andere  Nahrung  erzeuge  ein  geringeres 
Energiegefälle.  Indessen  ist  ohne  Zweifel  das  chemische  Potential  der  Eier  auch 
ein  sehr  hohes,  höher  als  das  des  Fleisches,  wahrscheinlich  ähnlich  hoch  als  das¬ 
jenige  der  Pflanzensamen,  und  doch  verhalten  sich  die  Eier  als  Nährmittel  ganz 
anders  als  diese.  Nach  des  Ref.  Ansicht  dürfte  das  chemische  Potential  weniger 
wichtig  sein  als  die  den  Stoffwechsel  belastenden  Bestandteile  der  animalischen 
Nahrung. 

Sehr  der  Beachtung  wert  und  dem  Ref.  wertvoller  als  alle  Theorie  sind 
Birchers  Resultate  bei  verschiedenen  Krankheiten,  im  wesentlichen  eine  Be¬ 
stätigung  der  Haig’schen. 

Bircher  weiß  wohl,  daß  der  strengen  Durchführung  seiner  Lehren  die 
größten  Hindernisse  im  Wege  stehen  und  macht  allerlei  Konzessionen.  Was  aber 
die  Gesunden  betrifft,  so  scheint  er  dem  Ref.  nicht  hinreichend  zu  beachten,  daß  die 
beste  Kost  der  Kranken  noch  nicht  die  beste  Kost  der  Gesunden  ist.  Wer  das 
ganze  Jahr  unter  Kranken  lebt,  verliert  leicht  die  Erinnerung  daran,  daß  jenseits 
der  Sanatoriumsmauern  auch  noch  Leute  wohnen.  Fr.  von  den  Velden. 


Ernährung  und  Pflege  des  Kindes  mit  besonderer  Berücksichtigung  des 
ersten  Lebensjahres.  Von  Medizinalrat  Franz  C.  B.  Eschle.  5.  Auflage. 
Leipzig,  Benno  Konegen,  1909.  176  S.  2,50  bezw.  3  Alk. 

Ich  kenne  viele  Bücher,  die  zwar  sehr  umfangreich  und  trotz  der  Bezeichnung: 
Handbuch  höchst  unhandlich  sind,  in  denen  man  aber  doch  zumeist  gerade  das 
nicht  findet,  was  man  sucht.  Das  vorliegende  Werk  von  Eschle  ist  das  Gegenteil 
davon:  klein  von  Volumen  enthält  es  eine  Fülle  von  Winken  und  Ratschlägen,  die 
zudem  ausnahmslos  höchst  praktisch  sind. 

Kein  gelehrtes  Beiwerk  erschwert  dem  Leser  bezw.  der  Leserin  das  Verständnis, 
und  doch  wirkt  alles  überzeugend,  weil  es  eben  von  Sachkenntnis  durchdrungen 
und  mit  gesundem  Menschenverstand  vorgetragen  wird. 

Was  eine  junge  Mutter  tun  muß,  um  ihr  Kind  in  zweckmäßigerWeise  selbst 
oder  künstlich  zu  ernähren,  wie  sie  die  Milch  beurteilt,  behandelt,  abmißt,  auf¬ 
bewahrt  usw.,  wie  sie  das  kleine  Geschöpf  wäscht,  badet,  trocken  legt,  bekleidet, 


Bücherschau. 


1003 


bettet  u.  dergl.,  ist  präzis  geschildert;  auch  für  das  Verhalten  bei  Erkrankungen 
sind  wertvolle  Fingerzeige  gegeben.  Aber  am  meisten  möchte  ich  den  5.  Abschnitt 
zur  Beherzigung  empfehlen:  „Die  Anfänge  der  Erziehung“.  Gewöhnung  an  Ord¬ 
nung  und  an  Gehorsam  sind  für  Eschle  die  Grundpfeiler  einer  soliden  geistigen 
Konstitution  und  der  beste  Schutz  gegen  die  Unrast,  Ruhelosigkeit  usw.,  welche 
die  Signatur  unserer  heutigen  Generation  bildet.  An  diesem  Punkte  überschreitet 
das  Büchlein  die  Kinderstube  und  beeinflußt  das  ganze  Familienleben  und  Geschick 
der  Nation;  denn  aus  der  Kinderstube  wird  die  Welt  regiert.  — 

Ich  halte  Eschle’s  Schrift  für  eine  der  gediegensten  und  praktisch-brauch¬ 
barsten  literarischen  Erscheinungen  der  letzten  Zeit,  Buttersack  (Berlin). 


25  Merkblätter  zur  Pflege  und  Behandlung  von  Kindern  in  gesunden  und 
kranken  Tagen.  Von  Baron,  Dresden.  Verlag  von  Konegen,  Leipzig. 

1,60  Mk. 

Die  Merkblätter  sind  in  einem  Bändchen  vereinigt,  einzeln  abzureißen  und 
den  Eltern  in  die  Hand  zu  geben.  Sie  verdanken  ihre  Entstehung  dem  Wunsche, 
Vorschriften  allgemeiner  Natur,  öfters  wiederkehrende  Maßnahmen  gedruckt  vor¬ 
rätig  zu  halten.  Für  manchen  vielbeschäftigten  Arzt  sind  solche  Merkblätter  ange¬ 
nehm  und  werden  sicher,  den  Eltern  dauernd  vor  Augen,  Gutes  stiften,  wie  die 
über  die  natürliche  Ernährung,  über  Flaschenernährung,  ihre  Zubereitung,  über  die 
Ernährung  nach  dem  ersten  Jahre,  über  Zahnpflege,  über  Bäderzubereitung  und  über 
Vorschriften  bei  Infektionskrankheiten.  Solchen  Merkblättern  ist  ohne  weiteres 
zuzustimmen,  nicht  denen,  wo  es  sich  um  medikamentöse  Ratschläge  handelt,  die 
allerdings  sehr  stark  in  den  Hintergrund  treten  oder  denen  über  Körpergewicht 
und  Nahrungsmischung,  oder  denen  bei  Nervosität  betr.  bei  Herzkrankheiten. 
Solche  Blätter  stiften  mehr  Verwirrung  und  Beängstigung,  da  gehört  der  Arzt  hin, 
individuell  ratend  und  jeden  einzelnen  Fall  abwägend,  mit  dem  gesprochenen  Wort, 
nicht  mit  dem  gedruckten  Schema,  Ivrausse  (Leipzig). 


Taschenbuch  für  Magen-,  Darm-  und  Stoffwechselkrankheiten.  Von  L. 

Jankau.  II.  Teil.  Eberswalde,  Verlag  von  Max  Gelsdorf,  1909.  240  S. 

5  Alk. 

Wie  in  dem  1.  Teil  (besprochen  Fortschr.  d.  M.,  1908,  S.  319)  ist  auch  in  dem 
vorliegenden  2.  Teil  auf  engem  Raum  eine  beinahe  erdrückende  Fülle  von  Material 
und  Zahlen  aufgehäuft.  Er  enthält  hauptsächlich  Tabellen  über  physikalische 
Behandlung:  Luft-,  Licht-  uud  Sonnenbehandlung,  Hydrotherapie,  Balneologie  usw., 
und  wird  auf  diesen  Gebieten  vielen  ein  willkommenes  Nachschlagebuch  sein.  Daß 
das  am  Schlüsse  angefügte  Dozenten-  usw.  Verzeichnis  reichlich  Fehler  enthalten 
wird,  vermutet  der  Verfasser  selbst,  und  so  ist  es  in  der  Tat;  aber  derartige 
Verzeichnisse  haben  doch  nur  Wert,  wenn  sie  aktuell  sind,  und  sollten  in  einem 
Buche,  dessen  sonstige  Angaben  nicht  so  dem  Wechsel  unterworfen  sind  wie 
Personenverzeichnisse,  lieber  wegbleiben.  M.  Kaufmann  (Mannheim). 


Sanitätsdienst  und  Gesundheitspflege  im  deutschen  Heere.  Ein  Lehr- 
und  Handbuch  für  Militärärzte  des  Friedens-  und  des  Beurlaubtenstandes. 
A7on  A7illaret  und  Paalzow.  Verlag  von  Ferd.  Enke-Stuttgart,  1909. 

Lief.  1,  160  S.  4  Mk. 

Auch  die  heutige  Militärmedizin  ist  eine  Spezialwissenschaft  geworden,  welche 
einen  erheblichen  Umfang  angenommen  hat.  Nur  durch  eine  Vertiefung  in  die  zahl¬ 
reichen  einzelnen,  manchem  Militärarzt  nicht  ohne  weiteres  zugänglichen  Dienst¬ 
vorschriften  lassen  sich  die  Dienstkenntnisse  erwerben,  die  zu  einer  erfolgreichen 
und  befriedigenden  beruflichen  Betätigung  erforderlich  sind. 

Aus  dieser  Erwägung  heraus  ist  der  Gedanke  zur  Herausgabe  eines  speziell 
militärärztlichen  Zwecken  dienenden  umfangreichen  Handbuchs  entstanden,  welches 
unter  Mitwirkung  einer  großen  Anzahl  auf  den  einzelnen  Spezialgebieten  des 
Sanitätsdienstes  bewährter  Militärärzte  von  Villaret  und  Paalzow  heraus¬ 
gegeben  wird. 

Der  Stoff  gliedert  sich  in  eine  Darstellung  der  Entwicklung  des  Sanitätskorps 
und  seiner  jetzigen  Organisation.  Die  weiteren  Kapitel  schließen  sich  an  die  Lauf¬ 
bahn  des  Soldaten  an,  soweit  sie  für  militärärztliche  Beurteilung  in  Frage  kommt, 


1004 


Krankenpflege  und  ärztliche  Technik. 


verfolgen  ihn  also  von  der  Musterung  und  Aushebung  bis  zur  Entlassung.  Das 
Schlußkapitel  soll  über  Rapport  und  Berichterstattung  berichten,  an  welches  sich 
eine  Darstellung  dem  Heere  eigentümlicher  und  solcher  Krankheiten  anreihen  wird, 
welchen  in  ihrer  genetischen  Auffassung  und  in  ihrem  Ausgang  für  die  Dienst¬ 
brauchbarkeit  besonderes  militärärztliches  Interesse  zukommt. 

Das  Werk  soll  zunächst  dem  jungen  in  den  Heeresdienst  tretenden  Militär¬ 
arzt  den  Weg  zeigen,  daneben  soll  es  den  Militärärzten  des  Beurlaubtenstandes 
sowie  den  erfahrenen  in  aktiven  Dienst  stehenden  Ärzten  ein  Nachschlagebuch 
werden.  Die  vorliegende  Lieferung  I  behandelt  die  Geschichte  und  Organisation 
des  Sanitätskorps,  Musterung  und  Aushebung  und  freiwilligen  Eintritt  in  das  Heer. 
Das  in  6  bis  7  Lieferungen  zum  Preise  von  je  4  Mk.  erscheinende  Werk  wird  bis 
zum  Herbst  dieses  Jahres  vollständig  vorliegen. 

Druck  und  Ausstattung  sind  entsprechend  den  Grundsätzen  des  Verlags 
vortrefflich.  F.  Kayser  (Köln). 


Krankenpflege  und  ärztliche  Technik. 

Ueber  Fortschritte  in  der  Konstruktion  von  Apparaten  zur  Therapie  mit 

strömender  Luft. 

Von  Dr.  Adolf  Schnee,  Spezialarzt  für  innere  Medizin,  Berlin. 

In  einem  Artikel  „Ueber  Thermotherapie  durch  Heißluft  und  Wechselduschen*1 
in  Nr.  8,  Jahrg.  1909  der  Zeitschrift  „Medizinische  Klinik“  habe  ich  Gelegenheit 
genommen,  auf  die  Vorzüge  der  von  der  Elektrizitätsgesellschaft  „Sanitas“  fabrizierten 
„Fön-Heißluftdusclien“  hinzuweisen,  deren  ich  mich  in  letzter  Zeit  zur  Behand¬ 
lung  gichtischer  und  rheumatischer  Gelenks-  und  Muskelaffektionen,  ferner  der 
Ischias,  Neuritiden  und  Neuralgien,  sowie  schließlich  der  Furunkulosen  und  Abzeß- 
bildungen  ausschließlich  bediene. 

In  der  „Zeitschrift  für  physikalische  und  diätetische  Therapie“,  Band  XIII, 
viertes  Heft,  1909/10  habe  ich  ferner  „Zur  Therapie  mit  strömender  Luft“  berichtet 
und  in  einer  beigegebenen  Tabelle  die  Resultate  einer  sechs  Jahre  umfassenden 
Beobachtung  an  123  Fällen  übersichtlich  zusammengestellt. 

Würdigt  man  die  dabei  erzielten  Erfolge  mit  absoluter  Objektivität,  so  muß 
man  unumwunden  zugestehen,  daß  bisher  der  heilenden  Kraft  der  strömenden 
Heißluft  viel  zu  wenig  Beachtung  geschenkt  wurde  und  daß  es  im  höchsten 
Grade  wünschenswert  wäre,  wenn  neben  so  hervorragenden  und  berufenen  Männern 
wie  Max  Herz- Wien,  Rubner,  Wolpert,  Zuntz  und  Löwy  auch  andere  be¬ 
währte  Physiotherapeuten  sich  in  noch  intensiverem  Maße  der  dankenswerten  Auf¬ 
gabe  des  weiteren  Ausbaues  dieses  Zweiges  der  physikalischen  Heilmethoden 
widmen  würden. 

Tatsächlich  ist  es  mir  auch  schon  gelungen,  eine  Reihe  bekannter  Autoren, 
zu  denen  ich  persönlich  Beziehungen  habe,  für  das  Studium  dieser  Frage  zu  ge¬ 
winnen,  und  die  Erfahrungen,  welche  diese  inzwischen  gesammelt  und  zum  Teile 
auch  schon  publiziert  haben,  sprechen  für  die  Berechtigung  der  von  mir  auf- 
gestellten  F  orderung. 

Fovea  u  de  Courmell  es -Paris,  der  bereits  in  seiner  „L’annee  electrique, 
electrotherapique  et  radiographique“  1)  in  dem  Kapitel:  „Methode  de  Bier  et 
insufflations  d’air  chaud“  auf  Seite  170  die  Vorzüge  der  Behandlung  mit  strömender 
Heißluft  bei  Neuralgien  und  den  verschiedenen  Formen  des  Rheumatismus  hervor¬ 
gehoben  hatte,  wobei  er  auch  die  Mitteilung  machte,  daß  unter  dem  Einfluß  dieser 
Behandlungsmethode  selbst  Warzen  zum  Schwinden  gebracht  werden  könnten  und 
daß  Dausset  und  Laqueriere  die  Behandlung  mit  strömender  Heißluft  nicht 
minder  vorteilhaft  bei  Vereiterungen,  Gelenksteifigkeiten,  Pruritus  usw.  in  Anwendung 
bringen,  wiederholte  diese  Beobachtungen  anläßlich  einer  Demonstration  der  Hei߬ 
luftdusche  „Fön“  in  der  Sitzung  der  „Societe  Internationale  de  Medicine 
physique“  am  4.  Februar  dieses  Jahres.2)  Dabei  ergänzte  er  sich  dahin,  daß  die 
Narbenbildung  bei  Lupusulzerationen  bei  der  Behandlung  durch  strömende  Heiß- 


1)  Verlag  Cli.  Beranger,  Baudry  &  Cie.,  Nachf.,  15  Rue  des  Saints  Peres,  Paris  1909. 

2)  Archives  genörales  de  therapeutique  physique,  VI,  Nr.  61  vom  20.  2.  1909. 


Krankenpflege  und  ärztliche  Technik. 


1005 


luft  in  Kombination  mit  der  Phototherapie  mittels  des  Radiators  schneller  stattfinde 
und  daß  das  Radium,  das  bisher  bei  Warzen  als  Spezifikum  zu  wirken  schien,  durch 
Heißluftapplikation  als  einem  viel  einfacheren  und  unendlich  billigeren  Mittel 
ersetzt  erscheine. 

In  einer  Arbeit  schließlich:  Nouveaux  Traitement  du  Cancer1)  betont 
derselbe  Autor  neuerlich  in  überaus  anerkennender  Weise  die  Vielseitigkeit  der  mit 
günstigem  Erfolge  angewendeten  Applikation  strömender  Heißluft. 

Wenn  ich  nun  weiter  hervorhebe,  daß  mir  ähnlich  lautende  günstige  Urteile 
auch  von  Sr.  Exzellenz  dem  Herrn  Geheimrat  Professor  E.  v.  Leyden-Berlin, 
den  Professoren  Paul  Lazarus-Berlin,  Frumus  an  -Paris,  Gil  y  Casar  es- Santiago 
und  S.  R.  v.  No orden -Homburg  v.  d.  H.  vorliegen,  so  bedarf  es  wohl  keiner 
weiteren  Erörterungen,  die  die  Berechtigungen  und  Wichtigkeit  der  neuerlichen 
Behandlung  dieses  Themas  rechtfertigen. 

Im  Gegenteil,  ich  halte  es  für  meine  Pflicht,  von  jeder  Verbesserung  und 
von  jedem  Fortschritt  auf  diesem  Gebiet  Mitteilung  zu  machen,  damit  alle,  die 
daran  ein  Interesse  haben,  sofort  nach  Möglichkeit  orientiert  seien. 

Zunächst  erscheint  es  mir  von  Wichtigkeit,  einige  Worte  über  die  Dosierung 
der  Temperatur  und  Intensität  des  Luftstromes  zu  sagen.  Dabei  gehe  ich 
von  der  Voraussetzung  aus,  daß  sich  alle  diesbezüglichen  Bemerkungen  auf  den 
von  mir  nunmehr  ohne  Ausnahmen  für  strömende  Heißluftapplikationen  benutzten 
„Fön“  beziehen. 

Durch  Annähern  an  den  Körper  bezw.  Entfernen  von  demselben  lassen  sich 
schon  an  und  für  sich  beträchtliche  Variationen  der  Intensität  und  Temperatur 
des  Heißluftstromes  erzielen  und  den  jeweiligen  individuellen  Verhältnissen  genau 
anpassen. 

Inzwischen  wurde  jedoch  eine  noch  genauere  und  weit  bessere  Dosierungs¬ 
möglichkeit  geschaffen,  die  zufolge  ihrer  Einfachheit  doppelte  Anerkennung  verdient. 


Kleine  Ansatztuben  (Fig.  1)  mit  verschieden  großer  Ausstrahlöffnung 
werden  vorn  auf  das  Rohr  der  Heißluftdusche  (Fig.  2)  aufgesetzt  und  können 
leicht  gegen  einander  ausgewechselt  werden.  Je  nach  der  Größenwahl  der 
Ausstrahl  Öffnung  wird  nicht  nur  die  Intensität  und  der  Wärmegrad  des  Hei߬ 
stromes  sich  ändern,  also  mit  zunehmender  Größe  abnehmen,  und  mit  abnehmender 
Größe  zunehmen,  sondern  es  wird  sich  auch  die  Begrenzung  des  Gebietes,  auf  dem 
eine  lokale  Hyperämie  erzielt  Averden  soll,  viel  schärfer  und  exakter  durchführen 
lassen.  — 


J)  L’actualite  Medicale,  Nr.  3  vom  15.  März  1909,  Paris,  2  Rue  de  Chateaudun. 


1006 


Krankenpflege  und  ärztliche  Technik. 


In  der  Hydrotherapie  finden  bekanntlich  „Wechsel warme“  und  „schottische“ 
Duschen  häufig  dort  Anwendung,  wo  es  sich  um  die  Erzielung  intensiverer  Reaktionen 
durch  Kontrastwirkung  handelt.  Auch  wissen  wir,  daß  eine  Reihe  von  Kaltwasser¬ 
prozeduren  nur  dann  durch  kräftige  Reaktion  zur  Geltung  kommen  kann,  wenn 
man  für  eine  genügende  Vorwärmung  Sorge  getragen  hat,  wie  dies  besonders  bei 
anämischen  und  schwächlichen  Personen  der  Fall  ist. 

Dem  Wunsch,  auch  wechselwarme  Luftströme  (abwechselnd  warme  und  kalte 
Luftströme)  mittels  Luftwechselduschen  applizieren  zu  können,  durch  die  sich 
derselbe  Effekt  wie  durch  die  eben  erwähnten  liydropathischen  Prozeduren  erzielen 
läßt,  die  aber  noch  den  großen  Vorteil  besitzen,  daß  sie  auch  in  allen  jenen  Fällen 
zur  Anwendung  gelangen  können,  wo  ein  Naß  werden  der  Haut  unerwünscht  oder 
sogar  von  schädlichem  Einfluß  sein  könnte,  verdankt  der  nach  meinen  Angaben 
konstruierte  „Fön-Duplex“  seine  Entstehung.  (Fig.  3.) 


Zu  diesem  Zwecke  dient  ein  Doppelrohransatz  (Duplex-Rohransatz,  Fig.  4) 
der  sich  auf  jeder  „Fön-Heißluftdusche“  (Fig.  5)  durch  einfaches  Aus  wechseln  ihres 
Rohransatzes  überaus  leicht  und  schnell  anbringen  läßt. 


E.S.SBNIIASBERnH.«. 


-  Fig.  5. 

Der  Duplex  -  Rohransatz  besitzt  eine  Momentumsch altung,  mit  der 
man  durch  einen  Griff  im  Augenblick  den  Heiß-  resp.  Kaltluftstrom 
wechseln  kann. 


Krankenpflege  und  ärztliche  Technik. 


1007 


Die  Erfolge,  die  ich  bisher  durch  Anwendung  dieser  Luftwechseldusche 
erzielt  habe,  entsprechen  durchaus  den  in  diesen  vervollkommneten  Apparat  gesetzten 
Erwartungen,  ja,  übertreffen  sie  in  vielen  Fällen  um  ein  Bedeutendes. 

Ganz  besonders  groß  ist  der  Vorteil,  daß  die  durch  den  Duplex-Rohr¬ 
ansatz  geschaffene  Erweiterung  des  Indikationsgebietes  des  „Föna  für  jeden  Besitzer 
einer  solchen  Heißluftdusche  ohne  nennenswerte  Auslagen  erreicht  wird. 


Harnuntersuchungs-Taschenbesteck  für  den  praktischen  Arzt. 

Von  Dr.  H.  Fried  mann,  München. 


Der  Wunsch  und  das  Bedürfnis,  in  der  Lage  zu  sein,  am  Kranken¬ 
bett  selbst  eine  genaue  orientierende  Harnuntersuchung  auszuführen,  ist 
schon  so  alt,  als  die  Harndiagnostik  selbst.  Eine  Menge  von  portativen 
Eiweiß-  und  Zuckerreagentien,  von  kleinen  und  großen  Harnuntersuchungs- 
etuis  und  Kästen  suchten  diesem  Bedürfnis  abzuhelfen;  keines  hat  An¬ 
klang  finden  können.  Die  Reagentien  waren  zu  allgemein,  gehalten,  die 
Etuis  zu  klein  und  erfüllten  dadurch  nicht  die  Anforderungen  einer  ge¬ 
nauen  Urinuntersuchung,  oder  aber  zu  groß,  waren  dadurch  nicht  in  der 
Tasche  transportabel  und  zu  teuer.  Ein  Harnuntersuchungsetui  muß  fol¬ 
gende  Voraussetzungen  erfüllen :  bequem  in  der  Tasche  transportabel,  nicht 
zu  teuer,  aber  reichhaltig  und  handlich  sein,  daß  heißt:  es  müssen  sich  sämt¬ 
liche  für  den  Praktiker  wünschenswerte  Reaktionen  ausführen  lassen,  und 

* 

zwar  nach,  den  gebräuchlichen  Methoden. 


Von  diesem  Gesichtspunkte  aus  ist  das  vor¬ 
liegende  Harnuntersuchungs-Taschenbesteck  zusam¬ 
mengestellt.  Die  Untersuchungen  werden  mit  zwei 
Reagensgläschen  genau  wie  im  Laboratorium  aus¬ 
geführt.  Es  läßt  sich  nach  den  gewöhnlichen 
Methoden  die  Reaktion,  das  spezifische  Gewicht, 
der  Azeton-,  Azetessigsäure-,  Alkaptansäure-,  Xn- 
dikan-,  Ammoniak-,  Melanin-,  Urorosein-,  Gallen¬ 
farbstoff-  und  Blutnachweis  führen.  Zucker  ist 
sowohl  nach  Tr  omm  er  als  Ny  1  ander  zu  be¬ 
stimmen.  Eiweiß  läßt  sich  mit  verschiedenen  Pro¬ 
ben  nachweisen  (weitaus  am  empfehlenswertesten 
und  genauesten  ist  die  Zweigläserprobe  mit  Essig¬ 
säure  Ferrozyankali).  Die  quantitative  Eiwei߬ 
bestimmung  wird,  wem  die  Schätzungsprobe  von 
Müller  -  Seif  er  t  nicht  ausreicht,  nach  der  Brand- 
berg’schen  Methode  ausgeführt.  Wichtig  ist  die 
Kochsalzbestimmung,  die  es  ermöglicht,  sich  sofort 
über  die  Funktions-  und  Leistungsfähigkeit  der  Nieren  zu  orientieren 


Wenn  auch  die  Bedeutung  der  Kochsalzbestimmung  für  diagnostische 
Zwecke  vielfach  bestritten  wird,  so  leistet  sie  doch,  wie  die  Erfahrung 
zeigt,  ausgezeichnete  Dienste,  einmal  in  der  Beurteilung  eines  bestehenden 
nephritischen  Prozesses,  zum  andern  im  Auffinden  der  Nephritiden  ohne 
Eiweißausscheidung.  Es  steigt  resp.  sinkt  nämlich  der  Kochsalzgehalt  im 
Urin  im  umgekehrten  Verhältnis  zu  den  granulierten  Zylindern.  Nähere 
Angaben  in  der  Gebrauchsanweisung  zum  Besteck. 


Albumose,  Muzin  und  eine  Menge  Arzneistoffe,  die  mitunter  differential- 
diagnostisch  in  Betracht  kommen,  lassen  sich  nachweisen.  Die  notwendigen 
Chemikalien  führt  man  in  den  für  die  einzelnen  Reagentien  bestimmten  Gläs¬ 
chen  gebrauchsfertig  mit.  Ein  kleiner  Glastrichter,  eine  graduierte  Pipette, 
Objektträger,  Filtrierpapier  und  ein  Gläsertuch  vervollständigen  das  Besteck. 
Eine  Spirituslampe  in  der  Größe  eines  Mikroskopobjektivs  liegt  jedem  Be- 
siteck  bei. 


1008 


Hochschulnachrichten. 


Den  Gebrauch  des  Harnuntersuchungs-Taschenbestecks  erleichtert  eine 
übersichtliche  genaue  Gebrauchsanweisung  mit  einem  Anhang  von  diagno¬ 
stischen  Notizen.  -Was  die  Anzahl  der  Harnuntersuchungen  betrifft,  die 
sich  ohne  frisches  Nachfüllen  der  Reagentien  ausführen  lassen,  so  schwanken 
sie  für  die  einzelnen  Restimmungen  zwischen  2 — 5  Untersuchungen. 

Die  Größe  ist  genau  14,5 :  10,5 : 2,5  cm,  also  ein  bequemes  und  hand¬ 
liches  Taschenbesteck.  Der  Preis  ist,  für  die  Menge  der  Bestimmungen,  die 
sich  damit  ausführen  lassen,  ein  äußerst  müßiger  (16  Mk.).  Zu  beziehen 
ist  das  Besteck  vom  Sanitätsgeschäft  M.  Schaerer,  A.-G.  in  Bern. 


Hochschulnachrichten. 

Bonn.  P.-D.  Dr.  W.  Re  iss  erhielt  den  Titel  Professor.  Der  ao.  Professor  Dr. 
med.  et  phil.  H.  Leo  ist  zum  o.  Professor  und  Direktor  des  pharmakologischen 
Instituts  ernannt  worden. 

Breslau.  Der  P.-D.  Dr.  R.  Scheller  wurde  zum  Abteilungsleiter  am  hygienischen 
Institut  ernannt.  Prof.  Dr.  Stern  wird  das  Ordinariat  der  inneren  Medizin 
in  Greifswald  nicht  annehmen,  an  seiner  Stelle  wurde  Prof.  Dr.  Steyr er- 
Berlin  ausersehen.  Dr.  med.  K.  Bruck  habilitierte  sich  für  Syphilis  und 
Hautkrankheiten  und  für  Augenheilkunde  Dr.  G.  Lenz. 

Freiburg  i.  B.  Den  P.-D.  Dr.  Franz  Knoop  (physiologische  Chemie)  und 
#  Dr.  W.  Trendelenburg  (Physiologie)  wurde  der  Titel  ao.  Professor  verliehen. 

Giessen.  Für  innere  Medizin  habilitierte  sich  Dr.  med.  A.  Weber. 

Göttingen.  Geh.  Medizinalrat  Prof.  Dr.  W.  Ebstein  feierte  sein  50jähriges 
Doktorjubiläum. 

Greifswald.  Es  habilitierte  sich  Dr.  med.  A.  Hoff  mann  für  Chirurgie. 

Halle  a.  S.  Geh.  Medizinalrat  Prof.  Dr.  K.  Eberth  feierte  sein  50jähriges 
Doktorjubiläum.  Geh.  Medizinalrat  Prof.  Dr.  Schwartze  feierte  gleichfalls 
sein  50 jähriges  Doktorjubiläum. 

Jena.  Geheimrat  Prof.  Dr.  W.  Müller,  bis  vor  kurzem  Direktor  des  patholo¬ 
gischen  Instituts  in  Jena,  ist  verstorben. 

Kiel.  Geh.  Medizinalrat  Prof.  Pf  annenstiehl,  Direktor  der  Königl.  Frauenklinik, 
ist  an  den  Folgen  einer  Blutvergiftung,  die  er  sich  bei  einer  Operation  zugezogen 
hatte,  gestorben. 

Leipzig.  Dr.  med.  H.  Wiehern  habilitierte  sich  für  innere  Medizin.  Geh. 
Medizinalrat  Prof.  Dr.  Hering  vollendete  am  5.  August  das  75.  Lebensjahr. 
Das  Jubiläum  25 jähriger  Tätigkeit  als  o.  Professor  beging  am  25.  Juni  der 
Direktor  der  psychiatrischen  und  Nervenklinik  Geh.  Rat  Prof.  Dr.  Flechsig. 
Dr.  R.  Dittler  habilitierte  sich;  Probevorlesung  über  das  Thema:  Direkte  und 
indirekte  Muskelreizung.  Dr.  med.  et  phil.  O.  Groos  habilitierte  sich  mit  einer 
Probevorlesung  über  die  theoretischen  Grundlagen  die  Lokalanästhesie  durch 
Medikamente. 

München,  ao.  Professor  Dr.  M.  Crem  er  ist  als  Direktor  für  das  neu  gegründete 
physiologische  Institut  in  Köln  in  Aussicht  genommen.  Prof.  Dr.  B.  Heine 
aus  Königsberg  wurde  zum  ao.  Professor  für  Ohrenheilkunde  ernannt.  Der 
P.-D.  für  allgemeine  Pathologie  Dr.  R.  Rössle  wurde  zum  ao.  Professor 
ernannt. 

Straßburg.  Für  die  Professur  für  Kinderheilkunde  ist  der  o.  Professor  Dr. 
A.  Czerny  in  Breslau  in  Aussicht  genommen. 

Tübingen.  Dr.  med.  A.  Busch  habilitierte  sich  für  Psychiatrie. 

Wien.  Der  Gynäkologe  Prof.  Dr.  Rosthorn  ist  plötzlich  verstorben. 


Schriftleitung:  Dr.  Ri  gl  er  in  Leipzig. 
Druck  von  Emil  Herr  mann  senior  in  Leipzig. 


27.  Jahrgang. 


1909. 


Tortscbritt«  der  Medizin. 


Unter  Mitwirkung  hervorragender  Fachmänner 

herausgegeben  yon 

Professor  Dr.  6.  Koster  Prio.-Doz.  Dr.  v.  Criegern 

in  Leipzig.  in  Leipzig. 

Schriftleitung:  Dr.  Rigler  in  Leipzig. 


Nr.  27. 


Erscheint  ain  10.,  20.,  30.  jeden  Monats.  Preis  halbjährlich 
6  Mark,  in  kl.  Zeitschrift  für  Yersicheruugsmedizin  8  Mark. 


Verlag  von  Georg  Thieme,  Leipzig. 


30.  Septbr. 


Originalarbeiten  und  Sammelberichte. 

Pathogenese  und  kausale  Therapie  der  Oedeme. 

Von  Medizinalrat  Dr.  Eschle, 

.  Direktor  der  Pflegeanstalt  des  Kreises  Heidelberg  zu  Sinsheim  a.  E. 

(Schluß.) 

Die  vorstehenden  Betrachtungen  wären  für  den  Arzt  prak¬ 
tisch  wertlos,  wenn  sie  nicht  zugleich  die  Wege  zu  einer  ratio¬ 
nellen,  d.  h.  im  letzten  Grunde  kausalen  Therapie  zu  weisen 
imstande  wären.  Nur  wer  in  dem  anscheinend  überflüssigen 
Wasser  fälschlich  den  Grund  der  Störungen  und  nicht  ihren  Indikator 
blickt,  wird  von  den  sogen.  Entwässerungsmethoden  etwas  er¬ 
warten  können. 

W  enn  man  z.  B.  dem  Hydropischen  Durst-odersogarT  rocken  kuren 
verordnet  in  der  Annahme,  die  Reserveräume  auszutrocknen  und  so  die 
abnorme  Spannung  im  Venensystem  zu  verändern,  so  gleicht  man,  wie 
Rosenbach  sagt,  dem  Manne,  der  sein  Thermometer  kühlt,  um  eine 
Verminderung  der  Hitze  herbeizuführen.  Die  Beschränkung  der  Flüssig¬ 
keitszufuhr  wird  im  Gegenteil  um  so  weniger  angezeigt  sein,  je  mehr  der 
meistens  vorhandene  enorme  Durst  trotz  aller  Ansammlungen  von  Ödem¬ 
flüssigkeit  den  tatsächlichen  Mangel  des  Körpers  an  zirkulierendem 
Wasser  signalisiert. 

Wenn  man  Ödeme  auf  operativem  Wege  (durch  Skarifikation, 
Punktion,  Einlegung  von  Drains  usw.)  entleert,  so  ist  man  sich  ja  meistens 
klar  darüber,  daß  man  nur  ein  palliatives  oder  symptomatisches  Mittel 
anwendet  und  den  Grundfehler  des  Betriebes  nicht  beheben,  die  posi¬ 
tiven  Triebkräfte  für  das  Gefälle  nicht  vermehren  kann.  Vorteilhaft  kann 
aber  auch  die  durch  den  Eingriff  geschaffene  Entlastung  des  Organismus 
auf  dem  schnellsten  Wege  von  vornherein  nur  dann  sein,  wenn  noch  die 
Haut  die  leidliche  Fähigkeit  besitzt,  als  Organ  und  Gewebe  funktionieren 
zu  können,  d.  h.  durch  eine  aktive  Systole  und  Diastole  nach  erfolgter 
Entlastung  die  Arbeit  des  Gewebes  wieder  einigermaßen  auf  die  Norm 
zu  bringen.  Immerhin  wäre  in  solchen  Fällen  die  Punktion  von  Höhlen 
oder  des  Anasarka  noch  rationeller,  als  stärkste  Reize  ohne  Auf  hören 
—  und  doch  zwecklos  —  im  Blute  zirkulieren  zu  lassen.  Durch  die 
ergiebige  Entleerung  der  Reserveräume,  die  ja  mit  Betriebswasser  erst 
allmählich  wieder  gefüllt  werden  können,  gestalten  sich  zweifellos  die 
Arbeitsbedingungen  für  die  Nieren  temporär  am  besten,  da  ja  ein  Teil 

64 


1010 


Eschle, 

der  Arbeit  auf  das  nunmehr  wieder  aktivere  Hautorgan  übertragen  wird. 
Das  entlastete  und  durch  die  Ruhe  gestärkte  Organ  bietet  natürlich 
größere  Chancen  für  eine  weitere  Steigerung  der  Leistung  und  einen 
stärkeren  Anreiz  für  die  Restitution  der  Anomalien  im  gesamten 
Kreislauf. 

Das  Mittel  der  Blutentziehung  aus  dem  total  überfüllten  Venen¬ 
system  leistet  im  Grunde  nichts  anderes,  als  die  mechanische  Entleerung 
der  Ödeme.  Die  Venäsektion  ist  nur  deshalb  manchmal  scheinbar  wirk¬ 
samer,  weil  sie  für  den  Augenblick  eine  direkte  Entlastung  des  Kreis¬ 
laufes,  eine  energische  Erniedrigung  der  Abflußwiderstände  im  ganzen 
Stromgebiet,  gleichsam  eine  Entlastung  der  ganzen  Oberfläche  zur  Folge 
hat.  Daß  ein  derartig  energischer  Eingriff  aber  noch  größere  Vorsicht 
erfordert  als  etwa  die  Punktion,  liegt  auf  der  Hand. 

Das  Ansetzen  von  Schröpfköpfen  nach  vorangegangener 
Stichelung  ist  lediglich  eine  modifizierte  Form  der  Skarifikation. 

Aktive  und  passive  Muskelbewegungen  und  ebenso  die 
Massage  gehören  zu  den  mechanischen  Methoden,  die  heute  wohl  so 
gut  wie  verlassen  sind.  Alle  diese  Maßnahmen  können  ja  beim  Hydro- 
pischen  niemals  die  gleiche  Beschleunigung  und  Erleichterung  des  Blut¬ 
umlaufes  in  den  Venenstämmen  erzielen  wie  beim  Gesunden.  Außerdem 
vermag  der  in  einem  relativ  kleinen  Gebiete  bewegte  Säftestrom  kein 
normales  Venengefälle  zu  repräsentieren  und  das  so  beschaffene  Venenblut 
ist  keinesfalls  imstande,  die  notwendigen  tonischen  Impulse  für  die 
Diastole  resp.  Systole  des  rechten  Ventrikels  zu  geben. 

Durch  passende  Lagerung  (z.  B.  Hochlager  bei  leichteren  Schwel¬ 
lungen  der  unteren  Extremitäten)  oder  durch  regelrechtes  Banda¬ 
gieren  (der  Glieder)  mit  Flanellbinden  lassen  sich  Ödeme  natürlich 
für  den  Patienten  weniger  bemerkbar  machen,  aber  ihre  dauernde 
Beseitigung  oder  auch  nur  Verringerung  wird  auf  diesem  Wege  niemand 
erhoffen,  da  auch  hier  nicht  die  Flüssigkeit  resorbiert,  d.  h.  dem  Gefä߬ 
system  als  aktives  Material  zugeführt,  sondern  nur  nach  anderen  Stellen 
verdrängt  wird. 

Die  auch  heute  noch  herrschende  Auffassung  setzt  die  Möglichkeit 
voraus,  die  Ödeme  oder  die  starke  Wasserspannung  durch  Hydragoga 
zu  beseitigen.  Und  wo  die  Steigerung  der  Diurese,  auf  die  ich  noch 
zurückkomme  und  die  man  noch  immer  mit  der  Wasserabscheidung  durch 
die  Nieren  identifiziert,  nicht  glückte,  versucht  man  meistens  eine  vikari¬ 
ierende  (kompensatorische)  Leistung  der  andern  wasserabscheidenden  Organe, 
der  Haut  und  des  Darms  durch  Diaphoretika  oder  Abführmittel 
zu  erstreben.  Die  tägliche  Erfahrung  am  Kranken  spricht  aber  durchaus 
dagegen,  daß  durch  forzierte  Transpiration  oder  kräftiges  Laxieren  eine 
Entfernung  hydropischer  Ergüsse  möglich  ist.  Beim  Gesunden  ist 
die  Diaphorese  verhältnismäßig  leicht  zu  erzielen,  denn  bei  gutem  Tonus 
der  Haut  wird  die  Reizschwelle  schon  durch  geringe  Reize  Überschriften. 
Wir  haben  aber  gesehen,  inwieweit  jedes  Auftreten  von  Ödem  (primär 
oder  sekundär)  von  einer  Veränderung  des  Hauttonus  abhängt;  und  wo 
die  Haut  als  Organ  ganz  insuffizient  geworden  ist,  wird  jeder  Versuch 
es  an  der  Kompensation  zu  beteiligen  nicht  nur  von  vornherein  frucht¬ 
los,  sondern  auch  in  ähnlicherWeise  gefährlich  sein,  wie  der  Mißbrauch, 
der  bei  atonischem  oder  insuffizientem  Darm  mit  Abführmitteln  getrieben 
wird.  Bei  der  erforderlichen  Stärke  muß  der  Reiz  in  solchen  Fällen  eher 
in  einem  unserer  Absicht  konträren  Sinne  auf  die  Spannung  des  Organs 
wirken.  Es  muß  z.  B.  besonders  davor  gewarnt  werden,  bei  Scharlach- 


Pathogenese  und  kausale  Therapie  der  Oedeme. 


1011 


nephritis  mit  auffallend  trockener  Haut  und  schwacher  Herztätigkeit  — 
wo  die  Funktion  der  Haut  sicher  häufig  primär,  d.  h.  in  gleicher  Art 
wie  die  der  Nieren  gestört  sein  kann  —  das  an  sich  schon  stark  an  der 
Kompensationsarbeit  beteiligte  und  darum  kranke  oder  bereits  ganz  in¬ 
suffizient  gewordene  Hautorgan  mit  starken  Mitteln  zu  vermehrter  Tätig¬ 
keit  anreizen  zu  wollen,  in  der  Hoffnung,  dadurch  eine  kompensatorische 
Entlastung  des  Organismus  zu  bewirken. 

Wenn  es  aber  auch  im  günstigsten  Falle  gelänge,  eine  solche  vika¬ 
riierende  Tätigkeit  in  dem  erforderlich  hohen  Maße  anzuregen,  so  würde 
allenfalls  in  einem  Gebiete  der  lokale  Hydrops  schwinden,  ebenso  wie 
nach  einem  Aderlaß  der  abnorme  Seitendruck  in  diesem  Bezirke  sinkt. 
Aber  man  kann  sich  leicht  vorstellen,  wie  stark  die  vikariierende  Tätig¬ 
keit  resp.  die  Entlastung  sein  muß,  um  bei  Verteilung  auf  den  ganzen 
Körper  eine  merkbare  Wirkung  zu  entfalten.  Nie  wird  es,  abgesehen 
davon,  daß  die  Verminderung  des  Flüssigkeitsgehalts  —  immer  den 
günstigsten  Fall  vorausgesetzt  —  nur  sehr  gering  und  auch  schon  wegen 
der  Steigerung  des  Durstes  beim  Kranken  von  recht  kurzer  Dauer  ist, 
geliugen,  bei  der  Einwirkung  auf  die  Haut  durch  Diaphorese  zu  einer 
ergiebigen  Entlastung  der  Vena  cava  und  der  Herzvene  zu  kommen. 
Daneben  muß  man  auch  beachten,  daß  im  Falle  tatsächlichen  Erfolges 
in  erster  Linie  Betriebswasser  und  nicht  hydropisches  Wasser  ausge¬ 
schieden  wird. 

Kurz,  diaphoretische  und  purgierende  Maßnahmen  können 
bloß  wirken,  wenn  die  mangelnde  Kompensationstätigkeit  nur 
auf  einer  gewissen  Unerregbarkeit  eines  Teiles  der  betreffen¬ 
den  Apparate  beruht,  wenn  z.  B.  die  Schweiß-  und  Darmdrüsen 
trotz  der  allgemeinen  Störung  doch  noch  ausnahmsweise  funk¬ 
tionstüchtig  sind  und  nur  wegen  eines  lokalen  Defektes  in  den 
Reizen  oder  einer  falschen  Form  der  Regulation  nicht  so  fun¬ 
gieren  als  sonst.  Nur  bei  noch  etwas  feuchter  Haut  kann  man 
einen  Versuch  mit  der  Diaphorese  machen,  weil  dann  anzu¬ 
nehmen  ist,  daß  das  Organ  noch  nicht  völlig  insuffizient  ist, 
d.  h.  bei  stärkeren  Reizen  noch  stärkere  Arbeit  leisten  kann. 

Da  die  diaphoretischen  Maßnahmen  gewöhnlich  in  heißen  Packungen, 
lauen  und  warmen  Frottierungen  mit  nachfolgenden  losen  Einpackungen 
oder  den  verschiedenen  Teearten,  die  meistens  heiß  genossen  werden, 
bestehen,  so  können  sie  in  Fällen  von  geringer  Kompensations¬ 
störung,  die  nicht  mit  bedeutenden  stenokardischen  Anfällen 
und  starker  Spannung  und  Plethora  im  arteriellen  Gefä߬ 
system  resp.  maximaler  Hypertrophie  vergesellschaftet  sind,  wegen 
der  Wärmezufuhr  von  großem  Nutzen  sein,  da  dabei  die  Wärmebildung 
im  Gewebe  meist  herabgesetzt  zu  sein  pflegt. 

Was  von  der  Diaphorese  gesagt  ist,  läßt  sich  im  wesentlichen  auch 
von  der  Diurese  sagen.  Schon  oben  ist  auf  das  Irrtümliche  der  An¬ 
sicht  hingewiesen  worden,  die  Diurese  direkt  mit  einer  Wasserabscheidung 
durch  die  .Nieren  zu  identifizieren.  Rosenbach  hat  jedoch  noch  auf 
einen  anderen  Punkt  aufmerksam  gemacht,  der  in  der  Beurteilung  der 
auf  Diurese  hinzielenden  Maßnahmen  von  Bedeutung  ist:  da  die  Wasser¬ 
ausscheidung  nur  in  extremen  Fällen  die  hauptsächliche  Ursache  der 
Störungen,  sonst  nur  ein  Indikator  für  die  Schwäche  des  Protoplasmas 
ist,  kann  sie  vielleicht  unter  Umständen  sogar  ein  Mittel  darstellen,  das 
durch  Erzielung  einer  Art  von  Seitendruck  den  Ausfall  des  systolischen 
Tonus  bis  zu  einem  gewissen  Grade  kompensiert.  Das  Wasser,  außer- 

64* 


1012 


Eschle, 


dem  in  solchen  Fällen  der  mechanisch  und  chemisch  indifferenteste  Stoff 
für  das  Gewebe,  schadet,  sobald  es  in  inaktivem  Zustande  retiniert  und 
dem  Verkehr  gewissermaßen  entzogen  ist,  offenbar  weniger  als  die  häu¬ 
fige  Darreichung  differenter  Mittel,  bei  denen  immer  die  Gefahr  besteht, 
daß  sie  für  den  Organismus  mehr  schädigend  als  nutzbringend  sein 
können.  Die  maximalen  Heize,  deren  Wirkung  doch  bei  ihrer  schnellen 
Ausscheidung  nur  ephemer  sein  kann,  müssen  den  normalen,  mittleren 
Reiz  zur  Sekretion  für  die  Folge  unwirksam  machen  und  die  frühere 
Minderleistung  des  Organs  wird  nicht  nur  fortbestehen,  sondern  unter 
Umständen  einer  dauernden  Herabsetzung  der  Erregbarkeit  bzw.  der 
Spannungsfähigkeit  und  damit  wieder  einer  weiteren  Abnahme  derLeistungs- 
fähigkeit,  d.  h.  kompletter  Asthenie  und  Atonie  Platz  machen.  Jeden¬ 
falls  wäre  das  bei  zu  häufiger  Anwendung  von  Mitteln  zu  bedenken,  die 
die  Nierentätigkeit  (primär  oder  sekundär)  stärker  in  Anspruch  nehmen. 
Es  ist  nun  aber  nach  Rosenbach’s  Ausführungen  sehr  fraglich,  ob  es 
überhaupt  direkte  Diuretika  bzw.  spezifische  Nierenreize  gibt. 
So  zweifellos  Luxuswasser  (resp.  Bier),  übermäßige  Mengen  von  Zucker, 
Harnstoff,  Flarnsäure  und  die  diesen  Substanzen  nahestehenden  Stoffe, 
wie  Koffein  und  Theobromin  die  Ausscheidung  durch  die  Niere  ver¬ 
stärken,  so  sicher  ist  es  auch,  daß  ebenso  einige  fremde  toxische  Stoffe 
durch  die  Niere  eliminiert  werden  und  die  Arbeit  dieses  Organes  be¬ 
sonders  stark  in  Anspruch  nehmen.  Wir  sind  aber  nicht  imstande  fest¬ 
zustellen,  ob  durch  diese  A*gentien  die  Nieren  direkt  zur  Tätigkeit  an¬ 
geregt  oder  ob  sie  nur  für  die  Ausscheidung  von  Gewebsprodukten,  die 
auf  diese  Reize  hin  an  anderen  Stellen  gebildet  sind,  sekundär  besonders 
stark  in  Anspruch  genommen  werden.  Möglicherweise  handelt  es  sich 
(und  dabei  kommen  nicht  nur  die  Diuretika,  sondern  alle  Hydragoga  im 
allgemeinen  in  Frage!)  um  Stoffe,  die  im  Gebiete  des  ganzen  Protoplas¬ 
mas  die  Fähigkeit  verringern,  Wasser  zu  aktivieren,  d.  h.  es  in  feste  Ver¬ 
bindung  mit  den  eigentlichen  Elementen  des  Körpers  oder  seiner  Spann¬ 
kraftmaterialien  zu  bringen.  Und  das  Gegenteil  wollen  wir  doch  durch  die 
Diurese  bewirken!  Aber  davon  ganz  abgesehen:  die  künstliche  Be¬ 
seitigung  eines  Symptoms  braucht  an  sich  noch  keine  Bedeu¬ 
tung  für  die  Energetik  zu  haben. 

Nun  hat  man  ja  aber  in  der  Digitalis  infolge  der  oft  zauberhaften 
Wirkung  auf  das  Zurückgehen  von  Ödemen  und  auch  der  Anurie  ein 
Mittel  sehen  zu  müssen  geglaubt,  das  die  kranke  und  insuffiziente  Niere 
selbst  in  verzweifelten  Fällen  zu  kräftiger  Tätigkeit  anregt.  Das  aber 
ist  nach  Rosenbach  ein  Trugschluß.  Die  Digitalis  ist  kein  Reizmittel, 
das  bei  primärer  Erkrankung  der  Niere  (z.  B.  bei  chronischer  Nephritis, 
Schrumpfniere,  Amyloid,  bei  Scharlachniere  oder  Entzündung  nach  In¬ 
fektionskrankheiten)  das  atonische  oder  insuffiziente  Organ  wieder  zu 
einem  gewissen  Maße  spezifischer  Arbeit  befähigt,  sondern  nur  bei 
sekundärem  Daniederliegen  der  Nierenfunktion  infolge  von  Verringe¬ 
rung  der  Leistungsfähigkeit  anderer  Glieder  des  interorganischen  Be¬ 
triebes,  die  sich  in  der  Kompensationsarbeit  erschöpft  haben,  namentlich 
des  Herzens. 

Weiter  ist  die  Digitalis  auch  kein  Herzmittel  im  eigent¬ 
lichen  Sinne,  wie  Rosenbach  das  eingehend  ausführt,  sondern 
ein  wichtiges  Mittel  für  die  Tonisierung  des  gesamten  Proto¬ 
plasmas.  Sie  beeinflußt  die  Aktivierungsvorgänge  im  gesamten  Proto¬ 
plasma,  nicht  bloß  im  Herzen,  wenn  auch  da  die  Wirkung  am  stärksten 
hervortritt,  weil  dieses  Organ  eben  am  meisten  beansprucht  wird  und 


Pathogenese  und  kausale  Therapie  der  Oedeme. 


1013 


seine  Wirkung  am  besten  zu  beurteilen  ist.  Wie  sollte  man  es  sonst 
erklären ,  daß  diese  merkwürdigerweise  oft  dort  am  deutlichsten  ist,  wo 
die  ersten  Kompensationsstörungen  bereits  das  gesamte  Gebiet  des 
Körpers  betreffen,  z.  B.  bei  allgemeinen  Ödemen  infolge  von  Klappen¬ 
fehlern,  während  bei  anderen  Formen  der  Herzschwäche,  z.  B.  manch¬ 
mal  bei  der  idiopathischer  Hypertrophie,  bei  der  Sklerose  der  Koronaria, 
bei  Nierenschrumpfung  oder  Leberzirrhose  eine  so  energische  Wirkung 
auf  das  Herz  nicht  hervortritt?  Ja,  für  den  Zweck  der  expansiven  Ge¬ 
websspannung  (Diastole  des  Gewebes,  Kontraktion  der  Energeten)  be¬ 
sitzen  wir  bisher  außer  den  durch  den  normalen  Betrieb  selbst  gestal¬ 
teten  Substanzen  in  der  Digitalis  das  einzige  fremde  Mittel.  Sie  ist  bei 
nicht  zu  großer  Störung  des  Gleichgewichts  imstande,  als  Substrat  hoch¬ 
gespannter  intermolekularer  Energie  die  Einwirkung  von  genügenden 
Mengen  hochgespannter  (Atom-)  Wärme  auf  allen  Gebieten  des  Proto¬ 
plasmas  zur  Geltung  zu  bringen  und  mit  der  Verstärkung  der  Aktivie¬ 
rungsfähigkeit  des  Protoplasmas  unmittelbar  zur  Anregung  der  Oxyda¬ 
tionsvorgänge  und  mittelbar  zur  Bildung  der  weiteren  Kreisprozesse 
beizutragen.  Falls  sich  überhaupt  noch  Spannungen  erzielen 
lassen,  vermag  die  Digitalis  mit  einem  Wort  trophisclie  Wir¬ 
kungen  auszuüben,  wie  sie  sonst  nur  dem  Vagus  und  den  tro- 
phischen  (sympathischen?)  Nerven  zukommen. 

Rosenbach  nimmt  übrigens  nicht  an,  daß  die  Digitalis  etwa  die 
letzten  Kräfte  im  Kern  der  Molekülgruppe  freimacht,  sondern  daß  mittels 
der  von  ihr  entwickelten  Energie  eine  neue  Spannung  bewirkt  wird,  die 
die  Energeten  befähigt,  aus  der  Außenwelt  wieder  feinste  Ströme  von 
Energie  aufzunehmen  und  in  normaler  Weise  zu  transformieren.  Auf 
diesem  Wege  können  dann  auch  allmählich  wieder  Spannkraftmateria¬ 
lien  (Nahrung  und  Sauerstoff)  aufgenommen  und  verarbeitet  und  so  die 
kunstvollen  Gleichgewichtsverhältnisse,  die  die  Grundlage  des  interorga¬ 
nischen  Betriebes  bilden,  wiederhergestellt  werden. 

So  erhöht  die  Digitalis  auch  direkt  den  Tonus  des  Herzgewebes 
und  indirekt  den  des  Herzmuskels,  indem  sie  das  Gebilde  dem  Einfluß 
des  Hemmungsnervensystems,  der  den  Betrieb  im  Gewebe  selbst  an¬ 
regenden  Nerven  unterstützt.  Sie  gibt  dem  Herzen  Gelegenheit,  in  einer 
längeren  Diastole  oder  richtiger  Pause,  die  innere  parenchymatöse  Ar¬ 
beitsleistung  wieder  auf  eine  beträchtliche  Höhe  zu  bringen;  sie 
schafft  durch  Spannung  nitrogener  Energie  die  Basis  für  eine  starke 
Systole,  die  dem  Gesamtkreislauf  zugute  kommt  und  somit  dazu  beiträgt, 
das  Protoplasma  aller  Organe  auch  wieder  zu  einer  größeren  Leistung 
von  wesentlicher  und  außerwesentlicher,  von  intraorganischer  und  inter- 
organischer  Arbeit  zu  befähigen. 

Die  Wirkung  der  Digitalis  ist  nur  vortrefflich,  wenn  sie  die  Basis 
für  den  normalen  Tonus  im  gesamten  Gefäßsystem  liefert,  wenn  sie 
den  anomalen  Phasengang  beseitigen,  die  Schwäche  der  Ge webstätigkeit 
durch  Verstärkung  des  Aufnahmevermögens  für  Ströme  fließender  Energie 
der  Außenwelt  herabsetzen  kann.  Sie  ist  aber  Null,  wenn  das  Proto¬ 
plasma  aller  wichtigen  Organe  oder  selbst  nur  des  Herzens  aus  Mangel 
von  Betriebsmaterial  nicht  mehr  zu  einer  Selbstregulation  des  richtigen 
Phasenganges  kommen  kann. 

Digitalis  ist  also  nur  ein  indirektes  Mittel  für  die  Diurese. 
Sie  steigert  nicht  —  oder  wenigstens  nicht  allein  —  den  Se¬ 
kretionsreiz  für  die  Niere  resp.  für  die  interorganische  Tätig¬ 
keit,  sondern  schafft  nur  durch  Regulierung  des  Gewebstonus 


1014 


Eschle, 


aller  protoplasmatischen  Gebiete  und  so  auch  ganz  besonders 
des  Herzens  erst  wieder  ein  normales  intraorganisches  Gefälle 
und  dadurch  normale  Arbeitsverhältnisse  für  das  Herz  und 
die  sekundär  beteiligten  Organe.  Je  günstiger  die  Verhält¬ 
nisse  in  einem  dieser  Gebiete,  namentlich  in  der  Niere  noch 
sind,  je  mehr  die  Störungen  nur  sekundäre  Bedeutung 
haben,  wie  z.  B.  bei  Klappenfehlern,  wo  der  Herzmuskel  primär 
insuffizient  wird  und  die  andern  Organe  nur  aus  Mangel  an 
den  der  Herztätigkeit  entspringenden  interorganischen  Reizen 
und  nicht  aus  Mangel  an  Betriebs  material  für  das  Proto¬ 
plasma  an  der  vollen  Aktion  behindert  sind,  desto  sicherer 
gelingt  auch  die  Regulation  und  damit  die  Fortschaffung  der 
Ödeme  durch  Digitalis. 

Da,  wie  oben  gezeigt  wurde,  eine  Erhöhung  des  Tonus  im  Gefä߬ 
system  nicht  unter  allen  Umständen  mit  einer  Erhöhung  des  Wider¬ 
standes  identisch  zu  sein  braucht,  im  Gegenteil  die  Bedingungen  hierfür 
nur  bei  einer  maximalen  Erregung  der  Blutgefäße  bzw.  ihres  Proto¬ 
plasmas  gegeben  sein  können,  müssen  wir,  wenn  wir  RosenbaclPs 
Schlußfolgerungen  gelten  lassen,  von  vornherein  alle  Versuche  für  frucht¬ 
los  ansehen,  durch  energische  Stimulierung  der  zentralen  Teile  (Äther, 
Alkohol,  Ammoniak)  den  supponierten  Widerstand  überwinden  zu  wollen. 
Und  auf  der  anderen  Seite,  wenn  der  gefäßsystolische  Faktor  des  Druckes 
abnorm  niedrig  ist,  werden  wir  nicht,  wie  schon  erwähnt,  von  einer 
maximalen  Reizung  der  kleinsten  Gefäße  (durch  energische  Muskelarbeit 
eingreifende  hydropathische  Prozeduren  usw.)  Erfolge  erwarten  dürfen, 
sondern  nur  von  der  Anwendung  relativ  schwacher  Reize. 

Ein  solches  Mittel  nun,  das  auf  die  Prostal tik  der  Gefäßmuskulatur 
und  damit  auf  die  Herstellung  des  normalen  Tonus  im  Arteriensystem 
zuverlässig  einwirkt  und  das  in  mäßigen  Dosen  ohne  Schaden  durch 
längere  Zeit  verabreicht  werden  kann,  steht  uns  nach  Rosenbach  im 
Ergotin  bzw.  in  dem  Secale  cornutum  zur  Verfügung.  Und  es 
ist  keineswegs  eine  theoretische  Deduktion  im  Hinblick  auf  die  Rolle, 
die  dieser  Forscher  den  kleinsten  Gefäßen  zuerteilt,  sondern  wie  sich 
jeder  überzeugen  kann,  eine  am  Krankenbett  sich  immer  wieder  be¬ 
stätigende  Erfahrung,  daß  bei  bestimmten  Erkrankungen  die 
Sekalepräparate  eine  entschieden  kräftigende  Wirkung  auf 
den  peripheren  Kreislauf  ausüben.  Es  sind  das  alles  Fälle, 
wo  die  Digitalis  versagt,  weil  die  hauptsächlichsten  Kompen¬ 
sationsstörungen  nicht  im  Herzmuskel  oder  im  peripherischen 
Protoplasma,  sondern  in  den  Arterien  selbst  liegen,  die  ihren 
Tonus  verloren  haben,  d.  h.  in  Fällen  von  sogen,  idiopathischer 
Herzdilatation  (wie  sie  z.  B.  nach  schweren  Kriegsstrapazen  beobachtet 
wird)  von  Aorteninsuffizienz  und  ausgesprochener  Arterio¬ 
sklerose.  Hier  ist  ja  fast  immer  eine  Leistungsfähigkeit  der  Gefä߬ 
wandungen  resp.  des  spezifischen  Protoplasmas  dieser  Organe  vor¬ 
handen.  Gerade  wenn  ein  Teil  der  schweren  Störungen  bei  Erkran¬ 
kungen  des  Gefäßsystems,  namentlich  bei  Läsion  der  Aorta  und  Kranz¬ 
arterien  auf  die  Unmöglichkeit  einer  Deckung  der  mangelhaften 
protoplasmatischen  Leistung  durch  die  Triebkräfte  der  Gefäßwand  selbst 
zurückzuführen  ist,  hilft  das  Ergotin  der  übermäßigen  Beanspruchung 
des  Herzens  längere  Zeit  vorzubeugen  und  selbst  in  sehr  schweren 
Fällen,  wenigstens  für  kurze  Zeit,  Hilfe  zu  schaffen.  Das  sehen  wir 
namentlich  da,  wo  Kapillarpuls  besteht  (wenn  derselbe  auch  nicht  für 


Pathogenese  und  kausale  Therapie  der  Oedeme. 


1015 


die  Insuffizienz  der  Aortenklappen  pathognomonisch  ist)  aber  auch  sonst 
in  den  erwähnten  Kategorien  von  Fällen,  Avenn  wir  dem  Ergotin 
bei  einer  methodischen  und  nicht  zu  schnell  abgebrochenen  Darreichung 
Zeit  lassen,  seine  volle  Wirkung  zu  entfalten.  Dies  zeigt  sich  zunächst  am 
Pulse  selbst,  der  gleichmäßiger,  voller  und  gespannter,  vor  allem  beträcht¬ 
lich  langsamer  Avird;  und  damit  parallel  geht  gewöhnlich  die  Abnahme 
der  Atemnot,  der  stenokardischen  Anfälle,  des  Herzklopfens,  während 
die  Steigerung  der  Urinsekretion  meistens  nicht  beträchtlich  ist.  Aber 
die  direkte  Wirkung  des  Ergotins  auf  die  Gef äß Avand ung  (im 
Gegensatz  zu  der  den  Protoplasmatonus  im  allgemeinen  be¬ 
einflussenden  Digitalis)  macht  es  auf  der  andern  Seite  auch  er¬ 
klärlich,  Aveshalb  das  Mittel  gerade  bei  Kranken  versagen 
muß,  die  bereits  beträchtliche,  längerdauernde  Ödeme  haben, 
ebenso  bei  den  anderen  Formen  der  Klappenfehler,  als  bei 
der  Insuffizienz  der  Aortenklappen  oder  bei  organischen,  nicht 
durch  Arteriosklerose  bedingten  Herzerkrankungen. 

Eines  Mittels  aber  darf  hier  keinesfalls  zu  gedenken  unterlassen 
werden,  das  zu  einer  zielbewußten  Regulation  der  natürlichen  Kompen¬ 
sationsvorgänge  uns  in  die  Hand  gegeben  ist:  es  ist  das  Morphium. 
Dabei  müssen  Avir  von  der  bloß  proliibitiven  Wirkung  der  Opium deri- 
vate,  d.  h.  von  der  Ersparnis  an  Energie,  die  lediglich  durch  den 
hypnotischen  und  sedativen  Einfluß  erzielt  wird,  zunächst  absehen.  Die 
Opiate  sind  eben,  Avie  Rosenbach  nachgewiesen  hat,  Tonica, 
d.  h.  Mittel,  die  durch  ihre  Zerfallsprodukte  direkt  Avichtige 
Reize  resp.  Energieformen  für  den  inneren  Teil  der  Energetik 
liefern,  den  wir  im  weitesten  Sinne  als  we  sentliche  Arb  eit  be¬ 
zeichnen,  Aveil  er  die  Prozesse  umfaßt,  die  (im  Gegensatz  zur 
außerwesentlichen,  der  Betätigung  in  der  Außeirwelt  und  dem  Materialien¬ 
transport  im  Organismus  dienenden  Arbeit)  zur  Erhaltung  der  Be¬ 
triebsspannungen  des  dynamischen  Systems  zur  BeAvahrung 
des  spezifischen  GleichgeAvichts  der  organisierten  Elemente 
notAvendig  sind.  Das  Morphium  begünstigt  in  gleichem  Maße  die 
Kraft e rsp arnis  durch  Herabsetzung  der  außenvesentlichen,  namentlich 
der  exosomatischen  Leistung,  Avie  die  Kraftbildung  durch  Wiederher¬ 
stellung  normaler  Spannungen. 

Gerade  Avegen  dieser  tonischen  Wirkungen  auf  die  Ge- 
Avebe  ist  kein  Mittel  besser  als  das  Morphium  geeignet,  den 
letzten,  stärksten  Kampf  des  Organismus  für  die  Wieder¬ 
herstellung  des  gestörten  Gleichgewichts  zu  unterstützen,  d.  h. 
zur  Freude  des  Arztes  nicht  etAva  bloß  das  fliehende  Leben 
für  eine  kurze  Frist  aufzuhalten,  sondern  auch  nicht  selten 
Avieder  einen  länger  dauernden,  befriedigenden  Zustand  herbei- 
z  u  f  ü  h  r  e  n. 

Dazu  kommt  die  direkt  schlafbringende  Wirkung  des  Morphiums! 
Der  Schlaf  —  besonders  der  nächtliche  Schlaf  —  ist  ja  (unter  sonst 
günstigen  Bedingungen  für  den  Zufluß  der  feinsten  Ströme)  an  sich  die 
Periode  der  Restitution  des  Gewebstonus,  der  Wiederherstellung  der 
Spannungen  in  den  kleinsten  Elementen,  die  am  Tage  und  Avährend  des 
Wachens  unter  dem  Einfluß  der  Arbeit  für  Massenverschiebung  und 
-Spannung  mehr  oder  Aveniger  gelöst  worden  sind.  Und  Avir  haben 
schon  gesehen,  Avie  überall  da  avo  infolge  geschwächter  Gewebstätigkeit 
allgemeine  Hautödeme  (Anasarka)  oder  Flüssigkeitsansammlungen  in  den 
Höhlen  des  Körpers  (Hydrothorax,  Hydroperikard,  Aszites)  entstanden 


1016 


Eschle,  Pathogenese  und  kausale  Therapie  der  Oedeme. 


sind,  die  sich  bei  vollkommener  Ruhe,  Digitalis-  und  vorsichtigem  Mor¬ 
phiumgebrauch  (zu  rechter  Stunde  und  in  rechtem  Maß)  nicht  ausgleichen 
lassen,  die  Möglichkeit,  sie  durch  andere  Einwirkungen  fortzuschaffen, 
äußerst  gering  ist. 

Wenn  wir  uns  immer  vor  Augen  halten,  daß  bei  Herzfehlern  und 
allen  Störungen  des  Betriebs  nicht  bloß  ein  Organ,  sondern  alle  an 
der  Kompensation  beteiligt  sind,  daß  dieser  nur  darum  nicht  vollkommen 
ist,  weil  die  Größe  der  durch  die  Außenwelt  gesetzten  störenden  Einflüsse 
und  die  Ansprüche,  die  auch  durch  die  Willensakte  an  den  Betrieb  ge¬ 
stellt  werden,  größer  sind  als  die  in  der  Organisation  gegebenen  Mittel, 
den  Betrieb  zu  erhalten,  werden  auch  unsere  therapeutischen  Be¬ 
strebungen  weniger  auf  die  Erzielung  großer  Organleistungen, 
als  auf  die  Herstellung  des  richtigen  Gleichgewichts  durch 
zweckmäßige  Verteilung  von  Betätigung  und  Ruhe,  von  außer¬ 
wesentlicher  Arbeit  und  Gelegenheit  zu  wesentlicher  Arbeit 
durch  Erholung  und  Schlaf  gerichtet  sein.  Und  beim  Vor¬ 
handensein  von  Ödemen,  die  schon  immer  ein  beträchtliches 
Defizit  an  Energievorräten  dokumentieren,  wird  man  in  der 
Beschränkung  der  außerwesentlichen  Arbeit  zugunsten  der 
Ruheperioden  sich  gar  nicht  genug  tun  können.  Hier  ist  das 
Bett  das  Heilmittel,  das  in  erster  Linie  steht,  zumal  es  auch 
durch  Verminderung  der  Wärmeabgabe  als  Sparmittel  im 
Energiehaushalt  wirkt. 

Bereits  oben  ist  auf  den  Nutzen  der  Wärmezufuhr  resp.  Wärme¬ 
konservierung  bei  manchen  Fällen  von  Kompensationsstörung  hingewiesen 
worden,  da  dabei  die  Wärmebildung  im  Gewebe  meistens  herabgesetzt 
zu  sein  pflegt.  Namentlich  bei  Klappenfehlern,  vor  allem  bei  Stenose 
des  Ostium  venosum  sinistrum,  ist  Wärme  unerläßlich,  ja  sogar  oft 
direkte  Wärmezufuhr  geboten,  zumal  selbst  im  Bett  und  unter  dem 
Schutze  schlechter  Wärmeleiter  im  Bett  die  Extremitäten  fortgesetzt 
kühl  bleiben. 

Überhaupt  tritt  für  den  Beobachter  der  Lebensarbeit  — 
denn  ein  solcher  und  nicht  bloß  ein  Beobachter  der  Krank¬ 
heit  soll  der  Arzt  im  Sinne  Rosenbach’s  sein  —  die  Form  und 
Größe  der  Kompensationsleistung  um  so  stärker  und  deutlicher 
hervor,  je  unmerkbarer  die  Entwickelung  der  Reize  vor 
sich  geht. 

Zwei  Anforderungen  erwachsen  aus  einer  derartigen  Er¬ 
wägung  an  den  Arzt,  einmal,  daß  er  die  Regnlationsstörungen 
bis  zu  ihrem  feinsten  Ursprünge  verfolgt  und  die  kleinste  sicht¬ 
bare  Veränderung  der  Arbeit  zu  erkennen  sucht,  um  recht¬ 
zeitig  der  Verschiebung  des  Gleichgewichts  vorzubengen,  die 
wir  Krankheit  und  vom  anatomischen  Gesichtspunkte  Gewebs- 
störung  nennen  —  dann  aber  auch,  daß  er  auf  eine  nicht  zu 
frühzeitige,  aber  doch  stetige  und  langsame  Steigerung  der 
Anforderungen  Bedacht  nimmt.  Die  Fälle  sind  verschwindend 
gering,  in  denen  nicht  bei  ganz  allmählicher  Anpassung  und 
Hebung  das  Vielfache  der  ursprünglichen  Leistung  erreicht 
w  i  r  d. 

Literatur: 

O.  Rosenbach:  Über  regulatorische  Albuminurie  nebst  Bemerkungen  über  amyloide 

Degeneration.  Zeitschr.  für  klin.  Medizin,  Bd.  VIII,  S.  86,  1884. 

„  Grundlagen,  Aufgaben  und  Grenzen  der  Therapie.  Wien  und 

Leipzig,  Urban  &  Schwarzenberg,  1891. 


Martin  Mendelsohn,  Ueber  den  Herzschmerz  und  seine  Beseitigung.  1017 


0.  Rosenbach:  Die  Krankheiten  des  Herzens  und  ihre  Behandlung.  S.  508ff., 

551  ff.,  861  ff.,  906 ff.,  927  ff.,  975  ff.,  1056—1110.  Wien  und  Leipzig, 
Urban  &  Schwarzenberg,  1893—1897. 

„  Die  Grundlagen  der  Lehre  vom  Kreislauf.  Wien,  M.  Pertes,  1894. 

„  Plethora  abdominalis  und  Atonie  nebst  Bemerkungen  über  Darm¬ 

bewegungen.  Archiv  für  Verdauungskrankli.,  Bd.  I,  1895. 

„  Grundriß  der  Pathologie  und  Therapie  der  Herzkrankheiten. 

Berlin  und  Wien,  Urban  &  Schwarzenberg,  1899. 

„  Perihepatitis.  Eulenburg’s  Enzyklopäd.  Jahrb.,  Bd.  IX,  1900. 

„  Uber  lokalisierte  Stauungen  und  Ergüsse  bei  Herzkranken  nebst 

Bemerkungen  zur  funktionellen  Diagnostik  der  Übergangsformen 
von  Exsudat  und  Transsudat.  Münchener  med.  Wochenschr., 
Nr.  14,  1901. 

„  Die  Ziele  der  funktionellen  Diagnostik  nebst  Bemerkungen  über 

das  Blut  als  Organ  und  die  regulatorische  Funktion  der  Nieren. 
Nr.  17  u.  18,  1891. 

„  Energotherapeutisclie  Betrachtungen  über  Morphium  als  Mittel 

der  Kraftbildung,  v.  Leyden’s  und  Klemperer’s  Deutsche 
Klinik,  Bd.  I,  1902. 

„  Warum  sind  wissenschaftliche  Schlußfolgerungen  auf  dem  Gebiete 

der  Heilkunde  so  schwierig  und  in  welchem  Umfange  können 
wesentliche  Fehlerquellen  durch  die  betriebstechnische  (ener¬ 
getische)  Betrachtungsweise  vermindert  oder  beseitigt  werden? 
Berlin,  Aug.  Hirschwald,  1903. 

.  r  Eine  neue  Kreislaufstheorie.  Berl.  klin.  Wochenschr.,  Nr.  46,  1903. 

„  Bemerkungen  über  die  Behandlung  der  Leukämie  mit  Röntgen¬ 

strahlen.  Münch,  med.  Wochenschr.,  Nr.  22,  1905. 

„  Gesammelte  Abhandlungen.  Plerausgegeben  von  W.  Guttmann. 

2  Bde.  Leipzig,  Joh.  Ambr.  Barth,  1909. 


Ueber  den  Herzschmerz  und  seine  Beseitigung. 

Von  Prof.  Dr.  med.  Martin  Mendelsohn  in  Berlin. 

Wenn  man  viel  Herzkranke  zu  sehen  und  zu  behandeln  Gelegen¬ 
heit  hat,  so  tritt  einem  immer  wieder  aufs  Heue  die  Tatsache  entgegen, 
daß  kaum  eine  Erscheinung  den  Kranken  so  sehr  beunruhigt  und  quält, 
als  der  Schmerz,  der  Herzschmerz.  Und  doch  hat  im  allgemeinen 
dieser  ,, Herzschmerz“  gar  nichts  oder  nur  recht  wenig  mit  dem  eigent¬ 
lichen  Herzleiden  zu  tun.  Aber  er  ist  der  Warner,  der  oft  die  Kranken 
überhaupt  erst  zum  Arzte  führt,  und  das  dann  oft  zu  einem  Zeit¬ 
punkte,  an  dem  noch  nicht  viel  verloren  ist,  wo  noch  die  Möglichkeit 
einer  vollen  Erhaltung'  der  Herzkraft  bei  sorgsam  durchgeführter  Thera¬ 
pie  gegeben  ist.  Und  ebenso,  wie  Shakespeare  die  Schmerzen  Freunde 
nennt,  da  sie  gutes  raten,  müssen  auch  die  Ärzte  den  Schmerzen  aus 
diesem  Grunde  dankbar  sein. 

Selbstverständlich  ist  hier  von  allen  den  schweren  Formen  der 
Angina  pectoris  nicht  die  Rede ;  und  auch,  die  leichteren  Zustände 
derart,  welche  mit  ihr  Zusammenhängen,  haben  ja  ihren  Ursprung 
im  Herzen  selbst.  Daneben  aber  gibt  es  eine  außerordentlich  mannig¬ 
faltige  Reihe  der  verschiedenartigsten  Schnierzempfindungen,  welche 
so  belegen  sind,  daß  sie  jeder  Kranke  mit  Naturnotwendigkeit  auf  das 
Herz  beziehen  muß ;  und  die  dabei  doch  mit  dem  Herzen  gar  keinen 
oder  nur  einen  losen  Zusammenhang  haben.  Zwar  besteht  kein  Zweifel, 
daß  sämtliche  im  Bereiche  des  linken  Brustkorbes  belegenen  Nerven 
im  innigen  Zusammenhänge  mit  dem  Pierzen  stehen,  und  daß  nicht 
nur  sie  selbst  durch  fehlerhafte  Reize,  die  vom  Herzen  ausgehen, 
gereizt  und  zu  schmerzhafter  Empfindung  gebracht  werden  können, 
sondern  daß  umgekehrt  auch  krankhafte  Reize,  welche  auf  diese  peri- 


1018 


Martin  Mendelsohn, 

pheren  Nerven  einwirken,  durch  Fortleitung  auf  das  Herz  selbst  dieses 
in  seiner  Tätigkeit  beeinflussen  und  sogar  schwere  Anfälle  in  ihm 
auslösen  können.  Für  gewöhnlich  jedoch  haben  die  Schmerzen,  über 
welche  Herzkranke  in  der  Herzgegend  klagen  und  die  sie  auf  ihr 
Herz  beziehen,  ihren  Sitz  nicht  im  Herzen  selbst,  sondern  in  der  Brust¬ 
wand,  entweder  in  den  Interkostalnerven  oder  in  dem  Periost  der 
Kippen  oder,  was  besonders  häufig  ist,  bei  Frauen  in  den  Nerven 
der  Brustdrüse,  besonders  wenn  die  Brust  stark  entwickelt  ist  und 
durch  ihr  Gewicht  (drückt  und  zerrt.  Selig1)  hat  alle  diese  Formen 
des  Herzschmerzes  unlängst  in  einer  Arbeit  besprochen. 

Da  nun  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  diese  Schmerzen  mit  der  da¬ 
neben  bestehenden  Herzerkrankung  gar  nichts  zu  tun  haben,  so 
bedürften  sie  an  sich  auch  fast  nie  einer  Therapie,  denn  sie  bleiben 
immer  in  durchaus  [erträglichen  Grenzen ;  und  nur  ihr  Sitz  ist  es, 
der  sie  den  Kranken  so  peinlich  macht.  Ich  frage  in  solchen  Fällen 
fast  immer  meine  Patienten,  ob  ihnen  der  Schmerz  etwas  ausmachen 
würde,  wenn  er  in  gleicher  Stärke  und  Dauer  an  einer  anderen  Körper- 
steile,  etwa,  im  Oberschenkel,  säße;  und  erhalte  stets  die  Antwort, 
daß  sie  sich  dann  gar  nichts  daraus  machen  würden.  Es  ist  eben 
nur  die  Deutung,  welche  diese  Schmerzen  von  seiten  der  Kranken 
haben ;  es  ist  eben  nur  die  dauernde  Mahnung,  welche  von  der  Schmerz- 
empfindung  ausgeht,  daß  sie  herzkrank  seien,  welche  zum  Handeln 
und  zum  Eingreifen  zwingt :  denn  die  Aufgabe  ist  hier  nicht  etwa 
nur  die,  Kranke  von  einer  lästigen  Empfindung  zu  befreien  —  eine 
Aufgabe,  die  ja  jeder  Arzt  jederzeit,  soweit  als  irgend  möglich,  zu 
erfüllen  die  Pflicht  hat  —  sondern  gerade  bei  Herzkranken  ist 
die  dauernde  Besorgnis  und  die  Rückwirkung,  welche  durch  die  immer 
wieder  erneut  auf  tretende  Sorge  um  ihren  Zustand  stetig  auf  das  Herz 
ausgeübt  wird,  ein  nicht  zu  unterschätzender  Faktor,  der  unter  allen 
Umständen  beseitigt  werden  muß.  Die  Herztätigkeit  selbst  v/ird  durch 
ihn  ungünstig  beeinflußt ;  die  durch  Hilfsmittel  der  Therapie  ange¬ 
strebte  Schonung  des  Herzens  wird  durch  die  hier  vorhandene  stetige 
Erregung  zum  großen  Teile  beeinträchtigt  und  oft  sogar  ganz  auf¬ 
gehoben.  Es  besteht  daher  die  dringende  Aufgabe,  den  Schmerz  zu 
beseitigen ;  und  das  ist  niöht  immer  ganz  leicht. 

Zunächst  hat  eine  Form  des  Schmerzes  bei  Herzkranken  derartige 
Ursachen,  daß  sie  nur  durch  eine  Heilung  der  Herzkrankheit  selbst 
beseitigt  werden  kann.  Ich  verstehe  unter  ,, Heilung“  einer  Herzkrank¬ 
heit  die  vollständige  Wiederherstellung  des  Blutumlaufes;  lange  Zeit 
bevor  es  zu  den  sogenannten  Kompensationsstörungen  kommt,  hat  die 
mangelnde  Herzmuskelkraft  in  den  Lungen,  im  Gehirn,  in  den  großen 
Arterien,  in  den  Unterleibsgefäßen  Beeinträchtigungen  des  Blutum¬ 
laufs  hervorgerufen,  aus  denen  in  der  Hauptsache  alle  die  Beschwerden 
resultieren,  welche  die  Herzkranken  überhaupt  erst  zum  Arzte  führen. 
Hebt  man  mit  geeigneten  therapeutischen  Mitteln  die  Herzkraft,  sorgt 
man  dafür,  daß  die  Zirkulation  überall  wieder  im  gleichmäßigen  Ganne 
vor  sich  geht,  gelingt  es  vor  allem  den  erhöhten  Blutdruck  wieder 
auf  die  Norm  herabzubringen,  so  schwinden  auch  die  Beschwerden, 
und  man  hat  als  Arzt  alles  .erreicht,  was  man  unter  einer  Heilung 
der  betreffenden  Krankheit  verstehen  kann.  Nun  tritt  gar  nicht  so 
selten  bei  Herzkranken  —  und  nicht  nur  bei  bestehender  Arterio- 


1)  Artur  Selig,  Kurarzt  in  Franzensbad.  Medizinische  Klinik,  Nr.  21,  1909, 


Ueber  den  Herzschmerz  und  seine  Beseitigung. 


1019 


skleroso  —  ein  sehr  quälender,  drückender,  überaus  heftiger  Schmerz 
in  der  linken  Brustseite  auf,  der  in  der  Hauptsache  hinten  am  Bücken 
zwischen  den  Schulterblättern  empfunden  wird,  aber  auch  vorn  in  der 
Brust;  und  den  die  Kranken  oft  so  schildern,  als  wenn  er  von  vorn 
nach  hinten  den  Körper  durchsetzt.  Dieser  Schmerz  ist  kein  Nerven¬ 
schmerz,  er  ist  nicht  durch  die  Beizung'  irgend  eines  nervösen  Apparates 
entstanden,  sondern  beruht,  wie  mich  zahlreiche  Beobachtungen  gelehrt 
haben,  darauf,  daß  hier  infolge  einer  Überfüllung  des  Anfangsteiles 
der  Aorta,  die  Wände  dieses  großen  Gefäßes  übermäßig  gedehnt  werden 
und  so  der  Schmerz  zustande  kommt.  Es  ist  bekannt,  daß  die  schlimm¬ 
sten  Schmerzen,  welche  überhaupt  im  menschlichen  Organismus  auf- 
treten  können,  durch  die  übermäßige  Dehnung  röhrenförmiger  Leitungen 
entstehen  (Nierensteine,  Gallensteine) ;  hier  genügt,  wenn  auch  quan¬ 
titativ  kein  Vergleich  etwa  mit  der  Dehnung  des  Ureters  durch  einen 
Nierenstein  sein  kann,  schon  die  wesentlich  geringfügigere  Dehnung 
der  Arterienwände  durch  .das  sich  stauende  Blut,  um  einen  solchen 
lästigen,  drückenden  Schmerz  zu  erzeugen.  Und  natürlich  kann  er 
nur  dann  wieder  verschwinden,  wenn  es  gelingt,  den  Blutumlauf  aus¬ 
reichend  auszugleichen.  Ein  solcher  Schmerz  also  kann  nur  mit  allen 
Hilfsmitteln  der  Herztherapie  zur  Beseitigung  gebracht  werden,  er  ist 
im  innersten  Wesen  des  Herzleidens  selbst  begründet  und  es  gelingt 
nur  mit  der  Hebung  der  Herzkraft  und  mit  dem  Ausgleich  des  gestörten 
Blutumlaufs  ihn  zu  bannen. 

Ganz  anders  aber  sind  die  Möglichkeiten,  die  quälenden  lokalen 
Erscheinungen  bei  Herzkranken  dort  zu  beseitigen,  wo  es  sich  um 
direkte  oder  indirekte  Beizungen  sensibler  Nerven  handelt  oder  wie 
gar  —  was  ja  auch  vorkommt  —  rheumatische  Beizungen  der  Brust¬ 
muskulatur  oder  gleichzeitig  bestehende  Interkostal-Neuralgien  vor¬ 
liegen,  oder  wo  - —  ein  ganz  besonders  häufiges  und  wichtiges  Vor¬ 
kommnis  —  die  sensiblen  Nerven  in  der  linken  Brustwand  infolge 
der  Veränderung  des  Herzens  selbst,  seiner  Erweiterung,  oder  seiner 
Hypertrophie,  oder  seiner  Lage  Veränderung,  im  Laufe  der  Zeit  in 
einen  solchen  Zustand  von  Überempfindlichkeit  und  gesteigerter  Reiz¬ 
barkeit  gelangt  sind,  daß  schon  die  geringsten  Beize  in  ihnen  nicht 
nur  Empfindungen,  sondern  Schmerzempfindungen  auslösen.  Liier  muß 
eine  lokale  Therapie,  welche  die  Empfindlichkeit  herabsetzt  oder  gar 
ganz  ausschaltet,  außerordentlich  günstig  wirken,  und  sie  tut  es  auch 
in  der  Tat. 

Schließlich  hat  ja  unser  guter  Eisbeutel,  der  auf  die  Herzgegend 
aufgelegt  wird,  in  der  Hauptsache  auch  immer  nur  diese  Wirkung: 
die  Empfindung  der  Nerven  abzustumpfen.  Er  wird  zwar  gewöhnlich 
in  der  Idee  auf  das  Herz  gelegt,  hierdurch  eine  Herabsetzung  der 
Herztätigkeit  selbst,  eine  Verminderung  seiner  Schlagfolgei  zu  veran¬ 
lassen;  tatsächlich  ist  dies  aber  keineswegs  der  Fall;  und  der  viel 
verwendete  und  auch  oft  mißbrauchte  Herz-Eisbeutel  hat  dort,  wo  er 
wirkt,  keinen  anderen  Effekt  als  den,  die  Sensibilität  der  Herzgegend 
abzustumpfen  und  die  .  quälenden  Sensationen  dem  Kranken  weniger 
fühlbar  werden  zu  lassen. 

Nun  können  wir  heutigen  Tags  dieses  therapeutische  Ziel  viel 
wirksamer  und  viel  sicherer  mit  neueren  Hilfsmitteln  erreichen,  als 
mit  der  einfachen  Anwendung  der  Kälte,  die  ja  ohnedies  schon  ihrer 
äußeren  Form  wegen  umständlich  und  nicht  immer  anwendbar  ist. 
Ich  habe,  wie  gesagt,  gerade  dieser  Aufgabe  der  Herztherapie  stets 


1020 


Martin  Mendelsolm, 


die  vollste  Aufmerksamkeit  zugewandt  und  habe  alles  verwendet,  was 
nur  irgend  diesem  Zwecke  zu  entsprechen  vermochte ;  aber  wenn  auch 
vorübergehend  starke  Hautreize,  wie  Sinapismen,  zwar  dadurch  von 
Wirksamkeit  waren,  daß  bei  ihrer  Anwendung  einer  überstarken  Reizung 
der  Nerven  eine  reaktive  Unempfindlichkeit  folgte,  so  erfüllten  diese 
Mittel  doch  immer  erst  nur  auf  einem  Umwege  ihre  Aufgabe  und 
auch  immer  hur  für  eine  relativ  kurze  Frist  und  nicht  ohne  'Beschwerden 
für  den  Kranken.  Auch  lokale  Kohlensäure-Applikationen,  wie  sie 
seit  einiger  Zeit  möglich  sind,  haben  mir  manchmal  wertvolle  Dienste 
geleistet;  indes  war  die  Wirkung  auch  nur  hier  und  da  eine  aus¬ 
reichende,  da  eben  der  therapeutische  Reiz  hier,  wo  es  sich  um  Tiefen¬ 
wirkung*  handelt,  ein  zu  geringfügiger  ist.  Und  so  war  es  mir  sehr 
erwünscht  als  ich  endlich  in  dem  Rheumasan,  jenem  bekannten,  seit 
einigen  Jahren  im  Handel  befindlichen  Mittel,  ein  Medikament  fand, 
welches  bei  allen  meinen  Herzkranken,  an  denen  ich  es  in  Verwendung 
zog,  die  vollste  Wirksamkeit  entfaltet  hat. 

Es  ist  bekannt,  daß  das  Rheumasan  eine  Seife  darstellt,  welche 
Salizvlsäure  durch  die  Haut  hindurch  in  die  Tiefe  zu  bringen  und  an 
Ort  und  Stelle  zur  Wirkung  kommen  zu  lassen  vermag.  Das  Mittel  ist 
zunächst  in  der  Absicht  hergestellt  worden,  zum  Zwecke  einer  allgemei¬ 
nen  Wirkung  Salizylsäure  dem  Körper  so  einzuverleiben,  daß  dabei  die 
Einnahme  durch  den  Magen  ausgeschaltet  wird,  da  ja  hierdurch  die  zahl¬ 
reichen  ungünstigen  und  lästigen  Nebenwirkungen  entstehen,  welche  eben¬ 
solange  bekannt  sind,  als  die  Salizylsäure  verwendet  wird.  Das  Rheuma- 
san  ist  eine  weiche  lOprozentige  Salizylseife ;  die  Salizylsäure  ist  in 
ihm  frei  vorhanden,  nicht  als  Alkalisalz;  sie  ist  dadurch  völlig  resorp¬ 
tionsfähig  und  wirkt  direkt,  überall  wo  sie  beim  Einreiben  hindurch 
in  die  Tiefe  gelangt.  Und  diese  Salizylsäure,  in  der  Form  des  Rheuma- 
sans,  über  der  Herzgegend  auf  der  Fläche  der  linken  Brustseite  ein¬ 
gerieben,  beseitigt  bei  systematischer  und  ausreichend  durchgeführter 
Verwendung  alle  die  quälenden  und  auch  für  den  Allgemeinzustand  sehr 
bedeutsamen  Empfindungen,  von  denen  Herzkranke  sehr  oft  heim¬ 
gesucht  werden. 

Ich  habe  es  allmählich  von  jedem  der  Kranken,  bei  welchem 
solche  Erscheinungen  Vorlagen,  verwenden  lassen.  Die  Anwendung  ist 
eine  äußerst  einfache:  Es  wird,  je  nach  der  Intensität  der  vorliegenden 
Beschwerden  zwei  oder  drei,  oder  auch  mehrere  Male  pro  Tag',  eine 
kleine  Menge  der  weichen  Seife  langsam  und  stetig  in  die  Haut  der 
linken  Brustseite  eingerieben.  Das  Einreiben  muß  langsam,  unter  sanf¬ 
tem  Druck,  erfolgen,  gewöhnlich  sind  10  Minuten  Zeit  dazu  erforder¬ 
lich.  Man  läßt  eine  dünne  Schicht  des  Rheumasans  auf  der  Haut 
zurück  und  bedeckt  die  eingeriebene  Stelle  mit  irgend  einem  kleinen 
Stücke  eines  leichten  Stoffs. 

Wenn  ich  mich  hier  in  Kasuistik  ergehen  wollte,  so  könnte  ich 
eine  große  Reihe  von  Fällen  anführen,  in  denen  diese  einfache  Medi¬ 
kation  alle  störenden  Erscheinungen  beseitigt  hat ;  das  verbietet  sich 
von  selbst.  Ich  möchte  nur  auf  einen  besonderen  Fall  aus  meinen 
zahlreichen  Erfahrungen  und  Beobachtungen  besonders  hinweisen.  So 
wurde  ein  alter,  sehr  urteilsfähiger  und  geistig  sehr  hervorragender 
Herr  dadurch  besonders  beunruhigt,  daß  er  von  Zeit  zu  Zeit  von 
„Herzanfällen“  befallen  wurde.  Er  hatte  eigenartige  Empfindungen 
in  der  linken  Brustseite,  leichtes  Stechen  und  Kribbeln  in  der  linken 
Schulter,  glaubte  während  der  ganzen  Zeitdauer  des  Anfalles,  „daß 


Ueber  den  Herzsclimerz  und  seine  Beseitigung. 


1021 


ihm  das  Herz  herausfiele“,  und  zeigte  noch  manch  andere  Symptome 
mehr.  Ich  hatte  Gelegenheit,  ihn  genau  zu  beobachten  und  sah  bald, 
daß  trotz  der  zweifellos  vorhandenen  Arteriosklerose  und  trotz  einer 
nicht  unbeträchtlichen  Erschlaffung  des  Herzmuskelfleisches,  diese  Er¬ 
scheinungen,  welche  in  der  Tat  nur  von  Zeit  zu  Zeit  und  ausgesprochener¬ 
maßen  anfallsweise  auftraten,  keineswegs  etwa  Anfälle  von  Angina 
pectoris  waren.  Es  fehlte  jede  eigentliche  Schmerzempfindung,  es  fehlte 
jede  Beeinträchtigung  des  Herzschlages  und  des  Pulses,  es  fehlte  jede 
Störung  der  Atmung.  Trotzdem  waren  es  gerade  diese  Zufälle,  welche 
den  Kranken  ausnehmend  beunruhigten.  Ich  habe  ihn  mit  Bheumasan 
behandelt,  habe  es  zunächst  nur  dann  anwenden  lassen,  wenn  sich  Vor¬ 
boten  dieser  Empfindung"  einstellten  und  habe  damit  in  wenigen  Tagen 
erzielt,  daß  die  Zufälle  schon  nach  wenigen  Minuten  zum  Schwinden 
gebracht  wurden.  Alsdann  habe  ich  in  einer  Art  prophylaktischer 
Absicht  dem  Kranken  das  Mittel  regelmäßig  dreimal  täglich  in  relativ 
geringen  Mengen  einreiben  lassen  und  die  Anfälle  sind,  nachdem  dies 
einige  Wochen  fortgesetzt  wurde,  vollständig  beseitigt.  Der  Patient 
hat  die  Einreibungen  weiter  fortgesetzt  und  sie  alsdann  allmählich 
ausklingen  lassen ;  auch  später  sind  die  Erscheinungen  nicht  wieder 
auf  ge  treten.  Natürlich  ging  hiermit  eine  sorgfältige  und  systematische 
Behandlung  seines  eigentlichen  Herzleidens  und  seiner  Arteriosklerose 
Hand  in  Hand ;  aber  auch  diese  Behandlung  wurde  wesentlich  erleichtert 
und  gefördert  durch  den  Umstand,  daß  es  gelungen  war,  die  Depression 
von  dem  Kranken  zu  nehmen,  welche  bei  jedem  Auftreten  jener  Er¬ 
scheinungen  sich  seiner  bemächtigte. 

Nochmals  möchte  ich  hervorheben,  daß  es  sich,  wie  auch  in  dem 
eben  erwähnten  Falle,  keineswegs  etwa  immer  um  ausgesprochene 
Schmerzen  handelt.  Die  Empfindungen  am  Herzen  sind  mannigfacher 
und  verschiedener  Art;  das  Bheumasan  wirkt  auch,  und  ganz  besonders 
günstig,  wo  die  Kranken  über  Kältegefühl  in  der  Herzgegend,  über 
Prickeln  und  Stechen  und  über  die  mannigfachsten  anderen  Empfin¬ 
dungen  klagen. 

Ich  weise  nochmals  darauf  hin,  wie  ich  immer  und  immer  wieder 
gesehen  habe,  welche  ganz  außerordentliche  Bedeutung  die  Befreiung 
von  lokalen  Empfindungen  abnormer  Art  für  jeden  Herzkranken,  den 
man  heilen  will,  besitzt.  Das  JHerz  selbst,  auch  das  kranke,  hat  nur 
in  den  seltensten  Fällen  eigene  Empfindung ;  der  Krankheitszustand 
macht  sich  ja  in  anderer  Weise,  erst  durch  die  gestörte  Zirkulation 
bemerkbar.  Treten  indessen  solche  Empfindungen  auf,  so  werden  sie 
ausnahmslos  von  dem  ohnedies  stark  geängstigten  Kranken  auf  ihren 
Herzzustand  bezogen,  und  jede  Vermehrung  dieser  Empfindung  ist 
ihnen  gleichbedeutend  mit  einer  Verschlimmerung  ihres  eigenen  Leidens. 
Es  ist  daher  von  der  größten  Wichtigkeit  über  ein  Mittel  zu  ver¬ 
fügen,  welches  diese  Empfindungen  zu  beseitigen  vermag  und  den 
Kranken  dadurch  wenigstens  an  Ort  und  Stelle  den  Anschein  einer 
Behebung  seiner  Krankheit  erweckt.  Und  da  es  die  Empfindlichkeit 
der  ganzen  beeinflußten  Partien  herabzudrücken  und  zu  mildern  ver¬ 
mag,  so  hat  es  besonders  auch  in  den  zahlreichen  Fällen  von  Herz¬ 
krankheiten  Geltung,  wo  das  linke  Herz  vergrößert  und  mit  seiner 
Masse  vermehrt  ist.  Gerade  hier,  wo  dann  oft  noch  durch  seine  ver¬ 
mehrte  Schwere  das  nur  lose  auf  gehängte  Organ  an  der  linken  Kuppe 
des  Zwerchfells  nach  unten  sinkt  und  sich  mehr  und  mehr  an  die 
Brustwand  herandrängt,  gegen  die  es  ohnedies  schon  durch  sein  ver- 


1022 


Ehrmann  und  Fuld, 

mehrte s  Volumen  stark  angepreßt  ist,  gerade  bei  diesen  Zuständen  fühlt 
der  Kranke  jede  einzige  seiner  erregten  und  gesteigerten  Herzzusammen¬ 
ziehungen  wie  einen  Schlag  gegen  seine  Brustwand,  und  gerät  dadurch 
in  einen  Zustand  dauernder  Beunruhigung  und  Erregung.  Auch  hier 
ist  es  möglich,  diese  Empfindung  durch  eine  systematische  Behandlung 
mit  Bheumasan  einzuschränken  und  zu  mildern ;  auch  hier  wird  durch 
die  Einschränkung  dieser  Empfindungen  den  Kranken  ein  vermehrtes 
W ohlbehagen  geschaffen  und  die  weitere  Herztherapie  begünstigt  und 
gefördert. 

So  ist  der  Zweck  dieser  Zeilen  der,  darauf  hinzuweisen,  daß 
überall,  wo  Herzkranke  störende  Empfindungen  lokaler  Art  haben, 
diese  behandelt  und  beseitigt  werden.  Denn  unsere  Herztherapie  setzt 
sich  aus  einer  großen  Zahl  verschiedener  Einzelaufgaben  zusammen ; 
und  nur,  wenn  alle  diese  systematisch  und  zielbewußt  in  einer  ge¬ 
schlossenen  Kur  zur  Durchführung  kommen,  ist  es  möglich,  die  Auf¬ 
rechterhaltung  der  Herzkraft  und  den  Betrieb  des  Kreislaufes  auch 
am  erkrankten  und  geschwächten  Herz  bis  zur  natürlichen  Grenze 
des  Alters  aufrecht  zu  erhalten. 


26.  Kongreß  für  innere  Medizin  zu  Wiesbaden. 

19—22.  April  1909. 

Berichterstatter:  Dr.  Ehrmann  und  Dr.  Fuld. 

(Schluß.) 

Mohr -Halle  hat  neuerdings  einen  neuen  Fall  von  schwerem  Dia¬ 
betes  untersucht,  der  bei  ca.  vierwöchiger  Beobachtung  bei  geregelter 
Ernährung  dauernd  erhöhte  Hüchternwerte  für  den  02  hatte,  die  zwischen 
30  und  40°/0  über  der  Horm  lagen.  Es  scheint  nicht  richtig  zu  sein, 
zu  sagen,  der  Energieumsatz  beim  menschlichen  Diabetiker  unterscheidet 
sich  prinzipiell  von  dem  des  pankreaslosen  Hundes ;  die  Fragestellung 
muß  vielmehr  lauten :  in  welchen  Fällen  von  menschlichem  Diabetes 
finden  wir  Erhöhung  der  Umsatzes?  Es  wäre  sehr  wünschenswert, 
wenn  auch  beim  pankreaslosen  Hund  die  direkte  Kalorimetrie  durch¬ 
geführt  würde.  Die  Berechnung  des  Umsatzes  auf  indirektem  Wege 
hat  etwas  Mißliches,  weil  die  Frage  nach  der  Herkunft  des  Zuckers 
nicht  entschieden  ist. 

Magnus-Levy-Berlin :  Die  Höhe  des  Umsatzes  beim  Diabetiker 
ist  nicht  Frage  der  Individualität  des  Falles,  sondern  der  Zweckmäßig¬ 
keit  resp.  Unzweckmäßigkeit  seiner  Ernährung.  Der  Pankreasdiabetes 
ist  ein  akuter  Übergang  des  gesunden  in  den  kranken  Stoffwechsel, 
ein  Umschwung,  der  beim  Menschen  stets  allmählich  vor  sich  geht. 

Falta  (Schlußwort):  Gegenüber  Weintraud  bemerkt  der  Vor¬ 
tragende,  daß  Diabetiker,  wenn  sie  irrationell  ernährt  werden,  allerdings 
sehr  rasch  an  Gewicht  verlieren  können,  trotz  einer  Kalorienzufuhr, 
bei  der  ein  Gesunder  sich  im  Körpergleichgewicht  erhalten  sollte.  Um¬ 
gekehrt  findet  man,  daß  Diabetiker  beim  Übergang  von  einer  irra¬ 
tionellen  Ernährung  zu  einer  rationellen  ungemein  rasch  an  Körper¬ 
gewicht  zunehmen  können.  Er  hat  schon  vor  3  Jahren  auf  diesem 
Kongreß  und  in  seinen  Publikationen  darauf  hingewiesen,  daß  sich 
solche  Schwankungen  im  Körpergewicht  des  Diabetikers  ohne  wesent¬ 
liche  Veränderung  des  Eiweißbestandes  abspielen  können  und  daß  hier 
neben  dem  Ansatz  resp.  Verlust  von  Fett  und  Kohlehydrat  Schwan- 


26.  Kongreß  für  innere  Medizin  zu  Wiesbaden. 


1023 


kungen  im  Wassergehalt  Vorkommen.  Es  ist  sicher  anzunehmen,  daß  hei 
reichlicher  Zuckerausscheidung  resp.  starker  Hy  per  glyämie  der  Diabetiker 
durch  die  gesteigerte  Diurese  sehr  viel  Wasser  verliert  und  umge¬ 
kehrt  hei  Besserung  der  Symptome  rasch  Wasser  wieder  aufnimmt. 
Es  sind  daher  derartige  Beobachtungen  über  das  Körpergewicht  beim 
Diabetiker  mit  großer  Vorsicht  aufzunehmen.  Eine  entscheidende  Be¬ 
deutung  in  dieser  Frage  erkenne  er  nur  exakten,  alle  diese  Momente 
berücksichtigenden  Stoff-  und  Gaswechseluntersuchung  zu. 

Gegenüber  Mohr  bemerkt  er,  daß  er  nicht  behauptet  habe,  daß 
in  allen  Fällen  von  Diabetes  mellitus  der  Umsatz  nicht  erhöht  ist, 
sondern  ausdrücklich  die  Frage  aufgeworfen  habe :  Gibt  es  schwere 
Fälle,  welche  trotz  reichlicher  Zuckerausscheidung  im  Hungerzustand 
keine  Erhöhung  des  Umsatzes  haben? 

Gegenüber  Magnus-Le vy  erwidert  er,  daß  man  auch  beim  Hunde 
eine  allmähliche  Entwickelung  des  Diabetes  herbeiführen  könne  durch 
unvollständige  Exstirpation  des  Pankreas.  Es  sind  mehrere  Fälle  in 
der  Literatur  genau  beschrieben,  in  deinen  sich  dann  oft  erst  nach 
Monaten  ganz  allmählich  ein  schwerer  Diabetes  entwickelte.  In  keinem 
dieser  Fälle  ging  aber  der  Quotient  D:N  über  die  Minkowski’ sehe 
Zahl  2,8  hinaus,  während  man  in  den  Fällen  des  menschlichen  Diabetes 
viel  höhere  Quotienten,  besonders  bei  reichlicher  Ernährung  mit  Fett 
beobachten  kann. 

A.  Böhme- Frankfurt  a.  M. :  Klinische  Untersuchungen  über 
Opsonine. 

Die  Untersuchungen  bei  Staphylo-  und  Streptokokkenerkrankungen 
ergaben  in  Anbetracht  der  Fehler  der  Methode  keine  brauchbaren  Re¬ 
sultate.  Die  Angabe  Wright’si,  daß  schwer  Tuberkulöse  einen  stark 
schwankenden  Index  haben,  wurde  bestätigt,  ebenso  Inman’s  Befund, 
daß  nach  körperlicher  Bewegung  der  Index  bei  Tuberkulösen  rasch 
sinkt  und  dann  wieder  ansteigt.  Seröse  tuberkulöse  Exsudate  haben 
nur  in  einem  Teil  der  Fälle  einen  herabgesetzten  Index ;  eitrige  Exsudate 
geben  immer  niedrige  Werte,  jedoch  nicht  nur  gegenüber  Tuberkel¬ 
bazillen,  sondern  auch  gegenüber  anderen  Bakterienarten.  Die  Herab¬ 
setzung  beruht  hier  auf  einer  nicht  spezifischen  Absorption  der  Opso¬ 
nine  durch  die  Leukozyten.  Wenn  die  Wrigh Eschen  Befunde  über 
Tuberkulose  auch  zum  Teil  bestätigt  wurden,  so  sind  die  Ausschläge 
doch  nicht  genügend  groß  und  konstant,  um  die  opsonische  Methode 
hier  als  diagnostisch  empfehlenswert  erscheinen  zu  lassen. 

Sehr  starke  spezifische  Erhöhungen  des  Index  wurden  bei  Typhus, 
Paratyphus,  Koliinfektionen  und  Meningitis  gefunden.  Jedoch  konnte 
in  allen  vom  Vortr.  beobachteten  Fällen  die  Diagnose  auf  einfacherem 
Wege  durch  die  Agglutinationsprüfung  gestellt  werden.  Eine  größere 
praktische  Bedeutung  scheint  also  auch  hier  der  opsonischen  Unter¬ 
suchung  nicht  zuzukommen.  Beim  Typhus  ist  der  Opsoningehalt  meist 
sehen  während  der  Lyse,  stärker  in  der  Rekonvaleszenz  erhöht,  um 
nach  kürzerer  oder  längerer  Zeit  wieder  zur  Komi  abzufallen. 

Von  den  thermolabilen  Opsoninen  sind  verschieden  die  thermosta¬ 
bilen  Bakteriotropine,  wie  besonders  Untersuchungen  bei  Tuberkulose 
ergaben.  Normales  Serum  enthält  keine  Tuber kulosebakteriotropine, 
bei  schwer  Tuberkulösen  wurden  sie  in  etwa  75  °/0  der  Fälle  gefunden, 
bei  leicht  Tuberkulösen  seltener,  nach  längeren  Tuberkulinkuren  waren 
sie  stets  nachweisbar.  Eine  prognostische  Bedeutung  kommt  ihnen  nicht 
zu,  auch  diagnostisch  kommen  sie  praktisch  kaum  in  Betracht. 


1024 


Ehrmann  und  Fuld, 


Ein  strengerer  Parallelismus  zwischen  der  jeweiligen  Heilungs¬ 
tendenz  und  dem  Opsoningehalt  besteht  nicht,  die  Verfolgung  des  In¬ 
dex  erscheint  daher  für  die  Vakkinationsbehandlung  nicht  von  größerem 
Werte  zu  sein.  Vortr.  hat  etwa  25  Fälle  nach  Wright  mit  abgetöteten 
Bakterien  behandelt,  ein  sicheres  Urteil  über  den  Wert  dieser  Be¬ 
handlungsmethode  ist  ihm  aber  noch  nicht  möglich. 

Eine  wesentliche  praktisch -diagnostische  Bedeutung  haben  die 
Opsonine  kaum,  als  biologische  Reaktionsprodukte  bieten  sie  viel  Inter¬ 
essantes. 

Diskussion. 

Klingenberger-Königsberg  hält  die  Bestimmung  des  Index  für 
Koli  wegen  der  enormen  Verschiedenheit  der  Kolistämme  für  sehr 
schwierig,  wenn  nicht  der  Stamm  des  Patienten  bereits  isoliert  ist. 

Rothschild-Soden:  Die  opsonische  Untersuchung  hat  bei  der 
Tuberkulose  allerdings  keinen  diagnostischen  Wert,  dafür  aber  einen 
um  so  höheren  therapeutischen,  denn  sie  lehrt  uns,  ob  der  Index  niedrig 
ist,  die  Tuberkulinkur  also  einen  Sinn  hat.  Ferner  kommt  es  darauf 
an,  durch  Anwendung  des  eigenen  Tuberkulins  von  den  Bazillen  des 
Patienten  oder  mindestens  eines  möglichst  spezifischen  Misch tuberkulins 
Einfluß  auf  die  opsonischen  Werte  zu  gewinnen. 

Citr on- Berlin :  Nicht  die  Steigerung  des  Index  ist  das  Ziel  der 
Tuberkulinbehandlung,  sondern  die  Erregung  einer  Herdreaktion.  Ob 
ein  Zusammenhang  zwischen  dem  Ansteigen  des  Index  und  dem  Auf¬ 
treten  der  Reaktion  besteht,  ist  durchaus  fraglich. 

Böhme:  Die  Bestimmung  des  Index  geschah  bei  Koliinfektion 
möglichst  gegenüber  dem  eigenen  Stamm. 

Auch  therapeutische  Bedeutung  kann  der  Messung  des  Index  nicht 
beigemessen  werden,  denn  bei  hohem  Index  kann  der  Patient  krank 
bleiben,  bei  niederem  genesen.  Eine  größere  Bedeutung  hingegen 
scheinen  die  Bakteriotropine  zu  besitzen. 

Magnus- Alsleben -Basel :  Uber  die  Beziehungen  zwischen 
Temperaturerhöhung  und  Stoffwechsel  im  Fieber. 

Es  kann  weitgehende  Unabhängigkeit  zwischen  der  Temperatur¬ 
erhöhung  und  der  Stoffwechselstörung  bestehen.  Bei  Phthisikern  ist 
trotz  hohen,  kontinuierlichen  Fiebers  manchmal  keinerlei  ungünstiger 
Einfluß  auf  den  N-Stoffwechsel  nachweisbar.  Gelegentlich  kommen  bei 
Phthisikern  aber  auch  N-Retentionen  vor,  welche  nicht  als  Ablagerung 
einer  zweckmäßig  verwendeten  Substanz  zu  deuten  sind  (analog  denen 
bei  Diabetikern). 

C 

In  akuten  Infektionskrankheiten  ist  die  Proportion  —  im  Harn 

gestört ;  im  Scharlach  und  Typhus  ist  sie  kleiner,  in  der  Angina  größer 
als  normal.  Die  abnorme  Erniedrigung  resp.  Erhöhung  pflegt  die  Zeit 
der  Temperaturerhöhung  nicht  unbeträchtlich  zu  überdauern. 

R.  Schütz-Wiesbaden:  Zur  Kenntnis  der  baikteriziden  Darm¬ 
tätigkeit. 

Durch  Versuche  am  überlebenden  isolierten  Katzendarm  wurde 
festgestellt,  daß  die  bereits  früher  vom  Redner  gefundene  bakterizide 
Wirkung  den  Epithelien  der  Darmschleimhaut  zukommt,  und  zwar 
handelt  es  sich  um  präformierte  Schutzstoffe. 


26.  Kongreß  für  innere  Medizin  zu  Wiesbaden. 


1025 


Muskat-Berlin:  Nervöse  Störungen  nadh  Plattfuß. 

Die  Symptome  des  Plattfußes  können  mit  nervösen  Erkrankungen 
verwechselt  werden.  Besonders  kommen  Ischias,  Tabes  und  Neurasthenie 
in  Frage. 

Nur  die  Kenntnis  aller  diagnostischen  Kennzeichen  des  Plattfußes 
kann  vor  Verwechselungen  schützen ;  die  Anschauung,  daß  lediglich 
das  Abflachen  des  Fußgewölbes  ein  Zeichen  von  Plattfuß  sei,  ist  irrig. 
Bei  geeigneter  Behandlung  sind  sowohl  die  Plattfußbeschwerden,  wie 
die  Erscheinungen,  welche  irrtümlich  für  „nervöse“  gehalten  wurden, 
zu  beseitigen. 

Naegeli-Naef -Zürich :  Über  Bleineurasthenie,  eine  Paral¬ 
lele  zur  traumatischen  Neurose. 

Der  Vortr.  berichtet  ausführlich  über  das  epidemieartige  Auftreten 
von  neur asthenischen  Symptomen  an  7  Patienten  mit  leichtem  Satur¬ 
nismus.  Da  in  der  Schweiz  eine  staatliche  Versicherung  gegen  Gewerbe¬ 
krankheiten  besteht,  so  unterlagen  die  Kranken  den  gleichen  psychischen 
Schädlichkeiten,  wie  hierzulande  die  Unfallverletzten.  Es  entwickelten 
sich  bei  ihnen  unter  dem  Einfluß  von  Begehrungsvorstellungen,  von  Be¬ 
schuldigungen  der  Simulation  usw.,  das  klassische  Bild  der  traumatischen 
Neurose,  während  die  Bleisymptome  immer  mehr  in  den  Hintergrund 
traten. 

E.  Meyer- Kissingen- Berlin :  Fermentwirkungen  der  Sdhild- 
drüse. 

Die  Tatsache,  daß  die  Basedowkranken  mit  vergrößerter  Schild¬ 
drüse  sich  in  bezug  auf  den  Fettstoffwechsel  entgegengesetzt  verhalten 
wie  Myxödematöse  mit  verkümmerter  Schilddrüsenanlage,  veranlaßte 
den  Vortr.,  von  normalen  Tier-  und  menschlichen  Schilddrüsen  Preßsaft 
zu  gewinnen  und  ihn  auf  eine  Fettemulsion  (Eigelb)  bei  Brutschrank- 
wärme  einwirken  zu  lassen.  Die  gleichen  Versuche  stellte  er  dann  mit 
frisch  operierten  Basedow-  und  Kolloidkröpfen  an.  Er  fand  die  Ab¬ 
spaltung  von  Fettsäuren  bei  Basedowkranken  vermehrt,  bei  kolloid- 
haltigen  Kröpfen  kaum  angedeutet.  Er  schloß  daraus  auf  eine  regu¬ 
lierende  Tätigkeit  der  Schilddrüse  im  Eettstoffwechsel,  vielleicht  durch 
Fermente,  deren  Isolierung  auch  therapeutisch,  zur  Entfettung,  erwünscht 
sein  dürfte. 

Diskussion. 

Umber- Altona:  Alle  Organpreßsäfte,  nicht  nur  Schilddrüsensaft, 
üben  eine  lipoly tische  Wirkung  auf  die  Eigelbemulsion  aus. 

Th.  Schilling-Nürnberg :  Die  Behandlung  der  chronischen 
Bronchitis  und  des  Bronchialasthmas  mit  Röntgenstrahlen. 

Der  Vortr.  bestätigt  und  ergänzt  seine  erste,  vor  drei  Jahren  auf 
dem  Kongreß  gebrachte  Beobachtung.  Von  50  teilweise  schweren  Er¬ 
krankungen  erzielte  er  bei  25  °/0  Heilung,  bei  50°/0  wesentliche  Auswürf- 
verminderung  und  vielmonatige  Besserung,  bei  25  °/0  keine  Beein¬ 
flussung.  In  vielen  Fällen  trat  die  Beeinflussung  nach  jahrelangem; 
Bestehen  des  Leidens  im  Anschluß  an  die  Röntgenbehandlung  auf.  Die 
Besserung  bezw.  Heilung  hält  in  manchen  Fällen  1 — l1/^  Jahre  an.  Ein 
Fall  von  jahrelang  bestehenden  Bronchiektasien  ist  seit  2 1/2  Jahren  fast 
völlig  frei  von  Auswurf  und  Beschwerden.  Kinder  scheinen  den  besten 
Erfolg  bei  der  Röntgenbestrahlung  aufzuweisen. 


65 


1026 


Vorläufige  Mitteilungen  und  Autoreferate. 


PI  önies  -  Dresden :  Die  Beziehungen  der  Magenkrank¬ 
heiten  zu  den  Störungen  und  Erkrankungen  des  Zirkulatious- 
apparates  mit  besonderer  Berücksichtigung  der  nelrvöseü 
H  er  z  s  t  ö  rungen. 

Der  Vortr.  behauptet,  daß  aus  der  Herzgrößenbestimmung  ein 
sicherer  Rückschluß  auf  die  Magenerweiterung  möglich  sei.  Magen¬ 
gärungsprozesse  sollen  zur  Erweiterung  von  Magen  und  Herz  führen. 
„Die  Herzerweiterungsgröße  ist  uns  also  ein  zuverlässiger  trefflicher 
Indikator  für  die  Größe  und  Schwere  dieser  von  Gärungs-  und  Zer¬ 
setzungsprozessen  im  Magen  herrührenden  Toxine.“ 


Vorläufige  Mitteilungen  u.  Autoreferate. 

Ueber  Spezialmilch  mit  reduziertem  Fettgehalt. 

Von  Dr.  Brandenberg,  Winterthur. 

(Korrespondenzbl.  für  Schweizer  Ärzte,  Nr.  10,  1909.) 

Eine  Serie  von  1200 — 1300  Stuhluntersuchungen  brachten  Verf. 
die  Überzeugung,  daß  die  Dyspepsien  im  Kindesalter  infolge  unge¬ 
nügender  Eiweißverdauung  an  Zahl  bedeutend  hinter  den  Dyspepsien 
Infolge  Insuffizienz  der  Fett-'  und  Kohlehydrate  zurückstehen.  Die 
Färbemethoden  zum  Fettnachweis'  haben  B.  nicht  befriedigt.  Praktisch 
wichtiger  schienen  ihm  verminderte  Adhärenz  der  Stuhlpartikelchen 
an  den  Objektträger  und  Nachweis  von  stark  lichtbrechenden  Schollen 
im  mikroskopischen  Präparat.  Daß  diese  als  fetthaltig  anzusprechen, 
folgert  nicht  nur  aus  dem  optischen  Verhalten,  sondern  auch  ex  juvan- 
tibus,  diese  Schollen  nehmen  ab  oder  verschwinden  beim  Verabreichen 
fettarmer  Nahrung.  Bei  mangelhafter  Fettverdauung  ist  in  erster  Linie 
Buttermilch  zu  empfehlen.  Verf.  will  die  Empfehlung  derselben  gegen¬ 
über  den  anderwärts  gegebenen  Indikationen  (allen  Arten  allgemeiner 
Atrojohie,  bei  anämischen,  rachitislchen  Kindern  mit  schwachen  Magen, 
bei  akutem  Darmkatarrh)  einschränken  auf  Anwendung:  in  erster  Linie 
bei  Insuffizienz  der  Fettverdauung.  Die  tägliche  Bereitung  der  Butter¬ 
milch  im  Hause  zeigt  viele  Inkonvenienzen,  da  der  Butterungsprozeß 
bei  gleicher  Milch  und  gleichem  Verfahren  oft  gar  nicht  oder  sehr 
ungenügend  gelingt,  dementsprechend  der  Fettgehalt  sehr  schwankt.  B. 
empfiehlt  daher  eine  von  der  Berner  Alpenmilch-Gesellschaft  nach  seiner 
Verordnung  hergestellte  „fettarme  Spezialmilch“  mit,  einem  Fettgehalt 
von  0,2 — 0,3°/0.  Die  damit  angestellten  Versuche  haben  bei  richtiger 
Indikationsstellung  sehr  befriedigt  und  wöchentliche  Gewichtszunahmen 
von  80 — 250  g  ergeben.  Diese  bestätigen,  daß  ein  Kind  auch  bei  ge¬ 
ringerer  Fettzufuhr  gedeihen  kann,  als  bisher  angenommen  wurde.  Da 
diese  Milch  gegenüber  der  gewöhnlichen  Kuhmilch  weniger  stark  ver¬ 
dünnt  werden  muß,  erhält  das  Kind  das  Milcheiweiß  in  größerer  Quan¬ 
tität.  Der  Übergang  zur  gewöhnlichen  Milch  geschieht  entweder  durch 
Kahmzusatz  oder  Einschalten  von  gewöhnlicher  Marktmilch.  Diese 
Spezialmilch  wirkt  auch  günstig  bei  Behandlung  gewisser  Ekzemfälle. 
Bei  älteren  Kindern  kann  der1  Ausfall  des  Fettes  durch  Verabreichung 
fettarmer  Kindermehle,  speziell  Kufeke,  eventuell  auch  Kacahaut 
Delangrenier  gedeckt  werden,  diese  letztere  besonders  bei  Neigung 
zu  Diarrhöen.  Die  Spezialmilch  wird  auch  in  der  Diätetik  erwachsener 
Dyseptiker  in  geeigneten  Fällen  gute  Dienste  leisten.  Autoreferat. 


Vorläufige  Mitteilungen  und  Autoreferate. 


1027 


Ein  Fall  von  Chylurie  mit  Glykosurie. 

Von  Dr.  Brandenberg,  Winterthur.  (Deutsche  med.  Wochenschr.,  Nr.  21,  1909.) 

Das  l1/2 jährige  Kind  leidet  seit  3 — 5  Tagen  an  starkem  Durst- 
gefühl  bei  vermindertem  Appetit,  Harnmenge  bedeutend  vermehrt.  Der 
heutige  Vormittagsurin  ist  milchig  getrübt,  während  der  erste  Morgen¬ 
urin  noch  ganz  klar  war.  Die  Veränderung  war  nur  an  diesem  Tage 
zu  beobachten. 

Urinbefund :  Reaktion  sauer,  spezifisches  Gewicht  1030.  Eiweiß 
nach  Esbach  nicht  nachweisbar,  Trommer’sche  Probe  deutlich,  bei 
Zusatz  von  Äther  entsteht  ein  gelatinöser  Bodensatz,  darüber  eine 
trübe  Schicht,  der  Bodensatz  nimmt  nach  längerem  Stehen  zirka  1/5  der 
gesamten  Flüssigkeitsmenge  ein.  Im  Gärungssaccharometer  wird  der 
Zuckergehalt  auf  1,5 — 2  °/0  bestimmt.  Die  Urinuntersuchung  anderen 
Tags  ergibt  spezifisches  Gewicht  1025,  Trommer’sche  Probe  undeut¬ 
lich.  Eine  zirka  l1/2  Jahr  später  vorgenommene  Urinuntersuchung 
spezifisches  Gewicht  1030,  weder  Zucker  noch  Albumin  nachweisbar. 
Im  Gegensatz  zu  Brieger’s  Fall  (Charite-Annalen  1882)  zleigte  B.’s  Fall 
Zucker.  Ein  Übergang  des  Chylus;  aus  den  renalen  Lymphgefäßen  in 
den  Urin  kann  für  das  Auftreten  der  Glykosurie  nicht  verantwortlich 
gemacht  werden,  da  der  Zuckergehalt  des  Chylus  nur  0,1 — 0,2  °/0  be¬ 
trägt,  ebenso  ist  alimentäre  Glykosurie  auszuschließen,  sowie  das  Auf¬ 
treten  einer  Glykosurie  auf  psychischen  Reiz  oder  Trauma  hin.  Auch 
Lipurie,  von  der  Verf.  früher  einen  Eall  beschrieben,  kommt  nicht 
in  Präge.  Eine  Erklärung  für  das'  gleichzeitige  Auftreten  von  Chylus 
und  Zucker  im  Urin,  das  nur  an  einem  einzigen  Vormittag  beobachtet 
werden  konnte,  vermag  Verf.  nicht  zu  geben.  Autoreferat. 


Die  Wassermann’sche  Reaktion  und  ihre  Beeinflussung  durch  die  Therapie. 

Von  Fritz  Hoehne.  (Berl.  klin.  Wochenschr.,  Nr.  19,  S.  869,  1909.) 

Verfasser  berichtet  über  die  vom  1.  Januar  1908  bis  1.  März  1909 
von  ihm  in  Gemeinschaft  mit  Prof.  Sachs  ausgeführten  2383  Unter¬ 
suchungen  an  1832  Patienten.  Die  Reaktion  fiel  bei  Lues:  I  in  38,6  °/0, 
bei  Lues  II  (unbehandelt)  in  79,1  °/0,  bei  Lues  II  (behandelt)  in  48,4 °/0, 
bei  Lues  maligna  in  7 5  °/0,  bei  Lues  III  in  63,6  °/0,  bei  Aortitis  luetica 
in  100 °/0,  bei  Lues  eerebrospinalis  in  16,7  °/0,  bei  Lues  latens  in  31,3  °/0 
und  bei  Lues  hereditaria  in  87,5  °/0  positiv  aus.  Erwähnenswert  er¬ 
scheint,  daß  in  fast  einem  Drittel  der  Fälle  mit  Primäraffekt  die 
klinische  Diagnose  durch  den  positiven  VMssermann  bestätigt  wurde, 
trotzdem  Spirochäten  nicht  nachgewiesen  werden  konnten.  Bei  Tabes 
wurde  in  60°/0  und  bei  Paralyse  in  80°/0  positive  Reaktion  gefunden. 
In  427  Fällen  kam  eine  luetische  Ätiologie  differentialdiagnostisch  in 
Betracht,  von  denen  101  positiv  reagierten.  Von  320  zur  Kontrolle 
untersuchten  Patienten,  die  weder  klinisch,  noch  anamnestisch  Anhalts¬ 
punkte  für  Lues  darboten,  haben  317  negativ  und  3  positiv  reagiert. 
Bei  2  von  ihnen  war  nach  genauester  Beurteilung  eine  luetische  In¬ 
fektion  doch  nicht  ganz  von  der  Hand  zu  weisen,  beim  3.  Fall  han¬ 
delte  es  sich  um  ein  scharlachkrankes  Mädchen.  Unter  den  FMellis 
publicis,  die  keine  Anhaltspunkte  für  Lues  darboten,  fiel  die  Reaktion 
in  21,5  °/0  positiv  aus,  wodurch  die  Indikation  zur  Einleitung'  einer 
spezifischen  Behandlung  gegeben  war.  Die  Behandlung  übt  einen  un¬ 
verkennbaren  Einfluß  auf  den  Ausfall  der  Reaktion  aus.  Von  211  Fällen, 
die  zu  Beginn  der  Behandlung  positiv  reagierten,  reagierten  bei  späteren 


1028 


Referate  und  Besprechungen. 


Untersuchungen  43,6  °/0  absolut  negativ,  11,8  °/0  nur  noch  angedeutet 
positiv.  Es  wurde  mithin  in  55,4 °/0,  d.  h.  in  mehr  als  der  Hälfte 
der  Fälle  eine  sehr  deutliche  Beeinflussung  der  Reaktion  durch  die 
Behandlung  konstatiert.  Unverändert  positiv  blieben  44,6  °/0.  Viel  deut¬ 
licher  ist  der  Einfluß  der  Therapie  auf  den  Ausfall  der  Reaktion 
bei  „genügender“  Behandlung,  wobei  man  nur  in  33,9 °/0  keine  Ände¬ 
rung  der  Reaktion  feststellen  konnte.  Verfasser  versucht,  festzustellen, 
welches  Medikament  die  Wassermannsche  Reaktion  am  stärksten  be¬ 
einflußt.  Hiernach  scheint  das  Kalomel  am  energischsten  zu  wirken. 
Hg.  sal.  und  die  löslichen  Hg -Präparate  kommen  sich  in  ihrer  die 
Reaktion  vermindernden  Kraft  sehr  nahe ;  doch  ist  die  Zahl  der  unter¬ 
suchten  Fälle  bei  einzelnen  Mitteln  eine  so  kleine,  daß  man  aus  ihnen 
wohl  noch  keine  definitiven  Schlüsse  ziehen  kann.  Autoreferat. 


Referate  und  Besprechungen. 

Bakteriologie  und  Serologie. 

Lipoide  als  Schutzkörper. 

(Gerard  u.  Lemoine.  Tribüne  med.,  Nr.  17,  S.  201,  24.  April  1909.) 

Seitdem  H.  Büchner  mit  dem  Begriff  der  Alexine  die  chemische  Vor¬ 
stellung  und  Erklärung  der  Immunität  inauguriert  hat,  mühen  sich  die 
Forscher  ab,  dieser  Schutzkörper  habhaft  zu  werden.  Die  Geschichte  der 
letzten  Jahrzehnte  ist  voll  von  solchen  Versuchen. 

Neuerdings  hat  sich  das  Interesse  den  Lipoiden  zugewendet,  und  Gerard 
und  Lemoine  vertreten  die  Ansicht,  daß  ihr  antitoxisches  Vermögen  auf 
antihämolytischen  Eigenschaften  beruhe,  welches  eben  die  roten  Blutkörper 
(und  wohl  auch  die  übrigen  Zellorganismen  des  tierischen  Körpers)  vor  der 
Auflösung  schütze. 

Sie  sind  im  weiteren  Verfolg  ihrer  Studien  dem  Sitze  dieser  Lipoide 
nachgegangen  und  haben  dabei  gefunden,  daß  diejenigen  Organe,  welche 
durch  ihre  Lage  oder  ihre  Funktion  den  Angriffen  toxischer  oder  infektiöser 
Agentien  am  meisten  ausgesetzt  sind,  den  größten  Lipoid-Gehalt  auf  weisen ; 
sie  stellen  demgemäß  die  Lungen  dem  Knochenmark  gegenüber,  wobei  jedoch 
zu  bedenken  ist,  daß  die  Lungen  gar  nicht  so  sehr  den  'Bazillen  exponiert  sind, 
als  man  früher  angenommen  hatte.  Auch  daß  das  Gehirn  ungemein  reich 
an  Lipoiden  ist,  will  sich  meines  Erachtens  nicht  so  ganz  diesem  jGedanken- 
gang  einfügen. 

Die  Zweckmäßigkeit,  mit  welcher  der  Organismus  eingerichtet  ist,  von 
der  aber  die  modernen  Naturforscher  nichts  wissen  wollen,  hat  es  so  einge¬ 
richtet,  daß  an  den  bedrohten  Punkten  die  Lipoide  sich  anhäuften:  „dans  ce 
cas,  les  graisses  des  autres  parties  de  l’economie  se  mobilisent  en  quelque 
sorte  et  leur  apportent  les  principes  actifs  qu’elles  contiennent“ ;  und  in  diesem 
Lichte  erscheinen  die  Verfettungsprozesse,  welche  man  bisher  als  Degenerations¬ 
zeichen  betrachtete,  vielmehr  als  Schutzmaßregeln. 

Indessen,  keineswegs  alle  Lipoide  sind  kraft  ihrer  antihämolytischen 
Eigenschaften  als  Immunisierungskörper  anzusprechen.  Es  gibt  auch  solche 
mit  hämolytischem  Vermögen,  und  zwar  hängt  die  Eigenschaft,  Zellen  auf¬ 
zulösen  oder  nicht,  von  anderen  Körpern  ab,  welche  sich  mit  den  Lipoiden 
verbinden :  Antitoxisch,  antihämolytisch  wirken  Zugaben  von  Gallenbestand- 
teilen,  Cholesterin,  Oxycholesterin  u.  drgl.,  während  Beimengungen  von 
Lezithin  und  Phosphatiden  eine"  entgegengesetzte  Wirkung  haben.  Nach 
Gerard  und  Lemoine  ist  demgemäß  die  Leber  das  Zentrum  der  Immunität; 
denn  sie  produziert  im  Bedarfsfälle  die  antitoxischen  Lipoide,  ergießt  sie 
in  den  Darm,  von  wo  sie  resorbiert  und  an  die  gewünschten  Punkte  trans¬ 
portiert  werden. 

Die  Bedeutung  der  Lipoide  soll  nicht  bestritten  werden ;  aber  die  ganze 


Referate  und  Besprechungen. 


1029 


Immunität  machen  sie  doch  wohl  nicht  aus.  Auch  aus  der  Ger  ard-Lemodne- 
schen  Darstellung  leuchtet  die  Notwendigkeit  einer  intakten  Reizleitung  her¬ 
aus;  schließlich  ist  zum  Erreichen  des  beabsichtigten  Effektes  der  plan¬ 
mäßige  Transport  der  Schutzkörper  ebenso  wichtig  wie  ihre  Produktion. 
Ein  intakter  Reaktionsapparat  —  im  weitesten  Sinne  genommen  —  scheint 
mir  deshalb  immer  noch  das  Wesentliche  an  diesen  Vorgängen  zu  sein. 

Buttersack  (Berlin). 


lieber  einen  neuen  Bazillus  als  Erreger  eines  exanthematischen  Fiebers 
in  der  Mandschurei  während  des  japanisch-russischen  Krieges,  „Bacillus 

febris  exanthematici  Mandschurici“. 

(T.  Horinchi.  Zentralbl.  für  Bakt.  Bd.  46,  H.  7.) 

Bei  40  Fällen  bot  sich  ein  dem  Unterleibstyphus  ähnliches  Krankheits¬ 
bild,  das  mit  Schüttelfrösten,  Exanthem  in  Form  einer  großen  Roseola  am 
ganzen  Körper  mit  Befallen  des  Gesichts  begann.  Nach  sieben  Tagen  war 
ein  staffelförmiger  Jheberabfall  innerhalb  1 — 2  Tagen  bis  zur  Norm  zu 
beobachten.  Aus  dem  Stuhl  der  Patienten  war  ein  Stäbchen  gezüchtet  wor¬ 
den,  das  in  seinem  morphologischen  und  biologischen  Verhalten  dem  Para¬ 
typhusbazillus  und  dem  Bakt.  coli  ähnelt.  Traubenzucker  vergärt  es  nicht, 
Milch  gerinnt  nicht;  deutliche  Indolbildung  nach  24  Stunden.  Auf  den  üb¬ 
lichen  Nährböden  wächst  es  wie  Typhus-  und  Paratyphusbazillen. 

Die  Widal’sche  Reaktion  war  nur  mit  diesem  Bazillus  positiv.  Immu¬ 
nisierte  Kaninchen  liefern  ein  Serum,  das  in  2000facher  Verdünnung  den 
genannten  Bazillus  noch  zur  Agglutination  bringt,  aber  niemals  Dysenterie¬ 
bazillen  usw.  agglutiniert.  Schürmann  (Düsseldorf). 

Ueber  die  lyssizide  und  immunisierende  Wirkung  der  Zerebrospinal¬ 
flüssigkeit  gesunder,  wutkranker  und  immunisierter  Tiere. 

(Claudio  Fermi.  Zentralbl.  für  Bakt.,  Bd.  48,  H.  2.) 

Nach  den  Untersuchungen  des  Verfassers  ist  der  Zerebrospinalflüssig¬ 
keit  von  Hunden,  Katzen  und  Eseln  eine  stark  lyssizide  Wirkung  zuzusprechen. 
Sie  findet  sich  nicht  nur  in  der  Zerebrospinalflüssigkeit  von  wutkranken 
oder  immunisierten,  sondern  auch  von  gesunden  Tieren.  Es  wirkt  die  Zere¬ 
brospinalflüssigkeit  von  immunisierten  Tieren  stärker  wuttötend ;  dagegen 
ist  die  Zerebrospinalflüssigkeit  von  stark  gegen  die  Wut  immunisierten! 
Tieren  der  immunisierenden  Wirkung  nicht  nur  gegen  das  fixe  Virus,  son¬ 
dern  auch  gegen  das  Straßenvirus  beraubt. 

Es  ergibt  sich  auch,  daß  wuttötende  und  das  Serum  immunisierende 
Substanzen  nicht  in  die  Zerebrospinalflüssigkeit  übergehen. 

Schürmann  (Düsseldorf). 


Ueber  eine  neue  Methode  zur  Darstellung  der  Tuberkelbazillensporen. 

(L.  v.  Betegh.  Zentralbl.  für  Bakt.,  Bd.  49,  H.  8.) 

Die  Methode  ist  folgende : 

1.  Ausstrich  der  Reinkulturen;  Lufttrocknen,  fixieren. 

2.  Beizen  mit  einer  10%-Silbernitratlösung  über  der  Flamme  eine  Minute 
bei  80— 90°  C. 

3.  Wasserabspülen. 

4.  Einwirkenlassen  einiger  Tropfen  von  50%  wässeriger  Rodinal  -  Lösung 
20 — 30  Sekunden,  bis  die  Schicht  braun  wird. 

5.  Wasserabspülen,  trocknen.  Kanada  usw. 

Es  findet  nach  dieser  Methode  nur  eine  Färbung  der  Sporen  statt, 
die  schwarzbraun  und  scharfkantig  erscheinen.  Eine  kurzdauernde  Nach¬ 
färbung  mit  Karbolfuchsin  färbt  auch  die  Hülle.  Es  gelang  der  Nachweis 
der  Sporen  sicher  in  Reinkulturen  von  Tuberkel-Perlsucht-Vogeltuberkulose, 
-Fischtuberkulose,  Blindschleichen-,  Froschtuberkulose  und  in  den  Sputa 
tuberkulöser  Individuen.  Schürmann  (Düsseldorf). 


1030 


Referate  lind  Besprechungen. 


Innere  Medizin. 

Fränkel’scher  Pneumokokkus  und  Schwindsucht. 

(L.  Panichi.  Annali  delP  Istituto  Maragliano,  Volume  II,  Fascicolo  VJ.  — 

Genova,  S.  352—364,  1908.) 

Im  Blut  von  Patienten  mit  Lungentuberkulose  begegnet  man  häufig 
dem  latent  zirkulierenden  Pneumokokkus,  und  zwar  lange,  bevor  der  Bat. 
stirbt.  Buttersack  (Berlin). 


Aus  dem  städtischen  Obucliow-Krankenhause  zu  St.  Petersburg. 

Zur  Behandlung  der  fibrinösen  Pneumomie. 

(Dr.  E.  B.  Blumenau.  Allg.  Wiener  med.  Zeitung,  Nr.  49 — 51,  1908.) 

B.  betont,  daß  man  heutzutage  das  Fieber  als  eine  zweckmäßige  Er¬ 
scheinung,  als  den  Ausdruck  des  im  Organismus  vor  sich  gehenden  Selbst¬ 
heilungsprozesses  auf  fasse,  indem  es  die  Neutralisierung  der  toxischen  Sub¬ 
stanzen  durch  die  Produktion  von  Antitoxinen  begünstige.  Deshalb  solle  der 
Arzt  das  Fieber  nur  in  denjenigen  Fällen  herabzusetzen  versuchen,  in  denen 
es  gefährlich  zu  werden  drohe.  Von  allen,  das  Herz  ungünstig  beeinflussenden 
Antifibrilia  sieht  er  ab  und  wendet  statt  ihrer  nur  das  Chinin  an,  das  auf 
die  Herztätigkeit  verlangsamend  und  kräftigend  einwirkt.  Er  gibt  es  sämt¬ 
lichen  (?!)  Pneumoniekranken  in  der  Quantität  von  1  g  täglich  bis  zum 
Eintritt  der  Krise. 

Zur  Erhaltung  und  Hebung  der  Herzkraft  empfiehlt  er  ausgedehnte 
Anwendung  von  Digitalis  und  besonders  von  Kampfer,  die  er  beide  auch  schon 
prophylaktisch  vielfach  verordnet.  Daneben  Eisblase  und  trockene  Schröpf¬ 
köpfe,  in  der  Resolution  Expektorantien.  Aderlaß  glaubt  er  durch  die 
Kampferdarreichung  vermeiden  zu  können.  Die  Mortalität  betrug  in  zehn 
Jahren,  nach  Abzug  der  hoffnungslos  Eingelieferten,  durchschnittlich  24°/0. 

Esch. 


Ein  Fall  von  PulmonaremboSie  nach  Injektion  von  Quecksilbersalicylat. 

(E.  H.  Ei  sing.  Amer.  Journ.  of  Surg.,  Nr.  1,  1909.) 

Der  Fall  ist  durch  die  Überschrift  ziemlich  erledigt  und  eine  Warnung, 
daß  selbst,  wenn  man  nach  dem  Einstechen  der  Nadel  wartet,  ob  Blut  austritt, 
Embolie  erfolgen  kann.  Die  Injektion  wurde  wegen  oberflächlicher  Glossitis 
bei  einem  starken  Raucher  gemacht,  obgleich  alles  gegen  Syphilis  sprach..  Daß 
das  ein  leichtsinniger  Streich  war,  scheint  E.  nicht  eingefallen  zu  sein. 

F.  von  den  Velden. 


Aus  der  zweiten  inneren  Abteilung  des  Städtischen  Krankenhauses  am  Urban 

in  Berlin. 

Die  Behandlung  des  akuten  Gelenkrheumatismus. 

(Prof.  Dr.  A.  Plehn.  Deutsche  med.  Wochenschr.,  Nr.  51  u.  52,  1908.) 

Die  nach  Salizyldarreichung  beobachteten  Katarrhe  der  Harnwege 
möchte  Plehn  nicht  anders  einschätzen,  wie  einen  passageren  Magenkatarrh, 
der  infolge  irgend  einer  Arzneigabe  auftritt,  ohne  daß  man  deswegen  mit 
dieser  Arzneiverordnung  aufhört.  Er  hält  die  Salizylsäure  für  ein  spezi¬ 
fisches  Mittel  gegen  den  Gelenkrheumatismus,  die  aber  in  genügender  Dosis 
gegeben  werden  muß.  Natürlich  muß  die  Diagnose  absolut  sicher  sein. 
Plehn  verordnet  das  Salizyl  in  seiner  Klinik  folgendermaßen.  Am  ersten 
Tage  erhalten  die  Patienten  alle  halben  Stunden  1/2  g  oder  alle  Stunden  1  g 
acidum  salicylic.  als  Pulver,  im  ganzen  3 — 5  g,  die  folgenden  Tage  täglich 
6  g  und  zwar  so  lange,  bis  sie  drei  Tage  lang  völlig  fieberfrei  geblieben 
sind.  Hierauf  bekommen  die  Kranken  noch  sieben  Tage  läng  4  g  pro  die 
und  müssen  am  Schluß  noch  drei  Tage  ohne  Medikament  das  Bett  hüten. 


Referate  und  Besprechungen. 


1031 


Die  unangenehmen  Nebenerscheinungen  bestehen  in  Schwerhörigkeit  und 
Ohrenklingen  (besonders  bei  Frauen,  denen  er  infolgedessen  nur  5—3  g  pro  die 
gibt),  sowie  in  Magenbeschwerden,  die  bisweilen  so  heftig  auftraten,  daß  die 
Behandlungsmethode  abgebrochen  werden  mußte.  Die  Appetitlosigkeit  dauerte 
gewöhnlich  nur  so  lange,  wie  Fieber  bestand,  nach  dessen  Auf  hören  konnte 
er,  wie  er  an  der  Hand  einiger  Krankengeschichten  zeigt,  beträchtliche 
Körperzunahme  feststellen. 

Komplikationen  des  Harnapparates  fand  er  unter  341  Kranken  nur  einmal, 
doch  ging  hier  die  Eiweißtrübung  des  Urins  schon  während  der  Salizyl- 
darreichung  zurück.  Überhaupt  konnte  Plelin  konstatieren,  daß  die  bei 
Gelenkrheumatismus  und  anderen  Infektionskrankheiten  vorkommende,  stets 
geringe  Albuminurie,  noch  während  der  Salizylbehandlung  aufhörte.  Selbst 
akute  und  chronische  Nephritiden  wurden  nur  sehr  wenig  beeinflußt.  Was 
die  Beeinflussung  des  Herzens  anbetrifft,  so  fand  er  weder  beim  gesunden 
Herzen,  noch  bei  alten  kompensierten  Klappenfehlern,  noch  bei  Herzhyper¬ 
trophien  infolge  chronischer  Nephritis  irgend  welche  Störungen.  Nur  bei 
schweren  frischen  Endokarditiden  und  Myokarditiden,  die  noch  nicht  völlig 
kompensiert  waren,  sah  er  besonders  in  drei  Fällen  heftige  Intoxikations¬ 
erscheinungen.  Tritt  in  solchen  Fällen  tiefes  Inspirium  auf,  das  Zeichen 
ernsterer  •Vergiftung  des  Nervensystems,  so  muß  sofort  mit  der  Salizyl¬ 
behandlung  aufgehört  werden.  Sind  die  Organe  sonst  gesund,  so  gehen 
die  üblen  Erscheinungen  wieder  zurück.  Oft  stand  die  Schwere  der  Sym¬ 
ptome  nicht  im  richtigen  Verhältnis  zur  Salizylmenge,  so  daß  also  sicher 
die  persönliche  Disposition  eine  Rolle  spielte. 

Wichtig  für  den  Verlauf  der  Erkrankung  ist  es,  daß  mit  der  Salizyl- 
therapie  möglichst  zeitig  nach  Beginn  des  Leidens  angefangen  wird.  Einmal 
kann  dadurch  der  Anfall  kupiert  werden,  dann  hat  es  aber  auch  auf  die 
Herzaffektionen  großen  Einfluß.  Kann  Plehn  doch  nachweisen,  daß  bei 
319  nach  seinem  Salicylregime  behandelten  Kranken  nur  zweimal  Herzklappen¬ 
fehler  auftraten,  während  bei  101  auswärts  und  wahrscheinlich  ungenügend 
mit  Salizyl  behandelten  Patienten  36  an  Herzfehlern  erkrankten.  Er  glaubt 
zwar  nicht,  daß  die  Salizyltherapie  noch  Einfluß  hat,  wenn  der  Entzündungs-  * 
prozeß  schon  das  fibröse  Klappengewebe  ergriffen  hat,  ist  er  aber  noch 
auf  die  serösen  Häute  beschränkt,  so  hält  er  eine  günstige  Wirkung  des 
Salizyls  doch  für  möglich.  Er  möchte  daher  die  frühzeitige  Salizyltherapie 
gleichsam  als  Prophylaxe  gegen  Herzerkrankungen  angewandt  wissen. 

In  Fällen  ungenügender  Wirkung  des  Salizyls  wendet  er  Kalium  jodatum 
3 — 4  g  pro  die  an  oder  macht  intramuskuläre  Einspritzungen  einer  Kombi¬ 
nation  von  Chinin  (0,5)  und  Antipyrin  (0,5 — 1,0).  In  ganz  besonders  hart¬ 
näckigen  Fällen  eignen  sich  am  besten  intravenöse  Injektionen  einer  5%igen 
Kollargollösung  und  zwar  jeden  3. — 5.  Tag  3 — 5  ccm. 

Es  ist  dabei  zu  vermeiden,  daß  etwas  von  der  Lösung  in  das  umgebende 
Gewebe  kommt,  da  sonst  heftige  Entzündungserscheinungen  auftreten.  Bei 
gut  gelungener  Injektion  tritt  das  erstemal  ein  starker  Schüttelfrost  ein, 
der  bei  den  folgenden  Einspritzungen  allmählich  verschwindet.  Gewöhnlich 
genügen  fünf  Injektionen  bis  zur  Heilung. 

Was  die  physikalischen  Hilfsmittel  betrifft,  so  dürfen  sie  nur  als 
unterstützende  Faktoren  in  Frage  kommen,  können  aber  die  medikamentöse 
Therapie  in  keiner  Weise  ersetzen.  F.  Walther. 


Typhus  ohne  Darmgeschwüre. 

(E.  Sacquepee  u.  F.  Chevrel.  Progres  med.,  N.  73—76,  1908.) 

Der  Begriff  Typhus  ist  heutzutage  so  eng  mit  den  Vorstellungen 
von  Darmgeschwüren  verknüpft,  daß  man  fast  Bedenken  trägt,  einen  Fall, 
bei  dem  sich  solche  nicht  finden,  für  einen  wirklichen  Typhus  zu  erklären. 
Das  ist  nicht  immer  so  gewesen.  Die  pathologischen  Anatomen  in  der  ersten 
Hälfte  des  XIX.  Jahrhunderts,  z.  B.  Rokitansky,  P.  C.  A.  Louis,  wußten 
ganz  wohl,  daß  Darmulzerationen  nicht  unumgänglich  nötig  waren,  um  einen 


1032 


Referate  und  Besprechungen. 


Typhus  zu  diagnostizieren;  aber  wir  alle  wissen,  wie  allmählich  immer  mehr 
die  exakten  Demonstrationen  an  die  Stelle  des  klinischen  Denkens  getreten  sind. 
Zum  Glück  bietet  sich  in  der  Widal’schen  Agglutination  ein  Verfahren,  [welches 
nicht  weniger  exakt  als  die  Okularinspektion  des  Darms  eine  präzise  Diagnose 
zuläßt,  und  mit  dieser  Reaktion  fand  sich  zum  allgemeinen  Erstaunen  die  alte 
Wahrheit  neuentdeckt,  daß  es  Typhen  ohne  Darmgeschwüre  gibt. 

Auch  Sacquepee  und  Chevrel  haben  2  solcher  Fälle  zu  sehen  be¬ 
kommen  und  machen  diese  Beobachtungen  zum  Ausgang  längerer  Delibera- 
tionen,  warum  es  da  nicht  zu  Ulzerationen  gekommen  sei.  Natürlich  suchen 
sie  die  Ursache  entweder  in  irgend  einem  ungewöhnlichen  Verhalten  des 
sog.  Typhusbazillus  oder  des  Patienten;  am  wahrscheinlichsten  kommt  ihnen 
eine  plötzliche  septische  Überschwemmung  des  ganzen  Organismus  vor,  wo¬ 
bei  gar  keine  Gelegenheit  zu  lokalen  Nekrosen  u.  drgl.  bleibe.  Aber  auch  so 
ist  ihnen  die  Sache  noch  „assez  mysterieuse  dans  sa  pathogenie  et  son 
etiologieV 

In  Wahrheit  ist  die  Erscheinung  aber  meines  Erachtens  keineswegs  unbe¬ 
greiflich;  man  darf  nur  eben  nicht  die  Darmläsionen  in  den  Vordergrund  rücken 
und  als  das  Wesentliche  betrachten.  Verlegt  man  den  Sitz,  die  sedes  morbi,  ins 
Lymphdrüsensystem,  wie  ich  das  z.  B.  in  Band  I  der  Zeitschrift  für  Tuber¬ 
kulose  getan  habe,  —  auch  Sacquepee  und  Chevrel  betonen  ausdrücklich, 
daß  in  ihren  Fällen  die  Mesenterialdrüsen  typisch  typhös  erkrankt  gewesen 
seien  — ,  dann  stellen  sich  die  Schwellungen  der  Lymphapparate  des  Darmes 
als  Teilerscheinungen  des  Gesamtprozesses  dar,  und  es  hängt  nur  von  den 
lokalen  Verhältnissen  ab,  z.  ,  B.  von  der  Darmflora  oder  der  chemischen 
Beschaffenheit  des  Darminhaltes,  ob  und  in  welchem  Umfange  die  markig 
geschwollenen  Gewebe  nekrotischen  Prozessen  anheimfallen.  An  den  Pocken¬ 
pusteln  sehen  wir  ganz  den  gleichen  Vorgang  sich  abspielen:  dort,  wo  es  ge¬ 
lingt,  sekundäre  Infektionen  der  Bläschen  zu  verhüten,  heilen  diese  glatt  ab 
ohne  sekundäre  Temperaturerhöhungen  und  ohne  Narben.  Vielleicht  entfällt 
überhaupt  nur  ein  Teil  der  Typhussymptome  auf  den  sog.  Typhuserreger, 

.  der  andere  Teil  aber,  und  gerade  die  heute  für  Typhus  für  charakteristisch 
gehaltenen  Lokalerscheinungen,  auf  Mikrobien,  die  nachträglich  eingewandert 
sind.  Durch  Verhinderung  der  Sekundärinfektionen  ließe  sich  dann  der  Ver¬ 
lauf  der  Gesamtkrankheit  wesentlich  beeinflussen ;  allein  die  Darmoberfläche 
ist  erheblich  schwerer  zu  schützen  als  etwa  die  äußere  Haut  mit  Hilfe  des 
roten  Lichtes.  Buttersack  (Berlin). 


Milzbrand  und  seine  Behandlung. 

(Barlach,  Neumünster.  Med.  Klinik,  Nr.  44,  1908.) 

Bei  der  in  Neumünster  ausgebreiteten  Lederindustrie  ist  dort  der  Milz¬ 
brand  eine  nicht  allzu  seltene  Erkrankung.  Die  Erfahrungen  Barlach’s 
erstreckten  sich  über  42  Fälle,  die  sich  auf  drei  Beobachtungsperioden  ver¬ 
teilen.  Periode  I,  rein  expektative  Behandlung,  10  Fälle  mit  3  Todesfällen; 
Periode  II,  chirurgische  Behandlung,  9  Fälle,  kein  Todesfall,  längere  Behand¬ 
lungsdauer;  Periode  III,  gemischte  Behandlungsweise,  23  Fälle,  kein  Todes¬ 
fall,  kurze  Behandlungszeit,  keinerlei  nachteilige  Folgen,  wie  Narben  und 
dergleichen.  Es  ergibt  sich,  daß  weder  die  rein  expektative  noch  die  chirur¬ 
gische  Behandlung,  sondern  die  Kombination  beider  das  Richtige  ist.  — 
Die  von  Barlach  geübte  Behandlungsmethode  stellt  sich  folgendermaßen  dar: 

1.  In  jedem  Falle  unbedingte  Bettruhe;  wichtig  wegen  der  durch  Körper unruhe 
entschieden  vergrößerten  Gefahr  der  Übertragung  der  Infektion  in  die  Blutbahn. 

2.  In  leichten  Fällen  Bedeckung  der  Pustel  und  Umgebung  mit  Umschlägen 
von  essigsaurer  Tonerde  oder  ähnlichem.  3.  In  schweren  Fällen  Spaltung 
und  Umkreisung  der  Pustel,  wobei  die  Umschläge  fortgesetzt  werden.  Jod¬ 
einspritzungen.  Schwere  Fälle  dokumentieren  sich  vor  allem  durch  den  lokalen 
Befund ;  Aufsitzen  der  Pustel  auf  bretthartem  Untergründe  und  stärkeres 
Ödem  der  Umgebung  und  Milzbranderysipel,  Anschwellung  der  regionären 
Drüsen.  In  diesen  Fällen,  auch  bei  gutem  Allgemeinbefinden  des  Kranken, 


Referate  und  Besprechungen. 


1033 


Spaltung  der  Pustel  mit  kleinem,  aber  sehr  scharfem  Messer.  Die  Umkreisung 
der  Pustel  wird  mit  spitzem  Thermokauter  in  der  Weise  ausgeführt,  daß  rund 
um  die  Pustel  herum  tiefe  Punktionen  gemacht  werden,  ein  Loch  neben  dem 
anderen,  so  daß  eine  Rinne  entsteht.  —  Sehr  wirksam  sind  dann  noch  Jod¬ 
injektionen,  die  vermittels  einer  mit  feiner  Kanüle  armierten  und  stramm 
schließenden  Kolben  versehenen  Pravazspritze  gemacht  werden  und  wobei  je¬ 
weils  ein  bis  zwei  Tropfen  reiner  Jodtinktur  (im  ganzen  1/2 — 1  Spritze 
höchstens)  an  der  Grenze  zwischen  dem  Erysipel  und  der  gesunden  Haut  in 
Abständen  von  5 — 10  cm  eingespritzt  werden.  Bei  ausgedehntem  Erj^sipel 
außerdem  noch  Injektionen  der  gleichen  Art  in  die  vom  Erysipel  ergriffene 
Haut.  —  Die  Jodinjektionen,  die  in  schweren  Fällen  in  einigen  Tagen  wieder¬ 
holt  werden  können,  werden  in  ihrer  Wirkung,  die  sie  oft  schon  am  Abend 
nach  der  morgens  gemachten  Applikation,  jedenfalls  am  nächsten  Morgen, 
durch  auffallendes  Zurückgehen  des  Ödems  und  Verschwinden  des  Erysipels 
zeigt,  von  Barlach  sehr  gerühmt,  wenn  er  auch  die  Wirkung  nicht  erklären 
kann.  4.  Inzisionen  sind  nur  bei  sehr  großer  Spannung  des  Ödems  erforder¬ 
lich.  —  Mit  den  durch  diese  Behandlungsmethode  erzielten  Erfolgen  in  der 
Therapie  des  Milzbrandes  ist  Bar  lach  in  jeder  Beziehung  außerordentlich 
zufrieden  gewesen.  —  Im  Anschluß  an  den  Aufsatz  von  Bar  lach  wird 
in  Nr.  47  desselben  Jahrganges  der  gleichen  Zeitschrift  von  Dr.  Ungar  in 
Vaslui  (Rumänien)  ein  Verfahren  zur  Behandlung  des  Milzbrandes  empfohlen, 
das  dem  Autor  auch  in  schweren  Fällen,  wie  er  schreibt,  nie  versagt  hat. 
Das  Verfahren  besteht  darin,  daß  die  Pustel  mit  Watte  bedeckt  wird,  die 
mit  einer  Mischung  von  Thymol  1,0:100  Olivenöl  getränkt  ist;  diese  Watte 
wird  täglich  zweimal  gewechselt;  die  pdematöse  Umgebung  wird  mit  Um¬ 
schlägen  von  3°/0igem  Liquor,  alum.  acet.  bedeckt.  R.  Stüve  (Osnabrück). 


Chirurgie. 

Sur  le  syndrome  de  Mikulicz  ä  l’etat  physiologique. 

(M.  H.  Frenkel.  Arch.  med.  de  Toulouse,  Nr.  4,  1909.) 

Der  Mikulicz’sche  Symptomenkomplex  besteht  in  einer  harten,  nicht 
entzündlichen  Schwellung  des  ganzen  Speicheldrüsensystems  mit  oder  ohne 
Beteiligung  der  Tränendrüsen,  bilateral,  chronisch,  ohne  Schmerzen,  Fieber, 
funktionelle  Störungen  oder  entzündliche  Erscheinungen,  bei  gutem  Allgemein- 
zustand,  regelrechtem  Blut-  und  Lymphbefund.  Verf.  hat  nun  im  Verlaufe 
eines  Jahres  diesen  Symptomenkomplex  bei  15  Personen  festgestellt,  die  sonst 
ganz  gesund  waren  oder  jedenfalls  keine  Krankheit  der  blutbildenden  oder 
Drüsenorgane  aufwiesen.  Aus  seinen  Beobachtungen  zieht  er  folgende  Schlüsse : 
Neben  dem  pathologischen  Mikulicz’ sehen  Symptomenbild  gibt  es  ein  physio¬ 
logisches,  das  sich  ausschließlich  auf  die  Speicheldrüsen  beider  Seiten  er¬ 
streckt,  die  sich  hart  geschwollen,  aber  schmerzlos  und  ohne  Funktionsstörung 
präsentieren.  Die  Vergrößerung  kann  auf  beiden  Seiten  in  geringem  Grade 
verschieden  sein ;  die  Submaxillardrüsen  sind  dabei  gewöhnlich  noch  etwas 
nach  unten  und  innen  hin  verlagert.  Die  histologische  Untersuchung  ergibt 
absolut  regelrechte  Acini  und  Zellen.  Die  Häufigkeit  des  Vorkommens  dürfte 
etwa  1%  betragen;  Männer  sind  häufiger  befallen  wie  Frauen;  Alter:  nur 
Erwachsene.  Erblichkeit  kann  möglicherweise  in  Frage  kommen. 

v.  Schnizer  (Danzig). 


Zur  Bakteriologie  der  akuten  und  chronischen  Appendizitis  mit  besonderer 
Berücksichtigung  des  peritonealen  Exsudats. 

(E.  Franke,  Rostock.  Deutsche  Zeitschr.  für  Chir.,  Bd.  96,  H.  4 — 6.) 

Zu  der  noch  lebhaft  umstrittenen  Frage  der  Bedeutung  der  bei 
der  Appendizitis  beobachteten  Mikroben  bringt  die  Arbeit  des  Verf.  einen 
weiteren  Beitrag.  Verf.  kommt  zu  dem  Schluß,  daß  den  einzelnen  Er¬ 
regern  kein  differentes  Symptomenbild  entspricht;  auch  in  therapeutischer 


1034 


Referate  und  Besprechungen. 


Beziehung  ist  die  Art  der  Erreger  im  allgemeinen  ohne  Belang.  Der  wich¬ 
tigste  Erreger  ist  das  nur  selten  vermißte  Bact.  coli ;  neben  diesem! 
kommen  der  Streptococcus  pyogenes,  Diploeoccus  lanceolatus  und  Staphyl. 
pyog.  aureus  vor.  Die  Anwesenheit  dieser  Erreger  neben  dem  Bact.  coli 
verschlechtert  die  Prognose.  Daraus  ergibt  sich  die  im  allgemeinen  schlechte 
Voraussage  bei  der  akuten  Appendizitis  junger  Menschen  bis  zum  30.  Lebens¬ 
jahre,  bei  denen  Streptokokken  und  Diplokokken  vorzugsweise  beobachtet 
werden.  Als  besonders  bemerkenswert  verdient  aber  hervorgehoben  zu  wer¬ 
den,  daß  das  seröse  Bauchhöhlen-Exsudat  im  Frühstadium  in  der  großen 
Mehrzahl  der  Fälle  steril  ist.  P.  Kayser  (Köln). 


Appersdicitis  yangränosa  und  Frülioperation. 

(Theodor  Kocher.  Korrespondenzbl.  für  Schweizer  Arzte  Nr.  13,  1908.) 

Bei  den  früheren  pathologisch-anatomischen  Untersuchungen  des  ver¬ 
änderten  Wurmfortsatzes  ist  nicht  genügend  Wert  auf  die  klinischen  Symptome 
gelegt  worden;  nur  so  konnte  es  kommen,  daß  chronische  Veränderungen,  wie 
sie  namentlich  Bibbert  in  seinen  Obliterationen  des  Appendix  als  physiologisch 
beschrieb,  viel  zu  oft  als  etwas  primäres  gedeutet  wurden,  während  sie  in 
Wirklichkeit  lediglich  Eolgezustände  überstandener  akuter  Erkrankungen 
waren. 

Es  ist  charakteristisch  für  die  akute  Wurmfortsatzentzündung,  daß  sich 
gleich  beim  ersten  Anfall  sehr  wichtige  Störungen  in  der  Blutversorgung 
einstellen-  es  handelt  sich  nicht  nur  um  Hämorrhagien  in  der  Wand,  sondern 
auch  in  der  Schleimhaut  des  Appendix,  und  zwar  zeigen  die  Zirkulations¬ 
störungen  mit  ihren  mehr  oder  weniger  begrenzten  Blutaustritten  eine  eigen¬ 
tümliche  zirkuläre  Anordnung.  Kocher  betont,  daß  durch  diese  Blutaustritte 
sehr  gern  schon  bei  dem  ersten  akuten  Anfall  Nekrose  und  Gangrän  eintritt, 
die  oft,  durch  vorsichtige  interne  Behandlung  vorläufig  und  oberflächlich  zur 
Ausheilung  gebracht,  entweder  kurz  nachher  durch  einen  neuen  Schub  (Per¬ 
foration)  zur  Abszeßbildung  oder  Peritonitis  führt  oder  durch  ihre  Folge¬ 
zustände  (Verwachsungen,  Knickungen,  Stenosen)  zu  immerwährenden  Rezi¬ 
diven  Veranlassung  gibt.  Darum  möglichst  frühzeitige  operative  Entfernung 
des  Organs.  (Die  Erklärung  der  Präparate  wird  durch  die  beigegebenen, 
sehr  intruktiven  farbigen  Zeichnungen  anschaulich  erläutert.)  Lemmen. 


Beitrag  zur  Frage  des  Zustandekommens  der  Torsion  von  Appendices 

epiploicae, 

(H.  Zoeppwitz,  Kiel.  Deutsche  Zeitschr.  für  Chir.,  Bd.  98,  H.  2  u.  3,  1909.) 

Ein  20 j.  Arbeiter,  welcher  bereits  seit  einem  Jahr  an  zeitweise  auf- 
tretenden  Schmerzen  im  Leib  litt,  ging  mit  heftigen  Schmerzen  in  der  Ober¬ 
bauchgegend  und  einer  Temperatursteigung  von  38,2°  der  Klinik  zu.  Die 
Untersuchung  ergab  ein  eingefallenes  Abdomen  und  eine  zwei  Querfinger  ober¬ 
halb  der  Mitte  der  Verbindungslinie  zischen  Sp.  il.  ant.  und  Nabel  be¬ 
ginnende,  bis  zum  Rippenbogen  reichende  druckempfindliche  Stelle.  Dia¬ 
gnose:  Perityphlitis.  Bei  der  Laparotomie  zeigte  sich  ein  mit  einem  Netzzipfel 
verbackener  blauroter,  pflaumengroßer  Tumor,  der  sich  als  eine  um  180°  ge¬ 
drehte  Appendix  epipl.  des  Colon  transversum  erwies.  Ligatur  des  Stiels. 
Heilung. 

Das  geschilderte  Symptomenbild  ist  für  die  Stieldrehung  einer  Append. 
epipl.  charakteristisch.  Bei  dem  Patienten  hatte  mit  Wahrscheinlichkeit 
die  Verwachsung  des  Netzzipfels  den  ersten  Anlaß  zur  Drehung  gegeben; 
für  die  Weiterentwicklung  der  Torsion  kommen  aber  vor  allem  die  Wachs¬ 
tumsvorgänge  des  gedrehten  Organs  in  Betracht.  Nur  bei  akuter  Drehung 
kommen  schwere  klinische  Erscheinungen  zustande,  welche  bekanntlich  häufig 
genug  in  Fällen,  bei  denen  freie  Körper  der  Bauchhöhle,  d.  h.  eben  allmählich 
abgedrehte  Append.  epipl.  beobachtet  wurden,  fehlen.  E.  Kayser  (Köln). 


Referate  und  Besprechungen. 


1035 


Experimentelle  Untersuchungen  über  Verhütung  von  peritonealen  Adhäsionen. 

(M.  Busch  u.  E.  Bibergeil.  Archiv  für  klin.  Chir.,  Bd.  87,  H.  1.) 

53  Laparotomien  an  35  Hunden. 

Ivontrollversuche :  hei  einfachen  Laparotomien  ohne  Eröffnung  des  In¬ 
testinal  traktus  und  aseptischen  Operationen  an  der  Leber  ließen  sich  keine 
postoperativen  Verwachsungen  nachweisen ;  nach  Mageii-Darmoperationen  waren 
stets  Adhäsionen  im  Bereiche  der  Darm-  resp.  Magennaht,  zum  Teil  mit  Netz- 
verldebungen  vorhanden;  der  Nahtverschluß  gelang  stets. 

Versuchung  zur  Verhütung  der  Adhäsionsbildung : 

1.  Reizlose  Fette,  in  Mengen  von  30 — 50  ccm,  sterilisiert  und  bei  Körper¬ 
wärmetemperatur  einfach  in  die  Bauchhöhle  eingegossen :  Olivenöl  ruft  zu 
starke  Reizung  hervor,  Lanolin  schädigt  die  normale  Verklebungsfähigkeit  der 
Peritonealblätter  (Nahtinsuffizienz!);  Paraffin,  liqu.  wird  nicht  genügend 
resorbiert,  die  mehr  oder  weniger  großen  Paraffinpartikel  führen  durch  die 
ausgedehnte  Fremdkörperreizung  zu  einer  chronischen  Peritonitis. 

2.  Schleimige  Substanzen:  Gummi  arabicum  und  Lösung  von  isländischem 
Moos  reizten  nicht,  wurden  aber  zu  schnell  resorbiert.  (Die  Mittel,  welche  die 
Verwachsungen  verhindern  sollen,  müssen  sich  mindestens  4 — 6  Tage  in  der 
Bauchhöhle  halten  können,  weil  dann  erst  die  Gefahr  der  Adhäsionsbildung 
vorüber  ist.)  Agar  und  Gelatine  führten  zu  einer  trockenen  Peritonitis 
und  einem  eigentümlichen  Kontraktionszustand  der  Därme. 

"  Fibrolysin  wurde  zu  schnell  resorbiert;  das  die  Peristaltik  anregende 
Physostigmin  konnte  neben  der  drohenden  Gefahr  der  Nahtinsuffizienz  stär¬ 
kere  Verwachsungen  nicht  verhindern. 

Für  die  Praxis  sind  demnach  die  Versuche  negativ  ausgefallen ;  hier 
muß  vor  allen  Dingen  jede  Infektion  hintenangehalten  werden,  da  sie  be¬ 
kanntlich  die  meisten  und  schwersten  Verwachsungen  herbeiführt;  weiter 
empfehlen  die  V erf.,  den  Bauchinhalt  nur  mit  feuchten,  in  Kochsalzlösung  ge¬ 
kochten  Kompressen  anzufassen,  die  weniger  als  die  trockene  Gaze  die  Serosa 
reizen.  Lemmen. 


Darmstenose  durch  submuköse  Hämatome  bei  Hämophilie. 

(A.  von  Khautz,  Wien.  Archiv  für  klin.  Chir.,  Bd.  87,  H.  3.) 

Der  mitgeteilte  Fall  ist  in  mehrfacher  Beziehung  interessant.  Ein 
24  Jahre  alter  Waggonschieber  erkrankte  drei  Tage  vor  der  Aufnahme 
in  das  Krankenhaus  mit  Schmerzen  im  Unterleib,  heftigem  Singultus,  Er¬ 
brechen.  Stuhl  und  Winde  angehalten.  Bei  der  Untersuchung  zeigte  sich 
links  unterhalb  des  Nabels  ein  wurstförmiger,  mäßig  derber,  verschieblicher, 
sehr  schmerzhafter  Tumor  mit  längsverlaufender  Achse.  Es  wurde  eine  In- 
tussuszeption  vermutet  und  trotzdem  Patient  Bluter  war,  zur  Operation 
geschritten.  Nach  Eröffnung  des  Abdomens  entleerte  sich  reichlich  dunkel- 
rote,  blutige  Flüssigkeit.  Es  wölbte  sich  sofort  eine  15  cm  lange  Ileum- 
schlinge  vor,  die  schwarzrot  verfärbt,  derb  und  in  ihrer  Wand  mit  ge¬ 
ronnenem  Blut  gefüllt  war.  Oberhalb  derselben  waren  die  Schlingen  ge¬ 
bläht.  Auch  an  andern  Stellen  fanden  sich  multiple  Blutungen  in  die 
Darmwand.  Es  handelte  sich*  also  um  durch  Hämophilie  bedingte  submu¬ 
köse  Hämatome  des  Ileums,  welche  das  Darmlumen  fast  bis  zur  Undurch¬ 
gängigkeit  verstopft  hatten.  Bei  der  Sektion  zeigten  sich  auch  andere  Sym¬ 
ptome  der  Hämophilie.  Der  Fall  ist  auch  in  unfallrechtlicher  Beziehung' 
von  Interesse.  Ein  Unfall,  der  drei  Wochen  vor  der  Erkrankung  den  Patienten 
betroffen,  konnte  mit  dem  jetzigen  Leiden,  da  die  Blutung  frisch  war, 
nicht  in  Beziehung  stehen.  Wohl  ist  aber  anzunehmen,  daß  ein  kleiner 
Stoß  vor  den  Bauch,  welchem  er  in  seinem  Berufe  als  Waggonschieber 
wohl  ausgesetzt  war  und  welchem  er  keine  Bedeutung  beilegte,  bei  seiner 
hämophilen  Konstitution  genügte,  um  die  erwähnten  Folgen  auszulösen. 

H.  Stettiner  (Berlin). 


1036 


Bücherschau. 


Bücherschau. 

Jahrbuch  der  praktischen  Medizin.  Kritischer  Jahresbericht  für  die  Fort¬ 
bildung  der  praktischen  Aerzte.  Jahrgang  1909.  Herausgegeben  von 
Prof.  Dr.  J.  Schwalbe.  Verlag  von  Ferdinand  Enke  in  Stuttgart. 
669  Seiten.  Mit  58  Abbildungen.  15,40  Mk. 

Mit  gewohnter  Pünktlichkeit  hat  sich  das  Sch walbe’sche  Jahrbuch  wiederum 
eingestellt.  Das  Werk  ist  so  bekannt  und  allgemein  so  beliebt,  daß  sich  empfehlende 
Worte  eigentlich  erübrigen.  Es  genügt  zu  betonen,  daß  sich  der  Band  dieses 
Jahres  in  jeder  Weise  würdig  seinen  Vorgängern  anschließt.  Einige  Änderungen 
in  der  Zusammensetzung  des  Herausgeberkollegiums  sind  zu  verzeichnen.  An 
Stelle  des  leider  allzu  früh  verstorbenen  Hoffa  ist  Prof.  Vulpius  (Heidelberg) 
getreten.  Ferner  hat  Prof.  H.  Vi er or dt  (Tübingen)  infolge  Arbeitsüberlastung  sein 
seit  mehreren  Jahren  bearbeitetes  Referat  „ Akute  allgemeine  Infektionskrankheiten 
und  Zoonosen“  abgegeben,  dessen  Bearbeitung  Prof.  Schittenhelm  übernommen 
hat.  Endlich  hat  Geheimrat  Fürbringer  dieses  Mal  sein  Referat  „Krankheiten 
der  Harnorgane“  in  Gemeinschaft  mit  Dr.  Citron  erstattet. 

Eine  Anzahl  instruktiver  Illustrationen,  die  auch  in  diesem  Jahre  dem  Werke 
wieder  beigegeben  sind,  erhöhen  noch  seinen  praktischen  Wert.  R. 


Arbeit  und  Geisteskrankheiten.  Von  A.  Marie  u.  Martial.  (Travail 

et  Folie,  Bibliotheque  de  Psychologie  experimentale  et  de  Metapsychie.) 

Paris,  Blond  et  Cie..  1909.  106  S.  3  fr. 

Entgegen  den  Bestrebungen,  welche  womöglich  für  jede  Krankheit  eine 
bestimmte  Ursache  festnageln  wollen,  vertreten  die  beiden  Autoren  den  Standpunkt, 
daß  das  Erkranken  meist  die  Folge  verschiedener  Faktoren  sei,  ein  Gedanke,  den 
schon  Friedrich  Hoff  mann  in  seinen  Fundamenta  pathologiae  generalis  (Halae, 
Magdeburg,  1746,  S.  77)  mit  aller  wünschenswerten  Schärfe  zum  Ausdruck  gebracht 
hatte:  „ln  generandis  morbis  non  una,  sed  plures  concurrunt  causae.“ 

Daß  jedenfalls  weder  die  Syphilis,  noch  der  Alkohol,  noch  sonst  ein  Agens 
das  allein  ausschlaggebende  Moment  sei,  zeigen  Marie  u.  Martial  daran,  daß  die 
begüterten  Leute  besser  mit  dem  Leben  fertig  werden,  d.  h.  seltener  erkranken,  als 
die  Armen,  die  immer  im  Kampf  ums  Brot  stehen. 

Von  Krankheiten,  die  die  Arbeiterwelt  besonders  heimsuchen,  werden  auf¬ 
geführt:  Debilität,  Manie,  Melancholie,  Erschöpfungspsychosen,  Parasyphilis,  Delirium 
tremens.  Aber  es  muß  eine  offene  Frage  bleiben,  ob  die  Arbeit  diese  Krankheiten 
hervorgerufen  hat,  oder  ob  nicht  eine  schon  von  Haus  aus  bestehende  Minderwertigkeit 
die  Individuen  gezwungen  hat,  einen  der  Berufe  zu  ergreifen,  die  an  die  Intelligenz 
keine  allzu  großen  Anforderungen  stellen  und  die  man  gemeinhin  unter  dem 
Sammelnamen  der  „Arbeiter“  zusammenfaßt. 

Das  Buch  wäre  epochemachend,  wenn  es  sich  auf  eine  große  und  sorgfältige 
Statistik  stützen  könnte.  Über  deren  viele  Lücken  helfen  sich  die  Autoren  mit 
gutem  Humor  hinweg,  aber  mehr  als  einen  Torso  konnten  sie  darum  doch 
nicht  liefern.  Buttersack  (Berlin). 


Die  Röntgenuntersuchung  der  Brustorgane  und  ihre  Ergebnisse  für  Physio¬ 
logie  und  Pathologie.  Von  Hans  Arnsperger.  Leipzig,  Verlag  von 

F.  C.  W.  Vogel,  1909. 

A.  gibt  im  ersten  Teile  seines  Werkes  (S.  1—88)  nach  einer  kurzen  tech¬ 
nischen  Vorbemerkung  und  einer  Schilderung  des  normalen  Thoraxbildes  bei  den 
verschiedenen  Durchleuchtungsrichtungen  eine  Beschreibung  der  einzelnen  normalen 
Organe,  während  er  im  zweiten  Teile  (S.  89 — 252)  die  einzelnen  pathologischen 
Röntgenbefunde  zur  Darstellung  bringt.  Das  Werk  faßt  in  klarer,  knapper  Form 
alles  für  die  radiologische  Untersuchung  der  Brustorgane  Wissenswerte  zusammen, 
und  bildet  durch  gleichzeitige  Berücksichtigung  der  Anatomie,  Physiologie,  sowie 
der  klinischen  Untersuchungsmethoden'  ein  wertvolles  Unterstützungsmittel  für  die 
allgemeine  Diagnostik  der  Brustorgane. 

Eine  Sammlung  von  zum  Teil  recht  gut  gelungenen  und  reproduzierten  Auf¬ 
nahmen  ist  ihm  beigegeben.  Hahn. 


Krankenpflege  und  ärztliche  Technik. 


1037 


Geschichtlicher  Rückblick  über  die  Entwicklung  der  Röntgenstrahlen. 

Jahrbuch  über  Leistungen  und  Fortschritte  auf  dem  Gebiete  der  physi¬ 
kalischen  Medizin.  Von  L.  Freund,  Wien.  1.  Jahrgang. 

F.  schildert  in  seinem  interessanten  Artikel,  in  welch  verhältnismäßig 
kurzer  Zeit  die  Röntgentherapie  aus  den  bescheidensten  Anfängen  zu  einem  mäch¬ 
tigen  Zweig  der  Heilkunde  herangewachsen  ist.  Hahn. 


Die  therapeutischen  Leistungen  des  Jahres  1908.  Von  Dr.  A.  Pollatschek 
u.  Dr.  H.  Nador.  Wiesbaden,  Verlag  von  J.  F.  Bergmann.  20.  Jahrg. 

354  S.  9,60  Mk. 

Bei  der  Durchsicht  des  vorliegenden  Buches  bekommt  man  den  Eindruck, 
daß  die  Verfasser  es  verstanden  haben  ihren  Lesern  über  die  wirklich  wichtigen 
therapeutischen  Arbeiten  des  verflossenen  Jahres  mit  kritischer  Würdigung  des 
Gebotenenen  ein  übersichtliches  Bild  zu  geben.  Gerade  auf  dem  Gebiete  der 
Therapie  ist  solche  Sichtung  notwendig  und  der  Praktiker  wird  sich  mit  Vorteil 
der  vorliegenden  Sammlung  bedienen,  um  sein  therapeutisches  Rüstzeug  zu  ergänzen 
und  sich  in  dem  Labyrinth  der  neuesten  Heilmittel  und  Heilmethoden  zurecht¬ 
zufinden.  R. 


E.  F.  W.  Pflüger  als  Naturforscher.  Von  Nußbaum.  Bonn,  Martin 

Hager,  1909.  40  S.  1  Mk. 

Überragende  Persönlichkeiten  sind  schwierig  zu  analysieren;  wer  einen  solchen 
Versuch  unternimmt,  erliegt  allzuleicht  der  Gefahr,  einen  überreichen  Inhalt  in 
den  engen  Rahmen  des  eigenen  Geistes  zu  pressen.  Deshalb  hat  Nuß  bäum  den 
anderen  Weg  gewählt,  Pflüger  sich  selbst  darstellen  zu  lassen,  und  er  tat  das  auf 
die  Weise,  daß  er  ein  Verzeichnis  der  zahlreichen  Schriften  des  großen  Physiologen 
mit  den  wichtigsten  Zitaten  versah.  Die  Zusammenstellung  ist  sehr  verdienstlich; 
denn  sie  tut  dar,  von  welcher  Bedeutung  Pflüger  für  die  physiologische  und 
kulturelle  Entwicklung  gewesen  ist.  Es  ist  nur  zu  wünschen,  daß  viele  die  Fäden 
seines  Denkens  aufnehmen  und  in  derselben  großzügigen  Weise  weiterspinnen. 

Buttersack  (Berlin). 


Krankenpflege  und  ärztliche  Technik. 

Elektrometer  für  radioaktive  Messungen.*) 

Nach  H.  W.  Schmidt. 

Der  Untersuchungsapparat  TJ  (vgl.  Fig.  1)  besteht  aus  zwei  Teilen : 
dem  eigentlichen  Elektrometer  E  und  dem  Zerstreuungsgefäß  Z.  Der  Mantel 
ni  des  Zerstreuungsgefäßes  Z  ist  ein  Messingzylinder,  der  unter  Zwischen¬ 
schaltung  .eines  Lederringes  luftdicht  auf  die  obere  Wand  i  des  Elektro¬ 
metergehäuses  aufgeschraubt  w|erden  kann.  Die  innere  Elektrode  ist  ein 
dünner  Draht  Je,  der  mit  seinem  unteren  Ende  in  einen  Messingstift  e  hinein¬ 
paßt.  Dieser  Stift  ragt  durch  den  isolierenden  Bernstein  b  hindurch  von 
oben  in  das  Innere  des  Elektrometergehäuses  hinein  und  stellt  die  Verbin¬ 
dung  zwischen  der  inneren  Elektrode  Je  und  dem  Aluminiumblättchen  a  her. 
a  ist  an  dem  Blättchenträger  s'  angeklebt;  der  Blättchenträger  selbst  wird 
an  den  durch  den  Bernstein  b  hindurchgehenden  Metallstift  e  angeschraubt. 
Das  Blättchen  kann  beim  Transport  des  Instrumentes  durch  eine  verschieb¬ 
bare  Backe  geschützt  werden.  Die  Ablesung  der  Blättchenstellung  wird 
durch  einen  am  Blättchen  befestigten  Quarzfaden  erleichtert  und  geschieht 
mit  Hilfe  eines  Ablesemikroskops  durch  zwei  sich  gegenüberstehende  Glas¬ 
fenster  /  hindurch,  welche  in  die  Vorder-  und  Rückwand  des  metallenen, 
Elektrometergehäuses  eingekittet  sind.  Beobachtet  wird  der  Schnittpunkt 
des  Quarzfadens  (bezw.  dessen  einer  Kante)  mit  einer  durch  die  Okular¬ 
skala  laufenden  horizontalen  Linie.  Der  Faden  soll  am  Anfang  (O)  und 
Ende  (10)  der  Skala  scharf  im  Gesichtsfeld  erscheinen.  Ist  das  nicht  der 


*)  Hergestellt  von  der  Firma  Spindler  &  Hoyer  in  Göttingen. 


1038 


Krankenpflege  und  ärztliche  Technik. 


Fig.  1. 

Fall,  so  muß  das  Mikroskop  verstellt  oder  der  Blättchenträger  s  etwas  ge¬ 
dreht  werden  (nach  Abschrauben  des  rückseitigen  Gehäusedeckels). 

Ablesemikroskop  M  (vgl.  Fig.  2)  und 
Untersuchungsgefäß  sind  fest  miteinander 
verbunden  und  auf  einem  Dreifuß  D  mon¬ 
tiert.  Die  Justierung  des  Instrumentes 
geschieht  mit  Hilfe  einer  auf  dem  Deckel 
des  Zerstreuungsgefäßes  Z  aufgeschraub¬ 
ten  Libelle  L  und  durch  die  Stellschrauben 
am  Dreifuß. 

Die  Ladung  der  inneren  Elektrode 
wird  mit  einem  durch  die  Rückwand  des 
Elektrometergehäuses  isoliert  hindurch¬ 
gehenden,  geeignet  gebogenen  Messing¬ 
draht  l  ausgeführt.  Beim  Laden  liegt  der 
Draht  am  Streifen  a,  beim  Gebrauch  am 
Gehäuse  an.  Das  Laden  geschieht  am 
einfachsten  in  der  Weise,  daß  man  in  das 
Mikroskop  hineinsieht,  mit  der  linken 
Hand  den  Ladehebel  umlegt,  mit  der 
rechten  Hand  dem  Metalldraht  eine  ge¬ 
riebene  Siegellack-  oder  Hartgummistange 
nähert  und  den  Ladehebel  dann  zurück¬ 
dreht,  wenn  das  Blättchen  am  Anfang 
der  Skala  (0)  oder  noch  etwas  weiter  links 
(im  Gesichtsfelde)  steht.  Bei  einiger  Übung 
ist  es  nicht  schwer,  das  Elektrometer  genau, 
bis  zu  der  gewünschtenSpannung  aufzuladen. 


Fig.  2. 


Krankenpflege  und  ärztliche  Technik. 


1039 


Für  viele  Zwecke  genügt  es,  wenn  die  Skala  des  Okularmikrometers 
in  relativem  Maße  geeicht  ist.  Man  bestimmt  zu  diesem  Zwecke  die  Ge¬ 
schwindigkeit  des  Blättchenwanderns  an  verschiedenen  Stellen  der  Skala, 
wenn  sich  ein  Radiumpräparat  in  der  Nähe  des  Apparates  befindet.  Die 
Zeit  zum  Durchwandern  eines  bestiminten  Teiles  der  Skala  ist  dann  ein 
Maß  für  die  Spannungsdifferenz  zwischen  den  betreffenden  Teilstrichen.  — 
Um  die  Skala  in  Volt  zu  eichen,  ist  noch  die  Kenntnis  der  Blättchenstellung 
bei  zwei  bekannten  an  die  innere  Elektrode  gelegten  Spannungen  nötig.1) 


Auch  bei  Abwesenheit  radioaktiver  Substanzen  wird  das  Instrument 
stets  einen  Ladungsverlust  anzeigen.  —  Dieser  Ladungsverlust,  die  soge¬ 
nannte  „natürliche  Zerstreuung“,  ist  bei  allen  Messungen  in  Abzug  zu  bringen. 

Der  Apparat  wird  in  2  Ausführungen  hergestellt. 

1.  „Standapparat“,  zu  Messungen  im  Laboratorium,  auf  schwerem  Drei¬ 
fuß  montiert,  mit  großem,  gut  schließendem  Zerstreuungsgefäß. 

2.  „Reiseapparat“,  zu  Messungen  im  Freien  (Bestimmung  der  Radio¬ 
aktivität  von  Quellen),  mit  kleinerem  Zerstreuungsgefäß  und  leichtem  Drei¬ 
fuß  aus  Aluminium  zum  Befestigen  auf  hölzernem  Stativ  eingerichtet 
(vgl.  Fig.  2). 

Der  Apparat  kann  benutzt  werden  zu : 

.  1.  Emanationsmessungen. 

Zur  Feststellung  der  Emanation  von  Quellwasser  kann  folgende  Methode 
dienen.2)  Die  zu  untersuchende  Wassermenge  w  wird  vorsichtig  in  die  Flasche 
F  gefüllt  und  mit  der  Luftmenge  l  nach  Abschluß  der  Flasche  ca,  l1/2  Minu¬ 
ten  lang  geschüttelt,  so  daß  der  größte  Teil  der  Emanation  in  die  Luft 
entweicht.  Dann  wird  die  mit  Emanation  angereicherte  Luft  nach  Öffnung 
der  beiden  an  F  befindlichen  Hähne  h±  und  ii2  durch  ein  Zirkulationsgummi¬ 
gebläse  G  mit  der  im  Zerstreuungsgefäß  Z  befindlichen  Luft  vermischt, 
die  Hähne  am  Elektrometer  geschlossen  und  aus  der  zeitlichen  Ladungs¬ 
abnahme  des  geladenen  Systems  die  Emanationsmenge  bestimmt. 

Da  die  zeitliche  Ladungsabnahme  (Zerstreuung)  nach  Einführen  der 
Emanation  erst  infolge  Bildung  des  aktiven  Niederschlags  ziemlich  stark 
zu,  später  infolge  Abklingens  der  Emanation  langsam  abnimmt,  so  macht 
man  praktischerweise  die  Ablesungen  3 — 5  Stunden  nach  Einführung  der 
Emanation.  Die  während  dieser  Zeit  gemessene  Zerstreuung  ist  annähernd 
konstant  und  kann  am  besten  zur  Feststellung  des  Emanationsgehaltes  die¬ 
nen.  —  Hat  man  bei  dieser  Versuchsanordnung  im  Elektrometer  die  Zer¬ 
streuung  V  (nach  Abzug  der  vorher  ermittelten  natürlichen  Zerstreuung) 
festgestellt,  so  würde  die  ganze  in  1000  ccm  Wasser  enthaltene  Emanation, 
die  Zerstreuung  bewirken : 

1000  ri+y+4  L  m -1  v=  a  v  Volt/Sec 

wo  w  die  Wassermenge  (in  Kubikzentimetern)  Q,  l2,  h  die  Luftmenge  (eben¬ 
falls  in  Kubikzentimetern  gemessen)  in  der  Schüttelflasche,  den  Gebläse¬ 
teilen  und  dem  Zerstreuungsgefäß  bedeutet  und  a  ein  Maß  für  die  im  Wasser 
zurückgebliebene  Emjanation  ist  (bei  Zimmertemperatur  =  ca.  0,25).  Zu 
Vergleichsmessungen  berechnet  man  den  elektrischen  Strom,  der  von  der  in 
1  Liter  Wasser  enthaltenen  .Emanation  mit  ihren  Zerfallsprodukten 
im  Elektrometer  unterhalten  wird: 


i 


G  aV 
300 


E.  S.  E. 


wo  C  die  Kapazität  des  Elektrometers  bedeutet  und  V  in  „Volt  pro  Sekunde“ 
ausgedrückt  sein  muß,  wenn  der  Strom  i  in  elektrostatischen  Einheiten  (E. 


x)  Vgl.  H.  W.  Schmidt,  Über  Eichung  und. Gebrauch  von  Blattelektrometern 
Physikal.  Zeitschr.,  7,  157,  1906. 

2)  Vgl.  H.  W.  Schmidt,  Über  eine  einfache  Methode  zur  Messung  des 
Emanationsgehaltes  von  Flüssigkeiten.  Physikal.  Zeitschr.,  6,  561,  1905. 


1040 


Krankenpflege  und  ärztliche  Technik. 


E.  S.)  gemessen  wird1) ;  oder  man  gibt  die  Radiummenge  an,  die  im  Zustand 
des  radioaktiven  Gleichgewichts  eine  der  gemessenen  gleiche  Emanations¬ 
menge  enthält.  Zu  diesem  Zwecke  macht  man  denselben  Versuch  mit  Wasser 
von  bekanntem  Radiumgehalt  (etwa  im  ganzen  ca.  3  X  10-9  g  Ra.).2) 

Will  man  den  Emanationsapparat  auf  Reisen  direkt  an  den  Quellen 
benutzen,  so  empfiehlt  sich,  um  Zeitverluste  zu  vermeiden,  die  von  der 
„Emanation  allein“  bewirkte  Zerstreuung  aus  dem  anfänglichen  Anstieg 
der  Zerstreuung  zu  berechnen.3)  Diese  ist  ungefähr  halb  so  groß  als  die 
Zerstreuung,  die  von  der  „Emanation  und  ihren  ZerLajllsprodükften“ 
unter  denselben  Verhältnissen  bewirkt  wird. 

Genauere  Resultate  als  mit  der  Schüttelmethode  erhält  man,  wenn 
man  die  Emanation  durch  Kochen  aus  der  Flüssigkeit  austreibt,  sie  unter 
Wasser  auffängt  und  dann  mit  Luft  zusammen  in  das  vorher  mit  einer 
Wasserstrahlpumpe  leergepumpte  Elektrometer  einführt.4)  Auf  diese  Weise 
lassen  sich  äußerst  kleine  Radiummengen  (bis  zu  10  - 11  g)  verhältnismäßig 
genau  bestimmen  und  z.  B.  in  gewöhnlichen  Gesteinen  nachweisen,  wenn 
man  diese  in  Lösung  gebracht  hat.5) 

Nach  Beendigung  eines  Versuches  muß  man  durch  Abschrauben  des 
Zerstreuungsgefäßes  vom  Elektrometer  oder  durch  mehrmaliges  Auspumpen 
desselben  mit  der  Luftpumpe  die  Emanation  sorgfältig  entfernen.  Infolge 
des  auf  den  Gefäßwänden  zurückbleibenden  aktiven  Niederschlags  wird  die 
im  Elektrometer  gemessene  Zerstreuung  anfänglich  viel  größer  sein,  als  die 
natürliche  Zerstreuung,  jedoch  in  ca.  3  Stunden  auf  den  normalen  Wert 
herabgehen. 

2.  Aufnahme  von  Abklingungskurven. 

Hierbei  wird  beim  Standapparat  ein  kleineres,  oben  offenes  Zerstreu¬ 
ungsgefäß  und  eine  kürzere,  innere  Elektrode  benutzt. 

Der  aktivierte  Körper,  z.  B.  Aluminiumfolie,  wird  entweder  direkt 
auf  das  Zerstreuungsgefäß  gelegt,  oder  an  der  Unterseite  eines  Bleches  be¬ 
festigt.  In  atmosphärischer  Luft  aktivierte  Drähte  werden  auf  einen  Rahmen 
aufgewickelt,  der  in  das  Zerstreuungsgefäß  eingesetzt  werden  kann. 

Pulverförmige  Körper  untersucht  man  in  einer'  kleinen  Blechschale, 
die  auf  den  Boden  des  Zerstreuungsgefäßes  paßt. 

3.  Vergleich  der  Strahlungsintensität  fester  Körper. 

Man  bringt  die  zu  vergleichenden  Körper  unter  denselben  Bedingungen 
in  das  Zerstreuungsgefäß  hinein  oder  in  dessen  Nähe,  Schirmt  man  die 
weicheren  Strahlen  durch  Bleiplatten  von  ca.  3  mm  Dicke  ab,  so  ist  es  mög¬ 
lich,  aus  der  Intensität  der  j-Strahlung  direkt  den  Radiumgehalt  des  einen 
Präparates  zu  bestimmen,  wenn  der  Radiumgehalt  des  anderen  Präparates 
bekannt  ist. 

Auch  für  viele  andere  radioaktive  Messungen  ist  der  Apparat  mit 
Vorteil  zu  verwenden. 

1)  Multipliziert  man  den  im  elektrostatistischen  Maßsystem  (E.  S.  E.)  gemessenen 
Strom  i  mit  1000,  so  kommt  man  zu  den  sogenannten  „Macheeinheiten“,  die  bei 
Radioaktivitätsangaben  von  Quellen  vielfach  benutzt  werden. 

'2)  Da  der  elektrische  Strom  abhängig  ist  von  den  Gefäßdimensionen,  hat  die 
Angabe  von  „Emanationseinheiten“  die  meiste  Berechtigung.  Dabei  versteht  man 
unter  Emanationseinheit  nach  dem  Vorgänge  französischer  Forscher  die  Emanations¬ 
menge,  die  von  1  mg  metallischem  Radium  in  1  Sekunde  entwickelt  wird,  also  die 
Menge,  die  mit  1/470000  =  2,13  X  10-°  mg  metallischen  Radiums  im  radioaktiven 
Gleichgewicht  stellt, 

3)  Über  diese  Berechnungen  vgl.  die  unter  4)  S.  1039  zitierte  Arbeit,  außerdem 
H.  W.  Schmidt  u.  K.  Kurz,  Ueber  die  Radioaktivität  von  Quellen  im  Großherzog¬ 
tum  Hessen  und  Nachbargebieten.  Physikal.  Zeitschr.,  7,  209,  1906. 

4)  Vgl.  Rutlierf  ord-Levin,  Radioaktive  Umwandlungen,  Braunschweig  1907, 
S.  152.  —  Ein  Referat  über  Emanationsmessungen  erschien  von  H.  W.  Schmidt, 
Baineolog.  Zeitung,  Februar  und  März  1909. 

5)  Vgl.  R.  J.  Strutt,  On  the  distribution  of  radiurn  in  the  earth’s  crust, 
and  the  earth’s  internal  heat.  Proc.  Roy.  Soc.  (A)  77,  472  u.  78,  150,  166. 

Schriftleitung:  Dr.  Rigler  in  Leipzig. 

Druck  von  Emil  Herrmann  senior  in  Leipzig. 


27.  Jahrgang. 


1909. 


Tomcbrim  der  Medizin. 

Unter  Mitwirkung  hervorragender  Fachmänner 

herausgegeben  von 

Professor  Dr.  0.  Köster  Prio.-Doz.  Dr.  o.  griegern 

in  Leipzig.  in  Leipzig. 

Schriftleitung:  Dr.  Rigler  in  Leipzig. 


Nr.  28. 


Erscheint  am  10.,  20.,  30.  jeden  Monats.  Preis  halbjährlich 
6  Mark,  inkl.  Zeitschrift  für  Yersicherungsmedizin  8  Mark. 

- Verlag  von  Georg  Thieme,  Leipzig.  .  . 


10.  Oktober. 


Originalarbeiten  und  Sammelberichte. 


Fortschritte  der  Medizin  in  den  letzten  Dezennien. 

Von  Dr.  Lipowski, 

dirig.  Arzt  der  inneren  Abteilung  der  städtischen  Diakonissenanstalt  in  Bromberg. 
(Vortrag  gehalten  im  Fortbildungskurs  des  Aerztevereins  des  Reg.-Bez.  Bromberg.) 

Die  neue  Zeit  wurde  eingeleitet  durch  die  Entdeckung  Jenners, 
daß  Menschen,  welche  sich  mit  Kuhpocken  infiziert  hatten,  weniger 
zur  Infektion  mit  Menschenpocken  neigten,  oder  wenn  sie  infiziert 
wurden,  die  Infektion  viel  leichter  überstanden.  Diese  ungemein  wich¬ 
tige  Entdeckung  blieb  jahrzehntelang  ohne  weitere  Bedeutung  für  die 
Medizin.  Erst  P  ast  eur  nahm  die  Forschung  auf  wissenschaftlicher 
Grundlage  wieder  auf.  Seine  Untersuchungen  über  Lyssa  sind  bis 
auf  den  heutigen  Tag  von  maßgebender  Bedeutung  geblieben.  Der 
Vater  der  modernen  bakteriologischen  Forschung  ist  Robert  Koch, 
dem  wir  die  wichtigsten  Ergebnisse  auf  diesem  Gebiete  verdanken. 
Neben  ihm  verdienen  in  erster  Linie  Behring  und  Ehrlich  genannt 
zu  werden. 

Die  moderne  Physiologie  ist  durch  Johannes  Müller  begründet 
worden,  dessen  Einfluß  die  gesamte  physiologische  Forschung  des 
vorigen  Jahrhunderts  beherrschte.  Von  epochaler  Bedeutung  wurde 
die  Entdeckung  der  Zelle  durch  Schleiden  und  Schwann.  Der  un¬ 
geheure  Einfluß  dieser  Entdeckung  zeigte  sich  besonders  in  der  patho¬ 
logisch  anatomischen  Forschung,  die  ihren  größten  Meister  in  Rudolf 
Virchow  fand. 

Um  die  Mitte  des  vorigen  Jahrhunderts  begründete  Justus  von 
Liebig  die  organische  Chemie,  welcher  wir  die  moderne  Arzneimittel¬ 
lehre  verdanken. 

Ende  der  siebziger  Jahre  entdeckte  Lister  die  Bedeutung  der 
antiseptischen  Wundbehandlung,  der  dann  die  aseptische  folgte.  In 
den  neunziger  Jahren  entdeckte  Röntgen  die  nach  ihm  benannten 
Strahlen,  welche  einen  ungeahnten  Einfluß  auf  die  medizinische  Dia¬ 
gnostik  und  Therapie  gewonnen  haben. 

Als  Begründer  der  Lichttherapie  hat  sich  Einsen  ein  unvergäng¬ 
liches  Verdienst  erworben.  Wenn  auch  nach  ihm  auf  diesem  Gebiete 
andere  Entdeckungen  gemacht  worden  sind,  so  hat  sich  die  Einsen’sche 
Behandlung  als  die  beste  bewährt. 

Als  letzter  Forscher,  der  eigene  Wege- geht,  verdient  Bier  ge- 

66 


1042 


Lipowski, 


nannt  zu  werden.  Ihm  verdanken  wir  die  Lumbalanästhesie  und  die 
Anwendung  der  Hyperämie  als  Heilmittel. 

Wenn  wir  in  großen  Zügen  die  Geschichte  der  Medizin  über¬ 
blicken,  so  sehen  wir,  daß  der  Sedes  morbi  im  Laufe  der  Jahrhunderte 
immer  mehr  eingeengt  worden  ist.  Zur  Zeit  der  Humoralpathologie 
wurden  die  Krankheiten  durch  falsche  Mischung  der  Säfte  erklärt. 
Wenn  Blut,  Schleim,  gelbe  und  schwarze  Galle  in  unrichtigem  Ver¬ 
hältnis  oder  unzweckmäßiger  Temperatur  sich  mischten,  dann  entstanden 
nach  damaliger  Vorstellung  die  verschiedenen  Krankheiten. 

Nachdem  durch  Vesalius  die  menschliche  Anatomie  gefördert 
worden  war,  unterschied  man  die  Krankheiten  des  Kopfes,  der  Brust, 
des  Leibes  usw.  Durch  Laenneck’s  pathologisch  anatomische  For¬ 
schungen  wurde  der  Krankheitssitz  mehr  eingeengt.  Man  unterschied 
die  Krankheiten  nach  den  affizierten  Organen  und  sprach  von  Er¬ 
krankungen  des  Herzens,  der  Niere,  der  Leber  usw.  Durch  Köllicker’s 
bahnbrechende  histologische  Untersuchungen  sah  man  sich  veranlaßt, 
als  letzten  Krankheitssitz  die  Gewebe  zu  betrachten,  die  dann  durch 
die  Zelle  abgelöst  wurden.  Virchow’s  unsterbliches  Verdienst  wird 
es  bleiben,  in  der  Zelle  dasjenige  Substrat  erkannt  zu  haben,  in  welchem 
sich  alle  krankhaften  Veränderungen  nach  weisen  lassen.  Neuerdings 
genügt  auch  dieses  mikroskopische  Gebilde  nicht  als  letzte  Einheit, 
als  welche  man  das  Eiweißmolekül  betrachtet. 

Das  Eiweißmolekül  ist  ein  sehr  kompliziert  zusammengesetzter 
mosaikartig  konstruierter  Bau,  in  dem  bisher  nach  der  Angabe  einiger 
Autoren  125  Kerne  nachgewiesen  sind.  Wenn  man  bedenkt,  daß  die 
einzelnen  Kerne  stereoskopisch  in  mannigfachster  Art  zusammengesetzt 
sein  können,  dann  kann  man  sich  eine  ungefähre  Vorstellung  von  der 
fast  unentwirrbaren  Komposition  machen. 

Die  Eiweißnatur  eines  Körpers  folgern  wir  nach  unseren  heutigen 
Vorstellungen  aus  gewissen  chemischen  und  physikalischen  Eigen¬ 
schaften.  Alle  nativen  Eiweißkörper  enthalten  ein  N-Atom,  koagu¬ 
lieren  in  der  Hitze,  lassen  sich  aus  ihren  Lösungen  durch  Salze  ausr 
fällen,  gehen  in  ungelöstem  Zustande  schwer  durch  tierische  Membranen 
hindurch  und  drehen  infolge  der  asymmetrischen  Anordnung  ihrer 
C-Atome  die  Polarisationsebene  nach  links. 

Den  Eiweißstoffen  sind  gewisse  chemische  Reaktionen  gemein¬ 
sam,  die  zu  ihrer  Nachweisung  dienen.  Wenn  man  zu  einer  Eiwei߬ 
lösung  ein  Alkali  und  Kupfersulfat  hinzusetzt,  dann  entsteht  eine 
Violettfärbung,  die  sogen.  Biuretreaktion.  Eine  zweite  wichtige  Eiwei߬ 
reaktion  ist  die  Millon’sche,  die  darin  besteht,  daß  eine  Eiweißlösung, 
der  man  salpetersaures  Quecksilber  mit  einem  Zusatz  von  salpetriger 
Säure  hinzusetzt,  sich  rot  färbt. 

Man  unterscheidet  einfache  und  zusammengesetzte  Eiweißkörper. 
Zu  ersteren  gehören  die  Albumine,  Globuline,  und  die  gerinnbaren 
Eiweißkörper;  zu  letzteren  die  Mucine,  die  einen  präformierten  Kohle¬ 
hydratkern  besitzen,  die  Homoglobine  mit  einem  eisenhaltigen  Kern, 
die  Nukleine  mit  einem  phosphorhaltigem  Kern  und  die  Proteide, 

Da  die  gewöhnlichen  Eiweißstoffe  unlöslich  sind  und  corpora 
non  agunt  nisi  fluida,  so  müssen  zunächst  die  unlöslichen  Eiweißkörper 
in  lösliche  übergeführt  werden.  Dies  geschieht  mit  Hülfe  der  Fermente, 
von  denen  wir  das  Ferment  des  Magens,  das  Pepsin,  die  Fermente  des 
Pankreas,  das  Trypsin  und  Pankreasptyalin  und  die  Fermente  des 
Darmsaftes :  das  Erepsin,  Steapsin,  Maltase  und  Galaktase,  kennen. 


Fortschritte  der  Medizin  in  den  letzten  Dezennien. 


1043 


Mit  Hilfe  dieser  Fermente  werden  die  unlöslichen  Eiweißstoffe  in  lös¬ 
liche  Albumosen  und  Peptone  übergeführt. 

Nun  müßte  man  annehmen,  daß  diese  Produkte  im  Blute  nachzu¬ 
weisen  sind.  Das  ist  aber  nicht  der  Fall.  Die  Albumosen  und  Peptone 
zerfallen  vielmehr  in  zahlreiche  Trümmer,  und  aus  diesen  Trümmern 
setzen  sich  dann  die  im  Blute  und  Urin  nachweisbaren  Eiweißstoffe 
zusammen.  Nur  wenn  im  Körper  ein  sehr  starker  Zerfall  von  Organ¬ 
eiweiß  stattfindet,  so  z.  B.  im  Lösungszustand  der  Pneumonie,  bei 
Abszedierung,  in  kachektischen  Zuständen  des  Karzinoms,  bei  Tuber¬ 
kulose,  dann  findet  man  Albumosen  im  Blute  und  Urin. 

An  das  Eiweißmolekül  knüpfen  sich  auch  unsere  modernen  Vor¬ 
stellungen  über  Immunität  und  Serumtherapie.  Bevor  wir  zu  der 
EhiTich’schen  Theorie  übergehen,  wollen  wir  in  kurzen  Zügen  die 
Entwickelung  der  Immunitätslehre  verfolgen.  Wie  in  der  kurzen  histo¬ 
rischen  Übersicht  erwähnt  wurde,  war  Pasteur  der  erste,  welcher 
die  Jenner’sche  Beobachtung  wissenschaftlich  verwertete.  Er  machte 
die  Beobachtung,  daß  das  Virus  durch  die  Überimpfung  von  Tier  zu 
Tier  in  seiner  Virulenz  zu  verändern  ist.  Wenn  man  z.  B.  das  Virus 
der  Lyssa  von  Kaninchen  zu  Kaninchen  über  impft,  dann  nimmt  die 
Virulenz  stetig  zu,  derart,  daß  Kaninchen  schließlich  nach  sechs  Tagen 
tödlich  erkranken,  während  in  der  Regel  die  Erkrankung  erst  nach 
mehreren  Wochen  erfolgt.  Andererseits  wird  die  Virulenz  durch  Über¬ 
impfung  von  Affe  zu  Affe  herabgesetzt. 

Therapeutisch  wird  diese  Erfahrung  in  der  Weise  benutzt,  daß 
das  im  Zerebrospinalkanal  enthaltene  Virus  durch  Trocknung,  Pulve¬ 
risierung  und  Emulsionierung  des  Rückenmarkes  gewonnen  wird.  Zu¬ 
nächst  wird  ein  14  Tage  lang  getrocknetes  Präparat  benutzt,  dann  ein 
13  tägig  es  usf.  Im  großen  und  ganzen  wird  dasselbe  Verfahren  noch 
heute  geübt. 

Im  Prinzip  dasselbe  Verfahren  benutzte  Koch  bei  seiner  so  er¬ 
folgreichen  Schutzimpfung  gegen  die  Rinderpest,  Koch  machte  näm¬ 
lich  die  Beobachtung,  daß  in  der  Galle  der  pestkranken  Rinder  das 
Virus  sich  in  abgeschwächter  Form  vorfand.  Er  benutzte  daher  die 
Galle  zur  Immunisierung  mit  solchem  Erfolge,  daß  jährlich  durch  die 
von  Koch  inaugurierte  Schutzimpfung  ca.  40  Millionen  im  englischen 
Afrika  gespart  werden. 

Eine  neue  Etaj^pe  in  dieser  Frage  wurde  durch  die  Entdeckung 
Ferran’s  erreicht,  der  nachwies,  daß  es  auch  durch  subkutane  Ein¬ 
verleibung  von  Cholerabazillen  gelingt,  Menschen  gegen  diese  Krank¬ 
heit  zu  immunisieren,  obwohl  die  Cholerabazillen  sich  im  Unterhaut¬ 
bindegewebe  nicht  vermehren.  Es  mußte  also  die  konstatierte  Immu¬ 
nität  durch  Stoffe  erreicht  sein,  welche  aus  den  Bakterienleibern  her¬ 
rühren.  Denselben  Weg  beschritt  Koch,  der  versuchte,  durch  Ein¬ 
verleibung  von  Tuberkelbazillen  in  das  Unterhautbindegewebe  von 
Meerschweinchen  diese  gegen  Tuberkulose  zu  immunisieren.  Koch 
mußte  aber  die  Beobachtung  machen,  daß  die  Tuberkelbazillen  am 
Orte  der  Injektion  Nekrose  erzeugen.  Er  versuchte  daher  an  Stelle 
der  Bazillen  deren  Extrakte  zu  injizieren.  Tuberkelbazillen  wurden 
sechs  Wochen  lang  in  einer  Bouillon  gezüchtet,  welcher  1%  Pepton 
und  5°/0  Glyzerin  hinzugesetzt  war.  Die  Kultur  wurde  dann  einer 
Temperatur  von  110°  unterworfen,  filtriert  und  auf  Vio  c^es  Volumens 
eingedampft.  Diese  Flüssigkeit  ist  das  so  berühmt  gewordene  Tuber¬ 
kulin  (alt).  Es  ist  bekannt,  welche  unendlichen  Hoffnungen  an  dieses 

66* 


1044 


Lipowski, 


therapeutische  Präparat  geknüpft  wurden  und  wie  wenig  von  diesen 
Erwartungen  erfüllt  wurde.  Koch  selbst  war  mit  seinem  Präparat 
nicht  zufrieden.  Er  glaubte,  daß  im  Tuberkulin  nicht  alle  Bestand¬ 
teile  der  Bazillen  enthalten  waren,  weil  deren  Eetthülle  der  Extrak¬ 
tion  aller  Stoffe  Widerstand  entgegensetzte.  Er  tat  daher  der  extra¬ 
hierenden  Flüssigkeit  1/10  Normalnatronlauge  hinzu,  welche  die  Eett¬ 
hülle  zerstören  sollte.  Dieses  Präparat  ist  unter  dem  Namen  Tuber¬ 
kulin  a  (alkalisch)  bekannt  geworden.  Auch  dieses  Produkt  hat  nicht 
die  Erwartungen  Koch’s  erfüllt.  Bei  einem  neuen  Verfahren  wurden 
die  Bazillen  getrocknet,  zermahlen  und  zu  einer  Emulsion  aufge¬ 
schwemmt.  Diese  wurde  dann  der  Zentrifugenwirkung  unterworfen. 
Der  Rückstand,  welcher  die  Bestandteile  der  Bazillenleiber  enthielt, 
wurde  T.  R.  (Rückstand)  genannt.  Die  obere  klare  Flüssigkeit  wurde 
T.  o.  (oben)  benannt.  Endlich  hat  Koch  noch  eine  fünfte  Tuberkulin¬ 
flüssigkeit  (Bazillenemulsion)  hergestellt,  eine  Kombination  von  T.  R. 
mit  Alttuberkulin.  Wenn  auch,  wie  erwähnt,  sich  die  überschweng¬ 
lichen  Hoffnungen  nicht  erfüllt  haben,  so  begegnen  wir  in  der  Literatur 
immer  zahlreicheren  Mitteilungen,  welche  von  günstigen  Heilwirkungen 
des  einen  oder  andern  Präparates  berichten. 

Nach  derselben  Methode  fand  Karl  Eränkel,  daß  mit  dem  Pro¬ 
dukt  von  Diphtheriebazillen  eine  Immunität  gegen  Diphtherie  zu  er¬ 
zielen  ist.  Dieser  Weg  ist  jedoch  praktisch  nicht  zu  benutzen,  weil 
die  Methode  zu  umständlich  und  zu  gefährlich  ist. 

Auf  eigenartige  Weise  ist  Behring  zu  seiner  epochalen  Ent¬ 
deckung  gekommen.  Er  suchte  eine  Erklärung  für  die  Beobachtung, 
daß  weiße  Mäuse  gegen  Milzbrand  immun  sind.  Auf  der  Suche  nach 
immunisierenden  Stoffen  machte  er  die  Erfahrung,  daß,  wenn  er  Meer¬ 
schweinchen  Diphtheriebazillen  und  an  dieselbe  Stelle  Jodtrichlorid 
injizierte,  diese  Tiere  eine  zweite  sonst  tödliche  Infektion  überstehen. 
Es  mußten  sich  also  im  Blute  dieser  Tiere  Stoffe  gebildet  haben, 
welche  die  Giftstoffe  der  Diphtheriebazillen  neutralisieren,  cl.  h.  anti¬ 
toxisch  wirken.  So  kam  Behring  zu  der  Vorstellung  der  Antitoxin¬ 
wirkung. 

Es  zeigte  sich  bald,  daß  eine  einmalige  Erkrankung  eines  Tieres 
nicht  genügende  Mengen  von  Antitoxin  lieferte.  Vielmehr  mußte  durch 
immer  wiederholte  Infizierung  die  Toxinbildung  gesteigert  werden. 
Um  möglichst  viel  antitoxinhaltiges  Serum  zu  gewinnen,  benutzte  man 
große  Tiere,  von  denen  sich  schließlich  Pferde  als  die  geeignetsten 
erwiesen.  Zur  genauen  Bestimmung  der  anzuwendenden  Antitoxin¬ 
menge  mußte  eine  Einheit  bestimmt  werden.  Nach  Ehrlich’s  Vor¬ 
schlag  wird  als  Antitoxineinheit  diejenige  Antitoxinmenge  angesehen, 
welche  die  100 fache  für  ein  Meerschweinchen  von  250  ^g  tödliche  Toxin¬ 
dosis  neutralisiert.  In  Anwendung  kommt  Serum  von  400  bis  1000 
Immunitätseinheiten  in  1  ccm  Serum.  Je  früher  die  Erkrankung  zur 
Behandlung  kommt,  je  kleiner  das  Kind  und  je  leichter  die  Erkrankung 
ist,  um  so  geringer  ist  die  anzu wendende  Antitoxindosis. 

Leider  hat  die  bei  der  Diphtheriebehandlung  sich  als  so  erfolgreich 
erwiesene  Antitoxinbehandlung  bei  anderen  Krankheiten  versagt  außer 
der  Tetanuserkrankung.  Wenn  bei  dieser  die  Antitoxinbehandlung  in 
den  ersten  24  Stunden  einsetzt,  dann  bietet  sie  nach  den  bisherigen 
Erfahrungen  die  bei  weitem  günstigsten  Heilungschancen.  Jm  Ver¬ 
trieb  befindet  sich  das  nach  Behring’s  Verfahren  von  den  Höchster 
Farbwerken  hergestellte  Serum  und  das  nach  Tizzoni  und  Cattani 


Fortschritte  der  Medizin  in  den  letzten  Dezennien. 


1045 


von  Merck  fabrizierte  Präparat.  Zu  Heilungszwecken  werden  100  Ein¬ 
heiten  injiziert  und  die  gleiche  Dosis  an  den  drei  nächsten  Tagen 
wiederholt,  während  zur  Prophylaxe  20  Einheiten  injiziert  werden. 

Besonders  interessant  wurde  die  Antitoxinfrage,  als  Ehrlich  den 
Nachweis  erbrächte,  daß  auch  durch  Gifte  im  Blute  Gegengifte  er¬ 
zeugt  werden.  Es  gelingt  durch  allmähliche  Giftsteigerung  das  viel¬ 
fache  der  tödlichen  Dosis  ohne  Schaden  zu  injizieren.  Es  erklärt  sich 
auf  diese  Weise  die  altbekannte  Immunität  der  Fakire  gegen 
Schlangengift. 

Bei  der  Antitoxinbehandlung  werden  nur  die  Toxine  neutralisiert, 
während  die  Bazillen  durch  das  Antitoxin  nicht  vernichtet  werden. 
Eine  einschneidende  Wendung  nahm  diese  Frage  durch  die  Entdeckung 
Pfeiffers,  daß  Cholerabazillen,  in  das  Blut  von  Tieren  injiziert, 
ein  Serum  erzeugen,  welches,  gleichzeitig  mit  Cholerabazillen  in  die 
Bauchhöhle  injiziert,  die  Bazillen  zur  Auflösung  bringt.  Diese  Ent¬ 
deckung  von  der  bakteriziden  Wirkung  des  vorbehandelten  Serums 
ist  vom  wissenschaftlichen  Standpunkt  der  antitoxischen  gleichwertig, 
wenn  auch  die  praktische  Ausnutzung  die  gehegten  Erwartungen  nicht 
erfüllt  hat.  In  der  Veterinärmedizin  hat  die  bakterizide  Eigenschaft 
des  Serums  zu  der  erfolgreichsten  Behandlung  des  Schweinerotlaufesl 
geführt.  Nach  der  Simultanmethode  wird  gleichzeitig  antitoxisches 
und  bakterizides  Serum  injiziert.  Im  Verlaufe  dieser  interessanten 
Untersuchungen  wurde  weiterhin  gefunden,  daß  es  nicht  nur  gelingt, 
Bazillen  im  Blute  zur  Auflösung  zu  bringen,  sondern  ebenso  auch  rote 
Blutkörperchen,  wenn  vorher  das  Blut  durch  Injektion  roter  Blut¬ 
körperchen  „vorbehandelt“  worden  ist.  Diese  Lehre  von  der  Hämolyse 
wurde  dann  dahin  erweitert,  daß  es  durch  entsprechende  Vorbehand¬ 
lung  auch  gelingt,  z.  B.  Flimmerzellen  zur  Auflösung  zu  bringen. 

Eine  weitere  Beobachtung  auf  diesem  Gebiete  ist  die  Aggluti¬ 
nation,  welche  darin  besteht,  daß  Bazillen  durch  Immunserum  in  ihrer 
Beweglichkeit  geschädigt,  sich  in  Haufen  zusammenballen,  aggluti- 
nieren.  Besonders  schön  sieht  man  dieses  interessante  Phänomen  in 
einem  hängenden  Tropfen  einer  Typhuskultur,  der  man  Serum  eines 
Typhuskranken  hinzufügt.  Sehr  bald  sieht  man  die  Bazillen  ihre 
Beweglichkeit  einbüßen  und  sich  zu  Haufen  zusammenballen.  Aus 
dem  Grad  der  zur  Auslösung  der  Erscheinung  erforderlichen  Ver¬ 
dünnung  werden  diagnostische  Schlüsse  gezogen. 

Eine  analoge  Erscheinung  verdanken  wir  der  Beobachtung  von 
Kraus,  welcher  die  Entdeckung  machte,  daß  vorbehandeltes  Serum 
in  filtrierter  Kulturflüssigkeit*  einen  Niederschlag  verursacht.  Diese 
Präzipitatbildung  erfolgt  auch,  wenn  entsprechendes  Serum  einer  fil¬ 
trierten  Eiweißlösung  hinzugesetzt  wird.  Diesem  Verhalten  verdankt 
die  gerichtliche  Medizin  eine  eminent  wichtige  Untersuchungsmethode. 
Wenn  man  eine  auch  ganz  alte  Spur  Menschenblut  in  physiologischer 
Kochsalzlösung  auflöst  und  dem  Filtrat  entsprechend  gewonnenes  Serum 
hinzusetzt,  dann  spricht  ein  sich  bildender  Niederschlag  mit  absoluter 
Sicherheit  für  Menschenblut, 

Genial  ist  die  Theorie  der  Antitoxinbildung,  welche  wir  wie  so 
viele  Kenntnisse  Ehrlich  verdanken. 

Im  Blute  aller  Menschen  finden  sich  bakterienfeindliche  Stoffe, 
welche  von  Buöhner  Alexine,  von  Metschnikoff  Cytase,  von  Ehrlich 
Komplement  genannt  werden.  Diese  Substanz  ist  leicht  zerstörbar, 
so  z.  B.  durch  Sonnenlicht  und  Temperaturen  von  55°.  Sie  allein  genügt 


1046 


Scharfe, 


aber  nicht  zur  Bindung  der  Toxine.  Dazu  ist  eine  zweite  Substanz 
erforderlich,  welche  spezifisch  durch  die  Immunisierung  entsteht  und 
von  Ehrlich  Zwischenkörper  genannt  wird.  Im  Gegensatz  zum  Kom¬ 
plement  ist  der  Zwischenkörper  gegen  Hitze  und  chemische  Agentien 
sehr  widerstandsfähig.  Komplement  und  Zwischenkörper  ermöglichen 
die  Bindung  und  Unschädlichmachung  des  Toxins. 

Nach  Ehrlich’s  stereochemischer  Vorstellung  des  Eiweißmoleküls 
besitzt  dieses  zahlreiche  und  verschiedenartige  sogenannte  Seitenketten, 
welche  mit  entsprechenden  anderen  Molekülen  Anklammerungen,  Ver¬ 
bindungen  eingehen.  Der  Zwischenkörper  besitzt  nun  im  Gegensatz 
zum  Komplement  solche  (haptophore)  Seitenketten,  mit  deren  Hilfe 
er  sich  an  die  Zelle  anlagert.  Andererseits  besitzt  er  eine  andere 
Gruppe,  welche  Anklammerung  mit  dem  Alexin  (komplementophile 
Gruppe)  ermöglicht.  So  bildet  der  Zwischenkörper  also  ein  Zwischen¬ 
glied  zwischen  Zelle  und  dem  Komplement.  Nach  Weigert’s  Vor¬ 
stellung  bedeutet  die  Anlagerung  der  Alexine  an  die  Zelle  einen  Beiz 
zur  Bildung  neuer  Seitenketten,  die,  überreichlich  produziert,  von  der 
Zelle  abgestoßen  werden  und  nun  im  Blute  als  schwimmende  Anti¬ 
körper  fungieren. 

Abgesehen  von  der  immunisierenden  Eigenschaft  des  Serums 
kommt  auch  manchen  körperlichen  Bestandteilen  des  Blutes  eine  anti- 
bakterielle  Eigenschaft  zu.  Metschnikoff  machte  die  Beobachtung, 
daß  die  Leukozyten  die  Fähigkeit  besitzen,  feste  Körper  in  sich  auf¬ 
zunehmen  und,  soweit  sie  der  Verdauung  zugänglich  sind,  sie  aufzu¬ 
lösen  und  zu  resorbieren.  Dieser  Phagozytose  fallen  auch  die  Bakterien 
zum  Opfer.  Man  kann  sich  also  nach  dieser  Beobachtung  die  Phago¬ 
zytose  als  Kampf  der  Leukozyten  gegen  die  Bakterien  vorstellen. 
Von  der  Zahl  und  Virulenz  der  Bakterien  wird  es  abhängen,  wer  im 
Kampf  obsiegt. 

Neuerdings  ist  noch  eine  andere  Einwirkung  der  Leukozyten  auf 
die  Bakterien  festgestellt  worden.  Man  fand  in  den  Leukozyten  ein 
Ferment,  welches  Eiweiß  und  auch  das  der  Bakterien  zur  Auflösung 
bringt.  Dieses  Ferment  kommt  ausschließlich  den  Leukozyten  zu, 
nicht  aber  den  Lymphozyten.  Es  erklärt  sich  auf  diese  Weise  die 
geringe  Heilungstendenz  der  kalten  Abszesse,  welche  nur  durch  Lympho¬ 
zyten  gebildet  werden.  Aus  dieser  Beobachtung  hat  man  therapeuti¬ 
schen  Nutzen  dadurch  zu  ziehen  gesucht,  daß  man  die  kalten  Abszesse 
durch  Einbringung  von  Leukozyten  in  warme  umzuwandeln  versucht, 
nach  vorliegenden  Berichten  nicht  ohne  Erfolg.  (Fortsetzung  folgt.) 


Beobachtungen  an  stillenden  Müttern. 

Von  Dr.  Scharfe,  Köthen  i.  Anh. 

(Vortrag,  gehalten  in  der  Vereinigung  mitteldeutscher  Gynäkologen  am  27.  6.  1909.) 

Als  das  zweckdienlichste  Verfahren  zur  Verminderung  der  Säug¬ 
lingssterblichkeit  gilt  die  Beförderung  des  Säugens  durch  die  Mütter ; 
und  um  in  dieser  Beziehung  die  Mütter  zu  beeinflussen,  hat  sich  das 
regelmäßige  Verteilen  von  Stillprämien  oder  Stillbeihilfen  bewährt. 
Seit  zwei  Jahren  w.erden  in  Köthen  auf  meine  Veranlassung  durch  den 
vaterl.  Frauenverein  Stillprämien,  wöchentlich  in  Höhe  von  3  Mark 
gezahlt  an  Frauen,  die  selbst  stillen,  wenn 

1.  das  Einkommen  des  Haushaltvorstandes  im  Jahre  1000  Mk. 
nicht  erreicht, 


Beobachtungen  an  stillenden  Müttern. 


1047 


2.  wenn  die  Mütter  sich  einer  regelmäßigen  häuslichen  Kontrolle 
durch  die  Vorstandsdamen, 

3.  wenn  sie  sich  einer  wöchentlichen  ärztlichen  Kontrolle  unter¬ 
werfen. 

Die  ärztliche  Kontrolle  wird  von  mir  ausgeübt.  Ich  möchte  Ihnen 
berichten  über  meine  Verlegenheiten  und  meine  Überlegungen,  über 
meine  Beobachtungen  bei  der  Kontrolle  und  meine  Schlußfolgerungen. 

Die  Kontrolle  hat  wesentlich  festzustellen,  ob  die  Forderungen 
des  Stillgeschäftes  erfüllt  wurden.  Da  war  ich  gleich  in  großer  Ver¬ 
legenheit,  denn  es  ist  kein  sicheres  Kriterium  dafür  bekannt,  ob  Frauen 
geeignet  sind  zum  Stillgeschäft,  ob  ihre  Milch  „gut“  ist  und  ob  sie 
genug  davon  haben.  In  der  Literatur,  die  ich  vor  Beginn  der  Unter¬ 
suchungen  studierte,  fand  ich  nur 

1.  lose  Angaben  über  Prognose  auf  Stillfähigkeit, 

2.  Methoden,  um  die  Milchmenge  zu  messen, 

3.  eine  größere  Anzahl  vorzüglicher  chemischer  Untersuchungen 
über  die  Zusammensetzung  der  Milch. 

Zunächst  die  Prognose  auf  Stillfähigkeit  soll  gut  sein,  bei  großer 
Zahl  von  Montgomery’ sehen  Drüsen,  bei  starkem  Achsellappen  der  Drüse, 
bei  Festigkeit  des  Drüsengewebes  und  bei  großer  Warze. 

V on  allen  diesen  Zeichen  hat  mir  keins  Stich  gehalten.  Die 
Zahl  der  Montgomery, sehen  Drüsen  bedeutet  nichts  ;  prall  gefüllte,  milch- 
absondernde  M. -Drüsen  fanden  sich  allerdings  nur  bei  Frauen,  die  viel 
Milch  hatten.  Die  anscheinende  Festigkeit  des  Drüsengewebes  ist  auf 
Nichtanlegen  des  Kindes  vor  der  Untersuchung  zurückzuführen ;  ein 
beliebtes  Manöver  der  Ammen.  Die  Warze  nimmt  an  Größe  in  der 
Stillzeit  zu ;  wirklich  sehr  große  Warzen  hatten  nur  Frauen,  die  schon 
mehrere  Kinder  gestillt  hatten.  Starke  Pigmentierung  des  Warzenhofes 
fand  ich  nur  bei  milchreichen  Müttern,  doch  haben  nicht  alle  milch¬ 
reichen  Mütter  starke  Pigmentation.  Die  dunkelhaarigen  Semitinnen 
z.  B.  sind  meist  gute  Ammen,  haben  aber  nur  wenig  Pigment. 

Die  Bestimmung  der  Milchmenge  geschieht  durch  Wiegen  der 
Kinder  vor  und  nach  der  Mahlzeit  oder  durch  Abmelken.  Beide  Methoden 
geben  unsichere  Resultate,  wenn  sie  selten  und  in  der  Ambulanz  aus¬ 
geführt  werden.  Die  größere  oder  geringere  Milchmenge,  die  eine  Brust 
hergibt,  hängt  meines  Erachtens  nicht  allein  van  dem  vorhandenen 
Milchvorrat  ab ;  sie  wird  stark  beeinflußt  von  der  Psyche  der  Mutter, 
ich  meine  von  ihrem  „guten  Willen“,  von  ihrer  Bereitwilligkeit,  dem 
Kinde  die  Brust  zu  geben,  sich  Milch  abnehmen  zu  lassen.  Einen 
strengen  Beweis  kann  ich  nicht  führen,  aber  nur  so  erklärt  sich  mir 
der  ständige  Milchmangel  bei  Müttern,  die  nur  mit  Mühe  überredet 
wurden,  ihr  Kind  an  die  Brust  zu  nehmen,  nur  so  das  ständige  Wund¬ 
sein  ihrer  Warzen.  Eine  weitere  Stütze  für  meine  Ansicht  finde  ich 
in  der  häufigsten  Form  der  Polygalaktie:  die  Mutter  erwacht  nachts 
vom  Schreien  des  Kindes,  erhebt  sich,  um  es  atnzulegen  und  verliert 
in  der  kurzen  Zeit  bis  dahin  so  viel  Milch,  daß  trotz  Brustvorlagen 
die  Nachtkleider  naß  werden  und  noch  Milch  auf  die  Erde  tropft. 

Unbestreitbar  ist,  daß  die  Bestimmung  der  Milchmenge  unsichere 
Resultate  gibt.  Unsichere  Resultate  sind  für  K ontrollunter suchungen  un¬ 
brauchbar.  Drum  habe  ich  auf  die  regelmäßige  Feststellung  der  Milch¬ 
menge  verzichtet.  Genügende  Milchmengen  nehme  ich  an,  wenn  das 
Kind  an  Gewicht  zunimmt  und  bei  den  Untersuchungen  die  Brust  voll 


1048 


Scharfe, 


ist;  natürlich  nur  dann,  wenn  ich  sicher  bin,  daß  regelmäßig  ange¬ 
legt  wurde. 

Ich  komme  zu  den  Untersuchungen  über  die  Qualität  der  Milch 
durch  Bestimmung  der  Trockensubstanz,  des  Fettes,  Eiweißes,  Zuckers 
und  der  Asche.  Ich  erwähne  besonders  die  ausführliche  Arbeit  von 
Baumm  und  Illner  von  1894  und  aus  den  letzten  Jahren  die  Be¬ 
stimmungen  von  Czerny  und  Keller.  Beide  weisen  nach,  daß  bei 
derselben  Frau  die  Verschiedenheit  der  Milch  an  beiden  Brüsten,  die 
Ungleichheit  zu  verschiedenen  Tageszeiten  oder  Wochentagen  größer 
ist  als  die  Differenz  der  Milch  verschiedener  Frauen.  Das  ist  ein 
eigentümliches  Resultat.  Wenn  das  wahr  ist,  muß  doch  die  Milch 
jeder  Frau  für  jeden  Säugling  passen.  Und  doch  haben  alle  Praktiker 
die  entgegengesetzte  Erfahrung  gemacht.  Ich  habe  noch  nirgends  von 
einem  Versuch  zur  Lösung  dieses  Rätsels  gelesen. 

Für  meine  Zwecke  war  jedenfalls  auch  diese  Untersuchungsmethode 
mit  ihren  wechselnden  Befunden  bei  jeder  einzelnen  Frau  unbrauchbar. 

So  blieb  mir  nur  noch  die  Möglichkeit,  durch  makroskopische  und 
mikroskopische  Beobachtung  der  Milch  zu  Resultaten  zu  kommen.  Die 
Quintessenz  des  hiervon  Bekannten  steht  in  folgenden  Sätzen  einer 
Enzyklopädie  :  ,J9ie  Frauenmilch  ist  eine  undurchsichtige,  weiße,  leicht 
bläuliche  Flüssigkeit  von  alkalischer  Reaktion  und  1030  spez.  Gewicht. 
Unterm  Mikroskop  stellt  sie  sich  dar  als  eine  klare  Flüssigkeit,  in 
der  eine  Unmenge  Fettröpfchen  von  1—1 1/2  y  Durchmesser  schwimmen. 
Je  gleichmäßiger  die  Emulsion  ist,  um  so  besser  erscheint  die  Milch. 

Außer  den  Fettkörnchen  finden  sich  in  ihr  große  Zellen  mit 
Fettröpfchen,  Kolostrumkörperchen  genannt  und  zeitige  Elemente,  die 
von  einem  als  Drüsenzellen,  von  andern  als  weiße  Blutkörperchen,  von 
dritten  als  dem  Produkt  der  Milchdrüsen  eigene  ,, Kugeln  und  Kappen“ 
angesprochen  werden.“ 

Mit  diesem  Wissensmaterial  ging  ich  an  die  Kontrollunt er suchungen. 
In  den  ersten  Wochen  schien  mir  nur  die  Veränderlichkeit  der  Bilder 
beständig  zu  sein.  Als  ich  aber  eines  Tags  ohne  bestimmten  Plan 
verlangte,  daß  alle  meine  Pflegebefohlenen  gleichmäßig  stets  nur  an 
einer  Brust  dreistündig  mit  einer  sechsstündigen  Pause  nachts  die  Kinder 
anlegen  sollten,  da  war  mit  einem  Schlage  die  Konstanz  in  den  Be¬ 
funden  da. 

Wenn  nun  die  Art  des  Stillens  den  maßgebenden  Einfluß  auf  die 
Milch  ausübt,  so  ist  es  klar,  daß  für  alle  Bestimmungen  nicht  eine 
Normalmilch,  sondern  die  Milch  bei  einem  bestimmten  Stilltypus  als 
Grundlage  genommen  werden  muß. 

Den  Normalbefund  bei  unserem  Stilltypus  beschreibe  ich  am  Gang 
einer  Kontrolluntersuchung. 

a)  Zuerst  wird  das  Kind  gewogen,  auf  Gesundheit,  Wundsein  und 
Reinlichkeit  untersucht.  Eine  Zunahme  von  weniger  als  100  g  wird 
moniert. 

b)  Dann  werden  die  beiden  Brüste  der  Mutter  betastet.  Die  Brust, 
an  der  das  Kind  zuletzt  trank,  ist  schlaffer  als  die  andere  und  fühlt 
sich  für  den  aufliegenden  Handrücken  wärmer  an. 

c)  Von  jeder  Brust  wird  ein  Tropfen  Milch  auf  trockenem  Objekt¬ 
träger  aufgefangen.  Der  Tropfen  aus  der  Brust,  an  der  das  Kind 
zuletzt  trank,  bildet  eine  stark  konvexe,  gleichmäßige  weiße  Halb¬ 
kugel.  Der  Tropfen  der  andern  Brust  ist  bläulicher  oder  streifig, 
weniger  konvex  und  hat  Neigung,  auseinanderzufließen. 


Beobachtungen  an  stillenden  Müttern. 


1049 


d;  Jeder  Tropfen  wird  mit  einem  Deckglas  bedeckt  und  mit 
SOfacher  Vergrößerung  betrachtet.  Der  Tropfen  der  ersten  Brust  zeigt 
ein  so  dichtes  Gewimmel  feiner,  gleichgroßer  Milchkügelchen,  daß  man 
vom  Milchplasma  fast  nichts  sieht.  Das  andere  Präparat  zeigt  im 
ganzen  oder  wenigstens  stellenweise  weit  spärlicher  gleichgroße  Milch¬ 
kügelchen,  so  daß  Milchplasma  deutlicher  sichtbar  wird. 

Die  Erklärung  für  den  verschiedenen  Befund  der  Milch  beider 
Brüste  liegt  in  der  Differenz  des  Fettgehaltes  zwischen  Anfangs-  und 
Endmilch  jeder  geruhten  Brustdrüse. 

Abweichungen  von  diesem  Typus  habe  ich  zunächst  immer  auf 
Nachlässigkeit  im  Stillen  geschoben  und  die  Wirkung  strengerer  Kon¬ 
trolle  gab  mir  meist  recht.  In  einigen  Fällen  war  aber  Ordnung  im 
Stillgeschäft  sicher  da,  es  mußte  also  noch  andere  Gründe  geben.  End¬ 
lich  gelang  es  mir,  die  abweichenden  Fälle  in  zwei  Gruppen  zu  ordnen 
und  zwei  —  sit  venia  verbo  —  Krankheitsbilder  aufzustellen. 

Traten  bei  einer  regelmäßig  stillenden  Frau  im  mikroskopischen 
Milchbilde  zwischen  den  feinen  Fettkügelchen  einzelne  gröbere  auf, 
so  fanden  sich  bei  späterer  Untersuchung  mehr,  dann  auch  zerfallende 
Kolostrumkörper,  noch  später  so  viele  frische,  daß  sie  das  Bild  be¬ 
herrschten.  Zugleich  nahm  die  Milchmenge  rapide  ab  und  beim  Kinde 
traten  Verdauungsstörungen  auf. 

Den  Grund  für  die  Erscheinung  fand  ich  darin,  daß  die  Mutter 
mehr  Milch  produzierte  als  das  Kind  trank.  Aus  der  positiven  Diffe¬ 
renz  zwischen  Milchproduktion  und  -Konsum  entstand  eine  Milch¬ 
stauung  in  der  Brust  mit  ihren  Folgeerscheinungen.  Diese  Form  tritt 
auf  bei  gesunden,  gut  genährten  Müttern  mit  frühgeborenen,  zarten 
oder  kranken  Kindern. 

Ist  umgekehrt  die  Mutter  krank  oder  nährt  sie  sich  ungenügend, 
wäiirend  das  Kind  kräftig  ist,  so  entsteht  eine  negative  Differenz 
zwischen  Milchproduktion  und  -Konsum.  Durch  das  Mikroskop  stellen 
wir  zuerst  ein  Seltnierw'erdeü  der  Fettkügelchen  in  beiden  Brüsten 
fest.  Dann  werden  die  Kügelchen  kleiner  und  feiner,  endlich  staub¬ 
förmig.  Das  Kind  leidet  im  Anfang  nicht,  besonders  treten  Verdauungs¬ 
störungen  nicht  auf ;  später  wird  es  natürlich  durch  die  Unterernäh¬ 
rung  elend. 

Die  Therapie  ergibt  sich  aus  den  Anschauungen  über  die  Ent¬ 
stehungsursache.  In  den  >  Fällen  mit  zu  großer  Milchproduktion  rate 
ich  gern,  noch  ein  Kind  an  die  Brust  zu  nehmen  und  helfe  mir,  wenn 
das  verweigert  wird,  mit  der  Milchpumpe.  In  den  Fällen  mit  negativer 
Differenz  versiegt  trotz  verständiger  Ernährung  oft  genug  die 
Milchquelle. 

Damit  bin  ich  am  Ende.  Ich  möchte  nur  noch  die  Herren,  die 
öfter  Ammen  einstellen,  bitten,  die  Nutzanwendung  aus  meiner  Be¬ 
obachtung  zu  ziehen  und  milchreiche  Ammen  zu  schwächlichen  oder 
kranken  Kindern  nur  mit  dem  eigenen  Kinde  kommen  zu  lassen. 

Literatur: 

Ferd  Ad.  Kehrer  im  Handbuch  der  Geburtshilfe  von  P.  Müller. 

Baumann  u.  Köstlin,  Enzyklopädie  der  Geburtshilfe  usw. 

E.  Bouchacourt,  Bevue  d’hygiene  1907. 

Michael  Cohn,  Über  Frauenmilch.  Berl.  klin.  Wochenschr.  1900. 

P.  Baumann  u.  B.  Illner,  Sammlung  klinischer  Vorträge  Nr.  105. 


1050 


Wilhelm  Sternberg, 


Der  Alkohol  in  der  klassischen  Malerei. 

Von  Dr.  Wilhelm  Sternherg, 

Spezialarzt  für  Zucker-  und  Verdauungskranke  in  Berlin. 

Mit  meinen  verschiedenen  Studien  über  den  Alkohol  und  den 
Genuß  der  Genußmittel  in  den  mannigfachsten  Aufsätzen,  erst  in 
Heft  13  der  Deutschen  Ärzte -Zeitung  vom  1.  Juli  1309  mit  meinem 
Aufsatz  „Wissenschaft  und  Alkohol“  habe  ich  nachgewiesen,  daß  die 
Wissenschaft  den  Alkohol,  die  Genußmittel  überhaupt,  ja  schon  den 
Genuß  selber  mitunter  ganz  einseitig  behandelt.  Das  tritt  noch  mehr 
hervor,  wenn  man  die  Kunst  und  den  Alkohol  einmal  betrachtet.  Die 
Wissenschaft  der  Medizin  hat  die  Betrachtung  der  Kunst  und  die  kultur¬ 
historische  Bedeutung  der  Kunst  in  dieser  Richtung  fast  ganz  ver¬ 
nachlässigt,  sehr  zu  ihrem  eigenen  Schaden.  Wie  ich  im  Zentralblatt 
für  Physiologie  23,  Nr.  4,  S.  3,  in  meiner  Arbeit  „Der  Hunger“,  be¬ 
reits  hervorgehoben  habe,  dürfte  der  experimentellen  Methode  aueh 
die  Sprachen -Psychologie,  wenn  nicht  ebenbürtig,  so  doch  eine  will¬ 
kommene  Beigabe  sein,  ferner  aber  auch  noch  die  Methode  der  Kunst¬ 
psychologie.  In  gewissem  Sinne  verfolgt  doch  der  Künstler  von  Gottes 
Gnaden  dasselbe  psychologische  Problem  wie  der  Forscher.  Der  Künstler 
beobachtet  unbewußt  oft  sogar  besser  und  früher  als  der  Gelehrte. 
In  diesem  Sinne  dürfte  es  nicht  nur  berechtigt,  sondern  sogar  erforder¬ 
lich  sein,  für  die  psychologische  Erforschung  zu  sammeln,  was  die  klassi¬ 
schen  Künstler  zu  verschiedenen  Zeiten  an  den  mannigfachsten  Orten 
über  die  subjektiven  psychischen  Empfindungen  berichten.  Man  kann 
also  wohl  hoffen,  daß  aus  der  theoretischen  wissenschaftlichen  Be¬ 
trachtung  der  Kunst  auch  manche  fruchtbaren  Resultate  für  den  Forscher 
über  den  wahren  Genuß  der  Genußmittel  fließen  werden.  Ich  setze 
mich  damit  in  schärfsten  Gegensatz  zu  denjenigen  von  den  Ärzten, 
welche  ihre  „Exaktheit“  bloß  in  der  Anwendung  von  Experimenten  an 
der  handvoll  von  Haustieren  der  Forschung:  Hund,  Katze,  Maus 
und  Ratte  sehen  und  damit  schon  die  Wissenschaft  erschöpft  zu  haben 
vermeinen.  Ich  untersuche  vielmehr  den  Genuß  der  menschlichen 
Genußmittel  an  der  Physiognomie  des  Menschen,  und  zwar  der 
Kenner,  der  professionellen  Koster  und  Feinschmecker.  Ich  studiere 
die  Kunst  und  betrachte  die  Effekte,  welche  die  Künstler  von  Gottes 
Gnaden  seit  jeher,  zu  allen  Zeiten  und  an  allen  Orten  erzielt  haben, 
indem  sie  nur  den  Genuß  der  Menschen  an  den  mqn  sch  liehen  Ge¬ 
nußmitteln  zur  Darstellung  brachten.  Das  sind  meine  Experimente. 
So  leistet  indirekt  die  Kunst  der  Wissenschaft  Dienst  und  Hilfe.  Aber 
auch  einen  direkten  Anteil  hat  die  Kunst  an  der  Wissenschaft.  Es 
ist  nämlich  grundfalsch,  immer  noch  anzunehmen,  wie  es  die  Wissen¬ 
schaften  stets  tun,  daß  Essen,  Wohnen  und  Kleiden  bloß  nützliche 
Tätigkeiten  seien.  Wir  essen  doch  aber  nicht,  um  uns  bloß  zu  nähren. 
Wir  wohnen  doch  nicht,  um  uns  bloß  ein  Loch  zu  schaffen.  Wir 
kleiden  uns  doch  nicht,  um  uns  bloß  zu  wärmen.  Vielmehr  kommt 
hier  noch  das  ästhetische,  das  künstlerische,  das  angenehme 
Moment  hinzu.  Deshalb  reicht  für  Nahrung,  Wohnung  und  Kleidung 
die  theoretische  Wissenschaft  mi't  ihren  nüchternen  Betrachtungen  nicht 
mehr  aus.  Vielmehr  muß  sich  zur  Wissenschaft  hier  noch  die  Kunst 
gesellen.  Vor  allem  gilt  dies  für  den  Genuß  des  Essens  und  Trinkens. 
Mit  Recht  spricht  die  deutsche  Sprache  von  „Genießen“,  „Genuß“  des 
Essens  auch  beim  ärmsten  Mann,  schon  beim  Essen  der  Nahrungsmittel. 


Der  AJkoliol  in  der  klassischen  Malerei. 


1051 


Bereits  hierin  drückt  sich  die  psychologische  Feinheit  der  deutschen 
Sprache  aus.  Wir  nehmen  doch  nicht  bloß  Kalorien  und  Brennwerte 
und  Nährwerte  zu  uns,  sondern  wir  wollen  „genießen“  und  wir  wollen 
„schmecken“. 

„Ich  kost’  und  ich  schmecke  beim  Essen“,  sagt  Goethe.  Daher 
ist  die  Kochkunst  von  so  hoher  praktischer  Bedeutung  und  auch  von 
theoretischer  für  die  Ernährungslehre. 

Was  den  Alkohol  in  der  Kunst  anlangt,  so  will  ich  mich  zunächst 
auf  die  Malerei  beschränken. 

Massenhaft  finden  sich  Darstellungen  des  Genusses  der  Genu߬ 
mittel.  Doch  besonders  tritt  unter  diesen  Genußmitteln  der  Alkohol 
hervor.  Das  ist  wichtig  in  mehrfacher  Beziehung.  Was  die  modernen 
Abstinenzler  dem  Alkohol  vorwerfen,  das  ist  seine  Einwirkung  auf 
die  g'eistige  Tätigkeit  des  Nervensystems,  er  mindere  das  Denken, 
er  schläfere  ein,  Kaffee  hingegen  rege  an.  Das  ist  nicht  ganz  un¬ 
richtig.  Deshalb  ist  Alkohol  ein  vorzügliches  Schlafmittel  und  zu¬ 
gleich  Genußmittel  und  zugleich  Nährmittel.  Wir  haben  nicht  viele 
Schlafmittel  oder  überhaupt  Arzneimittel,  die  zugleich  Genußmittel 
und  zugleich  Nahrungsmittel  sind.  Außerdem  kommt  aber  noch  eins 
hinzu.  Alkohol  wendet  sich  an  die  seelischen  Organe,  Alkohol  regt 
zwar  nicht  geistig,  aber  seelisch  an.  Daher  kommt  es,  daß  Alkohol 
die  Kunst  fördert.  Alkohol  ist  das  Genußmittel  der  Künstler,  wie 
Kaffee  die  Wissenschaft  fördert  und  Kaffee  das  Genußmittel  des 
Forschers  ist.  Daher  kann  man  eine  reiche  Ausbeute  für  die  Wissen¬ 
schaft  über  den  Alkohol  aus  der  Kunst  schöpfen. 

Unter  den  Malern  stehen  in  dieser  Beziehung  die  Holländer  obenan. 
Daß  sich  die  Ylamen  ganz  besonders  dabei  hervortaten,  liegt  tief  in 
ihrer  Stammesnatur  begründet.  An  Völlerei  im  Schmausen  und  Trinken, 
an  wilder  Lust  beim  Tanz  und  in  anderen  Ausschweifungen  wurde 
Erkleckliches  geleistet,  und  die  Maler  trugen  kein  Bedenken,  alle  diese 
Exzesse  nach  dem  Grundsätze  „Naturalia  non  sunt  turpia“  getreulich 
zur  Anschauung  zu  bringen.  David  Teniers  der  Jüngere  war  noch 
einer  der  Zahmsten  unter  diesen  Sittenschilderern.  An  den  schlimm¬ 
sten  Dingen  wie  Vomieren,  Exkretionen  u.  dgl.  ging  er  entweder  ganz 
vorüber  oder  er  hatte  doch  so  viel  Feingefühl,  sie  in  den  Hintergrund, 
in  eine  dunkele  Ecke  zu  verweisen. 

Es  ist  außerordentlich  lehrreich,  sich  die  Meisterwerke  von  Teniers 
nach  dem  Vorwurf,  den  sie  zur  Darstellung  bringen,  einmal  einzu¬ 
teilen.  Im  großen  und  ganzen  kann  man  vier  Klassen  aufstellen. 
Teniers  zeigt  uns  die  TafelgenüSse,  Küche  und  Keller.  Sodann  führt 
er  uns  das  Laboratorium  des  Chemikers  vor,  die  „schwarze  Küche“. 
Die  Werkstätte  des  Arztes  kommt  an  die  Reihe.  Schließlich  erschöpft 
er  sich  an  der  künstlerischen  Ausführung  des  Genusses  der  Genu߬ 
mittel. 

Bekannt  ist  das  Meisterwerk  Teniers’ :  „Die  fünf  Sinne“  (Kgl. 
Galerie  in  Brüssel). 

Demnach  finden  wir  auch  auf  seinen  Gemälden  alle  Freuden 
dieses  Lebens.  Der  Künstler  vergißt  auch  den  Geschmack  nicht.  Dem¬ 
nach  haben  wir  auf  vielen  seiner  Bilder  die  Tafelgenüsse,  Küche  und 
Keller.  Kein  Meister  hat  uns  mehr  und  besser  über  die  Küche  belehrt 
als  Teniers.  Neben  vielen  anderen  gibt  uns  David  Teniers  der  Jüngere 
in  seinem  Werk  „Der  Zeitungsleser“  (Kaiserl.  Galerie  in  Wien)  ein 
Küchenbild.  Im  Nebenzimmer  rührt  eine  Frau  mit  einem  Quirl  in 


1052 


Wilhelm  Sternberg, 


einer  Pfanne,  die  sie  vom  Feuer  nimmt,  es  könnte  Rührei  sein.  Auf 
seiner  Zeichnung  „Vorbereitungen,  zu  einem  Schmause“  sehen  wir  den 
Wirt  vor  seinem  Kochkessel  stehen  und  einem  davoneilenden  Bediensteten 
noch  eine  letzte  Weisung  erteilen,  während  in  der  Ecke  ein  Trunkener 
schon  zusammengebrochen  ist,  dem  die  Frau  „auf  die  Beine  hilft“. 

Teniers  führt  uns  auch  in  die  Küche  der  chemischen  und  pharma¬ 
zeutischen  Laboratorien,  die  ja  auch  aus  der  Kochküche  hervorgegangen 
sind.  Deshalb  spricht  Goethe  im  Faust  von  der  „schwarzen  Küche“ 
seines  Vaters, 

„Der  in  Gesellschaft  von  Adepten 
Sich  in  die  schwarze  Küche  schloß.“ 

Bekannt  sind  Teniers’  Meisterwerke:  „Ein  Alchymist“  (Haag, 
Kgl.  Galerie),  „Der  Alchemist“  (Galerie  in  Dresden). 

Es  ist  ganz  gewiß  kein  Zufall,  wie  ich  in  der  Zeitschrift  für 
Hygiene  in  meinem  Aufsatz  „Die  moderne  Kochküche  im  Großbetrieb“ 
1909,  S.  19,  hervorhebe,  daß  die  Meister,  die  uns,  so  viel  Küchenstücke 
gegeben  haben,  sich  auch  vielfach  mit  der  Darstellung  der  ärzt¬ 
lichen  Behandlung  beschäftigen:  David  Teniers  der  Jüngere  „Der  Zahn¬ 
arzt“  (Kassel,  Kgl.  Galerie),  „Der  Dorfarzt“  (Brüssel,  Kgl.  Museum), 
„Eine  chirurgische  Operation“  (Galerie  in  Madrid),  „Die  Baderstube“ 
(Galerie  in  Brüssel) ;  oder  Adriaen  Brouwer :  „Eine  chirurgische  Ope¬ 
ration“  (Städelsche  Galerie  in  Frankfurt);  oder  Gerard  Dov:  „Der 
Zahnarzt“  (Dresdner  Galerie),  „Die  Wassersüchtige“  im  Louvre,  „Arzt, 
ein  Uringlas  am  Fenster  beobachtend“  (Belvedere  in  Wien) ;  oder  Gabriel 
Metsu:  „Die  kranke  Frau“  (Petersburg,  Eremitage);  Adriaen  van 
Ostade :  „Der  Arzt  in  seinem  Studierzimmer“  (1665  im  Kgl.  Museum 
in  Berlin)  oder  Franz  von  Mieris :  „Arzt“  (München,  Pinakothek),  „Der 
Quacksalber“  (Eremitage  in  Petersburg);  oder  Jean  Steen:  „Doktor¬ 
visite“  (München),  „Doktorbild“  (Im  Haag)  u.  a.  m. 

Teniers  zeigt  uns  die  Freuden  des  Gesellschüf tsspiela :  „Die  Puff¬ 
spieler“  (Kgl.  Gemäldegalerie  in  Berlin).  —  „Die  Wachtstube“  (Reichs¬ 
museum  in  Amsterdam). 

Ferner  zeigt  uns  der  Künstler  den  Genuß  am  Ohrenschmaus  durch 
die  Tonkunst  „Der  Dudelsackpfeifer“  (Zeichnung  im  Kupferstichkabinett 
zu  Dresden).  —  „Der  Dudelsackpfeifer“  (Buckinghampalast  in  Lon¬ 
don).  —  „Affenkonzert“  (Alte  Pinakothek  in  München). 

Alsdann  folgen  die  Freuden  am  Genuß  der  Genußmittel,  welche 
die  modernen  Wasserdoktoren  und  neuzeitlichen  medizinischen  Forscher 
mehrfach  als  „Gifte“  auffassen.  Es  wären  dies  also  gewissermaßen  „Gift¬ 
wirkungen“.  Erst  kommen  die  Freuden  am  Tabakgenuß  oder  „Nikotin¬ 
gift“  :  „Ruhestunde“  (Reichsmuseum  in  Amsterdam).  —  „Der  Raucher“ 
(Im  Privatbesitz  in  Paris).  —  „Die  Raucher“  (Alte  Pinakothek  in 
München).  —  „Das  Rauchkollegium“  (Galerie  in  Dresden).  —  „Rauchende 
Affen  im  Wirtshaus“  (Alte  Pinakothek  in  München). 

Es  folgen  die  Unmenge  der  klassischen  Werke,  welche  uns  den 
Genuß  am  Genußmittel  des  Alkohols  zur  Darstellung  bringen:  „Der 
Bauer  mit  dem  Weinglas“.  —  „Der  Bauer  mit  dem  Bierkrug“.  — 
„Inneres  einer  Dorfkneipe“  (Alte  Pinakothek  in  München).  —  „Vlä- 
mische  Zechstube“  (Alte  Pinakothek  in  Berlin).  —  „Wirtsstube“  (Im 
Besitz  des  Herrn  Carl  Hollitscher  in  Berlin).  —  „Ländliches  Wirts¬ 
haus“  (Eremitage  in  St.  Petersburg).  —  „Bauernhochzeit“  (Alte  Pinako¬ 
thek  in  München).  —  „Bauerntanz  in  einer  Wirtsstube“  (Alte  Pina¬ 
kothek  in  München).  —  „Bauerntanz  vor  einem  WJrtshause“  (Galerie 


Der  Alkohol  in  der  klassischen  Malerei. 


1058 


in  Berlin).  —  „Der  Kirmeßtag“  (Kaiserl.  Galerie  in  Wien).  —  „Vlä- 
mische  Kirmeß“  (Mnsenm  in  Brüssel).  —  „Vlämische  Kirmeß“  (Prada- 
museum  in  Madrid).  —  „Dorfkirmeß“  (Rijksmuseum  in  Amsterdam). 

—  „Tanzende  Bauern“  (Kaiserl.  Galerie  in  Wien).  —  „Bauerntanz 
vor  einem  Wirtshause“  (Zeichnung  in  der  Albertina  in  Wien). 

Es  ist  außerordentlich  interessant  und  zugleich  instruktiv,  daß 
dieser  Maler,  der  Schöpfer  der  „fünf  Sinne“,  außer  den  hier  aufgef  ührten 
Werken  gar  keine  weiteren,  jedenfalls  nicht  mehr  viel  bedeutende  ge¬ 
schaffen  hat ! 

Weshalb  sich  wohl  kein  Maler,  kein  Künstler  finden  mag,  der 
uns  die  wasserdichten  Abstinenzapostel  vor  Augen  führen  möchte  ?  Die 
Antwort  ist  einfach.  Nüchterne  Freuden  der  Abstinenz  haben  noch 
niemals  die  Künstler  von  Gottes  Gnaden  zur  künstlerischen  Darstellung 
angeregt.  Vielmehr  ist  das  Gegenteil  der  Fall.  Gräßliches  stößt  ab. 

Auch  die  Brüder  Adriaen  und  Isaak  van  Ostade  (1610 — 1685) 
befaßten  sich  intensiv  mit  den  Freuden  und  Genüssen.  Zweimal  be¬ 
schäftigten  sie  sich  mit  der  Wiederherstellung  der  Gesundheit:  „Der 
Arzt  in  seinem  Studierzimmer“  (1665,  im  Kgl.  Museum  in  Berlin). 

—  „Der  Charlatan“  (1648).  — 

Vor  allem  ist  es  das  Familienleben  der  Bauern,  welches  Ostade 
von  den  verschiedensten  Gesichtspunkten  betrachtet:  „Die  Bauernstube“ 
(Kgl.  Museum  in  Berlin).  —  „Lachender  Bauer“  (Albertina  in  Wien). 

—  „Familienbild  (die  sogenannte  Familie  des  Adriaen  van  Ostade)“ 
(Louvre  in  Paris).  —  „Eine  Bauernunterhaltung“  (Gräflich  Schönborn¬ 
sehe  Galerie  in  Wien).  —  „Bauerngesellschaft“  (Kgl.  Gemäldegalerie 
in  Berlin).  —  „Die  Scheune“  (1647).  —  „Die  Familie“  (1647).  —  „Die 
Spinnerin  vor  der  Haustür“  (1652).  —  „Der  Familienvater“  (1648). 

—  „Bildnis  einer  alten  Frau“  (Kgl.  Museum  in  Berlin).  - —  „Studie 
nach  einem  Bauern“  (Kgl.  Kupferstichkabinett  in  Dresden).  - —  „Studie 
nach  einem  Bauern“  (Nach  einer  Zeichnung  im  Kgl.  Kupferstichkabi¬ 
nett  in  Dresden).  —  „Inneres  einer  Bauernhütte“  (Louvre  in  Paris). 

—  „Die  Dorfschule“  (Louvre  in  Paris).  —  „Bauerngesellschaft“  (1661) 
(Reichsmuseum  in  Amsterdam).  —  „Der  Schulmeister“  (1662)  (Louvre 
in  Paris).  —  „Ein  Bauer  mit  einer  Laterne“  (Uffizien  in  Florenz).  — 
„Holländische  Bauernstube“  Alte  Pinakothek  in  München).  —  „Eine 
Bäuerin  mit  zwei  Kindern  an  der  Haustür“.  —  „Ein  Bauer  unter  der 
Haustür“.  —  „Bauernstudien“  (Albertina  in  Wien).  —  „Bauern  unter 
der  Sommerlaube“  (1676)  (Kgl.  Gemäldegalerie  in  Kassel).  —  „Bauern 
in  der  Veranda“  (Albertina  in  Wien).  —  „Naturstudie  nach  einem 
Bauern“  (Albertina  in  Wien).  —  „Bauern  am  Kamin“  (1667)  (Bucking¬ 
hampalast  in  London).  — -  „Bauernfamilie“  (Buckinghampalast  in 
London). 

Demgemäß  schildert  er  die  ganze  Beschaulichkeit  des  täglichen 
Lebens:  „Der  Leser“  (Louvre  in  Paris).  —  „Der  Zeitungsleser  (1653) 
(Louvre  in  Paris).  —  „Ein  Blick  aus  dem  Fenster“  (Eremitage  in 
St.  Petersburg)  . —  „Der  Schweinestall“  (Louvre  in  Paris).  —  „Der 
Fischmarkt“  (Louvre  in  Paris).  —  „Das  Tischgebet“  (1653).  —  „Nach 
der  Mahlzeit“  (Buckinghampalast  in  London).  —  „Mittagsruhe“  (Kgl. 
Kupferstichkabinett  in  Dresden).  —  „Zwei  schmausende  Bauern“  (Kgl. 
Gemäldegalerie  in  Dresden).  —  „Der  Bäcker,  der  frische  Backwaren 
ankündigt“  (Eremitage  in  St.  Petersburg).  —  „Der  Bäcker“  (Reichs¬ 
museum  in  Amsterdam).  —  „Der  Heringsesser“  (Kgl.  Museum  in 
Brüssel). 


1054 


Wilhelm  Sternberg,  Der  Alkohol  in  der  klassischen  Malerei. 


Auch  Ostade  zeigt  uns  die  Freuden  am  Gesellschaftsspiel  und 
am  Liebesspiel:  „Die  Brettspieler“  (Buckinghampalast  in  London).  — 
„Bauern  beim  Brettspiel“  (Albertina  in  Wien).  —  „Das  Kegelwerfen“ 
(1673)  (Albertina  in  Wien).  —  „Belustigung  auf  dem  Eise“  (Louvre 
in  Paris).  —  „Belustigung  auf  dem  Eise“  (Kgl.  Gemäldegalerie  in 
Dresden).  —  „Winterlandschaft  mit  Schlittschuhläufern“  (1644)  (Louvre 
in  Paris).  —  „Ein  zugefrorner  Fluß  mit  Schlitten  und  SchLittschuh- 
läufern“  (Nationalgalerie  in  London).  — -  „Tanzende  Bauern“  (Samm¬ 
lung  Kay  [früher  Habich]  in  Kassel).  —  „Bauerntanz“  (Fürstlich 
Lichtensteinsche  Galerie  in  Wien).  —  „Der  Tanz  im  Wirtshaus“.  — 
„Ein  Liebespaar“.  — -  „Ein  Maler  in  seiner  Werkstatt“  (1663)  (Kgl. 
Galerie  in  Dresden).  —  ,,Ein  Maler  in  seiner  Werkstatt“  (Reichs¬ 
museum  in  Amsterdam).  —  „Der  Heiratsantrag“  (Kgl.  Museum  im 
Haag). 

An  diese  Bilder  reihen  sich  Ostades  Schöpfungen  über  den  Ge¬ 
nuß  seitens  des  Gehörs:  „Musikalische  Unterhaltung“  (1656)  (Bucking¬ 
hampalast  in  London).  —  „Das  vlämische  Trio“  (Kgl.  Museum  in 
Brüssel).  - —  „Der  Spielmann“  (1673)  (Kgl.  Museum  im  Haag).  - — 
„Der  Leiermann  und  der  kleine  Fiedler“  (Kgl.  Kupferstichkabinett 
in  Dresden).  —  „Der  Fiedler“  (Buckinghampalast  in  London).  — 
„Bauern  in  der  Schenke“  (1662)  (Kgl.  Museum  im  Haag).  —  „Der 
Geiger“  (1648)  (Eremitage  in  St.  Petersburg).  —  „Der  Leiermann“ 
(1648)  (Eremitage  in  St.  Petersburg).  —  „Der  Leiermann“  (1647).  — 
„Das  musikalische  Trio“.  —  „Ein  Geiger  vor  einem  Dorfwirtshaus“. 

—  „Der  Leiermann  vor  dem  Bauernhause“  (Kgl.  Gemäldegalerie  in 
Berlin).  —  „Ländliches  Konzert“  (Kgl.  Gemäldegalerie  in  Kassel). 

Es  folgen  die  eigentlichen  Genußmittel  mit  ihrem  Genuß  oder  in 
der  Sprache  mancher  „exakten,  modernen  Forscher“,  die  „Gifte“  mit 
ihren  „Giftwirkungen“ :  „Der  Raucher“  (1655)  (Museum  in  Antwerpen). 

—  „Zwei  rauchende  Bauern“  (Kgl.  Gemäldegalerie  in  Dresden).  — 
„Der  Raucher“.  —  „Rauchende  und  trinkende  Bauern“  (Buckingham¬ 
palast  in  London).  —  „Das  Bauernpaar  in  der  Wirtslaube“  (Bucking¬ 
hampalast  in  London).  —  „Männer  und  Frauen  in  einem  Bauernwirts¬ 
hause“  (1679)  (Kgl.  Gemäldegalerie  in  Dresden).  —  „Vor  dem  Wirts¬ 
haus  an  der  Landstraße“  (Reichsmuseum  in  Amsterdam).  —  „Bauern¬ 
gesellschaft  in  der  Schenke“  (1647)  (Alte  Pinakothek  in  München). 

—  „Stammtisch  in  der  Dorfschenke“  (1666)  (Kgl.  Gemäldegalerie  in 
Dresden).  —  „Wirtshausszene“  (Albertina  in  Wien).  —  „Ausgelassene 
Bauern  in  der  Schenke“  (Kgl.  Gemäldegalerie  in  Dresden).  —  „Lustige 
Bauerngesellschaft“  (Alte  Pinakothek  in  München).  —  „Bauerngesell¬ 
schaft  in  der  Schenke“  (Alte  Pinakothek  in  München).  —  „Bauern 
in  einer  Schenke“  (Großherzogi.  Galerie  in  Darmstadt).  —  „Wirtshaus 
an  der  Landstraße“  (1647)  (Eremitage  in  St.  Petersburg).  —  „Halt 
vor  dem  Wirtshaus“  (Albertina  in  Wien).  —  „Die  Rast  vor  dem 
Wirtshaus“  (Albertina  in  Wien).  —  „Wirtshausstube“  (Albertina  in 
Wien).  —  „Die  Rast  der  Reisenden“  (1671)  (Reichsmuseum  in  Amster¬ 
dam).  —  „Der  Reisewagen  vor  dem  Wirtshaus“  (Buckinghampalast 
in  London).  - —  „Halt  vor  der  Dorf  schenke“  (Reichsmuseum  in  Amster¬ 
dam).  —  „Halt  vor  der  Dorfschenke“  (Kgl.  Museum  in  Berlin).  — 
„Rast  vor  dem  Wirtshaus“  (Louvre  in  Paris).  —  „Ein  Trinker“  (Kgl. 
Kupferstichkabinett  in  Dresden).  —  „Buveur“  (Ancien  Cabinet  de  M. 
Poullain).  —  „Buveur“  (ebenda).  —  „A  votre  sante“  (Bridgewater 
Gallery).  —  „Die  Trinker“  (Buckinghampalast  in  London).  —  „Ein 


Ascher,  Breslauer  Brief. 


1055 


Trinkgelage“.  —  „Zechende  Bauern“  (Albertina  in  Wien).  —  „Trun¬ 
kener  Bauer“  (Kgl.  Kupferstichkabinett  in  Dresden).  —  „Raufende 
Bauern“  (Alte  Pinakothek  in  München).  —  „Bauernschlägerei“  (Kgl. 
Kupferstichkabinett  in  Dresden). 

Nicht  minder  interessant),  fesselnd  und  lehrreich  zugleich  sind 
die  Schöpfungen  von  Jan  Steens,  Franz  Hals,  Adriaen  Brouwer,  Gabriel 
Metsu  u.  a,.  m.  Man  ersieht  jedenfalls  aus  allen  diesen  Betrachtungen 
der  Gemälde  im  Wirtshaus,  daß  man  in  der  theoretischen  Forschung 
vielfach  die  Rechnung  ohne  den  Wirt  bisher  gemacht  hat.  Einseitig 
zum  Teil  und  schon  darum  falsch  sind  die  nicht  exakten  Deutungen 
mancher  modernen  wissenschaftlichen  Abstinenzforscher  aus  ihren 
exakten  Experimenten. 


Breslauer  Brief. 

Von  Dr.  Ascher. 

Die  Breslauer  chirurgische  Gesellschaft  hielt  im  Krankenhause 
der  Barmherzigen  Brüder  ihre  zweite  Sitzung  ab.  ' 

Als  Erster  demonstrierte  Dreh  mann  die  Röntgenbilder  eines  Falles 
mit  Fraktur  beider  Vorderamknochen.  Er  empfiehlt  den  Verband  in 
Mittelstellung  und  weist  auf  seine  vorzüglichen  Erfolge  hin. 

Ihm  schließt  sich  Part  sch  mit  einem  Vortrage  „Über  Folge¬ 
zustände  nach  Osteomyelitis“  an.  Es  handelte  sich  um  drei  Knaben 
im  Alter  von  13,  12  und  10  Jahren. 

Fall  1.  „Osteomyelitis  des  linken  Oberarmes.“  Vortragender  gibt 
eine  genaue  Beschreibung  des  Krankheitsprozesses  und  des  Operations¬ 
verfahrens.  Die  Krankheit  ist  im  dritten  Lebensjahre  des  Patienten 
zum  Ausbruch  gekommen  und  kann  jetzt,  da  seit  Oktober  1906  keine 
Eiterung  oder  Sequestrierung  mehr  vorgekommen  ist,  als  geheilt  be¬ 
trachtet  worden.  Das  funktionelle  Resultat  ist  ein  gutes. 

Fall  2.  „Osteomyelitis  des  Unterschenkels  nach  einem  Fall  auf 
das  Knie.“  Beschreibung  des  Krankheitsprozesses  und  Operationsver¬ 
fahrens.  Um  eine  Pseudarthrose  zur  Heilung  zu  bringen,  wurde  ein 
Stück  der  Ulna  zwischen  die  beiden  abnorm  beweglichen  Knochenfrag¬ 
mente  eingekeilt.  Es  trat  zwar  keine  Einheilung,  aber  eine  starke 
periostale  Wucherung  und  Kallusbildung  auf.  Das  implantierte  Stück 
wurde  als  Sequester  ausgestoßen.  Doch  wurde  durch  die  Kallusbildung 
eine  feste  Konsolidation  des  Knochens  erreicht.  Heilung. 

Fall.  3.  „Osteomyelitis  des  linken  Unterschenkels.“  Es  folgt 
genaue  Beschreibung  des  Krankheitsprozesses  und  des  Operationsver¬ 
fahrens.  Es  handelte  sich  um  eine  unterhalb  der  Epiphysenlinie  spontan 
geheilte  Fraktur  mit  bajonettartiger  Verschiebung  beider  Fragmente 
gegeneinander.  Sequester  wurden  ausgestoßen.  Durch  die  Osteotomie 
wurde  die  Stellung  korrigiert  und  ein  gut  funktionierendes  Bein  herge¬ 
stellt.  Vortragender  weist  darauf  hin,  daß  solche  Frakturen  bei  Osteo¬ 
myelitis  der  langen  Röhrenknochen  nicht  gar  so  selten  sind.  (Demon¬ 
stration  eines  Präparates.) 

In  der  sich  anschließenden  Diskussion  erinnert  Co  einen  bei  Pseud- 
arthrosen  der  Tibia  an  die  Reichersche  Knochenplastik.  Er  spricht 
gegen  die  Autoplastik  von  Müller,  die  einen  schon  durch  den  Krank¬ 
heitsprozeß  ,  wenn  auch  nur  in  geringem  Grade  beeinflußten  Lappen 
von  der  affizierten  Tibia  zu  bilden  vorschreibt.  Die  Reichel’sche 
Plastik  ist  in  ihrer  Ausführung  lange  nicht  so  unbequem  wie  die  Rhino- 


1056  Ascher, 

plastik  nach  Tagliacozza  und  Israel.  (Demonstration  von  Photo¬ 
graphien  und  Böntgenbildern.) 

Tietze  betont,  daß  gerade  das  Ausbleiben  der  Wachstumsstörung 
bei  dem  Pall  1  von  Part  sch  von  großem  Interesse  sei;  er  erinnert 
an  einen  Fall  mit  starken  Wachstumsstörungen,  den  er  vor  einigen 
Jahren  in  der  schlesischen  Gesellschaft  vorgestellt  hat.  Er  spricht  von 
seinen  ausgeführten  Knochenplastiken  (publiziert  im  Gedenkband  für 
Mikulicz).  Knorpel  und  Periost  sind  sehr  lebensfähig.  Vortragender 
hat  einen  Fall  von  Pseudarthrose  nach  Codivilla  operiert.  Dieser 
ist  von  Br  ad  e  publiziert  worden. 

Küttner  hat  bis  jetzt  noch  nie  einen  Fall  dieser  Art  ohne  Wachs¬ 
tumsstörungen  gesehen.  Er  hat  Spontanfrakturen  besonders  häufig  am 
Oberschenkel  bemerkt  und  stellt  ihnen  eine  gute  Prognose. 

Part  sch  demonstriert  ein  Präparat  von  Knochenplastik  am 
Menschen. 

Es  handelte  sich  um  einen  Knaben  von  16  Jahren  mit  Tuberkulose 
des  Metakarpus  IV  der  linken  Hand.  Derselbe  wurde  teilweise  durch 
ein  Knochenperioststück  aus  der  rechten  Ulna  ersetzt  und  ist  eingeheilt. 
Von  einer  Substitution  des  Knochengewebes  ist  nichts  zu  sehen.  Da¬ 
neben  ist  eine  starke  periostale  Wucherung  zu  bemerken.  Das  Präparat 
steht  im  Widerspruche  zu  den  Untersuchungen  von  Ollier  und  Barth. 
Daran  schließt  sich  die  Besprechung  eines  Falles  von  Unterkieferresek¬ 
tion  wegen  eines  umfangreichen  Fibrosarkoms.  Vortragender  wandte 
die  Sehr  öder  sehe  Prothese  mit  einer  Modifikation  an,  indem  er  das 
ins  Gelenk  reichende  Stück  mit  Glas  armierte.  Er  empfiehlt  diese 
Methode  wegen  der  geringeren  Beizung  der  Gelenkgegend.  In  der  Dis¬ 
kussion  betont  Küttner  die  Zweckmäßigkeit  der  von  P.  angegebenen 
Prothese. 

Gott  schlich  gibt  in  seinem  Vortrage  „Über  Darmzerreißung“  die 
genaue  Krankengeschichte  von  drei  einschlägigen  Fällen.  Zweimal  war 
die  Ätiologie  dieser  Affektion  Trauma  durch  Hufschlag,  einmal  Trauma 
durch  Sturz.  Er  kommt  zu  dem  Schlüsse,  so  früh  wie  möglich  zu  ope¬ 
rieren.  Leider  handelt  es  sich  oft  um  verspätete  Fälle,  die  erst  vom 
Lande  in  ein  Krankenhaus  geschafft  werden  müssen.  Er  tritt  für  eine 
ausgiebige  Spülung  mit  warmer  Kochsalzlösung  ein,  diese  soll  sowohl 
analeptisch  als  auch  mechanisch  reinigend  auf  das  Peritoneum  wirken. 
Partsch  und  Küttner  heben  in  der  Diskussion  die  Unzulänglichkeit 
der  Transportmittel  auf  dem  Lande  mit  ihren  Folgen  bei  abdominalen 
Verletzungen  hervor.  K.  empfiehlt  bei  der  Operation  die  Anlage  eines 
großen  Bauch  Schnittes. 

Gretschel  spricht  über  zwei  Fälle  von  Nervennaht.  Im  ersten 
Falle  handelt  es  sich  um  einen  neunjährigen  Knaben,  der  sich  durch 
eine  Schnittverletzung  den  N.  ulnaris  ganz  und  den  N.  medianus  teil¬ 
weise  durchtrennt  hatte.  Nervennaht.  Heute  nach  iy2  Jahren  restitutio 
ad  integrum.  Es  besteht  keine  Ausfallserscheinung  von  seiten  der 
durch  trennten  Nerven  mehr. 

Im  zweiten  Falle  handelt  es  sich  um  einen  34  Jahre  alten  Mann, 
der  sich  infolge  eines  Unfalls  den  Stamm  des  N.  ischiadicus  durchtrennt 
hatte.  Direkte  Nervennaht  durch  Katgutnähte.  Jetzt  nach  fünf  Jahren 
sind  die  Symptome  zum  größten  Teil  ganz  allmählich  geschwunden. 
Vortragender  hofft,  daß  auch  in  diesem  Falle  eine  vollständige  Heilung 
eintreten  wird. 


Breslauer  Brief. 


1057 


Tarn  demonstriert  einen  Fall  von  operiertem  Aneurysma  der 
Arteria  femoralis.  Ätiologie:  Arteriosklerosis.  Bei  der  Operation,  die 
unter  Esmarch’scher  Einwickelung  vollzogen  wurde,  mußte  die  Vena 
femoralis  mit  reseziert  werden ;  es  war  auch  nötig  die  Vena  saphena 
zu  durchtrennen.  Der  Tumor  war  kindskopfgroß.  Heilung  per  primam. 

Als  Letzter  zeigt  Langner  drei  Fälle  mit  ausgedehnten  Tiersch- 
sc'hen  Transplantationen. 

In  zwei  Fällen  handelte  es  sich  um  Verbrennungen  dritten  Grades. 

Die  Transplantation  ah  alieno  gab  immer  schlechte  Resultate. 
Die  Lappen  wurden  immer  nekrotisch.  Die  eigene  Haut  dagegen  heilte 
vorzüglich  an. 

Beim  dritten  Falle  handelte  es  sich  um  ein  Trauma,  durch  das  der 
rechte  Oberschenkel  eines  jungen  Mannes  vom  Knie  bis  zur  Leistenbeuge 
vollständig  von  der  bedeckenden  Haut  entblößt  wurde.  Transplantation. 
Heilung  per  primam. 


In  der  dritten  Sitzung  der  Breslauer  chirurgischen  Gesellschaft 
demonstrierte  als  Erster  Kaposi  einen  gangränösen  Wurmfortsatz,  der 
sich  bei  der  Operation  eines  perityphlitischen  Abszesses  frei  im  Eiter 
schwimmend  ohne  Zusammenhang  mit  dem  Cöcum  gefunden  hatte. 

Ihm  schließt  sich  Gottstein  mit  der  genauen  Krankengeschichte 
und  Operationsbeschreibung  eines  Falles  von  Lungenemphysem  an.  In 
der  sich  anschließenden  Diskussion  spricht  Sandberg  über  die  Ätiologie 
des  Emphysems  und  berührt  hauptsächlich  die  Frage :  Ist  die  Thorax¬ 
anomalie  die  Primärerscheinung  oder  die  Lungenveränderung  ?  Er 
nimmt  eine  primäre  Lungen anomalie  an. 

Gottstein  spricht  noch  über  den  Zwerchfellbefund  im  Böntgen- 
bilde  nach  der  Operation.  Die  Exkursionsbreite  des  Zwerchfells  hat 
bedeutend  zugenommen.  Bei  der  Operation  hat  er  die  Äthertropfen¬ 
narkose  angewandt,  die  sich  vorzüglich  bewährt  hat,  doch  ist  er  der 
Meinung,  dieselbe  auch  unter  Lokalanästhesie  ausführen  zu  können.  Im 
Anschluß  daran  spricht  Gottstein  über  zwei  Fälle  von  Förster  scher 
Operation  bei  spastischen  Lähmungen.  Es  handelte  sich  im  Fall  I 
um  die  beiderseitige  Durch trennung  der  2.,  3.  und  5.  Sakral  wurzel  und 
der  2.  Lumbalwurzel.  In  der  Diskussion  führt  Förster  die  Ursache 
der  Affektion  in  Fall  I  auf  eine  Meningoenzephalitis  zurück,  weil 
es  sich  um  eine  zerebrale  Paraplegie  handelt.  Sehr  schnell  nach  der 
Operation  war  das  rechte  Bein  passiv  und  aktiv  zu  beugen  möglich. 
Abduktion  und  Adduktion  waren  frei.  Links  waren  dieselben  Be¬ 
wegungen  auslösbar,  nur  wurden  dieselben  durch  eine  im  Knie  und 
Hüftgelenk  bestehende  Kontraktur  der  Beugungsmuskeln  stark  be¬ 
einträchtigt.  Im  Fall  II  bestand  eine  rechtsseitige  spastische  Hemi¬ 
plegie  mit  Fußklonus,  mit  Kontraktion  des  Quadrizeps  und  der  Hüft- 
muskeln. 

Hier  wurde  die  2.,  3.  und  5.  Lendenwurzel  rechts  und  die  1.  Sakral¬ 
wurzel  beiderseits  durchtrennt. 

Der  Fußklonus  ist  durch  die  Durch  trennung  der  1.  Sakral  wurzel 
nicht  ganz  beseitigt  worden.  Es  besteht  bei  diesem  Falle  als  Kompli¬ 
kation  noch  eine  kurz  vorher  akquirierte  Lues.  Die  Spasmen  in  Hüft- 
und  Kniegelenk  sind  beseitigt.  In  der  Diskussion  empfiehlt  Ludloff 
zur  Behandlung  der  Subluxation  des  Kniegelenkes  die  Braatz’sche 
Schiene. 


67 


1058 


Ascher, 


Dreh. mann  will  statt  dessen  die'  suprakondyläre  Osteotomie  ge¬ 
macht  wissen.  Nach  seinen  Erfahrungen  ist  sonst  ein  Schlottergelenk 
zu  befürchten. 

Küttner  hat  die  Operation  fünfmal  bei  Litt le’ scher  Krankheit 
hei  Kindern  unter  und  über  zehn  Jahren  ausgeführt.  Er  operiert  gern 
in  zwei  Zeiten,  weil  sonst  der  Eingriff  zu  schwer  ist.  Ungünstigei 
Folgen  bei  der  Tragfähigkeit  der  Wirbelsäule  sind  nicht  bemerkt  wor¬ 
den.  Die  Wurzeldurchschneidung  ist  einfach;  die  Beizerscheinungen 
sind  gering  und  von  kurzer  Dauer.  Bei  Liquorabfluß  Beckenhoch¬ 
lagerung.  Gleich  nach  der  Operation  verschwinden  die  Spasmen  und 
kehren  nicht  wieder.  Bei  der  Nachbehandlung  sind  mitunter  Teno- 
tomien,  redressierende  Gipsverbände  von  großer  Wichtigkeit.  Die  Psyche 
wird  ungemein  günstig  beeinflußt. 

K.  spricht  die  Forst er’sche  Operation  als  einen  großen  Fort¬ 
schritt  an. 

Tietze  hat  die  Operation  sechsmal  ausgeführt,  darunter  dreimal 
bei  Erwachsenen.  Zwei  von  diesen  sind  gestorben,  einer  an  einer  In¬ 
fektion,  der  andere  im  Shok.  T.  spricht  sich  auch  für  die  Operation 
in  zwei  Zeiten  aus. 

Förster  betont,  daß  die  Operation  nur  bei  ganz  schweren  Fällen 
indiziert  ist,  wo  die  Hilfe  der  Orthopädie  versagt. 

Dann  spricht  Gottstein  über  einen  Fall  von  Embolie  einer  Finger¬ 
arterie  nach  Pharynxoperation“.  Ihm  schließt  sich  Hadda  mit  einem 
Vortrage  über  „Parotitis  nach  Säure  Verätzung,  sowie  nach  Operation  an 
Bauch-  und  Genitalorganen  an“. 

Fall  1.  16 jähriger  Junge.  Nach  einem  Suicidv  ersuch  mit  Salz¬ 
säure  trat  doppelseitige  schwere  Parotitis  auf.  Temperatur  39,6.  Links¬ 
seitige  Fazialisparese,  Perforation  in  beide  äußeren  Gehörgange.  Doppel¬ 
seitige  Inzision.  Drei  Wochen  später  Gastroenterostomie  wegen  Pylorus¬ 
stenose.  3  Monate  nach  dem  Suicid  begann  sich  der  Fazialis  zu  regene¬ 
rieren  und  ist  jetzt  vollständig  intakt.  H.  spricht  die  Parotitis  in 
diesem  Fall  als  aszendierenden  Prozeß  an.  Als  Infektionsweg  ist  der 
ductus  Stenonianus  anzusehen.  Das  Analogon  ist  die  Parotitis  mercu- 
rialis  bei  dem  Gebrauch  von  Quecksilber.  Dann  erwähnt  H.  noch  zwei 
Fälle  von  postoperativer  Parotitis. 

Fall  2.  68  jährige  Frau.  Nach  einer  Gastroenteroanastomie  mit 
Enteroanastomose  wegen  Gallenblasenkrebs,  trat  eine  schwere  rechts¬ 
seitige  Parotitis  auf,  die  in  Abszedierung  überging. 

Fall  3.  42  jährige  Frau.  Nach  supravaginaler  Amputation  wegen 
großer  Myome,  einseitige  Parotitis, 

Von  einigen  Autoren  werden  3°/0  der  Patienten  nach  Laparotomien 
mit  Parotitis  behaftet  angesprochen.  H.’s  Untersuchungen  bestätigen 
dieses  nicht.  Das  bevorzugte  Auftreten  von  Parotitiden  bei  Genital¬ 
operationen  führt  H.  auf  die  Verwendung  sekretionshemmender  Mittel 
wie  Atropin,  Skopolamin  usw.  zurüdk.  Untersuchungen  darüber  sind 
im  Gange. 

In  der  Diskussion  hebt  Hannes  die  Seltenheit  der  beobachteten 
Parotitiden  nach  gynäkologischen  Operationen  in  der  königlichen  Uni¬ 
versitätsfrauenklinik  hervor.  Dieselbe  ist  innerhalb  von  acht  Jahren  nur 
zweimal  gesehen  worden.  In  einem  Falle  war  eine  präoperative  Infek¬ 
tion  sehr  wahrscheinlich. 

Küttner  hat  die  sekundäre  Parotitis  sehr  häufig  gesehen.  Haupt¬ 
sächlich  nach  Laparotomien  mit  besonderer  Neigung  nach  Magenopera- 


Breslauer  Brief. 


1059 


tionen,  Resektionen  nsw.  bei  Karzinom.  Die  doppelseitige  Affektion 
ist  sehr  ernst  zu  nehmen.  Es  tritt  ausgedehnte  Abszedierung,  Nekrose 
und  sehr  häufig  Sepsis  mit  letalem  Ausgange  ein.  Treten  nach  zwei 
Tagen  die  Erscheinungen  nicht  zurück,  so  sind  ausgiebige  Inzisionen 
indiziert. 

K.  führt  die  Entstehung  auf  Infektion  durch  die  Mundflora  bei 
mangelnder  Mundpflege  zurück.  Er  verweist  auf  die  Pawlow’schen 
Experimente,  wonach  bei  Austrocknung  der  Mundhöhle  nach  Laparoto- 
tomien  die  Infektion  verständlich  erscheint. 

Levy  hält  die  Ansicht  K.’s  für  nicht  wahrscheinlich,  weil  er 
immer  Staphylokokken  aus  den  infizierten  Drüsen  gezüchtet  hat,  teil¬ 
weise  sogar  in  Reinkultur,  Staphylokokken  aber  sind  in  der  Mund¬ 
flora  äußerst  selten. 

Golden her g  hält  die  Ätiologie  der  Infektion  durch  Quetschung 
beim  Vor  schieben  des  Unterkiefers  für  gegeben.  Als  locus  minoris  re- 
sistentiae  ist  eine  leichte  Infektion  auf  hämatogenem  Wege  möglich. 

Sandberg  macht  das  Aufhören  der  Sekretion  nach  Bauchopera¬ 
tionen  für  die  Enstehung  verantwortlich  und  empfiehlt  den  Gebrauch 
von  Kaupastillen. 

Gottstein  fragt  an,  ob  in  den  beobachteten  Fällen  Skopolamin 
oder  Atrophin-Morphium  zur  Narkose  angewandt  wurde. 

Kiittner  hat  die  Parotitis  auch  bei  nicht  narkotisierten  Patienten 
gesehen. 

Es  spricht  noch  Hadda  über  „Fistula  auris  congenita“.  Bei  dem 
vor  gestellten  Patienten  trat  vor  elf  Jahren  unter  Fieber  er  scheinungen 
eine  Vorwölbung  hinter  und  vor  dem  rechten  Ohre  auf.  Inzision.  Die¬ 
selbe  heilte  aus,  doch  brach  sie  immer  wieder  auf.  Auf  dem  rechten 
Ohre  besteht  vollständige  Ertaubung.  Nach  sechs  Jahren  mußten  die¬ 
selben  Inzisionen  wiederholt  werden.  Dieselben  sind  bis  auf  zwei  Fistel¬ 
gänge  vor  und  hinter  dem  Ohre  ausgeheilt.  Jetzt  ist  noch  eine  Öffnung 
in  der  Gegend  des  Kieferwinkels  dazugekommen.  Diese  kommuniziert 
mit  der  Fistel  vor  dem  Ohre.  Beide  Fisteln  sind  ungefähr  2  cm  lang. 
Das  Kiefer  gelenk  ist  frei,  Tuberkulose  ist  ziemlich  sicher  auszuschließen. 

Bei  der  Ohruntersuchung  fand  sich  eine  totale  Atresie  des  äußeren 
Gehörganges  durch  Exostosen.  Durch  die  Tube  eingespritzte  Flüssig¬ 
keit  kommt  durch  die  Fisteln  nicht  heraus.  Durch  Röntgenbild  ist  ein 
Zusammenhang  der  Fisteln  mit  Nachbarorganen  nicht  festgestellt. 

Es  handelt  sich  um  eine  Hemmungsmißbildung  des  äußeren  Ohres, 
die  ziemlich  selten  ist.  Urbantschisch  hat  12  Fälle  unter  2000  Unter¬ 
suchungen  aufzuweisen.  Ott  mann  unter  7500  Untersuchungen  keinen 
Fall,  öfter  ist  die  Anomalie  erblich.  Ihre  Entstehung  verdankt  sie 
einer  unvollkommenen  Verwachsung  zwischen  Crus  helicis  und  Crus 
supratragicüm.  Differentialdiagnostisch  kommt  noch  eine  Otitis  rnedia, 
die  infolge  des  atresierten  Gehörganges  sich  einen  Weg  durch  den 
Knochen  gesucht  hat,  in  Betracht. 

Dann  demonstriert  Söhwenk  zwei  Fälle  von  Totalluxation  des 
Kniegelenkes. 

Fall  1.  „Luxatio  genu  anterior“  inveterata.  Kompliziert  durch 
die  Lähmung  des  Nervus  peron  ant. 

Fall  2.  „Luxatio  genu  posterior“  durch  direktes  Trauma  entstanden. 

Ferner  demonstriert  Vortragender  einen  Fall  von  „Symmetrischer 
Osteomyelitis  nach  Variola“.  Abszeßbildung  an  beiden  Schultern. 
Sequestrotomie,  Heilung. 


67* 


1060 


Ascher,  Breslauer  Brief. 


Am  19.  März  sprach  in  der  schlesischen  Gesellschaft  Biberfeld 
„Uber  Herz  und  Gefäßmittel“.  Die  Wirkung  der  Digitalis  ist 
seit  den  grundlegenden  Traube’schen  Versuchen  in  ärztlichen  Kreisen 
allgemein  bekannt.  In  den  letzten  Jahren  haben  Experimente  anderer 
Autoren  die  Anschauungen  darüber  modifizieren  müssen.  Dieses  gilt 
besonders  für  die  Kombinationen  der  Digitalis  mit  anderen  Medika¬ 
menten.  Nach  Traube  ist  die  Blutdrucksteigerung  das  wesentlichste 
in  der  Wirkung  der  Digitalis.  Sie  wird  hervorgerufen  einerseits  durch 
die  Zunahme  der  Herzkraft,  andererseits  durch  Vermehrung  der  Wider¬ 
stände  in  den  Gefäßen.  Letzteres  läßt  sich  nur  durch  eine  direkte 
Erregung  des  vasomotorischen  Zentrums  in  der  Medulla  oblongata  oder 
durch  eine  unmittelbare  Einwirkung  auf  die  kontraktilen  Gefäßwand¬ 
elemente  erklären.  Bei  der  Verengerung  der  Gefäße  wird  die  Herz¬ 
arbeit  vermehrt.  Beim  experimentell  isolierten  Eroschherzen  sieht  man 
bei  jeder  Systole  eine  größere  Menge  von  Blut  in  das  Gefäßsystem, 
eintreten.  Pick  fand  bei  seinen  Versuchen  eine  Verringerung  der 
Ausflußgeschwindigkeit.  Gottlieb  und  Magnus  fanden  eine  Ab¬ 
nahme  der  Gefäßvolumina.  Diesen  Eigenschaften  der  Digitalis  ver¬ 
dankt  der  kranke  Organismus  seine  Wirkung.  Nach  Sahli  besteht  bei 
nicht  kompensierten  Herzfehlern  eine  nicht  regulierte  Verteilung  des 
arteriellen  und  venösen  Blutes,  durch  welche  die  Arterien  nicht  die 
richtige  Blutmenge  bekommen.  Hier  ist  das  wirksame  Prinzip  die 
Stärkung  des  Herzmuskels.  Von  den  neueren  Präparaten  hat  sich 
das  Digitoxin  nicht  bewährt,  trotzdem  es:  den  wirksamen  Bestandteil 
der  Droge  fast  ohne  andere  Beimengungen  enthält.  Das  Digalen  ist 
zu  teuer,  ist  aber  sehr  wirksam.  Auch  bei  ihm  läßt  sich  die  kumu¬ 
lierende  Wirkung  nachweisen.  Die  Ergebnisse  der  Tierexperimente 
lassen  sich  nicht  ohne  weiteres  auf  den  Menschen  anwenden.  Intra¬ 
venös  können  Digalen  und  Strophantin  angewendet  werden.  Bei  der 
Anwendung  des  letzteren  ist  Vorsicht  am  Platze ;  es  sind  verschiedene 
Todesfälle  nach  seinem  Gebrauche  veröffentlicht  worden.  Die  An¬ 
sicht,  daß  Kampfer  auf  das  vasomotorische  Zentrum  wirkt,  ist  heute 
kaum  noch  haltbar.  Koffein  wirkt  dilatierend  auf  die  Koronargefäße. 
Alkohol  erweitert  wahrscheinlich  die  Gefäße  und  hat  eine  lähmende 
Wirkung.  Strychnin  wirkt  schon  in  kleinen  Dosen  anregend  auf  das 
vasomotorische  Zentrum.  Vortragendem  ist  der  Nachweis  gelungen, 
die  mitunter  tödliche  Wirkung  des  Kokains  bei  Lumbalanästhesie  durch 
Strychningaben  zu  paralysieren. 

In  der  sich  anschließenden  Diskussion  hebt  Hürthlq  die  Wider¬ 
sprüche  bei  den  Ergebnissen  der  einzelnen  Forscher  hervor.  Posen¬ 
feld  bestätigt  die  Koffeinwirkung  auf  die  Koronargefäße.  Der  rumä¬ 
nische  Kliniker  Petresko  hat  bei  Pneumonie  12 — 15,0  Digitalis  in 
mehreren  Tagen  gegeben  und  hat  die  beste  Pneumoniestatistik.  P.  hat 
bei  Schrumpf niere  mit  deutlicher,  aber  nicht  lange  anhaltender  Wirkung 
Thiosinamin  gegeben.  Auch  Menthol  subkutan  hat  sich  bei  Herz- 
palpitationen  gut  bewährt.  Jetzt  gibt  er  per  Klysma  (12%  in  Ol. 
Ricin.),  weil  es  an  dem  Einstich  immer  zu  Abszessen  kam. 

Asch  sah  nach  Ergotininjektionen  bei  Gravidis  mit  schwerer 
Nephritis  einen  sofortigen  Rückgang  der  Ödeme,  die  ein  starkes  Geburts¬ 
hindernis  bildeten. 

Im  Schlußwort  führt  Biberfeld  die  widersprechenden  Eor- 
schungsresultate  auf  Ungenauigkeiten,  besonders  in  den  Arbeiten  von 
Gottlieb  und  Magnus  zurück. 


Vorläufige  Mitteilungen  und  Autoreferate. 


1061 


Vorläufige  Mitteilungen  u.  Autoreferate. 

Zur  Kasuistik  des  Diabetes  mellitus. 

Von  Dr.  Brandenberg,  Winterthur. 

(Korrespondenzbl.  für  Schweizer  Ärzte,  Nr.  4,  1909.) 

Diabetes  conjugalis.  62jährige  Frau,  mit  jahrelang  bestehender 
doppelseitiger  Ischias  zeigt  auf  rechtem  Fußrücken  ein  Ulcus,  daneben 
besteht  heftiger  Juckreiz  in  der  Haut,  Durst  und  Hungergefühl  nicht 
abnorm,  keine  deutliehe  Polyurie.  Urinuntersuchung:  spez.  Gewicht 
1030,  Trommer’sche  Probe  deutlich,  Zuckergehalt  3 °/0,  Albumen  nach 
Esbach  l°/oo-  Naunyn  fand  Ulcus  perforans  7 mal  bei  Diabetikern, 
Eiweiß  wird  nach  dem  gleichen  Autor  selten  gefunden.  Es  handelt  sich 
in  diesem  Fall  um  Nierendiabetes.  Nach  einigen  Wochen  wird  der 
Urin  vom  Ehemann  zugleich  mit  dem  der  Frau  eingesandt.  Der  Urin 
der  Frau  ist  zuckerfrei,  der  des  Mannes  gibt  deutlich  Trommer’sche 
Reaktion.  Verwechslung  der  Flaschen  nach  genauer  Information  aus¬ 
geschlossen.  Zucker  konnte  später  im  Urin  des  Mannes  nicht  mehr 
nächgewiesen  werden.  Die  Diagnose  wird  daher  auf:  Glycosuria 
conjugalis  gestellt. 

Diabetes  mellitus  nach  psychischem  Trauma  bei  6 jährigem  Kinde. 
Dasselbe  machte  vom  6.  Mai  bis  8.  Juni  1906  einen  mittelstarken, 
Keuchhusten  durch,  der  nach  Bromoformbehandlung  (zirka  15  g  in 
21/2  Wochen)  günstig  verlief.  Im  August  machte  das  Kind  einen 
großen  Schrecken  durch.  Eine  Leiter,  auf  der  ein  Arbeiter  stand,  brach 
und  fiel  derart,  daß  das  Kind,  von  der  Leiter  unberührt  zwischen 
zwei  Sprossen  derselben  zu  Fall  gebracht  wurde.  Das  Kind  war  längere 
Zeit  sprachlos.  Neben  großem  Appetit  fiel  der  Mutter  das  große 
Durstgefühl,  besonders  zur  Nachtzeit  auf.  Am  19.  Oktober  wurde 
Diabetes  konstatiert,  der  am  27.  November  von  mir  untersuchte  Urin 
zeigte  ein  spezifisches  Gewicht  von  1042,  starke  Trommer’sche  Reaktion, 
Zuckergehalt  81/2 — 9°/0.  Das  Kind  erlag  unter  den  Erscheinungen 
des  Coma  diabeticum  am  2.  Februar  1907.  Der  Keuchhusten  bildete 
wohl  das  prädisponierende,,  das  psychische  Trauma  das  aus¬ 
lösende  Moment  der  in  7  Monaten  tödlich  verlaufenden  Erkrankung. 

Autoreferat. 


Zur  Diagnostik  und  Therapie  der  Dyspepsien  im  Kindesalter. 

Von  Dr.  Brandenberg,  Winterthur.  (Zentralbl.  für  Kinderheilk.,  Nr.  12,  1909.) 

Die  Kunst  der  Ernährung  der  Säuglinge  besteht  nicht  in  der 
Verabfolgung  künstlicher  Nährpräparate,  sondern  in  der  möglichsten 
Vereinfachung  der  Erfnährungstechnik.  Verf.  tritt  warm  für 
die  mikroskopische  Untersuchung  der  Fäzes  ein.  Die  makroskopische 
Beurteilung  der  Fäzes  gibt  erst  eine  richtige  Deutung,  wenn  ein  ,,fait 
aecompli“  vorliegt,  während  die  mikroskopische  Untersuchung  schon 
auf  die  Anfänge  einer  früher  oder  später  einsetzenden  Dyspepsie  auf¬ 
merksam  macht.  Die  Dyspepsien  werden  hervorgerufen  durch  : 

1.  Insuffizienz  der  Eiweißverdauung. 

2.  Insuffizienz  der  Fettverdauung. 

3.  Insuffizienz  der  Kohlenhydratverdauung. 

Verf.  bespricht  die  mikroskopischen  Befunde  bei  jeder  dieser  Gruppen. 


1062 


Referate  und  Besprechungen. 


Bei  der  ersten  Gruppe  empfiehlt  er  Verwendung  der  Backhaus¬ 
milch  und  Buttermilch,  in  geeigneten  Fällen  Zusatz  eines  Kindermehls. 
Bei  der  zweiten  Gruppe  spricht  er  speziell  der  Buttermilch  das  Wort. 
Bei  den  „Kohlenhydratdyspepsien“  werden  die  jodophilen  oder  Granulose- 
bakterien  erwähnt,  wo  diese  vorhanden,  wird  statt  Zucker  Saccharin 
zur  Versüßung  verwendet,  günstigen  Einfluß  auf  das  Verschwinden 
dieser  Bakterien  schreibt  Verf.  dem  Benzonaphtol  zu.  Bei  Insuffizienz 
der  Kohlenhydratverdauung  darf  von  Kindermehlen  am  ehesten  noch 
Theinhardt’s  Kindernahrung  versucht  werden,  bei  dem  das  Dextrin 
durch  Enzymeinwirkung  erzeugt  ist  und  deshalb  leichter  verdaulich 
sein  soll  als  das  durch  chemischen  Prozeß  erzeugte  Dextrin. 

Autoreferat. 


Referate  und  Besprechungen. 

Innere  Medizin. 

Herz  und  Gemüt. 

(G.  Rh  ein  er.  Korrespondenzbl.  für  Schweizer  Ärzte,  Nr.  7,  1909.) 

Rh  ein  er  betont,  daß  man  trotz  aller  physikalischen  Diagnostik  am 
Herzen  öfter  als  an  anderen  Organen  unliebsame  Überraschungen  erlebe, 
da  der  Einblick  in  die  Lebensverhältnisse  des  gesunden  und  kranken  Herzens 
mangelhaft  sei.  Sichere  Anhaltspunkte,  um  psychogene  Herzbeschwerden  beim 
gesunden  Herzen  von  Beschwerden  durch  anatomisch  nachweisbare  Verände¬ 
rungen  zu  unterscheiden,  gebe  es  nicht,  und  besonders  dann  sei  die  Ent¬ 
scheidung  schwierig,  wenn  man  die  Kranken  nicht  schon  länger  kenne. 

Er  berichtet  den  —  leider  seltenen  —  Fall  einer  alten  Frau,  deren  Me¬ 
lancholie,  da  sie  einen  sehr  harten,  etwas  unregelmäßigen  Puls  von  120—140 
hatte,  versuchsweise  und  mit  bestem  Erfolg  mit  Digitalis  behandelt  wurde, 
nachdem  ihre  Geistesstörung  wochenlang  unverändert  bestanden  hatte.  Nach 
4,5  g  im  Infus  ging  der  Puls  auf  72—80  Schläge  und  die  Psyche  wurde  klar, 
die  Körperkräfte  stellten  sich  wieder  her,  und  die  Heilung  scheint  von 
Bestand  zu  sein.  Er.  von  den  Velden. 


Eine  neue  Appendizitistherapie. 

(Vorläufige  Mitteilung  von  Distriktsarzt  Heinrich  Jaeger  in  Bartenstein  (Württ.). 

Münch,  med.  Wochenschr.,  Nr.  46,  1908.) 

Jaeger  berichtet  über  ein  Verfahren  bei  Appendizitis,  das  er,  da  er 
selbst  ein  Anhänger  der  operativen  Therapie  ist,  nur  in  Fällen  angewandt 
wissen  will,  wo  eine  Operation  aus  irgend  einem  Grunde  unmöglich  ist.  Er 
konnte  es  bisher  erst  in  sechs  Fällen  anwenden.  Es  besteht  darin,  daß  er 
unter  Weglassung  aller  Medikamente  die  ersten  zwei  Tage  die  Patienten 
fasten  läßt  und  ihnen  täglich  1 — 2  mal  die  ganze  rechte  Unterbauchgegend 
eine  halbe  Stunde  lang  mit  gewöhnlichen  Schröpfköpfen  dicht  besetzt,  sie 
dann  abnimmt  und  dann  nochmals  eine  halbe  Stunde  lang  auf  die  frei  ge¬ 
bliebenen  Interstitien  auf  setzt.  Vom  3.  bis  4.  Tage  ab  wurde  dies  nur  einmal 
täglich  ausgeführt  und  flüssige  Diät  gegeben.  Er  konnte  beobachten,  daß 
schon  während  der  2.  Sitzung  bei  der  Mehrzahl  der  Fälle  die  Schmerzen 
wegblieben,  wobei  gleichzeitig  das  Fieber  zu  sinken  begann.  Jaeger  bittet 
um  Nachprüfung  dieses  Verfahrens.  F.  Walther. 


Referate  und  Besprechungen. 


1063 


Untersuchungen  über  Indolbildung  des  Bakterium  coli  commune. 

(W.  C.  de  Gr a aff.  Zentralbl.  für  Bakt.  Bd.  49,  H.  2.) 

Die  Indolbildung  ist  bei  den  verschiedenen  Colistämmen  im  allgemeinen 
ungleich.  Stets  wird  das  gleiche  Quantum  Indol  von  ein  und  demselben  Coli- 
Bakterium  gebildet,  wenn  es  stets  auf  dieselbe  Art  gezüchtet  wurde.  Die 
Indolbildung  hat  nach  3  Wochen  ihr  Maximum  erreicht.  Es  verringert  sich 
Indolbildung  bei  starker  Alkaleszenz  des  Nährbodens  und  bei  anärober  Züch¬ 
tung;  Zusatz  von  Glukose  zum  Nährboden  hemmt  die  Indolproduktion  voll¬ 
ständig.  In  Bouillon  ohne  Peptonzusatz  bilden  die  Coli-Bazillen  kein  Indol. 

Schürmann  (Düsseldorf). 


Diagnose  und  Therapie  der  akuten  Cholezystitis. 

(L.  Arnsperger.  Med.  Klinik,  Nr.  11,  1909.) 

Die  Diagnose  der  akuten  Gallenblasenentzündung  beruht  auf  dem 
Nachweis  der  vergrößerten,  bimförmigen,  schmerzhaften  Gallenblase,  die  sich 
durch  die  anfangs  weichen  Bauchdecken  palpieren  läßt.  Daneben  besteht 
meist  Fieber,  hoher  Puls,  allgemeiner  schwerer  Krankheitszustand  und  häufig 
galliges  Erbrechen.  Ikterus  fehlt  im  Anfang  stets.  Während  nun  die  Dia¬ 
gnose,  im  Anfänge  der  Erkrankung  wenigstens,  leicht  sein  kann,  kann  sie 
in  anderen  Fällen  sehr  schwer,  fast  unmöglich  werden.  Besonders  nahe  liegt 
eine  Verwechslung  mit  akuter  Appendizitis,  mit  der  die  Erkrankung  praktisch 
auch  am  meisten  verwechselt  wird.  Differentialdiagnostisch  kommen  hier 
in  Betracht:  Lokalisation  der  größten  Bauchdeckenspannung  und  Schmerz¬ 
haftigkeit  mehr  in  der  Oberbauchgegend,  der  Nachweis  des  Zusammenhanges 
der  Resistenz  oder  Dämpfung  mit  der  Leber,  und  als  wichtigstes  Zeichen  die 
Feststellung  einer  schmerzfreien,  eventuell  tympanischen  Zone  zwischen  Resi¬ 
stenz  und  Poupar t’schem  Bande,  die  bei  Appendizitis  fast  nie  gefunden 
wird.  —  Die  Behandlung  der  akuten  Cholezystitis  ist  zunächst  auf  internem 
Wege  zu  versuchen,  mit  Bettruhe  und  warmen  Umschlägen,  eventuell  unter 
Zuhilfenahme  von  einigen  Morphiumeinspritzungen ;  indessen  ist  hiermit,  wie 
bei  der  Behandlung  der  akuten  Appendizitis,  Vorsicht  geboten  wegen  möglicher 
Verschleierung  des  Krankheitsbildes.  Gegen  Obstipation  sind  vorsichtige  Ein¬ 
läufe  von  Öl  oder  Kamillen  am  Platze,  Abführmittel  kontraindiziert.  Da¬ 
gegen  ist  die  Operation  im  akuten  Stadium  indiziert,  wenn  die  Erkrankung 
so  heftig  auftritt,  oder  so  progressiven  Charakter  zeigt,  daß  das  Leben  des 
Kranken  bedroht  wird,  (absolute  Indikation),  d.  h.  wenn  sich  schwere  peri- 
tonitische  (steigende  Pulsfrequenz,  größere  Empfindlichkeit  und  verbreitete 
Muskelspannung)  oder  cholangitisch-septische  Symptome  einstellen. 

[Es  wird  aber  hierbei,  genau  wie  bei  der  akuten  Appendizitis,  die  große 
Schwierigkeit  sich  ergeben,  daß  der  geeignete  Zeitpunkt  nicht  versäumt  wird; 
die  Schwierigkeit  bei  der  akuten  Cholezystitis  ist  aber  unter  Umständen 
um  so  größer,  weil,  wie  Arnsperger  ausführt,  etwa  auf  tretender  Ikterus 
sowohl  in  einer  einsetzenden  Cholangitis  ascendens  diffusa,  die  eine  sehr 
schlechte  Prognose  gibt,  ihre  Ursache  haben,  als  auf  dem  Vorhandensein  eines 
Steines  beruhen  kann,  der  von  den  Naturkräften  durch  die  Gallenwege  in  das 
Duodeum  befördert  wird,  und  letztere  Fälle  nach  Möglichkeit  nicht  operiert 
werden  sollen.  Differentialdiagnostisch  gegen  die  Cholangitis  diffusa  käme 
bei  diesen  Fällen  das  Fehlen  schwerer  septischer  Erscheinungen  in  Betracht.  — 
In  solchen  Lagen  hängt  aber  von  der  subjektiven  Beurteilung  durch  den  Be¬ 
obachter  und  seinem  Standpunkt  alles  ab.  Ref.]  —  Eine  relative  Indikation  zur 
Operation  besteht  dann,  wenn  die  Erkrankung  nach  4 — 6  Tagen  interner 
Therapie  nicht  deutlich  zurückgeht,  sondern  sich  in  die  Länge  zieht.  —  Als 
Operationsmethode  gibt  die  Cholezystektomie,  auch  im  Anfalle,  wobei  also 
das  erkrankte  Organ  gänzlich  entfernt  wird,  die  besten  Resultate,  wie  Verf. 
auch  an  seinem  Material  (im  ganzen  36  Fälle,  darunter  12  Cholezystektomien 
mit  11  Heilungen  und  1  Todesfall;  letzterer  erfolgte  an  Lungenembolie, 
deren  Thrombus  aus  der  Vena  poplitea  stammte)  nachgewiesen  hat. 


1064 


Referate  und  Besprechungen. 


Im  allgemeinen  ist  wie  bei  der  Appendizitis  auch  hier  die  V ornahme 
der  Operation  im  Intervall,  d.  h.  im  entzündungsfreien  Zustande  das  schonen- 
dere  Verfahren.  R.  Stüve  (Osnabrück). 


Europäische  Chylurie. 

(A.  Magnus-Levy.  Zeitschr.  für  klin.  Medizin,  Bd.  66,  S.  482.) 

Bei  einem  seit  6  Jahren  in  der  kälteren  Jahreszeit  trüben  Urin  aus¬ 
scheidenden  und  an  Harnbeschwerden  leidenden,  aber  erst  seit  einigen  Monaten 
abgemagerten  51jährigen  Buschwärter  von  der  Nogatmündung,  wurden  in 
dreiwöchiger  Beobachtungszeit  neben  Zucker,  der  übrigens  mit  Entziehung 
der  Kohlenhydrate  verschwand,  milchige,  gerinnende  Beimengungen  zum  Harn 
festgestellt,  meist  so,  daß  der  Nachtharn  chylös  war,  der  Tagharn  klar  und 
frei  von  Eiweiß  und  Fett.  Nach  kystoskopischer  Ermittlung  stammte  die  trübe, 
reichlich  sezernierte  Flüssigkeit  aus  dem  rechten  Ureter;  es  wurden  unter  Zu¬ 
grundelegung  des  Harns  der  linken  Niere  berechnet  2  Teile  Chylus  auf  1  Teil 
Urin.  Unter  Berücksichtigung  dieses  Umstandes  kommt  ein  Kochsalzgehalt 
von  0,60%,  Eiweißgehalt  von  3,45%  Fettgehalt  von  2,8%  heraus,  Zahlen, 
die  mit  den  von  Munk  u.  Rosen  st  ein  (1891)  bei  einer  Lymphfistel  des  Beins 
ermittelten  gut  übereinstimmen.  Magnus-Levy  erörtert  eingehend  unter  ge¬ 
schickter  Verwertung  der  Kasuistik  die  alten  Streitfragen  über  die  (europäische) 
Chylurie,  wobei  er  sich  wesentlich  zu  denselben  Resultaten,  wie  vor  Jahren 
Carter,  bekennt  und  eine  direkte  Zuleitung  von  Chylus  (Lymphe)  aus  dem 
Lymph-  in  die  Harnwege  annimmt,  ohne  daß  es  gelingt,  die  Kommunikations¬ 
stelle  auch  makroskopisch  nachzuweisen.  Eine  besondere  Blutbeschaffenheit 
anzunehmen,  ist  ganz  unnötig.  Das  gelegentliche  Vorkommen  von  Zucker  — 
4 — 6  mal  unter  etwa  50  Fällen  von  europäischer  Chylurie  —  könnte  mit  Rück¬ 
stauung  in  das  Pankreas  Zusammenhängen  und  mit.  entzündlichen  Vorgängen, 
die  ohnedies,  mangels  eines  zureichenden  Parasitismus,  bei  den  europäischen 
Fällen  in  ätiologischer  Beziehung  in  den  Vordergrund  zu  stellen  sind. 

H.  Vierordt  (Tübingen). 


Aus  der  Universitäts-Frauenklinik  zu  Erlangen. 

Über  einen  Fall  von  Icterus  gravis. 

(Adolf  Hiiffell,  Assistent.  Münch,  med.  Wochenschr.,  Nr.  8,  1909.) 

Ein  12  Tage  altes  Brustkind  kommt  wegen  hochgradigen  Ikterus  und 
Nabelblutungen  in  die  Klinik.  Im  weiteren  Krankheitsverlauf  stellen  sich 
dunkelblaue  Flecken  am  Rücken,  zahlreiche  Hauthämorrhagien,  Nasenbluten, 
Darmblutungen,  Hämatom  am  Oberschenkel  ein.  Die  Nabelblutung  sistiert 
nicht.  Der  anfangs  acholische  Stuhl  wird  allmählich  dunkler.  Die  zwecks 
Blutstillung  vorgenommenen  Gelatineinjektionen  müssen  wegen  Blutung  aus 
den  Stichkanälen  aufgegeben  werden.  Die  anfänglich  36,5°  betragende  Tempe¬ 
ratur  steigt  langsam  auf  38,5°  und  39,3°.  Plötzlich  erfolgt  der  Exitus. 

Der  Fall  ist  als  septische  Erkrankung,  die  ihren  Ausgangspunkt  vom 
Nabel  genommen  hat,  aufzufassen,  fanden  sich  doch  sowohl  im  Blut  des 
Oberschenkelhämatoms,  sowie  in  dem  eine  Stunde  nach  dem  Tode  entnommenen 
Blute  zahlreiche  Streptokokkenketten.  Das  Fieber  glaubt  Hüffell  weniger 
mit  der  Sepsis  in  Verbindung  bringen  zu  müssen,  da  es  bei  Neugeborenen  oft 
fehlt,  er  hält  es  vielmehr  für  ein  Resorptionsfieber  der  Gelatine.  Der  Ikterus 
ist  wohl,  da  jede  Veränderung  an  der  Leber  fehlt,  als  Stauungsikterus  zu 
erklären.  Die  hämorrhagische  Diathese  ist  eine  bekannte  Begleiterscheinung 
des  Icterus  gravis.  Die  Therapie  hat  in  derartigen  Fällen  keine  Erfolge 
aufzuweisen.  F.  Walther. 


Referate  und  Besprechungen. 


1065 


Aus  dem  Spital  Cochin,  Paris. 

Icterus  hämolyticus. 

(Chauffard.  Allg.  Wiener  med.  Zeitung,  Nr.  42,  1908.) 

Statt  des  alten  hepato-  und  hämatogenen  unterscheidet  man  jetzt  einen 
Retentions-  und  einen  hämolytischen  Ikterus.  Bei  letzterem  findet  man  ,, glo¬ 
buläre  Hyporesistenz“  und  zahlreiche  kernhaltige  rote  Blutkörperchen,  die 
offenbar  vom  Knochenmark  ausgehen.  Die  Frage  der  Wechselbeziehungen 
der  Milzvergrößerung  zu  dem  hämolytischen  Prozeß  ist  noch  ungelöst,  jedoch 
kann  man  eine  „posthämolytische“  Splenomegalie  und  eine  wahre  „pleno- 
megalische  Hämolyse“  unterscheiden. 

Die  kongenital  hämolytisch  Ikterischen  zeigen  Milzhypertrophie,  Urobi- 
linurie  und  Nichtentfärbung  des  Stuhls,  sie  sind  zwar  nicht  eigentlich  krank, 
aber  doch  schwach,  etwas  anämisch,  zeigen  periodische  Besserung.  Die  Krank¬ 
heit  ist  unheilbar,  sie  besteht  in  einer  kompensierten  Dystrophie.  Man  hat 
außer  dem  angeborenen  noch  den  erworbenen  h.  Ikterus  und  die  ikterogene 
perniziöse  Anämie  zu  unterscheiden.  Widal  hat  Chlorkalzium  ohne  Erfolg 
versucht.  Ch.  hatte  bei  der  anämischen  Form  einige  Male  Glück  mit  Injektion 
von  Natriumarseniat  und  mit  der  Opotherapie  (Knochenmark).  Esch. 


Aus  der  inneren  Abteilung  des  jüdischen  Krankenhauses  und  der  chemischen 
Abteilung  des  Kgl.  hygienischen  Instituts  zu  Posen. 

Beiträge  zur  Diagnostik  von  Pankreaserkrankungen. 

(L.  Caro  u.  E.  Wörner.  Berliner  klin.  Wochenschr.,  Nr.  8,  1909.) 

In  einem  Fall  von  subakut  verlaufender  hämorrhagischer  Pankreas¬ 
nekrose,  sowie  bei  einer  Pankreasaffektion,  die  pathologisch-anatomisch  aller¬ 
dings  den  Nebenbefund  bildete,  aber  doch  eine  ausgesprochene  Funktionsherab¬ 
setzung  der  Bauchspeicheldrüse  verursachte,  erwies  sich  die  Cammidge’sche 
Reaktion  positiv.  Die  Ausführung  derselben  war  von  den  Verfassern  in 
chemisch-technischer  Beziehung  etwas  vereinfacht.  Sie  fassen  ihre  Ergebnisse 
dahin  zusammen,  daß  in  dem  einen  Falle  der  Schmelzpunkt  der  Phenyl¬ 
hydrazin-  und  Parabromphenylhydrazinverbindung  anzeigt,  daß  Glykuron- 
säure  am  positiven  Ausfall  der  Reaktion  beteiligt  ist.  Es  empfiehlt  sich 
daher,  bei  allen  positiven  Resultaten  die  Parabromphenylhydrazinverbindung 
darzustellen  und  durch  Schmelzpunkte  eventuell  durch  ihre  starke  Links¬ 
drehung  zu  charakterisieren.  Endlich  konnten  die  Verfasser  die  Deucher’sche 
Beobachtung  bestätigen,  nach  der  bei  Pankreaserkrankungen  der  Lezithin¬ 
gehalt  des  Kotes  zunimmt.  F.  Walther. 


Pathogenese  und  Aetrologie  der  Achylia  gastrica. 

(K.  Faber  u.  G.  Lange,  Zeitschr.  für  klin.  Med.,  Bd.  66,  S.  53  u.  246.) 

An  12  in  der  Kopenhagener  Klinik  genau  beobachteten  Fällen,  teil¬ 
weise  mit  eingehenden  anatomischen  Befunden,  suchen  die  Verf.  den  Nach¬ 
weis  zu  führen,  daß  die  chronische  Achylia  gastrica  mit  aufgehobener  Magen¬ 
saftsekretion,  bei  geringer  (weniger  auf  Salzsäure  als)  auf  sauren  Phos¬ 
phaten  beruhender  Totalazidität,  auf  krankhaften  Veränderungen  im  Epithel 
und  interstitiellem  Gewebe  des  Magens,  auf  einer  chronischen  Gastritis  be¬ 
ruhe,  die  auch  ohne  Vermehrung  der  Schleimsekretion  verlaufen  könne.  Lang¬ 
andauernde  Achylie  könne  keinesfalls  als  rein  „nervöse“  auf  gef  aßt  werden, 
wenn  auch  eine  solche  gelegentlich  Vorkommen  mag.  Die  Achylie  tritt  meistens 
erst  in  den  höheren  Altersstufen,  nach  dem  40.  und  besonders  50.  Jahre  auf, 
ohne  daß  sie  als  eigentlich  „senile“  Erscheinung  aufzufassen  wäre.  Mangel¬ 
haftes  Gebiß  und  demgemäß  ungenügendes  Kauen  sollen  dabei  häufig  Vor¬ 
kommen,  freilich  nicht  die  einzige  Ursache  der  Affektion  darstellen,  da 
auch  solche  toxischer  Natur  (bei  perniziöser  Anämie,  Typhus  u.  a.)  anzu¬ 
nehmen  ist.  Ein  einheitliches  Symptomenbild  läßt  sich  nur  schwer  auf¬ 
stellen,  da  die  Beschwerden  nach  Art  und  Stärke  sehr  wechseln. 

H.  Vierordt  (Tübingen). 


1066 


Referate  und  Besprechungen. 


Zur  Pathologie  und  Therapie  der  falschen  (erworbenen)  Divertikel 

des  Dickdarms. 

(Prof.  Felix  Franke,  Chefarzt  des  Diakonissenhauses  Marienstift  in  Bräunschweig. 

Deutsche  med.  Wochenschr.,  N‘r.  3,  1909.) 

Wie  aus  der  Literatur  hervorgeht,  ist  die  Anlage  zur  Divertikelbildung 
des  Darms  ziemlich  häufig.  Besonders  die  kleinsten,  nur  mikroskopisch  sicht¬ 
baren  finden  sich  zahlreich,  seltener  die  größeren.  Die  Divertikel  sind  an 
allen  Teilen  des  Darms  beobachtet  worden,  hauptsächlich  an  der  Flexura  sig- 
moidea.  Ihre  Zahl  schwankt  zwischen  1  und  mehreren  100.  Gewöhnlich  sitzen 
sie  am  Mesenterialansatz  und  sind  von  runder  oder  länglicher  Gestalt,  oft¬ 
mals  gestielt.  Der  Unterschied  zwischen  falschem  und  wahrem  Divertikel  hat 
sich  dadurch  etwas  verwischt,  daß  sich  auch  bei  ersterem  nicht  selten  ein 
muskulärer  Überzug  konstatieren  läßt.  Die  Ätiologie  ist  noch  nicht  geklärt, 
nur  soviel  steht  fest,  daß  sie  sich  hauptsächlich  bei  älteren  Personen  finden. 
Die  pathologisch-anatomischen  Veränderungen  sind  ziemlich  vielgestaltig.  Man 
kann  eine  Divertikulitis  und  Peridivertikulitis  unterscheiden.  Entweder  ent¬ 
wickelt  sich  dann  eine  Peritonitis  ohne  Perforation,  nur  durch  Überwandern 
der  Bazillen  durch  die  dünne  Wand,  oder  es  kommt  zur  chronischen  proli- 
ferierenden  Entzündung  mit  Verdickung  der  Darmwand  bis  zur  Tumor-  und 
Stenosenbildung,  wobei  es  bald  zu  Verwachsungen  mit  benachbarten  Organen, 
bald  zu  geschwürigen  Prozessen  mit  Perforation  kommt.  Zuweilen  hat  man 
die  Entwicklung  eines-  Karzinoms  im  Anschluß  an  die  Divertikelbildung, 
sowie  die  Entstehung  von  Kotsteinen  beobachtet. 

Die  klinischen  Symptome  ähneln  denen  der  Appendizitis.  Wegen  des 
Sitzes  in  der  linken  Unterbauchgegend  ist  die  Diagnose  oft  erschwert.  Hat 
man  einen  Tumor  vor  sich,  der  umschrieben  und  rundlich  ist,  so  ist  bei  der 
Frage  nach  der  Malignität  wichtig,  daß  bei  Tumoren  infolge  Divertikels  fast 
niemals  Darmblutungen  beobachtet  werden.  Ist  der  Tumor  mehr  wurst¬ 
förmig,  ist  die  Diagnose  bedeutend  leichter.  In  diese  Gruppe  gehören  dann 
auch  die  Fälle,  bei  denen  der  Dickdarm  leicht  verdickt  ist  oder  sich  wie  ein 
fester,  unter  dem  Finger  hin-  und  hergleitender  Strang  anfühlt.  Die  meisten 
als  Kolitis  oder  Sigmoiditis  beschriebenen  Fälle  dürften  nach  Frankens  An¬ 
sicht  auf  eine  Erkrankung  der  Divertikel  zurückzuführen  sein.  Er  berichtet 
eingehend  über  einen  Fall,  der  jahrelang  an  chronischer  hartnäckiger  Kolitis 
mit  unaufhörlichen  Durchfällen  erkrankt  war  und  durch  Operation  als  Er¬ 
krankung  der  Divertikel  erkannt  und  geheilt  wurde.  Wenn  es  in  den  meisten 
Fällen  auch  zur  Selbstheilung  kommt,  so  besteht  die  Therapie  beim  Aus¬ 
bleiben  derselben  in  der  Hauptsache  in  Operation  (Kolostomie,  Resektion). 
Verfasser  glaubt,  daß  die  Erkrankung  in  Zukunft  noch  an  Bedeutung  ge¬ 
winnen  werde.  *  F.  Walther. 


Vikariierende  Tätigkeit  des  Darmes  bei  Nephritis. 

(C.  Ru  ding  er.  Wiener  klin.  Wochenschr.,  Nr.  14,  1908.) 

Bei  Nephritikern  findet  man  meist  eine  gegenüber  der  Norm  gesteigerte 
Ausscheidung  von  Stickstoff  und  Ammoniak  durch  den  Darm,  welche  sich 
durch  Laxantien  noch  bedeutend  steigern  läßt.  In  letzterem  Falle  nimmt 
namentlich  der  Ammoniakgehalt  der  Fäkes  zu,  was  beweist,  daß  der  Darm 
Eiweißschlacken  auszuscheiden  fähig  ist.  E.  Oberndörffer. 


Klinisch  diagnostisch  schwierige  Krankheitsfälle  aus  der  Gruppe  der 
infektiösen  Darmerkrankungen.  (Enteritis,  Dysenterie,  Pseudodysenterie, 

Paratyphus,  Typhus.) 

(Adolf  Baginsky,  Berlin.  Archiv  für  Kinderheilk.,  Bd.  49,  H.  3  u.  4.) 

Überaus  instruktive  Krankengeschichten  mit  besonderer  Berücksichtigung 
der  bakteriologischen  Befunde,  Differentialdiagnose  und  Epikrise ;  zu  kurzem 
Referat  ungeeignet.  Im  Anhang  empfiehlt  B.  Kochsalzinfusionen,  denen  er 
gelegentlich  einen  geradezu  lebensrettenden  Einfluß  zuspricht.  Er  empfiehlt 


Referate  und  Besprechungen. 


1067 


nicht  physiologische  (6 — 7%)  NaCl- Lösungen,  sondern  3 — 4%ige.  Bei  Säug¬ 
lingen  100 — 150  ccm,  höchstens  2  mal  tgl.,  für  ältere  Kinder  300 — 500  ccm 
pro  dosi,  ebenfalls  2  mal  tgl.  Reiss. 


lieber  das  Vorkommen  der  sogenannten  „langen  Bazillen“  im  Verdauungs- 
traktus  und  ihre  Beziehungen  zu  den  Funktionsstörungen  des  Magens. 

(E.  Fricker.  Archiv,  für  Verdauungskrankli.,  Bd.  14,  H.  5.) 

Die  zur  Gattung  Leptothrix  gehörenden  sog.  „langen  Bazillen“,  „Faden¬ 
bazillen“,  Milchsäurebazillen“,  „Boas-Oppler’schen“  Bazillen  kommen  außer  in 
stagnierendem,  salzsäurearmem  Mageninhalt  auch  in  anderen  Teilen  des  Ver- 
dauungstraktus  —  Mundhöhle,  Speiseröhre,  Darm  —  vor  und  gelangen  daselbst 
unter  besonders  günstigen  Entwicklungsbedingungen  zur  Anreicherung.  Sie 
geben  aber  nur,  wenn  sie  sich  auf  amylumhaltigen  Nährboden  entwickelt  haben, 
die  sog.  Granulosereaktion.  Da  diese  somit  keine  konstante  Eigenschaft  der 
langen  Bazillen  ist,  so  darf  sie  allein  nicht  zur  Differenzierung  gegenüber 
anderen  Mikroorganismen  derselben  Gattung  verwendet  werden ;  wohl  aber 
eignet  sie  sich  unter  Berücksichtigung  der  übrigen  biologischen  und  morpho¬ 
logischen  Eigentümlichkeiten  gut  zur  Agnoszierung.  Die  langen  Bazillen 
sind  nicht  nur  als  Erreger  der  Milchsäuregärung  im  stagnierenden,  salzsäure¬ 
armen  Mageninhalt  zu  betrachten,  sondern  es  fällt  ihnen  diese  Rolle  höchst 
wahrscheinlich  auch  im  stagnierenden  Ösophagusinhalt  und  unter  außergewöhn¬ 
lichen  Verhältnissen  vielleicht  auch  im  Darm  zu. 

Der  Magen  entledigt  sich  normalerweise  innerhalb  bestimmter  Zeiträume 
vollkommen  seines  Inhaltes;  bis  zu  einem  gewissen  Grade  erstreckt  sich  dieser 
Reinigungsprozeß  auch  auf  einige  Saprophyten,  wie  Hefe,  Sarzine,  lange 
Bazillen,  die  sich  also  bei  ungestörter  Motilität  nicht  anreichern  können. 
Genügt  nun  bei  Hefe  und  Sarzine  die  motorische  Störung  allein,  um  eine 
Anreicherung  zu  ermöglichen,  so  muß  für  die  langen  Bazillen  noch  eine 
Störung  des  Chemismus,  eine  Herabsetzung  der  Salzsäureproduktion,  gleich¬ 
zeitig  vorhanden  sein.  Der  Befund  erheblich  vermehrter  Fadenbazillen  in 
einem  Mageninhalt  berechtigt  uns  folglich  zu  dem  Schlüsse,  daß  im  betreffenden 
Fall  ein  Zusammentreffen  verminderter  Salzsäureproduktion  mit  Herabsetzung 
des  Entleerungsvermögens  stattgefunden  hat,  was  weitaus  am  meisten  beim 
Karzinom  zutrifft.  Eine  pathognomonische  Bedeutung  kommt  den  langen 
Bazillen  ebensowenig  wie  der  ihnen  in  diagnostischer  Beziehung  gleichwertigen 
Milchsäure  zu 

Die  Vorteile  der  mikroskopischen  Funktionsdiagnostik  unter  Mithilfe 
der  langen  Bazillen  gegenüber  den  chemischen  Untersuchungsmethoden  (Milch¬ 
säurenachweis)  bestehen  einmal  darin,  daß  zur  ersteren  die  kleinsten  Mengen 
des  Untersuchungsmaterials  (Ausgehebertes,  Erbrochenes,  Schleim  im  Sonden¬ 
fenster)  genügen,  Quantitäten,  welche  eine  zuverlässige  chemische  Prüfung 
nicht  immer  zulassen,  dann  des  weiteren  darin,  daß  es  dazu  nicht,  wie  zum 
Milchsäurenachweis,  besonderer  Kautelen  bedarf.  (Nach  der  Zusammenfassung 
des  Verfassers.)  '  M.  Kaufmann. 


Der  Tuberkelbazillus  als  Ursache  der  Leberzirrhose. 

(H.  Gougerot.  Revue  de  med.,  29.  Jahrgang,  Nr.  1,  S.  81-111,  Februar  1909.) 

Die  Domäne  des  Koch’schen  Bazillus  dehnt  sich  immer  mehr  aus; 
seinen  mannigfaltigen  Schandtaten  fügt  Gougerot  noch  eine  weitere  hinzu: 
der  Tuberkelbazillus  ruft  auch  Leberzirrhose  hervor.  Zwar  hatten  gewiegte 
Kliniker  das  schon  lange  vermutet;  allein  der  exakte  Beweis  stand  noch  aus. 
Dieser  ist  aber  nicht  so  leicht  zu  erbringen,  als  manch  einer  wohl  denken 
mag;  denn  wenn  man  in  der  hergebrachten  Weise  Tüberkelbazillen  in  die 
Bauchhöhle  einspritzt,  dann  entwickelt  sich  bei  den  Meerschweinchen  eine 
rasch  verlaufende  Tuberkulose  und  das  Tier  ist  tot,  ehe  es  zu  demonstrablen 
zirrhotischen  Veränderungen  kommt.  Man  muß  also  wenige  und  abgeschwächte 
Bazillen  wählen,  etwa  solche  von  einer  tuberkulösen  Meningitis,  Pleuritis 


1068 


.Referate  und  Besprechungen. 


sero-fibrinosa,  von  einem  Lupus,  Behring’sche  Vakzine  oder  den  für  Meer¬ 
schweinchen  weniger  gefährlichen  Typus  humanus.  Andererseits  muß  man 
die  Lebensdauer  der  Tiere  durch  Tuberkulininjektionen  verlängern;  aber  man 
hüte  sich,  diese  zu  stark  zu  nehmen !  sonst  gehen  die  Tiere  daran  zugrunde. 

Hat  man  sich  durch  diese  Scylla  und  Charybdis  der  Experimentierkunst 
glücklich  hindurchgefunden,  so  findet  man  bei  den  Meerschweinchen  alle 
die  von  menschlichen  Obduktionen  her  wohlbekannten  Bilder :  frische  Zirrhose 
mit  Hepatitis  interstitialis  und  beginnende  Sklerose;  hypertrophische  und 
atrophische  Zirrhose  mit  und  ohne  Neubildung  von  Gallengängen,  Hepatitis 
parenchymatosa,  Steatose  und  Mischformen  von  sklerosierenden  und  fettigen 
Prozessen. 

Also:  der  scharfsinnige  Diagnostiker  und  ätiologische  Therapeut  wird 
angesichts  eines  Zirrhotikers  nicht  mehr  bloß  an  den  Alkohol,  sondern  auch 
an  den  Tuberkelbazillus  denken.  Ich  halte  es  aber  nicht  für  wahrscheinlich, 
daß  damit  die  Reihe  der  Ursachen  erschöpft  ist;  Spezialisten  für  Koli- 
bazillen,  für  den  sog.  Typhusbazillus,  für  Ruhr,  Appendizitis  usw.  werden 
die  Zirrhose  wohl  mit  guten  Gründen  auch  für  ihre  Spezialnoxe  reklamieren, 
so  daß  man  zum  Schluß  erst  recht  nicht  weiß,  wie  eigentlich  die  Zirrhose 
entsteht.  Buttersack  (Berlin). 


Ein  Fall  von  angeborener  Hypoplasie  der  Leber. 

(S.  M.  Zypkin.  Virchows  Archiv  für  pathol.  Anatomie,  Bd.  194,  S.  68,  1908.) 

Bei  einer  30  jährigen  Frau,  bei  der  erst  9  Monate  vor  ihrem  Tode 
Aszites  aufgetreten  war,  fand  sich  eine  winzig  kleine  Leber.  Sie  maß  nur 
15:11:6  cm  bei  etwa  500  g  Gewicht’;  war  unregelmäßig  ovoid  und  ohne 
die  normale  Lappenbildung.  Die  Oberfläche  war  glatt.  Die  linke  Leber¬ 
hälfte  bildete  einen  kegelförmigen,  an  seiner  Spitze  mit  dem  Zwerchfelle 
verwachsenen  Höcker,  an  dessen  Vorderfläche  die  Gallenblase  in  einem  breiten 
Ausschnitte  lag.  Die  untere  Fläche  der  Leber  zeigte  mehrere  unbedeutende 
Vertiefungen  und  ließ  ebenfalls  die  normale  Lappenbildung  vermissen.  Die 
Milz  war  sehr  vergrößert  (17  : 18  :  5  cm).  Im  Stamme  der  sklerotischen  Pfort¬ 
ader  steckte  ein  dunkelroter,  mit  der  Wand  fest  verschmolzener,  aber  doch 
noch  frischerer  Thrombus. 

Verf.  glaubt  es  mit  einer  angeborenen  Hypoplasie  der  Leber  zu  tun 
zu  haben,  da  gleichzeitig  auch  die  Genitalien  sehr  klein  waren,  und  die 
Leber  nur  Veränderungen  aufwies,  die  als  Folge  des  Pfortaderversehlusses 
anzusehen  waren.  Die  Entstehung  des  Aszites  führt  Verf.  auf  die  durch 
die  Hypoplasie  bedingte  Einengung  des  Gefäßbettes  der  Leber  zurück.  Das 
dadurch  hervorgerufene  Hindernis  für  die  Zirkulation  wurde  höchst  wahr¬ 
scheinlich  während  des  größten  Tbils  des  Lebens  überwunden,  erst  in  der 
allerletzten  Zeit  traten  Kompensationsstörungen  und  damit  der  Aszites  ein. 

W.  Risel  (Zwickau). 


Phobien  und  Dyspepsien. 

(Jacques  Carles.  Bull,  med.,  Nr.  87,  S.  963 — 965,  1908.) 

Carles  hat  eine  Reihe  von  neuropathischen  Zuständen,  z.  B.  Beklem¬ 
mungen,  Angstanfälle,  Schwindel,  Angst  nicht  mehr  gehen  zu  können  oder 
Aufträge  zu  vergessen,  Zustände,  die  nach  dem  Typus  der  Phobien  auftraten, 
dadurch  geheilt,  daß  er  die  gleichzeitig  bestehenden  Störungen  der  Magen- 
Darmtätigkeit  beseitigte.  Dieselben  bestanden  fast  immer  in  chronischer 
Verstopfung,  so  daß  Carles  diese  Phobien  als  Ausdruck  von  Vergiftungen 
bezeichnete. 

Nachträglich  entsinne  ich  mich  eines  Patienten,  dessen  Angst  vor  geraden 
Straßen  und  Trieb  sich  zum  Fenster  herauszustürzen,  in  kurzer  Zeit  durch 
Regelung  der  Ernährung  und  milde  hydriatische  Prozeduren  zum  Verschwinden 
gebracht  wurden.  Vielleicht  gehört  dieser  Fall  auch  zu  den  Fällen,  auf 
welche  Carles  aufmerksam  macht.  Buttersack  (Berlin). 


Referate  und  Besprechungen. 


1069 


Die  sekretorische  Funktion  der  Magendrüsen  unter  abnormen  Bedingungen 
der  Innervation  und  Kanalisation  des  Organs. 

(G.  de  Cristina.  Virchows  Archiv  für  pathol.  Anatomie,  Bd.  194,  H.  1,  S.  32,  1908.) 

Die  Untersuchungen  verfolgten  den  Zweck,  vom  zytologischen  Gesichts¬ 
punkte  aus  festzustellen,  wie  die  Magenahsonderung  durch  nervösen  Einfluß 
oder  durch  längere  Ruhe  des  Drüsengewebes  modifiziert  wird. 

Vorversuche  über  die  normale  Absonderung  der  Zelle  der  Magenschleim¬ 
haut  lehrten,  daß  der  Absonderungsvorgang  der  Labdrüsen  bei  Hunden  aus 
zwei  Momenten  besteht,  der  Bereitung  der  Körnchen  und  der  Ausscheidung 
derselben,  und  daß  sowohl  Kern  als  Zytoplasma  sich  am  Sekretionsprozeß 
aktiv  beteiligen,  und  zwar  so,  daß  die  Hauptzellen  dabei  viel  mehr  beteiligt 
sind  als  die  Belegzellen,  welch  letztere  in  speziellerer  Weise  Veränderungen 
der  Struktur  des  Kernes  zeigen,  und  daß  die  Zelle  im  Augenblicke  der 
Ausscheidung  des  Sekretes  absondern  kann :  a)  Granula,  die  sich  in  den 
adelomorphen  und  delomorphen  Zellen,  in  den  Zellen  der  Pylorusdrüsen  und 
im  Deckepithel  finden;  b)  Flüssigkeiten,  wie  die  Bildung  von  Vakuolen 
in  den  delomorphen  und  adelomorphen  Zellen  und  in  denen  der  Pylorus¬ 
drüsen  beweist;  c)  Fasern,  die  besonders  deutlich  in  den  Hauptzellen  und 
in  den  Belegzellen  der  Pylorusdrüsen  wahrzunehmen  sind  und  im  Deck- 
epithele  der  Schleimhaut.  Die  beiden  Hauptpunkte  des1  Sekretionsprozesses 
sind  somit  die  Erzeugung  der  Sekretionskörnchen  durch  den  Zellkern  und 
die  weitere  Verarbeitung  der  Körnchen  im  Zytoplasma  und  ihre  Ausschei¬ 
dung  während  des  Verdauungsvorganges. 

Die  zeitweilige  Reizung  des  V,agtis  erregt  in  der  Drüsenzelle 
den  ersten  Akt  der  Absonderung,  der  im  Austreten  fuchsinophiler  Granula 
aus  dem  Kerne  besteht,  der  alsdann  ein  homogenes  Aussehen  erhält.  Die 
Hauptzellen  werden  durch  die  Reizung  des  Vagus  stärker  beeinflußt:  der 
Kern  verliert  die  fuchsinophilen  Granula  vollständig  und  nimmt  ein  homo¬ 
genes  Aussehen  an ;  im  Zytoplasma  zeigt  sich,  abgesehen  von  der  ausge¬ 
sprochenen  Verminderung  der  Granula,  eine  intensive  Vakuolisierung.  Die 
Belegzellen  beteiligen  sich  auch  deutlich  an  dem  Sekretionsvorgange,  indem 
ihr  Kern  beträchtliche  Veränderungen  in  bezug  auf  Größe  und  Inhalt  auf¬ 
weist,  während  das  Zytoplasma  bei  fast  normaler  Menge  fuchsinophiler 
Granula  zunimmt.  Unter  dem  Einflüsse  der  Vagusreizung  werden  anscheinend 
endonukleäre  Sekretionskörnchen  nicht  bereitet,  sondern  nur,  soweit  sie  vorher 
schon  gebildet  waren,  ausgeschieden.  Auch  trotz  verlängerter  Reizung  des 
peripheren  Stumpfes  des  durchschnittenen  Nervus  vagus  erfolgt  die  Aus¬ 
scheidung  der  Sekretionskörnchen  nicht  in  allen  Drüsenelementen  gleich 
intensiv. 

Bei  längerer  Reizung  des  V agus  durch  Anlegung  einer  Seidenschlinge 
an  dem  untersten  Teile  des  Ösophagus  oberhalb  der  Kardia  nach  der  Methode 
von  Gaglio,  so  daß  sie  alle  Fasern  des  Vagus  mitumfaßte,  ohne  doch  das 
Lumen  der  Speiseröhre  einzuengen,  traten  noch  andere  Reizerscheinungen 
mit  hinzu,  die  vielleicht  von  einer  Stockung  des:  Magensaftflusses,  von  Stö¬ 
rungen  in  der  Bewegung  der  Magenwand  oder  von  Störungen  im  Kreisläufe 
abhängen.  Wo  diese  abnormen  Bedingungen  stärker  hervortreten,  und  wo 
vorzugsweise  atrophische  Veränderungen  und  vakuoläre  Degeneration  des 
Schleimhautepithels  vorkommt,  ist  die  Produktion  der  Granula  beträchtlich 
vermindert. 

In  der  Magenschleimhaut,  die  durch  Anlegung  einer  künstlichen 
Stenose  durch  Abschnürung  des  Magens  zwischen  zwei  Seidenschlingen  infolge 
der  Unterbrechung  der  Lichtung  nicht  mit  Nahrungsmitteln  in  Be¬ 
rührung  gekommen  ist,  ihre  normale  Gefäßversorgung  aber  behalten  hat, 
entwickelt  sich  ein  katarrhalischer  Prozeß  in  dem  ausgeschalteten  Abschnitte. 
Die  Drüsenzellen  zeigen  vakuoläre  Degeneration  des  Zytoplasma  und  Karyo- 
lyse.  Der  Sekretionsprozeß  kommt  in  ihnen  zum  Stillstände.  In  denjenigen 
Drüsen  zellen,  deren  Kern  unversehrt  geblieben  ist,  dauert  die  Bereitung  und 
Ausscheidung  von  Granulis  fort,  allerdings  sind  sie  kleiner  als  sonst.  Die 
Saftabsonderung  ist  vermehrt. 


1070 


Referate  und  Besprechungen. 


Kurs  zusammengefaßt  geht  also  aus  den  Versuchen  hervor,  daß  der 
Sekretionsprozeß  der  Labdrüsen  beim  Hunde  in  der  Bereitung  und  Ausschei¬ 
dung  fuchsinophiler  Granula  besteht,  daß  die  Bereitung  dieser  hauptsächlich 
an  die  Funktion  der  Kerne  gebunden  ist  und  unter  abnormen  Innervationsr 
bedingungen  unverändert  bleibt,  daß  die  Ausscheidung  der  Granula  von  der 
Einwirkung  des  Vagus  abhängig  ist.  Bei  tiefgehenden  Veränderungen  des 
Zytoplasma  (vakuolärer  oder  atrophischer  Degeneration,  hydropischer  Schwel¬ 
lung)  bleibt  der  Vorgang  der  Sekretionsbereitung  so  lange  unverändert,  als 
der  Kern  verschont  ist,  hört  aber  auf,  sobald  der  Kern  Degenerationserschei¬ 
nungen  aufweist.  W.  Bisei  (Zwickau). 


Eine  schnelle  Reaktion  auf  Gallenbestandteile  im  Urin. 

(P.  Pellissier  u.  L.  Sckaibejle.  Journ.  de  Med.  int.,  1909. — ■  Gaz.  med.de  Paris., 

15.  April  1909.) 

Die  heutzutage  üblichen  Gallenfarbstoffreaktionen  sind  so  wenig  scharf, 
daß  sie  eigentlich  nur  dann  positive  Resultate  geben,  wenn  man  dem  -Urin 
schon  von  weitem  seine  pathologische  Beimengung  ansieht.  Eine  feinere 
Reaktion  besteht  in  folgendem:  Man  la-sse  auf  ca.  10  ccm  Urin  2  Tropfen 
einer  Methylviolettlösung  1 :  500  fallen  und  füge  nach  einigen  Sekunden, 

wenn  die  obere  Hälfte  der  Urinsäule  gefärbt  ist,  3  Tropfen  einer  Trichlor- 
essigsäurelösung  1 :  3  hinzu.  Dann  bedeutet 

1.  Blaufärbung  —  Abwesenheit; 

2.  Weinrotfärbung  —  Anwesenheit  von  Gallenbestandteilen  (und  zwar 
um  so  mehr,  je  stärker  die  Rotfärbung  ausfällt); 

3.  Kupferfärbung  —  Rhabarber; 

4.  Hellrotfärbung  —  Senna; 

5.  Violettfärbung  — ’  Santonin.  Buttersack  (Berlin). 


Zur  Physiologie  und  Pathologie  des  Dickdarms. 

(Prof.  Dr.  Th.  Rosenheim.  Deutsche  med.  Wochenschr.,  Kr.  17,  1909.) 

Die  verschiedenen  Dickdarmabschnitte  haben  trotz  ihrer  Zusammenge¬ 
hörigkeit  doch  ein  hohes  Maß  von  Eigenart  und  Selbständigkeit.  So  konnte 
Rosenheim  schon  früher  die  Sonderstellung  des  S  romanum  feststellen, 
die  sich  in  reichlicher  und  andauernder  Füllung  mit  festen  Ballen  und  geringem 
Gasgehalt  ausdrückt.  Die  Füllungsverhältnisse  des  Dickdarms  an  Leichen 
und  bei  Autopsie  an  Lebenden  hat  Roik  eingehend  studiert.  Er  fand  unter 
anderem,  daß  das  Colon  descendens  meist  leer  ist,  demnach  also  die  Füllungs¬ 
und  auch  Druckverhältnisse  vor  und  unmittelbar  hinter  der  Flexura  coli  sinistra 
große  Differenzen  aufweisen.  Über  die  Raschheit  der  Fortbewegung  läßt  sich 
darum  jedoch  nichts  Sicheres  feststellen,  auch  die  Verwendung  der  Röntgen¬ 
strahlen  am  mit  Wismut  gefüllten  Darme  können  keine  einwandfreien  Resul¬ 
tate  liefern. 

Rosenheim  hat  seit  Jahren  systematisch  eine  Anzahl  junge  gesunde 
Leute  palpatorisch  auf  die  Füllungsverhältnisse  ihres  Dickdarms  untersucht 
und  gefunden,  daß  normalerweise  das  Cöcum  im  nüchternen  Zustande  meist 
leer  ist  und  erst  5  Stunden  nach  der  ersten  Mahlzeit  sich  zu  f  üllen  beginnt, 
daß  bei  genügender  Defäkation  sich  sämtliche  Abschnitte  unterhalb  der  Flexura 
coli  sinistra  entleeren  und  ferner,  daß  im  Bereiche  der  Flexura  sigmoidea  die 
Kotbeförderung  sehr  langsam  vonstatten  geht,  ja  sogar  stocken  kann,  dieses 
Organ  aber  eine  Art  Reservoir  bildet,  in  dem  länger  als  12  Stunden  des  Tages 
sich  Kot  vorfindet.  Dies  hat  seinen  Grund  offenbar  in  dem  anatomischen  Bau 
des  Colon  pelvicum  sowie  in  hemmend  wirkenden  Innervationsvorgängen  (selte¬ 
neres  Eintreten  des  peristaltischen  Impulses,  längere  und  kräftigere  Innerva¬ 
tion  der  Ringsmuskulatür  als  der  Längsmuskulatur. 

Wenn  die  Füllungsverhältnisse  sich  nun  auch  nicht  schematisieren  lassen, 
so  lassen  sich  doch  mit  einiger  Kritik  normale  und  pathologische  Zustände 
unterscheiden.  Ein  besonderes  Augenmerk  richtet  Rosenheim  daher  auf 


Referate  und  Besprechungen. 


1071 


diese  Verhältnisse  bei  der  chronischen  Obstipation.  Von  vornherein  gibt  er 
die  Trennung  in  atonische  und  spastische  Formen  auf,  können  doch  oft  völlig 
physiologische  Zustände  der  Muskulatur  das  Bild  einer  Atonie  oder  eines 
Spasmus  bieten.  Großer  Wert  ist  vielmehr  auf  die  Kontrolle  der  Füllungs- 
verhältnisse  des  Dickdarms  in  seinen  einzelnen  Abschnitten  zu  legen;  ist  doch 
nie  der  ganze  Darm  dabei  betätigt,  sondern  es  kann  die  Obstipation  sich  auf 
die  Flexura  sigmoidea,  oder  das  Cöcum,  resp.  Colon  ascendens  beschränken. 

Um  ein  richtiges  Bild  von  den  Füllungsverhältnissen  zu  bekommen,  muß 
die  palpatorische  Untersuchung  im  Stadium  der  Verstopfung  stattfinden.  Zu 
diesem  Zwecke  läßt  Verf.  die  Kranken  2—3  Tage  ihre  Kotverhaltung  ertragen 
und  gibt  dabei  gemischte  Kost.  Er  hat  auf  diese  Weise  gefunden,  daß  eine 
ziemlich  große  Zahl  habitueller  Obstipationen  auf  eine  Funktionsstörung 
der  Flexura  sigmoidea  zurückzuführen  ist,  wobei  er  den  Eindruck  hatte, 
daß  der  gewöhnlich  als  spastische  Obstipation  bezeichnete  Zustand  weiter 
nichts  als  eine  Kotlaufhemmung  im  Gebiet  der  Flexura  sigmoidea  darstellt. 
Nicht  so  häufig  ist  diese  Hemmung  am  Cöcum  und  Colon  ascendens  und  sehr 
selten  an  den  Flexuren.  Auch  auf  die  verhältnismäßige  Leere  der  tieferen 
Abschnitte  muß  Gewicht  gelegt  werden.  Von  Wichtigkeit  ist  ferner  eine 
Beständigkeit  des  Befundes  bei  nochmaligen  Untersuchungen.  Selbstredend 
kann  eine  Kotlaufhemmung  zu  gleicher  Zeit  an  verschiedenen  Stellen  Vor¬ 
kommen,  doch  muß  man  dabei  wiederum  berücksichtigen,  daß  eine  Stagnation 
im  untersten  Dickdarmteil  sekundärer  Natur  sein  kann  und  endlich  darf  man 
sich  durch  das  Phänomen  der  einfachen  Rückstauung  nicht  täuschen  lassen. 

Die  Gründe  für  diese  Kotlaufhemmungen  sind  von  der  verschiedensten 
Art.  Lokalisiert  in  verschiedenen  Kolonbezirken  finden  sie  sich  einmal,  wenn 
sie  als  Begleiterscheinungen  , neben  Magenaffektionen,  Cholezystitis,  chroni¬ 
scher  Appendizitis  und  Genitalerkrankungen  auftreten,  dann  wenn  sie  das 
quälendste  Symptom  einer  Neurose  darstellen,  ferner  bei  gewissen  Lageano¬ 
malien  der  Bauchorgane  und  endlich  auch  bei  habitueller  Verstopfung,  die 
auf  abnormer  nervöser  Entstellung  der  Rektum-  und  Kolonperistaltik  beruht. 
Für  viele  Fälle  ergeben  sich  daher  wichtige  therapeutische  Hinweise. 

F.  Walther. 


Gynäkologie  und  Geburtshilfe. 

Zur  Behandlung  der  Placenta  praevia. 

(Pfannenstiel,  Kiel.  Monatsschr.  für  Geb.  u.  Gyn.,  Bd.  29,  S.  265.) 

Veranlaßt  durch  die  Empfehlung  der  Sectio  caesarea  für  Placenta 
praevia-Fälle  durch  Krönig  und  Seilheim  unterzieht  Pf.  die  bisher  ge¬ 
übte  Therapie  der  Placenta  praevia  einer  Kritik.  Er  sieht  in  der  Tamponade 
lediglich  einen  Notbehelf,  der  in  Kliniken  nicht  mehr  Anwendung  finden 
sollte,  auch  die  Wendung  nach  Braxton  Hicks  sei  unzureichend.  Dagegen 
empfiehlt  er  angelegentlichst  die  Metreuryse,  abgesehen  natürlich  von  der 
sofortigen  Entbindung  und  der  Blasensprengung  allein  bei  dafür  geeigneten 
Fällen.  Es  ist  zwar  selbstverständlich,  aber  doch  unter  Berücksichtigung 
der  vorliegenden  Literatur  leider  notwendig,  daß  Pf.  ganz  besonders  darauf 
hinweist,  daß  die  Metreuryse  eine  bestimmte  Technik  erfordert,  falls  man 
befriedigende  Erfolge  erzielen  will  und  zwar  Erfolge,  die  scheinbar  denen 
der  Sectio  caesarea  kaum  nachstehen.  Durch  letztere  werden  zweifellos  mehr 
Kinder  gerettet,  als  durch  die  Metreuryse.  Es  fragt  sich  nur,  ob  die  sozialen 
Verhältnisse  uns  die  Berechtigung  geben,  aus  diesem  Grunde  den  Müttern 
(meistens  sind  es  vielgebärende  Proletarierfrauen)  die  Laparotomie  zuzumuten. 
Dabei  wäre  auch  die  Frage  zu  streifen,  ob  nicht  die  Praxis  an  den  theoretischen 
Überlegungen,  die  zur  Sectio  caesarea  bei  Placenta  praevia  führen,  einfach 
vorübergehen  wird,  da  die  Schwierigkeiten,  diese  Fälle  dem  chirurgischen 
Geburtshelfer  zu  überweisen,  meist  zu  große  sind.  Zu  der  von  Pf.  ge¬ 
forderten  Metreuryntertechnik  gehört  Einlegen  des  Ballons  im  Spekulum 
in  die  Eihöhle,  nach  Sprengung  der  Blase  beim  Einführen  der  mit  dem 


1072 


Referate  und  Besprechungen. 


Ballon  armierten  Zange;  eventl.  extraovuläres  Einlegen  des  Metreurynters, 
aber  stets  nach  Sprengung  der  Blase;  Auf  füllen  des  Ballons  mit  500  ccm 
steriler  Kochsalzlösung;  Belastung  des  Metreurynters  durch  Gewichts zug  von 
1  Kilo.  Abwarten  der  Spontangeburt  des  Ballons.  Frankenstein  (Köln). 


Zur  Behandlung  der  Placenta  praevia. 

(Thies,  Berlin.  Monatsschr.  für  Geb.  u.  Gyn.,  Bd.  29,  S.  270.) 

Th.  prüft  an  dem  Materiale  der  Bumm’schen  Klinik  aus  den  letzten 
4  Jahren  die  Frage,  ob  die  Bereicherung  der  Therapie  der  Placenta  praevia 
nach  den  Vorschlägen  von  Krönig  und  Seilheim  notwendig  sei.  In  diesem 
Zeiträume  ergab  sich  bei  179  Fällen  aus  Klinik  und  Poliklinik  eine  Morta¬ 
lität  der  Mütter  von  nicht  ganz  3% ;  die  Sectio  caesarea  dürfte  diese  Zahl 
bei  größeren  Erfahrungsreihen  kaum  verringern.  Die  Mortalität  der  Kinder 
war  dagegen  ziemlich  hoch  (60%);  rechnet  man  aber  die  unreifen  Früchte 
ab,  so  bleibt  nur  eine  Mortalität  von  41,3  %.  Der  Grund  für  diese  große 
Zahl  ist  in  der  kombinierten  Wendung  nach  Braxton  Hicks  zu  suchen 
(80%).  An  der  Bumm’schen  Klinik  wurde  deshalb  in  letzter  Zeit  bei  Pla¬ 
centa  praevia  bevorzugt:  die  Blasensprengung  bei  partiellem  Vorliegen  der 
Plazenta  mit  Spontangeburt  (6%  Kindermortalität),  die  Sch eiden tarn ponade 
mit  Gaze  oder  Kolpeurynter  (23%  Kindermortalität),  der  vaginale  Kaiser¬ 
schnitt,  bei  dem  dfe  reifen  Kinder  scheinbar  alle  lebend  geboren  wurden 
und  die  Metreuryse  mit  14%  Kindermortalität. 

Auf  Grund  dieser  Resultate  hält  Th.  die  Ausführung  der  Sectio  caesarea 
bei  Placenta  praevia  mit  Recht  für  unnötig,  in  der  allgemeinen  Praxis  für 
undurchführbar  und  glaubt  auch  ohne  den  Kaiserschnitt  die  Mortalität  der 
Mütter  auf  3— 5%,  die  der  Kinder  auf  10 — 20%  herabdrücken  zu  können. 

Frankenstein  (Köln). 


Aus  der  königl.  Universitäts-Frauenklinik  zu  Greifswald. 

Die  Therapie  der  Placenta  praevia. 

(Prof.  M.  Henkel.  Archiv  für  Gyn.,  Bd.  86,  H.  8,  1908.) 

Für  den  Praktiker,  zum  größten  Teil  aber  auch  für  die  Klinik  ist 
nach  H.’s  Ansicht  die  möglichst  frühzeitige  Wendung  mit  nachfolgend 
spontanem  Geburtsverlauf  das  einzig  richtige  Verfahren  bei  Placenta  praevia. 
Man  müsse  jedoch  heute  darauf  dringen,  daß  die  Fälle  von  PI.  pr.  unmittelbar 
nach  dem  ersten  Auftreten  bez.  provisorischen  Stillung  der  Blutung  der 
Klinik  überwiesen  werden;  dort  sind  die  Chancen  für  die  Erhaltung  des 
Lebens  der  Mutter  unverhältnismäßig  günstiger  wie  im  Privathaus. 

Für  die  Fälle  mit  rigider  Zervix  und  nicht  durchgängigem  Zervix- 
kanal  dürfe  heute  nur  die  Hysterotomia  anterior  noch  in  Frage  kommen, 
um  die  Frau  den  in  Zukunft  hoffentlich  mehr  gewürdigten  Gefahren  der 
protaliierten  Blutung  zu  entreißen.  H.  betont  dabei,  daß  er  diese  Operation 
nicht  macht,  um  etwa  das  (Kind  zu  retten,  derartige  Versuche,  besonders 
wenn  sie  die  Mutter  gefährden,  lohnten  sich  bei  Plazenta  praevia, -Kindern 
überhaupt  nicht,  wie  H.  zu  Anfang  seiner  Arbeit  darlegt.  Für  die  Mehr¬ 
zahl  der  Fälle  genüge  deswegen  auch  die  Schaffung  einer  etwa  kleinhand¬ 
tellergroßen  Öffnung,  wobei  dann  natürlich  der  nachfolgende  Kopf  perforiert 
werden  muß.  —  H.  macht  u.  a.  darauf  aufmerksam,  daß  viele  Blutungen 
in  der  Schwangerschaft  auf  Plazenta  praevia  zurückzuführen,  daß  viele 
Aborte  Pr äviaa horte  mit  zentralem  Sitz  der  Plazenta  seien:  es  sei  also 
nicht  richtig,  in  Blutungsfällen  immer,  wie  dies  allgemein  geschehe,  in 
nachdrücklicher  Weise  bestrebt  zu  sein,  die  Schwangerschaft  zu  erhalten. 
Die  Gefahr  bleibt  bestehen  und  tritt  dann  später  oft  in  verhängnisvoller: 
Weise  auf.  —  Was  die  Stillung  einer  Präviablutung  bei  geschlossenen! 
Zervikalkanal  für  den  praktischen  Arzt  anlangt,  so  könne  man  die  Dinge 
wenden,  wie  man  wolle,  ihm  bleibe  nichts  anderes  übrig,  wie  die  Tam¬ 
ponade  und  zwar  mit  Gia-ze  binden.  H.  empfiehlt,  sterile  Gazebinden 


Referate  und  Besprechungen. 


1073 


mit  2%ig’er  Alaunlösung  getränkt  zu  verwenden.  Eine  solche  Tamponade 
könne  jeder  praktische  Arzt  mit  Sorgfalt  ausführen,  sie  wirke  dann  sicherer, 
als  ein  Kolpeurynter,  von  dem  man,  wenn  er  die  Vagina  allseitig  genügend 
straff  ausfüllen  solle,  stets  mehrere  Größen  vorrätig  haben  imüßte,  was 
für  den  praktischen  Arzt  schlechterdings  unmöglich  sei.  —  Auch  die  Metreu- 
ryse  sei  technisch  nicht  leicht  und  quoad  Blutung  unzuverlässiger,  als  die 
Wendung  nach  Braxton  Hicks.  Diese  könne  man  bei  einiger  Geschick¬ 
lichkeit  auch  bei  erst  für  einen  Finger  durchgängigem  Zervixkanal  aus¬ 
führen.  H.  reißt  dazu  mittels  einer  halben  Kugelzange  die  Fruchtblase 
auf,  sodann  sucht  er  mit  dem  Zeigefinger  an  den  Fuß  heranzukommen,  nach¬ 
dem  er  etwas  Fruchtwasser  hat  abfließen  lassen.  Der  Fuß  wird  dann  so  ein¬ 
gestellt,  daß  die  Zehen  direkt  über  der  Muttermundsöffnung  liegen,  der 
Zeigefinger  berührt  sie,  und  jetzt  legt  man  unter  Kontrolle  dieses  Fingers 
eine  Kornzange  an  den  Fuß  und  zieht  ihn  unter  möglichster  Streckung 
durch  den  Zervixkanal  bis  vor  den  äußeren  Muttermund.  Natürlich  ist  zu 
dieser  Operation  Narkose  erforderlich.  —  Die  digitale  Erweiterung  desl 
erst  für  einen  Finger  durchgängigen  Zervikalkanals  empfiehlt  sich  nicht, 
da  sich  dabei  oft  Zervixrisse  ereignen:  selbst  in  der  Königsberger  Klinik 
dreizehnmal  unter  siebzehn  Fällen.  —  Der  Blasenstich  ist  nur  bei  PI.  pr. 
marginalis  ausreichend,  sehr  selten  bei  Pl.  p'r.  lateralis.  Bedingung  ist 
auch,  daß  dann  sofort  gute  Wehen  einsetzen.  —  Sehr  verhängnisvoll  können 
bei  Pl.  pr.  auch  noch  nach  der  Entbindung  auf  tretende  Blutungen  werden, 
sei  es  infolge  von  Riß  oder  von  Atonie.  Für  letztere  stehen  uns  zur  Ver¬ 
fügung  heiße  Irrigationen,  Massage  des  Uterus,  Tamponade,  intravenöse  Adre¬ 
nalin-Kochsalzinfusionen.  Bei  Rissen  kommt  ev.  die  Naht  in  Betracht,  dann 
aber  vor  allem,  ebenso  wie  bei  Atonie,  die  von  H.  erfundene  Art  der  Dauer¬ 
kompression  der  Utetinae  mittels  zweier  Muzeux  -  Zangen,  welche 
nach  Einführung  einer  hinteren  Platte  und  Herabziehen  des  Uterus  mittels 
Kugelzange  jederseits  an  das  Parametrium  angelegt  werden,  so  zwar,  daß 
noch  ein  Streifen  Uteruskante  mitgefaßt  wird.  H.  hat  bei  diesem  quoad 
Blutung  absolut  sicheren  Verfahren  nie  eine  Blasen-  oder  Ureterenverletzung 
erlebt,  wahrscheinlich,  weil  diese  beiden  Organe  bei  starkem  Abwärtsziehen 
des  Uterus  genügend  nach  oben  ausweichen.  Auch  würde  eine  kleine  Stich¬ 
verletzung  genannter  Organe  wohl  wenig  z!u  bedeuten  haben  und  spontan, 
heilen.  —  Eine  Kombination  der  Muzeux-Klemmen  mit  Tamponade  er¬ 
folgte  nie;  von  der  Uterus -Vaginal -Tamponade  hält  H.  als  Blutstillungsmittel 
überhaupt  nicht  viel.  R.  Klien  (Leipzig). 


Zur  Therapie  des  Puerperalprozesses.  (Versuche  mit 

Rekonvaleszenten-Serum.) 

(Dr.  Theod,  Meißl,  Wieden.  Wiener  klin.  Wochenschr.,  Nr.  1,  1909,) 

Bereits  mehr  als  zehn  Jahre  sind  verflossen,  ohne  daß  es  gelungen 
wäre,  mit  der  Serumtherapie  beim  Puerperalprozeß  auf  einen  grünen  Zweig 
zu  kommen.  Mit  keinem  der  verschiedenen  Antistreptokokken  -  Sera  (=  AS) 
(Marmorek,  Tavel,  Aronson,  Paltauf,  Höchst  usw.)  konnte  man  einen 
unbestrittenen  Erfolg  beim  Menschen  verzeichnen,  obwohl  an  ihreml  kura¬ 
tiven  Wert  beim  Tier  nicht  zu  zweifeln  ist.  Was  die  Ursachen  der  ver¬ 
schiedenartigen  Wirkungsweise  der  Tiersera  beim  Menschen  und  beim  Tier 
anbelangt,  so  fanden  Lenhartz  und  Zangemeister,  daß  auch  beim  Anti- 
streptokokken-Serum  zur  Wirkung  auf  die  Bakterienzelle  ein  Aneinanderpassen 
des  Immunkörpers  an  das  Komplement  des  zu  schützenden  Tieres  oder  Men¬ 
schen  notwendig  sei.  Auch  Ehrlich  hatte  schon  1898  darauf  aufmerksam 
gemacht,  daß  man  zur  Gewinnung  von  Immunserum,  welches  auf  das  mensch¬ 
liche  Komplement  passen  soll,  nicht  das  Pferd,  sondern  ein  dem  Menschen 
näherstehendes  Tier,  \z.  B.  den  Affen,  nehmen  soll.  Insbesondere  billigt 
Ehrlich  auch  den  Lenhar tz’schen  Versuch,  daß  Immunserum  vom  Men¬ 
schen  selbst,  der  eine  Streptokokken-Infektion  durchgemacht,  zu  gewinnen, 
da  in  diesem  Falle  die  Möglichkeit,  daß  sich  der  Imlmunkörper  richtiger 

68 


1074 


Referate  und  Besprechungen. 


komplementiert,  jedenfalls  nahe  liegt.  Durch  die  gleichen  Erwägungen  kam 
auch  Meißl,  noch  bevor  er  die  Lenhar  tz’schen  Versuche  kannte,  dazu, 
Experimente  mit  einem  vom  Menschen  gewonnenen  Rekonvaleszenten-Serum 
(=  RS)  anzustellen,  über  die  er  jetzt  berichtet.  Es  wird  in  der  üblichen 
Weise  von  Fällen  gewonnen,  bei  denen  Streptokokken  im  Uterus  und  im 
Blute  während  der  Erkrankung  in  Reinkultur  nachgewiesen  wurden.  Da 
es  auch  bei  solchen  Kranken  angewendet  wurde,  so  ergab  sich  eine  längere 
Reihe  von  Fällen,  die  mit  RS  behandelt  und  nach  ihrer  Genesung  zur 
Serumbereitung  herangezogen  wurden.  Vor  den  bisherigen  Antistreptokok- 
ken-Sera  hat  das  RS  jedenfalls  das  eine  voraus,  daß  es  sich  bisher  als  ab¬ 
solut  unschädlich  erwiesen  hat:  es  wurde  dabei  so  gut  wie  nie  eine  lokale 
Reaktion,  auch  keine  Spur  von  Serumkrankheit  beobachtet.  Das  RS  wird 
in  sterilen  Röhrchen  ohne  jeden  Zusatz  im  Kühlen  aufbewahrt  gehalten, 
nachdem  es  vorher  auf  keimfreie  Beschaffenheit  geprüft  wurde.  Dies  war 
um  so  notwendiger,  als  bei  Ermangelung  einer  jeden  Kenntnis  über  das 
zeitliche  Auftreten  einer  Immunität  beim  Menschen  empirisch  versucht  wer¬ 
den  mußte,  daß  Serum  einmal  unmittelbar  nach  der  definitiven  Entfieberung 
(Frühserum),  das  andere  Mal  nach  sichtlicher  Erholung  zu  gewinnen  (Spät¬ 
serum).  Auch  Serumgemische  von  mehreren  Fällen  wurden  bereit  gehalten. 
Auf  den  Versuch,  den  kurativen  Wert  des  RS  im  Tierversuch  zu  prüfen, 
hat  Meißl  aus  denselben  Gründen,  die  früher  gegen  die  Anwendung  der 
Tier-AS  beim  Menschen  ins  Treffen  geführt  wurden,  von  vornherein  verzichtet. 

Was  nun  die  Anwendungsweise  des  RS  anbelangt,  so  wurde  von 
Meißl  das  Gebiet  der  Darreichung  absichtlich  eingeschränkt.  So-  sah  er 

von  vornherein  von  einer  Serumtherapie  ab,  wenn  nicht  Streptokokken  wenig¬ 
stens  im  Uterus,  zumeist  auch  im  Blute  in  Reinkultur  nachgewiesen  werden 
konnten.  Dabei  wurde  getrachtet,  den  bakteriologischen  Befund  sobald  als 
möglich  zu  erheben,  um  das  RS  baldigst  in  Anwendung  bringen  zu  können. 

So  wurden  von  80  bakteriologisch  untersuchten  Fällen  nur  16  der  RS-Be- 

handlung  zugeführt.  Die  geringe  Anzahl  der  behandelten  Fälle  findet  ihre 
Erklärung  einerseits  in  äußeren  Schwierigkeiten,  die  hauptsächlich  darin 
bestanden,  daß  nicht  immer  so  große  Mengen  RS  zur  Verfügung  standen, 
andererseits  in  dem  Umstande,  daß  M.  sich  in  der  Behandlung  der  puer¬ 
peralen  Fälle  eine  gewisse  Beschränkung  auf  erlegte,  indem  er  die  Anwesen¬ 
heit  einer  reinen  StreptokokkenTnfektion  als  natürliche  Voraussetzung  zur' 
Bewertung  einer  AS  -.Behandlung  betrachtete.  Es  wurden  somit  Misch¬ 

infektionen  sowie  alle  Saprämien  (septischer  Abortus)  von  der  RS-Behand- 
lung  ausgeschlossen. 

JDes  weiteren  war  für  Meißl  die  anatomische  Beschaffenheit 
des  Falles,  insbesondere  die  Art  und  Lokalisation  des  Prozesses,  ma߬ 
gebend  für  die  Auswahl.  So  schienen  vor  allem  solche  Fälle  geeignet  für) 
die  RS-Therapie  zu  sein,  bei  welchen  es  im  Anschluß  an  eine  durch  Rein¬ 
kultur  von  Streptokokken  und  dem  Uterus  -  Sekret  nachgewiesene  Endo¬ 
metritis  zum  Einbruch  der  Kokken  in  die  Blutbahn  gekommen  war,  ohne 
daß  lokal  in  der  Umgebung  des  Uterus  Entzündungsherde  von  größerer 
Ausdehnung  durch,  die  bimanuelle  Untersuchung  zu  konstatieren  waren. 
Mit  Absicht  wurden  gerade  solche  Fälle  der  Serumbehandlung  zu¬ 
geführt,  da  ja  das  Auftreten  einer  Bakteriämie  nach  Endometritis  puer- 
peralis  immerhin  als  ein  prognostisch  bedenkliches  Zeichen  gilt.  Hingegen 
wurde  von  jeder  RS-Therapie  abgesehen,  falls  sich  in  der  Umgebung  des 
Uterus,  namentlich  in  den  Parametrien,  größere  Exsudate  fanden,  wie  sie 
sich  ja  im  weiteren  Verlaufe  des  Prozesses  so  häufig  einzustellen  pflegen. 

Wenn  man  nun  von  diesen  Gesichtspunkten  aus  den  Effekt  der 
RS-Therapie  betrachtet,  so  muß  man  dabei  zwei  größere  Gruppen  unter¬ 
scheiden 

a)  Solche  Fälle,  bei  denen  zur  Zeit  der  Aufnahme  noch  gar  keine 
Veränderungen  in  der  nächsten  Umgebung  des  Uterus  durch  den  Touchier- 
befund  zu  erheben  waren; 

b)  Fälle,  bei  denen  anatomische  Veränderungen  in  Form  der  Metro¬ 
phlebitis  bei  der  Aufnahme  bereits  bestanden. 


Referate  und  Besprechungen. 


1075 


Bei  allen  behandelten  Fällen  konnten  ausnahmslos  im  Uterus  Strepto¬ 
kokken  in  Reinkultur  nachgewiesen  werden,  während  sie  vorübergehend  im 
Blute  bei  11  von  16  Fällen  gefunden  worden. 

Für  die  Gruppe  a  kommen  sechs  Fälle  in  Betracht  (Endometritis  puerp. 
mit  Bakteriämie),  bei  denen  ein  Einfluß  des  RS  vorhanden  zu  sein  schien. 
So  schwer  die  Beurteilung  und  Prognosestellung  beim  Puerperalprozeß  ist, 
so  war  doch  der  allgemeine  Eindruck,  daß  diese  Fälle  ohne  die  RS-Be- 
handlung  nicht  so  glatt  verlaufen  wären,  ^ur  Unterstützung  dieser  Mei¬ 
nung  kann  man  nicht  bloß  die  üblichen  Kriterien,  wie  Temperaturabfall, 
Sinken  der  Pulsfrequenz,  auffallende  Besserung  im  Allgemeinbefinden  an¬ 
führen,  welche  in  diesen  Fällen  nach  den  Serum  -  Injektionen  so  deutlich 
ausgesprochen  waren,  man  kann  auch  darauf  hinweisen,  daß  es  nicht  ge- 
gelungen  ist,  weiterhin  im  Blute  Kokken  und  im  weiteren  Verlaufe  ana¬ 
tomische  Veränderungen  in  den  Parametrien  nachzuweisen. 

Bei  den  zehn  Fällen  der  zweiten  Gruppe  (b)  waren  bei  der  Aufnahme 
bereits  tastbare  entzündliche  Veränderungen  in  der  Umgebung  des  Uterus 
nachweisbar,  zu  denen  im  weiteren  Verlaufe  noch  andere  Krankheitserschei¬ 
nungen  (Metastasen  in  den  Lungen,  pyämische  Abszesse  usw.)  hinzukamen. 
Bei  Beurteilung  dieser  Fälle  gelingt  es  jedoch  nicht,  einen  Effekt  der  RSh 
Therapie  festzustellen,  die  das  Auftreten  von  metastatischen  Abszessen,  einer 
abgesackten  Peritonitis,  großer  parametraner  Exsudate  im  weiteren  Verlauf 
des  Prozesses,  sowie  drei  letale  Ausgänge  doch  nicht  verhindern  konnte, 
und  wenn  die  größere  Zahl  dieser  Gruppe  schließlich  gesund  geworden  ist, 
so  muß  Meißl  selbst  zugeben,  daß  es  verfehlt  wäre,  dies  auf  Rechnung 
der  RS  Therapie  zu  setzen. 

Jedoch  bei  dem  Umstande,  daß  das  RS  absolut  unschädlich  ist  und 
in  einzelnen,  oben  näher  beschriebenen  Fällen  doch  einen  sichtbaren  Ein¬ 
fluß  zu  entfalten  schien,  kann  man  mit  Meißl  die  Fortsetzung  weiterer 
Versuche  mit  RS  an  einem  geeigneteren  Materiale  für  durchaus  wünschens¬ 
wert  halten,  insbesondere,  solange  wir  kein  besseres  (vielleicht  Affen-Immun- 
serum)  besitzen.  Werner  Wolff  (Leipzig). 


Erfahrungen  mit  moderner  Wochenpflege. 

(E.  Opitz.  Med.  Klinik,  Nr.  1  u.  2,  1909.) 

Der  größere  Teil  der  Arbeit  ist  der  Besprechung  des  frühen  Aufstehens 
der  Wöchnerinnen  gewidmet;  Opitz  tritt  im  großen  und  ganzen  warm 
dafür  ein,  gesunde  Wöchnerinnen  früher  als  bisher  allgemein  üblich  und 
zwar  oft  schon,  nachdem  nach  der  Geburt  nur  eine  Woche  verflossen  ist, 
auf  stehen  zu  lassen.  Opitz  geht  so  vor,  daß  er  den  gesunden  Wöchnerinnen 
an  seiner  Anstalt  das  Aufstehen  gestattet  und  in  ihr  Belieben  stellt,  sobald 
sie  sich  ausgeruht  haben  und  keine  Kontraindikationen  vorliegen.  Als  solche 
gelten  genähte  Dammrisse,  Plazentaroperationen,  Fieber  unter  der  Geburt, 
ferner,  bestehende  Krankheiten  (Nephritis,  Herzfehler  usw.)  und  Fieber  nach 
der  Entbindung.  Von  235  so  behandelten  Frauen  haben  200  das  Bett  früher 
verlassen,  als  sonst  üblich,  und  zwar  56  am  ersten,  65  am  zweiten,  27  am 
dritten,  am  vierten  bis  sechsten  Tage  zusammen  52.  Von  diesen  200  Frauen 
haben  aber  nachträglich  noch  62  wieder  das  Bett  für  1 — 2  Tage  aufsuchen 
müssen,  aber  meist  nur  wegen  leichterer  Störungen  und  meist  nur  zur  Vor¬ 
sicht.  Gleich  nach  der  Entbindung  wird  jeder  Wöchnerin  eine  feste  Leibbinde 
zum  Schnallen  angelegt,  die  durch  einen  Steg,  der  zwischen  den  Beinen  hin¬ 
durchführt  und  zugleich  die  Vorlage  festhält,  in  ihrer  Lage  gehalten  wird.  — 
'  Als  Gefahren  des  Frühaufstehens  werden  von  c  den  Gegnern  desselben  be¬ 
zeichnet  die  Möglichkeit  der  Embolien,  der  Lageveränderungen  des  Uterus 
und  Störungen  der  Erholung.  Bedenken  nach  einer  der  drei  Richtungen 
hin  haben  sich  Opitz  aber  nicht  gezeigt,  wie  im  einzelnen  näher  begründet 
wird,  so  daß  das  frühe  Aufstehen  sich  auch  an  seiner  Anstalt  nicht  nur 
als  unschädlich,  auch  mit  Bezug  auf  puerperale  Infektionen,  sondern  auch 
in  mancher  Weise  als  nützlich  erwiesen  hat.  Freilich  bleibt  sorgfältiges 

68* 


1076 


Referate  und  Besprechungen. 


Individualisieren  notwendig,  und  0(pitz  gibt  ohne  weiteres  zu,  daß  auch 
in  diesem  Punkte  des  Frühauf  stehens  der  Wöchnerinnen  die  Verhältnisse 
der  Klinik  nicht  ohne  weiteres  auf  die  geburtshilfliche  Außenpraxis  über¬ 
tragen  werden  dürfen,  da  zweifellos  das  Frühaufstehen  im  Hause  größere 
Bedenken  hat,  als  das  in  der  Klinik.  —  Zur  Prophylaxe  der  Mastitis  wird 
in  den  letzten  sechs  Wochen  der  Schwangerschaft  jeden  zweiten  Abend 
die  Brustwarze  mit  warmem  Wasser  ünd  Seife  gereinigt,  abgetrocknet  und 
mit  i0%igem  Tanninspiritus  betupft.  Nach  jedem  Anlegen  —  zuerst 
24  Stunden  post  partum  und  stets  nur  sechs  Mahlzeiten  täglich  mit  Über¬ 
springen  der  Nachtzeit  von  10  Uhr  abends  bis  6  Uhr  früh  —  Bestreichen 
der  Warze  mit  einer  Lanolinsalbe  (Lanolin.  Ol.  oliv,  ää  50,  acid.  boric.  4,0), 
die  vor  dem  Trinken  wieder  abgewischt  wird.  —  Bei  beginnender  Mastitis  wird 
das  Kind  nur  an  die  gesunde  Seite  angelegt,  die  erkrankte  Mamma  hochgebunden 
und  in  Prießnitz  mit  essigs.  Tonerde  verpackt.  Sämtliche  vier  Mastitiden,  die 
so  behandelt  Wurden,  gingen  auf  diese  Art  zurück.  —  Beim  Anlegen  der  Kinder 
wird  jedesmal  möglichst  nur  eine  Brust  gereicht  und  die  Kinder  höchstens 
eine  Viertelstunde  an  der  Brust  gelassen.  —  Die  Wolf  -  Eisner’sche  Oph¬ 
thalmoreaktion  wurde  bei  163  Frauen  angestellt  und  hatte  bei  39  von  ihnen 
ein  positives  Ergebnis,  obwohl  nur  zwei  von  ihnen  klinische  Erscheinungen 
der  Tuberkulose  hatten.  Allen  wurde  das  Stillen  ihrer  Kinder  erlaubt, 
mit  Ausnahme  von  einer,  deren  Tuberkulose  progredienten  Charakter  hatte. 
—  Die  Nahrung  der  Wöchnerinnen  bestand  in  derselben  Kost,  wie  die  der 
Frauen  der  gleichen  Verpflegungsklasse,  nur  wurden  blähende  Speisen  ver¬ 
mieden.  —  Die  Kinder  erhalten  sämtlich  l%iges  Arg.  nitr.  in  die  Augen 
nach  der  Geburt  beträufelt;  benutzt  wurde  meist  die  Wattezopfpipette  von 
Hellend  all.  —  Die  Nabelversorgung  geschieht  durch  Unterbindung  mit 
sterilem  Bändchen  etwa  2  cm  vom  Nabelkegel.  Nach  dem  Bad  wird 
der  Nabel  mit  Alkohol  betupft,  mit  steriler  Gaze  überdeckt  und  durch 
einfache,  um  den  Leib  gewickelte  Gazebinden  geschützt,  das  Blad  iü  den 
ersten  Tagen  durch  -‘Waschungen  ersetzt,  bis  der  Nabel  abfällt.  Bei  Bei 
feuchtung  des  Nabels  mit  Urin  wird  der  Nabelverband  gewechselt  und  der 
Nabel  eventuell  mit  Xeroform  nach  vorherigem  Betupfen  mit  Alkohol  be- 
puclert.  R.  Stüve  (Osnabrück). 

.  [302t- 


Psychiatrie  und  Neurologie. 

Autonomie  des  Gehirns  während  der  Wachstumperiode. 

(V ariot  u.  Lassabliere.  Soc.  de  Biol.,  Jan.  1909.  —  Bull,  med.,  Nr.  12,  S.  140,  1909.) 

Die  beiden  Autoren  haben  die  Gehirngewichte  von  normalen  Kindern 
und  von  solchen,  die  zwar  gleichalterig,  aber  in  der  körperlichen  Entwicklung 
zurückgeblieben  waren,  verglichen  und  dabei  überraschenderweise  gefunden, 
daß  die  letzteren  den  ersteren  keineswegs  nachstanden,  sodaß  man  fast  den 
Eindruck  gewann,  als  ob  sich  das  Gehirn  auf  Kosten  des  übrigen  Organismus 
entwickelt  hätte;  auch  beim  Hungern  gibt  bekanntlich  das  Nervensystem 
am  wenigsten,  beinahe  nichts,  her. 

Im  übrigen  seien  bei  den  körperlich  zurückgebliebenen  Kindern  nicht 
alle  Organe  gleichmäßig  beteiligt;  z,  B.  die  Knochen  erheblich  weniger 
als  die  anderen  Gewebe.  Buttersack  (Berlin). 


Ueber  Abschwächung  bezw.  Aufhebung  des  Zehen-  und  Verkürzungsreflexes, 

(S.  Goldflam.  Neur.  Zentralbl.,  Bd.  20,  S.  946,  1908.) 

In  dieser  interessanten  Arbeit  kommt  G.  auf  einen  Reflex  zu  sprechen, 
welchen  er  „Verkürzungsreflex  u  nennt.  Unter  Verkürzungsreflex  versteht  er  einen 
bei  Reizung  der  Fußsohle  außer  der  Plantarflexion  der  Zehen  zusammen¬ 
gesetzten  Reflex  des  Beines,  bestehend  in  einer  mehr  oder  minder  ausge¬ 
sprochenen  Kontraktion  der  Muskeln,  welche  die  Dorsalflexion  des  Fußes, 


Referate  und  Besprechungen. 


1077 


die  Flexion  im  Knie-  und  Hüftgelenk  und  Adduktion  des  Oberschenkels  be¬ 
wirken,  alle  zusammen  oder  nur  partiell. 

Ref.  möchte  zunächst  bemerken,  daß  er  derartige  Beobachtungen  im 
Jahre  1899  publiziert  hat,  welche  in  den  Jahren  1891/1892  angestellt  wor¬ 
den  sind.1) 

Verf.  hat  recht,  wenn  er  der  Abschwächung  bezw.  Aufhebung  der 
Verkürzungsreflexe  mindestens  dieselbe  Bedeutung  beilegt,  wie  den  Bauch- 
und  Kremasterreflexen. 

Das  Resultat  seiner  Untersuchungen  faßt  er  zusammen  wie  folgt : 

Sowohl  im  normalen,  als  im  pathologischen  Zustande  läuft  der  Ver¬ 
kürzungsreflex  gewöhnlich  mit  dem  Zehenreflex  parallel  (richtig,  Ref.),  doch 
kommen  normale  und  pathologische  Fälle  vor,  wo  der  Zehen-  oder  Verkürzungs¬ 
reflex  allein  vorhanden  ist  oder  allein  schwindet.2) 

Es  sprechen  manche  Gründe  dafür,  daß  diese  beiden  Phänomene  nicht 
Bestandteile  eines  Reflexes  sind,  sondern  zwei  gesonderte  Hautreflexe  dar¬ 
stellen.  (Richtig.  Ref.)  Die  Herabsetzung  bezw.  Aufhebung  der  Zehen-  und 
Verkürzungsreflexe  —  hauptsächlich  einseitige  —  kommt  bei  Affektionen  des 
zentralen  Nervensystems  mindestens  ebenso  häufig  vor,  wie  die  gleichen  Sym¬ 
ptome  seitens  der  Bauch-  und  Kremasterreflexe,  und  beanspruchen  eine  eben¬ 
solche  diagnostische  Bedeutung.  In  manchen  Fällen  traten  sie  sogar  als 
erstes  Zeichen  einer  zentralen  Affektion  auf  und  zwar  zu  einer  Zeit,  da 
andere  Symptome  kaum  ausgesprochen  sind  oder  fehlen. 

Herabsetzung  bezw.  Aufhebung  der  Zehen-  und  Verkürzungsreflexe 
scheint  vorzugsweise  bei  solchen  Läsionen  )des  auf  steigenden  Schenkels  für 
diese  Hautreflexe  vorzukommen,  wo  halbseitige  Sensibilitätsstörungen  und 
hypotonische  Erscheinungen  klinisch  überwiegen,  die  Motilitätsstörungen 
dagegen  ganz  in  den  Hintergrund  treten.3) 

Diese  Phänomene  kommen  ferner  vor  bei  komprimierenden,  aber  nicht 
destruierenden  Läsionen  der  psychomotorischen  Region  der  Rinde  (das  ver¬ 
meintliche  Übertragungszentrum  •  für  die  Hautreflexe  soll  im  Gyrus  post- 
centralis  und  parietalis  liegen),  desgleichen  bei  Schädigung  des  absteigenden 
Schenkels  dieser  Hautreflexe.  Im  letzteren  Falle  aber,  zumal  wenn  die 
kortikospinale  Bahn  mit  affiziert  ist  und  Motilitätsstörungen  mit  Erhöhung 
des  Tonus  und  der  Sehnenreflexe  vorherrschen,  tritt  meist  der  Babinski’sche 
Reflex  auf  und  zwar  als  Folge  vom  Ausfall  der  zerebralen  Hemmungs Vorgänge 
und  dadurch  bedingter  Steigerung  der  Reflexerregbarkeit  des  Lendenmarks. 

Ist  die  Läsion  der  absteigenden  Bahn  eine  schwere,  dann  tritt  Babinski 
sofort  zutage,  ist  sie  aber  gering  oder  die  Affektion  progredient,  dann  ver¬ 
geht  eine  gewisse  Zeit,  bis  sich  die  Isolierungsveränderungen  ausgebildet 
haben.  Unterdessen  kann  Zehen-  und  Verkürzungsreflex  herabgesetzt  bezw. 
aufgehoben  sein  und  als  Vorstufe  des  Babinski’schen  Reflexes  erscheinen. 
Auf  diese  Weise  wird  es  verständlich,  daß  mitunter  in  einem  gewissen 
Stadium  des  Verlaufes  Babinski’scher  und  Zehenreflexe  koexistieren  können. 
(Zehenreflex  gewöhnlich  schwächer  als  auf  der  gesunden  Seite.) 

Als  eine  andere  Folge  der  Isolierungsveränderungen  des  Lumbalmarkes 
tritt  der  Verkürzungsreflex  (spinaler)  immer  kräftiger  hervor.  Der  Zehen¬ 
reflex  ist  ein  Hautrindenreflex,  der  Babinski’sche  ein  ausschließlich  spinaler, 
der  Verkürzungsreflex  ein  Hautrinden-  und  spinaler  Reflex  zugleich.“ 

Die  interessanten  Befände  des  Verf.  verdienen  Nachprüfung. 

Koenig  (Dalldorf). 

Ü  Über  die  bei  Reizung  der  Fußsohle  zu  beobachteten  Reflexerscheinungen 
mit  besonderer  Berücksichtigung  der  Zehenreflexe  bei  den  verschiedenen  Formen 
der  zerebralen  Kinderlähmung.  (Arch.  für  Psych.,  Bd.  83,  H.  1.) 

2)  Ref.  hat  den  VR.  unter  normalen  Verhältnissen  nie  vermißt,  wohl  aber 
den  Z.  r. 

3)  Einseitiges  Fehlen  des  Verkürzungsreflexes  hat  Ref.  bei  Hysterie,  speziell 
in  einem  Falle  von  traumatisch -hysterischer  Parese  des  einen  Beines  gefunden. 
Durch  diesen  Befund  konnte  Simulation  ausgeschlossen  werden. 


1078 


Referate  und  Besprechungen. 


Zur  Entartungsfrage. 

(E.  Kraepelin.  Zentralbl.  für  Nervenheilk.  u.  Psych.,  2.  Oktoberheft,  S.  745,  1908.) 

K.  macht  auf  die  beunruhigende  Erscheinung  des  raschen  und  stetigen 
Anwachsens  der  anstaltsbedürftigen  Geisteskranken  aufmerksam.  Über  die 
Frage,  ob  nicht  die  Häufigkeit  des  Irreseins  überhaupt  eine  rasche  Steigerung 
erfährt,  vermag  die  bisherige  Statistik  keine  völlig  abschließende  Antwort 
zu  geben. 

In  Java  fiel  K.  die  große  Seltenheit  der  Paralyse  und  der  Alkoholismus 
auf.  Alkoholismus  und  Syphilis  sind  die  beiden  Volksgifte,  die  geeignet 
erscheinen,  zumal  bei  dem  Anwachsen  der  großen  Städte,  eine  beträchtliche 
Zunahme  der  Geistesstörungen  zu  erzeugen.  Schlimmer  als  die  unmittelbaren 
Wirkungen  von  Alkohol  und  Syphilis  ist  die  durch  sie  verursachte  Keim¬ 
schädigung,  die  eine  Entartung  ganzer  Geschlechter  bedingen  kann.  Es 
gibt  aber  noch  andere  Ursachen  in  unserem  Kulturleben,  die  geeignet  sind, 
die  tiefsten  Wurzeln  unserer  geistigen  Gesundheit  zu  schädigen;  die  Fähig¬ 
keit,  krankmachende  Einflüsse  wieder  auszugleichen,  dazu  gehört  die  Ent¬ 
wicklung  der  Gesittung,  welche  uns  lostrennt  aus  unserem  Verhältnisse  zur 
Natur. 

Eine  zweite  Gruppe  von  Kulturschädigungen  faßt  K.  unter  dem  gemein¬ 
samen  Namen  der  Domestikation  zusammen,  der  Loslösung  aus  den  natürlichen 
Lebensbedingungen.  Hierzu  gehört  auch  der  Vorgang  der  Proletarisierung. 
Die  Folgen  der  Domestikation  sind  Verkümmerung  und  Lebensschwäche. 

Eine  weitere  Gefahr  für  den  Bestand  unsrer  Rasse  bildet  die  einseitige 
Züchtung  geistiger  Eigenschaften  unter  Vernachlässigung  des  Körpers  und 
der  Willensentwicklung.  Mit  Fug  Und  Recht  betont  K.,  daß  unsere  Schul¬ 
erziehung  fast  ausschließlich  die  Verstandesbildung  berücksichtigt  im  Gegen¬ 
satz  zur  Pflege  körperlicher  Kraft  und  Gewandtheit.  Ebenso  recht  hat 
K.,  daß  die  Übung  im  Gebrauche  der  wichtigsten  Waffe  für  den  Lebens1 
kampf,  des  tatkräftigen  Willens  in  der  Hauptsache  zufälligen  Einflüssen 
überlassen  wird. 

Eine  gemeinsame  Wirkung  der  Domestikationseinflüsse  ist  die  Ab¬ 
schwächung  der  natürlichen  Triebe.  Die  Abschwächung  des  Arterhaltungs¬ 
triebes  zeigt  sich  in  der  stetigen  Abnahme  der  Geburtsziffer. 

Diese  Kulturschädigungen  stehen  auch  in  gewissen  ursächlichen  Be¬ 
ziehungen  zu  bestimmten  Formen  des  Entartungsirreseins. 

Es  liegen  zurzeit  Fragen  vor,  die  für  unser  Dasein  als  Volk  von  aller¬ 
höchster  Wichtigkeit  sind.  Zur  Beantwortung  dieser  Fragen  bedarf  es  sorg¬ 
samer,  über  Jahrzehnte  sich  erstreckender  Untersuchungen,  wie  sie  am  besten 
mit  Hilfle  des  Reiches  durchgeführt  werden  können.  Außer  der  Zahl  und 
Fruchtbarkeit  der  Ehen,  der  Erkrankungshäufigkeit  und  Sterblichkeit,  der 
Lebensdauer  und  Militärtauglichkeit,  wird  die  Verbreitung  von  Verbrechen, 
Prostitution,  Trunksucht  und  Syphilis,  wie  das  Vorkommen  von  Geistes¬ 
krankheiten,  Schwachsinn,  Psychopathie  und  Epilepsie,  sowie  deren  Vererbung 
ins  Auge  zu  fassen  sein.  Alles  dies  wird  erst  die  unerläßliche  wissenschaftliche 
Grundlage  geben,  um  in  der  Entartungsfrage  zur  Klarheit  zu  gelangen. 

Koenig  (Dalldorf): 


Das  zurzeit  an  der  Berliner  chirurgischen  Universitätsklinik  übliche 

Verfahren  der  Rückenmarksanästhesie. 

(A.  Bier,  Berlin.  Deutsche  Zeitschr.  für  Chir.,  Bd.  95,  H.  1 — 5.) 

Bier  gibt  einen  eingehenden  Bericht  über  die  jetzt  von  ihm  geübte 
Methode  der  Lumbalanästhesie.  Er  empfiehlt  das  Tropakokain ;  er  verwirft 
das  Novokain,  das  Alypin,  sowie  —  wegen  der  Gefahr  der  Muskellähmung  — 
das  Stovain.  Normaldosis  ist  0,05  g;  Maximaldosis  0,06  g.  Grundsätzlich 
wird  dem  Mittel  Suprarenin  zugesetzt.  Die  Lösung  (1,25  ccm  einer  5%igen 
Tropokokainlösung  -{-  0,000125  g  Suprarenin)  befindet  sich  in  einer  aus 
alkalifreiem  Jenenser  Glas  hergestellten  Tube. 


Referate  und  Besprechungen. 


1079 


Reizung  des  Rückenmarks  durch  eine  Blutung  in  den  Lumbalsack,  An- 
spießung  von  Nerven  muß  vermieden  werden.  Das  Anästhetikum  darf  nicht 
eingespritzt  werden,  bevor  nicht  Liquor  in  rascher  Tropfenfolge  abfließt. 
In  je  mehr  Flüssigkeit  gelöst  das  Anästhetikum  eingespritzt  wird,  um  so 
höher  geht  die  erzielte  Anästhesie  hinauf.  Für  hoch  hinaufreichende  An¬ 
ästhesien  ist  auch  die  Beckenhochlagerung  gut  zu  verwenden,  die  ungefährlich 
ist,  wennn  die  Lageveränderung  ganz  allmählich  ausgeführt  wird.  Als  Indi¬ 
kator  für  eine  genügende  Anästhesie  dient  der  Nachweis  des  Verschwindens 
der  Reflexe  nach  1 — 2  Minuten.  Am  leichtesten  ist  die  Lumbalpunktion  in 
sitzender  Stellung  zu  erreichen;  beim  liegenden  Patienten  muß  in  besonderer 
Weise  darauf  geachtet  werden,  daß  die  Nadel  in  der  Mittellinie  einge¬ 
stochen  wird. 

Bei  der  Frage  der  Versager  ist  zweifellos  die  Technik  von  weit¬ 
gehender  Bedeutung :  Bei  über  100  Fällen,  bei  denen  die  Punktion  von  geübter 
Hand  vorgenommen  wurde,  fand  sich  kein  Versager;  in  einem  Ärztekurs 
in  kurzer  Zeit  drei.  Bedrohliche  Nebenerscheinungen  wurden  bei  den  letzten 
400  Anästhesien,  abgesehen  von  Erbrechen  in  5%  der  Fälle,  nicht  beobachtet. 
Die  Kombination  der  Lumbalanästhesie  mit  Skopomorphindämmerschlaf  em¬ 
pfiehlt  Verf. ;  er  gibt  von  dem  Riedel’schen  Kölbchen-Skopomorphin  2/3  des 
Inhalts  —  zweizeitig  und  zwar  l1/2  und  3A  Stunden  vor  der  Operation.  Auch 
bei  den  Tropokokainanästhesien  wird  eine  genügende  Erschlaffung  der  Bauch¬ 
muskulatur.  ähnlich  wie  beim  Stovain,  erzielt.  Die  Versuche,  die  die  Re¬ 
sorption  verhindernden  Mucilaginosa  (Gelatine  nach  Klapp;  Gummi  nach 
Ehrhardt)  als  Zusatz  zum  Anästhetikum  zu  verwenden,  sind  bis  jetzt  nicht 
erfolgreich  gewesen ;  zumal  der  schwere  kollapsartige  Zustand,  in  welchen 
ein  von  Ehrhardt  auf  dem  vorjährigen  Chirurgenkongreß  demonstrierter 
Patient  verfiel,  läßt  den  weiteren  Gebrauch  der  Mucilaginosa  recht  bedenk¬ 
lich  erscheinen.  Eine  hochreichende  Anästhesie  läßt  sich  mit  den  bisherigen 
Mitteln  (Ansaugen  von  viel  Liquor  spinalis,  steile'  Beckenhochlagerung ;  An¬ 
legen  einer  unmittelbar  nach  der  Einspritzung  entfernten  Stauungsbinde) 
erzielen.  Das  Problem,  ungefährliche,  hoch  heraufreichende  Anästhesien  zu 
erzielen,  ist  aber  bisher  nicht  gelöst.  Verf.  hat  bisher  zwei  Todesfälle  be¬ 
obachtet:  bei  einem  75jährigen  Mann,  dem  0,13  g  Tropokokain  eingespritzt 
war  (die  Dosis  war  zu  hoch),  und  bei  einem  40jährigen  fettleibigen  Mann, 
der  sieben  Minuten  nach  der  Einspritzung  in  einen  nicht  aufzuhaltenden 
Kollaps  verfiel.  Es  ist  dies  der  erste  Todesfall  bei  normaler  Dosierung 
des  Mittels,  dem  allerdings  kein  Suprarenin  zugesetzt  war. 

F.  Kaysier  (Köln). 


Aus  der  2.  chirurgischen  Abteilung  des  Rudolf  Virchow-Krankenhauses  in  Berlin. 

Dirig.  Arzt:  Prof.  Borchardt. 

Zur  Kasuistik  der  Abducensiähmung  nach  Lumbalanästhesie  mitTropokokain. 

(Dr.  C.  Gontermann.  Berliner  klin.  Wochenschr.,  Nr.  33,  1908.) 

Ein  35  jähriger,  sonst  vollkommen  gesunder,  syphilitisch  nicht  infizierter 
Mann,  wurde  am  2.  April  1908  wegen  einer  Skrotalfistel  nach  Epididymitis 
gonorrhoic  i  operiert.  Lumbalanästhesie  mittelst  Injektion  von  0,0625  Tropo¬ 
kokain  ohne  Adrenalin  zwischen  erstem  und  zweitem  Lendenwirbel.  Operation 
in  Steinschnittlage  bei  horizontaler  Rumpf-  und  leicht  erhöhter  Kopfhaltung. 

Am  achten  Tage  nach  der  Operation  Doppeltsehen,  links  starke,  rechts 
schwächere  Abducensparese.  Die  Störungen  waren  nach  sechs  Wochen  unter 
Galvanisation  und  hydrotherapeutischer  Behandlung  verschwunden.  Gold¬ 
schwend  t  hat  diese  nach  Tropokokain  ohne  Adrenalin  bisher  fünfmal  beobach¬ 
tete  Komplikation  in  der  Weise  zu  deuten  versucht,  daß  „erst  nach  Stunden 
und  Tagen  eine  Verdünnung  des  Anästhetikums  mit  dem  Liquor  des  Hals¬ 
markes  und  Gehirns  eingetreten  sei,  daher  die  Nachwirkungen  (Fieber,  Kopf¬ 
schmerz,  Erbrechen,  Abducensiähmung)“;  er  glaubt  also  an  eine  direkte, 
späte  Kontaktwirkung.  Gontermann  nimmt  auf  Grund  verschiedener  Er¬ 
wägungen  an,  daß  die  schweren  Zufälle  (Atmungslähmung)  kurz  nach  der 


1080 


Referate  und  Besprechungen. 


Injektion  durch  direkte  Kontaktwirkung’  des  Giftes  auf  den  Nervenkern  be¬ 
dingt,  die  späteren  motorischen  Störungen  durch  Resorption  des  Giftes  hervor¬ 
gerufen  seien,  ähnlich  der  Nephritis  nach  Lumbalpunktion  und  z.  B.  den 
postdiphtheritischen  Lähmungen.  Carl  Grünbaum  (Berlin). 


Behandlung  der  Ischialgie  mit  Lange’scher  Kochsalzinjektion. 

(Julius  Flesch.  Med.  Klinik,  Nr.  1,  1909.) 

Aus  einer  kleinen  Reihe  von  Beobachtungen  (8  Fällen)  geht  hervor, 
daß  einige  Fälle  von  Ischialgie  prompt  auf  Lange’sche  Injektion  reagierten, 
während  andere  sich  refrektär  verhielten  und  zwar  solche,  bei  denen  es  sich 
nicht  um  eine  reine  Neuritis  ischiadica  handelte,  sondern  wo  dieses  Leiden 
durch  bestehende  andere  Affektionen  (Periostitis,  Myositis  usw.)  vorgetäuscht 
wurde.  Da  nun  weder  die  typischen  Druckpunkte  noch  das  Lasegue’sche 
Phänomen  allein,  noch  die  subjektiven  Beschwerden  mit  Sicherheit  auf 
das  Bestehen  einer  Neuritis  ischiadica  schließen  lassen,  so  glaubt  Flesch 
im  Erloschensein  des  Achillessehnenreflexes  der  erkrankten  Seite  ein  zu¬ 
verlässiges  Zeichen  gefunden  zu  haben,  welches  auf  eine  echte  Ischias  un¬ 
zweideutig  hinweist  und  gleichzeitig  die  Indikation  für  die  Lange’sche 
Injektion  abgibt.  —  Der  Patellarreflex  des  kranken  Beines  muß  erhalten  sein. 

R.  Stüve  (Osnabrück). 


Beitrag  zur  Kasuistik  und  Ätiologie  der  Jackson’schen  Epilepsie. 

(Wilhelm  Vollmar.  Wiener  klin.  Rundschau,  Nr.  44 — 46,  1908.) 

Verf.  führt  zunächst  aus  der  Literatur  fünf  Fälle  an,  in  denen  eine 
Jaek'son’sche  Epilepsie  durch  ein  Trauma  hervorgerufen  war.  Daran 
anschließend  wird  die  Krankengeschichte  eines  27  jährigen  Patienten  mit¬ 
geteilt,  der  im  Alter  von  neun  Jahren  vom  dritten  Stock  heruntergestürzt 
ünd  mit  dem  Kopfe  gegen  das  Treppengeländer  geschleudert  war.  Durch 
eine  Wunde  im  Schädel  war  Gehirnmasse  in  der  Größe  einer  Haselnuß  heraus¬ 
gedrungen.  Die  Wunde  heilte  glatt,  später  wurde  dann  noch  eine  osteo¬ 
plastische  Trepanation  vorgenommen,  um  das  frieliegende  Gehirn  zu  decken. 
Ein  Jahr  nach  dieser  Operation  traten  zuerst  Anfälle  von  Jacks on’scher 
Epilepsie  auf,  die  mit  jahrelangen  Unterbrechungen  andauerten  bis  der 
letzte  den  Tod  des  Patienten  herbeiführte.  Die  Sektion  ergab  eine  Er¬ 
weichungszyste  im  rechten  Stirn-  und  Scheitelhirn.  —  Es  folgen 
dann  vier  weitere  Fälle  aus  der  Literatur,  in  denen  Hirntumoren  und 
zwei,  in  denen  eine  tertiäre  Lues  die  Jackson’sche  Epilepsie  bedingten. 

Steyerthal-Kleinen. 


Kalziumhypophosphit  bei  Epilepsie. 

(F.  Cicarelli.  II  Policlinico,  fase.  5/6,  1909.) 

Bei  29  Epileptikern  hat  Cicayelli,  Assistent  am  Provinzialirrenhaus 
in  Aquila,  sehr  erfreuliche  Erfolge  von  großen  Dosen  von  Kalzium  hypo- 
phosphorosum  gesehen.  2  bis  3  g  pro  die  verminderten  die  Anfälle  ebenso 
wie  Brom,  übten  auf  die  Psyche  einen  guten  Einfluß  aus  und  zeigten  keinerlei 
N  ebenerscheinungen. 

Am  besten  sei  es,  14  Tage  lang  die  Kalktherapie  anzuwenden  und 
dann  8  Tage  Brom  zu  geben. 

Diejenigen,  die  etwa  in  Deutschland  geneigt  sein  sollten*  die  Sache 
nachzumachen,  seien  darauf  aufmerksam  gemacht,  daß  nach  anderweitigen 
Mitteilungen  Kalziumhypophosphit  bald  fatale  Erscheinungen  seitens  des 
Verdauungsapparates  hervorruft;  Vorsicht  scheint  da  mithin  angezeigt. 

Buttersack  (Berlin). 


Referate  und  Besprechungen. 


1081 


Einfluß  der  Übungstherapie  auf  die  Leitungsgeschwindigkeit  bei 

Tabes  dorsalis. 

(D.  de  Vries  Reilingh.  Zeitschr.  für  klin.  Medizin,  Bd.  66,  S.  423,  1908.) 

Der  Verf.  stellte  seine  Untersuchungen  hei  einem  27  Jahre  alten,  8  Jahre 
zuvor  infizierten,  nie  behandelten  verheirateten  Zimmermann  an,  der  seit 
4  Wochen  nicht  mehr  gehen  konnte.  Zunächst  ermittelte  er  die  Verzögerung 
der  Leitung  für  die  verschiedenen  Gefühlsqualitäten ;  die  Reaktionsbewegung 
hatte  der  Kranke  mit  der  rechten  Hand  auszuführen,  da  die  motorischen 
Bahnen  der  Hände,  verglichen  mit  dem  Gesunden,  keinerlei  Störungen  in  der 
Leistungsfähigkeit  aufwiesen.  Gereizt  wurden  rechte  Fußsohle  oder  rechter 
Fuß.  Durch  geeignete  systematische  Übungen  wurde  in  der  Zeit  von  De¬ 
zember  1907  bis  April  1908  erzielt  —  Werte  =  Vioo  Sekunde  (genaueres  S.  431): 

normal  Patient 


Dez.  April 

Tastsinn,  Reaktionszeit  28,8  188  98 

„  Reflexzeit  16,3  ?  150 

Schmerzgefühl,  wenig  Änderung 

Drucksinn,  Reaktionszeit  17,8  183,7  77,7 

Bewegungssinn,  Reaktionszeit  18,4  85,3  21,0 


Auch  verringerte  sich  allmählich  die  Zahl  der  Nachempfindungen  und 
besserte  sich  das  Gefühl  für  Lage  und  Bewegung  der  Beine.  Verf.  verlegt 
die  hier  in  Betracht  kommende  Störung  in  das  periphere  zentripetale  Neuron, 
und  zwar  ist  der  Reflexbogen  als  affiziert  anzusehen,  da  die  Reflexzeit 
viel  mehr  verzögert  ist  als  die  Reaktionszeit,  bei  normaler  zentrifugaler 
Leitung  der  Beine  (auf  Grund  der  gemessenen  Reaktionszeit  Hand :  Bein, 
die  hinter  der  „normalen“  keineswegs  zurückstand).  Für  die  verschiedenen 
Empfindungsqualitäten  sind  auch  verschiedene  zentripetale  Bahnen  anzu¬ 
nehmen.  H.  Vierodt  (Tübingen). 


Über  Fazialislähmung  nach  Zahnextraktion. 

(Edwards  Williams.  Wiener  klin.  Rundschau,  Nr.  31,  1908.) 

Drei  Fälle  von  Fazialislähmung  nach  Zahnextraktion.  Der  erste  Fall 
entstand  fast  unmittelbar  nach  dem  Eingriffe,  der  zweite  Fall  zwei  und 
der  dritte  sechs  Tage  später.  Steyerthal-Kleinen. 


Zur  Kenntnis  der  akuten  multiplen  Sklerose. 

(Herbert  Koch.  Wiener  klin.  Rundschau,  Nr.  34  u.  35,  1908.) 

Krankengeschichte  eines  30jährigen  Patienten,  der  4 drei  Wochen  vor 
seiner  Aufnahme  zuerst  verschiedene  nervqse  Störungen  bemerkt  hatte 
(Schwächegefühl  in  einem  Beine,  Anästhesien  und  Parästhesien  in  wechselnder 
Anordnung  an  beiden  unteren  Extremitäten  und  dergl.).  Das  voll  entwickelte 
Krankheitsbild  entsprach  der  Myelitis  disseminata  bezw.  der  Encephal¬ 
itis  multiplex.  Nach  ca.  vierwöchiger  Beobachtung  erfolgte  der  Exitus 
letalis  unter  rasch  zunehmenden  Lähmungserscheinungen.  Sektion:  typische 
sklerotische  Herde  im  Brust-  und  Halsmarke,  sowie  in  der  Medulla 
oblong  ata.  —  Auffällig  ist  der  relativ  akute  Beginn  ohne  prämonitorische 
Zeichen  und  der  schnelle  Fortschritt  ad  exitum.  Gewöhnlich  setzen  wir 
bei  der  multiplen  Sklerose  einen  eminent  chronischen  Prozeß  voraus,  die 
akuten  Fälle  dieses  Leidens  verdienen  deshalb  eine  besondere  Erwähnung. 

Steyerthal-Kleinen. 


Die  physikalische  Therapie  der  Chorea. 

(Theodor  Frankel.  Zeitschr.  für  phys.  und  diät.  Ther.,  Nr.  12.) 

Die  systematische  Übungstherapie,  wie  sie  von  Fränkel,  bei  Tabes 
eingeführt  wurde,  ist  auch  bei  Chorea  in  modifizierter  Form  anzuwenden. 
Fortgesetzte  Übung  der  ergriffenen  Muskelpartien;  dabei  legt  Verf.  mehr 


1082 


Bücherschau. 


Wert  auf  die  gewissenhafte  Wiederholung  der  Übungen  als  auf  deren  Inten¬ 
sität.  Auch  Massage  sei  ein  wertvoller  Heilfaktor,  der  in  früheren  Jahren 
nicht  nur  nicht  gewürdigt,  sondern  sogar  perhorresziert  worden  sei.  Die 
Hydrotherapie  leiste  stets  Wertvolles,  was  man  von  der  Elektrotherapie 
keineswegs  behaupten  könne.  E.  kommt  zu  folgenden  4  Leitsätzen 

1.  Sowohl  die  leichten  als  schweren  Choreafälle  werden  am  besten  durch 
maschinelle  Heilgymnastik  und  Masisage  günstig  beeinflußt. 

»2.  Die  von  Both  angegebene  Übungstherapie  hat  sich  gut  bewährt. 

3.  Die  Hydrotherapie  in  Eorm  von  Abreibungen  und  Hälbbädern  wirkt 
wesentlich  unterstützend  bei  der  Behandlung  dieser  Krankheit. 

4.  Von  der  Elektrotherapie  kann  ganz  abgesehen  werden. 

Beiss  (München). 


Bücherschau. 


Die  Pathologie  und  Therapie  der  Leukämie.  Von  Wilhelm  Ebstein. 
Stuttgart,  Verlag  von  Ferdinand  Enke,  1909.  137  S.  4  Mk. 

Die  Leukämie  ist  trotz  oder  vielleicht  wegen  reicher,  immer  mehr  anschwellen¬ 
der  Kasuistik  auch  heute  noch  ein  schwieriges  und  in  manchen  Stücken  unauf- 
gehelltes  Gebiet  der  Pathologie  und  Klinik,  in  das  die  Schaffung  stets  neuer,  dem 
persönlichen  Empfinden  ängepaßter  „Formen“  nur  scheinbar  Klärung  zu  bringen 
vermag.  Um  so  willkommener  wird  den  Fachgenossen  eine  Schrift  aus  sachkundiger 
Feder  sein,  die,  ohne  die  Leukämie  bloß  vom  „hämatologischen“  Standpunkt  aus 
zu  beurteilen,  ein  klinisches  Bild  der  wechselvollen  Krankheit  in  ihren  verschieden¬ 
artigen,  zuweilen  schwer  erkennbaren  Äußerungen  entwirft  und  das  praktisch 
Wichtige  in  zwei  Hauptabschnitten,  akute  und  chronische  Leukämie,  unter  kritischer 
Sichtung  des  Materials  abhandelt.  In  der  schwierigen  Frage  nach  „der  Natur  und 
dem  Wesen“  der  Leukämie  neigt  E.  der  Annahme  eines  infizierenden  Giftes, 
vielleicht  eines  mikroparasitären  Krankheitserregers,  zu,  ja  manches  spricht,  zumal 
bei  den  sogenannten  sekundären  Leukämien,  für  das  Vorhandensein  verschiedener 
Krankheitserreger.  Den  Beschluß  des  lehrreichen  und  nützlichen  Buches  bildet 
die  Behandlung  der  Leukämie,  wobei  besonders  die  bekanntlich  mit  sehr  wechseln¬ 
dem  Erfolg  angewandte  Böntgenbehandlung  eingehender  besprochen  wird. 

H.  Vierordt  (Tübingen). 


Frühsymptome  bei  Geisteskranken.  Von  Dr.  W.  Fuchs.  Verlag  von 

Max  Gelsdorf,  Eberswalde,  1908.  37.  S. 

Das  anregend  geschriebene  Büchlein  stellt  vor  allem  die  Frage  der  individuellen 
Anlage  und  der  individuellen  Färbung  des  Krankheitsbildes  in  den  Vordergrund 
der  Betrachtung.  Die  Schrift  nennt  sich  „Beitrag  zur  Persönlichkeitsforschung“ 
und  tut  dies  unseres  Erachtens  mit  Becht.  Von  den  Kapiteln  „Geisteskrankheit 
und  Vererbung“,  „Degeneration“,  „Antisozialität“,  sei  hier  besonders  auf  das  zweite 
hingewiesen:  Der  Verf.  versucht  hier  an  einem  Analysebogen,  der  „Erlebnis“  und 
„Leistung“  gewisser  beliebiger  Bewußtseinsvorgänge  kurz  kennzeichnet,  klar  zu 
machen,  daß  später  Geisteskranke  schon  nach  dem  ziemlich  einfachen  Schema  im 
Laufe  ihrer  noch  „normalen“  Zeit,  also  vor  der  eigentlichen  Erkrankung  deutlich 
als  pathologisch  erkennbare  Beaktionen  geben.  Die  Betrachtungsweise  ist  (trotzdem 
es  praktisch  sich  nicht  um  allgemein  durchführbare  Dinge  handelt)  von  wissen¬ 
schaftlichem  Wert  und  ohne  Frage  originell.  Am  meisten  verdient  das  Bestreben 
Anerkennung  Krankheitssymptome  zu  studieren  und  zu  analysieren  und  hieraus  erst 
zu  einem  Verständnis  der  Krankheitsbilder  zu  gelangen.  Besonders  hat  der  Verf. 
die  soziale  Seite  der  Psychose  eingehend  studiert.  H.  Vogt. 


Taschenbuch  für  Chirurgen  und  Orthopäden.  Von  L.  Jankau.  3.  Aus¬ 
gabe.  Verlag  Max  Gelsdorf,  Eberswalde  bei  Berlin.  4  Mk. 

Das  Kompendium  enthält  auf  ca.  400  Seiten  eine  Fülle  von  Wissenswertem 
zunächst  aus  dem  Gesamtgebiet  der  Medizin  in  einem  allgemeinen  Teile,  und  dann 
in  einem  speziellen  Teile  Fragen,  die  speziell  für  den  Chirurgen  von  Wichtigkeit 
sind.  Aus  dem  allgemeinen  Teile  seien  hervorgehoben  physikalische  Notizen  über 
die  Luft,  Elektrizität,  über  den  Schall,  Verbrauch  des  Menschen,  Kalorien  usw., 


Bücherschau. 


1083 


ferner  Notizen  über  die  Lymphe,  das  Blut  und  den  Nährwert  der  Nahrungsmittel. 
Ferner  enthält  der  allgemeine  Teil  Notizen  aus  der  Arzneiverordnungslehre,  einen 
Auszug  aus  der  Arzneitaxe,  über  ökonomische  Verordnungsweise,  die  Maximaldosen 
der  Arzneimittel,  die  wichtigsten  subkutan  zu  verwendenden  Mittel,  Notizen  über 
akute  Vergiftungen,  die  Inkubationsdauer  der  Infektionskrankheiten,  medizinische 
Bäder,  Desinfektionsmittel,  erste  Hilfe  bei  Unglücksfällen,  Harnuntersuchungs¬ 
methoden  und  die  wichtigsten  Bäder  Deutschlands,  Österreichs  und  der  Nachbar¬ 
länder.  Der  spezielle  Teil  bringt  Notizen  über  das  Auftreten  der  einzelnen  Knochen¬ 
kerne,  was  besonders  röntgenologisch  von  Wichtigkeit  ist;  ferner  die  wichtigsten 
Sachen  über  die  Organe  der  Schädelhöhle,  der  Brust-  und  Bauchhöhle,  des  Beckens, 
der  Wirbelsäule  und  über  die  Funktionen  der  Gelenke.  Daran  schließt  sich  eine 
kurze  Besprechung  über  die  Magensaft-Untersuchungsmethoden  (Salzsäure,  Milch¬ 
säure,  Pepsin,  Probemahlzeiten  usw.),  die  Untersuchungen  des  Darminhaltes,  die 
Narkosen  und  Lokalanästhesie. 

Ferner  finden  sich  in  einem  klinischen  Teile  Notizen  über  Frakturen  und 
Luxationen,  über  die  Differentialdiagnostik  der  Abdominalerkrankungen  (Perityphlitis, 
Cholelithiasis,  Magenkarzinom,  Nierenerkrankungen  usw.),  der  Lokalisation  von 
Hirnaffektionen.  Schließlich  sind  noch  bakteriologische  und  statistische  Notizen 
zu  finden,  sowie  Bemerkungen  über  die  Unfallpraxis  und  den  Schluß  bilden  Angaben 
aus  der  Gesetzeskunde  (Gebührenordnungen  usw.)  und  über  Krüppelanstalten. 

Das  Büchel  enthält  demnach  eine  Fülle  des  Wissenswertesten  und  dürfte  als 
kurzes  Nachschlagebücliel  dringend  zu  empfehlen  sein.  Härting  (Leipzig). 


Taschenbuch  der  Untersuchungsmethoden  und  Therapie  für  Dermatologen 
und  Urologen.  Von  Albrecht  Freiherr  von  Notthaft.  Leipzig, 
Max  Gelsdorf,  1908.  Fünfte  Auflage.  280  S.  4  Mk. 

Die  fünfte  Auflage  des  bekannten  Taschenbuches  für  Dermatologen  und 
Urologen  ist  in  erweitertem  Umfange  und  mit  Umarbeitung  der  wissenschaftlichen 
Teile  erschienen.  In  neun  Abschnitten:  „1.  Von  der  Ausnützung  der  eingenommenen 
Nahrung  durch  den  Stoffwechsel;  2.  Nahrungsmittel;  3.  Anatomische  und  physio¬ 
logische  Daten  aus  dem  Gebiete  der  Haut  und  der  Harnwege;  4.  Untersuchungs¬ 
methoden  für  Harnwege  und  Haut;  5.  Aus  der  allgemeinen  Arzneiverordnungslehre; 
6.  Pharmocopoea  oeconomica;  7.  Dermatologisch-urologische  Apotheke;  8.  Behand¬ 
lung  der  einzelnen  Krankheiten  der  Haut,  Harnwege  und  Geschlechtsorgane; 
9.  Elektrotherapeutische  Notizen“  hat  Verfasser  auf  kleinem  Raume  alles  für  den 
Spezialisten  Wissenswerte  in  klarer  und  übersichtlicher  Form  zusammengestellt. 
Wenn  auch  das  Büchlein  das  Studium  eines  großen  Lehrbuches  nicht  ersetzt,  so 
kann  es  doch  als  handliches  Nachschlagebuch  für  die  Sprechstunde  warm 
empfohlen  werden. 

Das  dem  Taschenbuche  in  einem  besonderen  Anhänge  angefügte  Spezialisten- 
Verzeichnis  kann  jedoch  auf  Vollständigkeit  auch  nicht  annähernd  Anspruch 
erheben.  Carl  Grünbaum  (Berlin). 


Taschenbuch  für  Nervenärzte  und  Psychiater.  Von  L.  Jankau.  3.  Aus¬ 
gabe.  Verlag  von  Max  Gelsdorf,  Eberswalde.  315  S.  4  Mk. 

Die  J ankau’schen  Taschenbücher  haben  sich  einen  festen  Kreis  von  Freunden 
mit  Recht  erobert.  Wenn  man  eines  derselben  durchsieht,  so  muß  man  immer 
wieder  den  Fleiß  und  die  Belesenheit  des  Herausgebers  bewundern,  der  die  gleiche 
Sorgfalt  den  verschiedenen  von  ihm  bearbeiteten  Gebieten  widmet. 

Natürlich  kann  nicht  alles  in  gleicher  Ausführlichkeit  behandelt  werden, 
aber  das  ist  ja  auch  nicht  der  Zweck  der  Taschenbücher;  eine  gute  und  zuverlässige 
Orientierung  ist  auf  jeden  Fall  auch  durch  dies  Buch  gewährleistet,  oft  sogar  mehr, 
wie  z.  B.  im  klinischen  Teil.  R. 


Erholungs-  und  Kurorte.  Nach  ihren  Höhelagen  zusammengestellt  von 
Lasirifa.  Berlin,  Verlag  von  August  Hirschwald.  60  Pfg. 

Gerade  noch  rechtzeitig  zur  Reisesaison  hatte  sich  das  sehr  dankenswerte 
Büchlein  von  Lasirifa  eingestellt,  welches  uns  nach  Höhenlagen  geordnet  einen 
zuverlässigen  Überblick  über  die  verschiedensten  Kur-  und  Badeorte  gibt.  Bei 
Durchsicht  des  Heftes  hat  Ref.  zu  seinem  Erstaunen  feststellen  müssen,  daß  er 
über  die  Höhenlage  mancher  Kurorte  sehr  falsche  Begriffe  hatte.  Er  wird  in  Zukunft 
im  Zweifelsfalle  sich  bei  Lasirifa  zuvor  genau  orientieren,  um  sich  nicht  eventuell 
von  dem  Patienten  durch  bessere  Ortskenntnis  beschämen  lassen  zu  müssen.  R. 


1084 


Bücherschau. 


Berichtigung. 

In  Nr.  23  dieser  Zeitschrift  hat  Herr  Eschle  gegenüber  meiner  Be¬ 
hauptung  von  dem  Rosenbach’schen  Plagiat  eine  Richtigstellung  versucht. 
Indem  ich  es  ablehne,  seinem  schlechten  Beispiel  zu  folgen  und  auch  meiner¬ 
seits  persönlich  zu  werden,  begnüge  ich  mich  damit,  im  folgenden  die  An¬ 
gaben  des  Herrn  Eschle  rein  sachlich  zu  widerlegen  und  den  exakten 
Nachweis  für  meine  Behauptung  zu  erbringen,  sofern  das  nicht  schon  in 
meinem,  der  Kritik  des  Herrn  Eschle  zum  Opfer  gefallenen  Buch  über  die 
chronischen  Krankheiten  geschehen  ist. 

1.  Es  ist  unwahr,  daß  die  Grundzüge  der  Lehre  vom  Kreislauf,  resp. 
Nervenkreislauf  schon  in  den  ersten  Publikationen  Rosenbach’s  (seit  dem 
Jahre  1873)  deutlich  zutage  getreten  seien. 

Wahr  ist  vielmehr,  daß  Rosenbach  vor  dem  Jahre  1893,  also  vor 
Erscheinen  von  Kreidmann’s  Nervenkreislauf,  in  keiner  seiner  Publika¬ 
tionen  weder  einen  Nervenkreislauf  ahnt,  noch  kennt,  noch  nennt,  wie  ich 
weiter  unten  nachweisen  werde. 

2.  Es  ist  unwahr,  daß  diese  angeblichen  Grundzüge  der  Lehre  vom  Nerven¬ 
kreislauf  in  Rosenbach’s  Arbeit  „Bemerkungen  zur  Mechanik  des  Nerven¬ 
systems  (die  oxygene  tonische  Energie)“,  1892,  Deutsche  Medizinische  Wochen¬ 
schrift  Nr.  43—45,  immer  ausgesprochenere  Gestalt  annehmen  und  in  ganz 
markanter  Form  erscheinen. 

Wahr  ist  vielmehr,  daß  auch  diese  Arbeit  weder  einen  Nervenkreislauf 
kennt  noch  von  einem  Nervenkreislauf  spricht.  Ihr  Verfasser  spricht  viel-' 
mehr  nur  ganz  allgemein  vom  Nervenstrom,  wie  vor  ihm  und  nach  ihm 
jeder  Physiologe.  Die  ihm  eigentümliche  Auffassung  des  Nervenstromeö 
besteht  aber  darin,  daß  er  einen  ständigen  Zufluß  und  Abfluß  kinetischer 
Energie  von  der  Außenwelt  in  den  Körper  und  umgekehrt  annimmt.  Wenn 
also  Rosenbach  in  dieser  Arbeit  von  einem  kreisenden  Nervens  trom 
spricht,  so  ist  das  genau  so  und,  nicht  anders  zu  verstehen,  als  wenn  der 
physiologische  Chemiker  von  einem  Kreislauf  der  Elemente  vom  Erd¬ 
boden  in  die  Pflanzen-  und  Tierwelt  und  wieder  rückläufig  in  den  Erd¬ 
boden  zu  sprechen  pflegt.  Neben  diese  Lehre  vom  Kreislauf  der  Elemente 
Stellt  also  Rosenbach  die  Lehre  vom  Kreislauf  der  Energie  durch  die 
belebte  und  unbelebte  Natur.  Einen  Nervenkreislauf  aber,  d.  h.  einen  Kreis¬ 
lauf  irgendwelcher  Art,  der  sich  lediglich  in  den  anatomisch  festgelegten 
Nervenbahnen  unseres  Körpers  abspielt,  kennt  Rosenbach  im  Jahre  1892 
noch  nicht;  von  einem  Nervenkreislauf  hat  er  im  Jahre  1892  noch  keine 
Ahnung,  und  zwar  einfach  deshalb  nicht,  weil  er  noch  nichts  davon  gehört  hat. 

8.  Es  ist  unwahr,  daß  Rosenbaeh’s  Arbeit  vom  Jahre  189  6  „Be¬ 
merkungen  zur  Dynamik  des  Nervensystems;  der  Nervenkreislauf  und  die 
tonische  Energie“  (Heft  101  der  Berliner  Klinik)  nur  eine  etwas  erweiterte 
Überarbeitung  der  Arbeit  vom  Jahre  1892  (Deutsch.  Med.  Wochenschrift 
Nr.  43 — 45)  darstellt. 

Wahr  ist  vielmehr,  daß  innerhalb  dieser  vier  Jahre  —  in  welche  be¬ 
kanntlich  das  Erscheinen  des  Kreidmann’schen  Nervenkreislauf  es  fällt, 
der  1893  zu  Rosenbach’s  Kenntnis  kam  —  Rosenbach’s  Anschauungen 
vom  Nervensystem  sich  völlig  gewandelt  haben,  und  daß  diese  Wandlung 
aufs  deutlichste  sowohl  im  Titel  als  auch  im  Inhalt  der  kleinen  Broschürje 
zum  Ausdruck  gekommen  ist. 

Denn  jetzt  zum  erstenmal  spricht  er  das  Wort  „Nervenkreislauf“  aus, 
ja,  er  setzt  es  sogar  auf!,  den  Untertitel  der  Arbeit.  Jetzt  zum  erstenmal 
unterschlägt  er  aber  auch  die  ihm  wohlbekannte  Tatsache,  daß  ein  anderer 
bereits  vor  ihm  die  Existenz  eines  Nervenkreislauf  es  gelehrt  hat.  Er  er¬ 
weckt  also  absichtlich  den  Anschein,  als  sei  er  der  Entdecker  des  Nerven- 
kreislaufes,  sagt  er  doch  auf  Seite  23,  er  habe  an  anderer  Stelle,  nämlich 
in  den  Krankheiten  des  Herzens,  Wien  und  Leipzig  1893/97,  ausgeführt, 
daß  eine  Reihe  von  Gründen  zur  Annahme  eines  Nervenkreislauf  es  zwinge! 
Liest  man  nun  aber  in  diesem  Werk  unter  „Nervenkreislauf“  nach,  so  findet 
man,  daß  er  dort,  Seite  830  ff.,  wohl  von  einem  Nervenkreislauf  fabelt, 
ohne  aber  auch  nur  einen  einzigen  Grund  für  die  Annahme  eines  solchen 
beizubringen.  Die  „Reihe  von  Gründen“  hat  er  also  einfach  —  geträumt, 
und  zwar  nicht  vor  dem  Jahre  1896,  denn  auch  dieser  Teil  der  Rosen¬ 
bach’schen  Monographie  über  die  Herzkrankheiten  ist,  wie  ich  unter  4. 
nachweisen  werde,  frühestens  im  Jahre  1896  entstanden. 

Aber  nicht  genug  damit!  Rosenbach  gibt  dem  IV.  Abschnitt  der 
Broschüre  von  1896  die  Überschrift  „Der  Kreislauf  der  Energie  im  Nerven- 


Bücherschau. 


1085 


System  (Nervenkreislauf)“..  Während  er  also  bis  zum  Jahre  1892  lediglich 
einen  Kreislauf  der  kinetischen  Energie  von  der  Außenwelt  in  den  Körper 
Und  wieder  zurück  annahm,  läßt  er  jetzt  im  Jahre  189  6  seinen  „neuent¬ 
deckten“  Nervenkreislauf  sich  im  Nervensystem  abspielen  und  erklärt, 
Seite  23,  daß  „für  dessen  Zirkulation  eine  Nervensystole  unid 
-Diastole  ebenso  notwendig  sei,  wie  die  der  Gefäße  für  den  Blut¬ 
kreislauf,  wenn  auch  die  Volumensänderungen  an  den  Nlerven 
nicht  so  deutlich  zutage  träten  wie  bei  jenen“.  Hiermit  aber  hat 
sich  Rosenbach  selbst  verraten,  denn  für  einen  Kreisprozeß  kine¬ 
tischer  Energie  wird  niemand,  am  allerletzten  ein  im  physikalischen 
Denken  wohlgeschulter  Kopf  wie  Rosenbach,  so  töricht  sein,  Volu'm- 
schwankungen  der  Lei tungsbahüen  anzunehmen!  Im  Anschluß  an 
die  Hypothese  von  der  Nervensystole  und  -Diastole  sagt  er  dann,  Seite  24, 
Zeile  4  von  oben,  wörtlich:  „das  System  der  zentripetalen  (induktiven) 
Nerven  entspricht  somit  dem  der  Venen,  das  der  motorischen 
(eduktiven)  dem  Ar teriensy s tarn  .  . ein  Vergleich,  der  fast  wörtlich 
aus  Kreidmann’s  Nervenkreislauf  abgeschrieben  sein  könnte,  da  ihn  Kreid¬ 
mann,  indem  er  die  Analogien  beider  Kreisläufe  —  des  Blutkreislaufs  und 
des  Nervenkreislauf  s  —  der  Reihe  nach  auf  zählt,  bis  aufs  kleinste  durch¬ 
führt.  Bedenkt  man  nun  noch,  daß  Rosenbaeh’s  Nervensystole  und  -diastole 
nur  ein  etwas  modifizierter  Ausdruck  für  Kreidmann’s  Lehre,  das  Herz 
sei  der  Motor  des  Nervenkreislaufs,  ist,  so  dürfte  es  außer  allem  Zweifel 
stehen,  aus  welcher  verschwiegenen  Quelle  Rosenbach’s  Weisheit  vom  Jahre 
18  96  geflossen  ist.  Aus  der  Vermengung  des  früheren  Kreislaufs  der  Energie 
zwischen  Außenwelt  und  Körper  mit  dem  neuen  Kreislauf  der  Energie  im 
Nervensystem  entsteht  nun  ein  ganz  seltsames  Gebilde:  den  gewöhnlichen 
Energiestrom  läßt  Rosenbach  durch  alle  Gewebe,  aus  der  Außenwelt  und 
zurück  in  sie  fluten,  und  „nur  dort,  wo  es  sich  um  allerfeinste  Vorgänge 
der  isolierten  Eortleitung  der  Energie  handelt,  findet  wahrscheinlich  die 
Eortpflanzung  allein  in  longitudinaler  Richtung,  in  geschlossene;]! 
Bahnen,  in  isolierten  Nervenröhren  statt  .  .  .“  Wohl  gemerkt,  unter 
periodischer,  systolischer  und  diastolischer  Volumschwankung,  „die  sich  in 
den  pulsatorischen  Schwankungen  des  Gehirns  auch  äußerlich 
kundgibt“  (Krankheiten  des  Herzens,  Seite  854,  Anm.),  und  je  nach  der 
motorischen  oder  sensiblen  Natur  der  Nervenröhre  in  zentrifugaler  oder 
zentripetaler  Richtung.  Das  sind  zweifellos  wesentliche  Attribute  eines 
Nervenkreislaufes,  und  doch  verdient  die  ganze  unklare  und  verworrene 
Idee  diese  Bezeichnung  nicht,  da  ihr  das  wesentlichste  Attribut  des  Nerven¬ 
kreislaufes,  der  kontinuierliche  Übergang  von  der  motorischen  Sphäre  in  die 
sensible,  fehlt;  denn  —  und  das  ist  das  Köstliche,  schier  Unbegreifliche  — 
Rosenbach  träumt  von  einem  Nervenkreislauf,  während  er  noch  an  Nerven¬ 
endigungen  glaubt!  (vgl.  Heft  101,  Seite  21,  Zeile  18  von  oben,  wo  er  von 
den  Endapparaten  des  Nervensystems  spricht).  Da  war  jener  andere  Autor, 
der  vor  einigen  Jahren  unter  nachweisbarer  Zuhilfenahme  der  Kreidmann- 
schen  und  Rosenbach’schen  Schriften,  aber  ohne  beide  ihm  sehr  wohl  be¬ 
kannte  Vorgänger  zu  nennen,  ebenfalls  einen  Nervenkreislauf  „entdeckte“ 
(weshalb  ich  seinen  Namen  verschweige,  habe  ich  in  meinem  Buch  angegeben), 
doch  erheblich  konsequenter  in  seinem  Denken,  indem  er  den  hypothetischen 
Zusammenhang  zwischen  sensibel  und  motorisch  als  denknotwendiges  Postu¬ 
lat  bezeichnete  und  seinen  exakten  Nachweis  voraussagte  —  er  wußte  nämlich 
nicht,  daß  jener  Nachweis  schon  im  Jahre  1888  von  dem  ungarischen  Ana¬ 
tomen  Apathy  erbracht  worden  war. 

4.  Es  ist  unwahr,  daß  die  Abfassung  des  für  den  Nervenkreislauf  in 
Betracht  kommenden  Kapitels  der  Monographie  der  Herzkrankheiten  im 
Jahre  1892,  resp.  vor  Erscheinen  des  Kreidmann’schen  Buches  (1893) 
stattgefunden  habe. 

Wahr  ist  vielmehr,  daß  dieses  Kapitel  nicht  vor  1896  geschrieben 
worden  ist. 

Dies  geht  unzweideutig  aus  der  schon  in  meinem  Buch  zitierten  An¬ 
merkung  auf  Seite  854  des  Rosenbach’schen  Werkes  (Krankheiten  des 
Herzens)  hervor,  in  der  sich  Rosenbach  zunächst  darüber  beklagt,  daß 
der  Nervenkreislaufsentdeckung  bisher  nicht  die  genügende  Anerkennung 
zuteil  geworden  sei,  um  dann  zum  Schluß  aüf  seine  angeblichen  bisherigen 
Erörterungen  dieses  Themas  zu  verweisen,  nämlich  erstens  auf  die  Arbeit 
in  Nr.  43 — 45  der  Deutschen  Medizinischen  Wochenschrift  von  1892,  und 
zweitens  auf  sein  1896  erschienenes  Buch  „Die  Seekrankheit  als  Typus 


1086 


Bücherschau. 


der  Eine  tosen“.  Auch  Herr  Eschle  wird  wohl  oder  übel  zugeben 
müssen,  daß  ein  Kapitel,  in  welchem  auf  ein  1896  erschienenes. 
Buch  verwiesen  wird,  nicht  gut  im  Jahre  1892  geschrieben  sein 
kann.  Ich  habe  nun  bereits  oben  konstatiert,  daß  die  von  Rosenbach 
behauptete  ,, Reihe  von  Gründen“,  die  zur  Annahme  eines  N ervenkr eislaufes 
zwingen,  an  der  von  ihm  angegebenen  Stelle,  in  der  Monographie  über 
Herzkrankheiten,  nicht  zu  finden  sind.  Auch  habe  ich  den  Nachweis 
geführt,  daß  die  Arbeit  von  1892  (Deutsch.  Med.  Wochensehr.  Nr.  43 — 45) 
nicht  die  Spur  von  der  Idee  eines  Nervenkreislaufes  enthält.  Eine  Durch¬ 
sicht  des  Buches  über  die  Seekrankheit  ergibt  nun  dasselbe  verblüffende 
Resultat:  auch  in  ihm  wird  zwar  viel  geredet  vom  Kreislauf  der  Energie 
im  Sinne  von  1892,  ja  Rosenbach  versteigt  sich  hier  zu  der  mystischen 
Behauptung,  diese  Kreisprozesse  der  Energie  seien  ,, eigentlich“  Spiralen(!) 
—  aber  von  der  Idee  und  dem  Namen  eines  Nervenkreislaufes  kein  Sterbens¬ 
wörtchen.  Somit  hat  Rosenbach  mit  dieser  Anmerkung  von  1896 
seine  Leser  bewußt  ir;re  geführt,  hat  bei  ihnen  zwei  resp.  drei 
Jahre  nach  Erscheinen  des  Kreidmann’schen  Nervenkreislaufes 
die  Meinung  zu  erwecken  versucht  —  und  wie  das  Beispiel  des  Herrn 
Eschle  lehrt,  erfolgreich  versucht  —  er  habe  bereits  ein  Jahr  vor  Kreid¬ 
mann  den  Nervenkreislauf  entdeckt. 

Daher  ist  und  bleibt  es  eine  ebenso  unbestreitbare  wie  bedauerliche  Tatsache, 
daß  Professor  Ottomar  Rosenbach  am  Begriff  und  Namen  des  Kreidmann’schen 
Nervenkreislaufes  ein  Plagiat  begangen  hat! 

Es  wür  —  leider  —  nötig,  dies  öffentlich  festzustellen,  da  in  den 
Nekrologen  auf  Rosenbach  (z.  B.  diese  Zeitschrift,  17,  1907,  Seite  511) 
die  Behauptung  auf  tauchte,  zu  seinen  vielen  Verdiensten  um  die  Wissen¬ 
schaft  gehöre  auch  —  die  Entdeckung  des  Nervenkreislaufs.  Man  wird 
fortan  gut  tun,  diese  Behauptung  zu  unterlassen.  Meinetwegen  mag  man 
sie  dahin  abändern,  daß  dem  Professor  O.  Rosenbach  wenigstens  die  Er¬ 
findung  des  spiraligen  Kreisprozesses  der  Energie  zukommt.  Hier¬ 
über  mit  ihm  zu  rechten,  ist  nicht  unserer,  der  Lebenden  Aufgabe,  denn  die 
Priorität  dieser  schönsten  Erfindung  wird  er  mit  dem  Vater  aller  Mystiker, 
dem  alten  Swedenborg,  im .  Geisterreich  auszumachen  haben. 

Weimar,  den  29.  August  1909.  Dr.  Boesser. 


Erwiderung  auf  vorstehende  „Berichtigung“. 

Falsche  Behauptungen  werden  bekanntlich  durch  Wiederholung,  und 
geschähe  diese  noch  so  oft  und  eindringlich,  nicht  wahrer. 

Die  Herren  Kreidmann  und  Boesser  beklagen  sich  naeh  allem 
darüber,  daß  Rosenbach  einen  Nervenkreislauf  beschrieben  habe,  der  aber 
nicht  der  von  ihnen  entdeckte  bzw.  approbierte  Nervenkreislauf  sei  und 
charakterisieren  ein  solches  Unterfangen  als  Plagiat. 

Ich  sage  „die  Herren  Kreidmann  und  Boesser“,  denn  Herr  Kreid¬ 
mann  ist,  wie  aus  einem  nach  Erscheinen  meines  Referats  bei  mir  ein¬ 
gegangenen  Privatbriefe  von  dieser  Seite,  sowohl  dem  Inhalte  wie  der  Fassung 
nach,  hervorgeht,  der  Spiritus  rector  des  illustren  Unternehmens:  er  will 
nächstens  selbst  auf  dem  Plane  erscheinen.  Man  könnte  es  ordentlich  mit 
der  Angst  bekommen,  wenn  man  von  solcher  Energie  hört  und  weiß,  daß 
man  es  mit  einem  Manne  zu  tun  bekommt,  der  offenbar  durch  einen  vor¬ 
züglichen  Training  für  jede  Art  des  Kampfes  wohl  vorbereitet  sein  muß, 
sei  es  nun,  daß  er  die  praeter  propter  14  Jahre,  seit  ihm  das  vermeintliche 
Unrecht  geschah,  sich  in  der  so  schweren  Kunst  des  absoluten  Schweigen^ 
übte  —  sei  es,  daß  er  ebenso  lange  Zeit  in  freiwilliger  Entsagung  sich  jeder 
Lektüre  von  fachwissenschaftlichen  Zeitschriften  enthielt,  in  denen  er  der 
Rosenbach’schen  Lehre  vom  Nervenkreislauf  sicher  begegnet  wäre. 

Die  ganze  Anklage  läuft  also  darauf  hinaus,  Rosenbach  hätte  sich 
Kreidmann’s  Ideen  hinterlistig  anzueignen  versucht,  sie  aber  nicht  in  ihrer 
ganzen  Tiefe  zu  erfassen  vermocht.  Man  sieht,  daß  es  noch  immer  bescheidene 
Leute  gibt ! 

Boesser  gibt  in  der  vorstehenden  „Berichtigung“  nun  wohl  zu,  daß 
Rosenbach  mit  dem  von  ihm  geschilderten  unausgesetzten  Kursieren  der 
Nervenströme  im  Organismus,  die  ihn  bald  in  zentripetaler,  bald  im  zentri¬ 
fugaler  Richtung  durchfluten,  „zweifellos  die  wesentlichen  Attribute  eines 
Nervenkreislaufes“  gegeben  habe  (so  wenig  diese  „ganz  unklare  und  ver- 


Bücherschau. 


1087 


worrene  Idee“  nach  dem  maßgebenden  Urteil  des  Herrn  Boesser  diese  Be¬ 
zeichnung  verdient,  weil  angeblich  der  kontinuierliche  Übergang  von  der 
motorischen  in  die  sensible  Sphäre  fehlt). 

Boesser  gibt  das  aber  nur  für  die  Auseinandersetzungen  in  den 
„Krankheiten  des  Herzens“,  deren  letzter  Teil  ausgangs  1896  gedruckt  wurde, 
zu  —  nicht  für  die  in  den  früher  erschienenen  Arbeiten  Rosenbach’s, 
vor  allem  nicht  für  die  umfangreichen  Ausführungen  in  den  Nummern  43 
bis  45  der  Deutschen  Med.  Wochenschrift  vom  Jahre  1892.  Er  gibt  auch 
nicht  zu,  daß  die  „Bemerkungen  zur  Dynamik  des  Nervensystems,  (Die 
oxygene  Energie)“,  die  als  Heft  Nr.  101  der  Berliner  Klinik  (November 
1896)  herauskamen  und  die  den  Gegenstand  in  noch  ausführlicherer  W eise  als 
die  große  Monographie  der  Herzkrankheiten  behandeln,  nur  eine  etwas  andere 
Bearbeitung  des  Artikels  in  der  Deutschen  Med.  Wochenschr.  seien,  wie  ich 
das  in  meinem  Referat  behauptet  habe. 

Um  diesen  letzten  Punkt  vorwegzunehmen,  so  zeigt  ein  genauer 
Vergleich  allerdings,  daß  die  Lehre  vom  „Kreislauf  der  Energie  im 
Nervensystem“  in  den  dazwischen  liegenden  vier  Jahren  eine  noch  größere 
Vertiefung  und  eine  weitere  Klärung  erfahren  hat.  Aber  alle  ihre 
wesentlichen  Züge  finden  sich  in  dem  erwähnten  älteren  Aufsatze  vom 
Jahre  1892:  hier  gelangen  schon  die  Fundamentalsätze  der  von  Rosen¬ 
bach  inaugurierten  energetischen  Betrachtungsweise  der  Lebens  Vorgänge  (im 
Gegensatz  zu  der  zeitweilig  in  der  Medizin  allein  herrschenden  Qualifikation 
von  rein  pathologisch-anatomischen  Gesichtspunkten),  die  durch  die  „Krank¬ 
heiten  des  Herzens“,  die  „Oxygene  Energie“,  ferner  durch  die  1896  heraus1 
gegebene  „Seekrankheit  als  Typus  der  Kinetosen“,  sowie  durch  ca.  200  weitere 
Arbeiten  Rosen bach’s  Eingang  in  immer  weitere  Kreise  fand,  ihren  klaren 
und  prägnanten  Ausdruck.  Hier,  in  der  Abhandlung  vom  Jahre  1892,  ist  nicht 
nur  von  dem  Ineinandergreifen  und  von  der  Verschlingung  der  einzelnen,  an 
gewisse  Systeme  gebundenen  Energieströme,  die  fortgesetzt  den  Organismus 
durchfluten  und  in  reziproken  Phasengängen  bald  zentripetal,  bald  zentri¬ 
fugal  umgetrieben  werden,  im  allgemeinen  ‘gesprochen,  sondern  es  ist  hier 
auch  speziell  ausgeführt,  daß  und  wie  sich  Ströme  der  Energie  im  Nerven¬ 
systeme  bewegen  können,  daß  vor  allem  (p.  991)  die  peripheren  Nerven 
und  ihre  spezifischen  Endapparate  nicht  Leiter  in  physikalischem  Sinne, 
sondern,  wie  alle  Gewebe,  aus  kleinsten  Maschinen  zusammengesetzt  sind, 
denen  in  diesem  Palle  die  besondere  Aufgabe  zuerteilt  ist,  Wärme  oder 
andere  Arten  lebendiger  Energie  aus  der  Außenwelt  aufzunehmen,  sie  spezifisch 
zu  transformieren  und  als  Nervcnenergie  wieder  nach  der  Peripherie  zu  leiten. 
Hiermit  ist  schon  der  fundamentale  Gegensatz  zu  der  Annahme  eines  Kur- 
sierens  von  Flüssigkeit  in  einem  System  geschlossener  Röhren,  mit  der 
Kreidmann  später  an  die  Öffentlichkeit  trat,  hinlänglich  charakterisiert. 
Es  ist  hier  aber  auch  ferner  in  klaren  Werten  ausgesprochen,  daß  neben 
diesem  Umtrieb  der  Energiesubstrate  von  der  Oberfläche  des  Organismus 
durch  die  Nervenbahnen  zu  den  Zentren  und  wieder  zurück,  auch  eine 
Aufspeicherung  in  den  Ganglienzellen  (des  peripheren  und  noch  mehr  des 
zentralen  Nervensystems)  stattfindet,  so  daß  diese  an  und  für  sich  und  in 
erhöhtem  Maße  da,  wo  sie  zur  funktionellen  Einheit  zusammentreten,  im 
Rückenmark  und  im  Gehirn  gewissermaßen  Akkumulatoren  (und  gleichzeitig 
Hemmungsapparate  nach  Art  der  Rheostaten)  darstellen.  Dabei  ist  es  dann 
scharf  betont,  daß  in- den  motorischen  Nerven,  für  die  man  sonst  nur  eine 
zentripetale  Leistungsfähigkeit  annimmt,  auch  recht  umfangreiche  zentri¬ 
fugale  Impulse  —  und  zwar  hemmende  und  beschleunigende  —  verlaufen; 
Rosenbach  zieht  an  dieser  Stelle  (p.  1013)  zur  Erklärung  der  Lokalisation 
von  Degenerationserscheinungen  im  durch  trennten  Nerven  ganz  besonders  den 
Umstand  heran,  daß  die  den  motorischen  Nerven  bildenden  Transformatoren 
zentrifugal  geladen  werden  und  degenerieren  müssen,  sobald  der  sie  speisende, 
d.  h.  ihr  labiles  Gleichgewicht  bewirkende  Nervenstrom  unterbrochen  ist. 
Wenn  also  Herrn  Boesser  der 'Übergang  von  der  motorischen  zur  sensiblen 
Sphäre  durch  den  nach  Rosenbach’s  Lehre  zu  einer  größeren  funktionellen 
Einheit  mit  dem  Nervensystem  zusammengeschlossenen  Muskel-  und  Haut¬ 
apparat  nicht  genügen  sollte,  so  demonstriert  Rosenbach  ihm  hier  noch 
einen  engeren  geschlossenen  Zirkel,  in  dem  sich  der  Umlauf  der  oxygenen 
Energie  —  allerdings  nicht  der  Hauptsache  nach  —  vollzieht. 

Die  Parallele,  in  die  der  Nervenstrom  zur  Blutbewegung  gesetzt  wird, 
und  die  Herr  Boesser  wegen  des  vermieintlichen  ersten  Auftauchens  in  der 
spätem  Arbeit  vom  November  1896  als  ein  Indizium  für  einen  unlauteren 


1088 


Bücherschau. 


Wettbewerb  mit  heimlich  und  erst  vor  kurzem  bezogener  Kreidmannscher 
Weisheit  ansieht,  findet  sich  schon  auf  Seite  963  der  Deutsch.  Med.  Wochen¬ 
schrift  vom  Jahre  1892  erwähnt. 

Wenn  ich  nicht  irre,  legt  Kreidmann  nach  dem  Buche  seines  Barden 
Boesser  —  ich  habe  das  epochemachende  Elaborat,  wie  ich  zu  meiner  Be¬ 
schämung  gestehen  muß,  meiner  Bibliothek  nicht  einverleibt  und  daher  auch 
nicht  zur  Hand  —  den  Schwann’schen  Scheiden  resp.  ihren  Kernen  und  den 
von  Ranvier  entdeckten  Einschnürungen  an  den  peripheren  Nerven  auch 
eine  gewisse  Bedeutung  bei  und  ich  gebe  vielleicht  leichtfertigerweise  den 
Anstoß  zur  Entwickelung  einer  neuen  Reihe  von  Beeinträchtigungsideen, 
bei  den  Herren  Verbündeten,  wenn  ich  darauf  hinweise,  daß  die  Rolle,  die 
die  Kerne  und  Einschnürungen  im  Betriebe  der  Nervenmaschinerie  spielen, 
auch  bei  Rosenbach  einer  Erörterung  unterzogen  ist:  allerdings  auch  schon 
im  Bande  1892  der  Deutsch.  Mediz.  Wochenschr.  (S.  991),  also  geraume  Zeit, 
ehe  die  Welt  von  den  Entdeckungen  des  Herrn  Kreidmann  unterrichtet  war. 

Herr  Boesser  wundert  sich  in  seiner  ebenso  liebenswürdigen  wie 
bescheidenen  Weise,  daß  ein  ,,im  physikalischen  Denken  so  geschulter  Kopf 
wie  Rosenbach  so  töricht  sein  konnte,  bei  einem  Kreisprozesse  kinetischer 
Energie  Volumsschwankungen  in  den  Leitungsbahnen  anzunehmen“;  er  scheint 
sich  das  auch  wieder,  wie  aus  der  Bemerkung  hervorgeht :  „hiermit  aber  hat 
sich  Rosenbach  selbst  verraten“,  nur  so  erklären  zu  können,  daß  Rosen- 
bach’s  Intellekt  für  das  Erfassen  der  sublimen  Kr  eidmann’schen  Weisheit 
nicht  ganz  gelangt  habe,  daß  er  sich  aber  den  Bluff  mit  der  pulsierend  in 
den  Röhren  fortbewegten  Flüssigkeit  doch  nicht  entgehen  lassen  wollte.  Die 
ganze  Lehre  Rosenbach’s  beruht  ja  gerade  auf  der  Voraussetzung,  daß  einmal, 
wie  schon  oben  betont,  die  Nerven  keineswegs  elektrische  Leitungen  (noch 
weniger  Leitungsröhren  für  Flüssigkeit)  sind  und  daß  andrerseits  Systole 
und  Diastole  in  allen  kleinsten  G  ew  eb  s  best  an  d  t  ei  len  wechseln  und  mit  den 
entgegengesetzten  Schwingungsformen  der  größeren  funktionellen  Einheiten 
(der  Organe)  interferieren.  Das  hat  Rosenbach  in  allen  seinen  Arbeiten 
von  der  frühesten  Zeit  bis  an '  sein  Lebensende  immer  wieder  hervorheben 
zu  sollen  geglaubt  —  und  auch  wer  ihm  nicht  unbedingt  auf  seinen  Pfaden 
Gefolgschaft  leisten  konnte,  hat  diesen  auf  ein  universelles  Wissen  gegrün¬ 
deten  und  von  einem  skeptischen  Kritizismus  in  den  Schranken  strengster 
Wissenschaftlichkeit  gehaltenen  Deduktionen  mindestens  in  ernste  und  inter¬ 
essierte  Erwägung  ziehen  zu  müssen  geglaubt.  Um  ihn  als  „Mystiker“ 
in  die  Gesellschaft  von  Swedenborg  zu  tun  —  dazu  fehlte  bisher  ein 
Mann  wie  Boesser.  Und  der  hält  sich  merkwürdigerweise  für  einen  Bio¬ 
logen  !  Wer  sich  mit  der  Biologie  beschäftigt  hat,  sieht  immer  mehr  ein, 
in  welcher  Mannigfaltigkeit  hier  die  verschiedensten  aus  chemischen  und 
physikalischen  Vorgängen  sich  komplizierenden  Variablen  ineinandergreifen 
und  die  exakte  Lösung  der  biogenetischen  Gleichung  geradezu  unmöglich, 
ja  überhaupt  schon  bindende  Schlußfolgerungen  schwierig  machen.  Wer 
aber  auf  biologischem  Gebiete  alles  aus  einem  Punkte  erklären  will  und 
sich  der  Schwierigkeiten  bei  der  Lösung  der  Lebensprobleme  offenbar  gar 
nicht  bewußt  wird,  sollte  sich  in  diesen  Dingen  eines  schönen  Stillschweigens 
befleißigen. 

Wenn  Herr  Boesser  nun  noch  nicht  alles  vom  Herzen  herunter  haben 
sollte,  so  wird  die  Schriftleitung  in  ihrer  anerkennenswerten  Langmut  ihm 
wohl  noch  ein  paar  Seiten  zur  Verfügung  stellen  —  ich  meinerseits  ver¬ 
zichte  dankend  darauf,  diese  Liebenswürdigkeit  noch  weiter  in  Anspruch 
zu  nehmen  und  schließlich  die  Leser  mit  Beweisen  für  Dinge  zu  ennuyieren, 
die  für  jeden,  der  auch  Rösenbaeh’s  ausgezeichnete  menschliche  Eigen¬ 
schaften  kannte,  eigentlich  keines  Beweises  bedürfen!  Eschle. 


Schlußwort. 

Ich  müßte,  wie  Herr  Eschle,  mich  in  nebensächliche  Kleinigkeiten  vertiefen, 
und,  wie  Herr  Eschle,  die  Aufmerksamkeit  des  Lesers  von  der  unter  4.  meiner 
Berichtigung  festgestellten  Hauptsache  ablenken,  wollte  ich  noch  einmal  sachlich 
einem  Gegner  antworten,  der  die  Schwäche  seiner  Position  durch  die  Art  seiner 
Kampfesweise  zu  verdecken  sucht.  Boesser. 


Schriftleitung:  Dr.  Ri  gl  er  in  Leipzig. 
Druck  von  Emil  Herrmann  senior  in  Leipzig. 


27.  Jahrgang. 


1909. 


fomcbritte  der  Medizin. 

Unter  Mitwirkung  hervorragender  Fachmänner 

herausgegeben  von 

Professor  Dr.  6.  Köster  Priv.-Doz.  Dr.  o.  griegern 

in  Leipzig.  in  Leipzig. 

Sckriftleitung :  Dr.  Rigler  in  Leipzig. 


Nr.  29. 


Erscheint  am  10.,  20.,  30.  jeden  Monats.  Preis  halbjährlich 
6  Mart,  in  kl.  Zeitschrift  für  Versicherungsniedizin  8  Mark. 


Verlag  von  Georg  Thieme,  Leipzig. 


20.  Oktober. 


Originalarbeiten  und  Sammelberichte. 

Aus  der  chirurgischen  Abteilung  der  städtischen  Krankenanstalten  zu  Elberfeld. 

Ueber  Stichverletzungen  der  Leber. 

Von  Dr.  A.  Nehrkorn,  Chefarzt. 

Im  Sommer  1905  kamen  innerhalb  weniger  Wochen  drei  Stich¬ 
verletzungen  der  Leber  in  meine  Behandlung,  die  frühzeitig  der  Ope¬ 
ration  unterzogen  und  geheilt  werden  konnten.  Die  Fälle  soheinein 
mir  der  Mitteilung  wert,  nicht  nur,  weil  sie  die  Kasuistik  erzielter 
Heilungen  durch  rechtzeitigen  Eingriff  vermehren,  und  in  den  neueren 
Zusammenstellungen  die  Stichverletzungen  auffallend  hinter  den 
Schußverletzungen  und  subkutanen  Rupturen  der  Leber  zurückstehen, 
- — -  so  beobachtete  Neumann  unter  22  Traumen  der  Leber  nur  zwei 
Stichverletzungen  —  sondern  namentlich  auch,  weil  sie  geradezu  Para¬ 
digmata  bilden  für  die  Verletzungsmodi,  die  beim  Eindringen  des  ste¬ 
chenden  Instrumentes  in  den  Körper  statthaben  können.  Zugleich  be¬ 
stätigen  die  Fälle,  daß  mit  Heilung  der  Leberwunde  der  Krankheits- 
verlauf  nur  zu  oft  nicht  abgeschlossen  ist,  sondern  sich  dank  kompli¬ 
zierender  Verletzungen  anderer  Organe  und  Nachkrankheiten  poch  recht 
in  die  Länge  ziehen  und  viel  Sorge  machen  kann.  Zwei  unserer  Fälle 
sind  erst  nach  etwa  drei  J ahren  in  den  Zustand  der  erreichbaren  de¬ 
finitiven  Heilung  gelangt. 

Fall  I.  Der  53jähr.  Schlosser  M.  Wurde  am  8.  Mai  1905  nachmittags 
in  das  Krankenhaus  eingeliefert,  nachdem  er  vormittags  in  angetrunkenem 
Zustande  erst  versucht  hatte,  sich  zu  erhängen  und  sich  dann  sein  Taschen¬ 
messer  in  den  Leib  gestoßen  hatte.  Alle  Anzeichen  schwerer  innerer  Blutung. 
In  den  abhängigen  Partien  des  Bauches  Dämpfung ;  in  der  Lebergegend 
Tympanie.  Unterhalb  des  Schwertfortsatzes  eine  etwa  21/2  cm  lange  Stich- 
Schnittwunde.  Diagnose:  Wahrscheinlich  Verletzung  von  Leber  oder  Magen. 
Unter  gleichzeitiger  Koehsalzinfusion  sofortige 'Oper  ation :  Nach  gehöriger 
Eröffnung  der  Bauchhöhle  unter  Erweiterung  der  vorhandenen  Stichöffnung 
entleert  sich  massenhaft  dunkles  Blut,  das  ohne  weiteres  auf  eine  Leber¬ 
verletzung  hinweist.  An  der  Unterf lache  des  rechten  Leberlappens  findet 
sich  eine  etwa  2  cm  lange,  1/2  cm  klaffende  und  auch  ebenso  tiefe  Schnitt¬ 
wunde,  aus  der  es  trotz  des  sehr  anämischen  Aussehens  der  ganzen  Leber) 
noch  lebhaft  blutet.  Umstechung  des  Wundspaltes  mit  zwei  Katgutnähten, 
Tamponade  mit  Jodoformgazestreifen,  Schluß  der  Bauchwunde  bis  auf  die 
Drainageöffnung.  Wundheilung  ohne  Komplikation.  Am  15.  Juli  Entlassung 
des  Patienten  in  gutem  Allgemeinzustand.  Über  das  weitere  Ergehen  des 
Verletzten  konnte  später  nichts  mehr  eruiert  werden. 


69 


1090 


A.  Nekrkorn, 


Fall  II.  Der  9jähr.  Knabe  N.  verunglückte  am  15.  Mai  1905,  indem 
er  beim  Erklettern  eines  eisernen  Schaufenstergitters  ausglitt  und  sich  mit 
der  rechten  Seite  auf  eine  Spitze  des  Gitters  auf  spießte.  Er  ging  noch  zu 
Fuß  nach  Hause,  wurde  aber  vom  Vater  alsbald  ins  Krankenhaus  verbracht. 
In  der  vorderen  Axillarlinie,  'entsprechend  dem  IX.  Interkostalraum,  fand 
sich  eine  1V2  cm  lange  Stichwunde,  aus  der  wenig  dunkles  Blut  sickerte. 
Mehrfaches  Erbrechen.  Leib  mäßig  aufgetrieben,  rechts  stark  gespannt;  große 
Flüssigkeitsmenge  in  der  Bauchhöhle  nachweisbar.  Aussehen  blaß,  Puls  sehr 
klein.  Die  Diagnose  auf  Leberverletzung  ließ  sich  ohne  weiteres  stellen. 
Operation:  Querschnitt  von  der  Hautwunde  medialwärts  und  vom  medialen 
Wundwinkel  Längsschnitt  im  äußeren  Drittel  des  Rektus  abwärts.  Nach 
Feststellung  der  etwa  2  cüi  langen,  stark  blutenden  Wunde  an  der  konvexen 
Leberfläche,  zunächst  Tamponade,  dann  Aufklappung  des  Rippenbogens,  Her¬ 
abziehen  der  Leber  und  Umstechung  der  Wunde  mit  drei  tiefen  Katgut- 
nähten.  Einlegen  eines  Jodoformgazetampons,  im  übrigen  Naht  der  Bauch¬ 
wunde  in  Etagen.  Wundheilung  glatt.  Entlassung  am'  20.  Juni  1905.  An 
der  Drainagestelle  bildete  sich  eine  kleine  Hernie,  die  im  Sommer  1908  durch 
Anfrischung  und  Etagennaht  geschlossen  wurde. 

Fall  III.  Der  23jähr.  Schreiner  C.  wurde  am  Abend  des  29.  Juni  1905 
in  das  Krankenhaus  auf  genommen.  Er  war,  als  er  um  Feierabend  von  der 
Arbeit  nach  Hause  ging,  sein  Handwerkszeug  in  der  rechten  Hand  tragend, 
ausgerutscht  und  dabei  so  unglücklich  gefallen,  daß  sich  ihm  sein  Stecheisen 
in  die  rechte  Seite  bohrte.  Er  ging  danach  zunächst,  einen  Weg  von  etwa 
10  Minuten  zurücklegend,  nach  Hause  und,  nach  kurzem  Aufenthalt  daselbst, 
nach  V4  Stunde  bis  zum  nächsten  Arzt.  Mit  Notverband  fuhr  er  in  der 
Schwebebahn  von  der  Vorstadt  nach  Elberfeld,  wo  er  etwa  zwei  Stunden 
nach  dem  Unfälle  im  Krankenhause  anlangte.  Nach  Abnahme  des  stark 
durchbluteten  Verbandes  sah  man  auf  der  rechten  Brustseite,  etwas  vor  der 
mittleren  Axillarlinie,  in  der  Höhe  des  X.  Interkostalraumes,  eine  etwa 
IV4  cm  lange  Stichwunde.  Wie  tief  das  verletzende  Instrument  eingedrungen 
und,  wie  es  wieder  aus  der  Wunde  herausgekommen  war,  wußte  der  Pat. 
nicht  anzugeben.  Das  Aussehen  war  mäßig  blaß,  der  Puls  etwas  klein 
und  mäßig  beschleunigt.  Das  Atemgeräusch  rechts  aufgehoben.  Die  vor¬ 
handenen  Symptome  ließen  sich  zunächst  durch  die  Eröffnung  der  Pleura 
mit  Pneumothorax  erklären,  und  es  wurde  deshalb  noch  eine  Stunde  abgewartet. 
Als  sich  in  dieser  Zeit  der  Puls  rasch  verschlechterte,  wurde  zur  Operation 
geschritten:  Nach  Resektion  der  X.  Rippe  und  Erweiterung  der  Pleurawunde 
sieht  man  von  oben  her  hellrotes,  von  der  Mitte  her  und  vom  Zwerchfell 
dunkles  Blut  sickern.  Der  eingeführte  Finger  tastet  einen  Zwerchfellschlitz 
und  darunter  einen  Spalt  in  der  Leber.  Nach  Erweiterung  der  Zwerchfell- 
wunde  ließ  sich  der  Schnitt  in  der  Leber,  aus  dem  es  lebhaft  blutete,  über¬ 
sehen  und  mit  zwei  Katgutnähten  umstechen.  Nach  Auflegen  eines  Jodoform¬ 
gazestreifens  wurde  die  Zwerchfellwunde  bis  auf  die  Tamponöffnung  ge¬ 
schlossen  und  ebenso  die  Thoraxwundei,  nach  Einlegen  eines  Gummidrains 
neben  dem  Gazestreifen  durch  Nähte  verkleinert.  Der  Wundverlauf  war  in 
bezug  auf  die  Zwerchfell-  und  Leberverletzung  günstig,  aber  es  bildete 
sich  ein  Empyem.  Infolge  Verklebung  der  Pleurablätter  an  der  Operations¬ 
teile  hatte  der  Eiter  nach  unten  keinen  Abfluß  und  es  mußte  deshalb 
in  typischer  Weise  die  Empyemoperation  mit  Resektion  der  VIII.  Rippe  ge¬ 
macht  werden.  Die  Lunge  blieb  kollabiert,  die  Empyemhöhle  verkleinerte 
sich  nicht.  So  mußte  schließlich  die  Thoraeoplastik  gemacht  werden,  um 
endgültige  Heilung  zu  erzielen.  Wie  ich  es  stets  tue,  operierte  ich  nach 
Sudeck  in  zwei  Etappen  und  erzielte  durch  diese  Vorsicht,  daß  der  sehr 
heruntergekommene  Kranke  die  Eingriffe  gut  überstand  und  schließlich  genas. 
Wenn  auch  der  Verletzte  an  seiner  Erwerbsfähigkeit  natürlich  erheblich 
eingebüßt  hat,  so  ist  er  doch  wieder  imstande,  leichte  Schreinerarbeiten, 
auszuführen,  als  Kellner  auszuhelfen  und  leichte  Beschäftigungen  in  Feld 
und  Garten  zu  verrichten.  Er  klagt  nicht  über  besondere  subjektive  Be¬ 
schwerden  und  macht  einen  leidlich  gesunden  Eindruck. 


Ueber  Stichverletzungen  der  Leber. 


1091 


In  der  größten  Mehrzahl  der  Fälle  von  Leberstichwunden,  die 
in  der  Literatur  beschrieben  sind,  geschah  die  Verletzung-  durch  scharf 
schneidende  Instrumente,  gewöhnlich  das  Messer  oder  den  Dolch,  dib 
zumeist  in  selbstmörderischer  Absicht  oder  von  fremder  Hand  geführt 
wurden,  selten  nur  durch  Unglücksfall  in  den  Körper  eindrangen ; 
durch  stumpfe  oder  stumpf  spitze  Instrumente  wurde  die  Wunde  sehr 
viel  seltener  gesetzt,  und  in  diesen  Fällen  handelte  es  sich  um  einen 
Unfall.  In  die  erste  Gruppe  gehört  von  unseren  Fällen  nur  der  erste, 
sowohl  wegen  dieser  Ätiologie,  als  auch  wegen  seines  Verlaufes  der 
wenigst  bemerkenswerte,  in  -die  zweite  gehören  die  beiden  anderen 
Fälle,  die  von  erheblich  größerem  Interesse  sind.  Bei  dem  zweiten 
unserer  Fälle  war  es  die  Spitze  eines  eisernen  Gitters,  die  dem  Knaben 
in  die  Seite  drang,  als  er  beim  Klettjem  einen  Fehltritt  tat,  in  dem] 
dritten  Falle  handelte  es  sich  ebenfalls  um  einen  Unfall,  indem  dem 
Patienten  sein  Stecheisen,  ein  zugespitztes  Schreinerwerkzeug,  in  die 
rechte  Brustseite  drang  und  eine  penetrierende  Biß-Stichwunde  setzte. 
Stichverletzungen  des  Körpers  durch  eine  eisernes  Staketspitze  sind 
an  sich  nicht  so  selten,  denn  namentlich  Pfählungsverletzungen  dieser 
Art  beim  Fall  auf  das  Gesäß  werden  häufiger  beobachtet,  aber  der 
Vorgang  in  unserem  Falle  II,  das  seitliche  Aufspießen  des  Körpers 
mit  dem  unteren,  knorpeligen  Thoraxrande,  der  sicher  infolge  der  Ela¬ 
stizität  leicht  ausweicht  und  den  verletzenden  Fremdkörper  tangential 
abgleiten  läßt,  ist  gewiß  als  sehr  ungewöhnlich  anzusehen,  um  so 
mehr,  als  offenbar  nicht  ein  Sturz  aus  großer  Höhe  besondere  Wucht 
beim  Anprall  bedingte.  Ebenso  ist  die  Stecheisenverletzung  beim  ein¬ 
fachen  Fall  auf  die  Erde  seltsam,,  denn  es  gehörte  eine  ganze  Beihe 
unglücklicher  Bewegungen  dazu,  daß  C.  beim  Fall  die  rechte  Hand, 
die  das  Werkzeug  fest  umklammerte,  auf  den  Boden  stützte  und  so 
die  gefährliche  Spitze  in  der  Bichtung  gegen  den  fallenden  Körper 
fixierte. 

Der  Wege,  die  das  stechende  Instrument  nehmen  kann,  um  die 
Leber  zu  treffen,  gibt  es  im  wesentlichen  zwei,  und  zwar  den  ab¬ 
dominalen  und  den  transpleuralen.  Als  eine  Unterart  des  einen 
wie  des  anderen  Verletzungsmodus  kann  man  es  ansehen,  Wenn  der 
stechende  Fremdkörper  interkostal  eindringt,  aber  eine  reine  Abdo¬ 
minalwunde  setzt,  also  die  Thoraxwand  nur  unterhalb  des  Pleurasinus 
passiert.  Wie  eingangs  bemerkt,  können  unsere  drei  Fälle  geradezu 
als  Schulbeispiele  gelten.  Beim  Falle  I  handelte  es  sich  um  eine  typische 
abdominale  Verletzung  mit  Schnitt  an  der  Unterfläche  der  Leber  und 
ohne  Neben  Verletzung  anderer  Organe  der  Bauchhöhle,  im  Falle  III 
haben  wir  das  Beispiel  -eines  schweren  transpleuralen  Stiches  mit  den 
Komplikationen,  die  von  -einer  Verwundung  der  Pleura  und  Lunge 
vermittelst  infizierenden  Instrumentes  gefürchtet  werden  müssen,  im 
Falle  II  endlich  liegt  die  seltene  Beobachtung  vor,  daß  der  Fremd¬ 
körper  zwischen  zwei  Bippen  hindurch  eindringt,  aber  die  Pleura 
unverletzt  läßt. 

Was  das  Symptomenbild  der  Leberstichverletzung  anlangt,  so 
wird  dasselbe  meistens  beherrscht  von  den  Erscheinungen  des  schweren 
Blutverlustes.  Natürlich  richtet  sich  der  Grad  der  Verblutung  nach 
der  Art  und  Tiefe  der  Wunde:  Glatte  Stich-  und  Schnittwunden  bluten 
stärker  als  die  halb  gerissenen  Wunden,  die  von  stumpf  spitzen  oder 
halbscharfen  Instrumenten  herrühren,  aber  auch  aus  diesen  rieselt  das 
Blut  ununterbrochen,  bis  die  Verblutung  den  Höhepunkt  erreicht.  Die 

69* 


1092 


A.  Nehrkorn,  Ueber  Stichverletzungen  der  Leber. 


Beschaffenheit  des  Blutes,  das  ans  der  Hautwunde  quillt,  kann  einen 
Bingerzeig  gehen,  wenn  die  Leberwunde  nahe  der  Oberfläebenwunde 
liegt,  und  alsdann  eben  die  dunkle  Farbe  des  Blutes  ohne  weiteres 
auf  die  Leber  als  Ursprung  hin  weist,  wie  das  im  Fall  II  zu  beobachten 
war.  Rinnt  das  Blut  in  das  Abdomen  oder  die  unverletzte  Pleurahöhle, 
so  wird  das  Aussehen  des  Blutes  den  Weg  zu  seiner  Quelle  erst  weisen, 
wenn  man  die  entsprechende  Körperhöhle  übersichtlich  eröffnet  hat. 
So  imponierte  die  Verletzung  im  Fall  I  .äußerlich  als  einfache  Bauch¬ 
deckenschnittwunde,  während  im  Fall  III  die  Blutung  aus  der  Wunde 
wohl  auf  Lungen-,  aber  nicht  auf  Leberverletzung  hinwies.  Das  Aus¬ 
sehen  des  Blutes  wird  also  nur  in  einigen  seltenen  Fällen  zur  Diagnose 
helfen.  Wichtig  ist  natürlich  die  Richtung  des  Stichkanales  und  die 
Anamnese  in  Bezug  auf  den  Hergang  der  Verletzung,  die  allerdings1 
nicht  jedes  Mal  zu  erheben  ist.  Die  Länge  des  verletzenden  Werk¬ 
zeuges,  die  Wucht,  mit  der  es  sich  gegen  den  Körper  richtete,  die 
Stellung,  die  der  Verletzte  beim,  Empfang  des  Stoßes  einnahm,  lassen 
gegebenen  Falles  wichtige  Schlüsse  zu.  Muskelspannung  in  der  rechten 
Oberbauchgegend,  Schmerz  am  Rippenbogen  und  im  Rücken,  nach 
dem  iSchulterblatt  ausstrahlend,  Behinderung  der  Atmung  sind  natürlich 
auch  wichtige  Symptome,  aber  bei  den  offenen  Verletzungen  nicht 
von  der  gleichen  Bedeutung,  wie  bei  den  subkutanen  Leberrupturen. 
Erbrechen  und  Meteorismus  alsbald  nach  dem  Trauma,  weisen  nicht 
ohne  weiteres  auf  innere  Verletzung  hin  (Hei necke1).  Ikterus  ist 
selten  beobachtet  und  kann  nur  als  spätere  Folge  des  etwaigen  Grallen¬ 
ausflusses  erwartet  werden.  In  unseren  Fällen  I  und  III  ließen  ver¬ 
schiedene  Symptome  die  Diagnose  auf  Leberverletzung  mit  Wahrschein¬ 
lichkeit  stellen,  Sicherheit  brachte  erst  das  operative  Vorgehen,  das 
die  Organe  übersehen  und  die  Quelle  der  Blutung  erkennen  ließ. 

Was  die  einzuschlagende  Therapie  anbetrifft,  so  wird  für  den 
Chirurgen  auch  dann  kein  Zweifel  bestehen,  wenn  sich  nach  allen 
Anzeichen  nur  eine  Wahrscheinlichkeitsdiagnose  stellen  läßt.  Man  wird 
sich  schwerlich  auf  Zuwarten  mit  Auflegen  von  Eisbeutel,  Applikation 
von  Gelatine-  Kochsalz  -Infusion  und  dergl.  beschränken,  sondern  nicht 
zögern,  zum  Messer  zu  greifen,  um  die  Körperhöhle,  in  die  der  Stich¬ 
kanal  zunächst  führt,  zu  eröffnen  und  sich  Klarheit  zu  verschaffen, 
welche  Organe  von  der  Verletzung  betroffen  sind.  Ergibt  die  Inspektion 
und  Palpation,  daß  eine  Riß-  oder  Stichwunde  in  der  Leber  vorliegt, 
so  gilt  es,  die  Blutung  zu  stillen.  Man  kann  sich  dabei  auf  die  Tam¬ 
ponade  beschränken,  wie  Kehr  es  empfiehlt,  oder  die  Leber  nähen, 
sei  es  mit  stumpfen  Nadeln  und  tiefen  Stichen,  sei  es  mit  feinen 
Kapselnähten  (Wilms2),  Nötzel3),  und  die  Bauchhöhle  schließen, 
wenn  die  Wunde  klein  war  und  die  Blutung  vollkommen  stand,  oder 
noch  einen  J od o f ormg aze s tre i f en  auf  die  Nahtlinie  legen,  wenn  aus 
dem  Wundspalt  noch  Blut  sickert  oder  der  Verdacht  besteht,  daß 
das  Sistieren  der  Blutung  zur  Zeit  des  Eingriffes  nur  durch  den  Kol¬ 
laps  bedingt  wird.  Das  letztere  Verfahren,  die  Naht,  verbunden  mit 
Tamponade,  habe  ich  in  allen  drei  Fällen  angewandt,  glaube  aber, 
daß  die  Gefahr  der  Nachblutung  und  Peritonitis  bei  primärem  Ver¬ 
schluß  der  Bauchdecken  nicht  bedeutend  ist,  wenn  die  Leberwunde 
nicht  zu  groß,  die  Substanz  des  Organs  nicht  zu  brüchig  und  das  ver- 

ß  Archiv  für  klin.  Chirurgie,  Bd.  83. 

2)  Deutsche  med.  Wochenschr.,  Nr.  34,  1901. 

3)  Beiträge  zur  klin.  Chirurgie  von  Bruns,  Bd.  48. 


Lipowski,  Fortschritte  der  Medizin  in  den  letzten  Dezennien.  1093 

letzende  Instrument  mit  Wahrscheinlichkeit  nicht,  besonders  infektiös 
war.  Plattennähte  dürften  bei  Stich-  und  Schnittverletzungen  im  all¬ 
gemeinen  nicht  erforderlich  sein,  und  ebensowenig  wird  man  die  blutende 
Lebersubstanz  mit  dem  Thermokauter  oder  nach  Holländer  mit  heißer 
Luft  zu  behandeln  brauchen. 

Die  Prognose  der  Leberstichverletzungen  wird  jetzt  im  allge¬ 
meinen  als  ziemlich  günstig  angesehen.  Während  noch  vor  etwa  zwan¬ 
zig  Jahren  die  Mortalität  auf  50 — 60°/0  geschätzt  wurde,  beträgt  die¬ 
selbe  nach  den  Statistiken  der  letzten  Jahre  kaum  mehr  als  15 — 20°/0. 
Um  so  günstiger  wird  im  einzelnen  Palle,  abgesehen  von  der  Größe 
der  Wunde  und  dem  allgemeinen  Kräftezustand  des  Verletzten,  die 
Aussicht  auf  Genesung  sein,  je  rascher  chirurgische  Hilfe  zur  Stelle 
ist.  Um  so  unsicherer  wird  der  Erfolg  der  operativen  Therapie  sein, 
je  mehr  die  Verletzung  durch  gleichzeitige  Verwundung  änderet  Bauch¬ 
organe,  wie  Magen,  Darm,  Pankreas,  Milz,  Niere,  oder  Eröffnung  der 
Pleura  mit  Läsion  der  Lunge  kompliziert  ist.  So  war  in  unserem 
Falle  III  die  Gefahr,  die  seitens  der  Leberwunde  drohte,  wohl  durch 
den  primären  Eingriff  beseitigt,  aber  die  Komplikation  durch  die 
Thoraxverletzung  brachte  noch  ein  langes  schweres  Krankheitslager 
und  ließ  schließlich  nur  eine  Heilung  mit  Defekt,  erreichen.  Die,  Kom¬ 
plikation  durch  Empyem,  wie  sie  in  diesem  Falle  ein  trat,  ist  glücklicher¬ 
weise  bei  den  transpleuralen  Verletzungen  kein  so  häufiges  Ereignis, 
wie  man  a  priori  befürchten  sollte,  denn  nach  der  Zusammenstellung 
von  Suter1)  wurden  nur  5  Empyeme  bei  63  transpleuralen  Zwerchfell¬ 
verletzungen  beobachtet.  Dazu  sei  anhangsweise  bemerkt,  daß  etwa 
zu  gleicher  Zeit  mit  der  beschriebenen  rechtsseitigen  transpleuralen 
Verletzung1  auch  eine  linksseitige  auf  meiner  Abteilung  in  Behandlung 
kam,  eine  Stichverletzung  mit,  Netzprolaps,  die  unter  einfacher  Be- 
sektion  des  vorgefallenen  Netzzipfels  und  Tamponade  auf  die  Zwerch¬ 
fellwunde  ohne  weitere  Komplikation  heilte. 


Fortschritte  der  Medizin  in  den  letzten  Dezennien. 

Von  Dr.  Lipowski, 

dirig  .Arzt  der  inneren  Abteilung  der  städtischen  Diakonissenanstalt  in  Bromberg. 

(Fortsetzung.) 

In  innigster  Beziehung  zur  biologischen  Funktion  des  Blutes  steht 
die  Lehre  von  der  Organtherapie.  Diese  beruht  auf  der  Erfahrungs¬ 
tatsache,  daß  durch  die  mangelhafte  oder  ausgeschaltete  Funktion 
einiger  Organe  der  Körper  selbst  bis  zur  Vernichtung  geschädigt  wird. 
So  machte  man  die  Erfahrung,  daß  eine  ungenügende  oder  fehlende 
oder  endlich  durch  Exstirpation  beseitigte  Funktion  der  Thyreoidea 
Myxödem  resp.  Kretinismus  erzeugte,  eine  Affektion,  weiche  durch 
Zuführung  von  Schilddrüsensubstanz  mit  Sicherheit  beseitigt  wird. 
Eine  tuberkulöse  Erkrankung  der  Nebennieren,  jener  kleinen,  lange, 
vernachlässigten  Organe,  verursacht  die  perniziöse  Addison’sche  Krank¬ 
heit.  Wir  wissen  ferner,  daß  durch  Kastration  und  Entfernung  der 
Eierstöcke  mannigfache  Veränderungen  im  Organismus  hervorgerufen 
werden.  Es  kann  nach  alledem  keinem  Zweifel  unterliegen,  daß  alle 
diese  erwähnten  Organe  im  Haushalt  des  Organismus  eine  wesentliche 
für  das  Wohlbefinden  oder  Existenz  unerläßliche  Bolle  spielen.  Im 


ß  Beiträge  zur  klin.  Chirurgie  von  Bruns,  Bd.  46  u.  47. 


1094 


Lipowsld, 


Blute  häufen  sich  alle  Produkte  der  Organfunktionen  an,  von  deren 
ungestörtem  Ablauf  hängt  die  zum  Gedeihen  des  Organismus  not¬ 
wendige  normale  Blutmischung  ab. 

Die  chemische  Forschung  nahm  sich  dieser  Materie  mit  .großer 
Liebe  an.  Das  erste  positive  Ergebnis  verdanken  wir  Baumann, 
welcher  aus  der  Schilddrüsensubstanz  einen  in  organischer  Bindung 
enthaltenen  Jodkörper  darstellte,  Jodothyrin  oder  Thyro jodin  genannt. 
Damit  war  die  moderne  Forderung  erfüllt,  an  Stelle  der  Schilddrüsen¬ 
substanz  selbst,  welche  den  wirksamen  Stoff  neben  einer  Masse  un¬ 
wirksamer,  eventuell  schädlicher  Nebensubstanzen  enthält,  den  wirk¬ 
samen  Körper  in  möglichster  Isolierung  darzustellen.  Obwohl  durch 
häufigen  positiven  Erfolg  mit  Sicherheit  nachgewiesen  ist,  daß'  Thyro- 
jodin  in  der  Tat  zu  den  wirksamen  Bestandteilen  der  Thyreoidea  ge¬ 
hört,  hat  man  doch  die  Erfahrung  gemacht,  daß  zuweilen  der  Drüsen¬ 
substanz  selbst  eine  bessere  Wirkung  innewohnt.  Nachdem  man  erfolg¬ 
reich  versucht  hatte,  die  Schilddrüse  von  Hammeln  in  die  Bauch¬ 
höhle  von  Kranken  zu  implantieren,  ein  Verfahren,  das  wegen  seiner 
Umständlichkeit  und  Gefahr  bald  verlassen  wurde,  ging  man  dazu  über, 
die  Substanz  selbst  oder  ihre  Extrakte  therapeutisch  anzuwenden.  Da 
nun  die  Drüse  in  frischem  Zustande  wenig  haltbar  ist,  wandte  man 
das  bei  Drogen  häufig  bewährte  Verfahren  der  Trocknung  im  Vakuum 
an.  Die  eingetrocknete  Masse  wird  dann  pulverisiert  und  mit  in¬ 
differenten  Substanzen,  besonders  Milchzucker,  zu  Pulvern  oder  Ta¬ 
bletten  verwendet. 

Zu  den  interessantesten  Präparaten  der  Physiologie  und  Therapie 
gehört  ein  zweites  Organpräparat,  der  Nebennierenextrakt,  Adrenalin, 
Suprarenin,  Epirenan  oder  Paranephrin  genannt.  Obgleich  die  physio¬ 
logische  Wirkung  der  kleinen  Organe  noch  unerkannt  ist,  hat  die 
aus  ihnen  gewonnene  Substanz,  welche  auch  in  ihrer  chemischen  Kon¬ 
struktion  erforscht  ist,  eine  ungeahnte  Bedeutung  erlangt.  Der  thera¬ 
peutische  Gebrauch  des  Präparates  beruht  in  der  Eigenschaft  des  Ex¬ 
traktes,  die  Gefäßmuskulatur  in  krampfhaft  kontrahierten  Zustand 
zu  versetzen.  Das  Adrenalin  und  die  entsprechenden  Präparate  sind 
daher  das  beste  der  bekannten  Blutstillungsmittel,  ein  Erfolg,  dem 
auch  die  Gefäße  unverletzter  Schleimhäute  unterliegen.  Intravenös 
injiziert  versetzt  es  die  gesamte  Gefäßmuskulatur  in  tetanisehen  Zu¬ 
stand,  bewirkt  daher  bei  Herzschwäche  infolge  herabgesetzten  Blut¬ 
druckes,  eine  augenblicklich  eintretende  und  in  solchen  Fällen  durch 
ein  anderes  Mittel  unerreichbare  Steigerung  des  Blutdruckes.  Große 
Bedeutung  hat  die  Kombination  mit  Kokain  und  seinen  Derivaten 
erlangt,  so,  wie  erwähnt,  bei  der  Bier’schen  Lumbalanästhesie,  bei 
Schleich’scher  lokaler  Infiltrationsanästhesie,  bei  Zahnextraktionen, 
in  der  Rh  in  o  1  ar  y  n  go  1  o  g  ie ,  Urologie  und  anderen  Sonderdisziplinen.  Der 
wunderbaren  therapeutischen  Wirkung  stehen  aber  auch  Gefahren  be¬ 
sonders  in  subkutaner  und  intravenöser  Applikation  gegenüber.  Bei 
alten  Leuten  ist  Gangrän  der  Extremitäten  beobachtet;  nach  der  In¬ 
jektion  selbst  geringer  Mengen  (4  mg)  ist  wiederholt  Exitus  einge¬ 
treten.  Gefahren  bei  Schleimhautanwendung  sind  bisher  nicht  zutage 
getreten. 

Wie  das  Jodothyrin  nicht  völlig  die  Schilddrüse  selbst  in  der 
therapeutischen  Anwendung  verdrängen  konnte,  so  kommt  neben  den 
Adrenalinpräparaten  auch  die  Nebenniere  selbst  in  der  Therapie  zur 


Fortschritte  der  Medizin  in  den  letzten  Dezennien. 


1095 


Geltung,  und  zwar  als  Merck’sche  Glandulae  suprarenales  siccatae 
pulverisatae  und  als  Extractum  suprarenale  h a e m o s t a t i du m . 

Von  wesentlich  geringerer  Bedeutung  haken  sich  die  zuerst  mit 
großem  Enthusiasmus  aufgenommenen  Oophorin-,  Spermin-,  Lezithin- 
und  ähnliche  Präparate  erwiesen. 

Die  Ehrlich- Weigert’ sehen  Vorstellungen  von  der  Konstruk¬ 
tion  des  Eiweißmoleküls  ermöglichen  auch  ein  intimeres  Verständnis 
der  Ernährungsvorgänge  im  Eiweißmolekül.  Wie  eine  Gruppe  von 
Seitenketten  der  Bindung  toxischer  Stoffe  dient,  wird  eine  andere 
Gruppe  zur  Erhaltung  der  Zelle,  noch  eine  andere  zur  Ernährung 
benutzt. 

Wie  wir  bei  der  Besprechung  der  Eiweißchemie  gesehen  haben, 
ist  uns  der  genaue  Einblick  in  den  Ablauf  der  Ernährungsvorgänge 
bisher  verschlossen  geblieben.  Wir  müssen  uns  mit  der  empirisch 
festgestellten  Tatsache  abfinden,  daß  zur  Ernährung  bestimmte  Mengen 
von  Nährstoffen  erforderlich  sind,  die  bis  zu  einem  gewissen  Grade 
für  einander  eintreten  können,  bis  auf  eine  bestimmte  Eiweißmenge, 
welche  unbedingt  zur  Erhaltung  des  Organismus  erforderlich  ist. 
Während  man  früher  100  g  Eiweiß,  100  g  Eett  und  500  g  Kohle¬ 
hydrate  für  einen  erwachsenen  Menschen  für  erforderlich  hielt,  be¬ 
rechnet  man  jetzt  die  notwendige  Nahrungsmenge  nach  Kalorien.  Für 
1  kg  Körpergewicht  sind  ca.  35  Kalorien  notwendig,  d.  h.  für  einen 
Menschen  von  50  kg  Gewicht  50  mal  135  =  1750  Kalorien.  Die  not¬ 
wendige  Kaloriengröße  ändert  sich  naturgemäß  nach  der  Beschäftigung. 
Es  ist  ohne  weiteres  ersichtlich,  daß  ein  stark  arbeitender  Mann  eine 
andere  Kaloriengröße  braucht  als  ein  ruhender  Mensch.  Nach  dem 
Gewicht  des  Menschen  und  seinem  Verhalten  ist  also  mit  leichter 
Mühe  die  erforderliche  Kalorien  menge  festzustellen,  wenn  man  den 
Kaloriengehalt  der  Nahrungsmittel  beherrscht,  was  leicht  zu  erreichen 
ist.  Die  Kalorienberechnung  ermöglicht  die  richtige  Einschätzung  des 
Nährwertes  der  Nahrungsmittel,  demnach  eine  rationelle  Bestimmung 
der  Diät  und  eine  Würdigung  der  von  der  Natur  gegebenen  Nahrungs¬ 
mittel  im  Verhältnis  zu  den  künstlich  hergestellten  Präparaten.  Die 
Kalorienberechnung  erweist  auch  den  enormen  Nährwert  der  Milch, 
welche  600  Kalorien  in  einem  Liter  enthält.  Wenn  man  bedenkt, 
daß  100  g  Eiweiß  100 . 4,1  Kal.  =  410  Kal.  enthalten,  dann  ergibt  sich 
ohne  weiteres  die  enorme  Überlegenheit  der  Milch. 

Noch  bedeutungsvoller  ist  die  Kalorien  Wertung  zur  richtigen  Ein¬ 
schätzung  der  künstlichen  Nährpräparate  geworden.  1  g  Eiweiß  ent¬ 
wickelt,  wie  erwähnt,  4,1  Kal.  Verbrennungswärme,  ebenso  1  g  Kohle¬ 
hydrat,  während  1  g  Eett  9,3  Kal.  entwickelt.  Angenommen,  ein 
künstliches  Eiweißpräparat  hätte  100  °/0  Eiweiß,  ein  Gehalt,  den  kein 
Präparat  besitzt,  dann  würde  ein  Teelöffel  des  Präparates,  zu  5  g  ge¬ 
rechnet,  5 . 4,1  Kal.  =  20,5  Kal.  enthalten.  Die  Kalorienberechnung  er¬ 
weist  demnach,  daß  also  oal.  30  Teelöffel  eines  künstlichen  Eiwei߬ 
präparates  dem  Nährgehalte  eines  Liters  Milch  entspricht.  Bedenkt 
man  ferner,  daß  1  kg  Somatose  z.  B.  mit  1000 . 4,1  Kal.  =  4100  Kal. 
50  Mk.  kostet,  eine  Kaloriengröße,  welcher  etwa  7  Liter  Milch  ent¬ 
sprechen,  welche  etwa  1,40  Mk.  kosten,  so  ergibt  sich  aus  dieser  Be¬ 
rechnung’,  daß  Somatose  etwa  35  mal  so  teuer  ist  als  Milch. 

Die  künstlichen  Nährmittel  verdanken  ihr  Dasein  dem  Bestreben, 
die  von  der  Natur  gebotenen  Nährstoffe  in  reiner  konzentrierter  Form, 
in  guter  Bekömmlichkeit  und  zu  billigem  Preise  zu  bieten.  Zur  Be- 


1096 


Lipowski, 


urteilung  eines  künstlichen  Nährpräparates  sind  folgende  Fragen  zu 
beantworten:  1.  der  Nährwert,  2.  die  Bekömmlichkeit,  3.  der  Geschmack, 
4.  die  Möglichkeit  der  Einverleibung,  5.  der  Preis. 

Was  zunächst  den  Nährwert  betrifft,  so  zeigt  die  obige  Berech¬ 
nung,  daß  wir  in  der  Milch  ein  von  der  Natur  gebotenes  Nahrungs¬ 
mittel  besitzen,  welches  alle  Kunstpräparate  bei  weitem  übertrifft. 

Die  zweite  Frage,  die  Bekömmlichkeit,  läßt  im  allgemeinen  zu¬ 
gunsten  der  künstlichen  Präparate  entscheiden.  Abgesehen  von  den 
Magen  und  Darm  reizenden  Peptonen  werden  die  meisten  Kunstpräpa¬ 
rate  gut  vertragen,  während  der  Geschmacksinn  weniger  gut  befriedigt 
wird.  Die  Wahl  zwischen  einem  gut  zubereiteten  Beefsteak  und  un¬ 
löslichem  Eiweißpulver  ist  nicht  schwer.  Wo  der  Geschmack  allein 
entscheidet,  kommen  die  künstlichen  Mittel  überhaupt  nicht  in  Frage. 
Nicht  ganz  identisch  mit  dem  Geschmack  ist  die  Möglichkeit  der  Ein¬ 
verleibung,  die  von  chemischen  und  physikalischen  Eigenschaften  des 
Präparates  abhängig  ist.  Sanatogen  z.  B.  kann  wegen  leichter  Zer¬ 
setzlichkeit  beim  Kochen  überhaupt  nicht  benutzt  werden. 

Von  den  künstlichen  Mitteln  haben  die  Eiweißpräparate  die 
größte  Verbreitung  gefunden,  einmal,  weil  die  Ernährungsphysiologie 
die  große  Bedeutung  des  Eiweißes  im  Haushalt  des  Organismus  dar¬ 
getan  hat  und  dann,  weil  die  Erfahrung  am,  Krankenbett  häufig  die 
große  Schwierigkeit  erweist,  die  notwendige  Eiweißmenge  durch  die 
gebräuchlichen  Nahrungsmittel  einzuver leiben. 

Die  Kohlehydratpräparate  sind  weniger  ein  Produkt  therapeuti¬ 
scher  Notwendigkeit  als  industriellen  Unternehmungsgeistes,  Bei  Be¬ 
rücksichtigung  aller  den  Wert  eines  künstlichen  Nährmittels  bestim¬ 
menden  Faktoren  bleiben  im  Vergleich  zu  den  im  Haushalt  gebräuch¬ 
lichen  Nahrungsmitteln  wenige  Vorzüge  den  Kunstpräparaten  Vorbe¬ 
halten.  Zwei  Gesichtspunkte  sind  es,  die  vom  Standpunkte  des  Thera¬ 
peuten  Anerkennung  verdienen :  die  möglichst  feine  Zermahlung  mehl- 
haltiger  Substanzen  mit  möglichster  Ausschaltung  der  unverdaulichen 
Zellulosesubstanzen  und  zweitens  die  Schaffung  von  sogenannten  Kinder¬ 
mehlen  als  Ersatz  für  die  häufig  von  Kindern  nicht  vertragene  Milch. 
Die  Fette  sind  von  der  Natur  in  so  mannigfacher  Art  und  von  so 
ein  wandsfreiem  Wohlgeschmack  gegeben,  daß  für  die  Kunst  nicht  viel 
übrig  bleibt.  Die  meisten  Fettmittel  sind  als  Ersatzmittel  des  Leber¬ 
trans  gedacht. 

Nach  dieser  kurzen  Übersicht  über  das  Wesen  der  künstlichen 
Nährpräparate  müssen  wir  uns  die  Frage  vorlegen,  welche  Bedeutung 
ihnen  in  der  diätetischen  Therapie  zukommt.  Als  Leitmotiv  in  dieser 
ganzen  Frage  muß  der  Satz  ausgesprochen  werden,  daß  überall  dort, 
wo  die  gebräuchlichen  Nährmittel  in  genügender  Menge  ein- 
verleibt  werden  können,  diesen  wegen  ihres  besserem  Ge¬ 
schmackes,  der  besseren  Be k ö rn m  1  i c h k e i t  und  vor  allem  wegen 
wirtschaftlicher  Überlegenheit  unbedingt  der  Vorzug  zu 
geben  ist. 

Die  künstlichen  Nährpräparate  sind  unentbehrlich  bei  lang- 
dauernden,  fieberhaften  und  konsumptiven  Krankheiten,  wo  eine  aus¬ 
reichende  Ernährung  durch  die  gebräuchlichen  Nahrungsmittel  schwer 
oder  gar  nicht  durchführbar  ist.  Sie  sind  ferner  unentbehrlich,  wenn 
bei  genügender  Nahrungszufuhr 'die  Peristaltik  des  Magen-  und  Darm¬ 
kanals  möglichst  wenig  angeregt  werden  soll  (Perityphlitis,  Magen- 
und  Darmulzerationen). 


Fortschritte  der  Medizin  in  den  letzten  Dezennien. 


1097 


Empfehlenswert  ist  die  Beimengung  der  Kunstpräparate,  wenn 
eine  Hebung  des  Kräftezustandes  mittels  der  üblichen  Nährmittel  nicht 
erreichbar  ist,  was  in  der  Praxis  bei  genügender  Beherrschung  der 
Krankenkost  äußerst  selten  notwendig  wird.  Wenn  die  Ärzte  sich 
der  Krankenküche,  dieses  wichtigen  Zweiges  unseres  Heilschatzes,  mit 
größerer  Liebe  widmeten,  würden  die  künstlichen  Nährpräparate  nicht 
so  maßlos  in  ihrer  Bedeutung  überschätzt  werden. 

Die  Kalorienberechnung  feiert  ihre  größten  Triumphe  bei  der 
Diätbestimmung  in  der  Behandlung  Zuckerkranker,  Fettleibiger  und 
bei  Mastkuren. 

Wenn  ein  Zuckerkranker  z.  B.  bei  2  Liter  Urin  2  °/0  Zucker 
verliert,  dann  sind  bei  der  Aufstellung  des  Ernährungsplanes  der  Ver¬ 
lust  von  40  g  Zucker  =  40 . 4,1  Kal.  =  164  Kal.  zu  ersetzen.  Dieser  Ver¬ 
lust  ist  durch  40  g  Eiweiß  oder  ca,  18  g  Fett  auszugleichen.  Für 
die  Behandlung  Zuckerkranker  hat  Naunyn  zwei  eminent  wichtige 
Sätze  aufgestellt :  Bei  geringerem  Zuckergehalt  steigt  die  Toleranz 
gegen  Kohlehydrate,  und  die  Zuckerbildung  wird  durch  Entlastung 
des  Stoffwechsels  herabgesetzt,  daher  die  häufig  so  heilsame  Wir¬ 
kung  der  Einfügung  von  Hungertagen. 

Bei  der  Behandlung  der  Fettleibigkeit  kommt  es  darauf  an,  bei 
der  Aufstellung  des  Diätplanes  eine  geringerer  Kaloriengröße  zu  er¬ 
halten,  als  nach  dem  Körpergewicht  erforderlich  wäre.  Wenn  z.  B. 
ein  Mann  von  100  kg  Körpergewicht  100 . 35  Kal.  =  3500  Kal.  braucht 
und  etwa,  nur  3000  Kalorien  erhält,  dann  ergibt  sich  ohne  weiteres, 
daß  das  Minus  von  500  Kalorien  täglich  sich  durch  Reduzierung  des 
Körpergewichtes  bemerkbar  machen  muß.  Für  den  Fettansatz  ist  es 
ziemlich  gleichgültig,  durch  welche  Nahrungsmittel  die  3000  Kalorien 
aufgebracht  sind,  wenn  nur  die  notwendige  Eiweißgröße  gereicht  wird 
(etwa  1  g  Eiweiß  pro  kg  Gewicht).  Hieraus  ergibt  sich  auch,  ohne 
weiteres  der  Wert  aller  berühmten  Entfettungskuren  mittels  Kartoffel- 
Fett-Milchnahrung.  Jede  Entfettungskur  ist  eine  Unterernährungskur, 
deren  Kunst  darin  besteht,  das  Essen  möglichst  abwechselungsreich, 
sättigend  und  kalorienarm  zu  gestalten.  Selbstverständlich  ist  neben 
der  Unterernährung  gesteigerter  Stoffumsatz  zu  erstreben. 

Bei  Mastkuren  ist  das  umgekehrte  Verfahren  angebracht.  Die 
Kaloriensumme  muß  die  notwendige  Kaloriengröße  übersteigen  und  der 
Stoffumsatz  ist  nach  Möglichkeit  einzuschränken. 

Von  großer  Bedeutung  sind  für  diese  Frage  die  Untersuchungen 
Pawlow’s  geworden.  Er  durchschnitt  den  Ösophagus  eines  Fiundes 
und  nähte  sowohl  das  obere  als  auch  das  untere  Ende  desselben  in 
der  Haut  ein.  Auf  diese  Weise  konnte  er  eine  Scheinfütterung  vor¬ 
nehmen,  indem  der  Schluckakt  die  Speisen  aus  der  oberen  Speiseröhren¬ 
öffnung  herausbrachte.  Andererseits  konnte  durch  die  untere  Öffnung 
der  Mageninhalt  zur  Untersuchung  herausgeholt  werden. 

Pawlow  fand,  daß  der  Magensaft  einmal  durch  Vagusreizung 
abgesondert  wurde,  welche  nach  Durchschneidung  dieses  Nerven  sistierte, 
dann  auch  durch  den  Sympathikus,  und  zwar  von  dessen  Ganglien 
in  und  unter  der  Magenschleimhaut.  Die  psychische  durch  Vagus¬ 
reizung  bedingte  Saftabsonderung  wurde  bereits  durch  den  Anblick 
der  Speisen  ausgelöst,  setzte  wenige  Minuten  nach  Beendigung  des 
Kauaktes  ein,  um  30  bis  35  Minuten  anzuhalten.  Die  sympathisch 
verursachte  Saftabscheidung  beginnt  erst  30  bis  35  Minuten  nach  Ein¬ 
bringung  der  Speisen  in  den  Magen.  Hierbei  haben  sich  sehr  inter- 


1098 


S.  Leo, 


essante  Beobachtungen  ergeben.  Trockenes  Brot,  gekacktes  Hühner- 
ei  weiß  nnd  Fett  bleiben  stundenlang  im  Magen,  ohne  Saftabscheidung 
auszulösen,  während  Bouillon  und  Fleisch  nach  ca.  1/2  Stunde  eine 
rege  Saftabsonderung  zur  Folge  hat.  Mechanische  Beizung  der  Magen¬ 
schleimhaut  sowie  Einbringung  von  Salzsäure,  Kochsalz  bleibt  ohne 
Einfluß.  Fett  ist  imstande,  die  Saftabsonderung  zum  Stillstand  zu 
bringen,  eine  Erscheinung,  welche  von  Strauß  therapeutisch  bei  der 
Hy  per  chlor  hydrie  benutzt  worden  ist. 

Es  ergibt  sich  aus  diesen  wichtigen  Untersuchungen  die  Not¬ 
wendigkeit,  Hühnereiweiß,  trockenes  Brot  und  vor  allem  Fett  nur  bei 
vorhandenem  gutem  Appetit  zu  verabfolgen,  während  Fleisch  und  vor 
allem  Bouillon  ein  vorzügliches  Mittel  zur  Magensaftabsonderung  ist, 
bei  Magensaftfluß  daher  dringend  zu  vermeiden  ist. 

Während  Pawlows  grundlegende  Untersuchungen  uns  einen 
klaren  Einblick  in  die  chemischen  Verhältnisse  der  Magen  Verdauung 
brachten,  verdanken  wir  ganz  neue  Aufschlüsse  über  die  motorische 
Tätigkeit  des  Magendarmkanals  der  Untersuchung  mit  Böntgenstrahlen. 

(Schluß  folgt.) 


Wiener  Brief. 

Ein  Sammelbericht.  —  Von  Dr.  S.  Leo. 

In  der  Gesellschaft  der  Ärzte  sprach  Georg  Ivanno  vics  über 
das  Hepatotoxin.  Gegenüber  den  Anschauungen,  die  den  organotoxi- 
sc’hen  Immunseris  sowohl  jede  Organspezifität  als  auch  ihre  Artspezi¬ 
fität  absprechen,  stellte  I.  Experimente  an,  von  dem  Grundsätze  aus¬ 
gehend,  daß  ein  spezifisches  Organgift  existiert,  von  dem  wir  ver¬ 
langen  müssen,  daß  es  erstens  spezifisch  auf  dasjenige  Organ  einwirkt, 
mit  welchem  es  hervorgerufen  wurde  (Organspezifität)  und  zweitens, 
daß  es  für  die  betreffende  Tierart  spezifisch  ist  (Artspezifität).  Bei 
den  vorbereitenden  Immunisierungen  trachtete  ich  (Ivanno vics)  eine 
möglichste  Steigerung  der  spezifischen  Antikörper  dadurch  zu  erzielen, 
daß  ich  lange  Zeit  immunisierte.  Zur  Immunisierung  verwendete  ich 
nicht  abgetötete  Organzellen,  auch  nicht  die  aus  ihnen  zu  gewinnenden 
Nukleoproteide,  sondern  einen  Zellbrei,  der  aus  den  lebenswarmen,  mit 
physiologischer  Kochsalzlösung  ausgiebig  gewaschenen  Organen  her¬ 
gestellt  worden  war.  Zur  immunisatorischen  Vorbehandlung  dienten 
mir  Katzenlebern,  welche  entbluteten  Tieren  unmittelbar  nach  dem 
Tode  entnommen  wurden.  Im  Wege  einer  in  die  Vena  portae  eingeführ¬ 
ten  Kanüle  wurde  das  Organ  mit  mehreren  Litern  physiologischer  Koch¬ 
salzlösung  durchgespült.  Hierauf  wurde  die  Leber  fein  geschabt  und 
der  Leberbrei  durch  eine  Organpresse  getrieben.  Die  zuerst  abfließen¬ 
den,  leicht  blutig  gefärbten  Portionen  wurden  abgegossen,  während 
die  späteren,  welche  einen  gelbbraun  gefärbten  Brei  darstellten,  In 
möglichst  dichter  Suspension  in  physiologischer  Kochsalzlösung  zur 
intraperitonalen  Injektion  an  Kaninchen  gelangten.  Die  Immunisie¬ 
rung  setzte  ich  unter  strenger  Asepsis  und  steter  Kontrolle  des  Körper¬ 
gewichtes  durch  mehr  als  zwei  Jahre  fort.  Das  Resultat  dieser  Immu¬ 
nisierung  war  ein  Serum,  das  nach  meiner  Voraussetzung  durch  die 
21/2  jährige  Vorbehandlung  die  Eigenschaft  gewonnen  haben  mußte!,  in 
exquisiter  Weise  gerade  nur  Leberzellen  und  zwar  vornehmlich  Von 
Katzen,  spezifisch  zu  schädigen.  Diese  Voraussetzung  wurde  auch 
durch  die  Autopsie  von  drei  Katzen  bestätigt,  die  ein,  zwei  und  vier 


Wiener  Brief. 


1099 


Monate  nach  der  einmaligen  Einverleibung  des  Giftes  erfolgte  und 
Läsionen  der  Leber  erzeugte,  die  einsetzend  mit  fettiger  Metamorphose 
des  Parenchyms  zum  Schwunde  ganzer  Leberlappen  führen  können. 
An  ihre  Stelle  tritt  ein  mehr  oder  weniger  zahlreiches  Bindegewebe, 
das  seinen  Ausgang  von  der  intrahepetal  die  Gefäße  begleitenden  Cap¬ 
sula  Glissonii  nimmt.  Die  übrigen  Organe  erwiesen  sich  normal,  nur 
die  Milz  zeigte  leichte  Veränderungen.  Ein  solcher  anatomischer  Be¬ 
fund  spricht  wohl  für  eine  organspezifische  Wirkung  des  angewende¬ 
ten  Immunserums.  Bezüglich  der  Artspezifität  habe  ich  keine  Erfah¬ 
rungen,  doch  scheint  dieselbe  nach  unseren  Kenntnissen  über  Immuni¬ 
tät  nicht  zweifelhaft  zu  sein.  Es  ist  selbstverständlich,  daß  die  hier 
geschilderte  Gewinnung  eines  spezifischen  Lebergiftes  sich  auch  für 
eine  ganze  Leihe  anderer  Organe  durchführen  ließ,  wodurch  uns  Gifte 
in  die  Hand  gegeben  sind,  mit  welchen  wir  an  den  verschiedenen  Orga¬ 
nen  ausgesprochen  lokalisierte  Wirkungen  erzielen  und  dadurch  Aus¬ 
fallserscheinungen  auslösen  können,  welche  ein  gründliches  Studium 
der  verschiedenen  Zellfunktionen  in  ausgedehntem  Maße  ermöglichen. 

Fahren  wir  sodann  in  der  Fortsetzung  des  Los t hör n’ sehen  Vor¬ 
trages:  Die  klinisdh'e  Bedeutung  des  Schmerzes  fort:  Als  dump¬ 
fen  Organschmerz  bezeichnen  wir  jenen,  welchen  man  bei  chronischer 
Metritis  des  öfteren  begegnet.  Lomer  führt  .  denselben  auf  die  Be¬ 
teiligung  des  Bauchfelles  zurück.  Er  mag  damit  meiner  Ansicht  nach 
insofern  Locht  haben,  als  das  mitaff izierte  subseröse  Lymphgefäßnetz 
die  bekannte  Druckempfindlichkeit  des  puerperal  infizierten  Uterus 
auslöst.  Auf  die  Beteiligung  der  Lymphbahnen  möchte  ich  auch  die 
bei  chronischer  Metritis  so  oft  zu  konstatierende  Empfindlichkeit  der 
sakrouterinen  Ligamente  zurückzuführen,  deren  Nervenreich  tum  (N. 
hypogastricus)  bekannt  ist.  Dieser  in  diagnostischer  Hinsicht  wichtige 
Bandapparat  macht  sich  auch  beim  Tuschieren  gesunder  Genitalien 
bemerkbar.  Dehnung  derselben  bei  bimanueller  Untersuchung,  Be¬ 
rührung  des  Fornix  vaginae  mit  einem  Wattetupfer  werden  fast  regel¬ 
mäßig  schmerzhaft  empfunden.  Bekannt  ist  das  Fehlen  jeder  Schmerz¬ 
haftigkeit  bei  oft  weit  vorgeschrittenem  Karzinom.  Wenn  ein  solches 
von  Schmerz  begleitet  wird,  dann  ist  es  der  Druckschmerz,  welcher 
durch  die  karzinomatöse  Infiltration  des  Parametriums  ausgelöst  wird. 
Den  eigentlichen  Wehenschmerz  denken  wir  uns  auf  Grund  der  Loit- 
schen  Untersuchungen  durch  Ausbreitung  der  nervösen  Elemente  jm 
benachbarten  Beckenbindegewebe,  durch  allmählich  fortschreitende 
Dehnung  dieser  bindegewebigen  Partien  entstanden.  Die  Lokalisation 
des  Wehenschmerzes  wechselt  während  der  zwei  Geburtsperioden ;  die 
erste  Form  wird  nach  dem  oberen  Teile  der  Kreuz-  und  Leistengegend 
verlegt ;  später  erscheint  derselbe  weiter  unten,  und  zwar  in  den  unteren 
Abschnitten  des  Kreuzbeins  und  im  Steißbein,  sowie  im  Damme.  Die 
Nachwehen  sind  ganz  deutlich  mit  Schmerzempfindungen  in  recht  aus¬ 
gedehnten  Hautzonen  verbunden,  und  zwar  finden  sich  nach  Ho  ad 
die  10.,  11.,  12.  Dorsale,  erste  Lumbale  und  dritte  sakrale  Zone  be¬ 
teiligt.  Somit  zeigt  die  Gebärmutter  auch  bei  der  Geburt  ähnlich  wie 
die  Harnblase  reflektierte  Schmerzen  mit  Hautempfindlichkeit  in 
einer  zweifachen  Gruppe  von  Zonen.  Die  meisten  Erkrankungen  gynä¬ 
kologischer  Art  sind  von  Kreuzschmerzen  begleitet.  Es  ist  dies  zweifel¬ 
los  ein  irradiierter  Schmerz,  der  sich  vielleicht  ganz  durch  die  Head’sche 
Projektion  erklären  läßt.  Es  ist  dabei  aber  immer  daran  zu  denken, 
daß  Neurasthenische  und  Hysterische  mit  V orliebe  über  Schmerzen 


1100 


S.  Leo, 

in  dieser  Gegend  klagen,  ohne  daß  irgendeine  gynäkologische  Ver¬ 
änderung  nachzuweisen  wäre.  Es  ist  dies  die  bekannte  Neurasthenia 
spinalis,  die  der  Spinalirritation  der  alten  Mediziner  und  dem  Lenden¬ 
marksymptome  Hegar’s  gleichzusetzen  wäre;  differentialdiagnostisch 
kommen  nur  rheumatische  Zustände  in  den  Rückenmuskeln  oder  patho¬ 
logische  Prozesse  an  der  Wirbelsäule  in  Betracht,  Der  Kreuzschmerz 
zählt  übrigens  noch  als  Teilerscheinung  zu  den  sogenannten  Senkungs¬ 
beschwerden  bei  bestimmten  Lageanomalien  (Descensus,  Prolaps).  Die 
Affektionen  der  serösen  Häute  erzeugen  nach  H  e  ad  keinen  reflektierten 
Schmerz.  Sie  verursachen  nur  eigien  ganz  lokalen  Schmerz,  der  dem 
Laufe  peripherer,  sensibler  Spinalnerven  folgt  und  mit  einer1  tief¬ 
liegenden  Empfindlichkeit  nur  über  den  betroffenen  Stellen  verbunden 
ist.  Die  Bauchdecke,  welche  vom  N.  ileoinguinalis  und  ileohypogastrius 
versorgt  wird,  sowie  die  Vulva,  zeigen  Verhältnisse,  wie  sie  den  übrigen 
Integumenten  gleichkommen.  Wir  begegnen  hier  dem  typischen  Wund¬ 
schmerze  nach  Trauma  und  operativer  Durchtrennung,  welcher  jedoch 
schon  am  Tage  nach  dem  erfolgten  Trauma  verschwunden  zu  sein 
pflegt.  Auch  findet  sich  hier  der  entzündliche  Schmerz  bei  Abszessen, 
und  phlegmonösen  Prozessen  wie  bei  anderen  Körperteilen.  Hyper- 
algesie  der  Bauchdecken  wird  demnach  für  eine  Viszeralerkrankung, 
Hyperästhesie  als  hysterisches  Stigma  hingestellt  werden  können.  Here¬ 
ditäre  Belastung  (neuropathische  Veranlagung),  anämisch  -  chlorotisches 
Fieber,  chronisch  andauernder  Schmerz,  sowie  der  Menstruationsprozeß 
sind  Momente,  welche  als  Ursache  für  die  Herabsetzung  der  Wider¬ 
standsfähigkeit  des  Zentralnervensystems  angesehen  werden  können. 
All  dies  und  psychische  Affekte  vermögen  den  Schmerz  zu  verall¬ 
gemeinern  Auf  Grund  solcher  Generalisationen  kann  eine  wirkliche 
Psychose  ihren  Ursprung  nehmen.  So  finden  sich  denn  auch  alle  Über¬ 
gänge  der  beschriebenen  typischen  Sensibilitätsstörungen  zu  .jenen, 
welchen  wir  bei  den  Hysterischen  begegnen.  H  e, ad  unterscheidet  - — 
ob  mit  Recht,  wage  ich  nicht  zu  entscheiden  —  einen  zerebrospinalen 
und  psychischen  Typus  der  Hysterie ;  bei  ersterem  finden  sich  die 
von  H.  beschriebenen  Zonen  mit  ihren  scharfen  Grenzen,  bei  letzterem 
gehen  diese  verloren  und  setzt  ausgesprochene^  Gesichtsfeldeinschrän¬ 
kung  ein;  über  der  anästhetisch  gewordenen  Zone  sind  die  Reflexe 
erloschen.  Kur  für  den  letzteren  Typus  möchte  er  die  Bezeichnung 
Hysterie  beibehalten. 

Was  die  Diagnose  des  Schm;erzes  betrifft,  so  fällt  es  vor  allem 
schwer,  von  unseren  Kranken  präzise  Angaben  über  die  Art  und  den 
Sitz  des  empfundenen  Schmerzes  zu  erlangen.  Sie  verfügen  zwar  über 
eine  ganze  Skala  von  Schmerzqualitäten,  wobei  die  Bezeichnungen 
nach  Ter  Analogie  mit  den  bei  verschiedenen  Traumen  gemachten  Wahr¬ 
nehmungen  gewählt  werden.  So  werden  ziehende,  schneidende,  stechende, 
bohrende,  klopfende,  durchschießende,  dumpfe  Schmerzen  beschrieben. 
Es  werden  dabei  die  scharf  umschriebenen  von  den  diffus  verbreiteten 
und  ausstrahlenden,  die  plötzlich  einsetzenden  von  den  langsam  |an- 
steigenden,  andauernde  von  den  intermittierenden,  zeitweilig  exazer- 
bierenden  deutlich  unterschieden.  Einzelne  dieser  Qualitäten  sind  für 
die  Diagnose  verwendbar.  Abgesehen  von  jenen  Fällen,  in  welchen 
eine  organische  Läsion,  bezw.  eine  deutlich  greifbare,  pathologische 
Veränderung‘  nach  Sitz  und  Qualität  des  Schmerzes  jene  als  unzweifel¬ 
hafte  Ursache  des  Schmerzes  erkennen  läßt,  wird  man  in  Anbetracht 
der  großen  Häufigkeit  der  Psychoneurosen  speziell  bei  unserem  Kranken- 


Wiener  Brief. 


1101 


material  gut  tun,  bei  nicht  klar  gewordenem  Zusammenhänge  von 
Schmerz  und  der  gefundenen,  oft  unbedeutenden  Anomalie:  nach  Merk¬ 
malen  zu  fahnden,  welche  die  neuropathische  Veranlagung  des  Indi¬ 
viduums  erkennen  lassen.  Schon  die  erregte,  übertriebene  Art  der  Dar¬ 
stellung,  die  Vielseitigkeit  der  Klagen  und  der  große  Wechsel  in  den 
Beschwerden  wird  unsere  Aufmerksamkeit  erwecken.  Für  den  Geübten 
genügt  oft  ein  kurzer  Verkehr  mit  dem  Kranken,  um  die  neuras  thenische 
oder  hysterische  Natur  des  Leidens  zu  entdecken.  Aber  aus  den 
Schmerzen  allein  lassen  sich  Psyehoneurosen  nicht  diagnostizieren. 
Zur  Feststellung  des  hysterischen  Charakters  bedürfen  wir  die  Fest¬ 
stellung  von  Sensibilitätsstörungen  (Hemianästhesie,  inselförmige  oder 
diffuse  Anästhesie,  Anästhesie  der  Schleimhäute  und  Aufgehobensein 
des  konjunktivalen  und  Würgereflexes,  Einschränkung  des  Gesichts¬ 
feldes  und  das  Vorhandensein  von  hysterogenen  Zonen).  Differential- 
diagnostisch  kommen  hierbei  Neuritis,  Neuralgie,  organische  Erkran¬ 
kungen  des  Zentralnervensystems  in  Betracht.  Leider  fehlen  in  einer 
großen  Anzahl  von  Fällen  die  Stigmata,  anderseits  ist  das  Fehlen  des 
Würgereflexes  so  außerordentlich  häufig,  daß  es  nur  dann  verwertet 
werden  kann,  wenn  es  in  sehr  ausgesprochener  Form  vorliegt  oder  sich 
mit  anderen  Zeichen  kombiniert. 

Victor  Gräfe  berichtet  über  die  moderne  Chlorophyll  -  For¬ 
schung  und  den  Blutfarbstoff  :  Marchlewski  fand,  daß  aus  dem 
Phylocyannin,  einem  blaugrünen  Salzsäureabbauprodukt  des  Chloro¬ 
phylls,  durch  Erhitzen  mit  Kalilauge  das  Phylloporphyrin  in  schönen 
roten  Nadeln  entsteht,  ein  Körper,  der  sich  vom  Hämatoporphyrin, 
das  aus  Hämoglobin  hergestellt  werden  kann,  nur  durch  einen  Minder¬ 
gehalt  an  Sauerstoff  unterscheidet ;  sie  geben  unter  bestimmten  Be¬ 
dingungen  ein  und  dasselbe  Derivat,  das  farblose  Hämopyrrol.  Der 
Versuch,  Hämatoporphyrin  in  Phylloporphyrin  umzuwandeln,  ist  bis 
jetzt  noch  nicht  geglückt,  wohl  aber  die  Darstellung  eines  Körpers, 
der  eine  Zwischenstellung  zwischen  beiden  einnimmt  (Mesoporphyrin). 
Natürlich  muß  das  eisenhaltige  Hämatin,  wenn  es  in  ein  dem  eisen¬ 
freien  Chlorophyll  nahestehendes  Produkt  übergeht,  zunächst  sein 
Eisen  abgeben ;  eine  solche  Abspaltung  tritt  auch  ein,  wenn  sich  Häma¬ 
tin  in  die  dem  Hämatoporphyrin  sehr  nahestehenden  Gallenfarbstoffe 
verwandelt,  diese  selbst  verwandeln  sich  durch  Fäulnisvorgänge  im 
Darm  in  Urobilin,  das  sich  aus  Hämatin  und  Hämatoporphyrin,  fer¬ 
ner  durch  Stehen  an  der  Luft  aus  Hämopyrrol  gewinnen  läßt.  Das 
Urobilin  ist  an  der  gelben  Farbe  des  Harnes  beteiligt,  der  mitunter  auch 
kleine,  nach  Vergiftungen  mit  Blei,  Sulfonal,  Trional,  und  nach  Leber¬ 
krankheiten  erhebliche  Mengen  des  roten  Hämatoporphyrin  selbst  ent¬ 
hält.  Jedenfalls  sind  beide  lebenswichtigen  Farbstoffe  Abkömmlinge  des! 
Pyrrols,  unsicher  ist,  ob  das  Chlorophyll  zu  den  Eiweißkörpern  gehört, 
während  das  Hämoglobin  sich  aus  Hämin  und  dem  Globin,  einem 
typischen  Eiweißstoff,  zusammensetzt.  Ferner  läßt  sich  das  Phyllo¬ 
porphyrin  in  eine  eisenhaltige  Verbindung,  das  Phyllohämin,  über¬ 
führen,  die  dem  Bluthämin  ganz  analog  ist.  Besondere  Beachtung 
findet  in  neuester  Zeit  die  Tatsache,  daß  alle  Derivate  des  Chloro¬ 
phylls  mit  Metallsalzen  Verbindungen  eingehen,  die  in  mancher  Hin¬ 
sicht  an  native  Chlorophylle  erinnern  im  Hinblick  auf  das  konstant^ 
Vorkommen  von  Magnesium  im  Blutfarbstoff.  Man  weiß  nämlich, 
daß  gerade  die  organischen  Verbindungen  des  Magnesiums  sich  durch 
äußerst  große  Reaktionsfähigkeit  auszeichnen,  eine  Eigenschaft,  die 


1102 


S.  Leo, 

dazu  geführt  hat,  daß  der  moderne  Chemiker  sehr  zahlreiche  Syn¬ 
thesen,  die  sonst  schwierig  in  die  Wege  geleitet  werden  können,  durch 
die  Grignar d’sche  Reaktion  mit  Hilfe  der  organischen  Magnesium¬ 
salze  durchführt.  Auch  im  Chlorophyll,  diesem  großartigen  Synthetik  er, 
spielt  nach  WilLstätter  das  Magnesium  dieselbe  Rolle,  welche  im 
Hämoglobin  das  Eisen  spielt.  Die  Scheidewand  zwischen  Pflanzen-  und 
Tierreich  aber  wird  durch  die  Aufhellung  dieser  Beziehungen  beider 
Farbstoffe  noch  dünner,  und  es  wird  verständlich,  wie  dem  Auseinander¬ 
weichen  der  beiden  divergenten  Reihen,  Tiere  und  Pflanzen,  aus  ge¬ 
meinsamen  Anfängen  auch  der  Ausbau  des  die  Verwandtschaft  ver¬ 
mittelnden  Phylloporphyrinmoleküls  nach  zwei  verschiedenen  Rich¬ 
tungen  und  damit  die  entgegengesetzten  spezifischen  Rollen  dieser 
beiden  Farbstoffgeschwister  entsprachen.  Die  Form  der  Zellkomplexe, 
welche  die  einzelnen  Organe  bilden,  wird  durch  den  Stoffwechsel  be¬ 
dingt,  und  dieser  wieder  ist  ein  Resultat  der  gegebenen  Lebensbedin¬ 
gungen,  so  daß  wir  einen  Schritt  weiter  in  die  Entwicklungsgeschichte 
der  Organismen  gehen  können. 

Es  gibt  eine  ganze  Reihe  von  Organismen,  welche  die  Synthese 
ihrer  Körpersubstanz  ohne  Chlorophyll,  ja,  ohne  Chromophyll  über¬ 
haupt  im  Dunkeln  aus  der  Luftkohlensäure  durchführen  und  welche 
dazu  natürlich  einer  anderen  Kraftquelle  bedürfen,  als  die  größeren 
Pflanzen,  deren  Farbstoff  eben  eine  besondere  Anpassung  dieser 
höheren  Organismen  an  die  Ausnützung  der  Lichtenergie  vörstellt.  Es 
sind  die  aus  chemischen  Lebensreaktionen  freiwerdenden  Kraftüber¬ 
schüsse,  die  bei  diesen  niederen  Organismen  vermittelnd  eingreif  en ; 
hier  finden  wir  auch  nicht  nur  die  größte  Mannigfaltigkeit  des  Stoff¬ 
wechsels,  sondern  auch  der  Form,  und  es  liegt  nahe,  mit  N  en  ck  i 
anzunehmen,  daß  die  Bildung  neuer  Arten  hier  viel  leichter  stattfindet, 
als  bei  den  in  späteren  Zeitperioden  entstandenen,  komplizierter  ge¬ 
bauten  Organismen,  denn  die  ersteren  gehören  wahrscheinlich  mit  zu 
den  ältesten  Bewohnern  unserer  Erde.  Aus  der  Muttersubstanz  des 
Chlorophylls  entstand  dann  in  einer  späteren  Zeitperiode  im  Tierkörper 
das  Hämoglobin,  dessen  Funktion  eine  viel  beschränktere  ist,  denn 
wenn  die  biologische  Bedeutung  des  Chlorophylls  in  seiner  synthesen¬ 
vermittelnden  und  seiner  optischen  Wirkung  liegt,  in  der  Ausnützung 
und  Umwandlung  der  Lichtstrahlen  für  ihre  chemische  Arbeit  in  der 
Pflanzenzelle,  reduziert  sich  die  Aufgabe  des  Hämoglobins  im  wesent¬ 
lichen  auf  die  lockere  Bindung  des  Sauerstoffs  und  der  Kohlensäure 
und  auf  ihre  Abgabe  in  aktiver  Form,  kurz :  auf  seine  katalytisch 
die  Zersetzung  vermittelnde  Funktion.  Die  Pflanzenzelle  enthielt  also 
bereits  im  potentiellen  Zustande  die  tierische,  war  also  in  der  Lage, 
es  zu  ermöglichen,  daß  das  Lehern  der  Synthese  mit  Hilfe  von 
Magnesium  zum  Leben  der  Oxydation  mit  Hilfe  von  Eisen 
wurde.  — 

Im  Anschlüsse  an  einen  Vortrag  Hamburgers,  der  bei  gro߬ 
städtischen  Kindern  eine  Verseuchung  von  94 °/0  mit  Tuberkulose  an¬ 
nimmt,  sprach  J.  Robinsohn  über  das  Verhältnis  Zwischen  Röntgen¬ 
ologie  und  Tuberkulosediagnostik  (Gesellsch.  f.  innere  Medizin): 
Die  Untersuchungen  von  Hamburger  und  Ghon  haben  erleuchtend 
auf  unsere  Auffassung  und  erleichternd  auf  unser  ärztliches  Gewissen 
gewirkt;  sind  wir  doch  für  das  Aufstellen  und  Fallenlassen  einer 
Diagnose  in  gleichem  Maße  verantwortlich.  Bisher  standen  die  Kli¬ 
niker  den  Befunden  des  Röntgenologen  in  vielen  Fällen  ebenso  skep- 


Wiener  Brief. 


1103 


tisch  gegenüber,  wie  den  biologischen  nnd  anatomischen.  Die  Röntgen¬ 
durchleuchtung  und  namentlich  die  Röntgenplatte  offenbart  nämlich, 
daß  man  beim  Erwachsenen  so  gut  wie  nie,  beim  älteren  Kinde  nur 
selten  eine  Lunge  findet,  die  vollkommen  frei  ist  von  denjenigen  Schat¬ 
tenbildungen,  die  wir  nach  den  Erfahrungen  in  den  klinisch  manifesten 
Fällen  als  für  die  Tuberkulose  charakteristisch  erkannten.  Es  sind  dies 
drei  Gruppen  von  morphologischen  Differenzierungen  von  Röntgenschat¬ 
tenbildung:  1.  streifenförmige  Verdichtungen,  die  dem  Verlaufe  der  Bron¬ 
chialverzweigungen  folgen  (Peribronchitis,  Induratio  pulmonalis  inter- 
stititialis),  2.  inselförmige  Verdichtungen,  die  nach  Form,  Lage  und 
Größe  auf  das  Lymphdrüsensystem  bezogen  werden  müssen,  wel¬ 
ches  die  Trachleaj  und  den  B/ronchialbaum  bis  in  die  feinsten  Vor- 

> 

zweigungen  begleitet  (Adenitis  pulm.)  oder  unregelmäßig  gelegene  und 
wirkliche  Infiltrationsherde  (kleinere  und  größere  Konglomerattuberkel 
und  andere  Lun  gen  Verdichtungen),  3.  lufthaltige  (parenchymfreie,  resp. 
parenchymarme)  Lungenherde,  von  denen  im  einzelnen  Falle  röntgen¬ 
ologisch  schwer  festzustellen  ist,  ob  sie  einem  Gewebszerfall  (Kaverne) 
oder  einer  zirkumskripten  Erweiterung  der  Luftwege  (Bronchiektasie, 
interstititielles  Emphysem)  entsprechen.  Es  ereigneten  sich  bisher  fol¬ 
gende  Fälle :  1.  Die  klinischen  Erscheinungen  (d.  h.  was  man  bisher, 
klinisch  nannte :  die  Ergebnisse  der  Inspektion,  Auskultation,  Per¬ 
kussion  und  der  bakteriologischen  Untersuchung)  stimmten  vollkommen 
mit  dem  Röntgenbefunde  überein,  sehr  selten ;  2.  die  sogenannten  kli¬ 
nischen  Befunde  deckten  nur  einen  mehr  oder  weniger  großen  Bruch¬ 
teil  derjenigen  Veränderungen  auf,  die  das  Röntgenbild  vermuten  ließ ; 
3.  einem  absolut  negativen  klinischen  stand  ein  auffallender  röntgen¬ 
ologisch  positiver  Befund  gegenüber  und  4.  umgekehrt.  Es  hat  also! 
das  Röntgenbild  anscheinend  einmal  zu  viel,  das  andere  Mal  zu  wenig 
gezeigt,  und  bei  dem  großen  Vertrauen,  das  man  in  die  altbewährten 
Untersuchungsmethoden  setzte,  war  man  geneigt,  und  scheinbar  mit 
Recht,  idem  relativ  jungen  Röntgenverfahren  in  diesem  Punkte  wenig¬ 
stens  die  Verläßlichkeit  abzusprechen.  Die  eine  Unvollkommenheit 
des  Röntgen  Verfahrens,  die  negativen  röntgenologischen  bei  positiven 
klinischen  Befunden  haben  wir  in  den  letzten  Jahren  fast  vollständig 
getilgt.  Während  man  früher  bei  der  Röntgenuntersuchung  der  Lunge 
sich  meistens  auf  die  Durchleuchtung  beschränkte,  wissen  wir  jetzt, 
daß  man  mittels  der  Durchleuchtung  die  respiratorischen  Bewegungs¬ 
phänomene,  also  funktionelle  Abweichungen  von  der  Norm  gut,  die 
morphologischen  Anomalien  aber  nur  in  groben  Zügen  feststellen  kann. 
Zur  Darstellung  feiner  und  feinster  anatomischer  Veränderungen  der 
Lunge  ist  das  Röntgenographieren  bei  respiratorischem  Stillstand,  am 
besten  die  Momentaufnahme  unerläßlich.  Bei  der  regelmäßigen  Kom¬ 
bination  von  Röntgenoskopie  und  Röntgenographie  läßt  sich  die  Zahl 
der  Versager  auf  ein  Minimum  reduzieren.  Bleiben  also  noch  die  Fälle 
von  Widerspruch  zwischen  klinischem  und  Röntgenbefund  in  dem  Sinne, 
daß  ein  Röntgenbild  zu  viel  zeigt.  Nach  Hamburger  und  Ghon  kön¬ 
nen  wir  ruhig  sagen,  daß  das  scheinbare  Zuviel  der  Röntgenbefunde 
als  vollwertig  zu  nehmen  ist, 

Hans  Eppinger  und  Leo  Heos  sprachen  über  die  Pathologie 
der  Basedowschen  Erkrankung:  Pharmakologische  Untersuchun¬ 
gen  aus  jüngster  Zeit  habien  zu  dem  Ergebnisse  geführt,  daß  gewisse 
Arzneisubstanzen  eine  elektive  Reizung  des  sympathischen  oder  des 
autonomen  Nervensystems  ausüben.  Das  erster©  wird  vom  Adrenalin, 


1104 


S.  Leo,  Wiener  Brief. 


das  letztere  vom  Pilokarpin  (resp.  Physostigmin)  gereizt.  Diese  phar¬ 
makologischen  Prüfungen  liefern  für  das  Studium  der  IST ervenf unktionen 
zuverlässigere  Resultate  als  die  älteren  Experimente,  die  in  elektri¬ 
scher  Reizung  der  Nerven  bestehen,  da  die  anatomischen  Nervenein- 
heiten  keineswegs  auch  funktionelle  Einheiten  darstellen.  Beide  Ner¬ 
vensysteme  beteiligen  sich  an  der  Innervation  sämtlicher  inneren  Organe,, 
die  sie  in  antagonistischem  Sinne  beeinflussen.  So  bewirkt  z.  B.  Sym¬ 
pathikusreizung  eine  Erweiterung,  autonome  Reizung  eine  Verengerung 
der  Pupille.  Injiziert  man  Menschen  subkutan  0,01  Pilokarpin,  älso 
ein  sogenanntes  vagotropes  Mittel,  so  beobachtet  man  Salivation, 
Schweiß,  Röte  des  Gesichts,  auch  gesteigerte!  Darmperistaltik,  Brech¬ 
reiz.  Dagegen  hat  0,001  Adrenalin,  subkutan  gegeben,  Tachykardie, 
Glykosurie  und  Polyurie  zur  Folge,  Wirkungen,  die  wir  als  Sympa¬ 
thikusreizung  auffassen.  Beide  Pharmaka  müßten,  gleichzeitig  verab¬ 
folgt,  ideal  völlig  wirkungslos  bleiben.  Bei  manchen  Menschen  isind 
jedoch  die  erwähnten  Pharmaka,  in  den  üblichen  Dosen  gereicht,  ohne 
jeden  Effekt,  während  bei  anderen  mächtige  Wirkungen  zur  Beobach¬ 
tung  kommen,  bei  diesen  letzterlen  sind  daher  allem  Anscheine  nach 
günstigere  Angriffspunkte  vorhanden.  Von  Interesse  war  die  Beobach¬ 
tung  der  Vortrag.,  daß  bei  jenen  Menschen,  die  gegen  Pilokarpin  refrak¬ 
tär  sind,  eine  starke  Adjren al inw irkung  sich  erzielen  läßt  Und  daß 
umgekehrt  eine  starke  Pilokarpinwirkung  dort  auftritt,  wo  Adrenalin 
versagt.  Bei  der  erstereu  ist  aus  diesem  Verhalten  ein  erhöhter  Tonus 
im  sympathischen  System  zu  postulieren  ( , ,  sy  mp  ath  iko  t  oni  s  ch  e  “  Men¬ 
schen),  während  bei  den  letzteren  der  Tonus  des  autonomen  System, sl 
als  erhöht  anzunehmen  ist.  Dfe  große  Fülle  der  sog.  Nebenerschei¬ 
nungen  bei  der  Basedow 'sehen  Krankheit  läßt  sich  von  diesem  Ge¬ 
sichtspunkte  aus  in  solche  gliedern,  die  auf  einem  erhöhten  Reizzu¬ 
stand  des  autonomen  Systems  beruhen  (Schweiß,  Exophtalmus,  Diar¬ 
rhöen,  eventl.  spastische  Obstipation)  und  in  solche,  die  sich  auf  einen 
erhöhten  Sympathikustonus  beziehen  lassen  (Protrusio  bulbi,  vielleicht 
Tachykardie,  spontane  und  alimentäre  Glykosurie  usw.  Zahlreiche  Be¬ 
obachtungen  zeigen,  daß  tatsächlich  die  Fälle  von  Basedow  sich  in 
zwei  Gruppen  gliedern  lassen,  in  deren  einer  die  Reizer scheinungen  des 
sympathischen  Systems  vorherrschen,  während  bei  der  anderen  im 
Vordergründe  die  Erscheinungen  von  erhöhtem  Vagustonus'  stehen 
(sympathikotonischer  und  vagotonischer  Basedow).  Endlich  muß  her¬ 
vorgehoben  werden,  daß  in  einer  nicht  geringen  Zahl  Von  Basedowfällen 
ein  Reizzustand  beider  Nervensysteme  auf  der  Höhe  der  Erkrankung 
besteht.  Wenn  nun  von  mancher  Seite  die  Ansicht  geäußert  wurde,  daß 
der  Basedow’ sehen  Krankheit  ein  Dysthyreoidismus  zugrunde  liege, 
so  muß  demgegenüber  hervorgehoben  werden,  daß  auf  Grund  dieser 
Anschauungen  auch  die  Annahme  eines  Hyperthyreoidismus  genügt, 
um  die  Fälle  der  pathologischen  Phänomene  zu  erklären,  wenn  man 
außerdem  eine  geänderte  Reizbarkeit  der  beiden  antagonistischen  Ner¬ 
vensysteme  zur  Erklärung  heranzieht. 


Vorläufige  Mitteilungen  und  Autoreferate. 


1105 


Vorläufige  Mitteilungen  u.  Autoreferate. 

.  _  o 

lieber  Chlorom. 

Von  Prof.  Alfred  Pribram,  Prag. 

Vortrag  gehalten  am  9.  Juli  1909  im  Verein  deutscher  Aerzte  in  Prag. 

Ein  22  jähriger  Arbeiter,  welcher  dem  Anfnahmsarzt  den  Eindruck 
einer  Basedow’ sehen  Krankheit  machte,  kam  auf  die  Klinik  mit  folgenden 
Erscheinungen : 

Blässe,  mäßig  guter  Ernährungszustand,  beiderseitiger  Exophthal¬ 
mus,  Gräfe,  jedoch  weder  Möbius  noch  Jäger,  leichte  Abduzens- 
parese  links ;  die  Schilddrüse  in  allen  drei  Lappen  gleichmäßig  paren¬ 
chymatös  vergrößert,  im  rechten  Lappen  ein  härtlic'her  Knoten,  keine 
Gefäßgeräusche,  keine  Tachykardie. 

Am  Sternum  eine  halbkugelige,  fest  aufsitzende  harte  Geschwulst 
von  ca.  2  cm  im  Durchmesser.  Kleinere  solche  Geschwülste  am  Schädel, 
und  zwar  am  Scheitel,  an  der  rechten  und  an  der  linken  Schläfe ; 
umschriebenes  Ödem  am  rechten  Kiefergelenke,  Milztumor  bis  knapp 
vor  dem  Rippenbogen,  Leberschwellung,  keinerlei  Hirnerscheinungen, 
kein  Kopfschmerz,  Schwerhörigkeit  und  Sehstörung.  In  ersterer  Rich¬ 
tung  eitrige  Mittelohrentzündung  beiderseits,  besonders  rechts,  und  poly¬ 
pöse  W  ucherungen  an  der  hinteren  Bachen  wand,  in  letzterer  beider¬ 
seitige  Stauungspapille  mit  vielen  kleinen  Extravasaten.  Röntgenauf¬ 
nahmen  des  Schädels  und  des  Brustkorbes  ergaben  durchaus  normale 
Verhältnisse  mit  Ausnahme  einer  vielleicht  durch  eine  linksseitige 
Pleuritis  herbeigeführten  leichten  Verschiebung  des  Herzschattens  nach 
rechts.  Das  Blutbild  zeigte  21/2  Millionen  E.  mit  55 °/0  Hb.,  10000, 
später  8000  Leukozyten,  vorwiegend  Lymphozyten  und  darunter  sehr 
viele  große  einkernige  Zellen,  wenige  Myelozyten;  W assermann’sche 
und  Pirquet’sche  Reaktion  negativ.  Im  Harn  minimale  Eiweißspur, 
keine  Albumosen,  kein  Bence- Jones,  sehr  viel  Indican. 

Auf  Grimd  des  Vorhergesagten  wurde  die  Diagnose  Chlorom  bezw. 
Chloroleukämie  gemacht.  Der  Vortragende  erörtert  kurz  den  Begriff 
dieses  Prozesses  bezw.  der  Chlor o leukosar  ko  m atose  und  Chloromyelo- 
sarkomatose  Sternberg’s,  die  Aufstellung  N aegeli’s  bezgi.  der  Rolle 
der  Myeloblasten  und  erwähnt  auf  Grund  der  Literatur  das  V orkommen 
von  prävertebralen  Leukozyteninfiltraten,  fügt  ferner  hinzu,  daß  am 
Abend  vor  dem  Vortrag  plötzlich  eine  rapid  sich  ausbreitende  Typhlitis 
eingesetzt  hatte,  die  am  folgenden  Tage  zur  Operation  führte.  Es  wird 
ein  einschlägiger  Fall  von  Chlorom  der  Valv.  Bauhini  von  Sternberg 
erwähnt,  und  auf  den  sehr  wjechselnden  Leukozytenbefünd  bei  Chlorom 
hingewiesen. 

Bei  der  Operation  fand  sich  eine  Invaginatio  ileocoecalis  mit 
enormer  phlegmonöser  und  ödematöser  Infiltration  der  Klappe  und  der 
anstoßenden  Blinddarmpartie  (über  welche,  vom  chirurgischen  Stand¬ 
punkt,  Dr.  Rubeseh  berichtete).  Der  Vortragende  erörtert  die  Diffe¬ 
rentialdiagnose  von  Syphilis,  Tuberkulose,  Myelom  und  von  einem  in 
diesem  Falle  noch  am  schwersten  auszuschließenden  multiplen  Karzinom. 
In  letzterer  Richtung  wird  auf  das  Vorkommen  kleiner  multipler  Karzi¬ 
nome  als  Metastasen,  bei  kleinem  Schilddrüsenkarzinom,  hingewiesen, 
welche  Vortragender  öfter  beobachtet  hatte. 

Der  Kranke  starb  an  dem  auf  den  Vortrag  folgenden  Tage.  Bei 
der  Sektion  fanden  sich  grünliche  bis  grüne  tumorähnliche  Auflage- 

70 


1106 


Vorläufige  Mitteilungen  und  Autoreferate. 


rungen  unter  dem  Periost  der  früher  erwähnten  Stellen,  grüne  Knoten 
in  Schilddrüse  und  Leber,  Milztumor,  große  prävertebrale  Infiltrate  von 
grünlicher  Farbe,  ebensolche  beiderseits  im  retrobulbären  Bindegewebe, 
linksseitiges  Pleuraexsudat. 

Die  genaue  Untersuchung  wird  später  veröffentlicht  werden.  Der 
Fall  gehört  zu  den  sehr  wenigen,  die  bisher  im  Leben  diagnostiziert 
wurden  (nach  Jacob aeus  bisher  drei). 


Ueber  kortikale  Schlucklähmung. 

v.  Niessl-Mayendorf ,  Leipzig. 

Eine  45  jährige  Bergmannsfrau  kam  am  4.  August  1904  in  die 
Nervenklinik  zu  Halle  a.  Saale.  Im  Herbst  1903  konnte  sie  plötz¬ 
lich  nicht  sprechen;  sie  war  eine  Viertelstunde  stumm,  aber  klar  bei 
Verstände.  Die  letzten  sechs  Wochen  vor  der  Aufnahme  wurde  die 
Sprache  allmählich  schlechter.  Die  linke  Schädelhälfte  sehr  klopf- 
empfindlich.  Der  linke  vierte  Gehirnnerv  paretisch.  Mit  dem  linken 
Augapfel  kann  Pat.  nicht  ganz  nach  unten  blicken.  Der  rechte  Gesichts¬ 
nerv  innerviert  schwach.  Die  Zunge  ist  sehr  unbeholfen,  weicht  stark 
nach  rechts  ab,  kann  kaum  über  die  Zähne  gebracht  werden.  Kau- 
und  Schluckstörung.  Trismus.  Beide  Processus  mastoidei  druck¬ 
schmerzhaft.  Pat,  ißt  sehr  wenig,  weil  sie  nicht  schluckt.  Der  Schluck¬ 
akt  selbst  geht  ungehindert  von  statten.  Artikulationsstörungen,  jedoch 
keine  motorische  Aphasie.  Anfangs  rechtsseitige  Parese,  später 
spastische  Hemiplegie,  ohne  Sensibilitätsstörung.  Auch  die  linke  Körper¬ 
hälfte  schlaff  gelähmt.  Ptosis  links.  Zurückbleiben  des  Augapfels  bei 
Bewegungen  nach  links.  Maximale  Dilatation  der  Pupillen  und  nur 
spurweise  Peaktion.  Ohne  wesentliche  Änderung  der  Symptome  Exitus. 
Bei  der  Sektion  fand  sich  im  dritten  unteren  Viertel  beider  linken  Zen¬ 
tralwindungen  eine  scharfe  abgegrenzte  borsdorferapf eigroße  Geschwulst, 
Vortragender  demonstriert  mittelst  des  Projektionsapparates  eine  fort¬ 
laufende  Leihe  von  nach  Weigert-Pal  gefärbten  Horizontalschnitten, 
welche  die  Unversehrtheit  der  Pars  opercularis  Pol  an  di  ca,  dartun. 
Primäre  Markdegenerationen  durch  Hirndruck  und  die  sekundär  degene¬ 
rierten  ganz  entmarkten  Bündel  in  der  inneren  Kapsel  (hinterer  Schenkel) 
durch  Zerstörung  eines  Teils  ihrer  Ursprungsgebiete  werden  vorgeführt. 
Brücke  und  Medulla  oblongata  wurden  in  eine  fortlaufende  Leihe  durch¬ 
sichtiger  Frontalschnitte  zerlegt,  teils  nach  Weigert,  teils  mit  Karmin 
gefärbt.  Die  mit  Karmin  imbibierten  Hypoglossuskerne  werden  in  ihrer 
normalen  Beschaffenheit  demonstriert.  Die  Geschwulst  ist  daher  zweifel¬ 
los  die  Ursache  des  pseudobulbären  Symptomenkomplexes  gewesen.  Da 
der  Schluckakt  durch  Anpressen  der  Zungenwurzel  an  den  harten 
Gaumen  ünd  Hebung  des  Kehlkopfes  sich  vollzieht,  so  ist  es  eine  teleo¬ 
logisch  zusammenwirkende  Muskelgruppe,  deren  Innervationsempfin¬ 
dungen  eine  zentrale  Projektion  in  der  bezeichneten  Lindenregion  dan- 
steilen.  Die  Beeinflussung  des  Schluckaktes  durch  die  Hirnrinde  ist 
in  der  willkürlichen  Einleitung  und  Hemmung  desselben  gegeben.  Die 
ärztliche  Wahrnehmung,  daß  der  Schluckreflex  in  normaler  Weise 
auslösbar  war,  beweist  die  Unfähigkeit  einer  Einleitung  des  Schluck¬ 
aktes  von  der  Hirnrinde  her  und  rechtfertigt  die  Auffassung  des 
Falles  als  kortikale  Schlucklähmung.  Autoreferat. 


Referate  und  Besprechungen. 


1107 


Opsoninuntersuchungen  bei  Mutter  und  Kind. 

Von  Dr.  Busse,  Jena. 

Nach  der  WrigK  t’schen  Technik  werden  die  Sera  von  Schwange¬ 
ren,  normalen  Wöchnerinnen,  Neugeborenen,  Säuglingen  bis  zum  16.  Tage 
auf  den  Gehalt  an  Normalopsoninen  gegenüber  Staphylokokken  unter¬ 
sucht,  da  die  Angaben  der  Literatur  über  diesen  Gegenstand  beträchtlich 
verschieden  sind.  Die  Resultate  sind  die  folgenden : 

1.  Bei  Schwangeren  und  Wöchnerinnen  schwankt  der  Opsoninge¬ 
halt  zwischen  0,75  und  2,0  und  beträgt  durchschnittlich  1,1. 

2.  Das  fetale  Serum  enthält  stets  Opsonin.  —  Durchschnittswert  0,4. 

3.  Der  Wert  bleibt  bei  den  Säuglingen  bis  zürn  ca.  16.  Tage  konstant. 

4.  Fruchtwasser  enthält  Opsonin.  —  Wert  etwa  1/2q- 

5.  Fetaler  Urin  hat  Opsonin  in  gleicher  Menge  wie  Fruchtwasser. 

6.  Muttermilch  enthält  kein  Opsonin.  Autoreferat. 


Referate  und  Besprechungen. 

Innere  Medizin. 

Aus  der  königl.  Universitätsklinik  für  Hautkrankheiten  (Geheimr-at  Neisser),  sero¬ 
diagnostische  Abteilung  (Dr.  Bruck)  und  der  inneren  Abteilung  des  Stadtkrankenkauses 

in  Posen  (Sanitätsrat  Dr.  Korach). 

Scharlach  und  Serumreaktion  auf  Syphilis. 

(Dr.  Carl  Bruck  u.  Dr.  Leo  Cohn.  Berl.  klin.  Wochenschr.,  Nr.  51,  1908.) 

Den  von  Much  und  Eichelberg  hei  Scharlach  erhobenen  Befunden 
.gegenüber  verhalten  sich  die  meisten  Autoren  —  Schleissner,  Jochmann 
und  Töpfer,  Meier,  Höhne,  Boas  und  Hauge  —  durchaus  ablehnend. 
Einige  suchen  eine  Erklärung  für  diese  Befunde,  die  durch  irgendwelche 
sich  unserer  Kenntnis  noch  entziehende  Nebenumstände  bedingt  sind.  So 
fanden  Seligmann  und  Klopstock,  daß  ein  Extrakt,  mit  welchem  sie  hei 
13  Scharlachfällen  negative  Reaktion  erhalten  hatten,  nach  längerer  Zeit 
auch  mit  mehreren  normalen,  sicher  nicht  von  Luetikern  und  Scharlachkranken 
stammenden  Seren  positiv  reagierte,  daß  das  Antigen  also  mit  der  Zeit  un¬ 
brauchbar  geworden  war  und  zu  Trugschlüssen  führte. 

Halberstädter,  Müller  und  Reiche  mischten  so  Scharlachseren  mit 
einem  durch  zahlreiche  Untersuchungen  kontrollierten  Extrakt  und  fanden 
in  5  Fällen  einwandfreie  positive  Reaktion,  in  9  Fällen  positive  Reaktion 
in  der  ersten  Woche,  in  einem  nach  Ausbruch  des  Exanthems;  in  einem 
Falle  war  am  32.  Tage  negative,  am  36.  und  45  Tage  positive,  am  67. 
wieder  negative  Reaktion.  Als  nun  dieselben  positiven  Seren  mit  einem 
anderen  ebenfalls  reichlich  geprüften  Extrakte  untersucht  wurden,  war  das 
Resultat  stets  negativ.  Daraus  ergibt  sich,  daß  zwei  zur  Reaktion  verwendete 
Extrakte  (,, Antigene“)  in  der  Weise  voneinander  divergieren  können,  daß 
das  eine  mit  Lues  und  Scharlachserum,  das  andere  nur  mit  Luesserum, 
beide  aber  nicht  mit  normalen  Seren  positive  Ausschläge  geben.“ 

Diese  Resultate  finden  ihre  Bestätigung  durch  die  Untersuchungen  von 
Bruck  und  Leo  Cohn,  welche  37  Seren  von  28  Scharlachkranken  in  den 
verschiedensten  Zeiträumen  während  und  nach  der  Erkrankung  prüften.  Zur 
Prüfung  verwandten  sie  schon  häufig  [kontrollierte  alkoholische  Extrakte 
aus  luetischen  Lebern  und  ein  gleichfalls  schon  brauchbar  befundenes  alko¬ 
holisches  Extrakt  aus  Meerschweinchenherzen.  Die  in  einer  Tabelle  nieder¬ 
gelegten  Resultate  zeigen,  daß  die  verschiedenen  Extrakte  sich  verschieden 
verhalten,  daß  ein  Scharlachserum  mit  einem  Extrakt  positiv  reagiert,  mit 
mehreren  anderen  aber  nicht.  Verfasser  resümieren  daher:  „Der  Ausdruck, 
daß  die  Syphilisreaktion  bei  Scharlach  vorkomme“,  ist  also  irrig.  Vielmehr 

70* 


1108 


Referate  und  Besprechungen. 


ist  das  Verhalten  so,  daß  eine  Zeitlang  bei  der  Scharlacherkrankung  Stoffe 
im  Serum  auftreten  können,  welche  mit  gewissen  Substanzen  in  Organextrak¬ 
ten  eine  Komplementbindung  verursachen.  Diese  letzteren  müssen  aber  ganz 
andere  als  diejenigen  sein,  mit  welchen  die  Luesreaktion  erfolgt,  da  Extrakte, 
welche  prompt  auf  Lues  reagieren,  sich  Scharlach  gegenüber  völlig  negativ 
verhalten,  die  letztere  Reaktion  vielmehr  auf  bestimmte  einzelne  Extrakte 
beschränkt  ist. 

Der  Wert  der  Wassermann-Eeisser-Bruck’ sehen  Reaktion  für 
die  Syphilisdiagnose  wird  durch  die  Scharlachbefunde  also-  in 
keiner  Weise  gemindert.  Carl  Grünbaum  (Berlin). 


Aus  der  experimentell-biologischen  Abteilung  (Prof.  H.  Sachs)  des  königl.  Instituts 
für  experimentelle  Therapie  zu  Frankfurt  a.  M.  (Direktor:  Geh.  Ober-Medizinalrat 
Prof.  Dr.  Ehrlich)  und  aus  der  dermatologischen  Klinik  des  städtischen  Kranken¬ 
hauses  zu  Frankfurt  a.  M.  (Direktor:  Prof.  Dr.  Herxheimer.) 

lieber  das  Verhalten  des  Serums  von  Scharlachkranken  bei  der 
Wassermann’schen  Reaktion  auf  Syphilis. 

(Dr.  Fritz  Höhne.  Berl.  klin.  Wochenschr.,  Nr.  38,  1908.) 

Während  die  von  Wassermann,  Neisser  und  Bruck  angegebene  und 
ausgebaute  Methode  der  Serodiagnostik  bei  syphilitischen  Erkrankungen  in 
kurzer  Zeit  als  wichtiges  und  zuverlässiges  Hilfsmittel  der  klinischen  Medi¬ 
zin  von  zahlreichen  berufenen  Forschern  anerkannt  wurde,  erregten  die  Ver¬ 
öffentlichungen  von  Much  und  Eichelberg  Aufsehen,  welche  bei  Schar¬ 
lach  in  40%  der  Fälle  einen  positiven  Ausfall  der  Reaktion  gefunden  hatten. 
Nachprüfungen  dieser  Resultate  von  Bruck  in  der  Neisser’schen  Klinik, 
G.  Meier  im  Laboratorium  Wassermanns,  von  Jochmann  und  Töpfer, 
von  Boas  und  Haupe  bei  146  Seris  von  Scharlachkranken  ergaben  stets 
negative  Reaktion;  nur  in  einem  Falle  haben  Boas  und  Hauge  eine  partielle 
Hemmung  ein  treten  sehen.  Höhne  hat  nun  weiter  53  Serumproben  bei 
37  Scharlachkranken  zu  verschiedenen  Zeiten  der  Krankheit  untersucht  und 
konnte  in  keinem  einzigen  Falle  auch  nur  eine  Andeutung  einer  positiven 
Reaktion  wahrnehmen.  Verfasser  schildert  ausführlich  die  von  ihm  bei  mehr 
als  1000  Seris  erprobte  und  als  äußerst  zuverlässig  gefundene  Technik  der 
Untersuchung  und  sucht  die  Fehlerquellen  zu  ergründen,  auf  die  vielleicht 
die  einzig  dastehenden  Resultate  von  Much  und  Eichelberg  zurückzu¬ 
führen  sind.  Ob  nun  die  abweichenden  Befunde  durch  die  Verwendung 
zu  großer  Serummengen  verursacht  sind,  oder  durch  andere  Umstände,  „jeden¬ 
falls  ergibt  sich  aus  den  nunmehr  durch  die  Mitteilung  von  Much  und  Eichel- 
berg  veranlaßten  Untersuchungen  von  insgesamt  183  Scharlachfällen,  daßi 
das  Überstellen  einer  Skarlatina  die  Deutung1  der  mittels  der 
Wassermann’schen  Reaktion  erhaltenen  Ergebnisse  und  die  groüe 
Bedeutung  der  Methode  fü,r  die  Serodiag.no  s tik  der  Syphilis  in 
keiner  Weise  beeiütr ächtigt.“  Carl  Grünbaum  (Berlin). 


lieber  den  postdlpbtherischen  Herztod. 

(E.  Michlin,  Riga.  St.  Petersburger  med.  Wochenschr.,  Nr.  4,  1909.) 

Verfasser  faßt  seine  Ausführungen  in  folgendem  zusammen.  Die  Re¬ 
konvaleszenten  von  Diphtherie  müssen  sehr  lange  nach  überstandener  Krank¬ 
heit  jegliche  Anstrengung  des  Herzens  vermeiden.  Die  medikamentöse  Thera¬ 
pie  bei  der  Diphtherie  darf  das  Herz  nicht  schwächen  (Vermeidung  großer 
Dosen  von  Salizyl  oder  Aspirin,  ebenso  Brechmittel  oder  Pilokarpin),  die 
Diät  muß  von  Anfang  an  roborierend  und  stimulierend  sein.  Der  post¬ 
diphtherische  Herztod  würde  jetzt  häufiger  als  in  der  Zeit  vor  Anwendung 
des  Serums,  weil  mehr  schwere  Fälle  am  Leben  bleiben. 

R.  Stüve  (Osnabrück). 


Referate  und  Besprechungen. 


1109 


Entgiftung  des  Körpers  bei  akuten  Exanthemen. 

(Gustav  Heim,  Bonn.  Zentralbl.  für  Kinderheilk.,  Nr.  6,  Juni  1909.) 

Bei  den  akuten  Exanthemen  haben  wir  offenbar  einen  Akt  der  Selbst¬ 
heilung  vor  uns.  Der  Körper  sucht  sich  des  eingedrungenen  Giftes  durch 
die  Haut  —  neben  den  Nieren  das  wichtigste  Ausscheidungsorgan  —  zu 
entledigen,  wobei  diese  sich  in  einer  den  Giften  entsprechenden  Weise  ent¬ 
zündet.  Diese  Art  der  Entgiftung  will  Verf.  durch  seine  Maßnahmen  unter¬ 
stützen.  Er  erreicht  es  durch  Schweißprozeduren,  durch  feuchte  Einpackungen. 
Ein  2.  Mittel  zur  Entgiftung  erblickt  er  in  reichlicher  Elüssigkeitszufuhr. 
Als  dem  Körper  adäquatestes  Getränk  bezeichnet  er  gutes  Trinkwasser. 

Von  einer  von  gleichen  Gesichtspunkten  ausgehenden  Therapie  ver¬ 
spricht  sich  Verf.  auch  bei  Lues,  die  mit  Exanthem  einhergeht,  ohne  medi¬ 
kamentöse  Behandlung  Erfolg.  Reiss  (München). 


Zu  den  Beziehungen  zwischen  Haut-  und  Nierenkrankhesten. 

(E.  No  hl.  Med.  Klinik,  Nr.  9,  1909.) 

Es  werden  drei  Fälle  mitgeteilt  —  zwei  davon  betreffen  Mutter  und 
Tochter  —  in  denen  es  sich  um  eine  eigenartige  Infektionskrankheit  handelt 
mit  hauptsächlicher  Äußerung  auf  der  Haut  und  in  den  Nieren,  so  jedoch, 
daß  die  Erscheinungen  an  der  Haut,  die  im  wesentlichen  unter  dem  Bilde  * 
des  Erythema  exsudativum  multiforme  auftraten,  das  Krankheitsbild  anfäng¬ 
lich  beherrschten,  bis  nach  anfänglicher  Versäumnis  die  genaue  Urin-Unter¬ 
suchung  die  Nierenerkrankung  als  die  wichtigere  ergab,  die  im  ersten  Falle 
zum  Exitus  führte  und  in  den  beiden  anderen  der  Behandlung  zugänglich 
war  und  auch  das  Hautleiden  zunächst  schwinden  ließ.  Wenn  auch  die 
Genese  und  der  Zusammenhang  (resp.  die  gemeinsame  ( ?)  Ursache  der  Er¬ 
krankungen  noch  manche  Streitfrage  und  manche  Unklarheit  in  sich  schließen, 
das  eine  ergibt  sich  mit  Notwendigkeit  aus  dem!  Aufs  atze :  die  Wichtigkeit 
und  die  Bedeutung  der  Urin-Untersruchüng  in  Fällen  von,  Erythema  exsudativum 
und  auch  bei  harmloseren  Erythemen  und  sonstigen  Hautkrankheiten. 

R.  Stüve  (Osnabrück). 


Beitrag  zur  Behandlung  der  Epistaxis. 

(H.  Herzfeld.  New-Yorker  med.  Monatschr.,  Nr.  1,  1909.) 

H.  empfiehlt  Einblasen  von  Natrium  perboricum,  in  schweren  Fällen 
leichte  Tamponade  mit  einem  borwasserbefeuchteten  und  mit  Natr.  perbori¬ 
cum  bestreuten  Mullstreifen.  Esch. 


Gynäkologie  und  Geburtshilfe. 

Ueber  Blasenbeschwerden  des  Weibes  ohne  zystoskopischen  Befund. 

(P.  Rißmann.  Zeitschr.  für  gyn.  Urol.,  Nr.  4,  1909.) 

So  gut  es  trotz  Zystoskop  und  Ureterkatheter  noch  Fälle  von  essentieller 
Nierenblutung  gibt,  so  gäbe  es  auch  Fälle,  die  wir  heute  noch  der  reizbaren 
Blase  (irritable  bladder)  resp.  den  nervösen  Blasenbeschwerden  zurechneit 
müssen.  Es  gäbe  z.  B.  hysterische  und  neurasthenische  Blasenbeschwerden, 
sodann  scheinen  gewisse  gelöste  oder  ungelöste  Bestandteile  des  Harns!  häu-. 
figer,  als  bislang  angenommen  wird,  Harndrang  zu  veranlassen,  z.  B.  harn- 
saures  Natron.  Auch  geschlechtliche  Reizungen,  Onanie  spielen  ätiologisch 
eine  Rolle.  R.  führt  einige  einschlägige  Krankengeschichten  kurz  an.  Es 
sei  also  neben  der  Zystoskopie  die  chemische  und  mikroskopische  Unter¬ 
suchung  des  Harns  ja  nicht  zu  vernachlässigen.  Therapeutisch  helfe  in 
solchen  Fällen  ohne  jeden  objektiven  lokalen  Befund  manchmal  schon  alleiuj 
die  psychische  Behandlung,  die  Wachsuggestion,  ev.  mit  Zuhilfenahme  der 
Elektrizität.  Bei  hartnäckigen  Fällen  hält  R.  auch  die  Hypnose  für  be- 


1110 


Referate  und  Besprechungen. 


rechtigt.  Direkt  zu  warnen  sei  in  solchen  Fällen  vor  Trinkkuren,  vor  den 
üblichen  Harndesinfizientien,  vor  Blasenspülungen,  wie  überhaupt  vor  jeder 
lokalen  Therapie.  Dagegen  hat  R.  Kapseln  mit  Ol.  Santali  des  öfteren 
nebenbei  mit  Vorteil  gegeben.  R.  Klien  (Leipzig). 


Aus  der  königl.  Universitäts-Frauenklinik  Marburg. 

Ueber  die  Behandlung  der  Enuresis  nocturna  mittels  epiduraler  Injektionen 
nebst  experimentellen  Versuchen  über  die  Aetiologie  dieser  Erkrankung. 

(H.  Sieber.  Zeitschr.  für  gyn.  Urol.,  Nr.  4,  1909.) 

Die  von  Cathelin  erfundene  Methode  ist  schon  vielfach  gegen  die 
Enuresis  mit,  wenn  auch  nicht  durchgängigem,  so  doch  häufigem  Erfolg 
angewendet;  worden.  Auch  in  der  Marburger  Klinik  hat  man  zehn  Fälle 
so  behandelt :  drei  Heilungen,  zwei  dauernde  Besserungen,  drei  vorüber¬ 
gehende  Besserungen,  zwei  Mißerfolge.  Daß  die  Resultate  keine  besseren 
waren,  schiebt  S,  darauf,  daß  die  Injektionen  im  Einzelfall  nicht  oft  genug 
gemacht  wurden ;  sieben  Fälle  erhielten  nur  eine  einzige  Einspritzung.  S. 
erläutert  dann  die  sehr  komplizierten  und  leider  noch  immer  nicht  ganz 
aufgeklärten  Verhältnisse  der  Blaseninnervation  und  des  Vorgangs  der  Blasen¬ 
entleerung.  Was  speziell  die  Enuresis  nocturna  betrifft,  so  handelt  es  sich 
dabei  höchst  wahrscheinlich  um  einen  chronischen  Reizzustand  des  gesamten 
sympathischen  Systems,  der  sich  äußert  in  einer  Hypertonie  des  Detrusor 
vesicae.  Durch  die  epiduralen  Injektionen  werde  eine  Tonusveränderung  des 
Sympathikus  hervorgerufen.  R.  Klien  (Leipzig). 


Aus  der  chirurgischen  Klinik  zu  Pisa. 

Harnblasenovarialfistel  durch  die  Zysioskopie  diagnostiziert. 

(Prof.  Dr.  Rinaldo  Cassanello.  Zeitschr.  für  gyn.  Urol.,  Nr.  4,  1909.) 

Mittels  der  Zy stoskopie  gelang  der  Nachweis,  daß  dem  Urin  beigemengter 
Eiter  aus  einer  neben  der  rechten,  funktionierenden  Uretermündung  gelegenen, 
mit  einem  Granulationspfropf  fast  ausgefüllten  Öffnung  austrat.  Da  beide 
Nieren  funktionierten,  konnte  es  sich  nicht,  worauf  die  klinischen  Symptome 
deuteten,  um  eine  Pyelitis  bez.  Pyonephrose  handeln,  vielmehr  mußte  die 
Quelle  der  Eiterung  in  den  zu  einem  Tumor  verwandelten  rechten  Adnexen 
gesucht  werden.  Die  Laparotomie  bestätigte  dies;  es  wurden  Uterus  und 
beiderseitige  Adnexe  entfernt.  Rechts  kommunizierte  die  eitrige  Tubo- 
ovari algeschwulst  mit  der  Blase.  Tabaksbeutelnaht  der  Blase ;  Dauerkatheter. 
Drainage  per  abdomen  und  per  vaginam.  Heilung.  R.  Klien  (Leipzig). 


Aus  der  Frauenklinik  der  Universität  Heidelberg. 

Vesikolabialfistel  nach  Hebosteotomie. 

(Priv.-Doz.  Dr.  Maximilian  Neu.  Zeitschr.  für  gyn.  Urol.,  Nr.  4,  1909.) 

Bei  einer  rhachitischen  V.-p.  wurde  genau  nach  Döderlein  rechts 
die  Pubotomie  ausgeführt.  Der  nach  der  Entbindung  gesetzte  Katheter  ent¬ 
hielt  reines  Blut.  Eine  penetrierende  Scheidenverletzung  bestand  nicht.  Da¬ 
gegen  floß  durch  Blasenspülflüssigkeit  verdünntes  Blut  aus  der  genähten 
Hebosteotomiewunde,  besonders  bei  Druck,  heraus.  Es  wurde  daher  senk¬ 
recht  zur  oberen  Inzision  eine  etwa  5  cm  lange  Längsinzision  über  das 
rechte  große  Labium  angelegt,  und  nun  ließ  sich  zwischen  dem  Sägespalt 
die  Blase  vorziehen.  Deren  scharfrandige,  von  der  Säge  herrührende  Ver¬ 
letzung  wurde  sorgfältig  genäht,  Drainage  durch  die  untere  Ausstichöffnung. 
Auf  dem  Umweg  über  eine  kleine,  spontan  heilende  Vesikolabialfistel  und 
eine  leichte  Thrombose  der  linken  Vena  saphena  Heilung.  —  N.  sieht  die 
Ursache  zur  Blasenverletzung  in  dem  veränderten  Situs  der  Blase:  der 
Schädel  stand  auf  dem  Beckeneingang  in  der  Weise  aufgestemmt,  daß  das 
untere  Uterinsegment  und  die  hochgezogene  Blase  mitsamt  dem  Schädel 


Referate  und  Besprechungen. 


1111 


förmlich  als  Tumor  über  der  Symphyse  hervordrängte.  Es  war  offenbar 
nicht  geglückt,  die  Blase  aus  dem  Sägebereich  zu  schaffen.  N.  will  in 
Zukunft  Schutzvorrichtungen,  wie  Spatel,  Sägerinnen  u.  ä.  gebrauchen.  Übri¬ 
gens  sind  auch  bereits  von  anderer  Seite  Blasenverletzungen  bei  der  Döder- 
lein’schen  Methode  beobachtet  worden.  Therapeutisch  hält  es  N.  für  streng- 
indiziert,  derartige  große  Verletzungen,  wie  im  beschriebenen  Fall,  sofort 
zu  nähen,  sich  nicht  mit  Dauerkatheter  zu  begnügen;  dieser  reiche  nur 
aus  in  den  Bällen,  wo  es  sich  um  stichförmige  Verletzungen  handelt  (Methode 
Bumm).  R.  Klien  (Leipzig). 


Aus  der  Frauenabteilung  des  Allerheiligen-Hospitals  zu  Breslau. 

Nierenveränderungen  bei  Uretervaginalfisfeln. 

(H.  Peiser.  Zeitschr.  für  gyn.  Urol.,  Nr.  3,  1909.) 

P.  führt  auf  Grund  einer  größeren  Anzahl  Literatur-  und  dreier  neuer 
Fälle  den  Nachweis,  daß,  so  mannigfaltig  sich  auch  die  Erkrankungen  von 
Fistelnieren  gestalten  mögen,  sie  alle,  wenigstens  in  vielen  Fällen,  ein  und 
demselben  Ziel  zustreben:  einer  Atrophie  der  Niere  mit  Nachlassen  der 
Funktion  und  schließlich  völliger  Funktionseinstellung.  Das  bedeute  g,ber 
eine  Art  Selbstheilung,  zum  mindesten  hören  die  Erscheinungen  und  Be¬ 
schwerden  der  Fistel  auf.  Wir  sind  damit  zugleich  der  Notwendigkeit  einer 
eingreifenden  Operation  überhoben,  wie  es  die  Nephrektomie  ist. 

R.  IGien  (Leipzig). 


Aus  der  Universitäts-Frauenklinik  in  Bonn. 

Die  Dekapsulation  der  Nieren  bei  der  Eklampsie. 

(Prof.  Dr.  K.  Reifferscheid.  Zeitschr.  für  gyn.  Urol.,  Bd.  I,  H.  3,  1909.) 

R.  berichtet  über  zwei  Fälle  von  Eklampsie  und  einen  Fall  von  schwerer 
puerperaler  Nephritis,  die  alle  drei  durch  die  Dekapsulation  der  Nieren 
nicht  mehr  gerettet  werden  konnten ;  eine  vorübergehende  Besserung  ließ 
sich  aber  in  zwei  Fällen  feststellen,  und  vielleicht  wäre  Fall  I  gerettet  wor¬ 
den,  wenn  nicht  eine  Jodoformintoxikation  hinzugetreten  wäre.  R.  warnt 
daher  sehr  mit  Recht  davor,  Jodoformgaze  zur  Drainage  zu  verwenden. 
—  Es  sind  bis  jetzt  30  Fälle  von  Dekapsulation  der  Nieren  bei  Eklampsie 
veröffentlicht.  Von  diesen  starben  15,  also  eine  Mortalität  von  50%.  Nach 
Abzug  von  drei  Fällen,  die  an  komplizierenden  Erkrankungen  zugrunde  gingen, 
beträgt  die  Mortalität  40%.  Die  schlaffen  und  weichen  Nieren  hatten  keine 
schlechteren  Resultate  wie  die  mit  erhöhter  Spannung.  Ein  abschließendes 
Urteil  über  den  Wert  der  Operation  läßt  sich  heute  noch  nicht  abgeben. 
Jedenfalls  ist  aber  der  Eingriff  hinsichtlich  der  in  einzelnen  Fällen  beobach¬ 
teten  eklatanten  Erfolge  berechtigt.  Abzulehnen  ist  jedoch  der  Vorschlag 
von  Edebohls,  die  Operation  in  der  Gravidität  ohne  vorherige  Entleerung 
des  Uterus  auszuführen,  ebenso  der  Vorschlag  von  Gauss,  in  jedem  Fall 
von  Eklampsie  an  die  Entbindung  sofort  die  Entkapselung  anzuschließen. 
Es  ist  richtiger,  nach  der  sofort  nach  dem  Ausbruch  der  Eklampsie  auszufüh¬ 
renden  Entleerung  des  Uterus  noch  8 — 12  Stunden  das  Verhalten  der  Nieren¬ 
funktion  abzuwarten  und  erst  dann  /einzugreifen,  wenn  keine  Besserung 
sich  zeigt.  R.  Klien  (Leipzig). 

Kinderheilkunde  und  Säuglingsernährung. 

Stillwille  und  Stillmöglichkeit  in  den  unteren  Volksschichten. 

(H.  Keller.  Wiener  klm.  Wochenschr.,  Nr.  18,  1909.) 

Interessante  Einblicke  gewährt  eine  Statistik,  die  Keller  auf  Grund 
von  1300  auf  der  Kinderabteilung  des  Kaiser-Franz- Josef- Ambulatoriums  be¬ 
obachteten  Fällen  aufstellt.  Wenn  sie  auch  zunächst  nur  auf  die  besitzlosen 
Wiener  Volksschichten  sich  bezieht,  so  mag  sie  doch  auch  für  die  gleichen 


1112 


Referate  und  Besprechungen. 


Volksschichten  anderer  Städte  annähernd  zutreffen.  Gar  nicht  gering  ist 
der  Prozentsatz  (78,6%)  der  Brauen,  die  zu  stillen  anfangen;  er  wäre  noch 
größer,  wenn  nicht  mangelhafte  Einsicht  (in  6,3%)  oder  noch  mehr  fremde 
Einflüsse  (13,5%)  das  Stillen  verhinderte.  Besonders  der  Rat  der  Hebammen 
hat  8,5%  der  Frauen  am  Stillen  verhindert,  in  zehn  Fällen  =  0,8%  aber  auch 
Ärzte  ohne  hinreichenden  Grund.  0,8%  der  Frauen  waren  zum  Stillen  ab¬ 
solut  unfähig.  Ledige  Frauen,  Angehörige  „besserer“  Berufe  und  Erst¬ 
gebärende  stillten  weniger  als  Verheiratete,  Proletarierfrauen,  Mehrgebärende. 
Die  in  die  Arbeit  gehenden  Frauen  hatten  wenig  Lust,  das  Kind  während 
der  Dauer  des  Bezugs  der  W öchnerinnenunterstützung  anzulegen.  Unter 
den  nicht  zur  Arbeit  gehenden,  auf  Schwangerschaft  versicherten  Frauen 
war  die  Stillfreude  viel  größer  als  bei  den  Nichtversicherten.  —  Die  Re¬ 
sultate  bezüglich  Weiterstillens  sind  nicht  befriedigend :  sechs  Monate  haben 
nur  29%  der  Frauen  gestillt,  während  29,2%  vorher  abstillten,  davon  11,9% 
aus  gar  nicht  stichhaltigen  Gründen,  nur  6%  wegen  wirklicher  Unfähig¬ 
keit.  Auch  hier  macht  sich  der  Einfluß  der  Hebammen  (6%)  geltend,  aber 
auch  der  ärztliche  Rat  scheint  in  1%  unbegründet  gewesen  zu  sein.  Auch 
hier  üben  der  ledige  Zustand  und  die  besseren  Berufe  eine  ungünstige  Wirkung 
aus,  indem  hier  meist  schon  in  den  ersten  drei  Monaten  das  Stillgeschäft 
abgebrochen  wurde.  Die  Zahl  der  durch  mindestens  sechs  Monate  ausschlie߬ 
lich  an  der  Brust  genährten  Kinder  betrug  nur  21%. 

M.  Kaufmann  (Mannheim). 


Die  Pirquetsche  Reaktion  bei  Säuglingen. 

(G.  Kritz.  Med.  Klinik,  Nr.  5,  1909.) 

Die  von  Kritz  an  der  Sol tmann’schen  Kinderklinik  in  Leipzig  ge¬ 
machte]!  Beobachtungen  (bei  5  von  40  zur  Autopsie  gelangten  Säuglingen,  die 
sämtlich  intra  vitam  die  Reaktion  auf  Tuberkulose  nicht  gezeigt  hatten,  fand 
sich  bei  der  Autopsie  Tuberkulose)  bestätigen  die  Erfahrung,  daß  jede  Kachexie 
die  Reaktionsfähigkeit  in  ungünstigem  Sinne  beeinflußt  bezw.  aufhebt,  und 
daraus  "folgt,  daß  je  besser  das  Material  einer  Säuglingsklinik  ist,  um  so  zu¬ 
verlässiger  die  Ergebnisse  der  Pirquet’schen  Reaktion  sein  werden.  Hier¬ 
durch  erfährt  aber  die  Bedeutung  der  Pirquet’schen  Reaktion  für  das  Säug¬ 
lingsalter  ganz  allgemein  eine  wesentliche  Einschränkung,  so  daß  auch  jetzt 
noch  häufig  die  Frage,  ob  es  sich  gegebenenfalles  um  atrophische  Zustände  in¬ 
folge  von  Ernährungsstörungen  oder  um  solche  auf  tuberkulöser  Basis  han¬ 
delt,  unentschieden  bleiben  wird.  R.  Stüve  (Osnabrück). 


Zur  kutanen  Tuberkulinprobe  nach  von  Pirquet  im  Kindesalter. 

(Th.  Hecker.  St.  Petersburger  med.  Wochenschr.,  Nr.  45,  1908. 

Auf  Grund  seiner  Untersuchungen  kommt  Hecker  zu  dem  Resultat, 
daß  wir  in  der  kutanen  Tuber kulinimp füng1  ein  diagnostisch  äußerst  prä¬ 
zises  Mittel  besitzen,  in  manchen,  nicht  ganz  klaren  Fällen  das  Vorhandensein 
der  Tuberkulose  anzunehmen  bez.  auszuschließen.  .  Im’  übrigen  ist  er  der  Mei¬ 
nung,  daß  die  Anstellung  der  kutanen  Tuberkulinprobe  besonders  bei  Kindern 
große  Vorzüge  der  Ophthalmoreaktion  gegenüber  besitze,  nach  welcher  er 
öfters  das  Auftreten  starker  Konjunktivitiden  und  randständige  Phlyctänen 
beobachtet  hätte,  und  er  bestätigt  die  auch  von  anderen  Autoren  gemachte 
Beobachtung,  daß  die  kutane  Reaktion  im  vorgeschrittenen  Stadium  der 
Tuberkulose,  insbesondere  einige  Zeit  vor  dem  Tode,  negativ  ausfällt. 

R.  Stüve  (Osnabrück). 


Aus  der  Universitäts-Kinderklinik  Christiania. 

Ueber  die  kutane  Tuberkulinreaktion  im  Kindesalter. 

(Dr.  E.  Hellesen,  1.  Assistent  der  Klinik.  Jahrb.  für  Kinderheilk.,  Juni  1909.) 

Verfasser  hebt  die  Bedeutung  der  Pirquet’schen  Entdeckung  (kutane 
Impfung  mit  dem  Koeh’schen  Alttuberkulin)  als  diagnostisches  Hilfsmittel 


Referate  und  Besprechungen. 


1113 


für  das  Kindes  alter  hervor.  Diese  von  deutschen  Pädiatern  allgemein 
vertretene  Ansicht  stützt  er  auf  ein  Material  von  418  Impfungen. 

Zur  Reaktion  wurde  stets  sowohl  ungemischtes  Alttuberkulin,  als  auch 
eine  25%ige  Lösung  davon  verwandt.  Daneben  wurde  eine  Kontrollimpfung 
ohne  Tuberkulin  gemacht.  Irgendwelche  Schädlichkeit  der  Impfung  hat 
Verfasser  nie  gesehen.  (Desgl.  Referent  nie  bei  vielen  Hundert  Impfungen 
an  der  Feer’schen  Klinik  in  Heidelberg.)  Hellesen  teilt  die  Impflinge 
in  3  Gruppen: 

Gruppe  1  umfaßte  Fälle  von  klinischer  Tuberkulose,  Gruppe  2  solche, 
die  tuberkuloseverdächtig  waren,  zur  dritten  gehörten  Patienten  ohne  kli¬ 
nisch  nachweisbare  Tuberkulose. 

Von  der  ersten  Gruppe  reagierten  97%,  von  der  zweiten  59%,  von  der 
dritten  23%  (meist  ältere  Kinder). 

Verfasser  kommt  nach  seinen  Beobachtungen  zu  dem  Schluß,  daß  die 
kutane  Tuberkulinreaktion  als  spezifisch  angesehen  werden  muß  und  mit 
Kritik  angewandt  ein  sehr  wertvolles  diagnostisches  Hilfsmittel  bei  Tuber¬ 
kulose  im  Kindesalter  ist. 

Der  positive  Ausfall  beweist  das  Vorhandensein  einer  Tuberkulose, 
sagt  aber  nichts  von  deren  Aktivität  aus.  Von  größter  Bedeutung  ist  die 
Reaktion  bei  Kindern  unter  2  Jahren,  wo  die  Tuberkulose  fast  immer  aktiv 
ist,  im  späteren  Lebensalter  verliert  die  positive  Reaktion  wegen  häufigen 
Vorkommens  inaktiver  Tuberkulose  an  Wert. 

Die  negative  Reaktion  schließt  in  der  Regel  aktive  Tuberkulose  aus. 
Deshalb  hat  der  negative  Ausfall  große  praktische  Bedeutung. 

A.  W.  Bruck. 


Zur  Frage  der  Wassermann’scben  Reaktion  bei  Scharlach. 

(R.  Fua  u.  H.  Koch.  Wiener  klin.  Wockenschr.,  Nr.  15,  1909.) 

lieber  Komplementbindungsreaktion  bei  Scharlach. 

(V.  Hecht,  M.  Lateiner  u.  M.  Wilenko.  Wiener  klin.  Wochenschr.,  Nr.  15,  1909.) 

Beide  Arbeiten  beschäftigen  sich  mit  der  Frage,  ob  die  Wassermann- 
sche  Reaktion  {noch  als  Luesreagenz  brauchbar  ist,  nachdem  sie  in  einer 
nicht  unbeträchtlichen  Reihe  von  Scharlachfällen  (von  353  Fällen  bei  zehn 
Autoren  in  45)  positiv  gewesen  ist.  In  der  ersten  Arbeit,  aus  der  Wiener 
Kinderklinik  stammend,  ivird  über  das  Resultat  der  Untersuchung  von 
59  Fällen  berichtet :  Davon  zeigten  43  komplette  Hämolyse,  bei  14  Proben 
trat  eine  Verzögerung  der  Hämolyse  ein,  in  einem  Fall  war  eine  geringe 
Hemmung  noch  nach  24  Stunden  kenntlich.  Nie  konnte  man  eine  so  starke 
Hemmung  sehen,  /daß  eine  Verwechslung  mit  der  Wassermann’schen  Re¬ 
aktion  möglich  gewesen  wäre.  — -  Die  zweite  Arbeit,  aus  der  Prosektur  des 
Kaiser-Franz-Josef-Spitals  in  Wien  stammend,  bezieht  sich  auf  119  Schar¬ 
lachsera  bei  106  Fällen  (96  Patienten,  10  Leichen).  Es  ergab  sich  nur  in 
drei  Fällen  (davon  zwei  bei  Leichen)  komplette  Bindung;  in  allen  diesen 
Fällen  war  eine  schwere  Nephritis  vorhanden.  Die  Verf.  schließen  daher, 
daß  der  Wert  der  Komplementbindungsreaktion  für  Lues  durch  die  spora¬ 
dischen  und  vorübergehenden  positiven  Befunde  bei  Scharlach  in  keiner  Weise 
beeinträchtigt  wird.  M.  Kaufmann  (Mannheim). 


Bakteriologische  und  serologische  Untersuchungen  bei  Scharlach. 

(F.  Schleißner,  Prag.  Wiener  klin.  Wochenschr.,  Nr.  16,  1909.) 

Nach  den  Untersuchungen  Schleißner’s  scheint  es,  daß  in  jenen 
Fällen  von  Scharlach,  wo  man  zeitig  genug  untersuchen  kann,  noch  vor 
Beginn  der  Angina  auf  den  Tonsillen  sich  fast  ausschließlich  Streptokokken 
finden,  die  bei  Abnahme  und  Züchtung  auf  erstarrtem  Rinderserum  beinahe 
in  Reinkultur  aufgehen.  In  auffallend  vielen  Fällen  .  von  Scharlach  kann 
man  aus  dem  Blute  Streptokokken  züchten,  ohne  daß  ihr  Auftreten  irgendwie 


1114 


Referate  und  Besprechungen. 


schlechtere  prognostische  Bedeutung  hätte.  Die  Sera  von  Scharlachkranken 
der  2.-5.  Woche  gehen  fast  ausnahmslos  mit  Emulsionen  mancher  Strepto¬ 
kokken,  die  aus  Scharlachblut  gezüchtet  wurden,  Komplementbindung,  ent¬ 
halten  also  Streptokokkenantikörper.  In  der  ersten  Woche  scheinen  die  Kör¬ 
per  noch  nicht  gebildet  zu  sein,  in  der  sechsten  Woche  verschwinden  sie 
aus  dem  Blut;  den  Höhepunkt  scheint  ihre  Bildung  am  zehnten  Tage  zu 
erreichen.  Diese  Körper  verhalten  sich  in  ihrem  Auftreten  also  ähnlich 
wie  die  anderen  Antikörper.  Eine  Differenzierung  der  verschiedenen  Strepto¬ 
kokkenarten  ergibt  sich  aus  dieser  Versuchsanordnung  der  Komplementbin¬ 
dung  nicht  tmit  Sicherheit.  —  Wir  können  nach  diesen  Ergebnissen  mit 
Sicherheit  sagen,  daß  der  Streptokokkus  zur  Scharlacherkrankung  in  engster 
biologischer  Beziehung  steht,  ohne  allerdings  ihn  als  den  Erreger  der  Krank¬ 
heit  bezeichnen  zu  dürfen.  M.  Kaufmann  (Mannheim). 


Aus  dem  Kaiserin  Friedrich  Kinder-Krankenhaus. 

Zystoskople  und  Ureterenkatheierismus  in  der  Kinderpraxis. 

(Portner.  Deutsche  med.  Wochenschr.,  Nr.  43,  1908.) 

Blasen-  und  Nierenleiden  sind  beim  Kinde  seltener,  wie  beim  Erwach¬ 
senen,  aber  auch  bei  der  zumeist  unsicheren  Anamnese  und  dem  oft  unklaren 
objektiven  Befund  schwerer  zu  diagnostizieren.  Doch  darf  dabei  nicht  ver¬ 
gessen  werden,  daß  eine  regelmäßige  Untersuchung  des  kindlichen  Urins, 
wie  sie  sonst  üblich  ist,  in  chemischer  wie  morphologischer  Beziehung,  oft 
Klarheit  und  exakte  Diagnose  schaffen  könnte.  Leider  liefern  viele  Blasen- 
und  Nierenerkrankungen  beim  Kinde  keine  greifbaren  Veränderungen  im 
Urin,  wie  Mißbildungen,  manche  Geschwülste  der  Harnorgane,  besonders  der 
Nieren,  sogar  Nephritiden.  Aber  (stets  müssen  exakteste  und  wiederholte 
Urinuntersuchungen  vorausgesetzt  sein,  ehe  man  sich  zu  dem  beim  Kinde 
besonders  eingreifenden  zystoskopisclien  Untersuchungsmodus  entschließt.  Vor¬ 
aussetzung  dafür  ist  der  Nachweis  pathologischer  Eormbestandteile :  wo  kein 
Sediment  da  ist,  können  keine  zystoskopisch  erkennbaren  Blasenveränderungen, 
vorliegen.  Sonst  liegt  die  Gefahr  nahe,  Kinder  mit  nervösen  Blasenbeschwerden 
zwecklos  zu  untersuchen  und  ev.  zu  schädigen.  Wo  Eiter,  Blut  oder  andere 
korpuskuläre  Elemente  vorhanden  sind,  liegt  das  eigentliche  Gebiet  der  zysto- 
skopischen  Diagnostik,  wenn  man  ohne  diese  nicht  diagnostisch  oder  thera¬ 
peutisch  auskommen  kann  und  Wenn  gleich  zu  Anfang  eine  chirurgische 
Erkrankung  vorzuliegen  scheint.  Es  scheiden  natürlich  auch  Fälle  von  Häma¬ 
turie  aus,  die  durch  den  Nachweis  anderer  Blutungen  oder  von  Zylindern 
als  Teilerscheinungen  von  hämorrhagischer  Diathese  oder  Nephritis  aufzu¬ 
fassen  sind.  Besteht  Hämaturie  oder  Pyurie  trotz  exakter  Therapie  (Uro¬ 
tropin,  Silbernitratspülungen)  über  vier  Wochen  fort  oder  sind  dann  noch 
diagnostische  Zweifel  vorhanden,  muß  die  Lokalinspektion  einsetzen,  und 
zwar  in  Narkose.  Bei  Mädchen  ist  die  Zystoskopie  nach  dem  ersten  Jahre 
möglich,  beim  Knaben  nach  dem  zweiten  Jahre,  und  der  Ureterenkatheterismus 
nach  dem.  achten  Jahre.  Die  Benutzung  besonders  dünner  Instrumente  ist 
nötig.  Beiläufig  ist  noch  zu  erwähnen,  daß  bei  jeder  länger  dauernden  und 
therapeutisch  undankbaren  Pyurie  an  Tuberkulose  der  Nieren  zu  denken  ist. 
Leider  ist  es  nicht  allgemein  bekannt,  daß  oft  ein  frühzeitiger  Tub.-Bazillen- 
Nachweis  gelingt.  Krause  (Leipzig). 


Behandlung  der  multiplen  Papillome  des  Kehlkopfs  bei  kleinen  Kindern. 

(Van  den  Wildenberg.  Arch.  internat.  de  lar.,  Bd.  27,  H.  2.) 

Die  Kehlkopfpapillome  der  Kinder  sind  eine  Crux  laryngologorum. 
Der  kindliche  Kehlkopf  ist  sehr  eng,  die  Affektion  bedroht  daher  das  Leben; 
die  Laryngoskopie  ist  bei  kleinen  Kadern  gewöhnlich  nicht  ausführbar, 
und  endlich  ist  die  Tendenz  zu  Rezidiven  sehr  groß.  Verf.  hat  3  Kinder 
von  17 — 18  Monaten  mit  der  Killia  n’schen  direkten  Laryngoskopie  mit 
Röhrenspatel  operiert,  zwei  in  Narkose  mit  hängendem  Kopf,  das  dritte 


Referate  und  Besprechungen. 


1115 


ohne  Narkose  und  sitzend.  Er  verzichtet  auf  lokale  Anästhesie  wegen  der 
Intoxikationsgefahr.  Die  Kleinheit  der  Epiglottis  in  diesem  frühen  Alter 
ist  eine  erhebliche  Erschwerung.  Es  gelang,  mit  der  Löffelzange  von  Killiair 
die  Geschwülste  zu  fassen,  doch  sind  gewöhnlich  mehrere  Sitzungen  nötig, 
und  Rezidive  verlangen  erneute  Behandlung.  Zweimal  wurde  Tracheotomie 
erforderlich.  Ein  vierter  Eall  zeigt  die  Schwierigkeiten  der  Therapie,  Ein 
Kollege  machte  die  Thyrotomie  und  rottete  die  Papillome  aus.  Nach  drei 
Wochen  schon  zwang  ihn  ein  Rezidiv  zur  Tracheotomie.  Nach  vier  Jahren 
sah  Verf.  das  nun  8jährige  Kind;  obgleich  der  Kehlkopf  so  lange  Zeit  durch 
die  Kanüle  ruhig  gestellt  war,  war  er  wieder  voll  von  Papillomen.  Nun 
wurde  zur  Laryngos tomie  geschritten,  d.  h.  zur  Dauereröffnung  des  Kehl¬ 
kopfs  mit  Einlagen  von  Kautschukdrains,  welche  Drucknekrose  verursachen, 
worauf  Vernarbung  der  oberflächlichen  Schichten  folgt.  Für  schwere  Fälle 
dürfte  dies  das  indizierte  Verfahren  sein.  Arth.  Meyer. 


Hals-,  Nasen-  und  Kehlkopfleiden. 

Frühdiagnose  und  Behandlung  des  Kehlkopfkrebses. 

(Bourack.  Arch.  internat.  de  lar.,  Bd.  27,  LI.  2  u.  3.) 

Die  erste  subjektive  Erscheinung  des  Kehlkopf karzinoms  ist  meist  chro¬ 
nische  Heiserkeit,  so  daß  oft  ohne  Prüfung  chronischer  Katarrh  diagnostiziert 
wird.  Man  sieht  laryngoskopisch  eine  Infiltration,  einen  Tumor  von  oft 
papillomatösem  oder  polypoidem  Aussehen.  Weder  die  Oberfläche,  noch  die 
Konsistenz  und  Farbe  sind  an  sich  charakteristisch.  Selbst  die  große  Wachs¬ 
tumsenergie  kann  fehlen,  namentlich  bei  den  ,, inneren“  Krebsen,  die  mecha¬ 
nischen  Insulten  ,wenig  ausgesetzt  sind.  Bisweilen  sieht  man  periodisches) 
Wachstum  oder  scheinbare  Heilung.  Die  Lokalisation  ist  nicht  bestimmend 
für  oder  gegen  Karzinom.  Lymphdrüsen  findet  man  oft  nicht,  weil  sie 
beim  inneren  Krebs  oft  fehlen  und  in  der  Tiefe  nicht  leicht  zu  finden  sind; 
wenn  vorhanden,  können  sie  aber  auch  von  einer  anderen  Affektion  bedingt 
werden. 

Man  glaubte,  aus  dem  Alter  einen  Schluß  auf  die  Diagnose  ziehen  zu 
können;  aber  16%  aller  Kehlkopfkarzinome  finden  sich  bei  Leuten  unter1 
40  Jahren,  und  eine  Reihe  von  Fällen  ist  bei  Kindern  beobachtet  worden.  — 
Probebehandlung  mit  Jodkali  läßt  gewisse  Schlüsse  zu;  Lues  pflegt  schnell 
darauf  zu  reagieren,  und  auch  Tuberkulose  bessert  sich  in  höherem  Grade 
als  Karzinom,  bei  dem  nur  ein  ganz  flüchtiger,  leichter  Effekt  erzielt  wird. 
Aus  subjektiven  Zeichen  kann  man  nichts  entnehmen,  Schmerz  tritt  meist 
erst  in  vorgeschrittenem  Stadium  auf.  —  Die  Beweg ungshemmung  des 
Stimmbandes  spricht  in  hohem  Grade  für  Karzinom,  obgleich  auch  bei  Tuber¬ 
kulose  Fixation  beobachtet  wird.  Tuberkelbazillenbefund  schließt  Karzinom 
nicht  aus,  da  Phthise  und  Krebs  nebeneinander  bestehen  können. 

Die  sichersten  Resultate  gibt  die  Probeexzision  mit  mikroskopi¬ 
scher  Untersuchung.  Jedoch  kommen  Fälle  vor,  in  denen  die  Karzinom¬ 
struktur  wenig  Charakteristisches  hat ;  ferner  muß  man  sich  hüten,  nur  aus 
den  wuchernden  Granulationen  oder  aus  der  bedeckenden  pachydermischen 
Schicht  zu  exzidieren. 

Einzelne  an  sich  beweisende  Zeichen  des  Karzinoms  gibt  es  kaum ;  in 
jedem  Falle  bedarf  es  der  Zusammenfassung  des  ganzen  Bildes  und  einer  aus 
der  Erfahrung  resultierenden  Einsicht  in  das  Werden  der  Krankheit,  um  zur 
Diagnose  zu  kommen. 

2.  Die  Behandlung  muß  chirurgisch  sein,  sich  aber  der  Ausdehnung 
des  Leidens,  ja  dem  Grade  seiner  histologischen  Malignität  anpassen;  so  rät 
Navratil  z.  B.,  bei  „encephaloiden“  Tumoren,  selbst  wenn  sie  minimal  sind, 
zur  Totalexstirpation. 

Die  Totalexstirpation  des  Kehlkopfs  hat  mit  der  Zeit  immer  bessere 
Resultate  erreicht,  die  Mortalität  ist  gesunken,  die  Zahl  der  Heilungen  ge¬ 
stiegen.  Die  Technik  ist  individuell  noch  verschieden;  auch  die  Indikation. 


1116 


Referate  und  Besprechungen. 


Die  meisten  jedoch  operieren  nur,  wenn  keine  ausgedehnte  Durchwachsung 
der  Umgebung  und  keine  Metastasen  vorhanden  sind.  Teilexstirpation  wird 
in  letzter  Zeit  immer  seltener  angewendet;  ihre  Mortalität  ist  eher  größer 
als  die  der  totalen.  Es  kommen  natürlich  nur  einseitige  Fälle  in  Betracht. 

Die  Thyrotomie  hat  am  meisten  Boden  gewonnen,  dank  der  Arbeit 
Semon’s,  Chevalier  Jacksion's,  Pinia,zek’s  u.  a.  Die  Mortalität  ist  ge¬ 
ringer  als  nach  Totalresektion,  aber  doch  nicht  so  gering,  daß  man  die  Thyro¬ 
tomie  als  Explorativoperation  ausführen  dürfte,  wie  manche  wollen.  Ein 
weiterer  Vorzug  ist  die  leichte  Technik.  Der  Tumor  muß  gut  abgegrenzt  sein. 

Die  endolaryngeale  Operation,  zuerst  von  Eränkel  eingeführt,  ist 
vielem  Widerspruch  von  chirurgischer,  aber  auch  von  laryngologischer  Seite 
begegnet.  Sie  hat  aber,  bei  kleinen  Tumoren  (ein  Stadium,  das  leider  nicht 
oft  zur  Operation  kommt),  sehr  gute  Resultate,  und  vor  allem  den  Vorzug 
einer  Mortalität  =  0.  Verf.  fügt  drei  eigene,  günstig  verlaufene  Fälle  an. 
Vollkommene  Beherrschung  der  Technik  ist  freilich  erforderlich.  Besonders 
geeignet  sind  zirkumskripte  Knötchen  und  gestielte  (polypoide)  Tumoren. 

Die  Röntgen-  und  Radiu'mbehandlung  ist  zur  Beseitigung  des 
Tumors  nicht  geeignet,  sie  kann  dagegen  nach  der  Operation  zur  Verhütung 
des  Rezidivs  und  bei  inoperablen  Geschwülsten  zur  Anwendung  kommen. 

Arth.  Meyer. 


Larynxkondylome. 

(A.  Aronson.  Archiv  für  Laryng.,  Bd.  22,  H.  1.) 

Die  Kondylome  oder  Plaques  muqueuses  sind  an  diejenigen  Stellen  des 
Kehlkopfes  gebunden,  wo  Papillen  unter  dem  Epithel  bestehen.  Ihr  Lieblings¬ 
sitz  ist  der  freie  Rand  der  Stimmbänder.  Hier  ist  die  häufigste  Form  eine 
weißliche,  einem  Lapisfleck  ähnliche  Verfärbung  des  Epithels,  von  einem 
hyperämischen  Hof  umgeben.  Später,  sobald  durch  Abstoßung  des  Epithels 
Erosionen  sich  bilden,  nimmt  die  grauweiße  Farbe  eine  rötliche  Nuance  an. 
Durch  Kontaktwirkung  pflegt  auf  der  Gegenseite  eine  gleiche,  meist  kleinere 
Erosion  zu  entstehen,  so  daß  ein  symmetrisches  Auftreten  charakteristisch  ist. 
Rauhigkeit  der  Stimme  ist  das  häufigste  Symptom,  aber  auch  Behinderung 
der  Atmung  ist  in  einzelnen  Fällen  berichtet  worden.  Die  Plaques  sind  im 
Kehlkopf  sehr  viel  seltener  als  im  Rachen  und  auf  der  Haut.  Aber  wenn 
Verf.  sie  nur  auf  2,4%  aller  syphilitischen  Larynxerkrankungen  schätzt,  so 
hält  Ref.  diese  Zahl  für  viel  zu  niedrig.  Während  die  Plaques  durchjauis 
dem  Frühstadium  angehören,  berichtet  Verf.  über  einen  Fall,  in  dem  sie  drei 
Jahre  nach  dem  Primäraffekt  auftraten.  —  Neben  der  Allgemeinbehandlung 
ist  auch  die  lokale  wichtig.  A.  rät  zu  Inhalation  von  Adstringentien,  Kalo- 
mel-  und  Dermatol-Einblasungen,  bei  tieferer  Geschwürsbildung  zu  Ätzung 
mit  Lapis  in  Substanz.  Arth.  Meyer  (Berlin). 


Ein  Fa!!  von  Larynxstenose  beim  Erwachsenen,  mit  Intubation  erfolgreich 
behandelt;  beständiges  Tragen  der  Tube  während  vier  Jahren. 

(W.  K.  Simpson.  Amer.  Journ.  of  Surg.,  Nr.  4,  1909.) 

Wegen  einer  geschwürigen  Verengerung  des  Pharynx  und  Larynx  un¬ 
bekannter  Natur  war  der  Kranken  nach  Tracheotomie  eine  Kanüle  eingelegt 
worden;  sie  konnte  während  mehreren  Monaten  nicht  entfernt  werden  und 
brachte  die  Kranke  durch  beständiges  Husten  und  starken  Auswurf  so  weit 
herunter,  daß  schließlich  nach  Dilatation  des  verengten  Kehlkopfs  in  Nar¬ 
kose  eine  Intubationstube  aus  Hartgummi  eingelegt  und  die  Kanüle  ent¬ 
fernt  wurde.  Die  Tube  wurde  nun  andauernd  getragen,  von  Zeit  zu  Zeit 
ausgehustet,  mußte  aber  immer  *  nach  einigen  Stunden  oder  Tagen  wegen 
zunehmender  Dyspnoe  wieder  eingeführt  werden.  Nach  der  in  Narkose  vor¬ 
genommenen  Verschließung  der  Trachealfistel  atmete  die  Kranke  nur  durch 
die  Tube.  Einmal  wurde  die  Tube  zwei  volle  Jahre  getragen,  ohne  entfernt 
zu  werden,  bis  sie  dann  schließlich  wieder  ausgehustet  wurde.  Doch  lernte 


Referate  und  Besprechungen. 


1117 


es  die  Kranke,  sie  bei  Hustenanfällen  mit  dem  Ringer  zurückzuhalten. 
Sie  tat  in  dieser  Zeit  ihre  gewöhnliche  Arbeit  und  empfand  nur  wenig 
Belästigung.  Nach  vier  Jahren  wurde  die  Tube  versuchsweise  entfernt  und 
brauchte  im  folgenden  Jahre  nicht  mehr  eingesetzt  zu  werden. 

Als  die  Tube  nach  vierjähriger  Anwesenheit  im  Kehlkopf  entfernt 
wurde,  war  dieser  stark  gerötet,  doch  ohne  Ulzerationen,  die  Stimmbänder 
bewegten  sich,  aber  die  Stimme  war  zunächst  klanglos,  erholte  sich  je¬ 
doch.  Natürlich  blieben  dauernde  Veränderungen  im  Kehlkopf,  doch  wurde 
er  zu  praktischer  Brauchbarkeit  hergestellt. 

Simpson  schließt  aus  dieser  Krankengeschichte,  daß  die  Dauer¬ 
intubation  ein  besseres  Mittel  ist,  um?  Absorption  und  Erweiterung1  zu 
bewirken,  als  die  temporäre  Dilatation,  daß  eine  Tube  auf  die  Dauer  besser 
vertragen  wird,  als  eine  Trachealkanüle  und  daß  sich  eine  Hartgummi¬ 
tube  besser  dazu  eignet,  als  eine  metallene  —  die  von  der  Kranken  ge¬ 
tragene  Kanüle  war  nämlich  ,aus  Hartgummi,  und  S.  ist  überzeugt,  daß 
eine  Metallkanüle  mehr  Kalk  angesetzt  und  die  Umgebung  stärker  gereizt 
haben  würde.  Er.  von  den  Velden. 


Behandlung  der  Kehlkopftuberkulose  durch  Sonnenlicht. 

(Kramer.  Archiv  für  Laryng.,  Bd.  21,  H.  3.) 

K.  empfiehlt  die  SorgoAche  Methode.  Die  meisten  Patienten  erlernen 
die  Autolaryngoskopie  gut.  Besonders  ist  der  Aufenthalt  an  der  Riviera 
für  diese  Kur  geeignet.  Verf.  berichtet  über  einen  vorgeschrittenen  Fall,  der 
erhebliche  Besserung  erfahren  hat.  Das  Licht  wirkt  zwar  an  sich  bakteri¬ 
zid,  doch  hält  K.  die  reaktive  Entzündung  für  den  eigentlichen  heilenden 
Faktor.  Arth.  Meyer  (Berlin). 


Diätetik. 

Die  diätetische  Behandlung  der  Cholelithiasis. 

(R.  Kolisch,  Karlsbad.  Monatsschr.  für  die  phys.-diät.  Heilmethod.,  1.  Jg.,  2.H.,  1909.) 

Bei  der  Häufigkeit  der  Gallensteinkrankheit  ist  es  gewiß  von  Inter¬ 
esse,  die  Ansichten  kennen  zu  lernen,  welche  sich  ein  logisch  denkender  Kli¬ 
niker  auf  Grund  ausgedehnter  Erfahrungen  gebildet  hat.  Kolisch  hält 
die  Bildung  von  Gallensteinen  für  den  Ausdruck  einer  Konstitutionsano¬ 
malie,  welche  jedoch  nichts  zu  bedeuten  habe,  so  lange  nicht  eine  entzünd¬ 
liche  Reizung  dazugetreten  sei.  Nicht  das  Auflösen  oder  Hinausbefördern 
der  Steine  sei  das  Ziel  einer  auf  das  Erreichbare  gerichteten  Therapie, 
sondern  die  Abhaltung  von  Reizen,  welche  die  Entzündung  wieder  auf¬ 
flackern  lassen.  An  erste  Stelle  rückt  er  deshalb  Ruhe,  Ruhe  des  Körpers 
und  Ruhe  der  Eingeweide.  Nahrungsmittel,  welche  an  den  Verdauungsapparat 
möglichst  geringe  Anforderungen  stellen  (viel  Kohlehydrate,  wenig  Eiweiß 
[Eier,  Fisch,  weißes  Fleisch,  Milch],  mäßig  reichliche  Fette,  und  zwar  in 
Form  von  Milch,  Rahm,  Butter,  Öl,  Lipanin),  keine  Gewürze,  kein  Alkohol, 
keine  kalten,  sondern  heiße  Flüssigkeiten,  ev.  hohe  Darmspülungen  mit 
heißem  Karlsbader  Sprudel  sind  seine  diätetischen  Vorschriften.  Aber  es  ge¬ 
nügt  nicht,  diese  nur  4—6  Wochen  lang  einzuhalten.  Der  Kranke  muß 
mindestens  ein  ganzes  Jahr  sein  strenges  Regime  befolgen;  dann  erst  kann 
er  hoffen,  daß  die  Reizung,  welche  in  dem  Anfall  zum  Ausdruck  gekommen 
war,  sich  endgültig  beruhigt  hat,  daß  die  Latenz  der  Steine  dauernd  ge¬ 
worden,  der  Patient  wieder  geheilt  ist.  Buttersack  (Berlin). 


Ueber  die  Bouma’sche  Diabetesmilch. 

(Mayer.  Zeitschr.  für  Balneol.,  Nr.  5,  1909.) 

Die  bisherigen  Milchpräparate  für  Diabetiker  enthielten  immer  noch 
relativ  große  Mengen  von  Milchzucker  oder  hatten  einen  so  wenig  zusagenden 


1118 


Referate  und  Besprechungen. 


Geschmack,  daß  sie  sich  nicht  einbürgern  konnten.  Demgegenüber  enthält 
die  Bouima’sche  Milch  nur  ganz  minimale  Mengen  von  Milchzucker.  Sie 
hat  einen  recht  guten  Geschmack,  ist  vor  allem  sehr  fettreich  und  kann  wie 
gewöhnliche  Milch  sterilisiert  werden.  s 

In  Berlin  wird  sie  hergestellt  nach  den  Angaben  des  Erfinders  von 
der  Molkerei  Hellersdorf.  Neumann. 


Die  vegetarische  Lebensweise  bei  Gesunden. 

(Determann.  Beiheft  der  med.  Klinik,  Nr.  3,  1909.) 

Verf.  kommt  nach  einwandfreier  Prüfung  und  Beiseitelassung  aller  un¬ 
wesentlichen  Momente  zu  folgendem  Schlüsse: 

Die  Pflanzenkost  inkl.  Milch  und  Milchpräparaten  und  Eiern  leistet 
für  die  Ernährung  vollständig  alles,  was  zur  Erhaltung  der  Gesundheit  er¬ 
forderlich  ist;  sie  bietet  gegenüber  der  vorwiegenden  Fleischkost  keinen 
Nachteil,  wenn  sie  richtig  vorbereitet  und  ausgewählt  ist.  Auch  der  Eiwei߬ 
gehalt  läßt  sich  durchaus  genügend  groß  gestalten.  Zwischen  den  Eleisch- 
und  Pflanzeneiweißstoffen  besteht  bezüglich  der  Verwertung  im  Körper  wahr¬ 
scheinlich  kein  spezifischer  Unterschied.  Ein  zu  hoher  Eiweißgehalt  der 
Nahrung  bringt  andererseits  wahrscheinlich  Schädlichkeiten  für  die  Gesund¬ 
heit  mit  sich.  Auch  haben  die  Harnsäurebildner,  die  besonders  im  Fleisch 
enthalten  sind,  in  zu  großer  Menge  eingeführt,  höchstwahrscheinlich  Nachteile 
für  die  Gesundheit.  Es  ist  aber  nicht  nötig,  das  Fleisch  zu  vermeiden,  sondern 
es  ist  nur  eine  erhebliche  Beschränkung  des  Fleischgenusses  zu  empfehlen. 

Die  Pflanzen-Milchkost  ist  viel  billiger  als  die  vorwiegende  Fleischkost, 
allerdings  ist  auch  ihre  Ausnutzung  durch  den  Darm  schlechter.  Der  Über¬ 
gang  zur  Pflanzen-Milchkost  kann  nur  allmählich  erfolgen.  Die  sorgfältige 
Zubereitung  in  der  Küche  macht  die  vegetarische  Kost  leichter  verdaulich 
und  ausnutzbar.  Neumann. 


Die  therapeutische  ChSorentziehung. 

(Prof.  F.  Widal,  Paris.  Klin.-ther.  Wochenschr.,  Nr.  18,  1909.) 

Nachdem  man  durch  das  Studium  des  Kochsalzstoffwechsels  zur  Er¬ 
kennung  der  hy dropserzeugenden  Wirkung  des  zurückgehaltenen  Chlornatriums 
gelangt  war,  bewies  Verf.  durch  eine  Reihe  von  Versuchen,  daß  unter  den 
gelösten  Substanzen  das  Kochsalz  die  einzige  sei,  welche  in  der  Pathogenese 
des  Bright’schen  Ödems  in  Betracht  kommt,  während  dem  zurückgehaltenen 
Harnstoff  keine  Rolle  bei  der  Entstehung  des  Hydrops  zukommt.  Verf. 
hat  demzufolge  weiter  gezeigt,  daß  man  in  vielen  Fällen  die  sonst  übliche 
Milchdiät  durch  eine  noch  salzärmere  ersetzen  kann,  welche  aus  reichlichen 
Mengen  Fleisch  und  festen  Speisen  besteht;  letztere  kann,  wenn  sie  ohne 
Salz  verabreicht  wird,  die  wohltätigste  Wirkung  ausüben;  daß  weiter  eine 
chlorarme  Diät  nicht  nur  das  Fortschreiten  des  Bright’schen  Ödems  aufzuhalten, 
sondern  sogar  dessen  Rückbildung  zu  bewirken  vermag.  Der  Grund  hierfür 
ist  in  der  Undurchgängigkeit  der  Niere  für  Chloride  zu  suchen,  die  in 
manchen  Fällen  eine  äußerst  hochgradige  ist.  Die  therapeutische  Chlor ent- 
ziehung  hat  zwei  Indikationen:  Die  Entfernung  des  Salzes  und  des  Ödems 
aus  dem  Organismus  und  die  Einleitung  einer  Diät,  deren  NaCl-Gehalt  der 
Durchgängigkeit  der  Niere  für  Chloride  entspricht;  hier  ist  durch  allmäh¬ 
liches  Tasten  eine  Toleranzgrenze  zu  bestimmen,  die  in  der  Ernährung  inne¬ 
zuhalten  ist.  Unter  der  therapeutischen  Chlorentziehung  verschwinden  die 
Ödeme  mit  überraschender  Schnelligkeit;  sie  behandelt  nur  die  Chlorreten¬ 
tion,  nicht  die  Anhäufung  des  Harnstoffs  im  Blut.  Die  Bestimmung  des 
letzteren  ist  jedoch  von  der  größten  prognostischen  Bedeutung;  sie  ermög¬ 
licht  es  auch,  zu  erkennen,  in  welchen  Fällen  die  chlor  arme  Diät  ihre  ganze 
Heilwirkung  entfalten  kann.  Nachteile  für  die  Brightiker  hat  die  chlor¬ 
freie  Diät  selbst  bei  längerer  Dauer  in  keiner  Beziehung.  Peters  (Eisenach). 


Büch  erschau. 


1119 


lieber  „Macrobiose“,  ein  neues  Nährmittel. 

(Dr.  J.  Nerking,  Düsseldorf.  Med.  Klinik,  Nr.  4,  1909.) 

Das  beschriebene  Nährpräparat  gehört  zur  Gruppe  derjenigen,  welche 
die  organischen  Nährstoffe  sämtlich  enthält  und  zwar  in  konzentrierter  Form, 
und  daneben  einen  reichlichen  Gehalt  an  Salzen  aufweist.  Die  mit  dem  Mittel 
bei  schwächlichen  Kindern  etc.  erzielten  Resultate  waren  als  günstige  zu  be¬ 
zeichnen;  ein  Stoffwechselversuch  ließ  erkennen,  daß  die  Ausnutzbarkeit 
des  Präparates  eine  gute  war.  R.  Stüve  (Osnabrück). 


Bücherschau. 


Fettresorption  im  Darme  und  Galtenabsonderung  nach  Fettdarreichung. 

Zugleich  ein  Vorschlag  zur  Verbesserung  der  Oelkur.  Von  Dr.  Georg 
Köster,  Professor  an  der  Universität  Leipzig.  Mit  6  Tafeln.  Leipzig 
1909,  Verlag  von  Dr.  W.  Klinkhardt.  98  S.  6,50  Mk. 

Den  experimentellen  Untersuchungen,  die  K.  in  seinem  Buche  niedergelegt  hat, 
verdanken  wir  eine  Reihe  interessanter  und  für  die  Praxis  bedeutsamer  Ergebnisse. 
So  erfahren  wir,  daß  stomacliale  wie  rektale  Fettzufuhr  zwar  keine  Vermehrung 
der  abgesonderten  Gallenmenge  bewirke,  wohl  aber  eine  beständige  Entleerung  der 
Gallenblase,  und  daß  in  diesem  Sinne  die  Oelkur  —  ohne  also  echt  „cholagog“  zu 
wirken  — ,  sich  zur  Behandlung  der  Cholelithiasis  zweckmäßig  erweise,  wobei  außer¬ 
dem  die  Erweichung  der  Stuhlmassen,  bei  der  meist  gleichzeitig  vorhandenen 
Obstipation  von  Nutzen  sei.  Der  Nachweis  nun,  daß  kleine  Oelmengen,  rektal  ein¬ 
verleibt,  sicher  bis  zur  Bauhin’schen  Klappe  wandern,  ermöglicht  eine  sehr  er¬ 
wünschte  Vereinfachung  der  Oelkur:  schon  geringe  Mengen  (40—45  g)  genügen. 
Die  Bevorzugung  des  Eunatrols  ist  nach  K.  grundlos,  da  Neutralfett  für  den  Darm 
bekömmlicher  ist  als  Seifen.  Für  die  Herstellung  von  Nährklysmen  wiederum  von 
wesentlicher  Bedeutung  ist  die  vom  Verfasser  betonte  überraschend  große  Fähigkeit 
des  Dickdarms  (samt  Rektum),  Fett  zu  resorbieren,  eine  Fähigkeit,  die  durch 
Pankreon-Zusatz  noch  gesteigert  werden  kann,  auf  chemischem  Wege  übrigens 
bereits  von  anderen  Autoren  erwiesen  wurde.  Zum  gleichen  Ergebnisse  führt  nun 
auch  die  histologische  von  K.  unternommene  und  sorgfältig  durchgeführte  Er¬ 
forschung  des  Warmblüterdarms  nach  intravitaler  Fettzufuhr.  Der  chemischen 
Methode  zeigt  sich  die  histologische  weit  überlegen,  und  zwar  wegen  ihrer  ungleich 
größeren  Empfindlichkeit,  wo  es  sich  um  das  Studium  jener  subtilen  Vorgänge 
handelt,  die  den  Verdauungsprozeß  zusammensetzen,  besonders  aber  bei  Beobachtung 
der  initialsten  Stadien  der  Resorption.  Der  Mangel  der  histologischen  Methode, 
das  Fehlen  eines  objektiven  Maßstabes  zur  genauen  Abschätzung  quantitativer 
Verhältnisse,  entgeht  dem  Verfasser  keineswegs,  wie  denn  diese  Studien  überhaupt 
von  kritischer  Betrachtungsweise  geleitet  sind.  Durch  Kritik  anderer  Arbeiten  aus 
dem  gleichen  Gebiete  verschafft  er  uns  gleichzeitig  einen  Überblick  über  den 
gegenwärtigen  Stand  der  Fettresorptionslehre.  Fehlerquellen,  in  Mängeln  der 
chemisch-histologischen  Technik  begründet,  werden  da  enthüllt  und  scheinbare 
Widersprüche  in  der  bisherigen  Forschung  aufgelöst.  Mehrfach  betont  K.  —  auf 
seine  Befunde  gestützt  —  den  vitalen  Charakter  der  Fettresorptionsleistung,  und 
ein  eigener  Abschnitt  des  Buches  zeigt  uns,  wie  sehr  die  Fettresorption  des  über¬ 
lebenden  Darmes  hinter  der  des  lebenden  zurücksteht.  Hier  stützt  sich  K.  auf 
Versuche,  die  er  im  Gegensätze  zu  den  Arbeiten  anderer  Forscher  am  künstlich 
überlebenden,  d.  h.  mit  Ringer’scher  Lösung  gespeisten  Darme  vorgenommen  hat, 
was  besonders  hervorgehoben  sei.  Von  den  sonstigen  Resultaten  der  K.’schen 
Untersuchungen  soll  hier  nur  erwähnt  werden,  daß  Fettresorption  vom  Magen  aus 
niemals  nachgewiesen  werden  konnte,  daß  die  Behauptungen  früherer  Autoren  be¬ 
stätigt  werden,  wonach  nicht  die  Galle,  wohl  abpr  das  Pankreas-Sekret  zur  Fett¬ 
resorption  absolut  nötig  ist,  ferner,  daß  künstliche  Fett-Emulsionen  vom  Darme 
nicht  so  gut  vertragen  werden  wie  die  von  ihm  selbst  emulgierten  Fette.  Bei  Er¬ 
klärung  des  Fett-Resorptionsvorganges  selbst  erkennt  K.  die  prinzipielle  Richtigkeit 
der  Lösungstheorie  an,  nicht  ohne  auf  ihre  derzeitige  Lückenhaftigkeit  hinzuweisen, 
wobei  wir  einigen  Einblick  in  die  Schwierigkeiten  dieses  Forschungsgebietes  er¬ 
halten.  Ausführliche  Versuchsprotokolle,  eine  Tabelle  und  eine  Reihe  anschaulicher 
histologischer  Bilder  ergänzen  die  Ausführungen  des  Verfassers,  und  jenen  Lesern, 
die  sich  mit  den  Themen  dieser  Schrift  eingehender  zu  befassen  wünschen,  wird  das 
beigegebene  Literaturverzeichnis  ein  willkommener  Wegweiser  sein.  G.  Brecher. 


1120 


Bücherschau. 


Atlas  und  Grundriß  der  Röntgendiagnostik  in  der  inneren  Medizin. 

Bearbeitet  von  C.  Beck-New-York,  L.  Brauer-Marburg,  F.  M.  Groedel- 
Nauheim,  G.  F.  Haenisch-Hamburg,  F.  Jamin-Erlangen,  A.  Köhler- 
Wiesbaden,  P.  Krause-Bonn,  G.  Spieß-Frankfurt  a.  M.,  A.  Steyrer- 
Berlin.  Herausgegeben  von  Franz  M.  Groedel,  Bad  Nauheim.  Mit 
297  Abbildungen  auf  12  photographischen  und  44  autotypischen  Tafeln 
und  mit  114  Textabbildungen.  München  1909,  Verlag  J.  F.  Lehmann. 

Preis  gebunden  24  Mk. 

Seit  dem  Erscheinen  des  klassischen  Buches  von  Holzknecht:  „Die  rönt¬ 
genologische  Diagnostik  der  Erkrankungen  der  Brusteingeweide“  (1901)  sind  manche, 
wenn  auch  nicht  allzuviele,  neue  Errungenschaften  auf  dem  Gebiete  der  internen 
Röntgendiagnostik  erzielt  worden.  Es  war  daher  ein  durchaus  berechtigter  Gedanke, 
eine  zusammenfassende  Darstellung  unserer  jetzigen  Kenntnisse  auf  diesem  Gebiete 
zu  geben.  Groedel  hat  diesen  Gedanken  in  glücklicher  Weise  verwirklicht  und 
mit  Hilfe  bewährter  Forscher  ein  Handbuch  geschaffen,  das  für  jeden  Kliniker 
und  Röntgenologen  ein  wertvolles  Nachschlagebuch  bilden  wird.  Von  den,  nicht 
alle  ganz  gleichwertigen,  Abhandlungen  haben  dem  Referenten  besonders  die  von 
Groedel  selbst  verfaßten  Abschnitte  über  die  Untersuchung  des  Herzens  und  des 
Magen-Darmkanals  gefallen.  Für  die  Darstellung  der  Röntgen-Untersuchung  der 
Leber  und  der  Gallenblase  (Beck)  hätten  1 — 2  Seiten  (statt  15  Seiten)  reichlich 
genügt.  Auch  einigen  anderen  Abhandlungen  haftet  eine  gewisse  Weitschweifigkeit 
an,  die  durch  klinische,  kaum  zum  Thema  gehörige  Erörterungen  bedingt  ist. 
Wenn  dagegen  z.  B.  Haenisch  bei  der  Röntgen-Untersuchung  des  uropoetischen 
Systems  schreibt  „auf  die  spezielle  Technik  näher  einzugehen  ist  hier  nicht  der  Ort“ 
so  erhebt  sich  die  Frage:  wo  ist  denn  sonst  der  Ort  dafür?  Diese  kleinen  Aus¬ 
stellungen  sollen  aber  keineswegs  den  Wert  des  Gesamtwerkes  herabsetzen,  das,  wie 
nochmals  hervorgehoben  sei,  eine  hervorragende  Leistung  darstellt.  Ein  ausführliches 
und  sorgfältiges  Literaturverzeichnis  wird  vielen  Benutzern  angenehm  sein. 

W.  Guttmann. 


Mann  und  Weib.  Eine  Darstellung  der  sekundären  Geschlechtsmerkmale 
beim  Menschen.  Von  Havelock  Ellis.  Deutsch  von  H.  Kurelia. 
Würzburg,  C.  Kabitzsch,  1909.  533  S.  6  bezw.  7  Mk. 

Daß  das  Weib  ein  anderes  Gebilde  sei  als  der  Mann,  hat  sich  auch  den 
primitiven  Völkern  mit  zwingender  Kraft  aufgedrängt.  Den  Unterschieden  „exakt“ 
nachzugehen,  haben  erst  die  letzten  Dezennien  unternommen.  Was  da  alles  an 
anatomischen  und  physiologischen  Daten  erarbeitet  worden  ist,  hat  Ellis  im  vor¬ 
liegenden,  bereits  hinlänglich  bekannten  Buch  zusammengestellt.  Es  ist  der  Haupt¬ 
sache  nach  eine  Art  von  Nachschlagewerk,  in  gleicher  Weise  wertvoll  für  den 
physiologisch  denkenden  Arzt,  für  Psychologen  wie  für  Sozialpolitiker. 

Auf  die  ersten  5  Kapitel  anatomischen  Inhalts  folgen  6  Abschnitte  über 
physiologische  Dinge  (die  Sinne,  Bewegungsfunktionen,  intellektuelle  Begabung, 
Stoffwechsel,  innere  Organe,  Periodizität),  dann  wird  das  psychische  Verhalten  zur 
Hypnose  u.  dergl.,  die  Emotivität,  die  künstlerische  Begabung  und  die  psycho¬ 
pathischen  Erscheinungen  erörtert,  und  schließlich  folgen  2  Kapitel  über  die 
Variabilität  bei  den  Geschlechtern  sowie  über  Natalität  und  Morbidität:  auf  jeder 
Seite  verrät  der  Autor  eine  Unmenge  von  Kenntnissen  und  viel  Esprit.  Der  Ueber- 
-setzer  bleibt  dem  Original  wohl  nichts  schuldig.  — 

Seit  den  ältesten  Zeiten  werden  Mann  und  Weib  als  zwei  gänzlich  verschiedene 
Organisationen  betrachtet;  auch  der  Titel  des  vorliegenden  Werkes  betont  die 
Gegensätzlichkeit  der  Geschlechter.  Aber  wenn  gleich  ohne  Zweifel  auf  der  einen 
Seite  Herkules,  auf  der  anderen  die  Venus  von  Milo  die  Ideal-Typen  verkörpern 
mögen,  so  stellen  m.  E.  die  Menschen,  wie  sie  die  Erde  beleben,  keine  reinen  Typen 
dar,  sondern  Mischungen  von  —  wenn  man  so  sagen  darf  —  männlichen  und  weib¬ 
lichen  Eigenschaften.  Daher  kommt  es,  daß  wir  so  vielen,  standesamtlich  als 
Männer  eingetragenen  Personen  begegnen  mit  weiblichen,  pnd  Frauen  mit  männ¬ 
lichen  Qualitäten.  Also  auch  in'  dieser  Beziehung  erkennen  wir  schon  im  Einzel¬ 
wesen  das  synthetische  Bestreben  der  Natur,  dem  unsere  Analysis-  bezw.  Eman¬ 
zipationsgelüste  schnurstracks  zuwiderlaufen.  Buttersack  (Berlin). 

Schriftleitung:  Dr.  Ri  gier  in  Leipzig. 

Druck  von  Emil  Herrmann  senior  in  Leipzig. 


27.  Jahrgang. 


1909. 


?ort$cbrim  der  medizin. 


Unter  Mitwirkung  hervorragender  Fachmänner 

herausgegeben  von 


Professor  Dr.  0.  Köster  Prio.-Doz.  Dr.  o.  (Kriegern 

in  Leipzig.  in  Leipzig. 

Schriftleitung:  Dr.  Rigler  in  Leipzig. 


Nr.  30. 


Erscheint  am  10.,  20.,  30.  jeden  Monats.  Preis  halbjährlich 
6  Mark,  inkl.  Zeitschrift  für  Versicherungsmedizin  8  Mark. 


Verlag  von  Georg  Thieme,  Leipzig. 


30.  Oktober. 


Originalarbeiten  und  Sammelberichte. 


Fortschritte  der  Medizin  in  den  letzten  Dezennien. 

Von  Dr.  Lipowski, 

dirig.  Arzt  der  inneren  Abteilung  der  städtischen  Diakonissenanstalt  in  Bromberg 

(Schluß.) 

Es  ist  bekannt,  daß,  wenn  in  einen  Stromkreis  eine  möglichst 
luftleer  gemachte  Glasröhre  eingeschaltet  wird,  in  dieser  kein  Funke 
überspringt,  sondern  ein  Licht  entsteht,  welches,  von  der  der  Kathode 
gegenüberstehenden  Antikathode  ausgehend,  imstande  ist,  feste  Körper 
zu  durchdringen.  Dieses  von  Röntgen  entdeckte  Phänomen  führte 
zu  den  nach  diesem  genialen  Beobachter  genannten  Strahlen,  welche 
sich  gradlinig  fortpflanzen,  nicht  reflektiert  werden,  durch  einen 
Magneten  abgelenkt  werden  und  imstande  sind,  chemische  Wirkungen 
hervorzubringen,  daher  auch  die  photographische  Platte  verändern. 

Nach  dem  man  die  Entdeckung  gemacht  hatte,  daß  Wismutsalze 
Röntgen  strahlen  absorbieren,  benutzte  man  diese  Beobachtung  zur  rönt- 
genologen  Untersuchung  des  Magendarmkanals. 

Der  Magen  wird  mit  einem  dünnen  Griesbrei  (300  g)  gefüllt,  dem 
zwei  Eßlöffel  Bi  carbonic.  hinzugefügt  sind.  Sowohl  auf  dem  Platin- 
zyanürschirm  als  auf  der  photographischen  Platte  sieht  man  dann 
deutlich  den  mit  dem  Brei  gefüllten  Magen,  dessen  Inhalt  sich  sehr 
bald  zu  entleeren  beginnt.  Nach  wenigen  Stunden  bereits  ist  vom 
normalen  Magen  der  gesamte  Inhalt  herausbefördert,  der  dann  sehr 
schnell  den  Dünndarm  passiert  und  erst  im  Cöcum  längere  Zeit  ver¬ 
weilt.  Erst  nach  24  bis  36  Stunden  ist  der  Brei  im  S.  Romanum  an¬ 
gelangt.  Im  Darm  geht  dem  festen  Inhalt  eine  Luftblase  voraus, 
welche  die  Entfaltung  des  Darmes  zu  bezwecken  scheint. 

Der  Röntgendurchleuchtung  des  Magens  verdanken  wir  auch  die 
Kenntnis  seiner  normalen  Gestalt,  die  wir  bisher  aus  anatomischen  oder 
chirurgischen  Beobachtungen  her  kannten.  Der  normale  Magen  hat 
nach  übereinstimmenden  Berichten  die  Gestalt  eines  Posthornes  oder 
Rinderhornes,  das  ziemlich  senkrecht  links  von  der  Mittellinie  steht, 
mit  dem  Pylorus  die  Mittellinie  überragend.  Bei  ptotischen  Mägen 
senkt  sich  der  Fundus  bis  tief  in  das  Becken  hinab,  während  der  Pylorus 
durch  das  Duodenum  fixiert  ist.  Auf  diese  Weise  bildet  der  Magen 
in  seinem  Fundus  einen  mehr  oder  weniger  großen  Knick,  welcher 
in  hochgradigen  Fällen  der  Weiterbeförderung  des  Mageninhaltes  einen 

71 


1122 


Lipowski, 


mechanischen  Widerstand  leistet.  In  anderen  Fällen  sieht  man -den 
Magen  quer  stehen  als  Folge  einer  Verwachsung  des  Pylorus  mit  der 
Leber.  Ist  die  Magenwand  durch  ein  Ulzus  oder  ein  Karzinom  zer¬ 
stört,  dann  haftet  an  diesen  Stellen  nicht  der  Bi. -Brei,  so  daß  im 
Röntgenbilde  an  diesen  Stellen  das  Magenbild  wie  ausgenagt  erscheint. 
Befindet  sich  das  Karzinom  am  Pylorus,  dann  erscheint  die  Magen¬ 
figur  am  Pylorus  wie  abgeschnitten. 

So  verdanken  wir  der  röntgenoskopischen  Untersuchung  außer¬ 
ordentlich  wichtige  Ergebnisse,  welche  allmählich  denen  der  anderen 
Untersuchungsmethoden  an  Bedeutung  gleichkommen. 

Koch  weiter  fortgeschritten  sind  die  röntgenoskopischen  Unter¬ 
suchungen  und  Ergebnisse  der  Thoraxorgane.  Zentrale  Lungenverände¬ 
rungen,  welche  bisher  unseren  Untersuchungsmethoden  nicht  zugänglich 
waren,  sind  jetzt  ohne  weiteres  auf  dem  Röntgenschirm  oder  auf  der 
photographischen  Platte  sichtbar.  Ebenso  bietet  sich  uns  das  Herz 
in  seiner  normalen  Gestalt  dar,  unabhängig  von  der  das  Herz  über¬ 
lagernden  Lunge.  Aneurysmen,  Ösophagusdivertikel,  Fremdkörper  in 
der  Speiseröhre,  Mediastinaltumoren  und  dergl.  sind  dankbare  Objekte 
für  die  Röntgenuntersuchung. 

Eine  große  Schwierigkeit  bot  bisher  die  Größenbestimmung  der 
im  Körperinnern  gelegenen  Organe.  Da  die  Strahlen  von  der  Anti¬ 
kathode  kegelförmig  ausgehen,  wird,  da  der  zu  durchleuchtende  Körper¬ 
teil  zwischen  Lichtquelle  und  Schirm  liegt,  der  Körperteil  größer  als 
er  !in  Wirklichkeit  ist,  auf  den  Schirm  projiziert  werden.  Diese  Fehler¬ 
quelle  ist  auf  zwei  verschiedene  Arten  vermieden  worden. 

Einmal  kann  man  die  Lichtquelle  beweglich  machen  und  an  den 
Grenzen  des  zu  umzeichnenden  Organes  herumführen.  Wenn  man  dann 
ferner  in  derselben  Achse  mit  der  Lichtquelle  einen  Zeichenstift  an¬ 
bringt,  dann  kann  man  auf  diese  Weise  den  zu  untersuchenden  Körper¬ 
teil  in  seiner  natürlichen  Größe  erhalten  (Orthodiagraphie). 

Ein  anderer  neuerdings  beschrittener  Weg  ist  die  Durchleuchtung 
mit  parallelen  Strahlen,  welche  man  dadurch  erlangt,  daß  die  Licht¬ 
quelle  mindestens  einen  Meter  von  dem  zu  durchleuchtenden  Körper¬ 
teil  entfernt  ist.  Um  die  Schädigung  des  Bildes  durch  Atembewegungen 
auszuschalten,  ist  neuerdings  die  Momentphotographie  eingeführt  wor¬ 
den,  welche  durch  geringfügige  Änderung  des  bisher  üblichen  Instru¬ 
mentariums  möglich  ist. 

Wie  wir  oben  gesehen  haben,  besitzen  die  Röntgenstrahlen  che¬ 
mische  Eigenschaften,  welche  sich  in  der  ersten  Zeit  der  Röntgen¬ 
untersuchungen  sehr  unangenehm  bemerkbar  gemacht  haben.  Alle 
Röntgenologen  bekamen  mehr  oder  weniger  Veränderungen  der  Haut, 
der  Haare  und  Nägel,  welche  in  der  Regel  jeder  Behandlung  trotzten. 
Röntgen  Verbrennungen  der  Haut  brauchten  jahrelange  Behandlung,  wenn 
sie  überhaupt  heilten.  Es  ergab  sich  daher  von  selbst  die  Notwendig¬ 
keit,  Schutzmaßregeln  zu  erfinden.  Die  Beobachtung,  daß  Blei,  selbst 
in  geringer  Dicke,  Röntgenstrahlen  nicht  durchlasse,  führte  zu  der 
Anwendung  der  Bleischürzen  und  Bleikappen,  welche  den  großen  Nach¬ 
teil  der  Schwere  und  geringen  Handlichkeit  haben.  Viel  zweckmäßiger 
sind  die  Schutzwände  und  Schutzhäuser,  welche  mit  Bleiplatten  resp. 
Bleiglas  ausgeschlagen  sind.  Der  Untersucher  steht  bequem  hinter 
der  Schutzwand  und  kann  sowohl  den  Kranken  wie  die  Röhre  kon¬ 
trollieren. 


Fortschritte  der  Medizin  in  den  letzten  Dezennien. 


1123 


Diese  zunächst  Bestürzung  erzeugende  Beobachtung  führte  sehr 
bald  zur  therapeutischen  Ausnutzung  der  chemischen  Eigenschaften 
der  Röntgenstrahlen.  Bei  der  immensen  Gefahr  der  unrichtig  ange¬ 
wandten  Strahlen  kann  nicht  genug  betont  werden,  daß  Röntgenthera¬ 
peut  nur  werden  darf,  wer  das  Instrumentarium  und  die  theoretischen 
Kenntnisse  durchaus  beherrscht.  Dann  allerdings  verfügt  man  über 
eine  ausgezeichnete  therapeutische  Kraft,  besonders  zur  Behandlung 
von  chronischen  Ekzemen,  Psoriasis,  Pruritus,  Verrucae  und  dergl.  Ober¬ 
flächliche  Karzinome  bieten  ein  außerordentlich  dankbares  Gebiet  für 
Röntgenbehandlung,  während  tiefliegende  Karzinome  weniger  der  Ein¬ 
wirkung  'der  Röntgenstrahlen  unterliegen.  Viel  leichter  werden  Sarkom¬ 
zellen  durch  Röntgenstrahlen  vernichtet.  Interessant  ist  die  Einwirkung 
auf  die  Milz  bei  Leukämie.  Ursprünglich  mit  Enthusiasmus  zur  Be¬ 
handlung  dieser  Blutkrankheit  herangezogen,  erwiesen  sich  die  Strahlen 
als  nicht  unbedenklich,  insofern  häufiger  infolge  der  Behandlung  mit 
Röntgenstrahlen  aus  der  chronischen  Form  sich  die  unmittelbar  lebens¬ 
gefährliche  akute  entwikelte. 

Schon  vor  der  Entdeckung  der  Röntgenstrahlen  war  die  Licht¬ 
therapie,  d.  h.  die  Behandlung  mit  Lichtstrahlen,  namentlich  durch 
Ein sen’s  Verdienst,  in  die  Medizin  eingeführt  worden.  Finsen  hat 
durch  streng  wissenschaftliche  Untersuchungen  die  enorme  chemische 
Kraft  der  im  Licht  enthaltenen  ultravioletten  Strahlen  dargetan.  Der 
therapeutische  Effekt  der  Lichtstrahlen  wird  durch  die  Wärmestrahlen 
erheblich  beeinträchtigt.  Es  galt  daher  zunächst,  die  störenden  Wärme¬ 
strahlen  auszuschalten,  was  durch  mannigfache  Kühlverfahren  erstrebt 
und  erreicht  worden  ist.  In  der  Auffassung  der  therapeutischen  Ein¬ 
wirkung  war  Finsen  zunächst  in  einem  Irrtum  befangen.  Er  glaubte, 
daß  z.  B.  beim  Lupus  der  therapeutische  Erfolg  auf1  bakterizide  Ein¬ 
wirkung  der  ultravioletten  Strahlen  auf  die  Tuberkelbazillen  zurück¬ 
zuführen  ist,  während  in  Wirklichkeit  die  Strahlen  elektiv  vernich¬ 
tend  auf  die  Bazillen  einwirken,  die  gesunden  Zellen  dagegen  intakt 
lassen,  etwa  in  der  Weise,  wie  Milchsäure  tuberkulöses  Gewebe  im 
Gegensatz  zum  gesunden  zerstört. 

Ein sen’s  Verfahren,  das  trotz  aller  Neuerungen  in  seinem  thera¬ 
peutischen  Effekt  unerreicht  ist,  hat  sich  für  die  allgemeine  Praxis 
als  zu  teuer  erwiesen.  Wenn  man  bedenkt,  daß  eine  Hautfläche  von 
einem  Quadratzentimeter  eine  Stunde  lang  bestrahlt  werden  muß,  daß 
die  Bestrahlung  derselben  Stelle  häufiger  wiederholt  werden  muß,  daß 
schließlich  bei  dem  enormen  Stromverbrauch  von  80  Amperes  viel 
teure  elektrische  Kraft  verbraucht  wird,  dann  ist  bei  der  über  Jahre 
sich  hinziehenden  Behandlungsdauer  ersichtlich,  daß  nur  unter  großen, 
materiellen  Opfern  ein  Dauererfolg  erzielt  werden  kann.  Die  Regie¬ 
rung  sowohl  als  private  Wohltätigkeit  haben  es  möglich  zu  machen 
versucht,  daß  auch  Minderbemittelten  eine  Finsenbehandlung  zuteil 
werden  kann.  In  verschiedenen  Gegenden  sind  Finseninstitute  unter 
sachgemäßer  Leitung  eingerichtet  worden,  in  denen  für  billiges  Geld 
oder  unentgeltlich  Lupus  behandelt  wird. 

Um  die  Lichtbehandlung  billiger  und  bequemer  zu  gestalten,  sind 
zahlreiche  Ersatzapparate  erfunden  worden,  von  denen  sich  die  von 
Lorthet  und  Genoud,  besonders  aber  die  von  Bang  und  von  der  Dermo- 
gesellschaft  angegebenen  Lampen  bewährt  haben.  Der  zum  Betrieb 
notwendige  Stromverbrauch  ist  nur  ein  Bruchteil  von  dem  der  Finsen- 
lampe,  der  Anschaffungspreis  ist  ein  sehr  geringer  (eine  Dermolampe 

71* 


1124 


Lipowski, 


ist  bereits  für  ca.  150  Mk.  zu  haben).  Die  Reaktion,  welche  bei  der 
Finsenbehandlung  nach  vielen  Stunden  eintritt  und  erst  nach  acht  bis 
zehn  Tagen  abgelaufen  ist,  tritt  bei  den  anderen  Apparaten  bedeutend 
schneller  ein  und  hinterläßt  auch  eine  viel  geringere  Reaktion.  Da¬ 
gegen  ist  die  Tiefenwirkung  wesentlich  geringer,  der  Dauererfolg  dem¬ 
entsprechend  minderwertiger.  Die  kleinen  Lampen  bewähren  sich  vor¬ 
züglich  zur  Behandlung  von  Akne,  Nävus,  Nävus  pigmentosus,  Tele¬ 
angiektasien,  Sikosis  usw. 

Ein  anderes  Gebiet  der  Lichtbehandlung  ist  die  Anwendung  des 
elektrischen  Lichtbades.  Ursprünglich  als  Panacee  gegen  alle  mög¬ 
lichen  Leiden  empfohlen,  hat  es  sich  als  vorzügliches  schweißtreibendes 
Mittel  bewährt.  Der  Kranke  wird  in  einen  mit  zahlreichen  elektrischen 
Flammen  besetzten  Kasten  gebracht,  aus  dem  nur  der  Kopf  heraussieht. 
Bei  einer  Temperatur  von  55  bis  60°  beginnt  eine  profuse  Schwei߬ 
sekretion  bei  geringer  Beeinträchtigung  der  Flerztätigkeit.  Der  Puls 
steigt  in  der  Regel  auf  100  bis  110  Schläge  in  der  Minute,  während 
im  Dampf  kastenbade  bei  entsprechendem  Schwitzeffekt  der  Puls  wesent¬ 
lich  frequenter  wird.  Neben  den  gewöhnlichen  Glühbirnen  werden  auch 
Bogenlampen  im  Kasten  angebracht,  welche  in  der  Regel  durch  blaue 
Scheiben  zur  Abhaltung  der  störenden  Wärmestrahlen  verdeckt  sind. 
Es  hat  sich  als  unzweifelhaft  erwiesen,  daß  dem  elektrischen  Licht 
eine  spezifische  Einwirkung  auf  die  Schweißdrüsen  zukommt. 

An  Stelle  der  gewöhnlichen  Glühbirnen  ist  von  Wulff  (Bromberg) 
der  langgezogene  Glühfaden  mit  |)arabolischem  Reflektor  eingeführt 
worden,  eine  Modifikation,  durch  welche  die  elektrischen  Lichtstrahlen 
parallel  auf  den  Körper  des  Kranken  geworfen  werden  und  daher  die 
Schweißabsonderung  bei  geringerer  Temperatur  bewirkt  wird.  Die  Lampen 
sind  derart  angebracht,  daß  sie  serienweise  eingeschaltet  werden  können. 

Als  letzter  therapeutischer  Gewinn  der  Neuzeit  sind  die  Lumbal¬ 
anästhesie  und  die  Anwendung  der  Hyperämie  als  Heilmittel  zu  nennen, 
Errungenschaften,  welche  wir  Bier  verdanken. 

Zur  Anwendung  der  Lumbalanästhesie  ist  Bier  durch  Quincke 
in  Kiel  veranlaßt  worden,  welcher  die  Lumbalanästhesie  zum  Gemein¬ 
gut  der  Ärzte  machte.  In  horizontaler  Lage  des  Kranken  mit  leicht 
kyphotisch  gekrümmter  Wirbelsäule  wird  zwischen  dem  dritten  und 
vierten  Lendenwirbel  eine  lange  dünne  Kanüle  senkrecht  in  die  Tiefe 
gestoßen.  In  der  Regel  gelingt  es  leicht,  in  die  Wirbelhöhle  der 
Cauda  equina  zu  gelangen,  aus  welcher  im  kräftigen  Strahl  oder 
schneller  Tropfenfolge  die  Zerebrospinalflüssigkeit  ausläuft.  Durch 
ein  mittels  eines  Gummischlauches  mit  der  Kanüle  verbundenes  Glas¬ 
rohr  von  einem  Quadratmillimeter  Durchschnitt  kann  der  im  Zerebro- 
spinalkanal  herrschende  Druck  gemessen  werden.  Steigt  er  beim  Er¬ 
wachsenen  wesentlich  über  150  mm  oder  beim  Kinde  über  100  mm  hinaus, 
dann  besteht  ein  krankhaft  gesteigerter  Druck,  welcher  bei  meningi- 
tischer  Reizung  resp.  Entzündung,  bei  Tumoren  im  Zerebrospinal- 
traktus,  bei  Verletzungen  des  Gehirnrückenmarkkanals  und  seiner  Um¬ 
gebung  vorkommt.  Diagnostisch  wuchtig  ist  ferner  der  mikroskopische 
Befund  der  Zerebrospinalflüssigkeit  und  häufig  auch  ihre  bakterio¬ 
logische  Untersuchung.  Man.  findet  den  Meningokokkus,  den  Pneumo¬ 
kokkus,  den  Tuberkelbazillus,  verschiedene  Eitererreger  und  andere 
Bakterien.  Die  mikroskopische  Untersuchung  der  Flüssigkeit  ergibt 
im  normalen  Zustand  sehr  wenige  feste  Bestandteile,  wie  spärliche 
Leukozyten,  Erytrozyten  und  Endothelien.  So  hat  man  in  der  Druck- 


Fortschritte  der  Medizin  in  den  letzten  Dezennien. 


1125 


messung,  der  mikroskopischen  und  bakteriologen  Untersuchung  der 
Zerebrospinalflüssigkeit  außerordentlich  wichtige  Kriterien  zur  Be¬ 
urteilung  der  Zerebrospinalhöhle  und  ihrer  Umgebung. 

Durch  diese  Untersuchungen  angeregt,  kam  Bier  auf  den  Ge¬ 
danken,  eine  geringe  Menge  Zerebrospinalflüssigkeit  abzulassen  und 
an  Stelle  derselben  eine  lokalanästhesierende  Flüssigkeit  einzuspritzen. 
Es  gehört  mit  zu  den  Ruhmestaten  des  kühnen  Forschers,  daß  er  die 
zunächst  außerordentlich  gefährlichen  Untersuchungen  an  sich  selbst 
ausgeführt  hat.  Das  zunächst  angewandte  Kokain  erwies  sich  als 
zu  gefährlich.  Von  den  der  Reihe  nach  versuchten  Ersatzpräparaten 
fand  man  schließlich  das  Novokain  als  das  geeignetste,  und  zwar  mit 
Zusatz  von  Adrenalin.  Es  ist  durchaus  erforderlich,  daß  zuerst  Zerebro¬ 
spinalflüssigkeit  abläuft,  damit  man  den  Beweis  hat,  daß  man  in  der 
Rückenmarkshöhle  sich  befindet.  Beachtet  man  diese  Vorschrift  nicht, 
dann  kann  es  durch  Verletzung  der  Cauda  equina  zu  bösen  Lähmungen 
kommen,  die  in  mehreren  Fällen  unheilbar  geblieben  sind.  Die  Flüssig¬ 
keit  muß  in  kräftigem  Strahl  oder  in  schneller  Tropfenfolge  sich  ent¬ 
leeren.  Nachdem  wenige  Kubikzentimeter  abgeflossen  sind,  injiziert 
man  langsam  die  anästhesierende  Flüssigkeit,  welche  sich  nun  in  der 
Rückenmarkshöhle  verteilt.  Durch  Hochlagerung  des  Beckens  kann 
die  Ausbreitung  nach  oben  begünstigt  werden.  Durch  Zwicken  oder 
Stechen  der  Bauchhaut  kann  und  muß.  die  Höhenwirkung  kontrolliert 
werden.  Mit  größter  Sorgfalt  muß  das  im  verlängertem  Mark  ge¬ 
legene  Atemzentrum  von  der  Einwirkung  der  anästhesierenden  Flüssig¬ 
keit  behütet  werden,  da.  schwerste  Suffökationserscheinungen  und  häufig 
genug  auch  der  Tod  durch  Lähmung  des  Atemzentrums  eingetreten 
ist.  In  dieser  Gefahr  der  Methode  liegt  ihr  größter  Fehler.  Beein¬ 
trächtigt  wird  dieses  Verfahren  in  seinem  Wert  ferner  durch  häufige 
nachbleibende  Kopfschmerzen,  Schwindelerscheinungen,  Brechneigung, 
Symptome,  welche  sich  selbst  bei  sorgfältigster  Beobachtung  aller  V or- 
schriften  nicht  vermeiden  lassen.  Zurzeit  wird  dieses  geniöse  und 
ungemein  wichtige  Verfahren  beschränkt  auf  Operationen  bei  alten 
oder  allgemein  oder  herzschwachen  Menschen,  wenn  die  Vermeidung 
der  Narkose  als  wünschenswert  erscheint.  In  solchen  Fällen  leistet 
diese  Methode  Hervorragendes. 

Zum  Schluß  sei  noch  die  Anwendung  der  Hyperämie  als  Heil¬ 
mittel  erwähnt,  ein  eminent  wichtiger  Zweig  der  modernen  Therapie, 
den  wir  gleichfalls  Bier  verdanken.  Er  unterscheidet  die  aktive  von 
der  passiven  Hyperämie.  Unter  der  ersteren  versteht  er  die  durch 
Zuführung  von  heißer  Luft  erzeugte  Blutwallung,  während  durch 
venöse  Stauung  infolge  Abbindung  von  Körperteilen  und  ferner  durch 
Anwendung  von  Saugapparaten  passive  Hyperämie  verursacht  wird. 

Das  Leitmotiv  dieser  Therapie  liegt  in  dem  Gedanken,  die  in 
dem  Blute  des  Menschen  enthaltenen  resp.  sich  bildenden  Schutzstoffe 
zum  Kampfe  gegen  die  schädigenden  Krankheitsursachen  heranzuziehen. 
Die  passive  Hyperämie  findet  ihre  hauptsächlichste  Anwendung  zur 
Bekämpfung  von  Entzündungen.  Durch  Abbindung  von  Fingern,  Arm, 
Bein,  Hals  usw.  wird  das  Blut  in  dem  darüber  gelegenen  Gebiet  ge¬ 
staut,  und  dadurch  wird  der  Entzündungsprozeß  bei  geeigneten  Fällen 
in  der  Regel  sehr  günstig  beeinflußt.  Es  bedarf  nicht  der  Erwähnung, 
daß  eine  große  Erfahrung  neben  vollster  Beherrschung  aller  Vor¬ 
schriften  dazu  gehört,  mit  dieser  Behandlungsart  gute  Erfolge  zu  er¬ 
zielen.  Besonders  bei  der  Behandlung  von  tuberkulösen  Prozessen  ist 


1126 


Goldmann, 


die  größte  Vorsicht  am  Platze.  Bei  zirkumskripten  Erkrankungs¬ 
herden  ist  das  besonders  von  Biers  Assistenten  Klatt  ausgebildete 
Saugverfahren  angebracht.  Es  besteht  in  der  Anwendung  von  schröpf - 
köpf  ähnlichen  Sauggefäßen,  welchen  durch  Gummibälle  oder  Säug¬ 
pumpen  Luft  entzogen  wird. 

Die  aktive  Hyperämie  hat  ihre  Domäne  bei  der  Behandlung  von 
versteiften  oder  schmerzhaften  Gelenkerkrankungen,  und  zwar  hier 
besonders  zweckmäßig  in  Kombination  mit  der  passiven  Hyperämie. 
Nachdem,  z.  B.  ein  versteiftes  Gelenk  die  Nacht  hindurch  abgebunden 
war,  rwerden  am  nächsten  Tage  die  durch  die  Blutstauung  aufgelockerten 
Verwachsungen  und  Ablagerungen  durch  den  enormen  Blutstrom  der 
aktiven  Hyperämie  durohströmt  und  fortgeschwemmt.  Die  durch  diese 
Behandlungsart  erzielten  Erfolge  lassen  keinen  Vergleich  mit  anderen 
Methoden  auf  kommen. 

Es  ist  kein  Zufall,  daß  die  Bier’schen  Methoden  inauguriert 
wurden  zu  einer  Zeit,  da  die  Lehre  von  den  Schutzstoffen  im  Blute 
zu  so  eminenter  Bedeutung  gelangt  ist.  Die  Empirie  hat  uns  von 
altersher  einen  Beleg  für  Bier’s  Lehren  gegeben.  Es  ist  eine  alt¬ 
bekannte  Tatsache,  daß  Herzkranke  mit  Blutstauung  in  der  Lunge 
ungemein  selten  an  Lungentuberkulose  erkranken.  Die  durch  die  Blut¬ 
stauung  verursachte  Anhäufung  von  Schutzstoffen  in  der  Lunge  lassen 
eine  Infektion  mit  Tuberkelbazillen  nicht  aufkeimen. 

So  sehen  wir  auf  allen  Gebieten  der  Medizin  reges  pulsierendes 
Leben.  Alle  Zweige  der  Wissenschaft  und  Technik  haben  wir  uns 
untertan  gemacht,  und  ohne  Übertreibung  kann  behauptet  werden,  daß 
kein  Beruf  eine  derartige  Anspannung  aller  Kräfte  verlangt  wie  der 
unserige.  Die  heutige  Gesellschaft  ist  uns  den  Dank  dafür  schuldig 
geblieben.  Aber  dank  der  in  jedem  Arzt  vorhandenen  Initiative  haben 
wir  zur  Selbsthilfe  gegriffen.  In  dem  deutschen  Ärztebunde  und  dem 
Leipziger  Verbände  haben  wir  Konzentrationszentren,  welche  ihre  Kraft 
schon  deutlich  genug  offenbart  haben,  und  wie  in  der  wissenschaftlichen 
Medizin  ein  hell  erleuchteter  Himmel  strahlt,  so  sehen  wir  auch  unsere 
soziale  Zukunft  durch  zarte  Hoffnungsschimmer  erleuchtet. 


Ueber  Europhen  in  den  verschiedenen  Indikationsgebieten.*) 

Von  Dr.  Goldmann,  Berlin. 

Bekanntlich  wird  die  antibakterielle  Wirkung  des  Jodoforms  auf 
die  Abspaltung  von  freiem  Jod  zurückgeführt,  wodurch  in  statu  nascendi 
ein  bakterizider  und  zugleich  antitoxischer  Effekt  ausgelöst  wird.  Auf 
diese  Weise  werden  die  aus  der  Zerstörung  des  Eiweiß-Moleküls  im 
verletzten  Gewebe  stammenden  toxischen  Substanzen  eliminiert  und 
gehen  mit  dem  frei  gewordenen  Jod  unschädliche  Verbindungen  ein. 
Außerdem  beschränkt  das  Jodoform  die  Sekretion  und  verhindert  die 
Leukozytenauswanderung  exzessive. 

Neben  diesen  ausgezeichneten  Eigenschaften  weist  das  Jodoform 
aber  auch  die  bekannten  Nachteile  auf  und  es  muß  daher  fein  Mittel, 
das  unter  Wegfall  des  üblen  Geruches  und  der  Toxizität  (1)  nur  die 
Vorteile  des  Jodoforms  in  sich  birgt,  bei  Arzt  und  Patient  gleich 
beliebt  sein.  Dies  ist  bei  einem  der  ersten  Ersatzprodukte  des  Jodo- 

*)  Die  Literaturangaben  finden  sich  am  Schluß  der  Arbeit  unter  dem 
alphabetischen  Verzeichnis  der  Autorennamen. 


Ueber  Europhen  in  den  verschiedenen  Indikationsgebieten. 


1127 


forms,  dem  Europhen,  der  Fall,  vor  dem  es,  außer  den  ebenerwähnten 
Eigenschaften  auch  noch  den  Vorzug  hat,  spezifisch  leicht  und  daher 
im  Gebrauch  sehr  sparsam  zu  sein. 

Nachdem  durch  Siebei  eine  dem  Jodoform  vollkommen  ebenbürtige 
Wirksamkeit  bakteriologisch  festgestellt  war,  mußte  man  dem  Europhen 
a  priori  auch  dessen  klinische  Eigenschaften  vindizieren.  Daß  das 
Präparat  allen  billigen  Anforderungen,  die  man  an  ein  Jodoformersatz¬ 
mittel  zu  stellen  berechtigt  ist,  entspricht,  geht  aus  der  zahlreichen  vor¬ 
handenen  Literatur  über  das  Mittel  hervor. 

East  in  allen  Spezialgebieten  der  Medezin  hat  das  Europhen  Ein¬ 
gang  gefunden.  Das  Hauptanwendungsgebiet  bilden  die  Geschlechts¬ 
krankheiten,  wie  Ulcus  durum,  Condylomata  lata,  Ulcus  molle  und 
verschiedene  Dermatosen,  gegen  die  es  von  fast  allen  Autoren  (Eic'hhoff 
(2),  Gaudin  (3),  Roseüthal  (4),  Estay  (5),  Griwzow  (6),  Kopp  (7), 
Poulet  (8),  Parkier  (9),  Belezza  (10),  Bornemann  (11),  Lohn¬ 
stein  (12),  Gottheil  (13),  Cortona  (14),  Goldschmidt  (15),  Fournier 
(16)  usw.  mit  gutem  Erfolg  angewendet  wurde.  Eichhoff,  einer  der 
ersten  Prüfer,  empfiehlt  es  in  den  verschiedenen  Stadien  der  kon¬ 
stitutionellen  Syphilis  lokal  in  Salbenform,  und  hebt  besonders  die 
protrahierte  Wirkung,  sowie  die  Möglichkeit  der  Einverleibung  relativ 
hoher  Dosen  als  besondere  Vorzüge  hervor.  Gleich  günstig  wurden  die 
Fälle  von  Ulcus  cruris,  Skrophuloderma,  Lupus  exulcerans  und  Com- 
bustio  beeinflußt,  wogegen  Eczema  parasitarium,  Psoriasis  und  Favus 
nicht  tangiert  wurden,  wohl  infolge  des  Mangels  an  Feuchtigkeit  zur 
Abspaltung  des  freien  Jods.  Trotz  der  späteten,  weniger  erfolgreichen 
Resultate  Eichhoff’s  über  Europhen  als  Injektions-Antisyphilitikum 
empfehlen  Oefelein  und  Neuberger  (17)  l°/0ige  Lösungen  in  öl  mit 
oder  ohne  gleichzeitige  interne  Jodkaliumgaben  zur  subkutanen  Applika¬ 
tion,  und  zwar  wegen  des  günstigen  Einflusses  auf  die  tertiären  Erschei¬ 
nungen,  sowie  wegen  der  völligen  Schmerz-  und  Reizlosigkeit.  Auch  bei 
den  anderen  Indikationen,  z.  B.  Verletzungen  mit  großen  Substanzver¬ 
lusten,  j^legmonösen  Prozessen,  inzidierten  Panaritien,  Frakturen, 
Erosionen  am  Penis  und  der  Vulva,  Balanitis,  Fissuren  am  Anus  usw. 
trat  nicht  nur  ein  deutlicher  antiseptischer  Effekt,  sondern  auch  eine 
vorzügliche  aus  trocknende  Wirkung,  ohne  die  geringste  ekzematöse 
Reizung  deutlich  zutage,  ein  Urteil,  das  auch  in  den  Arbeiten  von 
Eckstein  (18),  SaialfeJd  (19),  Saxl  (20)  usw.  seine  Bestätigung  findet. 
Nach  Saalfeld  erwies  sich  Europhensalbe  oder  Pulver  auch  bei  Pemphigus 
vulgaris,  Impetigo  corporis  und  Impetigo  contagiosa  von  Nutzen,  des¬ 
gleichen  bei  akuten  und  chronischen  Ekzemen  nach  Sh oy er  (21).  Bei 
tertiärem  Phagedaenismus,  der  allen  anderen  therapeutischen  Eingriffen 
widerstanden  hatte,  sahen  Fournier  (16),  Meißner  (22)  u.  a.  eine  vor¬ 
zügliche  Wirkung,  Shoemaker  (23)  bei  Acne  rosacea,  Gesichtserysipel 
und  Alopecia  circumscripta,  Goldschmidt  (24)  und  van  der  Speck  (25) 
bei  Lepra.  Meissner  hebt  noch  besonders  die  spezifisch  schmerzlin¬ 
dernden  Eigenschaften  des  Mittels  lobend  hervor. 

Zu  ähnlich  günstigen  Ergebnissen  kommt  aucli  Neisser  (26) 
Breslau,  der  von  allen  Jodoformersatzmitteln  dem  Europhen  den 
am  meisten  spezifischen  Einfluß  auf  den  Ducrey’schen  Bazillus  zu¬ 
spricht,  sowie  Nolda  (27),  nach  dem  „das  Europhen  das  Geschwür 
(Ulcus  molle)  in  kürzerer  Zeit  reinigt,  schönere  Granulationen  hervor¬ 
bringt  und  schneller  zur  Heilung  führt  als  Jodoform“.  Die  Wunden 
werden  mit  reinem  Europhen  eingepudert,  morgens  und  abends  mit 


1128  Goldmann, 

Sublimat  1:2000  abgespült,  mit  Watte  abgetupft  und  wieder  ein- 
gepudert.  In  den  meisten  Fällen  trat  die  Heilung  und  Vernarbung 
innerhalb  7 — 9  Tagen  ein. 

Der  reinen  Anwendung  des  Europhens  zieht  Richter  (28)  eine 
25°/0ige  Mischung  mit  Borsäure  vor,  resp.  eine  15°/0ige  Salbe  (Europhen 
OL  oliv,  ää  1,5  Lanol.  ad  10,0)  und  erzielte  damit  Heilung  des  weichen 
Schankers  durchschnittlich  in  zehn  Tagen,  der  Bubonen  in  2 — 3  Wochen, 
ein  mit  Rücksicht  auf  die  oft  schweren  Eälle  recht  glänzendes  Resultat. 
Außer  den  66  Fällen  von  Ulcus  molle  und  zwölf  Fällen  von  Bubonen 
wurden  noch  Balanoposthitis,  Herpes  progenitalis,  Sykosis  non  parasi¬ 
taria,  Furunkulosis,  Ekzema  chron.,  Eczema  seborrhoicum,  Herpes  zoster, 
Acne  vulgaris  und  Ulcüs  cruris  varicosum  mit  Erfolg  behandelt ;  speziell 
in  einem  Falle  von  schwerer  ulzeröser  Syphilis,  die  schon,  längere  Zeit 
mit  grauem  Pflaster  vergebens  behandelt  worden  war,  zeigte  sich  die 
antiseptische  Wirkung  in  eklatantester  Weise.  Tägliche  oder  später 
2 — 3  tägige  Verbände  mit  Europhensalbe  brachten  die  Geschwüre  in  drei 
Wochen  zur  Vernarbung.  Schon  nach  dem  zweiten  Verband  wurden 
die  Schorfe  abgestoßen  und  das  Befinden  des  stark  heruntergekommenen 
Patienten  besserte  sich  zusehends. 

Bei  Herpes  genitalis  läßt  Aronstam  die  erkrankten  Stellen  mit 
lauwarmer  Borsäure-Lösung  abwaschen,  mit  Watte  abtupfen  und  einen 
Puder  aus  Zinc.  oxyd.,  Bism.  subnitr.  ää  12,0  Europhen  8,0  aufstreuen. 
Zur  Vermeidung  von  Reibungen  wird  ein  Borgazeverband  angelegt. 
Außerdem  berichten  auch  Lewis,  Nepi,  Canan  u.  a.  über  gleich 
günstige  Erfahrungen  bei  Herpes  zoster  und  progenitalis. 

Weiterhin  eignet  sich  Europhen,  wie  Stewart  und  Canan  be¬ 
richten,  bei  Cystitis  und  Urethritis  zu  Blasenspülungen  und  zwar 
injizieren  sie  1 — 4°/0ige  Lösungen  bei  gleichzeitiger  interner  Behand¬ 
lung.  Durch  c!a.  15  Minuten  dauerndes  Verbleiben  der  Injektion  in 
der  Blase  werden  Tenesmus  und  Harndrang,  sowie  die  Schmerzen  beim 
Harnlassen  gehoben. 

Nach  der  Ansicht  von  Canan,  Richtmann,  sowie  nach  Waugh, 
Roulet  und  Eichhoff,  erwies  sich  Europhen  auch  in  der  gynäkolo¬ 
gischen  Praxis  bei  Vulvitis,  Vaginitis,  Leukorrhoe,  Erosionen,  Ulze- 
rationen  der  Portio,  Endometritis  chronischer  oder  akuter  Art,  Adenitis, 
Kraurosis  vulvae  usw.  von  großem  Nutzen.  Eichhoff  läßt  bei  diesen 
vielfach  in  Verbindung  mit  Gonorrhöe  auf  tretenden  Erkrankungen  das 
Mittel  zweimal  täglich  aufpudern  oder  einen  mit  Europhen  armierten 
Wattetampon  auf  legen,  welch  letzterer  durch  Aufsaugung  des  Sekrets 
gleichzeitig  günstig  auf  den  gonorrhoischen  Prozeß  einwirkt. 

Die  schmerzlindernde  und  antibakterielle  Wirkung  macht  das 
Europhen  auch  zu  einem  wertvollen  Mittel  in  der  Chirurgie,  z.  B.  bei 
Behandlung  von  Schnittwunden,  Abszessen,  Frostbeulen,  Furunkeln, 
Brandwunden,  Hauttransplantationen  und  dergleichen.  Die  in  der 
chirurgischen  Universitätsklinik  von  Exzellenz  Czerny  in  Heidel¬ 
berg  von  Vulpius  mitgeteilten  günstigen  Resultate  werden  auch  von 
fast  allen  anderen  Prüfern  auf  chirurgischem  Gebiete  bestätigt.  „So 
ziemlich  in  allen  Fällen“  sagt  Vulpius  „war  ein  günstiger  Einfluß 
des  Mittels  auf  den  Heilverlauf  zu  erkennen.  Schon  nach  wenigen 
Tagen  zeigte  sich  ein  rasches  Äufschießen  kräftiger  Granulationen,  die 
in  mehreren  Fällen  mit  geradezu  erstaunlicher  Geschwindigkeit  große 
Defekte  ausfüllten,  (ja  das  Niveau  der  Haut  überwucherten  und  so  die 
Uberhäutung  schwierig  gemacht  hätten,  wäre  nicht  zur  rechten  Zeit 


Ueber  Europhen  in  den  verschiedenen  Indikationsgebieten. 


1129 


das  Europhen  weggelassen  worden)“.  Ähnlich  äußert  sich  auch  außer 
van  der  Speck,  Gilbert,  Nepi  usw.  besonders  Ullmann  über  die 
Erfahrungen  in  der  Professor  Hebra’schen  Poliklinik  in  Wien:  ,,Die 
zahlreichen  Fälle,  wo  es  sich  um  reine,  d.  h.  nicht  infizierte  Operations¬ 
wunden  handelte,  z.  B.  nach  Exstirpation  kleiner  Geschwülstchen, 
Wucherungen,  Papillomen  der  Haut  an  den  verschiedenen  Körperstellen, 
ebenso  auch  nach  Phimosenoperationen,  Zirkumzisionen,  Exstirpationen 
mit  darauf  folgender  Naht,  gestaltet  sich  der  Heilprozeß  der  Wunden 
ganz  gleich  dem  unter  der  Jodof ormanwendung  gewöhnlich  beobachteten. 
Wir  kamen  wenigstens  niemals  in  die  Lage,  das  Mittel  während  der 
Behandlung  auszusetzen  oder  durch  Jodoform  ersetzen  zu  müssen.“ 

In  der  Rhino-Laryngo-  und  Otologie  haben  es  in  der  Hauptsache 
Petersen,  Löwenstein,  Chapell  und  von  Szoldrski  einer  ein¬ 
gehenden  Prüfung  unterzogen.  Sowohl  bei  den  auf  einer  Vermehrung 
der  Sekretion  beruhenden  Krankheitsformen  der  Nase,  (Rhinitis  hyper- 
secretoria  und  acuta)  als  auch  bei  denen,  die  eine  Verminderung 
bedingen  (Rhinitis  atrophica  simplex,  Rhinitis  atrophica  foetida),  sowie 
bei  Eczema  narium  und  nach  chirurgischen  Eingriffen  haben  Europhen- 
salbe-Tampons  vorzügliche  Dienste  getan.  Dabei  scheint  nach  Petersens 
(auch  von  Löwen  stein  bestätigten)  Erfahrungen  die  Inkorporierung 
des  Medikaments  in  einer  Salbe  (Europhen  10,0  sol.  in  ol.  oliv.  15,0 
Lanol.  anhydr.  ad  100,0)  vor  den  Insufflationen  den  Vorzug  einer 
schnelleren  Wirkung  zu  haben,  was  wohl  auf  einer  leichteren  Abspaltung 
von  freiem  Jod  aus  dem  in  öliger  Lösung  befindlichen  Europhen  beruht. 

Bei  Ozäna  sahen  Witthauer,  Trnka  in  einer  Reihe  von  Fällen 
Heilungen,  jedoch  traten  vereinzelt  auch  leichte  Rezidive  auf,  die  sich 
aber,  wenn  die  Behandlung  sofort  wieder  aufgenommen  wurde,  rasch 
wieder  beseitigen  ließen. 

Der  Serumbehandlung  des  Heufiebers  scheinen  noch  immer  manche 
Mängel  anzuhaften,  weshalb  Prof.  Denker  versucht,  außer  durch 
spezifische  Einwirkung  auch  die  disponierenden  Faktoren  zu  bekämpfen 
und  zwar  durch  Herabsetzung  der  Empfindlichkeit  der  Mukosa.  Für 
diesen  Zweck  eignet  sich  am  besten  eine  vorsichtige  Massage  der  Schleim¬ 
haut  mit  10°/0igem  Europhenöl,  der  eine  Einpinselung  mit  10°/0iger 
Kokain-Adrenalinlösung  vorausgehen  muß.  In  sämtlichen  Fällen  war 
die  Massage  während  der  Heufieberperiode  von  Erfolg  begleitet. 

Die  Beeinflussung  von  tuberkulösen  Prozessen  scheint  etwas 
zweifelhaft  zu  sein,  jedoch  beseitigt  es  nach  dem  Urteil  aus  Professor 
Jur  aß  Klinik  in  Heidelberg  (Szoldrski)  bei  Larynxphthise  die  patho¬ 
logisch  gesteigerte  Sekretion  der  Schleimhaut  innerhalb  kurzer  Zeit, 
so  daß  eine  fast  spezifische  Einwirkung  vorgetäuscht  werden  konnte. 
Nach  Prof.  J.  Lef  f  ingwell-Hatch  darf  bei  Patienten,  deren  Lungen¬ 
prozeß  zu  weit  vorgeschritten  ist,  nicht  erwartet  werden,  daß  eine 
Heilung  erzielt  werden  kann,  „jedoch  ist  auch  in  diesen  Fällen  die  Be¬ 
deutung  des  Europhens  nicht  zu  unterschätzen,  weil  es  die  lästigen 
Symptome  der  Dysphagie  und  Aphonie  mildert  bezw.  gänzlich  beseitigt“. 

Nolda  imd  ausführlicher  noch  Rieht  mann  und  Lieven  berich¬ 
ten  über  die  Behandlung  der  eitrigen  Mittelohrentzündung.  Letzterer 
Autor  gießt  eine  10°/0ige  Lösung  in  Öl  in  das  vorher  durch  Ausspritzen 
gereinigte  und  getrocknete  Ohr  imd  erreicht  durch  2 — 3  Minuten  lange 
Einwirkung  eine  völlige  Reinigung  der  sichtbaren  Paukenhöhlen-Schleim- 
haut  weit  besser  als  nach  Verwendung  der  antiseptischen  Spülwässer. 


1130  Goldmann,  Ueber  Europhen  in  den  verschiedenen  Indikationsgebieten. 


In  der  Ophthalmologie  zeigte  Europhen  nach  Fernandez  bei  Kon- 
junktivitiden,  Keratitiden,  zufälligen  Traumen  und  Operationswunden 
außer  schmerzstillenden  Eigenschaften  auch  noch  eine  ganz  erhebliche 
sekretions vermindernde,  austrocknende  und  narbenbildende  Wirkung, 
selbst  nach  schweren  Operationen,  wie  Enukleationen. 

Ganz  vereinzelt  hat  Europhen  auch  in  der  internen  Medizin  An¬ 
klang  gefunden.  Po  well  empfiehlt  gegen  die  Schmerzen  bei  chronischer 
Enterokolitis,  chronischem  Magen-  und  Darmkatarrh,  chronischer 
Obstipation  usw.  Suppositorien  (Europhen  und  Aristol  ää)  nach  deren 
Gebrauch  die  Schmerzhaftigkeit  prompt  nachließ ;  außerdem  leisten 
beide  Mittel  als  Haemostatica  bei  Epistaxis  vorzügliche  Dienste. 

Literatur. 

Arons t ata,  The  Medical  Times  1902,  ,3. 

Belezza,  II  Policlinico  1902,  63. 

Bornemann,  Dermatol.  Centralblatt  1907,  2. 

Canan,  Canadian  Journal  of  Med.  and  Surgery. 

Chappel,  Medical  Becord  1892,  23.  ApGl. 

Cor  ton  a,  La  Biforma  Medica  1908,  4. 

Denker,  Münch.  Med.  Wochenschr.  1905,  19. 

Eckstein,  Wien.  Med.  Presse  1907,  37. 

Eichhoff,  Therap.  Monatshefte  1891,  7. 

—  Therap.  Monatshefte  1893,  1. 

Estay,  Contribution  ä  l’etude  des  applications  de  l’Europhene  au  traite- 
ment  du  chänce  mon.  Dissertation,  Paris  1893. 

Fernandez,  Cronica  Medico-Quirurgica  1891,  24. 

Fournier,  Journ.  de  Malad,  cutanees  et  syphilitiques  1897,  7. 

Gaudin,  Journ.  de  Malad,  cutanees  et  syphilitiques  1892,  1. 

Gilbiert,  Baineologisches  Centralblatt  1892,  13. 

Gold'mann,  Pharm.  Ztg.  1891,  56. 

Goldschmidt,  Deutsch.  Med.  Wochenschr.  1901,  2. 

Gottheil,  Medical  Becord  1892,  Dez. 

Griwzow,  Buss.  Marineannalen  1898. 

Hatch,  J.  Leffingwell,  Allg.  Med.  Centr.-Ztg.  1901,  86. 

Ivopp,  Ärztl.  Centr.-Anz.  1895,  27. 

Lewis,  The  Vermont  Med.  Monthly  1900,  6. 

Lieven,  Deutsch.  Med.  Wochenschr.  1893,  16. 

Lohn  stein,  Allg.  Med.  Centr.  Ztg.  1908,  17. 

Löwenstein,  Therap.  Monatshefte  1891.  9. 

Meissner,  Berl.  klin.  Wochenschr.  1908,  35. 

Bei  ss er  u.  Sicher  t,  Med.  Klinik  1905,  Kov. 

Nepi,  Bevista  Med.  Pugliese  1907,  19. 

Nolda,  Therap.  Monatshefte  1891,  10. 

Öfelein  u.  Neuberger,  Monatshefte  f.  prakt.  Dermatologie  1893,  8. 
Parker,  Med.  Beview  of  Beviews  1902,  2. 

Petersen,  Wratch  1892,  2. 

Powell,  The  Medical  World  1892,  10.  Dez. 

Bfchter,  Dermal.  Centralbl.  XI,  2. 

Bfchtmann,  Ärztl.  Central. Anz.  1893,  23. 

Bosejnthal,  Berl.  klin.  Wochenschr.  1892,  11. 

Boulet,  American  Surgery  and  Gynecology  1901,  Aug. 

Saalfeld,  Therap.  Monatshefte  1900,  3. 

Saxl,  Milwaukee  Med.  Journal  1902,  11. 

Shoemaker,  The  Med.  Bulletin  1892,  9. 

Shoyer,  The  Med.  Fortnightly  1900,  8. 

Siebtel,  Ther.  Monatshefte  1891,  7. 

Speck,  van  der,  Med.  Weekblad  voor  Noord  en  Zuid  Xederland  1897,  2. 
Stewart,  Interstate  Med.  Journ.  1903,  4. 


Berliner  Brief. 


1131 


Szoldrski,  Münch.  Med.  Wochenschr.  1893,  43. 

Trnka,  Wien.  Med.  Wochenschr.  1893,  32. 

Uhlmann,  Internat.  Klin.  Rundschau  1894,  25.  Jan. 
Vülpius,  Deutsch.  Med.  Wochenschr.  1891,  14. 
Waugh,  Merck’s  Archiv,  Okt.  1899. 

Witthauer,  Münch.  Med.  Wochenschr.  1901,  24. 


Berliner  Brief. 

Die  Berliner  medizinische  Gesellschaft  beschloß  im  Sommer  1906 
nach  einer  eingehenden  Perityphlitisdeb ätte  für  das  Jahr  1907  eine 
Sammelforschung  unter  der  Ärzteschaft  Groß-Berlins,  betreffend  die 
Blinddarmentzündungen,  zu  veranstalten.  Sie  wählte  eine  neungliedrige 
Kommission,  an  deren  Spitze  Kraus  und  Kotter  standen,  die  einmal 
einen  Fragebogen  entwerfen',  sodann  die  Statistik  durchführen  sollte.  , 
Man  hoffte  auf  diesem  Wege  einige  noch  strittige  Fragen  zu  klären. 
Ist  es  doch  noch'  immer  zweifelhaft,  oh  die  Krankheit  in  den  letzten 
Jahrzehnten  wirklich  häufiger  und  auch  schwerer  geworden  als  früher 
oder  ob  die  Zunahme  der  Erkrankung  nur  durch  die  bessere  Diagnostik 
unserer  Zeit  vorgetäuscht  wird.  Auch  in  bezug  auf  Ätiologie  und 
Therapie  der  Krankheit  erwartete  man  manche  für  Wissenschaft  und 
Praxis  wichtige  Aufschlüsse. 

Wie  Al  hu,  eines  der  Mitglieder  der  betreffenden  Kommission, 
jüngst  in  der  medizinischen  Gesellschaft  berichtete,  hat  diese  Statistik 
nach  'mehreren  Richtungen  hin  versagt,  zum  Teil  durch  die  ungenügende 
Beteiligung  der  praktischen  Ärzte.  Kur  134  Ärzte,  d.  i.  8°/0  der  in 
Betracht  kommenden,  haben  sich  daran  beteiligt,  während  sich  von 
den  öffentlichen  Hospitälern  nur  zwei  - —  aus  unbekannten  Gründen  - — - 
ferngehalten  haben.  Die  geringe  Beteiligung  der  Ärzte  wird  allerdings 
zum  Teil  darauf  zurückgeführt,  daß  die  Patienten  mit  Blinddarm¬ 
entzündungen,  sofern  sie  nicht  schon  von  vornherein  ein  Krankenhaus 
oder  eine  Klinik  aufsuchen,  so  doch  von  den  Ärzten  solchen  über¬ 
wiesen  werden,  und  die  Ärzte  dann  die  Anzeige  der  Fälle  den  be¬ 
treffenden  Anstalten  überlassen  haben.  Wenn  der  Berichterstatter  als 
einen  ferneren  Grund  anführte,  daß  manche  Ärzte  sich  zurückgehalten 
haben,  da  sie  in  Mitteilungen  an  die  Kommission  eine  Verletzung 
des  Berufsgeheimnisses  fürchteten,  so  dürfte  er  doch  wohl  irren.  Soweit 
ich  die  Berliner  Ärzte  kenne,  beteiligen  sie  sich  zum  Teil  nur  ungern 
an  solchen  Sammelforschungen,  weil  sie  der  vielleicht  irrtümlichen 
Ansicht  leben,  sie  nützen  damit  der  Wissenschaft  wenig,  arbeiten  dafür 
aber  ad  majorem  gloriam  einzelner  Kommissionsmitglieder. 

Von  3489  Zählbogen  kamen  369  in  Abzug  als  Doppelzählungen, 
104  Meldungen  =  3,3  °/0  als  Fehldiagnosen.  Diese  betreffen  zum  großen 
Teil  Erkrankungen  der  weiblichen  Genitalien,  ferner  Bauchfelltuber- 
kulose,  Ileus,  Bauchdeckenphlegmone,  Gasabszeß,  Cholelithiasisi  und 
Nephrolithiasis.  Bei  den  2705  akuten  Anfällen,  die  gemeldet  sind, 
befindet  sich  eine  Mortalität  von  8°/0;  wenn  die  Mortalität  in  den 
Krankenhäusern  bedeutend  höher  ist  als  in  der  Häuslichkeit,  so  ist 
das  darauf  zurückzuführen,  daß  hier  nur  die  leichteren  Fälle  behan¬ 
delt  werden. 

Die  Hauptzahl  der  Erkrankungen,  34,6  °/0,  kommt  im  zweiten 
Lebensjahrzehnt  vor,  fast  ebenso  groß  ist  die  Frequenz  im  dritten 
Lebensjahrzehnt,  nämlich  29,6 °/0;  dann  nimmt  sie  ab  und  jenseits  des 


1132 


Berliner  Brief. 


50.  Lebensjahres  sind  es  nur  noch  3,5  °/0.  Die  Mortalität,  nach  ein¬ 
zelnen  Lebensaltern  betrachtet,  verläuft  der  Morbidität  keineswegs 
parallel.  Bei  Kindern  unter  10  Jahren  ist  die  Mortalität  17,4 °/0,  dann 
sinkt  sie,  um  erst  wieder  nach  dem  30.  Lebensjahr  zu  steigen;  nach  dem 
50.  Lebensjahr  erreicht  sie  ihre  größte  Höhe  (21°/0). 

Uber  die  Drage,  wie  weit  vorauf  gegangene  Infektionskrankheiten, 
insbesondere  Influenza  und  Angina  die  Perityphlitis  herbeigeführt  haben, 
läßt  die  Sammelforschung  vollständig  im  Stich.  Trauma  ist  auch 
nur  dreimal  verzeichnet;  es  ist  hier  wohl  nur  ,,agent  provocateur“  für 
latente  Entzündungsherde.  Bei  der  Mehrzahl  der  Fälle  handelt  es 
sich  um  enterogene  Infektion  des  Wurmfortsatzes.  Wenn  dabei  von 
voraufgegangenen  Darmerkrankungen  nur  in  2  °/0  der  Fälle  Kolitis, 
in  9,5  °/0  chronische  Obstipation  angegeben  wird,  so  beruht  das  nach 
der  Ansicht  des  Referenten  auf  mangelhaften  anamnestischen  Angaben. 
Er  selbst  konnte  in  50 — 60°/0  der  Fälle  aus  seinem  eigenen  Material 
ausgesprochene  chronische  Darmschwäche  nachweisen.  Als  initiales 
Symptom  findet  sich  Obstipation  in  50°/0  der  Erkrankungen  verzeich¬ 
net,  ebenso  oft  Erbrechen;  mit  Fieber  verlaufen  62 °/0.  Bezüglich  der 
reflektorischen  Bauchmuskelspannung  über  dem  Krankheitsherde,  der 
sogen.  Defense  musculaire,  versagt  die!  Statistik  ganz.  In  60°/0  der 
Fälle  sind  Resistenzen  verzeichnet,  davon  werden  19°/0  als  Abszesse 
angegeben. 

Interessant  ist,  daß  neben  68,5  °/0  erstmaligen  Erkrankungen  nur 
31,5  °/0  Rezidive  beobachtet  wurden,  so  daß  also  ihre  Häufigkeit  wohl 
überschätzt  wird.  Somit  ist  auch  bei  erstmaliger  Erkrankung  die 
Rücksicht  auf  etwaige  Rezidive  kein  ausreichender  Grund  für  operative 
Behandlung.  Kur  der  klinische  Befund  im  akuten  Anfall  kann  dafür 
ausschlaggebend  sein. 

Während  auf  dem  Gebiet  der  Ätiologie  und  der  Symptomatologie, 
wie  aus  dem  Albu’schen  Referat  hervorgeht,  die  Sammelforschung 
nicht  sehr  ergiebig  war,  gibt  der  Bericht  Rotter’s  über  die  thera¬ 
peutischen  Erfolge  interessante  Einzelheiten.  Der  Bericht  gewinnt  an 
Interesse  durch  den  •Vergleich,  den  der  Berichterstatter  mit  den  Ergeb¬ 
nissen  einer  Zusammenstellung  aus  dem  Material  des  St.  Hedwigs- 
Krankenhauses  aus  den  Jahren  1893 — 1908  zieht.  Von  den  2705  akuten 
Erkrankungen  der  Sammelforschung  wurden  2365  im  Krankenhaus, 
340  in  der  Familie  behandelt.  Im  Krankenhaus  wurden  1344  Fälle 
operiert,  und  zwar  105  am  ersten  Tage  mit  einer  Mortalität  von  0,9  °/0; 
am  zweiten  Tage  318  mit  einer  Mortalität  von  7  °/0 ;  am  dritten  Tage 
238  mit  einer  Mortalität  von  10 °/0 ;  von  683  Fällen,  die  am  vierten 
Tage  oder  später  operiert  wurden,  starben  22  °/0.  Das  zeigt,  daß  die 
Operation  während  des  akuten  Stadiums  nicht  gefährlicher  ist  als 
im  Stadium  ä  froid.  Wenn  von  1021  nichtoperierten  Fällen  nur  1,6  °/0 
starben,  so  besagt  das  nur,  daß  man  nur  solche  Fälle  unoperiert  ließ, 
bei  denen  von  einer  Operation  kein  Erfolg  mehr  zu  erwarten  war. 
Von  Iden  340  in  der  Familie  behandelten  Fällen  starben  auch  nur  1,7  °/0. 
Daraus  ist  ersichtlich,  daß  schwerere  Fälle  nur  ausnahmsweise  in  der 
Familie  behandelt  werden.  Bei  902  Operationen  ä  froid  war  eine  Mor¬ 
talität  von  0,9  °/0;  nahezu  die  Hälfte  dieser  Operationen  wurde  bereits 
nach  dem  ersten  Anfall  gemacht.  Prognostisch  am  ungünstigsten  ist 
die  Operation  nach  einem  überstandenen  Abszeß. 

Die  Resultate  der  Epithyphlitisbehandlung  haben  sich  nach  den 
Ergebnissen  des  Jahres  1902  gegen  früher  im  Spät  Stadium  nicht 


Berliner  Brief. 


1133 


wesentlich  gebessert,  weil  die  Mortalität  der  vorgeschrittenen  diffusen 
Peritonitis  und  der  Abszesse  stets  eine  hohe  bleiben  wird.  Dagegen 
ist  durch  die  Frühoperation  die  Mortalität  von  10°/0  auf  2°/0  ge¬ 
sunken.  Es  soll  daher  von  jetzt  ab  das  ganze  Schwergewicht  unserer 
Epityphlitistherapie  nicht  in  das  Intervall,  sondern  in  den  akuten 
Anfall,  und  zwar  in  das  Erühstadium  —  die  ersten  48  Stunden  — 
verlegt  werden.  — 

Daß  die  Form  der  Anwendung  des  Behring’ sehen  Serums  bei 
der  Diphtherie  in  mancher  Hinsicht  modifiziert  werden  muß,  suchte 
F.  Meyer  durch  die  Versuche  nachzuweisen,  über  die  er  in  der  medi¬ 
zinischen  Gesellschaft  berichtete.  Die  Mortalität  ist  nach  Einführung 
des  Serums  um  mehr  als  50°/0  gesunken,  beträgt  aber  noch  immer 
12 — 18  °/0.  Man  hat  bei  der  Diphtherie  vier  Todesursachen.  Zunächst 
den  akuten  Herztod.  Er  wird  nach  Romberg’s  Hypothese  durch  eine 
Yasomotorenlähmung  mit  sekundärer  Herzschwäche  bedingt.  Dement¬ 
sprechend  wurde  auch  bei  Tieren  vor  dem  Tode  ein  rapides  Sinken  des 
Herzdruckes  beobachtet.  Wie  Meyer  nun  beobachtete,  kann  recht¬ 
zeitig  verabfolgtes  Serum  die  Drucksenkung  verhüten,  eine  bestehende 
Drucksenkung  kann  durch  die  größten  Dosen  Heilserum  jedoch  nicht 
aufgehoben  werden.  Die  schweren  hypertoxischen  Fälle  erzeugte  M. 
beim  Tier  durch  intravenöse  Injektion  einer  einfach  tödlichen  Toxin¬ 
dosis.  Hier  erzielte  er  durch  schnellste  Anwendung  größter  Serum¬ 
mengen  auf  intravenösem  Wege  Heilung,  selbst  wenn  trotz  schein¬ 
baren  Wohlbefindens  schon  Zeichen  einer  organischen  Giftbildung  sich 
nachweisen  ließen.  Als  einziges  wirksames  Herzmittel,  das  imstande 
ist,  den  Diphtheriekollaps  für  eine  Reihe  von  Stunden  vollkommen 
zu  bekämpfen,  erwies  sich  das  Adrenalin. 

Dem  Tode  durch  zu  späte  und  ungenügende  Behandlung  kann 
vorgebeugt  werden,  indem  man  auch  in  den  scheinbar  leichteren  Fällen 
die  Serumdosis  vergrößert ;  für  schwerere  Fälle  hat  sich  eine  noch 
bedeutend  größere  Dosis,  insbesondere  in  Form  der  intravenösen  Ein¬ 
spritzung  als  wirksam  erwiesen.  Für  letztere  müßte  allerdings  ein 
steriles  Serum  ohne  den  bisher  vorgeschriebenen  Karbolzusatz  herge¬ 
stellt  werden.  Auch  die  nach  Diphtherie  eintretenden  Herzstörungen 
können  durch  zeitig  gegebene  große  Seruminjektionen  verhindert  wer¬ 
den ;  die  Heilung  bereits  bestehender  anatomischer  Veränderungen  durch 
das  Serum  ist  durchaus  unwahrscheinlich.  Der  postdiphtherische  Maras¬ 
mus,  den  man  bei  Tieren  ebenso  wie  beim  Menschen  beobachten  kann, 
kann  durch  eine  Injektion,  welche  imstande  ist,  die  Intoxikation  zu 
einer  akut  nichttödlichen  zu  machen,  nicht  aufgehalten  werden.  Zeitig 
verabfolgte  und  häufiger  wiederholte  große  Dosen  wirken  aber  auch 
hier  günstig. 

Die  praktischen  Erfahrungen  in  der  ITeubner’schen  Klinik  be¬ 
stätigen,  wie  Eckert  in  der  Diskussion  bemerkt,  die  Experimente 
Meyers.  Er  betont  die  Notwendigkeit  der  frühzeitigen  Injektion. 
Dabei  ist  die  subkutane  Injektion  fast  ganz  verdrängt  vornehmlich 
durch  die  intravenöse  Injektion,  die  auch  mit  dem  karbolhaltigen  Serum 
in  Dosen  bis  zu  9000  Einheiten  unschädlich  ist.  Für  die  Privatpraxis 
ist,  da  leichter  ausführbar,  die  von  Morgenroth  empfohlene  intra¬ 
muskuläre  Injektion  in  die  Glutäen  vorzuziehen.  Auch  E.  hat  günstige 
Wirkungen  bezüglich  Hebung  des  Blutdrucks  durch  Adrenalin  gesehen. 
Ritter  erinnert  daran,  mit  wie  kleinen  Mengen  Serum  man  früher 
Erfolge  gesehen  haben  will.  Nach  den  Beobachtungen  Meyers  und 


1134 


Vorläufige  Mitteilungen  und  Autoreferate. 


den  Erfahrungen  der  Heubner’schen  Klinik  muß  man  annehmen,  daß 
diese  Heilungen  nur  durch  Autosuggestion  auf  das  Serum  bezogen  sind. 
Er  ist  auch  nicht  dafür,  gleich  zu  Beginn  der  Erkrankung  zu  große 
Dosen  zu  geben.  Mitunter  versagen  auch  die  riesigen  Dosen.  Ba- 
ginsky  stellt  es  mit  Nachdruck  in  Abrede,  daß  es  bei  der  Serum¬ 
therapie  Autosuggestion  gegeben  habe.  Er  glaubt,  daß  auch  jetzt  nicht 
die  hohen  Dosen  notwendig  seien.  Sie  wären  schon  aus  finanziellen 
Gründen  schwer  durchführbar ;  die  Einspritzungen  bei  einem  Einzel¬ 
fall  könnten  50 — 80  Mk.  kosten.  Morgenroth  sieht  in  den  Versuchen 
Meyer’s  eine  Bestätigung  seiner  bereits  vor  zwei  Jahren  erhobenen 
Forderungen.  Die  subkutane  Injektion  ist  ganz  zu  verlassen.  Für 
die  intravenöse  Injektion  muß  ein  Serum  ohne  Phenol  hergestellt  wer¬ 
den,  was  ohne  Schwierigkeit  geschehen  kann.  Heubner  erinnert  daran, 
daß  Koch  und  Behring  geglaubt  haben,  daß  man  durch  600—1000 
Einheiten,  die  man  früh  einverleibt,  das  innerhalb  des  Blutes  zirku¬ 
lierende  Diphtherietoxin  abfange ;  von  späteren  größeren  Dosen  haben 
sie  keinen  Erfolg  erwartet.  Ob,  wie  es  die  Meyer’schen  Untersuchungen 
versprechen  und  die  Ecker  t’schen  Erfahrungen  zu  bestätigen  scheinen, 
spätere  größere  Dosen  weitere  Gefahren  zu  bannen  vermögen,  bleibt 
abzuwarten.  — r. 


Vorläufige  Mitteilungen  u.  Autoreferate. 

Ueber  duodenalen  postoperativen  Ileus. 

Von  Dr.  C.  Weinbrenner,  Magdeburg. 

Die  akute  Magenlähmung  mit  Verschluß  des  Duodenum  durch 
Kompression  der  über  den  horizontalen  Schenkel  hinwegziehenden  Mesen¬ 
terialwurzel  ist  eine  ernste  Komplikation,  die  die  schlechteste  Prognose 
hat,  wenn  sie  nicht  erkannt  und  in  der  geeigneten  Weise  behandelt  wird. 
Die  Diagnose  ist  nicht  immer  leicht,  weil  eine  Verwechselung  mit 
einer  stürmischen  Peritonitis  naheliegt.  Die  Auftreibung  des  Leibes 
besteht  lediglich  aus  dem  geblähten  Magen  und  Duodenum,  während 
der  Dünndarm  kollabiert  im  kleinen  Becken  liegt.  Stuhl  und  Winde 
sind  angehalten.  Es  besteht  andauerndes  Erbrechen.  Das  Erbrechen 
setzt  sich  aus  Transsudat,  Galle  und  Pankreassaft  zusammen.  Der 
Nachweis  des  permanenten  Bückflusses  von  Galle  und  Pankreassaft 
in  den  Magen  ist  für  die  Beurteilung  eines  infrapapillären  Hindernisses 
im  Duodenum  von  Wert.  Das  Erbrochene  hat  nie  f äkuläpten  Geruch. 
Die  Temperatur  ist  nicht  erhöht,  während  der  Puls  bald  frequent  und 
schlecht  wird.  Großes  Durstgefühl;  rapider  Verfall.  Operative  Ma߬ 
nahmen  sind  nicht  geeignet.  Eventuell  können  frühzeitig  begonnene  ünd 
systematisch  durchgeführte  Magenausheberungen  helfen,  sind  aber  nicht 
zuverlässig.  Das  beste  Heilmittel  ist  die  zuerst  von  Schnitzler  für 
solche  Fälle  empfohlene  Bauchlage,  bei  der  der  Dünndarm  Und  der  Magen 
durch  ihre  Verlagerung  ihre  Zugrichtung  und  ihren  Druck  in  dem, 
Sinne  verändern,  daß  eine  Entspannung  der  Badix  mesenterii  und  eine 
Entlastung  des  Duodenum  die  Folge  ist.  Der  Erfolg  trat  in  allen  bis 
jetzt  bekannten  Fällen  meist  momentan  ein. 

In  der  Frage  der  Ätiologie  gehen  die  Ansichten  auseinander.  Meist 
wird  die  primäre  Strangulation  des  Duodenum  bestritten.  Die  Inkarze¬ 
ration  soll  nur  sekundär  im  Anschluß  an  akute  Magendilatation  ein- 
treten,  und  zwar  in  der  Weise,  daß  der  sich  ausdehnende  Magen  die  Dünn- 


Vorläufige  Mitteilungen  und  Autoreferate. 


1135 


därme  aus  dem  Bauchraum  nach  dem  Becken  zu  verdrängt  und  dadurch 
unter  bestimmten  anatomischen  Voraussetzungen  das  Mesenterium  so  an¬ 
spannt,  daß  die  Wurzel  des  Mesenterium  das  Duodenum  stranguliert. 
W.  ist  der  Ansicht,  daß  dieser  Mechanismus  nicht  allen  Fällen  zugrunde 
liegt.  Die  Strangulation  kann  auch  primär  entstehen.  Die  Schwere  und 
der  Zug  der  ins  kleine.  Becken  hängenden  leeren  Dünndarmschlingen 
kommt  nach  W.  dabei  weniger  in  Frage  und  ist  unwahrscheinlich,  wohl 
aber  Zufälligkeiten,  die  mechanisch  die  Zerrung  am  Mesen¬ 
terium  hervorrufen  oder  die  im  kleinen  BieCken  liegenden  Dünn¬ 
därme  zurückhalten.  Namentlich  sind  es  nach  Operationen  in  der 
Bauchhöhle  Verwachsungen  und  Tamponade,  die  als  Ursache  einer  Zer¬ 
rung  am  Mesenterium  unsere  Beachtung  verdienen.  W.  beobachtete  einen 
Fall,  in  dem  die  Zerrung  am  MeseDterium  und  die  Inkarzeration  des 
Duodenum  mit  Lähmung  des  oberhalb  gelegenen  Darmabschnittes  (Duo¬ 
denum  und5  Magen)  dadurch  hervorgerufen  wurde,  daß  nach  einer  Laparo¬ 
tomie  (Adnexoperation,  Ventrifixur)  die  wegen  diffuser  Wundflächen¬ 
blutung  in  den  Douglas  geführte  Tamponade  eine  dem  vorspringenden 
Promontorium  sich  vorlagernde  Dünndarmschlinge  fixierte  und  damit 
eine  Zerrung  am  Mesenterium  verursachte,  die  nach  den  Experimenten 
an  der  Leiche  auch  bei  geringem  Zug  eine  Einschnürung  des  Duodenum 
durch  die  Mesenterialwurzel  zur  Folge  hat.  Der  Fall  verlief  äußerst 
stürmisch.  Die  Entfernung  der  Tamponade  genügte  nicht,  die  Inkarze-, 
ration  aufzuheben,  da  der  Magen  bereits  stark  erweitert  war  und  durch 
seine  Schwere  die  Kompression  weiter  unterhielt.  Die  Kranke  wurde 
in  desolatem  Zustande  in  Knieellenbogenlage  gebracht  mit  dem  Erfolg, 
daß  momentan  das  Erbrechen  zum  Stillstand  kam.  Die  Lagerung  dauerte 
3/4  Stunde.  Flatus  spontan,  keine  Übelkeit  und  kein  Erbrechen  mehr. 
Genesung..  W.  empfiehlt  in  der  Annahme,  daß  bei  der  Verlagerung 
der  Därme  leichte  zerrende  Adhäsionen  gelöst  oder  entspannt  werden 
können,  bei  postoperativem  Strangulationsileus  überhaupt  vor  einer 
Wiedereröffnung  des  Leibes  einen  Versuch  mit  allseitiger  Lagever¬ 
änderung. 


Die  bakterizide  und  hämolytische  Wirkung  der  tierischen  Gewebsflüssig¬ 
keiten  und  ihre  Beziehungen  zu  den  Leukozyten. 

Von  Dr.  B.  Schneider,  München.  (Archiv  für  Hygiene,  Bd.  70,  H.  1  u.  2.) 

Unter  die  dem  Organismus  zur  Verfügung  stehenden  antibakte¬ 
riellen  Schutzmittel  sind  neben  dem  Alexin  und  der  Phagozytose  die 
„Leukine“  zu  rechnen.  So  nennt  der  Verfasser  die  von  ihm  studierten 
Stoffe  der  polymorphkernigen  Leukozyten.  Durch  Digestion  in  phy¬ 
siologischer  Kochsalzlösung,  der  eine  gewisse  Menge  Blutserum  zu¬ 
gesetzt  ist,  kann  man  die  Leukozyten  zur  Abgabe  ihrer  wirksamen 
Substanzen  bringen.  Dies  geschieht  aktiv  infolge  einer  sekretorischen 
Tätigkeit  der  weißen  Blutzellen  —  nicht  etwa  infolge  ihres  Absterbens. 
Die  Leukozyten  sind  demnach  Freß-  und  Sekretionszellen. 

Unter  normalen  Verhältnissen  enthält  das  Blut  ebenso  wie  die 
Gefäßlymphe  keine  Leukine;  letztere  finden  sich  jedoch  in  leukozyten¬ 
haltigen  Exsudaten  und  in  der  Stauungslymphe  des  Unterhautzell- 
ge wehes. 

Die  Leukine  sind  nicht  identisch  mit  dem  Alexin  (Büchner)  oder 
der  bakteriziden  Mikrozytase  (Metschnikof f),  da  sie  vor  allem  ther¬ 
mostabil  sind  und  Bakterien  abtöten,  gegen  die  das  Alexin  nichts  ver¬ 
mag  (Streptokokken,  Pneumokokken,  Diphtheriebazillen). 


1186 


Referate  und  Besprechungen. 


Das  hämolytische  Alexin,  die  Makrozytase,  stammt  nicht,  wie 
Metschnikoff  annimmt,  ans  den  mononukleären  Leukozyten.  Es  lassen 
sich  aus  diesen  Zellen,  die  ebenso  Bakterien  wie  rote  Blutkörperchen 
unter  geeigneten  Umständen  fressen  und  verdauen,  keine  glohuliziden 
Stoffe  gewinnen. 

Die  hämolytische  Wirkung  der  Extrakte  aus  makrozy  teilhaftigen 
Organen  (Lymphdrüsen,  Milz)  und  die  globulizide  Aktion  des  Blut¬ 
serums  sind  auf  verschiedene  Substanzen  zurückzuführen. 

Die  Blutplättchen  liefern  nur  Plakine  (Grrubeir),  deren  bakterizide 
Wirkung  sich  nur  auf  den  Milzbrandbazillus  und  seine  Verwandten 
erstreckt.  Autoreferat. 


Referate  und  Besprechungen. 


Bakteriologie  und  Serologie. 

Aus  der  königl.  dermatologischen  Universitätsklinik  zu  Breslau  (Direktor:  Geh. 
Med. -Rat  Prof.  Dr.  Neisser).  Serologische  Abteilung  (Dr.  Bruck)  und  dem  staat¬ 
lichen  Lepraheim  in  Memel  (Kreisarzt  Dr.  Gessner). 

Ueber  Serumuntersuchungen  bei  Lepra. 

(Dr.  Carl  Bruck  u.  Kreisarzt  Dr.  Gessner.  Berl.  klin.  Wochenschr.,  Nr.  13,  1909.) 

Außer  den  von  einigen  Autoren  bei  Scharlach  erhobenen  Befunden, 
welche,  wie  allgemein  anerkannt,  die  praktische.  Verwendbarkeit  der  W  asser  - 
mann’schen  Komplementbindungsreaktion  für  die  Syphilis  in  keiner  Weise 
beeinträchtigen,  kommt  analoge  Reaktion  nach  den  heutigen  Erfahrungen 
nur  noch  bei  Framboesia  tropica  und  Lepra  vor.  Die  von  Bruck  und  Hoff- 
mann-Blumenthal  bei  Frambo>esia  erhobenen  Befunde  sind  bei  der  großen 
klinischen  und  ätiologischen  Verwandtschaft  nicht  weiter  auffallend.  Über 
Untersuchungen  von  Leprösen  liegen  eine  "größere  Anzahl  von  Arbeiten  vor. 
Slatineano  und  Danielopol  untersuchten  26  Fälle  vorgeschrittener  Lepra, 
von  denen  20  stark,  4  mäßig  und  2  schwach  positiv  reagierten,  sowie.  19 
Lumbalflüssigkeiten,  von  denen  7  stark,  4  mäßig,  3  schwach  und  5  negativ 
reagierten.  Jundell,  Almquist  und  Sandlnann  fanden  bei  26  Lepra- 
kranken  4mal  völlige,  4mal  partielle  positive,  16  mal  negative  Reaktionen. 
Die  8  positiven  Fälle  betrafen  5  mal  die  tuberöse,  3 mal  die  anästhetische 
Form,  woraus  Verfasser  schließen,  daß  der  Ausfall  der  Reaktion  wedier  von 
der  Form  der  Krankheit  noch  von  dem  Verlaufe  und  Alter  derselben  ab¬ 
hängig  sei.  Dagegen  vertritt  Georg  Meier,  der  28  Lepröse  untersuchte,, 
die  Ansicht,  daß  bei  der  der  Syphilisreaktion  analogen  Untersuchung  positive 
Reaktion  ausschließlich  oder  weitaus  häufiger  bei  der  tuberösen  Lepra  vor¬ 
komme.  Bruck  und  Gessner  berichten  über  die  Untersuchungen,  welche 
bei  10  Leprösen  des  Memeler  Lepraheims  vorgenommen  wurden.  Sie  fanden, 
daß  von  7  Fällen  tuberöser  Lepra  5.  =  71,4%  positive  Reaktion  zeigten, 
während  die  2  anderen  tuberösen  Fälle  und  ajlle  3  anästhetischen  negativ 
reagierten,  stimmen  daher  der  Ansicht  von  G.  Mei,er  bei,  daß  die  positive 
Reaktion  bei  Lepra  wenn  nicht  ausschließlich,  so  doch  besonders  häufig  eine 
Begleiterscheinung  der  tuberösen  Form  darstellt.  Verfasser  glauben  nicht, 
daß  die  beschriebene  Seroreaktion  eine  große  diagnostische  Bedeutung  haben 
wird;  interessant  ist  nur,  daß  zwei  ätiologisch  und  klinisch  so  fernstehende 
Krankheiten  wie  Syphilis  und  Lepra  eine  gleichartige  Reaktion  auszulösen 
vermögen.  ' 

Ob  die  bei  Syphilis  und  Lepra  reagierenden  Substanzen  identisch  oder 
verschieden  sind,  läßt  sich  mit  Sicherheit  noch  nicht  entscheiden. 

'  Carl  Grünbaum  (Berlin). 


Referate  und  Besprechungen. 


1137 


Ueber  den  Komplementbindungsversuch  bei  Variola  vera. 

(T.  Sugai,  Osaka.  Zentralbl.  für  Bakt.,  Bd.  49,  H.  5.) 

Die  Methode  der  Komplementablenkung  nach  Wassermann  tritt  nach 
den  Untersuchungen  des  Verfassers  auch  bei  Variola  vera  ein.  Die  Reaktion 
gelingt  auch,  wenn  statt  des  Inhaltes  der  Pusteln  Kuhpockenlymphe  als 
Antigen  gegen  das  Serum  des  Pockenkranken  benutzt  wird.  Im  Blute  einer 
Person,  die  eine  Vaecination  mit  Erfolg  durchgemacht  hat,  sind  Antikörper 
im  Blute  gegen  Pocken  noch  nach  langer  Zeit  (zehn  Jahre)  nachzuweisen. 

Hieraus  wird  ersichtlich,  daß  Pocken  und  Kuhpocken  ursprünglich  ein- 
und  dieselbe  Krankheit  sind. 

Eine  agglutinierende  Wirkung  auf  den  Inhalt  der  Pusteln  von  Pocken¬ 
kranken  besitzt  das  Serum  Pockenkranker  nicht.  Schürmarnn. 


Untersuchungen  über  den  Impfschutz  mittels  der  Bordet’schen  Reaktion. 

(P.  Bermbach,  Köln.  Zentralbl.  für  Bakt.,  Bd.  49,  H.  5.) 

Gelingt  der  Nachweis  von  Ambozeptoren  im  Serum  von  geimpften  Indi¬ 
viduen  in  der  ganzen  Zeit,  während  welcher  der  Impfschutz  anhält?  In  den 
zunächst  vorgenommenen  Tierversuchen  waren  keine  Ambozeptoren  im  Blut¬ 
serum  nachgewiesen.  Verf.  hat  18  menschliche  Blutsera  von  vaccinierten  und 
re  vaccinierten  Personen  untersucht.  Auch  hier  waren  Ainbozeptoren  in  nennens¬ 
werter  Menge  nicht  nachzuweisen.  Die  negativen  Resultate  sind  vielleicht  so 
zu  erklären,  daß  man  annimmt,  die  Lymphe  ohne  längere  Mazeration  eigne 
sich  nicht  zur  Untersuchung,  weil  ihre  wirksamen  Bestandteile  im  Innern 
der  körperlichen  Elemente  eingeschlossen  sind  und  nicht  so  schnell  in  Lösung 
übergehen.  Gegen  das  Fehlen  von  Antigenen  in  den  Lymphverdünnungen 
spricht  der  Umstand,  daß  bei  Benutzung  derselben  Verdünnung  die  Resul¬ 
tate  verschiedenartig  ausfielen.  Schürmann. 


Ueber  den  Mechanismus  der  Komplementabsorption  durch  Bakterienextrakte. 

(Dr.  Tovosumi,  Prag.  Zentralbl.  für  Bakt.,  Bd.  48,  H.  3.) 

Es  sollte  vom  Verfasser  der  Nachweis  erbracht  werden,  ob  die  Komple¬ 
mentbindung  bei  Gegenwart  von  spezifischem  Immunserum  durch  Bakterien- 
extrakte  nicht  auf  der  Anwiesenheit  fremder  Rezeptoren  beruht.  Cholera¬ 
vibrionenextrakt  mit  einer  Immunserummenge  versetzt,  die  gerade  noch  nach¬ 
träglich  hinzugefügte  Choleravibrionen  zu  sensibilisieren  imstande  war,  ließ 
nach  Komplementzusatz  Vibriolyse  auf  treten.  Von  dem  Ambozeptor  war  also 
durch  die  Choleraextrakte  nichts  gebunden  worden.  Es  besitzen  somit  die 
Extrakte  keine  freien  Rezeptoren  und  das  Komplement  wird  auch  nicht  an 
die  komplementophile  Gruppe  des  Ambozeptors  gebunden.  Man  entfernt  alle 
Antikörper,  wenn  man  zu  einem  Extrakt-Immunserumgemisch  nachträglich 
Vibrionen  bringt  und  später  abzentrifugiert.  Trotz  dieser  Manipulation 
wirkt  das  Gemisch  noch  komplementbindend.  Bei  stärkerer  Immunserum¬ 
konzentration  nimmt  die  Wirkung  ab;  es  entsteht  ein  sichtbares  Präzipitat, 
das  beim  Zentrifugieren  mit  entfernt  wird.  Durch  das  Präzipitat  wird  also 
das  Komplement  gebunden.  Schürmann. 


Die  begünstigende  Reizwirkung  kleinster  Mengen  von  Bakteriengiften  auf 

die  Bakterienvermehrung. 

(Dr.  Hüne,  Stettin.  Zentralbl.  für  Bakt.,  Bd.  48,  H.  2.) 

Nach  den  Untersuchungen  des  Verfassers  scheint  es  festzustehen,  daß 
allen  Bakteriengiften  eine  Begünstigung  des  Bakterienwachstums  zukommt. 
Bei  Alkohol,  Äther,  Thymol,  Formaldehyd,  bei  Kupfersulfat,  war  das  Gleiche 
zu  beobachten.  Koli,  Cholera,  Typhus,  Ruhr  verhalten  sich  der  Reizwirkung 
gegenüber  ziemlich  gleich.  Schürmann. 


1138 


Referate  und  Besprechungen, 


Chirurgie. 

Das  Fehlen  einer  zweiten  Niere  vom  chirurgischen  Standpunkt. 

(F.  Cathelin.  Bullet,  med.,  Nr.  8,  S.  87,  1909.) 

Der  berühmte  Urologe  macht  darauf  aufmerksam,  daß  Menschen  mit 
nur  einer  Niere  nicht  allzuselten  sind;  in  der  Literatur  sind  seit  1870  bereits 
mehr  als  300  beschrieben.  Es  ist  nicht  leicht  für  die  Chirurgen,  sich  gegen 
diesbezügliche  Irrtümer  zu  schützen,  namentlich  deswegen  nicht,  weil  mit¬ 
unter  normal  einmündende  und  scheinbar  normal  verlaufende  Uretheren  von 
der  gleichen  Niere  ausgehen  können;  in  solchen  Fällen  läßt  also  auch  der 
Uretherenkatheterismus  im  Stich.  Cathelin  empfiehlt  deshalb  seine  endo- 
vesikale  Trennung  der  Urine ;  am  sichersten  aber  geht  der,  der  sich  durch 
Palpation  von  dem  Vorhandensein  beider  Nieren  überzeugt. 

Buttersack  (Berlin). 


Zur  Tuberkulinnachbehandlung  der  chirurgischen  Tuberkulose. 

(C.  Kraemer.  Med.  Klinik,  Nr.  4,  1908.) 

Kraemer  tritt  mit  Nachdruck  dafür  ein,  daß  jeder  Kranke  mit 
chirurgischer  Tuberkulose  nach  deren  scheinbarer  Ausheilung  zunächst  einer 
Prüfung  mit  Tuberkulin  unterworfen  und  nach  positivem  Ausfall  der  Reaktion 
einer  regelrechten  Tuberkulinkur  unterworfen  wird,  damit  auch  andere  bis 
dahin  latente  tuberkulöse  Herde  aufgedeckt  und  nach  Möglichkeit  der  Heilung 
zugeführt  werden.  Kraemer  wird  bei  Aufstellung  dieser  gewiß  nicht  un¬ 
berechtigten  Forderung  von  der  Anschauung  geleitet,  daß  nicht  nur  in  den 
allermeisten  Fällen  einer  wiederholten  Erkrankung  an  Tuberkulose  die  Neu¬ 
erkrankung,  insbesondere  auch  innerer  Organe,  nach  vorangegangener  chirur¬ 
gischer  Tuberkulose  nur  das  Wiedererwachen  einer  latenten  Tuberkulose, 
fast  niemals  eine  Neuinfektion  darstellt,  sondern  daß  auch  die  sogenannte 
Disposition  zur  Tuberkulose  weiter  nichts  sei,  als  eine  Verwechselung  mit 
latenter  Tuberkulose.  Vor  dem  Glauben  an  die  Harmlosigkeit  der  latenten 
Tuberkulose  könne  aber  nicht  genug  gewarnt  werden.  —  Die  Infektion  mit 
Tuberkulose  finde  in  den  meisten  Fällen  schon  in  der  Kindheit  des  Indi- 
vidiums  statt,  sie  komme  bei  dem  Erwachsenen  auch  unter  den  (für  die 
Tuberkuloseinfektion)  günstigen  Bedingungen  nur  schwer  zustande. 

R.  Stüve  (Osnabrück). 


Glückliche  Entfernung  eines  Angioma  arteriovenosum. 

(Jul.  Broeckaert,  Gent.  Bull,  de  l’Acad.  Royale  de  Med.  de  Belg.,  4.  Serie, 

Tome  22,  Nr.  5/6,  S.  365—375,  1908.) 

Bei  einem  im  übrigen  gesunden,  erblich  nicht  belasteten  Jungen  fand 
sich  seit  der  Geburt  von  der  Nasenwurzel  nach  der  Stirn  zu  ein  pulsierender 
Vorsprung,  den  die  Eltern  zunächst  für  eine  erweiterte  Arterie  hielten. 
Vom  12.  Lebensjahr  ab  jedoch  begann  der  Vorsprung  ziemlich  schnell  zu 
wachsen,  er  füllte  das  ganze  mittlere  Drittel  der  Stirn  aus,  erstreckte  sich 
bis  zum  Vertex,  bis  zum  /Nasenrücken  und  in  die  linke  obere  Orbita;  es 
bestand  linksseitiger  Exophthalmus.  Der  Tumor  pulsierte  und  ließ  sich  völlig 
komprimieren.  Die  sicht-  und  tastbaren  Arterien  des  Schädels  und  Gesichts 
waren  stark  erweitert;  ihre  Kompression  hatte  keinen  Einfluß  auf  den  Tumor. 

Die  Retinagefäße  waren  normal,  ebenso  die  des  Gehörorgans ;  dagegen 
waren  die  Nasen-  und  Rachengefäße  erweitert.  Gleichzeitig  bestanden  An¬ 
zeichen  einer  Aorteninsuffizienz. 

Im  Hinblick  auf  die  zunehmende  allgemeine  Anämie,  Abnahme  der 
geistigen  Qualitäten,  Anfälle  von  Bewußtlosigkeit  und  epileptiformen  Krämp¬ 
fen  (Jackson’scher  Typus),  zeitweise  rechtsseitiger  Hemiplegie  und  Aphasie, 
sowie  auf  abundantes  Nasenbluten  wurde  die  Abtragung  des  Tumors  be¬ 
schlossen.  Die  Operation  gestaltete  sich  dadurch  sehr  schwierig,  weil  er  an 
drei  Stellen  durch  mehr  oder  minder  große  Löcher  im  knöchernen  Schädel- 


Referate  und  Besprechungen. 


1139 


dach  hindurch  mit  den  intrakraniellen  Gefäßen  in  Zusammenhang  stand; 
doch  gelang  es  jedesmal,  durch  Zustopfen  mit  Paraffinum  solidum  auch  der 
bedrohlichsten  Blutungen  Herr  zu  werden. 

Da  das  Angiom  nicht  von  der  Haut  loszulösen  war,  so  blieb  eine  große 
Wundfläche  übrig,  welche  indessen  ohne  Störung  sich  überhäutete. 

In  ähnlicher  Weise  wurde  zwei  Monate  später  auch  jener  Teil  des 
Tumors,  welcher  an  der  oberen  Orbita  saß,  herausgenommen,  worauf  sich 
der  Exophthalmus  allmählich  zurückbildete. 

Die  histologische  Untersuchung  ergab  eine  Erweiterung  der  Arterien, 
Kapillaren  und  Venen,  so  daß  B.  die  Bezeichnung  Angioma  arteriovenosum 
für  gerechtfertigt  hält.  Buttersack  (Berlin). 


Ersatz  kranker  Arterien  und  Organe  durch  gesunde. 

(The  Post- Graduate,  Nr.  12,  1908.) 

In  der  das  amerikanische  Journal  the  Post-Graduate  einleitenden  Monats- 
Übersicht  the  month  von  den  Herausgebern  Dr.  Henry  T.  Brooks,  Dr.  Homer 
Coffin  und  Dr.  Ludwig  Kasit  findet  sich  diesmal  eine  Stelle,  die  in  wört¬ 
licher  Übersetzung  folgendermaßen  lautet:  „Auf  einer  Versammlung  der  ame¬ 
rikanischen  philosophischen  Gesellschaft  in  Philadelphia  im  letzten  Monat 
beschrieb  Dr.  Alexis  Carrel  vom  Rockefeller-Institut  dieser  Stadt  Ver¬ 
suche,  welche  zu  dem  Schluß  führen  würden,  daß  von  nun  an  kranke 
Arterien  und  selbst  Organe  beim  Menschen  erfolgreich  durch  gesunde  Arterien 
und  Organe  ersetzt  werden  können,  die  von  toten  Personen  genommen  sind. 
In  der  Tat,  die  große  Schwierigkeit  würde  sein,  ein  gesundes  Organ  zu  finden, 
durch  welches  ein  krankes  zu  ersetzen  wäre,  und  die  Gefahr,  irgend  eine 
Infektion  von  außen  einzuführen.  In  meinen  Versuchen,  Arterien  zu  erhalten 
(präservieren)“  sagte  Dr.  CarpreL,  „fand  ich,  daß  es  Austrocknung  nicht  tut, 
sondern  einen  Zustand  von  absolutem  Tod  herbeigeführt.  Dann  legte  ich  die 
Arterie  in  Refrigeratoren  und  ließ  sie  bei  einer  Temperatur  ein  wenig  über 
dem  Gefrieren  in  hermetisch  versiegelten  Tuben.  Ich  fand,  eine  Arterie  konnte 
60  Tage  lang  lebend  erhalten  und  der  Arterie  eines  lebenden  Tieres  substituiert 
werden.  Ich  habe  die  Abdominalarterien  einer  Katze  durch  die  Karotiden 
eines  Hundes  ersetzt.  Einmal,  als  ich  von  dem  New  York-Hospital  ein  mensch¬ 
liches  Bein  erhielt,  hielt  ich  die  Arterien  24  Tage  lang  in  einem  Refrigerator 
und  setzte  sie  dann  in  einen  Hund.  Der  Hund  überlebte  die  Operation  leicht 
und  blieb  gesund;  und  als  er  einige  Monate  später  geäthert  und  das  Bein 
wieder  geöffnet  wurde,  wurden  die  menschlichen  Arterien  schön  befunden 
(found  to  be  doing  beautifully).“  Dr.  Carjrtel  zeigte  auf  dem  Schirm  einen 
herumspringenden  Foxterier,  nachdem  ihm  auf  den  Stumpf  seines  Beines 
das  Bein  eines  toten  Hundes  aufgesetzt  war,  und  wie  die  Nieren,  die  Drüsen 
und  Venen  zwischen  Tieren  mit  demselben  dauernden  Erfolg  gewechselt  waren. 
Dr.  W.  W.  Keen  berichtete,  wie  in  einem  auswärtigen  Fall  von  ankylosiertem 
Kniegelenk  die  kranken  Teile  ausgeschnitten  waren  und  ein  normaler  Teil 
von  dem  Bein  eines  Mannes  substituiert  war,  der  bei  einem  Unfall  getötet 
war.  Der  Mann  kann  jetzt  leicht  gehen  und  selbst  mit  dem  Fuße  stoßen 
(and  even  kick).  Peltzer. 


Eine  neue  Methode,  in  hoffnungslosen  Fällen  von  Harninkontinenz  Hilfe 

zu  schaffen. 

(Dr.  W.  G.  Eckstein.  The  Post-Graduate,  Sept.  1908.) 

Den  Unglücklichen,  die  wegen  Harninkontinenz  infolge  von  Rücken¬ 
marks-  oder  anderen  Leiden  ein  Urinal  tragen  müssen,  fällt  es  wegen  des 
Geruchs,  den  sie  um  sich  verbreiten,  nicht  allein  oft  schwer,  Beschäftigung 
zu  finden,  es  droht  ihnen  auch  die  gefährliche  Cystitis  mit  ihren  Kompli¬ 
kationen.  E.  hat  nun  neuerdings  in  zwei  derartigen  Fällen  zur  großen  Er¬ 
leichterung  der  Kranken  suprapubische  Drainage  ausgeführt.  Beide  wollten 
ihre  so  angelegten  Fisteln  nicht  zuheilen  lassen.  Der  eine  Kranke  hatte  über 

72* 


1140 


Referate  und  Besprechungen. 


ein  Quart  Residualharn  in  der  Blase,  die  Blase  war  paralytisch  und  die 
Prostatektomie  nicht  ratsam.  Eine  Zeitlang'  schafften  regelmäßige  Blasen¬ 
spülungen  und  die  Anwendung  von  Antiseptizis  Erleichterung,  schließlich 
aber  war  der  Kranke  dem  Selbstmord  nahe.  E.  entschloß  sich  zur  Eröffnung 
der  Blase  unter  Lokalanästhesie  und  fand  außer  chronischer  Cystitis,  einer 
vergrößerten  Prostata  und  Erweiterung  der  dünnwandigen  Blase  noch  4  Phos¬ 
phatsteine.  Wenige  Tage  nach  Anlegung  der  Drainage  mittels  Verweil-Kathe- 
ters  verließ  der  Kranke  die  Klinik.  Nachher  stellte  er  sich  regelmäßig 
wieder  vor  und  besserte  sich  in  jeder  Beziehung,  aus  einem  vorher  fast  Aus- 
gestoßenen  wurde  ein  reinlicher  arbeitsfähiger  Mensch.  Das  Ende  seines 
Verweilkathetes,  das  mit  einer  Klammer  verschlossen  war,  trug  er  in  einem 
eigens  für  ihn  angefertigten  Gürtel.  Den  Urin  ließ  er  alle  3 — 4  Stunden 
ab.  Er  lernte  seine  Blase  selbst  auswaschen  und  Harnträufeln  aus  der  Fistel 
vermeiden.  Ein  Resultat,  zu  dem  im  ganzen  allerdings  auch  die  vergrößerte 
Prostata  insofern  beitrug,  als  sie  ein  Hindernis  für  den  Abfluß  des  Urins 
durch  die  Harnröhre  bildete.  Der  Hauptvorteil  eines  solchen  Verfahrens  läge 
darin,  daß  es  den  Kranken  vom  Urinal  befreit.  E.  hofft,  daß  es  möglich  sein 
wird,  in  ähnlichen  Fällen,  namentlich  auch  da,  wo  keine  Prostatavergrößerung 
vorliegt,  auf  dieselbe  Weise  Hilfe  zu  schaffen.  Zu  diesem  Zweck  hat  er  an 
Leichen  und  Hunden  experimentiert  und  gefunden,  daß  die  Obliteration 
der  Harnröhren  Öffnung  auf  verschiedene  Weise  erreicht  werden  kann.  Das 
Weitere  hierüber  muß  im  Original  nachgesehen  werden.  Peltzer. 


Die  schnappende  Hüfte  (Lux.  tractus  cristo-femoralis). 

(zur  Verth,  Berlin.  Deutsche  Zeitschr.  für  Chir.,  Bd.  98,  H.  1,  1909.) 

Verf.,  welcher  selbst  Träger  einer  schnappenden  Hüfte  ist,  gibt  eine 
interessante  Analyse  der  Anomalie.  Prinzipiell  zu  unterscheiden  ist  die  will¬ 
kürliche  und  die  habituelle  schnappende  Hüfte.  Unter  ersterer  ist  die  Fähig¬ 
keit  zu  verstehen,  einen  bandartig  verdickten  Streifen  der  Fascia  lata,  welcher 
teils  vor,  teils  über  dem  Troch.  major  hinwegzieht  (einen  Teil  des  sog. 
Maissiat’schen  Streifens)  willkürlich  über  den  Troch.  major  schnellen  zu 
lassen.  Sie  ist  erlernbar,  daher  eine  ,, Kunst“,  funktionell  bedeutungslos 
und  bedarf  keiner  Behandlung.  Anders  die  habituelle  schnappende  Hüfte. 
Sie  beruht  auf  einem  durch  krankhafte  Areränderung  des  Maissiat’schen 
Streifens  oder  des  Glut.  max.  bedingten  vom  Willen  unabhängigen  von 
lebhaften  Schmerzen  begleiteten  Hinüberschnellen  des  Maissiat’schen  Strei¬ 
fens  über  den  Trochanter  major.  Je  nach  der  Art  ihrer  Genese  erfordert 
sie  eine  operative  oder  funktionelle  Behandlung. 

Die  interessanten  Detaildarlegungen  sind  im  Original  nachzulesen. 

_  F.  Kayser  (Köln). 

i  ...  B| 

Zur  Implantation  von  Schilddrüsengewebe  bei  Kretinen. 

(Eugen  Boicher,  .  Basel.  Deutsche  Zeitschr.  für  Chir.,  Bd.  98,  H.  1,  1909.) 

Bei  drei  Kretinen,  welche  sich  zu  anderweitigen  Operationen  in  der 
Klinik  befanden,  wurde  die  Implantation  von  Schilddrüsengewebe,  welches 
anderen  an  Struma  operierten  Patienten  entnommen  war,  subkutan  vorgenommen. 
Die  Gewebsteile  kamen  zur  Elinheilung,  waren  aber  nach  etwa  drei  Monaten 
völlig  resorbiert.  Die  eingetretene  Resorption  konnte  durch  Exzision  in  einem 
Fall  einwandsfrei  nachgewiesen  werden.  Das  funktionelle  Resultat  war  ein 
völlig  negatives :  das  äußere  wie  innere  Wesen  blieb  durch  die  Implantation 
völlig  unbeeinflußt. 

Verf.  glaubt,  daß  die  von  anderen  Autoren  beobachtete  günstige  Be¬ 
einflussung  der  krankhaften  Erscheinungen  lediglich  auf  die  Resorption  des 
vorhandenen  Kolloids  und  nicht  auf  eine  neu  entstehende  Epithelleistung 
zu  beziehen  ist. 

Damit  würde  sich  auch  die  neuerdings  ventilierte  Streitfrage  erledigen, 
ob  das  Schilddrüsenstück  besser  in  die  Milz  (Payr)  oder  in  das  Knochen¬ 
mark  (Kocher)  überpflanzt  wird.  F.  Kayser  (Köln). 


Referate  und  Besprechungen. 


1141 


Ueber  eine  neue  Methode  der  Nephropexie. 

(C.  Beck,  New-York.  Deutsche  Zeitschr.  für  Chir.,  Bd.  9?,  H.  1,  1909.) 

B.  befestigt  die  durch  Schrägschnitt  freigelegte  Niere  an  ihrem  oberen 
Pol  mittelst  dünnem  durch  ein  Bohrloch  geführten  Bronzedraht  an'  der  zwölften 
Rippe.  Er  hat  bei  einer  am  14.  April  1908  operierten  Patientin  mit  der 
Methode  ein  anscheinend  gutes  Dauerresultat  gehabt. 

Nach  Ansicht  des  Ref.  ist  das  Verfahren  keineswegs  neu.  Schon  Jon- 
nesco  fixierte  bekanntlich  durch  zwei  durch  den  oberen  und  unteren  Nierenpol 
gezogene  Silberdrahtnähte  die  bewegliche  Niere  am  Periost  der  12.  oder  11. 
Rippe.  Die  ausschließliche  Befestigung  des  oberen  Nierenpols  hat  aber  bereits 
Küster  verworfen,  welcher  vielleicht  mit  Recht  darauf  hinwies,  daß  alle 
Fixationsverfahren  der  .Forderung  entsprechen  müssen,  daß  die  Niere  im¬ 
stande  ist,  die  physiologischen  Drehungen  um  ihre  Querachse  bei  den  Be¬ 
wegungen  des  Zwerchfells  auszuführen.  F.  Kayser  (Köln). 


Allgemeinanästhesie  für  kurzdauernde  Eingriffe. 

(Bonain.  Rev.  hebd.,  de  laryng.,  Nr.  29,  1908.) 

Da  die  Dauer  der  Chloräthyl-Narkose  für  manche  kleinere  Operationen 
(z.  B.  Tonsillo-  und  Adenotomie)  sich  als  nicht  ausreichend  erwies,  kombiniert 
Verf.  sie  mit  der  Chloroformnarkose  nach  „englischem  Verfahren“,  bei  weichem 
5 — 10  g  Chloroform  auf  einmal  gegeben  werden.  Er  wendet  ein  Gemisch] 
von  gleichen  Volumenteilen  beider  Narkotika  an,  das  in  Ampullen  von  21/2  ccm 
Inhalt  aufbewahrt  wird.  Um  eine  Narkose  von  1/2 — IV2  Minuten  zu  er¬ 
reichen,  werden  für  Kinder  von  1 — 5  Jahren  eine  Ampulle,  von  5 — 12  Jahren 
zwei,  von  12 — 16  Jahren  drei,  für  Erwachsene  vier  Ampullen  verwendet. 
Der  Inhalt  einer  Ampulle  wird  immer  auf  einmal  auf  die  Gazelagen  der 
Maske  aufgeschüttet,  die  folgenden  Dosen  nach  Bedürfnis. 

Arthur  Meyer  (Berlin). 

Gynäkologie  und  Geburtshilfe. 

Ueber  Tuberkulose  des  weiblichen  Genitalapparates. 

(Dr.  M.  Simmonds.  Archiv  für  Gyn.,  Bd.  88,  H.  1,  1909.) 

Die  Arbeit  stützt  sich  auf  80,  im  allgemeinen  Krankenhause  St.  Georg 
in  Hamburg  zur  Sektion  gekommene  Fälle  von  Genitaltuberkulose.  Es  kamen 
alle  Stadien,  auch  die  allerfrühesten,  zur  Beobachtung.  l1/3°/o  aller  zur 
Sektion  gekommenen  Frauen  und  Mädchen  waren  mit  Genitaltuberkulose 
behaftet.  Das  größte  Kontingent  wurde  von  dem  zweiten  Dezennium  gestellt. 
Uterus  und  Tuben  waren  in  65 %,  der  Uterus  allein  in  11  %,  die  Tuben  allein 
in  28%  erkrankt.  In  85%  der  Fälle  von  tuberkulöser  Endometritis  lag 
gleichzeitig  eine  Tuberkulose  der  Tuben  vor,  in  74%  der  Fälle  von  tuber¬ 
kulöser  Salpingitis  war  auch  der  Uterus  tuberkulös  erkrankt. —In  der  Tube 
beginnt  der  tuberkulöse  Prozeß  entweder  mit  subephitelialen  Knötchen 
oder  seltner  als  oberflächlicher  Desquamativkatarrh.  Bei  dieser  zweiten 
Form  der  Epithelnekrose  finden  sich  in  der  Regel  weit  mehr  Bazillen  im 
Lumen  des  Kanals  und  in  der  nekrotischen  Schicht.  S.  vertritt  die  Ansicht, 
daß  die  Bazillen  auf  dem  Blutweg  und  durch  Ausscheidung  in  das  Tuben¬ 
lumen  gelangen,  ähnlich  wie  er  es  früher  für  die  Tuberkulose  der  Samen¬ 
bläschen  auseinandergesetzt  hat.  Ein  Übergang  der  Bazillen  bez.  des  tuber¬ 
kulösen  Prozesses  aus  der  Nachbarschaft,  insbesondere  vom  Bauchfell  her, 
komme  auch  vor,  aber  selten.  Im  Uterus  ist  der  Beginn  der  Tuberkulose 
als  bazillärer  Katarrh  das  häufigste.  Auch  in  die  Uterushöhle  kommen 
die  Bazillen  nach  Ansicht  S.’s  in  der  Regel  auf  dem  Blutwege,  selten  sei 
die  Herkunft  von  der  erkrankten  Tube,  noch  seltener  von  der  Scheide.  Unter 
den  80  Fällen  ließ  sich  nur  ein  einziges  Mal  Infektion  per  c'ohabi  tationem 
mit  Sicherheit  feststellen.  In  drei  weiteren  Fällen  handelte  es  sich  aller¬ 
dings  noch  um  primäre  Genitaltuberkulose,  aber  sicher  nicht  um  Infektion 


1142 


Referate  und  Besprechungen. 


von  der  Vagina  her.  In  allen  übrigen  Fällen  war  die  Genitaltuberkulose 
eine  sekundäre,  meist  bestanden  Lungenherde.  Bei  der  Infektion  von  der 
Vagina  her  braucht  es  sich  übrigens  nicht  immer  um  eine  Urogenitaltuber¬ 
kulose  des  Mannes  zu  handeln,  S.  macht  darauf  aufmerksam,  daß  auch  das 
mit  Speichel  verunreinigte  männliche  Glied  Tuberkelbazillen  importieren 
kanni  —  Am  allerhäufigsten  bilden  also  die  Tuben  den  Ausgangs¬ 
punkt  der  tuberkulösen  Erkrankung  im  Genitalsystem.  Findet  man,  wie 
in  der  Mehrzahl  der  Fälle,  bei  Tubentuberkulose  den  Uterus  auch  erkrankt, 
so  handelt  es  sich  um  einen  deszendierenden  Prozeß.  Ausnahmen  können 
Vorkommen,  es  kann  auch  einmal  Uterus  und  Tube  gleichzeitig  erkrankt 
sein.  —  Die  Konzeption  wird  wohl  durch  eine  Genitaltuberkulose  gehemmt, 
nicht  aber  das  Fortbestehen  einer  Schwangerschaft.  Stets  war  aber  die 
Schwangerschaft  für  die  betr.  Frau  verhängnisvoll.  Entweder  er- 
folgte  der  Tod  infolge  Verschlimmerung  des  tuberkulösen  Prozesses  in  anderen 
Organen,  oder  aber  .es  war  der  Geburt  eine  Miliartuberkulose  gefolgt.  Auch 
starb  ein  Kind  im  Alter  von  acht  Wochen  an  ausgebreiteter  destruierender 
Lungentuberkulose,  die  wohl  sicher  kongenital  war.  —  Wenn  man  nichts 
tut,  schreitet  der  Prozeß  unaufhaltsam  weiter;  im  Uterus  greift  er  auf 
tiefere  Wandschichten  über,  von  den  Tuben  setzt  er  sich  auf  das  Bauchfell 
fort  und  führt  so  in  einer  großen  Anzahl  von  Fällen  durch  tuberkulöse 
Peritonitis  zum  Tode.  Allerdings  ist  die  Neigung  zur  Ausbreitung  eine 
recht  verschiedene;  bei  Greisinnen  ist  sie  sehr  gering,  besonders  wenn  es 
sich  um  tuberkulöse  Pyometren  handelt.  Diagnostisch  muß  man  ev.  das 
Tierexperiment  mit  heranziehen.  —  Therapeutisch  empfiehlt  sich  nach  S. 
bei  tuberkulöser  Endometritis  zunächst  die  Kürettage,  weil  erfahrungsgemäß 
der  Prozeß  sich  anfänglich  an  der  Oberfläche  halte;  diese  Ausschabungen 
sollen  von  Zeit  zu  Zeit  unter  mikroskopischer  Kontrolle  wiederholt  werden. 
In  den  Fällen,  wo  tiefere  ulzeröse  Prozesse  der  Gebärmutterinnenfläche  vor¬ 
liegen,  wo  sich  gröbere  käsige  Massen  aus  dem  Uterus  entfernen  lassen,  soll 
das  Organ  samt  den  Tuben  entfernt  werden.  Bei  nachgewiesener  Erkrankung 
einer  Tube  sind  stets  beide  zu  entfernen,  die  Ovarien  aber  nicht,  weil  sie  sehr 
selten  miterkranken.  —  Bei  einer  Laparotomie  wegen  Peritonealtuberkulose 
soll  man  die  Tuben  stets  mit  entfernen,  auch  wenn  sie  anscheinend  gesund  sind. 

R.  Klien  (Leipzig). 


Experimentelle  Beiträge  zur  Behandlung  des  Puerperalfiebers. 

(Zangemeister,  Königsberg.  Monatsschr.  für  Geburtsh.  u.  Gyn.,  Bd.  29,  S.  163.) 

In  seiner  sehr  interessanten  Arbeit  beschäftigt  sich  Z.  lediglich  mit 
puerperalen  Streptokokkeninfektionen.  Von  den  unzähligen  Heilmitteln  des 
Puerperalfiebers  bespricht  er  nur  einige  Verfahren,  die  in  neuerer  Zeit  be¬ 
sonderes  Vertrauen  genießen.  Zunächst  das  operative  Vorgehen,  d.  h.  ent¬ 
weder  Wegnahme  des  ganzen  Infektionsherdes,  oder  die  Freilegung  resp. 
Eröffnung  desselben.  Auf  dem  ersten  Wege  glaubt  Z.  bei  gleichzeitiger 
Antistreptokokkenserumtherapie  mehr  erreichen  zu  können,  als  dies  zurzeit 
angenommen  wird.  Das  zweite  chirurgische  Verfahren  ist  bei  parametranen 
Eiterherden  unbestritten,  bei  Peritonitiden  dagegen  verspricht  er  sich  von, 
der  Drainage  und  Kochsalzdurchspülung  wenig  Erfolg,  da  ihn  der  Tier¬ 
versuch  lehrte,  daß  die  Drainfenster  durch  Verklebungen  von  Darm  und 
Netz  sehr  .rasch  wieder  verschlossen  wurden.  Dagegen  empfiehlt  er,  evtl, 
wiederholt  den  Eiter  aus  der  Bauchhöhle  mittels  Troikarts  zu  entleeren,  und 
zwar  durch  Ausspülung  derselben  mit  mehreren  Litern  warmer  physiologischer 
Kochsalzlösung,  und  zum  Schlüsse  etwa,  1/2  Liter)  Kochsalzlösung  mit)  0,5 — 1,0% 
Nuklein  in  der  Bauchhöhle  zu  belassen.  Tierversuche  lehrten  ihn  nämlich,  daß 
schon  eine  einmalige  intraperitoneale  Kochsalzinfusion  günstigen  Einfluß  habe ; 
der  Effekt  läßt  sich  durch  Nukleinzusatz  erhöhen,  während  subkutane 
oder  orale  Nukleindarreichung  viel  geringeren  Wert  besitzt.  (Z.  bevorzugt 
das  Nuklein  Horbäczewski.)  Den  therapeutischen  Wert  des  Kollargols 
glaubt  Z.  beim  Tiere  rundweg  verneinen,  beim  Menschen  als  zweifelhaft 


Referate  und  Besprechungen. 


1143 


hinstellen  zu  müssen.  Das  Adrenalin  erscheint  ihm  auf  Grund  seiner  Tier¬ 
versuche  zweckmäßiger,  er  empfiehlt  evtl.  Adrenalinzusatz  zur  intraperi¬ 
tonealen  Einspritzung.  Das  Verdienstvollste  an  Zangenmeister’s  Arbeit 
scheint  darin  zu  liegen,  daß  er  einen  Weg  gezeigt  hat  zur  relativ  exakten 
Prüfung  der  gegen  Puerperalfieber  empfohlenen  Mittel,  deren  Wirksamkeit 
sich  bei  dem  vielgestaltigen  Verlaufe  der  puerperalen  Infektionen  klinisch 
nicht  beurteilen  lassen.  Frankenstein  (Köln). 

Der  Kaiserschnitt  in  moderner  Beleuchtung. 

(Prof.  Dr.  J.  Veit.  Volkmann’s  Samml.  klin.  Vortr.,  Nr.  515.  Gyn.,  Nr.  189,  1909.) 

Verf.  will  einen  scharfen  Unterschied  gemacht  wissen  zwischen  Infek¬ 
tion  mit  progredienten  Keimen  (in  der  Regel  Streptokokken)  und  mit  sapro- 
phy tischen  Keimen.  Die  Frauen,  die  mit  progredienten  Keimen  infiziert 
sind,  seien  stets,  mit  und  ohne  Kaiserschnitt,  aufs  höchste  gefährdet,  wenn 
nicht  überhaupt  verloren.  Diese  Keime  können  bekanntlich  von  außen  bei 
der  Operation  hereingebracht  werden;  dagegen  müsse  unser  üblicher  antisep¬ 
tischer  Apparat,  wenn  er  gut  funktioniert,  schützen.  Die  Keime  können  aber 
auch  schon  vorher  in  der  Vagina  oder  im  Uterus  vorhanden  sein:  dann  sei 
die  Frau  so  gut  wie  verloren.  Anders  bei  den  sap rischen  Keimen,  die  zu 
ihrer  Entwicklung  einen  toten  Nährboden  brauchen.  In  dieser  Beziehung 
gelte  es,  das  event.  mit  diesen  Keimen  verunreinigte  Fruchtwasser,  Blut  usw. 
nicht  in  die  Bauchhöhle  fließen  zu  lassen.  Hierzu  genüge  das  früher  beim! 
klassischen  Kaiserschnitt  übliche  Herauswälzen  des  Uterus  vor  die  Bauch¬ 
decken  keineswegs,  sondern  man  müsse  dazu  die  Bauchhöhle  provisorisch 
abschbießen.  Verf.  gibt  zu  diesem  Zwecke  zwei  von  ihm  angewandte 
Verfahren  an:  einmal  Zusammenklemmen  des  parietalen  und  des  Uterusperi¬ 
toneums  mittels  eigener  kleiner  Klemmen,  zweitens  die  temporäre  Vernähung 
des  parietalen  und  dann  des  inzidierten  uterinen  Peritoneums  mit  der  Bauch¬ 
haut.  Beide  Verfahren  seien  gut,  das  erstere  erfordere  jedoch  ein  ziemlich 
weit  vorgeschrittenes  Geburtsstadium.  Mit  dieser  Einschränkung  paßten  beide 
Arten  von  Kaiserschnitt  für  jeden  Fall  und  sie  seien  auch  für  den  praktischen 
Arzt  durchführbar.  Verf.  geht  aber  nicht  so  weit,  den  klassischen  Kaiser¬ 
schnitt  für  sicher  reine  Fälle  heute  bereits  auf  geben  zu  wollen.  Seine  Metho¬ 
den  kämen  in  erster  Linie  den  infizierten  Fällen  zugute,  soweit  diese  nicht 
eben  an  sich  verloren  seien.  —  Bezüglich  der  Indikationsstellung  ist 
Verf.  im  allgemeinen  für  Zurückhaltung:  besonders  in  der  Geburtshilfe  solle 
man  nicht  operieren,  weil  es  schließlich  möglich  ist,  sondern  nur,  wenn  es 
wirklich  nötig  ist.  So  ist  Verf.  z.  B.  entschieden  dagegen,  bei  Placenta 
praevia  regelmäßig  den  Kaiserschnitt  zu  machen,* wo  uns  andere  gute,  weniger 
eingreifende  Methoden  zur  Verfügung  stehen;  ähnlich  sei  es  bei  der  Eklam¬ 
psie.  —  Verf.  will  in  weiser  Beschränkung  die  Indikation  zum  Kaiserschnitt 
nur  auf  diejenigen  Fälle  von  engem  Becken  ausdehnen,  bei  denen  man  sonst 
das  lebende  Kind  perforieren  mtißte;  in  diesen  Fällen  zieht  er  aber  den 
Kaiserschnitt  der  Hebosteotomie  vor,  sowohl  für  Erst-  als  für  Mehrgebärende, 
unter  Voraussetzung  der  oben  beschriebenen  Technik.  Nur  für  Hausopera¬ 
tionen  möchte  Verf.  der  Beckenspaltung  den  Vorzug  geben. 

R.  Klien  (Leipzig). 


Lieber  Darmverletzungen  bei  gynäkologischen  Operationen. 

(Barth,  Danzig.  Monatsschr.  für  Geburtsh.  u.  Gyn.,  Bd.  29,  S.  153.) 

B.  berichtet  über  seine  diesbezüglichen  Erfahrungen  an  neun  Fällen 
mit  keinem  Exitus.  Läsionen  der  Darmserosa  oder  -muskularis  ereignen 
sich  ja  relativ  leicht  bei  der  Operation  stark  verwachsener  Adnextumoren 
und  können  bei  schlechter  Versorgung  noch  nachträglich  zur  Perforation 
führen.  B.  macht  in  solchen  Fällen  außer  der  Übernähung  auch  noch  eine 
plastische  Überdeckung  mit  Netzteilen,  besonders  um  die  Schädigungen  des 
Darmes  durch  eine  evtl,  notwendige  Gazetamponade  zu  vermeiden. 


1144 


Referate  und  Besprechungen. 


Bei  perforierender  Darmverletzung  führt  B.  selbstverständlich  pri¬ 
märe  Darmnaht  und  Tamponade  aus,  doch  weist  er  mit  Recht  auf  Un¬ 
zuverlässigkeit  der  zirkulären  Naht  des  Rectum  und  des  übrigen  Dick¬ 
darmes  im  Gegensatz  zu  der  des  Dünndarmes  hin.  In  zwei  Fällen  um¬ 
ging  B.  die  Gefahr  durch  weites  Einführen  des  zentralen  Dickdarmendes 
in  das  periphere  und  (möglichst  exakte  Naht.  Endlich  warnt  B.  bei 
Kotfisteln,  die  trotz  exakter  Versorgung  der  perforierenden  Darmwunde 
entstehen,  vor  frühzeitiger  Resektion,  er  glaubt,  daß  die  meisten  Fisteln 
bei  einiger  Geduld  spontan  heilen  können.  Frankenstein  (Köln). 


Ohrenheilkunde. 

Staphylokokken-Otitis. 

(Richon.  Rev.  hebd.  de  laryng.,  Nr.  8,  1909.) 

Man  hat  in  letzter  Zeit  mehrfach  versucht,  bestimmte  klinische  Formen 
von  Otitis  media  abzugrenzen,  welche  einzelnen  Mikroorganismen  entsprechen ; 
so  hat  man  erkannt,  daß  Ohrentzündungen,  welche  durch  den  Pyozyaneus, 
den  Influenzabazillus,  durch  Diplokokken  erregt  werden,  charakteristische 
Besonderheiten  des  Verlaufs  aufweisen.  R.  teilt  5  Beobachtungen  mit 
Welche  erlauben,  eine  Otitis  durch  Staphylokokken  abzutrennen.  Dieselbe 
beginnt  nicht  sehr  heftig,  sie  zeichnet  sich  aus  durch  Bildung  von  Fib rin¬ 
ge  rinnsein  in  der  Umgebung  der  Perforation.  Die  Gerinnsel  sind  schwer 
zu  entfernen  und  erzeugen  neuralgif örme  Schmerzen,  können  auch  den 
Abfluß  des  Sekrets  erschweren.  Ein  zweites  Charakteristikum  ist  das  seröse 
goldgelbe  Exsudat.  Irgendwie  bedrohlich  verläuft  die  Erkrankung  nicht. 
Therapeutisch  ist  im  Anfang  Karbolglyzerin  angezeigt.  Die  moderne  Methode 
der  Drainage  des  Gehörgangs  mit  Gazestreifen  ist  für  diese  Form  minder  ge¬ 
eignet,  regelmäßige  Ausspritzungen  sind  vorzuziehen.  Arth.  Meyer  (Berlin). 


Die  Hygiene  des  Ohrs. 

(P.  Maas,  Aachen.  Würzburger  Abhandl.,  Kabisch  Verl.) 

Des  Ohr  ist  am  meisten  durch  Erkrankungen  der  Nase  gefährdet. 
Richtiges  Schneuzen,  richtige  Anwendung  der  Nasendusche  sind  erforder¬ 
lich,  um  Infektion  des  Ohrs  zu  vermeiden;  auch  muß  die  hintere  Tampo¬ 
nade  möglichst  eingeschränkt  werden,  bei  den  meisten  Fällen  von  Nasen¬ 
bluten  ist  sie  entbehrlich.  Die  rechtzeitige  Erkennung  und  Operation  von* 
adenoiden  Vegetationen  ist  für  die  Gesundheit  des  Ohrs  wichtig,  auch 
die  Pharyngitis  lateralis  ist  für  dieses  nicht  gleichgültig ;  auch  Pflege  der 
Mundhöhle  und  der  Zähne  ist  erforderlich.  —  Erkältungen  werden  am 
besten  durch  rationelle  Abhärtung  vermieden.  Erfrierungen  der  Ohr¬ 
muschel  begegnet  man  durch  Schutzklappen,  allmähliche  Erwärmung  nach 
Kälteeinwirkung,  etc.  Das  Stechen  von  Löchern  für  Ohrringe  ist  eine 
gefährliche  Unsitte.  —  Ohrenschmalz  bedarf  meist  keiner  instrumenteilen 
Entfernung;  bei  Leuten,  die  zu  Anhäufung  desselben  neigen,  hat  solche  durch 
den  Arzt,  am  besten  durch  Ausspritzen  zu  erfolgen.  —  Ungeeignete  Versuche, 
Fremdkörper  des  Gehörgangs  zu  entfernen,  treiben  diese  stets  in  die 
Tiefe  und  können  zu  den  schwersten  Komplikationen  führen.  Darum  sollen 
Fremdkörper  nur  durch  otologisch  erfahrene  Ärzte  entfernt  werden,  zumal 
einiges  Abwarten  in  den  meisten  Fällen  keinen  Schaden  bringt.  —  Ohrfeigen, 
Küsse  etc.  können  Tromtmelfellrup  turen  herbeiführen;  ist  eine  solche 
entstanden,  so  lasse  man  sie  völlig  in  Ruhe  und  verschließe  nur  den  Gehör- 
gang  mit  Watte.  —  Unrichtiges  Ein-  und  Ausschleusen  können  bei  Caisson¬ 
arbeitern,  der  dauernde  Lärm  bei  Metallarbeitern  zu  gewierblicher  Schädi¬ 
gung  des  Ohrs  führen.  Chinin,  Salizylsäure,  Alkohol,  Tabak  affizieren  ge¬ 
legentlich  das  Organ.  —  Besteht  eine  Ohreiterung,  so  verhütet  die  richtige 
Reinigung,  die  richtige  Behandlung  den  Übergang  in  den  chronischen  (Zu¬ 
stand,  sowie  intrakranielle  Komplikationen.  —  Bei  unheilbaren  Erkran- 


Referate  und  Besprechungen. 


1145 


kungen,  bes,  der  Sklerose,  sind  Hörrohre,  ev.  „Audiphone“,  welche  die 
Knochenleitung  zur  Verbesserung  heranziehen,  am  Platz;  auch  das  Ablesen 
vom  Munde  ist  wertvoll.  Vor  den  zahlreichen  Schwindelapparaten,  die  gerade 
auf  diesem  Gebiete  angepriesen  werden,  (Höröl,  Hörbrillen,  elektr.  Batterien, 
Audiphon  Bernard  —  Ref.  möchte  noch  den  Keith-Harvey’ sehen  Apparat  ge¬ 
nannt  wissen)  ist  natürlich  dringend  zu  warnen.  Arth.  Meyer. 


Die  Otologie  im  Felde. 

(To  übet  u.  Salt  et.  Arch.  internat.  de  lar.,  Bd.  27,  H.  3.) 

Verff.  teilen  ihre  otologischen  Erfahrungen  aus  dem  marokkanischen 
Feldzuge  mit.  Mit  beschränkten  Mitteln,  mit  einem  sehr  bescheidenen  Instru¬ 
mentarium  haben  sie  in  dem  ihnen  unterstellten  Lazarett  ein  otologisches 
Ambulatorium  installiert  und  sich  mit  der  Zeit  auch  das  Hilfspersonal  zur 
sachkundigen  Mitarbeit  (Ausspritzungen,  Verbände,  Reinigung  usw.)  ausge¬ 
bildet.  So  wurde  eine  große  Anzahl  von  Ohrenkranken  behandelt,  auch  von 
den  etwa  zugrunde  liegenden  Pharynxleiden  (Adenoide,  Tonsillenhypertro¬ 
phien)  befreit.  Einige  Aufmeißelungen  und  Radikaloperationen  wurden  gleich¬ 
falls  ausgeführt.  Die  Erfolge  waren  recht  gute,  eine  ganze  Anzahl  von  Fällen 
wurde  geheilt  der  Truppe  wieder  zugeführt,  die  ohne  sachverständige  Thera¬ 
pie  in  die  Heimat  hätten  abgeschoben  werden  müssen.  Mit  Recht  verlangen 
daher  die  Verff.  für  die  Ohrenheilkunde  einen  ständigen  Platz  auch  zu  Kriegs¬ 
zeiten.  Arth.  Meyer  (Berlin). 


Allgemeines. 

Aus  der  amerikanischen  periodischen  medizinischen  Literatur. 

April  1909. 

The  american  journal  of  the  medical  Sciences. 

1.  Chirurgische  Anämie  und  Wiederbelebung.  Von  Dr.  George 
W.  Crile,  Prof,  der  klin.  Chirurgie,  Cleveland,  Ohio.  Chirurgische  Anämie 
wird  veranlaßt  durch  Blutverlust  (Hämorrhagie),  durch  ungleiche  Verteilung 
der  Blutmasse  innerhalb  des  Gefäßsystems  infolge  Störung  des  Gefäßmecha¬ 
nismus  (Chock  oder  Kollaps),  oder  mechanische  Unterbrechung  (Thrombose, 
Embolie,  Strangulation,  Torsion,  Tourniquet,  Bandagen,  Druck  usw.).  Ihr 
gegenüber  haben  nicht  nur  die  verschiedenen  Gewebe  und  Organe  des  Körpers, 
sondern  auch  die  verschiedenen  histologischen  Elemente  eines  und  desselben 
Organs  eine  verschiedene  Toleranz.  Knochen,  Bindegewebe,  Muskeln,  Haut, 
Bauch-  und  Brusteingeweide,  spezielle  Drüsen,  Herz  und  Blutgefäße  vertragen 
sie  länger  als  das  Zentralnervensystem  —  je  höher  die  Funktion,  je  größer 
die  Empfindlichkeit  gegen  Anämie.  Diese  darf  daher  eine  gewisse  Zeitdauer 
nicht  überschreiten.  Wirksamer  als  Stimulantien,  Nitroglyzerin,  intravenöse 
Infusion,  Elektrizität,  Herznadeln  und  selbst  direkte  Herzmassage  ist  zentri¬ 
petale  arterielle  Infusion  von  Adrenalin  mit  gleichzeitiger  rhytmischer  Pres¬ 
sion  des  Thorax.  (Die  verschiedene  Toleranz  der  Gewebe  gegen  das  Abster¬ 
ben  bringt  es  unzweifelhaft  mit  sich,  daß  bei  Sektionen  und  Begräbnissen 
einzelne  Körperteile  noch  leben.) 

2.  Der  E  influß  von  Gemütsbewegungen  au;f  die  Funktionen 
des  Nahrungskanals.  Von  Dr.  W.  B.  Cannon,  G.  Higginson,  Professor 
der  Physiologie  an  der  Harvard  med.  school,  Boston.  Der  Einfluß  von  Ge¬ 
mütsbewegungen  auf  die  Tätigkeit  von  Magen  und  Darm  zeigt  sich,  wie 
Experimente  dartun,  in  einer  meist  ungünstigen  Einwirkung  auf  die  Magen¬ 
saftsekretion  und  die  Peristaltik,  die  so  weit  gehen  kann,  daß  hierdurch  die 
Verdauung  aufgehalten  oder  gänzlich  behindert  und  so  ein  circulus  vitiosus 
geschaffen  wird,  indem  die  Verdauungsstörung  auf  das  Gemüt  und  die  Ge¬ 
mütsstörung  auf  die  Verdauung  wirkt.  Ehe  man  also  bei  Verdauungsstörungen 
einen  Heilplan  entwirft,  ziehe  man  auch  den  Gemütszustand  in  Betracht ! 


1146 


Referate  und  Besprechungen. 


3.  Die  Bedeutung  der  Häfnatemesis.  Von  Prof.  Dr.  William 
Fitch  Cheney,  S.  Franzisko.  Anfangs  der  60er  Jahre  des  vorigen  Jahr¬ 
hunderts  erhielt  Referent  als  Rigorosüms-Klausurarbeit  das  Thema :  de  variis 
haemorrhagiis,  quae  ex  ore  oriuntur.  Dabei  kam  es  hauptsächlich  auf  die 
Unterscheidung  von  Hämatemesis  bei  ulcus  ventr.  und  Hämoptyse  an.  Wie 
hat  sich  seitdem  die  Zahl  der  Affektionen  vermehrt,  auf  welche  die  Diffe¬ 
rentialdiagnose  ihr  Augenmerk  zu  richten  hat,  wenn  es  sich  um  eine  Blutung 
aus  dem  Munde  handelt.  Da  gibt  es  heute:  1.  Leberzirrhose,  2.  ulcus  ventri- 
culi,  3.  Magenkrebs,  4.  Milzanämie,  5.  akute  Pankreatitis,  6.  Urämie,  7.  Toxische 
Gastritis  —  Dinge,  an  die  man  damals  überhaupt  noch  nicht  dachte.  Für 
jede  dieser  Krankheiten  führt  Ch.  Fälle  aus  der  eigenen  Praxis  auch  als 
Beispiele  dafür  an,  wie  durch  falsche  Deutung  der  Symptome  Fehldiagnosen 
entstehen. 

4.  Krankheiten,  die  von  Störungen  der  inneren  Sekretion  ab- 
hängen.  Von  Dr.  Wilh.  Falta,,  Privatdozent  und  Assistent  der  1.  med. 
Klinik  (v.  Noorden),  Wien.  Rede  vor  den  Studenten  der  Harvard  med. 
school,  Boston,  3.  November  1908.  „Innere  Sekretion“  ist  die  Funktion  der 
Schilddrüse  und  Adnexe,  des  Pankreas,  der  Nebennieren,  der  Genitaldrüsen 
und  der  Hypophysis.  Störungen  dieser  liegen  vor  bei  Morbus  Basedowii, 
Myxödem,  cachexia,  strumipriva,  Diabetes,  Morbus  Addisonii,  Akromegalie 
und  dem  zuerst  von  Fr ankUHpchw ard  und  Froehlich  beschriebenen 
Symptomenkomplex  bei  Hypofunktion  der  Hypophysis  (Zerstörung  durch  ein 
langsam  wachsendes  Karzinom). 

5.  Die  Behandlung  akuter  Infektionskrankheiten  mit  Leuko- 
zy ten-Extrakt  (Hiss).  Von  Dr.  Siamuel  W.  Lambert,  Prof,  der  ange¬ 
wandten  Therapie,  Columbus-Universität,  New-York.  Die  neue,  von  Hiss  er¬ 
arbeitete  Behandlungsmethode  besteht  in  der  subkutanen  Injektion  eines  wäs¬ 
serigen  Extrakts  von  abgetöteten,  von  Kaninchen  entnommenen  Leukozyten. 
Die  Leukozyten  werden  in  einem  bakterienfreien  Zustande  aus  den  Pleurahöhlen 
der  Tiere  unter  dem  Einfluß  des  Reizes  einer  Aleuronat-Injektion  entnommen, 
die  Exsudate  werden  zentrifugiert,  mit  Salzlösung  frei  von  Serum  gewaschen 
und  dann  mit  einer  dem  ursprünglichen  Betrage  des  Exsudats  gleichen  Menge 
destillierten  Wassers  extrahiert.  Hiss  beobachtete,  daß  entgegen  der  An¬ 
nahme  Wright’s,  wonach  die  phagozytische  Kraft  der  Leukozyten  lediglich 
von  dem  Gehalt  des  Serums  an  Opsoninen  abhängt,  diese  Kraft  unter  ge¬ 
wissen  Bedingungen  von  den  Opsoninen  unabhängig  ist  und  variiert.  Die 
Leukozyten  durch  Zuführung  der  von  ihnen  selbst  produzierten  Substanzen 
zum  Blutplasma  in  ihrem  Kampf  gegen  die  Bakterien  zu  unterstützen,  ist 
die  Absicht,  die  er  mit  seiner  neuen  Behandlungsmethode  verfolgt,  und  die 
Lambert  daraufhin  bei  Meningitis,  Pneumonie,  ulzeröser  Endokarditis,  Mala¬ 
ria,  akutem  Erysipel  und  anderen  septikämischen  Zuständen  versucht  hat. 
Die  Erfolge  scheinen  für  die  Therapie  zu  sprechen.  Malaria  konnte  jedoch 
nur  durch  Chinin  geheilt  werden. 

6.  Die  Röntgenstrahlen  in  der  Behandlung  tief  sitzender 
maligner  Krankheiten.  Von  Dr.  George  E.  Pfahler,  Direktor  des 
Röntgen-Laboratoriums  des  mediko-chirurgischen  Hospitals,  Philadelphia.  Der 
Nutzen  der  Röntgenbestrahlung  bei  Oberflächenkarzinom  ist  unbestritten, 
nicht  so  bei  tiefsitzenden  malignen  Tumoren.  Um  zur  Klärung  der  Ansich¬ 
ten  hierüber  beizutragen,  veröffentlicht  Pf.  35,  meist  eigener  Beobachtung 
entnommene  Fälle  von  Sarkom  und  304  tiefsitzender  Karzinome,  die  im 
allgemeinen  keiner  anderen  Behandlung  mehr  zugänglich  waren  und  daher 
mit  Röntgenstrahlen  als  letztem  Mittel  behandelt  wurden.  Einige  wurden 
gerettet,  fast  alle  temporär  gebessert.  Den  Schluß  machen  Bemerkungen 
über  die  nicht  leicht  zu  beschreibende  Technik  gerade  in  derartigen  Fällen. 

7.  Verdient  die  Perkussion  als  Lungenuritersuchungsmethode 
größere  Aufmerksamkeit  ?  Von  Dr.  C.  E.  Waller,  medical  Superintendent 
des  Halahult-Sanatoriums,  Halahult,  Schweden.  Auskultation  und  Perkus¬ 
sion,  wie  sie  jetzt  geübt  werden,  unterscheiden  sich  fundamental  voneinander  : 
man  auskultiert  direkt  an  einer  Stelle,  bei  der  Perkussion  vergleicht  man  den 


Referate  und  Besprechungen. 


1147 


Schall  an  zwei  symmetrisch  gelegenen  Stellen.  Nach  W.  kann  man  jedoch 
mit  größerer  Sicherheit  und  unabhängig  von  der  vergleichenden  symmetrischen 
Methode  eine  Dämpfung  nachweisen,  wenn  man  mehr  den  verschiedenen 
Charakter  des  nicht  tympanitischen  Schalles  bei  verschiedener  Stärke  der 
Fingerperkussion  beobachtet.  Die;  bisherige,  leicht  zu  irrigen,  Schlüssen  führende 
Methode  sollte  daher  verlassen  werden.  Zwei  Abbildungen  zeigen  die  von 
W.  geübte,  direkte  Fingerperkussion  der  Spitzen. 

8.  Spezifische  Hilfen  ih  der  Diagnose  und  Prognose  der  Tuber¬ 
kulose.  Von  Dr.  Silvio  vop.  R'uck,,  Asheville,  Nord-Carolina.,  v.  Ruck 
hat  aus  der  Literatur  eine  große  Zahl  der  Resultate  zusammengestellt,  welche 
bisher  die  subkutanen,  kutanen  und  Konjunktival-Reaktionsmethoden  ergeben 
haben  und  wägt  deren  Wert  sowohl  nach  eigenen  Erfahrungen,  als  auch 
durch  den  Vergleich  dieser  mit  denen  anderer  Autoren  ab. 

9.  Einige  Punkte  der  anuria  qalculosa.  Von  Dr.  Francis  S.  Wat- 
son,  Lehrer  der  Genito-Urinar-Chirurgie  an  der  Harvard  med.  school,  Boston. 
In  gewissqp  Punkten  stimmen  die  Ansichten  der  Chirurgen  und  Pathologen 
bezüglich  der  Anuria  calculosa  überein,  bei  anderen  nicht,  oder  man  wendet 
ihnen  nur  verhältnismäßig  wenig  Interesse  zu.  Zu  letzteren  gehört  zunächst 
das  häufig  geleugnete,  von  W.  aber  durch  zwei  Fälle  belegte  Vorkommnis, 
daß  die  Funktion  einer  normalen,  nicht  obstruierten  Niere  reflektorisch  durch 
die  plötzliche  Obstruktion  des  Urethers  der  anderen  Niere  unterdrückt  werden 
kann.  Ferner  gehören  hierher  die  Unterschiede  zwischen  den  post-mortem- 
Nierenbefunden  und  den  bei  dem  Beginn  der  Anurie  auf  genommenen,  sowie 
die  Unmöglichkeit,  zu  bestimmen,  "welcher  Grad  von  Strukturveränderung 
in  der  Niere  notwendig  ist,  um  ihre  Funktion  aufzuheben.  Der  praktische 
Schluß,  der  sich  hieraus  ergibt,  ist:  man  operiere  frühzeitig!  Andererseits 
ist  eine  Niere,  die  nur  noch  wjenig  sezernierende  Substanz  besitzt,  nicht  not¬ 
wendig  nutzlos.  Schließlich  handelt  es  sich  um  die  Vorteile,  die  sich  bei 
anuria  calculosa  manqhimal  aus  der  gleichzeitigen  bilateralen  Nephrotomie 
oder  Nephrolithotomie  ergeben,  wenn  sich  z.  B.  nach  dem  Ausschneiden  einer 
Niere  ergibt,  daß  die  andere  Niere  nicht  mehr  genügend  funktionsfähige 
Substanz  besitzt  oder  wenn  beide  Uretheren  blockiert  sind,  oder  nur  der  eine 
blockiert  ist  und  sich  in  der  anderen  Niere  ein  Stein  befindet,  der  wahr¬ 
scheinlich  demnächst  auch  den  anderen  Urether  blockiert.  W.  hat  sechs  hier¬ 
her  gehörige  Fälle  in  der  Literatur  gefunden.  Drei  lebten,  drei  starben, 
davon  zwei  mehr  an  Sepsis,  als  an  einem  Ausbleiben  der  Wiederherstellung 
der  Nierenfunktion. 

10.  Die  Wichtigkeit  der  Modifikationen  der  Sensibilität  in 
der  Krankheitsdiagnose.  Von  Tom  A.  Williams ,  M.  B.,  C.  M.  (Edin.). 
Washington,  D.  C.  Während  man  früher  nur  von  einem  Berührungs-,  einem 
Temperatur-  und  einem  Schmerzgefühl  sprach,  haben  wir  seit  den  Unter¬ 
suchungen  Head’s  und  seiner  Kollegen  (Brain  1905,  XXVIII,  99,  115) 
drei  sehr  bestimmte  und  verschiedene  Modalitäten  des  Gefühls  in  der  Peri¬ 
pherie  :  die  tiefe,  die  epikritische  und  die  protopathische  Sensibilität,  die 
einzeln  betrachtet  werden.  Ein  näheres  Eingehen  auf  den  Gegenstand,  der 
sich  nicht  kurz  referieren  fäßt,  verbietet  sich  an  dieser  Stelle. 

11.  Zysten  des  gerne  iusainen  Gallenganges.  Von  Dr.  R.  S,  La- 
venson,  pathologischer  Assistent  am  Universitäts-Hospital,  Philadelphia. 
Mitteilung  des  klinisch  und  pathologisch  ungewöhnlich  interessanten  Falles 
eines  achtjährigen  Mädchens,  das  nach  der  Operation  zur  Sektion  kam,  im 
Anschluß  daran  Analyse  von  28  aus  der  Literatur  gesammelten  Fällen  von 
Retentionszysten  des  gemeinsamen  Gallenganges.  Photographie  des  operierten 
Kindes  mit  aufgezeichneter  Dätnpfungsfigur  des  Tumors  und  der  Zyste 
selbst  in  2/3  der  natürlichen  Größe.  Von  21  in  der  Literatur  genauer  be¬ 
schriebenen  Fällen  wurden  drei  lediglich  punktiert,  alle  drei  starben;  14 
wurden  inzidiert  und  drainiert,  davon  starben  ,13.  Cholezystenterostomic 
wurde  viermal  ausgeführt  mit  drei  Genesungen.  Letztere  Operation  scheint 
also  die  besten  Aussichten  zu  geben. 


1148 


Referate  und  Besprechungen. 


12.  Einige  Fälle  von  multipler  Infektion.  Von  Dr.  Wm.  Royal 
Stokes,  Prof,  der  Pathologie  und  Bakteriologie,  und  Dr.  Thos.  M.  W right, 
bakteriolog.  Assistent  am  städt.  Gesundheitsamt,  Baltimore.  Im  Darm  vege¬ 
tiert,  abgesehen  von  den  jSaprophyten,  eine  ganze  bakterielle  Flora  patho¬ 
gener  Natur:  der  Bacillus  coli,  Bac.  aerogenes,  Bac.  Friedländer,  Bac1.  enter- 
idis,  Bac.  paratyphi,  Bac.  dysenteriae  (diese  Typen  agglutinieren  nicht  mit 
Dysenterie-Serum),  Bac.  pyocyaneus,  Staphylococcüs  albus,  Staph.  aureus, 
Streptococcus  pyogenes  und  Bac.  aerogenes  capsulatus  (Welch).  Verf.  ver¬ 
öffentlichen  nun  vier  Fälle,  welche  zeigen,  daß  die  Therapie  (mit  bakteriellen 
V accinen)  zuzeiten  eigentlich  gleichzeitig  gegen  verschiedene  dieser  Bak¬ 
terien  gerichtet  sein  müßte.  Nebenbei  sind  die  Fälle  zum  Teil  Beispiele 
vom  Eintritt  der  Bakterien  durch  Perforationen  des  Gastrointestinaltrakts. 
Im  ersten  Fall,  einer  extensiven  fibrinopurulenten  Peritonitis  nach  Per¬ 
foration  eines  Typhusgeschwürs,  ergaben  Kulturen  aus  dem  Herzblut  und 
der  Milz  zahlreiche  Typhus-  und  Kolonbazillus -Kolonien,  wogegen  Kulturen 
aus  dem  Eiter  der  Peritonealhöhle  keine  typischen  Typhuskolonien,  wohl 
aber  vier  andere  Bakterienarten  zeigten :  den  Streptococcus  pyogenes,  Diplo- 
coccus  pneumoniae,  Bac.  aerogenes  'capsulatus  und  Bac.  coli  —  im  ganzen 
also  fünf  Organismen  in  einem  Körper,  vier  im  Eiter,  einen  im  Blut.  Neben¬ 
bei  gesagt  hatte  der  Kranke,  der  außerdem  an  einem  Aneurysma  des  Aorten¬ 
bogens  litt,  bis  zu  seinem  Tode  pie  Fieber  gehabt.  Der  zweite  Fall  von 
Polyinfektion  betraf  einen  Stier  ln  einem  der  großen  Schlachthäuser,  in 
dessen  Herzwand,  wie  eine  Photographie  zeigt,  eine  von  einem  hämorrhagischen 
Hof  und  dicken  Fibrinmassen  umgebene  Nadel  steckte  und  der  außerdem 
einen  Leberabszeß  hatte.  Kulturen  des  fibrinösen  Exsudats  und  aus  dem1 
Leberabszeß  enthielten  den  Bacillus  coli,  den  Bac.  aerogenes  capsulatus  und 
den  Pneümpkokkus.  Der  dritte,  auch  in  anderer  Beziehung  interessante 
Fall  betraf  eine  puerperale  Infektion  mit  dem  Bac.  aerogenes  und  dem  Strepto¬ 
coccus  pyogenes.  Die  Infektion  mit  dem  Gasbazillus  war  auf  das  Kind  be¬ 
schränkt,  das  pyogene  Bakterium  hatte  die  Mutter  infiziert.  Im  übrigen 
war  der  enorm  durch  Gas  ausgedehnte  Kopf  ein  derartiges  Geburtshindernis, 
daß  —  (es  handelte  sich  um  eine  Querlage)  —  bei  dem  Versuch  der  Wen¬ 
dung  auf  die  Füße  die  Arme  abrissen.  Eine  Photographie  stellt  den  Fötus 
dar.  Die  Mutter,  durch  viertägige  vergebliche  Geburtsarbeit  schon  vorher 
geschwächt,  starb  bald  nach  ihrer  Aufnahme  in  das  Krankenhaus.  Der 
vierte  Fall  betraf  einen  (Mumps  bei  einem  Kinde,  in  welchem  Kulturen 
aus  der  Parotis,  dem  Blut,  der  Leber,  der  Milz  und  den  Nieren  den  Strepto¬ 
coccus  pyogenes  enthielten.  Außerdem  wird  über  andere  ähnliche  Fälle  aus 
der  Literatur  berichtet. 

13.  Hernia  diaphr agmütioa.  Von  Dr.  E.  T.  Bell,  assistant  Pro¬ 
fessor  der  Anatomie  an  der  Universität  von  Missouri,  Columbia.  Mit  Ab¬ 
bildungen.  Der  mitgeteilte  Fall  (das  Vorkommnis  ist  sonst  nicht  selten, 
Grosser  hat  1899  433  Fälle  gesammelt),  ist  insofern  ungewöhnlich,  als 
der  Bruchinhalt  —  ohne  einen  pleuralen  oder  peritonealen  Sack  —  ein  8  cm 
langer,  5  cm.  breiter  und  ,2 — 3  cm  hoher  Teil  der  Leber  war.  Die  Hernie 
war  wahrscheinlich  eine  erworbene  und  die  Leber  nach  Entstehen  des  Risses 
im  Diaphragma,  wahrscheinlich  durch  den  negativen  Druck  im  Thorax,  all¬ 
mählich  in  diesen  hineingezogen  worden.  Eine  genaue  Anamnese  war  nicht 
erhältlich.  Der  Kranke,  ein  ungefähr  40jähriger  Neger,  starb  an  Tuberkulose. 

The  St.  Paul  medical  journal. 

1.  Die  Embryologie  der  Gesichts-  und  Nackengegend  niit  Be¬ 
ziehung  auf  kongenitale  Mißbildungen.  Von  Dr.  Arnold  Schwy- 
zer,  St.  Paul.  Mit  Abbildungen. 

2.  Die  Vorbereitung  .und  Nachbehandlung  chirurgischer 
Patienten.  Von  Dr.  John  C.  M|u[nro,  Chef-Chirurg,  Carney-Hospital,  Boston. 
Bezieht  sich  mehr  auf  Winke  und  wichtige  Kleinigkeiten,  die  bei  der  Vor¬ 
bereitung  und  Nachbehandlung  chirurgischer  Kranker  nicht  nur  im  Inter¬ 
esse  dieser,  sondern  auch  des  Operateurs  selbst  zu  beachten  sind,  als  auf 


Referate  und  Besprechungen. 


1149 


größere  chirurgische  und  andere  Maßnahmen.  Derartige  Gepflogenheiten  bil¬ 
det  jede  Praxis  aus. 

3.  Die  Ramsey  county  (medizinische  Gesellschaft;  ihre  Pri¬ 
vilegien  und  Pflichten.  Von  Dr.  Arthur  Swieeny,  St.  Paul.  Rede 
des  Vorsitzenden  am  25.  I.  1909.  Rückblicke  auf  das  verflossene  Gesell- 
schaftsjahr,  Ausblicke  auf  die  'Zukunft. 

4.  Diphtherie.  Von  Dr.  ,T.  C.  Kelly,  Mankato,  Minn.  Ätiologie, 
Prädisposition,  Symptome,  Komplikationen,  Diagnose,  allgemeine,  lokale  Be¬ 
handlung. 

Im  Herausgeberteil  (editorial)  wenden  sich  die  Herausgeber  (die  Ram¬ 
sey  county  medical  society,  iSt.  Paul)  unteü  der  Überschrift  ,, Eines  medi¬ 
zinischen  Journals  Vorstellung  von  Ehrlichkeit“  mit  Recht  voller  Ent¬ 
rüstung  gegen  einen  Artikel  des  Chikagoer  medical  Standard  vom  Februar 
d.  Js.,  in  dem  offen  folgendes  ausgeführt  wird:  Der  Praktiker  engagiert 
den  Chirurgen  als  seinen  Agenten  und.  sorgt  für  dessen  Bezahlung.  Er,  der 
Praktiker,  nennt  dem  Patienten  [den  ganzen  Betrag  der  Rechnung,  ohne 
daß  er  diesem  zu  sagen  braucht,  wieviel  er,  der  Praktiker,  sich  dabei  für 
sich  selbst  und  wieviel  für  den  Chirurgen  anrechnet.  Der  Chirurg  erhält 
sein  Honorar  von  dem  Praktiker.  Wenn  ersterer  dem  letzteren  dann  nach¬ 
her  noch  eine  20-Dollar-Note  von  den  100  oder  200  Dollars,  die  der  Prak¬ 
tiker  dem  Chirurgen  bezahlt  hat,  abgibt,  so  sei  dabei  nichts  zu  finden. 
„Wenn  der  Standard  gesagt  hätte :  Sobald  der  Patient  anästhesiert  ist,  durch¬ 
suche  seine  Taschen  und  nimm  alles  Geld,  was  du  darin  findest“  —  fügen 
die  Herausgeber  hinzu  —  „so  hätte  er  nichts  Unehrlicheres  sagen  können. 
Das  läuft  darauf  hinaus :  mache  Geld  von  deinen  Patienten  —  wenn  mög¬ 
lich  auf  anständige  Weise  —  aber  mach’  Geld!“  Wir  selbst  fügen  hinzu: 
Was  ist  dagegen  der  angebliche,  noch  nicht  einmal  bewiesene  sogenannte 
Patienten  -  Schacher  ?  —  In  zwei  weiteren  Artikeln  treten  die  Herausgeber 
dafür  ein,  daß  erstens  nach  dem  Beispiel  größerer  Journale  auch  die  Presse 
noch  mehr  für  medizinische  Aufklärung  des  Publikums,  namentlich  in  be¬ 
zug  auf  Prophylaxe  tun  und  dadurch  mittelbar  zur  Bekämpfung  des  Kur¬ 
pfuschertums,  der  Antivaccio-  und  lAntivivisektionisten  beitragen  sollte,  so¬ 
dann,  daß  in  allen  größeren  Krankenhäusern  medizinischer  Unterricht  statt¬ 
finden  sollte,  u.  a.  auch  (deshalb,  wleil  die  Anwesenheit  der  Zuhörer  eine 
größere  Gründlichkeit  der  Untersuchung  und  Behandlung,  also  gewisser¬ 
maßen  eine  Kontrolle,  verbürge. 

The  Pos  t  -  Gr  ad  uate. 

1.  Der  Monat,  An  der  P.-Gr.  school  in  New  York  ist  ein  tropenmedi¬ 
zinischer  ^Kursus  eröffnet  worden.  Es  wird  aber  befürwortet,  statt  dessen 
eine  Schule  nach  Londoner  und  Halmburger  Muster  einzurichten.  —  Das 
Neueste  aus  Paris  ist  die  Entdeckung  Qüinton’s,  daß  die  chemische  Kon¬ 
stitution  des  Seewassers  praktisch  dieselbe  ist  wie  die  des  vitalen  Plasmas. 
G.  C.  Mehanti  empfiehlt  daher  in  chronischen  Krankheiten  Seewasser- 
Injektionen. 

2.  Zwei  Fä(lle  von  her  edj.tärer  Syphilis  tarda.  Von  Dr.  Eber¬ 
hard  W.  Di t tri ch,  Dermatologe  am  deutschen  Odd  Fellows  home  usw., 
New  York.  Mit  Abbildungen:  1.  Sattelnase.  2.  und  3.  Hutchinson  -  Zähne. 

3.  Hyperemeisis  während  drei  Schwangerschaften.  Von  Dr.  J  a- 
ines  N.  W(est.  Der  Fall  betraf  eine  25jährige  verheiratete  Westindierin. 
Das  erste  Mal  1905  (Entbindung  durch  die  Zange,  das  zweite  Mal  „Ent¬ 
leerung  des  Uterus“,  das  dritte  Mal  Morphiumbehandlung  mit  nachfolgender 
natürlicher  Entbindung. 

4.  Ein  Fall  von  akzidenteller  inter-  und  post  -  partum  -  Hänfor- 
rhagie.  Von  Dr.  Abraham  Brothers  und  Dr.  S.  J.  Goldfarb. 

5.  Die  Leitung  der  Entbindung.  Erstes  und  zweites  Stadium.  Von 
Dr.  Wm.  H.  W.  Knipe. 

6.  Leitung  des  dritteln  Entbindungsstadiums  und  des  Wochen¬ 
betts.  Von  Dr.  George  L.  Brodhead,  Prof,  der  Geburtshilfe  P.  Grad. 
School  and  Hosp.  N.  York. 


1150 


Bücherschau. 


7.  Tuberkulöse  Peri(toni|tis.  Bericht  über  einen  Fall.  Von 
Dr.  Ralph  Waldo,  Prof,  der  Fr auen-Rr ankheiten ,  P.  Gr.  School  usw.  Mit 
Abbildung  der  tuberkulösen  Tube  und  des  Ovariums. 

8.  Urethritis  beim  Weibe.  —  Von  Dr.  H.  D.  Furniss,  Lehrer  der 
Frauenkrankheiten,  P.  Gr.  Sch. 

9.  Die  Notwendigkeit  des  Studiums  der  Postgraduierten.  Von 
Dr.  William  S.  Thayer,  Prof,  der  Min.  Medizin  an  der  John  Hopkins 
med.  school,  Baltimore.  —  Eine  Bankettrede  am  20.  I.  1909. 

10.  Die  Hauptsachen  deis  Elrfodges  in  einer  Pos t -  Graduate- 
(Fortbildungs-)Schule.  Von  Dr.  George  Adaini1,  Montreal,  Canada.  Be¬ 
merkungen  zu  Nr.  9,  gemacht  ,am  20.  I.  1909. 


Büch  erschau. 


Atlas  chirurgisch  pathologischer  Röntgenbilder.  Von  Privatdozent  Dr, 
Rudolf  Grashey.  Mit  240  autotypischen,  105  photographischen  Bildern 
66  Skizzen  und  erläuterndem  Text.  München  1908,  J.  F.  Lehmann’s 

Verlag.  Preis  gebunden  22  Mk. 

Grashey,  dem  wir  bereits  den  vorzüglichen  „Atlas  typischer  Röntgenbilder 
vom  normalen  Menschen“  verdanken,  hat  im  vorliegenden  Bande  eine  Darstellung 
der  wichtigsten  Röntgenbefunde  gegeben,  soweit  sie  für  die  chirurgische  Pathologie 
in  Betracht  kommen.  Er  hat  es  verstanden,  das  riesige  Gebiet  auf  einen  verhältnis¬ 
mäßig  kleinen  Raum  erschöpfend  zu  behandeln.  Seine  Kunst,  an  der  Hand  lehr¬ 
reicher  Fälle  und  vorzüglicher  Abbildungen  durch  knappe,  den  Kernpunkt  der  Sache 
stets  treffende  Beschreibungen  ein  anschauliches  Bild  von  allen  in  Frage  kommenden 
Veränderungen  zu  geben  und  vor  allem  auch  den  Blick  für  die  Beurteilung  patho¬ 
logischer  Röntgenbilder  zu  schärfen,  verdient  rückhaltlose  Anerkennung.  Sein 
Atlas  ist  ein  Meisterwerk,  unentbehrlich  für  jeden  Chirurgen  und  Röntgenologen. 

W.  Guttmann. 


Energie  und  seelische  Richtkräfte.  Von  H.  Herz.  Leipzig,  Akadem. 
Verlagsgesellschaft,  1909.  105  S.  2,80  bezw.  3,50  Mk. 

Es  repräsentiert  —  so  ungefähr  drückt  sich  Lotze  in  seiner  allgemeinen 
Pathologie  und  Therapie  (S.  12/18)  aus  —  den  höchsten  Standpunkt,  dem  Grunde 
nachzuforschen,  welcher  einen  gegebenen  Zusammenhang,  so  wie  er  ist,  ins  Dasein 
gerufen  hat,  und  zwar  wird  es  die  Idee  sein,  welche  als  letzter  Grund  die  Ver¬ 
bindungsweise  der  Teile  und  Funktionen  geordnet  hat  und  dauernd  ordnet.  Aber 
der  Idee  fehlt  die  Kraft,  um  tote  Massen  zu  bewegen;  sie  kann  nur  durch  Ver¬ 
mittlung  eines  Systems  von  Energien  wirken. 

Aber  wenn  der  Philosoph  der  Naturwissenschaften  vor  einem  halben  Säkulum 
die  Frage  nach  den  dirigierenden  Momenten  nicht  aufgenommen  hat,  weil  sie  ein 
für  sich  abgeschlossenes,  getrenntes  Gebiet  bilde,  so  drängt  sie  sich  uns  Heutigen 
immer  lebhafter  auf,  um  so  mehr,  je  weniger  überraschend  das  Gesetz  von  der 
Erhaltung  der  Energie,  je  selbstverständlicher  es  geworden  ist.  Wenn  also  z.  B. 
Chwolson  sagt:  „Es  existiert  unzweifelhaft  ein  umfassendes  Weltgesetz,  welches 
aussagt,  in  welchen  Richtungen  der  Ablauf  der  physikalischen  Erscheinungen 
möglich  bezw.  unmöglich  ist“,  oder  wenn  Clausius  das  Postulat  aufstellt:  „Wärme 
kann  nicht  ,von  selbst4  von  einem  kälteren  auf  einen  wärmeren  Körper  übergehen“, 
so  kommt  da  die  Ahnung  eines  über  den  Energien  liegenden  Agens  unverkennbar 
zum  Ausdruck. 

In  diesen  Kreis  ist  auch  H.  Herz  eingetreten.  Er  löst  die  Frage  durch  An¬ 
nahme  eines  Systems  von  Richtkräften  sozusagen  niederer  und  höherer  Ordnung. 
Eine  solche  Richtkraft  erzeugt  z.  B.  im  Kristall  die  ausgeprägteste  Struktur  der 
anorganischen  Welt,  indem  sie  die  freien  Energien  in  schärfster  Weise  richtet.  Sie 
ist  es  auch,  die  in  das  lebendige  Plasmaklümpchen  immer  wieder  die  verbrauchten  Atom¬ 
gruppen  an  der  richtigen  Stelle  und  in  der  richtigen  Proportion  einfügt,  und  Richt¬ 
kräfte  sind  es,  die  das  ganze  Seelenleben  des  Menschen  beherrschen.  Natürlich 
sind  diese  Richtkräfte  in  keiner  Weise  zusammenzustellen  mit  dem,  was  wir  heute 
als  Kräfte,  Masse-bewegende  Energien  bezeichnen;  sie  lassen  sich  eher  dem  Archi¬ 
tekten  vergleichen,  dessen  Vorhandensein  etwa  teleskopbewaffnete  Marsbewohner 


Hochschulnachrichten . 


1151 


ja  auch  nur  ahnen,  aber  nicht  exakt  nach  weisen,  und  dessen  Einfälle  und  Pläne 
sie  nicht  a  priori  berechnen  können. 

Richtkräfte  und  Energien  bewirken  in  ihrer  Kombination  das  Weltbild,  aber 
während  diese  ewig,  unvergänglich  sind,  entstehen  und  vergehen  jene  in  ewigem 
Wechsel,  und  wie  die  künstlerische  Betätigung  immer  abhängig  gewesen  ist  von 
dem  vorhandenen  Material,  so  fassen  sie  die  geraden  vorhandenen  Energien  und 
Energiekomplexe  immer  wieder  anders  zusammen.  Es  ist  ungemein  interessant, 
H  erz  bei  der  Übertragung  seiner  Vorstellungen  auf  die  Psyche  zu  folgen.  Jeden¬ 
falls  stellt  seine  Abhandlung  einen  wichtigen  Abschnitt  im  Denken  der  Allgemein¬ 
heit  dar,  falls  sie  eine  Resonanz  auslöst.  Buttersack  (Berlin). 


10.  Jahresbericht  der  Neuen  Heilanstalt  für  Lungenkranke  zu  Schömberg. 

Von  Dr.  G.  Schröder  und  Dr.  K.  Kaufmann.  Stuttgart  1909. 

Der  Jahresbericht  enthält  außer  den  üblichen  statistischen  Angaben  eine 
wertvolle  Auslassung  über  die  im  Verlaufe  chronischer  Lungentuberkulose  auf- 
tretende  Pleuritis.  Sobald  ein  Erguß  nachgewiesen  ist,  soll  die  Probepunktion  vor¬ 
genommen  werden.  Ergiebt  diese  ein  seröses  oder  sanguinolentes  Exsudat,  so  ist 
die  Ruhigstellung  der  erkrankten  Seite  (Heftpflaster verband)  bei  strengster  Bettruhe 
und  Unterdrückung  des  Hustenreizes  geboten.  Die  Entleerung  des  Exsudates 
kommt  erst  in  Frage,  wenn  Verdrängungserscheinungen  seitens  des  Herzens  oder 
der  großen  Gefäße  auftreten.  Aber  auch  dann  entleere  man  nur  so  viel  Flüssigkeit, 
Avie  nötig  ist,  um  die  bedrohlichen  Erscheinungen  zu  beseitigen.  Denn  die  Anwesen¬ 
heit  des  Exsudates  an  sich  ist  von  günstiger  Einwirkung  auf  den  tuberkulösen 
Prozeß,  ähnlich  wie  der  künstliche  Pneumothorax:  das  Exsudat  bewirkt  durch 
seinen  Druck  einen  Kollaps  des  Lungengewebes,  stellt  die  Lunge  ruhig,  begünstigt 
die  Bindegewebsbildung.  „Vielleicht  kommt  noch  eine  Anregung  der  Antitoxine 
bildenden  Organe  zur  vermehrten  Tätigkeit  hinzu.“  Es  dürfte  sich  daher  auch 
empfehlen,  nach  Punktionen  etwas  Stickstoff  in  die  Pleurahöhle  einzuführen.  Nach 
Resorption  des  Ergusses  gilt  es,  die  Entstehung  fester  bindegewebiger  Verwachsungen, 
die  die  Ruhigstellung  der  Lunge  gewährleisten,  zu  begünstigen :  jede  Atemgymnastik 
ist  daher  zu  unterlassen. 

Wird  die  kranke  Seite  lange  genug  ruhig  gestellt,  so  kommt  es  nicht  leicht 
zur  Bildung  eines  Empyems.  Hat  man  ein  Empyem  festgestellt,  so  behandle 
man  es  wie  einen  kalten  Abszeß:  Punktion,  Aspiration,  Einspritzung  von  Jodoformöl, 
eventuell  Einführen  von  Stickstoff.  Man  erreicht  damit  bessere  Ergebnisse  als 
durch  die  Rippenresektion.  Sobotta  (Reiboldsgrün). 


Zur  Erinnerung  an  die  vor  90  Jahren  vollzogene  Gründung  des  Geschäftes 
hat  die  Firma  H.  Windl er,  Berlin  N.  24,  Friedrichstraße  188a,  eine  Reihe  Spezial¬ 
kataloge  und  einen  Hauptkatalog  fertig  gestellt,  deren  Kenntnisnahme  wir  unsern 
Lesern  empfehlen.  Es  liegen  folgende  Spezialkataloge  vor:  Wissenschaftliche 
Medizin,  Zahnheilkunde,  Ophthalmologie,  Otologie,  Rhinologie  und  Laryngologie, 
Dermatologie  und  Urologie,  Innere  Medizin,  Gynäkologie,  Sterilisatoren  und 
Krankenhausmöbel,  Bandagen,  Krankenpflegeartikel.  R. 


Hochschulnachrichten. 

Berlin.  Der  ao.  Professor  für  medizinische  Chemie  und  Vorsteher  des  chemischen 
Laboratoriums  am  Pathologischen  Institut  Geh.  Med.-Rat  Dr.  med.  Ernst 
Salkowski  wurde  zum  o.  Hon.- Professor  ernannt.  Die  staatliche  Lehrmittel¬ 
sammlung  im  Kaiserin  Friedrich-Hause  wird  um  eine  Sonderabteilung  für 
Tropenmedizin  bereichert.  Der  Staatssekretär  des  Reichskolonialamtes 
Dernburg  hat  die  Schutzgebiets  Verwaltungen  angewiesen,  geeignete  Objekte 
und  auch  Eingeborenengegenstände,  die  für  die  Völkermedizin  von  Interesse 
sind,  an  das  Kaiserin  Friedrich-Haus  nach  Berlin  zu  senden. 

Bonn.  Der  o.  Professor  und  Direktor  des  pathologischen  Instituts,  Dr.  Ribbert, 
wurde  zum  Geh.  Med.-Rat  ernannt. 

Erlangen.  Für  Psychiatrie  habilitierte  sich  Dr.  med.  K.  Kleist. 

Freiburg  i.  Br.  Der  o.  Prof.  Geh. -Rat  Dr.  Christian  Bäumler  wurde  auf  sein 
Ansuchen  unter  Ernennung  zum  Wirklichen  Geheimen  Rat  in  den  Ruhestand 
versetzt  und  an  seine  Stelle  der  o.  Prof,  der  Kinderheilkunde  und  Direktor  der 


1152  Mitteilungen. 

med.  Poliklinik  in  Freiburg,  Dr.  med.  Oskar  de  la  Camp  vom  1.  Oktober  ab 
zum  o.  Prof,  der  speziellen  Pathologie  und  Therapie  und  Direktor  der  med. 
Klinik  ernannt.  Exzellenz  Bäumler  steht  im  74.  Lebensjahre.  1872  übernahm 
er  eine  ao.  Prof,  für  propädeutische  Klinik  in  Erlangen.  1874  kam  er  als  Prof, 
der  Pharmakologie  nach  Freiburg  i.  Br.,  wo  er  zwei  Jahre  später  als  Nachfolger 
Kußmauls  zum  Direktor  der  med.  Klinik  und  Prof,  der  speziellen  Pathologie 
und  Therapie  ernannt  wurde.  —  Das  Ordinariat  des  Prof.  Dr.  med.  Oskar  de 
la  Camp  wurde  in  zwei  Extraordinariate  aufgeteilt.  Zum  ao.  Prof,  für  Kinder¬ 
heilkunde  wurde  der  Göttinger  Prof.  Dr.  Bruno  Salge  ernannt,  die  Leitung 
der  med.  Poliklinik  erhielt  als  ao.  Prof,  der  P.-D.  Dr.  Paul  Morawitz  in 
Heidelberg. 

Greifswald.  Zum  Nachfolger  von  Minkowski  wurde  Prof.  Dr.  A.  Steyerer 
aus  Berlin  berufen.  Prof.  Dr.  Allard  wurde  zum  Oberarzt  an  der  Breslauer 
medizinischen  Klinik  ernannt. 

Göttingen.  Auf  eine  25jährige  Tätigkeit  als  o.  Professor  konnte  am  1.  Oktober  der 
Direktor  der  chirurgischen  Klinik,  Geh.  Med.-Rat  Dr.  Heinrich  Braun,  zurück¬ 
blicken.  Der  Oberarzt  an  der  Kinderpoliklinik  in  Kiel,  Dr.  med.  Göppert, 
ist  vom  1.  Oktober  ab  zum  ao.  Professor  für  Kinderheilkunde  an  der  Univer¬ 
sität  ernannt  worden.  Zum  Nachfolger  des  Geh.  Rats  Runge  für  Geburtshilfe 
und  Gynäkologie  ist  der  o.  Prof.  Dr.  Otto  v.  Franque  in  Gießen  in  Aussicht 
genommen. 

Halle.  Der  Senior  der  med.  Fakultät  Geh.  Med.-Rat  Prof.  Dr.  Weber  feierte 
seinen  80  jährigen  Geburtstag. 

Heidelberg.  Der  o.  Prof,  der  Hygiene,  Geh.  Hofrat  Dr.  Franz  Knauff,  der 
in  den  Ruhestand  tritt,  wurde  zum  Geh.  Rat  ernannt.  Prof.  Hofrat  Dr.  H. 
Lossen  ist  verstorben. 

Jena.  Der  o.  Prof,  der  Geburtshilfe  und  Gynäkologie  und  Direktor  der  Frauen¬ 
klinik  Dr.  Karl  Franz  erhielt  einen  Ruf  nach  Kiel. 

Kiel.  Dem  P.-D.  für  Zoologie  und  vergleichende  Anatomie  an  der  Universität 
Dr.  Johannes  Reibisch  ist  der  Titel  Professor  verliehen  worden.  Geh.  Med.- 
Rat  Prof.  Dr.  Heusen,  Direktor  des  physiologischen  Instituts,  feierte  sein 
SOjäliriges  Doktorjubiläum. 

Köln.  Dem  Dozenten  und  außerordentlichen  Mitglied  der  Akademie  für  praktische 
Medizin,  Oberstabsarzt  Dr.  Fritz  Kayser,  unserem  geschätzten  Mitarbeiter, 
ist  vom  Kultusminister  das  Prädikat  Professor  verliehen  worden. 

München.  Geh. -Rat  Prof.  Dr.  Ritter  v.  Bollinger  ist  verstorben.  Der  P.-D.  Dr. 
Erich  Meyer  geht  als  ao.  Prof,  und  Leiter  der  medizinischen  Poliklinik  nach 
Straßburg  i.  E. 

W  ü  r  z  b  u  r g.  Dr.  G.  Hotz  habil itierte  sich. _ 


Mitteilungen. 

Budapest.  Der  Internationale  Aerztekongreß  erkannte  den  Pariser  Preis  von 
8000  Frank  dem  belgischen  Prof.  Bordet  in  Gent  und  den  Moskauer  Preis 
dem  Prof.  Hertwig  (Berlin)  zu  in  Anerkennung  ihrer  wissenschaftlichen 
Forschungen  auf  dem  Gebiete  der  Diagnostik  des  Blutserums  bezw.  der  Ent¬ 
wicklungslehre. 


Der  31.  Baineologenkongreß  wird  unter  Vorsitz  von  Geh.-Rat  Brieger 
vom  29.  Januar  bis  1.  Februar  1910  im  Anschluß  an  die  Zentenarfeier  der  Hufe- 
landischen  Gesellschaft  in  Berlin  tagen.  Anmeldungen  von  Vorträgen  und  An¬ 
trägen  nimmt  entgegen  der  Generalsekretär  der  Balneologischen  Gesellschaft  Geh. 
Sanitätsrat  Dr.  Brock,  Berlin  NW.,  Thomasiusstr.  24. 


Im  nächsten  Jahre  soll  in  Brüssel  ein  internationaler  Radiumkongreß 
stattfinden.  Die  belgische  Regierung  selbst  gab  die  Anregung  zu  diesem  Plan,  der 
auch  von  der  französischen  Gesellschaft  für  Physik  unterstützt  wird.  Bis  jetzt 
haben  u.  a.  ihre  Teilnahme  zugesagt:  Sir  William  Crookes,  Svante  Arrlienius, 
Ph.  Lenard,  Frau  Curie,  E.  Rutherford  und  vor  allem  Sir  William  Ramsay. 


Schriftleitung:  Dr.  Ri  gier  in  Leipzig. 
Druck  von  Emil  Herrmann  senior  in  Leipzig. 


27.  Jahrgang. 


1909. 


fomcbrim  der  medizin. 


Unter  Mitwirkung  hervorragender  Fachmänner 

herausgegeben  von 

Professor  Dr.  0.  Röster  Pric.-Doz.  Dr.  v.  griegern 

in  Leipzig.  in  Leipzig. 

Schriftleitung:  Dr.  Rigler  in  Leipzig. 


Nr.  31. 


Erscheint  am  10.,  20.,  30.  jeden  Monats.  Preis  halbjährlich 
6  Mark,  inkl.  Zeitschrift  für  Yersicherungsmedizin  8  Mark. 

—  Verlag  von  Georg  Thieme,  Leipzig.  -■ 


10.  Nov. 


Originalarbeiten  und  Sammelberichte. 

Klinischer  und  experimentellpathologischer  Beitrag  zur  Atoxyl- 

vergiftung.*) 

Von  Georg  Köster. 

M.  H.  Im  folgenden  möchte  ich  Ihnen  über  Untersuchungen  be¬ 
richten,  die  ich  zusammen  mit  dem’  Ophthalmologen  Herrn  A.  Birch- 
Hirschfeld  an  Atoxyl  -  vergifteten  Menschen  und  Tieren  angestellt 
habe.  Bei  der  Kürze  der  verfügbaren  Zeit  vermeide  ich  möglichst  ein 
Eingehen  auf  die  vorhandene  Literatur. 

Wir  hatten  Gelegenheit,  zwei  Männer  zu  beobachten,  die  wegen 
Psoriasis  vulgaris  von  andrer  Seite  mit  Atoxyl  gespritzt  worden  waren. 
Beide  Patienten  waren  früher  Potatoren  gewesen. 

Der  eine,  ein  40  jähriger  Mann,  erhielt  im  ganzen  45  Injektionen 
einer  20°/o  Lösung  =  9  gr  Atoxyl.  Schon  nach  3  Wochen  entwickelte 
sich  beiderseits  eine  Sehnervenatrophie,  die  auf  dem  rechten  Auge  bald 
zu  völliger  Erblindung  führte,  während  auf  dem  linken  bei  einem  mini¬ 
malen  Gesichtsfeld  noch  G/20  Sehkraft  übrig  blieb.  Dabei  erhielt  sich 
auch  auf  dem  völlig  erblindeten  Auge  die  Pupillenreaktion  dauernd. 
Ferner  traten  in  der  4.  Injektionswoche  Inkontinenzerscheinungen  der 
Blase  auf,  die  sich  nach  einigen  Wochen  wieder  verloren.  Die  Sehnen¬ 
reflexe  waren  die  ganze  6  monatige  Beobachtungszeit  hindurch  bis  zur 
Andeutung  von  Patellar-  und  Fußklonus  gesteigert. 

Der  andere  Kranke,  ein  55jähr.  Mann, erhielt  im  Ganzen  32  Spritzen 
einer  20°/0  Lösung  ~  6,4  gr  Atoxyl.  Schon  in  den  ersten  Wochen  trat 
eine  Abnahme  der  Sehschärfe,  erhebliche  Einschränkung  des  Gesichts¬ 
feldes  und  völlige  Erblindung  ein.  Dabei  war  die  Pupillenreaktion  durch 
2 */2  Jahre  bis  zu  dem  an  Bronchitis  erfolgten  Tode  des  Kranken  erhalten. 
Bermerkenswert  ist  ferner,  daß  er  nach  der  32.  Injektion  vorübergehend 
weder  Urin  noch  Stuhl  halten  konnte  und  daß  noch  durch  weitere 
7  Monate  eine  Neigung  zur  Inkontinenz  bestand,  die  dann  einer  Dysurie 
Platz  machte.  Die  Sehnenreflexe  waren  anhaltend  gesteigert.  Beim 
Stehen  mit  geschlossenen  Füßen  zeigte  der  erblindete  Kranke  stets  ein 
deutliches  Schwanken. 

Es  verdient  besonders  hervorgehoben  zu  werden,  daß  bei  beiden 
Kranken  anfangs  die  ophthalmoskopische  Untersuchung  negativ  ausfiel. 

*)  Vortrag,  gehalten  am  24.  Oktober  1909  auf  der  lö.  Versammlung  mittel¬ 
deutscher  Neurologen  und  Psychiater  zu  Jena. 


7B 


1154 


Georg  Köster, 


Vorgreifend  möchte  ich  darauf  hinweisen,  daß  auch  bei  unsern  Versuchs¬ 
hunden  der  Augenhintergrund  meist  bis  zum  Tode  normal  gefunden  wurde, 
während  die  histologische  Untersuchung  schwere  Veränderungen  in  Netz¬ 
haut  und  Sehnerv  ergab.  Nur  eine  auffallende  Einengung  des  Gesichts¬ 
feldes  bestand  anfänglich  bei  unsern  Patienten,  aber  kein  zentrales  Skotom, 
wie  wir  dies  bei  der  Tabak-  oder  Alkoholvergiftung  zu  finden  gewöhnt  sind. 

Der  zweite  unserer  Kranken  starb  Jahre  nach  eingetretener 

Erblindung  an  einer  Bronchitis  und  genau  4  Stunden  nach  dem  Tode 
wurden  durch  Herrn  Dr.  Drosinski  beide  Bulbi,  die  Sehnerven  bis  zu 
den  Traktus  optici  und  die  corpora  geniculata  externa  entnommen. 
Mittels  der  Mar  chi-Methode  ließ  sich  kein  frischer  Markscheidenzerfall 
mehr  erkennen.  Dagegen  zeigte  sich  bei  Anwendung  der  modifizierten 
Weigert-Färbung  (Wolters-Kulschitzky),  daß  überhaupt  nur  noch 
wenige  wellige,  verstreute  Fasern  im  ganzen  Verlaufe  des  unteren  Opticus 
vorhanden  waren.  Sie  erkennen  auf  den  nach  Heldischen  Gliafärbungen 
angefertigten  Zeichnungen  deutlich,  daß  der  Verlust  an  markhaltigen 
Fasern  sowohl  durch  eine  kolossale  sekundäre  Gliawucherung  als  auch 
durch  starke  persivaskuläre  Bindegewebswucherungen  ausgeglichen  ist. 
Auch  die  Ganglienzellen  des  corpus  geniculatum  externum  zeigten  die 
verschiedensten  Degnerationsphasen  an  Kern  und  Protoplasma.  Ohne 
auf  Einzelheiten  z.  B.  die  teilweise  Schrumpfung  der  Gliakerne  einzu¬ 
gehen,  will  ich  nur  hervorheben,  daß  beide  nervi  optici  in  ihrem  ganzen 
Verlauf  als  gleichmäßig  fast  völlig  verödet  an  nervösen  Elementen  zu 
bezeichnen  sind.  Ein  besonderes  Interesse  erwecken  die  Netzhäute.  Die 
Betinalganglienzellen  sind  entweder  ganz  verschwunden  oder  es  sind 
noch  charakterlose  Trümmer  übrig,  die  man  nur  aus  ihrer  Lage  als 
Reste.  der  Retinalganglienzellen  erkennt.  Die  innere  Körnerschicht  zeigt 
alle  Ubergangsbilder  der  Entartung,  so  daß  entweder  stark  überfärbte 
oder  geschrumpfte  Zellen  oder  blasse,  vacuolisierte  schattenhafte  Reste 
zu  sehen  sind.  In  der  äußeren  Körnerschicht  sind  die  Stäbchenkörner 
partiell  zerfallen,  während  Sie  die  Zapfenkörner  als  gut  erhalten  er¬ 
kennen.  Dies  Verhalten  wird  in  der  Gegend  der  Macula  am  klarsten, 
wo  ein  Kegel  normalaussehender  Zapfenkörner  gegen  die  degenerierten 
Stäbchenkörner  scharf  absticht.  Es  liegt  die  Vermutung  nahe,  daß  das 
'  relativ  lange  Erhaltenbleiben  eines  kleinen  Gesichtsfeldrestes  mit  der 
Dauerhaftigkeit  der  Zapfenkörner  in  einer  Beziehung  steht.  Auch  das 
dauernde  Vorhandensein  der  Pupillenreaktion  trotz  voller  Amaurose 
hängt  vielleicht  mit  der  Resistenz  der  Zapfenkörner  zusammen. 

Andere  Organe  dieses  Kranken  standen  uns  leider  nicht  zur  Ver¬ 
fügung.  Durch  experimentelle  Vergiftung  von  Hunden  und  Kaninchen 
haben  wir  das  beim  Menschen  von  andern  Autoren  und  uns  beobachtete 
Bild  bestätigen  können.  Der  Hund  ist  dem  Atoxyl  gegenüber  empfind¬ 
licher  als  das  Kaninchen  und  ähnlich  empfindlich  wie  der  Mensch. 

Durchschnittlich  erhielten  die  Tiere  täglich  0,05 — 0,1  Atoxyl,  je  nach 
Körpergewicht  und  Allgemeinbefinden.  Obwohl  eine  möglichst  chronische 
Vergiftung  angestrebt  wurde,  starben  mehrere  Tiere  schon  nach  einigen 
Tagen,  so  daß  ein  Hund  z.  B.  schon  nach  4  Tagen  mit  0,9  Atoxyl  zur 
Untersuchung  gelangte.  Von.  den  Hunden  hat  eine  Foxhtindin  mit 
9,93  gr  Atoxyl  in  93  Tagen,  von  den  Kaninchen  eines  mit  15,95  gr 
Atoxyl  in  166  Tagen  am  längsten  ausgehalten.  Das  klinische  Ver¬ 
giftungsbild  der  Hunde  wie  der  Kaninchen  ist  charakteristisch,  berührt 
sich  in  manchen  Zügen,  weicht  aber  in  andern  voneinander  ab. 


Klinischer  und  experimentalpathologischer  Beitrag  zur  Atoxylvergiftung.  1155 


Sofern  die  Hunde  nicht  schon  nach  einigen  Tagen  unter  Erbrechen, 
Durchfall  und  rasch  fortschreitender  Erschöpfung  zugrunde  gingen,  zeigten 
sie  nach  mehrwöchiger  Vergiftung  eine  zunehmende  Mattigkeit,  Konjunk¬ 
tivitis,  Katarrhe  der  Atemwege,  Freßunlust,  gesteigerten  Durst  und  Ataxie 
der  Hinterbeine.  Bei  Aussetzen  der  Giftzufuhr  gingen  diese  Erscheinungen 
teilweise  oder  ganz  zurück,  um  bei  neuer  Giftzufuhr  verstärkt  wieder  ein¬ 
zusetzen.  Dann  beteiligten  sich  gegen  das  Ende  hin  auch  die  Vorder¬ 
beine  an  der  Ataxie  und  in  den  letzten  5  —  8  Tagen  schwankten  die  Tiere 
wie  vorgeschrittene  Tabiker.  Der  Urin  wurde  viel  häufiger  entleert  als 
sonst  und  mitunter  war  der  Stuhl  dünn.  Im  Urin  der  getöteten  Tiere 
war  stets  Eiweiß  und  zuweilen  Blut  enthalten.  Die  Sehnenreflexe  wiesen 
dauernd  eine  Steigerung  auf,  ohne  daß  es  zu  Spasmen  gekommen  wäre. 
Der  Augenhintergrundsbefund  blieb  meist  bis  zum  Schluß  normal  und 
nur  in  einem  Falle  trat  eine  Abblassung  der  Papille  ein.  Die  aus  der 
klinischen  Pathologie  entlehnte  Annahme,  daß  bei  chronischem  Alkohol¬ 
mißbrauch  die  Atoxylzufuhr  leichter  zur  Vergiftung  führe,  findet  bei 
einem  unserer  Hunde,  der  in  6  Monaten  fast  4  Liter  Fuselschnaps  und 
9,3  gr  Atoxyl  bekam,  keine  Stütze.  Denn  das  Tier  wurde  während  der 
Alkoholzufuhr  äußert  freßlustig  und  wohlgenährt  und  durch  Atoxyl 
schwerer  vergiftet  als  alle  übrigen  Versuchshunde.  Während  im  klinischen 
Bilde  der  Atoxylvergiftung  beim  Hunde  außer  der  Schwäche  die  Ataxie 
das  auffallendste  Symptom  ist,  sind  es  beim  Kaninchen  die  Spasmen  und 
die  Neigung  zu  Konvulsionen.  Opisthotonus,  spastische  Paralyse,  be¬ 
sonders  der  hinteren  Extremitäten,  enorme  Steigerung  der  Reflexerregbar- 
keit  gesellen  sich  beim  Kaninchen  der  gleichfalls  vorhandenen  Ataxie 
hinzu.  Ein  ähnliches  klinisches  Bild  beschreibt  Igersheimer  bei  der 
chronisch  mit  Atoxyl  vergifteten  Katze.  Dazu  kommt  der  ophthal¬ 
moskopische  Nachweis,  daß  die  Papille  blasser  wurde  und  die  von  ihr 
ausgehenden  Markstrahlen  zum  Teil  einen  welligen  und  angenagten 
(körnigen)  Eindruck  machten. 

Der  grob  anatomische  Befund  am  ganzen  Nervensystem,  speziell 
am  Auge  und  Sehnerven  ist  bei  Hund  und  Kaninchen  negativ.  Dagegen 
ergibt  die  histologische  Untersuchung  bei  beiden  Tierspezies  ein  reiches 
Besultat.  Die  Ganglienzellen  der  Netzhaut  sind  in  jedem  Falle  mehr 
oder  minder  entartet,  je  nach  der  Intensität  der  Vergiftung  und  der 
individuellen  Disposition.  Die  Zeit  verbietet  uns,  hier  alle  Befunde 
detailliert  zu  schildern.  Sie  werden  sich  an  den  Präparaten  oder  Ab¬ 
bildungen  mühelos  überzeugen,  daß  alle  bekannten  Veränderungen  des 
Kernes  und  Protoplasmas  sich  mit  der  Nißl -Hel duschen  oder  Heiden- 
hai Aschen  Methode  nachweisen  lassen. 

Quellung,  Auflösung,  Schrumpfung  oder  Verlagerung  des  Kernes, 
Zerstäubung  oder  Klumpung  der  chromatophilen  Elemente,  Vakuolisierung 
des  Protoplasmas  oder  Auflösung  der  ganzen  Zelle  —  alles  dies  wird 
häufig  in  den  verschiedensten  Kombinationen  beobachtet.  Auch  die 
innere  Körnerschicht  zeigt  durch  Schrumpfung  oder  Quellung  an,  daß 
sie  auf  Atoxyl  reagiert.  Verfettungen  der  Retinalzellen  haben  wir  bis 
jetzt  noch  nicht  nachweisen  können.  Der  Sehnerv  zeigt  weder  bei  Hunden 
noch  beiKaninchen  mit  derWeigert-Methode  irgendwelche  Veränderungen. 
Dagegen  findet  sich  bei  beiden  Tierspezies  nach  Marchi-  oder  Fleming- 
Fixierung  im  unteren  Opticus  ein  individuell  verschiedener  Markscheiden¬ 
zerfall  ziemlich  gleichmäßig  durch  die  ganze  Länge  des  Nerven  bis  hinter 
das  Chiasma.  Bald  zeigen  die  zentralen,  bald  die  peripheren  Teile  des 
Nervenquerschnittes  die  stärkeren  Schwärzungen. 


73* 


1156 


Georg  Köster, 


Auch  die  von  Igersheimer  bei  der  Katze  gefundenen  unregel¬ 
mäßig  varicös  aufgetriebenen  geschwärzten  Nervenfasern  werden  beim 
Hunde  auf  Längsschnitten  durch  den  Sehnerven  nicht  vermißt.  Während 
sich  bei  einigen  Tieren  neben  schweren  histologischen  Veränderungen 
in  der  Netzhaut  ein  noch  normaler  Sehnerv  fand,  zeigten  andere  neben 
beträchtlichem  Markscheidenzerfall  im  unteren  Opticus  noch  fast  normale 
strukturelle  Verhältnisse  in  der  Retina.  Das  Corpus  geniculatum  externum 
zeigt  wie  beim  Menschen  so  auch  bei  Hund  und  Kaninchen  deutliche 
Entartung  seiner  Ganglienzellen  in  verschiedener  Abstufung. 

Im  Großhirn  der  Hunde  fanden  wir  ziemlich  konstant  (Fleming- 
Fixierung,  Safraninfärbung)  eine  fettige  Degeneration  der  Ganglienzellen, 
wie  ich  sie  in  früheren  Jahren  bei  der  CS2- Vergiftung  bereits  nach¬ 
gewiesen  habe.  Das  Fett  wird  offenbar  in  den  Lymphgefäßen  des  Ge¬ 
hirnes  weggeführt,  denn  in  den  perivaskulären  Lymphscheiden  sehen  wir 
oft  Fettropfen  verschiedenster  Größe.  Ebenso  stoßen  wir  aber  auf  Fett 
im  Inneren  der  Gehirnkapillaren,  also  auf  Fettembolien.  Dies  Fett 
stammt  wahrscheinlich  aus  der  Leber  oder  Niere,  Organe,  in  denen  wir 
in  diesen  Fällen  Fettinfiltration  resp.  Fettdegeneration  der  Epithelien 
trafen.  Mit  der  Nißl- Heldischen  Methode  konnten  wir  beim  Hund 
und  Kaninchen  an  den  Nervenzellen  der  Hirnrinde  und  des  Hirnstammes 
dieselben  Veränderungen  nachweisen  wie  in  der  Netzhaut.  Auffallend 
waren  in  der  Rinde  der  Kaninchenhirne  die  vielfach  geschrumpften  und 
überfärbten  Zellen,  ohne  daß  etwa  Fixierungsfehler  die  Schrumpfung 
veranlaßt  hätten.  Auch  im  Rückenmark  aller  unserer  Versuchstiere 
zeigten  die  Vorderhornzellen  eine  individuell  verschiedene  Entartung. 
Sie  erkennen  an  den  Abbildungen,  daß  dieselben  Stufen  der  Degeneration 
durchlaufen  werden,  wie  wir  sie  bei  der  Netzhaut  antrafen,  so  daß  ich 
auf  die  Aufzählung  im  Einzelnen  verzichten  kann.  Dasselbe  gilt  für  die 
Spinalganglienzellen  beider  Tierspezies,  an  denen  sich  wegen  ihrer  Größe 
die  Veränderungen  des  Kernes  und  Zellprotoplasmas,  besonders  gut 
studieren  lassen.  Bei  allen  Tieren  ließ  sich  ein  frischer,  diffus  durch 
das  ganze  Rückenmark  verbreiteter  Markscheidenzerfall  nachweisen.  Bei 
einem  77  Tage  hindurch  mit  6,7  gr  vergifteten  großen  Jagdhunde  fanden 
wir  aber  mit  der  Weigertfärbung  ein  dreieckiges  degeneriertes  Feld  in 
den  Goll’schen  Strängen,  das  im  Brustmark  erstmalig  erschien,  um  im 
Halsmark  allmählich  zu  verschwinden.  Sie  erkennen  auf  der  Photographie, 
ja  sogar  mit  unbewaffnetem  Auge  auf  dem  Präparat  das  helle  Feld,  in 
dessen  Bereich  die  markhaltigen  Fasern  vielfach  untergegangen  sind. 
Auf  Fl  eming-  oder  Marchi-Präparaten  zeigt  die  entsprechende 
Hinterstrangpartie  eine  Lichtung  der  markhaltigen  Fasern  und  vereinzelte 
Schwärzung  der  vorhandenen.  Es  handelt  sich  also  um  einen  noch 
langsam  fortschreitenden,  schon  mehrere  Wochen  alten  Degenerations¬ 
prozeß,  dessen  Alter  auch  aus  der  nachweisbaren  Gliawucherung  im  Be¬ 
reiche  des  Faserschwundes  (Heldische  Färbung)  hervorgeht.  Wir  haben 
hier  die  experimentelle  Bestätigung  des  von  Nonne  am  Menschen  er¬ 
hobenen  Rückenmarksbefundes  vor  uns. 

In  den  peripheren  Nerven  aller  unserer  Versuchstiere  konnten  wir 
außer  einem  mäßigen  initialen  Markscheidenzerfall  und  gelegentlicher 
spindeliger  oder  varicöser  Auftreibung  der  Nervenfasern  nichts  Besonderes 
wahrnehmen. 

Aber  nicht  nur  am  Nervensystem,  sondern  auch  an  den  inneren 
Organen  kann  das  Atoxyl  zum  Teil  recht  schwere  Veränderungen  bewirken. 


Klinischer  und  experimentalpathologischer  Beitrag  zur  Atoxylvergiftung.  1157 


In  einem  Falle  fanden  wir  ausgedehntere  Blutungen  im  Herzmuskel, 
bei  den  iibiigen  Tieren  nur  gelegentlich  kleinste  Blutergüsse. 

Die  Leber  wies  bei  mehreren  Hunden,  weniger  ausgesprochen  bei 
Kaninchen,  eine  Fettinfiltration  auf,  die  schon  grob  anatomisch  dem 
Organ  ein  gelblichfleckiges  Aussehen  verlieh.  Mikroskopisch  kann  die 
Fettanhäufung,  die  sich  zumal  in  den  peripheren  Abschnitten  der  Azini 
findet,  einen  hohen  Grad  erreichen. 

Sehr  charakteristische  und  konstante  Veränderungen  weist  bei  Hund 
und  Kaninchen  die  Niere  auf,  die  in  jedem  Falle  nachweisbaren  Blutungen 
an  der  Grenze  zwischen  Mark  und  Binde.  Besonders  ausgedehnt  sind 
die  schon  makroskopisch  wahrnehmbaren  Blutungen  bei  den  Hunden. 
Heidenhain-  oder  Mallory-Färbungen  zeigen  uns  nicht  nur  die  Aus¬ 
dehnung  der  Blutaustritte,  sondern  auch  die  starke  Blutüberfüllung  des 
ganzen  Organes,  die  Quellung  der  Epithelien  und  die  zahlreichen  hyalinen 
und  körnigen  Zylinder.  An  Flein  in  g-Präparaten  sehen  wir  die  aus¬ 
gedehnte  fettige  Degeneration  der  Nierenepithelien  bei  Hunden  und 
Kaninchen.  Schließlich  finden  wir  auch  Fett  in  den  körnigen  Zylindern 
und  in  den  Blutgefäßen. 

So  sehen  wir,  daß  sowohl  das  Nervensystem  als  auch  die  inneren 
Organe  in  schwerer  Weise  durch  das  Atoxyl  geschädigt  werden  können 
und  daß  das  in  den  Kreislauf  übergegangene  Gift  je  nach  der  Disposition 
des  Individuums  bald  da,  bald  dort  funktionelle  und  strukturelle  Ver¬ 
änderungen  hervorruft.  Der  Sehnerv  und  die  Netzhaut  sind  aber  ohne 
Zweifel  die  am  frühesten  geschädigten  Teile  bei  Mensch  und  Tier. 

Die  praktischen  Schlußfolgerungen  ergeben  sich  von  selbst.  Nur 
unter  ständiger  augenärztlicher  Kontrolle  sollte  das  Atoxyl  angewendet 
Averden.  Bei  den  ersten  subjektiven  Beschwerden  muß  man  es  aussetzen, 
da  nach  der  Erfahrung  anderer  Autoren  sich  unter  Umständen  beginnende 
Sehstörungen  zurückbilden  können.  Wo  schon  eine  Opticusatrophie 
besteht,  darf  Atoxyl  nicht  verwendet  werden.  Auch  bei  Potatoren  scheint 
\Torsicht  in  der  Anwendung  dieses  Mittels  geboten.  Ob  Atoxyl  bei  der 
Behandlung  von  Lues  wirklich  so  unentbehrlich  ist,  wie  es  nach  manchen 
Publikationen  erscheinen  möchte,  ist  mir  recht  fraglich.  Ich  persönlich 
komme  bei  Behandlung  der  Syphilis  gut  ohne  Atoxyl  aus.  Bei  der 
Therapie  der  Schlafkrankheit  mag  es  unentbehrlich  sein. 

Für  direkt  fehlerhaft  aber  halte  ich  es,  bei  beliebigen  harmlosen 
Hautaffektionen  (Ekzem,  Psoriasis),  gegen  die  es  zuverlässige  Mittel  gibt, 
eine  Atoxylkur  anzuwenden,  da  wir  nie  wissen  können,  ob  nicht  eine 
besondere  Empfindlichkeit  des  Sehnerven  gegenüber  diesem  Mittel  vor¬ 
liegt.  Der  erreichte  Nutzen  steht  hier  in  keinem  Verhältnis  zu  der 
Gefahr,  der  wir  den  Kranken  aussetzen. 


Ueber  schlecht  gedeihende  Brustkinder. 

Von  Prof.  Dr.  Martin  Thiemicli,  Magdeburg. 

Nach  einem  Vorträge  in  der  medizinischen  Gesellschaft  zu  Magdeburg. 

Im  Vordergründe  aller  modernen  Bestrebungen  auf  dem  Gebiete 
der  Säuglingsfürsorge,  sowohl  wenn  es  sich  darum  handelt,  die  Sterb¬ 
lichkeit  herabzudrücken,  als  auch  dann,  wenn  man  es  für  die  wesent¬ 
lichste  Aufgabe  hält,  .  das  gesundheitliche  Niveau  der  Überlebenden 
günstiger  zu  gestalten,  steht  heute  ganz  allgemein  die  Still-Propaganda. 

Soweit  die  Gründe  dafür,  daß  überhaupt  nicht  oder  zu  kurze 
Zeit  gestillt  wird ,  sozialer  Natur  sind,  sollen  sie  uns  heute  nicht 


1158 


Martin  Tliiemich, 


beschäftigen.  Die  Bestrebungen,  da,  wo  widrige  soziale  Verhältnisse, 
besonders  die  Frauenarbeit,  vorläufig  in  sehr  vielen  Fällen  die  vor¬ 
zeitige  Trennung  von  Mutter  und  Kind  veranlassen,  nach  Möglichkeit 
Abhilfe  zu  schaffen,  ist  kein  rein  ärztliches  Problem,  wenn  auch,  wie 
es  zweckmäßigerweise  hier  in  Magdeburg  geschieht,  die  praktische 
Durchführung  aller  Fürsorgemaßregeln  in  der  Hand  des  Arztes  ver¬ 
einigt  ist. 

Wo  nicht  die  sozialen  Verhältnisse  die  Schuld  tragen,  sind  es 
hauptsächlich  zwei  Gründe,  welche  das  Stillen  ganz  verhindern  oder 
vorzeitig  beenden:  erstens  Erkrankung  der  Mutter,  zweitens  Nicht¬ 
gedeihen  des  Kindes. 

Auf  den  ersten  Punkt  will  ich  hier  nicht  näher  eingehen.  Es  ist 
klar,  daß  der  Arzt  um  so  seltener  einen  zwingenden  Grund  anerkennen, 
wird,  einer  Mutter  das  Stillen  mit  Bücksicht  auf  ihre  eigene  Gesundheit 
von  Anfang  an  oder  nach  kurzer  Zeit  zu  untersagen,  je  höher  er  selbst 
den  Wert  der  natürlichen  Ernährung  für  das  Kind  einzuschätzen  ge¬ 
lernt  hat.  Er  wird  sich  dann  nicht  durch  eine  gewisse  Blässe  oder 
Mattigkeit  oder  Nervosität,  wie  man  sie  so  häufig  besonders  bei  Erst¬ 
entbundenen  findet,  auch  nicht  durch  die  meist  rasch  vorübergehenden 
Schwierigkeiten  während  der  ersten  Stillzeit  (Schmerzen  beim  Anlegen, 
Ziehen  im  Bücken  usw.)  zum  Abstillen  des  Kindes  veranlaßt  finden, 
sondern  nur  da,  wo  wirklich  ernste  Erkrankungen  der  Mutter :  rasch 
fortschreitende  Tuberkulose,  schwere  Nervenkrankheiten  oder  septische 
Wochenbettserkrankungen  dies  erheischen. 

Einen  recht  häufigen  und,  wie  ich  Ihnen  zeigen  will,  eigentlich 
niemals  berechtigten  Anlaß  zum  Entwöhnen  bildet  das  Nichtgedeihen 
des  an  der  Brust  ernährten  Kindes.  Jeder  Laie  und  leider  auch  mancher 
vielbeschäftigte  Arzt  verbindet  heute  mit  dem  Begriff  des  Brustkindes 
die  Vorstellung  eines  dicken,  rosigen,  ewig  heitern  Wesens,  das  aus¬ 
gezeichnet  verdaut  und  schläft  und  regelmäßig  zunimmt.  Mag  nun 
auch  diese  Vorstellung  für  die  Mehrzahl  der  Brustkinder  zutreffen,  so 
gibt  es  doch  eine  große  Menge  andere,  die  nicht  ungestört  gedeihen, 
und  vor  allen  Dingen  an  Körpergewicht  nicht,  befriedigend  zunehmen, 
sondern  immer  hinter  ihren  Altersgenossen  Zurückbleiben.  Gerade  in 
solchen  Fällen  wird  das  mangelhafte  Gedeihen  häufig  darauf  geschoben, 
daß  die  Muttermilch  qualitativ  ungeeignet  sei,  und  solche  Kinder  werden 
in  der  Begel,  oft  auch  mit  ärztlicher  Einwilligung,  vorzeitig  entwöhnt. 

Mag  auch  das  hervorstechende  Merkmal  der  ausbleibenden  oder 
mangelhaften  Gewichtszunahme  allen  gemeinsam  sein,  so  bieten  diese 
Kinder  bei  genauerer  Untersuchung  doch  eine  Beihe  wesentlicher  Unter¬ 
schiede  und  es  ist  notwendig,  die  verschiedenen  Umstände  und  Ursachen 
eingehender  zu  berücksichtigen. 

Als  erster  Punkt  wäre  der  Hunger  bezw.  die  Unterernährung  an 
der  Brust  zu  nennen.  Niemals  genügt  der  Gewichtsstillstand  allein 
zur  Sicherung  des  Tatbestandes.  Eine  häufige,  aber  sehr  vieldeutige 
Erscheinung  ist  die  Unruhe  des  Kindes,  weil  sie  öfter  Zeichen  einer 
bestehenden  Ernährungsstörung  und  eines  dadurch  hervorgerufenen  Un¬ 
behagens  beim  Kinde  ist.  Ja,  es  läßt  sich  sagen,  daß  die  meisten 
wegen  knapper  Milchmengen  an  der  Mutterbrust  nicht  oder  kaum  zu¬ 
nehmenden  Brustkinder,  wenn  sie  sonst  gesund  sind,  ihre  Unterernäh¬ 
rung  nicht  durch  besondere  Unruhe  verraten.  Viel  wichtiger  zur  Be¬ 
urteilung  ist  das  Seltenerwerden  der  Ausleerungen,  welche  bei  erheb- 
heblichem  Nahrungsmangel  meist  nur  in  mehrtägigen  Pausen  erscheinen 


Ueber  schlecht  gedeihende  Brustkinder. 


1159 


und.  an  Masse  hinter  der  Norm  Zurückbleiben.  Daneben  fällt  regelmäßig, 
wenn  das  Kind  nicht  Tee  zwischen  den  Mahlzeiten  erhält,  das  lange 
Trockenliegen  als  Zeichen  verminderter  Urinabsonderung  auf.  Am  Kinde 
selbst  bemerkt  man  eine  straffe  Einziehung  der  Bauchdecken.  Die 
endgültige  Entscheidung  darüber,  ob  Nahrungsmangel  allein  den  An¬ 
wuchs  verhindert,  gibt  nur  die  Bestimmung  der  aus  der  Brust  ge¬ 
trunkenen  Nahrungsmengen  durch  jedesmaliges  Wägen  des  Kindes  vor 
und  nach  dem  Anlegen.  Natürlich  muß  es,  um  Täuschungen  durch 
Stuhl-  und  Urinverluste  während  des  Saugens  zu  verhüten,  stets  sorg¬ 
fältig  eingepackt  sein.  Es  ist  ferner  nötig,  wenigstens  an  einzelnen 
Tagen  sämtliche  Mahlzeiten  mit  der  Wage  zu  kontrollieren,  da  die 
getrunkenen  Mengen  zu  verschiedenen  Tageszeiten  viel  zu  stark  diffe¬ 
rieren,  als  daß  es  möglich  wäre,  die  24stündige  Nahrungsmenge  durch 
die  Kontrolle  von  einer  oder  zwei  Mahlzeiten  rechnerisch  zu  bestimmein. 
Da  nun  innerhalb  gewisser  Grenzen,  wenigstens  bei  Säuglingen  der 
ersten  Lebensmonate,  die  24stündige  Nahrungsmenge  1/6  bis  1/8  des 
Körpergewichts  beträgt,  1/10  des  Körpergewichts  etwa  als  die  untere 
Grenze  derjenigen  Nahrungszufuhr  gelten  kann,  bei  der  überhaupt  noch 
ein  bescheidener  Gewichts  ans  tieg  möglich  ist,  so  ist  mit  diesen  Daten 
eine  sichere  Entscheidung  darüber  möglich,  ob  das  Kind  ausreichende 
Nahrung  erhält  oder  nicht. 

Es  erscheint  mir  von  größter  Wichtigkeit,  darauf  hinzuweisen,  daß 
selbst  wochen-  und  monatelang  bestehende  Unterernährung  beim  Brust¬ 
kinde  völlig  ungefährlich  ist.  Daß  das  Kind  durch  dieselbe  keinen 
Schaden  erlitten  hat,  erkennen  wir  mit  Sicherheit  daraus,  daß  es  sofort 
zunimmt,  wenn  man  die  Nahrungsmenge  steigert,  z.  B.  dadurch,  daß 
man  1 — 2  Mahlzeiten  künstliche  Nahrung  hinzufügt.  Ist  die  Unter¬ 
ernährung  nicht  so  groß,  daß  das  Kind  dauernd  abnimmt,  und  wird 
nötigenfalls  durch  Zugabe  von  etwas  Tee  für  ausreichende  Flüssig¬ 
keitszufuhr  Sorge  getragen,  so  kann  man  also  sehr  lange  ohne  Be¬ 
denken  abwarten,  und  schafft  dem  Kinde  insofern  einen  Vorteil,  als 
es  mit  zunehmendem  Alter  rasch  gegen  die  Schädigungen  durch  künst¬ 
liche  Nahrung  immer  mehr  gefeit  wird.  Als  Beispiel  für  das  Gesagte 
führe  ich  Ihnen  aus  der  Beobachtung  unserer  Krankenhaus- Abteilung 
einen  Fall  an,  dessen  Gewichtskurve  Sie  in  Figur  1  dargestellt  finden. 


Das  frühgeborene  erste  Kind  wurde 
mit  seiner  Mutter  im  Alter  von  vier 
Wochen  als  Ammenkind  in  die  An¬ 
stalt  aufgenommen.  Ohne  daß  sonst 
Störungen  vorhanden  waren,  nahm 
das  Körpergewicht,  entsprechend  der 
geringen  Milchsekretion  der  Mutter, 
nur  sehr  langsam1  zu.  Als  die  Mutter 
nach  ihrem  Austritt  aus  der  Anstalt 
dem  Kinde  nur  morgens,  mittags, 
abends  und  einmal  nachts  die  Brust 
reichte  und  ihm  vor-  und  nachmit¬ 
tags,  während  sie  durch  Fabrikarbeit 
ferngehalten  war,  je  einmal  eine 
Flasche  Milch  mit  Wasser  und 
Zucker  verabreichen  ließ,  stieg  das 
Körpergewicht  in  vollkommen  nor¬ 
maler  Weise  an,  wie  Sie  es  auf  der 
Kurve  verzeichnet  sehen.  Die  Mutter 
hat  die  Zwiemilchernährung  in  der 


Fig.  1. 


1160 


Martin  Thiemich, 


geschilderten  Weise  noch  zwei  Monate  zu  Hause  durehgeführt,  das  Kind  ist 
dabei  gesund  geblieben.  Mutter  und  Kind  wurden  dauernd  in  den  städtischen 
Fürsorge- Sprechstunden  überwacht.  Erst  kürz  nach  dem  völligen  Entwöhnen. 
Anfang  November,  ist  es  an  einer  übrigens  leichten  akuten  Ernährungsstörung 
erkrankt. 

Die  mitgeteilte  Beobachtung  ist  nicht  etwa  eine  Seltenheit,  son- 
defn  kann  als  Typus  für  eine  ganze  große  Gruppe  von  Fällen  gelten. 

Wesentlich  anders  ist  eine  zweite  Art  schlecht  gedeihender,  d.  h. 
vor  allen  Dingen  mangelhaft  zunehmender  Brustkinder  zu  beurteilen, 
bei  denen  niemals  ein  Nahrungsmangel  ursächlich  in  Betracht  kommt. 
Hier  liegt  vielmehr  die  Ursache  immer  am  Kinde.  Es  handelt  sich 
um  Kinder,  die,  sei  es  bei  der  Brust,  sei  es  —  viel  häufiger  — bei 
künstlicher  Ernährung  in  den  ersten  Lebenstagen  oder  -wochen  eine 
tiefgreifende  Ernährungsstörung  erlitten  haben.  Als  Folge  dieser  früh¬ 
zeitigen  ernsten  Erkrankung  ist  es  aufzufassen,  daß  solche  Kinder  auch 
bei  sorgfältiger  Regelung  der  natürlichen  Ernährung,  d.  h.  wenn  sowohl 
eine  Uber-  als  eine  Unterernährung  vermieden  wird,  lange  Zeit  brauchen, 
bis  überhaupt  oder  (ausreichend  eine  Gewichtszunahme  eintritt.  Es 
ist  dabei  nicht  von  Belang,  ob  in  dieser  Zeit  noch  leichtere  Magendarm¬ 
symptome  (zerfahrene,  an  Zahl  vermehrte,  oft  säuerlich  riechende,  ge¬ 
legentlich  auch  nach  Fäulnisprodukten  stinkende  Stühle,  oder  gelegent¬ 
liches,  nicht  massenhaftes  Erbrechen)  bestehen  oder  nicht.  Ihren  Sitz 
hat  die  zugrunde  liegende  Erkrankung  doch  nicht  in  der  Darmschleim¬ 
haut,  sondern  im  intermediären  Stoffwechsel.  Gleiche  Erscheinungen 
von  seiten  des  Magendarmkanals  sehen  wir  bei  zahlreichen  prächtig 
gedeihenden  Brustkindern  und  dürfen  sie  folglich  für  klinisch  bedeu¬ 
tungslos  halten ;  umgekehrt  weisen  die  nicht  gedeihenden  Kinder,  von 
denen  ich  eben  spreche,  häufig  nicht  die  geringsten  Erscheinungen  von 
seiten  des  Magendarmkanals  auf,  und  kommen  trotzdem  und  trotz 
richtig  dosierter  Nahrungsmengen  manchmal  wochenlang  nicht  vor¬ 
wärts.  Wir  bezeichnen  diese  Zeit  als  Beparationsperiode  und  sehen 
die  Ursache  des  langen  Gewichtsstillstandes  in  einer  Störung  der  Fett¬ 
verdauung,  die  erst  langsam  mit  zunehmender  Heilung  der  allgemeinen 
Stoffwechselerkrankung  schwindet. 

Dadurch  ist  es  auch  zu  erklären,  daß  manche  dieser  Kinder 
nach  erfolgter  Heilung  bei  weiterer  Ernährung  an  einer  ausgiebig 
sezernierenden  Brust  späterhin  sehr  fett  werden.  Ich  brauche  Sie  ja 
nur  daran  zu  erinnern,  daß  die  Frauenmilch  fast  die  fettreichste 
Nahrung  ist,  die  wir  einem  Kinde  geben  können.  Als  Beispiel  führe 
ich  Ihnen  statt  vieler  wenigstens  zwei  von  unseren  Beobachtungen  an. 

Im  ersten  Falle,  den  Sie  in  Figur  2  därgestellt  finden, 
handelt  es  sich  um  ein  am  30.  Januar  geborenes,  von 
Anfang  an  an  der  Mutterbrust  ernährtes  zweites  Kind 
einer  gesunden  Mutter,  welches  am  9.  Februar  als 
Ammenkind  in  die  Anstalt  eintrat.  Über  die  ersten 
sechs  Wochen  ist  nichts  genaueres  zu  ermitteln,  die 
wenig  intelligente  Mutter  weiß  nur  anzugeben,  daß 
das  Kind  oft  unruhig  war  und  häufig  angelegt  wurde. 
Trotz  ausreichender  Nahrungsmengen  bei  der  Mutter 
—  dieselbe  spritzte,  nachdem  sie  ihr  Kind  gesättigt 
hatte,  anfangs  100 — 200,  später  500 — 600  ccm  Milch 
pro  Tag  für  kranke  Kinder  der  Anstalt  ab  —  nahm 
das  Kind  fast  einen  Monat  hindurch  unter  erheblichen 
Gewichtsschwankungen  um  ca.  200  g  ab,  war  dabei 
häufig  unruhig  und  hatte  vermehrte,  drei  bis  fünf,  an  einzelnen  Tagen  acht 


Ueber  schlecht  gedeihende  Brustkinder. 


1161 


Ausleerungen  täglich.  Durch  Einschaltung  einer  18stündigen  Teediät  gelang 
es  nur  für  wenige  Tage,  die  Zahl,  der  Stühle  zu  vermindern.  Am  26.  Feb¬ 
ruar  erkrankte  das  Kind  an  einer  leichten  fieberhaften  Angina  und  trank 
sehr  wenig.  Von  da  an  schwanden  die  dyspeptischen  Stühle,  ja,  es  blieb  an 
einzelnen  Tagen  der  Stuhl  Laus,  aber  trotz  ausreichender  Nahrungsmengen 
dauerte  es  noch  vierzehn  T age,  bis  Gewichtszunahme  eintrat.  Außerhalb 
der  erwähnten  Erkrankung  hat  das  Kind  nie  Temperatursteigerungen  über 
37,4°,  und  auch  diese  nur  an  wenigen  Tagen  dargeboten. 

Wir  haben  hier  ein  typisches  Beispiel  einer  allerdings  reichlich 
lange  dauernden  B  e p  a rat i on s p e r i o  de  eines  im  frühesten  Alter  an  der 
Brust  erkrankten  Kindes. 

Das  andere  Kind,  dessen  Krankengeschichte  Ihnen  Figur  3  veranschau¬ 
licht,  hat  nur  elf  Tage  Brust  bekommen.  Dann  kam  es  in  Pflege  und  wurde 
dort  künstlich  ernährt,  wahrscheinlich  mit  Milch  und  Wasser  unter  zeit¬ 
weiligem  Zusatz  von  Zwieback.  Am  17.  Juni  1908.  wurde  es,  vier  Wochen 


Fig.  3. 

alt,  wegen  heftigen  Erbrechens  und  weil  es  aus  dem  Munde  geblutet  haben 
soll,  der  Anstalt  zugeführt.  Die  Stühle  waren  angeblich,  wenigstens  in 
letzter  Zeit,  gut.  Sonstige  (Krankheitserscheinungen  bestanden  nicht.  Der 
Versuch,  das  Kind  in  der  Anstalt  zunächst  mit  1/3  Milch  und  Milchzucker 
zu  ernähren,  führte  zu  einem  so  rapiden  Gewichtsabsturz  und  sichtlichem 
Verfall  des  Kindes,  daß  wir  trotz  leidlicher  Stühle,  mäßigen  Erbrechens  und 
Fehlens  von  Fieber  schon  am  25.  Juni  davon  abstehen  mußten,  das  Kind 
künstlich  zu  ernähren.  Von  diesem  Tage  an  erhielt  es  bei  einem  Gewicht 
von  2850  g  täglich  fünfmal  80  g  Frauenmilch,  von  der  ein  Teil  anfangs 
wieder  erbrochen  wurde.  Am  16.  Juli  wurde  das  etwas  erholte  Kind  zum 
Trinken  direkt  an  die  Brust  der  Amme  angelegt,  die  Nahrungsaufnahmen 
wurden  seitdem  etwas  schwankend,  aber  im  Durchschnitt  nicht  größer  als 
vorher,  wo  es  äbgespritzte  Milch  bekam.  Die  in  dieser  Wieise  vom  25.  Juni 
bis  29.  Juli  durchgeführte  Frauenmilchernährung  führte,  wie  ich  schon  än- 
gedeutet  habe,  zu  einer  sehr  offenkundigen  Besserung  des  Allgemeinbefindens, 
doch  blieb  jede,  auch  die  bescheidenste  Gewichtszunahme  aus.  Erst  der  am 
30.  Juli  begonnene  Ersatz  zunächst  einer,  14  Tage  später  zweier  Brustmahl¬ 
zeiten  durch  je  100  g  ,Malzsuppe  brachte  einen  Umschwung  herbei. 

Bei  fast  zweimonatlichem  Allaitement  mixte  von  Frauenmilch  und  Malz¬ 
suppe  erfolgte  befriedigendes  Gedeihen,  doch  erwies  sich  das  Kind  später 
dadurch  als  noch  nicht  völlig  genesen,  daß  der  Versuch,  die  Malzsuppe  zwecks 
Entlassung  in  Außenpflege  durch  eine  malzfreie  Milch-Mehlmischung  zu  er¬ 
setzen,  neue,  nur  langsam  überwindbare  Schwierigkeiten  bereitete.  Ich  hebe 


1162 


Martin  Thiemich,  Ueber  schlecht  gedeihende  Brustkinder. 


dieses  besonders  hervor,  damit  Sie  sehen,  daiß  die  befriedigende  Zunahme 
an  und  für  sich  noch  nicht  die  restlose  Beseitigung  der  vorangegangenetn 
schweren  Ernährungsstörung  verbürgt.  Hätten  wir  in  Überschätzung  der 
Gewichtszunahme  die  Zufütterung  von  Malzsuppe  früher  begonnen,  ehe  das 
Kind  nach  seinem  sonstigen  Verhalten  als  gebessert  zu  betrachten  war,  so  würde 
wahrscheinlich  der  Erfolg  ausgeblieben  oder  in  bezug  auf  die  vollkommene 
Genesung  noch  weniger  vollständig  gewesen  sein. 

Der  vorliegende  Fall  ist,  wie  der  vorige,  ein  gutes  Beispiel  der 
langsamen  Hepar ation  eines  frühzeitig  und  zwar  hier  bei  künstlicher 
Ernährung  erkrankten  Kindes.  Der  hier  nur  durch  Zugabe  einer  fett¬ 
armen,  kohlehydratreichen  Beikost  erzielte  Erfolg  ist  zugleich  ein  Hin¬ 
weis  darauf,  daß  wir  in  diesem  wie  in  zahlreichen  ähnlichen  Fällen 
eine  Störung  der  Fettverdauung  vor  uns  haben  und  aus  therapeutischen 
Gründen  nicht  eine  fettreiche,  sondern  eine  kohlehydratreiche  Nahrung 
wählen  müssen. 

Eine  besondere  Beurteilung  erfordert  ein  Krankheitsbild,  auf  das  ich 
hier  nicht  näher  eingehen  werde,  sondern  das  nur  aus  differentialdiagnostischen 
Gründen  Erwähnung  verdient:  der  Pylorospasmus.  Bei  ihm  beherrscht  das 
Erbrechen  vollkommen  die  Szene,  die  Stühle  sind  infolge  der  dadurch  herbei¬ 
geführten  relativen  Inanition  ebenso  spärlich  und  selten,  wie  beim  primär1 
hungernden  Kinde.  Auch  in  diesen,  seit  dem  Bekanntwerden  des  eigentüm¬ 
lichen  Leidens  immer  häufiger  zur 'Beobachtung  gelangenden  Fällen  ist  übri¬ 
gens  nach  dem  fast  einstimimigen  Urteile  aller  erfahrenen  Arzte  das  Ab¬ 
warten  bei  vorsichtiger  Brusternährung  dem  planlosen  Herumprobieren  mit 
künstlicher  Nahrung  vorzuziehen,  und  nur  in  wenigen  Fällen  zwingt  schlie߬ 
lich  der  beständige,  allmählich  bedrohlich  werdende  Gewichtsverlust  zu  opera¬ 
tiven  Eingriffen. 

Für  eine  große  Zahl  von  unbefriedigend  zunehmenden  Brust¬ 
kindern,  bei  denen  es  sich  nicht,  wie  in  der  unter  Nr.  3  geschilderten 
Beobachtung,  um  eine  Keparation  von  einer  früh  erworbenen  Ernährungs¬ 
störung  handelt,  verdanken  wir  ein  V erständnis  erst  den  Untersuchungen 
Czernys.  Er  hat  zuerst  unter  dem  Namen  exsudative  Diathese  ein 
Krankheitsbild  ab  gegrenzt,  in  dessen  Vordergrund  eine  gewisse  Vul¬ 
nerabilität  der  Haut  und  Schleimhäute  und  eine  gesteigerte  Disposition 
zu  Infektionen  steht,  welche  am  häufigsten  von  den  Schleimhäuten 
der  oberen  Luftwege,  speziell  des  Nasenrachenraums  ihren  Ausgang 
nehmen.  Die  genannte  Konstitutions anomalie  verrät  sich  sehr  häufig 
schon  während  der  ersten  Lebenswochen  durch  das  Auftreten  eines 
Wangenekzems  und  eines  schuppenden  seborrhoischen  Ausschlages  der 
behaarten  Kopfhaut ;  oft  tritt  auch  schon  in  den  ersten  Wochen  Schnupfen 
und  durch  Fortleitung  der  Infektion  auf  dem  Wege  durch  die  Tuben 
ein  Otitis  media  ein,  nicht  selten  entwickelt  sich  auch  bei  solchen 
Kindern  bereits  während  der  ersten  Monate  eine  Landkartenzunge 
später  nach  Durchbrechen  der  ersten  Zähne  an  den  oberen  Schneide; 
zähnen  die  unter  dem  Namen  der  zirkulären  Zahnkaries  bekannte  und 
schon  früher  von  H.  Neumann  mit  der  Skrofulöse  in  Zusammenhang 
gebrachte  Zahnerkrankung.  Die  anfangs  stets  auf  die  Wangen  oder 
auf  diese  und  die  behaarte  Kopfhaut  beschränkte  Hautaffektion  breitet 
sich  häufig,  wenn  auch  keineswegs  immer,  auf  mehr  oder  minder  aus 
gedehnte  Bezirke  der  übrigen  Llautdecken  aus,  sei  es  in  Form  eines 
universellen,  mehr  oder  minder  nässenden  Ekzems,  sei  es  in  Form 
einzelner  oder  in  Gruppen  schubweise  auftretender  Knötchen.  Oft 
findet  sich  auch  eine  trotz  sorgfältiger  Hautpflege  kaum  zu  beherr1 
sehende  Neigung  zu  Intertrigo.  Als  Ausdruck  der  banalen,  häufig 
ganz  symptomlos  verlaufenden  Infektionen  ergibt  die  genaue  klinische 


Wolfrum,  Der  jetzige  Stand  der  Trachomforschung. 


1168 


Untersuchung  gewöhnlich  das  Vorhandensein  kleiner  Schwellungen  der 
Zervikaldrüsen  und  geringfügiger,  nur  bei  sorgfältiger,  täglich  mehr¬ 
maliger  Messung  erkennbarer  Temperatursteigerimgen.  Während  die 
Temperaturkurve  des  gesunden  Säuglings  eine  gewisse  Monothermie 
mit  geringen  Tagesschwankungen  aufweist,  finden  wir  bei  exsudativen 
Kindern  oft  schon  von  den  ersten  Lebenswochen  an  unregelmäßige, 
manchmal  vereinzelte,  manchmal  mehrere  Tage  mit  oder  ohne  Demis¬ 
sionen  anhaltende  Temperatursteigerungen  bis  38  Grad,  zuweilen  auch 
höher.  Dabei  sind  wir  in  der  Kegel  nicht  imstande,  auch  bei  genauester 
Untersuchung  einen  zur  Erklärung  des  Fiebers  ausreichenden  objek¬ 
tiven  Befund  festzustellen.  Kur  die  allmählich  eintretende,  aber  nie¬ 
mals  erhebliche  Vergrößerung  der  Zervikaldrüsen  deutet  darauf  hin, 
daß  sich  im  Bereiche  der  zugehörigen  Lymphgebiete,  d.  h.  der  Schleim¬ 
häute  des  oberen  Nasenrachenraums,  Infektionsvorgänge  abspielen.  Die 
Kenntnis  dieses  von  Czerny  umgrenzten  Krankheitsbildes  ist  nun  für 
unser  Thema  darum  von  größter  Wichtigkeit,  weil  solche  exsudative 
Kinder  sehr  häufig  während  ihrer  ersten  Lebensmonate  schlecht  ge¬ 
deihen.  Dies  beruht  wahrscheinlich  zum  Teil  darauf,  daß  die  Kinder 
durch,  die,  von  den  vulnerablen  Haut-  oder  Schleimhautpartien  ein¬ 
dringenden  Infektionen  geschädigt  werden,  wobei  vielleicht  die  Appe¬ 
titlosigkeit  und  die  dadurch  bedingte  geringere  Nahrungsaufnahme  eine 
Rolle  spielt,  zum  Teil  aber  beruht  es,  wie  Czerny  annimmt,  auf 
einer  angeborenen  Anomalie  des  Fettstoffwechsels.  Trotzdem  erscheint 
bei  solchen  Kindern  auch  bei  monatelangem  Ausbleiben  befriedigender 
Gewichtszunahme  die  Fortführung  der  Ernährung  an  der  Brust  als  das 
einzig  berechtigte  Vorgehen  und  zwar  aus  mehreren  Gründen.  Erstens 
verlaufen  die  häufigen,  auch  bei  sorgfältigster  Pflege  des  Kindes  unver¬ 
meidbaren  Infektionen  viel  harmloser,  solange  das  Kind  durch  die 
natürliche  Ernährung  vor  alimentären  Schädigungen  oder  infektiösen 
Alagendarmkatarrhen  geschützt  ist.  Zweitens  ist  der  mangelhafte  Fett¬ 
ansatz  bei  solchen  Kindern  eher  nützlich  als  schädlich,  weil  besonders 
die  ekzematösen  Hauterkrankungen  meist  in  mäßigen  Grenzen  bleiben, 
solange  das  Kind  mager  ist,  während  sie  häufig  bedrohliche  Formen 
annehmen,  sobald  reichlicher  Fettansatz  auf  tritt.  (Schluß  folgt.) 


Aus  der  Uni  versitäts- Augenklinik  in  Leipzig. 

Der  jetzige  Stand  der  Trachomforschung. 

Von  Privatdozent  Dr.  Wolfrum. 

Die  Erkenntnis,  daß  das  Trachom  eine  ansteckende;  Krankheit  ist, 
ist  eine  alte,  leider  auch  am  Arzte  selbst  oft  erprobte  Wahrheit. 
Die  großen  Epidemien  im  Gefolge  der  Napoleonischen  Feldzüge  liefern 
auch  das  nötige  Stück  Geschichte  dafür.  Aber  obwohl  diese  Erkenntnis 
schon  längst  gewonnen  war,  so  w,aren  doch  die  Kenntnisse  über  den 
mutmaßlichen  Erreger  gleich  Null.  Obgleich  man  sich  darüber  einig 
war,  daß  es  sich  um  ein  lebendes:  Kontagium  handele,  so  hatten  doch  die 
künstlichen  Übertragungsversuche  von  Addario,  der  sie  von  Mensch 
auf  Mensch  unternahm  und  von  Heß  und  Römer,  welche  das  Trachom 
auf  Affen  übertrugen,  wohl  bemerkenswerte  Eigenschaften  des:  Virus 
aufgedeckt,  selbst  hatte  man  es  jedoch  weder  beobachten  noch  züchten 
können.  Ich  will  hier  nicht  im  einzelnen  die  fast  alljährlich  wieder¬ 
kehrenden  Berichte  von  Forschern  auf  zählen,  welche  den  Erreger  des 


1164 


Wolfram, 


Trachoms  gefunden  zu  haben  angaben.  Sie  würden  uns  eine  Geschichte 
menschlicher  Irrungen,  aber  zugleich  menschlichen  Forschungsdranges 
geben.  Erwähnen  möchte  ich  hier  nur  kurz!  die  Untersuchungen  von 
Müller,  welcher  in  der  Heimat  des  Trachoms,  in  Ägypten,  sich  mit  dem 
Probleme  beschäftigte,  aber  auch  hier  stellte  sich,  bald  heraus,  daß  der 
Mikroorganismus,  den  er  beschrieben  hatte,  nicht  der  gesuchte  war. 

Die  Sachlage  änderte  sich  mit  einem  Schlage,  als  H alberstädt er 
und  Prowazek  bekannt  gaben,  daß  sie  anläßlich  der  Heiß  er’ sehen 
Syphilisexpedition  auf  der  Insel  Java,  bei  den,  dortigen  Eingeborenen, 
die  zahlreich  an  Trachom  erkrankt  waren,  immer  wiederkehrend  Zell¬ 
einschlüsse  im  Ausstrichpräparat  fanden,  die  -ohne  Zweifel  parasitärer 
Natur  waren.  Nach  Deutschland  zurückgekehrt,  setzten  sie  ihre  Unter¬ 
suchungen  fort  und  konnten  hier  an  Trachomkranken  die  gleichen 
Befunde  erheben.  Sie  erklärten  die  Zelleinschlüsse  für  Protozoen  und 
trugen  kein  Bedenken,  sie  bei  der  Häufigkeit  der  Befunde  als  den  längst 
gesuchten  Erreger  hinzustellen. 

Die  sofort  von  vielen  Seiten  unternommene  Nachprüfung  der  An¬ 
gaben  der  beiden  Forscher  rief  eine  wahre  Hochflut  von  Publikationen 
im  In-  und  Ausland  hervor  pnd  leider  auch  Prioritätsstreitigkeiten, 
die  sich  im  Anschluß  daran  entwickelten.  Es!  soll  hier  keine  kritische 
Sichtung  der  einzelnen  Veröffentlichungen  vorgenommen  werden.  Wich¬ 
tig  ist  aber  zu  wissen,  daß  dabei  teils  von  negativen,  teils  von  positiven 
Befunden  berichtet  wurde.  In  den  positiven  Fällen  handelte  es  sich 
um  das  Auffinden  von  Einschlüssen  in  den  Epithelz'ellen,  wie  sie  von 
Halber stä(dter  und  Prowazek  bereits  beschrieben  waren,  also  um 
eine  Bestätigung  ihrer  Angaben.  Die  Einschlüsse  waren  in  Form  und 
Lage  charakteristisch  und  fanden  sich  meist  in  der  Nachbarschaft  des 
Zellkernes,  Mit  guten  Ölimmersionen  ließen  sich  die  Einschlüsse  in 
einen  Haufen  feiner  Körnchen  auflösen,  die  jedoch  in  Größe  und  Tink- 
tionsvermögen  verschieden  waren.  Die  Giemsafärbung,  welche  hier  als 
die  souveräne  Methode  gehandhabt  wurde,  zeigte  die  Körnchen  bald 
in  einem  roten,  bald  in  einem  blauen  Farbenton.  Sie  lagen  gewöhnlich 
in  einem  Hof  in  der  Zelle  und  waren  untereinander  zum  Teil  durch 
-eine  sich  bläulich  fingierende  Masse  züs  am  men  ge  h  al  ten ,  welche  von 
Halber städter  und  Prowazek  als  Plastinmasse  bezeichnet  wurde. 
Sie  ist  von  stark  wechselnder  Ausbildung  in  den  einzelnen  Haufen. 

Ich  konnte  an  verschiedenen  frischen  und  auch  älteren  Trachomen 
auf  Grund  eigener  Untersuchungen  im  Ausstrichpräparate  mit  der 
Giemsamethode  die  gleichen  Befunde  erheben,  wie  sie  ursprünglich 
von  Halbers t,ädter  und  Prowazek  angegeben  wurden.  Der  Ent¬ 
stehungsmodus  des  Körnchenhaufens  scheint  immer  der  gleiche  zu  sein, 
wie  nicht  nur  die  Untersuchung  des  weniger  zuverlässigen  Ausstrich¬ 
präparates,  sondern  auch  des  Schnittpräparates  ergibt.  Es  wächst  in  der 
Zelle  aus  kleinen  Anfängen,  die  aus  wenigen  Körnchen  bestehen,  schlie߬ 
lich  zu  einer  solchen  Größe  heran,  daß  es  das  Protoplasma  der  Zelle 
bis  auf  schmale  Bandschichten  auf  braucht.  Und  schließlich  zerberstet 
die  Zelle,  weil  der  schmale  Protoplasmarand  den  Körnerhaufen  nicht 
mehr  zusammenzuhalten  vermag.  Sicherlich  ist  letzterer  Vorgang  viel¬ 
fach  ein  mechanischer,  bedingt  durch  das  für  eine  Zelle  doch  etwas 
grobe  Manöver  des  Ausstreichens,  aber  er  läßt  sich  auch  in  dem  viel 
weniger  Läsionen  ausgesetzten  Schnittpräparat  beobachten.  Die  Köm¬ 
ehenmasse  ergießt  sich  in  den  ,Kon j unktivals ack ,  wenn  die  Lage  der 
zerborstenen  Zellen  eine  oberflächliche  war  und  nun  ist,  vorausgesetzt 


Der  jetzige  Stand  der  Trachomforschung. 


1165 


natürlich,  daß  wir  in  den  Körnchen  lebende  Mikroorganismen  vor  uns 
haben,  massenhaft  Gelegenheit  zur  Neuinfektion  von  Epithelzellen  ge¬ 
geben. 

Die  vorwiegende  Lebensweise  der  Mikroorganismen  scheint  dem¬ 
nach  eine  intrazelluläre  zu  sein,  wenn  man  auch  eine  extrazelluläre  Ver¬ 
mehrung  nicht  in  Abrede  stellen  kann.  Ich  habe  selbst  im  Schnitt¬ 
präparat  beobachten  können,  daß  sich  solche  Körnchenhaufen  im  Zell¬ 
detritus,  der  nur  noch  aus  Zelltrümmern  bestand,  sich  zuweilen  in 
regelrechter  Form  entwickelten. 

Weiter  fand  ich  bei  eigener  Beobachtung  im  Schnittpräparat, 
daß  die  verschiedenen  Größensorten  der  Körnchen  nicht  in  willkür¬ 
lichem  Durcheinander  liegen,  sondern  daß  die  größeren  im  Haufen  eine 
Randschicht  ab  geben,  die  allenthalben  dem  Protoplasma  der  Zelle  dicht 
an  liegt. 

Auf  dem  Budapester  Kongresse  machte  sodann  Herzog  eine  Reihe 
von  interessanten  Mitteilungen  über  die  erste  intrazelluläre  Entwicke¬ 
lung  der  Körnchen,  die  in  den  Anfangsstadien  sich  auf  eine  besondere 
Weise  teilen  und  besondere  Formen  dabei  annehmen  sollen. 

Hier  erhielt  aber  auch  die  Angelegenheit  eine  besondere  uner¬ 
wartete  Wendung,  als  HeymJann,  der  seine  Untersuchungen  im  P  fei  for¬ 
schen  Institute  angestellt  hatte,  mitteilte,  daß  derartige  Einschlüsse  nicht 
nur  beim  Trachom,  sondern  auch  bei  der  Ophthalmoblennorrhoe  vorzüg¬ 
lich  der  Neugeborenen  aufzufinden  seien.  Zwar  hatte  schon  St  ar- 
gar  dt  vorher  in  einem  Falle  von  Blennorhöe  der  Neugeborenen  dieselben 
Befunde  erheben  können  (Heidelberger  Kongreß  1908),  jedoch  hat  er 
später  selbst  offenbar  keine  gleichen  Resultate  mehr  gewonnen,  und 
deshalb  sind  wohl  auch  seine  Angaben  nicht  weiter  nachgeprüft  worden. 

In  einer  neueren  Publikation  berichtet  nun  Hey  mann,  daß  bei 
fortgesetzten  Untersuchungen  von  Blennorrhoe  sich  dieselben  Resultate 
ergeben  hätten,  so  daß  an  der  Sicherheit  der  Beobachtungen  wohl  kaum 
noch  ein  Zweifel  bestehen  kann.  Er  hatte  vorzugsweise!  an  solchen 
Stellen  die  Zelleinschlüsse  gefunden,  wo  die  Gonokokken  minder  reich¬ 
lich  vertreten  waren,  und  er  hat  deshalb  schon  auf  dem  Budapester 
Kongresse  die  Meinung  ausgesprochen,  daß  die  Schlüsse,  welche  H  alb  er¬ 
st  ädt er  und  Prowazek  aus  diesen  Befunden  für  das  Trachom  gezogen 
hätten,  zu  weitgehende  gewesen  seien. 

Inzwischen  ist  aber  eine  Antwort  von  Halberstädter  und  Pro¬ 
wazek  in  der  Berl.  klin.  Wochenschr.  erschienen,  in  welcher  sie  mit¬ 
teilten,  daß  sie  bei  Blennorrhoea  neonatorum  non  gonorrhoica  eben¬ 
falls  Einschlüsse  gefunden  hätten  und  daß  sie  deshalb  keinen  Grund 
hätten,  von  ihrem  bisher  eingenommenen  Standpunkt  abzugehen. 

Soweit  die  bisherigen  Publikationen.  Es  ist  nun  wohl  kaum  an¬ 
zunehmen,  und  darüber  besteht  wohl  auch  kein  Zweifel,  daß  es  sich 
in  all  den  Fällen  von  Trachom  und  Blennorrhoe,  bei  denen  diese  Ein¬ 
schlüsse  beobachtet  wurden,  sicher  um  keine  Zelldegenerationsprodukte 
handelt,  sondern  um  in  die  Zelle  eindringende  Mikroorganismen.  Zu 
diesem  Ergebnis  führen  mich  auch  meine  eigenen  Untersuchungen,  vor¬ 
züglich  am  Schnittpräparat  bei  Trachomen  in  den  verschiedensten 
Stadien. 

Wie  nun  schon  von  Axenfeld  auf  dem  Budapester  Kongreß  an¬ 
läßlich  der  Trachomdiskussion  betont  worden  ist,  wäre  das  Vorhanden¬ 
sein  der  Körperchen  bei  Blennorrhoe  noch  kein  Gegenbeweis  dafür,  sie 
als  die  Erreger  des  Trachoms  zu  betrachten.  Sie  könnten  ja  wie  manche 


1166 


F ritz  B  ran d  enb  e  rg, 


Bakterienarten  ihre  harmlosen,  avirulenten  Doppelgänger  haben.  Da 
Uthoff  an  gleicher  Stelle  ausdrücklich  betont,  daß  es  sich  in  den  von 
Hey  mann  untersuchten  Fällen  um  keine  Mischinfektionen  gehandelt 
habe,  so  wären  damit,  die  Zelleinschlüsse  bei  der  Ophthalmoblennorrhoe 
Erscheinungen,  die  auf  das  Krankheitsbild  anscheinend  keinen  nennens¬ 
werten  Einfluß  haben.  Eine  andere  Beurteilung  verdienen  in  dieser  Hin¬ 
sicht  schon  die  von  Halberstädter  und  Prowazek  mit  geteilten  Be¬ 
funde,  wo  es  sich  um  nicht  gonorrhoische  Bindehauterkrankungen  han¬ 
delte.  Wenn  auch  bei  der  Spärlichkeit  der  bis  jetzt  vorliegenden  Mit¬ 
teilungen  viele  Fragen  nicht  entschieden  werden  können,  so  ist  doch 
das  eine  sicher,  daß  den  Zelleinschlüssen,  wie  man  sie  ursprünglich  als 
eine  Eigentümlichkeit  des  Trachoms  annehmen  zu  müssen  glaubte,  jeden¬ 
falls  eine  wesentlich  größere  Häufigkeit  zukommt.  Welche  Itolle  sie 
bei  den  einzelnen  Erkrankungen  spielen  und  wie  groß  ihre  Verbreitung 
überhaupt  ist,  darüber  wird  die  Zukunft  Aufschluß  geben  müssen,  und 
hier  eröffnen  sich  weite  Felder  für  neue  Forschungen. 


Ueber  familiäres  Auftreten  der  chronischen  Leukämie. 

Von  Dr.  Fritz  Brandenberg,  Winterthur. 

Die  Verbesserung  der  Färbetechnik  der  Blutpräparatei  hat  zu  einem 
erneuten  Studium  der  Bluterkrankungen  spez.  der  Leukämie  geführt. 
Die  Erfolge  der  Blutuntersuchungen  zu  diagnostischen  Zwecken  haben 
dem  französischen  Forscher  recht  gegeben,  der  schon  vor  Jahren  prophe¬ 
zeite  :  Die  Zukunft  gehört  der  Blutuntersuchung.  Gar  manche  Fehl¬ 
diagnose  wird  verschwinden,  wenn  die  Blutuntersuchung  noch  mehr 
Eigentum  auch  des  praktischen  Arztes  geworden.  Die  Schwierigkeiten 
der  richtigen  Deutung  solcher  Blutuntersuchungen  können  nicht  ge¬ 
leugnet  werden  und  in  zweifelhaften  Fällen  wird  eben  der  Hämatologe 
das  entscheidende  Urteil  abgeben.  Leider  garantiert  z.  Z.  die  richtige 
Diagnose  noch  lange  nicht  einen  therapeutischen  Erfolg.  Tn  manchen 
Fällen  stimmt  sogar  die  vom  Hämatologen  gestellte  Diagnose  nicht 
mit  dem  spätem  pathologischen  anatomischen  Befund  überein. 

Da  in  engem  Zusammenhang  mit  meinen  Beobachtungen  von  Lenk-  * 
ämie  an  zwei  Knaben  der  gleichen  Familie  stehend,  möchte  ich  zur 
Illustration  des  Gesagten,  einen  in  der  Deutsch,  med.  Wochenschr.  ver¬ 
öffentlichten  Fall  anführen. 

Im  Verein  für  innere  Medizin  in  Berlin  (Sitzung  vom  16.  Nov. 
1908)  spricht  Hans  Hirschfeld  über:  Myeloide  Pseudoleukämie,  Der 
Blutbefund  spricht  nicht  für  myeloide  Leukämie,  sondern  nur  für  sekun¬ 
däre  Anämie  und  neutrophile  Leukozytose.  Blutbefund  29200Ö0  rote, 
1900  weiße  Blutkörperchen.  Die  Zahl  der  weißen  Blutkörperchen 
steigerte  sich  später  auf  8900.  Zuletzt  war  der  Blutbefund  wie  bei 
perniziöser  Anämie  (Myeloblasten  und  Myelozyten)  Milzexstirpation. 
Das  Abstrichpräparat  von  der  Milz  ergab  hochgradige  myeloide  Um¬ 
wandlung,  es  wimmelte  von  neutrophilen  Myelozyten,  zahlreichen  poly¬ 
morphkernigen  Leukozyten,  Mitosen  und  von  Normo-  und  Myeloblasten, 
derartige  hochgradige  Veränderungen  kommen  nur  bei  Leukämie  vor. 
Die  von  Ben  da  ausgeführte  Obduktion  bewies  das  Vorliegen  einer 
leukämischen,  gleichzeitig  mit  schwerer  Anämie  komplizierten  Affeik- 
tion.  Auch  das  Knochenmark  war  rein  myeloid.  Es  sind  in  letzter 
Zeit  bekanntlich  wiederholt  sichere  Leukämien  beobachtet  worden,  in 


Ueber  familiäres  Auftreten  der  chronischen  Leukämie. 


1167 


denen  eine  Vermehrung  der  eosinophilen  und.  Mastzellen  nicht  zu  be¬ 
obachten  war.  Soweit  der  Auszug  aus  dem  Referat. 

Übergehend  auf  meine  Beobachtungen  notiere  ich  aus  der 
Anamnese : 

Vater  (geh.  1865)  litt  häufig  an  Lungenkatarrhen  mit  Engbrüstig¬ 
keit,  Mutter  (geh.  1867)  war  stets  gesund,  bis  Frühjahr  1909,  wo  sie 
ca.  acht  Wochen  nach  Geburt  des  letzten  Knaben,  an  einer  Brustfell¬ 
entzündung,  die  mehrere!  Wochen  dauerte,  litt.  Allgemeinbefinden  und 
Aussehen  zurzeit  wieder  gut.  Die  Reihenfolge  der  Geburten,  die  nach 
normalem  Schwangerschaftsverlauf,  immer  rasch  und  ohne  ärztliche 
Hilfe  erfolgten,  war : 

1.  1891,  1.  Oktober,  Martha,  starb  an  Blinddarmentzündung  11.  Oktober  1893, 

2.  1892,  2.  November,  Anna, 

3.  1894,  18.  Januar,  Agnes, 

4.  1896,  9.  März,  Alois,  starb  9.  Januar  1897,  Todesursache  nicht  ermittelt,  Krank¬ 

heitsverlauf  angeblich  wie  bei  den  beiden  letzten  Knaben, 

5.  1897,  27.  Mai,  Marie, 

6.  1898,  10.  Mai,  Josephine, 

7.  1901,  25.  Januar,  Karl,  starb  3.  April  1902,  Todesursache  nicht  ermittelt,  Krank¬ 

heitsverlauf  angeblich  wie  bei  den  beiden  letzten  Knaben, 

8.  1908,  22.  Februar,  Franz,  starb  3.  Mai  1909, 

9.  1909,  30.  Januar,  Ernst,  starb  19.  Mai  1909. 

Meine  Mitteilung1  bezieht  sich  auf  die  beiden  letztgebornen  Knaben. 
Franz  litt  schon  in  den  ersten  Tagen  nach  der  Geburt  an  Verdauungs¬ 
störungen.  Trotz  Muttermilch  traten  Diarrhöen  auf.  Der  Knabe  be¬ 
kam  dann  Isterilisierte  Milch  1/3 : 2/3  Wasser,  später  Haferschleim ;  hatte 
täglich  10  bis  12  schleimige  Entleerungen.  Mit  sechs  Wochen  wurde 
Löfflunds  Malzsuppe  verordnet,  während  der  nächsten  sechs  Wochen 
gute  Gewichtszunahme,  Mit  ungefähr  acht  Wochen  treten  Nasenbluten 
und  Blutflecken  in  die  Haut  auf.  Der  Malzsuppe  wird  nun  Milch 
zugesetzt,  mit  Ca,  zwölf  Wochen  erhält  der  Knabe  2/3  Milch  und  1/3 
Wasser.  Blutiger  Stuhl.  Statt  Kuhmilch  wird  vom  Arzte  Ziegen¬ 
milch  verordnet  mit  Gerstenschleim.  Da  die  Stühle  schlecht  bleiben, 
wird  Ziegenmilch  roh  verabfolgt,  unverdünnt,  Stuhl  dabei  schlecht 
verdaut,  übelriechend,  Gewichtsabnahme,  das  allgemeine  Aussehen  trotz¬ 
dem  ordentlich.  Blutflecken  und  Nasenbluten  halten  etwa  acht  Wochen 
an,  hierauf  verschwinden  die  ersteren,  treten  aber  bald  wieder  auf. 
Die  Ziegenmilch  wird  gekocht  und  mit  Reisschleim  verdünnt.  Ein 
stark  juckender  Ausschlag  über  den  ganzen  Körper  stört  die  Nacht¬ 
ruhe.  Statt  der  Milch  bekommt  Patient  ein  Kindermehl  (Galaktina), 
dem  in  der  Folge  Troökenfütterungsmilch  zugesetzt  wird.  Mit  ca, 
zehn  Monaten  (17.  Dezember  1908)  trat  der  Knabe  in  meine  Behand¬ 
lung.  Stuhl  sehr  übelriechend,  mikroskopisch  werden  darin  viel  Fett¬ 
seifen  und  Neutralfett  nachgewiesen,  wenig  Kohlehydrate.  Tempe¬ 
ratur  subfebril.  Verordnung:  abgerahmte  Milch  zur  Hälfte  mit  Wasser 
verdünnt.  20.  Dezember  immer  noch  sehr  übelriechender  Stuhl,  mikro¬ 
skopischer  Befund  wie  am  17.  Dezember.  Verordnung :  Buttermilch, 
dreimal  täglich  mit  Kindermehlzusatz.  2.  Januar  Stuhl  enthält  trotz¬ 
dem  noch  viel  Fettseifen,  starke  Lugolreaktion,  keine  Gewichtszunahme. 
Gegen  das  stark  juckende  und  schuppende  Ekzem  wird  Lianthral  0,5, 
Ichthyol  1,5,  ung.  Zinc.  oxyd.  50,0  verschrieben.  Wegen  starker  Lugol¬ 
reaktion  :  Theinhardts  lösliche  Kindernahrung.  Zur  genauen  Beobach¬ 
tung  tritt  der  Knabe  am  9.  Januar  in  Privatklinik. 


1168  Fritz  Brandenberg,  Ueber  familiäres  Auftreten  der  chronischen  Leukämie. 

Der  äußerst  blasse,  stark  abgemagerte  Knabe  zeigt  neben  schuppen¬ 
dem  Ekzem  vom  Typus  der  Erythrodermia  desquamativ  a  (L einer) 
harte,  verschiebbare,  über  bohnengroße  Drüsenschwellungen  an  linker 
Thoraxseite,  wenig  vergrößerte  Drüsen  in  der  Axilla  und  Inguinal¬ 
gegend.  Über  den  Lungen  vereinzelte,  trockene  Konchi.  Über  den 
Herzklappen  und  größten  Gefäßen  schwache,  anämische  Geräusche. 
Körpergewicht  6100  g.  Da  die  Stühle  trotz  Buttermilch  immer  noch 
starken  Fettgehalt  zeigen,  wird  eine,  nach  meinen  Angaben  von  der 
Berner  Alpenmilchgesellschaft  hergestellte,  ,, Spezialmilch  mit  redu¬ 
ziertem  Fettgehalt“  verabreicht.  Der  Fettgehalt  dieser  Milch  war 
anfangs  auf  1,5  °/0  eingestellt,  wurde  aber  in  der  Folge  auf  0,2  bis  0,3  °/0 
reduziert.  Als  Zusatz  erhielt  der  Knabe  Kufeke’s  Kindermehl.  Stühle 
ordentlich  ein-  bis  zweimal  täglich.  Während  des  sechswöchentlichen 
Aufenthalts  in  der  Klinik  trat  mehrmals  Bronchitis  mit  Temperatur¬ 
erhöhungen  bis  38,7  auf,  die  Morgentemperaturen  sind  stets  höher 
als  die  Abendtemperaturen,  abwechselnd  Hauthämorrhagien  und  Nasen¬ 
bluten,  Blutnachweis  im  Stuhl,  infolge  des  von  der  Nase  stammenden, 
verschluckten  Blutes. 

Eine  Blutuntersuchung  vom  20.  Januar  ergab: 

Hämoglobingehalt  ca.  15  °/0  nach  Sahli- Go  wer.  Mikroskopisch 
viel  Leukozyten,  spez.  polynukleäre,  ferner  basophile  und  wenige  dar¬ 
unter  mit  doppelter  Körnung.  In  einem  Gesichtsfeld  (Zeiß  DD,  Okku- 
lar  4,  Vergrößerung  390)  wurden  74  Leukozyten  gezählt,  in  einem 
andern  (Immersion)  des  gleichen  Präparates  7  basophile,  2  eosinophile, 
1  mononukleärer  Leukozyt,  in  einem  dritten  Gesichtsfeld  war  das  Ver¬ 
hältnis  60  bis  80  rote  zu  7  weißen  Blutkörperchen. 

Am  30.  Januar  betrug  das  Körpergewicht  5880  g.  Vom  8.  Februar 
bekam  der  Knabe  täglich  zwei-  bis  dreimal  1/2  Kaffeelöffel  voll  Levico 
Schwach -Wasser.  Körpergewicht  am  19.  Februar  5710. 

Eine  zweite  Blutprobe  am  20.  Februar  ergab : 

Hämoglobingehalt  ca.  15  °/0  (was  einem  absoluten  Hämoglobin¬ 
gehalt  nach  Matrai  von  2,1  °/0  entsprechen  würde).  Mikroskopisch: 
spärlich  eosinophile,  viele,  nach  Jenner,  stark  blau  gefärbte  Leuko¬ 
zyten,  ohne  deutliche  Körnung,  polynukleäre  Leukozyten.  Bei  Zeiß 
Vergr.  390  bis  40  Leukozyten  im  Gesichtsfeld.  Eine  Zählung  zur 
Bestimmung  des  prozentualen  Verhältnisses  der  weißen  Blutkörperchen 
zueinander  und  des  Zahlenverhältnisses  der  roten  zu  den  weißen  wurde 
nicht  gemacht,  ich  verhehle  daher  nicht,  daß  diese  Blutuntersuchungen 
keinen  strikten  Beweis  für  die  Diagnose  Leukämie  zu  erbringen  ver¬ 
mögen,  daß  ein  sicherer  Beweis  für  die  Vermehrung  der  weißen  Blut¬ 
körperchen  nicht  erbracht  ist,  wohl  aber  eine  Verminderung  der  roten 
nicht  ausgeschlossen  werden  darf.  Aber  im  Verein  mit  dem  klinischen 
Befunde  schien  die  Diagnose  Leukämie  gerechtfertigt.  So  wurde  denn 
anderorts  von  einem  bekannten  Hämatologen  aus  dem  Blutbefund  die 
Diagnose  Leukämie  nicht  bestätigt,  obwohl  unter  dem  Einfluß  einer 
mit  Husten  und  Fieber  einhergehenden  Grippe  der  Leukozytengehalt 
auf  12 — 15000  bestimmt  wurde,  eine  Zahl,  die  mit  meinem  mikrosko¬ 
pischen  Befund  übereinstimmen  dürfte. 

Die  Geburt  des  letzten  Knabens  Ernst  fand,  da  die  Mutter  die 
Ernährung  des  Knaben  von  mir  geleitet  wünschte,  im  hiesigen  Privat¬ 
krankenhause  statt  (30.  Jan.  1909).  Der  Knabe  zeigte  bei  einem  Geburts¬ 
gewicht  von  2500  g  nichts  Abnormes.  Er  wurde  mangels  genügender 
Muttermilch  sofort  von  einer  gesunden,  jungen  Amme  gestillt.  Die  V erdau- 


A.  Menzer,  Die  Medizin  des  Celsus  im  Lichte  moderner  Anschauungen.  1169 

ung  war  gut,  die  wöchentlichen  Gewichtszunahmen  schwankten  zwischen 
90  bis  200  g.  Seit  Anfang  April,  also  wieder  mit  ea.  acht.  Wochen 
zeigten  sich  die  gleichen  Hautblutungen  wie  bei  Franz,  ebenso  wurde 
der  gleiche  juckende  Hautausschlag  beobachtet.  Der  Hausarzt  Dr.  von 
Deschwanden,  dem  ich  die  Notizen  bestens  verdanke,  konstatierte 
einen  starken  Milztumor,  der  beim  erst  beschriebenen  Knaben  fehlte. 
Seit  Mitte  April  beständige  Gewichtsabnahme,  unter  dem  Bilde  der 
Inanition  tritt  am  19.  Mai  der  Exitus  ein. 

Interessant  sind  die,  allerdings  ärztlich  nicht  kontrollierten  An¬ 
gaben  der  Eltern,  daß,  Haut-  und  Nasenblutungen  ausgenommen,  der 
Verlauf  der  Erkrankung  bei  den  beiden  ersten  Knaben  (geh.  9.  März 
1896  und  5.  Januar  1901)  gleich  gewesen  sein  soll,  auch  diese  starben 
unter  den  Erscheinungen  höchstgradiger  Blutarmut,  was  die  Ange¬ 
hörigen  zum  Ausspruch  veranlaßte :  die  Knaben  können  nicht  sterben, . 
bis  alles  Blut  aufgebraucht  sei. 

Der  pathologisch-anatomische  Befund  bestätigte  meine  im 
ersten  Fall  gestellte  klinische  Diagnose  und  lieferte  so  ein  Gegen¬ 
stück  zum  zuerst  zitierten  Falle  Hirschberg.  Die  Sektionen  der 
beiden  Leichen  wurden  von  Frl.  Dr.  Kworostanski  an  der  Univer¬ 
sitäts-Frauenklinik  in  Zürich  ausgeführt.  Da  das  Ergebnis  später  in 
Extenso  erscheinen  wird,  muß  ich  hier  auf  eine  vollständige  Wieder¬ 
gabe  des  Sektionsprotokolls  verzichten  und  erwähne  daraus  nur: 

Fall  1.  Franz  H. :  Herzklappen  ohne  Befund,  Leber  vergrößert, 
vermehrte  Leukozyten  und  Lymphozyten. 

Milz  klein,  hart  vermehrte  Leukozyten  (neutrophile  und  eosino¬ 
phile)  und  Lymphozyten,  vereinzelte  kernhaltige  rote  Blutkörperchen. 
Lymphdrüsen  enorm  vergrößert,  hart,  mikroskopisch  zeigen  sie  myelo¬ 
gene  Umwandlung. 

Im  Knochenmark  vermehrte  Zahl  der  Leukozyten  und  Lympho¬ 
zyten,  die  roten  kernlosen  Blutkörperchen  sind  vermindert. 

Pathologisch-anatomischer  Befund:  Leukämie,  in  den  inneren 
Organen  Poikilozytose. 

Im  zweiten  Fall  Ernst  H. :  In  der  Magenschleimhaut  kleine  rote 
Petechien,  im  Darm,  im  ganzen  Kolon  streifenförmige  Blutungen,  keine 
freie  Blutung.  Milz  7:5:2  cm,  hart.  Mesenteriale  Lymphdrüsen  stark 
vergrößert.  Nebennieren  enorm  klein.  Blutleere  in  den  inneren  Organen. 
Pathol. - anatom.  Befund:  leukämischer  Habitus. 

Diese  Beobachtungen  zeigen  also  wieder,  daß  der  Blutbefund  allein 
die  Diagnose  auf  Leukämie  nicht  ausschließt.  Was  das  familiäre 
Auftreten  dieser  Krankheit  anbetrifft,  sind  wohl  die  hier  aufge¬ 
führten  Fälle  die  ersten  dieser  Art. 


Die  Medizin  des  Celsus  im  Lichte  moderner  Anschauungen. 

Von  A.  Menzer,  Halle  a.  S. 

(Nach  einem  im  Aerzteverein  zu  Halle  a.  S.  gehaltenen  Vorträge.) 

M.  H. !  Wie  ein  rüstiger  Bergsteiger  nicht  imstande  ist, 
einen  hohen  Berg  ohne  Einhaltung  von  Buhepausen  zu  erklimmen, 
und  wie  er  denn  naturgemäß  den  Blick  nach  rückwärts  wendet,  um 
an  der  bereits  zurückgelegten  Strecke  die  Entfernung  des  Endzieles 
zu  ermessen,  so  geziemt  es  auch  uns,  die  wir  bemüht  sind,  auf  dem 
Wege  der  medizinischen  Erkenntnis  vorzudringen,  von  Zeit  zu  Zeit 
innezuhalten  und  nach  rückwärts  zu  schauen.  Und  wie  des  Bergsteigers 

74 


1170 


A.  Menzer, 


Auge  mit  besonderem  Wohlgefallen  auf  lachenden  Auen  im  Tale  ver¬ 
weilen  wird,  so  werden  auch  wir  uns  gern  zu  solchen  Epochen  der 
Medizin  zurückwenden,  in  denen  wir  unsere  Wissenschaft  zu  hoher 
Blüte  entfaltet  sehen  oder  gar  Berührungspunkte  zu  unseren  heutigen 
Anschauungen  finden. 

Eine  solche  Epoche  ästhetischen  Genusses  für  den  Arzt  stellt 
nun,  wie  ich  Ihnen  in  den  folgenden  Ausführungen  darzutun  hoffe, 
die  Medizin  des  Celsus  dar.  Inwieweit  ihr  Studium  geeignet  ist,  auch 
praktischen  Nutzen  zu  gewähren,  soll  weiter  unten  erörtert  werden. 

Celsus  lebte  in  der  Zeit  von  etwa  25 — 30  a.  Chr.  bis  etwa, 
45 — 50  p.  Chr.  und  war  einer  der  römischen  Enzyklopädisten,  welche 
sich  bemühten,  die  Summe  des  griechischen  Wissens  ihren  Landsleuten 
zu  übermitteln.  Ein  Vorgänger  des  Celsus  ist  z.  B.  Marcus  Terren- 
tius  Varro,  der  mit  Vorliebe  in  Lehrbüchern  der  Bakteriologie  zitiert 
wird,  da  von  ihm  die  Äußerung  über  die  „animalcula  quaedam  minuta“, 
welche  aus  der  Sumpfluft  stammen  und  durch  ihr  Eindringen  in  Mund 
und  Nase  ernste  Krankheiten  erzeugen  sollen,  herrührt.  Auf  die  Streit¬ 
frage,  ob  Celsus  Arzt  oder  ärztlich  gebildeter  Laie  war,  wollen  wir 
hier  nicht  eingehen,  da  sie  für  die  objektive  Würdigung  seiner  An¬ 
schauungen  ohne  Belang  ist. 

Von  der  Enzyklopädie  des  Celsus,  welche  verschiedene  wissen¬ 
schaftliche  Fächer  umfaßte,  sind  nur  noch  Bruchstücke  vorhanden  und 
unter  diesen  befindet  sich  zum  Glück  für  die  medizinische  Geschichts¬ 
forschung  sein  Buch  „De  medicina“. 

Für  die  folgenden  Betrachtungen  beziehe  ich  mich  auf  die  deutsche 
Übersetzung  des  Celsus  durch  Scheller1).  In  seinem  Werk  behan¬ 
delt  Celsus  im  Anschluß  an  eine  kurze  geschichtliche  Betrachtung  das 
damalige  medizinische  Wissensgebiet,  indem  er  teils  einfach  beschrei¬ 
bend,  teils  kritisch  seinen  eigenen  Standpunkt  darlegend  verfährt.  Wir 
wollen,  bevor  wir  auf  die  Anschauungen  des  Celsus  näher  eingehen, 
die  Lehren  der  wichtigsten  medizinischen  Schulen  seiner  Zeit  kurz 
anführen,  um  so  für  ein  Verständnis  des  Celsus  besser  vorbereitet  zu  sein. 

Es  waren  damals  von  Bedeutung  die  Schulen  der  Hippokratiker, 
Herophileer,  Erasistrateer,  Methodiker  und  Empiriker. 

Die  Hippokratiker  schlossen  sich  an  die  Lehren  des  Hippokrates 
an,  den  wir  als  den  Begründer  einer  wissenschaftlichen  Medizin  an- 
sehen  dürfen.  Während  seine  Vorgänger  in  Anlehnung  an  naturphilo¬ 
sophische  Systeme  verschiedene  Stoffe,  wie  z.  B.  das  Wasser  oder 
die  Luft  oder  Feuer  und  Wasser,  oder  Feuer,  Wasser,  Luft  und  Erde 
als  die  Elemente  des  tierischen  Organismus  ansehen,  verwirft  Hippo- 
krgtes  diese  vagen  Hypothesen  und  gibt  in  der  Schrift  über  „die 
alte  Medizin“  den  Weg  für  eine  exakte  medizinische  Forschung  an. 
„Für  sie  (die  ärztliche  Kunst),  ist  sowohl  das  Prinzip,  als  auch  die 
Methode  gefunden,  der  zufolge  die  vielen  schönen  Entdeckungen  ge¬ 
macht  sind  und  auch  das  übrige  bereits  noch  entdeckt  werden  wird, 
wenn  einer,  befähigt  und  des  bereits  Entdeckten  kundig,  von  da  aus¬ 
gehend  seine  Forschungen  ans  teilt.“ 

Dieser  induktiven  Methode  entsprechend  sucht  Hippokrates  die 
Zusammensetzung  des  Organismus  aus  den  vier  im  Körper  beobach¬ 
teten  Säften  „Blut,  Schleim,  schwarze  und  gelbe  Galle“  zu  erklären. 

ß  Aulus  Cornelius  Celsus,  Ueber  die  Arzneiwissenschaft.  Uebersetzt  und 
erklärt  von  Scheller,  durchgesehen  von  Frieboes,  1906,  Braunschweig. 


Die  Medizin  des  Celsus  im  Lichte  moderner  Anschauungen. 


1171 


Die  richtige  Mischung  der  vier  Säfte  (Krasis)  bedingt  Gesundheit, 
die  unrichtige  Mischung  (Dyskrasis)  ruft  Störungen  hervor,  auf  welche 
der  Organismus  unter  dem  Bilde  der  verschiedenen  Krankheiten  reagiert. 
Die  Krankheiten,  besonders  die  akuten,  verlaufen  in  drei  Stadien,  dem 
Stadium  der  Bohigkeit,  der  Kochung  und  der  Krisis,  d.  h.  der  Aus¬ 
scheidung  der  schlechten  Säfte.  Diese  Vorgänge  werden  durch  die 
im  Herzen  befindliche  angeborene  Wärme  ( s/uKpvTov  ^sq^lov),  welche 
durch  das  in  der  Luft  befindliche  Pneuma  unterhalten  wird,  ausgelöst. 
Die  Krankheit  wird  als  ein  Versuch  zur  Selbsthilfe  des  Organismus 
auf  gef  aßt.  die  Naturen  sind  der  Krankheiten  Ärz’te,  die  ärztliche  Kunst 
hat  die  Heilungsbestrebungen  der  Natur  zu  unterstützen,  sie  darf  in 
keinem  Falle  schaden,  sie  soll  „ajyjskesiv  r\  f-ii]  ßhamsiv“ ,  nützen  oder 
wenigstens  nicht  schaden. 

Besaß  Hippokrates  schon  beachtenswerte  anatomische  Kennt¬ 
nisse,  so  wurden  die  anatomischen  Studien  besonders  von  der  alexan- 
drinischen  Schule  im  Beiche  der  Ptolemäer  eifrig  betrieben,  so  daß 
sogar,  wie  einwandfrei  berichtet  wird,  Sektionen  an  lebenden  Ver¬ 
brechern  ausgeführt  wurden.  Die  berühmtesten  alexandrinischen  Ärzte 
sind  Herophilus  und  Erasistratus,  ersterer  in  seinen  Lehren  auf 
Hippokrates  fußend,  letzterer  ein  Gegner  des  Hippokrates.  Era¬ 
sistratus  und  seine  Schule  sehen  eine  wichtige  Krankheitsursache) 
in  dem  Übermaß  der  Nahrung,  in  ihrer  ungenügenden  oder  schlechten 
Verdauung  und  der  sich  daraus  herleitenden  Überfüllung  der  Gefäße, 
der  Plethora.  Ihre  Therapie  gipfelt  daher  in  einer  Bekämpfung  des 
plethorischen  Zustandes. 

Wenn  die  bisherigen  Schulen  vorwiegend  von  einer  Berücksich¬ 
tigung  der  Säfte  (humores)  ausgegangen  sind,  so  trat  diesen  humoral¬ 
pathologischen  Anschauungen  eine  Lehre  gegenüber,  welche  sich  auf 
die  festen  Bestandteile  des  Körpers  gründete.  Für  eine  solche  Solidar- 
pathologie  war  der  Boden  bereitet  durch  die  bekannte  Atomentheoriei 
des  Leukippos  und  Demokritos.  Diese  Theorie  bildete  auch  die 
Grundlage  für  die  Lehren  des  Epikurs  und  wurde  ärztlicherseits  ver¬ 
wertet  durch  Asklepiades  von  Bithynien,  welcher  im  zweiten  Jahr¬ 
hundert  v.  Chr.  in  Born  sich  einer  großen  Berühmtheit  erfreute.  Im 
Körper  sind  Atome  von  verschiedener  Größe  und  Form  vorhanden,  die 
feinsten  Atome  sind  diejenigen  des  Feuers  und  der  Seele.  Die  richtige 
Anordnung  der  Atome  bedingt  Gesundheit,  ihr  Durcheinandergehen 
bewirkt  Verstopfung  (Stase).  Die  Therapie  hat  die  Aufgabe,  anreizend 
zu  wirken  .  Demnach  spielen  in  der  Behandlung  des  Asklepiades 
Bewegung,  Massage  und  kaltes  Wasser  eine  große  Bolle.  Asklepiades 
erkennt  eine  Naturheilkraft  nicht  an,  er  verwirft  den  Hippokrates 
und  stellt  als  Aufgabe  der  Therapie  hin:  „Non  solum  non  prodesse 
naturam,  verum  etiam  nocere.“  Er  will  die  Heilung  „cito,  tuto  jucunde“ 
bewirken.  Wie  er  dabei  vorgeht,  schildert  Celsus  des  Näheren:  „Er, 
(Asklepiades)  war  auch  der  Meinung,  man  müsse  die  Kräfte  des 
Kranken  durch  den  Einfluß  des  Lichts,  durch  Wachen  und  großen 
Durst  schwächen,  so  daß  er  in  den  ersten  Tagen  nicht  einmal  das 
Ausspülen  des  Mundes  erlaubte“.1)  Celsus  fügt  sehr  richtig  hinzu: 
„Daher  täuschen  sich  diejenigen  gar  sehr,  welche  glauben,  die  Be¬ 
handlungsweise  des  Asklepiades  sei  in  allen  Stücken  für  die  Kranken 
angenehm“.2) 


u.  2)  1.  c.,  S.  114. 


74* 


1172 


A.  Menzer, 


V on  der  Beachtung'  der  festen  Bestandteile  ging  man  auf  die 
Zwischenräume  zwischen  den  Atomen  über;  die  betreffende  Schule,  ge¬ 
nannt  die  der  Methodiker,  sah  in  der  Erschlaffung  oder  Zusammen¬ 
ziehung  der  Zwischenräume  die  wichtigste  Krankheitsursache.  Ein 
solcher  Zustand  beherrschte  als  eine  Kommunität  den  ganzen  Organis¬ 
mus,  und  es  galt  nun  einfach,  den  Status  laxus  oder  strictus  durch 
entgegengesetzte  Maßnahmen  „contraria  contrariis“  zu  bekämpfen.  Als 
dritte  Kommunität  kam  später  noch  der  Status  mixtus  hinzu.  Die 
Therapie  wurde  sehr  einfach,  einige  Methodiker  machten  sich  anheischig, 
auch  ungebildeten  Leuten  das  Wissenswerte  aus  der  Medizin  in  einem 
halben  Jahre  beizubringen.  Der  Spruch  des  Hippokrates:  „Vita 
brevis,  ars  longa“  wurde  umgekehrt  in  ,,Yita  longa,  ars  brevis“. 

Den  bisher  genannten  Schulen  traten  nun  die  Empiriker  entgegen. 
Sie  betonten,  daß  alle  theoretischen  Spekulationen  und  anatomischen 
Forschungen  zu  nichts  geführt  hätten.  Es  käme  nicht  darauf  an, 
nach  den  Ursachen  der  Krankheiten  zu  forschen,  sondern  zu  ergründen, 
wodurch  die  Krankheiten  am  besten  geheilt  würden,  und  letzteres1 
könne  nicht  durch  Künste  der  Dialektik,  sondern  nur  durch  Erfahrung 
erlernt  werden. 

Unter  diesen  Empirikern  befanden  sich  tatsächlich  viele  tüchtige 
Ärzte,  und  manche  gute  Errungenschaften  auf  dem  Gebiete  der  Phar¬ 
makotherapie,  der  Chirurgie  usw.  sind  ihnen  zu  verdanken.  Es  bestand 
ja  auch  unter  Laien  in  der  damaligen  Zeit  eine  große  Kenntnis  über 
die  Wirkung  von  Giften,  ich  erinnere  hier  vor  allem  an  Mithridates, 
aber  auch  von  dem  König  Attalus  III.  von  Pergamos  wird  berichtet, 
daß  er  an  lebenden  Verbrechern  mit  Giften  und  Gegengiften  experi¬ 
mentiert  habe. 

In  dem  Streit  der  Schulen,  welche  sich,  wie  zu  allen  Zeiten, 
auch  damals  vielfach  bekämpften,  nimmt  nun  Celsus  folgenden  ver¬ 
mittelnden  Standpunkt  ein.1) 

„Um  demnach  auf  meinen  Gegenstand  zurückzukommen,  so  glaube 
ich,  daß  die  Heilkunde  zwar  ijait  Theorie  verbunden  sein,  aber  auf 
den  offenbaren  Ursachen  fußen  müsse ;  alle  dunklen  Ursachen  sind, 
wenn  auch  nicht  vom  Nachdenken  des  Arztes,  doch  aber  von  der 
Kunst  selbst  auszuschließen.  —  Das  öffneu  lebender  Körper  halte 
ich  für  grausam  und  überflüssig,  das  der  Leichen  hingegen  für  not¬ 
wendig  für  die  Lernenden,  denn  sie  müssen  Lage  und  Anordnung  der 
Teile  kennen  —  und  dies  zeigen  Leichname  besser  als  ein  lebender 
verwundeter  Mensch. 

Das  übrige  dagegen,  was  nur  bei  Lebenden  erkannt  werden  kann, 
wird  bei  der  Behandlung  der  Verwundeten  die  Praxis  selbst,  freilich 
etwas  langsamer,  aber  auf  bei  weitem  mildere  Weise  zeigen.“ 

Ich  komme  nun  zur  Darlegung  der  Anschauungen  des  Celsus 
in  den  einzelnen  Gebieten  der  Medizin  und  schließe  mich  hier  in  der 
Anordnung  und  Auswahl  des  Stoffes  zum  Teil  dem  Vorgang  von 
Kobert2)  an. 

Vas  zunächst  die  anatomischen  Kenntnisse  des  Celsus  an¬ 
betrifft,  so  werden  nicht  nur  das  Knochensystem,  sondern  auch  die 
Eingeweide  vielfach  richtig  und  gut  beschrieben.  Von  einer  besonderen 
Physiologie  und  pathologischen  Anatomie  ist  jedoch  nicht  die 


1)  S.  33.  2)  Vgl.  Kobert’s  Vorwort  zur  vorerwähnten  Ausgabe  des  Celsus. 


Die  Medizin  des  Celsus  im  Lichte  moderner  Anschauungen. 


1178 


Rede.  Weit  besser  sind  die  Kenntnisse  in  den  klinischen  Fächern. 
Zunächst  einige  wichtige  Angaben  aus  der  Augenheilkunde:  Celsus 
beschreibt  als  Erster  die  Staroperation.  Bezüglich  der  Entstehung 
des  Stares  nimmt  er  an,  daß  sich  in  dem  in  der  Nähe  der  Pupille 
gelegenen  leeren  Raum  eine  allmählich  erstarrende  Flüssigkeit  an¬ 
sammelt  und  das  Sehen  hindert.  Er  empfiehlt,  mit  der  Nadel  seitlich 
in  den  leeren  Raum  einzudringen  und  den  Star  langsam  bis  unter 
die  Pupille  herabzuschieben  oder  aber  zu  zerstückeln,  wenn  er  nicht 
unten  sitzen  bleibt, 4) 

Celsus  kennt  weiterhin  die  Hemeralopie,  „Außer  den  genannten 
Krankheiten  gibt  es  eine  andere  Schwäche  der  Augen,  bei  welcher 
die  Kranken  zwar  bei  Tage  ziemlich  gut,  bei  Nacht  aber  nichts  sehen.“2) 
Als  besonders  bemerkenswert  hebt  Kob  er  t  hervor,  daß  bei  Augen¬ 
entzündungen  mit  und  ohne  Hornhautgeschwüren  von  Celsus  ein 
pupillenerweiterndes  Mittel  empfohlen  wird. 3)  Einem  seiner  Augen¬ 
mittel  ist  Alraunsaft  beigefügt.  Die  Alraun-  oder  Mandragorawurzel 
enthält  nun  verschiedene  Alkaloide,  darunter  Skopolamin  und  IJyos- 
cyamin  und  mußte  demnach  Mydriasis  hervorrufen.  Nach  Kober t 
ist  die,  wichtige  mydriatische  Wirkung  der  Mandragora  und  verwandter 
Solanaceen,  welche  auch  Galen  noch  bekannt  ist,  später  in  Vergessen¬ 
heit  geraten  und  erst  nach  fast  zwei  Jahrtausenden  wieder  entdeckt 
worden. 

Auch  über  die  Ohrenkrankheiten  finden  sich  bemerkenswerte 
Angaben  bei  Celsus.  Schon  in  der  Einleitung  zu  dem  betreffenden 
Kapitel  zieht  er  einen  interessanten  Vergleich  zwischen  diesen  und 
den  Augenkrankheiten.  Er  sagt4)  „die  Krankheiten  derselben  (der 
Ohren)  sind  bei  weitem  gefährlicher,  denn  die  Krankheiten  der  Augen 
sind  nur  für  letztere  gefährlich ;  die  Entzündungen  und  Schmerzen 
der  Ohren  aber  verursachen  zuweilen  Irresein  und  Tod“.  Die  Behand¬ 
lung  der  Ohrenleiden  erfolgt  mit  Ruhe  und  Fasten  und  warmen  Brei¬ 
umschlägen.  Auch  die  Ohrenspritze  wird  zur  Einbringung  erwärmter 
Arzneimittel  angewendet. 

Schorfe  und  Schmutz  werden  durch  Eingießen  von  warmem  öl 
oder  Wehmiet  mit  etwas  Soda  oder  auch  Essig  mit  Soda  u.  dgl.  er¬ 
weicht.  Fremdkörper  werden  mit  der  Ohrensonde  oder  einem  stumpfen, 
etwas  gekrümmten  Häkchen  entfernt,  zum  Herausholen  von  einge¬ 
drungenen  Tierchen  empfiehlt  Celsus  mit  Watte  umwickelte  Sonden, 
welche  in  klebriges  Harz  getaucht  sind.  Es  ist  ihm  ferner  bekannt, 
daß  Stockschnupfen  Ohrensausen  hervorrufen  kann  und  er  macht  bei 
der  Schilderung  des  Zustandes  eine  Angabe,  welche  wohl,  wie  auch 
Kober t  hervorhebt,  als  eine  Beschreibung  des:  Valsalva’schen  Ver¬ 
suches  gedeutet  werden  darf.  Celsus  sagt5):  „Wird  das  Ohrensausen 
durch  einen  Stockschnupfen  hervorgerufen,  so  reinige  man  die  Ohren 
und  halte  den  Atem  so  lange  an,  bis  aus  dem  Ohr  schaumige  Flüssig¬ 
keit  kommt“. 

Wir  gehen  zu  den  Nasenkrankheiten  über.  Über  die  Ozänar>) 
bemerkt  Celsus,  daß  „dagegen  kaum  ein  Mittel  helfen  kann“,  ein 
Standpunkt,  über  den  wir  heute  wohl  auch  noch  nicht  viel  hinaus¬ 
gelangt  sind.  Was  Celsus  zur  Behandlung  empfiehlt,  nämlich  Ein¬ 
bringen  von  Honig  mit  Terpentinharz  zur  Lösung  der  Schorfe  und 


x)  S.  385.  2)  S.  332.  3)  S.  313.  4)  S.  333.  5)  S.  339.  6)  S.  341. 


1174  A.  Menzer,  Die  Medizin  des  Celsus  im  Lichte  moderner  Anschauungen. 

Bähungen  mit  Wasser  dämpfen,  sowie  nachfolgende  Betupf  ung  mit  einer 
tanninhaltigen,  in  Wein  gelösten  Substanz  (Lycium),  kann  nur  als 
verständig  bezeichnet  werden. 

Er  erwähnt  dann  auch  eine  operative  Behandlungsmethode1),  nach 
welcher  man  bei  Ozäna  die  Nase  von  unten  bis  auf  den  Knochen 
einschneiden  soll,  damit  man  die  ganze  kranke  Stelle  übersehen  und 
das  Glüheisen  leichter  ansetzen  könne.  Celsus  kennt  ferner  die  Nasen¬ 
polypen2),  deren  Beseitigung  durch  ätzende  Mittel  er  anrät.  Es  ist  ihm 
bekannt,  daß  Nasenpolypen  Erstickungsanfälle  auslösen  können. 

Von  den  Mundkrankheiten  sei  dann  erwähnt,  daß  er  den 
Mandelabszeß  kennt,  dessen  Eröffnung  durch  Inzision  mit  nachfolgendem 
Gurgeln  mit  warmem  Weinmet  er  richtig  er  weise  empfiehlt. 

Besonders  zu  rühmen  sind  die  Kenntnisse  in  der  Chirurgie: 
Im  Beginn  des  Abschnittes,  der  von  der  Chirurgie  handelt,  werden 
die  Leistungen  der  Chirurgie  und  der  internen  Medizin  verglichen3) : 
„Da  aber  bei  den  Krankheiten  das  Glück  eine  so  große  Bolle  spielt 
und  dieselben  Mittel  bald  heilen,  bald  wirkungslos  sind,  so  kann  man 
wirklich  im  Zweifel  sein,  ob  die  Herstellung  der  Gesundheit  den  ange¬ 
wandten  Mitteln  oder  der  Selbsthilfe  des  Körpers  zuzuschreiben 
ist“  usw.  „Bei  dem  chirurgischen  Teil  der  Medizin  ist  aber  offenbar 
der  meiste  Erfolg  dem  chirurgischen  Eingriffe  zuzuschreiben,  wenn 
er  auch  zum  Teil  von  den  anderen  Teilen  der  Heilkunst  unter¬ 
stützt  wird.“  ' 

Gut  werden  die  an  einen  Chirurgen  zu  stellenden  Anforderungen 
beschrieben4):  „Ein  Wundarzt  muß  im  kräftigen  Mannesalter  oder 
wenigstens  diesem  näher  stehen  als  dem  Greisen  alt  er.  Seine  Hand 
sei  sicher  und  fest  und  zittere  nie;  er  sei  ebenso  geschickt  im  Ge¬ 
brauche  der  linken  als  der  rechten  Hand.  Scharf  und  hell  sei  die 
Sehkraft  seiner  Augen,  furchtlos  sein  Gemüt  und  mitfühlend  sei  er  nur 
in  der  Weise,  daß  es  sein  fester  Wille  ist,  den  in  Behandlung  ge¬ 
nommenen  Kranken  zu  heilen,  ohne  sich  durch  das  Geschrei  desselben 
rühren  und  zu  größerer  Eile,  als  die  Umstände  erfordern  oder  zu 
weniger  oder  kleineren  Schnitten,  als  nötig  sind,  bestimmen  zu  lassen ; 
vielmehr  führe  er  alles  aus,  als  ob  durch  das  Klagegeschrei  des 
Kranken  bei  ihm  gar  kein  Mitleid  erregt  würde.“ 

Bezüglich  der  durch  Geschosse  verursachten  Wunden  fordert 
Celsus  vom  Arzt  eine  richtige  Prognosestellung. 5)  Von  rettungslosl 
verlorenen  Verwundeten  soll  er  die  Hände  lassen,  damit  nicht  die 
Angehörigen  ihm  die  Schuld  am  Tode  beimessen  können.  Auch  in 
ernsten  Fällen  soll  er  die  bedenkliche  Lage  in  seinem  eigenen  Inter¬ 
esse  offen  mitteilen,  sich  aber  vor  der  Weise  eines  Scharlatans  hüten, 
der  unbedeutende  Wunden  als  gefährlich  hinstellt,  um  dadurch  den 
Schein  desto  größerer  Leistungen  zu  erwecken. 

Die  Heilung  der  Wunden  ist  abhängig  von  Alter,  Konstitution, 
Lebensweise  und  Jahreszeiten,  als  günstigste  Jahreszeit  wird  das  Früh¬ 
jahr  hingestellt,  große  Hitze  und  große  Kälte  wirken  schädlich  auf 
Wunden  ein,  der  Herbst  mit  seiner  wechselnden  Jahreszeit  soll  am 
ungünstigsten  sein. ö)  '  (Fortsetzung  folgt.) 


ß  S.  341.  2)  S.  391.  3)  S.  362.  4)  S.  363.  5)  S.  261.  6)  S.  263. 


Vorläufige  Mitteilungen  und  Autoreferate. 


1175 


Vorläufige  Mitteilungen  u.  Autoreferate. 


Ueber  Lumbalanästhesie  mit  Novocain  bei  gynäkologischen  Operationen. 

Von  Dr.  Gross. 

Vortrag  im  Verein  deutscher  Aerzte  in  Prag,  11.  Juni  1909. 

Nach  kurzem  Überblick  über  die  Geschichte  der  Methode,  ihre 
Technik,  ihre  Vor-  und  Nachteile  berichtet  G.  über  615  seit  1907  in  der 
Prager  Frauenklinik  operierte  Fälle.  Zur  Verwendung  kam  das  in 
Ampullen  vorrätige  5%ige  Novocain-Suprarenin  (Höchst).  Eine  halbe 
Stunde  vorher  Injektion  von  0,01  Morph,  mur.,  0,0003  Söopolamin. 
hydrobrom.  subkutan. 

Es  gelang  die  vollkommene  Anästhesie  in  538  =  87,5  °/0  der  Fälle, 
Versager  kamen  22  =  3,5  °/0  vor,  unvollkommene  Anästhesien  (d.  h. 
Fälle,  bei  denen  kurz  nach  gelungener  Spinalanalgesie  Schmerzempfin¬ 
dung  auftrat  und  daher  die  Inhalationsnarkose  nötig  war),  in  55  —  9°/0 
der  Fälle.  Davon  waren  450  Laparotomien  (davon  388  =  86,2%  voll¬ 
kommene,  43  =  9,6  °/0  unvollkommene,  19  =  4,2  °/0  Versager)  und  165 
vaginale  Operationen  (150  =  9,1  °/0  vollkommene,  12  =  7,2  °/0  unvoll¬ 
kommene  und  3  =  1,8  %  Versager).  Es  handelt  sich  durchwegs  um 
größere  Operationen,  so  100  Totalexstirpationen  des  Uterus  wegen 
Karzinom,  74  wegen  Myom,  37  wegen  Affektionen  der  Adnexe.  Die 
Zahl  der  Versager  ist  bei  Laparotomien  größer,  ihre  Ursache  ist  in  den 
meisten  Fällen  auf  technische  Fehler  zurückzuführen,  in  manchen  Fällen 
ist  wegen  Pressens  nach  Eröffnung  des  Peritoneums  zur  Narkose  ge¬ 
schritten  worden.  Auffällig  ist  die  größere  Zahl  der  Versager  bei 
jüngeren  Individuen.  Im  Alter  von  20 — 29  Jahren  105  Fälle  mit  7  = 
6,6  °/0,  im  Alter  von  30 — 39  Jahren  180  Fälle  mit  11  —  6,1  %  Versagern, 
während  bei  den  204  im  Alter  von  40 — 49  Jahren  operierten  Frauen 
nur  3  =  1,7  °/0,  bei  den  93  zwischen  50 — 59  Jahren  alten  Frauen  nur 
1  =  1,07  %  Versager  vorkamen,  während  bei  den  25  60 — 80  Jahre  alten 
Finnen  die  Methode  nie  versagte.  Auch  die  Nacherscheinungen  sind 
bei  jugendlichen  Individuen  häufiger.  Kopfschmerzen  kamen  in  etwa 
10%  vor,  langdauernde  hartnäckige  Kopfschmerzen  aber  nur  selten 
bei  jungen,  nervösen  Frauen.  In  einem  Falle  wurde  eine  Abduzens¬ 
lähmung  beobachtet,  die  nach  zwei  Monaten  zurückging.  In  zwei  un¬ 
mittelbar  hintereinander  (im  Jahre  1907)  operierten  Fällen  kam  es  zu 
Infektion,  wahrscheinlich  durch  Verwendung  einer  nicht  sterilen  Koch¬ 
salzlösung,  mit  der  die  damals  noch  in  Sodalösung  gekochten  Instru¬ 
mente  ausgespült  wurden ;  seitdem  erfolgt  die  Sterilisation  ohne  Zu¬ 
satz  von  Soda.  Der  eine  Fall  starb  an  diffuser  eitriger  Zerebrospinal- 
meningitis  (im  Eiter  Bact.  coli) ;  der  zweite  Fall  hatte  typische  meningi- 
tische  Symptome,  die  Lumbalpunktion  ergab  trüben  Liquor,  im  Sedi¬ 
ment  Eiter  mit  intrazellulär  gelegenen  Stäbchen,  bakteriologisch  konnten 
dieselben  nicht  als  pathogen  identifiziert  werden.  Es  wurde  die  Lumbal¬ 
punktion  noch  viermal  wiederholt  (über  80  ccm  entleert),  am  12.  Tage 
waren  Fieber-  und  die  sonstigen  Erscheinungen  ab  geklungen,  die  Frau 
genas.  Sonst  kamen  in  der  ganzen  Reihe  keine  Nachwirkungen  der 
Spinalanalgesie  zur  Beobachtung.  Autoreferat. 


1176 


Vorläufige  Mitteilungen  und  Autoreferate. 


Die  Behandlung  der  Lungenentzündung. 

(Schütz,  Burbach.  Zeitschr.  für  ärztl.  Fortbildung,  Nr.  11,  1.  Juni  1909.) 

Peinlichste  Beobachtung  des  Krankheitsverlaufes  verbessert  die 
Prognose  gegenüber  dem  Patalismus  mancher  Ärzte.  Hauptzweck  vor¬ 
liegender  Arbeit  ist,  hervorzuheben,  daß  ein  Nachlassen  der  Herzkraft 
nicht  erst  abgewartet  werden  darf,  sondern  daß  in  jedem  Falle  von 
Pneumonie,  auch  bei  Kindern,  betreffs  der  Herzkraft  eine  Prophylaxe 
nötig  ist,  die  in  jedem  Falle  in  Darreichung  von  Digitalis  besteht. 
Ist  die  Digitalis  Wirkung  deutlich  geworden,  dann  Pause,  eventl.  Auf¬ 
hören  der  Digitalisbehandlung,  zwecks  deren  Verf.  sich  meistens  des 
Digitalysatum  Bürger  bedient.  Während  der  Pause  zweistündlich  ein 
Kampferpulver.  Bei  drohendem  Lungenödem  unter  anderem  Oleum 
camphoratum  forte  oder  Coffeinum  natrio-salicylicum  subkutan,  (vor 
der  Krisis)  zuweilen  Venaesectio. 

Abends,  bei  hohem  Fieber  auch  morgens,  gebe  man  Phenacetin 
0,5 — 0,75,  Kindern  Antipyrin  0,06 — 0,25  und  mehr.  —  1 — 2  stündlich 
mache  man  kalte  Umschläge  um  Brust,  Bücken  und  Schultern,  oft  auch 
auf  den  Kopf.  Erwachsenen  ist  reichliches  Trinken  von  Weißwein 
nützlich,  Kindern  Tokayer  oder  Tee  mit  Kognak.  In  nicht  seltenen 
Fällen  scheint  der  Aderlaß  lebenrettend  zu  wirken,  z.  B.  ist  er  zu  ver¬ 
suchen  bei  langem  Ausbleiben  der  Krisis,  bei  vollblütigen  Menschen 
und  Patienten  mit  von  vornherein  etwas  zyanotischer  Gesichtsfarbe. 
Expektorantien  sind  nach  der  Krisis  angebracht,  meist  Dee.  rad.  Senegae 
mit  Liq.  Ammon,  anisat.  In  der  Bekonvaleszenz  gibt  Verf.  gern  ein 
Chinadekokt  oder  Sirolin. 


Die  Bedeutung  der  physikalischen  Eigenschaften  eines  Heilmittels  für 

seine  Dosierung. 

Von  Dr.  Oskar  Antze,  Bremen.  (Ther.  Rundschau,  Nr.  15,  1909.) 

Verfasser  geht  aus  von  den  neueren  Untersuchungen  über  das 
Wesen  der  Zellmembran,  die  (nach  O  vier  ton,  Nathanson  u.  a.)  aus 
lipoider  und  eiweißhaltiger  Substanz  besteht.  Man  unterscheidet  jetzt 
eine  physikalische  Permeabilität  für  lipoidlösliche  Stoffe  (hierzu  ge¬ 
hören  alle  Narkotika  in  weitestem  Sinne),  und  eine  physiologische  Per¬ 
meabilität  für  lipoidunlösliche  Stoffe  (die  meisten  Schwermetall-,  Alkali- 
und  Erdalkalisalze).  Lipoidlösliche  Stoffe  permeieren  unter  allen  Um¬ 
ständen,  während  die  Permeabilität  lipoidunlöslicher  Stoffe  von  will¬ 
kürlichen  Lebensäußerungen  der  Zelle  abhängig  ist,  und  zwar  von  dem 
Quellungszustand  der  Plasmahaut,  der  wieder  der  Ausdruck  herabge¬ 
setzter  oder  erhöhter  Erregbarkeit  ist. 

Hiervon  ausgehend  weist  Verfasser  auf  den  prinzipiellen  Unter¬ 
schied  hin,  der  hinsichtlich  der  Dosierung  lipoidlöslicher  und  lipoid¬ 
unlöslicher  Arzneien  bestehen  muß.  Während  lipoidlösliche  Arzneien 
in  genauem  Verhältnis  zu  ihrer  Dosierung  im  Innern  der  Zelle  zur 
chemischen  Wirksamkeit  kommen  (Narkotika),  ist  das  bei  den  lipoid- 
unlöslichen  Arzneien  (den  meisten  Salzen)  nicht  der  Fall,  denn  die  ge¬ 
sunde  Zellmembran  vermag  alle  lipoidunlöslichen  chemischen  Komplexe 
fernzuhalten,  die  nicht  zu  den  notwendigen  Komponenten  ihres  Stoff¬ 
wechsels  gehören.  Dieser  Abschluß  kommt  durch  den  Beiz  zustande, 
den  der  betreffende  chemische  Komplex  auf  die  Erregungskolloide  der 
Plasmahaut  ausübt.  Da  dieser  Beiz  vermieden  werden  muß,  können 
lipoidunlösliche  Arzneien  nach  Ansicht  des  Verf.  nur  von  einer  be- 


Referate  und  Besprechungen. 


1177 


stimmten  Verdünnung  ab  zur  chemischen  Wirksamkeit  innerhalb  der 
Zelle  kommen,  und  ein  Herabsetzen  der  Dosis  kann  unter  Umständen 
die  Wirkung  einer  Arznei  erhöhen  resp.  überhaupt  erst  ermöglichen. 
Günstiger  liegen  die  Verhältnisse  bei  kranken,  in  ihrer  Erregbarkeit 
herabgesetzten  Zellkomplexen,  denn  der  Zustand  der  herabgesetzten 
Erregbarkeit  hat  eine  Auflockerung  der  Plasmahautkolloide  zur  Folge 
und  damit  eine  über  das  Normale  gesteigerte  Permeabilität.  Aber  auch 
hier  muß  man  die  Dosis  klein  genug  wählen,  um  die  pathologische 
Auflockerung  der  Plasmahaut  zu  benutzen,  und  keinen  Reiz  zu  setzen, 
der  eine  Zusammenziehung  der  Erregungskolloide  hervorrufen  könnte. 

Nun  gibt  es  gerade  unter  den  lipoidunlöslichen  Stoffen  (den 
meisten  Salzen)  Arzneien  von  ausgesprochenem  Heil  wert.  Die  Erfah¬ 
rungen,  die  man  bei  Trinkkuren  in  Bädern  über  die  Wirkung  klein¬ 
ster  Mengen  bei  sonst  indifferenten  Stoffen  gemacht  hat,  sind  eine 
gute  Stütze  für  obige  Theorie. 

Es  besteht  nach  Ansicht  des  Verf.  ein  Mißverhältnis  zwischen 
lipoidlöslichen  und  lipoidunlöslichen  Arzneien :  Lipoidlösliche  haben 
durchweg  prompte  Wirkung,  in  genauem  Verhältnis  zur  Dosierung, 
aber  infolge  ihrer  narkotisierenden  Eigenschaft  wohl  nur  geringen  Wert 
im  Sinne  einer  direkt  heilenden  Arznei ;  unter  den  lipoidunlöslichen 
Arzneien  dagegen  gibt  es  sicher  viele,  die  eine  große  physiologische 
Und  therapeutische  Bedeutung  haben,  aber  ihrer  Anwendung  stellen 
sich  hinsichtlich  der  Dosierung  Schwierigkeiten  entgegen,  die  Adelleicht 
nur  in  der  ausgeführten  Weise,  durch  Herabsetzen  der  Dosis  (eventuell 
unter  eine  festgestellte  unwirksame  Grenze)  zu  beheben  sind. 

Autoreferat. 


Referate  und  Besprechungen. 

Bakteriologie  und  Serologie. 

Originalbericht  über  die  Tagung  der  freien  Vereinigung  für  Mikrobiologie,  Juni  1908. 

Beitrag  zur  Frage  der  Schnelldiagnose  der  Tuberkulose  im  Tierversuche. 

(Dieterlen.  Zentralbl.  für  Bakt.,  Bd.  47.) 

Verfasser  hält  die  nach  subkutaner  Injektion  auf  tretende  Schwellung 
der  gequetschten  Drüsen  für  Tuberkulose  für  nicht  spezifisch.  Die  Wahr¬ 
scheinlichkeit  für  Tuberkulose  wird  größer  bei  dem  Nachweis  von  säurefesten 
Stäbchen.  Eine  Diagnose  auf  Tuberkulose  ist  jedoch  erst  zu  stellen,  wenn 
die  inneren  Organe  einen  deutlichen  Befund  von  tuberkulösen  Veränderungen 
aufweisen.  Unter  allen  Umständen  ist  stets  eine  sechswöchige  Versuchs¬ 
zeit  abzuwarten.  Schürmann  (Düsseldorf). 


Das  Verhalten  der  Tuberkelbazillen  in  indifferenten  Fliißigkeiten. 

(Bartel  u.  Neumann.  Zentralbl.  für  Bakt.,  Bd.  47,  H.  4.) 

Als  indifferente  Flüssigkeiten  wählten  Verfasser  eine  l°/0ige  Nährstoff- 
Heyden-Lösung,  ferner  Wasser  mit  reichlichem  Sputumzusatz  und  eventuell 
Ringer-Loeb’sche  Flüssigkeit  mit  3°/0igem  Glyzerinzusatz  und  Glyzerin¬ 
bouillon.  Für  die  Virulenz  sind  folgende  Lösungen,  wie  destilliertes  Fluß-, 
Regenwasser,  0,75 — 0,9°/0ige  NaCl -Lösung,  reine  Bouillon  nicht  gleichgültig. 
Glyzerinzusatz  erhöht  die  Schädlichkeit  noch  mehr,  dagegen  erweist  er  sich 
bei  wirklich  indifferenten  Aufschwemmungsflüssigkeiten  von  großem  Werte 
für  das  Wachsen  und  die  Erhaltung  der  Virulenz  der  Tuberkelbazillen. 

Schürmann  (Düsseldorf). 


1178 


Referate  und  Besprechungen. 


Die  Intradermo-Reaktion  auf  Tuberkulin. 

(P.  Lereboullet.  Progres  med.,  Nr.  7,  S.  87 — 91,  1909.) 

Wenn  einer  in  etwa  100  Jahren  retrospektiv  eine  Geschichte  der  Medizin 
schreibt,  wird  er  ein  besonderes  Kapitel  der  Tuberkulinepidemie  widmen 
müssen.  Einer  Anzahl  von  Ärzten  um  die  Wende  des  XIX.  zum  XX.  Jahr¬ 
hundert  —  so  ungefähr  dürfte  er  sich  ausdrücken  —  genügten  die  Fest¬ 
stellungen  der  Anatomen  nicht,  wonach  zis  zu  90%  der  Menschen  tuber¬ 
kulöse  Herde  in  sich  bergen.  Sie  wollten  die  Diagnose  auch  chemisch  sichern 
und  glaubten,  das  mit  Hilfe  von  Injektionen  von  Tuberkelbazillen-Extrakten 
erreichen  zu  können.  '  Die  Irrtümer,  die  da  zugrunde  lagen,  bestanden  zu¬ 
nächst  in  der  Annahme,  daß  alle  Menschen  in  der  gleichen  Weise  reagieren 
müßten,  und  dann  darin,  daß  für  den  Arzt  gar  nicht  der  Nachweis  eines 
eventuellen  tuberkulösen  Herdes  im  Mittelpunkt  des  Interesses  steht,  sondern 
die  Widerstandsfähigkeit  des  Organismus;  diese  ist  aber  ihrer  Natur  nach 
etwas  Fließendes,  etwas  Stetsveränderliches  je  nach  den  Faktoren,  welche 
auf  das  Individuum  einwirken. 

Zum  Beweise,  daß  schon  zu  Anfang  des  XX.  Jahrhunderts  einzelne 
diese  Entgleisungen  der  medizinischen  Logik  fühlten,  könnte  der  spätere 
Geschichtsschreiber  füglich  die  Schlüsse  zitieren,  zu  denen  die  vorliegende 
Arbeit  kommt:  „Fällt  die  Intradermoreaktion  positiv  aus,  so  darf  man  noch 
lange  nicht  annehmen,  daß  die  Bronchitis  oder  was  sonst  gerade  vorliegen  mag, 
tuberkulöser  Natur  sei“;  und  umgekehrt:  „Negative  Intradermoreaktion  be¬ 
weist  keineswegs  Freisein  von  Tuberkulose“. 

Wer  aber  trotzdem  glaubt,  die  Reaktion  anstellen  zu  sollen,  injiziere 
von  einer  Tüberkulinlösung  1  :  5000  einen  Tropfen  (=  0,01  mg  =  0,00001  g) 
in  das  Derma;  er  wird  dann  nach  24 — 48  Stunden  eine  zweimarkstückgroße 
Infiltration  mit  zentralem  Knötchen  beobachten,  die  sich  langsam  in  einigen 
Wochen  verliert.  Zweifellos  höchst  interessant;  aber  ein  Königreich  dem, 
der  darauf  eine  sichere,  absolut  zuverlässige  Diagnose  aufzubauen  vermag ! 

________  •  Buttersack  (Berlin). 

Tuberkulin  reproduziert  Dermatosen  bei  Nicht-Tuberkulösen. 

(J.  Thibierge  u.  P.  Gastinel.  Soc.  med.  des  höpitaux,  23.  4.  1909.) 

Die  genannten  Ärzte  haben  verschiedenen  Kranken  mit  Dermatosen. 
(Erythemen)  Tuberkulin  1 :  100  mg  intrakutan  appliziert  und  dann  nach 
ca.  30  Stunden  eine  lokale  Reaktion  von  dem  Typus,  von  welchem  der  im  übrigen 
gesunde  Pat.  befallen  war,  beobachtet.  So  entstanden  je  nachdem  Urtikaria¬ 
quaddeln,  oder  papulöse  Erytheme  usw. 

Kontrollversuche  mit  Diphtherie-Tetanusserum  und  physiologischer  Koch¬ 
salzlösung  hatten  den  gleichen  Effekt,  nur  daß  die  Erscheinungen  bei  NaCl- 
Lösung  kleiner,  bei  Diphtherieserum  ausgedehnter  ausfielen.  Das  Wesentliche 
ist  demgemäß  eine  besondere  Reizbarkeit  der  Haut,  une  reactivite  cutanee 
speciale;  den  genannten  Agentien  (vielleicht  auch  noch  anderen  Einflüssen) 
kommt  nur  die  Bedeutung  einer  Gelegenheitsursache  zu.  Buttersack  (Berlin). 


Tuberkulmreaktion,  speziell  über  eine  Äurikuloreaktion. 

(V.  Tedeschi,  Padua.  Archiv  für  Kinderheilk.,  Bd.  49,  H.  3  u.  4.) 

T.  kam  bei  dem  Wunsche  nach  einer  Körperregion,  die  dank  eines 
härteren  Substrates,  wegen  ihrer  Vaskularisation  und  ihrer  Durchsichtigkeit 
eine  sichere  Schätzung  der  tieferen  Erscheinungen  nach  angestellter  Tüberkulin- 
ieaktion  gestatte,  auf  die  pars  horizontalis  der  Ohrmuschel.  Er  beobachtete 
dabei  Verhärtung  des  Derma,  in  anderen  Fällen  Rötung  und  Schwellung, 
manchmal  an  der  Injektionsstelle  eine  Blase,  welche  12 — 24h  zur  Entwick¬ 
lung  braucht,  um  nach  2 — 3h  auszutrocknen.  T.  benützt  zu  seiner  Reaktion 
eine  exakt  gedichtete  Spritze  und  äußerst  geringe,  genau  dosierte  Quanti¬ 
täten  Tuberkulins.  (Angaben  über  die  Herkunft  und  Menge  des  verwendeten 
Stoffes  fehlen.)  Reiss. 


Referate  und  Besprechungen. 


1179 


Innere  Medizin. 

Zur  Kenntnis  der  einfachen  nicht  tuberkulösen  Kollapsinduration  der 
rechten  Lungenspitze  bei  chronisch  behinderter  Nasenatmung. 

(D.  G.  Richter,  Wölfeisgrund.  Deutsche  med.  Wochenschr.,  Nr.  18,  1909.) 

In  differentialdiagnostischer  Beziehung  ist  die  Kenntnis  eines  zuerst 
von  Krönig  erkannten  und  geschilderten  Symptomenkomplexes  von  Wichtig¬ 
keit,  der  als  einfache  nichttuberkulöse  Kollapsinduration  der  rechten  Lungen¬ 
spitze  bei  chronisch  behinderter  Nasenatmung  zu  bezeichnen  ist.  Individuen, 
bei  denen  die  Nasenatmung  längere  Zeit  ausgeschaltet  ist,  zeigen  häufig 
schon  bei  der  Inspektion  eine  Schrumpfung  der  rechten  Lungenspitze  mit 
mangelhafter  Atmung  derselben.  Die  Perkussion  ergibt  daselbst  Dämpfung 
sowie  geringe  oder  beträchtlichere  Einengung  des  Spitzenschallfeldes,  Bei 
der  Auskultation  findet  sich  entweder  unverändertes  Atmen  oder  auch  alle 
Modifikationen  des  Atemgeräusches.  Die  Bronchophonie  kann  verstärkt  sein. 
Die  Verschieblichkeit  der  unteren  Lungengrenzen  ist  meist  erhalten.  Im 
Auswurf  sind  nur  Kokken  und  Epithelien  der  oberen  Luftwege  nachweisbar. 
Dem  Krankheitsbilde  fehlen  jedoch  Fieber,  Gewichtsabnahme,  Appetitlosigkeit 
und  Pulsbeschleunigung,  während  Mattigkeit,  Husten,  Brustschmerzen  und 
Nachtschweiße  zuweilen  vorhanden  sind.  Die  Ursache  der  Erkrankung  bildet 
der  inhalierte  Staub  und  die  nicht  erwärmte,  nicht  angefeuchtete  und  unge¬ 
reinigte  Inspirationsluft.  Wegen  Einleitung  einer  richtigen  Therapie  und 
wegen  der  Gefahr,  daß  derartige  Kranke  in  Lungenkurorte  geschickt  werden 
könnten,  wo  ihre  angegriffene  Spitze  leicht  tuberkulös  infiziert  werden  könne, 
ist  eine  genaue  Kenntnis  dieses!  Krankheitsbildes  und  seiner  Ursachen  unbe¬ 
dingt  erforderlich.  Richter  gibt  die  Krankengeschichten  von  acht  derartigen 
Patienten  ausführlich  wieder.  Eine  Tuberkulinprobe  hat  er  nicht  vorge¬ 
nommen;  diese  ist  nach  Krönig  in  Fällen,  denen  alle  allgemeinen  Zeichen 
der  Tuberkulose  dauernd  fehlen  und  deren  Pleura  intakt  ist,  so  daß  ihre 
freie  respiratorische  Bewegung  in  den  Komplementärräumen  erhalten  bleibt, 
nicht  unbedingt  erforderlich.  Von  Wichtigkeit  ist  auch,  daß  stets  nur  die 
rechte  Spitze  ergriffen,  sowie  daß  eine  Behinderung  der  Nasenatmung  vorhanden 
war.  Die  Richtigkeit  der  Diagnose  konnte  ferner  durch  den  günstigen  Erfolg  der 
angewandten  Therapie,  die  in  Verkleinerung  der  hypertrophischen  Nasenschleimhaut 
bestand,  bestätigt  werden.  F.  Walther. 


Die  Frühdiagnose  der  verschiedenen  TuberknSoseformen  und  der  Einfluß 
der  nordischen  Heere  (Ost-  und  Nordsee)  auf  Tuberkulose. 

(A.  Hennig,  Königsberg  i.  Pr.  Klin.-ther.,  Wochenschr.,  Nr.  2,  1909.) 

Die  trotz  aller  staatlichen  und  privaten  Maßregeln  der  letzten  Jahr¬ 
zehnte  immer  noch  recht  bedeutende  Sterblichkeit  an  Tuberkulose  ist  größten¬ 
teils  dem  Mangel  einer  gründlichen  Kenntnis  der  klinisch  frühdiagnostischen 
Methoden  seitens  der  Ärzte  zuzuschreiben.  Erkenntnis  der  ersten  Anfänge  der 
Tuberkulose  zu  einer  Zeit,  da  das  Individuum  scheinbar  gesund  und  wohl  ist, 
also  noch  kräftig  und  widerstandsfähig  zum  Kampf  mit  den  Bazillen  ist, 
wird  die  Mortalität  und  Morbidität  der  Tuberkulose  am  ehesten  herunter¬ 
setzen.  Die  früh  diagnostischen  Methoden  sind:  1.  Spitzenperkussion  nach 
Krönig,  Auskultation  nach  einer  durch  Narkotika  ruhigen  Nacht;  2.  Spu¬ 
tumuntersuchung,  a)  auf  Tuberkelbazillen,  b)  auf  Lymphozyten ;  diese  ist 
besonders  wichtig,  weil  bei  beginnender  Tuberkulose  die  Lymphozyten  oft 
33—90%  der  Sputumzellen  ausmachen;  ihr  Vorhandensein  in  solcher  Menge 
ist  stets  verdächtig  auf  Tuberkulose;  c)  auf  elastische  Fasern;  3.  Thermo- 
metrie;  selbst  bei  geringster  Infektion  mit  Tuberkelbazillen  bestehen  stets 
Temperaturschwankungen;  Messungen  müssen  zwei-  bis  dreistündlich  gemacht 
werden;  4.  Röntgenverfahren,  und  zwar  nicht  nur  Durchleuchtung,  sondern 
Röntgenogramm ;  durch  dieses  sind  selbst  kleinste  Herde,  namentlich  am 
Hilus,  sowie  besonders  die  kindliche  Bronchialdrüsentuberkulose  früh  zu  er- 


1180 


Referate  und  Besprechungen. 


kennen;  5.  Zytodiagnose  aus  den  Exsudaten  nach  Wolf f-Elsner ;  6.  Kutan- 
und  Konjunktivalreaktion.  —  Auch  hei  Kehlkopfsymptomen  ist  frühzeitige 
Feststellung  des  Charakters  der  Erkrankung  notwendig.  An  Hand  seiner 
langjährigen  Beobachtungen  rühmt  Verfasser  den  äußerst  günstigen  Einfluß 
des  Ost-  und  Nordsee-Klimas  auf  die  Tuberkulose  der  oberen  Luftwege.  Ohne 
die  großen  finanzeilen  Opfer  eines  Hochgebirgs-  und  Südklimaaufenthalt'es 
ist  weitesten  Kreisen  der  Bevölkerung  ein  heilsamer  Aufenthalt  daselbst 
möglich ;  im  ersten  Stadium  bringt  derselbe  meistens  völlige  Heilung,  im 
zweiten  wesentliche  Besserung.  Im  ganzen  sind  die  Ostseebäder  zu  bevor¬ 
zugen.  Mit  der  klimatischen  Kur  muß  eine  hygienisch-diätetische,  medi¬ 
kamentöse,  eventl.  lokale  Behandlung  (bei  Kehlkopftuberkulose)  verbunden 
.  werden.  —  Der  Grund  der  vorzüglichen  Wirkung  ist  in  der  reinen,  staub- 
und  keimfreien  Luft,  den  günstigen  Temperaturverhältnissen,  dem  hohen 
Ozongehalt  der  Luft  u.  a.  Momenten  zu  suchen.  Peters  Eisenach. 


Aus  der  med.  Universitäts-Poliklinik  in  Heidelberg  (Geh.  Hofrat  Prof.  Dr.  Fleiner). 

Beitrag  zur  Behandlung  der  Lungenkrankheiten  mit  Kuhn’scher  Saugmaske. 

(Assistenzarzt  Dr.  J.  H.  Greeff.  Münch,  med.  Wochenschr.,  Nr.  18  u.  19,  1909.) 

G  ree  ff  hat  bei  22  Patienten  mit  Lungenerkrankungen  verschiedenster 
Art  die  Kuhn’sche  Saugmaske  angewandt.  Es  ist  dabei  eine  exakte  Aus¬ 
führung  der  Übungen  bei  richtiger  Körperlage  und  ständige  Beaufsichtigung 
durch  Pflegepersonal  unbedingt  erforderlich.  Anfangs  wird  die  Maske  Zweimal 
zehn  Minuten  am  Tage  angewendet,  wobei  der  zur  Luftregulierung  dienende 
Schieber  nur  ganz  allmählich  vorgerückt  wird.  Die  sonstige  Behandlung 
bestand  in  diätetischen  Vorschriften,  in  einigen  Fällen  in  medikamentären 
Verordnungen.  Der  Erfolg  war  bei  einigen  Kranken  mit  Lungentuberkulose 
oder  Bronchitis  eine  entschiedene  Besserung,  bei  Bronchiektasien  war  er 
ganz  besonders  günstig,  der  Auswurf  nahm  hier  beständig  ab,  Entfieberung, 
Hebung  des  Kräfte-  und  Ernährungszustandes  trat  ein. 

Gleich  anderen  Autoren  konnte  Greeff  eine  Vermehrung  des  Hämo¬ 
globingehaltes,  sowie  der  roten  Blutkörperchen  konstatieren.  Die  Verringerung 
der  Auswurfmenge  kann  er  bestätigen,  die  Untersuchung  derselben  auf  Bazillen 
ergab  in  mehreren  Fällen  Verschwinden  der  Tuberkelbazillen,  in  zwei  Fällen 
fand  er  Herzfehlerzellen,  was  vielleicht  auf  eine  starke  Hyperämie  zurück- 
züführen  ist.  Auf  die  Beweglichkeit  des  Thorax,  die  Kapazität  der  Lungen 
und  Stärke  der  Thoraxmuskulatur  hat  die  Anwendung  der  Saugmaske  ent¬ 
schieden  günstigen  Einfluß.  Die  Gewichtsverhältnisse  der  Tuberkulösen 
scheinen  sich  gleichfalls  zu  bessern.  Die  Untersuchung  des  Blutdrucks  ergab 
eine  leichte  Herabsetzung.  Der  Puls  wird  ruhiger,  gleichmäßiger,  kräftiger 
und  voller.  Bei  fieberenden  Patienten  konnte  Greeff  bisweilen  Sinken  der 
Temperatur  beobachten.  Schließlich  wird  durch  die  Maske  ein  Müdigkeits¬ 
feefühl  und  Schlafbedürfnis  hervorgerufen.  Bei  Patienten  mit  Hämoptoe 
ist  die  Methode  weniger  angebracht.  F.  Walther. 


Über  Asthma  bronchiale  und  dessen  Behandlung  mit  Atropin. 

(Paul  v.  Terray.  Med.  Klinik,  Nr.  3,  1909.) 

Die  Arbeit  enthält  eine  zusammenfassende  Darstellung  der  Geschichte 
der  Atropinbehandlung  des  Asthma  bronchiale  bez.  Asthma  nervosum,  wie 
man  besser  sagen  sollte,  da  in  dem  Bilde  des  typischen  Asthma  eine  nervöse 
Kompenete  nicht  vermißt  wird.  Sodann  werden  die  Resultate  der  Atropin¬ 
behandlung  an  sieben  eigenen  Fällen  —  sämtlich  weibliche  Patienten  be¬ 
treffend,  mitgeteilt.  Die  Erfolge  sind  teilweise  sehr  gut,  teilweise  als  gut 
zu  bezeichnen ;  trotzdem  stellt  auch  das  Atropin  eine  Panazee  gegen  das 
Asthma  nicht  dar.  Die  Darreichung  des  Atropins  geschah  in  Pillenform, 
die  Pille  enthält  1/2  mg,  und  es  wurde  mit  der  Darreichung  einer  Pille 
begonnen  und  nach  einigen  Tagen  gestiegen,  bis  auf  2,  bei  einer  auch  3  mg 


Referate  und  Besprechungen. 


1181 


tägl.  Unangenehme  Nebenwirkungen  sah  Terray  nicht.  —  Eumydrin,  das 
einer  Kranken  an  Stelle  von  Atropin  gegeben  wurde,  erreichte  in  diesem! 
Falle  die  Wirkung  des  Atropins  nicht.  —  Durch  subkutane  Anwendung  von  1  mg 
gelang  es  einmal,  einen  Anfall  gänzlich  zu  kupieren.  R.  Stüve  (Osnabrück). 


Chirurgie. 

Temporärer  Verschluß  des  Colon  bei  Resektionen  oder  Ausschaltung 

des  Darms. 

(Prof.  AVilms,  Basel.  Deutsche  Zeitschr.  für  Chir.,  Bd.  96,  H.  1 — 3.) 

Bei  entzündlichen  Affektionen  des  Dickdarms  (Gonorrhöe,  Lues,  Dysen¬ 
terie)  ist  es  geboten,  den  Darm  temporär  auszuschalten.  Wenn  zu  diesem  Zweck 
auch  bisher  die  Kolostomie  mit  gutem  Erfolg  ausgeführt  wurde,  so  lag  es 
doch  nahe,  einen  innerhalb  der  Bauchhöhle  liegenden  Verschluß  des  Darms 
herbeizuführen,  der  jederzeit  ohne  weiteren  operativen  Eingriff  gelöst  werden 
kann.  Von  dieser  Erwägung  aus  geht  Wilms  derart  vor,  daß  er  den  Darm 
in  einen  starken  nach  Art  einer  Haarnadel  gebogenen  Metalldraht  hineinlegt, 
dessen  eines  Ende  durch  das  Mesenterium  hindurchgeführt  wird.  Die  zu¬ 
sammenliegenden  Spitzen  des  Drahtes  werden  lose  umschnürt,  der  Anschnü¬ 
rungsfaden  nach  außen  geleitet;  der  Darm,  ohne  daß  er  eine  schädigende 
Quetschung  erfährt,  derart  zusammengedrückt,  daß  eine  Kotpassage  unmög¬ 
lich  wird.  Der  Darminhalt  wird  durch  eine  oberhalb  der  Nadel  liegende  Stelle 
durch  eine  seitliche  Kolostomie  abgeleitet.  Das  gebogene  Ende  der  Nadel 
bleibt  in  der  Wunde  sichtbar.  Meist  ist  eine  Öffnung  des  Darms  erst  nach 
12—24  Stunden  notwendig.  Eine  Schädigung  des  Darms  wird  durch  die  Nadel 
nicht  hervorgerufen,  doch  muß  dafür  Sorge  getragen  werden,  daß  die  Fistel 
bis  zur  Lösung  der  Darmabschnürung  breit  offen  bleibt. 

Die  anfangs  für  die  Darmausschaltung  bei  ulzerösen  Prozessen  ge¬ 
dachte  Methode  hat  sich  auch  bei  der  Exstirpation  von  Tumoren  des  Darms, 
vor  allem  der  tiefsitzenden  Kolonkarzinome,  bei  denen  eine  Entlastung  der 
Nahtstelle  für  die  Heilung  der  Darmwunde  sehr  wichtig  ist,  bewährt.  Verf.  ist 
es  auf  diese  Weise  sogar  gelungen,  nach  der  Exstirpation  eines  tief  im  kleinen 
Becken  liegenden  Mastdarmkarzinoms  mit  Erfolg  auf  die  Naht  zu  verzichten; 
die  Darmstücke  wurden  3 — 4  cm  weit  invaginiert  und  das  invaginierte  Darm¬ 
ende  durch  vier  durch  den  After  geführte  Zügel  fixiert  gehalten.  Die  Heilung 
erfolgte  ungestört;  der  Stuhl  entleerte  sich,  nachdem  die  schnürende  Nadel 
nach  sechs  Wochen  entfernt  war,  auf  regelrechte  Weise.  F.  Kayser  Köln). 


Zur  Therapie  der  Darm-Blasenfsstel  mittelst  Darmausschaltung. 

(AV.  Sachs,  Mühlhausen  i.  E.  Deutsche  Zeitschr.  für  Chir.,  Bd.  96,  H.  4 — 6.) 

Eine  60jährige  Patientin  erkrankte  acht  Tage  nach  der  operativen  Be¬ 
seitigung  einer  eingeklemmten  linksseitigen  Schenkelhernie  an  Urinbeschwer¬ 
den  (Abgang  trüben,  übelriechenden  Urins,  starker  Urindrang).  Die  Unter¬ 
suchung  ergab  Luftgehalt  des  Urins,  Beimengung  von  Darminhalt  (mikro¬ 
skopisch  wurjden  Pflanzenzellen,  Muskelfasern  mitj  gut  erhaltener  Quer¬ 
streifung  nachgewiesen),  eine  vom  linken  Scheidengewölbe  aus  nachweisbare 
Resistenz ;  zystoskopisch  ließ  sich  eine  in  der  Mitte  der  linken  Seitenwand 
der  Blase  befindliche  schwarze,  kraterähnliche  Stelle  als  Ausdruck  einer 
Kommunikation  mit  einem  Darmstück  feststellen. 

Bei  der  Laparotomie  wurde  auf  Lösung  dieser  mit  der  Blase  verwach¬ 
senen  Dünndarmschlinge  verzichtet.  Ein  za.  15  cm-Stück  der  Darmschlinge 
wurde  aus  der  Kontinuität  herausgeschnitten,  ihre  beiden  Enden  durch  Naht 
geschlossen.  Die  Darmstümpfe  wurden  mittels  Murphyknopf  vereinigt.  Un¬ 
gestörte  Rekonvaleszenz ;  der  Blasenkatarrh  ging  langsam  zurück  und  heilte  aus, 
so  daß  Pat.,  die  schon  vor  acht  Jahren  operiert  wurde,  dauernd  gesund  blieb. 
Verf.  stellt  aus  der  Literatur  die  wegen  gutartiger  Blasendarmfisteln  operativ 
behandelten  Fälle  —  im  ganzen  31  —  zusammen,  von  denen  17  starben, 


1182 


Referate  und  Besprechungen. 


14  geheilt  oder  gebessert  wurden.  Als  Operationsmethoden  kamen  Durch¬ 
trennung  des  Fistelgangs  mit  isolierter  Naht  von  Darm  und  Blase,  Naht 
der  Fistelöffnung  in  der  Blase  nach  sectio  alta  und  die  Kolotomie  zur  An¬ 
wendung.  Letztere  gibt  naturgemäß  nur  vorübergehende  Besserungen ;  sie 
kommt  nur  in  Betracht  für  Blasendickdarmfisteln.  Für  Blasendünndarm¬ 
fisteln  scheint  nach  der  vorliegenden  Beobachtung  die  bisher  nicht  angewandte 
Darmausschaltung  ein  durchaus  brauchbares  Operationsverfahren  zu  bilden. 
Die  Gefahr,  daß  durch  den  in  den  ausgeschalteten  Darm  übertretenden  Urin 
sich  Inkrustationen  des  Darmes  bilden,  scheint  nicht  groß  zu  sein,  da  bei  dem 
Schrumpfungsprozeß,  welchen  der  Darm  erfährt,  wahrscheinlich  eine  Behin¬ 
derung  des  Urinabflusses  ein  tritt.  Jedenfalls  können  in  dieser  Frage,  für 
welche  bisher  nur  der  Fall  des  Verf.  vorliegt,  lange  Jahre  hindurch  fortge¬ 
setzte  Beobachtungen  das  letzte  Wort  sprechen.  F.  Kayser  (Köln). 


Klinische  Studie  über  die  Veränderungen  in  paretischen  Muskeln,  die 
durch  seitliche  Sehnennaht  mit  gesunden  Muskeln  verbunden  sind. 

(Fr.  Bucceri.  Arch.  di  Ortopedia,  Nr.  2,  1909.) 

Bucceri  gelangt  zu  dem  Resultat,  daß  die  seitliche  Sehnennaht  gewöhn¬ 
lich  den  paralytischen  Muskel  bessert,  vorausgesetzt,  daß  keine  besonderst 
ungünstigen  Nebenumstände  vorliegen.  Ob  dabei  kollaterale  Nervenfasern 
im  Spiele  sind  oder  ob  der  kranke  Muskel  durch  die  passiven  Kontraktionen 
angeregt  wird,  bleibt  unerklärt;  jedenfalls  kann  ein  Muskel,  der  die  faradische 
Reaktion  verloren  hat,  auf  diese  Weise  wieder  anfangen  zu  funktionieren. 

F.  von  den  Velden. 


Bemerkungen  über  die  operative  Behandlung  der  erweiterten  Saphena. 

(J.  S.  Lewis.  Amer.  Journ.  of  Surg.,  Nr.  6,  1909.) 

L.  beschreibt  die  Modifikationen  der  Kellar’schen  Ausziehung  der 
Saphena,  die  er  in  einem  vorher  mit  doppelter  Durchschneidung,  aber  ohne 
dauernden  Erfolg  behandelten  Falle  angewendet  hat.  Die  Saphena  wurde 
von  7  cm  unterhalb  des  Abgangs  von  der  vena  femoralis  bis  5  cm  ober¬ 
halb  des  malleolus  internus  von  drei  queren  Schnitten  aus  entfernt.  An¬ 
statt  aber  nach  Kellar’s  Vorgang  eine  Öhrsonde  durch  die  Vene  zu  schieben, 
das  Ende  anzubinden  und  so  die  Vene  in  sich  selbst  einzustülpen  und 
auszuziehen,  verwandte  L.  eine  glatte  Sonde  mit  einer  ringförmigen  Ein¬ 
kerbung  am  Ende,  um  welche  die  Vene  mit  einem  Seidenfaden  geschnürt 
wurde.  Es  entstand  die  übliche  Ecchymose  entlang  der  Lage  der  Vene,  doch 
sonst  keine  üblen  Folgen.  Stärkere  Seitenäste  werden  vor  dem  Ausziehen 
subkutan  durchschnitten.  Die  Methode  versagt,  wenn  die  Vene  stark  geschlän¬ 
gelt  oder  mit  der  Haut  verwachsen  ist.  L.  zieht  es  vor,  in  die  Vehe  naßh 
doppelter  Durchschneidung  von  oben  (entgegen  dem  Blutstrom)  einzudringen, 
im  Gegensatz  zu  dem  vorgeschlagenen  Verfahren,  von  unten  vor  Anlegung 
der  oberen  Ligatur  die  Sonde  in  die  Vene  einzuführen;  letztere  Weise  hat 
den  Vorzug,  daß  man  auf  den  Sondenknopf  einschneiden  kann,  könnte  aber 
zu  Embolie  Anlaß  geben.  Fr.  von  den  Velden. 


Gynäkologie  und  Geburtshilfe. 

Zur  operativen  Anzeigestellung  bei  chronischen  entzündlichen 

Adnexerkrankungen. 

(Pro ch ownick,  Hamburg.  Monatsschr.  für  Geb.  u.  Gyn.,  Bd.  29,  S.  134.) 

Pr.  betont  ausdrücklich,  daß  auf  Grund  des  entzündlichen  Charakters 
der  Adnexerkrankungen  zunächst  stets  eine  Heilung  der  Entzündung  mit 
Erhaltung  der  Organe  anzustreben  ist.  Erst  nach  Erfüllung  dieser  Vor¬ 
aussetzung  kommt  der  operative  Eingriff  in  Frage;  doch  liegt  es  im  Interesse 


Referate  und  Besprechungen. 


1183 


der  Kranken,  die  diesbezügliche  Auslese  möglichst  frühzeitig  zu  treffen., 
Die  Ätiologie  läßt  sich  leider  zu  dem  Zwecke  nicht  verwerten;  nur  die 
genaue  Krankenhausbeobachtung  eventl.  wiederholte  konservative  Kuren  lassen 
die  geeignete  Operationsauswahl  treffen.  Nach  seinen  Erfahrungen  wider¬ 
stehen  ca.  5%  derartiger  Fälle  von  vornherein  der  konservativen  Behand¬ 
lung  und  verfallen  dem  Messer;  der  operative  Eingriff  erst  macht  sie  wieder 
gesund,  falls  Tuberkulose  nicht  mit  im  Spiele  ist>  Ca.  15%  zeigen  zu¬ 
nächst  subjektive  Scheinerfolge  der  konservativen  Behandlung,  während  der 
objektive  Befund  sich  kaum  bessert.  Da  diese  Fälle  nach  der  2.  oder 
3.  konservativen  Behandlung  doch  noch  operiert  werden  müssen,  glaubt  Pr. 
sie  einem  frühzeitigeren  Eingriffe  zuweisen  zu  müssen,  wodurch  Mortalität 
und  postoperative  Morbidität  gebessert  würden.  In  dieser  Gruppe  spielen 
ätiologische  Adnexinfektionen  vom  Darme  aus  und  Gonorrhöe  mit  Tuber¬ 
kulose  kombiniert  eine  Rolle.  Rein  tuberkulöse  Adnexerkrankungen  sind 
tunlichst  nicht  operativ  anzugreifen;  falls  lokale  Beschwerden  zum  Ein¬ 
griff  drängen,  muß  dieser  frühzeitig  und  ganz  radikal  sein. 

Dauernde  Fistelgeschwülste  sollen,  wenn  man  sie  nicht  extraperitoneal 
drainieren  kann,  möglichst  früh  und  radikal  operiert  werden. 

Frankenstein  (Köln). 


Ueber  die  Resorptionsfähigkeit  der  Schleimhaut  der  Vagina  und  des  Uterus. 

(Dr.  S.  Higuchi.  Archiv  für  Gyn.,  Bd.  86,  H.  3,  1908.) 

H.  stellte  durch  zahlreiche  klinisch-chemische  Versuche  fest,  daß  die 
Scheidenschleimhaut  Medikamente,  wie  Jodkali,  Salizylsäure,  Strychnin  zu) 
resorbieren  vermag.  Das  beste  Vehikel  ist  Kakaobutter  (Vaginalkugeln), 
dann  kommt  Wasser,  am  schlechtesten  ist  das  vielbeliebte  Glyzerin.  Durch 
seine  bekannte  wasserentziehende  Wirkung  tmuß  es  ja  a  priori  der  Re¬ 
sorption  entgegenwirken.  Muß  Glyzerin  durchaus  angewendet  werden,  dann 
räumlich  und  zeitlich  getrennt  von  den  zu  resorbierenden  Arzneimitteln. 
—  Von  der  Uterushöhle  wird  eingespritzte  wässerige  Jodkalilösung  eben¬ 
falls  resorbiert.  R.  Klien  (Leipzig). 


Behandlung  des  Gebärmuttervorfalls  mit  Chinininjektionen  in  die 

Ligamenta  lata. 

(J.  Inglis  Parsons.  The  Practitioner,  Nr.  3,  1909.) 

Parsons  bekämpft  die  Ansicht,  daß  der  Uterus  durch  den  Becken¬ 
boden  und  den  intraabdominalen  Druck  in  seiner  Stellung  gehalten  werde. 
Zerrissene  Dämme  ohne  Prolaps  sind  häufig,  P.  hat  sogar  eine  Kranke  mit 
seit  fünfzehn  Jahren  bestehenden  Dammriß  (bis  ins  Rektum),  aber  ohne 
Prolaps,  operiert.  Andererseits  beobachtet  man  Vorfälle  bei  Jungfrauen.  Mag 
der  Beckenboden  noch  so  gut  repariert  werden,  er  bietet  keine  Garantie 
für  Heilung  des  Prolapses. 

Der  intraabdominale  Druck  (oder  richtiger :  negative  Druck)  könnte 
selbst  dann,  wenn  er  existierte,  den  Uterus  nicht  zurückhalten,  denn  die 
Atmosphäre  drückt  nicht  nur  aufs  Perinäum,  sondern  auch  auf  die  größere 
Fläche  des  Abdomens,  würde  also  den  prolabierten  Uterus  nicht  in  die  Bauch¬ 
höhle  treiben  können.  Der  intraabdominale  Druck  existiert  aber  gar  nicht, 
wie  schon  daraus  zu  ersehen  ist,  daß  die  äußere  Luft  durch  die  Tuben  mit 
der  Peritonealhöhle  kommuniziert. 

Seinen  hauptsächlichen  Halt  bekommt  der  Uterus  vom  subperitonealen, 
die  Gefäße  umgebenden  Bindegewebe  der  Ligam.  lata  sowie  von  den  ein¬ 
gestreuten  Muskelfasern.  Der  haltende  Strang  verläuft  von  der  Fascia  ob- 
turatoria  zum  Zervix. 

Die  Ventrofixation  verwirft  P.  wegen  ihrer  üblen  Folgen  bei  eintre- 
tender  Gravidität,  nicht  aber  die  Ventrosuspension  nach  Kelly.  Eine  idealere 
Methode  bestände  indessen  in  der  Verstärkung  der  Ligamenta  lata.  Eine 
solche  hat  P.  versucht,  indem  er  Chinin  injizierte,  ausgehend  von  der  Er- 


1184 


Referate  und  Besprechungen. 


fahrung,  daß  nach  subkutanen  Chinininjektionen  (gegen  Malaria)  eine  Schwel¬ 
lung  entsteht,  die  einige  Monate  anhält.  Er  injiziert  eine  Lösung  von  1:5, 
etwa  30  Tropfen  auf  jeder  Seite,  und  hat  in  150  Fällen  nur  dreimal  Eiterung, 
und  zwar  nur  bei  heruntergekommenen  Frauen  und  ohne  allen  Schaden, 
beobachtet.  Die  beste  Zeit  ist  eine  Woche  nach  Ablauf  der  Menstruation. 
Fieber  tritt  nur  ausnahmsweise,  und  dann  erst  nach  dem  sechsten  Tage  ein. 
Nach  der  Injektion,  die  natürlich  von  der  Scheide  aus  stattfindet,  wird  der 
Uterus  antevertiert  und  durch  ein  Stielpessar  drei  Tage  in  dieser  Stellung 
gehalten.  In  den  ersten  Tagen  muß  gewöhnlich  katheterisiert  werden,  und 
manchmal  tritt  leichte  Zystitis  auf.  Bei  der  Nachuntersuchung  nach  zwei 
oder  drei  Monaten  kann  man  gewöhnlich  fibröse  Stränge  in  den  Parametrien 
fühlen. 

Da  der  Zweck  dieses  Referats  nur  der  ist,  auf  die  neue  Methode  hin- 
zuweisen,  kann  die  genaue  Beschreibung  der  Operation  unterbleiben. 

Die  Bettlage  muß  nach  der  Operation  mindestens  zehn  Tage  eingehalten 
werden,  und  weitere  Schonung  ist  erforderlich,  bis  nach  drei  Monaten  ein 
Pessar  nicht  mehr  getragen  zu  werden  braucht.  Nach  sechs  Monaten  hat 
das  neue  fibröse  Gewebe  seine  volle  Stärke  erreicht.  Dammrisse,  wenn  vor¬ 
handen,  werden  genäht  (wodurch  P.  anerkennt,  daß  auch  der  Damm  ein 
wenig  dazu  beiträgt,  den  Uterus  in  seiner  Lage  zu  halten). 

Die  Resultate  der  Injektionsbehandlung  sind  gut.  Obgleich  die  schweren 
Fälle  in  der  Überzahl  waren,  blieben  75%  dauernd  geheilt  und  20%  gebessert. 
Frühzeitig  in  Behandlung  genommene  Prolapse  wurden  so  gut  wie  sämtlich 
geheilt.  Die  Erfahrungen  P.’s  reichen  elf  Jahre  zurück,  und  —  was  viel 
heißen  will  —  andere  haben  mit  seinem  Verfahren  gleichgute  Resultate  er¬ 
reicht.  Irgendwelche  Störungen  der  Schwangerschaft  erfolgen  danach  nicht. 

Fr.  von  den  Velden. 


Sind  Guellstifte  so  notwendig? 

v.  Herff  (Zentralbl.  für  Gynäkologie,  Nr.  41)  betont,  daß  der  Laminaria- 
stift  nicht  zu  den  unbedingt  erforderlichen  Instrumenten  des  Gynäkologen 
gehört;  er  meint,  daß  die  Hegar’sche  Erweiterungsmethode  bei  einfacher 
Technik  die  Gefahr  einer  Schädigung  auf  ein  Mindestmaß  herabsetzt  und 
daß  sie  mit  ganz  vereinzelten  Ausnahmen,  z.  B.  etwa  bei  der  Blasenmole 
zum  sicheren  Erfolg  führt.  F.  Kayser  (Köln). 


Kinderheilkunde  und  Säuglingsernährung. 

Kreosot  bei  Säuglings-Diarrhoen. 

(Dr.  M.  Ljaschenko,  Charkoff.  Prakt.,  Wratsch,  Nr.  51,  1908.) 

Das  Kreosot  ist  nach  L.’s  Ansicht  das  energischeste  Desinfiziens  für 
Magen  und  Darm  der  Säuglinge.  Die  besten  Dienste  leiste  es  bei  allen  akuten 
Magen-  und  Darmkatarrhen,  bei  ,, Cholera“  infantum  aber  wirke  es  geradezu 
als  Spezifikum,  das  selbst  in  schwersten  Fällen  manchmal  noch  nützen  könne. 
Sehr  gut  sei  die  Wirkung  auch  bei  den  subakuten,  von  Erbrechen  und  Er¬ 
scheinungen  der  Darmfäulnis  begleiteten  Magen-Darmkatarrhen  der  Säuglinge, 
ebenso  bei  allen  chronischen  Darmkatarrhen  der  kleinen  Kinder  (bis  zum 
2.  Lebensjahre),  namentlich  wenn  stinkende  Durchfälle  bestehen.  Bei  diesen 
nichtakuten  Erkrankungen  wird  das  Mittel  bloß  2 — 3  Tage  lang  gegeben; 
so  erziele  man  eine  gründliche  Desinfektion,  wonach  andere  —  antidiarrhoische 
—  Mittel  angezeigt  seien,  die  nun  ausgezeichnet  wirken  sollen.  Einjährige 
Kinder  bekommen  0,05  pro  die,  jüngere  bloß  0,03 — 0,04  pro  die.  Am  besten 
bewähren  sich  dem  Verfasser  seit  vielen  Jahren  folgende  Rezepte:  Kreosot. 
0,2,  Aqu.  menth.  pip.,  Mucil.  Salep  ää  50,0,  Syrup.  simpl.  25,0.  S.  2stdl. 
(8 mal  tgl.)  1  Teelöffel.  (Ijähr.  Kind  mit  Cholera  infant.)  Ferner:  Kreosot. 
0,15,  Aqu.  dest.  100,0,  Vini  Cognac  15,0,  Syr.  cort.  aurant.  25,0.  S.  2stdl. 
(8 mal  tglß  1  Teelöffel.  (Ijähr.  Kind  mit  akutem  Darmkatarrh.)  Immer 


Referate  und  Besprechungen. 


1185 


verordnet  er  Salzsäure  als  unterstützendes  Mittel,  und  zwar:  Acid.  hydrochl. 
dil.  0,5,  Aqu.  Melissae  100,0,  Syr.  simpl.  25,0,  ebenfalls  zu  1  Teelöffel  2stdl., 
jedoch  derart,  daß  Kreosot  und  Salzsäure  von  einer  Stunde  zur  anderen  ab¬ 
wechseln.  Ein  Nachteil  des  Kreosots  für  die  Kinderpraxis  liegt  in  seinem: 
Geruch  und  Geschmack,  wohl  ein  guter  Grund,  das  Mittel  nur  in  Mixturen 
zu  verordnen.  Zu  vermeiden  ist  seine  Anwendung  vor  allem  bei  Dysenterie, 
wo  es  leicht  Entzündung,  also  Ver  s  chlimtner  ung  hervorrufen  kann;  ebenso 
bei  allen  follikulären  Formen  des  Darmkatarrhs  und  bei  subakuter  und  chroni¬ 
scher  Kolitis.  Dort  aber,  wo  es  angezeigt,  scheint  es  dem  Autor  ein  hervor¬ 
ragendes,  zuweilen  sogar  lebensrettendes  Medikament.  Brecher  (Meran). 


Phosphor  in  der  Therapie  der  Rachitis. 

(J.  A.  Schab  ad.  Zeitschr.  für  klin.  Med.,  Bd.  67,  S.  454,  1909.) 

Behandlung  der  Rachitis  mit  Lebertran,  Phosphor  und  Kalk. 

(J.  A.  Sch  ab  ad.  Zeitschr.  für  klin.  Med.,  Bd.  68,  S.  94,  1909.) 

Zwei  rachitischen  Knaben  von  2  Jahren  1  Monat  und  von  4  Jahren 
—  zum  Vergleich  ein  .ekzematöser,  sonst  gesunder  vierjähriger  —  wurde  bei 
einseitiger  Nahrung  (Vollmilch,  Weißbrot)  Phosphorlebertran  gereicht.  Kalk 
der  Milch  und  des  Brotes  wurde  vorher  bestimmt.  Sch.  zieht  aus  seinen 
Versuchsreihen  nachstehende  Schlußfolgerungen : 

„1.  Phosphor  in  therapeutischer  Dosis  läßt  keinen  Einfluß  auf  den  Kalk¬ 
stoffwechsel  gesunder  Kinder  erkennen,  vergrößert  aber  den  Kalkansatz  bei 
Rachitis. 

2.  Die  Erhöhung  des  Kalkansatzes  basiert  auf  verstärkter  Resorption 
und  verminderter  Kalkausscheidung  durch  Harn  und  Kot. 

3.  Die  Erhöhung  des  Kalkansatzes  tritt  sehr  schnell  nach  Beginn  der 
Phosphordarreichung  ein,  ist  nach  3 — 51/2  Tagen  schon  stark  bemerkbar  und 
sinkt  nach  Einstellung  der  Phosphorzufuhr  sehr  allmählich,  so  daß  noch 
nach  zwei  Monaten  der  Kalkansatz  über  der  Norm  steht  (wenn  der  Phos¬ 
phor  im  Laufe  von  21/2  Monaten  eingeführt  wurde). 

4.  Phosphor  wirkt  spezifisch  auf  rachitische  Knochen  und  bringt  ihren 
Kalkgehalt  der  Norm  näher.“ 

Der  zweite  Aufsatz  erweitert  die  Sätze  dahin,  daß  der  Phosphorleber¬ 
tran  bei  Rachitischen  die  Retention  des  Kalks  und  des  Phosphors  der 
Nahrung  steigere,  daß  beide  Bestandteile  des  Medikaments  dazu  beitragen, 
weil  Lebertran  allein  schwächer  wirkt,  und  daß  bei  gleichzeitiger  Anwendung 
von  Phosphorlebertran  und  einem  Kalkpräparat,  z.  B.  essigsaurem  Kalk, 
eine  „gute“  Retention  dieses  anorganischen  Kalkes  stattfinde,  der  eine  ent¬ 
sprechend  vermehrte  Retention  von  Phosphor  aus  der  Nahrung  parallel  gehe. 

H.  Vieror  dt  (Tübingen). 


Insuffizienz  der  Nebennieren  bei  Scharlach. 

(V.  Hutinel.  Bull.  m5d.,  Nr.  21,  S.  247—250,  1909.) 

Der  vielerfahrene  Arzt  des  Hopital  des  Enfants  —  Malades  tadelte 
es,  daß  wir  bei  Scharlach  unser  Augenmerk  nur  auf  eine  beschränkte1 
Anzahl  von  Organen :  Mandeln,  Ohr,  Herz,  Nieren,  Gelenke  richten.  Sein 
Urteil:  notre  champ  visuel  est  trop  retreci  trifft  leider  außer  für  Scharlach 
auch  noch  für  manche  andere  Situationen  zu.  In  dem  vorliegenden  klinischen 
Vortrag  führt  er  eine  Reihe  von  Erscheinungen  auf  Störungen  in  der  Kapsel 
der  Nebennieren  zurück:  abnorme,  hochgradige  Asthenie,  welche  die  kleine 
Pat.  regungslos  im  Bett  liegen  läßt,  Störungen  der  Herztätigkeit,  Leibschmer¬ 
zen,  die  an  eine  Cholezystitis  denken  lassen,  braune  Verfärbung  der  Haut, 
welche  dort,  wo  man  mit  dem  Nagel  darüber  fährt,  den  Sergent’scheu 
weißen  Streifen  zeigt. 

Von  Nebennierenextrakt  oder  von  Adrenalin  1:1000  (morgens  und 
abends  je  sechs  Tropfen)  hat  er  gute  Erfolge  gesehen,  betont  aber,  daß 

75 


1186 


Referate  und  Besprechungen. 


diese  abnorm  schweren  Krankheitsbilder  keineswegs  immer  von  den  Neben¬ 
nieren  ausgelöst  sein  müssen,  sondern  ebensogut  von  der  Hypophysis,  dem 
Pankreas  und  anderen  Organen  aus  bedingt  sein  können.  Buttersack  (Berlin). 


Aus  der  Kinderabteilung  des  Städtischen  Krankenhauses  in  Wiesbaden. 

lieber  chronische  Nephritis  im  Kindesalter. 

(Dr.  O.  Aronade,  Assistent,  jetzt  Kinderarzt  in  Kattowitz.  Jahrb.  für  Kinder- 

heilk.,  Juni  1909.) 

Verfasser  beschreibt  einen  Pall  von  chronischer  Nephritis  im  Kindes¬ 
alter,  der  in  seinem  Verlaufe  interessant  ist.  Er  geht  aus  von  den  von  Heub- 
ner  zuerst  mitgeteilten  Beobachtungen  chronischer  Nieren erkrankungen  im 
Kindesalter.  Diese  charakterisieren  sich  hauptsächlich  durch  das  Pehlen, 
aller  Folgeerscheinungen,  die  die  chronische  Nephritis  sonst  nach  sich  zu 
ziehen  pflegt.  Diese  Form  der  chronischen  Nephritis  im  Kindesalter  ist  durch 
die  Arbeiten  zahlreicher  Beobachter  genügend  klinisch  erforscht,  nicht  jedoch 
die  andern  parenchymatösen  und  interstitiellen  Erkrankungen  der  kindlichen 
Niere.  Diese  Lücke  will  die  Studie  des  Verfassers  ergänzen.  Die  Einzel¬ 
heiten  des  klinisch  genau  beobachteten  Palles  mögen  im  Original  nachgelesen 
werden.  Es  handelte  sich  um  ein  70  Wochen  lang  in  klinischer  Behandlung 
stehendes  Kind,  bei  dem  offenbar  im  Anschluß  an  Morbillen  eine  akute 
Nephritis  entstand,  die  sich  zunächst  besserte,  später  aber  besonders  durch 
die  Neigung  des  Kindes  zu  anginöser  Erkrankung  immer  wieder  exazerbierte. 
Schließlich  kam  es  unter  dem  Bilde  der  Urämie  und  der  akuten  Peritonitis 
zum  Exitus.  A  r  o  ma  d  e  faßt  dieses  Ende  als  einen  unglücklichen  Zufall 
auf,  denn  nach  dem  klinischen  Bilde  und  dem  anatomischen  Befunde  lag 
kein  Grund  für  diesen  Abschluß  nach  seiner  Meinung  vor.  Es  fanden  sich 
nämlich  bei  der  Sektion  nur  einige  kleine,  durch  Atrophie  der  Harnkanäl¬ 
chen  aus  Bindegewebewucherung  ausgezeichnete  Stellen. 

Drei  während  der  Erkrankung  auf  getretene  urämische  Anfälle  faßt 
A.  als  Ausdruck  einer  schweren  akuten  parenchymatösen  Nephritis  auf,  die 
anatomisch  so  geringe  Veränderungen  hinterlassen  hat,  daß  man  eine  Zeitlang 
von  einer  Heilung  in  klinischem  und  anatomischem  Sinne  hätte  sprechen 
können.  Die  den  Tod  hervorrufende  Peritonitis  hält  A.  für  eine  Infektion, 
die  durch  Überwanderung  der  Bakterien  vom  Darme  ausging,  da  Durchfälle 
bestanden.  A.  W.  Bruck. 


Aus  der  Universitätskinderklinik  München.  Direktor:  Prof.  M.  Pfaundler. 

Ueber  einen  seltenen  Lähmungstypus  nach  Geburtstrauma. 

(Dr.  Theodor  Gölt.  Jahrb.  für  Kinderheilk.,  April  1909.) 

Verfasser  berichtet  über  einen  Pall  von  Lähmung  beim  Neugeborenen. 
Die  Extraktion  des  Kindes  kann  seiner  Meinung  nach,  ohne  Verletzungen  der 
Wirbelsäule  zu  setzen,  zu  Gefäßzerreißungen  innerhalb  des  Wirbelkanals,  also 
Blutergüssen  ins  Mark  und  seiner  Häute,  Veranlassung  geben.  Palls  diese 
nicht  tödlich,  kann  es  zu  einem  klinisch  gut  charakterisierten  Bilde  kommen. 
Dies  zeigt  u.  a.  schlaffe  Lähmungen  der  unteren  Körperhälfte  mit  völliger 
Atrophie  der  stärkst  befallenen  Muskeln,  Pehlen  der  Reflexe,  Blasenstörungen. 
Meist  führt  eine  Kolizystitis  zum  Exitus.  A.  W.  Bruck. 


Aus  der  anatomischen  Anstalt  in  Breslau. 

Der  Icterus  neonatorum. 

(C.  Hasse.  Jahrb.  für  Kinderheilk.,  Juni  1909.) 

Anatomische  Studie  mit  folgenden  Schlußergebnissen: 

„Die  normale  Gelbsucht  der  Neugeborenen  ist  ein  Stauungsikterus, 
kommend  und  schwindend  unter  dem  Einfluß  der  Zwerchfellstauung  während 
der  ersten  Lebenstage.  Bei  dem  Niedergehen  des  Zwerchfells  während  der 
Einatmung  wird  der  schon  vor  der  Atmung  auf  den  Leberausführungsgängen 


Referate  und  Besprechungen. 


1187 


und  auf  den  Gefäßen,  besonders  der  Pfortader,  in  und  an  der  Leberpforte 
bestehende  normale  Druck  erhöht.“  Dadurch  Gallenstauung  und  Aufnahme 
derselben  vom  Körper.  —  Schwinden  des  übernormalen  Drucks  und  der 
Stauung  infolge  der  durch  die  Atmung  im  weiteren  Verlauf  bewirkten  Ab¬ 
schwellung  der  Leber  und  durch  die  Lageveränderungen,  welche  die  Leber¬ 
pforte  mit  den  darin  gelagerten  Gefäßen  und  Ausführungsgängen  erfährt. 
Damit  erlischt  der  Ikterus.  A.  W.  Bruck. 

Psychiatrie  und  Neurologie. 

Zur  Pathologie  der  Medianus-  und  Ulnaris-Lähmung. 

(M.  Bernhardt  u.  M.  Jondek.  Med.  Klinik,  Nr.  4,  1909.) 

In  dem  einen  der  beiden  mitgeteilten  Fälle  handelt  es  sich  um  eine 
Verletzung  des  Nervus  medianus  und  ulnaris,  die  als  Folge  einer  typischen 
Fraktur  der  unteren  Epiphysen  des  Radius  und  der  Ulna  cintrat.  Der 
Bruch  selbst  kam  dadurch  zustande,  daß  ein  von  dem  Verletzten  straff  ge¬ 
haltenes  Seil  plötzlich  bewegt  wurde.  Der  Fall  bietet  insofern  Interesse, 
als  die  Beeinträchtigung  der  Funktion  beider  Nerven  bei  demselben  Indivi¬ 
duum  anscheinend  bislang  noch  nicht  beschrieben  worden  ist.  Während 
sonst  die  Prognose  der  Medianuslähmung  durch  Verletzung  im  allgemeinen 
eine  zweifelhafte  ist,  wurde  im  vorliegenden  Falte  durch  elektrische  Be¬ 
handlung  eine  vollkommene  Wiederherstellung  erzielt.  Einzelheiten  der  Dia¬ 
gnose  und  Therapie  müssen  im  Original  eingesehen  werden.  —  Der  zweite 
Fall  betrifft  eine  Lähmung  des  Ulnaris  als  Spätfolge  einer  Ellenbogenver¬ 
letzung.  Ein  Arbeiter  (Fräser)  hatte  als  Knabe  von  4 — 5  Jahren  einen  Bruch 
im  rechten  Ellenbogengelenk  erlitten,  dann  mehr  als  30  Jahre  gearbeitet. 
Nachdem  dann  mehrere  (4 — 5)  Jahre  hindurch  Schmerzen  in  dem  rechten 
Unterarme  bestanden  hatten,  die  von  dem  Ellenbogengelenk  ausgingen  und 
an  der  Ulnarseite  des  rechten  Unterarms  herabstrahlten,  kam  es  zu  einer 
ausgeprägten  Atrophie  sämtlicher  Mm.  interossei  und  des  Hypothenar,  nebst 
mangelhafter  Fähigkeit,  die  Finger  zu  spreizen  bezw.  aneinander  zu  bringen, 
— -  Krallenstellung  der  Finger  bestand  nicht.  Es  besteht  galvanische  und 
faradische  Unerregbarkeit  der  genannten  atrophischen  Muskeln,  während  die 
Muskeln  der  ulnaren  und  Beugeseite  des  rechten  Vorderarmes  auf  faradische 
Ströme  nur  wenig  schwächer  reagieren  als  links.  —  Der  Mann  hatte  in  den 
letzten  Jahren  als  sogenannter  „Vorschlaghammer“  den  rechten  Arm  und  die 
rechte  Hand  sehr  angestrengt.  —  Wenn  in  solchen  Fällen  die  Entfernung 
der  den  Nerven  schädigenden  Knochen  und  Deformitäten  nichts  fruchtet 
oder  wo  eine  Trennung  des  Nerven  vorhanden  ist,  soll  man  nach  Sherren 
die  geschädigte  Portion  des  Nerven  entfernen  und  die  Nervennaht  machen, 
•obwohl  der  Erfolg  solchen  Vorgehens  immerhin  doch  zweifelhaft  bleibt.  — 
Für  das  Ausbleiben  der  Krallenstellung  der  Finger,  im  vorliegenden  Falle 
wird  die  schon  von  Duchenne  beschriebene  Tatsache  ins  Feld  führt,  daß 
die  M.  Lumbricales  zum  großen  Teil  vom  N.  Medianus  innerviert  werden 
und  ihre  Funktion  behalten  können,  während  ein  eigentliches  Eintreten  desi 
N.  Ulnaris  für  den  Medianus  vom  Verf.  weder  in  diesem  noch  in  anderem 
Fällen  beobachtet  worden  ist.  —  Ferner  beschreibt  Bernhardt  noch  eine 
teilweise  Lähmung  des  Ulnaris,  die  durch  Druck  auf  den  Nerven  am  Hand¬ 
gelenk  beim  Radfahren  infolge  Festhaltens  der  Lenkstange  besonders  häufig 
auf  der  linken  Seite  zustandekommt.  Der  mitgeteilte  Fall  betrifft  einen 
64jährigen  Mann,  bei  dem  eine  Schwäche  der  vom  Ulnaris  versorgten  kleinen 
Handmuskeln  (mit  partieller  Entartungsreaktion)  beobachtet  werden  konnte. 
—  Die  Prognose  dieser  Fälle  ist  günstig.  R.  Stüve  (Osnabrück). 

Tabes  dorsalis  im  Geschlechtsleben  der  Frau. 

(Peukert,  Halle.  Monatsschr.  für  Geburtsh.  u.  Gyn.,  Bd.  29,  S.  141.) 

P.  berichtet  über  einen  Fall  von  Tabes  des  ersten  Stadiums  nahe 
.am  Übergange  zum  zweiten  in  Kombination  mit  Gravidität,  der  bei  der 

75* 


1188 


Referate  und  Besprechungen. 


relativen  Seltenheit  der  Beobachtung  nicht  ohne  Interesse  ist.  Die  Haupt¬ 
symptome  des  Falles  waren:  in  regelmäßigen  Intervallen  auftretende  lanzi- 
nierende  Schmerzen  mit  Auftreten  von  Sugillationen  am  Ober-  und  Unter¬ 
schenkel,  gastrische  Krisen,  Pupillenstarre,  Fehlen  der  Patellarreflexe  und 
leichte  Ataxie.  Besonderes  Interesse  erheischen  die  gastrischen  Krisen,  die 
leicht  mit  Hyperemesis  gravidarum  verwechselt  werden  können;  von  diffe¬ 
rentialdiagnostischer  Bedeutung  ist  ihr  Auftreten  in  mehrwöchentlichen 
Intervallen  die  ganze  Schwangerschaft  hindurch  und  darüber  hinaus.  Die 
bekannte  Schmerzlosigkeit  der  Gehurt  bei  Tabes  bestand  in  P.’s  Falle  eben¬ 
falls.  Zum  Schlüsse  spricht  P.  sich  noch  besonders  gegen  die  künstliche 
Unterbrechung  der  Schwangerschaft  bei  Tabes  aus,  zu  welcher  man  durch 
die  gastrischen  Krisen  leicht  veranlaßt  werden  kann;  ein  ungünstiger  Ein¬ 
fluß  der  Gravidität  auf  den  Verlauf  der  Tabes  konnte  nicht  festgestellt 
werden.  Auch  das  Geschick  der  Kinder  scheint  gegen  die  Unterbrechung 
der  Schwangerschaft  zu  sprechen.  Frankenstein  (Köln). 


Ein  Fall  von  Hirntumor  bei  Paralyse. 

(Rühle.  Zentralbl.  für  Nervenheilk.  u.  Psych.,  1.  Aprilheft,  S.  233,  1909.) 

Bei  der  Sektion  fand  sich  ein  Stirnhirntumor,  der  zu  Lebzeiten  klinisch 
keinerlei  Erscheinungen  gemacht  hatte.  Mitteilungen  über  das  Vorkommen 
von  Tumor  cerebri  neben  progressiver  Paralyse  finden  sich  in  der  Literatur 
äußerst  spärlich.  In  dem  vorliegenden  Falle  handelt  es  sich  klinisch  sicher 
um  progressive  Paralyse.  Auf  den  klinischen  Verlauf  der  Paralyse  dürfte 
der  Tumor  kaum  von  Einfluß  gewesen  sein,  dagegen  hat  R.  den  Eindruck 
gewonDen,  daß  das  histo-pathologische  Bild  durch  den  Tumor  selbst  einige 
Modifikationen  erfahren  hat. 

Der  Tumor  ging  zweifellos  von  den  weichen  Hirnhäuten  aus  und  ist 
gewissermaßen  als  ein  Adnex  derselben  zu  betrachten.  Bemerkenswert  ist, 
daß  die  Pia  in  unmittelbarer  Nähe  des  Tumors  fast  frei  ist  von  den  typischen 
Infiltrationszellen,  die  Bindegewebssepta  im  Tumor  selbst  zeigen  außer  zahl¬ 
reichen  Mastzellen  keinerlei  ungewöhnliche  zellige  Elemente,  die  wenigen 
Gefäße  des  Tumors  sind  nicht  infiltriert.  Es  wäre  wichtig,  weitere  Fälle 
histologisch  zu  untersuchen,  in  welchen  durch  den  Tumor  die  Gehirnsub¬ 
stanz  selbst  in  Mitleidenschaft  gezogen  wird.  Man  müßte  bei  derartigen 
Fällen  darauf  achten,  ob  die  paralytische  Gehirnveränderung  im  Bereich 
der  durch  den  Tumor  geschädigten  Teile  eine  ähnliche  Beeinflussung  erfährt, 
wie  in  dem  vorliegenden  Falle.  Koenig  (Dalldorf). 


Die  Nachkommen  von  Paralytikern. 

(G.  Bai  et.  Acad.  de  Med.,  27.  April  1909.) 

Entgegen  der  allgemeinen  Meinung  behauptet  Balet,  daß  man  die 
Nachkommen  von  Pat.  mit  Dementia  paralytica  nicht  als  erblich  belastet 
ansehen  dürfe.  Diese  Krankheit  sei  nichts  weiter,  als  eine  Folge  der  Syphilis 
und  nur  in  diesem  Sinne  zu  bewerten.  Er  hat  auf  gut  Glück  50  Kinder 
von  Paralytikern  im  Alter  von  15 — 30  Jahren  zusammengesucht  und  dar¬ 
unter  ,,nur‘‘  zwei  Epileptiker,  zwei  Personen,  die  an  Zweifelsucht  litten 
und  drei  einfach  Nervöse  gefunden.  Balet  will  damit  die  Bedeutungs¬ 
losigkeit  der  Krankheit  der  Väter  illustrieren;  aber  man  könnte  ebensogut 
diesen  Prozentsatz  von  Anomalien  im  Nervengebiet  abnorm  Loch  finden. 

Buttersack  (Berlin). 


Zur  Pathogenese  der  Migräne. 

(L.  Jacquet  u.  Jourdanet.  Revue  de  Med.,  XXIX.  Annee.,  Nr.  4,  S.  271—291, 

10.  April  1909.) 

Die  Migräne  ist  ein  Anfall  (Krise)  von  Hyperästhesie  der  Hirnsub¬ 
stanz,  insbesondere  der  Hirnrinde  mit  allerlei  nervösen  Irradiationen.  Die 
Anfälle  werden  ausgelöst  durch  Reize  seitens  der  peripheren  Organe,  in  erster 


Referate  und  Besprechungen. 


1189 


Linie  seitens  des  überlasteten  Magen-Darmtraktus.  Therapeutische  Versuche, 
einerseits  die  mechanische  Überreizung  des  Magens  (durch  ganz  langsames) 
Kauen),  andererseits  die  chemische  (durch  Entziehung  aller  Gewürze,  Alkohol. 
Kaffee  usw.)  zu  vermeiden,  haben  durchweg  günstige  Resultate  ergeben. 

Natürlich  kann  die  Hirnrinde  auch  noch  anderswoher  gereizt  werden 
(vom  Genitalapparat,  von  den  Augen,  von  der  Leber  aus) ;  allein  die  Tachy- 
phagie,  das  schnelle  Hinabschlingen  der  Speisen  ist  jedenfalls  einer  der 
wichtigsten  ätiologischen  Faktoren.  Buttersack  (Berlin). 


Augenheilkunde. 

Die  Tuberkulintherapie  in  der  Universitäts-Augenklinik  zu  Göttingen. 

(Dr.  Davids.  Klin.  Monatb.  für  Augenheilk.,  Heft  5,  1909.) 

Bald  nachdem  Koch  das  Tuberkulin  (das  jetzige  Alttuberkulin)  der 
Allgemeinheit  übergab,  ist  es  in  der  Augenheilkunde  zu  therapeutischen 
Zwecken  benutzt  worden.  Die  Erfolge  waren  gut,  doch  waren  lokale  Reak¬ 
tion  und  Temperatursteigerung  störende  Nebenerscheinungen.  Das  Mittel 
wurde  deshalb  allmählich  nur  mehr  als  Diagnostikum  verwandt  und  hat  sich 
als  solches  bis  auf  den  heutigen  Tag  bewährt.  Therapeutische  Erfolge  er¬ 
zielte  man  dann  mit  dem  T.  R.,  aber  hierbei  sind  nach  Hippels  Erfah¬ 
rungen  nach  anfänglich  prompter  Heilung  manchmal  Rezidive  gefolgt.  Des¬ 
halb  wurde  auf  Kochs  Veranlassung  die  Bazillenemulsion  angewandt,  die 
bisher  vor  Rezidiven  geschützt  hat,  nebenbei  auch  wesentlich  billiger  ist. 
(1  ccm  =  1,25  Mk.  gegen  8,50  Mk.  bei  Tuberkulin.)  Man  beginnt  je  nach 
dem  Alter  und  dem  Kräftezustand  des  Kranken  mit  Viooo  oder  1/50o  mg 
Trockensubstanz.  Tritt  nach  der  ersten  Injektion  keine  Reaktion  auf,  so 
steigt  man  alle  zwei  Tage  um  1/500  mg.  Von  IO/50o  steigt  man  jedesmal' 
um  Vöo  mg  bis  io/ö0  mg  und  dann  weiter  um  1/5  oder  auch  um  V10  mg  bis 
zu  1  mg.  „Trat  im  Verlauf  der  therapeutischen  Injektionen  eine  Reaktion 
auf,  so  spritzten  wir  nicht  gleich  weiter,  sondern  warteten  1—2  Tage,  bis 
die  Erscheinungen  vollständig  vorüber  waren.  Sodann  wandten  wir  nicht 
die  nächsthöhere  Dosis  an,  sondern  nochmals  dieselbe,  die  die  Reaktion  hervor¬ 
rief.  Im  allgemeinen  nahmen  wir  eine  Reaktion  an,  wenn  die  Temperatur 
über  37,5°  stieg.  Wir  richteten  uns  bei  der  Dosierung  aber  nicht  nur  nach 
der  Temperatur,  sondern  auch  nach  den  anderen  Symptomen,  wie  Kopfschmerzen, 
Mattigkeit,  Abnahme  des  Körpergewichts  usw.  Auch  bei  lokaler  Reaktion  am 
Auge  übten  wir  größere  Vorsicht  und  gaben  lieber  dieselbe  Dosis  noch 
einmal  als  eine  höhere.“ 

Über  die  Dauer  der  Kur  läßt  sich  natürlich  nichts  Bestimmtes  sagen. 
Zu  warnen  ist  vor  einer  zu  kurzen  Behandlung.  Nach  v.  Hippel  müssen 
die  Injektionen  bei  Augenkranken  so  lange  fortgesetzt  werden,  bis  alle 
Tuberkelknötchen  durch  Narbengewebe  ersetzt  sind,  die  Schwellung  und 
Vaskularisation  der  Iris  sich  zurückgebildet  hat,  Präzipitate  an  der  Hinter¬ 
fläche  der  Hornhaut  und  Glaskörpertrübungen  verschwunden  sind. 

Referent,  der  selbst  sehr  gute  Erfolge  mit  Tuberkulin  bei  Iristuber¬ 
kulose  zu  verzeichnen  hat,  möchte  für  statistische  Zusammenstellungen  die 
Bemerkung  nicht  unterdrücken,  daß  es  sicher  bei  Augentuberkulose  auch 
Spontanheilungen  gibt.  Enslin  (Brandenburg  a/H.). 


Heber  die  praktische  Tragweite  der  Schädigungen  des  Auges  durch 

leuchtende  und  ultraviolette  Strahlen. 

(Prof.  Dr.  Best,  Dresden.  Klin.  Monatb.  für  Augenheilk.,  Heft  5,  1909.) 

Nach  einer  Reihe  theoretischer  Arbeiten  der  letzten  Jahre  über  die 
schädigende  Wirkung  ultravioletter  Strahlen  auf  das  Auge  sind  auch  prak¬ 
tische  Angaben  von  Schutzgläsern  gefolgt,  die  die  nicht  sichtbaren  Strahlen 
resorbieren.  Es  wird  nun  aber  die  Netzhaut  im  gewöhnlichen  Leben  nur 
von  sichtbaren  Strahlen  getroffen,  die  ultravioletten  werden  durch  Horn- 


1190 


Referate  und  Besprechungen. 


haut  und  besonders  Linse  größtenteils  abgehalten.  So  ist  auch  die  Ery- 
thropsie  nach  Schneeblendung  Und  die  Retinaerkrankung  durch  Blendung  mit 
direktem  Sonnenlichte  die  Folge  allzu  stark  einwirkender  sichtbarer  Strahlen ; 
denn  ein  die  ultravioletten  Strahlen  abhaltendes  Gelbglas  schützte  nicht  da¬ 
vor,  wie  B.  durch  Versuche  am  eigenen  Körper  nachweisen  konnte. 

j4uch  die  Theorie,  daß  Starbildung  beim  Menschen  die  Folge  chronischer 
Einwirkung  ultravioletter  Strahlen  sein  kann,  ist  nicht  bewiesen.  Wir  wissen 
über  die  chronische  Einwirkung  ultravioletter  Strahlen  nichts,  und  die  ex¬ 
perimentelle  Kataraktentwickelung  beim  Tier  durch  vorübergehende  intensive 
Bestrahlung  mit  ultravioletten  Strahlen  beweist  nichts  für  die  chronische 
Einwirkung  beim  Menschen.  Wenn  konzentrierte  Bestrahlung  mit  Ultra¬ 
violett  die  Linse  trübt,  so  kann  doch  das  unter  gewöhnlichen  Bedingungen 
vorkommende  Maß  vollständig  ohne  Einfluß,  vielleicht  sogar  zweckmäs¬ 
sig  sein. 

Aber  auch  bei  den  modernen  Lichtquellen  kommt  unter  gewöhnlichen  Ver¬ 
hältnissen  eine  übermäßige  Einwirkung  ultravioletter  Strahlen  nicht  in  Frage. 
Denn  die  Beschwerden  beim  Arbeiten  neben  einer  intensiv  hellen  Lampe  datieren 
zum  größten  Teil  von  dem  starken  Unterschied  an  Licht  neben  der  Lampe 
und  im  übrigen  Zimmer.  Der  häufige  Adaptationswechsel  ist  störend  und 
unbehaglich ;  dieselbe  Lampe  im  hellen  Tageslicht  angezündet,  ruft  keine 
Beschwerden  hervor. 

Am  angenehmsten  ist  die  indirekte  gleichmäßige  Zimmerbeleuchtung. 
Daß  durch  künstliche  Beleuchtung  Starbildung  ausgelöst  werden  kann,  ist 
ganz  unwahrscheinlich;  denn  wie  viel  mehr  ultraviolette  Strahlen  aus  der 
Sonne  treffen  beharrlich  unsere  Augen,  als  solche  aus  künstlichen  Licht¬ 
quellen.  Aus  alledem  erhellt  also  auch,  daß  Gläser,  die  nur  ultraviolette 
Strahlen  abhalten,  zwecklos  sind.  Am  besten  sind  hellgraue  Schutzbrillen^ 
die  den  ganzen  Strahlenbereich  abschlwächen,  also  für  Touren  im  Hoch¬ 
gebirge,  bei  Arbeiten  an  der  Bogenlampe  und  auch  bei  allen  Erkrankungen: 
des  Auges. 

Referent  möchte  hinzufügen,  daß  es  dabei  durchaus  nicht  auf  die 
Dunkelheit  der  Gläser  ankommt;  im  Gegenteil  genügt  gewöhnlich  eine  leichte 
Graunuanzierung,  um  alle  Blendung  auszuschließen,  ohne  daß  das  Auge 
dabei  dunkel  adaptiert  wird.  Geschieht  dies,  so  ist  der  Kontrast  beim  Ab¬ 
nehmen  des  Glases  auch  im  blendenden  Tageslicht  nicht  störend. 

Enslin  (Brandenburg  a/H.). 


Weitere  Untersuchungen  über  die  Aetiologie  des  Trachoms. 

(E.  Bertarelli  u.  E.  Cecchetto,  Parma.  Zentralbl.  für  Bakt.,  Bd.  50,  H.  1.) 

Beim  Menschen trachom  '  beobachteten  Verfasser  oft  zelluläre  Verände¬ 
rungen  des  Bindehautepithels,  die  bei  dieser  Erkrankung  eine  besondere) 
Häufigkeit  —  ohne  spezifisch  zu  sein  —  aufweisen.  Man  kann  und  darf 
diese  Veränderungen  nicht  mit  den  verschiedenen  Momenten  einer  zyklischen 
Entwicklung  des  Parasiten  in  Zusammenhang  bringen.  —  Außerdem  beobach¬ 
teten  sie  granulöse  Gebilde  verschiedener  Größe,  die  als  parasitäre  Elemente 
wenigstens  vermutet  werden  können.  Schürmann. 


Zwei  Fälle  von  Bulbusruptur  mit  subkonjunktivaler  Linsenluxation  und 
Herausschleuderung  der  Linse  aus  dem  Auge. 

(Adolf  Rupp.  Wiener  klin.  Rundschau,  Nr.  35 — 37,  1908.) 

Die  subkonjunktivalen  Luxationen  der  Linse  sind  keine  alltäglichen 
Vorkommnisse.  Der  Verf .  hat '  zwei  solcher  Fälle  erlebt.  Einmal  war  ein 
49 jähriger  KJnecht  von  einem  Ochsen  ins  Auge  gestoßen,  die  Linse  war 
luxiert  und  lag  unter  de|r  unverletzten  Konjunktiva.  Nach  Ent¬ 
fernung  der  bereits  kataraktös  veränderten  Linse  erfolgte  glatte  Heilung.  — 
Der  zweite  Fall  betrifft  eine  73jährige  Patientin,  der  vor  sechs  Jahren  ein 
Holzsplitter  in  das  Auge  geschleudert  war.  Hier  war  ein  Riß  in  der  Kon- 


Referate  und  Besprechungen. 


1191 


junktiva  entstanden,  durch  den  die  Linse  herausgeschlüpft  war.  Auch 
diese  schwere  Verletzung  heilte  trotz  M  angels  aller  therapeutischer  Ma߬ 
nahmen  vollständig  aus.  —  Ein  Überblick  über  die  in  der  Literatur  ver- 
zeichneten  Verwundungen  ähnlicher  Art  vervollständigt  die  interessante 
Arbeit.  Steyerthal-Kleinen. 


Hautkrankheiten  und  Syphilis.  —  Krankheiten  der  Harn-  und 

Geschlechtsorgane. 

Papulo-erosive  Syphilide  in  Mund  ‘  und  Schlund  mit  Nachweisung  von 
Spirochaete  pallida  neun  Jahre  nach  der  Infektion. 

(Dr.  Ludwig  Nielsen.  Monatsh.  für  prakt.  Derm.,  Bd.  48,  Nr.  2.) 

Nach  Fourniers  Erfahrungen  sind  sekundäre  Syphilide  der  Schleimhaut 
fast  immer  nur  oberflächlicher  Natur  und  rein  erosiven  Charakters;  papulo- 
erosiver  Typus,  viele  Jahre  nach  der  Infektion,  mit  ungewöhnlicher  Lokalisa¬ 
tion  auf  Gaumenbögen  und  Tonsillen,  und  mit  Spirochätenbefund  gehört  zu 
den  Seltenheiten.  Nielsen  berichtet  von  einem  Patienten,  der  April  und  Mai 
1900  wegen  eines  Lues-Rezidivs  (Papeln  am  Penis  und  Anus,  Adenitis  univer- 
salis,  Papeln  auf  Tonsillen,  Gaumenbögen,  Innenseite  der  Wange  und  linkem 
Zungenrand,  Larynxkatarrh  und  Leukoderma  colli)  im  Kopenhagener  Kom¬ 
munehospital  eine  Schmierkur  absolviert  hatte.  Lange  Jahre  frei  von  Er¬ 
scheinungen  wurde  Patient  September  1908  im  Friedrichsberg-Hospital  auf¬ 
genommen.  Auf  beiden  vorderen  Gaumenbögen,  auf  beiden  Tonsillen  auf 
die  hinteren  Gaumenbögen  übergehend,  links  an  der  Unterfläche  der  Zunge 
finden  sich  mehrere  typische,  erbsengroße,  leicht  erhabene  Papeln  mit  schar¬ 
fen  bogenförmigen  Konturen  und  gräulicher  erodierter  Oberfläche,  ein  Paar 
konfluierte  Papeln  an  der  Innenseite  der  Unterlippe.  Im  Abgeschabten  von 
den  Papeln  im  Schlunde  und  auf  der  Zunge  wurden  typische  Spirochaete 
pallidae  nachgewiesen.  Das  Wieder  auf  treten  der  Papeln  auf  fast  denselben 
Stellen  wie  vor  8V2  Jahren  macht  es  wahrscheinlich,  daß  sich  die  Spirochäten 
die  ganzen  Jahre  über  latent  gehalten  haben.  Nach  Eournier  soll  das  Auf¬ 
treten  erosiver  Syphilide  später  ,als  10  Jahre  nach  der  Infektion  zu  den 
Seltenheiten  gehören;  er  erwähnt  nun  2  Fälle,  die  im  16.  und  18.  Jahre 
nach  der  Ansteckung  beobachtet  wurden.  Nielsen  beobachtete  in  seiner* 
Praxis  2  Fälle  von  erosiven  papulösen  Syphiliden  der  Mundhöhle  11  rsp. 
13  Jahre  nach  der  Infektion,  von  denen  der  eine  immer  dann  ein  Rezidiv 
hatte,  wenn  er  zu  rauchen  anfing.  Der  Nachweis  der  Spirochaete  pallida  im; 
mitgeteilten  Falle  beiweist  die  hohe  Ansteckungsgefahr  derartiger  tardiven, 
sekundären  Syphilide,  wie  auch  von  Fournier  sicher  konstatierte  Fälle  von 
Ansteckung  durch  solche  Formen  zwischen  dem  vierten  und  sechsten  Jahre 
nach  der  Infektion  und  noch  später  beobachtet  und  mitgeteilt  sind. 

Carl  Grünbaum  (Berlin). 


Aus  Statens  Seruminstitut  (Laboratoriumdirektor:  Dr.  med.  Th.  Madsen)  und  der 
4.  Abteilung  des  Kommunehospitals  zu  Kopenhagen  (Oberarzt:  Dr.  med.  C.  Rasch). 

Die  Bedeutung  der  Wassermann’schen  Reaktion  für  die  Therapie  der  Syphilis. 

(Harald  Boas.  Berl.  klin.  Wochenschr.,  Nr.  13,  1909.) 

Während  der  Wert  der  Wassermann’schen  Reaktion  für  die  Diagnose 
allgemein  anerkannt  ist,  sind  die  Ansichten  der  Autoren  über  die  Bedeutung 
der  Reaktion  für  die  Therapie  poch  geteilt.  Citron,  Besser,  B lasch' Ido 
behaupten,  daß  die  Behandlung  so  lange  fortgeführt  werden  muß,  bis  die 
positive  Reaktion  verschwindet,  und  daß  die  Behandlung  wieder  aufgenommen 
werden  muß,  sobald  wieder  positive  Reaktion  auftritt,  während  andererseits 
Much,  Bruhns  und  Halberstaedter  der  Ansicht  sind,  daß  positive  Reak¬ 
tion  nach  einer  gut  geleiteten  Behandlung  ohne  Bedeutung  ist.  Um  zu  ent¬ 
scheiden,  welche  Behandlung  die  überlegene  ist,  dürfte  es  sich  deshalb  emp¬ 
fehlen,  eine  vergleichende  Untersuchungsreihe  anzustellen  derart,  daß  eine 


i 


1192  Referate  und  Besprechungen. 

Reihe  von  Patienten  durch  längere  Zeit  beobachtet  und  dann  immer  von 
neuem  behandelt  werden,  sobald  die  Reaktion  positiv  ist,  eine  andere 
Reihe  Patienten,  unabhängig  von  der  Serumdiagnose,  chronisch  intermittie¬ 
rend  behandelt  werden.  Boas  hat  unter  dem  großen  Material  der  4.  Abtei¬ 
lung  des  Kommunehospitals  in  Kopenhagen  82  Fälle  sekundärer  Syphilis 
längere  Zeit  beobachtet.  Während  vor  der  Behandlung  alle  positiv  reagier¬ 
ten,  boten  nach  der  Behandlung  76  keine  Reaktion,  6  blieben  positiv.  Von 
diesen  letzteren  entzog  sich  1  Fall  der  Beobachtung,  die  5  übrigen  bekamen 
alle  innerhalb  eines  Monats  naeh  der  Behandlung  ein  Rezidiv,  während  von 
den  76  nur  3  innerhalb  des  gleichen  Zeitraumes  rezidi vierten.  Die  Reaktion 
schwindet  allgemein  nur  nach  Quecksilber  und  zwar  bei  sekundären  und 
tertiären  Erscheinungen  häufig  schon  nach  15 — 20  Einreibungen,  ohne  daß 
man  jedoch  deshalb  die  Behandlung'  schließen  darf.  Denn  die  Reaktion 
kann  selbst  bei  schnellem  Rückgänge  der  Symptome  bestehen  bleiben  und 
umgekehrt  beim  Bestehen  der  Symptome  schwinden.  Bei  sehr  schweren  Er¬ 
scheinungen,  die  der  Behandlung  schwer  zugänglich  sind,  bleibt  die  Reak¬ 
tion  lange  bestehen.  Beginnt  die  Behandlung  bei  bestehender  Induration 
ohne  sekundäre  Erscheinungen,  so  schwindet  die  Reaktion  um  so  schneller, 
je  früher  man  mit  der  Behandlung  begonnen  hat. 

Von  65  nach  der  Behandlung  beobachteten  Patienten  — -  deren  Krank¬ 
heit  in  den  ersten  3  Jahren  lag  —  ohne  Reaktion  boten  62  nach  1 — 2  Mona¬ 
ten  —  8  mit  gleichzeitigem  Rezidiv  —  wieder  positive  Reaktion.  Von  den 
übrigen  54  wurden  19  nicht  behandelt  und  bekamen  alle  spätestens  IV2 
Monate  nach  Konstatierung  der  positiven  Reaktion  ein  Rezidiv,  zu  einer 
Zeit,  wo  sie  nach  der  gewöhnlichen  Behandlungsmethode  nicht  behandelt 
werden  sollten,  die  übrigen  35  wurden  sofort  behandelt,  sobald  die  Reaktion 
positiv  war  und  blieben  rezidivfrei. 

Über  die  späteren  Stadien  der  Krankheit  herrscht  einerseits  die  An¬ 
schauung,  daß  eine  positive  Reaktion  einen  aktiven  syphilitischen  Prozeß 
anzeigt,  während  andere  meinen,  daß  der  positive  Befund  nur  amdeutet, 
daß  Patient  einmal  Syphilis  gehabt,  da  in  vielen  Fällen  klinische  Erschei¬ 
nungen  nicht  konstatiert  werden  können.  Dem  hält  Boas  einige  eklatante 
Beobachtungen  entgegen.  B  ei  2  Patienten  mit  positiver  Reaktion  viele  Jahre 
nach  der  Infektion  wurde  durch  Röntgenaufnahme  bei  dem  einen  ein  Aneu¬ 
rysma,  bei  dem  anderen  eine  diffuse  Ektasie  der  Aorta  konstatiert,  bei  2 
anderen  Patienten  mit  positiver  Reaktion  viele  Jahre  nach  der  Infektion 
ergab  die  Autopsie  eine  typische  syphilitische  Aortitis  und  ein  kleines 
Aneurysma. 

Aus  den  Untersuchungen  von  Boas  geht  hervor,  daß  positive  Wasser- 
mann’sche  Reaktion  nach  einer  gut  durchgeführten  Kur  ein  schnelles  Rezidiv 
verheißt.  In  den  ersten  Jahren  nach  der  Ansteckung  kann  man  durch 
monatliche  Serumuntersuchung  und  nach  positivem  Resultate  durch  eine  ev. 
sofort  eingeleitete  Kur  ein  Rezidiv  verhindern.  Vielleicht  gelingt  es  auch 
durch  jahrelang  fortgesetzte  Serumuntersuchungen  und  eine  dem  Unter¬ 
suchungsbefunde  angepaßte  Behandlung  schweren  Ausbrüchen  der  Krank¬ 
heit  vorzubeugen.  Carl  Grünbaum  (Berlin). 


Vergiftungen. 

Die  Lorchelintoxikation. 

(Dr.  Elis  Lövegren,  Helsingfors  (Finnland).  Jahrb.  für  Kinderheilk.,  April  1909.) 

Verfasser  berichtet  über  seine  Erfahrungen  bei  Vergiftung  mit  Mor¬ 
cheln  =  Lorcheln.  Als  typisch  für  eine  tötlich  verlaufene  Intoxikation 
hält  er  folgendes  Krankheitsbild : 

Ein  fünfjähriges  Mädchen  beginnt  etwa  vier  Stunden  nach  einer  reich¬ 
lichen  Morchelmahlzeit  Leibschmerzen  zu  fühlen;  acht  Stunden  später  stellt 
sich  anhaltendes  Erbrechen  ein,  die  Schmerzen  lassen  nach,  aber  es  tritt  eine 
immer  mehr  zunehmende  Mattigkeit  ein.  Etwa  36  Stunden  nach  dem  Ge- 


Referate  und  Besprechungen. 


1193 


nuß  der  Morcheln  wird  das  Kind  bewußtlos,  stößt  gellende  Schreie  aus. 
Einige  Stunden  später  wird  langsame,  ungleichmäßige  Respiration  konstatiert, 
tonische  Krämpfe  an  den  Extremitäten  und  im  Nacken;  erweiterte,  reaktions¬ 
lose  Pupillen,  leichter  Ikterus,  schwacher,  rascher  Puls.  Der  tonische  Krampf 
nimmt  zu,  der  Puls  wird  immer  schlechter,  und  53  Stunden  nach  der  Morchel- 
imahlzeit  ist  Patientin  tot. 

Die  Sektion  ergibt  meist  ausgedehnte  Blutungen  in  verschiedenen  Or¬ 
ganen.  Die  Veränderungen  in  den  Nieren  sind  denen  am  meisten  ähnlich, 
die  Heubner  bei  Nephritis  nach  Diphtherie  fand. 

Verfasser  empfiehlt  zur  Vermeidung  der  Vergiftung :  alle  Morcheln 
vor  ihrer  Zubereitung  gründlich  abzubrühen  und  das  Wasser,  womit  dies 
geschah,  zu  entfernen.  Die  von  v.  Jaksch  ausgesprochene  Kontrolle  der 
zum  Verkauf  kommenden  Morcheln  hält  er  für  undurchführbar. 

Therapeutisch  empfiehlt  Lövegren  selbstverständlich  Entfernung  der 
Pilzreste  aus  Magen  und  Darmkanal.  Zugleich  ist  Kochsalz  subkutan  oder 
noch  besser  intravenös  zu  geben.  Sonst  symptomatische  Behandlung. 

A.  W.  Bruck. 


Stark  beschreibt  einen  interessanten  Fall  von  Vergiftung  mit  Brom, 
das  eine  35jährige,  im  neunten  Monat  gravide  Frau  während  einer  Nacht 
in  der  Menge  von  17  g  nahm.  Am  andern  Morgen  halb  komatöser  Zustand, 
eine  ganz  charakteristische  Aphasie,  die  erst  allmählich  am  dritten  Tage 
wich,  verzögerte  Atmung,  Herz,  Pupillen  und  Sensibilität  intakt.  Die  Er¬ 
innerung  an  die  Vergiftung  war  völlig  geschwunden.  Die  Geburt  verlief 
gut:  ein  gesundes  Kind.  (Les  nouveaux  remedes  5/1909.)  v.  Schnizer  (Danzig). 


Aly  Beifadel  berichtet  von  einer  Petroleum  Vergiftung  bei  einem 
1V2 jährigen  Kinde,  das  etwa  40  g  Petroleum  genommen  hatte.  Der  Puls 
war  auf  48  gefallen,  während  die  Respiration  auf  60  gestiegen  war.  Weiter¬ 
hin  :  Kalte,  trockene  Haut,  spärliche,  hochgestellte  Urine,  scheinbare  Kon¬ 
stipation,  völlige  bukkopharyngeale  Lähmung.  Vomitive  erfolglos.  Außer¬ 
dem  Koffein,  Benzoe  und  drei  Löffel  Rizinus,  auf  die  wohl  infolge  der  Läh¬ 
mung  des  Darmkanals  nur  zwei  ganz  spärliche  Entleerungen  erfolgten.  Dank 
häufiger  Purgative  und  Milchdiät  nach  einigen  Tagen  Wiederherstellung. 
(Les  nouveaux  remedes  5/1909.)  v.  Schnizer  (Danzig). 


Olschanetzki  berichtet  von  einer  Branntweinvergiftung  eines  sieben¬ 
jährigen  Kindes,  das  einige  Stunden  nach  dem  Genuß  von  1V2  Gläschen 
Branntwein  in  einen  komatösen  Zustand  verfiel,  mit  bleichem  Gesicht,  be¬ 
schleunigter  Atmung  und  150  fadenförmigen  Pulsen.  Nach  Ipecacuanha  Er¬ 
brechen  von  Alkohol.  Temperatur  am  nächsten  Tage  39°.  Injektionen  von 
Kampferöl,  Koffein  und  Magenspülungen  blieben  erfolglos,  erst  die  Injektion 
von  300  und  kurz  darauf  200  ccm  physiologischer  CINa-  Lösung  regte  die 
Tätigkeit  der  Nieren  an  und  brachte  Besserung.  Der  Harn  enthielt  dann 
2%  Eiweiß.  (Les  nouveaux  remedes  Nr.  5/1909.)  v.  Schnizer  (Danzig). 


Medikamentöse  Therapie. 

Zur  internen  Therapie  der  Syphilis. 

'Von  Dr.  Emil  Winter,  Spezialarzt  für  Haut-  und  Harnleiden,  Cliarlottenburg. 

Als  Behandlungsmethoden  der  Syphilis  behaupten  bei  uns  in  Deutschland 
immer  noch  die  Schmier-  und  Spritzkur  das  Feld,  während  man  in  England,  Frank¬ 
reich  und  Amerika  schon  seit  Jahren  fast  vorwiegend  innere  Mittel  anwendet. 
Die  zahlreichen  Mängel,  die  den  bei  uns  üblichen  Kuren  noch  anhaften,  erklären 
das  Bedürfnis  und  das  Verlangen  nach  einer  Methode,  die  bequem,  unauffällig, 
schmerzlos  und  sicher  die  luetischen  Erscheinungen  beseitigt.  Diese  Bedingungen 
erfüllt  ein  gutes  Präparat,  das  ohne  Funktionsstörungen  hervorzurufen,  innerlich 
verabreicht  wird  und  gleichzeitig  die  Sicherheit  bietet,  energisch  auf  die  Krankheit 


1194 


Referate  und  Besprechungen. 


einzuwirken.  In  diesem  Sinne  verdient  das  von  der  Firma  Riedel  in  den  Handel 
gebrachte  Mergal  Beachtung,  über  das  sich  bereits  eine  ansehnliche  Literatur  an¬ 
gesammelt  hat.  Boß,  Ehr  mann,  v.  Zeißl,  Höhne,  Leistikow  und  viele  andere 
haben  eingehende  Versuche  sowohl  in  der  Privatpraxis  als  auch  in  Kliniken  an¬ 
gestellt  und  sind  durchweg  zu  günstigen  Resultaten  gelangt.  Zunächst  kommt  in 
erster  Linie  in  Betracht,  daß  Mergal  keine  Magen-Darmläsionen  hervorruft  und 
in  Mengen  von  8  bis  10  bis  12  Kapseln  pro  die  anstandslos  genommen  wird. 
Aber  auch  die  zweite  wichtige  Bedingung,  die  an  ein  gutes  Antisyphiliticum  gestellt 
werden  muß,  erfüllt  das  Mittel  glänzend,  nämlich  die  prompte  Wirkung  auf  die 
Krankheitserscheinungen.  Das  in  Frage  stehende  Präparat  kommt  in  dünnen, 
elastischen  Kapseln  auf  den  Markt,  von  denen  jede  0,05  Hydrarg.  choli-c.  oxydat 
und  0,1  Albumin  tannic.  enthält.  Bezüglich  der  Dosierung  besteht  die  Vorschrift, 
in  den  ersten  Tagen  3  mal  täglich  1  Kapsel  zu  verabreichen,  nach  zirka  <5 — 6  Tagen 
jedoch  auf  6,  8  und  10  Kapseln  pro  die  zu  steigen,  was  8 — 12  Wochen  fortgesetzt 
werden  muß,  um  frühzeitige  Rezidive  zu  vermeiden.  Nach  diesen  Prinzipien  habe 
ich  mehrere  Fälle  von  Lues  mit  Mergal  behandelt  und  möchte  in  folgendem  kurz 
über  meine  Versuche  berichten: 

Fall  1.  J.  W.,  25  J.,  stud.  Infektion  vor  l1/ 2  Jahren.  2  Spritzkuren,  1  Schmier¬ 
kur.  Seit  8  Tagen  Schmerzen  im  Hals  und  auf  der  Zunge.  2.  Januar  1908:  Status: 
Auf  beiden  Tonsillen  Plaques,  auf  der  Zunge  einige  Papeln.  Therapie:  3  mal  täglich 

1  Kapsel  Mergal.  8.  Januar  1908:  Status  idem.  Kapseln  werden  gut  vertragen. 
Jetzt  3  mal  täglich  2  Kapseln.  15.  Januar  1908:  Darmtätigkeit  etwas  beschleunigt, 
sonst  keinerlei  Beschwerden.  Plaques  abgeblaßt,  Papeln  noch  sichtbar.  25.  Januar 
1908:  Plaques  und  Papeln  verschwunden.  Patient  nimmt  vorläufig  8  mal  täglich 

2  Kapseln  weiter. 

Fall  2.  Fr.,  39.  J.  Infektion  vor  4  Jahren.  2  Schmier-  und  2  Spritzkuren. 
Seit  14  Tagen  Ausschlag  an  beiden  Beinen,  der  jeder  Behandlung  trotzt.  8.  Februar 
1908:  Status:  An  beiden  Nates,  sowie  Ober-  und  Unterschenkeln  ein  stark  nässen¬ 
des  ulcerös-syphilitisclies  Exanthem.  Haut  mäßig  ödematös.  Therapie:  3  mal  täg¬ 
lich  1  Kapsel  Mergal.  Lokal  Zinkpuder.  15.  Februar  1908:  Krankheitsbild  un¬ 
verändert.  Mergal  wird  gut  vertragen.  3  mal  täglich  2  Kapseln.  25.  Februar  1908: 
Linkes  Bein  völlig  trocken.  Rechtes  Bein  noch  etwas  angeschwollen.  Einige 
ulceröse  Stellen  stark  nässend.  4  mal  täglich  2  Kapseln.  29.  März  1908:  Befund 
sehr  gut.  Patient  ist  völlig  beschwerdefrei.  Geheilt  entlassen. 

Fall  3.  L.,  31  J.  Infektion  November  1907.  1  Spritzkur.  Seit  einigen 
Tagen  Schmerzen  im  Hals  und  auf  der  Zunge.  14.  Februar  1908:  Status:  Papeln 
auf  der  Zunge,  auf  der  rechten  Tonsille  Plaques.  Rechte  Submaxillardrüse  ange¬ 
schwollen.  Therapie:  3  mal  täglich  1  Kapsel  Mergal.  19.  Februar  1908:  Sub¬ 
maxillardrüse  ist  kleiner  geworden.  Schluckbeschwerden  geringer.  Keine  Magen- 
Darmstörungen.  3  mal  täglich  2  Kapseln.  29.  Februar  1908:  Keine  Schmerzen 
mehr.  Drüse  klein,  Papeln  und  Plaques  kaum  zu  sehen.  10.  März  1908:  Erschei¬ 
nungen  sind  ganz  zurückgegangen.  Patient  nimmt  3  mal  täglich  2  Kapseln  weiter. 

Fall  4.  Fr.  S.,  43  J.  Infektion  vor  7  Jahren.  2  Schmierkuren.  Seit  einiger 
Zeit  Geschwür  am  Bein,  das  nicht  heilen  will.  9.  März  1908:  Status:  Am  linken 
Unterschenkel  ein  Markstückgroßes  zerfallendes  Gumma.  Therapie:  Jodkali  und 
Mergal.  8.  April  1908:  An  Stelle  des  Gumma  kleine  Narbe.  Patientin  ist  geheilt, 
hat  Mergal  gerne  genommen  und  gut  vertragen. 

Fall  5.  A.  W.,  39  J.  Infektion  vor  3  Jahren.  3  Kuren.  Seit  einiger  Zeit 
Geschwüre  an  den  Genitalien.  5.  April  1908:  Status:  Rings  um  den  Vorhautrand,  der 
leicht  angeschwollen  ist,  zahlreiche  stark  eiternde  Rhagaden.  Am  scrotum  mehrere 
Papeln.  Therapie:  Lokal  Zinkpuder,  3  mal  täglich  1  Kapsel  Mergal.  11.  April  1908: 
Sekretion  hat  schon  nachgelassen,  3  mal  täglich  2  Kapseln.  28.  April  1908:  Prae- 
putium  glatt,  Papeln  verschwunden.  Keine  Störungen  durch  Mergal,  3  mal  täg¬ 
lich  2  Kapseln  werden  weiter  genommen. 

Fall  6.  G.  Sch.,  41  J.  Infektion  vor  10  Jahren.  2  Schmierkuren,  1  Spritz¬ 
kur.  Seit  einigen  Wochen  Schmerzen  im  Hals.  25.  Juni  1908:  Am  weichen  Gaumen 
za.  Pfennigstückgroßes  Gumma,  ebenso  an  der  hinteren  Rachenwand.  Therapie: 
Jodkali.  30.  Juni  1908:  Gummata  sind  größer.  Jodkali  und  Mergal.  6.  August  1908: 
Kapseln  bekommen  gut.  Patient  ist  beschwerdefrei,  beide  Gummata  glatt  vernarbt. 

Fall  7.  R.,  19  J.  Infektion  vor  1/2  Jahr,  1  Spritzkur.  Seit  einigen  Tagen 

Geschwüre  an  den  Genitalien,  Schmerzen  beim  Schlucken.  6.  August  1908:  Status: 
Am  Praeputium  2  nässende  Papeln,  auf  den  Tonsillen  Plaques.  Therapie:  Mergal. 
25.  August  1908:  Keine  luetischen  Erscheinungen  mehr  zu  sehen,  Mergal  wird  an¬ 
standslos  vertragen  und  weiter  genommen. 


Referate  und  Besprechungen. 


1195 


Ich  habe  also,  wie  aus  vorstehendem  zu  ersehen  ist,  Mer  gal  verordnet  bei 
männlichen  und  weiblichen  Patienten,  bei  sekundärer  und  tertiärer  Lues,  bei 
kräftigen  und  auch  schwächlichen  Individuen  und  war  erstaunt,  wie  gerne  es  ge¬ 
nommen  und  vor  allem,  wie  gut  es  durchweg  vom  Magendarmkanal  vertragen  wurde. 
Nur  in  einem  Falle  ist  über  etwas  vermehrte  Stuhlentleerung  berichtet,  die  jedoch 
keineswegs  als  Diarrhoe  bezeichnet  werden  kann.  Die  sekundären  Erscheinungen 
schwanden  durchweg  nach  14  Tagen  bis  8  Wochen  und  bei  Lues  III  unterstützte 
das  verabreichte  Mer  gal  sichtlich  die  Wirkung  des  Jodkali.  Auf  die  Mundpflege 
muß  natürlich,  wie  bei  jeder  Hg-Kur  große  Sorgfalt  verwendet  werden,  und  auch 
in  der  Diät  ist  Vorsicht  zu  empfehlen.  Die  Ernährung  soll  reichlich  und  kräftig, 
aber  reizlos  für  den  Darm  sein,  wobei  nach  Möglichkeit  frisches  Obst,  Säuren, 
Salate,  scharfe  Gewürze  und  fette  Speisen  zu  vermeiden  sind.  Im  übrigen  soll 
der  Patient  ein  ruhiges,  solides  Leben  führen,  für  genügend  Schlaf  und  peinliche 
Haut-  und  Körperpflege  sorgen.  Wenn  auf  alle  diese  Dinge  streng  geachtet  wird, 
ist  die  Behandlung  mit  Mergal  nicht  im  geringsten  angreifend,  und  der  Patient 
geht  in  keiner  Weise  geschwächt  aus  der  Kur  hervor.  Empfehlenswert  ist  natürlich 
auch  eine  gleichzeitige  lokale  Therapie,  um  im  Interesse  einer  rascheren  Heilung 
die  Mergal  Wirkung  zu  unterstützen. 

Zum  Schlüsse  kann  ich  daher  nur  das  wiederholen,  Avas  vor  mir  schon 
andere  durch  genaue  Untersuchungen  festgestellt  haben,  daß  das  Mergal  ent¬ 
schieden  eine  willkommene  Bereicherung  unseres  Arzneischatzes 
bildet  und  wir  in  ihm  ein  ausgezeichnetes  internes  An tisy philiticum 
haben,  das  namentlich  in  bezug  auf  die  intermittierende  Hg-Therapie 
höchste  Beachtung  Arerdient.  Denn  seine  prompte  Wirkung,  leichte 
Dosierbarkeit,  das  Fehlen  jeglichen  Reizes  auf  den  Darm  und  vor 
allem  die  diskrete  Durchführung  der  Kur  sichern  ihm  den  ersten 
Platz  unter  den  innerlichen  Merkurpräparaten. 

Ueber  klinische  Versuche  und  Erfahrungen  mit  Bromglidine. 

(Altvater.  Münchener  med.  Wochenschr.,  Nr.  36,  1909.) 

Im  Bromglidine  ist  das  Brom  organisch  an  PflanzeneBveiß  und  zwar  an 
Lezithineiweiß  gebunden.  Es  stellt  ein  bräunliches  Pulver  von  leichtbitterem  Ge¬ 
schmack  dar,  das  in  Tablettenform  in  den  Handel  kommt.  Jede  Tablette  enthält 
0,05  gr  Brom.  Verordnet  Avurden  zwischen  4 — 14  Tabletten  am  Tag.  Aehnlich  Avie 
bei  den  geAvöhnlichen  Bromsalzen  findet  auch  beim  Bromglidine  eine  Anreicherung 
mit  Brom  im  Körper  statt.  Leichtere  Fälle  von  Epilepsie  wurden  günstig  beeinflußt, 
auch  wenn  die  geAvöhnliche  Diät  nicht  zugunsten  einer  kochsalzarmen  Amrändert 
wurde,  außerdem  Avar  der  Autor  mit  seinen  Erfolgen  bei  den  funktionellen  Neu¬ 
rosen  mit  der  Darreichung  von  Bromglidine  zufrieden.  Neumann. 


Zwei  Digitalisfragen  aus  der  Praxis.  I. 

(Focke,  Düsseldorf.  Med.  Klinik,  Nr.  25,  1909.) 

Focke  hat  durch  Versuche  festgestellt,  daß  man  durch  einen  mäßigen 
Spirituszusatz  zu  einem  Digitalisinfus  eine  Haltbarkeit  von  einer  für  prak¬ 
tische  ZAvecke  beliebigen  Dauer  erzielen  kann.  Im  übrigen  sprechen  seine 
Erfahrungen  für  die  Annahme,  daß  der  Alkoholzusatz  auch  die  Wirkungs¬ 
schnelligkeit  erhöht.  Es  scheint  ihm  der  reine  Spiritus  mehr'  empfehlens¬ 
wert  zu  sein,  als  der  Spir.  e  vino.  Die  Mischung  mit  Kognak  schmeckt 
vielen,  nicht  nur  weiblichen  Patienten,  keineswegs  angenehm,  während  der 
Geschmack  des  reinen  Spiritus  bei  3 — 7%  wenig  und  nur  in  angenehmer. 
Weise  bemerkt  wird. 

Nachdem  er  fast  zwei  Jahre  hindurch,  im  Winter  und  Sommer,  den 
Zusatz  von  etwa  5%  Spiritus  zu  100  oder  150  ccm  Infus  zu  vollster  Zufrie¬ 
denheit  der  Patienten  benutzt  hat,  glaubt  er  sagen  zu  dürfen,  daß  er  alle 
Anforderungen  erfüllt,  die  man  bezüglich  Einfachheit,  Verbesserung  der  Wir¬ 
kungsschnelligkeit,  Geschmack  und  Haltbarkeit  stellen  darf.  Bei  einem  be¬ 
sonders  empfindlichen  Magen  setzte  er  behufs  Neutralisation  außer  dem 
Spiritus  noch  Natrium  carbonicum  0,02  hinzu.  Neumann. 


1196 


Referate  und  Besprechungen. 


Röntgenologie  und  physikalische  Heilmethoden. 

Ein  neues  Meßgerät  für  die  Röntgentechnik. 

(G.  Werner,  Frankfurt  a.  M.  Klin.-therapeut.  Wochenschr.,  Nr.  11,  1909.) 

Während  wir  hei  allen  Einrichtungen  zur  Anwendung  elektrischer 
Energie  als  Heilmittel  Meßinstrumente  besitzen,  welche  uns  die  systematische 
Dosierung  der  angewandten  Energiemengen  ermöglichen,  fehlen  uns  auf  dem 
großen  Anwendungsgebiet  der  Röntgenstrahlen  derartige  Meßinstrumente  als 
Wegweiser  vollständig.  Das  vereinzelt  derartig  verwendete  Milliamperemeter 
ist  in  seinen  Angaben  überaus  unzuverlässig,  sowohl  wegen  seines  Konstruk¬ 
tionsprinzips,  wie  wegen  der  veränderlichen  Zusammensetzung  des  passierenden 
Stromes,  dessen  Richtung  häufig  wechselt;  das  Instrument  zeigt  nur  den  An¬ 
schlag,  der  dem  Stärkeunterschied  der  negativen  Stromimpulse  gegenüber  den 
positiven  entspricht.  Man  hat  daher  Meßinstrumente  konstruiert,  in  denen 
die  Wirkungen  der  positiven  und  negativen  Stromwellen  nicht  subtrahiert, 
sondern  addiert  werden,  die  daher  besonders  für  Wechselstrom  bestimmt 
sind;  ihr  Zeigerausschlag  ist  von  der  Stromrichtung  unabhängig.  Durch 
Serienschaltung  dieses  Instruments  mit  einem  Drehspul-Milliamperemeter,  wie 
sie  in  der  von  Hartmann  und  Braun,  Frankfurt  a.  M.,  erzeugten  Instru¬ 
mentenkombination,  einer  elektrischen  und  mechanischen  Verbindung  von  Ver¬ 
teilungsanzeiger  und  Strommesser,  vorliegt,  ermöglicht  sowohl  eine  Beurteilung 
der  Härte  mehrerer  Röhren,  als  auch  eine  Beobachtung  der  Änderung  des 
Härtegrades  während  des  Betriebes ;  gleichzeitig  ist  es  ein  hochempfindlicher 
Schließungslichtdetektor,  so  daß  mittels  des  Instrumentariums  alle  Betriebs- 
feliler  und  -abweichungen  unzweideutig  und  rechtzeitig  erkannt  werden  kön¬ 
nen.  Die  Möglichkeit,  durch  seinen  Gebrauch  die  Röhren  zu  schonen  und 
die  Lieferung  zahlenmäßiger  Angaben  sind  überaus  schätzbare  Vorteile  des 
Instrumentariums.  Peters  (Eisenach). 


Radium  bei  Oesophagus-Karzinom. 

(Guisez  u.  Barcat.  Soc.  med.  des  höpit.,  2.  April  1909.  —  Bull,  med.,  S.  326,  1909.) 

Bei  fünf  Patienten  mit  histologisch  nachgewiesenen  Speiseröhrenkrebsen 
haben  die  beiden  Ärzte  Sonden,  die  mit  Radiumbromid  armiert  waren,  ein¬ 
geführt  und  in  mehreren  Sitzungen  je  4 — 5  Stunden  liegen  lassen.  Bei 
allen  sind  die  subjektiven  und  objektiven  Erscheinungen  verschwunden;  für 
wie  lange,  muß  die  Zukunft  lehren.  Buttersack  (Berlin). 


Beobachtungen  über  den  therapeutischen  Wert  des  Radiums  und  seine 

Anwendung. 

(J.  M.  H.  Macleod.  The  Practitioner,  Nr.  5,  1909.) 

M.  faßt  seine  Erfahrungen  dahin  zusammen,  daß  Ulcus  rodens  mit  gutem 
Erfolg,  allerdings  zuweilen  mit  Rezidiv,  mit  Radium  behandelt  wird.  Nicht 
so  entschieden  wirkt  Radium  auf  Hautepitheliome,  noch  weniger  auf  Epi¬ 
theliome  der  Schleimhäute.  Naevi  vasculosi  werden  mit  Radium  besser  be¬ 
seitigt,  als  auf  irgend  eine  andere  Weise.  Bei  tiefer  sitzenden  Krebsen  ver¬ 
sagt  das  Radium,  bei  der  Hauttuberkulose  Treten  fast  immer  Rezidive  ein. 

Die  Arbeit  enthält  ausführliche  Mitteilungen  über  die  Anwendungsweise 
des  Radiums,  die  sich  zum  Referate  nicht  eignen.  Fr.  von  den  Velden. 


Kombinierte  Radium-  und  Elektrolyse-Behandlung  bei  Nävi. 

(Foveau  de  Courmelles.  Acad.  des  Sciences.  Prog.  med.,  Nr.  24,  S.  811,  1909.) 

Will  man  Naevi  mit  Radium  zum  Verschwinden  bringen,  so  braucht 
man  1500000  Einheiten.  Wenn  man  jedoch  die  Naevi  zuerst  mit  Elektrolyse 
behandelt,  dann  genügt  ein  Firnis  von  0,005  g  Radiumbromid  auf  100000, 
um  nach  3 — 4  Tagen  die  Geschwulst  als  dicke  Borke  abfallen  zu  lassen. 

Buttersack  (Berlin). 


Bücherschau. 


1197 


Bücherschau. 


Medizinische  Diagnostik.  Ein  Leitfaden  zur  bakteriologischen,  chemischen 
und  mikroskopischen  Untersuchung  menschlicher  Sekrete  und  Exkrete. 
Von  C.  S.  Engel.  Verlag  von  G.  Thieme,  Leipzig.  361  S.  8  Mk. 

Noch  ist  die  Zeit  nicht  allzu  lange  her,  wo  die  bakteriologische,  chemische 
und  mikroskopische  Untersuchung  der  Sekrete  und  Exkrete  in  der  allgemeinen 
Praxis  sich  äußerst  einfach  gestaltete.  Die  rastlos  vorwärts  schreitende  Wissen¬ 
schaft  hat  auch  hierin  Wandel  geschaffen,  und  was  früher  dem  Spezialisten  Vor¬ 
behalten  war,  wurde  vereinfacht  und  ein  Gemeingut  aller  Praktiker.  Wie  lange 
wird  es  dauern  und  einfache  Verfahren  machen  es  möglich,  auch  die  Wasser- 
mann’sche  Beaktion  in  der  Sprechstunde  auszuführen.  Jedenfalls  ist  aber  eine 
genaue  Kenntnis  dieser  und  anderer  komplizierter  diagnostischer  Untersuchungs¬ 
methoden  für  keinen  Arzt  mehr  zu  entbehren  und  er  kann  sich  diese  Kenntnisse  an 
der  Hand  des  vorliegenden  Buches,  das  sich  sehr  bescheiden  ein  Leitfaden  nennt, 
in  vorzüglicher  Weise  aneignen.  Gerade  der  Umstand,  daß  der  Autor  die  Ergeb¬ 
nisse  seiner  so  beliebten  und  stets  zahlreich  besuchten  Fortbildungskurse  dem  Buche 
zugrunde  gelegt  hat,  macht  es  für  die  Praxis  wertvoll.  Theoretische  Betrachtungen 
treten  in  ihm  gegenüber  der  praktischen  Durchführung  zurück,  wobei  die  Schwierig¬ 
keiten  bei  der  Beurteilung  der  einzelnen  Reaktionen  die  gebührende  Berück¬ 
sichtigung  finden.  Zahlreiche  Abbildungen  im  Text  ermöglichen  in  erwünschter 
Weise  einen  Vergleich  mit  den  gefundenen  Ergebnissen.  R. 


Zoologisches  Wörterbuch.  Erklärung  der  zoologischen  Fachausdrücke. 
Zum  Gebrauch  beim  Studium  zoologischer,  entwickelungsgeschichtlicher 
und  naturphilosophischer  Werke.  Herausgegeben  von  Prof.  E.  Ziegler. 

Dritte  (Schluß-)  Lieferung. 

Das  hervorragende  Werk,  das  wir  bereits  beim  Erscheinen  der  ersten  Liefe¬ 
rung  (S.  755,  1907)  nach  Gebühr  gewürdigt  haben,  liegt  nunmehr  vollendet  vor, 
645  Seiten  stark  mit  529  Abbildungen,  in  prächtiger  Ausstattung.  Daß  es  trotzdem 
nur  10  Mark  (gebunden)  kostet,  ist  wie  schon  früher  erwähnt,  der  Munifizenz  des 
verstorbenen  Geheimrats  Krupp  zu  danken.  Das  der  ersten  Lieferung  gespendete 
Lob  gilt  in  vollem  Maße  auch  für  das  ganze  Werk.  Für  eine  zweite  Auflage,  die 
sicher  bald  notwendig  sein  wird,  wäre  es  wünschenswert,  wenn  die  für  die  mensch¬ 
liche  Pathologie  in  Betracht  kommenden  tierischen  Lebewesen  noch  eingehender 
berücksichtigt  würden.  Auch  wäre  es  vielleicht  zweckmäßig,  die  gebräuchlichen 
Abkürzungen  der  Autornamen  aufzunehmen.  W.  Guttmann. 


Moderne  Säuglingsfürsorge.  Von  Eugen  Schlesinger,  Straßburg. 

Straßburg  1909.  2,80  Mk. 

Der  Verfasser  spricht  über  die  Größe  undUrsache  der  Säuglingssterblichkeit. 
Als  vornehmstes  Mittel  zu  ihrer  Bekämpfung  bezeichnet  er  die  Stillpropaganda. 
Der  Mutterschutz  habe  sich  nicht  nur  mit  der  Fürsorge  für  Wöchnerinnen,  sondern 
auch  für  Schwangere  zu  beschäftigen.  Ein  Kapitel  ist  der  Frage  von  der 
Gewinnung  einwandfreier  Kuhmilch  zur  künstlichen  Ernährung  des  Säuglings 
gewidmet.  Den  Milchküchen,  Säuglingsheilstätten,  Kinderpolikliniken  und  Krippen 
wendet  S.  besondere  Aufmerksamkeit  zu.  Eine  eigene  Fürsorgestelle  für  uneheliche 
und  Kostkinder,  für  arme  und  verlassene  Säuglinge  fordert  er.  Trotzdem  schon 
viel  geschehen  sei,  kein  statistisch  nachweisbares  allgemeines  Sinken  der  Säuglings¬ 
sterblichkeit.  S.  verlangt  am  Schlüsse  seines  Buches  Übernahme  der  Einrichtungen 
zum  Wohle  der  Säuglinge  aus  den  Händen  der  Vereine  in  städtische  Verwaltung  und 
Beteiligung  des  Staates  zur  Ermöglichung  großzügiger  Aktionen.  Reiss  (München). 


Frühdiagnose  und  Tuberkulose-Immunität.  Ein  Lehrbuch  für  Ärzte  und 
Studierende.  Von  Dr.  A.  Wolf f-Eisner.  Zweite  vermehrte  Auflage. 

Würzburg,  C.  Kabitzsch,  1909.  10  Mk. 

Das  Buch  behandelt  hauptsächlich  die  Tuberkulindiagnose  und  in  erster 
Linie  die  Lokal-Tuberkulinreaktionen.  Indessen  ist  anzuerkennen,  daß  die  übrigen 


1198 


Bücherschau. 


Methoden,  namentlich  die  klinische  Untersuchung,  eingehend  berücksichtigt  werden. 
Auch  die  Röntgendurchleuchtung  wird  ausführlich  erörtert,  während  die  Methoden  der 
Sputum-Untersuchung,  trotz  der  ihr  von  W.-E.  zugesprochenen  praktischen  Bedeutung, 
etwas  vernachlässigt  sind;  die  neueren  Vervollkommnungen  der  Technik  wären 
noch  zu  berücksichtigen.  Die  Bedeutung  der  Lymphozyten  für  die  Diagnose  ist 
eingehend  gewürdigt.  Die  Inoscopie  und  die  Agglutinationsmethode  finden 
Anerkennung,  während  die  Komplementbindungsmethode,  die  Opsoninbestimmung  und 
die  Kobragift-Methode  vorläufig  noch  keine  praktisch  brauchbaren  Resultate  geben. 

Bei  Besprechung  der  lokalen  Tuberkulinreaktionen  wird  die  Bedeutung  der 
v.  Pirqu  et’schen  Kutanreaktion  voll  anerkannt.  Die  Konjunktivalreaktion  wird 
gegen  die  zahlreichen  Angriffe  in  Schutz  genommen:  die  von  ihr  herrührenden 
Schädigungen  werden  auf  mangelhafte  Technik,  ungeeignete  Tuberkulin-Präparate 
usw.  zurückgeführt.  Die  nach  subkutaner  Tuberkulininjektion  auftretenden  Schäden 
werden  dagegen  besonders  hervorgehoben.  Die  lokalen  Tuberkulinreaktionen 
ermöglichen  eben,  mit  geringen  Ausnahmen,  das  Vermeiden  einer  Allgemeinreaktion. 
Zudem  zeigt  die  subkutane  Tuberkulinprobe  unterschiedlos  aktive  wie  inaktive 
Prozesse  an,  während  die  Konjunktialreaktion  nur  aktive  Tuberkulose  aufdeckt. 
Andererseits  wird  zugestanden,  daß  der  Kutanreaktion  die  größere  prognostische 
Bedeutung  zukommt. 

Die  weiteren  Abschnitte  des  Buches  enthalten  interessante  Abhandlungen 
über  das  Wesen  der  Tuberkuline,  die  als  grundsätzlich  gleichartig  hingestellt 
werden,  weil  sie  alle  durch  die  in  ihnen  enthaltenen  Tuberkelbazillensplitter  wirken 
—  über  das  Wesen  der  Tuberkulinimmunität,  über  die  Prognosestellung  und  die 
Bedeutung  der  lokalen  Tuberkulinreaktionen  in  sozialer  Hinsicht  sowie  für  die 
Heilstättenfrage.  Gerade  hierfür  ist  die  Entscheidung,  ob  eine  aktive  oder  inaktive 
Tuberkulose  vorliegt,  von  größter  Wichtigkeit:  die  Aufnahme  in  die  Heilstätte 
sollte  davon  abhängig  gemacht  werden,  ob  aktive  Tuberkulose  besteht  oder  nicht, 
und  die  Statistik  der  Heilstättenerfolge  sollte  dies  berücksichtigen. 

Sobotta  (Reiboldsgrün). 


Der  Wintersport;  vom  ärztlichen  Standpunkt  aus  beleuchtet.  Von  A.  Nolda, 
St.  Moritz.  Leipzig-Berlin-München-Paris,  Grethlein  &  Co.,  1909.  50  S. 

Ähnlich  wie  im  Mittelalter  die  Kirche  alles,  was  das  Leben  mit  sich  bringt, 
in  ihren  Kreis  zu  ziehen  bestrebt  war,  ähnlich  verfährt  heutzutage  die  Gesundheits¬ 
pflege.  Die  Fragen,  ob  etwas  gut  oder  schön  oder  edel  sei,  treten  zurück  hinter 
der  anderen,  ob  es  gesund,  bekömmlich  sei,  wobei  ein  paar  gebrochene  Rippen  oder 
luxierte  Gelenke  (S.  21)  weiter  nicht  in  Anschlag  gebracht  werden. 

Das  vorliegende  Heftchen  beschreibt  die  Technik,  Vergnügungen  und  Rekord¬ 
leistungen  beim  Rodeln,  Tobogganing,  Luging,  Bobsleighfahren,  Bobsleighing,  beim 
Rennwolffahren,  Skilaufen,  Skikjöring,  Skisegeln,  Dandy,  Hockey,  Curling,  und  da 
es  außerdem  auch  von  prinzlichen  Sportsleuten  und  von  prachtvollen  Toiletten  und 
dergleichen  handelt,  so  paßt  es  nicht  blos  für  das  Vorzimmer  des  Arztes,  sondern 
ebenso  gut  für  die  Salons  mondainer  Damen.  Buttersack  (Berlin.) 


Abhärtung  und  Erkältung.  Von  A.  Kühn,  Rostock.  Berliner  Klinik, 
21.  Jahrg.,  Heft  248,  Februar  1909.  32  S.  60  Pfg. 

Ein  anspruchsloser,  in  liebenswürdigem  Vortrag  gemachter  Versuch,  die 
bakteriologischen  und  die  physiologischen  Gesichtspunkte  zu  vereinigen.  Zumeist 
sind  es,  so  ungefähr  ist  der  Gedankengang,  die  Mikroorganismen,  welche  die  Krank¬ 
heit  hervorrufen,  aber  nur,  wenn  die  natürliche  Widerstandskraft  herabgesetzt  ist. 
Eine  gelegentliche,  vorübergehende,  wenn  auch  energische  Abkühlung  bewirkt  aber 
solch  eine  Herabsetzung  keineswegs,  erhöht  vielmehr  reaktiv  die  Resistenz, 
wenigstens  beim  Durchschnittsmenschen. 

Anders  verhält  sich  die  Sache  bei  Personen  mit  geschwächtem  Reaktions¬ 
apparat,  oder  bei  langdauernder  Abkühlung,  auf  welche  sich  der  Organismus  nicht 
einstellen  kann.  Diese  Verhältnisse  sind  übrigens  höchst  variabel  und  individuell, 
und  angesichts  dieser  physiologischen  Tatsache  erscheinen  die  z.  B.  üblichen  Ab¬ 
härtungsversuche  mit  kalten  Duschen,  Luftbädern  usw.  irrationell.  Es  muß  eben 
jeder  sehen,  wie  viel  er  seinem  Reaktionsapparat  zumuten  darf.  Rationelle  Lebens¬ 
führung  und  möglichstes  Fernhalten  von  Infektionsgelegenheiten  schützt  am  besten 
vor  Erkältungen,  wie  vor  anderen  Erkrankungen. 

Für  Abhärtungsapostel  sind  Kühn’s  Ausführungen  lesens-  und  beherzigenswert. 

_  Buttersack  (Berlin). 


Krankenpflege  und  ärztliche  Technik. 


1199 


Krankenpflege  und  ärztliche  Technik. 

Kastenklappstuhl 

nach  Dr.  Gmelin. 

D.  R.-G.-M.  D.  R.-P.  angemeldet. 

Der  Kastenklappstuhl  ist  eine  Art  tragbare  Liegehalle.  Er  vermeidet 
also  die  Nachteile  sowohl  der  großen  Liegehalle,  in  der  viele  Menschen 
zusammengedrängt  sind  und  sich  leicht  stören,  die  weder  gegen  Südwind 
Schutz  bietet,  noch  der  Morgen-  und  Abendsonne  Zutritt  gestattet,  wie 
die  des  einfachen  Liegestuhls,  der  weder  Sonne,  noch  Wind  und  Regen 
abhält.  Er  unterscheidet  sich  von  allen  ähnlichen  älteren  Konstruktionen 
dadurch,  daß  der  Kasten,  in  den  der  Stuhl  eingebaut  ist,  dicht  schließt. 
Der  Stuhl  ist  also  nach  Regen  sofort  wieder  benutzbar  und  leidet  nicht 
durch  Nässe,  während  alle  korbartigen  Liegestühle  tagelang  naß  bleiben, 
rasch  sich  abnutzen  und  daher  viel  Reparatur  erfordern.  Der  Kasten  ist 
auf  Holzrahmen  gebaut,  mit  starken  verzinkten  Metallfüllungen  versehen 
und  mit  Ölfarbe  gestrichen.  Weit  ausgreifende  Streben  sichern  eine  feste 
Stellung.  An  seitlichen  Griffen  läßt  sich  der  Kasten  bequem  heben;  das 
Gewicht  beträgt  ca.  35  kg. 

Der  Klappstuhl  selbst  besteht  aus  drei  Holzrahmen,  die  durch  Schar¬ 
niere  verbunden  und  mit  Rohrgeflecht  bespannt  sind.  Sämtliche  Beschläge 
sind  verzinkt.  Nach  Öffnung  der  Tür  wird  der  Stuhl  mit  einem  Griff  her¬ 
ausgezogen  und  stellt  sich  sofort  fest.  Die  Unterstützungsfläche  schmiegt 
sich  der  Körperform  an. 

Zum  Schutz  für  die  Augen  ist  eine  selbsttätig  sich  auf  stellende  Jalousie, 
an  den  Seiten  eine  Armlehne  angebracht. 

Die  Innenseite  der  Tür  ist  zur  Aufbewahrung  von  Büchern  und  Zei¬ 
tungen  zu  benutzen.  Auch  lassen  sich  Decken  und  Mäntel,  die  zur  Liege¬ 
kur  gebraucht  werden,  im  Innern  unterbringen. 

Der  Stuhl  ist  verwendbar  am  Meer  wie  im  Binnenland,  im  Sana¬ 
torium  und  Krankenhaus  wie  in  der  Privatpraxis. 

In  der  Rekonvaleszenz  nach  schweren  Krankheiten,  bei  Lungen¬ 
leiden  und  Blutarmut,  Herzschwäche  und  Nervosität,  wird  er  große  Dienste 
leisten,  da  er  überall  Ruhe  mit  dem  Genuß  der  frischen  Luft  zu  verbin¬ 
den  erlaubt. 

Der  Kastenklappstuhl  wird  hergestellt  von  der  Korbfabrik  CI.  Elvers 
in  Büsum  (Holstein). 

Der  Preis  beträgt  M.  65. —  Anstalten  erhalten  bei  größerer  Ab¬ 
nahme  Rabatt. 


Leicht  auswechselbare  Elektroden. 

Dr.  Würth  von  Würthenau,  Stabsarzt  an  der  Wilhelms-Heilanstalt,  Wiesbaden. 

Häufig  schon  ist  es  mir  aufgefallen,  daß  mit  den  Elektroden  meist 
solange  elektrisiert  wird,  bis  der  Hirschlederüberzug  unansehnlich  und  un¬ 
brauchbar  'geworden  ist,  da  das  Wechseln  des  Überzugs  mit  mehr  oder 
weniger  Schwierigkeiten  verbunden  ist. 

Eine  solche  Elektrode  wandert  von  Körper  zu  Körper,  wird 
täglich  unansehnlicher  und  ist  in  ästhetischer  Hinsicht  in  den 
Augen  des  Arztes  und  noch  mehr  eines  sensiblen  Kranken  ein 
Greuel,  nach  der  heutigjen  Ansicht  auch  in  hygienischer  Hin¬ 
sicht  zu  beanstanden. 

Dies  veranlaßte  mich,  der  Konstruktion  einer  Elektrode  näher  zu  treten, 
welche  es  leicht  ermöglicht,  bei  jedem  Kranken  schnell  eine  frisch  über¬ 
zogene,  einwandfreie  Elektrode  zu  verwenden,  ohne  daß  das  Wechseln  des 
Überzuges  dem  Arzte  besondere  Mühe  und  Kosten  verursacht. 


1200 


Krankenpflege  und  ärztliche  Technik. 


Sg.< 


3  I 


o 


5\g."b. 


Nach  verschiedenen  Entwürfen  und  Proben  habe  ich  beistehendes  Modell 
gewählt,  daß  ich  nunmehr  seit  Jahresfrist  in  Betrieb  habe,  das  sich  in  der 
Praxis  bewährt  hat  und  allen  Anforderungen  gerecht  wird. 

Die  Elektrode  Fig.  a  besteht  aus  einem 
Elektrodenhalter  Fig.  b  und  einem  Elek¬ 
trodenkopf  Fig.  c. 

Der  Elektrodenhalter  Fig.  b  empfängt 
in  der  bisher  üblichen  Weise  den  Strom 
durch  Anschluß  der  Verbindungsschnur. 
Vorn  endet  der  Halter  in  einem  Metall¬ 
rohr,  das  seitlich  einen  Schlitz  k  besitzt. 

Der  Elektrodenkopf  Fig.  c  besteht  aus 
einer  Metallplatte  d  in  deren  Mitte  ein 
runder  Metallstab  e  abgeht,  im  Durch¬ 
messer  entsprechend  der  Lichtung  des 
Rohres  vom  Elektrodenhalter.  Der  Metall¬ 
stab  besitzt  in  der  Nähe  seines  freien 
Endes  eine  kleine  Nase  f,  die  so  groß  ist, 
daß  sie  in  den  seitlichen  Schlitz  des  Rohres 
vom  Halter  paßt  und  eine  Drehung  der 
Elektrodenplatte  verhindert. 

Eine  zweite  nur  wenig  kleinere,  gekrümmte  Metallplatte  g  mit  zen¬ 
tralem  Loch,  durch  welches  der  Metallstab  e  hindurchführt,  kann  durch  eine 
Mutterschraube  h,  deren  zugehöriges  Gewinde  sich  am  Metallstab  e  befindet, 
auf  die  Elektrodenplatte  d  fest  angedrückt  werden.  Zwischen  die  beiden 
Flächen  der  Metallplatten  werden  die  Enden  eines  über  die  feste  Elektroden¬ 
platte  gelegten  Stoffüberzuges  i  festgeklemmt. 

Die  Metallplatten  d  und  g  erhalten  je  nach  ihrer  Bestimmung  die  ge¬ 
wünschte  Form  und  Größe,  viereckig  oder  rund,  groß  oder  klein.  An  Stelle 
der  Metallplatten  können  auch  pinsel-  oder  bürstenförmige,  auswechselbare) 
Metallelektroden  treten. 

Der  zum  Elektrisieren  durch  Überziehen  mit  Stoff  fertig  gemachte  Elek¬ 
trodenkopf  wird  nun  einfach  in  den  Elektrodenhalter  eingeschoben.  Der 
Kopf  kann  im  weiteren  schnell,  ohne  Mühe  und  ohne  Zeitaufwand  durch  einen 
kleineren  oder  größeren,  oder  auch  durch  einen  pinsel-  oder  walzenförmigen 
ersetzt  werden.  Vor  allen  Dingen  fällt  das  sonst  übliche  zeitraubende  und 
lästige  Abschrauben  der  Elektrode  weg,  da  der  Halter  einmal  angeschraubt, 
dauernd  liegen  bleiben  kann.  Bei  genügendem  Vorrat  von  Elektrodenköpfen 
kann  jeder  Kranke  stets  mit  anderen,  frischen,  nicht  gebrauchten  Elektroden 
elektrisiert  wlerden.  Die  Köpfe  werden  beiseite  gelegt  und  die  Überzüge 
derselben  außerhalb  der  Sprechstunde  gewechselt.  Die  Überzüge  sind  wasch- 
und  sterilisierbar.  Für  sensible  Kranke  können  eigene  Elektrodenköpfe  bereit 
gehalten  werden.  Das  Wechseln  des  Überzugs  selbst  erfordert  bei  einiger 
Übung  höchstens  1/2  Minute  Zeit  Und  geschieht  in  der  Weise,  daß  die  Schrauben¬ 
mutter  h  gelockert  und  die  lose  Platte  g  hochgehoben  wird.  Der  alte  Überzug 
wird  abgenommen,  der  neue  um  die  feststehende  Elektrodenplatte  d  gelegt, 
die  freien  Enden  des  Überzuges  mit  den  Fingern  etwas  zurückgelegt  und  durch 
die  bewegliche  Platte  g  mit  der  Schraubenmutter  h  wieder  festgedrückt. 

Die  Elektrode  hat  also  den  Vorteil,  daß  der  Elektrodenhalter 
mit  oder  ohne  Stromunterbrecher  dauernd  an  dem  Leitungsdraht  liegen 
bleibt,  daß  jeder  gewünschte  Elektrodeükopf ,  ohne  den  geringsten 
Zeitverlust  ausgewechselt  werden  kann  und  daß  der  gebrauchte 
wasch-  und  sterilisierbare  Überzug  leicht  un,d  bequem  durch  einen 
neuen  zu  ersetzen  ist. 

Diese  auswechselbaren  Elektroden  werden  von  den  Veifa  -Werken  Frank¬ 
furt  a.  M.,  Mainzerlandstr.  148  angefertigt. 


Schriftleitung:  Dr.  Rigler  in  Leipzig. 
Druck  von  Emil  Herrmann  senior  in  Leipzig. 


27.  Jahrgang. 


1909. 


Tortscbritte  der  medizin. 


Unter  Mitwirkung  hervorragender  Fachmänner 

herausgegeben  von 

Professor  Dr,  0.  Köster  Prio.-Doz.  Dr.  o.  Criegern 

in  Leipzig.  in  Leipzig. 

Schriftleitung:  Dr.  Rigler  in  Leipzig. 


Nr.  32. 


Erscheint  am  10.,  20.,  30.  jeden  Monats.  Preis  halbjährlich 
6  Mark,  in  kl.  Zeitschrift  für  Yersicherungsmedizin  8  Mark. 


Verlag  von  Georg  Thieme,  Leipzig. 


20.  Nov. 


Originalarbeiten  und  Sammelberichte. 


Ueber  schlecht  gedeihende  Brustkinder. 

Von  Prof.  Dr.  Martin  Thiemich,  Magdeburg. 

Nach  einem  Vortrage  in  der  medizinischen  Gesellschaft  zu  Magdeburg. 

(Schluß.) 

Der  Versuch,  solche  Kinder  schon  nach  den  ersten  Lebenswochen 
zu  entwöhnen,  sei  es  wegen  der  mangelhaften  Gewichtszunahme,  sei 
es  weil  die  exsudativen  Symptome  fälschlich  einer  ungeeigneten  oder 
fehlerhaften  Beschaffenheit  der  Mutter-  oder  Ammenmilch  zur  Last 
gelegt  werden,  bereitet  gewöhnlich  sehr  große  Schwierigkeiten  oder 
schlägt  gänzlich  fehl.  Auf  die  Störungen  des  Fettstoffwechsels  habe 
ich  schon  hingewiesen.  Bei  künstlicher  Ernährung  macht  sich  dies 
sehr  bald,  auch  bei  vorsichtiger  Dosierung  der  Kuh-  oder  Ziegenmilch, 
durch  das  Auftreten  von  Seifenstühlen  bemerkbar  ;  die  Toleranzbreite 
für  das  Fett  jeder  Tiermilch  ist  so  gering,  daß  man  schnell  zur  Zugabe 
reichlicher  Kohlehydratmengen  schreiten  muß,  wenn  man  das  Kind 
nicht  dauernd  unterernähren  will.  Man  setzt  dadurch  das  Kind  allen 
Nachteilen  und  Gefahren  einer  frühzeitigen  Kohlehydratüberernährung 
aus.  Es  ist  darum  notwendig,  im  Falle  des  Bestehens  einer  exsudativen 
Diathese  die  Ernährung  an  der  Brust  mindestens  während  der  ersten 
Lebensmonate  auch  dann  durchzuführen,  wenn  gar  keine  oder  nur  sehr 
geringe  Gewichtszunahmen  erzielt  werden. 

Handelt  es  sich  um  ein  nicht  von  der  Mutter,  sondern  von  einer 
Amme  gestilltes  Kind,  so  wird  häufig  ein  Ammenwechsel  vorgenommen. 
Ob  zwar  theoretisch  zuzugeben  ist,  daß  die  Milch  verschiedener  Frauen 
einen  individuell  verschieden  hohen  Fettgehalt  besitzt,  welcher  auch 
durch  Änderungen  in  der  Ernährung  der  Stillenden  nicht  wesentlich 
und  für  die  Dauer  geändert  werden  kann,  und  obwohl  zweitens  eine 
fettärmere  Frauenmilch  einer  fettreicheren  vorzuziehen  wäre,  so  er¬ 
scheint  ein  Ammenwechsel  als  eine  sehr  unsichere  und  unter  allen 
Umständen  entbehrliche  Maßnahme.  Denn  erstens  erfahren  wir  nur 
durch  sehr  mühsame,  längere  Zeit  fortgesetzte  Untersuchungen  den 
individuellen  Fettgehalt  der  Milch  der  etwa  neu  zu  wählenden  Amme, 
und  zweitens  können  wir  beim  Kinde  durch  einfache  Beschränkung 
der  Nahrungsmengen  (Verlängerung  der  Pausen,  Verkürzung  der  Trink¬ 
zeiten)  dessen  tägliche  Fettaufnahme  auf  das  zulässige  Maß  herunter¬ 
drücken. 


76 


1202 


Martin  Thiemich, 


Als  Beispiel  eines  derartigen  Balles  führe  ich 
Ihnen  eins  unserer  Ammenkinder  vor,  dessen  Ge¬ 
wichtskurve  Figur  4  a  darstellt.  Das  Kind  ist  am 
12.  Lebenstage  mit  einem  Körpergewicht  von  3800  g 
in  die  Anstalt  aufgenommen.  Trotz  unbeschränkter 
und,  wie  Sie  sehen,  ausreichender  Nahrungsmengen 
kam  das  Körpergewicht  während  der  ersten  vier 
Wochen  nicht  vorwärts,  schon  in  der  zweiten  Auf¬ 
enthaltswoche  zeigt  die  auf  Figur  4  b  auf  gezeichnete 
Temperaturkurve  fast  tägliche  Anstiege  bis  38,3, 
während  gleichzeitig  am  Kinde  ein  leichter  Schnup¬ 
fen  und  gelegentlich  auch  Husten  zu  bemerken  sind. 
Bereits  im  Alter  von  fünf  Wochen  entwickelt  sich 
ein  in  der  Folgezeit  zunehmendes  Wangenekzem. 
Die  Ausleerungen  waren  während  des  größten  Teils  der  Krankenhausbeobach- 


Fig.  4b. 

tung  leicht  dyspeptisch,  auch  als  später  eine  leidliche  Gewichtszunahme 
einsetzte. 

Eine  längere  Beobachtungszeit  als  bei  diesem  Kinde,  welches  nach 
dem  Verlassen  der  Anstalt  aus  Mägdeburg  fortgezogen  ist,  haben  wir 
z.  B.  bei  folgendem  Kinde,  welches  nicht  im  Krankenhause,  sondern 
nur  in  der  Beratungsstunde  beobachtet  wurde. 

Das  am  4.  September  1908  als  8.  Kind  gesunder  Eltern  geborene  Kind 
wurde  am  1.  Oktober  mit  einem  Körpergewicht  von  4800  g  erstmalig  vor¬ 
gestellt.  Außer  einem  geringen  Ikterus  neonatorum,  welcher  schon  stark  im 
Ablassen  war,  war  an  dem  großen,  kräftigen  Kinde  nichts  krankhaftes  zu 
bemerken.  Trotz  ausschließlicher  Ernährung  an  der  Brust  der  Mutter,  welche 


Fig.  5. 

jedes  ihrer  früheren  Kinder  fast  zwei  Jahre  lang  gestillt  hatte,  war  bei 
diesem  Kinde  der  Ernährungserfolg,  den  wir  in  etwa  14  tägigen  Pausen  mit 
der  Wage  kontrollierten,  so  gering,  daß  das  Gewicht  am  12.  November  auch 
nur  4800  g,  und  am  31.  Dezember  erst  5160  g  betrug.  In  dieser  ganzen  Zeit 
hatte  das  Kind  unter  Bronchitiden,  zeitweilig  auch  unter  Schnupfen  und 
Appetitlosigkeit  zu  leiden,  im  Alter  von  etwa  2  Monaten  entwickelte  sich 
außerdem  ein  Wangen ekzem  von  übrigens  mäßiger  Ausdehnung.  Den  Er¬ 
nährungsgang  dieses  Kindes  stellt  Figur  5  dar. 

Die  beiden  angeführten  Beispiele,  die  sich  aus  unserm  Beobach¬ 
tungsmaterial  leicht  vervielfachen  ließen,  mögen  ausreichen,  Ihnen  die 
Körpergewichtsverhältnisse  vieler  exsudativer  Kinder  zu  veranschau¬ 
lichen.  Ich  will  nur  hinzufügen,  daß  sich  keineswegs  alle  exsudativen 
Kinder  in  dieser  Beziehung  gleich  verhalten.  Nicht  ganz  wenige  zeich- 


Fig.  4  a. 


Ueber  schlecht  gedeihende  Brustkinder. 


1203 


nen  sich,  worauf  Czerny  sehr  eindringlich  hingewiesen  hat,  von  An¬ 
fang  an  durch  sehr  starken  Fettansatz  und  abnorm  hohe  Gewichts¬ 
zunahmen  aus.  Bei  ihnen  nehmen  gewöhnlich  die  ekzematösen  Haut¬ 
erkrankungen  und  vielfach  auch  die  Schleimhautkatarrhe  schwerere 
Formen  an.  Czerny  vermutet  auch  bei  diesen  schnell  fett  werdenden, 
dabei  gewöhnlich  blassen  und  infolgedessen  pastös  erscheinenden  Indi¬ 
viduen  das  Bestehen  einer  Anomalie  im  Fettstoffwechsel. 

Im  Anschluß  an  die  infolge  ihrer  exsudativen  Diathese  schlecht 
gedeihenden  Brustkinder  möchte  ich  Ihnen  eine  Beobachtung  aus  unserer 
Abteilung  vorführen  (Fig.  6),  in  welcher  der  Gewichtsstillstand  monate¬ 
lang  gedauert  hat. 


Fig.  6. 

Das  Kind  wurde  als  erstes  Kind  einer  gesunden  Mutter  am  25.  November 
1908  geboren  und  am  7.  Dezember  mit  einem  Körpergewicht  von  3070  g  als 
Ammenkind  aufgenommen.  Es  war  ein  zierliches,  blasses,  besonders  im  Ver¬ 
gleich  mit  der  ungewöhnlich  stattlichen  und  blühend  aussehenden  Mutter 
dürftiges  Kindchen.  Da  die  Nahrungsmengen  bei  anfangs  5  täglichen  Mahl¬ 
zeiten  nur  etwa  Vio  des  Körpergewichts  betrugen,  wurde  die  Zahl  der  Mahl¬ 
zeiten  auf  6  erhöht,  wobei  die  Nahrungsmengen  allmählich  auf  durchschnitt¬ 
lich  Vc  des  Körpergewichts  stiegen.  Trotzdem,  und  trotz  guter  Beschaffen¬ 
heit  der  Stühle  stieg  das  Körpergewicht  nicht.  Am  6.  November  wurden 
deshalb  einmal  120  ccm  Malzsuppe  verabreicht.  Danach  erfolgte  heftiges 
Erbrechen.  Als  sich  dies  nach  der  gleichen  Malzsuppenmenge  am  nächsten 
Tage  wiederholte,  wurde  der  Versuch  aufgegeben.  Trotz  ansteigender,  wenn 
auch  von  Tag  zu  Tag  erheblich  schwankender  Nahrungsmengen  dauerte  der 
Gewichtsstillstand  fort.  Belativ  besser  wurde  ein  zweiter  Versuch,  dem 
Kinde  kohlehydratreiche  Beikost  in  Form  von  Holländischer  Säuglings¬ 
nahrung  zuzuführen,  vertragen.  Vom  4.  bis  22.  Februar  erhielt  das  Kind 
neben  5  Brustmahlzeiten  einmal  täglich  eine  halbe  Flasche  (125  ccm)  der 
Vilbeler  Buttermilch-Konserve,  die  gut  genommen  und  nie  erbrochen  wurde. 
In  dieser  Zeit  erfolgte  ein  allerdings  bescheidener  Gewichtsanstieg  von  3060 
auf  3230  g,  also  um  kaum  10  g  pro  Tag.  Da,  wie  aus  der  Kurve  ersicht¬ 
lich  ist,  schon  vor  Beginn  der  Buttermilchernährung  eine  geringe  Gewichts¬ 
zunahme  eingesetzt  hatte,  so  wurde,  um  den  Einfluß  der  Kohlehydratebei- 
kost  strenger  beurteilen  zu  können,  am  22.  Februar  das  Allaittement  mixte 
'aufgegeben  und  zwar  mit  dem  Erfolge,  daß  das  Körpergewicht  sofort,  wenn 

76* 


1204 


Martin  Thiemich, 


auch  unbedeutend  sank  und  bis  zum  13.  März,  dem  Tage  der  Entlassung, 
erst  wieder  3200  g  erreichte.  Während  dieser  langen  Beobachtungszeit  hat 
das  Kind  nur  an  drei  Tagen  (8.,  14.,  19.  Dezember  1908)  Temperaturanstiege 
bis  38,0°  gezeigt,  sonst  war  die  Temperatur  stets  normal  und  überschritt  nie 
37,5°.  Die  Hiaut  des  Kindes  wies  niemals  außer  einigen  kleinsten,  rasch 
abheilenden  Furunkeln  am  Hinterkopfe,  irgend  welche  Unreinheiten  auf. 
Auch  von  seiten  der  Schleimhäute  zeigten  sich  keine  Krankheitserscheinungen, 
trotzdem  während  dieser  Wintermonate  zahlreiche  Kinder  mit  infektiösen 
Erkrankungen  der  Luftwege  auf  der  Station  behandelt  wurden.  Die  v.  Pir- 
quet’sche  Reaktion  blieb  bei  ^wiederholten  Untersuchungen  stets  negativ, 
ebenso  wie  die  einmal  angestellte  Wasse r  m  an  Asche  Reaktion.  Bemerken 
will  ich  noch,  daß  die  aus  sorgfältigen  Probeentnahmen  im  Laufe  eines  Tages 
gesammelte  Mischmilch  der  Mutter  einen  Fettgehalt  von  3,5%  und  einen 
Eiweißgehalt1)  von  1,3%  auf  wies.  Trotz  prinzipieller  Bedenken  hätte  ich 
in  diesem  Falle  eines  so  lange  dauernden  Gewichtsstillstandes,  wie  ich  ihn 
sonst  weder  aus  der  Literatur  noch  aus  meiner  persönlichen  Erfahrung  in 
Erinnerung  habe,  von  der  in  der  Anstalt  gebotenen  Gelegenheit  eines  Ammen¬ 
wechsels  Gebrauch  gemacht,  wenn  nicht  die  um  das  Kind  sehr  besorgte 
Mutter  diesen  Versuch  abgelehnt  hätte. 

Höchst  interessant  ist  nun  das  weitere  Verhalten  des  Kindes!  nach 
seiner  Entlassung.  Wie  Sie  aus  der  Kurve  ersehen,  steigt  das  Körpergewicht 
von  da  an,  als  das  Kind  von  einer  Pflegefrau  künstlich  ernährt  wurde,  rasch 
an  und  zwar  nicht  nur  kurze  Zeit,  sondern  monatelang  in  gleichmäßig  be¬ 
friedigender  Weise,  trotzdem  das  Kind  in  der  Pflegestelle  vielfach  unter 
zahlreichen  kleinen  Furunkeln  an  verschiedenen  Körperstellen  laborierte.  Die 
Ernährung  wurde  von  der  Pflegefrau  angeblich  mit  Milch  und  Haferschleim 
durchgeführt,  doch  ist  es  wahrscheinlich,  daß  das  Kind  außerdem,  wenigstens 
sehr  bald  Zwieback  und  Gries,  jedenfalls  eine  ziemlich  kohlehydratreiche 
Nahrung  bekommen  hat. 

Ich  habe  diese  eigenartige  Beobachtung  ausführlich  mit  geteilt, 
muß  aber  bekennen,  daß  ich  nicht  imstande  bin,  eine  befriedigende  Er¬ 
klärung  dafür  zu  geben.  Bisher  haben  sich  an  dem  Kinde  keine  exsu¬ 
dativen  Symptome  gezeigt.  Nur  mit  Vorsicht  darf  ich  die  Vermutung 
aussprechen,  daß  auch  hier  eine  Störung  des  Fettstoff  Wechsels  vor¬ 
liegt.  Dafür  spricht  erstens  das  relativ  bessere  Gedeihen  bei  Butter¬ 
milch  zufütterung  und  später  in  der  Außenpflege,  zweitens  die  Be¬ 
schaffenheit  der  Stühle  während  des  Aufenthaltes  im  Krankenhause. 
Dieselben  erfolgten  gewöhnlich  ein-  bis  zweimal  in  24  Stunden  und 
waren  immer  etwas  fettglänzend,  homogen,  zuweilen  graugelb  und 
etwas  stinkend. 

Daß  Brustkinder  während  des  Bestandes  parenteraler  Infektionen 
an  Körpergewicht  nicht  zu-  oder  sogar  abnehmen,  ist  eigentlich  selbst¬ 
verständlich.  Ich  will  aber,  weil  diese  parenteralen  Infektionen  mit¬ 
unter  schwer  erkenübar  sind  oder  wegen  der  Geringfügigkeit  der  Sym¬ 
ptome  leicht  unterschätzt  werden,  ein  paar  Beispiele  anführen. 

Das  Kind  Hedwig  M.,  dessen  Gewichts-  und  Temperaturkurve  Figur  7 
darstellt,  litt  an  einer  chronischen  Pyelozystitis,  die  sich  im  Anschluß  anJ 
eine  schwere,  bei  künstlicher  Ernährung  entstandene  Ernährungsstörung  ein¬ 
gestellt  hatte.  Das  Kind  war  bei  der  Aufnahme  bereits  31/2  Monate  alt. 
Trotz  sehr  bald  nach  dem  Mißlingen  der  ersten  Ernährungsversuche  mit  Milch 
und  Wassermischungen  eingeleiteter  Ernährung  bei  der  Amme  trat  keine  Er¬ 
holung  und  keine  Gewichtszunahme  ein.  Auch  ein  Allaitement  mixte  mit 
Malzsuppe  blieb  ohne  Erfolg,  -weil  es  nicht  gelang,  das  Grundleiden  zu  heilen. 
Das  Kind  ist  schließlich  unter  den  Erscheinungen  einer  terminalen  Pneumonie 
im  Krankenhause  gestorben. 


1)  Stickstoffbestimmung  nach  Kjeldahl;  Multiplikation  mit  dem  Faktor,  6,  37, 


Ueber  schlecht  gedeihende  Brustkinder. 


1205 


Fig.  7. 

Weniger  gefährlich,  aber  schwer  und  langwierig  genug  ist  der 
Verlauf  der  parenteralen  Infektion  bei  einem  Ammenkinde,  dessen  Er¬ 
krankung  Figur  8  darstellt. 


Fig.  8. 

Das  Kind  wird  im  Alter  von  l1/2  Monaten  mit  einem  Körpergewicht  von 
4970  g  aufgenommen,  ist  also  kräftig  entwickelt.  Bei  der  Mutter  deuten, 
große  Hornhauttrübungen  und  strahlige  Narben  am  Halse  auf  eine  in  der 


1206 


Martin  Thiemich,  Ueber  schlecht  gedeihende  Brustkinder. 


Kindheit  überstandene  Skrofulöse;  sie  ist  sonst  stattlich  entwickelt,  hat  aber 
noch  jetzt  sehr  häufig  an  Schnupfen  und  Husten  zu  leiden.  Bei  der  Auf¬ 
nahme  hat  auch  das  Kind  Husten  und  Schnupfen  und  Temperatursteigerungen, 
entwickelt  sich  aber  nach  anfänglichem  Mißerfolge  befriedigend.  Am  6.  Okto¬ 
ber  verläßt  es  !mit  der  Mutter  die  Anstalt  in  gutem  Zustande.  Am  17.  Novem¬ 
ber  wird  es  wieder  mit  der  Mutter  aufgenomtnen,  weil  dieselbe  obdachlos  ist. 
Es  hat  gut  zugenommen,  erkrankt  aber  schon  Anfang  Dezember  im  Kranken- 
hause  mit  leichtem  Eieber  zunächst  ohne  objektiven  Befund.  Die  Mutter 
leidet  während  dieser  Zeit  an  einer  mit  hohem  Fieber  einhergehenden  folli¬ 
kulären  Angina,  die  einige  Tage  dauert.  Das  Kind  bekommt  keine  Angina, 
erkrankt  aber  an  Schnupfen,  welcher  wegen  der  blutig-serösen  Beschaffenheit 
des  Sekrets  und  der  Mazeration  der  Naseneingänge  den  Verdacht  auf  eine 
Nasendiphtherie  erweckt,  aber  keine  Diphtheriebazillen  enthält.  Unter  Fort¬ 
bestand  des  Fiebers  und  des  Schnupfens  tritt  in  der  nächsten  Zeit  eine 
rechtsseitige  Ohreiterung  ein,  und  wenig  später  entwickeln  sich  beiderseits, 
rechts  mehr  wie  links,  erhebliche  Drüsenschwellungen  hinter  dem  oberen 
Teile  des  Sternokleidomastoideus.  Dieselben  schwinden  allmählich  ohne 
Eiterung. 

Wie  schwer  der  Fortgang  der  Ernährung  bei  diesem  Kinde  durch  die 
geschilderten  Infektionen  gelitten  hat,  ersehen  Sie  in  der  Figur  8  daraus, 
daß  nach  mehr  als  zweimonatlicher  Dauer  das  Körpergewicht  noch  nicht 
dieselbe  Höhe  erreicht  hat  als  bei  der  zweiten  Aufnahme. 

Besonders  beachtenswert  ist  die  Möglichkeit,  daß  die  durch  den 
Gewichtsstillstand  angezeigte  Ernährungsstörung  parenteraler  Natur 
sei,  wenn  eine  hereditäre  Belastung  oder  Infektionsgelegenheit  mit 
Tuberkulose  besteht.  In  solchem  Falle  muß  immer  sehr  sorgfältig, 
eventuell  unter  Zuhilfenahme  der  v.  Pirquet’schen  Reaktion  nach 
einer  tuberkulösen  Erkrankung  gesucht  werden.  Ich  .habe  unter  unserm 
Krankenmaterial  keine  einschlägige  Beobachtung',  die  ich  Ihnen  vor¬ 
führen  könnte,  es  sind  aber  schon  vor  Jahren  in  der  Literatur  Fälle 
beschrieben  worden,  bei  denen  das  Sistieren  der  Gewichtszunahme  das 
erste  Zeichen  einer  schließlich  zur  miliaren  Aussaat  führenden  tuber¬ 
kulösen  Allgemeininfektion  war. 

Desgleichen  ist  es  verständlich,  daß  eine  nicht  behandelte  kon¬ 
genitale  Lues  auch  bei  Ernährung  an  der  Mutterbrust  das  Gedeihen 
eines  Kindes  beeinträchtigen  kann.  Als  Beispiel  führe  ich  Ihnen  eine 
Beobachtung  aus  der  Städtischen  Fürsorge  an. 


Das  Kind  Erich  D.,  am  21.  Juli  1908  als  drittes  Kind  geboren,  wurde 
am  6.  August  mit  einem  Körpergewicht  von  4070  g  zum  ersten  Male  in  der 
Beratungsstunde  vorgestellt.  Das  Körpergewicht  nahm  den  aus  Figur  9  er¬ 
sichtlichen  ungünstigen  Verlauf.  Im  September  und  Oktober  stellte  sich 
zuerst  ein  verdächtiger  Pemphigus,  danach  ein  typisches  makulöses  Exanthem 
ein.  Da  die  ärztliche  Behandlung,  die  wir  nicht  selbst  in  die  Hand  nehmen 
konnten,  von  den  Angehörigen  nicht  streng  durchgeführt  wurde,  so  ging  das 


•  A.  Menzer,  Die  Medizin  des  Celsus  im  Lichte  moderner  Anschauungen.  1207 


Kind,  trotzdem  es  weiterhin  an  der  Mutterbnist  trank,  im  Laufe  des  Winters 
zugrunde. 

Das  Resume  meiner  Ausleinander  Setzungen  und  der 
Schluß,  den  Sie,  wie  idh  hoffe,  mit  mir  daraus  ziehen  werden1, 
geht  dahin:  Die  Ernährung  mit  Frauenmilch  ist  zwar  die 
einzig  physiologische,  sie  garantiert  aber  beim  Bestlande 
konstitutioneller  Erkrankungen  oder  parenteraler  Infek¬ 
tionen  keineswegs  das  ungestörte  Gedeihen,  wie  wir  es  bei 
den  von  Hans  ans  gesunden  Kindern  sehen.  Dieses  Niehtge- 
deihen  liegt  aber  nicht  an  der  Frauenmilch,  sondern  an  dem 
mit  ihr  zu  ernährenden  Kinde.  Aufgabe  des  Arztes  ist  es, 
diesen  Zusammenhang  klarzustellen,  um  übereiltes  und  für 
das  Kind  häufig  verhängnisvolles  Entwöhnen  vor  der  Zeit  zu 
verhüten.  Der  Erfolg  unserer,  in  der  Stillpropaganda  gipfeln¬ 
den  Fürsorgebestrebungen  wird  erst  dann  vollkommen  sein, 
wenn  alle  Ärzte  in  ihrem  Wirkungskreise  dafür  Sorge  tragen, 
•daß  kein  Brustkind  f  älschlidherweise  abgestillt  wird,  weil 
es  nur  langsam  gedeiht. 


Die  Medizin  des  Celsus  im  Lichte  moderner  Anschauungen. 

Von  A.  Menzer,  Halle  a.  S. 

(Nach  einem  im  Aerzteverein  zu  Halle  a.  S.  gehaltenen  Vorträge.) 

(Fortsetzung.) 

Sehr  wichtig  sind  die  Angaben  des  Celsus  über  die  Vorhersage 
von  Wunden  (im  allgemeinen).  Ich  führe  die  betreffende  Stelle  deshalb 
wörtlich  an1) :  „Gefährlich  ist  es,  wenn  eine  Wunde  stark  anschwillt, 
am  gefährlichsten,  wenn  sie  gar  nicht  anschwillt.  Jenes  ist  ein  Zeichen 
heftiger  Entzündung,  dieses  beweist,  daß  der  verwundete  Körperteil 
bereits  abgestorben  ist.  Wenn  der  Verwundete  nach  der  Verletzung 
das  Bewußtsein  nicht  verliert  und  kein  Fieber  hinzukommt,  so  wird 
die  Wunde  frühzeitig  heilen.  Aber  auch  das  Vorhandensein  von  Fieber 
braucht  uns  nicht  zu  beunruhigen,  falls  es  bei  einer  großen  Wunde 
während  der  Periode  der  Entzündung  besteht.  Böse  aber  ist  ein 
Fieber,  welches  sich  ;ent weder  zu  einer  leichten  Wunde  hinzugesellt 
oder  über  die  Zeit  der  Entzündung  hinaus  fortbesteht,  oder  wenn  es 
Irrewerden  erregt.  Sehr  böse  ist  es  ferner,  wenn  infolge  der  Ver¬ 
wundung  Starrkrampf  oder  klonische  Krämpfe  entstehen  und  das  Fieber 
diese  nicht  beseitigt.“ 

Wieviel  treffliche  Beobachtung  am  Krankenbett  ist  in  diesen 
Worten  enthalten.  Gerade  heute,  wo  wir  in  der  Entzündung  eine 
örtliche  Abwehr  gegen  eingedrungene  Krankheitserreger  erblicken,  ver¬ 
stehen  wir  es,  daß  Celsus  Wunden,  die  gar  nicht  ansohwellen  und 
Fieber,  welches  sich  zu  leichten  Wunden  hinzugesellt,  als  besonders) 
bedenklich  anspricht.  Je  geringer  die  örtliche  Entzündung,  desto  mehr 
tritt  die  schwere  Allgemeininfektion  hervor,  wie  dies  viele  Fälle  von 
Septikopyämie  u.  dgl.  lehren. 

Über  das  Sekret  der  Wunden,  den  Eiter,2)  sagt  Celsus,  daß 
er  „um  so  besser  ist,  in  je  geringerer  Menge  er  abgesondert  wird, 
je  dicker  und  weißer  er  ist,  desgleichen,  wenn  er  glatt  (nicht  körnig), 
geruchlos  und  gleichartig  ist“. 


ß  S.  271.  2)  S.  267. 


1208 


A.  Menzer, 


Die  Wunden  werden  durch  Knopf  nähte  oder  fortlaufende  Naht 
geschlossen,  die  Vereinigung  der  Wundränder  darf  nicht  eine  so  dichte 
sein,  daß  die  Wundsekrete  nicht  ab  fließen  können.1)  Auf  die  Wunden 
werden  in  Essig  oder  in  Wein  getauchte  und  ausgedrückte  Schwämme 
gelegt  (entsprechend  der  heute  bei  Wundentzündungen  angewendeten 
essigsauren  Tonerde-  oder  Alkoholbehandlung).  Bei  Celsus  ist  ferner 
zum  ersten  Male  die  doppelte  Unterbindung  blutender  Gefäße  und 
ihre  Durchschneidung1  zwischen  den  Unterbindungsstellen  angegeben. 2) 
Über  die  Wunden  der  Eingeweide3)  bemerkt  Celsus,  daß  sie  keines¬ 
wegs  abweichende  Maßnahmen  erforderten,  sondern  äußerlich  entweder 
mit  der  Naht  oder  mit  einem  anderen  Heilmittel  zu  behandeln  s eiern 
Er  fügt  hinzu:  „Die  Eingeweide  selbst  rühre  man  nicht  an,  außer 
wenn  von  den  äußersten  Enden  der  Leber,  der  Milz  oder  der  Lungen, 
etwas  aus  der  Wunde  heraushängt,  dann  schneide  man  es  ab“.  Auch 
hier  zum  Teil  ganz  moderne  Grundsätze. 

Bei  Bißwunden  durch  tolle  Hunde  wird  das  Herausziehen  des 
Giftes  durch  einen  Schröpfkopf,  sowie  Ausbrennen  der  Wunde  emp¬ 
fohlen.  Auch  längeres  Schwitzen  im  Bade  mit  entblößter  Wunde, 
sowie  Waschen  der  Wunde  mit  viel  lauterem  Weine  wird  als  nützlich 
bezeichnet.  Die  Erkrankung  des  Mensehen  an  Tollwut,  zumal  die 
Wasserscheu,  wird  in  einer  uns  lächerlich  erscheinenden  Weise  be¬ 
handelt.  Man  soll  den  Kranken  unversehens  in  einen  vorher  von  ihm 
nicht  bemerkten  Teich  werfen  und  ihn  bald  untergehen  und  Wasser 
schlucken  lassen  und  bald  wieder  emporheben.  Dieses  heroische  Mittel, 
welches  Durst  und  Eurcht  vor  dem  Wasser  gründlich  beseitigt,  er¬ 
scheint  auch  wohl  dem  Celsus  nicht  ganz  unbedenklich,  denn  er  be¬ 
merkt  ausdrücklich,  daß  dabei  ein  schwacher,  durch  das  kalte  Wasser 
hart  mitgenommener  Kranker  Gefahr  laufe,  durch  klonische  Krämpfe 
getötet  zu  werden. 

Bei  Wunden,  die  durch  Schlangenbiß5)  entstanden  sind,  soll  man 
das  verletzte  Glied  oberhalb  der  Wunde  abbinden,  doch  so,  daß  es  nicht 
gefühllos  wird(?  Art  von  Bier’scher  Stauung),  dann  ist  ein  Schröpf¬ 
kopf  aufzusetzen  oder  das  Gift  mit  dem  Munde  auszusaugen,  da  es, 
verschluckt,  bei  unverletztem  Munde  und  Bachen  unschädlich  ist.  Als 
Antidot  wird  dann  in  durchaus  richtiger  Weise  das  Trinken  von 
lauterem  Wein  empfohlen. 

Aber  auch  größere  chirurgische  Eingriffe  werden  ausgeführt.  Der 
durch  Trauma  vereiterte  Hoden  wird  weggeschnitten.0)  Größere  Hämor¬ 
rhoidalknoten  7)  werden  gestichelt  und  weggeätzt.  Dabei  wird  jedoch 
bemerkt,  daß  Hämorrhoidalblutungen  mäßigen  Grades  nicht  selten  als 
ein  Mittel  der  Beinigung  des  Körpers  zu  betrachten  und  nicht  ohne 
Gefahr  zu  unterdrücken  seien.  „Bei  einigen,  wo  sie  unterdrückt  wur¬ 
den,  warf  sich  der  Krankheitsstoff,  da  das  Blut  keinen  Ausweg  mehr 
fand,  auf  die  Präkordien  und  Eingeweide,  und  sie  wurden  plötzlich 
von  sehr  schweren  Krankheiten  befallen“. 

Die  Gefahr  einer  Embolie  pach  Hämorrhoidaloperationen  wird 
auch  heute  noch  in  chirurgischen  Lehrbüchern  hervorgehoben.  Die 
Nasenoperation  bei  Ozäna  ist-  schon  oben  angegeben.  Substanzverluste 
an  Nase,  Ohren  und  Lippen  werden  durch  plastische  Operationen 8) 
gedeckt.  Zahnzange,  insbesondere  auch  eine  Wurzelzange9)  werden  an- 

ß  S.  269.  2)  S.  268.  3)  S.  271.  4)  S.  280.  6)  S.  281.  6)  S.  357.  7)  S.  359. 

8)  S.  389.  ß  S.  393. 


Die  Medizin  des  Celsus  im  Lichte  moderner  Anschauungen! 


1209 


gewendet.  Der  Kropf1),  der  nach  Celsus  bald  wildes  Fleisch,  bald 
eine  honig-  oder  wasserähnliche  Flüssigkeit  enthält,  wird  mit  Durch- 
ätzung  behandelt,  damit  der  flüssige  Inhalt  ausläuft,  als  einfacher 
wird  die  Operation  mit  dem  Messer  bezeichnet.  Dabei  wird  der  Tumor 
mit  den  Fingern  von  dem  gesunden  Gewebe  getrennt  und  ganz  nebst 
seiner  Kapsel  herausgenommen. 

Kabelbrüche2)  werden  eröffnet  und  reponiert,  dann  wird  die  Bauch¬ 
sackwand  umschnürt  und  oberhalb  der  Umsclinürungsstelle  verätzt. 
Sogar  die  Darmnaht3)  wird  ausgeführt.  Die  betreffende  Stelle  lautet: 
„Bisweilen  wird  die  Bauchhöhle  durch  eine  Verletzung  eröffnet,  worauf 
dann  die  Därme  vorfallen.  Geschieht  dies,  so  hat  man  sogleich  darauf 
zu  sehen,  ob  sie  unverletzt  sind  und  ihre  natürliche  Farbe  haben.  Sind 
die  dünnen  Därme  verletzt,  so  können  wir  keine  Hilfe  leisten,  wie  ich 
schon  gesagt  habe.  Ist  dagegen  der  Dickdarm  verwundet,  so  kann 
man  ihn  nähen,  nicht  als  ob  dies  eine  sichere  Hoffnung  gewährte, 
sondern  weil  selbst  eine  zweifelhafte  Hoffnung'  besser  ist  als  ein  Ver¬ 
zichtleisten  auf  jegliche  Hoffnung ;  denn  bisweilen  heilen  solche  AATm- 
den/‘  AVie  die  Mehrzahl  der  modernen  Chirurgen  ist  Celsus  für  eine 
Etagennaht  der  B  auch  w  an  düng  en 4 ) .  „Es  ist  aber  nicht  hinreichend, 
daß  man  nur  die  äußere  Haut  oder  jene  innere  Membran  (Peritoneum) 
allein  durch  die  Naht  vereinigt,  sondern  man  muß  beide  nähen/' 

Der  Aszites5)  wird  durch  Punktion  entleert,  die  Hydrozele6)  wird 
als  eine  mit  Schwellung  der  benachbarten  Adern  verbundene  fluktu¬ 
ierende  und  durchscheinende  Geschwulst  richtig  diagnostiziert,  die  von 
v.  Bergin ann  empfohlene  Radikaloperation  durch  Exstirpation  der 
Tunica  vaginalis  ist  auch  dem  Celsus  schon  bekannt").  „Hat  man 
am  Hodensack  eingeschnitten  und  befindet  sich  die  Flüssigkeitsansamm¬ 
lung  gleich  darunter,  so  hat  man  weiter  nichts  zu  tun,  als  die  Flüssig-- 
keit  auslaufen  zu  lassen,  die  Häute,  in  welchen  sie  eingeschlossen  war, 
herauszuschneiden  und  dann  den  Hodensack  mit  AVasser,  worin  man 
Salz  oder  Soda  aufgelöst  hat,  auszuspülen.  Befindet  sich  AVasser  unter 
der  mittleren  oder  innersten  Haut,  so  muß  man  diese  ganz  aus  dem 
Hoden  sacke  herausziehen  und  ausschneiden.“  Krampfaderbrüche  am 
Hoden  werden  exstirpiert8),  desgleichen  auch  große  Krampfadern  an 
den  Beinen9),  der  Steinschnitt  vom  Damm  aus  wird  eingehend  be¬ 
schrieben10),  für  den  Katheterismus11)  werden  genaue  und  richtige  Ab¬ 
schriften  gegeben. 

Die  Trepanation  des  Schädels  wird  mit  Bohrer  und  Aleißel  bei 
Sehädelverletzungen  ausgeführt,  ein  Schutzinstrument  für  das  Gehirn 
(Aleningophylax)  wird  angewendet.  Bei  der  Frage  nach  der  Diagnose 
einer  Knochenverletzung  findet  sich  die  schöne  für  jeden  auf  irgend 
einem  AATssensgebiet  Forschenden  zu  beherzigende  Stelle.  Celsus  er¬ 
wähnt.  daß  Hippokrates  nach  seinem  eigenen  Eingeständnis  die  Nähte 
des  Schädels  irrtümlicherweise  für  Anzeichen  eines  Knochenbruehes 
am  Schädel  gehalten  habe,  und  rühmt  den  Hippokrates  wegen  dieser 
offnen  Mitteilung :  „Ein  solches  Bekenntnis  ist  großer  Männer,  die 
ihres  AVerts  sich  bewußt  sind,  würdig.  Denn  unbedeutende  Geister  ent¬ 
ziehen  sich  nicht  gern  etwas  von  ihrem  Ruhme,  da  sie  ohnehin  nur  wenig 
haben.  Einern  großen  Alaune  aber,  der  noch  immer  genug  Ruhm  be¬ 
hält,  geziemt  das  offene  Bekenntnis  eines  wirklichen  Irrtums,  besonders 

ß  S.  395.  2)  S.  397.  3)  S.  399.  4)  S.  399.  5)  S.  398.  «)  S.  403.  7)  S.  410. 

8)  S.  412.  b  S.  431.  10)  S.  416.  n)  S.  415. 


1210 


A.  Menzer, 


in  derjenigen  Wissenschaft,  welche  des  Nutzens  wegen  den  Nachkommen 
übermittelt  wird,  damit  dann  keiner  durch  etwas  irregeführt  wird, 
was  schon  vor  ihm  jemanden  getäuscht  hatte.“ 

Was  schließlich  die  Behandlung  von  Knochenbrüchen  und  Ver¬ 
renkungen  anbe trifft,  so  entspricht  sie  vielfach  noch  unsern  modernen 
Anschauungen.  So  wird  z.  B.  empfohlen,  bei  Oberarmbrüchen  in  der 
Nähe  des  Ellenbogengelenks  die  Schienen  oft  abzunehmen,  damit  die 
Sehnen  nicht  steif  werden  und  der  Arm  gebrauchsfähig  bleibt.  Es 
sollen  bei  dem  jedesmaligen  Verbandwechsel  warme  Bäder  und  leichte 
Einreibungen  vorgenommen  werden.1)  Andererseits  scheinen  die  Er¬ 
folge  des  Celsus  in  bezug  auf  Behandlung  von  Oberschenkelbrüchen2) 
wenig  günstige  gewesen  zu  sein.  Dafür  spricht  seine  Bemerkung: 
„Übrigens  muß  man  wissen,  daß  das  Bein  nach  Brüchen  des  Ober¬ 
schenkels  kürzer  wird  als  das  gesunde ;  denn  niemals  wird  das  ge¬ 
brochene  Glied  wieder  so  wie  das  gesunde,  und  der  Kranke  muß  später¬ 
hin  mit  den  Zehen  auf  treten.“  1  ( 

Ich  komme  zur  Geburtshilfe  des  Celsus.  Hier  ist  besonders 
bekannt  die  von  ihm  empfohlene  Wendung  auf  einen  oder  beide  Füße.3) 
Allerdings  wird  diese  Operation,  wie  auch  andere  Eingriffe,  von  Celsus 
für  den  Fall  gefordert,  daß  die  fast  reife  Frucht  einer  Schwangeren 
im  Uterus  abgestorben  ist  und  von  selbst  nicht  geboren  werden  kann. 
Er  empfiehlt,  die  Frau  aufs  Querbett  -zu  legen,  mit  der  durch  öl  ein¬ 
gefetteten  Hand  in  die  Scheide  einzugehen  und  nun  allmählich  je 
nach  dem  Nachgeben  des  Muttermundes  einen  Finger  nach  dem  anderen 
und  schließlich  die  Hand  in  die  Gebärmutter  einzubringen.  Der  Arzt 
soll,  wenn  er  dann  eine  Querlage  feststellt,  auf  den  Kopf  oder  auf  die 
Füße  wenden.  Die  Extraktion  am  Kopf  wird  mit  Hilfe  von  Haken 
vorgenommen,  sie  muß,  wie  auch  diejenige  an  den  Füßen,  allmählich 
erfolgen,  indem  immer  nur  so  weit  angezogen  wird,  als  der  Mutter¬ 
mund  nachgibt  (Accouchement  force).  Nach  beendigter  Extraktion  des 
Kindes  soll  die  Nachgeburt  mit  der  Hand  aus  der  Gebärmutter  gelöst 
und  entfernt  werden.  • 

Es  sei  bemerkt,  daß  die  von  Celsus  empfohlene  Operation  der 
Wendung  auf  die  Füße  später  in  Vergessenheit  gerät  und  erst  im 
IG.  Jahrhundert  durch  Ambroise  Pare  wieder  eingeführt  wird. 

Auch  für  die  Geschichte  der  Dermatologie  ist  Celsus  von  Be¬ 
deutung.  Ich  erwähne  nur  die  nach  ihm  noch  heute  benannten  Krank¬ 
heitsbilder  der  Area  Celsi  und  des  Kerions  Celsi.  Sehr  beachtenswert 
erscheint  mir,  daß  er  auf  eine  hygienisch  diätetische  Behandlung  von 
Ekzemen  Wert  legt:  „Bei  der  Behandlung  aller  Pusteln  ist  das  erste: 
Spazierengehen  und  Körperübungen.  Wird  dies  durch  irgendwelche 
Umstände  verhindert,  so  wende  man  passive  Bewegungen  an.  Zweitens 
muß  man  von  den  Speisen  etwas  abziehen  und  alle  scharfen  und  mager 
machenden  Sachen  meiden.  Dasselbe  müssen  die  Ammen  tun,  wenn  ein 
saugendes  Kind  an  Pusteln  leidet.“4) 

Ich  glaube,  daß  die  von  Celsus  richtig  gewürdigte  Bedeutung 
einer  hygienisch  -  diätetischen  Allgemeinbehandlung  von  seiten  manches 
modernen  Dermatologen  gegenüber  der  äußerlichen  Anwendung  von 
Salben  usw.  unterschätzt  wird. 

Ganz  besondere  Beachtung  schenkt  dann  Celsus  dem  Wissens¬ 
gebiet  der  inneren  Medizin,  auf  welche  ich  zum  Schluß  noch  eingehe. 


x)  S.  461.  2)  «S.  462.  3)  S.  427.  4)  S.  302. 


Die  Medizin  des  Celsus  im  Lichte  moderner  Anschauungen. 


1211 


Über  die  Fieber,  welche  er  in  ein-,  drei-  und  viertägige  einteilt, 
sagt  er:  „Was  die  vorgenannten  Fieber  anbetrifft,  so  sind  sie  teils 
als  Krankheiten,  teils  als  Heilmittel  zu  betrachten.“1)  Er  schließt 
sich  also  in  der  Auffassung’  von  dem  Nutzen  des  Fiebers  dem  alten 
hippokratischen  Standpunkt  an,  der,  zur  Zeit  der  Blüte  der  von  Liebey- 
meister  inaugurierten  antipyretischen  Methode  viel  geschmäht,  heute 
wieder  allmählich  sich  Geltung  verschafft.  Ja,  Cels-us  geht  sogar 
so  weit,  daß  er  direkt  die  Erregung  von  Fieber  zu  Behandlungszwecken 
empfiehlt.-2)  ,,Es  ist  aber  die  Pflicht  eines  umsichtigen  Arztes,  bald 
einer  Krankheit  eine  andere  Gestalt  zu  geben,  bald  sie  zu  vermehren, 
bald  Fieber  zu  erregen;  denn  wenn  auch  der  gegenwärtige  Zustand 
einer  Krankheit  keine  erfolgreiche  Behandlung  gestattet,  so  kann  doch 
der  künftighin  eintretende  dafür  empfänglich  sein.“ 

Wer  dächte  da  nicht  an  die  moderne  Tuberkulinbehandlung,  an 
die  zum  Teil  fieberhaften  Exazerbationen  chronischer  Krankheiten  durch 
Bade-  und  Brunnenkuren  u.  dgl.  mehr ! 

In  der  Behandlung  des  Fiebers  ist  Celsus  im  allgemeinen  für 
Entziehung  der  Nahrung  in  den  ersten  Tagen,  doch  läßt  er  Getränke 
geben.  Er  hütet  sich  aber  vor  jedem  Schematismus,  wie  die  folgenden 
Worte  zeigen:3)  „Keine  dieser  Vorschriften  ist  indessen  immer  gültig. 
Denn  es  kann  das  erste  Verabreichen  der  Speise  am  ersten,  am  zweiten, 
am  dritten,  ja  es  kann  nur  am  vierten  oder  fünften  Tage  notwendig 
werden :  es  kann  nach  einem  oder  zwei,  aber  auch  erst  nach  mehr 
Anfällen  erforderlich  sein.  Es  kommt  hier  sehr  auf  die  Krankheit 
selbst,  auf  die  Beschaffenheit  des  Körpers,  auf  das  Klima,  das  Alter 
und  die  Jahreszeit  an,  kurz,  es  kann  bei  so  sehr  voneinander  verschiedenen 
Dingen  keine  feste  Vorschrift  in  bezug  auf  die  Zeit  geben.“ 

Auf  die  psychische  Beeinflussung  der  Kranken  legt  Celsus 
großen  Wert.  4)  „Es  ist  aber  sehr  zweckmäßig,  die  Kranken  immer  in 
einem  sorglosen  Zustande  zu  erhalten,  damit  bei  ihnen  nur  der  Körper, 
nicht  aber  auch  die  Seele  leide.“  Ich  möchte  hier,  gerade  wo  heutzu¬ 
tage  bei  manchen  Ärzten  die  Anschauung  besteht,  als  sei  eine  auch 
auf  das  Gemüt  des  Kranken  einwirkende  Pflege  erst  ein  Ergebnis 
moderner  therapeutischer  Grundsätze,  noch  eine  Stelle  aus  Aretaeus5), 
einem  im  ersten  oder  zweiten  Jahrhundert  n.  Chr.  lebenden  berühmten 
ärztlichen  Schriftsteller  anführen:  „Das  Zimmer,  in  welchem  der 
Kranke  liegt,  sei  nach  Norden  zugekehrt,  denn  der  hinein wehende  kalte 
Hauch  des  Boreas  wird  den  elend  mit  dem  Tode  ringenden  neu  be¬ 
leben.  Auch  muß  man  von  da  aus  auf  Wiesen,  Quellen  und  rieselnde 
Bäche  sehen  können,  denn  die  erfrischende  Luft  und  der  angenehme 
Anblick  dieser  Gegenstände  schmeichelt  den  Sinnen,  führt  neue  Lebens¬ 
kräfte  zu,  und  macht  das  Verlangen  nach  Speise  und  Trank  rege. 
Wenn  die  Armut  des  Kranken  dies  so  einzurichten  nicht  gestattet, 
suche  man  auf  künstliche  Weise  durch  Fächeln  mit  angenehm  duftenden 
Zweigen  die  Luft  kühl  zu  machen,  und  mache  Frühling  im  Zimmer, 
indem  man  den  Boden  mit  Blättern  und  Blüten  bestreut.“ 

Bezüglich  der  Beurteilung  des  Pulses  wird  hervorgehoben3),  daß 
der  Arzt  nicht  sofort  nach  seinem  Eintritt  den  Arm  des  Patienten  er¬ 
greifen,  sondern  vorher  erst  sich  mit  heiterer  Miene  hinsetzen  und 
nach  dem  Befinden  des  Kranken  erkundigen  solle. 

x)  S.  112.  2)  S.  129.  3)  S.  115.  4)  S.  121.  5)  Aretaeus  Schriften,  übersetzt 

▼on  A.  Mann,  Halle  1858,  S.  172.  6)  S.  123. 


1212  A.  Menzer,  Die  Medizin  des  Celsus  im  Lichte  moderner  Anschauungen. 

Ausgezeichnet  ist  znm  Teil  die  psychische  Behandlung  .von 
Geisteskranken.  Celsus  empfiehlt  hier1)  folgendes:  „Man  muß  aber 
die  Gemüter  aller  Kranken  dieser  Art,  dem  A^ erhalten  des  einzelnen 
gemäß,  behandeln.  Bei  einigen  hat  man  eine  eingebildete  Furcht  weg¬ 
zuschaffen,  wie  z.  B.  bei  einem  reichen  Manne,  der  sich  vor  dem 
Verhungern  fürchtet  ;  ihm  werden  von  Zeit  zu  Zeit  fälsche  Nachrichten 
über  gemachte  Erbschaften  mitgeteilt.  Bei  anderen  Kranken  muß  die 
Vermessenheit  unterdrückt  werden.  So  hat  man  z.  B.  bei  einigen, 
um  sie  zu  bezähmen,  selbst  Schläge  anzuwenden.  Bei  einigen  muß 
man  dem  unzeitigen  Lachen  durch  Schelten  und  Drohungen  Einhalt 
tun ;  andere  muß  man  wieder  von  ihren  traurigen  Grübeleien  abzu¬ 
bringen  suchen,  wobei  sich  Musikstücke,  das  Getön  von  Becken  und 
Getöse  nützlich  bewähren,  öfter  muß  man  freilich  dem  Kranken  bei¬ 
stimmen,  als  ihm  widersprechen  und  beim  Beden  seine  Gedanken  all¬ 
mählich  und,  ohne  daß  er  es  merkt,  zur  Vernunft  zurückbringen.  Bis¬ 
weilen  muß  man  auch  die  Aufmerksamkeit  der  Kranken  zu  erwecken 
suchen,  z.  B.  bei  Gelehrten  dadurch,  daß  man  ihnen  ein  Buch  vorliest 
und  zwar  richtig,  wenn  sie  daran  Vergnügen  finden;  falsch  dagegen, 
wenn  sie  dies  unangenehm  berührt.  Denn  indem  sie  das  ihnen  falsch 
Vorgelesene  zu  verbessern  suchen,  fangen  sie  an,  aufzumerken.  Auch 
muß  man  sie,  falls  ihnen  etwas  einfällt,  anhalten,  dieses  herzusagen. 
Einige,  die  das  Essen  verschmähten,  wurden  dazu  bewogen,  indem  ihre 
Ärzte  sie  zwischen  Speisende  legten.“ 

AVenn  diese  Grundsätze  des  Celsus  auch  heute  nicht  in  allen 
Punkten  den  Anschauungen  eines  modernen  Psychiaters  entsprechen, 
so  steht  doch  eine  solche  Behandlung  von  Geisteskranken  ■  weit  über 
dem  Verfahren,  wie  es  im  Mittelalter  bis  in  die  neuere  Zeit  hinein 
geübt  worden  ist. 

Als  Schlafmittel 2)  bei  aufgeregten  Kranken  werden  wässerige 
Abkochen  von  Mohn  oder  Bilsenkraut  empfohlen,  auch  wir  wenden 
heute  Opiate  und  Hyoscyamin  bei  Geisteskranken  an.  Auch  Entzie¬ 
hung  der  Speisen,  sowie  sanfte  Beibungen,  ferner  gleichmäßige  sanfte 
Geräusche,  wie  das  Plätschern  eines  Springbrunnens,  Hin-  und  Her¬ 
bewegung  eines  schwebenden  Bettes  sollen  zur  Erzeugung  von  Schlaf 
versucht  werden. 3) 

Auch  in  bezug  auf  die  Behandlung  der  Epileptiker  ist  Celsus 
ganz  modern,  indem  er  eine  fleischlose  Kost  empfiehlt.  Er  sagt : 4) 
„Diese  Kranken  dürfen  keine  Suppen  oder  sonst  weiche  und  leichte! 
Speisen,  ferner  kein  Eleisch,  am  wenigsten  das  vom  Schwein,  bekommen, 
vielmehr  Speisen  von  mittelmäßig  starkem  Nahrungsstoffe ;  denn  eines¬ 
teils  braucht  der  Kranke  Kräfte,  und  andererseits  muß  man  auch 
Verdauungsstörungen  vermeiden.“  Ferner  will  er,  daß  der  Epileptiker 
„die  Sonnenhitze,  das  Baden,  das  Feuer  und  alle  erhitzenden  Dinge, 
desgleichen  Kälte,  Wein,  den  Beischlaf,  das  Hinuntersehen  von  steil 
abfallenden  Stellen,  ferner  alle  Schrecken  erregenden  Dinge,  sowie  auch 
Erbrechen,  Ermüdung,  Kummer  und  alle  Arbeit“  vermeidet. 

Wieviel  vortreffliche  Empirie  gibt  sich  in  allen  diesen  Bemer¬ 
kungen  zu  erkennen.  Weit  mehr  muß  es  aber  unser  Erst  aunen  her  vor¬ 
rufen,  wenn  wir  bei  Aretaeus5)  sogar  die  operative  Behandlung 
der  Epilepsie  empfohlen  sehen.  Die  betreffende  Stelle  lautet:  „Das 
AVichtigste  aber  ist,  den  Kopfknochen  bis  auf  die  Diploe  anzubohren. 


")  S.  139.  2)  S.  140.  3)  S.  140.  4)  S.  156.  5)  1.  c.,  S.  201. 


Vorläufige  Mitteilungen  und  Autoreferate.  1213 

Nach  dieser  Operation  lege  man  Kerate  und  Kataplasmen  auf,  bis  die 
Hirnhaut  sich  von  dem  Knochen  ablöst,  und  schneide,  wenn  nicht 
spontan  vollständige  Abstoßung  erfolgt,  mit  einem  Trepan  das  blo߬ 
gelegte  Knochenstück  aus ;  dann  findet  man  bisweilen  die  harte  Hirn¬ 
haut  schwarz  und  verdickt.  Wenn  nun  infolge  der  kühnen  Eingriffe 
des  Arztes  das  Krankhafte  abgefault  ist,  die  Stelle  sich  gereinigt  und 
eine  Narbe  aus  der  Wünde  sich  gebildet  hat,  so  ist  der  Mensch  von 
seiner  Krankheit  befreit.“ 

Bei  der  Behandlung  der  Wassersucht  fordert  Celsus,  das  Ge¬ 
tränk  und  den  Wein  des  Kranken  zu  messen,  da  erst  dann,  wenn  er 
mehr  Flüssigkeit  absondere  als  einnähme,  Hoffnung  auf  Genesung  vor¬ 
handen  sei.1) 

Die  Punktion  des  Aszites,  welche  andere  Autoren,  z.  B.  Erasi- 
stratu's,  als  erfolglos  verwerfen,  hält  Celsus  für  notwendig  und 
gibt  für  seine  Anschauungen  eine  sehr  richtige  Begründung.2)  ,, Darüber 
ist  man  sich  aber  einig,  daß  der  Körper  noch  außerdem  behandelt 
werden  muß.  Denn  die  Entleerung  der  Flüssigkeit  heilt  den  Körper 
nicht,  aber  es  wird  uns  danü  möglich,  Arzneimittel  anzuwenden,  was 
nicht  möglich  war,  solange  sich  die  Flüssigkeit  im  Innern  befand.“ 
Stärkere  Ödeme3)  werden  durch  Einschnitte  ungefähr  vier  Finger  hoch 
oberhalb  der  inneren  Knöchel  entleert.  Die  interne  Behandlung  der 
Wassersucht  erfolgt  durch  zeitweise  Entziehung  von  Speise  und  Trank4), 
ein  beliebtes  Diuretikum  ist  vor  allem  die  gekochte  Meerzwiebel,  Bul¬ 
bus  scillae.  Für  Nierenkranke5)  wird  empfohlen:  ,,Der  Kranke  muß 
ruhen,  weich  liegen,  den  Leib-  offen  erhalten,  und,  wofern  der  Stuhl¬ 
gang  angehalten  ist,  Klistiere  bekommen,  häufig'  heiße  Sitzbäder 
nehmen  und  weder  kalte  Speisen,  noch  kalte  Getränke  genießen.  Der 
Patient  muß  sich  aller  salzigen,  scharfen  und  sauren  Dinge,  auch  des 
Obstes  enthalten,  reichlich  trinken  und  bald  den  Speisen,  bald  den 
Getränken  Pfeffer,  Porree,  Steckenkraut  und  weißen  Mohn  zusetzen, 
Dinge,  die  auf  die  Urinsekretion  besonders  stark  einzuwirken  pflegen.“ 
Auch  hier  wieder  zum  Teil  ganz  moderne  Anschauungen,  wie  z.  B. 
die  Wahl  einer  salzarmen  Kost.  Auch  die  Verwendung  von  Bettruhe, 
Klistieren  und  warmen  Sitzbädern  muß  als  durchaus  sachgemäß  be¬ 
zeichnet  werden.  (Schluß  folgt.) 


Vorläufige  Mitteilungen  u.  Äutoreferate. 

Die  physiologisch  dosierte  Mineralwasserkur  zur  Uebungstherapie  des 

Darmes  bei  habitueller  Stuhlträgheit. 

Von  Dr.  M.  Rheinboldt,  Kissingen.  (Zeitschr.  für  Phys.  u.  diät.  Ther.,  H.  3,  1909.) 

Aus  der  Übertragung  des  psychophysischen  Gesetzes  aus  der 
Sinnes-  in  die  Bewegungsphysiologie  folgt,  daß  der  Organismus 
um  sc  geringerer  Beize  zur  Auslösung  des  Stuhlreflexes  bedarf,  je 
minimalere  Beize  vorher  zu  diesem  Zwecke  ausgereicht  haben.  Nor¬ 
malerweise  ist  die  Beizschwelle  gegeben  in  dem  reflexerregenden  Kor¬ 
relat  der  normalen  Nahrungsaufnahme  und  Verdauung  (primäre  oder 
endogene  Beize,  Schwellenwerte).  Beim  Obstipierten  liegt  die  Beiz¬ 
schwelle  offenbar  zu  hoch,  und  es  bedarf  bei  ihm  weiterer  Beize  (sekun- 


ß  S.  148.  2)  S.  151.  3)  S.  150.  4)  S.  149.  5)  S.  190. 


1214 


Vorläufige  Mitteilungen  und  Autoreferate. 


däre  bezw.  exogene  Reize)  entweder  durch  Summierung  der  normalen 
Reize  oder  durch  spezifische  Reizmittel  (ekkoprotischer  Reiz).  Die 
Übungstherapie  des  Darmes  zur  Behandlung  der  habituellen  Obstipation 
bedient  sich  nun  der  besonderen  Dosierbarkeit  abführenden  Mineral¬ 
wassers,  z.  B.  Kissinger  Rakoczy,  zur  periodischen,  ekkoprotischen  Rei¬ 
zung  des  Darmes,  und  zwar  (im  Gegensatz  zur  „Abführkur“,  welche 
ihren  Wert  in  der  möglichst  großen  Menge  des  während  der  Kur  Ent¬ 
leerten  sieht)  mittelst  der  Reizschwelle,  d.  i.  der  kleinsten  noch  ekko- 
protisch  wirkenden  Wassermenge.  Sie  erzielt  dadurch  Sdhwellen- 
wertstühle,  d.  i.  jede  nicht  mit  einem  Reizüberschuß  bewirkte  Defä- 
kation.  Da  nach  dem  Wund t’schen  Gesetz  bei  gleichbleibendem  Reiz 
der  Reizerfolg  zunimmt  oder,  was  dasselbe  ist,  die  Reizschwelle  sinkt, 
gelangt  man  bei  sukzessiver  Verminderung  der  Mineralwassergabe  zu 
dem  (als  spezieller  Fall  des  Schwellenwertstuhles  anzusehenden) 
Spontanstuhl.  (In  Übereinstimmung  mit  diesem  Gesetz  steht  die  all¬ 
tägliche  Wahrnehmung,  daß  u.  a.  der  regelmäßige  Spontanstuhl  der 
Eingewöhnung  fähig  ist,  d.  h.  die  Tendenz  zu  seiner  Befestigung  in 
sich  trägt.)  (Autoreferat.) 


Die  Gemeinde  als  Kurort. 

Von  Paul  am  Ende,  Oberbürgermeister,  Dresden. 

Die  Schrift  verfolgt  den  Zweck,  den  Kurortsbehörden  für  die 
verschiedensten  im  Interesse  der  Kurorte  zu  treffenden  hygienischen 
Maßnahmen  einige  den  Bedürfnissen  der  einzelnen  Bäder  und  Luft¬ 
kurorte  leicht  anzupassende,  kurzg^efaßte  Winke  und  Anregungen  zu 
geben.  Zunächst  werden  die  vielfach  noch  so  aktuellen  Fragen  der 
Wasserversorgung,  Entwässerung,  der  Abortanlagen,  der  Wohnungs¬ 
desinfektion  —  ferner  die  Mietverhältnisse,  die  Aufstellung  geord¬ 
neter  Bebauungspläne,  die  Verhütung  jeder  Art  von  Luftverunreinigung, 
und  besonders  die  Abwehr  der  Staubentwicklung  mittelst  der  neuer¬ 
dings  erprobten  Staubbindemittel  einer  sachgemäßen  und  die  entschei¬ 
denden  Punkte  hervorhebenden  Erörterung  unterzogen.  Es  wird  der 
Errichtung  öffentlicher,  ausschließlich  zu  benutzender  Schlachthäuser 
das  Wort  geredet,  die  Notwendigkeit  einer  sorgsamen  Überwachung 
des  Verkehrs  mit  Nahrungs-  und  Genußmitteln  und  zumal  einer  allen 
hygienischen  Anforderungen  genügenden  Milchversorgung,  wofür  orts¬ 
gesetzliche  Vorschriften  zu  geben  sind,  nachdrücklich  betont.  Weitere 
Postulate  betreffen  eine  strengere  Kontrolle  der  Barbier-  und  Fr  is  eur  - 
geschäfte,  die  Errichtung  von  Baracken  in  Kurorten,  die  angemessene 
Stellung  der  Kurärzte  und  die  Einrichtung  eines  gut  funktionierenden, 
von  modernem  Geiste  erfüllten  Verwaltungsapparates.  Mit  Ausführ¬ 
lichkeit  bespricht  Verfasser  speziell  die  an  klimatische  Winter¬ 
kurorte  heutigentags  zu  stellenden  mannigfachen  Anforderungen. 
Neben  den  im  Interesse  des  inneren  Ausbaues  unserer  Kur-  und  Bade¬ 
orte  seit  Jahren  tätigen  „Ständigen  Ausschuß  für  die  gesund¬ 
heitlichen  Einrichtungen  in  den  deutschen  Kurorten“  empfiehlt 
Verfasser  für  jeden  einzelnen  -Kurort  die  Einsetzung  einer  Ortsge¬ 
sundheitskommission,  deren  Aufgaben  von  ihm  eingehend  erörtert 
werden. 


Referate  und  Besprechungen. 


1215 


Referate  und  Besprechungen. 

•  - 

Bakteriologie  und  Serologie. 

lieber  mikroskopisch  sichtbare,  filtrierbare  Virusarten. 

(lieber  Strongyloplasmen.) 

(Dr.  Lipschütz.  Zentralbl.  für  Bakt.,  Bd.  48,  H.  1.) 

Der  Nachweis  des  Erregers  der  Peripneumonie  der  Rinder  gelang 
Löffler  und  Frosch  weder  kulturell  noch  mikroskopisch.  Verf.  betrachtet 
daher  das  Virus  der  Peripneumonie  als  das  zuerst  entdeckte  visible  und 
filtrierbare  Virus.  Durchsicht  eines  mikroskopischen  Präparates  ergab  kleine 
Körperchen,  die  scharf  konturiert  erscheinen  und  sich  als  kleine  runde 
Protoplasmaklümpchen  erweisen. 

Dieser  kleine  Mikroorganismus  (x/4  p)  passiert  Chamberland  Fund 
Berkefeld-Filter.  Zwischen  37°  und  38°  liegt  das  Temperaturoptimum  dieses 
Virus,  bei  58°  stirbt  der  Erreger  ab. 

Das  Virus  des  Epithelioma  contagiosum  der  Tauben  und  Hühner 
wurde  1904  von  Borrel  entdeckt.  Kleinste  Körperchen,  einzeln  oder  in  Diplo- 
formen  im  Protoplasma  der  Zellen  gelegen,  die  sich  durch  Querteilung  zu 
vermehren  scheinen,  stellen  das  Virus  dar.  Sie  färben  sich  nach  Giemsa 
und  der  Löf  fler’schen  Geißelfärbungsmethode.  Das  Virus  passiert  Berke¬ 
feld-Filter.  In  den  inneren  Organen  nach  intravenöser  und  kutan  vorgenom¬ 
mener  Impfung  läßt  das  Virus  sich  nachweisen. 

Auch  war  es  möglich,  beim  Molluscum  contagiosum  des  Menschen 
ein  ähnliches  Virus  zu  gewinnen.  Die  Größe  dieser  Körnchen  beträgt  0,2  bis 
0,25  p.  Eine  Kultur  dieses  Virus  ist  bisher  nicht  geglückt.  Es  passiert  eine 
Chamberland-Kerze.  Impfung  mit  dem  Filtrat  erzeugte  ein  Filtratmolluskum, 
in  dem  zahlreiche  Körperchen,  die  den  eben  beschriebenen  ähnlich  sind,  vor¬ 
handen  sind. 

Verf.  erwähnt  noch  die  von  v.  Prowazek  bei  Trachom  gefundenen 
Körnchen,  die  er  eng  an  die  erwähnten  Virusarten  sich  anreihen  läßt. 

Unklar  und  noch  wenig  erforscht  sind  die  Erreger  der  Vaccine,  Lyssa 
und  Hühnerpest. 

Es  folgt  noch  eine  Besprechung  der  schon  erwähnten  Form  und  Größe 
der  Körperchen,  der  Resistenzverhältnisse,  das  Verhalten  des  Virus  Farb¬ 
stoffen  gegenüber  und  zum  Gewebe,  die  Übertragung  und  das  Verhalten  zu 
gewissen  Zellgiften.  Schließlich  wird  noch  auf  ihre  Eigenschaft,  bakterien¬ 
dichte  Filter  zu  passieren,  eingegangen.  Verfasser  schlägt  für  diese  Virus¬ 
arten  den  Namen  Strongyloplasmen  oder  Strongylosomen  vor  (axpoYyüXo?  =  rund), 
da  es  sich  um  kleinste  runde  Protoplasmaklümpchen  handelt. 

Schürmann  (Düsseldorf). 


lieber  das  Verhalten  von  Blutserum  nicht  an  Typhus  verstorbener 
Personen  gegenüber  der  Widal’schen  Reaktion. 

(Dr.  Loele.  Zentralbl.  für  Bakt.,  Bd.  49,  H.  5.) 

Lebende,  sowie  alte  mit  Formalin  abgetötete  Kulturen  sind  zur  An¬ 
stellung  der  Agglutination  mit  Leichenblut  ungeeignet.  Wurden  frisch  ab¬ 
getötete  Kulturen  benutzt,  so  agglutinierte  das  Blutserum  von  100  nicht 
an  Typhus  verstorbenen  Personen  deutlich  zehnmal;  der  höchste  Wert  be¬ 
trägt  1:40  (Magenkrebs).  Es  fand  sich  der  höchste  Prozentsatz  von  Agglu¬ 
tination  bei  Geschwülsten,  besonders  bei  ausgedehnter  Verjauchung.  Auch- 
die  Untersuchungen  an  Leichenblut  beweisen  den  hohen  spezifischen  Wert 
der  Typhusagglutination,  die  insofern  wichtig  ist,  als  das  Blut  typhöserj 
Leichen  seine  Agglutinationsfähigkeit  auch  bei  beginnender  Zersetzung  lange  beibehält. 

Es  bedarf  vor  allem  der  Untersuchung,  ob  das  Blut  erst  nach  dem 
Tode  die  Agglutinationsfähigkeit  gewinnt,  oder  ob  es  sie  bereits  intra  vitam 
besitzt.  Schürmann. 


1216 


Referate  und  Besprechungen. 


Ueber  die  Typhusantigene  und  ihre  Antikörper. 

(Dr.  W.  Gaehtgens.  Zentralbl.  für  Bakt.,  Bd.  48.  H.  2.) 

Agglutinine  lassen  sich  im  Blute  eines  Typhuskranken  nicht  vor  dem 
zweiten  Tage  feststellen.  6 — 8  Stunden  nach  der  Infektion  findet  man  Prä- 
zipitinogene,  nach  24  Stunden  die  Präzipitine.  Agglutinine  und  Präzipitine 
sind  selbständige  Substanzen.  Injektion  .eines  24  stündigen  agglutinogen- 
haltigen  „Infektionsserum“  erzeugt  bei  einem  normalen  Tiere  eine  hohe  Ag¬ 
glutininentwicklung.  Durch  Injektion  eines  achtstündigen  „Infektionsserum“ 
erzielt  man  dagegen  eine  starke  Präzipitinbildung. 

A  gglutinogene  in  den  Filtraten  alter  Typhusbazillenkulturen  lassen 
sich  direkt  nachweisen,  indem  ein  derartiges  Filtrat  die  Agglutinationskraft 
eines  Typhusimmunserums  herabsetzt.  Mittelst  der  Absorptionsmethode  lassen 
sich  die  agglutinablen  Substanzen  im  Serum  eines  mit  lebenden  Typhusbazillen 
infizierten  Tieres  nicht  nachweisen;  auch  gelingt  so  der  Nachweis  nicht  inf 
Serum  typhuskranker  Menschen.  Indirekt  gelingt  der  Nachweis,  indem  das 
filtrierte  Serum  eines  mit  lebenden  Typhusbazillen  infizierten  Tieres  ca. 
24  Stunden  nach  der  Impfung  einem  zweiten  normalen  Tiere  injiziert,  in 
diesem  Agglutinine  erzeugt.  Schürmann  (Düsseldorf). 


Aus  dem  hygienisch-chemischen  Laboratorium  der  Kaiser  Wilhelm- Akademie  in  Berlin. 

Prüfung  des  Meyer-Bergell’schen  Typhusserums. 

(Stabsarzt  Prof.  Dr.  W.  Hoff  mann.  Deutsche  med.  Wochenschr.,  Nr.  18,  1909.) 

Das  von  Meyer  und  Bergeil  hergestellte  Typhusserum  soll' sich  durch 
eine  besondere  antitoxische  Komponente  auszeichnen  und  sowohl  als  Pro- 
phylaktikum  als  auch  als  Heilmittel  verwendbar  sein.  Wenn  nun  auch; 
über  das  Vorhandensein  eines  Typhustoxins  wissenschaftlich  noch  keine  Über¬ 
einstimmung  herrscht,  so  ist  es  doch  praktisch  von  Bedeutung,  wenn  es 
ein  Mittel  gibt,  das  die  sicher  bestehenden  Giftwirkungen  bei  Typhus  neu¬ 
tralisieren  kann.  Hoffmann  hat  das  Serum  einer  Nachprüfung  unterzogen; 
die  damit  anges teilten  Versuche  und  Untersuchungen  mögen  im  Original 
nachgelesen  werden.  Seine  Ergebnisse  lauten : 

1.  Der  Gehalt  des  Meyer  -  Bergeirschen  Serums  an  Agglutininen, 
Präzipitinen  und  Substanzen,  welche  die  Phagozytose  fördern,  konnte  bestätigt 
werden. 

2.  Bakterizide  Substanzen,  wenn  auch  nicht  in  größerer  Menge,  waren 
vorhanden;  dies  wäre  noch  kein  großer  Nachteil,  vorausgesetzt,  daß  eine 
antitoxische  Komponente  die  durch  die  Bakterizidie  frei  werdenden  Gift¬ 
stoffe  neutralisieren  könnte,  leider  wurde  aber  beim  Tierversuch  keine  solche 
nachgewiesen,  es  fand  sich  vielmehr  sogar  ein  geringer  Gehalt  an  Toxinen. 

3.  Wegen  seiner  die  Phagozytose  anregenden  Eigenschaft  hatte  das 
Serum  auch  eine  in  gewissen  Grenzen  liegende  Schutzwirkung  gegenüber 
bakterieller  Infektion.  Wenü  dieser  Wert  auch  nicht  besonders  hoch  ist, 
würde  er  sich  doch  durch  Fortsetzung  der  Immunisation  der  Pferde  wün¬ 
schenswerterweise  beträchtlich  steigern  lassen.  ' 

4  Nach  diesen  Ausführungen  ist  demnach  die  Anwendung  des  Serums 
noch  nicht  am  Platze.  F.  Walther. 


Gynäkologie  und  Geburtshilfe. 

Aus  der  Universitäts-Frauenklinik  der  königl.  Charite. 

Untersuchungen  über  die  Hämolyse  der  Streptokokken  in  der 

Schwangerschaft. 

(Dr.  W.  Sigwart.  Archiv  für  Gyn.,  Bd.  87,  H.  2,  1909.) 

Die  Fromme’sche  Ansicht,  daß  Hämolyse  der  Streptokokken  identisch 
sei  mit  Virulenz  derselben,  hat  durch  die  neuesten  Untersuchungen  S.’s 
einen  schweren  Stoß  erlitten,  zugleich  damit  auch  die  von  der  V  ei  Eschen 


Referate  und  Besprechungen. 


1217 


Klinik  gezogenen  praktischen  Schlußfolgerungen.  Nach  eingehender  Schil¬ 
derung  der  angewandten  Technik  (sog.  Mischkulturen  gaben  die  besten  Re¬ 
sultate)  berichtet  S.,  daß  er  in  den  Uteruslochien  von  44  fiebernde!!' 
Wöchnerinnen  31  mal  typisch  hämolysierende  Streptokokken  gefunden  habe, 
25 mal  in  Reinkultur.  Die  Hämolyse  war  bei  allen  diesen  Streptokokken 
gleich  intensiv  und  typisch,  sowohl  bei  den  Kokken,  welche  von  der  großen 
Mehrzahl  (19)  leicht  verlaufender  Endometritiden  stammten,  bei  denen  nach 
einmaliger  Temperatursteigerung  die  Frauen  wieder  entfiebert  waren,  als 
auch  bei  den  Streptokokken,  welche  in  je  zwei  Fällen  zu  Parametritis  und 
Thrombophlebitis  geführt  hatten,  endlich  auch  bei  dem  Kokkus,  der  mit 
föudroyanter  Infektionskraft  in  drei  Tagen  eine  tödlich  verlaufende  Peri¬ 
tonitis  hervorgerufen  hatte.  Es  sagten  also  die  Blutagarplatten  nichts  weiter, 
als  was  die  Bouillonkulturen  ebenso  rasch  erkennen  ließen :  daß  die  In¬ 
fektion  durch  hämolysierende  Streptokokken  hervorgerufen  sei.  Der  leichte 
Verlauf  der  Infektion  in  den  meisten  Fällen  machte  die  von  Fromme  für 
schwere  Fälle  angeratene  Blutuntersuchung  überflüssig.  Es  ist  aber  sehr 
wichtig,  daß  in  einigen  schweren  Fällen,  besonders  in  dem  tödlich  ge¬ 
endeten  Peritonitisfalle  das  Blut  steril  blieb.  Immerhin  hält  auch  S. 
daran  fest,  daß  ein  positiver  Streptokokkenbefund  im  Blut  prognostisch  sehr 
ernst  zu  nehmen  sei,  bedeutet  er  doch,  daß  die  Keime  die  vom  Körper  entgegen¬ 
gesetzten  Schutzmaßregeln  überwunden  haben.  S.  führt  sodann  einige  letale 
Fälle  an,  wo  das  Blut  allerdings  Streptokokken  enthielt,  aber  keine  hämoly- 
sierenden.  Mithin  bietet  einerseits  die  Hämolyse  keinerlei  Anhalts¬ 
punkte  für  die  Virulenz  der  Streptokokken,  andererseits  ist  das 
Fehlen  der  Hämolyse  kein  Zeichen  der  A virulenz.  — -  Streptokokken 
fanden  sich  ferner  bei  40  =  71%  von  56  nicht  fiebernden  Wöchnerinnen 
in  den  Scheidenlochien;  in  38  Fällen  hämolysierten  diese  Kokken.  Es 
ist  dieser  Befund  die  erste  Bestätigung  der  neueren  Befunde  aus  der  V  ei  t' sehen 
Klinik  (Heynemann),  wo  man  bei  einer  Reihe  von  50  nicht  fiebernden 
Wöchnerinnen  31  mal  typische  hämolysierende  Streptokokken  fand.  Aus  dieser 
Tatsache  geht  ebenfalls  hervor,  daß  die  Hämolyse  mit  Virulenz  und  Patho¬ 
genität  nichts  zu  tun  hat.  Um  dem  Einwand  zu  begegnen,  daß  die  Unter¬ 
suchung  der  Scheidenlochien  nicht  maßgebend  sei,  wurden  noch  die  Utexus- 
lochien  von  12  fieberfreien  Wöchnerinnen  untersucht,  mit  dem  Resultat, 
daß  sich  5  mal  hämolytische  Streptokokken  fanden,  übrigens  gleichzeitig  auch 
in  den  Scheidenlochien.  — -  Zurzeit  kann  man  also  nur  durch  die 
klinische  Beobachtung  erkennen,  ob  kulturell  gefundene  Strepto¬ 
kokken  pathogen  sind!  : —  Endlich  hatten  von  20  Schwangeren  9  Strep¬ 
tokokken,  wovon  3  hämolysierten.  Diese  sämtlichen  Frauen  machten  ein 
normales  Wochenbett  durch!  Bei  drei  im  Wochenbett  wieder  untersuchten 
Frauen,  die  in  der  Schwangerschaft  nicht  hämolytische  Streptokokken  gehabt 
hatten,  waren  dieselben  am  3. — 5.  Wochenbettstag  verschwunden.  Anderer¬ 
seits  waren  bei  zwei  Frauen,  welche  als  Schwangere  nicht  hämolytische 
Streptokokken  beherbergt  hatten,  am  2. — 3.  Wochenbettstag  massenhafte  hämo¬ 
lytische  Streptokokken  vorhanden.  Demnach  wäre  es  nicht  unmöglich,  daß 
die  Hämolyse  nur  der  Ausdruck  besserer  Wachstumsbedingungen  ist.  Den 
Erscheinungen  der  Virulenz,  ihres  Auftretens  und  Verschwindens  stehen  wir 
jedenfalls  vorläufig  noch  wie  einem  Rätsel  gegenüber.  R.  Klien  (Leipzig). 


Über  Symphyseotomie  in  der  Schwangerschaft. 

Mit  einer  Textfigur. 

(Dr.  Franz  Lehmann.  Arch.  für  Gyn.,  Bd.  86,  H.  2.) 

Im  Jahre  1899  machte  Frank  in  Köln  als  erster  eine  Symphyseotomie 
in  der  Schwangerschaft;  die  Geburt  erfolgte  zehn  Tage  danach.  Wegen 
Querlage  Wendung  und  Extraktion;  beim  Durchleiten  des  Kopfes  klaffte 
zwar  die  Symphyse,  es  rissen  aber  die  Weichteile  wieder  auf.  Das.  Kind 
kam  tot.  Einen  besseren  Erfolg  für  das  Kind  erzielte  man  in  einem  Fall 

77 


1218  • 


Referate  und  Besprechungen. 


in  der  Freiburger  Klinik,  berichtet  von  Gauss,  jedoch  eiterte  hier  die  Symphy- 
seotomiewunde ;  bei  der?  34  Tage  nach  der  Operation  stattgefundenen  Geburt 
hatte  die  Symphyse  ebenfalls  deutlich  geklafft.  Den  dritten  bisher  bekannt 
gegebenen  Fall  hat  L.  selbst  operiert  und  zwar  in  der  36.  Woche.  Er  sagt 
aber  gleich,  daß  er  nid  wieder  in  der  Schwangerschaft  eine  Symphyseotomie 
vornehmen  wird.  Zwar  wurde  nach  offener  Symphyseotomie  mit  Drainage 
des  retrosymphysären  Raumes  primäre  Wundheilung  erzielt,  aber  bei  der 
27  Tage  nach  der  Operation  im  Hause  der  Pat.  erfolgenden  Entbindung  gaben 
die  durchschnittenen  Symphysenenden  nicht  im  geringsten  nach.  Als 
der  behandelnde  Arzt  die  hohe  Zange  machte,  trat  plötzlich  nach  mehreren 
Traktionen  der  Kopf  mit  einem  Ruck  ins  Becken,  aber  auch  hierbei  war  die 
Symphyse  nicht  auseinander  gewichen.  Glücklicherweise  lebte  das  Kind, 
es  hatte  aber  eine  deutliche  Depression  auf  dem  linken  Scheitelbein.  — 
Alles  in  allem  bedeuten  diesle  drei  Fälle  ein  Fiasko  der  prophylaktischen 
Schwangersehaf tssymlphy seotomie,  was  übrigens  bereits  Frank  nach 
seinem  ersten  Fall  ausgesprochen  hat.  L.  hiebt  hervor,  daß  die  ganze  Idee 
der  Schwangerschaftssymphyseotomie  ihr  Leben  einer  nicht  ganz  scharfen 
Ausdrucksweise  verdanke;  man  habe  sich’  gesagt,  nach  der  Symphyseotomie 
bleibt  ein  erweiterungsfähiges  Beckery  zurück,  machte  es  sich  aber  nicht 
klar,  daß  in  den  Fällen,  vo,n  deren  Einwirkung  auf  das  Becken  man  ausging, 
es  sich  um  Symphyseotomie  plus  Geburt  handelte.  Die  Symphyseotomie 
konnte  man  in  der  Schwangerschaft  machen,  die  vorangegangene  Geburt  bei 
gespaltener  Symphyse  blieb  dagegen  ein  Desiderat.  Hier  stecke  der  Fehler, 
der  gemacht  wurde  und  ohne  den  diese  Versuche  vielleicht  überhaupt  nicht 
gemacht  worden  wären.  R.  Klien  (Leipzig). 


Aus  der  Frauenklinik  der  Universität  Heidelberg. 

Untersuchungen  über  die  Bedeutung  des  Suprarenins  für  die  Geburtshilfe. 

Eine  experimentelle  und  klinische  Studie.  Mit  3  Tafeln. 

(Priv.-Doz.  Dr.  Maximilian  Neu.  Arch.  für  Gyn.,  Bd.  85,  H.  3.) 

N.  hat  sich  die  Aufgabe  gestellt,  dem  Suprarenin  zu  der  ihm  gebühren¬ 
den  Stellung  in  der  geburtshilflichen  Therapie  zu  verhelfen.  In  einer  breit- 
angelegten  Arbeit  schildert  er  seine  Experimente  und  seine  klinischen  Be¬ 
obachtungen.  Auf  die  ersteren  hier  einzugehen,  würde  zu  weit  führen. 
Hervorgehoben  sei  nur,  daß  die  Wirkungsweise  des  Suprarenins  höchst  wahr¬ 
scheinlich  eine  neurogene  ist,  und  daß  der  Gebärmuttermuskulatur  eine 
Art  elektiver  Eigenschaft  gegenüber  dem  Suprarenin  zuzukommen  scheint. 
Für  therapeutische  Zwecke  kommt  von  Applikationsweisen  nur  die  sub¬ 
kutane  resp.  intramuskuläre  Injektion  und  die  perkutane  utero-muskuläre 
in  Betracht,  letztere  direkt  in  die  Korpusmuskulatur  hinein.  Einspritzungen 
in  die  Portio  vaginalis  empfehlen  sich  nur  in  gewissen  (gynäkologischen) 
Fällen.  Die  gewöhnliche  Dosis!  soll  Vio  mg  betragen,  die  Maximaldosis 
7io  mg-  Die  Kontraktion  des!  Uterus  ist  bei  der  uteromuskulären  Injektion 
eine  momentane,  aber  bald  vorübergehende.  Dagegen  wird  die  Erregbarkeit 
des  Uterus  auf  geringe  äußere  Reize  (Reiben)  auf  längere  Zeit  ganz  be¬ 
deutend  gesteigert,  was  therapeutisch  von  großem  Wert  ist.  Unangenehme 
Nebenwirkungen  subjektiver  Art  wurden  nur  dann  beobachtet,  wenn  die  Nadel 
in  ein  Blutgefäß  eingedrungen  war;  das  ist  prinzipiell  zu  vermeiden.  Indi¬ 
ziert  ist  die  Anwendung  von  Suprarenin  vor  allem  bei  atonisch'en  Blu¬ 
tungen  in  der  Naohgebur tslperiode.  Hier  tritt  der  Effekt  momentan  ein: 
feste  Kontraktion,  Sistieren  der  Blutung,  gesteigerte  Erregbarkeit,  beschleu¬ 
nigte  Loslösung  der  Plazenta;  vor  Subinvolution  im  Wochenbett  vermag  da¬ 
gegen  die  Suprarenininjektion  nicht  zu  schützen,  hier  bleiben  die  alten  physi¬ 
kalischen  Heilmittel  am  Platze.  Nicht  verschwiegen  darf  auch  werden, 
daß  nach  Suprarenininjektionen  öfter  spastische  Konstriktionen  des  inneren 
Muttermunds  beobachtet  wurden,  die  zu  einer  unangenehmen  Retention  der 
Eihäute  führten.  Zur  Gebur tserr egung,  sei  es  einer  Fehl-  oder  einer  Früh- 


Referate  und  Besprechungen. 


1219 


gebürt,  reicht  das  Suprarenin,  auch  wiederholt  intramuskulär  injiziert,  nicht 
aus;  doch  wird  die  Erregbarkeit  des  Uterus  gesteigert.  Bei  Wehenschwäche 
hat  N.  keine  ausreichende  Gelegenheit  gehabt,  das  Mittel  auszuprobieren. 
Angewendet  dürfte  es  hier  .allerdings,  wie  das  Ergotin,  nur  in  der  Aus¬ 
treibungsperiode  werden  wegen  der  bereits  erwähnten  tonischen  Strikturie- 
rung  des  inneren  Muttermundes.  Bei  Blutungen  in  den  ersten  Tagen 
des  Wochenbettes  ist  Suprarenin  ähnlich  wie  in  der  Nachgeburtsperiode, 
also  uteromuskulär  oder  auch  intramuskulär  (subkutan),  dann  indiziert,  wenn 
die  Blutungen  nicht  von  zurückgebliebenen  Eiteilen  herrühren.  Eine  eventuelle, 
gleichzeitige  Erschlaffung  der  Bauchdecken  muß  durch  Bandagen  behandelt 
werden.  In  den  späteren  Tagen  des  Wochenbettes,  in  denen  die  natürliche 
Erregbarkeit  des  puerperalen  Uterus  gradatim  zurückgeht,  bietet  sich  dem 
Suprarenin  ein  schlechter  Angriffspunkt.  Dagegen  läßt  sich  das  Suprarenin, 
in  die  Portio  injiziert,  mit  Vorteil  anwenden  in  Fällen,  wo  eine  Ausräumung 
des  Uterus,  sei  sie  digital  oder  instrumenteil,  oder  eine  Abrasio  im  Spät¬ 
wochenbett  bei  schlechtem  Kontraktionszustand  nötig  werden.  Der  Uterus 
nimmt  dann  eine  festere  Konsistenz  an,  wodurch  eine  Perforation  weniger 
leidht  möglich  ist.  —  Erwähnt  sei  noch,  daß  sekundäre  atonische  Blutungen 
nach  Suprareninanwendung.  die  an  sich  möglich  wären,  nie  beobachtet  wor¬ 
den  sind.  —  R.  Ivlien  (Leipzig). 


Die  Berechtigung  und  die  Methode  der  Unterbrechung  der  Schwangerschaft. 

(Heinrich  Fritsch.  Deutsche  med.  Wochenschr.,  Nr.  47,  1908.) 

Die  Berechtigung  des  künstlichen  Abortes  als  lebensrettende  Operation 
ist  unbedingt  anzuerkennen.  Am  häufigsten  werden  Hyperemesis  und  Tuber¬ 
kulose  die  Indikation  abgeben.  Regeln  lassen  sich  dabei  nicht  aufstellen,  es 
heißt  gerade  hier:  individualisieren,  wobei  die  äußeren  Verhältnisse  eine  große 
Rolle  spielen.  —  F.  gibt  den  Rat,  den  künstlichen  Abort  nur  in  einer1  An¬ 
stalt  vorzunehmen.  Technisch  ist,  wie  F.  aus  tausendfältiger  Erfahrung 
versichern  kann,  ein  langsames  Vorgehen  unbedingt  zu  bevorzugen.  Für 
24  Stunden  wird  ein  Laminariastift  eingelegt;  nach  dessen  Entfernung  Durch¬ 
bohrung  der  Eihäute  mit  dem  Uteruskatheter,  Ablassen  des  Fruchtwassers, 
Tamponade  des  Uterus  bezw.  der  Eihöhle  mit  einem  langen  Streifen  Jodoform¬ 
gaze,  der  von  Ichthyolglyzerin  trieft.  Bei  Multiparis  wird  das  Ei  nunmehr 
oft  sehr  bald  ohne  große  Schmerzen  ausgestoßen,  sonst  ist  es  wenigstens  nach 
24  Stunden  gelockert  und,  falls  es  sich  nicht  ausdrücken  läßt,  mit  der  Kürette 
leicht  zu  entfernen.  Bei  Verdacht  auf  zurückgebliebene  Reste  nochmalige 
Uterustamponade ;  beim  Herausziehen  der  Gaze  am  anderen  Tage  und  Aus¬ 
spülung  des  Uterus  danach  werde  alles  sicher  entfernt.  R.  Klien  (Leipzig). 


Aus  der  Dresdner  königl.  Frauenklinik,  1900 — 1908. 

Zur  Spontangeburt  bei  engem  Becken. 

(Dr.  Th.  Leisewitz.  Archiv  für  Gyn.,  Bd.  86,  H.  1.) 

Zunächst  weist  L.  Baisch’s  Zahl  für  Spontangeburten  bei  engem  Becken 
—  80%  —  als  zu  hoch  nach.  Dagegen  rechnet  L.  aus,  daß  die  Dresdener 
Klinik,  trotzdem  sie  die  sog.  prophylaktische  Wendung  und  die  künstliche 
Frühgeburt  nach  wie  vor  ausübt,  die  höchste  Zahl  von  Spontangeburten! 
beim  engen  Becken  erzielt  hat.  Die  prophylaktische  Wendung  und  Extraktion 
sei  überhaupt  gar  keine  prophylaktische,  sondern  eine  streng  indizierte  Opera¬ 
tion,  und  zwar  nicht  nur  für  den  Praktiker  draußen,  sondern  auch  für  die 
Klinik.  Mit  Recht  fragt  L.,  was  diejenigen,  welche  diese  Operation  — 
ebenso  die  künstliche  Frühgeburt  —  ausschalten  wollen,  dem  Praktiker  für 
die  Fälle,  wo  diese  Operationen  wirklich  am  Platze  seien,  gäben  ?  Die  Ant¬ 
wort  lautet:  Da  Kaiser-  upd  Beckenschnitt  nur  in  der  Klinik  möglich  sind, 
Abwarten  einer  Spontangeburt  oder  Perforation  des  lebenden  oder  des  durch 
die  lange  Geburtsdauer  absterbenden  Kindes.  Das  sei  ein  Rückschritt.  Da- 

77* 


1220 


Referate  und  Besprechungen. 


gegen  sei  hei  richtig  beurteilten  Raum  Verhältnissen  und  bei  richtig  gewähltem 
Zeitpunkt  —  über  dessen  Bestimmung  sich  L,  leider  nicht  näher  äußert  — 
in  solchen  Fällen  die  Wendung  und  Extraktion  eine  segensreiche  Operation. 
Füllt  sie  somit  in  der  Tat  in  der  Praxis  draußen  eine  Lücke  aus,  so  kann 
auch  die  Klinik  ihrer  eigentlich  gar  nicht  entbehren,  denn  es  ist  auch  heute 
noch  nicht  jedermanns  Sache,  sich  durch  Hebosteotomie  oder  Kaiserschnitt  ent¬ 
binden  zu  lassen,  wenn  es  nicht  absolut  sein  muß.  Die  Frühgeburt  ist  ganz 
analog  zu  bewerten.  Die  traurigen  Resultate  Baisch’s  (75%  tote  Kinder 
bei  allerdings  nur  8  Fällen)  haben  ihren  Grund,  wie  L.  nachweist,  in  groben 
Mißgriffen;  wurden  doch  Kinder  von  2200  g  bis  zu  1200  g  herab  zur  Welt 
gefördert.  Andere  Autoren  haben  gerade  umgekehrt  75  und  mehr  Prozent 
lebende  Kinder  bei  0 — 1%  mütterlicher  Mortalität.  Letztere  beträgt -dagegen 
in  Dresden  bei  Hebosteotomie  2,7%,  bei  Kaiserschnitt  4,9%.  Durch  Reform¬ 
bestrebungen  im  Sinne  Baisch’s,  die,  wie  L.  zahlenmäßig  nachweist,  weder 
genügend  basiert  sind,  noch  einer  ernsten  Kritik  standzuhalten  vermögen, 
würden  die  praktischen  Ärzte  nur  irre  geleitet  werden.  Es  sei  überhaupt 
schwer  zu  beklagen,  daß  von  einer  Anzahl  hypermoderner  Autoren  gegen¬ 
wärtig  eine  Scheidung  der  Geburtshilfe  in  eine  klinische  und  eine  praktische 
proklamiert  werden.  R.  Klien  (Leipzig). 


Ueber  wiederholte  Hebosteotomie. 

(O.  Ho  eh  ne,  Kiel.  Beiträge  zur  Geburtsh.  u.  Gyn.,  Bd.  13,  H.  3.) 

Bei  einer  23  jährigen  II  p.  mit  rachitisch-plattem  Becken,  doppeltem  Pro¬ 
montorium.  Oonj.  vera  6,6  bezw.  7,2  cm,  bei  welcher  vor  7  Jahren  eine  links¬ 
seitige  Hebosteotomie  mit  lebendem  Kind  ausgeführt  war,  war  der  Kopf 
nach  lOstündigem  Kreißen  auf  die  rechte  Darmbeinschaufel  abgewichen.  Er¬ 
neute  Hebosteotomie  etwas  einwärts  der  früheren  Knochendurchtrennung. 
Wendung.  Extraktion.  Lebendes  Kind,  1430  g  schwer,  54  cm  lang.  Unge¬ 
störte  Rekonvaleszenz  trotz  Auftretens  eines  starken  Hämatoms  in  der  linken 
La.bie. 

Der  Fall  zeigt,  daß  man  von  der  Schambeindurchsägung  keineswegs  eine 
dauernde  Erweiterung  des  Beckenrings  erwarten  darf,  röntgenologisch  wurde 
auch  eine  völlige  knöcherne  Vereinigung  des  früheren  Knochenspaltes  nach¬ 
gewiesen.  Andererseits  ergibt  sich  aus  der  Beobachtung,  daß  wir  mit  der 
Indikationsstellung  unter  7  cm  Vera  heruntergehen  können,  falls  die  Ver¬ 
engerung  nur  die  Conj.  vera  betrifft,  der  Beckenausgang  aber  geräumig  ist. 

Diese  Ansicht  ist  uns  übrigens  schon  längst  geläufig.  (Ref.) 

F.  Kays  er  (Köln). 


Psychiatrie  und  Neurologie. 

Aus  der  medizinischen  Klinik  der  Universität  in  Göttingen.  (Prof.  Dr.  C.  Hirsch.) 

Kortikale  motorische  Aphasie  nach  Pneumonie. 

(Assistenzarzt  Dr.  Port.  Münchener  med.  Wochenschr.,  Nr.  16,  1909.) 

Bei  dem  seltenen,  von  'mancher  Seite  geleugneten  Vorkommen  von  Herd¬ 
erkrankungen  des  Gehirns  im  Verlauf  (einer  Pneumonie  hält  es  Port  für 
angebracht,  einen  derartigen  Fall  mitzuteilen.  Bei  einem  21  Jahre  alten 
Musiker  trat  acht  Tage  nach  Beginn  der  Pneumonie  eine  hämorrhagische 
Nephritis  auf,  die  vier  Tage  später  wieder  völlig  Beseitigt  war.  Daran 
schloß  sich  eine  leichte  Sprachstörung,  die  langsam  zunahm  und  mit  Agra- 
phie  einherging.  Im  weiteren  Verlauf  gesellte  sich  noch  eine  Angina  mit 
Abszeßbildung  hinzu.  Bei  der  Entlassung  bestand  die  Sprachstörung  noch, 
während  die  Agraphie  verschwunden  war.  Die  Sprachstörung  war  eine  zere¬ 
brale,  weil  Agraphie  vorhanden  war  und  Lähmungen  der  Sprach-  und  Schling¬ 
muskulatur  fehlten;  es  handelte  sich  um  eine  Störung  der  inneren  Wort¬ 
bilder.  Das  Wortverständnis  blieb  vollkommen  erhalten.  Da  diese  Aphasie 
mit  Agraphie  verbunden  war,  auch  die  Fähigkeit,  nachzusprechen,  nach  Dik- 


Referate  und  Besprechungen. 


1221 


tat  zu  schreiben,  zu  kopieren  und  laut  zu  lesen  gestört  war,  so  ist  die 
Diagnose  auf  kortikale  motorische  Aphasie  zu  stellen.  Der  Herd  dürfte 
im  hinteren  Abschnitt  der  dritten  linken  Stirnwindung  (Broca’sche  Windung) 
liegen;  die  Ursache  bildet  wohl  eine  Embolie  oder  Thrombose  des  hinteren, 
Zweiges  vom  ersten  Aste  der  Arteria  fossae  Sylvii  sinistra.  F.  Walther. 


Eine  statische  Theorie  der  Epilepsie. 

(Richard  Stern.  Wiener  klin.  Rundschau,  Nr.  4—7,  1909.) 

Der  epileptische  Insult  hat  verschiedene  Beziehungen  zum  gesunden 
Schlafe.  Viele  Epileptiker  erleben  ihre  Attacke  zur  Zeit  des  Einschlafens 
oder  des  Erwachens,  und  zwei  Drittel  aller  Anfälle,  welche  Fere  registrieren 
ließ,  kamen  auf  die  Nachtstunden.  Der  Schlaf  wirkt  also  hier  gewissermaßen 
als  Agent  provocateur.  Auch  sonst  ist  der  normale  Schlaf  dem  epileptischen 
Krampfe  vielfach  verwandt.  Stabile  gleichförmige  Reize  wirken  hier  wie 
dort  fördernd  (Zählen  vor  dem  Einschlafen  etc.,  reflektorische  Epilepsie). 
Die  hypnagogischen  Halluzinationen  erinnern  an  die  Aura  des  Epileptikers. 
Wer  im  Stehen  einschläft,  kann  plötzlich  hinstürzen  (brüskes  Versagen  des’ 
absinkenden  statischen  Tonus)  und  wenn  er  erwacht,  zeigen  sich  motorische; 
Reizerscheinungen  (zuckende  Bewegungen  in  Armen  und  Beinen).  Das  jähe 
Aufschrecken  aus  dem  Schlummer  hat  eine  gewisse  Ähnlichkeit  mit  dem  klo¬ 
nischen  Stadium  des  Krampfes.  Der  epileptische  Anfall  enthält  also 
keinerlei  Elemente,  die  nicht  auch  dem  Schlafe  unter  Umständen 
eigen  sein  könnten.  Die  Epilepsie  bildet  ein  Kapitel  aus  der  Pathologie 
des  Schlafes.  Auch  der  hysterische  Anfall,  der  so  oft  mit  dem  epileptischen 
kombiniert  auf  tritt,  ist  auf  dem  Boden  schlaf  verwandter  Vorgänge  begründet. 
Die  Absence  an  sich  ist  noch  kein  epileptisches  Zeichen,  sie  wird  erst  dazu, 
durch  das  Insuffizientwerden  des  statischen  Apparates  (Hinstürzen  und  toni¬ 
scher  Krampf).  Der  typische  epileptische  Anfall  ist  daher,  so  lautet 
der  Schluß,  den  der  Verf.  aus  seinen  Erwägungen  zieht,  eine  kurze  Schlaf - 
anwandlung,  zu  welcher  der  „epileptische  MechanisOnus“  —  die 
epileptische  Reaktionsfähigkeit  des  Gehirns  —  hin  zu  tritt.  Es  ist  demnach 
nicht  so  sehr  der  epileptische  Insult  als  vielmehr  der  latente  „epileptische 
Mechanismus“,  der  den  Epileptiker  charakterisiert.  Zwischen  diesem  Mecha¬ 
nismus  und  demjenigen,  der  die  automatische  Steuerung  der  aufrechten  Hal¬ 
tung  besorgt,  bestehen  enge  Beziehungen,  man  kann  daher  aus  dem  Auftreten 
epileptischer  Manifestationen  auf  das  Vorhandensein  einer  angebore¬ 
nen  oder  erworbenen  Minderwertigkeit  des  statischen  Apparates 
schließen.  Steyerthal-Kleinen. 


Ueber  die  neurasthenischen,  psychasthenischen  und  verwandte  Zustände. 

(Bernheim.  Revue  de  Med.,  XXIX.  Annee,  Nr.  4,  S.  257 — 270,  April  1909.) 

Gegenüber  den  Bestrebungen,  welche  darauf  ausgehen,  die  Krankheits¬ 
bilder  möglichst  zu  trennen  und  sie  bis  zur  Unkenntlichkeit  in  Spezialfälle 
aufzulösen,  sucht  Bernheim  die  unerschöpfliche  Gruppe  der  sog.  neurastheni¬ 
schen  Zustände  auf  eine  gemeinsame  Basis  zu  stellen. 

Er  teilt  sie  zunächst  rein  empirisch  ein  in  solche,  welche  zu  heilen, 
und  solche,  die  nicht  zu  heilen  sind;  die  ersteren,  die  man  genauer  als  ErJ 
schöpfungszustände  bezeichnen  müßte,  scheiden  sofort  aus  der  Betrachtung) 
aus.  Bei  den  anderen,  den  wahren  Neur-  bezw.  Psychasthenikern,  kommen 
zwar  auch  Besserungen,  Wechsel  in  den  Krankheitserscheinungen  vor,  aber 
dafür  kann  der  Arzt  nichts,  mag  er  nun  Mastkuren,  Suggestion,  Hydro¬ 
therapie,  Isolierung,  Seruminjektionen,  Elektrizität,  Plasmon,  Zerebrin, 
Arsen  oder  sonst  ein  Heilmittel  anwenden.  Die  Besserungen  sind  Remissionen, 
die  zum  Verlauf  der  Krankheit  gehören,  die  in  scheinbar  beliebigen  Inter¬ 
vallen  auftreten,  oft  erheblich,  oft  kaum  bemerkbar  sind,  denen  aber  dann 
stets  wieder  auch  bei  rationellster  Behandlung  ein  „Rückfall“  folgt.  „Aucun 
traitement  n’en  previent  le  retour.“ 


1222 


Referate  und  Besprechungen. 


Diese  asthenischen  Zustände  können  t.  im  psychischen,  t.  im  sog.  nervö¬ 
sen  Gebiet  in  die  Erscheinung  treten,  oder  sich  so  kombinieren,  daß  bald 
die  einen,  bald  die  anderen  im  Vordergrund  stehen.  Bernheim  stellt  somit 
neben  die  reine  Psychasthenie,  die  er  im  Wesentlichen  als  Melancholie,  Depres¬ 
sionen  definiert,  und  neben  die  reine  Neurasthenie  (Schmerzen,  Schwindel, 
Ohnmächten.  Gesichts-,  Verdauungsstörungen,  Mattigkeit  usw.)  die  Mischfor¬ 
men  der  Psychoneurasthenie  und  [der  Neuropsychasthenie.  Allein  —  und 
das  erscheint  mir  prinzipiell  wichtig  —  er  beschränkt  die  Affektion  nicht 
auf  das  Nervengebiet,  sondern  betont,  daß  auch  die  Muskeln,  die  Verdauungs¬ 
organe,  das  Herz,  die  Haut,  der  Genital- Apparat  usw.  ergriffen  sein  können. 

Woher  rühren  nun  diese  Asthenieen  ?  Da  kann  zunächst  ein  Vitium; 
primae  formationis  zugrunde  liegen;  die  Neurasthenie  entsteht  dann  par  droit 
de  naissance,  par  diathese  native,  par  le  microbisme  latent  de  l’heredite  se 
developpant  ä  ün  (moment  donne  de  la  vie,  scheinbar  unabhängig  von  äußeren 
Einflüssen.  Dagegen  können  —  zweitens  —  innere  Vorgänge  auslösend 
wirken:  Das  Zahnen,  das  Wachsen,  die  Pubertät,  Menstruation,  Schwanger¬ 
schaft,  Wochenbett,  Menopause  usw.  Und  drittens  sind  Gifte  und  Infek¬ 
tionen  zu  nennen :  Lues,  Blei,  Alkohol,  Typhus,  und  vor  allem  Grippe. 

Ich  weiß  nicht,  ob  aus  diesen  Anhaltspunkten  ein  jeder  die  verschie¬ 
denen  neur-  und  psychasthenischen  Affektionen  als  Ausdruck  einer  Intoxi¬ 
kation  anzusprechen  geneigt  ist.  Bernheim  jedenfalls  tut  das:  ,,ces  syndromes 
sont  dus  ä  un  agent  nuisible,  c’est-ä-di.re  toxique  circulant  dans  tout  l’orga- 

nisme‘‘  (S.  261)  un,d  ,,Les  etats  neurastheniques  etc .  sont  des  etats 

toxi  —  infectieux“  (S.  269),  und  indem  er  damit  dem  z.  Z.  herrschendem 
Genius  epidemicus  chymicus  seinen  (Tribut  zollt,  beweist  der  Meister  der 
Hypnose,  daß  er  selbst  dem  hypnotisierenden  Zauber  jener  Vorstellungs¬ 
weise  erlegen  ist. 

Von  objektiven  Symptomen  betont  er  hauptsächlich  die  Steigerung  der 
Reflexe  (Patellar-  und  Fußklonus)  und  Gleichgewichtsstörungen  (Neigung, 
nach  rückwärts  zu  fallen).  Konform  seiner  Grundvorstellung  erklärt  er  diese 
Sj^mptome  als  Lokalisationen  des  hypothetischen  Giftes  in  den  Pyramiden¬ 
bahnen  bezw.  im  Kleinhirn  usw.,  und  indem  er  diese  Lokalisationen  sich  bald 
im  Bereich  des  Unsichtbaren  .abspielen,  bald  zu  organischen  Veränderungen 
(Neuritis,  Myelitis,  Enteritis  muco-membranacea  u.  dergl.  entwickeln  läßt, 
rettet  er  die  Einheit  seiner  Auffassung.  Zum  Schluß  spielt  er  den  letzten 
Trumpf  aus:  Die  Neuropsychasthenie  sei  der  Suggestionsbehandlung  unzu¬ 
gänglich  :  also  könne  es  sich  nicht  um  dynamische  Funktionsstörungen  handeln ; 
man  begreife  vielmehr  leicht,  daß  nur  Gifte  dieser  Therapie  einen  so  unüber¬ 
windlichen  Widerstand  entgegensetzen.  Allein  bei  aller  Anerkennung  des 
geistvollen  Aufbaues  wird  vielleicht  gerade  dadurch  die  zweifelnde  Frage 
ausgelöst :  Könnte  es  nicht  auch  anders  sein  ?  Buttersack  (Berlin). 


Medikamentöse  Therapie. 

(1.  Medizinische  Abteilung  des  St.  Rochus-Spitals,  Budapest.) 

Die  Wirkung  des  Extractum  Digitalis  depuratum  (Digipuratum  „Knoll“) 

auf  das  Zirkulationssystem. 

Bemerkungen  zur  Wirkungsweise  der  Digitalis. 

(Dr.  Joseph  Szinnyei.  Orvosi  Hetilap,  Nr.  17 — 22,  1909.) 

Der  Verf.  prüfte  eingehend  die  Wirkung  des  Digipuratums  in  20  Fällen 
und  kommt  zu  dem  Schluß,  daß  das  Digipuratum  ein  absolut  verläßliches 
Digitalispräparat  ist,  welches  infolge  seiner  Eigenschaften,  erstens  stabile 
Wirkungsstärke,  zweitens  kombinierte  (Digitalin-  und  Digitoxin-)Zusammen- 
setzung  und  drittens  Reinheit  bezw.  Digitonin-Freiheit,  bei  jeder  Inkompen¬ 
sation  zu  geben  ist,  wenn  zur  per  os -Verabreichung  noch  Zeit  ist. 

Bei  der  Verwendung  des  Digipuratums  stieg  die  Diurese  in  11  Fällen 
schon  am  zweiten  Tag,  in  4  Fällen  überstieg  sie  schon  am  ersten  Tag  die 


Referate  und  Besprechungen. 


1223 


eingeführte  Flüssigkeitsmengei  In  3  Fällen  begann  die  Diurese  erst  am 
dritten  Tag,  in  2  Fällen  erst  am  vierten  Tag,  während  eine  größere  Ver¬ 
spätung,  nämlich  bis  am  fünften,  sechsten  oder  siebenten  Tag  nur  in  je  einem 
Fall  beobachtet  wurde. 

Bei  genauer  Vergleichung  der  Daten  über  die  Frequenz  der  Herzaktion 
mit  jenen  über  die  Diurese  findet  man  das  merkwürdige  Ergebnis,  daß  in 
einzelnen  Fällen  die  Frequenz  sehr  rasch  abnimmt,  manchmal  schon  am  zweiten 
oder  dritten  Tag,  während  die  Urinmenge,  wenn  sie  auch  größer  ist  als  vom 
vorhergehenden  Tag,  der  eingeführten  Flüssigkeitsmenge  immer  noch  nicht 
entspricht. 

Es  scheint,  als  ob  man  gerade  in  dieser  zeitlichen  Dissoziation  der; 
Digitaliswirkung  auf  Pulsfrequenz  und  Diurese  einen  Schlüssel  zur  Beur¬ 
teilung  des  Zustandes  des  Herzmuskels  finden  könnte,  indem  nämlich  die 
Digitalis  auf  den  noch  anscheinend  guten  Herzmuskel  derart  wirkt,  daß 
die  Abnahme  der  Kontraktionsfrequenz  und  der  Beginn  der  Diurese  zur  selben 
Zeit  eintreten,  bei  schlechterem  Myokard  aber  die  Frequenz  erst  abnimmt 
und  erst  später  —  und  zwar  um  so  später,  je  schlechter  der  Herzmuskel  ist  — 
die  Diurese  anzusteigen  beginnt. 

Wenn  die  Herzschwäche  sehr  groß  ist,  darf  man  natürlich  nicht  das 
Digipuratum  benutzen,  dann  kann  einzig  und  allein  eine  intravenöse  Digalen- 
oder  Strophantineinspritzung  das  Leben  retten. 

Von  der  Voraussetzung  ausgehend,  daß  Digitalis  immer  da  angezeigt 
ist,  wo  das  Herz  mehr  Arbeit  als  gewöhnlich  zu  leisten  hat,  in  den  Fällen, 
auch,  wo  es  nicht  gut  genährt  ist  und  deswegen  in  schlechten  Verhältnissen 
arbeiten  muß,  in  allen  Fällen  endlich,  wo  es  heißt,  so  schnell  als  möglich 
den  Blutkreislauf  zu  beschleunigen,  um  Toxine  zu  verbrennen,  d.  h.  um 
das  Blut  zu  entgiften,  versuchte  der  Verf.  die  Indikationen  der  Digitalis 
zu  erweitern.  Er  wandte  infolgedessen  die  Digitalistherapie  und  zwar  mit 
gutem  Erfolg  an  bei :  Influenza  (17  Fälle),  genuiner  akuter  Lungenentzündung 
(21  Fälle),  Bronchitiden,  Bronchiolitiden  (11  Fälle),  Diphtherie  (3  Fälle), 
Gesichtsrose  (4  Fälle),  kryptogenetischen  Anämien  (9  Fälle),  Chlorose  (5  Fälle) 
und  verschiedenen  anderen  Indikationen. 

Als  absolute  Kontraindikationen  der  Digitalis  sind  erhöhter  Blutdruck, 
vorherige  Blutungen,  Basedow’sche  Krankheit  anzusehen. 

Aus  seinen  Beobachtungen  folgert  der  Verf. : 

Sobald  das  Blut  nicht  physiologisch  rein  ist,  arbeitet  das  Herz  patho¬ 
logisch.  Sobald  das  Herz  mehr  Arbeit  als  in  der  Norm  liefern  muß,  arbeitet 
es  auch  pathologisch.  In  diesen  Fällen  muß  dem  Blutmotor  geholfen  werden, 
weil  nur. die  normale  Arbeit  des  Herzens  eine  normale  biologische  Oxydation 
des  Organismus,  i.  e.  ein  normales  Leben  erlaubt. 


Zwei  neue  Quecksilber-Präparate. 

(L.  Queyrat.  Bull,  med.,  Nr.  59,  S.  707—708,  1909.) 

Die  immer  neu  angepriesenen  Hg-Präparate  beweisen,  daß  die  vorhandenen 
noch  nicht  allen  Ansprüchen  genügen.  Ein  eigenartiges  Kompositum  haben 
Queyrat  und  Degny  an  zahlreichen  Syphilitikern  erprobt,  nämlich  ein 
Amalgam  aus  Silber  und  Quecksilber.  Sie  ließen  von  diesem  Amalgam  16  und 
40  (Volum-)%  ige  Öle  hersteilen,  und  injizierten  davon  2  b!zw,  1  ccm  allwöchent¬ 
lich  mit  höchst  bemerkenswerten  Heilresultaten. 

Sie  schritten  dann  auf  diesem  Wege  weiter,  verrieben  Quecksilber  mit 
Platin  und  injizierten  hiervon  16  bzw.  40%  Öle,  von  denen  das  schwache 
in  1  ccm  0,4  g  Hg  und  0,04  Platin,  das  stärkere  0,16  Hg  und  0,0.16  Platin 
Enthielt.  Die  Versuchsdauer  ist  noch  zu  kurz,  um  die  Resultate  endgültig 
zu  rühmen ;  immerhin  haben  die  beiden  Kliniker  den  Eindruck  gewonnen,  daß 
man  auf  diese  Weise,  durch  die  Kombination  von  Metallen,  mit  geringeren 
Quantitäten  von  Hg  auskomme  und  trotzdem  auch  schwere  Fälle  zur  Heilung 
bringe.  Buttersack  (Berlin). 


1224 


Referate  und  Besprechungen. 


Aus  der  inneren  Abteilung  des  Krankenhauses  der  jüdischen  Gemeinde  zu  Berlin 

(leitender  Arzt:  Prof.  Dr.  J.  Lazarus). 

Ueber  Kollargolbehandlung. 

(Dr.  R.  Fabian  u.  Dr.  H.  Knopf.  Berl.  klin.  Wochenschr.,  Nr.  30,  1909.) 

Verfasser  wandten  diese  Therapie  in  25  Fällen  von  akutem  Gelenk¬ 
rheumatismus,  gonorrhoischer  Arthritis  und  Septikämie  an,  und  zwar  bevor¬ 
zugten  sie  die  Darreichung  in  Klysmaform  (früh  und  abends  1/2  Stunde  nach 
dem  Reinigungsklistier  je  50  ccm  einer  1  prozen tigen  Lösung).  Sie  konnten 
feststellen,  daß  das  Kollargol  viel  langsamer  wirkt,  wie  die  Salizyipräparate. 
Es  beeinflußt  zunächst  die  Schmerzen,  das  Fieber  geht  nur  ganz  allmählich 
herunter.  Verfasser  empfehlen  das  Mittel  hauptsächlich  da,  wo  Salizyl  ent¬ 
weder  versagt  oder  nicht  vertragen  wird.  Bei  Sepsis,  sowohl  durch  Strepto- 
wie  auch  durch  Staphylokokken  hervorgerufen,  übt  das  Präparat  gar  keinen 
Einfluß  aus.  F.  Walther. 


Aus  dem  Marienhospital  in  Birkesdorf  bei  Düren. 

Erfahrungen  mit  Eusemin. 

(Littaur.  Deutsche  med.  Wochenschr.,  Nr.  29,  1909.) 

Das  Eusemin,  eine  Mischung  von  Kokain  mit  Adrenalin  in  physio¬ 
logischer  Kochsalzlösung,  hat  sich  in  den  verschiedensten  Fällen  recht  gut 
bewährt.  Zunächst  bei  Behandlung  von  Nasen-  und  Nebenhöhlen erkrankungen. 

Bei  Muschelresektionen  und  Septumoperationen  ist  die  anästhesierende 
Wirkung  des  Eusemins  ausgezeichnet,  zudem  operiert  man  fast  blutleer.  Man 
muß  allerdings  8 — 10  Minuten  nach  der  Injektion  abwarten,  dann  kann  man 
den  Eingriff  in  der  kürzesten  Zeit  schmerzlos  ausführen. 

Anbohrungen  der  Kieferhöhle  vom  unteren  Nasengange  werden  von 
den  Patienten  unter  Eusemininjektion  durchschnittlich  ohne  jede  Schmerz¬ 
äußerung  ertragen,  desgleichen  Anbohrungen  vom  Processus  alveolaris  aus ; 
natürlich  wird  die  Schleimhaut  vorher  unempfindlich  gemacht. 

Bei  ausgedehnten  Operationen  der  Kieferhöhle,  von  der  Fossa  canina 
aus  mit  der  Herstellung  einer  Verbindung  mit  der  Nase,  spritzt  man  kurz  nach 
Beginn  der  Allgemeinnarkose  eine  Ampulle  Eusemin  unter  die  Schleimhaut, 
teils  der  Fossa  canina,  teils  des  unteren  Nasenganges.  Irgend  eine  unange¬ 
nehme  Nebenwirkung  bei  dieser  Methode  hat  Verf.  nicht  gesehen,  vielleicht 
war  die  Blutung,  nachdem  der  Patient  zu  Bett  gebracht  war,  mal  eine 
stärkere,  aber  niemals  war  ein  besonderes  Eingreifen  erforderlich. 

Bei  Tonsillotomien  hat  er  das  Eusemin  wiederholt  mit'  recht  befrie¬ 
digendem  Erfolge  benutzt.  Eine  halbe  Spitze  am  oberen,  eine  halbe  am 
unteren  Pol  der  Tonsille  genügt,  um  diesen  Eingriff  nach  einigen  Minuten, 
—  die  Tonsille  wird  fast  weiß  —  fast  schmerzlos  ausführen  zu  können. 

Neumann. 


Ueber  die  Wirkung  des  Aperitols. 

(Dr.  G.  Her  schell,  London.  Folia  therap.,  April  1909.) 

Unter  den  modernen  Laxantien  nimmt  das  Phenolphtalein  eine  hervor¬ 
ragende  Stellung  ein;  es  passiert  den  Magen  unzersetzt  und  bildet  im  Darm 
ein  wenig  diffusionsfähiges  Natriumsalz  mit  hohem  osmotischen  Druck,  das 
eine  bemerkenswerte  Ausscheidung  von  Flüssigkeit  in  den  Darm  hinein  ver¬ 
anlaßt.  Obwohl  der  größte  Teil  des  Mittels  ohne  absorbiert  zu  werden  den 
Körper  verläßt,  so  wird  doch  ein  Teil  durch  die  Nieren  ausgeschieden  und 
kann  bei  größeren  Dosen  gelegentlich  Nierenreizungen  veranlassen.  Viele 
Patienten  klagen  ferner  beim  Gebrauch  von  Phenolphtalein  über  Leibschmerzen. 

Der  Gedanke,  ein  Abführmittel  mit  einem  schmerzlindernden  Mittel 
zu  vereinigen,  führte  dazu,  das  Phenolphtalein  mit  der  bei  Leibschmerzen 
viel  verwandten  Baldriansäure  zu  verbinden.  Dieses  Mittel  wurde  unter 
dem  Namen  Aperitol  in  die  Therapie  eingeführt. 


Referate  und  Besprechungen. 


1225 


Die  Untersuchungen  des  Verfassers  zeigen,  daß  das  Aperitol  die  Peri¬ 
staltik  erhöht  und  den  Durchgang  der  Nahrung  durch  den  Darmkanal  be¬ 
schleunigt,  die  Intensität  der  Wirkung  ist  jedoch  verschieden,  sogar  bei 
den  gleichen  Individuen. 

Durch  Aperitol  wird  der  Wassergehalt  des  Stuhles  vermehrt,  das  Ver¬ 
hältnis  der  festen  Massen  zu  den  flüssigen  wechselt  mit  der  Dosis. 

Im  Gegensatz  zum  Phenolph talein  tritt  beim  Aperitolgebrauch  kaum 
hier  und  da  ein  leichtes  Unbehagen  auf. 

Bei  chronischer  Konstipation  wirkt  das  Mittel,  wenn  es  in  gleichen 
Dosen  weiter  gegeben  wird,  gut.  Besonders  empfiehlt  sich  das  Aperitol  bei 
temporärer  Verstopfung  infolge  von  Diätfehlern,  Bettlägerigkeit  usw. 

Peru  er  ist  das  Präparat  angezeigt,  wenn  es  als  gelegentliches  Purgans 
dienen  soll.  Infolge  seiner  Eigenschaft,  den  Wassergehalt  der  Eäzes  zu  ver¬ 
mehren,  ist  es  ferner  zu  empfehlen  bei  Aszites,  pleuritischen  Ergüssen,  bei 
einigen  Formen  von  Obesitas  und  Herzkrankheiten. 


Erfahrungen  mit  einem  neuen  Arseneisenpräparat  Asferryl. 

(Fries.  Tlierap.  der  Gegenw.,  Nr.  8,  1909.) 

Das  Asferryl  ist  ein  grünlichgelbes  Pulver,  das  in  verdünnten  Säuren 
schwer,  in  verdünnten  Alkalien  dagegen  leicht  löslich  ist.  Es  enthält  23°/0 
Arsen  und  18°/o  Eisen,  dabei  ist  es  etwa  35mal  ungiftiger  wie  arsenige  Säure. 
Asferryl  kommt  in  Tablettenform  in  den  Handel,  jede  Tablette  zu  1  g  enthält 
0,04  g  Asferryl,  demnach  0,01  Arsen.  Die  Tagesgabe  beträgt  1—2  Tabletten, 
bei  höheren  Dosen  treten  Störungen  von  seiten  des  Verdauungstraktus  auf. 
Am  besten  beginnt  man  mit  zweimal  täglich  ya  Tablette,  läßt  nach  vier 
bis  fünf  Tagen  dreimal  x/2  Tablette  nehmen,  nach  weiteren  vier  Tagen  geht 
man  zu  zweimal  täglich  einer  Tablette  über.  Zweckmäßig  ist  es,  in  Inter¬ 
vallen  von  4 — 5  Tagen  auch  weiterhin  mit  der  Dosis  zu  steigen  und  zu  fallen. 
—  Die  Erfolge  bei  Anämien  und  Chlorosen  waren  gut.  Neumann. 


Aus  der  Landes-Heil-  und  Pflegeanstalt  Uehtspringe. 

Behandlungsversuche  mit  Arsenophenylglyzin  bei  Paralytikern. 

(Alt.  Münch,  med.  Whchenschr.,  Nr.  29,  1909.) 

Mit  Rücksicht  darauf,  daß  bei  Paralytikern  die  Wassermann’sche 
Reaktion  positiv  auszufallen  pflegt,  sei  es  infolge  noch  vorhandener  Syphilis 
oder  einer  ihr  nachgefolgten  und  durch  sie  unterhaltenen  übermäßigen  Abgabe 
von  Lezithin,  hat  wieder  ein  aktiveres  Vorgehen  speziell  in  den  Anfangs¬ 
stadien  der  Paralyse  begonnen. 

Quecksilber  erwies  sich  im  ganzen  als  wirkungslos,  auch  das  Atoxyl 
versagte,  doch  konnte  dadurch  der  Grundgedanke  durch  Arsen  in  geeigneter 
Form  die  etwa  bei  der  Paralyse  noch  aktiven  syphilitischen  Prozesse  zu  be¬ 
einflussen,  nicht  erschüttert  wterden.  Als  geeignetes  Mittel  erscheint  das 
von  Ehrlich  dargestellte  Arsenophenylglyzin,  dem  die  unangenehmen  Neben¬ 
wirkungen  des  Atoxyls,  speziell  auf  den  Sehnerven,  fehlen.  Bis  jetzt  läßt 
sich  über  die  Wirkung  des  Arsenophenylglyzins  bei  Paralytikern  sagen, 
daß  es  in  manchen  Fällen  die  Wassermann’sche  Reaktion  zum  Schwinden 
gebracht  hat,  ohne  wesentliche  unangenehme  Nebenwirkungen  zu  entfalten. 
Bei  einem  daraufhin  untersuchten  Paralytiker  verlor  sich  außerdem  die  vorher 
übermäßig  hohe  Lezithinabgabe  im  Kot.  Klinisch  läßt  sich  mit  Rücksicht 
auf  das  an  und  für  sich  so  wechselvolle  Bild  der  Paralyse  noch  nichts  sagen. 
Es  werden  von  Alt  weitere  ausgedehnte  Untersuchungen  vorgenommen. 

Neumann. 


1226 


Referate  und  Besprechungen. 


Aus  der  biochemischen  Abteilung  des  Instituts  für  experimentelle  Therapie 

zu  Düsseldorf. 

Narkose  und  Lezithin. 

(Nerking.  Münch,  med.  Wochenschr.,  Nr.  29,  1909.) 

Auf  Grund  theoretischer  Erwägungen  hat  Nerking  versucht,  durch 
intravenöse  Einspritzung  von  Lezithinaufschwemmungen  die  Giftwirkung  der 
Narkotika  zu  paralysieren,  indem  er  speziell  von  der  Ansicht  ausging,  daß 
durch  Zuführung  anderer  Lipoide  das  Narkotikum  aus  seiner  Bindung  mit 
den  Gehirnlipoiden  losgerissen  und  die  narkotische  Wirkung  auf  diese  Weise 
aufgehoben  oder  beschränkt  werden  könnte. 

Die  Wirkung  der  Lezithineinspritzung  wurde  geprüft  bei  Äther,  Chloro¬ 
form,  Morphium,  Morphium-Skopolamin,  Urethan,  Urethan-Chloralhydrat,  Novo¬ 
kain,  Novokain-Adrenalin  und  Stovain;  als  Versuchstiere  dienten  Hunde, 
jKaninchen,  Batten.  Die-  Wirkung  zeigte  sich  teils  in  einem  früheren  Er¬ 
wachen  und  Munterwerden,  teils  in  früherer  Rückkehr  der  Empfindung. 
Was  die  Dosierung  der  Narkotika  anlangt,  so  wurde  stets  gleichmäßig  bis 
zum  völligen  Erlöschen  der  Reflexe  bezw.  der  Empfindung  narkotisiert.  Be¬ 
sonders  bemerkt  zu  werden  verdient  noch,  daß  Tiere,  die  vorher  mit  Lezithin 
behandelt  waren,  eine  viel  größere  Menge  des  Narkotikums  bis  zum  Eintritt 
völliger  Narkose  bedurften  als  nicht  behandelte;  ebenso  verhielten  sich  Tiere, 
die  schon  einmal  als  Versuchstiere  gedient  hatten  und  dann  später  nochmals 
in  Versuch  genommen  wurden;  offenbar  bleibt  das  Lezithin  lange  im  Kreislauf 
und  sättigt  sich  erst  mit  dem  Narkotikum  ab,  ehe  die  Organvorräte  des 
Tieres  an  Lezithin  herangezogen  werden. 

Da  somit  das  Lezithin  nicht  allein  ein  unschädliches  Mittel  ist,  sondern 
sogar  einen  deutlichen  günstigen  Einfluß  auf  den  gesamten  Organismus 
ausübt,  dürfte  es  wohl  berechtigt  sein,  die  Lezithineinspritzungen  —  in  der 
Form  des  Poulene’schen  Präparates  im  sterilen  Röhrchen  — -  auch  beim 
Menschen  zu  versuchen,  um  einer  üblen  Nachwirkung  der  Narkose  vorzu¬ 
beugen,  bezw.  die  Narkose  abzukürzen.  Neumann. 


Röntgenologie  nnd  physikalische  Heilmethoden, 

lieber  kurze  Ausspannungen. 

(Prof.  Boas,  Berlin.  Zeitschr.  für  Baln.,  April  1909.) 

B.  nimmt  Stellung  gegen  die  bisherigen  schematischen  Verordnungen 
von  Badekuren,  die  meist  auf  3 — 4  Wochen  bemessen  werden,  cv.  mit  ob¬ 
ligater  1 — 2 wöchiger  Nachkur.  Er  ist  bei  wirklich  Kurbedürftigen  für  eine 
Erweiterung  der  Kur  bezw.  für  eine  Wiederholung  derselben  innerhalb  eines 
Jahres.  Besonders  bei  Überarbeitungsneurasthenien  empfiehlt  er  in  gewissen 
Zwischenräumen  —  alle  6—8  Wochen  —  kurze  Ausspannungen  von  5 — 10 
Tagen.  Erforderlich  ist  .naturgemäß,  daß  keine  langen  Reisen  dazu  not-, 
wendig  sind;  schon  der  Wechsel  des  Aufenthalts  leistet  dabei  oft  Vorzügliches 
— -  gleich,  ob  damit  geistige  Ruhe  oder  eine  gewisse  Anregung  unter  fremden 
und  neuartigen  Verhältnissen  verbunden  ist.  Krebs. 


Experimentelle  Untersuchungen  zur  physiologischen  Wirkung  von 

Mineralwassern. 

(Borodenko.  Zeitschr.  für  Baln.,  Nr.  12,  1909.) 

Salzschlirfer  Bonifaziusbrunnen  verhält  sich  ziemlich  indifferent*  gegen 
die  Drüsen  des  Verdauungskanals,  dagegen  regt  er  die  Magenmotilität  an 
und  zwar,  je  höher  temperiert,  um  so  mehr.  In  gleicher  Weise  beeinflußt  er 
die  Darmperistaltik.  Ferner  'lost  der  Urin  Harnsteine  aus  Harnsäure  und 
Phosphorsäure  leichter  -auf,  wenn  Bonifaziusbrunnen  getrunken  wird,  als 
wenn,  nur  reines  Wasser  getrunken  wird.  (Versuche  aus  dem  Laboratorium 
des  Pathologischen  Universitäts-Instituts  Berlin.)  Krebs. 


Referate  und  Besprechungen. 


1227 


Praktische  Erfahrungen  beim  Gebrauch  der  Salzschlirfer  Bonifaciuskur. 

(G'emmel,  Salzschlirf.  Zeitschr.  für  Baln.,  Nr.  12,  1909.) 

G.  nimmt  auf  Grund  seiner  Beobachtungen  an  ca.  6000  Kurgästen  zu 
obigen  Untersuchungen  Stellung.  Er  bestätigt  den  steinlösenden  Einfluß 
des  B. -Brunnens,  bestreitet  aber  die  mangelnde  Beteiligung  der  Unterleibs¬ 
drüsen  an  dem  Kurerfolg,  da  fast  regelmäßig  Appetit  und  Verdauungskraft 
sich  heben  und  die  Urinmenge  deutlich  vermehrt  wird. 

G.  warnt  davor,  täglich  mehr  als  1— D/2  Liter  zu  trinken :  und  zwar 
läßt  er  die  erste  Hälfte  davon  morgens  nüchtern,  18 — 20°  warm,  die  andere 
Hälfte  zwischen  vier  und  sechs  Uhr  nachmittags,  kalt  trinken.  Krebs. 


Experimentelle  Untersuchungen  von  Arsenwasser  auf  die  Magen-  und 

Darmfunktion. 

(Brenner.  Zeitschr.  für  Baln.,  Nr.  12,  1909.) 

Die  Untersuchungen  betreffen  die  Maxquelle  zu  Dürkheim  —  einen 
arsenhaltigen  Kochsalz-Säuerling.  Die  Mägensaftsekretion  wird,  anders  wie 
beim  Roncegnowasser,  das  nebenbei  kochsalzarm  und  stark  eisenhaltig  ist, 
gesteigert,  die  Motilität  angeregt  und  die  Peristaltik  des  Darms  beschleunigt 
—  Beobachtungen,  die  mit  den  klinischen  Erfahrungen  gut  übereinstimmen. 

Krebs. 


Höhenklima  und  Herzkrankheiten. 

(B.  v.  Koränyi,  Ofenpest.  Zeitschr.  für  Baln.,  April  1909.) 

Üble  Zufälle  bei  Herzkranken  in  großen  Höhen  bekämpft  man  zweck¬ 
mäßig  mit  Sauerstoffeinatmungen,  welche  nicht  nur  die  Zahl  der  Blutkörper¬ 
chen,  sondern  auch  die  Viskosität  des  Blutes  herabzusetzen  vermögen  (beide 
sind  vermehrt  in  der  Höhe  und  erschweren  bezw.  verlangsamen  die  Zirku¬ 
lation).  Aus  der  Auffassung  heraus,  daß  also  das  Höhenklima  die  Kreislauf¬ 
organe  belastet,  schlägt  K.  vor,  durch  allmählich  gesteigerte  11  öhenbehand- 
lung  eine  zunehmende  Übung  für  das  Herz  anzuwenden  und  so  methodisch 
seine  Leistungsfähigkeit  zu  steigern.  Krebs. 


Bemerkungen  zur  modernen  Elektrotherapie. 

(Geh.  Rat  Prof,  Eulenburgr  Berlin.  Zeitschr.  für  Baln.,  April  u.  Mai  1909.) 

E.  weist  die  Übertreibungen  und  Überschätzungen  zurück*  die  seitens 
einer  Reihe  von  Autoren  bezgL  des  Vierzellenbades  stattgehabt  haben.  An 
Stelle  der  allgemeinen  Elektrisation,  wie  sie  im  elektrischen  Vollbade  statt¬ 
findet,  tritt  nach  E.  im  Vierzellenbade  nur  eine  Anwendung  von  zwei  Doppel  - 
elektorenpaaren  mit  ungewöhnlich  großer  Angriffsfläche.  Die  theoretischen 
Voraussetzungen  dieses  Bades  scheinen  wenig  begründet  Und  der  einzige 
Vorteil  die  bequeme  Handhabung  und  Anwendung.  Lektüre  des  Originals; 
empfohlen.  Krebs. 


Feste  Kohlensäure  gegen  Warzen  und  Hühneraugen. 

(R.  Sutton.  Journ.  of  cutan.  diseases,  April  1909.) 

Hühneraugen  auf  den  Sohlen  können  einem  das  Leben  aufs  äußerste  ver¬ 
bittern.  Bei  vier  Pat.,  bei  denen  Salizylsäure,  Chrysarobin,  Acid.  nitr.,  Ab¬ 
kratzen  unwirksam  geblieben  war,  gelang  es,  sieben  solcher  Gebilde  von 
1 — 6  qcm  Größe  dadurch  zu  beseitigen,  daß  man  während  30  60  Sekunden 

etwas  Kohlensäure-Schnee  auf  ihre  Mitte  legte,  so  daß  sie  gefroren;  man) 
ließ  sie  auftauen  und  legte  dann  abermals  etwas  feste  CO^  auf.  Nach^  zwan¬ 
zig  Tagen  war  völlige  Heilung  eingetreten.  Die  dabei  au  1  tretenden  Schmer¬ 
zen  sind  so  geringfügig,  daß  man  kein  Anästhetikum  braucht.  ■  Viel¬ 
leicht  ließe  sich  die  Sache  auch  mit  Äthylchlorid  machen. 

Buttersack  (Berlin). 


1228 


Referate  und  Besprechungen. 


Allgemeines. 

Aus  der  amerikanischen  medizinischen  periodischen  Literatur. 

(Mai  1909.) 

The  american  journal  of  the  medical  Sciences. 

1.  Die  Diagnose  des  Magengeschwürs,  nachgewiesen  durch 
Operation.  Von  Dr.  J.  N.  Hall,  Prof.  d.  Med.  am  Denver  College,  Colorado. 
Verf.  berichtet  über  50  eigene  Fälle  von  Magen-,  Pylorus-  und  Duodenal¬ 
geschwüren,  in  denen  die  Diagnose  durch  die  Operation  bestätigt  war  und 
ihm  nur  zwei  Irrtümer  passierten.  Einmal  diagnostizierte  er  auf  Grund 
akuter  Symptome  und  eines  hohen  Säuregehalts  ein  verheiltes  Ulkus  mit 
frischem  Nachschub  und  fand  nur  eine  alte  Narbe  und  eine  Treitz’sche, 
Hernie,  die  die  akuten  Symptome  veranlaßt  hatte,  ein  andermal  Gallen¬ 
steine,  und  fand  ein  Duodenalgeschwür.  Die  Analyse  dieser  Fälle  be¬ 
gründet  nach  H.  den  Schluß,  daß  das  Magengeschwür  durchaus  keine  seltene 
Krankheit  ist  und  daß  wir  bei  der  Diagnose  mehr  Gewicht  auf  die  allgemeinen 
klinischen  Symptome  als  auf  die  Resultate  der  chemischen  Untersuchung 
im  Laboratorium  legen  sollten. 

2.  Die  Diät  im  Typhus.  Von  Dr.  S.  Strouse,  Baltimore.  Vortrag. 
Verf.  kommt  zu  dem  Schluß,  daß,  während  Einzelheiten  nicht  streng  vor¬ 
geschrieben  werden  können,  das  Prinzip  in  der  Ernährung  Typhuskranker 
sein  sollte,  ihnen  zum  mindesten  denselben  Betrag  an  Nahrungsenergie  zu¬ 
zuführen,  den  ein  Gesunder  verlangt,  und  gibt  hierfür  die  Diät  im  allge¬ 
meinen  an. 

3.  Typhöse  Bazillurie.  Von  Dr.  Carl  Conpell,  Lehrer  der  Chirurgie, 
Columbia-Universität,  New- York.  Eine  eingehende  Studie  über  das  für  die 
allgemeine  Hygiene  und  die  Verbreitung  des  Typhus  so  wichtige  Thema, 
daß  Typhuskranke  noch  lange  nach  der  Genesung  Bazillenträger  sein  können, 
und  die  bakterizide  Wirkung  des  Urotropins.  Ref.  verweist  hierbei  auf  eine 
denselben  Gegenstand  betreffende  Arbeit  von  Evers  und  Müh  ler ’s  in  der 
deutsch,  militärärztl.  Zeitschr.  1909,  Heft  9,  („Cholelithiasis  paratyphosa  u. 
Paratyphuserkrankung,  ein  Beitrag  zur  Frage  der  Bazillenträger^).  Die 
übrige  Literatur  ist  bei  Connell  angegeben. 

4.  Die  chirurgische  Behandlung  der  Darmperforation  im 
Typhus.  Von  Dr.  Francis  Denison  Patters'on,  Philadelphia.  Eine 
Literatur-Revue.  Frühe  Diagnose  und  unmittelbar  darauffolgende  Operation 
ist  die  Hauptsache.  Dies  wird  am  besten  erreicht,  wenn  der  Arzt  von 
vornherein  zusammen  mit  dem  Chirurgen  geht,  so  daß,  weiin  die  Notwendig¬ 
keit  der  Operation  eintritt,  der  letztere  nicht  den  Nachteil  hat,  den  Kranken 
vorher  nicht  gesehen  zu  haben.  Ein  Kranker  wurde  innerhalb  zwei  Wochen 
dreimal  operiert,  zweimal  wiegen  Perforationen  und  einmal  wegen  Adhäsions- 
Obstruktion,  und  genas.  Ein  8 jähriger  Knabe  hatte  bei  der  Operation  zwei 
Perforationen  im  Ileum  und  einen  gangränösen  und  perforierten  Appendix 
und  genas. 

5.  Spasmus  der  Brustmuskeln,  besonders  der  Interkostales, 
ein  physikalisches  Zeichen  von  Luligenkrankhei ten.  Von  Dr.  F.  M. 
Pottenger,  Monrovia,  Columbia.  Ähnlich  wie  Muskelstarrheit  (rigidity) 
besonders  bei  akuten  Unterleibskrankheiten  vorkommt,  z.  B.  bei  Appendix¬ 
erkrankungen  im  rechten  unteren  Quadranten  des  Abdomens,  kommt  nach 
P.  Muskelspasmus  besonders  der  Interkostales  als  ein  konstantes  Zeichen 
bei  Lungentuberkulose  vor,  mittels  dessen  er  nicht  nur  den  Ort,  sondern 
auch  die  Art  der  Erkrankung,  diese  ziemlich  genau,  hat  bestimmen  können. 
Es  ist  ein  richtiger  Spasmus,  der  in  einzelnen  Fällen  über  dem  Ort  der  Er¬ 
krankung  so  ausgesprochen  ist,  daß  man  die  Stelle  leicht  durch  Vergleich 
mit  anderen  Stellen  findet.  Man  palpiert  am  besten  von  unten  nach  oben. 
Daß  der  Spasmus  dauernd  ist,  hat  wahrscheinlich  seinen  Grund  in  fibröser 
Degeneration.  P.  hält  ihn  für  ein  wertvolles  Zeichen. 

6.  Magenverdauung  beim  Kinde.  Von  Dr.  Wood  Clarke,  New- 
York.  Wie  Nr.  4  eine  Literatur -Revue.  Beim  neugeborenen  Brustkind 


Referate  und  Besprechungen. 


1229 


entleert  sich  der  Magen  in  1  M/s  Stunden,  je  älter  das  Kind  wird,  je  später. 
Die  wenigen,  im  leeren  Magen  gefundenen  Tropfen  Magensaft  rühren  von 
der  letzten  Mahlzeit  her  und  sind  nicht  in  den  leeren  Magen  sezerniert. 
Die  Motilität  ist  schneller  bei  Brustkindern  als:  bei  den  mit  Kuhmilch  oder 
sonst  künstlich  genährten,  und  schneller  im  gesunden  als  im  kranken  Zu¬ 
stande.  Die  Azidität  ist  unmittelbar  nach  der  Mahlzeit  gleich  Kuli,  nimmt 
dann  aber  —  auch  mit  dem  Alter  —  zu.  Pepsin  ist  in  jedem  Alter  und  in 
jedem  Gesundheitszustände  vorhanden. 

7.  Syphilis  des  Magens  und  der  Eingeweide.  Von  Dr.  Alfred 
D.  Hohn,  Lehrer  der  Medizin,  Rush  medical  College,  Chicago.  Die  Diagnose 
,, Magenlues  ist  wahrscheinlich,  wenn  beim  Vorhandensein  einer  spezifischen 
Anamnese  und  spezifischer  Karben  gleichzeitig  gummöse  Infiltrationen  ge¬ 
funden  werden.  Die  Hämorrhagien  sind  durch  konkomittierende  Portal-Ob¬ 
struktion  zu  erklären.  Bei  mit  J od  und  Merkur  überfütterten  Luetischen 
kommen  oft  Magenstörungen  vor,  die  nicht  mit  Lues  zu  verwechseln  sind: 
sie  verschlimmern  sich  durch  Jod  und  Merkur,  während  luetische  sich  da¬ 
durch  bessern.  Die  spezifische  spezielle  Therapie  muß  mit  großer  Vorsicht 
vorgehen,  da  es  sich  meist  um  tiefe  pathologische  Veränderungen  im  Magen 
selbst  handelt  und  die  gewöhnliche  Behandlungsmethode  meist  nicht  aus¬ 
reicht. 

8.  Die  Leber  in  der  Tuberkulose.  Von  Dr.  Josephius  Tucker 

Ullom,  Mitglied  des  Henry  Phipps -Instituts  zum  Studium  usw.  der  Tuber¬ 
kulose,  Philadelphia,  Miliartuberkel  werden  meist  gefunden,  Solitärtuberkel 
sind  selten.  Die  Infektion  ist  wahrscheinlich  hämatogener  Katur  und  erfolgt 
durch  Pfortader  und  Art.  hepat  von  Darmgeschwüren  aus.  Passive  Kon¬ 
gestion  ist  bei  Lungentuberkulose  fast  stets  vorhanden,  Amyloid  und  Fett- 
leber  verhältnismäßig  selten.  Fibrose  oder  Zirrhose  ist  wahrscheinlich  nicht 
durch  Tuberkelbazillen,  sondern  durch  andere  ätiologische  Faktoren  ver¬ 
anlaßt.  *  . 

9.  Aszites  bei  .Leberzirrhose  geheilt  durch  wiederholten 
Bauch  stich.  Von  Dr.  Henry  S.  Patterson,  Columbia-Universität,  Hew- 
York.  Ausführliche  Beschreibung  eines  seltenen  Falles  und  Versuch  einer 
Erklärung. 

10.  Adipositas  dolorosa.  Von  Dr.  George  E.  Price,  Assistent  der 
Keurologie  am  Philadelphia  general  hospital  usw.  Eine  klinische  und  patho¬ 
logische  Studie  mit  dem  Rapport  von  zwei  Fällen  mit  Kekropsie.  Wir  ver¬ 
weisen  hierbei  auf  ein  Referat  über,  denselben  Gegenstand  in  den  Fortschr. 
d.  Med.  vom  30.  Juli  1908. 

11.  Chemie  des  Harns  bei  Dinbetes  mellitus.  Von  Dr.  Campbell 
P.  Howard,  Demonstrator  der  klinischen  Medizin  und  Chirurgie,  Mc  Gill- 
Universität,  Montreal,  Kanada.  Eine  Studie  an  der  Hand  eines  Spezialfalls. 

12.  Darmverschluß.  Eine  Skizze  der  Behandlung,  basiert 
auf  der  Todesursache.  Von  Dr.  J.  W.  Draper  Maury,  Col. -Universität, 
Kew-York.  Eine  Studie  über  400  experimentell  erzeugte  Läsionen  (unter 
einer  Vergleichung  seitens  des  Roekefeller’s  Institut  für  medizinische  For¬ 
schung).  Der  Tod  erfolgt  durch  hauptsächlich  im  Duodenum  sich  bildende 
Toxine.  Aufgabe  der  Therapie  ist  es  daher,  diese  durch  Irrigation  (mit 
einem  noch  zu  findenden  Serum)  wegzuschwemmen. 

The  St.  Paul  medical  journal. 

1.  Stenose  des  Pylorüs  in  der  Kindheit.  Von  Dr.  Charles  L. 
Scudder,  Boston,  Chirurg  am  Massachussetts  gen.  hosp.,  Lehrer  der  Chirurgie, 
Harvard  med.  school.  Der  erste  Fall,  und  zwar  ein  von  Dr.  H.  Beardsley 
intra  vitam  diagnostizierter  und  durch  die  Autopsie  bestätigter,  ist  1788 
berichtet,  der  zweite  erst  120  Jahre  spätör.  Die  Krankheit  tritt  plötzlich 
bei  völlig  gesunden  Kindern  auf,  ohne  daß  irgend  eine  Ursache  entdeckt 
werden  kann.  Sie  fangen  an  zu  brechen,  magern  ab  und  gehen  marantisch 
zugrunde  —  auf  dem  Totenschein  steht:  Inanition,  Verdauungsstörung,  Maras¬ 
mus,  Herzfehler,  Atrophie  und  dergl.  Von  1898 — 1905  wurden  jedes  Jahr 
8— -9  Operationen  gemacht,.  1906 — 1907  75  oder  jährlich  Ungefähr  38.  Patho- 


1230 


Bücherschau. 


logisch  handelt  es  sich  um  einen  am  Pylorus  erscheinenden  Tumor,  der  auf 
einer  Hyperplasie  der  zirkulären  Muskelfasern,  und  zwar  dieser  ausschließlich, 
beruht.  Gelegentlich  kommt  eine  fibröse  Hyperplasie  der  Submukosa  vor, 
der  Magen  ist  mitunter  sekundär  dilatiert  und  zeigt  Muskelhypertrophie. 
Die  Diagnose  hat  zu  unterscheiden  zwischen  Pylorusspasmus  und  wahrer 
hypertrophischer  Stenose,  letztere  erfordert  stets  Operation,  und  zwar  ent¬ 
weder  die  Loreta-Operation  oder  die  Pyloroplastik  oder  am  besten  die  Gastro- 
enterostomia  posterior.  Sc.  berichtet  über  5  von  ihm  und  7  von  anderen 
operierte  Fälle. 

2.  Das  hygienische  Element  in  der  Behandlung  der  Knochen¬ 
tuberkulose.  Von  Dr.  Charles  F.  Painter,  Prof,  der  orthopädischen 
Chirurgie,  Boston.  Knochentuberkulose,  wie  z.  B.  die  Pott’sche  Krankheit, 
sollte  nicht  zu  lange  lediglich  mit  Apparaten  behandelt  werden,  was  seine 
Nachteile  hat,  das  hygienische  Element  sollte  mehr  berücksichtigt  werden. 

3.  Die  Leitung  schwieriger  und  abnormer  Geburtslagen.  Von 
Dr.  Hartland  C.  Johnson,  St.  Paul.  Mitteilungen  aus  der  eigenen  Praxis 
und  wie  sich  Verf.  in  vorkommenden  Fällen  schwieriger  Entbindungen  ver¬ 
halten  hat. 

The  Post-Graduate. 

(Bis  Anfang  Juli  nicht  eingegangen.  Eventuell  wird  nachträglich  dar¬ 
über  referiert  werden.)  Peltzer. 


Bücherschau. 


Das  Altern;  seine  Ursachen  und  seine  Behandlung  durch  hygienische 
und  therapeutische  Maßnahmen.  Von  A.  Lorand.  Leipzig,  Werner 

Klinkhardt,  1909.  245  S. 

Es  gibt  gelehrte,  geistreiche,  fleißige,  witzige  Bücher,  aber  wenig  vernünftige. 
Hier  ist  ein  solches,  ein  Buch,  welches  praktische  Physiologie  bringt,  in  welchem 
warmes  Leben  rollt  und  nicht  die  blaßwangige  Weisheit  mehr  oder  weniger  übel¬ 
riechender  Laboratorien. 

Der  Grundgedanke  der  ganzen  Schrift  ist  der,  daß  das  Altern  die  Folge  von 
Veränderungen  an  den  sog.  Blutdrüsen  —  man  könnte  vielleicht  allgemein  sagen: 
Störungen  der  inneren  Sekretion  —  sei.  Um  diesen  Grundgedanken  ranken  sich 
die  interessantesten  Betrachtungen  über  die  Physiologie  des  Drüsenapparates 
und  über  seine  Hygiene.  Aber  nicht  in  der  üblichen  trockenen  Form,  bei  welcher 
sich  Lorand  in  der  Rolle  der  unfehlbaren  Katheder-Größe  gefällt,  sondern  in 
fesselnder,  anregender  Plauderei.  Und  dabei  beschränkt  sich  Lorand  nicht  auf 
Dinge,  die  augenblicklich  in  der  Welt  der  Experimentiersäle  en  vogue  sind,  sondern 
er  packt  das  reale  Leben  an,  wie  es  sich  in  Wirklichkeit  abspielt,  und  zeigt,  wie 
man  all  den  ungezählten  Torheiten,  mit  denen  uns  Sitte  und  Gewohnheit  plagen, 
immer  noch  eine  erträgliche  Seite  abgewinnen  kann.  Lorand  weiß  auch,  daß  der 
Mensch  ein  Gemüt  hat,  und  daß  dieses  auch  seine  Anforderungen  stellt  und  seine 
Wirkungen  ausübt  :  kurz,  wer  das  Buch  zur  Hand  nimmt,  wird  es  nicht  gern  wieder 
aus  der  Hand  legen.  Buttersack  (Berlin). 


Ueber  die  Rechtshändigkeit  des  Menschen.  VonE.  Gaupp,  Freiburg  i.  B. 

Jena,  G.  Fischer,  1909.  32  S. 

Eine  mit  großer  Gründlichkeit  zusammengesetzte  Studie,  welche  schließlich 
zu  dem  Ergebnis  kommt,  daß  die  Rechtshändigkeit  ein  spezifisch  menschliches  Merk¬ 
mal  darstellt,  nicht  eine  Schöpfung  der  Laune,  sondern  in  der  Gesamtorganisation 
des  Menschen  begründet.  Ihre  direkte  Ursache  liegt  in  einem  spezifischen  Ueber- 
gewicht  der  linken  Hemisphäre,  welches  einerseits  möglicherweise  auf  Asymmetrien 
in  der  Anordnung  der  Gefäße  zurückzuführen  ist. 

Linkshändigkeit  hat  ihren  Grund  in  einer  Transpositio  cerebralis. 

Die  vorliegende  Arbeit  stellt  das  erste  Heft  einer  „Sammlung  anatomischer 
und  physiologischer  Vorträge  und  Aufsätze“  dar,  welche  von  E.  G  a  u  p  p  -  Freiburg 


Krankenpflege  und  ärztliche  Technik. 


1231 


und  W.  Nagel -Rostock  in  zwangloser  Form  herausgegeben  werden  sollen.  Daß 
diese  Disziplinen,  die  nun  doch  einmal  das  Fundament  der  Medizin  darstellen, 
wieder  engere  Fühlung  mit  der  allgemeinen  Aerztewelt  suchen,  ist  sehr  zu  begrüßen; 

Buttersack  (Berlin). 


Krankenpflege  und  ärztliche  Technik. 

Die  von  der  Firma  Teufel  in  Stuttgart  in  den  Handel  gebrachte 

Niederkunftsbinde  „Retenta“ 

besitzt  folgende  Vorzüge  ihrer  Konstruktion : 

Die  Wirkung  der  Binde  ist  eine  vollständige  nach  jeder  Richtung. 

Das  Anlegen  erfolgt  ohne  die  geringsten  Umstände  und  ohne  Störung 
der  Wöchnerin. 

Durch  die  komprimierend  einstellbaren  Gurtstücke  auf  dem  Bauchteil 
der  Binde  wird  eine  beständige,  leise  Anregung  für  die  Rückbildung  der 
Organe  gegeben.  Bei  den  meist  schlaffen  Bauchdecken,  der  Frauen  —  aber 
auch  selbst  bei  kräftiger  Leibmuskulatur  —  bedeutet  dies  eine  Hilfe  und 
Erleichterung  für  den  geschwächten  Organismus. 

Die  Gurt-  und  Metallteile  sind  vom  waschbaren  Leibteil  mit  einem 
Handgriff  abzunehmen  und  pach  dem  Waschen  wieder  einzufügen,  werden 
also  in  der  Wäsche  nicht  beschädigt. 

Am  unteren  Teil  der  Binde  ist  ein  abknöpf  barer  Verbandhalter  angebracht. 

Das  Rückenteil  der  Binde  ist  mit  einem  seitlichen  Hüftansatz  versehen, 
der  einen  absolut  sicheren  Sitz  und  H,alt  gewährt  und  andererseits  die 
Führung  der  Schenkelrieimen  durch  die  Querfalte  des  Schenkelansatzes  er¬ 
möglicht.  Auch  diese  Führung  ist  gegenüber  anderen  Binden  ein  wesent¬ 
licher  Vorzug  und  dient  zur  Bequemlichkeit  der  Wöchnerin,  denn  diese 
Anheftungsstelle  der  abknöpfbaren  Schenkelriemen  vermeidet  beim  Auswech¬ 
seln  eine  Störung  der  Wöchnerin. 

Statt  der  Gurtstücke  am  Bauchteil  können  auf  Anordnung  des  Arztes 
zarte,  tmit  Stoff  bezogene  Kompressionsfedern  geliefert  werden,  welche  geeignet 
isind,  in  erhöhtem  Maße  die  Rückbildung  der  inneren  Teile  anzuregen,  wie  dies 
öfter  für  besondere  Fälle  wünschenswert  ist. 


Ein  neuer  Schnürstrumpf  für  Krampfaderbehandlung. 

Von  San.-Rat.  Dr.  Stephan,  Ilsenburg  a.  Harz.  (Med.  Klinik,  Nr.  29,  1909.) 

Verfasser  sucht  nachzuweisen,  daß  bei  der  Behandlung  von  Krampf¬ 
ädern  am  Bein  durch  Binden  und  Gummistrümpfe  das  Leiden  eher  ver¬ 
schlechtert  als  verbessert  wird,  indem  beide  Arten  von  Bandagen  das  Bein 
in  zirkulärer  Richtung,  namentlich  an  der  Wade  umschnüren,  während  am 
Fuß  und  in  der  Gegend  der  Knöchel  eine  Lockerung  beider  Bandagen  beim) 
Tragen  eintritt. 

Die  Folge  ist  wie  bei  der  Aderlaßbinde  eine  Stauung  des  Venenblutes 
in  den  Venen  am  Fuß  und  am  Knöchel  und  eine  Erweiterung  dieser  Venen. 
Verfasser  will  diesem  Übel  durch  einen  Schnürstrumpf  abhelfen,  welcher 
so  beschaffen  ist,  daß  an  seiner  Innenfläche  weiche  Stäbe  hervorragen,  welche 
in  der  Längsrichtung  des  Strumpfes  verlaufen;  dadurch  sollen  die  Krampf¬ 
adern  an  verschiedenen  Stellen  zwar  komprimiert  werden,  aber  zwischen 
den  Stäben  soll  Raum  bleiben  zum  Rückfluß  von  Blut  und  Lymphe. 

Das  Prinzip  des  Strumpfes  sei  auch  gut  verwendbar  bei  Krampfadern 
am  Oberschenkel,  indem  z.  B.  ein  verschnürbarer  Gürtel  am  Oberschenkel 
ähnlich  wie  der  Strumpf  durch  Strumpfhalter  gehalten  wird. 

Bei  Krampfadergeschwüren  empfiehlt  Verfasser  eine  Kombination  vom 
gewöhnlichen  Wundverband  mit  seinem  Schnürstrumpf.  Die  Geschwüre  sollen 
dadurch  bei  ambulanter  Behandlung  rascher  heilen. 

Schließlich  betont  der  Verfasser,  daß  der  Strumpf  bei  der  Vielseitig¬ 
keit  des  Krampfaderleidens  nur  dann  wirklich  Nutzen  bringen  kann,  wenn 
er  unter  Anleitung  und  Aufsicht  des  Arztes  vom  Patienten  getragen  wird. 


1232 


Krankenpflege  und  ärztliche  '  Technik. 


Als  Bezugsquellen  sind  Pech,  Berlin  W.  35,  Am  Karlsbad  15 
und  Rochevöt,  Bandagengeschäft,  Wenigerode,  angegeben.  Angabe  der 
Länge  des  Unterschenkels  vom  Knie  bis  zum  Fußgelenk  und  Umfang  der 
Wade  erforderlich. 


Elastisches  Heftpflaster. 

(Bardach,  Wien.  Wiener  klim  Wochenschr.,  Nr.  31, ,  1909.) 

Das  neue  Heftpflaster  präsentiert  sich  als  eine  elastische  Binde,  die 
vermöge  ihrer  Klebekraft  ohne  weiteres  auf  der  Haut  oder  auf  Verbandstoff  fixiert 
werden  kann. 

Nach  Angabe  des  Verf.  hat  die  Firma  H.  v.  Gimborn  &  Ziffer  er 
in  Wien  die  Fabrikation  dieses  elastischen  Heftpflasters  aufgenommen.  Das¬ 
selbe  wird  in  zweierlei  Formen  hergestellt:  erstens  mehr  flächenhaft  und 
zweitens  in  Bandform  spulenartig  gewickelt. 

Die  Möglichkeiten  der  Anwendung  dieses  Heftpflasters  sind  mannig¬ 
faltig. 

In  Bandform  um  eine  Extremität  oder  ein  Glied,  in  mehrfachen  Touren 
übereinander  gewickelt,  bewirkt  es  sofort  eine  kräftige  Blutstauung.  Breit, 
in  zwei  bis  drei  Lagen,  um  ein  Glied  gewickelt,  ist  es  imstande,  eine  s,tarke 
Blutung  sogleich  zum  Stillstand  zu  bringen.  Zirkulär  um  eine  Extremität 
gewickelt,  mit  untergelegtem  Klotz,  kann  es  zur  Arterienkompression  verwendet 
werden.  Auch  als  Absperrung  für  Zwecke  der  Anästhesie  käme  es  in  Betracht. 

Auseinanderstrebende  Hautränder  können,  auch  an  konvexen  Partien 
mit  stärkerer  Hautspannung,  durch  dieses  Heftpflaster  zusammengehalten 
werden.  Die  Haut  kann  in  Falten  darunter  zusammengelegt  und  in  dieser 
Lage  gehalten  werden.  Es  kann  dadurch  die  Naht  in  manchen  Fällen  über¬ 
flüssig  werden.  Auch  bei  gewissen  Darmverlagerungen  und  Darmfisteln 
könnte  es  Verwendung  finden. 

Durch  dieses  Heftpflaster  wird  die  Verbandtechnik  in  mancher  Be¬ 
ziehung  verändert  und  vereinfacht  werden. 

Über  Verbandmaterial  kann  es  —  mit  mehr  oder  weniger  Spannung  — - 
in  zweierlei  Weise  verwendet  werden :  ’ 

1.  In  Bandform  als  beiderseitiger  zirkulärer  Randabschluß  eines 
Verbandes. 

2.  Kann  .es  flächenhaft  angewendet,  nach  Art  der  Gummistrümpfe,  eine 
sehr  einfache  Umhüllung,  einen  für  Arzt  ünd  Patienten  bequemen  Abschluß 
des  Verbandes  bilden. 

In  dieser  Weise  angewendet,  in  Verbindung  mit  Pflastermull,  wenn 
die  Behaarung  direkte  Applikation  auf  die  Haut  verbietet,  kann  es  bei 
Varikositäten  Dienste  leisten. 

Schließlich  käme  es  auch  bei  Dislokationen  und  für  orthopädische 
Zwecke  in  Betracht. 

Die  Klebekraft  des  Pflasters  kann  durch  leichte  Erwärmung  oder  durch  * 
Bestreichen  mit  einem  in  Chloroform  oder  Benzin  getauchten  Wattebäusch- 
chen  jederzeit  gesteigert  werden.  In  besonderen  Fällen  können  die  Ansatz¬ 
stellen  durch  kreuzweises  Darüberlegen  von  gewöhnlichem,  nicht  elastischem 
Heftpflaster  versichert  werden. 

Gegenwärtig  ist  es  noch  nicht  möglich,  die  Verwendbarkeit  dieses 
neuen  Behelfes  nach  allen  Richtungen  zu  übersehen.  Erst  die  längere  prak¬ 
tische  Anwendung  kann  alle  Möglichkeiten  und  die  Begrenzung  der  Wirk¬ 
samkeit  erweisen. 


Druckfehler-Berichtigung. 

In  Nr.  31,  Seite  1190  muß  es  auf  Zeile  35  und  36  heißen:  „Geschieht  dies, 
so  ist  der  Kontrast  beim  Abnehmen  des  Glases  auch  im  nichtblendenden  Tages¬ 
licht  störend.“ 

Schriftleitung:  Dr.  Rigi  er  in  Leipzig. 

Druck  von  Emil  Herrmann  senior  in  Leipzig. 


27.  Jahrgang. 


1909. 


?ort$cbritte  der  Medizin. 


Unter  Mitwirkung  hervorragender  Fachmänner 

herausgegeben  von 

Professor  Dr.  0.  Heister  Prio.-Doz.  Dr.  o.  griefler» 

in  Leipzig.  in  Leipzig. 

Schriftleitung:  Dr.  Rigler  in  Leipzig. 


Nr.  33. 


Erscheint  am  10.,  20.,  30.  jeden  Monats.  Preis  halbjährlich 
6  Mark,  in  kl.  Zeitschrift  für  Yersicherungsmedizin  8  Mark. 


Verlag  von  Georg  Thieme,  Leipzig. 


30.  Nov. 


Originalarbeiten  und  Sammelberichte. 

Therapie  der  Erkrankungen  der  Neugeborenen. 

Von  Privatdozent  Dr.  Paul  Sittler. 

Als  neugeboren  wollen  wir  nach  dem  Vorgänge  von  F in kel stein 
das  Kind  bis  zum  Abschluß  der  „mit  der  Loslösung  des  kindlichen 
Organismus  von  der  Mutter  verknüpften  Vorgänge“  bezeichnen.  Die 
in  der  betreffenden  da.  14  Tage  andauernden  Zeitperiode  auf  tretenden] 
Erkrankungen  sind  mannigfacher  Natur;  einerseits  sind  sie  angeboren 
oder  direkt  durch  die  während  der  Geburt  auftretenden  Traumen 
bedingt,  andererseits  durch  die  veränderten  Lebensbedingungen 
und  die  geringe  Widerstandsfähigkeit  des  Neugeborenen  ent¬ 
standen. 

Unter  den  angeborenen  Krankheiten  verdient  die  kongenitale 
Lues  am  meisten  Beachtung.  Auf  ihre  Therapie  soll  hier  nicht 
näher  eingegangen  werden,  weil  diese  Erkrankung  als  auch  im  späteren 
Säuglings-  und  Kindesalter  auftretend  eine  besondere  aus  führ  liebere 
Besprechung  finden  muß.  Es  möge  genügen,  darauf'  hinzuweisen,  daß 
die  Grundlagen  der  Therapie  der  Lues  auch  beim  Neugeborenen  die 
gleichen  sind  wie  beim  älteren  Säugling  (Zufuhr  von  Quecksilber,  z.  B. 
intern  als  Kalomel,  2 — 3  mg  1 — 2  mal  tägl. ;  eventuell  Schmier  kur  mit 
-  je  1  g  Ung.  Hydrarg.  einer. ;  oder  auch,  aber  weniger  angewandt  Subli- 
mathäder  1:10000).  Von  entschiedenem  Vorteil  für  ein  hereditär- 
luetisches  Kind  ist  es,  wenn  dasselbe  an  der  Mutterbrust  ernährt  werden 
kann.  Nicht  nur,  daß  ihm  so  die  natürliche  Ernährung  erhalten  bleibt, 
es  gelingt  auch  bei  gleichzeitiger  Quecksilberbehandlung  der  Mutter,  den 
Übergang  von  kleinen  Mengen  an  Eiweiß  gebundenen  Quecksilbers  ver¬ 
mittels  der  Muttermilch  auf  den  Säugling  zu  erzielen.  Ernährung  eines 
hereditär-luetischen  Neugeborenen  an  der  Ammenbrust  läßt  sich  natür¬ 
lich  nicht  durchführen,  dagegen  ist  aber  die  Darreichung  von  ab  ge¬ 
pumpter  oder  abgedrückter  Milch  einer  Amme  mit  der  Flasche  (wie 
sie  z.  B.  in  Säuglingsheimen,  vielfach  durchgeführt  wird),  oder  die  Zwie¬ 
milchernährung  (allaitement  mixte  —  teils  Mutterbrust,  teils  künst¬ 
liche  Ernährung)  immer  noch  der  völligen  künstlichen  Ernährung  vor- 
zuziehen. 

Die  übrigen  angeboren  vorkommenden  Infektionen  spielen  im 
Vergleich  zur  angeborenen  Lues,  wegen  ihrer  ungemein  viel  geringeren 
Häufigkeit,  aber  auch  in  therapeutischer  Beziehung  kaum  eine  Bolle. 
Es  mögen  hier  nur  die.  wichtigsten  derselben  eine  kurze  Erwähnung 

78 


1234 


Paul  Sittler,' 


finden.  Von  der  Tuberkulös©  wird  heute  wohl  allgemein  angenommen,, 
daß  sie  nur  in  den  allerseltensten  Fällen  als  angeborene  Krankheit  vor¬ 
kommt.  Es  sind  in  der  Literatur  nur  einige  wenige  Fälle  von  ange¬ 
borener  (auf  plazentarem  Wege  übertragener)  Tuberkulose  bekannt  ge¬ 
worden.  Bei  der  Malignität  der  im  ersten  Lebensjahre  manifest  werden¬ 
den  Tuberkulose  erübrigt  sich  der  Versuch  einer  Therapie  (wenn  über¬ 
haupt  die  Affektion  frühzeitig  genug  zur  Diagnose  kommt),  besonders, 
dann,  wenn  die  Erkrankung  in  den  allerersten  Lebenstagen  auftritt. 
Es  sei  aber  hier  darauf  hingewiesen,  daß  von  der  Schloßmann’schen 
Schule  darauf  aufmerksam  gemacht  worden  ist,  daß  bei  Brustkindern 
tuberkulöse  Herde  weniger  leicht  zur  allgemeinen  (miliaren)  Ausbreitung 
tendieren  als  bei  künstlich  (unnatürlich)  genährten  Kindern. 

Auch  akute  Infektionskrankheiten  sind  angeboren  beobachtet,  z.  B. 
Pocken,  Masern,  Typhus  und  septische  Erkrankungen  (Pneumo¬ 
kokken-,  Streptokokken-Sepsis).  Wenn  hierbei,  besonders  bei  den 
drei  zuerst  genannten  Erkrankungsformen  der  Fötus  nicht  schon  vor 
oder  während  der  Geburt  zugrunde  gegangen  ist,  so  pflegt  im  allge¬ 
meinen  seine  Lebensdauer  nur  eine  sehr  kurze,  nach  Stunden  bemessene 
zu  sein.  Es  soll  uns  aber  nichts  hindern,  bei  einem  derartig  infiziert 
geborenen  Kinde,  wenn  sich  nur  noch  einige  Aussicht  auf  Erhaltung 
des  Lebens  bietet,  energisch  einzugreifen  durch  Zufuhr  von  Wärme,  von 
Analeptizis  (Kampferöl  0,2 — 0,3  mehrmals ;  Koffein  als  Coffein,  natr.- 
salicyl.  oder  Coffein,  natr.-benzoic.  zu  0,01 — 0,05 !)  und  sehr  vorsichtige 
N  ahrungszufuhr  (abgedrückte  Muttermilch  mittels  L  ö  ff  eichen  ver  ab  reich  t , 
falls  das  Kind  nicht  an  der  Brust  trinkt),  unter  Vermeidung  jeglicher 
Überfütterung  (Vorsicht,  daß  keine  Nahrung  regurgitiert  —  geschüttet 
wird,  weil  dann  leicht  durch  Verschlucken  bronchopneumonische  Herde 
auftreten  können !).  —  Die  Ernährung  an  der  Mutterbrust  hat  auch  noch 
den  Vorteil  der  Antikörper-Übertragung  auf  das  Neugeborene.  Die  im 
Blute  der  Mutter  zirkulierenden  Antikörper  gelangen  teilweise  in  die 
Milch  und  das  Neugeborene  vermag  diese  mittels  der  arteignen  Milch 
zugeführten  Antikörper  unzersetzt  vom  Darmkanal  aus  zu  resorbieren. 
—  Im  übrigen  richtet  sich  die  Therapie  dieser  angeborenen  Krank¬ 
heiten  nach  ähnlichen  Prinzipien,  wie  sie  bei  den  akquirierten  septischen 
Zuständen  des  Neugeborenen  (s.  Therapie  der  Erkrankungen  des  Neu¬ 
geborenen  II)  zu  gelten  pflegen.  — 

Die  angeborenen,  auf  mangelhafter  Entwicklung  beruhenden 
Erkrankungen  eines  ganzen  Organsy sternis  können  hier  übergangen 
werden,  weil  sie  in  den  ersten  JLebenstagen  eine  Therapie  kaum  zu 
erfordern  pflegen,  ja  sogar  da,  oft  nicht  einmal  diagnostizierbar  sind, 
wie  z.  B.  die  Entwicklungshemmungen  des  Gehirns,  Idiotie, 
Porenzephalie  u.  a.  —  In  diese  Bubrik  der  Entwicklungsstörung 
ganzer  Organsysteme  gehören  auch  die  kongenitalen  Erkrankungen  des 
Knochensystems,  gegen  die  ein  therapeutisches  Vorgehen  bisher  eben¬ 
falls  machtlos  ist,  wie  die  Osteogenesis  imperfecta  der  Schädel¬ 
knochen,  die  Chondr odysitrophie  und  die  Osteopsjathyrosis  foe- 
talis. 

Anschließend  hieran  seien  die  angeborenen  Mißbildungen  ge¬ 
nannt,  die  dem  größten  Teile  nach  nur  pathologisch-anatomisches  Inter¬ 
esse  beanspruchen,  zu  einem  andern  Teile  aber  auch  (meist  im  späteren 
Säuglings-  oder  Kindesalter)  chirurgischen  Eingriffen  zugänglich  sind. 
Besondere  Ernährung  an  dieser  Stelle  mögen  nur  die  Mißbildungen 
des  Nabels  finden.  In  manchen  Fällen  ist  deren  Therapie,  soweit 


Therapie  der  Erkrankungen  der  Neugeborenen.  1235 

nicht  schon  eine  Spontanheilung  eintritt,  eine  so  einfache,  daß  sie  völlig1 
in  die  Domäne  des  praktischen  Arztes  gehört.  Der  sogenannte  Amm- 
nionnabel,  d.  h.  der  selten  vorkommende  Zustand,  wo  die  Ämmnion- 
hülle  der  Nabelschnur  noch  teilweise  auf  die  Bauchhaut  übergeht,  pflegt 
dadurch  spontan  zur  Heilung  zu  kommen,  daß  die  über  sonst  normal 
entwickeltem  Gewebe  (Faszie,  Muskulatur,  Peritoneum)  gelagerte  Amm- 
nionscheibe  mit  der  Nabelschnur  gleichzeitig  mumifiziert  uiid  der  be¬ 
stehende  Kutisdefekt  durch  Granulation  zur  Heilung  und  Überhäutung 
kommt.  —  Das  umgekehrte  Vorkommnis,  der  Kutis-  oder  Hautnabel, 
bei  dem  die  Kutis  noch  den  unterstein  Teil  des  Nabelstrangs  überzieht, 
ist  für  die  Therapie  bedeutungslos ;  dieser  Zustand  sei  nur  deshalb  hier 
genannt,  weil  in  diesen  Fällen  später  leicht  Nabelbrüche  zur  Ent¬ 
stehung  kommen  können.  —  Die  kongenitalen  Hernien  der  Nabel¬ 
schnur  gehören  ebenfalls  hauptsächlich  in  das  Gebiet  des  Chirurgen. 
Es  sind  aber  doch  einzelne  Fälle  bekannt,  wo  derartige,  ziemlich  große 
Hernien  auch  ohne  chirurgischen  Eingriff  zur  spontanen  Heilung  auf 
dem  Wege  der  Granulation  kamen.  Je  nach  der  Art  der  Entstehung 
dieser  Hernien  unterscheiden  wir  zwei  Arten  derselben :  Die  vor  dem 
dritten  Fötalmonat  zur  Entwicklung  kommenden  Brüche  sind  infolge 
Ausbleibens  des  .Verschlusses  der  medianen  Bauchspalte  entstanden. 
Sie  sind  also  weniger  Nabelschnur-  als  Bauchspaltenbrüche.  Der 
Bruchsack  ist  hier  von  einer  dünnen,  besonders  intra  partum  sehr 
gefährdeten  Membran  gebildet,  deren  Innenfläche  keinen  Peritoneal¬ 
überzug  trägt.  Wenn  es  gelingt,  das  Bersten  dieser  Membran  zu  ver¬ 
hindern,  insbesondere  dadurch,  daß  die  im  Bruchsack  gelagerten  ekto¬ 
pischen  Eingeweide  möglichst  in  das  Abdomen  zurückgebracht  und  re- 
poniert  gehalten  werden,  so  vermag  auch  ausnahmsweise  eine  Spontan¬ 
heilung  durch  Uberhäutuug  des  Defektes  von  der  Peripherie  aus  zu  er¬ 
folgen.  —  Die  nach  dem'  dritten  Graviditätsmonat  auftretenden  Nabel¬ 
schnurhernien  verdienen  allein  diese  Bezeichnung,  weil  dann  der 
Nabelring  schon  gebildet  ist  und  das  Innere  der  Nabelschnur  nun  den 
eigentlichen  Bruchsack  darstellt,  der  auf  seiner  Innenfläche  vom  Peri¬ 
toneum  bedeckt  ist.  Die  Wandung  dieser  Art  von  Hernien  ist  eine 
meist  sehr  derbe,  so  daß  eine  intra  oder  kurz  post  partum  auftretende 
Ruptur  derselben,  wie  bei  dem  eben  erwähnten  medianen  Bauchspalten¬ 
bruch,  nicht  zu  befürchten  ist.  Jedoch  beginnt  in  den  ersten  Tagen 
des  extrauterinen  Lebens  der  Bruchsack  ebenso  wie  die  Nabelschnur 
zu  mumifizieren  und  damit  ist  die  Möglichkeit  der  späteren  Ruptur 
des  Bruches  und  des  Auftretens!  einer  Peritonitis  gegeben.  Aus  diesen 
Gründen  ist  von  vornherein  ebenso  wie  bei  den  medianen  Baudhspalten- 
brüchen  eine  chirurgische  operative  Behandlung  dieser  Hernien  anzu¬ 
empfehlen.  Auch  hier  sind  vereinzelte  Fälle  zur  Beobachtung  gekom¬ 
men,  wo  die  innerste  Schicht  der  Bruchsackwand  genügend  von  Blut¬ 
gefäßen  versorgt  war  und  nicht  zur  Mumifikation  kam,  sondern, 
wo  nur  die  Oberfläche  der  trockenen  Gangrän  anheimfiel.  Dann  kann 
sich,  nachdem  diese  gangränöse  Schicht  durch  demarkierende  Eiterung 
abgestoßen  ist,  eine  große  granulierende  Fläche  bilden,  die  sich  all¬ 
mählich  von  den  Rändern  her  zu  epidermisieren  vermag.  Antiseptische 
Verbände  (Zink-Dermatol-Verbände ;  eventuell  feuchte  Borwasser-  oder 
essigsaure  Tonerde-Umschläge),  zeitweise  Ätzungen  der  Granulationen 
mit  Höllenstein  beschleunigen  manchmal  diesen  Heilungsprozeß.  Von 
den  übrigen  kongenitalen  Mißbildungen  des  Nabels  sind  das  Offen- 
b leiben  und  ein  im  Anschluß  hieran  etwa  auftretender  Prolaps  des 

78* 


1286 


Paul  Sittler, 


Meckel’schen  Divertikels  (Ductus  omphalomesentericus)  und  ferner 
die  Urachus -Fiste  ln  und  -Zysten  rein  chirurgische  Affektionen. 
Höchstens  daß  man  beim  Bestehen  von  minimalen  Fistelöffnungen  daran 
denken  könnte,  durch  Höllensteinbetupf ung  einen  Verschluß  der  Fistel 
herbeizuführen.  —  Eine  Verwechslung  zwischen  kleinen  prolab ierten 
MeckePschen  Divertikeln  und  den  so  häufig  auf  dem  Nabelgrunde  sich 
findenden  Granulationen  (Fungus  umbilici),  die  sich  leicht  mit 
dem  Argentumstift  wegätzen  lassen,  dürfte,  wohl  kaum  Vorkommen.  - — 

Die  als  direkte  Folgen  des  G  e  bu  rtslraiimas  auftretenden 
krankhaften  Veränderungen  erheischen  in  den  meisten  Fällen,  unser 
aktives  ärztliches  Eingreifen,  bei  einzelnen  derselben  können  wir  uns 
aber  auch  mit  prophylaktischen  Maßnahmen  begnügen. 

Die  regelmäßig  auftretende  Kopf  gesdhwulst ,  ein  serös-blutiges 
Infiltrat  zwischen  Galea  und  Periost  der  Schädelknochen  erfordert 
keinerlei  Therapie,  —  Eher  schon  käme  ein  aktiveres  Vorgehen  beim 
sogenannten  Kephalhämätom,  bei  der  subperiostalen  Blutung  der 
Schädelknochen  in  Frage.  Bei  diesen  Hämatomen,  die  sich  von  der 
Kopfgeschwulst  außer  durch  ihre  deutliche  Fluktuation  auch  dadurch 
unterscheiden,  daß  sie  die  Nahtgrenzen  nicht  überschreiten,  braucht 
man  aber  erst  dann  einzugreifen,  wenn  sie  eine  abnorme  Größe  erreichen, 
oder  wenn  ein  spontaner  Durchbruch  nach  außen  droht.  Dieser  spontane 
Durchbruch  pflegt  meist  dann  einzutreten,  wenn  es  zur  Vereiterung 
des  Hämatoms  kommt.  Sobald  die  Annahme  einer  bestehenden  Ver¬ 
eiterung  begründet  ist,  d.  h.  wenn  die  Hautdecke  über  dem  Hämatom 
Zeichen  von  Entzündung  (B Ölung,  teigige  Schwellung)  bietet,  ist  mög¬ 
lichst  bald  eine  breite  Inzision  mit  nachfolgendem  aseptischen  Verband 
zu  machen.  Punktionen  eines  bestehenden  Kephalhämatoms  sind  direkt 
zu  verbieten,  weil  sie  diel  Gefahr  mit  sich  bringen,  daß  durch  sie  das 
vorher  aseptische  Hämatom  zur  Vereiterung  gebracht  werden  kann. 
Kompressionsverbände  sind  deswegen  nicht  anzuraten,  weil  es  sich  bei 
energischer  Kompression  nicht  vermeiden  läßt,  daß  die  das  Hämatom 
bedeckende  Haut  Schicht  infolge  des  Druckes  unter  schlechtere  Ernäh¬ 
rungsbedingungen  gesetzt  wird  und  der  Usurierung  anheimfällt.  Die 
große  Mehrzahl  der  Kephalhämatome  kommt  ohne  jede  Therapie  (lang¬ 
sam)  zur  Resorption. 

Einer  anderen,  gleichfalls  auf  das  Geburtstrauma  zurückzuführen¬ 
den  Blutung,  des  Hämatoms  des  Musdulus  s fern  oclei  dom  astoD 
deus  sei  hier  nur  kurz  gedacht.  Diese  Affektion  gelangt  meist  spontan 
zur  völligen  Restitution,  jedenfalls  scheint  sich  auf  deren  Basis  in 
der  überwiegenden  Mehrzahl  der  Fälle  ein  dauerndes  Caput  obstipum 
nicht  zu  entwickeln.  Bei  protrahierter  Rückbildung  kommen  thera¬ 
peutisch  Massage  der  betroffenen  Partien  und  passive  Bewegungsübungen 
des  Kopfes  in  Frage. 

Ernster  zu  beurteilen  sind  die  während  der  Geburt  auftretenden 
Hämatome  im  Schädelinnern.  Die  Art  und  Weise  des  Entstehens 
dieser  Hämorrhagien  ist  eine  verschiedene.  Abgesehen  von  den  ziemlich 
seltenen  Blutungen  .in  das  Innere  der  Giehirn  Substanz,  die  einer 
Therapie  kaum  Angriffspunkte  bieten,  sind  hier  besonders  erwähnens¬ 
wert  die  auf  der  Oberfläche  des  Gehirns  (subarachnoidal,  weniger 
häufig  subdural)  sitzenden  Blutergüsse,  die  unter  den  Erscheinungen 
des  Hirn  drucks  (neben  den  gewöhnlichen  Hirndrucksymptomen  kom¬ 
men  besonders  häufig  auch  Krämjafe  vor)  zum  Tode  zu  führen  ver¬ 
mögen.  Seitz  hat  zwischen  supra-  und  inf ratentoriellein  Bluter- 


Therapie  der  Erkrankungen  der  Neugeborenen. 


1237 


güssen  unterschieden,  je  nachdem  das  Hämatom  oberhalb  des  Tentoriums, 
also  auf  der  Großhirnoberfläche  oder  unterhalb  desselben,  dem  Klein¬ 
hirn  aufgelagert  ist.  Diese  Unterscheidung  kann  auch  für  die  Therapie 
von  Wichtigkeit  sein.  Denn  während  die  Großhirnhämatomei  in 
vielen  Fällen  noch  keine  lebensgefährdende  Druckwirkung  auf  Atem- 
und  Gefäßzentrum  ausüben,  quoad  vitam  also  eine  nicht  absolut  schlechte 
Prognose  zu  geben  brauchen,  ist  dies  bei  den  in  f  raten  torieilen  Blu¬ 
tungen,  die  einen  direkten  Druck  auf  die  bulbären  Zentren  ausüben, 
in  viel  höherem  Maße  der  Fall.  Die  supraten torieilen  Hämatome  sind 
also  eher  einem  therapeutischen  Eingriff  zugänglich,  es:  käme  hier 
natürlich  nur  ein  chirurgisches  Vorgehen  (Trepanation  mit  folgender 
Ausräumung  des  Ergusses)  in  Frage.  Die  symptomatische  Behandlung 
der  bei  diesen  Zuständen  vorhandenen  Krämpfe  besteht  in  Verabreichung 
von  warmen  Bädern  (35 — 37°  C),  eventuell  in  Zufuhr  von  Chloral- 
hydrat  (0,03 — 0,05  !),  am  besten  per  ctysma.  —  Bei  Blutergüssen  in  die 
Bückenmarksubstanz,  Hämatomy elie  (bei  Steißgeburten  spontan  und 
infolge  von  Zug  an  den  Beinen  beobachtet)  und  ihren  Folgen  (Lähmungen 
usw.)  ist  die  Therapie  meist  machtlos.  Hämorrhagien  in  die  Bücken¬ 
markhäute  verlaufen  meist,  ohne  Symptome.  (Schluß  folgt.) 


Sind  die  mit  epityphlitischen  Schmerzen  einhergehenden  Lungen¬ 
entzündungen  embolischer  Natur? 

Von  Dr.  E.  Hönck,  Hamburg. 

Das  Zusammentreffen  von  Lungenentzündungen  mit  heftigen 
epityphlitischen  Schmerzen  ist  mehrfach  erörtert  worden ;  in  letzter 
Zeit  von  H.  Bennecke1)  und  B.  Glaserfeld2).  Die  Möglichkeit  einer 
embolischen  Entstehung  dieser  Entzündungen  ist  dabei  nicht  erwogen 
worden.  Es  sei  mir  gestattet,  diese  Möglichkeit  im  Anschluß  an  drei 
Beobachtungen  kurz  zu  erörtern. 

Lall  1.  5.  Mai  1908.  Vierjähriger  Junge,  der  in  seinen  ersten 

beiden  Lebensjahren  mehrfach  die  Zeichen  einer  Blinddarmentzündung 
dargeboten  hatte. 

Das  Kind  fällt  am  1.  Mai  heftig  mit  dem  Leibe  auf  einen  Treppen¬ 
absatz  und  klagt  bald  über  Schmerzen  im  Leibe.  Tn  der  Nacht  zum 

5.  Mai  wird  von  der  Mutter  Fieber  bemerkt,  Temperatur  morgens  38,3, 
abends  38,5  (After).  Leichte  Bötung  der  Bachenorgane,  keine  Schmerzen 
beim  Schlucken.  Lunge  durchaus  frei ;  Druckschmerz  nur  in  der  rechten 
unteren  Leibes seite,  Spannung  der  Muskulatur  bei  Betastung;  sonst 
ist  der  Leib  weich  und  nicht  aufgetrieben.  Absolute  Diät. 

6.  Mai  gutes  Befinden,  läßt  sich  nicht  untersuchen  und  messen ; 
klagt  über  Hunger  und  bekommt  auf  meine  Anordnung  eine  Kleinig¬ 
keit  Spinat.  Abends  kränker,  klagt  die  ganze-  Nacht  über  Leib¬ 
schmerzen. 

7.  Mai  morgens  40,1.  Betastung  des  Leibes  B.  U.  ist  anscheinend 
sehr  schmerzhaft ;  hält  die  Beine  ange-zogen  und  zeigt  auf  Befragen 
mit  der  Hand  auf  die  typische  Stelle  als  Ort  seiner  Schmerzen ;  sonst 
nicht  näher  zu  untersuchen,  gerötetes  Gesäß.  Operation  vorgesehen. 
Mittags  39,2.-  Abends  38,1.  Kind  ist  ruhig.  Schmerzen  lassen  seit 
Mittag  nach. 


ß  H.  Bennecke,  Med.  Klinik,  Nr.  7,  1909. 
ß  B.  Glaserfeld,  Berl.  klin.  Wochenschr.,  Nr.  31,  1909. 


1238 


E.  Hönck, 


8.  Mai  morgens  38,6.  Mittags  39,0.  Abends  38,7,  blaß,  schlaff, 
Pneumonie  im  rechten  Oberlappen  hinten  nachweisbar  :  deutliche  Schall¬ 
dämpfung,  bronchiales  Atmen.  Leib  ist  ganz  unempfindlich. 

9.  Mai  37,8  höchste  Temperatur. 

10.  Mai  ebenso ;  Pneumonie  nicht  mehr  nachzuweisen. 

11.  Mai  noch  erhöhte  Temperatur;  Hunger;  Leib  unempfindlich. 

Es  wurde  stets  im  After  gemessen. 

Pall  2.  Am  30.  März  1909  sah  ich  ein  9  monatliches  gut  genährtes 
bis  dahin  kräftiges  Kind,  das  bei  Flaschenernährung  an  starker  Ver¬ 
stopfung  leidet.  Die  Geschwister  sind  skrofulös,  schwächlich,  ein  Bruder 
von  11  Jahren  schwachsinnig.  Das  Kind  ist  am  28.  oder  29.  März  mit 
hohem  Fieber  und  offenbar  sehr  heftigen  Schmerzen  erkrankt,  da  es  Tag 
und  Nacht  schreit  und  angeblich  überhaupt  nicht  schläft.  Nahrung  wird 
nur  mangelhaft  genommen,  Stuhl  seit  Tagen  angehalten.  Das  Fieber 
schwankt  in  den  nächsten  Tagen  zwischen  39,0  und  40,0°.  Das  Gesicht 
ist  gerötet,  Leib  aufgetrieben.  Die  Beine  werden  angezogen  gehalten. 
Untersuchung  ergibt  an  den  Lungen,  soweit  bei  dem  kräftigen  Schreien 
möglich,  nichts.  Der  Leib  ist  namentlich  rechts  unten  bei  leiser  Be¬ 
tastung  sehr  empfindlich,  links  weich  und  tiefer  eindrückbar.  Leichte 
Rachenrötung' ;  kein  Erbrechen. 

So  bleibt  der  Zustand  in  den  nächsten  Tagen ;  auch  der  Befund 
stets  derselbe;  die  Mutter  gibt  an,  daß  das  Kind  das  rechte  Bein 
dauernd,  stramm  gegen  den  Leib  angezogen  halte.  Erst  am  3.  April 
ist  ein  pneumonischer  Herd  links  neben  der  Wirbelsäule  an  der  unteren 
Grenze  des  Oberlappens  aus  Dämpfung  und  bronchialem  Atmen  (fünf- 
markstückgroß)  deutlich  nachzuweisen.  Kein  Husten. 

Bekommt  die  ganze  Zeit  nur  Lindenblütentee.  Am  5.  April  lassen 
die  Schmerzen  nach,  Kind  ist  entfiebert.  Am  8.  April  Herd  noch 
in  alter  Form  nachzuweisen  ;  Nahrungsaufnahme  gut,  Leib  nicht  mehr 
gespannt,  kaum  empfindlich. 

Am  22.  April,  nachdem  das  Kind  von  der  Mutter  schon  mehrfach 
an  die  Luft  gebracht  ist,  wird  das  seit  gestern  wieder  kranke  Kind  mit 
hohem  Fieber  in  die  Sprechstunde  gebracht.  Bronchiolitis  hinten  im 
linken  Unterlappen,  pneumonisches  Infiltrat  hinten  rechts  über  Mittel¬ 
und  Unterlappen;  keine  Schmerzäußerungen.  Leib  ist  rechts  unten 
deutlich  druckempfindlich,  links  nicht. 

25.  April  anscheinend  fieberfrei,  munter  ;  Pneumonie  noch  nicht 
in  Lösung,  noch  Dämpfung  und  bronchiales  Atmen  in  früherer  Aus¬ 
dehnung.  Leib  weich  und  unempfindlich. 

30.  April  nichts  mehr  nachzuweisen,  Leib  unempfindlich.  Kind 
ist  blaß  und  mager  geworden,  sonst  munter. 

Daß  man  bei  den  in  Bede  stehenden  Schmerzen  nicht  immer  einen 
gesunden  Wurmfortsatz  zu  finden  erwarten  kann,  beweist  folgende 
Beobachtung. 

Fall  3.  Ich  wurde  am  26.  Juni  1907  morgens  11  Uhr  zu  einem 
12jährigen  Jungen  geholt,  der  seit  längerer  Zeit  hier  und  da  über 
Leibschmerzen  klagt.  Seit  gestern  heftige  Schmerzen  im  Bücken  und 
über  den  unteren  Rippen  rechts  seitlich.  Er  fiebert  hoch,  hat  gerötetes 
Gesicht  und  schwitzt  stark.  Leib  ist  weich  und  gut  eindrückbar,  im 
ganzen  empfindlich,  namentlich  oberhalb  des  Nabels  und  rechts  unten, 
Herzgrube  unempfindlich;  linke  Leibesseite  weniger  empfindlich.  Bei 
tiefem  Druck  rechts  unten  werden  die  Schmerzen  über  den  unteren 
Rippen  rechts  heftiger.  Am  Rücken  sind  die  oberen  Darmfortsätze 


Sind  epityphlitische  Lungenentzündungs-Schmerzen  embolischer  Natur?  1239 

am  Kreuzbein  schmerzhaft  und  namentlich  eine  umschriebene  Stelle 
neben  dem  rechten  unteren  inneren  Schulterblattrand. 

Perkussion  ergibt  keine  sichere  Dämpfung,  das  Atmungsgeräusch 
ist  aber  rechts  überall  leiser  als  links.  Diagnose  schwankt  zwischen 
Pneumonie  und  Epityphlitis.  Gelegentlich  kurzer  Husten.  Schwitzkur. 

Abends  7  Uhr  hat  der  Kranke  ganz  weichen  Leib,  die  Schmerz¬ 
haftigkeit  ist  geringer,  namentlich  rechts  unten  und  in  der  Seite,  hat 
um  3  Uhr  einmal  erbrochen.  Kachen  gerötet,  Puls  90 — 100,  voll  und 
gespannt. 

2  Uhr  nac'hts.  Der  Kranke  liegt  auf  der  linken  Seite  mit  stark 
angezogenen  Knien  im  Bett  und  stöhnt  über  heftige  Schmerzen  an  der 
rechten  Seite  von  der  Lebergegend  abwärts;  Bauch  bretthart.  Mit 
der  Diagnose  Epityphlitis  ins  Krankenhaus. 

Dort  kam  der  Kranke  nach  schriftlicher  Mitteilung  ,,mit  den 
deutlichen  Zeichen  schwerer  Epityphlitis  event.  sogar  Peritonitis  an“ ; 
über  dem  rechten  Lungenunterlappen  abgeschwächtes  Atmen  und  ver¬ 
einzeltes  Knisterrasseln.  Wegen  der  bedrohlichen  Erscheinungen  Ope¬ 
ration.  „Es  fand  sich  ein  sehr  geschwollener  Wurmfortsatz  ohne  Auf¬ 
lagerung  und  entzündliche  Erscheinungen  in  der  Umgebung,  die  Schleim¬ 
haut  war  katarrhalisch  geschwollen,  im  Fortsatz  wimmelte  es  von 
Oxyuren“.  Am  Tage  nach  der  Operation  kruppöse  Pneumonie  auf 
beiden  Unterlappen  ausgebildet.  Gestorben  2.  Juli  an  Pneumonie. 

Uber  die  Entstehungsart  der  Schmerzen,  nun  gibt  wohl  am  besten 
mein  erster  Fall  den  nötigen  Anhalt,  Das  Kind  hatte  in  seinem  zweiten 
Lebensjahr  mehrfach  unzweifelhafte  und  eindeutige  epityphlitische  An¬ 
fälle  gehabt,  die  erst  nach  Enthaltung  von  der  bis  dahin  gereichten 
Fleischkost  aufhörten;  es  konnte  daher  nicht  auffallen,  daß  es  infolge 
des  heftigen  Falles  mit  dem  Leibe  auf  eine  scharfe,  harte  Kante  eine 
erneute  Epityphlitis  bekam,  deren  Spuren  ich  an  der  Schmerzhaftigkeit 
und  dem  Fieber  deutlich  nachweisen  konnte.  Die  Bachenrötung  war 
so  leicht,  daß  sie  als  Ursache  des  Fiebers  nicht  in  Frage  kommen  konnte, 
sondern  als  Folge  der  Epityphlitis  auf  gef  aßt  werden  mußte  *).  Das 
Kind  war  am  zweiten  Behandlungstage  durchaus  wohlauf  und  bekam 
erst  am  Abend  dieses  Tages  wieder  hohes  Fieber  und  sehr  heftige 
Schmerzen  in  der  Blinddarmgegend,  über  die  es  vorher  kaum  geklagt 
hatte.  Am  nächsten  Tage  war  die  Pneumonie  im  rechten  Oberlappen 
zu  vermuten,  aber  nicht  deutlich ;  erst  am  darauffolgenden  Tage  war 
sie  zweifellos  nachzuweisen,  jiachdem  die  epityphlitischen  Schmerzen 
bereits  nachgelassen  hatten.  Es  ist  kaum  zu  bezweifeln,  daß  der  er¬ 
neute  Fieberanstieg  auf  BeChnung  der  embolischen  Pneumonie  zu  setzen 
ist.  Der  kleine  Diätfehler  (?)  hatte  vielleicht  eine  stärkere  Verdauungs¬ 
hyperämie  erzeugt  und  dadurch  einen  kleinen  virulenten  Thrombus 
aus  dem  Blinddarmgebiet  zur  Lösung  gebracht.  Daß  im  Augenblick  der 
mit  dem  plötzlichen  Fieberanstieg  eintretenden  hochgradigen  Gefäß- 
und  Nervenreizung  auch  die  Umgebung  des  Blinddarms  wieder  sehr 
schmerzhaft  wurde,  darf  nicht  Wunder  nehmen,  zumal  es  an  der  Hand 
-der  letzten  von  mir  mitgeteilten  Beobachtung  nicht  unmöglich  erscheint, 
daß  im  Epityphlon  eine  stärkere  Schwellung  eintrat.  Schon  vor  der 
völligen  Ausbildung  der  Pneumonie  ließen  die  Schmerzen  nach,  ganz 
im  Gegensatz  zu  meinem  Fall  2,  in  der  die  heftigen  Schmerzen  tage¬ 
lang  anhielten. 

ß  Siehe:  Die  Rolle  des  Sympatliicus  usw.,  Jena,  Gustav  Fischer,  1907  und 
Fortschritte  der  Medizin,  Nr.  11,  1907. 


1240 


E.  Hönck, 


Dieser  Fall  2  ist  nun  für  die  Deutung  der  in  Hede  stellenden 
Schmerzen  nicht  minder  wichtig.  Hier  waren  bei  einem  kleinen  pneu¬ 
monischen  Herd  im  linken  Oberlappen  die  heftigsten  Schmerzen  in 
der  Gegend  des  Wurmfortsatzes  offenbar  vorhanden,  sie  beherrschten 
sogar  das  Krankheitsbild  durchaus.  Drei  Wochen  etwa  nach  der  Ent¬ 
fieberung  von  dieser  Pneumonie  tritt  abermals  eine  Lungenentzündung 
hinten  über  Mittel-  und  Unterlappen  rec'hts,  also  in  viel  größerer  Aus¬ 
dehnung  als  bei  der  ersten  Entzündung,  auf,  und  nun  bleiben  die 
Schmerzen  rechts  unten  im  Leibe  völlig  aus;  nur  eine  aller¬ 
dings  deutliche  Druckempfindlichkeit  in  der  Tiefe  ist  festzustellen. 

Ich  erkläre  mir  diesen  höchst  auffallenden  Unterschied  so,  daß 
der  Wurmfortsatz  und  seine  Umgebung  völlig  ab  geheilt  waren  und 
deshalb  nicht  mehr  mit  Schmerzen  reagierten,  während  die  viel  weniger 
umfangreiche  erste  Pneumonie,  links  oben  nach  dem  Vorbilde  von  Fall  1 
die  heftigsten  Schmerzen  verursachte. 

In  beiden  Fällen  spricht  die  geringe  Ausdehnung  der  pneumoni¬ 
schen  Infiltrate  entschieden  für  die  von  mir  angenommene  embolische 
Ursache. 

Man  könnte  nun  vielleicht  geneigt  sein,  die  heftigen  Schmerzen 
rechts  unten  im  Leibe  der  Thrombose  in  der  Umgebung  des  Fortsatzes 
allein  zuzuschreiben;  denn  wir  wissen  ja,  daß  auch  in  anderen  Körper- 
gegenden,  z.  B.  am  Unterschenkel  thrombotische  Vorgänge  entzündlicher 
Uatur  sehr  erhebliche  Schmerzen  bereiten.  Die  außerordentliche 
Heftigkeit  des  Schmerzes  aber,  die  in  manchen  der  in  Frage 
kommenden  Fälle  sehr  auffallend  ist,  läßt  doch  vermuten,  daß 
die  hinzutretende  Pneumonie  an  der  Steigerung  der  schmerzhaften  Emp¬ 
findungen  nioht  unschuldig  ist.1) 

Es  ist  nun  weiter  nicht  wunderbar,  wenn  man  bei  der  Operation 
den  Fortsatz  makroskopisch  und  sogar  mikroskopisch  ohne  frische  ent¬ 
zündliche  Veränderungen  findet.  Denn  die  Loslösung  eines  kleinen 
Blutpfropfes  kann  natürlich  erfolgen,  nachdem  der  Fortsatz  schon  ganz, 
ab  geheilt  ist;  sie  erfolgt  sogar  wahrscheinlich  mit  Vorliebe  erst  dann, 
wenn,  wie  in  meinem  Fall  1,  bei  gutem  Wohlbefinden  eine  dreistere 
Diät  gegeben,  oder  sonst  größere  Bewegungsfreiheit  gegeben  wird. 

In  der  Literatur  ist  von  embolischen  Lungenentzündungen  bei  und 
[nach  Blinddarmentzündungen  wenig  die  Bede.  Bemerkenswert  sind 
die  kurzen  Äußerungen  Sonnenburg’s,  der  sonst  auf  das  uns  be¬ 
schäftigende  Krankheitsbild  nicht  weiter  eingeht. 

Sonnen  bürg  (in  der  6.  Auflage  seiner  Monographie)  betrachtet 
jeden  Fortsatzkranken,  nicht  nur  die  akuten  Fälle,  in  dubio  als  Thromben¬ 
träger.  Er  sagt:  „Sind  mit  dem  Embolus  infektiöse  Keime  verschleppt, 
so  haben  wir  die  Symptome  der  Lungenentzündung.“  Sonnenburg 
meint,  daß  der  Thrombus  seiner  Schwere  nach  meist  in  den  rechten 
Unterlappen  gerät. 

x)  Ganz  ohne  Analogon  ist  übrigens  der  Blinddarmschmerz  bei  Pneumonie 
nicht;  ich  sah  kürzlich  ein  siebenjähriges  Mädchen  mit  chronischer  Mittelohreiterung 
links  an  einer  linksseitigen  Pneumonie  erkranken.  Das  Mädchen  klagte  tagelang 
nur  über  heftige  Schmerzen  im  linken  Ohr,  die  Betastung  des  Warzenfortsatzes 
und  Umgebung  war  zuzeiten  sehr  schmerzhaft,  so  daß  ich  schließlich  zur  der  Ansicht 
gelangen  mußte,  es  möchten  im  inneren  Ohr  oder  an  den  Hirnhäuten  entzündliche- 
Vorgänge  aufgetreten  sein,  und  das  Kind  deshalb  ins  Krankenhaus  sandte,  zumal 
zeitweilig  deutliche  Benommenheit  vorhanden  war.  Im  Krankenhause  wurde  aber 
nichts  Derartiges  gefunden  und  das  Kind  genaß  rasch. 


Sind  epityphlitische  Lungenentzündungs-Schmerzen  embolischer  Natur?  1241 

Dem  kann  ich.  nach  meiner  Erfahrung  nicht  zustimmen,  möchte 
auch  bezweifeln,  daß  die  Schwere  eines  (kleinsten)  Thrombus  allein 
für  seine  Ansiedelung  maßgebend  ist.  Es  kommen  hier  auch  andere 
Fragen  physiologischer  und  anatomischer  Natur  zur  Geltung. 

Es  ist  doch  sehr  auffallend,  daß  von  den  21  Fällen  Benniecke’s  — 
von  denen  ich  allerdings  nicht  sicher  sagen  kann,  daß  sie  alle  hierher 
gehören  —  nicht  weniger  als  17  die  rechte  Lunge  betrafen. 

Ich  habe  nun  darauf  aufmerksam  gemacht,1)  daß  man  bei  vielen 
Fortsatzentzündungen  die  Zeichen  einer  Sympathikusreizung  klinisch 
erkennen  kann  und  muß  hier  auf  meine  Arbeit  abermals  verweisen. 

Auch  die  von  Widmer 2)  mitgeteilte  Beobachtung  von  erhöhter 
Temperatur  in  der  rechten  Achselhöhle  gegenüber  der  linken,  läßt  sich 
nur  auf  dem  W ege  der  Sympathikusreizung  deuten ;  darauf  habe  ich 
kurz  hingewiesen.3)  Der  Umstand,  daß  die  Temperaturerhöhung  nicht 
immer  rechts,  sondern  auch  links  gefunden  wird,  sogar  in  Verlauf 
einer  Erkrankung  wechselt,  hat  für  mich  nichts  Auffallendes  (und  ein 
Analogon  in  dem  Wechsel  der  Schleimhautschwellung  der  einen  oder 
andern  Nasenhöhle,  sowie  der  Rötung  der  redhten  und  linken  Backe). 
Ich  habe  auch  in  meiner  erwähnten  größeren  Arbeit  darauf  hingewiesen, 
daß  und  welche  klinische  Zeichen,  dafür  sprechen,  daß  die  Reizung  der 
beiden  sympathischen  Ketten  im  Ablauf  einer  Erkrankung  wechselt, 
bis  sie  schließlich  allgemein  wird. 

Es  gibt  bekanntlich  auch  Menschen,  die  die  vom  Fortsatz  aus¬ 
gehenden  Schmerzen  nur  links  empfinden. 

Welche  Folgen  nun  diese  Reizung  des  Sympathikus  für  die  Lunge 
haben  mag,  läßt  sich  nicht  im  einzelnen  sagen.  Einen  gewissen  An¬ 
halt  gibt  die  von  Mol  y  zuerst  gemachte  Beobachtung  der  lebhafter 
geröteten  rechten  Backe  und  des  rechten  Ohres  bei  Fortsatzkranken. 

Dem  habe  ich  hinzugefügt4),  daß  ebenso  die  Nasenschleimhaut, 
wie  auch  die  Rachenschleimhaut  bei  akut  Fortsatzkranken  oft  gerötet 
und  geschwollen  gefunden  wird.  Die  Schwellung  des  Naseninneren 
ist  wohl  meist  einseitig  und  vorwiegend  rechts  zu  finden ;  sie  wechselt 
aber,  wie  schon  oben  erwähnt.  Hier  und  da  kommt  es  sogar  zu  Blutungen 
aus  der  erkrankten  Nasenhöhle  (1.  c.),  ganz  abgesehen  von  vermehrter 
Schleimabsonderung  (Schnupfen). 

Auch  für  die  Genitalorgane  habe  ich  diese  Anschauung  durch¬ 
geführt5). 

Ganz  ähnliche  Veränderungen  wird  man  für  die  Lunge  und  zwar 
zwar  selbstverständlich  für  die  rechte  Lunge  vorwiegend  annehmen 
dürfen6). 

Es  darf  auch  angenommen  werden,  daß  in  einer  ganz  oder  teil¬ 
weise  blutüberfüllten  Lunge  leicht  Stauungen  sich  einstellen,  die  die 
Haftung  eines  Blutpfropfes  begünstigen. 

Ob  auch  anämische  Zustände  gewisser  Lungenteile,  die  ja  im 
Anfang  einer  Sympathikusreizung  vorhanden  sein  können  und  durch 

x)  Die  Rolle  des  Sympathicus  usw. 

2)  Münch,  med.  Wochenschr.,  Nr,  13,  1908. 

®)  Deutsche  med.  Wochenschr.,  Nr.  35,  1908. 

4)  1.  c. 

5)  Verhandlungen  der  80.  Versammlung  deutscher  Naturforscher  und  Aerzte, 
Köin  1908  und  Wiener  med.  Wochenschr.,  Nr.  48,  1908. 

6)  Ich  kann  es  nicht  unterlassen,  hier  auf  die  für  den  XVI.  internationalen 
medizinischen  Kongreß  bestimmten  Ausführungen  Bresgen’s  hinzuweisen,  die  mir 
der  Autor  kürzlich  freundlichst  übersandte. 


1242 


E.  Hönck, 


einen  mehr  oder  weniger  lange  dauernden  Gefäßkrampf  bedingt  sind, 
dazu  führen  können,  daß  ein  kleiner  Thrombus  festgehalten  wird,  muß 
ich  unentschieden  lassen ;  doch  würde  ein  solcher  Vorgang  den  physio¬ 
logischen  Vorgängen  durchaus  entsprechen. 

Es  kann  aber  auch  noch  auf  andere  Weise,  als  der  geschilderten, 
infolge  einer  Epityphlitis  eine  Lungenentzündung  entstehen. 

Denn  nicht  allein  der  Blutumlauf  der  Lunge  kann  durch  Sym¬ 
pathikusreizung  in  irgend  einer  Weise  gestört  werden ;  auch  die  Drüsen 
der  Luftröhrenschleimhaut  unterstehen  dem  Sympathikus  und  werden 
gelegentlich  zu  reichlicher  Absonderung  angeregt1),  und  zwar  meistens 
rechts.  '  .  V  . 

So  entstehen  Luftröhrenkatarrhe  der  verschiedensten  Form,  ver¬ 
schieden  auch  durch  die  Einwirkung  der  jeweils  hinzutretenden  Bak¬ 
terien ;  so  kann  aber  auch  dem  Pneumokokkus,  der  ja  als  spezifisch  gilt, 
der  Boden  bereitet  werden,  so  daß  auf  dieser  Grundlage  sehr  wohl 
ausgesprochen  lobäre  Lungenentzündungen  sich  entwickeln  können. 

Auch  diese  können  dann  durch  die  von  ihnen  ausgehende  Reizung 
der  zugehörigen  sympathischen  Kette  (rechts)  zu  lebhaften  Schmerzen 
in  der  Gegend  des  erkrankten  oder  eben  abgeheilten  Wurmfortsatzes 
führen. 

So  könnte  man  z.  B.  meinen  dritten  Fall  auffassen.  Abgesehen 
aber  von  diesen  mehr  unmittelbaren  Störungen  der  (vorwiegend  rechten) 
Lunge  durch  Sympathikusreizung  spielt  sicher  auch  die  Schädigung 
der  Atmung  bei  epityphlitisohen  Vorgängen  eine  nicht  zü  ünter schätzende 
Rolle,  namentlich  wenn  starke  Schmerzen,  wie  sie  bei  thrombotischen 
Vorgängen  ja  entstehen  können,  vorhanden  sind. 

Die  Zwerchfellbewegung  wird  besonders  getroffen  werden,  und 
zwar  entweder  auf  dem  Wege  der  Reflexhemmung2)  (auch  bei  leichten, 
übersehenen  epityphlitischen  Reizungen),  oder  mechanisch  bei  Auf¬ 
blähung  der  Därme,  Beteiligung  der  Leber,  des  retroperitonealen  Lymph¬ 
gefäßnetzes  usw. 

Auch  hierbei  ist  wieder  die  rechte  Lunge  hauptsächlich  betroffen. 

Aber  auch  die  linke  Lunge  wird  oft  genug  auf’  dieselbe  Weise  ge¬ 
schädigt,  wie  von  der  rechten  geschildert  wurde ;  denn  es  ist  nicht 
selten,  daß  im  Verlauf  von  Fortsatzenzündungen  oder  im  Anschluß 
daran  entzündliche  Veränderungen  unter  der  linken  Zwerchfellkuppe, 
an  der  flexura  coli  linealis3),  oder  weiter  unten  an  der  flex.  sigmoidea4) 
sich  einstellen,  die  nicht  nur  die  Atmung  der  linken  Lunge  in  der¬ 
selben  Weise  zu  beeinträchtigen  imstande  sind,  wie  rechts  eine  Epi¬ 
typhlitis,  sondern  die  auch  den  Sympathikus  (zunächst  links)  in  ganz 
ähnlicher  Weise  beeinflussen. 

In  der  Tat  hört  man  bei  linksseitigen  Pneumonien  gelegentlich 
auch  über  heftige  Schmerzen  in  der  linken  Seite  des  Leibes  klagen; 
aber  auch  andere  Stellen  des  Leibes  sind  bei  Lungenentzündungen  spon¬ 
tan  sehr  schmerzhaft,  z,  B.  die  Gegend  der  Herzgrube  oder  oben  ober¬ 
halb  des  Kabels  in  der  Mitte  des  Leibes. 

Wenn  man  sich  endlich  daran  gewöhnen  wollte,  bei  jeder  Er¬ 
krankung  den  Leib  sorgfältig  ztu  untersuchen,  d.  h.  ihn  nach 

x)  Näheres:  Die  Rolle  des  Sympathicus  usw. 

2)  Ich  erinnere  an  das  Ausbleiben  des  unteren  Bauchdeckenreflexes  bei 
Epityphlitis. 

3)  v.  Haberer,  79.  Versammlung  deutscher  Naturforscher  usw.  1907. 

4)  Obrastzew,  Kongreß  für  innere  Medizin  1908. 


Sind  epityphlitische  Lungenentzündungs-Schmerzen  embolischer  Natur?  1243 

allen  Richtungen  hin  tief  zu  durchtasten,  so  wird  man  bei 
Lungenentzündungen,  Gelenkrheumatismus,  Meningitis,  Pleuritis  usw. 
häufig  die  Gegend  des  Blinddarms  oder  andere  Stellen  im  Leibe  aus¬ 
gesprochen  druckempfindlich  finden,  ohne  daß  je  spontane  Schmerzen 
bestanden  hätten,  ganz  abgesehen  von  den  ebenfalls  nidht  sel¬ 
tenen  Fällen,  wö  dien  genannten  Erkrankungen  heftige  Leib¬ 
schmerzen  vor  an  gehen.  Ich  bin  daher  längst  zu  der  Überzeugung 
gekommen,  daß  Entzündungen  des  Blinddarms  oder  anderer 
Darmteile  (Gallenblaked)  viel  häufiger  den  Grund  zu  einer 
Lungenent  zündung  o  der  ei;njer  der  genannten  K  rank  he  i  t  eil 
legen,  als  man  es  sieh  bisher  träumen  läßt. 

Die  Deutung,  die  ich  diesen  Erscheinungen  in  meinen  Beobachtungen 
glaube  geben  zu  müssen,  weicht  erheblich  von  den  von  H.  Bennecke 
und  von  Glaserfeld  u.  a.  geäußerten  Ansichten  ab.  Sieht  man  sich 
aber  von  meinem  Standpunkt  aus  die  Krankengeschichten  dieser  Autoren 
an,  so  glaube  ich,  gewinnen  die  dort  geschilderten  Erscheinungen  sehr 
an  innerem  Zusammenhang. 

Vielleicht  ist  in  B.’s  Fall  1  die  embolische  Pneumonie  erst  durch 
die  Operation  hervorgerufen,  die  einen  Thrombus  aus  der  Nachbar¬ 
schaft  des  schon  abgeheilten  Fortsatzes  zur  Lösung  brachte;  in  Fall  2 
kann  man  die  niedrige  Temperatur  (37,5 — 38,5)  am  ersten  und  zweiten 
Tage  kaum  mit  einer  Pneumonie  vereinigen,  wohl  aber  mit  einer  ab¬ 
heilenden  Epityphlitis.  Mit  Einsetzen  der  embolischen  Pneumonie  stieg 
die  Temperatur  sofort. 

In  dem  zweiten  G  laserf  eld’sc'hen  Fall  dauerte  es  9  Tage  (!)  bis 
die  Pneumonie  gefunden  wurde;  beide  Fälle  endeten  mit  Gangrän. 
Was  kann  mehr  für  eine  embolische  Ursajche1  der  vor  an  ge¬ 
gangenen  Lungenentzündungen  sprechen,  als  dieser  Aus¬ 
gang  ? 

Vielleicht  hängt  es  von  der  Größe  des  Blutpfropfes  ab,  ob  eine 
Lungengangrän  entsteht  oder  ob  es  bei  einer  einfachen  Lungenentzün¬ 
dung  bleibt.  (Bakterienembolie.) 

Kurz  zusammengefaßt  glaube  ich  also  sagen  zu  'können : 

1.  Sind  bei  Lungenentzündungen  Schmerzen  in  der  Blinddarm¬ 
gegend  vorhanden,  so  ist  der  Fortsatz  krank  oder  er  war  es  vor  kürzerer 
oder  längerer  Frist, 

2.  Die  mit  Blinddarmschmerzen  einhergehenden  Pneumonien  sitzen 
meist  rechts;  sie  sind  teils  embolischer  Natur:  entweder  durch  infek¬ 
tiöse  Blutpfröpfe  oder  Bakterienembolien  verursacht.  Teils  können  sie 
entstehen  durch  'Veränderungen  im  Blutumlauf  der  Lungen,  verbunden 
mit  vermehrter  Absonderung  der  Drüsen  der  Bronchialschleimhaut;  Ver¬ 
änderungen,  die  durch  sympathische  Reizung  vom  erkrankten  Fortsatz 
her  hervorgerufen  werden  können. 

3.  Die  Schmerzen  in  der  Blinddarmgegend  in  diesen  Fällen  lassen 
sich  z.  T.  durch  die  Thrombose  in  der  Umgebung  des  Fortsatzes  er¬ 
klären,  z.  T.  sind  sie  aufzufassen  als  durch  die  Pneumonie  bewirkte 
ausstrahlende  Schmerzen,  die  sowohl  oberflächlich  in  der  Bauchwand 
als  auch  tief  sitzen  können. 

Es  wird  manchen  Lesern,  die  in  der  Geschichte  der  Medizin  be¬ 
wandert  sind,  nicht  entgangen  sein,  daß  ähnliche  Auffassungen  von 
Wunderlich1)  geäußert  sind;  er  unterscheidet  in  der  Gruppe  der  sekun- 


x)  Wunderlich,  Pathologie  und  Therapie,  3.  Bd.,  2.  Abt.,  Stuttgart  1856. 


1244 


Schulze, 


clären  Pneumonien  die  metas  tat  i  sötte,  Pneumonie,  die  nach  ihm  zweifel¬ 
los  durch  Änderungen  der  Zirkulation  bedingt  ist  (rach  Fußgeschwüren 
z.  B.).  Eine  noch  frühere  Zeit  sprach  von  einer  sympathischem 
auf  Grund  gastrischer  Störungen  entstandenen  Lungenentzündung 
(Broussais  u.  a.).  Es  ist  klar,  daß  mit  meiner  Auffassung  diese  Be¬ 
griffe  wieder  zu  ihrem  liecht  kommen,  etwas  abgeändert  durch  unsere 
seither  erworbenen  bakteriologischen  Kenntnisse. 


Diplosal,  ein  neues  Salizylpräparat. 

Von  Stabsarzt  Dr.  Schulze,  Stargard. 

Die  Schwierigkeit,  ein  Salizylpräparat  herzustellen,  das  die  gute 
Wirkung'  der  reinen  Salizylsäure  besitzt,  seine  üblen  .Nebenwirkungen 
aber  vermeidet,  veranlaßt  die  chemischen  Fabriken,  fortwährend  neue 
Verbindungen  des  Salizyls  auf  den  Markt  zu  bringen.  Fast  jedes  Jahr 
erscheint  ein  neues  Präparat,  das  alle  Vorzüge  und  keine,  Nachteile 
besitzen  soll,  das  aber  nach  längeren  Versuchen  meist  irgendwelche 
Nachteile  offenbart.  So  versagt  auch  das  jetzt  am  meisten  angewandte 
Salizylpräparat,  das  Aspirin,  zuweilen  vollkommen.  Deshalb  muß  jedes 
Präparat  erst  hinreichend  geprüft  werden,  ehe  sich  ein  abschließendes 
Urteil  bilden  läßt. 

Das  Diplosal  scheint  nach  den  bisher  vorliegenden  Prüfungen 
sehr  viel  Gutes  zu  leisten,  jedenfalls  dem  Aspirin  mindestens  gleich¬ 
wertig  zu  sein.  Es  wäre  deshalb  wohl  wünschenswert,  wenn  durch 
zahlreiche  Versuche  die  Leistungsfähigkeit  und  Brauchbarkeit  fest- 
gestellt  würde. 

Es  liegen  bis  jetzt  Veröffentlichungen  vor  aus  dem  Krankenhaus 
Friedrichshain,  Bethanien -Berlin,  der  inneren  Klinik  zu  Greifswald 
und  dem  k.  k.  allgemeinen  Krankenhaus  in  Wien.  Die  Versuche  er¬ 
strecken  sich  auf  mehrere  hundert  zum  Teil  recht  schwere  Fälle  und 
haben  bis  auf  wenige  Ausnahmen  recht  gute  Resultate  geliefert.  Von 
nachteiligen  Folgen  berichtet  nur  Minkowski  in  zwei  Fällen.  Die 
Schädigungen  waren  aber  so  gering,  daß  er  in  beiden  Fällen  nach  kurzer 
Pause  wieder  Diplosal  geben  konnte.  Sonst  wurde  das  Präparat  sehr 
gut  vertragen. 

Diplosal  entspricht  in  der  Zusammensetzung  dem  Aspirin ;  nur 
tritt  an  Stelle  der  Essigsäure  die  Salizylsäure.  Es  ist  infolgedessen 
ein  sehr  hochwertiges  Salizylsäurepräparat ;  es  bilden  im  Körper 
100  Teile  Diplosal  107  Teile  Salizylsäure,  Aspirin  bildet  77  Teile. 
Es  liefert  also  den  wichtigsten  Bestandteil  in  konzentriertester  Form. 
Die  Resorptionsverhältnisse  entsprechen  denen  des  Aspirins. 

Meine  Beobachtungen  beschränken  sich  auf  wenige  Fälle,  die  im 
Garnisonlazarett  Stargard  in  Pommern  behandelt  wurden.  Ich  hielt 
aber  doch  wegen  der  guten  Erfolge  eine  Mitteilung  hierüber  für  ge¬ 
rechtfertigt,  Beim  akuten  Gelenkrheumatismus  bewirkte  es  in  sämt¬ 
lichen  Fällen  ein  schnelles  Zurückgehen  der  Krankheitserscheinungen 
und  Sinken  des  Fiebers.  Ich  begann  mit  kleinen  Dosen  (dreimal  täglich 
0,5),  hatte  damit  aber  wenig  Erfolg.  Am  wirksamsten  schien  es  mir 
zu  sein,  wenn  täglich  dreimal  1,0  g  gegeben  wurde.  Größere  Dosen 
wurden  zwar  auch  gut  vertragen,  hatten  aber  keinen  besseren  Ein¬ 
fluß  auf  die  Krankheit.  Eine  direkte  Beeinflussung  der  Temperatur 
wurde  nicht  erzielt,  wohl  aber  scheint  die  Dauer  des  Fiebers  geringer 
zu  sein  als  in  den  Fällen  der  Behandlung  mit  Aspirin  oder  Nativ 


Diplosal,  ein  neues  Salizylpräparat. 


1245 


salicyl.  Dagegen  war  die  Einwirkung  auf  die  Krankheitserscheinungen 
besonders  auf  die  Schmerzen  sehr  deutlich.  Ergüsse  in  den  Gelenken, 
Schwellung*  und  Rötung  gingen  schnell  zurück,  auch  beginnende  Endo¬ 
karditis  kam  zum  Stillstand  und  Heilung.  Von  großer  Wichtigkeit 
scheint  mir  zu  sein,  daß  der  lästige  Schweißausbruch  ausbleibt,  der 
bei  Aspirin  und  Natr.  salicyl.  regelmäßig  eintritt.  Das  Wechseln 
der  W  äs  che  mag  noch  so  vorsichtig  geschehen,  eine  Gelegenheit  zu 
einer  Abkühlung  des  Kranken  ist  doch  gegeben,  abgesehen  von  der 
unnötigen  Schwächung  des  Körpers  durch  die  starke  Schweißabsonde¬ 
rung  bei  Schwerkranken. 

Störungen  von  seiten  des  Darmkanals  habe  ich  nicht  beobachtet. 
Dipl os al  wurde  in  Tabletten  genommen,  hinterließ  keinen  unangenehmen 
Geschmack  im  Munde  und  beeinflußte  die  Eßlust  nicht  im  geringsten. 
Auch  Ohrensausen,  Herzklopfen,  ^Nasenbluten  habe  ich  in  keinem  Falle 
beobachten  können,  Eiweiß  konnte  im  Harn  nicht  nachgewiesen  werden. 

Von  besonderem  Interesse  ist  ein  Fall,  den  ich  etwas  genauer  er¬ 
wähnen  möchte.  Die  Krankheit  setzte  sehr  heftig  ein,  beide  Fuß-, 
Knie-  und  Handgelenke  waren  ergriffen,  jede  Bewegung  mit  starken 
Schmerzen  verbunden.  Der  Kranke  bekam  Acid.  salicyl.  mit  Natr. 
bicaibonie  Es  trat  wiederholt  Nasenbluten  ein.  Die  Gelenkschwel¬ 
lungen  gingen  wenig  zurück,  das  Fieber  blieb  hoch.  Am  vierten  Tage 
traten  Herzerscheinungen  ein.  Es  wurde  deshalb  statt  Salizylsäure 
Acid.  adetylo-sal.  dreimal  täglich  1,0  g  gegeben.  Die  Gelenkschwel¬ 
lungen  gingen  nur  teilweise  zurück,  die  Herzbeschwerden  und  Fieber 
blieben  unverändert.  Nasenbluten  trat  eher  etwas  häufiger  auf'.  Der 
Kranke  klagte  über  Ohrensausen  und  Schwindelgefühl,  Eßlust  fehlte 
gänzlich.  Nach  fünf  Tagen,  als  eine  Besserung  nicht  eingetreten  war, 
wurde  Aspirin  durch  Diplosal  (dreimal  täglich  1,0  g)  ersetzt.  Die 
subjektiven  Beschwerden  verschwanden,  Nasenbluten  trat  nicht  mehr 
auf,  die  Eßlust  hob  sich.  Die  Krankheitserscheinungen  gingen  zurück. 
Nach  wenigen  Tagen  stieg  die  Körperwärme  nicht  mehr  über  38,0°  C. 
Die  Heilung  trat  ohne  Störung  ein ;  der  Kranke  wurde  wieder  dienst¬ 
fähig. 

Dieser  einzelne  Fall  beweist  ja  nicht,  daß  immer,  wenn  die  ande¬ 
ren  Salizylpräparate  nicht  vertragen  werden,  Diplosal  guten  Erfolg 
hat,  aber  er  zeigt  doch,  daß  in  einem  solchen  Fall,  in  dem  die  anderen 
Heilmitte]  versagen,  Diplosal  mit  großem  Vorteil  angewandt  werden 
kann.  Natürlich  werden  nach  längerer  Beobachtung  sich  Fälle  finden, 
in  denen  gerade  das  Umgekehrte  eintritt,  aber  die  Brauchbarkeit  des 
Mittels  scheint  mir  erwiesen  zu  sein.  Die  bisherigen  Beobachtungen 
haben  ergeben,  daß  Diplosal  beim  akuten  Gelenkrheumatismus  die 
Krankheit  gut  beeinflußt  und  bis  auf  wenige  Ausnahmen  von  den 
Kranken  sehr  gut  vertragen  worden  ist.  Ich  glaube  deshalb,  weitere 
Prüfungen  empfehlen  zu  können. 

Beim  chronischen  Gelenkrheumatismus  sah  ich  keinen  wesent¬ 
lichen  Erfolg.  Die  Schmerzen  wurden  allerdings  geringer,  aber  die 
Veränderungen  in  den  Gelenken  besserten  sich  wenig.  Ich  habe  nur 
einen  Fall  behandelt ;  der  Mann  mußte  aus  dem  Pleeresdienst  entlassen 
werden. 

Uber  einen  Fall  von  Brustfellentzündung,  der  mit  Perikarditis 
kompliziert  ist,  sind  die  Beobachtungen  noch  nicht  abgeschlossen.  Eine 
Besserung  ist  eingetreten,  aber  eine  so  gute  Einwirkung  wie  beim 


1246 


A.  Menzer, 


akuten  Gelenkrheumatismus  scheint  nicht  vorzuliegen;  eine  Abnahme 
der  Schmerzen  konnte  jedoch  auch  hier  festgestellt  werden. 

Der  Preis  des  Präparates  (20  Tabletten  ä  0,5  =  1,00  Mk.)  ist  im 
Vergleich  zum  Acid.  aoetylo-salicyl.  verhältnismäßig  hoch. 


Die  Medizin  des  Celsus  im  Lichte  moderner  Anschauungen, 

Von  A.  Menzer,  Halle  a.  S. 

(Nach  einem  im  Aerzteverein  zu  Halle  a.  S.  gehaltenen  Vortrage.) 

(Schluß). 

Unter  den  von  Celsus  beschriebenen  Darmkrankheiten  können 
wir  ein  heute  sehr  gefürchtetes  Krankheitsbild,  die  Blinddarment¬ 
zündung,  wieder  erkennen.1)  „Der  Dickdarm  erkrankt  meist  an  der 
Stelle,  wo,  wie  ich  angeführt  habe,  der  Blinddarm  liegt.  Es  ent¬ 
stehen  starke  Aufblähung  und  heftige  Schmerzen,  besonders  auf  der 
rechten  Seite.“  Als  Ursache  des  Leidens  werden  Erkältung  und  Ver¬ 
dauungsstörungen  angeführt,  die  häufige  Wiederkehr  des  die  Dauer 
des  Lebens  nicht  verkürzenden  Leidens  wird  hervorgehoben.  Die  Be¬ 
handlung  erfolgt  durch  lokale  trockene  und  warme  Bähungen  und  eventl. 
durch  trockene  Schröpfköpfe.  Auch  der  Gebrauch  eines  Mittels  (Koli- 
kon),  welches  Mohnsafttränen  enthält,  entspricht  der  heutigen  jetzt 
wohl  mehr  und  mehr  verlassenen  Anwendung  des  Opiums  in  der 
Therapie  der  Appendizitis. 

Die  Bandwurmkur  erfolgt  in  einer  von  der:  heutigen  nicht  viel 
abweichenden  Form.2)  Die  Kranken  müssen  am  ersten  Tage  viel 
Knoblauch  essen  und  erbrechen  und  nehmen  am  folgenden  Tage  Granat¬ 
wurzelabkochung  in  mehreren  Portionen  ein,  der  letzten  Portion  wird 
Wasser  und  starke  Salzbrühe  zugesetzt,  bei  ein  tretendem  Stuhlgang 
muß  der  Kranke  sich  auf  ein  Becken  mit  warmem  Wasser  begehen. 

Die  Lungenkrankheiten  finden  ebenfalls  eine  sorgfältige  Ab¬ 
handlung  bei  Celsus.  Die  verschiedenen  Ursachen  des  Blutsipuckens3) 
werden  geschildert,  die  Behandlung  einer  stärkeren  Blutung  aus  dem 
Innern  der  Luftwege  erfolgt  durch  Buhe,  Hoohlegung  des  Kopfes, 
Aderlaß,  Trinken  von  Essig  oder  Wegerichsaft  (letzterer  ist  noch  heute 
ein  beliebtes  Volksmittel),  Auflegen  kühlender  Umschläge  und  eventl. 
auch  durch  Abbinden  von  Gliedmaßen. 

Gut  ist  ferner  die  Beschreibung  des  klinischen  Bildes  der  Aus¬ 
zehrung4)  (Phthisis).  Zu  ihrer  Differentialdiagnose  wird  empfohlen, 
den  Auswurf  ins  Feuer  zu  werfen  und  auf  die  Entwicklung  üblen  Ge¬ 
ruchs  zu  achten.  Einen  unvergänglichen  Ruhmestitel  für  Celsus  be¬ 
deutet  jedoch  seine  Phthiseotherapie.  Wir  sind  heute  gewöhnt, 
nach  dem  Nihilismus,  der  noch  in  der  ersten  Hälfte  des  19.  Jahr¬ 
hunderts  bestand,  die  von  Brehmer  inaugurierte  klimatische  und. 
diätetische  Behandlung  in  der  Lungenschwindsucht,  ebenso  wie  auch 
die  Empfehlungen  von  Seefahrten,  Seesanatorien  u.  dgl.  nur  als  Er¬ 
rungenschaften  der  Neuzeit  zu  betrachten.  Die  folgenden  Zeilen  wer¬ 
den  beweisen,  wie  auch  hier  der  Standpunkt  des  Celsus  als  ein  durch¬ 
aus  moderner  bezeichnet  werden  kann.  Er  fordert  frühzeitige  Be¬ 
handlung  der  Phthisis5),  um  sie  wirksam  bekämpfen  zu  können.  Ich 
führe  wiederum  seine  wichtigsten  Bemerkungen  wörtlich  an :  „Erlauben 
es  die  Kräfte  des  Kranken,  so  muß  man  denselben  eine  lange  Schiff- 


x)  S.  195.  2)  S.  199.  3)  S.  179.  4)  S.  152.  5)  S.  153. 


Die  Medizin  des  Celsus  im  Lichte  moderner  Anschauungen.  1247 

fahrt  machen  und  das  Klima  wechseln  lassen,  und  zwar  muß  das, 
in  welches  er  sich  begibt,  wärmer  sein,  als  das,  aus  welchem  er  fort- 
g'eht.  So  gehen  dergleichen  Kranke  aus  Italien  am  besten  nach  Alexan¬ 
drien.  Der  Körper  der  Kranken  kann  dergleichen  Strapazen  im  Be¬ 
ginne  dieser  Krankheit  gewöhnlich  ertragen,  da  sie  meistens  im  kräf¬ 
tigen  Alter,  d.  h.  vom  18.  bis  zum  35.  Jahre,  entsteht.  Läßt  dies  die 
vorhandene  Schwäche  aber  nicht  zu,  so  ist  es  für  den  Kranken  am 
vorteilhaftesten,  nur  kleine  Fahrten  auf  einem  Schiffe  zu  machen. 
Verhindert  irgend  ein  Umstand  das  Zuschiffahren,  so  verschafft  man 
dem  Kranken  durch  Tragen  in  der  Sänfte  oder  auf  irgend  eine  andere 
Art  passive  Bewegung ;  dann  muß  er  ferner  alle  Geschäfte,  sowie  alle 
solche  Dinge  meiden,  die  sein  Gemüt  beunruhigen  können.  Ein  solcher 
Kranker  muß  viel  schlafen  und  sich  vor  Katarrhen  hüten,  damit  diese 
das,  was  die  Behandlung  verbessert  hat,  nicht  wieder  verderben.  Daher 
müssen  Verdauungsstörungen,  sowie  Sonnenhitze  und  Kälte  vermieden 
werden.“ 

Bei  leichtem  Fieber  empfiehlt  Celsus  strenge  Diät,  doch  ist 
Milchgenuß  gestattet.  Wenn  Fieber  fehlt,  sind  mäßig  starke  aktive 
Bewegungen,  am  besten  Spazierengehen,  sowie  auch  leichte  Reibungen 
ratsam,  Baden  wird  als  nachteilig  bezeichnet.  Leichter  herber  Wein 
ist  zu  verordnen. 

Weiter  heißt  es  dann :  ,,Bis  hierher  kämpft  man  ohne  große 
Schwierigkeiten.  Ist  aber  das  Übel  heftiger,  hört  weder  das  leichte 
Fieber  noch  der  Husten  auf,  magert  der  Körper  sichtlich  ab,  so  muß 
man  stärkere  Mittel  anwenden.  Man  muß  dann  an  einer  Stelle  unter 
dem  Kinn,  an  einer  am  vorderen  Teil  des  Halses,  an  zwei  Stellen  auf 
beiden  Seiten  der  Brust  und  desgleichen  unterhalb  beider  Schulterblätter 
mit  einem  glühenden  Eisen  Geschwüre  erzeugen  und  dieselben  nicht 
eher  heilen  lassen,  als  bis  der  Husten  auf  hört.“  Als  weitere  Mittel 
werden  noch  genannt  mehrmalige  tägliche  stärkere  Reibungen  der  Glied¬ 
maßen,  Speisen  werden  zur  Zeit  der  Remissionen  am  besten  verab¬ 
folgt,  etwas  Wein  ist  gestattet,  als  Arzneimittel  sind  anzuraten  Wege¬ 
richsaft,  Saft  des  Andorns  mit  Honig  gekocht,  auch  kann  man  beide 
mischen  und  noch  Terpentinharz  mit  Butter  und  Honig  gekocht  zu¬ 
fügen. 

Die  vorstehenden  Worte  des  Celsus  zeugen  wohl  für  sich  selbst, 
ich  möchte  nur  noch  zu  der  Behandlung  des  phthisischen  Fiebers  eine 
Bemerkung  machen.  Das  Fieber  bei  der  Lungenschwindsucht  beruht 
vielfach  auf  begleitender  Mischinfektion,  also  auf  den  gleichen  Bak¬ 
terien,  welche  auch  in  den  von  Celsus  erzeugten  Geschwüren  ßich 
ansiedeln  mußten.  Die  Beobachtungen  der  alten  Ärzte  über  den  Nutzen 
einer  solchen  Behandlung  können  wir  uns  nach  unseren  heutigen  bakte¬ 
riologischen  Kenntnissen  verständlich  machen,  wenn  wir  annehmen,  daß 
in  den  Hautgeschwüren  Antikörper  gegen  Eiterungen  erzeugt  und  nun 
vom  Organismus  gegen  die  in  den  Lungen  angesiedelten  Bakterien 
nutzbar  gemacht  worden  sind.  Wir  haben  hier  also  eine  rohe  Form 
der  Vaccinetherapie,  wie  sie  z.  B.  Wright  für  chronische  Eiterungen, 
Furunkulose  u.  dgd.  empfohlen  hat,  vor  uns.  Übrigens  werden  von 
Heilkundigen  noch  heute  dem  Celsus’schen  Verfahren  ähnliche  Be¬ 
handlungsmethoden  ausgeübt,  so  erfuhr  ich  kürzlich  von  einem  Mann, 
den  ich  wegen  Brustfellentzündung  zu  begutachten  hatte,  daß  er  auf 
Rat  eines  Heilkundigen  sich  mit  zahlreichen  Stichelungen  am  Rücken 
und  nachfolgender  Einreibung  von  eitererzeugender  Salbe  hatte  be- 


1248 


A.  Menzer, 


handeln  lassen.  Auch  liegt  meines  Wissens  dem  Baunscheidtismus 
ein  ähnliches  Prinzip  zugrunde. 

Anschließend  hieran  möchte  ich  noch  erwähnen,  daß  bei  Atem¬ 
not1)  eine  Art  von  Organtherapie  durch  Celsus  empfohlen  wird. 
Er  rät,  entweder  getrocknete  und  gepulverte  Puchsleber  in  Wasser 
zu  trinken  oder  möglichst  frisch  gebratene  Puchslungen  zu  essen. 

Hierbei  sei  darauf  hingewiesen,  daß  man  auch  neuerdings  wieder 
Lungenextrakte  und  getrocknete  Lun  gen  Substanz  von  Tieren  in 
die  Therapie  von  chronischer  Bronchitis  und  Lungentuberkulose  hat 
einführen  wollen  (Brune  t2).  Ebenso  hat  man  von  der  Amwendung 
des  Glanduleus,  eines  Extraktes  aus  Bronchialdrüsen  von  Schafen,  Er¬ 
folge  bei  Lungenkrankheiten  behauptet. 

Noch  interessanter  aber  ist  eine  Angabe  des  Celsus  über  die  Be¬ 
handlung  der  Hemeralopie3)  mit  tierischer  Leber.  -  Die  daran 
Leidenden  sollen  sich  die  Augen  mit  dem  Saft  aus  einer  Leber  — 
besonders  der  eines  Ziegenbockes,  eventl.  auch  einer  Ziege  —  einreiben.. 
Der  Saft  wird  aufgefangen,  während  die  Leber  gebraten  wird.  Die 
Kranken  sollen  dann  auch  die  Leber  essen.  In  Übereinstimmung  damit 
wollen  neuere  Autoren  (Fabry4)  und  Sieker  er5)  gute  Erfolge  bei 
Hemeralopie  durch  die  Eingabe  von  frischer  oder  getrockneter  Schaf¬ 
leber  erzielt  haben. 

Man  sieht  auch  hier  wieder,  daß  alles  schon  einmal  dagewesen 
ist  und  daß  wir,  wenn  auch  die  heutige  Organtherapie  zum  Teil  schon 
auf  eine  exakte  experimentelle  Basis  gestellt  ist,  doch  in  den  eben 
erwähnten  therapeutischen  Bestrebungen  sicherlich  über  die  einfache 
Empirie  des  Altertums  nicht  hinausgelangt  sind. 

Über  den  Tetanus6)  macht  Celsus  folgende  sehr  richtige  Be¬ 
merkung:  „Diese  Krankheitszustände  töten  oft  innerhalb  vier  Tagen; 
dauern  sie  über  diese  hinaus  fort,  so  sind  sie  ohne  Gefahr' Eine 
solche  Äußerung  ist  recht  geeignet,  zur  Skepsis  gegenüber  der  doch 
recht  unsicheren  und  schwer  zu  beurteilenden  Heilwirkung  des  Tetanus¬ 
antitoxins  zu  veranlassen. 

Schließlich  sei  noch  die  auch  auf  guter  Beobachtung  gegründete 
Angabe  des  Celsus,  daß  Gelenkkrankheiten  und  Gicht7)  gewöhn¬ 
lich  im  Frühjahr  und  Herbst  sich  wieder  einzustellen  pflegen,  erwähnt. 

Nachdem  ich  so  fast  nur  Lichtseiten  der  Medizin  des  Celsus 
gezeigt  habe,  soll  nicht  verschwiegen  werden,  daß  auch  manche  uns 
unverständliche  Irrtümer  mit  unterlaufen.  Auch  die  angewendeten 
Arzneimittel  sind  zum  Teil  ekelhaft.  So  ist  z.  B.  Kot 8)  Bestandteil 
eines  zu  Umschlägen  verwendeten  Mittels,  Urin  eines  nicht  mann¬ 
baren  Knaben  wird  zu  einem  Medikament9)  benutzt,  welches  feucht- 
brandiges  Fleisch  wegbringen  soll  u.  dgl.  mehr.  Wir  müssen  aber 
bedenken,  daß  auch  im  ganzen  Mittelalter  und  besonders  in  der  arabi¬ 
schen  Medizin  solche  und  ähnliche  Stoffe  eine  große  Bolle  gespielt 
haben,  und  nur  mit  unserer  heutigen  Landbevölkerung  in  nähere  Be¬ 
rührung  kommt,  wird  erfahren,  daß  noch  heute  Kuhmist  und  Urin 
zu  Umschlägen  benutzt  und  auch  z.  B.  Frösche  u.  dgl.  auf  entzündete 
Stellen  aufgelegt  werden. 


b  S.  177.  2)  Brunet,  Presse  med.,  1897  u.  1898.  3)  S.  382.  4)  Fabry. 

Perl,  klirr  Wochenschr.  1906.  5)  Sicherer,  Berl.  klin.  Wochenschr.  1906.  6)  S.  173. 
7)  S.  207.  8)  S.  224.  9)  S.  247. 


Die  Medizin  des  Celsus  im  Lichte  moderner  Anschauungen.  1249 

Zum  Schluß  möchte  ich  an  einer  Krankenuntersuchung,  welche 
der  berühmte  Galen1)  selbst  beschreibt,  schildern,  in  welcher  Weisei 
dieser  allerdings  besonders  tüchtige  Arzt  das  diagnostische  Rüstzeug 
der  damaligen  Zeit  handhabt.  Galen,  geboren  131  nach  Chr.  zu 
Pergamos,  kommt  etwa  im  Alter  von  30  Jahren  zum  erstenmal  nach 
Rom  und  wird,  da  er  schon  rühmlich  bekannt  ist,  von  einem  Freunde, 
dem  Philosophen  Glaucon,  zur  Untersuchung  eines  Kranken,  eines 
Arztes,  gebeten.  Galen  folgt  dem  Rufe  und  sieht  zufällig  beim  Ein¬ 
tritt  in  das  Haus,  daß  ein  Bedienter  in  einem  Becken  Exkremente 
trägt,  welche  wie  gewaschenes  Fleisch  aussehen.  Er  tut  so,  als  ob 
er  nichts  bemerkt  habe  und  tritt  zum  Kranken  ein.  Der  Kranke  er¬ 
zählt  ihm,  daß  er  sich  eben  ins  Bett  gelegt  habe,  nachdem  er  etwas 
im  Sessel  gesessen  habe.  Bei  dieser  geringen  Anstrengung  sei  schon 
sein  Puls  in  die  Höhe  gegangen.  Galen,  der  den  Puls  fühlt,  deutet 
dies  als  Zeichen  einer  vorliegenden  Entzündung.  Inzwischen  hat  er 
gesehen,  daß  am  Bett  Isop  mit  Honigwasser  als  Arznei  steht  und 
schließt  daraus,  daß  der  Kranke  bei  sich  eine  Brustfellentzündung’' 
diagnostiziert  hat.  Ferner  hat  er  beobachtet,  daß  die  Atmung  häufig 
ist  und  kurzer  Husten  auf  tritt.  Da  er  sich  inzwischen  das  Urteil 
gebildet  hat,  daß  ein  Leberleiden  vorliegt,  so  faßt  er  nach  dem  rechten 
Hypochondrium  und  überrascht  gibt  der  Kranke  zu,  daß  dort  der 
Sitz  seines  Leidens  sei.  Galen  fragt  nun  noch,  ob  kurze  trockene 
Hustenstöße  ohne  Auswurf,  Schwere  im  rechten  Hypochondrium  und 
Schmerzen  daselbst  bei  tiefer  Atmung1  vorhanden  seien.  Alles  dies 
bejaht  ihm  der  über  Galen’s  Kunst  höchst  erstaunte  Kranke,  welchen 
Galen  auch  in  der  Meinung  beläßt,  als  habe  er  die  Diagnose  nur 
aus  dem  Puls  gestellt.  Galen  will  aber  noch  mehr  Beweise  seinesi 
genialen  Könnens  ablegen,  möchte  aber  andererseits  seinen  bisher  ge¬ 
wonnenen  Ruhm  nicht  riskieren  und  forscht  vorsichtig  nach  einem 
«twa  vorhandenen  bohrenden  Schmerz  in  der  rechten  Schlüsselbein¬ 
gegend,  indem  er  sagt,  der  Patient  würde  bald  eine  solche  Empfindung 
haben,  wenn  er  sie  nicht  schon  hätte.  Auch  dies  bestätigt  der  Kranke, 
lind  Galen  findet  nunmehr  für  seine  Versicherung,  daß  alles  gut 
ablaufen  werde,  vollen  Glauben  und  höchste  Bewunderung. 

Verrät  die  ganze  Schilderung  des  Vorganges  auch  die  große  Eitel¬ 
keit  Galen’s,  grenzt  die  Art,  mit  der  er  einen  Nimbus  um  sich 
zu  breiten  sucht,  fast  an  Charlatanerie,  so  bleiben  doch  seine  eminente 
Beobachtungsgabe  und  sein  hohes  diagnostisches  Können  bestehen.  Allem 
Anschein  nach  hat  es  sich  doch  im  vorliegenden  Falle  um  eine  Gallen¬ 
steinkolik  gehandelt,  und  auch  der  von  Galen  festgestellte  bohrende 
Schmerz  in  der  Schlüsselbeingegend  würde  zu  seiner  Diagnose  passen, 
da  bei  der  Gallensteinkolik  Hyperalgesien  im  Bereich  des  rechten 
Schultergürtels  tatsächlich  beobachtet  werden  und  wohl  reflektorischen 
Ursprungs  sind. 

Wir  modernen  Ärzte  laufen  leicht  Gefahr,  uns  zu  sehr  auf  die 
Untersuchungen  von  Laboratorien  zu  verlassen,  und  können  uns  in 
der  Beobachtung  am  Krankenbett  die  alten  Ärzte  als  Muster  nehmen. 

M.  H. !  Ich  habe  mich  bemüht,  an  der  Hand  des  Celsus’ sehen  Werkes, 
Ihnen  in  großen  Zügen  ein  Bild  der  ärztlichen  Anschauungen  im  Rom 
der  frühen  Kaiserzeit  zu  geben  und  glaube,  Sie  werden  mir  nun  darin 

ü  Oeuvres  anatomiques,  physiologiques  medicales  de  Galienpar  Droembroy, 
Paris,  1854,  Tom  II,  p.  657. 


79 


1250  A.  Menzer,  Die  Medizin  des  Celsus  im  Lichte  moderner  Anschauungen. 

zustimmen,  daß  die  Betrachtung  dieser  Epoche  in  medizinischer  Hin¬ 
sicht  uns  einen  hohen  ästhetischen  Genuß  zu  gewähren  imstande  ist. 
Aber,  wie  ich  schon  vorher  gesagt  habe,  wir  verdanken  solchen  ge¬ 
schichtlichen  Rückblicken  weit  mehr.  Wenn  wir  sehen,  wie  die  Ärzte 
des  Altertums  mit  einfachen  Mitteln  Außerordentliches  geleistet  habeny 
wie  manche  ihnen  geläufige  Anschauungen  später  vergessen  worden 
und  erst  in  der  neuesten  Zeit  wieder  zur  Geltung  gebracht  sind,  wie 
im  ständigen  Wechsel  der  medizinischen  Schulen  oft  ein©  allermodernste 
Richtung  eine  alte  durch  vorangehende  Schulen  völlig  verworfene  Lehre 
wieder  anerkennt  und  gewissermaßen  neu  entdeckt,  so  müssen  wir 
die  heute  vielfach  vertretene  Forderung,  daß  der  angehende  Arzt  mit 
der  Geschichte  der  Medizin  vertraut  sein  muß,  als  vollberechtigt  hin¬ 
stellen.  Die  Geschichte  der  Medizin,  wie  sie  dem  Studenten  vorge¬ 
tragen  werden  soll,  darf  sich  dabei  nicht  in  Einzelheiten  verliereny 
sondern  sie  wird  lebendig  sein  und  Nutzen  stiften,  wenn  sie  im  Hin¬ 
blick  auf  die  Strömungen  der  Gegenwart  vorgetragen  wird  und  ein 
Bild  der  Entwicklung  medizinischen  Denkens  im  Zusammenhang  mit 
der  Entwicklung  der  geistigen  Kultur  überhaupt  entrollt.  Der  an¬ 
gehende  Arzt  wird  aus  der  Kenntnis  der  Geschichte  seiner  Wissen¬ 
schaft  zum  Denken  und  zur  Kritik  gegenüber  dem  eigenen  Können 
und  Forschen  angeleitet  werden  und  wird  auch,  wenn  manche  ihm 
auf  der  Universität  vorgetragene  Lehren  die  Feuerprobe  der  Praxis 
nicht  bestehen  oder  umgestürzt  werden  sollten,  vor  Enttäuschungen 
bewahrt  sein,  wenn  er  vornherein  weiß,  daß  das  Heraklitische  navxä  qsl 
auch  für  unsere  Wissenschaft  Geltung  hat. 

Es  ist  durchaus  zu  bedauern,  daß  die  heutige  studierende  medi¬ 
zinische  Jugend  so  wenig  Interesse  für  ein  geschichtlich-medizinisches 
Kolleg  hat,  meist  wird  als  Entschuldigung  die  vielseitige  praktische 
Beschäftigung  angeführt.  Wie  schon  Celsus  richtig  sagt,  muß  die 
Heilkunde  auch  mit  Theorie  verbunden  sein,  und  seit  Hippokrates  haben 
alle  bedeutenden  Ärzte  auch  auf  Kenntnisse  in  der  Geschichte  der 
Medizin  Wert  gelegt.  Nicht  selten  sind  Zeiten,  in  denen  man  die 
Lehren  der  Alten  vernachlässigen  zu  können  vermeinte,  Epochen  des 
Niederganges  gewesen.  Ich  erinnere  nur  an  die  berüchtigte  sogenannte 
physiologische  Medizin  im  Anfang  des  19.  Jahrhunderts,  deren  Haupt¬ 
vertreter  Broussais  der  Geschichte  der  Medizin  jeden  Wert  absprach. 
Ganz  anders  urteilt  dagegen  z.  B.  der  als  Arzt  und  Mensch  von 
seinen  Zeitgenossen  gleich  verehrte  Boerhaave1),  der  die  Geschichte 
der  Medizin  als  sichersten  Leiter  in  dem  Gewirr©  der  Systeme  be¬ 
zeichnet. 

M.  H. !  Ich  gebe  mich  der  Hoffnung  hin,  durch  meine  heutigen 
Ausführungen  Ihnen  bewiesen  zu  haben ,  daß  das  Studium  der  Ge¬ 
schichte  der  Medizin  nicht  ein  totes  ist,  sondern  heute  gerade,  wo 
unsere  Wissenschaft  über  ein  unübersehbares  Tatsachenmaterial  ver¬ 
fügt,  —  um  mit  Boerhaavte  zu  reden  —  eine  ,, Leuchte  der  Wahr¬ 
heit  und  Führerin  des  Lebens“  zu  werden  vermag. 


ß  Zitiert  nach  Haeser,  Geschichte  der  Medizin,  Bd.  2,  1881. 


Wohlwill,  Hamburger  Brief. 


1251 


Hamburger  Brief. 

Von  Dr.  Wohlwill,  Hamburg. 

In  der  Sitzung  des  ärztlichen  Vereins  vom  18.  Mai  stellte  Weiß 
drei  Kinder  vor,  die  enzephalitisähnliche  Krankheiten  durchgemacht 
hatten  und  vollkommen  geheilt  waren.  Im  Anschluß  an  die  in  früheren 
Briefen  referierten  Demonstrationen  von  Nonne  und  Embden  rechnet 
W.  idie  Fälle  zur  zerebralen  Form  der  jetzt  hier  epidemisch  auftretenden 
Poliomyelitis  und  weist  auf  die  auffallend  häufige  Beteiligung  des 
Gehirns  in  der  jetzigen  Epidemie  hin. 

PI  ate  stellte  einen  Fall  von  angeborener  Alexie  vor.  Die  Fälle  sind 
gar  nicht  so  selten,  werden  in  ihren  leichteren  Formen  häufig  nicht  rich¬ 
tig  erkannt.  Es  handelt  sich  um  einen  kongenitalen  Defekt,  meist  auf 
hereditärer  Basis.  So  hatte  auch  die  Großmutter  des  vorgestellten 
Kindes  denselben  Fehler  und  der  Bruder  dieser  Großmutter,  der  Schrift¬ 
steller  war,  mußte  sich  seine  Arbeiten  von  seiner  Schwester  korri¬ 
gieren  lassen.  Meist  ist  die  Fähigkeit,  Buchstaben  und  Zahlen  zu 
lesen,  erhalten,  während  zusammenhängendes  Lesen  und  Schreiben  nach 
Diktat  unmöglich  ist.  Das  vorgestellte  Mädchen,  welches  sonst  sehr 
intelligent  war,  hatte  es  durch  Energie  und  Fleiß  soweit  gebracht, 
daß  es  einigermaßen,  wenn  auch  ohne  jede  Betonung,  lesen  konnte. 
Beim  Schreiben  machte  sie  außerordentlich  viele  Fehler.  Die  Erkennung 
des  Leidens  ist  praktisch  wichtig,  da  sonst  solche  Kinder  leicht  für 
schwachsinnig  gehalten  werden. 

Lenhartz  berichtete  über  drei  Fälle  von  Fettleibigkeit,  in  denen 
die  Karellkur  ganz  besonders  eklatanten  Erfolg  gezeitigt  hatte  (in 
einem  Fall  Abnahme  von  119  kg  auf  69  kg).  Sämtliche  subjektiven 
Beschwerden  verschwanden.  Die  Leistungsfähigkeit  wurde  sehr  ge¬ 
hoben.  Lästig  ist  nur  die  aus  den  zu  weit  gewordenen  Bauchdecken 
sich  bildende  ,, Schürze“,  welche  meist  zurückbleibt. 

Preiser  hielt  einen  Vortrag  über  die  praktische  Bedeutung  einer 
pathologischen  Gelenkflächeninkongruenz. 

Die  gewöhnliche  Arthritis  deformans  —  an  der  Hüfte  Malum 
coxae  genannt  —  setzt  der  ätiologischen  Forschung  noch  große  Schwie¬ 
rigkeiten  entgegen;  sie  kann  in  jedem  Alter  und  an  jedem  Gelenk  auf- 
treten  und  ist  streng  von  der  Hof  faschen  polyartikulären  progressiven 
Form  zu  trennen.  Im  Spätstadium  zeigt  sie  die  bekannte  Bandosteo- 
phytenbildung,  niemals  Knochenatrophie,  klinisch  die  charakteristischen 
Beschwerden  nach  der  Beihe  beim  Ansetzen  der  erkrankten  Gelenke 
und  die  vorübergehende  Besserung,  wenn  die  Patienten  erst,  in  Gang 
sind.  Dagegen  bereiten  die  Früh  Stadien,  bevor  die  Osteophyten  auf- 
treten,  erhebliche  diagnostische  Schwierigkeiten,  wenn  es  sich  also  noch 
um  Knorpeldegeneration  und  Kapselwucherung  (Lipoma  arborescens) 
handelt.  Aber  in  diesem  Frühstadium  lassen  sich  bereits  cha¬ 
rakteristische  Veränderungen  im  Böntgenbild  in  der  Stel¬ 
lung  der  einzelnen  Gelenkteile  zueinander  feststellen,  Stö¬ 
rungen  in  der  Statik  der  Gelenke.  Es  klagen  die  Patienten  mit 
Arth.  def.  coxae  oft  lange  Zeit  schon  über  Ischias,  verbunden  mit  einer 
Kruralisneuralgie.  An  den  anderen  Gelenken  fehlt  eine  charakteristische 
Neuralgie,  dort  treten  die  Frühsymptome  mehr  als  Steifigkeit,  Beweg¬ 
lichkeitsbeschränkungen  und  Schmerzen  auf,  an  der  Unterextremität 
oft  so  stark,  daß  jedes  Stehen  und  Gehen,  sowie  oft  jede  Berufsarbeit 
unmöglich  wird,  an  Schulter  und  Ellbogen  derartig,  daß  die  Gelenke 


1252 


Wohlwill, 


nicht  gebraucht  werden  können  und  ein©  Berufsarbeit  oft  ebenfalls 
unmöglich  wird.  Stets  befindet  sich  im  Röntgenbilde  bei  diesen 
Bällen  eine  pathologisdhe  Gelenkflächeninkongruenz,  d.  h. 
eine  Verschiebung  der  einzelnen  Gelenkkomponenten  gegeneinander,  die 
es  ermöglicht,  die  unklaren  Gelenkbeschwerden  bereits  vor  Eintritt 
einer  Osteophytenbildung  auf  eine  statische  Ursache  zurückzuführen 
und  die,  weil  sie  sich  stets  bei  Arth,  deform,  findet,  auch  als  die  Ursache 
derselben  gelten  muß.  P.  nennt  daher  die  Arth,  deform,  eine  „statica“. 
An  der  Hand  einer  großen  Reihe  von  Lichtbildern  anatomischer  Präpa¬ 
rate  und  Röntgenbilder  Wurden  dann  die  einzelnen  Kennzeichen  einer 
statischen  Störung  verschiedener  Gelenke  demonstriert : 

An  der  Hüfte  wird  zunächst  auf  die  von  P.  gefundene  Variation 
der  Pfannenstellung  hingewiesen:  Die  normale  Pfanne  steht  im 
verlängerten  ersten  und  zweiten  schrägen  Durchmesser,  die  rachi¬ 
tische  dagegen  frontal;  selbst  bei  stärkster  Beckenneigung  bleibt 
deshalb  immer  noch  ein  Teil  der  Knorpeloberfläche  des  Kopfes  außer 
Kontakt  mit  der  Pfanne  und  kann  dadurch  atrophieren  und  so  die 
Arth,  deform,  einleiten.  Bei  lateraler  Pfannenstellung,  der  häu¬ 
figsten  Basis  für  das  Malum  c'oxae,  wird  beim  Aufsetzen  des 
Fußes  in  der  Sagittalen  ebenfalls  ein  Teil  der  Kopffläche  außer  Kon¬ 
takt  gedreht.  Dabei  findet  man  aber  auch  stets  eine  Antetorsion  des 
oberen  Femurendes.  Am  Knie  ragt  bei  statischen  Mißverhältnissen 
der  Unterextremitäten  der  laterale  Tibiakondylus  frei  unter  dem  Femur 
hervor  und  bildet  so  ebenfalls  eine  pathologische  Gelenkflächeninkon¬ 
gruenz.  Beim  Plattfuß  kann  man  als  Gelenkflächeninkongruenz  auf¬ 
fassen  :  das  laterale  Abgedrängtwerden  des  Calcaneus,  das  Abrutschen 
des  Talus  nach  innen  unten,  das  Tiefertreten  des  Naviculare  usw. 
Auch  hier  kommt  es,  wie  Präparate  und  Röntgenbilder  zeigen,  oft  später 
zur  statischen  Arth,  deform.  Am  statisch  gestörten  Ellbogen  kann 
man  ein  teilweises  Hervorragen  der  Gelenkfläche  des  Radiusköpfchens 
unter  dem  lateralen  Humerus -condylus  konstatieren,  wie  auch  stets 
bei  der  Arth,  deform,  cübiti. . —  An  der  Schulter  weist  P.  auf  die 
Veränderungen  bei  Arth,  deform,  hin  an  der  Hand  von  Röntgenbildern 
(Zuspitzung  der  unteren  Humeruskopfrundung,  Humerus- varus- Bil¬ 
dung  usw.).  Die  Lumbago  ist  häufig  ebenfalls  als  Folge  einer  Inkon¬ 
gruenz,  d.  h.  einer  Verschiebung  der  Sakroiliakalgelenkf  lachen  gegen¬ 
einander  aufzufassen:  daher  die  Lumbago  nach  Extension  der  Beine 
und  in  der  Gravidität.  Vielleicht  ist  auch  die  orthotische  Albu¬ 
minurie  darauf  zurückzuführen,  da  durch  eine  Lordose  eine  tem¬ 
poräre  Aortenkompression  herbeigeführt  wird  und  Brieger  ja  nach 
experimenteller  Aortenkompression  Albuminurie  beobachtet  hat. 

Das  Primäre  ist  also  stets  für  alle  Gelenke  eine  Störung  der 
Statik,  die  das  Gelenk  dann  zur  statischen  Arth,  deform,  disponiert. 
Ob  schließlich  diese  dann  dadurch  eingeleitet  wird,  daß  die  nicht- 
benützte  Knorpeloberfläche  atrophiert  oder  durch  Synovialisverände- 
rungen,  die  durch  Kapselverdrehungen  und  Quetschungen  bedingt  sind, 
muß  noch  offen  bleiben.  Schließlich  sucht  P.  an  den  Röntgenbildern 
nachzuweisen,  daß  die  Osteophytenbildung  eine  gewisse  Selbstheilung 
des  Körpers  darstellt,  da  sie  als  eine  Verbreiterung  der  Gelenkflächen 
an  den  inkongruenten  Stellen  und  damit  als  eine  Anpassung  der  Ge¬ 
lenke  an  die  veränderte  Statik  auf  gef  aßt  werden  kann. 

In  der  biologischen  Abteilung  berichtete  Schroeder  über  einen 
Fall,  an  dessen  Hand  die  theoretisch  wie  forensisch  praktisch  wichtige 


Hamburger  Brief. 


1253 


Frage  nach  dem  Zusammenhang  zwischen  Trauma  und  syphilitischen 
Eruptionen  beleuchtet  wurde.  Ein  41  jähriger  Arbeiter  hatte  sich  durch 
Stoß  mit  dem  Puffer  eines  Eisenbahnwaggons  eine  Fraktur  der  Ska- 
jmla  und  eine  Quetschung  der  linksseitigen  Hippen  zugezogen.  Er 
konnte  nach  vier  Wochen  die  Arbeit  wieder  aufnehmen,  erkrankte 
aber  eine  Woche  später  an  ohnmachtsähnlichen  Anfällen.  Er  verfiel 
schnell  und  starb  50  Tage  nach  dem  Unfälle.  Bei  der  Sektion  fand 
sich  außer  einer  zweifellos  syphilitischen  Narbe  der  Trachea  ein  Gummi 
der  rechten  Herzkammer  von  ziemlich  beträchtlicher  Größe.  Die  Ent¬ 
stehung  von  Gummen  in  durch  Stoß  verletzten  Muskeln  ist  eine  be¬ 
kannte  Tatsache.  Diese  pflegen  aber  viel  langsamer  zu  wachsen, 
brauchen  oft  Jahre  zu  ihrer  Entwicklung.  Auch  rein  pathologisch 
ist  die  Entstehung  dieser  Gummigeschwulst  in  sieben  Wochen  sehr 
unwahrscheinlich.  Die  Beschleunigung  ihres  Wachstums  durch  den 
Unfall  wurde  in  dem  Gutachten  nur  für  „möglich“  erklärt.  Daraufhin 
wurde  der  Anspruch  abgewiesen. 

Simmonds  glaubt  auch  nicht,  daß  in  so  kurzer  Zeit  eine  solche 
Geschwulst  entstehen  kann,  er  hält  aber  für  wohl  möglich,  daß  das 
Trauma  das  Versagen  des  vorher  schon  geschädigten  Herzmuskels  ver¬ 
schuldet  hat. 

Plate  wies  in  diesem  Zusammenhang  auf  Experimente  von  Külps 
in  Kiel  hin,  welcher  durch  Verhämmern  des  Thorax  bei  Tieren  sofort 
Irregularitäten  hervorruf en  konnte.  Der  Sektionsbefund  war :  kurze 
Zeit  nach  dem  Trauma  Blutungen,  später  myokarditische  Schwielen. 

Weiß  möchte  in  wissenschaftlich  so  strittigen  Fragen  aus  prak¬ 
tischen  Gründen  für  den  Unfallverletzten  das  in  dubio  nro  reo  an- 

*. 

gewendet  wissen. 

Del  Ban co  hielt  einen  Vortrag  über  die  Tuberkulose  der  Haut. 
Die  Stellung  dieser  Krankheitsformen  ist  deshalb  eine  sehr  umstrittene, 
weil  es  nicht  gelingt,  Tuberkelbazillen  nachzuweisen.  Aber  die  klini¬ 
schen  Gründe  für  die  tuberkulöse  Natur  dieser  Affektionen  mehren- 
sich  so,  daß  wenigstens  für  einige  von  ihnen  ein  Zweifel  nicht  be¬ 
stehen  kann.  Hierher  rechnet  B.  den  Lichen  scrophulosorum,  den  Lupus 
miliaris  und  die  Follikulitis.  Die  erstgenannte  Krankheit  zeigte  stets 
Reaktion  auf  Tuberkulin,  einmal  gelang  es  B.  einen  Tuberkelbazillus 
nachzuweisen.  Histologisch  handelte  es  sich  immer  um  tuberkulöse 
Granulome.  Alle  drei  Affektionen  sind  Ausscheidungstuberkulide ;  sie 
finden  sich  nur  bei  Personen,  die  an  —  meist  benignen  —  Tuberkulose¬ 
formen  leiden  oder  bald  darauf  an  solchen  erkranken.  Die  Toxine 
werden  ähnlich  wie  Jod  und  Brom  in  den  Follikeln  ausgeschieden. 
Die  rein  toxische  Natur  der  Eruption  wäre  allerdings  erst  dann  be¬ 
wiesen,  wenn  es  auch  nicht  gelänge,  die  MuclTschen  Granula  in  ihnen 
nachzuweisen. 

Auch  den  Lupus  erythematodes  hält  B.  für  tuberkulösen  Ursprungs. 
Darin  hat  ihn  hauptsächlich  ein  Fall  bestärkt,  in  dem  die  gleichzeitig 
vorhandenen  Drüsen  bei  Versuchstieren  Tuberkulose  hervorzurufen  im¬ 
stande  waren. 

Im  Anschluß  daran  berichtet  B.  noch  über  Studien  über  die 
Wirkungsweise  des  Finsenlichts  bei  Lupus.  Dasselbe  läßt  Elastika 
und  Kollagen  ganz  intakt,  schädigt  nur  das  Epithel.  Dieses  wird 
sofort  regeneriert  und  in  der  Tiefe  wuchert  der  Lupus  weiter.  Es 
ist  also  eine  schichtweise  Zerstörung  der  sich  zum  Teil  immer  wieder 
neubildenden  pathologischen  Elemente  nötig. 


1254 


Wohlwill, 


In  der  Diskussion  berichtete  Simmonds  über  einen  gerade  vor 
kurzem  sezierten  Fall  von  Lupus  erythematodes,  in  dem  die  Obduktion 
keine  Spur  von  Tuberkulose  ergab. 

Lewandowsky  berichtete  über  experimentelle  Versuche,  welche 
ihn  von  der  hämatogenen  und  gleichzeitig  bazillären  Natur  der  be¬ 
sprochenen  Krankheiten  überzeugten.  Er  glaubt,  daß  es  sich  entweder 
um  Embolien  mit  Tuberkelbazillensplittern  oder  um  Kutanimpfung 
handelt.  Für  die  Wirkung  der  Finsenbestrahlung  kommt  auch  die  dabei 
erzeugte  Hyperämie  sehr  in  Betracht. 

In  der  nächsten  Sitzung  stellte  Umber  einen  Fall  von  „Ery- 
thrämie“  vor.  Der  Mann  bot  das  Symptom  hochgradiger  „Blausucht“, 
ohne  daß  am  Herz  ein  Grund  dafür  sich  fand.  Die  Blutuntersuchung 
ergab  12000000  Erythrozyten,  bei  den  weißen  fand  sich  bei  normaler 
Leukozyten-  und  etwas  reduzierter  Lymphozytenzahl  eine  Vermehrung 
der  Ubergangsformen.  Die  Viskosität  des  Blutes  übertraf  das  Normale 
um  das  6 — 7 fache.  Es  handelt  sich  um  ein  primäres  Wuchern  der 
erythroblastischen  Elemente  im  Knochenmark  (Analogie  zur  Leukämie !). 
Deshalb  hat  die  bisweilen  ausgeführte  Exstirpation  der  Milz  (die  in 
diesem  Fall  übrigens  nicht  vergrößert  war)  nie  Erfolg. 

Kümmel  1  stellte  einen  Fall  von  Staphylokokkenmeningitis  nach 
Karbunkel  vor,  die  nach  viermaliger  Lumbalpunktion  geheilt  war. 
Wahrscheinlich  ist  der  Staphylokokkus  als  Meningitiserreger  weniger 
gefährlich  als  andere  Keime. 

Ferner  stellte  er  zwei  Fälle  vor,  in  denen  die  Unterbindung  der 
A.  subsclavia  nötig  wurde.  In  dem  einen  handelte  es  sich  um  ein 
traumatisches  Aneurysma  der  Axillaris,  welches  auffallenderweise  erst 
drei  Wochen  nach  einer  Schulterluxation  aufgetreten  war.  Die  Unter¬ 
bindung  führte  hier  zu  Gangrän  des  Armes,  die  eine  Amputation  nötig 
machte.  Im  zweiten  Fall  wurde  die  Unterbindung  als  Präliminar¬ 
operation  vor  Abtragung  des  gesamten  Schulter  gürteis  wegen  Sarkom 
ausgeführt.  Die  Operation  konnte  dadurch  mit  relativ  geringem  Blut¬ 
verlust  ausgeführt  werden. 

De  necke  wies  unter  Vorstellung  von  drei  einschlägigen  Fällen 
darauf  hin,  wie  häufig  die  Aorteninsuffizienz  in  einer  syphilitischen 
Endaortitis  (Heller)  ihre  Ursache  hat.  Die  Wassermann’ sehe  Be- 
aktion  ermöglicht  es,  diese  Diagnose  jetzt  auch  intra  vitam  zu  stellen; 
sie  hat  uns  gezeigt,  daß  die  syphilitische  Grundlage  der  Aorteninsuffi¬ 
zienz  viel  häufiger  ist,  als  man  früher  annahm.  D.  konnte  in  fünf 
Monaten  13  Fälle  sammeln,  davon  zeigten  vier  die  bekannte  Kombi¬ 
nation  mit  Tabes. 

In  der  Sitzung  vom  15.  Juni  stellte  Trömner  u.  a.  einen  Fall 
von  juveniler  Paralyse  vor.  Die  kindliche  Paralyse  macht  ca.  1— — 2  °/0 
aller  Paralysefälle  aus.  Sie  wird  sehr  häufig  verkannt,  für  Imbezillität, 
multiple  Sklerose,  Meningitis  angesehen ;  gleichwohl  ist  die  Diagnose 
für  den,  der  solche  Fälle  öfter  gesehen  hat,  leicht,  da  das  Krank¬ 
heitsbild  viel  monotoner,  viel  weniger  variabel  ist  als  das  bei  Er¬ 
wachsenen.  Alle  Kinder  zeigen  z.  B.  eine  planlose,  verworrene  Unruhe. 
Pupillenstarre  fehlte  nie.  Wenn  man  bei  Kindern,  die  etwa  vom 
5.  Lebensjahr  an  intellektuell  abnehmen,  nur  an  die  Möglichkeit  einer 
Paralyse  denkt,  so  wird  man  die  Diagnose  nicht  verfehlen.  Hereditäre 
Syphilis  ist  in  den  Fällen  fast  immer  nachweisbar. 

Pr  eis  er  zeigte  Böntgenbilder  von  drei  Fällen,  in  denen  pach 
Trauma  eine  kreisförmige  Aufhellung  im  os  naviculare  der  Hand  auf- 


Hamburger  Brief. 


1255 


getreten  war.  In  einem  Fall  trat  später  (nach  Stauung)  eine  Spontan¬ 
fraktur  ein;  in  allen  drei  Fällen  war  Pirquet  positiv.  Zwei  waren 
zweifellos  tuberkulös,  einer  litt  an  langjähriger  Bronchitis.  Bei  dem 
einen  kam  auch  Lues  in  Betracht ;  trotzdem  hält  Pr.  den  Prozeß) 
für  nicht  spezifischer  Natur.  Er  glaubt  vielmehr,  daß  es  sich  um  eine 
primäre  Fissur  handle,  die  später  infolge  mangelhafter  Ernährung  zu 
Atrophie  führte  (aseptische  Osteomyelitis). 

Kumpel  besprach  ein  Phänomen,  das  er  für  charakteristisch  für 
Scharlach  hält :  Blutungen  finden  sich  bei  Scharlach  besonders  im 
Schenkeldreieck.  Wenn  man  aber  die  Stauungsbinde  anlegt,  so  kann 
man  an  jedem  anderen  Ort  künstlich  Blutungen  hervorrufen.  Bei 
kräftiger  Stauung  und  Bearbeiten  mit  dem  Ätherbausch  treten  zwar 
auch  bei  Gesunden  gelegentlich  Blutungen  auf,  aber  nie  so  schnell 
und  in  so  erheblichem  Maße.  Auch  mit  der  Saugglocke  kann  man 
diese  Blutungen  erzielen.  Da  die  Erscheinung  auch  nach  Verschwinden 
des  Exanthems  noch  auftritt  und  bei  Masern,  Böteln,  Diphtherie  sich 
nicht  findet,  so  kommt  ihr  eine  gewisse  diagnostische  Bedeutung  zu. 

Weygandt  besprach  in  einem  mit  großem  Interesse  aufgenom¬ 
menen  Vortrag  die  ärztlichen  Forderungen  zum  Entwurf  der  Straf¬ 
prozeßordnung  und  zur  Strafgesetzreform.  In  bezug  auf  erstere  wünscht 
W.  namentlich  eine  Erweiterung  der  Bestimmungen,  welche  Personen 
vom  Eide  ausschließen,  die  durch  Verstandesschwäche  von  dem  Wesen 
Bes  Eides  keine  richtige  Vorstellung  haben,  dahin,  daß  alle  diejenigen 
nicht  zu  vereidigen  sind,  deren  Aussagen  durch  Geistesstörung  beein¬ 
flußt  sind.  Ferner  hält  er  es  für  nötig,  weitgehende  Bestimmungen 
zu  treffen,  die  die  Beurteilung  des  Geisteszustandes  von  Zeugen  er¬ 
möglichen.  In  wichtigen  Fällen  glaubt  er  sogar  für  eine  längere  An¬ 
staltsbeobachtung  plädieren  zu  müssen.  Die  Frist  von  sechs  Wochen 
zur  Beobachtung  der  Angeschuldigten  erweist  sich  bisweilen  als  zu  kurz 
(z.  B.  bei  Epileptikern).  Vor  allem  müßte  dem  Oberbegutachter  das 
Bec'ht  zustehen,  aufs  Neue  eine  Anstaltsbeobachtung  in  die  Wege  zu 
leiten,  was  bisher  nicht  möglich  ist.  - — -Der  Irrenhausaufenthalt  müßte 
auf  die  Strafe  angerechnet  werden.  —  Falls  ein  Angeklagter  wegen 
Geistesstörung  freigesprochen  wird,  müßte  trotzdem  die  Täterschaft 
festgestellt  werden,  damit  nicht  eventl.  einem  Unschuldigen  trotz  des 
Freispruchs  zeitlebens  ein  Makel  anhaftet ;  andererseits  müßte  eine 
Bestimmung  existieren,  die  in  einem  solchen  Fall  den  Privatkläger 
von  den  Kosten  befreit.  (Schluß  folgt). 


Referate  und  Besprechungen. 

Bakteriologie  und  Serologie. 

Lieber  die  feine  Struktur  der  Bakterien. 

(Alessandro  Amato.  Zentralbl.  für  Bakt.,  Bd.  48,  H.  4,  1909.) 

Die  vom  Verfasser  angewandte  Technik  war  folgende.  Er  verwandte 
Brillantkresyl. 

Auf  einen  Objektträger  breitet  er  eine  Schicht  in  absolutem  Alkohol 
gelösten  Brillantkresyls  aus,  läßt  den  Alkohol  verdampfen  und  fügt  dann 
auf  diese  Stelle  einen  Tropfen  Bouillonkultur.  Er  bespricht  dann  im  ein¬ 
zelnen  an  der  Hand  vorzüglicher  Abbildungen  die  gewonnenen  verschiedenen 
Bilder  in  den  verschiedenen  Lebensphasen  der  Bakterien,  so  z.  B.  des  Kar¬ 
toffelbazillus.  des  Bacillus  subtilis,  des  Bacillus  mycoides  und  des  Spirillum 


1256 


Referate  und  Besprechungen. 


volutans.  Aus  seinen  Untersuchungen  ist  ersichtlich,  daß  in  der  Bakterien¬ 
zelle  Granulationen  zerstreut  liegen,  die  durch1  Teilung  oder  Zerfall  eines 
rundlichen  homogenen,  stark  färbbaren  Körpers  entstehen.  Diese  Granula 
zeigen  während  der  Teilungs'phasen  des  Bakteriums  eine  besondere  Anord¬ 
nung  und  Verschmelzung.  Auch  bei  der  Sporenbildung  spielen  diese  Granula 
eine  Bolle. 

In  den  ersten  Phasen  der  Sporenbildung  tritt  beim  Kartoffelbazillus 
ein  kleines  zentrales  Körperchen  auf;  es  verschwindet  in  der  reifen  Spore,, 
um  in  den  ersten  Phasen  der  Sporenentwicklung  wieder  aufzutreten. 
Aus  diesem  Körperchen  entstehen  dann  durch  Teilung  oder  Zerfall  die  zer¬ 
streut  liegenden  Granula  der  erwachsenen  Bazillen. 

Sind  diese  Granula  nun  ein  Äquivalent  des  Kernes  oder  nicht? 

Verf.  glaubt  auf  Grund  der  Anordnung  der  Granula,  die  sie  bei  der 
Teilung  des  Bazillus  und  der  Sporenbildung  annehmen,  die  Granula  als  ein 
Äquivalent  des  Kernes  bezeichnen  zu  dürfen.  Schürmann  (Düsseldorf). 


Sur  une  propriete  d’un  serum  prepare  avec  des  exsudats  streptococciques. 

(Antonio  Pricolo,  Rome.  Zentralbl.  für  Bakt.,  Bd.  48,  H.  1.) 

Pferde  wurden  mit  dem  Exsudat  von  Meerschweinchen,  die  an  intra¬ 
pleuraler  Infektion  mit  Streptococcus  equi  zugrunde  gegangen  waren,  immuni¬ 
siert.  Das  Pferdeserum  begünstigte  bei  Kaninchen,  Hunden  und  Meerschwein¬ 
chen  die  Infektion  und  brachte  a,üch  nach  wiederholten  Injektionen  keine 
Immunität  gegen  Streptococcus  equi.  Verfasser  glaubt,  daß  in  dem  Serum 
Antikomplemente  vorhanden  seien,  die  die  natürlichen  Schutzkräfte  paraly¬ 
sieren  und  die  eigenen  Schutzwirkungen  des  Serums  nicht  zur  Geltung  kom¬ 
men  lassen.  Das  Pferdeserum  hatte  3  Monate  nach  ^der  letzten  Behandlung1' 
mit  Exsudat  seine  Aggressivwirkung  verloren.  Schürmann. 


Ueber  die  Ophthalmoreaktion. 

(V.  Maragliano  u.  G.  Romaneil i.  Annali  dell’  Istitulo  Maragliano,  Volume  IIr 

Fascicolo  V,  Genova,  S.  316 — 325,  1909.) 

Die  beiden  Verf.  legten  sich  die  Fragen  vor: 

1.  ob  die  sog.  Ophthalmoreaktion  nur  durch  die  direkte  Einwirkung 
des  Tuberkelgiftes  auf  die  Konjunktivalschleimhaut  zustande  kommt? 

2.  oder  ob  sie  das  Ergebnis  ist,  des  Zusammentreffens  des  Toxins  mit 
irgend  einer  im  Blute  kreisenden  giftigen  Substanz  ? 

Zur  Beantwortung  der  ersten  Frage  träufelten  sie  4  Pat.,  welche  zu¬ 
vor  eine  deutliche  Konjunktivalreaktion  gegeben  hatten,  2  Tropfen  eines 
Gemisches  von  2 — 4%  Tuberkulin-  und  Antitoxin-Serum  zu  gleichen  Teilen  ein. 
Es  trat  daraufhin  zwar  eine  Reaktion  auf,  dieselbe  war  jedoch  von  geringerer 
Intensität  und  kürzerer  Dauer  als  die  gewöhnliche.  Im  Hinblick  darauf,  daß 
sonst  bei  Wiederholungen  die  Reaktionen  heftiger  auszufallen  pflegen,  kann 
man  also  eine  Neutralisations-  oder  Hemmungswirkung  des  Antitoxin-Serums 
nicht  in  Abrede  stellen. 

Die  andere  Frage  wurde  in  der  Weise  in  Angriff  genommen,  daß  ein  Ge¬ 
misch  von  Tuberkulin  und  Blutserum  von  Tuberkulösen,  welche  eine  deutliche 
Konjunktivalreaktion  gezeigt  hatten),  6  gesunden  Leuten  eingeträufelt  wurde;, 
es  trat  jedoch  keine  Reaktion  auf,  so  wenig  wie  auf  Tuber kulininstillationen 
ohne  Serumzusatz.  Buttersack  (Berlin). 

Über  den  Einfluß  der  Fiebertemperaturen  auf  die  Mikroben  und  die 

Schutzkräfte  des  Organismus. 

(Dr.  Sulima.  Zentralbl.  für  Bakt.,  Bd.  48,  H.  3.) 

Verf.  schließt  aus  seinen  Versuchen,  daß  Temperaturen  über  39°  für 
den  Kampf  des  menschlichen  Körpers  mit  Mikroben  ungünstig  sind.  Die  an 
Endotoxinen  reichen  Organismen  (Typhus,  Cholera)  können  bei  der  ange- 


Referate  und  Besprechungen. 


1257 


nominellen  Auflösung  den  Körper  stark  vergiften.  Andererseits  ist  von  einer 
mäßigen  Steigerung  der  Körpertemperatur  manchmal  eine  Besserung  der  Aus¬ 
sicht  auf  den  Sieg  des  Körpers  über  die  Parasiten  zu  erwarten. 

Genaue  Angaben  über  die  Dauer  und  Intensität  der  künstlichen  Er¬ 
wärmung  fehlen  noch. 

Verf.  hat  darüber  Versuche  an  Keuchhustenkindern  gemacht  und  be¬ 
richtet  in  Kürze  über  seine  Methode.  Schürmann  (Düsseldorf). 


Innere  Medizin. 

Aus  der  inneren  Abteilung  des  Krankenhauses  Charlottenburg-Westend. 

Ueber  die  Allgemeinbehandlung  von  Infektionskrankheiten. 

(Prof.  Dr.  E.  Grawitz.  Ther.  Monatsh.,  Kr.  12,  1909.) 

Heutzutage,  so  ungefähr  führt  Gr.  aus,  wo  für  fast  alle  wichtigeren 
Infektionskrankheiten  Spezifika  erfunden  sind  und  noch  täglich  neu  erfunden 
werden,  ist  es  zwar  unmodern,  aber  trotzdem  und  gerade  deswegen  dringend 
nötig,  zu  ermitteln,  wie  viel  auch  ohne  diese  Spezifika  durch  ratio¬ 
nelle  allgemeine  und  lokale  Einwirkungen  auf  den  infizierten 
Organismus  geleistet  werden  kann;  denn  es  mutet  doch  eigentümlich  an, 
wenn  gerade  Leiter  großer  Krankenanstalten  bei  einer  Diskussion  über  die 
Diphtheriebehandlung,  wie  wir  sie  hier  vor  wenigen  Monaten  in  der  Medizi¬ 
nischen  Gesellschaft  erlebten,  bei  der  Bewertung  ihrer  Heilresultate  aus¬ 
schließlich  den  Faktor  der  Seruminjektion  in  Rechnung  stellten,  der 
in  den  letzten  20  Jahren  erreichten  Fortschritte  in  der  Allgemeinbehandlung  der 
Infektionskrankheiten,  ferner  der  Fortschritte  in  der  Hygiene  und  dem  Be¬ 
triebe  der  Krankenhäuser,  sowie  endlich  auch  des  Umstandes  nicht  mit  einem 
Worte  gedachten,  daß  die  Kranken  jetzt  meist  in  viel  früheren  Stadien  der 
Erkrankung  und  auch  viel  häufiger  mit  leichten  Erkrankungsformen  die  großen 
Hospitäler  aufsuchen.  Speziell  bei  der  Diphtherie  ist  auch  noch  der  Weg¬ 
fall  früher  beliebter,  enorm  schädlicher,  lokaler  Ätzungen,  Applikation  starker 
Antiseptika  ja  sogar  des  Glüheisens  zu  berücksichtigen. 

Die  moderne  spezifische  Therapie  soll  sich  teils  gegen  die  Keime,  teils 
gegen  ihre  Produkte  wenden,  teils  die  phagozytäre  Leukozytentätigkeit  an¬ 
regen.  Solange  sie  aber  noch  unsichere  oder  gar  keine  Erfolge  aufweist, 
sind  wir  auf  die  Maßnahmen  angewiesen,  die  man  auch  heute  noch  unter 
dem  alten  Begriff  der  Derivantia  zusammenfassen  kann.  Man  wird  allerdings 
heute  mit  diesem  Begriff  nicht  bloß  die  Idee  einer  Ableitung  schädlicher 
Stoffe  aus  dem  Blute  durch  Schweiß,  Urin,  Stuhl,  Aderlaß  verbinden,  sondern 
die  komplizierten  organischen  Vorgänge  in  erweitertem  und  geläutertem  Sinne 
auffassen. 

Gr.  hebt  unter  diesen  Maßnahmen  vor  allem  das  initiale  heiße  Bad  mit 
nachfolgender  Schwitzprozedur  und  die  reichliche,  oft  in  kleinen  Mengen 
wiederholte  Flüssig  keits  zu  fuhr  durch  Mund  (Mastdarm  und  ev.  Haut) 
hervor.  Während  erstere  u.  a.  die  entzündeten  Gewebe  entspannt  und  wieder 
funktionstüchtig  macht,  bewirkt  letztere  eine  Diluierung  und  beschleunigte 
Ausschwemmung  der  Toxine  usw. 

Bei  Zuhilfenahme  dieser  Mittel  erreichte  er  außer  bei  anderen  Krank¬ 
heiten  auch  speziell  bei  Diphtherie  ohne  Serum  die  gleichen  Erfolge,  wie 
sie  von  der  Serumtherapie  beriehtet  werden.  Esch. 


Erythrämie. 

(J.  M.  Gordon.  Zeitschr.  für  klin.  Med.,  Bd.  68,  S.  1,  1909.) 

G.  beschreibt  aus  der  FFoorden’schen  Klinik  in  Wien  drei  Fälle 
von  Polycythämie  mit  (roter)  Zyanose  und  Milzschwellung.  Es  wurden 
auch  Respirationsversuche  angestellt  mit  dem  Resultat,  daß  die  gefundenen, 
um  4  ccm  O  und  von  2,7  bis  3,8  ccm  CO2  pro  Kilo  und  Minute  sich  bie- 


1258 


Referate  und  Besprechungen. 


wegenden  Werte  noch  als  normal  anzusehen  sind.  Die  eigentliche,  an  Zyanose 
erinnernde  „Rötung“  des  Gesichtes  und  der  Extremitäten  erklärt  G.,  wie 
andere,  aus  einer  Blutüberfüllung  der  Gewebe,  einer  Plethora  vera.  In  dem 
zu  vermehrter  Erythrozytenbildung  angeregten  Knochenmark  ist  allem  An¬ 
schein  nach  die  nächste  Ursache  der  Polycythämie  zu  suchen,  wobei  aber 
das  häufige  Unbeteiligtsein  der  Leukozyten,  des  leukoblastischen  Systems, 
auffallen  muß.  So  lautet  denn  auch  die  Definition  der  Erythrämie  vor¬ 
sichtig  :  ,,E.  ist  eine  Erkrankung  vorwiegend  des  erythroblastischen  Systems, 
welche  durch  eine  dauernde  Vermehrung  der  roten  Blutzellen  mit  den  Eolgen 
dieser  Vermehrung  ausgezeichnet  ist.“  H.  Vierordt  (Tübingen). 


Ueber  die  Palpation  des  normalen  Pylorus  und  der  normalen  großen  Kurvatur 
und  über  ein  neues  akustisches  Phänomen,  das  exspiratorische  Gurren. 

(Gausmann.  Praktitscheski  Wratsch,  Nr.  1 — 8,  1909.) 

Auf  Grund  seiner  Palpationsergebnisse,  deren  Technik  näher  beschrieben 
wird,  glaubt  Verfasser  mit  Bestimmtheit  behaupten  zu  können,  daß  der 
Pylorus  in  mindestens  18%  der  Fälle  getastet  werden  kann  und  zwar  als 
bald  weicher  schlaffer,  bald  mehr  kontrahierter  Zylinder,  an  welchem  zu 
Beginn  der  Erschlaffung  oder  am  Ende  der  Kontraktionsphase  meist  ein 
Kollern  oder  Spritzen  wahrgenommen  werden  kann.  Die  Technik  der  Tastung 
der  großen  Kurvatur,  welche  Verf.  als  Idealmethode  zur  Lagebestimmung 
des  Magens  bezeichnet,  besteht  in  der  tiefen  Palpation,  die  folgendermaßen 
ausgeführt  wird :  während  des  tiefen  Atmens  wird  sehr  allmählich  unter 
Ausnützung  jeder  Exstirpation  langsam  mit  den  Fingerspitzen  die  hintere 
Bauchwand  erreicht,  damit  das  aufliegende  Organ  für  die  Palpation  er¬ 
reichbar  wird.  In  die  erforderliche  Tiefe  gelangt,  machen  wür  mit  den 
Fingerspitzen  gleitende  Bewegungen  in  der  Richtung,  die  senkrecht  ist  zur 
Achse  des  zu  untersuchenden  Organs.  Die  Finger  gleiten  dabei  über  das 
der  hinteren  Bauchwand  anliegende  resp.  angedrückte  Organ.  Die  große 
Kurvatur  kann  in  mindestens  25%  der  darauf  untersuchten  Fälle  abgetastet 
werden.  Das  Phänomen  des  exspiratorischen  Gurrens  entsteht  in  dem  Moment, 
wio  der  die  große  Kurvatur  begrenzende  Magenstreifen  an  den  Fingern 
vorüberstreicht.  Es  entsteht  dadurch,  daß  die  Reihe  der  palpierenden  Finger 
eine  Scheidung  des  Magens  in  einen  unteren  und  oberen  Magenraum  bewirkt, 
von  denen  der  untere  sich1  bei  dem  exspiratorischen  Aufwärtssteigen  des 
Magens  verengt.  Auf  Grund  seiner  zahlreichen  Palpationsbefunde  gibt  Verf. 
an,  daß  die  große  Kurvatur  des  nioht  ptotischen  und  nicht  atoniselhe|n 
Magens  5 — 6  cm  oberhalb  des  Nabels  verläuft.  Die  Palpation,  wiei  sie  Verf. 
übt,  eignet  sich  besonders  auch’  dazu,  um  die  Zugehörigkeit  von  Tumoren 
zum  Magen  festzustellen.  J.  Lichtmann  (Köln). 


Aus  der  medizinischen  Universitäts-Klinik  in  Lausanne. 

Die  Behandlung  des  runden  Magengeschwürs  mit  Eisenchloridgelatine. 

(Prof.  Bourget.  Therap.  Monatsh.,  Nr.  7,  1909.) 

Die  Eisenchloridgelatine  wird  folgendermaßen  zubereitet:  Man  löst  bei 
milder  Wärme  100  g  Gelatine  in  100  g  Wasser  und  100  g  Glyzerin.  Nach 
vollständiger  Verflüssigung  werden  der  Flüssigkeit  schnell  50  g  flüssiges 
Eisenchlorid  zugesetzt.  Es  tritt  nun  eine  Art  Gerinnung  ein  mit  der  Bildung 
eines  Satzes,  der  sich  mit  der  übrigen  Flüssigkeit  schwer  mengt.  Unter 
beständigem  Umrühren  der  Masse  muß  das  Ganze  erwärmt  werden,  bis  es 
homogen  wird.  Alsdann  gießt  man  es  auf  Blechplatten,  die  in  kleine  Vier¬ 
ecke  von  1  jeem  eingeteilt  sind  (wie  der  Konditor  beim  Bereiten  von  Bonbons). 
Der  an  Ulcus  rotund.  Leidende  erhält  2  oder  3  von  diesen  Tabletten  tgl. ; 
2  bis  3  Stunden  nach  der  Mahlzeit,  nach  folgendem’  Schema :  8  Uhr  Früh-, 
stück:  Milch  und  Zwieback.  10  Uhr:  Eisenchloridgelatine.  10 y2  Uhr:  100  bis 
150  g  alkalinisches  Wasser.  12  Uhr:  Milchreis.  3  Uhr:  Eisenchloridgelatine. 


Referate  und  Besprechungen. 


1259 


3 Vs  Uhr:  150  g  alkalinisches  Wasser.  6  Uhr:  Milchreis.  9  Uhr:  Eisen- 
chloridgelatine.  10  Uhr:  alkalinisches  Wasser.  Die  Vorschrift  für  das  alka- 
linische  Wasser  lautet:  Rp.  Natr.  hicarb.  pur.  8,0,  Natr.  phosphor.  sicci  4,0, 
Na+r.  sulfur.  sicci  2,0,  M.  f.  p.  Dent.  t.  dos  Nr.  X.  Ds.  1  Pulver  in  11  Teilen 
kalten  Wassers  aufzulösen.  S.  Leo. 


Zur  Behandlung  des  Magengeschwürs. 

(Prof.  Dr.  W.  von  Leube,  Würzburg.  Deutsche  med.  Wochenschr.,  Nr.  22,  1909.) 

Leube  rekapituliert  zunächst  in  kurzen  Strichen  seine  Ulkuskur.  Die 
vier  Maßregeln  sind  1.  absolute  Bettruhe  1 — 2  Wochen  lang.  2.  Karlsbader 
Wasser  nüchtern  in  Menge  von  y4  Liter.  3.  Heiße  Kataplasmen  in  die  Magen¬ 
gegend,  die  tagsüber  11 — 12  Stunden  liegen  bleiben  sollen  und  des  Nachts  durch 
Prießnitzumschläge  ersetzt  werden.  Auch  Entstehung  von  Brandblasen  oder 
unangenehme  Empfindungen  halten  ihn  davon  nicht  ab,  nur  bei  Magen¬ 
blutungen  sind  sie  kontraindiziert  und  die  Eisblase  ist  am:  Platze.  4.  Schonungs¬ 
diät,  die  allmählich  an  Nährwert  steigt.  Alle  vier  Verordnungen  müssen 
zusammengehalten  werden,  wodurch  er  ein  Sinken  der  Mortalitätsziffer  auf 
1/2%  erzielt  hat.  Im  Gegensatz  zu  Lenhartz  hält  er  eine  strenge  Nahrungs¬ 
abstinenz  per  os  bei  profusen  Blutungen  für  unbedingt  nötig.  Er  verordnet 
dazu  Bettruhe,  einmalige  Dosis  von  30  Tropfen  einer  0,1  prozentigen  Adrenalin¬ 
lösung,  Eisblase,  Wismut  und  Morphininjektion.  Wenn  auch  Lenhartlz 
glaubt,  durch  geringere  Nahrungszufuhr  die  Magensäure  zu  binden  und  die 
peristal tischen  Bewegungen  des  Magens  zu  reduzieren,  so  ist  Leube  der 
Ansicht,  daß  zwar  dadurch  Säure  gebunden,  gleichzeitig  aber  Bildung  von 
Säure  angeregt  wird,  ferner  dürften  durch  die  Nahrungszufuhr  die  peri¬ 
staltischen  Bewegungen  angeregt  werden,  wozu  noch  kommt,  daß  derartige 
Bewegungen  doch  am1  besten  durch  Morphium  zu  unterdrücken  sind.  Die 
von  Lenhartz  befürchtete  Ausdehnung  des  Magens  durch  die  Milchzufuhr 
der  ersten  Kost  ist  wohl  völlig  ausgeschlossen,  da  diese  Kost  auf  5 — 6  Mahl¬ 
zeiten  am  Tag  verteilt  wird.  Was  die  Differenz  bezüglich  des  Nährwerts 
seiner  und  der  L  en  h  ar  tz’schen  Diätform  betrifft,  so  sind  sie  unbedeutend 
und  lassen  keine  Unterernährung  bei  der  seinen  befürchten.  Auch  eine  Ver¬ 
längerung  der  Behandlungsdauer  wird  nicht  dadurch  bedingt.  Eine  Ver¬ 
abreichung  von  Eisen  hält  er  wegen  der  schlechten  Bekömmlichkeit  nicht  für 
indiziert,  er  gibt  es  erst  1 — 2  Monate  nach’  Abheilung  des  Ulkus.  Die 
Seltenheit  der  Nachblutungen,  die  Lenhartz  für  seine  Methode  in  Anspruch 
nimmt,  gibt  Leube  zwar  zu,  glaubt  dafür  aber  nicht  die  Methode,  sondern 
die  lokalen  Verhältnisse,  z.  B.  Arrosion  eines!  größeren  Gefäßes  verantwortlich 
imachen  zu  müssen.  Während  der  einer  Blutung  folgenden  Zeit  gibt  er 
gleichfalls  kein  Abführmittel.  Er  faßt  seine  Erfahrungen  zum  Schluß  dahin 
zusammen,  daß  er  von  seiner  Methode  bei  nichtblutenden  Geschwüren  nicht 
a.bgehen  kann,  während  er  bei  blutenden  Geschwüren  zugibt,  daß  man  auch 
mit  der  Len  har  tz’schen  Methode  gute  Erfolge  erzielt,  aber  doch  darin  auch 
nicht  ^u  weit  gehen  darf.  F.  Walther. 


Winter-Erbrechen. 

(Kusch ew.  Praktitscheski  Wratsch,  Nr.  2,  1909.) 

Beschreibung  von  fünf  Eällen,  die  seit  2 — 10  Jahren  regelmäßig  im 
Winter  an  Erbrechen  gelitten  haben.  Die  Fälle  betrafen  vier  Frauen  und 
ieinen  Mann,  die  im  Alter  von  27 — 60  Jahren  standen.  In  einem  Falle 
wurde  eine  Hypersekretion  und  eine  leichte  Hyperazidität  des  Magensaftes 
festgestellt.  Verf.  hält  sich  für  berechtigt,  die  Krankheit  als  eine  selb¬ 
ständige  zu  bezeichnen,  wie  etwa  die  paroxysmale  Hämoglobinurie  oder  Pruritus 
hiemalis.  Wovon  das  Leiden  abhängt,  vermag  Veif.  nicht  zu  entscheiden;  wahr¬ 
scheinlich  ist  das  Nervensystem  beteiligt,  indem  die  Reizung  der  peripheren 
Nervenendigungen  der  Haut  oder  vielleicht  der  Schleimhaut  durch  die  Kälte 


1260 


Referate  und  Besprechungen. 


reflektorisch  den  Magennerven  mitgeteilt  wird,  wodurch  das  Erbrechen  her¬ 
vorgerufen  wird.  Diese  Annahme  erscheint  wahrscheinlich,  wenn  wir  daran 
'denken,  wie  oft  und  wie  leicht  das  Erbrechen  reflektorisch  hervorgerufen 
wird,  z.  B.  bei  der  Gravidität,  Erkrankungen  der  weiblichen  Genitalien,  der 
Leber,  Niere  und  dergleichen.  J.  Lichtmann  (Köln). 


Frühdiagnose  eines  Flexurkarzinoms  durch  rektale  Endoskopie. 

(Arthur  Foges.  Med.  Klinik,  Nr.  10,  1909.) 

Krankengeschichte  eines  55jährigen  Herrn,  bei  dem  es  durch  Anwen¬ 
dung  der  rektalen  Endoskopie  gelang,  26  cm  oberhalb  der  Analöffnung  einen 
bohnengroßen  leicht  blutenden  Tumor  nachzuweisen,  der  sich  bei  der  opera¬ 
tiven  Entfernung  ungefähr  im  Scheitel  der  Elexura  sigmoidea  vorfand  und 
mikroskopisch  als  ein  typisches  Adenokarzinom  erwies.  Bemerkenswert  in 
klinischer  Beziehung  an  dem  Falle  war  außerdem,  daß  bei  dem  Kranken 
mehrfache  Anfälle  beobachtet  wurden,  welche  mit  allgemeinem  Unbehagen, 
Appetitlosigkeit,  Aufstoßen,  leichter  Temperatursteigerung,  mäßigen  kolik¬ 
artigen  Schmerzen  und  umschriebener  Druckempfindlichkeit  an  einer  be¬ 
stimmten  Stelle  im  linken  Hypogastrium  und  Blähung  im  Kolon  einhergingen 
und  demnach  als  rezidivierende  unvollständige  Darmokklusion  gedeutet  werden 
konnten.  Und  es  erscheint  in  der  Tat  bemerkenswert,  wie  auch  der  den 
Kranken  operierende  Kollege  (Dr.  Schnitzler)  betont,  daß  ein  Tumor  von 
dieser  Kleinheit  schon  zu  Kanalisationsstörungen  und  Erscheinungen  vorüber¬ 
gehender  Darmstenose  führen  konnte,  woraus  folge,  daß  im  Bereiche  des. 
Darmtraktus  derartige  Störungen  dem  Auftreten  eines  palpablen  Tumors 
um  Monate,  vielleicht  um  Jahre,  vorausgehen  können.  R.  Stüve  (Osnabrück). 


Aus  dem  Augustahospital  in  Bochum  (Chefarzt:  San. -Rat  Dr.  v.  Bardeleben). 

Ueber  einen  Fall  von  akutem  Hydrops  der  Gallenblase  bei  Scharlach. 

(Dr.  Montenbruck.  Deutsche  med.  Wochenschr.,  Nr.  24,  1909.) 

Ein  fünfjähriger  Knabe  erkrankte  an  Scharlach,  wozu  nach  zwei  Tagen 
heftiges  Erbrechen  und  starke  Leibschmerzen  traten,  welch  letztere  unter 
hohem  Fieber  8 — 9  Tage  anhielten.  Da  eine  Dämpfung  in  der  rechten  Bauch¬ 
seite  konstatiert  wurde,  kam  das  Kind  ins  Krankenhaus,  wo  ein  stark 
aufgetriebener  Leib  mit  starker  Druckempfindlichkeit,  besonders  in  Leber¬ 
und  Gallenblasengegend  festgestellt  wurde.  Die  wegen  der  unsicheren  Diagnose 
und  des  schwerkranken  Eindrucks  vorgenommene  Probelaparotomie  ergab  eine 
etwa  dreifaustgroße  prall  gefüllte  Gallenblase,  aus  der  ca.  250  ccm  grünliche, 
fadenziehende,  sterile  Galle  entfernt  wurde.  Ein  Stein  fand  sich  nicht.  Nach 
Ausführung  der  Cholezystektomie  wurde  die  Bauchwunde  geschlossen.  Der 
weitere  Verlauf  war  normal.  Es  kam  noch  zu  leichter  Abschuppung.  Verf. 
teilt  den  Fall  mit,  weil  er  einte  Beteiligung  der  Gallenblase  bei  Scharlach 
in  der  Literatur  nirgends  gefunden  hatte.  F.  Walther. 


Ueber  Gaumengeschwüre  bei  Abdominaltyphus. 

(J.  Novotny.  Wiener  klin.  Wochenschr.,  Nr.  22,  1909.) 

In  den  letzten  zehn  Jahren  wurden  auf  der  III.  med.  Klinik  zu  Wien 
102  Typhusfälle  beobachtet,  darunter  bei  24  Larynxaffektionen  ==  23,52%, 
mehr  oder  weniger  ausgesprochene  Ulzerationen  in  6  Fällen  =  5,85%.  In 
dem  letzten  von  Novotny  beobachteten  Falle  wurde  nebst  Typhusbazillem* 
im  Blut,  Fäzes  und  Harn  und  den  Gaumengeschwüren  Paratyphusbazillus  B 
reingezüchtet  und  serologisch  als  solcher  festgestellt.  (Bef.  hat  auf  der  Bauep- 
schen  Klinik  in  München  in  l1/2  Jahren  zwei  Fälle  von  Typhus  mit  Ge¬ 
schwüren  auf  den  vorderen  Gaumenbogen  gesehen ;  einer  davon  ist  in  einer 
Dissertation  von  C.  Faßhauer,  München  1898,  veröffentlicht.) 

M.  Kaufmann  (Mannheim). 


Referate  und  Besprechungen. 


1261 


Chirurgie. 

lieber  Appendizitis  im  Kindesaiter. 

(Carl  Springer.  Prager  med.  Wochenschr.,  Nr.  7  u.  8,  1909.) 

Aus  der  sehr  lesenswerten  Arbeit  geht  zunächst  hervor,  daß  die  bis¬ 
her  erst  vom  zehnten  Lebensjahre  an  statistisch  festgestellte  starke  Erkran¬ 
kungsfrequenz  des  jugendlichen  Alters  an  Appendizitis  in  späteren  Berech¬ 
nungen  sich  bis  zum  fünften  Lebensjahre  hinunter  verschieben  dürfte,  daß 
demnach  [mit  diesem  Alter  die  größere  Häufigkeit  der  Erkrankungen  an 
Appendizitis  einsetzt.  —  Aus  dem  Umstande,  daß  der  Wurmfortsatz  bei 
Kindern  relativ  größer  ist  als  bei  Erwachsenen,  läßt  sich  zwar  keine  er¬ 
höhte  Infektionsmöglichkeit  ableiten,  wohl  aber  ergeben  sich  daraus  bemer¬ 
kenswerte  Eigentümlichkeiten  für  die  Diagnose  und  den  Verlauf  der  Krank¬ 
heit  im  kindlichen  Alter.  Da  die  Appendix  infolge  ihrer  Länge  und  wegen 
der  tieferen  Lage  des  Cöcums  mit  ihrer  Spitze  in  der  Regel  im  kleinen 
Becken  liegt,  so  kann  erstens  der  Druckschmerz  am  Mac-Burney’schen  Punkt 
fehlen  und  an  einer  tieferen  Stelle  von  den  Bauchdecken  auszulösen  sein, 
oder  es  kann  die  schmerzhafte  Appendix  überhaupt  erst  vom  Anus  her 
tastbar  sein,  und  zwar  /oft  mit  großer  Deutlichkeit,  weshalb  diese  Unter- 
suchungsart  im  Kindesalter  sehr  wichtig  und  daher  nie  zu  versäumen  ist. 
Ferner  hängt  es  mit  der  anatomischen  Lage  und  Beschaffenheit  der  Ap- 
dix  zusammen,  daß  der  perityphlitische  Abszeß  überwiegend  den  Vesical- 
typus  zeigt  und  daß  die  Harnblase  so  ständig  in  Mitleidenschaft  gezogen 
wird,  und  zwar  nicht  nur  in  akuten  Fällen,  sondern  auch  oft  bei  Fällen, 
mit  protrahiertem  Verlauf,  sogar  so,  daß  Erscheinungen  der  Blase  als  schein¬ 
bar  selbständiges  Krankheitsbild  fortbestehen  können.  —  Im  Gegensatz  zu 
den  Fällen  des  späteren  Alters  ist  beim  Kinde  der  Beginn  der  akuten  Ap¬ 
pendizitis  viel  regelmäßiger  ein  plötzlicher  'mit  stürmischen  Anfangssymptomejn. 
—  Für  die  Diagnose  komüien  in  erster  Linie  die  bekannten  Symptome  (Er¬ 
brechen,  bei  Kindern  fast  nie  fehlend,  heftige,  gegen  den  Nabel  hin  loka¬ 
lisierte  Schmerzen,  Druckschmerz  am  klassischen  Punkte  bez.  tiefer,  Schmerz¬ 
haftigkeit  der  Appendix  bei  Untersuchung  vom  Rektum  her(!),  Muskelspan- 
nung,  Erhöhung  der  Temperatur  und  Pulsfrequenz)  in  Betracht,  die  Leuko¬ 
zytenzählung  ist  von  S!p  ringer  in  den  letzten  Jahren,  weil  nicht  verlä߬ 
lich  genug,  aufgegeben  worden,  ohne  daß  er  sie  vermißt  hätte ;  sehr  gering 
sind  die  Angaben  über  Verhalten  des  Stuhlganges  für  die  Diagnose  der  Ap¬ 
pendizitis  im  Kindesalter  zu  bewerten.  —  Die  Differentialdiagnose  hat  im 
Kindesalter  zwar  ein  geringeres  Feld  in  Bezug  auf  die  in  Betracht  zu  ziehenden 
Krankheiten  abzugrenzen,  ist  dafür  aber  unter  Umständen  erschwert  durch 
die  kleinen  Verhältnisse.  Abgesehen  davon,  daß  Mädchen  viel  seltener  er¬ 
kranken  als  Knaben  (nach  Springer’s  Fällen  etwa  im  Verhältnis  1:3),  ent¬ 
fallen  für  die  Differentialdiagnose  fast  die  gesamten  Genitalerkrankungen 
des  Weibes  mit  Ausnahme  der  Salpingitiden.  Von  selteneren  Erkrankungen 
abgesehen,  kommen  Intussuszeption  und  vor  allem  Pneumonien,  da  diese  öfters 
mit  Schmerzen  in  der  Blinddarmgegend  einhergehen,  und  Darmkoliken  in 
Frage ;  letztere  sind  besonders  bedenklich,  wjeil  sie  oft  eine  entsprechende 
Therapie  der  Appendizitis  versäumen  lassen.  —  Zur  Differentialdiagnose 
in  letzteren  Fällen  empfiehlt  Springer  trockene,  heiße  Packungen  des  Lei¬ 
bes  für  2 — 3  iStunden,  wodurch  der  Kolikschmerz  meist  beseitigt  wird,  wäh¬ 
rend  appendizitischer  Druckschmerz,  sowie  Bauchdeckenspannung  unbeein¬ 
flußt  bleiben. 

Was  nun  die  Therapie  betrifft,  so  tritt  Spr.  im  allgemeinen  für  die 
prinzipielle  Frühoperation  ein ;  d.  h.  Operation  innerhalb  der  ersten  48  Stun¬ 
den.  Er  faßt  seinen  .Standpunkt  in  folgenden  Worten  zusammen:  „Wenn 
man  die  Wahl  hat,  innerhalb  der  ersten  48  Stunden  mit  ca.  5%  Mortalität 
(nach  eigenem  kleinen  Material  sogar  0%,  trotzdem  die  operierten  .Fälle 
meist  recht  schwer  waren)  zu  operieren,  den  Patienten  in  2  3  Wochen  her¬ 

zustellen  und  ihn  gleichzeitig  vor  jedem  Rezidiv  zu  sichern,  bei  konservativer 
Behandlung  dagegen  zirka  10%  Mortalität  (nach  eigenem  Material  872%)» 


1262 


Referate  und  Besprechungen. 


weitere  25%  wochenlang  den  „Reizen“  ihrer  Abszesse  auszusetzen,  die  wir 
schließlich  doch  aufm  ach  en  müssen,  ganz  abgesehen  von  der  Gefahr  der 
Rezidive,  die  ziffermäßig  darzustellen  ein  Wagnis  wäre,  da  kann  diese  Wahl 
nicht  schwer  fallen.“  —  Nach  Ablauf  des  zweiten  Tages,  also  vom  dritten 
Tage  an,  erscheint  die  konservative  Behandlung  mit  Bettruhe,  Einpackung, 
Opium,  das  bis  dahjin  am  besten  zu  meiden  ist,  eventuell  mit  Kochsalz¬ 
infusionen  mit  2 — 4  Tropfen  einer  Adrenalinlösung  von  1:1000  bei  Kindern 
die  bessere.  —  Vor  der  Anwendung  von  Abführmitteln  warnt  Springer  auf 
das  dringendste.  —  Die  Anzeigen  zur  Intervalloperation  sind  beim  Kinde 
mindestens  ebenso  weit  zu  nehmen  als  beim  Erwachsenen,  d.  h. jeder  Fall, 
der  eine  ausgesprochene  Attacke  hatte,  jeder  Fall  mit  Beschwerden,  die  auf 
chronische  Appendizitis  hin  weisen,  soll  unbedingt  operiert  werden. 

R.  Stüve  (Osnabrück). 

— 

Aus  dem  Städtischen  Krankenhause  in  Oberstein. 

lieber  die  Gefahren  des  Bier’schen  Stauungsverfahrens. 

(Dr.  Arthur  Schäfer.  Deutsche  med.  Wochenschr.,  Nr.  19,  1909.) 

Schäfer  hält  die  Beschränkung  der  Bier’schen  Therapie  auf  die 
Krankenhäuser  nicht  für  notwendig.  Durch  zwei  Beobachtungen  möchte  er 
aber  auf  die  eventuellen  Gefahren  der  Methode  aufmerksam  machen.  In  dem 
einen  Falle  erlebte  er  bei  vollkommen  richtiger  Anwendung  der  Technik  eine 
Neuritis  des  Nervus  ulnaris  innerhalb  des  gestauten  Gebietes.  Er  rät  zu 
sorgfältigster  Kontrolle  und  bei  Eintreten  peripherer  Nervenstörungen  zur 
Anlegung  der  Staubinde  weit  ober-  oder  unterhalb  der  bisher  umwickelten 
Stelle.  Ist  dies  nicht  möglich,  soll  das  Verfahren  überhaupt  abgebrochen 
wterden.  In  einem  zweiten  Falle  hatte  ein  bedauerlicher,  aber  auf  Grund 
der  beigefügten  Röntgenbilder  verständlicher  Irrtum  dazu  geführt,  einen 
später  noch  operativ  entfernten  malignen  Tumor  des  Femur  mit  dem  Bier’schen 
Stauungsverfahren  zu  behandeln.  In  früheren  Zeiten,  ehe  man  das  Bier’sche 
Verfahren  kannte,  wäre  jedenfalls  der  Irrtum  eher  erkannt  und  die  richtige 
Therapie  eingeschlagen  worden.  Schäfer  warnt  daher,  das  an  sich  segen¬ 
bringende  Verfahren  ohne  strengste  Indikationsstellung  anzuwenden. 

F.  Walther. 


Rezidivoperation  bei  Trigeminusneuralgie. 

(Konrad  Bii dinge r.  Deutsche  Zeitschr.  für  Chir.,  Bd.  99,  H.  1  u.  2.) 

Bei  einem  an  schwerster  Trigeminusneuralgie  leidenden  Patienten,  bei 
welchem  die  Resektion  des  N.  alveolaris  und  lingualis,  sowie  die  Resektion 
des  dritten  Astes  an  der  Schädelbasis  nur  einen  vorübergehenden  Erfolg 
hatten,  wurde  nach  temporärer  Wegnahme  des  Jochbogens  die  Schädelbasis 
neben  dem  Föramen  ovale  eröffnet,  die  verbindende  )Knochenbrücke  weg¬ 
geschlagen,  der  kolbig  verdickte  Nervenstumpf  freigelegt  und  beim  Eintritt 
in  das  Ganglion  durchschnitten.  Das  Foramen  ovale  wird  durch  Einfügung 
des  resezierten  Knochenstücks  verschlossen.  Nach  3y2  Jahren  besteht,  ab¬ 
gesehen  von  leichten  Parästhesien  am  linken  Mundwinkel,  noch  völlige  Heilung. 
—  Das  Wesentliche  der  Technik  liegt  in  dem  anscheinend  von  Erfolg  ge¬ 
krönten  Versuch,  durch  Verschluß  des  Foramen  ovale  den  neu  sich  bildenden 
Nervenfasern  den  Weg  zu  verrammeln.  Man  hat  das  Ziel  durch  Einfügung 
von  Wachs,  Paraffin,  Silberknöpfen,  Staniol  u.  a.  m.  in  das  Foramen  ovale 
zu  erreichen  versucht.  Der  tatsächliche  Effekt  des  Verfahrens  wurde  durch' 
Perthes  experimentell  insofern  erwiesen,  als  er  beim  Hunde  zeigen  konnte, 
daß  bei  Goldplombenverschluß  eine  Regeneration  der  Nervenfasern  ausblieb, 
während  der  Nerv  auf  der  nicht  verschlossenen  Seite  regenerierte;  die  Methode 
darf  deshalb  empfohlen  werden,  um  so  mehr  als  der  Beweis  dafür,  daß  eine 
Erweiterung  des  Kanals  ohne  Resektion  des  Nerven  die  Trigeminusneuralgie 
mit  Sicherheit  heilt,  bisher  noch  aussteht.  F.  Kayser  (Köln). 


Referate  und  Besprechungen. 


1263 


Ueber  Knochenpanaritien. 

(W.  Ohm,  Berlin.  Deutsche  Zeitschr.  für  Chir.,  Bd.  99,  H.  1  u.  2.) 

Über  die  Behandlung  der  Knochenpanaritien  ist  bisher  eine  Überein¬ 
stimmung  nicht  erzielt  wiorden.  Verf.  berichtet  über  das  in  der  Bier’schen 
Klinik  geübte  weitgehende  konservative  Verfahren  mit  Saugglas  und  Stau¬ 
ungsbinde,  Die  Technik  des  Verfahrens  ist  folgende:  kleine  dem  Eiter  Ab¬ 
fluß  gewährende  Inzision;  täglich  3/4 ständiger  Gebrauch  des  Saugglases 
(5  Minuten  Saugung,  abwechselnd  mit  3  Minuten  Pause)  oder  20— 22  ständige 
tägliche  Bindenstauung  (1 — 2  mal  wöchentlich  24stündige  Stauungspause). 

Es  ergab  sich  eine  Behandlungsdauer :  bei  12  operativ  behandelten  Fällen 
von  40,3  Tagen;  bei  20  konservativ  mit  Saugglas  behandelten  Fällen  von 

35,6  Tagen;  bei  33  konservativ  mit  Stauungsbinde  behandelten  Fällen  von 

23,5  Tagen.  Daraus  ergibt  sich  (aber  doch  wohl  nur  unter  der  Voraussetzung 
gleich  schwerer  Fälle?  Ref.)  die  Überlegenheit  der  Stauungshyperämie,  Rechnet 
man  ferner  hinzu,  daß  die  Behandlung  schmerzlos  ist,  vor  Knochennekrosienj 
bewahrt  oder  doch  zu  geringerer  Sequestrierung  führt,  keine  Schädigung 
durch  das  Messer  setzit  und  ein  gutes  funktionelles  Resultat  sichert,  so  darf 
die  Stauungstherapie  wohl  als  ein  dankbares  Objekt  der  Behandlung  der 
Knochenpanaritien  bezeichnet  werden. 

Es  ist  gewiß  überraschend,  wenn  bei  33  ossalen  Panaritien,  in  denen  die 

Phalanx  mehr  oder  weniger  ergriffen  war,  in  nahezu  50%  die  Erhaltung  des 

Knochens  gelang;  andererseits  steht  aber  eine  Bestätigung  dieser  günstigen  Er¬ 
fahrungen  von  anderer  Seite  noch  aus.  F.  Kayser  (Köln). 


Elektrolyse  des  Furunkels  und  Galvanisation  der  Epididymitis. 

(Ferdinand  Becker.  Med.  Klinik,  Nr.  6,  1909.) 

Becker  weist  mit  seinem  kleinen  Aufsatz  auf  zwei  schon  bekannte, 
mit  einfachen  Hilfsmitteln  ausführbare  Anwendungsverfahren  des  galvani¬ 
schen  Stromes  von  neuem  hin,  weil  sie  in  den  neuesten  einschlägigen  Lehr¬ 
büchern  der  Dermatologie  keine  Erwähnung  finden.  —  Die  elektrolytische 
Behandlung  des  Furunkels  eignet  sich  besonders  für  die  im  Gesicht  sitzenden. 
Das  Verfahren  ist  folgendes:  Während  der  Patient  die  mit  Salzwasser  ge¬ 
tränkte  Anode  in  der  Hand  hält,  wird  die  Kathodennadel  bereits  unter 
schwachem  Strom  (0,2  Milliampere)  an  dem  am  meisten  empfindlichen  Punkte 
eingestochen,  dann  der  Strom  bis  afuf  1  oder  2  Milliampere  gesteigert ;  so 
läßt  man  ihn  3 — 5  Minuten  einwirken  unter  leichten  Bewegungen  der  Nadel, 
um  den  Einstich  zu  erweitern.  Dann  läßt  man  den  Strom  auf  Null  abschwel¬ 
len  und  ihn  nach  Wendung  wieder  auf  2  Milliampere  ansteigen,  wobei 
die  Nadel  (jetzt  Anode)  nicht  bewegt  werden  soll.  Nach  3  Minuten  wird 
die  Nadel  ebenso  wieder  für  3 — 5  Minuten  zur  Kathode  gemacht.  Nach  Ent¬ 
fernung  der  sich  leicht  lösenden  Wundfetzen  folgt  Ausstopfen  des  kleinen 
Wundkanals  mit  steriler  Gaze  (Sekretabfluß)  und  Verband.  Je  nach  Bedarf 
ist  die  Elektrolyse  am  nächsten  oder  übernächsten  Tage  zu  wiederholen.  — 
Die  Schmerzhaftigkeit  des  Verfahrens  ist  sehr  gering.  Becker  wendet  es 
seit  2  Jahren  fast  ausschließlich  an  und  es  eignet  sich  auch  für  beginnende 
Furunkel,  die  schnell  zum  Zerfall  gebracht  werden.  —  Mitteilungen  über  die 
elektrische  Behandlung  des  gonorrhoisch  entzündeten  Nebenhodens  reichen) 
schon  in  das  Jahr  1869  zurück,  und  es  hat  sich  besonders  die  französische 
Literatur  mit  dem  Gegenstände  beschäftigt.  Trotzdem  ist  die  einfache  Be¬ 
handlung,  wie  die  mitgeteilten  (9)  Krankengeschichten  zeigen,  von  geradezu 
verblüffendem  Erfolge.  Diese  besteht  in  einer  Galvanisation  des  erkrankten 
Nebenhodens  für  die  Dauer  von  3 — 5  Minuten  mit  einer  Stromstärke  von 
0,2  Milliampere,  die  nötigenfalls  am  folgenden  oder  einem  der  nächsten  Tage 
und  öfter  wiederholt  wird;  meist  waren  när  2 — 3  Sitzungen  notwendig, 
so  daß  die  ganze  Behandlungsdauer  sich  auf  nur  5 — 8  Tage  beschränkte, 


1264 


Referate  und  Besprechungen. 


wobei  es  von  nicht  zu  unterschätzendem  Vorteile  ist,  daß  die  Kranken  ambu¬ 
lant  behandelt  werden  können,  und  Schmerzfreiheit  schon  meist  nach  2  Tagen' 
eintritt.  R.  Stüve  (Osnabrück). 


Gynäkologie  und  Geburtshilfe. 

Metastasen  im  Herzen  bei  Uteruskarzinom. 

(H.  Offergeld,  Frankfurt  a.  M.  Beiträge  zur  Geburtsh.  u.  Gyn.,  Bd.  13,  H.  3.) 

Die  Arbeit  bezieht  sich  auf  18  größere  Statistiken  über  Uteruskarzinom. 
Bei  7071  Fällen  wurden  nur  17  mal  (d.  h.  in  0,24%)  Metastasen  im  Herzen 
beobachtet.  12  betrafen  das  Myo-,  5  das  Perikard. 

Das  Endokard  erkrankt  auf  dem  hämatogenen  Wege,  das  Myokard  auf 
dem  direkten  hämatogenen  oder  dem  retrograden  hämatogenen  von  den  Koro¬ 
narvenen  aus ;  das  Perikard  auf  dem  hämatogenen  oder  dem  retrograden  lym- 
phogenen  Weg  von  der  Lunge  oder  der  Pleura  aus. 

Im  linken  Herzen  sitzen  die  Endokard-,  im  rechten  Herzen  die  Myo¬ 
kardmetastasen.  Es  ist  verständlich,  daß  von  der  primären,  von  der  Musku¬ 
latur  in  den  Ventrikel  durchgebrochenen  Herzmetastase  sekundäre  Metastasen 
im  Gebiet  des  großen  und  kleinen  Kreislaufes  entstehen. 

Die  Herzmetastasen,  die  wahrscheinlich  erst  sehr  spät,  erfolgen,  finden 
sich  fast  nur  bei  Zervix-  und  Collumkarzinom,  bei  Fällen,  die  vorgeschrittene 
Kachexie  und  allgemeine  Karzinose  zeigen.  Sie  machen  keine  ausgesprochenen 
klinischen  Symptome  und  sind  ausschließlich  autoptischer  Befund. 

Die  kurze  Besprechung  Verf’s.  ist  verdienstlich,  weil  sie  auf  ein  auch 
von  seiten  der  Pathologie  bisher  sehr  vernachlässigtes  Wissensgebiet  Licht  wirft. 

F.  Kayser  (Köln). 


Ueber  seltene  Metastasen  des  Uteruskarzinoms.  (Muskulatur,  Ureter, 

Drüsen,  Mediastinum.) 

(Offergeld,  Frankfurt  a.  M.  Monatsschr.  für  Geb.  u.  Gyn.,  Bd.  29,  S.  181.) 

O.  hat  sich  der  mühevollen  Aufgabe  unterzogen,  die  seltenen  Metastasen 
des  Uteruskarzinoms  in  den  oben  genannten  Organen  aus  der  Literatur 
zusammenzustellen  und  kommt  zu  folgenden  Schlüssen :  Die  Metast  isen  in 
der  quergestreiften  Muskulatur  sind  enorm  selten,  häufiger  in  den  glatten 
Muskeln  (Myokard).  Sie  finden  sich  nur  bei  weit  vorgeschrittener  Er¬ 
krankung  und  entstehen  auf  hämatogenem  Wege;  ihre  klinischen  Symptome 
sind  meist  sehr  gering.  Die  Ureter  wand  besitzt  eine  gewisse  Immunität 
gegen  Karzinom.  Über  die  Wege  der  Ausbreitung  und  den  klinischen  Ver¬ 
lauf  ist  nichts  Sicheres  bekannt)  ,Das  sekundäre  Karzinom  des  Ductus 
thoracicus  ist  beim  Uteruskarzinom  häufiger;  es  entsteht  nur  lymphogen 
durch  Vermittlung  der  Plexus  inguinales,  hypogastrici  und  lumbales  und 
kann  dann  Anlaß  zu  weiteren  hämatogenen  Metastasen  geben.  Durch  Ver¬ 
mittlung  des  Ductus  thoracicus  können  auf  lymphogenem  Wege  Metastasen 
der  supra-  und  infraklavikulären  Drüsen  entstehen,  aber  nur  bei  aus¬ 
gedehnter  Erkrankung  anderer  Drüsen.  Wegen  der  anatomischen  Verhält¬ 
nisse  ist  die  linke  Seite  bevorzugt.  Die  metastasische  Erkrankung  des  Me¬ 
diastinums  selbst  ist  sehr  selten,  häufiger  erkranken  die  mediastinalen 
Lymphdrüsen.  —  Alle  diese  seltenen  Metastasenformen  werden  durch  exaktere 
Sektionstechnik  eventl.  häufiger  nachgewiesen  werden  können. 

Frankenstein  (Köln). 


Zur  Therapie  und  Prognose  der  Placenta  praevia. 

(Dr.  Richter,  Dresden.  Zentralbl.  für  Gyn.,  Nr.  22,  1909.) 

Verf.  berichtet  über  83  Fälle  von  Placenta  praevia.  In  24  Fällen  kam 
der  Eihautstich,  in  11  Fällen  die  Metreuryse,  in  22  Fällen  Braxton  Hicks  zur 
Anwendung.  Es  wurden  39  lebende  Kinder  gewonnen.  Von  den  83  Entbun- 


Referate  und  Besprechungen. 


1265 


denen  kam  nur  eine  Frau,  die  in  schwer  infiziertem  Zustand  der  Klinik 
zuging,  zum  Exitus.  Die  Morbidität  betrug  26,5%. 

Auf  Grund  dieser  Erfahrungen  warnt  Verf.  nachdrücklichst  vor  den 
von  der  Freiburger  Klinik  ausgehenden  Maximen,  die  Placenta  praevia  blutig 
operativ  zu  behandeln.  Die  hjohe  kindliche  Mortalitätsziffer  kann  bei  der) 
Beurteilung  der  Frage  nicht  in  Betracht  kommen,  da  auch  die  bei  Placenta 
praevia  lebend  geborenen  Früchte  nicht  mit  Sicherheit  am  Leben  erhalten 
werden;  sie  sind  zumeist  unreif.  Unter  den  83  Kindern,  über  welche  Verf. 
berichtet,  befanden  sich  nur  33  nach  Maß  und  Gewicht  ausgewachsene  Kinder ; 
Vs  der  Kinder  starb  während  oder  kurz  nach  der  Geburt.  Die  Behandlung 
der  Placenta  praevia  wird  ferner  stets  die  Domäne  des  praktischen  Arztes 
bleiben;  die  Fälle,  die  bei  der  ersten  geringen  Blutung  die  Hilfe  des  Krannken- 
hauses  aufsuchen,  bilden  sicher  immer  die  Ausnahme  der  Regel.  Darum 
heißt  es,  wenn  man  die  Frage  der  Behandlung  der  Placenta  praevia  generell 
erörtert,  nicht  chirurgische  Verfahren  an  die  Stelle  alter  bewährter  Methoden 
setzen,  sondern  die  für  den  praktischen  Arzt  geeigneten  Methoden  ausbilden, 
d.  h.  Verfahren,  die  mit  dem  jederzeit  zur  Verfügung  stehenden  Instrumen¬ 
tarium  durchführbar  sind:  der  desinfizierten  Hand  des  Arztes. 

F.  Kayser  (Köln). 


Die  Röntgentherapie  in  der  Gynäkologie. 

(Albers-Schönberg,  Hamburg.  Zentralbl.  für  Gyn.,  H.  2,  1909.) 

Ein  Fall  von  tödlicher  Myomblutung  nach  Röntgenbestrahlung. 

(F.  Spaeth,  Hamburg.  Zentralbl.  für  Gyn.,  Nr.  20,  1909.) 

Auf  dem  Gebiet  der  Gynäkologie  hat  die  Röntgentherapie  bis  jetzt 
nichts  Wesentliches  geleistet.  Anknüpfend  an  die  von  anderer  Seite  (be¬ 
sonders  von  Foveau  de  Courmelhe)  gebrachten  Beobachtungen  hat  Albers- 
Bchönberg  den  Einfluß  der  Röntgenbestrahlung  auf  myomkranke  Frauen 
nachgeprüft  und  sowohl  bei  älteren  Frauen  wie  bei  einer  jüngeren  Frau 
Myomblutungen  und  ihre  Nebenerscheinungen  mit  bestem  Erfolg  behandelt. 
Die  Blutungen  verschwanden  schon  nach  etwa  fünf  Sitzungen,  der  Ausfluß 
wurde  beseitigt,  der  Blutbefund  kehrte  zur  Norm  zurück,  der  Allgemein-: 
zustand  hob  sich.  Objektiv  war  eine  mitunter  sehr  beträchtliche  Verkleinerung 
der  Geschwülste  nachzuweisen.  - 

Die  Technik  war  folgende:  Rückenlage;  harte  Röhren  (etwa  Walter 
b — -8) ;  Focus-Hautabstand  38  cm.  Einstellung  der  Kompressionsblende  in  die 
Mitte  zwischen  Nabel  und  Symphyse. 

Bestrahlt  wurde  in  der  Mitte  zwischen  zwei  Menstruationen  an  vier 
aufeinanderfolgenden  Tagen  je  sechs  Minuten ;  nach  ldtägiger  Pause  wurde 
eine  zweite,  dreitägige  Serie  von  Bestrahlungen  von  je  sechs  Minuten  einen 
um  den  anderen  Tag  angeschlossen.  Im  Minimum  erzielten  13,  im  Maximum 
23  Sitzungen  einen  Dauererfolg.  Wegen  der  Gefahr  des  Haarausfalls  und 
einer  eintretenden  Reizung  der  Augen  ist  besonderer  Schutz  des  Gesichts 
durch  Vorsetzen  eines  mit  Blei  benagelten  Brettes  erforderlich. 

Über  das  Wesen  der  Wirkung  läßt  sich  ein  bestimmtes  Urteil  zurzeit 
nicht  fällen.  Der  Einfluß  auf  die  Ovarien  läßt  sich  als  ätiologisches  Moment 
deshalb  nicht  annehmen,  da  die  Wirkung  zu  einer  Zeit  eintritt,  zu  der  Ver¬ 
änderungen  in  den  Ovarien  kaum  eingetreten  sein  können.  Gerade  deshalb 
beansprucht  die  Mitteilung  Spaeth’s  besonderes  Interesse,  Es  handelt  sich 
um  eine  47  jährige  die  Operation  verweigernde  Patientin  mit  einem  anscheinend 
submukösen,  bis  zwei  Querfinger  über  den  Nabel  reichenden  Myom,  die  nach 
etwa  sechs  Jahre  bestehenden  starken  Blutungen  der  Röntgenbestrahlung 
durch  Albers  -  Scü-Änlber'g  unterworfen  wurde.  Den  vier  ersten  Bestrah¬ 
lungen  folgte  eine  heftige  Blutung;  weiteren  drei  Bestrahlungen  eine  so 
starke  Blutung,  daß  trotz  sofortiger  Ausschabung  und  Tamponade  der  Tod 
der  Patientin  eintrat.  Die  Untersuchung  der  kurettierten  Massen  ließ  keine 

80 


1266 


Referate  und  Besprechungen. 


Veränderungen  maligner  Natur  erkennen.  Eine  Obduktion  wurde  nicht  ge¬ 
stattet. 

Die  Beobachtung  ist  gewiß  der  Mitteilung  wert,  da  sie  mit  einiger 
Wahrscheinlichkeit  für  eine  direkte  Einwirkung  der  Röntgenstrahlen  auf  das 
Geschwulstgewebe,  vielleicht  im  Sinne  nekrotisierender  Veränderungen,  spricht 
- —  um  so  mehr,  als  aUcih  in  diesem  Fall  eine  deutliche  Abnahme  des  Uterus¬ 
umfanges  und  eine  vermehrte  Konsistenz  erkennbar  war.  Aber  auch  diese 
Annahme  muß  selbstverständlich  Hypothese  bleiben,  solange  diese  Verände¬ 
rungen  nicht  einwandfrei  durch  den  Autopsiebefund  nachgewiesen  sind. 

F.  Kayser  (Köln). 


Ueber  Kindbettfieber. 

(Prof.  Zangemeister.  Beiheft  5  zur  med.  Klinik  1909.) 

Z.  gibt  einen  kurzen  Abriß  über  die  heutigen  Anschauungen  betreffs 
Ätiologie,  Symptomatologie,  Diagnose  und  Therapie  des  Kindbettfiebers.  Die 
Leser  dieser  Blätter  dürfte  vor  allem  letztere  interessieren.  ,,Je  genauer 
wir  die  kompendiösen  Vorrichtungen  des  Organismus  zur  Verhütung  und 
Überwältigung  einer  Krankheit  kennen  lernen,  um  so  zweckwidriger  müssen 
viele  unserer  früheren  therapeutischen  Maßnahmen  erscheinen.“  Es  tritt  die 
lokale  Therapie .  beim  Kindbettfieber  ganz  in  den  Hintergrund,  sie  ist  teils 
unnütz,  teils  schädlich.  Durch  Ausspülungen,  Ätzungen,  Ausbürsten,  Aus¬ 
kratzen  können  wir  Infektionserreger  aus  dem  Uterus  weder  herausbeför¬ 
dern,  noch  daselbst  vernichten.  Entweder  sind  bei  auftretenden  Infektions¬ 
symptomen  die  Erreger  im  Endometrium  bereits  abgegrenzt  —  dann  ist 
jene  Therapie  nicht  mehr  nötig  —  oder  die  Infektionserreger  sind  bereits- 
weiter  in  die  Umgebung  vorgedrungen  —  dann  ist  eine  Lokalbehandlung 
mit  Aussicht  auf  Erfolg  nicht  möglich  und  noch  dazu  direkt  schädlich. 
Jedenfalls  ist  bei  frischen  puerperalen  Infektionen,  abgesehen  von  aus¬ 
nahmsweise  vorhandenen  Jaucheherden  und  dergl.  jede  örtliche  Therapie  zu 
verwerfen.  Selbst  bei  nachweislicher  Retention  von  Plazentaresten  und  gleich¬ 
zeitigem  Infektionsfieber  ist  man  neuestens  nicht  mehr  allgemein  für'  so¬ 
fortige  Ausräumung,  sondern  man  hat  vorgeschlagen,  auch  hier  möglichst 
abzuwarten,  bis  entweder  die  spontane  Ausstoßung  erfolgt  oder  wenigstens 
die  Infektion  abgeklungen  ist,  damit  die  Möglichkeit  einer  Propagation  der 
Infektion  durch  die  operative  Entfernung  eine  möglichst  geringe  sei.  Man 
vermeide  ängstlich,  frische  Wunden  zu  setzen,  solange  man  die  Anwesen¬ 
heit  virulenter  Keime  vermuten  muß.  Die  Totalexstirpation  des  den  In¬ 
fektionsherd  bergenden  Uterus  ist  natürlich  ,amf  die  schwersten  Fälle  zu 
beschränken ;  das  V erfahren  ist  deshalb  so  unsicher,  weil  der  richtige  Zeit¬ 
punkt  zu  seiner  Ausführung  wohl  nie  mit  Sicherheit  zu  bestimmen  ist. 
Auch  über  die  Unterbindung  resp.  Exzision  vereiterter  Venenstämme  ist 
noch  kein  abschließendes  Urteil  zu  fällen.  —  Eiterherde  inzidiere  man  auch  ja 
nicht  zu  früh,  besonders  nicht  Pyosalpinxsäcke.  Die  Laparotomie  bei  puer¬ 
peraler  Peritonitis  beurteilt  Z.  sehr  skeptisch.  —  Feuchtwarme  Umschläge 
sollen  bei  frischer  Entzündung  in  ausgedehntem  Maße  angewendet  wer¬ 
den,  nicht  aber  die  Eisblase.  Die  Heißluftbehandlung  ist  indiziert  in  den  spä¬ 
teren  Stadien  zur  Resorption  älterer  Exsudate ;  sie  ist  kontraindiziert,  so¬ 
lange  der  Entzündungsprozeß  als  solcher  noch  nicht  abgelaufen  ist.  Er 
flackert  sonst  leicht  wieder  auf,  und  es  kommt  nachträglich  noch  zur  Ver¬ 
eiterung  Von  großem  Wert  ist  natürlich  beim  Kindbettfieber  die  All¬ 
gemeinbehandlung.  Vom  Kollargol  sagt  Z.,  daß  es  sich  als  nutzlos  er¬ 
wiesen  habe,  aber  dasselbe  gelte  von  den  bisher  im  Handel  befindlichen 
Antiseris.  Nur  das  schwer  in  genügender  Menge  zu  beschaffende  frische 
menschliche  Normalserum  scheine  bei  Staphylo-  und  Streptomykosen  einen 
günstigen  Einfluß  zu  entfalten.  Zufuhr  großer  Flüssigkeitsmengen,  beson¬ 
ders  in  Form  von  tropfenweise  zugeführten  Kochsalzklysmen,  ist  sehr  wert¬ 
voll.  Alkohol  ist  nur  in  kleinen  Dosen  symptomatisch  anzuwenden.  — 
Gegen  die  im  Verlauf  der  Peritonitis  einsetzende  Vasomotorenlähmung  emp- 


1267 


Referate  und  Besprechungen. 

fiehlt  Z.  die  subkutane  Infusion  von  1  1  phys.  Kochsalzlösung  mit  zehn 
Tropfen  der  käuflichen  Adrenalinlösung.  Opium  sei  bei  Peritonitis  wegen 
der  Lähmung  der  Darmperistaltik  zu  vermeiden.  R.  Klien  (Leipzig). 


Kinderheilkunde  und  Säuglingsernährung. 

Zur  Physiologie  und  Technik  der  natürlichen  Ernährung  des  Neugeborenen. 

(Jaschke,  Wien.  Monatssckr.  für  Geb.  u.  Gyn.,  Bd.  29,  S.  677.) 

Der  Aufsatz  von  J.  ist  als  eine  Fortsetzung  der  von  ihm  im  Jahre  1908 
veröffentlichten  Aufsätze  über  die  Säuglingsschutzbewegung  anzusehen  und 
stellt  in  übersichtlicher  Form  die  in  der  Klinik  Rosthorn  gemachten  Er¬ 
fahrungen  zusammen.  Er  bespricht  zunächst  die  Asepsis  in  der  Säuglings¬ 
pflege,  fordert  Trennung  des  Pflegepersonals  in  -Mütter-  und  Kinderschwestern, 
Händepflege  der  Wöchnerinnen  und  der  Kinderschwester;  weist  auf  die  Wich¬ 
tigkeit  der  streng  eingehaltenen  Ordnung  bei  der  Ernährung  der  Kinder 
hin  (drei-  bis  vierstündiges  Anlegen  bei  sechsstündiger  Nachtpause).  Bei 
Aufstellung  der  Trinkordnung  ist  die  absolute  Gewichtszahl  weniger  ma߬ 
gebend  als  die  regelmäßig  andauernd  ansteigende  Gewichtskurve,  wobei  natür¬ 
lich  auch  das  Allgemeinbefinden,  das  Verhalten  des  Stuhlgangs  usw.  zu 
berücksichtigen  sind,  eventl.  unter  Gewichtsnachweis  verschiedener  Einzel- 
üiahlzeiten.  Die  Zeit  des  ersten  Anlegens  scheint  ihm  relativ  gleichgültig, 
Dagegen  scheint  es  ihm  von  wesentlichem  Vorteil,  den  anfänglichen  Gewichts¬ 
verlust.  herabzusetzen  durch  besonders  exaktes  Einhalten  der  Stilltechnik,  eventl. 
unter  Belebung  der  Milchsekretion  durch  die  Milchpumpe.  Auch  die  Dauer 
der  Einzelmahlzeit  wird  besprochen,  scheint  aber  dem  Referenten  zu  lang 
bemessen  (20 — 30  Min.).  Sehr  wesentlich  erscheint  die  Besprechung  einzelner 
Fehler  der  Still technik  wie  mangelhaftes  Mitfassen  des  Warzenhofes,  zu 
(späte  Benutzung  der  Milchpumpe  bei  trinkfaulen  Kindern  usw.,  wobei  er 
großen  Wert  darauf  legt,  diese  trinkfaulen  Kinder  auch  vor  der  Fütterung 
ca.  fünf  Minuten  lang  Saugversuche  machen  zu  lassen.  Die  an  einem  Material 
von  1000  Kindern  erzielten  Resultate  sind:  natürlich  ernährt  in  der  ersten 
Lebenswoche  94,1  °/0,  gemischt  ernährt  5,1%,  künstlich  ernährt  0:8%.  Es  geht 
tatsächlich  daraus  hervor,  daß  es  J.  gelungen  ist,  fast  in  jedem  Falle  alle 
verfügbare  Muttermilch  für  das  Kind  nutzbar  zu  machen. 

Frankenstein  (Köln). 


Erfahrungen  über  Kufeke  bei  gesunden  und  kranken  Säuglingen,  bei 

älteren  Kindern  und  Erwachsenen. 

(Dr.  A.  Nadig,  Mailand.  Zentralbl.  für  Kinderheilk.,  Juli  1909.) 

N.  teilt  Krankengeschichten  über  Versuche  mit  Kufeke  bei  kranken 
und  gesunden  Säuglingen  mit.  Die  Mischung  von  Milch  oder  Wasser  mit 
Kufeke  wird  jedem  Fall  besonders  angepaßt.  Es  hat  sich  herausgestellt, 
daß  es  das  beste  ist,  wfenn  Milch  und  Kufeke  gesondert,  die  Milch  kurz, 
Kufeke  etwas  länger  als  angegeben  für  sich  am  Morgen  abgekocht  werden 
und  getrennt  in  zwei  reinen  mit  Deckel  versehenen  Töpfen  kühl  auf  be¬ 
wahrt  werden.  Bei  jeder  Mahlzeit  werden  dann  Milch  und  Kufeke  gemischt, 
kurz  gekocht  und  dann  verabreicht.  —  Reiss  (München). 


Zur  Versorgung  des  Nabels  bei  Neugeborenen. 

(Krummacher,  Wesel.  Münch,  med.  Wochenschr.,  Nr.  25,  1909.) 

Rekapitulation  des  Verfahrens  von  Gusserow,  mitgeteilt  in  den  Charite¬ 
annalen  1903 : 

Keine  Nabelligatur  mehr  bei  den  Neugeborenen,  sondern  nur  provi¬ 
sorische  Abnabelung  post  partum  und  Bad.  Dann  Absengen  des  Nabelschnur¬ 
restes  mit  einer  über  der  Spiritusflamme  glühend  gemachten  Brennschere 

80* 


1268 


Referate  und  Besprechungen. 


dicht  an  der  Haut,  *woibei  diese  feucht  abgedeckt  werden  kann.  Dann  aseptischer 
Verband;  acht  Tage  lang  kein  Bad.  Verf.  fügt  hinzu,  „daß  eine  abge¬ 
rissene  oder  schlecht  versorgte  Nabelschnur  keine  Verblutung  bedingen  muß, 
eine  Folge  des  veränderten  Kreislaufs  nach  der  Geburt“.  Krauße  (Leipzig). 


Behandlung  der  Rachitis  mit  Lebertran,  Phosphor  und  Kalk. 

(Sch ab  ad.  Russky  Wratsch,  Nr.  14,  1909.) 

14  Versuche  an  drei  Kindern  (zwei  rachitischen  und  einem  gesunden), 
wobei  in  sechs  Versuchen  außer  dem  Kalk  auch  der  Phosphor-  und  der 
Stickstoffstoffwechsel  untersucht  wurde,  bei  den  übrigen  acht  nur  der  Kalk¬ 
stoffwechsel.  Aus  seinen  Versuchen  schließt  der  Verfasser,  daß  der  Phosphor 
in  Lebertran  die  Assimilation  des  P  und  Ca  der  Nahrung  begünstigt,  Lebertran 
allein  wirkt  in  dieser  Richtung  weniger  intensiv.  Die  gleichzeitige  An¬ 
wendung  von  Phosphorlebertran  und  Kalksalzen  führt  zu  guter  Assimilierung 
des  Kalkes,  wobei  auch  die  Assimilierung  des  Phosphors  der  Nahrung  steigt. 
Bei  gesunden  Kindern  hat  P  wenig  Einfluß  auf  den  Kalkstoffwechsel.  Die 
Erhöhung  des  Kalkansatzes  basiert  auf  verstärkter  Resorption  und  vermin¬ 
derter  Kalkausscheidung  durch  Harn  und  Kot.  Die  Erhöhung  des  Kalk- 
lansatzes  tritt  sehr  schnell  nach  Beginn  der  Phosphordarreichung  ein  Und 
sinkt  nach  Einstellung  der  Phosphorzufuhr  sehr  allmählich,  so  daß  nach 
zwei  Monaten  der  Kalkansatz  über  der  Norm  steht.  Phosphor  wirkt  spezifisch 
auf  rachitische  Knochen  und  bringt  ihren  Kalkgehalt  der  Norm  näher. 

J.  Lichtmann  (Köln). 


Ueber  erfolgreichen  Gebrauch  der  stark  arsenhaltigen  Maxquelle  in  der 

Pfälzischen  Kinderheilstätte. 

(Dr.  S.  Kaufmann,  Bad  Dürkheim.  Der  Kinderarzt,  Nr.  7,  1909.) 

Die  Maxquelle  in  Bad  Dürkheim,  ein  warmer  erdmuriatischer  Koch¬ 
salzsäuerling  mit  einem  Gehalt  von  13,86  g  Kochsalz  und  17,35 — 17,40  mg 
arseniger  Säure  (As203)  im  Liter,  ist  im  Gegensatz  zu  anderen,  .fast  durch¬ 
weg  eisenhaltigen  Arsenquellen  eisenarm,  enthält  aber  dafür  das  Arsen  in 
solcher  Konzentration  wie  keine  andere  Quelle  in  Deutschland.  In  der 
Pfälzischen  Kinderheilstätte  wurde  sie,  mit  Sole  kombiniert,  zu  Trinkkuren 
angewendet,  und  zwar  besonders  gegen  Skrofulöse,  Rachitis,  skrofulöse 
Anämien  und  Ophthalmien,  und  erzielte  eine  sehr  bedeutende  Zunahme  des 
durchschnittlichen  Körpergewichts  (auch  bei  Erwachsenen),  des  weiteren 
eine  auffallend  frische  Gesichtsfarbe  —  infolge  Vermehrung  des  Hämoglobin¬ 
gehaltes  und  der  roten  Blutkörperchen,  wie  durch  anderweitige  klinische 
Untersuchungen  festgestellt  worden  ist  —  sowie  fast  durchweg  eine  Steigerung 
des  Appetits  und  Anregung  der  Darmtätigkeit.  Sehr  günstig  wurden  Haut¬ 
krankheiten  (Psoriasis,  skrofulöse  Ekzeme)  beeinflußt,  selbst  in  Fällen,  die 
anderweitiger,  lange  Zeit  hindurch  fortgesetzter  Behandlung  getrotzt  hatten. 
Bei  äußerlicher  Anwendung  in  Form  von  Umschlägen  schien  das  Arsen¬ 
wasser  die  Ausheilung  und  Vernarbung  von  skrofulösen  Drüsen-  und  Haut¬ 
eiterungen  zu  beschleunigen.  Der  Geschmack  der  Maxquelle  ist  weit  ange- 
inehmer  als  der  von  Levico,  zur  Verbesserung  desselben  ließ  Verf.  bei  be¬ 
sonders  empfindlichen  Personen  gewöhnliches  oder  ein  kohlensaures  Wasser 
zusetzen.  Die  Dauer  der  Trinkkur  schwankt  zwischen  4 — 10  Wochen;  das 
Wasser  wird  auch  nach  auswärts  versandt.  Steinhardt  (Nürnberg). 


Aus  der  Kinderpraxis. 

Kreosotal  bei  Erkrankungen  der  Atmungsorgane. 

(Ljaschenko.  Praktitscheski  Wratsch,  Nr.  17,  1909.) 

Verf.  berichtet  über  eine  ausgezeichnete  Wirkung  des  Kreosotais  bei 
verschiedenen  Erkrankungen  der  Atmungsorgane.  Am  wirksamsten  ist  das 


Referate  und  Besprechungen. 


1269 


Kreosotal  bei  der  krupösen  lobären  sowie  lobulären  Pneumonie,  die  häufig 
nach  Masern  und  Keuchhusten  auf  tritt.  Die  Erkrankung  ist  jedesüial  leicht 
und  ohne  Komplikationen  verlaufen ;  außerdem  wurde  auch  die  Dauer  der 
Erkrankung  abgekürzt.  Ferner  wirkt  Kreosotal  auch  bei  Bronchitis,  Bron¬ 
chitis  capillaris,  Masern  und  akuter  Influenza  recht  günstig  ein,  indem 
es  auch  hier  den  Verlauf  begünstigt  und  die  Dauer  abkürzt.  Verf.  bediente 
sich  bei  der  Verordnung  der  folgenden  Formel: 

Rp.  Olei  cinnamomi  ceylonici  0,1 
Creosotal  4,0. 

Ol.  amygdal.  dulc.  15,0 
Aq.  destillat.  200,0 
M.  f.  1.  a.  emulsio 
Syrup.  amygdalar.  30,0. 

MDs.  2 stündlich  1  Kinderlöffel.  (Für  ein  3 jähriges  Kind  mit  Pertussis.) 

J.  Lichtmann  (Köln). 


Der  staatliche  Kinderschutz  in  Ungarn. 

(Dr.  Levai-Dunaf  öldvär.  Zeitschr.  für  Säuglingsfürs.,  Nr.  6,  1909.) 

Der  Leiter  einer  ungarischen  Staats-Kinderkolonie  gibt  in  diesem  Aufsatz 
einen  kurzen  Überblick  über  die  wirklich  musterhaften  Einrichtungen,  die 
eine  Fürsorge  von  der  Geburt  bis  zum:  vollendeten  15.  Lebensjahre  umfassen, 
und  von  einer  besonderen  Abteilung  im  Ministerium  des  Innern  aus  dirigiert 
werden.  In  Ungarn  bestehen  18  Kinderasyle  mit  ca.  400  Filialen,  sogenannten 
Kinderkolonien.  In  den  Asylen  werden  verlassene  Säuglinge  und  Kinder 
liufgenommen,  erster©  mit  ihren  Müttern,  und  so  lange  darin  verpflegt, 
bis  sie,  meist  mit  den  stillenden  Müttern,  nach  einer  Kolonie  übergeführt 
werden.  Sind  die  Säuglinge  entwöhnt,  so  werden  die  Mütter  entlassen,  während 
die  Kinder  unter  staatlichem  Schutze  bleiben.  Die  Asyle  besaßen  am  Ende 
des  Jahres  1906:  579  Säuglingsbetten  und  215  größere  Kinderbetten.  Zurzeit 
fctehen  ungefähr  42000  Kinder  unter  staatlichem  Schutze.  Die  Mortalität 
der  unter  Aufsicht  stehenden  verlassenen  Kinder  war  eine  geringere  als!  die 
der  privaten,  nicht  verlassenen  Kinder.  (19,9% : 30,34%.)  Ein  Kind  kostete 
unter  staatlichem  Schutze  pro  Tag  356/i0  Heller,  pro  Jahr  130  Kr.  1  PI.  Im 
ganzen  wurden  staatlicherseits  3716671  Kr.  für  den  Kinderschutz  im  Jahre 
1906  auf  gewandt.  Aronade. 


Psychiatrie  und  Neurologie. 

Die  vier  in  Bethune  Enthaupteten  im  Lichte  Lombroso’scher  Doktrinen. 

(Debierre,  Lille.  Bull,  med.,  Nr.  6,  S.  69  u.  70,  1909.) 

Professor  Debierre  in  Lille  hatte  Gelegenheit,  die  4  in  Bethune  geköpf¬ 
ten  Verbrecher  vor  und  nach  der  Hinrichtung  zu  untersuchen.  Er  gesteht, 
anatomisch  und  physiologisch  nichts  Abnormes  an  ihnen  entdeckt  zu  haben; 
sie  boten  keinerlei  Degenerationszeichen  dar ;  ihre  Gehirne  überragten  mit 
1507 — 1645  g  das  Mittel. 

Sein  Schluß  lautet  mithin :  Vom  anatomischen  und  physiologischen 
Standpunkt  aus  kann  man  die  Verbrecher  und  Mörder  keinesfalls  als  krank 
oder  unverantwortlich  bezeichnen.  Sie  besitzen  zum  mindesten  das  durch¬ 
schnittliche^  Verantwortlichkeitsgefühl  der  Menschen  ihrer  Zeit,  und  die  Ge¬ 
sellschaft  hat  das  Recht  und  die  Pflicht,  sich  gegen  solche  „betes  feroces“ 
zu  schützen.  Die  Todesstrafe  darf  deshalb  nicht  abgeschafft  werden,  denn  sie 
ist  die  einzige  Strafe,  vor  der  die  Verbrecher  Angst  haben. 

Es  ist  vielleicht  für  den  einen  oder  anderen  von  Interesse  zu  hören, 
daß  die  Frage,  wie  sich  die  menschliche  Gesellschaft  gegen  antisoziale  Per¬ 
sönlichkeiten  verhalten  soll,  schon  im  alten  Griechenland  aktuell  war.  So 
läßt  z.  B.  Protagiöras  den  Zeus  sagen:  „Gib  in  meinem  Namen  das  Gesetz, 
daß  man  einen  Menschen,  der  nicht  fähig  ist,  das  sittliche  Bewußtsein  und 


1270 


Referate  und  Besprechungen. 


das  Rechtsgefühl  zu  teilen,  als  einen  Krebsschaden  des  Gemeinwesens  ver¬ 
nichten  soll.“  Und  Demokrit  schrieb:  „Wie  man  gegen  schädliche  Raub¬ 
tiere  und  Schlangen  Gesetzesbestimmungen  erlassen  hat,  so  —  meine  ich  — 
sollte  man  es  auch  in  betreff  der  Menschen  machen :  man  sollte  gemäß  den 
Gesetzen  der  Väter  einen  Staatsfeind  töten.“  Buttersack  (Berlin). 


Ueber  Sensibilität  und  Sensibilitätsprüfung. 

(H.  Head,  London.  Klin.-therapeut.  Wochenschr.,  Nr.  20,  1909.) 

Die  nach  Läsionen  verschiedener  Abteilungen  des  Nervensystems  zu¬ 
standekommenden  Sensibilitätsstörungen  lassen  sich'  nicht  in  dieselben  Emp¬ 
findungskategorien  einreihen;  vielmehr  erfahren  die  sensiblen  Impulse  in 
ihrem  Verlaufe  von  der  Peripherie  bis  zum  Gehirn  auf  jeder  Stufe  des 
Nervensystems  eine  Neugruppierung ;  je  nach  der  Stufe  des  Nervensystemis, 
an  welcher  die  Störung  angreift,  gestaltet  sich  auf  identische  Reize  die 
Empfindung  jedesmal  anders.  Verf.  hat  nach  dieser  Richtung  teils  klinische, 
teils  experimentelle  Untersuchungen  am  eigenen  Körper  nach  Durchschneidung 
zweier  Nerven  ausgeführt,  wobei  die  oberflächliche  Berührung  mit  einem 
kleinen  Büschel  Baumwolle  oder;  mit  von  Frey ’s  Reizhaaren,  die  Schmerz¬ 
empfindung  mittels  Nadelstiches  oder  faradischen  Stromes,  die  Drucksensi¬ 
bilität  mit  einem  stumpfen  .Objekt  und  dem  Cattel’schen  Algometer,  der 
Temperatursinn  mittels  zweier  mit  heißem  oder  kaltem  Wasser  gefüllter  sil¬ 
berner  Gefäße,  die  Lokalisationsfähigkeit  nach  der  Henri’schen  oder  der 
Spearmann’schen  Methode,  die  Lagewahrnehmung  und  die  Empfindung  pas¬ 
siver  Bewegungen  durch  Nachahmen  derselben  mit  der  Hand,  das  Vibrations¬ 
gefühl  mit  einer  Stimmgabel  geprüft  wurde.  Auf  Grund  der  gemachten  Be¬ 
obachtungen  kommt  Verf.  zu  dem  Resultat,  daß  die  Sensibilität  der  peri¬ 
pheren  Nerven  auf  drei  verschiedenen  Systemen  beruhe:  1.  Tiefe  Sensibilität: 
Druckberührung,  Druckschmerz,  Lokalisation  des  Druckes,  Vibration,  Rauh¬ 
heit  des  reizenden  Gegenstandes ;  2.  Protopathische  Sensibilität:  Schmerz, 
Kälte  unter  26°,  Hitze  über  38°  C,  besondere  diffuse  Sensibilität  der  Haare; 
3.  Epikritische  Sensibilität:  leichte  Berührung,  Sensibilität  für  mittlere 
Temperaturen  (26 — 38°  C),  Erkennen  zweier  Zirkelspitzen,  genaue  Lokalisation. 
—  Vollständig  anders  als  bei  Läsionen  des  peripheren  Nervensystems  ge¬ 
stalten  sich  die  Dissoziationen  der  Sensibilität  bei  Rückenmarkserkrankungen. 
Bei  Läsionen  des  Rückenmarks  geht  mit  dem  Verlust  der  Hautempfindung 
auch  die  tiefe  Sensibilität  der  schmerzhaften  Reize  verloren;  jede  der  drei 
oben  genannten  Sensibilitätsgruppen  kann  unabhängig  von  den  beiden  andern 
gestört  sein ,  Hitze-  und  Kälteempfindung  bilden  zwei  getrennte  Qualitäten ; 
trotz  erhaltener  Empfindung  für  die  leiseste  Berührung  kann  von  zwei 
Zirkelspitzen  bei  einem  Abstand  von  20  cm  nur  eine  gefühlt  werden.  Die 
verschiedenen  Formen  der  peripheren  Impulse  erfahren  mithin  nach  ihrem 
Eintritt  in  das  Zentralnervensystem  eine  neue  Gruppierung,  die  auf  der¬ 
selben  Seite  wie  der  Eintritt  der  Impulse  stattfindet.  Die  umgeänderten  Im¬ 
pulse  treten  in  die  gegenüberliegende  Rückenmarksseite  ein,  um  in  den 
langen  Leitungsbahnen  zum  Gehirnstamm  aufzusteigen.  Aus  dem  Gesagten 
folgert  der  Verf.,  daß  der  Mensch  nicht  mit  vollendetem  Nervensystem  er¬ 
schaffen  worden  ist,  sondern  daß  seine  sensiblen  Organe  sich  aus  denen 
der  niederen  Tiere  entwickelt  haben.  Diese  Entwicklung  besteht  in  der  all¬ 
mählichen  Vervollkommnung  der  sensiblen  Impulse  auf  jeder  Stufe  des  höher 
entwickelten  Nervensystems.  Eine  solche  Theorie  setzt  nicht  allein  eine 
phylogenetische  Entwicklung  voraus,  sondern  auch  einen  täglichen  Kampf 
ums  Dasein  auf  den  physiologischen  und  psychologischen  Stufen.  Darin  er¬ 
blicken  wir  das  Mittel,  durch  welches  ein  unvollkommener  Organismus  bis 
zu  höheren  Funktionen  und  psychischer  Einheit  sich  hinauf  gearbeitet  hat. 

Peters  (Eisenach). 


Referate  und  Besprechungen. 


1271 


Die  diagnostische  Verwertung  von  Sensibilitätsstörungen. 

(J.  Babinski.  Acad.  de  Med.,  20.  April  1909.) 

Wertvolle  diagnostische  Winke  gibt  Babinski  in  folgenden  Thesen: 
Erkrankungen  der  sensiblen  Fasern  im  Wurzelgebiet  äußern  sich  in  Herab¬ 
setzung  der  Tiefen-Empfindlichkeit,  des  Lagegefühls  bei  erhaltenem  Tem¬ 
peratur-  namentlich  Kältegefühl. 

Erkrankungen  im  Bulbus,  Pedunkulus  heben  die  Tastempfindlichkeit, 
die  Tiefenempfindlichkeit  und  namentlich  das  Wärmeg  eifühl  auf  (Typus  der 
Syringomyelie). 

Erkrankungen  im  Gebiet  des  Thalamus  und  der  Hirnrinde  äußern  sich 
ähnlich  wie  solche  im  Wurzel  gebiet;  insbesondere  ist  dabei  der  Raumsinn, 
das  Lagegefühl  beeinträchtigt.  Buttersack  (Berlin). 

Aphasie,  innere  Sprache  und  Lokalisationsfragen. 

(G.  Saint-Paul.  Progres  med.,  Nr.  14,  S.  177 — 179,  1909.) 

Gegenüber  den  Bemühungen,  den  Vorgang  des  Sprechens  auf  einige 
wenige,  relativ  einfache  Schemata  zurückzuführen,  betont  Saint-Paul,  daß 
die  Sprache  das  Ergebnis  höchst  komplizierter  Vorgänge  ist,  die  zudem  bei 
jedem  Individuum  sich  in  anderer  Weise  zusammensetzen.  Er  glaubt  nicht 
an  ein  prästabiliertes  Sprachzentrum  an  einem  anatomisch  genau  fixierten 
Platze,  sondern  denkt  sich,  daß  dasselbe  —  wenn  es  überhaupt  ein  umrissenes 
Sprachzentrum  gibt  —  bei  jedem  Menschen  sich  in  anderer  Form  bilde,  ge¬ 
wissermaßen  a,ls  Niederschlag  der  persönlichen  Erlebnisse;  zum  mindesten 
aber  sei  die  Verknüpfung  dieses  supponierten  Zentrums  mit  den  übrigen 
Gehirn-  und  Seelenprovinzen  immer  wieder  verschieden.  Die  anatomisch-histo¬ 
logische  Forschung  lasse  da  ganz  im  Stich;  man  müsse  die  sog.  Sprachstörungen 
physiologisch  zu  enträtseln  suchen.  Dabei  sei  aber  das  motorisch-artikula- 
torische  Moment  von  geringerer  Bedeutung,  als  das  Konvolut  der  anderen 
Aktionen  und  Reaktionen,  welche  schließlich  im  gesprochenen  Wort  zutage 
treten.  Jene  präparatorischen  Aktionen  (alias:  Intelligenz)  könnten  ganz 
intakt  sein,  wenn  a-uch  irgend  eine  banale  Ursache  die  erforderlichen  Muskel¬ 
innervationen  lähme.  Daß  bezw.  in  wie  weit  dies  der  Fall  sei,  lasse  sich  mit 
Hilfe  der  „inneren  Sprache“  abschätzen.  Leider  sei  das  Studium,  ja  selbst 
die  oberflächlichste  Kenntnis  dieser  Sprache  ohne  Worte  fast  noch  ganz 
unbekannt. 

St.  Paul  kann  sich  trösten:  in  unseres  großen  W.  Wundt  physiologi¬ 
scher  Psychologie  I.  1908,  Seite  261/262  und  374/76  findet  er  ganz  verwandte 
Gedankengänge.  Buttersack  (Berlin). 


Einseitiges  Erlöschen  des  Kornealreflexes  bei  Hemiplegien. 

(G.  Mil i an.  Progr.  med.,  Nr.  18,  S.  229,  1.  Mai  1909.) 

Angesichts  eines,  komatösen  Pat.  ist  man  oft  im  Zweifel  über  die 
zugrundeliegende  Affektion;  ist  es  eine  Vergiftung,  eine  Herderkrankung 
im  Gehirn,  ein  'hysterischer  Zufall,  'ein  Status  postepilepticus  ?  Miliag, 
hat  nun  beobachtet,  daß  bei  Hemiplegien  der  Kornealreflex  immer  auf  der 
gelähmten  Seite  erloschen  ist,  während  er  auf  der  gesunden  Seite  fort¬ 
besteht.  Das  einfache  Mittel  hat  ihm  manchmal  unter  schwierigen  Um¬ 
ständen  überraschende  Augenblicksdiagnosen  gestattet.  Buttersack  (Berlin). 

Hautkrankheiten  und  Syphilis.  —  Krankheiten  der  Harn-  und 

Geschlechtsorgane. 

Aus  der  1.  medizinischen  Klinik  der  Königl.  Charite  (Direktor  Geheimrat  His). 

Zur  Therapie  und  Praxis  der  Serumdiagnose  der  Syphilis. 

(Dr.  Fleischmann.  Berl.  klin.  Wochenschr.,  Nr.  10,  1908.) 

Fleischmann  berichtet  nach  einer  längeren  Erörterung  über  die  Theorie 
der  Wassermann-Neisser-Bruck’schen  Reaktion  über  die  Ergebnisse  seiner 


1272 


Referate  und  Besprechungen. 


klinischen  Untersuchungen  von  230  bezüglich  Anamnese,  Krankheitserschei¬ 
nungen  und  bisheriger  Behandlung  genau  erforschten  Fällen;  darunter  waren 
38  sicher  nicht  luetische  Kontrollfälle  (Hirntumoren,  Meningitis  tubercu- 
losa,  Pneumonie,  Sepsis,  Apoplexie,  Myelitis,  Morbus  Basedowii,  Karzinome),, 
die  alle  eine  negative  Reaktion  ergaben.  Von  den  übrigen  192  Fällen  waren 
160  sichere  Luetiker,  welche  zu  73%  positiv,  zu  27%  negativ  reagierten. 
Die  erste  Gruppe  betraf  89  Patienten  mit  sicher  luetischen,  manifesten  Symp¬ 
tomen  zur  Zeit  der  Untersuchung.  Die  Reaktion  fiel  in  93,5%  der  Fälle 
positiv,  in  6,5%  negativ  aus.  Zur  2.  Gruppe  gehörten  sichere  Luetiker  ohne 
manifeste  Symptome  zurzeit  der  Untersuchung.  Von  den  64  untersuchten 
Patienten  gaben  52%  positive,  48%  negative  Reaktion.  In  der  3.  Gruppe 
waren  von  32  Patienten  mit  lues verdächtigen  Symptomen  und '  fraglicher 
früherer  Infektion  50'%  positiv,  50%  negativ  und  in  der  4.  Gruppe  endlich 
von  7  Fällen  von  sicheren  Luetikern  mit  Krankheitssymptomen,  die  kaum 
auf  die  frühere  Lues  bezogen  werden  konnten,  positiv  1,  negativ  6.  — 

Auf  Grund  seiner  Erfahrung  schließt  Verfasser,  daß  die  Wassermann- 
sehe  Reaktion  in  der  Hand  sorgfältiger  und  in  serologischen  Arbeiten  ge¬ 
übter  Untersucher  ausgedehnte  klinische  Anwendung  verdient.  Sie  wird 
da  hauptsächlich  in  Betracht  kommen,  wo  die  Anamnese  bezüglich  früherer 
Infektion  versagt  oder  unsicher  ist.  Ein  positiver  Ausfall  ist  dann  entschei¬ 
dend,  aber  auch  ein  negativer  Ausfall  kann  namentlich  beim  Fehlen  frühe¬ 
rer  Behandlung  unter  Umständen  mit  Vorsicht  verwertet  werden. 

Dann  wird  die  Reaktion  bei  älteren  Fällen,  die  längere  Zeit  keine- 
Symptome  gezeigt  haben,  bei  der  Frage  einer  erneuten  Behandlung  von 
Wichtigkeit  sein. 

Zur  Diagnose  der  Heilung  der  Syphilis  scheint  die  Reaktion  nicht 
brauchbar.  Carl  Grünbaum  (Berlin). 

Hämaturie  und  ihre  Behandlung. 

(Mit  besonderer  Berücksichtigung  des  Styptols.) 

Von  Dr.  John  W.  Koehn,  Doz.  für  Uro-Genitalkrankh.  an  der  Universität  Chicago.- 

(The  American  Journal  of  Urology,  März  1909.) 

Hämaturie  kann  als  Folge  akuter  Infektionskrankheiten  auftreten,  sie 
kann  eine  Begleiterscheinung  der  Nephritis  sein,  besonders  auch,  wenn  diese 
durch  Karbolsäure,  Terpentinöl,  Kanthariden  oder  Phosphor  hervorgerufen  ist; 
auch  bei  chronischer  Stauung  infolge  von  Herzkrankheiten  werden  derartige 
Blutungen  häufiger  beobachtet. 

Im  besonderen  kommen  für  diese  Erkrankung  lokale  pathologische  Zu¬ 
stände  der  Nieren,  wie  z.  B.  Tuberkulose,  Stein  oder  Tumor,  seltener  tierische 
Parasiten  in  Frage.  Blutung  aus  der  Urethra  kommt  gelegentlich  bei  Gonor¬ 
rhöe  oder  bei  Vorhandensein  eines  Fremdkörpers  vor.  Verletzungen  können 
Blutung  in  jedem  Teile  des  Urogenitalapparates  veranlassen. 

Die  Heilung  vieler  Formen  von  Hämaturie  fällt  natürlich  in  das  Ge¬ 
biet  der  Chirurgie.  Ist  die  Blutung  aber  so  ernst,  daß  sie  sobald  als  möglich 
gestillt  werden  muß,  ohne  auf  ihre  Ätiologie  einzugehen,  wird  eine  Operation 
verweigert  oder  ist  sie  kontraindiziert  und  endlich  bei  der  essentiellen  Häma¬ 
turie  und  bei  den  schweren  Formen  der  Blutung  aus  nichtoperativen  Ursachen,, 
so  ist  die  interne  Therapie  und  die  Lokalbehandlung  mit  Irrigationen  oft 
dazu  berufen,  eine  wichtige,  manchmal  lebenrettende  Rolle  zu  spielen. 

Von  den  internen  Mitteln  hält  der  Verf.  das  Styptol  für  das  bester 
welches  gleichzeitig  auch  lokal  zuverlässig  wirkt.  Er  fügt  einige  Fälle  anr 
bei  denen  er  in  extenso  auf  die  Therapie  eingeht.  In  dem  einen  Falle  war 
bei  intermittierenden  Blasenblutungen  etwa  alles,  was  es  an  Adstringentiem 
und  hämosta tischen  Mitteln  gibt,  vorher  angewandt  worden.  Auf  4 mal 
täglich  2  iStyptoltabletten  und  Irrigationen  mit  einer  2%igen  Styptollösung 
enthielt  der  Harn  am  folgenden  Tage  nur  noch  wenige  Spuren  von  Blut, 
die  Blutungen  hörten  innerhalb  weniger  Tage  gänzlich  auf  und  die  Genesung^ 
erfolgte  ohne  ^Zwischenfälle.  Eine  zystoskopische  Untersuchung  der  Blase 
wurde  verweigert. 


.Referate  und  Besprechungen. 


1273 


In  einem  anderen  Balle  handelte  es  sich  um  solche  Blutungen,  die  bei 
der  Sondierung  und  Kathete ris ati o n  einer  Striktur  nach  voraufgegangener  Go¬ 
norrhöe  eintraten.  Die  Blutungen  konnten  erst  nach  Applikation  von  Eis 
und  Umschnürung  der  Wurzel  des  Benis  zum  Stehen  gebracht  werden;  beim 
Urinieren  stellten  sich  dann  stets  wieder  heftige  Blutungen  ein,  die.  nur  da¬ 
durch  unterdrückt  werden  konnten,  daß  der  Patient  alle  Nächte  eine  dicke 
Sonde  in  der  Harnröhre  behielt.  Die  Striktur  war  nur  durchgängig  für 
einen  ganz  dünnen  Gummikatheter.  Der  Verf.  ließ  den  Pat.  einige  Tage 
Styptol  nehmen  und  beseitigte  dann  die  Striktur  durch  rapide  Drehung; 
es  trat  nur  eine  normale  Blutung  ein. 

Bei  diesem  Patienten  stellte  sich  noch  eine  schwere  Kokainintoxikation 
ein,  als  ihm  gegen  die  Schmerzhaftigkeit  beim  Urinieren  eine  5%ige  Lösung 
eingeführt  wurde. 

Der  Verf.  schließt,  daß  er  das  Styptol  speziell  in  seiner  Praxis  anderen 
hämostatischen  Mitteln  in  jeder  Beziehung  weit  überlegen  gefunden  habe. 
Bei  der  Anwendung  des  Mittels  bilden  sich  keine  harten  Blutgerinnsel, 
welche  den  freien  Durchgang  des  Urins  hemmen  oder  verlegen.  Bei  allen 
inneren  Hämorrhagien  erweist  es  sich  als  ein  vorzügliches  Mittel. 

Neumann.' 


Zur  Diagnose  und  Therapie  der  Tuberkulose  der  Harnwege. 

(H.  Naegeli-Akerblom  u.  P.  Vernier.  Therap.  Monatsh.,  Nr.  4,  1909.) 

Die  Autoren  empfehlen  zur  Diagnose  das  Verfahren  von  Martin  Her¬ 
mann  Mo  ns.  Dazu  gehört  eine  Beize  I  von  1%  Ammon,  carbonic.  Lösung 
in  destilliertem  Wasser  und  eine  Farbflüssigkeit  II:  3%  Kristall  violett- 
lösung  (Methylviolett  6  B)  in  95%  Äthylalkohol,  dies  sowohl  für  Deck¬ 
glaspräparate,  wie  für  Schnitte.  Entfärbt  wird  mit  10%  Salpetersäure  Und 
95%  Äthylalkohol.  Die  getrennt  aufzubewahrenden  Flüssigkeiten  werden 
unmittelbar  vor  Verwendung  im  Verhältnis  von  3  Teilen  der  Beize  und  1  Teil 
der  Farbflüssigkeit  gemischt.  Therapeutisch  empfehlen  die  Autoren  die  chlorid¬ 
frei  o  Ernährung  mit  Amylaceen.  S.  Leo. 


Aus  der  Universitäts-Kinderklinik  zu  Breslau. 

Zur  Prognose  der  hereditären  Lues. 

(J.  P eis  er.  Therap.  Monatsh.,  Nr.  4,  1909.) 

Aus  den  Ausführungen  geht  hervor,  daß  die  Prognose  der  hereditären 
Lues  für  das  weitere  Kindesalter  im  allgemeinen  nicht  so  düster  ist,  als  sie 
vielfach  hingestellt  wird.  Natürlich  gibt  es  eine  Lues  maligna,  die  allen 
therapeutischen  Maßregeln  zum  Trotz  ihre  zerstörende  Wirkung  bis  zum 
äußersten  entfaltet;  doch  darf  sie  nicht  zum  allgemeinen  Maßstab  dienen. 
Erbsyphilitische  Frühgeburten  mit  oder  ohne  manifesten  Erscheinungen  ihres! 
angeborenen  Leidens  bieten  gleichfalls  eine  schlechte  Prognose.  Solche  Kinder 
aber,  die  ausgetragen  und  mit  normalem  Geburtsgewicht  zur  Welt,  kommen, 
und  erst  nach  einigen  Wochen  die  Symptome  ihres  angeborenen  Leidens 
erkennen  lassen,  geben  bei  sachgemäßer  Behandlung  hinsichtlich  ihrer  Allge- 
meinentwicklung  die  Prognose  ad  bonum  vergens.  S.  Leo. 


Aus  der  medizinischen  Klinik  zu  Marburg. 

Die  Behandlung  des  Haarausfalls. 

(Dr.  Hübner.  Therap.  Monatsh.,  Nr.  7.  1909.) 

Die  Behandlung  der  Seborrhoea  capitis  beginnt  mit  systematischen 
.Waschungen  der  Kopfhaut,  anc  besten  mit  dem  offiz.  Hebra’schen  Seifen¬ 
spiritus,  der  noch  zu  einem  Drittel  mit  Spir.  vin.  dil.  verdünnt  werden 
kann.  Hierauf  kommt  eine  5  prozen  tige  Schwefelsalbe  an  die  Reihe.  Um 
eine  Beschmutzung  der  Bettwäsche  zu  vermeiden,  verschreibe  man :  Flores 
sulf.  15,0,  Glyc.  guttas  V.,  Spir.  vin.  ad  100,0.  Der  Schwefel  liegt  hierbei 
als  ein  Sediment  am  Boden  der  Flasche.  Zum  Gebrauch  wird  der  darüber- 


1274 


Referate  und  Besprechungen. 


fetehende  Alkohol  abgegossen,  und  ein  Teil  des  feuchten  Schwefelpulvers 
mittels  eines  Haarpinsels  auf  die  Kopfhaut  auf  getragen.  Der  Alkohol  des 
Schwefelpulvers  verdampft  schnell,  und  sein  geringer  Glyzeringehalt  hält 
ihn  auf  der  Kopfhaut  fest.  Während  der  Schwefelkur  darf  kein  goldener 
Schmuck  getragen  werden,  da  er  sonst  schwarz  wird.  Neben  Schwefel  kommt 
noch  Resorcin  in  Betracht  (Resorc.  albissimi,  Ol.  Ric.  ää  5,0,  Spir.  vin.  dil. 
ad  200,0),  Hierauf  versucht  man  eines  der  haarreizenden  Mittel  S.  Leo. 

Ueber  die  interne  Behandlung  der  akuten  Gonorrhöe. 

Von  Dr.  Apostolos  G.  Apostolidesjr.,  Smyrna,  Arzt  des  Hopital  Civil  Ottoman. 

(Allg.  med.  Zentral-Ztg.,  Nr.  16  u.  17,  1909.) 

Von  den  internen  Mitteln,  die  früher  bei  Gonorrhöe  verwandt  wurden, 
sind  jetzt  nur,  abgesehen  von  den  Balsa.miicis,  wenige  übrig  geblieben.  Es 
unterliegt  keinem  Zweifel,  daß  gerade  die  Balsamika  bei  der  Gonorrhöe  die 
Sekretion  herabsetzen,  eine  Linderung  der  Entzündungserscheinungen  hervor- 
rufen  und  die  Lokaltherapie  wirksamer  machen ;  sie  können  aber  die  Ein¬ 
spritzungen  und  Ausspülungen  nicht  ersetzen.  Es  wäre  aber  gewiß  nicht  recht-, 
den  Patienten  Mittel  vorzuenthalten,  die  in  praxi  jmit  Erfolg  angeiwandt  wurden. 

Von  den  Balsamicis  hält  der  Autor  das  Santyl  für  das  beste,  besonders 
auch,  da  es  in  Tropfen  gegeben  werden  kann.  Seine  Beobachtungen  ergaben, 
daß  durch  die  Santylbehandlung  neben  gleichzeitiger  Lokaltherapie  alle  die 
subjektiven  Entzündungserscheinungen,  die  den  Patienten  am  unangenehmsten 
sind,  wie  Schmerzen  beim  Urinieren,  Brennen,  Harndrang  usw.  allmählich 
schwanden.  Desgleichen  wurde  die  Schmerzhaftigkeit  der  Erektionen  durch 
Santyl  günstig  beeinflußt,  wenn  auch  allerdings  in  einigen  Eällen  zu  anderen 
Mitteln,  wie  Bromural,  kalten  Umschlägen,  Sitzbädern  usw.  gegriffen  werden 
mußte.  Das  Santyl  ist  völlig  reizlos,  selbst  bei  leerem  Magen  —  experimenti 
causa  —  genommen,  wurde  es  gut  vertragen.  Sehr  zweckmäßig  scheint  dem 
Verf.  eine  Kombination  von  Santyl  mit  Helmitol  zu  sein,  welche  den  Urin 
während  der  ganzen  Dauer  des  Krankheitsprozesses  sauer  hält,  was  für  die 
UrethritU  posterior  ungemein  wichtig  ist.  Das  Mittel  empfiehlt  sich  be¬ 
sonders  für  die  subakute  und  chronische  Gonorrhöe.  Sogar  da,  wo  man  um 
die  Therapie  mit  Sonden  und  Dilatatoren  nicht  herumkommt,  hat  Santyl  inso¬ 
fern  Vorteile  für  sich,  als  es  die  Schmerzen  und  die  Schleimhautempfind- 
lichkeic  herabsetzt.  Neumann. 


Aus  dem  bakteriologischen  Institut  (Direktor:  Prof.  N.  M.  Berestnew)  und  der  Klinik 
für  Hautkrankheiten  (Direktor:  Prof.  A.  J.Pospelow)  der  Kaiserl.  Universität  zu  Moskau. 

Eine  einfache  Methode  der  Serumdiagnose  bei  Syphilis. 

(N.  Tschernogubow.  Berl.  klin.  Wochenschr.,  Nr.  48,  1908.) 

„Da  die  technischen  Bedingungen  der  Reaktion  nach  Wassermann- 
Neisser-Br uck  einer  ausgebreiteten  Anwendung  derselben  in  der  Klinik 
nicht  unbedeutende  Hindernisse  entgegenstellen“,  gibt  Tschernogubow  ein 
vereinfachtes  Verfahren  an,  das  sehr  wenig  Zeit,  minimale  .Blutmengen, 
kein  Laboratorium,  keine  besondere  Erfahrung  seitens  des  Arbeitenden  er¬ 
fordern  soll.  Carl  Grünbaum  (Berlin). 


Röntgenologie  und  physikalische  Heilmethoden. 

Ueber  Hochfrequenzströme,  Fulguration  und  Transthermie. 

(Er.  Nagelschmidt.  Zeitschr.  für  phys.  u.  diät.  Therap.,  Bd.  18,  H.  8,  S.  150 — 160, 

Juni  1909.) 

Mit.  Hilfe  von  Hochfrequenzströmen,  die  ihre  Richtung  etwa  millionen- 
mal  in  der  Sekunde  ändern,  gelingt  es,  lebendige  Energie  in  den  Körper 
hineinzubringen,  ein  Vorgang,  der  sich  für  unser  derzeitiges  Wahrnehmungs¬ 
vermögen  zunächst  in  Wärme-Entwicklung  äußert;  so  kann  man  z.  B.  die  Leber 
eines  lebenden  Kaninchens  in  situ  zum  Kochen  bringen.  Es  ist  klar,  daß 
mit  einer  solchen  Energie  viel  Schaden  angerichtet  werden  kann;  aber  so  neu 


Referate  und  Besprechungen. 


1275 


die  Verwendung  dieser  Kräfte  auch  noch  ist,  so  hat  man  doch  schon  gelernt, 
zweckmäßig  damit  umzugehen,  und  hat  sogar  schon  erfreuliche  therapeutische 
Effekte,  z.  B.  hei  Tabes  und  Asthma  cardiale  erzielt. 

Die  handliche  Form,  in  welche  die  Siemens  -  Schuckertwerke  den  sogen. 
Tränst  her  mie  -App  ar  a  t  gebracht  haben,  wird  gewiß  dazu  beitragen,  |diese 
wichtige  Bereicherung  des  therapeutischen  Arsenals  zu  verbreiten,  wenn  sie 
auch  natürlich  vorerst  wohl  nur  in  Instituten  mit  sachgemäßer  Bedienung  zur 
Verwendung  kommen  können. 

Im  gleichen  Hefte  bespricht  E.  R.  v.  Bernd  (Wien)  die  gleiche  Ange¬ 
legenheit,  nur  gebraucht  er  statt  des  Wortes  Transthermie  die  Bezeichnung1: 
Thermopenetr  ation.  Seine  Versuche,  durch  ungedämpfte  Hochfrequenz¬ 
ströme  Wärme  im  Ivörperinnern  zu  erzeugen,  betrafen  vornehmlich  gonor¬ 
rhoische  Gelenkentzündungen,  und  zwar  mit  so  gutem  Erfolge,  daß  er  die 
akute  gonorrhoische  Arthritis  als  eine  absolute  Indikation  zur  Thermopene- 
trationsbehandlung  aufstellt.  Auch  von  seinen  Resultaten  bei  Ischias,,  chro¬ 
nischen  Gelenkentzündungen,  Ödemen  nach  Knöchelbrüchen,  uratischen  Affek¬ 
tionen,  Neuritis,  Angiomen  ist  er  befriedigt.  Die  Möglichkeit,  maligne  Tumoren 
in  vivo  zur  Koagulation  zu  bringen,  cl.  h.  abzutöten,  ist  ohne  Zweifel  gegeben ; 
allein  die  Geschichte  überspannter  Hoffnungen  zwingt  zur  Skepsis. 

Buttersack  (Berlin). 


Ueber  Veränderung  der  Herzgröße  im  heißen  und  kalten  Bade. 

(Dr.  Rudolph  Beck  u.  Dr.  N.  Dohan.  Münch,  med.  Wochenschr,  Nr.  4,  1909.) 

Verf.  haben  die  Herzgröße  nach  heißen  und  kalten  Bädern  orthodia- 
graphisch  bestimmt  und  gefunden,  daß  nach  heißem  Bade  (32 — 33°  R)  die 
Herzgröße  sich  verkleinert;  während  sie  nach  kaltem  Bade  (17 — 20°  R)  sich 
vergrößert.  Nach  Bädern  von  Körpertemperatur  tritt  eine  geringe  Ver¬ 
kleinerung  auf.  Der  über  dem  Herzen  befindliche  Schatten  (Aorta  und  Vena 
e.ava)  war  nach  heißem  wie  kaltem  Bade  verbreitert.  Verf.  erklären  die  be¬ 
obachteten  Erscheinungen  damit,  daß  das  heiße  Bad  die  Vaguswirkung  hemmt 
bzw.  den  Acceleraus  reizt,  das  kalte  Bad  dagegen  den  Vagus  reizt  und  die 
Acceleranswirkung  hemmt.  Hahn. 


Beiträge  zur  Kenntnis  des  Indiflferenzpunktes  bei  Kohlensäurebädern 

und  einfachen  Wasserbädern. 

(Albert  in  der  Stroth.  Tlierap.  Monatsh.,  Nr.  4,  1909.) 

Bezüglich  der  Beeinflussung  der  Blutdruckverhältnisse  (des  systolischen 
Druckes,  der  Amplitude,  des  Amplitudenfrequenzproduktes),  sowie  auch  der 
Schlagfolge  des  Herzens  durch  Bäder  ist  das  subjektive  Empfinden  des 
Badenden  kein  geeigneter  Maßstab  für  die  Beurteilung.  Auch  bei  Menschen, 
die  an  denkbar  verschiedene  Badetemperaturen  gewöhnt  sind,  liegt  der  ob¬ 
jektive  Indifferenzpunkt  für  den  Blutdruck  innerhalb  der  engbegrenzten 
Zone  von  etwa  32  bis  35°  C.  Das  gilt  für  das  Verhalten  des  peripher is(ch'en 
Kreislaufes  überhaupt.  Nur  der  Wendepunkt  für  die  Schlagfolge  des  Herzens 
liegt  gewöhnlich  an  oder  über  der  oberen  Grenze  der  genannten  Zone.  Kohlen¬ 
säurehaltige  Solbäder  und  elektrische  Bäder  machen  von  diesem  Satze  keine 
Ausnahme.  So  mannigfach  die  Änderungen  sein  mögen,  die  solche  Medizinal¬ 
bäder  gegenüber  gleich  temperierten  Wasserbädern  am  Kreislauf  hervorrufen, 
sie  stehen  quantitativ  alle  zurück  gegenüber  dem  mächtigen  Einfluß  der 
Temperatur.  Die  Temperatur  entscheidet  unabhängig  von  dem  subjektiven 
Empfinden  des  Badenden  nach  festen  Gesetzen  an  allererster  Stelle  über  die 
Kreislauf  Wirkung  jedes  Bades.  Dieser  zuerst  von  O.  Müller  für  Kohlen¬ 
säurebäder  aufgestellte  Satz  bestätigt  sich  immer  wieder.  Finden  sich  Ab¬ 
weichungen  von  dieser  Regel,  so  sind  sie'  nicht  durch  ihre  Inkonstanz,  sondern 
durch  ein  krankhaftes  Verhalten  der  badenden  Person  begründet.  Ein  Herz¬ 
kranker,  der  auf  ein  kühles  kohlensäurehaltiges  Solbad  mit  einer  beträcht¬ 
lichen  Senkung  des  systolischen  Druckes  reagiert,  ist  für  das  Bad  ungeeignet. 


1276 


Referate  und  Besprechungen. 


Man  wird  daher  bei  der  Dosierung  der  .Kohlensäurebäder  mit  glifferentejn 
Temperaturen  auch  dann  äußerst  vorsichtig  sein,  wenn  die  Kranken  früher 
an  solche  gewöhnt  waren.  S.  Leo.. 

Die  Hydrotherapie  der  Lungenschwindsucht. 

(A.  Möller.  Med.  Klinik,  Kr.  18,  1909.) 

Möller  weist  auf  verschiedene,  z.  T.  einfache  hydriatische  Maßnahmen 
hin,  vor  allem  feuchte  Einpackung,  welche  in  der  Therapie  der  Lungen¬ 
tuberkulose  mit  sehr  gutem  Erfolge  angewandt  werden  können  und  zur 
wesentlichen  Unterstützung  der  übrigen  Therapie  dienen.  Wegen  der  tech¬ 
nischen  Einzelheiten,  Indikationen  und  den  Kontraindikationen  muß  auf  die 
Originalarbeit  verwiesen  werden.  R.  Stüve  (Osnabrück). 

Der  therapeutische  Wert  der  Bestrahlung  granulierender  und  eitriger 
Wunden  und  Unterschenkelgeschwüre  mit  blauem  Bogenlicht. 

(Dr.  Paul  Richter.  Deutsche  med.  Wochenschr.,  Nr.  17,  1909.) 

Verfasser  hat  über  50  Kranke  mit  Blaulichtbestrahlung  behandelt,  und 
sehr  bald  ein  Nachlassen  der  Schmerzen,  sowie  eine  schnelle  Heilung  mit 
weicher  Narbe  beobachtet.  Er  führt  die  Bestrahlungen  mit  einem  einfachen 
Scheinwerfer  aus,  bei  dem  die  Hitzestrahlen  durch  ein  blaues  Glasfilter  resor¬ 
biert  werden.  Abstand  vom  Scheinwerfer  beträgt  IV2  bis  2  m.  Die  Tempera¬ 
tur  der -bestrahlten  Stelle  beträgt  ca.  22°  C.  Eine  medikamentöse  Behandlung 
fand  nicht  statt.  Hahn. 

Ueber  Kontraindikation  des  Finsenverfahrens. 

(Dr.  Max  Piorkowski.  Deutsche  med.  Wochenschr.,  Nr.  17,  1909.) 

Kontraindikationen  des  Finsenverfahrens  sind  Organerkrankungen,  die 
ein  längeres  Liegen  nicht  gestatten,  zu  große  Ausbreitung  der  Erkrankung 
und  endlich  Bildung  starrer  dicker  Narben,  wie  sie  nach  Anwendung  mecha¬ 
nischer,  thermischer  oder  chemischer  Mittel  entstehen.  Hahn. 

Röntgenmomentaufnahmen. 

(Friedrich  Dessauer.  Münch.  Wochenschr.,  Nr.  21,  1909.) 

D.  teilt  mit,  daß  es  ihm  gelungen  ist,  mit  einem  neuen,  nicht  näher 
beschriebenen  Instrumentarium,  Aufnahmen  in  einer  Zeit  von  V100  bis  V200 
Sekunde  zu  machen.  Die  Messung  der  Expositionszeit  geschieht  dadurch, 
daß  die  Röntgenstrahlen  auf  eine  mit  einem  feinen  Schlitz  versehene  Blei¬ 
platte  fallen,  hinter  der  ein  Film  mit  einer  bestimmten  Schnelligkeit  rotiert.. 

Hahn. 


Medikamentöse  Therapie. 

Aus  der  medizinischen  Klinik  zu  Heidelberg. 

Beiträge  zur  Kenntnis  der  Digitalisbehandlung. 

Zur  Kenntnis  der  Wirkung  des  Digalen. 

(Dr.  Leo  Müller.  Münch,  med.  Wochenschr.,  Nr.  18,  1909.) 

Die  größtenteils  absprechenden  Urteile  der  französischen  Autoren  haben 
Müller  veranlaßt,  in  18  Fällen  die  Wirkung  des  Digalen  zu  prüfen.  Wenn 
auch  in  mehreren  Fällen  erhebliche  subjektive  und  objektive  Besserung  ein¬ 
trat,  so  machten  sich  doch  auch  bei  einigen  Pat.  Zeichen  einer  kumulativen 
Wirkung  recht  unangenehm  bemerkbar.  Bei  einem  Vergleich  zwischen  Digi¬ 
talis  und  Digalen  kommt  er  zu  -dem  Schluß,  daß  bei  letzterem  z.  T.  dieselben 
Verhältnisse  bestehen,  wie  bei  Digitalis.  Er  konnte  nirgends  eine  schnellere 
oder  ausgiebigere  Wirkung  beobachten.  Das  Vertrauen  des  Arztes  auf  das 
Fehlen  einer  kumulativen  Wirkung  kann  dagegen  zu  recht  unliebsamen  Vor¬ 
kommnissen  führen.  Was  die  größere  Verträglichkeit  für  den  Magen  be¬ 
trifft,  so  hat  Müller  gefunden,  daß  große  Dosen  Digalen  wohl  den  Magen 
angreifen  können,  kleine  duen  dies  nicht,  und  zwar  ebensowenig,  wie  die 


Referate  und  Besprechungen. 


1277 


des  gewöhnlichen  Präparates.  Die  subkutane,  intramuskuläre  und  intra¬ 
venöse  Anwendungsweise  vermeidet  er  meistensteils.  Ein  Übergewicht  des! 
Digalen  hält  Müller  demnach  nicht  für  begründet.  E.  Walther. 

Aus  der  1.  medizinischen  Klinik  der  Charite  in  Berlin  (Geh.  Med.-Rat  Prof.  Dr.  His). 

Ueber  intravenöse  Strophantintherapie  bei  Verwendung  von  Strophantinum 

crystallisatum  Thoms. 

(Dr.  P.  Fleischmann  u.  cand.  med.  H.  Wjasmensky.  Deutsche  med. 

Wochenschr.,  Nr.  21,  1909.) 

Die  Verfasser  haben  an  32  Patienten  55  Strophantininjektionen  ausge¬ 
führt,  wozu  sie  sich  des  kristallinischen  Strophantin  Thoms  bedienten.  Was 
zunächst  das  Verhalten  des  Blutdruckes  betrifft,  so  konnten  sie  feststellen, 
daß  nach  wirksamer  intravenöser  Injektion  eine  Vergrößerung  der  vorher 
geringen  Pulsamplitude  eintrat.  Auch  die  Diurese  wurde  günstig  beeinflußt. 
Schon  drei  Stunden  nach  der  Injektion  machte  sie  sich  bemerkbar.  Die  Puls- 
verlangsajmung  erfolgt  im  D'urchschnitt  innerhalb  20 — 30  Minuten.  Die 
besten  Erfolge  sahen  die  Verfasser  bei  Herzfehlern  und  Herzschwächezustän¬ 
den  von  Nephritikern.  Nicht  so  günstig  sind  die  Resultate  bei  anderen  Er¬ 
krankungen,  wie  z.  B.  bei  Infektionskrankheiten.  Was  die  berichteten  Todes¬ 
fälle  nach  Strophantininjektion  anbetrifft,  so  liegt  ihre  Ursache  wohl  in  der 
Hauptsache  in  der  mangelhaften  Anwendungsweise.  Vor  allem  ist  darauf 
zu  achten,  daß  nicht  vor  der  Injektion  bereits  Digitalis  per  os  gegeben  wurde, 
weil  hierbei  die  Gefahr  der  Kumulierung  besteht.  Auch  schwer  Kachektisch'ei 
und  Moribunde  eignen  sich  nicht  dazu.  Als  Maximaldosis  für  das  kristalli¬ 
sierte  Strophantin  nennt  Fleischimann  0,0005  g1  bei  Erwachsenen. 

F.  Walther. 

Eubornyl,  ein  kräftig  wirkendes  Derivat  der  Baldrianwurzel. 

(Allina.  Ther.  der  Gegenw.,  April  1909.) 

Das  Eubornyl,  seiner  chemischen  Konstitution  nach  ein  Bromisovalerian- 
säureborneolester,  stellt  eine  kräftig  wirkende  Verbindung  von  Brom  und 
Isovaleriansäure  dar.  Es  kommt  in  zwei  Arten  in  den  Handel,  und  zwar  als 
Flüssigkeit  und  in  Pillenform  zu  0,1  g.  Sein  Indikationsgebiet  ist  natur¬ 
gemäß  das  gleiche  wie  das  der  beiden  Komponenten.  Die  Verdauungsorgane 
werden  durch  das  Präparat  nicht  angegriffen.  Auch  bei  länger  dauerndem 
Gebrauch  entfaltete  es  seine  beruhigende  Wirkung.  Man  fängt  am  besten 
mit  zwei  Tropfen  dreimal  täglich  oder  drei  Pillen  pro  Tag  an  und  steigt 
dann  langsam  bis  auf  sechs  Tropfen  oder  drei  Pillen  pro  Dosi.  Neumann. 


Gynoval,  ein  neues  Baldrianpräparat. 

(Dr.  Hoeflmayr,  München.  Deutsche  med.  Wochenschr.,  Nr.  21,  1909.) 

Das  Gynoval  (dargestellt  von  den  Friedr.  Bay ersehen  Farbenfabriken 
in  Elberfeld)  ist  der  Isoborneolester  der  Isovaleriansäure,  stellt  eine  farblose, 
neutrale  Flüssigkeit  von  eigenartig  aromatischem,  aber  bedeutend  angenehme¬ 
rem  Gerüche  als  die  bisher  hergestellten  Baldrianpräparate  und  von  mild- 
öligem  Geschmacke  dar.  Es  löst  sich  sehr  schwer  in  Wasser,  dagegen  leicht 
in  allen  gebräuchlichen  organischen  Lösungsmitteln.  Es  wird  von  der  Fabrik 
in  smaragdgrün  gefärbten,  je  0,25  g  Gynoval  enthaltenden  Gelatineperlep 
gebrauchsfertig  hergestellt.  Weder  beim  Öffnen  einer  eine  Anzahl  von  30 
Perlen  enthaltenden  Schachtel,  noch  beim  Durchbeißen  einer  solchen  Perle 
tritt  der  die  Baldrianpräparate  sonst  für  den  Patienten  und  seine  Umgebung 
so  unangenehm  machende  penetrante  Geruch  auf. 

Die  Toxität  des  Gynovals  ist  gering,  wie  Tierversuche  ergeben  haben. 
Hunde  vertragen  anstandslos  4  g  auf  einmal.  Verf.  hat  bei  seinen  zahlreichen 
Versuchen  niemals  eine  unangenehme  Wirkung  bei  seinen  Patienten,  selbst 
bei  6 — 8  Perlen  pro  die,  bemerkt,  auch  nie  subjektive  Klagen  gehört.  Über 
das  sonst  so  unangenehme  Aufstoßen  nach  Baldrianpräparaten  wurde  niemals 
geklagt.  Die  Verträglichkeit  ist  also  scheinbar  eine  bessere  als  bei  diesen. 

Neumann. 


1278 


Büch  erschau. 


Bromural  als  Schlafmittel. 

(Dr.  M.  A.  Skulsky,  Itschky  (Taurien).  Wratschebnaja  Gaseta,  Nr.  18,  S.  580,  1909.) 

Das  Bromural  wurde  hauptsächlich  bei  Aufregungszuständen  verwandt; 
es  wirkte  in  Dosen  von  0,6  g  auch  dort,  wo  z.  B.  2,5  g  Bromnatrium  jn 
Baldriantee  keinen  Schlaf  hervorriefen.  Auch  solche  Kranke,  die  gegen 
narkotische  Arzneimittel  starke  Idiosynkrasie  zeigten,  vertrugen  das  Mittel 
ausgezeichnet.  Patienten,  die  nach  Trional  am  folgenden  Morgen  Kopfschmer¬ 
zen  und  Benommenheit  hatten,  erwachten  nach  Bromuralgebrauch  jedesmal 
frisch  und  fühlten  sich  vollständig  ausgeruht. 

Auf  Grund  seiner  Erfahrungen  (21  Fälle)  kommt  der  Verfasser  zu 
folgendem  Schließ : 

In  allen  Fällen,  wo  die  Ursache  der  Schlaflosigkeit  auf  nervöser  Auf¬ 
regung  beruhte,  bewirkte  das  Bromural  in  Gaben  zu  0,6  g  stets  einen  ruhigen 
und  erfrischenden  Schlaf ;  dort  aber,  wo  somatische  Störungen  vorhanden  waren, 
wie  Zystitis  Trauma,  Appendizitis  usw.  konnte  man  mit  Bromural  allein 
keinen  Schlaf  erzielen.  Schädliche  Nebenwirkungen  des  Bromurals  wurden 
nicht  beobachtet.  Neumann. 


Bücherschau. 


Die  ärztliche  Feststellung  der  verschiedenen  Formen  des  Schwachsinns 
in  den  ersten  Schuljahren.  Von  L.  Laquer,  Frankfurt  a.  M.  2.  Aufl. 

München,  Verlag  der  ärztlichen  Rundschau  (Otto  Gmelin),  1909. 

Nicht  bloß  Fragen  der  Ernährung,  der  Blutmischung,  der  Muskel-  und 
Knochenentwicklung,  die  Funktion  und  der  Bau  ihrer  Seh-,  Hör-  und  Sprechorgane 
gehört  zur  Domäne  der  Schulärzte,  sondern  vor  allem  auch  die  Berücksichtigung 
der  Störungen  der  geistigen  Entwicklung. 

Für  schulärztliche  Zwecke  empfiehlt  L.  drei  Formen  des  Schwachsinns  aus¬ 
einanderzuhalten:  Die  Debilität,  die  Imbezillität  und  die  Idiotie.  Unter  Debilität 
versteht  L.  intellektuelle  Schwächezustände,  bei  denen  die  Denkprozesse  gehemmt 
erscheinen,  unter  Imbezillität  höhere  Grade  von  Schwachsinn:  „Es  besteht  eine  auch 
schon  für  Laien  offenkundige  geistige  Beschränktheit  in  bezug  auf  Umfang  und 
Tiefe  des  Denkens“  (Cassel).  Die  niedrigste  geistige  Stufe  stellt  die  Idiotie  dar. 
Darunter  rechnet  er  die  Kinder,  die  keine  Eindrücke  fassen,  sie  sammeln  und  ver¬ 
arbeiten  können.  Schwierigkeiten  in  schulärztlicher  und  pädagogischer  Beziehung 
bereiten  nur  die  Imbezillen,  und  die  Zeit  wird  nicht  mehr  allzufern  sein,  wo  die 
Schule  von  dem  Bleigewicht  der  Unbegabten  und  Zurückbleibenden  entlastet  und 
die  Trennung  der  Schüler  nach  ihrer  Begabung  ermöglicht  werden  soll. 

Die  Notwendigkeit  der  Hilfsschulen  für  Imbezille  erhellt  am  besten  aus 
folgenden  Zahlen,  die  für  Preußen  aufgestellt  wurden: 

1892:  26  Hilfsschulen  mit  64  Lehrkräften. 

1906/7:  204  „  „665 

Nach  einer  Anleitung  zur  Verwertung  der  anamnestischen  Daten  bei  der 
Erkennung  imbeziller  Kinder  spricht  L.  von  der  fundamentalen  Wichtigkeit  der 
frühzeitigen  Erkennung  und  richtigen  Unterweisung  imbeziller  Kinder,  die  eine 
Keihe  von  sozialen  Schäden  zu  heilen  berufen  ist.  Reiss  (München). 


Die  Gefäßentartung  (Arteriosklerose).  Von  Dr.  A.  Smith.  (1.  Band 
der  Folge:  Herz-  und  Gefäßkrankheiten,  Neue  Wege  zu  ihrer  Beurtei¬ 
lung  und  Heilung.)  Verlag  itir  Volkshygiene  und  Medizin,  G.  m.  b.  H., 

Berlin.  211  S.  2,80  Mk. 

Verf.  behandelt  das  nur  allzu  moderne  Thema  in  überaus  eingehender  Weise 
und  bedient  sich  dabei  einer  klaren,  fesselnden  und  blühenden  Sprache.  Er  ver¬ 
tritt  die  Anschauung,  daß  es  sich  bei  der  Arteriosklerose  nicht  um  eine  un¬ 
vermeidliche  und  unheilbare  „Abnutzungskrankheit“  handele,  sondern  daß  sie  vielmehr 
durch  irrationelle  Lebensweise  entstehe  und  also  durch  deren  Gegenteil  vielfach 


Bücherschau. 


1279 


gehoben,  mindestens  aber  gebessert  werden  könne.  So  stimmt  er  z.  B.  weitgehend 
mit  den  Anschauungen  derjenigen  Ärzte  überein,  die  die,  bis  vor  kurzem  noch  hoch¬ 
moderne  Überernährung,  vor  allem  das  Eiweißdogma  perhorreszieren  und  eine  mehr 
vegetabilische  Nahrung  vorziehen:  „Die  Frühsklerose  ist  eine  Schlemmerkrank¬ 
heit“.  (Im  Zusammenhang  damit  tritt  er  für  vorwiegend  konstitutionelle  Behandlung 
an  Stelle  der  einseitigen  anatomisch-lokalistischen  ein.)  Außer  den  üblichen 
balneo-,  äro-,  kineto-  und  pharmakotherapeutischen  Maßnahmen  empfiehlt  er  für 
geeignete  Fälle  sehr  mit  Recht  auch  den,  unsern  heutigen  Anschauungen  ent¬ 
sprechend  aufgefaßten  und  modifizierten  Aderlaß. 

Sein  spezielles  Gebiet  aber  ist  bekanntlich  die  Elektrotherapie,  der  er  einen 
enormen  Einfluß,  besonders  auf  die  Besserung  von  Herz-  und  Gefäßleiden  zuschreibt. 

Ein  Literaturverzeichnis  von  über  400  Nummern  beschließt  die  Arbeit.  Esch. 


Lehrbuch  der  spezifischen  Diagnostik  und  Therapie  der  Tuberkulose. 

Äron  Dr.  Bandelier  u.  Dr.  Roepke.  Dritte  erweiterte  und  verbesserte 
Auflage  mit  einem  Vorworte  von  Geh.-Rat  R.  Ivoch.  Würzburg, 

C.  Kabitzsch,  1909.  6  bezw.  7  Mk. 

Die  dritte  Auflage,  die  sehr  bald  nach  dem  Erscheinen  der  zweiten  nötig 
wurde,  ist  um  verschiedene  Einzelheiten  bereichert,  weicht  aber  naturgemäß  im 
wesentlichen  nicht  von  der  vorangegangenen  Auflage  ab.  Die  Yerff.,  die  über  eine 
äußerst  reiche  eigene  Erfahrung  verfügen  und  die  Literatur  der  Tuberkulinfrage 
eingehend  verwerten,  verfechten  die  Ansicht,  daß  das  Tuberkulin  für  die  Behand¬ 
lung  der  Tuberkulose  ein  unentbehrliches  Hilfsmittel  vorstellt,  daß  seine  dia¬ 
gnostische  Anwendung  im  Interesse  einer  wirksamen  Tuberkulosebekämpfung  ebenso 
geboten  ist  wie  die  therapeutische  Anwendung  in  geeigneten  Fällen  im  Interesse 
des  einzelnen  Kranken  angezeigt  erscheint.  Allerdings  sind  für  die  Diagnose  die 
übrigen  (klinischen  und  bakteriologischen)  Untersuchungsmethoden  durch  das 
Tuberkulin  nicht  entbehrlich  geworden.  Und  die  therapeutische  Tuberkulinanwen¬ 
dung,  der  ja  oft  genug  Kontraindikationen  entgegenstehen,  macht  die  sonstigen 
Behandlungsarten  nicht  überflüssig.  Die  Vereinigung  der  Tuberkulinbehandlung 
mit  der  Heilstättenkur  wird  als  das  Aussichtsvollste  hingestellt.  Die  diagnostische 
und  therapeutische  Tuberkulinanwendung  soll  aber  nicht  auf  die  Heilstätten  be¬ 
schränkt  bleiben,  sondern  auch  allen  praktischen  Ärzten  zugängig  gemacht  werden. 
Begründet  wird  dies  mit  der  nachgewiesenen  Wirksamkeit  des  Tuberkulins  einer¬ 
seits,  mit  seiner  Unschädlichkeit  andererseits:  die  von  anderer  Seite  berichteten 
Tuberkulinschäden  werden  nicht  anerkannt  bezw.  als  leicht  vermeidlich  hingestellt. 
—  Es  ist  dies  der  einzige  schwache  Punkt  in  dem  sonst  so  vorzüglichen  Buche,  und 
es  darf  wohl  als  eine  besondere  Anerkennung  angesehen  werden,  wenn  man  an 
einem  Werke,  das  eine  noch  so  wenig  abgeschlossene  und  nach  vielen  Richtungen 
hin  noch  nicht  geklärte  Frage  behandelt,  nur  dies  eine  auszusetzen  hat. 

Für  Ärzte,  die  sich  über  die  Anwendung  des  Tuberkulin  unterrichten  wollen, 
kann  es  keine  bessere  Einführung  geben,  als  dieses  Buch,  das  in  sachlicher  Weise 
alles  enthält  was  für  den  Praktiker  von  Bedeutung  ist.  Aber  auch  für  den  Heil¬ 
stättenarzt,  der  nicht  immer  in  der  Lage  ist,  alle  neuen  Veröffentlichungen  über 
Tuberkulin  zu  verfolgen,  wird  sich  die  neue  Auflage  des  Bandelier-Roepke’schen 
Buches  als  anregend  und  zweckmäßig  erweisen,  schon  wegen  der  Stellungnahme 
der  Verff.  zu  einzelnen  Tagesfragen,  wie  Steigerung  der  Dosis,  Erreichen  der  Maximal¬ 
dosis,  Wahl  des  Tuberkulinpräparates  usw.  Hervorzuheben  ist  in  dieser  Beziehung 
die  Feststellung,  daß  trotz  aller  Anerkennung  der  lokalen  Tuberkulinreaktionen 
die  subkutane  Tuberkulinprobe  ihre  Bedeutung  beibehält,  namentlich  für  die  Dia¬ 
gnose  initialer  Tuberkulose  bei  Erwachsenen,  weil  sie  mehr  leistet  als  die  örtlichen 
Proben  und  zudem  noch  den  besonderen  Vorteil  bietet,  daß  durch  die  Herdreaktion 
oft  ein  Rückschluß  auf  den  Sitz  der  tuberkulösen  Erkrankung  ermöglicht  wird. 
Bei  Kindern  dagegen  ist  die  Pirquet’sche  Kutanreaktion  vorzuziehen.  DerKonjunk- 
tivalreaktion  ist  eine  prognostische  Bedeutung  nicht  zuzuerkennen. 

Die  Indikationen  und  Kontraindikationen  der  Tuberkulinbehandlung  sind 
mit  weiser  Mäßigung  aufgestellt.  Besonders  hervorgehoben  sei  die  den  Ein¬ 
geweihten  allerdings  nicht  unbekannte,  für  den  Anfänger  aber  so  wichtige  Tatsache, 
daß  die  spezifische  Reaktion  nicht  immer  mit  Fiebererscheinungen  verläuft,  sondern 
oft  nur  durch  Störungen  des  Allgemeinbefindens  gekennzeichnet  ist.  Für  die  Steige¬ 
rung  der  Dosen  werden  brauchbare  Vorschriften  gegeben.  Als  Ziel  wird  die  Er¬ 
reichung  einer  möglichst  großen  Giftfestigkeit  durch  wiederholte  Injektionen  einer 
möglichst  hohen  Maximaldosis  hingestellt,  natürlich  unter  Vermeidung  schwerer 
Reaktionen.  Es  wird  diese  Behandlung  für  wirksamer  erklärt  als  die  Petruschky- 


1280 


Bücherschau. 


sehe  Etappenbeliandlung.  Die  Wright’sche  Opsoninbestimmung  wird  mit  den  aus 
ihr  gezogenen  Folgen  als  praktisch  ohne  Bedeutung  abgelehnt.  Eine  Ablehnung 
erfahren  ferner  die  verschiedenen  Versuche,  Tuberkulin  intravenös,  per  os,  durch 
Inhalation  usw.  einzuführen. 

Die  verschiedenen  Tuberkulinpräparate  und  die  zur  passiven  Immunisierung 
dienenden  Mittel  sind  eingehend  besprochen.  Sobotta  (Reiboldsgrün). 


Das  deutsche  Stadion  im  Grunewald.  Von  A.  Mallwitz.  Berlin,  Verlag 
für  Volkshygiene  und  Medizin,  1909.  40  Seiten.  50  Pfg. 

„Sachverständige  Militärs  sind  der  Ansicht,  daß  tägliches  Exerzieren  mehr 
zur  Gesundheit  beitrage  als  alle  Ärzte“  schreibt  Vegetius  in  seinem  Buch  de  re 
militari  III.  Diesen  Gedanken  haben  die  verschiedenen  Sportvereine  aufgenommen. 
Da  aber  hierfür  eine  Zentralstätte  vorhanden  sein  muß,  in  welcher  wir  Deutsche 
die  seit  einigen  Jahren  wieder  auf  genommenen  olympischen  Spiele  abhalten  können, 
so  wird  für  ein  deutsches  Stadion  im  Grunewald  geworben,  wie  solche  in  den 
übrigen  Landeshauptstädten  bereits  existieren.  Preis:  3  Millionen  Mark.  —  Staats¬ 
minister  v.  Podbielski  hat  der  Broschüre  ein  Vorwort  mitgegeben. 

Buttersack  (Berlin). 


Taschenbuch  für  Ohren-,  Nasen-  und  Halsärzte.  Von  L.  Jankau. 
11.  Aufl.  Verlag  von  Max  Gelsdorf,  Eberswalde.  4  Mk. 

Das  kleine  Buch  gehört  schon  seit  lange  zum  fast  unentbehrlichen  Besitz 
des  Laryngologen,  nicht  zum  wenigsten  dadurch,  daß  der  Autor  rastlos  mit  der  Zeit 
mitschreitet  und  jede  neue  Auflage  den  Fortschritt  des  oder  der  letzten  Jahre 
wiederspiegeln  läßt.  Auch  die  neue  Ausgabe  ist  durch  zum  Teil  andere  Anordnung 
und  große  Bereicherung  des  Stoffes  verbessert.  Der  sachliche  Teil  ist  dadurch  um 
fast  100  Seiten  gewachsen.  Manche  werden  es  bedauern,  daß  die  „Personalien“ 
fortgeblieben  sind,  doch  scheint  das  notwendig  gewesen  zu  sein,  um  den  Umfang 
eines  „Taschenbuches“  nicht  zu  überschreiten.  Arth.  Meyer  (Berlin). 


Röntgen-Taschenbuch.  2.  Band.  Von  Ernst  Sommer.  Leipzig,  1909, 

O.  Nemnich.  318  S.  4,50  Mk. 

Ein  Taschenbuch  —  früher  hieß  der  Titel:  Röntgenkalender  —  läßt*  sich 
nicht  gut  referieren.  Aber  eine  kurze  Notiz  soll  doch  diejenigen,  die  mit  Röntgen¬ 
strahlen  arbeiten,  auf  das  wertvolle  Unternehmen  hinweisen.  171  Seiten  sind 
technisch-diagnostischen  Fragen  gewidmet,  in  denen  die  berufensten  Autoren  sich 
über  Hg-Unterbrecher  (Dessauer),  Magen-  (Holzknecht- Jonas),  Nieren-  (Holz¬ 
knecht-Kienböck),  Lungendiagnostik  (Sommer),  über  intrathorazische  Strumen 
(Kienböck),  subphrenische  Organe  (Schürmayer)  usw.  auslassen.  Auch  wert¬ 
volle  therapeutische  Winke  sind  aufgeführt. 

In  einem  besonderen  Abschnitt  ist  den  verschiedenen  Fabriken  und  Gesell¬ 
schaften  Gelegenheit  gegeben,  über  die  von  ihnen  ersonnenen  technischen  Neue¬ 
rungen  und  Verbesserungen  zu  berichten,  ein  Gedanke,  der  gewiß  vielen  Bei¬ 
fall  findet. 

Den  Schluß  bildet  ein  internationales  Verzeichnis  der  Röntgenologen  und 
Röntgeninstitute,  an  welchem  man  den  Siegeszug  dieser  physikalischen  Entdeckung 
durch  die  Medizin  aller  Länder  abmessen  kann.  Buttersack  (Berlin). 

Zeitschrift  für  Chemie  und  Industrie  der  Kolloide.  Wissenschaftliche 
und  technische  Rundschau  für  das  Gesamtgebiet  der  Kolloide.  Redaktion: 
Privatdozent  Dr.  Wolfgang  Ostwald,  Leipzig.  Verlag:  Theodor 

Steinkopff,  Dresden- A. 

Die  Zeitschrift,  deren  5.  Band  soeben  erschienen  ist,  ist  für  alle  unsere  Leser, 
welche  sich  für  die  Grenzgebiete  zwischen  Chemie  und  Medizin  interessieren,  sehr 
beachtenswert  und  kann  zu  regelmäßiger  Lektüre  warm  empfohlen  werden.  Aus 
dem  reichhaltigen  Inhalt  heben  wir  folgende  Arbeiten  heror:  Schade,  Kolloid¬ 
chemie  und  Balneologie;  Bechtold,  Desinfektion  und  Kolloidchemie;  Bottazzi, 
Untersuchungen  über  die  Kolloide  der  „Leibeshöhienflüssigkeit“  und  des  Blutes  der 
Seetiere.  R. 

Schriftleitung:  Dr.  Rigi  er  in  Leipzig. 

Druck  von  Emil  Herrmann  senior  in  Leipzig. 


27.  Jahrgang. 


1909. 


Tomcbriue  der  Medizin. 

Unter  Mitwirkung  hervorragender  Fachmänner 

herausgegeben  von 

Professor  Dr.  6.  Köster  Prio.-Doz*  Dr.  *>.  £riegern 

in  Leipzig.  in  Leipzig. 

Schriftleitung:  Dr.  Rigler  in  Leipzig. 


Nr.  34. 


Erscheint  am  10,,  20.,  30.  jeden  Monats.  Preis  halbjährlich 
6  Mark,  inkl.  Zeitschrift  für  Yersicherungsmedizin  8  Mark. 

Verlag  von  Georg  Thieme,  Leipzig. 


10.  Dezbr. 


Originalarbeiten  und  Sammelberichte. 


Zur  Diagnostik  der  Arteriosklerose. 

Von  Dr.  Gr.  Rheiner,  St.  Gallen. 

Die  Ausbreitung  der  Arteriosklerose  über  diei  verschiedenen  Ge¬ 
fäßgebiete  ist  keineswegs  einheitlich.  Die  diagnostisch  so  gern  ver¬ 
werteten  Schläfen-  und  Radialarterien  können  wie  auch  das  Herz  so¬ 
wohl  klinisch  als  anatomisch  völlig  frei  erscheinen,  die  der  Palpation 
unzugänglichen  viszeralen  Gefäße  dagegen  beim  nämlichen  Menschen 
hochgradig  sklerosiert  und  verkalkt  sein.  Durchgreifende  Verkalkung 
aller  Arterien  kommt  nicht  vor ;  stets  sind  nur  kleinere  oder  umfang¬ 
reichere  Distrikte  von  ihr  betroffen  und  ist  anch  im  affizierten  Bezirk 
selbst  der  Grad  der  Veränderung  sehr  verschieden  ausgeprägt.  Arterio¬ 
sklerose  lokalisiert  sich  beispielsweise  entweder  nur  in  den  zentralen, 
nur  in  den  viszeralen  oder  pur  in  den  Arterien  der  Extremitäten,  hianeh- 
mal  aber  auch  in  mehreren  Gebieten  des  Körpers  gleichzeitig.  Infolge 
dieser  Tatsachen  darf  der  Arzt  die  Diagnose  Arteriosklerose  nicht  etwa 
nur  von  Rigidität  und  Schlängelung  der  A.  radiales  und  A.  temporales 
abhängig  machen,  besonders  darf  ihn  picht  einfache  Schlängelung  der 
palpablen  Arterien  ohne  draht  artige  Resistenz  des  Gefäßrohrs,  ohne 
eventl.  rauhe  Oberfläche  desselben  usw.  zur  Annahme  von  Arterio¬ 
sklerose  der  betreffenden  Gefäße  verleiten.  Es  ist  meines  Wissens 
bis  anhin  noch  keineswegs  festgestellt,  ob  der  bloßen  Schlängelung  der 
Arterien  derselbe  anatomische  Erozeß  zugrunde!  liegt  wie  der  sklero¬ 
tischen  Verdickung .  und  Verhärtung  ihrer  Wand.  Allerdings  sind  bei 
ausgebreiteter  Arteriosklerose  die  palpabeln  Arterien  oft  gewunden;; 
tatsächlich  kann  aber  doch  ausgesprochene  Arteriosklerose  des  Splanch- 
nikusgebiets  vorliegen  ohne  die  geringste  Schlängelung  der  Schläfen¬ 
oder  Armarterien.  Bei  manchen  Menschen  finden  wir  schon  in  der 
Jugend  auffallend  stark  gewundene  A.  temporales  und  A.  radiales  ohne 
Arteriosklerose  derselben.  Damit  ist  selbstredend  durchaus  nicht  ge¬ 
sagt,  daß  nicht  schon  junge  Individuen  arteriosklerotische  Verände¬ 
rungen,  sogar  stark  ansgesprochene  Kalkablagerung  in  den  tastbaren 
Arterien  auf  weisen  können.  So  hat  Rach  (Wieper  m.  W.  1906)  hei 
einem  13jährigen  Mädchen  hochgradige  Arteriosklerose  mit  letaler 
Schrumpfniere  gefunden,  Oppenheim  (Virch.-Arch.  181)  bei  einem 
Kind  von  9  J ähren  stark  entwickelte  Arteriosklerose  mit  sekundärer 
Aortenruptur.  Negativer  Befund  von  Arteriosklerose  in  den  Temporal¬ 
oder  Brachialgefäßen  läßt  bei  Unkenntnis  der  Verbreitungsmöglich- 

81 


1282 


G.  Rheiner, 


keit  der  Arteriosklerose  diese  leicht  übersehen ;  Kenntnis  derselben, 
kann  andererseits  zu  irrtümlicher  Annahme  von  Arteriosklerose  als 
Erklärung  von  0 r  gan verän de r un gen  führen,  deren  Genese  anderswo 
liegt.  Da,s  moralische  Verantwortlichkeit  sgefühl  gegenüber  den 
Lebensversicherungs-Gesellschaften  sowie  das  Befwußtsein  der  obigen 
Tatsachen  sind  Veranlassung,  daß  ich  meine  Untersuchungsbefunde  trotz 
eingehender  Untersuchung  doch  stets  mit  einem  gewissen,'  Bangen  aus  der: 
Hand  gebe  und  mich  frage,  ob  sich  mein  Urteil  auch  genau  mit  den 
tatsächlichen  Körperverhältnissen  decke,  ob  nicht  vielleicht  doch  plötz¬ 
lich  ein  unerklärlicher!  Todesfall  Vorkommen  könnte,  der  mit  einem 
gewissen  scheinbaren  Hecht  die  Genauigkeit  meiner  Untersuchung1  in 
Zweifel  ziehen  könnte.  Genannte  Reflexionen  sind  die  Ursache  dieser 
Studie.  Der  Arzt  soll  auch  bestrebt  siein,  die  einzelnen  Symptome  irgend 
eines  pathologischen  Prozesses  nicht  allein  als  solche  zu  erkennen, 
sondern  sie  auch  richtig1  zu  verstehen  suchen  hinsichtlich  ihrer  Ent¬ 
stehungsweise,  ihres  inneren  Zusammenhangs  und  ihrer  schädlichen  Be¬ 
deutung  für  den  Gesamtorganismus.  Auch  für  eine  durchsichtige  Dia¬ 
gnostik,  Prognostik  und  Behandlung  der  Arteriosklerose  liegt  der  Haupt¬ 
wert  nicht  in  der  einfachen ‘Eruierung  der  Symptome  an  und  für  sich, 
sondern  in  der  klaren  Einsicht  ihrer1  Zusammenfügung  und  ihres  ge¬ 
meinsamen  Spiels.  Es  besteht  noch  keine  einheitliche!  Auffassung  über 
das  "Weisen  der  Arteriosklerose.,  Früher  sah  män  in  ihr  eine  Arte¬ 
riitis  der  vasa  nutrientia  der  betreffenden  Gefäße,  jetzt  hält  man  sie 
für  einen  rein  mechanischen  Abnutzungs Vorgang  der  Arterienwände, 
speziell  an  solchen  Orten,  wo  durch  irgendwelche  Ursache  die  Blut¬ 
zirkulation  andauernd  erheblich  gesteigert,  damit  daselbst  der  Stoff¬ 
verbrauch  anhaltend  größer  ist  als  der  Stoffersatz.  In  anderen  Fällen 
mag  die  Funktion  der  gesunden  Arterien  nicht,  übermäßig  in  Anspruch 
genommen  worden  sein,  aber'  innerhalb  der  physiologischen  Breite  befind¬ 
liche  Ansprüche  treffen  eine  vererbte,  angeborene  oder  erworbene  Minder¬ 
wertigkeit  der  Gefäßwand.  Voraussichtlich  besitzen  histologisch  die 
sklerotischen  Veränderungen  der  Arteriolen  der  Gehirns,  des  Herzens, 
der  Nieren,  Milz  usw.  große  Ähnlichkeit  mit  den  diesbezüglichen  Um¬ 
gestaltungen  in  der  Aorta  und  den  übrigen  größeren  Arterienstämmen, 
doch  lassen  sich  anatomisch  die  betreffenden  Läsionen  der  großen  und 
feinsten  Gefäße  schwer  identifizieren.  Im  ersteren  Fall  läßt  sich  mit 
Messer  und  Schere  die  Veränderung  der  Arterien  hinsichtlich  der 
Wand,  des  Lumens  usw.  bis  in  die  makroskopisch  noch  erkennbaren 
Verästelungen  genau  verfolgen.  Bei  den  feinsten  Äderchen  muß  da¬ 
gegen  das  Mikroskop  Aufklärung  schaffen,  das  uns  indessen  über 
fehlende  Elastizität  oder  Obliteration  eines  größeren  Arteriolenbezirks, 
Unregelmäßigkeiten  der  Gefäßinnenfläche  usw.  nur  in  sehr  beschränk¬ 
tem  Maße  unterrichtet.  Nähere  Aussprache  über  die  Texturverände¬ 
rungen  der  Arterien  durch  Arteriosklerose  gehört  nicht  hierher. 

Aus  dem  Gesagten  erhellt,  daß  Arteriosklerose  und  höheres  Alter 
nur  in  losem  Zusammenhang  stehen.  Viel  wichtiger  erscheinen  zahl¬ 
reiche  äußere,  mit  unserer  Lebensweise;  innig  verflochtene  Einflüsse. 
Häufige  und  mühsame  geistige  wie  auch  seelische  Strapazen  disponieren 
z.  B.  zu  Arteriosklerose  der  Hirnarterien,  jahrzehntelange  Überan¬ 
strengung  der  oberen  Extremitäten  zu  Arteriosklerose  der  Brachial¬ 
arterien.  Der  Einfluß  des  Alkohols,  Nikotins,  der  Disposition  zu  Stoff¬ 
wechselanomalien  verschiedenster  Art  darf  natürlich  nebenbei  nicht 
unterschätzt  werden.  Ich  verweise  diesbezüglich  auf  die  Arbeit  von 


1283 


Zur  Diagnostik  der  Arteriosklerose. 


Dr.  Burwinkel  (Ztschr.  f.  Vers. -Med.  1909).  Interessant  ist  die  Be¬ 
obachtung  von  Herz  (Wiener  med.  Z.  1908)  über  die  Häufigkeit  der 
Arteriosklerose  in  den  unteren  Extremitäten  bei  Bäuerinnen,  während 
er  selbige  bei  bequemen  Frauen  des  Mittelstandes  sehr  selten  konsta¬ 
tierte. 

Die  Bedeutung,  resp.  Folgezustände  arteriosklerotischer  Verände¬ 
rungen  in  den  einzelnen  Organen  und  im  Gesamtorganismus  schwanken 
demnach  je  nach  der  funktionellen  Inanspruchnahme  und  Resistenz 
der  Arterien  sowie  der  Reaktion,  resp.  Sensibilität  der  Organe  gegen¬ 
über  ihren  sklerotischen  Gefäßen.  Die  Schädigung  der  arteriosklero¬ 
tischen,  benachteiligten  Gewebe  beruht  schematisch  skizziert  einmal 
auf  dem  El astizitäts Verlust  ihrer  Arterien  verschiedenen  Kalibers.  Da¬ 
zu  gesellt  sich  häufig  wiederkehrende  oder  permanente  Steigerung  des 
Blutdrucks,  zuerst  im  sklerotischen  Parenchymbezirk,  welche  sekun¬ 
där  zu  weiterreichenden  Zirkulationsstörungen,  damit  zu  vermehrter; 
Herzanstrengung,  eventuell  mit  reaktiver  Herzhypertrophie  führt.  Nach 
sphygmo-manometrischen  Untersuchungen  von  Basch  (Wiener  m.  Presse 
1905)  ist  der  arteriosklerotisch  erhöhte  Blutdruck  nicht  Folge  der 
Entartung  der  großen,  sondern  der  feinen  Arterien,  d.  h.  das  Ergebnis 
des  Widerstandes  an  der  Peripherie.  Wir  wissen  aber  ferner  aus  Mes¬ 
sungen  von  Sarada  und  durch  Romberg,  daß  nur  bei  90°/0  der 
Fälle  von  Arteriosklerose  der  arterielle  Blutdruck  nachweisbar  zunimmt. 
Finden  wir  daher  einwandfreie  Symptome  von  Arteriosklerose,  aber 
gleichwohl  keine  deutlich  vermehrte  Pulsspannung,  so  ziehe  man  die 
Eventualität  der  Kombination  mit  Degeneratio  cordis  in  Betracht.  Als 
Folge  der  zwei  vorhin  erwähnten  Momente  kommt  es  nun  zu  mehr 
oder  weniger  schwerwiegender  Parenchymerkrankung  der  betreffenden 
Organe  selbst.  Voraussichtlich  vermögen  sich  diese  bis  zu  einem  ge¬ 
wissen  Grade  längere  Zeit  der  arteriosklerotischen  Schädlichkeit  an¬ 
zupassen,  bis  beispielsweise  bazilläre  Infektionen  den  Stein  ins  Rollen 
bringen  und  gewebliche  Entartung  wachrufen,  die  auch  nach  Aus¬ 
heilung  des  bazillären  Einflusses  weiterspielt  und  zu  lebensunfähiger 
Atrophie  der  funktionierenden  Elemente  der  erkrankten  Organe  führt, 
mit  Uber  Wucherung  proliferiep  enden  Bindegewebes  über  die  abster¬ 
benden  Parenchymzellen,  damit  zu  allmählichem  Exitus. 

Halten  wir  Rundschau  unter  den  einzelnen  Organen,  die  natur¬ 
gemäß  am  meisten  unter  den  Folgen  arteriosklerotischer  Erkrankung 
leiden,  sofern  nicht  die  Lebensweise,  berufliche  Anstrengungen  der 
Menschen,  besondere  Vulnerabilität  einzelner  Organe  anders  bestimmen, 
so  wird  logischerweise  zuerst  das  Herz  geschädigt,  so  durch  schlechte 
Ernährung  seiner  Muskulatur  infolge  Sklerose  der  Kranzarterien. 
S  chab  er  t  (Petersb.  m.  W.-Schr.  1904)  berichtet  über  diesbezügliche 
Untersuchungen  an  Hand  eines  jährlich  ca.  500  Sektionen  umfassenden 
Materials  aus  dem  Stadtkrankenhaus  in  Riga.  Unter  diesen  Fällen 
befinden  sich  jährlich  ca.  15 — 18  Koronarsklerosen,  die  einen  wesentlichen 
Sektionsbefund  darstellen.  Die  meisten  derselben  sind  diffus,  steno- 
sieren  das  ganze  Gefäß  oder  einzelne  Äste  mit  Uberwiegen  der  Sekun¬ 
därerscheinungen  am  Herzmuskel  (Myokarditis  chron.  librosa,  Herz¬ 
infarkt,  Herzruptur).  Im  Gegensatz  hierzu  fand  Schabert  innerhalb 
zwei  Jahren  sechs  sog.  Mündüngssklerosen,  resp.  umschriebene  Stenosen 
bis  zu  totalem  Verschluß  nur  an  der  Ausmündung  der  Arterie  infolge 
Arteriosklerose  im  Sinus  Valsalvae,  wobei  der  übrige  Teil  des  Gefässes 
zartwandig  war.  In  drei  Fällen  war  diese  lokale  Stenose  pur  für 

81* 


1284 


G.  Eheiner, 


eine  Borste  passierbar,  bei  allen  sechs  Fällen  handelte  es  sich  lim 
Sklerose  der  rechten  Kranzarterie,  während  die  linke  nur  einmal,  und 
zwar  in  Gemeinschaft  mit  Mündungssklerose  der  A.  coron.  cord,  dextra 
befallen  war.  Fünfmal  fand  sieh  gleichzeitig  Aorten-Insuffizienz  und 
bildete  den  klinischen  Hauptbefund.  In  vier  Fällen  erfolgte  plötzlicher 
Exitus,  entweder  ohne  jeden  Todeskampf  oder  nach  kurzer  Dyspnoe, 
zweimal  unter  dem  Bild  des  normalen  Ausgangs  der  vorliegenden 
Grundkrankheit,  so  zunehmenden  Verfalls  bei  Tuberkulose,  progre- 
dierender  Kompensationsstörungen  bei  Aorten-Insuffizienz.  Bei  einer 
der  sechs  Mündungssklerosen  bestand  offenbar  die  Obliteration  schon 
lange,  ohne  die  geringsten  krankhaften  Beschwerden  gemacht  zu  haben, 
während  doch  naturgemäß  schwerwiegende  Symptome  dem  synkopalen 
Tode  hätten  vorangehen  sollen.  Mit  solchen  unerfreulichen  Über¬ 
raschungen,  die  begreiflicherweise  dem  behandelnden  oder  nur  einmal 
untersuchenden  Arzte  sehr  leicht  den  Vorwurf  oberflächlicher  Unter¬ 
suchung,  Beobachtung  und  Behandlung  zuziehen  können,  von  welchem 
er  sich  auch  trotz  redlichster  Pflichterfüllung  kaum  überzeugend  rei¬ 
nigen  kann,  könnte  wohl  jeder  Kollege  aufwarten.  Ich  flechte  hier 
beispielsweise  einen  sonst  durchaus  nicht  hierher  gehörigen  Fall  ein, 
den  ich  unmittelbar  ante  m'ortem  sah.  Ein  junger,  angeblich  niemals 
krank  gewesener  Mann  starb  pach  einem  fröhlich  mit  seiner  Braut 
verbrachten  Ausflug  an  rapider  innerer  Verblutung.  Die  Sektion  er¬ 
gab  faustgroßes  rupturiertes  primäres  Medullarkarzinom  des  großen 
Leberlappens.  Sehen  wir  ab  von  Ausnahmefällen,  so  lassen  sich  die 
klinischen  Symptome  der  allmählich  zunehmenden  Koronarsklerosen 
des  Herzens  leicht  mit  den  anatomischen  Veränderungen  in  Überein¬ 
stimmung  bringen.  Die  Anfänge  besonders  der  diffusen  Sklerose  äus- 
sern  sich  entweder  gar  nicht  oder  nur  durch  unbestimmte  Symptome, 
die  an  Neurasthenie  denken  lassen.  Oft  in  Verbindung  mit  siehtlicher 
Abmagerung  und  dem  Gefühl  abnehmender  körperlicher  und  geistiger 
Leistungsfähigkeit  entwickeln  sich  alsdann  im  Anschluß  an  auch  nur 
geringfügige  physische  Strapazen  zunehmende  Sensibilitätsstörungen. 
Hierzu  zählt  z.  B.  die  Sensation  einer  Zusammenschnürung  des  Thorax, 
besonders  in  der  oberen  Partie  des  Brustbeins,  ein  zuweilen  höchst 
lästiger  Druck  oder  Schmerz  in  der  Herzgegend  oder  unter  dem  Ster¬ 
num,  welcher  etwa  speziell  nach  dem  linken  Schultergürtel  ausstrahlt 
und  bei  großer  Heftigkeit  sowohl  früh  als  in  späteren  Stadien  zu  toni¬ 
schem  Krampf  der  Finger  führen  kann.  Die  Beschwerden  verlieren  sich 
oft  rasch  bei  körperlicher  Buhe.  Manchmal  gesellt  sich  zU  obigen  Sym¬ 
ptomen  heftiger  Schmerz!  in  der  Magengegend,  besonders  nach  einer 
auch  nur  mäßigen  Mahlzeit,  ferner  Erbrechen  und  andere  gastrische 
Sensationen,  wie  sie  auch  bei  anderen  Affektionen  des  Magens  auf- 
treten  und  bei  viszeraler  Arteriosklerose  (siehe  später).  Genannter  Er¬ 
scheinungskomplex  kann  nach  längerem  interimistischen  Bestand 
wochen-,  monatelang  sistieren  und  Heilung  der  nicht  durchsichtigen 
Verhältnisse  vorspiegeln.  Die  zunehmende  Stenose  der  Koronararterien 
mit  ihrer  sekundären  progredierenden  nutritiven  Insuffizienz  des  Herz¬ 
muskels  führt  zusehends  zu  immer  blässerem,  selbst  kachektischem 
Aussehen  (ohne  daß  der  Hämoglobingehalt  des  Blutes  unter  das  physio¬ 
logische  Minimum  zu  sinken  braucht),  zu  auffallend  rascher  musku¬ 
lärer  Ermüdung,  selbst  bei  Kaubewegungen,  beim  Besteigen  und  Ver¬ 
lassen  des  Bettes,  bei  langsamem  Gehen  auf  ebener  Straße.  Auch  atmo¬ 
sphärische  Einflüsse  (starker  Barometersturz,  Föhn)  wirken  ungünstig' 


Zur  Diagnostik  der  Arteriosklerose. 


1285 


durch  Vermehrung  der  Atemnot.  Diese  kann  sich  allmählich  zu  steno- 
kardisehen  Anfällen  herausentwickeln.  Bei  mangelnder  Komplikation 
durch  Arteriosklerosis  aortae  kann  der  Perkussions-  und  Auskultations¬ 
befund  des  Herzens  auch  in  diesem  Stadium  noch  negativ  oder  nicht 
beweisend  sein.  Ich  erinnere  an  die  in  meiner  Arbeit  „über  abnorme 
Herzgeräusche  bei  gesundem  Herzen“  (Ztschr.  f.  Vers. -Med.  1909,  Kr.  4 
u.  5)  von  mir  und,  wie  ich  kürzlich  konstatierte,  auch  von  Herz  (ebenda 
1908,  Kr.  1)  hervorgehobene  Tatsache,  daß  trotz  deutlicher  klinischer 
Symptome  ungenügender  Herzfunktion  die  Sektion  gleichwohl  oft 
relativ  sehr  unbedeutende  myokarditische  Entartung  ergibt,  während 
sich  in  anderen  Fällen  bei  synkopal  eingetretenem  Exitus  nach  schein¬ 
bar  bestem  allgemeinen  Wohlbefinden  schwere  Herzveränderungen  nach- 
weisen  lassen.  Diese  Vorkommnisse  lehren,  wie  schwierig,  selbst  un¬ 
möglich  es  auch  für  einen  genauen  Untersucher  sein  kann,  aus  der 
Qualität  der  Herzfunktion  ein  sicheres  Urteil  über  die  Dauer  seines 
Betriebs  zu  geben,  und  doch  wäre  dies  so  dringend  wünschenswert, 
um  sich  dem  Kranken,  seinen  Angehörigen  und  anderen  Interessenten 
gegenüber  mit  menschlicher  Verantwortungsfähigkeit  der  gegebenen 
Angaben  auszusprechen.  Die  imaufhaltsam  zunehmende  Ernährungs¬ 
störung  des  Herzens  kann  [schließlich,  meist  nach  einleitendem  Un¬ 
behagen,  zu  rapid  auf  tretendem  Lungenödem  mit  elendem,  irregulären 
Pulse  Veranlassung  geben,  welches  zu  raschem  Exitus  führt,  oder  aber 
das  zusammenbrechende  Herz  rafft  sich  nochmals  auf,  bis  die  Tragödie 
schließlich  ihren  erlösenden  Abschluß  findet.  An  die  geschilderten  Ver¬ 
hältnisse  bei  Koronarsklerose  des  Herzens  schmiegen  sich  eng  diejenigen 
bei  Arteriosklerose  der  Aorta  an.  Auch  hier  können  die  anatomischen 
Veränderungen  hochgradige  sein,  die  klinischen  Erscheinungen  null 
oder  so  zahlreich  und  vielfach  zu  deuten  (Schwindel,  Schlaflosigkeit, 
verminderte  physische  und  geistige:  Kraft  usw.),  daß  man  den  Eindruck 
gewöhnlicher  Keurasthenie  bekommt.  Alan  begnüge  sich  daher  nicht 
nach  einmaliger,  negativ  lautender  Untersuchung  mit  dieser  Diagnose, 
sondern  denke  zumal  bei  [einem  Alenschen  von  über  40  Jahren  stets 
an  die  Möglichkeit  von  Art.  aortae  und  untersuche  wiederholt  und  ein¬ 
gehend  die  Kreislaufsorgane  bei  Buhe  und  Aufregung  des  Patienten, 
in  verschiedenen  Körperhaltungen  usw.  Ich  betone  mit  Kachdruck,  daß 
sog.  neurasthenische  Beschwerden  ganz  besonders  dann  auf  Art.  aortae 
verdächtig  sind,  falls  es  sich  um  Individuen  handelt,  die  früher  nicht 
neurasthenisch  waren,  bei  denen  ferner  andere  plausible,  erklärliche 
Ursachen  nervöser  Erkrankung  fehlen.  Heller,  Straub  usw.  machen 
nun  aber  weiterhin  auf  eine  Tatsache  aufmerksam,  die  ich  hier  nicht 
einfach  übergehen  möchte  und  die  neuerdings  von  K.  Baerthlein  in 
einer  Dissertation  1904  an  Hand  von  zwei  offenbar  einschlägigen  Fällen 
aus '  der  Alünchner  Klinik  hervorgehoben  wurde.  Es  handelt  sich  um  die 
speziell  in  der  AVand  der  Aorta  vorkommende,  große  Ähnlichkeit  mit 
der  gewöhnlichen  präsenilen  Arteriosklerose  besitzende  Aortitis  luetica. 
Man  soll  an  die  Möglichkeit  einer  solchen  denken  bei  pathologischen 
Aortasymptomen,  vergesellschaftet  mit  anderen  auf’  Lues  hinweisenden 
Alomenten  der  Anamnese  und  des  klinischen  Befundes,  und  sich  der 
von  Bruhns  (Berl.  klin.  AV.-Schr.  1906)  erwähnten  Tatsache  bewußt 
sein,  daß  sich  die  erworbenen  syphilitischen  Erkrankungsprozesse  an 
Herz  und  Gefäßen  oft  ganz  im  geheimen  und  sehr  schleichend  entwickeln. 
Amen  de  fand  bei  1258  Sektionen  im  Münchner  Krankenhaus  rechts 
der  Isar  zehnmal  Aortitis  syphilit.  Des  weiteren  konnte  er  Endaortitis 


1286 


Denis  G.  Zesas, 

thoracica  ohne  Narbenbildung  bei  gleichzeitiger  Lues  elfmal  nach  weisen ; 
bei  acht  weiteren  Fällen  zeigte  sich  ohne  Nachweis  von  Lues  Arterio¬ 
sklerose  der  Brustaorta.  Insgesamt  lag  bei  2,3  °/0  aller  Autopsien  eine 
Endaortitis  thorac.  vor.  Auch  Bollinger  konstatierte  unter  ca.  1000 
im  Münchner  pathol.  Institut  vorgenommenen  Sektionen  17  Fälle  chro¬ 
nischer  Aortenerkrankung1,  bei  denen  es  sich  sehr  wahrscheinlich  um 
postluetische  Prozesse  handelte.  Von  Interesse  sind  auch  die  Studien 
von  Moritz  (Petersburger  med.  W.  1904),  der  das  schon  früher  viel¬ 
fach  behauptete  relativ  häufige  Auftreten  von  Arteriosklerose  speziell 
der  Aorta  mit  nachfolgender  Aneurysmenbildung  oder  anderweitigen 
Klappenstörungen  der  Aorta  bei  Luetikern  illustriert.  Von  100  Kranken 
mit  Arteriosklerose  im  deutschen  Alex-Spital  in  St.  Petersburg,  welche 
Fälle  bis  zu  60  Jahren  betrafen,  war  in  47  Fällen,  d.  h.  bei  54°/0  Lues 
konstatiert,  und  zwar  62  °/0  zwischen  ßl — 40  Jahren,  55  °/0  zwischen 
41 — 50,  50°/0  zwischen  51 — 60  Jahren.  Beim,  jüngsten  Patienten  von 
31  Jahren  hatte  die  Sektion  Lues  cong.  ergeben,  bei  allen  übrigen 
handelte  es  sich  um  erworbene  Lues,  und  zwar  lag  die  Infektion  viele 
Jahre  zurück,  zwischen  8 — 30  Jahre,  durchschnittlich  aber  10 — 20. 
Gleichzeitig  waren  unter  40  arteriosklerotischen  Luetikern  60°/0  starke 
Trinker,  40°/0  mäßige,  und  wir  wissen  ja  auch  aus  anderen  Quellen 
zur  Genüge,  daß  Alkohol  oft  zu  präseniler  Arteriosklerose  führt,  schon 
bei  Schulkindern,  wie  Untersuchungen  in  München  gezeigt  haben. 

(Schluß  folgt.) 


Ueber  Parotitis  bei  Pneumonie. 

Von  Denis  G.  Zesas. 

Es  ist  hinreichend  bekannt,  daß  Pneumokokken  im  Verlaufe  von 
Lungenentzündung  in  die  Blutbahn  übergehen  und  entfernt  von  den 
ergriffenen  Lungenbezirken  liegende  Organe  in  Mitleidenschaft  ziehen 
können. 

Solche  Komplikationen,  die  mit  dem  spezifischen  Diplokokkus 
Zusammenhängen,  betreffen  u.  a.  außer  den  Knochen  und  Gelenken, 
das  mittlere  Ohr,  das  Unterhautzellgewebe,  die  Schilddrüse  und  die 
Ohrspeicheldrüse.  Unter  diesen  dürfte  das  Ergriffensein  dieser  letzteren 
zu  den  selteneren  Komplikationen  zählen.  (Hobbs.)  Auch  Ivoranyi 
und  Soltmann  betonen  ihre  Seltenheit.  Aufrecht,  in  seiner  Ab¬ 
handlung  über  Pneumonie  und  Lenhartz,  in  seinem  Werke  über  sep¬ 
tische  Erkrankungen  tun  der  Parotitis  meta  -  pneumonica  kaum  Er¬ 
wähnung,  auch  JürgepSen  scheint  solche  Fälle  nicht  beobachtet  zu 
haben,  während  Liebermeister  die  Ohrspeicheldrüse  zu  den  Organen 
zählt,  die  im  Anschluß  an  Lungenentzündung  von  eitrigen  Prozessen 
ergriffen  werden  können.  Gr  ist  Ile  hält  die  betreffende  Komplikation 
für  sehr  selten  und  nimmt  an,  daß  dieselbe  fast  ausschließlich  bei 
älteren  Individuen  und  im  Spätstadium  der  Pneumonie  aufzutreten 
pflege.  —  Duplay  erwähnt  in  seiner  Mitteilung,  daß  ein  deutscher 
Arzt,  dessen  Namen  nicht  näher  angegeben  ist,  unter  5738  Pneumonien 
nur  6  Par otisent Zündungen  verzeichnen  konnte.  Und  daß  tatsächlich 
solche  Komplikationen  nicht  häufig  sind,  ist  aus  der  uns  vorliegen¬ 
den  Kasuistik  (soweit  unsere  Nachforschungen  reichen),  die  sich  nur 
auf  27  Fälle  beschränkt,  ersichtlich.  Diese  Seltenheit  der  Affektion 
möchte  auch  die  Veröffentlichung  eines  hierhergehörenden  Falles, 


Ueber  Parotitis  bei  Pneumonie. 


1287 


den  wir  Ende  letzten  Jahres  in  Gemeinschaft  mit  Dr.  Kurnany  und 
Strudza  zu  beobachten  Gelegenheit  hatten,  berechtigen. 

Es  handelt  sich  um  eine  62  jährige  Dame,  die  unter  wiederholten 
Schüttelfrösten,  an  Pneumonie  der  rechten  Lunge  erkrankte.  Die.  Unter¬ 
suchung  ergab  hinten  in  der  ganzen  Ausdehnung  satte  Dämpfung  mit 
verstärktem  Stimmfremitus.  Über  der  gedämpften  Partie  leichtes, 
scharfes  Bronchialatmen.  Links  voller  Schall  und  reines  V esikulär- 
atmen.  Herzdämpfung  normal,  Herztöne  rein,  Puls  regelmäßig,  leicht 
beschleunigt.  Kein  Hustenreiz,  kein  Auswurf.  Urin  frei  von  Eiweiß. 
Die  Temperatur  schwankte  zwischen  38,5  und  39,6.  Am  3.  Krankheits¬ 
tage  abends,  erneuter  Schüttelfrost ;  die  Temperatur  stieg  nun  auf 
40,3.  In  der  IST  acht  stellte  sich  eine  deutliche  Schwellung  nebst  Bötung 
der  linken  Parotisgegend  ein.  Während  des  darauffolgenden  Tages 
wurde  die  Schwellung  auffallend  und  gleichzeitig  machte  sich  ein 
kollaterales  Ödem  bemerkbar.  Die  Temperatur,  die  morgens  39,3  mar¬ 
kierte,  stieg  abends  auf  40,5.  In  den  folgenden  zwei  Tagen  nahmen 
Schwellung  und  ödem  zu,  letzteres  gewann  fast  die  ganze  Gesichts¬ 
hälfte  und  breitete  sich  gegen  Hals  und  Nacken  aus.  Die  Kiefer¬ 
bewegungen,  gleichwie  das  Schlucken  waren  dabei  erheblich  erschwert, 
der  Mund  trocken.  Die  gespannte  Parotisgegend  war  druckempfindlich, 
eine  Fluktuation  aber  nicht  vorhanden.  Die  Pneumoniesymptome  wiesen, 
keine  Verschlimmerung  auf.  Anderweitige  Lokalisationen  der  Pneu¬ 
mokokkeninfektion  konnten  klinisch  nicht  konstatiert  werden.  Da  die 
Lokalerscheinungen  im  Zunehmen  begriffen,  und  die  Temperatur  eine 
hohe  blieb,  so  nahmen  wir  eine  Probeinzision  in  der  Parotisgegend  vor 
und  drangen  schichtenweise  in  das  Drüsengewebe,  das  aufgecpuollen, 
hyperämisch  und  dunkelblau  aussah,  ein.  Auf  einen  eigentlichen  Eiter¬ 
herd  stießen  wir  nicht;  aus  der  Drüse  entleerte  sich  durch  die  Inzision 
eine  gelbliche,  mit  Blut  gemischte  Flüssigkeit.  Es  wurden  einige  tiefe 
Entspannungsschnitte  gemacht  und  die  Wunden  mit  Jodoformgaze  tam¬ 
poniert.  Patientin  ertrug  den  Eingriff  ohne  große  Schmerzäußerung, 
das  Sensorium  schien  eingenommen.  Der  Eingriff  hatte  weder  auf 
die  lokalen  Erscheinungen,  noch  auf  den  allgemeinen  Zustand,  einen 
günstigen  Einfluß.  Die  Temperatur  blieb  wie  vordem,  auf  40,5  be¬ 
stehen  und  es  folgte  der  Tod  nach  16  Stunden.  Eine  Sektion  konnte 
nicht  vorgenommen  werden. 

Die  Diagnose  hatte  sich  in  diesem  Falle  lediglich  auf  die  klinischen 
Erscheinungen  zu  stützen,  da  die  bakteriologische  Untersuchung  leider 
am  Ort  der  Beobachtung  (Insel  Zante),  mangels  an  bazügl.  Einrichtung, 
ausbleiben  mußte.  Wir  glauben  aber  trotzdem  nicht  zu  irren,  wenn 
wir  die  Affektion  hinsichtlich  der  bestehenden  Pneumonie,  der  plötz¬ 
lichen  Anschwellung  der  Parotis  unter  Schüttelfrost  und  erheblicher 
Temperatursteigerung,  sowie  des  ganzen  Verlaufes,  als  eine  Parotitisl 
pneumonic'a,  auffassen.  —  Freilich  kam  es  in  unserer  Beobachtung 
zu  keiner  Abszedierung,  wie  dies1  bei  den  metapneumonischen  Parotitr 
den  die  Pegel  ist,  doch  wir  werden  weiter  unten  an  der  Hand  ander¬ 
weitiger  Erfahrungen  darlegen,  daß  es  auch  pneumonische  Parotitiden 
gibt,  die  nicht  in  Eiterung  übergehen.  —  Fragen  wir,  auf  welche 
Weise  die  Pneumokokken  in  dieser,  unserer  Beobachtung  in  die  Parotis 
gelangten,  so  stehen  hierin  zwei  Wege  offen :  die  Verschleppung  der 
Krankheitserreger  durch  die  Blutbahn  in  die  Ohrspeicheldrüse  und  die 
Einwanderung  derselben  in  die  Parotis  durch  den  Ductus  Stenonianus. 


1288 


Denis  G.  Zesas, 


Letztere  Annahme,  die  des  Hinaufwanderns  der  Franke Tsctien  Diplo¬ 
kokken,  erscheint  nns  hier  unwahrscheinlicher,  denn  obwohl  im  Munde 
Pneumoniker  fast  stets  Pneumokokken  vorgefunden  werden,  mag  eine 
Infektion  von  dieser  Seite  doch  vornehmlich  auf  jene  Patienten  Bezug 
haben,  die  eine  Expektoration  aufweisen.  Unsere  Patientin  hatte  gar 
keinen  Auswurf  ;  außerdem  ließ  sich  durch  Druck  auf  die  Parotisä 
weder  Eiter  noch  sonstiges  Entzündungsprodukt  durch  den  Stenonianus- 
schen  Duktus  befördern,  so  daß  uns  eine  Infektion  von  der  Mundhöhle 
aus,  in  diesem  Falle  wenigstens,  als  fraglich  erscheint.  Flach  Gal  and 
sollen  zwar  solche  „Parotidites  canaliculaires“,  wie  sie  Chasisaignae 
benennt,  bei  denen  die  Infektion  durch  Hinaufwandern  durch  den  Duc¬ 
tus  Stenonianus  stattfindet,  die  häufigere  Form  der  Parotitis  meta- 
püeumoniea  darstellen,  „C’est  lä  croyons  nous  dans  la  grande  mojorite 
des  c'as,  si  ce  n’est  dans  tous,  le  mode  de  production  de  cette  affection.“ 
Fisdhe  1  beschreibt  einen  Fall  von  Parotitis  nach  Pneumonie.  20  Tage 
nach  der  Krise  trat  plötzlich  wieder  Fieber  auf ;  am  zweiten  Tage 
zeigte  sich  eine  linksseitige  Parotisschwellung  und  es  bildete  sich  eine 
kleinhühnereigroße,  derbe,  sehr  schmerzhafte  Geschwulst  aus.  Fach 
14 tägigem  Bestände  entleerte  sich  diese  ,,in  der  Nacht“  in  die  Mund¬ 
höhle,  woran  sich  unter  Nornialwerden  der  Temperatur  die  Ilekon- 
valeszenz  anschloß.  In  dem  Parotissekrete  dieser  Seite  —  durch  fort¬ 
gesetzten  leichten  Druck  von  außen  auf  die  Drüse  konnte  ein  „Speichel¬ 
tröpfchen“  ausgepreßt  werden  —  fanden  sich  virulente  Pneumokokken. 
Der  Speichel  der  anderen  Parotis  blieb  steril. 

Annehmbarer  scheint  uns  in  unserem  Falle  die  Erklärung,  daß 
die  Entzündung'serreger  auf  dem  Wege  des  Blutkreislaufes  in  die  Parotis 
gelangten,  spricht  doch  die  Art  mit  der  die  Komplikation  (Schüttel¬ 
frost,  Temperaturerhöhung)  sich  ankündigte,  dafür  und  noch  Ungezwunge¬ 
ner  der  Umstand,  daß,  wie  wir  wissen,  Pneumokokken  im  Blute  solcher 
Kranken  mehr  oder  weniger  konstant  kreisen.  Kohn  verzeichnet  einen 
positiven  Pneumokokkenbefund  mit  28  °/0  in  32  untersuchten  Fällen, 
Sello  mit  25 °/0  in  48  Fällen,  Pässler  mit  16 °/0  in  44  Fällen,  Fr änkel 
mit  14°/o  in  170  Fällen,  Silvestrini  und  Sertoli  mit  94°/0  in  40  Fällen. 
Grimm  erhielt  unter  44  untersuchten  Fällen  fünf  positive  Befunde. 
Casati  und  Proöhaska  hingegen  haben  bei  Pneumonikern  ausnahms¬ 
los  kreisende  Pneumokokken  im  Blute  gefunden.  Beweiskräftig  für 
eine  hämatogene  Infektion  erweist  sich  ein,e  von,  Test!  erwähnte  Be¬ 
obachtung  von  doppelseitiger  Parotitis,  die  sich  im  Verlauf  einer  krup¬ 
pösen  Pneumonie  entwickelt  hatte  und  bei  welcher  er  im  Eiter,  gleich¬ 
wie  im  Lungensafte,  den  Fr änke Ischen  Diplokokkus  vorfand.  Der 
nämliche  Mikrokokkus  ließ  sich  auch  im  Eiter  einer  Pleuritis,  sowie 
im  Eiter  multipler  Hautabszesse,  die  sich  bei  demselben  Individuum  ent¬ 
wickelt  hatten,  nachweisen. 

Vergleichen  wir  die  klinischen  Einzelheiten  unseres  Falles  mit 
denen  der  übrigen  Beobachtungen,  so  gehört  unser  Fall  jenen  seltenerem 
Formen  an,  die  bald  nach  dem  Ausbruche  der  Grundaffektion  sich  ent¬ 
wickeln  und  prognostisch  sehr  ungünstig  sind.  „C’est  d’ordinaire  au 
declin  de  la  Pneumonie,  alors  -  que  le  malade  parait  gueri  que  se  declare 
la  parotidite“  (Ga fand).  Eine  Bevorzugslokalisation  der  pneumoni¬ 
schen  Ohrspeicheldrüsenaffektion  auf  die  eine  oder  die  andere  Seite 
wird  in  der  bestehenden  Kasuistik  nicht  angegeben ;  der  Sitz  ist  an¬ 
nähernd  gleich  oft  auf  der  rechten  wie  auf  der  linken  Seite  ver- 


Ueber  Parotitis  bei  Pneumonie. 


1289 


zeichnet.  In  sieben  Fällen  ist  von  doppelseitiger  Parotitis  die  Hede; 
daß  es  sich  dabei  nicht  um  ein  zufälliges  Auftreten  von  endemischer 
Parotitis  handelte,  geht  aus  dem  Umstande  hervor,  daß  sie  in  Eite¬ 
rung  übergingen  und  im  Eiter  Fr änkjel’sche  Diplokokken  sich  vor¬ 
fanden.  Nichtsdestoweniger  behauptet  G r  i  s  olle  ,,que  la  parotidite  ä 
pneumocoques  ne  serait  jamais  double“. 

Schwellung,  ödem  und  Temperatur  unserer  Beobachtung  stehen 
im  Einklang  mit  den  übrigen  Fällen;  in  einem  Punkte  jedoch  scheint 
sie  zu  differieren :  sie  überging  nicht  in  Eiterung.  Doch  auch  hierin 
bleibt  es  fraglich,  ob  nicht  bei  längerem  Bestände  es  dennoch  zu  einer 
solchen  gekommen  wäre;  in  der  vorhandenen  Kasuistik  sind  Fälle  ver¬ 
merkt,  wo  die  Fluktuation  resp.  die  Eiterung  sich  erst  spät  einstellte. 
Aber  selbst  das  "Ausbleiben  dieser  letzteren  vermochte  kaum  an  cler 
Natur  der  Ohrspeicheldrüsenentzündung  etwas  zu  modifizieren:  es  gibt 
pneumonische  Parotitiden,  die  nicht  in  Eiterung  übergehen.  Hobbs 
erwähnt  solche  nicht  abszedierende  Ohrspeicheldrüsenentzündungen  bei 
Pneumonien,  die  aber  nach  ihm,  nicht  auf  dem  Pneumokokkus,  sondern 
auf  einer  Mischinfektion  beruhen  sollen.  Ein  Beleg,  daß  pneumonische 
Parotitiden  nicht  stets  in  Eiterung  übergehen,  finden  wir  in  einer 
Beobachtung  Prior’s.  Ziehen  wir  zu  diesen  Erwägungen  noch  in  Be¬ 
tracht,  daß  Pneumokokkenarthritiden  bisweilen  seröser  Natur  sind,  so 
glauben  wir  die  Annahme  auf  stellen  zu  dürfen,  daß  es  eitrige  und  nicht 
eitrige  metapneumonische  Parotitiden  gibt. 

Die  pathologisch-anatomischen  Veränderungen  bei  der  Parotitis 
pneumonica,  bestehen  in  V ergrößerung  der  Drüse ;  auf  dem  Durchschnitt 
findet  man  in  der  Regel  dieselbe  völlig  durchsetzt  von  kleineren  oder 
größeren  Eiterherden,  das  periglanduläre  Gewebe  fast  durchwegs  infil¬ 
triert,  gleichfalls  mit  Abszeßchen  versehen.  Der  Ductus  stenonianus  ist 
von  eitrig  schleimigen  Massen  ausgefüllt ;  die  Lymphdrüsen  im  Bereiche 
des  M-  isternocleidomastoideus  und  der  Retroaurikulargegend  sind  ver¬ 
größert.  Der  Eiter  enthält  Pneumokokken ;  werden  damit  Mäuse  oder 
Meerschweinchen  inokuliert,  so  gehen  sie  innerhalb  zwei  bis  drei  Tagen 
zugrunde.  —  Bezüglich  des  Zeitpunktes  des  Auftretens  der  Parotitis 
pneumonica  ergibt  es  sich,  daß  er  weit  seltener  in  die  ersten  Tage, 
als  in  die  Ausheilungsperiode  zu  fallen  pflegt.  Die  Parotitis,  die  vor 
dem  Ausbruche  der  Lungenentzündung  zustande  kommt  und  als  pri¬ 
märe  angesehen  werden  muß,  ist  sehr  selten.  Das  Lungenleiden  scheint 
durch  das  Hinzutreten  der  Parotitis  nicht  beeinträchtigt  zu  werden, 
ebensowenig  als  letztere  von  der  Schwere  der  Lungenaffektion  ab¬ 
hängig  ist. 

Die  Prognose  der  Parotitis  bei  Lungenentzündung  ist  eine  sehr 
ernste  und  gestaltet  sich  um  so  übler,  je  frühzeitiger  sie  sich  zur 
Grundkrankheit  gesellt  (Sol t mann)  „On  les  appelait  jadis  critiques 
—  schreibt  Duplay  —  mais  critiques  dans  un  mauvars  sens,  Raus  le 
sens  de  facheux  au  gurre,  elfes  etaient  presque  toujours  morteiles.“  Die 
Komplikation  führt  entweder  durch  die  lokalen  ausgedehnten  Er¬ 
scheinungen  oder  durch  allgemeine  Infektion  zum  Tode  (Vital).-  Zu 
den  lokalen  Erscheinungen  gehören  ausgedehnte  Eiterungen  und  In¬ 
filtrationen,  Thrombose  der  Jugularis  interna,  retro-phaiyngeale  Ab¬ 
szesse  und  Blutimgen  aus  den  großen  Gefäßen.  Mitunter  werden  auch 
Zerstörungen  von  Nerven  (Fazialis)  oder  Fortpflanzung  der  Entzün¬ 
dung*  auf  die  Hirnhäute  beobachtet.  Zerteilung  oder  Resorption  von 
pneumonischen  Parotitiden  ist  bislang  nicht  verzeichnet  worden. 


1290 


Denis  G.  Zesas,  Ueber  Parotitis  bei  Pneumonie. 


Als  Eichtschnur  der  Behandlung'  sollte  man  stets  den  Dup  lay’schen 
A  phorismus :  ,,ne  comptez  sur  la,  resolution“  und  die  Mahnung  des 
gleichen  Chirurgen  vor  Augen  haben :  „Epargnezj  ä  vos  malades  les 
emissions  sanguines  qui  n’auraient  d  Autres  resultats  que  de  diminuer 
leur  force“. 

Es  wird  leider  in  dieser  Hinsicht  heute  noch  viel  gesündigt  und 
viel  Blut  zwecklos  vergossen!  Bei  Fällen,  die  einen  gutartigen  Ver¬ 
lauf  zeigen  und  von  geringfügigen  Lokal-  und  Allgemeinerscheinungen 
begleitet  sind,  mag  das  Abwarten  auf  Fluktuation  eine  gewisse  Be¬ 
rechtigung  haben,  da  jedoch,  wo  die  Symptome  hochgradig,  die  Schwel¬ 
lung  fast,  zusehends  größer  wird  und  die  hohe  Temperatur  eine  kon¬ 
stante  bleibt,  gibt  es  nur  eine  rationelle  Therapie :  Ausgedehnte  In¬ 
zisionen,  und  darauffolgende  antiseptische  Tamponade.  —  „Parotitides 
omnes  ante  maturitatem  operiendae.“  —  Fleißige  Ausspülungen  der 
Mundhöhle  können  dieselbe  nur  günstig  unterstützen.  Ob  die  Serum¬ 
therapie  noch  ein  wichtiges  Hilfsinjittel  ab  gibt,  möchten  wir  dahin¬ 
gestellt  lassen,  bei  unserem  Falle  wenigstens  haben  wir  damit  nichts,; 
ausrichten  können. 

Literatur. 

1.  Anders,  Two  more  cases  of  parotitis  in  pneumonia.  Pbilad.  med.  jour. 

1900.  —  2.  Colemann,  Double  parotiditis  complicating  lober  Pneumonie.  Philad. 
med.  journ.  1900.  —  3.  Eshner,  Bilateral  parotitis  as  a  complication  of  pneumonia. 
Philad.  med.  journ.  1903.  —  4.  Galand,  De  la  parotidite  a  pneumocoques.  These 
de  Paris  1891.  —  5.  Hastings  &  Hillier,  A  case  of  parotitis  due  to  tlie  pneu- 
mococcus.  Lancet  1905.  —  6.  Fiessinger,  La  tumefaction  porotidienne  düns  la 
pneumonie.  Gaz.  med.  de  Paris  1893.  —  7.  Holladay,  Parotitis  in  croupous 
pneumonia.  Philad.  med.  journ.  1906.  —  8.  Hobbs,  Fluction  parotidienne  dans 
la  pneumonie.  Mercredi  medicale  1895,  Nr.  6.  —  9.  Grimm,  Über  Parotitis  rneta- 
pneumonica.  Dissertation  Kiel  1903.  —  10.  Morris,  Parotitis  in  Pneumonia. 
Philad.  med.  journ.  1901.  —  11.  Miller,  Two  cases  of  parotitis  complicating 
croupous  pneumonia.  Philad.  med.  journ.  1901.  —  12.  March,  A  case  of  suppura- 
tive  parotitis  complicating  pneumonia.  Interstate.  M.  J.  St.  Louis  1903.  —  13.  Norris, 
Parotitis  complicating  pneumonia  with  the  report  of  a  case.  Philad.  med.  journ. 

1901.  —  14.  Osler,  Parotitis  in  Pneumonia.  Univ.  M.  Mag.  Philad.  1893.  —  15.  Perrin 
&  Parisot,  Parotidite  suppuree  ectr.  Bevue  medicale  de  l’Est.  Nancy  1907.  — 
16.  Pichler,  Parotitis  secundaria  bei  Pneumonie,  Entleerung  des  Eiters  durch  das 
Gangsystem.  Wiener  klin.  Wochenschrift.  1903.  —  17.  Bobison,  Double  parotitis 
with  endocarditis  complicating  lober  pneumonia.  Philad.  med.  journ.  1900.  — 
18.  Stern,  Suppurative  Parotitis  complicating  croupous  pneumonia.  Med.  Becord. 
New- York  1901.  —  19.  Tailey,  Parotitis  complicating  croupous  pneumonia.  Philad. 
med.  journ.  1906.  —  20.  Taylor,  A  case  of  symtomatic  parotitis  ectr.  Ann.  Gyn. 
and  Ped.  Boston  1896.  —  21.  Testi,  Biforma  medica  1889.  —  22.  Soltmann, 
Parotitis  metastatica.  Bealenzyklopädie  der  gesamten  Heilkunde.  —  23.  Duplay, 
Parotidite  a  pneumocoques.  Semaine  medicale  1891.  —  24.  Bighi,  Sulla  presenza 
del  diplococco  di  Frankel  nel  sangue  ectr.  La  Biforma  medica  1895.  —  25.  Silber¬ 
stein,  Korrespondenzbl.  des  allg.  ärztl.  Vereins  in  Thüringen.  28.  Jahrg.  — 
26.  Kohn,  Deutsche  med.  Wochenschr.  9.  Bd.  —  27.  Casati,  Lo  sperimentale 
1893.  —  28.  Fiscliel,  Prager  med.  Wochenschr.  1893.  —  29.  Thirion,  Parotidite 
suppuree  staphylocoque  compliquant  une  pneumonie  chez  un  vieillard,  absces  miliares 
dans  les  reins  et  la  rate,  mort.  Journ.  d.  la  Soc.  med.  de  Lille  1904.  —  30.  Pennato, 
Sulla  parotite  pneumococcia.  Biforma  medica  1904.  —  31.  Proschka,  Bakterio¬ 
logische  Blutuntersuchungen  bei  Pneumonie.  Zentralblatt  für  Medizin  1900.  — 
32.  Wandel,  Archiv  für  klin.  Chirurgie  1903.  —  33.  Lancereaux  &  Besanco n, 
Arch.  de  med.  1886.  —  34.  Prior,  Münch,  med.  Wochenschr.  1890.  —  35.  Vital, 
These  de  Paris  1887.  —  36.  Boulay,  These  de  Paris  1891.  —  37.  Lenhartz, 
Ebstein-Schwalbe  Handb.  Bd.  1.  —  38.  Zubkowski,  Two  cases  of  metast.  parotitis 
in  libr.  pneumonia.  Vrach.  Bef.  Arch.  f.  d.  ges.  Physiologie. 


Paul  Sittler,  Therapie  der  Erkrankungen  der  Neugeborenen. 


1291 


Therapie  der  Erkrankungen  der  Neugeborenen. 

Von  Privatdozent  Dr.  Paul  Sittler. 

(Schluß.) 

Anschließend  an  diese  Traumen  des  Zentralnervensystems  während 
der  Geburt  seien  die  Geburtslähmungen  (Entbindungslähmungen)  ge¬ 
nannt,  deren  wichtigste,  die  Lähmung  des  Plexus  brac.hiadis,  in 
der  Mehrzahl  der  Fälle  durch  direkten  (während  der  Entbindung  aus- 
geübten)  Druck  auf  den  Nervenplexus  auf  tritt,  ebenso  wie  die  gleich¬ 
falls  sehr  häufige  (durch  den  Zangenlöffel  gesetzte)  Fazialislähmung. 
Während  diese  letztere  eine  sehr  gute  Prognose  quoad  restitutionem  ad 
integrum  gibt,  erfordert  die  Lähmung  des  Plexus  brachialis  eine  ener¬ 
gische  Therapie,  bestehend  in  Elektrisieren  (mittels  des  galvanischen 
und  faradischen  Stromes  —  ersterer  kann  in  beiden  Stromrichtungein 
angewandt  werden),  Massage,  Bewegungstherapie,  ohne  daß  damit  eine 
sichere  Garantie  für  die  völlige  Wiederherstellung  gegeben  zu  werden 
vermag. 

Die  übrigen  wichtigeren  Geburtsverletzungen  sind  überwiegend 
chirurgischer  Natur,  Frakturen  der  Extremitätenknochein,  der 
Klavikula,  Ver  sdhiebungen  und  Impressionen  (seltener  auch 
Frakturen)  der  Schädelknochen.  Die  Therapie  der  Frakturen  hat 
nach  den  chirurgischen,  hier  nicht  wiederzugebenden  Prinzipien  zu  er¬ 
folgen.  Während  die  Verschiebungen  der  Schädelknochen  sich  post 
partum  spontan  auszugleichen  pflegen,  ist  bei  den  Impressionen  der¬ 
selben  (besonders  wenn  Hirnreizsymptome  bestehen)  eine  eingreifende 
Therapie  am  Platze.  Neben  der  Vornahme  einer  Trepanation  ist  hier 
unter  anderem  auch  vorgeschlagen,  mittels  korkzieherartiger  Instrumente 
(nach  Anbohren  des  Knochens)  die  Depression  möglichst  früh  zu  be¬ 
heben,  um  einer  Schädigung  der  Gehirnsubstanz  vorzubeugen.  Während 
die  Prognose  dieser  Infraktionen  und  besonders  der  Frakturen  am  Schädel 
eine  nicht  sehr  günstige  ist,  ist  die  der  Extremitätenfrakturen  im 
allgemeinen  eine  gute,  wenn  nicht  gleichzeitig  eine  Epiphysenlösung 
besteht,  im  Gefolge  derer  eine  Wachstumshemmung  der  betroffenen 
Extremität  auftreten  kann. 

Die  im  Verlaufe  der  Geburt  entstehenden  Traumen  der  Weic'h- 
teile,  Dekubitus  infolge  Druckes  eines  Zangenlöffels,  Haut- 
nekrosen  bedingt  durch  enges  Becken  u.  a.  verlangen  eine  Behandlung 
nach  den  üblichen  Grundsätzen  der  Wundbehandlung.  Daß  diese  Ver¬ 
letzungen  auch  dem  Eindringen  von  Bakterien  in  die  Blut-  und  Lymph- 
b ahnen  des  Neugeborenen  Vorschub  leisten  und  so  zum  Auftreten  einer 
Sepsis  zu  führen  vermögen,  braucht  nicht  besonders  betont  zu  werden.  — 

Die  beim  Neugeborenen  infolge  der  veränderten  Leben  sber 
dingungen  in  die  Erscheinung  tretenden  Störungen  der  physio¬ 
logischen  Funktionen  sind  nur  selten  so  stark  ausgeprägt,  daß  sie 
in  therapeutischer  Beziehung  ein  direktes  ärztliches  Eingreifen  erfor¬ 
derten.  Die  Zirkulationsstörungen  post  partum  verursachen  oft 
eine  mehr  oder  weniger  ausgeprägte  Zyanose  der  Extremitäten,  even¬ 
tuell  auch  Ödeme,  insbesondere  der  Handteller  und  des  Eußrückens. 
Der  Tlüekgang  dieser  Ödeme  erfolgt  fast  stets  spontan,  er  läßt  sich 
aber  durch  Einpacken  der  betroffenen  Extremitäten  in  Watte  (Warm¬ 
haltung)  beschleunigen.  Vereinzelt  sind  auch  stärker  ausgeprägte  par¬ 
tielle  oder  allgemeine  Ödeme  ohne  organische  Ursache  (Nephritis,  Lues, 
Herzfehler),  nur.  auf  einer  Störung  der  Zirkulation  beruhend  zur  Be¬ 
obachtung  gekommen.  Hier  ist  das  Einbringen  des  Neugeborenen  in  eine 


1292 


Paul  Sittler, 


Couveuse  oder  Wärme  wanne,  im  Notfall  Einwickeln  des  ganzen  Körpers 
in  dicke  Watteschichten  und  Zufuhr  von  Wärme  mittels  Wärmflaschen 
zu  empfehlen.  —  Ernstere  Folgen  können  auch  dann  eintreten,  wenn 
sich  diese  Zirkulationsstörungen  auf  einzelne  Organe  beschrän¬ 
ken,  die  infolge  hiervon  zur  Anschwellung  kommen.  Hier  sind  be¬ 
sonders  zu  nennen  die  Schwellung  der  Thymus  und  der  Schild¬ 
drüse.  Die  Anschwellung  dieser  Organe  dokumentiert  sich  im  klini¬ 
schen  Bilde  dadurch,  daß  eine  Kompression  der  Trachea  und  so  die 
Symptome  der  Trachealstenose  (stridoröse  Respiration,  besonders  im 
Inspirium ;  in  schwereren  Fällen  auch  Erstickungsanfälle)  auf  treten. 
Die  Therapie  dieser  Zustände  kann  im  allgemeinen  eine  exspektative 
sein,  da  sich  diese  Veränderungen  stets  in  den  ersten  Lebens  tagen 
auch  wieder  zurückzubilden  pflegen.  In  manchen  Fällen  gelingt  es, 
dem  Neugeborenen  die  Respiration  dadurch  zu  erleichtern,  daß  man 
ihn  auf  die  Bauchseite  lagert.  Hierdurch  sinken  die  vo  r  der  Trachea  be¬ 
findlichen  Organe  ihrer  Schwere  nach  nach  unten,  wodurch  die  Tracheal- 
kompression  aufgehoben  wird.  In  den  schwersten  Zuständen  von  Tra- 
chealkompression  käme  event,  auch  ein  beim  Neugeborenen  natürlich 
prognostisch  nicht  sehr  günstiger  operativer  Eingriff  in  Frage  (Tracheo¬ 
tomie,  Exstirpation  des  komprimierenden  Organes). 

In  die  gleiche  Kategorie  mit  den  genannten  Zirkulationsverände¬ 
rungen  zu  zählen  sind  wohl  auch  die  zur  sogenannten  Schwanger- 
schafts-  oder  besser  gesagt  genitalen  Reaktion  (Crises  genitales) 
des  Neugeborenen  gehörigen  Symptome:  Sehleimsekretion,  in-  man¬ 
chen  Fällen  sogar  Blutungen  aus  der  Vagina  bei  Mädchen,  Hoden- 
und  Prost at aansc'hwellung  bei  Knaben,  Schwellung  und  Milch¬ 
sekretion  der  Brüst drüsen  bei  beiden  Geschlechtern.  Einer  Therapie 
bedürfen  diese  Zustände  nicht,  nur  das  letzterwähnte  Symptom  erfordert 
prophylaktisch  einige  Beachtung  !  In  die  Ausführungsgänge  der  sezer- 
nierenden  Brustdrüse  vermögen  natürlich  auch  von  außen  Bakterien  ein¬ 
zudringen,  besonders  wenn  mittels  unsauberer  Finger  unnötigerweise 
versucht  wird,  das  Sekret  der  Brustdrüse  durch  Ausdrücken  zu  ent¬ 
leeren,  wie  es  im  Volke!  bei  der  Milchsekretion  des  Neugeborenen  viel¬ 
fach  Sitte  ist.  Hiermit  ist  die  Möglichkeit  der  Entstehung  von  Masti¬ 
tiden  gegeben,  die  bei  Mädchen,  deswegen  von  großer  Bedeutung  sind, 
weil  eine  eitrige  Mastitis  hier  gleichbedeutend  mit  einer  teilweisen 
oder  gänzlichen  Vernichtung  des  Brustdrüsengewebes  und  damit  auch 
der  spätem  Funktion  der  betreffenden  Brust  ist.  Die  Therapie  der 
beginnenden  Mastitis,  besteht  in  Applikation  von  feuchten  Umschlägen 
(Borwasser,  essigsaure  Tonerde)  und  bei  Abszedierung  in  möglichst 
frühzeitiger  radiärer  Inzision  unter  Schonung  der  Brustwarze.  Die 
radikale  chirurgische  Therapie  der  abszedierenden  Mastitis  ist  auch 
schon  aus  dem  Grunde  angezeigt,  weil  der  Eiterherd  nicht  nur  auf  dem 
Wege  der  Metastasen  (Sepsis),  sondern  auch  per  contiguitatem  zu  Kom¬ 
plikationen  (eitrige  Pleuritis  u.  a.)  führen  kann.  1 

Anschließend  an  die  Behandlung  der  Zirkulationsstörungen  ßci 
die  Therapie  der  erworbenen  asphy ktisc'hen  Zustände  (Atelek¬ 
tase)  kurz  gestreift.  Es  ist  hier  nicht  der  Ort,  auf  die  kongenitale 
Asphyxie,  die  sieh  ja  vom  therapeutischen  Standpunkte  teilweise  mit 
der  erworbenen  in  Parallele  setzen  läßt,  näher  einzugehen,  da  die  Be¬ 
handlung  der  ersteren  noch  in  den  Bereich  des  Geburtshelfers  fällt. 
Außer  den  noch  unten  zu  besprechenden  Maßnahmen  zur  Erhaltung 
einer  normalen  Herztätigkeit  und  zur  Verhütung  von  Wärmeverlusten, 


Therapie  der  Erkrankungen  der  Neugeborenen. 


1293 


kommen  bei  der  erworbenen  Asphyxie  hauptsächlich  physikalische  Proze¬ 
duren  zur  Anregung1  der  Atemtätigkeit  in  Frage.  Einen  wirksamen 
Reiz  auf  die  Respiration  üben  warme  Bäder  (35 — 37°  C)  mit  kühlen 
(20 — 25°  C)  Übergießungen  oder  Anspritzungen  auf  Brust  und  Rücken 
aus.  Statt  dessen  kann  auch  das  sogenannte  Zwei-Eimer-Bad  in  An¬ 
wendung  kommen,  d.  h.  abwechselndes  Eintauchen  des  Kindes  in  je 
eine  Wanne  mit  warmem 'Wasser  von  37 — 40°  C  (zu  Beginn  und  zu  Ende) 
und  eine  Wanne  mit  kaltem  Wasser  von  20°  C.  Auch  die  Verab¬ 
reichung  von  heißen  Senfmehlbädern  (1—2  Hände  voll  Senfmehl  — 
nötigenfalls  in  einem  wasserdurchlässigen  Säckchen  enthalten  —  auf 
1  Bad  von  38 — 40°  C)  ist  empfehlenswert  und  dient  gleichzeitig  als 
Herzreizmittel.  Außerdem  werden  Hautreize  verschiedener  Art  und 
Herzmassage  (rhytmisches  Beklopfen  der  Herzgegend  ca,  80— 100  mal 
in  der  Minute)  von  Nutzen  sein.  Daneben  müssen  selbstverständlich 
die  verschiedenen  Methoden  der  künstlichen  Atmung  (im  Bedarfsfälle) 
ebenso  Anwendung  finden,  wie  bei  der  angeborenen  Asphyxie.  Auch 
die  Zufuhr  von  Sauerstoff  kommt  in  Frage.  Meist  handelt  es  sich 
bei  der  erworbenen  Asphyxie  um  frühgeborene  oder  schwächliche  Kinder 
mit  irgendwelchen  andern  krankhaften  Befunden  (Sklerem,  Sepsis  u.  a,). 
Hier  erfordert  nach  Überwindung  der  momentanen,  durch  die  Asphyxie 
bedingten  Gefahr  das  Grundleiden  eine  entsprechende  Behandlung. 

Die  Therapie  der  Frühgeburt  verfolgt  im  allgemeinen  die  gleichen 
Grundsätze  wie  die  Behandlung  des  Sklerema  neonatorum  (Ver¬ 
hinderung  einer  allzugroßen  Wärmeabgabe,  Sorge  für  genügende  Nah¬ 
rungszufuhr  und  Vermeidung  des  Auftretens  von  Atelektasen),  so  daß 
sich  eine  gesonderte  Besprechung  derselben  erübrigt. 

Beim  Sklerema  neonatorum,  (auf  die  vielleicht  problematische 
Unterscheidung  zwischen  Sklerem  und  Skierödem  einzugehen  ist  hier 
nicht  der  Ort,  besonders  wo  die  Therapie  der  beiden  Zustände  im 
Prinzip  dieselbe  ist),  das  stets  mit  Untertemperatur  einherzugehen  pflegt, 
kommt  in  allererster  Linie  die  Zufuhr  von  Wärmei  (d.  h.  die  Verringe¬ 
rung  des  Wärmeverlustes)  in  Betracht.  Die  Ausführung  dieser  In¬ 
dikation  richtet  sich  natürlich  nach  den  Begleitumständen :  da  wo  keine 
größere  oder  kleinere  Couveuse  (Wärmeschrank)  zur  Verfügung  steht, 
wird  man  sich  mit  dem  Einbringen  der  Kinder  in  eine  Wärmewanne, 
eventuell  auch  nur  mit  Einwickeln  des  ganzen  Körpers  in  dicke  Watte¬ 
schichten  neben  gleichzeitiger  Wärmezufuhr  durch  Wärmflaschen  (U- 
förmige  Wärmeflaschen;  mit  heißem  Wasser  gefüllte  Mineralwasser¬ 
krüge  usw.)  begnügen  müssen.  Nötigenfalls  kann  das  ganze  Zimmer, 
in  dem  sich  das  Neugeborene  befindet,  unter  erhöhte  Temperatur  ge¬ 
setzt  werden.  Die  Maximaltemperatur  der  Luft,  welche  man  in  diesen 
Fällen  anzuwenden  gewohnt  ist,  pflegt  bei  größeren  Couveusen  28°  C 
nicht  zu  übersteigen.  Nur  muß  (eventuell  durch  Aufstellen  von  Wasser 
in  großen  offenen  Gefäßen  oder  durch  Auf  hängen  von  nassen  Tüchern) 
dafür  gesorgt  werden,  daß  stets  ein  genügend  großer  Feuchtigkeits¬ 
gehalt  in  dem  betreffenden  erwärmten  Raume  vorhanden  sei.  Die 
relative  Feuchtigkeit  (zur  approximativen  Messung  derselben  eignen 
sich  sehr  gut  die  gebräuchlichen  Haarhygrometer)  betrage  ca.  60 — 80°/0. 
In  allzu  trockener  Luft  sind  nicht  nur  die  Schleimhäute  des  betreffen¬ 
den  Oouveusen-Kindes  leicht  Schädigungen  ausgesetzt,  auch  die  Wärme¬ 
abgabe  des  Neugeborenen  ist  um  so  größer,  je  trockener  die  umgebenden 
Luftschichten  sind.  Eine  momentane  Wärmezufuhr  ist  auch  durch 
Verabreichung  von  kurzdauernden  heißen  Bädern  bis  zu  40( — 42°)  C 


1294 


W  ohlwill, 


möglich.  Unbedingt  nötig  bei  jeglicher  Art  der  Wärmebehandlung 
ist  eine  regelmäßige  Temperaturkontrolle  des  Neugeborenen  durch  Anal- 
messung.  Das  Resultat  dieser  Messungen  muß  in  jedem  einzelnen 
Dalle  für  die  individuelle  Regulierung  der  Wärmezufuhr  bestimmend 
sein.  —  Daneben  ist  von  großer  Wichtigkeit  die  gleichmäßige  Sorge 
für  eine  normale  Funktion  der  Atemtätigkeit.  Das  Auftreten  von 
asphyktischen  Zuständen  muß  durch  öfteres  Aufmuntern  des  debilen 
Neugeborenen  verhindert  werden  (mindestens  3  stündlich  muß  das  Kind 
zu  seinen  Mahlzeiten  geweckt  werden)  ;  schon  bestehende,  Atelektasen  sind 
nach  den  oben  gegebenen  Regeln  zu  behandeln.  —  Einen  Hauptfaktor 
in  der  Therapie  des  Sklerems  (und  der  Frühgeburt)  bedeutet  natur¬ 
gemäß  die  Möglichkeit,  eine  genügende  Ernährung  durchzuführen.  Daß 
sich  hierzu  am  besten  die  Mutterbrust  eignet,  braucht  nicht  besonders 
hervorgehoben  zu  werden.  Wenn  es  nicht  gelingt,  das  Kind  anzu¬ 
legen,  so  können  abgepumpte  (abgedrückte)  Mutter-  oder  Ammenmilch 
und  nur  im  Notfälle  künstliche  Milchmischungen  mit  der  Flasche  oder 
kaffeelöffelweise  verabreicht  werden.  Daß  durch  die  Zufuhr  einer 
genügenden  Kalorienmenge  mittels  der  Nahrung  die  Heilung  der  ge¬ 
nannten  Affektionen  nur  eine  Beschleunigung  erfahren  kann,  liegt  auf 
der  Hand.  Es  ist  aber,  (wie  schon  oben  erwähnt),  ebenso  energisch 
davor  zu  warnen,  daß  individuell  zu  große  Nahrungsmengen  verab¬ 
reicht  werden,  besonders  zu  große  Einzelmahlzeiten.  Wenn  das  debile 
Neugeborene  nach  dem  Trinken  ausschüttet  (speit),  so  i§t  bei  der 
mangelhaften  Reflextätigkeit  stets  die  Gefahr  eines  V  er  Schluckens  sehr 
groß  und  hier  genügen  schon  minimale  in  die  tieferen  Bronchien 
gelangende  Nahrungsmengen,  um  einen  beginnenden  bronchopneumo- 
n löschen  Prozeß  hervorzurufen  und  den  Patienten  dem  sicheren  Tode 
auszusetzen.  Bei  bestehendem  Unvermögen  zu  schlucken  sind  Sonden¬ 
fütterung  oder  Nährklysmen  (abgepumpte  Frauenmilch,  Kuhmilch¬ 
mischungen  oder  Traubenzuckerlösungen)  am  Platze.  —  Außer  den  ge¬ 
nannten  Maßnahmen  sind  beim  Sklerem  (besonders  wenn  stärkere  Wasser¬ 
verluste  durch  den  Darm  vorangegangen  sind),  Infusionen  oder  Bleibe¬ 
klistiere  von  höher  temperierter  (da.  40°  C)  physiologischer  Kochsalz¬ 
lösung  empföhlen  worden.  —  Oft  kann  durch  Massage  ein  günstiger 
Einfluß  auf  das  Sklerem  ausgeübt  werden.  —  Bei  der  meist  bestehenden 
Herzschwäche  ist  die  Zufuhr  von  Exzitantien,  (Kampheröl,  1/4 — 1/2 
Spritze ;  Moschustinktur,  2 — 4  Teilstriche ;  Coffein,  natr.-saiicyl.  0,02), 
am  besten  subkutan,  picht  zu  umgehen.  Auch  die  Darreichung  von 
heißem  (42°)  Kaffee  als  Analeptikum  hat  Empfehlung  gefunden. 

Es  'ist  unzweifelhaft,  daß  gerade  bei  den  obengenannten,  nicht  auf 
infektiöser  Basis  beruhenden  Krankheitszuständen  des  Neugeborenen 
eine  systematische,  zielbewußte  Therapie  sehr  oft  lohnende  Erfolge 
zeitigt,  und  das  soll  für  uns  ein  Ansporn  sein,  die  einmal  begonnene 
Behandlung  nicht  zu  früh  als  nutzlos  aufzugeben. 


Hamburger  Brief. 

Von  Dr.  Wohl  will,  Hamburg. 

-  (Schluß.) 

In  der  dem  Reichstag  vorliegenden  neuen  Strafgesetznovelle 
ist  wichtig,  daß  der  wissenschaftliche  Tierversuch  ausdrücklich  von 
der  sonst  eingeführten  höheren  Strafe  für  Tierquälerei  ausgeschlossen 
ist.  Bei  dem  Paragraphen,  welcher  die  grausame  Behandlung  schwacher 


Hamburger  Brief. 


1295 


und  wehrloser  Personen  durch  deren  Pfleger  usw.  unter  erhöhte  Strafe 
stellt,  wünscht  Wey  g  and  t,  daß  auch  die  Berauschung  von  Kindern 
unter  diese  Delikte  aufgenommen  wird. 

Für  die  vielleicht  noch  in  weiter  Zukunft  liegende,  aber  mit 
Sicherheit  zu  erwartende  Reform  des  ganzen  Strafgesetzbuchs,  stellt 
W  •  vom  ärztlichen  Standpunkt  aus  folgende  Forderungen  auf.  In  §  51, 
der  die  Zurechnungsfähigkeit  behandelt,  sollte  der  Begriff,  „freie 
Willensbestimmung“,  der  zu  vielfachen  Kontroversen  Anlaß  gibt,  lieber 
ganz  weglallen.  Zu  der  viel  erörterten  Frage,  ob  man  den  Begriff 
einer  verminderten  Zurechnungsfähigkeit  einführen  soll,  spricht  W. 
sich  dahin  aus,  daß  in  solchen  Fällen  entweder  eine  mildere  Strafe 
oder  bedingte  Verurteilung  oder  an  Stelle  der  Strafe  „anderweitige 
Unterbringung“  eintreten  soll.  Auf  letztere  legt  W.  besonderen  Wert 
und  verlangt  sie  auch  für  die  nach  §  51  gänzlich  Freigesprochenen. 
Überhaupt  muß  durch  Unterbringung  von  gemeingefährlichen  Ver¬ 
brechern,  seien  sie  nun  geistesgesund  oder  -krank,  in  geeignete  An¬ 
stalten  die  menschliche  Gesellschaft  geschützt  werden.  Bei  dem  Kapitel 
Sexualvergehen  spricht  W.  sich  für  eine  Heraufsetzung  der  Schutz¬ 
grenze  vom  14.  auf  das  16.  Lebensjahr  aus.  Dagegen  sollten  Greise 
über  60  Jahre,  die  sich  sexuell  vergehen,  durchgehends  psychiatrisch 
untiersucht  werden,  da  es  sich  hier  meist  um  Psychosen  handelt.  Zu 
§  175  meint  W.,  daß  man  vom  medizinischen  Standpunkt  aus  keinen 
Anlaß  habe,  so  dringend  auf  seine  Beseitigung  hinzuwirken.  Über 
eine  Reihe  anderer  Vorschläge  des  Vortragenden  kann  hier  in  der 
Kürze  nicht  berichtet  werden. 

Jaffe  sprach  in  der  Diskussion  über  einige  Punkte,  die  der 
Vortragende,  der  vorwiegend  psychiatrische  Gesichtspunkte  in  den 
Vordergrund  gestellt  hatte,  außer  Betracht  gelassen  hatte.  Er  wies 
besonders  darauf  hin,  daß  die  ganzen  Fragen  der  Operationen  (z.  B. 
2.  Operation,  die  sich  bei  der  ersten  erst  als  notwendig  herausstellt  usw.), 
sodann  der  Perforation  des  lebenden  Kindes  und  der  Einleitung  des 
künstlichen  Aborts  bisher  nur  unter  ganz  allgemein  gehaltene,  für 
diese  Verhältnisse  wenig  zutreffende  Paragraphen  subsumiert  werden 
können,  und  bisher  nach  einem  allmählich  eingebürgerten  Gewohnheits¬ 
recht  beurteilt  werden.  Er  schlug  vor,  statt  aller  einzelner  Verbesse¬ 
rungsvorschläge  die  Formulierung  von  v.  Calker- Straßburg  zu  akzep¬ 
tieren,  welche  lautet:  „Nicht  strafbar  ist  die  zu  ärztlichen  Zwecken 
erfolgende  Handlung,  vorausgesetzt,  daß.  sie  mit  Einwilligung  des 
Patienten  oder  seines  gesetzlichen  Vertreters  geschehen  ist  oder  daß 
sie  zur  Rettung  aus  einer  unmittelbaren  Lebensgefahr  erforderlich 
war“.  Nicht  einverstanden  ist  J.  allerdings  damit,  daß  nach  v.  Calker 
diese  Straflosigkeit  auch  Nicht-Ärzten  zuteil  werden  soll. 

Im  übrigen  brachte  die  Diskussion,  die  äußerst  rege  war,  weit¬ 
gehende  Übereinstimmung  der  Redner  mit  den  Vorschlägen  des  Vor¬ 
tragenden.  E mb  den  wünschte  strenge  Beschränkung  auf  das  rein 
medizinische  Gebiet.  Tr ö inner  sprach  sich  doch  für  Aufhebung  des 
§175  aus,  fand  damit  aber  wenig  Zustimmung.  Ziemlich  allgemeiner 
Skepsis  begegnete  der  Vorschlag  W.’s,  der  die  Beobachtungszeit  für 
Angeschuldigte  in  Anstalten  heraufsetzen  und  auch  für  Zeugen  eventl. 
Anstaltsbeobachtung  erreichen  wollte.  Buchholz  wies  darauf  hin, 
daß  die  Schwierigkeit  darin  liege,  daß  die  Richter  oft  gar  nicht 
auf  den  Verdacht  einer  Geistesstörung  bei  einem  Zeugen  kommen.  Es 
sei  daher  die  Verbreitung  psychiatrischer  Kenntnisse  unter  den  Rieh- 


1296  Wohl  will, 

tern  sehr  wünschenswert.  Er  machte  ferner  darauf  aufmerksam,  daß 
es  seinerzeit  gerade  die  medizinischen  Sachverständigen  gewesen  sind, 
welche  den  Begriff  der  verminderten  Zurechnungsfähigkeit  ablehnten. 

In  der  biologischen  Sektion  vom  23.  Juni  rief  die  Demonstration 
eines  Falles  von  Gasphlegmone,  bedingt  durch  den  Bac.  phlegmon. 
emphysemat.  (E.  Eraenkel),  eine  lebhafte  Diskussion  über  anaerobe 
Bakterien  hervor.  Simmondls  hat- dies  Jahr  systematisch  das  Leichen¬ 
blut  auch  zu  anaeroben  Kulturen  verwandt;  er  fand  eine  Leihe  — 
meist  nicht  näher  zu  klassifizierender  —  Keime,  und  zwar  1.  in  Fällen 
mit  ausgedehnter  Zerstörung  der  Darmsohleimhaut,  2.  bei  schweren 
ulzerösen  Tuberkulosen,  3.  nach  Verletzungen,  Operationen,  Geburten, 
4.  bei  schwerer  Zystitis  infolge  Blasenlähmung.  S.  glaubt,  daß  die 
Keime  in  der  Kegel  noch  intra  vitam,  wlenn  auch  agonal,  eindringen. 
Nur  in  einem  Fall  —  Alkoholiker  mit  Pneumonie,  dessen  Leiche  sehr 
lange  gelegen  hatte  —  konnte  eine  Eingangspforte  nicht  nachgewiesen 
werden.  Die  postmortale  Vermehrung  ist  rapide. 

Eraenkel  erinnert  daran,  daß  es  auch  intra  vitam  schon  ge¬ 
lungen  ist  (in  Fällen  von  Puerperalfieber)  seinen  Bazillus  aus  dem 
Blut  zu  züchten.  Nur  der  eigentliche  Bac.  phlegmon.  emphysematos, 
ist  tierpathogen,  nur  er  vermag  Gasphlegmone  hervorzurufen.  Die 
Anaerobier,  die  man  in  Schaumorganen  und  sonst  nicht  selten  im 
Leichenblut  findet,  sind  «sämtlich  nicht  tierpathogen:  Übrigens  lassen 
sich  die  Kolonien  der  Anaerobier  am  Boden  der  Platten  auch  auf¬ 
finden,  ohne  daß  anaerob  gezüchtet  wird. 

Judo  bst  hal  erwähnte  einen  Fall,  in  dem  bei  Magenkarzinom 
Gasblasen  in  der  Darmschleimhaut  auftraten :  es  fand  sich  nur  ein 
Bakterium  der  Koligruppe.  Er  sprach  sich  für  die  Kultivierung  in 
hohen  Bouillonröhrchen  aus,  in  welchen  die  Anaerobier  in  Symbiose 
mit  aeroben  Keimen  besonders  gut  wachsen. 

Fraenkel  erwiderte  hierauf,  daß  die  Gasbazillen  in  der  Mehr¬ 
zahl  der  Fälle  in  Reinkultur  —  nicht  mit  Aerobiern  vermengt  — - 
auf  gehen. 

Panischen  sprach  über  ätiologische  und  histologische  Unter¬ 
suchungen  bei  Scharlach.  Die  Engländer  leugnen  im  allgemeinen,  daß 
die  Haut  bei  Scharlachkranken  in  irgend  einem  Stadium  infektiös  sei. 
Man  konnte  dagegen  mit  dem  Raohenschleim  von  Scharlachkranken 
schwere  Infektionen  hervorrufen.  P.  selbst  hat  bei  Kaninchen  durch 
Übertragung  von  Rachenschleim  Scharlachkranker  ein  scharlachähn¬ 
liches  Exanthem  erzeugen  können ;  die  Tiere  gingen  unter  Intoxikations- 
erscheinungen  und  heftigen  Durchfällen  zugrunde.  Die  Experimente 
sind  dadurch  erschwert,  daß  im  Rachenschleim  sich  eine  große  Bakterien¬ 
flora  findet,  während  man  z.  B.  in  den  Pockenpusteln  eine  Reinkultur 
des  Erregers  hat.  Daß  doch  auch  die  Haut  Trägerin  der  Infektion 
ist,  beweist  der  Wundscharlach  und  der  puerperale  Scharlach.  Nach 
Besprechung  der  Befunde  anderer  Autoren,  teilte  P.  als  Ergebnis  seiner 
histologischen  Untersuchungen,  die  er  an  15  Fällen  ausführen  konnte, 
folgendes  mit :  Neben  starker  Kapillarhyperämie  im  Korium  fand  er 
an  der  Basis  des  Epithels  Ödem,  die  Stachelschicht  erweitert,  Kanäle 
zwischen  den  Zellgruppen:  darin  Granula,  die  sich  nach  Unna-Pappen- 
heim  rot  färben,  während  Kerne  und  deren  Abkömmlinge  grün  werden. 
In  drei  Fällen  fand  P.  zirkumskripte  Partien,  wo  die  Zeichnung  ganz 
verwaschen,  Kern  und  Protoplasma  nicht  erkennbar  waren ;  statt  dessen 
fanden  sich  Fragmente  in  Gestalt  von  kugelartigen  Gebilden,  wie 


Hamburger  Brief. 


1297 


man  (sie  manchmal  auch  bei  Pocken  sieht.  Diese  kleinsten  Partikelchen 
werden  —  wohl  durch  den  Lymphstrom  —  bis  in  die  tiefsten  Schichten 
des  Koriums  geschleppt,  sind  hier  viel  kleiner  und  besonders  regel¬ 
mäßig  angeordnet.  P.  glaubt  nicht,  daß  es  sich  um  etwas  Körper¬ 
fremdes  handelt.  (Reaktionsprodukte  auf  die  Toxine?) 

In  der  Diskussion  erklärte  Unna  es  für  zweifellos,  daß  es  sich 
hier  um  Zerfallsprodukte  handelt.  Die  Bilder  erinnern  an  diejenigen, 
welche  man  erhält,  wenn  man  derartiges  Gewebe  in  NaCl-Lösung  im 
Brutofen  stehen  läßt.  Er  wirft  die  Präge  auf,  ob  nicht  außer  dem 
Scharlach  vielleicht  noch  äußere  Einwirkungen  ßtattgefunden  hätten. 

Außerdem  zeigte  Paaschen  sehr  schöne  Bilder  von  Klatschpräpa¬ 
raten  (nach  Ewing)  zur  Darstellung  der  Vakzinekörperchen,  an  deren 
Hand  er  nachwies,  daß  diese  Gebilde  als  Reaktionsprodukte  aus  dem 
Kern  entstehen.  Es  fehlt  übrigens  in  diesen  Präparaten  der  Hof,  der 
sonst  für  die  Vakzinekörperchen  als  charakteristisch  gilt. 

Preiser  hielt  einen  Vortrag  über  eine  typische  periostale  Kallus¬ 
bildung  am  Condylus  internus  femoris  nach  Kniedistorsionen. 

Stieda  beschrieb  1907  unter  dem  Titel  „eine  typische  Eraktur 
am  unteren  Femurende1'  einen  nach  Knieverletzungen  im  Röntgenbilde 
nachweisbaren  Knochenschatten  auf  Grund  von  sechs  Fällen;  Vogel 
deutete  diesen  Schatten  1908  auf  Grund  von  vier  Fällen  als  eine  infolge 
eines  das  KJnte  von  innen  unten  treffenden  Traumas  erfolgte  Ab¬ 
sprengung.  Preiser  zieht  nun  auf  Grund  von  elf  eigenen  Beobach¬ 
tungen  und  zwei  weiteren  von  Ottendorff  und  Ewald  überlassenen 
'Fällen  unter  Demonstration  von  16  Diapositiven  von  zehn  Fällen  den 
Schluß,  daß  es  sich  um  keine  Eraktur  handeln  könne,  sondern  um 
einen  Periostabriß  njit  nachträglich  eintretender  Ossifikation,  da  der 
Schatten  sich  erst  etwa  von  der  dritten  Woche  ab  nachweisen  läßt. 
Ferner  geht  aus  der  Anamnese  der  Fälle  hervor,  daß  es  sich  meist 
um  ein  indirektes  Trauma  handelt,  und  zwar  um  ein  Durchbiegen 
des  Knies  im  Sinne  eines  Genu  valgum.  Preiser  hat  auch  beobachtet, 
daß  der  Schatten  später  wieder  verschwindet,  wie  jeder  nicht  be¬ 
lastete  Kallus. 

Der  Abriß  des  Periostes  könnte  dabei  verursacht  sein  entweder 
durch  das  Abreißen  des  Ligament,  collaterale  tibiale  oder  durch  den 
Abriß  des  distalsten  Teils  der  Sehne  des  M.  adductor  magnus.  Auf 
Grund  der  Röntgenbilder  scheint  meist  die  letzte  Entstehungsmöglich¬ 
keit  vorzuliegen;  die  erstere  kommt  aber  wahrscheinlich  ebenfalls  vor. 

Plate  besprach  an  der  Hand  eines  vorgestellten  Falles  die  ver¬ 
schiedenen  Formen  der  Wirbelsäulenversteifung  (ankylosierende  Ar¬ 
thritis  und  Spondylitis  deformans).  Die  Diagnose  ist  in  den  Anfangs¬ 
stadien  nur  durch  das  Röntgenbild  zu  stellen.  Therapeutisch  ver¬ 
wendet  P.  jetzt  in  solchen  Fällen  den  von  ihm  angegebenen  „Grandi- 
nator“,  einen  Apparat,  durch  den  kleine  Samenkörner  in  feinem  Strahl 
gegen  die  Haut  geschleudert  werden,  wodurch  eine  ungewöhnlich  starke 
Hyperämiewirkung  erzielt  wird. 

Embden  demonstrierte  ein  Kind,  das  als  völliger  Idiot  zu  ihm 
kam.  Das  Kind  zeigte  andauernd  Temperaturen  unter  36°,  war  schwer 
dement.  Die  Thyreoidea  fehlte,  die  Knochenkernbildung  in  der  Ober¬ 
schenkelepiphyse  war  ausgeblieben.  (Aber  kein  Myxödem!)  Nach  Ver¬ 
abreichung  von  Thyreoidintabletten  trat  rapide  Besserung  ein.  Die 
Knoehenkerne  waren  allerdings  nach  drei  Monaten  noch  nicht  vorhanden. 
Es  handelt  sich  um  toxische  Einwirkungen  auf  den  neuromuskulären 

82 


1298 


Referate  und  Besprechungen. 


Apparat ;  derartige  toxische  Störungen  sind  —  ähnlich  wie  in  den 
Beriberiversuchen  an  Tauben  von  Giemsa  (cf.  den  vorigen  Hamburger 
Brief)  —  rascher  Reparation  zugänglich.  Embden  rät,  in  derartigen 
Fällen,  auch  wenn  kein  sicherer  Anhalt  für  eine  Athyreoidosis  vor¬ 
liegt,  einen  Versuch  mit  Thyreoidintabletten  zu  machen. 


Referate  und  Besprechungen. 

Allgemeines. 

Knabe  oder  Mädchen? 

(L.  Billon.  Marseille  med.,  1.  April  1909.  — Tribüne  med.,  Nr.  29,  S.  449 — 461, 1909.) 

Das  praktische  Ergebnis  der  Studie  lautet:  Derjenige  Erzeuger,  welcher 
im  Moment  der  Konzeption  der  stärkere  ist,  gibt  dem  Zeugungsprodukt  den 
Geschlechtscharakter,  und  zwar  jeweils  den  entgegengesetzten,  so  daß  ein 
starker  Mann  Mädchen,  eine  starke  Frau  Knaben  zur  Folge  haben  müßte. 

Die  Idee  ist  nicht  ganz  neu;  allein  bei  näherer  Betrachtung  ergibt 
sich  doch,  daß  sie  auf  tönernen  Füßen  steht.  Wonach  bemißt  sich  z.  B.  die 
Stärke  eines  zeugenden  Mannes  oder  einer  zeugenden  Frau  ?  Soll  man  die 
Muskelkraft,  die  Leistungsfähigkeit  der  nervösen  Apparate  oder  was  sonst 
als  „Dynamometer“  nehmen  ?  Dann  ist  Kopulation  und  Konzeption  nicht 
synchron  usw.  usw.  Wir  werden  also  erkennen  müssen,  daß  innerhalb  des 
derzeitigen  Rahmens  unseres  Horizontes  diese  Frage  nicht  zu  lösen  ist,  sondern 
daß  da  Faktoren  mitspielen,  die  jenseits  des  Objektträgers  und  des,  Reagenz¬ 
glases  liegen.  Buttersack  (Berlin). 


Bekämpfung  des  Bevölkerungsrückgangs. 

(Ch.  Eichet.  Progres  med.,  Nr.  27,  3.  Juli  1909.) 

Der  Rückgang  ihrer  Bevölkerungsziffer  macht  unseren  westlichen  Nach¬ 
barn  viel  Sorge;  und  mit  Recht.  Unter  den  Abhilfmitteln  verdient  der 
Vorschlag  von  Professor  Charles  Rieh  et  ob  seiner  finanzpolitischen  Kühn¬ 
heit  besondere  Beachtung.  Er  will  die  Abneigung  der  Eltern  gegen  Kindersegen 
mit  Geld  bekämpfen,  und  zwar  mit  steigenden  Prämien :  für  das  zweite 
Kind  500  fr.,  für  das  dritte,  vierte  usw.  je  1000  fr.  Dermalen  sind  unter  d|en 
700000  Geborenen  300000  (prämienfreie)  Erstgeborene,  die  übrigen  400000 
würden  nach  Richet’s  Berechnung  ca,.  300  Millionen  Francs  Prämien  kosten; 
Für  eine  Milliarde  Francs  könnte  man  demnach  eine  Million  Geburten  kaufen. 
(Nach  meiner  Berechnung  würde  dieser  Geldbetrag  zunächst  nur  für  die 
bereits  vorhandene  Geburtenanzahl  ausreichen;  eine  Natalitätssteigerung  müßte 
eine  noch  größere  Belastung  des  Budgets  bedingen.) 

Wegen  der  Beschaffung  dieser  enormen  Geldsummen  macht  sich  Eichet 
keine  großen  Sorgen :  entweder  man  nehme  eine  Anleihe  auf  oder  ziehe  die 
Erbschaftssteuerschraube  noch  ein  bischen  fester  an :  Seitenverwandte  sollen 
50%  und  die  einzigen  Kinder  25%  an  den  Staat  abführen.  Frankreich  würde 
dabei  nicht  verarmen,  sondern  nur  gewinnen ;  denn  Wohlstand  und  Macht 
des  Landes  würden  sich  mit  der  zunehmenden  Bevölkerung  heben. 

Das  ist  alles  gewiß  sehr  schön ;  ich  fürchte  nur,  der  Plan  ist  ohne  die 
modernen  Französinnen  gemacht.  Buttersack  (Berlin). 


lieber  die  Entstellungsursachen  und  Verhütung  der  Minderbegabung  im 

schulpflichtigen  Alter. 

(Dr.  Bayerthal,  Worms.  Der  Kinderarzt,  Nr.  6,  1909.) 

Für  die  Entstehung  des  angeborenen  Schwachsinns  ist  zwar  die  erbliche 
Veranlagung  von  größter  Wichtigkeit,  sie  allein  genügt  aber,  ähnlich  wie 
bei  der  Tuberkulose,  nicht  füiri  'die  Entstehung  der  Krankheit,  vielmehr 


Referate  und  Besprechungen. 


1299 


müssen  zur  Anlage  noch  gewisse  auslösende  Momente  hinzukommen.  Die 
Richtigkeit  dieser  Annahme  geht  aus  der  Tatsache  hervor,  daß  trotz'  der 
ungeheuren  Verbreitung  erblicher  Unvollkommenheiten,  wie  sie  in  mehr 
oder  weniger  starkem  Grade  kaum  in  einer  Familie  fehlen  und  selbst  bei 
schwerer,  gehäufter  Belastung  doch  nicht  lauter  minderwertige  Kinder  geboren 
werden.  Unter  den  auslösenden  Schädlichkeiten  ist  eine  der  bedeutendsten 
der  Alkohol.  Verf.  konnte  unter  37  Kindern  einer  Hilfsschule  21  mal  Keim¬ 
vergiftung  durch  den  Alkoholismus  des  Vaters  nachw eisen,  so  zwar,  daß 
zur  Zeit  der  Empfängnis  der  Vater  als  Gewohnheitstrinker  anzusehen  war 
und  die  Mutter  die  Möglichkeit  der  Zeugung  im  Rausch  zugab ;  der  alko¬ 
holisierte  Zustand  der  Mutter  kam  nur  bei  unehelichen  Kindern  manch¬ 
mal  in  Betracht.  Zur  Erklärung  nimmt  Verfasser  an,  daß  bei  Bestehen 
einer  Krankheitsanlage  der  Eltern  die  Widerstandsfähigkeit  der  Keim¬ 
zellen  gegen  Krankheit  auslösende  Schädlichkeiten,  gegen  eindringende  Gifte 
vermindert  ist,  und  daß  der  im  Blute  kreisende  Alkohol  die  Keimzellen 
direkt  angreift  und  schädigt;  für  gewöhnlich  verhüten  gewisse  Schutzvor¬ 
richtungen  der  Keimzellen,  daß  nicht  bei  jedem  Rausch  Alkohol  in  den 
Samen  gelangt.  Außer  dem  Alkohol  während  der  Zeugung  kommen  für 
die  Entstehung  des  Schwachsinns  noch  andere  Einflüsse  in  Betracht:  nach1 
der  Befruchtung,  d.  i.  während  der  Schwangerschaft  Alkohol,  Krankheiten 
ünd  Unfälle,  Not,  Gemütsbewegungen  der  Mutter,  während  der  Geburt 
Traumen  auf  Schädel  und  Gehirn  des  Kindes,  nach  der  Geburt  Alkoholismus 
und  Gemütsbewegungen  der  stillenden  Mütter  und  beim  Kind  ungünstige 
hygienische  und  Ernährungsverhältnisse,  Verabreichung  von  Alkohol  und 
narkotischen  Mitteln  (Mohntee)  usw.  Zur  Verhütung  der  Minderbegabung 
kann  man  außer  durch  Besserung  der  allgemeinen  Lebensverhältnisse  nur 
durch  die  ,, Hygiene  des  Alkohols“  etwas  beitragen,  weniger  durch  Bekämpfung 
des  Alkoholismus  in  Wort  und  Schrift,  als  vielmehr  durch  Vorbild  und 
Beispiel,  und  auf  Grund  eigener  Erfahrung  verspricht  sich  Verf.  eine  be¬ 
sonders  segensreiche  Wirkung  von  Aufklärungen  an  Frauen  und  Mädchen 
über  die  schweren  Folgen,  die  sich  aus  gewohnheitsmäßigem  Alkoholgenuß 
und  Rauschzuständen  bei  der  Zeugung  für  die  Nachkommenschaft  ergeben, 
e  Steinhardt  (Nürnberg). 


Innere  Medizin. 

Ueber  die  mechanischen  Probleme  der  Zirkulation  und  ihre  Lösung. 

(J.  Eichberg,  Cincinnati.  Deutsche  Ärztezeitung,  Nr.  12,  1909,  nach  Interstate 

Med.,  7.  März  1908.) 

Wenn  man  das  praktische  Studium  der  Blutzirkulation  auf  eine  präzise 
Basis  stellen  will,  so  hat  man  die  drei  Faktoren  zu  berücksichtigen,  die 
jede  Energieentfaltung  leiten,  nämlich  Kraft,  Gewicht  und  Widerstand. 

„Hinsichtlich  der  Kraft  haben  wir  nur  eine  Größe  zu  würdigen:  die 
Muskelkraft  der  Herzkontraktion“  (S.  266).  —  „Jede  Arterie  ist  ein  kon¬ 
traktiles  JJerz  en  miniature,  eine  Hilfskraft  für  den  Kreislauf“  (S.  267). 

„Die  Zirkulation  stellt  die  Bewegung  einer  bestimmten  Flüssigkeits¬ 
menge  in  einer  Reihe  geschlossener  Kanäle  dar,  und  da  nirgend  ein  xUbgang 
erfolgt,  muß  die  Flüssigkeitsmenge  ungefähr  gleich  bleiben“  —  „Jede  Nah¬ 
rungsaufnahme  indes  vermehrt  durch  Absorption  die  Blutmenge  Und  die 
Sekretionsvorgänge  verringern  unablässig  das  Volumen4  .  — 

Es  gab  so  viele  Fehlerquellen  in  den  gewöhnlichen  Sphygmogrammen 
nach  Marey,  daß  selbst  der  Erfahrenste  aus  der  bloßen  Betrachtung  der 
Kurve  nicht  sagen  konnte,  welche  Abweichung  von  der  Norm  gerade  vorlag. 
Auch  Riva-Rocei  konnte  nicht  sämtliche  Unvollkommenheiten  beseitigen, 
besser  begegnet  das  Instrument  v.  Recklinghausens  den  verschiedenen  Ein¬ 
wänden. 

Der  von  Nikolai  und  Kraus  verbesserte  Ein thoven’sche  Elektro- 
kardiagraph  kann  wegen  seiner  Kostspieligkeit  und  komplizierten  Technik 
niemals  ausgedehnte  Verwendung  finden. 

28* 


1300 


Referate  und  Besprechungen. 


Bei  seinen  weiteren  Ausführungen,  die  sich  zu  einem  kurzen  Referat 
nicht  eignen  und  deshalb  eventuell  im  Original  nachgelesen  werden  müssen, 
betont  Verf.,  daß  wir  beim  Studium  den  arteriellen  Spannung  in  der  Deutuüg 
der  Resultate  vorsichtig  sein  und  die  individuelle  Schwankung  besonders 
berücksichtigen  müssen.  Esch. 


Primäre  Neubildungen  des  Herzens. 

(R.  Link.  Zeitschr.  für  klin.  Med.,  Bd.  67,  S.  272,  1909.) 

Der  von  Link  mitgeteilte  neue  Fall  betrifft  einen  sehr  großen,  wahr¬ 
scheinlich  von  der  Vorhofsscheidewand  ausgehenden  Tumor,  Spindelzellen¬ 
sarkom,  beider  Vorhöfe  bei  einem  23  jährigen  Waldarbeiter.  Erste  Zeichen 
der  Erkrankung  1%  Jahre  vor  dem  Tode.  Gegen  Ende  des  Lebens  Ödem, 
Zyanose,  linksseitiges  Pleuraexsudat;  im  Blut  15%  Hämoglobin.  Man  dachte 
hauptsächlich  an  Mediastinaltumor. 

Außer  23,  mehr  oder  weniger  sorgfältig  klinisch  beobachteten  Fällen 
stellt  L.  noch  weitere  68  von  „nur  pathologisch-anatomischem  Interesse“  zu¬ 
sammen,  unter  Ausschluß  von  Gummata  und  Zystizerken.  Von  den  91 
primären  Tumoren  betreffen  10  den  rechten,  24  den  linken  Vorhof,  14  den 
rechten,  8  den  linken  Ventrikel  (immer  Septum  hinzugerechnet),  3  beide  Vor¬ 
höf  e,  2  beide  Ventrikel,  je  2  rechten  Vorhof  mit  rechtem  Ventrikel,  linken 
Vorhof  mit  linkem  Ventrikel,  Septum  atriorum,  Septum  ve'ntriculorum ;  16 
sind  Klappentumoren.  Sarkome,  Myxome,  Myxosarkome,  Myome,  Fibrome, 
Lipome  sind  hauptsächlich  vertreten.  H.  Vierordt  (Tübingen). 


Fehldiagnose  der  Verengerung  des  linken  venösen  Ostiums. 

(J.  Pawinski.  Zeitschr.  für  klin.  Med.,  Bd.  68,  S.  75,  1909.) 

Ohne  gerade  viel  Neues  bringen  zu  können,  stellt  P.  die  Ursachen 
solcher  Fehldiagnosen  zusammen,  wobei  in  Betracht  kommen  fehlerhafte  Art 
der  Auskultation  —  man  soll  auch  mehr  nach  außen  von  der  Papillarlinie 
das  Hörrohr  aufsetzen,  um  das  charakteristische  (präsystolische)  Geräusch 
sicher  zu  vernehmen  — ,  ferner  Verschwinden  früher  vorhandener  $nd  voll¬ 
ständiges  Fehlen  von  Geräuschen.  Ersteres  ist  bekannt  und  wird  auch 
von  P.  aus  schwächer  werdender  Vorhofskontraktion  erklärt,  letzteres  Moment, 
das  gänzliche  Fehlen,  hat  namentlich  auch  Huchard  betont  und  sich  um 
die  Diagnose  des  „retrecissement  aphone“  bemüht.  Solche  alte,  intra  vitam 
keine  besonderen  auskultatorischen  Symptome  machenden  Stenosen,  zumal 
bei  älteren  weiblichen  Individuen,  hat  wohl  jeder  schon  zu  beobachten  Ge¬ 
legenheit  gehabt.  Das  Vorhandensein  von  Blutgerinnseln,  Geschwulstparti¬ 
keln,  Herzparasiten  kann  ich  nicht  zu  den  eigentlichen  Fehldiagnosen  rech¬ 
nen,  da  wenigstens  Stenose-Erscheinungen,  zuweilen  in  recht  ausgesprochener 
Weise,  vorliegen.  PI.  Vierordt  (Tübingen). 


Ist  die  von  Max  Herz  beschriebene  „Phrenokardie“  eine  scharf 
abzugbenzende  Form  der  Herzneurosen. 

(W.  Erb,  Heidelberg.  Münch,  med.  Wochenschr.,  Nr.  22,  1909.) 

Die  Herz’sche  Phrenokardie  oder  spezieller  sexuelle  psychogene  Herz¬ 
neurose  hat  zunächst  drei  Kardinalsymptome,  den  Herzsehmerz,  die  Atem¬ 
störung,  die  in  der  Hauptsache  in  einer  Behinderung  der  Atmung  durch  Hem¬ 
mung  der  Tätigkeit  des  Zwerchfells  besteht.  Es  finden  seichte  Atembewe¬ 
gungen  bei  tiefer  Inspirationsstellung  statt.  Das  dritte  Symptom  ist  starkes 
Herzklopfen  mit  gesteigerter  Frequenz,  labiler  Herzaktion  und  häufigen  Extra¬ 
systolen.  Der  physikalische  Herzbefund  ist  völlig  normal,  im  Röntgen¬ 
bilde  zeigt  sich  zuweilen  das  Tropfenherz  und  Tiefstand  des  Diaphragma, 
manchmal  auch  abnorme  Beweglichkeit  des  Herzens.  Blutdruck  ist  nicht 
verändert.  Als  Nebensymptome  treten  neurasthenische  Beschwerden,  Schmerzen 
in  den  Extremitäten,  unruhiger  Schlaf  auf.  Hierzu  kommt  in  größeren  oder 


Referate  und  Besprechungen. 


1301 


kleineren  Abständen  der  phrenokarditische  -  Anfall :  größte  Erregung  und 
heftiges  seelisches  Leiden,  starke  Herzstiche,  schmerzhafte  Inspiration  und 
Atembeschwerden,  zuweilen  kommt  es  zu  Atemstillsitänden  bis  zu  30  Sekunden, 
wozu  sich  Tachykardie,  nervöse  Schüttelfröste,  gesteigerter  Bewegungsdrang, 
Entleerung  eines  reichlichen  blassen  Urins  gesellen.  Herz  glaubt  in  ge¬ 
steigerter  oder  abnormer  Erotik  die  Ursache  des  Leidens  suchen  zu  müssen. 
Erb  hat  nun  seine  Krankengeschichten  durchgesehen,  die  allerdings,  wie  er 
selbst  sagt,  zu  einer  richtigen  Beurteilung  der  Frage  völlig  ungenügend  sind. 
\  on  den  ihm  zur  Verfügung  stehenden  25  Fällen  gibt  er  mehrere  Kranken¬ 
geschichten  wieder.  Sie  zeigen  im  ganzen  und  großen  ziemlich  dieselben  Er¬ 
scheinungen,  wie  sie  H,erz  schildert,  auch  die  sexuellen  Momente  in  der 
Ätiologie  finden  sich  größtenteils  wieder.  Erb  kommt  daher  zu  dem  Schluß, 
daß  er  trotz  einiger  Skepsis  die  Existenzberechtigung  der  Herz’schen  Phreno¬ 
kardie  anerkennt.  Es  erscheint  ihm  auffallend,  daß  bei  der  großen  Häufig¬ 
keit  sexueller  Schädigungen  das  Krankheitsbild  ziemlich  selten  beobachtet 
wird.  Eine  genauere  Nachforschung  erscheint  ihm  daher  sehr  am  Platze. 

F.  Walther. 


Ueber  den  Gehalt  des  Blutes  an  Adrenalin  bei  chronischer  Nephritis 

und  Morbus  Basedowii. 

(A.  Fraenkel,  Badenweiler.  Archiv  für  exp.  Pgth.  u.  Pharmakol.,  Bd.  60,  S.  395,  1909.) 

Das  Vorhandensein  von  Adrenalin,  dem  wirksamen,  vermutlich  be¬ 
ständig  im  Blut  kreisenden  Bestandteil  der  Nebennieren,  in  einer  Flüssig¬ 
keit  nachzuweisen,  gelingt  leicht  und  mit  einem  außerordentlichen  Grad 
von  Feinheit  mittels  physiologischer  (biologischer)  Methoden  (Blutdruck¬ 
steigerung  am  lebenden  Tier,  Batelli;  Mydriasis  des  enukleierten  Frosch¬ 
auges,  Meitzer,  Ehrmann  [1906,  S.  618];  Kontraktion  eines  Blutgefä߬ 
streifens  [Subclavia],  O.  B.  Meyer  [1906,  S.  933];  Bewegungen  des  Kaninchen¬ 
uterus,  Kurdinowsky,  Kehrer). 

Nach  der  1909,  S.  37,  beschriebenen  graphischen  Methode  hat  Fraenkel 
im  Heidelberger  pharmakolog.  Institut  den  Gehalt  an  Adrenalin  an  50'  Kanin- 
chenuteri  geprüft,  indem  jedesmal  4—8  Streifen  untersucht  wurden. 

Adrenalin  bewirkt  in  der  Konzentration  1 : 20  Millionen  (in  15  ccm'  Flüssig¬ 
keit,  Ringerlösung)  noch  eine  Zunahme  der  Kontraktion  (Tonussteigerung). 

Ebenso  wie  eine  Adrenalinlösung  wirkte  menschliches  Blutserum  (10 
Geisteskranke  ohne  somatische  Erscheinungen),  das  auch  auf  den  Blutdruck, 
schwach  auf  den  Froschbulbus  und  auf  Gefäßstreifen  wie  Adrenalin  wirkt. 
Also  darf  angenommen  werden,  daß  im  Blut  Adrenalin  kreist.  Es  wirkt 
noch  Blut  in  der  Verdünnung  1:50,  was  einer  Adrenalin-Konzentration  von 
1:20  Millionen  entsprechen  würde.  Der  Mensch  würde  hiernach  in  seinem 
Blut  (5  kg)  die  große  Menge  von  12,5  mg  Adrenalin  enthalten ;  diese  würde 
ausreichen,  den  normalen  Gefäßtonus  aufrecht  zu  erhalten.  Bei  chron. 
interstit.  Nephritis  mit  Hypertonie  (7  Fälle)  blieb  der  Adrenalingehalt 
in  den  normalen  Grenzen.  Die  pathologische  Blutdrucksteigerung  bei  solchen 
Kranken  und  im  urämischen  Anfall  kann  hiernach  nicht  auf  eine  Hyper¬ 
funktion  der  Nebenniere  bezogen  werden.  Die  Unabhängigkeit  des  Gefä߬ 
tonus  von  dem  Adrenalingehalt  des  Blutes  wird  aber  noch  evidenter  durch 
den  starken  Adrenalingehalt  bei  Basedow-Kranken  (3  Fälle).  Er  war  um 
das  vier-  bis  achtfache  erhöht  (berechnete  Gesamtmenge  Adrenalin  im  Blut: 
50 — 100  mg),  dabei  fehlte  jede  Andeutung  einer  erhöhten  Gefäßspannung. 

Gibt  es  auch  Hypertonien,  bei  denen  der  Adrenalingehalt  des  Blutes 
nicht  gesteigert  ist  (chron.  interstit.  Nephritis)  und  kann  die  Gefäßspannung 
normal  sein  bei  stark  erhöhtem  Adrenalingehalt,  so  darf  deswegen  nicht  dem 
Adrenalin  jeder  Einfluß  auf  den  normalen  Gefäßtonus  abgesprochen  werden. 
Würden  z.  B.  beim  Morbus  Basedowii  „thyreogene,  den  Blutdruck  herab¬ 
setzende  Einflüsse“  bestehen,  so  könnte  „die  vermehrte  Adrenalinsekretion 
als  ein  kompensatorischer  Vorgang  aufgefaßt  werden.  E.  Rost  (Berlin). 


1302 


Referate  und  Besprechungen. 


Aus  der  inneren  Abteilung  des  Krankenhauses  Kindlein  Jesu  in  Warschau. 

(Vorstand:  Priv.-Doz.  Dr.  W.  Janowski.) 

Ueber  gewisse  Perkussionssymptome  bei  Pleuraergüssen. 

(Dr.  Mieczvslaw.  Deutsche  med.  Wochenschr.,  Nr.  25,  1909.) 

Die  Unvollkommenheit  der  Auskultations-  und  Perkussionsmethode  zeigt 
sich  recht  deutlich  an  den  mannigfaltigen  Auffassungen  der  Ergüsse  in  die 
Pleurahöhle.  Verf.  ist  nun  in  30  E allen  von  Pleuraerguß  zu  folgendem 
Resultat  gelangt:  Der  höchste  Punkt  der  oberen  Dämpfungslinie  bei  Exsudaten 
liegt  nicht  an  der  Wirbelsäule,  sondern  ziemlich  weit  davon  nach  außen  und 
entspricht  etwa  dem  Schulterblattwinkel.  Von  da  fällt  die  obere  Dämpfungs¬ 
linie  mehr  oder  weniger  steil  zur  Wirbelsäule  ab  und  bildet  mit  dieser  ein 
Dreieck,  dessen  Basis  nach  oben  gerichtet  ist.  Der  Perkussionsschall  ist 
in  diesem  Dreieck  heller  wie  in  der  Gegend  der  Dämpfung,  er  kann  sogair 
bisweilen  leicht  tympanitisch  sein.  Der  Erguß  nimmt  die  Form  einer  ab¬ 
gestumpften  Pyramide  an,  weil  die  obere  Flüssigkeitsgrenze  in  der  Richtung 
nach  vorn  und  unten  fällt.  Die  gleichen  Resultate  erzielte  er  bei  den  Trans¬ 
sudaten.  E.  Walther. 


Chirurgie. 

Demonstration  schwierig  zur  Heilung  gebrachter  Fälle  von  angeborener 

Hüftverrenkung. 

(Dr.  Bade/ Hannover.  Münch,  med.  Wochenschr.,  Nr.  7,  1909.) 

Bade  zeigt  an  einer  Reihe  von  Röntgenbildern  und  unter  Vorstellen 
einer  Anzahl  von  Kindern,  an  denen  zumeist  schon  anderweitig  Repositions¬ 
versuche  gemacht  worden  waren,  daß  durch  die  unblutige  Einrenkung  der 
angeborenen  Hüftgelenksverrenkung  sehr  oft  oder  zumeist  noch  gute  funk¬ 
tionelle  Resultate  zu  erreichen  sind  durch  eine  streng  individualisierte  Be¬ 
handlung.  Man  muß  nach  der  exakten  Reposition  verstehen,  den  Schenkel¬ 
kopf  genügend  lange  in  der  richtigen  Stellung  zu  erhalten,  bis  sich  die 
Pfanne  entsprechend  den  neuen  statischen  Verhältnissen  umgebildet  hat.  Dazu 
hat  man  meist  ein  längeres  Liegenlassen  des  Gipsverbandes  nötig,  oft  auch 
einen  besonderen  Zug  des  Femurkopfes  gegen  die  Pfanne.  Die  Anteversion 
des  Eemurhalses,  die  man  bei  kongenitalen  Hüftluxationen  ziemlich  oft  be¬ 
obachtet,  ist  praktisch  von  relativ  geringer  Bedeutung,  sie  verschwindet 
mit  der  Zeit  von  selbst,  wenn  man  es  nur  fertig  bringt,  im  Hüftgelenk  eine 
genügende  Festigkeit  zu  erzielen.  Und  das  erreicht  man  nach  exakter  Re¬ 
position  durch  langes  Liegenlassen  der  Verbände  (ca.  neun  Monate),  durch 
exaktes  Anlegen  der  Verbände  und  dadurch,  daß  man  darauf  achtet,  daß 
im  letzten  Verbände  genügend  die  Einwärtsrotation  gewahrt  wird.  Wenn 
also  manche  Orthopäden  oder  Chirurgen  nach  wiederholten  Mißerfolgen  mit 
der  unblutigen  Reposition  wieder  auf  die  blutige  Reposition  zurückgreifen 
wollen,  so  dürfte  sehr  oft  ihre  Technik  der  unblutigen  Einrenkung  und  Nach¬ 
behandlung  noch  verbesserungsfähig  sein.  —  Härting  (Leipzig). 


Ein  Fall  von  Gangrän  des  Beins  nach  Unterbindung  der  Art.  fern,  unter 

Momburg’scher  Blutleere. 

(Fr.  Kempf,  Braunschweig.  Deutsche  Zeitsehr.  für  Chir.,  Bd.  99,  H.  1  u.  2.) 

Ein  20jähr.  Patient  hatte  sich  durch  Fall  in  einen  Rübenrader  eine 
Zerreißung  der  linken  Art.  fern.,  handbreit  unter  dem  Lig.  poup.,  zugezogen. 
Es  wurde  aus  der  Kontinuität  ein  ca.  3  cm  langes  Stück  des  Gefäßrohrsl 
reseziert,  nachdem  durch  den  Mombürg’schen  Schlauch  mit  Hinzufügung 
eines  untergelegten  Gazekissens  ein  völliger  Abschluß  des  blutenden  Gefäßes 
erzielt  war.  Nach  Abnahme  des  Schlauchs,  welcher  etwa  20  Minuten  gelegen 
hatte,  bestand  eine  ausgesprochene  Anämie,  Kälte  und  Anästhesie,  des  linken 
Fußes;  in  der  Tibialis  post,  war  ein  Puls  nicht  nachweisbar.  8  Tage  danach 


Referate  und  Besprechungen. 


1303 


einsetzende,  langsam  verlaufende,  zunächst  trockene,  dann  feuchte  Gangrän 
machte  5  Wochen  nach  der  Operation  die  Absetzung  des  Unterschenkels! 
erforderlich,  Ein  genauer  pathologisch-anatoüiischer  Befund  konnte  leider 
wegen  der  vorgeschrittenen  Gewebsnekrose  nicht  erhoben  werden. 

Wenngleich  die  Kontinuitätsligatur  der  Art.  fern,  an  sich  eine  schlechte 
Prognose  bezüglich  der  drohenden  Gangrän  gibt,  so  neigt  Verf.  bei  der 
epikritischen  Besprechung  {seiner  Beobachtung  doch  der  Meinung  zu,  daß 
die  Blutstillung  vermittelst  des  mit  großer  Kraft  angezogenen  Gummischlauches 
durch  schwere  Schädigung  der  Kollateralen  den  Eintritt  der  Gangrän  be¬ 
günstigt  hat.  Für  die  Bewertung  des  Verfahrens  ist  die  Beobachtung  aller¬ 
dings  ohne  wesentlichen  Belang,  denn  von  dieser  schädigenden  Nebenwirkung 
ist  auch  der  Esmar  ch’sche  Schlauch  nicht  frei.  F.  Kayser  (Köln). 


Die  Orthopädie  des  praktischen  Arztes. 

* 

(Prof.  Vulpius,  Heidelberg.  Klin.-therap.  Wochenschr.,  Nr.  21  u.  22,  1909.) 

Der  Arzt  bringt  in  die  allgemeine  Praxis  ein  sehr  laues  Interesse  für 
orthopädische  Fälle'  mit,  einmal  weil  ihm  spezieller  Unterricht  auf  der  Hoch¬ 
schule  kaum  geboten  wurde,  zweitens  weil  die  Behandlungsmethoden  schwer 
anwendbar  erscheinen  und  große  technische  Geschicklichkeit,  Apparate,  Maschi¬ 
nen  usw.  erfordern.  Jedoch  kann  jeder  Arzt  durch  eine  Reihe  von  Methoden 
und  einfachen  Hilfsmitteln  zu  guten  Erfolgen  in  orthopädischer  Hinsicht  ge¬ 
langen  ;  besonders  die  Prophylaxe  erfordert  die  Mitarbeit  des  praktischen 
Arztes  auf  dem  Gebiet  der  Orthopädie.  Letztere  zerfällt  in  die  mechanische 
iund  operative.  Von  ersteren  Methoden  sind  zu  nennen  die  Massage,  die 
Heilgymnastik  (passive,  aktive,  Widerstands-  und  Förderungsbewegungen), 
die  portativen  Verbände  (Gips-  und  Extensionsverband),  deren  Technik  der 
Arzt  leicht  erlernen  und  in  der  Praxis  ausführen  kann,  und  portative  ortho¬ 
pädische  Apparate,  deren  Gebiet  jedoch  ein  enges  ist,  und  die  sich  leicht 
durch  geschickte  Improvisationen  zweckmäßig  ersetzen  lassen.  Die  chirur¬ 
gische  Orthopädie  verfügt  über  unblutige  (Redressement  bei  Weichteilwider¬ 
ständen)  und  blutige  Methoden  (subkutane  und  offene  Tenotomie,  einfache 
lineäre  Osteotomie). 

Von  den  verschiedenen  orthopädischen  Affektionen  nennt  Verf.  zu¬ 
nächst  die  Skoliose,  bei  welcher  Prophylaxe  von  größter  Wichtigkeit  ist 
(Sorge  für  Hygiene  des  Körpers,  für  Kräftigung  von  Knochen  und  Muskeln, 
rationelle  Diät  und  Kleidung  usw.),  und  deren  Behandlung  niemals  in  dem 
bekannten  und  beliebten  Kriechverfahren  allein  bestehen  darf,  sondern  nur 
in  Verbindung  mit  anderen  altbewährten  Methoden  (Suspension  der  Wirbel¬ 
säule,  Massage,  alkoholische  Abreibungen  des  Rückens,  Übungen  der  ge¬ 
samten  Rumpfmuskulatur,  zweckmäßige  Lagerung,  Schlafenlassen  im  Gips¬ 
bett);  bei  auffällig  schwachem  oder  verkrümmtem  Rücken  ist  ein  stützendes1 
und  entlastendes  Korsett  eine  Notwendigkeit.  Sodann  die  tuberkulöse 
Spondylitis,  bei  deren  Behandlung  Allgemeinmaßnahmen:  Licht,  Luft, 
Hautpflege,  Ernährung  in  erster,  die  Behandlung  des  Krankheitsherdes  durch 
Ruhigstellung  und  Entlastung  der  kranken  Wirbel  in  zweiter  Linie  an¬ 
zuwenden  sind  (Gipsbett,  Stützkorsett,  leichte  Massage,  Gymnastik).  Ferner 
die  spondyli tische  Kompr  esisjio.'nsläjh|,mung,  welche  außer  genauester; 
Fixation  der  Wirbelsäule  die  Extension  derselben  erheischt,  die  man  durch 
Schrägstellung  des  Gipsbettes  oder  durch  Kombination  desselben  mit  Exten¬ 
sionsverbänden  erreicht.  Bei  Spondylitis  traumatica  ist  genügend  lange 
Ruhigstellung  der  Wirbelsäule  im  Bett,  eventuell  auch  im  Streck  verband, 
notwendig,  da  versuchte  Bewegungen  und  Belastungen  der  Wirbelsäule  zu 
Verbiegungen  und  zu  entzündlicher  Reizung  führen.  Bei  Schulter  Ver¬ 
steifung  ist  die  Hauptsache  die  Prophylaxe:  tunlichste  Beschränkung  der 
Immobilisation,  die  stets  in  Abduktionsstellung  geschehen  soll;  bei  der  mobi¬ 
lisierenden  Behandlung  vorsichtige  gymnastische  Übungen  mit  einfachsten 
Hilfsmitteln.  Bei  der  angeborenen  Hüftgelenksluxation  soll  der  Arzt 


1304 


Beferate  und  Besprechungen. 


sich  auf  frühe  Diagnose  beschränken,  die  Behandlung  dem  Spezialisten  über¬ 
lassen.  Bei  tuberkulöser  Koxitis  und  Gonitis  dagegen  hat  er  in  der 
konservativen  Therapie  ein  dankbares  Tätigkeitsfeld;  doch  soll  diese  (Exten¬ 
sionsverband,  Gipsverband  bei  völliger  Buhe)  nur  da  einsetzen,  wo  schwere 
Komplikationen  der  Gelenkinfektionen  fehlen ;  andernfalls  ist  alsbaldiges  chirur¬ 
gisches  Eingreifen  geboten  (namentlich  bei  Gonitis  tuberculosa  frühzeitige 
Besektion).  Bei  rhachitischen  Deformitäten  der  unteren  Extremitäten 
ist  oft,  aber  durchaus  nicht  immer,  auf  Spontanheilung  zu  rechnen;  zuweilen 
erreicht  man  durch  Bandagieren  der  Beine  während  der  Nacht  bei  starker 
Verbiegung  der  Tibiae  oder  bei  Genu  valgum  höheren  Grades,  in  schweren 
Fällen  durch  Osteotomie  sehr  gute  Besultate.  Auch  bei  spinaler  Kinder¬ 
lähmung  kann  der  Arzt  durch  frühzeitige  Massage,  besonders  Tapotement, 
und  Faradisation  nach  Ablauf  der  akuten  Erscheinungen  die  Ernährung  der 
gelähmten  Muskeln  steigern,  Kontrakturen  verhüten;  zu  letzterem  Zweck 
sind  auch  passive  Bewegungen  der  Gelenke,  aktive  Gymnastik,  Bandagieren 
der  Gelenke  in  Mittelstellung  auf  Nachtschienen  angezeigt.  Bei  angeborenem 
Klumpfuß  soll  die  Behandlung  spätestens  am  Ende  des  ersten  Lebens¬ 
vierteljahrs  beginnen  (täglich  wiederholtes  Bedressement  des  Fußes,  model¬ 
lierendes  Dehnen  der  verkürzten  konkavseitigen  Weichteile,  Bindenwicklung, 
später  —  im  4.  bis  6.  Monat  —  subkutane  Achillo-Tenotomie,  endlich  Gips¬ 
verband,  der  sechs  bis  zwölf  Wochen  liegen  bleibt) ;  schwerere  Fälle  sollen 
rechtzeitig  zum  Spezialisten  gebracht  werden.  Beim  Plattfuß  erreicht  man 
zuweilen,  nicht  immer,  Besserung  durch  geeignete  Einlagen,  schiefe  Sohlung, 
stark  gearbeitete  Kappen  mit  Stahlfederverstärkung  in  der  Brandsohle;  bei 
drohender  spastischer  Abduktionskontraktur  rechtzeitige  Überweisung  an  den 
Spezialisten.  %  Peters  (Eisenach). 


Gynäkologie  und  Geburtshilfe. 

Zur  plazentaren  Theorie  der  Eklampsieätiologie. 

(Dr.  Wolfgang  Weichardt.  Archiv  für  Gyn.,  Bd.  87,  H.  3,  1909.) 

Eine  weitere  gewichtige  Ablehnung  der  bekannten  Lichtenstein’sclien 
Eklampsiearbeit!  Zunächst  wird  nachgewiesen,  daß  Lichtenstein  zur  Her¬ 
stellung  seiner  Infektionsflüssigkeiten  gerade  die  Methoden  gewählt  hat,  mittels 
deren  mit  Sicherheit  auch  die  wirksamen  Synzytiotoxine  ausgewaschen  werden. 
Da  kann  man  sich  nicht  wundern,  wenn  Intoxikationssymptome  ausblieben. 
Ferner  seien  die  Angaben  über  die  Argillaaufschwemmüngen  so  wenig  exakt, 
daß  Nachprüfungen  beinahe  unmöglich  seien.  Eine  Konzentration,  die  nach 
den  Lichtens tein’schen  Angaben  einer  milchfarbenen  Flüssigkeit  hätte 
gleichen  müssen,  erwies  sich  in  Wirklichkeit  als  ein  dicker  Schlamm!  So¬ 
dann  hat  Lichtenstein  es  absichtlich  vermieden,  wie  das  erforderlich1  ist, 
seine  Flüssigkeiten  in  die  Mesenterialvenen,  wobei  die  Leber  als  Filter  in  Aktion 
tritt,  zu  injizieren.  Damit  wäre  ja  das  L.  so  wünschenswerte  Eindringen  der 
Korpuskula  in  Herz  und  Lunge  ausgeschaltet  gewesen.'  W.  hat  die  angeb¬ 
lich  tödlichen  Argillaversuche  L.’s  nachprüfen  lassen  und  da  hat  sich  her¬ 
ausgestellt,  daß  die  Wirkung  eine  ganz  verschiedene  ist,  je  nachdem  die 
Argillaaufschwemmung  in  die  Ohrvene  oder  in  die  Mesenterialvene  injiziert 
wird.  Die  ohrinjizierten  Kaninchen  starben,  die  anderen  nicht.  Wenn  somit 
eine  Plazentaraufschwemmung  von  nachweislich  geringerem  Korpuskulagehalt 
als  der  verwendete  Argillaschlamm  besaß',  durch  die  Mesenterial vene  in¬ 
jiziert,  den  Tod  der  Kaninchen  herbeigeführt  hat,  so  kann  diese  Wirkung 
eben  nur  als  Folge  des  Toxingehaltes  der  Plazentaraufschwemmung  ange¬ 
sehen  werden.  ,, Somit  wird  ganz  unerwartet  die  Eklampsieplazentartheorie 
durch  diese  Nachprüfung  der  Lieh tens te in’schen  Injektionen  von  Kaninchen 
mit  Argillaaufschwemmung  nicht  nur  nicht  gestürzt  und  erschüttert,  sondern 
vielmehr  ganz  erheblich  gestützt.“  So  wäre  die  L.’sche  Arbeit  doch  zu  etwas 
gut  gewesen!  B.  Klien  (Leipzig). 


Referate  und  Besprechungen. 


1305 


Aus  der  Universitäts-Frauenklinik  zu  München. 

Zur  Klinik,  Statistik  und  Therapie  der  Eklampsie. 

(Priv.-Doz.  Dr.  L.  Seitz.  Archiv  für  Gyn.,  Bd.  87,  H.  1,  1909.) 

S.  hat  die  Eklampsiefälle  der  Münchener  Frauenklinik  aus  den  letzten 
32  Jahren  einem  eingehenden  Studium  unterworfen;  es  sind  147  Fälle.  Was 
zunächst  die  Fälle  ohne  Krämpfe  anlangt,  wie  sie  in  der  Literatur 
mehrfach  beschrieben  sind,  so  fand  sich  ein  solcher,  und  zwar  in  Tod  aus¬ 
gehender  Fall  auch  unter  den  Münchnern.  Zur  Erklärung  dieser  Fälle  stellt 
S.  die  These  auf,  daß  das  Eklampsiegift  aus  zwei  Komponenten  zusammen¬ 
gesetzt  sein  müsse,  aus  einem  Krampf-  und  einem  allgemeinen  Körpergift. 
Dadurch  werde  es  auch  verständlich,  daß  gerade  recht  schwere,  sehr  rasch 
zum  Exitus  kommende  Fälle  von  Eklampsie  ohne  Krämpfe  verlaufen  können. 
Allen  Fällen  gemeinsam  sei  eigentlich  nur  das  Koma.  Zwischen  den  Fällen 
mit  typischen  Anfällen  und  denen  ohne  gäbe  es  bestimmt  auch  Übergänge. 
Es  kommt  dann  nicht  zu  allgemeinen  Konvulsionen,  sondern  nur  zu  Zuckungen 
in  der  einen  oder  anderen  Körperregion.  Zur  Diagnose  der  Eklampsie  ohne 
Krämpfe  genügen  für  die  am  Leben  bleibenden  Fälle  nach  S. :  sehr  reichlicher 
und  rasch  verschwindender  Eiweißgehalt,  Störung  des  Sensoriums,  gespann¬ 
ter  Puls,  Blutdruckerhöhung  usw.  S.  schlägt  vor,  solche  Fälle  in  Analogie 
mit  der  Epilepsie  „eklamptische  Äquivalente“  zu  nennen.  Der  Auffassung' 
der  Eklampsie  als  einer  Reflexneurose  widerspricht  S.  sowohl  theoretisch  — 
es  gäbe  wohl  einen  reflektorisch  hervorgerufenen  Anfall,  aber  keine  reflek¬ 
torische  Eklampsie  — ,  stützt  seinen  Widerspruch  aber  auch  praktisch  damit, 
daß  die  Anwendung  der  Lumbalanästhesie  nicht  vermag,  die  Krämpfe  zu 
unterdrücken.  — -  Höchst  wahrscheinlich  erfolgt  durch  die  Eklampsie  eine 
tiefgehende  Schädigung  des  Großhirns  und  speziell  des  Teiles,  der  der  Sitz 
der  seelischen  Eigenschaften  ist;  hierfür  spricht  u.  a.  der  Umstand,  daß 
sich  nicht  selten  Psychosen  nach  Eklampsie  entwickeln,  besonders  dann,  wenn 
zwischen  den  ersten  Anfällen  und  einem  neuen  Ausbruch  der  Krämpfe  im 
Wochenbett  sehr  lange  Zwischenpausen  liegen,  und  wenn  die  Anfälle  außer¬ 
ordentlich  zahlreich  und  rasch  aufeinander  folgend  waren.  Auch  hierin  besteht 
eine  gewisse  Analogie  mit  der  Epilepsie,  wenn  auch  S.  besonders  hervorhebt, 
daß  die  beiden  Krankheiten  in  ihrem  Wesen  sicher  von  einander  verschieden 
sind.  Der  oft  aufgestellte  und  wohl  noch  öfter  nachgebetete  Satz:  „Je  mehr 
Anfälle,  desto  schlechter  die  Prognose“,  besteht  nach  den  Berechnungen  S.'s 
nicht  zu  Recht.  Es  besteht  vielmehr  ein  Ansteigen  der  Mortalität  nur  bis 
etwa  20 — 30  Anfälle,  dann  erfolgt  ein  Stillstand ;  allerdings  ist  eine  höhere 
mittlere  Anfallsziffer  im  allgemeinen  ungünstig.  S.  fand  als  mittlere  Zahl 
der  Anfälle  8.  Auch  dieses  Verhalten  spreche  für  die  Zusammensetzung 
des  im  übrigen  hypothetischen  Eklampsiegiftes  aus  zwei  Komponenten,  ebenso 
das  pathologisch-anatomische  Bild.  Nach  S.  sind  drei  Formen  zu  unter¬ 
scheiden:  1.  Die  Formen,  in  denen  das  Gift  vorwiegend  allgemeines  Körper¬ 
gift  ist,  das  nur  zu  einer  schweren  Schädigung  des  Herzens,  der  Leber  und 
der  Nieren  führt,  und  den  Tod  herbeiführen  kann,  ohne  daß  es  zu  Konvul¬ 
sionen  gekommen  ist.  2.  Die  Formen,  bei  denen  das  Gift  die  nervösen  Zentren 
und  die  viszeralen  Organe  in  gleicher  Weise  schädigt.  Hier  ist  die  Anzahl 
der  Anfälle  mehr  oder  minder  groß.  3.  Die  Formen,  bei  denen  die  zentralen 
psychomotorischen  Ganglien  in  erster  Linie  affiziert  sind.  Hier  herrschen 
die  zerebralen  Reizsymptome  vor ;  die  Konvulsionen  erfolgen  Schlag  auf 
Schlag  ;  trotzdem  genesen  die  Kranken,  weil  die  übrigen  Organe  relativ  intakt 
bleiben.  —  Diese  Auffassung  hat  in  der  Tat -etwas  bestechendes,  erklärt  sie 
doch,  warum  gerade  die  Mischformen  eine  so  große  Mortalität  aufweisen. 
Wenn  aber  die  Anfälle  an  sich  keinen  Maßstab  für  die  Schwere  des  Falles 
abgeben,  kann  es  auch  nicht  rationelll  sein,  dieselben  durch  Narkotika  zu 
bekämpfen !  Es  bleibt  vielmehr  die  Schnell-  und  Frühentbindung  auch  nach 
den  Berechnungen  von  S.  zurzeit  noch  das  beste  Verfahren. 

R.  Klien  (Leipzig). 


1306 


Referate  und  Besprechungen. 


Wieviele  unter  1000  Wöchnerinnen  sind  unfähig  zu  stillen  und  welches 

sind  die  Ursachen? 

(Paul  Zander.  Wiener  klin.  Rundschau,  Nr.  41 — 43,  1908.) 

Die  Mortalität  der  Säuglinge  ist  der  Ausdruck  für  die  Häufigkeit  der 
kindlichen  Ernährungsstörungen  und  letztere  wieder  sind  um  so  häufiger, 
je  seltener  die  Mutter  das  Kind  seihst  ernährt.  Die  Sterblichkeitszif fer 
der  Säuglinge  ist  enorm  (19,4 — 25 °/0  im  Jahre  1903).  —  Welche  Gründe 
werden  nun  vorwiegend  das  Stillen  der  Mutter  verbieten  ?  Vor  allem  kommen 
zwei  Möglichkeiten  in  Betracht:  Allgiemeinerkr ankungen  der  Mutter 
und  des  Kindes  (Lues,  Tuberkulose)  und  Unvermögen  zum  Stillen.  — 
Verf.  stellt  aus  den  Geburtsgeschichten  der  Münchener  Hebammenschule  eine 
Statistik  über  1000  Wöchnerinnen  mit  lebenden  Kindern  zusammen.  Darunter 
waren  53  stillungsunfähige,  26  teilweise  am  Stillen  behinderte,  921  dagegen 
konnten  ihr  Kind  ohne  Störung  selbst  ernähren.  Bei  14  Eällen  der  ersten 
Gruppe  fand  sich  ungenügende  Milchproduktion,  dieselbe  Ursache  findet  sich 
auch  fünfmal  bei  der  zweiten  Gruppe.  —  Das  Generationen  hindurch  ver¬ 
nachlässigte  Stillen  des  eigenen  Kindes  führt  zur  Inaktivitätsatrophie  der 
weiblichen  Brustdrüse.  Dafür  spricht  auch  das  hier  gefundene  Resultat, 
obwohl  das  Material  der  Münchener  Erauenklinik  ergibt,  daß  das  Stillungs¬ 
vermögen  der  Wöchnerinnen  sich  in  den  letzten  Jahren  nicht  verringert  hat.  — 
Der  Arbeit  sind  vier  ausführliche.  Tabellen  beigegeben,  auf  die  bezgl.  weiterer 
Einzelheiten  verwiesen  werden  muß.  Steyerthal-Kleinen. 


Beitrag  zur  Kenntnis  der  Spätlaktation. 

(Friedjung,  Wien.  %  Monatsschr.  für  Geburtsh.  u.  Gyn.,  Bd.  28,  S.  639.) 

Ausführliche  Mitteilung  des  Protokolls  einer  vorübergehend  gelungenen 
Spätlaktation,  bei  der  6  Wochen  post  partum  der  Versuch  begonnen  wurde, 
die  Mutterbrust  dem  Kinde  nutzbar  zu  machen.  In  den  ersten  Tagen  wurde 
die  Milchentnahme  durch  einen  einfachen  Ballonsauger  unterstützt.  Est  am 
5.  Tage  trank  das  Kind  wägbare  Mengen,  am  11.  Tage  erst  überschritt  die 
Tagesmenge  100  g,  am  33.  Versuchstage  betrug  die  Tagesmenge  305  g. 
Leider  gelang  es  nicht,  die  Leistungsfähigkeit  der  Brüste  auf  dieser  „be¬ 
scheidenen“'  Höhe  zu  halten,  so  daß  der  Versuch  nach  3  Monaten  eingestellt 
werden  mußte.  Die  durchschnittliche  wöchentliche  Zunahme  des  Kindes  um 
113  g  rechtfertigt  diesen  Versuch,  trotzdem  ihm  ein  besserer  Dauererfolg 
zu  wünschen  gewesen  wäre.  Frankenstein  (Köln). 

Aus  dem  Kaiserin  Elisabeth-Wöchnerinnenheim  „Lucina“  in  Wien. 

Ueber  Nabelversorgung. 

(Dr.  Demetrio  Galatti.  Gyn.  Rundschau,  H.  23,  1909.) 

G.  empfiehlt  auf  das  wärmste  den  Nabelverband  mit  reichlich  Bolus 
alba;  derselbe  soll  täglich  zweimal  gewechselt  werden.  Das  Kind  kann  dabei 
gebadet  werden.  Der  ursprünglich  auf  5  cm  verkürzte  Nabelschnurrest  fiel 
bei  dieser  Behandlung  ab  in  den  ersten  sechs  Tagen  in  82,5%,  in  den  ersten 
acht  Tagen  in  100%.  Nie  wurdej  eine  Eiterung  bemerkt.  Das  Verfahren 
ist  ebenso  einfach  wie  billig,  die  Resultate  noch  besser  wie  bei  der  Omphalo- 
tripsie,  die  nur  in  den  Anstalten  durchführbar  ist,  und  der  die  Gefahr  der 
Nachblutung  anhängt.  •  R.  Klien  (Leipzig). 

- - 

Aus  den  Universitäts-Frauenkliniken  in  Tübingen  und  München. 

Zur  Sterilisation  der  Gummihandschuhe. 

(Dr.  A.  Fiessler,  Dr.  T.  Iwase  u.  Prof.  Döderlein.  Münch,  med.  Wochenschr., 

Nr.  33,  1909.) 

F.  und  I.  haben  durch  bakteriologische  Versuche,  die  im  Original 
nachzulesen  sind,  bewiesen,  daß  die  Gummihandschuhe  auch  ohne  Trikot¬ 
einlage  (Fritsch)  oder  sonstige  Vorrichtungen  lediglich  nach  Einpudern  mit 
Talkum  bei  sorgfältiger  Lagerung  ohne  Knicik  durch  30  Minuten 


Referate  und  Besprechungen. 


1807 


lange  Einwirkung  von  gespanntem  Dampf  von  0,7  Atmosphären  Überdruck 
mit  Sicherheit  an  ihrer  ganzen  Innenfläche  bis  zu  den  Fingerkuppen  steril 
werden,  wenn  es  sich  nur  um  Abtötung  vegetativer  Formen  handelt.  In 
praxi  hat  das  Einpudern  wegen  der  ungleichmäßigen  Verteilung  des  Puders 
jedoch  seine  Schattenseiten.  Deshalb  empfehlen  Verff.  die  Handschuhe  vor¬ 
her  in  eine  alkoholische  Aufschwemmung  von  Talkum  1:  5  zu  tauchen. 
Da  auch  gespannter  Dampf  die  Handschuhe  angreift  —  sie  büßen  ihre 
Elastizität  und  Festigkeit  ein  —  müssen  sie  nachgetrocknet  werden;  dadurch 
sollen  sie  ihre  Elastizität  wieder  erlangen  und  länger  halten.  F.  und  I. 
empfehlen  für  die  Praxis  einen  Apparat,  der  eine  Abart  der  bekanntlich 
gerade  in  München  vor  Jahren  viel  gebrauchten  Kombinationskocher  ist: 
unten  das  Wassergefäß  zur  Sterilisation  von  Instrumenten,  darüber  als  Auf¬ 
satz  ein  zweiter  Kasten  mit  durchlöchertem  Boden  und  Deckel  und  flachen 
Drahtnetzeinsätzen  zur  Aufnahme  der  Handschuhe.  Zum  Trocknen  wird 
das  Wassergefäß  durch  eine  Asbestplatte  ersetzt.  Unerfindlich  ist  cs,  wie 
in  einem  solchen  Apparat  ein  Dampfüberdruck  von  0,7  Atmosphären  sich 
entwickeln  soll.  —  Dagegen  scheint  der  von  D.öderlein  am  Schluß  des 
Aufsatzes  erwähnte  neue  L,aut;enschläger’sche  schrankförmige  Desinfek¬ 
tionsapparat  endlich  alles  zu  leisten,  was  man  von  einem  zuverlässigen  Des¬ 
infektionsapparat  theoretisch  schon  seit  Jahren  verlangt:  Vorwärmung  der 
im  Innern  befindlichen  Gegenstände  durch  Einlassen  des  Dampfes  in  den 
Außenmantel.  Absaugung  des  Dampfes  aus  dem  Innern  nach1  beendeter  Des¬ 
infektion  durch  eine  Dampfstrahlpumpe  mit  folgendem  Durchsaugen  von 
durch  Watte  filtrierter  Luft  zum  Trocknen.  R.  Klien  (Leipzig). 


Klinische  und  praktische  Erfahrung. 

(H.  Nägeli.  Therap.  der  Gegenw.,  Nr.  11,  1908.) 

In  sehr  amüsanter  Weise  legt  Nägeli  dar,  daß  die  Gummihandschuhe  für 
Kliniken  und  städtische  Verhältnisse  gut  und  schön  sein  mögen,  bei  der 
Landpraxis  aber  völlig  unbrauchbar  sind.  F.  von  den  Velden. 


Medikamentöse  Therapie. 

Die  schädlichen  Nebenwirkungen  des  Acetanilids,  Antipyrins  und  Phenacetins. 

(Kebler,  Morgan  u.  Rupp,  U.  S.  Departm.  of  Agriculture.  Bureau  of  Chemistry. 

Bull.  Nr.  126.  Washington  1909.) 

Verf.  haben  in  einer  praktisch  wichtigen  Studie  die  Ergebnisse  einer 
Umfrage  bei  925  amerikanischen  Ärzten,  von  denen  400  geantwortet  haben, 
nach  dem  Umfang  der  Anwendung  dieser  drei  Mittel,  der  üblichen  Dosis 
und  der  beobachteten  Nebenwirkungen,  sowie  die  wichtigsten  Literaturangaben 
über  sie  zusammengestellt.  Hiernach  wird  Phenacetin  (0,2— 0,3  g)  in  um¬ 
fangreichem  Maße,  Acetanilid  (0,3  g)  weit  weniger,  am  wenigsten  aber  Anti- 
pyrin  (0,3 — 0,6  g)  (nur  von  5%  der  befragten  Ärzte)  verordnet.  Das  Haupt¬ 
anwendungsgebiet  ist  die  Behandlung  von  Kopfweh,  sodann  von  Fieber. 
Durchweg  werden  diese  Mittel  vorwiegend  in  Form  von  Pulver,  in  geringerem 
Umfang  als  Tabletten  gegeben. 

Durch  die  befragten  Ärzte  wurden  beobachtet: 


Nach  Stoff 

Sc.hädl.  Nebenwirkungen 

Todesfälle 

Habitueller  Gebrauch 

Acetanilid 

614 

16 

112 

Antipyrin 

105 

5 

7 

Phenacetin 

95 

7 

17 

Insgesamt 

814 

28 

136  Fälle. 

Aus  der  Fachliteratur  der  Welt  sind  zusammengestellt  für  das  1886 
in  die  ärztliche  Praxis  eingeführte  Acetanilid  (Antifebrin),  das  seit  1884  an¬ 
gewendete  Antipyrin  und  das  1887  zuerst  empfohlene  Phenacetin  (Acetphenetidin). 


1308 


Referate  und  Besprechungen. 


Fälle  von  schädlichen  Nebenwirkungen  in  den  einzelne n  Jajiren 

seit  der  Einführung  nach 


Acetanilid  (1886) 

Antipyrin  (1884) 

Phenacetin  (1887) 

1884 

— 

33 

’ - 

1885 

— 

6S 

— 

1886 

20 

48 

•  , — r‘ 

—  ,l  1 

1887 

94  (1  Todesfall) 

37 

1 

1888 

21  (1  Todesfall) 

55 

23 

1889 

23 

24 

11 

1890 

27  (1  Todesfall) 

22 

6 

1891 

9 

12 

5 

1892 

5 

34 

4 

1893 

5 

13 

2 

1894 

7 

16 

3 

1895 

6 

28. 

6 

1896 

20  (2  Todesfälle) 

13 

1 

1897 

4 

31 

0 

1898 

3  (1  Todesfall) 

22 

0 

1899 

2 

2 

1 

1900 

2 

— 

0 

1901 

'  6 

1 

1 

1902 

2 

4 

0 

1903 

4 

8 

TT 

1904 

1 

7 

2 

1905 

9  (1  Todesfall) 

3 

2 

1906 

19  (2  Todesfälle) 

5 

0 

1907 

8  (3  Todesfälle) 

2 

1 

Insges. 

297  (13  Todesfälle) 

488 

70 

Dabei  sind  die  Fälle  gezählt,  wo  nach  Acetanilid  mindestens  Zyanose, 
nach  Antipyrin  Exantheme,  Kollaps,  Prostration,  nervöse  Erscheinungen 
(vorübergehende  Lähmungen ;  Unruhe,  Krämpfe),  Schleimhauterkrankungen  im 
Mund,  sowie  Albuminurie  und  nach  Phenacetin  allgemeine  Depression  bis 
zum  Kollaps,  Zyanose,  Hauteruptionen  usw.  auftraten. 

Sehr  zu  beachten  sind  die  beträchtlich  hohen  Ziffern  je  im  zweiten 
Jahr  der  Anwendung  der  drei  Stoffe,  wo  der  Gebrauch  sehr  schnell  ansteigt, 
die  therapeutischen  Gaben  vielfach  überschritten  werden  und  noch  wenig 
und  nicht  eindringlich  vor  den  Schaden  Wirkungen  gewarnt  worden  ist.  Erst 
allmählich  macht  sich  die  Erkenntnis  der  Gefährlichkeit  der  Stoffe  geltend, 
die  Dosen  werden  sorgfältiger  ausgewählt,  und  schließlich  läßt  der  Gebrauch 
nach,  infolge  Verwendung  anderer,  neu  aufgekommener  Mittel;  damit  ver¬ 
mindert  sich  auch  die  Zahl  der  schädlichen  Nebenwirkungen. 

Ein  lehrreiches,  nicht  sehr  erfreuliches  Beispiel  aus  der  Geschichte 
unserer  wirksamen  Arzneimittel.  E.  Rost  (Berlin). 


(Aus  dem  Pharmakologischen  Institut  in  Wien.) 

Beiträge  zur  Physiologie  und  Pharmakologie  der  Niere. 

(Dr.  H.  Fr.  Grünwald.  Archiv  für  exper.  Path.  u.  Pharm.,  Bel.  60,  H.  5,  S.  360,  1909.) 

Bei  dem  großen  Interesse,  das  zurzeit  den  Verfahren  der  Kochsalz¬ 
en  tziehung  entgegengebracht  wird,  scheint  eine  experimentelle  Arbeit  über 
die  Dechloruration  von  besonderer  Wichtigkeit.  Aus  den  Versuchen  des 
Verf.  geht  hervor,  daß  man  sogar  bei  chlorarm  gefütterten  Kaninchen  durch 
fortgesetzte  Diu  re  tin:  Darreichung  immer  wieder  Kochsalzausscheidung  er¬ 
zwingen  kann.  Wird  diese  Behandlung  genügend  lange  fortgesetzt,  so  tritt 
ein  Vergiftungsbild  in  Erscheinung,  das  in  seinen  ersten  Stadien  durch 
reflektorische  Übererregbarkeit  charakterisiert  ist,  später  unter  fortschreiten¬ 
der  Lähmung  zum  Tode  führt.  Durch  Kochsalzgaben  läßt  sich  das  Auf¬ 
treten  dieser  Vergiftungserscheinungen  hintanhalten,  während  dies  durch 


Referate  und  Besprechungen. 


1309 


andere  Mittel  nicht  gelingt.  Salzdiurese,  z.  B.  Natriumsulfat  bringt  keine 
starke  Kochsalzausschwemmung  hervor.  Die  kochsalztreibende  Wirkung  des 
Diuretins  ist  eine  primäre  Nierenwirkung.  Auch  bei  Schädigung  des  Nieren¬ 
epithels  durch  große  Quecksilbergaben  bleibt  diese  Wirkungsweise  des  Diu¬ 
retins  erhalten.  Der  Hauptangriffspunkt  des  Diuretins  ist  der  Glomerulus- 
a.ppärat. 

Die  besonders  intensive  und  andauernde  Wirkung  des  Diuretins  läßt 
auch  einen  Angriffspunkt  am  Epithel  vermuten,  der  wahrscheinlich  in  einer 
Lähmung  der  Rückresorption  beruht.  Die  Ausscheidungsstelle  des  Koch¬ 
salzes  ist  der  Glomerulus;  der  prozentuelle  Koehsalzgehalt  der  Nierenrinde 
ist  nur  sehr  geringen  Schwankungen  unterworfen,  während  der  des  Nieren- 
niarks  eine  je  nach  dem  Kochsalzreichtum  des  Tieres  schwankende  Größe 
darstellt.  Neumann. 


Birgt  die  übliche  äußere  Behandlung  mit  Chrysarobin  irgend  welche 

Gefahren  für  den  Kranken  in  sich? 

(Prof.  Wolters.  Med.  Klinik,  Nr.  17,  1909.) 

Seit  langem  besteht  die  Meinung,  daß  durch  äußere  Anwendung  von 
Chrysarobin  in  Salbenform  usw.  unerwünschte  Nebenwirkungen  —  nament¬ 
lich  in  Gestalt  vön  Albuminurie  bezw.  nephritischen  Erscheinungen  häufig 
erzeugt  würden.  Dieser  kürzlich  noch  von  Friedrich  vertretenen  Mei¬ 
nung  tritt  Wolter’s  unter  kritischer  Beleuchtung  des  bisher  vorliegenden 
anscheinend  nicht  einwandsfrei  beobachteten  kasuistischen  Materials  und  be¬ 
sonders  auf  Grund  viel  hundertfältiger  klinischer  Erfahrung  in  der  Anwen¬ 
dung  des  Mittels  entgegen.  Hiernach  ist  die  Anwendung  des  Chrysarobinis 
äußerlich  ebenso  harmlos  und  ungefährlich  —  eine  Konjunktivitis  entsteht 
nur,  wenn  das  Mittel  selbst  durch  Unvorsichtigkeit  in  das  Auge  gelangt, 
und  in  den  Harn  geht  eis  überhaupt  nicht,  auch  als  Chrysophsansäure  nicht, 
über  — ,  wie  sie  innerlich  allerdings  unzweckmäßig  ist. 

R.  Stüve  (Osnabrück). 


Oie  verstärkende  Wirkung  des  Morphiums  durch  Skopolamin. 

(A.  Friedländer.  Med.  Klinik,  Nr.  15,  1909.) 

Aus  den  Beobachtungen  Friedl  änder’s  ergeben  sich  folgende  Schlüsse. 
Das  Skopolamin  verstärkt  die  Wirkung  des  Morphiums  ganz  außerordentlich, 
indem  sonst  unwirksame  Dosen  von  Morphium  durch  Zusatz  von  Skopo¬ 
lamin  wirksam  werden.  —  Skopolamin  selbst  sollte  nie  ohne  Morphium 
gegeben  werden,  um  seine  unangenehmen  Nebenwirkungen  (eventuelle  Emp¬ 
findung  rasch  fortschreitender  Lähmüng,  Trockengefühl  im  Schlunde)  nicht 
zum  Bewußtsein  des  Kranken  kommen  zu  lassen.  Skopolamin-Morphium 
ist  besonders  indiziert  bei  den  Krankheiten,  die  mit  Reizerscheinungen  des 
Zentralnervensystems  einhergehen,  ferner  in  allen  Fällen,  die  mit  großen 
Schmerzen  einhergehen  und  das  Auftreten  des  sekundären  Morphinismus 
befürchten  lassen,  weshalb  das  Skopolamin  auch  zur  direkten  Bekämpfung 
des  Morphinismus  geeignet  scheint.  Angewöhnung  an  Skopolamin  ist  viel 
weniger  zu  befürchten;  Skopolamin-Morphium  kann  monatelang  gegeben  wer¬ 
den,  wofern  nur  scharfe  ärztliche  Kontrolle  vorhanden  ist.  Aus  diesem  Grunde 
ist  die  ambulante  Anwendung  nicht  ratsam.  Begonnen  wird  mit  der  Dosierung 
in  der  Weise,  daß  zuerst  0,004  Morphium  -j-  0,0001  Skopolamin  (4  mg  Mor¬ 
phium  -f-  1  dmg  Skopolamin)  gegeben  werden  und  bei  ausbleibender  Wir¬ 
kung  zuerst  die  Skopolamindosis  erhöht  wird,  bis  die  Wirkung  eintritt.  Erst 
später  ist  eventuell  die  Morphiumdosis  zu  erhöhen,  aber  immer  soll  mit  dem 
Skopolamin  relativ  schneller  gestiegen  werden  als  mit  dem  Morphium. 

R.  Stüve  (Osnabrück). 


1310 


Biichersch.au. 


Mitteilungen  über  die  Anwendung  eines  neuen  Teerproduktes  „Sputan“ 
bei  katarrhalischen  und  tuberkulösen  Lungenaffektionen. 

(Dorn.  Deutsche  Med.  Zeitung,  Nr.  61,  1909.) 

Das  ,, Sputan“  stellt  ein  leicht  alkoholhaltiges,  wässeriges,  aromatisches 
Teerprodukt  dar  und  enthält  0,05%  Salizylsäure.  Einfache  Katarrhe,  z.  B. 
nach  Influenza,  wurden  meist  nach  3 — 10  Wochen  geheilt,  auch  auf  Tuber¬ 
kulose  verdächtige  Fälle  reagierten  meist  gut,  bei  sicher  Tuberkulösen  wurde 
wenigstens  ein  Teil  wieder  arbeitsfähig.  Besonders  gebessert  wurden  Nacht¬ 
schweiße  und  das  Allgemeinbefinden. 

Die  Dosis  betrug  anfänglich  morgens  und  abends  je  einen  Eßlöffel 
und  wurde  allmählich  von  Woche  zu  Woche  erhöht,  so  daß  in  der  viertein 
Woche  morgens  und  abends  je  vier  Löffel  auf  einmal  genommen  wurden. 

Neumann. 


lieber  die  Behandlung  der  Lungentuberkulose  durch  Einatmen  von 

Fermiformdämpfen. 

(Floer,  Essen.  Therap.  der  Gegenw.,  Nr.  8,  1909.) 

Die  Eermi  formt  abletten  bestehen  aus  Asphaltum  purum  und  kleinen 
Mengen  von  Myrrhe  und  Benzoeharz.  Ihre  Anwendung  geschieht  in  der  Art, 
daß  sie  in  einem  einfachen  Räucherapparat  verdampft  werden  und  der  Kranke 
1 — 2  Stunden  diesen  »Dampf  einatmet.  Gewöhnlich  wird  zweimal  am  Tage 
in  dieser  Weise  inhaliert.  Die  bisher  erzielten  Resultate  ermuntern  zu 
weiteren  Prüfungen.  Neumann. 


Radice  hat  in  einer  Reihe  von  Fällen  chirurgischer  Tuberkulose  Aspirin 
angewandt  und  kommt  zu  folgenden  Schlüssen:  1.  In  kleinen  Dosen  (0,5) 
einige  Stunden  vor  dem  Temperaturmaximum  gereicht,  übt  es  eine  konstantere, 
ausgesprochenere  anti thermische  Wirkung  aus,  als  bei  Lungen-  oder  Intestinal¬ 
tuberkulose,  die  meist  eine  gemischte  Infektion  darstellen.  2.  Die  Temperatur¬ 
erniedrigung  beginnt  1 — 2  Stunden  nach  der  Einnahme  und  hält  10 — 12  Stunden 
an,  begleitet  von  einer  ausgesprochenen  Euphorie.  3.  Bei  sehr  hohem  Fieber 
ist  die  Wirkung  des  Aspirins  allerdings  gleich  Null.  4.  Günstige  Wirkung 
des  Aspirins  dürfte  man  als  prognostisch  günstiges  Zeichen  betrachten.  (Les 
nouveaux  remedes  Nr.  23,  1909.)  v.  Schnizer  (Danzig). 


Bücherschau. 


Arbeiten  aus  dem  Pharmazeutischen  Institut  der  Universität  Berlin. 

Herausgegeben  von  H.  Thoms.  6.  Band.  Mit  4  Abbild.  304  Seiten. 
Berlin  u.  Wien,  Urban  &  Schwarzenberg,  1909. 

Die  bereits  im  vorigen  Jahre  besprochenen  „Arbeiten  aus  dem  pharmazeutischen 
Institut  der  Universität  Berlin“  bieten  auch  in  dem  vorliegenden  sechsten  Band  für 
den  Arzt  viel  Interessantes.  Er  enthält  das  Ergebnis  der  chemischen  Untersuchungen 
der  neuesten  Arzneimittel,  Spezialitäten  und  Geheimmittel  (Zernik),  die  weiteren 
Untersuchungen  Thoms,  über  Mohnbau  und  Opiumgewinnung,  aus  denen 
hervorzuheben  ist,  daß  der  Morphingehalt  der  in  Dahlem  bei  Berlin  angebauten 
Mohnpflanzen  durch  Begießen  der  jungen  Pflänzchen  mit  Nährsalzlösungen  (Nitrate 
und  Phosphate)  beträchtlich  gesteigert  werden  konnte,  daß  die  Opiumalkaloide 
(Morphin,  Codein,  Narcotin)  schon  in  der  jungen,  noch  nicht’  blühenden  Pflanze 
enthalten  sind  und  sich  nicht  erst  bilden,  wenn  der  Milchsaft  aus  den  geritzten, 
unreifen  Mohnkapseln  austritt  und  zu  Opium  erhärtet,  und  endlich  die  Vorträge 
des  Herausgebers  über  die  modernen  Schlafmittel  im  Hinblick  auf  die  Beziehungen 
zwischen  ihrem  chemischen  Aufbau  und  ihrer  Wirkung  und  über  Arzneimittel¬ 
fabrikation  und  Arzneimittelversorgung  des  Volkes  vom  Standpunkt  der  öffentlichen 
Gesundheitspflege.  E.  Rost  (Berlin). 


Bücherschau. 


1311 


Die  Volkskrankheiten  und  ihre  Bekämpfung.  Von  Dr.  Werner  Rosen¬ 
thal.  _  (Wissenschaft  und  Bildung,  Bd.  51.)  Verlag  von  Quelle  &  Meyer, 
Leipzig  1009.  164  S.  Geheftet  1  Mk.,  in  Originalleinenband  1,25  Mk. 

.  Der  Privatdozent  an  der  Göttinger  Universität,  W.  Rosenthal,  hat  in  diesem 
Büchlein  eine  sehr  ansprechende  Schilderung  unserer  Kenntnisse  über  die  wichtigsten 
Volkski ankheiten  gegeben.  Hauptsächlich  für  gebildete  Laien  bestimmt,  wird  es 
abei  auch  manchen .  Ärzten  zur  schnellen  Orientierung  willkommen  sein.  13a  es 
auf  orthodox-bakteriologischen  Anschauungen  basiert  ist,  fordern  manche  Aus¬ 
führungen  allerdings  zum  Widerspruch  heraus,  z.  B.  die  über  die  Bazillenträger,  die 
„nicht  nur  eine  ungeheure  moralische  Verantwortung  tragen,  sondern  auch  gericht¬ 
lich  bestiaft  und  zu  Schadenersatz  verurteilt  werden  können,  wenn  sie  durch  be¬ 
wußte  Fahllässigkeit  die  Schädigung  oder  gar  den  Tod  anderer  Personen  an  Typhus 
verursachen.“  J  w  rw 


Die  Krankheiten  des  IVSastdarms.  Von  F.  Schilling.  Berliner  Klinik, 
21.  Jahrg.,  Kr.  249  (Doppelheft).  Berlin  W  35,  Fisch ePs  med.  Buch¬ 
handlung,  H.  Kornfeld.  50  S.  1,20  Mk. 

Was  Ref.-  in  einem  der  früheren  Hefte  dieser  Zeitschrift  bei  Besprechung  von 
des  gleichen  Verfassers  „Krankheiten  des  Afters“  ausführte,  das  gilt  auch  von  den 
Erkrankungen  des  Rektums:  abgesehen  vom  Rektumkarzinom  hört  und  sieht 
man  von  ihnen  in  der  Klinik  so  gut  wie  nichts.  Und  doch  ist  der  Prolaps  z.  B. 
eine^  sehr  häufige  Krankheit,  und  ist  die  chronische  Proktitis  auch  nicht  gerade 
häutig,  so  ist  sie  deshalb  doch  nicht  minder  wichtig  und  einer  sachgemäßen  Behand¬ 
lung  bedürftig.  Es  ist  ja  mit  der  Kenntnis  der  Mastdarmkrankheiten  besser  ge¬ 
worden,  seitdem  Dank  den  Arbeiten  von  Schreiber  und  Strauß  mehr  über 
Rektoskopie  geschrieben  wird;  aber  gerade  hier  herrscht  noch  keine  literarische 
Überproduktion,  und  jede  Arbeit,  die  sich  mit  diesem  Gebiete  beschäftigt,  ist  zu 
begrüßen,  besonders  wenn  sie  ihres  billigen  Preises  wegen  Jedem  zugänglich  ist. 

M.  Kaufmann  (Mannheim). 


Die  Schattenseiten  großer  Städte.  Von  Lancry  u.  Guerillon.  (Villes 
meurtrieres,  dot  agraire.)  Mit  einer  Vorrede  von  Landouzy.  Paris  1909. 

Wie  Arsis  und  Thesis  wechseln  auch  die  zentrifugalen  und  die  zentripetalen 
Bestrebungen.  Der  Zug  nach  den  großen  Städten  macht  allmählich  wieder  jenem 
aufs  Land  Platz.  Natürlich  befinden  wir  uns  erst  in  den  Anfängen  dieses  Umschwungs; 
aber  daß  er  kommt,  erhellt  mit  genügender  Sicherheit  daraus,  daß  zwei  Franzosen 
über  ihre  Hauptstadt,  la  ville  —  lumiere,  Thesen  wie  die  folgenden  drucken 
lassen  können  : 

Paris  ist  eine  ungesunde  Stadt.  Das  Leben  ist  dort  für  den  Einzelnen 
schwierig,  für  eine  Familie  unmöglich.  Eingesessene  Pariser,  Pariser  aus  Paris, 
gibt  es  nicht,  geborene  Pariser  nur  wenige,  sie  machen  etwa  den  dritten  Teil  der 
Bevölkerung  aus,  und  davon  ist  der  vierte  Teil  unehelich  geboren.  Nur  reiche 
Familien  können  sich  fortpflanzen  und  auch  sie  nur  dadurch,  daß  sie  einen  großen 
Teil  des  Jahres  fern  von  Paris  leben  und  immer  wieder  frisches  Blut  aus  der 
Provinz  oder  dem  Auslande  zuführen.  Die  Arbeiterfamilien  pflanzen  sich  in  Paris 
nur  bis  zur  zweiten  Generation  fort.  Das  gewöhnliche  Schicksal  des  Pariser 
Arbeiters  besteht  darin,  im  Krankenhaus  auf  die  Welt  zu  kommen,  im  Krankenhaus 
verpflegt  zu  werden,  im  Krankenhaus  zu  sterben  und  schließlich  auf  Armenkosten 
begraben  zu  werden. 

Wenn  Paris  sich  seiner  geringen  Kindersterblichkeit  rühmt,  so  rührt  das 
einfach  daher,  daß  es  dort  sehr  wenig  Kinder  gibt  und  von  den  wenigen  wird  ein 
Drittel  in  die  Provinz  in  Pflege  geschickt.  Trotz  aller  Wohltätigkeitsanstalten 
ist  die  Kindersterblichkeit  in  Paris  mindestens  ebenso  groß  wie  im  übrigen  Frankreich. 

Paris  ist  ein  Schlund,  in  welchen  sich  die  französische  Rasse  hineinstürzt, 
um  darin  zugrunde  zu  gehen.  — 

Wem  fallen  da  nicht  die  Blaßgesichter  ein,  denen  man  auch  in  Berlin  auf 
Schritt  und  Tritt  begegnet?  wem  nicht  die  Urteile  Seneca’s,  Cicero’s,  Martial’s 
über  das  kaiserliche  Rom?  und  wem  nicht  die  Schicksale  aller  Metropolen  seit 
Ninive  und  Babylon?  Buttersack  (Berlin). 


1312 


Krankenpflege  und  ärztliche  Technik. 


Krankenpflege  und  ärztliche  Technik. 

Referat  über  „Ophtalmo-Fundoskop“. 

(Ein  neues  Instrument  zur  Untersuchung  des  Augenhintergrundes  in  bisher  nicht 

erzielten  Vergrößerungen  bei  reflexlosem  Bilde.) 

Von  Dr.  Fritz  Baum,  Rom  und 

Beobachtungen  mit  dem  Baum’schen  Ophthalmo-Fundoskop. 

Von  Dr.  Richard  Kümmel,  Assistent  d.  k.  Uni versitäts- Augenklinik  in  Erlangen. 

(Aus  Klinische  Monatsblätter  für  Augenheilkunde,  8.  Bd.,  1909). 

Das  Baum’ sehe  Instrument  zur  Untersuchung  des  Augenhintergrundes,  ge¬ 
nannt  „Ophthalmo-Fundoskop  ermöglicht  es,  außer  den  gewöhnlichen  auch  sehr 
starke  Vergrößerungen  (bis  zur  70 fachen)  anzuwenden.  Das  Bild  zeigt  dabei  keiner¬ 
lei  Hornhautreflexe,  weil  die  Konstruktion  des  Instrumentes  eine  scharfe  Trennung 
der  Licht  einlassenden  Zone  von  derjenigen  bewirkt,  durch  welche  die  Beobachtung 


erfolgt.  Das  Instrument  dürfte  recht  handlich  sein,  da  es  nur  10  cm  lang  und 
einige  cm  dick  ist.  Durch  totale  Reflexion  eines  Glasprismas  wird  in  demselben 
das  Licht  eines  kl.  Glühlämpchens  aus  einem  schmalen  diametral  stehenden  Blenden¬ 
spalt  ins  Auge  geworfen.  Neben  diesem  Spalt  befindet  sich  die  halbkreisförmige 


Objektivlinse.  Das  Okular  gleicht  demjenigen  eines  Miskroskopes.  Wird  es  bei 
der  Untersuchung,  ebenso  wie  die  Objektivlinse  weggelassen,  so  erhält  man  ein 
aufrechtes  Bild  in  10 — löfacher  Vergrößerung;  ersetzt  man  es  durch  einen  einfachen 
Tubus  mit  Linse  von  — j—  13  Dioptrien,  gleichfalls  unter  Weglassung  der  Objektiv¬ 
linse,  so  erhält  man  drei-  bis  fünffache  Vergrößerung  bei  verkehrtem  Bilde.  Durch 
Vorschalten  der  Recoß’schen  Scheibe  kann  man  sein  eigenes  Auge  korrigieren  und 
auch  die  Refraktion  bestimmen. 

Man  bringt  das  Fundoskop  möglichst  nahe  an  das  zu  untersuchende  Auge, 
jedoch  ohne  letzteres  zu  berühren. 

Für  Untersuchung  mit  geringer  Vergrößerung  ist  keine  vorhergehende 
Übung  nötig,  die  starke  Vergrößerung  erfordert  aber  eine  ruhige  Hand  und  auch 
Atropinisierung  des  Auges.  Der  Durchmesser  des  Gesichtsfeldes  beträgt  etwas 
mehr  als  zwei  Pupillenbreiten.  Der  Sehnervenkopf  erscheint  als  runde  Scheibe  von 
za.  3— 3^2  cm  Durchmesser.  Die  Pulsationen  in  den  Arterien  und  viele  sonstige 
Details  sind  sehr  deutlich  zu  sehen. 

Das  Instrument  wird  von  der  Reiniger,  Gebbert  &  Schall,  A.-G.,  Berlin 
hergestellt. 


Schriftleitung:  Dr.  Ri  gl  er  in  Leipzig. 
Druck  von  Emil  Herrmann  senior  in  Leipzig. 


27.  Jahrgang. 


1909. 


Tortscbrim  der  Medizin. 


Unter  Mitwirkung  hervorragender  Fachmänner 

herausgegeben  von 

Professor  Dr.  0.  Köster  Prio.-Doz.  Dr.  o.  griegern 

in  Leipzig.  in  Leipzig. 

Schriftleitung:  Dr.  Rigler  in  Leipzig. 


Nr. 


35. 


Erscheint  am  10.,  20.,  30.  jeden  Monats.  Preis  halbjährlich 
6  Mark,  in  kl.  Zeitschrift  für  Versicherungsmedizin  8  Mark. 


Verlag  von  Georg  Thieme,  Leipzig. 


20.  Dezbr. 


Originalarbeiten  und  Sammelberichte. 

Können  die  häufigeren  und  hochsteigenden  Tuberkulingaben  in 
den  besonders  dazu  ausgesuchten  Fällen  unbedenklich  empfohlen 

werden? 

Von  Sanitätsrat  Dr.  Nourney-Mettmann. 

(Vortrag,  gehalten  am  11.  Oktober  1909  im  „Verein  der  Ärzte  Düsseldorfs“.) 

In  der  Frage  der  spezifischen  Behandlung  der  Infektionskrank¬ 
heiten  kommen  wir  immer  mehr  zu  der  Einsicht,  daß  unser  Ziel 
nicht  nur  eine  Bekämpfung  der  Krankheitserreger  sein  kann,  sondern 
ein  Erfolg  in  der  Berücksichtigung  der  Naturheilungs  Vorgänge  zu 
suchen  ist.  Im  Tuberkulin  haben  wir  ein  Mittel,  welches  viele  solcher 
verborgenen  Wege  der  Natur  erschließen  kann.  Ist  einmal  die  Tuber¬ 
kulinfrage  gelöst,  so  werden  wir  auch  den  festen  Punkt  finden,  von 
dem  aus  die  anderen  Infektionskrankheiten  mit  besserem  Erfolg  als 
bisher  spezifisch  bekämpft  werden  können. 

In  der  dritten  Auflage  des  Lehrbuchs  der  spezifischen  Therapie  der  Tuber¬ 
kulose  von  Bandelier  und  Röpke  hat  unser  Altmeister  Ko ch  in  der  Tuberkulin¬ 
frage  das  Wort  wieder  ergriffen.  In  einer  längeren  Vorrede  spricht  er  den  Ver¬ 
fassern  das  Recht  zu,  an  alle  Ärzte  den  Aufruf  zu  erlassen,  den  hier  vorgezeichneten 
Bahnen  zu  folgen.  Ich  habe  jedoch  schwere  Bedenken  gegen  ihre  Behandlungs¬ 
methode,  so  daß  ich  es  für  meine  Pflicht  halte,  auf  dieselben  aufmerksam  zu  machen. 

Zunächst  erinnere  ich  an  die  Bedenken,  welche  zur  Ablehnung 
der  ersten  Tuberkulinbehandlung  mittelst  Reaktionen  geführt  haben. 
Die  schärfste  Kritik  hat  damals  unser  Virchow  an  der  neuen  Spritz¬ 
methode  geübt.  Ich  würde  es  jedem  Tuberkulinfreunde  zur  Pflicht 
machen,  seine  streng  sachlichen  Bemerkungen  zu  den  anatomischen 
Präparaten  der  nach  einer  Tuberkulinbehandlung  Gestorbenen  aus  dem 
Jahre  1891  zu  lesen.  Virchow  sucht  wirklich  ehrlich  auch  nach  Heil¬ 
wirkungen,  die  auf  das  neue  Heilmittel  bezogen  werden  könnten.  Er 
findet  aber  nur  Wirkungen,  die  auch  im  spezifisch  unbeeinflußten 
Verlauf  der  Tuberkulose  beobachtet  werden  —  mit  dem  einen  wesent¬ 
lichen  Unterschied,  daß  diese  Veränderungen  viel  akuter  auf  getreten 
waren. 

Die  tuberkulöse  Erkrankung  setzt  sich  nach  Virchow  anatomisch 
aus  drei  Teilen  zusammen.  Wir  finden: 

1.  Ein  Gewebe,  daß  in  engerem  Sinn  den  Tuberkel  bildet.  Dieses 
zeigt  nie  eine  Rückbildung,  die  zur  Resorption  führt.  Entweder  wird 
es  durch  festes  Bindegewebe  eingeschlossen,  so  daß  jeder  Stoffwechsel 

83 


1314 


Nourney-Mettmann, 


in  ihm  aufhört,  oder  es  zerfällt  weiterhin  in  käsiges  Material,  von 
dem  noch  nie  mit  Sicherheit  beobachtet  worden,  daß  es  ohne  Schaden 
resorbiert  wurde.  Das  Ende  ist  Einschmelzung  oder  Einkapselung, 
Auf  dieses  Gewebe  haben  auch  die  größten  Tuberkulingaben  keinen 
heilenden  Einfluß. 

2.  Sodann  haben  wir  das  Gewebe,  welches  neben  und  vor  dem 
tuberkulösen  Herd  entstand.  Hier  spielen  sich  die  tuberkulösen  Ent¬ 
zündungsprozesse  ab,  und  dieses  ist  auch  das  Gebiet,  wo  wir  die 
Tuberkulin  Wirkungen  in  ihrer  ganzen  Größe  beobachten  können.  Ihr 
Wesen  bestand  in  einer  enormen  Steigerung  der  schon  vorhandenen 
reaktiven  Entzündung,  die  zu  einem  akuten  Zerfall  des  tuberkulösen 
Gewebes  z.  T.  in  käsige  Massen  führte.  Nur  wenn  durch  oberflächliche 
Lage  oder  chirurgische  Eingriffe  diese  Massen  entfernt  werden  konnten, 
war  unter  sonst  günstigen  Verhältnissen  eine  Heilung  zu  beschleunigen. 
Virchow  sagt  wörtlich:  ,,Von  dem  Koch’schen  Mittel  hat  bis  jetzt 
noch  niemand  behauptet  —  und  ich  glaube,  das  liegt  auch  ein  wenig 
außerhalb  seiner  Lichtung  — ,  daß  indurative  Prozesse,  also  auch  Ein¬ 
kapselungsvorgänge,  dadurch  begünstigt  würden.  Gerade  die  relativ 
heftige  Heizung,,  welche  das  Mittel  erzeugt,  steht  der  Umbildung  des 
jüngeren  Gewebes  in  definitives,  festes  Bindegewebe  entgegen.“ 

3.  Neben  diesen  Geweben  finden  wir  die  Produkte,  die  keine  Ge¬ 
webe  sind.  Dies  sind  die  Exsudate,  die  katarrhalischen  Hepatisationen 
usw.  Diese  weichen,  wenn  das  Grundübel  sich  ändert.  Ihr  Verschwin¬ 
den  darf  man  nicht  direkt  als  einen  Tuberkulinerfolg  ansehen. 

Die  Hauptsache  bleibt,  daß  der  Tuberkelbazillus  auch  nach  den 
höchsten  Dosen  Tuberkulins  nicht  beeinflußt  wird.  Gerade  nach  hohen 
Gaben  konnte  Virchow  in  den  Leichen  eine,  über  große  Körper¬ 
regionen  zerstreute  Menge,  miliärer  Tuberkelknötchen  demonstrieren, 
die  unmöglich  schon  vor  der  Behandlung  bestanden  haben  konnten, 
ohne  schwere  Krankheitserscheinungen  zu  machen.  Mir  ist  auch  dies 
ein  Beweis  dafür,  daß,  entgegen  dem  Wunsch  des  Therapeuten,  große 
Tuberkulingaben  einen  Erkrankten  vor  den  Schädigungen  durch  den 
Tuberkelbazillus  mindestens  nicht  schützen  können. 

In  dem  damals  heftig  wogenden  Streit  über  Tuberkulinerfolge  zieht 
isich  dann  Virchow  zurück,  nachdem  er  seine  endgültige  Ansicht  in 
folgenden  Sätzen  festgelegt  hatte : 

„1.  Wir  haben  keine  Beobachtung  darüber,  daß  die  Bazillen  als  solche  ge¬ 
tötet  und  etwa  aufgelöst  werden. 

2.  Wir  haben  keine  direkten  Tatsachen,  welche  beweisen,  daß  eine  Resolution 
des  wirklichen  Tuberkelgewebes  erfolgt,  daß  der  Tuberkel  als  solcher  infolge 
des  Mittels  resorbiert  werden  könnte. 

3.  Wir  haben  eine  ganze  Reihe  von  Beobachtungen,  welche  dartun,  daß 
sowohl  der  Tuberkel,  wie  das  ihn  umgebende  ReizungsgeAvebe,  das  entzündliche 
Gewebe,  durch  das  Mittel  einer  schnellen  Zerstörung  zugeführt  wird,  und  daß  diese 
Zerstörung  die  Möglichkeit  auch  einer  relativ  frühzeitigen  Heilung  gewährt. 

4.  Wir  haben  keine  Erfahrung  darüber,  daß  indurative  Prozesse  begünstigt 
würden,  daß  die  Einkapselung,  die  Umhüllung  käsiger  Teile  mit  fibrösen  Massen, 
begünstigt  würde. 

5.  Es  besteht  der  Verdacht,  daß  das  Mittel  schon  abgekapselte  Massen  wieder 
mobilisiert,  wieder  in  Bewegung  bringt,  und  auf  diese  Weise  einen  Herd,  der 
wenigstens  scheinbar  unschädlich  geworden  war,  wieder  zu  einer  aktuellen  Gefahr 
für  den  Kranken  macht.“ 

Sind  nun  dies©  schweren  Bedenken  im  Laufe  der  vielen  Jahre 
überwunden  worden  ?  Zunächst  griff  man  wieder  zum  Tierversuch. 


Können  Tuberkulingaben  unbedenklich  empfohlen  werden?  1315 

Leider  waren  die  Versuche,  welche  Koch  zur  Entdeckung'  des  Tuber¬ 
kulins  führten,  niemals  genauer  veröffentlicht  worden.  Aus  Koch’s 
Angaben  geht  hervotr,  daß  er  zeitweise  mit  abgetöteten  Kulturen, 
die  lokale  Eiterung  erzeugten,  gearbeitet  hat.  Daß  solche  lokale 
spezifische  Eiterungen  einen  intensiveren  Einfluß  auf  Immunisierungs- 
vorgänge  haben  können,  ist  mir  sehr  wahrscheinlich,  da  wir  bei  vielen 
Infektionskrankheiten  im  Endstadium  einer  Autoimmunisierung  Eite¬ 
rungsprozesse  sehen. 

Jedenfalls  haben  die  Tierversuche  mit  Koch  s  Tuberkulin,  welche 
Pfuhl  und  Dömitz!  anstellten,  um  das  sinkende  Ansehen  der  neuen 
Methode  zu  retten,  keinen  Einfluß  auf  die  Therapie  mehr  auszuüben 
vermocht.  Ihre  Methode  blieb  die  Anwendung  hochsteigender  reaktion- 
auslösender  Gaben.  Ihr  Resultat  war,  daß  die  am  Orte  der  Wahl 
eingepflanzte  Tuberkulose,  d.  h.  die  eingeimpfte  Augentuberkulose  des 
Kaninchens  und  die  eingespritzte  Bauchfelltuberkulose  des  Meerschwein¬ 
chens,  in  hohem  Grade  heilten,  dagegen  das  Leben  dieser  Tiere  nur 
in  engen  Grenzen  verlängert  wurde,  da  Lungenleidein  sich  entwickelten. 
Diese  Beobachtungen  zwingen  zu  der  Annahme,  daß  an  den  primären 
Impfstellen  der  tuberkulöse  Prozeß  durchs  Tuberkulin  mobilisiert 
wurde  und  der  Tuberkelbazillus  auf  irgendeinem  Wege  in  die  Lungen 
kam.  Hier  fand  er  bessere  Entwickelungsbedingungen,  und  der  damit 
verbundenen  immunisierenden  Bück  Wirkung  verdankten  die  primären 
Impfstellen  Z.  T.  ihre  Heilung.  Vorgänge,  wie  wir  es  auch  im  unbeein¬ 
flußten  Verlauf  einer  Tuberkulose  nicht  selten  beobachten  können. 

Sehr  begünstigt  wird  diese  Auffassung  durch  Baumg^rten’s 
Beobachtungen  bei  der  künstlichen  Bindertuberkulose.  Spritzte  er  große 
Mengen  humaner  Bakterien  in  die  Blutbahn,  so  fand  er  in  den  direkt 
tödlichen  Fällen  die  Bakterien  in  den  Filtrationsstellen  der  Drüsen, 
Milz,  Leber,  serösen  Häute  usw.  Uebersteht  aber  ein  Bind  diese  Infek¬ 
tion  längere  Zeit,  so  sind  diese  primären  Stellen  vernarbt,  es  hat  sich 
aber  inzwischen  eine  schwere  Lungentuberkulose  entwickelt. 

Immunisierungsversuche  mit  Tuberkulin,  hatten  bei  Baumga,rten 
nie  einen  hemmenden  Einfluß  auf  Bazillenentwickelung.  Vielmehr  schien 
sich  der  Tuberkelbazillus  unter  dem  Einfluß  des  Tuberkulins  nur  noch 
leichter  zu  entwickeln. 

Viele  Jahre  sind  seitdem  verflossen.  Unzählige  Versuche  sind 
gemacht,  um  mit  irgendeinem  Bazillenprodukt  dem  gefürchteten  Feind, 
sei  es  direkt,  sei  es  durch  Hervorrufung  der  Bildung  von  Antikörpern 
zu  Leibe  zu  gehen.  Koch  selbst  hat,  um  die  gesamte  Bazillensubstanz 
zur  Wirkung  zu  bringen,  sein  Tuberkulin  und  seine  Bazillenemulsion 
zur  Verfügung  gestellt.  Doch  der  böse  Feind,  die  Bazillen,  blieben 
unberührt  —  und  -die  Bedenken  gegen  Tuberkuline  sind  nicht  Zerstreut 
worden. 

Beeinflußt  wird  aber  jede  Tuberkulose  von  diesen  Präparaten. 
Der  therapeutische  Wert  aller  Tuberkuline  beruht  immer  wieder  auf 
dem  Grad  der  Einwirkung,  der  von  ihnen  auf  das  perituberkulöse  Ent¬ 
zündungsgewebe  ausgeübt  wird.  Diese  Unterschiede  sind  freilich  sehr 
erheblich,  doch  nimmt  in  der  Therapie  das  Koch’sche  Alttuberkulin 
in  Deutschland  wieder  einen  hervorragenden  Platz  ein. 

Die  im  Tierversuche  immer  wieder  bewiesene  Tatsache,  daß  erst  eine  geraume 
Zeit  vergehen  muß,  bis  Tuberkulin  wirkt,  haben  es  mir  zur  Gewißheit  gemacht, 
daß  alle  Tuberkulinreaktionen :  die  Fieberreaktion,  die  kutane,  intrakutane  und  sub¬ 
kutane  Lokalreaktion,  die  Ophthalmoreaktion,  die  Schleimhautreaktion,  die  Re- 

83* 


1316 


Nourney-Mettmann, 


aktionen  vom  Magen  -Darmkanal  aus  Immunitätsreaktionen  sind.  Mich  hat  die 
steigende  Reaktionsfähigkeit  gegen  dasselbe  Virus  bei  einem  vakzinierten  Kinde  in 
der  Entwickelungszeit  der  Kuhpocken  schon  vor  der  Tuberkulinzeit  auf  diese  Vor¬ 
gänge  achten  gelehrt  —  von  Pirquet  hat  jetzt  gezeigt,  daß  auch  bei  der  Vaccine 
jahrelang  solche  Reaktionen  die  erworbene  Immunität  anzeigen;  dadurch  lag  es  mir 
stets  fern,  diese  Symptome  an  sich  zu  bekämpfen.  Ich  verfolgte  das  Ziel,  eine  un¬ 
genügende  Immunität  zu  fördern,  und  bin  der  Natur  dankbar,  daß  sie  in  den  Bak¬ 
terienpräparaten  ein  Mittel  gegeben  hat,  in  spezifischer  Weise  einen  vorhandenen 
Immunisierungsprozeß  zu  beeinflussen.  Die  ungeheure  Beständigkeit  solcher  Immuni¬ 
tätsreaktionen  möge  immer  mehr  von  einer  unnützen  Bekämpfung  derselben  ab¬ 
halten,  und  ihre  leichte  Steigerungsfähigkeit  auf  den  richtigen  Weg  zur  Heilung 
führen. 

Stetige  Anwendung  hat  das  Alttuberkulin  in  der  Tiermedizin  zu 
diagnostischen  Zwecken  gefunden.  Ich  halte  auch  dort  die  Anwendung 
größerer  Gaben  nicht  für  unbedenklich.  Es  gibt  wohl  beobachtete 
Fälle,  wo  Finder  von  Zeit  zu  Zeit  mit  größeren  Tuberkulingaben  auf 
Eeaktionsfähigkeit  geprüft  wurden.  Käme  dem  Tuberkulin  eine  vor 
Bakterien  schützende  Kraft  zu,  so  hätten  diese  Binder  doch  in  erster 
Linie  gesunpl  bleiben  müssen.  Aber  es  kam  doch  die  Zeit,  daß  sie  an¬ 
fingen  auf  Tuberkulin  zu  reagieren  und  dann  auffallend  schnell  einer 
Tuberkulose  erlagen. 

Jetzt  hat  sich  die  Tiermedizin  völlig  der  aktiven  Immunisierung 
durch  abgeschwächtes  oder  artfremdes  Impfmaterial  zugewandt.  Die 
üblichen  Tuberkulinprüfungen  scheinen  mir  dabei  auch  nicht  unbedenk¬ 
lich  zu  sein.  Zunächst  ist  es  wichtig1,  zu  wissen,  daß  ein  Bind  nach 
artfremder  Bazillenimpfung  nicht  sofort  immüne  Kräfte  zeigt,  sondern 
mindestens  zwei  Monate  vergehen,  bis  sich  schützende  Einwirkungen 
zeigen,  bis  dahin  ist  es  erhöht  empfindlich  gegen  Bindertuberkulose,, 
so  daß  es  besonders  vor  Ansteckung  geschützt  werden  muß. 

Auch  Behring’ s  Bovovaccin  machte  häufiger  eine  latente  Tuber¬ 
kulose  akut.  Werden  nun  mit  Hoymann’s  Schilfsäckchen  geschützte 
Binder  öfter  mit  Tuberkulin  kontrolliert,  so  beginnt  ein  großer  Teil 
von  ihnen  zu  reagieren,  d.  h.  sie  werden  trotz  Tuberkulin  oder  vielleicht 
durch  Tuberkulin  mit  Tuberkulose  infiziert  befunden. 

Artfremde  Bakterien,  z.  B.  die  menschlichen,  bleiben  in  Rindern  lange  lebendig, 
ohne  lokale  Schädigungen  an  sich  hervorzurufen.  Dies  beweist  die  polizeiliche 
Verordnung,  daß  nach  einer  B ehr ing’schen  Schutzimpfung  das  Tierfleisch  bis  neun 
Monate  später  nur  bedingt  tauglich  ist,  d.  h.  nur  in  durclikochtem  Zustande  ver¬ 
kauft  werden  darf. 

Klimmer’s  nichtinfektiöser  Impfstoff  besteht  aus  ab  geschwächten 
Menschen-  und  avirulenten  Tuberkelbazillen.  Werden  nun  Binder,  die 
auf  Tuberkulin  reagieren,  hiermit  einmal  injiziert,  so  fand  neuerdings) 
Glöckner  nach  1 — 2y2  Jahren  gute  Verkalkungen,  statt  der  sonst 
in  denselben,  Stallungen  häufigen  akuten  heftigen  Formen.  Solche 
Impfungen  machte  er  nur  sehr  selten,  jedenfalls  später  jährlich  nur 
einmal  bei  denselben  Tieren.  Ich  möchte  hervorheben,  daß  nach  solchen 
Mitteilungen  zu  den  Verkalkungen  die  Wirkung  lebender  Bakterien 
nicht  unwesentlich  zu  sein  scheint. 

Dieser  ganz  kurze  Einblick  in  die  Erfahrungen  der  Tierheilkunde 
zeigen  uns  zwei  Punkte  deutlich  an :  Zu  einer  Heilung  durch  aktive 
Immunisierung  sind  nicht  tote,  sondern  aktive  Bakterien  notwendig, 
doch  gegen  Tuberkulin  in  höheren  Gaben  bleiben  schwere  Bedenken. 

Zum  Schutze  unserer  Medizin,  die  sich  auf  Tierexperimente  stützt,  sagte 
A  irchow  am  9.  V.  91  im  preußischen  Abgeordnetenhäuser  „Im  Tuberkulin  ist  un¬ 
zweifelhaft  eine  Reihe  großer  Gefahren  —  aber  trotzdem  wird  kein  Arzt,,  der  sich 


Können  Tuberkulingaben  unbedenklich  empfohlen  werden?  1317 

berufen  fühlt,  mit  dem  Mittel  weitere  Versuche  zu  machen,  als  Giftmischer  und 
Mörder  angeklagt  werden  können.  Ehe  man  an  die  Behandlung  des  Menschen  ging, 
sind  zahlreiche  Versuche  an  Tieren  angestellt  worden,  und  diese  schienen  es  zu 
rechtfertigen,  daß  man  mehr  erwarten  dürfe,  als  nachher  sich  gezeigt  hat.“ 

Ich  glaube,  daß  eine  Tuberkulinbehandlung  jetzt  sich  auch  nicht 
über  solche  Bedenken  aus  den  Tierbeobachtungein  hinwegsetzen  darf, 
in  der  Hoffnung,  daß  der  Mensch  anders  auf  dies  Mittel  reagiert  als 
das  Tier.  Ein  gesundes  Meerschweinchen  ertrug  schon  vor  zwanzig 
Jahren  2  g  und  mehr  Tuberkulin,  und  der  gesunde  Mensch,  insbesondere 
der  Neugeborene  verträgt  ebenso  unendlich  viel,  aber  ein  Schutz  vor 
Tuberkulose  wird  dadurch  nicht  erzielt.  Entsteht  da  nicht  von  selbst 
die  Frage:  „Wie  kommt  es,  daß  durch  die  Tuberkulinbehandlung  ein 
stark  Reagierender  wieder  so  immun  gegen  Tuberkulin  werden  kann 
wie  der  Neugeborene,  und  wie  begründet  sich  die  Auffassung,  daß  solche 
Tuberkulinimmunität  eine  Heilung  der  Tuberkulose  sein  oder  herbei¬ 
führen  soll?“ 

Wenn  wir  das  vielgestaltige  Bild  der  Tuberkulose  betrachten 
und  dabei  die  drei  Komponenten  nicht  außer  acht  lassen,  aus  denen 
nach  Virichow  das  anatomische  Gepräge  einer  Tuberkulose  besteht, 
so  muß  fes  von  selbst  bedenklich  werden,  wenn  Tuberkulin  aufhört  zu 
reagieren.  Ich  habe  nach  eigenen  Erfahrungen  über  die  Entwickelung 
der  Kuhpockenimmunität  stets  darauf  hingewiesen,  daß  eine  zunehmende 
Immunität  mit  einer  sich  steigernden  Empfindlichkeit  gegen  ein  Bak¬ 
teriengift  zusammenhängt,  und  daß  auch  mit  Tuberkulin  in  genügend 
kleiner  und  seltener  Gabe  jede  Tuberkulose  empfindlicher  gegen  dies 
Mittel  gemacht  werden  kann.  In  dem  Suchen,  jede  Tuberkulinein¬ 
spritzung  an  empfindlichen  Kranken  zu  machen,  bin  ich  zur  konstanten 
Anwendung  immer  kleinerer  und  immer  seltenerer  Gaben  gekommen. 

Die  bestechenden  Erfolge  der  modernen  Phthiseotherapie  sind 
bekannt.  Gerne  würde  ich  von  ihnen  Nutzen  ziehen,  denn  das  Auf¬ 
steigen  zu  größeren  Gaben  in  besonders  geeigneten  Fällen  scheint  wirk¬ 
lich  zeitweise  bessere  Erfolge  zu  haben  als  das  Stehenbleiben  bei  ge¬ 
ringsten  Gaben.  Das  schnelle  Schwinden  lästiger  Krankheitssymptome, 
die  Gewichtszunahme  auch  in  recht  schweren  Krankheitsformen  sind 
nach  steigenden  Tuberkulingaben  nicht  selten  ganz  auffallend,  und 
besonders  gibt  das  subjektive  Sichwohlerfühlen  der  Kranken  häufig 
die  Veranlassung  zu  steigenden  Gabengrößen.  Nun,  diese  Aenderungen 
im  Befinden  der  Kranken  finden  wir  auch  in  der  ersten  Tuberkulinära, 
als  man  in  den,  Reaktionen  die  Heilung  der  Tuberkulose  erzwingen 
^wollte.  Sie  beruhen  hauptsächlich  auf  Aenderungen  der  Infektions¬ 
stellen.  Nach  den  schweren  Reaktionen  wurde  diese  damals  weniger 
aktiv.  Nach  den  vorsichtig  steigenden  Tuberkulingaben  der  neueren 
Zeit  hoffen  geradezu  einige  Therapeuten  einen  Infektionsherd  dauernd 
entschließen,  d.  h.  inaktiv  halten  zu  können.  Tritt  der  Infektions¬ 
herd  mehr  zurück,  dann  sind  die  Körperkräfte  durch  diese  Entlastung 
vorübergehend  frei  zum  Dienst  für  das  Wo h  1er befinde n  des  Kranken. 
Leider  hat  sich  ein  größerer  Krankheitsherd  weder  durch  Tuberkulin¬ 
reaktionen  wegschaffen  lassen,  noch  wird  dies  jetzt  in  besonders  aus¬ 
gesuchten  Fällen  dem  Tuberkulin  an  sich  gelingen. 

Wird  bei  einer  Tuberkulinbehandlung  von  dem  Prinzip  ausge¬ 
gangen,  dem  Tuberkulin  als.  Antikörper  den  Heilerfolg  zuzuschreiben, 
und  demgemäß  versucht,  dem  Kranken  möglichst  viel  Tuberkulin  bei¬ 
zubringen,  wie  es  jetzt  wieder  Koch  von  neuem  betont,  so  halte  ich 


1818 


Nourney-Mettmann, 


das  für  eine  höchstbedenklich.©  Sache,  besonders  soweit  Tierversuche 
mitzusprechen  haben. 

Wir  haben  immer  zahlreicher  Gelegenheit,  Fälle  zu  beobachten, 
die  in  Heilanstalten  und  Krankenhäusern  als  schöne  Tuberkulinerfolge 
entlassen  sind.  Ich  wage  nicht  den  Zustand  derselben  zu  beurteilen, 
da  sowohl  der  anfängliche  Erkrankungsgrad  als  auch  die  sehr  ver¬ 
schiedenen  Behandlungsmethoden  meist  unbekannt  sind.  Doch  auch  die¬ 
jenigen,  welche  einen  längeren  Lebenserfolg  erreicht  zu  haben  scheinen, 
machen  den  Eindruck,  und  auch  ihre  Klagen  gehen  dahin,  als  ob  aus¬ 
gedehnte  Gewebswucherungen  um  den  Krankheitsherd  sich  gebildet 
hätten,  die  freilich  dem  Weiterschreiten  der  Krankheit  Hindernisse 
bereiten,  aber  auch  die  Gebrauchsfähigkeit  der  Lungen  beeinträchtigen. 
Infolge  des  ständigen  durch  Tuberkulin  ausgelösten  Reizes  auf  die 
Umgebung  des  Erkrankungsherdes  sind  bei  einigen  geradezu  Verdich¬ 
tungen  oder  asthmatische  Zustände  geschaffen  worden.  In  einzelnen 
Fällen  ist  dieser  Gewebsschutz  so  gering,  daß  eine  neue  Attacke  des 
alten  Leidens  gleich  zu  solcher  Verschlimmerung  führt,  daß  überhaupt 
an  Heilung  nicht  mehr  zu  denken  ist,  und  dann  Tuberkulin  den  Zer¬ 
störungsprozeß  nur  beschleunigt. 

Bleibt  die  Förderung  der  autoimmunisatorischen  Vorgänge  das 
Ziel  unseres  Handelns,  so  arbeiten  größere  Tuberkulingaben  entschieden 
der  Natur  entgegen.  Wir  wissen,  daß  in  großen  Pausen  einverleibte 
lebendige  Bazillen  Versuchstiere  immuner  macher,  so  daß  sie  in  Ver¬ 
hältnissen  gesund  bleiben,  die  sonst  zur  Tuberkulose  führen.  Die 
großen  Tuberkulingaben  sollen  vor  Bazillen  schützen,  aber  kein  Tier¬ 
experiment  spricht  für  den  Erfolg  solchen  Kampfes.  —  Die  Möglich¬ 
keit  einer  plötzlichen  Miliartuberkulose,  die  immer  wieder  eintretende 
Notwendigkeit,  etappenförmig  eine  Spritzkur  folgen  lassen  zu  müssen, 
beweisen,  daß  eine  Immunisierung  nicht  genügend  erfolgt  ist,  und 
das  entzündliche  Gewebe  kein  hinreichender  Schutz  gegen  die  Erkran¬ 
kung  war,  vielmehr  den  Nährboden  für  eine  weitere  Bazillenwucherung 
geben  kann. 

Dies  hat  schon  in  dem  Jahre  1891  bedenklich  gemacht,  als  man 
beobachtete,  daß  lupöse  Stellen  während  und  trotz  Behandlung  mit 
großen  Tuberkulingaben  rückfällig  wurden.  Kurz,  wir  sehen  eigentlich 
noch  alle  die  Bedenken  vorhanden,  welche  nach  der  Glanzperiode  des 
Tuberkulins  zur  Ablehnung  geführt  haben :  nur  in  etwas  chronischer 
Form.  Die  Tuberkulose  ist  so  eminent  chronisch  und  der  einzelne  Arzt 
beobachtet  meist  nur  einen  kurzen  Abschnitt  des  langen  Leidens,  daß 
Jahre  vergehen,  bis  der  einzelne  Beobachter  zu  einem  einigermaßen 
gegründeten  Urteil  kommt.  In  bezug  auf  direkte  Immunisierung  durch 
Tuberkulin  ist  dies  Endurteil  auch  beim  Menschen  nach  längerer  Be¬ 
obachtungszeit  stets  ablehnend  geworden. 

Anfangs  der  neunziger  Jahre  pries  ich  ebenfalls  den  häufigeren 
Gebrauch  reaktionsloser  Gaben,  konnte  ich  doch  schwere  Tuberkulosen 
dabei  fast  völlig  entfiebern  und  besoh werdefrei  bedeutend  an  Gewicht 
zunehmen  sehen.  Genaue  Temperaturmessungen  zeigten  jedoch  immer 
wieder  einzelne  Steigerungen  ohne  direkten  Anschluß  an  Injektionen. 
Diese  verrieten,  daß  der  Krankheitszustand  nur  verschleiert  war ;  und 
die  Rückfälle  auch  nach  monatelanger  heilsamer  Behandlung  ließen 
mich  damals  an  einem  Dauererfolg  durch  Tuberkulin  verzweifeln.  Unter 
den  zahlreichen  Behandelten  waren  einige,  die  wegen  übergroßer 
Empfindlichkeit  gegen  Tuberkulin  (starke  Temperatursteigerungen  auf 


Können  Tuberkulingaben  unbedenklich  empfohlen  werden? 


1319 


1 — 3  mg)  nur  in  mehrwöehentlichen  Pausen  mit  kleinsten  Dosen  be¬ 
handelt  zu  sein  wünschten.  Gier  ade  diese  leben  noch  und  rühmen  das 
Tuberkulin. 

Daß  kleinste  Gaben  wirken,  beweist  schon  die  allgemeine  Ver¬ 
wendung  derselben  von  ein  millionstel  Gramm  an  und  neuerdings  noch 
weit  darunter.  Wie  sehr  kleine  Gaben  wirken,  zeigen  die  Kutan¬ 
impfungen  und  die  Augenreaktionen.  So  habe  ich  eine  Patientin  mit 
Lungentuberkulose  seit  etwa  15  Jahren  in  Beobachtung.  Schon  Bruch¬ 
teile  eines  Dezimilligramms  am  Arm  injiziert  machen  ihr  jetzt  heftige 
Beizung  an  einem  Auge,  die  erst  nach  einiger  Zeit  von  selbst  wieder 
zurückgeht.  Trotzdem  wünscht  sie  von  Zeit  zu  Zeit  eine  Einspritzung, 
um  das  Allgemeinbefinden  zh  heben.  Aber  höchstens  1/2  cLmg  darf 
ich  geben.  Daß  durch  kleinste  Tuberkulingaben  sichtbare  Erkrankungs¬ 
herde  wochenlang  in  einen  hyperämischen  Zustand  versetzt  werden, 
auch  wenn  die  Injektionsstelle  möglichst  weit  davon  entfernt  ist,  ist 
eine  bekannte  Tatsache.  Solche  Vorgänge  beweisen,  daß  durch  Tuber¬ 
kulin  im  ganzen  Körper  vitale  Vorgänge  ausgelöst  werden.  Diese 
finden  vornehmlich  ihre  Lokalisation  um  die  Erkrankungsherde,  welche 
als  spezifische  Inokulationsstellen  den  allerge tischen  Zustand  heran¬ 
gebildet  haben.  Spezifisch  sind  diese  Herde  durch  ihre  Bakterien, 
spezifisch  wirkt  die  Bakteriensubstanz  nicht  als  bakterientötend,  son¬ 
dern  immunitäterzeugend. 

Wright  hat  in  seinen  Opsoninbestimmungen  so  schön  gezeigt, 
daß  die  Leukozyten  schon  unter  dem  Einfluß)  sehr  kleiner  abgetöteter 
Kulturmengen  in  großem  Maßstabe  die  spezifischen  Bakterien  auf¬ 
nehmen,  aber  daß  sie  dieselben  verdauen,  hat  er  nie  gesehen.  Wie 
im  Kreislauf  der  Natur  solche  Kopulationsvorgänge  zwischen  Körper- 
Zellen  und  Blutzellen  aufzufassen  sind,  ist  noch  dunkel.  Wir  sehen 
aus  ihnen  die  geheimnisvolle  Immunität  entstehen  und  können  stets 
fermentähnliche  Wirkungen  verfolgen.  Jedenfalls  scheint  auch  die 
Opsoninbehandlung  zu  beweisen,  daß  durch  spezifische  Anregung  zur 
Bazillenaufnahme  ein  Organismus  spezifische  Heilkräfte  erhält,  die 
dem  großen  Gebiet  der  Immunität  angehören.  Wird  diese  Immunität 
auch  nicht  immer  so  vollkommen,  daß  die  Bakterien  für  den  Träger 
harmlose  .Saprophyten  werden,  so  sehen  wir  doch  auch  bei  der  Tuber¬ 
kulose  häufig  genug  großartige  Gewichtszunahme  und  die  Besserung 
der  Blutbeschaffenheit  trotz  vorhandener  Bazillen. 

Für  die  Tuberkulintherapie  habe  ich  in  langjähriger  Beobachtung 
die  Erfahrung  gemacht,  daß  eine  ganz  leichte  Steigerung  des  Beiz¬ 
zustandes  um  leinen  Erkrankungsherd,  wie  ihn  nur  kleinste  und  seltene 
Tuberkulingaben  unterhalten,  ganz  unbedenklich  ist  und  häufig  auch 
noch  in  Schweren  Krankheitsfällen  unerwartete  Erfolge  bringt.  Etwas 
Aenderung  läßt  sich  in  jeder  tuberkulösen  Erkrankung'  nach  ein-  oder 
zweimaliger  Gabe  von  1  ding  wahrnehmen.  Die  lange  Dauer  dieser 
Wirkung,  die  in  vielen  Fällen  schon  bis  zur  Heilung  anhält,  kann 
nur  auf  gesteigerte  Auslösung  immunisatorischer  Vorgänge  bezogen 
werden.  Die  minimale  Tuberkulinmenge  an  sich  kann  nicht  in  Betracht 
kommen.  Die  Veränderungen  eines,  Krankheitsherdes  machen  gar  nicht 
so  selten  vorübergehend  einen  schlimmeren  Eindruck;  dies  halte  ich 
für  ganz  natürlich,  da  ein  chronisch  bazillärer  Prozeß  aktiver  ge¬ 
worden  ist,  d.  h.  es  ist  der  Naturvorgang,  dessen  Endziel  ein  Ver¬ 
schwinden  einer  spezifischen  Disposition  war,  von  neuem  angeregt 
worden,  wie  es  sicherlich  auch  der  Kern  der  Wright’ sehen  Opsonin- 


1820 


E.  Hönck, 


therapie  ist.  Eine  Bazillengefahr  ist  wegen  vorhandener  Autoimmnnität 
vorläufig  nicht  vorhanden  und  eine  wesentliche  Besserung  auch  nach 
anfänglicher  Verschlimmerung  die  Begeh 

Eine  Steigerung  der  Tuberkulingabe  ist  niemals  nötig,  vielmehr 
wird  sehr  häufig  der  Heilverlauf  zu  einer  Verringerung  der  Gabe 
von  1  dmg  zwingen,  sogar  in  Fällen,  wo  1  dmg  zunächst  unwirksam 
zu  sein  scheint.  Wichtiger  ist  die  Frage :  Wie  oft  sollen  wir  einspritzen  ? 
Tuberkulose  ist  meist  eine  recht  chronische  Krankheit.  Nach  kleinster 
Tuberkulingabe  bleibt  der  gesteigerte  Beizzustand  wochenlang.  Die 
moderne,  vorsichtig  sich  einschleichende  Methode  mit  kleinen  Tuber¬ 
kulingaben  in  rascher  Steigerung  lehrt  wieder,  wie  leicht  sich  ein 
Beizgewebe  zu  einem  undurchdringlichen  Wall  verdichtet,  indem  das 
ganze  anschließende  Gewebe  in  einen  Zustand  der  Proliferation  zu 
gelangen  scheint  ;  ich  kann  mir  nur  so  die  vorübergehende  Unwirksam¬ 
keit  des  Tuberkulins  erklären. 

Bei  richtiger  Anwendung  des  Tuberkulins  muß  es  allergetisch 
*  wirksam  sein,  d.  h.  der  Organismus  muß  erhöht'  empfindlich  bleiben. 
Dies  kann  nach  einmal  konstatierter  Wirkung  nur  durch  wochenlange 
Pausen  erreicht  werden,  ähnlich  wie  die  Pausen  sind,  die  im  Tier¬ 
experiment  mit  lebendem  Impfmaterial  beobachtet  werden  müssen. 

Fasse  ich  meine  Bedenken  gegen  die  häufigeren  und  hochsteigendeii 
Tuberkulingaben  zusammen,  so  lauten  dieselben : 

1.  Eine-  Heilung  mit  der  Möglichkeit,  hohe  Tuberkulingaben  zu 
geben,  beruht  auf  recht  unsicherer  Naturgrundlage.  Sie  scheint  auf 
einer  Gewebsveränderung  um  einen  Krankheitsherd  zu  beruhen  und 
ist  keinesfalls  dem  Tuberkulin  als  aktiv  immunisierendem  Mittel  zu 
verdanken. 

2.  Alle  Tierexperimente  sprechen  dafür,  daß  kein  Tuberkulin  au 
sich  immunisiert.  Zur  Steigerung  einer  spezifischen  Immunität  scheint 
auch  bei  der  Tuberkulose  das  langsame  Einwirken  lebender  Bazillen 
zu  gehören.  Solche  Vorgänge  sind  bei  der  Möglichkeit,  große  Tuber¬ 
kulingaben  reaktionslos  zu  geben,  unterbunden,  dementsprechend  können 
die  darauf  beruhenden  Heilerfolge  meist  keine  Dauererfolge  sein. 

3.  Nur  die  Anwendung  einzelner  kleiner  Gaben  ist  in  jedem  Krank¬ 
heitsfälle  gestattet.  Diese  sollen  eine  Ueberempfindlichkeit  gegen 
Tuberkulin  und  tuberkulöse  Prozesse  hervorrufen  und  eventl.  längere 
Zeit  unterhalten.  So  bleiben  wir  im  Einklang  mit  der  Naturheilung 
durch  Autoimmunisierung  und  können  auf  die  jetzt  so  viel  gepriesene 
Anwendung  von  artfremden  oder  abgeschwächten  Bazillen  verzichten. 


Bemerkungen  zu  dem  Bericht  über  die  Sammelforschung  der 
Berliner  medizinischen  Gesellschaft  betreffend  die  Blinddarm¬ 
entzündungen  des  Jahres  1907  in  Groß-Berlin. 

Von  Dr.  E.  Hönck,  Hamburg. 

Mehrfach  finden  sich  in  diesem  Bericht  Ansichten  vertreten,  die 
nicht  unwidersprochen  bleiben  dürfen. 

Es  heißt  da:  ,,....  so  können  derartige  gewaltig©  Zunahmen  von 
mehr  als  100  °/0  (1903 — 1907)  in  der  Hauptsache  wohl  nur  durch  eine 
zurzeit  fast  alle  Kulturländer  der  Erde  überziehende  periodisch©  Endemie 
erklärt  werden.“  Und  weiter.:  ,.Ein  untrüglicher  Beweis  dafür  wird 
dann  erbracht  sein,  wenn  nach  einer  Beihe  von  Jahren  die  ansteigende 


Bemerkungen  zum  Bericht  über  Blinddarmentzündungen  in  Groß-Berlin.  1821 


Welle  der  Erkrankungen  wieder  eine  rückläufige  Bewegung  zeigt,  wie 
es  z.  B.  in  der  neueren  Geschichte  der  Diphtherie  beobachtet  worden  ist.“ 
Vergegenwärtigen  wir  uns  die  Erkrankungsziffern  der  Pathologen 
an  großem  Leichenmaterial  (die  u.  a.  Bibbeirt  und  Sudsucki,  letzterer 
für  Berlin,  übereinstimmend  angeben),  so  fand  Bibbert1)  partielle 
oder  totale  Obliterationen  unter  400  Leichen  99  mal.  „Wendet  man 
diese  Berechnung  nur  auf  die  Erwachsenen  an,  läßt  also  alle  Individuen 
bis  zu  20  Jahren,  bei  denen  die  Veränderung  verhältnismäßig  selten 
ist,  außer  Betracht,  so  finden  sich  auf  100  Wurmfortsätze  32  oblite¬ 
rierende  oder  bereits  ganz  verschlossene.“  Bibbert  gibt  für  die  ein¬ 
zelnen  Lebensalter  folgende  Zahlen:  es  finden  sich  Obliterationen 

im  Alter  von  1 — 10  Jahren  4  °/0 
„  „  „  11-20  „  11  „ 

„  „  „  20-30  „  17  „ 

„  „  „  30-40  „  25  „ 

*  „  *  40—50  „  27  „ 

„  „  „  50--60  „  36  „ 

n  v  v  60  70  „  53  „ 

„Von  Leuten,  die  über  60  Jahre  alt  sind,  weisen  also  mehr  als  die 
Hälfte  Obliterationsprozesse  des  Wurmfortsatzes  auf.“ 

Aschoff  spricht  sogar  aus,  daß  im  6. — 7.  Jahrzehnt  wahrschein¬ 
lich  3/4 — 4/5  aller  Menschen  einmal  im  Leben  an  Appendizitis  er¬ 


krankt  war. 

Behandelt  wurden  nach  dem  Bericht  2°/00  der  Bevölkerung*  Ber¬ 
lins  an  Blinddarmentzündung. 

Was  will  diese  kleine  Zahl  bedeuten  gegenüber  den  im 
Vergleich  ungeheuerlichen  Erkrankungsziif fern  der  Patho¬ 
logen?  Und  dabei  muß  man  sich  vergegenwärtigen,  daß  es 
sich  hier  nur  um  Obliterationen,  also  die  Folgen  schwererer 
Erkrankungen  handelt,  daß  alle  leichten  Veränderungen  un¬ 
berücksichtigt  geblieben  sind. 

An  anderer  Stelle  gibt  der  Bericht  selbst  zu,  daß  die  Diagnose 
der  Eortsatzentzündung  noch  keineswegs  genügend  durchgearbeitet  ist. 
Nun  also :  Bemühen  wir  uns  um  die  Diagnose,  indem  wir,  wie  ich  es 
seit  Jahren  tue,  keinen  Kranken  aus  den  Händen  lassen,  ohne  ihn  auf 
seine  Eortsatzverhältnisse  genau  geprüft  zu  haben,  und  wir  werden 
die  Zahl  der  Blinddarmkranken  in  den  nächsten  Jahren  nicht  nur  um 
abermals  100°/0,  sondern  um  das  Vielfache  dieser  Zahl  steigen 
sehen. 

Zugleich  mit  dieser  Steigerung,  die  bei  größerer  Sorgfalt  und 
Hebung  in  der  Untersuchung  des  Bauches,  an  der  es  durchweg  fehlt, 
erwartet  werden  muß,  werden  natürlich  die  schweren  Fälle  abnehmen. 
Man  wird  eben  die  leichten  Fortsatzentzündungen,  die  den  schweren 
Erkrankungen  meistens  vorängehen,  rechtzeitig  auffinden  und 
durch  Verordnung  vernünftiger  Lebensweise  oder  rechtzeitige  Entfer¬ 
nung  des  kranken  Organs,  schon  bei  Kindern,  schwereren  Entzündungen 
vorzubeugen  lernen. 

Erst  dann,  und  wenn  wir  zugleich  allgemein  einer  zweckmäßige¬ 
ren  Lebensweise  (Brustnahrung  —  weniger  Fleisch)  huldigen,  wird  man 
erwarten  können,  daß  die  Blinddarmentzündungen  weniger  häufig  wer¬ 
den  —  nach  einer  recht  langen  Beihe  von  Jahren  also.  Nichts  abefr 


Bibbert,  Virchow’s  Archiv,  Bd.  132,  1893. 


1322  E.  Hönck,  Bemerkungen  z.  Bericht  über  Blinddarmentzündungen  in  Groß-Berlin. 

wird  dann  dazu  ber  edhtigeü,,  von  einer  Abnahme  oder  eineim 
milderen  Auftreten  einer  Endemie  zu  sprechen. 

Das  hervorzuheben  ist  angesichts  der  Schlußfolgerungen  des  Be¬ 
richts  nach  meiner  Ueber  zeugung  notwendig,  um  einer  künftigen  Legen¬ 
denbildung  vorzubeugen. 

Weiter  gibt  uns  der  Bericht  an:  „Von  der  Gesamtheit  der  ge¬ 
meldeten  akuten  Erkrankungen  sind  68,5  erstmalige,  19,5  zweitmalige, 
11,7  °/0  solche,  die  mindestens  den  dritten  Anfall  hatten. 

Für  die  Mehrzahl  der  Kranken  ist  die  Krankheit  mit  dem  ersten 
Anfall  erledigt.  Die  Erwartung  weiterer  Anfälle  wird  mit  jedem  der¬ 
selben  geringer.“ 

Diese  Zahlen  und  die  aus  ihnen  gezogenen  Schlüsse  entbehren 
jeder  Beweiskraft  und  sind  nur  zu  sehr  geeignet,  jüngere  Adepten 
schwer  irre  zu  führen. 

Wir  wissen  nunmehr  doch  wohl  alle  —  und  zwei  solche  Kenner, 
wie  die  Verfasser  des  Berichtes,  sollten  das  nicht  unbeachtet  lassen  — , 
daß  bei  der  Epityplilitis  eine  negative  Anamnese  in  bezug 
auf  vorhergegangene  Erkrankungen  gar  nichts  beweist. 

Ich  brauche  das  hier  nicht  weiter  zu  begründen.  Jeder  Arzt  weiß, 
daß  bei  weitem  nicht  jede  Epityphlitis  epityphlitische  Erscheinungen 
im  strengen  Sinne  macht.  Trotzdem  lassen  sich  offenbar  die  meisten 
Aerzte  erst  durch  unmittelbare  Erscheinungen  zu  mehr  oder  weniger 
eingehender  Untersuchung  des  Fortsatzes  veranlassen,  statt,  wie  ich 
es  schon  mehrfach  gefordert  habe,  auch  bei  anscheinend  ganz  fern- 
liegenden  Erscheinungen  sich  des  „tückischen“  Organs  zu  erinnern. 

Nur  bei  so  systematischem  V or gehen  ist  es  möglich,  den  Befunden 
der  Pathologen  nahe  zu  kommen  und  zu  erkennen,  wie  in  der  Tat  ganz 
außerordentlich  häufig  die  Blinddarmentzündung  im  Spiele  ist. 

Dann  erst  werden  die  Aerzte  allgemein  zu  der  Ueber  zeugung 
kommen,  daß  in  den  weitaus  meisten  Fällen  leichtere  Erkrankungen 
den  sogenannten  ersten  Anfällen  vorangehen,  sogar  bei  Kindern  in  den 
ersten  Lebensjahren,  und  daß  der  Fortsatz  die  Eingangspforte  für  alle 
möglichen  Infektionen  ist,  wie  ich  mehrfach  betont  habe. 

Dafür,  daß  nach  dem  Bericht  für  die  Mehrzahl  der  Kranken  die 
Krankheit  mit  dem  ersten  Anfall  —  dem  sogenannten  ersten  — 
erledigt  ist,  liegt  die  gegebene  Erklärung  darin,  daß  die  Befallenen 
vorsichtig  in  der  Lebensführung  werden,  nachdem  sie  durch  Schaden 
klug  geworden  sind  und  die  Erscheinungen  und  Vorboten  der  Epity¬ 
phlitis  wenigstens  im  Groben  kennen.  Nicht  aber  darf  daraus  geschlossen 
werden,  daß  etwa  nach  Art  mancher  Infektionskrankheiten  ein  An¬ 
fall  vor  Wiederholung  schützt,  ein  Schluß,  der  übrigens  im  Bericht  nicht 
ausdrücklich  gezogen  wird,  den  sich  aber  minder  kritische  Köpfe  nahe 
gelegt  sehen  könnten  durch  Bezeichnung  der  Epityphlitis  als!  einer 
Endemie. 

Die  Blinddarmentzündung  ist  geeignet,  so  recht  die  Domäne  des 
„praktischen  Arztes“  zu  sein,  des  Vielgeschmähten,  dem  so  oft  mit 
echt  spezialistischem  Hochmut  vor  geschrieben  wird,  was  er  zu  tun 
und  zu  lassen  habe. 

Er  hat  es  in  diesem  Fall  ganz  Und  gar  in  der  Hand,  durch  sorgfäl¬ 
tige  Bauchuntersuchung  und  rechtzeitige  Erkennung  leichtester  Anfälle, 
klinisch  gesprochen,  schweren  Erkrankungen  vorzubeugen  und  diejenigen 
Chirurgen,  die  jeden  akuten  Anfall  operiert  selben  wollen,  einfach  ad 
absurdum  zu  führen. 


A.  Albu,  Erwiderung  auf  vorstehende  Bemerkungen. 


1823 


Ich.  kann  diese  Bemerkungen  nicht  unter  drücken,  da  ich  in  der 
spezialistischen  Betriebsweise  allein  die  Veranlassung  sehe, 
daß  man  dem  Blinddarmproblem  so  schwer  auch  nur  nahe  kommt. 

Man  sollte  bei  dieser  Sachlage  vermeiden,  die  3,3 °/0  Fehldiagnosen 
zu  erwähnen,  oder  gar  die  Blinddarmangst  des  Publikums  heranzu¬ 
ziehen. 

Denn  den  paar  Fehldiagnosen  steht  eine  ungeheure  Zahl  von 
übersehenen  Erkrankungen  des  Fortsatzes  gegenüber. 

Im  übrigen  wäre  sehr  zu  wünschen,  daß  das  Publikum,  wenn 
nicht  mehr  Angst,  so  doch  mehr  Einsicht  in  die  Sachlage  bekäme,  vor 
allem  aber  auch  die  Aerzte. 


Erwiderung  auf  vorstehende  Bemerkungen. 

Von  Prof.  Dr.  A.  Albu,  Berlin. 

I.  Der  Verfasser  obiger  Ausführungen  hat  ganz  gewiß  recht, 
wenn  er  betont,  daß  die  Erkrankungen  des  Wurmfortsatzes  wohl  noch 
nicht  von  allen  Kollegen  in  ausreichender  Weise  in  den  Kreis  ihrer 
diagnostischen  Erwägungen  gezogen  werden.  Aber  er  schießt  doch 
weit  übers  Ziel  hinaus,  wenn  er  den  Gedanken  nährt,  daß  die  klinische 
Diagnose  an  Treffsicherheit  je  der  anatomischen  nahekommen  könnte. 
Es  ist  doch  zuviel  vom  Arzt  verlangt,  daß  er  nun  gar  noch  auch 
okkulte  Krankheitszustände  erkennen  soll!  Wieviel  Nierenentzün¬ 
dungen,  chronische  Magenkatarrhe  und  zahllose  andere  Organerkran¬ 
kungen  findet  der  pathologische  Anatom  auf,  welche  in  vivo  weder 
objektive  noch  selbst  subjektive  Symptome  gemacht  haben !  Freuen 
wir  uns  doch,  daß  soviel  Obliterationen  des  Wurmfortsatzes  ihren 
Trägern  keine  Beschwerden  gemacht  haben.  Wenn  sie  damit  60 — 70 
Jahre  alt  geworden  sind,  dann  beweist  das  doch,  daß  solche  gering¬ 
fügigen  Veränderungen  harmlos  sind.  Man  soll  doch  nicht  immer 
wieder  die  Begriffe  „pathologisch“  und  „krank“  miteinander  ver¬ 
wechseln  ! 

II.  Daß  man  auch  durch  „sorgfältigste  Bauchuntersuchung“  häufig 
keinen  sicheren  Anhaltspunkt  für  die  Existenz  einer  Appendizitis  und 
insbesondere  gerade  bei  den  leichten  und  leichtesten  Anfällen  findet, 
das,  denke  ich,  ist  doch  jetzt  allgemein  bekannt  und  anerkannt.  Eben¬ 
sowenig  vermag  ich  leider  auf  Grund  meiner  eigenen  Erfahrungen  den 
Optimismus  des  Herrn  Kollegen  Hönck  zu  teilen,  daß  durch  recht¬ 
zeitige  Erkennung  leichter  Anfälle  schwereren  Erkrankungen  vorge¬ 
beugt  werden  kann.  Meist  ist  ja  gerade  der  erste  Anfall  der  schwerste! 
Trotz  der  gegenteiligen  Behauptung  des  Herrn  Verfassers  ist  es  auch 
durchaus  nicht  richtig,  daß  die  schweren  Anfälle  stets  leichte  Vorläufer 
gehabt  haben.  Davon,  daß  der  erste  Anfall  vor  Rezidiven  schützt, 
steht  nichts  in  unserem  Bericht,  vielmehr  das  Gegenteil,  daß  die  Appen¬ 
dizitis  so  sehr  zu  Rückfällen  neigt  wie  wenige  andere  Krankheiten. 

III  Daß  „der  Wurmfortsatz  die  Eingangspforte  für  alle  mög¬ 
lichen  Infektionen  ist“,  mag  der  Herr  Verfasser  wohl  mehrfach  betont 
haben,  aber  bewiesen  hat  er  es  nicht.  Wenn  man  die  Appendix  zum 
Sündenbock  für  alle  möglichen  Krankheiten  macht,  dann  öffnet  man 
eben  der  kritiklosen  Blinddarmfurcht  des  Publikums  und  mancher 
Aerzte  Tür  und  Tor.  Solche  Uebertreibungen  und  schiefe  Auffassungen 
sind  die  schwersten  Hindernisse  für  eine  Verständigung  in  der  Appen¬ 
dizitisfrage. 


1324 


G.  Rheiner, 


Zur  Diagnostik  der  Arteriosklerose. 

Von  Dr.  Gr.  Rheiner,  St.  Gallen. 

(Schluß.) 

In  der  Pathologie  der  Arteriosklerose  wird  hinsichtlich  Häufig¬ 
keit  klinischer  Er  kr  an  kungss  y  mptome  die  zweitoberste  Stufe  von  den 
Himgefäßen  eingenommen.  Ist  selbige  auch  für  den  Kranken  selbst 
und  seine  Umgebung  eine  Quelle  vielfachen  Ungemachs,  so  ist  sie  doch 
quoad  longam  vitam  prognostisch  erheblich  günstiger  als  diejenige  des 
Herzens  und  des  Truncüs  aortae,  aber  wie  hier,  auch  im  Gehirn  oft 
schwer  einwandfrei  diagnostizier  bar.  Die  Erstlingssymptome  decken 
sich  auch  hier  in  vielen  Fällen,  vollständig  mit  der  anders  bedingten 
Neurasthenia  cerebral  is,  äußern  sich  als  rasche  Ermüdung  bei  geistiger 
Arbeit,  Gedächtnisschwäche,  Schwindelanfälle,  Eingenommenheit  des 
Kopfes  oder  chronischer  Kopfschmerz,  besonders  in  der  Stirngegend, 
Schlaflosigkeit,  nervöse  Reizbarkeit,  etwa  als  Flimmern  vor  den  Augen, 
Ohrensausen,  früher  nicht  bemerkte  Empfindlichkeit  gegen  Alkohol. 
Gemütstief  beanlagte  Menschen  geraten  durch  das  drückende  Bewußt¬ 
sein  zunehmender  geistiger  Sterilität  trotz  geeigneter  Lebensweise  leicht 
in  einen  Zustand  tiefer  melancholischer  Verstimmung,  eventuell  mit 
Angstzuständen,  sofern  diese  nicht  schon  auf  arteriosklerotischen  Er- 
weichungsh erden  beruhen.  Auch  in  Fällen  vorgerückter  Hirnatrophie 
durch  arteriosklerotische  Thrombosen  und  Einschmelzung  von  Zerebral¬ 
substanz  (Kapselgegend  usw.)  sollen  vorübergehend  geistig  leichtere 
Momente  auftreten  können,  wo  der  Kranke  dem  denselben  weiter  nicht 
kennenden  Arzt  den  Eindruck  eines  vielleicht  sonderlichen.,  aber  doch 
geistig  relativ  regen  Menschen  macht,  der  sich  ziemlich  treffend  über 
seine  Person  und  andere  Verhältnisse  äußert  und  den  er  vielleicht  selbst 
zur  Aufnahme  in  eine  Lebensversicherungsgesellschaft  empfiehlt.  Früher 
oder  später  aber  treten  neue  zerebrale,  Erscheinungen  hinzu  in  Form 
von  epiplektiformen  oder  apoplektiformen  Anfällen  (sofern  solche  nicht 
schon  früher  auftraten),  Ausfälle  in  der  Sprache,  im  optischen  Gesichts¬ 
feld,  Zustände  psychischer  Benommenheit,  halluzinatorische  Auflegungs¬ 
zustände,  Hemiparesen  usw.  Die  frühe  Diagnose  von  „Hirnsklerose' ‘ 
bietet  viele  Schwierigkeiten,  und  soll  uns  auch  negativer  Befund  in 
den  Extremitäten  usw.,  zumal  bei  angestrengt  geistig  arbeitenden  Men¬ 
schen  nicht  abhalten,  eifrig  nach  Verdachtgründen  des  Bestehens  sol¬ 
cher  zu  fahnden. 

Am  dritthäufigsten  haben  wir  es  mit  Arteriosklerose  der  Nieren 
zu  tun.  Wir  betreten  damit  das  Gebiet  der  Aorta  abdomin.  und  ihrer 
Verästelungen.  Im  allgemeinen  muß  die  Umbiegungsstelle  des 
Truncüs  aortae  als  Prädilektionsstelle  arteriosklerotischer  Aorten¬ 
erkrankung  angesehen  werden.  Nach  Angaben  von  Bauer  (Arch.  gen. 
de  med.  1904)  auf  Grund  der  Untersuchung  von  75  Aorten  alter  Leute, 
die  an  den  verschiedensten}  Krankheiten  starben,  finden  sich  bei  sel¬ 
bigen  die  häufigsten  und  vorgeschrittensten  arteriosklerotischen  Ver¬ 
änderungen  an  der  Bauchaorta,  vielleicht,  weil  die  Menschen  mit  Arterio¬ 
sklerose  des  Arcus  aortae  im  allgemeinen  früher  sterben,  als  bei  ent¬ 
sprechender  Veränderung  der  Bauchaorta.  Im  Gebiet  dieser  letzteren 
hat  laut  übereinstimmender  Angaben  von  Rokitansky,  Charc'ot, 
Lob  stein  usw.  sklerotische  Erkrankung  ihren  Sitz  insbesondere  an 
der  Ursprungsstelle  der  großen  viszeralen  Gefäße  und  etwas  oberhalb 
der  A.  iliac'a.  Bauer  macht  darauf  aufmerksam,  daß  man  bei  nicht 
allzu  korpulenten  Leuten,  d.  h.  wo  der  Bauchteil  des  Truncus  aortae 


Zur  Diagnostik  der  Arteriosklerose. 


1325 


der  Palpation  eher  zugänglich  ist,  denselben  als  abnorm  resistentesi 
Rohr  abtasten  kann,  ferner  konstatierte  er  daselbst  zuweilen  ein  ab¬ 
normes  Geräusch.  Erwähnte  Befunde  mögen  oft  eine  diagnostische 
Handhabe  bilden  zur  Erklärung  der  uns  noch  beschäftigenden  Abdo¬ 
minalbeschwerden,  während  man  bei  fettreichen  Menschen  in  Verlegen¬ 
heit  sein  kann,  zur  Diagnose  zu  gelangen. 

Die  uns  zuerst  beschäftigende  renale  Form  der  A.  abdom.  ist 
die  häufigste  Folge  funktioneller  Überanstrengung  und  Abnützung  der 
Nieren  durch  üppige  Lebensweise,  der  sich  andere  Reizmomente  (Über¬ 
maß  von  Alkohol,  Nikotin,  Koffein,  Thein  usw.)  beigesellen  können. 
Chronischer  Alkoholismus,  chronische  konstitutionelle  Stoffwechsel¬ 
anomalien  affizieren  gleich  schädlich  Herz  und  Nieren.  Es  ist  darum 
oft  schwer  oder  unmöglich,  ause]inanderzuhalten,  in  welchen  Fällen 
die  einwirkende  Noxe  zuerst  den  Kreislaufsapparat,  in  welchen  zuerst 
die  Nieren  beeinflußte  oder  wann  beide  Organe  koordiniert,  unabhängig 
voneinander  erkrankten.  Bekanntlich  ist  das  Nierengewebei  äußerst 
empfindlich,  so  auch  gegenüber  nur  kurz  dauernder,  mangelhafter  Blut¬ 
versorgung.  Man  hat  nachgewiesen,  daß  schon  zwei  Stunden  völliger 
Anämie  der  Nieren  durch  Absperrung  der  renalen  Blutzufuhr  genügen, 
um  das  Nierenepithel  zu  zerstören.  Acht  Stunden  totaler  Anämie  zer¬ 
stören  das  gesamte  Nierenparenchym.  Demgemäß  muß  zunehmende 
Arteriosklerose  einer  Reihe  vasa  efferentia  der  Glomeruli  allmählich 
gleichfalls  zu  Atrophie  letzterer  sowie  der  dazu  gehörigen  Harnkanäl¬ 
chen  führen.  Die  funktionelle  Prognose  der  reinen  Form  von  Nieren¬ 
sklerose  hängt  also  ab  von  der  Ausdehnung  und  Intensität  des  sklero- 
sierenden  Vorgangs.  Bei  Stenose  nur  einer  kleinen  Zahl  von  Nieren- 
arteriolen  übernimmt  intaktes  Niereingewebe  vikariierend  die  Funktion 
der  dienstuntauglichen,  es  kommt  nicht  zu  klinisch  pathologischen 
Erscheinungen.  Deshalb  bleibt  der  Beginn  progr  edierender  Nieren¬ 
sklerose  oft  lange  Zeit  latent.  Dasselbe  kann  der  Fall  sein  bei  infek¬ 
tiösen  Nierenerkrankungen  durch  bazilläre  Embolien.  Die  funktionellen 
Ausfallserscheinungen  treten  erst  zutage,  wenn  eine  größere  Gewebs- 
partie  Schaden  gelitten  hat.  Dies  wird  um  so  rascher  der  Fall  sein, 
je  mehr  unsolide  Lebensweise,  besonders  Alkoholmißbrauch,  berufliche 
Schädlichkeiten,  höheres  Alter  Zusammenwirken.  Die  Folge  ist  schlie߬ 
lich  arteriosklerotische  Schrumpfniere  mit  sekundärer  Herzhypertrophie. 
Selbst  tiefgehende  und  offenbar  schon  monatelang  bestehende  Nieren¬ 
störungen,  mögen  sie  nun  arteriosklerotische  Grundlage  haben  oder 
nicht,  bleiben  bei  Unterlassung  der  Untersuchung  eines  renale  Gesund¬ 
heit  vortäuschenden  klaren  Harns  oft  lange  Zeit  latent  und  unentdeckt, 
wie  ich  häufig  Gelegenheit  habe,  bei  Individuen  zu  beobachten,  die, 
geängstigt  durch  die  ersten  Spuren  von  Nierenwassersucht,  zur  Kontroll- 
untersuchung  kommen.  Der  Vertrauensarzt  eines  Menschen  oder  einer 
Lebensversicherung  begeht  nach  meinem  Dafürhalten  eine  nicht  zu 
rechtfertigende  Unterlassungsünde,  wenn  er  nicht  in  jedem  Fall  den 
Harn  des  zu  Untersuchenden  auf  Eiweiß  prüft  und  hat  leider  oft 
Gelegenheit,  bedauerliche  Überraschungen  hierbei  zu  erleben.  Kommen 
dann  schließlich  bis  anhin  verborgene  renale  Eiweißverluste  zutage, 
so  stehen  die  inzwischen  immer  mehr  zur  Ausbildung  gekommenen 
Kreislaufsstörungen,  resp.  die  Symptome  funktioneller  Herzinsuffizienz 
so  sehr  im  Mittelpunkt  des  gesamten  Krankheitsbildes  und  verdunkeln 
dergestalt  die  primäre  renale  Basis,  daß  der  Zusammenhang  der  Er¬ 
scheinungen  nicht  mehr  mit  völliger  Klarheit  festgestellt  werden  kann. 


1326 


G.  Rhein  er, 


Als  vierthäufigste  Lokalisation  der  Arteriosklerose  ist  das  Splanöh- 
nikus-Gebiet  zu  nennen.  Deren  Diagnose  gekört  wohl  zu  den  schwierig¬ 
sten  Aufgaben  der  Diagnostik,  und  finden  wir  auch  in  den  neuen 
Handbüchern  nur  sehr  spärliche  Angaben  über  dieses  Thema.  Die 
Diagnose  gewinnt  an  Wahrscheinlichkeit  bei  sicherem  Nachweis  von 
Arteriosklerose  am  Herzen,  an  der  Aorta,  an  den  Nieren,  im  Gehirn 
usw.,  kann  nur  als  Wahrscheinlichkeitsdiagnose  per  exclusionem  ge¬ 
macht  werden.  Suchen  wir  uns  im  verwirrenden  Symptomenkomplex 
der  viszeralen  Arteriosklerose  näher  zu  orientieren,  sofern  die  Unter¬ 
suchung  post  mortem  die  klinische  bewahrheitet  und  uns  diagnostische 
Schlußfolgerungen  für  weitere  Fälle  ziehen  läßt!  Wir  verdanken  unter 
den  neuen  Autoren  speziell  J aquet  in  Basel  (Korr. -Bl.  f.  Sohw.  Ärzte 
1906)  wertvolle  Mitteilungen  über  viszerale  Arteriosklerose ;  doch  be¬ 
wies  schon  H  äsen  f  ei  d,  daß  selbige  keineswegs  so  vereinzelt  vor¬ 
komme,  als  man  glaubte  und  von  großer  Bedeutung  für  die  glanze 
Inangriffnahme  der  resultierenden  Beschwerden  sei.  Bei  14  von 
Hasenfeld  erwähnten  Fällen  bestanden  dreimal  sehr  erhebliche  Ver¬ 
änderungen  der  Splanchnikusgefäße  bis  zu  nahezu  vollständiger  Ob- 
literation,  einmal  mittelschwere  oder  Unbedeutende,  makroskopisch  nicht 
wahrzunehmende  Verdickungen  der  Gefäßwände.  Des  weiteren  ging 
aus  seinen  Sektionsbefunden  hervor,  daß  unter  Umständen  ganz  be¬ 
deutende  Verdickungen  der  viszeralen  Arterien  vorhanden  sein  kön¬ 
nen  ohne  gleichzeitige  nennenswerte  Arteriosklerose  der  pulpabelh 
Arterien  der  Arme  wie  auch  der  Aorta  asc.  oder  anderer  Gefäße.  Der 
Beigen  der  klinischen  Beschwerden  wird  im  allgemeinen  wiederum 
eröffnet  durch  die  weiter  oben  genannten,  eventuell  jahrelangen  all¬ 
gemeinen  Klagen  verminderter  Leistungsfähigkeit.  Zu  denselben  ge¬ 
sellen  sich  dyspeptische  Störungen  ohne  objektiven  Befund,  daß  man 
mangels  genauerer  lokaler  Anhaltspunkte  an  nervöse  Dyspepsie  zu 
denken  geneigt  ist.  Manchmal  bietet  sich  ein  klinischer  Wegweiser 
dadurch,  daß  dem  viszeralen  Schmerzanfall  ein  kardialer,  stenokar- 
discher,  z.  B.  im  Anschluß  an  eine  körperliche  oder  seelische  Auf¬ 
regung,  vorausgeht.  Manchmal  ist  die  Beihenfolge  der  Anfälle  um¬ 
gekehrt,  und  wechseln  kardiale  Anfälle  und  epigastrische  Beschwerden 
auch  in  der  Folge  miteinander  ab.  Gleichzeitige  andere  Zeichen  von 
Arteriosklerose  und  eventuell  vorgerücktere  Lebensjahre  helfen  auch 
hier  zur  Erleichterung  der  Diagnose  mit.  Etwas  genauer  skizziert 
äußert  sich  das  sog.  „arteriosklerotische  Leibweh“  als  anfallsweise 
auftretender,  minuten-,  selbst  stundenlang  dauernder  krampfartiger, 
brennender  oder  bohrender  Schmerz  im  Epigastrium,  zuweilen  als 
Gefühl,  wie  wenn  die  Gedärme  sich  aufbäumen  und  zerspringen  wollten. 
Äußerlich  mögen  körperliche  oder  seelische  Strapazen,  blähende  Spei¬ 
sen,  Übermaß  von  Speise  oder  Trank  als  Veranlassung  der  erwähnten 
Beschwerden  imponieren.  Tatsächlich  aber  beruhen  sie  nicht  auf  Stau¬ 
ung  des  Darminhalts  noch  auf  mangelhafter  Abfuhr  der  freien  Darm¬ 
gase  nach  außen,  sondern  auf  Kreislaufsstörungen  der  verengten  Darm¬ 
gefäße  zumal  dann,  wenn  größere  Arbeitsleistungen  von  ihnen  gefor¬ 
dert  werden.  Sie  führen  zu  schmerzhaften  vaskulären  Spasmen  ein¬ 
zelner  Darmabschnitte  und  zu  Störung  der  Besorption  der  Gase  durch 
die  Darmwand  hindurch  in  das  Blut.  Hierauf  mag  auch  der  bei  arterio¬ 
sklerotischem  Leibweh  häufig  beobachtete  Meteorismus  der  Darm¬ 
schlingen  beruhen,  welcher  beispielsweise  bei  Bleiarbeitern  als  Unter¬ 
scheidungsmerkmal  gegenüber  diagnostisch  nahe  liegenden  Anfällen  von 


Zur  Diagnostik  der  Arteriosklerose. 


1327 


Bleikolik  mit  verwertet  werden  mag*.  Es  ist  fernerhin  Aufgabe  des 
Arztes,  an  Hand  der  Anamnese  und  der  klinischen  Daten  genanntes 
Leibweh  von  Schmerzanfällen  bei  Appendizitis,  Peritonitis,  Ulcus 
ventric.,  bei  Einklemmung  eines  Konkrements  im  Gallengang  usw. ; 
ferner  von  gastrischen  Krisen  bei  Tabes,  von  einfacher  viszeraler  Neur¬ 
algie  usw.  abzugrenzen.  Neuralgie,  Rheumatismus,  Influenza  sind 
ohnehin  Bezeichnungen,  die  viel  zu  oft  als  Lückenbüßer  für  Erklärung 
von  Beschwerden  dienen  müssen,  die  man  nicht  tiefer  ergründen  mag 
oder  kann.  Wiederholte  genaue  Untersuchung  oder  dann  der  weitere 
Verlauf  des  Leidens  klärt  schließlich  den  wahren  Sachverhalt  auf,  der 
schließlich  so  gern  als  nachträgliche  Komplikation  statt  der  Tatsache 
gemäß  als  primäres  Krankheitsbild  hingestellt  wird. 

Vor  Abschluß  meiner  Erörterungen  ist  der  Vollständigkeit  halber 
noch  eines  eigentümlichen,  schon  von  Charcot,  in  den  letzten  Jahren 
von  W.  Erb  (Münchn.  m.  W.  1904)  und  Freund  (Wiener  m.  Presse 
1906)  studierten  Prozesses  besonders  in  den  unteren  Extremitäten  zu 
gedenken,  nämlich  des  intermittierenden  Hinkens  (Claudication  inter- 
mittente  Charcot,  Dysbasia  angiosclerotica).  Die  Störungen  beginnen 
klinisch  mit  der  Empfindung  unerklärlicher  Ermüdung,  einer  gewissen 
Unsicherheit  beim  Gehen,  des  Tragens  einer  Bleilast  an  den  Füßen. 
Bei  sofortiger  Ruhepause  verschwinden  diese  Symptome  nach  wenigen 
Minuten,  andernfalls  gesellt  sich  Kältegefühl,  Blässe,  Zyanose  beson¬ 
ders  im  leidenden  Euß  hinzu,  auch  Wadenkrampf.  Die  Anamnese  er¬ 
gibt  oft,  daß  zuweilen  schon  vor  Jahren  zeitweise  genannte  Beschwerden 
und  leichtes  Hinken  ohne  positiven  ärztlichen  Erklärungsgrund  zutage 
traten,  bis  sie  nach  jahrelangen  Remissionen  ohne  erklärliche  Veran¬ 
lassung  als  objektiv  nachweisbare  Veränderungen  in  derselben  unteren 
Extremität  oder  im  andern  Bein  neuerdings  auf  tauchen.  Erb  beob¬ 
achtete  in  6  Jahren  45  solcher  Fälle,  darunter  38  typische.  In  30  Fäl¬ 
len  war  das  Leiden  doppelseitig,  in  15  einseitig  (elf mal  links,  viermal 
redhts).  Ein  sehr  wichtiges  idiagnostisches  Merkmal  ist  das  Kleiner¬ 
werden  oder  völlige  Verschwinden  des  Fußpulses  über  der  A.  tibialis 
postica  unterhalb  des  inneren  Knöchels  und  über  der  A.  dorsalis  pedis 
auf  der  Mitte  des  Fußrückens.  Alle  vier  Fußpulse  fehlten  sechszehn¬ 
mal,  drei  fehlten  in  zwei  Fällen,  zwei  in  sieben,  einer  in  einem  Fall. 
In  vier  ganz  typischen  Fällen  waren  alle  vier  Pulse  noch  schwach 
fühlbar",  in  drei  derselben  fühlten  sich  die  betreffenden  Arterien  wie 
dicker  gewundener  Draht  an.  In  37  Fällen  bestand  gleichzeitig  allge¬ 
mein  verbreitete  Sklerose,  nur  15  mal  war  bloß  Arterioskler.  cordis 
nachweisbar.  Es  steht  fest,  daß  der  uns  hier  beschäftigenden  Form 
des  Hinkens  verschiedene  Momente  zugrunde  liegen  können,  unter  andern 
Gicht,  Lues,  Tabakmißbrauch.  So  befanden  sich  unter  den  45  Fällen 
Erb’s  fünfzehn  maßlose,  fünfundzwanzig  starke  Raucher.  Selbstredend 
sind  Plattfuß,  Rheumatismus,  schmerzhafte  Hautverdickungen,  einge¬ 
wachsener  Nagel  usw.  auszuschließen.  Des  weiteren  mag  es  zuweilen 
eine  sog.  funktionelle  Neurose  sein  (Zesas,  Fortschr.  d.  M.  1905),  veran¬ 
laßt  durch  irgend  welche  geringfügige  Gelegenheitsursachen.  So  weist 
denn  auch  speziell  Oppenheim  daraufhin,  daß  der  Gefäßapparat  von 
nervös  beanlagten  Menschen  viel  sensibler  gegen  schädliche  Reize  als 
bei  stabil  akquili brier tem  Nervensystem  reagiert. 

Es  gibt  aber  Fälle  von  Dysbasie,  wo  alle  erwähnten  Faktoren 
fehlen,  wo  auch  der  gelegentliche  Sektionsbefund  lehrt,  daß  der  Sym¬ 
ptomkomplex  auf  arteriosklerotischen  Veränderungen  schon  im  Stamm 


1328 


G.  Rheiner,  Zur  Diagnostik  der  Arteriosklerose. 


der  A.  ‘femoralis  oder  dann  in  den  periphersten  Verzweigungen  derselben 
beruht.  Ich  habe  obige  Bemerkungen  über  das  intermittierende  Hinken 
schon  darum  hier  eingeflochten,  weil  der  Arzt  durch  die  Kenntnis 
seiner  diversen  Entstehungsmöglichkeiten  eher  imstande  ist,  einzelne 
eventuell  wichtige  Organbefunde,  so  luetischer  Natur  usw.  herauszu¬ 
finden,  die  ihm  sonst  entgangen  wären.  Anderseits  hat  mich  die  Äuße¬ 
rung  von  Idelsohn  (Deutsche  Ztschr.  f.  Nervenheilk.  1907,  p.  271) 
dazu  veranlaßt,  wonach  die  Prognose  des  Zustandes  um  so  schlechter, 
die  Gefahr  arteriosklerotischer  Gangrän  um  so  größer  ist,  je  früher 
er  sich  zeigt. 

Die  in  dieser  Arbeit  erwähnten  Tatsachen  ergeben  die  Notwendig¬ 
keit  genauester  Untersuchung  der  Antragsteller  zur  Lebensversicherung 
auch  in  jungen  Jahren,  zumal  bei  hereditärer  Veranlagung  zu  Stoff¬ 
wechselkrankheiten.  Die  Prognose  der  Arteriosklerose  quoad  vitam  et 
functionem  richtet  sich  allerdings  wesentlich  nach  dem  Sitz  der  sklero¬ 
tischen  Veränderungen,  doch  ist  analog  wie  bei  den  ver  schiedenen  Klapp en- 
störungen  des  Herzens  eine  genauere  Angabe  betreffend  Reihenfolge  in 
der  Gefährlichkeit  der  Arterienverkalkung  in  den  verschiedenen  Organen 
nicht  wohl  möglich.  Es  kommt  in  letzter  Linie  eben  auf  die  Dauer  der 
Kompensationsfähigkeit  des  Herzmuskels  im  Kampf  mit  den  entgegen¬ 
arbeitenden  Widerständen  ,an.  Diese  richtet  sich  ihrerseits  nach  der 
individuellen  Leistungsfähigkeit  des  betreffenden  Organismus  überhaupt 
gegenüber  dem  unvermeidbaren  und  unaufhörlichen  Ansturm  der  Schäd¬ 
lichkeiten  des  sozialen  Alltagslebens.  Die  Aussicht  auf  langes  Leben 
ist  darum  auch  in  bezug  auf  Arteriosklerose  um  so  günstiger,  je  weniger 
erstere  an  den  Menschen  her  an  treten  und  je  später  sich  vaskuläre  Ab¬ 
nutzungssymptome  in  lebenswichtigen  Organen  einschleichen.  Wir  er¬ 
sehen  aus  der  Arbeit  von  Burwinkel  (Ztschr.  f.  Vers. -Med.  1909),  daß 
Romberg  schon  nach  dem  15.  Jahr  ein  rasches  und  merkliches  An¬ 
steigen  der  Arteriosklerose  konstatierte,  daß  sie  vom  30.  bis  40.  Jahre 
bereits  bei  1/7  von  1500  poliklinisch  behandelten  Menschen  beobachtet 
wurde,  nach  meiner  Überzeugung  noch  immer1  ein  zu  geringer  Bruch¬ 
teil  des  tatsächlichen  Vorkommens.  Am  unheimlichsten  muß  darum 
das  Eintreten  der  Arteriosklerose  ebenso  wie  Akquisition  eines  Klappen¬ 
fehlers  sein  vor  Schluß  ]des  Körperwachstums,  denn  wenn  die  Herz¬ 
kraft  in  der  Periode  starken  Körperwachstums  ohnehin  fast  ungebühr¬ 
lich  stark  in  Anspruch  genommen  wird,  so  wird  sie  es  bei  Dazutreten 
von  Gefäßsklerose  noch  mehr  behufs  Überwindung  der  sich  unvermeid¬ 
bar  einstellenden  und  durchwegs  progredierenden  Kreislaufsstörungen. 
Tritt  dann  gelegentlich  noch  ein  febriler  bazillärer  mechanischer  und 
chemischer  Reiz  zur  vermehrten  Gewebsarbeit  hinzu,  dann  kann  es  zum 
letalen  Zusammenbruch  der  Widerstände  kommen.  Ich  schließe  meine 
Betrachtungen  mit  einer  Angabe  O.  Ros  enb  ach ’s  (Leitsätze  aus  seinen 
Werken,  zusammengestellt  von  E sohle,  Ztschr.  f.  Vers,-Med.  1908, 
Nr.  3),  daß  die  Stärke  der  Verkalkung  an  den  peripheren  Arterien 
für  die  Prognose  nicht  maßgebend  ist  und  Fälle  mit  ausgebreiteter 
Verdickung  aller  kleinen  Arterien  eine  günstigere  Voraussage  bieten 
als  solche  Fälle  mit  der  Lokalisation  des  Prozesses  an  einer  großen 
Arterie.  Diese  Angabe  verdient  eingehendes  Studium  der  diesbezüg¬ 
lichen  Verhältnisse,  meine  Erfahrungen  berechtigen  mich  nicht,  hierbei 
mitzusprechen. 


S.  Leo,  Wiener  Brief. 


1329 


Wiener  Brief. 

Ein  Sammelberickt.  —  Von  Dr.  S.  Leo. 

Alfons  v.  Rosthorn,  dessen  Antrittsrede  wir  in  den  letzten 
Nummern  stückweise  brachten  und  in  dieser  beendigen,  ist  inzwischen 
nach  kaum  einjähriger  Tätigkeit  in  Wien,  auf  einer  Jagd  einem  Herz¬ 
schlag  plötzlich  erlegen.  R.  sagte  zum  Schlüsse  dieser  Rede,  die  alle 
Vorzüge  Rosthor n’s  in  sich  vereinigte:  Bei  der  Prüfung  der  lokalen 
Schmerzhaftigkeit  hüte  man  sich  vor  Täuschungen.  Druck  auf  die 
hypogastrische  Gegend,  der  bei  der  gynäkologischen  Untersuchung  regel¬ 
mäßig  ausgeübt  wird,  kann  Schmerz  hervorrufen,  der  sehr  verschie¬ 
denen  Ursprungs  ist.  Es  kann  bei  tiefem  Drucke  in  die  Beckenhöhle 
von  oben  die  gleiche  Empfindung  zustande  kommen,  wie  bei  Berührung 
des  puerperal  infizierten  Uterus  oder  bei  mehr  seitlich  ausgeübtem 
Druck  der  Schmerz  infolge  Kompression  der  veränderten  Adnexe  aus¬ 
gelöst  werden.  Manchmal  jedoch  entdeckt  man,  daß  die  Empfindlich¬ 
keit  auf  die  Baudhdecken  selbst  beschränkt  ist,  das  Aufheben  einer 
Hautfalte  oder  ein  oberflächliches  Kneifen  ruft  ausgesprochen  schmerz¬ 
hafte  Sensation  hervor.  Hier  hat  man  es  daher  mit  einer  hyperalgeti¬ 
schen  Zone,  einer  Reflexhyperalgesie  im  Sinne  Heads  zu  tun.  Besteht 
nun  Berührungshyperästhesie,  so  liegt  unter  Umständen  ein  hysterisches 
Stigma  im  Sinne  L omers  vor.  Bei  der  vaginalen  Untersuchung  ist 
man  ähnlichen  Täuschungen  ausgesetzt.  Hier  kommt  die  schon  er¬ 
wähnte  Schmerzhaftigkeit  der  Ligamenta  sacra-uterina  hinzu,  ferner  jene 
bei  Berührung'  von  Adhäsionssträngen  im  Douglas -Raume  oder  in  der 
Umgebung  der  Adnexe,  welche  hier  als  Residuen  ab  gelaufener  Pelveo- 
peritonitis  sich  finden.  Auch  die  Berührung  der  Portio  kann  dann 
schmerzhaft  empfunden  werden,  wenn  die  der  Gebärmutter  erteilte 
Bewegung  zu  Zerrung  an  Neomembranen  geführt  hat.  Frische  para- 
metrane  Exsudate  sind  bei  kombinierter  Untersuchung  verhältnismäßig 
wenig  schmerzhaft ;  ältere  zeigen  oft  gar  keine  Druckempfindlichkeit. 
Ausgesprochen  ist  die  Druckschmerzhaftigkeit  parazervikaler  Narben 
und  'Schwielen.  Diese  Qualitäten  dürfen  nicht  mit  den  echten  viszeralen 
Hyperästhesien  verwechselt  werden,  die  sich  bei  Hysterischen  auch  im  Be¬ 
reiche  des  inneren  Genitales  etablieren  können.  Im  Zweifel  halte:  man  Isich 
dar aii,  daß,  wenn  ein  Schmerz  trotz  länger  andauernder  Ruhe  fortbesteht, 
narkotische  Mittel  sich  als  vollkommen  effektlos  erweisen,  eine  vor¬ 
sichtig  vorgenommene  Lokaltherapie  ohne  Erfolg  bleibt,  man  den 
Schmerz  als  psychogenen  ansehen  kann.  Sicher  hat  man  einen  solchen 
anzunehmen,  wenn  er  rasch  einer  suggestiven  Behandlung  weicht.  Als 
klassisches  Beispiel  für  den  rein  ideellen  Schmerz,  der  von  der  Psyche 
nach  der  Peripherie  des  Organismus  projiziert  wird,  können  jene  Fälle 
gelten,  bei  welchen  trotz  erfolgter  operativer  Entfernung  der  ver¬ 
mutungsweise  den  Ausgangspunkt  bildenden  Eierstöcke  die  Schmerzen 
nach  wie  vor  in  der  Eierstockgegend  lokalisiert  werden.  R.  geht  dann 
auf  die  Dysmenorrhöe  über.  Sie  bietet  ein  nach  Beginn,  Dauer  und 
Intensität  sehr  wechselvolles  Bild.  Am  häufigsten  begegnen  wir  der¬ 
selben  bei  Mädchen  und  Jungfrauen,  deren  Genitalbefund  nichts  Ab¬ 
normes  bietet.  Die  Erfahrungen,  daß  Atresie  und  Stenose  regelmäßig 
mit  dysmenorrhoischen  Beschwerden  verbunden  sind,  hat  unter  dem 
Einfluß  des  Werkes  von  Marion  Sims  über  die  Gebärmutter  Chirurgie 
zu  der  Lehre  von  der  mechanischen  Genese  geführt,  zumal  nach  einer 
Erweiterungskur  oder  nach  der  ersten  Geburt  die  Beschwerden  oft 

84 


1330 


S.  Leo, 


verschwinden.  Weitere  Beo  hach  tun  gen,  daß  bei  Beseitigung  einer  be¬ 
stehenden  entzündlichen  Veränderung  auch  die  Dysmenorrhöe  verschwin¬ 
det,  ließen  die  inflammatorische  Dysmenorrhöe  unterscheiden,  und  so 
unterschied  man  weiter.  Batlos  stand  man  jedoch  der  Gruppe  von 
Fällen  gegenüber,  in  denen  nichts  Pathologisches  zu  finden  war.  Hier 
ließ  erst  die  Erkenntnis  der  großen  Beeinflußbarkeit  der  Funktion  durch 
die  Psyche  Abhilfe  schaffen.  Mit  dem  zunehmenden  Verständnisse  der 
bei  der  Menstruation  auf  tretenden  Neigung  zur  Generalisation  der 
Schmerzempfindung  gewann  die  Vorstellung  von  der  Abhängigkeit  der 
dysmen  orrhoischen  Beschwerden  von  nervösen  Momenten  immer  mehr 
an  Boden.  Sie  kann  durch  die  Heilung  dieses  Leidens  infolge  psychi¬ 
scher  Beeinflussung,  also  durch  Suggestion,  als  sicher  gefestigt  ange¬ 
sehen  werden.  B.  möchte  sich  der  Hypothese  von  Menge  anschlie¬ 
ßen,  da  sie  das  mechanische  mit  dem  psychischen  Auslösungsmomente 
am  veiständlichsten  kombiniert.  Menge  nimmt  an,  daß  bei  jedem 
Menstruationsprozesse  durch  das  in  das  Cornu  uteri  ausgetretene  Blut 
Konti  aktionen  der  Gebärmutterwand  ausgelöst  werden,  um  den  Wider¬ 
stand  zu  überwinden,  der  sich  am  virginalen  Organe,  und  zwar  am' 
Knickungswinkel,  dem  Austritte  des  angesammelten  Inhaltes  gegenüber 
geltend  macht.  Diese  Kontraktionen  sollen  von  gesunden  Individuen 
nicht  empfunden,  bei  neuropathisch  veranlagten  Naturen  jedoch,  deren 
Widerstandsfähigkeit  im  Zentralnervensystem  für  sensible  Impulse 
wesentlich  herabgesetzt  ist,  als  äußerst  schmerzhaft  empfunden  werden. 
Es  ist  allgemein  bekannt,  welche  Fülle  seltsamer  somatischer  Empfin¬ 
dungen  der  Menstruationszeit  ihre  Entstehung  verdanken  und  wie  sehr 
durch  diesen  den  weiblicher  Organismus  regelmäßig  treffenden  Prozeß 
auch  das  psychische  Gleichgewicht  gestört  werden  kann.  Daß  eine 
erhöhte  Erregbarkeit  zu  dieser  Zeit  besteht,  ist  unbedingt  anzuerkennen. 

Selbst  die  Neurologen  geben  eine  mechanische  direkte  Beeinflus¬ 
sung  (Druck,  Zerrung)  der  den  Genitalien  benachbarten  und  mit  ihnen 
in  Beziehung  stehenden  Nerven  zu.  So  wird  wenigstens  jene  Schmerz¬ 
kategorie  zu  erklären  sein,  die  bei  gewissen  Geschwülsten  (Verdrängung 
der  Nachbarorgane,  Störung  ihrer  Funktion,  Zerrungen  am  Stiele  von 
Neubildungen)  und  bei  Entzündungsprodukten  oder  ihren  Besten  (Ad¬ 
häsionen  im  Bereiche  des  Bauchfellüberzuges,  Narben  und  Schwielen  im 
Bereiche  des  Beckenbindegewebes)  zur  Beobachtung  kommen.  Daneben 
gibt  es  aber  eine  große  Summe  von  Klagen,  die  mit  lokalen  organischen 
Veränderungen  gar  nichts  zu  tun  haben,  und  als  die  wesentlichste  Schwie¬ 
rigkeit,  die  uns  in  unserer  Arbeitssphäre  entgegentritt,  möchte  ich  jene 
bezeichnen,  zu  entscheiden,  ob  ein  geklagter  Schmerz  als  ein  tatsäch¬ 
lich  durch  lokale  pathologische  Veränderungen  bedingter  oder  als  ein 
vom  Zentrum  nach  der  Peripherie  projizierter  —  also  psychogener  — 
aufzufassen  ist. 

Nun  zum  Schlüsse  ein  Appell  an  Sie !  Gehen  Sie  liebevoll  bei 
den  Kranken  auf  alle  Einzelheiten  ihrer  Klagen  ein ;  beachten  Sie  auch 
unscheinbares  Detail.  Lassen  Sie  sich  nicht  hinreißen,  alles,  wofür  nicht 
gleich  ein  Substrat  zu  finden  ist,  mit  dem  Schlagwort  „Einbildung“ 
abzutun.  Auch  der  hysterische  Schmerz  hat  Anspruch  auf  unser  Mit¬ 
gefühl  und  bietet  oft  wertvolle  Handhaben  für  richtige  Abhilfe ;  die 
Psychotherapie!  Vielgestaltig  tritt  uns  der  Schmerz  entgegen.  Und 
dennoch  muß  er  als  Freund  der  Leidenden  gepriesen  werden.  Mit  vollem 
Bechte  hat  ihn  schon  die  Antike  als  den  verläßlichsten  Wachhund  der 
Gesundheit  bezeichnet.  Da,  wo  er  zu  mahnen  beginnt,  kann  Gefahr  im 


Wiener  Brief. 


1331 


Anzuge  sein  und  Zerstörung  drohen.  .  .  .  Damit  nehmen  wir  von  Post¬ 
horn  Abschied. 

A.  Biedl  und  B.  Kraus  sprachen  über  Anaphylaxie.  Anaphy¬ 
laxie  bedeutet  eine  erworbene  spezifische  Ueberempfindlichkeit  gegen 
Gifte.  Die  Autoren  haben  diese  Erscheinung  an  Hunden  experimentell 
studiert.  Injiziert  man  ihnen  Serum,  so  werden  die  meisten  anaphylak¬ 
tisch.  Injiziert  man  ihnen  nach  einigen  Tagen  nochmals  10  ccm  Serum, 
so  zeigen  die  anaphylaktisch  gewordenen  Tiere  30  Sekunden  nach  der 
Injektion  eine  hochgradige  Aufregung,  Brechneigung,  Kot-  und  Harn¬ 
abgang.  Nach  einer  Minute  folgt  dann  ein  Depressionsstadium  mit 
lähmungsartiger  Schwäche  der  Extremitäten,  schließlich  eine  mehrere 
Stunden  anhaltende  Anurie.  Die  Korne  alreflexe  sind  dabei  erhalten. 
Dyspnoe  tritt  dabei  nicht  auf.  Die  Tiere  können  sich  erholen  oder  nach 
einigen  Stunden  oder  Tagen  zugrunde  gehen.  Gleichzeitig  mit  dem 
Aufregungszustand  beginnt  hei  den  Tieren  der  Blutdruck  rasch  zu 
sinken ;  wenn  er  den  niedrigsten  Stand  erreicht  hat,  tritt  das  Depressions- 
stadium  ein.  Der  niedere  Blutdruck  hält  kurze  Zeit  oder  auch  mehrere 
Stunden  lang  an,  parallel  mit  dessen  Dauer  geht  die  Schwere  der  übrigen 
Erscheinungen.  Manchmal  bildet  die  Blutdrucksenkung  das  einzige 
Symptom  der  Anaphylaxie.  Macht  man  anaphylaktischen,  narkoti¬ 
sierten  Hunden  eine  Seruminjektion,  so  tritt  ein  Blutdruckabfall  ein, 
die  sekundären  Erscheinungen  (Aufregung,  Brechneigung  usw.)  sind 
kaum  ausgesprochen,  die  Injektion  von  Adrenalin  steigert  nicht  den 
Blutdruck.  Die  Narkose  verhindert  die  Erscheinungen  der  Anaphylaxie, 
weil  sie  die  Erregbarkeit  des  Nervensystems  herabsetzt.  Die  Ursache 
des  Blutdruckabfalls  ist  die  Erweiterung  der  peripheren  Gefäße  infolge 
Lähmung  peripherer  Nervenapparate.  Wenn  der  Druck  auf  der  tiefsten 
Stufe  steht,  ist  die  Injektion  von  Adrenalin  wirkungslos;  je  später  sie 
nach  der  Seruminjektion  erfolgt,  desto  besser  ist  die  Wirkung.  Tiere, 
welche  infolge  der  Seruminjektion  zugrunde  gehen,  zeigen  bei  der  Ob¬ 
duktion  Hämorrhagien  in  den  Bauchorganen.  Chlorbaryum  bewirkt 
eine  Blutdrucksteigerung  durch  direkte  Einwirkung  auf  die  peripheren 
Gefäßnerven.  Injiziert  man  es  einem  anaphylaktischen  Tier,  so  ver¬ 
schwinden  alle  krankhaften  Erscheinungen,  der  Blutdruck  steigt,  und 
das  Tier  erholt  sich  bald.  Injiziert  man  zuerst  Chlorbaryum  und  dann 
Serum,  so  treten  die  Erscheinungen  der  Anaphylaxie  überhaupt  nicht 
auf ;  das  Chlorbaryum  kann  daher  dieselben  verhüten  und  heilen.  Inji¬ 
ziert  man  das  Serum  eines  sensibilisierten  Tieres  einem  normalen,  so 
wird  letzteres  nach  24  Stunden  anaphylaktisch  (passive  Anaphylaxie). 
Ein  Tier,  welches  eine  Beinjektion  überstanden  hat,  ist  für  einige  Zeit 
gegen  eine  neuerliche  Injektion  unempfindlich  (Antianaphylaxie).  Nach 
der  Beinjektion  tritt  eine  starke  Herabsetzung  der  Gerinnbarkeit  des 
Blutes  ein,  so  daß  es  selbst  tagelang  flüssig  bleibt;  in  demselben  ver¬ 
schwinden  die  polynukleären  Leukozyten  fast  vollständig,  die  Lympho¬ 
zyten  und  Blutplättchen  sind  vermehrt.  Die  Erscheinungen  der  Ana¬ 
phylaxie  haben  eine  große  Aehnlichkeit  mit  der  Vergiftung  durch 
Witte-Pepton,  die  krankhaften  Symptome  dürften  bei  beiden  durch 
denselben  Körper  hervorgerufen  werden,  vielleicht  durch  das  Vasodilatin, 
einem  Verdauungsprodukt  des  Eiweißes.  Durch  die  erste  Seruminjektion 
wird  eine  Vorstufe  des  Vasodilatins  gebildet,  die  in  die  Blutbahn  ge¬ 
langt,  und  wenn  sie  in  großer  Menge  vorhanden  ist,  oder  bei  einem 
empfindlichen  Individuum,  krankhafte  Erscheinungen  (Serumkrankheit) 
hervorrufen  kann.  Bei  der  zweiten  Injektion  entsteht  sofort  Vasodilatin 

84* 


1332 


S.  Leo,  Wiener  Brief. 


in  großen  Mengen  lind  entfaltet  seine  Wirkung.  Die  Idiosynkrasie 
gegen  verschieden©  Genußmittel  ist  anf  Abbauprodukte  derselben  zurück¬ 
zuführen;  vielleicht  spielt  auch  hier  das  Vasodilatin  eine  Holle.  Zur 
Injektion  wurde  Binder-  und  Pferdeserum  verwendet. 

Wilhelm  Palte  und  Carl  Budinger  stellen  zwei  Fälle  von 
typischer  Arbeitertetanie  vor,  bei  denen  sie  Versuche  mit  Adrenalin 
angestellt  haben.  Bei  experimenteller  Tetanie  wurden  Störungen  im 
Kohlehydratstoffwechsel  nachgewiesen.  Das  deutet  darauf  hin,  daß 
normal  er  weiser  von  den  Epithelkörperchen  Hemmungen  nach  dem  chrom¬ 
affinen  System  ausgehen.  Da  das  chromaffine  System  rein  sympa¬ 
thischer  Natur  ist,  so  war  zu  erwarten,  daß  der  Sympathikus  bei  der 
Tetanie  sich  in  einem  Zustand  erhöhter  Erregbarkeit  befindet.  Tatsäch¬ 
lich  wurde  bei  tetanischen  Kranken  nach  der  Adrenalininjektion  eine 
akute  Exazerbation  des  tetanischen  Zustandes  beobachtet.  Wir  haben 
also  auf  der  einen  Seite  gesteigerte  Erregbarkeit  des  Sympathikus,  auf 
der  anderen  Seite  findet  sich  bei  der  Tetanie  mechanische  und  elektrische 
Uebererregbarkeit  der  peripheren  Nerven.  Durchschneidungs  versuche 
an  experimentell  tetanischen  Tieren  gestatten  die  Annahme,  daß  der 
primäre  Sitz  der  Uebererregbarkeit  in  den  großen  motorischen  Gan¬ 
glienzellen  des  Hirnstammesi  und  Bückenmarkes,  resp.  in  den  Interverte¬ 
bralganglien  zu  suchen  ist,  von  denen  aus  der  Erregungszustand  in  den 
peripheren  Nerven  unterhalten  wird.  Beide  Systeme  werden  durch 
die  Bami  communicantes  des  Sympathikus  verbunden.  Es  scheint  daher 
nicht  unwahrscheinlich,  daß  von  den  Epithelkörperchen  Hemmungen 
ausgehen,  die  an  irgendeinem  Glied  dieser  Kette  angreifen  und  deren 
Einschränkung  bei  Epithelkörperinsuffizienz  zu  dem  Erregungszustand 
führt.  Es  lassen  sich  so  Beziehungen  denken  zwischen  innerer  Sekre¬ 
tion  auf  dem  Wege  über  den  Sympathikus  zum  peripheren  Nerven¬ 
system,  resp.  zu  den  quergestreiften  Muskeln  und  sensiblen  Endappa¬ 
raten,  Beziehungen,  die  nicht  nur  das  Zustandekommen  der  tetanischen 
Erscheinungen,  sondern  auch  mancher  trophischer  Erkrankungen  der 
quergestreiften  Muskulatur  dem  Verständnis  näher  rücken. 

Julius  Tandler  und  Sielgf'rid  Grost  sprechen  über  Eunu¬ 
choide.  Eunuchoide  sind  Personen,  deren  äußerer  Habitus  und  deren 
Organentwicklung  den  wahren  Kastraten  ähnelt.  Der  Eunuchoide  ist 
im  Besitze  seiner  Geschlechtsdrüse,  die  sich  allerdings  in  einem  hypo¬ 
plastischen  Zustande  befindet.  Die  Eunuchoiden  sind  charakterisiert 
1.  in  ihrem  Skelett;  2.  in  ihrem  Genitale,  den  sekundären  Geschlechts¬ 
charakteren  und  durch  Veränderung  an  jenen  Drüsen  mit  innerer  Sekre¬ 
tion,  die  mit  dem  Genitale  in  Zusammenhang  stehen  ;  3.  durch  die  Fett¬ 
en  twicklung.  Ad  1 :  Offene  Epiphysenfugen,  Ueberwiegen  der  Unter¬ 
länge,  Größe  der  Spannweite,  Beckenform  und  Genu  valgum.  Ad  2 : 
Unterentwicklung  der  Geschlechtsdrüsen,  Fehlen  des  Bartes,  Fehlen  oder 
geringe  Entwicklung  der  Axillarhaare,  Fehlen  der  Crines  pubis  oder 
falls  solche  beim  männlichen  Individuum  entwickelt  sind,  horizontale 
Abgrenzung  des  behaarten  Feldes  gegen  die  Unterbauchregion,  Fehlen 
der  langen  Augenbrauenhaare,  Kinderstimme,  Eunuchenkehlkopf  und 
Thymuspersistenz.  Ad  3:  Nicht  der  Grad  der  Fettentwicklung  ist 
charakteristisch,  sondern  die  Art  des  Fettansatzes  an  bestimmten  Stellen, 
die  auch  bei  relativ  mageren  Bepräsentanten  vorhanden  ist,  in  Form 
eines  in  der  Unterbauchregion  sich  gegen  die  Schamgegend  mit  einer 
geschwungenen  Linie  absetzenden  Fettwulstes.  Die  Eunuchoiden  lassen 
sich  in  zwei  Gruppen  teilen :  die  einen  mit  nachweisbarer  Hypophysen- 


Vorläufige  Mitteilungen  und  Autoreferate. 


1333 


Veränderung,  die  anderen  ohne  nachweisbare  Veränderungen.  Die  erste 
Gruppe  zeigt  jene  Veränderungen,  die  Fröhlich  als  Hypophysen  Ver¬ 
änderung  ohne  Akromegalie,  Bartels  als  Dystrophia  adiposo-  genitalis, 
Eiseisberg  und  Frankl-Hochwart  als  Degeneratio  adiposo -genitalis 
bezeichnet  haben.  V ollkommen  verschieden  von  den  Eunuchoiden  sind 
die  mit  wahrem  Infantilismus  behafteten  Individuen,  die  eine  gering- 
gradigere  Hypoplasie  des  Genitales  zeigen,  denen  auch  der  typische 
Fettansatz  vollkommen  fehlt.  Die  Thymuspersistenz  gehört  auch  zum 
Symptomenkomplex  des  Status  thymicus.  Die  Grenze  zwischen  dem 
Eunuchoidentypus  und  dem  Status  thymicus;  festzustellen  wird  die 
Aufgabe  weiterer  Forschungen  sein.  Das  Offenbleiben  der  Epiphysen¬ 
fugen  ist  abhängig  von  der  Entwicklung  der  Zwischenzellen,  die  beim 
Eunuchoiden  fehlen,  beim  Kryptorchen,  trotz  des  fast  regelmäßigen 
Fehlens  der  Sperm atogenese,  gut  entwickelt  sind  und  beim  normalen 
Individuum  einen  bestimmten  Entwicklungsgang  durchmachen. 

(Schluß  folgt.) 


Vorläufige  Mitteilungen  u.  Autoreferate. 

Ein  Beitrag  zur  Behandlung  der  Tuberkulose  der  Lungen. 

Von  Hof  rat  Dr.  Stepp,  Nürnberg. 

In  einem  längeren  Vortrag  im  ärztlichen  Verein  in  Nürnberg 
teilt  Autor  die  Ergebnisse  seiner  Behandlung  mit,  welche  außerordent¬ 
lich  günstig  sind  und  welche,  um  es  gleich  vorweg  zu  sagen,  in  einer 
Resorption  des  chronisch-infiltrierten  entzündlichen  Ge¬ 
webes  bestehen,  das  fast  zum  normalen  zurückgeführt  wird.  Hier¬ 
bei  schwinden  die  Begleiter scheinungen,  Auswurf  und  Husten 
unter  vortrefflicher  Erholung  der  Gesamtkonstitution.  Die  Fälle  sind 
längere  Zeit  vorher  schon  beobachtet  gewesen  und  betreffen  solche, 
10  im  III.  und  6  bezw.  7  im  II.  Stadium,  welche  einen  progressiven 
deletären  Charakter  zeigten  und  bei  denen  eine  spontane  Besserung 
unbedingt  ausgeschlossen  war.  Gerade  diese  sieht  Verfasser  als  be¬ 
weisend  für  den  Erfolg  seiner  Behandlung  an. 

Die  Behandlung  besteht  in  der  Anwendung  des  Menthols,  das 
vor  vielen  Jahren  als  innerliche  Medikation  schon  empfohlen  wurde. 
Verfasser  hat  aber  hiervon  damals  einen  Effekt  nicht  gesehen  und  sie 
wieder  aufgegeben.  Seit  Januar  1909  hat  er  nun  die  Behandlung 
mit  Menthol  wieder  aufgenommen,  aber  in  Form  von  Inunktionen 
(Schmierkur).  Es  wird  eine  30  —  40°/0ige  Mentholsalbe1)  nach  be¬ 
sonderer  Vorschrift  jeden  Tag  an  einer  andern  Hautfläche  10  Minuten 
lang  eingerieben,  bis  die  Haut  trocken  ist,  und  zwar  in  der 
Reihenfolge :  1.  und  2.  Bückenhälfte,  3.  Brust,  4.  rechter,  5.  linker 
Oberschenkel,  dann  Wiederholung.  Die  jedesmalige  Quantität  ist  der 
5.  Teil  einer  Salbe  :  12,5  Menthol  :  25,0  Eucerin.  Der  Erfolg  der  Be¬ 
handlung  hängt  davon  ab,  daß  die  Anwendung  mit  Ausdauer  und 
lange  Zeit,  4 — 5  Monate  und  noch  darüber  hinaus,  fortgesetzt  wird. 
Nachteilige  Erscheinungen  gibt  es  nicht. 

Von  den  ausführlich  geschilderten  Fällen  seien  als  besonders  inter¬ 
essant  folgende  kurz  mitgeteilt : 

1)  Als  Salbengrundlage  eignet  sich  das  von  Prof.  Unna  empfohlene  Eucerin 
am  besten.  Eine  fertige  Mentholsalbe  von  vorzüglicher  Qualität  liefert  in  Tuben 
unter  dem  Namen  „Ceromentum“  die  Eucerinfabrik  in  Aumänd  bei  Bremen. 


1334 


Vorläufige  Mitteilungen  und  Autoreferate. 


3.  Ein  Magazinier,  48  Jahre  alt,  leidet  schon  seit  einigen  Jahren 
an  Phthise  mit  einer  taubeneigroßen  Kaverne  RVO  (Schallwechsel). 
Zu  der  Verdichtung  des  rechten  Ober-  und  Mittellappens  kommt  im 
Februar  eine  Infiltration  des  linken  Oberlappens ;  kolossaler  Auswurf, 
Nachtschweiße,  hochgradige  Schwäche;  Stadium  III.  Behandlung  vom 
10.  März  bis  Mitte  Juni,  und  Nachbehandlung  im  September  und 
Oktober.  Das  Ergebnis  besteht  in  Resorption  der  mächtigen  In¬ 
filtrationen  und  Schwund  der  Kaverne!  Ueberall  nur  vesiku¬ 
läres  Atmen,  keine  Rasselgeräusche.  RVO,  wo  die  Kaverne  war,  besteht 
verschärftes  Atmen  mit  einem  leichten  ziehenden  Geräusch.  Arbeits¬ 
fähigkeit,  Gewichtszunahme. 

7.  Ein  17 jähriges  Mädchen  hat  eine  linksseitige  Spitzeninfiltration 
bis  zur  Gräte  mit  Rasseln,  auch  RHO  Spitzenkatarrh.  Behandlung 
vom  15.  März  bis  Mitte  Juni.  Die  Infiltration  ist  verschwunden, 
es  besteht  vesikuläres  Atmen  mit  einzelnen  Rasselgeräuschen.  Zur 
völligen  Erholung  kommt  das  Mädchen  in  eine  Heilstätte  und  wird 
dort  mit  Tuberkulineinspritzung  behandelt.  Vorzeitige  Entlassung  nach 
2  Monaten.  Die  sofort  vorgenommene  Untersuchung  ergibt  trotz  Ge¬ 
wichtszunahme  eine  ganz  bedeutende  Verschlimmerung  des  Status  der 
Lunge :  LHO  an  der  früheren  Stelle  eine  starke  Dämpfung  bis  zur 
Mitte  des  Schulterblattes  mit  Bronchialatmen  und  klingenden  Rassel¬ 
geräuschen  ;  große  Müdigkeit,  wieder  Schweiße,  viel  Auswurf.  Aus 
dem  früheren  Stadium  I  war  in  der  Heilstätte  Stadium  II  ge¬ 
worden,  zweifellos  durch  Tuberkulin.  Nach  wieder  vorgenommener 
Mentholbehandlung  folgendes  Ergebnis:  Völliges  Schwinden  der  In¬ 
filtration  LHO ;  jetzt  wieder  vesikuläres  Atmen,  nur  einzelne  Rassel¬ 
geräusche,  kein  Auswurf,  treffliches  Befinden ! 

12.  Frau  N.,  32  Jahre  alt,  leidet  seit  3  Jahren  bei  häufiger 
Hämoptoe  an  linksseitiger  Infiltration  des  Oberlappens  bis  zur  Mitte 
des  Schulterblattes  mit  Bronchialatmen  und  klingendem  Rasseln.  LVO 
eine  kleine  Kaverne  mit  knatternden  Rasselgeräuschen.  RHO  Spitzen¬ 
rasseln  ;  Stadium  II.  Frau  N.  wurde  von  der  Aufnahme  in  die  Heil¬ 
stätte  abgelehnt!  Behandlung  von  Mitte  April  bis  Ende  Juli.  Nach¬ 
behandlung  im  September  und  Oktober.  Ergebnis:  Völliges  Schwin¬ 
den  der  Infiltration,  resikuläres  Atmen,  Kavernenerschei¬ 
nungen1)  nicht  mehr  vorhanden,  dafür  besteht  ein  inspiratorisches 
ziehendes  Geräusch  bei  verschärfter  Exspiration2) ;  treffliches  Befin¬ 
den.  Die  weiteren  Fälle  müssen  im  Original  nachgelesen  werden.  Es 
besteht  wohl  kein  Zweifel,  daß  bei  solchen  schweren  Fällen  die  ein¬ 
getretene  Besserung  dem  angewandten  Mittel  zu  verdanken 
war,  denn  eine  spontane  Besserung  ist  da  ausgeschlossen! 

Verfasser  schildert  nun  den  Vorgang  der  Besserung  während  der 
Behandlung;  erst  nach  2 — 3  Wochen  fängt  die  Besserung  an.  Die 
Aufhellung  der  Dämpfung  wird  oft  markiert  durch  tympani- 
tischen  Schall,  ein  Zeichen  der  Entspannung  des  infiltrierten 
Gewebes,  welches  zur  Resorption  kommt,  so  daß  die  Perkussion 
und  Auskultation  fast  normal  wird,  und  Auswurf  usw.  völlig  zurück¬ 
geht.  Die  Atmung  wird  frei  durch  die  wachsende  Kapazität  der  Lunge. 

Verfasser  erwähnt  kurz  die  Erfahrungen  der  Mentholbehandlung 
bei  anderen  Erkrankungen:  Die  Infiltrate,  welche  nach  Ablauf  der 

ß  Die  Obliteration  der  Kaverne  wird  ermöglicht  durch  die  Resorption  des 
Pseudogewebes,  so  daß  die  Wände  der  Kaverne  sich  Zusammenlegen  können. 

2J  Inzwischen  ist  auch  hier  normales  Atmen  ohne  jedes  Geräusch  eingetreten. 


Referate  und  Besprechungen. 


1335 


akuten  Pneumonie  der  Kinder  so  häufig  Zurückbleiben,  werden 
durch  Mentholbehandlung  rasch  beseitigt.  Die  Lungen  tnbeiv 
kulose  bei  Diabetes  wird  durch  Menthol  nicht  beeinflußt.  Die  akute 
Tuberkulose,  die  äußere  Drüsentuberkulose  und  die  Knochentuberkulose, 
sind  einer  Mentholbehandlung  nicht  zugänglich. 

Wie  wirkt  nun  das  Menthol  auf  die  tuberkulös  erkrankte  Lunge 
ein?  Verfasser  meint,  daß  das  Menthol  durch  die  Lymphgefäße 
der  Haut  aufgenommen  und  durch  die  Lunge  ausgeschieden 
wird.  Auf  diese  Weise  wirkt  es  spezifisch  auf  das  kranke  Ge¬ 
webe  (die  Infiltration)  ein  und  bewirkt  die  Resorption. 

Verfasser  schneidet  die  Frage  an,  ob  mit  der  durch  das  Menthol 
bewirkten  Resorption  des  Pseudogewebes  nicht  gleichzeitig 
eine  konstitutionelle  Aenderung  des  Lungengewebes  selbst 
stattfände,  ob  ni|cht  eine  Immunität  dem  Tuberkelbazillus 
gegenüber  erzielt  wird,  so  daß  die  Bedingungen  seiner 
Existenz  erschwert  werden.  Diese  interessante  Frage  möchte  der 
Autor  den  Forschern  auf  diesem  Gebiete  überlassen  haben.  Verfasser 
teilt  die  18  Fälle  mit,  damit  durch  anderweitige  Prüfung  in  möglichst 
kurzer  Zeit  großes  Material  erwächst  und  zweifelt  nicht,  daß  seine 
Resultate  Bestätigung  finden.  Autoreferat. 


Referate  und  Besprechungen. 

Bakteriologie  und  Serologie. 

Ein  einfacher  Apparat  zur  sterilen  Blut-  bezw.  Serumgewinnung  für 

Laboratoriumszwecke. 

(Dr.  H.  Käthe.  Zentralbl.  für  Bakt.,  Bel.  49,  H.  2.) 

Der  Apparat  besteht  aus  einem  Erlenmay er’schen  Kolben,  der  die  zur 
Defibrinierung  nötige  Zahl  Glasperlen  enthält  und  mit  einem  doppelt 
durchbohrten  Kautsehuckstopfen  verschlossen  ist.  Durch  die  Durchbohrungen 
fuhren  2  Glasrohre,  die  in  bestimmten  Winkeln  geknickt  sind,  und  so  vollständige 
Sterilität  des  einlaufenden  Blutes  sichern.  Das  eine  Rohr  ist  mit  einem 
Schlauch  versehen  und  trägt  die  Kanüle. 

Das  in  diesen  Apparat  aufgenommene  Blut  hält  sich  noch  nach  tage¬ 
langer  Aufbewahrung  im  Brutschrank  steril.  Auch  zur  sterilen  Serumge¬ 
winnung  ist  der  Apparat  zu  verwenden.  Schürmann  (Düsseldorf). 


Blut-Alkali-Agar,  ein  Elektivnährboden  für  Choleravibrionen. 

(A.  Dieudonne.  Zentralbl.  für  Bakt.  usw.,  I.  Abteil.  Bd.  50,  S.  107/108,  1909.) 

Die  Mitteilung  des  bekannten  Münchener  Bakteriologen  über  ein  ein¬ 
faches  Verfahren,  um  die  als  Cholera-Erreger  angenommenen  Vibrionen  kul¬ 
turell  zu  isolieren,  hat  in  den  beteiligten  Kreisen  großes  Aufsehen  erregt. 
Gibt  man  zu  defibriniertem.  Rinderblut  Normalkalilauge  zu  gleichen  Teilen, 
so  entsteht  eine  lackfarbige  Flüssigkeit,  die  sich  im  Dampftopf  sterilisieren 
läßt.  30  Teile  hiervon  mit  70  Teilen  gewöhnlichen  Nähragars  vermischt 
geben  einen  Nährboden,  auf  welchem  die  sog.  Choleravibrionen  sehr  üppig, 
und  zwar  fast  ausschließlich  wachsen. 

Die  bakteriologische  Diagnose  gestaltet  sich  demgemäß  höchst  einfach: 
Streicht  man  von  verdächtigen  Exkrementen  etwas  auf  den  Nährboden  aus, 
so  ist  Cholera  anzunehmen,  wenn  anderen  Tages  etwas  darauf  gewachsen  ist; 
andernfalls  liegt  eine  harmlosere  Affektion  vor. 

An  der  Dieudonne’schen  Mitteilung  ist  mancherlei  interessant.  Erstens 
ihre  Kürze:  auf  einer  einzigen  Seite  berichtet  D.  von  diesem  Verfahren,  das 
anscheinend  für  die  praktische  Hygiene  von  enormem  Werte  ist.  Nicht  viele 


1336 


Referate  und  Besprechungen. 


hätten  wohl  in  gleicher  Weise  der  Versuchung  widerstanden,  darüber  einen 
langatmigen  Aufsatz  mit  historischen  Reminiszenzen,  Versuchsprotokollen  und 
Assignaten  auf  die  Zukunft  in  die  Welt  zu  schicken. 

Sodann  gibt  es  zu  denken,  wie  es  kommt,  daß  der  Darminhalt  auf  ein¬ 
mal  so  stark  alkalisch  wird,  daß  der  Vibrio  darin  gedeihen  kann;  nach 
Dieudonne’s  Titrationen  wäre  er  auf  etwa  0,6%  freies  Alkali  zu  schätzen. 
Unwillkürlich  rückt  dabei  die  materia  oder  causa  peccans  eine  Etappe  rück¬ 
wärts:  denn  da  nicht  anzunehmen  ist,  daß  der  Koch’sche  Vibrio  sich  sein 
alkalisches  Medium  selber  schafft,  so  sieht  man  sich  gezwungen,  eine  frühere, 
alkalinisierende  Ursache  zu  postulieren,  welche  dem  Kommabazillus  den  Boden 
bereitet. 

Andererseits  führen  diese  Beobachtungen  die  Therapie  zu  dem  Bestreben,, 
dem  Darminhalt  saure  Eigenschaften  zu  verleihen;  dann  könnte  der  sog, 
Choleravibrio  nicht  weiter  gedeihen  und  die  Krankheit  müßte  aufhören,  — 
wenn  wirklich  der  Kommabazillus  das  Ens  morbi  ist.  — 

So  viele  Anregungen  vermag  eine  kurze  Notiz  zu  geben ! 

Buttersack  (Berlin). 

Chirurgie. 

Die  Pankreatitis  vom  Standpunkt  der  klinischen  Chirurgie. 

(A.  J.  Ochsner,  Chicago.  Klin.-therap.  Wochenschr.,  Nr.  28,  1909.) 

Angesichts  der  relativen  Häufigkeit,  mit  der  Pankreatitis  im  Gefolge  von 
Gallensteinen  auftritt,  sowie  der  Erfahrung,  daß  an  Pankreatitis  leidende 
Patienten  fast  immer  Erkrankungen  der  Gallenblase  oder  der  Ausführungs¬ 
gänge  derselben  aufweisen,  ist  es  erwiesen,  daß  anatomische  Besonderheiten, 
die  den  freien  Abfluß  des  Pankreassaftes  durch  den  Ductus  Santorini  odert 
den  Ductus  Wirsungianus  behindern,  günstige  Bedingungen  für  die  Infektion 
des  Pankreas  liefern.  Als  häufigste  Ursache  der  letzteren  ist  der  Kolibazillus 
anzusehen,  der  häufig  in  Verbindung  mit  dem  Streptokokkus  und  Staphylo¬ 
kokkus  auftritt.  Eine  klinische  Diagnose  der  chronischen  Pankreatitis  ist 
meist  vor  der  Operation  möglich,  zumal  durch  die  rechts  vom  Nabel  oberhalb 
der  Mitte  des  rechten  Rectus  abdominis  sich  auf  ein  5 — 10  cm  langes  Gebiet 
erstreckende  besondere  Empfindlichkeit;  ihre  Behandlung  muß  vor  allem 
in  Beseitigung  der  infolge  der  Stauung  der  infizierten  Galle  ents  tan  denen 
Reizung  durch  Schaffung  freien  Abflusses,  besonders  Entfernung  von  Gallen¬ 
oder  Pankreassteinen  bestehen.  Bei  akuter  Pankreatitis,  die  sich  durch  besonders 
heftigen  Schmerz  im  rechten  oberen  Quadranten  des  Magens,  schweren  Shock, 
Übelkeit,  Erbrechen,  Zyanose,  Glykosurie  dokumentiert,  bessert  frühzeitige 
Operation  die  Prognose  bedeutend,  doch  ist  es  wichtig,  in  diesen  Fällen  das 
Trauma  auf  ein  Mindestmaß  herabzudrücken.  So  gut  wie  aussichtslos  ist 
die  Heilung  da,  wo  die  Extravasation  des  Pankreassaftes  Fettnekrose  ver¬ 
ursacht  hat.  Peters  (Eisenach). 


Hautgangrän  nach  Paraffineinspritzungen  mit  tödlichem  Ausgang. 

(Dr.  Frank.  Med.  Klinik,  Nr.  8,  1909.) 

Der  betreffende  Kranke  war  zur  Zeit  als  er  in  die  Behandlung  Frank’s 
trat,  52  Jahre  alt  und  bis  vor  acht  Jahren  gesund  gewesen.  Zu  dieser  Zeit 
war  er  von  einem  Arzte  wegen  Lungenspitzenkatarrhs  mit  Paraffineinsprit- 
zungen  in  ausgiebigem  Maße  behandelt  worden,  so-  daß  einen  Monat  hindurch 
täglich  zweimal,  dann  nach  ieinem  Monat  täglich  einmal  Paraffin  injiziert 
wurde.  Seitdem  mannigfache  Beschwerden  an  den  Einspritzungsstellen,  seit 
drei  Jahren  arbeitsunfähig.  —  Auf  dem  Rücken  finden  sich  zahlreiche 
Walnuß-  bis  handtellergroße  harte  Infiltrationen,  die  zum  Teil  mit  der  Haut 
fest  verwachsen  sind ;  manche  Infiltrationen  sind  auf  der  Unterlage  ver¬ 
schieblich.  Die  Hiaut  ist  über  den  Infiltrationen  fast  überall  blau  oder 
braun  verfärbt ;  aus  vier  nadeldünnen  Oeffnungen  (Stichkanälen)  wird  wäss¬ 
riger  Eiter  abgesondert.  Außerdem  zwei  hühnereigroße,  2  cm  tiefe  außer- 


Referate  und  Besprechungen. 


1337 


ordentlich  stinkende  Geschjwüre,  die  am  Grunde  mit  harten  nekrotischen 
Massen  belegt,  an  einzelnen  Stellen  granulationsähnliche  Wucherungen  zeigen. 
Eine  von  einem  ähnlichen  Geschwür  herrührende  Narbe  war  vollkommen  reiz¬ 
los.  —  Innere  Organe  ohne  Befund,  Urin  normal.  —  Die  Aehnlichkeit  des  Bildes 
mit  dem  Zerfallen  der  Hautsarkome,  die  durch  das  kachektische  Aussehen  des 
Kranken  vermehrt  wurde,  war,  wie  die  mikroskopische  Untersuchung  (Pathol. 
Institut  in  Greifswald)  ergab,  nur  eine  scheinbare.  —  Der  Kranke  ging 
trotz  aufmerksamster  Pflege  infolge  der  fortschreitenden  Gangrän  schlie߬ 
lich  zugrunde.  —  Frank  bemerkt  zu  diesem  gewiß  sehr  bedauerlichen  Fall, 
daß  eine  Behandlungsweise,  auch  wenn  sie  unter  Tausenden  von  Fällen 
nur  einmal  die  hier  dargestellten  Folgen  hätte,  unbrauchbar  sei  (das  ist 
wohl  zu  wteit  gegangen;  Reif.),  und  daß  die  große  Toleranz  des  Körpers 
gegen  eingelagerte  Fremdkörper  ihre  Grenzen  habe.  Wenn  nach  einer  langen 
Reihe  von  Jahren  noch  nach  Paraffininjektionen  Gangrän  eintreten  könne, 
so  ist  Vorsicht  besonders  in  bezug  auf  die  Menge  des!  injizierten  Materiales 
geboten.  R.  Stüve  (Osnabrück). 


Erfahrungen  mit  der  Skopolamin-Morphin-Inhalationsnarkose. 

(E.  Zadro.  Wiener  klin.  Wochenschr.) 

Auf  der  v.  Eiselsberg’schen  Klinik  erhält  jeder  Patient  abends  vor 
der  Operation  0,5 — 1,0  Veronal,  um  einen  ruhigen  Schlaf  zu  erzielen  und 
der  psychischen  Erregung  vorzubeugen.  3/4 — 1  Stunde  vor  der  Operation 
wird  dann  0,0005  Skopolamin  in  den  einen,  0,01  Morphin  in  den  anderen 
Arm  gespritzt.  Nach  Ablauf  der  genannten  Zeit  beginnt  die  Inhalations¬ 
narkose,  zuerst  bis  zur  Erreichung  des  Toleranzstadiums  mit  Billroth’scher 
Mischung,  dann  bis  zum  Schlüsse  mit  Äther ;  ausgenommen  die  Fälle,  wo 
von  vornherein  entweder  reines  Chloroform  oder  Äther  gebraucht  werden 
muß.  Das  Skopolamin  wird  jeden  zweiten  Tag  frisch  verschrieben.  (Scopol, 
hydrobrom.  inactivi  Merck  0,005,  Aq.  dest.  ad  10,0.)  Im  ganzen  erstreckt 
sich  die  Erfahrung  der  Klinik  auf  770  derart  behandelte  Fälle.  Sie  ergibt, 
daß  die  kombinierte  Narkose  sich  durch  Ausfallen  des  Exzitationsstadiumk 
(ausgenommen  .Uei  Potatoren)  und  Ersparnis  an  Narkotikum  auszeichnet, 
einen  günstigen  Einfluß  auf  das  postoperative  Erbrechen  ausübt  und  die 
postnarkotischen  Lungenkomplikationen  vermindert.  Gaben  von  Skopolamin 
und  Morphin,  wie  oben  genannt,  rufen  bei  den  Patienten  weder  Vergiftungs¬ 
erscheinungen,  noch  gefährliche  oder  drohende  Symptome  seitens  des  Herzens 
und  der  Atmung  hervor  und  genügen,  um  ein  Toleranzstadium  herbeizuführen, 
welches  bei  schwächeren  Leuten  ausgedehnte  chirurgische  Eingriffe  unter 
Lokalanästhesie  vorzunehmen  gestattet.  Bei  neurasthenisch  veranlagten 
Patienten  und  bei  Basedow  ist  Skopolamin  auch  in  kleinen  Dosen  nicht  anzu¬ 
wenden;  dagegen  leistet  es  in  Verbindung  mit  Schleich’scher  Infiltrat! onsi- 
än  äst  he  sie  sehr  gute  Dienste  bei  Strumenoperation. 

M.  Kaufmann  (Mannheim). 


Erfahrungen  über  das  Narkotisieren. 

(R.  Frank.  Wiener  klin.  Wochenschr.,  Nr.  22,  1909.) 

Um  auf  die  Psyche  des  zu  Narkotisierenden  beruhigend  einzuwirken 
ünd  damit  Schädigungen,  die  einen  Tod  durch  Synkope  im  Beginn  der 
Narkose  bewirken  könnten,  auszuschalten,  rät  Frank,  furchtsame,  aufge¬ 
regte,  nervöse  Patienten,  Alkoholiker,  Kinder  sich  selbst  narkotisieren  zu 
lassen,  indem  man  sie  selbst  die  Maske  halten  läßt,  bis  das  Exzitationsstadium 
bezw.  die  Narkose  ein  tritt;  die  Patienten  haben  dadurch  das  beruhigende 
Gefühl,  daß  sie  nicht  willenlos  sind,  werden  abgelenkt  und  werden  so  weit 
weniger  aufgeregt.  Der  Narkotiseur  soll  dabei  stets  mit  dem  Patienten 
in  Rapport  bleiben,  ihn  aufmuntern,  beruhigen  usw. 

M.  Kaufmann  (Mannheim). 


1338 


Referate  und  Besprechungen. 


Gynäkologie  und  Geburtshilfe. 

Aus  der  königl.  Universitäts-Frauenklinik  zu  Breslau  und  der  Provinzial-Hebammen- 

lehranstalt  zu  Oppeln. 

Die  Pathogenese  der  Eklampsie  und  ihre  Beziehungen  zur  normalen 
Schwangerschaft,  zum  Hydrops  und  der  Schwangerschaftsniere. 

(Priv.-Doz.  Dr.  Dienst.  Archiv  für  Gyn.,  Bd.  86,  H.  2.) 

In  einer  sehr  umfangreichen  Arbeit  legt  D.  auf  Grund  seiner  früheren 
Arbeiten  und  neueren  Untersuchungen  seine  jetzigen,  gegen  früher  modifizierten 
Anschauungen  über  die  Pathogenese  der  Eklampsie  dar.  —  Zunächst  schloß 
D.  aus  der  Gefrierpunktbestimmung  des  Eklampsieblutes,  daß  die  bei  Eklampsie 
im  Blu*e  zurückgehaltenen  Stoffe  großmolekulärer  Natur  sein  müssen,  mit 
anderen  Worten  Eiweißkörper.  Dies  gilt  auch  heute  noch.  Derartige  Eiwei߬ 
stoffe  konnten  nun  vom  Fötus  stammen.  Dem  war  aber  nicht  so,  denn  es  er¬ 
gab  sich,  daß  im  mütterlichen  Blut  Eklamptiseher  weder  die  Albumine  noch 
die  Globuline  vermehrt  waren.  Dagegen  hatte  innerhalb  der  Globuline  eine 
Verschiebung  zugunsten  des  Fibrinogens  stattgefunden.  Die  Quelle  dieses 
vermehrten  Fibrinogens  glaubte  D.  in  der  Plazenta  suchen  zu  müssen.  Hatte 
aber  die  fötale  Entstehungstheorie  der  Eklampsie  zusammenbrechen  müssen 
mit  dem  von  Hits  chm  ann  veröffentlichten  Eklampsiefall  bei  einer  Blasen¬ 
mole  im  5.  Monat,  so  fiel  die  plazentare  Theorie  mit  der  Beobachtung  D.’s 
einer  schweren  Eklampsie  bei  einer  vollständig  dichten,  auch  mikroskopisch 
normalen  Plazenta.  Jene  oben  erwähnten  großmolekulären  Stoffe  könnten 
ja  nur  bei  einer  pathologischen  Durchlässigkeit  der  Plazenta  ins  mütterliche 
Blut  gelangen.  —  D.  kam  durch  neuere  Überlegungen  zu  der  Ansicht,  daß  die 
Eklampsie  nicht  sowohl  an  das  Schwangerschafts  produkt  als  vielmehr  an  den 
Schwangerschafts  zu  stand  überhaupt  gebunden  ist.  Er  fand,  anknüpfend 
an  den  Überschuß  von  Fibrinogen  im  Blut  Eklamptiseher  und  an  die  Tatsache, 
daß  dieses  Fibrinogen  aus  zerfallenden  Leukozyten  entstehen  müsse,  daß  bei 
Eklampsie  tatsächlich  eine  hochgradige  Hy pefleukozy tose  besteht.  Ein 
mäßigerer  Grad  von  Hyperleukozytose  ist  auch  in  der  normalen  Schwanger¬ 
schaft  vorhanden.  Sie  dient  offenbar  zum  Aufbau  des  kindlichen  Körpers. 
Sie  ist  vergleichbar  der  Verdauungshyperleukozytose  und  D.  spricht  direkt 
von  einer  Art  chronischer  Verdauungshyperleukozytose  der  Pla¬ 
zenta  während  der  Schwangerschaft.  Durch  die  dabei  reichlich  aus  dem 
intervillösen  Raum  in  den  allgemeinen  Kreislauf  tretenden  Leukozytenabfall- 
stoffe  wird  Fibrinogen  in  vörtneh'rter  Menge  frei.  Hierdurch  kann 
bereits  die  Leber  sehr  ungünstig  beeinflußt  werden,  es  können  Stoffwechsel¬ 
störungen  lästiger  Art  eintreten,  es  kann  schließlich  das  Endothel  der  Kapil¬ 
laren  geschädigt  werden,  so  daß  Blutwasser  aus  den  Gefäßen  austritt,  Ödeme 
entstehen.  Zum  Hydrops  der  unteren  Extremitäten  und  der  Hydrämie  gesellen 
sich  Albuminurie  und  zwecks  Aufrechterhaltung  der  Isotonie  Retention  von 
Kochsalz  im  Blute.  Reichlich  Kochsalz  begünstigt  aber  bei  etwa  im  Über¬ 
schuß  vorhandenen  Fibringeneratoren  die  Fibrinbildung.  Mit  der  zunehmen¬ 
den  Unfähigkeit  der  geschädigten  Leber,  die  giftigen  Globuline  zu  spalten, 
muß  es  zu  einer  immer  größer  werdenden  Anhäufung  von  Fibrinogen  im  Blute 
kommen.  Setzen  nun  vollends  Wehen  ein  und  gelangen  jetzt  infolge  der 
Wehenarbeit  die  während  der  Ruhigstellung  des  Uterus  in  größerer  Menge 
im  intervillösen  Raum  angesammelten  Zerfallsprodukte  der  weißen  Blut¬ 
körperchen,  insonderheit  auch  das  Fibrinferment  auf  einmal  in  größeren 
Mengen  ins  Blut,  so  muß  Leber  und  Niere  hierdurch  erneut  großen  Schaden 
nehmen.  Es  werden  neben  schwerer  fettiger  Degeneration  des  Parenchyms 
zahlreiche  Thromben  und  Nekrosen  entstehen,  Oligurie,  Anurie,  Konvulsionen 
werden  sich  einstellen.  (Chronischer  Verlauf  der  Eklampsie).  Erst  recht 
aber  und  ganz  plötzlich  wird  die  Eklampsie  bei  leukozytenreichen  Erst¬ 
gebärenden  sub  partu  entstehen  müssen,  wenn  schwerere  Zirkulationsstörungen 
bereits  während  der  Schwangerschaft  bestanden  haben,  wie  z.  B.  Druck  auf 
die  Vena  cava  inf. 


Referate  und  Besprechungen. 


1339 


D.  spricht  zum  Schlüsse  seiner  Ausführungen  die  Hoffnung  aus,  daß, 
falls  seine  Ansichten  über  die  die  Eklampsie  erzeugenden  Stoffe  richtig  sind, 
es  gelingen  wird,  ein  Heilmittel  zu  finden,  sei  es  ein  Antifibrinferment,  sei  es 
ein  chemischer  Körper  (Hirudines).  Ref.  möchte  hierbei  des  im  Mailänder 
serologischen  Institute  hergestellten  Parathyreoidins  gedenken,  über  welches 
Präparat  aus  Deutschland  bisher  leider  nur  eine,  aber  erfreulicherweise  günstige 
Mitteilung  betreffs  seiner  Wirksamkeit  bei  Eklampsie  vorliegt. 

R.  Klien  (Leipzig). 


Aus  der  königl.  Universitäts-Frauenklinik  zu  Halle  a.  S. 

Die  Bedeutung  der  hämolytischen  Streptokokken  für  die  puerperale  Infektion. 

(Dr.  Th.  Heynemann.  Archiv  für  Gyn.,  Bd.  86,  H.  1.) 

Schottmüller  hatte  gefunden,  daß  die  schweren  puerperalen  In¬ 
fektionen  durch  einen  hämolytischen  Streptokokkus  verursacht  wurden, 
während  sich  bei  weniger  schwer  verlaufenden  Fällen  ein  Streptokokkus  finden 
soll,  dem  die  Eigenschaft  der  Hämolyse  nicht  zukommt.  H.  stellte  dies¬ 
bezügliche  Nachuntersuchungen  an  mit  Blut  und  Lochien  von  125  fiebernden 
Wöchnerinnen.  Benutzt  wurde  die  Schojttmüller’sche  Blutagarplatte  2  :  5. 
In  22  Fällen  fand  H.  den  hämolytischen  Streptokokkus  im  Lochialsekret. 
Zu  diesen  22  Fällen  gehörten  sämtliche  vier  Todesfälle,  welche  unter  den 
125  Fällen  vorkamen,  und  zwar  konnten  in  diesen  vier  Fällen  —  aber  nur 
in  diesen  —  die  Streptokokken  auch  im  Blute  in  großen  Mengen  nach¬ 
gewiesen  werden.  Die  übrigen  18  Fälle  boten  durchweg  schwere  und  in 
mancher  Beziehung  charakteristische  klinische  Erfahrungen.  So  stieg  bei 
allen  bis  auf  zwei  die  Temperatur  plötzlich  hoch  an  bis  auf  39 — 41°  und 
gleichzeitig  schnellte  der  Puls  auf  126 — 140  in  die  Höhe.  Regelmäßig  fehlten 
subjektive  Beschwerden,  trotzdem  der  Allgemeinzustand  häufig  recht  schwer 
war;  peritonitische  Erscheinungen  bestanden  fast  nie.  Bei  den  als  typische 
Endometritis  verlaufenden  14  Fällen  gingen  Temperatur  und  Puls  nach 
1 — 3  Tagen  zur  Norm  herab,  jedoch  traten  verhältnismäßig  oft  ähnlich  ver¬ 
laufende  Rezidive  nach  3—7  Tagen  ein.  Im  übrigen  zeigten  die  mit  hämo¬ 
lytischen  Streptokokken  Infizierten  klinisch  nichts  Gemeinsames.  Das  Fieber 
begann  zwischen  dem  zweiten  und  zehnten  Wochenbettstage,  ein  Teil  zeigte 
Beläge  an  der  Portio,  ein  Teil  rein  blutigen  und  riechenden  Wochenfluß, 
je  nachdem  gleichzeitig  noch  andere  Keime  vorhanden  waren,  sowohl  im 
Uterus  als  besonders  im  Vaginalsekret.  Was  nun  klinisch  besonders  wichtig 
ist,  ist  das,  daß  diese  18  Fälle  sämtlich  genesen  sind  einfach  bei  Bettruhe, 
Eisblase,  Ergotin,  also  ohne  irgend  eine  Encheirese.  Wie  viele  derartige 
Fälle  sind  angeblich  durch  Antistreptokokkensera  geheilt  worden!  Und  gerade 
in  den  vier  Fällen,  bei  denen  sich  die  hämolytischen  Streptokokken  auch 
im  Blute  fanden,  hatte  weder  die  subkutane  noch  die  intravenöse,  bezw.  bei 
Peritonitis  die  intraperitoneale  Einverleibung  von  500 — 1000  Einheiten  Höchster 
Serum  pro  dosi  den  tödlichen  Ausgang  abzuwenden  vermocht  ;  höchstens  war 
hier  und  da  eine  vorübergehende  Besserung  eingetreten.  — 

12  Fälle,  bei  denen  sich  nicht  hämolytische  Streptokokken  fanden, 
verliefen  viel  leichter;  das  Fieber  stieg  höchstens  bis  auf  39°,  der  Puls  auf 
112;  Rezidive  wurden  nie  beobachtet,  ebensowenig  Allgemeininfektion  oder 
Parametritis.  —  Was  die  anderen  gefundenen  Keime  anlangt,  so  war  es  un¬ 
möglich,  ihnen  eine  gesonderte  ätiologische  Bedeutung  beizumessen ;  alle  diese 
Fälle  müssen  vorläufig  noch  in  den  großen  Topf  der  Saprämie  untergebracht 
werden.  Ist  nach  dem  Gesagten  dem  Nachweis  der  hämolytischen  Strepto¬ 
kokken  bei  der  puerperalen  Infektion  eine  gewisse  praktische  Bedeutung 
nicht  abzusprechen,  wenigstens  dann  nicht,  wenn  ihr  Nachweis  im  Blute 
gelingt,  so  darf  leider  die  Tatsache  nicht  übersehen  werden,  daß  jene  Strepto¬ 
kokken  im  Lochialsekret  auch  gefunden  worden  sind,  ohne  daß  sie  für  die 
Trägerin  hoch  virulent  waren.  H.  selbst  fand  in  31  von  50  Fällen  bei  fieber¬ 
freien  Wöchnerinnen  hämolytische  Streptokokken  sowohl  im  Scheiden- 


1340 


Referate  und  Besprechungen. 


wie  im  Uterussekret.  Negativ  war  das  Resultat  dagegen  bei  20  normalen 
Schwangeren.  —  Bezüglich  der  Technik  genügt  es  meist,  das  Sekret  mittels 
Platinöse  aus  dem  unteren  Teil  der  Scheide  zu  entnehmen;  in  8 — 12  Stunden 
sind  dio  Kulturen  im  Brutschrank  gewachsen.  R.  Klien  (Leipzig). 


Aus  der  königl.  Universitäts-Frauenklinik  zu  Halle. 

Klinische  und  bakteriologische  Studien  zum  Puerperalfieber. 

(Priv.-Doz.  Dr.  F.  Fromme.  Archiv  für  Gyn.,  Bd.  85,  H.  1.) 

F.’s  Untersuchungen  gelten  dem  Verhältnis  der  Streptokokken  zum 
Puerperalfieber.  Zunächst  konnte  er  die  Angaben  von  Bumm  und  Sigwart 
und  anderen  Autoren  bestätigen,  daß  Streptokokken  in  der  Vagina  normaler 
Schwangerer  und  normaler  Wöchnerinnen  recht  häufig  Vorkommen.  F. 
fand  Prozentzahlen  von  27  resp.  52.  In  keinem  einzigen  dieser  Fälle  zeigten 
die  Streptokokken  hämolytische  Eigenschaften,  ein  Befund,  den  Gönnet  be¬ 
stätigt.  Anders  ist  das  Verhalten  bei  fiebernden  Wöchnerinnen.  In  allen 
ausgesprochenen  schweren  Fällen,  bei  denen  sich  Streptokokken  in  Rein¬ 
kultur  oder  beinahe  in  Reinkultur  im  Uterus  fanden,  wirkten  diese  Strepto¬ 
kokken  hämolytisch  und  zwar  sowohl  auf  das  Blut  der  Trägerin  als  auch 
auf  das  von  anderen  Personen.  (Experimente  mit  tierischen  Blutsorten  wurden 
nicht  angestellt.  Ref.)  Die  Eigenschaft  der  Hämolyse  erwies  sich  als  sehr 
labil,  durch  Umzüchtung  ging  sie  mitunter  sehr  bald  verloren.  Die  gefundenen 
Streptokokken  entsprachen  dem  Scho  ttmüller’schen  Typus  longus  seu  ery- 
sipelatos.  Bei  saprgmischen  Fiebersteigerungen  überwucherten  meist  die 
Saprophyten  etwa  vorhandene  Streptokokken ;  in  29  rein  saprämischen  Fällen 
gelang  es  F.  nur  zweimal,  Streptokokken  zu  isolieren,  diese  waren  nicht  hämo¬ 
lytisch!  Das  Blut  blieb  in  diesen  Fällen  stets  steril,  ebenso  in  den  vorher 
bezeichneten  Fällen  von  schwereren  Streptokokken-Eondometritiden.  Trotzdem 
ist  für  diese  die  Prognose  als  dubia  zu  bezeichnen,  da  jederzeit  ein  Einbruch 
der  Keime,  also  der  hämolytischen  Streptokokken,  in  die  Blutbähn  erfolgen 
kann.  Dies  sofort  zu  konstatieren,  ist  Sache  der  täglichen  Blutuntersuchung. 
Die  Therapie  besteht  an  der  Hallenser  Klinik  bei  den  lokalisierten  S-trepto- 
kokken-Infektionen  in  Kräftigung  des  Organismus,  Ruhigstellung  des  In¬ 
fektionsherdes,  damit  die  Entwicklung  der  natürlichen  Abwehrvorrichtungen 
besser  vor  sich  gehe.  Gute  Erfolge  wurden  von  subkutanen  Kochsalzinfusionen 
gesehen,  dagegen  keine  von  Serum-  oder  Kollargoleinspritzungen.  —  In  den 
Fällen  endlich,  wo  sich  hämolytische  Streptokokken  auch  im  Blute  fanden, 
war  die  Prognose  eine  sehr  trübe:  F.  sah  von  10  solchen  Fällen  nur  einen 
in  Genesung  übergehen.  Cano(n  von  7  einen,  Lenhartz  von  20  fünf.  Unter 
den  10  F.’schen  Fällen  befanden  sich  3  Endometritiden,  (davon  einer  geheilt), 
5  Peritonitiden  (gestorben  trotz  Laparotomie  und  Drainage).  Die  Frage  scheint 
nun  die  zu  sein,  ob  eine  kleine,  in  das  Blut  eingebrochene  Streptokokken¬ 
menge  vernichtet  werden  kann,  oder  an  einem  Ort  deponiert  wird  und  hier 
eine  Metastase  bildet,  ob  andererseits  ein  konstanter  Gehalt  des  Blutes  an 
Streptokokken  eine  so  gut  wie  infauste  Prognose  bedingt.  F.  ist  der  Meinung, 
daß,  wenn  sich  die  Keime  länger  als  24  Stunden  im  Blute  halten,  das  Blut 
nicht  mehr  ein  Transportmittel  zur  Metastasenbildung,  sondern  Nährmedium 
ist.  —  Da  der  vorstehend  erwähnte  geheilte  Fall  mit  Höchster  Serum  be¬ 
handelt  war,  rät  F.,  auf  dieses  Mittel  auch  bei  Peritonitisfällen  nicht  zu  ver¬ 
zichten.  Diese  Fälle  sterben  wahrscheinlich  mit  an  ihrer  Streptokokkämie. 
Das  Serum  unterstützt  aber  den  Körper  in  der  Vernichtung  der  Toxine.  Nur 
zeitige  Darreichung  und  zeitige  Inzision  lassen  gegenwärtig  eine  Besserung 
der  Prognose  bei  Peritonitis  erhoffen.  Die  Streptokokken  der  puerperalen 
Parametritis  erwiesen  sich  zwar  auch  hämolytisch,  aber  sie  bewirkten 
nur  eine  schmutzig  braune  Verfärbung  des  Blutagars,  bildeten  keinen  glas¬ 
hellen  Hof.  Dabei  ist  zu  berücksichtigen,  daß  es  sich  um  ältere  Stämme 
handelt,  die  schon  längere  Zeit  in  dem  Eiter  vegetiert  haben. 

R.  Klien  (Leipzig). 


Referate  und  Besprechungen. 


1341 


Kinderheilkunde  und  Säuglingsernährung. 

Ueber  die  hypertrophische  Pylorusstenose  im  Säuglingsalter. 

(Kaspar-Cnopf ’sches  Kinderspital,  Nürnberg.  Münch,  med.  Woclienschr., 

Nr.  23,  1909.) 

Mitteilung  zweier  Fälle  von  obiger  Erkrankung,  von  denen  der  erste 
mit  einwandfreier  Diagnose  in  der  sechsten  Woche  der  Gastro-Enterostomie 
unterzogen  wurde.  Beide  Fälle  wieder  Brustkinder  mit  unstillbarem  Er¬ 
brechen,  typischem  Lokalbefund  und  schwerstem  Gewichtsrückgang.  Das 
mit  gutem  Erfolg  im  Anfang  operierte  Kind  bekam  in  kleinen,  allmählich1 
größer  werdenden  Mengen  anfangs  entfettete  Frauenmilch.  Nach  einem 
größeren  Quantum  reiner  Frauenmilch  schwere  dyspeptische  Erscheinungen, 
die  zum  Stillstand  kamen,  trotzdem  trat  Exitus  ein,  weil  wie  bei  der  Hämo¬ 
philie  aus  der  geringsten  Erosion  und  aus  alten  Injektionsnadelstichen  unstill¬ 
bare  Blutungen  einsetzten  —  als  Folge  schwerer  Ernährungs-  bezw.  Assimila¬ 
tionsstörungen.  Der  zweite  Fall  ist  nicht  einwandsfrei.  Die  Therapie  sei 
nochmals  wiederholt:  Regulierung  der  Nahrungszufuhr,  bestens  Frauenmilch 
u.  U.  entfettete  einwandsfreie  Frauenlnilch,  eventl.  gekühlt  und  .in  kleinen 
Portionen,  systematische  Magenspülung  (1 — 2  mal  pro  Tag,  mit  kühlem  Wasser 
ca.  15°  C),  heiße  Kataplasmen  auf  die  Magengegend,  vorsichtige  Opium¬ 
therapie.  Krauße  (Leipzig). 


Lieber  chronische  Magen-Darmdyspepsie  und  chronische  dyspeptische 

Diarrhöen  des  Kindesalters. 

(R.  Schütz,  Wiesbaden.  Therap.  Monatsh.,  Nr.  7,  1909.) 

Für  die  Diagnose  den  dyspeptischen  Diarrhöen  und  der  Dyspepsie  ist  der 
Stuhlbefund  entscheidend.  Er  wird  (in  manchen  Fällen  allerdings  erst  nach 
wiederholter  Untersuchung)  eine  objektive  Störung,  eine  Insuffizienz  der 
Magen-  und  Dickdarmverdauung,  meist  aber  beider  aufdecken.  Bei  alleiniger 
Beteiligung  des  Magens  —  die  bei  Kindern  nicht  anzutreffen  ist  — ,  wird 
ein  positiver  Befund  nur  nach  Verabreichung  rohen,  resp.  unvollkommen 
durchgebratenen  Fleisches  zu  erwerten  sein.  Und  namentlich  für  diese  Fälle 
sind  die  Abweichungen  der  Darmflora  von  größter  diagnostischer  Bedeutung. 
Der  diagnostische  Wert  der  Hefen  ist  üm  so  größer,  als;  sie  bei  Dyspep tikern 
aller  auch  im  Stadium  der  Latenz  und  nach  eingetretener  Besserung  noch 
lange  Zeit  sich  vermehrt  z,u  finden  pflegen.  Für  die  Diagnose  der  nicht 
diarrhoischen  Dyspepsie  ist  es  wichtig,  daß  man  an  das  Bestehen  einer1 
solchen  überhaupt  denkt,  vor  allem  bei  Kindern.  Auffallend  übler  Geruch 
und  stark  abweichende  Reaktion  der  Fäzes  werden  stets  Anlaß  geben,  an 
sie  zu  denken.  Steht  der  Charakter  der  Magen-Darmstörung  fest,  so'  wird 
man  den  ätiologischen  Faktor  zu  ermitteln  suchen,  ob  es  sich  um  eine  here¬ 
ditäre  Disposition,  etwa  eine  Achylia  gastrica  handelt  oder  um  eine  fehler¬ 
hafte  Ernährung,  etwa  um  den  überreichen  Genuß  schlackenreicher  Kost, 
oder  es  liegt  eine  Chlorose,  Rachitis  oder  eine  Ernährungsstörung  nach  In¬ 
fektionskrankheiten  zugrunde.  S.  Leo. 


lieber  die  Behandlung  der  multiplen  Abszesse  der  Säuglinge  mit 

spezifischem  Vakzin. 

(Wechsel mann  u.  Michaelis,  Rudolf -Virchow -  Krankenhaus  Berlin.  Deutsche 

med.  Wochenschr.,  Nr.  30,  1909.) 

An  mehreren  Fällen  haben  Verf.  die  vorzügliche  Wirkung  der  Wright- 
schen  Vakzine -Therapie  f  estgestellt,  d.  h.  die  Säuglinge  mit  ihrer  typischen 
disseminierten  Furunkulose  wurden  aktiv  immunisiert.  Die  komplizierte 
Gewinnung  der  Staphylokokkenemulsion  muß  im  Original  nachgelesen  wer¬ 
den.  Sterilisiert  wurde  dieselbe  subkutan  injiziert  mit  einer  Anfangsdosis 
von  50  Millionen  Staphylokokken,  und  nach  acht  Tagen  abermals  auf  diese 
Weise  beigebracht,  wobei  über  100  bis  500  Millionen  Staphylokokken  in  der 


1342 


Referate  und  Besprechungen. 


jeweiligen  Emulsion  unter  die  Haut  einverleibt  wurden.  Im  allgemeinen 
scheint  ein  polyvalentes  Staphylokokken -Vakzin  genügend  heilkräftig  zu 
sein ;  nur  in  seltenem  Fällen  muß  es  aus  den  Staphylokokken  des  Patienten 
hergestellt  werden.  Krauße  (Leipzig). 

Ueber  die  subkutane  Anwendung  großer  Adrenalindosen  in  der  Therapie 

diphtherischer  Blutdrucksenkungen. 

(Eckert.  Therap.  Monatsh.,  Nr.  8,  1909.) 

Der  Autor  gibt  von  einer  l%0igen  Lösung  des  Suprareninum  hydrochl. 
drei-  bis  viermal  täglich  2 — 3  ccm.  Man  kann  dadurch  den  unmeßbar  kleinen 
Blutdruck  selbst  im  Stadium  der  stärksten  Senkung  bis  zu  meßbarer  Höhe 
heben.  Das  Optimum  der  Wirkung  scheint  1 — 2  Stunden  nach  der  Injektion 
einzutreten.  Die  Wirkung  ist  nicht  eine  flüchtige,  sondern  sie  kann  7  Stunden 
mit  dem  Tonometer  verfolgt  werden.  Wir  haben  es  aber  hier  nicht  mit  einem 
Heilmittel  im  Sinne  der  Digitalis  zu  tun,  sondern  mit  einem  mächtigen  Reiz¬ 
mittel.  Meist  nachweisbar  war  eine  Zuckerausseheidung  im  Urin,  die  ge¬ 
legentlich  ziemlich  hohe  Grade  erreichte,  aber  14  Stunden  nach  der  letzten 
Adrenalindose  verschwand.  S.  Leo. 


Hals-,  Nasen-  und  Kehlkopfleiden. 

Gehör  und  Nasenatmung  bei  Schülern. 

(Courtacle,  Arcli.  internat.  de  lar.,  Bd.  27,  H.  2.) 

Verf.  hat  den  Zustand  des  Gehörs  und  die  Durchgängigkeit  der  Nase 
bei  465  Schülern  von  9 — 18  Jahren  untersucht  und  mit  dem  allgemeinen 
Gesundheitszustand,  der  Intelligenz,  der  Schulleistung,  dem  Charakter  ver¬ 
glichen.  —  Er  prüfte  die  Durchgängigkeit  jeder  Nasenseite  gesondert  und 
teilte  danach  die  Schüler  in  freie  Nasen atmer,  solche  mit  ungleicher  Durch¬ 
gängigkeit  und  in  teilweise  Mundatmen  Das  Gehör  wurde  mit  Stimm¬ 
gabeln  geprüft.  Zuerst  wurde  durch  Aufsetzen  der  Gabel  auf  den  Scheitel 
auf  Lateralisation  geprüft,  sodann  wurde  die  Gabel  vor  die  Ohrmuschel  ge¬ 
halten,  und  durch  Vergleich  mit  dem  Untersucher  wurde  ein  eventl.  Gehör- 
defekt  festgestellt.  Diese  Methode  gibt  ziemlich  objektive,  sich  leicht  selbst 
kontrollierende  Resultate  in  kurzer  Zeit.  Die  übrigen  Daten  wurden  durch 
die  Lehrer  gegeben. 

Von  400  Schülern  wiesen  85  ungleiche  Nasenatmung,  81  Mundatmung 
auf  (davon  1  ausschließliche).  Über  die  Hälfte,  nämlich  209,  waren  in  ver¬ 
schiedenem  Grade  schwerhörig,  davon  45  beiderseits.  Sieht  man  von  ganz 
leichten  Fällen  ab,  so  verhalten  sich  die  Schwerhörigen  zu  den  Normalen  wie 
3 :  5.  Unter  den  Mundatmern  fanden  sich,  wie  vorauszusehen  war,  mehr 
Schwerhörige  als  unter  solchen  mit  normaler  Nase.  Man  hätte  nun  erwarteu 
sollen,  daß  die  nasalen  („Aprosexie  nasale“)  und  aurikulären  Defekte  einen 
Einfluß  auf  die  Schulleistungen  ausübten,  jedoch  war  ein  solcher  durchaus 
nicht  nachweisbar.  Dagegen  war  die  Gesundheit  im  allgemeinen  schlechten 
bei  behinderter  als  bei  freier  Nasenatmung. 

Für  die  Registrierung  des  Charakters  hatte  Verf.  folgende  Noten  vor¬ 
geschrieben:  Ruhig,  indolent,  lebhaft,  launenhaft,  eigensinnig,  ungelehrig. 
Die  Einreihung  der  Kinder  in  solche  Rubriken  kann  nur  subjektiv  sein, 
und  so  ist  es  nicht  verwunderlich,  daß  sich  keine  Beziehungen  zu  den 
körperlichen  Daten  ergaben. 

Bei  unserem  Schularztsystem  müssen  sich  leicht  ähnliche  Untersuchungen 
•  an  noch  größerem  Material  durchführen  lassen.  Arth.  Meyer. 


Vollständige  Enukleation  der  Gaumenmandel. 

(J.  M.  West.  Archiv  für  Laryng.,  Bd.  22,  H.  1.) 

West  schließt  sich  den  Autoren  an,  die  in  letzter  Zeit  die  Amputation 
der  Tonsille  durch  die  Exstirpation  mit  der  Kapsel  zu  ersetzen  raten.  Id 


Referate  und  Besprechungen. 


1343 


Deutschland  haben  besonders  Wj.nekler  und  Hopmann  in  diesem  Sinne 
sich  ausgesprochen,  die  meisten  Anhänger  hat  die  Enukleation  in  Amerika. 
Über  die  Berechtigung  des  Prinzips  läßt  sich  streiten :  Man  macht  eine 
wesentlich  eingreifendere,  länger  dauernde  Operation,  als  es  die  Tonsillotomie 
ist  und  ist  im  allgemeinen  auf  die  Narkose  angewiesen,  kommt  nur  bei  gut 
haltenden  Erwachsenen  mit  Lokalanästhesie  aus.  Auch  die  Gefahr  der  Blu¬ 
tung  wird  wohl  größer  sein,  als  wenn  man  sich  innerhalb  der  fibrösen  Kapsel 
hält.  Dafür  hat  man  die  Gewißheit,  daß  die  Mandel  sich  nicht  neu  bildet. 
Ref.  glaubt  freilich,  daß  das  bei  gründlichem  Operieren  auch  sonst  zu  er¬ 
reichen  ist,  nur  darf  man  sich  nicht  immer  auf  das  Tonsillotom  beschränken. 

Von  den  Methoden  früherer  Autoren  (z.  B.  Ballenger,  vgl.  Referat  in 
dieser  Zeitschrift  1907,  S.  442)  unterscheidet  sich  West’s  Vorgehen  dadurch, 
daß  er,  der  Übersichtlichkeit  wegen,  hinten  anfängt.  Er  zieht  die  Mandel 
mit  einer  Hakenzange  nach  vorn  und  trennt  sie  vom  hinteren  Gaumenbogen 
mittels  eines  L-förmigen  Messers  los;  dann  zieht  er  sie  nach  innen  und  schnei¬ 
det  sie  vom  vorderen  Gaumenbogen  ab;  zuletzt  wird  das  lockere  Bindegewebe 
zwischen  Kapsel  und  Constrictor  phar.  mit  geknöpftem  Skalpell  von  oben 
nach  unten  oder  von  unten  nach  oben  durchtrennt.  Die  Blutung  ist  durch 
Kompression  mit  Gazetupfer  zu  stillen ;  wenn  dies  nicht  genügt,  faßt  W.  die 
blutende  Stelle  mit  besonders  konstruierten,  gekrümmten  Arterienklammern. 

Arth.  Meyer  (Berlin). 


Tuberkulose  der  Gaumenmandeln. 

(Hurd  u.  Wright.  Arch.  internat.  de  lar.,  Bd.  27,  H.  3.) 

Kinder  mit  großen,  gestielten,  frei  in  den  Pharynx  ragenden  Tonsillen 
sehen  meist  wohl  aus  und  leiden  nicht  an  Drüsenschwellungen ;  eingekapselte, 
von  den  Gaumenbögen  versteckte  Mandeln  dagegen,  die  oft  nach  oben  in  das 
Gaumensegel  hinein  entwickelt  sind,  neigen  zur  tuberkulösen  Infektion  und 
ziehen  die  Halsdrüsen  und  das  Allgemeinbefinden  in  Mitleidenschaft.  Sie 
sehen  gewöhnlich  blaß  aus  und  ihre  Krypten  enthalten  käsigen  Detritus. 
Wenn  man  solche,  der  Tuberkulose  verdächtige  Mandeln  exstirpiert,  geht  die 
Drüsenschwellung  bald  zurück.  In  dem  oberen  Teil  der  Mandel  und  in  un¬ 
mittelbarer  Nähe  der  fibrösen  Kapsel  entwickelt  sich  hauptsächlich  die  Tuber¬ 
kulose.  Daher  fordern  Verff.  die  vollständige  Enukleation  der  Tonsille. 
Unter  20  klinisch  suspekten  Fällen  fanden  Verff.  8  mal  mikroskopisch  Tuber¬ 
kulose.  Sie  betonen  jedoch  die  Schwierigkeiten  der  histologischen  Diagnose. 
Aus  dem  mangelnden  Nachweis  von  Bazillen  darf  man  nicht  Tuberkulose 
ausschließen ;  andererseits  können  nekrotische,  schlecht  färbbare  Partien  in 
einem  Granulationsgewebe  die  einzige  Manifestation  der  Tuberkulose  sein, 
ohne  daß  man  sie  doch  notwendig  auf  diese  beziehen  m'uß.  —  Verff.  schließen 
aus  ihren  Untersuchungen  (Krankengeschichten  und  histologische  Befunde 
von  24  Fällen  liegen  bei),  daß  man  mit  einer  gewissen  Wahrscheinlichkeit 
schon  klinisch  die  sog.  „latente“  Tuberkulose  der  Tonsillen  erkennen  kann. 

Arth.  Meyer  (Berlin). 


Zusammenhang  des  Lymphsystems  der  Nase  und  der  Tonsillen. 

(von  Lenärt.  Archiv  für  Laryng.,  Bd.  21,  H.  3.) 

Es  ist  eine  häufig  gemachte  Erfahrung,  daß  nach  Nasenoperationen 
follikuläre  Anginen  entstehen,  und  zwar  besonders  nach  Eingriffen  an  den 
unteren  Muscheln.  Es  erhebt  sich  die  Frage:  Schafft  die  Operation  nur  eine 
Disposition,  welche  die  Infektion  der  Tonsillen  durch  Erreger,  die  an  ihrer 
Oberfläche  vorhanden  waren,  ermöglicht;  oder  erkranken  die  Mandeln  durch 
Bakterien,  welche  ihnen  direkt  von  der  Operationswunde  durch  die  Lymph¬ 
gefäße  zugeführt  werden?  Durch  Most  sind  Kommunikationen  zwischen  den 
Lj^mphstämmen  der  Nase  und  der  Tonsillen  bekannt;  entspricht  diesem  ana.- 
tomischen  Faktum  aber  auch  ein  physiologisches?  v.  Lenart  injizierte 
Hunden,  Kaninchen  und  Ferkeln  in  die  ventrale  Muschel  Aufschwemmungen 


1844 


Referate  und  Besprechungen. 


von  Ruß,  Tusche,  Zinnober  usw.  und  fand  natürlich  nach  24  Stunden  die 
regionären  Lymphdrüsen  entsprechend  gefärbt.  Die  Tonsillen  waren  makro¬ 
skopisch  nicht  gefärbt,  aber  mikroskopisch  fanden  sich  beide,  besonders  stark 
natürlich  die  gleichseitige,  mit  den  Farbkörnchen  reichlich  durchsetzt.  Auch/ 
die  Schleimhaut  des  Rachendachs,  der  Luschka’schen  Tonsille  des  Menschen 
entsprechend,  war  mit  Körnchen  imbibiert.  —  Die  Versuche  zeigen,  daß  auch 
physiologisch  der  Lymphstrom  aus  der  Nasenschleimhaut  mit  der  Mandel  in 
Verbindung  steht,  und  sie  sprechen  dafür,  daß  die  „traumatischen“  Anginen, 
einem  direkten  Transport  der  Erreger  von  der  Operationsstelle  ihre  Entstehung 
verdanken.  Arth.  Meyer  (Berlin). 

Gaumenbogennäher  und  Mandelquetscher. 

(Avellis.  Archiv  für  Laryng.,  Bd.  22,  H.  1.) 

Der  Gaumenbogennäher  hat  die  Form  eines  Tonsillotom’s ;  zwei  seit¬ 
liche  Häkchen  werden  durch  die  Ösen  einer  großen  MicheFschen  Klammer 
gesteckt.  Das  Zusammendrücken  der  drei  Ringe  des  Handgriffs  biegt  die 
Klammer  zu.  Bei  Blutungen  nach  Tonsillotomie  näht  man  so  mit  2 — 3  Klam¬ 
mern  die  Gaumenbögen  zusammen  und  näht  einen  Wattebausch  mit  ein,  der 
die  Wunde  komprimiert.  Das  Vernähen  der  Gaumenbögen  wurde  von  Baum, 
Heermann  und  Escat  empfohlen;  für  die  bequemere  Ausführung  der  Naht 
mit  Klammern  gab  zuerst  Henkeis  (Mtsch.  f.  Ohrhlk.  1905)  ein  Instrument  an. 

Der  Mandelquetscher  hat  Korbform,  die  der  Mandel  gut  angepaßt 
ist  und  sitzt,  rechtwinklig  abgeknickt,  an  einem  schlanken  Stiel.  Sein  Ge¬ 
brauch  ist  bekannt.  Arth.  Meyer  (Berlin). 

Ein  elektrisch  erleuchtetes  Pharyngoskop. 

(H.  Hays.  Amer.  Journ.  of  Surg.,  Nr.  5,  1909.) 

Hays  hat  die  gute  Idee  gehabt,  das  Prinzip  des  Zy stoskops  auf  die 
Untersuchung  des  Nasenrachenraumes  und  Kehlkopfs  anzuwenden.  Der  Vor¬ 
teil  des  Instruments,  das  äußerlich  die  Form  eines  rechtwinklig  geknickten 
Zungenspatels  hat,  ist  der,  daß  der  Patient  nach  Einführung  des  Instru¬ 
ments  den  Mund  schließen  kann  und  daß  das  Gesichtsfeld,  wie  die,  Ab¬ 
bildungen  zeigen,  erheblich  größer  ist  als  bei  den  üblichen  Kehlkopf-  und 
Pharynxspiegeln.  Das  Teleskop  kann  um  seine  Längsachse  gedreht  und 
so  nacheinander  der  ganze  Nasopharyngolaryngealraum  abgesucht  werden. 
Vor  dem  Zystoskop  hat  das  Instrument  den  Vorteil,  daß  die  Lichtstrahlen 
nicht  mehr  als  einmal  reflektiert  zu  werden  brauchen. 

Ob  und  zu  welchem  Preis  das  Pharyngoskop  erhältlich  ist,  gibt  Hays 
nicht  an.  Vielleicht  bemächtigt  sich  eine  deutsche  Instrumentenfabrik  des 
guten  Gedankens.  Fr.  von  den  Velden. 


Adrenalin,  ein  Reagens  auf  Sympathikus-Läsion. 

(Brindel.  Rev.  hebd.  de  laryng.,  Nr.  17,  1909.) 

Wird  der  Vagus  lädiert,  so  entsteht  Herzbeschleunigung,  und  wenn 
die  verletzte  Stelle  hoch  genug  lag,  Stimmbandlähmung.  Wird  der  Sympa¬ 
thikus  lädiert,  so  entsteht  Enophthalmus,  Ptosis,  Miosis ;  letztere,  ein  viel¬ 
deutiges  Symptom,  bleibt  bestehen,  während  die  anderen  Zeichen  allmählich 
zurückgehen.  Um  die  Miosis  als  .  Symptom  einer  Sympathikus-Zerstörung 
nachzuweisen,  ist  idie  Probe  von  Meitzer  und  Lövi  ein  gutes  Mittel: 
In  einem  gesunden  Auge  wirkt  Adrenalin  nicht  auf  die  Pupille,  in  dem 
miotischen  eines  Tieres  dagegen,  dem  der  Sympathikus  durchschnitten  ist, 
bewirkt  es  prompte  Pupillenerweiterung,  wenn  ein  Tropfen  der  1%0-Lösung 
in  den  Kon  junkti  valsack  geträufelt  wird. 

Vf.  hatte  nun,  gemeinsam  mit  Gautelet,  Gelegenheit,  in  einem  sehr 
merkwürdigen  Fall  die  Probe  auch  am  Menschen  zu  prüfen.  Ein  35 jähriger 
Mann  verletzte  sich  durch  eine-  plötzliche  Kopfwendung  bei  Tische  an  einem 
Messer,  das  sein  Nachbar  aufwärts  gerichtet  in  der  Hand  hielt.  Die  kleine 


Referate  und  Besprechungen. 


1345 


Wunde  am  Halse  blutete  stark,  Kompression  stillte  aber  die  Blutung;  es} 
war  also  nicht  die  Karotis  verletzt.  Dagegen  entstand  sofort  Heiserkeit 
und  Verkleinerung  der  Lidspalte.  Als  Vf.  nach  mehreren  Wochen  den  Pat. 
sah,  bestanden  diese  Symptome  noch ;  es  fand  sich  ferner  ausgesprochene 
Miosis  und  komplette  Rekurrenslähmung.  Dagegen  war  die  Herztätigkeit 
in  keiner  Weise  alteriert.  Es  war  also  augenscheinlich  Vagus  und  Sympa¬ 
thikus,  sowie  die  Jugularis  verletzt.  Verf.  bewundert  die  „Intelligenz“  der 
Messerklinge,  die  diese  Gefäße  durchschnitt  und  die  Karotis  schonte.  Der 
gleichzeitigen  Durchtrennung  der  beiden  antagonistischen  Nerven  ist  es  zu 
verdanken,  daß  die  Herzaktion  ganz  unverändert  blieb. 

Adrenalin  wirkte  bei  dem  Pat.  stark  pupillenerweiternd;  und  so 
wurde  auch  beim  Menschen  Adrenalin  als  diagnostisches  Hilfsmittel  für 
Sympathikus-Läsion  ekwiesen.  Das  andere  Auge  dient  zur  Kontrolle. 

_  Arth.  Meyer. 

Hautkrankheiten  und  Syphilis.  —  Krankheiten  der  Harn-  und 

Geschlechtsorgane. 

Re-inoculation  der  Syphilis  im  tertiären  Stadium. 

(Queyrat  u.  Pinard.  Soc.  franc.  de  Dermatol,  et  de  Syphiligraphie,  18.  März  1909. 

—  Bull,  med.,  Nr.  24,  S.  289,  1909. 

Die  beiden  Kliniker  haben  in  Nachprüfung  der  Mitteilungen  von  Fin¬ 
ger  und  Landsteiner  einem  Manne,  der  seit  sieben  Jahren  an  Lues  litt 
und  tertiäre  Syphilide  im  Gesicht  und  an  der  Nase  auf  wies,  ein  Stück¬ 
chen  eines  frischen  Ulcus  durum  subkutan  appliziert.  Nach  siebzehn  Tagen 
entwickelte  sich  an  der  Impfstelle  eine  Erosion  und  dann  ein  etwa  Ein- 
Mark-Stück  großes  Geschwür  mit  den  charakteristischen  Erscheinungen  des 
Tertiärstadiums ;  nach  drei  Monaten  war  das  Geschwür  geheilt. 

Syphilitiker  sind  somit  nicht  unempfänglich  gegen  Neuinfektionen. 

_ _ _  B utters ack  (Berlin). 

Praktische  Erfahrungen  über  Skabies. 

(Dr.  Knauer,  Wiesbaden.  Münchener  med.  Wochenschr.,  Nr.  20,  1909.) 

Man  soll  niemals  darauf  verzichten,  Milbengänge  und  die  Milben 
selbst  aufzusuchen  und  so  die  Diagnose  sichern.  Ungeübtere  stellen  leicht 
die  Diagnose  Ekzem  an  Stelle  von  Skabies,  weil  sie  sich  sklavisch  an  die 
Lehrbücher  halten  und  nur  dort  Skabies  diagnostizieren,  wo  sie  an  den 
Prädilektionsstellen  auf  tritt,  was  jedoch  durchaus  nicht  immer  der  Fall  ist. 

Was  die  Behandlung  betrifft,  so  muß  zunächst  die  Ansteckungsquelle 
ausfindig  gemacht  und  vernichtet  werden;  dann  ist  eine  gründliche  Reinigung 
oder  Desinfektion  der  Leib-  und  Bettwäsche  erforderlich.  Von  Medikamenten 
hat  Knauer  der  10%ige  ß -Naphtholspiritus  recht  gute  Dienste  geleistet, 
er  ist  billig,  geruchlos  und  leicht  anwendbar.  Die  Einreibung  muß  bei 
guter  Beleuchtung  unter  Berücksichtigung  aller  verdächtigen  Stellen  ge¬ 
schehen,  mit  warmem  Wasser  und  Schmierseife  darf  nicht  gespart  werden. 

Im  allgemeinen  wendet  er  auch  bei  schwerer  Skabies  mit  ausgedehn¬ 
tem  Ekzem  und  Abszedierungen  sofort  die  antiskabiöse  Therapie  an  und 
mildert  so  durch  nachfolgende  Einfettung  mit  Salben  od.  ähnl.  die  reizende 
Wirkung.  Dies  empfiehlt  sich  -  auch  bei  kleinen  Kindern  als  Prophylaxe, 
treten  doch  gerade  hier  leicht  heftige  Dermatitiden  in  der  Inguinalgegend, 
Innenfläche  der  Oberschenkel,  Ellenbogen  und  in  den  Kniegelenken  auf. 

_ _  F.  Walther. 

Aus  der  Finsenklinik  in  Berlin.  (Dr.  Franz  Nagelschmidt.) 

lieber  Behandlung  der  Alopecie  mit  ultravioletten  Strahlen. 

(Dr.  Georg  Joachim.  Deutsche  med.  Wochenschr.,  Nr.  19,  1909.) 

Bei  der  Behandlung  der  Alopecia  areata  verwendet  Joachim  die  Quarz¬ 
lampe  in  der  Nagelschmidt’schen  Modifikation  (Quarzlampengesellschaft 
Hanau),  deren  Wirkung  er  an  einer  Reihe  von  Fällen  ausführlich  schildert. 

85 


1346 


Referate  und  Besprechungen. 


Es  ist  technisch  von  Wichtigkeit,  daß  die  kranken  Herde  dem  Licht  gut 
zugänglich  gemacht  werden,  während  die  zu  schützenden  Teile  am  besten, 
mit  schwarzem  Papier  gut  abgedeckt  werden  müssen.  Die  Behandlung  zer¬ 
fällt  in  mehrere  Serien.  In  der  ersten  Serie  werden  die  erkrankten  Partien 
20 — 30  Minuten  lang  in  einer  oder  bei  größerer  Ausdehnung  in  mehreren 
Sitzungen  am  selben  Tage  oder  mehreren  aufeinanderfolgenden  bestrahlt. 
Gewöhnlich  tritt  danach  Schwellung  und  Rötung,  eventuell  auch  Exsudation 
mit  Bläschenbildung  ein,  die  mit  Wärme  und  Juckgefühl,  ja  zuweilen  mit 
starken  Schmerzen  vergesellschaftet  ist.  Resorcinumschläge  (5  g  Resorcin  auf 
1  1  Wasser)  leisten  dagegen  gute  Dienste.  Nach  vier  Wochen  wird  die  zweite 
Bestrahlung  in  der  Dauer  von  30 — 50  Minuten  vorgenommen,  bei  der  die 
Reaktion  nicht  mehr  so  heftig  ist.  Es  ist  dann  bereits  eine  Regeneration 
der  Haare  eingetreten;  doch  empfiehlt  Joachim,  noch  mehrere  Serien  folgen 
zu  lassen  und  auch  den  winzigsten  Herd  zu  beseitigen,  da  sonst'  wieder 
ein  Auf  flackern  des  Prozesses  zu  befürchten  ist.  Bei  den  letzten  Serien 
sind  die  Haare  kurz  zu  scheren  oder  zu  rasieren.  Bei  der  Röntgen-Alopecia 
empfiehlt  er  ganz  besonders  eine  möglichst  frühzeitige  Bestrahlung. 

E.  Walther. 


Röntgenologie  und  physikalische  Heilmethoden. 

Wirkung  der  Fulguration  auf  Mikrohien. 

(Tribondeau.  Soc.  de  Biol.,  3.  April  1909.) 

Versuche  mit  Blitzentladungen  bei  einer  Stromstärke  von  400  M.  A. 
ergaben,  daß  eine  Koli-Kultur  auf  Kartoffel  binnen  zwei  Sekunden  getötet 
war  (bei  einem  Abstand  von  7 — 8  cm);  schwächere  Ströme  brauchten  ent¬ 
sprechend  mehr  Zeit. 

Gelatine-Kulturen  wurden  nur  an  ihrer  Oberfläche  beschädigt. 

Die  bei  der  Eulguration  entladene  Energie  geht  durch  lebende  Gewebe 
hindurch,  aber  nicht  durch  alle  gleichmäßig.  Buttersack  (Berlin). 


Fulgurationsbehandlung  des  Karzinoms. 

(Soc.  de  Chir.,  19.  Mai  1909.  —  Bull  med.,  Nr.  40,  S.  486.) 

Der  alte  J.  Joubert  (1754 — 1824)  war  ein  kluger  Mann;  seine  Pen- 
sees,  Essais  et  Maximes  haben  auch  noch  für  heute  Gültigkeit,  z.  B.  dieser : 
,,Nous  avons  trop  Thabitude  et  trop  la  facilite  des  abstractions ;  notre  esprit 
se  paie  de  mots  qui,  comme  une  espece  de  papier  monnaie,  ont  une  valeur  con- 
venue,  mais  n’ont  aucune  solidite“,  oder  der  andere:  ,,I1  faut  que  les  livres 
d’un  professeur  soient  le  fruit  d’une  longue  experience,  et  l’öccupation  de  son 
emeritat.“  An  diese  Sprüche  wird  man  erinnert  angesichts  der  Leichtigkeit, 
mit  welcher  immer  wieder  neue,  überraschende,  untrügliche  usw.  Pleilmittel 
in  die  Welt  hinausposaunt  werden.  Ereilich,  auch  die  Allgemeinheit  ist 
nicht  von  Mitschuld  freizusprechen ;  denn  schließlich  ist  es  doch  nur  die 
unentwegte  Aufnahmefreudigkeit,  das  Nichtvorhandensein  einer  abschreckenden 
sachlichen  Kritik,  die  die  jungen  Leute  dazu  verführt,  das  nonum  pre- 
matur  in  annum  zu  mißachten  und  immer  neue  Attentate  auf  die  Langmut 
der  Allgemeinheit  zu  unternehmen.  So-  haben  einige  begeisterte  Gemüter 
vor  einiger  Zeit  verkündigt,  man  könne  Karzinome  mit  Eulguration  heilen. 
Die  Sache  erschien  verführerisch,  so  daß  die  Pariser  Chirurgen  sie  aufnehmen 
mußten;  aber  die  Erfolge  waren  deplorabel.  In  der  Societe  de  Chirurgie  tausch¬ 
ten  die  Chirurgen  ihre  Erfahrungen  aus :  V on  Heilungen  war  keine  Rede, 
dagegen  mehr  von  Todesfällen ;  die  latenten  Anhänger  der  Methode  mußten 
sich  darauf  beschränken,  diese  letzteren  nicht  gerade  als  direkte  Eolge  der 
Eulguration  hinzustellen.  Aber  bis  die  letzten  Reste  der  nun  einmal  geweckten 
Erwartungen  ausgerodet  sind,  mag  es  wieder  geraume  Zeit  dauern. 

Im  Anschluß  hieran  sei  noch  eine  vergleichende  kritische  Studie  erwähnt, 
welche  Tuffier  bezüglich  der  Wirkung  von  Röntgen-  und  Radiumstrahlen, 
Eulguration  und  überhitzter  Luft  (300 — 400°)  in  der  Academie  de  Medicine 


Referate  und  Besprechungen. 


1347 


am  25.  Mai  1909  vorgetragen  hat.  Danach  wirken  die  beiden  erstgenannten 
Strahlen  der  Energien  zwar  destruierend  auf  die  Krebszellen,  aber  nur  be¬ 
schränkt:  die  X-Strahlen  2  min,  die  Radiumstrahlen  2  cm  tief,  die  Ful- 
guration  nur  auf  das  Bindegewebe ;  die  überhitzte  Luft  zerstört  alles  Or¬ 
ganische  gleichmäßig.  Davon,  daß  man  damit  Krebse  heilen  könne,  sei  keine 
Rede;  höchstens  seien  die  genannten  Agentien  zur  Unterstützung  des  Messers 
anzuwenden.  Buttersack  (Berlin). 


Dauer  der  Blutdruckerniedrigung  durch  d’Arsonvalisation. 

(E.  Doumer.  Acad.  des  Sciences,  1.  Februar  1909.) 

Do  um  er  hat  27  Pat,,  welche  vor  mindestens  l1/2  Jahren  wegen  Er¬ 
höhung  des  Blutdrucks  erfolgreich  mit  d’Arsonvalisation  behandelt  worden 
waren,  nachuntersucht  und  gefunden,  daß  bei  18  davon  der  Druck  niedrig 
geblieben  war;  bei  9  war  wegen  Wieder  ansteigens  (infolge  geistiger  Überan¬ 
strengung,  Kummer  oder  Voreingenommenheit)  eine  Wiederholung  der  Sitzun¬ 
gen  erforderlich  geworden. 

Bekanntlich  sind  die  Urteile  über  den  blutdruckerniedrigenden  Effekt 
der  d’Arsonvalisation  noch  keineswegs  abgeschlossen.  Wenn  manche  über¬ 
haupt  daran  zweifeln,  so  werden  sie  an  eine  so  lange  Nachwirkung  erst 
recht  nicht  'glauben  [wollen.  Nach  meiner  Meinung  müßte  man  sich  erst 
klar  sein,  was  eigentlich  unter  Blutdruck  zu  verstehen  ist,  ehe  man  auf 
diesem  Begriff  diagnostische  und  therapeutische  Schlüsse  aufbaut. 

Buttersack  (Berlin). 

Ultraviolette  Strahlen  heilen  Mäusekarzinome. 

(Mlle.  Cerno vodeanu  u.  Negre.  Soc.  de  Biol.,  6.  Februar  1909.  —  Bull,  med., 

•Nr.  13,  S.  152,  1909.) 

Fräulein  Cerno  vodeanu  und  Herr  Negre  bestrahlten  höhnen-,  arbsen-, 
nußgroße  Mäusekarzinome  mit  [einer  elektrischen  Lampe  von  110  Volt 
und  4  Amp.  =  1 500  Kerzen.  Die  Distanz  wählten  sie  zwischen  3  und  15  cm, 
die  Bestrahlungsdauer  zwischen  3  und  30  Minuten. 

Die  Tiere,  welche  15 — 20  Minuten  aus  3  cm  bestrahlt  worden  waren, 
starben  sämtlich,  manche  schon  nach  einer  Viertelstunde.  Bei  den  anderen 
aber  wurden  die  Tumoren  welk  und  fielen  nach  2 — 4  Tagen  ab,  unter  Hinter¬ 
lassung  eines  schwärzlichen  Schorfs,  ohne  jede  Entzündungserscheinung ;  die 
Vernarbung  vollzog  sich  dann  binnen  2 — 3  Wochen. 

Zur  Beseitigung  kleiner  Karzinome  genügte  schon  eine  Bestrahlung 
von  15  Minuten,  größere  erforderten  zwei  oder  drei  Sitzungen. 

Vielleicht  läßt  sich  dieses  Prinzip  auch  in  der  menschlichen  Pathologie 
verwerten.  Buttersack  (Berlin). 


Die  physiologisch  dosierte  Mineralwasserkur  als  Uebungstherapie  des 

Darms  bei  habitueller  Stuhlträgheit. 

(M.  Rheinboldt,  Kissingen.  Zeitschr.  fürphys.  u.  diät.  Ther.,  Bd.  13,  H.  3,  Juni  1909.) 

Beherzigenswerte  Ausführungen  über  die  Behandlung  der  leidigen  Ob¬ 
stipation  bringt  Rheinboldt.  Er  will  die  Mineralwässer  und  Kissinger, 
Karlsbader,  Marienbader  Kuren  nicht  als .  Darmentleerungskuren  mit  irgend 
einem  laxierenden  Mineralsatz  betrachtet  wissep,  sondern  als  Erziehungs¬ 
kuren  für  die  Darminnervation.  Zu  dem  Zwecke  muß  man  allerdings  zu¬ 
nächst  einmal  erforschen,  welches  Quantum  die  Defäkation  auslöst,  man 
muß  deren  Schwellenwert  ausfindig  machen.  Hat  man  diesen  gefunden,  dann 
handelt  es  sich  darum,  den  Darm  regelmäßig  darauf  einzuüben,  um  schlie߬ 
lich  —  und  das  ist  der  wichtigste  Teil  der  ganzen  Kur  —  mit  dem  abführenden 
Reizmittel  allmählich  auszuschleichen  und  den  Gang  der  Dinge  dem  nun 
wieder  richtig  eingestellten,  rhythmisch  wirkenden  Reflexmechanismus'  zu  über¬ 
lassen.  Mit  anderen  Worten :  Man  legt  die  Peitsche  weg,  wenn  die  Dressur 
vollendet  ist.  Buttersack  (Berlin). 

85* 


1348 


Referate  und  Besprechungen. 


Massage  bei  Dermatosen  des  Gesichts. 

(R.  Leroy.  Gaz.  med.  de  Paris,  Nr.  31,  1.  März,  1909.) 

Auf  Grund  seiner  persönlichen  Erfahrungen  und  Beobachtungen  bei 
Lucien  Jacquet  erklärt  Leroy  die  Gesichtsmassage  für  das  beste  Mittel 
bei  allen  ästhetisch  so  'fatalen  Erkrankungen  der  Gesichtshaut,  wie  Rot¬ 
werden  nach  dem  Essen  oder  aus  psychischen  Gründen,  Kuperose,  Akne, 
Melanodermie,  Chloasma,  seborrhoischem  Ekzem,  übermäßiger  Eettansamm- 
lung!  usw.  ‘  ;  I  I 

Nach  jeder  richtig,  d.  h.  kräftig  ausgeführten  Massage  stellten  sich 
zunächst  Kongestionen  mit  Hitzegefühl,  Prickeln  ein;  die  Haut  wurde  blut¬ 
reicher,  und  deshalb  treten  Papeln,  Knötchen  u.  dergl.  deutlicher  hervor. 
Dieser  Zustand  dauert  aber  nicht  lange:  nach  1J4l — %  Stunde  ist  das  alles 
zurückgegangen  und  hat  angenehmere  Empfindungen  (une  Sorte  de  bien- 
etre  facial)  Platz  gemacht. 

Der  Erfolg  zeigt  sich  schon  nach  vierwöchiger  Behandlung.  Er  scheint 
auf  besserer  Durchblutung  und  Kräftigung  der  elastisch-tonischen  Eigen¬ 
schaften  des  Integumentes  zu  beruhen. 

Ich  glaube,  daß  die  kosmetische  Medizin  das  Verfahren,  das  ja  keine 
komplizierten  Apparate,  sondern  nur  eine  geschickte  Hand  erfordert,  gern  ver¬ 
suchen  wird.  Buttersack  (Berlin). 


Medikamentöse  Therapie. 

Therapeutische  Erfahrungen  mit  Phosiron. 

(Ganz.  Deutsche  Ärzte-Ztg.,  Nr.  11,  1909.) 

Ein  durch  Kombination  von  Eisen  mit  Phosphor  entstandenes  Präparat 
ist  das  durch  Synthese  von  dem  chemischen  Laboratorium  Dr.  Carl  Sorger 
in  Frankfurt  a.  M.  dargestellte  Phosiron,  das  aus  dem  neutralen  Eisensalz 
der  komplexen  Phosphorweinsäure  besteht  und  19%  Eisen  und  6,5%  Phosphor 
enthält.  In  dieser  allen  Vorbedingungen  entsprechenden  chemischen  Verbin¬ 
dung  besitzen  wir  ein  Präparat  von  hohem  pharmakodynamischen  Werte; 
das  Phosiron  greift  den  Magen  nicht  an,  durchwandert  denselben  unverändert, 
wird  erst  im  Darm  gelöst  und  geht  in  den  Organismus  über. 

Die  Wirkung  des  Phosiron  zeigt  sich  bereits  nach  kurzer.  Zeit  durch 
rasche  Vermehrung  des  Hämoglobingehaltes,  Zunahme  der  Erythrozyten, 
Hebung  des  Appetites  und  des  Tonus  des  Nervensystems  und  Gewichtszu¬ 
nahme. 

Das  Phosiron  kommt  in  1  g-Tabletten  mit  Schokolade-  oder  Vanillezucker 
in  den  Handel,  ist  in  reinem  Zustande  geschmack-  und  geruchlos  und  wird 
auch  vom  verwöhntesten  und  schwächsten  Magen  gut  vertragen.  Die  tägliche 
Dosis  sind  2  Tabletten  entsprechend  einem  Eisengehalte  von  0,1  g  Eisen. 
Kinder  bekommen  die  Hälfte.  Neumann. 


Die  lokale  Chininbehandlung  der  Tuberkuloseherde. 

(Dr.  Orhan  Bey,  Siambul.  Deutsche  med.  Wocbenschr.,  Nr.  19,  1909.) 

Jedes  der  vielen  Medikamente,  die  bei  der  chirurgischen  Tuberkulose¬ 
behandlung  empfohlen  sind,  leistet  sicherlich  bei  richtiger  Anwendung  gute 
Dienste.  Orhan  Bey  bevorzugt  das  Chinin  und  wendet  es  bei  Lupus  mit 
tuberkulösen  Hautulzeris  in  der  Weise  an,  daß  er  nach  gründlicher  Aus¬ 
schabung  das  Geschwür  und  seine  Ränder  mit  einer  dicken  Chininpulver¬ 
schicht  bedeckt.  In  tuberkulöse  Lymphherde  injiziert  er  eine  2%ige  Chinin¬ 
lösung  oder  tamponiert  nach  gründlicher  Auswaschung  mit  dieser  Lösung 
die  erweichten  Lymphherde.  Handelt  es  sich  um  frische  Schwellungen  oder 
derbe  Verkäsungen,  so  ist  Jodoformglyzerin  angebrachter.  Spondylitische 
Abszesse  spaltet  er  und  wäscht  sie  gut  mit  der  2%igen  Lösung  aus,  wovon 
er  einen  Teil  darin  läßt ;  ähnlich  verf  ährt  er  bei  Rippenkaries.  Auch  in 
tuberkulöse  Eistein  injiziert  er  die  Lösung,  wobei  ziemlich  starker  Druck 


Referate  und  Besprechungen. 


1349 


nötig  ist.  Bei  der  Gelenktuberkulose  hat  er  noch  keine  große  Erfahrung, 
er  empfiehlt  nach  der  Resektion  die  Ausspülung  mit  der  Lösung.  Die 
Wirkung  des  Chinins  ist  keine  spezifische,  sie  zerstört  nur  die  kranken  Granu¬ 
lationen  und  regt  die  gesunden  ,an.  Vor  falscher  Anwendung  muß  man 
sich  aber  hüten,  da  es  dann  die  gesunden  Zellen  zerstört  und  Nekrosen 
verursacht.  F.  Walther. 


Aus  der  I.  med.  Klinik  in  München. 

Versuche  mit  einem  neuen  Eiweißeisenpräparat  Ferralbol. 

(Levy.  Münch,  med.  Wochenschr.,  Nr.  19,  1909.) 

Das  Ferralbol  stellt  eine  feste  Bindung  von  Hühnereiweiß  und  Eisen 
dar  und  enthält  außerdem  die  wertvollen  organischen  Phosphorverbindungein, 
des  Eigelbs  —  das  Lezithin.  Es  hat  einen  Eisengehalt  von  3%;  einen  Lezithin¬ 
gehalt  von  1%.  Das  Mittel  kommt  in  Tablettenform  in  den  Handel,  die 
dreimal  täglich  in  Milch  oder  Suppe  verrührt,  genommen  werden. 

Der  Appetit  wurde  nach  dem  Mittel  gehoben,  die  Stuhlentleerungen 
in  keiner  Weise  ungünstig  beeinflußt.  Das  Körpergewicht  stieg  in  allen 
beobachteten  Fällen,  auch  dann,  wenn  der  Hämoglobingehalt  keine  wesentliche 
Erhöhung  zeigte.  Neumann. 


Aus  dem  Landkrankenhaus  in  Fulda. 

Hydrargyrum  oxycyanatum  als  internes  Antisyphiliticum. 

(Dr.  Schulte.  Deutsche  med.  Wochenschr.,  Nr.  18,  1908.) 

Zur  internen  Quecksilberkur  benutzt  Schulte  folgendes  Rezept: 

Hydrargyr.  oxycyanat  0,5, 

Pulv.  at.  succ.  Liquir.  q.  s.  ut.  f.  pilul.  Nr.  100. 

D.  S.  3  mal  tägl.  2  Pillen  auf  vollem  Magen  zu  nehmen. 

Das  Mittel  wird  sehr  gut  vertragen  und  verursacht  keine  Appetit-  und 
Verdauungsstörungen,  reizt  auch  die  Nieren  nicht.  Das  Vorkommen  des 
Hydrargyrum  im  Urin,  das  als  sicherer  Resorptionsnachweis  gilt,  konnte 
Schulte  nicht  feststellen;  dagegen  konnte  er  klinisch  Auftreten  von  Stoma¬ 
titis  bei  mangelhafter  Mundpflege  sowie  prompte  Reaktion  auf  luetische 
Prozesse,  speziell  iritis  luetica  beobachten.  F.  Walther. 


Zur  Kenntnis  der  bakteriziden  Eigenschaften  der  Pyozyanase. 

(H.  Raubitschek  u.  Viktor  K.  Russ.  Zentralbl.  für  Bakt.,  Bd.  48,  H.  1.) 

Da  der  wirksame  Körper  nach  den  Versuchen  der  Verfasser  unabhängig 
ist  von  Temperatur  und  Reaktion  und  seine  bakterizide  Kraft  entfaltet, 
handelt  es  sich  bei  der  Wirkung  der  Pyocyanase  nicht  um  das  Vorhandensein 
eines  Fermentes.  Der  wirksame  Körper  ist  weder  durch  Alkohol  noch  durch 
Ammonsulfat  fällbar  und  besitzt  eine  so  hohe  Kokkostabilität,  wie  sie  bei 
Fermenten  nie  beobachtet  wurde.  Es  handelt  sich  vielmehr  um  einen  Körper, 
der  löslich  ist  in  Alkohol,  Äther,  Benzol,  Azeton,  Petroläther,  Benzin  und 
Chloroform,  der  eine  hohe  Thermostabilität  besitzt.  Man  weiß  jedoch  noch 
nicht,  ob  dieser  Körper  als  reines  Lipoid  oder  als  bakterizid  wirkende  Seife 
in  der  Pyocyanase  vorhanden  ist.  Schürmann  (Düsseldorf). 


Zur  Tablettenfrage. 

(Bachem.  Therap.  Rundschau,  Nr.  25,  1909.) 

Verf.  hat  sich  der  Aufgabe  unterzogen,  eine  große  Anzahl  fabrikmäßig 
hergestellter  Tabletten  auf  ihre  Zerfallbarkeit  im  Magensaft  zu  prüfen.  Seine 
Untersuchungen  hatten  folgendes  Resultat:  1.  Im  allgemeinen  besitzt  die 
Tablette  gegenüber  anderen  Arzneiformen  wesentliche  Vorteile  (bequeme  Dis¬ 
pensation,  leichte  Transportfähigkeit  usw.).  2.  Geschieht  die-  Kompression 


1350 


Referate  und  Besprechungen. 


mit  Zuhilfenahme  geeigneter  Bindemittel,  so  ist  die  Zerfallbarkeit  im  Organis¬ 
mus  eine  hinlänglich  genügende.  3.  Alte  Tabletten  bieten  nicht  die  Gewähr 
für  prompte  Zerfallbarkeit;  letztere  sollte  in  zweifelhaften  Bällen  stets  vom 
Arzte  geprüft  werden.  Neumann. 


Zur  Methode  der  subkutanen  Arsentherapie. 

(Herzfeld.  Ther.  der  Gegenw.,  April  1909.) 

Den  früheren  Methoden  der  hypodermatischen  Anwendung  des  Arsens, 
den  Einspritzungen  mit  Liq.  Fowleri  oder  Pearsons  Solution  haftete  der 
große  Fehler  an,  daß  diese  Lösungen  sich  leicht  zersetzten,  nach  der  Ein¬ 
spritzung  heftige  Schmerzen  verursachten  und  oft  schmerzhafte  Infiltrationen, 
Abszesse  und  selbst  Gangräne  im  Gefolge  hatten.  Diese  unangenehmen  Neben¬ 
wirkungen  zu  beseitigen,  führte  v.  Z befassen  (D.  A.  f.  kl.  Med.,  Bd.  56, 
S.  124)  eine  l°/0ige  Natrih-arsenicosilösung  in  die  subkutane  Arsentherapie 
ein  und  behauptete,  daß  diese  Lösung  ,, keine  oder  nur  sehr  geringe  Reiz¬ 
wirkung  äußere“.  Herzfeld  beobachtete  dagegen  auch  nach  dieser  Ein¬ 
spritzung  starke  Schmerzhaftigkeit  und  modifizierte  die  Ziemsstem’sche 
Lösung  nun  derart,  daß  er  1  g  arsenige  Säure  (glasige  Form)  mit  2,25  ccm 
Normalnatronlauge  in  100  ccm  destilliertem  Wasser  so  lange  kochte,  bis  eine 
klare  Lösung  resultierte,  was  nach  ungefähr  V2  Stunde  erfolgt.  Dem  Filtrate 
wird  bis  auf  100  g  genügend  steriles-destilliertes  Wasser  zugesetzt,  also 
eine  l%ige  Lösung  des  arsenigsauren  Natriums  dargestellt,.  Die  Lösung 
reagiert  leicht  alkalisch  und  wird  in  kleinen  sterilen  Ampullen  aufbewahrt. 
Diese  letztere  Maßnahme  ist  wichtig,  da  alle,  selbst  leicht  alkalische  Lösungen, 
das  gewöhnliche  Glas  leicht  angreifen,  was  zur  Folge  hat,  daß  solche  Lösungen 
nach  einiger  Zeit  trübe  werden.  Für  den  häufigen  Gebrauch  eignet  sich  ein 
15  ccm  haltendes  steriles  Glaskölbchen  mit  Wattepfropfen  versehen.  Der 
Alkaligehalt  1.  der  Fowl ersehen,  2.  der  Ziemssen’schen  und  3.  der  von 
H.  modifizierten  Lösung  war  wie  folgt:  5  g  der  Lösungen  erforderten  zur 
Neutralisation  ad  1.  1,2  ccm,  ad  2.  0,48  ccm1.,  ad  3.  0,23  c'cm  einer  Notrmal- 
schwefelsäurelösung,  als  Indikator  diente  Lackmus. 

Die  Einspritzungen  mit  dieser  Lösung  müssen  streng  aseptisch  ge¬ 
schehen,  am  besten  legt  man  nachher  einen  Alkohol -Verband  an.  H.  beginnt 
mit  einer  Einspritzung  von  0,25  ccm  und  steigt  in  kurzer  Zeit  bis  auf  1  ccm 
täglich  (0,01  g  arsenigsaures  Natrium). ;  nur  in  einem  schweren  Falle  von 
perniziöser  Anämie  w!ar  er  bis  zur  Maximaldosis  zwei  Spritzen  (0,02  g 
arsenigsaures  Natrium)  gestiegen.  Die  Einspritzungen  macht  man  am  besten 
am  Oberarm  oder  am  Rücken  zwischen  den  Schultern.  Neumann. 


Ein  Beitrag  zur  Therapie  des  Ulcus  molle. 

(Pollak.  Prager  med.  Wochenschr.,  Nr.  13,  1909.) 

Auf  der  Hautabteilung  der  Universitäts-Poliklinik  in  Prag  unter  Lei¬ 
tung  von  Prof.  Dr.  Rudolf  Wgnternitz  hat  Verf.  eine  Reihe  von  Ulcera 
mollia  mit  „Sozojodok ‘-Natrium  pur,  grob  gepulvert,  wie  Gouladze  zuerst 
vorschlug,  im  ganzen  neun  Fälle  unter  genauester  Beobachtung  behandelt. 
Er  kam  dabei  zu  dem  Resultat,  daß  das  ,,Sozojodol “-Natrium 

1.  prompt  ein  Weiterschreiten  der  Ulzera  verhindert, 

2.  die  Geschwüre  in  1 — 3  Tagen  reinigt, 

3.  sie  in  5 — 15  Tagen  heilt. 

Die  Applikation  geschah  in  der  Weise,  daß  das  Präparat  unter  die  sinuösen 
Ränder  des  Geschwüres  eingerieben  wurde  und  diese  selbst,  wenn  der  Prozeß 
sehr  weitgehende  Unterminierungen  vorgenommen  hatte,  der  Wirkung  des 
„Sozojodor ‘-Natrium  durch  einen  Scheerenschlag  zugängig  .gemacht  wurden. 
Zur  Fixation  des  ,,Sozojodol“-Natrium  genügt  meistens  ein  Wattebausch; 
bei  Lokalisation  auf  der  äußeren  Seite  wird  ein  Pflasterstreifen  notwendig, 
während  sich  Geschwüre  in  der  Urethra,  an  der  Spitze  der  Glans  oder  am 
Übergang  des-  äußeren  Präputiums  in  das  innere  für  eine  Streupulver-Behänd- 


Referate  und  Besprechungen. 


1351 


lung  überhaupt  nicht  eignen,  da  sich  leider  an  diesen  Stellen  kein  gut  haf¬ 
tender  Verband  anbringen  läßt. 

Auf  einen  Umstand  der  ,, So zojodor ‘-Behandlung  macht  Verf.  u.  a.  auf¬ 
merksam.  Während  bei  kleineren  Geschwüren  bis  Linsengröße  das  aufge¬ 
streute  ,, So  zojodoL ‘-Natrium  nur  leichtes  Brennen  verursacht,  kann  die  Inten¬ 
sität  der  Schmerzen  mit  der  Größe  des  Geschwüres  wachsen.  Statt  die 
Wirkung  des  ,,Sozojodol“-Natrium  in  diesem  Falle  durch  Verdünnung  abzu¬ 
schwächen,  soll  man  lieber  den  Geschwürsgrund  durch  Auf  tropfen  einer 
10%igen  Kokainlösung  oder  durch  Auflage  eines  in  diese  Lösung  getauchten 
Wattetampons  anästhesieren.  Nach  3 — 4  Minuten  ist  vollständige  Anästhesie 
'eingetreten.  Das  Aufstreuen  des  Mittels  erfolgt  dann  vollständig  schmerzlos. 

Besondere  Vorzüge  des  „Sozojodol  “-Natrium  sind  in  der  schnellen  Reini¬ 
gung  des  Geschwürsgrundes  zu  suchen,  ohne  daß  ein  besonderes  Ätzmittel 
der  Anwendung  vorausging,  sowie  in  dem  Umstande,  daß  es  die  gesunde  Um¬ 
gebung  nicht  reizt  (wie  z.  B.  bei  der  Salizylsäure  usw.).  Neumann. 


Allgemeines. 

Aus  der  amerikanischen  medizinischen  periodischen  Literatur. 

(Juni  1909.) 

The  americain  journal  of  the  medical  Sciences. 

1.  Kurzdauernde  typhoide  Fieber.  Von  Dr.  Warren  Coleman, 
Prof,  der  klin.  Med.,  New- York.  Jedes  Jahr,  zur  Typhuszeit,  kommen  in 
das  Bellevue -Hospital  zu  New-York  Leute  mit  einer  leicht  fieberhaften  Krank¬ 
heit  ohne  deutliche  Ursache  von  ein-  bis  zweiwöchentlicher  Dauer,  die  C. 
in  den  ersten  Jahren  stets  für  einfache  Febrikula  oder  einfaches  kontinuier¬ 
liches  Fieber  hielt.  Auf  Grund  bakteriologischer  Untersuchungen  und  seit¬ 
dem  man  den  Paratyphus  vom  Typhus  unterscheidet,  ist  er  jedoch  zu  der 
Ansicht  gekommen,  daß  in  Wirklichkeit  viele  dieser  Fälle  typhöser  Natur 
waren  und  hat  seitdem  alle  leichten  Fieber,  die  ins  B. -Hospital  kamen,  ent¬ 
weder  als  Typhus  oder  als  eine  andere  leicht  erkennbare  Krankheit  (Bron¬ 
chitis  usw.)  differenzieren  können.  Zweifelhafte  Fälle  sollten  daher  bis  zur 
Sicherstellung  der  Diagnose  immer  als  Typhus  betrachtet  werden. 

2.  Herzfehler  in  Infektionskrankheiten;  ihre  Verhütung  und 
erfolgreiche  Behandlung.  Von  Dr.  Parker  Worster,  New-York.  Am 
Bette  jedes  Infektionskranken  steht  die  Gefahr,  daß  er  herzkrank  wird  infolge 
Entkräftung  des  Llerzens  durch  Erschlaffung  der  vasomotorischen  Nervenzen tra, 
die  die  Elastizität  und  den  normalen  Tonus  der  Kapillargefäße  herabsetzt. 
Das  souveräne  Mittel  sowohl  zur  Verhütung  wie  zur  erfolgreichen  Behandlung 
ist  eine  richtig  angewandte  Hydrotherapie,  d.  i.  der  Kältereiz.  W.  wendet 
dazu  die  von  ihm  mehrfach  beschriebene  „allgemeine  Abwaschung“  (General¬ 
ablution)  an. 

3.  Die  Symptome  des  aneurysma  thoracicum  descendens.  Von 
Dr.  A.  W.  Hewlett,  Prof,  der  inneren  Med.  an  der  Michigan-Universität, 
Ann.-Arbor,  und  Dr.  R.  P.  Clack,  Lehrer  der  Med.  am  Cooper  med.  College, 
S.  Franzisko.  Mitteilung  von  6  Fällen  (mit  Skiagrammen),  aus  denen  die 
Verf.  den  Schluß  ziehen,  daß  sie  sich  in  2  Gruppen  teilen  lassen.  Die 
ersten  5  Fälle  stellen  eine  Gruppe  dar,  in  denen  das  Hauptsymptom  Schmerz 
war,  in  der  zweiten  fehlte  überhaupt  jedes  Symptom,  so  daß  man  ex  post 
erstaunt  ist  über  die  Größe  eines  Aneurysmas,  das  der  Entdeckung  durch 
die  gewöhnlichen  physikalischen  Untersuchungsmethoden  entgangen  ist.  Trotz 
der  Schwierigkeiten  bei  der  Deutung  der  X-Strahlen-Befunde  stehen  daher  diese 
höher  als  die  erwähnten  Methoden.  Hat  man  es  mit  Symptomen  zu  tun,  die 
sich  durch  persistierenden  Schmerz,  lange  Dauer,  Intensität,  Unerklärlichkeit, 
Resistenz  gegen  die  gewöhnliche  Medikation,  fixierte  Lokation  und  Vermin¬ 
derung  bei  gewissen  Lagen  des  Kranken  charakterisieren,  dann'  soll  man  die 
Diagnose  eines  Aneurysma  als  wahrscheinlich  in  Erwägung  ziehen,  und  wenn 
noch  kein  Tumor  wahrnehmbar  ist,  zu  den  N-Strahlen  greifen.“  (Huchard.) 


1352 


Referate  und  Besprechungen. 


4.  Die  Rückf  alltheorie  (reversion  theory)  und  die  Klassifi¬ 
kation  des  Kropfes.  Von  Dr.  Carpenter  Mac  Carty,  chirurg.  Patholog 
am  St.  Mary’s  Hosp.,  Rochester,  Minn.  Die  epithelialen  Drüsen,  wie  Brust-, 
Speicheldrüsen,  Pankreas,  Leber  sind  embryologisch  eine  Einstülpung  entweder 
des  Ento-  oder  des  Ektoderms,  ihre  anatomische  und  histologische  Einheit  be¬ 
steht  darin,  daß  sie  alle,  mit  Ausnahme  der  Leber,  ein  mit  Epithel  besetzter 
Alveolus  sind,  dessen  Epithel  hypertrophiert  und  in  den  Alveolus  sezerniert. 
Diese  Sekretion  ist  entweder  nutritiver,  exkretorischer  oder  protektiver  Natur 
und  wird  entweder  durch  die  Sinne  vermittels  Nervenleitung  oder  chemisch 
durch  eine  in  die  Zirkulation  gebrachte  Substanz  oder  durch  beides  angeregt, 
stimuliert.  Die  entweder  direkt  oder  durch  einen  Duktus  in  den  Nahrungs¬ 
schlauch  mündenden  epithelialen  Drüsen  (Speicheldrüsen,  Pankreas  usw.)  produ¬ 
zieren  diluierende,  fermentative  oder  andere  Substanzen.  Die  epitheliale  Drüse 
Thyroidea  öffnet  sich  jetzt  nicht  mehr  in  den  Nahrungsschlauch,  hat  dies 
aber  nach  gewissen  chirurgischen  Befunden  zu  schließen  in  irgend  einer  Zeit 
der  Entwickelung  des  Menschengeschlechts  getan  und  kann  heute  einen  Rück¬ 
fall  (Reversion)  in  ihre  frühere  in-  und  extensivere  Tätigkeit  erleiden,  dessen 
Folgen  Hypertrophie  und  Sekretion  sind.  Derartige  Rückfallsbeispiele  finden 
sich  bei  Pflanzen,  Tieren  und  Menschen,  und  der  Kropf  ist  ein  solches,  d.  h. 
Hyperthyreoidismus  ist  eine  Toxämie,  das  Resultat  der  Resorption  der  Pro¬ 
dukte  einer  hyperaktiven  Thyreoidea.  Der  diese  Hyperaktivität  veranlassende 
Stimulus  ist  wahrscheinlich  derselbe,  der  für  den  primigenen  Menschen  der 
normale  war.  Die  verschiedenen  Typen  des  Kropfes  sind  also  wahrscheinlich 
nur  Stadien  desselben  generellen  Prozesses.  Hieraus  ergibt  sich  die  neue 
Klassifikation  im  zystischen,  hypertrophischen  Kropf  usw. 

5.  Natur,  Diagnose  und  Behandlung  der  metabolischen  Osteo- 
Arthritis,  der  sog.  rheumatischen  Arthritis,  Arthritis  deformans 
usw.  Von  Dr.  P.  William  Nathan,  New-York.  Metabolische  Osteo-Arthritis 
ist  ein  besonderer,  klinisch  leicht  erkennbarer  pathologischer  Zustand  der 
Gelenke,  der  sekundär  in  Verbindung  mit  verschiedenen  anderen  klinischen 
Zuständen  vorkommt,  von  welchen  letzteren  einzelne  spezifischer  Natur  sind, 
und  zwar  infolge  deletären  Einflusses  des  primären  Zustandes  auf  die  allge¬ 
meine  Ernährung.  Symmetrisch  auftretend  führt  sie  allmählich,  wie  mehrfache 
Abbildungen  zeigen,  zu  mehr  oder  weniger  Deformation  und  Verkrüppelung. 
Die  X-Strahlen  zeigen  in  frühen  Stadien  eine  zirkumskripte  Knochenrarefikation 
und  mehr  oder  weniger  vollkommene  Absorption  der  Epiphysen  in  den  spä¬ 
teren  Stadien,  aber  nie  Proliferation  oder  knöcherne  Ankylose.  Pathologisch 
handelt  es  sich  um  eine  im  Knochen  beginnende  reine  atrophische  Degene¬ 
ration  des  gesamten  Gelenkgefüges.  Die  Krankheit  entspricht  der  Arthritis 
nodosa  Schuchardt’s,  der  Arthritis  deformans  Baumler’s  und  der  Arthri¬ 
tis  atrophica  Goldthwait’s.  Bei  der  Aussichtslosigkeit  aller  Medikation, 
soweit  es  sich  dabei  um  den  Zustand  der  Gelenke  handelt,  hat  nach] 
den  Tierversuchen  von  Basch  (Jahrbuch  für  Kinderheilkunde,  Band  XIV) 
über  den  Einfluß  der  Thymus  auf  die  Entwicklung  der  Knochen,  N.  diese 
in  Form  von  Tabletten  versucht,  nicht  als  Spezifikum  für  die  Gelenke,  som 
dern  als  Stimulans  für  den  allgemeinen  Nutritionsprozeß,  und  damit  sowohl 
bei  Kindern  als  auch  bei  Erwachsenen  Erfolge  erzielt.  Näheres  hierüber 
siehe  im  Original. 

6.  Primäre  Splenomegalie  vom  Typus  Gancher.  Von  Dr.  N.  E. 
Brill,  Arzt  am  Mount  Sinai  Hosp.,  Dr.  F.  S.  Mandel  bäum,  Patholog,  und 
Dr.  E.  Libman,  assistierender  Patholog  ebenda,  New-York.  Ein  Rapport 
über  den  zweiten  von  vier  Fällen  in  einer  einzigen  Familiengeneration.  Der 
pathologische  Befund  über  den  ersten  dieser  Fälle  ist  im!  Americ.  journal  of  the 
med.  scienc.  vom  März  1905  veröffentlicht,  hier,  in  dem  zweiten,  handelte  es 
sich  um  die  Schwester  des  ersten,  gestorbenen  Kranken,  die  klinische  Ge¬ 
schichte  beider  steht  in  dem  erwähnten  Journal  vom  April  1901  und  März 
1905.  Seit  dem  ersten  von  Br.,  M.  und  L.  1905  veröffentlichten  Fall  demon¬ 
strierte  Sch lagerhauf er  (Virchow’s  Archiv  1907,  CLXXXVII,  125)  im  Sept. 
1906  vor  der  deutsch-patholog.  Gesellschaft  einen  dritten,  und  March  and 


Referate  und  Besprechungen. 


1353 


(Münch,  med.  Woch.  1907,  Seite  1102)  einen  vierten.  Splenomegalie  vom  Typus 
Gaucher  ist  eine  besondere,  im  frühen  Lebensalter  beginnende,  chronische 
Krankheit  oft  mehrerer  Glieder  einer  Familie  mit  Vergrößerung  der  Milz, 
die  einer  Leber  Vergrößerung  vorauf  geht,  ohne  Aszites  und  Ikterus,  mit  Ver¬ 
färbung  besonders  der  dem  Licht-  ausgesetzten  Haut,  ohne  charakteristischen 
Blutbefund.  Sie  ist  meist  maligne  und  endet  gewöhnlich  durch  eine  inter¬ 
kurrente  Krankheit.  Beteiligt  sind  Milz,  Leber,  Lymphdrüsen  und  Knochen¬ 
mark  (große  Zellen  mit  kleinem  Kern  und  hyalinem  Zytoplasma).  Die  Aetiologie 
ist  unbekannt.  Tuberkulose  ist  es  nicht. 

7.  Primäres  Lungenkar zitnom.  Von  Dr.  A.  L.  Garbat,  Interner  Arzt 
am  deutschen  Hospital,  New- York.  Primäre  Lungenkarzinome  sind  nicht 
so  selten,  wie  man  annimmt,  und  nicht  so  oft  diagnostiziert,  wie  sie  es  sein 
sollten.  In  dem  Pall,  um  den  es  sich  hier  handelt,  schien  es  sich  zuerst  um 
tuberkulöse  Pleuritis  zu  handeln,  so  daß  man  150  ccm  einer  leicht  blutigen, 
jedoch  sterilen  Flüssigkeit  aus  dem  Pleuraraum  entleerte.  Dann  fand  man 
(mit  der  Nadel)  Eiter,  und  die  Diagnose  mußte  auf  Lungenabszeß  oder,  weniger 
wahrscheinlich,  auf  ein  abgekapseltes  Empyem  gestellt  werden.  Es  wurde 
die  9.  Rippe  reseziert,  und  in  die  Eiterhöhle  mit  dem  Paquelin  eingegangen. 
Das  Fieber  schwand,  Nachtschweiße,  Husten  und  Auswurf  aber  bestanden 
fort,  ohne  daß  dieser  Tuberkelbazillen  enthielt.  Ein  im  rechten  Hypochon- 
drium  aufgetretener  Schmerz  (ohne  physikalischen  Befund)  wurde  immer  hef¬ 
tiger,  die  Temperatur  stieg  auf  105u  F  und  wurde  septisch,  Fluktuation  war 
fraglich,  Diagnose:  Empyem  der  Gallenblase.  Durch  Cholezystotomie  wurden 
Eiter,  Galle  und  2  Gallensteine  entfernt,  der  Kranke  erholte  sich  und  ver¬ 
ließ  das  Hospital,  um  sich  als  Außenpatient  seine  nur  langsam  heilenden 
Wunden  weiter  verbinden  zu  lassen.  Die  Atmung  blieb  beschleunigt,  die  Tem¬ 
peratur  ungefähr  100°.  Bei  seiner  Wiederaufnahme  fand  sich  über  der  rechten 
Skapula  eine  kugelige  fluktuierende  Masse,  die  sich  bei  der  Exzision  nunmehr 
als  Karzinom  erwies.  Der  Tod  erfolgte  durch  Herzschwäche.  Die  Diagnose 
war  also  durch  2  Komplikationen :  Lungenabszeß  und  Gallenblasenempyem 
erheblich  erschwert. 

8.  Nachweis  der  Beta-Oxy buttersäure  im  Harn.  Von  Dr.  T. 
Stuart,  Lehrer  der  Physikal-Diagnostik,  Columbia-Univers.,  New- York.  Dieser 
Nachweis  ist  besonders  beim  Diabetes  mellitus  nicht  nur  diagnostisch,  sondern 
auch  therapeutisch  wichtig.  An  Methoden  dazu  fehlt  es  nicht,  diese  sind 
aber  zum.  Teil  zu  kompliziert,  zum  Teil  mangelhaft  oder  unsicher,  und  selbst 
wenn  der  fermentierte  Harn  die  Polarisationsebene  nach  links  dreht,  braucht 
der  Grund  dieser  Drehung  nicht  immer,  wie  angegeben,  Beta-Oxybuttersäure 
zu  sein,  es  kann  auch  Kreatinin  und  unter  Umständen  auch  Blei  sein,  wie 
Magnus-Levy  (Arch.  f.  exp.  Path.  u.  Ther.,  1899,  Bd.  13)  nachgewiesen  hat. 
Mit  Rücksicht  hierauf  empfiehlt  St.  eine  Methode,  die  äußerst  einfach  und 
von  jedem  Praktiker  ohne  Laboratorium  schnell  ausführbar  sein  soll.  Sie 
beruht  auf  folgenden  Prinzipien :  Entfernung  des  Azetons  und  der  Dia- 
zetiksäure  durch  Hitze,  Oxydation  der  Beta-Oxybuttersäure  zu  Azeton  durch 
Wasserstoffperoxyd  und  Nachweis  des  Azetons  in  dem  auf  diese  Weise  be¬ 
handelten  Harn  durch  Lange’»  Reagens  (Münch,  med.  Woch.  1906,  Bd.  IV, 
S.  1764). 

9.  Der  Effekt  gewisser  sog.  Milehver(änder er  (milk  modifiers) 
auf  die  kindliche  Magenver dauung.  Von  Dr.  T.  Wood  Clarke,  Mit¬ 
glied  des  Rockefeller-Instituts  für  med.  Forschung,  New-York.  Auf  Veran¬ 
lassung  von  Dr.  L.  Emmett  Holt  fand  zuerst  1907  in  dem  genannten  Insti¬ 
tut  eine  Untersuchung  über  die  ebenfalls  genannte  Frage  statt,  um  Klarheit 
über  gewisse  bisher  dunkle  Punkte  der  kindlichen  Verdauung  zu  schaffen, 
und  zwar  sowohl  im  gesunden  als  auch  im  kranken  Zustande.  CI.  setzt 
diese  Untersuchungen  fort  Und  gelangt  zu  folgenden  Schlüssen:  1.  Die  Motili¬ 
tät  des  kindlichens  Magens  variiert  im  umgekehrten  Verhältnis  zur  Konzen¬ 
tration  der  Nahrung.  Je  diluierter  diese,  um  so  häufigere  Fütterung  ist  an¬ 
gezeigt.  2.  Kalkwasser  reduziert  nicht  die  Azidität  des  Mageninhalts,  indem 
die  Neutralisation  eines  Teils  der  Säure  durch  eine  vermehrte  Säureabson- 


1354 


Bücherschau. 


deirung  auf  gewogen  wird.  3.  Natronzitrat  verwandelt  die  Magensäure  in 
Natronchlorid  und  reduziert  so  merklich  die  nützliche  Salzsäure.  4.  Gersten¬ 
wasser  scheint  keinen  konstanten  Einfluß  auf  den  Chemismus  der  kindlichen 
Magenverdauung  zu  haben.  5.  Kinder,  die  brechen,  kann  man  in  solche  teilen 
mit  Hypo-  und  solche,  mit  Hyperazidität.  6.  Durch  Probefütterung  ist  festzu¬ 
stellen,  zu  welcher  Gruppe  die  Kinder  gehören.  7.  Eine  5%ige  Milchzucker¬ 
lösung  scheint  am  geeignetsten,  feine  Unterschiede  in  der  Befriedigung  des 
Magens  festzustellen.  Hierauf  folgt  eine  Mischung  von  1  Teil  Milch  und 
2  Teilen  Wasser,  um!  festzustellen,  bis  zu  welchem  Grade  die  Magendrüsen, 
fähig  sind,  auf  Reize  zu  antworten.  Für  die  Laktoselösung  sind  30  Minuten 
die  geeignetste  Zeit,  die  Nahrung  im  Magen  zu  lassen,  für  die  Milchmischung 
60  Minuten.  8.  Theoretisch  würden  bei  niedrigem  Säuregehalt  entweder  Alka¬ 
lien  oder  Salzsäure,  bei  Hyperazidität  Natronzitrat  indiziert  sein.  9.  Protein¬ 
verdauung  im  kindlichen  Magen  ist  schwach  und  proportional  dem  Betrage 
der  Salzsäure  im  Magen. 

10.  Blutgeschwüre:  eine  Notiz  über  ihre  Behandlung.  Von 
Dr.  George  Thomas  Jackson,  Prof,  der  Dermatologie,  Columbia-Universität, 
New- York.  Die  Blutgeschwüre,  die  namentlich  häufig  im  Nacken  junger 
Leute  (Soldaten,  Ref.)  Vorkommen,  haben  außer  bei  Diabetes  nichts  mit  der 
Konstitution  zu  tun,  wie  man  früher  annahm,  sondern  sind  eine  Staphylo- 
kokken-Infektion.  Die  alte  Methode  ihrer  Behandlung  ist  Erweichung  und 
kreuzweise  Inzision,  letztere  schafft  jedoch  nur  neue  Infektion.  J.  nimmt 
ein  fein  zugespitztes  Stäbchen,  umwickelt  es  mit  in  95°/0ige  Karbolsäure- 
lösung  getauchter  Baumwolle  (absorbent  cotton)  und  sticht  es,  wenn  das  Ge¬ 
schwür  sich  zugespitzt  hat,  in  dieses,  indem  er  auf  diese  Wleise  gleichzeitig 
den  Eiter  entleert  und  die  Wundhöhle  desinfiziert.  Kein  Drücken  und  Quet¬ 
schen  !  Die  Umgebung  wird  mit  Wasserstoffperoxyd  oder  Sublimatlösung 
gewaschen  und  die  Wunde  mit  5-  oder  100/0iger  Salizylsäuresalbe  verbunden. 
In  der  Regel  ist  hiermit  die  Behandlung  beendet.  8  Beispiele  illustrieren  das 
Gesagte.  (Schluß  folgt.) 


Bücherschau. 


Kraft  und  Stoff  im  Haushalt  der  Natur.  Von  M  ax  Hübner.  Leipzig, 

Akademische  Verlagsgesellschaft,  1909.  181  S. 

Der  Berliner  Physiologe  bietet  hier  ein  Buch,  das  in  allem  den  großen 
Naturfoscher  zeigt,  in  der  Exaktheit  eigener  Forschung  auf  dem  Gebiete  des 
Stoffwechsels  und  der  Wärmebildung,  in  der  Heranziehung  vergleichend-physiologischer 
Betrachtungen,  in  der  Schärfe  des  logischen  Denkens  und  in  der  überzeugenden 
Kritik.  Es  hat  immer  einen  eigenartigen  Reiz,  zu  verfolgen,  welche  Vorstellungen 
ein  Gelehrter  von  der  Bedeutung  des  Verfassers  sich  von  dem  Lebenden  und  dem 
Leben  macht,  von  der  Entstehung  des  Lebendigen,  dem  Wachstum,  der 
Fortpflanzung  und  dem  Sterben.  Dieses  Werkchen  kann  nicht  wirksamer 
empfohlen  werden,  als  durch  ein  eingehendes,  möglichst  den  Wortlaut  wieder¬ 
gebendes  Referat,  das  den  Wunsch  in  dem  Leser  eiwecken  möchte,  RubneFs 
gedankentiefe,  grundlegende  Betrachtungen  selbst  zu  lesen. 

Lavoisier  hat  das  Gesetz  der  Erhaltung  der  Substanz  ausgesprochen, 
Rob.  Mayer  und  Helmlioltz  haben  bewiesen,  daß  auch  den  Kräften  in  allen 
ihren  Formen  die  Eigenschaft  quantitativer  Unzerstörbarkeit  zukommt;  Kraft  und 
Stoff  waren  somit  zu  einem  Grundbegriff  naturwissenschaftlichen  Denkens  vereint. 
Das  Gesetz  der  Umwandlungsfähigkeit  der  Kraftformen  in  einander  (der  Erhaltung 
der  Kraft)  mußte  durch  das  Experiment  am  Lebenden  auf  die  Richtigkeit  geprüft, 
und  durfte  nicht  einfach  als  Axiom  angenommen  werden.  Der  exakte  Beweis  für 
seine  Richtigkeit  war  geliefert,  wenn  sich  nachweisen  ließ,,  daß  die  Verbrennung 
und  Umsetzung  der  zur  Nahrung  dienenden  Stoffe  eine  gleiche  Wärmequantität 
erzeugt,  als  die  Tiere  abgaben  (Helmholtz).  Es  mußten  also  der  Energiewert  der 
Nahrung  und  die  Verluste  an  Energie  durch  die  verbrennlichen  Ausscheidungen 
(Harn  und  Kot)  bestimmt  werden.  Es  war  festzustellen,  ob  die  eingeführte  Nahrung 


Bücherschau. 


1355 


im  Organismus  abgebaut,  daß  weder  von  ihr  etwas  zurückbehalten,  noch  vom 
Körper  zur  Wärmebildung  etwas  beigesteuert  wird,  ob  außer  der  Nahrung  noch 
andere  Kraftquellen  für  uns  bestehen.  Schaltet  man  die  äußere  Arbeit  aus  (Ver¬ 
suche  in  völliger  Körperruhe),  so  bleiben  als  Energie  Verluste  die  latente 
Wärme  des  abgegebenen  Wasserdampfes  aus  Haut  und  Lunge,  die  Wärme¬ 
strahlung  und  die  Wärmeleitung. 

ßubner  ist  es  gewesen,  der  (1889)  nachwies,  daß  beim  warmblütigen  Tier 
99,5  %  der  Energie,  welche  in  der  Nahrung  dem  Körper  zugeführt  wird,  in  den 
Ausgaben  wiedergefunden  werden.  W as  auch  immer  die  Lebensfunktionen  sein 
mögen,  die  Energie  zeigt  in  ihrem  Verhalten  keine  Abweichung  von  den  Gesetzen 
der  Physik;  wir  erhalten  sie  quantitativ  wieder.  Dies  gilt  ebenso  für  andere  Orga¬ 
nismen,  für  Zitterfische,  bei  denen  als  Ausgabe  noch  die  Elektrizität  hiuzukommt, 
für  Kaltblüter,  aber  auch  für  Pflanzen  (Pfeffer).  Um  die  Entwickelungsgeschichte 
der  lebenden  Substanz  und  das  Wesen  des  Lebens  überhaupt  zu  verstehen,  müssen 
wir  die  Ernährungsreaktionen  aller  Lebewesen  und  ebenso  die  Aeußerungen  der 
Jugend  und  des  Alters  studieren. 

Die  Zufuhr  chemischer  Energie  ist  die  allgemeine  Form  des  Lebens;  zu  dessen 
Aeußerungen  gehören  der  Nahrungs  verbrauch  (organische  und  unorganische 
Stoffe),  die  Fortpflanzung  und  das  Wachstum.  Im  Leben  ist  gerade  die  Viel¬ 
fältigkeit  der  Umformung  aus  der  chemischen  Energie  in  andere  Energie  (in 
erneute  chemische  Energie,  Wärme,  Arbeit  —  Lokomotion,  äußere  Arbeit,  innere 
Bewegung  der  Teile  —  Elektrizität,  Energie  der  Lage  usw.)  besonders  auffällig. 
Einförmig  pflegt  nur  die  Form  der  nach  außen  hin  abgegebenen  Energie 
zu  sein,  indem  sie  nur  ausnahmsweise  über.  Wärmeenergie  und  Arbeit  hinaus¬ 
geht,  meist  sogar  nur  in  Form  von  Wärme  den  Körper  verläßt. 

Der  vulgäre  Begriff  der  Ernährung  zerfällt  1.  in  W  achstum  (Krescenz), 

2.  in  den  Wiede rersatz  zugrunde  gegangenen  Materials  (Rekonstruktion)  und 

3.  in  die  Zufuhr  bei  sonstigem  Gleichgewicht,  die  Ernährung  im  engsten  Sin n e, 
(Dissimilation,  d.  h.  in  Abbau  unter  qualitativer  Aenderung  der  Substanz, 
nicht  aber  die  Abstoßung  gleichartiger  Teile  wie  beim  Hunger).  Die  Dissimilation 
ist  also  der  unentbehrliche  Vorgang  jeglichen  aktiven  Lebens.  Jedes  bekannte 
lebende  Wesen  läßt  diese  Ernährung  in  irgend  einer  Form  erkennen.  Alle 
sonstigen  Kriterien  des  Belebten  sind  periodische  Vorkommnisse  (Wachstum,  Loko¬ 
motion  usw.).  Bis  ins  Reich  der  Einzelligen  (Bakterien,  Rubner)  hinab  ist  damit 
Wärmebildung  verbunden. 

Rubner  nimmt  als  kleinste  lebende  Einheiten  mit  allen  Eigenschaften 
der  biologischen  Leistung  spezifischer  Art  „Biogene“  genannte  Teile  an,  denen 
Wachstum  (Teilung  der  Zellmasse)  und  Ernährung  zuzuschreiben  sind  und  die  auch 
die  Vererbungsanlagen  (Idioplasma)  in  sich  tragen.  Wachstum  und  Fortpflanzung 
können  aber  in  gewissen  Stadien  erlöschen,  dann  bleiben  die  „Bionten“,  die  leben 
und  die  Eigenschaften  der  Dissimilation  zeigen  und  die  —  ohne  Nahrung  (mit 
ihrer  potentiellen  Energie)  belassen  —  in  kürzester  Zeit  zugrunde  gehen.  Ist  ein 
Biont  zugrunde  gegangen,  so  wird  er  gelöst  (Autolyse)  und  dient  dem  Ueber- 
lebenden  als  Nahrung.  Biont  und  zugehörige  Nahrung  sind  sozusagen  eine  un¬ 
trennbar  zu  denkende  Kombination;  denn  die  lebende  Substanz  sichert  sich  das 
Fortbestehen  nur  durch  die  Nahrung.  Sie  kann  künstlich  durch  Wärme  und  Kälte 
in  ihrer  Zerleglichkeit,  also  auch  in  ihrem  Nahrungsbedürfnis  variiert  werden. 
Neben  der  Dissimilation  findet  sich  ganz  allgemein  und  jederzeit  im  Leben  ein 
stetes  Zugrundegehen  eines  kleinen  Teils  lebender  Substanz,  der  durch  Rekon¬ 
struktion  ersetzt  werden  muß.  Die  eine  Grundreaktion  ist  also  der  fermentativ 
wirkende  Zustand  der  Bionten,  den  Nahrungsstoff  zu  spalten,  die  Ueber- 
tragung  der  Energie  auf  die  lebende  Substanz,  das  Verlieren  an  Energie  und  die 
Wiederkehr  fermentativer  Wirkung.  Die  andere  ist  die  dauernde  Unterhaltung 
dieses  Kreisprozesses  infolge  Energiezufuhr,  der  mit  Verlust  an  Energie 
durch  Arbeitsleistung  oder  Wärmebildung  endet. 

Der  von  Rubner  exakt  am  Tier  bewiesene  Satz:  Die  Gewichtsmenge  der 
Stoffe,  welche  imstande  sind,  die  gleiche  Arbeitsleistung  zu  erzielen,  entspricht 
genau  dem  gleichen  Energieinhalt  oder  —  da  letzterer  als  Wärme  gemessen  zu 
werden  pflegt  —  derselben  Wärmemenge,  ist  das  Gesetz  der  isodynamen  Ver¬ 
tretung  der  Nahrungsstoffe  und  die  Grundlage  unserer  modernen  Anschauung 
von  der  Ernährung.  Die  lebende  Substanz  (der  Biont)  hat  nur  einen  Bedarf  an 
Kräften,  nicht  an  einzelnen  Nahrungsstoffen;  nur  daß  bei  dem  Eiweiß  dem  ener¬ 
getischen  Prozeß  eine  materielle  Funktion  vorausgeht  (spezifische  Sekretionen, 
charakteristische  stoffliche  Umwandlungen  in  den  Zellen,  die  Rekonstruktion  von 
Epidermis,  Epithel  usw.).  Sie  macht  aber  nur  4  —  5%  der  verbrauchten  Gesamt- 


1356 


Bücherschau. 


menge  an  Energie  aus.  Die  nutzbare  Energie  der  Nahrung  ist  ein  Maß  für  den 
Wert  derselben  und  die  umgesetzte  Energie  ein  Maß  der  zutage  tretenden  biologischen 
Leistungen.  Dieses  sind  die  Grundlagen  einer  energetischen  Auffassung  des 
Lebens  der  Warmblüter.  Hierdurch  wird  verständlich,  daß  es  Lebewesen 
(Bakterien  usw.)  gibt,  die  auch  ohne  Sauerstoff  leben  und  Wärme  bilden.  Die  Ver¬ 
wertung  der  Nahrung  durch  Sauerstoff  ist  nur  ein  Spezialfall,  notwendig  für  eine 
möglichst  intensive  und  schnelle  Auswertung  vorhandener  chemischer  Energie. 

Durch  ßubner’s  Forschungen  ist  erwiesen,  daß  es  eine  Kluft  zwischen  Kal t- 
und  Warmblüterlebenssubstanz  nicht  gibt;  es  ist  bekannt,  daß  die  scheinbaren  Ver¬ 
schiedenheiten  im  Energieverbrauch  verschiedener  Tiere  nicht  bestehen,  wenn  man 
ihn  auf  die  Oberfläche  der  Tiere  bezieht  (ßubner’s  Oberflächengesetz). 

Der  Warmblüter  verdankt  sein  Wärmegleichgewicht  dem  Wirken  der  chemi¬ 
schen  Wärmeregulation,  die  darin  besteht,  daß  stets  so  viel  Wärme  erzeugt 
wird,  als  durch  die  Wärmeverhältnisse  der  Umgebung  gefordert  wird.  Durch  nervöse 
Einflüsse  produziert  der  Körper  umsomehr  Wärme,  je  kälter  es  ist;  die  aus  chemi¬ 
scher  Spannkraft  entwickelte  Wärme  der  Nahrungsstoffe  kommt  ohne  Rücksicht 
auf  die  umgesetzten  Nahrungsstoffe  zur  Geltung  (Gesetz  der  isodynamen  Ver¬ 
tretung).  Chemisch  reguliert  der  Körper  von  sehr  erheblichen  Kältegraden  an 
bis  zu  Temperaturen  von  25  —  83°.  Darüber  hinaus  vermindert  sich  mit  steigender 
Außentemperatur  die  Wärmeproduktion  der  Tiere  und  des  Menschen  nicht  mehr 
(im  Bad,  bei  Heißluftprozeduren),  es  setzt  die  physikalische  Wärmeregulation 
ein  (Erweiterung  der  Hautgefäße,  Wasserverdunstung). 

Die  Zeiten,  innerhalb  deren  die  Neugeborenen  ihr  Gewicht  verdoppeln, 
sind  außerordentlich  verschieden;  der  Energieaufwand  hierfür  ist  in  Kilogramm¬ 
kalorien  aber  ein  recht  gleicher;  eine  Ausnahmestellung  nimmt  allein  der 
Mensch  ein: 


Gewichts¬ 
verdoppelung 
in  Tagen 

Energieaufwand  in 
Kilogrammkalorien 

Während  dieser  Ver¬ 
doppelung  werden 
von  100  Kilogramm¬ 
kalorien  der  Zufuhr 
für  den  Anwuchs  ver¬ 
wendet  (Wachstums¬ 
quotient). 

Ist  das  Erhaltungs¬ 
futter  =  100,  so  wird 
während  dieser  Zeit 
Nahrung  aufge¬ 
nommen  : 

Mensch 

180 

28864 

5,2  % 

120 

Pferd 

60 

4512 

33,3  „ 

189 

Rind 

47 

4243 

33,1  „ 

211 

Schaf 

15 

3926 

38,2  „ 

211 

Schwein 

14 

3754 

40,0  „ 

212 

Hund 

9 

4304 

34,9  „ 

202 

Katze 

9 

4554 

33,0  „ 

197 

Kaninchen 

6 

5066 

27,7  „ 

194 

Ueberall  sonst  herrscht  aber  merkwürdige  Uebereinstimmung.  Während  die  Tiere 
für  das  Wachstum  doppelt  soviel  Nahrung  verbrauchen  als  im  Erhaltungsfutter, 
nimmt  der  Mensch  in  dieser  Periode  stärksten  Wachstums  nur  um  1/5  mehr  an 
Stoffen  auf,  als  er  im  ausgewachsenen  Zustand  bedürfte.  1  Kilo  Wachstum  er¬ 
fordert  bei  allen  untersuchten  Säugern  also  den  gleichen  Energieaufwand. 
Demnach  ist  1.  die  Größe  der  Wachstumsenergie  sehr  verschieden,  2.  der  Kraft¬ 
wechsel  genau  ebenso  variiert  wie  das  Wachstum:  Großer  Kraftwechsel  bei  schnellem 
Wachstum,  kleiner  Kraftwechsel  bei  langsamem  Wachstum. 

Nur  kurz  sei  noch  die  zum  Tod  der  Organismen  führende  Konsumption 
besprochen.  An  einem  der  drei  aufeinander  genau  abgestimmten  Vorgänge,  ener¬ 
getische  Funktion,  materielle  Funktion,  Rekonstruktion,  kann  das  definitive 
Versagen  der  Arbeit  eintreten;  die  Vernichtung  des  letzten  Restes  der  die  Rekon¬ 
struktion  bedingenden  Elemente  scheint  die  Ursache  des  physiologischen  Todes 
zu  sein. 

Bis  an  die  Grenze  der  Erkenntnis  gehen  Bubner’s  Betrachtungen,  an  das 
Entstehen  des  Lebens  und  an  den  Unterschied  des  Lebenden  gegenüber  dem  Toten. 

So  darf  mit  Bewunderung,  aber  auch  mit  Stolz  gesagt  werden,  daß  —  um 
mit  Rubner  zu  reden  —  die  selbstgefällige  Spekulation  der  Naturphilosophie,  die 
aus  dem  Menschenhirn  heraus  der  Natur  die  Wege  wies,  überwunden  ist,  einzig  und 
allein  durch  das  „Experiment“,  das  der  „Lebenskraft“  Stück  für  Stück  ab¬ 
gerungen  hat  und  das  gelehrt  hat,  daß  alle  Kraftäußerungen  der  Tiere  und  ihre 
Wärmebildung  vollkommen  und  ohne  Rest  nach  physikalischen  Gesetzen  zu 
erklären  sind.  E.  Rost  (Berlin). 


Bücherschau. 


1357 


Ueber  Wesen  und  Wertschätzungen  der  Medizin  zu  allen  Zeiten.  Von  Georg 
B.  Grub  er.  Vortrag  gehalten  in  der  medizinischen  Gesellschaft  „Isis“  zu 
München.  München  1909,  Verlag  der  Ärztl.  Rundschau  (O.  Gmelin).  73  S. 

Ein  altes,  von  dem  bekannten  Oxforder  Gelehrten  Max  Müller  mit  Vor¬ 
liebe  zitiertes  Wort  behauptet,  „daß  wir  nie  eine  Sache  kennen,  wenn  wir  nicht 
ihre  Anfänge  kennen“.  Man  muß  die  Vergangenheit  kennen“,  sagt  der  Kultur¬ 
historiker  Joh.  Scherr,  um  die  Gegenwart  zu  verstehen  und  die  Zukunft  zu  kennen 
oder  wenigstens  einigermaßen  zu  ahnen.  Ohne  Kenntnis  der  Geschichte  ist  dem 
Menschen  alles,  was  um  ihn  vorgeht,  schlechterdings  unbegreiflich,  geradezu  ein 
Rätsel.  Daher  die  stupide  Auffassung  der  Erscheinungen  unserer  Zeit  von  seiten 
der  kenntnislosen  und  darum  urteilslosen  •  Menge  “ .  So  hat  sich  auch  die  Vernach¬ 
lässigung  der  historischen  Studien,  wie  sie  nur  unter  dem  Eindruck  anscheinend 
nie  dagewesener  wissenschaftlicher  Errungenschaften  in  den  letzten  Dezennien  des 
abgelaufenen  Jahrhunderts  zustande  kommen  konnte,  an  der  Ärzteschaft  bitter 
gerächt.  Der  Arzt  wollte  losgelöst  von  der  Vergangenheit  und  den  Traditionen 
seiner  „Kunst“,  nichts  als  Vertreter  der  reinen  Wissenschaft  sein  und  sank  in  den 
Augen  des  Publikums  zum  Techniker,  zum  Gewerbtreibenden  herab,  der  neben  dem 
„genehmigungspflichtigen  Dampfkesselbesitzer,  Seefischer,  Schankwirte,  Schauspiel- 
und  Singspielunternehmer“  gewissermaßen  auf  einer  Stufe  rangierte. 

Wir  sehen  an  der  Hand  der  Schilderungen  Gruber’s,  wie  bei  den  Indern 
und  Griechen,  teilweise  auch  bei  den  Römern  gute,  ja  sehr  gute  Verhältnisse  des 
ärztlichen  Standes  zu  finden  waren,  wir  sehen  dann  das  völlige  Darniederliegen 
der  ganzen  ärztlichen  Kunst  und  ihres  Ansehens  im  Mittelalter  und  wie  dann  nach 
einem  glänzenden  Aufstiege  wieder  trotz  aller  wissenschaftlichen  Fortschritte  in 
neuester  Zeit  die  Wertschätzung  der  Medizin  hinter  der  im  achtzehnten  Jahrhundert 
zurückbleibt. 

Wie  ein  roter  Faden  zieht  sich  durch  den  Gruber’sclien  Vortrag,  der  allen 
Ärzten,  namentlich  aber  den  Eindrücken  zugänglicheren  jüngsten,  soeben  erst  aus 
der  Klinik  in  die  Praxis  übertretenden  Generation  nicht  warm  genug  empfohlen 
werden  kann,  der  Gedanke,  daß  die  Wertschätzung  unserer  Berufsgenossen  immer 
in  direktem  Verhältnis  zu  dem  Maße  stand,  in  dem  sie  sich  als  wirkliche  Künstler 
fühlten.  Wo  Kunst  ist,  ist  nach  einem  von  Grub  er  zitierten  Worte  des  Hippo- 
krates  auch  Liebe  zu  den  Menschen;  und  immer  wieder  kommt  der  Autor  darauf 
zurück,  daß  nur  der  tüchtig  wird  und  bleibt,  und  nur  der  imstande  ist,  das 
gesunkene  Ansehen  des  Berufes  zu  heben,  bei  dem  mit  der. strengen 
und  sicheren  Ausübung  der  Wissenschaft  das  Gemüt  mitwächst,  der 
über  kalten  Buchstaben  und  starren  Präparaten  nicht  mitzufühlen 
und  mitzuleiden  verlernt,  sondern  sich  immer  mehr  zu  einem  Charakter, 
zu  einem  ganzen  Menschen  im  vollsten  Sinne  des  Wortes  entwickelt. 

Eschle. 


Die  Krise  in  der  Immunitätsforschung.  Von  Ernst  Sauerbeck. 
Leipzig,  Verlag  von  Dr.  W.  Klinkhardt.  91  S.  1,80  Mk. 

Sauerb  eck’s  Buch,  welches  einen  Sonderdruck  der  unter  gleichem  Titel  in 
Folia  serologica  erschienenen  Arbeit  darstellt,  gibt  eine  auf  ausgedehnter  Literatur¬ 
kenntnis,  eigenen  Erfahrungen  und  namentlich  auf  eine  weitausschauende  Kritik 
sich  basierende  Übersicht  und  Würdigung  der  durch  die  Immunitätsforschung  auf- 
gedeckien  Tatsachen  und  der  auf  sie  aufgebauten  Theorien.  Das  in  jeder  Hinsicht 
gehaltvolle  Buch  bringt  eine  Fülle  von  anregenden  Gedanken,  die  keineswegs  nach 
einem  durch  die  Kritik  gewonnenen  Abschluß  streben,  sondern  vielmehr  klarzustellen 
suchen,  an  welchen  Lücken,  an  welchen  schadhaften  Stellen  des  Gebäudes  künftige 
Arbeiten  einzusetzen  und  in  welchen  Bahnen  sie  sich  zu  bewegen  haben. 

_ H.  Pfeiffer  (Graz). 

Die  sexuelle  Krise.  Eine  sozialpsychologische  Untersuchung  von  Grete 
Meisel-Hess.  Jena  1909  bei  Eugen  Diederichs.  5,50  Mk. 

Verf.  behandelt  in  ihrem  Werke  die  angebliche  sexuelle  Notlage  unserer  Zeit; 
wenn  das  Buch  neben  verschiedenen  Vorschlägen,  die  von  mancher  Seite  nicht 
unwidersprochen  bleiben  dürften,  auch  etliche  gute  und  treffende  Gedanken  auf¬ 
weist,  so  werden  diese  doch  erdrückt  von  der  Fülle  des  angesammelten  Materials, 
so  daß  man  Mühe  hat,  sich  durch  die  über  400  Seiten  hin  ausgesponnenen  Unter¬ 
suchungen  durchzulesen.  Auch  hier  gilt  wieder  einmal  der  alte  Satz:  „Weniger 
wäre  Mehr  gewesen!“  Werner  Wolff  (Leipzig). 


1358 


Krankenpflege  und  ärztliche  Technik. 


Krankenpflege  und  ärztliche  Technik. 

Die  Herstellung  moussierender  Gasbäder  durch  Elektrolyse  (Hydroxbäder). 

Bisher  wurden  die  betreffenden  Gase  (Kohlensäure,  Sauerstoff)  ent¬ 
weder  in  das  Badewasser  von  außen  eingeleitet  oder  innerhalb  des  Bade- 
Mediums  durch  Zersetzung  gewisser  Stoffe  (Bikarbonate  durch  Säuren,  Super¬ 
oxyde  durch  Katalysatoren)  erzeugt. 

Dr.  L.  Sarason  hat  jedoch  eine  andere  Methode  seit  über  zwei  Jahren 
praktisch  erprobt  und  die  technischen  Bedingungen  ihrer  Anwendung  fest¬ 
gestellt.  Die  Methode,  die  ein  allgemein  kräftig  moussierendes,  aktiven  Sauer¬ 
stoff  enthaltendes  Gasbad  von  beliebig  langer  Dauer  ermöglicht,  dürfte  vor¬ 
nehmlich  für  Krankenhaus  und  (Sanatorium  geeignet  sein. 

Das  Verfahren  beruht  auf  der  Benutzung  der  durch  den  galvanischen 
Strom  bewirkten  Zerlegung  des  gehörig  leitend  gemachten  Wassers  in  Wasser¬ 
stoff  und  Sauerstoff.  Der  Hauptteil  der  Vorrichtung  zur  praktischen  Aus¬ 
übung  des  Verfahrens  ist  ein  am  Boden  einer  Holzwanne  gelagertes  Elek- 
troden-Tableau,  dessen  einzelne  Elemente  aus  fingerartig  ineinandergreifenden 
dicht  und  isoliert  zusammengelagerten,  stäbchenförmigen  Kohlen-Elektroden 
bestehen.  Die  Elektroden  sind  derartig  angeordnet,  daß  zwischen  2  Anoden 
immer  eine  Kathode  liegt.  Die  gleichsinnigen  Elektroden  sind  an  ihrer 
Basis  miteinander  durch  je  eine  gegen  die  Umgebung  gut  isolierte  Metall¬ 
schiene  verbunden.  Die  Metallschienen  kommunizieren  vermittels  isolierter 
Leitungen  mit  der  Elektrizitätsquelle.  Das  Elektroden-Tableau  ist  in  einem 
Holzrost  eingebaut,  bezw.  von  ihm  überdeckt,  der  zur  Unterlage  für  den 
badenden  Körper  dient  und  direkte  Berührung  der  Elektroden  verhindert. 
Diese  neue  Badeform  hat  nicht  das  Geringste  mit  den  sogenannten  hydro¬ 
elektrischen  Bädern  gemeinsam,  da  bei  dieser  die  ganze  Energie  des  Stromes 
zur  chemischen  Arbeit,  nämlich  zur  Bildung  von  Wasserstoff  und  Sauerstoff 
aufgebraucht  wird.  In  der  Tat  wird  bei  diesen  Bädern  der  Körper  des 
Badendei-  vom  galvanischen  Strom  selbst  nicht  betroffen,  bezw.  empfindet 
er  ihn  nicht  im  geringsten,  obwohl  dabei  sehr  hohe  Stromstärken  in  Anwen¬ 
dung  kommen.  Durch  geringen  (Zusatz  von  Schwefelsäure  läßt  sich  die 
Gasbildung  erhöhen.  Im  übrigen  ist  diese  abhängig  von  der  Stromstärke 
und  hat  man  es  in  der  Hand,  durch  Regulierung  derselben  die  Höhe  der 
Gasbildung  aufs  genaueste  individuell  dosieren  und  beliebig  lange  gleich¬ 
mäßig  festh alten  zu  können. 

Eür  die  therapeutische  Anwendung  kommt  bei  den  elektrolytischen 
Gasbädern  zunächst  der  mechanische  Reiz  der  Gasbürste  in  Frage,  wobei 
die  leichte  Dosierbarkeit  des  Reizes  noch  einen  besonderen  Vorteil  bildet. 
Die  eigenartige  Wirkung  der  Sauerstoff-Gasbürste  auf  Nerven-  und  Gefäß- 
System  ist  bereits  schon  festgestellt. 

Weiterhin  käme  bei  den  durch  Elektrolyse  erzeugten  Sauerstoff-  und 
Wasserstoff-Bädern  auch  noch  der  physiologische  Effekt  des  gleichzeitig 
entstehenden  Ozons,  sowie  die  reduzierende  Wirkung  des  für  moussierende 
Gasbäder  überhaupt  noch  nicht  angewandten  naszierenden  Wasserstoffes  in 
Betracht. 

Die  Einrichtung  wird  von  der  Reiniger,  Gebbert  &  Schall  Aktien¬ 
gesellschaft  unter  dem  Namen  „Hydroxbad“  in  den  Handel  gebracht. 

Referat  über  die  Anwendung  der  Forest’schen  Nadel  zur  Unterstützung 

von  Krebsoperationen. 

Von  Dr.  Max  Cohn. 

(Bericht  aus  dem  städtischen  Krankenhause  Moabit-Berlin.  Berl.klin.  Wochenschr.  1909.) 

Verfasser  hat  einen  neuen  elektrischen  Kaltkauter  erprobt,  der  durch  direkt 
auf  den  Körper  übergeleiteten  Hochfrequenzstrom  wirkt.  Er  sieht  denselben  als 
eine  Verbesserung  des  Fulgurationsapparates  an  und  findet,  daß  man  mit  ihm  wie 
mit  einem  Skalpell  arbeiten  kann.  Die  Gewebe  werden  ohne  wesentliche  Ver¬ 
schorfung  und  ohne  kapillare  noch  interstitielle  Blutung  leicht  durchtrennt.  Mit 
dem  Kaltkauter  kann  auch  durch  die  auftretenden  Funkenflämmchen  das  Gewebe, 


•  Krankenpflege  nncl  ärztliche  Technik. 


1359 


je  nach  der  Handhabung  entweder  an  der  Oberfläche  oder  in  der  Tiefe,  vollständig 
zerstört  werden,  weshalb  er  sich  zur  Behandlung  bösartiger  Neubildungen  eignet. 
Man  ist  dabei  in  der  Lage,  ohne  vorherige  Freilegung  des  Operations-Gebietes 
selbst  an  sehr  schwer  zugängliche  Stellen  zu  gelangen.  Nach  den  Tierversuchen 
des  Verfassers  empfiehlt  sich  die  Anwendung  des  Kaltkauters  auch  für  Operationen 
an  Leber,  Milz  und  Niere. 

Karzinome,  Hämorrhoidalknoten  etc.  sind  leicht  mit  dem  Kaltkauter  zu 
entfernen.  Vor  allem  aber  ist  seine  Anwendung  angezeigt  bei  inoperablem  Brust¬ 
krebs,  wenn  große  Geschwürsflächen  mit  jauchiger  Sekretion  vorhanden  sind.  Man 
karifiziert  die  Knoten  einige  Minuten  lang  mit  dem  Kaltkauter,  wodurch  der  Defekt 
verkleinert  wird  und  frische  Granulationen  entstehen.  Wenn  auch  dadurch  natürlich 
keine  sichere  Heilung  des  Krebses  erzielt  wird,  so  bedeutet  nach  des  Verfassers 
Meinung  der  Kaltkauter  doch  einen  Fortschritt  in  der  operativen  Krebsbehandlung. 

Praktische  Ohrentrichter. 

Von  W.  Guttmann,  Stabsarzt  in  Straßburg  i.  E. 

Die  jetzt  in  der  Praxis  ausschließlich  angewandten  Ohrentrichter  aus 
Metall  und  Hartgummi  haben  bekanntlich  mehrfache  Nachteile.  Die  Metall¬ 
trichter  verursachen  leicht  unangenehme  Temperaturempfindungen  und  bleiben 
wegen  ihrer  relativen  Schwere  nicht  so  gut  in  jeder  Lage,  die  man  ihnen 
gibt.  Die  Hartgummitrichter  lassen  sich  nicht  vollkommen  sterilisieren,  da 
sie  längeres  Auskochen  nicht  vertragen.  Eine  mechanische  Peinigung  beider 
Arten  von  Trichtern  ist  umständlich.  Alle  Trichter  aus  starrem  Material 
haben  aber  auch  den  Nachteil,  daß  sie  nur  für  bestimmte  Ohren  passen, 
da  die  Öffnung  an  der  Spitze  unveränderlich  ist.  Man  ist  daher  darauf 
angewiesen,  mehrere  Trichter  von  verschiedener  Größe  zur  Verfügung  zu  haben. 

Zufällig  kam  ich  nun  auf  den  Gedanken,  Ohren trichter  aus  elastischem 
Material  zu  verwenden,  deren  Ohr  Öffnung  beliebig  verändert  werden 
kann.  Zuerst  improvisierte  ich  derartige  Trichter,  indem  ich  Pappe  bezw. 
Pergamentpapier  in  geeigneter  Weise  zusammenrollte.  Im  Notfälle  kann  man 
jsich  auf  diese  Weise  das  Trommelfell  leidlich  sichtbar  machen.  Ein  viel 
geeigneteres  Material  fand  ich  dann  im  Zelluloid,  da  dieses  dem  Drucke 
der  Gehörgangswandungen  einen  größeren  Widerstand  bietet  und  auch  die 
Behandlung  mit  desinfizierenden  Flüssigkeiten  gestattet.  Zur  Herstellung 
der  Ohrentrichter,  die  am  besten  fabrikmäßig  erfolgt,  wird  dünnes,  durch¬ 
sichtiges  Zelluloid  auf  einer  Form  so  gerollt  und  dann  gepreßt,  daß  man 
leinen  Trichter  mit  kleinjer  Öffnung  an  der  Spitze  erhält.  Infolge  seiner 
physikalischen  Eigenschaften  bleibt  dann  das  Zelluloid  ohne  weiteres  in  der 
ihm  gegebenen  Form.  Eine  Erhöhung  der  Stabilität  kann  man  noch  dadurch 
erzielen,  daß  man  an  der  Basis  einen  Ring  (ebenfalls  aus  Zelluloid)  anbringt. 
Will  man  nun  eine  größere  Ohr  Öffnung  haben,  so  schneidet  man  einfach 
mit  einer  Schere  soviel  von  der  Spitze  ab,  wie  erforderlich  ist.  Eine  eventuelle 
Verengerung  kann  man  durch  stärkeres  Einrollen,  allerdings  nur  in  mäßigem 
Grade,  erzielen.  Diese  Trichter,  welche  ich  wegen  der  Veränderlichkeit  der 
Ohröffnung  und  ihrer  Biegsamkeit  „Fl  ex  trichter“  nenne,  haben  noch  einen 
anderen  Vorzug,  nämlich  den  der  Billigkeit.  Sie  kosten  nur  wenige  Pfennige 
pro  Stück.  Infolgedessen  kann  man  ohne  wesentliche  Kosten  für  jeden 
Patienten  bezw.  jedes  zu  untersuchende  Ohr  einen  besonderen  Trichter  ver¬ 
wenden,  den  man  nach  dem  Gebrauch  fortwirft.  Es  ist  dies  jedenfalls  die 
'bequemste  und  —  Wenn  man  von  den  Anforderungen  strengster  Aseptik 
absieht  —  beste  Methode  der  Sauberkeit. 

Übrigens  kann  man  aus  einer  anderen  Sorte  von  Zelluloid  auch  starre 
Ohrentrichter  hersteilen,  welche  den  jetzt  üblichen  Hartgummitrichtern  voll¬ 
kommen  gleichwertig  sind,  sie  aber  noch  dadurch  übertreffen,  daß  sie  wegen 
ihrer  Elastizität  unzerbrechlich  und  außerdem  viel  billiger  sind.1)  (Deutsche 
med.  Wochenschr.  1909,  Nr.  32.) 

ö  Die  Fabrikation  der  —  gesetzlich  geschützten  —  „Flexohrtrichter“  sowie 
der  starren  Zelluloidtrichter  („Zello“ -Trichter)  hat  die  Märkische  Zelluloidwaren¬ 
fabrik  Var  ton  &  Teubel  in  Birkenwerder  bei  Berlin  übernommen. 


1360 


Krankenpflege  und  ärztliche  Technik.  , 


Siccator*) 

nach  Dr.  Max  Nassauer,  Frauenarzt  in  München. 

D.  R.  G.  M.  Nr.  357  860. 

(Siehe  Münch,  med.  Wochensclir.  Nr.  15,  Seite  756  u.  757  vom  13.  April  1909.) 

Der  Siccator  soll  den  so  vielfach  gedankenlos  und  wertlos  verwendeten 
Irrigator  beim  „Ausfluß“  ersetzen  oder  ergänzen. 

Die  moderne  Wundbehandlung  hat  die  Abspülungen  und  Umschläge 
mit  desinfizierenden  Flüssigkeiten  als  wertlos  erkannt  und  verlassen. 

Das  beste  Mittel  zur  Heilung  von  sezernierenden  Wundflächen  ist  die 
Austrocknung  durch  Pulver. 

Die  Art  des  Pulvers  ist  weniger  wichtig,  als  seine  aufsaugende  und 
austrocknende  Wirkung.  Dies  beweist  schon  die  übergroße  Anzahl  der  an- 
gepriesenen  Pulver. 

Die  Konsequenz  auf  die  entzündete  und  sezernierende  Genitalschleim¬ 
haut  hat  man  bis  jetzt  nicht  gezogen. 

Gewohnheitsmäßig  und  —  wie  jeder  Praktiker  weiß  —  meist  erfolglos, 
werden  ein-  oder  zweimalige  tägliche  Ausspülungen  durch  den  Irrigator, 
bei  „Ausfluß“  irgendwelcher  Provenienz  angewendet. 

Der  Siccator  überträgt  die  moderne  Wundbehandlung  in  überaus  ein¬ 
facher  Weise  auf  die  Genitalien  der  Frau. 

Der  Siccator  besteht  aus  einer  eigentümlichen  Glasbirne  und  einem 
damit  verbundenen  kleinen  Gummigebläse. 

Die  Glasbirne  ist  durchbohrt  und  trägt  ein  kleines  Reservoir,  das  mit 
Pulver  anzufüllen  ist.  Das,  natürlich  abnehmbare,  Gummigebläse  sitzt  am 
anderen  Ende  der  Birne  auf.  Ein  einfacher  Druck,  den  man  einigemale 
wiederholt,  auf  das  Gebläse  treibt  einen  Luftstrom  über  das  Pulver  und 
dringt  mit  diesem  Pulver,  das  aufs  feinste  zerstäubt  wird,  durch  die  in  die 
Scheide  eingeführte  und  fest  angedrückte  Glasbirne  in  die  Scheide.  Der 
Luftstrom  ist  stark  genug,  um  die  Scheidenwände  sofort  völlig  auszudehnen, 
alle  Buchten  und  Furchen  zu  verstreichen  und  zugleich  die  so  entstandenen 
glatten  Scheidenwände  samt  der  Portio  und  dem  äußeren  Muttermund  mit 
dem  Pulver  zu  bestäuben. 

Dr.  Nassauer  hat  zu  seinen  Versuchen  mit  bestem  Erfolg  das  völlig 
indifferente,  außerordentlich  feine  Pulver  bolus  alba  (=  Tonerde)  verwendet. 
Jeder  Arzt  kann  aber  das  ihm  zusagende  Pulver  zur  Anwendung  bringen. 

Der  Siccator  faltet  also  die  Scheide  gleichzeitig  auseinander  und  pudert 
sie  in  allen  Winkeln  ein.  Der  Siccator  trocknet  auf  diese  Weise  die  Scheide 
aus.  Das  Pulver  saugt  alle  Sekrete  und  die  darin  befindlichen  Infektions¬ 
erreger  auf.  Es  entsteht  ein  feiner  Brei,  der  überaus  leicht  im  Sipekulum 
ausgewischt  oder  von  Zeit  zu  Zeit  weggespült  werden  kann. 

Geschwüre  der  Portio,  die  nicht  mehr  in  eine  Lakune  von  infektiösem 
Sekret  eintaucht,  heilen  ab  oder  werden  verhindert,  ebenso  wird  ein  Auf¬ 
steigen  der  Infektion  in  Zervix,  Uterus  und  Tuben  erschwert.  Aus  der  Zervix 
kommendes  Sekret  wird  aufgesaugt  und  verhindert  eine  Reinfektion.  Der  „ Ausfluß“ 
als  solcher  mit  all  seiner  Belästigung  für  die  Frau  sistiert  temporär  sofort  nach 
Anwendung  des  Siccator.  Nach  längerer  Anwendung  wird  er  dauernd  geheilt. 

Der  Siccator  kann  von  den  Frauen  überaus  leicht  selbst  eingeführt  und 
verwendet  werden. 

Der  Siccator  paßt,  je  nach  der  Tiefe  der  Einführung  in  die  Scheide, 
für  jede  Frau.  U 


*)  Zu  beziehen  von  Hermann  Katsch,  München,  Bayerstrasse  25. 


Schriftleitung:  Dr.  Rigler  in  Leipzig. 
Druck  von  Emil  Herrmann  senior  in  Leipzig. 


2 1.  Jahrgang. 


1909. 


Tomcbrim  der  medizin. 


Unter  Mitwirkung  hervorragender  Fachmänner 

herausgegeben  von 

Professor  Dr.  6*  Köster  Prio.-Doz.  Dr.  v.  Criegern 

in  Leipzig.  in  Leipzig. 

Schriftleitung:  Dr.  Rigler  in  Leipzig. 


Nr.  36. 


Erscheint  am  10.,  20.,  30.  jeden  Monats.  Preis  halbjährlich 
6  Mark,  in  kl.  Zeitschrift  für  Versicherungsmedizin  8  Mark. 


Verlag  von  Georg  Thieme,  Leipzig. 


30.  Dezbr. 


Originalarbeiten  und  Sammelberichte. 

Die  verschiedenen  Arten  von  Trypanosomen,  mit  besonderer 
Berücksichtigung  der  Schlafkrankheit. 

Von  Dr.  W.  Schürmann,  Bonn. 

Im  Jahre  1841  wurden  von  Ginge  im  Blute  des  Frosches  eigen¬ 
tümliche  Lehewesen  gefunden,  die  man  nach  Gruby  1843  als  Trypa¬ 
nosoma  (vprTrou'or-Schraubenkörper)  bezeichnete.  Weitere  Untersuchungen 
deckten  bei  einer  Anzahl  Warm-  und  Kaltblütern  Trypanosomen  auf. 
Diese  Lehe  wesen  leben  im  Blute  ihrer  Wirte.  Sie  lösen  entweder  gar 
keine  Krankheitssymptome  aus  oder  bedingen  schwere  Krankheits¬ 
prozesse. 

Man  rechnet  die  Erreger  zu  den  Flagellaten.  An  ihrem  Körper 
hängen  ein  oder  mehrere  Geißeln,  die  der  Bewegung  dienen.  Die  Haupt- 
geißel  geht  von  dem  Blepharoplasten,  einem  kleinen  Kerne  aus  und  zieht 
sich  als  Kandfaden  am  ganzen  Körper  entlang.  Zwischen  ihm  und  dem 
Protoplasma  des  Körpers  liegt  ein  dünner  Protoplasmasaum,  den  man 
als  undulierende  Membran  bezeichnet.  Die  Meinungen  über  den  Hand- 
faden  und  die  Geißeln  sind  noch  geteilt.  Die  Fortpflanzung  erfolgt 
durch  Längsteilung,  oder  durch  Isogamie  und  in  anderen  Fällen  durch 
Autogamie.  Auch  hat  man  bei  manchen  Trypanosomenarten  Gameten, 
männliche  und  weibliche  Formen  beobachtet.  Außerdem  besteht  eine 
geschlechtliche  Vermehrung  der  Trypanosomen.  Koch,  Gray  und 
Talloch,  v.  Prowazek  haben  darauf  aufmerksam  gemacht,  daß  sie 
in  bestimmten  Stechfliegen  aus  der  Familie  Glossina  stattfindet.  Diese 
Stechfliege  kommt  nur  in  den  Tropen  vor. 

Ueber  den  Entwicklungsgang  der  Trypanosomen  herrschen  noch  die 
verschiedensten  Meinungen.  Doflein’s  Ansicht,  die  pathogenen  Try¬ 
panosomen  entständen  arte  nicht  pathogenen  Insektenschmarotzern  durch 
Mutation,  steht  noch  sehr  vereinzelt  da.  Auch  spricht  er  die  Vermutung 
aus,  daß  sich  eine  Trypanosomaart  durch  Umzüchtung  in  eine  andere 
verwandeln  ließe.  Einschlägige  Versuche  sind  jetzt  gemacht  worden 
von  Wenidelstadt  und  Fellmer,  und  noch  -im  Gange  im  Institut 
Pasteur,  wo  nicht  tierpathogene  Stämme  (Lewlsi)  durch  Kaltblüter- 
passage  in  pathogene  umgewandelt  worden  sind.  Bei  anderen,  patho¬ 
genen  Stämmen,  ließ  sich  durch  dasselbe  Vorgehen  eine  Steigerung 
der  Virulenz  herbeiführen. 

86 


1362 


W.  Schürmann, 


Die  Länge  der  Trypanosomen  wechselt  nach  der  Art  und  dem 
Entwicklungsstadium  der  Parasiten.  Die  erwachsenen  Formen  der 
Trypanosomen  des  Menschen  (Trypanosoma  gambiense)  sind  drei  bis 
viermal  so  lang  als  der  Durchmesser  eines  roten  Blutkörperchens. 

Die  Färbung  der  Trypanosomen  gelingt  am  besten  mit  der  von 
Giern sa  modifizierten  Romanowsky-Methode.  Das  Protoplasma  färbt 
sich  blau  mit  eingestreuten  roten  Chromatinkörnchen.  Der  Kern  nimmt 
die  Chromatinfärbung  an.  Außer  dem  Hauptkern  haben  die  Trypano¬ 
somen  hoch  einen  Nebenkern,  den  sogenannten  Blepharoplasten,  von  dem 
die  Geißel  ausgeht.  Vereinzelt  finden  sich  V akuolen  und  Granula  im 
Protoplasma.  Auch  sind  Degenerationsformen  der  Trypanosomen  be¬ 
kannt,  die  in  künstlichen  Kulturen  und  bei  Aenderung  der  äußeren 
Lebensbedingungen  auf  treten  sollen.  Einige  Trypanosomenarten  kann 
man  in  künstlichen  Medien  zur  Vermehrung  bringen  und  weiterzüchten. 

Wodurch  das  Krankheitsbild  der  Trypanosomenerkrankung  zu  er¬ 
klären  wäre,  ist  noch  nicht  aufgedeckt.  Man  nimmt  an,  daß  es  Giftstoffe 
sind,  welche  die  verderblichen  Anämien  bedingen  sollen ;  aber  man  hat 
bis  heute  noch  keine  Toxine  im  Blute  Trypanosomenkranker  nachweisen 
können  (Hart och  und  Yakimoff).  Auch  hat  man  das  schwere  Krank¬ 
heitsbild  durch  Sauerstoffmangel  des!  Blutes  zu  erklären  versucht.  Im 
folgenden  beschränke  ich  mich  nur  auf  die  Arten  von  Trypanosomen, 
die  ein  größeres  Interesse  wachrufen. 

1.  Das  Trypanosoma  Lewesi  und  Theileri,  diese  Arten  sind  als 
feste  „Arten“  stets  bei  bestimmten  Tierarten  zu  finden  und  nicht  ge¬ 
fährlich  für  sie. 

2.  Die  Erreger  der  Tsetse-Krankheit,  der  Surra,,  des  Mal  de  Caderas, 
der  Beschälseuche  der  Pferde,  und  die  Trypanosomen  des  Menschen. 
Diese  Arten  sind  untereinander  in  Form  und  Virulenz;  verschieden. 

Die  einzelnen  Formen  zu  differenzieren,  soll  nach  Koch  mit 
Leichtigkeit  gelingen  durch  genaue  Beobachtung  der  Geschlechtsformen 
der  Trypanosomen  in  den  Stechfliegen;  die  Form  des  Blepharoplasten, 
die  Lage  und  die  Größenverhältnisse  des  Gesamtkörpers  sollen  Unter¬ 
scheidungsmerkmale  geben. 

In  Kürze  werde  ich  auf  die  einzelnen,  oben  erwähnten  Formen  der 
Trypanosomen  eingehen. 

Ein  ungewöhnlich  großes  Trypanosoma  ist  das  von  Theiler 
beschriebene,  das  von  seinem  Entdecker  als  Erreger  des  sogenannten 
Gallziekte,  einer  Erkrankung  der  Binder,  bezeichnet  wird.  Der  Name 
kommt  daher,  weil  man  immer  bei  der  Obduktion  der  Tiere  eine 
Schrumpfung'  der  Gallenblase  findet.  Die  Uebertragung  soll  durch  eine 
Stechfliege,  Hippobosca  rufipes  stattfinden.  In  Südafrika  kommt 
die  Erkrankung  vor. 

Zu  erwähnen  wäre  noch  das  in  Indien  bei  Bindern  von  L  ingar  d 
gefundene  Trypanosoma  und  das  Trypanosoma  dimorphen,  das  in 
Senegambien  von  Todd  und  Dutton  als  Erreger  der  Pferdeseuche 
nachgewiesen  wurde. 

Das  Trypanosoma  LeSwisi  kommt  bei  Batten  vor,  ohne  Krank¬ 
heitserscheinungen  auszulösen.  1878  wurde  es  in  Indien  von  Lewils 
im  Battenblute  gefunden.  Bisher  bestand  die  Annahme,  daß  dieses 
Trypanosoma  sich  nur  -im  Battenkörper  fortpflanzen  ließe.  Die  Ueber¬ 
tragung'  von  Batte  zü  Batte  findet  nach  Pr'owazek  durch  eine  Läuseart, 
Haematopinus  spinulosus  statt.  Eine  Uebertragung  auf  Kaltblüter 
(Frosch,  Ringelnatter)  und  wieder  zurück  auf  Warmblüter  ist  neuer- 


Die  verschiedenen  Arten  von  Trypanosomen. 


1368 


dings  Wendel stadt  und  Fellmer  gelungen.  Dieses  Trypanosoma 
ist  lebhaft  beweglich.  Der  ovale  Kern  liegt  im  vorderen  Drittel.  Das 
Hinterende  ist  spitz  angezogen,  der  Blepharoplast  steht  quer  zur  Körper- 
achse.  (Differenzierung  von  anderen  Trypanosomenarten.) 

Neben  der  Längsteilung  kommt  bei  Lewisi  die  multiple  Ver¬ 
mehrung  vor.  Hier  findet  man  die  typischen  Rosettenformen. 

Künstliche  Hortzüchtung  dieser  Trypanosomen  ist  Novy  und 
Mac  Neal  auf  Blutagar  (1:1)  gelungen.  Serum  von  mit  Lewisi  in¬ 
fizierten  Ratten  schützt  weiße,  noch  nicht  infizierte  Ratten  vor  der 
Infektion. 

Das  Hamster-Trypanosoma  soll  nach  neueren  Untersuchungen 
morphologisch  dem  Trypanosoma  Brucei  näher  stehen. 

In  Afrika  weit  verbreitet  ist  das  Trypanosoma  Brucei  (Na- 
gana).  Die  Erkrankung  soll  durch  den  Stich  der  Tset  sc- Fliege  über¬ 
tragen  werden.  Livingstone  hat  als  erster  darauf  hingewiesen.  Jedoch 
ist  es  erst  Bruce  gelungen,  ein  Trypanosoma  als  Erreger  der  mörderi¬ 
schen  Seuche  aufzudecken.  Die  Nagana  findet  sich  bei  Eseln,  Rindern, 
Pferden,  Mauleseln,  Katzen,  wilden  Büffeln  und  Schweinen.  Die  Sym¬ 
ptome  machen  sich  geltend  in  Fieber,  Oedemen  am  Bauch  und  Extremi¬ 
täten,  Mattigkeit,  Sinken  des  Hämoglobingehaltes  des  Blutes,  Abmage¬ 
rung,  Tod.  Die  N agana-Trypanosomen  sind  plump,  haben  ein  stumpfes 
Hinterende.  Im  Plasma  liegen  vereinzelte  Chromatinkörperchen ;  der 
Blepharoplast  steht  in  der  Längsachse  des  Körpers. 

Die  Uebertragung  findet  durch  die  Tsetse-Fliegen  oder  Glossinen 
statt  (Glossina  morsitans,  furca  und  pallidipes).  Nach  Koch  machen 
die  Trypanosomen  in  diesen  genannten  Fliegenarten  einen  Entwicklungs¬ 
kreislauf  durch,  der  sich  von  der  Entwicklung  im  Warmblüter  formell 
unterscheidet.  Die  Antilopen  sollen  die  Wirtstiere  dieser  Trypanosomen¬ 
art  sein.  Eine  natürliche  Immunität  gegenüber  dem  Nagana- Trypano- 
soma  besteht,  aber  auch  künstlich  läßt  sie  sich  erzeugen  (Koch, 
Schilling,  Wendelstadt  und  Fellmer).  Man  kann  neuerdings  die 
Nagana  er  Kränkungen  bekämpfen.  Farbstoffe  und  Arsenpräparate  hat 
man  verwendet.  Ehrlich  empfahl  das  Trypanrot,  Wende  Ist  ad  t  und 
Fellmer  das  Brillantgrün.  Subkutane  Einverleibungen  dieser  Stoffe 
brachten  gelungene  Heilungen.  Löffler  verwandte  Acid.  arsenicosum 
(0,004  g  pro  Kilo  Meerschweinchen)  per  os  und  gleichzeitige  subkutane 
Injektion  von  Atoxyl.  Auch  soll  das  Verreiben  einer  1  °/0  igen  Atoxyl- 
salbe  auf  die  Haut  nach  Löffler  wirksam  gewesen  sein. 

Von  Ehrlich  wurden  die  ersten  chemotherapeutischen  Versuche 
gemacht,  der  eine  Menge  von  chemischen,  nach  eigenen  Angaben  herge¬ 
stellten  Mitteln  an  Säugetieren  ausprobierte.  Zu  erwähnen  ist  das 
Atoxyl,  Orsudan,  Pyronin,  Tartarus  stibiatus,  Arsacetin,  Parafuchsin, 
Akridin,  Arsenophenylglycin  und  Paraoxyphenylarsenoxyd,  Trypanrot. 
Er  hat  dadurch  eine  Reihe  von  sehr  wirksamen  Stoffen  in  die  Trypa¬ 
nosomentherapie  eingeführt.  Nachgeprüft  wurden  diese  Präparate  von 
Flexner,  Friedberger,  Röhl,  Terry,  Schilling,  Uhlenhuth, 
Wassermann  und  Wendelstadt.  Das  Arsenophenylglycin  erzielte 
schon  bei  kleinen  Dosen  sehr  gute  Heilerfolge.  Von  Laverau  wurde 
das  Auripigment  verwendet. 

Bei  Pferden,  Eseln,  Kamelen,  Elefanten  ist  in  Indien  und  auf  den 
Philippinen  die  ,,Surra“  verbreitet,  die  sich  eigentümlicherweise  nicht 
auf  Rinder  übertragen  läßt.  Dieses  „Surra“-Trypanosoma  ist  im  Jahre 
1880  von  Evans  in  Indien  entdeckt  worden.  Es  läßt  sich  in  keiner 

86* 


1364 


W.  Schürmann, 


Weise  von  dem  Erreger  der  Nagana  differenzieren.  Die  Eiebertragung 
soll  durch  Tabaniden  und  Stomoxys  calcitrans  erfolgen. 

Die  Dourine  oder  Beschälseuche  der  Pferde  kommt  in  Süd- Ost- 
Europa,  Nordafrika  und  Westasien  vor.  1894  fand  Rouge t  als  Er¬ 
reger  der  Seuche  das  Trypanosoma  equiperdum.  Die  Uebertragung 
der  Krankheit  geschieht  von  der  Schleimhaut  aus.  Affen,  Schafe, 
Ziegen,  Rinder  werden  nicht  infiziert.  Schwer  gelingt  es,  Meerschwein¬ 
chen,  Mäuse  und  Ratten  zu  infizieren.  Im  Serum  von  Tieren,  die  eine 
Infektion  überstanden  haben,  lassen  sich  spezifische  Schutzstoffe  nach- 
weisen.  —  Ferner  ist  zu  erwähnen : 

,,Mal  de  Caderas“,  die  Kreuzlähme  der  Pferde  in  Südamerika, 
von  Argentinien  bis  zum  Amazonenstrom.  Als  Erreger  wird  das  Trypa¬ 
nosoma  equinum  angesprochen,  das  im  Jahre  1901  von  Elmassian 
auf  gefunden  wurde.  Eine  Uebertragung  gelingt  auf  Mäuse,  Kaninchen, 
Affen,  Katzen,  Hunde  und  Meerschweinchen,  während  Schafe,  Ziegen, 
Schweine,  Rinder  sehr  resistent  sich  verhalten.  Auch  hier  lassen  sich 
spezifische  Schutzstoffe  im  Blute  der  Tiere,  welche  die  Infektion  über¬ 
standen  haben,  nach  weisen. 

Das  Protoplasma  dieses  Trypanosoma  zeigt  reichlich  eingestreute, 
scharf  sich  differenzierende  Chrom atinkörperchen. 

Neben  all  den  erwähnten,  nur  im  Tierkörper  vorkommenden  For¬ 
men,  will  ich  jetzt  auf  die  Trypanosomenform  eingehen,  welche  im 
Menschen  vorkommt  und  unzweifelhaft  für  uns  von  größter  Wichtigkeit 
und  regstem  Interesse  ist.  Die  Schlafkrankheit,  die  uns  ungefähr 
100  Jahre  bekannt  ist,  wurde  zuerst  an  nach  Martinique  eingeschifften 
Sklaven  beobachtet.  Diese  eigentümliche  Erkrankung  ist  unter  den 
Negern  im  tropischen  Zentralafrika  weitverbreitet.  Ihr  sind  in  den 
letzten  Jahren  mehrere  hunderttausend  zum  Opfer  gefallen.  Im  Kongo¬ 
staat,  in  Portugiesisch -Westafrika,  dann  entlang  dem  Niger  und  Kongo 
in  Zentralafrika  ist  ihre  Heimat. 

Von  dort  hat  die  Erkrankung  sich  weiter  nach  dem  Alber t-Nyanza, 
Britisch-Ostafrika,  nach  Uganda  und  nach  Viktoria-Nyanza  ausge¬ 
breitet.  Die  Weißen  sind  nicht,  wie  man  bis  jetzt  annahm,  vor  der 
Krankheit  bewahrt.  In  der  Zerebrospinalflüssigkeit  von  Schlafkranken 
hat  Castellani  zuerst  Trypanosomen  gefunden.  Man  versuchte  durch 
Ueberimpf  ungen  dieser  Trypanosomen  auf.  Tiere  (Affen)  die  Schlaf¬ 
krankheit  bei  diesen  zu  erzeugen.  Man  war  jedoch  überrascht  zu  sehen, 
daß  die  Schlafsucht  der  Tiere  nichts  charakteristisches  aufwies.  Von 
Bettencourt,  dem  portugiesischen  Forscher,  sind  in  der  Lumbal¬ 
flüssigkeit  und  in  den  Schnittpräparaten  des  Gehirns  reichliche  Strepto¬ 
kokken  gefunden  worden,  die  wohl  sicherlich  bei  der  auftretenden 
Meningitis  und  dem  Zustandekommen  der  Symptome  der  Schlafkrankheit 
eine  Rolle  spielen. 

Neuerdings  sind  von  F  elf  in  er  Stoffwechseluntersuchungen,  aller¬ 
dings  bei  mit  Nag'aüJa -Trypanosomen  infizierten  Kaninchen,  angestellt 
worden.  Es  hat  sich  ergeben,  daß  ein  starker  Abbau  der  Zelleiweiße 
und  des  Lezithins  eingetreten  ist.  Ob  bei  schlafkranken  Menschen 
analoge  Verhältnisse  eintreten,  müssen  erst  weitere  Untersuchungen 
lehren. 

Die  Infektion  verläuft  chronisch.  Krankheitssymptome  können 
oft  erst  nach  Jahren  auf  treten.  In  den  meisten  Fällen  endet  die  Er¬ 
krankung  in  einer  eitrigen  Zerebrospinalmeningitis.  In  allen  Fällen 
findet  man  eine  chronische  Meningitis  oder  Encephalitis.  Die  Symptome 


Die  verschiedenen  Arten  von  Trypanosomen. 


1865 


der  Krankheit  äußern  sich  in  Kopfschmerzen,  Fieber,  Schwindel  und 
Abgeschlagenheit.  Die  Kranken  magern  ah,  Drüsenschwellungen  treten 
auf,  das  Gesicht  wird  aufgedunsen.  Oedeme  an  den  Extremitäten  und 
am  Kumpf  stellen  sich  ein.  Die  Milz  ist  vergrößert.  Neben  Exzi¬ 
tationszuständen  werden  epileptiforme  Anfälle  beobachtet.  Im  letzten 
Stadium  verfallen  die  Kranken  in  einen  fast  andauernden  Schlaf.  Im 
Blute  der  infizierten  Menschen  findet  man  regelmäßig  eine  Trypa¬ 
nosomenart,  die  sich  durch  ihre  Größe  und  ihren  Bau  von  den  hei 
Tieren  vorkommenden  Trypanosomen  unterscheidet. 

Die  Uehertragung  der  Trypanosomen  auf  den  Menschen  geschieht 
durch  eine  Stechfliege,  die  Glossina  palpalis.  Bruce  hat  diese  Stech¬ 
fliege  an  Schlafkranken  Blut  saugen  lassen  und  dann  diese  Fliege 
gesunden  Affen  angesetzt,  die  bald  das  Trypanosoma  gambiense  — 
so  heißt  das  Trypanosoma  der  menschlichen  Schlafkrankheit  —  in  ihrem 
Blute  aufwiesen.  Die  Trypanosomen  machen  in  der  Stechfliege  einen 
Entwicklungskreislauf  durch ;  denn  man  findet  in  dem  Darmkanal  von 
Stechfliegen  noch  nach  Monaten  Trypanosomen  in  großer  Menge. 
Kleine  will  nachgewiesen  haben,  daß  in  der  Glossina  palpalis  sich 
die  Trypanosomen  4  Wochen  lang  übertragungsfähig  halten.  Nach 
Koch  und  Kudicke  ist  die  Uehertragung  der  Trypanosomiasis  per 
coitum  möglich. 

Das  Trypanosoma  gambiense  läßt  sich  experimentell  auf  Hatten, 
Mäuse,  Affen,  Hunde  übertragen.  Jedoch  läßt  sich  bei  keiner  Tierart 
eine  gleiche  Erkrankungsform,  wie  die  Schlafkrankheit  des  Menschen, 
erzeugen  Die  Virulenz  der  Trypanosomen  der  Schlafkrankheit  für 
die  genannten  Tierarten  ist  eine  verschiedene. 

In  letzter  Zeit  sind  zahlreiche  therapeutische  Versuche  zur  Be¬ 
kämpfung  der  Schlafkrankheit  gemacht  worden. 

Von  Koch  wurde  nach  den  ersten  Angaben  von  Thomas  und 
Breinl  und  später  von  Ayres,  Kopke  das  Atoxyl,  das  arsenigsaure 
Salz,  zuerst  einer  Prüfung  unterzogen.  Es  wurde  subkutan  in  Doppel¬ 
injektionen  von  0,5  g  in  zehntägigen  Pausen  gegeben.  Es  tritt  eine 
deutliche  Besserung  ein,  die  nach  dem  Aussetzen  des  Mittels  wieder 
schwindet.  30  Tage  nach  der  letzten  Injektion  erscheinen  häufig  die 
Erreger  in  den  Drüsen  wieder.  Bei  längerem  Gebrauche  dieses  Mittels 
hat  man  gefährliche  Erkrankungen  des  Sehnerven  mit  Erblindung 
beobachtet.  Nach  den  Koch’schen  Angaben  „beträgt  die  Mortalität 
bei  unseren  mit  Atoxyl  behandelten  Schwer  kranken  nicht  ganz  den 
zehnten,  vielleicht  nur  den  zwanzigsten  Teil  von  derjenigen  nicht  mit 
Atoxyl  behandelten  Schlafkranken“. 

Von  Ehrlich  wurde  Atoxylfestigkeit  an  Tieren  festgestellt,  die 
noch  nach  103  Tierpassagen  vorhielt.  Ob  beim  Menschen  Atoxylfestig¬ 
keit  vorkommt,  ist  zweifelhaft. 

La  vornan  und  Thiroux  haben  neuerdings  gefunden,  daß  Auri¬ 
pigment  (gelbes  Schwefelarsenik)  mit  Atoxyl  abwechselnd  gereicht, 
die  beste  Heilwirkung  mit  Ausschaltung  der  unangenehmen  Neben¬ 
erscheinungen  hat.  Subkutane  Injektionen  von  Auripigment  sind 
schmerzhaft,  Abszesse  und  Gangrän  folgen  häufig.  Dieses  Mittel  ist 
bisher  nur  an  Tieren  ausprobiert. 

Sicherer  soll  eine  kombinierte  Behandlung  mit  Atoxyl  und  Sublimat 
sein.  Breinl  hatte  unter  6  Erkrankungen  5  Heilungen.  Auch  die 
von  Plimmer  und  Thomson  empfohlene  Antimonbehandlung  hat  in 
Kombination  mit  Sublimat  gute  Erfolge  (Broden). 


1866 


W.  Schürmann,  Die  verschiedenen  Arten  von  Trypanosomen. 


Von  K  o  oh  sind  noch  verschiedene  Vorsichtsmaßregeln  zur  Be¬ 
kämpfung  der  Schlafkrankheit  angegeben  worden: 

1.  Beobachtung  der  Eingeborenen  durch  Drüsenpalpationen  und 
-punktionen. 

2.  Errichtung  von  geschützten  Lagern  dort,  wo  Schlafkrankheit 
vorkommt ;  Grenzsperrungen. 

3.  Atoxylbehandlung  von  mindestens  4  Monaten. 

4.  Abholzen  der  Stellen,  wo  Glossinen  leben. 

5.  Töten  der  Wirtstiere  (der  Krokodile);  Vernichtung  der  Kro¬ 
kodileier. 

Auf  Veranlassung  von  Exzellenz  Koch  werden  jetzt  das  von 
Ehrlich  eingeführte  Arsacetin  und  das  Arsenophenylglycin  in  Afrika 
auf  ihren  Heilwert  untersucht.  Ehrlich  legt  auf  die  Anwendung 
des  Arsenophenylglycins  besonderen  Wert.  Eine  einzige  Injektion  einer 
nicht  lebensgefährlichen  Dosis  führt  bei  Tieren  zur  Heilung.  Natürlich 
würden  bei  der  Heilung  des  Menschen  größere  Dosen  notwendig  werden 
und  der  Heilchance  Bedenken  erwachsen.  Das  für  die  Heilung  idealste 
Mittel  ist  bis  jetzt  das  Arsenophenylglycin.  Die  giftige  Wirkung 
dieses  Mittels  läßt  sich  nach  Ehrlich  vielleicht  ausschalten,  wenn 
man  nach  intravenöser  Injektion  von  Arsenophenylglycin  0,015  pro 
Kilogramm  (Versuche  wurden  an  Kaninchen  ausgeführt)  gleichzeitig 
mittels  Schlundsonde  eine  größere  Menge  des  unschädlichen  Trypa- 
nosan  einführt. 

Die  neuesten  therapeutischen  Angaben  sind  von  Laveran  und 
Thiroux  gemacht.  Sie  verwendeten  ,,1’emetique  d’aniline“.  Bei  mit 
Trypanosomen  infizierten  Meerschweinchen  erzielten  sie  recht  gute  Heil¬ 
erfolge.  Thiroux  hat  dieses  Mittel  beim  Menschen  versucht.  Es 
soll  weniger  giftig  für  den  Menschen  sein  wie  das  Atoxyl ;  es  genügen 
intravenöse  Injektionen  von  0,25 — 0,30  g  bei  noch  kräftigen  Kranken. 

,,Une  dose  de  0  g  15  cg  suffit,  chez  un  homme  adulte,  pour  faire 
disparaitre  les  trypanosomes  du  sang;  AI.  Thiroux  conseille  la  dose 
de  0  g  20  cg  chez  les  malades  encore  vigoureux,  la  dose  de  0  g  10  cg 
chez  les  cachectiques. 

2  malades  qui  commengaient  a  dormir  ont  vu  disparaitre  l’hypnose 
apres  une  injection  de  0  g  15  cg.  Les  resultats  immediat  du  traitement 
de  la  trypanosomiase  humaine  par  l’emetique  d’aniline  sont  clonc  tres 
satisfaisants.“  (Semaine  medicale  Nr.  40,  6.  Oktober  1909.) 

Zum  Schlüsse  möchte  ich  noch  erwähnen,  daß  von  C.  Chagas, 
nach  Mitteilungen  der  Brazil  medico,  22.  April  1909,  in  den  Minen 
von  Brasilien  ein  Insekt,  „Conorrhinus“,  gefunden  wurde,  das  Trypa¬ 
nosomen  in  seinem  Blute  enthält.  Dieses  Insekt  sticht  den  Menschen 
vorwiegend  zur  Nachtzeit  ins  Gesicht.  Eieber,  Oedem,  Anämie,  Schwel¬ 
lung  der  Unterlider  der  Augen  treten  auf;  die  Krankheit  endet  meistens 
tödlich.  Im  Blute  der  Kranken  fand  Chagas  Trypanosomen.  — 

Immunisierungsversuche  gegen  Trypanosomen  sind  von  vielen  For¬ 
schern  gemacht  worden  ;  jedoch  sind  die  Resultate  noch  nicht  befriedigend. 
So  hat  Schilling  mit  einem  abgeschwächten  Trypanosomenstamm 
(Passage  durch  Hund  und  Esel)  Tiere  immunisiert.  Ebenso  haben 
Wendelstadt  und  Fe llme r  Affen  gegen  Nagana  immun  gemacht; 
doch  ist  die  erreichte  Immunität  immer  nur  eine  ganz  spezifische 
(nur  gegen  das  Impfmaterial). 

Immunität  gegen  Lewisi  ist  leicht  zu  erzielen.  Sie  überträgt  sich 
nach  Kempner  und  Rabino  witsch  noch  auf  die  nächste  Generation. 


Lorand,  Ursachen  der  Schläfrigkeit  und  Schlaflosigkeit. 


1367 


Bei  sch  wer  kranken  Tieren  agglutiniert  das  Serum  Trypanosomen. 
Diese  Agglutination  ist  verschieden  von  der  der  Bakterien,  die  erst 
hewegungslos  werden  und  dann  verklumpen,  während  die  Trypanosomen 
nach  der  Verklumpung  noch  lange  ihre  Beweglichkeit  behalten. 


Ursachen  der  Schläfrigkeit  und  Schlaflosigkeit. 

Von  Dr.  Lorand,  Karlsbad. 

Für  die  Ergründung  der  Ursachen  des  krankhaften  Schläfrigkeits¬ 
zustandes  kann  für  uns  die  afrikanische  Schlafkrankheit  wertvolle  An¬ 
haltspunkte  bieten.  Personen,  die  von  dieser  befallen  werden,  empfinden 
fortwährend  ein  unbezwingliches  Verlangen  nach  Schlaf.  So  beobachtete 
ich  vor  einigen  Jahren  während  meines  Winteraufenthaltes  in  Brüssel 
einen  Schlafkranken,  den  Schwiegersohn  eines  der  Professoren  der  dor¬ 
tigen  medizinischen  Fakultät,  der  als  Offizier  der  Kongoarmee  sich 
mehrere  Jahre  im  KoDgostaate  aufgehalten  und  dort  die  Krankheit  ak¬ 
quiriert  hatte.  Er  war  stets  so  schläfrig,  daß  er  sogar  während  des 
Mittagessens  einschlief.  Dr.  Willems1)  berichtet  von  einem  Kranken, 
der  sich  bei  seiner  Hochzeit  des  Schlafes  nicht  mehr  erwehren  konnte, 
und  von  einem  anderen,  der  auf  der  Türschwelle  des  Arztes,  den  er 
konsultieren  wollte,  einschlief.  Es  ist  ihnen  volkommen  unmöglich,  dem 
unbezwinglichen  Verlangen  nach  Schlaf  zu  widerstehen.  Hätten  wir  die 
Ursachen  dieser  Erkrankung  mit  Bestimmtheit  ergründet,  so  wäre  es  uns 
vielleicht  leichter,  diejenigen  des  niederen  Grades  der  Schläfrigkeit  zu 
ergründen  und  das  Rätsel  zu  entschleiern,  das  über  den  Ursachen  des 
normalen  Schlafes  ruht.  Im  .folgenden  wollen  wir  daher  untersuchen, 
was  wohl  bei  Schlafkranken  den  unbezähmbaren  Wunsch  nach  Schlaf 
liervorrufen  mag. 

Wie  ich  in  einer  Mitteilung  an  den  Kongreß  für  innere  Medizin  in 
Wiesbaden  1905  zeigte,  ist  die  Schlafkrankheit  eine  Erkrankung,  die  ein 
ganz  anderes  klinisches  Bild  als  die  Trypanosomiasis  bietet,  die  durch 
den  Stich  der  Tsetse-Fliege  (Glossina  palpalis)  verursacht  wird.  Die 
Schlafkrankheit  ist  nur  die  Folge  der  letzteren.  Es  wurden  Fälle  be¬ 
obachtet,  wo  sie  sich  erst  nach  5  bis  7  Jahren  aus  der  Trypanosomiasis 
entwickelte.  In  meiner  damaligen  Mitteilung  schrieb  ich  der  Schilddrüse, 
die  auch  bei  anderen  Infektionskrankheiten  von  großem  Einflüsse  ist,  eine 
wesentliche  Rolle  zu.2)  Ich  schloß  das  aus  der  Beobachtung,  daß  der  obige 
Schlafkranke  alle  typischen  Symptome  eines  myxödematösen  Zustandes 
aufwies.  Er  zeigte  denselben  schwankenden  Gang,  eine  auffallende  Apathie 
und  Langsamkeit  der  Bewegungen,  bedächtige  Sprache,  Schwäche  des 
Gedächtnisses,  Trockenheit  der  Haut,  trotz  seiner  Jugend  geschlängelte 
Temporalarterien,  langsamen  Puls  und  hartnäckige  Verstopfung,  neben 
anderen  identischen  Erscheinungen.  Wie  mit  einem  Schlage  verschwanden 
all  diese  Erscheinungen,  als  ich  dem  Kranken  2  bis  4  Schilddrüsentabletten 
(Thyraden)  täglich  verabreichte.  Auch  ist  eine  große  Ähnlichkeit  in  den 
pathologisch-anatomischen  Veränderungen  des  Zentralnervensystems  bei 
der  afrikanischen  Schlafkrankheit  und  dem  Myxödem  zu  konstatieren. 
So  fanden  die  mit  dem  Studium  der  ersteren  beauftragten  englischen 
und  portugiesischen  Kommissionen  bei  der  Schlafkrankheit  Zerstörung 

x)  Willems,  Bulletin  de  la  Societe  Loyale  des  Sciences  Med.  et  Nat.  1905. 

2)  Lorand,  Ueber  das  Altern,  seine  Ursachen  und  seine  Behandlung. 
Verlag  von  Dr.  W.  Klinkhardt,  Leipzig  1909. 


1368 


Lorand,  Ursachen  der  Schläfrigkeit  und  Schlaflosigkeit. 


der  Nervenzellen  und  Nerv.enf ortsätze,  Chromatolyse,  Verschwinden  der 
Nisslschen  Körperchen  und  typische  Anhäufungen  weißer  Blutkörperchen 
in  und  um  die  Gefäße.  Ähnliches  wurde  im  Myxödem  von  Whitwell 
und  bei  entkropften  Hunden  und  Affen  von  Walter  Edmunds  gefunden. 
Diese  Erscheinungen  am  Zentralnervensystem  belegte  man  daher  auch 
in  beiden  Erkrankungen  mit  demselben  Namen  als  Polyo-Encephalo- 
Myelitis. 

Auch  in  ätiologischer  Beziehung  zeigen  beide  Krankheitszustände 
eine  auffallende  Ähnlichkeit.  Das  Myxödem  entsteht  bekanntlich  durch 
eine  Degeneration  der  Schilddrüse,  die  sehr  häufig  von  einer  vorher¬ 
gehenden  Infektionskrankheit  verursacht  wird;  denn  während  dieser 
letzteren  fällt  der  Schilddrüse  die  Aufgabe  zu,  die  auf  den  Körper 
einwirkenden  infektiösen  Stoffe  abzuwehren,  wodurch  sie  in  einen 
Zustand  der  Übertätigkeit  versetzt  wird,  dieser  aber  wiederum  eine 
Degeneration  der  Schilddrüse  bedingen  kann.  So  konstatieren  wir 
auch  bei  der  Trypanosomiasis  eine  große  Reihe  von  Symptomen,  wie  sie 
die  Basedowsche  Krankheit,  eine  ebenfalls  auf  die  Übertätigkeit  der 
Schilddrüse  zurückzuführende  Erkrankung  bietet,  und  wie  durch  ihren 
Verteidigungskampf  die  Schilddrüse  schließlich  degeneriert,  so  folgt  auch 
der  Trypanosomiasis  jener  myxödematöse  Zustand,  den  wir  bei  der  eigent¬ 
lichen  Schlafkrankheit  beobachten.  Ein  für  ihre  Heilung  geeignetes 
Mittel  ist  nach  Koch  das  Atoxyl,  mit  dem  wir,  da  es  ein  Arsenikpräparat 
ist,  eine  der  wichtigsten  chemischen  Substanzen  der  Schildrüse  nach 
Gauthier  und  Bertrand  dem  Körper  zuführen.  Auch  in  der  Behand¬ 
lung  des  Myxödems  ergab  das  Arsenik  gute  Resultate. 

Den  Zustand  der  Schläfrigkeit  finden  wir  ebenfalls  bei  Tieren,  denen 
die  Schilddrüse  entfernt  wurde.  So  beobachtete  ich  mehrere  Hunde,  die 
nach  Exstirpation  derselben  immerwährend  schliefen,  und  ihr  Schlaf  war 
so  tief,  daß  sie  auf  keinen,  selbst  den  lautesten  Lärm  nicht  reagierten. 
Nach  alledem  kann  es  keinem  Zweifel  unterliegen,  daß  die  Schilddrüse 
mit  der  Entstehung  des  Schlafes  in  naher  Beziehung  steht.  Beweisend 
hierfür  sind  vor  allem  die  Tatsachen,  daß  wir  1.  die  Schläfrigkeit  als 
charakteristisches  Symptom  einer  Schilddrüsendegeneration,  so  im  Myx¬ 
ödem/  und  Schlaflosigkeit  als  ein  solches  der  Übertätigkeit  der  Schild¬ 
drüse,  so  bei  der  Basedowschen  Krankheit,  auftreten  sehen  und  daß,  als 
ein  noch  wichtigerer  Umstand,  wir  2.  die  Schlaflosigkeit  mit  dem  Serum 
oder  der  Milch  entkropfter  Tiere,  die  Schläfrigkeit  dagegen  mit  Schild¬ 
drüsentabletten  zu  bekämpfen  imstande  sind. 

Die  Schläfrigkeit  ist  eine  so  charakteristische  Erscheinung  des  Myx¬ 
ödems,  daß  sie  von  Pilcz  unter  den  vier  Kardinalsymptomen  dieser 
Krankheit  angeführt  wird.  Auch  findet  man  sie  nicht  selten  bei  sehr 
wohlbeleibten  Personen,  deren  Fettsucht  nicht  durch  übermäßige 
Nahrung,  sondern  durch  Degeneration  der  Schilddrüse  verursacht  wird. 
Daher  bezeichnete  ich  'diese  Fälle  von  Fettsucht  als  endogene 
Fettsucht,1)  und  als  Beispiel  hierfür  führte  ich  vor  einigen  Jahren’2) 
einen  Kollegen  "an,  der  seine  Schläfrigkeit  so  wenig  bekämpfen 
konnte,  daß  er  sogar  während  einer  Blinddarmoperation,  bei  der  er 
assistierte,  einschlief.  Ein  anderer  meiner  wohlbeleibten  Patienten  konnte 
weder  ein  Theater,  noch  Konzerte,  noch  die  Kirche  besuchen,  da  er 

x)  Lorand,  Über  die  Entstehung  der  Fettsucht  nach  Entfernnng  der  Blut¬ 
drüsen.  Medizinische  Klinik,  25.  März  1905. 

*)  Lorand,  Monthly  Encyclopaedia  of  Medicine,  April  1906. 


II.  Internationale  Leprakonferenz. 


1369 


überall  mit  Sicherheit  einschlief.  Übrigens  sah  ich  nach  Behandlung 
solcher  Fälle  mit  Schilddrüsentabletten  eine  Besserung  eintreten. 

Auch  bei  Akromegalie  ist  die  Schläfrigkeit  eine  begleitende  Er¬ 
scheinung.  Auf  dem  Internationalen  Medizinischen  Kongreß  zu  Madrid 
wies  ich  nach,  daß  diese  Krankheit  ebenfalls  Veränderungen  der  Schild¬ 
drüse  und  nicht  nur  denen  der  Hypophyse  zuzuschreiben  ist.  Ebenso 
ist  die  Müdigkeit,  die  man  bei  bleichsüchtigen  Mädchen  beobachten  kann, 
die  Folge  von  Veränderungen  der  Schilddrüse,  welche  neben  denen  der 
Ovarien  auf  treten. 

Der  Schlaf,  der  durch  Narkose  oder  Alkohol  erzeugt  wird,  kann 
mit  Schilddrüsenveränderungen  in  innigen  Zusammenhang  gebracht 
werden,1)  wie  ich  schon  früher  zeigte. 

Wie  wir  schon  erwähnten,  beruht  die  Schlaflosigkeit  auf  einer 
Übertätigkeit  der  Schilddrüse.  Wir  beobachten  sie  bei  der  Basedowschen 
Krankheit,  bei  Neurasthenie  und  Hysterie,  bei  denen  außerdem  noch 
Veränderungen  der  Geschlechtsdrüsen  bestehen,  sowie  bei  Frauen  während 
des  Klimakteriums,  bei  dem  auch  Veränderungen  der  Schilddrüse  ja 
sogar  mit  echten  Basedowsymptomen  aufzutreten  pflegen. 

Es  ist  ein  merkwürdiger  Zufall,  daß  außer  mir  auch  andere  Autoren 
ohne  Kenntnis  meiner  Arbeiten  über  diesen  Gegenstand  die  Entstehung 
des  normalen  Schlafes  auf  Veränderungen  der  Blutdrüsen  zurückführten. 
So  ist  nach  Salmon,  der  mehrere  Monate  nach  mir  eine  Monographie 
über  den  Schlaf  veröffentlichte,  die  Ursache  desselben  in  Hypophysen¬ 
veränderungen  zu  suchen.  Dieser  Ansicht  kann  ich  mich  jedoch  nicht 
anschließen,  da  z.  B.  die  Schläfrigkeit,  die  bei  der  Akromegalie  beobachtet 
wird,  den  bei  ihr  wohl  nie  fehlenden  Veränderungen  der  Schilddrüse 
mit  demselben  Hechte  wie  denen  der  Hypophyse  zugeschrieben  werden 
kann.  Auch  kann  die  Schläfrigkeit,  wie  ich  an  zahlreichen  Versuchen 
zeigte,2)  künstlich  durch  das  Serum  entkropfter  Tiere  erzeugt  werden, 
was  aber  meines  Wissens  mit  Hypophysenextrakten  noch  nicht  erzielt 
worden  ist.  Nach  meiner  Ansicht  wird  also  der  normale  Schlaf  von 
der  Schilddrüse  reguliert,  wobei  ich  aber  den  Einfluß  anderer  Blutdrüsen 
nicht  ausschließen  will. 


II.  Internationale  Leprakonferenz. 

Bergen,  August  1909. 

Die  Konferenz  erhielt  ein  besonderes  Interesse  dadurch,  daß  sie  in 
Bergen  abgehalten  wurde,  der  Stadt  des  Lepraforschers  und  Entdeckers 
des  Leprabazillus  Armana  Hansen;  er  hat  bewiesen,  daß  durch  eine 
durchaus  human  durchgeführte  Ueberwachung  und  Isolierung  die  Lepra 
langsam,  aber  sicher  zum  Verschwinden  gebracht  werden  könne.  Von 
den  hervorragenden  Aerzten,  die  die  vorangehende,  vor  12  Jahren  in 
Berlin  abgehaltene  Konferenz  zierten,  fehlten  Virdh'ow,  Biesinier 
(Paris),  Kaposi  und  Neumann  (Wien),  Glück  (Serajewo).  Mit  Bück- 
sicht  auf  die  Baumverhältnisse  wollen  wir  die  Vorträge  nur  kursorisch 
vornehmen.  Dehio  (Dorpat)  sprach  über  die  Lepra  in  den  Ostseeprovin¬ 
zen,  namentlich  in  Livland,  und  kam  zum  Schlüsse,  daß  die  Lepra 
keine  erbliche  Familienkrankheit,  sondern  eine  infektiöse  Hauskrank- 

ß  Lorand,  Sur  la  Pathogenie  de  la  Narcose.  Comptes  Bendus  de  la  Societe 
de  Biologie,  25.  April  1906. 

2)  Therapie  der  Gegenwart,  Nov.  1907.  Siehe  auch  meine  Monographie  über 
die  Entstehung  des  Diabetes.  Berlin  1903  (Hirschwald). 


1370 


S.  Leo, 


heit  sei.  Sticker  (Bonn)  fand  hei  gewissen  Fischen  Bazillen,  die  in 
vieler  Hinsicht  den  Leprabazillen  gleichen.  Sticker  berührt  sich  mit 
Hutchinson  (London),  der  in  Fischen  und  Fischnahrung1  die  Ursache 
der  Lepra  sieht.  Per  in  (Marseille)  führt  die  Zunahme  der  Lepra  in 
Frankreich  auf  die  Einwanderung  aus  den  Kolonien  zurück.  Bo  eck 
(Kristiania)  glaubt,  daß  die  Verbreitung  der  Lepra  durch  Harmentlee¬ 
rung  erfolge.  B lasch  ko  (Berlin)  nimmt  eine  stark  verbreitete  Immuni¬ 
tät  gegen  Lepra  an.  Vererbt  kann  eine  höhere  Disposition  für  die  Infek¬ 
tion  werden.  Brocq  (Paris)  stellt  fest,  daß  das  Erkennen  der  Lepra 
im  Anfangsstadium  fast  unmöglich  ist.  Köhler  (Bosnien)  konstatiert 
eine  erhebliche  Abnahme  der  Lepra  in  Bosnien  infolge  der  fortschrei¬ 
tenden  Assanierung  des  Landes ;  er  betont  mit  Hinweis  auf  die  Angaben 
von  Geil,  Ehlers  und  Petrini,  die  Rolle  des  Erdbodens  als  Zwischen¬ 
träger  des  Lepravirus.  Cor ne y  (Honolulu)  wies  auf  die  Zweckmäßig¬ 
keit  hin,  das  erste  Auftreten  der  Lepra  durch  Untersuchung  der  Nase 
und  des  Nasenschleims  festzustellen.  Zu  einer  scharfen  Auseinander¬ 
setzung  kam  es  bezüglich  des  von  Deyke  (Hamburg)  angegebenen  Heil¬ 
mittels  N astin.  Nastin  ist  ein  Bestandteil  gewisser  bei  der  Lepra, 
aber  nicht  im  Leprabazillus  vorkommender  Mikroben.  Während  die 
einen  Deyke  zustimmten,  bekämpften  andere  seine  Ausführungen.  Die 
Schlußresolutionen  legten  das  Hauptgewicht  auf  eine  Isolierung  der 
Leprakranken  unter  menschenwürdigen  Daseinsbedingungen.  Deutsch¬ 
land,  Norwegen  und  Schweden  haben  damit  ausgezeichnete  Resultate 
erzielt.  Wichtig  ist  die  Trennung  der  Kinder  Lepröser  von  ihren 
Eltern ;  denn  die  Krankheit  ist  nicht  erblich,  sondern  die  Kinder  werden 
von  den  kranken  Eltern  nach  der  Geburt  angesteckt.  Bei  der  großen 
Latenzdauer  der  Infektion  wird  empfohlen,  Menschen,  die  mit  Leprösen 
längere  Jahre  in  Berührung  kamen,  regelmäßig  durch  erfahrene  Aerzte 
untersuchen  zu  lassen.  Die  nächste  III.  Konferenz  wird  1917  in  Peters¬ 
burg,  Algier  oder  Serajewo  stattfinden.  S.  Leo. 


Wiener  Brief. 

Ein  Sammelbericht.  —  Von  Dr.  S.  Leo. 

(Schluß.) 

Georg  Lotheissen  demonstrierte  einen  16jährigen  Patienten, 
den  er  wegen  Br onchiektasien  im  linken  Unterlappen  operiert  hat. 
Legte  sich  der  Pat.  auf  die  linke  Seite,  so  konnte  er  sofort  einen  Mund 
voll  Sputum  herausbringen.  Der  Auswurf  wurde  von  Zeit  zu  Zeit 
stark  blutig,  war  stets  dreischichtig,  oft  stinkend.  Da  keine  Besserung 
zu  erzielen  war,  entschloß  L.  sich  zur  Operation.  Auf  Pleuraadhäsionen 
war  nicht  sicher  zu  rechnen,  daher  mußte  L.  auf  einen  Pneumothorax 
gefaßt  sein.  Da  bei  diesem  das  Zurücksinken  der  Lunge  gegen  den 
Hilus  so  gefährlich  ist,  haben  Alsberg  und  Depage  geraten,  den  Pat. 
auf  den  Bauch  zu  legen.  Da  L.  damals  noch  keinen  Ueberdruckapparat 
zur  Verfügung  hatte,  entschloß  er  sich  um  so  leichter  zu  diesem,  da  er 
auf  der  Hinterseite  operieren  mußte.  In  der  Tat  rief  die  breite  Eröffnung 
der  Pleurahöhle  nur  relativ  geringe  Störungen  hervor.  (Hustenreiz,  Puls¬ 
beschleunigung.)  Die  7.  und  8.  Rippe  wurde  auf  mehr  als  10  cm  Länge 
reseziert,  der  Unterlappen  gefaßt  und  besichtigt.  Die  pulmonale  Pleura 
war  verdickt,  sonst  tastete  man  nichts,  der  Lappen  kollabierte  sehr 
schön.  Um  ihn  dauernd  kollabiert  zu  halten  und  so  die  Bronchiektasie 
zum  Schwinden  zu  bringen,  wurde  er  gut  handbreit  höher  an  die  Pleura 


Wiener  Brief. 


1371 


costalis  angenäht,  nnd  außerdem  nach  dem  von  Gar  re  auf  dem  Chirurgen¬ 
kongreß  1907  gemachten  Vorschlag  der  Komplementärraum,  in  dem 
früher  der  Lappen  lag,  zu  veröden  gesucht.  Die  durch  die  Kippen¬ 
resektion  beweglich  gewordene  Pleura  wurde  an  das  Zwerchfell  ange¬ 
näht,  ein  Tampon  eingelegt,  darüber  Muskel-  und  Hautnaht.  Die  Heilung 
ging  glatt  vor  sich.  Sogleich  hustete  der  Pat.  nur  noch  kleine  Mengen 
auf  einmal  aus.  Sein  Auswurf,  größtenteils  nur  Speichel,,  beträgt 
ca.  6  bis  10  ccm  im  Tage,  während  er  früher  100  bis  150  ccm  betragen 
hatte.  Bei  solchen  Bronchiektasien  ist  der  Erfolg  der  Operation  nicht 
immer  sicher,  manchmal  muß  man  alle  Kavernen  eröffnen  oder  gar 
den  Lungenlappen  resezieren.  Die  Bildung  eines  künstlichen  Pneumo¬ 
thorax  durch  Einblasen  von  Stickstoff  (nach  Forlanini,  Murphy- 
Brauer)  hat  L.  einigemal  versucht,  doch  war  der  Effekt  nicht  groß, 
obwohl  der  Eingriff  gut  vertragen  wurde.  L.  hat  eigene  Erfahrung  über 
26  Lungenoperationen  bei  eitrigen  Prozessen.  Rechnet  man  such  die 
ungünstigen  Eälle,  zumeist  solche  mit  multiplen  Höhlen  ein,  ergibt 
sich  eine  Gesamtmortalität  von  43°/0.  Lenhartz  hatte  bei  85  Opera¬ 
tionen  37°/0  Gesamtmortalität,  bei  einfachen  Fällen  23°/0. 

In  der  Gesellsch.  für  innere  Med.  und  Kinderheilkunde  sprach 
Beruh.  Speck  über  Masern  im  Säuglingsalt  er :  Sp.  hat  592  Fälle 
beobachtet  Bezüglich  der  Zeit  des  Auftretens  ergab  sich,  daß  Kinder 
im  ersten  Lebensmonate  immun. zu  sein  scheinen.  Die  Infektion  erfolgt 
direkt  oder  indirekt;  die  Erfahrungen  sprechen  dafür,  daß  bei  Säug¬ 
lingen  durch  Separation  die  Infektion  vermieden  werden  kann.  Ein 
Einfluß  der  natürlichen  und  künstlichen  Ernährung  betreffs  der  In¬ 
fektion  sfähigkeit  und  der  Komplikationen  läßt  sich  nicht  nachweisen. 
Vom  ersten  Monat  an  wird  mit  zunehmendem  Alter  die  Infektionsfähig¬ 
keit  gesteigert.  Ivoplik’sche  Flecken  sind  fast  ausnahmslos  beim  Aus¬ 
bruche  des  Exanthems  zu  finden.  Das  Exanthem  ist  manchmal  bei 
schwächlichen  und  kachektischen  Kindern  sehr  geringfügig,  oft  nur 
lokal  beschränkt,  z.  B.  auf  die  Gegend  hinter  den  Ohren.  Es  gibt 
auch  Masern  ohne  Exanthem,  dabei  sind  aber  Koplik’sche  Flecken  zu 
finden.  Die  Schleimhauterscheinungen  sind  desto  schwächer  ausge¬ 
sprochen,  je  jünger  die  Kinder  sind.  Das  Exanthem  ist  an  Stellen  mit 
Intertrigo  oft  stärker  ausgesprochen  als  im  Gesichte;  Gastrointestinal  - 
störungen  sind  bei  Säuglingen  seltener  als  bei  Erwachsenen.  Die  Pro¬ 
gnose  ist  im  Säuglingsalter  schlechter  als  im  höheren  Alter,  weil  Kom¬ 
plikationen  von  seiten  der  Atmungsorgane  häufig  sind;  besonders  schwer 
sind  sie  bei  tuberkulösen  Säuglingen.  Das  wertvollste  und  konstanteste 
Symptom  sind  die  Koplik’schen  Flecken. 

Im  „Wien,  mediz.  DoktorenkollegiunC  sprach  Anton  Schüller 
zur  Diagnose  des  Hirntumors.  Eines  der  häufigsten  und  frühesten 
Zeichen  der  Hirngeschwulst  pflegt  der  Kopfschmerz  zu  sein.  Jeder 
intensivere  und  hartnäckigere  Kopfschmerz  muß  uns  mahnen,  an  einen 
Tumor  des  Gehirns  zu  denken.  Derartige  Kopfschmerzen  werden  öfters 
für  nasal  gehalten.  Die  Bedeutung  der  Stauungspapille  für  die  Dia¬ 
gnose  ist  bekannt.  Sie  ist  das  konstanteste  und  sicherste  Zeichen  des 
Hirntumors.  Nach  Oppenheim  ist  die  Stauungspapille  in  90  unter 
100  Fällen  das  Symptom  eines  Hirntumors.  Erwähnenswert  ist,  daß 
der  Kopfschmerz  zuweilen  einen  intermittierenden,  als  Migräne  bezeich- 
neten  Charakter  hat.  Insbesondere  gilt  dies  für  die  Tumoren  der  hinteren 
Schädelgrube  und  die  Tumoren  der  Hypophysengegend.  Kopfschmerz 
und  Stauungspapille  gehören  zu  den  Allgemeinsymptomen  des  Tumors; 


1372 


S.  Leo,  Wiener  Brief. 


sie  sagen  nur,  daß  ein  Tumor  vorhanden  ist,  nicht  aber,  wo  derselbe 
seinen  Sitz  hat.  Jedoch  hebt  Sch.  hervor,  daß  sie  mit  einer  Reihe  ande¬ 
rer  Symptome  auch  einen  gewissen  lokaldiagnostischen  Wert  haben. 
So  wissen  wir,  daß  die  Kombination  von  Kopfschmerz  und  Stauungs¬ 
papille  mit  Schwindel  und  Erbrechen  (ohne  anderweitige  Lokalsymptome) 
für  einen  Tumor  des  Kleinhirns,  hezw.  der  hinteren  Schädelgrube  spricht, 
im  Gegensätze  zu  Tumoren  des  Stirnhirns,  bei  welchen  Stauungspapille 
und  Erbrechen  oft  lange  Zeit  fehlen.  Hingegen  sind  psychische  Stö¬ 
rungen,  z.  B.  in  Form  einer  eigenen  Witzelsucht,  ein  Hinweis  auf  Er¬ 
krankungen  des  Stirnhirns.  Schlafsucht  deutete  auf  Vorhandensein 
eines  Tumors  im  3.  Ventrikel  hin.  Unter  Lokalsymptomen  verstehen 
wir  diejenigen  Zeichen,  die  einen  direkten  Anhaltspunkt  für  den  Sitz 
des  Tumors  gehen.  Eine  weitere  Symptomengruppe  sind  vegetative  Ano¬ 
malien.  Den  Anfang  machte  die  Erkenntnis,  daß  die  Akromegalie 
stets  der  Ausdruck  einer  Geschwulstbildung  in  der  Hypophyse  ist. 
Hie  Fr  öhlich’sche  Krankheit  spricht  für  Tumoren  an  der  Basis  des 
Gehirns  in  der  Gegend  der  Hypophyse.  Eine  dritte  Kategorie,  ausge¬ 
zeichnet  durch  übermäßige,  frühzeitige  Entwicklung  der  Genitalien, 
spricht  für  eine  Geschwulst  der  Zirbeldrüse,  und  zwar  meist  für  ein 
Teratom  der  Glandula  pinealis.  Was  die  Art  des!  Tumors  betrifft, 
so  kann  die  Wassermann’scbe  Reaktion  einerseits,  die  Ophthalmoreak¬ 
tion  anderseits  uns  leiten.  Hie  Untersuchung  der  Haut  kann  durch  den 
Nachweis  von  Zystizerken  die  Hiagnose  auf  diese  Art  lenken.  Eine 
eigentümliche  Art  von  Adenoma  sebaceum  der  Gesichtshaut  erlaubt  den 
Schluß  auf  tuberöse  Sklerose  des  Gehirns,  die  unter  dem  Bilde  der 
Idiotie  auf  tritt.  Multiple  Neurofibromatose  der  Haut  läßt  auf  Fibrome 
an  der  Basis  des  Gehirns  denken,  zu  ihnen  gehören  besonders  die  Akusti- 
kustumoren.  Sie  sitzen  in  der  hinteren  Schädelgrube  an  der  Seiten¬ 
fläche  der  Brücke  entsprechend  der  Austrittsstelle  des  Akustikus  aus 
dem  Hirnstamm.  Es  sind  stets  gutartige  Geschwülste,  Fibrome,  die  mit 
der  Umgebung  nicht  verwachsen  und  daher  relativ  leicht  entfernbar 
sind.  Gelegentlich  der  Untersuchung  der  Spinalflüssigkeit  können  wir 
durch  Tumorzellen  oder  Hakenkränze  von  Parasiten  (hezw.  Bernstein¬ 
säure)  Aufschlüsse  gewinnen.  Hie  von  Ne  iss  er  (Stettin)  angegebene 
Hirnpunktion  ist  eine  neue  Form  der  Probepunktion  der  internen  Medi¬ 
zin.  Man  erreicht  dies,  indem  man  ohne  Anwendung  einer  Narkose 
mittels  einer  dünnen  (etwa  U/2  mm  breiten)  Punktionsnadel,  die  durch 
einen  Elektromotor  in  rascheste  Rotation  versetzt  wird,  in  einem  Tempo 
durch  Haut  und  Knochen  des  Schädels  fährt.  Nach  Entfernung  des 
Mendrins  aus  der  Nadel  kann  man  mittels  leichter  Aspiration  Flüssig¬ 
keiten  oder  feste  Substanz  aus  dem  Schädelinnern  herausbefördern.  Hie 
Indikation  zur  Hirnpunktion  tritt  nach  Oppenheim  erst  dann  in  ihre 
Rechte,  wenn  die  mit  Hilfe  der  übrigen  Untersuchungsmethoden  ver¬ 
suchte  Hiagnose  an  einem  toten  Punkt  angelangt  ist.  Zweckmäßig 
ist  die  Hirnpunktion  auch  in  solchen  Fällen,  wo  infolge  allgemeiner 
Hruck Steigerung  die  Herdsymptome  nicht  deutlich  zum  Ausdruck  kom¬ 
men  oder  lehensbedrohliche  Erscheinungen  vorhanden  sind ;  da  kann 
zuweilen  eine  Punktion  des  Ventrikels  kurativ  wirken  und  günstige 
Bedingungen  für  die  Herddiagnose  schaffen,  auf  Grund  deren  man 
eventuell  sofort  die  radikale  Operation  anschließen  kann.  Was  kann  die 
Röntgenuntersuchung  für  die  Hiagnose  leisten  ?  Im  Anfänge  glaubte 
man,  die  Weichteilstumoren  des  Hirns  und  der  Hirnhäute  auf  der 
Röntgenplatte  sehen  zu  können.  Es  handelte  sich  in  allen  solchen 


Zeit-  und  Streitfragen. 


1373 


Fällen  um  Trugbilder.  Wenn  man  nämlich  den  Schädel  röntgenogra- 
phiert,  so  erhält  man  eine  ziemlich  gleichmäßig  gran  getönte  Fläche, 
in  der  häufig  eine  zirkumskripte  Stelle  durch  ihre  hellere  Färbung 
auffällt.  Diese  Stelle  entspricht  stets  der  Gegend,  an  welcher  der 
Schädel  direkt  der  Platte  auf  lag.  Während  an  dieser  Stelle  die  Strah¬ 
len  keine  Luft  zu  passieren  haben,  ist  rings  eine  ziemlich  beträchtliche 
Luftschicht  vorhanden,  die  Sekundärstrahlen  erzeugt,  die  die  Platte 
schwärzen.  Nur  der  Fleck,  wo  keine  Luft  zwischen  Kopf  und  Platte 
sich  befindet,  bleibt  ausgespart  und  fällt  durch,  seine  Helligkeit  auf. 
Die  große  Mehrzahl  von  röntgenologischen  Darstellungen  bei  Hirn¬ 
tumoren  betrifft  den  Nachweis  von  Veränderungen  am  Schädelskelett. 
Das  häufigste  und  dankbarste  Objekt  der  Pöntgenographie  stellen  jene 
bei  Hirntumoren  vorkommenden  Veränderungen  des  Schädelskeletts  dar, 
die  als  destruktive  Veränderungen  zu  bezeichnen  sind. 

Ein  bemerkenswertes  Interesse  zeigt  neuerlich  die  Wiener  Polizei 
für  die  Jugendf ür sorge.  Einer  besonderen  polizeilichen  Jugendfür¬ 
sorge  sollen  teilhaftig  werden:  jugendliche  Vaganten  und  Bettler, 
jugendliche,  aus  der  Gerichtshaft  tretende  und  der  Polizei  zur  weiteren 
Verfügung  überstellte  Abgestrafte,  bezw.  Freigesprochene,  und  jugend¬ 
liche,  für  die  Abgabe  in  eine  Besserungsanstalt  zu  behandelnde  Indi¬ 
viduen.  Der  Polizeidirektionsreferent  hat  fallweise  mindestens  einmal 
im  Vierteljahre  Konferenzen  mit  den  Jugendreferenten  der  Kommissa¬ 
riate  abzuhalten,  um  ein  einheitliches  Vorgehen  zu  erzielen.  Diese  Refe¬ 
renten  haben  vorzugsweise  die  humanitäre  Seite  im  Auge  zu  behalten. 
Sie  haben  mit  öffentlichen  und  privaten  Instituten,  die  sich  mit  der 
Jugendfürsorge  befassen,  Fühlung  zu  nehmen  und  diese  Anstalten  in 
Evidenz  zu  führen,  um,  wenn  dies  nötig  ist,  augenblickliche  Hilfe  zu 
erzielen.  Sie  haben  ferner  mit  Jugendrichtern,  Pflegschaftsbehörden 
und  Waisenräten  in  Fühlung  zu  treten.  Mit  der  Zeit  soll  auch  die 
Sorge  für  mißhandelte  und  uneheliche  Kinder  einbezogen  werden. 


Zeit-  und  Streitfragen. 

Nachklänge  von  der  81.  Versammlung  Deutscher  Naturforscher 

und  Ärzte  in  Salzburg. 

Von  Dr.  von  Criegern  in  Leipzig. 

Organisatorische  Fragen  sollen  im  nachstehenden  von  einem  Medi¬ 
ziner  besprochen  werden,  und  zwar  zu  der  Zeit,  in  welcher  die  Vor¬ 
bereitung  für  die  nächste  (82.)  Naturforscherversammlung  beginnt,  damit 
dieselben  womöglich  Beachtung  finden  können.  Denn  seit  einigen  Jahren, 
irren  wir  nicht,  besonders  Seit  einem,  Dr.  H.  M.  Unterzeichneten  Artikel 
in  der  Wiener  Neuen  Freien  Presse  vom  19.  Sept.  1907,  besteht  eine 
Diskussion  hierüber,  welche  noch  nicht  zu  Ende  gekommen  ist.  Fast 
alle,  die  das  Wort’  ergriffen  haben,  sind  sich  einig  in  dem  Wunsche  nach 
größerer  Konzentration  und  in  den  Klagen  über  die  zunehmende  Zer¬ 
splitterung.  Diese  letztere  charakterisiert  ja  nun  überhaupt  die  medizi¬ 
nische  (und  nicht  minder  die  naturwissenschaftliche)  Forschung  und  ist 
eine  durchaus  notwendige  Erscheinung,  worüber  kein  Wort  zu  verlieren 
ist.  Anderseits  mehren  sich  nun  in  letzter  Zeit  immer  wieder  die  Stimmen, 
die  in  der  ärztlichen  Praxis  wieder  mehr  nach  dem  universell  gebildeten 


1374 


Zeit-  und  Streitfragen. 


Hausarzte  rufen  und  damit  in  der  medizinischen  Wissenschaft  die  Spezial¬ 
disziplinen  auf  die  breiten  und  wurzelhaften  Zusammenhänge  mit  den 
Hauptfächern  hinweisen.  Gerade  die  Naturforscher  Versammlung  gilt 
überall  als  der  gegebene  Ort  für  derartige  Bestrebungen,  im  Gegensatz 
zu  den  Spezialkongressen,  die  eingehendste  fachliche  Detailarbeit  pflegen 
müssen;  dieser  Gegensatz  selbst  beweist  die  Berechtigung  der  einen 
neben  den  andern.  Ebendeshalb  erblickt  man  in  einer  etwa  weiter¬ 
gehenden  Zersplitterung  für  die  erstere  eine  Gefahr,  und  daher  schreibt 
sich  auch  die  Enttäuschung  vieler  Besucher,  die  oft  zu  Reformierungs¬ 
vorschlägen  geführt  hat. 

Auch  wir  können  nach  unseren  Eindrücken  das  Bestehen  dieser 
Gefahr  nicht  ableugnen.  Wie  in  früheren  Jahren,  so  fanden  wir  auch 
in  Salzburg  Vorträge  in  Abteilungen,  wo  wir  sie  nicht  gesucht  hätten, 
und  vermißten  sie  da,  wo  wir  ihretwegen  vergeblich  warteten.  Es  mangelte 
an  gemeinsamer  Arbeit  mehrerer  Abteilungen,  es  fehlte  die  Möglichkeit, 
auch  nur  mit  annähernder  Wahrscheinlichkeit  vorauszuberechnen,  wann 
(und  mitunter  auch  wo)  man  das  würde  hören  können,  wofür  man  sich 
interessierte.  Natürlich  nur  für  den,  der,  eingedenk  der  glücklichen 
Studienzeit,  wieder  sich  universell  über  seine  Wissenschaft  unterrichten 
wollte:  Der  strenge  Fachmann  hatte  es  leicht;  er  brauchte  sich  nur  in 
seine  Abteilung  einzuspinnen,  so  war  für  ihn  gesorgt.  Aber  wir  können 
gleich  hinzufügen,  daß  uns  die  altehrwürdige  und  doch  blühende  Insti¬ 
tution  durchaus  nicht  den  Eindruck  einer  gründlichen  Reparaturbedürf¬ 
tigkeit  machte.  Wir  fanden  vielmehr  alle  Einrichtungen  für  die  Er¬ 
füllung  unserer  Wünsche  bereits  getroffen,  nur  glauben  wir,  daß  gerade 
das  Beispiel  der  Salzburger  Tagung  gut  zeigt,  inwiefern  dieselben  in 
Zukunft  noch  umfassender  ausgenutzt  werden  könnten. 

Den  Konnex  zwischen  den  einzelnen  Abteilungen  erhalten  ver¬ 
schiedene  Einrichtungen,  die  auch  im  Tageblatte  besonders  hervorgehoben 
werden.  In  erster  Linie  die  beiden  Allgemeinen  Versammlungen:  eine 
solche  eröffnet  (Montags  früh),  die  andere  schließt  (Freitags  früh)  den 
wissenschaftlichen  Teil  der  Tagung.  Beide  tragen  einen  repräsentativen 
Zuschnitt;  er  ist  an  dieser  Stelle  wohl  angebracht  und  darf  daher  schwer¬ 
lich  durch  eine  weitere  Nutzbarmachung  für  unsere  Zwecke  angegriffen 
werden.  Anders  steht  es  mit  der  „Gemeinschaftlichen  Sitzung  beider 
Hauptgruppen“  (am  Donnerstag  früh):  Hier  könnte  man  bereits  prak¬ 
tisch  mit  der  Erweiterung  beginnen.  Wenn  auch  die  Hauptvorträge  von 
der  Leitung  arrangiert  werden,  so  würde  doch  nichts  hindern,  ihnen 
zwar  ihren  bevorzugten  Charakter  zu  lassen,  aber  einschlägige  Vorträge 
aus  den  verschiedenen  Abteilungen  anzuschließen.  Nehmen  wir  ein  prak¬ 
tisches  Beispiel  von  der  letzten  Tagung:  „Der  gegenwärtige  Stand  der 
Radiumforschungen“  lautete  das  zweite  Thema;  daran  hätte  man  8  weitere 
Vorträge  aus  verschiedenen  Abteilungen  anschließen  können:  2  aus  der 
Abteilung  für  Physik  (zu  einem  war  die  Abteilung  für  Geophysik  ein¬ 
geladen);  1  aus  der  Abteilung  für  Chemie,  zu  dem  7  verschiedene  natur¬ 
wissenschaftliche  und  medizinische  Abteilungen  eingeladen  waren;  4  aus 
der  Abteilung  für  Innere  Medizin;  1  aus  der  Abteilung  für  Chirurgie. 
Die  Sitzung  dauerte  nur  mäßig  lange;  an  sich  hätte  Diskussion  statt¬ 
finden  können,  was  nicht  der  Fall  war;  so  wäre  Zeit  genug  gewesen,  Vor¬ 
träge  aus  den  Einzelabteilungen  heranzuziehen,  allerdings  unter  Beschrän¬ 
kung  auf  die  für  die  Abteilungsvorträge  zulässige  Dauer.  Voraussetzung 
dafür  war  nur,  daß  die  Oberleitung  über  die  Verteilung  der  Vorträge 
so  weit  disponieren  darf. 


Zeit-  lind  Streitfragen. 


1375 


Ferner  bestehen  Einzelsitzungen  der  beiden  Hauptgruppen  (am 
Donnerstag  nachmittag  gleichzeitig).  Wir  haben  nur  die  der  medizini¬ 
schen  besucht  und  fanden  sie  auch  wieder  wesentlich  von  gehobenem 
Anstriche,  und  nur  von  kurzer  Dauer.  Es  ließe  sich  ohne  weiteres  an 
eine  solche  Sitzung  noch  ein  zweiter  Teil  anschließen,  der  von  Abteilungs¬ 
vorträgen  von  allgemeinem  Interesse  ausgefüllt  würde  (wieder  mit  der 
für  solche  gütigen  Beschränkung  in  der  Zeit).  Auch  hier  wäre  es  zweck¬ 
mäßig,  eine  stoffliche  Gruppierung  vorzunehmen,  um  womöglich  mit  einer 
Generaldebatte  auszukommen.  Es  empfähle  sich,  eine  Gruppe  auszu¬ 
wählen,  die  für  möglichst  viele  Einzelabteilungen  Interesse  bietet.  Das 
wäre  zunächst  das  der  Geschichte  der  Medizin,  die  ja  in  Salzburg  in  den 
allgemeinen  Veranstaltungen  in  bevorzugter  Weise  zum  Worte  gekommen 
ist;  ferner  Anatomie, Physiologie, deskriptive  und  experimentelle  Pathologie; 
Bakteriologie.  Man  braucht  aber  nicht  nur  auf  die  den  Einzeldisziplinen  ge¬ 
meinsamen  Zentralgebiete  zurückzugehen;  auch  gewisse  technische  Hilfs¬ 
mittel  können  einmal  in  den  Vordergrund  des  Interesses  treten:  z.  B. 
Mikroskopie  und  Laboratoriumsbedarf,  Endoskopie  und  Elektrotechnik, 
Böntgenologie,  oder  Unterrichtsmittel,  oder  Krankenhausbedarf  resp.  In¬ 
stitutseinrichtung  usf.  Um  wieder  beim  realen  Beispiel  von  Salzburg  zu 
bleiben,  wäre  an  die  feierliche  Donnerstagsnachmittagssitzung  eine  Serie 
von  Vorträgen  entweder  aus  dem  Gebiete  der  Bakteriologie  oder  dem 
der  Röntgenologie  anzuschließen  gewesen,  denn  gerade  aus  diesen  beiden 
finden  sich,  numerisch  betrachtet,  die  größte  Anzahl  in  den  Einzelabteilungen 
angekündigt,  viele  darunter  besonders  wertvoll,  und,  z.  B.  die  Abkürzung 
der  Exposition  der  Röntgenbilder  auf  1hoo  Sekunde  und  die  Versuche 
zur  Röntgenkinematographie,  wesentliches  Neue  bringend.  Das  zufällig 
vorliegende  Ankündigungsmaterial  würde  in  einem  Jahre  diesen,  im  andern 
jenen  Gesichtspunkt  in  den  Vordergrund  rücken;  Voraussetzung  wäre 
wieder,  daß  die  Oberleitung  über  die  Verteilung  der  Vorträge  so  weit 
disponieren  darf. 

Den  Abteilungen  bleiben  für  ihre  Spezialarbeiten  gegenwärtig  vier 
halbe  Tage  übrig,  die  aber  auch  gegenwärtig  schon  der  Generalabsicht 
des  wissenschaftlichen  Austausches  dienstbar  gemacht  werden.  Da  gibt 
es  zunächst  kombinierte  Sitzungen  mehrerer  Abteilungen.  Von  diesem 
Mittel  wurde  in  Salzburg  wenig  Gebrauch  gemacht.  Soviel  wir  wissen, 
haben  innerhalb  der  medizinischen  Hauptgruppe  nur  zwei  solche  statt¬ 
gefunden,  1.  zwischen  der  Abteilung  für  Nasen-  und  Halskrankheiten; 
2.  zwischen  der  für  Anatomie,  Physiologie,  Histologie  und  Embryologie 
und  den  beiden  für  Zoologie  und  Botanik.  Eine  der  beiden  hat  am 
Dienstag  nachmittag  stattgefunden:  das  scheint  uns  ein  außerordentlich 
glücklicher  Termin  zu  sein;  in  vielen  Abteilungen  hatten  an  den  beiden 
ersten  Halbtagen  große  Sitzungen  stattgefunden,  und  die  Dienstagssitzung 
war  die  am  schwächsten  besetzte.  Eine  Ausnahme  machte  die  Abteilung 
für  Gynäkologie,  doch  bestätigt  sie  gerade  unsere  Auffassung:  denn  sie 
hatte  an  diesem  Tage  Herren  der  Abteilung  für  Kinderheilkunde  zu 
Gaste,  welche  lebhaft  in  die  Diskussion  eingriffen.  So  wäre  es  vielleicht 
nicht  ganz  unangebracht,  den  Dienstagnachmittag  ein  für  allemal  zum 
Termin  der  kombinierten  Abteilungssitzungen  auszuersehen;  damit  ließen 
sich  vielleicht  auch  Vorschläge  für  gewisse  feste  Kombinationen  ver¬ 
binden,  deren  Zustandekommen  alljährlich  angestrebt  werden  müßte  und 
nur  aufzugeben  wäre  bei  Mangel  an  geeigneten  Vortragsmeldungen. 
Grenzgebiete  sind  das  geeignete  Thema  für  solche  Verbindungen,  wie  es 
das  Beispiel  der  Hals-  und  Ohrenärzte  beweist.  Für  weitere  Grenz- 


1376 


Zeit-  und  Streitfragen. 


gebiete  halten  wir  uns  an  eine  statistische  Tabelle,  die  wir  uns  aus  den 
hinüber  und  herüber  erfolgten  Einladungen  zusammenstellten:  so  besteht 
ein  solches  zwischen  Frauen-  und  Kinderheilkunde  und  ganz  besonders 
zwischen  Chirurgie  und  Innerer  Medizin  (zugleich  der  Neurologie),  was 
ja  wohl  auch  schon  hinlänglich  bewiesen  ist  durch  die  Existenz  zweier 
guter  Zeitschriften  für  dieses  letztere.  Man  kann  ferner  in  manchen 
Jahren  an  Kombinationen  gleichartiger  Gruppen  denken,  etwa  der  ope¬ 
rierenden,  falls  dieselbe  durch  einen*  technischen  Fortschritt  — -  wie  ihn 
beispielsweise  seinerzeit  die  neuen  Errungenschaften  der  Lokalanästhesie 
und  nichtinlialierenden  Allgemeinnarkose  darstellten  —  eine  gemeinsame 
Anregung  fänden,  was  ja  durch  die  angemeldeten  Vorträge  zum  Aus¬ 
druck  gebracht  wird.  Mutatis  mutandis  wird  dies  zeitweilig  auch  für 
die  inneren  Fächer  zweckmäßig  sein:  auch  ein  Zusammenschluß  aller 
medizinischen  Abteilungen  unter  pharmakologischem  Banner  wäre  mit¬ 
unter  zu  erwägen,  wie  denn  die  Pharmakologie  in  Salzburg  für  die  An¬ 
sprüche  des  praktischen  Arztes  etwas  zu  stiefmütterlich  behandelt  wurde. 
Die  Pharmakologie  führt  uns  auf  die  angewandte  Chemie  und  auf  die 
angewandte  Physik  resp.  Instrumentenkunde:  auch  diese  Disziplinen 
können,  wenn  auch  vielleicht  nicht  alljährlich,  einmal  das  einigende  Band 
für  mehrere  medizinische  Abteilungen  werden.  Die  drei  letzten  Fächer 
sind  auch  an  der  Ausstellung  stark  interessiert,  doch  über  deren  eini¬ 
gende  Aufgabe  vgl.  weiter  unten.  So  hätten  wir  regelmäßig  zu  erstre¬ 
bende  Kombinationen,  besonders  die  erst  aufgeführten,  und  mehr  ge¬ 
legentlich  sich  bietende. 

Im  Zentrum  der  medizinischen  Wissenschaft  stehen  die  medizinisch¬ 
biologischen  Fächer,  welche  auch  zugleich  die  stärksten  Bänder  an  die 
naturwissenschaftliche  Hauptgruppe  binden:  Anatomie,  Physiologie,  Histo¬ 
logie,  Embryologie,  deskriptive  und  experimentelle  Pathologie  einschlie߬ 
lich  der  Bakteriologie.  Die  Bedeutung  dieser  Fächer  ist  für  alle  übrigen 
medizinischen  Abteilungen  eine  überragende;  für  die  Innere  Medizin, 
Kinderheilkunde,  Neurologie  braucht  das  ja  gar  nicht  erst  begründet  zu 
werden.  Aber  auch  in  den  spezialistischsten  Fächern,  um  diesen  Super¬ 
lativ  zu  gebrauchen,  gehört  bei  der  Auszählung  durchschnittlich  ein 
Drittel  der  angekündigten  Vorträge  ihrem  Gebiete  an  (genauer:  der  An¬ 
teil  schwankt  zwischen  einem  Viertel  und  der  Hälfte!).  Das  ist  natür¬ 
lich:  alle  sogenannte  „theoretische“,  bezw.  streng  wissenschaftliche  Arbeit 
kann  ja  nur  immer  wieder  auf  die  medizinische  Biologie  zurückführen. 
Erst  der  Rest  der  Vorträge  befaßt  sich  mit  der  spezialistisch  angewandten 
Wissenschaft.  Daher  kommen  fast  alle  Fusionsvorschläge  immer  wieder 
darauf  hinaus,  hier  die  Vereinigung  der  getrennten  Gruppen  herbeizu¬ 
führen.  Die  Konsequenz  davon  wäre:  eine  große,  beständig  tagende 
medizinische  Hauptgruppe,  daneben  spezialistische  Sitzungen  mit  nur  auf 
das  engste  fachliche  Interesse  beschränktem  Programm.  Das  würde 
allerdings  die  größte  Zentralisierung  bedeuten  und  einer  vollständigen 
Umgestaltung  des  Bestehenden  gleichkommen.  Wir  können  uns  von  der 
Zweckmäßigkeit  dieser  Maßnahme  nicht  überzeugen:  diese  Hauptgruppe 
würde  mit  unendlichem  Tagungsstoff  überhäuft  sein,  ein  großer  Teil  der 
Redner  würde  nicht  daran  kommen,  man  müßte  eine  Teilung  einführen, 
insofern  als  Zusammengehöriges  in  eine  zusammenhängende  Sitzung  ver¬ 
legt  würde,  die  dann  wieder  vorzüglich  eben  dem  betreffenden  Fach¬ 
interessenten  geradezu  reserviert  wäre.  Anderseits  könnte  eben  doch 
kein  Spezialfach  die  biologischen  Vorträge  seines  Gebietes  ganz  ent¬ 
behren.  Doch  scheint  uns  vollkommen  im  Rahmen  des  Hergebrachten 


Zeit-  und  Streitfragen. 


1377 


ein  anderer  Weg  gangbar:  Jetzt  wird  z.  B.  die  Gruppe  für  Anatomie 
und  Physiologe  von  so  und  so  vielen  Abteilungen  zu  den  dort  statt¬ 
findenden  anatomischen  und  physiologischen  Spezial vorträgen  eingeladen: 
sie  kann  gar  nicht  allen  Einladungen  folgen,  würde  ja  auch  niemals 
wissen,  wann  die  betreffenden  Vorträge  abgehalten  werden.  Man  könnte 
nun  den  Spieß  umkehren:  die  anatomisch -physiologische  Gruppe  reser¬ 
viert  einen  Halbtag,  zu  dem  sie  die  klinischen  Fächer  einladet,  ihre  ein¬ 
schlägigen  Vorträge  bei  ihr  zu  halten.  Dadurch  würde  der  so  unbe¬ 
dingt  wünschenswerte  Konnex  aufrechterhalten:  die  Anatomen  usf.  er¬ 
fahren,  was  die  Kliniker  interessiert,  und  die  Kliniker  haben  die  un¬ 
schätzbare  Gelegenheit,  daß  die  Biologen  ihre  theoretischen  Arbeiten 
auch  wirklich  hören  und  sich  dazu  äußern  können,  die  ja  sonst  nicht 
einmal  immer  in  den  Medizinischen  Gesellschaften  der  Universitätsstädte 
gegeben  ist,  von  andern  Orten  ganz  zu  schweigen.  Versuchen  wir  uns 
das  wieder  am  praktischen  Beispiel  in  Salzburg  durchzuführen:  Die  ana¬ 
tomisch-physiologische  Abteilung  hatte  vier  Halbtage  für  Fachsitzungen 
zur  Verfügung  und  hat  an  dreien  gesessen  (an  einem  davon  kombiniert 
mit  den  Zoologen  und  Botanikern).  Es  wäre  also  Baum  gewesen  für 
einen  Halbtag,  an  dem  sie  die  Kliniker  bei  sich  gesehen  hätte.  Was 
hätten  diese  ihr  nun  bieten  können?  Die  Abteilung  für  Innere  Medizin 
hatte  zu  einem  Vortrage  eingeladen,  5  weitere  wären  dem  Thema  nach 
in  Betracht  gekommen;  ebenso  ein  Vortrag  aus  dem  Programm  der  Chi¬ 
rurgen,  2  von  den  Gynäkologen,  4  von  den  Neurologen;  4  von  den 
Ophthalmologen,  1  von  der  Abteilung  für  Halskrankheiten  (der  übrigens 
bemerkenswerterweise  wirklich  am  Dienstag  in  einer  Sitzung  der  Ab¬ 
teilung  für  Anatomie  etc.  gehalten  wurde),  1  von  den  Otiatern,  1  von 
den  Dermatologen,  1  von  den  Zahnärzten:  also  ein  sehr  reiches  Pro¬ 
gramm,  aus  welchem  die  gastgebende  Abteilung  einen  hübschen  Strauß 
sich  hätte  znsammenstellen  können.  Dasselbe  gilt  für  die  Abteilung  für 
Pathologie  und  die  für  Bakteriologie  (Nr.  29).  Voraussetzung  für  gutes 
Funktionieren  dieser  „Gästesitzungen“  ist  natürlich  immer  wieder,  daß 
die  Gesamtleitung  das  Recht  hat,  über  die  einmal  angemeldeten  Vor¬ 
träge  zu  disponieren. 

Stellen  wir  uns  nach  dem  eben  Erörterten  ein  schematisches  Pro¬ 
gramm  der  „Sitzungen  der  Abteilungen“  vor,  so  könnte  es  beispielsweise 
so  lauten:  Montag  nachmittag:  „Gästesitzung“  der  Abteilung  für  Anato¬ 
mie  und  Physiologie,  gleichzeitig:  Sitzungen  der  Abteilungen;  Dienstag 
früh:  „Gästesitzung“  der  Abteilung  für  Pathologie,  gleichzeitig:  Sitzungen 
der  Abteilungen;  Dienstag  nachmittag:  Kombinierte  Sitzungen  der  Ab¬ 
teilungen  (z.  B.  Anatomie  mit  Zoologie  und  Botanik;  Grenzgebiete  der 
Inneren  Medizin  und  Chirurgie;  Grenzgebiete  der  Frauen-  und  Kinder¬ 
heilkunde;  der  Ohren-  und  Halsärzte  usf.  usf.)  diese  alle  wieder  gleich¬ 
zeitig.  Im  Falle  diese  kombinierten  Sitzungen  den  Nachmittag  nicht 
ausfüllen  würden,  könnten  die  Einzelabteilungen  Sondersitzungen  an¬ 
schließen;  Mittwoch  früh:  „Gästesitzung“  der  Abteilung  für  Bakteriologie, 
gleichzeitig:  Sitzungen  der  Abteilungen.  Bei  dem  Umfang  des  biologi¬ 
schen  Anteils  unter  den  Vorträgen  der  klinischen  Fächer  würden  die 
Gästesitzungen  sicher  nicht  alles  Angekündigte  auf  nehmen  können;  aber 
das  kann  ja  auch  gar  nicht  beabsichtigt  werden,  da,  wie  oben  ausgeführt 
wurde,  ein  gewisser  Anteil  davon  auch  in  den  Einzelprogrammen  wün¬ 
schenswert  ist;  die  praktische  Erfahrung  wird  hier  bald  ergeben,  wieviel. 
Der  Arzt  würde  demnach  beim  Besuch  der  Naturforscherversamm¬ 
lung  die  Möglichkeit  haben,  sich  einem  Spezialfach  ausschließlich 

87 


1378 


Zeit-  und  Streitfragen. 


zu  widmen:  er  schließt  sich  dann  der  Abteilung  an  und  verbleibt  in 
ihren  Sitzungen;  oder  er  kann  eine  Übersicht  über  das  gegenwärtige 
„theoretische“  Fortarbeiten  möglichst  vieler  klinischer  Gebiete  suchen: 
dann  besucht  er  vorwiegend  die  „Gästesitzungen“  der  biologischen  Fächer 
und  kombinierte  Sitzungen. 

Danach  bleibt  immer  noch  eine  Anzahl  von  Vorträgen  übrig, 
welche  nur  vereinzelt  einmal  ein  sonst  weit  abliegendes  anderes  Spezial¬ 
fach  interessiert.  Zu  diesen  wird,  wie  schon  gegenwärtig,  eingeladen. 
Über  diese  Einladungen  wird  bisher  viel  geklagt:  man  weiß  nicht,  wann 
der  betreffende  Vortrag  stattfinden  wird,  ist  daher  auch  kaum  imstande, 
Folge  zu  leisten.  So  hat  die  Einladung  nur  die  Bedeutung,  daß  sie  auf 
das  betreffende  Thema  aufmerksam  macht,  also  gewissermaßen  nur  das 
Studium  des  Gesamtprogramms  erleichtert.  Gegenwärtig  wird  sie  auch 
kaum  anders  als  eine  Formalie  betrachtet;  das  beweisen  schon  die  vielen 
Druckfehler,  die  sich  gerade  in  diesem  Rubrum  des  Tageblattes  mehr 
als  in  jedem  andern  finden.  Der  Kuriosität  halber  mag  erwähnt  werden, 
daß  in  Salzburg  eine  Abteilung  (19)  eine  andere  (17)  einlud  zu  dem 
Vortrage:  Thema  Vorbehalten.  Wir  können  uns  lebhaft  den  Run  vor¬ 
stellen,  der  entstand,  als  die  ganze  eingeladene  Abteilung  kam  und  nach¬ 
forschte,  wann  wohl  der  Vortrag  mit  dem  lockenden  Titel  von  Stapel 
laufen  würde.  Doch  im  Ernste:  auch  hier  bedarf  es,  wie  überall,  nur 
der  zweckbewußten  Durchführung  der  schon  vorhandenen  Einrichtungen, 
um  die  gewünschte  Verbesserung  zu  haben.  Alan  brauchte  nur  zu  be¬ 
stimmen,  daß  Vorträge,  zu  denen  eingeladen  wird,  zu  einer  festen  Zeit 
anzusetzen  sind;  also,  die  Sitzung,  in  welcher  sie  bestimmt  daran  kommen, 
muß  gleich  mit  angegeben  werden,  und  in  der  Sitzung  müssen  sie  an 
die  Ecke,  also  an  den  Anfang  oder  das  Ende  gestellt  werden.  3  Sitzungen 
haben  6  Ecken,  4  deren  8;  in  Verbindung  mit  den  oben  angeführten 
Kombinationen  u.  dgl.  sollte  das,  meinen  wir,  reichen,  um  auch  die  weitest¬ 
gehenden  Ansprüche  nach  Zusammenschluß  zu  befriedigen. 

Einer  Anregung  möchten  wir  noch  beiläufig  gedenken,  welche  uns 
nicht  nur  auf  der  Naturforscherversammlung,  sondern  auch  auf  andern 
Kongressen  begegnet  ist,  weil  auch  sie  dem  Zusammenschluß  dienstbar 
zu  machen  ist.  Sie  betrifft  die  Ausstellung.  Zwei  Interessen  begegnen 
sich  auf  derselben  —  das  rein  wissenschaftliche  und  das  naturgemäß 
mehr  kaufmännische  der  ausstellenden  Firmen.  Der  Ausgleich  zwischen 
beiden  ist  mitunter  nicht  ganz  leicht,  scheint  aber  doch  überwiegend  ge¬ 
glückt  zu  sein.  Immerhin  begegnet  beim  gewöhnlichen  Durchschlendern 
vorzugsweise  die  Reklame.  Als  Gegengewicht  sind  nun  gruppenweise 
Führungen  in  Vorschlag  gebracht  worden.  Man  hat  sich  das  so  gedacht, 
daß  etwa  im  Anschluß  an  eine  pharmakologische  Sitzung  neue  Medizinal¬ 
präparate,  an  eine  physiologisch-klinische  neue  Apparate  in  Augenschein 
genommen  würden,  und  dementsprechend  weiter.  Wir  verkennen  den 
guten  Kern  dieser  Anregung  keineswegs,  fürchten  aber,  daß  auf  diesem 
Wege  das  Gegenteil  von  dem  erreicht  wird,  was  man  beabsichtigt.  Eher 
könnte  die  Eröffnung  der  Ausstellung  durch  einen  besonderen  Akt,  etwa 
eine  gemeinsame  Besichtigung  mit  Vorführungen  seitens  der  Aussteller, 
erfolgen.  Jedenfalls  verdient  die  Ausgestaltung  des  Ausstellungswesens 
auf  den  Kongressen  noch  eine  besondere  Berücksichtigung. 

Voraussichtlich  wird  auch  die  etwaige  Durchführung  der  angeführten 
Vorschläge  nicht  alle  Klagen  über  Zersplitterung  zum  Verstummen 
bringen;  der  Grund  liegt,  wie  eingangs  betont,  in  der  Entwicklung  der 
Wissenschaft,  deren  Spiegelbild  die  Vereinigung  ist.  Man  wird  deshalb 


Referate  und  Besprechungen. 


1379 


wohl  auch  den  Widerstand  eines  Autoren  erleben,  dem  angesonnen  wird, 
seine  Forschungsergebnisse  in  einer  anderen  Abteilung  vorzutragen,  als 
der,  für  welche  er  sie  angekündigt  hat.  Bringt  er  sachliche  Gründe 
dafür  vor,  wird  er  wohl  recht  behalten  müssen,  aber  auch  rein  persön¬ 
liche  Anschauungen  können  recht  beachtlich  sein.  Trotzdem  müssen  wir 
grundsätzlich  die  Forderung  aufstellen,  daß  letzten  Endes  die  Gesamt¬ 
leitung  zu  entscheiden  hat,  an  welcher  Stelle  ein  Vortrag  gehalten 
werden  soll.  Solange,  wie  gegenwärtig,  und  wohl  auch  noch  auf  abseh¬ 
bare  Zeit  hinaus,  die  Zahl  der  angekündigten  Vorträge  weit  über  die 
Möglichkeit  der  zu  haltenden  hinausgeht,  wird  es  ja  nicht  schwierig  sein, 
in  solchen  voraussichtlich  doch  nur  seltenen  Fällen  weitgehendes  Ent¬ 
gegenkommen  walten  zu  lassen.  Schließlich  kann  man  es  auch  einer  ge¬ 
wissen  Art  von  Kongreßbesuchern  nicht  recht  machen,  nämlich  dem 
Manne  mit  dem  Ausnutzungstrieb,  der  verlangt,  daß  keinenorts  zwei  Vor¬ 
träge,  welche  ihn  gerade  interessieren,  gleichzeitig  gehalten  werden:  dazu 
ist  das  Programm  viel  zu  groß;  man  muß  wie  auf  einer  Ferienreise  zu¬ 
gunsten  einer  Route  mit  herrlichen  Schönheiten  auf  eine  andere  mit 
schönen  Herrlichkeiten  verzichten  lernen.  Für  die  schon  gegenwärtig 
nicht  gerade  über  Beschäftigungslosigkeit  klagende  Gesamtleitung  würden 
unsere  Vorschläge  die  Arbeit  gewaltig  steigern.  Doch  Institutionen 
haben  das  gleiche  Schicksal  wie  Menschen:  so  lange  sie  auf  ihrer  Höhe 
und  in  ihrer  Blüte  stehen,  nimmt  die  Arbeitslast  zu;  niemand  von  uns 
sehnt  sich  nach  dem  Zeitpunkte  ihrer  Abnahme. 


Referate  und  Besprechungen. 

Bakteriologie  und  Serologie. 

Studien  über  das  Verhalten  einiger  pathogener  Mikroorganismen  bei 

niedriger  Temperatur. 

(Prof.  E.  Almquist.  Zentralbl.  für  Bakt.,  Bd.  48,  H.  2.) 

Veif.  machte  die  Beobachtung,  daß  Paratyphusbakterien  und  Bact.  coli 
sehr  gut  bei  10°  C  auf  Schrägagar  wachsen,  daß  dagegen  die  Erreger  der 
Cholera,  Typhus  und  Dysenterie  bei  der  genannten  Temperatur  kümmerliches 
Wachstum  zeigen.  Letztere  Bakterien  bilden  in  der  Kultur  dann  gröbere 
Formen  mit  keimenden  Kugeln.  Überführung  der  groben  Formen  auf  neues 
Nähr substrat  und  in  höhere  Temperaturen  bringt  ein  sehr  rasches  Keimen 
neuer  Kugeln  hervor.  Die  neugebildeten  Formen  sind  vor  der  Hand  unbe¬ 
weglich.  1 

Die  Kugeln  der  Choleraerreger  keimen  zu  Komabazillen  aus ;  die  Typhus¬ 
kugeln  lassen  feinste  Bildungen  hervorkeimen,  die  wieder  zu  neuen  Stäbchen 
auswachsen. 

Die  Dysenteriekugeln  keimen  gleich  den  Typhuskugeln. 

Ganz  allmählich  geht  die  Bildung  von  feineren  Formen  zu  gröberen 
Formen  und  wieder  zurück  bei  niederen  Temperaturen  vor  sich.  Aus  den 
gröberen  Formen  bilden  sich  in  einigen  Stunden  feinere  Formen  bei  Über¬ 
führung  der  bei  niedriger  Temperatur  entwickelten  Formen  in  neue  Nahrung 
und  höhere  Temperatur.  Diese  vom  Verf.  gemachten  Beobachtungen  bedürfen 
jedenfalls  einer  genauen  Nachprüfung.  Schürmann  (Düsseldorf). 

Vergleichendellntersuchungen  über  neuere  Methoden  derTuberkelpilzfärbung. 

(A.  Caan,  Düsseldorf.  Zentralbl.  für  Bakt.,  Bd.  49,  H.  5.) 

Es  handelt  sich  inj  der  vorliegenden  Arbeit  um  eine  vergleichende 
Untersuchung  der  Much’schen,  der  Herman’schen  und  der  Ziehl-Neelson- 

87* 


1380 


Referate  und  Besprechungen. 


sehen  Methode.  Verfasser  erwähnt  die  Technik  der  einzelnen  Färbungs¬ 
methoden.  Die  H  errn  an’sche  Methode  wurde  dahin  modifiziert,  daß  eine 
Gegenfärbung  mit  salzsaurem  Karmin  gemacht  wurde.  Diese  letztere  Methode 
bestand  in  folgendem : 

1.  Vorfärbung  der  Schnitte  in  salzsaurem  Karmin  (10  Minuten), 

.2.  Differenzierung  mit  1%  Salzsäurealkohol,  bis  die  Kerne  deutlich 
werden, 

3.  Abspülen  mit  destilliertem  Wasser. 

4.  Färbung  mit  Ammoniumkarbonat-Kristallviolettlösung  (3  Teile  1% 
Ammoniumkarbonatlösung,  1  Teil  3%  Kristallviolettlösung  in  96% 
Alkohol), 

5.  Entfärbung  in  10%  Salpetersäure  (einige  Sekunden), 

6.  Entfärbung  in  96%  Alkohol,  bis  der  Karminton  wiedergekehrt  ist. 

7.  Auswaschen  mit  aqu.  dest. 

8.  Lufttrocknen,  Kanadabalsam. 

Diese  modifizierte  Herrn  a  n’sche  Methode  gab  einen  sicheren  positiven 
Befund  in  manchen  Fällen,  wo  die  Ziehl-Neelson’sche  Färbemethode  einen 
negativen  Befund  zeigte.  Schürmann. 


Auf  natürlichem  Wege  entstandene  Bakteriolysine. 

(R.  Turrö  u.  Pi  j  Sun  er,  Barcelona.  Zentralbl.  für  Bakt.,  Bd.  49,  H.  5.) 

Nach  den  Forschungen  des  Verfassers  stellt  der  Prozeß  der  erworbenen 
Immunität  in  verstärktem  Maße  einen  im  Tierkörper  bereits  als  Wirkung 
der  Bakteriolysine  präexistierenden  Zustand  dar,  ohne  daß  es  einer  vor¬ 
herigen  Immunisierung  bedarf.  Die  Versuche  waren  kurz  folgende:! 

Die  in  10  g  einer  l%igen  Na  CI -Lösung  verteilten  Agarkulturen  (Cho¬ 
lera)  wurden  (3  ccm)  in  die  Rindensubstanz  der  Niere  eines  Hundes  injiziert. 
Der  aus  dem  Ureter  abtropfende  Urin  war  fadig,  schleimartig.  Die  Bakterien 
zeigen  mikroskopisch  körnigen  Zerfall ;  in  Nierenschnitten  sind  die  Bakterien 
im  Zustande  der  Auflösung;  dem  Typhusbazillus  erwiesen  sich  die  Bakterio- 
lysine  der  Hundeniere  als  unwirksam.  Es  wurden  die  Versuche  mit  anderen 
Bakterien  noch  fortgesetzt  und  neben  Injektionen  in  die  Nieren'  auch  solche 
in  die  Leber  (Milzbrand),  in  den  Gastrocnemius  des  Kaninchens,  sowie  am 
Pankreas,  Nervengewebe,  Schilddrüse,  Hoden  vorgenommen.  Auch  hier  konn¬ 
ten  Verff.  nach  weisen,  daß  die  Zellelemente  bereits  unter  normalen  Ver¬ 
hältnissen  bakterienschädigende  Stubstanzen  herausarbeiten. 

Es  schafft  somit  der  Prozeß  der  erworbenen  Immunität  nicht  erst  Bak¬ 
teriolysine,  sondern  steigert  sie  nur  und  formjt  sie  in  so  Spezifischjer  Weise,, 
daß  ihre  Wirkung  sich  in  nichts  von  dem  sonstigen  nutritiven  Anpassungs¬ 
vermögen  des  Protoplasmas  unterscheidet.  Sehürmann. 


Ueber  den  Einfluß  von  Wärme  und  Zeit  auf  den  Ablauf  der  Agglutination. 

(Dr.  Konrich.  Zentralbl.  für  Bakt.,  Bd.  48,  H.  1.) 

Die  Agglutination  wird  nach  den  Versuchen  des  Verfassers  mehr  durch 
die  Zeit  als  die  Temperatur  beeinflußt.  Normalsera  sind  betreffs  der  Agglu¬ 
tination  von  der  Zeit  durchaus!  abhängig;  die  Temperatur  spielt  dabei  keine 
Rolle,  während  für  Immunsera  die  Temperatur  von  höherem  Werte  ist  wie 
die  Zeitdauer;  auch  ist  für1  letztere  die  Vorliebe  für  eine  bestimmte  Tempe¬ 
ratur  stärker  ausgesprochen.  Die  Normalsera  halten  sich  an  ein  Bestimmtes 
Temperaturoptimum,  bei  der  sie  am  besten  agglutinieren.  Die  Beobachtungs¬ 
dauer,  innerhalb  der  die  Immunsera  sicher  einwandsfrei  arbeiten,  ist  bei 
den  einzelnen  Seris  verschieden.  Für  die  Bakterienagglutination  ist  ebenfalls 
eine  bestimmte  Temperatur  von  Vorteil.  Diese  Tatsache  zeigt  sich  besonders 
bei  der  heterologen  Agglutination  des  Immunserums.  Das  Temperaturoptimum 
der  Bakterienarten  in  den  einzelnen  Seris  ist  nicht  ganz  konstant.  Verf. 
rät  die  Verwendung  verschiedener  Temperaturen  zur  genauen  Ermittelung 
der  Hemmungszonen.  .  Schürmann  (Düsseldorf). 


Referate  und  Besprechungen. 


1381 


Innere  Medizin. 

Nachweis  der  Trichina  spiralis  im  zirkulierenden  Blut  beim  Menschen. 

(William  Worthington  Herrick  u.  Theodore  C.  Janeway,  New-York.  The 

Arch.  of  internal  Med.,  April  1909.) 

Nachdem  lange  Leuckhardt’s  Ansicht  maßgebend  gewesen  war,  daß 
die  Trichinen  aktiv  durch  das  Bindegewebe  wandern,  stellte  Zenker  1860 
die  Behauptung  auf,  daß  die  Verbreitung  der  Embryonen  auf  dem  Wege 
der  Chylus-  und  Blutgefäße  erfolge.  Letztere  Ansicht  wurde  in  der  Folgezeit 
durch  mehrfache  Beobachtungen  bestätigt.  Aber  erst  Stäubli  gelang  es 
1905,  die  Embryonen  im  Blute  künstlich  infizierter  Meerschweinchen  zu  finden. 
Seine  Methode  bestand  darin,  eine  kleine  Menge  durch  Punktion  gewonnenen 
Blutes  mit  3%  Essigsäure  zu  verdünnen,  zu  zentrifugieren  und  das  Sediment 
mikroskopisch  zu  untersuchen.  Er  empfahl  diese  Methode  auch  bereits  für 
die  Diagnose  der  menschlichen  Trichinosis.  In  der  Tat  ist  es  nun  auf  diese 
Weise  den  amerikanischen  Forschern  Herrick  und  Janeway  gelungen, 
auch  beim  Menschen  in  vivo>  Trichinen  im  Blute  zu  finden.  Sie  entnahmen 
zu  diesem  Zwecke  1,5  ccm  Blut  aus  der  Armvene  und  versetzten  es  mit 
15  Teilen  3°/0iger  Essigsäure.  Mehrfache  Stuhluntersuchungen  (auch  nach 
Thymoldarreichung)  bei  derselben  Patientin  waren  negativ.  Das  klinische 
Bild  —  es  handelte  sich  um  Infektion  einer  ganzen  Familie  —  war  das 
typische.  Mit  Recht  betonen  die  Autoren  die  Wichtigkeit  dieser  neuen 
diagnostischen  Methode  in  Fällen,  wo  die  Krankheitssymptome  und  die  Eosino¬ 
philie  den  Verdacht  auf  Trichinosis  nahelegen.  Jedenfalls  ist  sie  auch  scho¬ 
nender  als  die  Exzision  eines  Muskelstückchens.  W.  Guttmann. 


Aus  dem  königl.  Garnisonlazarett  München. 

Über  die  Wirkung  des  Römer’schen  Pneumokokkenserums  bei  der  kruppösen 
Pneumonie  mit  besonderer  Berücksichtigung  der  Leukozyten. 

(Oberarzt  Dr.  May.  Münch,  med.  Wochenschr.,  Nr.  40  u.  41,  1908.) 

Die  im  Garnisonlazarett  angestellten  therapeutischen  Versuche  ergaben 
als  wichtigste  Tatsache  einen  verlangsamten  Verlauf  der  Entfieberung  durch 
das  Römer’sche  Serum.  Auf  irgend  welche  Komplikationen  oder  auf  das 
Fortschreiten  der  Infiltration  war  kein  Einfluß  bemerkbar.  Subjektiv  fühlten 
sich  die  Kranken  nach  der  Injektion  wohler,  wobei  esi  gleichzeitig  zur  Tempe¬ 
raturerniedrigung  kam.  May  hält  eine  möglichst  frühzeitige  Injektion  für 
erwünscht,  von  mehrmaliger  Injektion  verspricht  er  sich  keinen  Erfolg. 

Was  nun  den  Einfluß  des  Serums  auf  das  Verhalten  der  Leukozyten 
anbetrifft,  so  kann  er  sich  dem  Urteil  von  Pässler  und  Wink'elman'n,  die 
ihn  leugnen,  nicht  anschließen.  Bei  Einlappenpneumonien  konnte  er  unter 
der  Serumbehandlung  fast  immer  eigentümliche  Sprünge  in  der  Leukozyten¬ 
bewegung  beobachten;  es  kam  bei  Eintritt  der  Krise  stets  zu  Wiederaastieg 
der  vor  der  Injektion  verminderten  Leukozyten.  Ähnliche  Vorgänge  beobach¬ 
tete  er  bei  einem  mit  gehäuften  kleinen  Gaben  von  Pneumokokkenserum  be¬ 
handelten  Hunde.  Aus  allen  diesen  Beobachtungen  geht  hervor,  daß  das 
Römer’sche  Serum  sich  noch  in  der  ersten  Versuchsära  befindet,  daß  es 
noch  nicht  zu  der  unumgänglich  notwendigen  Rüstung  gegen  die  kruppöse 
Pneumonie  gehört.  Zum  Schluß  streift  May  die  von  Pirquet  geschilderte 
Serumkrankheit,  die  im  Auftreten  einer  Urticaria  besteht,  an  die  sich  Schwel¬ 
lung  und  Entzündung  der  Lymphdrüsen,  in  anderen  Fällen  Mastitis  oder 
Herpes  zoster  anschließt.  F.  Walther. 


Zur  Serumtherapie  der  kruppösen  Pneumonie. 

(Dr.  F.  Kris  che,  Eichstetten.  Med.  Klinik,  Nr.  44,  1908.) 

Kris  che  berichtet  über  seine  Erfahrungen  an  10  mit  Römers  Pneumo¬ 
kokkenserum  behandelten  Fällen  von  kruppöser  Pneumonie.  Er  injiziert  stets 
sofort  10  ccm  Serum  in  die  Glutäen,  was  wiederholt  werden  muß,  wenn  bis 
zum  nächsten  Morgen  die  Krisis  nicht  eingetreten  ist.  Bei  sehr  schweren 


1382 


Referate  und  Besprechungen. 


Erkrankungen  Erwachsener  gibt  er  täglich  20  ccm  bis  zum  Eintritt  der 
Krisis.  Gewöhnlich  kommt  es  bald  nach  der  Einspritzung  zur  Temperatur¬ 
steigerung  und  Verschlimmerung  der  Beschwerden,  die  in  Atemnot  und  Er¬ 
brechen  bestehen.  Später  macht  sich  dann  subjektiv  eine  deutliche  Besserung 
des  Allgemeinbefindens  bemerkbar,  objektiv  verschwinden  Somnolenz  und 
Zyanose,  die  Temperatur  und  (der  Puls  sinken,  das  Sputum  verliert  seine 
rostfarbene  Beschaffenheit,  Schweiß  bricht  aus,  die  Pneumonie  löst  sich. 
Krisch e  hält  die  Anwendung  des  Serums  bei  jedem  Stadium  der  Pneumonie 
für  indiziert.  Es  wird  dadurch  einmal  die  symptomatische  Therapie  teils 
zum  Teil  überflüssig,  zum  Teil  unterstützt  diese  nach  eingetretener  Krisis 
die  Serumtherapie.  P.  Walther. 


Die  Azidose  beim  Pankreasdiabetes. 

(Ed.  Allard,  Greifswald.  Archiv  für  exper.  Path.  u.  Pharm.,  Bd.  59,  S.  388.) 

Bei  Hunden,  die  durch  Pankreasexstirpation  diabetisch  gemacht 
worden  sind,  tritt  nur  in  vereinzelten  Pallen  Azidose  (Ausscheidung 
von  Azeton,  Azetessigsäure  und  ß-Oxybuttersäure)  im  Harn  auf.  Von  einigen 
Autoren  ist  neuerdings  dieser  Pankreasdiabetes  wegen  des  fast  regel¬ 
mäßigen  Pehlens  der  Azidose  als  fundamental  verschieden  von  den  schweren 
Pallen  des  menschlichen  Diabetes  bezeichnet  worden;  überdies  sollen 
solche  Hunde  an  den  Polgen  der  Inanition,  nicht  aber  wie  der  Mensch  im  Koma 
zugrunde  gehen. 

Allard  konnte  in  Minkowski’s  Klinik  bei  drei  Hunden  sichere  Azi¬ 
dose  feststellen  (1,5 — 2,3  g  Gesamt-Azidosekörper  pro  Tag)  und  die  Tiere 
im  Koma  sterben  sehen.  Richtig  ist,  daß  in  der  Pegel  diese  Stoffe  nicht  im 
Harn  auftreten,  weil  der  pankreasexstirpierte  Hund  noch  imstande  ist,  die 
wenn  auch  reichlich  gebildeten  Azidosekörper  in  seiner  Leber  abzubauen. 
Die  schwere  Azidose  tritt  beim  pankreasdiabetischen  Hund  nur  auf,  wenn 
komplizierende  Erkankungen  der  Leber  oder  anderer  Organe  vorliegen. 
Diese  Verhältnisse  werden  vom  Verf.  übertragen  auf  den  experimentellen 
Phloridzindiabeties  beim  Hund  und  den  schweren  Diäbetes  beim  Men¬ 
schen.  Im  Palle,  daß  beim  diabeteskranken  Menschen  Azidose  auf  tritt, 
wird  hieraus  auf  solche  komplizierende  Leber-  usw.  Erkrankungen  geschlossen. 

E.  Post  (Berlin). 


Gynäkologie  und  Geburtshilfe. 

Aus  Hofrat  Dr.  A.  Theilhaber’s  Frauenheilanstalt. 

Zur  Anatomie,  Pathologie  und  Therapie  der  chronischen  Endometritis. 

(A.  Tlieilhaber  u.  A.  Meier.  Archiv  für  Gyn.,  Bd.  86,  H.  3.) 

Es  wurden  die  meist  durch  Kürettage  erhaltenen  Schleimhäute  von 
37  Uteris  untersucht.  Von  allen  lagen  genaue  anamnestische  und  klinische 
Daten  vor,  die  sich  auf  die  Menstruationsphase,  auf  das  Alter  der  Trägerinnen, 
auf  Blutungen,  Ausfluß,  vorangegangene  Aborte  und  vor  allem  gonorrhoische 
Infektion  bezogen.  Wollten  doch  Vff.  vor  allen  Dingen  die  Symptomatologie 
und  Histologie  der  wirklichen,  wie  es  sich  herausstellte,  meist  gonorrhoischen 
Endometritis  feststellen.  Umj  -das  Pesultat  vorweg  zu  nehmen,  so  wird 
nach  den  angestellten  Untersuchungen  Ausfluß  hervorgerufen  entweder 
a)  durch  eine  Hypersekretion  der  Uterusschleimhaut  infolge  von  venöser 
Stase,  Zirkulationsstörungen  im  Uterus,  psychische  oder  erotische  Erregungen, 
Masturbation,  Chlorose  usw.,  oder  b)  durch  eine  echte  Endometritis, 
die,  wie  gesagt,  in  den  weitaus  meisten  Fällen  gonorrhoischer  Abkunft  ist. 
Im  ersteren  Fall  ist  der  Ausfluß  gewöhnlich  klar,  schleimig,  im  letzteren 
Pall  gewöhnlich  eitrig.  Blutungen,  die  nicht  die  Folge  von  Tumoren 
sind,  werden  hervorgerufen  nicht  durch  diffuse  Entzündung  der  Uterus¬ 
schleimhaut,  sondern  durch  Störungen  der  Punktion  des  Mesometriums 
bei  Hyperämie  des  Uterus.  Sie  sind  veranlaßt  durch  a)  Myofibrosis,  b)  Me- 
tritis  chronica,  c)  durch  den  Adnexuterus,  d)  durch  die  durch  andere  Ur- 


Referate  und  Besprechungen. 


1383 


Sachen  entstandene  Insuffizienz  des  Uterusmuskels,  e)  durch  sonstige  Zir¬ 
kulationsstörungen,  die  meist  ihre  Ursachen  |außerhalb  des  Uterus  haben. 
Schmerzen  werden  hervorgerufen  durch  spastische  Kontraktionen  des 
Uterus  oder  durch  Perimetritis. 

Bei  den  prämenstruellen  Schleimhautpräparaten  der  im  zeugungs¬ 
fähigen  Alter  stehenden  Frauen  war  sog.  Drüsenhypertrophie  in  64%, 
Drüsenhyperplasie  in  84%  vorhanden,  bei  den  hierher  gehörigen  Schleim¬ 
häuten  normaler  Uteri  in  80  resp.  90%.  Bei  den  Schleimhäuten  der 
postmenstruellen  Phase  fand  sich  Hypertrophie  in  35  resp.  37%,  Hyper¬ 
plasie  in  42  resp.  50%.  Bei  den  Schleimhäuten  der  intermens truel- 
len  Phase  lauteten  die  Zahlen  auf  72  resp.  60%  und  auf  70  resp.  56%. 
Die  sog.  Drüsenhyperplasie  und  -hypertrophie  ist  nach  M.’s  Ansicht 
kein  Zeichen  entzündlicher  Beizung,  aber  auch  nicht  der  prämenstru¬ 
ellen  Kongestion,  da  der  gefundene  Prozentsatz  der  intermenstruellen 
Phase  eher  noch  größer  ist  als  der  in  der  prämenstruellen.  Vielmehr  dürfte 
es  sich  hier  überwiegend  um  individuelle  Verschiedenheiten  handeln. 
Dagegen  ist  die  Vergrößerung  der  Drüsenzellen  und  ihrer  Kerne  ein  eigen¬ 
tümliches  Zeichen  der  prämenstruellen  Periode,  ähnlich  verhält  es  sich  mit 
den  Kernen  des  interglandulären  Bindegewebes.  Auch  die  Erweiterung  der 
Drüsenfundi  wird  am  häufigsten  in  der  prämenstruellen  Phase  angetroffen, 
findet  sich  aber  durchaus  nicht  etwa  konstant  bei  Ausfluß.  R  und  zell  en- 
an häuf ungen  fanden  sich  nur  in  Fällen,  wo  Ausfluß  bestand  und  zwar 
zumeist  bei  Gonorrhoe.  Th.  ist  der  Meinung,  daß  die  Diagnose  der  Endo¬ 
metritis  in  der  Regel  durch  die  klinische  Untersuchung  allein  gestellt 
werden  kann.  Bei  ausgesprochenen  Entzündungen  der  Uterusschleimhaut  finde 
sich  fast  stets  Eiter  in  der  Uter'ush öhle.  —  Th.  hat  bezüglich  des 
Ausflusses  sehr  interessante  Versuche  angestellt,  die  ihrer  prinzipiellen 
Wichtigkeit  halber  ausführlicher  referiert  werden  sollen.  Zunächst  glaubt 
Th.,  und  wohl  mit  Recht,  dem  Schul  tze’schen  Glyzerin-Pro  bet  ampon  den 
Vorwurf  machen  zu  müssen,  daß  dieser  infolge  seiner  reizenden  Eigenschaften 
auch  bei  normalen  Uteris  einen  mit  Eiter  zellen  reichlich  gemischten  Aus¬ 
fluß  hervorbringt.  Th.  ging  subtiler  vor.  Er  stellte  einfach  mittels  Spekulis 
und  A.spiration  in  einer  kurzen  Sitzung  der  Reihe  nach  die  Sekrete  der 
Scheide,  des  äußeren  Muttermundes,  der  Zervix-  und  schließlich  der  Korpus¬ 
höhle  fest.  Bei  gesunden  Frauen  eruierte  er  dabei  folgendes:  Während 
die  unteren  %  der  Scheide  meist  ohne  Sekret  sind,  findet  sich  solches  fast 
immer  im  hinteren  Scheidengewölbe.  Es  stellt  eine  zähe,  gelbgrüne  Masse 
dar,  seltner  ist  die  Flüssigkeit  rahmähnlich,  am  seltensten  käseartig  (viel 
Epithelien).  An  der  Portio  und,  wenn  Einrisse  vorhanden  sind,  auch  im 
äußeren  Muttermund  befindet  sich  Sekret  der  gleichen  Beschaffenheit.  Nach 
Entfernung  dieser  Sekretmassen  wartete  Th.  einige  Minuten.  Es  pflegte 
entweder  sofort  oder  spätestens  nach  wenigen  Minuten  neues  Sekret  im 
Muttermund  sichtbar  zu  werden,  ev.  wurde  durch  Streichen  oder  Mas¬ 
sage  nachgeholfen. 

Dieses  Sekret,  welches  nun  aus  der  Zervix  herausfließt,  präsentiert 
sich  als  wasserhelle,  klare  Flüssigkeit.  Ließ  es  aber  Th.  in  das  hintere 
Scheidengewölbe  hineinfließen,  so  wurde  es  bald  gelbgrün  oder  cremefarbig, 
offenbar  die  Wirkung  der  Vermischung  mit  dem  Scheidensekret  upd  seinen 
Bakterien.  Den  von  D öderlein  beschriebenen  Schleimpfropf  in  der  Zer¬ 
vix  konnte  Th.  seltner  nachweisen,  er  scheint  mehr  der  Schwangerschaft 
anzugehören.  Bei  der  geschlechtsreifen  Frau  findet  ständig  eine  mäßige 
Absonderung  von  Sekret  statt,  sie  wird  stärker  bei  häufigen  Kohabitationen 
und  vor  der  Periode,  auch  in  der  Schwangerschaft :  alles  Dinge,  die  mit 
stärkerer  Kongestion  einhergehen.  —  Bei  den  Frauen,  die  über  Aus¬ 
fluß  klagten,  bei  denen  aber  weder  an  amnestisch  noch  klinisch  ein  vorher¬ 
gehender  Abort,  Puerperium  oder  Gonorrhoe  festgestellt  werden  konnte,  fand 
Th.  qualit  ativ  genau  die  gleichen  Sekretverhältnisse,  wie  bei  den  ge¬ 
sunden  Frauen,  nur  war  zeitweise  die  Absonderung1  aus  der  Zervix  etwas 
stärker.  Auch  histologisch  bestanden  keine  Unterschiede.  —  Bei  8%  der 


1384 


Referate  und  Besprechungen. 


Frauen  fand  sich  nach  Reinigung  der  Scheide  im  Muttermund  nicht  klares 
Sekret,  sondern  undurchsichtiges,  mehr  weniger  grün  gefärbtes  Sekret. 
Stets  war  hier  mit  Sicherheit  Gonorrhoe  vorausgegangen.  Wenn  in  diesen 
Fällen  eine  Ausspülung  der  Zervix  mittels  Intrauterinkatheters  gemacht 
wurde,  so  pflegten  aus  der  Zervikalhöihle  noch  einige  Tropfen  Eiter  heraus¬ 
geschwemmt  zu  werden;  wurde  nun  noch  die  Korpus  höhle  ausgespült, 
so  wurden  jedesmal  größere  Quantitäten  zäh  festhaftenden,  dicken,  grünen 
Eiters  herausgespült:  mitunter  1 — 2  Eßlöffel.  Das  waren  die  Fälle  mit 
den  zahlreichen  Rundzellen  und  Eiterzelleninfiltration  in  der  Schleim¬ 
haut.  Wenn  die  (gonorrhoische)  Endometritis  ausheilt,  so  wird  das  Sekret 
zunächst  schleimig-eitrig,  später,  nach  Wochen  oder  Monaten,  rein  schleimig. 
Bei  der  Hypersekretion  findet  sich  die  Uterusschleimhaut  keimifrei, 
die  echte  Endometritis  dagegen  ist  wohl  immer  infektiösen  Ursprungs :  Strepto¬ 
kokken,  Staphylokokken,  Spirochaeta  pallida,  Diphtheriebazillen,  Tuberkel¬ 
bazillen,  vor  allem  Gonokokken  können  die  Erreger  sein.  Th.  glaubt,  daß 
die  Gonorrhoe  nicht  am  inneren  Muttermund  Halt  macht,  wenigstens  konnte 
er  in  seinen  Fällen  nach  Ausspülung  der  Zervix  mittels  seines  Aspirations¬ 
röhrchens  dasselbe  eitrige  Sekret  aus  der  Korpushöhle  aspirieren  wie  aus 
der  Zervix.  Und  zwar  fand  sich  Korpusgonorrhoe  recht  häufig  bei  Frauen, 
die  nie  beträchtlichere  Schmerzen  im  Unterleib  gehabt  hatten.  Letztere  sind 
somit  wohl  stets  die  Folgen  des  Übergreifens  der  Gonorrhoe  auf  die  Tuben 
bez.  auf  das  Bauchfell. 

Blutungen  haben  mit  Endometritis  überhaupt  nichts  zu  tun,  sondern 
sind  ein  Symptom  der  mit  Muskelatrophie  einhergehenden  sog.  chronischen  Me- 
tritis,  wie  dies  Th.  in  einer  Reihe  früherer  Arbeiten,  die  schon  mehrfach, 
besonders  von  englischen  und  amerikanischen  Autoren  bestätigt  worden  sind, 
dargelegt  hat.  —  Therapeutisch  läßt  sich  die  Hy  persekjretion  besei¬ 
tigen  durch  Entfernung  der  Ursache  (Eisen  bei  Chlorose,  klimatische,  hydro¬ 
therapeutische,  psychische  und  diätetische  Kuren  bei  Neurasthenie,  Hy¬ 
sterie  usw.).  Außerdem  fand  Th.  wirksam  bei  schlaffem  Uterus  kühle 
Sitzbäder  und  Ergotin,  heiße  Scheidenspülungen,  um  Kontraktionen  her¬ 
vorzurufen.  Ganz  vortrefflich  fand  er  auch  intrauterine  Ätzungen  mit¬ 
tels  Sonde  und  30%  Chlor  zink-  oder  Formalinlösung.  Bei  Hypersekretion 
infolge  von  venöser  Stase  wirkten  auch  Skarif ikafionen  der  Portio, 
mehrmals  wöchentlich,  gut.  —  Die  gonorrhoische  Endometritis  ist  im 
akuten  Stadium  streng  expektativ  zu  behandeln,  im  chronischen  dagegen 
energisch  aktiv :  durch  periodische  geringe  Erweiterungen  des  Muttermundes 
muß  dem  Eiter  genügend  Abfluß  verschafft  werden;  Th.  tut  dies  alle  paar 
Tage  mittels  des  Schultz  e’schen  Dilatators,  dann  spült  er  die  Uterus¬ 
höhle  mit  einer  Silberlösung  aus  mittels  sehr  dünnem,  rückläufigen  Ka¬ 
theters.  R.  Klien  (Leipzig). 


Psychiatrie  und  Neurologie. 

Ueber  das  Verhalten  des  weichen  Gaumens  bei  der  zerebralen  Hemiplegie. 

(Dr.  Rudolf  Tetzner,  Dresden.  Neurol.  Zentralbl.,  S.  520,  1909.) 

Bei  Kranken  mit  zerebraler  Hemiplegie  ist  das  Verhalten  des  weichen 
Gaumens  verschieden.  In  einer  Anzahl  von  Fällen  wird  der  Mund  überhaupt 
nicht  geöffnet,  oder  der  Gaumen  ist  völlig  gelähmt  und  bewegt  sich  überhaupt 
nicht,  oder  nur  beim  Würgen,  nicht  aber  beim  Intonieren.  Bei  52  Kranken, 
welche  beim  Intonieren  eine  deutliche  Bewegung  des  weichen  Gaumens  zeigten, 
fand  sich  in  40  Fällen,  also  77%,  daß  beim  Intonieren  die  Gegend  des 
weichen  Gaumens  vor  und  oberhalb  des  Gaumenbogens  nach  oben  und  zugleich 
derartig  nach  der  gelähmten  Seite  gezogen  war,  daß  das  Bild  eines  Zeltdachs 
entsteht,  dessen  Spitze  schräg  nach  oben  und  nach  der  gelähmten  Seite  zu 
gerichtet  ist. 

In  einzelnen  Fällen  bildete  das  zeltartige  Verziehen  des  weichen  Gaumens 
nach  der  gelähmten  Seite  hin  das  einzige  oder  fast  das  einzige  Restsymptom 


Referate  und  Besprechungen. 


1885 


eines  vorausgegangenen  apoplektischen  Insults,  während  die  Beweglichkeit 
und  Kraft-  in  den  gelähmt  gewesenen  Extremitäten  wieder  völlig  normal 
geworden  waren.  E.  Beyer  (Roderbirken). 


Blutbrechen  bei  Crises  gastriques  tabetiques;  Sektionsbefund. 

(Priv.-Doz.  Dr.  Jenö  Kollarits,  Budapest.  Neurol.  Zentralbl.,  S.  11,  1909.) 

Bei  einem  38  j.  Mann  mit  Tabes  dorsalis  und  gastrischen  Krisen  zeigte 
sich  in  den  letzten  Wochen  seines  Lebens  Bluterbrechen  und  einigemal  blutiger 
Stuhl.  Die  Blutung  war  so  groß,  daß  an  Ulcus  oder  Karzinom  gedacht  wurde. 
Bei  der  Sektion  kamen  die  typischen  Veränderungen  der  Tabes  zum  Vorschein, 
dagegen  war  an  der  Schleimhaut  des  Magens  und  Darms  keine  noch  so  kleine 
Ulzeration  und  auch  keine  andere  Veränderung  vorzufinden,  aus  welcher  die 
Blutung  hätte  erklärt  werden  können.  Man  muß  daher  eine  parenchymatöse 
Blutung  annehmen,  welche  als  Begleitsymptom  der  Crises  gastriques  zu  be¬ 
trachten  ist. 

Der  Fall  zeigt  also,  daß  gastrische  Krisen  auch  starke  Magenblutung 
ohne  Läsion  der  Magenschleimhaut  verursachen  können,  und  daß  eine  größere 
Magenblutung  bei  Crises  gastriques  nicht  gegen  die  Diagnose  spricht. 

E.  Beyer  (Roderbirken). 


Ueber  einen  Fall  von  Heilung  einer  Ischias  mit  Spermin. 

(Gotlieb.  Praktitscheski  Wratsch,  Nr.  3,  1909.) 

In  einem  Falle  von  Ischias,  in  dem  nacheinander  Aspirin,  Pyramidon, 
Antipyrin,  Brom,  Morphium,  heiße  Umschläge,  Bäder  und  endlich  Blutegel 
erfolglos  versucht  worden  sind,  wirkte  eine  einzige  Einspritzung  von  Spermin 
(3  ccm)  ausgezeichnet;  die  Anfälle  hörten  nach  der  ersten  Einspritzung  auf. 
In  drei  Monaten  wiederholte  sich  der  Anfall ;  derselbe  erforderte  diesmal  drei 
Einspritzungen  a  3  ccm  Spermin.  Der  dritte  Anfall  in  einigen  Monaten  er¬ 
forderte  wiederum  drei  Einspritzungen  a  5  ccm.  Man  muß  glauben,  daß  eine 
gewisse  Gewöhnung  an  das  Spermin  erfolgt  und  bei  jedem  Rezidiv  die  zwei- 
bis  dreifache  Menge  zur  Heilung  erforderlich  ist.  J.  Lichtmann  (Köln). 


Medikamentöse  Therapie. 

Nährpräparate,  Fabrikanten  und  Ärzte. 

(G.  Cybulski.  Zeitschr.  für  Säuglingsfürs.,  H.  8,  1909.) 

Verf.  bemüht  sich,  in  der  vieldiskutierten  Frage  die  Stellung  des  Fabri¬ 
kanten  zu  verteidigen.  Er  bringt  mehr  eine  Abwehr  gegen  die  zum  Teil 
recht  scharfe,  aber  berechtigte!  Kritik,  die  die  „als  bester  künstlicher  Ersatz 
der  Muttermilch“  empfohlenen  Präparate  von  kinderärztlicher  Seite  erfahren 
haben,  als  neue  Tatsachen.  In  einigen  Punkten,  z.  B.  der  Unterschätzung 
der  Stillfähigkeit  und  der  Beurteilung  des  Ammenwesens  befindet  er  sich 
im  Irrtum.  Die  Besprechung  der  Provisionszahlung  an  Hebammen,  die  Verf. 
angeblich  nicht  verteidigen,  sondern  nur  erklären  will,  wirkt  ebenso  peinlich 
wie  die  seinerzeit  in  Meran  stattgehabte  Diskussion  (1905)  über  Backkhaus- 
milch. 

Ein  Zusammenarbeiten  der  wissenschaftlichen  Pädiatrie  mit  den  Nähr- 
m'ittelfabrikanten,  wie  es  Verf.  anjstrebt,  wird  erst  möglich  sein,  wenn  die 
Fabrikanten  die  Provisionszahlungen  in  jeder  Form  aufgeben  und  die  medi¬ 
zinischen  Wochenschriften  die  kritiklosen  Arbeiten  publikationseifriger  Ärzte 
ablehnen.  Aronade. 


Über  einige  Beobachtungen  mit  Styptol. 

(Netto,  Potsdam.  Deutsche  Medizinal-Zeitung,  Nr.  15,  1909.) 

Der  Verfasser  beschreibt  aus  seinen  Beobachtungen  mit  Styptol  zwei 
Fälle  in  extenso.  Im  ersten  Falle  war  eine  starke  Blutung  nach  Abortus 


1386 


Referate  und  Besprechungen. 


eingetreten,  nach  Ausschabung  der  Gebärmutter  traten  die  folgenden  Menses 
mit  großer  Heftigkeit  auf,  so  daß  die  Patientin  oft  14  Tage  blutete  und 
sehr  herunterkam.  Heiße,  bezw.  kalte  Duschen,  Packungen,  Ergotin  usw. 
waren  erfolglos,  dann  wurde  Styptol  4  Tabletten  täglich  gegeben  und  schon  nach 
der  zweiten  Tablette  ein  Nachlassen  der  Blutung  konstatiert.  Am  2.  Tage 
stand  die  Blutung.  In  den  folgenden  Monaten  wurde  mit  Styptol  ein  gleicher 
Erfolg  erzielt,  so  daß  die  regelmäßig  eintretende  Menstruation  auf  4  Tage 
beschränkt  werden  konnte.  Das  Allgemeinbefinden  der  schwachen  Patientin 
besserte  sich  zusehends. 

Der  zweite  Fall  betraf  Blutungen  während  der  Schwangerschaft.  Fünf¬ 
mal  gelang  es,  die  zum  Teil  sehr  heftigen  Blutungen  zum  Stehen  zu  bringen. 
Dann  öffnete  sich  der  Muttermund  und  die  Patientin  wurde  von  einem  toten 
Fötus  entbunden.  Obwohl  nach  dem  Eingriffe  eine  größere  Blutung  erwartet 
wurde,  trat  diese  nicht  ein,  was  N.  auf  Rechnung  des  noch  am  Vorabend 
*  angewandten  Styptols  setzen  zu  müssen  glaubt.  Der  Verf.  ist  der  Ansicht, 
daß  das  Styptol  im  Gegensatz  zu  anderen  Hämostatizis  nicht  durch  Reizung 
der  großen  Gebärmutter-Ganglien  und  infolgedessen  durch  krampfartige  Zu¬ 
sammenziehung  der  Uterusmuskulatur  wirkt,  sondern  daß  es  eine  direkte 
verengende  Wirkung  auf  die  Gefäßwandungen  ausübt.  Die  Billigkeit  und 
die  bequeme  Dosierung  machen  das  Styptol  für  den  Praktiker  besonders 
angenehm. 


Bromural  als  Hilfsmittel  in  der  Psychotherapie. 

(Priv.-Doz.  N.  A.  Bernstein,  Direktor  der  Zentralanstalt  für  Geisteskranke  in 

Moskau.  Mod.  Psychiatrie,  S.  225—229,  1909.) 

Das  Bromural  übte  bei  internierten  Geisteskranken  weder  eine  ein¬ 
schläfernde  noch  sedative  Wirkung  aus.  Ebenso  ist  es  bei  Epilepsie  wir¬ 
kungslos,  weil  es  im  Körper  gar  kein  Brom  abspaltet.  Dagegen  ist  es  ein 
sehr  gutes  Schlafmittel  und  Sedativum  bei  Neurasthenikern  und  Psychoneuro- 
tikern  der  verschiedensten  Typen. 

In  Fällen  von  Schlaflosigkeit  infolge  Herzklopfens,  innerer  Unruhe, 
Angst,  aufdringlicher  Gedanken,  Sorgen  oder  .  intellektueller  Erregbarkeit, 
z.  B.  infolge  Spätarbeitens  usw.  (wie  sich  der  Verf.  an  sich  selbst  überzeugen 
konnte)  ruft  Bromural  in  Gaben  von  0,6  g  innerhalb  15 — 30  Minuten  einen 
ruhigen  Schlaf  hervor,  der  5 — 6  Stunden  dauert.  Nach  dem  Erwachen  lassen 
sich  keine  unangenehmen  Folgen  beobachten :  bei  Schlaflosigkeit  aus  den 
angeführten  und  ähnlichen  Gründen  ist  das  Bromural  wegen  seiner  vollstän¬ 
digen  Unschädlichkeit  den  gewöhnlichen  Schlafmitteln  vorzuziehen.  Krank¬ 
hafte  Herzerscheinungen,  wie  Arythmie,  soweit  sie  nicht  mit  organischen 
Erkrankungen  des  Herzens  und  der  Gefäße  verbunden  sind,  sondern  durch 
vasomotorische  und  reflektorische  Ursachen  bedingt,  gehen  schnell  und  leicht 
durch  Bromural  zurück.  Sehr  oft  wirkt  es  geistig  erfrischend,  indem  es  das 
Gefühl  von  Schwere  und  Drücken  im  Kopf  vermindert  und  die  Möglichkeit 
gewährt,  die  Gedanken  während  der  Arbeit  zu  konzentrieren.  Aufregungs¬ 
zustände,  innerliche  Unruhe,  beunruhigende  Erwartungen  werden  gleichsam 
koupiert  durch  Gaben  von  Bromural,  dessen  Wirkung  3—4  Stunden  dauert. 

Neumann. 


Diätetik. 

Zur  Bewertung  des  Muskelfibrins  als  Nahrungsmittel. 

(E.  Bach  mann,  Harburg.  Ärztl.  Rundschau,  Nr.  28,  1909.) 

Bachimünü  weist  darauf  hin,  daß  die  Erweißverdauung  nicht  wie  ein  rein 
chemischer  Reagenzglasvorgang  anzusehen  sei,  was  man  früher  tat,  sondern 
daß  sie  von  biologischen  Gesichtspunkten  betrachtet  werden  müsse.  Hierbei 
ergebe  sich  zunächst,  daß  namentlich  die  Verdauung  des  Fleisches  sich  unter 
Vorgängen  abspiele,  die  nicht  von-  Entzündung  und  Fieber  zu  unter¬ 
scheiden  seien,  sodann  daß  man  den  Wert  des  Eiweißes  überhaupt  viel 


Referate  und  Besprechungen. 


1387 


zu  hoch  angeschlagen  habe,  wie  das  ja  auch  neuerdings  —  wenn  auch1  vor¬ 
läufig  leider  nur  theoretisch  —  von  Rubner  anerkannt  werde.  Von  Nachteilen 
der  Fleischkost  hebt  er  dann  noch  besonders  hervor :  die  durch  ihren  Gehalt 
an  Fibrin  und  zerfallenen  Leukozyten  bewirkte  Erhöhung  der  Blutvisko¬ 
sität,  die  zu  Kapillarverstopfung  usw.  führt,  ferner  die  vermehrte  Säure- 
bildung,  die  schädlichen  Extraktivstoffe,  das  krankhafte  Beizbedürfnis, 
das  dem  durch  Fleischgenuß  entstanden  reaktiven  Schwächezusitand  folgt, 
irrtümlich  als  Hunger  empfunden  würd  und  so  zum  übermäßigen  Genuß  ver¬ 
leitet.  Hier  erinnert  er  an  die  Sport-  uüd  Kriegserfahrungen,  nach  denen 
der  Fleischesser  im  Hungerzustand  ungleich  weniger  leistungsfähig  ist  als 
der  Pflanzenesser. 

Des  weiteren  wirkt  die  Fleischüberschätzung  schädlich  durch  das  auf  sie  zurück¬ 
zuführende  erhöhte  Bedürfnis  nach  den  Herzstimulantien  Alkohol,  Kaffee,  Tee. 

Schon  allein  der  Umstand,  daß  die  für  den  stark  wachsenden  Säuglings¬ 
körper  ausreichende  Muttermilch  nur  1,6%  Eiweiß  enthält,  ist  Beweis  genug 
dafür,  daß  das  Muskelfleisch  mit  seinen  20%  Eiweiß  nur  in  sehr  starker 
Mischung  mit  Kohlehydraten  usw.  zulässig  erscheint.  Zudem  enthält  es 
aber  auch  noch  viel  zu  wenig  Kalk,  Magnesia  und  Natron,  und  führt  daher 
bei  seiner  heute  leider  vorwiegenden  Kombination  mit  Feinbrot,  Kartoffeln 
(und  ausgelaugten  Gemüsen)  zur  Mineralstoff  Verarmung  des  Organis¬ 
mus.  Die  als  Ergänzung  durchaus  nötigen  Vegetabilien,  speziell  das  Obst, 
sind  nicht  bloß  als  Genuß-,  sondern  als  vollwertige  Nahrungsmittel  anzusehen. 

'Kommen  sodann  als  weitere  Mängel  des  Fleisches  noch  die  leichte 
Fäulnisfähigkeit  und  die  zahlreichen  Viehkrankheiten  in  Betracht,  so  ist 
endlich  als  ein  Hauptnachteil,  der  bei  der  herrschenden  Eiweißüberschätzung 
besonders  volkswirtschaftlich  von  höchster  Bedeutung  erscheint,  sein  hoher 
Preis  zu  betrachten. 

Einschränkung  der  Fleischkost  zugunsten  der  vegetabilischen,  der  Vieh¬ 
wirtschaft  zugunsten  des  Gartenbaus  erscheint  also  im  Interesse  der  Volks¬ 
gesundheit  und  wahren  Kultur  dringend  geboten.  Esch. 


Vergiftungen. 

Vergiftungserscheinungen  durch  Bismutum  subnitricum. 

(Ben saude  u.  Agasse-Laf ont.  Soc.  med.  des  höpitaux,  22.  Jan.  1909.  —  Bull. 

med.,  Nr.  7,  S.  79,  1909.) 

Dem  Magist.  Bismuti  hätte  wohl  keiner  Böses  zugetraut,  und  doch 
haben  die  genannten  beiden  Forscher  allerlei  bedrohliche  Symptome  beobach¬ 
tet  :  Angst,  Beklemmungen,  Krämpfe,  Hypothermie,  Koma,  hochgradige 
Zyanose  und  Kurzatmigkeit.  Freilich  traten  diese  Erscheinungen  nicht  nach 
den  in  der  internen  Medizin  üblichen  kleinen  Dosen  auf,  sondern  nach 
den  massiven  Mengen,  wie  sie  zu  radioskopischen  Zwecken  inkorporiert  zu 
werden  pflegen.  Man  wird  also  fürderhin  vorsichtiger  sein  müssen,  nament¬ 
lich  bei  Pat.  mit  Darm-Stenosen  oder  sonstwie  behinderter  Weiterbeförderung 
des  Darminhaltes. 

Auch  kleine  Kinder  seien  ungemein  empfindlich  gegen  diese  Substanz. 

Für  radiologische  Zwecke  empfehlen  die  Autoren  das  kohlensaure  Wis¬ 
mut  (Hayem),  das  Bismut.  subgallicum  -  Dermatol  (Apert),  Aluminium  oder 
Thorium.  Buttersack  (Berlin). 


Ein  letal  verlaufener  Fall  von  Atropinvergiftung. 

(J.  Kuöera,  Hohenstadt.  Klin.-tlier.  Wochenschr.,  Nr.  14,  1909.) 

Das  Atropin,  das  Gift  der  Tollkirsche  (Atropa  Belladonna),  wirkt  reizend 
auf  das  Zentralnervensystem,  besonders  auf  die  Medulla  oblongata,  auf  das 
periphere  Nervensystem  dagegen  paralytisch :  Beschleunigung  der  Herzaktion 
durch  Lähmung  der  hemmenden  Vagusendigungen  im  Herzen,  Trockenheit 
im  Schlund  und  Aufhören  der  Schweißsekretion,  Lähmung  der  Blasenmuskulatur,  Ver¬ 
langsamung  der  Darmperistaltik.  Als  mindeste  Dosis  letalis  bezeichnet  Verf. 


1388 


Referate  und  Besprechungen. 


0,13  Atropini  sulfurici.  Er  bespricht  einen  Fall  von  Atropinvergiftung  bei 
einem  11jährigen  Mädchen,  das  bei  der  Untersuchung  exzessive  Mydriasis, 
Trockenheit  im  Munde,  urtikariaähnliches  Hautexanthem,  enorm  beschleunigten 
Puls  (bis  190  pro  Minute),  Benommenheit,  Stuhlverhaltung  aufwies.  Das 
Gift  war  dadurch  in  den  Körper  gelangt,  daß  das  Kind  im  Walde  gesammelte 
Erdbeeren  in  Düten  aus  großen  Blättern  der  Tollkirschenpflanze  getan  hatte, 
die  wohl  beim  Rollen  zerdrückt  waren,  so  daß  der  giftige  Saft  an  die  Hände 
des  Kindes  und  in  die  später  von  ihm  genossenen  Erdbeeren  gelangte.  Trotz 
aller  angewandten  Gegenmaßregeln  endete  der  Fall  letal,  da  das  18 — 20  Stun¬ 
den  vorher  in  den  Körper  gelangte  Gift  von  dem  kindlichen  Organismus! 
ganz  resorbiert  und  bis  in  die  einzelnen  Zellen  transportiert  war. 

Peters  (Eisenach). 


Allgemeines. 

Aus  der  amerikanischen  periodischen  medizinischen  Literatur. 

(Juni  1909.) 

(Schluß.) 

The  St.  Paul  medical  journal. 

1.  Die  Genese  der  übertragbaren  Krankheiten.  Von  Dr.  John 
M.  Armstrong,  St.  Paul.  Ein  interessanter  Essai  über  die  Frage,  ob  wir 
unsere  übertragbaren  Krankheiten  nicht  von  unseren,  heut  domestizierten, 
früher  wilden  Tieren  bekommen  haben  ?  Die  Geschichte  lehrt,  daß,  wenn  eine 
Rasse  durch  eine  gndere  unterjocht  wird,  die  Herrenrasse  die  Fehler  und 
Laster  der  unterjochten  annimmt,  während  letztere  sich  entweder  verbessert 
oder  degeneriert.  Die  von  uns  domestizierten,  früher  wilden  Tiere  haben 
sich  teils  physisch  verbessert,  teils  sind  sie  im  Vergleich  zu  den  noch  wilden 
derselben  Spezies  degeneriert,  wir  haben  dafür  ihre  Krankheiten  erworben. 
(Von  unseren  Hauspflanzen  kommt  ein  Teil  noch  heut  wild  in  Zentralasien 
vor.)  In  diesem  Gedankengange  bespricht  A.  die  Krankheiten  und  die  von 
der  amerikanischen  Rasse  domestizierten  Tiere,  die  in  der  Vor-Kolumbischen 
Zeit  in  Amerika  prävalierten,  um  am  Schlüsse  seiner  Ausführungen  zu 
sagen,  daß,  was  man  auch  über  sie  denken  möge,  je  früher  der  Einfluß  der 
Haustiere  als  mittelbare  oder  unmittelbare  Kontributoren  zu  menschlichen 
Krankheiten  erkannt,  um  so  früher  manche  jetzt  noch  schwierige  Frage 
gelöst  sein  wird. 

2.  Die  Parathyroid-Drüsen.  Von  Dr.  Gilfillan,  St.  Paul.  Eine 
Besprechung  der  in  den  letzten  fünf  Jahren  nachgewiesenen  Tatsachen  und 
aufgestelltan  Theorien,  betreffend  die  zuerst  1880  von  Sand  ström  beschrie¬ 
benen  Parathyroid- Körper. 

3.  Bericht  des  Exekuti v-Sekretärs  der  Minnesota-Gesellschaft 
zur  Verhütung  der  Tuberkulose  für  14  Monate.  Geschäftsbericht  über 
die  (bedeutenden)  Leistungen  des  Vereins. 

4.  Klinische  und  therapeutische  Notizen.  (Auswahl): 

a)  Kurzer  Bericht  über  das  Vorkommen  von  Tuberkelbazillen 
im  zirkulierende^  Blut.  Von  Dr.  Leverett  D.  Bristol,  Arzt  am 
städtischen  Antituberkulose-Dispensary,  St.  Paul.  Wie  wir  in  Kr.  17  der 
Fortschritte  der  Medizin  1909,  S.  669,  kurz  referiert,  hatte  Rosenberger 
die  Tuberkulose  für  eine  reine  Bakterämie  erklärt,  indem  er  berichtete, 
daß  er  in  100%  seiner  Tuberkulosefälle  (bis  15.  Januar  1909  wurden  125 
studiert)  Tuberkelbazillen  im  zirkulierenden  Blut  gefunden  habe,  und  einen 
derartigen  Befund,  wenn  er  vorkommt,  für  ein  wichtiges  diagnostisches  Hilfs¬ 
mittel  erklärte,  selbst  wenn  noch  nirgend  anderswo  Tuberkelbazillen  gefunden 
werden  und  auch  sonst  alle  Zeichen  fehlen.  Br.  prüfte  diese  Angaben  in 
einem  Falle  zweifelhafter  Tuberkulose  bei  einem  19  jährigen,  ungefähr  einen 
Monat  vorher  wegen  chronischer  exazerbierter  Appendizitis  erfolgreich  ope¬ 
rierten  Mädchen  mit  kontinuierlichem  Fieber  und  etwas  Husten,  aber  ohne 
Tuberkelbazillen  im  Sputum  nach,  nach  dem  weder  durch  Tuberkulin  noch 
durch  die  Untersuchungen  von  vier  oder  fünf  anderen  Ärzten  die  Sache  auf- 


Referate  und  Besprechungen. 


1389 


geklärt  war.  Endlich  fand  Br.  nach  der  von  R.  angegebenen  Untersuchungs¬ 
methode  (siehe  unter  der  folgenden  Nr.  4  b),  die  er  genau  befolgte,  tatsächlich 
einige  Tuberkelbazillen  in  dem  aus  einer  Vene  entnommenen  Blut,  war  jedoch 
hinterher  in  anderen  Bällen  nicht  mehr  so  glücklich  und  bezweifelt,  ob 
die  Tuberkelbazillen  überall  leicht,  wenn  überhaupt,  zu  finden  sind.  Auch 
andere  Untersucher  haben  nur  negative  Resultate  erzielt,  und  der  Herausgeber 
des  Medical  Record  vom1  3.  April  1909  ist  nach  den  Untersuchungen  in  zwei 
großen  New -Yorker  Hospitälern  geneigt,  die  Rosenberger’schen  Resultate 
überhaupt  zu  bezweifeln. 

Rosenberger  selbst  hat  darauf  Dr.  Bristol  privatim  mitgeteilt,  daß 
die  Organismen  in  vorgeschrittenen  Bällen  nicht  sehr  reichlich  sind  und  daß 
frühe  beginnende  und  akute  Miliartuberkulose  sie  am  meisten  zeige.  Alle 
seine  Bälle  seien  durch  Bäzes-  und  Sputumuntersuchungen  und  die  Autopsie 
kontrolliert  worden.  —  Möglicherweise  erklärt  sich  der  Unterschied  in  den 
Befunden  dadurch,  daß  die  Organismen  zu  verschiedenen  Zeiten  im  Blut  Vor¬ 
kommen.  Außer  in  dem  berichteten  Ball  hat  Br.  das  Blut  in  sechs  anderen 
Bällen  positiver  klinischer  Tuberkulose  untersucht  und  darin  Tuberkelbazillen 
nur  einmal  bei  einem  25  jährigen  Mann  in  den  letzten  Stadien,  hier  allerdings 
sehr  zahlreich  und  typisch,  gefunden.  Er  meint  schließlich,  dieR.’sche  Methode 
müsse  weiter  geprüft  werden,  ein  negativer  Blutbefund  schließe  Tuberkulose 
nicht  mehr  aus  als  ein  negativer  Sputumbefund.  Bis  jetzt  sei  noch  nicht 
bewiesen,  daß  alle  Tuberkuloseformen  eine  allgemeine  Bakterämie  sind. 

b)  Dr.  Bristol  Referiert  über  die  von  Rosenberger  angegebene  Technik 
zum  Nachweis  der  Tuberkelbazillen  im  Blut,  die  wir  hier  mit  Rücksicht  auf 
die  vorstehende  Nr.  4  a  nach  dem  Bristol’schen  Referat  nach  tragen :  man 
entnimmt  einer  Armvene  5  ccm  Blut,  gibt  diese  in  einer  gleichen  Menge 
2%igen  Natronzitratlösung  in  normale  .Salzlösung,  schüttelt  gut  und  refrige- 
riert  24  Stunden.  Mit  einer  Pipette  nimmt  man  aus  dem  gebildeten  Sediment 
eine  Quantität,  macht  eine  dicke  Präparation  auf  Glas,  trocknet  auf  einer 
Kupferplatte  mit  mäßiger  Hitze,  stellt  es  so  lange  in  destilliertes  Wasser  bis 
„complete  baking  of  the  blood  results“1),  trocknet  und  fixiert  dies  dünne 
Häutchen  in  einer  Bunsenflamme  und  färbt  nach  der  gewöhnlichen  Methode 
für  Tuberkelbazillen. 

5.  Her  ausgeber  teil  (Editorial). 

a)  Das  Verschwinden  der  Sektiererei  im  medizinischen  Unter¬ 
richt.  Ein  Glückwunsch  an  das  Board  of  Regen ts  of  the  State  University  of 
Minnesota  wegen  der  definitiven  Abschaffung  des  College  der  homöopathischen 
Medizin  und  Chirurgie  im  Namen  der  Einheit  der  medizinischen  Wissenschaft 
Eine  unvermeidliche  Konzession  an  die  Homöopathie  hat  dabei  trotzdem 
gemacht  werden  müssen:  die  Zulassung  zweier  Lehrstühle,  eines  für  homöo¬ 
pathische  Materia  medica,  eines  für  homöopathische  Therapie,  am  College 
für  Medizin  und  Chirurgie;  es  wird  jedoch  auch  hieran  die  Hoffnung  geknüpft, 
daß  die  nächste  Generation  von  ihnen  nur  noch  in  der  Geschichte  der  Medizin 
als  von  einer  Tradition  hören  wird,  um  so  mehr,  als  viele  sogenannte  Homöo¬ 
pathen  schon  jetzt  ihre  Kranken  nach  den  Grundsätzen  der  neueren  medi¬ 
zinischen  Wissenschaft  behandelt  haben  und  die  Inhaber  jener  Lehrstühle 
wahrscheinlich  nicht  viel  zu  tun  haben  werden.  „Solange  die  Medizin  keine 
exakte  Wissenschaft  ist,  wird  es  immer  verschiedene  Ansichten  in  der  Therapie 
geben.  —  Die  Basis,  die  Pathologie,  muß  überall  dieselbe  -sein.  Die  Zeit 
wird  kommen,  wo  alle  ehrbaren  Mediziner  sich  nur  Arzt  ohne  jeden  Zusatz 
nennen  und  wo  diejenigen,  die  etwas  Besonderes  für  sich  in  Anspruch  nehmen, 
zu  den  Quacksalbern  und  ignoranten  Prätendenten  werden  gerechnet  werden.“ 

b)  Die  staatlichen  medizinischen  Examinatoir en  (State  boards 
of  medical  examiners).  Eine  kurze  Erörterung  der  für  amerikanische  Ver¬ 
hältnisse  charakteristischen  Brage,  ob  es  besser  sei,  wenn  die  staatlichen 
medizinischen  Prüfungsämter  in  ihrer  gegenwärtigen  Organisation  und  ihren 
begrenzten  Befugnissen  abgeschafft  würden  oder  nicht,  sowie  ob  diese  überhaupt 


r)  Anmerkung:  to  bake~=  backen,  dörren,  brennen,  härten,  trocknen. 


1890 


Referate  und  Besprechungen. 


den  Medizinern  oder  dem  Publikum  genützt  hätten  ?  Sie  haben  im  allgemeinen 
den  Standard  der  medizinischen  Erziehung  unzweifelhaft  gehoben  und  da¬ 
mit  die  Tore  mancher  Winkelschulen  geschlossen  —  für  die  Abschaffung 
der  Quacksalberei  (quackery),  die  man  von  ihnen  erhofft  hatte,  haben  sie 
nichts  geleistet,  teils  weil  das  Publikum  sie  in  der  Verfolgung  dieses  Zwecks 
nicht  unterstützt  hat,  teils  weil  es  für  jemanden,  der  eine  gute  (nicht  staatliche, 
Ref.)  Medizinschule  besucht  hat,  schwer  ist,  eine  Lizenz  zur  Praxis  zu  er¬ 
halten  oder  in  eine  Praxis  zu  gelangen,  wenn  er  aus  einem  Staat  in  einen 
anderen  geht,  in  welch  letzterem  Palle  die  State  boards  geradezu  prohibitiv 
wirken.  Seit  der  Errichtung  dieser  sind  denn  auch  die  Osteopathen,  die 
Chiropraktiker,  die  Naturo-,  Magneto-,  Psychopathen,  Optometristen  usw.  wie 
Pilze  aus  der  Erde  geschossen.  Der  Artikel  schließt:  ,,wir  sind  nicht  vor¬ 
bereitet,  gegenwärtig  die  Abschaffung  dieser  Ämter  zu  befürworten,  würden 
es  aber  nicht  für  ein  großes  Unglück  halten,  wenn  ihre  Punktionen  für  einige 
*  Jahre  suspendiert  würden“. 

6.  Bücher  schau.  Hier  wird  u.  a.  ein  interessantes  Buch  angezeigt, 
in  welchem,  wie  es  heißt,  der  Verf.  auf  Grund  dokumentarischer  Forschungen 
den  Nachweis  führt,  daß  seit  dem  Mittelalter  bis  zum  19.  Jahrhundert  die 
Päpste  und  die  katholische  Kirche,  nicht,  wie  vielfach  angenommen  wird, 
gegen  den  wissenschaftlichen  und  medizinischen  Fortschritt,  besonders  gegen 
die  Sektion,  sondern  im  Gegenteil  in  dieser  Beziehung  stets  höchst  liberal 
gewesen  sind  und  daß  viele  päpstliche  Ärzte  große  und  originale  Forscher 
waren.  Vor  mehr  als  200  Jahren  war  die  größte  medizinische  Schule  der1 
Welt  die  päpstliche  in  Rom.  Der  Titel  des  Buches  ist:  ,,The  popes  and 
Sciences.  The  story  of  the  papal  relations  to  Science  from  the  middle  age 
down  to  the  nineteenth  Century“  (Die  Päpste  und  die  Wissenschaft.  Ge¬ 
schichte  der  päpstlichen  Beziehungen  zur  Wissenschaft  vom  Mittelalter  bis 
zum  19.  Jahrhundert).  Von  Dr.  med.  et  phil.  James  J.  Walsh.  400  Seiten. 
Preis  2  Doll.  15  Cents.  Porto  extra.  Fordham  lUniversitätsdruckerei,  New- 
York,  City  office,  110  West  74  th  street. 

The  Post-Graduate. 

1.  Der  Typhus  in  der  Armee,  sein  gegenwär tiger  Stand  mit 
besonderer  Beziehung  auf  Typhusträger  und  Antity phus-Impf ut- 
gen.  Von  Dr.  J.  F.  Siler,  Captain  medical  jcorps  U.  S.  army.  Typhusepide¬ 
mien,  die  in  der  Armee  selbst  entstehen,  sind  selten,  sie  sind  meist  einge¬ 
schleppt.  Die  Rekonvaleszenten  werden  häufig  Typhus-  (Bazillen-)  Träger, 
Alle  kontinuierlichen  Fieber,  bei  denen  Malaria  ausgeschlossen  werden  kann, 
werden  als  Typhus  behandelt.  Im  allgemeinen  zeigt  dieser  eine  abnehmende 
Tendenz.  Der  Schutz,  den  die  Impfung  gewährt,  ist  um  so  größer,  je 
markierter  die  Reaktion  war.  Über  seine  Dauer  ist  nichts  Sicheres  bekannt. 

2.  Papilläres  Zystadenom  der  Brust.  Von  Dr.  August  Adrian 
Strasser,  Aslington,  New- York,  assistierender  Chirurg  am  Weiberhospital, 
St.  MichaeTs  Hospital  of  Newack,  N.  I.  Der  Gegenstand  ist  nur  wenig  er¬ 
örtert,  obgleich  50%  der  Fälle  •maligne  werden  und  eine  frühzeitige  Radikal¬ 
operation  Heilung  schafft.  Definition.  Geschichte.  Histologie.  Mitteilung 
zweier  Fälle  zur  Beleuchtung  der  Symptome  und  Diagnose.  Ätiologie.  Be¬ 
handlung.  Die  einzig  wichtige  Indikation  ist  mit  Rücksicht  auf  die  Möglich¬ 
keit  der  malignen  Degeneration  die  Operation. 

3.  Drei  interessante  gynäkologische  Fälle.  1.  Karzinom  des 
Ovariums ;  2.  zystisch  degenerierter  fibroider  Tumor  des  Uterus;  3.  sehr  frühes 
Epitheliom  des  Zervix.  Von  Dr.  Abram  Brothers,  Adjunkt-Professor  der 
Frauenkrankheiten  am  P.-Grad.  med.  school  and  hosp.  New-York.  Mit  makro- 
und  mikroskopischen  Abbildungen. 

4.  Diätetik:  ihre  Anwendung  bei  der  Behandlung  chronischer 
Krankheiten.  Von  Dr.  William  Henry  Porter,  Prof,  der  Pathologie  und 
allgemeinen  Medizin,  P.-Grad.  school  and  hosp.  New-York.  Eine  allgemeine 
Betrachtung  einiger  für  den  allgemeinen  Praktiker  wichtigen  Punkte  in  der 
Ernährung  chronischer  Kranker  mit  Angabe  von  Speisezetteln. 


Bücherschau. 


1391 


5.  Reguläre  Sitzung  der  klinischen  Gesellschaft  der  New-Yor- 
ker  Post-Graduate  medical  school  and  hospital  am  16.  April  1909. 
(Vorsitzer  Dr.  Franklin  Abhot  Dorman.)  Vorträge  und  Demonstrationen: 
1.  Zwei  Fälle  von  Strabismus  (convergens  und  divergens),  vorgestellt 
von  Prof.  Valk,  um  die  Resultate  der  Verkürzungs-Operation  (shortening 
Operation)  zu  zeigen.  Es  wird  nur  eine  Katgutnaht  in  den  Muskel  gelegt, 
ohne  ihn  abzutrennen,  und  so  seine  Aktion  verkürzt.  V.  hat  bis  jetzt  in 
250  Fällen  damit  gute  Resultate  erzielt.  2.  Bericht  über  einen  Fall  vom 
plastischer  Operation  wegen  angeborener  Deformität  und  teil¬ 
weisen  Defekts  am  äußerten  Ohr.  Von  Dr.  J.  Heckmann.  An  dem 
deformierten  Ohr  fehlte  das  obere  Drittel,  das  untere  war  normal,  das  mitt¬ 
lere  war  nach  vorwärts  gedreht.  Das  ganze  Ohr  stand  mehr  nach  vorn  und 
tiefer  als  das  andere.  Die  Operation  soll  im  Juliheft  des  Post-Graduate  be¬ 
schrieben  werden.  In  der  Diskussion  bemerkte  Dr.  Pooley,  daß  er  vor 
Jahren  eine  ähnliche  Operation  gemacht  und  seitdem  öfter  wiederholt  habe. 
Seine  Fälle  entsprächen  jedoch  dem,  was  man  in  Deutschland  „Schlappohr“ 
nennt.  3.  Die  Toxämien  des  Auges,  mit  Berücksich tigung  auch  der 
das  Auge  treffenden  Auto-Intoxikation.  Von  Dr.  A.  Edward  Davis, 
Prof,  der  Augenkrankheiten.  D.  bespricht  die  Tabaks-Alkohol-,  die  Blei-, 
die  Bisulfat-Carbon-Amblyopie  (beim  Vulkanisieren  des  Kautschuks),  die 
Nitro-Benzol-  und  Dinitro-Benzol-,  die  Atoxyl-,  die  Methyl- Alkohol-,  die 
Chinin-Salizyl-,  Filix  mas-,  Antipyrin-,  Karbol-,  Jodoform-  und  Ergotin- 
Amblyopie.  Zu  den  Auto-Intoxikationen,  die  das  Auge  in  Mitleidenschaft  ziehen 
können,  zählt  er  die  Toxämien  der  Schwangerschaft,  des  Diabetes,  des  Karzi¬ 
noms  und  andere  durch  die  Produkte  des  individuellen  Metabolismus  verur¬ 
sachten  Krankheiten.  4.  Zwei  Fälle  von  Rückfall  (reversion),  aber 
verschiedener  Natur;,  in  dcrlselben  Familie.  Von  Dr.  Albert  S. 
Harden,  Patholog  am  St.  Michaers  Hospital,  Newark,  N.-J.  Väterlicher¬ 
seits  eine  Balano-Hypospadie  in  den  letzten  5  Generationen,  mütterlicher¬ 
seits  eine  Artikulation  der  2.  und  3.  Zehe  beider  Füße  mit  dem  2.  Meta,- 
tarsal-Knochen,  verbunden  mit  Schwimmzehe  (web-toe)  in  den  letzten  6  Gene¬ 
rationen.  Beide  Zustände  kamen  nur  bei  den  männlichen  Familienmitgliedern 
vor,  mit  einer  einzigen  Ausnahme,  Mrs.  S.,  welche  die  Fußdeformität  hat, 
aber  schwächer  als  ihre  Vorfahren,  und  eine  weniger  ausgebildete  Schwimm¬ 
haut.  M.  S.,  3  Jahre  alt,  sonst  normal,  bis  auf  die  erwähnte  Artikulatiofi, 
aber  ohne  Schwimmhaut.  B.  S.,  10  Monate  alt,  normal  bis  auf  die  Balano- 
Hypospadie.  Der  ältere  Bruder  hatte  also  die  Familieneigentümlichkeiten 
der  mütterlichen  Seite  der  Mutter,  der  jüngere  die  ihrer  väterlichen  Seite. 
Natürlich  wäre  es,  zu  denken,  daß  die  Erbeigentümlichkeiten  beiderseits 
ähnlich  ausgedrückt  wären.  Peltzer. 


Bücherschau. 


Das  Pfadfinderbuch.  Nach  General  Baden-Powells  „Scoutingfor  Boys“. 
Unter  Mitwirkung  von  Hauptmann  Bayer  und  Prof.  Dr.  Kemmer, 
herausgegeben  von  Stabsarzt  Dr.  A.  Lion.  Verlag  der  Arztl.  Rundschau 
(O.  Gmelin),  München,  1909.  342  S.  3,50  Mk.,  geh.  4,50  Mk. 

Offenbar  durch  eine  den  Inhalt  nicht  ganz  deckende  oder  mindestens  nicht 
erschöpfende  Devise  verführt,  die  auch  in  dem  Buchtitel  zum  Ausdruck  gelangt, 
hat  man  hinter  der  von  dem  General  Baden-Po  well,  dem  Verteidiger  von 
Mafeking,  angeregten  Bewegung  und  in  der  von  ihm  geschaffenen  Institution  der 
„Boy-Scouts“  vielfach  ganz  ungerechtfertigterweise  das  Bestreben  vermutet,  den  an 
sich  vorhandenen  Hang  der  Jugend  zu  einer  gewissen  Abenteurer-Romantik  zu 
bestärken  oder  gar  die  heranwachsende  Generation  mit  einer  Art  von  kriegerischem 
und  blutdürstigen  Indianergeiste  zu  erfüllen  und  sich  damit  in  einen  Gegensatz  zu 
der  modernen  Richtung  zu  stellen,  die  die  Lösung  kultureller  Aufgaben  und  die 
Aufhebung  der  nationalen  Gegensätze  an  die  Spitze  ihres  Programms  stellt. 

Daß  das  die  Tendenzen  des  von  Lion  nicht  übersetzten,  sondern  im  Geiste 
des  Urhebers  dieser  Ideen  unter  Mitwirkung  hervorragender  Offiziere  und  Schul- 


1392 


Bücherschau. 


männer  nachgeschaffenen  und  dem  nationalen  Geiste  gewissermaßen  adaptierten 
Werkes  vollkommen  verkennen  heißt,  muß  jedem  klar  werden,  der  mit  Unbefangen¬ 
heit  an  dessen  Lektüre  herantritt. 

Das  Suchen  und  Finden  des  richtigen  Lebenspfades,  die  Ent¬ 
wicklung  der  wichtigsten  Fähigkeit,  selbständig  handeln  und  allein 
für  sich  sorgen  zu  können,  das  ist  es,  was  der  Verfasser  in  die  Be¬ 
deutung  des  Wortes  „Pfadfinder“  hineingelegt  wissen  will.  Und  wohl 
jeder  muß  ihm  darin  recht  geben,  daß  ein  in  diesem  Sinne  starkes 
Geschlecht  die  beste  Friedensbürgschaft  ist. 

Lion  sieht  mit  Baden-Po  well  die  größte  Gefahr  darin,  daß  unsere  Jugend 
körperlich  zurückgeht  und  geistig  verroht.  Unermüdlich  ruft  er  ihr  deshalb  zu: 
„macht  die  Augen  auf!“  Das  heranwachsende  Geschlecht  soll  lernen,  die  Augen 
öffnen,  nicht  nur  um  die  ihm  selbst,  sondern  auch  die  dem  Nächsten  drohenden 
Gefahren  rechtzeitig  zu  sehen,  und  ihnen  mit  geeigneten  Mitteln  zu  begegnen. 
Deshalb  beschränkt  sich  das  Buch  nicht  darauf,  Kegeln  für  die  hygienische  Lebens¬ 
führung  und  für  die  Übung  und  Stärkung  des  Körpers  und  Geistes  zu  geben, 
sondern  er  gewöhnt  den  Leser  an  die  Umschau  nach  Gelegenheit,  wo  immer  es 
nur  etwas  zu  helfen  gibt  und  wirkt  durch  diese  Gewöhnung  an  Hilfsbereitschaft  im 
Dienste  der  Allgemeinheit  auf  eine  Vertiefung  des  Gemütes,  auf  die  Wieder¬ 
erweckung  der  alten  Rittertugenden  in  einem  den  Forderungen  einer  neuen  Zeit 
entsprechenden  Geiste  hin. 

So  kann  man,  um  den  reichen  Inhalt  in  wenigen  Worten  zu  charakterisieren, 
kurz  sagen:  das  hier  vertretene  System,  das  von  seiten  der  Ärzte,  der  Pädagogen 
und  der  Soziologen  in  gleichem  Maße  alle  nur  mögliche  Förderung  verdient,  gipfelt 
in  der  Erziehung  für  die  Forderungen  des  realen  Lebens  nach  Maßgabe 
rein  idealer  Motive.  Eschle. 


Kongresse  und  Versammlungen. 

Der  31.  Baineologenkongreß,  welcher  vom  28.  Januar  bis  1.  Februar  1910 
im  Anschluß  an  die  Zentenarfeier  der  Hufelandischen  Gesellschaft  in  Berlin  tagen 
wird,  verspricht  einen  sehr  guten  Verlauf  zu  nehmen.  Es  sind  eine  große  Reihe 
von  interessanten  Vorträgen  aus  den  verschiedensten  Gebieten,  welche  mit  der 
Balneologie  im  Zusammenhänge  stehen,  angemeldet  und  eine  beträchtliche  Anzahl 
von  Mitgliedern  hat  ihre  Teilnahme  bereits  angezeigt.  —  Die  Begrüßung  der  Mit¬ 
glieder  und  deren  Damen  findet  am  Freitag,  den  28.  Januar,  abends  8  Uhr  im 
Hofbräuhaus,  Potsdamerstraße  127  statt. 


Hochschulnachrichten. 

Berlin.  Geh.  Medizinalrat  Prof.  Dr.  H.  Senator  vollendete  sein  75.  Lebensjahr. 
Für  Physiologie  habilitierte  sich  Dr.  E.  Regen  er. 

Bonn.  Dr.  P.  Prym  habilitierte  sich  für  pathologische  Anatomie.  Prof.  Dr. 
Th.  Saemisch,  der  seit  Ostern  1907  vom  Lehramt  zurückgetreten  war,  ist 
verstorben. 

Breslau.  Prof.  Dr.  K.  Hürthle  wurde  zum  Geh.  Medizinalrat  ernannt.  Der 
o.  Prof.  Dr.  Czerny  wurde  zum  o.  Professor  u.  Direktor  der  Kinderklinik  in 
Straßburg  i/E.  ernannt. 

Erlangen.  Für  Augenheilkunde  habilitierte  sich  Dr.  R.  Kümmell. 

Halle  a.  S.  P.-D.  Dr.  A.  Stieda  erhielt  den  Titel  Professor.  Für  innere  Medizin 
habilitierte  sich  Oberarzt  Dr.  H.  von  Hösslin. 

Heidelberg.  Der  ao.  Professor  der  Chirurgie  Dr.  M.  Jordan  ist  verstorben.  Zum 
o.  Professor  der  Hygiene  wurde  Prof.  Dr.  H.  Kos  sei  in  Gießen  ernannt.  Das 
goldene  Doktorjubiläum  feierte  am  14.  November  der  Prof,  der  pathologischen 
Änatomie  Wirkl.  Geh.  Rat  Exz.  Dr.  Julius  Arnold. 

Königsberg.  Der  ao.  Professor  Dr.  J.  Schreiber  wurde  zum  Geh.  Medizinalrat 
ernannt.  Prof.  Dr.  G.  Winter  wurde  zum  Geh.  Medizinalrat  ernannt. 

München.  Der  ao.  Professor  Dr.  M.  Crem  er  geht  als  Physiologe  der  Kranken¬ 
anstalten  nach  Köln. 

Straßburg  i.  E.  Der  o.  Professor  u.  Direktor  der  Augenklinik  Dr.  O.  Schirmer 
erhielt  die  nachgesuchte  Entlassung  aus  seinem  Lehramt. 

Wien.  Der  ao.  Professor  Dr.  M.  Richter  wurde  zum  Professor  der  gerichtlichen 
Medizin  ernannt. 

Schriftleitung:  Dr.  Ri  gier  in  Leipzig. 

Druck  von  Emil  Herrmann  senior  in  Leipzig. 


r 


# 


♦ 


« 


% 


Made  in  Italy 

05-14  STD 


'Wwwxolibrisystem.com 


' 


3  0112  10570887«