UNIVERSITY OF ILLINOIS
LIBRARY
Class Book Volume
, VO ^7
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P ortschritte der Medizin
<~
Unter Mitwirkung hervorragender Fachmänner
herausgegeben von
Professor Dr. 6. Röster
in Leipzig.
Priv.-Doz. Dr. v. Criegern
in Leipzig.
Redaktion: Df. RiQkf, Leipzig.
1909
XXVII. Jahrgang.
Leipzig 1909
VERLAG VON GEORG THIEME.
Fortschritte der Medizin.
0,10.5
^ o
I, Sachregister.
(Die fettgedruckten Zahlen bedeuten Originalbeiträge.)
A.
Abdominaltyphus, Kompl ikation des¬
selben mit Gangrän der Extremitäten
576.
Abducenslähmung, zur Kasuistik der¬
selben nach Lumbalanästhesie mit
Tropokokain 1079.
Abführmittel 800.
Abortbehandlung 727.
Absces cerebral double, diagnostique,
trepanation et guerison 964.
Abstinenzdelirien 178, 423.
Abstinenzdelirium, ein angebliches
966.
Abszesse der Säuglinge, über die Be¬
handlung der multiplen mit spezifi¬
schem Vakzin 1341.
Acetanilid, Antipyrin und Phena¬
cetin, die schädlichen Nebenwirkun¬
gen derselben 1307.
Achselhöhlenbrüste bei Wöchnerin¬
nen 439.
Achsendrehung des Dickdarms in Be¬
ziehung zu Schwangerschaft und Ge¬
burt 246.
Achylia gastrica, Pathogenese und
Aetiologie 1065.
Adams -Stock es’ sehe Krankheit und
Syphilis 852.
Addison’ sehe Krankheit 853.
Adenitis, zervikale und submaxillare,
nach Diphtherie 211.
Adenofibrom der Mamma auf tuber¬
kulöser Basis 170.
Aderlaß 204.
— der Verfall desselben 564.
Adhäsionen, peritoneale experimentelle
Untersuchungen über Verhütung 1035.
Adhäsion, zum Prinzip derselben in
der Scheide 703.
Adnexe, Exstirpation doppelseitig er¬
krankter 35.
Adnexerkrankungen, chronische ent¬
zündliche, zur operativen Anzeige¬
stellung JL182.
Adrenalindosen, große, über die sub¬
kutane Anwendung solcher in der
Therapie diphtherischer Blutdruck¬
senkungen 1342.
Adrenalin-Ko chsalzinf usionen, in¬
travenöse 590.
Adrenalin, über den Gehalt des Blutes
hieran bei chronischer Nephritis und
Morbus Basedowii 1301.
— ein Reagens auf Sympathikus-Läsion
1344.
— über die Wirkung subkutan einver¬
leibten Adrenalins 330.
Agglutination, über den Einfluß von
Wärme und Zeit auf den Ablauf der¬
selben 1380.
Agglutinationsmethoden, zwei neue
161.
Agitation motrice forcee cliez un de-
genere psychasthenique 967.
Akne 298
Aktual- und Psy clio neuro sen im
Lichte der Freud’schen Forschungen
und über die Psychoanalyse 964.
A 1 b u 1 a k t i n, V ersuche hiermit bei künst¬
lich genährten Säuglingen 625.
Albuminurie, über lordotische 626.
Alcuentasalben, wasserlösliche, Er¬
fahrungen hiermit 564.
Alkaptonurie 464.
Alkohol an Wendung, absolute und
relative Indikation, bei einigen ner¬
vösen Zuständen 776.
Alkohol in der klassischen Malerei 1050.
Alkoholkranke, Behandlung derselben
außerhalb der Irrenanstalten 150, 195.
Alkoholseifen 250.
Alkohol und Auge 926.
Allgemeinanästhesie für kurz¬
dauernde Eingriffe 218, 1141.
Allgemeinbehandlung von Infek¬
tionskrankheiten 1257.
Alopecie, über Behandlung derselben
mit ultravioletten Strahlen 1345.
Alterssichtigkeit, die Korrektion der¬
selben durch pantoskopische Augen¬
gläser 926.
Alypin in der Zahnheilkunde 745.
Amaurotische FamilienTdiotie 781.
Amerikanische, periodische medizini¬
sche Literatur 89, 253, 518, 567.
— - (The Post Graduate Nov. 1908;
The american journal of the medical
YI
Sachregister.
Sciences Dez. 1908; The St. Paul me¬
dical Journal Dez. 1908) 409.
Ammen im Krankenhause 920.
Amyloidniere, über Entartungs- und
Heilungserscheinungen 661.
Anaphylaxie 540.
— beim Kaninchen unter besonderer
Berücksichtigung des „Arthus’schen
Phänomens“ 845.
Anaerobien, Beitrag zur Züchtung und
Isolierung 848.
Anämie, Behandlung der perniziösen
854.
— chirurgische und Wiederbelebung
H45.
— zur Ätiologie der perniziösen 121.
Anästhesie, über sakrale 620.
Aneurysma, Beitrag zur idealen Ope¬
ration der arteriellen 78.
— thoracicum desc.endens, die
Symptome desselben 1351.
Angina pectoris und Enteritis muco-
membranacea 734.
— — und paroxysmale Tachykardie,
Kunstgriff zur Unterdrückung der
Anfälle 660.
— Therapie derselben 395.
Anginoide Zustände, Beitrag zur
Pathogenese und Therapie 734.
Angioma a rterio venosum, glück¬
liche Entfernung desselben 1138.
Ankylostomiasis 992.
Antikörper bei Tumoren 505.
Antirabische Wirkung der Hirnsub¬
stanz in toto, über den sonderbaren
Unterschied der zwischen dieser und
jener, der weißen und der grauen
Substanz getrennt besteht 180.
Antiseptica in der Dermatologie 745.
Antituberkuloseserum, Marmorek,
Erfahrungen hiermit 695.
Anuria calculosa 1147.
Aorten-Insuf f izienz. systolisches Ge¬
räusch 124.
Aorteninsuffizienz und Lues 507.
Aperitol, über die Wirkung desselben
1224.
Aphasie, Bernheims Auffassung 177.
— innere Sprache und Lokalisations¬
fragen 1271.
— kortikale, motorische nach Pneumonie
1220.
Aphthongie 217.
Aplasie, angeborene, der Gallenwege,
verbunden mit Leberzirrhose durch
Operation behandelt 889.
Apomorphin an wen düng, über
schlimme Zufälle und über die Be¬
ziehungen zwischen Würgakt und
Muskellähmung 329.
Appendektomie, zur Frage der pro¬
phylaktischen, und der systematischen
Untersuchung der Gallenblase bei
gynäkologischen Laparotomien 323.
Appendices epiploicae, Beitrag zur
Frage des Zustandekommens der Tor¬
sion 1034.
Appendicitis gangränosa und Früh¬
operation 1034.
Appendizitis, chronische 957.
— die Lagerung des Kranken 76.
— im Kindesalter 1261.
— zur Bakteriologie der akuten und
chronischen, mit besonderer Berück¬
sichtigung des peritonealen Exsudats
1033.
— zur Differentialdiagnose 508.
— Operation, Vorteile des Median¬
schnittes bei derselben 801.
— therapie, eine neue 1062.
Arhovin 747. .
Arseneisenpräparat Asferryl, Er¬
fahrungen mit demselben 1225.
Arsenophenylglyzin, Behandlungs¬
versuche mit demselben bei Paraly¬
tikern 1225.
Arsen paranuklei ns au res Eisen,
über das Verhalten desselben und der
arsenigen Säure im Organismus 747.
Arsenwasser, experimentelle Unter¬
suchungen auf die Magen- und Darm¬
funktion 1227.
Arsentherapie, zur Methode der sub¬
kutanen 1350.
Arsonvalisation, Wirkung lokaler 445.
Arterien - Krankheiten, experimen¬
telle, der gegenwärtige Stand 243.
Arterien und Organe, kranke, Ersatz
durch gesunde 1139.
Arteriosklerose 72.
— das Verhältnis von Arterien- und
Kapillardruck 354.
— Genese derselben (Arteriitis) 29.
— (Dyskineaia und Paraesthesia inter-
mittens) über nervöse Störungen der
oberen Extremität 735.
— zur Diagnostik derselben 1281, 1324.
Arthritis gonorrhoica, Behandlung
derselben 849.
Arzneimittel, physiologische Wert¬
bestimmung derselben 441.
Ärztliche Ethik, wird in der Erziehung
unserer Medizin Studierenden der¬
selben genügend Rechnung getragen?
781.
Asepsis, der Einfluß derselben und In¬
fektion auf die Technik der Entbin¬
dung durch Schnitt 730.
Aspirin bei Fällen chirurgischer Tuber¬
kulose 1310.
Asthma bronchiale und dessen Be¬
handlung mit Atropin 1180.
- — und Verkleinerung des Herzens 357.
Ataxie, Friedreich’sche, zur pathologi¬
schen Anatomie 551.
— nach Diphtherie 278.
Ätherrausch, ein einfaches Mittel
gegen Erbrechen 129.
Atmen, die Kunst desselben 1001.
Sachregister.
YII
Atoxyl, experimenteller Beitrag zur
Wirkung desselben auf den tierischen
Organismus 590.
— physiologische Wirkung desselben 37.
— Vergiftung, klinischer und experi¬
mentell-pathologischer Beitrag 1153.
Auf stoßen (Singultus) der Säuglinge 33.
Auf wärts wandern der Bakterien im
Verdauungskanal und seine Bedeutung
für die Infektion des Bespirations-
traktus 770.
Augenbewegungen, einseitige 897,
933.
Augenheilmittel 131.
Aurikuloventrikular-Trennung,
vollkommene (auriculoventricular dis-
sociation) ohne synkopale oder epilep-
tiforme Anfälle 779.
Ausspannungen, über kurze 1226.
Atropinvergiftung , ein letal ver¬
laufener Fall 1387.
Azetonkörpergehalt der einzelnen
Organe beim Phlorizindiabetes 465.
B.
Bacillus Eberth und Bacillus coli
768.
Bad, das heiße 444.
Bakterienagglutination, Beschleu¬
nigung und Verstärkung derselben
durch Antieiweißsera 847.
B akteri en an aphy 1 axi e 208.
Bakteriengifte, die begünstigende
Beizwirkung kleinster Mengen auf j
die Bakterienvermehrung 1137.
Bakterien, über die Anpassung der¬
selben an die bakteriolytische Eigen¬
schaft des Blutserums 844.
Bakterien, über die feine Struktur
derselben 1255.
Bakteriodizine in Perhydrasemilch 84.
Bakteriolysine, auf natürlichem W ege
entstandene 1380.
Balanoposthitis, über die Varietäten
desselben 215.
Baldrianpräparate bei der Hysterie
443.
Balkenstich bei Hydrocephalien, Tu¬
moren und bei Epilepsie 89.
Baineologen ko ngreß, der 30., in
Berlin 485, 534, 5 70.
B a 1 n e o t h e r a p i e bei durch Stoffwechsel¬
störungen bedingten Herz- und Ge¬
fäßerkrankungen 444.
Bandagenbehandlung der Brüche 413.
Bandwurm, zur Frage über den mut¬
maßlichen Zusammenhang zwischen
der Erkrankung an Bandwurm, speziell
Botryocephalus latus, und derjenigen
an Lungentuberkulose 55.
Bartholi n’sche Drüse und K a r z i n o m,
ein Fall von doppelseitiger sekundärer
Erkrankung 324.
Basedowsche Krankheit, akute Be¬
handlung derselben mit partieller j
Strumektomie 170.
Basedowsche Krankheit, die Bönt-
gentherapie derselben 747.
Bauchorgane, Verletzungen, über
offene und subkutane 469.
Bau cli wunde, penetrierende, ohne
Symptome 995.
Bazillenträger 953.
Bazillurie, typhöse 1228.
Bazillus, über einen neuen, als Erreger
eines exanthematischen Fiebers in der
Mandschurei während des japanisch-
russischen Krieges, „Bacillus febris
exanthematici Mandschurici“ 1029.
Beckenausräumung beim Uteruskar¬
zinom, Bakteriologie und Technik der¬
selben 247.
Beckenerweiternde Operationen
und Behandlung der Geburten bei
Beckenverengerungen überhaupt 321.
Bella donna-Podophyllin-Pillen
443.
Benz in Vergiftung 27.
Beobachtungen und Tricks, diag¬
nostische und therapeutische aus der
Landpraxis 373.
Berliner Brief 18, 266, 647, 1131.
Beta-Oxybuttersäure, N achweis der¬
selben im Harn 1353.
Bevölkerungsrückgang, Bekämp¬
fung desselben 1298
Biologische Beziehungen zwischen
Mutter und Kind 924.
Bismutum subnitricum, V ergif tungs-
erscheinungen hierdurch 1387.
Blase, Behandlung schwerer Entzün¬
dungen der weiblichen 440.
— nb es ch wer den des Weibes ohne
zystoskopischen Befund 1109.
— Beizzustände in derselben, Diagnose
und Therapie 473.
— Verschluß der weiblichen 440.
Blennorrhoea neonatorum, Behand¬
lung derselben mit Binderserum 772.
Blennorrhoea urethrae, Beitrag für
Abortiv-Behandlung 214.
Blinddarmentzündungen des Jahres
1907 in Groß-Berlin, Bemerkungen zu
dem Bericht über die Sammelforschung
der Berliner medizinischen Gesell¬
schaft 1320.
Blinddarmentzündung und deren
Behandlung 508.
Blinddarm kranke nach Operationen,
gibt es objektive Gründe, die uns
veranlassen können, sie in fieber¬
freiem Intervall frühzeitig aufstehen
zu lassen? 580.
Blut- Alkali -Agar, ein Elektivnähr-
boden für Choleravibrionen 1335.
Blutbrechen bei Crises gastriques tabe-
tiques; Sektionsbefund 1385.
Blutdruckerniedrigung, Dauer der¬
selben durch d’Arsonvalisation 1347.
Blutdruckmessung, die auskulta¬
torische im Vergleich mit der oszil-
latorischen (Becklinghausen) und ihr
VIII
Sachregister.
durch die Phasenbestimmung be¬
stimmter klinischer Wert 506.
Blutdruckmessung, mittels des Tono-
graphen, neue Untersuchungsergeb¬
nisse 813.
Blutdruck, über eine einfache Bestim¬
mungsmethode des diastolischen 957.
Blutdrüsen, der Einfluß derselben auf
die Immunität gegen Infektionen und
Intoxikationen 793, 826.
Blutentziehungen, Einfluß auf die
hämolytische Kraft 279.
Blutfarbstoff 503.
Blutgeschwüre, eine Notiz über ihre
Behandlung 1354.
Blutkörperchen; Zahl der roten, wäh¬
rend der Menstruation 504.
Blutleere der unteren Körperhälfte 129.
— künstliche, der unteren Körperhälfte
nach Momburg 288.
Blutserum gegen posthämorrhagische
Anämien 853.
Bluttransfusion, die direkte Beschrei¬
bung eines einfachen Verfahrens 619.
Blutviskosität, das Verhalten der¬
selben bei Joddarreichung 334.
Blutzellen, das Verhalten der roten
bei der Biemerschen progressiven
Anämie 853.
Bogenlicht, blaues, der therapeutische
Wert der Bestrahlung granulierender
und eitriger Wunden und Unter¬
schenkelgeschwüre 1276.
Branntweinvergiftung 1193.
Breslauer Brief 59, 160, 236, 312, 379,
491, 612, 830, 1055.
Bromglidine, über klinische Versuche
und Erfahrungen hiermit 1195.
Bromural als Schlafmittel 1278.
— als Hilfsmittel in der Psychotherapie
1386.
— in der geburtshilflichen und allge¬
meinen Frauenpraxis 963.
Bronchiektasie, über akute und
chronische bei Kindern 625.
Brotmehl, bleihaltiges über Vergif¬
tungen in Negenborn 766.
Brustkinder, über schlecht gedeihende
1157, 1201.
Brustwarzen, zur Hygiene derselben
861.
Bulbusruptur mit subkonjunktivaler
Linsenluxation und Herausschleude¬
rung der Linse aus dem Auge, zwei
Fälle hiervon 1190.
C.
Caisson kranklieit 69.
Celsus, die Medizin desselben im Lichte
moderner Anschauungen 1169, 1207,
1246.
Chininbehandlung, die lokale der
Tuberkuloseherde 1348.
Chininintoxikation 364.
Chininlösungen, über den Einfluß auf
die Phagozytose 479.
Chinin- und Harnstoff-Hydrochlo¬
ride, Hvpodermatische Anwendung,
bei der Diagnose und Behandlung
akuter und chronischer Malaria-Infek¬
tion 249.
Chinin, über die Darreichung bei
Kindern 590.
Chlorentziehung, die therapeutische
1118.
Chloride, Ausscheidung derselben im
Harn bei Nierensteinerkrankungen 662.
Chloroformnarkose, welchen Einfluß
hat das Überdecken der Maske mit
einem Handtuche auf den Verlauf
derselben 732.
Chlorom 1105.
Cholecystitis, die Frühoperation der
akuten sicheren 77.
— Diagnose und Therapie der akuten
1063.
Cliolelithiasis, die diätetische Behand¬
lung derselben 1117.
Choleravibrionen, überdas Verhalten
dem menschlichen Mageninhalt gegen¬
über 353.
Cholestearin, immunisierende lepsi-
zide Wirkung desselben, des Lezithins
und verschiedener Lezithin enthalten¬
der tierischer Teile 846.
Chorea, die Behandlung derselben 549.
Chorea, die physikalische Therapie der¬
selben 1081.
Choreatische Bewegungs Störun¬
gen bei Neurosen und Psychosen und
Chorea chronica 977.
Chrysarobin, birgt die übliche äußere
Behandlung hiermit irgend welche Ge¬
fahren für den Kranken in sich 1309.
Chrysarobinvergif tung bei interner
Anwendung 365.
Chylurie, Europäische 1064.
— mit Glykosurie, ein Fall hiervon 1027.
Coecum mobile 593,
Colloidale Metalle, chemisches und
biologisches hierüber 331.
Colon, temporärer Verschluß desselben
bei Resektionen oder Ausschaltung
des Darms 1181.
Concretio et Accretio cordis, zur Klinik
derselben 658.
Constipation, Direction logique 587.
Corpus luteum und der atresische
Follikel des Menschen und deren
zystische Derivate 701.
Coryfin und seine Anwendung 746.
CO-Vergiftungen, verkannte chro¬
nische 585.
Coxa valga congenita 501.
Coxa vara, ein Frühsymptom bei
Osteomalazie 774.
Coxa vara congenita, ein Fall hier¬
von 698.
Credeisierung der Neugeborenen 80.
Sachregister.
IX
D.
Dammriß, zur Naht des frischen 887.
Darm-Blasenfistel mittels Darmaus¬
schaltung zur Therapie derselben 1181.
Darmblutungen bei Syphilis, Aus¬
schaltung des Dickdarmes 286.
Darmerkrankungen, klinisch-diagno¬
stisch schwierige Krankheitsfälle aus
der Gruppe der infektiösen (Enteritis,
Dysenterie, Pseudodysenterie, Para¬
typhus, Typhus 1066.
Darmfunktionen, über die neueren
klinischen Untersuchungsmethoden
der Darmfunktionen und ihre Ergeb¬
nisse 281.
Darmperforation, die chirurgische
Behandlung derselben im Typhus 1228.
Dar ms and, die Banane eine seiner
Quellen 780.
Darmstenose durch submuköse Häma¬
tome bei Hämophilie 1035.
Darm Verletzung, eine seltene 193.
D arm Verletzungen bei gynäkolo¬
gischen Operationen 1143.
Darm Verschluß, Diagnose und Be¬
handlung des inneren 30.
Dämmerschlaf, schmerzlose Entbin¬
dungen 322.
Degeneration, Pathogenese, der kreti-
nischen 179.
— traumatische, und Regeneration des
menschlichen Gehirns 24.
— über lipoide 505.
Dekapsulation der Nieren bei der
Eklampsie 1111.
Dementia paralytica (Lues Zerebro-
spinalis) in der Gravidität 387.
Dementia praecox, zur Frage der
Benennung 967.
Demonstrationen 278, 467, 767, 880.
Dermatosen des Gesichts, Massage bei
denselben 1348.
Desalgin 806.
— ein Chloroformpräparat in Pulverform
zu internem Gebrauch 663.
Desinf ection des appartements, une
methode nouvelle 808.
Diabetes, die diätetische Behandlung
778.
— gebiet, über neuere Forschungen aus
demselben 465.
— Grundzüge der diätetischen Behand¬
lung des schweren 474.
— insipidus, hereditäre Form 31.
— mellitus, zur Kasuistik derselben 1061.
— milch, über die Boumasche 1117.
— über die Zunahme der Todesfälle und
die Möglichkeit, den Ausbruch der
Krankheit zu verhindern oder hinaus-
zuschiebeu 773.
Diarrhöen, chronische 540.
Diät, die kochsalzarme, als Heilmittel
632.
Dickdarm, zur Physiologie und Patho¬
logie desselben 1070.
Dickdarm, zur Pathologie und Therapie
dej falschen (erworbenen) Divertikel
1066.
Differentiation of the bazilli of the
typhoid group, a new test for it 768.
Digalen, zur Kenntnis der Wirkung
desselben 1276.
Digitalis als Blutstillungsmittel 806.
— beliandlung, Beiträge zur Kenntnis
476, 628.
— fragen, zweie aus der Praxis. I. 1195.
— ■ über Gebrauch und Mißbrauch 628.
— Wirkung an Gesunden und an kom¬
pensierten Herzkranken 441.
Diphtheriefälle des Jahres 1907 in
der Krankenanstalt Sudenburg 623.
Diphtherieserum, Antitoxiagehalt des¬
selben. Acidität der Antitoxine 353.
— bei Asthma 990.
— bei Erysipelas 990.
— Heilwirkung bei ausgedehnten Läh¬
mungen 243.
— weshalb versagt dasselbe in gewissen
Fällen 554.
Diphtherie und Heilserum 989.
Diphtherie Vergiftung und ihre Be¬
handlung, Beiträge hierzu 803.
Diplosal, ein neues Antirheumatikum
807.
— ein neues Salizylpräparat 1244.
Dislokation der Schulter nach vorn 779.
Diurese, die heutigen Methoden zur An¬
regung derselben 38, 477.
Divertikel der männlichen Harnröhre,
Beitrag zur Histologie und Genese
der kongenitalen Divertikel 171.
Duodenalgeschwür, _ Diagnose des¬
selben 958.
--Verschluß 858.
Duodenum, Folgen der totalen Resek¬
tion 126.
D ü h r i n g s c h e K r a n k h e i t mit Sclileim-
hautlokalisation 211.
Dysphagietabletten 333.
Dysmenorrhoe und Uterusblutungen,
die Behandlung derselben 333.
Dyspepsien im Kindesalter, zur Diagno¬
stik und Therapie derselben 1061.
Dystrophia musculorum progres¬
siva 921.
E.
Edgar Allan Poe und die medizinische
Geschichte 781.
Eileiterepithel, über Bau und Funk¬
tion desselben beim Menschen und
bei Säugetieren 501.
Einfluß der Berufsarbeit auf die Herz¬
größe. — Einfluß des Militärdienstes
auf die Herzgröße 29.
Eisenpräparate 133.
Eiweißbedarf des Kindes 362.
Ei weiß best immun g, quantitative, im
Harn 356.
Eiweiß, wiewiel braucht der Mensch 631.
X
Sachregister.
Eklampsie, die Pathogenese derselben
und ihre Beziehungen zur normalen
Schwangerschaft, zum Hydrops und
der Schwangerschaftsniere 1338.
— zur Klinik, Statistik und Therapie der¬
selben 1305.
Eklampsieätiologie, zur plazentaren
Theorie derselben 1304.
Elektro - Dauerwärmer (Elektro-
Kataplasmen) 140.
Elektroden, leicht auswechselbare 1 199.
Elektro-Ionisierung, Behandlung der
Sklerosen des Ohrs 585.
Elektrokardiogra m m 49G.
Elektrolyse des F urunkels und Galvani¬
sation der Epididymitis 1263.
Elektrotherapie, moderne Bemerkun¬
gen hierzu 1227.
Ellbogen gelenk - An k y 1 o s e n , Be¬
handlung mittels Überpflanzung von
ganzen Gelenken 428.
Empyem, dentales der Kieferhöhle, zur
Kenntnis derselben 971.
Empyeme der oberen Nebenhöhlen, Be¬
handlung derselben 971.
Endometritis, die medikamentöse
Therapie 860.
zur Anatomie, Pathologie und Thera¬
pie der chronischen 1382.
Enge Becken, Operationsmethoden bei
Geburten 175.
Entartungsfrage 1078.
Entbindungslähmungen, zur Be¬
handlung derselben 926.
Enteritis, akute 84.
Enteritisgruppe, Untersuchungen über
Bakterien, insbesondere über die so¬
genannten „Fleischvergiftungserreger“
und die sogenannten „Rattenschäd¬
linge“ 164.
Enterokolitis, die praktische Behand¬
lung der schleimig-membranösen 244.
Entlastung, die Prinzipien der zere¬
bralen 86.
Entvölkerung Frankreichs, die zu¬
nehmende und die Antikonzeptions¬
liga 777.
Enukleation, vollständige der Gaumen¬
mandel 1342.
Enuresis nocturna, über die Behand¬
lung desselben mittels epiduraler In¬
jektionen nebst experimentellen Ver¬
suchen über die Ätiologie dieser Er¬
krankung 1110.
Epigastrischer Druckpunkt,
welchem Organ gehört derselbe an 127.
Epiglottis, Behandlung der tuberku¬
lösen 627.
Epilepsie, Behandlung derselben mit
Borax 589.
— eine statische Theorie derselben 1221.
— Einfluß des Alkohols 178.
— und Ernährung 476.
Epilepsiebehandlung, neuere Brom¬
präparate 588.
Epilepsiebehandlung, zur diäteti¬
schen und pharmazeutischen in der
Privatpraxis 587.
Epiphysenfraktur des oberen Hume¬
rusendes, zwei auf eine neue Art er¬
folgreich behandelte Fälle 740.
Epistaxis, Beitrag zur Behandlung der¬
selben 1109.
Epityp h litis, über Spätfolgen der¬
selben 430.
— über Unterschiede in der Temperatur
beider Achselhöhlen 282.
Erdschluß in der Elektrotherapie 13S.
Erkältungsnephritis 168.
Erkrankungen der weiblichen Genita¬
lien und ihrer Nachbarschaft durch
Behandlung des Darmkanals beein¬
flußt 856.
Ernährung der Diabetiker 41.
— der Kranken 40.
— des Neugeborenen, natürliche, zur
Physiologie und Technik derselben
1267.
Erwiderung zu den Bemerkungen des
Berichts über die Sammelforschung
der Berliner medizinischen Gesell¬
schaft, betreffend die Blinddarment¬
zündungen des Jahres 1907 in Groß-
Berlin 1323.
Erysipel 975.
— die Differentialdiagnose 577.
Erythrämie 1257.
Essence de terebenthine d’oucraina,
Experiences sur le pouvoir desinfec-
tant d’un melange compose d’essence
de terebenthine, cl’acide phenique, de
naphthaline et d’ether sulfurique 250.
Eubornyl, ein kräftig wirkendes Derivat
der Baldrianwurzel 1277.
Euphyllin, ein neues Diuretikum 442.
Europhen, einiges über den Gebrauch
desselben 301.
— in den verschiedenen Indikations¬
gebieten 1126.
Eusemin, Erfahrungen hiermit 1224.
Exantheme, Entgiftung des Körpers
bei akuten 1109.
Extrakt, ein künstlicher, zur Anstellung
der Luesreaktion 690.
Ex tr actum Digitalis depuratum
(Digipuratum „Knoll“), die Wirkung
desselben auf das Zirkulationssystem
1222.
F.
Faden rezidiv nach Gallensteinopera¬
tionen 399.
Farbensehn und seine Beziehungen zu
den anderen Sinnen 206.
Fasten als Heilmittel 363.
Favus 433.
Faszialislähmung nach Zahnextrak¬
tion 1081.
Fehldiagnose der Verengerung des
linken venösen Östiums 1300.
Sachregister.
XI
F e mursarkom, kongenitales geheilt
durch operative und Röntgenbehand¬
lung 741.
Fergus Äther-Atmer 80
Fermente im Tierkörper, gibt es redu¬
zierende 586.
Fermiform dämpfe, über die Behand¬
lung der Lungentuberkulose durch
Einatmen solcher 1810.
Ferralbol, Versuche mit einem neuen
Eiweißpräparat 1349.
Fersenschmerzen 402.
Fibrome am Finger, ein Fall von an¬
geborenen, nebst Beiträgen zur Ka¬
suistik der Fingertumoren 692.
Fiebertemperaturen, über den Ein¬
fluß derselben auf die Mikroben und
die Schutzkräfte des Organismus 1256.
Fieber und Fieberbehandlung 641,
686, 854.
Fingerphalanx, die Fraktur der di¬
stalen infolge Abriß der Strecksehne
696.
Finkeistein’ sehe salzarme Kost
beim Sänglingsekzem, beim Strophu-
lus und Pruritus infantum 32.
Finsenverfahren, über Kontraindi¬
kation desselben 1276.
Fleischbrühe in der Säuglingsernäh¬
rung, eine Indikation hierfür 925.
Fleisch, die Wirkung desselben auf
Vegetarianer 364.
Flexurkarzlno m, Frühdiagnose eines
durch rektale Endoskopie 1260.
Forest’ sehe Nadel; über die Anwen¬
dung derselben, zur Unterstützung
von Krebsoperationen 1358.
For m a 1 i n gegen Mücken 207.
F o r m an in 1 1 ab 1 e 1 1 e n, ein F all von Ver¬
giftung 365.
Fortschritte der Medizin in den
letzten Dezennien 1041, 1093, 1121.
Fovea centralis retinae beim Men¬
schen, über die Enstehungsweise 481.
F r ak t ur b eh an d lu n g alter Zeiten, was
daraus zu lernen ist? 402.
— moderne, mit Zuhilfenahme des Rönt¬
genverfahrens 974.
Frauenkrankheiten, über eine neue
und wirksame Behandlungsweise' ver¬
schiedener entzündlicher Krankheiten
247.
F rauen -W a li 1 r e c h t, Wirkung desselben
409.
Fränkelscher Pneumokokkus und
Schwindsucht 1030.
F riedreich’sche Krankheit mit Dia¬
betes mellitus 466.
%
Fruchtwasser, über die Herkunft des¬
selben 702.
F riihdiagnose der verschiedenen Tuber¬
kuloseformen und der Einfluß der
nordischen Meere (Ost- und Nordsee)
auf Tuberkulose 1179.
Frühgeburt, künstliche, der Blasenriß
bei derselben 729.
F ulguration bei Kehlkopfkarzinom 972.
— hiermit behandelte Krebse 744.
— Wirkung derselben auf Mikrobien 1346.
Fulgurationsbehandlung der Krebse
nach Keating-Hart 742.
— des Karzinoms 1346.
O«
Galle, experimentelle Untersuchung über
die bakterioly tische Wirkung der¬
selben und ihrer Salze gegenüber den
augenpathogenen Keimen 130.
Gallen bestandteile im Urin, eine
schnelle Reaktion 1070.
Gallenblase, Gangrän derselben durch
Stieldrehung 618.
Gallengang, Zvsten des gemeinsamen
1147.
— Verschluß, Diagnose des totalen,
mit besonderer Berücksichtigung der
Untersuchungsmethoden 202.
Gallensteine bei einem 71/2 jährigen
Knaben 618.
Gallensteine in der Harnblase 618.
Gallensteinileus 399.
Gangrän des Beins nach Unterbindung
der Art. fern, unter Momburg’scher
Blutleere, ein Fall hiervon 1302.
— präsenile infolge von Arteriitis obli-
terans 843.
Gasbäder, die Herstellung moussieren¬
der durch Elektrolyse (Hydroxbäder)
1358.
Gastroenterostomie, über die auf¬
tretenden Beschwerden und das radio-
logische Verhalten „des anastomo-
sierten Magens 400.
Gas Wechsel der Phthisiker 885.
Gaumenbogennäher und Mandel¬
quetscher 1344.
Gaumen ge schwüre bei Abdominal¬
typhus 1260.
Gaumenmandeln, Tuberkulose der¬
selben 1343.
Gebärmutterblutungen, die Behand¬
lung derselben mit Serum 886.
— die Behandlung derselben mit Stvptol
646.
Gebärmuttervorfall, Behandlung des¬
selben mit Chinininjektionen in die
Ligamenta lata 1183.
Geburtsbestrebungen, die Gefahren
der natürlichen bei Plaeenta praevia
und ihre Verminderung durch den
extraperitonealen Uterusschnitt.
Geburtshilfe, alte und neue 317.
Gehirn, Beiträge zur Pathologie 357.
— über die Selbständigkeit desselben in
der Regulierung seiner Blutversorgung
502.
— rinde, über den Stand der Lokali¬
sationslehre für einige Gebiete 239.
Gehör ohne Trommelfell und Knöchel¬
chen 182.
— organ und chronische Infektions¬
krankheiten 181.
XII
Sachregister.
Gehör und N a s e n a t m u n g bei Schülern
1342.
Gelatineklistiere, heiße, bei Darm¬
blutungen 738.
Gelenkkrankheiten, B eziehungen zur
klimakterischen Lebensepoche 245.
Gelenkrheumatismus, akuter, medi¬
kamentöse Therapie 333.
die Behandlung des akuten 1030.
Geißelfäden an Spirillen des Rekurrenz-
und des Zeckenfiebers 208.
Geistesstörung, drei Fälle sinnlicher,
mit dem Symptom „falscher Antwor¬
ten'1 966.
Geistesstörungen, Selbstvergiftung
180.
Geisteschwache, Epileptische und
geistig Minderwertige, Referat über
die Fürsorge und Unterbringung der¬
selben 241.
Gemeinde als Kurort 1214.
Gemütsbewegungen , Einfluß dersel¬
ben auf die Funktionen des Nahrungs¬
kanals 1145.
Genese der übertragbaren Krankheiten
1388.
Genickstarre in der Garnison Würz¬
burg, Untersuchungen 509.
Genitala p p a rat, über Tuberkulose des
weiblichen 1141.
Genitalien, psychische Störungen von
den männlichen ausgehend 922.
Genitalsphäre, Behandlung von Stö¬
rungen in derselben, von der Nase aus
885.
Geräusche, über das Verhalten systo¬
lischer bei Lagewechsel 733.
Gerinnbarkeit des Blutes als Prophy-
lacticum 468.
Geschlechtsorgane, über das Binde¬
gewebe der weiblichen 547.
G e w e b s f 1 ü s s i g k e i t e n , die b akterizide
und hämolytische der tierischen und
ihre Beziehungen zu den Leukozvten
1135.
Gicht 75.
— diätetische und physikalische Behand¬
lung 183.
Pathologie und Therapie derselben
120.
Gichtische Affektionen an Hoden
und Prostata 31.
Gliedmaßen, Transplantation 741.
Glühlichtbad, zur ration eilen Anwen¬
dung und Konstruktion des Glühlicht¬
bades 750.
Glühlichtbäder bei Asthma bronchiale
516.
Glykosurie, über den Einfluß von
diuretiscli wirkenden Mitteln auf das
Zustandekommen der alimentären 466.
Goitre exophthalmique et du rheuma-
tique, Rapports 394.
Gonorrhoe, über die interne Behand¬
lung der akuten 1274.
Gonorrhoeische Prozesse, über spe¬
zifische Behandlung 969.
Granulobacillus saccharobutyri-
cus, über Versuche, aus Gärungs¬
stühlen denselben zu züchten 848.
Graues Pulver, Anwendung desselben
bei der Syphilis der Neugeborenen.
Grundgesetz, über ein pharmakolo¬
gisches 586.
Gummihandschuhe, zur Sterilisation
derselben 1306.
Gynoval, ein neues Baldrianpräparat
‘ 1277.
S4.
Haarausfall, die Behandlung desselben
1273.
Hallux valgus, Osteotomie des Keil-
focins 997
Hamburger Brief 341, 564, 606, 942,
1251, 1294.
Handtellerplastik, über den opera¬
tiven (plastischen) Ersatz von ganz
oder teilweise verlorenen Fingern, ins¬
besondere des Daumens 461.
Harn, Zusammensetzung desselben, Ver¬
wertbarkeit derselben bei der Lungen¬
entzündung 356.
— blaseno varialf istel durch die Zys-
toskopie diagnostiziert 1110.
— desinfektionsmittel, experimen¬
telle Untersuchungen über formal¬
dehydhaltige interne 332.
— drang, Behandlung desselben bei ver¬
schiedenen gynäkologischen Affek¬
tionen 248.
— indikan und Kotindol, über den
Mangel von Relation derselben 126.
— inkontinenz, eine neue Methode, in
hoffnungslosen Fällen Hilfe zu
schaffen 1139
— säure- Reaktion, eine neue 466.
— stoff, über die steigernde Wirkung
des subkutan eingeführten, auf den
Eiweißstoffwechsel 1000.
Hautgangrän nach Paraffineinspritzun¬
gen mit tödlichem Ausgang 1336.
Hautimpfungen, wiederholte, mit
Tuberkulin 695.
Hautkrankheiten, zur Röntgenthera¬
pie 183.
Hautkrebs, Therapie desselben 471.
Hautphänomen bei Säuglingen 81.
Hautreize, über ein neues Verfahren
zur Erzeugung 633.
Hauttuberkulose bei Affen, über ex¬
perimentelle 279.
Haut- und Nierenkrankheiten, zu
den Beziehungen zwischen denselben
1109.
Hämagglutination, über bakterielle
209.
Hämatemesis, die Bedeutung derselben
1146.
Hämatogene Infektion bei Appen¬
dizitis und Cdiolecystitis 801.
Sachregister.
XIII
Hämatom' a vulvae als Geburtshinder-
nis 886.
Hämatopan, die chemisch-biologischen
Eigenschaften, und sein therapeu¬
tischer Wert in der Praxis 229.
Hämaturie, ein Beitrag zur Lehre der
„essentiellen“ 441.
— und ihre Behandlung 1272.
Hämolyse der Streptokokken 347.
— — — in der Schwangerschaft, Unter¬
suchungen hierüber 1216.
— Vermeidung derselben bei der Trans¬
fusion 620.
Hämorrhoidalknoten, der.entzündete
und seine Behandlung 996.
Hebosteotomie, die Walcher’sche oder
die Bumm’sche. Zwei grundsätzlich
verschiedene „subkutane Stichmetho¬
den“ 174.
— und künstliche Frühgeburt 821.
— wiederholte 1220.
Heftpflaster, elastisches 1232.
Heilgymnastik in der Therapie des
praktischen Arztes 633.
Heilmittel, die Bedeutung der physi¬
kalischen Eigenschaften derselben für
seine Dosierung 1170.
Heilserum-Behandlung, die natür¬
lichen Grenzen der Wirksamkeit der¬
selben bei der Diphtheria faucium
und ihre notwendige Ergänzung durch
bestimmte lokale Maßnahmen 242.
Heißlufttherapie bei diabetischer
Gangrän 750.
H emiplegie, über das Verhalten des
weichen Gaumens bei der zerebralen
1384.
Hernia diaphragm atica 1148.
He rnien nach Appendizitis-Operationen
995.
Herz alternans 125.
Herzdilatation 659.
— die Beeinflussung durch C0.2-Bäder 406.
Herzfehler, angeborener und Polycy-
thämie 733.
— in Infektionskrankheiten; ihre Ver¬
hütung und erfolgreiche Behandlung
1351.
Herzgefahren in großen Höhen 779.
Herzgröße, die Bestimmung derselben
mit besonderer Berücksichtigung der
Orthophotographie (Distanzaufnahme,
Teleröntgenograpliie) 634.
— orthodiagraphische Beobachtungen
über Veränderungen derselben bei
Infektionskrankheiten, bei exsudativer
Perikarditis und paroxsymaler Tachy¬
kardie, nebst Bemerkungen über das
röntgenologische Verhalten der Pneu¬
monie 515.
— über Veränderung derselben im heißen
und kalten Bade 1274.
Herzinsuffizienz 733.
Herzkranke im Gebirge 736.
— und Schwangerschaft 319.
Herzmuskel, Verteilung des Stickstoffs
im hypertrophischen 736.
Herzschmerz 654.
— und seine Beseitigung 1017.
Herztod, über den postdiphtherischen
1108.
Herz und Gemüt 1062.
— und Thorax, das räumliche Mißver- *
hältnis 125.
Hetoltherapie, Indikation und Technik
derselben 104, 154.
Hirnanatomie und vergleichende An¬
thropologie 290.
Hirn ent wicklung für den aufrechten
Gang, Bedeutung derselben 290.
Hirnerkrankung mit tödlichem Aus¬
gang ohne anatomischen Befund 967.
Hirngeschwülste, chirurgische Be¬
handlung derselben 800.
Hirntumor bei Paralyse, ein Fall hier¬
von 1188.
Hochfrequenzströme bei Prostata¬
hypertrophie 328.
— Fulguration und Transthermie 1274.
— und Hysterie, nebst Bemerkungen
zur Pathogenese der Hysterie 518.
Höckernase, ein Fall hiervon 691.
Höhenklima und Herzkrankheiten
1227.
Hörtäuschungen durch Salizylsäure
879.
Hüfte, die schnappende 1140.
Hüftverrenkung, angeborene, Demon¬
stration schwierig zur Heilung ge¬
brachter Fälle 1302.
Hydrargyrum oxycyaiiatum als in¬
ternes Antisyphiliticum 1349.
Hydriatik des Typhus abdominalis 404.
Hydrocephalus internus idiopaticus
chronicus mit Beteiligung des IV. Ven¬
trikels, erst diagnostiziert, dann durch
Punktion bestätigt und durch Opera¬
tion (Ventrikel drainage) zurzeit ge¬
heilt 965.
H y d r o n e p h r o s e , über den Zusammen-
hang der intermittierenden mit Geni¬
talleiden bei Frauen 172.
Hydrops der Gallenblase, über einen
Fall von akutem, bei Scharlach 1260.
Hygiene des Ohrs 1144.
Hy os ein -Morphin in der Geburtshilfe
35.
Hyperämie als Heilmittel in der Gynä¬
kologie und Geburtshilfe 176.
Hypertrophie und Organkorrela¬
tion 124.
Hypophysenglykosurie 168.
Hypophysen und Nebennieren¬
extrakt, vergleichende Studien über
die Wirkung 330.
Hypophysis-Pulver bei Herzkranken
848.
Hypophysis und psychische
Störungen 921.
Hypoplasie der Leber, ein Fall von
angeborener 1068.
XIV
Sachregister.
1.
ichias, Differentialdiagnose der peri¬
pheren 296.
Ich thalbin 808.
Ichthyol, therapeutischer Wert des¬
selben bei der Pockenbehandlung 134.
Icterus gravis, ein Fall hiervon 1064.
— hämolyticus 1065.
— neonatorum 1186.
Idiosynkrasie, einige seltene Fälle 206.
Idiotie, mongoloide 753,
Ileocöcal tuberkulöse, zur Patho¬
logie und Therapie der tumorbilden¬
den stenosierenden 692.
Ileus durch Entspannungs nähte 286.
— über duodenalen postoperativen
1134.
Immunisierung, aktive, kommt der
bei derselben auf tretenden negativen
Phase eine Bedeutung im Sinne der
erhöhten Empfänglichkeit des vacci-
nierten Individuums zu? 845.
Immunisierungs versuche gegen Tu¬
berkulose und Perlsucht 389.
Impf schütz, Untersuchungen über den¬
selben mittels der Bordet’sclien Re¬
aktion 1137.
Indolbildung des Bakterium coli
commune, Untersuchungen hierüber
1063.
Infektion, multiple, einige Fälle hier¬
von 1148.
Infektiöse Rückfälle, zum Mechanis¬
mus der Pathogenese hierbei 318.
Influenzabazillen im Bronchialbaum
357.
Injektionen, die Gefahren und der
Nutzen der intrauterinen 859.
Injektionsnadeln, Risse in denselben
565.
Inkontinenz, weibliche, durch Narben¬
zug 440.
Innere Medizin, der 26. Kongreß zu
Wiesbaden 834.
Insuffisance pluriglandulaire 166.
Interpositio uteri vesico - vagi¬
nalis, Dauererfolge 348.
Intra derma - Tuberkulin -Reaktion
436, 1178.
Involutionserscheinungen beim
Mann 397.
Irren wesen, gegenwärtiger Stand 548.
Irrigaltabletten, über die Wirksam¬
keit derselben 605.
Ischialgie, Behandlung derselben mit
Lange’sclier Kochsalzinjektion 1080.
Ischias, übereinen Fall, der mitSpermin
geheilt ist 1385.
I s c h o c h y m i e , Gallensteinerkrankung
vortäuschend 282.
I s o f o r m , Erfahrungen über Anwendung
als Streupulver, Gaze, Zahnpaste
(Saluferin-Zahnpaste) usw. 443.
J*
Jackson’sche Epilepsie, Beitrag zur
Kasuistik und Ätiologie derselben
108°.
Jodferratose in der Kinderheilkunde
974.
Jodival in der Kinderpraxis 452.
Jodoformknochenplombe, v. Mo-
setig-Moorhof 741.
Jod omenin, ein neues Jodpräparat in
der allgemeinen Praxis 663.
J odtetrachlorkohlenstoff und Der-
magummit, Desinfektion der Hände
und der Haut 582.
Jodtinktur, chirurgische Indikationen
für den Gebrauch derselben 581.
— zur Desinfektion der Haut 621.
Jotione nella patica Dermosifilopatica,
564.
§€.
Kaiserschnitt, historisches und kriti¬
sches. über denselben 888.
— in moderner Beleuchtung 1143.
— Rückblick und Ausblick 887.
Kalte Füße unserer Schüler 777.
Kalziumhypophosphit bei Epilepsie
1080.
Kantharidentinktur bei akuter Ne¬
phritis 663.
Karellkur, Bedeutung derselben bei
der Beseitigung schwerer Kreislauf¬
störungen und der Behandlung der
Fettsucht 475.
Karlsbader Wasser und die Harn¬
säure 972.
Kartoffelnährbouillon zur Züchtung
der Tuberkelbazillen 351.
Karzinom, die Behandlung desselben
mittels Fulguration 994.
— und Jontophorese 633.
— über nicht operative Heilversuche 958.
Karzinosarkom des Uterus 960.
Ivastenklappstuhl 1199.
Kataplasmen, eine neue Form hiervon
zur Erzeugung trockner Wärme 445.
Katatonie im Kindesalter 360.
Katheter, der Gebrauch des mit wächse-
ner Spitze versehenen Katheters bei
der Diagnose der Nierensteine beim
Manne 215.
Kehlkopf, Contusion desselben 514.
— krebs, Frühdiagnose und Behandlung
desselben 1115.
— tuberkulöse, Behandlung derselben
durch Sonnenlicht 1117. •
Keilbein höhle, Radikaloperation 217.
Keilresektion des Corpus uteri wegen
chronischer Metritis 855.
Keime in der Natur, Untersuchungen
über die Verbreitung der ultramikro¬
skopischen 848.
Sachregister.
XY
Kenopräzipitinreaktion und ihre
Beziehung zur Kenotoxinforschung
847.
Keuchhusten, Ätiologie desselben 32,
555.
Keuch huste nbehandlung 892.
Keuchhusten, die Leukozytose bei
demselben mit einer Analyse von
112 Fällen 211.
Keuchhusten, Ictus laryngis bei dem¬
selben 513.
— Untersuchungen zur Entstehung 83.
— zur Therapie desselben 556.
Kieferhöhle, direkte Endoskopie 510.
Kieferhöhlenempyem, endonasale
Operation 627.
Kindbettfieber 1266.
Kind, die Sorge für dasselbe 782.
Kinde r 1 ä h m ungen, Behandlung
schwerer 556.
Kinderschutz in Ungarn, der staat¬
liche 1269.
Kl ebro -Binde 526.
Kleinhirnbrückenwinkeltumor, zur
Klinik desselben 257.
Klimatotherapie, biologische Ge¬
sichtspunkte in diesem Gebiete 404.
Klinische und praktische Erfah¬
rung 1307.
Knabe oder Mädchen 1298.
K nochen b r ü c h e , zur Behandlung der¬
selben durch Extension 739.
Knoclienp anaritien 1263.
Knochenplastik, die Verwendung der
freien, nebst Versuchen über Gelenk¬
versteifung und Gelenktransplantation
400.
Knochentuberkulose, das hygieni¬
sche Element in der Behandlung der¬
selben 1230.
Kochsalzlösung, 14 °/0 für Augen¬
spülungen 132.
Koch’sches Tuberkulin, über die
Immunisierung des gesunden Men¬
schen hiermit 693.
Kohlensäurebäder, über den Mi߬
brauch derselben 328.
und einfache Wasserbäder, Beiträge
zur Kenntnis des Indifferenzpunktes
hierbei 1275.
Kohlensäure, feste, gegen Warzen und
Hühneraugen 1227.
Kollapsinduration, über die ein¬
fache nicht tuberkulöse, der rechten
Lungenspitze bei chronisch behin¬
derter Nasenatmung 28, 1179.
Kollargolbehandlung 1224.
Kollar golklysmen, die Behandlung
septischer Erkrankungen 331.
Kollodium 974.
Kompendiöser Kasten für Instru¬
mente, Verbandstoffe und Medika¬
mente, der gleichzeitig als Kochgefäß
dient 744.
Komplementablenkung und biologi¬
sche Diagnose maligner Tumoren 162.
Komplement ab sorption, über den
Mechanismus derselben durch Bakte¬
rienextrakte 1137.
Komplementbindung als Hilfsmittel
der anatomischen Diagnose 209.
— bei Immunisierung mit Corpus luteum
845.
K o mp 1 em en tb indung s m e th o d e ,
über die Verwendbarkeit derselben zur
Diagnose der Meningitis epidemica
433.
— phänomene, experimentelle Unter¬
suchungen über die Leistungsfähig¬
keit, für die Typhusdiagnose 434.
— reaktion bei Scharlach 1113.
Komplement, über die Beeinflussung
des hämolytischen, durch Injektion
Leukozytose erregender Mittel (Hetol
und Hefenukleinsäure) 846.
Komprimierte Luft, die Verhütung
der Erkrankungen nach Aufenthalt
in derselben 561.
Konjunktival-Reaktion auf Tuber¬
kulose, Untersuchung 435.
Konstitution, die Beziehungen der¬
selben zu örtlichen Leiden 691.
Konzeption, Menstruation und
Schwangerschaftsberechnung
320.
Kornealreflex, einseitiges Erlöschen
desselben bei Hemiplegien 1271.
Koxitis, neues Zeichen zur Früh¬
diagnose 78.
Körperkultur, eine neue Methode der
Hautpflege nach griechischem Muster
407.
K r a n k h e i t s d i a g n o s e , die Wichtigkeit
der Modifikationen der Sensibilität
1147.
Krämpfe bei Neugeborenen 802.
Krebs, die Behandlung des Gesichts¬
und Hals- (Nacken-) Krebses 781.
Kreosotal bei Erkrankungen der At¬
mungsorgane 1268.
Kreosot bei Säuglings-Diarrhoen 1184.
Kromay er’sche Quarzlampe, über
die Behandlung von Hautkrankheiten
mit derselben 749.
Ivufeke, Erfahrungen hierüber bei ge¬
sunden und kranken Säuglingen, bei
älteren Kindern und Erwachsenen
1267.
Kuhn’sche Saugmaske, Beitrag zur
Behandlung der Lungenkrankheiten
mit derselben 1180.
Kürette und Abortbehandlung 34.
Kurpfuscherei, zur Psychologie der¬
selben 90.
Kutan reaktion, v. Pirquet-Detresche
163.
L.
Labyrintheiterungen, Beiträge zur
Klinik 296.
L ag e v e r än d e r u n g e n des Herzens
bei relativer Enge des Thorax 353.
XVI
Sachregister.
Laminektomie, explorative und Menin¬
gitis serosa circumscripta 284.
Landbevölkerung, die Herabsetzung
der körperlichen Entwickelung 206.
Lange Bazillen, über das Vorkommen
solcher im Verdauungstraktus und
ihre Beziehungen zu den Funktions¬
störungen des Magens 1067.
L’arthritisme par suralimentation 849.
Laryngitis, die professionelle 518.
Laryngostenose nach Morbillen 251.
Larynxkondy lome 1116.
Larynxstenose beim Erwachsenen,
ein Fall hiervon, mit Intubation er¬
folgreich behandelt; beständiges Tra¬
gen der Tube während vier Jahrei
1116.
Larynxtuberkulose über den Infek¬
tionsweg 616.
Larynx und Ösophagus, Einfluß der
Stenosen auf die Genitalien 218.
Lateralsklerose, einseitige 201.
Lähmung, die Antitoxinbehandlung der
diphtherischen 82.
Lähmungstypus, über einen seltenen,
nach Gebursstrauma 1186.
Lävulosurie, alimentäre 466.
Lebensalter und Serumkrankheit
991.
Lebensweise, die vegetarische, bei Ge¬
sunden 1118.
Leber in der Tuberkulose 1229.
— lues, zwei Fälle mit langdauerndem
Fieber 284.
- Syphilis, die Wassermann’sche Re¬
aktion hierbei 804.
— zirrhose, kleines Herz bei derselben
736.
Leib-Büste n - Hüften - Halt er 411.
Leipziger medizinische Gesellschaft
158.
Leprakonferenz, II. internationale
1869.
Leukämien, zur Differentir ’agnose
468.
Leukämie, über familiäres Auftreten
der chronischen 1166.
Leukämische Erkrankung des Larynx
97
U f •
Leukozyten-Extrakt (Hiss), die Be¬
handlung akuter Infektionskrank¬
heiten mit vorstehendem 1146.
Leukozytengranulationen, über das
Verhalten der basophilen, im Ver¬
lauf der Haemolyse 124.
Leukozytose bei Keuchhusten 355.
— - bei Nephritis 396.
Lezithin, die Anwendung von physio¬
logisch reinem 746.
Licht, die Schädigung des Auges durch
dasselbe und ihre Verhütung 337.
- — strahlen, die Wirkung der ultraviolet¬
ten auf das Auge 499.
Lin oval, eine neue Salbengrundlage
598.
Lipoide als Schutzkörper 1028.
Lokalanästhesie an den Gliedmaßen
zu erzeugen, über einen neuen Weg
dazu 581.
Lombroso’sche Doktrinen, die vier
in Bethune Enthaupteten 1269.
Lorchelintoxikation 1192.
Lues congenita, der Eiweißgehalt und
die Lymphozytose des Liquor cerebro¬
spinalis bei Säuglingen 624.
— ein Beitrag zur Serodiagnostik in der
Geburtshilfe 963.
— nach weis durch Farbenreaktion 690,
714.
— zur Prognose der hereditären 1273.
Luftduschen, heiße 137.
Luftembolie oder Synkope 514.
Luftinjektionen 207. _
Lufträume, die nasalen 215.
Lumbalanästhesie mit Novocain bei
gynäkologischen Operationen 1175.
Lungenabszeß, chronischer, operative
Behandlung 397.
Lungenblähung, die Frage nach der
Entstehung 396.
Lungenemphysem, Rückwirkung auf
den Verlauf des Asthmas 395.
Lungenentzündung, die Bell andlung
derselben 1176.
Lungenentzündungen, sind die mit
epityphlitischen Schmerzen einher¬
gehenden embolischer Natur 1237.
Lungenkarzinom, primäres 1353.
Lungenschwindsucht, die Hydro¬
therapie derselben 1276.
Lungentuberkulose, der Wert der
Röntgenuntersuchung für die Früh¬
diagnose derselben und die Bedeu¬
tung der röntgenologischen Lungen¬
untersuchung für die Lungenheil¬
stätte 136.
— physikalische Behandlung derselben
durch Hyperämie, Lymphstrombeför-
derung usw. vermittels der Lungen¬
saugmaske 883.
— zur medikamentösen Behandlung 629.
Lungen- und Herzkrankheiten, über
Behandlung mit Hitze 956.
Lupus, die Behandlung desselben 299.
Luxationsfrakturen, zwei derWirbel-
säule ohne Markläsion 697.
L vmpliangio endo thelioma o varii
‘ 856.
Lymphdriisenbef unde bei kongeni¬
taler und postfötaler Lues 168.
Lymphdrüsen, erkrankte, über die
Vermehrung 504.
— tuberkulöse, über eine hierin vorhan¬
dene, Tuberkelbazillen tötende Sub¬
stanz 999.
— Verhalten derselben bei Gelenkaffek¬
tionen 396.
Lymphsystem der Nase und der Ton¬
sillen, Zusammenhang desselben 1343.
Sachregister.
XVII
M.
M a c r o b i o s e , ein neues Nährmittel 1119.
Magdeburger medizinische Gesellschaft
849.
Magenchemismus, über die Verände¬
rung desselben nach Gastroentero¬
stomie 736.
Magen-Darmblutungen, postopera¬
tive, speziell nach Appendizitisopera¬
tionen 398.
Magen-D armdy spepsie, chronische,
und chronische dyspeptische Diarrhöen
des Kindesalters 1341.
Magendarmtätigkeit im Röntgenbild
443.
Magendrüsen, die sekretorische Funk¬
tion derselben unter abnormen Be¬
dingungen der Innervation und Kanali¬
sation des Organs 1069.
Magenfunktionsuntersuchung, die
Bedeutung derselben für die Diagnose
des Ulcus ventriculi 280.
Magengeschwür, die Behandlung des
runden mit Eisenchloridgelatine 1258.
— die Diagnose desselben, nachgewiesen
durch Operation 1228.
— und seine Folgezustände, über die
chirurgische Behandlung 579.
— zur Behandlung desselben 1259.
Mageninhalt, über die Restbestimmung
desselben nach Mathieu-Remond 737.
Magenmotilitätsprüf ung mit Hilfe
der Röntgenstrahlen 183.
M agen Verdauung beim Kinde 1228.
Magnesium sulfat bei Verbrennungen
746.
Malaria, die Therapie derselben 992.
— einheimische, in Leipzig 32.
Mal de mer Contribution au traitement
577.
Maligne Tumoren, experimentelle Er-
zeugungbei Tieren durchInfektion279.
Marmorek’s Tuberkuloseserum 162,
435, 436.
Ma rmorekserum, weitere Beobachtun¬
gen in der Tuberkulosetherapie bei
der Anwendung 693.
Mars-Gürtel 141.
Massage, Schutz der Haut bei derselben
253.
— und Heißluftbehandlung 634.
— und Nephroptose 137.
— zur Physiologie derselben 514.
Masern, die Hydriatik derselben 406.
Mäusekarzinome, ultraviolette Strah¬
len heilen diese 1347.
Max quelle in der Pfälzischen Kinder¬
heilstätte, über den Gebrauch der
stark arsenhaltigen Quelle 1268.
Medianus- und Ulnaris-Lähmung,
zur Pathologie derselben 1187.
Medizin, innere, 26. Kongreß zu Wies¬
baden 673, 715, 760, 910, 918, 985,1029.
Men ingitis, über epidemische 392.
Meningocele, psammomähnliche Bil¬
dungen in der Wand 506.
Meningokokkendiagnose 162.
Meningo-Myelitis, syphilitische, 30
Jahre nach dem Primäraffekt 923.
Meßgerät, ein neues für die Röntgen¬
technik 1196.
Metallinstrumente, Sterilisation der¬
selben 128.
Metritis, über chronische 854.
Migräne, eine periodische Neuralgie
des Halssympathicus 88.
— zur Pathogenese derselben 1188.
Mikroorganismen, anaerobe, derMund-
höhle, über Züchtung derselben 437.
e- Studien über das Verhalten einiger
pathogener bei niedriger Temperatur
1379.
Mikroskopische Präparate, eine
neue Methode der Anfertigung 91.
Mikro sph ygmi e 74.
Mikrosporie-Epidemie in St. Gallen
212.
Milchalbumin, zur Geschichte und
Kenntnis derselben 625.
Milchküche, die Gießener 925.
Milch Sekretion, ist eine spezifische
Anregung derselben möglich? 861.
Milchüberfluß eine häufige Ursache
des vorzeitigen Abstillens 872.
Milch veränderet* (milk modifiers), der
Effekt solcher auf die kindliche Magen¬
verdauung 1353.
Miliartuberkulose der Haut bei
Tuberkulose derAorta abdominalis 74.
Milz-Anämie, Splenektomie, Genesung
580.
Milzbrand der Tonsillen 30.
— über die Behandlung desselben 243,
1032.
— über die Serumbehandlung desselben
beim Menschen 576.
— bazillus, Beiträge zur Biologie des¬
selben 352.
MindeU'ugabung, über die Ent¬
stehungsursachen und Verhütung der¬
selben im schulpflichtigen Alter 1298.
Mineralwasser, U ntersuchungen zu r
physiologischen Wirkung 1226.
— kur, die physiologisch dosierte als
Übungstherapie des Darms bei habi¬
tueller Stuhlträgheit 1213, 1347.
Mißbildung, eine seltene menschliche
und ihre Bedeutung für die Ent-
wickelnngsgeschichte 408.
Mittelohreiterungen , Saugbehand¬
lung 182.
M i 1 1 e 1 o h r k a r z i n o m im Lichte moder¬
ner Krebsforschung 297.
Momentaufnahmen, Röntgen- und
Schnell-Aufnahmen 727.
Mongolismus, anatomische Studien
über denselben 893. •
Montan in Vergiftung, tödliche 364.
Morbus Basedow, Durchfälle 394.
— Brigliitii, zur Hydriatik 516.^
XVIII
Sachregister.
Morphin und Opium, die gewerbliche
Vergiftung der Haut 585.
Morphium, die verstärkende Wirkung
desselben durch Skopolamin 1309.
Mors subita der Herzkranken 659.
Muskelfibrin als Nahrungsmittel, zur
Bewertung desselben 1386.
Muskelkontraktur, ischämische und
Gipsverband 697.
Mutter körn präparate, überlebender
Uterus als Testobjekt für die Wertig¬
keit derselben 37.
Mutterschaftskasse, die geplante
Karlsruher 565.
Mütter Sterblichkeit in Deutschland
565.
Münzen, wie sollen diese aus der Speise¬
röhre entfernt werden? 618.
Myasthenie, das Wesen derselben und
die Bedeutung der „hellen“ Muskel¬
fasern für die menschl. Pathologie 87.
Myomblutung, ein Fall von tödlicher
nach Röntgenbestrahlung 1265.
Myome und Uterus musk u 1 atur,
Untersuchungen über die chemische
Zusammensetzung 547.
W.
Nabel, zur Versorgung desselben bei
Neugeborenen 1267.
Nabelversorgung 1306.
Nachklänge von der 81. Versammlung
Deutscher Naturforscher und Ärzte
in Salzburg 1373.
Nagana-Trypanosoma, einige Unter¬
suchungen 280.
Nagel, die Behandlung des eingewach¬
senen mit Eisenchlorid 744.
— die Operation des eingewachsenen 996.
Nährmittel, Wesen und Bedeutung der
künstlichen 363.
Nährpräparate, Fabrikanten und Ärzte
1385.
Narbengewebe, seine Beschränkung
und Beseitigung 993.
Narbenkarzinome 692.
Narkose, die geburtshilfliche 544.
— intravenöse 71.
— und Lezithin 1226.
- Flüssigkeit, Ausbleiben der Wir¬
kung auf das Bewußtsein bei unge¬
wöhnlich großen Mengen 997.
Narkotisieren, Erfahrungen hierüber
1337.
Nase und Brustkorb, Beziehungen
zwischen beiden 970.
Nasendeformitäten, die Korrektur
äußerer 800.
Nasendiphterie bei Säuglingen 81.
Nasenrachen-Polypen, Anatomie und
Behandlung der fibrösen 511.
Nebennieren, Farbstoff derselben 503.
— gesch wulst der Vulva als einzige
Metastase eines malignen Nebenniei;en-
tumors der linken Seite 546.
— Substanz und Rachitis 891.
N eb e n ni e r e n t h e r ap i e bei unstillbaren
Schwangerschaftserbrechen 544.
Nephritis, ein Fall von tuberkulöser
nach einer Angina bei einem sonst
gesunden Kinde 891.
■ — Serumtherapie derselben und der
Tuberkulose 75.
• — vikariierende Tätigkeit des Darmes
hierbei 1066.
— chronische im Kindesalter 1186.
— — Nebennierenverändemngen 283.
— hämorrhagica durch Tetragenus
396.
Nephropexie, über eine neue Methode
1141.
Nervus medianus, die Schädigung des-
selben als Komplikation des typischen
Radiusbruches 697.
Nervensyphilis, Behandlung derselben
49.
Nervenzellenfärbung, ein neues Ver¬
fahren hierzu 892.
Neubildungen, primäre des Herzens
1300.
Neugeborene, Therapie der Erkran¬
kungen derselben 1233, 1291.
Neuleder- und trockene Reib ege -
rausche, die Entstehung bei der Aus¬
kultation 779.
Neurasthenie, über den Begriff der¬
selben 295, 361.
Neuras thenische, psychasthenische
und verwandte Zustände 1221.
Ne uro n lehre, Bemerkungen zum heu¬
tigen Stand 295.
Neurosen, Prognose und Behandlung
der vasomotorisch-trophischen 553.
Niere, Beiträge zur Physiologie und
Pharmakologie derselben 1308.
— das Fehlen einer zweiten vom chirur¬
gischen Standpunkt 1138.
Nieren- Anomalien 660.
Nierendek apsul ation bei Eklampsie
438.
Nierenentzündungen, Symptomato¬
logie 355.
Nierenkrankheiten, medizinische
funktionelle Diagnostik 660.
Nierenlager, Blutung in dasselbe 287.
Nieren tuberkulöse 169.
— einige diagnostisch bemerkenswerte
Fälle 282.
NierenveränderungenbeiU reter vagi¬
nalfisteln 1111.
Nieren Wirkung, über eine spezifische
der Digitaliskörper 442.
Nikotin -Entziehungsanstalt „Nea“
528.
N iß lsclie Granula bei der Lumbalan¬
ästhesie, experimentelle Untersuchun¬
gen über Veränderungen derselben 79.
Noma bei Erwachsenen 395.
Normal- und Immunsera, die phago¬
zytosebefördernden Stoffe 998.
Nukleogenan Wendung bei Neuras¬
thenie 334.
Sachregister.
XIX
Xyst agmus, der künstliche beim Ge¬
sunden 583.
--Typen, die Feststellung verschiedener
mittels graphischer Registrierung 582.
0.
Ödem, allgemeines bei Säuglingen 557.
Ödeme, Pathogenese und kausale Thera¬
pie 8(15, 902, 936, 9S2, 1009.
Öle, medizinische als Pulver 745.
Ösophagusschnitt, Beitrag zur Chi¬
rurgie des unteren 579.
Ohrensausen, Schwerhörigkeit und
Schwindel, Behandlung 584.
Ohrentrichter, praktische 1359.
Ol. jecoris Aselli bei Parotitiden 133.
Operationen, plastische am Knochen¬
system 369.
Operationsresultate, über die pri¬
mären und die Dauerfolge nach 80
abdominalen Totalexstirpationen des
myomatösen Uterus 322,
Operierte sollen nicht zu lange liegen 79.
Ophtalmo-Fundoskop, Beobachtun¬
gen mit dem Baum’ sehen 1312.
Ophtalmolo gische Gesellschaft,
Bericht über die 35. Versammlung,
Heidelberg 1908 199.
Ophtalmoreaktion, Beitrag zur Kritik
694, 1256.
— kritische Abhandlung zur Theorie
und Praxis nebst Literaturverzeichnis
bis 1. September 1908 163.
Opium- und Morphin Wirkung, ein
Beitrag zum Vergleiche derselben 589.
O ps oninnntersuchungen bei Mutter
und Kind 1107.
Opsonische Kraft und kurative Wir¬
kung einiger therapeutischer Sera 846.
Opsonischer Index bei Tuberkulose
694.
Organgewebe, die Bindungsverhält¬
nisse derselben gegenüber Toxinen
und ihre klinische Bedeutung für In¬
kubation und natürliche Immunität
208.
Orthopädie des praktischen Arztes 1303.
Orthopädische Apparate in der
Kinderpraxis 656.
Osteo-Artliritis, sog. rheumatische
Arthritis, Arthritis deformans usw.,
Natur, Diagnose und Behandlung der
metabolischen 1352.
Osteomyelitis, intraartikuläre um¬
schriebene akute, der Synchrondrosis
sacro-iiiaca. ‘ Operation, Heilung mit
guter Funktion 128.
Oszillierende Ströme, über die Be¬
handlung der Herzkrankheiten 406.
Otitis, chronische, Resultate der kon¬
servativen Behandlung 584.
Otologie im Felde 1145.
Ovarialkarzinom bei Karzinom des
Uterus 323.
Ovariotomie während der Geburt 438. i
Ovarium, über die Tätigkeit desselben
in der Schwangerschaft 728.
Ozäna und Syphilis 626.
— Lehre 217.
P»
Panaritium der Melker 128.
Pankreas, Erkennung und Behandlung
der Erkrankungen 385.
— diabetes, die Azidose hierbei 1382.
— — zur Therapie desselben 773.
— erkrank ungen, Beiträge zur Dia¬
gnostik 1065.
Pankreatitis vom Standpunkt der
klinischen Chirurgie 1336.
Pantopon 630.
Papillome des Kehlkopfs, Behand¬
lung der multiplen, bei kleinen Kin¬
dern 1114.
Paraffinbehandlung der N abelbrüclie
305.
Paralyse, über die juvenile 293.
Paralytiker, die Nachkommen 1188.
— in ihrer äußeren Erscheinung 922.
Parathy roid-Drüsen 1388.
Pa re tische Muskeln, klinische Studie
über die Veränderungen in denselben,
die durch seitliche Sehnennaht mit
gesunden Muskeln verbunden sind
1182.
Parotitis bei Pneumonie 1286.
Patellarreflex, Fehlen desselben bei
scheinbarer spinaler Gesundheit 119.
Penetrierende Stichverletzungen
des Abdomens, zur Kausuistik der¬
selben 842.
Perhydrol und N atriumperboricum
in der Chirurgie 129.
Perikarditis, die operative Behand¬
lung derselben 995.
Peritonitis des W eibes, akute diffuse,
soll man vaginal oder suprapubisch
drainieren? 324.
— nach Appendizitis, die Behandlung
der allgemeinen 398.
— und Thrombophlebitis zur opera¬
tiven Behandlung der puerperalen 857.
— zur Kasuistik derselben im Säuglings¬
alter 890.
Perityphlitis und Peritonitisbe¬
handlung 76.
Diagnostik und Behandlung 171.
Peristaltikstudie, eine röntgenogra-
pliische und die Beziehung der Wel¬
lenform zu funktioneller Aktivität 780.
Perkussionshammer und Plessi¬
meter zur Schwellenwertperkussion
des Herzens 660.
Perkussionssymptome bei Pleura¬
ergüssen 1302.
Perkussion, verdient dieselbe als
Lungenuntersuchungsmethode größere
Aufmerksamkeit? 1146.
Pes equino varuy, über die Behand¬
lung des paralytischen 997.
2*
XX
Sachregister.
Pestbazillen, über die Wirkung der
toxischen Produkte, auf die Atmung
437.
Petroleumv ergif tung 1193.
Pflegerfrage, Beitrag hierzu 968.
Pfortaderthrombose, Ätiologie der¬
selben 282.
Pharyngoskop, ein elektrisch erleuch¬
tetes 1344.
Pharyngotomie, mediane 512.
Pharynx, Blutungen bei Eiterungen 512.
Phimose im Kindesalter 82.
Phlebektasien, präkapillare, auf der
vord. und hint. Thoraxwand bei Er¬
krankungen der Zirkulations- und
Atmungsorgane 30.
Phobien und Dyspepsien 1068.
Phonasthenie der Sänger 240.
Phosiron, therapeutische Erfahrungen
hiermit 1348.
Phosphor in der Therapie der Rachitis.
Behandlung der Rachitis mit Leber¬
tran, Phosphor und Kalk 1185.
— oxy chlorid, über Vergiftung 586.
Phototherapie 327.
Phrenokardie, ist die von Max Herz
beschriebene eine scharf abzugren¬
zende Form der Herzneurosen 1300.
Plithiseogenese 272.
Phthisiker, respiratorischer’Stoffwech-
sel derselben im Nachtschweiß 166.
Phymatiosis, einige neue Ideen da¬
rüber, dem internat. sog. Tuberku¬
lose-Kongreß von 1908 vorgelegt 165.
Pilokarpinzusatz zu Bromsalzen 589.
Pirquet’sche Reaktion bei Säuglingen
1112.
Plac enta praevia, was leistet die
moderne Therapie hierbei 732.
— — zur Behandlung derselben 544,
731, 1071, 1072.
— — zur Therapie und Prognose der¬
selben 1264.
Plazenta praevia 71.
Plattfuß, die Behandlung des kontrak¬
ten im Schlafe 401.
— die mechanische Entstehung desselben
129.
Plattenepithel, atypisches, an der
Portio und an der Innenfläche der
Cervix uteri, histologische Unter¬
suchungen darüber 547.
Plessimeter und Perkussionsham¬
mer zur Schwellenwertperkussion des
Herzens 139.
Pleurahöhle, mit welchen äußeren
Mitteln können wir die Aufsaugung
aus derselben beeinflussen? 166.
Pleuritische Exsudate, zur Behand¬
lung derselben 880.
Pleuritis exsudativa 956.
Pneumokoniosen, Ursprung derselben
508.
Pneumonie eines Königstigers und der
Erreger derselben (Bacillus pneumo¬
niae tigris) 770.
Pneumonie zur Behandlung der fibri¬
nösen 1030.
— zur Behandlung derselben 509.
— zur Kasuistik der abortiven 357.
Polin eurite sifilitica primitiv-a in pe-
riodo terziario 553.
Polyarthritis (Tuberkulöser Gelenk¬
rheumatismus) 849.
Poly cythaemia splenomegalica,
ein Fall von chronischer 782.
Polyglanduläre Störungen (in Hy¬
pophysis, Thyreoidea, Ovarium 467.
Polyserositis, chronische (Morbus
Bamberger) 167.
Praxis, aus der geburtshilflichen 278.
Profixsur (Antefixations - Methode),
welche ist bei fixierter Retroversio-
flexio am zweckmäßigsten? 886.
Projektions bilder, Photographien und
Kinematogramme bei Operationen, ein
Apparat zur Herstellung derselben
289.
Pro p äs in, ein neues Lokalanästhetikum
807.
Prophylaxis der chirurgischen Infek¬
tionen vermittels präventiver Immu¬
nisierung 799.
Prostatachirurgie, Glasdrainageröh¬
ren 782.
Prostatahypertrophie mittels Injek¬
tion von artfremdem Blut behandelt
473.
Prostatektomie 77.
— die Technik der suprapubischen 782.
— zweizeitige unter Lokalanästhesie 78.
Präaktive Spannung 359.
Pseudochlorose der Säuglinge 210.
Pseudotabes, Liquorbefunde bei post-
diplitherischer Lähmung 893.
Pseudotuberkulosebazillen der Na¬
getiere (Bazillus Pfeiffer und Bazillo
opale agliaceo Vinzensi), zur kultu¬
rellen Unterscheidung beider 999.
Psychosen, funktionelle, Nachweis ei¬
niger Sejunktionsvorgänge 294.
Psychoses inf ectieuses, confusion
mentale aigue, „Amentia“ (O.Mevnert)
965.
Psychotherapie, Arbeit als Kurmittel
417, 449.
Pubotomie bei mäßig verengtem Becken
321.
Puerperalfieber, experimentelle Bei¬
träge zur Behandlung desselben 1142.
— klinische und bakteriologische Studien
1340.
— - zur bakteriologischen Diagnose 889.
Puerperalprozeß, zur T herapie des¬
selben (Versuche mit Rekonvales-
zenten-Serum) 1073.
Pulmon a r e m b o 1 i e n ach Inj ektion von
Quecksilbersalicylat 1030.
Purgation dans la tlierapeutique des
maladies mentales 249.
Pyelitis bei Frauen und ihre Bezieh¬
ung zur Menstruation 325.
Sachregister.
XXI
Pyelitis zur Pathologie und Therapie
derselben 300.
Pyelonephritis gravidarum, ein
Beitrag hierzu 173.
Pylorusstenose der Säuglinge 7.
— — — zur Prognose der spastischen
890.
— im Säuglingsalter, über die hyper¬
trophische 1341.
Pylorus, Stenose desselben in der
Kindheit 1229.
— über die Palpation der normalen
großen Kurvatur und über ein neues
akustisches Phänomen, das exspirato-
rische Gurren 1258.
Pyozyanase - Behandlung bei Er¬
krankungen der Tonsillen, des Pharynx
und des Nasenrachenraumes mit be¬
sonderer Berücksichtigung der Diph¬
therie 555.
— — der Diphtherie 891.
bei Diphtherie, Scharlach und Anginen
327.
über die verschiedene Wirkung auf
Mikroben in festen und flüssigen
Nährböden 1000.
- zur Kenntnis der bakteriziden Eigen¬
schaften derselben 1349.
Pyrenol bei Lungenemphysem und
Asthma 629.
über einige interessante Beobachtun¬
gen hiermit 746.
Q.
Quadricepssehne, über einen F all von
doppelseitiger Zerreißung derselben
742.
Quecksilberinjektionen,
über schmerzlose, intramuskuläre, mit
besonderer Berücksichtigung eines
Quecksilbernatriumglyzerates 213.
Quecksilber-Präparate, zwei neue
1223.
Quellstifte, sind solche so notwendig
1184.
R.
Rachitis, Behandlung derselben mit
Lebertran, Phospor und Kalk 1268.
— Beitrag zur Therapie 376.
— die medikamentöse Behandlung 591.
— - neuere Ansichten über die Aetiologie
derselben 817.
R a d f ah r e n , V erliälten des Herzens nach
langdauerndem und anstrengendem
Fahren 658.
Radiotherapie, die Erfolge derselben
445.
Radium als Kropferzeuger 515.
— Behandlung inoperabler Geschwülste
251.
— bei Oesophagus-Karzinom 1196.
— - Beobachtungen über den therapeu¬
tischen Wert desselben und seine An¬
wendung 1196.
Radium- und Elektrolyse-Behandlung
bei Nävi 1196.
— emanation, über die Behandlung
mit vorstehendem 973.
— -Strahlen, maligne Tumoren damit
behandelt 748.
Reduktionserscheinungen der Bak¬
terien 847.
Reinjektion, über die Gefahr der¬
selben 434.
Re-Inokulation der Syphilis im
tertiären Stadium 1345.
Rektal- und Axillartemperatur,
klinische Bedeutung der Differenz hier¬
zwischen, speziell bei Peritonitis 738.
Rektoskopie und ihre Bedeutung für
die Diagnose und Therapie der Colitis
ulcerosa 739.
Reproduktionsorgane, die Beziehun¬
gen der weiblichen zu inneren Krank¬
heiten 245.
Resistenz, allgemeine und spezifische
gegen tuberkulöse Infektion 780.
Resorptionsfähigkeit der Schleim¬
haut der Vagina und des Uterus 1183.
Retenta, Niederkunftsbinde 1231.
Retroflexio uteri in der allgemeinen
Praxis 546.
Rheumatism., Treatment 852.
Rheumatismus tub erculosu s
(Poncet) 357.
Rindenmessungen 968.
Rhinitis chron. atroph., über die Be¬
ziehungen zur Diphtherie. Thera-
. peutische Verwendbarkeit der Pyo¬
zyanase bei Ozäna 510.
Rhinopharyn x, Plastik bei Verwach¬
sung 511.
Rhinophyma, ein Fall hiervon 691.
RoheMilch in der Kinderernährung 925.
Röme r’sches Pneu m oltokkenser u m ,
über die Wirkung desselben bei der
kruppösen Pneumonie mit besonderer
Berücksichtigung der Leukozyten 1381.
Roseola, künstliche 991.
Rotlaufbazillus, Beitrag zur Biologie
desselben 1000.
Rotz, Diagnose desselben am Kadaver
mittels Komplementbindung 771.
Röntgendurchleuchtungen bei Ta¬
geslicht unter vollkommenem Strahlen¬
schutz für Arzt und Patienten 973.
Röntgenmomentaufnahmen 1276.
Röntgen strahlen, eine neue An¬
wendung 135.
— in der Behandlung tiefsitzender
maligner Krankheiten 1146.
— zur Diagnose des Magenkarzinoms 136.
— Untersuchung, der Wert derselben
bei der Diagnose der Lungentuber¬
kulose, besonders in Beziehung auf
frühe Tuberkulose 780.
XXII
Sachregister.
Röntgentherapie der oberen Luft¬
wege 972.
— in der Gynäkologie und zur Technik
gynäkologischer Röntgenbestrahlun¬
gen 635.
Röntgenuntersuchung des Magens
135.
Rückenmarksanästhesie, das zur¬
zeit an der Berliner chirurgischen
Universitätsklinik übliche Verfahren
1078.
Rückenmarks-Kompression,
Schmerzempfindung bei derselben,
über falsche Lokalisation 358.
Rückenmarktumor, Diagnostik 358.
Rückfalltheorie (re Version theory)
und die Klassifikation des Kropfes
1352.
S„
Sab romin 40.
Sajodin bei der Syphilisbehandlung 591.
Sakraltumor, kongenitaler, teratoider
mit Metastasierung 741.
Salze, über die Rolle derselben im
Bade 749.
Salzschlirf er Bonifaciuskur, prak¬
tische Erfahrungen beim Gebrauch
derselben 1227.
Sanatogentherapie bei Erkrankungen
des Nervensystems 894.
Sanatoriumsbehandlung, wie kann
man eine solche für Schwindsüchtige
zu Hause einrichten 245.
Santyl in der Gonorrhoe-Therapie 133.
Saphena, Bemerkungen über die opera¬
tive Behandlung der erweiterten 1182.
Sauerstoff bäder, die Wirkung der¬
selben 407.
Saugverschluß für die Harnröhre 140.
Säuglingsekzem, die Behandlung des¬
selben nach Finkeistein 210.
Säuglingsernährung, biologische
Fragen bei der natürlichen und künst¬
lichen 923.
Säuglingsfürsorge und ärztliche
Ausbildung 802.
Säuglingskrankheiten, über die Fort¬
schritte in unseren Kenntnissen auf
diesem Gebiete 209.
Säuglingspflege im Krankenhaus 924.
Sectio caesaria, über die transperito¬
neale, mittels unteren (cervicomesou-
terinen) Längsschnittes 545.
Sehnenreflexe, über den Verlust der¬
selben bei funktionellen Nervenkrank¬
heiten 552.
Sekretion, innere Krankheiten, die von
Störungen derselben abhängen 1146.
Selbststillen, die Bedeutung desselben
im Kampfe gegen die Säuglingssterb¬
lichkeit; bestehende Einrichtungen
und Vorschläge zur Förderung des¬
selben 556.
Sensibilitätsstörungen, die diagno¬
stische Verwertung derselben 1271.
Sensibilität und Sensibilitätsprü-
fung 1270.
Serodiagnostik bei Lues, die prak¬
tische Bedeutung 472.
S e r o r e a k t i o n auf Syphilis, nachW asser¬
mann 97.
Serumdiagnose bei Syphilis, eine ein¬
fache Methode 1274.
— der Syphilis, zur Therapie und Praxis
derselben 1271.
Serum dosen, große, bei schweren An¬
ginen und diphtheri tischen Lähmungen
990.
Serumgewinnung für Laboratoriums¬
zwecke, ein einfacher Apparat hierfür
1335.
Serum prepare avec des exsudats
streptococciques 1256.
Serumtherapie der kruppösen Pneu¬
monie 1381.
- — ein Beitrag- hierzu 624.
— obligatorische, weitere Stimmen hierzu
541.
— und Komplikationen bei Meningitis
cerebrospinalis epidemica 393.
Serumuntersuchungen bei Lepra
1136:
Serum- usw. Injektionen, eine neue
Methode der subkutanen 854.
Siccator 1360.
Siebbein und Stirnhöhlenempyeme,
über den Durchbruch in die Orbita,
eine typische Komplikation bei Schar¬
lach i 69.
Sigmatismus nasalis 216.
Silber im prägnationsmethode zur
Unterscheidung von Lepra- und
Tuberkelbazillen 352.
Sinusgebiet, Veränderungen des Her¬
zens bei chronischer Arrhythmie 73.
Sk ab i es, praktische Erfahrungen hier¬
über 1345.
SkarlatinöseAdenitiden, Pathologie
derselben 33.
Sklerose, multiple, nach psychischem
Chock 551.
— zur Kenntnis der akuten multiplen
1081.
Skoliosenbehandlung, was dürfen
wir von der heutigen erwarten 699.
Skopolamin - Chloroform - Ather-
narkosen, Bericht über 3000 620.
- Morphin - Inhalationsnarkose,
Erfahrungen hiermit 1337.
— M orphium, die Wertigkeit desselben
in der Gynäkologie 322.
Skopomorpliinnarkose 824.
Skorbut, zur Pathologie und Anatomie
desselben 467.
Skrofulöse 774.
Soamin, über Erfahrungen hiermit 630.
Somatose, über den Einfluß derselben
auf die Sekretion der Brustdrüsen 590.
Sonnenbestrahlung, direkte, im Ho ch-
gebirge 329.
Sonnenlichtbäder im Gebirge 252.
XXIII
✓
Sachregister.
Sonnenstich 408.
Spaltbildung, seltene, der Hand und
angeborene Fingergelenkankylosen
380.
Spasmophile und Ernährung im
frühen Kindesalter 785.
Spasmus der Brustmuskeln, besonders
der Interkostales, ein physikalisches
Zeichen von Lungenkrankheiten 1228.
Spätkontrakturen der Hemiplegiker,
zur Behandlung 2.
Spätlaktation, ein Beitrag zur Kennt¬
nis der 1306.
Spezialmilch mit reduziertem Fett¬
gehalt 1026.
Spinalparalyse, syphilitische 85.
Spirillenhaltiges Blut, Impfversuche
damit 772.
Spiro cliaeta gallinarum, Übertra¬
gungsversuche derselben durch Argus
reflexus Fahr 772.
Spirosal 250.
— in Rheumatismusfällen mit Herzkom¬
plikationen 74.
— Untersuchungen hierüber 974.
Spitzentuberkulose, U ntersuchung
der Lungen, mit spezieller Berück¬
sichtigung der Krönig’sclien Ergeb¬
nisse 880.
Splenomegalie, primäre, vom Typus
Gancher 1352.
Spondylarthritis deformans, ein
Fall von schwerer, gebessert durch
Fibrolysinbehandlung 851.
Spontangeburt bei engemBecken 1219.
Sporotrichose der Tibia, unter dem
Bilde einer Osteomyelitis 740.
Sprachstörungen, Abriß der Lehre
von denselben, Aphasie und Anarthrie,
wie auch Dyspliasie und Dysarthrie
216.
Sputan, Mitteilungen über die Anwen¬
dung dieses neuen Teerproduktes bei
katarrhalischen und tuberkulösen
Lungenaffektionen 1310.
Sulfonal, prolongierter Gebrauch und
toxische Wirkung 248.
Supinationsstörung der Ellbogen¬
gelenke, angeborene doppelseitige 277.
Suprarenin, Untersuchungen über die
Bedeutung desselben für die Geburts¬
hilfe 1218.
Spliygmotonograph 354.
Symphyseotomie in der Schwanger-
' schaff 1217.
Symphyse, Ruptur derselben während
der Geburt 730.
Syndrome de Mikulicz ä l’etat physio-
logique 1033.
Synovia, künstliche 287.
Syphilide, Diagnose und Therapie 806.
— papulo-erosive, in Mund und Schlund,
mit Nachweisung von Spirochaete
pallida neun Jahre nach der Infek¬
tion 1191.
Syphilis, der Einfluß derselben auf die
Nachkommenschaft 805.
— des Magens und der Eingeweide 1229.
— die Behandlung derselbeu 212, 307.
— über Behandlung derselben mitMergal
212.
— über intermittierendes Fieber bei ter¬
tiärer (viszeraler speziell Leber-) 283.
— weitere Beiträge zur ätiologischen
Therapie 471.
— zur internen Therapie derselben 1193.
— behandlung mit grauem 01 472.
— fälle ohne rechtzeitige Hauterschei¬
nungen 804.
Scfa.
Scharlach 621.
— bakteriologische und serologische
Untersuchungen 616, 1113.
— die Behandlung desselben 623.
— Insuffizienz der Nebennieren 1185.
— und seine Komplikationen 622.
— und Serumreaktion auf Syphilis 1107.
— zur Frage der Wassermann’schen Re¬
aktion 1113.
— Epidemien 34.
— kranke, über das Verhalten des
Serums von denselben bei der Wasser¬
mann’schen Reaktion auf Syphilis 1108.
Schaum organe, Aetiologie derselben
319.
Schädel lag eil, über den Einfluß der
Schwerkraft auf die Entstehung der¬
selben 729.
Schädigungen des Auges, über die
praktische Tragweite derselben durch
leuchtende und ultraviolette Strahlen
1189.
Schilddrüse und chronischer defor¬
mierender Gelenkrheumatismus 168.
— und Gelenkrheumatismus 852.
— und Infektionskrankheiten 848.
Schilddrüsen ge webe bei Kretinen,
zur Interplantation 1140.
Schlaflosigkeit auf syphilitischer
Basis 552.
Schläfrigkeit und Schlaflosigkeit,
Ursachen derselben 1367.
Schleimbildung im Darm 738.
Schlucklähmung, über kortikale 1106.
Schlundring, adenoider und endo-
thorakale Drüsen 510.
Schmackhaftmache n d er Mil c h und
Verwendung des Apfels in der Kran¬
kenkost 632.
Schnellagglutination und ihre Ver¬
wendung bei der Serodiagnose des
Rotzes 846.
Schnupf en, Behandlung des akuten 509.
— Kupierung und Behandlung desselben
955.
— mittel 251.
Schnürstrumpf, ein neuer für Krampf¬
aderbehandlung 1231.
XXIV
Sachregister.
Schulschwänzer und Vagabunden,
gewohnheitsmäßige, im Kindesalter
326.
Schulterblattknacken als diagnosti¬
sches Merkmal für Lungentuberkulose
881.
Sc huppe n flechte, Behandlung der¬
selben 929.
Schuß Verletzungen der Lunge mit
primärer Naht, Behandlung 282.
Schutzbett für erregte Geisteskranke
553.
Schwachsinn und Schwerhörigkeit
293.
Schwangerschaft, die Berechtigung
und die Methode der Unterbrechung
derselben 1219.
Schwangerschaftspyelitis, Diagnose
und Therapie 172.
S c h w a n g e r s c h a f t s r u p t u r , traumati¬
sche, des hochgraviden Uterus mit
Austritt des ganzen Eies in die Bauch¬
höhle, ein Beitrag hierzu 700.
Schwangerschaftstoxikosen 543.
Sch weiß fuß, zur Behandlung desselben
in der Armee 777.
Sf.
Staphylokokken, die Differenzierung
der pathogenen und saprophvtischen
165.
— Otitis 1144.
— serum gegen Akne 969.
Stau nngsblutun gen nach Kompres¬
sion des Rumpfes 578.
Stauungshyperämie, über Technik
und Wirkung derselben und ihre
Verwendung in der Praxis 515.
Stauungspapille und Gehirnchirur¬
gie 225.
Stauungs verfahren, Bier’sches über
die Gefahren desselben 1262.
Stenosen des Larynx und der Trachea,
Behandlung des postdiphtherischen
555.
Steriliät-, Beitrag zur Ätiologie und
Therapie der weiblichen 962.
Sterilisierungsmethode, neue, der
Haut bei Operationen 403.
Stichverletzungen der Leber 1089.
Stillende Mütter, Beobachtungen an
denselben 1046.
Stillwille und Stillmöglichkeit in
den unteren Volksschichten 1111.
Stiinmf remitus, Verhalten desselben
bei kruppöser Pneumonie 395.
Stirnhöhleneiterungen, Indikationen
bei Behandlung derselben 726.
Störungen, vasomotorische, des Gesichts
513. "
Streptokokken, die Bedeutung der
hämolytischen für die puerperale In¬
fektion 1339.
— infektionen, experimentelle Bei¬
träge zur Therapie derselben 122.
Streptokokkus pyogenes, Wirkung
der toxischen Produkte desselben auf
den arteriellen Blutdruck 164.
Streptotlirixstä m m e , U ntersuchuu-
gen über 5 Stück 844.
Strophantintherapie, über intra¬
venöse bei Verwendung von Strophan-
tinum crystallisatum Thoms 1277.
Strophantus, dessen Präparate und
Anwendung 628.
— injektionen, über intravenöse 628.
Strophulus (Lichen urticatus), über
Beeinflussung desselben durch Schein¬
werferbestrahlung 890.
S typ toi, über einige Beobachtungen
hiermit 1385.
T .
Tabes in den ersten Jahren nach der
Infektion 551.
— und Lues 84.
— dorsalis im Geschlechtsleben der
Frau 1187.
— ou ataxie locomotrice une nouvelle
medication contre les douleurs ful-
gurantes 591.
— behandlung 84.
Tabletten!’ rage 1349.
Tartarus depuratus, über die Wir¬
kung desselben 662.
Telegraphie ohne Draht, Schädigungen
hierdurch 1001.
Tetanie, seltenere Erscheinungsformen
705.
Tetragenus, über einen vom Meer¬
schweinchen isolierten 771.
Theobromin- und Jodbehandlung
134.
Thermo ärotherapie durch Heißluft
und Wechselduschen 750.
Thiopinalbad, die Indikationen des¬
selben 252.
Thrombose, arterielle, im Verlaufe der
kruppösen Pneumonie 879.
— der Vena cava inferior 779.
— und Embolie, Kritik der prämoni-
torischen Symptome 959.
Thyreoidea und Fettsucht 467.
Thyresol, ein neues Sandelölpräparat
798.
— über ein neues Santalolpräparat 747.
Thyrotomie bei Karzinom 170.
Tinea tonsurans, die Behandlung der¬
selben 781.
Todesfälle bei Kindern, über plötzliche
durch Obduktionsbefund nicht mit
Sicherheit erklärliche und ihre foren¬
sische Bedeutung 506.
Tollwut, über die Übertragung durch
die Nasenschleimhaut 437.
Toxikologie der Plazenta, kritische
und experimentelle Studie, zugleich
gegen die plazentare Theorie der
Eklampsieätiologie 700.
Toxine, Einfluß auf eleu Eiweißabbau
der Zelle 505.
Sachregister.
XXV
Tracheotomie, über die Endresultate
285.
Trachom, Beitrag zur Ätiologie des¬
selben 926.
— weitere Untersuchungen über die Ätio¬
logie desselben 1190.
-forsch ung, der jetzige Stand der¬
selben 1168.
Tränenwege, Pathologie und Therapie
844.
— und Bindehaut, nasale U rsachen und
Behandlung der Erkrankungen 888.
Tri china spiralis im zirkulierenden
Blut ‘beim Menschen, Nachweis der¬
selben 1381.
Trigeminusneuralgie, hervorgerufen
durch Veränderungen an den Zähnen
861.
— Rezidivoperation hierbei 1262.
Tripperübertragung, seltene 214.
Tropeine, di un Alcaloide del gruppo
e sua azione fisiologica e medicamen-
tosa 442.
Trunksucht 251.
— die Behandlung derselben 778.
Trypanosoma des Wisent von Bielo-
wesch 771.
Trypanosomen, die verschiedenen
Arten hiervon, mit besonderer Berück¬
sichtigung der Schlafkrankheit 1861.
Tubenmenstruation 702.
T ub enschwangerschaf t , gleichzei¬
tige, doppelseitige 887.
Tuberkelbazillen, dasV erhalten der¬
selben in indifferenten Flüssigkeiten
1177.
— im Blute eines Fötus 351.
— über das Vorkommen solcher in der
Milch und den Lymphdrüsen des
Rindes 696.
— über eine neue Reaktion und eine
darauf begründete differentialdiagno¬
stische Färbungsmethode derselben
999.
-sporen, über eine neue Methode zur
Darstellung 1029.
Tuberkelbazillus als Ursache der
Leberzirrhose 1067.
Züchtigung desselben auf Galle 695.
Tuberkelkeime bei Otitis. chronica 182.
Tuberkel -Perl su cht, neue differen¬
tial-diagnostische Färbemethode hier¬
für und für andere säurefeste Bazillen,
nebst Strukturstudien bei verschiede¬
nen säurefesten Bakterienarten 352.
T u b e r k e 1 p i 1 z f ä r b u n g , vergleichende
Untersuchungen über neuere Methoden
1379.
T uberkuli n, reproduziert, Dermatosen
bei Nicht-Tuberkulösen 1178.
— behandlung bei Leukämie 29.
- — der Lungentuberkulose 575.
— eine klinische Studie über den
Effekt auf die Serumagglutination der
Tuberkelbazillen 780.
— — in der Praxis 884.
T u b e r k u 1 i n e s , valeur therapeutici ne
163.
Tuberkulingaben, können die häufi¬
geren und hochsteigenden in den be¬
sonders dazu ausgesuchten Fällen un¬
bedenklich empfohlen werden? 1318.
Tuberkulinimmunität 693.
Tub e rkulinn achb eliandlung der
chirurgischen Tuberkulose 1138.
Tuberkulinprobe, zur kutanen nach
von Pirquet im Kindesalter 1112.
Tuberkulinreaktion im Kindesalter
— kutane bei Säuglingen 81. [1112.
— perkutane nach Moro 164.
— speziell über eine Aurikuloreaktion
1178.
Tuberkulintherapie in der Universi¬
täts-Augenklinik zu Göttingen 1189.
Tuberculinum purum 351.
Tuberkulose, Behandlung der chirur¬
gischen im Kindesalter 556.
— Beitrag zur Frage der Schnelldiagnose
im Tierversuche 1177.
der Harnwege zur Diagnose und The¬
rapie derselben 1273.
der Lungen, ein Beitrag zur Behand¬
lung derselben 1838.
— des Endokards 125.
— die Behandlung derselben durch den
praktischen Arzt 882.
— die therapeutsche Beeinflussung der
inneren und äußeren, durch Tuber¬
kulin und verwandte Mittel 884.
in der Schwangerschaft, ein Beitrag
hierzu 729.
— Nord- und Ostseeküste als Aufenthalt
hierfür.
— spezifische Behandlung bei experi¬
menteller 999.
— spezifische Hilfen in der Diagnose
und Prognose derselben 1147.
--Konferenz, Bericht über die 7. inter¬
nationale in Philadelphia 1908 696.
Tuberöse Sklerose 275.
Tumoren des vierten Ventrikels 965.
Untersuchungen zur Biologie und
Ätiologie 505.
Turmschädel mit Sehnervenatrophie
529.
Typhoide Fieber, kurzdauernde 1351.
Typhus, die Diät hierbei 1228.
— ein unter dem Bilde einer Miliartuber¬
kulose verlaufener 991.
— in der Armee, sein gegenwärtiger
Stand mit besonderer Beziehung auf
Typhusträger und Antityphus - Imp¬
fungen 1390.
— ohne Darmgeschwüre 1031.
— über das Funktionieren des Darms
hierbei 991.
— und Kolibazillus, kleiner Beitrag
zur Frage der Identität 769.
— antigene und ihre Antikörper 1216.
— bazillen, über den Wert derselben
Mischbouillon zur Serodiagnose des
Typhus 769.
XXVI
Sachregister.
Typhusbazillen, 52 Jahre nach der
Erkrankung im Körper 576.
— träger, Beitrag zur Behandlung der¬
selben 953.
— erkrankungen, vergleichende Unter¬
suchungen über die Agglutination von
Thyplius und Paratyphusbazillen 164.
— Schutzimpfung des Menschen 770.
— serum, Prüfung des Meyer-Bergell’-
schen 1216.
U.
Überernährung der Tuberkulösen 41.
Übungstherapie, Einfluß derselben
auf die Leitungsgeschwindigkeit bei
Tabes dorsalis 1081.
Ulcus molle, ein Beitrag zur Therapie
desselben 1350.
Ulnaluxation, komplizierte Volare,
mit typischer Radiusfraktur, Ulnaris¬
lähmung 288. •
Ultraviolette Strahlen, Sterilisation
der Milch durch solche 750.
Ulzerationen, venerische, Behandlung
mit Röntgenstrahlen 973.
Universal-Acidimeter 993.
Universitäten und Studierende in
Europa, Zusammenstellung der¬
selben 567.
Universitätsstädte und uneheliche
Geburten 566.
Unstillbare Blutung bei Neugebore¬
nen eine Mißbildung als Ursache der¬
selben 889.
Ureterverschluß 43‘?.
Urininkontinenz (Enuresis nocturna),
über die Behandlung der essentiellen
359.
Utero vaginalprolaps 858.
Uterus, experimentelle Beiträge zur
Kenntnis der automatischen Be¬
wegungen desselben und deren Be¬
deutung für die Pathologie und The¬
rapie der uterinen Infektionskrank¬
heiten, insbesondere der Gonorrhoe
960.
Uterusexstirpation, die prognostische
Bedeutung bakteriologischer Unter¬
suchungen bei abdominalen 858.
Uteruskarzinom, klinische und anato¬
mische Beiträge zur operativen Be¬
handlung desselben 959.
— Metastasen im Herzen hierbei 126 1.
— Operationen, Schädigungen des
Harnapparates 171.
— über seltene Metastasen (Muskulatur,
Ureter, Drüsen, Mediastinum) 1264.
Uterusperforationen mit Darmver¬
letzung 733.
V.
Vaginalkatarrh 36.
Vagina und Blase, histologische Be¬
sonderheiten, während der Gravidität
246.
Vaginofixationsgeburt, einfache
Therapie bei einer 36.
Vakzinebehandlung der infektiösen
Endokarditis an der Hand eines Falles
von Streptococcus mitis Infektion S79.
Variola vera, über den Komplement¬
bindungsversuch 1137.
Variola, über das Verhalten derBordet’-
sclien Reaktion 577.
Ventrof ixatio uteri und ihre angeb¬
lichen Geburtsstörungen 247.
Verband, der trockene und der feuchte
25.
Verblutungstod neugeborener Kinder
624.
Verbrennungen, Therapie derselben
402.
Verdünnungssekretion im Magen
126.
Verein deutscher Arzt e in Prag,
22. Januar 1909, Vortrag 345.
Vergiftung mit Brom 1193.
Verlagerung der Beckenorgane, ventri-
fixierende Methoden 175.
i Veronalnatrium und die Erregbarkeit
des Atemzentrums, sowie der Sauer-
stoffverbrauch im natürlichen und
künstlichen Schlaf 478.
Veronal und Veronalexantheme 39.
Versammlung. (80.) deutscher Natur¬
forscher u. Ärzte 21, 63, 116.
Verstellungskontamination,
Sprachverwirrtheit und inhaltliche
Verwirrtheit 967.
Ve r t e i d i g u n g , genossenschaftliche
ärztliche, ihr gegenwärtiger Stand 781.
Vesikolabialf istel nach Hebosteo¬
tomie 1110.
Vial’s Wein, Indikationen hierfür 489.
Vierzellenbäder, über die praktische
Bedeutung derselben 184.
Virusarten (über Strongyloplasmen),.
über mikroskopisch sichtbare, filtrier¬
bare 1215.
Viskosität des Blutes 204.
— — — der Einfluß warmer Bäder 407.
Vitralin, einige weitere Versuche hier¬
mit 772.
Vorbereitung und Nachbehandlung
chirurgischer Patienten 1148.
f,
Wachstumperiode, Autonomie des
Gehirns während derselben 1076.
Wahnbildungen, vorübergehende, auf
degenerativer Basis 291.
Waldkrippe, erste, des Vereins „ Säug¬
lingsmilchverteilung“ in Wien, ärzt¬
licher Bericht hierüber 802.
Wandernieren 662.
Wassermann’sche Luesreaktion, die
praktischen Konsequenzen derselben
für den Frauenarzt 615.
— Reaktion bei Geisteskrankheiten 122.
XX.YII
Sachregister.
Wassermann’sche Reaktion, Bewer¬
tung derselben für die Frühdiagnose
und die Therapie der Syphilis 434.
— — die Bedeutung derselben für die
Therapie der Syphilis 1191.
— — und ihre Beeinflussung durch die
Therapie 1027.
- — — über die Bedeutung der positiven
954.
— — was leistet zurzeit diese für die
Praxis 433.
— — zu welchen Schlüssen „berechtigt
dieselbe 207.
— Syphilisreaktion, die praktische
Bedeutung derselben 145.
Wasserstoffsuperoxyd, über den
Einfluß desselben auf die Sekretion
des Magens 737.
Wiener Brief 109, 269, 314, 424, 651,
722, 874, 917, 1098, 1329, 1370.
Wiesbadener Brief 756.
Wind, Einfluß desselben auf die Öko¬
nomie des tierischen Körpers 1001.
Winter-Erbrechen 1259.
Wismuth-Methode, Untersuchungen
des Magens und des Darms 635.
Wochenbettfieber, Ergebnisse der
Blutuntersuchung in prognostischer
Hinsicht 437.
Wochenpflege, Erfahrungen mit mo¬
derner 1075.
Wöchnerinnen, wieviele unter 1000
sind unfähig zu stillen und welches
sind die Ursachen 1306.
Wright’sche Vaccine-Therapie 346.
Wundheilung, primäre, nach Operation
septischer Fälle 699.
Wundscharlach 892.
Wurmfortsatz, soll derselbe bei gynä¬
kologischen Laparotomien mit ent¬
fernt werden? 580.
Wurmkrankheit der Bergleute, ein
Beitrag zur Kenntnis 244.
Wutinfektion und antirabisclie
Immunisierung auf endorektalem
Wege 770.
Wutvirus, die Wirkung des Speichels
auf dasselbe 771.
— in situ, über die Zerstörung desselben
771.
Z.
Zand er- Institut der Ortskrankenkasse
Leipzig, Beobachtung aus demselben
387.
Zehen und Verkürzungsref lexe,
über Abschwächung bzw. Aufhebung
1076.
Zellen, über die bakterizide Kraft der
lebenden 123.
Zerebrospinalflüssigkeit gesunder,
wutkranker und immunisierter Tiere,
über die lyssizide und immunisierende
Wirkung derselben 1029.
Zerebrospinalmeningitis, Serumbe¬
handlung der epidemischen 31.
Zervikal-Punktion 76.
Ziegenmilch als Heilmittel des Morbus
Basedow 923.
Zinkintoxikation, resorptive, nach
intrauteriner Chlorzinkätzung 860.
Zink leim verband, der Wert desselben
in der Chirurgie, besonders bei der
Behandlung von Ulcera cruris, V aricen
und Gelenkaffektionen 288.
Zirkulationsstörung, Blutunter¬
suchungen in verschiedenen periphe¬
ren Gefäßprovinzen 354.
Zirkulationsstörungen, über Übungs-
therapie und Flüssigkeitsbeschrän¬
kung 475.
Zirkulation, über die mechanischen
Probleme derselben und ihre Lösung
1299.
Zuckerkrankheit und Schwanger¬
schaft in ihren Wechselbeziehungen
727.
Zungenkarzinom, zur Statistik des¬
selben 994.
Zwergbecken, ein Beitrag zur Patho¬
logie und Therapie des chondrodystro¬
phischen 960.
Zystadenom der Brust, papilläres 1390.
Zysten, zur Anatomie derselben der
kleinen Schamlippe 856.
Zvstoskopie und Ureterenkathete-
rismus in der Kinderpraxis 1114.
Zystozelenoperation, über den Bla-
sensitus 439.
II. Äutorenregister.
(Die fettgedruckten Zahlen bedeuten Originalbeiträge.)
A.
Abramowski 55.
Adamkiewicz 144.
Adler 243.
Adler u. Lukscli 464.
Albergo-Berretta 123.
Albers-Schönberg 634, 635,
1265.
Albertoni u. Rossi 364.
Albu 1323.
Alexander 626.
Allan 975.
Allard 1382.
Allina 1277.
Allison 581.
Almquist 1379.
Alt 1225.
Altana 771.
Altvater 1195.
Amato 1255.
Amberg 95.
Anton u. Bramann 89.
Antze 1176.
Apostoleanu 990.
Apostolides 133.
Apostolides jr. 1274.
Armstrong 1388.
Arnone 745.
Arnsperger 1036, 1063.
Aronson 1116.
Aron ade 756, 1186.
Mc Arthur 660.
Ascher 59, 160, 236, 312,
379, 491, 612, 830, 1055.
Aufrecht 29.
Avellis 1344.
Axhausen 369,
Ayers 215.
B.
Bab 320.
Babinski 1271.
Bachem 1349.
Bachmann 779, 1386.
Bade 1302.
Baduel 283.
Baelz 444.
Baginsky 83, 1066.
Balet 1188.
Bandelier u. Röpke 1279.
Barai 624.
Barbier u. Laroche 125.
Bardach 1232.
Bardachzi 727.
Bardet 587.
Barlach 1032.
Baron 1003.
Bartel u. Neumann 1177.
Bartel u. Stein 168.
Barth 513, 858, 1143.
Bartsch 746.
Bast 74.
Battaglia 280.
Bauermeister 126.
Baum 1312.
Baumgarten 218.
Bayerthal 1298.
Bazy u. Dechamps 359.
Beaucamp 45.
Becher 246.
Beck 974, 1141.
Beck u. Dohan 1275.
Becker 31, 751, 1263.
Belila 303.
Behring 472.
Beintker 577.
Beleien 1001.
Beifadel 1193.
Bell 662, 1148.
Benassi 591.
Bence 736.
Bendig 849.
Bendix 623.
Bennet 691.
Bensaude u. Agasse-Lafont
1387.
Bergeil 625.
Berger 121, 540.
Bering 749.
Berkholz 622.
Berliner 395.
Bermbach 1137.
Bernhardt u. Jondek 1187.
Bernheim 177, 1221.
Bernheim u. Barbier 163.
Bernstein 413, 1386.
Bertarelli 693.
Bertarelli u. Cecchetto 926,
1190. .
Berti 975.
Best 1189.
Betegh, v. 352, 1029.
Beuttner 35.
Bey 1348.
Bieganski 523.
Bielschowsky 897, 933.
Bier 581, 1078.
Biernbaum 291.
Biffi 91.
Billon 1298.
Bing 295.
Birch-Hirschfeld 337.
Bircher 179.
Bircher-Benner 1002.
Birnbaum u. Thalheim 547.
Biro 800.
Biron 576.
Blaeher 33.
Blattner 81.
Blech er 697.
Block 853.
Blum 397, 646, 660, 747.
Blumen au 1030.
Blumenfeld 510.
Blumenthal 465.
Blunschy 204.
Boas 1191, 1226.
Bock 131.
Boellke 629.
Boesch 322.
Boesser 894, 1084, 1088.
Boicher 1140.
Boland 92.
Bollinger 447.
Bonain 218, 1141.
Bondi 702, 856.
Bonnier 885.
Bonis u. Pietroforte 437.
Boral 694.
Borcliard 168.
Borgbjärg 280.
Bornemann 747.
Borodenko 1226.
Bosellini 133.
Bourack 1115.
Boureille 41.
Bourgade la Dardye 251.
Bourget 1258.
Bourguet 964.
Bourneville, Eichet, Saint-
Girons 74.
Bousquet u. Roger 331.
Brandenburg 244, 1026,
1027, 1061, 1166.
Brass 638.
Brenner 1227.
Bresler 548.
Brieger u. Krebs 190.
Brieger-Wasservogel 255.
Brill, Mandelbaum und
Libman 1352.
Brindel 1344.
Brissaud u. Bauer 923.
Brodmann 968.
Broeckaert 1138.
Brothers 1391.
Bruck 773, 969.
Bruck u. Cohn 1107.
Bruck u. Gessner 1136.
Brun 741.
Brunk 285.
Brunon 476.
Brügelmann 479.
Brückner 278.
Bucceri 1182.
Buchmann 128.
Burckhardt 305.
Busch u. Bibergeil 1035.
Buschke 973.
Busse 846, 886, 1107.
Buttersack 860.
Büdinger 1262.
C.
Caan 1379.
Cabot 782.
Cagnetto 124.
Calcar, v. 558.
Calmette u. Guerin 695.
Cannon 1145.
Cano 848.
Canon 286, 801.
Cantonnet 132.
Carapelle 847.
Carapelle u. Gueli 844.
• Carles 1068.
Carnot 736.
Carnot u. Deflandre 504.
Caro u. Werner 1065.
Carraro 330.
Cartaz 513.
Casper 282, 300.
Cassanello 1110.
Cassel u. Kamnitzer 625.
Cassirer 553.
Cathelin 1138.
Cernovodeanu u. Negre
1347.
Chace 782.
Chamerey 36.
Chantemesse 468.
Charas 96.
Chatterjee 768.
Chauffard 1065.
Chauffard u. Troissier 991.
Chauvet 970.
Autorenregister.
I Cianni 37.
Cicarelli 1080.
Citron 993, 507.
Clarke 1228, 1353.
Claudio 846.
Claude u. Gougerot 166.
Clemens 920, 921.
Clement 923.
Cnopf 1341.
Cohen 249.
Cohn 701. 1358.
Cohnheim 189.
Colemann 1351.
Comby 591.
Connell 1228.
Conto 124.
Cornet 40.
Courmelles, de 1196.
Courttade 1342.
Cramer 997.
Crämer 526.
Criegern, von 2, 1373.
Crile 1145.
Cristina, de 1069.
Crombie 211, 355.
Cumston 781.
Curran 324.
Cybulski 1385.
Czaplewski 480.
Czyzewicz 702.
D.
Dalmady, v. 404.
Damanski u. Wilenko 695.
Dammann 138.
Dämmert 283.
Dannemann 637.
Davids 1189.
Davidsohn 696, 973.
Davis u. Oatman 781.
Debierre 1269.
Dechert 84.
Dedin 974.
Deflandre 853.
Deichert 636.
Deiss 890.
Delamare 207.
Dessauer 42, 135, 442, 1276.
Dessauer u. Wiesner 255.
Determann 334, 1118.
Deutsch 750.
Devaux 441.
Diamantberger 852.
Dienst 1338.
Diesing 252, 503.
Dieterlen 770, 1177.
Dietler 515.
Dietlen u. Moritz 658.
Dieudonne 1335.
Doflein 591.
Dominici 748.
Dorn 1310.
Domner 1347.
Döderlein 812.
XXIX
Dornberger u. Grassmann
256.
Dörr u. Lungwitz 368.
Dreesmann 76.
Dudtschenko-Kolbassenko
134.
Duncan 289, 408, 993.
Durlacher 506.
Dührssen 855.
E.
Ebstein 1082.
Eckermann 692, 798.
Eckert 1342.
Eckstein 1139.
Ehrendorfer 700.
Ehret 957.
Ehrlich 994.
Ehrmann u. Fuld 673, 715,
760, 834, 910, 948, 985,
1022.
Eichberg 1299.
Eichhorst 662.
Einhorn 282.
Eisendraht 398.
Eisenmenger 633.
Eising 1030.
Ellenbeck 81.
Ellis 1120.
Elschnig 344, 345, 880.
Emmert 330.
am Ende 1214.
Enderlen 78.
Engel 1197.
Engelen 628.
Engelmann 34, 727, 960,
963.
Enslin 199.
Eppinger 733.
Erb 1300.
Erben 296.
Esau 357.
Esmein u. Parvu 804.
Esch 25, 541, S02, 953.
Escherich 774.
Eschle 638, 865, 902, 936,
982, 1002, 1086, 1009.
Eulenburg 587, 1227.
Ewald 171.
F.
Faber u. Lange 1065.
Fabian u. Knopf 1224.
Falk 408.
Falkenstein 75.
Falta 1146.
Faulhaber 135.
Faulhaber u. Friedei 443.
Fehrs u. Sachs-Müke 848.
Felix 736.
Fellner 543, 728, 880.
Fenoux 244.
Ferenczi 964.
Fermi 180, 770, 771, 1029.
XXX
Fette 879.
Fiessler 544.
Fiessler, Iwase u. Döder-
lein 1806.
Fink 354.
Finkeistein 46.
Fisch 444.
Fischer 286, 434, 506, 565.
Fischl 705.
Fitch Cheney 1146.
Fleck 812.
Fleischmann 1271.
Fleischmann und Wjas-
mensky 1277.
Flesch 1080.
Fleury 128.
Floer 1310.
Flörken 399.
Focke 628, 1195.
Foges 1260.
Fontes 999.
Forcart 332.
Forssner 960.
Frank 692, 1336, 1337.
Franke 1033, 1066.
Franz 171.
Frankel 83, 208, 772, 1081,
1301.
Fraenkel u. Schwarz 441.
Frenkel 1033.
Freund 1037.
Fricker 1067.
Friedjung 1306.
Friedländer 1309.
Friedmann 663.
Friedrich 365.
Fries 1225.
Frisch, v. 698.
Fritsch 317, 1219.
Fromme 1340.
Frugoni 553.
Fuä u. Koch 1113.
Fuchs 348, 1082.
Fuerstenberg 973.
G.
Gabrilowitch 351.
Gaehtgens 1216.
Galatti 1306.
Galewsky 433, 551.
Gallois 621.
Ganassini 466.
Gans 320.
Ganz 1348.
Garbat 1353.
Garei 211.
Garkisch 278.
Gasis 999.
Gaucher 471, 572.
Gaupp 1230.
Gausmann 1258.
Gebhardt 163.
Geigel 302.
Geisse 769.
Geissler 214.
Autorenregister.
Gemmel 1227.
Gerard u. Lemoine 1028.
Gerber 627.
Gerson 250.
Gewin 924.
Geyer 472.
Ghon u. Sachs 319.
Gilbert 772.
Güfillan 1388.
Gillette 990.
Girardi 333.
Giuseppe 848.
Glaser 365.
Gluzinski 662.
Gmelin 1199.
Gobiet 323.
Gockel 447.
Goebel 741.
Goldflam 1076.
Goldmann 1126.
Gönnet u. Froment 319.
Gontermann 1079.
Gordon 1257.
Gotlieb 1385.
Gottlieb 441.
Gottlieb u. v. d. Eeckhout
589.
Gougerot 1067.
Gölt 1186.
Götzl u. Kienböck 357.
de Graaff 1063.
Graeter 966.
Grashey 1150.
Grawitz 1257.
Gräfenberg 546, 805.
Greeff 225, 1180.
Gregg 576.
Gribinouk 250.
Grödel 406, 1120.
Gross 164, 1175.
Grossich 403.
Grösz 891.
Gruber 1357.
Grünbaum 598.
Grünspan 479.
Grünwald 1308.
Guelpa 363.
Guinard 695.
Guisez u. Barcat 1196.
Gupot 209.
Guttmann 218, 1359.
Gynla u. Benczus 769.
H.
Haeberlin 30.
Hagner 335.
Haig 631.
Hajek 217, 971.
Halben 965.
Hall 779, 1228.
Hallopeau u. Kollier 252
329.
Hamburger 693.
Hammerschlag 504.
Hancken 145.
Hannes 732.
Harmer 726.
Harnack 329.
Hartenberg 88.
Hartmann 438.
Hartwell 619.
Hasse 1186.
Haymann 588.
Hays 1344.
Head 1270.
Hecht 282, 464, 806.
Hecht, Lateiner u.Wilenko
1113.
Hecker 288, 1112.
Heckmann 699.
Hedinger 74.
Heermann 956.
Hehler 586.
Hegar 544.
Heilbronner 358, 967.
Heilner 1000.
Heim 1109.
Heimann 926.
Hellendall 80.
Hellesen 1112.
Henderson 781.
Henggeier 992.
Henkel 546.
Hennig 251, 1179.
Henri u. Strodel 750.
Herff, v. 729, 1184.
Herhold 129.
Hering 125, 496.
Herrick u. Janewav 1381.
Herschell 559, 1224.
Hertwig 809.
Herz 125, 328, 353, 366,
659, 660, 749, 750, 733,
1150.
Herzfeld 1109, 1350.
Herzl 325.
Hess 407.
Hess u. Saxl 505.
Heuß, v. 526.
Hewlett 1351.
Heynemann 1339.
Higuchi 1183.
Hildebrand 579, 697.
Hilgenreiner 386.
Himmelheber 437.
Hinterstoisser 741.
Hirsch 183, 250, 485, 534,
570.
Hirtz 585.
Hochhaus 357, 967.
Hoeflmayr 1277.
Höhne 433, 954, 1027, 1 108.
Hoehne 1220.
Hoesslin, v. 552.
Hofbauer 246, 396.
Hoffmann 691, 732, 1216.
Hornberger 93.
Houde 328.
Hopmann 216, 217.
Horinchi 1029.
Autorenregister.
XXXI
Hovorka, v. u. Kronfeld
45, 304.
Hönck 282, 1237, 1320.
Hörmann 547.
Huchard 72.
Hueter 854.
Huftleber 556.
Huguenico 351.
Hummel 373.
Hurd u. Wright 1343.
Hutchins 852.
Hutinel 210, 436, 1185.
Hübner 929, 1273.
Hübscher 401.
Hüffell 1064.
Hüne 1137.
S.
Igersheimer 590.
Imkofer 240.
Immelmann 633.
Ito und Soyesima 579.
Iwanoff 511.
J.
Jacob 475.
Jacobsthal 402.
Jacoby 248, 586.
Jackson 1354.
Jacquet und Jourdanet
1188.
Jahn u. Volhard 884.
Jaeger 995, 1062.
Jagic 134.
Janeway 628, 778.
Jankau 1003, 1082, 1083,
1280.
Janovsky 355.
Jaques 511.
Jaschke 556, 734, 1267.
Jennings 996.
Jere witsch 351.
Jessner 704, 806.
Joachim 590, 1345.
Jolles 356.
Jonas 127, 400.
Jonescu u. Loewi 442.
Joseph 287.
Josset-Moure 740.
Jourdin 513.
Jovane u. Pace 891.
Judd 781.
Juge 744.
Jullien 777.
Jüngling 473.
Junkel 84.
K.
Kabisch 376.
Kaestle 183.
Kahane 518.
Kamprath 564.
Kanitz 164.
Käppis 349.
Käthe 1335.
Kaufmann 957, 1268.
Kayser 439, 771.
Keating-Hart 994.
Kehrer 37, 438, 860, 888.
Keller 1111.
Kemp 848.
Ivempf 1302.
Keppler, Morgan u. Kupp
1307.
Kern 782.
Khautz, y. 1035.
Kienböck 445.
Kiliani 995.
Kinghorn u. Twichell 780.
Kirchbauer, v. 746.
Kirchberg 253, 634.
Kisch 659.
Klauber 76.
Kleinertz 746.
Kleinhans 767.
Klemperer 354, 434, 575.
Klieneberger 293.
Klimenko 32, 555.
Klose 593.
Kluger 807.
Knauer 1345.
Knoblauch 87.
Knopf 245.
Kobrak 293.
Koch 165, 629, 1081.
Koch u. Schultz 974.
Kocher 1034.
Kockerbeck 925.
Koehn 1272.
Kohn 1229.
Kolisch 474, 1117.
Kollarits 1385.
Konrich 1380.
Korach 255.
Koränyi, v. 1227.
Kornfeld 169.
Kortüm 212.
' Koschier 555.
Kottmann 204.
Kowalewski 142.
Köhler 163.
Köhler u. Lenzmann 884.
Köhler, Frey, Sokolowski
u. Dembinski 162.
Köppl 842.
Körner 976.
Köster 49, 549, 1119, 1153.
Kraemer 1138.
Kraepelin 1078.
Kramer 1117.
Krause 780.
Kraus 703.
Kraus u. Doerr 208.
Kraus u. Groß 279.
Kraus u. Levaditi 975.
Kraus u. Schwoner 353.
Krautschneider 854.
Krämer 354.
Kredel 892.
I Kretowski 161.
Kretz 272.
Kris che 1381.
Kritz 1112.
Kronenberg 627.
Kroner 435.
Krönig 28, 242, 322, 731.
Krönig u. Pankow 889.
Ivrüche 222.
Krummacher 1267.
Kubo 856.
Kucera 1387.
Kuhn 883.
Kuliga 856.
Kuscliew 1259.
Kühn 1198.
Kümmel 1312.
Küstner 886, 887.
j Küttner 282.
i
i
L.
Labbe und Furet 467.
Labhardt 887.
Läfav 565.
•/
Laignel-Lavastine 921, 922.
Lambert 1146.
Lambkin 630.
Lampe 469.
Lancereaux 663.
Lancry u. Guerillon 1311.
Lange mak 411.
Langhlin 808.
Laquer 1278.
Laquerriere 328.
Lasirifa 1083»
Laumonier 849.
Laurens 972.
Lauscliner 968.
Lavenson 1147.
Läwen 576.
Leavitt 781.
Leers 524.
Lehmann 744, 1217.
Lehnerdt 285.
Leidler 297.
Leisewitz 1219.
Lenärt, v. 1343.
Lennhoff 33, 861.
Lenz 78.
Lenzmann 139, 660.
Leo 109, 269, 278,314, 424,
651, 722, 874, 917, 1098,
1329, 1370.
Leonard 780.
Leoppld 247, 857.
Lepine 751.
Lerda 799.
Lereboullet 1178.
Lereboullet u. Marcorelles
557.
Leroy 1348.
Lesenger 808.
Lesk 399.
Lesser 207.
Lester 800.
XXXII
Autorenregister.
Leube, v., 1259.
Leuwer 182.
Levai-Dunaföldvär 1269.
Leven und Barret 136.
Levi 529.
Levy 1349.
Levy, Ohm., 1263.
Lewin 585.
Lewis 580, 1182.
Lexer 400.
Lichtenstein 700.
Lichtwitz 641, 686.
Liebe 365.
Liebers 977.
Lieblein 277.
Liefmann 953.
i Liepmann 247, 886.
Lilienfeld 387.
Lilienstein 150, 195.
Link 1300.
Linke 190.
Linn 445.
Lion 1391.
Lipowski 363, 1041, 1093,
1121.
Lipschütz 1215.
Lissmann 624.
Littaur 1224.
Ljaschenko 1184, 1268.
Loeb 140.
Loele 1215.
Lommel 956.
Loeper 734.
Lorand 793,826,1230,1367.
Löhlein 97.
Lövegren 1192.
Loewenfeld 639.
Löwenthal 207.
Löwy 509.
Lützow 466.
US.
Maas 1144.
Mac Carty 1352.
Mache u. v. Schweidler 862.
Macleod 1196.
Mader 972.
Magnus-Levy 43, 1064.
Mainzer 119.
Malherbe 585.
Mallwitz 1280.
Maragliano u. Romanelli
1256.
Marcuse 95.
Märer 206, 514.
Marfan u. Oppert 9tfl.
Marie 249.
Marie u. Martial 1036.
Markuse 445.
Martin 46, 812.
Marx 770:
Massei 618.
Massini 442.
Masson 137.
Matthes u. Hochhaus 392.
Maute 969.
Maurel 1001.
Mautner 802.
May 1381.
Mayer 213, 509, 556, 1117.
Meisel-Hess 1357.
Meißl 508, 590, 1073.
Meißner 301.
Meitzer 466, 753.
Menard 168.
Mendel 632.
Mendelsohn 1017.
Menzer 1169, 1207, 1246.
Mery, Dufeste u. Armand-
Delille 435.
Mery u. Szczawinska 925.
Mery, Weill- Halle und
Parturier 990.
Meunier 863.
Meyer 27, 387, 388, 616,
782, 803.
Meyer u. Cook 780.
Michaelis 738.
Michel 618.
Michlin 1108.
Mieczyslaw 1302.
Mießner 846.
Mignot 922.
Milian 577, 1271.
Miller 845.
Mink 215.
Minkowski 333.
Mirabeau 172.
Moeller 882, 1276.
Momburg 129.
Monod 436.
Montefusoc 251.
de Montet 284.
Montenbruck 1260.
Moraczewski 126.
Moreschi 847.
Morgan 862.
Morichau-Beauchant 41.
Morris 287.
Moses 326.
Moure u. Frankel 170.
Mouret 512.
Möbius 303.
Mönch 580.
Mraöek 43.
Much 84.
Mumford 86.
Munk 505.
Munro 1148.
Muthmann 94.
Mühlens 437.
Mülens,Dalim u. Fürst 164.
Müller 222, 245, 476, 551,
628, 744, 851, 1276.
Münzer 201, 202.
Myers u. Fischer 180.
N.
Nacke 959.
Xadig 1267.
Naegeli-Akerblom und
Yernieur 1273.
Xagelschmidt 1274.
Nager 181.
Nakahara 129.
Nassauer 1360.
Nathan 1352.
Nägeli 1307.
Nebeski 858.
Nehrkorn 618, 1089.
Nerking 1119, 1226.
Nerking u. Schürmann 71.
Netto 1385.
Neu 1110, 1218.
Neumann 245.
Neusser u. Latzei 167.
Newcomb 512.
Nielsen 1191.
Niemann 766.
Niessl-Mayendorf, v. 1106.
Nocht 992.
Noesske 161.
Nohl 1109.
Nolda 1198.
Noorden, v., 475.
Nothmann 626.
Notthaft, v., 1083.
Nourney 1313.
Noury u. Haitur 30.
Novotny 1260.
Nuernberg 296.
Nußbaum 1037.
O.
Obregia 76.
Ochsner 1336.
Oerum 589.
Offergeld 323, 446,727,1264.
Ogden 35.
Olmer u. Monges 991.
Olschanetzki 1193.
Oltuszewski 216.
Opitz 1075.
Oro 328.
Ortloph 774.
Ortner 658.
Osterloh 193, 824.
P.
Painter 1230.
Panichi 1030.
Pannwitz 696.
Pariser 284.
Parsons 1183.
Patterson 1228.
Pautrier 745.
Pawinski 1300.
Payer 996.
Peiser 128,447, 1111, 1273.
Pellissieru. Schaibele 1070.
Pels-Leusden 402.
Penzoldt 703.
Perl 250.
Perthes 397.
Peters 229.
Petri 737.
Peukert 1187.
Peyer 506.
Pfahler 1146.
Pfannenstiel 545, 1071.
Pfeifer u. Friedberger 845.
Pfeiffer 24, 572.
Pfeilsticker 174.
Pick u. Proskauer 209.
Picque 79.
Pietri n. Maupetit 583.
Pilez 965.
Pinard 175.
Pincherle 396.
Pinner 247.
Piorkowski 1276.
Pirkner 473.
Plagemann 128.
Plate 166, 396, 633.
Plehn 1030.
Pocrier 590.
Podwyssozki 1000.
Po llak 1350.
Pollatscliek u. Nador 1037.
Port 1220.
Porter 621, 1391.
Portner 1114.
Pottenger 1228.
Pouchet 251.
Power 564.
Pöplitz 45.
Preisweck 96.
Preysing 169.
Pribram 1105.
Pricolo 1256.
Prochownick 1182.
Propping, 738.
Pudor 1001.
Pust 615.
Q.
Queyrat 215, 1223.
Queyrat u. Pinard 1345.
R.
Radice 1310.
Raecke 360.
Ramsey 31.
Raskin 434.
Raubitschek u. Russ 1349.
Ravenna 162.
Raviart, Breton, Petit,
Gay et u. Cannac 122.
Regenspurger 214.
Rehling u. Weil 620.
Reifferscheid 1111.
Reinhardt 446.
Renner 85, 358.
Renon, Delille, Monier-
Vinard 467.
Renon u. Delille 848.
Renon u. Moncany 396,
881.
Repetto 437.
Autorenregister.
Repin 515.
Retzlaff 480, 623.
Reuter 21, 63, 116, 872.
Revel 170.
Reymond 801.
Rheinboldt 1213, 1347.
Rheiner 82, 1062, 1281,
1324.
Ricard 750.
Richet 1298.
Richon 1144.
Richter 880, 1179, 1264,
1276.
Riedel 77.
Riedl 997.
Rieländer u. Meyer 729.
Riemann 288.
Rigler 15S.
Risel 785.
Rißmann 1109.
Ritter 129, 864.
Robin 885.
Roemheld 893.
Rohde 926.
Rolleston 82, 211.
Romberg 38, 477, 659.
Rose 165.
Rosenbach 966.
Rosenfeld 294.
Rosenheim 1070.
Rosenkranz 742.
Rosenthal 514, 858, 972,
1311.
Rossi, de 182, 564.
Rosner 364.
Roux 509.
Röder 776.
Rössle 124.
Ruata 508.
Rubens 34.
Rubesch 432.
Rubner 1354.
'Rubritius 737.
Ruck, v. 780, 1147.
Rudinger 1066.
Ruediger 890.
Rüge 162.
Rumpf 406, 586.
Runck 452.
Runge 962.
Rupp 1190.
Ruppanner 578.
Rühl 307.
Rühle 1188.
S.
Saar 327.
Sabatowski, v. 466.
Sacerdotti 279.
Sachs 1181.
Sacquepee u. Clievrel 1031.
Sadger 142, 404, 406, 516.
Saenger 395.
Sahli 630.
Saint-Paul 1271.
Salaghi 78.
XXXIII
Salge 802.
Salkowski 747.
Salomon 364.
Salomon u. Almagia 394.
Salus 540.
Salzwedel 592.
Sargnon 510.
Sarason 1358.
Sarrazin 661.
Satta u. Lattes 465.
Säte u. Nambu 467.
Sattler 927.
Sauerbeck 1357.
Saul 505.
Savagnone 504.
Savini 892.
Scudder 1229.
Seefelder 481.
Seelig 251.
Seidel 331.
Seifert 255, 514.
Seitz 729, 879, 1305.
Selig 654.
Seilheim 703, 730.
Senkerg 893.
Sewall 779.
Shaw 572.
Shiota 692.
Sieber 352, 439, 1110.
Siebert 443, 862.
Siegel 168.
Siegert 362.
Siel er 1390.
Sigwart 321, 1216.
Sigwartz 887.
Silbermann, 843.
Silberstein 508, 745.
Silvestri u. Zanf rognini 544.
Simmonds 1141.
Simon 357,
Simpson 1116.
Singer 333.
Sittler 817,923, 1233, 1291.
Skulsky 1278.
Smith 1278.
Smit 696.
Sochaczewski 997.
Solllern, v. 958.
Sokolowsky 188.
Sommer 368, 1280.
Sorel 394.
Spaeth 1265.
Spiethoff 32.
Spitzer 471.
Springer 501, 1261.
Sugai 1137.
Sulima 1256.
Suter 171.
Sutton 781, 1227.
Szadowski 733.
Szinnyei 1222.
Sch.
Scliabad 1185, 1268.
Schacht 368.
Schaffer 501.
3
XXXIV
Schanz 056.
Schanz u. Stockhausen 499.
Scharfe 1046.
Schauenstein 547.
Schäfer 1262.
Schaffer 849.
Scheib 71, 959.
Scheibe 584.
Scheidemandel 325.
Schellack 772.
Schellenberg 136.
Schenker 693.
Sclieurer 730.
Schieffer 29.
Schilling 559, 1311.
Schindler 960.
Schläfli 321.
Schlegel 524.
Schleich 407, 663, 806.
Schleißner 616, 1113.
Schlesinger 334, 1197.
Schloßmann 209.
Schlüter 324.
Schmidt 279, 281, 327, 515.
Schmiergeld 967.
Schminck u. Schädel 777.
Schnee 750.
Schneider 480, 1135.
Schneider und Vandeuvre
243.
Schnütgen 334.
Schoemaker 620.
Schottin 892.
Schoull 552.
Schönberg 73.
Schönheim 736.
Schönholzer 989.
Schreiber u. Rigler 784.
Sehr ö der u .K auf m an n 1 1 5 1 .
Schultze 93, 446, 468, 624.
Schulze 1244.
Schüle 737.
Schümann 843.
Schürmann 433, 690. 844,
1361.
Schütz 1176, 1341.
Schütze 84.
Schwab 243.
Schwalbach 398.
Schwalbe 92, 304, 813, 1036.
Schwarz 81, 747.
Scliweder 36.
St.
Staal 846.
Starck, v. 890.
Stark 1193.
Stähelin 166.
Stäubli 924.
Stegmann 417, 449.
Stein 176.
Steinach 811.
Steiner 217.
Steinhardt 7.
Steinhaus 447.
Autorenregister.
Stekel 44.
Stelzner 618.
Stephan 1231.
Stephens 206.
Stepp 1333.
Stern 353, 359, 965, 1221.
Sternberg 864, 1050.
Steudel 143.
Steyerthal 93.
Stickdorn 1000.
Sticker 142.
Stierlin 742.
Stille 206.
Stillmann u. Carey 779.
Stockes 1148.
Stoeckel 93, 172, 620.
Stowe 746.
Stöltzner 925.
Strasser 516, 854, 1390.
Strauch 807.
Stroth 1275.
Strouse 1228.
Strub eil 346.
Struycken 182.
Stuart 1353.
Stühmer 714.
T.
Talley 248.
Techoueyres, de 768.
Tedeschi 1178.
Teilhaber 813, 1382.
Teissier 75.
Terray, v., 1180.
Tetzner 1384.
Theodor 889, 891, 991.
Thibiergeu. Gastinel 1178.
Thiemicli 1157, 1201.
Thies 1072.
Thomas 779.
Thompson u. Marchildson
845.
Thoms 1310.
Thon 288.
Thost 69.
Tietze 556.
Tobias 184.
Tornai 407.
Toubet u. Saltet 1145.
Toyosumi 1137.
Tranjen 704.
Trautmann 32.
Tretröp 584.
Tribondeau 1346.
Tscherning u. Lauritzen
170.
Tschernow 625.
Tschernogubow 1274.
Turban u. Baer 694.
Turrö u. Suner 1380.
U.
Uffenheimer 554.
Ullom 1229.
Umber 120.
Unna 298.
Ury 300.
Uskoff 354.
V.
Vandaele 577.
Vaquez u. Esmein 852.
Varaldo 963.
Variot u. Lassabliere 1076.
de Vecchi 164.
Veckenstedt 143.
Veit 221, 862, 1143.
Velden, von den 184.
Velhagen 257.
Venus 995.
Verderame u. Weekers 130.
Verth 1140.
Verworn 295.
Villaret u. Paalzow 1003
Vincenzi 999.
Virchow u. Mendelssohn
210.
Vogt 241, 275, 290.
A^oisin 589.
Vollmar 1080.
Azoisch 239.
de Vries Reilingli 1081.
Vulpius 1303.
W.
Wahl 699.
AVallbaum 551.
Waller 1146.
AValliscli 361.
AValko 385.
Walter 553.
Wandel 735.
AAassermeyer 178, 423.
Watrarzewsky 804.
Watson 1147.
Walthard 322.
Weber 175, 502, 733, 778.
AVechsler 133.
Wechselmann u. Michaelis
1341.
Wederhake 582.
AVeichardt 302, 847, 1304.
AVeigl 188.
AVeil 31, 998.
Weile u. Braun 505.
Weinbrenner 1134.
AVeindler 173.
AVeiß-Eder 393.
AVeiß 395, 861.
AVeißmann 104, 154, 605,
AVeißwange 580.
Weitz 29.
Wendriner 368.
Wrerner 1196.
AVest 1342.
Westheimer 894.
AA7etterer 46.
Wettstein 739.
Weygand 557.
Whinna 782.
White 858.
Wiehern 27.
Wichmann 299.
Widal 1118.
Widiner 697.
Wildenberg, van den 1114.
Williams 1081, 1147.
Williamson 773.
Wilms 77, 1181.
Winter 1193.
Winternitz 478, 955.
Winterstein 926.
Wirtz 889.
Wohl will 341, 357, 504,
000, 942, 1251, 1294.
Wojatschok 582.
Wolff 510, 967.
Alltorenregister.
Woltf-Eißner 208, 1197.
Wolfram 1103.
Wolter 395.
Wolters 39, 1309.
Worster 1351.
Wosinski 178.
Wossidlo 79.
Wright 770.
Wrnblewski 771.
Würth von Würthenan
1199.
X.
Xylander 772.
Y.
Yamamoto 352.
Z.
Zadro 1337.
Zak 356.
Zander 1306.
Zangemeister 122,347, 366,
440, 958, 1142, 1266.
Zeißl, v. 212.
Zesas 1286.
Zeuner 489, 999.
Ziegler 1197.
Ziehen 141.
Zinsser 183.
Zoeppwitz 1034.
Zollikofer u. Werner 212.
Zucker 555.
Zuntz 561.
Zurhelle 440.
Zweifel 859.
Zweig 739.
Zypkin 1068.
Druck von Emil Herrmann senior in Leipzig.
27. Jahrgang.
1909.
fomcbrittc der Medizin.
Unter Mitwirkung hervorragender Fachmänner
herausgegeben von
Professor Dr. 0. Köster Prio.-Doz. Dr. o. Criegern
in Leipzig. in Leipzig.
Schriftleitung: Dr. Rigler in Leipzig.
Nr. 1.
Erscheint am 10., 20., 30. jeden Monats. Preis halbjährlich
6 Mark, in kl. Zeitschrift für Yersicherungsmedizin 8 Mark.
Verlag von Georg Thieme, Leipzig.
10. Jan.
An unsere Leser!
Hierdurch gestatten wir uns die ergebene Mitteilung zu machen,
daß die „Fortschritte der Medizin“ und ihr bisheriges Beiheft die
„Zeitschrift für Versicherungsmedizin“ in den Besitz der Verlags¬
buchhandlung von Georg Thieme in Leipzig übergegangen sind.
Auch weiterhin wollen wir dem zu Beginn des vorigen Jahr¬
ganges aufgestellten Programm treu bleiben und uns mit Original¬
artikeln sowohl wie Referaten in erster Linie an den in allgemeiner
Praxis tätigen Arzt wenden, und ihm die wichtigsten Errungenschaften
der rastlos vorwärtsschreitenden Wissenschaft mit möglichster Schnellig¬
keit zugänglich machen.
Dieses Programm wird durchgeführt werden in besonderer An¬
lehnung an die Universitäten Halle, Jena und Leipzig, und wir hoffen
auf diese Weise besonders in Mitteldeutschland unter den praktischen
•• %
Ärzten noch recht viele neue Freunde und Leser zu finden.
Die „Zeitschrift für Versicherungsmedizin“ wird von jetzt an als
selbständiges Blatt monatlich erscheinen.
Die Abonnementspreise sind wie folgt festgesetzt: „Fortschritte der
Medizin“ jährlich 36 Nummern (je 2 — 3 Bogen stark) 6 Mk. pro Semester.
„Zeitschrift für Versicherungsmedizin“ 12 Nummern 8 Mk. p. a. Beide
Zeitschriften zusammen im jährlichen Abonnement 16 Mk.
Leipzig, 1. Januar 1909.
Verlag und Redaktion der „Fortschritte der Medizin“
und der „Zeitschrift für Versicherungsmedizin“.
2
Originalarbeiten und Sammelberichte.
Originalarbeiten und Sammelberichte.
Zur Behandlung der Spätkontrakturen der Hemiplegiker.
Von Privatdozent Dr. yoh Criegern.
(Aus der Privatpoliklinik des Verfassers.)
Die Behandlung stark ausgesprochener Spätkontrakturen1-) von
Hemiplegikern ist in der Regel recht undankbar, besonders, wenn ältere
Leute befallen sind. Diese allgemeine Erfahrung der Praxis spiegelt
sich in den Lehr- und Handbüchern wieder, wovon ich nur das' v on Mo¬
nakows herausgreifen möchte, welcher diese Zustände einer Besserung
nicht für fähig erklärt; andere urteilen ebenso. Diesem Pessimismus
gegenüber möchte ich wiederholt auf eine Methode hinweisen, die sich
mir als recht nützlich erwiesen hat und fortdauernd erweist, und dabei
den Vorzug großer Billigkeit und leichtester Anwendbarkeit besitzt.
Wohlverstanden: der Nutzen bezieht sich nur auf die Kontrakturen,
nicht etwa auf den zerebralen Erkrankungsprozeß.
Es handelt sich um die Ausgestaltung der alten Brissaud’sehen
Beobachtung, daß nach Anlegen der von Eßmarch’schen Binde um
eine hemiplegisch gelähmte Extremität sich die aktiven Kontrakturen
vollständig lösen, zu einer therapeutischen Methode. Es ist im Zeit¬
alter der Behandlung durch Hyperämie ganz interessant, auch einmal
einen Nutzen von ihrem Gegenteile, der Behandlung durch Blutleere,
zu sehen. Indessen hat mich nicht diese Lesefrucht zu einer solchen
Therapie veranlaßt, sondern eine physiologische Beobachtung, die
deshalb hier Platz finden möge.
Wenn ein Ungeübter eine mehrstündige sportliche Muskelarbeit
leistet, nehmen wir als Beispiel eine Ruder part io, besonders bei kühlem,
windigem Wetter, so zeigt die eintretende Ermüdung einen typischen
Ablauf. Es stellt sich sehr bald eine Ermüdung ein, die aber1 noch nicht
die Erschöpfung der vorhandenen Kräfte bedeutet. Denn mit der nöti¬
gen Energie kann sie, wenn auch oft erst nach stundenlanger Weiter¬
arbeit, überwunden werden, und bei zunehmender Übung tritt sie immer
seltener und kürzer auf, um schließlich ganz fortzubleiben. Gefolgt
wird sie von einer Periode erleichterter Anstrengungsfähigkeit, welche
schließlich die definitive Ermüdung, nach Auf brauch der vorhandenen
Kräfte, ablöst. Am nächsten Tage besteht sehr häufig noch ein schmerz¬
haftes Ermüdungsgefühl, welches ebenso wie das zuerst aufgetretene
erneuter Beanspruchung weicht und mit weiterer Übung wegfällt. Hier
interessiert die zuerst auftretende Ermüdungserscheinung, weil sie durch
Übung überwunden werden kann, und deshalb offenbar von unzweck¬
mäßiger Innervation abhängig ist. Im einzelnen finden sich zunächst
sensible Erscheinungen: eine lähmungisartige Empfindung von Schwer -
beweglichkeit, deren Überwindung einen immer größeren Anstrengungs¬
impuls erfordert, und bald recht schmerzhaft wird. Die Funktion ist
1J Die Frühkontrakturen stellen sich bald oder sofort nach der Apoplexie
ein, sie sind inkonstant und verschwinden oft so rasch, als sie gekommen sind.
Die Spätkontrakturen schleichen sich nach 2 bis 4 Wochen ein, sie sind konstant
und meist progressiv; man unterscheidet aktive und passive. Die aktiven werden
durch Muskelspannung erzeugt, hängen also von der Ausbildung der Spasmen ab,
die passiven entstehen durch die sekundäre Muskelschrumpfung, also infolge
nutritiver Störungen. Im obigen Texte handelt es sich in erster Linie um aktive
Spätkontrakturen, erst in zweiter um passive.
Origmalarbeiten und Sammelberichte. 3
sehr herabgesetzt : trotz der starken Anstrengung fallen die Leistungen
immer schwächlicher aus; daneben beistehen Heizers cheinungen, mehr
oder minder heftiges Zittern, und die Muskeln, fühlen sich sehr derb
und starr an : meist läßt sich beim Beklopfen die gesteigerte motorische
Erregbarkeit unmittelbar nach weisen. Nach dem Trivialausdruck ist
„Krampf“ eingetreten2) ; doch handelt es sich keineswegs um tonische
Kontraktion, die Muskeln leisten einer passiven Bewegung nur geringen
Widerstand (und sind ja auch noch aktiv beweglich); besser bezeichnet
man den Zustand als „Ermüdungssteifigkeit“. Beim Ruderer findet sich
nun auch eine bestimmte. Lokalisation : die Beteiligung der Strecker
überwiegt entschieden die der Beuger, obwohl die Beanspruchung eher
umgekehrt verteilt ist. Das hat sicher seinen Grund zunächst darin,
daß die rohe Kraft der Beuger überwiegt (wie das Beispiel der Bewußt¬
losen und die Leichenstellung beweist), aber auch darin, daß die Funk¬
tion der Strecker eine sehr viel differenziertere ist, als die der Beuger.
Letzterer Tätigkeit geht immer auf die einfache Faustbildung zu,
während die feineren Modalitäten immer unter abgestufter Tätigkeit
der Streckergruppe (einschließlich der Spreizer) zustande kommen. Mit
der Ermüdungssteifigkeit geht eine venöse Hyperämie, des Gliedes ein¬
her, erkennbar an der Hautfarbe, dem Anlaufen der subkutanen Venen,
die mitunter empfindlich werden; auch der Unterarm im ganzen kann
geschwollen erscheinen. Kälte befördert die Erscheinung entschieden,
ferner wirkt das Anlegen der Bf er’ sehen Stauung schädlich und ebenso
die Massage, wenn danach fortgearbeitet wird, alles offenbar durch
Begünstigung der Hyperämie. Dagegen bewirkt die Herstellung der
von EßmarcK sehen Blutleere eine sofortige Erleichterung: während
der Dauer derselben könnte meist fast schmerzlos weiter gearbeitet
werden ;3) aber auch schon das einfache Erheben der Arme ist durch die
Beförderung des Blutabflusses nützlich. Aus diesen Tatsachen lassen
sich einige Schlüsse ziehen : 1. Da es durch Übung erlernt werden kann,
die Ermüdungssteifigkeit zu vermeiden, so gehört sie zu den Folgen
unzweckmäßiger Innervation. 2. Einen wesentlichen Anteil am Zu¬
standekommen der Ermüdungssteifigkeit hat die unzweckmäßige Blut¬
verteilung (und zwar handelt es sich um einen Uberschuß der Zufuhr
über den Abfluß). 3. Die zweckmäßige Blutverteilung ist irgendwie
abhängig von der zweckmäßigen Innervation und mit dieser vom Ge¬
sunden erlernbar. Wie man sich den Zusammenhang vorzustellen hat,
darüber sagt die Beobachtung nichts aus. Offenbar ist er kein ganz
einfacher; an eine unmittelbare Beeinflussung der Gefäße durch den
Willen ist nicht zu denken. Auch qualitativ neues erwirbt man sich
durch die Übung sicher nicht: zudem ist die geforderte Bewegung bei
unserem Sportbeispiele eine so einfache, daßi von einer eigentlichen
Erlernung derselben nicht die Rede sein kann. Dagegen handelt es
sicli ersichtlich um quantitative Abstufungen, deren Beherrschung man
gewinnt. Man lernt sich zu schonen, man gewöhnt sich, mit der ge¬
ringsten noch ausreichenden Muskelkontraktion auszukommen, also be¬
wirkt die Übung eine Temperierung der Impulse zu intensiver d. h.,
2) Auch der gefürchtete „Wadenkrampf“ bei ungeübten Schwimmern gehört
hierher, der manchmal zu Unglücksfällen Veranlassung giebt.
3) Für rein sportliche Zwecke ist natürlich ein Arbeiten unter Blutleere aus¬
geschlossen, doch dürfte sich die Wirkung der bei Artisten u. a. gebräuchlichen
Kompressionsartikel hieraus erklären.
1*
4
Originalarbeiten und Sammelberichte.
mit besonderer Kraftentwicklung verbundenen Muskelkontraktion.4)
Danach sollte man 4. schließen, daß die unzweckmäßige Hyperämie
bei der Ermüdungssteifigkeit abhängig ist von der unzweckmäßigen
Innervation zu intensiver Muskelanstrengung. Das bestätigt die Ex¬
perimentalphysiologie, welche lehrt, daß die Blutkapazität der Muskeln
fast in direkter Proportion zunimmt zur Kraftentwicklung bei der
Kontraktion (Spehl) und daß die Erweiterung der Muskelgefäße er¬
halten wird durch Beizung der Muskelnerven. 5. Da die mechanische
Entfernung des Blutes nützlich ist, die mechanische Blutstauung aber
schädlich, scheint umgekehrt seine reichliche Anwesenheit der Tem¬
perierung im Wege zu stehen, resp. einen Beiz zu bilden zur (unter
Umständen unzweckmäßigen) besonders intensiven Kontraktion, wie
auch die Experimentalphysiologie lehrt, daß die bei Beizung erhaltene
Kraftentwicklung zunimmt proportional der Durchblutung.
Als Gegenstück zu dem Arme des eben betrachteten Buderers1
nehmen wir den Arm eines Hemiplegischen, und zwar eines solchen,
bei dem, wie gewöhnlich, die Strecker stärker ergriffen sind als die
Beuger, (von den mitunter vorkommenden Ausnahmen sehen wir jetzt
ab), und bei dem sich aktive Spätkontrakturen eingestellt haben. Voll¬
ständig gelähmt ist kein Muskel, aber der Kranke hat, wie der Er¬
müdete, eine Empfindung von Schwere und Bewegungsunfähigkeit, die
schwer zu überwinden ist, und immer mehr zunimmt, und meist als
recht schmerzhaft angegeben wird. Zittern findet sich nur manch¬
mal in der Pause, aber die spastische Starre ist viel ausgeprägter,
als bei der Ermüdungssteifigkeit, der1 sie nur in ihrer leichteren Aus¬
prägung gleicht, wo sie ja auch nicht so selten erst nach einiger Bean¬
spruchung hervortritt. Dementsprechend findet sich auch wesentlich
stärkere Beflexerregbarkeit, deren Folge ja schließlich die Kontraktur
ist. Die Funktionsstörung ist ganz, wie bei unserem sportlichen Beispiel,
an den Streckern stärker als an den Beugern, allerdings beobachtet
man beim Gesunden die verschiedene Lokalisation der Ermüdungs¬
steifigkeit nicht. Man darf natürlich nicht im einzelnen vergleichen,
denn dann sind die Unterschiede erheblich. Man findet beim Apoplek¬
tiker selten einen Muskel, der bei gar keiner Probebewegung, wenn auch
nur ganz wenig, dem Willen gehorchte. Von da bis zu ganz wenig
betroffenen (in leichtesten Fällen), findet man, kombiniert mit der ver¬
schiedenen Ausprägung des spastischen Zustandes alle möglichen Grup¬
pierungen, für die der Ermüdete kein Gegenstück bietet. Dem vom
Schlag gelähmten fehlt selbstverständlich auch die rasche Erholungs¬
fähigkeit, im Gegenteil sind die Muskeln, je stärker gelähmt, um so
leichter ermüdbar und erholen sich um so schwerer. Endlich finden
wir mannigfache vasomotorische Störungen, Kälte, Zyanose, marmo¬
rierte Haut u. dgl., welche fast alle auf venöse Hyperämie hinweisen.
So ergeben sich wenigstens bei der oberflächlichen Vergleichurig eine
Beihs von Ähnlichkeiten, (natürlich neben wichtigen Unterschieden),
die doch zum Versuche einer gleichartigen Behandlung auf fordern.
Legen wir nun die von Eßmarch’sche Binde an, so ähnelt zunächst
der Eintritt größerer Beweglichkeit dem Verhalten des Gesunden, und
darauf kommt es ja zunächst' an. Was sonst oft schwer zu beweisen
4) Die unzweckmäßig starke Anstrengung der Anfänger ist in sportlichen wie
militärischen Kreisen wohl bekannt und durch eine Fülle von Slang-ausdrücken
entsprechend gewürdigt.
Originalarbeiten und Sammelberichte.
5
ist, daß nämlich kaum je ein Muskel vollständig jeden Einwirkung
des "Willens entzogen ist, wird nun offensichtlich. Freilich ist auch
mit dieser gleichartigen Reaktion jede Ähnlihkeit erschöpft, denn jetzt
steht die Lähmung gewissermaßen rein herausgearbeitet vor dem Be¬
obachter und hat den geläufigen Habitus verloren, weil die Spasmen
und Kontrakturen ausgeschaltet sind, die ihn bedingten. Die rein
spastischen Muskeln haben etwa normale Konsistenz und mechanische
Erregbarkeit, ihre Kraftentwicklung und auch ihre Geschwindigkeit
ist besser als vorher. Eine Ausnahme Inachen stark geschrumpfte, strang-
förmige, bei sehr veralteten Fällen, in denen die Besserung beim ersten
Male nicht so auffällig ist.5) An den gelähmten Muskeln (den Streckern)
ist die von Senator zuerst beschriebene, später von Quincke ein¬
gehend gewürdigte zerebrale Atrophie höchst auffällig: sie fühlen sich
sehr weich an; doch auch sie können sich nun bewegen, wenn auch
langsam und mit sehr geringer Kraftentwioklung. Überraschend ist
nun meist, die Leichtigkeit, mit der sich die zerebrale Ataxie nachweisen
läßt. Dieselbe ist wohl meist an den gelähmten Muskeln am meisten
ausgesprochen. Sie wurde nur von den Spasmen verdeckt: der Satz
von Monakow’s : „selbstverständlich hat die kortikale Ataxie das Fehlen
von Kontrakturen zur Voraussetzung“ (Seite 360), würde lauten können
„hat der Nachweis der kortikalen Ataxie die Ausschaltung der Kon¬
trakturen zur Voraussetzung“. In gegenwärtiger Fassung könnte man ihn
so verstehen, als liege ein gegenseitiges Ausschließungsverhältnis vor.
Die abnormen Sensationen der Schwere und Schwäche sind wesentlich
gemildert.
Nach dem Ausgeführten ergeben sich die Grundsätze für die
therapeutische Ausnutzung des Verfahrens von selbst. Es kommt dar¬
auf an, die bessere Bewegungsmöglichkeit während der Anämie zu
Übungen zu benutzen, um einerseits den erhaltenen Rest von Beweg¬
lichkeit dauernd zu sichern und. vor allem auch außerhalb der Anämie
zur Verfügung zu bekommen, andererseits durch „Bahnung“ noch mehr
hinzuzugewinnen. Dabei ist der Augenmerk besonders darauf zu rich¬
ten, möglichst einfache Übungen vorzunehmen, und den Kranken zu
einer möglichst leichten, spielenden Ausführung zu bringen, um den
ungünstigen Einfluß der Intention zur Kraftentfaltung auf die ver¬
mehrte Blutzufuhr, soweit als es gelingt, dauernd auszuschalten. Übri¬
gens scheint auch die angestrengte Intention zu schwierigen Übungen
den gleichen Einfluß zu haben. Aber die Muskelatrophie warnt davor,
die Anämie zu lange auszudehnen, um jene nicht zu verschlimmern. Es
gilt, den Circulus vitiosus: unzweckmäßige Innervation: Hyperämie:
verstärkte Spasmen bei möglichster Erhaltung des Ernährungszustandes
der Muskeln zu unterbrechen, womöglich nicht nur in kurzen Momenten,
sondern so oft und so lange als möglich. Glücklicherweise ist voll¬
ständige Anämie nicht immer nötig, und dann auch nur im Beginn
der Behandlung; auch die lange Zeit fortgesetzte senkrechte Erhebung
der Gliedmaße und die Anwendung von komprimierenden Handschuhen,
Ärmeln und Strümpfen ist von Nutzen und oft allein ausreichend.
Praktisch geht man so vor6): die von Eßmarch’sche Binde wird
5) Sie tritt aber nichtsdestoweniger später bei systematischer Übung doch
noch bis zu einem gewissen Grade ein.
6) Ich setze im Folgenden voraus, daß keine Gelenkversteifungen bestehen;
sonst muß natürlich eine Behandlung derselben nach den üblichen Grundsätzen
den Beginn der ganzen Behandlung bilden.
6
Originalarbeiten und Sammelberichte.
angelegt ; wenn sie wieder angenommen wird, tritt bekanntlich, .ein e
venöse Hyperämie ein, die alles gewonnene wieder verdirbt, und zwar
um so stärker und anhaltender, je länger die Binde gelegen hat. Man
erhebt deshalb den Arm rasch zur Senkrechten und nimmt die Binde
schleunigst wieder ab. Nach den Übungen, die man aus diesem Grunde
nur ganz kurze Zeit (und auch nicht bis zur Ermüdung !) dauern läßt,
senkt man den Arm sehr allmählich zunächst bis zur Horizontalen
und wartet die normale Blutfüllung ab, die erst einige Zeit angedauert
haben soll, ehe man ihn ganz senkt. Eventuell kann man nun auch
einen Kompressionsärmel anlegen, wenn sich doch gleich wieder Hyper¬
ämie bemerklich machen sollte. Zweckmäßig verbindet man damit
eine Fixierung der Finger in Spreiz- 'und Streckstellung durch ein leichtes,
dorsal an Unterarm und Hand angelegtes, entsprechend ausgesägtes
Brettchen. Den Arm läßt man beim Gehen und Sitzen in der Binde
tragen, niemals ganz herabhängen. Üben läßt man womöglich immer
erst nach Abnahme der Eßmarcli’schen Binde bei senkrechter Arm¬
haltung, nur bei schweren Fällen, wenn das nicht ausreicht, unter
Anämie (d, h. indem man nur die letzten Touren am Oberarme liegen
läßt). Während der Blutleere (vollständigen oder unvollständigen) kann
man auch noch leichte Klopfmassage und Galvanisierung der gelähmten
Muskeln anwenden. Außer dem Besprochenen ist es nun sehr wichtig,
den Kranken anzulernen, so oft, als es ihm seine Beschäftigung erlaubt,
beim Lesen, beim Bauchen, beim Liegen auf dem Sofa usw. den er¬
krankten Arm hoch zu legen. Anfangs muß man dazu eine Schleife
mit langem Strickende verwenden, die man über eine an der Zimmer¬
decke befestigte Bolle führt ; sie dient dazu, den kranken Arm durch
den gesunden hochzuziehen, später lernt er, die Hochlagerung durch
den gesunden Arm auszuführen, endlich kann er, wenn es gut geht,
mit Benutzung von Möbeln (Sofalehne usw.), den kranken Arm allein
aufrichten. So läßt man allmählich die Anwendung der Eßmarch’ sehen
Binde ganz fort und bleibt allein bei Übungen in Hochlagerung. Da:
mit der einmal erreichte Fortschritt nicht wieder verloren geht, läßt
man die Methode in geeigneter Weise dauernd anwenden.
Der Erfolg ist um soi besser, je stärker die spastischen Kontrak¬
turen und je geringer die Lähmungen sind. Gegen letztere ist nicht
viel zu erreichen. Ich bin überzeugt, daß die oft beobachteten Besse¬
rungen derselben zu einem großen Teil nur scheinbare sind. Die Läh¬
mung war eben nicht so ausgedehnt, als sie vor Anwendung der Anä-
misierung erschien. Die Atrophien bessern sich oft merkwürdig, selbst
wenn sie recht erheblich waren. Mitunter bessert sich auch die Kraft¬
entwicklung; die Geschwindigkeit nur sehr wenig; auch die Ataxie
ist in meinen Fällen nur manchmal gebessert worden. Aber die Spasmen
werden oft dauernd etwas geringer, und auch die vasomotorischen Stö¬
rungen schienen mir häufig zurückzugehen. Gewiß sind das nur be¬
scheidene Erfolge, aber sie werden erreicht in Fällen, in denen die
Prognose so traurig aussieht, wie eingangs angeführt, und sie werden
gewonnen auf eine so einfache Weise, die überall und in den ärmlichsten
Verhältnissen ohne wesentliche Kosten ausführbar ist. Das funktionelle
Besultat befriedigt häufig sehr. So konnte ich, um ein Beispiel von
mehreren anzuführen, am 7. Mai 1907 in der Medizinischen Gesell¬
schaft zu Leipzig einen 54jährigen Maurer nach einer vierteljährlichen
Behandlung vorstellen : Dieser hatte meine Poliklinik aufgesucht, nach¬
dem er ein und dreiviertel J ahre vorher einen Schlaganfall erlitten hatte :
Originalarbeiten und Sammelberichte.
7
die Sprache und das Fazialisgebiet hatten sich bereits seit einem
Jahre wieder ziemlich hergestellt, auch laufen konnte er wieder etwas
am Stocke: aber der rechte Arm! Der war ihm nur im Wege und zu
nichts zu brauchen: er stand in einer so starken Beugekontraktur, daß
die Fingernägel sich tief in die Hohlhand eingebohrt und dort eiternde
Wunden erzeugt hatten; er kam, um Heilung von diesen zu suchen.
Der Kranke war keineswegs vernachlässigt, sondern er hatte dauernd
in sachgemäßer Behandlung meist eines medikomechanischen Institutes
gestanden. Er erlernte nun wieder das Anziehen und Zuknöpfen der
Kleider, den Gebrauch des Messers und der Gabel, das Einschenken
von Kaffee und das Hantieren mit der Tasse, das unbeholfene Malen
von Buchstaben (fließend hatte er auch vorher nicht geschrieben) usw. ;
aber sein Hauptstück war, daß er wieder soviel Kraft erwarb, um einen
allerdings leichten Stuhl an der Lehne gefaßt, mit gestrecktem Arme
seitwärts bis zur Horizontalen zu heben. Dieser Erfolg hat bis heute
angehalten und sich in vielen Einzelheiten noch gebessert.
Leider ist die Anwendung dieser Methode am Beine nicht so
nützlich. Selbstverständlich, da bei der Funktion des Beines die ab¬
hängige Lage und damit 'die Disposition zur venösen Stauung nicht
zu umgehen ist. Man geht ganz entsprechend vor, wie beim Arme : der
Kranke nimmt horizontale Rückenlage ein mit erhöhten Kopfe, da
eine abschüssige oder gar Hängelage beim Hemiplegiker nicht wohl
zu versuchen ist, die Eßmar.ch’sche Binde wird angelegt, das Bein
erhoben usw., alles wie oben, mutatis mutandis. Man muß recht darauf
achten, daß die Venen in der Schenkelbeuge nicht gedrückt und da¬
durch erst recht Stauung erzeugt wird. Praktisch am meisten besagt
noch das Tragen eines Kompressionsstrumpfes, der aber möglichst leicht
sein muß. Glücklicherweise pflegt aber in den meisten Fällen die
Restitution der Gehfähigkeit schon an und für sich eine weit günstigere
Prognose zu besitzen, % als die der Gebrauchsfähigkeit des Armes.
Uber die Brauchbarkeit der Methode bei anderen Nervenleiden,
möchte ich mein Urteil vorläufig noch zurückstellen.
Über die sog. Pylorusstenose der Säuglinge.
Von Dr. Ignaz Steinhardt, Kinderarzt in Nürnberg.
(Vortrag, gehalten in der Nürnberger medizinischen Gesellschaft und Poliklinik.)
Der am 3. Februar 1907 rechtzeitig geborene Knabe Willy P.
wurde anfangs von seiner Mutter gestillt, bekam aber gleich, weil er
scheinbar nicht genug hatte, noch Beinahrung, und zwar halb Milch
und halb Wasser. In der 5. Woche wurde eine Amme angeschafft, teils
weil die Mutter wegen Nervosität zum Stillen nicht recht geeignet
erschien, teils weil das Kind bei der bisherigen Ernährung mit Mutter¬
milch und Kuhmilch sehr häufig spuckte. Als ich das Kind am 19. März
zum ersten Male sehe, wiegt es1 in der 7. Lebenswoche 3680 g, bei einer
Zunahme von angeblich 200, bezw. 150 g in den beiden letzten Wochen,
hat täglich einmal normalen Stuhl, erbricht aber sehr häufig während oder
gleich nach, dem Trinken, und zwar, ebenso wie bei der früheren Zwie¬
milchernährung, jetzt an der Ammenbrust. Es hat einen doppelseitigen
Leistenbruch, der seit dem Tag vorher bemerkt worden war, nebenbei
erwähnt der Hauptgrund, warum ich eigentlich konsultiert werde; smst
ergibt die Untersuchung der Körperorgane einen völlig negativen Be¬
fund. Um das Erbrechen, das nach der Schilderung der Mutter sehr
8
Originalarbeiten und Sammelberichte.
häufig und stark auftritt, besser beurteilen zu können, lasse ich am
folgenden Tag in meiner Anwesenheit den Knaben an die Brust an-
legen. Während er trinkt, setzt er plötzlich ab und stößt in dickem
Strahl und weitem Bogen eine* große Menge der eben getrunkenen
Milch heraus, trinkt aber sofort wieder ruhig weiter, w*ie wenn gar
nichts passiert wäre, und so lange bis er satt ist, im ganzen etwa
10 — 15 Minuten ; dann, ist er ruhig und zufrieden und schläft bald
ein. Die Mutter erzählt, daß das Kind immer in dieser charakteri¬
stischen Weise erbricht. Ich lasse nun die Dauer der einzelnen Mahl¬
zeiten verkürzen und alle 3 Stunden nur je 5 Minuten lang an der
Brust trinken; trotzdem hört das Erbrechen nicht auf, sondern erfolgt
noch 2 — 3 mal an diesem Tage. Stuhl wird innerhalb 24 Stunden nur’
lmal entleert, ist von gelblich-grüner Farbe und dünn. Urin war in
der verflossenen Nacht gar nicht, sondern erst morgens im warmen
Bad entleert worden. Obwohl nun das Kind nicht länger als 5 Minu¬
ten trinken darf, besteht das Erbrechen am folgenden Tag (21. März)
unverändert weiter; Stuhlgang dünn und grün, bis Abends erfolgt
keine Urinentleerung; das Kind äußert durch häufige Saug- und Leck¬
bewegungen sein lebhaftes Durstgefühl. Von der Annahme ausgehend,
daß wenig oder gar keine Milch im Magen bleibt, bezw. vom Magen
in den Darm übergeht und hier resorbiert wird, lasse ich die Milch
zunächst vollständig weg und verordne, anfangs alle 5 Minuten, später
in etwas größeren Zwischenräumen kalten schwarzen Tee kaffeelöffel-
weise zu geben ; gleichzeitig warme Umschläge auf den Leib'. Das
Kind nimmt die Flüssigkeit gern, behält sie auch, und nachdem es
eine größere Menge davon bekommen hat, wird es ruhig, schläft
ein und schläft mit kleinen Unterbrechungen, in welchen es immer
wieder zu trinken bekommt, die ganze Nacht hindurch. Während der
Nacht erfolgt zweimal Urinentleerung. Erbrechen ist nur nach den
beiden ersten Löffeln Tee aufgetreten, hat dann ganz aufgehört und
ist erst gegen Morgen des nächsten Tages (22. März) wieder ein wenig
erfolgt. In diesem zuletzt Erbrochenen waren, obwohl bereits mehr
als 24 Stunden lang keine Milch mehr verabreicht worden war, noch
Milchgerinsel vorhanden, ein sicherer Beweis, daß die Fortbewegung
der Milch vom Magen in den Darm behindert war. Von Vormittag
an wird dann in Pausen von 1/4 bis 1/2 Stunden abwechselnd Tee und
mittels Milchpumpe abgezogene Ammenmilch teelöffelweise gegeben.
Diese kleinen Mengen werden gut vertragen, es erfolgt auch mehrmals
Urinentleerung, ebenso einmal Stuhl, der olivengrün und schleimig¬
gelatinös, wie Mekonium, aussieht. In den nächsten Tagen findet nur
geringes Erbrechen statt, entweder gar nicht in 24 Stunden oder höch¬
stens zweimal, aber auch nicht mehr So reichlich wie vorher. Es wird
deshalb mit der Menge der einzelnen Trinkportionen gestiegen, wir
kommen allmählich auf 3 Teelöffel Ammenmilch pro Portion, die gut
vertragen werden. Das Allgemeinbefinden des Knaben ist dauernd
befriedigend, er ist ruhig und schläft gut, hat offenbar weder Schmer¬
zen noch andere Unbequemlichkeiten. Stuhl kommt nur auf Einlauf,
ist spärlich an Menge und sieht immer noch grün aus, verliert aber
die schleimig-gelatinöse Beimengung. — Am 27. März habe ich mir
folgende Notizen gemacht: Kind ziemlich ruhig; Puls gut. Erbrechen
immer noch vorhanden, wenn auch geringer und nur 2 — 3 mal täg¬
lich. Bei einer wegen des Erbrechens vorgeniommenen Magen¬
spülung entleert sich wenig, ganz feinflockig geronnene Milch, die
Originalarbeiten und Sammelberichte.
9
offenbar von der letzten, l1/2 Stunden zurückliegenden Mahlzeit her*
rührt ; der ausgeheberte Mageninhalt zeigt sonst keine mittels Ge¬
sicht oder Geruch wahrnehmbare Auffälligkeiten. Stuhl immer noch
grün und etwas schleimig, erfolgt teils1 spontan, teils erst nach Ein¬
lauf, Der Berechnung nach trinkt das Kind in 24 Stunden etwa
400 bis 500 g, also viel zu wenig für sein Alter von fast 2 Monaten,
wie sich auch in dem Gewichtssturz von 3680 auf 3135 g, also 545 g
Abnahme innerhalb 1 Woche, offenbart. Um die Milchsekretion bei
der Amme in Fluß zu erhalten und sie nicht durch das Abpumpen
zum vorzeitigen Versiegen zu bringen, wird jetzt noch das Ammenkind
in die Familie aufgenommen. — In den nächsten Tagen wird mit der
Größe der einzelnen Portionen vorsichtig weiter gestiegen, so daß wir
bis zum 1. April auf etwa stündlich 8 — 9 Teelöffel Milch kommen.
Der Versuch, das Kind direkt aus der Milchpumpe (Modell Ibrahim)
trinken zu lassen, mißlingt zuerst, es erfolgt sofort wieder heftigeres
Erbrechen, das nach der letzten, vor einigen Tagen erfolgten Magen¬
spülung 24 Stunden vollständig sistiert hatte, dann nur in geringerem
Maße wieder aufgetreten war und hierauf nochmals 24 Stunden ganz
auf gehört hatte. Stuhl erfolgt zuweilen von selbst, hat seine meconium-
ähnliche Beschaffenheit ganz verloren, ist gelblich gefärbt und von
salben artiger Konsistenz. Erst nach weiteren 4 Tagen, 5. April, ge¬
lingt der Versuch, die Milch direkt aus der Milchpumpe trinken zu
lassen und zwar jedestnal etwa 50 g in l1/2 — 2stündlichen Pausen,
ohne daß sofort Erbrechen erfolgt, aber gelegentlich, d. h. 1 — 2 — 3mal
täglich tritt es immer wieder auf ; Stuhlgang normal, muß wieder¬
holt erst durch Eingießungen herbeigeführt werden. An diesem Tage
ist zum ersten Male eine kleine Gewichtszunahme festzustellen, näm¬
lich 30 g innerhalb 6 Tage. — Der Zustand bleibt nun längere Zeit
der gleiche, vor allem besteht als hervorstechendstes Symptom das
Erbrechen, das bald mehr, bald weniger stark auftritt ; ich wende
gegen dasselbe öfters Magenspülungen an, allerdings mit wechseln¬
dem Erfolg, manchmal beseitigen sie für 1 — 2 mal 24 Stunden das
Erbrechen vollständig, manchmal beeinflussen sie es gar nicht. Das
Körpergewicht nimmt langsam zu, z. B. vom 5. — 16. April, also
innerhalb 11 Tagen, um 175 g. Auch versuchen wir zuerst und gehen
dann ganz dazu über, das Kind direkt an der Brust trinken zu las¬
sen, und zwar je 10 Minuten lang, ohne daß Erbrechen auftritt. —
Am 18. April habe ich notiert: Kind hat sich in den letzten Tagen
wohl befunden, bricht aber immer noch gelegentlich, wenn auch wenig,
nur seit gestern wieder etwas1 stärker und häufiger, auch im Strahl;
vielleicht rührt das davon her, daß das Kind schon zu lange, jedes¬
mal 12 — 13 Minuten lang, an der Brust liegt und dabei, wie die Amme
behauptet, sehr fest zieht, Stuhl wieder gering und etwas dünn, aber
gelblich. Besonders bemerkenswert ist, daß seit 8 — 10 Tagen sehr
deutliche peristaltische Bewegungen in der Magengegend zu sehen
sind, namentlich heute, nachdem das Kind ganz kurz vor der Be¬
sichtigung getrunken hat. Die Magengegend bäumt sich in Form einer
von links nach rechts verlaufenden Welle vor, in deren Mitte man
zuweilen eine Einschnürung sieht; die Vorwölbung bleibt einige
Zeit bestehen, ihr unterer Band reicht etwa bis zur Nabelhöhe her¬
ab. Von einem Tumor ist nichts zu fühlen. Therapeutisch lasse ich
jetzt Karlsbader Mühlbrunnen zugeben. Dieser scheint vorzüglich zu
wirken; denn zunächst erfolgt 3 Tage lang gar kein Erbrechen, und
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Originalarbeiten und Sammelberichte.
das Körpergewicht steigt in dieser kurzen, Zeit um 110 g an. Aber
bald setzt, das Erbrechen wieder ein, am 27. April sogar sehr stark,
und ist auch durch wiederholte Magenspülungen nicht zu beeinflussen ;
erst als am 4. Mai die Milch wieder abgezogen und • löffelweise kalt
verabreicht wird, hört es auf. In diesen paar Tagen geht das Körper¬
gewicht wieder um 100 g zurück. Aber auch die löffelweise Zufüh¬
rung der Milch wird schon nach wenigen Tagen wieder auf gegeben,
da das Kind immer weiter bricht, und es wird wieder an die Brust
angelegt. Magenperistaltik ist unverändert ; Stuhl von normalem
Aussehen. Es ist wiederholt zu beobachten, daß, wenn schöner und
reichlicher Stuhlgang erfolgt, das Erbrechen nur gering ist, oder um¬
gekehrt: wenn wenig erbrochen wird, der Stuhl schön und reichlich
ist. Da auf die Dauer weder Magensp ülungen noch Karlsbader Was¬
ser das Erbrechen unterdrücken, so gebe ich von Mitte Mai an Tct.
opii 4 (mal tgl. 1/2 — 3/4 Tropfen, die das Kind bis auf den angehal¬
tenen Stuhl, der ja übrigens auch vorher schon bestand, gut verträgt.
Das Erbrechen hört allerdings auch darnach nicht vollständig auf,
ebenso bleibt die sichtbare Magenperistaltik bestehen, doch nehmen
beide an Intensität etwas ab. Eine deutliche Besserung ist erst von
Anfang Juni an zu konstatieren, nachdem die ersten ausgesprochenen
Krankheitserscheinungen sich Mitte März gezeigt hatten; sie offenbart
sich darin, daß das Körpergewicht, das wochenlang um 7 Pfund her¬
um sich bewegt hatte, nun beträchtlich zu steigen beginnt, trotz
Erbrechen und sichtbarer Peristaltik; beispielsweise ist in den vier
Tagen vom 2. — 6. Juni eine Zunahme von 140 g und vom 6. — 12.
eine weitere von 115 g zu verzeichnen. Das Kind kommt nun Mitte
Juni in die Sommerfrische und nimmt dort weiter schön zu. Am
16. Juli wird es mir wieder einmal vorgestellt und weist eine Ge¬
wichtszunahme von über 1000 g in knapp 5 Wochen auf, also durch¬
schnittlich mindestens 200 g in der Woche, obwohl immer noch ein¬
mal täglich Erbrechen erfolgt und die Magenperistaltik noch deut¬
lich sichtbar ist; mit der Opium -Verabreichung wird langsam zu¬
rückgegangen. Am 9. August wiegt das Kind im Alter von etwas
über Vg Jahr nicht ganz 6 kg, hat also das durchschnittliche Nor¬
malgewicht zwar noch nicht erreicht, weist aber gerade aus den
letzten Wochen sehr ansehnliche Gewichtszunahmen auf; das Er¬
brechen hat bedeutend nachgelassen, kommt allerdings immer noch
gelegentlich einmal vor. Anfangs September sehe ich das Kind nach
seiner Rückkehr aus der Sommerfrische wieder, das Erbrechen hat
fast vollständig aufgehört, tritt nur noch sehr selten auf, und von
der Peristaltik ist nichts mehr zu bemerken, das Kind sieht blühend
frisch und gesund aus. Ich habe es dann im Laufe der nächsten
Wochen noch einigemal gesehen; das Erbrechen ist allmählich voll¬
ständig geschwunden, Stuhlgang ganz in Ordnung. Das Körpergewicht
beträgt Ende Oktober, in einem Alter von noch nicht ganz 9 Monaten
zwischen 15 — 16 Pfund, ist also als ziemlich normal anzusehen,
und das Kind konnte um diese Zeit, da sich weder Erbrechen noch
Peristaltik mehr zeigte, als vollständig genesen aus der Behandlung
entlassen werden.
Wenn ich diese gedrängte Krankengeschichte rekapituliere,
so hat es sich um einen, sehr jungen Säugling gehandelt, der von den
ersten Lebenswochen an erbrochen hat, und zwar ohne Rücksicht
auf die Beschaffenheit der Nahrung und die Art ihrer Zuführung,
Originalarbeiten und Sammelberichte.
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auch nur ganz wenig beeinflußt durch die üblichen, sonst bewährten
therapeutischen Maßnahmen. Charakteristisch war dabei die Art
des Erbrechens, indem die eben getrunkene Milch in dickem Strahl
und weitem Bogen, hervorschoß und das Kind durch den jedesmaligen
Brechakt, nicht besonders belästigt wurde, sondern immer sofort mit
großem Behagen wieder weitertrank. Stuhl war dauernd angehalten
und zeigte auf der Höhe der Krankheit mekoniumähnliches Aus¬
sehen. Neben dem Gewichtssturz, bezw. Gewichtsstillstand, der durch
den verhinderten Übertritt des Mageninhalts in den Darm, also auch
durch die mangelnde Besorption sich leicht erklären läßt, ist noch
als besonders wichtiges Symptom die sichtbare Magenperistaltik an¬
zuführen, welche viele Wochen hindurch vorhanden war. .Alle die
genannten Symptome lassen an der Diagnose Pylorusstenose keinen
Zweifel.
Hinsichtlich der Ätiologie dieser Krankheit stehen sich bekannt¬
lich zwei Theorien gegenüber. Nach der einen (Ibrahim) besteht eine
angeborene Hypertrophie der Bingmuskulatur in der Pylorusgegend,
eine Hypertrophie, welche sich zuweilen als eine deutliche Verdik-
kung, als ein Tumor präsentiere, und welche das freie Lumen des
Pylorus so beträchtlich verengere, daß wenig oder gar keine Nah¬
rung hindurchgehen könne ; als Beweis diene, daß man bei Sektionen
diese Verdickungen des Pylorus finde, daß man häufig aber auch
schon in vivo einen deutlichen Tumor in der Magengegend fühlen
könne. Eine Spontanheilung sei möglich, und zwar auf kompensa¬
torischem Wege, indem die gesamte Magenmuskulatur hypertrophiere
und allmählich das Hindernis überwinden lerne ; auch werde dabei
vielleicht das enge Lumen des Pylorus gedehnt. Andere, an
ihrer Spitze Pfaundler, nehmen an, daß es sich nicht um eine
anatomische Veränderung in der Pyloruswand handle, sondern um
eine funktionelle Erscheinung, um einen Krampf, einen Spasmus, der
sowohl die einzelnen klinischen Erscheinungen, als auch das Sektions¬
bild, das nur anders zu deuten sei, auslöse. Auch bei Sektionen von
Säuglingen nämlich, die niemals das geringste klinische Symptom einer
Pylorusstenose gezeigt haben, findet sich öfters eine Verdickung der
Bingmuskulatur des Pylorus, aber diese ist nicht durch eine ana¬
tomische Erkrankung, sondern durch den im Moment des Todes be¬
stehenden Kontraktionszustand des Pylorus, also durch die Fixierung
der in diesem Augenblick eben bestehenden normalen Verdauungs¬
phase bedingt und demnach als etwas durchaus physiologisches an¬
zusehen. Zwischen diesen beiden einander schroff gegenüberstehenden
Ansichten nehmen eine Beihe von Ärzten eine vermittelnde Stellung
ein, indem sie sagen, daß es sowohl Fälle der ersten, als auch solche
der zweiten Art gibt, daß aber auch Kombinationen beider Formen,
sowie graduelle Unterschiede Vorkommen, welch letztere die Verschie¬
denheit der Krankheitserscheinungen und des Krankheitsausganges er¬
klären. Verfolgt man aufmerksam die Literatur der letzten Jahre,
so gewinnt man den Eindruck, daß die Mehrzahl der Ärzte mehr
zur Annahme einer funktionellen als einer anatomischen Erkrankung
hinneigt, also einen Spasmus annimmt, und auch mein Fall deutet
zweifellos mehr auf diese Form hin. Vor allem läßt es sich in vielen
Fällen, auch in dem meinigen, mit der Annahme eines festen, soliden
Tumors kaum vereinigen, daß er ohne irgendwelche besonders ein¬
greifende Therapie im Zeitraum weniger Monate vollständig verschwin-
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Originalarbeiten und Sammelberichte.
det. In anderen Gebieten der Medizin, speziell in der Chirurgie und
Gynäkologie, werden, meines Wissens, keine Tumoren beobachtet, die
zuerst bedrohliebe Symptome machen und dann ganz spontan in
kurzer Zeit verschwinden. — Auch die weitere Frage, was die letzte
Ursache der Pylorusstenose sei, gleichviel welche Form man annimmt,
kann nicht präzise beantwortet werden. Bei der Annahme eines Tumors
müßte man, da die Erscheinungen schon in den ersten Wochen sich
bemerkbar machen, an kongenitale Ursachen denken, freilich lohne
daß man damit in der Erkenntnis der Ätiologie weiter kommt, und
beim Spasmus ist es wiederum dunkel, warum der Krampf gerade in
der Pyloruspartie einsetzt und a,uf diese beschränkt bleibt, während
doch sonst bei der Spasmophilie der Säuglinge die Krämpfe in ganz
anderer Art sich äußern. Die Ätiologie ist also nach jeder Sich¬
tung hin noch wenig geklärt, obwohl sie unter Umständen für die
Therapie von sehr ausschlaggebender Bedeutung sein kann.
Viel besser dagegen kennt man die Bedeutung der einzelnen kli¬
nischen Symptome.
Das hervorstechendste derselben im ganzen Verlauf der Krankheit
ist das Erbrechen. Es tritt schon in den ersten Lebenswochen auf,
gleichviel, welche Nahrung gegeben wird, und ist weder durch Änderung
der Nahrung noch durch medikamentöse, diätetische oder physikalische
Maßnahmen nennenswert zu beeinflussen, weshalb man auch von einem
unstillbaren Erbrechen spricht. Meistens erfolgt es explosionsartig in
dickem Strahl und weitem Bogen und zwar fast nach jeder Nahrungs¬
aufnahme, entweder sogleich oder auch längere Zeit darnach, zeigt
auch die sehr charakteristische Eigentümlichkeit, daß der kleine
Patient durch den einzelnen Brechakt garnicht besonders belästigt wird,
sondern immer gleich wieder vergnügt weiter trinkt, wie wenn gar
nichts passiert wäre, im Gegensatz zum Erbrechen bei Verdauungs¬
störungen und anderen Krankheiten , wo die Kinder nach dem Er¬
brechen müde und matt daliegen und die Annahme weiterer Nahrung
verweigern. Das Erbrochene selbst ist, wenn es während oder unmittel¬
bar nach dem Trinken herauskommt, noch flüssige1, reine Milch, ent¬
hält aber oft auch Milchgerinsel und übertrifft zuweilen an Menge
das Volumen der eben auf genommenen Nahrung — lauter Anzeichen
dafür, daß die vorausgegangene Milchmahlzeit noch nicht vollständig
in den Darm weiter befördert ist. In meinem’ Fall war sehr interessant,
daß auf der Höhe der Krankheit, als ich nur kalten Tee verabreichen
ließ, 12 Stunden nach der letzten Milchaufnahme noch Milchgerinsel
miterbrochen wurden, ein eklatanter Beweiß, wie schwer der Magen
in jener kritischen Zeit selbst die dünnen Flocken der Frauenmilchge-
rinnung weiter befördern konnte. Schleimbeimengungen, wie sie zu¬
weilen in dem Erbrochenen sichtbar sind, habe ich nicht beobachtet;
ebenso hat weder der erbrochene noch der ausgeheberte Mageninhalt
jemals sauer oder gar stinkend gerochen, wie in der Literatur von ein¬
zelnen Fällen berichtet wird. Eine chemische Untersuchung des Magen¬
inhalts konnte nicht vorgenommen werden; ich will nur erwähnen, daß
Ibrahim wiederholt Hyperazidität gefunden hat.
Das Zustandekommen des Erbrechens läßt sich leicht erklären.
Der Mageninhalt kann durch den verengten Pylorus nicht hindurch¬
gehen, er wird deshalb nach dem Ort des geringeren Widerstandes
hingetrieben — das ist die Richtung nach der Kardia — und wird
dann durch diese einzige übrigbleibende Öffnung weiterbefördert.
Originalarbeiten und Sammelberichte.
13
Auch ein zweites, neben dem Erbrechen sogar das wichtigste kli¬
nische Symptom, die sichtbare Magenperistaltik, erklärt sich leicht durch
den Pylorus Verschluß. Ganz ähnlich wie beim Ileus sich die vom
Verschluß aufwärts zu gelegenen Darmschlingen vorblähen und vor¬
wölben, so bäumt sich bei der Pylorusstenose der Magen oberhalb des
Passagehindernisses vor. Diese Magenperistaltik gibt ein so typisches
« und charakteristisches Bild, daß es gar nicht übersehen werden kann.
Freilich darf man nicht erwarten, es in jedem Fall oder bei jeder Unter¬
suchung zu sehen. In meinem Fall konnte ich in der Zeit, in welcher
nur einige wenige Löffel Tee oder Milch gegeben und behalten wurden,
keine Peristaltik wahrnehmen; erst als Besserung ein trat und größere
Mengen vertragen wurden, traten die peristaltischen Bewegungen deut¬
lich sichtbar in Erscheinung, aber auch da immer nur, wenn das Kind
kurz vor der Besichtigung getrunken hatte, d. h. wenn der Magen noch
mehr oder weniger gefüllt war. Es ist also immer nötig, daß eine
gewisse Quantität Flüssigkeit im Magen ist, wenn die Peristaltik gesehen
werden soll, denn nur der gefüllte Magen bemüht sich seinen Inhalt
weiter zu befördern, der leere oder fast leere ha,t solche Bewegungen
nicht nötig. Aus dieser Beobachtung ergibt sich von selbst der logische
Schluß, daß, da die Magenperistaltik nur unter gewissen Voraus¬
setzungen zu sehen ist, ihr Fehlen nicht gegen die Diagnose Pylorus¬
stenose verwertet werden darf, während dagegen ihr Vorhandensein
als ausschlaggebendes diagnostisches Moment anzusehen ist.
Aus dem Passagehindernis ergeben und erklären sich nun auch
die weiteren Symptome. Da durch den verengten Pylorus nichts oder
fast nichts hindurchgehen kann, so gelangt auch nichts oder fast nichts
in den Darm, infolgedessen bildet sich kein oder nur wenig Kot. Es
kommt vor, daß viele Tage lang, 8 — 10 — 12 Tage, kein Stuhl erfolgt,
und in der Literatur sind Fälle mitgeteilt, wo nicht das konstante
Erbrechen, sondern der mangelnde Stuhlgang die Mutter beunruhigt
und zur Einholung ärztlichen Bates veranlaßt hat. Der Stuhl¬
gang selbst sieht häufig olivengrün gelatinös, mekoniumartig aus und
hat wohl auch eine ähnliche Zusammensetzung wie das Mekonium,
das bekanntlich keine Nahrungs bestandteile enthält, sondern in der
Hauptsache aus Sekretionsprodukten und Abschilferungen des Darm¬
kanals besteht; manchmal ist er auch von schmieriger, dunkelbrauner
Beschaffenheit, wie ein echter Hungerstuhl. Erst wenn der Durchgang
durch den Pylorus wieder freier wird, erfolgen die Entleerungen häufiger
und, während sie vorher nur durch Kunsthilfe herbeizuführen waren,
jetzt spontan; auch ändert sich dann das Aussehen des Stuhles, indem
sich Farbe und Konsistenz allmählich dem Normalen nähern. Seine
Beschaffenheit gibt also einen sehr wertvollen und zuverlässigen
Anhaltspunkt für die Beantwortung der Frage, ob die Stenose am.
Pylorus bereits im Zurückgehen begriffen ist oder nicht. Ähnlich
verhält es sich mit der Urinentleerung. In der Zeit, in welcher wenig
oder gar nichts durch den Pylorus hindurchgeht, wird natürlich auch
nur äußerst wenig Flüssigkeit resorbiert, und die Folge davon ist, daß
auch die Urinausscheidung auf ein Minimum zurückgeht ; tatsächlich
erfolgt in diesem Stadium der Krankheit kaum eine Urinentleerung.
Aber auch hier ist die Zunahme der Entleerungen ein erfreuliches Zeichen
für den Eintritt der Besserung.
In gleicher Weise nun wie die spärlichen Kot- und Urinaus¬
scheidungen ist noch ein anderes wichtiges Symptom auf die Leere
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Originalarbeiten und Sammelberichte.
des Darmes zurück zu führen, das ist der rapide Gewichtsabfall. Weil
in den Darm nichts hereinkommt, kann nichts resorbiert werden, der
kindliche Körper kann infolgedessen nicht nur nichts ansetzen, sondern
muß sogar noch von seinem Bestand zehren, um die für den Körper¬
haushalt nötigen Ausgaben zu decken. Ein unheimlicher Gewichts¬
sturz ist die Folge, die Gewichtsabnahme und, damit gleichen Schritt
haltend, die Abmagerung am Körper schreitet immer mehr fort, schlie߬
lich kommt, es zu dem Bild äußerster Abmagerung mit greisenhaften
Gesichtszügen, tiefliegenden Augen, schlaffer, faltiger Haut, einge¬
sunkener Fontanelle, subnormaler Temperatur usw., und in den un¬
günstig ausgehenden Fällen erfolgt schließlich der Tod an Inanition
als regelrechter Hungertod. In meinem Fall hatte der Gewichtssturz,
wie bereits erwähnt, sehr rapid und intensiv eingesetzt ; allein trotz¬
dem ist es, vielleicht durch die sorgfältige .Pflege, doch gelungen,
wenigstens eine fortschreitende Gewichtsabnahme aufzuhalten, und ich
war ganz zufrieden, als das Kind trotz anhaltenden Erbrechens viele
Wochen lang auf einem annähernd gleichen Gewicht blieb, ohne wesent¬
liche Zu- oder Abnahme. Mit fortschreitender Besserung, als das Er¬
brechen immer seltener wurde, ging das Körpergewicht in die Höhe
und näherte sich allmählich immer mehr dem dem Alter des Kindes ent¬
sprechenden Normalgewicht, das auch schließlich erreicht wurde. Kegel-
mäßige Wägungen des Kindes sind für die Beurteilung seines jeweiligen
Zustandes von größter Wichtigkeit; nach dem Resultat der Wägung,
d. h. je nachdem sich eine Zunahme oder Abnahme des Körpergewichts
ergibt, haben sich die weiteren Anordnungen zu richten, besonders über
Vermehrung der Zahl und Größe der Einzelmahlzeiten ; außerdem sind
sie auch für die Prognose ausschlaggebend, insofern als erst mit dem
Eintritt regelmäßiger Gewichtszunahmen von einer wirklichen Besserung
gesprochen werden kann.
Von sonstigen objektiven Symptomen ist noch zu erwähnen, daß
es in manchen Fällen gelingt, die verdickte Pylorusgegend als einen
deutlichen Tumor durch die Bauchhaut hindurchzufühlen; in meinem
Fall ist dies allerdings niemals möglich gewesen und auch nach den
Erfahrungen anderer Ärzte scheint es im großen und ganzen zu den
Seltenheiten zu gehören; der Grund soll darin liegen, daß der Pylorus
häufig hinter dem linken Leberlappen versteckt liegt und dadurch der
Palpation nicht zugänglich wird. Wo er aber zu fühlen ist, repräsen¬
tiert er sich, wie Ibrahim berichtet, der ihn unter 7 Fällen 3 mal
beobachtet hat, als ein rundliches, scharf abgegrenztes Gebilde etwa
von der Größe des Nagelgliedes eines kleinen Fingers, und zwar nur
wenig rechts von der Mittellinie; hier sei er am deutlichsten bei voll¬
ständig entleertem Magen, also auch nach Magenspülungen, zu fühlen,
namentlich wenn, wie übrigens auch in meinem Fall, eine Diastase der
Rekti besteht.
Als sehr charakteristisch wird dann noch in Fällen, in welchen
bereits eine hochgradige Abmagerung eingetreten ist, das Aussehen
des Abdomens beschrieben. Der untere Teil des Leibes ist klein, ein¬
gefallen. fast muldenförmig und macht den Eindruck, als wäre er leer,
während die oberhalb des Nabels gelegene Partie, namentlich die Magen¬
gegend vorgewölbt und aufgetrieben erscheint. Bei meinem Fall war
die allgemeine Abmagerung nicht so stark, daß sich dieses Bild be¬
sonders entwickelt hätte; doch wird es von den meisten Autoren als
sehr charakteristisch geschildert.
Originalarbeiten und Sammelberichte,
15
Wenn ich nun auf die Diagnose selbst nochmals kurz ein gehen
darf, so möchte ich als die wichtigsten Merkmale der Pylorus¬
stenose hervorheben : vor allem das unstillbare Erbrechen, dann die
geringen Stuhl- und Urinentleerungen, erstere von mekoniumartiger
Beschaffenheit, des weiteren die sichtbare Magenperistaltik, welche
schon allein für die Diagnose genügen kann, ebenso die fühlbare Ver¬
dickung der Pylorusgegend, und schließlich noch das zuletzt genannte
Aussehen des Leibes. Eigentlich sollte der Arzt bei allen Säuglingen,
die heftig und anhaltend erbrechen und gleichzeitig an Verstopfung
zu leiden scheinen, an die Möglichkeit einer Pylorusstenose denken
und diese Krankheit in den Bereich seiner diagnostischen Erwägungen
ziehen ; denn sie kommt, wie von allen Autoren betont wird, viel
häufiger vor als sie diagnostiziert wird, und ich möchte beispiels¬
halber aus meiner eigenen Praxis anführen, daß ich ungefähr ein Jahr
vor dem hier beschriebenen Fall einen ganz ähnlich gelagerten beobachtet
habe, bei welchem über die Diagnose gleichfalls nicht der geringste
Zweifel bestehen konnte; leider habe ich mir aber damals nicht ge¬
nügende Aufzeichnungen gemacht, um sie für eine wissenschaftliche
Mitteilung verwenden zu können, und ich muß mich deshalb mit der
bloßen Erwähnung des Falles begnügen. Wenn die Kenntnis von der
Pylorusstenose noch nicht Gemeingut aller Ärzte geworden ist, so liegt
das wohl hauptsächlich daran, daß die Krankheit vor nicht viel mehr
als 20 Jahren überhaupt zum ersten Male — von Hirschsprung in
Kopenhagen — - beschrieben worden ist und man erst in den letzten
10 — 12 Jahren, besonders nachdem eine größere Arbeit von Einkel-
stein aus der Heubnietr’schen Klinik erschienen war, angefangen hat,
sich eingehender mit ihr zu beschäftigen. Seitdem haben allerdings
die Veröffentlichungen, deren bedeutendste die Habilitationsschrift von
Ibrahim ist, an Zahl wesentlich zugenommen, durch sie wird auch
das Interesse für diese merkwürdige Krankheit in immer weitere Kreise
getragen ,
Aber auch nach einer anderen Bichtung hin haben die zahlreichen
Veröffentlichungen der letzten Jahre Nutzen gestiftet, insofern nämlich
als sie zur Klärung der therapeutischen Anschauungen wesentlich bei¬
getragen haben. Ich habe bei der Ätiologie von den zwei entgegen¬
gesetzten Richtungen gesprochen, deren eine einen Tumor, die andere
dagegen einen Spasmus als Ursache der Pylorusstenose ansieht. Je
nach dem einen oder anderen Standpunkt entscheidet oder entschied
man sich früher für die einzuschlagende Therapie. Wer an das! Vorhanden¬
sein eines Tümors glaubt, wird sich von der1 internen Behandlung wenig
oder gar nichts versprechen und chirurgisches Vorgehen empfehlen,
wohingegen die Anhänger der Spasmuslehre selbstverständlich jegliches
chirurgische Handeln verurteilen. Wenn man überlegt, welch furcht¬
barer Eingriff für einen Säugling schon eine Laparotomie an sich ist,
geschweige denn für einen Säugling, dessen Widerstandskraft durch
die bestehende Krankheit mehr oder weniger reduziert ist, wenn man
weiter aus der Literatur ersieht, daß die Erfolge der Operation nichts
weniger als ermutigend sind, daß dagegen auch bei gar manchem, an¬
scheinend verzweifelten Fall von Pylorusstenose schließlich doch noch
die interne Behandlung zur Heilung führte, dann wird man es ver¬
stehen, daß die Fürsprecher des chirurgischen Vorgehens immer geringer
an Zahl werden; selbst Ibrahim, der den Tumor und nicht den Spas¬
mus als ätiologischen Faktor ansieht, gibt zu, daß sogar bei Vorhanden-
16
Originalarbeiten und Sammelberichte.
sein eines wirklichen Tumors Spontanheilung eintreten könne, und zwar
auf dem Wege der bereits erwähnten kompensatorischen Hypertrophie
der Magenmuskulatur. Ich glaube, daß diese Erklärung Ibrahims:
etwas Gezwungenes hat und es viel natürlicher erscheint, statt des
Tumors eben den Spasmus anzunehmen und die Heilung mit dem Ver¬
schwinden des Spasmus zu erklären, demzufolge also für die innere
Behandlung einzutreten. In meinem Fall wäre es jedenfalls geradezu
ein Verbrechen gewesen, eine Operation auszuführen oder auch nur
vorzuschlagen.
Was nun die Therapie selbst anlangt, so wird von allen Autoren
der größte Wert darauf gelegt, daß Säuglinge mit Pylorusstenose die
Mutter- oder Ammenbrust bekommen. Nicht nur weil derartige, in ihrem
Leben schwer bedrohte Säuglinge an sich schon die beste und zweck¬
mäßigste Nahrung bekommen sollen — und das ist doch die arteigene
Menschenmilch — sondern auch weil, wie wir aus der Physiologie
wissen, die menschliche Milch im Magen zu ganz feinen Flocken ge¬
rinnt, zu viel feineren als die Kuhmilch, und diese f einsten Milchgerinnsel
viel leichter und besser durch den verengten Pylorus hindurchgepreßt
werden können als die großen und groben Flocken der Kuhmilch. Es
bedeutet eine vollständige Verkennung der Sachlage, wenn man der¬
artige Kinder, weil sie trotz Mutter- oder Ammenmilch brechen, ein¬
fach von der Brust absetzen läßt, als ob die Unverdaulichkeit der Milch,
bezw. die mangelhafte Verdauungstätigkeit des Magen schuld an dem
Erbrechen wäre; in Wirklichkeit liegt aber doch die Ursache gar
nicht in der sekretorischen, sondern ausschließlich in der motorischen
Funktion des Magens, in der relativen Insuffizienz der Magenmusku¬
latur, die nur in geringem Maße oder überhaupt nicht imstande ist,
das mechanische Hindernis der Pylorusverengerung zu überwinden.
Man muß also unbedingt für Beibehaltung oder Beschaffung von Mutter¬
oder Ammenmilch sorgen ; nur1 wo das nicht möglich ist, darf man
auf Kuhmilch zurückgreifen. Für solche Fälle wird von manchen
Autoren besonders die schon etwas vorverdaute Pegnin-Milch w arm
empfohlen.
Bezüglich der Art der Darreichung vertritt Heubner den Stand¬
punkt, daß man auf das' Brechen gar keine Rücksicht zu nehmen braucht,
sondern die Kinder unentwegt in den üblichen Zwischenräumen und
mit gewohnter Zeitdauer, mit anderen Worten: die dem Alter ent¬
sprechenden Mengen, weitertrinken lassen soll; selbst wenn sehr häufig
und jedesmal viel erbrochen werde, gelange doch immer ein, wenn auch
kleiner Teil der getrunkenen Milch zur Resorption und komme daher
dem kindlichen Organismus zugute. Dem gegenüber verlangt Ibrahim,
daß man, genau so wie bei schweren Brechdurchfällen und bei dys¬
peptischen oder katarrhalischen Zuständen des Magens, die Nahrung
in möglichst kleinen Einzelportionen, dafür aber recht häufig zu¬
führen soll: er glaubt, daß auf diese Weise der größte Teil der ein¬
geführten Nahrung zur Resorption kommt, gleichzeitig aber auch die
Häufigkeit und Heftigkeit des Erbrechens vermindert und eine Stag¬
nation des Mageninhalts mit all ihren unerwünschten Folgeerschei¬
nungen, besonders chronischem Magenkatarrh, verhütet wird. Ich bin
in meinem Fall anfangs nach Ibrahim verfahren, indem ich auf der
Höhe der Krankheit nur je 5 — 10 g eisgekühlte Ammenmilch in Zwischen¬
räumen von 5 — 10 Minuten geben ließ, und zwar mit ganz gutem
Erfolg, wie das Aufhören der Gewichtsabnahme bewies; vorsichtig
Originalarbeiten und Sammelberichte.
17
und immer nur versuchsweise wurde dann die Menge der einzelnen
Portionen vergrößert, die Pausen zwischen den Mahlzeiten verlängert,
bis wir hei einer gewissen Höchstmenge angelangt waren, die das Kind
allmählich vertragen konnte. Als aber das Kind trotzdem nach einigen
Wochen anfing, wieder stärker zu brechen, und die Rückkehr zu den
kleinen Einzelmahlzeiten und zu den kurzen Zwischenpausen keinen
Erfolg hatte, habe ich mich entschlossen, es direkt an der Brust trinken
zu lassen, und zwar die seinem Gewicht entsprechende Menge und in
längeren Zwischenräumen, das Resultat war dabei auch nicht schlechter,
indem das Kind nicht stärker brach, vor allem niemals die Erscheinungen
des Magenkatarrhs aufwies und schließlich doch zur Genesung kam.
Man darf eben auch hier nicht, so wenig wie sonst in der Medizin,
schematisch oder schablonenhaft Vorgehen, sondern muß je nach Lage
des einzelnen Falles und nach dem Krankheitsverlauf in ein und dem¬
selben Fall individualisieren. Besonders hervorheben möchte ich, daß
die löffelweise Fütterung an die Geduld und Ausdauer des Pflege¬
personals enorme Anforderungen stellt. Vielleicht ist dies auch der
Grund, warum manche Autoren behaupten, Säuglinge mit Pylorus¬
stenose könnten im Elternhaus nicht erfolgreich behandelt werden, son¬
dern müßten in eine gut geleitete Klinik kommen ; ich persönlich teile
diese Ansicht nicht, glaube vielmehr, daß in einer Familie, die alles
für das Wohl und Gedeihen ihres Kindes auf wendet, diesem viel mehr
Aufmerksamkeit und Sorgfalt gewidmet werden kann als in einer stark
belegten Anstalt, und daß daher die häusliche Behandlung der Pylorus¬
stenose zum mindesten keine schlechtere Prognose gibt als die Kranken¬
hausbehandlung, wie ja auch mein Fäll beweist.
Um nun die eigentliche Behandlung noch kurz zu berühren,
so hat dieselbe außer den diätetischen Maßnahmen auch physi¬
kalische und medikamentösei Vorschriften zu berücksichtigen. Als
das .wirksamste Mittel werden von den meisten Autoren regelmäßig
ausgeführte Magenspülüngen angesehen, deren manchmal überraschender
Effekt auf der von Pfaundler experimentell nachgewiesenen er¬
schlaffenden Wirkung des Magens, also auch des Pylorus, beruht. Die
Prozedur ist bekanntlich nichts weniger als eingreifend für das Kind
und leicht ausführbar, und sie übt zweifellos einen günstigen Einfluß
insofern aus, als nach der jeweiligen Spülung die Häufigkeit und Heftig¬
keit des Erbrechens nachläßt. Eine wirkliche Heilung vermag sie in¬
dessen wohl nur selten herbeiführen, und auch in meinem hall hatte
sie stets nur vorübergehenden Erfolg, indem das Erbrechen nach der
Spülung zwar 1 — 2 mal 24 Stunden aussetzte, dann aber stets wieder
wie vorher auftrat. Der Einfluß, der Magenspülung auf den Krampf¬
zustand wird noch erhöht durch warme Breiumschläge auf den Leib,
welche wie bei Kolik, Dysurie usw. zugleich schmerzlindernd und krumpf -
stillend wirken. Mein kleiner Patient hat sie dauernd bekommen und
eigentlich nie den Eindruck gemacht, als ob er besonders heftig unter
Schmerzanfällen litte. Zur weiteren Linderung subjektiver Beschwer¬
den sind in den Fällen, wo die Kinder durch Leokbewegungen ihr Durst¬
gefühl und durch geringe Urinaussoheidungen das Elüssigkeitsmanko
ihres Körpers dokumentieren, Kochsalz-Infusionen angezeigt, falls es
nicht gelingt, durch Verabreichung per os oder vom Rektum aus die
fehlende Flüssigkeit zu ersetzen.
Was endlich noch die Medikamente anbelangt, so kommen im großen
und ganzen hauptsächlich die zwei Mittel in Betracht, die auch ich
2
18
Originalarbeiten und Sammelberichte.
angewandt habe, nämlich Karlsbader Wasser und Opium. Die Ver¬
ordnung des Karlsbader Wassers erfolgt in der Absicht, eine etwa
vorhandene Hyperazidität zu paralysieren; in meinem Fall bat es vor¬
übergebend gut gewirkt, indem in den ersten Tagen der Verabreichung,
ohne daß sonst noch etwas gegeben wurde, das Erbrechen vollständig
sistierte. Aber bald hat auch seine Wirkung versagt, und ich bin
dann schließlich zur Opiumbehandlung übergegangen, wie sie be¬
sonders Heubner warm empfiehlt. Das Opium wirkt ähnlich wie
die Wärme direkt krampf stillend und wird anscheinend ganz gut ver¬
tragen, trotz der für einen Säugling gerade nicht kleinen Menge von
3 Tropfen täglich, und trotzdem diese Graben viele Wochen hindurch
fortgesetzt werden. Man kann nun bezüglich des therapeutischen Effek¬
tes sehr skeptisch sein und doch zugeben, daß der Eintritt und Fort¬
gang der Besserung mindestens unter der Opiumbehandlung erfolgte,
und ich würde kein Bedenken tragen, es künftighin in einem gleichen
Fall in gleicher Menge und in gleicher Dauer anzuwenden. Sonstige
innere Mittel zu verordnen, hat keinen Zweck, namentlich nicht gegen
die Verstopfung, die ja keine wirkliche, sondern nur eine scheinbare,
durch die Leere des Darmes bedingte ist.
Ich glaube mit diesen gedrängten Ausführungen die wichtigsten
Funkte, welche für die Pylorusstenose in Betracht kommen, wenigstens
angedeutet zu haben, obwohl sich ja über jeden einzelnen derselben
sehr ausführlich sprechen ließe. Mir war es darum zu tun, unter
Zugrundelegung eines genau beobachteten Falles diese Krankheit auch
hier in unserer Gesellschaft einmal zur Sprache zu bringen.
Literatur.
Fink eiste in, Jahrb. f. Kinderheilkunde.
„ Lehrbuch der Säuglingskrankheiten.
Ibrahim, Angeborene Pylorusstenose.
Pfaundler u. Schloß mann, Handbuch der Kinderkrankheiten usw.
Berliner Brief.
Zu Beginn des Winters nahm die Huf eland’sche (Demon-
strations-)Gesellschaft ihre Sitzungen wieder auf. Zunächst demon¬
strierte J. Herzfeld einen Patienten mit Pemphigus des Larynx und
Pharynx, bei dem bisher alle B e h an d 1 un gs me t lio den vergeblich ge¬
wesen sind. Sodann hielt L. Kuttner einen kurzen Vortrag über das
Vorkommen von Duodenalgeschwüren im ersten Dezenium. Die Veran¬
lassung zu diesem Vortrag gaben zwei von ihm im Ii. Virchowkranken-
haus beobachtete Fälle. Der eine betraf einen Säugling der am 9. Tage
nach der Geburt eine Darmblutung bekam und 3 Tage später starb.
Hier fand sich im obersten Teil des Duodenums ein Ulcus von 5 mm
Durchmeslser. Das zweite Kind war 4 Jahre alt, bekam einen Tag
vor seiner Aufnahme ins Krankenhaus Bluterbrechen, nachdem es zuvor
stets gesund gewesen war. Die Sektion ergab drei erbsen-pfenniggroße
Duodenalgeschwüre. Im allgemeinen sind Duodenalgeschwüre in den
ersten 10 Lebensjahren selten, am häufigsten dann noch im ersten Lebens¬
jahr. Mitunter sieht man sie nämlich bei Neugeborenen — nach
Landaus Ansicht — infolge Thrombose der Vena umbilicalis mit
konsekutiver Nekrose. Bei älteren Kindern ist die Entstehungsursache
ähnlich wie beim Ulcus ventriculi, daher auch zumeist im oberen Teil
des Duodenums. Der vielfach behauptete Zusammenhang von Duodenal-
Originalarbeiten und Sammelberichte.
19
geschwüren mit H autverbrennimgen ist, wenn er vorkommt, nur als
zufällig anzusehen. Bei dem einzigen vom Vortragenden beobachteten
derartigen Fall, ergab die Sektion, daß die Geschwüre älter sein mußten,
als die Verbrennung. Stürmer bestätigte in der Diskussion, daß er in
13 Jahren bei seinen gerichtlichen Sektionen niemals bei Verbrennungen
Duodenalgeschwüre beobachtet habe. Hielmholtz zeigte im Anschluß
an den Vortrag Präparate von Duodenalgeschwüren bei Kindern, sieben¬
mal in Verbindung mit schwerster Form der Kinder atrophie. Finkei¬
stein erklärt den Zusammenhang beider Erscheinungen damit, daß
die Epithelschädigung die Antifermentbildung herabsetzt, wodurch der
Schutz gegenüber den peptischen Vorgängen fortfällt. Aus diesen Grün¬
den empfiehlt Fuld ein von ihm dargestelltes Antipepsin und Anti¬
trypsin bei Fällen von Magen- und Duodenalgeschwüren.
W. Alexander empfiehlt die Injektion von 70 — 800/0igem Alko¬
hol bei Neuralgien sensibler Nerven, insbesondere des Trigeminus. Bei
Erkrankung motorischer oder gemischt motorisch-sensibler Nerven muß
man von dieser Therapie absehen. Der Vortragende selbst hat bei einer
Frau durch Einspritzung von Alkohol in den Ischiadikusstamm Pero-
naeuslähmung mit Entartung entstehen sehen. Ebenfalls günstige Be-
sultate sind mit der gleichen Behandlung von B. Lewy und E. Unger
erzielt worden, so daß letzterer empfiehlt, diese bei guter Technik ge¬
fahrlose Methode stets zu versuchen, bevor man zur Operation schreitet.
Auch Goldscheider spricht sich günstig für die Alkoholinjektionen aus,
während E. Schlesinger auf die Kochsalzinjektionen bei Neuralgien
hinweist.
Abelsdorff demonstrierte zunächst ein 7 j ähr. Kind, das mit einem
großen Tumor des Ziliarkörpers in seine Behandlung gekommen war.
Die ursprüngliche Diagnose schwankte zwischen Tuberkulose, Lues und
Sarkom. Trotz antisyphilitisicher Behandlung wuchs anfänglich der
Tumor, da aber die Serumreaktion nach Wassermann positiv aus¬
fiel, wurde sie energisch fortgesetzt mit so günstigem Erfolg, daß bei
der Demonstration nur noch geringe Residuen des Tumors sichtbar waren.
Ohne die Serumreaktion hätte man sich bei dem anfänglich negativen
Erfolg der Behandlung vielleicht zu einem operativen Eingriff ent¬
schlossen. Sodann demonstriert Abelsdorff zwei Präparate von sekun¬
därem Aderhautkarzinom, von denen eines durch Operation, das andere
von der Leiche erhalten wurde. Bei dem ersten Fall war die Sklera
perforiert, die Operation wurde hauptsächlich gemacht, um die Patientin
von großen Schmerzen zu befreien. Die meisten derartigen Karzi¬
nome befallen das weibliche Geschlecht und besonders, wie auch hier,
Patientinnen mit Mammakarzinom, v. Hanse mann demonstrierte ein
Präparat, ganz analog den Abelsdor f f’schen, das ebenfalls einer Patien¬
tin mit Mammakarzinom entstammte. Sehstörungen und Iritiden bei
Karzinose sind, wie der Vortragende hervorhebt, stets als Metastasen
suspekt und daher nicht zu vernachlässigen.
Im weiteren Verlauf der Sitzung besprach Keuthe einen Fall
Pankreasatrophie, bei dem die Diagnose intra vitam durch die funk¬
tionelle Prüfung gestellt wurde. P. Fleischer demonstrierte einen
„Turgo-Sphygmograph“, welcher sich in der Poliklinik von Strauß
seit l1/2 Jahren aufs beste bewährt hat. L. Jacobsohn sprach über
einen Fingerbeugereflex, der sich analog dem Babinski’schen Zehen-
ref'lexe bei Pyramidenbahndegeneration an der Hand auslösen läßt.
2*
20
Originalarbeiten und Sammelberichte.
In der Deutschen Gesellschaft für öffentlich© Gesund¬
heitspflege hielt Thoms, der Leiter des pharmazeutischen Institutes
in Dahlem, einen Vortrag über „Die Arzneimittel Versorgung des deut¬
schen Volkes vom Standpunkte der öffentlichen Gesundheitspflege“.
Thoms führt im Verein mit dem Hallenser Pharmakologen Harnak
seit einiger Zeit einen Kampf gegen die große Anzahl von Heilmitteln,
die in aufdringlicher Weise angepriesen, vielfach falsch deklariert y erden
und auch in ihrer Wirkung nicht dem entsprechen, was der häufig
mehr geschickt als logisch gewählte Name besagt. Durch diese Mittel
wird die deutsche Industrie im In- und Auslande stark in ihrem An¬
sehen geschädigt. Die Ärzte haben aber auch ein besonderes Interesse
gegen diese Mittel vorzugehen, nicht nur aus wissenschaftlichen Grün¬
den, sondern auch mit Rücksicht auf die Kranken, da einzelne Mittel
direkt schädliche Substanzen in größerer Menge enthalten, von denen
in der Anpreisung nichts steht, oder aber wenigstens doch den wirk¬
samen Stoff, deretwegen man sie gerade verordnet, nicht enthalten.
Thoms erläuterte an einer Reih© von Beispielen die Richtigkeit seiner Be¬
hauptung, unbekümmert um die mannigfachen Unannehmlichkeiten, die
ihm schon durch seinen Kampf erwachsen sind. Um dem Unheil zu
steuern’ schlägt der Vortragende vor, ein Staatsinstitut zu gründen,
in dem die neuen Heilmittel einer Prüfung unterzogen werden. In
der Diskussion bedauert Munter, daß wir Ärzte so wenig Einfluß
auf die Inserate selbst unserer Fachzeitschriften haben. Ein Vorwurf
gegen die Apotheken, daß sie vielfach dem Publikum solche Mittel
empfehlen, wird damit erwidert, daß von Ärzten häufig durch direkten
Verkehr mit Fabriken, die größere Probesendungen ihrer Mittel zur
Verfügung stellen, die Apotheker geschädigt werden. Boas hält dafür,
daß es für den praktischen Arzt unmöglich sei, die Mittel nach ihrer
chemischen Zusammensetzung zu prüfen, für ihn gelt© meist die Empirie.
Er spricht sich für die Gründung besonderer therapeutischer Kliniken
aus. Vom Standpunkte der Großindustrie spricht sich Dr. Goldmann,
der Vertreter von Bayer-Elberfeld, dahin aus, daß die ernsthafte
chemische Industrie ganz auf Seiten Thoms stehe und der Schaffung
eines Staatsinstitutes sympathisch gegenüberstehe. Doch sollte sich
ein solches Institut nur auf die chemische Prüfung der Arzneimittel
beschränken. Eine einseitige pharmakologisch© Prüfung könnte von
Übel sein, da, wie Vortragender an den Beispielen des Tuberkulins und
auch des Diphtherieserums auseinandersetzt, ein anfänglich abgelehntes
Präparat doch durch Modifizierung seiner Anwendung usw. Nutzen
stiften kann und andererseits auch ein anfänglich empfohlenes vielleicht
zuweilen ungünstige Wirkung haben kann. Jetzt lassen die großen
Fabriken ihre Mittel erst an 10 — 20 Kliniken oder Instituten prüfen,
bevor sie sie in den Handel bringen. Er betonte schließlich auch, daß
diejenigen Ärzte, welche sich fortdauernd Probesendungen von Fabriken
senden lassen, doch wohl bekannt sind, und daß diese Herren schlie߬
lich keine Sendungen mehr erhalten. Das Fazit der Sitzung war, daß
Ärzte, Apotheker und Großindustrie di© Bemühungen Thoms nach
jeder Richtung unterstützen wollen, unbekümmert um manche Mi߬
stände, die man aus dem Lager des einen wie des anderen tadelte.
Originalarbeiten und Sammelberichte.
21
80. Versammlung Deutscher Naturforscher und Ärzte.
Sammelbericht von Dr. F. Reuter, Kalk-Köln.
(Fortsetzung.)
In der Abteilung für Augenheilkunde sprach am Montag
nachm, u. a. Bählmanjn (Weimar) über „Wert und Anwendung
der Photographie in natürlichen Farben zur Diagnose der
Farbenblindheit“ (erscheint in der W. med. Wochenschr.). Der Vor¬
tragende zeigt die Verwendung von farbigen Photographien zur Prü¬
fung des Farbensinnes (Autochroüiphotographien nach Lumiere’schem
Verfahren). Mittelst der Autochromphotographie werden die natür¬
lichen Farben der Gegenstände auch in ihren relativen Helligkeits¬
werten naturgetreu wieder gegeben. Gegenstände in Farben, die von
Farbenblinden erfahrungsgemäß verwechselt werden, geben deshalb auch,
auf diese Weise reproduziert, gute Prüfungsobjekte auf Farbenblind¬
heit und zwar eignet sich das Verfahren besonders zur Feststellung
der Art und Stärke der Anomalien des Farbensinns. Die Tafeln zeigen
Gegenstände in den Verwechslungsfarben, so z. B. eine Erdbeerstaude
mit verschieden reifen Früchten, einen Strauß aus roten und blauen
Blumen u. a. Es werden dabei gerade die Farben besonders berücksichtigt,
die im Eisenbahn- und Schiffsverkehr als Signalfarben in Frage kommen.
Auch der praktische Arzt wird auf diese Weise leicht die Störungen
des Farbensinns feststellen können, die für bestimmte Berufsklassen
untauglich machen, und zwar kann man mittelst der Tafel einen Zahlen¬
wert für die Größe der Empfindungsanomalie und damit ein genaues
Maß für die Farbenblindheit bekommen. Diese graduelle Untersuchung
geschieht mittelst Gelatinefilter, die in den Färben der Autochrom¬
platte hergestellt werden. Die neue Prüfungsmethode ist vor allem
deshalb jeder anderen überlegen, weil die Untersuchung mit sehr reinen
Farben geschieht, Diskussion: Pfadz (Düsseldorf), Axenfeld (Frei¬
burg) und Bählmann (Weimar).
In derselben Sitzung sprachen auch noch Schanz (Dresden) und
Dr. ing. Stockhausen (Dresden) „über die Einwirkung' der ultra¬
violetten Strahlen auf das Auge“. Beide haben die Augen auf
ihre Durchlässigkeit für ultraviolette, nicht sichtbare Strahlen unter¬
sucht, von denen feststeht, daß sie für das Auge schädlich sind. Sie
haben verschiedene Augenteile und ganze Augen mit dem, Licht der
elektrischen Bogenlampe intensiv belichtet, das Licht, welches die Augen¬
teile bezw. das ganze Auge passiert hatte, mit einem Quarzspektro-
graphen zerlegt und das Spektrum photographiert. Es zeigte sich, daß
die relativ kurzwelligen ultra, violetten Strahlen (von weniger als 300
Wellenlänge) nicht imstande sind, durch die Hornhaut hindurchzu¬
dringen, sie werden von derselben labsorbiert. Die ultravioletten Strahlen
von 350 — 300 fifi Wellenlänge gehen dagegen durch die Hornhaut hin-
durch, sie gelangen zur Linse und werden von dieser ^ ersichluekt,
während die ultravioletten Strahlen von 400 — 350 jn/n Wellenlänge bis
zur Netzhaut gelangen und zugleich die Fluoreszenz der Linse er¬
zeugen.
Als Schädigungen des Auges durch ultraviolette Strahlen sind
bis jetzt folgende erkannt worden: 1. Beizungen des äußeren Auges,
die, vom. Augenkatarrh angefangen sich bis zu den heftigsten Ent¬
zündungen, wie sie als elektrische Ophthalmie und Schneeblindheit
bekannt sind, steigern können, 2. Veränderungen in der Linse (Zerfall
22
Originalarbeiten und Sammelberichte.
der Kerne und Zerstörung der Zellen des Kapselepithels), 3. Heizungen
der Netzhaut (Erythropsin, Farbensinnstörungen in der Nähe des Fixa-
tionspunktes). Für den Sehakt sind die ultravioletten Strahlen über¬
flüssig, gewissermaßen eine Verunreinigung des Lichtes. Daher muß
man sie vom Auge fernhalten. Redner haben nun ein grüngelbes Glas
hersteilen lassen, das die ultravioletten Lichtstrahlen absorbiert und
empfehlen dies als Hülle für unsere künstlichen Lichtquellen. Sie haben
dann die Fluoreszenz der Linse bei Belichtung mit ultravioletten Strahlen
untersucht und kommen zu dem Schluß, daß die Fluoreszenz eine
Färbung durch ultraviolette Strahlen ist, die unser Auge unter be¬
sonderen Umständen wahrnimmt. Durch die Eigenschaft unseres Auges,
bei Abhaltung der sichtbaren Strahlen die ultravioletten (bei genügender
Intensität) wahrzunehmen, erklären sie sich manche Fluoreszenzer¬
scheinungen in der Natur.
Dienstag nachmittag erstatteten in einer gemeinschaft¬
lichen Sitzung der Ab teil iingen für Gynäkologie, Hygiene
und Kinderheilkunde, die allerdings in der Hauptsache von den
Pädiatern besucht war, Keller (Berlin) und Reicher (Wien) im Auf¬
träge des Komitees zum Studium der Findlings für sorge, das der vorige
Naturforschertag in Dresden eingesetzt hatte, ihren Bericht über die
Fürsorge für uneheliche Kinder. Die Fürsorge für den Säugling hat
in den letzten Jahren wesentliche Fortschritte gemacht, besonders in
den Großstädten (Fürsorgestellen, Kinder- und Säuglingsheime, Milch¬
küchen, Stillprämien u. a. m.). Über manche dieser Maßnahmen läßt
sich noch streiten, auf alle Fälle müssen aber jetzt erst die Erfolge
des bisher geschaffenen abgewartet werden, ehe neue Bahnen einge¬
schlagen werden dürfen. Die Stillprämien z. B. haben auf die Ver¬
breitung des Stillens noch wenig Einfluß gehabt, wohl aber sind sie
wichtig, weil sie die Mütter in die Fürsorgesprechstunden bringen.
Die Frage des Mutterschutzes und der Mutterschaftsversicherung, ist
von dem Verein für Armenpflege auf seinem letzten Kongresse hin¬
reichend erörtert worden, im Anschluß! an das Referat von Frl. Salomon.
Alle Schutzmaßregeln müssen in gleicher Weise für die eheliche wie
für die uneheliche Mutter getroffen werden. Der Mutter, die für sich
und ihr Kind Brod verdienen muß, muß die Sorge für das Kind ab¬
genommen werden, möglichst ohne sie von dem Kinde zu trennen.
Familienfürsorge in der Stadt ist in den meisten Fällen zu bevorzugen,
Anstaltspflege kommt besonders für die ersten Wochen nach der Ent¬
lassung aus der Entbindungsanstalt in Frage, doch reichen die vor¬
handenen Anstalten bei weitem nicht aus.
Alle vorhandenen Maßregeln kommen aber denjenigen Kindern,
die ihrer am meisten bedürfen, am wenigsten zugute, den unehelichen
und gefährdeten, weil sie vielfach absichtlich der Fürsorge entzogen
werden. Maßregeln der Großstädte haben da allein wenig Zweck,
es muß vielmehr eine Zentralisation der gesamten Kinderfürsorge für
ganze Bezirke geschaffen werden und eine einheitliche staatliche Zwangs¬
aufsicht für alle Gruppen gefährdeter Kinder, alle unehelichen, alle
bevormundeten, alle nicht bei .oder von der Mutter verpflegten Kinder,
ferner die Kinder armenunterstützter Eltern und die Ammenkinder.
Auch in Frankreich läßt die gesetzliche Regelung noch ?uanches zu
wünschen übrig. Wenn Ungarn ein System einführen konnte, das
manchem als der Höhepunkt erscheint, so ist dabei zu bedenken, daß
es auf keinerlei geschichtliche Entwicklung Rücksicht zu nehmen
Originalarbeiten und Sammelberichte.
23
brauchte. Bei uns lassen sieh die vorhandenen Anfänge zusammen-
fassen und nach Art des Leipziger Systems aushauen, doch wird das
noch längere Zeit erfordern.
Eine gesetzliche Regelung des Ammenwesens, wie sie in Ham¬
burg schon seit 1822 besteht, ist ebenfalls notwendig. Schloßmann
war es, der zuerst die Aufmerksamkeit wieder dem Ammenkinde zu¬
wandte und für ein Reichs ammengesetz eintrat. Die Aufsicht über
die Ammenkinder wird am besten mit der Berufsvormundschaft ver¬
bunden, die sich sehr gut bewährt hat. Vor allem müssen alle Kinder
der Aufsicht unterstellt werden, damit die gefährdeten ihr nicht ent¬
gehen.
Reicher (Wien) besprach als Jurist die Entwicklung des Find¬
lings wesens besonders in Frankreich und Österreich.
Die Findelanstalt der romanischen Länder war in ihren ersten
Anfängen eine Reaktion des Christentums gegen die heidnische Sitte
der Kindesaussetzung, sie wurde später die Sammelstelle für alle aus¬
gesetzten Kinder. Die „Drehlade“, die an der Findelanstalt offensicht¬
lich angebracht war, hat in den romanischen Ländern eine große V er-
breitung gefunden, obwohl sie, besonders infolge der unbedingten Auf¬
nahme ohne Rücksicht auf Herkunft und Bedürftigkeit und der Anony¬
mität für gewissenlose Eltern nur1 eine Einladung zur Kindesentäußerung
dar stellte. Ludwig XIV. erhob in Frankreich die Findelanstalt zu
einer staatlichen Einrichtung, die Revolution erklärte die Fürsorge für
die „natürlichen“ Kinder für eine heilige ,Pf licht des Staates. Für die
heutige Regelung in Frankreich hat Napoleon die Grundlage geschaffen,
danach ist der Minister des Innern die oberste Aufsichtsbehörde für
das Ammenwesen. Die rechtlichen Verhältnisse des unehelichen Kindes
liegen in Frankreich bekanntlich noch sehr im argen.
In Österreich war es Kaiser Josef II., der Reformator des Armen¬
wesens, der zuerst die. Fürsorge „für gefallene Weibspersonen und
ihre Kinder“ in ähnlicher Weise' wie in Frankreich organisierte. Als
dann 1861 die Findelanstalt zur Landessache erklärt wurde, begann
ihre Leidensgeschichte. Eine Anstalt nach der anderen wurde unter
Hinweis auf die öffentliche Moral aufgehoben, bis man neuerdings
wieder zur Errichtung ähnlicher Anstalten übergeht, die aber, wie
die Findelanstalt in Graz, nur Durchgangsstationen für die gesunden
und Hospitäler für die kranken Kinder darstellen. Von großer Be¬
deutung ist neuerdings die Verbesserung der rechtlichen Verhältnisse
des unehelichen Kindes in Österreich; besonders die energische (Ver¬
folgung seiner Ersatzansprüche gegen den Vater. Die Erfolge der
Anstalten sind neuerdings auch recht gute, die Sterblichkeit der steier¬
märkischen Anstalt z. B. steht völlig im Einklang mit der allgemeinen
Säuglingssterblichkeit des Landes.
Die ehrenamtliche Vormundschaft hat in Österreich völlig ver¬
sagt, sie muß durch die Berufs vormundisicha,ft ersetzt werden.
Es ist nicht zu begreifen, wie die großen Parteien an dem Kinder¬
elend achtlos Vorbeigehen können !
Redner empfahl dann die Annahme folgender Leitsätze:
„Für die unehelichen Kinder ist ein wirksamer Ersatz des Familien¬
schutzes durch die Berufsvormundschaft anzustreben. Mit dieser ist
die ärztliche Aufsicht zu verbinden.
Es empfiehlt sich, in dem deutschen Reichsgesetze, betreffend den
Unterstützungswohnsitz, und in dem österreichischen Heimatgesetze in
24
Vorläufige Mitteilungen und Autoreferate.
unzweideutiger, klarer W eise zum Ausdruck zu bringen, daß unter
dem unentbehrlichen Lebensunterhalte auch die der Gesundheitspflege
entsprechende Ernährung und Körperpflege des armen Kindes zu ver¬
stehen ist und daß somit die Armenverbände bezw. die Gemeinden zu
einer solchen verpflichtet sind.
Die Gemeinden und Orts armen verbände — mit Ausnahme der
großen Städte — sind iri der Kegel zur Bewältigung einer so schwierigen
und verantwortungsvollen, Volkswohlfahrt und Staatswohl so nahe be¬
rührenden Aufgabe, wie es die Pflege und Erziehung von Kindern ist,
nicht geeignet.
Die Fürsorge für arme Kinder ist daher den kleinen leistungs¬
unfähigen Verbänden abzunehmen und größeren Verbänden zu über¬
tragen und im Wege einer wirksamen Aufsicht sicher zustellen.“
Die sehr lebhafte Diskussion, in der u. a, Escherich (Wien),
Bommel (München), Sieger t (Köln), Schloßmann (Düsseldorf) und
Soltmann (Leipzig) das Wort ergriffen, drehte sich besonders um die
Frage der Berufsvormundschaft und um die Beratung der kranken
Kinder in den Eürsorgestellen, die man nicht ausschließen solle, da
sie 70 — 90°/0 der Fälle bildeten. Schloßmann tritt lebhaft für Ein¬
führung der Mutterschaftsversicherung bei Gelegenheit der Neuregelung
des Kranken- und Invalidengesetzes ein, von anderer Seite wird die
Einführung der Dienstboten Versicherung gefordert, da 50°/0 der un¬
unehelichen Mütter Dienstboten seien. Von mehreren Seiten wird
empfohlen, im Interesse der Städte Maß zu halten in neuen Anforde¬
rungen, da dieselben, sonst bald nicht mehn in der Lage sein würden,
die Kosten aufzubringen.
Im Anschluß daran sprach noch Hochsinger (Wien) über „Ositeo-
psathyrosis congenita“ mit Demonstration von Präparaten und
Wieland (Basel) „über angeborene Weiohsdhädel“ ebenfalls mit
Demonstrationen. (Fortsetzung folgt.)
Vorläufige Mitteilungen u. Autoreferate.
Über die traumatische Degeneration und Regeneration des menschlichen
Gehirns.
Von Dr. Pfeifer, Halle a. S.
(Nach einem Vortrag auf der mitteldeutschen Psychiater- u. Neurologen Versammlung
in Halle a. S., 25. Oktober 1908.)
Verfasser hat eine Keihe von Punktionskanälen nach Hirnpunk¬
tionen, welche in verschiedenen Zeiträumen ante exitum — von 5 Tagen
bis zu 101/2 Monaten — zuin Zwecke der Diagnose von Hirntumoren
ausgeführt waren, bezüglich der dabei sich abspielenden degenerativen
und regenerativen Erscheinungen untersucht.
In der Umgebung frischer Punktionskanäle waren niemals ent¬
zündliche Erscheinungen vorhanden. Die Vernarbung erfolgte durch
reine Bindegewebsneubildung . ohne Beteiligung der Glia.
An Markscheidenpräparaten waren in unmittelbarer Umgebung
der 5 Tage alten Punktionskanäle degenerative Erscheinungen nach¬
weisbar. Innerhalb der Narben fanden sich bis zum 57. Tage keine
neugebildeten Markfasern, dagegen waren solche in den 101/2 Monate
alten Narben sehr deutlich zu sehen.
Vorläufige Mitteilungen und Autoreferate.
25
Bei Achsenzylinderfärbung nach der Biels ch'o wski’ sehen Methode
zeigten sich in unmittelbarer Umgebung der 5 Tage alten Punktions¬
kanäle vorwiegend degenerative Erscheinungen, wie Verdickung und
Quellung der Achsenzylinder, Bildung von Rosenkranzformen und freien
Kugeln, sowie Fragmentation der Axone. Innerhalb der Narben waren
zweifellose Regenerationserscheinungen von Adhsenzylindern festzu¬
stellen und zwar war an: den Narben von 19 Tagen bis zu 101/2 Monaten
ein stetiger Fortschritt in der Entwicklung der Achsenzylinder sowohl
bezüglich der Zahl der neugebildeten Fäserchen, als der Menge charakte¬
ristischer Regenerationsbildungen an denselben zu konstatieren. Be¬
sonders ausgesprochen war dies an der 101/ 2 Monate alten Narbe die
allenthalben von feinen nackten Achsenzylindern durchzogen war,
welche eine Menge charakteristischer Bildungen aufwiesen, wie End-
knospen von verschiedener Gestalt, Ring- und Knäuelbildungen sowie
z ahlreiche V er zweigungen .
Es handelt sich hier also um genau dieselben Erscheinungen, wie
sie von Cajal auf experimentellem Wege am Gehirn von Tieren etwa
8 — 14 Tage nach der Verletzung beobachtet und als unbedingt sichere
Zeichen einer Regeneration aufgefaßt wurden. Daß es sich bei den
Nervenfaßern innerhalb der neugebildeten Narben nicht um peristie¬
rende, sondern um regenerierte Fasern handelt, dafür spricht: 1. die Art
der Verletzung, die wie die frischen Fälle zeigen, einen röhrenförmigen
Kanal darstellt, der in seinem Innern nur Detritus und Blut enthält,
2. die Art der Narbe, die rein bindegewebiger Natur ist, 3. das Ver¬
halten der Axone innerhalb der Narbe, deren Entwicklung mit dein
Alter der Narbe zunimmt und die reichliche charakteristische Rege¬
nerationserscheinungen aufweisen.
Das Zustandekommen der Regeneration der Achsenzylinder im Zen¬
tralnervensystem ist mit der Auffassung der polygenisten unvereinbar,
weil die Nervenfasern des Gehirns und Rückenmarks der Schwan’ sehen
Zellen und der Schwan’schen Scheiden entbehren. Auch fanden sich
innerhalb der Narben keinerlei Erscheinungen, die an Zellbänder er¬
innerten. Dagegen konnten Achsenzylinder direkt von der Umgebung
her in die Narbe hinein verfolgt werden.
Eine Regeneration der Achsenzylinder des Gehirns erwachsener
Menschen im anatomischen Sinne ist damit erwiesen. Daß sich die
Achsenzylinder bei der 101/2 Monate alten Narbe zum Teil mit Mark¬
scheiden umkleideten, spricht für die Wahrscheinlichkeit einer Rege¬
neration auch in funktioneller Beziehung. Autoreferat.
Der trockene und der feuchte Verband.
W. Esch. Archiv für phys.-diät. Therapie, H. 3; 1907.
Eigenbericht.
Verf. betont, daß es sich hier, wie auch sonst in der Heilkunde,
nicht darum handeln könne „ein allein gültiges Normal verf aliren“
(Engel) ausfindig zu machen, sondern daß man vielmehr darüber klar
werden müsse, in welchen Fällen der trockene, in welchen der feuchte
Verband das für den Patienten vorteilhafteste Verfahren darstellt.
Die Entscheidung darüber wird aber erst möglich, wenn die Wir¬
kungsweise der verschiedenen Methoden festgestellt ist. Diese nun hängt
natürlich vor allem von der angewandten Tedhnik ab. Wir haben
im wesentlichen 3 Arten von Verband zu unterscheiden: 1. den
26
Vorläufige Mitteilungen und Autoreferate.
trockenen, 2. den feuchten, wasserdicht bedeckten, 3. den feuchten, nicht
wasserdicht bedeckten „austrocknenden“ Verband.
Namentlich über die Wirkung der beiden letzten Formen machen
sich bei den einzelnen Autoren noch verschiedene Ansichten bemerkbar.
Bis vor kurzem wurde der feuchte Verband überhaupt verworfen
(Länderer, v. Bergmann), seitdem man von der, auf dem Prinzip
der feuchten Wundbehandlung aufgebauten Antisepsis zur Asepsis über¬
gangen war. In der letzten Zeit aber mehren sich die Stimmen der¬
jenigen. die es für falsch halten, daß man gleichzeitig mit der Anti¬
sepsis auch den feuchten Verband an sich verwarf. Altmann, Böhm,
Diehl, Engel, Frank, Ihrig, Koist, Berlin,, Schultz und vor allem
Friedrich, Schade und Schnitzler betonten, daß bei gewissen ent¬
zündlichen .Prozessen der feuchte Verband wegen seiner besser an-
s au gen den, erweichenden, den Schmerz lindernden und hy per ämisier en¬
den Wirkung dem trockenen weit vorzuziehen sei.
Die Mehrzahl der genannten Autoren aber empfiehlt nur den
„austrocknenden“, nicht wasserdicht bedeckten Verband, weil sie die
bei wasserdichter Bedeckung entstehende Gewebsquellung1 und Bakterien¬
wucherung in der „feuchten Kammer“ fürchten. Speziell Schnitzler
W. m. W. 1906, Nr. 2, gibt zwar zu, daß auch bei dem aus trocknen den
(wenn auch in geringerem Grade als bei dem trockenen) Verband der
relativ hohe Gehalt des Wundsekretes und des Blutes an festen Be¬
standteilen oft zu einer raschen Inkrustation des Mulls führt, der dann
nicht mehr hydrophil, sondern als undurchlässiger Stoff wirkt, wendet
sich aber trotzdem gegen die, diesen Ubelstand verhindernde wasser¬
dichte Bedeckung, weil nach Experimenten .Preobr aschenski’s die
ansaugende Wirkung des undurchlässigen Verbandes aufhöre, sobald
er sich mit Wundsekret vollgesaugt habe. Diesem Übelstande sucht
Sch. durch häufigere, d. h. mindestens täglich zu wiederholende Ent¬
fernung der inkrustierten Schichten und Anfeuchtungen des Ver¬
bau des abzuhelfen.
Diesem ziemlich umständlichen und unsicheren Verfahren, sowie
der erwähnten Befürchtung der Bakterienwucherung usw. gegenüber
weist Esch darauf hin, daß der wasserdicht bedeckte feuchte Verband
bei richtiger Technik keine derartige Unzuträglichkeiten im Gefolge
hat. Man muß nur darauf achten, daß der, mit reinem Wasser o,der
3%igem H202 befeuchtete Mull in genügend dicker Schichtung (je
nach Beschaffenheit des Falles zwischen 1/2 und mehreren Zentimetern
schwankend) und gut aus gedrückt verwandt wird.
Gerade das gute Ausdrücken ist ein Hauptmoment, was leider
vielfach übersehen wird, indem man den Verband triefend naß anlegt.
Daß er dann nicht ansaugend wirken, wohl aber die genannten Schädi¬
gungen hervorrufen kann, ist klar. Bei richtig angelegtem Verband
verhütet dagegen die wasserdichte Bedeckung das zu frühe Austrock¬
nen und Inkrustieren, der feuchte Verband wird dann eben nicht
zum trocknen. Aus demselben Grunde ist ein täglicher Verbandwechsel
nicht wie bei dem Schnitzle r'schen Verfahren, das mindeste, sondern
das äußerste, was verlangt werden muß: Das von Pre obras eben ski ge¬
fürchtete „Vollgesaugtsein“ des Verbandes tritt bei richtiger Technik
frühestens erst nach 24 Stunden ein.
Wenn ja nun auch der hier zuweilen tä glich nötige Verbandwechsel
für den Arzt mühsamer ist als das 'trockene Verfahren, so macht sich doch
diese vermehrte Arbeit reichlich belohnt durch die weit raschere, schmerz-
Vorläufige Mitteilungen und Autoreferate.
27
losere und sicherere Heilung des Patienten, die durch zahlreiche Kon-
trollversuche von Esch erwiesen wurde.
Während also hei den meisten frischen aseptischen Verletzungen
und Operationen der trockene Verband durchaus am ,Platze ist, sollte
man bei in fektions verdächtigen, nicht ganz genähten, sowie bei mit
Ge webszertrümmerung verbundenen Verletzungen, bei Verbrennungen
usw., vor allem aber bei allen entzündlichen Prozessen den feuch¬
ten gut ausgedrückten wasserdicht bedeckten Verband sowohl dem
trockenen als dem feuchten austrocknenden vorzuziehen. Der letztere,
der ja stets bald früher, bald später zum trockenen wird, dürfte über¬
haupt zwecklos sein, wenn er nicht mehrmals täglich gewechselt wer¬
den kann.
Über Benzinvergiftung.
Von Dr. Heinrich Wiehern, Leipzig.
(Nach einem Vortrag in der medizinischen Gesellschaft in Leipzig.)
Bei der Benzinvergiftung sind 2 Gruppen zu unterscheiden, je
nachdem das Gift in den Magen eingeführt oder in Gestalt von Benzin-
dämpfen durch die Lunge aufgenommen wird. Zur ersteren Gruppe
gehören 3 Fälle, in denen junge Mädchen in selbstmörderischer Absicht
verschieden große Mengen Benzin tranken. Bei allen trat Erbrechen
und Herzschwäche auf, aber nur in einem Falle, wo 1/4 Liter Benzin
getrunken war, kam es zu schwerer Bewußtlosigkeit. Sämtliche
Kranke waren abgesehen von Kopfschmerzen und leichteren Beizer¬
scheinungen im Halse am folgenden Tage genesen. Zwei weitere Be¬
obachtungen gehörten der zweiten Gruppe an und betrafen Arbeiter,
die in einer chemischen Fabrik oder Wäscherei durch Benzindämpfe
in einen bedrohlichen Zustand von Bewußtlosigkeit und Herzschwäche
mit starker Zyanose und Kälte der Haut verfielen. Als nach Verlauf
von 1/2 — 1 Stunde das Sensorium klarer wurde, traten auffallend heftige
und in einem Falle auch länger anhaltende Schüttelfröste auf. Beide
Patienten erholten sich aber in den nächsten Tagen vollständig. Diese
letzteren Fälle weisen auf die Bedeutung derartiger Vergiftungen als
Gewerbe-Erkrankung hin, so daß geeignete Schutzmaßregeln für die
Arbeiter getroffen werden müssen. Die Therapie der akuten Benzin¬
vergiftung hat vor allem für Entfernung des Giftes aus dem Körper
zu sorgen ; die Ausscheidung des' Benzins erfolgt wohl hauptsächlich
in Dampfform durch die Atmungsorgane, wofür der lange anhaltende
Benzingeruch der Exspirationsluft bei Vergifteten spricht.
Autoreferat.
Leukämische Erkrankung des Larynx.
Arth. Meyer. Zeitschr. für Laryng., Bd. 1, H. 3.
Miterkrankung des Kehlkopfesi bei Leukämie ist nicht, selten, bildet
aber meist nur einen Nebenbefund ohne klinische Bedeutung. Erst
seit 12 Jahren sind einige Fälle bekannt, in denen der Kehlkopf eigene
Beachtung beanspruchte ; in den meisten wurde die Tracheotomie er¬
forderlich. Die Erkrankung besteht im Auftreten flacher, rundlicher,
weicher Knoten von blaßgraurötlicher Farbe, meist ohne Verletzung*
des Epithels ; die Knoten können zu unebenen Infiltraten konfluieren.
In der Begio subglottica pflegen die Infiltrate gleichmäßig und eben
zu sein, während in der Trachea die Knötchen oft ringförmige Anord¬
nung zeigen.
28
Referate und Besprechungen.
Im vorliegenden Falle bestand, neben zwei flachen Knoten im
Vestibnlum laryngis, eine erhebliche, seitlich symmetrische, subglot¬
tische Infiltration, die den Kehlkopf bis auf einen sagittalen Spalt
von ca.. 2,5 mm verengte. Es bestand Dyspnoe und pseudokrupp artig
klingender Husten. Der Tracheotomie folgte bald der Exitus. Am
Kehlkopf fand sieh eine 8 mm dicke Schwellung der subglottischen
Schleimhaut, bestehend aus einer dichten, kleinzelligen Infiltration, die
selbst die elastische Haut und die Gefäße durchsetzt. Daneben fand
sich eine (zum ersten Male beobachtete) Erkrankung des Ringknorpels :
Er war verknöchert, stark verdickt und enthielt im Innern einen weiten,
mit himbeerfarbigem Mark erfüllten Markraum. Die Leukämie war
gemischt, lymphatisch - myelogen.
Die Frage, ob der Kehlkopfbefund allein erlaubt, Leukämie zu
diagnostizieren, ist prinzipiell zu bejahen, jedoch ist eine Unterscheidung
von pseudoleukämischer Larynxerkrankung unmöglich. Blutunter¬
suchung muß natürlich immer die Diagnose sicherstellen. Die Therapie
besteht in Narcoticis und Sprechverbot, um die mechanische Läsion des
Infiltrates zu verhüten ; bei Stenose Tracheotomie ; endlich, tun die
Schwellungen zur Rückbildung zu bringen, Röntgenbestrahlung des
Halses. Autoreferat.
Referate und Besprechungen.
Innere Medizin.
Über einfache, nichttuberkulöse Kollapsinduration der rechten Lungen¬
spitze bei chronisch behinderter Nasenatmung.
(Prof. Dr. G. Krönig. Med. Klinik, Nr. 40 u. 41, 1908.)
In dem ersten mehr physiologischen Teil der Arbeit werden die Respi¬
rationsverhältnisse der rechten Lungenspitze einer Besprechung unterzogen,
und es wird nachgewiesen, daß in den beiden Lungenspitzen der Inspirations¬
zug stärker ist als in den unteren Lungenabschnitten, und daß auch unter
normalen Verhältnissen infolge der anatomischen Anordnungen der Bronchien
in der rechten Spitze der Expirationsdruck geringer sein wird als in der
linken Spitze. Diese physiologische Verminderung des Expirationsdruckes in
der rechten Spitze kann durch gelegentliche anderweitige pathologische Ver¬
hältnisse (Aperturstenose Freund’s und SchmorPsche Rinne) verstärkt wer¬
den. Es ist leicht einzusehen, daß unter solchen Umständen eine Staub- bezw.
Bakterienablagerung in den Lungenspitzen speziell in der rechten begünstigt
wird; ein weiteres, ihre Ablagerungen in der rechten Spitze noch besonders
unterstützendes Moment kann darin erblickt werden, daß die Verzweigung
des Bronchialbaumes in der rechten Spitze eine stärkere ist als in der linken.
Ebenso ist leicht verständlich, daß wenn die Nasenatmung durch irgend welche
Hindernisse (adenoide Wucherungen usw.) beschränkt ist, und demgemäß mehr
durch den Mund geatmet wird, reichlicher Gelegentlich gegeben ist, daß staub-
reichere Luft in die Lungen gelangt, und der Staub in vermehrtem Maße in
den Spitzen und sp. der rechten zur Ablagerung kommt und dort Veränderungen
hervorrufen kann, welche denen einer beginnenden Tuberkulose entsprechen.
Krönig bringt nun eine ganze Anzahl solcher Fälle aus seiner Praxis unter
Beibringung von Abbildungen 'zur Besprechung, und hebt als wichtigstes
differentialdiagnostisches Moment, diese Fälle von denen beginnender Tuber¬
kulose zu unterscheiden, das hervor, daß bei der einfachen auf Staubinhalation
beruhenden Atelektase der rechten oder beider Lungenspitzen auf beiden
Seiten eine durchaus normale Exkursionsbreite der unteren Lungenränder
besteht und eine vollständige Ausfüllung der Komplementärräume erfolgt,
Referate und Besprechungen.
29
während im Gegensatz dazu hei der auf tuberkulöser Basis entstandenen Spitzen¬
induration infolge der bei der Tuberkulose fast nie vermißten pleuritischen
Adhäsionen bez. Verwachsungen als ein Frühsymptom eine gewisse respira¬
torische Unbeweglichkeit der basalen, vielfach auch der medialen Lungen¬
ränder der betroffenen Seite beobachtet wurde. Das Erhaltensein der freien
respiratorischen Bewegung der Lungenränder in den Komplementärräumen,
würde nach Krönig im gegebenen Falle ein sehr starkes Moment gegen die
klinische Auffassung des Falles, als eines solchen von Tuberkulose darstellen,
selbst wenn eine probatorische Tuberkulinreaktion eine leichte Reaktion her-
vorrufen sollte, im übrigen aber gelegentliche Fieberbewegungen, Abmage¬
rung und sonstige Erscheinungen von Gifteinwirkungen (Schweiße) dauernd
fehlen. R. Sttive (Osnabrück).
Tuberkulinbehandlung bei Leukämie.
(Weitz. Deutsches Archiv für klin. Med., Bd. 92, S. 551.)
Die länger fortgesetzten Tuberkulin-Injektionen wirken bei Leukämie
etwa wie bei chronischer Tuberkulose, d. h. solange bessernd, bis eine Gewöh¬
nung eingetreten ist. S. Schoenborn.
Über den Einfluß der Berufsarbeit auf die Herzgröße. — Über den Einfluß
des Militärdienstes auf die Herzgröße.
(Schi eff er. Deutsches Archiv für klin. Med., Bd. 92, S. 383 u. 392.)
Die Untersuchungen wurden an der Moritz’schen Klinik mittels Ortho¬
diagraphie und Ausmessung der Herzfläche nach Moritz gemacht und er¬
gaben wesentlich :
1. „Schwere“ Berufe führen zu stärkerem Wachstum des Herzens als
leichte.
2. Beim Militärdienst kommen wohl Abnahmen als (häufiger) Zunahmen
der ursprünglichen Herzgröße vor. Das Vorhandensein leichter Herzstörungen
im Sinne geringer Vitia führt keineswegs leichter zu Herz Veränderung als
ein von vornherein gesundes Herz. Von vornherein hypertrophische Herzen
neigen im allgemeinen nicht zu weiteren großen Veränderungen während
des Dienstes. Bei schweren Berufen der eingestellten Soldaten zeigt sich
meist keine erhebliche nachträgliche Herz Veränderung. Verkleinerung von
vorher großen Herzen war meist der Ausdruck einer Rückbildung, einer
Dilatation. Im allgemeinen waren die Herzveränderungen der Ausdruck einer
notwendigen und zweckmäßigen Anpassung des Herzens (Hypertrophie).
S. Schoenborn.
Die Genese der Arteriosklerose (Arteriitis).
(Aufrecht. Deutsches Archiv für klin. Med., Bd. 93, S. 1.)
Nach Aufrecht’s Untersuchungen findet sich bei Arteriosklerose in
der Intima zwar eine wohl durch Kernzerfall ausgedrückte Ernährungsstörung,
aber kein entzündlicher Prozeß ; die Abhebbarkeit der innersten Lamellen
der Intima beruht nicht auf einer Bindegewebsneubildung, sondern auf ein¬
facher Verdünnung und Auseinanderdrängung der Lamellen. Auch die Media
zeigt keine Entzündung, wohl aber die Adventitia, deren Verdickung nach
Aufrecht’s Beobachtungen hauptsächlich die Verdickung der atheromatösen
Gefäße verursacht. Intima- und Media-Veränderung sind nur indirekt durch
die Entzündung der Adventitia veranlaßt. Die eigentliche Ursache bilden
Entzündungen der Vasa vasorum, die nächste Konsequenz die Ernährungs¬
störung in Media und Intima. Die Untersuchungen gelten zunächst für nicht¬
syphilitische Arteriosklerose. S. Schoenborn.
30
Referate und Besprechungen.
Über das Vorkommen präkapillarer Phlebektasien auf der vord. und hint.
Thoraxwand bei Erkrankungen der Zirkulations- und Atmungsorgane.
(Haeberlin. Deutsches Archiv für klin. Med., Bd. 98, S. 43.)
Die nicht selten bogenförmig am vorderen und seitlichen Rippenbogen
sich entlangziehenden Venen ektasien sind Stauungserscheinungen, die durch
Kompression der kleinen Hautvenen an diesen Stellen gegen den Thoraxrand
bei abdominaler Atmung hervorgerufen werden, sofern durch lokale Ursachen
(hypertroph, linker Ventrikel u. dgl.) oder allgemeine Gründe (Schwäche des
rechten Ventrikels) eine Stauungsmöglichkeit gegeben ist (nur dann ? Ref.).
S. Schoenborn.
Über den Milzbrand der Tonsillen.
(Prof. Zia Noury Pascha u. Doz. Haidur Bey. Deutschd med. Wochenschr.,
Nr. 33, 1907.)
Die Verfasser schildern eingehend einen Kall von primärem Milzbrand
der rechten Tonsille, von wo aus es zu allgemeiner Infektion kam, die den
Exitus herbeiführte. Die Diagnose wurde aus dem diffusen blassen Ödem der
Schleimhaut von sanguiolent-gelatinöser Beschaffenheit, das sich auf die äußere
sichtbare Halsgegend fortsetzte und aus dein Fehlen einer eigentlich entzünd¬
lichen Rötung gestellt. Bakteriologische Untersuchung und später die Autopsie
bestätigte die Richtigkeit der Diagnose. Wenn auch der Anthrax der Ton¬
sillen, wie aus der Literatur hervorgeht, etwas sehr seltenes ist, so ist doch
das Vorkommen derselben in diesem Falle klinisch und anatomisch einwands¬
frei festgestellt.
Die Verfasser glauben auch das oben beschriebene Ödem und den Mangel
an entzündlicher Rötung als spezifische Eigenschaften einer Milzbrandangina
ansehen zu dürfen. F. Walther.
Über die Diagnose und Behandlung des inneren Darmverschlusses.
(Rudolf Goebell. Med. Klinik, Nr. 35, 1907.)
Goebell bespricht den mechanischen Darmverschluß, von dem zwei
Arten unterschieden werden können, die Strangulation und die Obturation.
Bei der ersteren, die durch Knotenbildung, Achsendrehung einer Darmschlinge
usw. entstehen kann, ist stets ein Teil des Mesenterium mit umschnürt, wäh¬
rend das bei der Obturation, die einesteils durch Fremdkörper (Gallensteine,
Kotsteine, Würmer, Geschwülste, Strikturen) aber auch durch Knickung
und Torsion zustande kommen kann, nicht der Fall ist. Die Symptome
der Strangulation, die im allgemeinen akuter und bösartiger verläuft als die
Obturation, bestehen in folgendem : Plötzlicher Beginn der Erkrankung mit
diffusem oder lokalisiertem Leibschmerz, initiales Erbrechen, Chokerscheinungen
(kalter Schweiß, blasses Gesicht, Pulsbeschleunigung, ängstlicher Ausdruck).
Muskelspannung des Abdomens, die nicht mit Druckempfindlichkeit kombinert
ist; Schmerzen konstant nicht tourenweise. — Unter Umständen kann man die
durch Strangulation unbewegliche und konsistente Darmschlinge, nötigenfalls
vom Rektum oder der Vagina aus, als durckempfindliche Geschwulst
palpieren (von Wahrsches Zeichen). — Freier Erguß in die Bauchhöhle;
doch ist dieser meist erst nach 24 Stunden nachweisbar, öfters schwer zu er¬
kennen und fehlt gewöhnlich bei Dickdarm volvulus und wenn kurze Darm¬
schlingen mit wenig Mesenterium eingeklemmt sind; die zur Strangulation
bald hinzutretende Peritonitis verwischt das Krankheitsbild.
Symptome der Obturation: Allmählicher Beginn; dann zunächst Stuhl-
und Windverhaltung, vermehrte Peristaltik, verbunden mit Schmerz. Darm¬
steifung. Schmerzen periodisch'. Erbrechen zeigt sich erst wenn der Darm
paralytisch wird; der Zeitpunkt des Eintritts richtet sich nach dem Sitze
des Hindernisses; das Erbrechen tritt um so früher ein, je höher im Darm
das Hindernis sich befindet. Pulsverschlechterung, Fieber, Peritonitis können
mehrere Tage ausbleiben.
Referate und Besprechungen.
31
Zu bemerken ist, daß die Krankheitsbilder nicht immer rein sind,,
sondern Übergänge Vorkommen und Fälle, die nach der Anamnese auf eine
Obturation schließen lassen, während Strangulation vorliegt.
Die Invagination (bei Kindern häufiger als bei Erwachsenen) macht Er¬
brechen, Leibschmerzen, Abgang von Schleim und Blut im Stuhl, am zuführen¬
den Darm vermehrte Peristaltik, oder Ruhe bei schwerer akuter Invagination.
Die Behandlung soll eine möglichst frühe chirurgische sein ; womöglich
innerhalb der ersten 24 Stunden. Man soll vor Beginn kein Opium geben,
weil das Bild dadurch verschleiert wird, höchstens Morphium und Kampfer.
Keine Nahrung und keine Laxantien. Vor der Atropinbehandlung warnt
Go e bell nachdrücklich; von 8 mit mechanischem Ileus in die Kieler Klinik
eingelieferten Kranken, die mit Atropin vorher behandelt waren, starben 7.
— Atropin kann nur dann angewendet werden, wenn ein durch Gallenstein
oder Fremdkörper bedingter spastischer Darmverschluß mit absoluter Sicher¬
heit angenommen werden kann. — Dagegen hält Goebell es für berechtigt
den V ersuch zu machen durch hohe Klistiere die Darmpassage wieder herzu¬
stellen und durch Magenspülungen erleichternd zu wirken. Bei Vornahme
der letzteren muß man nur sicher sein, kein perforiertes Magengeschwür vor
sich zu haben. R. Stüve (Osnabrück).
Über die hereditäre Form des Diabetes insipidus.
(Alfred Weil. Deutsche Archiv für klin. Med., Bd. 93, S. 180.)
Verf. hat den Stammbaum einer 1884 von seinem Vater (Adolf Weil)
beschriebenen Diabetiker -Familie weiter verfolgt und das Schicksal dieser
220 Personen zu eruieren gesucht. Im ganzen litten 34 davon an Diabetes
insipidus, der mit einer einzigen Ausnahme direkt vererbt wurde. Die Form
war im ganzen eine gutartige. Bei fieberhaften Erkrankungen verschwanden
die Symptome. In einem genauer beobachteten Fall hatte der Kranke die
Fähigkeit, seinem Urin zu konzentrieren, nicht verloren, es handelte sich
also um einen sog. echten, primär renalen Diabetes insipidus (Meyer).
S. Schoenborn.
Zur Kasuistik gichtischer Affektionen an Hoden und Prostata.
(Becker, Salzschlirf. Tlierap. der Gegenw., Nr. 6, 1908.)
Ein 64 jähriger, seit Dezennien an Gicht leidender Herr bekam im An¬
schluß an einen Exzeß in Baccho gewissermaßen als Äquivalent eines typi¬
schen Gichtanfalls Harnverhaltung mit Prostataschwellung, ein anderes Mal
Orchitis, die, wie B. nachweist, nur gichtischer Natur gewesen sein können.
Ref. hat einen ähnlichen Fall beobachtet: ein in den fünfziger Jahren stehen¬
der Herr, der seit langer Zeit an Gicht und gelegentlicher leichter alimentärer
Glykosurie litt, bekam ohne ersichtlichen Anlaß — Trauma und Infektion
ausgeschlossen — eine Epididymitis und Orchitis, die etwa 3 Wochen an¬
hielt und unter Salizylgebrauch und Bettruhe ausheilte.
F. von den Velden.
Die Serumbehandlung der epidemischen Zerebrospinalmeningitis.
Im Oktoberheft des St. Paul med. journ. bespricht Ramsey drei Arbeiten,
die alle demselben in der Überschrift genannten Gegenstand betreffen. Diese
Arbeiten sind: 1. Die Serumbehandlung der epidemischen Zerebrospinalmenin¬
gitis auf Grund einer Reihe von 40 erfolgreichen Fällen von Charles Hunter
Dünn, Boston Journal A. M. A. 4. Juli 1908. 2. Behandlung der Meningo-
kokken-Meningitis mit dem Fl exn er -Serum. Bericht über Fälle. Von Frank,
S. Churchill, Chikagoer Journal A. M. A. 4. Juli 1908. 3. Analyse von
400 mit Antimeningitisserum behandelten Fällen von epidemischer Meningitis.
Von Simon Flexner und James Jobling, New-York. Journal A. M. A.
25. Juli 1908. Dünn erzielte mit Injektionen des Flex ner’schen Serums in
32
Referate und Besprechungen.
den Zerebrospinalkanal 77,5% Heilungen bei einer Mortalität von 22.5%.
Sobald ein Fall verdächtig und die durch Lumbalpunktion gewonnene Flüssig¬
keit trübe war, wurde ohne weiteres sofort injiziert. War sie klar, so wurde
erst auf Diplokokken untersucht. Von den 31 Geheilten blieb einer taub,
einer taub und blind. Churdhill berichtet über 11 mit Serum behandelte
Fälle mit 7 Genesungen. Von den vier tödlich verlaufenen Fällen zeigten
nur zwei Meningokokken, und von diesen zwei war einer foudroyant, einer
kam moribund ins Hospital. Die von Flexner selbst und Jobling berichteten
Fälle verteilen sich auf Kanada, die Vereinigten Staaten und Groß-Britannien.
Ihre Statistik basiert nur auf positiv-bakteriologisch untersuchten Fällen,
im ganzen 393 mit 295 Genesungen = 75% und 98 Todesfällen = 25%. Das
jüngste genesene Kind war einen Monat alt, die größte Mortalität zeigte das
Alter über 20 Jahre. Nach den Injektionen veränderte sich Aussehen und
Zahl der Diplokokken, letztere bis zum Verschwinden. Die früher häufige
Komplikation: Taubheit, trat nur in einer kleinen Anzahl der günstig ver¬
laufenen Fälle . auf. Peltzer.
Einheimische Malaria in Leipzig.
(Dr. Trautmann, Assistent am Hygienischen Institut in Leipzig. Münchener med.
Wochenschr., Nr. 41, 1908.)
Trautmann berichtet über 2 Fälle von Malaria, bei Leuten, die nie
über die Grenzen von Leipzig hinausgekommen sind. Es handelt sich, wie
aus dem Blutpräparat hervorgeht, um Tertianaparasiten. Die Infektion er¬
folgte gleichzeitig, die Quelle ist bisher unentdeckt geblieben. Bemerkenswert
ist aber, daß um die gleiche Zeit Anophelesmücken in der Gegend gefunden
wurden. F. Walther.
Kinderheilkunde und Säuglingsernährung.
Die Ätiologie des Keuchhustens.
(N. Klimenko. Zentralbl. für Bakt., Bd. 48, H. 1.)
Verfasser benutzte zur Züchtung des Keuchhustenerregers Agarplatten,
die er mit defibriniertem Hundeblut beschickte. Er konnte aus dem Aus¬
wurfe aller Kranken der ersten Woche Bor det-Gengou’sche Stäbchen züch¬
ten. Auch gelang ihm der Nachweis aus dem Blute des rechten Vorhofes des
Herzens und aus katarrhalischen Lungenherden. Verfasser bespricht dann
das Wachstum des Mikroorganismus auf den verschiedenartigsten Nährböden
und seine Färbbarkeit. — Den gewöhnlichen Versuchstieren ist das Bordet-
Gengou’schi Stäbchen wenig1 gefährlich. Einführung eines geringen Teiles
einer Blutagarkultur in die vordere Augenkammer eines Kaninchens ergab
Trübung der Hornhaut. Die Methode der Komplementablenkung mit dem
Blutserum eines vom Keuchhusten Genesenen und den Kulturen des Stäb¬
chens soll positiv ausfallen.
Die experimentellen Versuche wurden folgendermaßen gemacht: In NaCl-
Lösung auf geschwemmte Kulturen wurden mittels der Pravaz’schen Spritze
in die Luftröhre oder vermittels der Fränkel’schen Kehlkopf spritze injiziert.
Ein 3 Monate altes Lamm und ein 2 Monate altes Ferkel erwiesen
sich für den Keuchhustenbazillus nur bedingt empfänglich. Erfolgreicher
waren Versuche an Affen: 5 Affen wurden künstlich infiziert und zwei in-
• fizierten sich selbst von den kranken Nachbarn. 6 Affen bekamen einen
bellenden Husten. Bei allen Tieren wurde das Bor deit-Gengou’sche Stäb¬
chen nachgewiesen. Schließlich wurden noch zwei amerikanische Affen in¬
fiziert. Beide erkrankten 6 Tage nach der Infektion. Das Männchen hustete
5 Tage und wurde gesund. Das Weibchen bekam erst am 10. Tage Husten und
starb nach 36 Tagen. Auch hier wurde der Mikroorganismus nachgewiesen.
Referate und Besprechungen.
Aus diesen Experimenten mit Affen geht hervor, daß die Infektion
mit Keuchhusten gelingt ; die Erkrankung verläuft aber in den meisten
Fällen abortiv.
Verf. machte dann weitere Versuche an Hunden. Drei infizierte aus¬
gewachsene Hunde blieben gesund-; nach der Tötung ließ sich bei keinem das
Bor det-Gengou’sche Stäbchen nach weisen. Bei einem 1 Jahr alten Hunde,
der nach der Infektion augenscheinlich gesund blieb, fand man nach der
Tötung im Luftröhrenschleim eine Reinkultur des Keuchhustenerregers. An
48 jungen Hunden wurden weitere Versuche angestellt, die alle ein positives
Resultat lieferten. Es traten neben dem Husten noch auf: Laryngitis,
Bronchopneumonie, Durchfall, Ausfluß aus der Nase, Augenbindehautent¬
zündung. Die Inkubationszeit schwankte zwischen 2—6 Tagen.
Dr. Schürmann (Düsseldorf).
Zur Pathologie der skarlatinösen Adenitiden.
(W. K. Blaeher, Petersburg. Allg. Wiener med. Ztg., Nr. 38—41, 1908.)
Nach einleitenden anatomischen Vorbemerkungen, die sich auf eigene
Experimente und Leichenpräparate des Verf.’s beziehen und im Original
nachgelesen werden müssen, bespricht er die primäre diffuse skarlatinöse
Halsphlegmone, die sich von dem diphtherischen septischen Ödem dadurch
unterscheidet, daß sie meist auch das laterale Halsdreieck befällt, während
sie im Gegensatz zu letzterem Prozeß den Gefäßsulcus freiläßt. Es folgt die
makro-, mikroskopische und bakteriologische Beschreibung der „sekundären“
skarlatinösen Adenitiden, deren Richtung und Verlauf Verf. an seinem Sek¬
tionsmaterial z. T. mit Hilfe von Gelatineinjektionen studierte.
Alles in allem glaubt er annehmen zu können, daß die in den Lymph-
drüsen der Scharlachkranken vorsichgehenden 2 Prozesse, nämlich der herd¬
förmige nekrotische Prozeß, der in der Scharlachpathologie eine dominierende
Rolle spielt, und die Koagulationsnekrose, durch 2 verschiedene Faktoren
hervorgerufen werden. Während letztere nämlich durch die Anwesenheit
von Streptokokken bedingt wird, geht die erstere ohne deren unmittelbaren
Einfluß vor sich. » Esch.
Über einige Beobachtungen bei Scharlach-Epidemien.
(Rubens. Berl. klin. Wochenschr., Nr. 42, 1908.)
Verfasser hat eine große Anzahl von Untersuchungen auf Diphtherie¬
bazillen bei Scharlach mit negativem Resultat vornehmen lassen, auch bei
Fällen, wo sekundäre Infektionen die ursprünglichen Krankheitserreger noch
nicht überwuchert haben konnten. Aus diesem Grunde sollte man von einer
Scharlachangina statt von einer Scharlachdiphtherie sprechen und auf die
Injektionen von Diphtherie-Heilserum verzichten. Was die Scharlach-Epide¬
mien betrifft, so kann man aus der Intensität der Halserkrankung im all¬
gemeinen die Prognose auf die Schwere der Erkrankung selbst stellen. Wichtig
ist jedoch dabei, daß man die Einwirkung der gebildeten Toxine speziell auf
Herz und Nieren für sich besonders beurteilt. Die Scharlachangina kann
gerade im Beginn der Erkrankung zu schweren Komplikationen Veranlassung
geben, von denen der Autor namentlich drei hervorhebt: Übergang der Ulcera
auf den Kehlkopf und möglicherweise Erstickung durch starke Schleimbildung ;
schwere Phlegmonen in den Submaxillardrüsen ; lebensgefährliche Otitiden
durch Fortschreiten des Prozesses auf die Tuba Eustachii. Die Therapie
wird daher vor allen ihr Augenmerk auf die Bekämpfung der Angina zu
richten haben, wobei vor Pinselungen nicht dringend genug gewarnt werden
kann, Gurgelungen sehr wenig leisten und Auswaschen des Mundes z. B. mit
Perhydrollösung sich bei Kindern schlecht durchführen läßt.
Dem Autor hat sich nun seit längerer Zeit das ,,Sozojodol“-Natrium
mit Flor. sulf. aa, mit einem geraden Pulverbläser eingeblasen, ganz vor-
3
34
Referate und Besprechungen.
züglich bewährt. Doch genügt es nicht, die Einblasung mit diesem Mittel,
wie es vielfach geschieht, nur drei- bis viermal täglich vornehmen zu lassen.
Sobald es sich zeigt, daß der Krankheitsprozeß einen progredienten Charakter
annimmt, ist es nötig, stündlich Tag und Nacht das Pulver einzublasen
und so lange diese Behandlung fortzusetzen, bis die Geschwüre abgegrenzt
sind und die Schleimbildung aufgehört hat. Mit dieser Methode hat Verf.
äußerst günstige Erfolge zu verzeichnen gehabt, so daß selbst in solchen
Fällen Heilung eintrat, die eine ganz ungünstige Prognose geboten hatten.
Namentlich fiel ins Gewicht, daß die erwähnten Komplikationen der
Scharlachangina ausblieben. Spätere, etwa nach acht Tagen auftretende, wohl
auf dem Wege der Blutbahn entstehende Otitiden nahmen einen sehr leichten
Verlauf.
Zur Prophylaxe der Nierenentzündung wird eine N-freie Diät, nament¬
lich Milchdiät, empfohlen bei Vermeidung von Alkohol in jeglicher Form.
Letzterer ist nur am Platze, wenn in den ersten Tagen der Erkrankung auf
das Herz besonders Rücksicht genommen werden muß, und wirkt dann in
großen Dosen vorzüglich auf die Herzsymptome und nicht ungünstig auf die
Nieren ein. Neumann.
Das Aufstoßen (Singultus) der Säuglinge.
(G. Lennhoff. Med. Klinik, Nr. 42, 1907.)
Zur Beseitigung des Singultus bei Säuglingen empfiehlt Lennhoff die
Nase des Kindes zu komprimieren, um es zum Schreien zu bringen und die
-Nase etwas 1 Minute verschlossen zu halten. — Bei Erwachsenen sah er bei
hartnäckigem Singultus gutem Erfolg von der internen Darreichung von
Menthol in öliger Lösung. R. Stüve (Osnabrück).
Erfahrungen mit der Finkelstein’schen salzarmen Kost beim Säuglings¬
ekzem, beim Strophulus und Pruritus infantum.
(Dr. Bodo Spietlioff, Jena. Deutsche med. Wochenschr., Nr 27, 1908.)
Fink eist ein gibt den Molkensalzen die Schuld für die Entstehung
des Säuglingsekzems und bekämpft es durch eine salzarme Kost, womit
er ausgezeichnete Erfolge erzielt haben will.
Spiethoff hat in 5 Fällen die gleiche Therapie angewendet, kommt
aber zu dem Schluß, daß ein direkter Einfluß der Finkelstein’schen Kost
auf das Ekzem nicht besteht. Seine Ekzeme heilten nicht schneller ab und
rezidi vierten. Sicher zu konstatieren war nur, daß der Charakter der Rezidive
nicht so stürmisch und ihre Dauer nicht so lange anhaltend war. Trotzdem
spricht Spiethoff dieser Therapie Bedeutung zu und zwar insofern, als
die salzarme Kost für den Verdauungstraktus des Kindes reizlos ist und
infolgedessen alle vom Magendarmkanal ausgehenden Reflexe unterbleiben.
Dabei ist sie auch besonders bei Kindern, die nebenbei an chronischen Dyspep¬
sien leiden, geeignet. Auch hält er sie bei Strophulus und Pruritus infantum
für angebracht. F. Walther.
Gynäkologie und Geburtshilfe.
Kürette und Abortbehanalung.
(F. Engelmann, Dortmund. Zentralbl. für Gyn., Nr. 85, 1908.)
Die alte, immer und immer wieder ventilierte Frage, ob der Abort
mit der Kürette zu erledigen ist, hat Verf. durch eine Rückfrage bei 60 Ärzten
zu lösen versucht; von 54 sind verwertbare Angaben zugegangen. 37 sind
unbedingte, 9 bedingte Anhänger der Kürette. Nur ein kleiner Bruchteil
verhält sich ablehnend.
Referate und Besprechungen.
35
Diese Wertschätzung der Kürette von seiten der Praktiker ist gewiß
überraschend ; andererseits kann sie aber nicht als Beweismittel der Bedeutung
der Kürette angesprochen werden. Daß die Kürette in der Hand des geübten
Arztes ein vortreffliches Mittel zur Erledigung des Abortes ist (aber gewiß
nicht der ersten zwei Monate, in denen wir bei rationellem expektativem Ver¬
halten überhaupt nicht in den Uterus einzugehen brauchen ! Ref.), ist längst
bekannt ; es ist aber sicher richtig, vor ihrem allgemeinen Gebrauch nach¬
drücklich zu warnen. Das beweist doch die Kasuistik der Uterusperforationen,
zumal wenn man erwägt, daß diese Fälle sicher nur einen Bruchteil der
tatsächlich vorkommenden Fälle umfaßt. F. Kayser (Köln).
Eine neue Methode der Extirpation doppelseitig erkrankter Adnexe.
(O. Beuttner, Genf. Zentralbl. für Gyn., Nr. 32, 1908.)
Verf. beschreibt eine neue Methode zur Exstirpation der erkrankten
Adnexe, welche im wesentlichen darauf hinausläuft, die Exstirpation der
Adnexe von innen nach außen, welche in technischer Beziehung erfahrungs¬
gemäß Vorteile bietet, durchzuführen.
Der Uterus wird hinten und vorn mit einer Kugelzange gefaßt ; zwischen
den Zangen wird ein keilförmiges Stück des Uterusfundus in transveraler
Richtung Umschnitten. Der Schnitt setzt sich beiderseits auf das Lig. lat.
fort, aus dem nach Exstirpation des Uteruskeiles die erkrankten Adnexe
mit den Fingern ausgeschält werden. Nebenbei hat die keilförmige Exstir¬
pation des Corpus uteri den Vorzug, eine bestehende chronische Metritis
günstig zu beeinflussen. Diese Tatsache ist zuerst von Dührs;sen nach¬
drücklich betont worden; er empfiehlt geradezu die Keilresektion des Corpus
uteri als zweckmäßige Behandlungsmethode der chronischen Metritis.
F. Kayser (Köln).
Hyoscin-Morphin in der Geburtshilfe.
(B. H. Ogden, St. Paul, Minn. The St. Paul med. journ., S 388, 1908.)
Während 0. in der Chirurgie mit Vorliebe Äther zur Narkose an¬
wendet, hat er in der Geburtshilfe bis jetzt Chloroform vorgezogen, dabei
jedoch immer nach einem anderen Anästhetikum verlangt, weil Chloroform
erstens die Uteruskontraktionen verlangsamt und sodann, weil es nicht rat¬
sam ist, unter Umständen, namentlich bei Erstgebärenden, lange Zeit Chloro¬
form zu geben, Chloralhydrat und Morphium, aber seinen Erwartungen nicht
völlig entsprach. (0. ist ein Anhänger der Anästhesierung, um den Gebären¬
den Schmerzen zu ersparen.) So kam er auf die von der Abbott Älkaloid-
Kompagnie hergestellten Morphin-Hyoscin-Tabletten (Morph, sulph. 1/4 Gran,
Hyoscin-Hydrobromat 1/100 Gran, Cactin 1/67 Gran), denen er sich um
so lieber zuwandte, als er noch keine Erfahrungen, über Skopolamin hatte,
von dem übrigens spätere Untersuchungen ergaben, daß es, wenn rein, die¬
selbe chemische Formel hat wie Hyoscin, unrein dagegen unzuverlässig und
gefährlich ist. Seine Experimente mit den Tabletten datierten seit Juli 1906.
In einem Fall von schmerzhaften Wehen gab er die erste Tablette
hypodermatisch mit entschiedenem Erfolg, nach je 2 Stunden die zweite
und dritte. — Die Entbundene hatte kaum eine Erinnerung an ihre lange
Geburtsarbeit, aber das Kind atmete schlecht, offenbar unter dem Einfluß
von Morphium. Seitdem hat er nie mehr 3 Tabletten gegeben und, da ähn¬
liche Erfahrungen auch anderweit gemacht wurden, es namentlich gegen
Ende der Geburtsarbeit vermieden, hier vielmehr, wenn nötig, zum Chloro¬
form zurückgegriffen. Von anderer Seite (Dr. Gauss) wird geraten, Hyoscin
ohne Morphium zu geben, namentlich dann, wenn die Entbindung nahe be¬
vorsteht. 0. selbst verfährt seitdem so, daß er der Kreißenden ein Familien¬
mitglied zeigt. Erinnert sie sich dessen, nach einer halben Stunde, so wird
die Gabe (Hyoscin-Morphin) wiederholt. Seitdem hat O. ebenso wie sein
Kollege Skinner, in ungefähr 30 Fällen keine Asphyxie beim Kinde, und
3*
36
Referate und Besprechungen.
auch keine üblen Folgen bei der Mutter mehr gesehen. Alles in allem emp¬
fiehlt er das Mittel schließlich dringend in Fällen langdauernder schwerer
Geburtsarbeit, wo es dem Geburtshelfer oft schwer fällt, die Hände davon
zu lassen, und besonders in der Dilatationsperiode, wenn hier die Schmerzen
gelindert werden müssen. Auch in der zweiten Periode tut es gute Dienste,
es sollte aber, wegen Gefahr für das Kind, nicht mehr gegeben werden,
wenn der Kopf durch den Damm ist. Solche Fälle beendet O. mit Chloroform.
Peltzer.
Einfache Therapie bei einer Vaginofixationsgeburt.
(E. Schweder, Königsberg. Zentralbl. für Gyn., Nr. 84, 1908.)
Bei einer 36jähr. Patientin, bei welcher vor 1 1/4 Jahren eine Vagino¬
fixation vorgenommen war, zeigte sich 4 Stunden nach Wehenbeginn, daß
der Muttermund nicht zu erreichen war. Er war, wie nach Einleitung der
Narkose und bei Einführung der ganzen Hand sich konstatieren ließ, nach
links hinten oberhalb des Promontoriums abgewichen ; über ihm stand der
kindliche Kopf. Verf. führte die halbe Hand durch den querspaltförmigen,
teilweise erweiterten Muttermund ein und erreichte durch vorsichtigen Zug
in der Richtung nach vorn unten, daß der kindliche Kopf in das Becken
eintrat ; nach mehrfachen Muttermundsinzisionen wurde das Kind, welches
sich anscheinend in Gefahr befand, mit der Zange extrahiert. Außer ver¬
langsamter Involution des Uterus regelrechter Wochenbettsverlauf.
Verfasser verspricht sich von seinem, soweit aus der Literatur ersicht¬
lich, bisher nicht geübten Verfahren Nutzen in weiteren Fällen; zur Ver¬
meidung ähnlicher Geburtshindernisse empfiehlt er, die Vaginofixation ein
wenig unterhalb der Mitte der vorderen Uteruswand anzulegen.
Nach Ansicht des Ref. ist die Empfehlung der Vaginofixation des
Verf. schwer zu verstehen. Die mitgeteilte Beobachtung entspricht durchaus
den zahlreichen anderen Fällen von Vaginofixationsgeburten, deren unheil¬
voller Verlauf nur allzu bekannt ist. Der Umstand, daß es der guten
operativen Technik des Verf. gelang, durch einen schweren Eingriff Mutter
und Kind vor dauerndem Schaden zubewahren, kann doch unmöglich im Sinne
der Empfehlung einer durch bessere Operations verfahren ersetzbaren Methode
Verwertung finden, bei welcher wir eben nie mit Sicherheit Geburtsstörungen
zu vermeiden imstande sind. F. Kayser (Köln).
Behandlung des Vaginalkatarrh.
(M. Chamerey. Gazette des hopitaux, 57, 1908.)
Die antiseptischen Spülungen mit Kaliumpermanganat, Ruhe und Sitz¬
bäder genügen nicht, um den raschen Fortschritt der katarrhalischen Vaginitis
zu hemmen, denn außer der Sepsis müssen noch die kongestiven und schmerz¬
haften Läsionen bekämpft werden. Abgesehen von den Vaginalspülungen mit
l°/00igem Sublimat führt man in der Zwischenzeit mit Thigenol und Glyzerin
zu gleichen Teilen getränkte Gazestreifen ein, oder aber auch nach jeder
obenerwähnten Spülung ein Suppositorium nachstehender Zusammensetzung:
Thigenol . 1 gr
Extr. Belladom . 0,02 „
Glycerin . 4
Die Schmerzen verschwinden innerhalb 2 mal 24 Stunden, man macht sodann
nur noch 2 Spülungen und führt nachher eine 30°/0ige Thigenolovule ein.
Auf diese Weise ist die Vaginitis innerhalb einer Woche geheilt. Falls die
Infektion den Uterus angegriffen hat, so ist dieser mittels eines mit 50%igem
Th igen olgly zerin getränkten Wattetampons, welcher alle zwei Tage, zur Be¬
seitigung der Anschwellung, auf den Zervix gelegt wird, zu behandeln.
Mit dieser Behandlung verhindert man das Chronischwerden der katarrhalen
Vaginitis. Neumann.
Referate und Besprechungen.
37
Pharmakologie.
Experimentelle Untersuchungen über die physiologische Wirkung des Atoxyls.
(A. Cianni. Lo Sperimentale, Bd. 62, H. 3, 1908.)
Die Untersuchungen des Verf. bezweckten eine genaue physiologische
und toxikologische Prüfung des Atoxyls ; für die Versuche wurde stets eine
10°/0ige Lösung verwendet; die Untersuchungen wurden an verschiedenen
Tierarten angestellt.
1. Beeinflussung der Blutformel und des Körpergewichts (Kaninchen).
— Mäßige Dosen (0,1 — 0,15 g pro die) bewirken eine fortschreitende und nach¬
haltige Erhöhung des Körpergewichtes. Größere, leicht vergiftende Dosen
(0,2 — 0,4 g) bewirken nach anfänglicher Steigerung eine leichte Gewichts¬
herabsetzung. Mäßige Dosen bewirken eine rasche und starke Vermehrung
des Hb wie der Erythrozytenzahl ; bei gleichbleibender Leukozytenzahl nehmen
besonders die großen Mononukleären an Zahl zu. Eine hämolytische Wirkung
tritt bei diesen Dosen nicht ein, wohl aber nach längerem Weitergeben höherer
Dosen unter raschem Heruntergehen von Hb und Erythrozytenzahl und unter
Auftreten von Urobilinurie.
2. Einwirkung auf das Herz (Kröte). — Hohe Dosen von Atoxyl be¬
wirken eine Art Erschlaffung, verbunden mit einer Verlängerung des inter¬
mediären Stadiums zwischen Systole und Diastole, also eine Verlangsamung
der Herzbewegung und eine Verminderung der Pulsgröße.
3. Einwirkung auf den Blutdruck (Kaninchen). — Mäßige endovenös
gegebene Dosen (0,05 — 0,1 g) bewirken keine Blutdrucksenkung ; erst wenn
man auf einmal die toxische Dosis und dann noch nacheinander kleinere Mengen
von 0,01 injiziert, kommt es zu einer beträchtlichen Senkung des Blutdrucks.
4. Einwirkung auf die Atmung (Kaninchen). — Auch in tödtlicher
Dosis bewirkt das Atoxyl keine depressive Wirkung auf die xAtemmuskeln,
die Nerven oder die Zentren.
5. Einwirkung auf Kontraktilität und Elastizität der Muskeln (rana
esculenta). — Unter der Wirkung toxischer Dosen kommt es nur zu einer
gern) gen lähmenden Einwirkung auf die motorischen Nervenendigungen und
auf die Muskelfasern.
6. Einwirkung auf die Temperatur (Kaninchen). — Nur in toxischen
oder häufig wiederholten größeren Dosen bewirkt das Atoxyl eine Störung
der vasomotorischen und der thermoregulatorischen Zentren und damit ein
Herabgehen der Temperatur.
7. Giftigkeit des Atoxyls (Kaninchen). — Als toxische Dosis hatte
Blume nthal 0,4 g pro bei subkutaner und 0,2 g pro kg bei endo venöser
Injektion festgestellt. Cianni kann dies im allgemeinen bestätigen; schon
wenn jene Dose knapp erreicht war, trat das für den Beginn der Atoxylver-
giftung typische Zittern der unteren Extremitäten auf. Dagegen stimmt er
auf Grund seiner anatomischen Untersuchungen nicht mit der Ansicht anderer
Autoren überein, die im Bilde der Atoxylvergiftung die Züge der Arsenik-
und Anilinvergiftung vermißten. Seine Untersuchungen bei Kaninchen mit
akuter Vergiftung ergaben die Befunde der Arsenvergiftung. Auch bei
chronisch-vergifteten Tieren fand Cianni im Zentralnervensystem die gleichen
Veränderungen wie Lugaro bei arsenvergifteten Hunden.
M. Kaufmann (Mannheim).
Der überlebende Uterus als Testobjekt für die Wertigkeit der Mutter¬
kornpräparate.
(E. Kehrer. Archiv für exper. Pathol. u. Pharmakol., Bd. 58, S. 366, 1908.)
Zur physiologischen Dosierung des Mutterkorns und seiner Präpa¬
rate, deren therapeutische Wertigkeit sich durch chemische Methoden nicht
feststellen läßt, hat man meistens auf den gangränerzeugenden Bestandteil
(Versuche an Hühnern, deren Kamm und Bartlappen nach Fütterung von
Mutterkorn sich zyanotisch verfärben und brandig werden), seltener auf
88
Referate und Besprechungen.
den Gefäß Verengerung und Uteruskontraktionen hervorrufenden Bestandteil
geprüft. Neuerdings haben B .arger und Dal e , die glauben in dem von
ihnen dargestellten Ergotoxin den wirksamen Bestandteil des Mutterkorns
gefunden zu haben, die Eigenschaft des Mutterkorns, Reizungen des Sympathi¬
kus, z. B. Blutgefäßverengerung und damit Blutdrucksteigerung durch Adre¬
nalin, aufzuheben, zur Wertigkeitsmessung benutzt. Ein unter Mutterkorn¬
wirkung stehendes Tier reagiert auf nachfolgende Adrenalininjektion nicht
mit einer Blutdrucksteigerung, sondern im Gegenteil mit einer Blutdruck¬
senkung („Phänomen der vasomotorischen Umkehrung“)- Sie bestimmten die
kleinste Menge Mutterkorn, die noch imstande war, dieses Phänomen der
vasomotorischen Umkehrung bei Adrenalineinspritzung hervorgerufen.
„Die nächstliegende Methode zur Beurteilung der therapeutischen Wertig¬
keit der Mutterkornpräparate wird immer die Prüfung an dem Organ sein,
auf das sie wirken sollen.“ Kehrer hat im pharmakologischen Institut zu
Heidelberg deshalb — analog der von Magnus am überlebenden Darm ge¬
übten Methode — - als Testobjekt den exstirpierten, überlebenden Uterus (Uterus¬
horn einer Katze) in warmer O-haltiger Ring er scher Salzlösung benutzt,
der hier, in bestimmter Weise suspendiert, stundenlang sich bewegt und dessen
Bewegungen man leicht registrieren kann. Das Horn des nicht graviden
Uterus führt in Ringer’scher Flüssigkeit normalerweise Bewegungen aus.,
die durch Mutterkornpräparate (der Ringerflüssigkeit zugesetzt) mannigfaltig
gesteigert werden können ; das Uterushorn eines graviden Tieres wird so
beeinflußt, daß die Kontraktionen nach Intensität oder Zahl zunehmen. Die
minimale, am Uterushorn noch wirksame Dosis des frischen wässrigen Ex¬
trakts eines frischen Mutterkorns betrug 0,01 g Mutterkornpulver auf 200 ccm
Ringer’scher Flüssigkeit. Dieser Wert (1:20000) wurde als „Einheit“ ange¬
nommen und auf sie der Wirkungswert erstens älterer Mutterkornsorten,
zweitens verschiedener Handelgpräparate des Secale bezogen. Naturgemäß
können die für die Handelspräparate gewonnenen Zahlen nicht allgemein
Giltigkeit beanspruchen ; immerhin lehren sie die Brauchbarkeit der Methodik.
Die Wirksamkeit des Mutterkorns auf den Uterus schwächte sich bei
der Aufbewahrung der Droge ab, innerhalb eines Jahres um das 7 — 8 fache,
innerhalb zweier Jahre um etwas das 15 fache; der gangränerzeugende Be¬
standteil des Mutterkorns, der ein anderer Stoff im Mutterkorn sein muß,
ist nach Kobert’s und Grünfeld’s Versuchen schon nach 6 Monaten völlig
zersetzt. Das Mutterkornextrakt nahm beim Stehen beträchtlich ab. Eine
Anzahl Mutterkornpräparate des Handels hatte einen hohen Wirkungswert ;
das Secacornin entsprach z. B. 1000 Einheiten, war also schon in 1000 fach
kleinerer Menge wirksam als das Mutterkornpulver. Eine geringe physiolo¬
gische Wertigkeit wiesen Cornutin, Ergotinin, Spasmotin und die Sklerotin-
säure auf ; in ihnen scheint die wirksame Substanz des Secale also nicht in
reiner Form vorzuliegen. Clavin erwies sich wie am lebenden Uterus, so
auch am überlebenden Organ als unwirksam.
Mit Recht weist Kehrer darauf hin, wie wichtig es wäre, die un¬
gleichwertige und sich in ihrer Wirksamkeit allmählich abschwächende Droge
durch Präparate konstanter Wirksamkeit zu ersetzen. Daß dem mensch¬
lichen Uterus bei Operationen entnommene Teile dieses Organs sich in Ringer -
scher Flüssigkeit ebenfalls bewegen, hat Kehrer früher nachgewiesen ; nach
ihm ist der Uterus des Menschen beständig in Bewegung.
E. Rost (Berlin).
Medikamentöse Therapie.
Die heutigen Methoden zur Anregung der Diurese.
(Prof. Dr. Romberg. Münch, med. Wochenschr., Nr. 39, S. 2028, 1908.)
Re mb erg zählt die Fälle auf, in welchen die Anregung der Diurese
im menschlichen Körper angezeigt erscheint, und bezeichnet die Verbesserung
des Kreislaufs und die Steigerung der Nierentätigkeit als die beiden Wege
Referate und Besprechungen.
39-
zur Erzeugung einer Diurese. Die Verbesserung des Blutkreislaufes wird
durch die verschiedensten Herzmittel erzielt, unter welchen Digitalis und
Strophanthus als schnell und sicher wirkende, aber auch als rasch abklingende
Mittel obenan stehen. In Fällen, in welchen der Kreislauf durch Ödeme be¬
hindert ist, versagen häufig die Herzmittel, es ist dann eine Entleerung
der Ödeme notwendig.
Zur Steigerung der Nierentätigkeit sind die Körper der Purinreihe
in erster Linie geeignet. Am wirksamsten ist das Theophyllin (Dimethyl-
xanthin), besonders bei vorsichtig abgestufter Darreichung (Beginn mit 2 mal
am Tage 0,1 evtl, bei noch nicht genügendem Erfolge 0,2 Theophyllin, dann
Darreichung des Mittels nur einen Tag um den andern oder noch seltener,
bei Steigerung der Dosis auf 3 — 4 mal täglich 0,2). Es wird so bei guter
Diurese jede üble Nebenwirkung vermieden. Schmiedeberg hat sich sehr
verdient gemacht durch den Nachweis, daß gewisse bei der Darreichung
von Theophyllin beobachtete Nebenwirkungen lediglich Zufallserscheinungen
waren, welche dem Theophyllin nicht zuzurechnen sind. Weniger energisch
wirkt Diuretin, zu vermeiden ist wegen zu starker Beeinträchtigung des ge¬
samten Kräftezustandes Natr. salicylicum. Außer diesen Mitteln gibt es
noch eine Reihe pflanzlicher Diuretika, deren Wirkung aber nicht an die
Purinkörper heranreicht. Kalomel ist wegen seiner Reizwirkung nur als Not¬
mittel zu betrachten.
Bei Herzschwäche oder bei örtlicher Erkrankung der Nieren wird die
Wirkung des Theophyllins oder des Diuretins durch kein anderes Mittel
erreicht. Zu beachten ist, daß die Wirkung der Diurese nicht durch über¬
mäßigen Wassergenuß vermindert wird. Auch ist die Köchsalzaufnahme
durch die Speisen namentlich bei Nierenkrauken zu regulieren. Neumann.
Über Veronal und Veronalexantheme.
(Wolters, Rostock. Med. Klinik, Nr. 6, 1908.)
Wolters beschäftigt sich mit den Nebenwirkungen des Veronals,
die bei diesem Arzneimittel, das sich auffallend schnell die Gunst der Ärzte
und der Kranken erworben hat, auf die Dauer ebensowenig vermißt werden
wie bei fast allen irgendwie differenten Arzeneikörpern. Im besonderen be¬
handelt W. die bisher noch sehr wenig bekannten Hautausschläge im Ge¬
folge von Veronaldarreichung — Veronalexantheme. Es werden darüber ein¬
zelne spärliche Angaben aus der Literatur zusammengestellt, in denen außer¬
dem noch eine genauere Beschreibung der Art des Ausschlages meist ver¬
mißt wird. Zwei eigene Fälle werden dann genauer mitgeteilt ; der eine der¬
selben war insofern noch besonders bemerkenswert, als das Exanthem (in
diesem Falle Scarlatina-ähnlich) auftrat, nachdem von dem Kranken an sechs
Abenden nach der Reihe je 0,5 g Veronal genommen worden war, daß es aber
picht 'wiederkehrte bei späterer vereinzelt genommener gleicher Gabe. —
Aus der Gesamtheit der nach Veronalgebrauch beobachteten Exantheme geht
hervor, daß außer einfacher, diffuser und fleckenweiser Hautröte, rnasern-
und scharlachähnlichen Erscheinungen, auch knötchenförmige Eruptionen
Vorkommen, als deren Extrem eine von einen anderen Autor beobach¬
tete pemphigusähnliche Eruption angesehen werden muß. Die Ausschläge
haben die Eigentümlichkeit stark zu jucken, was für die Differential¬
diagnose von Bedeutung sein kann. — Zur Vermeidung dieser und aller
sonstigen unliebsamen Nebenwirkungen des Veronals empfiehlt es sich, die
Dosis von 0,5 im Einzelfalle nicht zu überschreiten, bei Frauen die im allge¬
meinen gegen das Mittel empfindlicher zu sein scheinen, die Einzeldosis
eher noch geringer (0,3) zu wählen. Sehr bewährt hat sich die Kombination
kleiner Veronalgaben mit Morphium in kleinen Dosen ; in dieser Kombination
vermag das Veronal auch die schmerzhaften Erkrankungen, nach Operationen
usw. einen ruhigen Schlaf herbeizuführen. R. Stüve (Osnabrück).
40
Referate und Besprechungen.
Sabromin.
Die Anwendung der Bromalkalien stößt bei manchen Patienten auf
Schwierigkeiten. Bekanntlich können große Bromgaben, wie sie z. B. bei
der Epilepsie nötig sind, Gastritis, Schnupfen, Hautausschläge usw. hervor-
rufen, während habitueller Gebrauch leicht zum Bromismus führt.
Das von E. Fischer und v. Mer in g dargestellte Sabromin ist analog'
dem Sajodin konstituiert und es liegt seiner Einführung die nämliche wissen¬
schaftliche Kalkulation wie bei der Empfehlung jener Jodfettsäureverbindung'
zugrunde. Die Nebenwirkungen werden dadurch vermieden, daß immer nur
kleine Mengen des wirksamen Halogens frei werden und in den Kreislauf
gelangen. Der therapeutische Effekt ist aber gleichwohl nicht geringer als
derjenige der Brom- bezw. Jodalkalien, weil die kontinuierliche Anreicherung'
des Blutes mit kleineren Halogenmengen mit einer langsameren Ausschei¬
dung der wirksamen Substanz Hand in Hand geht. Mit der Fischer-Mering-
schen Brom- bezw. Jodfettsäure läßt sich also eine länger andauernde Wirkung
erzielen, ohne daß Nebensymptome auftreten. (Fälle von Idiosynkrasie natür¬
lich ausgenommen !)
In chemischer Hinsicht ist Sabromin ,,Dibrom b ehensaures Kalzium“,,
ein geschmack- und geruchfreies Pulver von neutraler Reaktion, un¬
löslich in Wasser und Alkohol und Äther. Vor Licht geschützt auf bewahrt
ist es unverändert haltbar. Es enthält ca. 29°/o Brom und 3,8 % Kalzium.
Pharmakologische Versuche haben ergaben, daß Sabromin so gut wie
ungiftig ist. Mittelgroße Hunde vertragen Dosen von 10 g ohne irgend welche
Intoxikationserscheinungen zu zeigen.
Im sauren Magensaft wird das Kalzium des Sabromins in Chlorkalzium
umgesetzt. Die übrigbleibende Dibrombehensäure verhält sich der Magen¬
schleimhaut gegenüber indifferent und wird vom Darm aus resorbiert.
Nach dem Gesagten liegen die Vorzüge des Sabromins vor den üblichen
Brompräparaten auf der Hand. Das Mittel hat:, wie die klinischen Erfahrungen
zeigen, denn auch voll den Erwartungen entsprochen.
Dosierung: Man gibt 1 — 2 g ein bis dreimal täglich ca. 1 Stunde
nach dem Essen, am besten in Form der Tabletten ä 0,5 g, die man zer¬
kauen läßt.
Indikationen: Hysterie, Neurasthenie, leichte nervöse Erregungszu¬
stände mit labiler Stimmung, Herzneurosen, Epilepsie, Eklampsie, Tetanie,
Tic (v. Mering, Kalischer).
Neumann.
Diätetik.
Über die Ernährung der Kranken.
(Cor net. Progres med., Nr. 33, S. 403 — 406, 1908.
In seiner Selbstbiographie sagt Grillparzer: „Die deutsche Bildung
hat das Eigentümliche, daß sie sich gar zu gern von dem gesunden Urteil
und der natürlichen Empfindung entfernt.“ Wie viel Mühe haben sich
nicht die chemischen Physiologen gegeben und wie viele Tabellen sind nicht
gedruckt worden, um den Nährwert der einzelnen Nahrungsmittel und Speisen
zahlenmäßig in Kalorien festzulegen, und wie völlig hat man dabei die sub¬
jektiven Neigungen der Patienten hintangesetzt! Zum Glück ist die Periode
vorüber, welche im Magen-Darmkanal nur eine lange chemische Retorte und
in den Ern ährungs Vorgängen nur immer gleiche chemische Umsetzungen sah.
Man hat wiedererkannt, daß diese Faktoren sehr wesentlich von psychischen
Faktoren beeinflußt werden; aber so groß war „die Entfernung vom natür¬
lichen Empfinden“, daß dieser 'Gesichtspunkt fast wie eine Neu-Entdecküng
anmutet.
In Deutschland hat W. Sternberg diese Dinge gebührend beleuchtet,
nun folgt ihm jenseits der Vogesen (Jornet nach. Es sind freilich altbe¬
kannte Beobachtungen, daß manche Kranken aus Furcht vor Unbequemlich-
Referate und Besprechungen.
41
keiten, z. B. M a g e n schmor zen , Herzklopfen u. der gl. nicht essen mögen ;
daß darniederliegender Appetit durch hübsches Servieren, durch Geruch, durch
freundlichen Zuspruch angeregt werden kann. Die Servietten, Eßbestecke,
Teller usw. müßten blitzblank sein, bettlägerige Kranke müßten bequem ge¬
lagert werden oder — wenn sie sich nicht aufrichten könnten — - mit Schnabel¬
tassen oder Saugröhrchen ernährt werden; aber dabei seien immer lange
Pausen einzuschieben, während deren die Speisen nicht erkalten dürften.
Das Essen solle nicht gereicht werden, so lange die Kranken durch
irgend welche körperliche oder geistige Anstrengungen erregt oder ermattet
seien, dahin gehören z. B. spannende Romane, lebhafte Unterhaltungen, Re¬
flexionen u. dergl. Die Patienten müßten vielmehr ausgeruht sich ans Essen
machen, damit nicht das Kauen vernachlässigt werde. Der Magen dürfe nicht
überladen werden, vielmehr seien häufig kleine Mahlzeiten zu reichen.
Die Temperatur der Gerichte solle um 40° schwanken ; zu kalt bezw.
zu heiß schade. Cor 'net gibt als Anhaltspunkte 50° für schwarzen Kaffee,
18° für kalte Milch, 16° für Weißweine, 13° für Wasser, 10° für Champagner.
Der Unterleib dürfe während des Eissens nicht zusammengedrückt sein,
weder durch Kleider, noch durch schlechte gebückte Haltung.
Solche Winke gibt Cornet in Fülle, und - wenn er sie für richtiger
hält als die chemische Konstitution der Speisen — c’est pourquoi il ne faut
pas se muntrer trop cruel envers les malades — — — avec la seule inten-
tion de satisfaire ä des theories qui n’ont pas toujours raison dans la pra-
tique — , so werden ihm darin gewiß nicht wenige beistimmen.
Buttersack (Berlin).
Ist Überernährung der Tuberkulösen zweckmäßig?
(Boureille. Gaz. med. de Paris, Nr. 23 vom 15. / 10. 1908.)
Regierungen, Moden, Glaubenssätze kommen und gehen. Sie stehen
am sichersten, solange sie nicht diskutiert werden ; der erste, noch so. schüch¬
terne Zweifel ist der erste Tag des Verfalls. — So scheint auch in der
Tuberkulose-Therapie das Prinzip der Überernährung ins Wanken zu kom¬
men, und das: ,, Anathema sit“ schreckt nicht mehr jeden Ungläubigen.
Jedenfalls nicht den Dr. Boureille, der — gestützt auf die Mitteilungen
vieler Kollegen — sich nicht scheut, die Überernährung nicht allein für
überflüssig, sondern direkt für schädlich zu erklären. Man ist freilich stolz
auf die Gewichtszunahme in den Sanatorien ; aber : c’est affaire d’engraisse-
ment, et non pas de guerison. Andererseits ziehe die Überlastung des Orga¬
nismus mit nicht verwertbarem Material Störungen im Stoffwechsel, Gicht,
Diabetes. Steinbildung in Niere und Gallenblase, in der Leber und im
Darmtraktus nach sich.
Mag das letztere auch übertrieben sein, so ist es doch vielleicht gut,
wenn B. mit dem Satz : „l’alimentation sera affaire individuelle, un peu
de hon sens suffira“ sich gegen die nach Bürokratismus schmeckenden Diät¬
vorschriften auf lehnt und einen Gedanken wieder auf frischt, den schon
Hippokrates lehrte: 3st ouv 7ipca T7 v r,Xix:7]v xa't xrjv topr)v xa'i xo e9o; xa\ T7]v
yo ' prjv x ai ra stosa xa Staxr'jxaxa 7rotst?9ac. (Man muß die Lebensweise nach Alter,
Jahreszeit, Gewohnheit, Landstrich und Körperkonstitution einrichten. nspi
uytsivr,?. Kap. II.) Buttersack (Berlin).
Zur Ernährung der Diabetiker.
(M o rieh au- Be auch an t. Progr. med., Nr. 43, S. 518, 1908.)
Die verständige Arbeit des Arztes von Poitbers kommt zu diesen
Resultaten : Die Glykosurie hängt nicht allein von den Kohlehydraten ab,
sondern auch von den Eiweißkörpern, und zwar besteht da ein ausgesproche¬
ner Parallelismus.
Entgegen der landläufigen Ansicht muß die Nahrungsaufnahme des
Diabetikers unter der normalen bleiben. Der Diabetiker soll wenig essen.
42
Bücherschgu.
Der N- Verbrauch ist bei solchen Kranken keineswegs gesteigert ; er
läßt sich, im Gegenteil, mit einem Minimum von Eiweiß im N-Gleichge-
wicht halten. 0,4 g pro Kilo genügen dazu. Pflanzeneiweiß steigert die
Glykosurie weniger als animalisches.
Kohlehydrate sind für den Diabetiker keineswegs schädlich ; man darf
eben nur nicht mehr geben als er umsetzen kann. Wenn man das Eiweiß
durch entsprechende Mengen von Kohlehydraten ersetzt, würden diese besser
ausgenützt; man muß diese Nahrungsstoffe also jeweils im umgekehrten
Verhältnis geben. Buttersack (Berlin).
Bücherschau.
Heilende Strahlen. Gesammelte Aufsätze von Ingenieur Friedrich
Dessauer. Band II. Würzburg 1908, Curt Kabitzsch. Preis 2,50 Mk.
Die Aufsätze stehen untereinander nur in losem Zusammenhang und
sind zum Teil bereits an andern Orten erschienen. Nr. 1 : Physik im Reiche
der Medizin (Frankfurter Zeitung 1907). Klage über die ungenügende Vor¬
bildung der Mediziner in der Physik, zurückgeführt auf den Zuschnitt
der physikalischen Kollegien, die auf die praktischen Bedürfnisse des künf¬
tigen Arztes keine Rücksicht nehmen. Forderung der Angliederung physi¬
kalischer Laboratorien an die Kliniken und der gl., ähnlich den chemischen
und bakteriologischen Instituten dieser Art. (Dieser Forderung — die teil¬
weise schon erfüllt ist — schließen wir uns an; die Begründung: ,,die Uni¬
versitäten versagen in dieser Beziehung großenteils“, müssen wir bestreiten :
an den meisten Universitäten werden entsprechende Kurse und dergl. ange¬
kündigt, wie ein Blick in die Vorlesungsverzeichnisse beweist. Nr. 2. Ziele
der Röntgentechnik (I. Röntgenkongreß 1905 in Berlin). Forderung noch
schärferer Spezialisierung im Bau von Röntgeninstrumenten. Diagnostische
Apparate sollen möglichst große Differenzierung von Dichtigkeitsunterschieden
gestatten; das Bild wird um so besser, je größere Abstufungen in der Pene¬
trationskraft die verfügbaren Röntgen strahlen besitzen. Therapeutische Appa¬
rate sind um so besser, je homogener ihre Strahlung ist ; je mehr man sich
auf die stete Gleichmäßigkeit der angewandten Strahlen verlassen kann, um
so gefahrloser und um so erfolgreicher wird die Handhabung. (Auch wir
halten dieses Resume für sehr zutreffend.) Nr. 3. Strahlungsenergien und
Krankheiten. (Deutsche Revue 1905.) Mehr allgemeiner Natur, weist am
Schlüsse auf den zu erwartenden Fortschritt der gleichmäßigen Tiefenbestrah¬
lung hin. (Cancroide sind Geschwülste, „Geschwüre“ ist wohl Druckfehler.)
Die Deutung der Goldsteinschen Kanalstrahlung als einer Elektronenstrah¬
lung ist nicht allgemein angenommen, meist wird sie als Molekularstrahlung
aufgefaßt. Nr. 4. Die Gefahren der Röntgenstrahlung. (Deutsche Revue 1907.)
Nr. 5. Schutz des Arztes und des Patienten gegen Schädigung durch Röntgen-
und Radiumstrahlung. (Münchener Medizinische Wochenschrift 1907.) Beide
Artikel stellen die gebräuchlichen Schutzmaßregeln übersichtlich zusammen.
Der erstere wendete sich ursprünglich an ein größeres Publikum und be¬
kämpft in recht geschickter Weise die übertriebene Furcht, die im Publikum
stellenweise herrscht. Nr. 6. Zur Frage des Instrumentariums. (Fortschritte
auf dem Gebiete der Röntgen strahlen 1905.) Polemischer Natur. Nr. 7.
Heilendes Licht. Die. kurzwelligen Lichtstrahlen kommen in Betracht : werden
sie ausgeschaltet, wie bei Scharlach und Masern, wird die Behandlung eine
passive (der Mediziner würde ,, schonende“ sagen) genannt, werden sie an¬
gewendet, eine aktive („reizende“ nach medizinischem Sprachgebrauche). Dem
Reize widerstehen die organotypischen Zellen Hertwig’s lange, während
ihm die cytotypischen rasch erliegen. Leider ist die Wirkung auf die Ober¬
fläche beschränkt. Nr. 8. Beitrag zur Bestrahlung tiefliegender Prozesse.
(Medizinische Klinik 1905.) Forderung nach einer Methode, die cytotypischen
Zellen in der Tiefe anzugreifen; ohn;e dabei zugleich die Oberfläche zu
schädigen. Einiges über die Schwierigkeit der Dosierung wegen Mangel
eines entsprechenden Meßinstrumentes; das Chromoradiometer ist nur für
die Messung der Oberflächenwirkung brauchbar; eine Schätzung gestatten
die Härteskalen, von denen die Bemoost sehe der Walt ersehen vorgezogen
wird (warum ?) ; Vorschlag, diese Methode . zu vervollständigen durch die
Bücherschau.
43
Messung des auf einem Fluoreszenzschirme unter einheitlichen Bedingungen
erzeugten Lichtes durch ein Photometer nach Boas. Nr. 9. Eine neue
Anwendung der Röntgenstrahlen. Verhandlungen der deutschen physika¬
lischen Gesellschaft 1907.) Die homogene TiefemBestrahlung wird erreicht
durch Verwendung sehr harter Röhren, die nur ganz wenig weichere Strahlen
aussenden, in sehr großer Entfernung. Doch ist dabei eine Expositionszeit
von ca. 100 Stunden nötig, um am Chromoradiometer die Wirkung von
einer Holzknecht-Einheit zu erzielen. Die gebräuchlichen Röntgenröhren
halten diese Beanspruchung nicht aus. Dessaur teilt die vom sekundären
Solenoid eines Hochspannungstransformator herkommende Leitung gabelförmig
und betreibt mit jedem Zweige je eine Röntgenröhre gleichzeitig, in
dem er durch entgegengesetzte Schaltung derselben und entsprechend vor¬
gelegte Drosselröhren u. dgl. dafür sorgt, daß jede nur von den Impulsen
gleicher Richtung durchflossen wird. Nr. 10. Anhang : rein feuilletonistisch.
von Criegern.
Das Koma diabeticum und seine Behandlung. Von A. Magnus-Levy.
(Sammlung zwangloser Abhandlungen aus dem Gebiete der Verdauungs¬
und Stoffwechsel-Krankheiten. I. Band, Heft 7.) Halle a. S., Carl Mar-
hold, Verlagshandlung, 1908. 8°. 54 S. Einzelpreis 1,40 Mk.
Das Koma diabeticum (dyspnoische Koma) wird in dieser kleinen Schrift der
Nauny Aschen Schule gemäß als eine Säurevergiftung (mit Oxybuttersäure und
Acetessigsäure), als Acidosis aufgefaßt, die übrigens als diabetische von der niclit-
diabetischen schon um ihres ernsten, die Alkaleszenz des Blutes gefährdenden
Charakters willen streng zu unterscheiden ist. Die wichtige Affektion wird nach
der theoretischen und praktischen Seite durchaus erschöpfend besprochen. Bezüg¬
lich der Therapie und Prophylaxe wird zur Neutralisierung der oft beträchtlichen
Säuremengen eindringlich der immer mehr sich Geltung verschaffenden dauernden
Alkali-Darreichung das Wort geredet, wobei die Gabe des Natrium bicarbonicum
sich nach der Höhe der Aceton- und Acetessigsäure-Ausscheidung zu richten hat.
Die praktisch so wichtige Frage der Diät beim schweren, immer vom Koma be¬
drohten Diabetes wird mit den nötigen Anleitungen erörtert. Auch für eine Kleinig¬
keit verdient der Verfasser Dank: er hat den Mut, gut deutsch Kohlenhydrate zu
schreiben. H. Vierordt (Tübingen).
%
Atlas der Syphilis und der venerischen Krankheiten mit einem Grundriß
der Pathologie und Therapie derselben. Von Franz Mracek. 2. ver¬
mehrte und verbesserte Auflage. Mit 81 farbigen Tafeln nach Original¬
aquarellen von Maler A. Schmitson und 26 schwarzen Abbildungen.
Lehmann’sche medizinische Handatlanten, Band VI. München, J. F.
Lehmann, 1908. Preis 16 Mk.
Der leider jüngst verstorbene Verfasser hat die 2. Auflage seines
vor 10 Jahren erschienenen Atlas nicht mehr erlebt, aber er hat sie jm
wesentlichen noch selbst besorgt; die letzte Durchsicht hat Herr Schirmer
vorgenommen. Die Zahl der Tafeln ist um 10 farbige und 10 schwarze
vermehrt, auch der Text ist etwas ausführlicher gestaltet worden ; speziell
sind die neuen Tatsachen über die Syphilis -Ätiologie, die Tierversuche,
die Serodiagnostik auf genommen. Natürlich kann die Besprechung der vene¬
rischen Krankheiten auf 200 kleinen Druckseiten keine detaillierte sein ;
die wesentlichsten Punkte sind kurz und klar wiedergegeben — auf Diffe¬
renzen in den Ansehauungen kann ich hier nicht eingehen. Die Hauptsache
sind selbstverständlich die Tafeln. Ihre Auswahl ist sehr geschickt und
instruktiv ; ihre Ausführung hat, das müssen wir offen gestehen, als der
Atlas das erste Mal erschien, mehr befriedigt, als heute, weil wir damals
von billigen Atlanten nichts Gutes gewohnt waren, während wir jetzt in dem
Jacob i’schen Atlas ein relativ billiges und dabei ausgezeichnetes Bilder¬
werk besitzen. Trotzdem können wir viele Abbildungen des sehr wohlfeilen
Werkes, sowohl von den alten wie von den neuen, als wohlgelungen bezeichnen,
einige andere wären vielleicht besser durch neue ersetzt worden. Imganzen
wird das Werk dem Praktiker, der nicht viel von venerischen Krankheiten
sieht, die Diagnose oft erleichtern können und dadurch ein wertvoller Rat¬
geber sein. Jadassolin (Bern).
44
Bücherschau.
Nervöse Angstzustände und ihre Behandlung. Von Dr. Wilhelm Stekel.
Mit einem Vorworte von Prof. Dr. Siegm. Freud. Urban & Schwarzen¬
berg. 315 Seiten. Preis 8 Mk.
Im Jahre 1895 hat Freud von der Neurasthenie die „Angstneurose“
als ätiologisch einheitliches Krankheitsbild abgetrennt, dessen Ursachen er
in bestimmten aktuellen Schädlichkeiten des Sexuallebens (wie Coitus inter-
ruptus, frustrane Erregungen) erblickt. Diese Aufstellung, von wesentlicher
Bedeutung für eine kausale Therapie, gewinnt noch an Wert, wenn man be¬
denkt, daß die „Angstneurose“ nicht nur Angst zustände (mit somatischen
Krankheitserscheinungen und ohne solche), sondern auch gewisse körperliche
Störungen ohne Angstaffekt umfaßt, die aber nach Ätiologie und therapeu¬
tischem Erfolge ihre Zugehörigkeit zur „Agstneurose“ verraten. Ungeachtet
der weitreichenden Anerkennung, die Freuds Anschauung seither gefunden,
dürfte doch das vorliegende Buch als erstes die Erfahrungen des praktischen
Arztes über diesen Gegenstand an einer großen Reihe von Krankengeschichten
darlegen. Je nachdem der Affekt oder die körperlichen Beschwerden im
Vordergründe stehen und je nach dem Sitze der letzteren, also je nach dem
Gebiete, wo die unerledigte Sexualerregung Störungen hervorruft, gliedert
sich das Krankheitsbild in verschiedene klinische Typen, die vom Verfasser
eingehendst besprochen werden. Seine Erfahrungen sind von großem Interesse
für den praktischen Arzt; dieser lernt durch sie die sexuellen Grundlagen
mancher oft verkannten Krankheitszustände kennen, damit aber auch den
Weg zu ihrer Heilung. Aus dem reichen Inhalte dieses Abschnitts nennen
wir bloß das Kapitel „Schlaflosigkeit“ und das über den Pavor nocturnus,
um die engen Beziehungen solcher sexualtheoretischen Studien zur alltäg¬
lichen Praxis zu kennzeichnen. Der zweite Abschnitt des Werkes befaßt
sich mit der Angsthysterie. Freud schlägt diese Bezeichnung für die Phobien
vor, da er bei ihrem Zustandekommen einen ganz analogen psychischen Mecha¬
nismus am Werke sieht wie bei der Hysterie. Stekel, der das von Fremd
zur Behandlung (und zugleich Erforschung) der Psychoneurosen (Hysterie,
Zwangsneurose, Phobien) ausgebildete psychoanalytische Verfahren in seiner
Praxis übt, macht uns nun ganz speziell mit den Ergebnissen seiner psycho¬
analytischen Kuren an „Angsthysterischen“ bekannt. Er gewährt uns Ein¬
blick in eine Anzahl sehr interessanter Analysen von Patienten mit Agoraphobie,
Eisenbahnangst, psychischer Impotenz usw., schließt dann ein Kapitel über
Hypochondrie an und führt uns mit den Analysen zweier Fälle von Melan¬
cholie eigentlich schon ins Gebiet der Psychosen, wobei er der psycholo¬
gischen Richtung zur Erforschung der Geisteskrankheiten aufs wärmste das
Wort redet. Die Technik der Psychoanalyse wird im allgemeinen Teile ge¬
schildert. Ihr letztes Ziel ist die Auffindung infantiler Sexualerlebnisse,
deren Erinnerungsspuren — nach Freud’s Theorie — , infolge des „Ver-
drängungs“vorganges im Unbewußten latent, später, unter dem Einflüsse
psychischer Konflikte pathogen geworden, das neurotische Symptom erzeugt
haben, das eben durch Bewußtmachung seiner vergessenen („verdrängten“)
Grundlagen, wodurch die psychische Verarbeitung des Konflikts angebahnt
wird, zur Heilung gelangt. Das wichtigste Verfahren zur Erschließung
des Unbewußten ist die Analyse der Träume, und Verfasser vermittelt uns
denn auch u. a. die Grundzüge der „Traumdeutung“. Der großen, Mehrzahl
der Ärzte dürfte diese wie die anderen Theorien Freuds noch völlig fremd
oder höchstens oberflächlich bekannt sein, und schon in diesem Sinne bringt
das vorliegende Werk reichlich Neues, geeignet, in hohem Maße Interesse
zu erregen und keineswegs bloß in theoretischer Hinsicht ; von unmittelbarstem
Werte für den Praktiker sind die Schlußkapitel. Sie behandeln außer der
Technik der Psychotherapie die allgemeine Diagnostik und Therapie der
Angstzustände, also nicht nur die kausale auch die symptomatische. Fragen
der Prophylaxe, insbesondere Nutzanwendungen der Freud’schen Sexualtheorie
auf die Pädagogik der frühesten Kindheit bilden den Schluß dieses reich¬
haltigen, einem Gebiete von höchster Wichtigkeit gewidmeten Buches.
Brecher (Meran-Gastein).
Ärzte und Patienten mit Röntgenstrahlen durchleuchtet. Von einem
praktischen Arzte. Leipzig, Konegen, 1908. Preis 5 Mk.
Der Verfasser, der die Freuden der Praxis gründlich durchgekostet
hat, weiß uns mit gutmütiger Ironie und treffendem Spott unsere eigenen
Bücherschau.
45
Erfahrungen in Erinnerung zu bringen. Zum. großen Teil ist das Buch eine
Parentation an der Leiche des Hausarztes. Besonders gelungen ist die Natur¬
geschichte des Patienten und die Klassifikation der Spezies von Ärzten,
sowie die Kritik des Spezialistentums und der ärztlichen Vereine.
Die Denkungsart, des Verfassers wird am besten charakterisiert durch
einen Satz, den er einer ,,bei den Kollegen weniger beliebten“ Unterart des
Arztes widmet: „Er ist, wenn man so sagen darf, ein Ehrlichkeitsfanatiker
und Idealist, hat also zwei Eigenschaften, die mit der Zeit jeden praktischen
Arzt zugrunde richten.“ F. von den Velden.
Vergleichende Volksmedizin. Von O. v. Hovorka und A. Kronfeld.
Stuttgart, Strecker & Schröder.
Von dem hier schon an gezeigten Werk ist jetzt ein vierter Band er¬
schienen, der den Schluß der inneren Medizin, die Chirurgie und einen
Teil der Geburtshilfe umfaßt. Von besonderem Interesse ist das Kapitel
der Chirurgie und man wünscht größere Ausführlichkeit. Eingehend wird
die seit ältesten Zeiten ausgeführte Trepanation behandelt, der Steinsohnitt,
die Kastration u. a., wobei man Gelegenheit hat zu konstatieren, daß die
Geschicklichkeit und Kühnheit der Chirurgen der Vorzeit weit größer war
als man gewöhnlich annimmt. Sie waren freilich begünstigt dadurch, daß
sie Asepsis so wenig brauchten als heutzutage die Neger, und daß sie mit
den primitivsten, oder auch gar keinen, Betäubungsmitteln auskamen.
Warum die Verf. die Mika- oder Kulpi-Operation der Australier (die
Aufschlitzung der Harnröhre ihrer ganzen Länge nach) nicht als sterilisierende
Operation gelten lassen wollen, ist unverständlich. Nach den Mitteilungen,
die Bartels (Medizin der Naturvölker, Leipz. 1893, S. 297) darüber zusammen¬
stellt, kann an ihrer Bedeutung kaum gezweifelt werden.
Ein sehr amüsantes Blatt ist die Seite 314, ein klassischer Beweis
dafür, daß in medizinischen Dingen jeder Ignorant kompetent ist und seinen
unerbetenen Bat mit Selbstgefühl zum besten gibt. F. von den Velden.
Die Säuglings-Pflege und -Ernährung. Von Dr. Pöplitz, Breslau. Ver¬
lag von Preuß & Junge, Breslau.
In origineller neuer Weise gibt vorliegendes Schriftchen auf vorgedruckte
Fragen den jungen Müttern ausführlich Antwort über eine vernunftgemäße
natürliche oder künstliche Ernährung ihrer Säuglinge, sowie über ihre körper¬
liche Pflege. Die von der üblichen trocknen Form abweichende Beantwortung
der wichtigsten Fragen der Kinderstube des ersten Lebensjahres wird ähn¬
lichen Schriftchen den Vorzug geben, zumal auch alle Ansichten des Ver¬
fassers den modernen Errungenschaften der Kinderärzte entsprechen.
Krauße (Leipzig).
Die Pflege der Wöchnerinnen und Neugeborenen. Von Sanitätsrat Dr.
Beaucamp, Bonn. Hauptmann. Preis 1,50 Mk.
Obiges Büchlein ist in fünfter Auflage erschienen. Es beginnt mit Be¬
lehrungen über Verantwortung und Stellung der Wochenpflegerin, über Anti-
und Asepsis unter detailiertester Ausführung der in Frage kommenden chemi¬
schen Agentien. Er befaßt sich weiter mit der Pflege der gesunden Wöchnerin
und des gesunden Kindes, mit Unregelmäßigkeiten im Wochenbett und im
Befinden des Kindes. Es schließt mit einem ausführlichen Sachregister, das
jede Orientierung aufs schnellste ermöglicht.
Das Büchlein ist in jeder Beziehung ausgezeichnet, paßt sich vorzüg¬
lich dem geistigen Niveau der Pflegerinnen an und hält sich mit hervor¬
ragendem Geschick in seinem Rahmen. In klarster und fesselndster Dar¬
stellung weist es die Wochenpf leger in auf ihre Aufgaben und Verpflich¬
tungen hin, berücksichtigt bis ins kleinste alle Vorkommnisse und enthält
genaueste Beschreibung aller technischen Leistungen. Und überall weist Verf.
mit größtem Nachdruck darauf hin, daß es heiligste Pflicht der Pflegeperson
ist, bei auffallenden und krankhaften Erscheinungen bei Mutter und Kind
den Arzt zu fragen. Krauße (Leipzig).
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Bücherschau.
Lehrbuch der Säuglingskrankheiten. Von Prof. Finkeistein. II. Hälfte,
Abteil. I. FischePs Med. Buchhandlung, Kornfeld-Berlin.
Der langerwartete II. Teil von Finkeisteins Lehrbuch liegt in seiner
ersten Abteilung vor uns. Er umfaßt die Erkrankungen der Atmungsorgane
in ihren infektiösen und sonstigen Formen, sowie die der Schilddrüse und
Thymus. Dann folgt die Pathologie des Herzens. Den Schluß bilden Er¬
krankungen des Mundes, die Magenkrankheiten und die Passagestörungen
im Verdauungstraktus. Das Buch bietet jedem Interessenten dieser Erkran¬
kungen im ersten Lebensjahre unendlich vieles, reichste klinische Studien,
glänzende kritische nicht hypothetische Beobachtungen. Besonders die Er¬
krankungen des Respirationstraktus, die akuten infektiösen Katarrhe, sind
in einer bis jetzt einzig dastehenden Weise erschöpfend bearbeitet, wobei
auch die therapeutische Seite, besonders in physikalischer Beziehung, nicht
zu kurz gekommen ist. Das Buch bietet jedem, auch dem Eingeweihten
eine reiche Fülle von Anregungen und Belehrungen, es darf nirgends fehlen,
wo Informationen über die Erkrankungen des ersten Lebensalters gesucht
werden. Die Literaturangaben halten sich unter kritischer W ürdigung der
wichtigsten in angemessenen Grenzen. Doch wozu W orte der Anerkennung
über ein Buch von Säuglingskrankheiten, das von Finkeistein ausgeht. Alle
Interessenten dieses Gebietes müssen für eine zusammenfassende Veröffent¬
lichung dankbar sein, wenn sie dieselbe indirekt aus Finkei stein’s Munde
erfahren. Krauße (Leipzig).
Blutarmut und Bleichsucht, Wesen, Ursachen und Bekämpfung. Von
K. B. Martin. (Der Arzt als Erzieher, Heft 31.) München 1908.
Verlag der „Ärztlichen Rundschau“ (Otto Gmelin). 8°. 50 Seiten.
Preis 1,40 Mk.
Das Schriftchen ist vor allem von dem Gedanken durchdrungen, daß
der Blutarmut oder, wie vorgeschlagen wird, der ,, Blut Verarmung“ und Chlorose
bei rechtzeitigem Eingreifen wirksam vorgebeugt werden könne. Auch die
wichtigeren theoretischen Anschauungen über die Bleichsucht werden vorge¬
tragen, einzelne, wie die Noorden’sche Autointoxikation durch innere Sekre¬
tion von seiten des Eierstocks, zurückgewiesen. Bei der (prophylaktischen)
Therapie, die mit Recht die Eisenmedikation nicht in den Vordergrund stellt,
welche „auf keinen Fäll jahrelange hygienische Sünden und Laster gut¬
machen kann“, wird der Ernährung die erste Stelle zugewiesen, im allgemeinen
für mehr vegetarische Diät eingetreten, die sog. Abhärtung, selbst das Spiel
der Kinder als ,, Ganzwilde in unschuldiger Nacktheit“, ferner auch kalter
Guß auf die Glieder empfohlen. Wenn man auch mit dem Verfasser nicht in
allen Dingen übereinstimmen kann, so darf ihm doch billiger Weise die
Anerkennung nicht versagt werden, daß sein Büchlein manches Brauchbare
und Beherzigenswerte enthält. H. Vierordt (Tübingen).
Handbuch der Röntgentherapie nebst Anhang: Die Radium-Therapie.
Von Josef Wetterer. Verlag von Otto Nemnich. Preis geb. 27 Mk.
So recht ein Beweis für die schnelle und intensive Arbeit unserer Wissen¬
schaft in jetziger Zeit ist das vorliegende Buch. Unwillkürlich ruft man sich nach
der Lektüre desselben ins Gedächtnis zurück, daß erst gerade 18 Jahre seit der
genialen Entdeckung Röntgens vergangen sind, 12 Jahre seit Begründung der
Röntgentherapie durch Freund. Und nun liegt ein Werk vor, daß sich ausschließlich
mit diesem letztgenannten Zweige der Röntgenologie befaßt in einem Umfange
von über 800 Seiten und mit einem Literaturnachweis von 2016 Nummern. Es sei
gleich hier betont, daß dieses Verzeichnis allein das Buch schon wertvoll macht,
denn es ermöglicht dem, der sich über ein bestimmtes Kapitel der Röntgentherapie
orientieren will, ein schnelles Auffinden der einschlägigen Publikationen.
Überhaupt zeugt das ganze Buch Seite für Seite von einer großen Gründlich¬
keit und Erfahrung des Verfassers, dessen Ausführungen man gerne folgt. Sehr
klar und erschöpfend ist auch der physikalisch -technische Teil, der dem Buche
vorangeht, gehalten. Wenn hier eine kleine Ausstellung erlaubt ist, so bezieht sich
dieselbe auf die an und für sich allerdings vorzüglich ausgeführten farbigen Tafeln.
Ref. ist nämlich der Meinung, daß jeder der sich therapeutisch mit den Rönt¬
genstrahlen beschäftigt, auch ohne eines Bildes zu bedürfen, eine weiche von
einer harten Röhre stets sicher wird unterscheiden können. Außerdem wird er
Bücherschau.
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ja auch die dosimetrische Methode so wie so nicht entbehren können, ist doch, wie
Sommer sagt (Röntgen-Kalender 1908) das therapeutische Arbeiten ohne eine
solche direkt als Kunstfehler zu betrachten. Dagegen sind die dem thera¬
peutischen Teil beigefügten Tafeln äußerst genau und instruktiv und ver¬
dienen uneingeschränktes Lob, das auch dem Verlag ausgesprochen werden muß.
Jedem Röntgentherapeuten wird sicher durch die Lektüre des Buches
manche unangenehme Erfahrung in der Praxis erspart bleiben, und es dürfte
kaum eine Frage geben, auf die ihm der „Wetterer“ nicht erschöpfend bis
auf die neuesten Forschungen wird Auskunft geben können. R.
Wir wurden um Aufnahme nachstehender Erklärung ersucht:
In verschiedenen medizinischen und Tageszeitungen ist in der letzten Zeit
eine Reihe von Artikeln veröffentlicht worden, welche das Wesen der sogenannten
. Soldschreiber“ über medizinische Präparate beleuchten. Die Abfassung dieser
Artikel ist teilweise geeignet, bei Ärzten und dem Publikum irrige Auffassungen
über die Art der Einführung neuer Heilmittel zu erwecken. Der „Verband dei¬
ch emisch-pharmazeutischen Großindustrie“ sieht sich deßhalb zu folgender
Erklärung veranlaßt:
Der „Verband“ bekämpft das Soldschreiberwesen auf das Energischste und
hat die gleichen Bestrebungen der „freien Vereinigung der medizinischen
Fachpresse“ in jeder Weise tatkräftig unterstützt, wie dies auch von der „Ver¬
einigung“ anerkannt worden ist.
Die dem „Verband“ angehörigen Firmen müssen mit aller Entschiedenheit
der völlig haltlosen Auffassung entgegentreten, als hätten sie irgend ein Interesse
an einer „Schönfärberei“ in den Publikationen über Arzneimittel. Ihr alleiniges
Interesse ist das einer gründlichen, sorgfältigen und absolut einwandsfreien Prüfung
ihrer Präparate durch anerkannte, unbeeinflußte Fachmänner. Eine solche Prüfung
ist aber zur Erzielung von Fortschritten auf dem Gebiete der medikamentösen
Therapie durchaus unentbehrlich.
Die in der Fachpresse erörterte Erage der Honorierung von Arbeiten über
medizinische Präparate ist eine ärztliche Standesangelegenheit, Die Unterzeichneten
Firmen nehmen deshalb hierzu keine Stellung; sie halten es für ausgeschlossen,
daß ein ehrenhafter Arzt seine Ansichten und die Ergebnisse seiner Untersuchungen
irgendwie davon beeinflussen lassen könnte, ob ihm seine Arbeit und Mühe ver¬
gütet wird oder nicht. Diese Frage sollte mit der völlig anders gearteten Frage
der Ausmerzung berufsmäßiger Soldschreiber in keiner Weise verquickt werden.
Aktiengesellschaft für Anilinfabrikation, Berlin SO. 36.
C. F. Boehringer & Söhne, Mannheim- Waldhof.
Chemische Fabrik auf Aktien vorm. E. Schering, Berlin N. 39.
Chemische Fabrik Güstrow, Güstrow i. M.
Chemische Fabrik von Heyden, A.-G., Radebeul b. Dresden.
Farbenfabriken vorm. Friedr. Bayer & Co., Elberfeld.
Farbwerke vorm. Meister, Lucius & Brüning, Höchst a. M.
Gehe & Co., A.-G., Dresden-N.
Gesellschaft für Chemische Industrie, Basel (Schweiz).
F. Hoffmann, La Roche & Co., Grenzach (Baden).
Kalle & Co., A.-G., Biebrich a. Rh.
Knoll & Co., Ludwigshafen a. Rh.
E. Merck, Darmstadt.
Pearson & Co., G. m. b. H., Hamburg.
J. D. Riedel, Ä.-G. (Chemische Fabriken), Berlin N. 39.
Schülke & Mayr, Lysolfabrik, Hamburg.
Dr. Theinhardt’s Nährmittel-Gesellschaft m. b. IL, Cannstatt-Stuttgart.
Vereinigte Chininfabriken Zimmer & Co., G. m. b. H., Frankfurt a. M.
Der 26. Kongreß für innere Medizin
findet vom 19. — 22. April 1909 in Wiesbaden statt unter dem Präsidium des
Herrn Schultze (Bonn). Das Referatthema, welches am ersten Sitzungstage:
Montag, den 19. April 1909 zur Verhandlung kommt, ist: Der Mineral¬
stoffwechsel in der klinischen Pathologie, Referent: Herr Magnus-
Levy (Berlin). Hierzu findet ein Vortrag des Herrn Widad (Paris): Die
therapeutische Dechloruration statt. Am dritten Sitzungstage : Mittwoch, den
21. April 1909 wird Herr He ad (London) einen Vortrag über Sensibilität und
Sonsibilitätsprüfung halten.
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Hochschulnachrichten.
Folgende Vorträge sind bereits angemeldet: Herr A. Bickel (Berlin):
Hie Wirkling der Mineralstoffe auf die Drüsen des Verdauungsapparates.
Herr Külbs (Kiel): Über die Herzgröße bei Tieren. Herr Lenhartz (Ham¬
burg): Über die Behandlung des Magengeschwüres. Herr Eduard Müller
(Breslau) : Das Antiferment des tryptischen Pankreas- und Leukozytenfer¬
mentes, sein Vorkommen und seine Bedeutung für Diagnose und Therapie.
Herr Plönies (Dresden): Die Beziehungen der Magenkrankheiten zu den
Störungen und Erkrankungen des Zirkulationsapparates mit besonderer Be¬
rücksichtigung der nervösen Herzstörungen. Herr Schönborn (Heidelberg):
Einige Methoden der Sensibilitätsprüfung und ihre Ergebnisse bei Nerven¬
kranken. Herr Smith (Berlin): Zur Behandlung der Fettleibigkeit.
Weitere Vortragsanmeldungen nimmt der ständige Schriftführer des
Kongresses, Geheimrat Dr. Emil Pfeiffer, Wiesbaden, Parkstraße 13 ent¬
gegen, jedoch nur bis zum 4. April 1909. Nach dem 4. April 1909 ange-
meldete Vorträge können nicht mehr berücksichtigt werden.
Mit dem Kongresse ist eine Ausstellung von Präparaten, Apparaten und
Instrumenten, soweit sie für die innere Medizin von Interesse sind, verbun¬
den. Anmeldungen zu derselben sind ebenfalls an den ständigen Schrift¬
führer zu richten.
Hochschulnachrichten.
Berlin. Zum Nachfolger des Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Engel mann wurde Geh.
Med. -Rat Prof. Dr. Rubner ernannt. Zum Nachfolger von Geh. Rat Rubner
wurde Geh. Rat Prof. Dr. Flügge (Breslau) berufen. Es habilitierten sich
Dr. G. von Bergmann, Dr. R. Jolly, Dr. F. Meyer und Dr. F. Pinkus.
P.-D. Dr. II. Gutzmann erhielt den Titel Professor.
Breslau. Prof. Dr. K. Bonhöffer, Direktor der psychiatrischen und Nerven-
klinik wurde zum Geh. Medizinalrat ernannt.
Gießen. P.-D. Dr. J. Seemann folgte seinem bisherigen Chef Prof. Frank
nach München.
Göttingen. Zum ao. Professor wurde ernannt P.-D. Dr. Fr. Heiderich. Dr.
Lichtwitz habilitierte sich für innere Medizin.
Greifswald. P.-D. Dr. Siegfried Weber (innere Medizin) erhielt den Titel
Professor.
Halle. Der Privatdozent für Chirurgie Dr. E. Leser ist aus dem Lehrkörper
ausgeschieden und hat sich in Frankfurt a, M. niedergelassen. Geh. Med.-Rat
Prof. Dr. Schmidt-Rimpler feierte seinen 70. Geburtstag. P.-D. Prof. Dr.
E. Hof mann hat den Ruf als ao. Professor und Direktor der Poliklinik für
Haut- und Geschlechtskrankheiten angenommen.
Heidelberg. Exz. Geh. Rat Erb hat der Universität zum Andenken an seinen
früh verstorbenen Sohn den Betrag von 100000 Mk. gestiftet.
Kiel. Zum ao. Professor wurde ernannt Pr.-D. Dr. P. Doehle (pathologische
Anatomie). Dr. F. Cohn habilitierte sich für Geburtshilfe und Gynäkologie.
Köln. P.-D. Dr. E. Martin, dirig. Arzt des evang. Krankenhauses (Chirurg) ^er¬
hielt den Titel Professor. Zum Prosektor der städtischen Krankenanstalten
wurde Dr. Brandts bisher 1. Assistent am städtischen Krankenhaus rechts
der Isar in München berufen. Dem Dozenten für Augenheilkunde Dr. med.
A. Pröbsting wurde der Titel als Professor verliehen.
Leipzig. Dr. med. A. Gregor (Psychiatrie) habilitierte sich.
Marburg. P.-D. Dr. J ah rmärk er (Psychiatrie) erhielt den Titel Professor. P.-D.
Dr W. Krau ss (Augenheilkunde) erhielt den Titel Professor. Dr. G. Schöni
habilitierte auch für Chirurgie.
München. Dr. med. Otto Neubauer (innere Medizin) habilitierte sich. Für
Anatomie habilitierte sich Dr. med. H. Hahn.
Straßburg. Prof. Dr. F. v. Recklinghausen vollendete das 75. Lebensjahr.
P.-D. und Oberarzt an der psy chatrisclien Klinik Dr. Max Rosen feld wurde
zum Professor ernannt.
Wien. P.-D. Dr. L. Rethi nnd Dr. K. Sternberg wurden zu ao*. Professoren
ernannt. Prof. Dr. J. Schnabel. Direktor der Augenklinik ist plötzlich ver¬
storben. Geh. Rat Prof. Dr. v. Strümpell in Breslau erhielt einen Ruf als
Nachfolger von Prof. v. Schrott er.
Schriftleitung: Dr. Rigler in Leipzig.
Druck von Emil Herr mann senior in Leipzig.
27. Jahrgang.
1909.
fomcbrim der medizin.
Unter Mitwirkung hervorragender Fachmänner
herausgegeben von
Professor Dr. 0. Köster Prio.-Doz. Dr. o. £riegern
in Leipzig. . in Leipzig.
Schriftleitung: Dr. Rigler in Leipzig.
Nr. 2.
Erscheint am 10., 20., 30. jeden Monats. Preis halbjährlich
6 Mark, in kl. Zeitschrift für Versicherungsmedizin 8 Mark.
Verlag von Georg Thieme, Leipzig.
20. Jan.
Originalarbeiten und Sammelberichte.
Die Behandlung der Nervensyphilis.
Von Georg Köster.
(Nach einem im ärztlichen Fortbildungskurs (Oktober 1908) gehaltenen Vortrage.)
M. H. ! Daß die Behandlung der Nervensyphilis, oh sie uns als
luetische Neuritis, Epilepsie, chronische Meningitis oder als zerebro-
spinale Lues, mit disseminierten Herden, als Lues hasalis oder als
gummöser Tumor entgegentritt, eine sogen, spezifische Behandlung sein
muß, wird Ihnen allen Uberzeugungssache sein. Es wäre aber nicht
richtig, zu glauben, daß jeder früher syphilitisch Infizierte einer anti¬
luetischen Behandlung unterzogen werden müßte, wenn er späterhin
beispielsweise wegen einer Neuritis, einer Fazialislähmung, einer Epi¬
lepsie unsere Hilfe in Anspruch nimmt. Wir müssen vielmehr zu¬
nächst feststellen, ob 'die vorhandene Erkrankung nicht eine andere
als syphilitische Ätiologie hat. Daß die Feststellung der luetischen
Natur einer ätiologisch, nicht einheitlichen Krankheit bei einem früher
infizierten Individuum zuweilen sehr schwer sein kann, sei nur kurz
erwähnt Daß wir eine Tabes oder progressive Paralyse, deren meta¬
luetische Natur unbestritten ist, durch eine spezifische Behandlung
nicht zu verbessern vermögen, ist wohl jetzt allgemein anerkannt.
Aber es gibt Fälle, bei denen wir nicht sicher entscheiden können,
oh Tabes oder Lues spinalis, ob progressive Paralyse oder Lues cerebro¬
spinalis vorliegt, und wir wissen auch, daß neben klaren metaluetischen
Krankheitsbildern auch ebenso eindeutige, direkt syphilitische Ulze-
rationen, Gummata und dergl. sich finden können. In allen solchen Fällen,
v^o entweder die Ätiologie des bestehenden Krankheitsprozesses nicht
genügend klar zutage liegt oder wo neben metaluetischen Erkrankungen
sich spezifische Erscheinungen nachweisen lassen, ist die Einleitung
einer spezifischen Behandlung geboten. Nicht selten erkennen wir aus
dem Erfolge der Therapie, daß wir es tatsächlich mit einem direkt
syphilitischen Leiden zu tun haben.
Wo sich Gelegenheit findet, die Wassermannsche Serumreaktion
znm Nachweis des im Körper vorhandenen luetischen Giftes heran¬
zuziehen, wird man diese Probe in zweifelhaften Fällen trotz ihrer
noch nicht unzweideutigen klinischen Bedeutung von einem geübten
Beobachter ansführen lassen.
4
50
G. Köster,
Anderseits wäre die Meinung unzutreffend, daß selbst bei un¬
zweifelhaft syphilitischer Ätiologie des vorliegenden Nervenleidens auch
immer sogleich eine antisyphilitische Behandlung eingeleitet werden
müßte. In frischen und akut verlaufenden Fällen von Nervenlues
werden wir selbstverständlich mit einer Quecksilber- oder Jodbehand¬
lung nicht zögern dürfen. Wo wir aber hören, daß schon mehrere Hg-
Kuren vor kurzem durchgeführt wurden, werden wir nicht ohne weiteres
eine neue Hg-Kur folgen lassen, zumal wenn ein alter Fall von zerebro-
spinaler Lues vorliegt. Wenn wir uns vergewissert haben, daß wir
es mit dauernden, bereits seit langer Zeit vorhandenen Ausfallserschei¬
nungen zu tun haben, die als Ausdruck fester Bindegewebsentwickelung
einer spezifischen Behandlung unzugänglich sind, dann treten zunächst
andere therapeutische Maßregeln, wie z. B. Massage, Elektrizität und
Hydrotherapie in den Vordergrund, auf die ich weiter unten zurück¬
komme. Eine Jodkur kann man als weniger anstrengenden Eingriff
in jedem veralteten Falle nebenher gebrauchen lassen. Gelingt in
einem seit langer Zeit unveränderten und anscheinend nicht mehr besse¬
rungsfähigen Falle von zerebrospinaler Lues mittels der Wasser m an n-
schen Serumreaktion der Nachweis von aktivem luetischen Virus, so
werden wir trotz vieler vorausgegangener, ergebnisloser ILg-Kuren mit
der Einleitung einer neuen nicht warten dürfen. Dasselbe gilt natür¬
lich, wenn bei einem schon lange ruhenden und anscheinend mehr oder
weniger irreparabeln Falle neue und womöglich das Leben gefährdende
Symptome auftreten.
Da heißt es, nicht nur rasch, sondern auch energisch mit Queck¬
silber behandeln. Am besten wird mit der Hg-Kur dann sogleich
eine Jodkur verbunden.
W enn es auch prinzipiell gleichgiltig sein mag, ob wir das Queck¬
silber einnehmen lassen oder ob wir es intramuskulär oder als Schmier¬
kur anwenden, so kann ich mich doch dem Eindruck nicht verschließen,
daß die Schmierkur am intensivsten wirkt, wobei ich es dahingestellt
sein lasse, ob die Wirkung auf der von Kromayer neuerdings als
wesentlich betonten Einatmung der Hg-Dämpfe oder auf der llesorp-
tion des eingeriebenen Quecksilbers beruht. Ich verwende entweder
graue Salbe oder Ung. Hydrarg. rubrum cum Besorbino parat um und
lasse täglich 4 — 6 g durch ca. 5 — 6 Wochen einreiben. Über die tech¬
nische Ausführung der Schmierkur brauche ich Ihnen gegenüber kein
Wort zu verlieren. Stellt sich im Laufe der ersten Wochen die ge¬
wünschte Besserung ein oder folgt sie wenigstens der beendeten Schmier¬
kur auf dem Fuße, so fügen wir als Nachkur noch eine Jodbehandlung
hinzu. Bleibt aber nach beendeter Schmier kur jeder Erfolg aus und
verläuft auch die Jodkur relativ oder absolut resultatlos, so werden wir
nach mehrmonatlicher Bause zu einer neuen Quecksilberbehandlung
schreiten müssen.
Wir beobachten gar nicht selten Fälle von zerebrospinaler Lues,
deren Symptome sich trotz mehrfacher energischer Schmierkuren nicht
bessern, ja sogar während der spezifischen Behandlung eine Verschlim¬
merung erfahren. In solchen Fällen scheint wenigstens vorübergehend
das Quecksilber seine Wirkung- ganz zu versagen. Daß es sich hierbei
nicht um Kranke mit irreparabeln Umwandlungen des luetischen Granu¬
lationsgewebes in alte Bindegewebszüge oder in dicke Schwarten han¬
deln kann, beweist die überraschende Tatsache, daß eine späterhin aus¬
geführte nochmalige Schmierkur nicht selten eine überraschende Besse-
Die Behandlung der Nervensyphilis.
51
rung der Symptome zur Folge hat. In anderen Fällen sah ich nach
langer vergeblicher Hg-Behandlung erst durch eine Verbindung der
Schmierkur mit dem Bädergehrauch in Aachen oder Tölz die erwünschte
Besserung resp. Heilung eintreten. Man gewinnt hierbei den Eindruck,
als oh vorübergehend die Affinität des Körpergewebes zum Hg ge¬
sättigt und daher eine weitere Aufnahme und Heilwirkung des Mittels
unmöglich wäre. Besonders verstärkt wird dieser Eindruck durch die
deprimierende Beobachtung, daß während einer kräftigen Schmierkur
neue schwere zerebrale Symptome auftreten. So froh man auch sein
mag, wenn ein inoperabler Hirntumor sich als syphilitisch und daher
einer internen Behandlung voraussichtlich als zugänglich erweist, so
dürfen wir unter Würdigung der oben erwähnten Erfahrungen mit der
Stellung der Prognose nicht allzu zuversichtlich sein.
Wo es irgend möglich ist, muß mit der spezifischen Allgemein -
behandlung eine örtliche Behandlung verbunden werden. Es ist allbe¬
kannt, daß die Ulzera im Bachen oder Kehlkopf, Schädelgummata
und andere der örtlichen Beeinflussung zugängliche Affektionen rascher
abheilen. Vielleicht beruht bei der Nervenlues mancher therapeutische
Mißerfolg oder das Zurückbleiben dauernder Ausfallserscheinungen
darauf, daß die schweren Fälle von zerebrospinaler Syphilis meistens
einer örtlichen Behandlung nicht unterzogen werden können. Denn
die Fälle, wo ein Gumma an der Konvexität des Gehirnes chirurgisch
entfernt werden kann, sind doch im ganzen selten, während die Schädel¬
basis, diese Lieblingsstätte syphilitischer Neubildungen und die dis-
seminierten intrazerebralen Herde für das Messer unerreichbar sind.
Eine besondere Beachtung verdienen die mit Optikusatrophie ver¬
bundenen Fälle. Wo der Sehnerv deutliche Zeichen der Atrophie auf¬
weist, werden wir eine Schmier kur nur mit Vorsicht, d. h. unter steter
Überwachung des Augenhintergrundes vornehmen. Denn es ist bekannt,
daß eine schon bestehende' Optikusatrophie durch eine Hg-Behandlung
verschlimmert und die Erblindung beschleunigt werden kann. Selbst
ein Aussetzen der Schmierkur nach Feststellung der Verschlimmerung
vermag die fortschreitende Einengung des Gesichtsfeldes dann nicht
immer aufzuhalten. Daher empfiehlt es sich, bei atrophischer Er¬
krankung des Sehnerven, zunächst eine Jodkur vorzunehmen und wenn
man wegen anderer Hirn- oder Bückenmarkssymptome eine Hg-Behand¬
lung einleiten muß, den Augenhintergrund und das Gesichtsfeld des
Kranken alle drei Tage vom Augenärzte kontrollieren zu lassen.
Es wäre aber irrtümlich, wenn wir aus unseren Erfahrungen am
Sehnerven den Schluß ziehen würden, daß bei der Behandlung der
Nervensyphilis das Jod im allgemeinen dem Quecksilber überlegen
wäre. Auch die alte Ansicht, daß zur Behandlung früher Stadien
der Lues das Quecksilber, zu den späteren Formen das Jod das ge¬
eignete Heilmittel sei, trifft für die Nervensyphilis nicht zu. Viel¬
mehr sind beide Mittel gleich wertvoll und unentbehrlich, und nicht
selten machen wir die Erfahrung, daß ein alter Fall von schwerer
zerebrospinaler Lues oder eine schon langjährige spezifisch bedingte
Epilepsie auf Jod nicht so gut reagiert als auf eine nachfolgende
energische Schmierkur. Im allgemeinen greift eine Jodkur den Kranken
weit weniger an als eine Schmierkur und der Effekt der Joddarreichung
ist da, wo er sich überhaupt einstellt, oft prompter als der einer
Quecksilberbehandlung. Aber in vielen Fällen kommen wir ohne eine
Schmier kur nicht aus und wir verbinden daher am besten die Hg- und
4*
52
G. Köster,
Jodbehandlung miteinander, wie ich dies schon oben ausgeführt habe.
Entweder benutzt man Jodkalium (bei Herzkranken Jodnatrium) in
wässrigen Lösungen oder man gibt eines der neueren Jodpräparate
(Jodipin, Jodglidine, Sajodin). Schon seit langer Zeit läßt man bei
Durchführung einer Jodkur die Lösungen allmählich stärker werden,
indem man zuerst 5 g, dann 7 g, bis 21 g Jodkali auf 200 g Wasser
verordnet und hiervon stets dreimal täglich einen Eßlöffel auf Wasser
oder Milch nehmen läßt. Zumeist gewöhnen sich die Kranken ganz
gut an die starken Konzentrationen, so daß man die Kur ohne Pause
durchführen kann. Ist man bei 21 g Jodkali auf 200 g Wasser an¬
gelangt, so geht man langsam im Stärkegrade der Lösung 'in derselben
Weise wie beim Aufstiege wieder zurück bis zum Ausgangspunkte
(5 g Jodkali auf 200 g Wasser). Nach mehrwöchentlicher Pause werden
wir im Bedarfsfälle die Kur wiederholen, so daß der Kranke im ganzen
monatelang unter dem Einfluß der auf- und absteigenden Joddarrei¬
chung steht.
Stellen sich erhebliche Zeichen der Jodvergif tung (Bindehaut¬
katarrhe, Schnupfen, Bronchitis, Akne, Magenverstimmungen usw.) ein,
so können wir zuweilen nach einer mehrwöchentlicher Pause die Jodkur
mit schwachen Lösungen wieder beginnen. Auf die Mittel, die geeignet
sind, einer Jodintoxikation vorzubeugen, brauche ich Ihnen gegenüber
nicht einzugehen. Es gibt aber Personen, die ohne geradezu eine Idio-
sjmkrasie gegen Jod zu besitzen, dem Jodkalium und Jodnatrium gegen¬
über auffallend empfindlich sind. Bei solchen Kranken verwendet man
meiner Erfahrung nach besser eine 25°/0ige Jodipinlösung, von der
man 10 — 15 g täglich in die Glutäalmuskulatur spritzt. Oder man
gibt die Jod-Eiweißverbindungen Jodglidine oder Sajodin zweimal täg¬
lich 2 — 3 Tabletten. Besonders die letztgenannten beiden Jodpräparate,
die das Jod erst während ihrer Verdauung langsam ab geben, werden
von empfindlichen Kranken gut vertragen. Akne und Magenerschei¬
nungen blieben selbst bei den Kranken aus, die nach Gebrauch von
Jodkalilösungen regelmäßig unter diesen Beschwerden zu leiden hatten.
In letzter Zeit hat man das Atoxyl vielfach gegen die Syphilis emp¬
fohlen, zweifellos mit Becht. Aber es ist Ihnen bereits aus der Lite¬
ratur bekannt, daß das Mittel, ein Metaarsenikanilid, nicht so ungiftig
ist, wie sein Name es besagt. Wo das Atoxyl wie bei der Syphilis¬
behandlung als Gegengift wirken soll, so daß bei richtigem Gebrauche
des Gegengiftes ein neutraler Zustand im Körper des Patienten her¬
gestellt wird, ist seine Anwendung berechtigt und unschädlich, aber
nur, wenn alle notwendigen Vorsichtsmaßregeln gewahrt wer¬
den. Vor allem sind kleine Einzeldosen notwendig, die nicht über
0,05 g hinausgehen und höchstens jeden zweiten Tag wiederholt werden.
Ferner muß andauernd der Sehnerv kontrolliert und bei den ersten
Klagen des Kranken über undeutliches Sehen mit den Einspritzungen
für immer auf gehört werden, auch wenn eine Abblassung der Papille
noch nicht festgestellt werden kann. Die ersten schweren Vergiftungs¬
erscheinungen nach Atoxylgebrauch treten nach den Mitteilungen an¬
derer Beobachter und nach den Beobachtungen, die ich selbst zusammen
mit A. Birch-Hir schfeld an Menschen und experimentell vergifteten
Tieren machen konnte, im Sehnerven auf. Wie wir bereits in den
Fortschritten der Medizin mitgeteilt haben, entwickelt sich zuerst ein
diffuser Zerfall der Markscheiden im ganzen Sehnervenquerschnitt.
Auf die andern schweren Veränderungen, die im Zentralnervensystem
Die Behandlung der Nervensyphilis.
53
und den inneren Organen nach zu reichlichen Atoxylgebrauch eintreten
können, will ich hier nicht eingehen. Wenn Ihnen auch aus der Lite¬
ratur bekannt sein wird, daß ein beginnender Sehnervenschwund nach
sofortigem Aussetzen des Mittels sich wieder bessern und zurüekbilden
kann, so darf es hei einer Atoxylkur keinesfalls bis zum Auftreten
von Sehnervenatrophie kommen. Da die ersten Erscheinungen von
seiten des n. opticus subjektiver Natur sind und sich die objektiv nach¬
weisbare Atrophie ziemlich plötzlich und rasch fortschreitend einstellt,
so liegt die Gefahr nahe, daß bei nicht genügender Übung im Gebrauch
des Augenspiegels der richtige Zeitpunkt versäumt wird, an dem
spätestens mit der Einspritzung des Atoxyls auf gehört werden muß.
Die Folge ist eine unheilbare Erblindung, auch wenn die Augen vor
Beginn der Kur völlig gesund waren. In den 2 Fällen, die ich mit
A. Birch-Hir schfeld zusammen beobachtete, waren von dritter Seite
wegen Psoriasis vulgaris Atoxylinjektionen vorgenommen worden. Als
schließlich mit den Einspritzungen ausgesetzt wurde, war es bereits
zu spät, und die vorher gesunden Sehnerven beider Kranken zeigten
eine völlige und irreparable graue Atrophie. In der Literatur lesen
wir mehrfach von Patienten, die in Folge von basaler Lues erkrankte
Sehnerven besaßen und während einer Atoxylkur auffallend rasch eine
weitere Verschlechterung ihres Sehens erfuhren oder erblindeten. Daß
hier das Atoxyl geschadet und nicht genutzt hat, ist mir nicht im
geringsten zweifelhaft. Auch Störungen der Blasen- und Darment¬
leerung können nach Atoxylgebrauch eintreten bis zur Inkontinenz.
Gleich den initialen Erkrankungen des Sehnerven können sich auch
diese Beschwerden wieder zurückbilden. Bei einem der von mir beob¬
achteten Kranken war dies auch der Fall, bei dem zweiten hat sich
zwar die Inkontinentia alvi verloren, aber an Stelle der Blaseninkonti¬
nenz ist eine Dysurie getreten, die den Kranken anscheinend nicht
mehr verläßt. Wenn wir bedenken, daß nicht wenige Fälle von zere-
brospinaler Lues schon aü Blasen- und Darmstörungen leiden, so werden
wir über das Ausbleiben einer Besserung oder gar die Verschlimmerung
der Harn- und Stuhlentleerung nach einer Atoxylkur nicht mehr er¬
staunt sein.
Es leuchtet Ihnen ein, daß ein angeblich ungiftiges Mittel, das
mit großer Reklame empfohlen und anscheinend als eine Art Allheil¬
mittel gegen die verschiedensten Krankheiten von den Ärzten versucht
worden ist, im Grunde ein recht zweischneidiges Mittel zur Behand¬
lung der Syphilis darstellt, das nur unter Wahrung der größten Vor¬
sicht verwendet werden sollte.
Ich habe schon oben darauf hingewiesen, von welcher Bedeutung
für den guten Ausgang mancher schweren Fälle von Nervensyphilis
die Möglichkeit ist, einen geeigneten Kurort aufzusuchen. Ich nenne
hier nur Aachen, Tölz, Nenndorf und Wiesbaden , da ich die große
Zahl der mit mehr oder weniger Recht gegen Lues empfohlenen Bäder
hier unmöglich auf zählen kann. Wie man sich die Wirkung der ver¬
schiedenen Bäder vorzustellen hat, will ich hier nicht weiter erörtern.
Mit Sicherheit dürfen wir annehmen, daß die Verbindung der Schmier¬
kur mit einer Bade- und Trinkkur einen gewaltigen Einfluß auf den
Stoffwechsel und auf die Überwindung des syphilitischen Giftes ausübt.
Auch wenn die erste Badekur noch keinen befriedigenden Erfolg ge¬
habt haben sollte, dürfen wir uns nicht abhalten lassen, dem Kranken
wiederum das Auf suchen des Kurortes anzuraten. Denn die Erfahrung
54 G. Köster, Die Behandlung der Nervensyphilis.
lehrt, daß bei einer zweiten oder dritten Kur bis dabin anscheinend
irreparable Symptome verschwinden oder wenigstens sich bessern können.
Zu jeder Zeit müssen syphilitisch bedingte Gefühlsstörungen oder
motorische Lähmungen mit dem elektrischen Strom und mit Massage
behandelt werden. Bei frischen luetischen Erkrankungen erfüllen wir
damit die notwendige Forderung, neben der allgemeinen auch eine
örtliche Behandlung auszuüben. Bei eingewurzelten chronischen Stö¬
rungen der Sensibilität und Motilität stellen Elektrizität und Massage
zuweilen das einzige Mittel dar, das dem Kranken eine Linderung
bringt. Ebenso werden wir, wenn schon viele Schmier- und Jodkuren
vorausgegangen sind, in der Elektrizität, der Gymnastik, der manuellen
und Vibrationsmassage geeignete Mittel erblicken, die oftmals nützen,
bei vernünftiger Anwendung nicht schaden und den hoffnungslosen
Kranken den Trost gewähren, daß etwas Zweckmäßiges mit ihm ge¬
schieht.
Die Belebung der Hoffnung auf Genesung und die Hebung des
oft darniederliegenden Selbstvertrauens ist bei der Behandlung Syphi¬
litischer eine wichtige Aufgabe für den Arzt. Von großer Bedeutung
ist auch die Begebung der Lebensweise nicht nur während einer anti-
syphilitischen Kur, sondern zur Vermeidung von Eückfällen für die
Dauer des weiteren Lebens. Vermeidung von starkem Kaffee, alko¬
holischen Getränken und geistigen wie körperlichen Überanstrengungen
jeder Art — kurz eine den Kranken vorher oft unbekannte Mäßigkeit
in allen Genüssen des Lebens ist notwendig, um vor Nachschüben und
Bückfällen einigermaßen gesichert zu bleiben.
Alles, was einen vermehrten Blutandrang nach dem Gehirn oder
abnorme Schwankungen im Blutgehalte des Gehirnes bewirkt, ist bei
luetischen Nervenkranken mit Entschiedenheit zu verbieten, beispiels¬
weise zu heiße oder zu kalte Bäder, Kopfsprung in kaltes Wasser,
intensive Sonnenbestrahlung des Schädels. Besonders bei syphilitischer
Epilepsie, Lues cerebrospinales und dem Verdacht auf progressive Para¬
lyse sind diese Vorsichtsmaßregeln geboten.
Daß Patienten mit Nervensyphilis während einer Schmier- oder
Jodkur wöchentlich wenigstens zweimal in ihrem Befinden ärztlich
kontrolliert werden müssen, brauche ich Ihnen gegenüber nicht zu
betonen. Aber auch nach Ablauf der betreffenden Kuren, muß der
Kranke sich von Zeit zu Zeit dem Arzte vorstellen, damit bei dem
Auftreten neuer Anzeichen die Kur wiederholt werden kann. Gegen
eine aus prophylaktischen Gründen in regelmäßigen Pausen vorzu¬
nehmende mehr oder weniger schablonäre Wiederholung von Hg- oder
Jodkuren, wie dies bei den Frühformen der Syphilis von den Haut¬
ärzten vielfach geübt wird, bin ich bei den Kranken mit Nervensyphilis
ganz entschieden. Was bei den Frühformen sich erfahrungsgemäß
als gut bewährt haben mag, paßt nicht ohne weiteres für die späten
Stadien, in denen zumeist die schweren Nervenerkrankungen aufzu¬
treten pflegen. Wenn irgendwo, dann muß man hier je nach der
Schwere der Symptombilder und der Häufigkeit der Erscheinungen
individualisieren. Ich habe eingangs die Voraussetzungen besprochen,
die eine spezifische Behandlung notwendig machen. Im allgemeinen
wird man nur dann eine spezifische Therapie bei Kranken mit Nerven¬
syphilis einleiten, wenn ganz frische Erscheinungen aufgetreten sind,
wenn wir einem noch nicht spezifisch behandelten Falle von Nerven-
lues gegenüber stehen oder wenn trotz vielfacher vorausgegangener
Abramowski, Zur Frage der Erkrankung an Bandwurm.
55
Hg- und Jodkuren zu hoffen ist, daß ihre Wiederholung Nutzen stiftet.
Wir werden schon durch die Tatsachen gezwungen, mit der spezifischen
Therapie nicht zu zurückhaltend zu sein, und wir müssen die einmal
beschlossenen Hg- und Jodkuren gründlich und energisch durchführen.
Denn eine ängstliche Quecksilberkur mit kleinen Einzeldosen und von
zu kurzer Dauer nützt nichts oder nicht viel und führt uns zu einer
falschen Beurteilung des Krankheitsbildes. Andererseits schont man
hei einer je nach Lage des Falles individualisierten Hg-Kur das ohnehin
durch die Syphilis schon geschwächte Nervensystem der Kranken mehr
als bei den in regelmäßigen Pausen schablonär wiederholten Einver¬
leibungen von Quecksilber, das seinerseits da, wo es nicht auf aktives
Syphilisgift trifft, als Nervengift wirksam werden und die Entstehung
von toxischen Hg-Läsionen palpabler Natur am Nervensystem bedingen
kann.
Zur Frage über den mutmaßlichen Zusammenhang zwischen der
Erkrankung an Bandwurm, speziell Botryocephalus latus, und
derjenigen an Lungentuberkulose.
Von Dr. Abramowski, Schwarzort.
Es handelt sich bei meinen Beobachtungen um zwei an der Ostsee
gelegene Dörfer, von denen das eine etwa 500 Seelen, das andere,
30 Kilometer von diesem entfernt liegende, über 800 Seelen zählt.
Mein Wohnsitz ist in dem kleineren Dorfe, daher ist die Zahl meiner
Feststellungen in diesem auch eine größere. Nach dem anderen Dorfe
bin ich nur vereinzelt gekommen, indessen genügte das, um mich davon
zu überzeugen, daß die Verhältnislse hier wie dort dieselben sind. Beide
Orte werden, namentlich der erstere, viel von Badegästen aufgesucht.
Die Bevölkerung bestellt lediglich aus Fischern, von den wenigen an¬
sässigen Beamten und Handwerkern abgesehen. Der Nationalität nach
ist dieselbe zu zwei Drittel littauisch und zu ein Drittel deutsch. Ich
praktiziere hier nun seit' vier Monaten und ich habe in dieser Zeit die
Beobachtung gemacht, daß eine überaus! große Anzahl der Einwohner
an Bandwurm und zwar an Botrioeephalus latus, dem Grubenkopf,
leidet. Es mag ja wie aller Orten wohl einmal Vorkommen, daß jemand
der Wirt von Taenia solium oder saginata ist, ich selbst habe keinen
Fall beobachtet, auch ist es für diese Besprechung, des geringeren
deletären Einflusses dieser beiden Tänien auf den Organismus wegen,
annähernd bedeutungslos. Bei der mikroskopischen Untersuchung von
Fäzes fanden sich im Ausstrichpräparat unter 16 Versuchen in 14 Fällen
die charakteristischen, bekanntlich mit einem Deckel versehenen, Ehr
des Grubenkopfes vor. Also von 16 auf Bandwurm verdächtigen Men¬
schen tragen 14 diesen Bandwurm mit sich herum. In acht anderen
Fällen erschien, nach medikamentöser Darreichung, 6 mal prompt der
genannte Schmarotzer, in keinem einzigen Falle T. solium oder saginata.
Was nun die schädigenden Eigenschaften der Gestoden anbelangt, so
möchte ich, des beschränkten Baumes wegen, nur die Anschauungen von
Leichtenstein beziehungsweise Lenhartz anführen. (Behandlung der
durch Darmschmarotzer hervorgerufenen Erkrankungen von weiland
Prof. Dr. O. Leich tensitein, bearbeitet von Dr. H. Lenhartz, Hand¬
buch der Therapie der Erkrankungen der Verdauungsorgane, heraus-
gegeben von Dr. F. Penzoldt und Dr. B. Stintzing, Jena 1903,
56
Abramowski,
pag. 606.) Es heißt darin wörtlich: „Beiden Bandwürmern (Taenia
solium et saginata) fällt in der Regel nur die Rolle harmloser Schma¬
rotzer zu ; unter Umständen können sie aber verschiedenartige Beschwer¬
den, in seltenen Fällen wirkliche, mitunter selbst schwere Krankheits¬
erscheinungen hervorrufen“ usw. Und an derselben Stelle : „Eine Sonder¬
stellung in der Symptomatologie der Cestoden nimmt Botryocephalus
latus ein, von welchem zuerst durch Roy er (1886) nachgewiesen worden
ist, daß er unter Umständen eine schwere, progressive, eventuell letale
Anämie zu erzeugen vermag, eine Anämie, die analog der Ankylostomum-
Anämie durch die Abtreibung des Wurmes in überraschend kurzer Zeit
zur Abheilung gelangt“. Nun steht ja fest, daß der Grubenkopf nicht
immer diese Erscheinungen hervorruft, sondern nur in einer mehr weniger
beschränkten Anzahl von Fällen. Es sind hierüber verschiedene Hypo¬
thesen aufgestellt, die alle anzuführen es erstens wiederum an Raum
gebricht und zweitens dieselben mehr Un Wahrscheinlichkeit als Wahr¬
scheinlichkeit enthalten, wie z. B. die, daß die abgestorbenen Proglot-
tiden im Darme ein Gift erzeugen, das schädigenden Einfluß auf den
Körper hat. Abgestorbene Glieder finden sich in jedem Falle von Botryo¬
cephalus im Darm. Die annehmbarste ist die von Lenhartz und lasse
ich ihn wieder selbst sprechen (a. s, 0., S. 607) : „Das Rätsel läßt
sich vorläufig, wie ich glaube, durch keine andere Hypothese besser
lösen als durch die Annahme, daß es unter den Botryocephalen einzelne
gibt, welche giftig sind, d. h. ein Gift bereiten, das, in den Körper des
Wirtes auf genommen, eine schwere Anämie hervorruft. Es verhält
sich also, um nur ein Beispiel zu erwähnen, ganz ebenso wie bei ge¬
wissen Weichtieren. Die Miesmuschel (Mytilus edulis) z. B. ist zu
gewissen Zeiten, an gewissen Orten giftig aus Gründen, die bisher
jeder Aufklärung trotzten und in einer und derselben Spezies von Weich¬
tieren kommt unter Hunderten einmal ein giftiges vor, ohne daß man
berechtigt wäre, die Giftbildung des betreffenden Weichtieres ohne
weiteres von einer Erkrankung desselben abzuleiten.“ Während ich
diese Zeilen schreibe, finde ich in der letzten Nummer (19) der „Mediz.
Klinik“ (10 Mai 1908) in einer Arbeit von Priv.-Doz. Dr. Kurt Ziegler :
„Zur Behandlung der Anämie“ noch folgenden Passus, den ich hier
wiedergeben möchte : „Schließlich sind auch schwere Zustände von
Anämie durch die Sekretions- respektive Zerfallsprodukte gewisser Darm¬
parasiten, wie des Botryocephalus latus, wohlbekannte Dinge“. Meine
Beobachtungszeit ist eine zu kurze, um zu diesen Hypothesen Stellung
nehmen zu können, doch will es mir erscheinen, daß die letztere viel
für sich hat. Jedenfalls' werde ich in der Folgezeit mein Augenmerk
mit größter Aufmerksamkeit auf diesen fraglichen Punkt richten, wozu
ich um so mehr imstande bin, als ich ja, sozusagen an der Quelle sitze.
Was nun das Aussehen der Bewohner gedachter Ortschaften anbetrifft,
so sind es namentlich die Kinder aller Altersstufen, von den Säuglingen
und ganz kleinen abgesehen, bei denen die Anämie deutlich zutage
tritt, und bei ihnen ist meinen Beobachtungen und der Anschauung
der Leute nach, der Botryocephalus, wenn auch nicht so häufig zu
finden wie bei den Erwachsenen, so doch immerhin sehr stark ver¬
treten. Die Männer sind herkulische, wettergebräunte Gestalten, doch
tritt bei näherer Betrachtung der phthisisehe Thoraxbau, sowie auf¬
fallend eingefallene Wangen hervor. Am gesündesten sehen die Frauen
aus, wenngleich man auch recht viel anämischen begegnet. Es drängt
sich uns nun die Frage auf, wie kommen so viele Menschen gerade
Zur Frage der Erkrankung an Bandwurm.
57
an diesen Ortschaften zum Bandwurm und gerade immer zum Gruben-
kopf ? Wenngleich der Lebenszyklus desselben uns allen sehr wohl¬
bekannt ist, so möchte ich doch, der Vollständigkeit wegen, denselben
kurz ins Gedächtnis zurückrufen. Der Wirt, ist wie man wohl allge¬
mein annimmt, ausschließlich der Mensch, indessen habe ich mit Be¬
stimmtheit beobachtet, daß er auch beim Hunde vorkommt, da ich
zwei Jagdhunde beobachtet habe, denen lange Botryocephalenschnüre
aus der Analöffnung heraushingen.*) Nach eingezogenen Erkundigungen
bei den Besitzern derselben, wurde mir gesagt, daß die Tiere viel rohe
Fische fräßen. Zwischen wirte sind nun verschiedene Fischarten, nament¬
lich Lachs, Hecht und Quappe und, aller Wahrscheinlichkeit nach, auch
der Aal. Der Mensch stößt mit Eiern gefüllte Proglottiden durch die
Fäzes aus, dieselben gelangen sehr häufig ins Wasser beziehungsweise
werden sie gleich in dasselbe entleert. Aus den freigewordenen Eiern
entwickeln sich die, mit Flimmerorganen versehenen, im AVasser schwär¬
menden Finnen, dieselben werden von genannten Fischen gefressen, ge¬
langen durch Perforation der Darmwand in das! Muskelfleisch des Fisches
und verweilen hier so lange, bis dieses Fleisch in den • Dünndarm des
Menschen gelangt. Hierauf wächst sich daselbst die Finne zum Band¬
wurm aus. Dazu ist natürlich notwendig, daß der Fisch in rohem
oder halbgekochtem oder auch zu schwach geräuchertem Zustand ge¬
nossen wird. Diese Unsitte, Fische in gänzlich rohem Zustande zu essen,
dieser Barbarismus besteht nun im vollsten Umfange bei der hiesigen
Fischerbevölkerung und zwar bei Mann, Frau und Kind. In manchen
Fällen sind sie bestrebt, von dem Übel befreit zu werden, namentlich
dann, wenn die Beschwerden ihren Höhepunkt erreicht haben. In der
Mehrzahl der Fälle jedoch wird die Krankheit als; etwas Unvermeid¬
liches1, zu wirklich ernstlichen Befürchtungen nicht Anlaß gebendes,
ertragen. Oft bekommt man auch die stoische Antwort: „Was nützt
das, Herr Doktor, wenn ich später doch wieder rohe Fische esse, kommt
es ja wieder, und wovon soll ich leben, ich kann mir in der Nacht
auf dem WasSer nichts kochen“ usw. Ein anderes Bild : Gewiegte
und gewürzte, aber rohe Quappenleber, roher Lachs, als Tartarenbeef-
steak zubereitet, gilt auch bei den sonst durchaus gebildeten, ansässigen
Villenbesitzern als eine Hochdelikatesse und so leidet denn ein guter,
vielleicht der Hauptteil von ihnen an dem Parasiten. AVenn das am
grünen Holze geschieht ! Genug, wer hier als Zugereister ni cht die
Bandwurmkrankheit akquiriert, gilt nicht als „zünftig“.
Soweit die Bandwurmmisere, wie steht es nun mit der Tuberkulose,
speziell derjenigen der Luftwege ? Sie ist erschreckend verbreitet, sie
ist in beiden Dörfern endemisch. Optimisten und Interessenten wollen
es nicht wahr haben, und doch ist es ein öffentliches Geheimnis.
Ich als Arzt habe mich , unter Anwendung aller mir zu Gebote
stehenden diagnostischen Hilfsmittel, davon überzeugt, wobei mir
der Umstand, daß ich Assistenzarzt an einem Sanatorium für Phthi¬
siker gewesen bin, sehr zu Nutzen kam. Hier ist ein ausgesuchtes
Feld für Samaritertum, hier steht man trauernd darüber da, daß
dieser schöne Erden winkel so der Seuche anheimgefallen ist. AVas
hier zu geschehen hat, darüber will ich mich an dieser Stelle
nicht verbreiten, da ich in einer umfassenden Arbeit darauf zurück-
*) Während ich gerade die Korrektur lese, schreibt mir Prof. Dr. Braun, Königs¬
berg, das B. 1. auch bei der Katze beobachtet wird.
58
Abramowski, Zur Frage der Erkrankung an Bandwurm.
kommen will, bemerken möchte ich nur, daß ich mich im großen Ganzen
den Ausführungen anschließe, welche ebenfalls in der bereits angeführten
Nummer der „Med. Klinik“ zu lesen waren. Die Arbeit führt den Titel
„Indikationen des Nordseeklimas“ von Dr. Gmelin, Sudstrand-Föhr
(Med. Klinik, Jahrg. IV, Nr. 19, S. 700). Es heißt darin wörtlich: „An
dem allgemeinen Kampf gegen die Lungentuberkulose hat sich die
Nordsee bis jetzt wenig beteiligt. Als Heilorte für Schwächezustände,
wie Beneke sie bezeichnet hat, ist ihre Aufgabe hauptsächlich die
Prophylaxe und die Kräftigung der Rekonvaleszenten . Jugendliche
Prophylaktiker, die Entlassenen der Lungenheilanstalten, Rekonvales¬
zenten nach Pleuritis und verdächtigen Pneumonien finden sich viele
unter den Gästen der See. Neuerdings errichten die Versicherungs¬
anstalten Schleswig-Holsteins und der Hansestädte Seeheilstätten für
solche Rekonvaleszenten. Die Badeorte sind gegenüber dieser Tatsache
von der Heilsamkeit des Seeklimas bei Tuberkulose in einer merkwür¬
digen Lage. Sie dürfen sich ihrer Aufgabe, im Kampfe gegen die Krank¬
heit mitzuhelfen, nicht verschließen, fürchten aber, ihre übrigen Gäste
dann zu verjagen. Der Ausweg wird der sein, daß Sanatorien, die ja
überhaupt nur für eine ernsthafte Behandlung im Betracht kommen,
abseits des Kurortes erbaut werden.“
„Es ist vielleicht hier angebracht, ein Wort über die Verwendbar¬
keit des Winterklimas einzuschieben. Denn daß ein Kranker Vorteil
hat vom Seeklima im Sommer, bei Sonnenschein und milden Wind,
das ist der Vorstellung leicht zugänglich, nicht aber daß er auch im
Wintersturm gesunden soll. Allerdings der Winter verliert ja seine
Schrecken mehr und mehr, die Winterkurorte in Schnee und Eis, gerade
für Lungenkranke zählen nach Dutzenden.“ Was in den Kräften steht
geschieht ja allerdings, doch nicht in genügendem Umfange, wenigstens
hat eine Abnahme der Krankheit sich nicht bemerkbar gemacht. Die
Aufstellung einer kasuistischen Tabelle halte ich nicht für erforderlich,
besser schon wäre das Einträgen der Krankenhäuser in eine Karte,
aber auch das erübrigt sich nach meiner Überzeugung, etwas anderes
wäre es, wenn es sich um Krebs handelte, also doch immer um eine, in
einer kleinen, wenn auch endemisch auf tretenden Anzahl von Fällen,
sich zeigenden Krankheit. Meiner Anschauung nach genügt es, wie
gesagt, wenn mehrere Ärzte im Laufe der Jahre, und das ist geschehen,
aussprechen : Hier ist Tuberkulose endemisch !
Worin ist nun aber der mutmaßliche Zusammenhang zwischen
Phthisis und Grubenkopf zu suchen ? Ich erkläre mir das nun folgender¬
maßen, allerdings ohne Beläge ans der Literatur für diese meine An¬
schauung ins Feld führen zu können. Zunächst wird durch den schä¬
digenden Einfluß des Bandwurms eine allgemeine Anämie, die „Anämia
helminthiaca“, erzeugt ; hieran partizipieren natürlich auch die Lungen,
und solche blutarme Lungen können möglicherweise zur Aufnahme
der Bazillen, beziehungsweise zur Nichtausstoßungsfähigkeit derselben,
prädisponiert sein. Ferner wird durch den lokalen Reiz, den die Tänie
im Dünndarm erzeugt, und gerade Botryooephalus, der größte aller
Cestoden, ist hierzu sehr wohl imstande, eine Hypersekretion und eine
dadurch bedingte Schleimhautquellung und Lumenvergrößerung des Dar¬
mes hervorrufen. Die Folge davon ist ein Höherdrängen und eine
weniger ausgiebige Bewegungsfähigkeit des Zwerchfelles, und eine dies¬
bezügliche Folge eine geringere Expansionsfähigkeit der Lungen. Ob
die geschilderten Darm Verhältnisse durch Autopsien festgestellt sind.
Ascher, Breslauer Brief.
59
ist mir nicht bekannt, auch aus der mir zugänglichen Literatur nicht
feststellbar; klinisch steht jedenfalls die Beobachtung fest, daß die
Magendünndarmgegend bei diesen Kranken sichtbar aufgetrieben ist,
und daß ein solcher Kranker fast stets über Fülle im Leibe und über
das Gefühl klagt, daß sich die Därme nach oben drängen. „So daß es
mir den Atem versetzt“ habe ist des öfteren gehört.
Nun ist es mir in sehr vielen Fällen aufgefallen, daß, wenn ein
frisch und gesund aussehender Patient zu mir kam, beispielsweise um
sich einen Zahn extrahieren zu lassen, und ich ihn fragte : „Haben Sie
mal den Bandwurm bei sich bemerkt“, ich gewöhnlich die Antwort
„nein“ erhielt, hatte ich mich aber von bestehender Schwindsucht über¬
zeugt, so erhielt ich auf diese Frage fast immer die Antwort „ja“.
Das mag auf Zufall beruhen, und wird es auch in vielen Fällen getan
haben, denn beide Krankheiten sind doch keine notwendigerweise ver¬
gesellschafteten, wohl aber bin ich der Überzeugung, das Erkrankung
an Botryooephalus latus den Anstoß zu dem Übel in manchem Falle
zu geben im Stande ist, ja daß man in manchen Fällen von einem
Parallelismus zwischen den beiden Erkrankungen zu sprechen be¬
rechtigt ist.
Breslauer Brief.
Von Dr. Ascher.
Von geschätzter Seite bin ich mit dem ehrenvollen Aufträge be¬
dacht worden in den „Fortschritten der Medizin“ über das wissen¬
schaftliche Leben auf dem Gebiete der Heilkunde in Breslau zu be¬
richten. Wenn ich mich hierin im wesentlichen an die Sitzungen der
„Schlesischen Gesellschaft für vaterländische Kultur“ halte, so ge¬
schieht das deshalb, weil sie die bedeutendste und umfassendste dieser
Art darstellt, in der fast jedes Spezialgebiet zu Worte kommt. Trotz¬
dem sollen alle wissenschaftlichen Ereignisse, die der Öffentlichkeit
zugänglich sind, hier berücksichtigt werden. Ich beginne mit einem
Sitzungsberichte aus dem Gebiete der pathologischen Anatomie.
M e d i z i n i s c h e S e k t io n.
Sitzung am 6. November 1908, abends 6 Uhr
im pathologischen Institute.
Vorsitzender: G. M.-B. Prof. Dr. Ponfick.
T ,age s o r d nung:
1. Professor Dr. Winkler: Uber die Gewächse der Nebennieren, mit
Demonstrationen.
.2. Professor Dr. Ponfick: Demonstrationen.
Winkler erklärt, nur über die Geschwülste, die vom suprarenalen
Gewebe ihren Ursprung nehmen, sprechen zu wollen. Keimverspren¬
gungen kommen nicht nur in der Nähe der Nebenniere, wie Milz und
Nieie vor, sondern auch im Nervensystem, Beckenorganen usw. Nur
ein Fall kam zur Beobachtung, wo ein Tumor in der äußeren Wand
des Magens seinen Sitz hatte. Vortragender präzisiert den Unterschied
zwischen autochthonen Nierengeschwülsten und den Nierengeschwülsten
aus versprengten Keimen. Die letzteren haben hauptsächlich 3 Eigen¬
schaften :
60
Ascher,
1. sitzen sie meistens unterhalb der Kapsel (Kinde),
2. sind sie reich an Fett,
3. sind sie stark glykogenhaltig.
Es scheint als ob eine Prädisposition des männlichen Geschlechtes
vorläge und zwar im mittleren Lehensalter. Doch kam ein Fall hei
einem 2 jährigen Kinde zur Beobachtung und einer bei einem 70 jährigen
Manne. Von allen Organen scheint die Niere bevorzugt zu sein. Doch
sprechen sich größere Statistiken nicht in diesem Sinne aus.
Das Auftreten von Neubildungen im Anschluß an ein Trauma
hat der Vortragende 4mal zu beobachten Gelegenheit gehabt.
Drei von diesen Fällen lokalisierten sich in der Nierengegend.
Einer im Zentralnervensystem.
Als Entwicklungszeit vom Tage des Traumas bis zum Hervor¬
treten der ersten Symptome kommt ein Zeitraum von 8 Monaten bis
8 Jahren in Betracht. Die Geschwülste haben die Tendenz in das Venen¬
system einzubrechen. Oft sind Tromben von Geschwulstmassen im
rechten Herzen beobachtet worden. Auch periphere Metastasen in
der Blutbahn wurden gefunden. Häufig sieht man Geschwulstmassen
mantelartig das Gefäßsystem umziehen.
Lymphbahnen sind dagegen weniger gefährdet, es wurden nur
zwei Fälle beobachtet. Als Lokalisation der Geschwülste kommt meisten¬
teils das Skelett in Betracht, doch sind sie überall zu finden ; selten
am Pankreas. Die Untersuchungen des Vortragenden über das Ver¬
hältnis zu Addison-Symptomen sind negativ ausgefallen.
Ein Fall zeigte Hautpigmentierung.
Demonstration von Präparaten.
Diskussion :
Löwenhardt ha,t die Erfahrung gemacht, daß die Geschwülste
stark bluten, er hat Addison-Symptome nicht gefunden, doch graues
kachektisches Aussehen.
Davidsohn spricht über das Vorkommen adrenalinähnlicher Sub¬
stanzen in den Metastasen, mit deren Hilfe eine Sicherstellung jder
Diagnose ohne Mikroskop möglich ist. Zum Nachweis dient
1. der Versuch der Drucksteigerung im Blutkreislauf,
2. die Eos anilin färbe des Extraktes,
3. der Froschaugen versuch.
Gott stein fragt an, ob es selten ist, daß Nebennieren tumoren nur
eine Metastase machen. Er hat ferner einen Fall von Hautpigmen¬
tierung bei reiner Nephritis beobachtet.
ölsner erwähnt die Prädisposition gerade der linken Niere für
Nebennierengeschwülste.
Alexander weist auf seinen schon lange zurückliegenden Nachweis
von Lezithin in Nebennieren tumoren hin.
Winkler bestätigt die starken Blutungen, die sich auch am
Kadaver gefunden haben, auch bestätigt er das Vorkommen von Einzel¬
metastasen am Skelett. Er schlägt vor den Namen Hypernephrom in
epirenales Sarkom umzuwandeln, da ersterer zu Mißdeutungen Anlaß
geben kann.
Wegen vorgeschrittener Zeit verzichtet Prof. Ponfick auf seinen
Vortrag und schließt den Abend.
Breslauer Brief.
61
Medizinische Sektion.
Sitzung am Freitag, den 13. November 1908, abends 6 Uhr
im Gesellschaftshause, Matthiaskunst 4/5.
Vorsitzender: G. M.-R. Prof. Dr. Ne iß er.
Schriftführer: G. M.-R. Prof. Dr. Part sch.
T ageSo rdnung:
1. Professor Dr. Groenouw: a) Triohiasisoperation nach Spencer- Wat-
son. b) Keratitis parenchymatosa auf tuberkulöser Basis.
2. Professor Dr. Küttner: Demonstrationen zur Gehirnchirurgie.
3. Dr. L andois: Über Muskelsyphilis.
4. Privatdozent Danielsen: Fremdkörper im Ösophagus.
5. Privatdozent Coenen: Demonstrationen.
6. Dr. Levy: Demonstration eines Falles von Madelung’scher Dif-
formität.
1) Groenouw demonstriert einen Fall, den er nach Spencer-Watson
mit gutem Erfolge operiert hat. Er spricht dann über einen Fall von
Keratitis parenchymatosa auf tuberkulöser Grundlage. Als Ätiologie
für Keratitis parenchymatosa kommt hauptsächlich Lues in Betracht.
Auf Alt-Tuberkulin ist eine deutliche Reaktion eingetreten. Das Neu-
Tuherkulin habe versagt. Das Sehvermögen sei besser geworden.
Diskussion :
Neißer fragt an, oh eine allgemeine oder örtliche Reaktion ein¬
getreten sei ?
Groenouw: Eine allgemeine.
Neißer hält dann die Diagnose für nicht ganz sicher gestellt,
weil ein im Körper latenter tuberkulöser Herd reagieren könne.
Cohen erklärt,» daß in der Universitäts-Augenklinik auch Alt-
Tuberkulin zu diagnostischen Zwecken benützt werde. Es werde mit
der Injektion von 1/10 mg begonnen und sofort nach Auftreten einer
allgemeinen Reaktion, auf gehört,
B heisch legt dar, daß in den meisten Fällen häufige Gaben
einer hohen Dose Neu-Tuberkulin, lokale Reaktion bewirken.
2) Küttner erwähnt, daß er 18 Fälle von Hirn- und Rückenmarks¬
tumoren operiert habe. Ei* bespricht, dann mit genauer Krankengeschichte
7 Fälle.
Er warnt vor der großen Gefahr unstillbarer Blutungen.
Ein Fall mußte in zwei Zeiten operiert werden, weil die Blutung
nur durch Tamponade zum Stehen zu bringen war. Auf den Kollaps
infolge schwerer Blutung ist der einzige Todesfall, den er gehabt hat,
zurückzuführen.
Untter diesen 7 Fällen befand sich ein Kleinhirn tuberkel und ein
Pseudo-Kleinhirntumor. Er warnt davor die gefüllte Cisterne des Klein¬
hirns für eine Cyste zu halten. In allen Fällen ist primärer Wund¬
verschluß durch Naht gemacht worden. Dieselbe soll unter allen Um¬
ständen erhalten bleiben, wenn auch leichtere Temperaturanstiege kom¬
men. Öffnet man dieselbe, so stellt sich meistenteils die Infektion ein.
Ein Fall mit der Diagnose : Herd im rechten Stirnhirn stellte sich
als eine Meningitis tuberculosa mit lokalen Erscheinungen heraus. K.
weist auf die Arbeiten von Tietze und Singer hin.
62
Ascher, Breslauer Brief.
D iskussion :
Tietze hält es für richtig, sofort nach der Operation von Hirn¬
tumoren die Wunde durch die Naht zu verschließen. Er fragt an, wie
sich K. hei traumatischen Hirnblutungen verhält. Er hat infolge
primären Wundverschlusses bei Trauma 2 Todesfälle durch Hirndruck
wegen Nachblutung zu verzeichnen. Bei einem 3. Fälle konnte durch
Öffnen der Wunde, Herausnahme eines großen Blutkoagulums der Hirn¬
druck beseitigt werden.
Küttner will die primäre Naht nur bei der Operation von Tumoren
gemacht wissen, bei Trauma Tamponade.
Freund fragt an, ob bei der Obduktion des , Pseudo-Kleinhirn¬
tumors ein Hydrooephalus gefunden wurde.
Küttner bejaht die Frage, fügt aber hinzu, der Hydrooephalus
sei so geringen Grades gewesen, daß er unmöglich die Diagnose in
irgend einer Form hätte beeinflussen können.
3) Landois: Syphilitische Muskelaffektionen treten entweder als
diffuse Schwielenbildung oder als große Geschwülste in Muskelbäuchen
auf. Die Mittel zur Sicherung der Diagnose sind :
1. der Nachweis der Spirochaeta pallida,
2. der positive Ausfall der Serumdiagnose.
Der Spirochätennachweis gelingt nur in den Frühperioden, auch
ist man der Serumdiagnose nicht ganz sicher. Das Sicherste ist die
Probeexzision.
Es läßt sich immer der Nachweis von Langhans’schen Biesen¬
zellen erbringen. Er selbst hat sie in allen, von ihm allerdings sehr
genau untersuchten Fällen, gefunden. Sie entstehen durch amitotische
Kernteilungen der Muskelkerne. An syphilitischen Affektionen ist nicht
nur das Bindegewebe,' sondern auch der Muskel beteiligt. Er unter¬
scheidet zwei Formen :
1. die diffuse interstitielle Syphilis,
2. die gummöse Form.
Demonstration mikroskopischer Präparate.
Neißer verlegt die Diskussion darüber auf das Ende der Sitzung,
um die einzelnen Bedner auf der Tagesordnung zu Worte kommen zu
lassen.
4) Danielsen wendet sich gegen die überschwängliche Empfehlung
des Ösophagoskopes. Alle anderen Extraktionsmethoden von Fremd¬
körpern würden als vitium artis bezeichnet. Er wendet mit Erfolg den
Graef e’schen Münzenfänger an (Demonstration). D. bespricht 7 Fälle
von Fremdkörpern im Ösophagus.
6 mal waren es Gebisse,
lmal eine Münze bei einem 2 jährigen Kinde, die seit 5 Tagen
bereits nach Böntgenaufnahme an der Bifurkation saß. Bei Böntgen-
bildern ist zuerst die seitlich© Aufnahme, nachher die ventro - dorsale
Aufnahme zu machen. Am Schlüsse gibt er ein kurzes Resümee.
Das ösophagoskop verlangt
von dem Arzt: Ausgebildete Technik, große Anschaffungskosten ; be¬
deutet
für den Patienten : Qualvolle Behandlung,
im Erfolge ist es : Dubiös.
F. Reuter, 80. Versammlung Deutscher Naturforscher und Ärzte. 63
Der Graefe’sche Münzenfänger verlangt
von dem Arzt: Äußerst leichte Technik, geringe Anschaf fungskos len ; ist
für den , Patienten : Weniger qualvoll,
im Erfolge : Bei einiger Technik, sehr sicher.
Diskussion:
Gott stein spricht für die Methode im Hellen zu arbeiten, besonders
für Knochen im Ösophagus ist dieselbe nicht zu entbehren. Er warnt
vor der Anwendung der Sonde.
Tietze fragt, ob die Röntgenaufnahme immer nötig ist.
Danielsen verneint.
5) Coenen demonstriert als 1. Fall ein Röntgenkarzinom am Zeige¬
finger der linken Hand. Es handelt sich um ein Cancroid. C. weist
darauf hin, daß man sich jetzt wieder der Cohnheim’schen Theorie
in der Geschwulstlehre nähert. Er betont den Gegensatz, daß einerseits
die Röntgenbestrahlung imstande sei Krebsgeschwülste abzuschwächen,
andrerseits sie auch hervorzurufen.
2. Fall, ein Sarkom des linken Armes mit , Perlschnurartigen Meta¬
stasen längs der Lymphgefäße.
3. Fall. 40 jähriger Mann mit Divertikelbildung im Dünndarm,
klinisch das Bild einer Stenose des Querkolons bietend. Resektion,
Heilung.
Diskussion :
Goebel weist auf die Wyß’sche Arbeit hin, die eine andere Er¬
klärung der Röntgenkarzinome gibt.
6) Levy: Als Grund der Madelung’schen Difformität sind:
1. Subluxationen,
2. schlecht geheilte Frakturen,
3. Artritis, (sehr ofi gonorrhoischer Natur),
anzusehen. Dupuytien hat eine ähnliche Erkrankung als Gewerbe¬
krankheit bei Arbeitern einer Tuchfabrik, die eine bestimmte Maschine
bedienten, beschrieben.
Demonstration.
Diskussion :
Goldberg demonstriert eine Reihe von Röntgen-Negativen von
M adelung’scher Difformität.
80. Versammlung Deutscher Naturforscher und Ärzte.
Sammelbericht von l)r. F. Reuter, Kalk-Köln.
(Fortsetzung.)
In der Abteilung für allgemeine Pathologie und patholo¬
gische Anatomie sprach am Dienstag Nachmittag noch Best (Dres¬
den) über Leberveränderungen bei Diabetes. Bei Diabetes ist die
mikroskopische Verteilung des Glykogens in den Organen bisher nicht
genügend beachtet worden. Eine Lntersuchung dieser Verhältnisse führt
zu neuen Aufschlüssen über das Wesen der Zuckerkrankheit. Die
Wandungen der Blut- und Lymphgefäße der Leber erweisen sich als
mit Glykogen infiltriert, dasselbe Ergebnis bringt eine Untersuchung
des Gehirns, während sich die Blutgefäße der Lungen und der übrigen
64
F. Reuter,
Organe frei von Glykogen finden. Redner hält dise mikroskopische
Verteilung für einen Indikator für die Funktionsstörungen in Leber
und Gehirn (Coma diabeticum), die beide offenbar hierbei in Beziehung
stehen.
In der Abteilung für innere Medizin hielt zur seihen Zeit
Lieberm eister (Köln) einen Vortrag über Tuberkelbazillen im
Blute der Phthisiker. In einem verhältnismäßig hohen Prozentsatz
von Fällen von Tuberkulose der Lungen konnten Tuherkelbazillen im
Blute durch den Tierversuch nachgewiesen werden, und zwar inner¬
halb der letzten 20 Lebenstage in 3/4 der Fälle, innerhalb der letzten
21 — 80 Tage vor dem Tode in der Hälfte, mehr als 80 Tage vor dem
exitus in 35 °/0 der Fälle. Unter den Fällen im dritten Stadium
überhaupt in 60°/0. Es steht somit fest, daß die Lungentuberkulose
niemals eine lokale Erkrankung ist.
Dem Vortrage folgte dann die Diskussion über die gesamte Tuber¬
kulosefrage, wobei u. a. Lubarsch (Düsseldorf) darauf hinwies, daß
bei jeder ulcerösen Phthise Tuberkelbazillen in die Blutbahn gelangen,
ein Umstand, der dann auch die Entstehung von tuberkulösen Affek¬
tionen nach Verletzungen zu erklären imstande ist.
Esser (Bonn) sprach über Blut- und Knochenmarks Ver¬
änderungen bei Ernährungsschäden. Er hat Versuche an jungen
Ziegen angestellt, die er mit einer hoch und lange sterilisierten Milch
ernährte und bei denen dann Erscheinungen auftraten, die der Bar-
low’schen Krankheit gleichen (Schwund des Zellmarks und Ersatz
durch gallertig degeneriertes Fasermark, Verschmälerung der Knorpel¬
wucherungszone und mangelhafte Bildung schmaler Knochenbälkehen
vornehmlich durch Verminderung der Apposition infolge kümmerlicher
Anlage der Osteoblasten. Blutungen im Knochenmark, Zeichen von
Anämie mit fast völligem Verschwinden der polynukleären Zellen und
Auftreten von Myeloblasten). Bei den Kontrollieren, die mit derselben,
aber nur leicht aufgekochten Milch ernährt waren, fanden sich keine
nachweisbaren Veränderungen. Ferner hat er durch quantitativ fehler¬
hafte Ernährung bei jungen Ziegen (Überernährung) rhachi tische V er-
änderungen auf treten sehen. (Verbreiterung der Knorpel wucherungs-
zone - — Rosenkranz — und die sonstigen charakteristischen An¬
zeichen, sowie geringe Verminderung der roten Blutkörperchen bei Ver¬
mehrung der Leukozyten.
Reicher (Berlin) spricht von seinen Th erapiever suchen bei
perniciöser Anämie. Er verordnet Cholesterin-Riedel in 3°/0iger
Öllösung, davon täglich 100 g eßlöffelweise zu nehmen.
In der Abteilung für Kinderheilkunde sprach am Mittwoch
Vormittag der Psychiater Aschaffenburg (Köln) über den Schlaf
des Kindes und seine Störungen. Redner betonte einleitend, daß
der Schlaf für den Körper bekanntlich unentbehrlicher sei, als alle
anderen Funktionen desselben. Ausgehend von seinen experimentellen
Untersuchungen über den Schlaf des gesunden Menschen unterscheidet
er zwei scharf getrennte Schlaftypen, den Abendtypus, der abends
schnell einschläft, rasch die größte Schlaftiefe erreicht, um dann bald
zu verflachen, und den Morgentypus, der seine höchste Schlaftiefe
erst nach einigen Stunden erreicht, wobei dieselbe überhaupt nicht so
tief wird, dafür aber länger tief bleibt wie bei dem anderen Typ.
Während die Menschen mit dem Abendtypus das Bedürfnis haben,
früh ins Bett zu gehen und dafür morgens früh frisch und leistungs-
80. Versammlung Deutscher Naturforscher und Ärzte. 65
fähig wach werden, sind die Menschen mit Morgentypus abends sehr
leistungsfähig, während sie morgens nach dem Wachwerden noch lange
mit mangelnder Frische zu kämpfen haben. Michelson behauptet
mit Unrecht, der Abendtypus sei ein nervöser. Beide Typen lassen
sich schon an Kindern, oft in derselben Familie nebeneinander beob¬
achten. Dem Typus Gewalt an tun zu wollen, ist zwecklos, man soll
Morgenkinder ruhig ausschlafen lassen. Nach Czerny’s Versuchen
entspricht der Schlaf des Säuglings dem Abendtypus. Durch den Licht¬
reiz wird die Tiefe des Schlafes stark beeinflußt, nach Czerny scheint
auch Kälte für die Tiefe des Schlafes nicht sehr vorteilhaft. Ein
Nachmittagsschlaf ist entgegen anderweitigen Behauptungen, für die
Dauer des Nachtschlafes von Vorteil, wenn auch vielleicht die Tiefe
etwas dabei leidet. Häufig sind es nervöse Angstzustände, die die
Kinder am Einschlafen hindern. Solche Kinder soll man nicht zwingen
wollen, doch darf man auch nicht allzu sehr nachgeben. Erreicht man
nichts, dann ist es das beste, wenn man sie für eine Zeit lang aus dem
Hause tut. Meist beruhigt man sie, wenn man Licht macht, um dann ganz
langsam und schließlich wieder völlig das Zimmer zu verdunkeln.
Völlige Schlaflosigkeit beruht häufig auf drohenden ernsten Er¬
krankungen (Infektionskrankheiten und ähnl.). Während T hiemisch
behauptet, Pavor nocturnus und Somnambulismus hätten beide mit
Epilepsie nichts zu tun, ist Bedner anderer Ansicht, weil beide beim
Erwachsenen häufiger mit Epilepsie vereint Vorkommen. Wenn das
geweckte Kind noch benommen erscheint, dann ist auf alle Fälle Auf¬
merksamkeit notwendig. Bettnässen ist, wenn es periodisch auftritt,
nicht harmlos, sondern fast immer ein Zeichen beginnender Epilepsie.
Wenn aber diese drei Erscheinungen nicht durch Epilepsie veranlaßt
werden, dann liegt sicher Nervosität vor. Verdauungsstörungen, falsche
Ernährung, Kohlensäureüberladung, Erschwerung des Atmens durch
die Rachenmandel können wohl Ursache der Schlaflosigkeit sein, aber
nur bei sonst kranken Kindern. Redner ist der Ansicht, daß die
Nervosität, ein Zustand, der in der Konstitution des Menschen seine
Ursache findet, nicht zu heilen ist. Nur die einzelnen Symptome lassen
sich beseitigen, treten aber bei jeder geeigneten Störung wieder auf.
Nervöse Störungen beim Kinde solle man deshalb lieber etwas zu ernst
auffassen, man werde dann seltener nervöse Erwachsene zu sehen be¬
kommen. Schlafstörungen beim Kinde sind auf alle Fälle stets ein
ernstes Symptom. Er faßt seine Ausführungen schließlich dahin zu¬
sammen, daß der Schlaf geradezu als ein Gradmesser für den Gesund¬
heitszustand der Kinder betrachtet werden dürfe.
In der sehr lebhaften Diskussion weist Soltmann darauf hin,
daß Enuresis immer im tiefsten Schlaf auftritt, Pavor nocturnus da¬
gegen, wenn der Schlaf oberflächlicher wird. Siegert (Köln) gibt
seiner von Aschaffenburg abweichenden Ansicht Ausdruck. Er hält
die Eiweißüberernährung mit viel Milch und Eiern für eine häufige
Ursache der Schlaflosigkeit im Kindesalter. Die Ernährung kann auf
die Nervosität vorübergehend den schwersten Einfluß ausüben. Nach
Siegert kann das Kind die Nervosität wohl erwerben und dieselbe
kann auch wieder geheilt werden. May meint, daß man bei schlaf¬
losen Kindern die Symptome der Hysterie nie vermissen werde. Feer
stimmt Siegert bei, auch er hält Ernährungsstörungen für ein außer¬
ordentlich wichtiges ursächliches Moment. Bei älteren Kindern finde
sich der Abendtypus doch häufig gemeinsam mit Nervosität. Bei Ge-
5
66
F. Reuter,
wölinung an das offene Fenster finde keine ungünstige Beeinflussung
mehr statt. Somnolenz bei Pavor nocturnus sei als differentialdia¬
gnostisches Zeichen kaum zu brauchen, auch periodische Enuresis sei
nicht immer ein Zeichen von Epilepsie. Sol t mann meint, Kinder
mit Enuresis nocturna solle man abends früh ins Bett schicken, aber
nachmittags nicht schlafen lassen, während Kinder mit Pavor nocturnus
abends früh ins Bett und dabei auch nachmittags schlafen sollen.
Im Schlußwort gibt Aschaffenburg zu, daß Enuresis oft gerade
während des Wachwerdens auftrete, dann jedoch harmlos sei und daß
der Pavor nocturnus auch nicht immer beim Nachlassen des Schlafes
auftrete, sondern häufiger auch durch äußere Reize hervorgerufen sei.
Falsche Ernährung können jedoch nicht die einzige Ursache der Schlaf¬
losigkeit sein. Anhaltende Somnolenz bei Pavor nocturnus sei auf
alle Fälle ein böses Zeichen.
Seiffert (Leipzig) sprach über die vielerörterte Frage der Milch¬
streptokokken. (Der Vortrag ist erschienen in den „Fortschritten der
Medizin“ 1908, Nr. 34, 35, 36.)
In der Diskussion über den Seif f ert’schen Vortrag hält Schlo߬
mann (Düsseldorf) diese Mitteilungen Seiffert’ s für ungleich wich¬
tiger als die seinerzeit von Petruschky gemachten. Wenn in einem
Falle, wie dem von Seiffert erwähnten, der Gutsbesitzer die Mastitis
los werden will, muß er alles Vieh verkaufen, den Stall weißen und
desinfizieren lassen und dann neues Vieh einstellen. Er selbst wird
den Nutzen davon haben, wenn das gesunde Vieh wesentlich mehr Milch
liefert, als das Mastitiskranke. Reitz (Stuttgart) rechnet auf die
Mitwirkung der Milchhändler bei der Milchüberwachung. Die Milch¬
händler müssen sich zusammenschließen und nur solche Landwirte zur
Milchlieferung zulassen, die ihre Milch bakteriologisch untersuchen
lassen. Zangger (Zürich) fordert zur Entschädigung der Landwirte
die staatliche Vieh Versicherung.
Eine Fortsetzung fand diese Debatte über den Milchschmutz in
der Abteilung für Hygiene und Bakteriologie, in der gleich
darauf Petruschky (Danzig) weitere Beobachtungen über Milch¬
streptokokken vorbrachte, in Erwiderung auf Schloßmann’s Aus¬
führungen, die dieser bei Gelegenheit des Naturforschertages von 1904
gemacht hatte. Wenn damals Schloßmann den Genuß von roher
Milch empfahl, so hat sich inzwischen gezeigt, daß das nicht angängig
ist. Petruschky’s Ansicht andererseits ist inzwischen durch mancher¬
lei V eröffentlichungen bestätigt worden. Zahlreiche Stretpokokken
(1 — 100 Millionen in jedem ccm) lassen sich in vielen Milchproben
nachweisen. Dieselben finden sich immer nur in bestimmten Vierteln
des Kuheuters, oft sind sie in 1 — 2 Vierteln des Euters nahezu in
Reinkultur enthalten. Auch noch nach dem Uberstehen der Mastitis
bleiben die Kühe oft für lange Zeit Kokkenträger. Es handelt sich
bei der Milch solcher mastitiskranker Kühe nicht nur um eiterähnliche
Milch, sondern um wirklichen Eiter in der Milch. Bei kühlerer Jahres¬
zeit zeigen die Säuglinge eine große Tolerenz gegen derartige Milch,
bei Hitze aber und nachfolgender Vermehrung der Streptokokken in
der Milch treten sehr schwere Störungen auf. Auch die ausgelaugten
und ausgekochten Streptokokken erweisen sich noch als außerordent¬
lich giftig. Als einziges Schutzmittel gegen derartige Erkrankungen
empfiehlt Petruschky für die heißen Monate die stabilen Konserven,
obgleich er die Versuche mit denselben noch nicht für abgeschlossen
80. Versammlung Deutscher Naturforscher und Arzte.
67
ansieht. Er hält die Hygiene der Ernährung des gesunden Säuglings
für ein wichtiges Kapitel der Hygiene überhaupt, hei dem alle, die
dazu Gelegenheit haben (Ärzte, Kinderärzte, Tierärzte), mitwirken
müssen.
In der Diskussion erklärt Kruse (Bonn), daß er im wesent¬
lichen noch auf demselben Standpunkte bezgl. der konservierten Nah¬
rungsmittel stehe, den man in Dresden eingenommen habe. Die Strepto¬
kokken seien sicher nicht immer pathogen, eine Verwechslung mit
nicht pathogenen Arten (Strept. lacticus) sei sehr leicht möglich, be¬
sonders bei der Anreicherung, wie sie Petruschky anwendet. Cza-
plewsky (Köln) schließt sich Kruse an. Die Färbung spiele eine große
Rolle. Zur Untersuchung der pathogenen und nicht pathogenen Arten
empfiehlt er die Züchtung auf der Milchzuckerplatte. Seiffert weist
darauf hin, daß er bei streptokokkenhaltiger Milch stets auch Eiter¬
zellen und Gewebsfet.zen gefunden hat.
In seinem Schlußwort erklärt Petruschky, der Streptokokkus
sei ein sehr wandelbarer Organismus, der bald Eitererreger, bald Er¬
reger des Erysipels, bald für bestimmte Tierarten hochgradig patho¬
gen sein kann, bald auch wieder, wenn er immer in der Milch lebt,
zum harmlosen Säureerreger werden kann, der aber, in großen Mengen
auftretend, trotzdem toxisch werden könne. Das Pasteurisieren sollte
nach seiner Ansicht gesetzlich verboten werden, weil es nur die Säure¬
bildner abtötet, worauf dann die übrigen Keime die Oberhand ge¬
winnen, die dann die fromme Milch zu einem gärenden Drachengift
umwand ein. Kruse weist noch kurz darauf hin, daß die Buttermilch
ja grade von Milchstreptokokken wimmle, die somit doch unschädlich
sein müßten.
In der Abteilung für Hygiene und Bakteriologie berichtete ferner
noch Stabsarzt Wörthe* (Groß-Lichterfelde) über seine Versuche mit
Atoxylbehandlung bei Protozoenkrankheiten. Er gibt von An¬
fang an hohe Dosen des Mittels und hat damit bei bestimmten Para¬
sitenerkrankungen (Durine, Trypanosomiasis) praktisch eine innere Des¬
infektion erreicht. Die Wirkung des Mittels, das im Reagenzglase ganz
unwirksam ist, wurde durch Zufall erkannt. Auffallend ist die ver¬
schiedenartige Wirkung des Atoxyls auf die verschiedenen Tierarten,
während z. B. Kaninchen, Ratten und Mäuse eine hohe Toleranz zeigen,
tritt bei Pferden und Hunden viel früher Arsenvergiftung als Para¬
sitenvernichtung ein. Das Atoxyl, das fast unverändert im Harn er¬
scheint, wirkt direkt auf den Parasiten gar nicht, die Wirkung muß
also indirekt unter Mitwirkung der Zellen zustande kommen. Eine
Immunisierung läßt sich vermittelst Atoxyls nicht erreichen.
In der gemeinsamen Sitzung der Abteilungen für Chirurgie,
innere Medizin und Hautkrankheiten wurde zu gleicher Zeit
das Referat über Radiotherapie erstattet. Kienböck (Wien) sprach
zunächst über die Erfolge der Radiotherapie. Die Röntge ns trahlen
wirken auf die Zelltätigkeit und vor allem auf die Proliferation der
Zellen hemmend ein, und zwar sind besonders empfindlich gegen die
Röntgenstrahlen Gewebe, die sich in reger Proliferation befinden. Die
Wirkung der Strahlen geht ohne Schmerzempfindung vor sich, selbst
die Störungen, die bei schneller Einschmelzung größerer Tumoren auf-
treten, sind nur vorübergehender Natur. Stärkere Hautentzündungen
lassen sich vermeiden. Um möglichst große Dosen in die Tiefe wirken
zu lassen ohne Verbrennung der Haut, verwendet man hartes Röntgen-
5*
68
F. Reuter, 80. Versammlung Deutscher Naturforscher und Arzte.
licht, Bestrahlung von mehreren Seiten her, besondere Strahlenfilter
und größere Fokusdistanz. Günstige Wirkungen werden erzielt hei
Favus, Herpes tonsurans, Folliculitis, Sycosis, Prurigo und Pruritus,
sowie hei Hautepitheliomen, hei oberflächlichen Karzinomen, Sarkomen,
die von der Haut oder von den Lymphdrüsen ausgehen, Syringomyelie,
Leukämie, Milztumoren und Lymphomen, Strumen und Morbus Base-
dowii. Nicht oder nur wenig beeinflußt werden Psoriasis (nur vorüber¬
gehend), .Lupus vulgaris und Lepraknoten, tiefer sitzende Karzinome
oder Sarkome und chronische Milztumoren. Der zweite Referent, Gocht
(Halle) spricht dann über die Schädigungen, welche durch Rönt-
genstrahlen hervorgerufen werden, die Vermeidung und Be¬
handlung und die forensische Bedeutung derselben. Er legt
seine Ansichten in 6 Schlußsätzen nieder.
Es folgen dann die von Brauer (Marburg) und Friedrich (Mar¬
burg) erstatteten Referate über die ‘chirurgische Behandlung
der Lungenkrankheiten. Brauör bespricht die Frage vom Stand¬
punkte des inneren Mediziners und skizzierte die Möglichkeit eines
chirurgischen Eingreifens bei Lungenkrankheiten, sowie die Indika¬
tionen für die verschiedenen Eingriffe (Eröffnung von Eiter- und Jau-
chungshöhlen, Entfernung von ganzen Lungenabschnitten, künstlicher
Pneumothorax, extrapleurale Thoracoplastik). Zum Schlüsse bringt er
neue Ideen zum chirurgischen Vorgehen bei Lungenkrankheiten zum
Ausdruck, die aber noch weiterer Nachprüfung bedürfen. Friedrich
(Marburg) bespricht die Frage vom Standpunkt des Chirurgen. Sache
des Chirurgen sei es vor allen Dingen, die Technik so auszugestalten,
daß sie nach Möglichkeit einen Erfolg des chirurgischen Eingriffs
garantiert.
In der Abteilung für Geburtshilfe und Gynäkologie be¬
sprach Weiswange (Dresden) die Frage: Soll der Wurmfortsatz
bei Laparotomien mit entfernt werden? Die Ansichten darüber
gehen sehr weit auseinander, Übereinstimmung herrscht aber im allge¬
meinen darin, daß man bei jeder Laparotomie die Appendix inspizieren
und sie entfernen soll, wenn sie erkrankt ist. Leider ist die Fest¬
stellung einer Erkrankung nicht so einfach, makroskopisch ist es sogar
meist ganz unmöglich, zu erkennen, ob eine Erkrankung vorliegt.
Redner ist daher grundsätzlich für Entfernung des Wurmfortsatzes in
jedem Falle, auch wenn er makroskopisch keine Veränderung zeigt,
sofern in dem Allgemeinbefinden der Kranken oder in sonstigen Grün¬
den keine Gegenindikation besteht. Die Verlängerung der Operation
durch Entfernung der Appendix dürfte nur ausnahmsweise ein Hinder¬
nis sein.
Schütte (Gelsenkirchen) spricht unter Anführung eines reichen
Materials über Behandlung der Uterusruptur. Bei allen Fällen
vollkommener Ruptur macht er stets die abdominelle Totalexstirpation,
trotz des dadurch notwendig werdenden Transportes ins Krankenhaus.
Vorher, während und nachher läßt er Kochsalzinfusionen machen. Die
konservative Methode hält er nur dann für berechtigt, wenn allzu
weite Entfernungen einen Transport unmöglich machen. Alle anderen
OjJerationsmethoden hält er für unzweckmäßig.
Auch die Thrombosenfrage kam wieder zur Erörterung. Fromme
(Halle) sprach über Experimentelles zur Entstehung der Throm¬
bose. Er hat interessante Versuche an Kaninchen angestellt, indem
er versuchte, Verhältnisse zu schaffen, wie sie entsprechend auch bei
Vorläufige Mitteilungen und Autoreferate.
69
Operationen vorliegen. Einer Anzahl Tiere legte er sterile, einer anderen
Anzahl infizierte Seidenfäden in die Vena jugularis ein und fand,
daß bei sonst gesunden Tieren durch die sterilen Fäden niemals eine
Thrombose verursacht wurde, während die infizierten Fäden jedesmal
eine mehr oder weniger ausgedehnte Thrombose veranlassen. Besonders
ausgedehnt waren die durch infizierte Fäden verursachten Thrombosen
bei Tieren, die durch chronische Blutverluste stark anämisch geworden
waren, während bei solchen Tieren die sterilen Fäden nur mit stärkerem
weißlichen Gerinsel bedeckt erschienen, ohne daß es dabei je zu einer
richtigen Thrombose gekommen wäre. Fromme schließt aus diesen
Versuchen, daß zur Entstehung einer Thrombose ein durch Luft-, Hand-,
oder Hautkeime infizierter Faden genügt, vorausgesetzt, daß er in
eine Vene zu liegen kommt. Besonders gefährlich ist, wie aus diesen
Versuchen hervorgeht, eine Infektion der Fäden bei anämischen Per¬
sonen, hauptsächlich nach starken Blutverlusten. In der Diskussion
weist Zur he He (Bonn) darauf hin, daß Thrombosen auch ohne In¬
fektion entstehen können z. B. (bei Myomen, marantischen Throm¬
bosen U. a.). (Fortsetzung folgt.)
Vorläufige Mitteilungen u. Autoreferate.
Über Caissonkrankheit.
Von Dr. A. Thost, Hamburg.
Im ärztlichen Verein zu Hamburg am 1. Dezember 1908 stellte
Thost 2 Arbeiter vor, die an sogenannter Caissonkrankheit, zu
Deutsch Preßlufterkrankung litten und noch leiden. Beide Arbeiter
arbeiteten in dem Elbtunnel, der unter der Elbe die beiden Ufer ver¬
binden soll. Da der auf Steinwärder gelegene Fahrschacht, in den die
späteren eigentlichen Tunnel münden, in losen Triebsand eingebaut wer¬
den mußte, zeigte sich schon bei 5 Meter Tiefe soviel Grundwasser,
daß der Fahrschacht, der 22 Meter im Lichten Durchmesser hat und
eine Wandstärke von 2 Meter aus Beton besitzt, nur vermittelst so¬
genannter Caissons weitergemauert werden konnte. Man schloß den
Tunnel mittelst einer Eisendecke in 6 Meter Höhe hermetisch ab und
pumpte nun in diesen geschlossenen Raum (Caisson) mittelst starker
Maschinen Preßluft von 2,4 Atmosphären Druck, um das andrängende
Wasser wegzudrücken. In diesem Raum wurde in Schichten von meist
8 Stunden gearbeitet. Vor dem Raume befindet sich die Schleuße, ein
eiserner Behälter, der gegen den Caisson und gegen die freie Luft
abgeschlossen werden kann, und in dem allmählich der Druck der
Luft gesteigert wird, um die Arbeiter langsam an den Druck zu ge¬
wöhnen.
Erfahrungsgemäß sollen hier bei einem Druck von 2,4 Atmosphären
etwa 50 Minuten zur allmählichen Einschleußung und ebensolange beim
Verlassen des Caissons zum Ausschlüßen verwendet werden.
Trotz dieser Vorsichtsmaßregeln erkrankten eine große Anzahl
Arbeiter, einer verstarb. Die Erkrankungssymptome bestanden in
Erscheinungen von seiten des Herzens und der Lungen, in Erschei¬
nungen von seiten des Zentralnervensystems, speziell des Rückenmarks,
sehr häufig aber beobachtet man eine starke Mitbeteiligung des Ge¬
hörorgans. Es kommt zu Atemnot, Beklemmung, zu heftigen Schmerzen
in Muskeln und Gelenken, zu Meteorismus, zu Exanthemen, Parästesien,
70
Vorläufige Mitteilungen und Autoreferatei
Hautjucken, vor allem aber zu Taubheit, bei meinen Fällen einseitig,
zu Schwindel und Ohnmächten, gelegentlich zu Erbrechen, kurz zu
dem Men iere’ sehen Symptomenkomplex.
Während die Allgemeinerscheinungen sich nach einigen Tagen
meist zurückbildeten, die Leute genasen, blieb der Meniere’sche Sym¬
ptomenkomplex meist bestehen oder besserte sich nur wenig.
Fall 1. Der 32 j ähr. Arbeiter E. K. arbeitete vor 10 Wochen
eine Schicht, also im ganzen nur 8 Stunden im Caisson. Bei der
Arbeit Brustbeklemmung und Schweißausbruch. Aus Mund und Nase,
aber nicht aus dem Ohr fließt blutige Flüssigkeit. Bald nach dem
Ausschleußen Bewußtlosigkeit. Transport ins Hafenkrankenhaus. Beim
Erwachen Taubheit auf dem rechten Ohr. Links nur leichte Schwer¬
hörigkeit. Starkes Ohrensausen rechts, Kopfschmerzen, Schwindel-
an fälle .
Da das Befinden sich bessert, Entlassung nach 14 Tagen.
Versuch zu arbeiten. Wegen Kurzluftigkeit und Schwindel am
19. Oktober nach Eppendorf geschickt.
Befund : Kräftiger Mann. Leichte Bronchitis. Leichte Milz¬
schwellung. Leichte Störung der Bauchdecken- und Kremasterreflexe.
Babinsky rechts (kranke Seite). Sonst alles normal. Ohren : Linkes
Ohr normal im Aussehen und Funktion. Rechtes Ohr : Weder vom
, Processus, noch vor dem Ohr hohe oder tiefe Stimmgabeln gehört.
Weber nach links. Trommelfell trübe, eingezogen. Reflex verwischt.
Elüstersprache überhaupt nicht, laute Sprache 15 Zentimeter. Nystagmus
in horizontaler Richtung und rechts. Romberg angedeutet. Gleich'
gewichtsstörungen sehr stark beim Bücken, beim raschen Drehen, Hüpfen
und Stehen auf einem Beine. Die rechte Seite überwiegt dabei stark.
N ase : Starke Schwellung der unteren Muschel, deren hintere Enden
als blaurote Wülste die Choanen völlig verlegen. Dieselben werden
mit Schlinge abgetragen. Am Rachendach beträchtlicher Rachenmandel¬
rest. Diffuse Rötung der Schleimhaut des Rachens, Larynx und Trachea.
Augen hintergrund normal. Schwitzt auf Pilocarpin sehr stark. Warme
Bäder. Brom. Leichte Besserung. Fis 4 von Processus gehört. Klagt
viel. Übertreibt. Unfallneurose.
Fall 2. Mechaniker C. O., 31 Jahr, der vor 91/2 Wochen nur 4 Stun¬
den in Caisson gearbeitet. Kurz vor dem Ausschleußen, auf der Über¬
fahrt Krämpfe, Gliederschmerzen, das Gefühl, als ob ihm das Fleisch von
Armen und Beinen fiele. Fettiges Gefühl auf den Lippen. Seitdem
Taubheit auf dem linken Ohr und Schwindel. Aufnahme in das Hafen¬
krankenhaus, wo er 4 Wochen blieb. Entlassen: Vom Spezialarzt der
Kasse nach Eppendorf geschickt,
Befund: Mittelgroßer, kräftiger, gutgenährter Mann. Innere
Organe gesund, Milz nicht vergrößert. Ohren: Rechts (gesunde Seite)
Trommelfell leicht getrübt. Leichte Injektion der Gefäße. Gehör nor¬
mal. Flüstersprache 8 m. Weber nach rechts. Rinnescher Versuch
positiv. Linkes Ohr: Bei der ersten Untersuchung Stimmgabeln über¬
haupt nicht gehört. Angeblich völlige Taubheit. Bei Prüfung mit
2 Schläuchen ergibt sich, daß Patient übertreibt; jedenfalls besteht
nicht völlige Taubheit. Stimmgabelversuch ergibt aber stets dasselbe
Resultat. Auffallende Gleichgewichtsstörung ; links überwiegend.
Nystagmus in horizontaler Richtung, links überwiegend. In der Nase
Schwellkatarrh, links ausgeprägter, doch wechselt die Seite. Flacher
Rachenmandelrest.
Vorläufige Mitteilungen und Autoreferate.
71
Bei einem dritten Arbeiter, 40 Jahre alt, der entlassen werden
mußte, fanden sich nach 8 ständiger Arbeit in .Preßluft fast dieselben
Erscheinungen, wie bei Fall 1, nur daß ausschließlich das linke Ohr
befallen war, .und die Gleichgewichtsstörungen mehr links sich zeigten.
Auch er klagte über ein fettiges Gefühl an den Lippen. Auch bei ihm
schwanden alle übrigen Symptome bis auf den Meniere’schen Symptomen-
komplex. Auch bei ihm fand sich starke Schwellung der Nasen¬
muscheln und Rötung der Schleimhaut der oberen Luftwege bis herab
in die Trachea, — W ährend man annimmt, daß die Erscheinungen nach
dem Ausschleußen zu erklären sind durch Gasaustritt (Stickstoff) aus
dem Blut, hauptsächlich in den Venen und dies durch Sektionen und
Tierexperimente einwandsfrei, besonders in der großen Arbeit von
Mayer, Heller und Hermann von Schrötter nachgewiesen ist, han¬
delt es sich bei den Ohren sicher auch um lokale Störungen, Druck¬
schwankungen und Blutungen ins Mittelohr und ins Labyrinth. Bei
der Behandlung ist dringend vor Chinin zu warnen, das nie genützt
hat und den Akustikus schwer schädigt, — Autoreferat.
Über Plazenta praevia.
Von Dr. Scheib, Prag.
(Nach einer Demonstration im Verein Deutscher Arzte in Prag.)
Sch. demonstriert einen 7 monatlichen graviden Uterus samt
Adnexen und Scheide einer unter der Geburt in der Eröffnungsperiode,
an einem inkompensierten Herzfehler verstorbenen 30jährigen II. para,
welcher außer der in Querlage befindlichen Frucht noch eine Placenta
praevia lateralis in situ enthält. Das Präparat soll der Gegenstand
einer ausführlichen Bearbeitung hinsichtlich verschiedener Fragen, wie
der der Insertionsverhältnisse der Placenta, praevia in diesem Falle,
pathologischer Veränderungen in dieser wie der Decidua, ferner bezüg¬
lich der Frage des unteren Uterinsegmentes, und der Entstehungsart der
Placenta praevia werden. Autoreferat,
Intravenöse Narkose.
Von Dr. J. Nerking u. Dr. W. Schür mann. (Med. Klinik. Nr. 46, S. 1760, 1908.)
Verff. ist es gelungen, an der Hand zahlreicher Versuche eine
Narkose ohne Gefahr für die Tiere — Kaninchen wurden nur ver¬
sucht — durch intravenöse Injektion zweier Mittel in der richtigen
Dosierung herbeizuführen. Es handelt sich um Äthylurethan, das sie
mit Chloralhydrat in Mischung brachten. Sie glaubten, daß das
Urethan als Harn s to f f ab k ömm 1 in g im Körper in Harnstoff gespalten
wird, wobei die Äthylgruppe frei wird, die den narkotischen Effekt
hervorzubringen scheint. Versuche mit Urethan allein in 20°/0iger
und 50°/0iger Lösung brachten keine Narkose. Zusätze von Tropa¬
kokain und Stovain und Skopolamin waren ebenfalls entmutigend. Erst
der Zusatz von Chloralhydrat gab ein günstiges und befriedigendes
Resultat, eine Narkose bis 50 Minuten. Bei zu rascher Injektion er¬
eignete sich einmal ein Todesfall. Versuche mit Chloralhydrat allein
in der in den günstigen Versuchen angewandten Dosis ergaben nur
Schlaf, niemals Gefühllosigkeit. Folgeerscheinungen blieben aus.
Referate und Besprechungen.
72
; Die Frage, inwieweit diese Art der Narkose auf andere Tiere
und den Menschen übertragbar ist, ist durch diese Versuche nicht
geklärt.
Jedenfalls kann man ihr eine Zukunft in der Tiermedizin mit
ruhigem Gewissen prophezeien. Autoreferat.
Referate und Besprechungen.
Innere Medizin.
Über Arteriosklerose.
(Huchard. Bull, med., Nr. 70, S. 789—792, 1908.)
Während bei uns in Deutschland der Begriff Arteriosklerose sich eng
an das überkommene, in der pathologischen Anatomie wurzelnde Wort an¬
schließt und fast ausschließlich als eine Gefäß Veränderung genommen wird,
synonym mit Atherom, — in Leube’s Diagnostik I. 1904, S. 94 stehen
z. B. beide Ausdrücke friedlich nebeneinander — , faßt Huchard die Sache
tiefer. Ihm ist die anatomische Veränderung nur eine Veränderung, aber
noch lange keine Krankheit ; die Arteriosklerose ist ihrem innersten Wesen
nach eine Vergiftung, als solche beginnt sie ,und als solche endigt eie:
,,Les cardiopathies arterielles commenoent par rintoxication, elles continuent
par rintoxication, elles finissent par l’intoxication.“ Auf dem 10. französischen
Kongreß für innere Medizin (Genf, September 1908) hatte er das einleitende
Referat über diese moderne Krankheit, und gewiß sind auch für manchen
deutschen Mediziner einzelne seiner Thesen von Interesse.
Also das Atherom ist eine Läsion vorzugsweise der großen Gefäße,
die indessen klinisch weiter nicht von Bedeutung ist. Die sog. Arteriosklerose
dagegen spielt sich in den kleinen peripheren Arterienzweigen ab und zwar
gleichzeitig mit Veränderungen der Gewebe, in denen sie liegen. Während
mithin auch ausgedehnte Atheromatose klinisch keine Erscheinungen macht
bezw. zu machen braucht, können, ja müssen schon minimale arteriosklerotische
Herde — eben weil sie sich nicht auf das Gefäßsystem beschränken —
je nach der Dignität des betreffenden Organs mehr oder weniger erhebliche
Symptome.- zeitigen.
H uchard hat unter 15000 Arteriosklerotikern, welche er beobachtet
hat, bei 1980 nach der Ursache, d. h. nach dem Giftstoff geforscht. Es
fand sich, wie zu erwarten, kein bestimmter ; Gicht 393, Rheumatismus 254,
Syphilis 237, Diätfehler 205, Tabak 188, Infektionskrankheiten 57, Diabetes 51,
Malaria 23, Menopause 21, Ursachen auf moralischem bezw. nervösem Gebiet
19 mal; bei 501 Pat. blieb das auflösende Moment überhaupt in Dunkel gehüllt.
Die Pathogenese baut sich ihm in großen Zügen so auf, daß das
Toxikon zunächst Gefäßkrämpfe — von dieser so unphysiologischen Hypothese
kommt, wie man sieht, auch H. nicht ab — hervorruft, welche die bekannte
Drucksteigerung, Dyspnoe, Schlaflosigkeit, Tachykardie, Schwindel, Zerebral¬
störungen usw. zur Folge haben. Fatal wird die Sache, wenn der Prozeß
sich frühzeitig in den Nieren abspielt, weil dadurch die Elimination des
Giftes verhindert wird.
Von eminenter Bedeutung ist das Erkennen des allerersten .,präsklerösen“
Stadiüms, weil einzig zu dieser Zeit therapeutisch noch etwas zu machen
ist. Zu den hierhergehörigen Symptomen gehören neben der Blutdruckstei¬
gerung: Oppressionsgefühl bei längerem Gehen, Herzklopfen, nächtlicher Harn¬
drang, mäßiger Husten mit Dyspnoe, die zunächst an Asthma oder Bronchitis
denken läßt; ferner: harter häufiger Puls, Klopfen der peripheren Arterien
hauptsächlich der Art. axillaris unterhalb des Schlüsselbeins, verstärkter
Spitzenstoß, akzentuierte zweite Töne, Polyurie. Charakteristisch sei die
Zunahme aller dieser Symptome nach dem Essen, sowie das Bedürfnis nach
viel Flüssigkeit. Weniger bekannt sind ,, rheumatische“ Beschwerden in Armen
Referate und Besprechungen.
73
und Beinen mit Gefühl der Schwere ; auch Seitenstiche in Form von Inter¬
kostalschmerzen, sowie Anfälle von Bauchschmerzen kommen hei den Prä¬
sklerotikern vor. Viel anzufangen ist' ersichtlich mit diesen Erschei¬
nungen nicht.
Späterhin treten dann hauptsächlich 2 Symptome in den Vordergrund:
Dyspnoe und unregelmäßige, beschleunigte Herztätigkeit, beide in gleicher
Weise die Folge von toxischen wie myokarditischen Vorgängen.
Sobald der Arzt auf Grund der Intoxikationserscheinungen, der Insuf¬
fizienz der Nieren oder anderer Organe, sowie der Blutdrucksteigerung auf
die Fährte : beginnende Arteriosklerose geführt ist, hat er eine vorzugsweise
diätetische Therapie (Milchdiät, Vermeidung aller Harnsäure produzierenden
Speisen) einzuleiten. Zur Beförderung der Diurese rät H. Theobromin mit
0,1 — 0,15 Thyminsäure, welch letztere die Harnsäure — im Gegensatz zu
den Lithiumsalzen — zur Lösung bringe. Des ferneren empfiehlt er Massage
und Gymnastik, hydriatische Prozeduren, CO2 (neuerdings vielleicht besser
Sauerstoff-) Bäder, Trinitrin. Die Digitalis reserviert er sich für später.
Der nüchterne und kühle Beurteiler verrät sich in der bündigen Ab¬
lehnung der in letzter Zeit aufgebauschten Heilmittel : des sog. Antisklerose-
Serums, der Hochfrequenzströme und der Terrainkuren. Daß H. auch das
Jod verwirft, wird gewiß alle diejenigen freuen, welche sich je gefragt
haben, welchen Nutzen denn die Quälereien mit den vielen und großen
Jodkaliflaschen gehabt haben.
Natürlich wird die Forschung und Erkenntnis auch einmal über Huehard
hinausgehen; aber daß er seinen Zeitgenossen predigte, nicht wie hypnotisiert
immer nur auf die demonstrablen pathologisch-anatomischen Funde zu starren,
sondern auch die nicht demonstrablen Prozesse der Herabsetzung der Leistungs¬
fähigkeit als Ausdruck von Störungen, welche jenseits des Objektträgers
liegen, zu bewerten, wird stets sein fundamentales Verdienst bleiben.
Buttersack (Berlin).
Aus dem pathologischen Institut zu Basel-Hedinger.
Über Veränderungen im Sinusgebiet des Herzens bei chronischer
Arrhythmie.
(S. Schönberg. Frankf. Zeitschr. für Path., Bei. 2, S. 153, 1908.)
Wenckebach beschrieb 1906 und 1907 eine muskuläre Verbindung
zwischen Vena cava superior und dem rechten Vorhof und bezeichnete diese
Muskel elemente als Analoga des Sinusgebietes der Kaltblüter. Er kommt
zu dem Schlüsse, daß auch beim Menschen hier in gleicher Weise die Ursprungs¬
reize für die Herztätigkeit zu suchen seien. Verf. untersuchte das in Frage
stehende Gebiet bei 5 Fällen, die klinisch konstante Unregelmäßigkeiten der
Herztätigkeit im Sinne der Arrhythmie dargeboten hatten, und ferner noch bei
einer Reihe von Herzen, die weder Symptome von Herzerkrankungen gezeigt,
noch auch bei der Sektion pathologisch-anatomische Veränderungen hatten er¬
kennen lassen. Seine Ergebnisse stimmen im allgemeinen mit denen von
W enckebach überein; auch Sch. fand in fast allen seiner etwa 50 Fälle
eine meist deutliche Grenze zwischen der Muskulatur des rechten Vorhofs
und der oberen Hohlvene. An dieser Grenze liegt der aus Fett und Binde¬
gewebe bestehende, mit Gefäßen und nervösen Elementen reich ausgestattete
Sulcus, der vom rechten Herzohr schräg nach hinten unten gegen das Vor¬
hofsseptum zieht. An den makroskopischen Präparaten zeigt sich fast immer
deutlich, daß dieser Sulcus in seinem hinteren seitlichen Drittel von einem
Muskelbündel überbrückt wird, das vom Vorhof nach hinten oben auf die
Vena cava superior steigt und hier zum Teil durch Fasern verstärkt wird,
die von den zirkulär verlaufenden Muskelfasern des untersten Teils der Vene
herkommen. Auch mikroskopisch ist dieses Bündel meist gut ausgeprägt,
doch sieht man neben diesem noch zahlreiche größere und kleinere Fasern
nach aufwärts ziehen ; nur in einem Falle bestand eine breitere Kommunikation
74
Referate und Besprechungen.
der Vorhofsmuskulatur mit der Venenwand. Von großem Interesse ist es,
daß Sch. in allen seinen Fällen von länger dauernder Irregularität der Herz¬
aktion entzündliche Veränderungen in dem Gebiet zwischen Vena cava superior
und Vorhof nachweisen konnte. Diese durch Lymphozytenansammlungen cha¬
rakterisierten und von mehr oder weniger deutlichen degenerativen Prozessen
in der quergestreiften Muskulatur begleiteten Veränderungen waren hauptsäch¬
lich auf den untersten Teil der Vena cava superior, die Sulcusgegend und den
obersten Teil des rechten Vorhof es lokalisiert. Stellenweise zeigte sich die
stärkste Ansammlung von Lymphozyten gerade im Gebiete des den Sulcus
überbrückenden Muskel- und Nervenbündels und des benachbarten Fettge¬
webes. In der Muskulatur der übrigen Herzabschnitte waren die entzündlichen
Veränderungen minimal. Die Befunde erscheinen also durchaus geeignet,
die Anschauung, daß die Ursprungsreize des menschlichen Herzens im Sinus¬
gebiete beginnen, zu stützen. W. Risel-Zwickau.
Miliartuberkulose der Haut bei Tuberkulose der Aorta abdominalis.
(E. Hedinger, Frankf. Zeitschr. für Path., Bd. 2, S. 121, 1908.)
Bei einem Fall von Tuberkulose der Aorta in Form eines großen, ur¬
sprünglich in der Adventitia 6 cm oberhalb der Teilungsstelle der Aorta
abdominalis gelegenen und dann durch Media und Intima nach innen durch¬
gebrochenen tuberkulösen Herdes fand H. neben einem Solitärtuberkel im
Pons und tuberkulöser Meningitis in der Haut der Beine und des Gesäßes
mehrere runde, blaurot verfärbte, mäßig infiltrierte Herde von 1 — 2 — 3 cm,
Durchmesser, die meist mit einer Kruste bedeckt waren, nach deren Entfernung
man etwa 1 — 2 mm durch eine feine zentrale Öffnung mit der Sonde in die
Tiefe eindringen konnte. Diese Infiltrate erwiesen sich als tuberkulöse Herde,
die der akuten oder subakuten miliaren disseminierten Hauttuberkulose zu¬
gerechnet werden mußten. Es ist dies ein Befund, der bisher nur erst sehr
selten als Teilerscheinung einer Miliartuberkulose beobachtet worden ist.
W. Risel-Zwickau.
Spirosal in Rheumatismusfällen mit Herzkomplikationen.
(O. A. Bast, Brooklyn. Newyorker med. Monatsschr.. Nr. 6, 1908.)
Bast erklärt nach seinen durch einige Krankengeschichten illustrierten
Erfahrungen das Spirosal für ein vorzügliches Antirheumatikum, dessen be¬
sonderen Vorzug er darin erblickt, daß es den Magen in keiner Weise irritiert.
Er verordnet es in Tablettenform und der Dosis von 0,5 zweistündlich.
Esch.
Mikrosphygmie.
(Bourneville, Ch. Riebet, Fr. Saint-Girons. Progr. med., S. 529, 1908.)
Nach dem Vorgang von Variot bezeichnen die 3 Autoren mit dem
Worte: Mikrosphygmie die Kombination von kleinem Puls, Idiotie und aller¬
hand Dystrophieen.
Der Puls ist klein, mitunter kaum fühlbar, doch liegt das nicht an
einer Hypoplasie des Gefäßsystems ; denn unter dem Einfluß vasodilatatorischer
Mittel, Amylnitrit, Wärme usw. kann er ganz kräftig werden. Der Blut¬
druck ist bei solchen Geschöpfen ziemlich normal, ebenso Herz, Blut und
Venen ; nur die Puls-amplitude ist wesentlich verkleinert.
Idiotie findet sich in den verschiedensten Graden.
Von Entwicklungsstörungen werden genannt: pes varus, Camptodactylie,
Hasenscharten, Fehlen des Zäpfchens, der Daumen- und Kleinfingerballen,
Ichthyosis und vor allem: Zwergwuchs.
Bemerkenswert ist, daß bis jetzt nur Mädchen gefunden wurden, welche
dieses Syndrom darboten, kein einziger Junge. Buttersack (Berlin).
Referate und Besprechungen.
75
Zur Behandlung der Gicht.
(San.-RatDr. Falkenstein, Gr.-Lichterfelde. Berliner klin.Wochenschr., Nr. 36, 1908.)
Durch die Salzsäurezufuhr wird das Befinden der Gichtiker außer¬
ordentlich günstig beeinflußt. Dies beruht auf der dadurch bewirkten Ver¬
minderung der Stickstoffretention (und somit einer Verminderung der Harn¬
säurebildung, sowie auf der Vermehrung der Alkaliausfuhr. Um auch
die alten Niederschläge, die durch diese Therapie nicht zu beseitigen sind,
die aber doch noch Anfälle hervorrufen können, aufzusaugen, empfiehlt
Falk enst ein gleichzeitige Darreichung von Jodglidine, einer Verbindung
von Jod mit Pflanzeneiweiß, dem die schädlichen Eigenschaften des Jod (Jodis¬
mus) fehlen, das dafür aber ebenfalls die Stickstoffausscheidung befördert
und durch sein Ausscheiden aus dem Körper als Jodkalium demselben Alka¬
lien entzieht. Die Wirkungen bestehen in Besserung des Schlafes, der Ver¬
dauung, des Appetits, sowie in Vermehrung der Schweißabsonderung. Falken -
stein gibt täglich zunächst zwei Tabletten, später nur eine, bei angegriffenen
Magen auch nur eine halbe und läßt die Kur längere Zeit (bis zu mehrerQn
Monaten) fortsetzen. Bei Anfällen verträgt der Magen das Jodglidine nicht.
Dann gibt man neben der Salzsäure Morphium oder Aspirin. An Stelle des
Jodglidine wird hierbei neuerdings das 25%ige Jodipinöl empfohlen, das
über dem schmerzenden Gelenk subkutan injiziert wird. Wenn die Schmerzen
danach auch nicht aufhören, so glaubt Falkenstein doch einen schadlosen
und leichteren Verlauf beobachtet zu haben. F. Walther.
Serumtherapie der Nephritis und der Tuberkulose.
(J. Teissier. Acad. de med., 7. Okt. 1908. — Bull, med., Nr. 80, S. 877 — 880 und
Nr. 81, S. 891/892, 1908.)
Jede Zeit hat ihren Vorstellungskreis, und aus diesem Kreis heraus
werden die gerade geltenden Theorien geboren. So leben wir im Zeichen
der chemischen Physiologie und im speziellen der Serumtherapie. Mag man
im Serum nur neutralisierende Stoffe vermuten oder solche, welche den
Organismus in allen seinen Teilen mobil machen, daß er mit selbstgebildeten
Antitoxinen die hypothetischen Giftstoffe binde: immer blinkt die chemische
Grundanschauung hindurch.
Ein eigenartiges Hypothesengespinst hat Teissier ersonnen: Er nimmt
an, daß im Blute der Nierenvenen Antitoxine enthalten seien und daß
mit ihrer Hilfe sich urämische Zustände beseitigen lassen. Da Niere schlie߬
lich Niere ist, so bleibt es sich gleich, ob man Nierenvenenblut vom Menschen,
Hund, Pferd usw. anwendet; der Bequemlichkeit halber wählte er Ziegen
als Serumlieferanten. Mit 15 — 20 ccm mehrmals injiziert gelang es ihm,
sieben Nephritiker, welche zum Teil an schweren Urämieen litten, zu heilen.
Die Hauptsache bei der Blutentnahme ist, daß man nur Nierenvenen¬
blut ansaugt und nicht auch solches aus der Vena cava inferior, sonst bleiben
die Heilwirkungen aus.
„Vor dem taktischen Siege schweigen die Forderungen der Strategie“
hat Moltke einmal gesagt. Wenn die Zahl der mit Ziegenserum geheilten
Nephritiker erst einmal ein paar Hundert beträgt — es gibt ihrer ja genug — ,
ist der Beweis der Wirksamkeit dieser Therapie geliefert und der Augen¬
blick der Theorienbildner gekommen ; aber bis dahin dürften Zweifel doch
wohl gestattet sein.
Desgleichen bei dem Serum, welches Lannelongue, Achard und
Gai 11 ar d von Eseln und Pferden mit Hilfe von Injektionen von erhitztem
(120°) und mit Essigsäure und Natriumkarbonat behandeltem Tuberkelbazillen¬
extrakt gewonnen haben. Dasselbe wurde von 4 Klinikern (Comby, Le Noir,
Legry und Küss) praktisch erprobt, aber ihre Urteile sind so vorsichtig
abgeiaßt, daß der unbefangene Leser nur das eine Sichere herausliest: Die
Injektionen haben unseren Patienten nichts geschadet. — Das ist immerhin
schon etwas, hätte sich aber mit Aq. dest. wahrscheinlich auch erreichen lassen.
Buttersack (Berlin).
76
Referate und Besprechungen.
Zervikal-Punktion.
(Al. Obregia. Bullet med., S. 769, 1908.)
Diejenigen, denen es nicht genügt, das Nervensystem durch Lumbal¬
punktion zu attackieren, bemächtigen sich vielleicht eines Verfahrens, welches
mehr zentral anpackt und in der biologischen Gesellschaft von Bukarest neu¬
lich vorgetragen worden ist.
Obregia legt seine Versuchsobjekte ins Bett, der Kopf ruht auf einem
Kissen und wird energisch gegen die Brust gebeugt. Er findet in dieser
Stellung leicht die Protuberantia occipitalis externa, den unteren Rand des
Oociput und gleich darunter den Processus spinosus des Atlas ; oberhalb dieses
senkt er die Nadel ein. Hat man in der Medianlinie die Raphe cervicalis,
dann das Lig. occipito-atlanticum durchstoßen, dann treten sofort einige
Tropfen Plüssigkeit heraus; man muß nur dafür sorgen, daß Nadel und
Mandrin nicht hermetisch schließen; denn es sei absolut notwendig, daß
die Spinalflüssigkeit sofort einen Ausweg finde. Später fließe die Plüssig¬
keit reichlich ab.
Der Schmerz sei nicht größer als bei- andern Punktionen. Bei 22 Zervikal¬
punktionen beobachtete Obregia keine fatalen Nebenerscheinungen, insbeson¬
dere kein Kopfweh und keinen Schwindel.
Als Indikationen stellt er auf: 1. den Wunsch, möglichst bald die
Zytodiagnostik einer Gehirnerkrankung zu stellen; 2. die Applikation eines
Heilmittels, z. B. bei Tetanus.
Wer mit Trousseau dem kunstvollen Gefüge des lebenden Organismus
mit bewundernder Ehrfurcht gegenübersteht, wird sich nicht leicht zu diesem
Eingriff entschließen. Mechanisten mögen immerhin an dem feinsten aller
Apparate mit Nadel und Mandrin herumdoktern. Buttersack (Berlin).
Die Lagerung des Kranken bei der Appendizitis.
(H. Dreesmann. Med. Klinik, Nr. 36, 1907.)
Dreesmann weist darauf hin, daß es für den Verlauf einer Appen¬
dizitis sowohl vor wie nach einer Operation, besonders aber vor einer solchen
durchaus nicht gleichgültig sei, in welcher Weise der Kranke gelagert werde.
Es liegt auf der Hand, daß die Innehaltung der rechten Seitenlage bei ge¬
beugtem Hüftgelenk, eine Lagerung, die auch bei einem etwaigen Transport
nach Möglichkeit beibehalten werden soll, gewisse Vorteile bietet, für welche
die Gründe sehr nahe liegen. Der Kranke soll bei gebeugtem Hüftgelink
so weit auf die rechte Seite gelegt werden, daß das linke Knie vor dem
rechten zu liegen kommt. Der Rücken ist durch Kissen zu stützen, zwischen
beide Knie kommt, falls über Druck geklagt wird, ein weiches Kissen,
ebenso unter den rechten Trochanter. R. Stüve (Osnabrück).
Chirurgie.
Fortschritte in der Perityphlitis- und Peritonitisbehandlung.
(Dr. Klauber, Allg. Krankenhaus, Lübeck. Med. Klinik, Nr. 28, 1908.)
Klauber berichtet über die günstigen Resultate der Perityphlitis¬
behandlung, die sein Chef, Oberarzt Dr. Roth, dadurch hatte, daß er die
Perityphlitis stets sofort operierte und zwar ganz gleichgültig, in welchem
Stadium. Es wurde die Operation also nicht auf die Perityphlitisfälle inner¬
halb der ersten 48 Stunden nach Beginn der Erkrankung, und ferner auf
die Abszeßinzision und die späteren Intervalloperationen beschränkt, sondern
jede Perityphlitis wurde sofort operiert, sowie sie in das Krankenhaus kam,
und zwar stets radikal operiert, d. h. stets mit Entfernung des Wurmfort¬
satzes. Bei diesem radikalen Vorgehen der Operation der Perityphlitis ist
die Mortalität von 23% auf 4%, bei der Peritonitis von 57% auf 5 °/0
Referate und Besprechungen.
77
herabgegangen. Roth bevorzugt stets den pararektalen Schnitt. Er begnügt
sich also beim perityphlitischen Abszeß nicht, den Abszeß nur zu inzidieren
und den Appendix eventuell mit wegzunehmen oder, wenn er zu sehr ver¬
wachsen ist oder in den Verwachsungen nicht zu finden ist, ihn auch darin
zu lassen; sondern er inzidiert, trotz des Abszesses pararektal die Bauchhöhle
und sucht, die offene Bauchhöhle zunächst ab, ob nicht noch irgendwo anders
ein Abszeß sitzt und geht dann auf den Abszeß los, in dessen Mitte,
von Eiter umspült, stets der Wurmfortsatz sitzt; derselbe wird selbstredend
abgetragen. Auch die Gefahr der Fistelbildung an der Stelle des abgetragenen
Wurmfortsatzes hat Roth nicht mehr beobachtet, seitdem es vermieden wird,
auf der Stelle des abgetragenen Appendix einen Tampon zu legen und
seitdem die Stelle der Abtragung des Appendix möglichst tief in die Bauch¬
höhle verlegt wird.
Bei bestehender Peritonitis wurde oft künstlich eine Darmfistel an¬
gelegt, und zwar nach Witzel’s Art als Schrägkanal; das half oft schneller
die Darmparese beseitigen als dies ohne künstliche Darmfistel der Fall
gewesen wäre. Von dem Ausspülen der Bauchhöhle bei bestehender diffuser
Peritonitis ist Roth ganz abgekommen, man könne, nach seiner Ansicht,
den Eiter dadurch höchstens noch an Stellen spülen, wo bisher kein Eiter
saß. Das Wichtigste ist seiner Ansicht nach die richtige und ausgiebige Drai¬
nage, und zwar führt er dieselbe durch für die ersten 4 — 6 Tage nur mittels
Gummidrains, die mit Gaze umwickelt sind, wobei die Gaze aspirierend
wirkt, nach dem 4.-6. Tag nur durch das wieder eingeführte Gummidrain,
um das sich aber schon ein Granulationskanal gebildet hat. Mit diesem
radikalen und dreisten Vorgehen in der Behandlung der Perityphlitis in
jedem Stadium hat Roth viel günstigere Resultate gehabt als mit dem
früheren Vorgehen, welches die sog. Frühformen der Perityphlitis von den
Spätformen streng trennte. Härting (Leipzig).
Die Frühoperation der akuten sicheren Cholecystitis.
(Prof. Riedel, Jena. Deutsche med. Wochenschr., Nr. 22, 1908.)
Riedel plädiert für die Frühoperation der schweren akuten Chole¬
cystitis, die ebenso wie die Frühoperation der akuten Perityphlitis, ihre
volle Berechtigung habe. Dann könne es nicht zu den schweren Formen
der Gallensteinkrankheit kommen, die so oft den Tod der Gallensteinkranken
bedingen (Perforation der Gallenblase mit Peritonitis, Gangrän der Gallen¬
blase oder des Gallenblasenhalses durch Druck von Gallensteinen mit den
sekundären septischen Erscheinungen usw. usw.) Auch das Eintreten der
Gallensteine in die tieferen Gallengänge, vor allem in den Ductus chole-
dochus, was immer sehr ernst zu nehmen ist, würde dadurch verhindert.
Härting (Leipzig).
Eine neue Methode der Prostatektomie.
(Prof. Wilms, Basel. Deutsche Zeitschr. f. Chir., 98. Bd., 4. u. 5. Heft.)
Ein dicht am linken absteigenden Schambeinast herabziehender Schnitt
eröffnet nach Durchtrennung einer dünnen Faszie ein lockeres von Venen
durchzogenes Gewebe, aus dem man sich durch stumpfe Präparation die
Prostata leicht zugänglich machen kann. Der Muse, ischio-cavernosus und
die mit ihm verlaufenden Arterienäste werden dabei median wärts verschoben,
ohne eine Verletzung zu erfahren. Nach Kenntlichmachung der Harnröhre
durch einen eingeführten Katheter dringt man mit dem Finger oder mit einem
stumpfen Instrument in die Kapsel hinein. Von dieser Öffnung aus kann
man den linken wie den rechten Prostatalappen völlig aushülsen. Die Blutung
ist gering, eine Rektumverletzung ausgeschlossen. Drainage nach unten.
Die Beobachtung dreier auf diese Weise operierten Fälle gibt dem
Verf. die Überzeugung, daß das Verfahren den bisher üblichen Operations¬
methoden vorzuziehen ist. F. Kayser (Cöln).
78
Referate und Besprechungen.
Zweizeitige Prostatektomie unter Lokalanästhesie.
(Prof. Lanz, Amsterdam. Deutsche med. Wochenschr., Nr. 22, 1908.)
Lanz hat bei Prostatikern prinzipiell die Narkose vermieden und
die transvesikale Prostatektomie unter Lumbalanästhesie ausgeführt. Diese
ist — : unter Lumbalanästhesie ausgeführt — nicht gefährlicher als der bloße
Katheterismus und bietet außerdem den Vorteil der Radikalheilung. Der
Katheterismus ist bei Prostatikern kontraindiziert, da er doch nur den Anfang
vom Ende bedeutet und unzweifelhaft bei protrahiertem Anwenden zur
Infektion führt. Bei sehr heruntergekommenen oder senilen Prostatikern kann
man die transvesikale Prostatektomie in zwei Akte zerlegen und zunächst
nur die Sectio alta ausführen und nach einigen Tagen die Ausschälung der
Prostata. Die Sectio alta kann man sehr wohl mit Lokalanästhesie mittels
l%igen Kokain oder Novokain ausführen und den zweiten Akt, die Aus¬
schälung der Prostata, ohne jedes Anästhetikum ausführen, da die Aus¬
schälung fast schmerzlos ist. Härting (Leipzig).
Ein Beitrag zur idealen Operation des arteriellen Aneurysma.
(Prof. Enderlen, Wiirzburg. Deutsche med. Wochenschr., Nr. 37, 1908.)
En der len berichtet über einen Fall von Aneurysma der Arteria poplitea,
das bei einem 37 jährigen Mann nach dem Heben eines schweren Fasses in
der Kniekehle entstanden war. Der Mann hatte vor 18 Jahren Lues durch¬
gemacht, die wahrscheinlich die Ursache der Gefäßbrüchigkeit und Gefä߬
zerreißung war. Er inzidierte unter Lumbalanästhesie und Esmarch’s
Blutleere in der Kniekehle, exzidierte das Aneurysma und vernähte unter
Beugestellung des Kniegelenks die Arteria poplitea zirkulär. Nach sechs
Tagen wurde mit der Streckung des Kniegelenks begonnen, die nach weiteren
sechs Tagen beendet war. Der Mann wurde .vollkommen arbeitsfähig. —
Für den Fäll, daß man die beiden Enden der Arteria poplitea nicht aneinander
bringen würde, war die Resektion der Vena femoralis in Aussicht genommen,
wie dies Lex er bei einem exstirpierten Aneurysma der Arteria axillaris,
wo 8 cm der Arteria axillaris fehlten, aus der Vena saphena magna getan
hat. Braun hat allerdings betont, daß man die Arteria axillaris und sogar
die Arteria subclavia ohne Gefahr unterbinden könne, da die Zirkulations-
Verhältnisse am Arme sehr günstige seien; man brauche also eine Gangrän
am Arm nicht zu befürchten. Demgegenüber sind die Erfolge der Gefä߬
implantation noch zu unsicher. Die Verpflanzung der Vene ist auch nicht
leicht, die Arterie läßt sich leichter implantieren, doch sind Arterien von
Patienten stets viel schwerer zu erhalten. Enderlen betont, daß die Venen¬
beziehungsweise Arterientransplantation gegenüber der Ligatur einen Ge¬
winn bedeute, selbst wenn sich eine Thrombose einstellt; die Unterbrechung
der Blutzirkulation vollzieht sich langsam und nicht plötzlich, wie bei der
Unterbindung. Härting (Leipzig).
Neues Zeichen zur Frühdiagnose der Koxitis.
(Mar. Salaghi. Archiv di Ortopedia, Jahrg. XXV, H. 3.)
Salaghi glaubt ein neues Frühsymptom der Koxitis gefunden zu haben,
aus dem sie sich vor dem Auftreten nennenswerten Schmerzes oder direkt
nachweisbarer Kontraktur und sicherer als durch Radiographie erkennen
lasse. Er legt den Kranken in Bauchlage auf den Tisch und flektiert das
Knie des suspekten Beins. Sobald der rechte Winkel überschritten wird,
hebt ein Kranker mit beginnender Koxitis die kranke Beckenseite — offen¬
bar um durch Flexion im Hüftgelenk den Schmerz aufzuheben. Die Bauch¬
lage ist der Rückenlage deshalb' vorzuziehen, weil in letzterer der Unter¬
suchte leichter eine kleine Flexion im Hüftgelenk ausführen kann, die der
Beobachtung entgeht.
Wenn dieses Symptom sich als beweiskräftig herausstellt, so verdient
die Beobachtungsgabe Salaghi’s, der auf diesem durchforschten Gebiet neues
zu finden vermochte, alle Anerkennung. F. von den Velden.
Referate und Besprechungen.
79
Operierte sollen nicht zu lange liegen.
(Picque. Soc. de Chirurgie, 15. Oktober 1908. — Progr. med., Nr. 43, S. 525, 1908.)
Im Anschluß an Mitteilungen von de Fourmestraux und von Faure
setzte Pique auseinander, daß sich infolge langen Liegens allerlei Störungen
seitens des Reispirations- und Zirkulationsapparates einstellen können. Diese
Störungen machen zunächst einen infektiösen Eindruck, lassen sich aber durch
Aufstehen schnell beheben.
Auch psychische Alterationen sind beobachtet worden, was denjenigen
nicht in Erstaunen setzt, der weiß, was für eine große Rolle der Zustand
der peripheren Organe in der geistigen Konstitution spielt.
Wenn Picque schließlich meint, die Rekonvaleszenz erfolge bei Bett¬
ruhe keineswegs schneller, so werden ihm darin wohl nur wenige nicht
beistimmen. Daß man dabei nichts übertreiben, nicht zu schnell Vorgehen
darf, ist selbstverständlich. Buttersack (Berlin).
V
Experimentelle Untersuchungen über Veränderungen der Nissl’schen
Granula bei der Lumbalanästhesie.
(E. Wossidlo, Archiv für klin. Chir., Bd. 86, Heft 4.)
Nach allen bisherigen Erfahrungen ist die Lumbalanästhesie als eine
Leitungsanästhesie aufzufassen; das Anästhetikum wirkt auf die im Dural¬
kanal verlaufenden Nervenfasern und hebt ihre Leitungsfähigkeit auf; infolge¬
dessen werden die dazu gehörigen Ganglienzellen außer Funktion gesetzt.
Die Ni ß Ischen Granula befinden sich im Zellkörper der Nervenzelle;
sie sind das Produkt einer normal arbeitenden Zelle ; eine Aufhebung der nor¬
malen Funktionsmöglichkeit führt den Zerfall dieser Produkte herbei und
erst eine längere Funktion stellt das normale Bild wieder her.
An diesen Nißl’schen Schollen hat W. die anatomischen Veränderungen
studiert, wie sie im Rückenmark bei Anwendung der verschiedenen Lumbal-
anästhetika gesetzt werden. Seine Beobachtungen basieren auf Versuchen an
Kaninchen, denen er die zurzeit gebräuchlichen Anästhetika, allerdings in fast
30facher Menge, ins Rückenmark einspritzte. Die Tiere wurden nach ver¬
schieden langer Zeit (1 — 20 Std.) getötet und das Mark an verschiedenen Stellen
untersucht.
Die Ergebnisse sind : Es entstehen durch die Lumbalanästhesie histolo¬
gisch nachweisbare Veränderungen in der Ganglienzelle; diese sind bei den
verschiedenen Mitteln (Lösungen von 4% Stovainsuprarenin, 5% Tropakokain,
5% Novokain, 4% Alypin) qualitativ fast die gleichen; nur quantitativ machen
sich sehr bemerkbare Abstufungen geltend. Die Veränderungen sind von
kurzer Dauer; 1 Stunde nach der Injektion erreichen sie meist ihren Höhe¬
punkt; bei Tropakokain läßt sich schon nach 2 Stunden eine deutliche
Reparation feststellen, die allerdings bei Novokain erst nach 24 Stunden
hervortritt. Die Veränderungen treten in der Nähe der Injektionsstelle am
schärfsten auf und klingen mit der größeren Entfernung mehr und mehr
ab ; in der Medulla oblong, hat W. in keinem Falle wesentliche Verände¬
rungen nachweisen können; das Halsmark wurde leider nicht eingehender
untersucht. An den Spinalganglien wurden Abweichungen von der Norm
nicht gefunden.
Die Veränderungen schwinden so vollkommen, daß man von einer eigent¬
lichen Schädigung nicht sprechen darf. Es besteht demnach vom pathologisch-
anatomischen Standpunkt kein Grund, vor der Anwendung der Lumbal¬
anästhesie zu warnen.
Als bestes Rückenmarksanästhetikum ist Tropakokain zu empfehlen ;
Alypin ist wegen der hohen Mortalitätsziffer, Novokain wegen der langen
Schädigung der sensiblen Gebiete, das Stovain wegen seiner Reizwirkung und
wegen der etwas länger dauernden Schädigung abzulehnen. Lemmen.
80
Referate und Besprechungen.
Apparat für Rectal-Anästhesie. — Fergus-Äther-Athmer.
(C. F. Denny, St. Paul, Minnesota. The St. Paul med. journ., S. 892, Juli 1908.)
Der von Ounningham jr. in Boston angegebene und gelegentlich von D.
demonstrierte Apparat ist hauptsächlich für die Narkotisierung von Alkoho¬
likern gedacht, bei denen das Äthern durch den Mund besonders im Auf¬
regungsstadium seine Schwierigkeiten hat. Der Apparat besteht aus einer
Flasche von 7,5 — 5 engl. Zoll, davon 272 Zoll für Äther (und der Hals für
Dampf, und einem Durchmesser von 4 Zoll. Der Ätherraum enthält 29 engl.
Unzen Äther. Ein Zuführungsschlauch oder Röhre führt zu dem Boden der
Äthersäule und endigt hier in einen Bulbus mit mehreren kleinen Öffnungen,
so daß die Luft in kleinen Bläschen aufsteigt. Ein Ausführungsschlauch führt
zu dem Rektumschlauch. Er muß lang genug sein, um Bewegungen mit der
Flasche zu gestatten. Außerdem gehört dazu ein Warmwasserbehälter, um
die Ätherf lasche zwischen 80 und 90° F zu halten. (Äther siedet bei 98,6° F.
Indem der Äther unter dem Siedepunkt gehalten wird, wird die durch den
Schlauch eintretende Luft leichter gesättigt.) Der Kranke bekommt am Abend
vor der Operation ein Abführmittel, um den Darm gründlich zu reinigen,
am besten Magnes. sulf., am anderen Morgen ein Seifenwasserklistier und
ein Frühstück von Beefsteak. Beim Gebrauch des Apparats liegt der Kranke
auf dem Rücken und bekommt Sandsäcke unter die Schenkel, um sie leicht
zu beugen. Alsdann wird ein Gummirohr in den Darm eing führt und die
Verbindung mit dem Apparat her gestellt. Indem man den Zeigefinger neben
dem Gummischlauch in das Rektum führt, erleichtert man das Entweichen
der Darmgase, was wesentlich ist. Nachdem die Gase entfernt sind,1 wird
der Äther alle 5 — 10 Sekunden durch Druck auf den Schlauch in den Darm
getrieben. Zuerst will der Kranke eine Defäkation machen. Dies geht vorüber
und in 1 — 5 Minuten riecht der Atem nach Äther. Man achte auf das Herab¬
sinken des Unterkiefers und die Zunge. Ist die Narkose vollkommen, so ge¬
nügt ein 2 — 3 maliger Druck auf den Schlauch 1 Minute lang gewöhnlich,
sie aufrecht zu erhalten. Ein Sauerstoffbehälter sollte zur Hand sein, um,
falls die Narkose zu tief wird, mit dem Rektalschlauch verbunden zu werden.
Nach der Operation wird der Äther, soviel wie möglich durch Massage aus
dem Darm getrieben. Cunningham berichtet über 41 Fälle, ohne Todesfall.
Er brauchte 2 — 8 Unzen Äther. Die Vorteile des Verfahrens bestehen in
dem geringen Ätherverbrauch, dem Fehlen des Aufregungsstadiums, selte¬
nem Erbrechen und darin, daß der Kranke Luft atmet, infolgedessen seltene
Störungen in den Luftwegen.
Der von Denny ebenfalls vorgeführte Fergus-Äther-Atmer ist ein
Bostoner Fabrikat. Er besteht aus einem doppelten Drahtgeflecht. Über
dem inneren Geflecht liegen mehrere Lagen Gaze, die ähnlich wie bei dem
Esmarch’schen Apparat befestigt sind. Das äußere Geflecht ist mit einer
Kappe aus Stoff bedeckt und oben und unten durch eine Schnur zusammen¬
gezogen. Es bleibt eine kleine Öffnung für Nase und Mund sowie zum Auf¬
tropfen des Äthers frei. Die Kappe schafft einen Luftraum für die innere
Gazemaske. Der Kranke atmet zuerst Luft, dann wird Äther aufgetropft,
bis der Hustenreiz nachläßt. Ist dies der Fall, wird mehr auf getropft und
die chirurgische Narkose wird mit wenig Aufregung und sehr wenig Äther
erreicht. D. empfiehlt den Apparat nach seiner Erfahrung sehr. Peltzer.
Kinderheilkunde und Säuglingsernährung.
Zur obligatorischen Credeisierung der Neugeborenen.
(Hellendall, Düsseldorf. Mönatschr. für Geb. u. Gyn., Bd. 28, H. 8 1908.)
H. untersucht die Forderung der obligatorischen Credeisierung der
Neugeborenen, die er im allgemeinen bejaht.. Die Gründe, wegen deren die
Behörden sie nicht pflichtmäßig einführten, sieht er in der mangelnden;
Geschicklichkeit der Hebammen, vor allem aber in Fehlern, die dem Crede-
Referate und Besprechungen.
81
sehen Verfahren an sich anhaften. Die Tropfengröße am Crede’schen Glas¬
stahe sei nicht konstant genug, die Konzentration der Höllensteinlösüng
werde durch ihre leichte Verdunstung auch bei gut schließenden Flaschen
erhöht, häufig würde mehr als ein Tropfen dem kindlichen Auge appliziert.
Ähnliche Mängel haften dem Tropf glase, der gewöhnlichen Aügenpipette und
der Phönixpipette an. H. hat deshalb eine Wattezopfpipette konstruiert,
die aus Ampullen von 0,5 ccm einer l%igen Argentumnitrikumlösung be¬
schickt wird. Es sind auf diese Weise 10 Tropfen verfügbar, von denen
5—6 im. Wattezopf zurückgehalten werden, so daß 2 Tropfen für jedes Auge
da sind. Auf diese Weise will er die Fehler der Crede’schen Methode aus¬
schalten und rühmt als Vorzüge seiner Methode, sichere Wirkung bei mög¬
lichster Vermeidung stärkerer Augenreizung. Frankenstein (Cöln).
Kutane Tuberkulinreaktion bei Säuglingen.
(Ellenbeck, Rietschel. Med. Klinik, Nr. 42, 1908.)
232 Säuglinge wurden ohne Rücksicht auf ihre Erkrankung kutan
mit Alttuberkulin (25% — 50%-Lösung-Höchst) geimpft. Von 5 positiv rea¬
gierenden Kindern sind 4 Kinder an Tuberkulose gestorben, und das 5. weist
zunehmende Erscheinungen der Tuberkulose auf. Von 227 Kindern kamen
17 an andern Erkrankungen zum Exitus letalis, bei 16 von diesen /fanden sich
mikroskopisch keine sichtbaren tuberkulösen Herde, bei dem 17. jedoch bestand
eine fortgeschrittene, auch in vivo diagnostizierte Phthise mit Kavernen¬
bildung. Diese Beobachtung entspricht nur der allgemeinen Erfahrung, daß
Tuberkulöse in den letzten 10—12 Tagen vor dem Exitus letalis nicht
mehr positiv reagieren. Verf. Schlüsse sind :
Die Kutanreaktion ist bei Säuglingen diagnostisch sehr wertvoll, harm¬
los und einfach durchzuführen. Der positive Ausfall ist oft das erste Zeichen
der latenten Tuberkulose. Stärke und Schnelligkeit der Reaktion lassen keine
prognostischen Schlüsse zu- Zur positiven Reaktion gehört eine deutliche
rote Papel, zweifelhafte Reaktionen sollen lieber als negative aufgefaßt werden.
Die erstere besiegelt wohl sicher das Schicksal des Säuglings, der letzteren
kommt ab’er doch oft eine hohe diagnostische Bedeutung zu, allerdings erst
nach mehrfacher Wiederholung in angemessenen Zwischenräumen von 14 Tagen.
Krauße (Leipzig).
Ein Beitrag zur Kasuistik der primären Nasendiphterie bei Säuglingen.
(K. Schwarz. Wiener klin. Rundschau, Nr. 25, 1908.)
Beachtenswerter Fall von primärer Nasendiphtherie bei einem sechs
Monate altem Säuglinge ohne Diphtheriebazillen. Am 10. Tage erscheint
der charakteristische Belag im Halse und nach zwei Heilseruminjektionen
erfolgt Heilung. Steyerthal-Kleinen.
Über ein neues Hautphänomen bei Säuglingen.
(Eugen Blattner. Wiener klin. Rundschau, Nr. 37 u. 38, 1908.)
Als Chagrinlederhautphänomen bezeichnet Pfaundler-München
eine eigenartige Zusammenziehung der Haut, welche sich bei extrem-atro¬
phischen Säuglingen durch Berührung oder Streichung des Abdomens her-
vorrufen läßt. Die Erscheinung tritt nur an den unteren Extremitäten und
meist nur auf der gereizten Seite hervor und findet sich nur bei abgemagerten
Kindern mit schlaffen Hautdecken, bei denen das Fettpolster geschwunden
6
82
Referate und Besprechungen.
ist und nur ein minimaler Turgor der Haut besteht. Bei gesunden Säuglingen
und älteren Kindern ist sie nicht nachzuweisen.. — Wahrscheinlich handelt
es sich um einen echten Reflexvorgang, der nicht identisch ist mit der be¬
kannten Gänsehaut — Cutis anserina — , welch letztere eine rein 'physio¬
logische Erscheinung darstellt. Steyerthal-Kleinen.
Uber Phimose im Kindesalter.
(Rheiner, St. Gallen. Korr.-Blatt für Schweizer Ärzte, Nr. 20, 1907 )
In einem sehr lesenswert geschriebenen Artikel spricht Verf. über
die Phimose und die präputiale Verklebung, über ihren fundamentalen Unter¬
schied und über die viel zu oft und indikationslos vorgenommene Operation
einer fälschlich angenommenen Phimose. Wie oft werden auf eine solche
Unruhe des Kindes, unerkannte Cystitiden usw. zurückgeführt. Die Operation
wird ausgeführt, aber alles bleibt beim alten. Für die erste Lebenszeit ist eine
Epithelverklebung zwischen Glans und innerem Präputialblatt geradezu
physiologisch. Die wachsende Glans und gelegentliche Erektionen dilatieren
zumeist unter einer langsamen Lösung der Verklebung das Orificium exter-
num des Vorhautsackes. Es besteht nur dann eine Phimose, wenn bei Retrak¬
tionsversuchen des Präputiums der vordere Glanspol gar nicht oder nur
sehr mangelhaft entblößt werden kann und wenn vorsichtige Lösungsver¬
suche der Verwachsungen mit der Sonde nichts nutzen, oder weiter, wenn
sich das bisweilen rüsselförmig verlängerte Präputium nicht bezw. nur mit
Einrissen, die bedrohlich werden können retrahieren läßt. Die physiologische
Phimose kann aber bisweilen zu mechanischen Störungen der Enurese führen,
durch Harnverhaltung im Vorhautsack Reizungen und Synechien machen,
Balanitis und Ulzerationen verursachen sogenannte Eichelsteine im Sulcus retro-
glandularis oder vorgewanderte kleine Blasensteine können Irritationen Rha¬
gaden, Ulzerationen und Onanie verursachen und sekundäre Phimosen durch
narbige Veränderungen hervorrufen, die dann operiert werden müssen. Nicht
erkannte Cystitiden (stets Urinuntersuchung !) können auch diagnostische Irr-
tümer machen und falsche Indikationen zur Operation abgeben. Die Cystitis
kann Harnverhaltung und Entzündungen wie Geschwüre vorn an der Glans
und am Präputium machen ; diese Zustände, die auch an Diabetes denken
lassen müssen, sollen vor der Operation entsprechend vorbehandelt werden.
Krauße (Leipzig).
Die Antitoxinbehandlung der diphterischen Lähmung.
(J. D. Rolleston. The Lancet, 15. Juli 1908.)
Im Anschluß an einen von Middle ton berichteten Fall von Angina,
bei dem nach Wiederaufnahme der Tätigkeit Lähmung auf trat, gibt R.
seine Ansicht kund, daß die frühzeitige Anwendung des Serums die Gefahr
des Eintretens dieser Komplikation vermindere: Unter 1500 Diphtheriefällen,
die er in den letzten sechs Jahren behandelte, trat 335 mal (!) Lähmung ein.
Von den Patienten, denen das „unbezahlbare“ (prioeless) Mittel bereits am
ersten Tage einverleibt wurde, bekamen 3, von 319 am zweiten Tage Ge¬
spritzten 50 und von 197, die erst am fünften Tage Serum erhielten, 62
Lähmungserscheinungen.
Der Antitoxinbehandlung der ausgesprochenen diphtherischen Lähmung
dagegen steht er skeptisch gegenüber. Hier betont er die natürliche Ten¬
denz zur Spontanheilung und verweist die Verteidiger der Methode
auf die negativen Resultate der Tierexperimente, wie sie z. B. de Stella,
Rosenau und Anderson erhielten.
Referate und Besprechungen.
83
„Dieses Versagen des Serums bei experimentell erzeugter Lähmung
hängt ohne Zweifel davon ab, daß die Experimentaldiphtherie eine
frühe und bösartige Lähmungsform erzeugt, die beim Menschen
ungewöhnlich ist.“
„Der Unterschied zwischen experimentellen und klinischen Ergebnissen
läßt aber auch noch eine weitere Erklärung zu : Die Besserung der Läh¬
mungen, die man dem Serum zuschreiben kann, hängt nicht sowohl von
dessen spezifischer als von seiner psychother apeutisidhen Wirkung ab,
die natürlich bei Tieren nicht in Betracht kommt. In Fällen von schwerer,
langdauernder diphtherischer Lähmung ist der Patient, besonders wenn es
sich um einen Erwachsenen handelt, geneigt, in einen Zustand von Apathie
oder Verzweiflung zu fallen, im Glauben, er sei unheilbar. Ist es nun da
nicht denkbar, daß die mächtige, durch wiederholte Seruminjektionen er¬
zeugte Suggestion den Patienten veranlaßt, an seiner Genesung mitzu¬
arbeiten ?“
„Jedenfalls würde es interessant sein festzustellen, ob nicht
gleich gute Resultate zu erhalten wären durch Injektion relativ
indifferenter Flüssigkeiten, wie z. B. von sterilisiertem Wasser.“
Wie leicht beieinander wohnen doch Unbefangenheit hier und — Be¬
geisterung dort ! Die letztere ist so groß, daß R. u. a. nicht bemerkt,
daß unter den erst am fünften Tage in Behandlung Getretenen eo ipso weit
mehr schwere Fälle sein müssen als unter den sofort Übernommenen, daß
beide also gar nicht miteinander verglichen werden können. (Ref.) Esch.
Zur B. pyocyaneus-lnfektion im kindlichen Alter.
(A. Bagin sky. Zentralbl. für Bukt., Bd. 47, H. 4, 1908.)
Verf. gibt an der Hand zahlreicher Krankengeschichten ein Bild von
einer B. pyocyaneus-lnfektion. Es handelte sich um kleine Kinder (6 Monate
bis 1 Jahr), die neben anderen Wunderkrankungen auch noch an Durchfällen
litten. Aus den Stühlen wurde B. pyocyaneus gezüchtet, der sich für Mäuse
stets sehr pathogen erwies ; es ist somit wohl das B. pyocyaneum ein Bakterium
mit malignen Eigenschaften.
Das Charakteristische derartiger Erkrankungen bei jungen Kindern ist
das Auftreten blutig-schleimiger Diarrhöen, von mehr oder weniger ausge¬
sprochen hämorrhagisch - nekrotischen Hautinfiltrationen, von Cystitis und
Pyelonephritis, von septischen Allgemeinerscheinungen bei niedriger Körper¬
temperatur. Dr. Schürmann (Düsseldorf).
Aus dem hygienischen Institut zu Halle a. d. S.
Untersuchungen zur Entstehung des Keuchhustens.
(C. Frankel. Münch, med. Wochenschr. Nr. 32, 1908.)
Auf Grund der von Bordet und Gengon gegebenen Beschreibung
eines Erregers des Keuchhustens hat Fr än kiel gleichfalls Untersuchungen
vorgenommen, die aber in eine Zeit fielen, in der wenige Keuchhustenfälle
vorkamen. Er konnte daher im Verlauf von 8 Monaten nur bei 8 Fällen
und zwar kurz nach Beginn der Erkrankung aus dem Sputum einen ziemlich
kleinen unbeweglichen, nach dem Gram’schen Verfahren nicht darstellbaren
Bazillus gewinnen, dessen gelbliche oder gelblichbraune Kulturen, die meist
nur eine zarte Schicht bildeten, nur auf einem mit Blut versetztem Nähr¬
boden wachsen. Die mit den Reinkulturen angestellten Tierversuche ergaben
bei Affen das ausgesprochene, Bild des Keuchhustens. Trotzdem möchte
Fränkel den Mikroorganismus nicht unbedingt als Erreger des Keuchhustens
6*
84
Referate und Besprechungen.
anspreehen. wozu ihm unter anderem auch der Befund des gleichen Bazillus
hei nicht keuchhustenkranken Kindern veranlaßt. Die von den französischen
Autoren berichtete Komplementablenkung des Blutserums konnte er in
5 Fällen nur einmal konstatieren. Auch die Prüfung der agglutinierenden
Eigenschaft des Krankenblutes und des Serums ergab unsichere Resultate.
Frankel hält daher zur Sicherstellung noch weitere Untersuchungen für
erforderlich. F. Walther.
Bakteriozidine in Perhydrasemilch.
(H. Much. Münch, med. Wochenschr., Nr. 8.)
Die Perhydrasemilch zeigt gegenüber Typhus-, Kolibazillen und Staphylo-
coccus aureus eine deutliche bakterizide Wirkung. Da durch Erhitzen diese
Wirkung aufgehoben wird, während Wasserstoffsuperoxyd einer Temperatur
von 60 und 100° standhält, da ferner in der Milch chemisch kein H202 nach¬
weisbar war, so handelt es sich nicht um eine Wirkung dieses Körpers,
sondern um die Konservierung bakterizider Stoffe in der Milch.
E. Oberndörffer.
Dechert beobachtete eine Epidemie akuter Enteritis unter Kindern
im letzten Winter, hervorgerufen durch den Genuß der Milch von Kühen,
die infolge Futtermangels mit Rotrüben- und Rotkrautblättern gefüttert wur¬
den. 1903 bemerkte er dasselbe infolge Fütterns von Rotrüben, die den ganzen
Sommer in Speichern aufbewahrt worden und in Gärung geraten waren.
(Les nouveaux remedes, Nr. 20, 1908.) v. Schnizer (Danzig).
Psychiatrie und Neurologie.
Tabes und Lues.
(Albert Schütze. Zeitschr. für klin. Med., Bd. 65, S. 397, 1908.)
Sch. stellte seine „experimentell-biologischen Untersuchungen“ während
19 Monaten an 100 Tabeskranken des Krankenhauses Moabit an. Sie beruhen
auf der diagnostischen Verwertung der Bor det-Gengou’schen Komplement¬
bindung in Form der Wassermann’schen Reaktion, die er unter den Sero-
Reaktionen allein für verläßlich hält. 71 mal wurde das Blutserum, 21 mal
die Lumbalflüssigkeit, 8 mal beide benützt, 69 mal (52 männl., 17 weibl.) posi¬
tive, 31 mal negative Reaktion gefunden. Nur deutliche Reaktion galt als
positiv. Bei 25 Männern und 10 Frauen, welche eine Infektion geleugnet
hatten, konnte in 7 bez. 4 Fällen positive Reaktion nachgewiesen werden.
Bei ungenügender antiluetischer Behandlung war im allgemeinen die Reak¬
tion häufiger, während bei verschiedenen, die eine richtige Kur durchge¬
macht hatten, die spezifischen Reaktionssubstanzen im Serum oder in der
Lumbalflüssigkeit fehlten. Immer muß man mit der Dosis des zu unter¬
suchenden Serums über den Punkt hinaus heruntergehen, wo normales Serum
die Hämolyse nicht mehr hemmt. Das Schema der von Sch. geübten Kontrolle
ist auf S. 403 verzeichnet. H. Vierordt (Tübingen).
Über Tabesbehandlung.
(H. S. Frenkel, Heiden. Newyorker med. Wochenschr., Nr. 1908.)
Die Tabes ist zwar an sich unheilbar, aber wegen der Verschiedenartig¬
keit der Form, in der sie auf treten kann, vielfach einer symptomatischen
Therapie zugänglich, je nach Sitz und Ausdehnung des Prozesses.
85
Referate und Besprechungen.
t
Es gibt neben der allgemeinen Tabes mit mehr oder weniger gleich¬
mäßiger Ausbildung aller Symptome sozusagen „monosymptomatische'!
Formen. So gibt es z. B. Kranke, die 10 — 25 Jahre lang nichts weiter zeigen
als von Zeit zu Zeit heftige Schmerzanfälle, deren Intensität ev. im umge¬
kehrten Verhältnis zu der Schwere des übrigen Zustandes steht. Diese Form
bedarf im obigen Sinne eigentlich keiner weiteren Behandlung als der der
Schmerzen.
Hier empfiehlt F. den Versuch, so lange wie möglich ohne Morphin
auszukommen. Bewährt hat sich ihm Pyramidon, das monatelang ohne
Schaden genommen wurde. Wenn aber die Schmerzen nach 2 mal 0,4, hinter¬
einander in einer Stunde gegeben, nicht aufgehört haben, so ist von dem Prä¬
parat nichts mehr zu erwarten.
Eine andere monosymptomatische Form ist die Tabes, die keine Be¬
schwerden macht außer der Ataxie der Beine. Diese ist am meisten einer
Besserung zugänglich. Selbst bei sehr schwerer und langdauernder Ataxie
mit Bettlägerigkeit kann u. U. eine genügend lange Behandlung (Minimum
6 Monate) vollkommen selbständiges Gehen und Stehen erzielen. Die Fren-
kel’sche Behandlung, die mit der so hochmodernen Heilgymnastik, die bei
den schonungsbedürftigen Tabikern nur schädlich wirken würde, nichts zu
tun hat, kann erfolgreich nur in besonderen Anstalten vor sich gehen und
nur praktisch, nicht theoretisch erlernt werden. Sie ist gleichzeitig auch
von gutem Erfolg bei der durch Erschlaffung der Bauchmuskulatur Bett¬
lägeriger mitbedingten Cystitis.
Von der ataktischen Form muß diejenige abgetrennt werden, die Geh¬
beschwerden durch Hypotonie der Muskeln verursacht. Bei ihr kann
die Ataxie sehr gering und keiner Behandlung bedürftig sein, vielmehr hat
hier der neurologische Orthopäde einzugreifen, der die Gelenke in die rich¬
tige Position bringen muß. Es gibt Fälle, deren ganze Störung auf der
Unterlassung rechtzeitigen Eingreifens beruht.
Hinsichtlich der A llgemeinbehan dlung hat Fr. nie Fälle gesehen,
bei denen die, besonders noch von Erb und Fournier empfohlene anti¬
luetische Therapie einen so eminenten Erfolg erzielte, daß man ihn auf sie
zurückführen müßte. Trotzalem rät er im Hinblick auf die günstigen Be¬
richte erfahrener Autoren zu einem vorsichtigen Versuch. In der Jodbehand¬
lung, wo er Jodnatrium empfiehlt, neigt man jetzt zu größeren Dosen. Von
Poehls Methode sah Fr. nichts, Mercks Keratin erwähnt er als neuerdings
von ernsthafter Seite empfohlen, der Elektrotherapie steht er skeptisch gegen¬
über.
In der Lebensweise ist am wichtigsten die Ruhe. Bäder und Bade¬
reisen, die an sich schon bei Tabes wenig Zweck haben, sollten nur dann
verordnet werden, wenn sie nicht mit Anstrengung verbunden sind. Wein¬
genuß ist sehr einzuschränken, Tabak ganz zu verbieten. Von allergrößter
Bedeutung ist regelmäßige Verdauung, Vermeidung von Autointoxikation
durch die bei Tabes oft in enormer Menge im Mastdarm angesammelten
Kotmassen. Esch.
Über einen Fall von syphilitischer Spinalparalyse.
(Renner. Deutsche Zeitschr. für Nervenheilk., Bd. 84, H. 5/6.)
Ein 36 jähriger Mann, der sich wahrscheinlich luetisch infiziert hat,
hat früher schon an Beinschmerzen gelitten. Im letzten halben Jahre seines
Lebens entwickelte sich ein Symptomcomplex, der einmal typisch tabisch war,
ferner (Babinski, spastische Paresen usw.) auf die Pyramidenbahn hinwies.
Die anatomische Untersuchung ergibt, wie es zu erwarten war, eine kom¬
binierte Systemerkrankung: Hinterstränge plus Pyramidenseitenstrangbahn,
diese Kombination bestand nur im Halsmark, im übrigen Rückenmark zeigt
sich nur die Py.-bahn befallen. H. Vogt.
86
Referate und Besprechungen.
Die Prinzipien der cerebralen Entlastung.
(J. G. Mumford, Boston. The St. Paul med. journ., Septbr. 1908).
Als Belege für die von ihm vertretene Ansicht, daß Operationen zur
Entlastung des Gehirns von einem vermehrten Druck auch dann oft zur Besse¬
rung oder Heilung verschiedener intrakranieller Störungen beitragen, wenn
durch sie die Dura nicht eröffnet oder überhaupt der lokale Herd getroffen
wird, berichtet M. über 3 von ihm operierte Fälle, die in der Tat! dafür
zu sprechen scheinen. Die Wirkung erklärt sich wahrscheinlich dadurch,
daß durch die Eröffnung des Schädels die Zirkulationsverhältnisse geändert
werden, nur muß die Öffnung groß genug sein. Ein oder anderthalb Zoll
genügen nicht. Das eine Mal handelte es sich um Jackson’sche Epilepsie,
das andere Mal um diffuse eitrige Leptomeningitis, das dritte Mal um eine
tiefe seelische Störung nach einem Trauma ohne deutliche Verletzung. Es
ist nicht richtig, bei Epilepsie von einem Erfolge erst dann zu sprechen, wenn
3—5 Jahre nach der Operation kein Anfall mehr auf getreten, schon 1 freies
Jahr ist ein erstrebenswertes Ziel, eine Oase. Der Epileptiker kam nicht
wegen seiner Epilepsie, sondern wegen eines schweren Brandschadens, den
er sich als Lokomotivheizer in einem Anfall zugezogen hatte, ins Hospital,
zwei Jahre vorher hatte er sich auf seiner Maschine den Kopf gestoßen und
war danach kurze Zeit bewußtlos geworden, so daß man annehmen konnte,
seine Epilepsie rühre von einer seit dieser Zeit allmählich fortgeschrittenen
Blutung her. M. beobachtete 2 Anfälle und operierte dann, indem er über
der linken Roland’schen Furche einen fast handtellergroßen Knochenlappen
bildete. Hach Eröffnung der Dura wölbte sich die Pia mit jener unregel¬
mäßigen Flüssigkeitsansammlung vor, die man uneigentlich eine Zyste nennt,
die Pia wurde an 3 oder 4 Stellen sanft eingerissen, die Flüssigkeit abge¬
lassen, die Dura reponiert, der Knochen von dem Lappen entfernt und die
Wunde drainiert. Der Kranke genas prompt und hat seit 2 Jahren( er
wurde Mai 1906 operiert) keinen Anfall mehr gehabt. In dem zweiten Fall
handelte es sich wie gesagt, um eine diffuse eitrige Leptomeningitis. Hier
läßt M. die Frage von dem Wert der Operation im allgemeinen selbst offen.
Ein 50 jähriger Mann war im September 1906 bewußtlos von der Polizei
auf gefunden worden, aus Hase und linkem Ohr kam ihm Blut, doch konnte
keine deutliche Kopfverletzung nachgewiesen werden. Lähmungserscheinungen
fehlten, auch waren die Reflexe normal. Die Diagnose wurde auf Basis¬
fraktur gestellt. Hach 2 Tagen bekam der Kranke das Bewußtsein wieder,
blieb aber schläfrig und mürrisch. Der Puls stieg an, der Kopfschmerz nahm
zu und gelegentlich stellten sich Delirien ein — Zeichen eines allgemeinen
intrakraniellen Drucks. Schließlich wurde der Kranke zyanotisch und schien
bereits moribund, als sich M. gemeinschaftlich mit Dr. Baldwin trotzdem
und ungeachtet der schlechten Aussichten zur Operation entschloß. Als nach
weiter Eröffnung des Schädeldachs ein breiter Duralappen zurückgeschlagen
wurde, erfolgte ein Guß von wolkigem Serum, worauf sich eine stark injizierte
Pia zeigte. Das Gehirn war stark ödematös. Da sich kein Herd zeigte,
wurde die Operation abgebrochen, Knochen- und Duralappen entfernt und
nur der Weichteilslappen wieder zurückgeschlagen. Der subdurale Raum
wurde reichlich drainiert. 3 Wochen lang entleerte sich eine reichliche sero¬
purulente Flüssigkeit, es bildete sich eine Zerebralhernie, dann schloß sich
die Wunde, und einem Monat nach der Operation befand sich der Kranke
wohl, blieb aber konfus, kam in eine Anstalt und war schließlich nach
4 Monaten wieder normal, so daß er die letzten 18 Monate wieder als Granit¬
schneider gearbeitet hat. M. meint, dies Resultat würde wohl nicht erreicht
worden sein, wenn man durch eine kleine Trepanationsöffnung drainiert
hätte. Der dritte und letzte Fall war etwas verwickelter. Juni 1907 war
ein 60 jähriger Mann mit einem 40 Fuß hohen Gerüst umgefallen und be¬
wußtlos aufgefunden. Die Bewußtlosigkeit dauerte 5 Tage, eine Kopfver¬
letzung konnte jedoch nicht gefunden werden, so daß man eine schwere
Gehirnerschütterung annahm. Hach Hause entlassen, hatte er keine Erinnerung
Referate und Besprechungen.
87
an seinen Aufenthalt im Krankenhause, bald aber stellte sich heftiger Kopf¬
schmerz, Taubheit im linken Arm und Bein, Harninkontinenz, Ungleichheit
der Pupillen, linksseitige Parese usw. ein. Trotzdem erholte er sich fast
vollständig wieder, zog aber noch immer das linke Bein nach, so daß er
mehrfach Nervenkliniken aufsuchte, wo man an traumatische Neurose dachte
und ihn vertröstete. Schließlich stellten sich Symptome bei ihm ein, die
M. an Jackson- Epilepsie denken ließen, das Befinden des Kranken ver¬
schlechterte sich zusehends, so daß er selbst und seine Frau darauf drängte,
operiert zu werden. Bei der Operation (über dem rechten Roland’schen Be¬
zirk) fand M. nichts als eine etwas verdickte Pia und eine etwas vermehrte
Arachnoidalflüssigkeit, die vielleicht den Hirndruck etwas erhöht hatte. Der
Mann machte eine durch eine postoperative Blutung unterbrochene Rekonvales¬
zenz durch, genas dann aber nicht nur vollständig, sondern bekam auch sein
Gedächtnis wieder, so daß er seinen Unfall, dessen er sich vorher nicht er¬
innert hatte, ausführlich schildern konnte. Peltzer.
Das Wesen der Myasthenie und die Bedeutung der „hellen“ Muskelfasern
für die menschliche Pathologie.
(A. Knoblauch. Frankf. Zeitschr. f. Path., Bd. 2, H. 1, S. 57, 1908.)
Die Untersuchungen ergaben A. von Tatsächlichem:
1. Von den beiden, dem Physiologen durch das Tierexperiment längst
bekannten Arten der quergestreiften Fasern reagieren die flinken Fasern bei
f arabischer Reizung prompt, ermüden aber schnell; die trägen Fasern reagieren
langsam aber ausdauernd, ohne in erkennbarer Weise zu ermüden. Im flinken
Muskel ist selbst bei geringer er Arbeitsleistung mehr Milchsäure nachzu¬
weisen als im trägen Muskel. Beide Faserarten finden sich in der ganzen
Tierreihe und zwar verlaufen sie bald innig miteinander gemischt in demselben
Muskel, bald zu geschlossenen Bündeln vereint. Im letzteren Falle sind
die flinken (hellen) Muskeln, wenigstens bei den Säugetieren und Vögeln-, ge¬
wöhnlich schon für das bloße Auge durch ihre hellere Farbe von den trägen
(roten) Muskeln zu unterscheiden.
Auch in der quergestreiften Muskulatur des Menschen sind beide Fasern
nachgewiesen.
Dem Verhalten der flinken (hellen) Muskeln gegenüber faradischer
Reizung entspricht das Verhalten der Muskulatur bei Myastheniekranken.
Die myasthenische Reaktion ist im wesentlichen die Reaktion des flinken
Muskels. Die gleiche schnell eintretende Erschöpfbarkeit wie bei faradischer
Reizung zeigt die Muskulatur der Myastheniekranken auch bei willkürlichen
und reflektorischen Bewegungen. In einem Falle von Myasthenie ist im
Blute und Harne Milchsäure nachgewiesen worjden.
2. Pathologisch-anatomisch stellt sich die Myasthenie dar als eine chro¬
nisch degenerative (atrophierende) Myositis, wobei die Erscheinungen der
Entzündung, deren chronischer Charakter in dem Überwiegen der Lympho¬
zyten über die Leukozyten zum Ausdrucke kommt, zurücktreten. Die My¬
asthenie ist außerdem durch den auffälligen Befund des Überwiegens der
„hellen Muskelfasern“ gekennzeichnet.
3. In zahlreichen Fällen von Myasthenie wurden gleichzeitig Geschwülste
und angeborene Mißbildungen beobachtet. .
Daraus ergeben sich die Folgerungen :
B. 1. Die seitherigen Anschauungen über das Wesen und die Pathogenese
der Myasthenie, einschließlich der von Weigert vertretenen, sind nicht aus¬
reichend zur Erklärung der weitgehenden Übereinstimmung, die im Verhalten
der flinken (hellen) Muskelfasern und der Muskulatur bei Myasthenikern
gegenüber der faradischen Reizung herrscht, und noch weniger zur Erklärung
der bei der Myasthenie erhobenen pathologisch-anatomischen Muskelbefülkle,
besonders des Überwiegens der „hellen Fasern“.
88
Referate und Besprechungen.
* 2. Auch die bei der Myasthenie nachgewiesene chronische Entzündung
der Muskulatur ist zu geringfügig, als daß sie allein die schweren klinischen
Erscheinungen des Leidens in befriedigender Weise erklären könnte. Sie ist
vielmehr lediglich als Sekundärerscheinung aufzufassen.
3. Nimmt man dagegen das tatsächliche Vorhandensein der in einigen
Fällen( Arnold, Osann), besonders ausgesprochenen und allgemein verbrei¬
teten, in den übrigen Myastheniefällen wahrscheinlich abnorm ausgedehnten
„hellen Muskulatur“ zum Ausgangspunkte der Erklärung der Pathogenese
des Leidens, so ergeben sich die unter A 1 und 2 aufgeführten Tatsachen
und alle klinischen Erscheinungen der Myasthenie als natürliche Konsequenzen.
Als Ursache der chronischen degenerativen Myositis liegt es am nächsten
die dauernde Übermüdung in Anspruch zu nehmen, in der sich die helle Mus¬
kulatur ständig befindet, wenn sie — wie es bei der Myasthenie der Fall
zu sein scheint — in ihrer Tätigkeit nicht durch die ausdauernd arbeitende
rote Muskulatur unterstützt wird. Es kann dabei dahingestellt bleiben, ob die
beobachtete entzündliche Infiltration eine Begleiterscheinung des Krankheits¬
prozesses der „hellen Fasern“ ist, wie es nach den Experimenten Knoll’s und
Hauers den Anschein hat, oder ob sie auf chemotaktischem Wege durch die
Anwesenheit von Ermüdungstoxinen im Blute oder in der Lymphe der Kranken
bedingt wird.
Daß die Krankheitserscheinungen der Myasthenie erst relativ spät, zu
Ende des zweiten Lebens Jahrzehntes oder noch später, manifest werden, ist
nicht auffällig; es entspricht vielmehr der allmählich eintretenden Summation
der Schädigungen — Überanstrengung, Selbstvergiftung der überangestrengten
hellen Muskeln — und der dadurch bedingten allmählich eintretenden Zunahme
der atrophierenden und atrophischen Fasern.
4. Dao auffällige Überwiegen der hellen Fasern in Fällen von Myasthenie
und das entwicklungsgeschichtliche Verhalten der quergestreiften Muskulatur
führt zu der Folgerung, daß der Myasthenie als letzte Ursache eine Entwick¬
lungshemmung oder -anomalie der quergestreiften Muskulatur zugrunde liegt.
Mit Mieser Annahme steht das häufige Zusammentreffen des Leidens mit Ge¬
schwülsten der heterogensten Art in den verschiedensten Organen des Körpers
und mit den mannigfachsten kongenitalen Entwicklungsanomalien und Mi߬
bildungen in vollem Einklänge.
Diese Auffassung der Myasthenie erscheint wesentlich befriedigender
als die zahlreichen gegenwärtigen Erklärungsversuche der Krankheit.
C. Der auffällige Gegensatz, in dem die klinischen Erscheinungen der
Thomsen’schen Krankheit zu denen der Myasthenie stehen, findet eine be¬
friedigende Erklärung in der Annahme, daß bei der Thomsen’schen Krankheit
die Zahl der hellen Muskelfasern in pathologischer Weise vermindert ist.
W. Risel-Zwickau.
Die Migräne eine periodische Neuralgie des Halssympathicus.
(Hartenberg, 18. französischer Neurologen-Kongreß, Dijon 3. — 10. August 1908.
Bull, med., S. 755, 1908.)
Nach Hartenberg handelt es sich bei der Migräne in letzter Linie
nicht um einen Krampf der Vasokonstriktoren, sondern um eine Irritation
des Sympathikus, welche ihrerseits erst sekundär zu den spastischen bzw.
paralytischen Symptomen führt. Die Irritation kann gering sein; daher
kommt es, daß viele Vasokonstriktionen ohne Schmerzen verlaufen. Die
Schmerzhaftigkeit hat eben ihren Sitz mehr zentral, nicht in den Gefä߬
wänden.
; Die Ursachen der Irritationen sind vielerlei, aber zumeist dunkel;
nur in den Fällen, wo der Halssympathikus in Muskelschwielen eingebettet
liegt und wo durch deren Beseitigung (durch Massage, Wärme, konstanten
Strom) die Migräne geheilt wird, ist der Zusammenhang der Dinge durch¬
sichtig. Buttersack (Berlin).
Referate und Besprechungen.
89
Balkenstich bei Hydrocephalien, Tumoren und bei Epilepsie.
(Prof. Anton u. Prof. v. Bramann, Halle a/S. Münch. med. Wochenschr., Nr. 32, 1908.)
Für die vermehrte Flüssigkeitsansammlung in den Gehirnhöhlen ist
einmal die Verlegung der Abfuhrwege des Liquor cerebralis verantwortlich
zu machen, die sowohl bei Tumoren wie bei Entzündungen der Hirnhäute
eintreten kann. Ein weiterer Grund ist in der Vermehrung der Gehirnflüs¬
sigkeit zu suchen. Diese kann eine Folge z. B. einer flottierenden Cysticercus,
oder eine toxische oder infektiöse Entzündung der Höhlenwandungen und
endlich , auch einer aktiven drüsenähnlichen Funktion des Ependyms sein.
Um nun die durch alle diese Ursachen herbeigeführten gestörten örtlichen
Druckverhältnisse auszugleichen, muß eine freie Kommunikation der Ventrikel¬
flüssigkeit mit dem Subduralraum des Gehirns und Rückenmarks geschaffen
werden. Dies sucht Bramann durch Eröffnung des Balkens zu erreichen.
Seitlich der Sagittalnaht wird eine Trepanationsöffnung oder ein größeres
Bohrloch angelegt und von da aus mit einem stumpfen Instrument in den
Stirnhirnteil in der Gegend der Querebene der präzentralen Furche einge¬
stochen und die Öffnung dann noch erweitert. An der Hand von 5 Fällen
erörtert er eingehendst seine Erfahrungen und empfiehlt die Operation bei
verschiedenen Erkrankungen und zwar 1. beim Hydrocephalus, ferner bei
Tumoren mit Hydrocephalus und Stauungsneuritis, sowie bei Hypertrophie des
Gehirns, welche Erkrankung ziemlich häufig bei Epileptikern gefunden wird,
und endlich bei den unter dem Namen Pseudotumor zusammengefaßten Gehirn¬
erkrankungen mit Raumbeengung. F. Walther.
Allgemeines.
Aus der amerikanischen periodischen medizinischen Literatur.
Enter dieser Überschrift beabsichtigen wir, in Zukunft monatlich eine
kurze Übersicht des Inhalts der amerikanischen periodischen medizinischen
Literatur zu geben, soweit sie uns vorliegt, um auf diese Weise einerseits
darüber im allgemeinen zu orientieren und somit zur Kenntnis der ameri¬
kanischen Medizin überhaupt beizutragen andererseits denjenigen, welche sich
für die eine oder andere Erscheinung in dieser Literatur interessieren, die
Quelle anzugeben. Durch die bisherigen Einzelreferate war dies nicht möglich.
Über einzelne Artikel von allgemeinerem Interesse auch ferner etwas aus¬
führlichere Spezialreferate zu liefern, behalten wir uns vor.
Für diesmal ist folgendes vorauszuschicken: die uns regelmäßig zu¬
gehende amerikanische medizinische Literatur umfaßt 3, monatlich erscheinen¬
den Journale: the St. Paul medical journal, herausgegeben und verlegt von
der Ramseycounty medical sosiety in St. Paul, Minnesota (Abonnementspreis
nicht angegeben), ferner the Post-Graduate, Herausgeber Dr. Henry T. Brooks,
Mitherausgeber Dr. J. Homes Co ff in und W. Ludwig Käst, New-York.
Preis jährlich 1 Dollar. (In New-York besteht eine Post-Graduate school und
ein gleichnamiges Hospital. Post-Graduate = ein bereits Graduierter, Post-
Graduate school also = Fortbildungsschule in unserem Sinne). Das dritte,
umfangreichste Journal ist the american journal of the medical Sciences,
Herausgeber Dr. A. 0. J. Kelly, New-York, Verlag von Lea u. Febiger,
Philadelphia und New-York, Preis jährlich 5 Dollar. Alle 3 Journale er¬
scheinen in Buchform und bringen außer Originalarbeiten unter den Be¬
sprechungen und Auszügen, besonders auch viele deutsche. Sie erscheinen nicht
alle zu gleicher Zeit. Wir erwähnen:
1. Aus dem Inhalt des St. Paul med. journ. Oktober 1908 : Diagnose
und Behandlung der Steinkrankheit von Arthur Dean Bevan, Chikago. —
Ein Fall von Lebersyphilis mit besonderer Berücksichtigung der Diagnose
von M. M. Ghent, St. Paul. — Prüfung der Nierenfunktion von Warren
A. Dennis, St. Paul. — Mehr Schmerzersparnis bei Schwangeren! Von Fre-
derik Leawitt, Prof der Geburtshilfe an der Universität von Minnesota,
90 Referate und Besprechungen.
St. Paul. — Der Schok und seine Behandlung. Von C. S. Bigelow, Dodge
Center, Minn. *
2. Aus dem Post-Graduate, September 1908 : Pylorusstenose. Von Robert
Bur t in Basley, Prof, an der Post-Graduate school, New-York. — Ein
Pall von Ruptur ektopischer Schwangerschaft. Von Thompson T. Sweeney,
Lehrer fürFrauenkrankheiten ebenda. — Ein Fall von Blasenscheidenfistel
mit Komplikationen von Jam eis N. West, Prof, der Frauenkrankheiten eben¬
da. — Eine neue Methode, in hoffnungslosen Fällen von Harninkontinenz
Hilfe zu bringen. Von W. G. Eckstein (Spezialreferat) — Influenza
und ihre Beziehung zum Ohr. Von Thomas J. Karris, Adjunkt-Professor
der Augen- und Ohrenkrankheiten, ebenda.
3. Aus dem Journ. of the med. Sciences. Eine klinische Studie über
einige Herzarythmien. Von Walter S. James, Prof, der Medizin an dem
College für Ärzte und Wundärzte, Kolumbia-Universität, New-York. — Sub-
temporale Druckentlastung in einem Fall von chronischer Nephritis mit Urä¬
mie mit besonderer Berücksichtigung der neuroretinalen Läsion. Von Harvey
Cushing und James Bordley, Baltimore. Mit Illustrationen. — Physi¬
kalische Therapie. Von Tait Mc Ke'nzie, Prof, der physikalischen Erziehung
an der Pennsylvania-Universität, Philadelphia. — Der gegenwärtige Stand
der Serum- und Vaccinetherapie. Von Dr. Mark Wyman Richardson,
Boston. — Das Paravertebral-Dämpfungsdreieck (Groccos Zeichen) in der
Schwangerschaft. Von Dr. Frank Smithless, Lehrer der inneren Medizin
und Demonstrator an der Michigan-Universität, Ann Arbor, Mich. Mit Zeich¬
nungen. — Der Einfluß der Überzivilisation auf die Mutterschaft. Von Frank¬
lin S. Newell, Assistent-Professor der Geburtshilfe und Gynäkologie an der
medizinischen Harvard-Schule, Boston. — Die relative Schwere der verschie¬
denen Formen der Schwangerschafts-Toxämie und ihr Einfluß auf die Be¬
handlung. Von Dr. Co 11 in Soulkrod, Assistent-Geburtshelfer am Presbyter
Hospital in Pheladelphia, Lehrer. — Vorkommen und Bedeutung negativer
Resultate in Blutkulturstudien. Von Dr. E. Libman, Pathologe usw. am
Sinai-Hospital, New-York. — Die Pupille in Allgemeinkrankheiten von Dr.
Edward Jackson, Prof, der Ophthalmologie an der Colorado-Universität,
Denver. — Raynaud’s Krankheit, Erythromelalgie und verwandte Zu¬
stände in Beziehung zu Gefäßerkrankungen. Von Dr. B. Sachs, Nerven¬
arzt usw. am Bellevue-Hospital, New-York. — Thrombo-Angiitis obliterans.
Von Dr. Leo Buerger, Chirurg und chirurg. Pathologe am Mount Sinai-
Hospital, New-York, Mit Zeichnungen. — - Prolongierter Gebrauch und toxische
Wirkung des Sulfonals. Von Dr. James E, Talley, Direktor des klinischen
Laboratoriums des Presbyter-Hospitals, Philadelphia (Spezialreferat).
Soweit es der Raum gestattet, soll künftig der Inhalt etwas mehr skizziert
werden. Peltzer.
Zur Psychologie der Kurpfuscherei.
Allenthalben wird mit großer Energie der Kampf gegen die Kur¬
pfuscher, Charlatans und wie sie alle heißen mögen, geführt, ein Kampf
der Wissenschaftlichkeit gegen Unwissenheit und deren gewissenlose Aus¬
beutung. Über die Berechtigung dieses Kampfes ist natürlich kein Wort
zu verlieren ; aber wenn man immer wieder liest, wie leidlich gescheidte
Leute und normale Repräsentanten der Kultur des 20. Jahrhunderts immer
wieder den Pfuschern — und oft gänzlich unzweideutigen — ins Garn
laufen, drängt sich doch die Frage nach der psychologischen Erklärung
eines solchen Verhaltens auf. Man sagt oft, die Klientel der Pfuscher
setze sich aus den von der offiziellen Medizin Aufgegebenen zusammen.
Für einen Teil trifft das sicher nicht zu; denn wie viele an sich relativ
leicht heilbare Leiden unter den Händen der Kurpfuscher unheilbar ge¬
worden sind, ist ja hinreichend bekannt, und dann sind auch Fälle berichtet
worden, in denen die Patienten eine erfolgreiche Kur abgebrochen haben,
Referate und Besprechungen.
91
um sich einem Pfuscher anzuvertrauen. Und sollten schließlich die Mi߬
erfolge und Gesundheitsschädigungen durch die Charlatans gänzlich im Ver¬
borgenen sich abspielen ?
Eine kurze Notiz im Progres medical vom 3. Oktober 1908 Nr. 40 S. 485
verdient da Beachtung. Der Verfasser vergleicht unsere Kurpfuscher mit
den Medizin-Männern aus dem Süden, und hält die Neigung, solche Personen
aufzusuchen, für einen Atavismus (un instinct ancestral). Die Zivilisation
habe noch nicht alle Barbarei in uns ausgerottet: Die Somnambulen, Zauberer,
Kartenleger usw. üben noch heute ihren geheimnisvollen Reiz: aus, so gut
wie in den Zeiten der primitiven Kultur, als Kultlieder, Zaubersprüche,
Amulette und Talismane ihre Rolle spielten. ,, Vermöge der dauernden Macht
der Motive, die auch den Zauberglauben nie aussterben lassen, reichen sich
uralte Vergangenheit und Gegenwart die Hände.“ • ( W u n d t , Völkerpsycho¬
logie II, 1/1905, S. 316.) Wir wollen uns also hüten, alle Zeitgenossen auf
derselben Kulturstufe zu wähnen, sondern die enormen Unterschiede zwischen
den einzelnen — gleichmäßig als homines sapientes eingetragenen und mit
den gleichen bürgerlichen Rechten und Pflichten ausgestatteten Menschen im
Auge behalten. Wir sind dann vielleicht eher geneigt, die Kurpfuscher
und ihre Opfer nach dem Satze: ,,q.ue comprendre, c’est pardonner“ zu
beurteilen und in ihnen weniger eine ernstliche Gefahr für die Weiter¬
entwicklung, als vielmehr eine durch die fortschreitende Zivilisation von
selbst erlöschende atavistische geistige Entgleisung sehen.
Buttersack (Berlin).
Eine neue Methode der Anfertigung frischer mikroskopischer Präparate.
(Ugo Biffi, Bullettino delle scienze med. Bd. 8, 1908).
Biffi schlägt vor, zur Betrachtung frischer Präparate die Einbettung
in Vaselinöl zu benutzen. Zur Betrachtung frischen Blutes breitet man
dieses wie gewöhnlich auf^ einem Deckgläschen (durch Abziehen auf einem
anderen) aus und bringt dasselbe auf einen Objektträger, auf dem man einen
Tropfen Vaselinöl sich hat ausbreiten lassen. Die Präparate sind damit
zur Betrachtung fertig und können ohne weiteres mehrere Tage lang auf¬
gehoben werden. Will man das Blut frisch färben, so breitet man den Farb¬
stoff in dünner Schicht auf dem Deckgläschen aus, so daß bei dem raschen
Verdunsten ein feiner Farbenschein auf ihm bleibt; der Blutstropfen wird
dann wie oben zwischen zwei gefärbten Deckgläschen ausgebreitet und wie
oben in Vaselinöl eingelegt. Sudan III und Scharlachrot, die in Fetten
löslich sind, eignen sich hierfür nicht ; am besten verwendet man Boraxblau.
Um jodophile Zellen zu färben, verwendet man Vaselinöl mit einem Tropfen
konzentrierter Jodlösung; doch muß die weitere Untersuchung zeigen, ob
die Methode hier Vorteile bietet. Sehr schöne Leukozytenpräparate erhält
man, wenn man die Einwirkung von Boraxniethylenblau mit der des Jod
kombiniert. Man wendet erst die gewöhnliche oben beschriebene vitale Färbung
an, betrachtet das Präparat, löst dann das Deckgläschen aus dem Vaselinöl
und bringt es auf einen anderen mit Jodvaselinöl beschickten Objektträger.
Die so entstehenden Präparate eignen sich besonders gut für Mikrophotogra¬
phien; sie halten sich aber nur einige Stunden. Auch getrocknete, nicht
fixierte Blutpräparate lassen sich gut in Jodvaselinöl betrachten. Die Vase-
linölmethode eignet sich für alle diejenigen Substanzen, die man frisch be¬
sehen will, und die sich in dünner Schicht auf dem Deckgläschen ausbreiten
lassen, auch zur Betrachtung von Bakterien. Die Methode bietet vor dem
hängenden Tropfen manche Vorteile. Für alle Präparate muß natürlich
das Vaselinöl (Paraffinöl, flüssiges Vaselin) völlig farblos, durchsichtig und
neutral sein. M. Kaufmann.
92
Bücherschau.
Azetylen-Beleuchtung.
(Die Herausgeber in the St. Paul med. journ., Nr. 10, S. 584, 1908.)
Wer bei künstlicher Beleuchtung operiert, ist oft durch die Veränderung
überrascht, die das Aussehen der Gewebe durch Gas- oder elektrisches Licht
erleidet. Eine künstliche Beleuchtung, die der durch Sonnenlicht gleichkommt,
gibt es bis jetzt nicht, Gaslicht hat einen Überschuß an Rot und Gelb, der
Welsh ach’sche Brenner an Grün, das Bogenlicht an Violett, das Weißglüh¬
licht an Orange und Rot, wodurch Täuschungen hervorgerufen werden können.
So kann z. B. ein bei Gaslicht untersuchtes Gewebe röter erscheinen als es
in Wirklichkeit ist und so die Diagnose des Operateurs irreleiten. Dem
Tageslicht fast gleich kommt die Azetylenbeleuchtung, sie sollte daher die
Idealbeleuchtung bei Operationen in der Nacht sein. Transportable Azetylen¬
lampen sind bereits zahlreich in New-Yorber und Philadelphiaer Kranken¬
häusern in Gebrauch. Nachteile sind der schlechte Geruch und die Gefähr¬
lichkeit des Gases, die moderne Technik hat jedoch auch diese bereits über¬
wunden. Im Vergleich mit Gas und Elektrizität ist es auch ökonomisch
und empfiehlt sich daher auch für allgemeine Beleuchtungszwecke. (Ref.
fügt hinzu, daß in der preußischen Armee für den Dienst bei den Kranken¬
trägerkompagnien neuerdings Azetylenbeleuchtung eingeführt ist.) Peltzer.
Henry Gray, der Anatom.
(Frank K. Bol and, M. D, Atlanta, Georgia, The americ. journ. of the med. scienc.,
S. 429, September 1908.)
Eür diejenigen, welche sich mit Geschichte der Medizin beschäftigen,
wird es von Interesse sein, zu erfahren, daß Dr. Bolan,d den Spuren eines
Anatomen nachgegangen ist, von dem man bisher nicht viel mehr wußte als
seinen Geburts- und Todestag, sowie die Tatsache, daß er Engländer war
und ein Handbuch der Anatomie geschrieben hat, obgleich, wie B. sagt,
Studenten und Ärzte ihn ein halbes Jahrhundert lang für einen der be¬
deutendsten Anatomen seiner Zeit gehalten haben. Es ist dies der 1827
in London geborene, 1861 im Alter von 44 Jahren an Pocken gestorbene
Henry Gray. Zu den Nachforschungen über ihn veranlaßt wurde B.
durch die Lektüre eines kleinen 1905 geschriebenen Buches von G. W. H.
Klemper, betitelt „Die Anatomen der Welt“, welches nur die oben erwähnte
kurze Notiz enthielt. Die jetzt reichlicher fließende geschichtliche Quelle-
(beigegeben ist ihr ein Porträt) findet sich, wie gesagt, an der in der Über¬
schrift näher bezeichneten Stelle. Peltzer.
Bücherschau.
Bestimmungen über die Zulassung zur ärztlichen Praxis im Auslande.
Von J. Schwalbe. 2. verm. Aufl. Leipzig, G. Thieme, 1908. 204 S.
Preis 3,50 Mk.
Früher wären die meisten Länder froh gewesen, deutsche Ärzte im
Lande zu haben; heutzutage drängt sich allerwärts die Jugend zu den
Tempeln des Hippokrates, und die Staaten sehen sich gezwungen, ihre Landes¬
kinder durch Schutzmaßregeln gegen fremde Konkurrenz zu schützen. Für
denjenigen jungen Doktor, der sein Glück in der weiten Welt versuchen
will, ist das vorliegende Buch vom höchsten Wert. Eis orientiert ihn kurz
und präzis über die Punkte, die in solchen Fällen zunächst von Wichtigkeit
sind: Klima, Verhältnisse der Praxis, evtl. Bedarf oder Überfluß an Ärzten,
Preise, Sprache usw. Sonderlich . ermutigend zum Auswandern ist das Er¬
gebnis freilich nicht.
Gänzlich freigegeben ist die ärztliche Praxis in Abessinien, Alaska,
Australien, Bermuda-Inseln, Britisch-Indien, Ceylon, Britisch-Neuguinea, China,
Ealkland, Island, Freundschaftsinseln, Kolumbien, Korea, Labrador, Liberia,
Persien, Samos, Siam, Southern-Nigeria, West-Indian-Islands, Zanzibar.
Bücherschau.
93
Unser deutsches Staatsexamen genügt für Ägypten, Bahama-Inseln, Bar¬
bados, Bolivia, Griechenland, Hongkong, Marokko, Missouri, Montenegro, Neu-
Südwales, Neuhampsire, Neu-Mexiko, Seychellen, Spanien, Tasmanien, Tunis,
Wiskonsin.
Die andern Staaten verlangen mehr oder weniger komplizierte Examina
in der Landessprache, bei denen der Erfolg vielleicht nicht einmal aus¬
schließlich von den Fähigkeiten des Prüflings abhängt.
Bulgarien und Serbien schließen prinzipiell alle Ausländer von der
ärztlichen Praxis aus ; es dürfte aber nur wenige europäisch gebildete Ärzte
in jene Länder ziehen. Buttersack (Berlin).
Der Aderlaß und die blutentziehenden Mittel bei Herzkrankheiten.
Von E. Hornberger. Berlin, FischePs med. Buchhandlung, 1908. 8°.
19 S. Preis 60 Pfg. (Berl. Klinik, Heft 248.)
Hornberger bespricht im Lichte der ,, neuen Kreislauftheorie“, welche
auf S. 845 Jahrgang 1908 der „Fortschritte“ erörtert ist, die Wirkung des
den Blutdruck herabsetzenden Aderlasses, ohne freiPch zu einem abschließenden
Urteil zu gelangen. „Man muß erst genau die Kräfte kennen, die bei der
Blutbewegung beteiligt sind, um zu einem Verständnis über Aderlaß und
die blutentziehenden und sog. ableitenden Mittel zu kommen“ sagt er u. a.
in den „zusammenfassenden“ Schlußworten. Die therapeutische Bedeutung
der Bier’schen Stauung wird öfters hervorgehoben. Jedenfalls tut der Ver¬
fasser gut daran, auf den Aderlaß als gelegentliches wertvolles Heilmittel
wieder einmal aufmerksam zu machen. H. Vierordt (Tübingen).
Lehrbuch der Hebammenkunst. Von Bernhard Sigismund Schnitze.
Verlag von W. Engelmann, Leipzig, 1908. 14. verb. Aufl. Geh. 7 Mk.
Sch. ’s wohlbekanntes und weit verbreitetes Lehrbuch der Hebammen¬
kunst ist in 14. Auflage erschienen. Gegenüber der vorhergehenden Auflage,
welche mannigfache Verbesserungen und neu auf genommene Kapitel ent¬
hielt, sind in der neusten Auflage, abgesehen von einigen neuen, z. T. dem
Bumm’schen Grundriß entnommenen Abbildungen keine wesentlichen Ver¬
änderungen vorgenommen worden. Eine besondere Empfehlung des Buches
erübrigt sich. R. Klien (Leipzig).
Zeitschrift für gynäkologische Urologie. Herausgegeben von Prof. Dr.
W. Stoeckel. Verlag von Job. Ambrosius Barth in Leipzig.
Die Urologie ist für den modernen Gynäkologen unentbehrlich. Es
ist aber auch für die Urologie die Mitarbeit des Gynäkologen notwendig.
Tatsächlich wird auch auf diesem Gebiete viel und mit Erfolg gearbeitet.
Leider waren aber bisher die diesbezüglichen Arbeiten in allen möglichen
Zeitschriften zerstreut, so daß es selbst für den Spezialisten nicht leicht
war, sich stets auf dem Laufenden zu erhalten. Es entspricht daher geradezu
einem Bedürfnis, daß ein Zentralorgan für die urologische Tätigkeit des
Gynäkologen geschaffen worden ist. Die Namen des Herausgebers sowohl wie
des Verlegers bürgen für gediegenen Inhalt. Die Arbeiten des ersten Heftes
sind bereits in diesen Blättern besprochen. Die neue Zeitschrift erscheint
in zwanglosen Bänden zu je 6 Heften. Preis pro Band 10 Mark. Außer
Originalarbeiten werden auch Sammelreferate geboten werden.
R. Klien (Leipzig).
Was ist Hysterie? Eine nosologische Betrachtung von Dr. Armin
Stey erthäl. Verlag Carl Marhold, Halle a/S. Preis 1,80 M.
In diesem von großer Belesenheit und sehr kritischem Denken zeugen¬
den Buche geht der Verfasser gegen den Begriff Hysterie als selbständige
Krankheit vor. Er sieht in derselben lediglich einen Komplex von Erschöp¬
fungssymptomen und weist, was man im allgemeinen mit Hysterie bezeichnet,
teils der angeborenen Entartung und dem Schwachsinn, teils der erworbenen
Nervenerschöpfung zu.
94
Bücherschau.
Sehr lesenswert ist der zu Beginn der Schrift gegebene historische
Überblick, in dem sich dier Verfasser sowohl mit den alten Meistern von
Hippokrates an auseinandersetzt, wie auch die jetzt geltenden Anschauungen
von C har cot und Möbius kritisch beleuchtet. Er berührt dann auch das
Gebiet der zu so großer Bedeutung gelangten traumatischen Nervenleiden
und verlangt ein Aufgeben der seiner Ansicht nach künstlichen Dreiteilung
der Erschöpfungsneurose in Neurasthenie, Hysterie und Hystero-Neurasthenie.
Auch die hysterischen Stigmata sind nach Steyerthal’s Ausführungen,
wie er im einzelnen darlegt, nichts weiter als Erschöpfungssymptome. Das
gleiche gilt für den hysterischen Paroxysmus. Die angehäuften Unlustgefühle
im Seelenleben eines Menschen werden zu Spannkräften, die schließlich bei
einem gewissen Erschöpfungzustande jede Hemmung durchbrechen und sich
dann in furibunder Expansion Luft machen. Auf weitere Einzelheiten kann
hier nicht eingegangen werden, jeder der Interesse für das so vielgestaltige
Krankheitsbild der Hysterie hat, wird mit großem Nutzen das kleine "Werk
von Steyerthal lesen, wenn er ihm vielleicht auch nicht in allem beipflichten
kann. B.
Zur Psychologie und Therapie neurotischer Symptome. Von Arthur
Muthmann. Eine Studie auf Grund der Neurosenlehre FreucPs. Halle a/8.,
Carl Marliold, 1907.
Die guten therapeutischen Erfolge, welche der Verf. bei Hysterischen
mit der psychoanalytischen Methode Freüd’s erzielt hat, veranlassen
ihn, seine Erfahrungen zu veröffentlichen. Er gibt zunächst eine Darstel¬
lung der Freud’schen Auffassung von den großen Neurosen und belegt
alsdann seine Erfolge durch drei nach dem Verfahren geheilte Fälle.
Freud’s Lehre von der Hysterie ist heute wohl bereits über die Spezial¬
kreise der Neurologen und Psychiater hinausgedrungen : sie braucht daher
hier nur mit einigen Worten angedeutet zu werden. Freud betrachtet —
das ist das Wesentlichste seiner Auffassung — die großen Neurosen lediglich
unter dem Gesichtswinkel der Sexualität. ,,Bei normaler Vita sexualis
ist eine Neurose unmöglich.“ In keinem Falle von Hysterie wird ein sexuellem
Trauma vermißt. Wird die peinliche Erinnerung an das Erlebnis nicht ge¬
nügend abgestoßen — abreagiert — so versinkt sie im Bewußtsein und wirkt
dort — unbewußt — gewissermaßen als lästiger Fremdkörper. Die im Ver¬
borgenen wühlenden Reize dokumentieren sich nach außen als hysterische
Beschwerden. Die Hysterischen leiden also an Reminiszenzen.
Gelingt es — mit oder ohne Hypnose — die versunkenen Erinnerungen in das
Wachbewußtsein zurückzuführen, so können sie jetzt noch nachträglich ab¬
reagiert werden und die Kranke ist geheilt.
Um diese Ansicht zu stützen und die Brauchbarkeit der Methode zu
erweisen, hätten kaum unglücklichere Fälle ausgewählt werden können, als
die drei großen Psychoanalysen, welche M. in seinem Buche mitteilt. Auch
hier zeigt sich wieder so recht deutlich in welch heilloser Verwirrung
sich unsere Anschauungen über die Hysterie befinden. Wir kämpfen
scheinbar wider eine fest nach allen Seiten hin umgrenzte Krankheit und
suchen nach Mitteln, sie zu heilen, sehen wir aber näher zu, so versteht
jeder unter dem Begriffe Hysterie etwas anderes. Vor allem sind die An¬
sichten der Neurologen himmelweit von denen der Psychiater verschieden,
sobald das Thema Hysterie zur Debatte steht.
Von den bei M. analysierten Fällen verdient keiner die Diagnose
Hysterie. Der erste Fall (die Kranke G.) ist ein typisches Beispiel von
Schwachsinn mit ausgeprägten Degenerationszeichen. Der Verf.
gibt das auch selbst zu, aber er glaubt, daß es sich um „rein funktionellen
Schwachsinn“ handle (p. 68). Die Kranke D. gehört in das Gebiet der
akuten Psychosen. Sie ist erst 19 Jahre, es handelt sich eventl. um eine
D ementia praecox. Die Pat. wird auch bald rückfällig. Wenn sie sich
sieben Monate später ,, recht wohl fühlt“ (p. 89), so beweist das gar nichts. —
Die Kranke F. endlich leidet an Anfällen, die man vielleicht als hysterische
bezeichnen könnte, aber die sexuellen Erlebnisse sind doch bei ihr ganz
frisch, sie geben offenbar den direkten Anlaß zu der bei ihr ausbrechenden
Erschöpfung. Von einem Versinken der Reminiszenzen im Bewußtsein
kann man doch nicht reden.
Bücherschau.
95
Eine Heilung durch die sog. kat har tische Methode Freud’s ist in
keinem dieser drei Fälle erfolgt. Soll jene Therapie auch nur die geringste
Bedeutung erlangen, so müssen ganz andere Erfolge auf den Plan gebracht
werden. . Steyerthal-Kleinen.
Grundzüge einer sexuellen Pädagogik in der häuslichen Erziehung. Von
Dr. med. J. Marcuse. München, Gmelin. 1908. 45 Seiten. 75 Pfg.
Verf. bespricht die sexuelle Pädagogik, sowohl nach der intellektuellen wie
nach der ethischen Seite. In letzterer Hinsicht ist besonders für Erziehung des
Gemüts und für Schulung des Willens Sorge zu tragen. Das wird erreicht
durch gutes Vorbild, Vermeiden pikanter Gespräche und Lektüre, Sorge für Regel¬
mäßigkeit der Lebensweise, Abhärtung, Selbstbeherrschung bei unangenehmen Ein¬
drücken und Gemütsbewegungen, weiterhin durch Erziehung zur Arbeit als
Lebensinhalt, als Faktor sittlicher Kraft und Erweckerin des Pflichtgefühls. Sie
kann auch zunächst in Form von Spiel und Sport (Jugend- und Volksspielen),
sodann als Handfertigkeitsunterricht usw. herangezogen werden.
Sehr wichtig ist auch eine rationelle, mäßige Ernährung, Einschrän¬
kung der Fleischkost, der Leckereien und vor allem Vermeidung des Alkohols.
Auf diese Weise erhält das Kind wirksame Waffen gegen frühreife unge¬
sunde Triebe.
Aber damit allein ist es nicht getan.
Mit der enorm gesteigerten naturwissenschaftlichen Erkenntnis ist auch ein
unaufhaltsamer Drang nach Aufklärung auf dem Gebiete des menschlichen Ge¬
schlechtslebens erwachsen, und außerdem drängen die sozialen, im Schoße der Ge¬
sellschaft immer unheimlicher wuchernden Vergiftungserscheinungen der Onanie,
der Prostitution, der Geschlechtskrankheiten usw. mit ihren unsagbar traurigen
Folgen für Individuum und Generation immer energischer zum Handeln. Bei der
Alternative zwischen Vergiftung der Kinderseele durch unberufene unheil¬
volle Berater und Schutz derselben durch eine, wenn auch nicht leichte Auf¬
klärungsarbeit kann die Wahl nicht schwer fallen.
Da nun auf diesem Gebiet nur Klarheit und Unbefangenheit zu rich¬
tiger Unterweisung und Erziehung führen können, so will Verf. zunächst die
Eltern belehren „über die natürlichen Vorgänge auf Erden, über die im Pflanzen-
und Tierreich sich abspielenden gleichgearteten und das Verständnis für die
menschliche Fortpflanzung anbahnenden Prozesse/ damit sie, hiervon ausgehend,
die Heranwachsenden immer in Anknüpfung an Erlebnisse und Beobachtungen
unterweisen, ihnen, von Stufe zu Stufe fortschreitend, zwar stets Wahrheit, aber
nur ganz allmählich und vorsichtig ihrem Alter entsprechend die ganze Wahrheit
geben können. Esch.
Breitenstein’s Repetitorien Nr. 1. Repetitorium der speziellen Pathologie
und Therapie. I. Teil, Innere Krankheiten. Neu bearbeitet von Ludwig
Amberg. 7. AuflL Leipzig 1908, Joh. Ambrosius Barth. 8°. 153 S.
Preis 2 Mk.
Repetitorien wie diese erscheinen dem Ref. nicht unzweckmäßig, selbst
nützlich in den Händen des Vorgeschritteneren, dem hoffentlich beim Durch¬
lesen dieser zusammengepreßten Pathologie noch anderes zwischen den Zeilen
auf taucht. Weniger ist ein solches Repetitorium dem Adepten zu empfehlen,
der sich aus begreiflicher Furcht vor manchen allzu groß gediehenen Lehr¬
büchern vielleicht abmüht, gerade diese Zusammenstellung des Mindestmaßes
des Wissens sich einzuprägen. Das wichtigste der Pathologie, wie es etwa
ein billig denkender Examinator voraussetzen wird, da und dort sogar noch
etwas darüber hinaus, ist allerdings im Büchlein dem allgemeinen Eindruck
nach enthalten. So ist beispielsweise auch die Plaut- Vineent’sche Angina
erwähnt, eine diagnostische Tabelle der Darmstenosen (pag. 121), auf Seite 108
genauere Diätvorschrift bei blutenden Magengeschwür gegeben, wie denn über¬
haupt einzelne therapeutische Abschnitte Lob verdienen. Von absichtlichen
oder unabsichtlichen Druckfehlern seien erwähnt: Epiphisen, Dennatol (statt
Deimatol\, Leukart, Placques, Ocaena, Pulvis Doweri (statt Doveri), Bacillus
enteritis (statt enteritidis) ; auch sachliche Unrichtigkeiten fehlen nicht: Taenia
saginata wird viel länger als bloß 3 — 4 m; R. Koch ist nicht unter die
„Entdecker'' des Typhusbazillus zu zählen (p. 21) u. a.
_ - H. Vierordt (Tübingen).
96
Bücherschau.
Lehrbuch und Atlas der Zahnheilkunde mit Einschluß der Mundkrank¬
heiten. Von Dr. Gustav Preis weck, Lektor an der Universität Basel.
Lehmann’s medizin. Handatlanten, Band XXX. 2. verbesserte und ver¬
mehrte Auflage. Mit 50 vielfarbigen Tafeln und 141 Textabbildungen.
München, J. F. Lehmanns’s Verlag, 1908. 398 Seiten. Preis 14 Mk.
Außer der Veränderung des Inhaltes, Beschneidung oder Ergänzung
mancher Kapitel, ist der Bilderschmuck in dieser 2. Auflage erheblich ver¬
mehrt. Dafür ist jetzt der konservierende und operative Teil weggelassen,
der später einen eigenen Band fassen soll.
Der Inhalt umfaßt zunächst eine kurze geschichtliche Einleitung, dann
die diesbezügliche Anatomie, Histologie und Physiologie, die Bakteriologie,
die Mundkrankheiten, die Geschwülste der Mundhöhle und der harten Zahn¬
substanzen, die ins einschlägige Gebiet fallenden Frakturen und Luxationen,
das Empyem der Highmorshöhle und die Trigeminusneuralgie. Es folgen
dann die erworbenen und angeborenen Spaltbildungen des Gesichts, die Zahn-
und Kieferanomalien, die angeborenen und erworbenen Defekte der harten
Zahnsubstanzen, die Zonen der Karies und die Prophylaxe, endlich die Er¬
krankungen der Pulpa und der Wurzelhaut.
Die Ausstattung der Lehmann’schen Atlanten ist bekannt.
v. Schnizer-Danzig.
Erste ärztliche Hilfe. Leitfaden für Ärzte. Unter Mitwirkung und Förde¬
rung klinischer Herrn Vorstände herausgegeben von Dr. Heinrich Charas,
Chefarzt und Leiter der Wiener freiw. Rettungsgesellschaft. Mit 15 Ab¬
bildungen im’ Texte. Wien und Leipzig. Wilhelm Braumüller, k. u. k. Hof-
und Universitäts- Buchhändler. 1909. Gr.-8°. 345 Seiten. 5 M. (6 Kr.)
Ein Kompendium, das bei seiner kurzen präzisen Form dem praktischen
Arzte, insbesondere auch auf dem Lande, eine rasche Orientierung über alles
Wissenswerte, alle notwendigen Maßnahmen in der Hilfe ermöglicht, das
von dem außerordentlich wichtigen Grundsätze ausgeht, daß der erste Verband
und der erste Transport oft das Schicksal des Verletzten entscheiden.
Aus der chirurgischen Klinik des Hofrats Prof. Dr. v. Eiselsberg,
von den Assistenten bearbeitet, gingen hervor: Wunden und deren Behandlung,
inkarzerierte Hernien und Herniotomie, über Verletzungen des Kopfes, Thorax
und Abdomen, Verletzungen der Muskeln, Sehnen und Nerven, Verletzungen
der Knochen und Gelenke. Sehr klar und faßlich ist besonders der Abschnitt
über Herniotomie. Dann folgt aus der Klinik des Hofrats Prof. Dr. Hochen-
egg: Erste Hilfe bei Verletzungen und Erkrankungen der Harnorgane, Blu¬
tung, Blutstillung, Blutungen aus Körperhöhlen, drohender Verblutungstod.
Hier zeichnet sich besonders das über die Handhabung des Katheters Gesagte
durch Deutlichkeit aus, ebenso das Kapitel über Harninfiltration. Daran
schließt sich von weil. Hofrat Prof. Dr. L. v. Schrötter: Die erste Hilfe
bei inneren Erkrankungen, in die folgenden Abschnitte zerfallend: plötzliche
Erkrankungen, Krämpfe, Magendarmsymptome, Schmerzen, Blutungen und
Vergiftungen, in denen Diagnostik und Therapie in hervorragend klarer Weise
behandelt sind.
Weiterhin folgen die erste Hilfe in der Gynäkologie und Geburts¬
hilfe und bei Verletzungen des Auges, dann von Hof rat Prof. Chiari: Ver¬
letzungen, Fremdkörper, Blutungen und Stenosen der Nase, des Mundes, Kehl¬
kopfes, der Luft- und Speiseröhre. Hof rat Prof. Dr. A. Politzer verfaßte
die Verletzungen des Gehörorganes. Dann kommen : Erste ärztliche Hilfe
bei Psychosen, worin der oft sehr schwierige erste Transport ins Irrenhaus
eingehend und mit guten Ratschlägen behandelt ist, der Krankentransport,
die ärztliche Hilfe bei Katastrophen und die Krankenpflege im Plause.
Die Übersichtlichkeit wird durch fettgedruckte Zusammenfassungen am
Rande ganz besonders erhöht. Das Werkchen verdient weite Verbreitung.
v. Schnizer-Danzig.
Schriftleitung: Dr. Ri gl er in Leipzig.
Druck von Emil Herrmann senior in Leipzig.
27. Jahrgang.
1909.
TortscbritK der Medizin.
Unter Mitwirkung hervorragender Fachmänner
herausgegeben von
Professor Dr. 0. Köster Priv.-Doz. Dr. v. Cricgtrn
in Leipzig.
Schriftleitung:
in Leipzig.
Dr. Rigler in Leipzig.
Nr.
3.
Erscheint am 10., 20.. 30. jeden Monats. Preis halbjährlich
6 Mark, in kl. Zeitschrift für Yersichernngsin*dizin 8 Mark.
Verlag von Georg Thieme, Leipzig.
30. Jan.
Originalarbeiten und Sammelberichte.
Über die Seroreaktion auf Syphilis nach Wassermann.1)
Von Privatdozent Dr. M. Löh lein.
Wenn auch die theoretischen Grundlagen der Wasser mann’ sehen
Reaktion noch rätselhaft sind, wenn auch selbst ihre klinische Spezifi¬
tät meines Erachtens noch nicht über jeden Zweifel erhaben ist, —
unter allen Umständen haben wir in dem neuen Verfahren einen höchst
bedeutsamen Fortschritt der Medizin zu sehen. Ich erfülle deshalb
gern den Wunsch der Redaktion, einen kurzen Bericht über Wesen,
Technik und Zuverlässigkeit der Probe zu gehen.
Wassermann hat die neue Methode in konsequentem Aufbau
auf den besonders durch Ehrlich und seine Schüler einerseits, Bordet
andererseits begründeten Anschauungen über den Mechanismus der spe¬
zifischen Hämolyse entwickelt. Die wichtigsten Tatsachen, deren Kennt¬
nis unerläßlich ist, mögen im folgenden kurz erörtert werden ; ich ver-
tneide dabei alle theoretischen Streitfragen und verwende die Ehrlich-
sche Nomenklatur.
Das Serum eines mit Hammelblutkörperchen vorbehandelten Kanin¬
chens gewinnt spezifisch hämolytische Eigenschaften für Hammelblut ;
durch kurze Erhitzung auf 55° verliert es diese hämolytische Fähig¬
keit, gewinnt sie aber sofort wieder, wenn man ihm eine kleine Menge
unerhitzten „komplettierenden“ Meerschweinchensernms zusetzt, die an
sich die Hammelblutkörperchen nicht aufzulösen vermag. [Der Ein¬
tritt der Hämolyse ist im Reagensglase sehr leicht zu beobachten:
eine blutkörperchenhaltige Flüssigkeit ist trübe rötlich gefärbt (deck-
farben) ; wird durch den hämolytischen Prozeß das Hämoglobin in
Freiheit gesetzt, so wird die Flüssigkeit durchsichtig (laekfarben).]
Die Hämolyse kommt nach Ehrlich’s Auffassung zustande durch
das Zusammenwirken der in großer Menge im spezifischen Kaninchen¬
serum enthaltenen „Ambozeptoren“ für Hammelblutkörperchen und des
in frischem Serum (eines Meerschweinchens) enthaltenen „Komplements“,
welches letztere für sich allein ebensowenig zur Tötung der Erythrozyten
befähigt ist, wie das inaktive spezifische Serum. Bei der Gesetz¬
mäßigkeit des Ablaufs dieser Reaktion ist die für unsere Erörterung
grundlegende Tatsache leicht abzuleiten, daß Hammelblutkörperchen
1) In Anlehnung au einen Vortrag in der Medizinischen Gesellschaft in Leipzig,
Sitzung vom 27. Oktober 1908.
7
98
M. Löhlein,
zusammen mit inaktivem, für sie spezifisch hämolytischem Kaninchen-
serum ein Reagens auf Komplementgehalt einer zugesetzten Flüs¬
sigkeit bilden können, das nach dem Vorgänge von Moreschi als hämo¬
lytisches System bezeichnet wird.
Die Ausnutzung dieses Reagens erfolgte zuerst durch Bordet
und Gengou bei Versuchen, die sich mit theoretisch wichtigen Proble¬
men der Immunitätslehre beschäftigten, von denen wir hier absehen
können. Bordet und Gengou zeigten, daß, wenn man beispielsweise
Pestbakterien und spezifisches Antipestserum mit frischem komple-
menthal tigern Serum vermengte, diese Mischung, an einem hämolytischen
System geprüft, kein freies Komplement erkennen ließ, indem die Er¬
scheinung der Hämolyse eben nicht ein trat. "VVar statt des spezifischen
Pestserums ein inaktives Normalserum in die Reaktion eingeführt, so
trat dagegen nach Zusatz eines hämolytischen Systems Hämolyse ein,
es zeigte sich damit also, daß freies Komplement im Gemisch vor¬
handen war. Daraus ergab sich nun, daß auf einem kleinen Umwege
die Feststellung des Vorhandenseins bezw. Nichtvorhandenseins von
freiem Komplement in einem Gemisch, das Pestbakterien und inaktives
(Serum enthielt, die Entscheidung darüber ermöglichte, ob dieses inak¬
tive Serum spezifisches Antipestserum gewesen war oder nicht. Um¬
gekehrt konnte die Methode, wenn man von einem bekannten Anti¬
pestserum ausging und eine Bakterienaufschwemmung zweifelhafter
Natur zusetzte, dazu dienen, diese gegebenenfalls als Pestbakterisn zu
erkennen ; denn nur die Kombination Pestbakterien und Antipestserum
bringt das Komplement zum Verschwinden, „hemmt die Hämolyse“.
Mit anderen Worten: die Reaktion auf freies Komplement zeigte sich
für gewisse Fälle brauchbar, um Antikörper nachzuweisen, wenn man
das zugehörige „Antigen“ in Händen hatte, und umgekehrt, um ein
„Antigen' zu bestimmen, wenn man über dazu passende Antikörper
verfügte.
Daß dieses „Komplementbindungsverfahren“ weiter von Gengou
zum Nachweis minimaler Mengen gelöster tierischer Eiweißstoffe ver¬
wandt wurde, daß es zur forensischen Unterscheidung von Mensehen-
und Tierblut, neuerdings (Bruck) sogar zur Unterscheidung des Blutes
verschiedener Menschenrassen ausgebildet worden ist, sei nur im Vor¬
beigehen erwähnt.
Wassermann hat mit seinen Schülern ausgedehnte Versuche an¬
gestellt, die zunächst darauf abzielten, die Methode für diagnostische
Zwecke bei Infektionskrankheiten insofern zu erweitern, als er an
Steile der Bakterienaufschwemmungen wässerige Extrakte aus Rein¬
kulturen anwandte. Er folgerte dann weiter: es ist anzunehmen, daß
in syphilitisch erkrankten Organen das krankmachende Agens in einem
wasserlöslichen oder einem diesem sehr nahe kommenden Zustande vor¬
handen ist. Man kann also — bei dem Fehlen von Reinkulturen des
Syphiliserregers — wässerige Organextrakte syphilitisch erkrankter
Tiere oder Menschen als Antigen zu verwenden suchen, um mit Hilfe
der Komplementbindungsmethode nach Syphilis- Antikörpern im Serum
syphilitisch Infizierter zu suchen. In der Tat erhielt er, zunächst bei
Affen, die syphilitisch infiziert bezw. mit syphilitischem Material vor¬
behandelt waren, mit Hilfe der Komplementbindungsmethode positive
Reaktionen, die das Vorhandensein von Syphilis-Antikörpern im Serum
der Tiere zu beweisen schienen. Detre berichtet dann alsbald als
erster, daß er analoge Resultate auch bei syphilitischen Menschen er-
Über die Seroreaktion auf Syphilis nach Wassermann.
99
halten habe. Wassermann und seine Mitarbeiter konnten bald über
ein größeres Material berichten. Bei dem großen praktischen und
theoretischen Interesse, das die Reaktion weckte, beschäftigte man sich
allerorten damit, und heute liegt bereits eine Fülle von Mitteilungen
der verschiedensten Autoren vor, die zum weit überwiegenden Teil
wenigstens darin übereinstimmen, daß sie die Brauchbarkeit der Methode
anerkennen.
Auf dem diesjährigen Kongresse für Innere Medizin in Wien
berichtete Wassermann (Wiener klin. Wochenschr. 1908, Nr. 21) be¬
reits über 1987 untersuchte syphilitische Sera und 1100 nicht syphi¬
litische, welch letztere sämtlich negative Serorreaktion ergeben hatten.
Er trat auf Grund dieses großen Materials mit aller Bestimmtheit
für die klinische Spezifität der Reaktion ein.
Hinsichtlich der theoretischen Deutung mußte er seinen ursprüng¬
lichen Standpunkt modifizieren. Eine ganze Reihe von Tatsachen waren
inzwischen bekannt geworden, die mit der Annahme schwer vereinbar
waren, daß es sich bei der Seroreaktion in letzter Linie um eine Bin¬
dung von Syphilisantigen mit einen spezifischen Antikörper handle.
Bruck und Stern hatten bereits konstatiert, daß man den Ge¬
halt eines Affenserums an „Antikörpern“, die bei Komplementbiniungs-
reaktion nachweisbar werden, durch fortgesetzte Vorbehandlung mit
syphilitschem Material nicht in nennenswertem Maße steigern könne,
was man doch hätte erwarten sollen, wenn es sich um Immunsubstanzen
handelte. Wichtiger als diese immerhin verschiedener Deutung zu¬
gängliche Eeststellung war die von Weil und Braun, Levaiiti,
Lands! einer u. a. zuerst sicher gestellte Tatsache, daß man den
syphilitischen Organextrakt durch solchen aus normalem Gewebe er¬
setzen könne, denn bei dieser Modifikation des Verfahrens war Syphi-
lisantigen ja überhaupt nicht in Reaktion.
Wassermann, Porgers und Meier und ungefähr gleichzeitig
Landsteiner, Müller und Poetzl brachten dann weiter die wichtige
Feststellung, daß das „antigene Prinzip“ alkohollöslich sei, und Wasser¬
mann gab demgemäß auf dem Wiener Kongreß für die Ausführung
der Reaktion die Vorschrift, man solle als Antigen alkoholischen Ex¬
trakt aus den Organen heredo-syphilitischer Föten verwenden.
Die Feststellung der Alkohollöslichkeit des „antigenen Prinzips“
der Organextrakte führte zu zahlreichen Untersuchungen über die Ver¬
wendbarkeit lipoider Substanzen bekannter Konstitution an Stelle der
Organextrakte (Fleisch mann: Lezithin, Cholestearin ; Levaditi und
Yamanouchi: glykocholsaures und taurocholsaures Natrium). Sachs
und Altmann empfehlen als durchaus zuverlässiges Antigen olein-
saures Natron.
Der Vollständigkeit halber sei kurz erwähnt, daß einige Ver¬
suche vorliegen, die anscheinend ja recht komplizierte Was s er mann -
sehe Methode in verschiedener Weise zu modifizieren bezw. zu verein¬
fachen.
Die eine Modifikation stammt von Bauer und beruht wesentlich
darauf, daß das menschliche Serum Ambozeptoren für Hammelerythro¬
zyten enthält, deren Wirkung im Serum des Syphilitikers teilweise
durch gewisse Hemmungskörper verdeckt wird. Bauer bestimmt nun
genau diejenige Menge von Extrakt, die, einem Serum zugesetzt, das
Zustandekommen der Hämolyse hindert. Syphilitikersera lassen die
Hämolyse schon bei Zusatz von sehr viel geringeren Extraktmengen
100
M. Löhlein,
nicht zustande kommen. Diese Modifikation vermeidet, wie man sieht,
im wesentlichen den Zusatz spezifischen Kaninchenserums. Ob sie
eine Erleichterung des W assermann’schen Verfahrens bedeutet, ver¬
mag ich nicht zu entscheiden, da ich besonders in letzter Zeit mit
Leichenseris gearbeitet habe, für die die Bauer’sche Modifikation nicht
anwendbar ist, weil sie zur Voraussetzung hat, daß das Blut im nüch¬
ternen Zustande den Individuen entnommen wird.
Die andere Modifikation stammt von Tschernugobow, nach
dessen Angaben man Komplementablenkung auch konstatieren kann,
wenn man frisches Blut eines Syphilitikers mit dem Extrakt einer
syphilitischen Leber reagieren läßt und dann für die roten Blutkörper¬
chen des Menschen hämolytisches inaktives Serum zusetzt: Die
menschliche Blutprobe enthält das nötige Komplement, um die eigenen
roten Blutkörperchen mit Hilfe dieses zugesetzten hämolytischen Ambo¬
zeptors aufzulösen, und in der Tat soll hei der eben angegebenen Ver¬
suchsanordnung mit Kontrollblutproben gesunder Individuen Hämolyse
eintreten. Stammt die Blutprobe von einem Syphilitiker, so bleibt
die Hämolyse aus, weil Syphilisantigen, mit dem zugehörigen Anti¬
körper zusammentreffend, das Komplement an sich reißt.
Nachprüfungen der Tschernugobow’ sehen Angaben liegen bis¬
her meines Wissens nicht vor; sollte sich das Verfahren bewähren, so
dürfte der Hinweis gerechtfertigt sein, daß es im Prinzip durchaus
nicht neu ist, sondern ausschließlich auf den gleichen Überlegungen
wie die ursprüngliche Wassermann’sche Beaktion basiert.
Die Technik der Seroreaktion ist mehrfach, u. a. von E lei sch -
mann und von Täge (Münch. Med. Wochenschr. 1908, Nr. 33) eingehend
beschrieben worden.2) Ich bin der Ansicht, daß die neue Methode nur
von geübten Arbeitern in sehr gut ausgestatteten Instituten angewandt
werden soll, nicht sowohl wegen der Schwierigkeit ihrer Ausführung,
die man nach der Beschreibung wohl meist überschätzt, als vielmehr
wegen der Beschaffung der nötigen Beagentien.
Man bedarf zur Ausführung der Beaktion :
1. eines hämolytischen Systems ; Blutkörperchen vom Hammel,
die mindestens zweimal mit physiologischer Kochsalzlösung gewaschen
und mit der Zentrifuge wieder ausgeschleudert worden sind, werden
in 5°/0iger Aufschwemmung in der erforderlichen Menge mit einem
gleichen Quantum verdünnten spezifischen Kaninchenserums versetzt.
Der Verdünnungsgrad dieses letzteren richtet sich nach dem jedesmal
zu bestimmenden Titer des Serums. Das spezifische Serum wird durch
Vorbehandlung von Kaninchen mit Hammelerythrozyten gewonnen.
2. Frischen Meerschweinchenserums als Komplement, in der Begel
in der Verdünnung 1 : 10 verwendet.
3. Serum des Patienten und Kontrollsera. Die Blutentnahme er¬
folgt am besten durch Venaepunktion ; 5 ccm Blut genügen vollkommen.
(Neuerdings hat Weidanz darauf hingewiesen, daß man auch mit
sehr viel kleineren Mengen die Beaktion anstellen kann.) Es scheint
auch für das ursprüngliche Wassermann’sche Verfahren empfehlens¬
wert zu sein, das Blut den . Patienten möglichst in nüchternem Zu¬
stande zu entnehmen, jedenfalls nicht nach sehr fettreichen Mahlzeiten.
4. Bedarf man eines brauchbaren Antigens.
2) Eine eingehende Erörterung der Technik gibt G. Meier. (Vgl. Bauer u.
Meier, Wiener klin. Wochenschr., Nr. 51, 1908.)
Über die Seroreaktion auf Syphilis nach Wassermann.
101
In der Beschaffung dieses Reagens liegt m. E. vorläufig noch
die größte Schwierigkeit. Dem praktischen Arzt kann die Wasser-
mann’sche Methode sicherlich erst dann in die Hand gegeben werden,
wenn diese Schwierigkeit vollkommen beseitigt ist.
Ich selbst habe als Antigen ausschließlich alkoholische Extrakte
aus Lebern zweifellos syphilitischer Neugeborener benutzt, indem ich
mich streng an die Wasser mann’sche Empfehlung (auf dem Kon¬
greß für innere Medizin in Wien) hielt. Diese Extrakte zeigten sich
in sehr verschiedenem Grade brauchbar, teilweise vollkommen un¬
brauchbar.
Ich verwende neuerdings zu jeder Reaktion mehrere Extrakte
gleichzeitig, um so den Wert meiner Antigene ständig zu kon¬
trollieren. Trotzdem kann ich gerade wegen dieser wechselnden Brauch¬
barkeit der Extrakte zu dem Gefühl vollständiger Sicherheit bei der
Anwendung der Reaktion vorläufig nicht kommen. Die Güte eines
Extraktes kann man ja nur empirisch feststellen, indem man nämlich
prüft, ob es in der geeigneten Verdünnung ausschließlich mit Syphili¬
tikerseris positiv reagiert; mit diesen aber in einem möglichst großen
Prozentsatz (soweit wenigstens bestimmte Stadien der Krankheit in
Frage kommen). Es leuchtet ein, daß eine solche Auswertung von
Antigenen ein reiches Material an syphilitischen und normalen Seris
zur Voraussetzung hat. Diese Tatsache fällt um so mehr ins Gewicht,
als von Seeligmann und Ivlopstock, Rolly u. a. und auch von mir
beobachtet worden ist, daß ursprünglich ,,gute“ Extrakte von einem
bestimmten Zeitpunkte an „schlecht“ wurden, d. h. positive Wasser-
mann’sche Reaktion mit nicht syphilitischen Seris gaben; — selbst¬
verständlich bei genauer Beobachtung aller Vorschriften, besonders hin¬
sichtlich der Kontrollen.
Auf diese Schwierigkeit muß jeder, der die Reaktion selbständig
anstellen will, hingewiesen werden.
kleine eigenen Untersuchungen erstrecken sich auf etwas über
250 Sera, die teils von Privatpatienten des Herrn Professor Riecke
stammten, teils von dem Leichenmaterial des pathologischen Instituts ;
einige diagnostisch besonders wichtige Fälle wurden mir von verschie¬
denen hiesigen Ärzten zur Verfügung gestellt.
Was zunächst die intra vitam entnommenen Sera anlangt, so
ergab sich im wesentlichen ein für die klinische Spezifität der Reak¬
tion sprechendes Resultat. In einer ganzen Anzahl von dunklen Fällen
wurde der positive Ausfall der Reaktion für die Behandlung ent¬
scheidend, und in mehreren davon bestätigte der weitere klinische
Verlauf den Ausfall der Serumprobe. Herr Professor Riecke wird
über einzelne dieser an anderer Stelle berichten.
Die Prozentzahl der positiven Reaktionen bei notorischen Syphi¬
litikern schien bei unseren Untersuchungen zunächst auffällig gering,
verglichen mit den Resultaten anderer. Dies erklärt sich wohl aber
einfach aus unserem Material : es handelt sich fast ausschließlich um
Privatpatienten, die energisch antisyphilitisch behandelt waren, bei
den „latent-syphilitischen“ überwiegend um Individuen, die eine „syste¬
matische“ Behandlung durchgemacht hatten.
102
M. Löhlein.
Im einzelnen sind die Resultate in der folgenden Tabelle zusammen-
eestellt :
c
Gesamtzahl der
Positiv
Negativ
untersuchten Fälle:
reagierten :
reagierten :
Svphilis I .
6
4
2
Syphilis n florida)3 . .
26
17
9
Syphilis 11 (latens1 * . . .
28
11
17
Syphilis III florida . . .
9
6
3
Syphilis ni latens . .
27
2
25
Metasyphilis 12 Paralytiker.
2 Tabiker
14
12
2
Kongenitale Svphilis . . . .
5
2
34)
Fälle zur Diagnose . . . .
13
3
10
Kontrolfälle .
8
1
7
Der positiv reagierende Kontrollfall machte mich besonders stutzig,
weil die Reaktion mit einem Extrakt untersucht war. das mir Herr
Dr. G. Meier zur Verfügung gestellt hatte, und das sich bis dahin
durchaus bewährt hatte. Erwähnen muß ich noch, daß ich einige
scheinbar positive Reaktionen bei nicht syphilitischen Individuen, die
auf Verwendung unbrauchbarer Extrakte zurückzuführen waren, in
die Statistik nicht eingestellt habe.
Das bis Mitte Dezember 1908 von mir untersuchte Material von
Leichenseris umfaßt 101 Fähe.
Durch den anatomischen Befund war Syphilis mehr oder weniger sicher
anzunehmen in . 10 Fällen
Positiv reagierten davon . 6 ,
4 Fälle von Aortitis, davon einer mit Orchitis fibrosa
kombiniert. 1 Fall von Hepatitis gummosa, 1 Fall von
Paralyse. )
Kegativ reagierten davon . 4
1 1 Gumma cerebri, 1 Taboparalyse, 2 Fälle von narbigen
Residuen von Syphilis des weichen Gaumens. )
Als Kontrollfälle dienten 91 Fälle verschiedenster Art, darunter:
reagierten positiv negativ
A. von 31 Fällen von Tuberkulose verschied. Lokalisation 8 28
B. von 16 Fällen von Karzinom und Sarkom .... 1 15
C. von 2o Fällen akuter Infektionskrankheiten verschied. Art 1 °) 20
D. von 26 Fällen ganz verschiedener Todesursachen 0 26
In den 4 positiv reagierenden Kontroll-Fällen war anatomisch
kein objektiver Anhaltspunkt für eine überstandene syphilitische Infek¬
tion zu finden.
Wie sind diese positiven Resultate zu erklären?
' Überwiegend Fälle, die in energischer Behandlung standen, zum Teil
olche, die schon zahlreiche Kuren durchgemacht hatten.
4 2 davon anamnestisch unklar.
3 In dem Falle der Gruppe C handelt es sich um ein 12 jähriges Kind, das
an paradiphtherischen Lähmungen gestorben war. Congenitale Lues schien aus¬
geschlossen.
Durch freundliche Vermittelung von Herrn Dr. Sievers erfuhr ich aber nach¬
träglich, daß an dem Kinde in seinem vierten Lebensjahre ein Sittlichkeits¬
verbrechen begangen war. Im Anschluß daran erkrankte es venerisch, möglicher¬
weise syphilitisch.
Über die Seroreaktion auf Syphilis nach Wassermann.
103
Die Verwendung „schlechter” Extrakte glaube ich ausschließen
zu können, nachdem die ganz überwiegende Mehrzahl der als Kontrollen
zu betrachtenden „Normalsera“ ja negativ reagiert hatten. Es kämen
dann nur zwei Möglichkeiten in Betracht: Entweder wurde durch die
Wassermann’sche Reaktion eine weder klinisch noch pathologisch-
anatomisch bemerkbare Lues-Infektion nachgewiesen — diese Möglich¬
keit kann man in den vorliegenden Fällen nicht mit absoluter Sicher¬
heit ausschließen — oder aber die klinische Spezifität der Reaktion
erleidet, wenn auch selten, Ausnahmen. Ich muß gestehen, daß mir
vorläufig die letztere Annahme die wahrscheinlichere zu sein scheint.6)
Daß hei der tropischen Framboesie in einigen Fällen (E. Hoff mann
und Blumenthal, Bruck) und ebenso hei Lepra (n. A. G-. Meier)
positive V assermann’sche Seroreaktion festgestellt worden ist, kann
deren diagnostischem Wert keinen Eintrag tun. Bedenklicher erschien
die von Much und Eichelberg aufgestellte Behauptung, daß ein
großer Prozentsatz von Scharlachkranken die gleiche Reaktion zeigten.
Dieser Behauptung wurde auf das entschiedenste von Höhne,
G. Meier, Boas und Hauge, Jochmann und Toepfer wider¬
sprochen; Fränkel und Much vertraten die Ansicht neuerdings aber
doch wieder, auch Halberstädter, Müller und Reiche fanden in
einigen Fällen von Scharlach positive Va ssermann'sche Reaktion.
Ich selbst verfüge nicht über Beobachtungen an Scharlachseris.7) Ich
glaube aber in dieser Frage das entscheidende Gewicht auf die Resultate
von Meier u. a. legen zu müssen, wonach sicher brauchbare Antigene
mit Scharlachseris nicht reagieren, andererseits scheint mir noch nicht
widerlegt, daß heterogene Sera in seltenen Fällen bei Anwendung aller
Kautelen eine „positive Syphilisreaktion“ Vortäuschen können. Dieses
Bedenken wird, wie ich wiederhole, erst dann beseitigt werden, wenn
für den heikelsten Punkt des Wasser mann’schen Verfahrens, die
„Gewinnung des Antigens“, eine Vorschrift gegeben werden wird, die
es jedem gewissenhaften, mit den nötigen Vorkenntnissen ausgestatte¬
ten Lntersucher ermöglicht, Resultate zu erhalten, die mit denen aller
anderen Untersucher unbedingt verglichen werden können. Vorläufig
wird man sich in diagnostisch wichtigen Fällen, für die die Reaktion
ja ganz vorwiegend in Betracht komtnt, durch Verwendung mehrerer
Extrakte und durch zahlreiche Kontrollen gewiß vor Irrtümern schon
nahezu sicher schützen können. Bei der Wichtigkeit der Entscheidung,
um die es sich oft handelt, bedarf man aber des Gefühls absoluter
Sicherheit.
Mit einigen Worten möchte ich noch auf die Folgerungen eingehen,
die man aus dem Ausfall der Seroreaktion ziehen darf.
6) Auch Bauer und Meier fanden unter 381 Seris nach Ausschluß aller
auf Lues zurückgehenden Fälle doch zwei positiv reagierende Sera von Individuen,
bei denen für Lues kein Anhaltspunkt vorlag. In dem einen Falle bestand Taub¬
stummheit (hereditäre Lues?)
7) Eine nach Abschluß dieses Artikels erschienene Mitteilung von Bruck und
Cohn, die nochmals die Frage der Wassermann’sclien Reaktion bei Scharlach
behandelt, liefert die beste Stütze für meine Ansicht. B. und C. erhielten bei Ver¬
wendung von 8 verschiedenen, als brauchbar für die Seroreaktion befundenen
Extrakten mehrfach positive Reaktionen mit Scharlachseris, aber stets nur bald
mit dem einen, bald mit dem anderen Extrakt, niemals mit mehreren. — Daß ich
bereits seit Monaten regelmäßig mehrere Extrakte gleichzeitig zu den Reaktionen
verwende, habe ich erwähnt.
104
R. Weißmann,
Ein positives Resultat berechtigt mit einer an Gewißheit grenzen¬
den Wahrscheinlichkeit zur Annahme, daß das untersuchte Indivi¬
duum einmal syphilitisch infiziert gewesen ist, ein negatives Resul¬
tat läßt nicht einen gegenteiligen Schluß zu. Damit ist ganz außer¬
ordentlich viel für die Syphilis - Diagnostik gewonnen, und mittel¬
bar auch für die Therapie der Krankheit. Man braucht nur an die
zahlreichen Fälle spätluetischer Erkrankung zu denken, in denen die
Anamnese versagt, sichere klinische Anhaltspunkte für die syphilitische
Natur des Leidens ebenfalls fehlen.
Manche Autoren, wie z. B. der um die klinische Verwertung
der Reaktion sehr verdiente Citron, gehen so weit, den Ausfall der
Reaktion geradezu als maßgebend für das therapeutische Verhalten
des Arztes anzusehen. Dieser Anschauung ist m. E. mit vollem Recht
von anderer Seite (z. B. von Fischer, Riecke u. a.) widersprochen
worden.
Zum Schlüsse möchte ich ganz kurz auf die Verwertbarkeit der
Serumprobe für pathologisch-diagnostische Zwecke eingehen, für die
besonders Eränkel und Much, ferner Fick und Proskauer u. a.
eingetreten sind. Wenn das Serum jedes einmal syphilitisch infiziert
gewesenen Individuums die Wassermann’sche Reaktion gäbe, so hätten
wir ein höchst wertvolles Mittel in der Hand, um einerseits exakte
Zahlen für die Verbreitung der Syphilis zu gewinnen, und um anderer¬
seits — unter Beobachtung der gebotenen Vorsicht — Anhaltspunkte
für die Ätologie einzelner noch umstrittener Befunde (Hodenschwielen,
narbige Strikturen des Rektum u. a. m.) zu finden. Diese Voraussetzung
trifft ja aber, wie wir sahen, nicht zu. Selbst Veränderungen, die der
pathologische Anatom mit Sicherheit als Residuen syphilitischer Pro¬
zesse erkennt, können sich bei Leichen finden, deren Serum die Wasser¬
mann’sche Reaktion nicht gibt. Man konnte das ja schon nach dem
bisher vorliegenden klinischen Beobachtungsmaterial mit Bestimmt¬
heit vermuten, mir sind aber auch derartige Fälle wirklich begegnet ;
es handelt sich um zwei Fälle mit zweifellos syphilitischen Narben
des weichen Gaumens, in denen die Serumprobe negativ ausfiel. So
wenig man in diesen Fällen daran denken wird, die syphilitische Ätio¬
logie der Veränderungen anzuz\yeifeln, so wenig wird man überhaupt
aus negativen Resultaten der Probe in irgendwelchen anderen Fällen
einen solchen Zweifel herleiten dürfen, wie das E. Fränkel betreffs
der Orchitis fibrosa z. B. will. Eine solche Schlußfolgerung müßte
sich zum mindesten auf eine sehr umfangreiche Statistik stützen, die
aus großen Zahlen besten Falles Wahrscheinlichkeitsschlüsse zuließe.
Ueber die Indikation und Technik der Hetoltherapie.
Von Dr. med. R. Weißmann -Lindenfels (Odenwald).
Der Aufforderung der Redaktion dieser Zeitschrift, meine Erfah¬
rungen über die Indikation und Technik der Hetolbeha.idlung zu schil¬
dern, komme ich gern nach. Glaube ich doch, darin einen Beweis dafür
erblicken zu dürfen, daß die Hetoltherapie immer mehr die Aufmerksam¬
keit der Arzte auf sich lenkt, daß sie nicht, wie Klemperer meinte,
als Methode von irgendwelchem Werte endgültig gestrichen sei. Ich
spreche ausdrücklich von einer Methode der Tuberkulosebehand¬
lung durch Hetol und nicht vom Hetol als einem Mittel; denn
Über die Indikation und Technik der Hetoltherapie.
105
das dürfte doch nachgerade jedem denkenden Arzte klar geworden sein,
daß wir bei den mancherlei Aufgaben, welche die Behandlung von Krank¬
heiten an uns stellt, niemals von einem Mittel Erfolge erwarten dürfen,
sondern nur von einer Methode, von der Art und Weise, wie wir ein
Mittel anwenden, wie wir für seine Wirksamkeit die möglichst günstigsten
Bedingungen schaffen, .wie wir seine Wirksamkeit erhöhen, wie wir den
Körper befähigen, in gewünschter Weise auf ein bestimmtes Mittel zu
reagieren.
Man sucht immer nach Spezificis, obwohl man durch eine einfache
Überlegung zu dem Schlüsse kommen müßte, daß es Spezifika im land¬
läufigen Sinne überhaupt nicht geben kann, da doch unser menschlicher
Organismus kein Reagenzglas ist. Man wird immer nur Mittel finden,
welche die Heilbestrebungen des Körpers unterstützen, welche imstande
sind, die Schutzmittel des Körpers zu kräftigen und zu vermehren.
Bandelier, neben Petruschky und Röpke einer der eifrigsten
Anhänger des Tuberkulins, hat auf der Versammlung der Tuberkulose-
Arzte im Jahre 1907 über „spezifische“ Tuberkulosebehandlung ge¬
sprochen und dabei das Hetol als spezifisches Mittel abgelehnt. Kein
Mensch hat je behauptet, daß das Hetol ein Spezifikum sei; Länderer
selbst sagt in seiner Monographie von 1892, S. 96: „Die Zimmtsäure ist
selbstverständlich kein Spezifikum gegen Tuberkulose.“ In einseitiger
Kurzsichtigkeit und aus Mangel an biologischem Denken hat man der
Hetolbehandlung einen Vorwurf daraus gemacht, daß sie nicht auf
hygienisch-diätetische Maßnahmen verzichtet. Ja, glaubt man denn, man
könne mit Hetol oder sonst einem Mittel Erfolge bei Tuberkulose er¬
zielen, wenn man den Patienten hungern läßt, ihm Licht und Luft vor¬
enthält und jede Hautpflege außer acht läßt?
In Nr. 81 des Jahrgangs 1908 dieser Zeitschrift referiert Sobotta
über meine Arbeit „Die Hetolbehandlung bei Tuberkulose“, erschienen
in der Berliner Klinik XX, Nr. 240, 1908. Dem Referenten erscheint
es zweifelhaft, ob meine Erfolge dem Hetol allein zuzuschreiben
sind, da außer dem Hetol noch die Freiluftliegekur mit bestimmten
diätetischen Vorschriften angewendet sei; abgesehen von den in einzelnen
Fällen noch gebrauchten Meffertschen Packungen und dem Prävalidin
Kochs. Der Referent meint dann weiter, ein sicheres Urteil über die
Hetolwirkung wäre wohl nur zu erlangen, wenn man an einem recht
großen und möglichst gleichmäßigem Krankenmateriale die Behandlung
abwechselnd mit und ohne Hetol vornähme, d. h. also, wenn die nicht
mit Hetol behandelten Patienten sterben, die mit Hetol be¬
handelten aber geheilt werden, so ist die Wirksamkeit der
Behandlung mit Hetol erwiesen, und die ersteren Patienten
könnten noch am Leben sein, wenn sie mit Hetol behandelt
worden wären. Wer seine Patienten nur als „Material“ betrachtet,
mag solche Versuche machen. Ich bin dazu nicht bereit; ich bin von
dem Wert des Detols so überzeugt, daß ich es vor meinem Gewissen
nicht verantworten mag, die Methode bei einem dafür geeigneten Kranken
nicht an/.uwenden. Überzeugend für den, der sich nicht überzeugen
lassen will, sind auch solche Beweisversuche nicht, wie denn überhaupt
in der Heilkunst keine Beweise mit mathematisch sicherer Schlüssigkeit
geführt werden können.
Ich habe mit meinem gesunden Menschenverstand auf Grund jahre¬
langer Beobachtung die Überzeugung gewonnen, daß die Tuberkulose
mit Hetol, wenn dieses verständig angewendet wird, in sehr vielen
106
B. Weißmann,
Fällen wirksam behandelt werden kann. Diese Überzeugung kann
durch theoretisierende Bedenken nicht erschüttert werden. Ich bin aber
der erste, der die Landerersche Methode aufgibt, wenn eine bessere
gefunden ist.
Die Behandlung mit den verschiedenen Tuberkulinen scheint jeden¬
falls nichts Besseres zu leisten, trotzdem die Tuberkuline sog. „Spezifika“
sein sollen. Ich habe persönlich keinerlei Erfahrungen mit Tuberkulin,
aber nach den neueren Arbeiten von Köhler, de la Camp, Schüle,
Meißen und Schröder steht zum mindesten fest, daß die Anwendung
dieses Mittels keineswegs gefahrlos ist, auch bei vorsichtigster Anwendung.
Nach Meißen1) ist das Tuberkulin kein erwiesenes Heilmittel der
Tuberkulose. Unerläßlich sei bei seiner Anwendung eine genaue Über¬
wachung, die nur in Anstalten und Krankenhäusern möglich ist. Der
Autor meint, daß das Tuberkulin nur in ausgesuchten Fällen angewendet
werden dürfte, und zwar müsse sich das Verfahren stützen auf die
zweifellos vorhandene hyperämisierende anregende Wirkung auf die
tuberkulösen Herde. Die immunisierende Wirkung sei noch sehr strittig
und bei der Behandlung außer Rechnung zu lassen. — Nun, wer die
Wirkung des Hetols kennt, weiß, daß auch dieses Mittel eine hyper¬
ämisierende, zur Vernarbung anregende Wirkung besitzt. Das
Hetol ist jedenfalls, wenn man nicht ganz grobe Fehler in der Dosie¬
rung macht, völlig unschädlich und bedarf keineswegs einer so ein¬
gehenden Überwachung seiner Anwendung wie das Tuberkulin. Der
Wirkungskreis ist ein viel größerer als der des Tuberkulins; es ermög¬
licht eine ambulante Behandlung, die beim Tuberkulin wohl ausge¬
schlossen ist.
Man soll die Tuberkulose schon behandeln, wenn man ihr
Vorhandensein nur ahnt. Ich unterziehe daher sog. Prophylaktiker
sehr gern einer Heilbehandlung. Es handelt sich da um Individuen,
die hereditär belastet sind, die einen schmalen Brustkorb und schwach
entwickelte Atmungsmuskulatur aufweisen, bei denen sich ohne ersicht¬
lichen Grund gelegentlich Temperatursteigerungen über 37,2° C zeigen
und die oft eine Einengung der Krönigschen Schallfelder zeigen.
Appetitmangel oder doch wechselnder Appetit, Müdigkeit führen diese
Kranken zum Arzt. Eisenmittel pflegen ohne nachhaltigen Erfolg zu
sein. Da handelt es sich denn oft um eine verkappte oder doch nur
durch eine Tuberkulinprobe diagnostizierbare Tuber kul ose. Oft sichert
die Anwendung des Hetols die Diagnose, wenn nämlich unter Anwen¬
dung des Hetols die subjektiven Symptome sich bald bessern. Diese
Fälle sind außerordentlich dankbar, und ich empfehle in allen Fällen
hartnäckiger Chlorose, wenn eine Magendarmatonie als Ursache aus¬
geschlossen ist, eine Heilbehandlung einzuleiten. Der Erfolg ist
oft überraschend. Namentlich für Anfänger in der Heilbehandlung
eignen sich solche Fälle. Man fängt bei diesen Fällen mit der Dosis
von 1 mg an und steigt je nach Alter, Geschlecht und Kräftezustand
auf 10 — 15 — 20 mg.
Ein ähnlich dankbares und für den Anfänger geeignetes Objekt
für die Heilbehandlung bilden leichte fieberfreie Fälle von
Lungentuberkulose ohne wesentliche Zerstörung, also Fälle, bei denen
es sich um die Erkrankung nur eines Lappens handelt, meist der Spitze,
0 Meißen, Tuberkulinproben u. Tuberkulinkuren, Zeitschrift für Tuber¬
kulose, Bd. 18, Heft 8.
Über die Indikation und Technik der Hetoltherapie.
107
die sich durch leichte Dämpfung, abgeschwächtes rauhes Atmen und
trockene oder kleinblasige, feuchte, vereinzelte Rasselgeräusche doku¬
mentiert. Die Temperatur soll nicht oder doch nur mal gelegentlich
über 38° C steigen. Die Dosierung ist die gleiche wie bei den Pro-
phylaktikern und bei den larvierten Tuberkulosen. Man beginnt eben¬
falls mit 1 mg, injiziert jeden zweiten Tag, dabei jedesmal um 0,5 bis
1 mg je nach der Individualität des Falles steigend. Unbedingt not¬
wendig ist es, die Temperatur genau zu beobachten, also eine Temperatur¬
kurve anzulegen. Eine Temperatursteigerung darf nach der Hetolinjektion
nicht eintreten. Tritt eine solche ein, so war die Dosis für das betr.
Individuum und das gerade vorliegende Stadium der Erkrankung zu
hoch. Man muß dann mit der Dosis wieder zurückgehen und langsamer
steigen. Die Durchschnittsdosis, über welche man im allgemeinen nicht
hinausgehen soll, ist bei Männern 15 — 20 mg, bei Frauen und Mädchen
10 — 15 mg. Als dritte Kategorie von Tuberkulosen, die ebenso wie die
beiden schon angeführten, sich für ambulante Behandlung eignet, sind
die Fälle von fieberfreier Kehl köpf tuberkulöse mit geringer
Beteiligung der Lunge. Bei gutem Allgemeinbefinden vertragen die
Kehl köpf tuberkulösen eine Steigerung der Dosis bis zum Durchschnitt
von 20 — -25 mg. Von einer lokalen Behandlung des Kehlkopfs habe ich
in solch leichten Fällen ganz abgesehen, habe dagegen möglichste Scho¬
nung des Kehlkopfs angeraten.
Es ist selbstverständlich, wie ich schon oben erwähnte, daß man
sich auch bei diesen leiehten Fällen von Tuberkulose, wie es die drei
erwähnten Kategorien sind, nicht auf die intravenösen Hetolinjektion en
allein beschränkt.
Nur in ganz leichten Fällen wird man davon Abstand nehmen
können, die Berufstätigkeit unterbrechen zu lassen und auch nur dann,
wenn in dieser Berufstätigkeit kein wesentlich schädigendes Moment
liegt. In anderen Fällen genügt es oft, wenn man die Berufstätigkeit
nur auf einige Wochen aussetzen läßt. Jedenfalls muß in allen Fällen
darauf gesehen werden, daß in der ersten Zeit der Behandlung stärkere
Anstrengungen, überhaupt alles, was den Blutdruck zu erhöhen geeignet
ist, vermieden werden. Da die Hetolinjektionen schon an und für sich
eine stärkere seröse Durchströmung der erkrankten Teile hervorrufen,
eine Durchströmung, die durch vorsichtige Dosierung im Zaume ge¬
halten werden muß, so könnte bei Erhöhung des Blutdruckes diese
Durchströmung doch so stark werden, daß es in Folge Verschleppung
tuberkelbazillenhaltigen Materials zu Metastasen, zur Miliartuberkulose
kommt.
Erst wenn das Stadium der Umwallung eingetreten ist, wenn durch
den schützenden bindegewebigen Wall eine Verschleppung infektiösen
Materials unmöglich gemacht wird, darf man zu höheren Dosen greifen
und darf man auch dem Patienten eher leichtere Anstrengungen ge¬
statten. Dieser Zeitpunkt tritt in leichten Fällen etwa um die fünfte
bis sechste Woche ein.
Es liegt auf der Hand, daß das Hetol seine heilende Wirkung
desto besser entfalten kann, je besser die Ernährung des Kranken ist,
je besser sein Appetit ist. Ich betrachte es daher als die vornehmste
Aufgabe des Arztes, bei der Behandlung der Tuberkulose seine ganze
Aufmerksamkeit der Funktion der Verdauungsorgane zuzu wenden. Man
sorge also vor allen Dingen dafür, daß das Gebiß des Kranken funktions¬
fähig ist.
108 R. Weißmaim, Über die Indikation und Technik der Hetoltherapie.
Eine große Zahl meiner Lungenkranken litt an Magen-
darmatonie. Ich will an dieser Stelle die Frage, ob nicht die Magen-
darmatonie, die Enteroptose ein prädisponierendes Moment bildet für die
Erkrankung an Tuberkulose, uneiörtet lassen. Auffällig ist jeden¬
falls, daß der Habitus phthisicus und der Habitus enteropto-
ticus so sehr einander ähneln. Sicher ist, daß die Magendarmatonie
und ihre Symptome oft das Bild der Tuberkulose beherrschen und daß wir
in der Bekämpfung der Tuberkulose einen großen Schritt weiter kommen,
wenn wir in geeigneter Weise gegen die Atonia gastrica Vorgehen. Ich
empfehle da meinen Stützverband „Simplex“ und später eine gute
Leibbinde. Die Diät sei gemischte Kost mit viel Sahne, Butter, grünem
Gemüse und Obst. Um den atonischen Magen nicht unnütz zu belasten,
schränke ich die flüssige Kostform möglichst ein und lasse die Speisen
in fester oder Breiform genießen. Ganz besonders ist auf regelmäßigen
Stuhlgang zu achten.
So gelingt es meist bald, den Kräftezustand und den Appetit, sowie
Hämoglobingehalt des Blutes zu heben. Wo es nötig erscheint, gebe
ich noch roborirende Mittel wie Fukol und Eisen, letzteres gern in der
Form der Nukleogentabletten. Auch Malztropon, Malzextrakt und
Odda MR haben mir gute Dienste geleistet.
Vor allem lasse ich gute reine Luft in reichem Maße genießen.
Wöchentlich wird ein warmes Bad verordnet und täglich lasse ich lau¬
warme bis kühle Abreibungen der Brust resp. des ganzen Körpers machen.
Selbstverständlich muß man im Winter bei diesen Wasseranwendungen
die nötige Vorsicht walten lassen, wie denn überhaupt vorsichtig jede
Erkältung zu vermeiden ist. Man sorge daher auch für gutes Schuh¬
werk und geignete Kleidung, namentlich geeignete Unterkleidung. —
Eine besonders vorsichtige Behandlung erfordern diejenigen Fälle
von Lungentuberkulose, die zu Blutungen neigen. Niemals be¬
ginne man mit den Hetolinjektionen unmittelbar nach einer nur einiger¬
maßen nennenswerten Blutung. Man wartet am besten bis der Auswurf
acht Tage völlig frei von blutiger Beimischung ist, mindestens aber
vierzehn Tage. In Fällen dagegen, wo sich immer eine geringe unbe¬
deutende Blutmenge im Auswurf findet, wäre es ein Fehler, lange mit
Beginn der Heilbehandlung zu warten. Man muß in diesen Fällen
ebenso wie in denen, wo vor genügend langer Zeit eine größere Blutung
stattgefunden hat, mit kleinsten Dosen, mit 0,5 mg, beginnen, man steige
sehr langsam, stets nur von 0,5 mg und im Laufe einer Woche nicht um
mehr als 1 mg und gehe längere Zeit, sechs bis acht Wochen, nicht
über 5 mg hinaus. Tritt etwa eine neue Blutung ein, hat man, wie
oben beschrieben, eine mindestens vierzehn Tage währende Pause in
den Hetolinjektionen eintreten zu lassen und dann mit der Dosierung
wieder von vorn mit 0,5 mg zu beginnen.
Ähnlich verhalte man sich in Fällen, wo wir zwar eine nach¬
weisbare E i n s c h m e 1 z u n g d e s L u n g e n g e w e b e s , C a v e r n e n , h a b e n,
wo aber wesentliches Fieber nicht vorliegt, wo also die Tempe¬
ratur sich um 38° hält, höchsten auf 38,2° steigt. Man kann diese
Fälle noch einer ambulatorischen Behandlung unterziehen, hat aber gerade
hier besonders auf Vermeidung aller den Blutdruck erhöhenden Schäd¬
lichkeiten zu achten, da in diesen Fällen die Gefahren, welche eine zu
starke seröse Durchströmung der erkrankten Lungenteile mit sich bringt,
entschieden größer sind.
S. Leo, Wiener Brief.
109
Auch hier beginne man mit 0,5 mg, steige sehr langsam an, in
sechs Wochen auf 5 mg und weiter langsam auf 10, höchstens 15 mg.
In diesen Fällen wird man stets mit einer Behandlung von wenigstens
sechs Monaten rechnen müssen.
Bei den bisher geschilderten Kategorien von Lungentuberkulose
treten nicht selten pneumonische Attacken auf, die mit Fieber bis
39° und mehr einhergehen. Selbstredend gehören die Kranken dann ins
Bett und man darf mit der Hetolbehandlung erst wieder beginnen, wenn
die Temperatur völlig abgefallen ist, oder wenn sie sich einige Zeitlang
ungefähr um 38° C herum gehalten hat.
Sind diese leichteren Fälle von Lungen- uud Kehlkopf tuberkulösen
als geheilt oder gebessert entlassen, so rate ich dringend zu einer Nach¬
kur, welche ich gern nach zwei bis sechs Monaten, je nach Lage des
Falles und nach den äußeren Umständen ein treten lasse. —
(Schluß folgt.)
Wiener Brief.
Ein Sammelbericht. — Von Dr. S. Leo.
Das Thema der Entfettungskuren wird neuerlich in der deutschen
medizinischen Fachpresse mehrfach diskutiert, namentlich ist die alte
Karelische Kur wieder neu entdeckt worden. (F. Moritz,
L. Boemheld, Felix Hirschfeld u. a.) Daher haben die Ansichten
von Noorden’s, die er in den ärztlichen Fortbildungskursen vorbrachte
und deren Einleitung wir bereits in dem Wiener Brief in Nr. 22, 1908 der
„Fortsehr. d. Mediz.“ mitteilten, erhöhtes Interesse. Noorden unter¬
scheidet Entf ettungskujen ersten, zweiten und dritten Grades:
Man kann bei Entfettungskuren bestimmte Skalen- aufstellen. Wenn
wir sagen, die Erhaltungskost für einen Mann von mittlerer Größe
hei kleiner Arbeitsleistung sei 2500 Kalorien, so würde als der erste
Grad der Entfettungsdiät der zu bezeichnen sein, bei dem wir den
Nahrungsumsatz bis auf vier Fünftel dieser Erholungskost, also auf
2000 Kalorien herabsetzen, beim zweiten Grad auf drei Fünftel, beim
dritten Grad zwischen drei Fünftel und zwei Fünftel, also zwischen
1500 und 1000 Kalorien. Beim ersten Grad der Entfettungsdiät ge¬
nügt es, bestimmte Nahrungsmittel aus der Kost zu streichen, zum
Beispiel sämtliche sichtbaren Fette, Sahne und dergleichen. Für ge¬
wöhnliche Hauskuren eignet sich dieser, wie der nächste Grad sehr
gut. Bei diesem ist es auch notwendig, sämtliche Süßigkeiten und viele
Kohlehydrate auszuscheiden, während keineswegs alle Amylazeen ge¬
strichen werden müssen ; Brot und Kartoffel kann man geben, daneben
magere Fleischspeisen mit viel grünem Gemüse verschiedenster Art,
Salate und Früchte, teils roh, teils mit sehr wenig Zucker eingekocht.
Bei allen diesen Entfettungskuren kommt es darauf an, daß man dem
Betreffenden eine Kost gibt, bei der er nicht hungert. Denn das macht
die Patienten nervös, neurasthenisch. Viele Mißerfolge sind sicher
darauf zurückzuführen. Man muß bei geringem Kalorienwert der
Nahrung doch solche Stoffe reichlich einstellen, die ein großes Volumen
haben, z. B. die Kartoffel. Diese ist kalorienarm, sie enthält nur
17 — 18 °/0 Kohlehydrate, fast kein Eiweiß. 200 — 300 g Kartoffeln
enthalten nur 34 — 51 g Kohlehydrate, was einem Werte von 40 Ka¬
lorien entspricht. Ein Teil der Kartoffeln geht sogar unresorbiert
110
S. Leo,
ab. Desgleichen haben alle grünen Gemüse ein großes Volumen bei
sehr geringem Nährwert; sie enthalten nur 10°/0 Nährstoff, alles an¬
dere ist Wasser und unverdaubares Material. Dasselbe gilt für Obst,
nur muß man die ganz süßen Sorten, wie Weintrauben, ausschalten.
Ein Kilogramm Erdbeeren z. B. enthält 60 g Kohlehydrate = 200 Ka¬
lorien.
Ganz anders liegen die Dinge bei Entfettungskuren dritten Grades.
Diese Kuren können nicht im häuslichen Betriebe durchgeführt werden,
weil sie strenger Beaufsichtigung bedürfen. Man darf sich dabei nicht
auf das Verbot bestimmter Nahrungsmittel beschränken, sondern muß
nach Maß und Gewicht Vorgehen, weil man sonst nichts erreicht.
Die Einführung der Wage durch Banting-Harwey als Hilfsmittel
ist geradezu eine epochale Leistung. Alle bekannt gewordenen Systeme
der Entfettung, sowohl Banting-Harwey als auch Örtel, Ebstein,
Hirschfeld bewegen sich innerhalb derselben Werte; man führt bei
ihnen eine Nahrung zu, deren Kalorienwert sich zwischen 1000 und
1500 bewegt. Ob man in dem einzelnen Falle mehr die Kohlehydrate
beschneidet und die Fette erlaubt oder umgekehrt, ist im Prinzip
gleich und nur von der Individualität des Betreffenden abhängig. Unter
allen Umständen muß man aber für einen verhältnismäßig hohen Eiwei߬
gehalt der Kost sorgen, weil sonst auch das Körpereiweiß in Gefahr
käme. Die Patienten sollen womöglich eiweißreicher aus der Kur
hervorgehen. Die Kalorien, die man hergeben muß, um das Eiweiß
zu sparen, beziehen wir aus dem größeren Depot der früheren Zeit.
Ja, man soll mit der Zeit die Eiweißzufuhr steigern; daher fange man
mit kleinen Eiweißmengen, etwa 120 g im Tage, an, und steigt im
Laufe der Kur bis auf 160—180 g. Auf diese Weise geht kein Körper¬
eiweiß verloren ; die Patienten nehmen gierig diese Eiweißmengen zu
sich. Ob man nach Ebstein die Kohlehydrate oder nach Banting-
Harwey und Örtel die Fette bis zum äußersten beschränkt, ist
weniger von Belang. Am besten ist aber das Fett in geringer Menge
zu geben, weil unter den Kohlehydraten Nahrungsmittel mit großem
Volumen sind, die infolgedessen mehr sättigen, als die fetthaltigen
Speisen. Örtel legte großes Gewicht darauf, daß auch die Wasser¬
zufuhr stark beschränkt werde. Schweninger modifizierte dies dahin,
daß er beliebige Mengen von Wasser gestattete, aber nicht zugleich
mit den festen Mahlzeiten. Wasserbeschränkung treibt die Verbren¬
nungsprozesse in die Höhe, so daß mehr Fett verbrennt, als bei reich¬
licher Wasserzufuhr. Sehr viele Menschen und gerade die Fettleibigen
schränken reflektorisch ihre Nahrung ein, wenn man ihnen verbietet
viel Wasser zu trinken. Daher muß man örtel glauben, daß er
durch das bloße Verbot des Wassertrinkens große Entfettungen erreicht
hatte. Durch Schwitz- und Lichtbäder wird kein wahrer Fettverlust
erzielt; dabei geht Wasser, aber kein Fett verloren. Das Wasser kann
man wegschwitzen, das Fett muß man wegarbeiten. Ebensowenig nützt
das Beiten. Auch Massagen haben keinen Zweck, dabei wird nur die
Verbrennungsenergie des Masseurs, nicht des Massierten gesteigert. Das
Wandern, namentlich das Steigen greift da viel stärker ein. Die
Schilddrüsenfütterung bewirkt, daß der Verbrennungsprozeß angeregt
wird. Wenn jemand ohne Schilddrüsenzufuhr, per Kilogramm und
Minute die Menge von 3 ccm Sauerstoff verbraucht, so steigt unter
Zufuhr von Thyreoideasubstanz der Verbrauch auf 3,5 — 4 ccm. Darauf
beruht der Einfluß der Thyreoidea auf die Fettleibigkeit. Sie hat
Wiener Brief.
111
aber den großen Nachteil durch ihren Einfluß auf die Herztätigkeit.
Manchmal trat auch auf Thyreoidea Glykosurie auf und nahm recht
unangenehme Formen an. Eine reichliche Schilddrüsenfütterung scheint
als agent provocateur für eine schlummernde Diabetes zu dienen. Den¬
noch gibt es Fälle, wo die Schilddrüsenfütterung angezeigt ist, weil bei
ihnen die Fettleibigkeit eben die Folge einer geringeren Sekretion der
Thyreoidea ist ohne daß es gerade zu einem Myxödem kommt. Bei
hochgradig fettleibigen Kindern gibt N. durch Monate, ja durch Jahre
kleine Mengen von 0,05 bis 0,1 Schilddrüsensubstanz.
Victor Urbantschitsch sprach in Beendigung seiner Antritts¬
rede1) bei der Übernahme der Klinik für Ohrenkrankheiten über den
Einfluß der verschiedenen Ohrenerkrankungen auf das Ge¬
dächtnis und den Intellekt. Der chronische Mittelohrkatarrh nimmt
nicht selten einen ungünstigen Einfluß auf das Gedächtnis und auf
das Auffassungsvermögen ; so werden Studenten in der Fortsetzung
der Studien nicht unwesentlich durch diese Krankheit behindert. Die
Vergeßlichkeit erstreckt sich zuweilen auf eine bestimmte Art des
Gedächtnisses häufig auf . das Zahlen- und Namensgedächtnis, selten
auf das Lokalgedächtnis. Bei manchen Personen erlischt sehr rasch
die Erinnerung an unmittelbar vorausgegangene Vorkommnisse. Bei
einem Knaben mit beschränktem Auffassungsvermögen hob sich die
Intelligenz in auffallender Weise, als viele Steinchen entfernt wurden,
die jahrelang unbemerkt auf dem Trommelfell gelegen und einen Druck
nach einwärts ausgeübt hatten. Bei einem Universitätsprofessor, der
während seiner Vorlesungen plötzlich außerstande war, das passende
Zeitwort in den Sätzen anzuwenden, und der in den folgenden Vor¬
lesungen dieselbe Störung beobachtete und dadurch in große Auf¬
regung geriet, fand sich in beiden Ohren Cerumen vor, das einen Druck
auf das Trommelfell ausübte ; unmittelbar nach Entfernung des Pfropfes
schwand das frühere Gefühl der Eingenommenheit des Kopfes und
der Professor konnte seine Vorlesungen anstandslos halten.
Psychische Störungen werden zuweilen durch Mittelohrentzün¬
dungen hervorgerufen und treten als Depressions- oder rnaniakalische
Zustände auf. In mehreren Fällen von öfter rezidivierenden Mittelohr¬
eiterungen entstand regelmäßig beim Beginne der Entzündung eine
heftige Aufregung, wobei sich die sonst sanftmütigen Personen an
ihrer Umgebung aggressiv vergingen. Derartigen Beobachtungen kommt
auch eine gerichtsärztliche Bedeutung zu. Hierher gehört der hypno¬
tisierende Einfluß von Schallempfindungen, ferner die Fälle bei denen
starke Töne Erregungszustände auslösen. Was den Einfluß der Ge¬
hörsempfindungen auf die Schrift betrifft, wäre die Verminderung
des Tonus der Schreibmuskeln durch tiefe Töne und die Steigerung
des Tonus durch hohe Töne anzuführen, wodurch sich auffällige Ver¬
änderungen der Schrift ergaben. Bekannt ist ferner das Zusammen¬
fahren bei Geräuschen, ferner wurden infolge von Schalleinwirkungen
Atmungskrämpfe, Konvulsionen und verschiedene Reflexkrämpfe be¬
obachtet. Gehörserregungen vermögen weiterhin einen reflektorischen
Einfluß auf das Gefäßsystem auszuüben, der sich in Veränderungen
des Blutdruckes zeigt. Lauschen steigert regelmäßig den Blutdruck
in auffälligem Grade. Das Gehörorgan steht ferner in wichtigen
topographisch-anatomischen Beziehungen zu den Gefäßen, Nerven und
') Siehe Wiener Brief, Fortschritte der Medizin, Nr. 26.
112
S. Leo,
dem Zentralnervensystem. So kann durch den Übertritt einer Ent¬
zündung von der Paukenhöhle auf die Karotis, die an ihrer vorderen
Wand anliegt, eine Arrosion mit zumeist tätlichem Ausgang ent¬
stehen.
Von den dem Schläfenbeine teils ein-, teils angelagerten Nerven
kommen vor allem der Fazialis und der Trigeminus in Betracht. Der
Fazialis steht im Bereiche seines horizontalen Verlaufes oft in Kon¬
takt mit der Bekleidung der Paukenhöhle und ist bei Neugeborenen
noch regelmäßig im hinteren Ansatz seines horizontalen Verlaufes
in eine Knochenrinne eingebettet, die sich erst später zu einem Kanal
abschließt. Infolge dieses Verhaltens kann der Fazialis, auch ohne
Erkrankung des Knochens, bei einer Mittelohrentzündung, sei es von
seiten des Exsudates einen Druck erfahren, sei es in die Entzündung
mit einbezogen werden und dadurch eine teilweise oder vollständige
Gesichtslähmung entstehen. Bezüglich des Trigeminus kommt unter
anderen die Einbettung seines Stammganglions in die Felsenbeinpyramide
in Betracht, wodurch eine Entzündung der Pyramide auf das Trigeminus¬
ganglion übertreten und dadurch die gefürchteten Trigeminusneuralgien
hervorrufen kann.
Zwischen dem Labyrinth und dem Zentralnervensystem bestehen
reichlich Gefäß- und Nervenverbindungen, so daß auch ohne Erkrankung
des Knochens ein Übertritt der Entzündungen vom Ohre auf die Ge¬
hirnhäute und auf das Gehirn selbst möglich ist. Wie die Erfahrung
lehrt, rührt ein großer Teil der Meningitiden und ferner die Mehr¬
zahl der Gehirnabzesse von einer Entzündung des mittleren und inne¬
ren Ohres ’ her.
Mit der zunehmenden Erkenntnis der Bedeutung der Ohrenent¬
zündungen steigert sich bei uns das Bestreben, die Entzündungs¬
herde chirurgisch anzugreifen. Das ganze Gebiet des Mittelohres ist
dem chirurgischen Instrumente zugänglich gemacht und immer kühner
dringt dieses in das erkrankte Labyrinth ein, um dem verhängnisvollen
Weiterschreiten der Entzündung in die Schädelhöhle Einhalt zu tun.
Und auch in Fällen, wo die Entzündung vom Ohr auf das Gehirn
übergegriffen hat, hält die chirurgische Hand nicht inne, sondern ver¬
folgt die Entzündung bis in die Tiefe des Gehirns. Nach Zaufal werden
auch die fortschreitenden Venengerinsel der Mittelohrräume erschlossen
und operativ entfernt.
Eicha rd Chiari sprach in der „Gesellschaft der Ärzte“ über
den Einfluß der Narkotika auf die Autolyse und deren Er¬
klärung. Bei chronischer Alkoholvergiftung finden sich häufig Ver¬
änderungen in der Leber, d. h. in dem Organe, in dem die eingreifend¬
sten chemischen Vorgänge, wie der Abbau des Eiweißes, sich- abspielen.
Es liegt nun nahe, an einen Zusammenhang beider Erscheinungen zu
denken. Diese Veränderungen wären dabei nicht als ein Eesultat
unmittelbarer chemischer Einwirkung des Alkohols, Chloroform, Äthers
oder deren Zersetzungsprodukte auf das Protoplasma als solches aufzu¬
fassen ; man könnte sich hingegen diese als Eesultat der durch den
Alkohol usw. gesteigerten oder abnorm geleiteten, an sich normalen
Zersetzungsvorgänge denken. Aller Wahrscheinlichkeit nach werden
die Spaltungs- und Oxydationsvorgänge in den Zellen durch Fermente
bewerkstelligt, welche beim Absterben des isolierten und erstickenden
Organes den sogenannten autolytischen Zerfall in ihnen bewirken. Ch.
hat nun die Einwirkung des Alkohols, Äthers, Chloroforms und ähn-
Wiener Brief.
113
licher Körper auf den autolytischen Vorgang untersucht. Dies ge¬
schah in der Weise, daß Leberstückchen teils direkt, teils nach zwei¬
stündiger Behandlung mit den Dämpfen der verschiedenen flüchtigen
Narkotika der Autolyse unter l°/0iger Fluornatriumlösung bei Brut¬
temperatur unterworfen wurden. Fluornatriumlösung wurde deshalb
genommen, um bakterielle Einflüsse sicher fernzuhalten. Um den Grad
der Autolyse auszudrücken, wurde der durch Tannin nicht ausfällbare
Stickstoff bestimmt und dieser dann zu dem Gesamtstickstoffe ins
Verhältnis gesetzt. Der gewöhnliche Gang der Autolyse ist nun der,
daß in den ersten zwei bis vier Stunden eine vollständige Latenz¬
periode besteht. Erst nach sechs Stunden beginnt eine Periode raschen
Zerfalles. Anders verhält sich der zeitliche Verlauf der Autolyse
nach Vorbehandlung der Stücke mit Dämpfen der verschiedenen Nar¬
kotika. Hier findet man schon nach drei Stunden eine deutliche Auto¬
lyse und nach sechs Stunden sind bei Einwirkung von Chloroform oder
Äther Werte erreicht, die normal erst nach 24 Stunden zu beobachten
sind. Diese erweisen sich als am kräftigsten wirksam, etwas weniger
Petroläther, am wenigsten Alkohol in Dampf form. Nachdem Ch. als
Erklärung sowohl die Beschleunigung des fermentativen Prozesses an
und für sich als auch die durch die Narkotika hervorgerufene ver¬
mehrte Bildung der Fermente in den überlebenden Zellen verworfen
hat, nimmt er an, daß in den Zellen oder Zellwänden Veränderungen
vor sich gehen, die dem Ferment einen leichteren Zutritt zu dem
spaltbaren Protoplasma gestatten, mit demselben Erfolge, den das
mechanische Sprengen durch den Gefrierungsprozeß herbeiführt. Nun
besitzen alle die auf gezählten Narkotika in mehr oder weniger hohem
Grade die Fähigkeit, Lipoide zu lösen und es ist deshalb wahrscheinlich,
daß die eindringenden Dämpfe die lipoiden Bestandteile der Zellen
lösend beeinflussen. Dadurch wurde die Permeabilität des Protoplasma
für die Fermente erhöht, ihre Bewegungsfreiheit gesteigert und so
konnte sie ebenso wie in dem gefrorenen Organe früher ihr Zerstörungs¬
werk beginnen, als unter normalen Verhältnissen.
Julius Schnitzler demonstrierte eine Pat., bei welcher er ein
Projektil aus dem rechten Schläfelappen entfernt hat. Das junge
Mädchen- war lÄ/g Jahr zuvor durch einen Kevolverschuß, der die
linke Schläfe traf, verletzt worden. Nach allmählicher Erholung traten
vor einigen Monaten heftige Kopfschmerzen in der rechten Schläfe¬
gegend auf. Die Röntgenuntersuchung ergab ein Projektil im rechten
Schläfelappen. Sch. legte nun, nachdem durch mehrere Röntgenauf¬
nahmen unter Zuhilfenahme von am Schädel der Pat. befestigten Blei¬
marken und Bleidrähten der Sitz des Projektils genau bestimmt er¬
schien, am 15. Mai d. J. den rechten Schläfelappen osteoplastisch bloß.
Es gelang aber nicht das Projektil zu finden. Da verwendete Sch.
ein Hilfsmittel, das er schon vor acht Jahren gelegentlich der Extrak¬
tion eines Projektils aus der rechten Kleinhirnhemisphäre mit Erfolg
erprobt hatte. Er führte im unteren Wundwinkel, womöglich in der
Richtung des Projektils einen Silberdraht ein, vernäht die Wunde, und
nun wurden neuerliche Aufnahmen gemacht, die das Verhältnis des
eingeführten Silberdrahtes zum Projektil Wiedergaben. Am 21. Mai
wurde der Hauptperiostknochenlappen wieder aufgeklappt und mit Be¬
nützung des eingeführten Drahtes neuerlich das Projektil gesucht. Aber
auch diesmal gelang es nicht, ohne die Gefahr weitgehender Zerstö¬
rungen des Gehirns, das Projektil zu finden. Nun führte Sch. einen
8
114
S. Leo,
Bogen von Silberdraht in den Schläfelappen ein, und die neuerliche
Röntgenaufnahme zeigte das Projektil genau von dem Silberdrahte
umfaßt. Bei der dritten Operation, 2. Mai, konnte endlich das Pro¬
jektil entdeckt und entfernt werden. Der Lappen ist fest eingeheilt
und die Patientin, die unmittelbar nach der Operation hemiparetische
Erscheinungen aufwies, ist vollkommen beschwerdefrei und wieder her¬
gestellt. Anschließend betont Sch., daß die Indikation zur Entfernung
von Projektilen aus dem Gehirne selten gegeben sei. Bald nach der
Entdeckung der Röntgenstrahlen verwahrte sich v. Bergmann da¬
gegen, daß man nunmehr etwa jedes radiologisch sichergestellte Pro¬
jektil aus dem Schädelinnern zu entfernen suche. Die Kasuistik zeigt
die Richtigkeit dieser Verwahrung. Sie berichtet von Fällen, in welchen
die Projektile' trotz der vorausgegangenen Lokalisation mit Röntgen
bei der Operation nicht oder erst bei Wiederholung des Ereignisses
gefunden werden konnte. Dazu kommt, daß manche Erscheinungen
durch die Entfernung des Projektils nicht mehr gebessert werden können,
so Lähmungen, Gedächtnisschwäche. Hier gaben die quälenden Kopf¬
schmerzen die Indikation. In der Diskussion teilte v. Eiseisberg
mit, daß er bei einem Pat., dessen Suizidversuch 15 Jahre zurückliegt,
vor kurzem die Kugel entfernte. E. hat seinerzeit als Assistent Bill-
roth’s bei diesem Pat. einen Stirnabszeß operiert, der sich im An¬
schlüsse an die Verletzung entwickelt hatte, ohne das Projektil zu
entfernen. Inzwischen entwickelte sich bei dem Pat. eine rechtsseitige
Optikusatrophie und es stellten sich unerträgliche Kopfschmerzen ein.
Deshalb entschloß sich E. die Kugel, die innerhalb der Schädelkapsel
an der Hirnbasis vor dem Chiasma nerv. opt. lag, mittels Aufklappung
der Nase zu entfernen. Der Pat. ist geheilt und derzeit beschwerdefrei.
Ottokar Grüner berichtete in der „Gesellschaft für innere
Medizin11 über seine Versuche mit dem Antituberkuloseserum
Marmorek, die mit Rücksicht auf die widersprechenden Resultate
der einzelnen Untersucher — so fällen Hoffa, U 11 mann, Glaessner,
Monod, Pf ei, ff er, Wohlberg, Hymans, Schenker ein günstiges
Urteil, Krokiewicz, Elsässer, Köhler, Bock, Preleitner, Hoh-
meier ein absprechendes — als auch durch die Anordnung ein Inter¬
esse verdienen. Er kommt zu folgendem Resultat: Weder bei Lungen-
noch bei Knochentuberkulose im Kindesalter entfaltet das Serum Mar¬
morek eine zuverlässige Heilwirkung. Es ist nicht imstande das Auf¬
treten frischer Krankheitsherde, z. B. in vorher gesunden Gelenken
und Knochen, sowie das Auftreten frischer skrofulöser Symptome
(speziell Conj. phlyctaen.) zu verhindern. Bei tuberkulöser Meningitis
vermag das Serum auch bei intraduraler Injektion und bei Anwendung
hoher subkutaner Dosen (bis 100 ccm) Verlauf und tödlichen Ausgang
der Krankheit nicht zu beeinflussen. Einen günstigen Einfluß auf
den Allgemeinzustand oder einen prinzipiellen Unterschied in der sub¬
kutanen und rektalen Applikation konnte G. nicht konstatieren. Das
Serum Marmorek ist in hundertfacher Menge nicht imstande, die Kutan -
reaktion auf Tuberkjulin aufzuheben oder abzuschwächen, auch in
hunderttausendfacher Menge mit Tuberkulin gemischt, vermag das
Serum Marmorek nicht die Kutanreaktion abzuschwächen.
Im Brünn er ärztlichen Verein machte C. Kraus Mitteilung
über eine neue Art der Verfertigung von Pessaren in der Scheide.
K. zieht dazu die Methode der — Zahntechnik heran. Wenn es mög¬
lich ist, daß ein Gebiß im Munde nach dem Gesetze der Adhäsion
Wiener Brief.
115
haftet, so muß dies auch bei der Portio vagin. möglich sein, wenn wir
einen Abdruck von ihr erhalten. K. hat nun zu diesem Zwecke In¬
strumente konstruiert und den Spiegel modifiziert, mit diesen erhält
man das Positiv der Portio in Gips und verfertigt dann das Negativ
aus vulkanisiertem Kautschuck. Das Negativ haftet dann durch Ad¬
häsion an der Portio. Auf diese Weise ist das Problem des luftdichten
Verschlusses vollkommen gelöst. Vor allem kommt dieses Verfahren
bei der fakultativen Sterilität in Betracht, zumal die bisher gangbaren
antikonzeptionellen Mittel keine Garantien in bezug auf ihre Ver-
lässigkeit bieten. Doch bietet die Kraus sche Methode noch weitere
Ausblicke. Durch die Anbringung des Negativs an der Portio wird
ein fester Punkt in der Scheide gewonnen, an dem Prothesen in ver¬
schiedener Form angebracht werden können, eventuell wird sich dieses
Verfahren zu Zwecken der Bier’schen Stauung, endlich auch zu Lehr¬
zwecken verwenden lassen.
Unhaltbare Zustände herrschen an der Wiener tierärztlichen
Hochschule. Ein Generalstreik der Hörer für den Herbst ist in
Sicht. Zum Sezieren dient ein alter Holztisch ohne Abflußapparat.
In das Holz sickert das Blut der Tiere einfach ein. In einem alten
Trog werden die toten Tiere mitunter auch ein halbes Jahr bis zur
Mazeration aufbewahrt. Im Seziersaal ist weder eine Waschvorrich¬
tung noch ein W aschbecken ; bloß im benachbarten anatomischen Stu¬
dierraum steht ein primitiver Militärtrog, in dem sich die Hörer
mangels jeder anderen Desinfektionsvorrichtung mit Seife die Hände
waschen. Knapp neben der Infektionsabteilung befinden sich Privat¬
höfe, in denen Kinder spielen, bloß durch eine Holzplanke getrennt.
Bakteriologische Präparate müssen im Seziersaal angefertigt werden,
weil keine eigene Laboratorien vorhanden sind.
Die Ursachen dieser vorsintflutlichen Zuständen sind nicht öster¬
reichischer, sondern österreichisch-ungarischer Natur. Die tierärztliche
Hochschule ist eine militärische und zwar gemeinsame Anstalt, das
heißt, ihre finanzielle Bedeckung findet in dem Budget statt, das sowohl
die österreichische als auch die ungarische Delegation bewilligen müssen.
Nun ist das Widerstreben der Ungarn gegen die notwendigsten mili¬
tärischen Forderungen des Gesamtstaates bekannt. Daher wird von
den kulturellen Forderungen, die mit dem militärischen Budget in
Verbindung stehen, alles Mögliche abgezwackt. Infolgedessen steht
die Wiener tierärztliche Hochschule, die einst eine Musterschule war,
heute auf dem Standpunkte, den sie vor fünfzig Jahren eingenommen
hat. Im Jahre 1776 hat nämlich Kaiserin Maria Theresia eine Militär¬
schule errichten lassen, an der Tierarzneikunde gelehrt wurde, zu der
aber auch Zivilisten Zutritt hatten. Damals war also die HochschuLe
in Verbindung mit den Militärbehörden. Das dauerte bis zum Jahre
1812. In diesem Jahre wurde die Tierarzneischule der Studienhofkom¬
mission, also dem Unterrichtsministerium untergeordnet und blieb dort
bis 1852. Dann wurde sie wieder der weisen Obsorge des Kriegs¬
ministeriums übergeben. Dabei ist es geblieben bis heute ; das Eigen¬
tumsrecht an den einzelnen Gebäuden hat aber, auch heute, das k. k.
Ministerium für Kultus und Unterricht, eben aus der Reform im Jahre
1812. Anstatt nun diesen veralteten Wust mit einem Schlage zum
Alten zu werfen und eine neue, rein österreichische moderne Anstalt
zu errichten, begnügen sich unsere verantwortlichen Kreise mit dem
116
F. Reuter,
bei Bürokraten so beliebten Spiele der Kompetenzeinwände. Im letzten
Semester waren 150 Hörer inskribiert2).
Der Bericht der österreichischen Generalinspektoren für das Jahr
1907 betont, daß die allgemeine günstige Geschäftskonjunktur ihren
Ausdruck in der Gründung zahlreicher, neuer Unternehmungen und in
der Vornahme bedeutender Investitionen in bereits bestehenden Be¬
trieben fand. Demgemäß war auch fast in allen Industriezweigen die
Beschäftigung eine außerordentlich intensive, so daß sich den Arbeitern
reichliche Arbeitsgelegenheit bot ; auf einzelnen Gebieten machte sich
sogar ein Arbeitermangel recht unangenehm fühlbar ; so konnten im
Königgrätzer Aufsichtsbezirke 20°/0 aller Webstühle nicht besetzt
werden. Mit dem Nachlassen der industriellen Hochflut bereitete sich
ein allmählicher Ausgleich zwischen Arbeitsangebot und Nachfrage
vor. Die intensive Rückwanderung der Arbeiter aus Amerika ist ohne
nennenswerte Rückwirkung auf den inländischen Arbeitsmarkt ge¬
blieben. Die von den Arbeitern erzielten Lohnerhöhungen, die sich
im großen und ganzen zwischen 10°/0 und 30°/0 bewegen, sind im
wesentlichen durch die fortschreitende Verteuerung der wichtig¬
sten Konsumgegenstände absorbiert worden. Im Berichtsjahre ge¬
langten 760 (gegen 802 im Vorjahre) Streiks und 36 (153) Aussper¬
rungen zur Kenntnis der Inspektorate. Es zeigt sich somit ein be¬
deutender Rückgang der Arbeitskonflikte ; insbesondere die Zahl der
Aussperrungen hat gegenüber dem Vorjahre einen sehr bedeutenden
Rückgang erfahren.
Das Handelsministerium hat im Vereine mit dem Ministerium
des Innern besondere Vorschriften für den ge werbsmäßigen Be¬
trieb von Steinbrüchen, Lehm-, Sand- und Schottergruben erlassen,
die auch Vorschriften zum Schutze des Lebens und der Gesundheit
der Arbeiter enthalten : Die Arbeitsplätze auf der Bruchsohle und auf
den Terrassen sind so anzulegen und einzurichten, daß die dort be¬
schäftigten Arbeiter gegen abrollendes Material geschützt sind. Trans¬
portwege und Geleise sind in angemessener Entfernung von den Rän¬
dern der Böschungen anzulegen. — Ferner wurde eine Verordnung
zum Schutze der Arbeiter in Zelluloidfabriken erlassen.
80. Versammlung Deutscher Naturforscher und Ärzte.
Sammelbericht von Dr. F. Reuter, Kalk-Köln.
(Fortsetzung und Schluß.)
In der Gesamtsitzung der beiden Hauptgruppen am Donners¬
tag vormittag im alten ehrwürdigen Gürzenichsaale sprach für die
naturwissenschaftliche Hauptgruppe Prof. Dr. Wiener (Leipzig) über
„Farbenphotographie und verwandte naturwissenschaftliche
Fragen“, während für die medizinische Hauptgruppe Prof. Dr.
Doflein (München) über „die krankheitserregenden Trypano¬
somen, ihre Bedeutung für Zoologie, Medizin und Kolonial¬
politik“ sich verbreitete. Nach einem Überblick über die zahlreichen
durch Trypanosomen verursachten Seuchen und einer Darstellung des
Baues dieser bekanntlich zu den Geißelinfusorien zu rechnenden Pro¬
tozoen, erläuterte der Vortragende die verschiedenen Übertragungs-
2) Anmerkung bei der Korrektur: Der angedrohte Streik hatte den gewünschten
Erfolg; die Verwirklichung der zeitgemäßen Forderungen ist auf dem Wege.
80. Versammlung Deutscher Naturforscher und Arzte.
117
möglichkeiten, die direkte Übertragung bei der Begattung und die
indirekte durch Vermittlung von blut saugenden Insekten (oder anderen
Wirbellosen). Seine Beobachtungen über Umzüchtbarkeit der Trypano¬
somen, die durch künstliche Kultur zu Organismen werden, die voll¬
kommen mit den harmlosen Darmflagellaten, wie sie besonders bei
Insekten Vorkommen, übereinstimmen, führen ihn zu der Annahme,
daß dieselben im Blute der Wirbeltiere erst durch Anpassung zu Blut¬
schmarotzern geworden sind (oder noch werden und damit neue Seuchen
veranlassen können) und daß sie im Gegensatz zu den Malariaparasiten
im Überträger (also dem blutsaugenden Insekt, z. B. der Tsetsefliege)
wenigstens regelmäßig keine geschlechtliche Entwicklung durchmachen.
Redner bespricht noch die Abwehrmaßregeln, besonders die von Koch
vorgeschlagenen Maßnahmen gegen die Schlafkrankheit.
In der Sitzung der medizinischen Hauptgruppe am Nachmittag
desselben Tages (in der Aula der Akademie für praktische Medizin
in den Neubauten des großen städtischen Krankenhauses der Linden¬
burg) sprachen zwei ausländische Gelehrte und zwar zunächst Prof.
Dr. Wright (London): „Über Vaccine-Therapie und die Kon¬
trolle der Behandlung mittels des opsoninischen Indexes.''
Nach einer kurzen Besprechung der Schutzvorrichtungen des Organis¬
mus, der Leukozyten einerseits und der antibakteriellen Substanzen
des Blutes andererseits und einer Erwähnung der spontanen und indu¬
zierten Phagozytose erklärt Redner die zur Messung der immunisato¬
rischen Wirkung vorgeschlagenen Methoden für nicht verläßlich. Die
Ergebnisse stehen oft in direktem Gegensatz zum klinischen Verhalten.
Demgegenüber zeigt der Vortragende die Vorteile, die die Benutzung
des opsonischen Index zur Beurteilung der immunisatorischen Ma߬
nahmen bietet. Der opsonische Index weist bei allen Immunisierungs¬
prozessen Veränderungen auf, welche einen äußerst genauen Maßstab
der Immunisierungsreaktion geben. Es bestehen bestimmte Beziehungen
zwischen dem Steigen und Fallen des opsonischen Index und den Besse¬
rungen und Verschlimmerungen im Zustande des Patienten. Aller¬
dings dürfe man nicht unbillige Forderungen an die Opsonintheorie
stellen. An einer großen Reihe von Kurven führt der Vortragende
den Parallelismus zwischen opsonischem Index und den Schwankungen
im Befinden des Patienten vor und hofft, daß eine vorurteilsfreie Nach¬
prüfung seiner Ergebnisse die Richtigkeit seiner Theorie bestätige n
werde.
Es folgt ein Vortrag von Professor Dr. W. Einthoven- Leyden
über das Elektrokardiogramm. Das in unserm Körper klopfende
Herz entwickelt bei jeder Zusammenziehung einen elektrischen Strom,
der nach allen Teilen unseres Organismus, z. B. nach unsern Händen
und Füßen hingeleitet wird. Man braucht nur ein geeignetes elek¬
trisches Meßinstrument mit den beiden Händen oder mit einer Hand
und einem Fuße einer Person zu verbinden, um bei jedem Schlag ihres
Herzens einen Ausschlag des Instrumentes zu beobachten. Registriert
man die Ausschläge des Meßinstrumentes, so bekommt man den Aktions¬
strom des Herzens in der Form einer Kurve, die Elektrokardiogramm
genannt wird. In dieser Kurve unterscheidet man eine Spitze der
Vorkammer- und vier Spitzen der Kammerkontraktion. Aus der Form,
der Größe und den zeitlichen Verhältnissen dieser Spitzen kann man
viele Einzelheiten erkennen über die Weise, wie das Herz seine Auf¬
gabe vollbringt. Dies wird vom Vortragenden durch eine Anzahl
118 F. Reuter, 80. Versammlung Deutscher Naturforscher und Arzte.
an die Wand projizierter Diapositivbilder näher erläutert. Das Elektro¬
kardiogramm des Hundes, obgleich in der Form nicht ganz mit dem
des Menschen übereinstimmend, weist doch keine prinzipiellen Unter¬
schiede mit diesem auf. Es ist namentlich geeignet, verschiedene Fragen
zu beleuchten, deren Lösung bis jetzt mittels der bekannten mechanischen
Untersuchungsmethode Schwierigkeiten dargeboten hat. So zeigt die
Kurve des Aktionsstromes des Herzens unzweideutig, daß durch Heizung
des zehnten Gehirnnervs die Zusammenziehung der Herzvorkammer
direkt, die der Herzkammer aber nur indirekt beeinflußt wird. Blut¬
entziehung und Chloroformnarkose haben ganz bestimmte Veränderungen
in der Form des Elektrokardiogramms zur Folge, die leicht und deut¬
lich festgestellt werden können. Man darf sogar die Hoffnung liegen,
daß die Registrierung des Elektrokardiogramms vielleicht später bei
allgemeinerer Anwendung auch eine praktische Bedeutung für den
Chirurgen bekommen wird, der vor oder auch während der Narkose
seiner Patienten sich über ihre Herztätigkeit zu unterrichten wünscht.
Im normalen menschlichen Elektrokardiogramm ist der Einfluß der
Atembewegungen auf die Form der Kurve ersichtlich, und namentlich
macht sich die durch Körperanstrengung gesteigerte Herzfrequenz
recht deutlich geltend. Nach Körperanstrengung ist die Vorkammer-
spitze bedeutend vergrößert, was auf eine Zunahme der Kraft der
Vorkammerkontraktionen hin weist, während man aus der eigentüm¬
lichen Veränderung, die das Kammerelektrogramm zu gleicher Zeit
erfährt, den Schluß ziehen darf, daß die Tätigkeit der linken Kammer
dabei mehr zugenommen hat als die der rechten. Unter verschiedenen
pathologischen Verhältnissen treten ganz bestimmte Form Veränderungen
des Elektrokardiogramms auf, so daß man oft aus der Form der Kurve
die Natur des Herzleidens erkennen kann. In gleicher Weise kann der
Grad des Leidens beurteilt werden, wodurch man also in den Stand
gesetzt wird, den durch Heilmittel ausgeübten Einfluß Schritt für
Schritt zu studieren. Das physiologische Laboratorium in Leyden ist
durch elektrische Leitungsdrähte mit dem dortigen Universitäts-Kran¬
kenhause verbunden, wodurch es möglich ist, die Kranken in dem
1,5 km entfernten Spitale mit dem im Laboratorium fest auf gestellten
elektrischen Meßinstrument zu untersuchen. Der Vortragende zeigte eine
große Anzahl von Kurven, die man auf diese Weise von den Aktions¬
strömen des menschlichen Herzens erhält, die man mit Recht „Telekardio-
gramme“ nennen darf. Es zeigen sich typische Formen vom Elektro¬
kardiogramm bei Vergrößerung des rechten Herzens durch Schlu߬
unfähigkeit der zweizipfligen Klappe, Vergrößerung des linken Herzens
durch Schlußunfähigkeit der großen Körperschlagader, Vergrößerung
der linken Vorkammer durch Verengerung der zweizipfligen Klappe
und ferner noch bei vielen andern Abweichungen, von denen nur noch
die Herzmuskelentartung und die angeborenen Herzfehler genannt seien.
Da der Aktionsstrom der Vorkammern im Elektrokardiogramm fast
immer sehr deutlich von dem Aktionsstrom der Kammern unterschieden
werden kann, lassen die Kurven das Verhältnis zwischen Vorkammer-
und Kammerkontraktion in einer Weise erkennen, die an Bestimmt¬
heit und Genauigkeit die gewöhnlichen mechanischen Registriermethoden
weit übertrifft. Die Untersuchung des mechanischen Kardiogramms ist
nicht selten mit unüberwindlichen Schwierigkeiten verbunden, während
die Ausmessung und Analyse dieser Kurve oft eine reiche Quelle
fehlerhafter Erklärungen darstellt. Dagegen geht die Registrierung
Vorläufige Mitteilungen und Autoreferate.
119
des Elektrokardiogramms - — wenn die erforderlichen Apparate einmal
richtig aufgestellt sind — leicht und schnell. Die Methode erfordert
keine besondere Geschicklichkeit des Beobachters, ergibt ein vollkommen
sicheres und zuverlässiges Resultat und knüpft an eine Genauigkeit,
• die wenig zu wünschen übrig läßt, den großen Vorteil, daß man durch
sie in den Stand gesetzt wird, absolute Maße zu benutzen. Überhaupt
ist der Schluß gerechtfertigt, daß die elektrische Untersuchungsmethode
des Herzens mit Vorteil angewandt werden kann, die jetzt in der Klinik
üblichen mechanischen Untersuchungsmethoden zu ergänzen.
(Auto ref erat.)
Am Schlüsse der gemeinschaftlichen Sitzung der medizinischen
Hauptgruppe sprachen die anwesenden Ärzte durch ihren Vorsitzenden
Prof. Sudhoff den Kölner Ärzten anläßlich ihres bevorstehenden
wirtschaftlichen Kampfes ihre Sympathie und die besten Sieges¬
wünsche aus.
Den Schluß des Naturforschertages bildeten eine Reihe von Aus¬
flügen. So besuchten am Freitag eine Anzahl Kinderärzte unter Führung
von Selter (Solingen) die Ausstellung für Säuglings!“ ürsorge
in Solingen.
Am Sonntag teilten sich die Kongreßteilnehmer in mehrere
Gruppen, die z. T. der Urfttalsjp jeirre in der Eifel einen Besuch
abstatteten, während andere Bad Ems und wieder andere Neuenahr
und Ahrweiler besuchten. Ein kleiner Teil schließlich besichtigte
die außerordentlich sehenswerten Fabrikanlagen der van den Bergh-
schen Margarinewerke in Cleve, um sich auch hier wieder davon
zu überzeugen, daß das noch so weit verbreitete Vorurteil gegen die
Margarine ein, besonders für den Arzt, durchaus unberechtigtes ist.
Zum ersten Vorsitzenden der Deutschen Gesellschaft der Natur¬
forscher und Ärzte für das Jahr 1909 war Prof. Dr. Rubner (Berlin)
wiedergewählt worden. Als Tagungsort für 1909 wurde Salzburg
in Aussicht genommen. Der Vorstand plant die Herausgabe einer
Geschichte der Naturforschersammlungen.
Vorläufige Mitteilungen u. Äutoreferate.
Mitteilung über das Fehlen des Patellarreflexes bei scheinbarer spinaler
Gesundheit.
Von Dr. Mainzer.
Vortrag, gehalten im Ärztlichen Verein zu Nürnberg, Sitzung vom 18. Nov. 1908.)
Vortr. bespricht die Gründe, aus denen das Kniephänomen fehlen
kann und die verschiedenen Methoden, es hervorzurufen. Daran an¬
schließend berichtet er über 2 Fälle, bei denen, ohne daß einer der ge¬
wöhnlichen Gründe vorlag, die Kniephänomene nicht nachgewiesen waren
bei Prüfung in Sitz-, Rücken- und Bauchlage bei abgelenkter Aufmerk¬
samkeit, Jendrassik, rythmischen Unterschenkelbewegungen, nach einer
Serie von Kniebeugen, nach kalten Wasserprozeduren an den Beinen.
Zuerst ein 7 jähriges Kind, 3 Jahre beobachtet, schwächlich, mäßige
nervöse Reizbarkeit, Konjunktivitis, vergrößerte Tonsillen und Hals-
drüsen, nägelkauend; Achillesreflexe schwach, Kniereflexe fehlen. Wie¬
derholte genaue neurologische Untersuchungen ergeben keinen Hinweis
auf organische Krankheit ; keine Zeichen von Lues, Stoffwechselstörung
usw. Vater hatte Lues ca. 10 — 11 Jahre vor der Konzeption zu diesem
Kind erworben ; starb an Paralyse. Der zweite Fall betrifft eine
120
Vorläufige Mitteilungen und Autoreferate.
32 jährige Frau, bei der vor 13 Jahren das Fehlen der Kniephänomene
konstatiert worden war. In der Anamnese kein Hinweis auf eigene
Lues, Nervenkrankheiten oder Nervenschädigungen, Knöchelbruch im
23. Jahr difform geheilt, daher schwächeres Achillesphänomen auf
dieser. Sonst Status neur oticus bis auf die fehlenden Kniereflexe-
belanglos. Lumbalpunktionsflüssigkeit enthält weder vermehrte Zell-
noch Eiweißmengen. Vater starb an unbekannter Krankheit, Mutter
gesund, hatte zuerst 3 Aborte, dann 1 Kind, das an angeborenem
Herzfehler starb ; ein weiteres ist unzweifelhaft hereditär luetisch, ein
weiteres ist die Patientin.
Referent glaubt, daß für das Fehlen der Kniephänomene in bei¬
den Fällen die väterliche Lues in einer gegenwärtig noch nicht genau
zu bestimmenden Weise die Ursache abgeben muß. Auch in anderen
publizierten Fällen ist dieser Zusammenhang wahrscheinlich, aber nicht
in allen. Autoreferat.
Zur Pathologie und Therapie der Gicht.
Von Dr. Umber.
(Nach einem Vortrag im ärztlichen Verein zu Hamburg.)
U. gründet seine Ausführungen auf Beobachtungen und Stoff¬
wechselstudien, welche er zum Teil mit seinen Mitarbeitern an 27 Gicht¬
fällen seiner Krankenabteilung und 110 Gichtfällen der konsultativen
Praxis gewonnen hat. Er betont die Häufigkeit der Gicht in der Ham¬
burger Gegend.
Die Aufstapelung oder Retention von Uraten in den Geweben der
Gichtischen wird am Obduktionsmaterial demonstriert, die Natur der
Harnsäure sowie ihre exogene und endogene Herkunft erläutert. Bei
der Gicht ist der Harnsäuregehalt des Blutes erhöht, und die endogene
Harnsäurekurve, die in der anfallsfreien Zeit tiefer liegt als normal,
zeigt zur Zeit der Anfälle pathognomonische Schwankungen : anakri-
tisches Depressionsstadium, kritische Harnsäureflut, postkritisches De¬
pressionsstadium (Demonstration). Aus einmaliger Urinuntersuchung
darf nicht auf Gicht geschlossen werden ! Auf urinhaltige Nahrung
reagiert der Gichtische mit zu niedriger und verschleppter Harnsäure¬
ausfuhr (Demonstration), besonders zur Zeit der Depressionsstadien.
Purinzulagen lösen häufig „experimentelle“ Gichtanfälle aus. Die Re¬
tention betrachtet U. als Folge einer gesteigerten Affinität der Gewebe
zur Harnsäure. Daneben kommen möglicherweise Störungen im fer¬
mentativen Abbau der Harnsäure vor. Dafür spricht auch das Auf¬
treten des Glycocolls im Harne der Gichtkranken, das aus der Harn¬
säure entsteht. Die Glycocollkurve steht bei der Gicht in einem alter¬
nierenden Verhältnis zur endogenen Harnsäurekurve. (Demonstration).
Das Zustandekommen des akuten Gichtanfalles ist bis heute noch nicht
aufgeklärt.
Daraus ergeben sich als therapeutische Gesichtspunkte, der An¬
sammlung von Harnsäure in den Geweben und im Blut entgegenzu¬
arbeiten durch Beschränkung der exogenen imd endogenen Harnsäure¬
bildung, ferner die vorhandene Harnsäure unter möglichst günstige
Ausscheidungs- und Abbauverhältnisse zu bringen.
Die nukleoproteidhaltigen Organe (Thymus, Leber, Niere, Hirn)
sind gänzlich zu verbieten. Gebratenes Fleisch ist schädlicher als ge¬
kochtes. Fisch ebenso schädlich als Fleisch, zwischen weißen und braunem
!
Vorläufige Mitteilungen und Autoreferate.
121
Fleisch kein Unterschied. In den Depressionsstadien soll die Nahrung
streng purinfrei sein, wieviel „Purinf asttage“ pro Woche in anfalls¬
freien Zeiten nötig sind, hängt davon ab, wieviel Tage die endogene
Harnsäurekurve nach einer bekannten Purinzulage braucht, um wieder
zu ihrem endogenen Niveau abzusinken. Möglichst lange Perioden
purinfreier Ernährung ! Auch purinfreies Eiweiß (Eier, Milch, Milch¬
präparate) sind zu beschränken, da purinfreie Eiweißzufuhr die endo¬
gene Harns äureausfuhr steigert. Die Eiweiß- bezw. Fleischkost soll
nicht später als in den Mittagsstunden genossen werden, da die Peten¬
tion in den Nachtstunden am größten ist. Fette und in erhöhtem Maße
Kohlenhydrate setzen den Purinumsatz herab, und sind deshalb dem
Gichtischen nicht mehr zu beschränken, als sein Körperbestand es er¬
heischen würde, wenn er keine Gicht hätte. Alkohol befördert die
Purinretention und ist auf bescheidene Gaben zu beschränken. Das
Koffein kann in Harnsäure übergehen und ist besser zu vermeiden.
Die Ausscheidung der Harnsäure wird befördert durch Flüssig¬
keitszufuhr. Alkalien befördern das Ausfallen der Monouratsalze und
sind unzweckmäßig. Medikamentöse Beförderung der Harnsä Lireaus¬
scheidung bezw. Verhinderung der Monouratabscheidung im Körper
ist bisher nicht möglich, weder durch die Formaldehydtherapie, noch
durch die Nucleinsäuretherapie, noch durch die Chinasäuretherapie.
Der Harnsäureabbau wird durch Muskelbewegung offenbar bt
günstigt. Die symptomatische Therapie des akuten Anfalls besteht
in Ruhigstellung und Wärme für das befallene Gelenk und Colchicin-
gaben. Autoreferat.
Zur Ätiologie der perniziösen Anämie.
Von Dr. Berger, Halle.
(Nack einem Vortrag im ärztlichen Verein vom 11. November 1908.)
Vortragender berichtet über Versuche, die er in Gemeinschaft
mit Herrn Dr. Tsuchiya über die hämolytische und die anämisierende
Wirkung von Ätherextrakten aus der Magendarmschleimhaut von 2
an perniziöser Anämie Verstorbenen angestellt und die er in Vergleich
zu der entsprechenden Wirkung normaler Magen - Darmschleimhaut¬
extrakte gebracht hat. In der Art der Ausführung seiner Versuche
richtete er sich nach den Angaben Tallquist’s (Zeitschrift für klin.
Med. 07, Bd. 61), genauere chemische Untersuchungen der gewonnenen
lipoiden Substanz sind einstweilen nicht ausgeführt.
Als Resultat stellte sich eine 5 — 10 mal so starke hämolytische
Wirkung der ersteren Extrakte und entsprechend eine deutlich ver¬
stärkte anämisierende Wirkung, sowohl bei innerer, als auch bei intra¬
venöser, intraperitonealer und subkutaner Darreichung bei Kaninchen
und Hunden heraus, mit Auftreten von Anisocytose, Polychromasie
und Normoblasten, bei hochbleibendem Färbeindex. Nach Aussetzen
der Substanzdarreichung trat rasch Regeneration ein.
Ganz ähnliche Wirkungen ließen sich mit in gleicher Weise her¬
gestellten Magen-Darmschleimhautextrakten von Hunden erzielen, bei
denen durch an sich nicht hämolytisch wirkende Gifte (Alkohol, Ol.
Crotonis, Colchicin usw.) schwere Magen-Darmkatarrhe künstlich her¬
vorgerufen worden waren.
122
Referate und Besprechungen.
Die Ähnlichkeit in der Wirkungsweise der beiden Schleimhaut-
Ätherextrakte, der der perniziösen Anämie einerseits, der Magen-Darm¬
katarrhe andererseits, legt den Gedanken nahe, daß hei dem Zustande¬
kommen der perniziösen Anämie katarrhalisch-entzündliche Vorgänge,
eventuell äußerst chronischer, über eine Reihe von Jahren sich hin¬
ziehender Natur, im Magen-Darmkanal eine ursächliche Rolle spielen,
derart etwa, daß in den entzündlich infiltrierten Teilen fettähnliche,
sogen, lipoide Substanzen von verstärkter hämolytischer Kraft frei
werden und zur Resorption gelangen.
Auf das Vorkommen von kleinzelligen entzündlichen Infiltra¬
tionen der Magen-Darmschleimhaut bei perniziöser Anämie ist von
verschiedenen Autoren bereits hingewiesen worden. Die Untersuchungen
sind indessen nicht alle einwandsfrei ; genaueste anatomische Unter¬
suchungen müssen sich weiterhin mit dieser Frage befassen.
Autoreferat.
Experimentelle Beiträge zur Therapie der Streptokokkeninfektionen.
Von Prof. Zangemeister.
Vortrag, gehalten in der Ostdeutschen Gesellschaft für Gynäkologie, Danzig, den
28. November 1908.)
Nächst der Entfernung des Primärherdes (siehe Zeitschr. f. Geb.
R 62, p. 510) wurde der Wert der Drainage bei intraperitonealen In¬
fektionen untersucht und ermittelt, daß die Drainage erfolglos bleibt,
weil sich die Fenster der Drains stets bald durch Darmteile ver¬
schließen. Dagegen konnte durch Punktion der Bauchhöhle mit Koch¬
salzspülung, vornehmlich aber durch Injektion von Nuclein in die
Bauchhöhle der Tod djer vorher infizierten und bereits peri-
tonitial erkrankten Tiere verhindert werden. Z. empfiehlt da¬
her, auch bei der puerper. Peritonitis die Drainage der Bauchhöhle
durch eine Punktion zu ersetzen, die mit Spülung und nachfolgender
Nukleininjektion verbunden wird, und die eventuell mehrmals zu
wiederholen ist.
Einen günstigen Einfluß auf die Resistenz der Versuchstiere gegen
Streptokokkeninfektionen hatte ferner das Adrenalin, während dem
Kolla.rgol jeder nachweisliche Nutzen fehlt. Autoreferat.
Referate und Besprechungen.
Bakteriologie und Serologie.
Die Wassermann’sche Reaktion bei Geisteskrankheiten.
(G. Raviart, M. Breton, G. Petit, Gay et u. Cannac.)
Wie es allerlei Getier gibt, das dem Halbdunkel zufliegt, so übt auch
auf manche Menschen das Mystische, das noch nicht Geklärte einen eigen¬
artigen Reiz aus. Die Geschichte ist voll von geistigen Bewegungen, welche
darin wurzelten; heute übt die Serologie und die Eiweißchemie solche Wir¬
kungen aus, und in ihrem Zwielicht verknüpfen sich Dinge, die sonst weit
getrennt erscheinen. Die Frage, ob nicht die Syphilis vielleicht eine be¬
deutsame Rolle beim Zustandekommen der Geisteskranken spiele, führte die
genannten 5 Ärzte dazu, an dem Krankenmaterial der Asyle von Armen-
Referate und Besprechungen.
123
tieres (Männer) und Bailleul (Frauen) die Wasserm ann’sche Reaktion
anzustellen. Das Ergebnis entspricht dem, was der nüchterne Beobachter
von vornherein erwarten konnte.
Die Reaktion war
positiv
negativ
bei Paralyse .
. . 67
5
r Paralyse und Tabes .
. . 4
0
„ Tabes .
. . 1
0
„ Idiotie und Epilepsie ....
. . 9
16
„ Idiotie . .
. . 21
40
„ Imbezillität und Epilepsie. . .
. . 6
9
„ Imbezillität ........
. . 22
51
„ Dementia senilis ......
. . 3
2
„ Dementia praecox .
. . 5
14
„ Epilepsie . .
. . 5
26
Im ganzen waren unter den 400 Untersuchten 21 sicher nachgewiesene Epilep¬
tiker; die Wassermann’sche Reaktion war positiv bei 165, negativ bei
235. Wie die fünf Autoren daraufhin zu dem Resultat kommen: ,,ce qui
nous permet de penser que la syphilis joue dans l’etiologie de ces infirmites
psychiques un röle plus important qu’on ne l’avait suppose jusqu’ici,“ ist
mir unverständlich. Buttersack (Berlin).
Über die bakterizide Kraft der lebenden Zellen.
(A. Alb ergo-B e rretta, Neapel. Lo Sperimentale Bd. 62, H. 4, 1908.)
In einer ersten Versuchsreihe studierte Alber go-Ber retta die Ent¬
wicklung eines Saprophyten (b. mesentericus) in abgetrennten Organen der
Kröte, je nachdem die Organe lebendig erhalten oder durch Gefrieren abge¬
tötet wurden. Der Unterschied in der Entwicklung war ein sehr in die
Augen springender. Weitere Versuche sollten feststellen, ob die Entwicklung
eine verschiedene ist bei vermehrter und verminderter Vitalität der Gewebe.
Es zeigte sich, daß die Einbringung des betreffenden Organes in eine Sauer¬
stoffs tmosphäre der Abtötung der Bakterien günstig ist, während Einbringung
in eine Kohlensäureatmosphäre die Bakterien nur leichte Veränderungen er¬
leiden läßt.
Aus den Untersuchungen geht also hervor, das die intakten Gewebe,
solange sie ihre vitalen Eigenschaften bewahren, imstande sind, Mikro¬
organismen, die mit ihnen in unmittelbare Berührung treten, rasch zu zer¬
stören. Dieser Vorgang tritt nicht mehr ein, und die Organismen finden gün¬
stige Bedingungen für ihre Entwicklung, wenn die Gewebe abgetötet, oder
auch nur deren Vitalität vermindert ist. Daß an jener Zerstörung die
Phagozyten einen wichtigen Anteil nehmen, ist zweifellos, aber die Phago¬
zytose ist nicht der einzige bakterizide Faktor der lebenden Gewebe. Ferner
kann man nicht annehmen, daß die Bakterien vermittelst Substanzen abge¬
tötet wurden, die im Protoplasma präformiert sind; denn solche Substanzen
könnten durch Gefrieren nicht verändert, jedenfalls nicht ihrer bakteriziden
Kraft beraubt werden, und es steht fest, daß in gefrorenen Organen nicht
mehr die Bedingungen zur Zerstörung der Bakterien gegeben sind.
Zur Erklärung der Versuchsergebnisse stellt Alber go-Ber re tta eine
Hypothese auf, die nur eine Erweiterung einer schon von Büchner formu¬
lierten und von Metschnikoff wieder aufgenommenen Hypothese ist. Be¬
kanntlich nehmen diese Autoren an, daß verschiedene Zellen mesenchymalen
Ursprungs auf den Reiz der Bakterien hin spezifische bakterizide Substanzen
produzieren. Man kann nun annehmen, daß diese Fähigkeit nicht nur den
mesenchymalen Elementen zukommt, sondern in mehr oder weniger hohem
Grade allen Zellen des Organismus, so daß sie auf den Reiz der Bakterien
hin spezifische bakterizide Stoffe bereiten können. Diese Substanzen können
in den Geweben nicht präformiert sein, da die Zerstörung der histologischen
Elemente durch Erfrieren die Zerstörung der Bakterien verhindert.
M. Kaufmann (Mannheim).
124
Referate und Besprechungen.
Über das Verhalten der basophilen Leukozytengranulationen im
Verlauf der Haemolyse.
(G. Cag netto, Arch. p. 1. scienze med. Bd. 32 Nr. 1, 1908.)
Bei einer Reihe von Tieren (Hund, Huhn, Frosch) bewirkt die Einver¬
leibung von hämolytischem Serum eine ausgesprochene Vermehrung der auch
im normalen Zustande je nach Alter und Tierart in mehr oder weniger reich¬
licher Menge vorhandenen basophil-granulierten Erythrozyten. Im allgemeinen
geht die Intensität dieser Erscheinung parallel mit dem Grade der Vergiftung;
nur hier und da, spez. bei alten Tieren mit mangelhafter blutkörperchen¬
bildender Funktion des Knockenmarks findet man nach einer anfänglichen
Vermehrung der Basophilie einen Stillstand und Rückgang derselben; dies
ist der Ausdruck einer Ermüdung des Knochenmarks nach einer Periode der
Anstrengung durch erhöhte Inanspruchnahme. Die basophilen Erythrozyten,
die im Blute bei der Behandlung mit hämolytischen Seris erscheinen, sind
keine Degenerationserscheinungen, sondern Reservematerial aus dem Knochen¬
mark. Die Schädigung, die das Blut durch das hämolytische Gift erfährt,
wird dadurch noch intensiver, daß die Milz ihre normal vor sich gehende
Hämolyse, die sich jetzt besonders auf die jungen basophilen Erythrozyten
des Knochenmarks bezieht, zunächst noch fortsetzt; erst später erstarkt in
ihr wieder die alte blutbildende Funktion, und nun wirkt sie mit dem Knochen¬
mark zusammen, indem sie basophile Erythrozyten in den Kreislauf wirft.
M. Kaufmann (Mannheim).
Innere Medizin.
Hypertrophie und Organkorrelation.
(R. Rössle, Münch, med. Wochenschr., Nr. 8, 1908.)
Die interessante Arbeit bespricht einige seltenere Hypertrophien ; z. B.
die Hypertrophie des rechten Herzens bei obliterierender Endarteriitis der
Lungengefäße, diejenige des linken Ventrikels bei angeborener Enge der
Aorta (Ref. hat einen typischen Fall bei einem ca. 20 j ähr. Mädchen gesehen,
wo der Tod durch Gehirnblutung eingetreten war), Hypertrophie der Aorta
bei brauner Atrophie des Herzmuskels und Schrumpfniere, also eine Art Kom¬
pensation des funktionsschwachen Herzens durch die Aorta. Ferner beschreibt
Rössle Hypertrophie eines Lungenlappens bei Tuberkulose, Hypertrophie der
Leber bei Diabetikern (gesteigerter Glykogenverbrauch !), der Hypophysis bei
Kastrierten. E. Oberndörffer.
Systolisches Geräusch bei Aorten-Insuffizienz.
(M. Conto. Zeitschr. für klin. Med., Bd. 65, S. 374, 1908.)
Das während der Verschlußzeit bei reiner Insuffizienz (ohne Stenose)
der Aortenklappen zu beobachtende, kurze, weiche Geräusch im Anfang der
Systole hatte Senator aus Rückstrom des Blutes in die unvollkommen ge¬
schlossene Höhle des in seiner Muskulatur geschwächten linken Ventrikels
erklärt. C. schließt sich in der Hauptsache dieser Erklärung an und legt
noch besonderes Gewicht auf die Veränderungen des Herzens bezüglich Form,
Lage, Konsistenz im Beginn der Systole, die zu einer Art Unterbrechung
des vorher diastolischen, nunmehr systolisch ausklingenden Geräusches führe.
Die von Marey für die Aortenklappeninsuffizienz bestrittene Verschlußzeit
der Systole wird als vorhanden, als eine „Notwendigkeitsphase“ hingestellt.
H. Vierordt (Tübingen).
Referate und Besprechungen.
125
Herz alternans.
(E. Hering. Verhandl. des 25. Kongr. für innere Medizin, 6. — 9. April 1908. —
Wiesbaden, J. F. Bergmann, 1908. S. 323.)
Durch Engelmann wissen wir, daß das Herz sich bei jeder Systole
mit aller zur Verfügung stehenden Kraft zusammenzieht; wie dabei ein
Puisus alternans, d. h.. abwechselnd eine große und eine kleine Kontraktion
zustande kommen soll, blieb dunkel. E. Hering teilt nun auf Grund
von Experimentaluntersuchungen an Tierherzen mit, daß diese Erscheinung
auf partieller Hyposystolie bezw. Asystolie beruht. Er hat dabei beobachtet,
daß z. B. die Basis der Herzkammer regelmäßig schlägt, die Spitze aber
das eine um das andere Mal aussetzt; es kommt aber auch umgekehrt vor,
daß der kleinen Kontraktion an der Basis eine große an der Spitze ent¬
spricht oder daß das linke Herz alternierende Kontraktionen auf weist, das
rechte dagegen nicht. Buttersack (Berlin).
Das räumliche Mißverhältnis zwischen Herz und Thorax.
(Max Herz. Zeitschr. f. phys. u. diät. Ther., 12. Bd., 6. H., S. 335 — 340, 1908/09.)
Ein interessanter Denker eigner Art ist Max Herz in Wien. Im
vorliegenden Aufsatz entwickelt er den Gedanken, daß ein Teil der Herz¬
beschwerden durch ein Mißverhältnis zwischen Größe des Herzens und
Fassungsraum der Brusthöhle zustande kommen möchte. Solch ein Mißver¬
hältnis ergibt sich als natürliche Folge, wenn die Brusthöhle verkleinert
oder das Herz vergrößert ist. Es genügt wohl für jeden physiologisch
Denkenden, diese Idee anzudeuten ; ihre weitere Ausführung, wie die Digi¬
talis durch Verkleinerung des vergrößerten Herzvolumens, Atemgymnastik
u. dergl. durch Beseitigung habitueller Kompression des Brustkastens wirken,
kann füglich jedem einzelnen überlassen bleiben. Buttersack (Berlin).
Nachgewiesene Tuberkulose des Endokards.
(H. Barbier u. G. Laroche. Bull, möd., Nr. 92, S. 1055, 1908.)
Von tuberkulösen Erkrankungen des Herzens sprach man früher wenig.
Der unermüdliche Eifer strebsamer Forscher hat hier große Veränderungen
geschaffen und z. B. die These aufgestellt, daß Endocarditis tuberculosa fast
ein konstanter Befund bei Kindern sei, die an Miliartuberkulose zugrunde
gegangen sind; oder die andere, daß sklerosierende Prozesse am Endokard,
vornehmlich an der Mitralis, bei subakuten und chronischen Formen der
Tuberkulose überraschend häufig seien. Immerhin scheinen diese Behaup¬
tungen noch nicht so absolut festzustehen, daß ihre Verfechter es nicht für
überflüssig halten, einen Fall von gelungener Übertragung des Tuberkulose¬
giftes von einem Endokarditisknötchen auf ein Meerschweinchen in extenso
zu berichten: es handelte sich um ein Kind von 9 Monaten, das von tuber¬
kulösen Eltern stammend an Tuberkulose gestorben war; — glücklicherweise
ist man versucht hinzuzufügen.
Die Mitteilung an sich hat nichts Überraschendes; allein sie löst den
Gedankengang aus, wie die Dinge sich gestaltet haben möchten, wenn das
Kind am Leben geblieben wäre. Ohne Zweifel hätte es ein „schwaches Herz“
zurückbehalten, dessen Ätiologie späterhin völlig in Dunkel gehüllt geblieben
wäre; ich glaube, wir Ärzte begegnen derartigen oder ähnlichen Produkten
im praktischen Leben öfter als man gemeinhin denkt. Buttersack (Berlin).
126
Referate und Besprechungen.
Zur Frage der sog. spezifischen Verdünnungssekretion im Magen.
(W. Bauermeister, Zentralbl. f. d. ges. Phys. u. Path. d. Stoffw., Nr. 13, 1908.)
Nach Strauß tritt bei Einführung hypertonischer Wässer in den Magen
eine sog. Verdünnungssekretion auf, die den osmotischen Druck des Magen¬
inhalts in bestimmter Weise herabsetzt. Andere Autoren glauben nicht an
diese Verdünnungssekretion, halten sie vielmehr für vor getäuscht lediglich
durch Speichelbeimengung. Bauermeister hatte nun Gelegenheit, einen für
die Entscheidung dieser Erage geeigneten Fäll von Dilatation und Insuffizienz
der Speiseröhre zu beobachten, bei dem der Speichel unter gewissen Be*
dingungen nur schwer in den Magen gelangen konnte. Der entscheidende
Versuch war der folgende: Dem Patienten wurde ein Krodoprobefrühstück
(370 g warmes Krodowasser -f- 37 g gestoßener Zwieback), dessen A = — 1,08
war, in den Magen durch den (Schlauch gegossen, hierauf von derselben
Mischung 70 ccm in die Speiseröhre. Nach 1/2 Stunde war ^ in der Speise¬
röhrenflüssigkeit = — 0,82, im Magen aber — 0,5. Da größere Speichelmengen
nur in die Speiseröhre gelangen konnten, muß im Magen eine vom Speichel
unabhängige Verdünnungssekretion stattgefunden haben. M. Kaufmann.
Über die Folgen der totalen Resektion des Duodenums.
[(Lo Sperimentale, Juli — August 1908.)
Die Entdeckung Pflüger’s, daß die Resektion des Zwölffingerdarms
bei Fröschen einen zum Tode führenden Diabetes erzeugt, hat trotz der Kürze
der seit der Veröffentlichung verflossenen Zeit bereits eine große Literatur
gezeitigt. Die Nachprüfung der Pf lüger’schen Resultate an verschiedenen
Säugetieren hat jedoch bei der Mehrzahl der Autoren keine Bestätigung der
Pflüger’schen Resultate ergeben; es kam bei ihnen nicht zu einer Glykosurie.
Auch die beiden italienischen Arbeiten, über die hier zu berichten ist, eine
von Tiberti aus dem Institut für allgemeine Pathologie zu Ferrara und eine
von Cimoroni aus dem gleichen Institut zu Rom, kommen zu einer Ab¬
lehnung der Pflüger’schen Lehre. Tiberti’s Versuche wurden an 9 Hunden
angestellt, von denen keiner Glykosurie zeigte. Allerdings sind seine Resul¬
tate nicht ganz eindeutig, da seine Tiere fast alle frühe eingingen (4 schon
innerhalb der ersten 24 Stunden, nur einer später als nach 96 Stunden), so
daß man einwenden könnte, daß der Diabetes noch hätte kommen können,
wenn sie länger gelebt hätten, oder daß sein Eintritt nur durch die Kompli¬
kationen (Blutungen, Peritonitis) verhindert worden sei. Diese Einwände treffen
aber nicht die Versuche Cimoroni’s, der bei seinen Tieren sehr radikal vor¬
ging, indem er außer einem Darmstück von 23 — 24 cm auch noch ein Drittel
des Magens wegnahm, so radikal, daß trotz aller Vorsicht von 30 Hunden
nur vier 5 — 12 Tage am Leben blieben, von denen aber keiner auch nur eine
Spur Zucker zeigte. Sehr bemerkenswert ist der Einwand, den Tiberti
gegen Pflüger erhebt, daß nach seiner Lehre der Erfolg der Pankreasim¬
plantationen Minkowski’s bei pankreasberaubten Tieren nicht zu erklären
wäre. M. Kaufmann.
Über den Mangel von Relation zwischen Harnindikan und Kotindol.
(W. v. Moraczewski, Arch. für Verdauungskrankh. Bd. 14. H. 4.)
v. Moraczewski faßt das Ergebnis seiner im physiologischen Institut
zu Lemberg angestellten Untersuchungen wie folgt zusammen :
1. Es wurde eine Methode der Indolbestimmung im Kot ausgearbeitet.
2. Die Ehrlich’sche Reaktion im Kot wurde mit der Menge des Indols
und dem Hydrobilirubin in Parallele gebracht, und gefunden, daß — soweit
sie nicht von der abnormen Gallensekretion beeinflußt wird — sie der Fäulnis¬
intensität annähernd parallel geht.
Referate und Besprechungen.
127
3. Der Indikangehalt des Harns wurde bei normalen Menschen unter
verschiedenen Ernährungsweisen mit dem Indol des Kotes verglichen, und
dabei ergab sich keine einfache Relation.
4. Der Indolgehalt wird durch Kohlehydrate vergrößert, durch Eiwei߬
nahrung und Vegetabilien heruntergedrückt. Das Urotropin bewirkt keine
Verminderung des Kotindols.
5. Das Indikan des Harns wird durch Fett erhöht, durch Eiweiß herunter¬
gesetzt. Kohlehydrate wirken je nach der Menge verschieden.
6. Genuß von Schilddrüse bewirkt eine deutliche Steigerung des Indi-
kans, ohne die Indolmenge zu beeinflussen.
7. Bei Vergiftungen, Fieber, Tuberkulose, Karzinom, Diabetes und Leber¬
erkrankungen ist das Harnindikan vergrößert, ohne daß dabei das Kotindol
in eine einfache Relation zu bringen wäre.
8. Bei Typhus abdominalis geht das Harnindikan dem Harnstickstoff,
nicht dem Kotindol parallel.
9. Zwischen dem Gehalt an Hydrobilirubin im Harn und Kot be¬
steht keine einfache Relation.
10. Es wird die Vermutung ausgesprochen, daß das Harnindikan von der
Art der Stickstoffzersetzung und von der Leberfunktion in Abhängigkeit zu
bringen ist.
11. Bei Herbivoren ist neben viel Harnindikan gar kein Kotindol, bei
Hunden neben relativ viel Kotindol wenig Harnindikan.
12. Urotropin bewirkt eine Herabsetzung des Indikans, ohne das Indol
des Kotes zu beeinflussen.
13. Zwischen Harnindikan und der gebundenen Schwefelsäure besteht
eine ziemlich konstante Relation, welche bei Vermehrung des Indikans in
dem Sinne geändert wird, daß mehr Indikan entsteht, als der Schwefelsäure
entspricht
14. Reichlicher Zusatz von Zucker zur Nahrung bewirkt eine Ver¬
minderung der Harnsekretion. M. Kaufmann.
Welchem Organ gehört der epigastrische Druckpunkt an?
(S. Jonas. Verhandl. des 25. Kongr. für innere Medizin, S. 445 — 450. Wiesbaden,
J. F. Bergmann, 1908.)
Wenn jemand klinisch die Zeichen eines Ulcus ventriculi darbietet
und beim Eindrücken unterhalb des Processus xyphoideus Schmerz empfindet,
so ist wohl a priori jeder geneigt, an der schmerzhaften Stelle das Ulcus
zu lokalisieren. Dem ist aber nicht so: Jonas ließ solche Patienten Wismut
schlucken und konstatierte dann mit Hilfe der Röntgenstrahlen, daß der
Druckschmerzpunkt außerhalb des Magens fiel. Bei anderen Pat., bei denen
zunächst, der epigastrische Druckpunkt in den Magenschatten fiel, schob
er durch aktives Einziehen oder passives Eindrücken des Unterbauches den
ganzen Magen nach oben : der Druckpunkt blieb aber, wo er vorher gewesen
war, gehörte also wiederum nicht dem Magen an. Nur beim Sanduhrmagen
ergab sich die Identität der abdominalen Schmerzzone mit dem Magen ; peri-
gastrische Prozesse sind dann als Ursache anzunehmen.
Welches Organ der Sitz jener ,, epigastrischen“ Druckempfindlichkeit
ist, konnte nicht mit Sicherheit ermittelt werden ; wahrscheinlich muß
eine Hyperalgesie der an der Wirbelsäule liegenden Organe (Plexus coe¬
liacus, Lymphdrüsen) angenommen werden. Buttersack (Berlin).
128
Referate und Besprechungen.
Chirurgie.
Über das Panaritium der „Melker“.
(Dr. A. Peiser, Chir. Universitäts-Klinik Breslau. Zentralbl. für Chir., Nr. 28; 1908.)
P. macht auf eine Gewerbekrankheit aufmerksam, die in Breslau häu¬
figer zur Beobachtung kommt. Es handelt sich um ein Panaritium der Melker.
Auf der schwieligen Hand bilden sich Risse; im Grunde derselben entwickeln
sich Hauterweichungen und kleine Entzündungsherde, die dauernd durch das
beim Melken erfolgende Eindringen feinster klärchen vom Euter der Kühe
gereizt werden. Die Härchen sind von heller Farbe, meist nur 2 — 3 mm lang.
Solange diese nicht entfernt werden, kommt eine Heilung nicht zustande. Es
ist daher notwendig, bei den oft chronisch verlaufenden Fällen mit Fistel¬
bildung und akuten Exazerbationen die als Fremdkörper wirkenden Härchen
mit dem scharfen Löffel zu excochleieren. Wie wichtig die Heilung der Melker¬
hände vom hygienischen Standpunkte aus ist, versteht sich von selbst.
Mellin (Steglitz).
Intraartikuläre umschriebene akute Osteomyelitis der Synchrondrosis
sacro-iliaca. Operation, Heilung mit guter Funktion.
(Dr. Plagemann, Chir. Univ.-Klinik, Rostock. D. med. Wochenschr., Nr. 22, 1908.)
■PI. berichtet über einen Fall von akuter Eiterung im Gelenk der Syn¬
chrondrosis sacro-iliaca bei einem 19 jährigen Menschen, als Analogon zu den
bekannteren intraartikulären Epiphysenosteomyelitiden anderer Gelenke. Das
gewöhnlich maßgebende Symptom des Beckenabszesses fehlte oder fehlte noch.
Sofortige Inzision und Drainage führte zur Heilung ohne jede Funktions¬
störung, ähnlich wie bei der Frühoperation kleiner epiphysärer Osteomyeli¬
tisherde innerhalb der Gelenke an den Extremitäten. Härting (Leipzig).
Behandlung knöcherner Ellbogengelenk-Ankylosen mittels Überpflanzung
von ganzen Gelenken.
(Dr. Buchmann, St. Petersburg. Militärmedizinische Akademie. Zentralbl. für
Chir., Nr. 19, 1908.)
B. hat in 2 Fällen von Ellbogengelenkankylose nach entsprechender
Resektion des Gelenkes das I. Metatarsophalangealgelenk derselben Person in
die Wunde transplantiert. Es handelte sich um jugendliche Individuen (14
resp. 19 jährige junge Mädchen). Die Beweglichkeit des Gelenks wurde er¬
halten. Die erzielten aktiven Bewegungen lagen innerhalb eines Winkels von
.30° resp. 60°. Die Bewegungen waren schmerzlos; auf die Funktion des
Fußes hatte die Resektion des I. Metatarsophalangealgelenkes keine schäd¬
lichen Folgen ausgeübt. B. beschreibt den Gang der Operation genau und
-den Krankengeschichten sind Röntgenphotographien beigefügt.
Mellin (Steglitz).
Zur Sterilisation von Metallinstrumenten.
(Fleury. Gaz. med. de Paris. Serie 18, Nr. 20, S! 6, 1908.)
Metallinstrumente — speziell die Nadeln der Pravazspritzen — lassen
sich am besten rostfrei und ohne stumpf zu werden, in 0,5% Borsäure¬
lösung aufbewahren bezw. sterilisieren.
Fl eu ry empfiehlt diese Methode warm, da er sie seit 15 Jahren
■erprobt hat. Buttersack (Berlin).
Referate und Besprechungen.
129
Die mechanische Entstehung des Plattfußes.
(T. Nakahara. Arch. für phys. Med. u. med. Techn. 5. Band, S. 111—118.
Leipzig, O. Nemnich, 1908.)
Nach den Untersuchungen des japanischen Kollegen entsteht der Platt¬
fuß sowohl durch Verlagerung als durch Deformation der Fußknochen.
Das Fußgewölbe sinkt nicht einfach ein, sondern weicht nach allen
Richtungen hin auseinander.
Der Talus dreht sich um eine senkrechte, in axialer Richtung des
Unterschenkels durch den Talus verlaufende Axe und vollführt dabei eine
Schraubenbewegung.
Die Veränderungen der übrigen Fußwurzelknochen bilden die Fort¬
setzung der am Talus eingeleiteten Veränderungen. Buttersack (Berlin).
Die künstliche Blutleere der unteren Körperhälfte.
(Dr. Momburg, Spandau. Zentralbl. für Cliir., Nr. 23, 1908.)
Um Becken und oberen Teil des Oberschenkels beim Menschen blutleer
zu machen, hat M. einen Gummischlauch um die Taille anzulegen den Mut
gehabt. Ein gut fingerdicker Gummischlauch wird dem liegenden Patienten
unter voller Ausnutzung der Elastizität langsam in mehrfachen Touren (ca. 2
bis 4 genügen) zwischen Beckenschaufel und unteren Rippenrand umgelegt,
bis die Pulsation der A. femoralis nicht mehr fühlbar ist. Darm und IJreteren
vertragen den durch die Bauchdeeken gemilderten Druck; der Urinstaunng ist
keine Bedeutung zuzumessen. Eine wesentliche Störung der Herztätigkeit
tritt im Augenblicke der Abschwächung nicht ein; die stärkere Alteration bei
Lösung des Gummischlauches wird durch vorhergehende Einzelabschnürimg der
Ober- resp. Unterschenkel und deren sukzessives Lösen vermieden. Eine Blut¬
leere des Rückenmarks ist ausgeschlossen, da die Schnürung unterhalb des
unteren Endes des Rückenmarks erfolgt.
Beim Tiere verhält sich dies anders. M. verfügt erst über wenige
Beobachtungen, 2 Gesunde vertrugen den Eingriff ohne jede Schädigung
5 Min.; in 2 operativen Fällen lag der Schlauch 43 Min., resp. 18 Min.;
die Methode bewährte sich in beiden Fällen. Der Praktiker wird meines
Erachtens vorläufig gut tun, diese Methode den Klinikern zu überlassen.
Mellin (Steglitz).
Ein einfaches Mittel gegen Erbrechen beim Ätherrausche.
(Prof. Ritter, Greifswald. Chir. Universitäts-Klinik. Zentralbl. für Chir., Nr. 28, 1908.)
Um das Erbrechen nach dem Ätherrausche sicher zu vermeiden, hat R.
bei gleichzeitiger Tieflegung des Oberkörpers durch die Stauung am Halse
einen vollen Erfolg erzielt (62 Fälle). Durch die Stauung wird die Blut¬
fülle des Gehirns wesentlich vermehrt. Ob nun durch die Hyperämie das
Äthergift schneller aus dem Gehirn fortgeschafft wird, oder ob das Gift daun
nicht mehr so einwirken kann, bleibt dahingestellt. Ein Versuch hat ergeben,
daß umgekehrt ein Mensch, der eine Stauung am Halse trägt, sehr schwer
zu narkotisieren ist. Mellin (Steglitz).
Perhydrol und Natrium perboricum in der Chirurgie.
(Generaloberarzt Herhold, Brandenburg. Deutsche med. Wochenschr., Nr. 25, 1908.)
Wasserstoffsuperoxyd ist in der Chirurgie, Zahnheilkunde und Ohren¬
heilkunde unentbehrlich geworden wegen seiner desinfizierenden, desodorie¬
renden und die Tampons lösenden Eigenschaft ; dabei ist von Wert, daß es
absolut nicht reizt und die Gewebe gar nicht angreift. Für die gewöhnliche
Wundbehandlung nimmt man 3%ige Lösungen; es wirkt durch die andauernde
9
130
Referate und Besprechungen.
Entwicklung von aktivem Sauerstoff. Bringt man es in dieser 3°/0igen
Verdünnung auf Wunden, so wird es unter Schaumbildung zersetzt, und
in den aus Sauerstoff und Wundsekreten bestehenden Blasen werden Bak¬
terien, Eiter. Blutklümpchen usw. mit in die Höhe gerissen. Bruns hält
die Desinfektionskraft des 3%igen Wasserstoffsuperoxyds der des l%o
Sublimats gleich. Vor Sublimat hat es den Vorteil, daß es die Gewebe absolut
nicht angreift. Ein Nachteil des Wasserstoffsuperoxyds liegt in der leichten
Zersetzbarkeit der gebräuchlichen 3%igen Lösungen, und diese allein kommen
für den Handel in Betracht, da die hochprozentigen (80 — 900/0igen) wegen
ihrer Explosionsgefahr nicht transportabel sind. Um diesen Übelständen ab¬
zuhelfen, hat Merck in Darmstadt ein 30%iges Wasserstoffsuperoxyd in
den Handel gebracht, unter dem Namen Perhydrol, welches transportabel
und lange Zeit haltbar sein soll. Es kostet allerdings pro Kilo 50 Mark.
Man verdünnt dieses Perhydrol demnach mit der neunfachen Menge destil¬
lierten Wassers, um eine 3%ige Wasserstoffsuperoxydlösung zu haben. Leider
zersetzt sich aber auch das Perhydrol bei höheren Temperaturen. Deshalb
hat ein französischer Apotheker versucht, eine dem H202 ähnliche Lösung
herzustellen aus einem Salze, dem Natrium perboricum. Dieses, ein weißes
Pulver, wird durch Licht nicht alteriert, verträgt Temperaturen bis 50°,
und eignet sich deshalb vor allem in heißen Gegenden (Algier, Tunis) als
Ersatz des bei Hitze leicht zersetzbaren Wasserstoffsuperoxyd, und zwar
in 2%iger Lösung. Diese entspricht einer 0,4%igen Wasserstoffsuperoxyd¬
lösung. Einer 2— 3°/0igen Wasserstoffsuperoxydlösung entspricht eine 8%ige
Natriumperboratlösung, der man jedoch 3 g Borsäure hinzufügen muß.
Härting (Leipzig).
Augenheilkunde.
Experimentelle Untersuchungen über die bakteriolytische Wirkung der
Galle und ihrer Salze gegenüber den augenpathogenen Keimen.
(V er der am e u. Weekers. Klin. Monatsbl. für Augenheilk., September 1908.)
Es ist nichts Neues, daß oft die Therapie vergangener Zeiten nach Jahr¬
zehnte- und jahrhundertelanger Verbannung, während der sie oft nur als
Volksmittel ein kümmerliches, von Fachseite spöttisch behandeltes Dasein
führte, zu neuen Ehren gelangt und schnell nun ihrerseits das bisher Aner¬
kannte streng aus der Nähe des wieder eingenommenen Thrones bannt. So hat
auch die Anwendung der Galle ein wechselvolles Schicksal von Anerkennung
und Verachtung gehabt. Aus früheren Jahrhunderten und noch heutigen
Tages von südamerikanischen Naturvölkern erfahren wir von Anwendung der
Galle bei Augenentzündungen.1) Man rückte ihr nun experimentell zu Leibe
und fand, daß sie für bestimmte Bakterien einen vorzüglichen Nährboden
darstellt, z. B. für Typhusbazillen, daß sie dagegen auf den Diplokokkus
Eränkel (Pneumokokkus) eine spezifisch bakteriolytische Wirkung ausübt,
so daß man diese Wirkung differentialdiagnostisch zur Erkennung dieses
Kokkus und einer Abart von ihm, des Streptococcus mucosus, neben anderen
Bakterien anwandte. Die Versuche aber waren mit reinen Kulturen vorgenom¬
men. Verderame und Weekers untersuchten deshalb weiter die Einwirkung
von frischer Galle sowohl wie auch von Taurochol- und Glycochollsäure auf
Pneumokokken, die in Exsudatflocken oder Eiter gelegen waren und stellten
fest, daß eine Einwirkung im Sinne der Bakteriolyse zwar unverkennbar ein-
tritt (und zwar in gleicher Weise bei taurocholsaurem wie glycoehollsaurem
Natrium, anscheinend stärker noch bei reiner Galle!), daß sie jedoch nicht
stark genug ist, um eine therapeutische Verwendung zu rechtfertigen. —
1) Anmerkung: Vgl. die in der Bibel geschilderte Heilung der Blindheit
des Tobias: „Da nahm T. von der Galle des Fisches u. salbete dem Vater seine
Augen . . . u. alsobald ward er wieder sehend.“
Referate und Besprechungen.
131
Da man bisher auch mit dem Serum von Römer bei der Behandlung des durch
Pneumokokken erzeugten Ulcus corneae serpens praktisch nicht viel weiter
gekommen ist, so bleibt die Methode der Kauterisation als des sichersten bak¬
terientötenden Mittels vorläufig noch die brauchbarste.
Enslin (Brandenburg a. H.).
Über neuere Augenheilmittel.
(G. Bock, Laibach. Allg. Wiener med. Ztg., Nr. 35—37, 1908.)
B. will dem Praktiker seine Erfahrungen mit den Mitteln bekannt geben,
die sich ihm in jahrelangem Gebrauch bewährt haben.
Akoin. B. kommt im allgemeinen mit Kokain und Holokain aus und
verwendet Akoin nur als l°/0iges Akoinöl bei heftigen Schmerzen wegen
Ulcus corneae oder Iritis, mehrmals täglich 3 — 4 Tropfen (nicht ganz sichere
Wirkung).
Adrenalin verwendet er in Verbindung mit Holokain hauptsächlich
zur Anämisierung und Anästhesierung der Konjunktiva vor der Kauterisation
des Ulc. serpens. Adrenalin kann ferner zur vorübergehenden Anämisierung
geröteter Konjunktivae aus kosmetischen Rücksichten gebraucht werden. Bei
Erblindungen nach Glaukom und Hornhautnarben mit vorderen Synechien
wurde durch Adrenalin Nachlaß der Schmerzen, Weicherwerden und Schrumpfen
des Augapfels erzielt. (Die stets eintretenden Trübungen der Lösung waren
ohne Einfluß auf ihre Wirksamkeit.) Das synthetisch dargestellte Adrenalin
ist dein früheren gleichwertig.
Airol kann das Jodoform nicht ersetzen, wird aber mit Mucil. gummi,
Glyzerin ää und Bolus 9,5 versetzt, vorteilhaft als Deckpaste bei Lidwunden
benutzt.
Alcohol absolutus dient zu Verbänden bei Eiterungen der Hornhaut,
die diese bereits vernichtet haben und bei eitriger Iridochorioiditis, beide Male
bei drohender Panophthalmier Gegen die danach eintretende Hautvertrocknung
hilft Borvaselin.
Arecolin. hydrobromic. 1% wirkt milder als Eserin und sicherer
als Pilokarpin miotisch.
Aristol als 10%iges Öl bei Erosio corneae nach Verletzungen, Fremd-
körpejentfernung, Ekzem der Hornhaut. Es werden 2 — 3 Tropfen eingeträufelt,
die eine Deckschicht auf den Erosionen bilden. Verband ist überflüssig. Bei
gewöhnlichem Hornhautgeschwür ist es dagegen unsicher, bei progressivem
sogar schädlich.
Cuprocitroi (Cuprum citric. 5 — 10% mit Ung. glycerini) übertrifft
bei vorgeschrittenen Trochomfällen, besonders bei gleichzeitigem Pannus, jedes
andere Verfahren. Es ist schmerz- und reizlos, bildet keinen Schorf, wirkt
nicht berufsstörund und kann dem Kranken in die Hand gegeben werden.
Ein Tropfen wird mit dem Glasstäbchen in den Bindehautsack gebracht und
durch leichtes Reiben der Lider verteilt.
Dermatol, Deckmittel nach Bindehautoperationen (Pterygium, Neu¬
bildung), Verbrennungen, Verätzungen, ferner bei Conjunctivitis membranacea.
Dionin wirkt bei älteren Maculae corneae, Keratitis interstitialis und
deren Folgen als „lymphstaue.ndes“ Mittel. 'Bei eitrigen Hornhauterkran-
kungen, Skleritis usw. ist es zu vermeiden, bei Iritis zu versuchen. In
Verbindung mit Atropin kann es alte Synechien zum Zerreißen bringen (7 Mi¬
nuten nach letzterem eingeführt, ferner dient es mit Erfolg bei Glas¬
körpertrübung, Netz- und Aderhautblutung, Chorioretinitis exsud. centr. zur
Verbesserung des Sehvermögens. Bei Netzhautabhebung wirkt es nur vor¬
übergehend.
Man bringt am besten eine stecknadelkopf große Menge des Pulvers auf
die untere Übergangsfalte, muß den Patienten auf die dann folgende Lichtscheu,
Tränensekretion, Schwellung usw. aufmerksam machen, die von einer bis zu
24 Stunden anhalten können. Bei Abschwächung der Wirkung sind mehr-
9*
132
Referate und Besprechungen.
tägige Pausen zu machen. Man schafft sich am besten immer nur je 0,5 g an.
Holocain. hydrochl. zieht B. als Lokalanästhetikum für das Auge
(1- oder 2°/0ige Lösung) allem anderen vor, weil es nicht epithelschädigend,
austrocknend, gefäßverändernd usw. wirkt.
Hg. oxycyana,t. ist in Lösung von 1:2000 das beste, unschädlichste
Reinigungsmittel für das Auge, greift außerdem nicht die Instrumente an,
wie es das Sublimat tut. Man bedient sich am besten der mit Methylenblau
gefärbten Pastillen.
Hg praec. flav. u. alb. ist Bestandteil der empfehlenswerten Schwei-
ssinger’schen Salbe.
Itrol ist wegen seiner ungeheueren Luft- und Lichtempfindlichkeit,
die es sofort in einen reizungserregenden Körper umwandelt, höchstens bei
verschleppter Blennorrh. neonat., wenn andere Mittel, die noch reizender
wirken, nicht vertragen werden und bei zerfallenen, schlecht heilenden Phlyk¬
tänen zu brauchen.
Iequiritol, das eventuell bei hartnäckigem Pannus verwandt werden
könnte, eignet sich wegen der zuweilen eintretenden starken Entzündung
nur für Spitalgebrauch.
Statt subkonjunktivalen NaCl-in j ektionen verwendet B. jetzt nur
noch Dionin.
Mitin ist gute Salbengrundlage, kann für sich allein bei Lidrandekzem
verwendet werden.
Perhyclrol dient in 1 — 3%iger Lösung als Desinfizienz (verdiente
aber auch sonst mehr Beachtung, Ref.).
Salocreol ist bei Gesichtsrose empfehlenswert als Einreibung.
Scopolamin. hydrochlor. und -bromic. ist in l°/0oiger Lösung
ein gutes Mydriatikum und, außer bei Iritis, wo es nicht stark genug wirkt,
statt Atropin zu verwenden. Es hält sich ausgekocht lange und beeinflußt
die inneren Augenmuskeln kürzer als Atropin.
Sophol in 5 — 10°/0iger Lösung, Formalin- Silberpräparat ohne Tiefen¬
wirkung und Reizung, ist bei eitrigen Konjunktivalerkrankungen zu brauchen,
z. B. zum Bestreichen der ektroponierten Lider mit Wäschebäuschchen statt des
Crcde’schen Verfahrens. Es macht in der Wäsche braune Flecken.
Xeroform zum Bestäuben von Lidschrunden usw., zerfallenen Kon-
junktivalphlyktänen, Ule. corneae, bei Pannus skrof. und Keratitis faszicul.,
wo wegen der reichlichen Gefäßentwicklung Atropin und Kalomel kontra¬
indiziert sind. Sehr gut wirkt es auch bei Frühlingskatarrh und Katarrhen
des Tränensackes.
An innerlichen Mitteln sah B. gutes von Antisclerosin bei Netzhau t-
blutungen, von Aspirin bei Schwitzkuren, als Antirheumatikum, bei Neur-
alg. trigemini. (2 — 3 mal tgl. 0,5, nicht nüchtern). Für Jodkuren dienen
Sajodin, Jodipin, Jothion, letzteres auch äußerlich als 10 — 20°/0ige Stirnsalbe.
Pyramidon 0,33 dient mit Vorteil gegen die Schmerzen bei Iritis, Glaukom
usw., Validol bei Flimmerskotom. Esch.
14°/0 Kochsalzlösung für Augenspülungen.
(Cantonnet. Tribüne med., S. 492, 1908.)
C an tonnet hat sich gesagt, daß die Tränen die dem Auge adäquate
Flüssigkeit sein müsse; und da die Tränen 14% NaCl enthalten, so wendete
er solche Lösungen, 35° warm, in der Augenklinik des Hotel-Dieu yn. Auch
Cerise, Coutela und Bourdier folgten ihm hierin.
Die Lösung bewährte sich ausgezeichnet, war den Pat. höchst angenehm,
ließ Hornhaut- und Bindehautstückchen völlig intakt; Infektionen oder sonstige
unangenehme Zufälle kamen nicht vor. Destilliertes Wasser dagegen wurde
schlecht ertragen. Buttersack (Berlin).
Referate und Besprechungen.
133
Medikamentöse Therapie.
Über Santyl in der Gonorrhoe -Therapie.
(Bosellini, Bologna. Newyorker med. Monatsschr., Nr. 8, 1908.)
Um die Reizwirkung der in den Balsamicis enthaltenen Terpene, Terpen¬
alkohole und Harzsäuren auszuschalten, wandelt man dieselben nach Vieth
durch Einwirkung v. aromatischen Säuren in neutrale zusammengesetzte Ester
um. Unter den neuen Körpern sah Vieth den Salizylsäureester des Sandelöls
als den zweckentsprechensten an.
Das Santyl ist ein öliger, klarer Körper ohne unangenehmen Geschmack,
der in Tropfenform gegeben werden kann (30 — 100 Tropfen pro die). Es be¬
sitzt nach B.’s, durch Krankengeschichten belegten Untersuchungen bei den
akuten blenorrhoischen Erkrankungen der unteren Harnwege eine beruhigende,
schmerzstillende, entzündungswidrige Wirkung, verflüssigt und verringert
das Sekret, mildert die Schmerzen, das Brennen und den Tenesmus und hat
einen günstigen Einfluß auf die Pollutionen und Erektionen.
Im Verein mit der Santylmedikation ist jedoch eine Lokalbehandlung
unerläßlich.
Bemerkenswert ist endlich nach Bosellini, daß das Santyl eine event.
Reizwirkung der lokalen Therapie abschwächt und dadurch der Gefahr vor¬
beugt, daß die akute Urethritis anterior zur posterior wird. Es macht
keinerlei Störungen, weder des Verdauungstraktus noch der Nieren.
Esch.
01. jecoris Aselli bei Parotitiden.
(Dr. Wechsler, Cherson* Praktitscheski Wratsch, Nr. 31, 1908.)
Jene Entzündungen der Parotis, die als Komplikationen von Typhus
und Erysipel auftreten, sollen durch äußerliche Anwendung von Lebertran
rasch beseitigt werden. Ein Stück Gaze mit weißem Lebertran getränkt, wird
über die entzündete Drüse gelegt, mit Billrothbattist und Watte bedeckt,
und das Ganze gut verbunden. Zweimal in 24 Stunden wird der Umschlag
gewechselt. Schon am nächsten Tage ist die Empfindlichkeit bedeutend ge¬
ringer, am folgenden Tage fällt die Geschwulst, und nach 5 — 6 Tagen ist
die Entzündung abgelaufen. Nur ausnahmsweise kommt es zur Inzision, so¬
bald nämlich Fluktuation deutlich nachzuweisen ; doch in der Mehrzahl seiner
Fälle sah W. Rückbildung der Entzündung nach 5 — 6 Tagen. Je früher man
mit den Umschlägen beginnt, desto sicherer der Erfolg. Das Wirksame er¬
blickt W. nicht etwa nur in der Applikationsform, denn auch nach bloßer
Einfettung mit Lebertran, der älteren — von einem russischen Kliniker ge¬
übten — Methode, hat W. günstige Wirkungen gesehen, weshalb er dem
Lebertran als solchem einen heilsamen Einfluß zuschreibt.
Brecher (Meran-Gastein).
Über die Anwendung organischer Eisenpräparate.
(Apostolides. Folia Therapeutica, Nr. 3, 1908.)
Verf. erinnert an die Versuche von Bunge, nach welchen die organi¬
schen Eisen Verbindungen besonders in der Form, wie sie im tierischen Körper
vorliegen, Heilmittel von hervorragender Bedeutung sind. Man hat sich bis
dahin mit den anorganischen Eisenpräparaten behelfen müssen, deren Wirkung
auf den Magen, die Eingeweide und auch für die Zähne oft schädigend ist.
Seit den Bunge’schen Versuchen sind die verschiedensten organischen Eisen¬
präparate besonders in Deutschland und Frankreich dargestellt worden.
Apostolides hat sich besonders für die von Schmiedeberg ent¬
deckte Eisenalbuminsäure interessiert, von der erwie'sen ist, daß sie dem
Hämoglobin am ähnlichsten ist, im Organismus kein Eisen abspaltet und leicht
resorbiert wird. Diese Säure wird von der Firma C. F. Böhringer & Söhne,
Mannheim, künstlich hergestellt und unter dem Namen Ferratin in den
134
Referate und Besprechungen.
Handel gebracht. Mit diesem Ferratin resp. seiner flüssigen .Form, der
Ferratose, sowie mit den Kombinationen Arsenferratose und Jodferratose
hat Yerf. in Gemeinschaft mit seinem Bruder im Zivil -Ottoman -Hospital
versuchsweise Anämie, anämische Zustände, Chlorose und Schwächezustände
behandelt. Es konnte jedesmal eine Hebung der Kräfte und eine Besserung
des Allgemeinbefindens festgestellt werden, so daß die Behandelten in ver¬
hältnismäßig kurzer Zeit wieder arbeitsfähig waren. Ganz besonders haben
sich die Präparate bei der Behandlung von Anämie infolge von Malaria be¬
währt. Unter gleichzeitiger Anwendung von Chinininjektionen konnten
regelmäßig und in kurzer Zeit die Krankheitserscheinungen behoben werden.
Apostolides gebraucht daher seit Jahresfrist nur noch die Ferratose-
präparate gegen die durch Malaria erzeugte krankhafte Blutbeschaffenheit.
V erdauungsstörungen traten beim Gebrauch der Mittel niemals auf. Be¬
zeichnend ist der Krankheitsfall eines jungen Mädchens, welches ohne nach¬
weisbaren organischen Fehler an allgemeiner Schwäche, schlechter Ver¬
dauung, Kopfschmerz, blassem Aussehen usw. litt; andere Eisenpräparate
schafften keine Besserung in ihrem Befinden. Eine fünfmonatliche Behand¬
lung mit Arsenferratose stellte sie vollständig wieder her.
Verf. führt dann die Erfolge an, welche Trousseau, Litten und
Moritz, letzterer besonders mit reinem Ferratin, mit der Eisenbehandlung
bei Anämie der Tuberkulösen erzielt haben, und empfiehlt schließlich die
Arsenferratose gegen chronische Ekzeme, die durch Chlorose oder Anämie
erzeugt worden sind. Neumann.
Der therapeutische Wert des Ichthyols bei der Pockenbehandlung.
(Dr. Dudtschenko-Kolbassenko. Praktitscheski Wratsch, Nr. 32, 1908.)
Im Eruptionsstadium der Variola soll Ichthyolsalbe imstande sein, die
Vereiterung der Papeln und somit das Sekundärfieber zu verhüten, ja selbst
im Anfang des Suppurationsstadiums, so versichert der Autor, soll das Mittel
noch nützen, indem es die Eiterung beschränkt und die Periode des Eiterfiebers
abkürzt. Dagegen sei es, auf der Höhe des Eiterungsstadiums angewandt,
wertlos, also kein Mittel zur Behandlung der Pusteln ; wohl aber könne eine
derartige, weil verspätete, darum auch erfolglose Behandlung den Wider¬
spruch erklären, dem der Vorschlag des Verfassers mehrfach begegnet sei.
Er selbst will mit seinem Verfahren Rückbildung der Papeln unter end¬
gültiger Entfieberung und Heilung ohne Hinterlassung von Narben erzielt
haben. Leider kann die betreffende Krankengeschichte dem Leser nicht die
volle Sicherheit geben, daß es sich tatsächlich um Variola handelte. Indessen
können sich die Behauptungen des russischen Arztes wohl noch auf andere
Beobachtungen stützen, denn er ist mit seiner der Spitalpraxis entstammenden
Therapie schon bei früherer Gelegenheit hervorgetreten. Jedenfalls ist die
äußerst einfache Methode wert, nachgeprüft zu werden. Man verwendet 20%
Ichthyol-Lanolin (mit geringem Zusatz gelben Vaselins zur Erzielung der rich¬
tigen Konsistenz). Alle erythematösen und papulösen Stellen werden dreimal
täglich mit dieser Salbe eingefettet. Brecher (Meran-Gastein).
Über kombinierte Theobromin- und Jodbehandlung.
(N. Jagic. Med. Klinik, Nr. 14, 1908.)
Auf Anregung von Noordien’s haben die vereinigten Chininfabriken
Zimmer & 'Co. ein Präparat hergestellt, daß eine Theobrominnatrium- Jodnatrium-
Verbindung in Form eines Doppelsalzes darstellt. Das Präparat, das unter
dem Namen Eustenin in den Handel kommt, wird in Dosen von 0,5 bis 1,0
in Pulver oder Lösung und eventuell als Klysma verabreicht; die Lösung
darf nicht mit Zucker als Korrigens zusammengesetzt werden, sondern ist
event. unter Zusatz von Saccharin herzustellen; es wird auch eine fertige
Lösung derart mit weiterem Zusatz von Orangenblütenwasser, die teelöffel-
Referate und Besprechungen.
13,5
<i i
weise gegeben wird, von der Firma hergestellt. Das Mittel dürfte da, wo
eine Verbindung der Jodbehandlung mit Theobromin wünschenswert erscheint,
also in zahlreichen Fällen von Arteriosklerose, speziell der Coronararterien
angezeigt, sein, und hat sich in entsprechenden Fällen bewährt in Tages¬
gaben von 2,5 g an der Klinik von Noorden. R. Stüve (Osnabrück).
Röntgenologie und physikalische Heilmethoden.
Eine neue Anwendung der Röntgenstrahlen.
(Ing. Friedrich Dessauer, Aschaffenburg. Münch, med. Wochenschr., Nr. 26, 1908.)
Behandelt das gleiche Problem wie der gleichnamige Aufsatz in dem in
Nr. 1, 1909 besprochenen Buche, gibt aber noch weitere Einzelheiten über die
Methode, speziell über die Anbringung eines Glasfilters, durch welches die noch
entstehenden „weichen“ Rö!n t genstrahlen abgefangen, und indem sie eine sehr
harte Sekundärstrahlung erzeugen, noch weiter zweckmäßig verwendet werden.
Bei der großen Wichtigkeit der homogenen Tiefenbestrahlung für die Be¬
handlung interner Karzinome und Sarkome ist es zu bedauern, daß die
Dessauer’sche Anordnung noch nicht in größerem Maßstabe am Materiale
eines großen Krankenhauses erprobt worden ist. C.
Die Röntgenuntersuchung des Magens.
(M. Faulhaber. Arch. für physik. Medizin u. medizin. Technik, 4. Bd., H. 1/2.
Leipzig, O. Nemnich, 1908.)
Immer mehr erobern sich die Röntgenstrahlen einen Platz in der Dia¬
gnostik. Zog man sie zu Anfang nur bei den Erkrankungen des Herzens
und der Lungen zu Hilfe, so erhellt aus der eingehenden Arbeit von Faul-
haber ihre Bedeutung für die Beurteilung der Magenstörungen. Natürlich
gehört zum Deuten von Röntgenbildern ebenso eine gründliche Schulung,
wie zur Deutung der Auskultations- und Perkussionsergebnisse; was da alles
zu beachten ist, findet sich in der Abhandlung ausführlich und instruktiv
niedergelegt. Hier sei nur kurz der Gang einer Röntgenuntersuchung
skizziert.
1. Untersuchung des leeren Magens: Der nüchterne Pat. wird
im Stehen dorsoventral durchleuchtet. Beachtung der Fundusblase unter
Drehung nach links.
Pat. trinkt dann 30 — 50 ccm Kästle’scher Bismutaufschwemmung
(10 g Bism. -J- 20 g Bolus alba -j- 50 g Wasser); Röntgenoskopie während
des Trinkens. Man achte darauf, ob nicht ein Teil der Aufschwemmung
den Pylorus verläßt und ins Duodenum läuft. Man fertige eine Schirm¬
pause des dorsoventralen Füllungsbildes; insbesondere des Flüssigkeitsstandes.
Während der Durchleuchtung drehe sich Pat. um seine Achse.
Versuch, den Mageninhalt ins Duodenum zu pressen; Beobachtung des
Pylorus.
Beobachtung des Magens beim Atmen und beim Spiel der Bauch¬
muskeln ; man taste dabei den Magen ab.
Orthoröntgenographische Markierung der kaudalen Magengrenze auf
der Haut.
Dauer dieser Sitzung: 10 — 15 Minuten.
2. Untersuchung des gefüllten Magens: Der nüchterne Pat. wird
durchleuchtet, um zu sehen, ob noch etwas von dem gestern genommenen
Bi. sichtbar ist; eventuell trifft man den sog. „kausalen Halbmond“.
Pat. nimmt die Rieder’sche Mahlzeit (500 g Brei-)- 30 bis 40g Bism.
subnitr.). Besichtigung und Durchpausen des dorsoventralen Bildes unter
gleichzeitigen Drehungen.
186
Referate und Besprechungen.
Prüfung der Verschieblichkeit des Magens durch Respirationen, Vor¬
wölben und Einziehen des Bauches.
Schirmpalpation, um zu sehen, ob die Magenwand jedem Fingereindruck
prompt ausweicht. Versuch, den Bismutbrei ins Antrum pylori hineinzu¬
drängen.
Beachtung der Peristaltik an der Kurvatur und am Antrum pylori.
Dauer: 20 — 25 Minuten. ^
Natürlich löst die Röntgenuntersuchung nicht die ganze Magenpatho¬
logie auf, so wenig als das Hörrohr die ganze Pathologie der Zirkulations¬
störungen beherrscht bezw. beherrschen sollte. Aber ebenso wie nur wenige
die Herzbehorchung missen möchten, ebenso wird es der Ärztewelt späterhin
mit der Magendurchleuchtung ergehen. Buttersack (Berlin).
Röntgenstrahlen zur Diagnose des Magenkarzinoms.
G. Leven u. G. Barret. Bull. mein, de la Soc. Anat. de Paris. 83. Jahrg., Nr. 1,
S. 46 — 52, Januar 1908.)
Gibt man einem Menschen mit gesundem Magen Milch mit Wismut
zu trinken, so zeichnet sich der Magen auf dem Röntgenschirm als schwarzer
Fleck ab. In demselben tritt jedoch eine helle Zone auf, wenn an irgend
einer Stelle der Magen stenosiert ist, z. B. durch eine Geschwulst. — Die
Beobachtung ist gewiß sehr nett ; allein der Umstand, daß die 4 Patienten,
an denen die Autoren experimentierten, bald darauf gestorben sind, beweist,
daß diese diagnostische Methode erheblich zu spät kam.
Buttersack (Berlin).
Der Wert der Röntgenuntersuchung für die Frühdiagnose der Lungen¬
tuberkulose und die Bedeutung der röntgenologischen Lungenuntersuchung
für die Lungenheilstätte.
(G. Schellenberg. Zeitschr. für Tuberk., Bd. 12, Nr. 6, 1908.)
Die Röntgendurchleuchtung ist eine wertvolle Ergänzung der übrigen
Untersuchungsmethoden, kann diese aber nicht vollständig ersetzen und kann
auch nicht als erheblich überlegen angesehen werden, weil gerade die Durch¬
leuchtung der Lungenspitzen infolge der anatomischen Verhältnisse besonders
ungünstig ausfällt. Bei negativem Ergebnisse der Perkussion und Auskulta¬
tion und unsicherer Anamnese wird man auf Grund des Röntgenbefundes
allein die Diagnose nicht stellen können. Andererseits kann man in zweifel¬
haften Fällen durch die Röntgenstrahlen eine willkommene Aufklärung er¬
halten. Dabei ist aber zu berücksichtigen, daß die Röntgenstrahlen ein¬
fachen Katarrh nicht erkennen lassen, daß sie vereinzelte kleinste Knötchen¬
bildung nicht enthüllen können, wenn die Schatten der Muskeln und Knochen
störend dazwischen kommen, daß ferner bei fibröser Phthise der Befund
unsicher ist und auch sonst mancherlei Schwierigkeiten in der Deutung der
Befunde sowie individuelle Verschiedenheiten zu berücksichtigen sind. Da¬
gegen zeigt sich das Röntgenverfahren den klinischen Untersuchungsmethoden
überlegen bei der Feststellung tiefer gelegener Prozesse, zentraler Herde,
intrathorakaler Lymphdrüsenerkrankungen ; es ermöglicht eine Beobachtung
der Zwerchfellbewegungen und Feststellung von Schrumpfungsvorgängen ; es
bewährt sich besonders bei Mißbildungen des knöchernen Thorax und bei
Komplikation der Tuberkulose mit anderen Lungenkrankheiten ; es gibt uns
bisweilen schon einen positiven Befund, wenn die andern Untersuchungs¬
methoden noch keine Veränderung nach weisen ; es gibt ein genaueres Bild
der anatomischen Verhältnisse, als durch die andern Untersuchungsmethoden
möglicht ist, und ermöglicht eine Kontrolle dieser durch das Auge, den objek¬
tivsten Sinn. Sobotta (Reiboldsgrün).
Referate und Besprechungen.
137
Massage und Nephroptose.
(C. de Masson. Bull. med. Nr. 93, S. 1039 — 1043, 1908.)
Bemerkenswerte Notizen zur Frage der Wandernieren bringt der
Assistent an der Segond’schen Klinik der Salpetriere. Zunächst bewertet
er in der Ätiologie vorangegangene Geburten und das Korsett äußerst ge¬
ring; er berichtet z. B. von zwei Frauen, welche 15 bezw. 17 Kinder ge¬
boren hatten, und keine Andeutung von irgend welchen ptotischen Erschei¬
nungen darboten, während sich solche bei Jungfrauen finden. Und wenn
dem Schnüren ein nennenswerter Einfluß zukäme, dann müßten W ander-
nieren usw. ungleich häufiger Vorkommen. Nach Le Masson ist die Ursache
der Ptosen, speziell der Nieren, ein Versagen der Befestigungsmittel (l’insuf-
fisance des moyens de contention du rein) ; er hätte sich noch präziser aus-
drücken und eine Verminderung der elastischen Qualitäten anschuldigen
können.
Große Stücke hält er auf die Bauchmassage. Aber er trennt scharf
die weiche und die harte (un massage pratique avec douceur ou avec violence).
Plethysmographische Untersuchungen an Fröschen und an Frauen haben
ihm ergeben, daß eine zarte Massage zunächst vasokonstriktorische Effekte
hat, denen bald Vasodilatationen folgen, so daß aus dem regelmäßigen
Wechsel dieser Vorgänge eine nach Quantum und Rhythmus verbesserte
Durchströmung mit Blut sich ergibt. Diese zunächst lokalen Prozesse wirken
auf das Herz und wahrscheinlich auch auf das Gehirn zurück, so daß mithin
eine allgemeine Verbesserung im feinsten Stoffwechsel erfolgt.
Ganz anders verlaufen die Dinge bei harter, roher Massage. Bei
ihr entsteht zunächst eine Lähmung der Gefäße, denen keine Vasokonstrik¬
tion entspricht; das Alternieren zwischen Spannung und Entspannung bleibt
aus. Infolgedessen kommt es zu lokalen Hyperämien, Hämorrhagien und
zu Störungen der Herz- und Nerventätigkeit. Während also eine leichte,
zarte Massage bei dem Pat. das angenehme Gefühl von Leichtigkeit, Be¬
ruhigung usw. hervorruft, verursacht die energische Methode allgemeinen
Schmerz, Erschöpfung, Schwindel, sogar Ohnmächten.
Vielleicht rückt Le Masson die Vorgänge an den Gefäßen allzu
sehr in den Vordergrund und bewertet sie als selbständige Dinge. Aber
diese Vorstellung teilt er ja mit den Zeitgenossen, und da er im übrigen
seine Ideen folgerichtig entwickelt, so findet er hoffentlich recht viel Anklang.
Buttersack (Berlin).
Heiße Luftduschen.
(Dausset u. Laquerriere. Soc. de med. de Paris, 13. November 1908. — Progr.
med., Nr. 47, S. 821, 1908.)
In der Hydrotherapie findet es jedermann selbstverständlich, daß neben
dem ruhenden Wasser auch das bewegte benützt wird; in der Heißluft¬
therapie hat man bisher fast allgemein auf das mechanische Moment, die
massierende Wirkung der strömenden Luft, verzichtet. Und doch kann man
mit einer heißen Luftdusche allerlei erfreuliche Erfolge erzielen z. B. bei
Neuralgieen, chronischem Rheumatismus, Ekzem, Hydarthros. Eiternde
Wunden reinigen sich und vernarben schnell; Gelenkversteifungen mobilisieren
sich, und chronische Radiodermatitiden jucken nicht mehr und zeigen einen
Rückgang der Teleangiektasien und atrophischen Vorgänge.
Man könnte den zugrunde liegenden Gedanken vielleicht noch weiter
führen und, analog den wechselwarmen Wasserduschen, wechselwarme Luft¬
duschen konstruieren. Daß dadurch die vitalen Kräfte noch stärker ange¬
regt würden, ist klar. Für konstruktionslustige Gemüter eröffnet sich da
also noch ein weiter Horizont. Buttersack (Berlin).
138
Referate und Besprechungen.
Krankenpflege und ärztliche Technik.
Der Erdschluß in der Elektrotherapie.
Von Dr. med. Dam mann, Nervenarzt in Berlin.
Ein in der Praxis vor einiger Zeit passierter Vorfall veranlaßt mich
zu einigen kurzen Bemerkungen über obiges Thema. Bei der Galvanisation
einer Hysterica erlitt diese hei der zufälligen Berührung mit dem die Galvani¬
sation ausführenden Arzt einen derartigen elektrischen Schlag, daß sie einen
Nervenchok davontrug, von dem sie sich nur schwer zu erholen vermochte,
während der Arzt mit einem ebenfalls sehr starken, doch weniger nach¬
teiligen Schlag davonkam. Diese Erscheinung konnte nur durch Erdschluß
erklärt werden und die weiteren Untersuchungen bestätigten die Richtig¬
keit der Annahme. Über die Frage des Erdschlusses ist bisher in der
medizinischen Literatur so wenig diskutiert worden, daß eine kurze Er¬
örterung darüber bei dem sich mit Elektrotherapie befassenden Arzte nicht
ohne Beachtung bleiben wird.
Bei den großen Starkstromquellen elektrischer Zentralen wird meisten¬
teils das sogenannte Drei-Leiter-System angewandt, indem zwei Dynamo¬
maschinen hintereinander geschaltet werden und von der Verbindung der
beiden Dynamos aus eine Erdleitung hergestellt ist (Mittelleiter). Wenn
man also einen der beiden Außenleiter mit dem Mittelleiter, d. h. mit der
Erde, in Verbindung bringt, wie dies z. B. in unserem obenbeschriebenen
Falle durch den menschlichen Körper geschah, so geht durch den letzteren
ein Strom von der Spannung der betreffenden Elektrizitätsanlage hindurch.
Es ist ohne weiteres ersichtlich, daß derartige Ströme imstande sind, die
größten Gefahren für den Organismus herbeizuführen.
Mit der Gefahr eines Erdschlusses wird man daher stets dann zu rechnen
haben, wenn man den Strom zum Betriebe der elektrotherapeutischen Apparate
von einer derartigen Stromquelle bezieht.
Bei elektrischen Bädern ist die Gefahr eines eventuellen Erdschlusses
besonders groß. Der Patient kann z. B. mit dem Auslaufhahn der Wasser¬
leitung in Berührung kommen oder der auf nassem, zementiertem Fußboden
stehende Arzt bezw. Wärter die Leitung zwischen dem geerdeten Mittelleiter
und dem Patienten und damit Erdschluß herbeiführen.
Ferner kann die Kette des Abflußventils der Wanne auf irgend eine
Weise mit den Wasserzuleitungsröhren in Kontakt kommen usw. Nässe des
Fußbodens begünstigt außerordentlich das Entstehen des Erdschlusses und
auch in dem obenangeführten Falle war das betreffende Zimmer eben auf¬
gewaschen worden.
Auch bei anderen Anwendungsarten des elektrischen Stromes müssen
wir, wie schon eine oberflächliche Betrachtung lehrt, mit den verschiedensten
Möglichkeiten für die Herstellung einer Verbindung zwischen Mittelleiter, der
Elektrizitätsanlage und dem Patienten rechnen.
Vor kurzem las ich von einem Kollegen, daß auch ihm durch Erdschluß
ein äußerst bedauerlicher Vorfall zugestoßen sei, bei dem einer seiner Patienten
eine Lähmung davontrug, an der er wochenlang darniederlag.
In Kliniken und Operationssälen findet der Erdschluß in den zemen¬
tierten oder steinernen Fußböden an und für sich, besonders aber, wenn sie
naß sind, äußerst günstige Bedingungen für ein Zustandekommen. Ein
solcher Erdschluß kann für den Arzt, abgesehen von der Gefahr, der er selbst
ausgesetzt ist, von den nachteiligsten Folgen sein. Sein Patient wird kaum
Lust empfinden, die elektrische 'Kur fortzusetzen und durch öftere Wieder¬
holung derartiger Fälle kann die Elektrotherapie sehr diskreditiert werden.
Ferner kann die Frage des Erdschlusses bei eventuellen Entschädigungs¬
ansprüchen seitens eines dadurch geschädigten Patienten an den Arzt aktuell
werden.
Referate und Besprechungen.
139
Meiner Ansicht nach kann daher sowohl im Interesse des Arztes als
auch im Interesse der Patienten nicht dringend genug empfohlen werden,
sowohl für diagnostische als auch therapeutische Zwecke nur erdschlußfreie
Apparate anzuwenden.
In letzter Zeit sind von den einschlägigen Firmen Einrichtungen zur
Verhütung des Erdschlusses getroffen worden, doch muß ich es mir an dieser
Stelle versagen, auf eine nähere Beschreibung solcher Apparate einzugehen.
Plessimeter und Perkussionshammer zur Schwellenwertsperkussion
des Herzens.*)
Nach Sanitätsrat Dr. Lenz mann.
Bei der sog. Schwellenwertsperkussion des Herzens sollen möglichst
geringe Schallunterschiede zur Wahrnehmung gebracht werden. Nach dem
Fechner’schen Gesetze brauchen diese behufs Perzeption um so geringer
zu sein, je leiser der AnfangsschaU ist, von dem die Perkussion ausgeht.
Es kommt also darauf an, möglichst leise zu perkutieren und mit dieser
Perkussion unserem Sinnesapparat einen eben wahrnehmbaren Schall zu über¬
mitteln. Er muß aber möglichst einfach und charakteristisch sein, wenn
Unterschiede zur Perzeption kommen sollen.
Die Vorstellung, daß die leiseste Perkussion genüge, den Luftraum
der Lunge in seiner ganzen Dicke in Schwingung zu versetzen, ist schwer
annehmbar, einfacher scheint die Erklärung, daß die oberflächlichen Luft¬
schichten zur Resonanz minimal angesprochen werden, und daß dort, wo
dieser Resonanz sich eine feste Masse, das Herz, entgegensetzt, die Mit¬
schwingung der dünnen überlagernden Lungenluftschicht gar nicht mehr in
Betracht kommt. Es entsteht Dämpfung.
Um möglichst kleine, Partien perkutieren und Mitschwingungen der
Umgebung auf ein möglichst geringes Maß beschränken zu können, ist eine
kleine Plessimeterfläche gewählt und an das eine Ende des Plessimeters
ein knöpf förmiger Ansatz angebracht, der es erlaubt, in den Zwischenrippen¬
räumen die Perkussion geradezu auf einen Punkt zu beschränken.
Zur Perkussion wird ein kleiner Perkussionshammer benutzt, der statt
eines Gummiknopfes, mit dem das Plessimeter angeschlagen wird, einen Blei¬
knopf trägt. Man braucht mit dem Bleiknopf das Plessimeter nur eben
zu berühren, um einen einfachen, aber deutlich akzentuierten Schall zu er¬
zielen, der sich in seinem Eindruck auf unser Perzeptionsorgan deutlich
ändert, sobald er von der lufthaltigen Lunge zum unterliegenden Herzen
übergeht. Hier ist er leer ohne jeden Klang, dort zeigt er eine scharfe,
aber deutliche Fülle.
Je leiser perkutiert wird, desto sicherer ist das Resultat. Es genügt
ein leises Überstreichen des Bleiknopfes des Hammers über die Plessimeter-
fläche zur Hervorhebung des geringsten Schallunterschiedes.
Durch richtigen Gebrauch des Instrumentes, der allerdings eine gewisse
Übung und gespannte Aufmerksamkeit erfordert, kann die relative (große)
Herzdämpfung genau festgestellt werden, wie zahlreiche Leichenversuche ge¬
lehrt haben.
Auch zur Lungenperkussion kann das Instrument verwertet werden, in
diesem Falle ist es empfehlenswert, das Plessimeter mit einem Gummihütchen
zu überziehen zur Erzielung eines weniger scharfen, mehr vollen Schalles.
*) Zu beziehen durch Gebr. Johnen, Duisburg.
140
Referate und Besprechungen,
Elektro - Dauerwärmer (Elektro-Kataplasmen).
System Hilzinger.
Diese Apparate ermöglichen eine neue Form von Wärmeapplikationen
und werden als weiche, flexible Kompressen, Binden und Fassonstücke in
verschiedenen, dem betr. Körperteil angepaßten Formen auf diesen gelegt,
resp. um ihn gewickelt, so daß dem Patienten weder im liegenden, noch im
sitzenden resp. stehenden Zustand Unbequemlichkeiten dadurch entstehen.
Die Erwärmung der Apparate geschieht durch direkten Anschluß an
die elektrische Leitung.
Verbrennungen oder Kurzschluß sind ausgeschlossen, da die durch den
Strom erhitzten Widerstände vollkommen sicher isoliert sind.
Sehr angenehm wird es in der Praxis empfunden, daß die Heizung in
drei Stufen regulierbar ist, so daß stundenlang ohne Unterbrechung eine
milde Wärme zur Anwendung kommen kann.
Die Temperatur, gemessen zwischen Apparat und dem mit Stoff be¬
deckten Körperteil, beträgt je nach erfolgter Regulierung nach ca. 15 Minuten
30—600 c.
Dabei ist der Stromverbrauch nur ein geringer, so daß sich die Betriebs¬
kosten auf 2 — 6 Pfennig in der Stunde stellen.
Die Dauerwärmer werden in verschiedenster Größe und Form geliefert,
auf speziellen Wunsch auch ganz nach Angabe angefertigt.
Fabrik: W. M. Hilzinger-Reiner, Stuttgart.
Saugverschluß für die Harnröhre.
Von Dr. Heinr. Loeb, Mannheim.
Bei protrahierten Injektionen in die Urethra, bei Arbortivbehandlung
der Gonorrhöe ist es für den Patienten oder für den Arzt eine mühsame
Beschäftigung, das Orificium urethrae 5 — 10 — 20 Minuten lang mit den
Fingern zuhalten zu müssen. Um diesem Mißstande abzuhelfen, wurden
Urethraklemmen angegeben, so von Strauß-Barmen (Münch, med. Wochen¬
schrift, Nr. 44, 1905), die sich aber keine weitere Anwendung zu erringen
vermochten. Die Klemmen rutschten in einzelnen Fällen ab, verursachten
kneifende Schmerzen und schalteten das gefaßte Ende von der Berrührung
mit der Injektionsflüssigkeit aus. Seit längerer Zeit bediene ich mich eines
der Bier’schen Glocke nachgebildeten Saug Verschließers, der sich für diese
Zwecke gut bewährt. Er besteht aus einem Gummiballon, zur Verdünnung
der Luft und einer Glasglocke, deren Basis nach innen umgekrempelt ist
und die das Orifizium aufnehmende Öffnung trägt. Letztere muß die rich¬
tigen Dimensionen haben, da sonst ein zu großer Teil der Glans aspiriert
Bücherschau.
141
wird. Die Applikation ist sicher haftend, besonders wenn die Innenfläche
angefeuchtet wird, einfach und schmerzlos, die Luftleere leicht regulierbar.
Der einzige Nachteil besteht darin, daß auch bei dieser Methode das in
die Glocke eingesaugte Stück der Urethralschleimhaut nicht unter dem Ein¬
flüsse der injizierten Flüssigkeit steht, ein Fehler, der durch die keim¬
tötende Wirkung der Stauung allerdings wohl kompensiert wird. Während
der Patient ruhig auf einem Stuhle sitzt, liegt der angesaugte Apparat
auf einer vorgehaltenen Schale auf ; die injizierte Flüssigkeit steht unter
demselben gleichmäßigen Druck, und die Kompression derselben in die hintere
Harnröhre, welche so häufig Veranlassung zur Urethritis posterior abgibt,
fällt weg. (Zu beziehen von Friedrich Dröll, Mannheim. Preis Mk. 1,50.)
Mars-Gürtel.
Eine Bauchbinde, der die bekannten Nachteile der üblichen Bandagen
nicht eigen sind, und die allen an sie gestellten Anforderungen genügt, ist
der von der Firma Wilh. Jul. Teufel in Stuttgart, aus feinstem Gummi¬
trikot hergestellte Mars-Gürtel. Seine Vorzüge bestehen in einer außer¬
gewöhnlich hohen Elastizität und ganz besonders darin, daß der Gürtel
seiner ganzen Länge nach in drei verschieden stark elastisch wirkende Schichten
eingeteilt ist, von denen die mittlere und zugleich breiteste am stärksten
elastisch wirkt, so daß auf dem stärksten Teile des Leibes auch der stärkste
Druck ausgeübt wird. Der Bauch wird zirkulär umfaßt, die Bauch Wölbung
wird zurückgedrängt, und die Fettschichten und der Leibesinhalt werden
gleichmäßig komprimiert. Die Därme werden in ihrem Lumen durch die
gleichmäßige Kompression rein mechanisch verkleinert, und die Fettablage¬
rung und Gasansammlungen werden verhindert. Einer Erschlaffung der
Bauchmuskulatur wird dadurch entgegengearbeitet, daß sie durch den Gürtel
zweckmäßig unterstützt wird, so daß sie sich allmählich wieder zusammen¬
zieht. Das Tragen des Maps-Gürtels wird infolge der großen Elastizität
nicht störend, sondern angenehm empfunden.
Bücherschau.
Psychiatrie für Ärzte und Studierende. Bearbeitet von Ziehen. 3. Aufl.
Leipzig, Hirzel, 1908. 801 S. Geheftet 16 Mk.
In der Reihenfolge 1894, 1902, 1908 sind sich die Auflagen des bekannten
Lehrbuches rasch gefolgt. Die neue dritte Auflage stellt eine weitgehende
Umarbeitung der vorigen unter Berücksichtigung der Fortschritte der For¬
schung, besonders soweit es sich um gesicherte Kenntnisse handelt, dar. Diese
Beschränkung ist notwendig, wo es sich um ein Lehr- und Lernbuch, das
grundlegende Kenntnisse dem Studierenden vermitteln soll, handelt. Be¬
sonders klar und zur Einführung in das Gebiet geeignet ist der allgemeine
Teil, in welchem die allgemeine Symptomatologie erörtert ist von dem Stand¬
punkt der bekannten physiologischen Psychologie des Verfassers aus. Dieser
Standpunkt ermöglicht den Ausführungen, die der Verf. in der Erörterung
symptomatologischer Verhältnisse, wie bei der Umgrenzung von Krankheits¬
bildern gibt, die Eigenschaft der außerordentlichen Klarheit und Präzision,
didaktisch liegt darin ein unbestreibarer Vorzug. Vor allem fehlt auch nicht
die Anknüpfung an die Tatsachen der Neuropathologie, überall wo sich
Gelegenheit dazu bietet. Die Klassifizierung ist, wie dies der Verfasser
auch früher getan hat, nach klinischen Gesichtspunkten gegeben. Die wert¬
vollen und zahlreichen Verweisungen auf die Litteratur machen das Buch
nicht nur als Lehr-, sondern auch als Nachschlagewerk wohl geeignet. Auch
die neue Auflage wird sicherlich so rasch wie die früheren sich allgemeine
Schätzung erwerben. H. Vogt.
142
Bücherschau.
Arthur Schopenhauer und seine Weltanschauung. Von Am. Kowalewski.
Halle a. S., C. Marhold, 1908. 237 S.
Es ist noch nicht allzulang her, daß unter den Gebildeten ein heftiger
Kampf für und .wider Schopenhauer tobte. Allmählich haben sich die
Gemüter beruhigt; Nietzsche rückte in den Mittelpunkt des Interesses,
und der Frankfurter Philosoph nahm seinen Platz in der Geschichte der
Philosophie ein. Da scheint jetzt die Zeit gekommen zu sein, ihm mit
Objektivität gegenüber zu treten und, ohne daß die leicht verletzliche persön¬
liche Meinung mitspricht, dem nachzugehen, was er lehrte.
Kowalewski hat diese Aufgabe in einer für jeden Allgemeinge¬
bildeten verständlichen Weise gelöst. Auf eine knappe, aber das Wesent¬
liche betonende Darstellung seines äußeren Lebensganges und der Momente,
welche seine Philosophie beeinflußt haben könnten — ob freilich Rubens
jüngstes Gericht und sein Eindruck auf die Mutter die Gemütsrichtung
des bald darauf geborenen Kindes tiefgreifend beeinflußt hat (S. 24), er¬
scheint mir zweifelhaft — folgen 6 Kapitel, welche Schopenhauer’s Er¬
kenntnistheorie, Willensmetaphysik, Naturphilosophie, Ästhetik, Pessimismus,
Ethik und Erlösungslehre behandeln, mit einem interessanten experimental-
psychologischen Abschnitt, der des Philosophen Lehre von der Zusammen¬
gehörigkeit großer Lust- und großer Schmerzdisposition bestätigt.
Schopenhauer’s Einfluß auf das Denken unserer Zeit ist heute
weniger lärmend, aber vielleicht nachhaltiger als vor einem halben Jahr¬
hundert. Um so mehr wird es gewiß den einen oder anderen interessieren,
diesen Pfeiler der dermaligen geistigen Konstitution näher kennen zu lernen.
Buttersack (Berlin).
Konrad Ferdinand Meyer. Eine pathographisch-psychologiche Studie.
Von J. Sadger. Wiesbaden, J. F. Bergmann, 1908. 64 S. 1,40 Mk.
Die Analyse des Seelenlebens spielt heutzutage eine große Kölle. Sie
hat auch die sog. großen Männer in ihren Bereich gezogen, vielleicht in
der stillen Hoffnung, das Wesen der Größe, des Genies zu ergründen; allein
mir scheint, der ,, Dämon“ Platos und die „divina vesania“ des Horatius
bleiben der verstandesmäßigen Auflösung unzugänglich. Immerhin bleibt
noch genug des Interessanten an derlei Studien, und es ist bewundernswert,
mit welcher Liebe Sadger der problematischen Natur seines Helden nach¬
gespürt hat, wie er die erbliche Belastung nachweist und als seine Grund-
eigen schäften : dauernde Verstimmung und ständigen Assoziationswiderwillen
mit erotischen Einschlägen darlegt.
Liest man K. F. Meyer’s Geschichte, so erscheint er zunächst bis
zu seinem 40. Jahre als ein zerfahrener, haltloser Mensch, als ein Tunicht¬
gut, Taugenichts, oder als eine degenerierte Persönlichkeit, der jede Zentrier¬
fähigkeit abging. Man wird in manchen Zügen an Tasso erinnert, welchen
Goethe ganz ähnlich sich charakterisieren ließ:
„es habe doch
Ein schön Verdienst mir die Natur geschenkt,
Doch leider habe sie mit manchen Schwächen
Die hohe Gabe wieder schlimm begleitet,
Mit ungebundenem Stolz, mit übertriebener
Empfindlichkeit und eignem düstern Sinn.“
Erstaunlich bleibt es immer, wie auf solch einem Boden sich schließlich
noch ein so bedeutendes dichterisches Schaffen entfallen, wie das poetische
„Plus an Großhirn“ noch zum Durchbruch kommen konnte.
Sadgers Studie ist ein wertvoller Beitrag zur modernen Kultur¬
geschichte. Buttersack (Berlin).
Die Pest. I. Teil: Die Geschichte der Pest. Von G. Sticker. Gießen,
Verlag Alf. Töpelmann, 1908. 422 S.
Ich war allmählich zu der Überzeugung gekommen, daß es keine
Polyistoren mehr gäbe. Von diesem Irrtum hat mich das vorliegende
Werk geheilt. Schreibt heutzutage jemand über die Pest, so bringt
er entweder mikrobotanische Spezialitäten oder sog. epidemiologische Be-
Bücherschan.
143
obachtungen aus irgend einer Lokal-Pest oder schließlich eine Zusammen¬
stellung aus den letzten Dezennien, so weit eben unsere Jahresberichte,
Zentralblätter u. dergl. reichen. Aber wie verschwindend wenig ist das
im Vergleiche mit der Geschichte der Pest, wie sie uns 'Sticker vorführt!
Mit dem ersten Auftreten der Seuche, 1220 vor Chr., als Jehovah die Ägypter
damit schlug, bis auf die neueste Zeit ist ihr der unermüdliche Forscher
Jahr für Jahr nachgegangen, und alles was irgendwo von halbwegs ver¬
läßlichen Notizen aufzutreiben war, ist im vorliegenden Bande zusammen¬
getragen.
Zuerst staunt man über die enorme Belesenheit des Verfassers, der
seinem Feinde nicht nur in naturwissenschaftlichen und historischen Werken,
sondern auch in vergilbten Stadtchroniken und in der scheinbar gänzlich
unbeteiligten Dichtkunst nachspürte. An historischer Genauigkeit und Treue
läßt Sticker weit hinter sich, was je vor ihm geschrieben worden ist.
Aber man glaube ja nicht, die Lektüre dieser Extrakte sei ein trockener
Genuß. Die Kunst der Darstellung ist so groß, daß das Ganze sich im
Gehirn des Lesers zu einem historischen Roman von gigantischen Formen
zusammenfügt, in welchem die Szenerie fortwährend wechselt, die Einheit
der Handlung aber streng gewahrt bleibt. Daß ein Mann, der — .ein her¬
vorragender Kliniker — die Pest in ihrer Heimat beobachtet, der tagelang
in Pesthäusern an den Lagerstätten der Kranken gesessen hat und dessen
Wissen zugleich im ganzen weiten Reiche der Geschichte wurzelt: daß
solch ein Mann etwas ganz anderes zutage fördert, als ein Partialgelehrter,
dessen Horizont an den Wänden seines Laboratoriums aufhört, ist wohl selbst¬
verständlich.
Auf das wundervolle Deutsch sei nebenbei noch besonders hingewiesen ;
dasselbe verdient um so mehr Beachtung, je kleiner die Zahl derer ist, die
das Instrument der Sprache gut oder auch nur leidlich zu handhaben verstehen.
Wer einen Scheuklappenhorizont hat, lasse ja die Finger von dem
Werk! Um so größeren Genuß werden davon diejenigen haben, die nicht
ihre Schule für den Nabel der Welt und das Jahr 1908 für das Jahr
der Vollendung halten, sondern die über. Kaum und Zeit in die grenzen¬
lose Geschichte zu blicken vermögen. Buttersack (Berlin).
Kann der Deutsche sich in den Tropen akklimatisieren? Von Stendel.
Beiheft zum Archiv für Schiffs- und Tropenhygiene, Nr. 4, 1908. Joh.
Ambr. Barth, Leipzig, 1908.. 22 S. 75 Pfg.
Die verheerenden Wirkungen der Malaria ließen sich am Ende beseitigen,
aber dann bleibt immer noch der Einfluß des Klimas, welcher auch in
den Gebirgen der Tropen nachteilig auf das Nervensystem und die ethischen
Qualitäten wirkt. Diese Schädigung läßt sich indessen durch zeitweise Er¬
holung in der Heimat wieder ausgleichen ; eine vollkommene Akklimati¬
sation mit der Möglichkeit dauernden Aufenthaltes und kräftiger Nach¬
kommenschaft scheint aber z. Z. noch nicht möglich zu sein.
Interessant sind die von Steudel so nebenbei gegebenen Hinweise
auf die Entstehung von Mischrassen, z. B. auf Samoa, Reunion, Martinique u. a.
Wenn wir bedenken, daß die Rassen, die wir heute als rein zu betrachten
gewöhnt sind, ihrerseits nur prähistorische Mischungen darstellen, so stehen
wir angesichts der modernen Kolonisationsbestrebungen vielleicht auch wieder
den Anfängen neuer Rassen gegenüber, die sich aus der Verbindung von
Europäern und Eingeborenen da und dort ergeben. Buttersack (Berlin).
Der Kopfschmerz als häufige Folge von Nasenleiden und seine Diagnose.
Von Veckenstedt. Verlag Kurt Kabitzsch, Würzburg. Würzburger
Abhandlungen, 1908. 85 Pfg.
Verf. unterscheidet lokalen, neuralgischen und zerebralen Kopfschmerz,
je nachdem die Endigungen oder das ganze Verbreitungsgebiet eines Nerven
oder die Gehirnhäute Sitz des Schmerzes sind. Der lokale wird am häufigsten
bei akuten Nebenhöhleneiterungen beobachtet und geht gewöhnlich mit Druck¬
empfindlichkeit einher. Er erklärt sich teils aus der Schleimhautschwellung,
namentlich aber durch Sekretstauung, woraus sich die Indikation ergibt.
144
Bücherschau.
für freien Abfluß Sorge zu tragen. In geringerem Grade rufen chronische
Eiterungen lokalen Kopfschmerz hervor, auch Ulzerationen, namentlich der
lateralen Nasenwand.
Eür die Entstehung der neuralgischen Kopfschmerzen wird ein direk¬
ter Modus unterschieden, bei dem der in der Wand der erkrankten Neben¬
höhle verlaufende Stamm neuritisch mitaffiziert wird, (so der Infraorbitalis
bei An trum- Empyem) ; und ein indirekter Modus, bei dem ein entfernter
Nerv reflektorisch den Schmerz vermittelt; ein Beispiel hierfür ist die
Supraorbitalneuralgie bei Kieferhöhlenerkrankung. Auch Geschwülste
machen sich oft durch Kopfschmerz bemerkbar, in einem tragischen Fall
von Kieferhöhlenkarzinom bei einem jungen Mädchen blieb er das einzige
Symptom, obgleich die knöchernen Wände bereits usuriert waren.
Der zerebrale Schmerz entsteht durch Zirkulationsstörung der Hirn¬
haut infolge von Entzündung oder Verlegung der Nase, so bei akuter und
chronischer Rhinitis, Polypen, adenoiden Vegetationen, Ozäna, chronischen Sinu¬
siten. Nicht selten zeigt er auch zerebrale Komplikationen an. Zu seiner
reflektorischen Entstehung gehört ein erkennbarer Grad von Neurasthenie.
Polypen, Leisten und Dornen des Septums, welche die Muschelschleimhaut
berühren, können ihn hervorrufen.
Bei der Diagnose des lokalen Kopfschmerzes kann höchstens die
Unterscheidung von Knochenerkrankungen Schwierigkeiten machen. Schwie¬
riger ist die Feststellung der nasalen Ursache bei Neuralgien. Man muß
andere Ursachen derselben ausschließen, besonders auch Migräne, die durch
Prodromalerscheinungen, vasomotorische Symptome, Erbrechen charakterisiert
ist. Der zerebrale Schmerz deutet an sich nicht auf die Nase hin; es
soll aber als Regel gelten, bei jedem Kopfschmerz, dessen Ursache man
nicht sicher kennt, Nase und Nebenhöhlen gründlich zu untersuchen.
Arth. Meyer (Berlin).
Die natürliche Entfettung. Von Prof. Dr. Albert Ad amkiewicz, Wien.
Verlag von Benno Konegen, Leipzig, 1908. 80 Seiten. 1,50 Mk.
Ref. ist sich über die Absicht des Verfassers nicht ganz klar geworden.
Schreibt er für Ärzte oder schreibt er für Laien ? für ersteren Zweck ist
vieles zu aphoristisch, zu wenig ausführlich, für letzteren Zweck dagegen
sind besonders die therapeutischen Einzelheiten zu genau gegeben. Sei dem
wie ihm wolle, ganz einig kann man mit dem Verf. nicht in allem gehen.
So ist in dem ersten Abschnitt „Das Leben eine Flamme“, einer kurzen
Abhandlung über die Physiologie des Stoffwechsels, die Behauptung, daß
die Harnsäure eine Zwischenstufe der Eiweißverbrennung ist, so daß bei
mangelhafter Oxydation Harnsäure statt Harnstoff entsteht (S. 13), nach
dem heutigen Stande der Frage direkt unrichtig. In dem zweiten Teil
„Ursachen der Fettsucht“ durfte der Satz „Aus dem Eiweiß der Nahrung
kann also niemals Fett entstehen“, nach dem heutigen Stand der Frage
mindestens nicht so apodiktisch gefaßt werden. Am besten scheint mir noch
der dritte Abschnitt „Heilmittel der Fettsucht“ gelungen zu sein, und in
vielen Punkten kann hier Verf. allgemeiner Zustimmung sicher sein, so
bei seiner Warnung vor körperlicher Überanstrengung und brüsken Hitze¬
prozeduren bei Entfettungskuren. Aber wenn er behauptet, daß der Mensch
nicht ungestraft auf die Dauer des Fleisches entbehren kann, so ist
dem zu erwidern, daß das Gegenteil erwiesen ist, und da es ja Milch,
Butter, Eier und Käse gibt, braucht die nötige Fleischkost nicht durch „Massen
von Vegetabilien“ ersetzt zu werden. Ein viel zu großes Gewicht legt
Verf. auf die Komponente der Entfettungskur, die im Gebrauch von Abführ¬
wässern besteht; Ref. ist der Ansicht, daß letztere erst in letzter Linie
zu gebrauchen sind, und daß man sehr prompte Abmagerung bei völligem
Verzicht auf ihre Benutzung erzielen kann. — Eine Lücke füllt das Büchlein
jedenfalls nicht aus, seine Lektüre ist nur Erfahrenen anzuraten.
M. Kaufmann.
Schriftleitung : Dr. Ri gl er in Leipzig.
Druck von Emil Herrmann senior in Leipzig.
27. Jahrgang.
1909.
Tortscbrim der Medizin.
Unter Mitwirkung hervorragender Fachmänner
herausgegeben von
Professor Dr. 0. Köster Prio.-Doz. Dr. v. Criegern
in Leipzig. in Leipzig.
Schrift! ei tung: Dr. Rigler in Leipzig.
Nr. 4.
Erscheint am 10., 20., 30. jeden Monats. Preis halbjährlich
6 Mark, in kl. Zeitschrift für Yersicherungsmedizin 8 Mark.
Verlag von Georg Thieme, Leipzig.
10. Februar.
Originalarbeiten und Sammelberichte.
Aus der inneren und dermatologischen Abteilung der Magdeburger Kranken-Anstalt
Altstadt (Oberarzt Dr. Schreiber).
Ueber die praktische Bedeutung der Wassermann’schen Syphilis¬
reaktion.
Von Wilh. Hancken.
(Nach einem Vortrage, gehalten in der medizinischen Gesellschaft zu Magdeburg.)
Die Wassermann’sche Seroreaktion auf Syphilis ist ein heute
wohl allgemein anerkanntes außerordentlich wertvolles Hilfsmittel für
die klinische- Diagnose der Syphilis, besonders in ihren Spätstadien.
Ich werde in folgendem in Kürze über Fälle berichten, die ich auf der
inneren und dermatologischen Abteilung unseres Krankenhauses in den
letzten Monaten untersucht habe.
Eine theoretische Erörterung, die genauere Aufzählung der ein¬
zelnen Fälle, sowie ausführlichere Literaturangaben, finden sich in
meiner, Göttingen 1908 erschienenen Dissertation. „Beitrag zur Sero¬
diagnostik der Syphilis“, so daß ich mich hier auf das Wesentliche
beschränken kann.
Was die angewandte Methodik anlangt, so benutzte ich die ursprüng¬
liche von Wassermann angegebene. . Ich kann mir daher weitläufige Aus¬
einandersetzung derselben ersparen. Als Antigen benutzte ich zunächst einen
alkoholischen Extrakt aus normaler kindlicher Leber, später einen Karbol¬
kochsalzextrakt und einen Alkoholextrakt aus einer hereditär luetischen,
fötalen Leber. Das Serum wurde in der Dosis 0,2 verwandt. In einigen Fällen
ergab sich dabei Hemmung mit normalem Extrakt. In dem Falle wurde
möglichst bald das Serum noch einmal in der Dosis 0,1 geprüft, was immer
zum Ziele führte. Die Extrakte waren vorher geprüft, das Hämolysin
titriert und jedem einzelnen Versuch ging ein hämolytischer Vorversuch
voraus. _ : W ( |||[:jj|!;|]|
Es wurden insgesamt untersucht 202 Fälle, Von diesen war:
1. Lues sogut wie ausgeschlossen:
28 Fälle — Positiv 2
Negativ 26.
2. Sicher luetisch infiziert:
90 Fälle — Positiv 67 = 74 °/0
Negativ 23 = 26 „ .
3. Die Infektion fraglich:
84 Fälle — Positiv 23 — 27 „
Negativ 61 = 73 „ .
10
146
Willi. Hancken,
Unter den Kontrollfäden der ersten Gruppe sind zwei positive
zu verzeichnen. Beide Sera entstammen therapeutischen Aderlässen,
die wenige Stunden vor Eintritt des Todes vorgenommen wurden.
Leider konnte nachträglich nicht mehr festgestellt werden, oh nicht
hereditäre Lues bestanden hatte. Die Autopsie wurde verweigert. Tn
dem einen der Fälle handelt es sich um eine Diphtherie, er ist also
wegen der mangelhaften iLufklärung nicht zu verwerten. Dagegen
handelt es sich in dem andern um einen Scharlach-Fall. Es ist bekannt,
daß Much und Eichelberg besonders auch bei Scharlach einen positiven
Ausfall der Reaktion fanden und zwar in 10 von 25 Fällen. Dem¬
gegenüber fanden Höhne, Meier, Boas und Hange, sowie Joch¬
mann und Töpfer, bei insgesamt 195 Fällen nur in 2 Fällen eine
positive Reaktion, von denen eine bereits nach 14 Tagen verschwand,
die andere nur in der Dosis 0,4 positiv war, in der gewöhnlichen
Dosis 0,2 bereits eine vollkommene Hämolyse ergab. Seligmann und
Klopstock machten eine Veränderung ihres Extraktes verantwortlich;
Halberstädter, Müller und Reiche fanden, daß nur wenige brauch¬
bare Extrakte mit Scharlachseris die Reaktion geben. Zeißler erklärt
die so verschiedenen Befunde aus einer Verschiedenheit der Epidemie¬
charaktere. Ich selbst fand von 7 Scharlachseris 6 absolut negativ.
Der oben angeführte war nur mit dem Alkoholextrakt aus luetischer
Leber, nicht mit dem Karbolkochsalzextrakt positiv. Es kann also
nicht entschieden werden, ob die Schwere der Infektion, der Alkohol¬
extrakt, oder eine hereditäre Syphilis für den positiven Ausfall der
Reaktion verantwortlich zu machen ist. Im übrigen erwies sich der
Alkoholextrakt an Empfindlichkeit mehrfach dem Karbolkochsalzex¬
trakt aus derselben luetischen Leber überlegen. Niemals trat das Um¬
gekehrte ein. Also war, von den beiden wenig geklärten Fällen abge¬
sehen, die Wassermann’sche Reaktion nie positiv, wenn Syphilis
klinisch oder anamnestisch mit Wahrscheinlichkeit auszuschließen war.
Auch der Scharlach kann insofern nicht leicht zur Fehldiagnose Anlaß
geben, als man ja seine Extrakte darauf prüfen kann, ob sie mit
Scharlachseris überhaupt eine Reaktion geben und da andererseits die
Komplement -bindenden Stoffe aus dem Blut Scharlach -Kranker nach
Ablauf der Infektion sehr bald verschwinden.
Die positiven Reaktionen bei den Protozoen-Krankheiten (Land-
steiner, Bruck, Blumenthal, Hoff mann) und bei Lepra (Meier),
können naturgemäß in unsern Breiten die Bedeutung der Diagnose
nicht wesentlich stören.
In der zweiten Rubrik habe ich alle die Fälle aufgezählt, bei
denen eine stattgehabte luetische Infektion sichergestellt war, ohne
Rücksicht auf die Zeit, die seitdem verflossen war und auf eine statt¬
gefundene Therapie. Die sicher luetischen Fälle sind natürlicherweise
nicht so ganz von denen der dritten Art zu trennen. Zum Beispiel kann
man ein Ulcus durum klinisch wohl ziemlich sicher diagnostizieren,
event. durch Spirochaeten- Nachweis. Und doch wird der positive Aus¬
fall der Seroreaktion oft noch die willkommene Bestätigung bringen
-müssen. Unter den 27% negativ reagierenden Fällen handelte es sich
in der Mehrzahl um regelmäßig behandelte Fälle, meist zurzeit ohne
Erscheinungen. Andererseits kann nicht verschwiegen werden, daß es
sich in einzelnen Fällen um sichere Lues mit floriden Symptomen
handelte. Eine Warnung, dem negativen Ausfall der Reaktion eine
größere diagnostische Bedeutung zuzusprechen. Besonders bei Lues
Über die praktische Bedeutung der Wassermann’schen Syphilisreaktion. 147
cerebri scheint nach dem Befund anderer Autoren die Reaktion häufiger
zu versagen. Ich fand unter 2 Fällen einen negativen, einen positiven.
Rechnet man nur floride Syphilisfälle, so ergibt sich unter
69 Fällen, die unbehandelt sind, in 6 Fällen eine negative Reaktion,
also reagieren 91 °/0 positiv.
Auf die verschiedenen Stadien der Erkrankungen verteilen sich
die Fälle folgendermaßen :
1. Primäraffekt:
1*7 Fälle — Positiv 15
Negativ 2.
2. Sekundärstadium:
52 Fälle — Positiv 40
Negativ 12.
3. Tertiärstadium:
7 Fälle — Positiv 7.
4. Spätperiode mit und ohne Symptome:
20 Fälle — Positiv 13
Negativ 7.
5. Krankheiten des Zentralnervensystems (Tabes, Paralyse, Lues
cerebrospinalis, Hemiplegie :
15 Fälle — Positiv 9
Negativ 6.
6. Lues hereditaria:
3 Fälle — Positiv 3.
Die große Zahl der positiven Primäraffekte erklärt sich aus
dem Umstand, daß wir dieselben ins Krankenhaus zu einer Zeit zu
bekommen pflegen, wo die Generalisation des Virus bereits erfolgt ist.
In der Tertiärperiode ist auch nach Erfahrungen anderer Autoren die
Zahl der positiven Reaktionen am größten. In der Spätperiode reagieren
die Fälle mit Symptomen häufiger positiv als die ohne solche.
Unter den Erkrankungen des Zentralnervensystems finden sich
insgesamt 6 Tabesfälle, von denen nur 3 positiv reagierten, diese gaben
Lues zu. In dem einen der andern 3 Fälle hat 1894 eine Infektion
stattgefunden, in den beiden andern Fällen wird Lues strikt geleugnet.
Bemerkenswert scheint es mir zu sein, daß eine vor der Aufnahme vorge¬
nommene antiluetische Kur bei einem der letztgenannten keine Besserung
erzielte. Nach Wertung der serodiagnostischen Resultate ist darauf
hingewiesen worden, daß die Bezeichnung meta- und parasyphilitisch
noch nicht den engen Zusammenhang der Tabes und Paralyse mit der
Lues kennzeichnet, andererseits wird aber aus demselben Grunde
behauptet, daß es Tabesfälle gibt, die nichts mit Syphilis zu tun
haben. Und Blaschko weist darauf hin, daß unter seinen negativen
Tabikern sich mehrere Bleiarbeiter befinden. Bei der Lues hereditaria
bekommt man fast immer ein positives Resultat.
Mein Material ist für die Beurteilung der Therapie nach 2 Rich¬
tungen hin interessant, ohne daß die Zahl der Fälle bindende Schlüsse
erlaubt. In meinen Notizen findet sich in einer großen Zahl der Fälle
mit negativen Reaktionen die Bemerkung, daß eine mehr oder weniger
starke Behandlung vorausgegangen ist, andererseits ergaben auch einige
nach einer zeit weisen Behandlung bei der erstmaligen Untersuchung
ein positives Resultat. Ferner sind 13 Fälle vor und nach, resp. unter
der Behandlung untersucht worden. Von den 13 zu Beginn positiv
reagierenden waren 5 unter der Behandlung resp. nach Schluß der-
10*
148
Willi. Hancken,
selben noch positiv, 2 hatten noch nicht ganz ausgeschmiert, 3 weitere
zeigten noch eine schwache Hemmung der Hämolyse (Kuppe) und
5 waren vollständig negativ geworden.
Die 3. Gruppe meiner Statistik, die die auf Lues fraglichen
Sera berücksichtigt, enthält natürlich eine Menge von Fällen, wo die
Wahrscheinlichkeit einer luetischen Ätiologie von vornherein ziemlich
gering war. Bei den meisten negativ reagierenden hat die weitere
Beobachtung eine anderweitige Ätiologie ergehen. Zugegeben, daß der
eine oder andere Fall noch der Reaktion entgangen ist, liegt der
Hauptwert doch in den positiven Fällen. Faßt man die bisher bespro¬
chenen Reaktionen mehr im Sinne einer reinen Nachprüfung auf, so lehrt
jeder einzelne dieser Fälle, wie sie den Praktiker in seiner Diagnose
zu unterstützen vermag. In einem Teil der Fälle lagen zweifelhafte
Ulcerationen an den Genitalien vor, der positive Ausfall sicherte erst
die Diagnose und damit die Berechtigung zum therapeutischen Ein¬
greifen. Eine Diagnose ex juvantibus sollte jetzt eigentlich nur noch
da angewandt werden, wo auch die Seroreaktion im Stich gelassen hat.
Die Entnahme von 5—10 ccm Blut aus der Armvene ist immerhin
unschädlicher als eine Quecksilberkur, und die Reaktion gibt auch
vor allem ein schnelleres Resultat. Es würde dadurch sicherlich die
Kategorie von Patienten abnehmen, die wegen einer zweifelhaften
Affektion von einem zum andern Arzt laufen, vorsichtshalber mit
Quecksilber und Jodkali behandelt werden und nun zeitlebens als
Syphilitiker gelten. Einige weitere Beispiele mögen den klinischen
Wert noch illustrieren.
In einem Fall wurde bei einem jungen Mann mit Myelitis auf die
Reaktion hin eine Schmierkur unternommen und nach einiger Zeit
Blasen- und Mastdarmstörung beseitigt, die Lähmungen sind allerdings
noch nicht vollständig zurückgegangen. Ein ziemlich großer Decubitus,
der vorher aller Pflege und Therapie getrotzt hatte, ging ziemlich
schnell zurück. Ein anderer Fall betraf eine ältere Frau, die zur
Begutachtung auf Invalidenrente geschickt war. Es lag bereits ein
Gutachten vor, das aussagte, die Patienten leide an den Folgen einer
Zellgewebsentzündung, Asthma bronchiale und Krampfadern. Sexuelle
Infektion komme nicht in Betracht. Wir fanden alte, mit den Schädel¬
knochen verwachsene, strahlige Narben und fluktuierende Stellen auf
dem Kopf — Gummata — , die erweicht waren. Die Reaktion gab
uns zu unserer subjektiven Überzeugung den objektiven Beweis der
Lues, für die forensische Tätigkeit nicht zu unterschätzen. Einmal
konnte ich noch aus dem Leichenblut die anatomisch-pathologische Dia¬
gnose bestätigen, analog den Befunden von Pick, Proskauer, Frankel
und Much. Eine ältere Frau kam mit Magenbeschwerden und einem
der Behandlung trotzenden subakuten Gelenkrheumatismus ins Kranken¬
haus. Sie klagte über nächtliche Kopfschmerzen, leugnete eine Lues¬
infektion. Auch eine Befragung des Mannes ergab nichts. Die Reaktion
war positiv. Leider verließ sie zu früh das Krankenhaus, so daß
sie nicht mehr antiluetisch behandelt werden konnte. Zweimal konnte
die Differenzialdiagnose zwischen Lupus und Lues gestellt werden
zugunsten der Lues. Ein weiterer Beobachtungspatient klagte neben
sonstigen, hauptsächlich gastrischen Beschwerden, über Schwindelan¬
fälle. Er gab die Möglichkeit einer Infektion zu, wußte aber nichts
weiter anzugeben. Auf der Glans penis hat er einige nicht charakte-
Uber die praktische Bedeutung der Wassermann’schen Syphilisreaktion. 149
ristischej Narben. Die positive Reaktion gab erst die Gewißheit einer
iiberstandenen Syphilis.
Berücksichtigt muß dabei werden, daß die Reaktion natürlich
nur eine konstitutionelle Diagnose, keine Organdiagnose liefert. Es
kann natürlich einmal ein Patient infolge voraufgegangener Lues
positiv reagieren, leidet aber außerdem an einem Karzinom oder der¬
gleichen.
Mit den Ergebnissen meiner Untersuchungen befinde ich mich
in vollkommener Übereinstimmung mit den in der Literatur bisher
niedergelegten. Zum Vergleich führe ich noch die Resultate einiger
anderer Autoren an:
Blaschko: 400 Fälle.
Positive Reaktionen.
Initialperiode . 90 °/0
Frühperiode mit Symptomen . . 98 „
„ ohne „ . 80 „
Spätperiode mit „ . 91 „
„ ohne „ . 57 „
Cerebrospinalerkrankungen. . . 60 „
Meier, aus dem Wassermann’schen Laboratorium:
314 Sera, 28 Lombalflüssigkeiten, 1 Hirn Ventrikelflüssigkeit,
1 Placenta, 1 Hydrocelenflüssigkeit.
21 Kontrollfälle negativ, 202 klinisch sicher gestellt.
148 = 81, 7°/ 0 +
5 = 2,7 , ?
28 = 15,6 „ —
Ledermann: 304 Fälle.
86 Kontrollfälle negativ, 218 z. T. manifest, z. T. anamnestisch
sicher gestellt.
Prim. Affekt .
52,63
Sek. Lues .
100,00
Latente Periode .
68,00
Tertiäre Lues .
92,02
Cerebrospinalaffektionen .
88,00
Die Hauptleistung der Wassermann’schen Reaktion liegt un¬
zweifelhaft auf dem Gebiet der Diagnose. Ist die Diagnose gesichert,
ist dadurch auch die Therapie bestimmt.
Citron hat statt der chronisch intermittierenden Behandlung
die chronisch intermittierende Untersuchung gefordert. Aber, abge¬
sehen davonr, daß man nicht recht weiß, in welchem Zeitabstand man
untersuchen soll, muß man beim positven Ausfall natürlich weiter
behandeln, darf jedoch beim negativen Ausfall nicht ohne weiteres
darauf verzichten. Dem Patienten können wir außerdem nie versprechen,
daß wir die positive Reaktion in eine negative verwandeln. Es ist
allerdings zu hoffen, daß wir später uns nicht allein mehr von rein
klinischen Gesichtspunkten leiten lassen werden, ist doch jetzt bereits
der Einfluß der Therapie auf die Reaktion einwandsfrei sichergestellt.
4Vir können bereits heute mit gutem Gewissen bei einwandsfrei fest¬
gestelltem Primäraffekt (positiver Spirochätenbefund) und negativer
Reaktion die Exzision oder Galvanokaustik empfehlen, in der Hoffnung,
damit einen abortiven Verlauf zu erzielen. Für die Prognose kann
man nur sagen, daß eine negative Reaktion günstiger sei, als eine
positive.
150
Lilienstein,
Auch für den Ehekonsenz müssen wir rein klinische Gesichts¬
punkte in den Vordergrund stellen. Ist der Patient fünf Jahre frei
von Erscheinungen, regelmäßig behandelt, wird man die Ehe gestatten
dürfen. Bei positiver Reaktion würde ich allerdings unter allen Um¬
ständen eine Kur zur Sicherheit vorschlagen. Man darf nicht ver¬
gessen, daß der positive Ausfall allem Anschein nach die Anwesenheit
von Spirochäten bedeutet. Dieselben brauchten wegen ihrer Lokali¬
sation in den innern Organen (z. B. Mesaortitis) nicht gerade infektiös
zu sein.
Eür die Ammen wird eine serologische Untersuchung kaum durch¬
zuführen sein, so wünschenswert diese auch wäre. Andererseits müßte
man dann auch die Untersuchung jedes Säuglings fordern. Jedenfalls
wird man einer positiv reagierenden Amme kein gesundes Kind an-
legen dürfen. Die Ammenvermittlung soll deshalb auch durch die
Ärzte gehen und nicht durch die sogenannten Ammenvermittlerinnen.
Eür die Prostituierten handelt es sich wesentlich um die Infek¬
tiosität, eine Erage, die die Reaktion nicht vollkommen löst. Da aber
jede, die aktives Virus beherbergt, jederzeit infektiös werden kann,
sollte man die Prostituierten doch möglichst der Heilung entgegen¬
führen.
Eür die Lebensversicherungen wird sich die serologische Unter¬
suchung als die Aufnahmebedingungen zu sehr erschwerend, nicht durch¬
führen lassen. Eine positive Reaktion müßte nach Blaschko’s und
Waldvogeks Statistik, der zufolge 1/3 aller Luetiker ihrer Lues
schließlich erliegt, mindestens zum Abschluß kurzfristiger Verträge
führen.
Zum Schluß sei noch auf die Verwertbarkeit für statistische
Erhebungen hingewiesen.
Die Wassermann’sche Reaktion hat in den drei Jahren ihres
Bestehens bereits eine große Bedeutung für die ärztliche Praxis ge¬
wonnen.
Die Behandlung der Alkoholkranken außerhalb der Irrenanstalten.
Referat auf der Jahresversammlung des Vereins abstinenter Ärzte des deutschen
Sprachgebiets, Frankfurt a. M., den 3. Oktober 1908.
Erstattet von Dr. Lilienstein, Nervenarzt in Bad Nauheim.
M. H. ! Auf Anregung des Herrn Vorsitzenden habe ich mir die
Aufgabe gestellt, Ihnen über Erfahrungen bei der Behandlung von
Alkoholkranken in der ärztlichen Praxis zu berichten. Dieselbe zer¬
fällt naturgemäß in eine allgemeine, hygienische einerseits und eine
spezielle, individuelle Behandlung des einzelnen Trinkers andererseits.
Die erste berücksichtigt die Sozialen Ursachen und sucht durch allgemeine
hygienischen Maßnahmen, durch gesetzliche Bestimmungen (Prohibi¬
tion, Gotenburger System), Unterstützung der Abstinenzpropaganda usw.
den Alkoholismus als Volkskrankheit zu bekämpfen. Die spezielle
Therapie des einzelnen Alkoholkranken muß ebenso wie diejenige bei
anderen Krankheiten individualisieren: Im einzelnen Lall muß z. B.
berücksichtigt werden, ob ein psychisch -degenerativer Zustand vorliegt,
ob Ernährungsstörungen eine Älkoholintoleranz bedingen, ob bestimmte
konsekutive Organerkrankungen (z. B. des Magens, des Herzens, der
Leber) in Angriff genommen werden können. Es kann auch eine Beein-
Die Behandlung der Alkoholkranken außerhalb der Irrenanstalten.
151
flussung der Trunksucht als solcher durch Suggestivbehandlung, Medi¬
kamente usw., angezeigt sein.
Eine strenge Trennung der allgemeinen und der speziellen Therapie
des Alkoholismus ist indessen nicht durchzuf ühren, da beim einzelnen
Kranken häufig Maßnahmen allgemein hygienischer Natur ins Auge
zu fassen sind und andererseits spezielle individuelle Maßnahmen allge¬
meine Bedeutung erlangen können. Eine auch nur einigermaßen ein¬
gehende Erörterung der allgemeinen Behandlung der Trunksucht würde
ein Aufrollen der ganzen Alkoholfrage bedeuten. Wollte ich anderer¬
seits nur die spezielle Therapie im engeren Sinne berücksichtigen, so
wäre ich fast am Ende, ehe ich angefangen hätte, da bisher ein Spezi¬
fikum, etwa ein Serum (Krainsky) gegen die Trunksucht, noch nicht
gefunden wurde.
Kaum ein Organ des menschlichen Körpers bleibt von Erkran¬
kungen infolge von Alkoholmißbrauch verschont. Ich will nur kurz
die wichtigsten und bekanntesten Schädigungen hervorheben :
Am Herzen und am Gefäßsystem werden Arteriosklerose,
Hypertrophie des Herzens und nervöse Herzstörungen inf olge von Alko¬
holmißbrauch beobachtet.
An der Lunge wird nach Angabe aller kompetenten Beurteiler
die Tuberkulose und die kruppöse Pneumonie durch chron. Alkoholismus
verschlimmert.
Eine bestimmte Form der Nierenentzündung, die Schrumpfniere
wird in vielen Fällen auf Alkoholmißbrauch zurückgeführt.
Von den D ig es tions Organen ist es der Magen und der Bachen,
die durch chronische Katarrhe, die Leber, die durch Hypertrophie und
konsekutive Schrumpfung auf Alkoholmißbrauch reagieren.
Die alkoholische Neuritis kann ihrer Natur nach jedes Organ
treffen. Besonders verhängnisvoll ist sie, wenn sie einen oder beide
Sehnerven befällt, also das Auge bis zur völligen Blindheit ßchädigt.
Häufiger noch ist die Neuritis der peripheren Nerven in der Form
der Pseudotabes alcoholica zur Lähmung beider Beine, zur Kontraktur
von Extremitäten führend.
Selbst die sonst so widerstandsfähige Haut erkrankt unter dem
Einfluß des Alkohols in der Form der Acne rosacea.
Stof f Wechsels törunge n, Diabetes und Fettsucht, Einfluß auf
die gesamte Konstitution, in der Form der Abschwächung des Wider¬
stands gegen Infektionskrankheiten werden ebenfalls nicht selten als
Folge von Alkoholmißbrauch beobachtet.
Vergiftungen durch Blei, Arsenik zeigen verderblichere Folgen
bei chronischem Alkoholismus.
Wunden heilen bei Alkoholisten langsamer.
Degeneration der Nachkommenschaf t, in der Form der Idiotie
und allgemeinen Schädigung der Kinder durch frühzeitigen Alkohol¬
genuß sind in Trinkerfamilien recht häufig.
Am schlimmsten und verherendsten sind die Wirkungen des Alko¬
holmißbrauchs auf das Zentralnervensystem, das Gehirn und seine
Häute. Ganz grobe Veränderungen sind die häufig zu beobachtende
Pachymeningitis haemorrhagica zu Apoplexien und allgemeiner Demenz
führend. Ferner Veränderungen, Atrophien an den Bindenzellen. Be¬
stimmte Psychosen, z. B. die Korsakow’sehe polyneuritische Psychose,
das Delirium tremens werden ausschließlich, eine große Zahl von anderen
vorzugsweise auf Alkoholmißbrauch zurückgeführt.
152
Lilienstein,
Ein großes und die Alkoholfrage als solche erst zu ihrer unge¬
heueren Bedeutung erhebendes Kapitel bilden die krankhaften ethischen
Defekte, die zum Teil als unmittelbare Folge des Alkoholmißbrauchs
auftreten.
Ich denke, daß diese Liste groß genug ist, um das Interesse eines
jeden Arztes für das schwere und abwechslungsreiche Bild des chronischen
Alkoholismus zu wecken.
Trotzdem reicht die Beachtung, die der Alkoholisüius als Volks-
krankheit bisher gefunden hat, lange nicht an diejenige heran, die
z. B. der Tuberkulose, den Blattern und anderen Volksseuchen gewidmet
wird. Das liegt offenbar zum Teil daran, daß die verheerenden Wir¬
kungen des Alkoholmißbrauchs im Volk, bei den Behörden und Selbst
unter den Ärzten noch nicht genügend bekannt sind. Weitgehendste
Aufklärung ist hier also am Platze. Ich möchte einer Anregung von
Edinger folgend den Vorschlag machen, daß wir von seiten unseres
Vereins statistische Erhebungen über die Alkoholkranken in die Wege
leiten, um sie der Öffentlichkeit, der Presse und den Behörden zur Ver¬
fügung zu stellen und so nüchterne' Zahlen eindrucksvoll sprechen zu
lassen.1)
Eür die Vernachlässigung der öffentlichen Hygiene in bezug auf
den Alkoholismus scheint ferner der Pessimismus schuld zu sein, der
gegenüber dieser Krankheit herrscht : Es ist vielleicht eine Nachwirkung
des allgemeinen therapeutischen Nihilismus der 50er und 60er Jahre
des vorigen Jahrhunderts. Man sagt sich: Sind es psychopathisch Min¬
derwertige, so werden sie auf ein paar Wochen geheilt und früher oder
später doch wieder von dem krankhaften Trieb erfaßt. Oder das Milieu,
das Alkoholgewerbe hat exogen zur Erkrankung geführt, so erscheint
eine Änderung durch den Arzt unmöglich. Der Not und dem sozialen
Elend gegenüber fühlt man sich erst recht ohnmächtig und läßt den
Dingen meist ihren Lauf. Aber nicht einmal bei ausgebildetem Alko¬
holismus ist die Prognose absolut ungünstig. Das beweisen Eälle |aus
meiner Praxis, die an den, schwersten Formen des chronischen Alko¬
holismus erkrankt waren, selbst solche, die mehreremal an Delirium
tremens gelitten haben und die nunmehr seit Jahren alkoholabstinent,
d. h. doch zum mindesten zurzeit gesund sind. Viel besser ist natür¬
lich die Prognose, wenn eine rationelle Prophylaxe rechtzeitig einsetzt.
In einem Kreis von Totalabstinenten (z. B. auch bei abstinenten Völkern,
den Muhamedanern usw.) ist die Gefahr des Alkoholismus auf ein Mini¬
mum reduziert.
Der Einwand, daß beim Wegfall des Alkohol-,, Teufels“ ein an¬
derer „Teufel“ von dem erkrankten Individium oder dem vom Alkohol
befreiten Volke Besitz ergreifen müsse, braucht doch wohl nicht
widerlegt zu werden: Man braucht ja auch z. B. Maßnahmen gegen die
Tuberkulose nicht etwa dagegen zu verteidigen, daß sie gegen die
Blatterngefahr nichts nützten.
Ich weiß recht wohl, daß von vielen berufenen Ärzten die An¬
staltsbehandlung als das einzig wirksame Mittel gegen die Trunksucht
angesehen wird. Ich habe mich selbst als Anstaltsarzt häufig über
die Kurzsichtigkeit und Hartnäckigkeit gewundert, mit der die Haus¬
ärzte und mehr noch die Angehörigen zögern, Kranke den Anstalten
b Der Verein abstinenter Ärzte hat, meiner Anregung folgend, beschlossen,
diese Erhebungen anzustellen, und wird sich mit Fragebogen usw. an die betr.
Anstalten wenden.
Die Behandlung der Alkoholkranken außerhalb der Irrenanstalten.
153
zuzuführen: Während dieselben zu Hause wenig Appetit hatten, un¬
ruhig waren, die Familie in ständiger Aufregung hielten und in keiner
Weise vom Trinken abgehalten werden konnten, blühten sie alsbald nach
der Aufnahme in die Anstalt auf, bekamen Appetit, verhielten sich
ruhig und geordnet, arbeiteten, zeigten keinerlei Erregung. Auch ich
sah also damals in der Anstaltsbehandlung das vorzüglichste und unter
allen Umständen je eher desto besser anzuwendende Mittel zur Behand¬
lung der Trunksucht. In dieser Hinsicht hat sich indessen meine An¬
sicht durch die Erfahrung in der Praxis geändert: Ich schätze auch
jetzt noch den Wert einer guten Anstaltsbehandlung. Was man aber
als Anstaltsarzt — zumal als junger Assistensarzt — leicht übersieht,
sind die der Anstaltsbehandlung entgegenstehenden Faktoren :
Zunächst spielt in einem solchen Fall der Kostenpunkt eine große
Rolle. Die Vermögensverhältnisse sind gewöhnlich teils durch den ge¬
steigerten Verbrauch an alkoholischen Getränken, teils durch die in¬
tellektuellen und ethischen Defekte des Trinkers verschlechtert. Auch
die billigsten Verpflegsätze bedeuten für die Familie — zumal da es
sich meist um den Ernährer derselben handelt — eine ungeheure, viel¬
fach unerschwingliche Last. Die Heilung in der Anstalt ist, wie sich
der gewissenhafte Arzt sagen muß, nicht von Dauer. Ein viertel Jahr
nach der Entlassung steht man wieder vor derselben Frage. Früher
oder später muß das Armenamt die Kosten des Anstaltsaufenthalts
tragen. Die Anstalt behält den anscheinend — und zurzeit auch wirk¬
lich — geheilten Alkoholisten meist wegen Platzmangel nur ungern. Er
wird entlassen, zu Hause arbeitet er nichts mehr, er stört sogar die Frau,
die sich und ihre Kinder durch redliche Arbeit zu erhalten bestrebt
ist, er fängt wieder zu trinken an und wird wieder zur Anstalt ge¬
bracht. So geht das Spiel fort, bis er nach wiederholten Aufnahmen
( — es gibt Rekords von 30 — 40 Aufnahmen) als elendes Wrack dauernd
anstaltsbedürftig wird.
Die durch Alkoholismus bedingten kriminellen Handlungen bilden
eine weitere Komplikation, die den Patienten häufig erst auf dem Um¬
weg über die Strafanstalt nach der Irrenanstalt führt. Er wird vor
Gericht oder im Gefängnis als unzurechnungsfähig, oder strafvollzugs¬
unfähig erklärt, die Irrenanstalt muß ihn zur Behandlung aufnehmen.
Er wird „geheilt“, soll entlassen werden, die Strafanstalt zögert den
Kranken zurückzunehmen, die Irrenanstalt ihn zu behalten — zur
Entlassung kann er nicht kommen, so entsteht wie Regierungsrat Til-
kowsky auf dem internat. Kongreß in Wien 1902 ausführte, ein „nega¬
tiver Kompetenzkonflikt“ zum Schaden der Anstalten und zum Schaden
des Patienten, dessen Fürsorge die Strafanstalten und Irrenanstalten in
gleicher Weise ablehnen.
Was die Zahl der Kranken bei den verschiedenen Volks¬
klassen anlangt, so sah ich, daß das Gros der Alkoholkranken in den
Irrenanstalten und in der ärztlichen Praxis, abgesehen von den im
Alkoholgewerbe tätigen (Schankwirten usw.), in erster Linie Arbeiter
sind und zwar (wie ich aus einer persönlichen Mitteilung von Sioli
weiß) meist ungelernte Arbeiter, also solche, die auch den anderen Er¬
scheinungen des Elends (Tuberkulose us!w.) am meisten ausgesetzt sind.
In der I. und II. V erp flegimgskl asse der städt. Irrenanstalt in Frank¬
furt a. M. z. B. wurden in den Jahren 1906 und 1907 140 Kranke
(80 Frauen und 69 Männer) aufgenommen, darunter waren nur 4 Alko¬
holkranke (2 Männer und 2 Frauen) d. h. ca. o°/0 der Aufnahmen, ln
154
B. Weißmann,
der III. Klasse waren unter 2915 Aufnahmen (787 Frauen und 2128
Männer, 1118 Alkoholkranke (1024 Männer und 94 Frauen), d. h. 40°/0
(bei den Männern III. Klasse allein 48 °/0, 1897 allein sogar 56 °/0 !)
Hierbei ist freilich zu berücksichtigen, daß die- besitzenden Alkohol¬
kranken nicht so rasch anstaltsbedürftig werden, wie die in beschränkten
Wohnungen zusammengedrängten Proletarier. Auch gehen die Ver¬
mögensverhältnisse unter dem Einfluß der Krankheit bei vielen zurück,
so daß sie in einer niedrigeren Verpflegungsklasse erscheinen, als dem
Stand ihrer Verhältnisse zurzeit des Beginns der Erkrankung entspricht.
Endlich bestehen eine Reihe von Privatanstalten, in denen besitzende
Trinker Aufnahme finden.2) Aber alle diese Momente genügen nicht
zur Erklärung des außerordentlichen Mißverhältnisses zwischen den
Prozentzahlen bemittelter und unbemittelter Alkohol kranker. Das Elend
an und. für sich schafft also die Disposition zum Alkoholismus, zum min¬
desten für die Formen schwerer Nervenerkrankungen die zur Anstalts¬
bedürftigkeit führen. Die Verhältnisse der leichteren Formen sind
übrigens ähnliche. Ich schätze die Zahl der Alkoholkranken unter
den Kranken besitzender Stände auf höchstens 10°/0, beim Proletariat
auf 40 — 50°/0. Umgekehrt habe ich bei Besserung der sozialen Verhält¬
nisse häufig Heilung der Trunksucht eintreten sehen. Zwischen Trunk¬
sucht und Elend besteht ein circulus vitiosus, dessen Durchbrechung
zu einer günstigen Wechselwirkung zwischen Vermögenslage und Ge¬
sundheit führt. Alles, was gegen die Verelendung eines Individuums,
einer Familie, eines Volkes geschieht, dient daher zu gleicher Zeit
als Mittel gegen den Alkoholismus.
Der Alokolismus der Besitzenden betrifft häufiger Psychopathen
(Dipsomanen im engeren Sinne). Bei ihnen führen endogene Faktoren
zur Erkrankung. Diese endogen psychopathisch-degenerierten Trinker,
zumal die hereditär belasteten, bedürfen einer mehr oder minder dauern¬
den Anstaltspflege und zwar zu ihrem eigenen Vorteil, da sie inner¬
halb der Anstalt den krankheitslösenden Reizen entzogen sind ; ferner
aber auch zum Schutze der Gesellschaft, da ihre Anfälle häufig plötz¬
lich einsetzen und zur Gefährdung der Umgebung führen können.
Eine häufige, oft nur auslösende Ursache für die Erkrankung
Besitzender an Alkoholismus bilden die Trinksitten, die in bestimmten
Berufen (Studenten und Offizieren) gepflegt werden.
Eine dritte Klasse von Alkoholkranken, die nicht durch die Not
zur Trunksucht kommen, bilden diejenigen, deren Gewerbe sie mit alko¬
holischen Getränken in Berührung bringt (Wirte, Weinreisende, Bier¬
brauer). (Schluß folgt.)
Ueber die Indikation und Technik der Hetoltherapie.
Von Dr. med. R. Weißmann -Lindenfels (Odenwald).
(Schluß.)
Viel schwieriger ist die Behandlung von vorgeschrittenen Fällen
von Lungentuberkulose, Fälle mit höherem Fieber und mit
großen Cavernen, von Fällen galoppierender Schwindsucht und
von Kehlkopf tuberkulöse mit Fieber. Im allgemeinen gehören
derartige Fälle ins Sanatorium oder ins Krankenhaus. Nur ausnahms-
2) Eine Umfrage bei diesen Anstalten ergab übrigens auch nur ca. 5 Prozent
bis höchstens 8 Prozent Alkoholkranke unter den Aufgenommenen.
Über die Indikation und Technik der Hetoltherapie. 155
weise, wenn die häuslichen Verhältnisse durchaus günstige sind und wenn
der Arzt über eine genügende Erfahrung in der Hetolbehandlung ver¬
fügt, rate ich zur Behandlung im Privathause. Hier gilt es, die Kraft
des Patienten zu schonen und zu heben, deshalb gehört der Kranke ins
Bett, Die Diät ist auf das sorgfältigste zu regeln und alles aufzubieten,
um den Appetit zu heben. Wenn auch das Hetol den Appetit günstig
zu beeinflussen vermag, so sind doch gerade in diesen schweren Fällen
eine sorgfältig geleitete Freiluftkur und vorsichtig angewendete hydria-
tische Maßnahmen sehr wichtige Unterstützungsmittel der Hetolbehand¬
lung. Die von mir an anderer Stelle'2) genau beschriebene Methode
Mefferts, die aus Packungen, Waschung und Abbrausung besteht, ist
ein vorzügliches Mittel zur Bekämpfung des Fiebers sowohl als auch
der Appetitslosigkeit, Gleichzeitig wirken diese Packungen ausgezeichnet
auf das Herz.
Wenn es sich um rein tuberkulöses Fieber handelt, also ein Fieber
das durch die Resorption von Tuberculotoxin verursacht wird, so pflegt
die Temperatur sehr bald auf Hetolinjektionen zu fallen. Handelt es
sich aber um septisches Fieber, also um eine Mischinfektion, da bleibt
das Hetol ohne Einfluß auf das Fieber. Da müssen die Freiluftliege¬
kur, die hydriatischen Maßnahmen oder auch das kolloidale Silber zu
Hilfe genommen werden. Das kolloidale Silber, Kollargol oder Lysar-
gin, gibt man entweder intravenös oder als Mastdarminfusion.
Die Dosierung des Hetols ist in diesen schweren Fällen eine nicht
leichte. Man hat vor allen Dingen die Regel zu beobachten, daß man
um so niedriger dosirt, je schwächer der Kranke ist, je höher das Fieber
ist. Die Temperatur ist auf das genaueste zu beobachten. In manchen
Fällen muß man wochenlang bei 1 mg Hetol bleiben, ehe man steigen
darf. Oft geht die Temperatur bei 1 mg noch mäßig in die Höhe;
da muß man dann ruhig weiter injizieren, oft fällt die Temperatur dann
doch nach 3 — 4 Wochen.* Manchmal hat man monatelang noch abend¬
liche Steigerungen um oder über 38°. Auch diese pflegen schließlich
auszubleiben und man kommt noch auf normaler Temperatur an.
Im allgemeinen gehe man in der ersten Zeit mit der Dosis sehr vor¬
sichtig in die Höhe und dann nicht über 5 mg hinaus. Erst wenn die
Temperatur, abfällt steige man langsam und gehe dann bis 10 höchstens
15 mg, aber unter genauer Baobachtung der Temperatur.
Bei der sog. galoppierenden Schwindsucht leistet das Hetol wenig.
Hier handelt es sich doch vorwiegend um eine septische Infektion und
wie wir wissen, ist das Hetol gegen diese Infektion machtlos. Ob eine
frühzeitig eingeleitete Behandlung mit kolloidalem Silber in solchen
Fällen etwas vermag, steht dahin, der Versuch lohnte sich aber wohl
nach den günstigen Erfahrungen, die andere Autoren nnd ich mit Kollar¬
gol und Lysargin bei septischen Erkrankungen gemacht haben. Sollte
es gelingen, bei der galoppierenden Schwindsucht der Sepsis durch kol¬
loidales Silber Herr zu werden, würde man noch eine Hetolbehandlung
anschließen müssen oder doch abwechselnd Hetol und kolloidales Silber
injizieren müssen.
Schöne Erfolge habe ich mit der Hetolbehandlung bei Skrofulöse
und Drüsentuberkulose gehabt. Unter 35 Fällen, die ich bisher be¬
handelt habe, waren nur zwei Fälle, bei denen der Erfolg ausblieb. Die
Dosierung ist hier eine einfache. Man fange auch mit 1 mg an, kann
2) Berliner Klinik, Heft 240.
156
R. Weißmann,
aber sehnell steigen und über die Durchschnittsdosis hinausgehen, wenn
nicht etwa innere Erkrankungsherde nachweisbar sind. Nur in einigen
wenigen Fällen habe ich lokal Hetol injiziert. Sobald Fluktuation nach¬
weisbar war, habe ich die Drüsen inzidiert, ausgeschabt und mit Jodo¬
formgaze tamponirt.
Über die Hetolbehandlung der Tuberkulose der Geschlechts¬
organe, der Nieren und Blase besitze ich keine Erfahrungen, wie ich
auch noch nicht Gelegenheit hatte, Lupus mit Hetol zu behandeln. Bei
den ersteren Erkrankungen ist ein Erfolg nach LanderePs Angaben nur
in sehr frühen Stadien zu erwarten, während beim Lupus eine sehr
mühselige lokale Behandlung empfohlen wird.
Bei Gehirn- und Meningealtuberkulose hat Länderer keine
Erfolge erzielt, ich habe daher davon abgesehen in solchen Fällen das
Hetol zu versuchen.
Bei Tuberkulose des Bauchfells und des Darmes habe ich
Hetol dreimal angewendet und in allen drei Fällen mit gutem Erfolg.
Es ist selbstverständlich, daß man in diesen Fällen die Diät ganz be¬
sonders sorgfältig zu regeln hat. Zur Einschränkung der Durchfälle sind
Opiate oder Adstringentien in der ersten Zeit nicht zu entbehren, die
Dosirung des Hetols ist die gleiche, wie bei der Lungentuberkulose, eher
etwas höher. Auch hier hat man die Temperatur genau zu beobachten.
Obwohl Albert Länderer Chirurg vom Fach war, obwohl seine
Untersuchungen über die Wirkung der Zimmtsäure von der Beobachtung
chirurgischer Tuberkulosen ausgingen, ist die Methode der Hetol¬
behandlung chirurgischer Tuberkulosen noch durchaus unfertig, ihr Stu¬
dium noch nicht zum Abschluß gebracht. Der Grund dieser Erscheinung
liegt darin, daß die Lungen- und Kehlkopftuberkulose viel häufiger ist
als chirurgische Formen und dadurch Länderer selbst dazu gedrängt
wurde, die Methode der Behandlung innerer Tuberkulosen in erster
Linie auszuarbeiten. Weiterhin haben auch die praktischen Arzte na¬
türlich ihre Beobachtungen vorwiegend an der Tuberkulose der Lungen
und des Kehlkopfs gemacht. Die Tuberkulosen der Knochen und Gelenke
überließ der praktische Arzt dem Chirurgen und von diesen hat bis dato
nicht ein einziger sich veranlaßt gesehen, die Methode der Hetolbehand¬
lung mit Ausdauer nachzuprüfen und vielleicht auszubauen. Ich be¬
grüße es daher mit großer Freude, daß Otto Vulpius in Heidelberg,
durch meine Publikationen angeregt, nunmehr die Hetolbehandlung der
chirurgischen Tuberkulosen nachprüft. Es steht zu hoffen, daß Vulpius,
wenn er sich von der Wirksamkeit des Hetols überzeugt, die Methode
der Hetolbehandlung der Tuberkulose der Knochen und Gelenke zu
einem gewissen Abschluß bringt und daß er unter seinen Fachkollegen
Nachfolger findet. Um in dieser Hinsicht eine Anregung zu geben,
wird die von mir geleitete Freie ärztliche Gesellschaft zum Stu¬
dium der Tuberkulose mit besonderer Berücksichtigung der
Hetolbehandlung ein Referat über die bisherigen Erfahrungen mit
Hetol bei chirurgischen Tuberkulosen auf die Tagesordnung ihrer nächsten
Versammlung im Frühjahr 1909 in Kassel setzen.
Meine Erfahrungen beziehen sich auf nur 5 Fälle von Gelenk- und
Knochentuberkulose. In den drei Fällen, in denen ich einen Dauererfolg
erzielte, handelte es sich zweimal um geschlossene Gelenktuberkulosen,
im dritten Falle um eine Rippenkaries, kompliziert mit Tuberkulose der
rechten Lunge und des Kehlkopfs. Die ersteren beiden Fälle habe ich
lediglich mit intravenösen Hetolinjektionen und Ruhigstellung der Ge-
Über die Indikation und Technik der Hetoltkerapie. . 157
lenke sowie geeigneten hygienisch - diätetischen Maßnahmen behandelt.
In dem Falle von Eippenkaries mußte zu einer Entfernung der Se¬
quester geschritten werden. Lokal habe ich in diesem Falle Hetolkresol
verwendet, daneben aber regelmäßig intravenös injiziert. Der Fall ist
seit 2 Jahren völlig geheilt. Die geringe Zahl der von mir behandelten
Fälle berechtigt noch nicht, über Indikationen und Technik bei chirur¬
gischen Tuberkulosen mich auszulassen.
Die Frage der Indikationen der Hetolbehandlung bedarf
überhaupt noch des eingehenden Studiums. Ich habe schon mehrfach
darauf hingewiesen, daß hin und wieder Fälle Vorkommen, bei denen man
der Hetolbehandlung eine günftige Prognose stellt und die sich dann
doch völlig refraktär gegen Hetol verhalten. Das Warum? bedarf noch
der Aufklärung. Vielleicht sind diese Individuem infolge der be¬
sonderen Beschaffenheit ihres Organismus nicht in der Lage, genügend
Antitoxin und Immunkörper zu bilden, so daß auf diese Weise die
supponirte Alexinwirkung des Hetols verhindert wird. Es wäre vielleicht
eine dankbare Aufgabe, durch Bestimmung des opsonischen Index Klar¬
heit in diese Fragen zu bringen. Dann gelingt es vielleicht, zu einer
präzisen Indikationsstellung zu gelangen. Jedenfalls ist auch dieses eine
sehr wichtige Aufgabe für die oben schon erwähnte neu begründete
Gesellschaft, die sich zunächst, wie hier erwähnt sein mag, damit be¬
schäftigen wird, eine umfangreiche Statistik nach einheitlichen Gesichts¬
punkten über die mit der LanderePschen Methode erzielten Erfolge
auszuarbeiten. Jedem Kollegen, der sich mit der Hetolbehandlung be¬
schäftigt oder beschäftigt hat, und der bereit ist, an dieser Statistik mit¬
zuarbeiten, gibt der Verfasser gern Auskunft. Vielleicht gelingt es durch
gemeinsame Arbeit, die Indikationen der Hetoltkerapie schärfer zu um¬
grenzen und die Technik der Methode in mancher Beziehung zu ver¬
vollkommnen.
Ich möchte an dieser Stelle nicht unterlassen, darauf hinzuweisen,
daß Groß kop ff -Osnabrück in der Gründungssitzung der „Freien ärzt¬
lichen Gesellschaft zum Studium der Tuberkulose mit besonderer Be¬
rücksichtigung der Hetolbehandlung“ in Köln am 18. Oktober 1908
mitteilte, daß er die Hetolinjektionen täglich mache und dadurch
eine Abkürzung der Behandlungsdauer erziele. Anfängern möchte ich
raten, den von Länderer angegebenen zweitägigen Turnus beizubehalten.
Ob die von Großkopff angegebene Methode sich bewährt und in
welchen Fällen sie anwendbar ist, muß eine Nachprüfung ergeben, die
von mir und anderen in der Hetolbehandlung erfahrenen Kollegen er¬
folgen wird.
Über die Technik der intravenösen Injektion selbst bedarf es wohl
weiter keiner Auseinandersetzung. Die intravenöse Injektion wird heute
schon so vielfach angewendet, daß jeder Kollege ihre Technik kennen
muß. Eine genaue Darstellung der Tecknik habe ich in meiner Arbeit:
„Die Hetolbehandlung bei Tuberkulose“ Berliner Klinik, Juni 1908,
Heft 240 gegeben.
Ganz besonders betonen möchte ich, daß das Hetol ein chemisch
sehr empfindliches Salz ist und daß ich deshalb empfehle, aus¬
schließlich die sterilen Injektionen der Firma Kalle & Co- A.-G. in
Biebrich a/Rh. zu benutzen. Von der Güte und Reinheit des Präparats
hängt der Erfolg ganz wesentlich ab.
Ceterum censeo, curationem Hetoli omnium medicorum communem
faciendam esse.
158
Aus der Leipziger medizinischen Gesellschaft.
Aus der Leipziger medizinischen Gesellschaft.
In der Sitzung vom 12. Januar hielt Geheimrat Professor Dr.
Cur sch mann einen .Vortrag über die Influenza-Epidemie in
Leipzig in den Winter- und Frühlingsmonaten des Jahres 1908. Er
wies einleitend darauf hin, daß das Bild der Influenza kein fest ab¬
gegrenztes und fest abgrenzbares sei, weil ein großer Wechsel der
Symptome bei dieser Krankheit vorkomme. In Leipzig habe, wie er
aus seiner konsultativen Praxis wisse, im Frühling des vorigen Jahres
eine ausgedehnte endemische Verbreitung der Influenza bestanden,
während im Krankenhaus relativ nicht so übermäßig viel Fälle zur
Beobachtung gekommen seien.
109 Fälle wurden dem Krankenhaus mit der Diagnose „Influenza" 1
zugeführt. 32 davon mußten als unsicher ausgeschieden werden. 77 Fälle
lagen den Untersuchungen zugrunde. Meist handelte es sich um jüngere
Individuen, darunter drei Kinder. 30 Patienten befanden sich im
höheren Lebensalter. Im großen und ganzen nahm die Krankheit
einen gutartigen Verlauf, nur ein Todesfall wurde verzeichnet. Das
klinische Bild war das übliche. Plötzliches Erkranken mit wieder¬
holtem Frösteln, mit Kreuz- und Gliederschmerzen und großer Prostra¬
tion der Kräfte, als initiale Erscheinung Anorexie, seltener dagegen
Übelkeit und Erbrechen. Fast stets fanden sich Erscheinungen von
seiten der Hals- und Bachenorgane, Schnupfen, Heiserkeit und angi¬
nöse nicht tiefgehende Prozesse.
Von seiten der Lungen fehlte niemals eine Bronchitis, meist mit
Auswurf, seltener als trockener Katarrh auftretend. Diese trockenen
Katarrhe erwiesen sich aber als besonders unangenehm infolge des
sehr quälenden Hustens, der zu heftigen Kopfschmerzen Veranlassung
gab. Einige Male wurde Lungenblähung wie beim Asthma beobachtet,
17mal lobuläre Pneumonie, seltener die lobäre Form. Letztere Fälle
waren fast immer schwerer und betrafen meist ältere Individuen. Bei
den im Krankenhaus zur Beobachtung kommenden Fällen verhielt sich
der Herzmuskel meist gut, nur selten traten myokarditische Erschei¬
nungen und dann wieder bei älteren Leuten auf. Einige Male fand
sich auch Eiweiß im Urin. Die während der großen Pandemien so
häufigen Obstipationen mit ileusartigen Erscheinungen kamen diesmal
nicht zur Beobachtung, ein Umstand, der vielleicht mit der Natur
des Erregers in Zusammenhang zu bringen ist. Das Nervensystem
zeigte sich häufig affiziert, vor allem machten sich neuralgische
Schmerzen bemerkbar. Das Fieber war sehr verschieden. In ein Zehntel
der Fälle wurde es vermißt, 22 Kranke fieberten sehr hoch, auch zog
sich das Fieber über längere Tage bis zu mehreren Wochen hin. Seltener
erfolgte schneller Abfall, vereinzelt schon nach zwei Tagen.
Besonderes Interesse bot die Epidemie in ätiologischer Hinsicht.
Bei der Art der Erkrankung und der regelmäßigen Beteiligung der
Hals- und Brustorgane lag es nahe, eine genaue Sputumuntersuchung
vorzunehmen. Wenn dann in allen untersuchten Fällen derselbe
Organismus gefunden wird, so kann man daraus mit größter Wahr¬
scheinlichkeit schließen, ,daß in ihm der Erreger der Krankheit zu
erblicken ist. Exakt bakteriologisch untersucht wurden im ganzen
49 Fälle. Bei keinem Kranken konnte der Pfeiffer’sehe Bazillus
gefunden werden. Dagegen ließ sich bei 46 Kranken der Diplo-
Aus der Leipziger medizinischen Gesellschaft.
159
kokkus Frankel -Weichselbaum nachweisen. Bisweilen wurde er fast
in Reinkulturen gefunden, stets in so bedeutender Menge, daß andere
Mikroorganismen dagegen weit zurücktraten, ja kaum in Betracht
kommen konnten.
In 20 Fällen wurde eine Übertragung auf Mäuse vorgenommen,
die bekanntlich gegen den Diplokokkus sehr empfindlich sind. 15 ver¬
endeten zu einer Zeit, wo Pneumonie-Pneumokokken-Mäuse auch ver¬
enden. Die längste Lebensdauer betrug acht Tage. Bei der Autopsie
der Tiere fand sich Diplokokken-Septikämie. Aus diesen bakterio¬
logischen Untersuchungen läßt sich nun die Schlußfolgerung machen,
daß eine große Zahl klinisch mit der Influenza vollkommen
übereinstimmender Fälle, die im Krankenhaus beobachtet wurden, nie
durch den Pfeiffer-Bazillus, sondern stets durch den Diplokokkus ver¬
ursacht waren. Bei dem aus der ganzen Stadt stammenden Material
des Krankenhauses läßt sich ferner sagen, daß bei der vorjährigen
Epidemie wohl sicher der Fränkel-Weichselbaum’sche Bazillus die aus¬
schlaggebende Rolle gespielt hat. Wenn dies feststeht, muß man die
Frage aufwerfen, ob die im vorigen Jahr, speziell in Leipzig auf-
tretendeu Erkrankungsfälle wirklich als Influenza zu bezeichnen waren.
Diese Frage ist zu bejahen, denn es ist in der Pathologie auch sonst
hinreichend bekannt, daß gleiche Erscheinungen von verschiedenen
Ursachen erzeugt werden können. Es kann eben der Pfeiffer-Bazillus,
der ganz zweifellos ja der Erreger der großen Pandemien in den Jahren
1889 bis 1892 war, unter Umständen genau die gleichen Erscheinungen
machen, wie der Diplokokkus.
In der Diskussion betonte Hofrat Bahr dt das häufige Zusammen¬
treffen von Angina und Influenza im letzten Winter, noch am vierten
Tage der Erkrankung fanden sich bei seinen Kranken häufig
Beläge. Dagegen beobachtete er im letzten Jahr sehr wenig Pneumo¬
nien, zweimal war ein typischer Influenzaanfall mit Ikterus und Leber¬
erscheinungen verbunden. Der Ikterus trat am fünften Tage ein und
dauerte im ganzen fast drei Wochen.
Es kamen sehr viel influenzakranke Kinder zur Beobachtung.
Therapeutisch bewährte sich am besten Aspirin, manchmal auch Chinin.
Auch Sanitätsrat Lohse wies darauf hin, daß die Fälle der letzten
Epidemie anders waren, wie im Jahre 1889. Es fehlten die nervösen
Zufälle. Es kamen, trotzdem er viele alte Leute unter seinen Patienten
hatte, wenig Pneumonien und Todesfälle vor. Therapeutisch empfiehlt
er große Dosen Chinin.
Professor Lange hat bei der letzten Epidemie eine große
Anzahl schwerer Fälle beobachtet. Siebenmal ganz schwere Pneumo¬
nien, bei denen sich auch der Fränkel-Weichselbaum’sche Diplokokkus,
daneben aber auch Staphylokokken und Pfeiffer-Bazillen fanden. Er
weist ferner auf das typische Bild der Influenza Angina hin, die,
wie Milner erwähnt, zuerst und am genauesten von Franke- Braun¬
schweig beschrieben wurde. R.
160
Ascher, Breslauer Brief.
Breslauer Brief.
Von Dr. Ascher.
In der Sitzung vom 20. Nov. 1908 gab Prof. Dr. von Strümpell
eine ausführliche Krankengeschichte eines Palles von Polycythaemie.
1. Pall. 32 jähriger Mann. Starke Cyanose der Haut und der
Nägel. Vor vier Jahren ist wegen Druckes der Schilddrüse die Stru-
mektomie gemacht worden. Zwei Jahre hat die Besserung ange¬
halten. Allmählich stellten sich wieder die Beschwerden ein. Es
besteht leichte Gedächtnisschwäche. Das Wesen der Krankheit ist im
Gegensätze zur Leukämie, die abnorme Produktion roter Blutkörper¬
chen ; im Augenhintergrund ist starke Schlängelung der V enen zu
bemerken. Es handelt sich wahrscheinlich um eine Veränderung der
Gefäße selbst. Die Röntgenbestrahlung hat eine Besserung im sub¬
jektiven Befinden herbeigeführt, ein Erfolg mit objektivem Befund
liegt nicht vor. Doch wird die Bestrahlung fortgesetzt, v. St. weist
auf den Mangel von Sektionsprotokollen in Publikationen hin. Es
fehlen genaue histologische Befunde über Milz und Knochenmark.
Diskussion.
Kiittner hat einen Fall von Polycythaemie beobachtet, die nach
zwei Jahren infolge einer Milzexstirpation wegen Schußverletzung ein¬
getreten ist. Dieser Fall ist auch mit einer ausgesprochenen Verände¬
rung der weißen Blutkörperchen einhergegangen.
Stern: Die Exstirpation der Milz bei bestehender Polycythaemie
ist öfter ohne Erfolg gewesen, daher beansprucht der Fall Küttner
Interesse. Er selbst hat auch Fälle mit gleichzeitiger Vermehrung
der Leukozyten beobachtet. Seines Wissens nach sind bis jetzt un¬
gefähr zehn Obduktionsberichte publiziert worden. Dieselben haben
kein einheitliches Krankheitsbild ergeben. In zwei Fällen ist von
französischen Forschern Polycythaemie für eine ungewöhnliche Form
der Tuberkulose gehalten worden.
Uthoff demonstriert das Bild eines Augenhintergrundes bei Poly¬
cythaemie.
2. Fall. 43 jähriger Mann mit chronischer Chorea. Der Gro߬
vater, Vater und drei Brüder sind sämtlich im 30. — 40. Lebensjahre an
derselben Affektion (erkrankt. Hier ist die starke Beteiligung der
Bauchmuskulatur bei den Zuckungen hervorzuheben, ebenso eine ge¬
ringe psychische Störung.
3. Fall. 25 jähriger Mann mit Kohlenoxydvergiftung. Heute
ist der neunte Tag nach dem Unfall, Patient hat 72 Stunden bewußt¬
los gelegen. Ein Aderlaß ist erfolglos, zwei Kochsalzinfusionen sind
von besserer Wirkung gewesen. Deutliche motorische Störungen waren
nachweisbar, heute besteht nur noch leichte Gedächtnisschwäche. Die
Störungen machten einen zentralen Eindruck.
4. Fall. Zirka 50 jähriger Mann, Steinsetzer, mit' einer Ulnaris-
Lähmung der rechten Hand, hervorgerufen durch den ständigen Druck
des Hammers. Diese Krankheit ist schon als Berufskrankheit bei
Feilenhauern und Schleifern beschrieben worden. Doch gehört eine
gewisse Vulnerabilität der Nerven dazu, wie sie z. B. bei Alkoholikern
vorhanden ist. Bei diesen sind Schlaf und Drucklähmungen häu¬
figer. Dieser Patient ist kein Alkoholiker.
Referate und Besprechungen.
161
5. und 6. Fall. 50 jähriger Mann mit Aortensklerose und Paralyse.
50jährige Frau mit Insuffizienz der Aortenklappen und Tabes, v. St.
weist auf die häufige Kombination dieser Affektionen hin. Alle Krank¬
heiten der Aorta im jugendlichen Alter, die nicht auf Gelenkrheumatis¬
mus basieren, sind von der Syphilis herzuleiten.
Müller sprach dann über das Verfahren zum Nachweis eiwei߬
lösender Fermente.
Er hat eine gewöhnliche Serumplatte bei 60° mit heißem Kokken¬
eiter und kaltem tuberkulösem Eiter beschickt.
Die Leukozyten des heißen Eiters sind an und für sich eiweiß*
reich und hätten auf der Serumplatte Dellen hervorgerufen.
Der tuberkulöse Eiter besteht meistenteils aus Detritus und hat
die Serumplatte nicht angegriffen.
Der Mundspeichel enthält ein diastatisches und ein proteoly¬
tisches Ferment. Träger des proteolytischen Fermentes sind die
Speichelkörperchen ; diese sind meistenteils Leukozyten. Dieselbe Be-
wandnis hat es mit Schleim und Kolostrumkörperchen. Gegen den
bakteriellen Ursprung dieses Fermentes spricht, daß die proteolytische
Menge des menschlichen Mundspeichels ungefähr mit der Anzahl der
Speichelkörperchen parallel ginge. Dieses Ferment besitzen im Speichel
1. der Mensch,
2. die höheren Affen,
3. die Hunde.
Auf demselben Wege ist ungenügende Pankreasfunktion nach¬
weisbar.
Das proteolytische Ferment des Darmtraktus nimmt von oben
nach unten hin zu. Vor der Ileokökalklappe ist es am stärksten,
hinter ihr ist es nur in Spuren vorhanden.
Schlecht erläutert die Untersuchungsmethode in der medizi¬
nischen Universitätsklinik.
Der Patient bekommt Darmspülung und starke Abführmittel. Mit
der wässerigen Entleerung werden die Serumplatten beschickt. Be¬
weisend sind die Proben nur bei negativem Ausfall. Schwankungen
finden sich besonders bei Carcinoma ventriculi und Icterus catarrhalis.
Diskussion.
Küstner fragt an, ob Untersuchungen mit Schlangenspeichel ge¬
macht worden sind, weil dieser eine große proteolytische Wirkung
hat. Schlecht verneint.
Referate und Besprechungen.
Bakteriologie und Serologie-
Zwei neue Agglutinationsmethoden.
(Dr. Kretowski. Zentralbl. für Bakt., H. 4, Bd. 47, 1908.)
Verfasser hat sein Material (Serum) zu serodiagnostischen Versuchen
aus erstarrtem Blut, wie auch aus Wattebäuschen oder Fließpapierscheiben,
die mit Blut getränkt waren, erhalten. Es ist selbstverständlich, daß die
Watte und das Fließpapier steril sind. Verfasser nahm einerseits Flie߬
papierscheiben von 20 mm Durchmesser, ungefähr der Größe eines aus¬
getrockneten Bluttropfens entsprechend. Es folgte ein Auslaugen der Blut¬
flüssigkeit mit physiologischer NaCl-Lösung und Ansetzen der entsprechen-
11
162
Referate und Besprechungen.
den Verdünnungen. Es gehen die Agglutinine in die Flüssigkeit mit über.
Andererseits sammelte er 5—10 Blutstropfen auf ein Stück Watte, das er
der Zentrifugalwirkung unterwarf. Das Serum aus Fließpapier und Watte
gewonnen liefert Resultate, • die vollständig mit denjenigen, die nach den
gewöhnlichen Methoden hergestellt werden, kongruent sind. Bei geringen
Blutmengen liefern diese Verfahren sehr gute Dienste.
Eigentümlich war in einer ganzen Reihe von Versuchen das Aus¬
bleiben der Agglutination bei konzentrierteren Verdünnungen und ein sehr
deutliches Auftreten derselben bei höheren Verdünnungen, wofür Verf. einige
Erklärungen beifügt. Schürmann (Düsseldorf).
Zur Erleichterung der Meningokokkendiagnose.
(Prof. Rüge. Zentralbl. für Bakt., H. 5, Bd. 47, 1908.)
Verfasser empfiehlt auf Objektträger, die in der Flamme abgebrannt
sind, je 6 — 8 Tropfen der Lumbalflüssigkeit zu bringen, die man unter
einer Petri-Schale bei Zimmertemperatur eintrocknen läßt. Das Eintrocknen
dauert ungefähr 10 — 12 Stunden; während dieser Zeit findet eine lebhafte
Anreicherung etwa vorhandener Meningokokken statt, daß sie jetzt mikro¬
skopisch leicht nachweisbar sind. Schürmann (Düsseldorf).
Komplementablenkung und biologische Diagnose maligner Tumoren.
(F. Ravenna. Arcli. p. 1. scienze med., H. 4, Bd. 82, 1908.)
Die Untersuchungen Ravenna’s ergaben, daß in der Tat in einigen
Fällen sich im Serum Krebskranker Substanzen finden, die im normalen Serum
fehlen und die das Komplement fixieren können, sei es für sich allein,
sei es in Verbindung mit Krebsextrakt und bisweilen auch mit Extrakt
anderer Neoplasmen, Entzündungsherde und Organe; Spezifität .besitzt
die Reaktion aber nicht. Was die Natur dieser Stoffe anlangt, so handelt
es sich vielleicht um Antikörper gegen Albuminoide; bis jetzt läßt sich noch
nicht entscheiden, welchen Anteil daran die Produkte des Krebses selbst und
welchen die des Gewebszerfalles haben. M. Kaufmann.
Das Tuberkuloseserum Marmorek.
(F. Köhler, H. Frey, A. Sokolowski u. B. Dembinski. Zeitschr. für Tuberk.,
Nr. 2, Bd. 13, 1908.)
Die Mißerfolge der Tuberkulinbehandlung sind nach Marmorek damit
zu erklären, daß das ,, Tuberkulin“ nicht das eigentliche Tuberkulosetoxin
ist. Dieses, das ,,Tuberkulovaczin“, erhält man nur, wenn man die Jugend¬
formen des Tuberkelbazillus (Primitivbazillen) auf einem besonderen, den
vitalen Bedingungen im Organismus analogen Nährboden züchtet. Mit dem
aus ihnen gewonnenen Toxin werden Pferde immunisiert, und deren Serum,
unter besonderen Vorsichtsmaßregeln entnommen, ist das Marmor ek’sche
Tuberkuloseserum.
Über die spezifische Wirkung und den therapeutischen Wert dieses
Serums wird immer noch verschieden geurteilt. Frey erklärt es für „un¬
schädlich“ und für ein „spezifisches Tuberkuloseheilmittel“. Sokolowski
und Dembinski fanden ebenfalls, daß es, wenigstens bei rektaler Anwen¬
dung, unschädlich ist, können aber nach ihren Beobachtungen ein Urteil
über die Spezifität des Serums nicht abgeben. Köhler berichtet über sehr
ungleiche Resultate : einigen nicht besonders auffallenden Besserungen stehen
ausgesprochene Verschlechterungen gegenüber, und außer diesen werden unan¬
genehme Komplikationen verschiedener Art (Blutungen, Fieber, psychische
Störungen, Darm tuberkulöse usw.) erwähnt.
Der Frey’schen Ansicht, daß „ein einziger klassischer Beweis seiner
(des Serums) Wirkung zehn negative Resultate aufhebt“, möchte man doch
Referate und Besprechungen.
163
den Satz entgegenstellen, daß eine einzige der von Köhler (und vor ihm
von anderen) beobachteten Schädigungen eine ganze Reihe von günstigen
Berichten neutralisieren kann. Ehe man diese Schädigungen nicht sicher
vermeiden kann, wird sich das Serum kaum einbürgern.
Sobotta (Reiboldsgrün).
Kritische Abhandlung zur Theorie und Praxis der Ophthalmoreaktion nebst
Literaturverzeichnis bis 1. September 1908.
(F. Köhler. Zeitschr. für Tuberk., Kr. 4, Bd. 13, 1008.)
Die Ursache der konjunktivalen Entzündungsprozesse bei der Ophthalmo¬
reaktion liegt noch nicht klar zutage. Die Annahme, daß die tuberkulölse
Infektion des Organismus eine Überempfindlichkeit der Konjunktivalzellen
und lokale Antikörperbildung zur Folge hat, wäre nur haltbar, wenn sich
Antituberkulin nachweisen ließe. Es liegt die Möglichkeit nahe, daß das
Tuberkulin allein durch das Bakterieneiweiß Reizerscheinungen hervorruft,
wenn eine gewisse Überempfindlichkeit der Bindehaut besteht. Aber diese
Überempfindlichkeit kann nicht als spezifisch angesehen werden, weil sie
auch bei Typhus, Masern, Erysipel beobachtet wird, und weil sie sich auch
bei Gesunden, an denen sich keine Erscheinungen von Tuberkulose nachweisen
lassen, oft genug zeigt. Da die Konjunktivalreaktion außerdem gelegentlich
auch in leichten Fällen von sicherer Tuberkulose versagt, so lassen sich
nicht einmal in verdächtigen Fällen Schlüsse aus dem Ergebnis der Reaktion
ziehen: die praktische Verwertung der Konjunktivalreaktion ist daher kaum
denkbar, wenn auch ohne Frage die Erkenntnis zellular-biologischer Vorgänge
in ihrem Verhältnis zur Infektion des Organismus durch die Entdeckung-
Wolf f -Eisner’s ungemein gefördert ist.
Besondere Bedenken gegen die Anwendung der Konjunktivalreaktion
bestehen ferner noch insofern, als durch sie die Einleitung der Tuberkulinkur
erschwert wird : unter der Einwirkung der therapeutischen Tuberkulindosen
kann jederzeit der Reizzustand des , Auges wieder auftreten.
Schließlich wird noch darauf hingewiesen, daß der Ausfall der Reaktion
vielleicht weniger von der Ausdehnung des tuberkulösen Prozesses abhängt,
als von der „Qualität“ des Prozesses, die einerseits durch den Organismus
des Kranken, andererseits durch die Virulenz des Krankheitserregers be¬
dingt ist. Sobotta (Reiboldsgrün).
Über die v. Pirquet-Detresche Kutanreaktion.
(F. v. Gebhardt. Zeitschr. für Tuberk., Kr. 4, Bd. 13, 1908.)
Detre hat die Pir quet’sche Kutanreaktion insofern modifiziert, als
er an Stelle des Tuberkulins Tuberkelbazillen-Filtrate anwendet, in denen
die Toxine stärker wirksam sein sollen. Das Detre’sche Verfahren bietet
auch die Möglichkeit, eine Entscheidung darüber zu treffen, ob eine Tuber¬
kulose dem Typus humanus oder bovinus des Tuberkelbazillus zuzuschreiben
ist, indem man beobachtet, ob Humanfiltrat oder Bovinfiltrat eine stärkere
Reaktion hervorruft (dominierendes Filtrat). Natürlich kommt neben der
humanen und bovinen Reaktion auch noch die Mischreaktion vor.
Im übrigen wird die praktische Bedeutung der Kutanreaktion bestätigt
unter Hervorhebung der Tatsache, daß die chirurgischen Fälle eine stärkere
Reaktion geben als die internen. Sobotta (Reiboldsgrün).
Valeur therapeutique des tuberkulines,
(S. Bernheim u. P. Barbier. Zeitschr. für Tuberk., Kr. 4, Bd. 13, 1908.)
Die aktive Immunisierung (Tuberkulintherapie) verspricht bei der Be¬
handlung der Tuberkulose bessere Ergebnisse als die passive (Serumtherapie).
Der Erfolg der Behandlung hängt weniger von der Wahl des Tuberkulin-
11*
164
Referate und Besprechungen.
Präparates, als von der Vorsicht ab, mit der die Behandlung geleitet wird.
Immerhin scheint es, daß die Tuberkuline von Beraneck und Jacobs, weil
sie außer den Toxinen der Kulturen auch die Endotoxine der Tuberkelbazillen
enthalten, wirksamer sind, als die anderen Tuberkuline. Das J acobs’sche
Tuberkulin wird außerdem noch wegen seiner Handlichkeit und Ungefähr¬
lichkeit besonders gerühmt. Sobotta (Reiboldsgrün).
Perkutane Tuberkulinreaktion nach Moro.
(H. Kanitz. Wiener klin. Wochenschr., Nr. 28, 1908.)
Die Einreibung einer 50°/0igen Tuberkulin-Lanolinsalbe wurde an 350
Patienten vorgenommen. Von 108 klinisch sicheren Tuberkulosefällen reagier¬
ten positiv 53 = 49%; von den darunter befindlichen Kindern 80%. Von
42 Tuberkuloseverdächtigen reagierten positiv 27 = 64%, von 200 Nicht¬
verdächtigen 22 = 11%. Die bei 147 Personen vorgenommene gleichzeitige
Prüfung mittels der Salbenreaktion und der Kutan- oder Konjunktivalreaktion
ergab keine Übereinstimmung: 30 gegen 77% positiver Fälle. Demnach be¬
sitzt die Salbenreaktion keine spezifische Bedeutung. E. Oberndörffer.
Vergleichende Untersuchungen über die Agglutination von Typhus und
Paratyphusbazillen im Verlauf von Typhuserkrankungen.
(B. Gross. Zentralbl. für Bakt., Bd 47, S. 519, 1908.)
Bei einer Untersuchung von Typhuspatientenserum auf Agglutination
gegenüber verschiedenen Typhusstämmen, sowie Paratyphus A. und B. fand
Verfasser in dem Agglutinationstiter den einzelnen Stämmen gegenüber außer¬
ordentliche Unterschiede. Die angestellten Agglutinationskurven liefen bei
den verschiedensten Stämmen fast parallel. Paratyphus A. und B. zeigten
Mitagglutinationen. Die Höhe ihres Agglutinationstiters war abhängig von
dem Typhustiter. Es ist also für die Praxis angebracht, bei negativem
Ausfall der Agglutination mit einem Stamm andere zur Prüfung zu ge¬
brauchen. Schiirmann (.Düsseldorf).
Untersuchungen über Bakterien der Enteritisgruppe (Typus Gärtner u.
Typus Flügge), insbesondere über die sogenannten „Fleischvergiftungs¬
erreger“ und die sogenannten „Rattenschädlinge“.
(Mühlens, Dahm u. Fürst. Zentralbl. für Bakt., H. 1, Bd. 48, 1908.)
Nach einer Fleischvergiftungsepidemie, hervorgerufen durch den Genuß
von Gänsepökelkeule, verfütterten die Verfasser 57 Fleischsorten an weiße
Mäuse, von denen über 50% unter den charakteristischen Erscheinungen
starben. Aus den Organen gelang stets die Züchtung eines Bazillus vom
Stamm Gärtner oder vom Typus Paratyphus B. Aus den betreffenden
Fleischsorten gelang niemals die Isolierung eines entsprechenden Bazillus.
Identisch miteinander sind die verschiedenen Battenschädlinge, B. Xa-
nysz, Denbar, Ratin, Ts atschenko ; sie lassen sich vom Bac. enteridis
Gärtner nicht unterscheiden. Sie töten nur 50 — 60% der grauen Ratten
und sind so nur im beschränktem Maße zur Rattenvertilgung geeignet.
Schürmann (Düsseldorf).
Wirkung der toxischen Produkte des Streptokokkus pyogenes auf den
arteriellen Blutdruck.
(B. de Vecchi. Zentralbl. für Bakt., 11. 6, Bd. 46, 1908.)
Die Untersuchungen wurden mit dem Ludwig’sehen Kymographion
angestellt, das mit einer rotierenden Trommel versehen war. Kaninchen ge¬
brauchte Verf. als Versuchstiere; 5—40 Tage alte Streptokokkenkulturen
Referate und Besprechungen.
165
(2 — 5 ccm) wurden injiziert. Sofort nach der Injektion stieg der Blutdruck
an, um dann bis unter die Norm langsam herabzufallen. Nach 3/4 Stunde
erreicht er sprungweise die normale Höhe wieder ; es ändern sich dabei die
Atmung und die Bewegungen des Tieres, die zuweilen in Krampferschei¬
nungen übergehen. Vorsichtige Injektion von steriler Peptonbouillon ergibt
keine Blutdruckschwankungen.
Eine physiologische Erklärung der Erscheinungen kann Verfasser nicht
gehen. Möglich wäre, daß sowohl peripherische, vasomotorische Erscheinungen
als auch Veränderungen der Herzkontraktionen den Grund dafür abgäben.
Schürm ann (Düssei clor f ) .
Die Differenzierung der pathogenen und saprophytischen Staphylokokken.
(Joseph Koch. Arch. für klin. Chir., H. 1, Bd. 87, 1908.)
Als charakteristisches Unterscheidungsmerkmal der echten pyogenen
Traubenkokken gegenüber den harmlosen saprophytischen Arten galt bisher ihre
Fähigkeit, die Gelatine zu verflüssigen, und der positive Ausfall der Färbung
nach Gram. In neuerer Zeit wurde nachgewiesen, daß filtrierte Kulturen
von ihnen den Blutfarbstoff aus den roten Blutkörperchen herauszogen und
die Deckfarbe des Blutes in die Lackfarbe verwandelten (Hämolysin oder Häma-
toxinbilclung). Einen weiteren Fortschritt in der Differenzierung brachten
die Untersuchungen über ihre Agglutinationsfähigkeit.
Wegen ihrer Umständlichkeit sind diese letzten Wege für praktische
Zwecke nicht geeignet. Zur Sichtbarmachung der Hämolyse benutzt nun
Koch die Kaninchenblutagarplatte, die ohne große Mühe stets frisch her-
gestellt werden kann. Bringt man auf ihre Oberfläche pathogene Trauben¬
kokken, so zeigen die nach 24 Stunden gewachsenen Kolonien die Hämolyse
dadurch an, daß in ihrer Umgebung ein heller Hof entsteht.
Mit dieser Methode, die Koch durch die umständlicheren stets kon¬
trollierte, fand er, daß die Bakterienflora der menschlichen Haut und der
Haare zu 90°/o aus harmlosen, meist weißen Staphylokokken besteht, und
daß sie nur zu 3 — 5% echte pyogene Staphylokokken enthält.
Wenn diese auch mit den aus menschlichen Krankheitsherden (Osteo¬
myelitis, Karbunkel usw.) stammenden Kokken morpho- und biologisch iden¬
tisch sind, so bestehen doch gewisse Unterschiede: Die menschenpathogenen
Stämme produzieren ungleich größere Mengen Hämolysin, wobei sie wesent¬
lich konstanter und geringerer Schwankung unterworfen sind ; ebenso ist ihre
Fähigkeit, die Gelatine zu verflüssigen, weit größer; endlich ist ihre primäre
Virulenz — und das ist praktisch am wichtigsten — bei weitem höher als
bei den übrigen Arten.
Im allgemeinen darf man aus dem Grade der Hämolysinproduktion
auf der Kaninchenblutagarplatte einen Rückschluß auf ihren Virulenzgrad
ziehen. Lemmen.
Innere Medizin.
Einige neue Ideen über Phymatiosis, dem internat. sog. Tuberkulose-
Kongreß von 1908 vorgelegt.
(A. Rose, Newyork. Newyorker med. Monatsschr., Nr. 8, 1908.)
Rose, der das Zwitterwort Tuberkulosis durch das „wissenschaftlich
richtigere“ Phymatiosis ersetzen möchte, bekämpft die zur Verbreitung
dieses Leidens dienenden verkehrten Einrichtungen der Mietskasernen, der
Kellerwohnungen, der „dark bedrooms“, der den ganzen Fußboden, die Gänge
und Treppen bedeckenden Teppiche und tritt ein für Verbesserung von
Zirkulation, Innervation und Stoffwechsel der Phthisiker mit Atonia gastrica
durch Behandlung mit seinem Heftpflasterverbande und für Allgemeinbe¬
handlung mit warmen Bädern. Esch.
166
Referate und Besprechungen.
Respiratorischer Stoffwechsel des Phthisikers im Nachtschweiß.
(R. Stähelin. Zeitsclir. für klin. Med., Bd. 66, S. 241.)
Ein 61 V2 kg schwerer 24 jähriger Tuberkulöser wurde im Jaquet’schen
Respirationskasten in der Nacht während 13 Stunden beobachtet (zweistündige
Luftproben!), wobei er übrigens ziemlich unruhig war. Es fand sich, daß
der heftige Schweißausbruch keinen Einfluß auf den Energieverbrauch aus¬
übte; die 0,0241 Kal. pro kg und Minute waren höchstens 10% über dem
Ruhe-Nüchternwert. Auch ließ sich eine Bedeutung des Nachtschweißes für
die Wärmeregulation nicht nachweisen, womit im Einklang steht, daß ein
unmittelbarer Einfluß des Schwitzens auf die Temperatur (speziell bei diesem
Kranken) sich nicht feststellen ließ. Die Verdunstung des abgesonderten
Schweißes, der in der Hauptsache im Hemd und Bett haften bleibt, kommt
nicht nennenswert in Betracht. H. Vierordt (Tübingen).
Mit welchen äußeren Mitteln können wir die Aufsaugung aus der
Pleurahöhle beeinflussen?
(E. Plate. Zeitschr. f. phvs. u. diät. Therap., 12. Bd., 9. H., S. 517 — 532. Dez. 1908.)
Plate hat Kaninchen 20 ccm einer erwärmten 10% Milchzuckerlösung
in die rechte Pleurahöhle gespritzt und dann von H/2 zu IV2 Stunden den
Zuckergehalt des Urins bestimmt. Kontrollversuche ergaben, daß die Resorp¬
tion ohne jede Behandlung keineswegs gleichmäßig vor sich geht, und das
ließ sich auch erkennen, als die Tiere allerlei Prozeduren aus der physikalischen
Therapie unterworfen wurden. Plate meint, daß die üblichen Prießnitz-
schen Umschläge kaum einen wesentlichen Einfluß auf die Resorption
erkennen ließen, einen etwas besseren die Umschläge, die mit wasserdichtem
Stoff bedeckt waren. Die SalzwedePschen Alkoholumschläge — 50 und
96% — , Vibrationsmassage, Heißluftkästen erzeugten nach Plate’s Urteil
regelmäßig eine nicht unbeträchtliche Steigerung der Resorption, so daß
also therapeutisch diese Mittel zunächst in Erage kämen. Allerdings, die
Frage, ob sich entzündliche Exsudate beim Menschen ebenso verhalten wie
Milchzuckerlösungen beim Kaninchen, bleibt noch offen. Buttersack (Berlin).
Insuffisance pluriglandulaire.
(H. Claude u. H. Gougerot. Revue de med., Nr. 10, S. 861 — 877 u. Nr, 11,
S. 950—969.)
Für den aufmerksamen Beobachter lassen sich (neben manchen anderen)
zwei grundsätzlich verschiedene Richtungen in der Medizin verfolgen, die
deshalb friedlich nebeneinander herlaufen, weil sie sich innerlich meilenweit
fernstehen. Das eine ist die deskriptiv- anatomische Richtung, welche es
ängstlich vermeidet, irgendwie physiologisch zu denken, für die das minutiöse
Beschreiben Selbstzweck ist. Sie ist es, die mit Hilfe der modernen Mikro¬
skope und Färbetechnik die auseinandergenommenen Organe in ihre feinsten
Elemente gespalten hat, und sie ist es, in der schließlich die bereits ins
Gebiet der Hypothesen fallende Theorie der Seitenketten wurzelt.
Wie schwer es ist, die hier mühsam erarbeiteten Fragmente zu beleben,
zeigen z. B. die noch immer nicht abgeschlossenen, wenn auch bereits
erstaunlich feinen Blutuntersuchungen ; und gerade die Betrachtung des Zu¬
sammenwirkens der Teile, des Lebens des Organismus ist das Leitmotiv der
anderen Richtung, etwa nach dem Satze Antiplion’s: „Für die Vernunft
ist das All eine Einheit. Wenn du das erkannt hast, wirst du einsehen, daß
nichts von dem, was man mit dem Auge schaut, soweit auch der Blick
reichen mag, noch von dem, was man mit dem Verstände erkennt, soweit
auch die Erkenntnis reichen mag, für sie etwas Einzelnes ist.“ Natürlich
finden sich in jedem einzelnen diese beiden Richtungen vertreten; aber wie
Referate und Besprechungen.
167
wenig sie sich vermischen, wie sie sich gegenseitig ebensowenig annehmen
wie Öl und Wasser, kann man an vielen Abhandlungen erkennen, in denen
die anatomischen und die physiologisch -klinischen Kapitel ziemlich fremd
nebeneinander stehen.
Die Drüsen mit innerer Sekretion haben seit einigen Dezennien das
Interesse der Forscher erregt; aber entsprechend dem auf bureaumäßiges
Registrieren und Spezialisieren ausgehenden Zeitgeist beschränkte sich
jeder auf seine Spezialdrüse und suchte ausschließlich aus deren Störungen
und Veränderungen sämtliche klinische Erscheinungen zu erklären. Dem¬
gegenüber betrachten Claude und Gougerot alle Drüsen mit innerer Sekretion
als ein zusammengehöriges System und decken mit Scharfsinn die Unge¬
reimtheiten und Widersprüche auf, die sich ergeben, wenn man der gerade
beliebten Drüse zu viele Symptome aufbürdet. So ist man z. B. dazu ge¬
kommen, Myxödem ohne Hautveränderung, Addison ohne Rigmentbildung
zu diagnostizieren; und so könnte man streiten, ob P. Marie’s Akromegalie
Folge einer Hyper-, Hypo- oder Dyshypophysie sei, um schließlich sich
sagen zu lassen, daß Akromegalie auch bei ganz gesunder Zirbeldrüse vor¬
kommt.
Wir wissen freilich über die Funktionen der einzelnen Organe (in
Betracht kommen: Thyreoidea, Hypophysis, Nebennieren, Testikel, Ovarien,
vielleicht auch Pankreas und Leber) herzlich wenig; und die Sache wird
noch komplizierter, wenn Störungen in mehreren dieser Organe anzunehmen
sind, besonders dann, wenn atrophische Vorgänge hier mit hypertrophischen dort
sich vergesellschaften. „L’experimentation est difficile et les resultats restent
assez confus“ rufen die Autoren bedauernd aus. Allein die Schwierigkeit
der Lösung tut der Berechtigung des zugrunde liegenden Gedankens und
der Fragestellung keinen Eintrag, und der praktische Arzt vom Jahre 1909
hat von der damit gewonnenen Einsicht immerhin den empirischen Gewinn,
daß er, wenn eine Störung sich nicht - z. B. mit den obligaten Schild¬
drüsen beheben läßt, dann eine andere Drüse probiert.
Buttersack (Berlin).
Chronische Polyserositis (Morbus Bamberger).
(E. v. Neusser. Wiener klin. Woclienschr., Nr. 14 u. R. Latzei, Wiener klin.
Wochenschr., Nr. 28, 1908.)
Der von Nemsser beobachtete Fall betraf eine 20jährige Frau aus
tuberkulöser Familie, bei welcher die Krankheit mit Magenschmerzen, Hä-
matemesis, Ödem der Beine begann. Etwa Vr Jahr später fand sich starker
Aszites, Verkleinerung der Leber, Milztumor, verminderte Erythrozytenzahl,
Leukopenie. Später linksseitige Pleuritis, zunehmende Kachexie, Exitus nach
einjähriger Krankheitsdauer'. Die Diagnose wurde richtig auf Polyserositis
gestellt; gegen Banti’sche Krankheit sprach der rasche Verlauf, die Empfind¬
lichkeit der Milz, der Pleuraerguß. Bei der Obduktion fand sich Oblite¬
ration der Pleurablätter, Schrumpfung der Leber und Verdickung der Leber¬
und Milzkapsel, kein Anzeichen von Tuberkulose, obwohl die Kranke auf
Perlsuchttuberkulin lebhaft reagiert hatte. Diese Polyserositis tritt klinisch
unter verschiedenen Formen auf, z. B. kann Perigastritis, Konkretio cordis
(perikarditische Pseudoleberzirrhose!) Vorkommen. Die Krankheit ist 1872
von Bamberger zuerst beschrieben worden. Die Ätiologie ist unbekannt,
vielleicht spielt eine kongenitale Minderwertigkeit der serösen Häute eine
Rolle. Ein bakterieller Ursprung ist wahrscheinlich. — Der 14jährige Patient
Latzel’s zeigte doppelseitige Pleuritis, Aszites; in letzterem, sowie im Sputum
fand sich ein grampositiver Diplokokkus, der nicht zu kultivieren und nicht
auf Tiere übertragbar war. Auch bei diesem Kranken war keine Tuberkulose
nachzuweisen. E. Oberndorf f er.
168
Referate und. Besprechungen.
Lymphdrüseribefunde bei kongenitaler und postfötaler Lues.
(Bartel u. Stein. Wiener klin. Wockenschr., Nr. 20, 1908.)
Die Lymphdrüsenveränderungen bei kongenitaler Lues sind nicht kon¬
stant und nicht spezifisch. Häufig trifft man starke Vermehrung der Endo-
thelien und Zurücktreten der Lymphozyten, Zunahme des Bindegewebes,
chronisch-entzündliche Vorgänge in der Kapsel der Drüsen und deren Um¬
gebung. — Bei drei Erwachsenen, die an Lues bezw. Paralyse gestorben
waren, entsprachen die Befunde denjenigen, die beim Status thymico-lympha-
ticus erhoben werden. E. Oberndörffer.
Schilddrüse und chronischer deformierender Gelenkrheumatismus.
(P. Mönard. These de Doctorat, Paris 1908. Bailliere, editeur.)
Im Jahre 1884 hatte S erg ent auf den Zusammenhang zwischen rheu¬
matischen Affektionen und Hypothyreoidismus aufmerksam gemacht. Später
haben Revillod, Lancereaux, Parrhon und Papineau, Claisse, Levi
und Rothschild ähnliche Beobachtungen gemacht. Menard stellt nun die
einschlägigen Mitteilungen zusammen ; es erhellt daraus u. a. ein Parallelis¬
mus zwischen chronischem Rheumatismus und Myxödem, bezw. Menopause,
günstige Wirkung der Schilddrüsenbehandlung bezw. Verschwinden der rheu¬
matischen Beschwerden, sobald sich ein Basedow entwickelt.
Bei der Aussichtslosigkeit der meisten therapeutischen Versuche dürfte
ein Versuch mit Schilddrüsensubstanz (0,3 g der frischen, 0,1g der getrock¬
neten Drüse) wohl zu machen sein. Buttersack (Berlin).
Hypophysenglykosurie.
(L. Borchard. Zeitschr. für klin. Med., Bd. 66, S. 332.)
Beim Kaninchen, viel schwieriger beim Hund, kann man nach Injektion
eines sterilisierten, eiweißfreien Hypophysenextraktes geringe Glykosurie her-
vorrufen, die zunächst auf Hyperglykämie zurückzuführen sein dürfte. B.
stellt eine Tabelle über 176 Eälle von Hypophysentumor aus der Literatur
zusammen, wo bei Akromegalie Angaben über den Urin vorliegen, wonach
Glykosurie (gelegentlich auch alimentäre) und Diabetes ziemlich häufig sind.
Statt der Loeb’schen Theorie (Druck auf ein Zuckerzentrum im Tuber cinereum)
oder der Lorand’schen (primär erhöhte Funktion der Schilddrüse, die auf
die Hypophyse wirkt) ist B. geneigt, eine Überproduktion der Hypophyse
anzunehmen, ohne übrigens selbst diese Theorie für gehörig erwiesen zu er¬
achten. H. Vierordt (Tübingen).
Erkältungsnephritis.
(Wolfg. Siegel. Verhandl. des XXV. Kongr. f. innere Medizin. Wiesbaden,
J. F. Bergmannn, 1908. S. 510—513.)
Wenn vor einem oder zwei Dezennien einer gewagt hätte, die Nieren¬
entzündung anders als durch Bakterien zu erklären, wären die Träger dessen,
was damals wissenschaftlich hieß, nicht übel über ihn hergefallen. Heute
demonstriert nun Siegel in hübscher Weise, wie akute parenchymatöse
Nephritiden durch Auflegen von Eisstückchen auf die Nierengegend bezw.
durch Abkühlung der Hinterbeine (die Versuche wurden an Hunden ange¬
stellt) entsteht.
Er erklärt sich den Zusammenhang durch Kontraktion der Nieren¬
gefäße synchron mit den Hautgefäßen; die dadurch bedingte Ischämie könne
dann zu Ernährungsstörungen, Zellzerfall und Freiwerden von, die Ent¬
zündung auslösenden Zerfallsprodukten — man beachte hier das Einmünden
in den z. Z. herrschenden chemisch-toxischen Vorstellungskreis! — führen.
Referate und Besprechungen.
169
Den anderen Erklärungsmodus, daß es sich dabei um nervöse Störungen
handle, hält Siegel zwar in der Hand; denn er hat selber beobachtet, „daß
der Organismus sich an die wiederholte Einwirkung eines bestimmten Kälte¬
grades gewöhnt und weniger auf ihn reagiert“; aber er spinnt ihn nicht
weiter aus. Vielleicht lösen die im Nervenapparat wurzelnden Gewöhnungs¬
prozesse später einmal die Toxin-Hypothesen ab. Buttersack (Berlin).
Über Nierentuberkulose.
(Ferd. Kornfeld. Verhandl. des 25. Kongr. für innere Medizin. — Wiesbaden,
J. F. Bergmann, 1908. S. 580—599.)
Es ist erst wenige Jahre her;, daß die Diagnose: Nierentuberkulose
Eingang in die allgemeine Ärztewelt gefunden hat. Aber auch bei ihr
kam di\e dem menschlichen Denken offenbar angeborene Vorliebe für feste
Assoziationen zum Ausdruck: ebenso wie die Vorstellungen Tuberkelbazillus
und Schwindsucht, Albuminurie und Nephritis, Herzkrankheiten und Digi¬
talis usw. unlösbar verknüpft zu sein scheinen, so assoziierte sich mit der
Diagnose Nierentuberkulose sofort die Forderung einer unumgänglichen Ne¬
phrektomie. In seiner kritischen Studie läßt Kornfeld den Grundsatz,
daß die Entfernung einer tuberkulösen Niere bei völliger Gesundheit der
anderen einen krankheitsheilenden Eingriff darstellt, völlig zu Recht be¬
stehen; aber er betont daneben auch die Mißerfolge aller Art (Tod nach der
Operation, Irrtum in der Gesundbewertung der zweiten Niere), und ferner
die Möglichkeit der Ausheilung des tuberkulösen Nierenprozesses auf Grund
von Krankenbeobachtungen. Zwar wird die operationslustige Chirurgie vor¬
erst noch geraume Zeit das Feld beherrschen ; aber Ausführungen wie die
Ivornf eld’sche schärfen allmählich doch das kritische Gewissen.
Buttersack (Berlin).
Chirurgie.
Über den Durchbruch von Siebbein- und Stirnhöhlenempyemen in die
Orbita, eine typische Komplikation bei Scharlach.
(H. Preysing, Köln. Deutsche Zeitschr. für Chir., Bd. 94, H. 8 u. 4, Septbr. 1908.)
Verf. beschreibt eine typische Komplikation bei Scharlach. Es handelt
sich um das Siebbein- und Stirnhöhlenempyem bei Scharlach, mit Nekrose
der Knochenwandungen und zwar in dem Zeitpunkt, wenn es zu einer be¬
ginnenden oder ausgedehnteren Phlegmone der Orbita gekommen ist. Seine
Erfahrungen beziehen sich auf sieben Fälle, von denen sechs nach der Opera¬
tion ausheilten (darunter einer nach Enukleation des Bulbus), einer starb.
Die klinischen Erscheinungen, auf welche die Diagnose sich stützt, bestehen
in septischem Fieber, gleichzeitiger Hals-Lymphdrüsenvereiterung und Otitis
media mit Knochenaffektion ; das ausschlaggebende Symptom ist das ent¬
zündliche Ödem oder die gar schon vorhandene tumorartige Erhebung am
unteren Orbitalwinkel. Gelegentlich läßt das Radiogramm die Erkrankung
des Siebbeins erkennen. Die Behandlung des in die Orbita durchgebrochenen
Empyems kann nur eine chirurgische sein. Breite Eröffnung des Stirnhöhlen¬
empyems ; das ganze Siebbein wird ausgeräumt und die Lamina papvracea
entfernt. Bezeichnend für die Scharlachnatur ist, daß noch nach Wochen
und Monaten einzelne Sequesterchen sich losstoßen. In prophylaktischer Be¬
ziehung sind eine sorgsame Nasenpflege während des Scharlachs (Nasen¬
duschen !) und eine Exstirpation hyperplastischer Gaumen- und Rachenmandeln,
deren Entfernung auch während des Scharlachs in Frage kommt, von
hoher Bedeutung. F. Kayser (Köln).
170
Referate und Besprechungen.
Thyrotomie bei Karzinom.
(Moure, Frankel. Äreh. für Lar., Bd. 21, H. 2. — Mouret. Rev. hebd. de lar.,
Nr. 42, 1908.)
Moure, der große Verdienste um die Operation hat, bespricht seine
Methodik : Er verzichtet auf Tamponkanülen, sondern benutzt eine seitlich
komprimierte Kanüle, die nach der Operation sofort entfernt wird, den Luft¬
röhrenschnitt nicht zerrt und die Schleimhaut wenig reizt. Der Knorpel
wird mit einer besonders gekrümmten, spitzen Schere durchschnitten, der
Larynx kokainisiert und dann die Exzision mit folgender Kaustik vorgenom¬
men. Knorpel, Membr. ericothyreoidea und Trachealwunde werden mit Katgut
vernäht, sodann die Haut. B. Frankel operiert ohne Narkose, lediglich
mit Kokaineinspritzung und zwar entweder nach Schleich oder indem über
und unter dem Schildknorpel je zwei Teilstriche einer 10%igen Lösung
injiziert werden. Er verzichtet auch auf die präventive Tracheotomie, Kanülen
werden nur im Notfälle angelegt. Die Blutung ist nur dann erheblich, wenn
größere Teile des Aryknorpels exstirpiert werden, oder man sich der Ein¬
trittsstelle der Art. laryngea nähert. Auch dann ist sie durch Kompression
zu stillen. Mouret exzidiert bei Stimmbandkarzinom auch das Taschenband,
Blutung vermeidet man, wenn man zum Schneiden den Kauter benützt.
Wenn beim Durchschneiden des verknöcherten Knorpels ein Stückchen ab¬
splittert, so muß es exzidiert werden, da es niemals anheilt, sondern sequestriert.
Arth. Meyer (Berlin).
Behandlung akuter Basedow’scher Krankheit mit partieller Strumektomie.
(A. Tscherning u. M. Lauritzen. Med. Klinik, Nr. 46, 1907.)
Ausführlich mitgeteilte Krankheitsgeschichte eines Falles von progre¬
dientem Morb. Basedowii, welcher schließlich durch partielle Entfernung der
Schilddrüse wesentlich gebessert wurde, nachdem andere Behandlungsarten
versagt hatten. R. Stüve (Osnabrück).
Ein Adenofibrom des Mamma auf tuberkulöser Basis.
(J. Revel. La Tribüne med., S. 741 — 742, 1908.)
Seitdem vor einiger Zeit Poncet in Lyon die Behauptung auf gestellt
hat, der Tuberkelbazillus mache nicht blos Tuberkula, sondern auch allerlei
andere, nichtspezifische Entzündungserscheinungen, wird in Frankreich mit
Eifer darüber hin- und hergestritten; insbesondere die Chirurgen haben in
den Sitzungen der Societe de Chirurgie von Mai, Juni und Juli 1908 sich
ziemlich ablehnend ausgesprochen. Nun veröffentlicht der Oberarzt Revel
einen Fall, der den Streit entscheiden soll. Eine Frau von 45 Jahren bemerkte
seit einigen Monaten in ihrer linken Mamma eine nußgroße, leicht verschieb¬
liche, schmerzlose Geschwulst; seit kurzem auch eine Schwellung der linken
Achseldrüsen.
Natürlich wurde die Brustdrüse abgetragen und die Achseldrüsen ent¬
fernt. Die mikroskopische Untersuchung erwies dann den Tumor als Adeno¬
fibrom ; in den Achseldrüsen dagegen die typischen tuberkulösen Riesen¬
zellen, aber ohne Koch’sche Bazillen. (Tierversuche wurden nicht gemacht).
Revel glaubt, daß beide Prozesse die gleiche Ursache und zwar den
Koch sehen Tuberkelbazillus gehabt haben, daß dieser somit nebeneinander
typische Riesenzellenprozesse und Adenofibrome hervorrufen könne. Leider
fehlt das wichtigste Glied in der .ganzen Kette : der Tuberkelbazillus ; die
Riesenzellen wird nicht jeder als vollen Ersatz dafür nehmen wollen.
Buttersack (Berlin).
Referate und Besprechungen.
171
Zur Diagnostik und Behandlung der Perityphlitis.
(Iv. Ewald, Wien. Allg. Wiener med. Ztg., Nr. 11 — 18, 1908.)
Verf. gehört zu den radikalen Operateuren ,,die jede Appendizitis ope¬
rieren, sobald sie diagnostiziert ist“, auch im intermediären Stadium (also
auch die 95%, die spontan geheilt sein würden, Ref.). Die Operation
im Intervall unterläßt er nur bei solchen Patienten, die jederzeit die
Möglichkeit haben, innerhalb weniger Stunden operiert zu werden; sie können
einen zweiten Anfall abwarten, um sich dann auch schon in den ersten
Stunden operieren zu lassen. Den Eingriff macht er regelmäßig in Lumbal¬
anästhesie, hauptsächlich deshalb, weil dabei die Eingeweide nicht vordrängen,
mit der Drainage ist er sehr sparsam. Behufs sicherer Vermeidung von Her¬
nien empfiehlt er Leun anders Schnittführung durch die Rektusscheide mit
Verlagerung des Muskels nach innen. Hierbei hat er in 300 Fällen nur 2 Ven¬
tralhernien gehabt. Esch.
Beitrag zur Histologie und Genese der kongenitalen Divertikel der
männlichen Harnröhre.
(F. Suter. Arch. für klin. Chir., H. 1, Bd. 87, 1908.)
Unter den beschriebenen 24 Fällen eine eigene Beobachtung. Das Alter der
Kranken schwankte zwischen 3 lWochen und 54 Jahren. Das Divertikel sitzt
an der Unterfläche des Penis an der Pars pendula ; die Größe wechselt von
Taubenei bis Mannesfaust. Die sackförmige Ausstülpung zum Teil mit kleinen
Harnsteinen gefüllt. Diese angeborenen Divertikel sind, soweit sie histologisch
untersucht sind, nicht einfache Ausstülpungen der Harnröhrenwand, sondern
es sind mit der Harnröhre kommunizierende Taschen, deren Wand aber nicht
Schleimhaütcharakter zeigt, sondern den gleichen Bau hat, wie die Dermoid¬
cysten, welche in der Genito-perinealraphe beschrieben sind.
Die Genese dieser Divertikel ist zu erklären durch die Annahme von
abnormer Persistenz eines mit der Harnröhre kommunizierenden Teiles der
Genitalrinne, der sich zu einer Tasche mit epidermoidaler Auskleidung aus¬
wächst und infolge von Füllung und Erweiterung durch den Urin dem Träger
früher oder später Beschwerden verursacht. Lernmen.
Gynäkologie und Geburtshilfe.
(Aus der Frauenklinik der Universität Jena.)
Die Schädigungen des Harnapparates nach abdominalen Uterus¬
karzinomoperationen.
(K. Franz. Zeitschr. für gynäk. Urologie, H. 1, Bd. 1, Oktober 1908.)
In 80% der Fälle beobachtete F. nach abdominaler Karzinomoperation
Cystitis, meist am 4. Tage p. op. beginnend. F. sieht die Ursachen dieser
häufigen Cystitiden in Ernährungsstörungen der Blasenwand und in der
Harnverhaltung, welche wochenlang dauern kann und zu Katheterismus zwingt.
Im Gegensatz zur Breslauer Klinik sah F. vom Verweilkatheter, der am
4. Tage eingelegt wurde, sehr gute Resultate. Von 15 Fällen blieben 7 ohne
Cystitis, 5 bekamen nur eine ganz leichte, 3 eine mittelschwere Cystitis,
die nach Blasenspülungen in kurzer Zeit heilten. Als Dauerkatheter diente
der Skene’sche Pferdefuß. Außerdem wurde Urotropin und Bärentraubentee
prophylaktisch verabreicht. Behandelt wurde die Cystitis mit Blasenspü¬
lungen mittels 2 — 3%iger Borsäurelösung, 10%igen Xeroformsesamölein¬
gießungen, schließlich 1 — 10%igen Höllensteinlösungen, von denen 2 — 5 ccm
in die leere Blase eingespritzt wurden. Unter dieser Behandllung heilten
sämtliche Fälle, wenn die Pat. genügend Geduld hatten.
Was Blasenscheidenfisteln im Gefolge von Karzinomoperationen anlangt,
so heilten sub operatione gemachte Blasennähte so gut wie nie, dagegen
172
Referate und Besprechungen.
waren die Resultate späterer Pisteloperationen keine schlechten, Rezidiv-
losigkeit vorausgesetzt. Was die Ätiologie der übrigens nicht so häufigen
Ureterfisteln (7 auf 145 Fälle) anlangt, so macht P. hierfür die Tamponade
des Wundbettes und oberflächliche Verletzungen der Ureterwand ausschlie߬
lich verantwortlich. Das Freipräparieren des Ureters mache gar nichts. Übri¬
gens heilen ziemlich viele derartige Fisteln spontan, ev. unter Ätzung mit
Jodtinktur oder Lapis. R- Klien (Leipzig).
(Aus der Universitäts-Frauenklinik in Marburg a. L.)
Zur Diagnose und Therapie der Schwangerschaftspyelitis.
(W. Stoeckel. Zeitsclir. für gynäk. Urologie, H. 1, Bd. 1, 1908.)
Es steht heute fest, daß es eine in der Gravidität entstehende und
durch die Gravidität bedingte Pyelitis gibt, und daß beim Zustandekommen
dieser Pyelitis die Harnstauung in den Ureteren eine wichtige Rolle spielt;
ferner daß der Pyelitisharn in der Regel Kolibazillen in Reinkultur oder
mit anderen Keimen gemischt enthält, endlich daß die rechte Seite häufiger
erkrankt ist als die linke. V öllig unklar sind aber vorläufig noch die feine¬
ren Details der Ätiologie. Für das Wahrscheinlichste hält indes S., daß
es sich um einen aufsteigenden Prozeß handelt; dagegen spricht nicht, daß
in der Regel eine Cystitis nicht gleichzeitig besteht. Wahrscheinlich wird
in der Gravidität die mittlere der drei physiologischen Verengerungen der
Ureteren (an der Linea innominata) eine besondere Verengerung erleiden: man
findet in typischen Fällen eine typische Druckempfindlichkeit am McBur-
ney’schen Punkte, der Katheter wird 10—13 cm hinter der Uretermündung
aufgehalten. — S. neigt der Ansicht zu, daß das Primäre die Harnstauung
ist; bei genauem Ausfragen werden als Anfangsbeschwerden ziehende Kreuz¬
schmerzen und leichte Seitenschmerzen angegeben. Das sind nach S. die
ersten Stauungssymptome, die auf Bettruhe oft wieder zurückgehen, ohne
daß es überhaupt zu einer Pyelitis kommt. — Die diagnostischen Schwierig¬
keiten sind verschieden, je nachdem es sich um Fälle mit oder ohne Blasen¬
symptome handelt. Erstere scheinen seltener zu sein, bei ihnen wird der
Arzt aber durch die Schmerzen beim Urinieren, durch den Harndrang, den
Eitergehalt des Urins auch • schon bei oberflächlicher Untersuchung auf eine
Erkrankung des Harnapparates hingewiesen. Nur muß er sich hüten, die
Diagnose unvollständig nur auf Cystitis zu stellen, eine ev. Pyelitis zu
übersehen. Bei jeder Schwangerschaftscystitis, die trotz sachgemäßer Be¬
handlung nicht zurückgeht, muß daher der doppelseitige Ureterenkatheteris-
mus ausgeführt werden. Bei der zweiten Gruppe — ohne alle Blasener- "
scheinungen — wird die Diagnose oft in ganz falsche Bahnen gelenkt. Man
denkt an Appendizitis, an Gallenblasenaffektionen, an Adnexerkrankungen
usw. Wenn eine Gravida über Schmerzen am McBurney’schen Punkt klagt,
überhaupt über rechtsseitige Schmerzen, soll man immer zuerst an Pyelitis
denken, wenn der Puls, trotz starker Beschleunigung und hohen Tempera¬
turen keinen peritonealen Charakter zeigt.
Therapeutisch genügt in leichten Fällen (beginnende Harnstauung
ohne Harninfektion) Bettruhe. Bei schwereren Fällen (Harnstauung mit Harn¬
infektion), mit heftigen Schmerzen, Fieber und Frösten kann Bettruhe in
Verbindung mit Urotropin, Helmitol und Natrium benzoicum auch noch
Heilung herbeiführen ;ist diese aber nicht in einigen Tagen erfolgt, so be¬
steht die Gefahr, daß es zur Ausbildung einer echten Pyonephrose kommt,
zu Allgemeininfektion und -intoxikation. Hier ist der Harnleiterkathete¬
rismus mit oder ohne Nierenbeckenspülung indiziert. Weniger kommt die
Nephrotomie in Frage, zu verwerfen ist der künstliche Abort bez. die künst¬
liche Frühgeburt. S. ist mit seinen Resultaten mittels lokaler Nierenbecken¬
behandlung sehr zufrieden. Weitere Erfahrungen müssen indes noch ge¬
sammelt werden. R. Klien (Leipzig).
Referate und Besprechungen.
173
Beitrag zur Pyelonephritis gravidarum.
(Dr. F. Weindler. Gynäk. Rundschau, H. 22, 1908.)
W. beschreibt zwei Fälle von Pyelonephritis gravidarum. Während der
auf Streptokokkeninfektion beruhende Fall von vornherein akut und ein¬
deutig war, böt der auf gonorrhoischer Infektion beruhende zunächst nur
unklare, vieldeutige Allgemeinsymptome. Erst die Urinuntersuchung, der
W. die bei weitem größte diagnostische Wichtigkeit zuschreibt, ermöglichte
die Diagnose. W. ist der Ansicht, daß fast alle Fälle von Pyelonephritis
in der Schwangerschaft aufsteigender Art sind. Durch die Schwangerschafts¬
hyperämie komme es zu einer Verschwellung der Harnleitermündungen in
der Blase und dadurch zur Urinstauung. Ferner bestünden sehr oft in der
Schwangerschaft unerkannte, latente, damit vernachlässigte Blasenkatarrhe,
wodurch die Möglichkeit des im erweiterten Ureter stagnierenden Urins ge¬
geben sei. Man fahnde also auf solche Blasenkatarrhe und behandle sie,
womit der prophylaktischen Indikation bezw. der Pyelitis Genüge geleistet ist.
Diese selbst suche man möglichst konservativ zu behandeln : die Unter¬
brechung der Schwangerschaft soll als ultimum refugium gelten, auch von der
lokalen Behandlung des Nierenbeckens will W. nicht viel wissen.
R. Klien (Leipzig).
Über den Zusammenhang der intermittierenden Hydronephrose mit
Genitalleiden bei Frauen.
(Dr. Sigmund Mirabeau. Zeitschr. für gynäk. Urologie, H. 1, Bd. 1, 1908.)
M. gibt eine auf eigenen Erfahrungen beruhende vorzügliche Beschrei¬
bung des bei Frauen gar nicht so seltenen Krankheitsbildes der intermit¬
tierenden Hydronephrose. Das Studium der durch Krankengeschichten treff¬
lich illustrierten Arbeit wird sicher dazu beitragen, daß die bisher so häufig
übersehene Krankheit in Zukunft besser und öfter diagnostiziert und damit
auch häufig erfolgreich behandelt werden wird. M. gelangt zu folgenden
Schlüssen : ,,Ein großer Teil der bei Frauen beobachten ten Fälle von intermittie¬
render Hydronephrose steht in direktem ursächlichen Zusammenhang mit
gynäkologischen Affektionen, die behindernd auf den regelmäßigen Urin¬
abfluß wirken. Die größte Bedeutung kommt dabei denjenigen Erkrankungen
der Beckenorgane zu, welche den Becken teil des Ureters und besonders die
Einmündungsstelle in die Blase in Mitleidenschaft ziehen. Das auslösende
Moment der Schmerzanfälle ist dabei häufig die durch die Menstruation
bedingte Hyperämie der Beckenorgane, die auch für sich allein schon hemmend
auf den Urinabfluß wirken kann. Diese an der Peripherie wirkenden Hinder¬
nisse im Urinabfluß erzeugen ganz allmählich Nierenbeckenerweiterungen,
aus denen sich dann oft im Laufe vieler Jahre erst eigentliche Ilydronephro-
sen entwickeln. Die Nierensenkungen sind häufig die Folge und nicht
(wie die meisten Autoren annehmen) die Ursache der Hydronephrosenbildung,
ebenso wie die vielfach beobachteten Veränderungen in der Form des Nieren¬
beckens, in der Einmündung des Ureters in dasselbe und am zentralen
Teil des Ureters selbst. Allerdings können die Veränderungen ihrerseits
wieder wesentlich zur Weiterbildung der Hydronephrosen beitragen. Erst
die cystoskopischen Methoden setzen uns in die Lage, die Anfangsstadien der
Erkrankung zu erkennen und die ursächlichen Momente richtig zu deuten,
was bei dem vorgeschrittenen Krankheitsbilde meist ganz unmöglich ist.
Durch sekundäre Infektion können aus intermittierenden Hydronephrosen
offene Pyonephrosen, durch dauernde Verlegung des Harnflusses geschlossene
Sacknieren werden. Die intermittierende Hydronephrose ist wohl das An¬
fangsstadium der meisten Formen von Sackniere.“ Um die Diagnose mög¬
lichst frühzeitig stellen zu können, ist die beiderseitige Katheterisation der
Harnleiter nötig. Während das cystoskopische Bild der Blase meist keinerlei
charakteristische Befunde bietet, fällt oft eine erhebliche Differenz in der
Art und der Frequenz der Urinentleerung aus den beiden Ureterenmündungen
174
Referate und Besprechungen.
auf. Eine kontinuierliche Entleerung von mehr als 20 ccm Urin aus einem
Nierenbecken spricht für eine außerhalb der physiologischen Breite liegende
Erweiterung des Nierenbeckens. Auf diese Weise ist es M. gelungen, in
einer größeren Anzahl von Fällen ganz frühe Anfangsstadien intermittierender
Hydronephrosen zu erkennen und damit sehr häufig die Ursache sonst nicht
erklärbarer „gynäkologischer“ Beschwerden. Als Ursache der Urinstauung
ließ sich, wie bereits gesagt, in den allerwenigsten Fällen eine Dislokation
der Niere nachweisen. Erst wenn das Leiden Jahre lang bestanden hatte,
waren öfter erhebliche Nierensenkungen vorhanden, die Hydronephrosen hatten
dann eine beträchtlichere Größe. Dagegen konnte M. in fast allen Fällen
mehr weniger erhebliche Behinderungen des Urinabflusses an irgend einer
Stelle der abführenden Harnwege nachweisen, und zwar meist im Becken¬
teil des Ureters; es bestanden Verengerungen oder Verlagerungen des Ure¬
terlumens oft bis zur völligen Unwegbarkeit auch für den feinsten Katheter.
Eine genauere Untersuchung ist natürlich nur in den Fällen vorzunehmen,
bei denen sich Anhaltepunkte für eine intermittierende Hydronephrose er¬
geben. R. Klien (Leipzig).
(Aus der kgl. Landeshebammenschule in Stuttgart.)
Die Walcher’sche oder die BumnTsche Hebosteotomie? Zwei grund¬
sätzlich verschiedene „subkutane Stichmethoden“.
(Dr. Walter Pfeilsticker. Gynäk. Rundschau, H. 14, 1908.)
Schlechtweg von „subkutaner Stichmethode“ zu reden, ist falsch, denn
es gibt zwei grundsätzlich voneinander verschiedene derartige Methoden : die
ältere von Walcher und die jüngere von Bumm. Die Bumm’sche Heb-
osteotomie ähnelt zwar der Walcher’schen, aber da, wo sie von ihr ab¬
weicht, hat sie keine Verbesserung gebracht, sondern das Gegenteil. Die
drei Punkte, in denen die Bumm’sche Methode abweicht und die keine
glückliche Modifikation darstellen, sind: 1. Die Spitze der Nadel von Bumm
ist spitz, der von Walcher abgerundet. 2. Der Einstich erfolgt nach
Bumm zwischen kleinem und großem Labium; nach Walcher auf der
Außenseite des großen Labiums. 3. Die Durchsägestelle liegt bei der Bumni-
schen Hebosteotomie näher der Symphyse zu und dadurch innerhalb der An¬
heftungsstellen der Scheide an den Schambeinen und in der Nähe des Liga¬
mentum pubo-vesicale ; bei der Walcher’schen mehr von der Symphyse ent¬
fernt und dadurch außerhalb der genannten Punkte.
Es ist nun bis jetzt keine einzige Blasenverletzung als durch die Wai-
cher’sche Technik resp. Nadel nachgewiesen, während der Bumm’schen Nadel
eine ganze Reihe von Blasenanstechungen zur Last fallen. Der zweite Punkt
ist nach P.’s Ansicht ein aseptischer Fehler und bedingt zum andern Punkt
3. Je weiter lateralwärts nämlich der Sägeschnitt geführt wird, um so eher
werden hochgradige Scheidenzerreißungen vermieden werden, weil der Schnitt
außerhalb der Anheftungsstellen der Scheide fällt. Auch ßlasenverletzungen
werden durch eine mehr laterale Sägeführung leichter umgangen werden, da
das Ligamentum pubo-vesikale erhalten bleibt. Endlich wird die Blutung
geringer sein, weil das Crus clitoridis höchstens an seiner Wurzel einreißt.
P. berichtet, daß mit dem Walcher’schen Instrument und der W.’schen
Technik in Württemberg schon mehrmals die Hebosteotomie im Privathause
mit bestem Erfolg ausgeführt worden ist.
Auf jeden Fall haften der Bumm’schen Technik Mängel an, welche
der Walcher’schen nicht zukommen.
Es gibt nicht nur die subkutane Stichmethode, sondern die Wachler-
sche und die Bumm’sche, was bei künftigen Publikationen zu beachten ist.
R. Klien (Leipzig).
Referate und Besprechungen.
175
(Aus der Klinik von Dr. L. Fraenkel in Breslau.)
Über ventrifixäerende Methoden bei Verlagerung der Beckenorgane.
(Richard Weber. Gynäk. Rundschau, H. 14, 1908.)
W. gibt zunächst einen kurzen Überblick über sämtliche bisher geübte
Fixationsmethoden, und geht ausführlicher auf die Ventrifixationsmethoden
ein. Von diesen sei die vollkommenste die von L. Fraenkel, welche sich eng
an die Olshausen’sche anlehnt. Sie ist eine Kombination dieser mit der
sog. subangulären (Kuestner): Nach Eröffnung der Bauchhöhle mittels Längs¬
oder Querschnittes werden jederseits mit einem Zwirnsfaden die Abgangs¬
stellen der Ligamenta rotunda unter Mitfassen der entsprechenden
Uterusecke umstochen. Dann wird zunächst auf der einen Seite das
eine freie Fadenende mit der Nadel etwa 1 1/2 — 2 cm seitlich unten vom
unteren Schnittwinkel von der Innenseite der vorderen Bauchwand durch
alle Bauchwandschichten nach außen geführt. Nachdem dies gescnehen,
wird das andere freie Fadenende mit der Nadel armiert und auf dieselbe Art
zirka 1 cm lateral und unten von der ersten Einstichstelle ebenfalls durch
alle Bauchwandschichten hindurchgeführt. Die so auf der äußeren Bauch¬
wand liegenden Fadenenden werden so angezogen, daß der Uterus gut der
Bauchwand unterhalb des Wundwinkels anliegt, und dann über einem oder
zwei Gazeröllchen geknüpft. Genau in derselben Weise wird auf der an¬
deren Seite verfahren. Schluß der Bauchwunde. Die Fixationsfäden werden
nach etwa 14 Tagen entfernt. - — Weder bei dieser Methode, noch bei der
ursprünglichen Olshausen’schen, ''bei der bekanntlich auch die Uterushörner
fixiert werden, sind je Geburtsstörungen beobachtet worden im Gegensatz
zu der Methode nach Czerny-Leopold, bei der der Fundus selbst fixiert
wird. — Fraenkel wendet seine Methode nicht nur bei Retroflexionen an,
sondern auch bei Prolapsen; die Vaginifixur sei hier zu wenig elevierend, und
sei auch nur im klimakterischen Alter erlaubt. Dasselbe gelte für die
Schau ta-Wertheim’sche Operation. Natürlich sind der Ventrifixur scheiden¬
verengende Operationen hinzuzufügen. —
W. erwähnt dann noch zwei interessante Fälle, in denen es nach Total¬
exstirpation des Uterus und scheidenverengenden Operationen zu einem Re¬
zidiv, bestehend aus Scheidenvorfall mit Enterozele gekommen war. Es
wurde bei beiden Frauen eine Ventrifixur der Vagina vorgeschlagen, eine
gewiß aussichtsvolle Operation. Leider lehnten beide Frauen ab. P. benutzt
diese Gelegenheit, sich prinzipiell gegen die Totalexstirpation bei Prolaps
auszusprechen : durch diese Operation werde an der Situation als solcher
nichts geändert, das Diaphragma und der Beckenboden bleiben defekt und
an Stelle des entfernten Uterus treten nun andere Baucheingeweide herab.
Zuletzt streift W. noch kurz die intraabdominale Fixation des Mast¬
darms. In der FraenkeFschen Klinik wurde die Operation einmal in der
Weise ausgeführt, daß der Mastdarm auf die Hinterwand des vorher ventri-
fixierten Uterus auf geheftet wurde. Nach zirka einem Jahre war noch kein
Rezidiv des Mastdarmvorfalles eingetreten. R. Klien (Leipzig).
Die Operationsmethoden bei der Geburt bei engem Becken.
(Pinard. Bull, med., Nr. 91, S. 1011 — 1014, 1908,)
In den letzten 19 Jahren hat Pinard, Professor an der Klinik
Baudelocque, unter 46249 Entbindungen 141 Symphyseotomien, 22 Ope¬
rationen, 30 Kaiserschnitte gemacht. Aber während er früher die Sympliy-
seotomie bevorzugte, macht er in den letzten Jahren immer häufiger den
Kaiserschnitt, bei dem er keine Verluste hatte.
Allerdings waren seine Resultate auch bei der Symphyseotomie er¬
freulich ; allein er hält diese Operation nur für bedingt brauchbar, nämlich
176
Referate und Besprechungen.
wenn der Muttermund verstrichen ist. Ist das noch nicht der Fall — und
die Situation zwingt oft zum Eingreifen in solchem Stadium — , dann muß
sich an die Symphyseotomie noch die Extraktion des Kindes anschließen,
und damit vermehren sich die Gefahren für die Mutter außerordentlich.
Er macht deshalb lieber den Kaiserschnitt, der bei genügender Technik
eine ungefährliche Operation darstellt und Mutter und Kind am schonend-
sten trennt.
Die Operation von Porro macht Pinard nur, wenn sich schon Sepsis
eingestellt hat, oder bei Osteomalakie.
Diese Ausführungen machte P. in der Eröffnungsvorlesung des Winter¬
semesters, um seinen Zuhörern klarzumachen, daß man wegen engen Beckens
keine Schwangerschaft zu unterbrechen brauche, und daß es nicht rationell
sei, die Entbindung bei solchen Frauen durch Zange oder Wendung zu
erzwingen, wo doch so viel angenehmere und ungefährlichere Methoden zum
Ziele führten. Buttersack (Berlin).
Die Hyperämie als Heilmittel in der Gynäkologie und Geburtshilfe.
(A. Stein, Newyork. Newyorker med. Monatsschr., Kr. 8, 1908.)
Nachdem die Hyperämiebehandlung, die jahrhundertelang rein empirisch
angewandt wurde, durch Bier auf eine festgefügte wissenschaftliche Grund¬
lage gestellt worden ist, hat auch die Gynäkologie das von ihm Erforschte und
Erprobte ihrem Heilschatz einverleibt, um es in der jetzigen, auf die opera¬
tionslüsterne Ära der 80 er Jahre gefolgten mehr konservativen Epoche zum
Heil der Patienten zu verwerten. Denn, wenn auch das konservative Ver¬
fahren an Arzt sowohl als Patientin bedeutendere Anforderungen in bezug auf
Ausdauer stellt, so bleibt doch der Lohn nicht aus, indem es häufig gelingt,
den Frauen funktionstüchtige Generationsorgane zu erhalten.
Im Einzelnen führt Stein aus, daß die Heißluftbehandlung allein oder
abwechselnd mit Pincus’ Belastungslagerung angewandt, bei chronischen
entzündlichen Vorgängen im Becken Großes leistet und daß wir ferner die
Stauungsbehandlung bei puerperaler Mastitis oder zur Anregung der Milch¬
sekretion nicht mehr missen möchten.
Als Kontraindikation der Heißluftbehandlung von parametritischen
Exsudaten, Fixationen und Verlagerungen, entzündlichen Adnextumoren usw.
nennt er Fieber, Gravidität, Menstruation, Endometritis hämorrh., schwere Herz-
und Lungenerkrankungen. Als zweckmäßigsten Apparat empfiehlt er die
halbzylindrische Reifenbahre mit Quinke’schem Schornstein (ev. Glüh¬
birnen), anfangs 1/2, später eine ganze Stunde täglich angewandt (80 — 120° C).
Die Wirkung besteht in eklatanter Schmerzlinderung, Resorption, ev.
Einschmelzung (Inzision!) von Exsudaten, günstige Beeinflussung von Narben
und Fixationen, die dadurch auch der Massage zugänglich werden.
Die Kombination mit der Pincus’schen Belastungslagerung (Queck¬
silber oder — weniger gut — Schrot im Kolpeurynter oder Schrotbeutel
aufs Abdomen unter Erhöhung des Fußendes des Bettes 6 — 8 Stunden lang)
wirkt durch die auf die Anämiesierung folgende aktive Hyperämie gleichsinnig
mit der Heißluftbehandlung.
Rudolph’s Saugbehandlung der Portio möchte Stein dem Praktiker
nicht empfehlen, Polanos Dysmenorrhöebehandlung durch Ansaugung der
Brustdrüse steht er abwartend gegenüber, wohl aber empfiehlt er, wie er¬
wähnt, die Saughyperämie der Brustdrüse zur Anregung der Milchsekretion,
zur Behandlung von „Schlupf- oder Nabelwarzen“ (Jaschke) und vor allem
bei der puerperalen Mastitis. Esch.
Referate und Besprechungen.
177
Psychiatrie und Neurologie.
Bernheim’s Auffassung der Aphasie.
(Bern heim [doctrine de l’aphasie comment je la comprends, röle de Y eidment
dynamique.] Revue de möd., XXVIII, Nr. 9, S. 796—819, 1908.)
Es ist eine merkwürdige Beobachtung, daß gerade die Funktion, von
welcher die modernen Bestrebungen der Gehirnlokalisationen ihren Ausgang
genommen haben — die Sprache und ihre Störungen — bei näherem Zusehen
Veranlassung gibt, an der so fest angenommenen Lehre von festen
Zentren zu zweifeln. „Der Ausdruck Sprachzentrum“ kann überhaupt nicht
ein Zentralorgan in jener diesem Wort gewöhnlich beigelegten Bedeutung be¬
zeichnen, in welchem dieses einen bestimmten Funktionskreis ausschließlich
oder auch nur vorzugsweise beherrscht, sondern es kann nur die Bedeutung
eines Funktionsherdes besitzen, in welchem sich besonders wichtige Knoten¬
punkte solcher Leitungen befinden, deren Zusammenwirken für das betreffende
Funktionsgebiet unerläßlich ist.“ Mit dieser Auffassung, welche die sog.
Zentren nicht mehr als Ausgangspunkte, sondern als Verknüpf ungsp unkte
im Zentralsystem charakterisiert, bringt W. Wundt in seiner physiologischen
Psychologie I 1908, S. 378, die neue Epoche zum Ausdruck, und ähnlich denkt
im Nachbarlande der scharfsinnige Bernheim, der nicht müde wird, die
Neigung zum Systematisieren, die dem Menschengeschlecht nun einmal ange¬
boren zu sein scheint, zu bekämpfen.
Sein Gedankengang ist etwa dieser : Ganz abgesehen davon, daß die
pathologisch-anatomischen Funde recht häufig nicht mit dem übereinstimmen,
was der Kliniker nach der herrschenden Lehre hätte erwarten müssen, sind die
Aphasischen in der Tat gar nicht aphasisch ; die meisten vermögen einzelne
Worte, Bruchstücke von Sätzen, ja ganze Gebete und im Gesang lange Lieder
aufzusagen; es handelt sich also nur um- eine Störung in der Leitang, ähn¬
lich wie bei einer defekten Telephonleitung auch nur mehr oder minder deut¬
liche Worte herauskommen.
Neben diese Störung im motorischen Betrieb „düe a l’aphasie motrice,
difficulte de transmettre les mots, langage interieur, aux noyaux bulbaires
qui les realisent“ stellt Bernheim dann noch eine zweite, mehr psychische:
Störungen in der Wort- (bezw. Gedanken-)bildung : ,,1’amnesie verbale, difficulte
de trouver les mots et de les agencer en phrases, evocation difficile des images
verbales et leur coordination en phrases.“ Aber diese Störung ist keines¬
wegs untrennbar an die groben Veränderungen im Broca’schen bezw. Wer-
n icke’ sehen Zentrum geknüpft; passiert es doch oft genug auch gesunden
und geistig hochstehenden Personen, daß ihnen ein Wort, ein Name fehlt
und trotz allen Besinnens nicht einfällt; und ganz besonders im Alter ist
solch ein momentanes Versagen des Gedächtnisses allbekannt. ,,Ce ne sont
que des defaillances passageres, plus ou moins frequentes, plus ou moins
etendues, de la memoire verbale ou graphique“ und das Verhalten des
sog. Aphasikers ist nur ,,1’exageration de ce qui se produit a l’etat physiologi-
que“. Trousseau führt als weiteres Analogon noch den Schüler an, den sein
Gedächtnis mitten im Aufsagen der Lektion im Stiche läßt, was aber durch
eine kleine Nachhilfe sofort in Ordnung gebracht wird (Clinique med. II 1865,
S. 619).
Es kommt also, wenn man diesen Gedanken weiterspinnt, nicht so sehr
auf die grob-anatomischen Läsionen an, welche der Obduzent zu demonstrieren
pflegt, sondern auf die Störungen im feinen Spiel in dem so verwickelten
Mechanismus des Gehirns. Bernheim spricht von einem affaiblissement du
dynamisme cerebral, Trousseau nannte es une modaiite dans une partie
du cerveau, modaiite qui sera peut etre l’analogue des congestions transitoires
— — ou bien de ces profondes perturbations de la circulation capillaire qui
se traduisent tantöt par l’hyperemie, tantot par l’anemie, tantöt par la perte ou
l’exaltation de la sensibilite. Freilich, hier beginnt zurzeit noch das Gebiet der
Hypothesen; aber derlei feine Vorgänge zu leugnen, erscheint beinahe noch
falscher als die falscheste Hypothese.
12
178
Referate und Besprechungen.
Bernheim kommt schließlich zu den Thesen: Es gibt keine Zentren
für das Wortgedächtnis, für die artikulierte Sprache, für die optischen und
akustischen Erinnerungsbilder. Zwar haben einzelne Hirnabschnitte größeren
Einfluß au|f das Zustandekommen der sprachlichen und schriftlichen Äuße¬
rungen; aber eine durchgreifende Regel läßt sich nicht aufstellen, an welcher
Stelle und von welcher Beschaffenheit Störungen sein müssen, um die
sog. Aphasie hervorzurufen. Diese setzt sich im wesentlichen aus Störungen
in der Wortbildung und in der motorischen Umsetzung zusammen. Aber das,
was wir Sprechen nennen,, ist nicht immer und bei allen das Resultat der
nämlichen Vorgänge; manche Worte und Wortverbindungen ergeben sich, wenn
häufig angewendet oder in Liedern, Gedichten usw. eingelernt, automatisch,
während die sprachliche Darstellung von Gedanken das Ergebnis völlig ande¬
rer Vorgänge ist. Und daß im weiteren das Sprachvermögen eines ge¬
bildeten, geistig hochstehenden Menschen nicht mit jenem des nur über wenige
hunderte Worte verfügenden Bauern zusammengeworfen werden darf, leuchtet
wohl ein, sobald die Idee nur angedeutet wird.
Die Bern heimische Lehre darf mithin nicht so aufgefaßt werden, als
ob an Stelle des Broca-Weirnicke’schen oder sonst eines Sprachschemas
ein anderes gesetzt werden solle. Der Gegensatz ist tiefer. An Stelle der
anatomischen Betrachtungsweise führt er die physiologische ein, welche die
gegenseitige Abhängigkeit der Funktionen und ihre Verschiedenheit bei den
einzelnen Individuen betont. Die Funktionen sind das Primäre; sie schaffen
sich erst ihr anatomisches Substrat, die Form der Verknüpfungen im Zentral¬
system ; und ebenso verschieden wie die Funktionen, wie die Reize und Be¬
dürfnisse eines Menschen, ebenso verschieden muß auch der innere Aufbau,
müssen die Konstruktionen sein. Von solch einem Standpunkt erscheint es
fast ungereimt, ein für alle gültiges Sprachschema zu ersinnen. Mögen
auch alle Menschen mit den gleichen Elementen bauen, so tritt schließlich doch
die Gleichheit des Materials zurück hinter der individuellen Form, in welcher
der einzelne seine Apparate und seinen Organismus zusammenfügt. Also nicht
von der anatomischen Forschung, sondern von der Physiologie ist der schließ-
liche Einblick in die normale und die pathologische Sprache zu erwarten ;
aber auch nicht von der modernen Physiologie, welche nicht wagt, über den
Bereich der Physik und Chemie hinauszugehen, sondern von der psycho¬
logischen Physiologie, welche allein durch Entwirrung der psychologischen
Struktur der Sprache Licht in dieses Grenzgebiet zwischen Sprechen und
Denken werfen kann. Buttersack (Berlin).
Einfluß Oes Alkohols auf die Epilepsie.
Dr. Stefan Wosinski teilt der Pester medizinisch-chirurgischen Presse
(Jahrg. 43, Nr. 46) die Erfahrungen mit, welche er in dem Balfer Kurbad,
einer Anstalt für Epileptiker, gesammelt hat. — Er kommt zu folgenden
Schlüssen: Alkohol und Syphilis üben unter allen Umständen einen unge¬
mein schädigenden Einfluß auf das Zentralnervensystem aus. Die durch
diese beiden Gifte hervorgerufenen Epilepsien sind heilbar. Gäbe es keine
Syphilis und keinen Alkohol, so würde die Zahl der Epileptiker auf die
Hälfte herabsinken. S.
Zur Frage von den Abstinenzdelirien
äußert sich Dr. Wassermeyer-Kiel in seiner Habilitationsschrift „Delirium
tremens“ (Archiv für Psychiatrie und Nervenkrankheiten, B. 44, II. 31).
Nachdem er die Literatur geprüft und hervorgehoben hat, daß Bonhoeffer
das Vorkommen der Abstinenzdelirien einwandfrei nachgewiesen hat (was
aber nur für die Gefängnisdelirien- gilt, die nicht als reine Abstinenzdelirien
betrachtet werden können, wie ich in meiner Arbeit über die Abstinenzdelirien
[Psychiatrisch-neurologische Wochenschrift, X. Jahrgang 1908, Nr. 14 — 17]
betont habe), erklärt er sichere Fälle beobachtet zu haben, bei denen der
Referate und Besprechungen.
179
plötzliche Entzug des gewohnten Giftes die Ursache des Ausbruches war.
Unter den in den Jahren 1901 — 1907 auf der Kieler psychiatrischen Klinik
beobachteten 284 Fällen war dies bei 3,87%, also zehnmal der Fall. W.
bringt nur eine einzige Krankengeschichte im Auszuge, aus der man aller¬
dings die absolute Überzeugung, daß es sich hier nur um ein Abstinenz¬
delirium habe handeln können, nicht gewinnt. Die Tatsache, daß Delirien
in den Trinkerheilanstalten, wo den Patienten der Alkohol unvermittelt
entzogen wird, so gut wie gar nicht beobachtet werden, läßt W. unbeachtet.
Auf Grund dieser seiner Überzeugung tritt W. auch für prophylaktische
Verabreichung des Alkohols behufs Verhütung des Deliriums ein. Er empfiehlt
aber auch im Gegensätze zu fast allen Autoren Alkoholmedikation nach
Ausbruch des Deliriums, von der er günstigen Einfluß auf den Tremor
und die Angstzustände gesehen hat. Holitscher.
Zur Pathogenese der kretinischen Degeneration.
(E. Bircher. Beihefte zur med. Klinik, H. 6, Bd. 4, 1908.)*
In einer hervorragend gründlichen Arbeit bespricht der Verf. die Theo¬
rien betr. den Kretinismus. Er weist zunächst an Zahlen nach, von deren
Umfang der Fernerstehende sich kein Bild machen kann, welche enorme Be¬
deutung für die Bevölkerungsverhältnisse der Schweiz, für ihre sozialen Zu¬
stände, die Wehrkraft des Landes usw. die kretinische Degeneration (ende¬
mischer Kopf, endemische Taubstummheit und endemischer Kretinismus)
besitzt, beträgt doch die Zahl der Rekruten, die wegen Kropf jährlich als
militäruntauglich ausscheiden (1886 — 1905) 6 — 7%. Mit Recht weist Verf.
darauf hin, daß der Grund, warum die Schweiz ijrozentisch mehr psychisch
Kranke habe, als irgend ein anderes Land (auf 200 Einwohner kommt ein
Platz in der Irrenanstalt) zum guten Teil in der enormen Ausdehnung der
kretinischen Degeneration liege. Als das- hauptsächlichste Symptom nennt
V erf . den mißbildeten Knochenaufbau, für diesen stellt er die Mitteilung
von Untersuchungen in Aussicht, dieser sei in erster Linie auch die Ursache
der endemischen Taubstummheit. Eine spezifische Athyreosis für den Kre¬
tinismus stellt Verf. entschieden in Abrede, er führt histologische Schild¬
drüsenuntersuchungen dafür an. Die Wachstumsstörung des Kretins ist
nicht regelmäßig wie beim Zwergwuchs, sondern durchaus irregulär. „Die
kretinische Degeneration ist eine chronische Infektionskrankheit, deren orga¬
nisches Miasma an gewissen marinen Ablagerungen unserer Erdrinde haftet
und durch das Trinkwasser in den Körper gelangt.“ Diese alte Auffassung
von H. Bircher (1883) befestigt nun der Verf. an der Hand eines ungemein
interessanten Nachweises der geologischen Verhältnisse der Schweiz und der
kretinösen sonstigen Gegenden. Er zeigt, daß in der Schweiz die Forma¬
tionen der Trias, der Meermolasse und des Eocän in erster Linie als kropf¬
tragende Schichten zu betrachten sind. Obere und untere Süßwassermolasse
zeigen nur dort die Endemie, wo (sie mit Meermolasse in Verbindung ist
und das Trinkwasser Gelegenheit hat, in die tiefer gelegene Meermolasse
einzudringen und diese auszulaugen. Die Richtigkeit dieser Auffassung zeigt
ein großartiges Experiment. Die Gemeinde Rupperswil hatte 1885 59%
Kretinen unter der Schuljugend. Auf Rat von H. Bircher baute die Gemeinde
an Stelle ihrer alten Wasserversorgung (aus der Meermolasse) eine neue
Leitung über die Aar und bezog so fortan ihr Wasser aus dem reinen Jura:
die Zahl der kropfigen Kinder betrug 1907 2,5 %. Diese ließen sich als
eingewandert nachweisen, resp. als unter anderen Wasserversorgungsverhält-
nissen stehend. Die vorliegende Schrift ist ein ausgezeichnetes Werk, das
seine Stellung in der Geschichte der Kretinenforschung behaupten wird. Die
vom Verf. eingeschlagene Richtung darf als eine vielversprechende bezeichnet
werden. . H. Vogt.
12*
180
Referate und Besprechungen.
Selbstvergiftung bei akuten Geistestörungen.
(V. C. Myers und J. W. Fischer, Middletown Conn. Zentralbl. für die ges.
Phys. u. Path. des Stoffw., Nr. 22, 1908.)
Myers und Fischer suchten der Frage, inwieweit Psychosen durch
Autointoxikation vom Darm aus ursächlich bedingt sein können, durch Kot¬
untersuchungen näher zu kommen, und zwar erstreckten sich ihre Unter¬
suchungen auf neun Fälle, sieben manisch-depressive in der Depressionsperiode,
einen in einer gemischten Periode und einen mit Melancholie kompliziert.
Durch die chemische Untersuchung der Fäkalien wurde nichts deutlich patho¬
logisches gefunden, obwohl Skatol einmal in geringer Menge erhalten wurde,
und in einer Anzahl von Fällen die Phenolwerte verhältnismäßig hoch waren.
Mittels kulturellen Nachweises wurden starke Zeichen von Fäulnis in zwei
Fällen erhalten. In drei Fällen ergab die Urinuntersuchung hohe Werte
für Ätherschwefelsäuren. Jedenfalls bestand also in drei Fällen eine Ver¬
mehrung der Darmfäulnis, in zwei davon sogar bei Milchdiät. Jedenfalls
scheint es, daß in den beobachteten Fällen die Frage der Selbstvergiftung
der größten Beobachtung wert ist, zum mindesten als beeinflussender Faktor.
M. Kaufmann.
Über den sonderbaren Unterschied, der zwischen der antirabischen
Wirkung der Hirnsubstanz in toto und jener der weißen und der grauen
Substanz getrennt besteht.
(Clandio Fermi. Zentralbl. für Bakt., H. 3, Bd. 48, 1908.)
Verfasser untersuchte den Unterschied der normalen und der Wutnerven-
substanz gleichzeitig an dem Nervensystem gesunder und wutkranker Tiere
und experimentierte mit der weißen und der grauen Substanz einzeln und
zusammen.
Es verhielten sich die normale weiße und die graue Hirnsubstanz, ge¬
trennt angewandt, bei den mit Straßenvirus infizierten Tieren vollständig
inaktiv, während ein Gemisch normaler weißer und grauer Hirnsubstanz
vom Menschen eine starke immunisierende Wirkung zeigte, so daß sie 80%
der Tiere rettete.
Die weiße und graue Hirnsubstanz eines wutkranken Hundes, ge¬
trennt angewandt, bei mit Straßen virus infizierten Tieren, rettet höchstens
10 resp. 30% der Tiere. Eine Mischung beider Hirnsubs tanzen rettet unge¬
fähr 80% der Tiere. Bei Injektionen von normaler weißer und grauer
Substanz, von denen die eine am Morgen, die andere am Abend eingespritzt
wurde, war der Prozentsatz der Überlebenden 40%. Wurde die weiße und
graue Hirnsubstanz getrennt sieben Tage lang eingespritzt, so betrug der
Prozentsatz der Überlebenden 60 %. Es scheint also, daß das immunisierende
Vermögen vermindert wird, auch wenn die beiden Substanzen demselben
Tiere, aber getrennt, injiziert werden.
Das Serum von mit weißer Menschenhirnsubstanz immunisierten Hunden,
wie jenes von mit grauer Substanz immunisierten, kann nicht die subkutan
vor 48 Stunden mit Straßenvirus infizierten Mäuse retten. Auch ist eine
Mischung der beiden Sera inaktiv. Dagegen erweist sich das Serum von
Hunden , die mit beiden Substanzen gemischt immunisiert wurden , sehr
wirksam. Eine volle Bestätigung dieser Ergebnisse fand Verfasser mit dem
Serum von Kaninchen, die miß normaler weißer und grauer Hirnsubstanz
immunisiert waren. Schürmann (Düsseldorf).
Referate und Besprechungen.
181
Ohrenheilkunde.
Gehörorgan und chronische Infektionskrankheiten.
(Nager, Basel. Arcli. internat. de lar., Nr. 5, Bd. 25, 1908.)
Außer bei Tuberkulose und Syphilis beteiligt sich das Ohr selten an
chronischen Infektionen, eine so große Rolle auch die akuten in seiner
Pathologie spielen. Bei chronischer Malaria kennt man drei Formen
von Ohrerkrankung : 1. Reizung oder Lähmung des nerv, acusticus mit sub¬
jektiven Geräuschen, intermittierender Schwerhörigkeit oder Meniero’schem
Syndrom ; 2. Otitis media, die mit den Anfällen kommt und geht und
3. Otalgieen von periodischem Charakter. Freilich mögen manche der
Akustik usaffektionen auf das Chinin zurückzuführen sein. — Bei Orient -
beule und Lepra wird das äußere Ohr bisweilen befallen, bei letzterer
auch die Tube. Rhinosklerom beteiligt das Ohr nur sekundär durch
Störung der Ventilation der Pauke. Bei Aktinomykose sind einigemale
Lokalisationen am äußeren Ohr, sowie im Felsenbein beobachtet worden,
die zweimal durch intrakranielle Komplikation zum Exitus führten. Dem
Ohr eigentümlich ist die Otomykose, eine harmlose Aspergillus-usw. -Infek¬
tion des Cehörganges, meist eine Folge des Einbringens zersetzlicher öliger
Flüssigkeiten. Chronische Osteomyelitis erzeugt beiderseitige Labyrin¬
thitis oder Neuritis acustica, meist mit sehr schlechtem Ausgang für die
Funktion.
Tuberkulose ist die häufigste Infektion des Ohrs; das äußere Ohr
beteiligt sich oft am Lupus, besonders das Ohrläppchen. Tuberkulose des
Mittelohrs kommt im jugendlichen Alter als einziger tub. Herd vor in
Form einer subakuten Mastoiditis. Bei Erwachsenen begleitet sie gewöhn¬
lich die Phthise. 14% aller Phthisiker leiden an Tuberkulose des Ohrs,
4% aller chronischen Ohreiterungen - sind tuberkulös. Die Affektion ist
schmerzlos, das Trommelfell oft reaktionslos mit großen Defekten. Die
Otitis geht oft auf den Knochen über, so daß im Spülwasser Knochen¬
staub gefunden wird; es kommt zu polypösen tuberkelhaltigen Granula¬
tionen und Ausbreitung auf den Warzenfortsatz. Das Gehör ist schwer
geschädigt. — Das Labyrinth wird durch Annagung seiner Kapsel oder
Übergang durch die Fenster beteiligt, die Aufnahmeapparate werden dann
schnell vernichtet. Man kennt auch eine (toxische) tuberkulöse Polyneuritis
des Akustikus, sowie zentrale Taubheit bei Hirntuberkulose.
Syphilis tritt am äußeren Ohr nicht häufig auf. Es gibt Primär¬
affekt, nach Kuß oder Biß, serpiginöse Geschwüre der Muschel, Kondylome
des Gehörgangs, die durch begleitende Periostitis sehr schmerzhaft sind.
(Ref. sah einmal profuse Blutungen aus kaum erkennbaren Plaques-Geschwü¬
ren des knöchernen Teils des Meatus.) An der Tuba sind Initialsklerosen
durch Katheterinfektion beobachtet worden ; sekundär-luetische Otitis media
ist selten, zeichnet sich durch heftige Schmerzen, langdauernde Sekretion,
starke Hörstörung, Neigung zur Sequestrierung aus. Häufiger ist nicht¬
spezifische Störung der Ventilation der Pauke durch Prozesse im Nasen¬
rachen. Das innere Ohr ist ein häufiger Sitz tertiärer Affektionen,
und zwar gummöser, später ossifizierender Labyrinthitis, welche die Ge¬
hörs- und statische Funktion vernichtet. Auch das Vorkommen luetischer
Neuritis ist sicher gestellt; hierzu kommen die häufigen zentralen Störungen.
— Von größerer Wichtigkeit ist die ererbte Syphilis; sie ist bei 7%
der Taubstummen Grund der Ertaubung. Besonders bei der Spätform ist
Labyrinthitis häufig; schwere Hörstörung ohne Eiterung im 6. — 15. Lebens¬
jahr beruht fast sicher auf Lues. Gewöhnlich tritt die Ohrerkrankung nach
Ablauf der Augenaffektionen ein, deren Residuen für die Diagnose von
Wert ist. Die Prognose ist sehr ungünstig. Arth. Meyer (Berlin).
182
Referate und Besprechungen.
Das Gehör ohne Trommelfell und Knöchelchen.
(Struycken. Arch. internat. de lar., Nr. 5, Bd. 25, 1908.)
Zur Beurteilung des Wertes der Knöchelchen für die Tonleitung hat
Str. verschiedene radikal Operierte .untersucht, bei welchem eine Affektion
der Schnecke möglichst auszuschließen war, also entweder die Operation
am gesunden Ohr (wegen subjektiver Geräusche) ausgeführt war, oder die
Kopfleitung sich als intakt erwies. Der Umfang des Gehörs war namentlich
unten stark eingeschränkt. Für die übrigen Töne war die Hördauer bis zu
Cr/ erheblich verkürzt, während sie für die höheren Töne minder herab¬
gesetzt war. Flüsterstimme wurde in 1/2 — 2 m vernommen. Um nach Radikal¬
operation gute Hörfähigkeit zu erhalten, muß man schnelle Epithelisierung
anstreben. Str. gestaltet die Höhle möglichst trichterförmig, nimmt außen
viel, innen möglichst wenig fort, und sorgt dafür, daß der Gehörgangsboden
ohne scharfe Kante auf die Paukenwand übergeht. Das erreicht er, ohne
Fazialis und Karotis zu gefährden, indem er elektrisch getriebene Fraisen
(rugine) mit flachem Kopf verwendet. Der Verband drückt die Muschel
etwas in die Höhle hinein. Arth. Meyer (Berlin).
Über Tuberkelkeime bei Otitis chronica.
C. de Rossi. Annali dello Istituto Maragliano, Volume 8, Fascicolo 6, S. 835 bis
848, 1908.)
de Rossi suchte bei 27 Patienten mit zweifellos tuberkulösen ßhr-
erkrankungen nach den typischen • Koch’ sehen Bazillen, fand sie aber nur
ein einziges Mal. Dagegen fand er zahlreiche säurebeständige Körnchen
(Granuli aciclo resistenti), konstatierte sehr enge Beziehungen zwischen diesen
und den eigentlichen Bazillen und konnte schließlich mit den Körnchen
Tuberkulose erzeugen. Es ist das also offenbar eine Bestätigung der Mit¬
teilungen von Spengler (Deutsche Med. Woc.h., Nr. 9, 1907) und Much.
Buttersack (Berlin).
Zur Saugbehandlung der akuten Mittelohreiterungen.
(Carl Leuwer. Med. Klinik, Nr. 41, 1907.)
Vergleiche zwischen der Behandlung der akuten Ohreneiterung auf
dem bisher üblichen Wege und dlem der Saugbehandlung sind zugunsten
der Saugbehandlung ausgefallen, insofern als die Behandlungsdauer bei dieser
kürzer war. Die Behandlungsdauer betrug im Durchschnitt für Kinder bis
zu 2 Jahren 9 Tage (gegen 15,5), bei Kindern bis zu 15 Jahren 10 Tage
(gegen 9,4 Tage), für Personen über 15 Jahre 5 Tage (gegen 14,2). Die
Zeitdauer der Behandlung war also namentlich bei Erwachsenen nicht
unwesentlich verkürzt, außerdem war die Zahl der Rezidive bei der Saug¬
behandlung etwas geringer. — Zur Technik sei bemerkt, daß der — von
Leuwer angegebene — Ohrensauger in das vorher nicht gereinigte Ohr
eingesetzt und nach Ansaugen so lange sitzen gelassen wird, bis aus der
Trommelfellperforation kein Sekret mehr hervor quillt, was gewöhnlich nur
einige Sekunden, — bis 20 — dauert. Dann wird der Gehörgang durch Aus¬
spülen und Austupfen oder nur letzteres gereinigt und dann Borsäure ein¬
geblasen, Tampon und Verband angewandt. Hinsichtlich der Borsäure-Ein¬
blasung sei bemerkt, daß die Borsäure nur als Hauch dem Trommelfell aufliegen
soll, damit nicht bei massenhaftem Aufblasen Sekretstauung eintritt. Zum
Ansaugen darf nur ein kleiner Saugballon angewandt werden und auch
dieser nur mit Vorsicht zur Vermeidung von Blutungen. Die gesamte Thera¬
pie wird täglich einmal ausgeführt. — Fälle, in denen die Perforations¬
öffnung klein oder zitzenförmig gestaltet war, schienen zur Saugbehandlung
besonders geeignet. R. Stüve (Osnabrück).
Referate und Besprechungen.
188
Röntgenologie und physikalische Heilmethoden.
Zur Röntgentherapie der Hautkrankheiten.
(Dr. Ferd. Zinsser, Köln. Med. Wochenschr., Nr. 38, 1908.)
Z. bespricht zu Eingang einige Fälle von Hautverbrennung, die im
Anschluß an Röntgenbestrahlung aufgetreten sind, und kommt zu dem Schlüsse,
daß in allen Fällen, wo nähere Angaben vorhanden sind, sich eine zweifel¬
lose Überdosierung nachweisen läßt. Er glaubt zwar, daß verschiedene Indi¬
viduen in verschiedenem Grade auf Röntgenbestrahlungen reagieren, hält
aber eine Ideosynkrasie in dem Sinne, daß schon auf ganz schwache Be¬
strahlungen schwere Erscheinungen auftreten, für höchst unwahrscheinlich.
Bezüglich der Technik empfiehlt er schwache Bestrahlungen in größeren
Abständen zu geben, und nur weiche Röhren zu verwenden, letzteres, um
eventuelle schädliche Einwirkungen in der Tiefe zu vermeiden. Für sehr
wichtig hält er es, daß m;an stets mit gleicher Spannung und Stärke des
Primärstromes, gleichem Härtegrade, Fokusabstand und gleicher Bestrablungs-
dauer arbeitet und nur die Anzahl der Bestrahlungen variiert.
Von den sog. dosimetrischen Verfahren erscheint ihm das Köhler’sche
und das Kienb öck’sche noch am brauchbarsten. Hoch wendet er auch diese
kaum an, da das Köhler’sche besondere Röhren erfordert, während das
Kienb öck’sche kein Ablesen während der Bestrahlung gestattet und ihm
zu umständlich ist.
(Ref. hat über das Kölhler’sche Messungsverfahren keine eigene Er¬
fahrung, er benutzt aber regelmäßig das Kienb öck’sche Dosimeter und
sieht in ihm trotz mancher Mängel ein recht brauchbares Hilfsmittel.)
Hahn.
Über Magenmotilitätsprüfung mit Hilfe der Röntgenstrahlen.
(Kaestle, München. Münch. Med. Wochenschr., Nr. 33, 1908.)
K. hat die Magen von 80 gesunden Personen mit Röntgenstrahlen unter¬
sucht und folgendes dabei festgestellt :
Eine Mischung von 28,0 Bismuth. carbonic. oder 30,0 Bismuth. subnitric.
mit 200,0 Milchgries oder Mehlsuppe verläßt den gesunden Magen nach
2 — 3V2 Stunden, eine Mischung von der gleichen Wismuthmenge mit 60,0 — 65,0
bolus alba und 250,0 Wasser nach l1/2 — 3 Stunden. Massage und elektrischer
Strom beschleunigten die Austreibung. Kurze Zeit nach der Einführung
der Massen sieht man peristal tische Wellen am Magen. Das Antrum pylori
schnürt sich in regelmäßigen Intervallen ab, entleert dann seinen Inhalt in
den Darm, was man aus dem Schwinden des Antrumschattens schließen kann,
und füllt sich dann wieder langsam.
3/4 — 1 Stunde vor der völligen Entleerung hebt sich der tiefste Magenpol
und schüttet so den Rest des Mageninhaltes in den Darm.
Die Form des Magens war bei 78 Fällen die sogenannte Angelhaken¬
form, nur zweimal wurde die sogenannte Rinderhornform gefunden.
Hahn.
Zur diätetischen und physikalischen Behandlung der Gicht.
(M. Hirsch, Kudowa. Med. Wochenschr., Nr. 32, 1908.)
H. glaubt nicht, daß mau dem Gichtigen eine besondere Diätkur vor¬
schreiben soll. Sicher wirksam ist seiner Ansicht nach nur eine reichliche
Zufuhr von Flüssigkeit, da man dadurch eine vermehrte Harnsäureausschei¬
dung erzielen kann.
Von den physikalischen Behandlungen sind alle diejenigen wirksam, die
den Stoffwechsel anregen, also Gymnastik, Massage, Sport, heiße Wasserbäder,
Packungen, Moor-, Sand- und Schlammbäder, Seebäder und kalte Sturzbäder
usw. Doch ist dabei zu berücksichtigen, daß einerseits heiße Prozeduren bei
184
Btidiersch.au.
akuter .Gicht die Reizerscheinungen vermehren und andererseits die Gichtigen
gegen kalte Prozeduren sehr empfindlich sind.
H. empfiehlt daher die Kombination von warmen und kalten Prozeduren,
z. B. eines Lichtbades mit einem kühlen Halbbad oder einer wechselwarmen
Douche.
Bei dem akuten Gichtanfall empfiehlt H. vor allem die Ruhigsteilung
des erkrankten Gelenkes, doch soll der Patient, sobald die Schmerzen er¬
trägliche sind, wieder mit Bewegungen anfangen. Ob kalte oder warme
Prozeduren anzuwenden sind, entscheidet am besten die Empfindung des
Kranken. Den besten Erfolg sah H. von feuchten Umschlägen, deren Kälte¬
oder Wärmewirkung durch längeres oder kürzeres Liegenlassen, bezw. durch
Auf tropfen von Eiswasser hervorzurufen ist. Bei Veränderungen, die sich
an Gelenken nach einer Reihe von akuten Gichtanfällen einstellen, sind
manuelle und Vibrationsmassage, Widerstandsbewegungen und Gymnastik,
verbunden mit heißen Prozeduren am wirksamsten. Hahn.
Über die praktische Bedeutung der Vierzeilenbäder.
(Ernst Tobias, Berlin. Med. Klinik, Nr. 20, 1908.)
Nach T. sind die Krankheiten, die sich für die Behandlung mit Vier¬
zellenbädern eignen, folgende :
1. rein nervöse Zustände: Schwindel, Angst, Kopfdruck, unbestimmte
ziehende Schmerzen, Schlaflosigkeit, Schreibkrampf und ähnliche Ermüdungs¬
erscheinungen bestimmter Muskelgruppen, traumatische Neurosen, Hysterie;
2. Neuralgien;
3. Sensibilitätsstörungen: Anästhesien, Parästhesien ;
4. Lähmungen, bes. nach Hemiplegien;
5. Herzerkrankungen: Neurosen, Erkrankungen des Herzmuskels, Dila¬
tationen des rechten Ventrikels.
Bei den Erkrankungen der Gruppe 1 wendet T. schwache galvanische
Ströme, nur bei Schlaflosigkeit — faradische Ströme an.
Bei Erkrankungen der Gruppe 2 wechselt T. den Gebrauch von kon¬
stanten Strömen mit anderen physikalischen Behandlungsmethoden ab. Bei
lanzinierenden Schmerzen der Tabiker versagt das Vierzellenbad.
3. Sensibilitätsstörungen werden durch sehr schwache konstante Ströme
sehr gut beeinflußt.
4. Lähmungen werden mit gutem Erfolg mit faradischen Strömen be¬
handelt.
5. Bei Herzerkrankungen, soweit sie auf Neurosen, Muskelerkrankungen
oder Dilatation des rechten Ventrikels beruhen, hat T. von der Behandlung
mit galvanischem, faradischem und sinusoidalem Wechselstrom gute Erfolge
erzielt. Bei allen Erkrankungen dagegen, die mit einer Hypertrophie des
linken Ventrikels einhergehen, werden die Beschwerden durch den Gebrauch
von Vierzellenbädern vermehrt. Hahn.
Bücherschau.
Konstitution und Vererbung. Untersuchungen über die Zusammenhänge
der Generationen. Von Dr. F. von den Velden. Verlag der Ärztl.
Rundschau (O. Gmelin), München 1909. 131 Seiten. 2.80 Mk.
Die vorliegenden Abhandlungen, die als Einzelpublikationen in verschiedenen
1H achzeitschriften erschienen waren, werden nicht nur durch das im Titel gekenn¬
zeichnete Band, sondern auch dadurch mit einander verknüpft, daß sie auf den bedeut-
Bücherschau.
185
samen, leider nahezu totgeschwiegenen Forschungen Riff eis*) basieren und diese
in weiterer selbständiger Durcharbeitung des Materials nachzuprüfen und zu er¬
gänzen suchen. Dieser mühevollen und in Anbetracht der vorherrschenden Strömung
nicht immer dankbaren Aufgabe hat sich von den Velden durchaus gewachsen
gezeigt. Und wer den Autor nicht schon aus seinen früheren wertvollen Arbeiten
kannte, der lernt ihn in diesen Studien schätzen: nicht nur als vorurteilsfreien,
eminent kritisch veranlagten und in seinem Schlüsse überaus vorsichtigen Forscher,
sondern auch als scharfen, nicht selten humorvollen Beobachter und Kenner des
Lebens, wie es der Weise ist und wie der wahre Arzt es sein sollte.
Die Resultate, zu denen von den Velden, wesentlich in Übereinstimmung
mit Riffel kommt, sind folgende:
Die Schwindsucht ist ebenso wie der Krebs eine exquisit hereditäre Krank¬
heit, der Ausfluß einer familiären Disposition. Die früher maßgebende Ansicht,
daß die Schwindsucht eine ererbte Konstitutionsanomalie sei und daß auf eine Un¬
zahl von Fällen, in denen man ihren Ausbruch auf die Beschaffenheit der Eltern
und Großeltern zurückzuführen imstande ist, erst einer kommt, den man als akquirierte
Schwindsucht, als Endresultat wesentlicher Verletzungen der Lunge, erschöpfender
Krankheiten, der Syphilis und ihren Kuren, des Potatoriums oder des äußersten Elends
bezeichnen könne. — Diese alte Ansicht kommt heute wieder zu Ehren und das
Lebenswerk Riff eis liefert hierfür die schlagendsten Beweise. (Auf die wenigen
Ausnahmen ist von Riffel selbst ausdrücklich hingewiesen.) Ähnlich wird es uns
bald mit dem Krebse gehen. Es ist ja möglich, daß man auch hier den lange
gesuchten konstanten Begleiter entdeckt, ebenso wie das für die Lungenschwindsucht
geschehen ist. Aber das wird nur ein theoretischer Erfolg und keinerlei Ersatz
für den Aufwand an Mühe und großen materiellen Opfern sein. Auch bei der
Bekämpfung der Tuberkulose ist man ja von dem vergeblichen Suchen nach
spezifischen Mitteln, deren Auffinden nach der Koch’schen Entdeckung nur eine
Frage der Zeit zu sein schien, wieder auf die hygienisch-diätetische Methode und
auf die Erziehung des Publikums zur Reinlichkeit zurückgekommen.
Bei der Frage, ob jemand phthsisch wird oder nicht, hängt allein von dem
Grad der Wehrhaftigkeit seines Körpers, nicht von dem zufälligen Kontakt mit
dem ubiquitären Erreger ab. Die Wehrhaftigkeit wieder ist lediglich durch erb¬
liche Faktoren bedingt. Man kann sagen, daß der Steinstaub z. B. für die Lunge
gefährlicher ist, als der Tuberkelbazillus.
Nicht durch erworbene Immunität wird die Tuberkulose aus der Welt ge¬
schafft, sondern durch das Aussterben der Tuberkulösen und in gewissem Maße
durch die geschlechtliche Kreuzung mit Gesunden. Gegen die Ansicht Reib-
mayers, daß bei der Tuberkulose schließlich eine Durchseuchung und damit
eine erworbene Immunität einträte und daß diejenigen Sprößlinge tuberkulöser
Familien, die die Krankheit überwunden, ein besonders wertvolles Zuchtmaterial
repräsentieren, protestiert von den Velden auf Grund der Ergebnisse der
Riffel’schen Tabellen ganz energisch. Das gehe ja auch schon daraus hervor,
daß, wo beide Eltern an Schwindsucht zugrunde gingen, die Enkel gesundheitlich
noch weniger taugen, als die Kinder: die Zahl der Schwindsüchtigen selbst nimmt
in der dritten Generation allerdings ab, die Kindersterblichkeit und die Anlage zu
allen möglichen, noch unten zu detaillierenden Krankheiten steigert sich aber
progressiv, bis sich allmählich die wiederholte Zufuhr frischen, gesunden Blutes
(im Sinne des Züchters, nicht des Humoralpathologen) geltend macht.
Der eigentliche Krebs scheint nach Maßgabe der Tabellen nur
in Schwindsuchtsfamilien vorzukommen. Man kann das Auftreten des
Krebses nach von den Velden gewissermaßen als «Indikator für einen Fortschritt
in der Konstitution betrachten und daraus, daß das Glied einer Familie an Karzinom
erkrankt ist, Voraussagen, daß seine Nachkommen im Durchschnitt gesünder sein
werden als er selbst und seine Geschwister. Immerhin erzeugt eine Person, die
späterhin an Krebs erkranken wird, unfehlbar noch eine defekte Nachkommenschaft,
wenngleich sie zur Zeit der Zeugung vollkommen gesund erscheint.
Für die, wie es scheint, auf einwandsfreie Beobachtungen gestützte Be¬
hauptung, der Krebs hafte an gewissen Wohnungen, ergibt das vorhandene Ma-
*) Vergl. Riffel: Mitteilungen über die Erblichkeit und Infektiosität der
Schwindsucht. (Braunschweig, Berlin 1898).
Vergl. Riffel: Weitere pathogenetische Studien über Schwindsucht, Krebs
und einige andere Krankheiten (Frankfurt a. M., 1901.
Vergl. Riffel: Schwindsucht und Krebs im Lichte vergleichend — statistisch¬
genealogischer Forschung. 2 Teile. (Karlsruhe, Gutsch 1905.)
186
Bücherschau.
terial keine Anhaltspunkte. Die Krankheiten bleiben in der Familie, aber die
Häuser auch. Mit noch größerer Sicherheit trifft das für die Tuberkulose zu.
Hier ist aber auch eine Übertragung von Person zu Person, speziell der nahe
Kontakt, wie er in der Ehe und bei der Pflege Schwindsüchtiger zustande kommt,
absolut ungefährlich, während das für den Krebs aus der Statistik nicht so ganz
sicher hervorgeht.
Man tut recht daran, vor der Ehe mit Schwindsüchtigen zu warnen, aber
nicht wegen der Gefahr für den gesunden Teil, sondern weil die Nachkommen¬
schaft unfehlbar „defekt“ wird.
Welcher Art sind nun die „Defekte“ der Nachkommenschaft Schwind¬
süchtiger? Kiffel und von den Velden nennen in erster Linie die auffallende
Disposition zum Krebs. Das macht sich aber erst im späteren Lebensalter geltend;
schon früher erliegt ein großer Teil des Nachwuchses der Meningitis, einer
Pneumonie, Herzfehlern, vor allem dem Tode an Puerperalfieber und an
Geisteskrankheiten. Apoplexie, Nierenkrankheiten, perforierende
Magengeschwüre mit tödlichem Ausgang, Lebercirrhose, Emphysem
kommen bei Angehörigen von Schwindsüchtigen 3 — 6 mal häufiger vor als bei
Unbelasteten. Ty phusepidemien fordern ihre meisten Opfer in diesen Familien,
wie überhaupt die „defekte Anlage“ sich in der hervorragenden Tendenz des
Bauchfelles zu Eiterungen und entzündlichen Verwachsungen (inneren
Strangbildungen/Adhäsionen, eingeklemmten Brüchen, perforierenden Peritoniden,
Darmverschlingungen) k u n d gi b t .
Unter den gesund erscheinenden Abkömmlingen aus Schwindsuchts- und
Krebsfamilien finden wir auffallend häufig den „Arthritismus“ im Sinne der
französischen Autoren d. h. die ganz ausgesprochene Disposition zu Gicht und
Rheumatismus (ev. mit Herzfehlern) Arthritis deformans, Arteriosklerose und
Konkrementbildung.
Vor allem aber tritt die „defekte Anlage“ in der enormen Kindersterblich¬
keit von Schwindsuchtsfamilien zutage. Um schwindsüchtig zu werden, um im
Wochenbett oder gar an Apoplexie oder Krebs zu sterben, muß man schon eine
leidlich gesunde Natur haben, die einen über die ersten 2 — 4 oder gar 5 Jahrzehnte
hinbringt.
Von großer Wichtigkeit ist der Nachweis, den von den Velden bei dieser
Gelegenheit erbringt, daß die Beschaffenheit der Nachkommenschaft sich mehr
nach der durchschnittlichen Gesundheit der ganzen Familie, als nach der der
Eltern selbst richtet. Dabei scheint der Gesundheitszustand der Mutter ein Faktor
zu sein, der im Guten und Schlechten an der Qualität des Produktes mehr beteiligt
ist, als der des Vaters. Die Nachkommenschaft Blutsverwandter erweist sich durch¬
schnittlich etwas weniger gesund als die der nicht verwandten Individuen. Man muß
aber immer bedenken, daß die Anwendung statistischer Resultate, auf den Einzel¬
fall verkehrt ist. Von den Velden tritt ganz auf die Seite Oste rl eins, der
seiner Ansicht nach den Nagel auf den Kopf trifft, wenn er sagt: „einstweilen
scheint es sicherer, wenn sich gesunde Verwandte heiraten, als Fremde, deren
hygienische und Krankengeschichte man gar nicht kennt.“
Der Satz, daß je größer die Kinderzahl einer Familie ist, desto minderwertiger
auch ihre gesundheitliche Beschaffenheit sei, gehört ja zum wichtigsten Rüstzeug
des (Neo-) Malthusianismus, kann aber an der Hand der Statistik in diesem Um¬
fange nicht aufrecht erhalten werden. Die Zahl der Totgeborenen und im ersten
Lebensjahre Gestorbenen nimmt nun zwar mit dem Kinderreichtum konstant zu,
ebenso die Zahl der Todesfälle im Alter bis zu 5 Jahren. Man darf aber nicht
vergessen, daß die Höhe der Kindersterblichkeit weniger maßgebend für den sozialen
Endeffekt ist, als die Qualität der Überlebenden. Von diesem Gesichtspunkte aus
ist die starke Aussiebung kein Nachteil; ihr Revers ist die große Zahl der Gesunden
bei den weniger belasteten Familien. Wenn aber gesunde Eltern sich mit 2 — 4
Kindern begnügen, so fallen diese, falls sie im Optimum der Zeugungsfähigkeit
geboren wurden, ebenso gesund aus und bleiben mindestens im gleichen Prozent¬
verhältnis am Leben, als wenn es 6 oder 10 wären. Unter den Eltern von
12 — 17 Kindern wiegen die Schwindsüchtigen bedeutend vor.
Auffallend ist die relativ große Zahl von Zwillingsgeburten gerade in be¬
lasteten Familien.
Welches ist nun das Optimum 'der Zeugungsfähigkeit? In das Alter, in dem
die meiste Aussicht ist, gesunde Kinder zu erzielen, tritt der Mann mit 25 Jahren,
die Frau etwas früher. Der Einfluß des Alters und des gegenseitigen Verhältnisses
im Alter der Ehegatten auf die Nachkommenschaft zeigt bis zum 29. Jahre des
Mannes und bis zum 24. Lebensjahre der Frau eine gewisse Konstanz. Mit zu¬
nehmenden Heiratsalter jenseits des 29. Jahres wächst die auf die Ehe durchschnitt-
Bücherschau.
187
lieh entfallende Zahl der defekten Kinder. Männer unter 24 Jahren scheinen aber
besser zu tun, soweit die Beschaffenheit der Nachkommenschaft in Betracht kommt,
eine etwas ältere Frau zu heiraten. Allerdings ist die Fruchtbarkeit größer, wenn
die Frau jünger ist als der Mann, sie nimmt aber mit dem zunehmenden Alter des
Mannes beim Eintritt in die Ehe ab. Die Abstammung aus „defekter Familie“
spielt auch unter den Ursachen der Sterilität eine große Rolle.
Schließlich ist von den Velden imstande, an der Hand der Riffel’schen
Tabellen die von Bears on s. Z. aufgestellte Hypothese von der Minderwertigkeit
der Erstgeborenen zu widerlegen.
Wie schon angedeutet, vergißt von den Velden nicht, verschiedentlich und
scharf zu betonen, daß die statistischen Resultate nur für den Durchschnitt zahl¬
reicher Fälle Sinn haben, für den einzelnen Fall aber jeder Bedeutung entbehren.
Ebenso verschließt er sich der Ansicht keineswegs, daß das Material immerhin
noch zu klein ist, um an der Hand dieser zweifellosen Tatsachen alle die hier be¬
rührten Fragen schon jetzt, endgültig zu entscheiden. Gerade aber weil der Autor
die ermittelten Wahrheiten für relativ ansieht und niemandem vielleicht mehr
als ihm selbt daran liegt, an ihrer Korrektur weiterzuarbeiten, seien hier einige
Bedenken mehr oder minder untergeordneter Natur zur Sprache gebracht!
Mit Recht hat von den Velden die familiäre Disposition in den Vorder¬
grund der ätiologischen Momente gerückt; es ist auch richtig, daß sie sich meistens
mit der atavistischen, ererbten deckt; aber immer ist es wohl nicht der Fall. Es
kann nach O. Rosenbach’s und nach meinen eigenen Beobachtungen kaum
noch ein Zweifel darüber bestehen, daß durch den Generationsakt bei einer dauernden
oder vorübergehenden Disposition der Eltern in dieser Zeit der Keim zu einer
Minderwertigkeit der Nachkommenschaft gelegt wird, die bei dieser eine dauernde
Disposition für alle möglichen und zwar ganz heterogenen Erkrankungen schafft.
In dem was wir „Degeneration“ nennen, handelt es sich nach dieser Auffassung
nicht um eine Vererbung von Anlagen — diese waren bei den früheren Genera¬
tionen wenigstens teilweise noch gar nicht vorhanden — sondern um ein grad-,
weises Erlöschen aller für die Erhaltung des Individuums und der Art zweck¬
mäßigen Eigenschaften. Namentlich die zahlreichen Ehen zwischen Blutsverwandten
in dem von Riffel verwerteten, relativ engen Kreise geben Anlaß zu dem Ver¬
dacht, daß es sich hier um Verhältnisse handelt, die nicht ohne weiteres und ge¬
neraliter im Sinne der Vererbung gedeutet werden dürfen. Nach Rosenbach
können Ehen zwischen Blutsverwandten gewisse Typen heranzüchten, welche unter
Umständen Vorzüge darstellen (wie bei der Zucht von Rassetieren) auf der anderen
Seite aber auch sehr unzweckmäßig für das Individuum und die Art sein können.
Wenn beim Generationsakte mehrfach die gleichen Formen und Spannungen zu¬
sammentreten, so muß sich schließlich die Energiequelle resp. die Aktivität des
Keims in derselben Weise erschöpfen, wie wenn auf dem Gebiet der Agrikultur
eine rationelle Fruchtfolge nicht eingehalten wird. Hier Vegetieren von „Un¬
kräutern“, dort das Erscheinen von allen möglichen Krankheitsanlagen, beide¬
mal bei schlechtem Gedeihen des erstrebten Produkts nach Qualität und
Quantität! Aber nicht nur die Blutsverwandtschaft, auch die temporäre Indis¬
position, beruhe sie in Krankheit, tiefen sozialem Elend, in niederdrückenden
Sorgen, oder in der Exaltation des Alkoholrausches, ist geeignet eine „kongenitale“
aber nicht „atavistische“ minderwertige Anlage zu schaffen, die eben nicht „ererbt“
ist, sondern als ein völliges Novum in die Erscheinung tritt.
Darauf, daß die in den Sterberegistern angegebenen Todesursachen mit
großer Vorsicht zu verwerten sind, macht von den Velden selbst verschiedentlich
aufmerksam; auf einen Punkt hinzuweisen möchte ich aber doch dabei nicht ver¬
säumen: wie die Diagnose von der Mode und dem Bildungsgänge der jeweiligen
Arztegeneration noch weit mehr als von den individuellen Neigungen des einzelnen
Arztes abhängig ist. (Man denke nur an die Wandlungen in den Diagnosen:
Emphysem, Magenerweiterung, Enteroptose, Diphtherie, Blinddarmentzündung!)
Schließlich bringt der Wechsel der Generationen ein Auf- und Niederwogen
der Dispositionen für gewisse Krankheiten mit sich, die alle Schlußfolgerungen auf
dem Gebiete der Medizin so ungeheuer schwierig gestalten. Teilweise ist das durch
den „periodischen Wechsel der Konstitution“ be'dingt, ein Gesetz, das Rosenbach
aufgestellt hat und das formuliert, wie auf eine Generation oder einige Generationen
mit anämischem (phthisischem) Habitus eine oder mehrere von plethorischer
(apoplektisoher) Konstitution folgen und umgekehrt. Aber das nicht allein! Auch
aus uns unbekannten exogenen, außerhalb aller Elemente der jeweils prävalierenden
Konstitution gelegenen Ursachen (atmosphärischer, tellurischer oder kosmischer
Provenienz) erscheint und schwindet zeitweise eine Disposition zu gewissen Er-
188
Bücherschau.
krankungen. Bas massenhafte Emporflackern der Betriebsanomalien, die prinzipiell
nicht einmal Seuchen zu sein brauchen, wurde in früheren Zeiten unbelebten,
heute vorzugsweise belebten Giften (die Ära der Verfolgung von Brunnenvergiftern
ist von der bakteriologischen Epoche abgelöst!) zugeschrieben, ebenso wie ihr Er¬
löschen den naiven Versuchen, dem unsichtbaren Feinde auf direktestem Wege,
aber meistens mit recht untauglichen und sich in der Folge niemals wieder be¬
währenden Mitteln zu Leibe zu gehen.
Mögen diese Bemerkungen, die, wie schon gesagt, den Kern der Ausführungen
von den Velden’s nicht berühren und die vor allem den hohen positiven Wert
seiner Untersuchungen in keiner Weise zu beeinträchtigen imstande sind, sondern
nur die Schwierigkeiten stichhaltiger Deduktionen beleuchten wollen, dazu bei¬
tragen, dem trefflichen Werke einen großen, seinem Gedankengange mit Interesse,
aber auch mit Kritik folgenden Leserkreis zu gewinnen. Allein eine freimütige
Kritik hilft uns, im Sinne des Autors der Wahrheit immer näher zu kommen, zu
deren hervorragenden Suchern er selbst gehört. Eschle.
Beobachtungen über die Psyche der Menschenaffen. Von A. Soko-
lowsky. Neuer Frankf. Verlag, 1908. 78 Seiten. 1.50 Mk.
Ein sehr interessantes, mit guten Abbildungen nach Photographien verziertes
Buch, in dem der Verfasser, Assistent am Idagenbeck’schen Tierpark in Stellingen,
seine Erfahrungen an gefangenen und manche Erfahrungen anderer an freien
Anthropoiden erzählt. Dabei erscheint der Gorilla als am stärksten nach der Ge¬
mütsseite entwickelt und insofern als der menschenähnlichste, der Orang als der
stumpfste und der Schimpanse als der lebhafteste und erfinderischste. Die Lebens¬
und Ernährungsweise des Gorilla gleicht außerordentlich der der primitivsten
Völker, etwa der Kubu, wie sie B. Plagen schildert, die vor den Affen rein nur den
Grabstock voraushaben. Interessant ist auch, daß entgegen der vielfach geglaubten
Ansicht die Anthropoiden keine Vegetarianer sind, sondern Eier und Vögel fressen
und besonders dem Fischfang obzuliegen scheinen. S. glaubt, daß die unregel¬
mäßigen Futterzeiten und gelegentlichen Hungerperioden, die sich beim Freileben
der Affen einstellen, zur Gesundheit beitragen: ein für die menschliche Ernährung
sehr beachtenswerter Gesichtspunkt. Bei aller Intelligenz sind sie aber nicht die
intelligentesten Tiere und man sieht hier wieder, daß es nur an dem Mangel einer
entwicklungsfähigen vorderen Gliedmaße gelegen hat, daß sich nicht auch Glieder
anderer Tiergruppen auf den Weg der Kultur begeben haben.
F. von den Velden.
Das Arsen und seine therapeutische Verwendung. Von Dr. J. Weigl
in München. Verlag B. Konegen, Leipzig 1908. 80 Pfg.
In dieser kleinen Studie wird das Wissenswerte über die physikalischen,
chemischen und pharmakologischen Eigenschaften des Arsens und seiner
Verbindungen für den Arzt besprochen, ohne daß neue Gesichtspunkte ge¬
geben werden. Zu erwähnen sind nur Versuche über die toxische Dosis des
AtoxyPs, das in Mengen von 0,3 — 0,4 g, subkutan injiziert, Neben¬
wirkungen (Frösteln, Kopfschmerz, Schwindel) verursachte, und das ohne'
Nebenwirkungen nur in Mengen von 0,1 g in 3 tägigen Zwischenräumen war.
Für das Lesen dieses Schriftchens ist folgendes nicht aus dem Auge
zu lassen. Die wichtige Tatsache, daß z. B. in Frankreich nicht die arsenige
Säure (als Liquor Kalii arsenicosi s. Fowleri), sondern die Arsen säure
(als Liquor Natrii arsenicici s. Pearsonii) allgemein verwendet wird, wäre
der näheren Betrachtung wert gewesen. Erstens lehrt dieser Umstand, daß
wir noch weit von einer internationalen Arzneibehandlung entfernt sind
und zweitens, daß hier Beziehungen zur Wirkung des Ätoxyls (fünf¬
wertiges Arsen) vorliegen, das. nach Ehrlich in Form von Beduktions-
produkten (dreiwertiges Arsen) zu wirken scheint. Ferner ist das Atoxyl,
das z. Z. im Mittelpunkt des therapeutischen Interesses steht, nicht ein
Anilid
Metaarsensäureanilid
Bücherschau.
189
sondern nach Ehrlich das Natriumsalz der Paraaminophenylarsin-
sänre von der Formel
OH
/ — \ ^
NH2 ( >As=0
■\- / x
ONa
d. li. eine aromatische Arsinsäure mit einer freien Aminogruppe in
Parastellung zum Arsenrest. Dies ist von grundlegender Bedeutung, insbe¬
sondere für das Verständnis der am 31. Oktober 1908 von Ehrlich in
einem Vortrag in der deutschen Chemischen Gesellschaft zu Berlin be¬
sprochenen Substitutions- und Reduktionsprodukte, Arsacetin, Paraoxypenylarsin-
oxyd, Arsenoplienylglycin usw. Endlich ist es nicht naturwissenschaftlich gedacht,
wenn man die zu Heilzwecken verwendeten natürlichen Mineralwässer als solche
bezeichnet, die ,,die allgütige Mutter Natur in ihrem großen Laboratorium
schafft, um ihren Kindern in ihren Nöten zu Hilfe zu kommen.“
E. Rost (Berlin).
Die Physiologie der Verdauung und Ernährung. Von Professor Dr.
Otto Cohnheim, Heidelberg. 23 Vorlesungen für Studierende und
Arzte. Verlag von Urban & Schwarzenberg, Berlin und Wien 1908.
484 S. 15 Mk.
Der praktische Arzt hat ein großes Interesse daran, eine Darstellung der
Vorgänge bei der Verdauung und Ernährung unter Berücksichtigung der neueren
Untersuchungen, die etwa innerhalb der letzten 10 Jahre mit einem großen Teil der
bisher geltenden Anschauungen aufgeräumt und dafür vielfach vollständig
neue Betrachtungen gesetzt haben, zu besitzen. Wenn der Verfasser eines Buches
über diese Gegenstände größtenteils auf eigene Arbeiten sich beziehen kann, wenn
es ihm gelingt, in selbständiger Auffassung, kritisch und zu weiteren
Versuchen anregend dieses unermeßlich große Gebiet kurz darzustellen, so kann
ein solches nur mit Freude begrüßt werden.
Cohnheim ’s Buch erfüllt diese Bedingungen; dazu ist es verständlich,
und klar geschrieben, sodaß es für den vielbeschäftigten Arzt nicht nur
als Nachschlagewerk in Frage kommt, sondern vielmehr ein vom Anfang bis
zum Schluß das Interesse des Lesers erweckendes Buch genannt werden muß.
Naturgemäß muß sich ein solches Buch größtenteils auf Versuche an den üblichen
physiologischen Versuchstieren stützen, aber gerade darauf hat Verfasser großen
Wert gelegt, daß alles mit dem für die Erkenntnis und Beurteilung der mensch¬
lichen Ernährung Wissenswerten in Beziehung gebracht wird. Auf diese Weise
bringt das Buch die Grundlagen auf diesem Gebiete, das den praktischen Arzt
tagtäglich beschäftigt. Es ist nicht möglich, hier mehr als in kurzen Hinweisen
auszuführen, daß hinsichtlich der Bewegungen des Magens und Darms, der Ver¬
dauungssäfte, der Sekretion und Resorption durch die Arbeiten Pawlows, Starlings,
Cohnheims, Magnus’ usw. das Gebiet so umgestaltet werden mußte, daß ein den
gleichen Gegenstand vor 20, ja selbst noch vor 10 Jahren behandelndes Buch
als aus einer weit zurückliegenden Epoche der medizinischen Wissenschaft er¬
scheinen könnte. Durch E. Fischers grundlegende Versuche über die Eiwei߬
stoffe sind völlig neue Betrachtungen notwendig geworden. Auch auf dem Gebiete
des Stoffwechsels und des Eiweißbedarfs sind durch Rubners exakte Forschungen
weitere Fortschritte in der Erkenntnis dieses Teils der Ernährungslehre erzielt worden.
Im einzelnen werden behandelt das Kauen und Schlucken, die Bewegungen des
Magens und Darms, Speichel, Magen-, Pankreas- und Darmsaft, Galle, die Fermente,
die Chemie und Physiologie der Eiweißstoffe, Fette und Kohlehydrate, Kot und Kot¬
bildung, die Bakterien des Verdauungskanals, Flüssigkeitsbewegung und Membran¬
durchlässigkeit, das Wasser, die anorganischen Bestandteile der Nahrung, die Ver¬
brennung in der lebendigen Substanz und der intermediäre Stoffwechsel, der
Eiweiß- und der Gesamtbedarf sowie die Nahrung des Menschen.
Möchte dieses Buch Colinheim’s, dessen „Chemie der Eiweißkörper“ 1904,
S. 817 eingehend besprochen worden ist, ein Berater des praktischen Arztes
•werden. E. Rost (Berlin).
190
Krankenpflege und ärztliche Technik.
Grundriß der Hydrotherapie. VonBrieger u. Krebs. Verlag L. Simion,
Berlin 1909. 147 Seiten. 3 Mk.
Den in der Praxis stehenden Arzt mag ein leiser Schreck überkommen an¬
gesichts der voluminösen Werke über die Wasserkunst. Demgegenüber haben
Brieger und Krebs offenbar sich an den Satz erinnert, daß weniger manchmal
mehr ist, und so entstand ein wirklich handliches Buch über diese Disziplin. Was
der Leser darin findet, besagt der Titel genugsam; daß er aber eine so klare und
präzise Darstellung findet, die ihm genau sagt, wie im Einzelfalle zu handeln ist,
muß besonders anerkannt werden.
Wenn es einem Nicht -Spezialisten gestattet ist, eine sachliche Bemerkung
dazu zu machen, so wäre es diese, daß nach meiner Meinung die Sauerstoffbäder
im Verhältnis zu den Kohlensäurebädern etwas kurz weggekommen sind; ich per¬
sönlich greife lieber zu den ersteren, aber das ist ja schließlich Geschmackssache.
Buttersack (Berlin).
Säuglingspflege. Von Dr. Linke. Verlag Dr. Tetzlaff, Berlin. 30 Pfg.
Es handelt sich um einen vor Laien gehaltenen Vortrag über Säug¬
lingsernährung und weiter über die Beschaffenheit des Bettes für den kleinen
Weltbürger. Unter einem energischen Hinweis auf die Stillnotwendigkeit
sowie auf die weitgehendsten gesundheitlichen Konsequenzen des Stillens
beleuchtet Verf. die kulturellen Schädlichkeiten, die die Stillfähigkeit her¬
unterdrücken. Bei der Belehrung über die Zusammensetzung und Herstellung
der künstlichen Ernährung empfiehlt der Verf. eine Art selbsthergestellten
Bieder t’schen Bahmgemenges, das pasteurisiert, nicht sterilisiert werden
soll. Die häusliche Zubereitung dieser künstlichen Ernährung, sowie die
weitschweifigen Auseinandersetzungen über die Bindertuberkulose nehmen
einen großen Teil der Schrift ein, die mit einer Empfehlung eines aus
seidenpapierdünnen Hobelspänen bestehenden Unterbettes schließt. Ein solches
soll möglichst viel Flüssigkeit aufsaugen, aber trotzdem reichlich lufthaltig
und warm «sein, somit allen hygienischen Anforderungen für die Säuglings¬
unterlage entsprechen. Krauße (Leipzig).
Krankenpflege und ärztliche Technik.
„Ideal“- Röntgenapparat.
Die durch fortgesetzte Schließung und Öffnung eines benachbarten Stro¬
mes entstehende Induktionselektrizität erhält bekanntlich bei den Strom¬
öffnungen wesentlich stärkere elektrische Impulse als bei den Strom-
scliließungen, weil bei ersteren die sogen. Selbstinduktion in der Sekun¬
därspule gleichgerichtet ist und daher als Strom Zuwachs in Betracht kommt,
während sie bei der Schließung entgegengerichtet ist und als Strom¬
schwächung sich geltend macht.
Diese Tatsache ist für die Benutzung des Induktors zur Erzeugung
von Böntgenstrahlen von grundlegender Bedeutung. Denn ein klares kon¬
tinuierliches Böntgenlicht, das gute Bilder geben soll, sowie die Bücksicht
auf möglichst lange Erhaltung des ursprünglichen Vakuums in der Bönt-
genröhre haben einen Strom mit gleichgerichteten Impulsen zur Voraus¬
setzung, so daß nur eigentlich Gleichstrom in Betracht kommen dürfte.
Wenn man trotzdem, scheinbar irrationell, den Wechselstrom eines Induk¬
tors verwendet, so geschieht dies nur deshalb, weil es auf anderem Wege
als durch. Induktion nicht möglich ist, den zur Verfügung stehenden, relativ
niedrig gespannten Strom' der Anschlußkabel zu einer Hochspannung von
vielen tausend Volt zu transformieren, wie sie zur Durchbrechung des hohen
Widerstandes einer Böntgenröhre nötig ist. Der induzierte Wechselstrom
ist also nur ein unentbehrlicher Umweg und ein notwendiges Übel. Es
handelt sich daher um die Aufgabe, seine schädliche Eigenschaft, die ent-,
gegengesetzt gerichteten Impulse der Stromschließungen, in ihrer Wirkung
auf der Bohre, so gut es geht, auszuschalten. Diese Aufgabe nun wird
Krankenpflege und ärztliche Technik.
191
allein möglich gemacht dadurch, daß der Schließungsstrom schwächer ist
als der Öffnungsstrom, und infolgedessen hei günstiger Gestaltung der Strom¬
kurve durch geeignete Anordnung der Apparatur, bis zu einer bestimmten
Stromstärke vom Durchgang durch die Röntgenröhre praktisch so gut wie ganz
zurückgehalten wird, weil seine Durchbruchskraft gegenüber dein hohen Wider¬
stand der Röhre zu gering ist, oder bei größerer Stromstärke durch ent¬
sprechende „Ventilröhren“ oder Vorschalt-Funkenstrecken abgefangen wer¬
den kann, während der stärkere und daher einen größeren Widerstand durch¬
brechende Öffnungsstrom ungehindert die Ventil- und Röntgenröhre passiert.
Trotz aller diesem Zwecke dienenden und durchaus befriedigend funk¬
tionierenden Vorrichtungen hat man nie aufgehört, auf Konstruktionen zu
sinnen, welche imstande wären, die Röntgenröhre mit Gleichstrom zu be¬
dienen. Denn abgesehen von dem Energieverlust der ausgeschalteten Schlie¬
ßungsströme, erfordern die zur Ausschaltung nötigen Vorrichtungen Auf¬
merksamkeit der Bedienung und sind dem Verbrauch und den Kosten der
Erneuerung unterworfen.
Ursprünglich setzte man große Hoffnungen auf den hochgespannten
Gleichstrom von Influenzmaschinen. Leider haben sich die Erwartungen
nicht erfüllt. Abgesehen von der Unzulässigkeit dieser Maschinen ist auch
die von ihnen gelieferte Stromstärke für höhere Anforderungen zu gering.
Infolgedessen kam man schon vor einer Reihe von Jahren auf einen ande¬
ren naheliegenden Gedanken, nämlich Übertragung des in der Elektrotech¬
nik bekannten Prinzips der „Gleichrichtung“ (Kommutation) verkehrter
Stromimpulse auf die Röntgentechnik. Leider ergaben sich bei den Ver¬
suchen zur Verwirklichung dieses Gedankens so erhebliche technische Schwie¬
rigkeiten, daß man ihn gänzlich fallen ließ. Erst in diesem Jahre ist es, mit
Hilfe einer originellen, synchron mit der Stromerzeugungsmaschine betä¬
tigten mechanischen Vorrichtung und durch wesentlich verbesserte konstruk¬
tive Durcharbeitung der Firma Reiniger, Gebbert & Schall gelungen,
auf dem als anscheinend unfruchtbar verlassenen Wege einen Apparat her¬
zustellen, welcher in einer, den Bedürfnissen der Praxis vollkommen ent¬
sprechenden Weise, alle zur Verfügung stehende Elektrizität in der Form
hochgespannten pulsierenden Gleichstromes liefert und darum mit Recht von
der Firma als „Ideal-Röntgenapparat bezeichnet wird.
Der Gleichstrom der Zentrale muß, um die nötige Hochspannung zu
erhalten, erst in Wechselstrom umgewandelt werden. Alsdann kann man
ihm eine Spannung bis zu 170000 Volt verleihen. Bei Anschluß an Wechsel¬
strom-Zentralen liegen die Verhältnisse günstiger, weil man in diesem Falle
den gelieferten Strom direkt hochspannen und gleichrichten kann. — Die
zur Gleichrichtung nötigen Vorrichtungen, sowie ein Konstruktionsschema
findet man im Prospekt der Firma Reiniger, Gebbart & Schall beschrieben.
Die langsam abfallende Stromkurve, die von
dem ohne Unterbrecher gewonnenen Maschinen¬
strom des Ideal-Apparates in der Röntgenröhre
erzeugt wird, ist für die Lieferung einer mög¬
lichst großen Quantität von Röntgenstrahlen
und des zur Differenzierung des Bildes nötigen
Gemisches von Strahlen verschiedener Härtegrade
ungleich günstiger, als die schroff abfallende Kurve
des Öffnungsstromes eines Induktors.
Die Abbildung zeigt ein komplettes Ideal-
Röntgeninstrumentarium.
Durch Vorrichtungen zur Regulierung von
Spannung und Stromstärke ist die schwierige
Aufgabe der Röntgentechnik, Spannung und
Stromstärke des Hochspannungsstromes dem Zu¬
stand der Röhre und dem beabsichtigten Zwecke
vollständig anzupassen, hier aufs beste gelöst. Da-
192
Hochschulnachrichten.
bei ist die Regulierung äußerst einfach, denn es sind nur 2 Kurbeln zu bedienen. Mit
der einen stellt man die Spannungsstufe ein (weich, mittel oder hart) mit
der anderen reguliert man die Stromstärke (Belastung) der Röhre. Die
Stromstärke kann infolge der großen Leistungsfähigkeit des Apparates, je
nach Wunsch, ganz außerordentlich gesteigert werden. Bei entsprechender
Röhre sind bis 100 Milliampere zu erreichen. Der Apparat braucht dabei
primär 15 — 40 Amperes.
Das Licht der Röhre ist ganz unabhängig von der größeren oder ge¬
ringeren Belastung, vollständig ruhig und frei von allem Flackern oder
irgendwelcher Unregelmäßigkeit. Die halbkugelförmige Lichtzone ist äußerst
scha.rf abgegrenzt, ein untrügliches Zeichen dafür, daß kein verkehrter Strom
in die Röhre gelangt, was ja auch die Konstruktion des Apparates aus¬
schließt, da nur reine Gleichstrom-Impulse erzeugt werden. Die Lebens¬
dauer der Röhre wird hierdurch wesentlich gegenüber dem Betrieb durch
Funkenin duktoren verlängert.
Der wohl am meisten in Betracht kommende Vorzug des Ideal- Appa¬
rates besteht in seiner robusten Maschinenkonstruktion, welche jeglicher Be¬
anspruchung gewachsen ist; und darin, daß alle leicht und sich von selbst
verändernden Faktoren fehlen.
Es ist weder eine Ventilfunkenstrecke, noch eine Ventilröhre nötig,
ein Nachregulieren, wie bei den Unterbrechern ist ausgeschlossen, so daß
man zu jeder Zeit bei gleichen Kurbelstellungen genau gleiche sekundäre
Leistungen erhält. Man kann sich daher mit dem Apparat leicht einarbeiten
und sehr leicht gleichmäßig gute Resultate erzielen. Von besonderem Werte
ist auch noch der Umstand, daß die Angaben des Milli-Amperemeters für
den Röhrenstrom unbedingt richtig sind und zur Dosierung ohne weiteres
benutzt werden können, während bei dem Induktor-Unterbrecher-Prinzip die
angegebenen Stromwerte eigentlich keine Milli-Ampere sind und nur relativ
richtige Schlüsse bei vollständigem Fehlen verkehrter Stromimpulse bei stets
gleicher Stromkurve zulassen.
Alles in allem, der Ideal- Apparat stellt die technische Seite der Rönt¬
genwissenschaft auf eine neue und exakte und seit langer Zeit angestrebte
Basis.
Hochschulnachrichten.
Berlin. Dr. med. G. Axhausen habilitierte sich für Chirurgie. Dr. med. Th.
Brugsch habilitierte sich.
Breslau. Geh. Med. -Rat Prof. Dr. v. Strümpell nahm die Berufung an die
Wiener Universität als Nachfolger von Schroetters an. Dr. med. A. Most
habilitierte sich für Chirurgie.
Freiburg i. B. Der o. Professor der Augenheilkunde Dr. Th. Axenfeld wurde
zum Geh. Hof rat ernannt. P.-D. Dr. K. v. Eicken erhielt den Titel Professor.
Kiel. Dr. med. O. Höhne, Privatdozent für Geburtshilfe und Gynäkologie erhielt
den Titel Professor.
Leipzig. Prof. Dr. Spalte holz wurde zum Medizinalrat ernannt.
Marburg. Dr. med. H. Hübner habilitierte sich für Haut- und Geschlechts¬
krankheiten.
Tübingen. In der medizinischen Fakultät wird eine außerordentliche Professur
für Zahnheilkunde neu errichtet.
Schriftleitung: Dr. Ri gl er in Leipzig.
Druck von Emil Herr mann senior in Leipzig.
27. Jahrgang.
1909.
Tortschritte der medizin.
Unter Mitwirkung hervorragender Fachmänner
herausgegeben von
Professor Dr. 0. Köster Prio.-Doz. Dr. ». Criegern
in Leipzig. in Leipzig.
Schriftleitung: Dr. Rigler in Leipzig.
Nr. 5.
Erscheint am 10., 20., 30. jeden Monats. Preis halbjährlich
6 Mark, in kl. Zeitschrift für Yersicherungsmedizin 8 Mark.
Verlag von Georg Thieme, Leipzig.
20. Februar.
Originalarbeiten und Sammelberichte.
Seltene Darmverletzung.
Von Dr. Osterloh.
Dirig. Arzt der Gynäkol. Abteilung im Stadtkrankenhause Dresden - Friedrichstadt.
(Nach einem am 16. Januar 1909 in der Gesellschaft für Natur- und Heilkunde
gehaltenen Vortrage.)
Der zu berichtende Fall ist schon durch die Art und Ausdehnung
der Verletzung interessant, wird es aber noch vielmehr dadurch, daß
es gelang, eine volle Herstellung zu erzielen. Der eingeschlagene
AVeg dürfte in jeder Hinsicht das Interesse der Chirurgen in Anspruch
nehmen.
Die häufig zu machende Erfahrung, daß, je länger und je konser¬
vativer die Adnexerkrankungen der Frauen behandelt worden sind, um
so ausgedehnter und derber die flächenhaften Verwachsungen der Organe
in der Beckenhöhle zu sein pflegen, ist auch in dem großen Material der
gynäkologischen Abteilung gemacht worden. Wie schon aus früheren
Publikationen im Archiv für Gynäkologie und Zentralblatt hervor¬
geht, ist die Zahl der schwierigen Adnexoperationen eine sehr große.
Verletzungen von adhärenten Darmschlingen sind durchaus nicht zu
große Seltenheiten. Und so war man auch in dem jetzt zu berichtenden
Falle auf große Schwierigkeiten vorbereitet.
Die jetzt 20 jährige M. H. lag schon vom 16. Januar bis 5. März
1908 auf der genannten Abteilung mit linksseitiger Eileiterentzündung.
Sie wurde damals anscheinend geheilt entlassen, erkrankte aber am
20. September von neuem unter Erscheinungen ausgedehnter Entzün¬
dung im Unterleib und kam am 28. September wieder zur Aufnahme.
Diagnose : Gonorrhöe, doppelseitige Pyosalpinx und ausgedehnte
Perimetritis.
Die eingeschlagene Behandlung beseitigte zwar die Gonokokken.
Der Zustand im Unterleib, bei dem der Uterus von den Entzündungs¬
geschwülsten umgeben und unbeweglich war, blieb bei subfebrilen
Temperaturen immer gleich, und so verlangte schließlich die Kranke
selbst, durch Operation von ihrem Leiden befreit zu werden. Nach
erlangter Einwilligung der Eltern wurde sie am 20. November operiert.
Suprasymph. Faszienquerschnitt. Nach Eröffnung der Peritoneal¬
höhle fanden sich die großen Eileitergeschwülste mit der hintern Wand
des Uterus mit Dünndarmschlingen, mit der vorderen Wand des Bektum,
den Seitenwänden der Beckenhöhle und dem Beckenboden fast untrenn-
13
194
Osterloh, Seltene Darmverletzung.
bar verwachsen. Die Entfernung des linken Eileiters gelang erst unter
querer Zerreißung desselben. Der linke Eierstock konnte erhalten
werden. Die stumpfe Auslösung der rechten Pyosalpinx zugleich mit
dem untrennbar ihr anhaftenden Ovarium mit den Fingerspitzen stieß
auf unglaubliche Schwierigkeit. Bei den Versuchen, die Pyosalpinx vom
Beckenboden zu trennen und überhaupt aus ihren Darmverwachsungen
zu lösen, muß der Finger die Serosa, des Bektum mehr und mehr verletzt
haben, denn gleichzeitig mit der endlich beweglich gemachten Pyosalpinx
erschien das quer durchrissene Bektum, aus dessen aus Serosa und
Muskularis bestehenden Teil ein mehrere Zentimeter langer, ebenfalls
abgerissener, aus Schleimhaut bestehender Schlauch hing. Nach Ent¬
fernung der rechten Adnexe ließ sich der ganze Douglas’sche Baum
übersehen ; es wurde festgestellt, daß das Bektum gerade an seinem
Durchtritt durch den Beckenboden abgerissen war ; bis dahin war vom
After her der Mastdarm intakt. Das Abreißen war dadurch begünstigt,
daß der Beckenboden selbst stark infiltriert war.
Nun mußte zu der schwierigen Lage Stellung genommen werden.
Günstig war, daß der Darm absolut leer war; es fand nicht die geringste
Kotentleerung statt und auch Darmgase konnten nicht wahrgenommen
werden.
Von chirurgischer Seite wurde als lebenssicherstes Vorgehen emp¬
fohlen, das abgerissene Darmende zu vernähen, einen künstlichen After
anzulegen und dann die Beckenhöhle zu drainieren. Zu diesem Vorgehen,
welches im günstigsten Falle dem jungen Mädchen für sein ganzes Leben
das Kreuz eines künstlichen Afters auferlegte, konnte der Operateur
sich nicht entschließen. Nach reiflicher Überlegung wurde in folgender
Weise vorgegangen:
Der Schleimhautschlauch wurde in zwei Katgutschlingen gefaßt
und ebenso der Band der Serosa samt Muskularis. Die Enden dieser
vier Schlingen erfaßte eine durch den After und den Mastdarm in die
Beckenhöhle geführte Kornzange ; durch Zug wurde der Schleimhaut¬
schlauch bis vor den After und das abgerissene Serosaende bis zur
Bißstelle im Beckenboden gebracht ; vier Katgutnähte fixierten so gut
als möglich die Seröse vorn, rechts, links und hinten am Beckenboden.
Ein dickes Drainrohr wurde durch den Schleimhautkanal hoch über die
Bißstelle bis zum S. Bomanum geführt und außerhalb des Afters
mit einer Katgutnaht angenäht. Dann wurden im Bektum um Schleim¬
hautschlauch inkl. Drainrohr drei Xeroformgazestreifen gelegt und
zum After herausgeleitet und ebenso mehrere Streifen durch die Bauch¬
wunde in die Beckenhöhle bis rings um die Bißstelle geführt. Hierauf
wurde die Bauchwunde bis auf eine zweifingerdicke Öffnung an der
Kreuzung der Schnitte vom Peritoneum und der Faszie geschlossen.
Durch diese Öffnung wurden die Drainagestreifen herausgeleitet.
Die sehr kollabierte Operierte wurde durch wiederholte sub¬
kutane Kochsalzinfusionen (in 36 Stunden 4000 cbcm) usw. gestärkt.
Der Puls, der zeitweise bis 180 gegangen war, fiel nach und nach ; das
in den ersten Tagen vorhandene mäßige Erbrechen, der Meteorismus
und die Leibschmerzen wurden durch Atropin mit Morphium beseitigt.
Am 24. November wurden die Gazestreifen aus dem Bektum entfernt;
am 27. November kam nach kleinem Einlauf zum ersten Male durch
das Drainrohr fäkulente Flüssigkeit; am selben Tage wurden die Gaze¬
streifen aus der Bauchöhle entfernt und die drainierte Höhle mit
Wasserstoff Superoxyd ausgespült; am 28. November wurde der Gummi-
Lilienstein, Die Behandlung der Alkoholkranken außerhalb der Irrenanstalten. 195
drain spontan ans dem Rektum ausgestoßen. Vom 29. November an
fing die Operierte an bei gutem Appetit Kartoffelbrei, Apfelmus usw.
zu genießen. Von da ab erfolgte der Stuhlgang fast stets spontan.
Die V erheilung der Wunde verlief ohne Störung. Am 24. Dezember trat
die Periode ein, nachdem schon zwei Tage vorher die Operierte ange¬
fangen hatte aufzustehen.
Eine Untersuchung am 8. Januar 1909 fand im Rektum keine
Spur von der früheren Verletzung; per vaginam fühlte man den Uterus
anteflektiert und freibeweglich ; nirgends eine Spur einer Exsudation ;
links neben dem Uterus war das Ovarium nachzuweisen.
Das Körpergewicht des zwar noch etwas blaß aussehenden, sich aber
gesund fühlenden Mädchens war am 16. Januar dasselbe wie vor der
Operation.
Jedenfalls hat der Verlauf den Versuch, das junge Mädchen von
den Folgen der schweren Verletzung in möglichst natürlicher Weise
herzustellen, gerechtfertigt.
Die Behandlung der Alkoholkranken außerhalb der Irrenanstalten.
Referat auf der Jahresversammlung des Vereins abstinenter Ärzte des deutschen
Sprachgebiets, Frankfurt a. M., den 3. Oktober 1908.
Erstattet von Dr. Lilienstein, Nervenarzt in Bad Nauheim.
(Schluß.)
Zur Behandlung des Alkoholismus gehört eine reich liehe, mög¬
lichst reizlose Ernährung. Auch hier ist eine Stelle, an, welcher
der oben angedeutete cireulus vitiosus durchbrochen werden kann: Der
leichte Alkoholismus führt zu Ernährungsstörungen, diese bedingen
wieder eine Verschlimmerung der Trunksucht, diese führt durch Magen¬
erkrankung oder auch direkt durch die fortschreitende Intoxikation an
und für sich zur Verschlechterung des Ernährungszustandes, Abmage¬
rung, ja bis zur völligen Kachexie. Setzt nun eine reizlose, reichlich
Vegetabilien, Obst u. dergl. enthaltende Ernährung ein, so hebt sich
das körperliche Befinden, das Verlangen nach schwächeren oder stärkeren
alkoholischen Getränken läßt nach, schließlich können dieselben ganz
entbehrt werden. Der Kranke wird abstinent, ja es tritt zuweilen sogar
eine direkte Abneigung gegen Alkohol in jeder Form auf1. So sehen
wir unter unseren besten Helfern im Kampf gegen die Trunksucht viel¬
fach von der Krankheit Geheilte, deren Abstinenz durch den Wider¬
willen gegen Alkohol bewirkt wird.
Wenn wir oben sahen, daß durch das W ohnungSelend der Pro¬
letarier früher anstaltsbedürftig wird, als der Besitzende, so bildet das
Wohnungselend auch an und für sich eine Ursache für den Alkoholismus.
Das Zusammen wohnen auf' engem Raum mit einer meist zahlreichen
Familie, in mangelhaft gelüfteten, schlecht beleuchteten Räumen treibt
den armen Patienten aus dem! Haus. Er findet Licht, Wärme und Be¬
quemlichkeit im Wirtshaus für zunächst wenig Geld. Daß auch diese
kleine Ausgabe schon einen großen Teil seines Einkommens ausmacht
und für den Unterhalt seiner Familie in Wegfäll kommt, vergißt er
unter dem leicht betäubenden und erheiternden Einfluß des Bieres oder
anderer alkoholischer Getränke.
Das Wirtshaus bildet auch die Stelle, an der die sozialen Triebe
ihre Befriedigung finden. Zeitungslektüre, die Anteilnahme am öffent-
13*
196
Lilien stein,
liehen Leben und Aussprache mit Gleichgesinnten wird hier ermöglicht.
Will man daher dem Wirtshausbesuch entgegenwirken, so müssen Lese¬
hallen für geistige Anregung sorgen, die Museen müssen Sonntags
nachmittags geöffnet werden. Ein unbefangener Blick auf das Publikum
in den Lesehallen, in Volksvorlesungen und dasjenige in den Museen
am Sonntag zeigt, wie bildungshungrig das Volk ist. Geht auch Inan che
Anregung bei dem niedrigen Stand der Vorbildung verloren, so sieht
man doch, wie dankbar und verständnisvoll solche Genüsse von vielen
ent ge gengenommen wer den .
Die Schaffung eines JunggCsellenheiins für Arbeiter, die gleich¬
falls hier in Frankfurt angeregt wurde, könnte in gleichem Sinne dem
Wirtshausbesuch entgegen wirken. Auch die billigen Kaffeehallen
haben sich an Stelle der schmutzigen Kneipen schon vielfach bewährt.
Diese Frage der Ersatzgetränke erscheint merkwürdigerweise
meist nur denjenigen wichtig, die nicht abstinent sind. Für den absti¬
nenten Arzt bilden reines Trinkwasser, Mineralwasser, Limonade, leidr
ter Tee und Kaffee, alkoholfreie Weine, Obst u. dgl. ein embarras
de richesse bei seinen Verordnungen. Daß man darauf sehen muß, bei
alkoholfreien Weinen auch wirklich solche zu beziehen, die frei von
Alkohol sind, versteht sich von selbst. In der Praxis bieten sie den
energieschwachen Kranken, die sich der Geselligkeit nicht entziehen
können, gelegentlich einen gewissen Ersatz. Am besten ist es aber
natürlich, wenn die Abstinenz von alkoholischen Getränken offen und
rücksichtslos erklärt wird. Die Trinksitten, die doch für einen recht
großen Teil der Erkrankungen, besonders unter den besitzenden Klassen
verantwortlich zu machen sind, werden durch derartige Ersatzgetränke
eher gefördert als bekämpft.
Hiermit komme ich zu dem letzten und für die allgemeine Be¬
handlung von Alkoholkranken in der Praxis meiner Erfahrung nach
wichtigsten Punkt : Der Bekämpfung der Trinksitten und der Schaffung
eines abstinenten Milieüs.3) Die endogen psychopathisch Degene¬
rierten, zum Alkoholismus Disponierten möchte ich mit Verwundeten
vergleichen. Wie bei den letzteren eine aseptische, so ist bei den von
der Trunksucht bedrohten eine abstinente Umgebung zur Heilung er¬
forderlich. Eine reinliche, aseptische und abstinente Umgebung ist natür¬
lich auch für Gesunde recht zweckmäßig, da kleine unbemerkte Defekte,
seien es kleine Wunden an der Haut für die Infektion, seien es kleine
unauffällige Defekte des Nervensystems und Gehirns als Eingangs¬
pforten für die Intoxikation und alkoholische Degeneration in gleicher
Weise gefährlich werden können.
Es würde zu weit führen, wollte ich auf die spezielle Therapie
der Krankheiten eingehen, die ich in der langen Liste oben erwähnt
habe. Die Behandlung bleibt bestenfalls eine symptomatische, wenn
es uns nicht gelingt, den Patienten zur völligen Abstinenz zu bringen.
Was das Herz und Gefäßsystem anlangt, so führe ich die Erfolge,
die wir in Bad Kauheim in solchen Fällen haben, auf das nahezu ein¬
mütige Verbot alkoholischer Getränke während der Kur zurück, ohne
natürlich die spezifische, das Herz ionisierende Wirkung unserer Quellen
in solchen und anderen Fällen in Frage stellen zu wollen.
3) Über die Organisationen zur Förderung von Mäßigkeits- und Abstinenz¬
bestrebungen in Deutschland habe ich auf der Versammlung südwestdeutscher
Irrenärzte in Karlsruhe 1908 berichtet.
Die Behandlung der Alkoholkranken außerhalb der Irrenanstalten. 197
Die chronischen Rachen- und Magen kata(rrhe auf alkoholischer
Grundlage sind ebenso wie diejenigen auf anderer Ätiologie beruhenden
zu behandeln.
Bei der Neuritis haben sich mir trockene Wärme, heiße Sand¬
säcke, heiße Luft, Wattepaokungen als zweckmäßig erwiesen. Strychnin,
das auch sonst gegen chronische Alkoholintoxikation empfohlen wird,
habe ich auch in zahlreichen Fällen gegeben, ohne indessen eine spezi¬
fische Wirkung zu sehen.
Die Behandlung der acne rosacea gehört zur Domäne der Der¬
matologen, die mit Stichelungen, Umschlägen, Salben vorgehen.
Zur Behandlung der Stoffwechselstörungen, der Fettsucht,
der Resistenzschwäche und Ernährungsstörungen ist eine genaue Vor¬
schrift der Diät erforderlich, ferner sind Hydrotherapie, Gymnastik
und die übrigen Hilfsmittel der physikalischen Therapie am Platze.
Erregungszusitände auf alkoholischer Basis behandelte ich mit
den üblichen Sedativis, Brom, Opium, Bädern, blander Diät usw. In
einzelnen Fällen habe ich auch Suggestion und Hypnose zur Anwendung
gebracht und dadurch nicht nur eine allgemeine Beruhigung, sondern
auch den Entschluß zur Abstinenz gefördert.
Als ein großer Fortschritt wunde von ärztlicher Seite vor ca, 10 J äh¬
ren bei der Einführung des bürgerlichen Gesetzbuches die Möglichkeit
angesehen, daß nunmehr auf' Grund festgestellter Trunksucht die Ent¬
mündigung ausgesprochen werden kann. Und in der Tat dürfte in
einzelnen Fällen mit dieser Maßnahine auch schon Gutes erreicht wor¬
den sein, manches Vermögen mag auf' diese Weise schon bisher erhalten
geblieben sein. Die günstige Wirkung auf' die Krankheit selbst aber,
die viele von der Androhung dieser Maßregel erhofft haben, ist nicht
eingetreten.
Mit Recht sagt Baer:4) „Hätten Strafbestimmungen zur Mäßigkeit
und Nüchternheit ... zu führen vermocht, so hätte das Gesetz von
Franz I. in Frankreich (1536), das die rückfällig Trunkenen mit körper¬
licher Züchtigung, sogar mit Ohrenabsehneiden und Verbannung be¬
strafte, dann hätten die vielen Strafandrohungen dieser Art in England
unter Jacob I. (1606), dann (hätten . . . Reiohspo li zei vero r dn ungen im
hl. römischen Reich Deutscher Nation im 16. und 17. Jahrhundert, dann
hätten die späteren Strafedikte „gegen die Völlerei“ und „gegen das
Vollsaufen“ in den einzelnen deutschen Staaten jede Neigung zur Trunk¬
sucht, vertilgen müssen. Unvergleichlich wirksamer haben sich die er¬
ziehenden und belehrenden Maßnahmen erwiesen . . . und die Mittel,
welche die Volkssitte allmählich umzugestallten und das allgemeine
Urteil auf zu klären vermögen.“
Fasse ich meine Ausführungen zusammen, so ergibt sich aus meinen
Erfahrungen :
1. Der Alkoholismus ist eine Erkrankung vorzugsweise des Pro¬
letariats. Die Trunksucht der Besitzenden ist die Folge a) en¬
dogen psychopathischer Anlage ; b) der Trinksitten ; c) des Alko-
holgewerbes.
2. Im Vergleich zu anderen Volkskrankheiten wird dieser so schwe¬
ren Erkrankung zu wenig Aufmerksamkeit bei den Behörden und
dem Publikum geschenkt. Zur Einschränkung des Alkoholismus
dient alles, was gegen die Verelendung geschieht.
4) A. Baer: Die Trunksucht und ihre Bekämpfung. Berlin 1884.
198 Lilienstein, Die Behandlung der Alkoholkranken außerhalb der Irrenanstalten.
3. Die Aufklärung über die Schädigungen der Trunksucht kann
durch statistische Erhebungen und deren Veröffentlichung ge¬
fördert werden.
4. Zur Heilung defö Einzelnen dient
a) in erster Linie die Besserung der sozialen Lage ;
b) eine reichliche, reizlose Ernährung ;
c) bequeme, helle Wohnräume ;
d) Ablenkung und geistige Beschäftigung (Volks Vorlesungen,
Öffnung der Museen am Sonntag nachmittag, Lesehallen) ;
e) Ersatzgetränke spielen als Übergang zur Totalabstinenz eine
Bolle ;
f) Medikamente, suggestive und hypnotische Behandlung müssen
individualisierend zur Anwendung kommen;
g) die spezielle Behandlung der einzelnen Organerkrankungen
auf alkoholischer Basis weicht nicht wesentlich von der¬
jenigen auf anderer Grundlage ab.
5. Die Schaffung einer abstinenten Umgebung ist das wirksamste
Mittel gegenüber der Erkrankung an Trunksucht und deren
Bezidiven.
Literatur.
Das beste und eingehendste Werk, die gesamte wissenschaftliche Literatur
den Alkoholismus betreffend, ist die von
1) E. Abderhalden redigierte, von einer Reihe von Gelehrten zusammengestellte
„Bibliographie über den Alkoholismus“, Berlin und Wien 1904.
Fernere, besonders die ärztlichen Gesichtspunkte betonende und von mir be¬
nützte Arbeiten sind unter vielen anderen:
2) A schaf f enburg, Das Verbrechen und seine Bekämpfung. Heidelberg 1900.
3) Baer, A., Der Alkoholismus. Berlin 1878. '
3a)Baer, A. u. B. Laquer, Die Trunksucht und ihre Bekämpfung. 2. Auflage.
Berlin und Wien 1907.
3b) Baer, A., Trunksucht. Berlin 1884.
4) Berichte über die internationalen Kongresse gegen den Alkoholismus.
5) Binz, Eulenburg’s Realencyclop. Artikel „Alkohol“.
6) Beldan, G., Über die Trunksucht und Versuche ihrer Behandlung mit Strychnin.
Jena 1892.
7) Blocher, Internationale Monatsschrift zur Erforschung des Alkoholismus.
8) Bonne, Die Alkoholfrage und ihre Bedeutung für die ärztliche Praxis.
Tübingen 1904.
9) Bresler, Zur Alkoholisten- Behandlung. Berl. klin. Wochenschr., Nr. 26,
S. 582, 1900.
10) Co 11a, Voraussetzungen und Grundsätze der modernen Trinkerbehandlung.
Halle a. S., 1901.
10a) Coli a, Medizinische Klinik, S. 1364 ff., 1905.
11) Forel, z. B. 13. Versammlung südwestdeutscher Neurol. und Irrenärzte.
Freiburg 1888 u. a. a. O.
12) Frank, Ärztliche Seite der Trinkerbehandlung. Zeitsclir. „Alkoholismus“,
S. 230—235, 1903.
13) Fürstner, Zur Behandlung der Alkoholisten. Allg. Zeitsclir. für Psychiatrie,
Nr. 2, S. 184, Berlin 1877.
14) Gaupp, Die Dipsomanie. Jena 1901.
15) Ganser, Die Trunksucht, eine heilbare Krankheit. Dresden 1901.
16) Hirsch feld, Alkohol und Geschlechtsleben. Berlin S. 42, Arbeiterabstinentenbund.
17) Holitscher, Die medizinischen Referate auf dem 11. internationalen Kongreß
in Stockholm. Selbstverlag.
17a) Holitscher, Alkokol und Tuberkulose. Selbstverlag 1906.
17b) Holitscher, Alkoholsitte und Opiumsitte. Zeitsclir. „Die Alkoholfrage“,
1. Jahrg., 4. Heft, Berlin.
18) Hoppe, Die Tatsachen über den Alkohol. 3. Auflage, Berlin 1904.
19) Helen ius, Die Alkoholfrage.
20) Hufeland, Trunksucht und eine rationelle Behandlung derselben. 10. Auflage.
Berlin 1899.
Enslin, 35. Versammlung der ophthalmologischen Gesellschaft.
199
21) Kassowitz, Der Arzt und der Alkohol. Wien 1904.
22) Kraepelin, Lehrbuch der Psychiatrie u. a. a. O.
23) Lilienstein, Über die Organisationen zur Bekämpfung des chron. Alkoholismus.
Verein südwestdeutscher Irrenärzte. Allg. Zeitschr. für Psych., S. 406, 1904.
24) Meinert, Die Heilung Alkoholkranker im Königreich Sachsen. Zeitschr.
„Alkoholfrage“, S. 19 ff., 1906.
25) Minor, L. S., Der Kampf gegen den Alkoholismus vom Standpunkt der Nerven-
pathologie. Moskau 1897.
26) Moeli, Behandlung der Vergiftungen mit Weingeist. Pentzold u. Stintzings
Handbuch 1898.
27) Nonne, Stellung und Aufgabe des Arztes in der Behandlung des Alkoholismus.
Jena 1904 (Handbuch für soz. Med.).
28) Pf aff, W., Die Alkoholfrage vom ärztlichen Standpunkt.
29) Roeder, Absolute und relative Indikationen zur Alkoholabstinenz in der
Therapie. Versammlung deutscher Naturforscher u. Ärzte, Köln 1908.
30) Sioli, Entwicklung der Trinkerfürsorge. Psych. -neurol. Wochenschr., Nr. 4, 1907.
31) Stadelmann, Über die Behandlung von Krankheitserscheinungen auf psychi¬
schem Gebiet, welche durch Alkoholmißbrauch hervorgerufen wurden. Allg.
med. Zentralztg.
32) v. Strümpell, Ueber die Alkoholfrage vom ärztlichen Standpunkt.
33) Tuczek, Über die Aufgaben des Arztes bei der Behandlung des Alkohol¬
mißbrauchs. Der Irrenfreund, Nr. 3, S. 33, 1891.
33a) Tuczek: Ärztliches zur Trunksuchtfrage. Hildesheim 1897.
34) Waldschmidt, Über die ärztliche Behandlung der Trunksucht. Therap. der
Gegenw., Dezbr. 1901.
35) Wurm, Sozialdemokratischer Parteitag 1907.
36) Ziehen, Über den Einfluß des Alkohols auf das Nervensystem. Hildesheim,
Mäßigkeitsverlag.
Bericht über die 35. Versammlung der ophthalmologischen
Gesellschaft, Heidelberg 1908.
Von Stabsarzt Enslin, Brandenburg a. H.
Auch, der diesjährige Kongreß brachte wieder eine Reihe von
Vorträgen, die auch für den Nichtspezialisten wichtig und interessant
sind und die jetzt im Drucke vorliegen. Es sei in den folgenden Zeilen
ein kleiner Teil der Verhandlungen wiedergegeben.
Pfalz (Düsseldorf) kommt auf Grund jahrelanger Beobachtungen
über die Herabsetzung der Sehschärfe durch Hornhauttrübungen zu
folgenden Ergebnissen: oberflächliche Trübungen lassen nach dem Ab¬
klingen aller Reaktionserscheinungen die Hornhautwölbung intakt und
üben, solange sie nicht mehr als 1/5 des Pupillargebietes bedecken,
keinen nennenswerten Einfluß auf die zentrale Sehschärfe aus. Größere
Trübungen gleicher Art verursachen, wenn nur 1/5 des Pupillargebietes
klar ist, eine Herabsetzung bis auf x/3. Andauernde dichte Trübungen
bedeuten, abgesehen von Kalk- oder Bleieinlagerung, tiefere Narben,
die stets dauernd nachteilig auf die Hornhautwölbung auch in der
Umgebung wirken. Es kann aber noch allmählich eine Aufhellung
eintreten und damit der Astigmatismus regelmäßig, also korrigierbar,
werden. Dann sind Sehschärfen von 1/4 — 1/5 möglich. Selbst bei totalen
diffusen Trübungen, solange man durch sie hindurch im aufrechten
Bilde noch Papille und Gefäße erkennen kann, und wenn die Ober¬
flächenwölbung regelmäßig ist, sind Sehschärfen von 1/10 und mehr
zu erwarten, jedenfalls Sehschärfen, die einen guten binokularen Seh¬
akt ermöglichen. —
v. Rohr (Jena) sprach über die Theorie anastigmatischer Star¬
gläser und Hertel (Jena) berichtet über die Praxis derartiger Gläser,
die von der Firma Zeiß in Jena neuerdings hergestellt werden und
200
Enslin, 35. Versammlung der ophthalmologischen Gesellschaft.
eine wesentliche Verbesserung des Sehens der Staroperierten ermöglichen.
Der Preis für ein Glas beträgt etwa 30 Mark. — Eine Übersicht über
die Ergebnisse der Staroperation bei Diabetikern, die ein Vortrag
Uh t ho ff (Breslau) gab, ist bereits in dieser Zeitschrift referiert (Jahr¬
gang 1908, Seite 872). — v. Hippel (Heidelberg) empfiehlt dringend
bei Stauungspapille infolge intrakranieller Erkrankung, bei der
wie gewöhnlich eine Radikaloperation nicht möglich ist, eine Trepa¬
nation als Palliativoperation vorzunehmen. Es ist auf diese Weise
die ohne chirurgischen Eingriff schlechte Prognose in bezug auf die
Sehschärfe oft zum Guten gewendet worden. In vielen Fällen ist
außerdem die Lebensdauer der im Frühstadium der Stauungspapille
Operierten eine solche, daß sie die Operation durchaus lohnend macht.
Die Trepanation ist dabei jedenfalls der Lumbal- oder Ventrikelpunk¬
tion vorzuziehen. Der Eingriff soll vorgenommen werden, wenn das
Sehvermögen anfängt abzunehmen. — Greeff (Berlin) berichtet zu¬
sammenfassend über die von ihm entdeckten Trachomkörperchen, die
er als die Erreger der Krankheit auffaßt. Sie lassen sich hei frischen,
unbehandelten Fällen durch Färbung mit Giemsalösung in Gestalt
sehr regelmäßiger, runder, außerordentlich kleiner, von einem hellen
Hof umgebener Kokken darstellen. Sie finden sich intra- und auch
extrazellulär, meist in Häufchen zusammen, im Follikelinhalt, in den
Epithelien, auch frei in dem fadenziehenden Sekret. Schon nach einigen
Tagen der Behandlung sind sie nicht mehr nachzuweisen, wenn von
Heilung der Trachoms noch keine Rede sein kann. Es ist aber anzu¬
nehmen, daß sie nur oberflächlich verschwinden, in der Tiefe sich aber
immer wieder neubilden.
Ein Vortrag von Happe (Freiburg i/Br.), der die nicht spezifische
Serumtherapie bei Augenaffektionen durch Tierexperimente studierte,
zeigte, daß der günstige Einfluß, der speziell dem Deutschmann’schen
Hefeserum zugeschrieben wird, sich durch das Experiment nicht hat
nachweisen lassen, und daß somit dieser Heilmethode die behauptete
experimentelle Grundlage fehlt. Dieser Ansicht traten auch in der
Diskussion die meisten Redner bei.
Römer (Greifswald) sprach über die spezifische Therapie des
beginnenden Altersstars, der praktischen Konsequenz seiner Hypothese
über die Entstehung des subkapsulären Rindenstars. Römer hält be¬
kanntlich den Altersstar für eine Stoffwechselerkrankung. Er nimmt
an, daß Störungen des intermediären Stoffwechsels spezifische Stoff¬
wechselprodukte bedingen, die cytotoxisch auf die Linsenzellen ein¬
wirken. Demnach muß als Therapeutikum die Fortentwicklung des
Stars verhütet, nicht der vorhandene reife Star operiert werden. Dies
geschieht (nach Römer) durch spezifische Organtherapie. Die Höchster
Farbwerke haben Tabletten aus frischer Säugetierlinse unter dem Kamen
Lentocalin hergestellt. Da die biochemische Struktur des Linsenproto¬
plasmas innerhalb der Säugetierreihe identisch ist, so ist also der menschliche
Körper nach Aufnahme tierischer Linsen gezwungen, dasselbe Organ
zu assimilieren und zu resorbieren, das im Auge dem Prozeß der Alter¬
starentwicklung ausgesetzt ist. Natürlich sind nur lebensfähige Linsen¬
fasern eines Rückbildungsprozesses fähig. Römer hat bisher im ganzen
165 Kranke der Behandlung mit Lentocalin (das vorläufig noch nicht
käuflich zu haben ist) mit einem Erfolge unterzogen, der nicht nur
durch die Fehlerquellen unserer Untersuchungsmethoden zu erklären ist.
Vorläufige Mitteilungen und Autoreferate.
201
Im Anschluß an einen Vortrag von Igersheimer (Heidelberg)
über experimentelle Studien über die Wirkung des Atoxyls auf das
Auge wurde vor der Anwendung dieses gefährlichen Mittels gewarnt,
das in seiner unberechenbaren, kumulativen Wirkung schwere Schädi¬
gungen am Auge und nicht so selten Erblindungen verursacht hat.*)
Vorläufige Mitteilungen u. Autoreferate.
Über einseitige Lateralsklerose.
Von Prof. Dr. E. Münzer.
(Nach einem im ,, Verein deutscher Ärzte in Prag“ im November 1908 gehaltenen
Vortrage.)
Der Vortragende teilt zwei Fälle aus seiner Praxis mit, in welchen
es sich um einseitig verlaufende Lateralsklerosen (einseitige spastische
Spinalparalyse bezw. einseitige Pyramidenseitenstrangerkrankung) han¬
delte. Ähnliche Beobachtungen wurden — worauf den Autor nach¬
träglich Hofrat Prof. A. Pick aufmerksam machte — im Jahre 1906
von amerikanischer Seite (SpilLer und Mills) mitgeteilt und erscheinen
dieselben in der neuesten Auflage des Lehrbuches von Oppenheim
unter dem Titel „unilateraler Typus der Lateralsklerose“ angeführt.
1. Herr F. aus K. erkrankte >1889 im Alter von 33 Jahren
an Schwäche des rechten Beines; acht Jahre später trat eine Schwäche
des rechten Armes hinzu. Im Jahre 1898, also neun Jahre nach Beginn
der Erkrankung konstatierte M. folgenden Befund : Spastische Lähmung
des rechten Beines und Armes mit lebhaft gesteigerten .Reflexen ; voll¬
kommen normale Sensibilität ; Gehirnnerven normal, ebenso die inneren
Organe. Auch jetzt noch, also nach 19 Jahren, der gleiche Befund, nur
scheinen dem Berichte des behandelnden Arztes nach auch die links¬
seitigen Extremitäten etwas schwächer als normal.
2. Herr M., 36 Jahre alt, erkrankte vor mehr als sechs Jahren
an einer ganz allmählich einsetzenden, für den Kranken Monate hin¬
durch gar nicht bemerkbaren Schwäche des rechten Beines. Einige
Jahre später trat eine Lähmung des rechten Armes hinzu. Jetzt zeigt
der Kranke neben den typischen Erscheinungen der Hemiplegia spastica
dextra vollkommene Atrophie der linken — zur Körperlähmung ge¬
kreuzten — Zungenhälfte ; außerdem schien eine Lähmung des linken
Stimmbandes vorhanden zu sein. Sensibilität normal ; auch an den
Hirnrerven nichts ausgesprochen pathologisches nachzuweisen; der
übrige Körperbefund normal.
Bezüglich der Diagnose könnte man im allgemeinen in den mit¬
geteilten Fällen schwanken zwischen : Systemerkrankung, pseudosyste¬
matischen Erkrankungen im Sinne Leyden-Gold sch eider’s und
Nonne’s und multipler Sklerose. Die ersten beiden Prozesse klinisch
voneinander zu differenzieren, dürfte außerordentlich schwer fallen,
in der Mehrzahl der Fälle unmöglich sein, ja diese Unterscheidung
dürfte selbst bei der anatomischen Untersuchung oft Schwierigkeiten
bieten. Es bleibt also im wesentlichen die Unterscheidung von mehr
weniger systematischen Erkrankungen gegenüber multipler Sklerose
übrig.
*) Siebe hierzu Nr. 22, 1908 unserer Zeitschrift: Bircli-Hirschf eld und
Köster, Zur pathologischen Anatomie der Atoxylvergiftung. Redaktion.
202
Vorläufige Mitteilungen und Autoreferate.
Bezü glich des ersten Falles wird wohl nicht leicht an der An¬
nahme einer systematischen Erkrankung des rechten Pyramidenseiten¬
stranges gezweifelt werden können, wofür der Verlauf und das voll¬
kommene Fehlen aller für multiple Herde sprechenden Erscheinungen
angeführt werden kann.
Schwieriger liegt die Entscheidung im zweiten Falle. Hier kommt
in Betracht : j
A. Systematische Erkrankung des rechten Pyramidenseiten¬
stranges, Fortschreiten des Prozesses in die Medulla oblongata und
Pons — daselbst infolge der Kreuzung — Erkrankung der linken
Pyramidenbahn, und Übergang auf das zweite Neuron, wie wir dies
ja gewöhnlich bei der amyotrophischen Lateralsklerose und Bulbärpara-
lyse sehen, wobei es im vorliegenden Falle auffallend ist, daß der Krank¬
heitsprozeß nicht den zur erkrankten linken Pyramidenbahn funktionell
zugehörigen, allerdings anatomisch entfernter gelegenen rechtsseitigen
Hypoglossuskern ergriff, sondern auf das gleichseitige, anatomisch näher¬
gelegene zweite Neuron — den linken Hypoglossuskern ■ — - überging.
Ist diese Annahme, welche M. für die wahrscheinlichste hält, richtig,
dann wäre dieser Fall als einseitige Lateralsklerose und Bulbär-
paralyse zu bezeichnen.
B. C. Für die Annahme einer multiplen Sklerose bietet der
ganze Verlauf der Erscheinungen keine genügenden Anhaltspunkte
und ebenso muß die Annahme eines einzelnen im Pons oder der Medulla
oblongata gelegenen Herdes zur Erklärung aller Erscheinungen mit
Rücksicht auf die Entwicklung der Erscheinungen als unwahrscheinlich
bezeichnet werden.
D. Dagegen käme noch ernsthaft die Möglichkeit in Betracht,
daß neben der mehr weniger systematischen Erkrankung des rechten
Pyramidenseitenstranges im Rückenmarke, durch welche die Bein- und
Armlähmung erklärt würde — ein zweiter Krankheitsherd in der
Med. oblongata bestände, durch welchen die Hemiatrophia linguae aus¬
gelöst sein könnte.
Daß die Erscheinungen der hemiplegischen Bein- und Armlähmung,
welche diese Kranken boten, einer chronischen Erkrankung des Pyra¬
midenseitenstranges im Rückenmarke entsprechen, ist seit Wer nicke
und Mann bekannt, und betonte speziell Mann, daß der früher von
v. Strümpell in Fällen spastischer Spinalparalyse beschriebene Läh¬
mungstypus vollkommen analog sei dem von Wernicke und ihm auf¬
gestellten Lähmungstypus der zerebralen Hemiplegie.
(Die ausführliche Mitteilung der vorliegenden Beobachtungen
erfolgt durch Herrn Dr. Theodor Cloin in Reichenberg.)
Zur Diagnose des totalen Gallengangverschlusses mit besonderer Berück¬
sichtigung der Untersuchungsmethoden.
Von Prof. Dr. Münzer, Prag.
Der Vortragende bespricht an der Hand zweier Fälle von Gallen¬
gangverschluß die klinischen Erscheiungen, welche durch eine Be¬
hinderung des Galleneintrittes in den Darm hervorgerufen werden,
sowie die die Stellung der Diagnose ermöglichenden Untersuchungs¬
methoden. In klinischer Beziehung betont er, daß der Magen solcher
Kranken, falls derselbe nicht ursächlich in Mitleidenschaft gezogen ist,
normal arbeitet ; wenigstens fiel in beiden untersuchten Fällen die
Sahli’sche Desmoidprobe positiv aus; die Ausheberung des Magens
Vorläufige Mitteilungen und Autoreferate.
203
nach Probefrühstück in dem einen Falle seitens eines anderen Arztes
ergab eher Überschuß an Salzsäure. Auch der Ausfall der Stuhl¬
untersuchung nach der Schmidt-Straßburger’schen Probediät führte
zu einem ähnlichen Ergebnisse, indem keinerlei Gewebsfetzen im Stuhle
gefunden wurden. Die Angaben Schmidt’s, daß bei totalem Gallen¬
mangel im Darme resp. bei den konsekutiven Fett Stühlen die Stuhl¬
entleerung prompt vonstatten geht, der Stuhl sehr sauer ist und nicht
gärt, bestätigt der Vortragende vollinhaltlich und demonstriert sein
Darmgärungsröhrchen (siehe Verhandlungen des Kongresses für innere
Medizin, Wien 1908).
In chemischer Beziehung zeigt der Stuhl bei totalem Gallengang¬
verschluß negative Sublimatprobe, d. h. der mit einer wässerigen Subli¬
matlösung verrührte Stuhl nimmt keine Potfärbung an. Die Diagnose des
totalen Gallengangverschlusses kann aber ferner gestellt werden durch
die Harnuntersuchung, da — wie bekannt — bei Abschluß der Galle
vom Darme Urobilin bezw. Urobilinogen im Darme und Harne fehlt.
Als Urobilinprobe empfiehlt der Vortragende außerordentlich die
schöne Schlesingier’sche Probe in der Ausführung Hildebrandt’s,
bemerkt aber, daß fast noch sicherere Pesultate erzielt werden, wenn
man in ähnlicher Weise, wie dies auch Sahli anführt, vorgeht: Der
in der Eprouvette mit etwas Salzsäure versetzte Harn wird mit Amyl¬
alkohol ausgeschüttelt, der trübe Amylalkohol, welcher sich über dem
Harne ansammelt, durch etwas Alkoholzusatz geklärt und zu diesem
klaren Alkoholauszuge, welcher durch die Amylalkoholschicht vom
Harne getrennt ist, ein paar Tropfen einer l°/0igen alkoholischen
Chlorzinklösung und ein paar Tropfen Spiritus Dzondii hinzugesetzt.
Fluoreszenz und spektroskopisches Verhalten (Streifen beim Übergang
von Grün zum Blau) sichern die Urobilindiagnose.
Hierauf bespricht der Vortragende die Ur ob ilino genprobe, als
welche nach den schönen Untersuchungen Neubauer’s die Benzaldehyd¬
probe Ehrlich-Pröscher’s bezeichnet werden muß, wobei er bemerkt,
daß er zur Ausschüttelung des Farbstoffes nach Anstellung der Probe
Amylalkohol empfehle, welcher denselben in ganz exquisiter Weise
aufnehme und sich in dieser Beziehung sehr eigne. Zum Beweise, daß
es sich um Urobilin bezw. Urobilinogen handelt, erscheint die spektro¬
skopische Untersuchung - — (Urobilinogen zeigt einen Absorptions¬
streifen beim Übergange vom Gelb zum Grün) — dringend nötig,
welche mit einem kleinen Handspektroskop, wie es Peichert zu billigem
Preise liefert, durchgeführt werden kann. Ganz besonders schön läßt
sich diese Untersuchung mittels des Bür k er’ sehen Vergleichspektro-
skopes ausführen, welches jedenfalls recht billig ist (siehe Bür k er,
Münchner mediz. Wochenschr. Nr. 39, 1908).
Der Vortragende demonstriert diese Proben sowie das Spektroskop
von Bürker und betont, daß bezüglich der Frage, ob totaler Gallen¬
gangverschluß vorliege oder nicht, nach den Beobachtungen in dem
einen der beiden mitgeteilten Fälle die Harnuntersuchung ein sichereres
Resultat gebe als die Sublimatprobe im Stuhle, da im besagten Falle
zu einer Zeit, als die Sublimatprobe negativ ausfiel, d. h. der mit
Sublimat verrührte Stuhl keinerlei Potfärbung zeigte, im Harne spek¬
troskopisch und chemisch bereits Urobilin bezw. Urobilinogen — wenn
auch in Spuren — nachweisbar war.
Die ausführliche Mitteilung ' erfolgt an anderer Stelle durch die
Herren Dr. Körting (Pilsen) und Dr. Bloch (Franzensbad).
Autoreferat.
204
Referate und Besprechungen.
Referate und Besprechungen.
Allgemeines.
Beiträge zur Lehre von der Viskosität des Blutes.
(Fr. Blunschy. Korrespondenzbl. für Schweizer Ärzte, Nr. 20, 1908.)
Die Versuche wurden mit hirudinisiertem Kaninchen- und Mensehen-
blut angestellt, dem alle oder ein Teil der Blutkörper entzogen waren ;
venöses und arterielles Blut wurden getrennt behandelt. Außerdem wurde
die Viskosität von physiologischer Kochsalzlösung, der Plasma bezw. Blut¬
körper zugesetzt waren, untersucht. Es ergab sich, jemehr korpuskulare
Elemente, desto höhere Viskosität, und zwar in geometrischer Progression ; venöse
Blutkörper verursachen höhere Viskosität als arterielle, trotzdem ist das
venöse Blut weniger viskos, da es weniger Blutkörper enthält; Plasma
allein ist wenig viskos, ebenso Suspensionen von Blutkörpern in Kochsalz¬
lösung. *
Interessanter als diese Versuche an Kombinationen, die in der Natur
nicht Vorkommen, sind die Untersuchungen des Einflusses physiologischer
Umstände auf die Viskosität. ,, Nicht geahnt war das Erscheinen einer
ziemlich regelmäßigen Tageskurve“ — deshalb, weil Bl. die Arbeiten Haig’s
nicht kennt. Es fand sich ein Morgenmaximum von 9 — 11 Uhr und ein
Tagesminimum von 2 — 6 Uhr, was recht gut mit Haig’s Resultaten über¬
einstimmt. Bei zwei Personen, die den ganzen Tag im Bett blieben, blieb
die morgendliche Neigung aus; ob diese Beobachtung sich bei weiteren Ver¬
suchen bestätigt, bleibt abzuwarten (Ref.) Nahrungsaufnahme verminderte
die Viskosität; ein Marsch von 2,4 km mit 190 m Steigung, in 25 Min.
zurückgelegt ergab bei vier Personen eine Erniedrigung, bei zwei eine Er¬
höhung der Viskosität — es läßt sich daraus schließen, daß die letzteren
untrainiert oder körperlich schwächlicher als jene waren und daher durch
die ziemlich achtungswerte Leistung in einen Zustand unbehaglicher Er¬
müdung versetzt wurden (Ref.). Skifahren während 7 Std. auf einem 1500 m
hochgelegenen Terrain, ausgeführt von ,, ziemlich geübten Skifahrern“ be¬
wirkte bei allen eine bedeutende Herabsetzung der Viskosität, d. h. sie
fühlten sich freier und wohler als vorher, weil ihre kapillare Blutgeschwindig¬
keit höher war, was sowohl mit den Erfahrungen, die jeder an sich machen
kann, als mit Haig’s Befunden vorzüglich stimmt. Dagegen bewirkte for¬
cierte, im Zimmer geleistete Arbeit während ö/4 Std. eine Viskositätser¬
höhung — dieselbe ist teilweise auf Überanstrengung und Zimmerluft,
teilweise aber auch darauf zurückzuführen, daß das Wohlbehagen und die
höchste Leisuntgsfähigkeit, wie jeder Sportsmann weiß, erst in der zweiten
Stunde einsetzt. Bei Zirkulations- und Respirationskranken beobachtete B.
schon bei außerordentlich geringen Arbeitsleistungen eine beträchtliche Zu¬
nahme der Viskosität, d. h. sie ermatteten sehr bald und gerieten in einen
Zustand des Unbehagens, der auf starkem Zerfall von Körpersubstanz und
mangelhafter Elimination beruhte.
Hier haben wir also von seiten eines Untersuchers, der Haig nicht
kennt, eine schöne Bestätigung seiner Resultate. Mögen ähnliche Unter¬
suchungen die Brücken zwischen den nah verwandten Begriffen Viskosität
und Kollämie (Kapillargeschwindigkeit und -rückfluß) endlich vollenden !
(Vergl. auch das folgende Referat über die Arbeit von Kottmann über
den Aderlaß.) E. von den Velden.
i
Über den Aderlaß.
(K. Kottmann, Bern. Korrespondenzbl. für Schweizer. Ärzte, Nr. 22 u. 28, 1908.)
Es ist erfreulich, daß wieder einmal ein Universitätsangehöriger für
den lange verfemten Aderlaß eintritt. Seine Anwendung bei Lungenödem,
die nie ganz verlassen worden ist, erkennt K. an, aber auch bei der Pneu-
Referate und Besprechungen.
205
monie gibt er zu, daß bei Stauung im kleinen Kreislauf der ikderlaß
sehr günstig wirken könne. ,,Der Verlust an Erythrocyten wird reichlich
kompensiert durch die Ausschwemmung der in der Lunge vorher stagnie¬
renden und ungenügend verwerteten Blutelemente“, wodurch der hauptsäch¬
liche Einwand gegen die Anwendung des Aderlasses bei Pneumonie entkräftet
wird. Einer gedankenlosen Anwendung wird vorgebeugt, wenn man sich an die
Vorschrift hält, nur bei starker Stauung im Lungenkreislauf zu phlebotomieren.
Beim Hirndruck nach V erletzungen kann der Aderlaß oder spontane
Blutung vorübergehend günstig wirken und die nötige, Zeit zur Beobachtung
und eventuellen Operation schaffen, wofür besonders Kocher’s Autorität
anzuführen ist.
Bei erhöhtem Druck in der Pfortader ist die herabsetzende Wirkung
des Blutverlustes experimentell und die subjektiv günstigen, spontanen Blut¬
verluste („güldene Ader“) durch die Erfahrung erwiesen. Daß er bei über¬
fütterten Menschen mit Plethora abdominalis mit Nutzen angewendet wird,
bezweifelt K., indem er sich auf die ungünstigen Erfahrungen der Zeit,
die den Aderlaß häufig anwandte, beruft.
Bei Hitzschlag kann der Aderlaß die Wirkung der Wasserzufuhr
auf die Herabsetzung der Viskosität verstärken. Daß er hierzu geeignet
ist, hält K. durch die Versuche von Opitz für erwiesen und daß er zumal
bei örtlich gesteigerter Viskosität (z. B. bei Pneumonie) in Betracht kommt.
Er bezieht sich auf die Versuche von S oltmann, der gezeigt hat, daß
Viskosität der Durchströmungslösung der Niere und sezernierte Harnmenge
einander umgekehrt proportional sind und konstatiert die eigene Erfahrung,
daß nach dem Aderlaß die Diurese steigt. (Man sieht hier, wie weit sich
die Begriffe Viskosität, wie der Zustand bei den „exakten“ Untersuchern
heißt, und Kollämie, wie er von Haig benannt wird, einander decken; man
muß an die zweierlei Namen denken, die bei Homer die Götter und die sterb¬
lichen Menschen für dieselbe Sache haben.)
Nach dem Aderlaß wird die verlorene Flüssigkeit durch Lymphe er¬
setzt, welche auch etwa vorhandene toxische Stoffe ins Blut führt und
ihre Ausscheidung ermöglicht. So erklärt K. die günstige Wirkung des
Aderlasses bei der Urämie, den er selbst wiederhollt beobachtet hat. Ob
er von Dauer ist, hängt natürlich vom Zustand der Nieren ab. Das bei
unter urämischen Erscheinungen Verstorbenen beobachtete Gehirnödem er¬
klärt er als Folge der Überfüllung des Gehirns mit Stoffwechselprodukten
und Kochsalz, welche wasseranziehend wirken, um den osmotischen Druck
auszugleichen. Davon, daß bei der Eklampsie die Blutentziehung, die
mit der forcierten Entbindung gewöhnlich verbunden ist und nicht diese
selbst das wirksame ist, ist K. so sehr überzeugt, daß er bei unblutiger
Entbindung den Aderlaß zuzufügen rät.
Auch den Dyes’schen Aderlaß bei Chlorose, mit dem neuerdings
von Noorden gute Erfolge erzielt hat, erkennt K. an, doch komme man
gewöhnlich ohne ihn aus.
Bei schweren Anämien ist in einzelnen Fällen durch den Aderlaß
ein günstiger Einfluß erzielt worden, man muß daher K. beistimmen, wenn
er ihn für desperate Fälle empfiehlt.
Sehr interessante Beobachtungen stellt K. über die Beziehungen des
Aderlasses zu den weißen Blutkörpern und zur Immunisierung und
Entzündung an, welche wahrscheinlich machen, daß „in gewissen Fällen
durch den Aderlaß die schutzbringende Wehrkraft des Knochenmarkes er¬
höht wird“. Auch hier zeigt sich ein sehr erfreuliches Zurückgreifen auf
die Erfahrungen früherer Ärztegenerationen und ein Versuch, ihre Befunde
mit den neueren Untersuchungen in Einklang zu bringen und zu begründen.
Für die Technik empfiehlt K. die auch anderwärts benutzte, mit einem
Gummischlauch verbundene Hohlnadel. 100 ccm nennt er einen kleinen,
500 ccm einen großen Aderlaß (bei Erwachsenen). Auch Blutegel und blutige
Schröpfköpfe wendet er gelegentlich an. F. von den Velden.
206
Referate und Besprechungen:
Die Herabsetzung der körperlichen Entwickelung der Landbevölkerung.
(G. Stille, Stade, Ther. Rundsch. Nr. 49, 1908.)
Im Hinblick auf die vom Kultusministerium angeordnete Enquete, ob
die sich immer weiter ausbreitende Molkereiwirtschaft für die mancher^
orts beobachtete Konstitutionsverschlechterung der Landbewohner verantwort¬
lich zu machen sei, weist Stille darauf hin, daß diesem Faktor der Milch¬
entziehung wohl nur ein kleiner Anteil an dem Zustandekommen jenes Übel¬
standes zuzuschreiben sei. Vielmehr komme hier in Betracht:
1. Der zunehmende Abfluß gerade der geistig und körperlich leistungs¬
fähigsten Landjugend nach den Industriezentren.
2. Die wachsende künstliche Säuglingsernährung.
3. Die Abnahme der vegetabilischen und die Zunahme der „kräftigen“
Fleischkost, der kaffeeartigen und alkoholischen Getränke, der Ersatz des
guten schwarzen Vollbrots durch das „leichtverdauliche“ Weißbrot.
4. Die Art des jetzigen Schulbetriebs gegenüber der früheren ländlichen
Winterschule.
Für einen Teil der heutigen schädlichen Ernährungsgewohnheiten hat
die Wissenschaft die Verantwortung zu tragen infolge der durch sie so weit
verbreiteten Überschätzung des Eiweißes und der Leichtverdaulichkeit.
_ _ Esch.
Das Farbensehn und seine Beziehungen zu den andern Sinnen.
(G. Arbour Stephens. The Practition, Nr. 4, Bd. 31, 1908.)
Das interessanteste an diesen sehr problematischen Auseinandersetzungen
scheinen dem Ref. die Mitteilungen des Verf. über elektrische Ströme, die
beim Exponieren photographischer Platten auftreten, über Schwärzung von
Platten durch elektrische Ströme und über die Sensibilisierung photographischer
Platten dadurch, daß man sie zum Ertönen bringt, zu sein. Stephens
schließt daraus, daß Schall, Licht und die (mit letzteren als wesensgleich an¬
genommenen) Herz’schen Wellen ihre Wirkungen durch Erhöhung der Lei¬
tungsfähigkeit und durch Umlagerung kleinster Teile hervorbringen; die
Änderung der Leitungsfähigkeit des empfindenden Organs schließt den Strom¬
kreis zwischen ihm und dem Gehirn. Licht, Wärme und Schall erklärt er
für bloße Bewegungsformen und deshalb (!) für des Übergangs ineinander
fähig; auf diese Weise findet er das farbige Empfinden von Tönen (er¬
klärlich.
Ob das nur geistreiche Spielereien und Vergleiche von Dingen sind,
die nicht verglichen werden können, oder ob sie die Vorgänge bei der
Empfindung dem Verständnis näher bringen, mögen die Physiologen ent¬
scheiden. F. von den Velden.
Einige seltene Fälle von Idiosynkrasie.
(J. Märer, Szesceny. Allgem. Wiener med. Ztg., Nr. 46, 1908.)
Unter Hinweis auf seine Veröffentlichungen über Kokain- und Jodo¬
formidiosynkrasie berichtet Verf. von einer Überempfindlichkeit gegen Hg.
praec. alb., das bei einer Patientin mit Blepharokonjunktivitis in Form einer
2,5%igen Vaselin-Lanolinsalbe angewandt, zu fünf verschiedenen Malen stets
Entzündung und Ödem der Augenlider verursachte. (Ref. möchte bei dieser
Gelegenheit an die Berichte über Schädigungen durch Vaseline allein erinnern;
vielleicht kommen nach Verunreinigungen derselben in Betracht.)
Des weiteren sah Märer 1889 schweren Kollaps und Somnolenz bei
einem 6 jährigen Kinde, das ein Ipecacuanhainfus mit drei Tropfen Opium
erhalten hatte. Er beobachtete den Patienten weitere 19 Jahre lang und
konnte noch 1907 bei dem athletisch gebauten, durchaus nicht nervösen Manne
nach einigen Milligram Opium akute Vergiftung feststellen.
Nach Antipyrin (dreimal 0,5 g) entstand bei einer Patientin außer der
bekannten Urtikaria starke Schwellung der Lider und der Zunge, bei einem
Patienten zweimal Herpes progenitalis. Esch.
Referate und Besprechungen.
207
Über Luftinjektionen.
(Löwenthal, Braunschweig. Med. Klinik, Nr. 4, 1908.)
R. verwendet seit 2 Jahren zur Behandlung chronisch entzündlicher
Veränderungen an Nervenstämmen, an Muskeln, an Bändern und Knochen¬
vorsprüngen, ferner zur Behandlung von Neuralgien ohne entsprechende anato¬
mische Grundlage, die Injektion von steriler Luft in das CJnterhautzell-
gewebe, von der Vorstellung ausgehend, daß das über dem erkrankten
Nerven usw. sich bildende Luftpolster nach Art eines Luftkissens, diese vor
Einwirkungen äußeren Druckes schützt, sowie daß eine Entlastung tiefer
liegender Gewebsteile vom Druck durch überlagernde Weichteile stattfindet,
also z. B. wo straffe Haut auf Knochen drückt, deren Periost entzündlich
verändert ist. — Am geeignetsten für eine derartige Behandlung erwiesen sich
Fälle von Ischias, weniger deutliche Resultate wurden bei Intercostalneuralgien
erzielt, dagegen wurden Fälle von sogenannter Kokzygodynie sehr günstig
beeinflußt. — Statt gewöhnlicher Luft kann auch Sauerstoff verwandt wer¬
den, doch sah L. davon keine besonderen Vorteile, während über die Ver¬
wendung von C02, die einen kräftigen Reiz auf sensible Nerven ausübt, die
Versuche Verf.’s noch nicht abgeschlossen sind. — Der zur Inj. nötige Apparat
kann leicht improvisiert — Kanüle einer Pravazspritze, die unter Einschaltung
eines kleinen in einem Glasrohr befindlichen Wattefilters mit dem Schlauche
eines Gummigebläses verbunden wird — oder aber vom Instrumentenmacher
C. Weich- Braunschweig bezogen werden. — Wieviel Luft er jedesmal in¬
jiziert, sagt Verf. nicht; die Resorption der injizierten Luft geschieht lang¬
sam innerhalb von 3 — 8 Tagen. Bei Ischias werden wöchentlich 1 — 2 Injek¬
tionen gemacht. — Die Methode ist in Frankreich bereits seit längerer Zeit
bekannt und wurde von Schultze auf dem Kongreß für innere Medizin
im Jahre 1907 gelegentlich seines Vortrages über die Behandlung der Neu¬
ralgien erwähnt. R. Stüve (Osnabrück).
Formalin gegen Mücken.
(Delamare, Gaz. med. de Paris, Nr. 21, S. 19, 1908.)
In den Archives de med. milit. empfiehlt Delamare als erprobten
Schutz gegen Stechmücken eine 10% Formalinlösung. Stellt man einige
damit gefüllte Teller im Zimmer und an den Fenstern auf, so sammeln sich
da die Mücken (namentlich wenn man noch ein Nachtlicht in den Tellern
anbringt) und gehen zugrunde, sobald sie ihre Rüssel eingetaucht haben.
In einem Saal von 520 qm wurden auf diese Weise 4000 Stück im Tag
erlegt.
Versuche, die Anziehungskraft der Formalinteller mit Llonig, Zucker
und dergl. zu erhöhen, sind fehlgeschlagen.
Die Kranken, die früher in der heißen Zeit von den Mücken aufs
äußerste gequält wurden, konnten nunmehr ruhig schlafen.
Auch in Deutschland gibt es meines Wissens genug Orte, an denen
sich der Vorschlag erproben ließe. Buttersack (Berlin).
r < _
Bakteriologie und Serologie.
Zu welchen Schlüssen berechtigt die Wassermann’sche Reaktion?
(Fritz Leßer. Med. Klinik, Nr. 9, 1908.)
Aus den Untersuchungen Leßer’s ergibt sich folgendes: ,,Bei der
Mehrzahl der Syphilitiker spielen sich in späten Jahren nach der Infektion
syphilitische Krankheitsprozesse ab, die der klinischen Diagnostik meist ent¬
gehen (z. B. Orchitis fibrosa, Lebergummata usw.). Es spricht alles dafür,
daß eine positive Wassermann’sche Reaktion einen bestehenden syphili¬
tischen Prozeß im Organismus anzeigt. Eine negative Serumreaktion beweist
nicht, daß die Syphilis ausgeheilt ist. Tabes und Paralyse sind als besonderes
208
Referate und Besprechungen.
Stadium der Syphilis, als quartär -syphilitische Erkrankungen zu betrach¬
ten. — Die Quecksilberhehandlung (besonders die protrahierte) scheint die
Serumreaktion zu beeinflussen und negativ zu gestalten. Ob dadurch spätere
Rezidive der Syphilis und eine damit Hand in Hand gehende spätere von
neuem positive Reaktion verhütet werden, ist noch unentschieden.
R. Stüve (Osnabrück).
Geißelfäden an den Spirillen des Rekurrens- und des Zeckenfiebers.
(Prof. Fraenkel. Zentralbl. für Bakt., H. 4, Bd. 47, 1908.)
Zur Herstellung guter Blutpräparate empfiehlt Verf. folgendes Ver¬
fahren :
1. Schütteln des Blutes mit Glasperlen,
2. Befreien desselben von den Blutkörperchen mit der Schleuderma¬
schine.
3. Rest mit sterilisierter NaCl-Lösung zentrifugieren und zwar so lange,
bis die Spirillen als feine grauweiß aussehende Schicht auf dem
Boden des Röhrchens liegen.
4. Ausstreichen auf dem Deckglase,
5. Fixieren in der Flamme,
6. Färben,
a) Beizen mit gerbsaurem Antimonoxyd,
b) Versilberung mit Äthylaminsilberlösung.
Mittelst dieser Methode ist es Verf. gelungen, nicht nur bei den Schrau¬
ben des Zeckenfiebers, sondern auch bei denjenigen des amerikanischen und
des europäischen Rekurrensfiebers Cilien aufzufinden. Beigefügte Mikropho¬
tographien geben ein gutes Bild von den seitenständigen Geißeln.
W. Schürmann (Düsseldorf).
Bakterienanaphylaxie.
(Kraus u. Doerr. Wiener klin. Wochenschr., Nr. 28, 1908.)
Werden Meerschweinchen mit abgetöteten Kulturen bezw. mit Extrakten
von Kulturen (Dysenterie, Typhus, Cholera usw.) vorbehandelt, so ruft eine
nach 20 Tagen intravenös verabreichte, an sich nicht tödliche Dosis des¬
selben Virus sofort schwere, meist tödliche Krankheitserscheinungen hervor.
Auch die Injektion des Serums vorbehandelter Tiere überträgt die Anaphylaxie,
so daß nun eine Einspritzung die beschriebenen Folgen hat. Erhitzen der
Kulturextrakte zerstört den anaphylaktisierenden Körper nicht und durch
Mischen des Extraktes mit dem betr. Serum läßt er sich nicht neutralisieren.
Die anaphylaktische Reaktion ist streng spezifisch. E. Oberndörffer.
Die Bindungsverhältnisse der Organgewebe gegenüber Toxinen und ihre
klinische Bedeutung für Inkubation und natürliche Immunität.
(Dr. A. Wolf f-Eisner. Zentralbl. für Bakt., H. 1 u. 2, Bd. 47, 1908.)
Rezeptoren für das Tetanusgift enthält nicht nur das Gehirn, das
empfindlichste Organ; sie sind im Körper auch sonst weit verbreitet. Man
hat die Rezeptoren fast in allen Organen empfindlicher und refraktärer
Tiere wie Huhn und Frosch gefunden. Eine antitoxische Immunität tritt
nicht ein, wenn nur im Gehirne (Meerschweinchen) Rezeptoren vorhanden
sind. Als Bildungsstätten des Antitoxins faßt Verfasser die unempfindlichen
Organe auf. Es sind gewissermaßen zwischen der Gifteintrittspforte und
dem empfindlichen Organ (Gehirn) Körper als Filter eingeschaltet, die
eine lange Inkubationszeit bewirken. Nicht im Serum, sondern in den Or¬
ganen ist die Ätiologie der natürlichen Immunität zu suchen. Die Organe
halten einerseits das Gift fest, andererseits zerstören sie es auch.
Schürmann (Düsseldorf).
Referate und Besprechungen.
209
Die Komplementbindung als Hilfsmittel der anatomischen Diagnose.
(L. Pick u. A. Proskauer. Med. Klinik, Nr. 15, 1908.)
Die Verf. haben die Wassermann’sche Methode zur Diagnose der
Syphilis an der Leiche und am chirurgischen Präparat benutzt und es hat
sich die Methode auch hier, trotz gelegentlicher „Versager“ als eine unter
Umständen sehr 'wertvolle Ergänzung der pathologisch -anatomischen Unter¬
suchung erwiesen, sei es für die Aufklärung des einzelnen Falles, sei es
für die Lösung grundsätzlicher anatomischer Fragen.
R. Stüve (Osnabrück).
Über bakterielle Hämagglutination.
(Dr. G. Gupot. Zentralbl. für Bakt., H. 5, Bd. 47, 1908.)
Das Resume seiner Arbeit ist folgendes :
Rote Blutkörper verschiedener Tierarten werden sämtlich von Koli-
stämmen in gleich intensiver Weise agglutiniert. Die bakteriellen Häm-
agglutinine sind keine Endotoxine, Sektretions- und Exkretionsprodukte der
Bakterien, sondern die Hämagglutination tritt als besondere Reaktion auf,
die Körper an Körper zwischen Bakterien und roten Blutkörperchen statt¬
findet. Die hämagglutinierende Fähigkeit behalten die mit Eormalin abge¬
töteten Bakterien bei ; sie ist also nicht eine vitale Eigenschaft des Bakte^
riums. Eine Spezifität der bakteriellen Hämagglutinine ist ausgeschlossen,
da die hämagglutinierende Eigenschaft der Bakterien für alle roten Blut¬
körperchen dieselbe ist, Schürmann (Düsseldorf).
Kinderheilkunde und Säuglingsernährung.
Über die Fortschritte in unseren Kenntnissen auf dem Gebiete der
Säuglingskrankheiten.
(Schloß mann. Deutsche med. Wochenschr. Nr. 40, 1908.)
In einem rhetorisch glänzendem Vortrage blickt Schloßmann zu¬
rück auf die letzten 25 Jahre dieser jungen Wissenschaft, die sich in den
Vordergrund des allgemeinen ärztlichen und sozialen Interesses gestellt hat.
Trotz reichsten Eorschens ist noch kein allgemein gültiges Urteil in der
Milchernährungsfrage erreicht. Noch nicht ist man sicher, welchen Bestand¬
teil der Milch man als Schädling bezeichnen soll. Aber der alten hohen
Meinung von der Muttermilch ist wieder energisch auf die Beine geholfen,
der Irrglaube der physischen Degeneration der weiblichen Brust ist ener¬
gisch widerlegt. Die Magen-Darmkrankheiten sind neu rubriziert, doch noch
nicht in bestimmte Schemata gezwängt, sie werden nicht mehr als lokali¬
sierte Affektionen des Digestionstraktus angesehen, ihre Bedeutung und ihr
Wesen liegt im intermediären Stoffwechsel. Was haben wir weiter von der
Tuberkulose gelernt: Wir kennen jetzt ihre Häufigkeit bereits im Säuglings¬
alter und am Ende desselben, ,sie ist oft in der Kindheit erworben, latent
geworden und später wieder manifest. Sie muß und kann bereits in der
Kindheit verhütet, behandelt und geheilt werden. Wie nützt in diesen Fragen
die moderne Verwendung des Tuberkulins als Hautreagens ! Ein weiteres
sozial so enorm wertvolles Arbeitsfeld hat die moderne Pädiatrie angelegt
und kultiviert: Die große Säuglingssterblichkeit ist ein kulturwidriger Fak¬
tor, ein beängstigendes Symptom völkischen Verfalles, da muß vorgebeugt
und verhütet werden. Milchküchen, Beratungsstellen, Mutterschutz, Säug¬
lingsfürsorge, Ziehkinderwesen, Stillprämien, Fabrikkrippen sind neue Be¬
griffe und institutionelle Errungenschaften der modernen Pädiatrie. Doch
das wichtigste für diese sozialen Bestrebungen ist eine gute Ausbildung der
Ärzte in der Pädiatrie und derer, die es werden wollen, Studierende und
praktische Ärzte müssen reichlich Gelegenheit dazu bekommen, erstere müssen
14
210
Referate und Besprechungen.
gezwungen und geprüft werden, letztere müssen reichlich in Kursen ihr
Wissen vergrößern und ausbilden können. Das ist der Fall. Denn die deut¬
sche Säuglingsheilkunde nimmt nicht nur auf dem Gebiete der Forschung,
sondern auch in den vielen glänzend ausgestatteten, physiologisch-chemischen
und klinischen Anstalten und nicht minder mit deren Leitern den ersten
Platz überhaupt ein. Krauße (Leipzig).
Die Behandlung des Säuglingsekzems nach Finkeistein.
(Rudolf Yirchow u. K. H. Mendelssohn. D. med. Wochenschr., Nr. 42, 1908.)
Beim Säuglingsekzem im Gesicht und auf dem Kopfe spielen Störungen
der Ernährung und Konstitutionsanomalien eine Rolle. Das ist feststehend,
deshalb wird heutzutage allgemein eine diätetische Behandlung: kein
Zuviel, Ersatz der Milchnahrung z. T. durch Vegetabilien) in den Vorder¬
grund gestellt. Finkeistein beschuldigte mehr die Molkensalze, deren ge¬
störte Verarbeitung den Reizzustand der Haut unterhalten soll: er verord-
nete salzarme, fett- und eiweißreiche Kost. Seine Vorschrift lautet: 1 Liter
Milch wird mit Pegnin oder Labessenz ausgelabt. Von der Molke wird
nur ein Vö’ mit Haferschleim auf das ursprüngliche Volumen aufgefüllt.
Das derbe Gerinnsel wird durch ein Haarsieb gerührt, mehrfach mit Wasser
gewaschen und dann der Molkehaferschleimmischung zugesetzt ; dazu kommen
noch 40 — 50 g Zucker. Die meisten Autoren erkennen mit F. an, daß
Rötung und Nässen bald schwinden und die Heilung in 2 — 3 Wochen unter
relativ schonender externer Behandlung erfolgt. Verf. ging noch schroffer
vor, er schloß die Molkensalze völlig aus, natürlich nur für kürzere Zeit.
Außer einem beträchtlicheren Gewichtsabfall wurden die zumeist pastösen
Kinder nicht alteriert. Natürlich muß allmählich die Nahrung wieder so
eingerichtet werden, daß das Gewicht nicht mehr zurückgeht.
Krauße (Leipzig).
Pseudochlorose der Säuglinge.
(Hutinel, Paris. La med. mod., Nr. 15, u. Allgem. Wiener med. Ztg., Nr. 37 u.
38, 1908.)
Die Anämie der Säuglinge vom chlorotischen Typus, so führt LI. aus,
geht ohne merkliche Abmagerung mit sehr blasser, graugrünlicher Gesichts¬
farbe, Apathie, Dyspnoe, mangelhafter Verdauung, chronischen Herz- und
Gefäßgeräuschen einher. Die Zahl der roten Blutkörperchen ist kaum, der
Hämoglobingehalt dagegen beträchtlich vermindert: Die Darreichung von Eisen
(Fe „protoxalat“ morgens und abends 0,059) übt eine wunderbare Wirkung:
die Zahl der roten Blutkörper und der Hömoglobingehalt steigen rapid, erstere
sogar vorübergehend über die Norm. Dieses wohlcharakteristische Leiden
hat insofern Ähnlichkeit mit der Chlorose, als bei beiden Affektionen Er¬
nährungsstörungen ätiologisch in Betracht kommen. Störungen der häma-
topoetischen Funktion sind bei weitem nicht so häufig als vermehrte De¬
struktion der roten Blutkörperchen, Hämatolyse, die auf toxischem Wege
zustande kommt (Tissier). Vor allem handelt es sich um intestinale und um
von Parasiten erzeugte Gifte. Von letzteren beobachtete H. eine durch Tri-
chocephalus hervorgerufene Anämie bei einem 5jährigen Kinde; von be¬
sonderem Interesse aber war die Anämie eines 1jährigen Brustkindes, dessen
Mutter an Tänia litt. Weiterhin sieht man hereditäre Anämie, oft Kom¬
plikation mit Rachitis, die H. ebenfalls auf ein im Verdauungs¬
kanal erzeugtes Gift zurückführt. Ätiologisch kommt auch noch Lues,
Malaria usw. in Betracht. Als Akjrodermie wird eine Affektion bezeichnet,
die mit gelbgrünem Teint bei normalem Blutbefund einhergeht und auf
Aplasie, übermäßige Kleinheit der Hautgefäße zurückzuführen ist. Anämie
perniziösen Charakters kommt in den zwei ersten Lebensjahren wegen der
lebhaften Blutbildungsprozesse nicht vor. Esch.
Referate und Besprechungen.
211
Die Leukozytose beim Keuchhusten mit einer Analyse von 112 Fällen.
(F. F. Crombie, Edinburg. Edinb. med. Journ,, H. 9 u. Allgem. Wiener med.
Ztg., Nr 39 u. 40, 1908.)
Crombie teilt seine 112 Fälle in 10 Kategorien und schließt .aus
seinen, im Original detailliert angegebenen Beobachtungen, daß die bei Keuch¬
husten stets zu findende Vermehrung der Lymphozyten ein einfaches und
verläßliches Mittel zur Diagnose des Leidens während des frühen und sehr
infektiösen Stadiums sei, also vor der Entwicklung der typischen Symptome
und zu einer Zeit, wo die Isolierung noch wirksam ist. Außerdem sei die
Blutuntersuchung auch ein wichtiges Hilfsmittel der Prognose, insofern als
die Leukozytose entsprechend der Schwere der Krankheit variiere.
Esch.
Zervikale und submaxillare Adenitis nach Diphtherie.
(J. D. Rolleston, London. The brit. journ. of childr. dis., Okt. 1908.)
Während die sekundäre Adenitis bei Scharlach eine wohlbekannte Er¬
scheinung ist, hat dieselbe Affektion bei der Diphtherie bisher wenig Be¬
achtung gefunden, trotzdem sie nach R.’s Erhebungen in ca. 2,58% der
Fälle vorkommt. Auf Grund seiner Beobachtungen an 1530 Diphtheriefällen
aus den letzten sechs Jahren gelangt er zu folgenden Schlüssen:
1. Die Affektion kann eintreten entweder als Folge der Serumtherapie
oder, weniger häufig und zu einer späteren Zeit, unabhängig von derselben.
2. Serumadenitis tritt häufiger ein nach schwerer als nach leichter
Angina. „Späte“ Adenitis hat keine Beziehungen zum Charakter der Initial¬
attacke. i
3. Serumadenitis kann in jedem Alter Vorkommen, späte Adenitis ist
auf die ersten Lebensjahre beschränkt. .
4. Die späte Diphtherieadenitis geht im Gegensatz zu der bei Scharlach
nicht mit Nephritis oder beträchtlichen Allgemeinstörungen einher.
5. In der Regel heilt die Adenitis völlig aus, Vereiterung tritt nur aus¬
nahmsweise ein, noch seltener ist chronische Hyperplasie.
6. Serumadenitis erkennt man am Vorhandensein anderer Serumerschei¬
nungen. Bei der Diagnose der späten Adenitis muß Tonsillitis, Diphtherie¬
rezidiv, akutes Exanthem ausgeschlossen werden.
7. Adenitis nach Diphtherie hat im Gegensatz zu der initial auf tretenden
keine prognostische Bedeutung. Esch.
Hautkrankheiten und Syphilis. — Krankheiten der Harn- und
Geschlechtsorgane.
Dühring’sche Krankheit mit Schleimhautlokalisation.
(Garei. Rev. hebd. de lar., Nr. 38, 1808.)
Dühring’sche Krankheit ist eine seltene Hautaffektion, als „herpeti-
forme“ oder „polymorphe, pruriginöse Dermatitis in Schüben“ bezeichnet;
sie ist nicht kongenital, charakteristisch ist für sie das Auftreten in immer
neuen, ungleich" intensiven Schüben. Es. bilden sich rote, erhabene Flecke
oder Blasen, die intensiv jucken. Der Fall des Verf. zeigte intensive Kon¬
junktivitis mit Verdickung und polypoiden Granulationen rechts, Ver-
lötung des unteren Konjunktivalsacks links. Schlund und Kehlkopfvorraum
waren intensiv rot mit weißlichen, deckenden Membranen. Daneben kam
und ging Hautaffektion bald an der unteren, bald an der oberen Körperhälfte.
Behandlung bestand in Arsen, Chinin, Ergotin. Die Prognose ist ernst, die
Krankheit kann jahrelang dauern und endet meist durch Lungenkomplikation.
Arth. Meyer (Berlin).
14*
212
Referate und Besprechungen.
Über eine St. Galler Mikrosporie-Epidemie.
(R. Zollikoferu. O. Wenner. Korrespondenzbl. für Schweizer Ärzte, Nr. 17, 1908.)
In St. Gallen hat sich in den letzten Monaten eine kleine Herpes
tonsurans- Epidemie (45 Fälle) gezeigt, bei der das Mikrosporum lanosum
als konstantes Vorkommnis in den Haarbälgen nachgewiesen wurde. Das¬
selbe ist erst vor kurzem von Sabouriaud (Paris) als menschlicher Parasit
entdeckt und mit dem schon länger bekannten M. canis identisch. Die
Übertragung geschah von Person zu Person bei Hausgenossen (nicht bei
Schulkindern) und auch von der Katze und dem Hunde auf den Menschen.
Im V erlauf gleicht die Erkrankung sehr dem Herpes tonsurans, spontane
Heilung scheint vorzukommen und der Ersatz der ausgefallenen Haare ist
ein vollkommener. Die Hauteffloreszenzen heilten unter beliebiger antipara¬
sitärer Behandlung in einigen Tagen oder Wochen, die Haaraffektion erwies
sich als hartnäckiger, doch brauchte das remedium anceps der Röntgenstrahlen
nicht angewandt zu werden, andauerndes Feuchthalten, auch Salbenverbände
oder wässerige Lösungen (denen Präzipitat, Resorcin, Napthol bezw. Soda
zugesetzt war) genügten. Die Heilung erforderte 3 Wochen bis 4 Monate.
F. von den Velden.
Die Behandlung der Syphilis.
(M. v. Zeißl. Med. Klinik, Nr. 15, 1908.)
Aus den Mitteilungen Zeißl’s ist zu entnehmen, daß die alte Lehre
von der Nicht-Infektiosität des Gumma syphiliticum nicht mehr zu recht
besteht; hierauf deuten sowohl klinische Beobachtungen Zeißl’s (ein ge¬
sunder Arzt bekam von einem Gumma einen Primäraffekt in der linken
Hohlhand) und Anderer, als auch neuerdings die Ergebnisse des Tierexperi¬
mentes hin. — Zeißl ist ferner ein Gegner der sogenannten intermittieren¬
den Luesbehandlung. Er leitet auch eine Quecksilberbehandlung der Lues
erst nach Auftreten sekundärer Erscheinungen ein, also nicht gleich bei vor¬
handenem Primäraffekt. Für die ‘Art der Quecksilberbehandlung bevorzugt
Zeißl im allgemeinen die Einreibung, wendet bei subkutaner Behandlung
nicht die unlöslichen Quecksilberpräparate, sondern das Succinimid- Queck¬
silber (eventuell mit Kokainzusatz) an. Alkohol und Tabak sind dem Lue¬
tiker, zumal während der Behandlung, strengstens zu verbieten. Die bei weitem
größere Häufigkeit der Fälle von Hirn- und Nervenlues (einschließlich Spät¬
formen) in den europäischen Ländern gegenüber dem Orient, wo die Lues
noch dazu meist ungenügend behandelt wird, scheint dafür zu sprechen, daß
Alkohol und intensivere geistige Arbeit bei der Entstehung der Lues des
Zentralnervensystems eine Rolle spielen. — Atoxyl und Jodeisen haben Zeißl
als wertvolle Roborantia in der Luesbehandlung gute Dienste geleistet. Das
erstere ist nur als solches von Wert, nicht als Antisyphiliticum sensu stric-
tiori. — Auf die Wichtigkeit der allgemeinen Behandlung (Hebung der
Ernährung) wird nachdrücklich hingewiesen, ferner die Bedeutung der Schwefel¬
bäder und Gebrauch des alten Zi ttmann’schen Dekoktes in der Behandlung
der Lues und namentlich bei Gegenwart von Quecksilber im Harn wird
hier betont. R. Stüve (Osnabrück).
Über die Behandlung der Syphilis mit Mergal.
(Med. Rat Dr. Kortüm. Korrespondenzbl. des allgem. Mecklenburg. Ärztevereins
E. V., Nr. 285, 1908.)
Von Boß-Straßburg ist unter dem Namen Mergal ein Quecksilber¬
präparat zur internen Behandlung der Syphilis in die Praxis eingeführt
worden. Jede Mergalkapsel enthält 0,05 cholsaures Quecksilberoxyd und
0,1 Albuminum tanninum. Boß ließ anfangs dreimal täglich eine Kapsel
nach dem Essen nehmen und stieg, namentlich bei schweren Fällen, bis zu
vier bis fünfmal täglich zwei Kapseln. Von 30 damit behandelten Fällen
Referate und Besprechungen.
213
bekamen nur drei eine leichte Stomatitis, in sechs Fällen traten leichte
Magendarmstörungen ein, ohne daß jedoch ein Aussetzen der Kur notwendig
gewesen wäre. Auf Grund seiner Erfahrungen hält Boß das Präparat bei
allen sekundären und tertiären Formen, sowie bei parasyphilitischen Er¬
krankungen (Tabes, progressiver Paralyse) für angezeigt.
Angeregt durch die weiteren günstigen Berichte von Saalfeld, Fröh¬
lich, Nagelschmidt hat Kortüpi das Mergal bei 23 Patienten (15 frische
Fäll©, 7 -Spätformen, 1 frischer Fall mit malignem Charakter) in Anwendung
gebracht und gab durchschnittlich 300 — 350 Kapseln pro Kur, die Behand¬
lungsdauer betrug bei frischen Fällen, 24 — 60 Tage, bei Spätformen 18 bis
80 Tage. Auf Grund seiner Beobachtungen kommt Verfasser zu dem Resul¬
tate, daß Mergal in allen Formen von Syphilis die besten Dienste leistet.
Wesentliche Störungen des Verdauungsapparates wurden nicht wahrgenom¬
men, Stromatitis trat nur in wenigen Fällen und ganz leicht auf. Die Wir¬
kung ist ebenso prompt wie die der Inunktions- oder Injektionskur, Rück¬
fälle sind nicht häufiger als bei der Schmierkur.
Carl Grünbaum (Berlin).
Über schmerzlose, Intramuskuläre Quecksilberinjektionen mit besonderer
Berücksichtigung eines Quecksilbernatriumglyzerates.
(Dr. H. Mayer, Berlin. Monatschr. für prakt. Derm., Bd. 46, 1908.)
Um. die, wie allgemein anerkannt, unentbehrliche Injektionstherapie bei
Lues schmerzlos zu gestalten, sind verschiedene Methoden angegeben worden.
Man hat versucht, durch Zusatz von indifferenten Substanzen zur Injektions¬
flüssigkeit wie Kochsalz, oder 0,5 °/0 Harnstoff zur l%igei1 Sublimatlösung
die Schmerzhaftigkeit herabzusetzen oder man hat Lokalanästhetica wie Novo¬
kain, Akoin zugesetzt, wie bei Korrosol (Quecksilbersalz der Bernsteinsäure
und Methylarsensäure mit Zusatz von Novokain) und Injektion Hirsch
(1% Hydrarg. oxycyanatum mit 0,5 % Akoin) oder man hat sich bemüht
Quecksilbersalze zu finden, wie Merkuriolöl, die keinen Reiz und auch
keinen Schmerz an der Injektionsstelle hinterlassen.
Am wenigsten wird man durch Zusatz eines Lokalästheticum erreichen,
denn sobald die immer nür einige Stunden anhaltende Wirkung auf die
Nervenendigungen aufhört, treten die Schmerzen infolge der Gewebsver¬
änderung an der Injektionsstelle ein. Aber auch Zusätze von Kochsalz oder
Harnstoff sind nicht imstande, die Tage, ja sogar 1 Woche lang bestehenden
Knotenbildungen, wie bei Sublimatkochsalzlösung, zu verhindern. Zweifellos
entstehen die Schmerzen dadurch, daß die eingespritzte Substanz als Fremd¬
körper wirkt, bei den unlöslichen Quecksilbersalzen direkt, bei den lös¬
lichen indirekt durch die Verbindung des Salzes mit dem Gewebseiweiß.
Während die bisher benannten Injektionsmittel nicht nur nicht schmerz¬
los wirken, sondern auch andere Nachteile und unangenehme Nebenerschei¬
nungen haben, muß von einem idealen Injektionsmittel verlangt werden:
„1. Schmerzlosigkeit der Injektionsstelle während und nach der In¬
jektion ;
2. energische Wirkung auf die Krankheitsprodukte;
3. das Ausbleiben von Nebenerscheinungen;
4. unbegrenzte Haltbarkeit der Lösung.“
Diese Forderungen erfüllt ein Quecksilberpräparat, welches Mayer
während D/2 Jahren an der dermatologischen Abteilung des städtischen Kran¬
kenhauses in Charlottenburg und in seiner eigenen Praxis erprobt hat. Es
ist ein Quecksilbernatriumglyzerat, dessen Lösung Mergandol genannt wird
und welches in 1 ccm Glyzerin 0,0035 Quecksilber enthält. Verf. hat damit
104 Injektionskuren mit zusammen 2080 Injektionen ausgeführt; jede Kur
bestand aus 20 Injektionen; a 2 c'cm, die jeden zweiten Tag gegeben wurden.
Zur Injektion dienten Platin-Iridiumkanülen mit 3 — 3V2 cm langen dünnen
Nadeln. Vor dem Gebrauch wurden Spritze und Nadel ausgekocht, nachher
mit Alkohol durchgespült.
214
Referate und Besprechungen.
Es ist ratsam, recht langsam einzuspritzen und während des Ein-
spritzens die Kanüle allmählich um einen halben Zentimeter zurückzuziehen.
Wie Verfasser beobachten konnte bestanden in keinem Ealle Klagen
der Patienten über Schmerzen während oder nach der Injektion und auch
objektiv konnte nach einer Kur von ,20 Injektionen ä 2 ccm bei keinem
Patienten eine Druckempfindlichkeit, eine Induration oder Infiltration nach¬
gewiesen werden; die Nates fühlten sich an wie normale Nates.
Die Wirkung der Mergandolkur war derart, daß gewöhnliche syphi¬
litische Hauterscheinungen (Exantheme, Papeln an den Genitalien) Schleim¬
hauterscheinungen nach drei Injektionen = 0,021 Hg. verschwunden waren.
Bei 103 Patienten verlief die Kur ohne alle Nebenerscheinungen, nur in
einem Falle trat am Tage der Injektion mäßiger Durchfall ein, der jedoch
am Tage der nächsten Injektion wieder aufgehört hatte. Pat. hatte jedoch
eine starke Idiosynkrasie gegen Quecksilber; sie hatte eine ein halbes Jahr
vorher begonnene Inunktionskur schon nach einigen Einreibungen wegen
starker Durchfälle aufgeben müssen. Carl Grünbaum (Berlin).
Über seltene Tripperübertragung.
(Geissler. Wiener klin. Rundschau, Nr. 21, 1908.)
Gonorrhoische Infektion durch Coitus per os. Derartige Fälle sind
selten und werden nur hin und wieder in der Literatur beschrieben. — Eine
auf gleichem Wege entstandene syphilitische Ansteckung hat Seif er t- Würz¬
burg vor kurzem mitgeteilt. (Monatshefte für prakt. Dermatol. 1908, Bd. 47,
Nr. 2.) Steyerthlal-Kleinen.
Beitrag für Abortiv-Behandlung der Blennorrhoea urethrae.
(A. Regenspurger. Med. Klinik, Nr. 8, 1908.)
Für eine abortive Behandlung der Blennorrhoea urethrae sind trotz
des Ersatzes des Arg. nitr. durch organische Silberpräparate bisher die
meisten Autoren nicht eingenommen. Für eine derartige Behandlung sind
aber nach Regenspurger nur solche Fälle von Tripper geeignet, die 1. nicht
länger als 8 Tage, vom Datum der Infektion an gerechnet, bestehen; 2. nur
eine komplikationslose (auch nicht mit ehemaliger Erkrankung kombinierte)
Blennorrhoea acuta auterior zeigen. 3. Keinerlei heftige Erscheinungen (Sphink¬
terreizung) aufweisen, und in denen die strikte Beobachtung aller gewöhn¬
lichen Vorsichtsmaßregeln als selbstverständlich vorausgesetzt werden kann. - —
Als geeignetes Mittel für die Arbortivbehandlung der Gonorrhöe — wie für
die Behandlung der akuten Gonorrhöe als das beste überhaupt — hat sich
Regenspurger des Novargan-Heyden erwiesen. Er wendet es zur Abortiv¬
behandlung in 5%iger, 10°/0iger und 15°/0iger Lösung mit 10 g Glyzerin
(ad 100) an, zu welcher Lösung bei empfindlichen Patienten 5 g Antipyrin
zugefügt werden. Die Anwendung geschieht folgendermaßen: Ausspülen der
vorderen Harnröhre nach dem Urinieren mit destilliertem Wasser, darauf
Injektion von 8 — 12 ccm der 5%igen Novarganlösung, die mittels Klemme
10—15 Minuten in der Urethra belassen wird. Die Dauer der Einwirkung
ist nach Empfindlichkeit des Kranken und der Intensität des Prozesses zu
variieren. - — - Der Patient wird angewiesen, während zwei Stunden nach der
Behandlung nicht zu urinieren. Nach 24 Stunden Wiederholung der In¬
jektion, eventuell mit 10%igem Novargan. — In dieser Weise täglich eine
Injektion mit einer der drei Lösungen, je nach dem Befunde mit der Kon-i
zentration auf- oder absteigend. — Bei stärkeren katarrhalischen Erschei¬
nungen wurde alternierend ein Adstringens oder eine 2%ige Lapisinjektion
gegeben. — Von 150 Fällen könnte Regenspurger mit der angegebenen
Behandlung 78 Kranke in 8 — 20 tägiger Behandlung zur einwandfreien Heilung
bringen; in 13 Fällen erlebte er Komplikationen, die vorwiegend die dorsalen
Lymphwege betrafen. Er schreibt dies gute Resultat, abgesehen von der
Referate und Besprechungen.
215
sorgfältigen Auswahl der Bälle, vor allem der guten Wirkung des Novargans
zu, das bedeutend reizloser wirkt als Protargol. — Für die methodische Be¬
handlung der Gonorrhöe wird das Novargan in 2 — 3%iger Lösung ange¬
wandt, die frisch am besten wirkt und vor Lichteinwirkung (dunkles Glas)
zu schützen ist. (R. Stüve (Osnabrück).
Über die Varietäten der Balanoposthitis.
(Queyrat, Paris. La med. mod., Nr. 24 u. Allgem. Wiener med. Ztg., Nr. 36, 1908.)
Von den verschiedenen Entzündungsformen der Schleimhaut des Prä¬
putiums und der Glans nennt Queyrat die balano-präputialen hypertrophischen
Plaques muqueuses, die bei alter Lues vorkommende chronische, leukoplastische
Form, die in Epitheliom übergehen kann und Fernhaltung jedes Reizes er¬
fordert, ferner eine bei Diabetes vorkommende ödematöse Schwellung, Rötung
und reichliche fötide Eiterung, die pustulöse, die herpetische und die ekzema¬
töse Entzündung.
Außerdem besteht noch ein deutlich charakteristischer Typus, die Ba¬
lanoposthitis erosiva circinata, irrtümlich als falscher oder Eicheltripper
bezeichnet. Sie tritt etwa 10 Tage nach einem geschlechtlichen Verkehr
auf, zeigt Jucken und rote Flecken an der Eichel, die sich ausbreiten und
zu Abschuppung führen. Es ist reichliche Eiterung, aber kein Fieber
vorhanden, die Leistendrüsen sind mäßig geschwollen, alle von gleichem
Volumen, schmerzlos. Queyrat und andere französische Forscher fanden
bei den mit dieser Affektion behafteten Männern sowohl als auch bei den
betr. Frauen, wo das Leiden sich an den Labia minora abspielt, einen charak¬
teristischen Spirillus in Gesellschaft mit kurzen, leicht gekrümmten anaeroben
Bazillen, ähnlich wie bei der Angina Vincenti, der Stomatitis ulcero-mem-
branosa und dem Hospitalbrand. Jedoch sind die Spirillen nicht mit Methylen¬
blau färbbar und viel kleiner. Außerdem fand sich auch noch die Staphylo-
coccus pyogenes albus.
Die Behandlung besteht in Einpinselungen mit 1 %igem Arg. nitricum.
Esch.
Der Gebrauch des mit wächserner Spitze versehenen Katheters bei der
Diagnose der Nierensteine beim Manne.
(Winfield Ayers. Americ. Journ. of Surg., Nr. 11, 1908.)
Da die Röntgenbilder durchaus nicht immer maßgebend sind, hat A.
versucht, die Kelly’sche Methode, Nierensteine bei Frauen nachzu weisen, auf
den Mann anzuwenden. Bedingung ist der Gebrauch des (wie es scheint
in Europa unbekannten) alten Modells des Brown’ sehen Zystoskops. A.
überzieht die Spitze des Ureterenkatheters mit reinem Bienenwachs, indem
er sie mehrfach in das geschmolzene Wachs eintaucht. Der Stein hinter¬
läßt gewöhnlich im Wachs eine tiefe Delle, seltener nur einen Riß, der
dann weiterer Bestätigung bedarf. Sitzt der Stein im Nierengewebe, so ist
er auf diese Weise nicht nachweisbar, auch in einer Sackniere kann der
Nachweis mißglücken, sonst aber behauptet K., daß die Methode sichere
Resultate ergebe und bringt einige auf diese Weise diagnostizierte und mit
Erfolg operierte Fälle bei. • F. von den Velden.
Hals-, Nasen- und Kehlkopfleiden.
Die nasalen Lufträume.
(Mink, Deventer. Arch. für Lar., 21, H. 2.)
Mit Schütter nimmt Mink an, daß nicht Anfeuchtung und Erwär¬
mung der Atemluft die Bedeutung der Nasenatmung sein kann, dazu sind
die Differenzen der Temperatur und Feuchtigkeit der Inspirationsluft
zwischen Mund- und Nasenatmung zu klein. Den Zweck der Neben-
216
Referate und Besprechungen.
höhlen in Erleichterung des Kopfskeletts oder als Reserveräume für warme
Luft zu sehen, geht nicht an, da ihr Volumen bezw. ihr Gaswechsel zu
geringfügig sind um in Betracht zu kommen. Wohl aber haben sie eine
Bedeutung für das Riechen. Nicht als ob der Hauptstrom der Inspiration
durch solche akzessorischen Lufträume abgelenkt würde; aber beim Nach¬
lassen des negativen Drucks ziehen sich feine Zipfel des Luftstromes durch
die regio olfactiora bis in die Ostien der Höhlen. (Versuche mit Rauch). —
Luft, die durch einen der Nase entsprechenden vertikalen Spalt angesogen
wird, nimmt nicht den direkten Weg zur Stelle des negativen Drucks, son¬
dern biegt stark nach oben ab. Dazu kommt noch die aufwärts gerichtete
Ebene der Nasenlöcher, so daß man den unteren Rand der mittleren Muschel an¬
nähernd als untere Grenze des Inspirationstromes ansehen darf. Die Plicae
vestibuli lenken zugleich den Strom von der lateralen Wand weg gegen
das Septum. Hier trifft er auf das t u bero,u 1 um septi, das eine Erschwe¬
rung des Stroms und vermittelst seines Schwellkörpers zugleich eine Regu¬
lierung bewirkt; in warmer Luft schwillt es an, ebenso wie das Volumen
der Nase im ganzen zunimmt (Leuven). Der Exspirationsstrom dagegen
nimmt den direkten Weg zum Ausgang, am Nasenboden entlang; bei einiger
Stärke bilden sich Wirbel im vorderen Teil der Nase. Zu seiner Regulierung
dient der mächtige Schwellkörper der unteren Muschel, nach ihrer Kokai-
nisierung sinkt der Exspirationsdruck im Pharynx und hinteren Teil der
Nase. Die Bedeutung der Schwellkörper liegt somit darin, daß sie die bei ver¬
schiedener Atemgröße in der Zeiteinheit ausgeatmete Luftmenge im allge¬
meinen gleich halten helfen. — M. kommt zu seinen Resultaten durch Be¬
rechnungen und Studium von Modellen, auf die hier nicht eingegangen
werden kann. Arthur Meyer.
Abriß der Lehre von den Sprachstörungen: Aphasie und Anarthrie, wie
auch Dysphasie und Dysarthrie.
(Dr. Wladislaw Oltuszewski, Warschau. Med. päd. Monatschr für die ges.
Sprachheilk., Januar, Februar, März, April 1908.)
Nach einer geschichtlichen Einleitung bespricht 0. im allgemeinen Teil
die Physiologie der Sprache, die psychophysiologische Grundlage der Sprach¬
entwicklung und die Psychologie der Sprache und Schrift, in letzterem
Teile bei der Ätiologie der Sprachstörungen besonders eingehend die psychische
Entartung berücksichtigend.
Im speziellen Teile definiert er zunächst die Begriffe Aphasie und
Dysphasie als eine Störung des sinnlichen Wortgedächtnisses oder des Asso¬
ziationsgedächtnisses, Anarthrie und Dysarthrie als Störung aus andern Ur¬
sachen, sowohl zentrischen wie peripherischen z. B. anatomischen Verände¬
rungen im Artikulationsorgan.
Er behandelt dann jede Gruppe der Störungen eingehend nach Patho¬
genese, Prognose und Behandlung, besonders auch die des Stotterns. Zum
Schlüsse zieht er noch die Hygiene der Sprachstörungen in den Kreis seiner
Betrachtungen.
Die Einzelheiten der eingehenden Arbeit eignen sich nicht zur Wieder¬
gabe in einem kurzen Referat und müssen im Original nachgelesen werden.
Runge (Hamburg).
Sigmatismus nasaiis.
(Dr. Eugen Hop mann, Köln. Ibidem Mai 1908.)
Fall von S. n., dessen Besonderheiten bestehen 1. in der Bildung des
Mundhöhlenverschlusses an der dritten Artikulationsstelle — statt assa spricht
Pat. akka — . 2. in einer Kombination mit Sigm. lateralis bei Aussprache des
Sch. Im Anhang eine zweite ähnliche Beobachtung. Hier wird der Mund¬
höhlenverschluß bald an der zweiten — atta statt assa — , meist aber an
der dritten Artikulationsstelle gebildet. Runge (Hamburg).
Referate und Besprechungen.
217
Über Aphthongie.
(Dr. Eugen Hop mann, Köln. Ibidem Juni 1908.)
Es wird ausführlich unter Beigabe von Atmungskurven über zwei Fälle
von plötzlich auftretender Sprachlosigkeit berichtet, bei zwei stotternden
Kindern. Einmal war das Leiden bedingt durch tonische Krämpfe im Hypo-
glossusgebiet. Der zweite Fall ist ein Beispiel des krampflosen plötzlichen
Sprachunvermögens. Das Leiden ist keine Krankheit sui generis. H. will die
Bezeichnung Aphthongie nur als bezeichnenden Namen für das Symptom
der unter gewissen Bedingungen bei Stotterern und wohl auch bei Hyste¬
rischen plötzlich auftretenden völligen Sprachlosigkeit gelten lassen.
Runge (Hamburg).
Zur Ozäna-Lehre.
(Steiner. Arch. für Lar., Bd. 21, H. 2.)
Unter einer größeren Anzahl von Ozänakranken fanden sich, in Über¬
einstimmung mit den Angaben der meisten Autoren, die Frauen in fast drei¬
facher Überzahl; ferner war die Mehrzahl der Patienten in jugendlichem
Alter bezw. litten bereits seit Kindheit. Über die Hälfte hatte ein typisches
Ozänagesicht, andere waren von gemäßigter Chamaeprosopie und Platyrhinie.
So oft Anamnese zu erheben war, wurde angegeben, daß diese Gesichtsform
seit Kindheit bestehe. Verf. möchte sie daher als eine Ursache der Ozäna
auffassen und bringt sie mit der, von Virchow beschriebene, vorzeitigen
Verknöcherung der Synchondrosis sphenobasilaris in Verbindung. Die mitt¬
lere Muschel war meist nicht atrophisch, wohl aber waren an der unteren
die atrophischen Erscheinungen ausgesprochen. Von disponierenden Erkran¬
kungen waren kongenitale Lues, Tuberkulose und Skrofulöse des Kranken
oder seiner Blutsverwandten in einer Minderzahl der Fälle vorhanden. Neben¬
höhlenempyeme wurden in fünf von 34 Fällen gefunden. Ferner be¬
richtet Verf. über seine Erfahrung, auf die u. a. auch Ref. vor zwei
Jahren hingewiesen hat, daß nämlich nach großen, erweiternden Ein¬
griffen in der Nase Ozäna auftreten kann. Verf. schließt hieraus, daß
die Erweiterung der Nase ein hauptsächliches Moment für die Entstehung
der Ozäna sei. Er klassifiziert die Krankheit in 1. Fränkel’sche Form, wahr¬
scheinlich auf kongenitaler Grundlage, 2. durch Druck und Erweiterung ver¬
ursachte, 3. Grünwald’sche auf Herdeiterung beruhende, 4. durch luetische
Knochenerkrankung bedingte Form. — Die Wiedervereinigung der (heilbaren)
Herdformen mit dem, von Frankel glücklich abgegrenzten Begriff der
„genuinen'- 0., erscheint Ref. nicht als Fortschritt; an die Stelle des mühsam
gewonnenen Krankheitsbegriffes wird wieder das Symptomenbild gesetzt.
Arth. Meyer (Berlin).
Radikaloperation der Keilbeinhöhle.
(Hajek. Rev. hebd. de lar., Nr. 35, 1908.)
Wider Erwarten hat sich der Keilbeinsinus unter allen Nebenhöhlen
der Nase als am besten intranasal zugänglich erwiesen. Er liegt gerade in
der Sehachse. Es ist zu seiner Behandlung notwendig, die vordere Wand in
größtmöglicher Ausdehnung zu resezieren und zwar besonders den, an die
hinteren Siebbeinzellen grenzenden, lateralen Teil. Die Knochenränder neigen
indessen zu starker Granulationsbildung, durch welche selbst eine weite
Öffnung sich bald wieder verschließt. Man muß daher wöchentlich die
Ränder mit der Argentumperle ätzen bis zur Vernarbung. — Die Entfer¬
nung der Schleimhaut des Sinus in großer Ausdehnung ist selten erforderlich,
da selbst hochgradig veränderte Stellen sich meist bald zurückbilden. Sieht
nach mehreren Wochen die Auskleidung stellenweis noch nicht normal aus,
so genügt die Auskratzung kleiner Partien. — Die Radikaloperation des
Keilbeinsinus geschieht stets endonasal; nur wenn andere Höhlen eine
äußere Operation verlangen, kann sie naturgemäß an diese angeschlossen
werden. Arthur Meyer.
218
Bücherschan.
Einfluß der Stenosen des Larynx und Ösophagus auf die Genitalien.
(Baumgarten. Rev. hebd. de lar., Nr. 41, 1908.)
Unter 20 Frauen zwischen 15 und 35 Jahren, die an Speis er öliren-
striktur litten, hatte hei 12 die Menstruation ausgesetzt, und zwar waren das
die hochgradigen Stenosen; sobald die Kranken Flüssigkeiten schlucken konn¬
ten, wurden sie wieder menstruiert. Auch drei Frauen mit skleromatöser oder
luetischer Struktur des Kehlkopfs oder der Trachea, die seit Jahren nicht
menstruiert waren, sahen nach Erweiterung der Stenose die Menstruation
wiederkehren. Tuberkulöse Verengerungen verhalten sich nicht so; die Regel
bleibt nur hei äußerster Kachexie aus. Bekannt ist aber die ungünstige
Beeinflussung der Kehlkopftuberkulose durch Gravidität. Auch bei einem
Manne stellte Dilatation des luetisch, verengten Kehlkopfs die erloschene
Zeugungsfähigkeit wieder her. Alle diese Befunde bilden das Gegenstück
zu der bekannten Beeinflussung der oberen Luftwege durch genitale Vorgänge,
den menstruellen und vikariierenden Schwellungen oder Blutungen in Nase,
Rachen und Kehlkopf. Arth. Meyer (Berlin).
Allgemeinanästhesie für kurzdauerende Eingriffe.
(Bonain. Rev. hebd. de laryng., Nr. 29, 1908.)
Da die Dauer der Chloräthylnarkose für manche kleinen Operationen
(z. B. Tonsillo- und Adenotomie), sich als nicht ausreichend erwies, kom¬
biniert Verf. sie mit der Chloroformnarkose nach „englischem Verfahren“,
bei welchem 5 — 10 g Chloroform auf einmal gegeben werden. Er wendet ein
Gemisch von gleichen Volum teilen beider Narkotika an, das in Ampullen
von 2y2 ccm Inhalt aufbewahrt wird. Um eine Narkose von V2 — IV2 Min.
Dauer zu erreichen, werden für Kinder von 1 — 5 Jahren 1 Ampulle, von
5 — 12 Jahren 2, von 12 — 16 Jahren 3, für Erwachsene 4 Ampullen ver¬
wendet. Der Inhalt einer Ampulle wird immer auf einmal auf die Gaze¬
lagen der Maske aufgeschüttet, die folgenden Dosen nach Bedürfnis.
Arth. Meyer.
Bücherschau.
Ausgewählte Abhandlungen von Ottomar Rosenbach. Herausgegeben von
Dr. Walter Guttmann, Stabsarzt in Straßburg i. E. 2. Bd. mit einem
Bildnis und Biographie. Leipzig. Verlag von Joh. Ambr. Barth, 1909.
(XXX, 608 u. 684 Seiten.)
Das umfangreiche Werk in zwei Bänden, deren würdige Ausstattung ihrem
tiefen Gehalte an unvergänglichen Werten entspricht, will nach dem Heimgange
des großen, während seines arbeitsreichen Lebens nur von einer kleineren, sieh
allerdings ständig vergrößernden Gemeinde verehrten Forschers und Arztes, auch
einem weiteren Leserkreise einen Einblick in die Größe und Vielseitigkeit seines
Werkes gewähren.
Wer Rosenbach ’s Arbeiten studiert, wird geradezu verblüfft durch die
Fülle origineller Gedanken und schöpferischer Ideen. Selbst auf solchen Gebieten,
die der eigentlich medizinischen Forschung fern zu liegen scheinen, wie die Mineralogie,
Mathematik, Physik, Chemie oder gar die Sprachwissenschaft, haben seine Forschungen
zur Klärung und Vertiefung auch der fachwissenschaftlichen Anschauungen bei¬
getragen. Rosenbach sah eben das Wesen der Wissenschaft nicht in dem bloßen
Sammeln und Registrieren von sinnlich wahrnehmbaren Tatsachen, sondern in dem
Streben nach Verschmelzung aller Geschehnisse der Außenwelt in einer Einheit
der Erkenntnis, also in der Philosophie im höchsten und reinsten Sinne.
Wie ein roter Faden zieht sich durch das von Stabsarzt Guttmann, einem
Verwandten und Schüler des uns leider zu früh Entrissenen, mit großem Geschick
zusammengestellte Werk Rosenbach’s Lehre von der Bioenergetik, von der
Umformung und Verausgabung der für das Leben charakteristischen Energieformen.
Bücherschau.
219
Nach Bosenbach kommt alle Energie von außen; sie ist ein Etwas, das
fortwährend den Kosmos in Form feinster Ströme durchfließt, welche wir un¬
mittelbar nicht wahrnehmen können. Erst wenn die zunächst unwahrnehmbare
Form in andere Energieformen transformiert wird, für die unsere Sinnesorgane
empfänglich sind, wird uns ihre Existenz und ihr Wirken erkennbar. Das gerade
ist eines der großen — auch von Physikern anerkannten — Verdienste Rosenbach’s
schon vor Jahren, ehe man die Wirkungen des Badiums und der radioaktiven
Substanzen kennen gelernt hatte, die die Idee an eine Transformation feinster kos¬
mischer Energieströme durch irdische Körper nahelegten,1) sich wiederholt und
mit aller Bestimmtheit in diesem Sinne ausgesprochen und den Gedanken für die
Erklärung des Zustandekommens und der Erhaltung des organischen Lebens ver¬
wertet zu haben.
Nach dieser Lehre ist also die Organisation ein Transformator für feinste,
aus dem Kosmos stammende Energieströme, die im Körper erst zu den für uns
wahrnehmbaren gröberen Energieformen (Wärme, Nervenenergie usw.) umgewandelt
und somit befähigt werden, als Betriebsenergie zu fungieren. Aber nicht genug
damit, es fällt diesen „dunklen Strahlen“ eine noch weit wichtigere Aufgabe zu,
nämlich die, als erste Auslösung für die Entstehung protoplasmatischer Erregung
(also für die Ingangsetzung der organischen Maschine) zu dienen.
Bosenbach erweiterte demnach die herrschende Anschauung von der Trans¬
formation der Licht- und Wärmestrahlen der Sonne durch die organischen Lebens¬
prozesse und dehnte sie auch auf sonstige dem Kosmos entstammende geopetale
Energieströme aus, auf deren Vorhandensein er aus verschiedenen Beobachtungen
schließen zu dürfen glaubte. Er unterschied dabei diejenigen Energieformen, die
nur zur Auslösung für im Organismus aufgespeicherte Energie dienen, wie die¬
jenigen, die als direkte Betriebsenergie für den Protoplasmabetrieb Verwendung
finden. Im ersteren Falle handelt es sich um Substrate relativ großer Wellenlänge,
die auch mehr und weniger unser Bewußtsein affizieren (nicht nur durch Erregung
höherer Organe in Gestalt der Schall-, Lichtempfindung usw., sondern auch um ge¬
wisse Formen der Wärme, die mit Empfindungen einhergehen, die man als „elek¬
trische“ bezeichnen kann); diesen gröberen, den Massenbetrieb, die Organleistung
provozierenden Wellen stehen im zweiten Falle die feinsten Energieströme gegen¬
über, die nicht zum Bewußtsein gelangen, aber die Aktivierung des Protoplasmas
bewirken und dementsprechend als „erregbarkeitserlialtende“ Substanzen anzu¬
sprechen sind.
Der Unterschied zwischen dieser Auffassung und der landläufigen ist also
der, daß Rosenbach das tierische Leben nicht als einen indirekten (nur
durch Vermittlung des Pflanzenlebens zustande kommenden) sondern als einen
direkten Transformationsprozeß von außen zuströmender Energie betrachtet.
Die protoplasmatische Organisation stellt den vollkommensten Transformator dar,
dessen elementarste Teile von den feinsten Strömen und Wellensystemen der
Außenwelt angetrieben und dadurch befähigt werden, primitive Formen der Energie
in kompliziertere, aber auch vice versa diese in jene zu verwandeln.
Rosenbach sieht in dem protoplasmatischen Betriebe eine planvolle Kom¬
bination von Maschinen, dem neben der Aufgabe der künstlichen Maschinen,
nämlich der, gewisse Einflüsse auf die Außenwelt zu entfalten, auch die ungleich
weitergehende obliegt, ihr statisches Gleichgewicht durch den Betrieb selbst zu
konservieren, diesen unter Wahrung der spezifischen Massenbeschaffenheit durch
die eigene Leistung aufrecht zu erhalten. Rosenbach nennt diese Kombination von
Maschinen planvoll, weil in der Tendenz zur Aufrechterhaltung des dynamischen
Gleichgewichts im System (und darüber hinaus in der zur beträchtlichen Ausgestaltung
und stufenweisen Erweiterung des Betriebes lediglich auf der Basis einer ersten Anlage
sich zweifellos ein Plan, eine Idee geltend macht. Das physische Leben, der
sichtbare Ausdruck jener soeben charakterisierten Verkettung von Prozessen, wie
sie jeder für sich allein sich auch in der unbelebten Natur abspielen, läßt sich in
seiner Zielstrebigkeit nur durch ein höheres Zweckprinzip, durch die Konkurrenz
eines transzendentalen Faktors erklären.
Unter Auslösung der im Keim gegebenen Energiewerte treten die kleinsten
formalen Einheiten zu immer neuen, mannigfaltigen Kombinationen zusammen,
x) Daß mit dieser Annahme in jüngster Zeit eine andere, die Hypothese des
„Atomzerfalls“ in erfolgreichen Wettbewerb getreten ist, dürfte bekannt sein, kommt
aber für die obige Skizzierung des Rosenbach’schen Gedankenganges nicht
weiter in Betracht, wie auch Prof. Go ldst ei n- Berlin in der Bearbeitung eines
gleichfalls der hier besprochenen Sammlung einverleibten Manuskripts aus dem
Nachlasse R’s.: „Kraft kann nicht gespannt werden“, hervorhebt.
220
Bücherschau.
die schließlich als Bildungen höchster Ordnung (Organe, Organismus) befähigt sind,
funktionell in Wirksamkeit d. h. mit den Massen der Außenwelt in Verbindung
zu treten. Diesen entnehmen sie Substrate potentieller Energie (Nahrungsmittel,
Wasser, Sauerstoff) um die in der aufsteigenden Phase des Betriebes ausgenützten
Energieformen durch rückläufige Transformation auf dem Wege über die Stationen
der absteigenden Strecke den kleinsten maschinellen Einheiten wieder zuzuführen.
Durch die Aktivierung einer immer größeren Zahl von Elementen trägt der ur¬
sprünglich kleine Betrieb der lebenden protoplasmatischen Organisation der imma¬
nenten Tendenz zu einer ständigen Erweiterung seines Umfanges Rechnung.
Während im Anfänge der Entwickelungsreihe das Körperprotoplasma noch allein
als direktes Empfangsorgan für alle Formen kinetischer Energie dient, treten im
Laufe der Entwickelung bestimmte Organe als spezifische Transformatoren der
verschiedenen, von außen einwirkenden Energieformen auf und mit zunehmender
Vervollkommnung ist auf den höchsten Stufen der Organisation die Arbeits¬
teilung bis ins kleinste Detail durchgeführt. Aber erst durch die spezifische Aus¬
bildung des Nervensystems zur Hirnrinde wird dann ein neues Element in die
Organisation eingeführt.
In der Hirnrinde der höheren Organisation ist die Möglichkeit gegeben, jene
unbekannten, köheren und subtileren Energiespannungen zu transformieren, die den
Zweckgedanken im höchsten Umfange realisieren. Als Vertreter der Idee, als
welcher bei der künstlichen Maschine der Betriebsleiter anzusehen ist, fungiert in
dem nun entstandenen „ psychosomatischen Betriebe“ die Psyche. Während in
den niederen Organisationen wohl die schöpferische Idee, die „konstruktive Synthese“
zur Erfüllung des Zweckes ausreicht, ist die hirnbegabte Organisation befähigt,
über den immanenten, in der Konstruktion der Maschine gegebenen Zweck der
Erhaltung der Existenz hinaus den transzendenten Zweck der Organisation Rech¬
nung zutragen, die Idee der Beziehungen zur Spezies und zum Kosmos ins Auge
zu fassen und zu betätigen, d. h, die einfache mechanische, automatische und be¬
grenzte Reaktion zu einer bewußten umzugestalten.
Der somatische Betrieb wird also bei den höher organisierten Lebewesen zum
psychosomatischen.' Und wenn man auch von einer bewußten Umgestaltung der
automatischen Reaktionen im Sinne der höchsten Zwecke absieht, so erhebt sich
doch der hirnbegabte Organismus an sich himmelweit über den toten und auch
den lebenden Automaten. Denn während dessen Mechanismus nur für bestimmte
Zwecke eingerichtet ist und zugrunde geht, wenn er im Sinne seiner Mechanik
allzu sehr beansprucht wird, ist schon allein in der bewußten Reaktion, die das
Ziel voraussieht, die Möglichkeit gegeben, den Mechanismus durch Intervention
anderer Mechanismen innerhalb gewisser Grenzen abzustellen oder ihn bei abnormer
Reizung sogar gegen den eigentlichen Zweck zu verwenden.
Um diese Richtung des Geschehens im Organismus richtig beurteilen zu
können, muß man ganz besonders auch den Einfluß der Psyche, der Vorstellungen
und des Willens auf den physischen Betrieb zu würdigen wissen. Und gerade der
frühzeitige und immer wiederholte Hinweis auf diesen Punkt zu einer Zeit, in der
man unter der Alleinherrschaft der anatomisch-pathologischen Betrachtungsweise
von einem Seelenleben überhaupt kaum etwas wissen wollte, rechtfertigt es, in
Rosenbach den eigentlichen Wiedererwecker der nunmehr aus hundertjährigem
Dornröschenschlafe mit allen Zeichen kräftigen Lebens erwachten „physischen
Therapie“ zu sehen.
Aber auch sonst ist es, worauf Rosenbach im Gegensätze zu der herrschen¬
den Richtung immer wieder aufmerksam gemacht hat, — ganz gleich, ob man einen
Einblick in die Konstruktion einer Maschine oder in das Wesen des organischen
Betriebes erhalten will — mehr notwendig, als die äußere Oberfläche einer funk¬
tionellen Einheit oder ihrer mehr oder weniger selbständigen Teile zu studieren.
Wir dürfen vor allem, wie er verschiedentlich ausführte, die deskriptive, nur nach
der äußeren Form urteilende Systematik, wie sie sich in unseren pathologisch¬
anatomischen Klassifikationen bereit macht, nicht so überschätzen, daß wir die
Oberfläche des Organs oder die Grenzmembran einer Zelle nun auch als Grenze
ansehen, vor der unser Streben nach Erkenntnis Halt macht. Gerade, weil die
Zellularpathologie den Bedürfnissen des Arztes, der sich mit dem lebenden Or¬
ganismus beschäftigt, um helfen zu können, so wenig gerecht wird, hat Rosen¬
bach den bedeutungsvollen Schritt von der Beschreibung stabiler Zustände
zur Bio energetik, von der Zellularpathologie zur Energetopathologie
(Betriebspathologie) getan.
Die Lehre von den Betriebsstörungen im Organismus hat Rosenbach in
einer Reihe monographischer Arbeiten weiter ausgebaut; er ging dabei von dem
Gesichtspunkte aus, daß der Arzt, der Biologe d. h. Kenner des psychosomatischen
Bücherschau.
221
Betriebes sein will, sich unmöglich mit der bloßen Betrachtung und Beschreibung
von stabilen Erscheinungen, den Dauerformen abnormer Zustände zufrieden geben kann,
sondern daß er sich der Energetik, dem Studium der Dynamik des Betriebes zu¬
wenden muß, wenn er den Werdegang der Störung und zwar schon vor der Zeit
erforschen will, wo die Verschiebung des Gleichgewichts so gut wie irreparabel
geworden ist, und nunmehr ihren anatomischen Ausdruck in einer dauernden
Veränderung gefunden hat.
Die Forderung, die Diagnostik dadurch, daß wir sie zu einer Er¬
forschung des Werdeprozesses der Störungen ausgestalten, gewisser-
massen zu verlebendigen und als Konsequenz das Eortschreiten von der anato¬
mischen Feststellung dauernder Veränderungen zur „funktionellen Diagnose“,
wie sie Rosenbach lehrt und wie sie in ihren Grundzügen (bei Herzkrankheiten,
Fettsucht, Diabetes, nervösen Störungen) durch eine Reihe von Arbeiten exem¬
plifiziert wird, die Guttmann den „Ausgewählten Abhandlungen“ einfügte, ergibt
dann ganz direkt fruchtbare Gesichtspunkte für die Therapie.
Bei der auf dem Boden der funktionellen Diagnostik erwachsenden Therapie
ist jedes planlose und schablonenhafte Handeln von vornherein ausgeschlossen,
weil sie sich jeweils schon durch den Modus des diagnostischen Vorgehens und
auf Grund der hierbei unumgänglichen Versuche den Besitz der Direktiven für
das Heilverfahren ausschließlich aller seiner durch die Eigenart des Falles bedingten
Nuancen gesichert hat. Daß bei einem solchen Vorgehen das Heil allerdings nicht
von einem spezifischen Mittel, von der routinehaften Anwendung einer „Kur“, von
irgend einer durch die Tradition sanktionierten Methode oder einem neu auf¬
tauchenden und nun als alleinseligmachend proklamierten Regime erwartet wird,
sondern daß die zum Zwecke rechtzeitiger Abstellung der Mängel im indivi¬
duellen Betriebe zu ergreifenden Maßregeln vorwiegend den Charakter hygienisch¬
prophylaktischer Anordnungen tragen werden, liegt auf der Hand. Auf Grund
solcher Erwägungen aber wird der Arzt nicht nur einen sicheren Standpunkt gegen¬
über den wechselnden Moden in der heutigen Medizin, sondern überhaupt eine
ganz andere Auffassung von dem Wesen seines Berufes gewinnen. Wer im
höchsten Sinne nicht bloß Organpatologe oder -Spezialist, sondern Kenner des
psychosomatischen Betriebes sein will, kann das Ziel seiner Tätigkeit nicht darin
erblicken, nur Flickwerk für eine defekte Maschine zu liefern. Und die Über¬
zeugung, daß ein hygienisch-prophylaktisches Vorgehen nur zu einer Zeit erfolgreich
sein kann, in der nach der jetzigen Terminologie die „funktionelle Erkrankung“
noch nicht dem „organischen Leiden“ Platz gemacht hat, wird den biologisch denken¬
den Arzt veranlassen, das Wesen und die Gründe der Kraftanomalie in jedem
Einzelfalle zu erforschen und daraus die Handhaben für ihre Beseitigung zu
gewinnen.
Unter möglichster Ergriindung der vielfach verschlungenen Beziehungen des
psychosomatischen Betriebes, die zwischen seinen Betriebsgebieten unter sich einerseits
und zur Außenwelt andrerseits unterhalten werden müssen, betrachtet der wahre
Arzt es als das höchste Ziel seiner Wissenschaft und seiner auf ihr gegründeten
Kunst nicht durch pathognomonische Symptome, sondern durch wissenschaftliche
Beweisführung festzustellen, welche Art der Reaktion vorhanden ist, welche Kräfte
der Organismus zur Verfügung hat und warum eine Form der Behandlung ge¬
eigneter ist, das Gleichgewicht wiederherzustellen, als die andere. Je mehr sich
der Arzt von dem Schema, von dem Fanatismus des Allheilmittels und der An¬
betung anscheinend unfehlbarer Methoden frei macht, wird ihm das „Individuali¬
sieren“ von einem toten Wort zu einem lebendigen Begriffe werden. Und das da¬
mit erforderliche Eingehen auf die Persönlichkeit seines Klienten muß ihm auch
die nahezu verlorene Position in der Familie wieder sichern, die eines Lehrers,
Führers und Erziehers in der Hygiene des Körpers und des Geistes.
Eschle.
Handbuch der Gynäkologie. Von J. Veit. Zweite völlig umgearbeitete
Auflage. Band II, Band III, 1. u. 2. Hälfte. Wiesbaden, J. F. Bergmann
1907, 1908.
Von dem bereits in diesen Blättern (Fortschritte der Medizin, S. 478, 1907)
besprochenen Handbuch der Gynäkologie, II. Auflage, liegt Band I, Band II und
Band III, 1. und 2. Hälfte, abgeschlossen vor.
Band II enthält: Die gonorrhoischen Erkrankungen der weiblichen Harn-
und Geschlechtsorgane (Bumm); die Entzündungen der Gebärmutter, Atrophia uteri
(Döderlein); Erkrankungen der weiblichen Harnorgane (Stöckel).
222
Kongresse und Versammlungen.
Band III enthält: Die Menstruation (Schaeffer); Erkrankungen der Vagina
(Veit); Haematocele (Fromme); Sarcoma uteri und sog. Mischgeschwülste des Uterus
(R. Meyer); Anatomie des Carcinoma uteri (Wertheim); Symptomatologie und Be¬
handlung des Gebärmutter-Krebses (Koblank); Palliativbehandlung der inoperablen
Karzinome (Fromme); Uteruskarzinom und Schwangerschaft (Sarwey): das maligne
Chorionepitheliom (Veit).
Eine nähere Besprechung der einzelnen Kapitel behalte ich mir bis zum
Abschluß des ganzen Werkes vor. F. Kayser (Cöln.)
Technik der serodiagnostischen Methoden. Von Paul Th. Müller.
Jena, G. Fischer, 1908. 52 S. 1,50 Mk.
Der Verfasser bringt eine sehr klare, alle technischen Einzelheiten
sorgfältig registrierende Darstellung der gegenwärtig gebräuchlichen sero¬
diagnostischen Methoden. Wenngleich bei der ungeheuren literarischen Pro¬
duktion gerade auf diesem Gebiete eine solche Arbeit bald überholt sein
muß, werden doch viele, namentlich Anfänger, dem Autor für das mit
großem Geschick abgefaßte Praktikum der Serologie dankbar sein.
E. Oberndörffer (Berlin).
Ärztliches Vademekum 1909. Von Dr. A. Krüche. München, Gmelin.
Kl. 8°. 184 S. 2 Mk.
Das Vademekum will bekanntlich dem Arzte alles Gedächtniswerk, das
sonst nur mühsam zusammenzustellen wäre, übersichtlich darbieten, sowie ange¬
nehme therapeutische Fingerzeige geben. Der neue Jahrgang hat viele Ver¬
besserungen und Erweiterungen erfahren. Er bringt Daten aus Anatomie,
Physiologie, Physik, Chemie, Pharmakologie, Billige Rezeptur, Diätkuren,
Nothilfe, Neuerungen auf dem Gebiete der Medullarnarkose, die Kreislauf¬
störungen, Bädernotizen. Ärztliche Taxen (Bayern, Preußen, Württemberg).
Ärztliche Gesetzeskunde usw. Esch.
Kongresse und Versammlungen.
Die dreißigste öffentliche Versammlung der Balneologischen Gesellschaft
findet in Berlin vom 4. bis 9. März 1909 statt.
Bisher wurden folgende Vorträge angemeldet:
1. Herr Brieger (Berlin): Eröffnungsrede.
2. Herr Brock (Berlin): Bericht über das verflossene Vereinsjahr.
3. Wahl des Vorstandes.
4. Herr Ewald (Berlin) und Herr Max Cohn (Berlin): Neuere — - besonders
radioskopische — Ergebnisse aus dem Gebiet der Magen- und Darmunter¬
suchung mit Demonstrationen.
5. Herr Schürmayer (Berlin): Beiträge zur röntgenologischen Diagnose der Er¬
krankungen des Verdauungsstraktus.
6. Herr Ad. Schmidt (Halle a. S.) : Über Durchfall (pathogenetische und tera-
peutische Gesichtspunkte).
7. Herr Kionka (Jena): Einwirkung von Mineralwässern auf die Darmtätigkeit.
8. Herr L. Kuttner (Berlin): Vorteile und Nachteile der Über- und Unter¬
ernährung.
9. Herr Pariser (Homburg v. d. H.): Über Entfettungskuren.
10. Herr Determann (St. Blasien): Kritische Betrachtung der vegetarischen Er¬
nährungsweise.
11. Herr Eulenburg (Berlin): Hydroelektrische Bäder.
12. Herr Schreiber (Königsberg): Über accidentelle Albuminurie.
13. Herr Sarason (Berlin): Die Bedeutung eines neuen Bausystems für Kurorte.
14. Herr Gottschalk (Berlin): Balneotherapie und Menstruation.
15. Herr Grawitz (Charlottenburg): Über die thermischen Einwirkungen auf die
Lymphströmungen des Organismus.
16. Herr Mo eil er (Berlin): Die hydriatische Behandlung der Lungenschwindsucht.
17. Herr Rothschild (Soden): Bedürfen wir der Opsoninprüfung bei der Behand¬
lung Tuberkulöser?
18. Herr Wolf f-Eisner (Berlin): Die Prognosenstellung bei der Lungentuber¬
kulose mit Berücksichtigung der Beziehungen zur Balneologie.
Kongresse und Versammlungen. 228
19. Herr Laqueur (Berlin): Erfahrungen mit neueren Methoden der maschinellen
Atmungsgymnastik.
20. Herr Günzel (Soden): Eine neue Behandlung von Bronchialasthma.
21. Herr O. Müller (Tübingen): Über die Kreislauf Wirkung kalter und warmer
Wasserapplikationen sowie verschiedener Medizinalbäder.
22. Herr Strauß (Berlin): Thema Vorbehalten.
23. Herr Jacob (Kudowa): Welches sind die erwiesenen Vorgänge der Zirkulation
beim Gebrauch von Bädern, die zur Restitution des geschwächten Organis¬
mus führen?
24. Herr Siegfried (Nauheim): Weitere Erfahrungen über die Veränderung des
physiologischen Verhältnisses vom Puls- zur Atmungs-Frequenz bei Herz¬
krankheiten.
25. Herr Gräupner (Nauheim): Über die Möglichkeit, die Druckkraft des Herz¬
muskels, die Größe des Widerstandes im Gefäßsystem und die Geschwindig¬
keit zu bestimmen.
26. Herr Fisch (Franzensbad): Künstliche Atmung- und Herzregulation. (Mit
Demonstrationen.)
27. Herr Selig (Franzensbad): Über den Herzschmerz.
28. Herr F. Kisch jr. (Marienbad): Über das Verhalten des Pulsdruckes bei
Arteriosklerose.
29. Herr Bickel (Berlin): Über die biologische Forschung in der Balneologie.
80. Herr Frankenhäuser (Berlin): Über den baineologischen Unterricht an den
Universitäten.
31. Herr Marcus (Pyrmont): Die Bestimmung der Blutbeschaffenheit in ihrem Be¬
zug auf die Verdauung.
32. Herr Brieger (Berlin): Über den Einfluß physikalischer Behandlung auf die
Antifermentbildung im menschlichen Blute.
33. Herr Ledermann iBerlin): Über die Bedeutung der Serodiagnostik für die
Diagnose und Therapie der Syphilis.
34. Herr Dove (Berlin): Klimatische Fragen in der Balneologie.
35. Herr Schade (Kiel): Colloidchemie und Balneologie.
36. Herr Grube (Neuenahr): Über die chemischen Correlationen im Organismus.
37. Herr S. Munter (Berlin): Neuerungen auf dem Gebiete der Heilgymnastik der
Nerven-, Herz- und Stoffwechselkrankheiten.
38. Herr Löwenthal (Braunschweig): Kritisches zur physikalischen Therapie.
39. Herr Engel mann (Kreuznach): Die Gewinnung hochgradig radioaktiver Salze
aus dem Rückstände der Kreuznacher Quellen und deren medizinische Ver¬
wertung.
40. Herr Riedel (Straßburg): Über gashaltige Bäder.
41. Herr L. Fellner (Franzensbad): Neue Untersuchungen über physiologische
Wirkung der Kohlensäure-Gasbäder.
42. Herr Beerwald (Altheide): Das Verhalten der Kohlensäure in künstlichen und
natürlichen Kohlesäurebädern.
43. Herr Rothschuh (Aachen) : Piscinenbäder in Gegenwart und Zukunft.
44. Herr Gutzmann (Berlin): Über die Behandlung der Neurosen der Stimme
und Sprache.
45. Herr F. Blumen thal (Berlin): Die therapeutischen Aufgaben bei der Base¬
dowschen Krankheit.
46. Herr Fuerstenberg (Berlin): Die hydriatische Behandlung der Neurasthenie.
47. Herr Tobias (Berlin): Über intermittierendes Hinken.
48. Herr Sieb eit (Flinsberg): Die Lichttherapie in der Hand des praktischen
Arztes.
49. Herr Holländer (Berlin): Die kombinierte Heißluftbehandlung.
50. Herr Immelmann (Berlin): Die Behandlung von Gelenksteifigkeiten mittels
Bier’scher und Tyrrnauer’scher Apparate.
51. Herr Hirsch (Kudowa): Die Balneotherapie im Kindesalter.
52. Herr Haeberlin (Wyk auf Föhr): Die Kinder-Seehospize Europas und ihre
Resultate.
53. Herr Schuster (Aachen): Ist die Kombination von Quecksilberkuren mit
Schwefelbädern rationell?
54. Herr Lenne (Neuenahr): Mitteilungen aus der Praxis.
55. Herr Hahn (Bad Nauheim): Die Zukunft der Balneologie und die Balneologie
der Zukunft.
56. Herr Iß erlin (Soden): Über die Bedeutung der badeärztlichen Tätigkeit für
die medizinische Statistik.
57. Herr Martin (Nauheim): Grundsätze balneologischer Geschichtsforschung.
224
Kongresse und Versammlungen.
58. Herr Martin (Nauheim): Nachträge zu meinem „Deutschen Badewesen in ver¬
gangenen Tagen.“
59. Herr v. Chlapowski (Kissingen): Anwendung des Wellenbades als Ersatz der
Massage.
60. Herr Borodenko (Charkow): Zur physiologischen Wirkung kaukasischer
Mineralwässer auf die Verdauungsorgane.
61. Herr Lichtenstein (Frankfurt a. O.): Über die Heilerfolge des Aderlasses.
62. Herr Brenner (Dürkheim): Der Wert der Antitrypsinbestimmung des Blutes
für Diagnose und Prognose der Anaemie und die Beeinflussung durch Arsen¬
wasser.
Der achte internationale Kongreß für Hydrologie, Klimatologie, Geologie
und physikalische Therapie
findet laut Beschluß des vorigen Kongresses (Venedig 1905) vom 4. — 10. April 1909
in Algier unter dem Patronat des Generalgouverneurs M. Jonnart statt. Präsident
des Kongresses ist Professor Albert Robin in Paris, Generalsekretär Dr. L. Eeynaud
in Algier. In Deutschland hat sich zur Förderung der Interessen des Kongresses
ein Komitee gebildet, zu dem die Herren
Geh. Sanitätsrat W. Adam, Bad Flinsberg
Prof. H. E. Albers-Schönberg, Hamburg
Geh. Medizinalrat Prof. Brieger, Berlin
Geh. Medizinalrat Prof. Eulenburg, Berlin
Geh. Medizinalrat Prof. Goldscheider, Berlin
Geh. Medizinalrat Prof. His, Berlin
Prof. Joachimsthal, Berlin
Prof. Jul. Lazarus, Berlin
Prof. H. Lenhartz, Hamburg
Prof. Adolf Loewy, Berlin
Prof. Posner, Berlin
Geh. Regierungsrat Prof. B. Pro sk au er, Berlin
Geh. Medizinalrat Prof. v. Renvers, Berlin
Sanitätsrat O. Rosen thal, Berlin
Geh. Medizinalrat Prof. Rubner, Berlin
Generalarzt Dr. Scheibe, ärztl. Direktor der Charite, Berlin
Prof. Th. Schott, Bad Nauheim
Prof. J. Schwalbe, Berlin
Geh. Medizinalrat Prof. Senator, Berlin
ihren Beitritt erklärt haben. Mit der Vertretung für Deutschland ist vom Präsidium
Sanitätsrat O. Rosenthal, Berlin, Potsdamerstr. 121g betraut worden, der bereit
ist, Anmeldungen von Vorträgen, Beitrittserklärungen und Mitgliederbeiträge ent¬
gegenzunehmen, sowie über alle den Kongreß betreffenden Fragen Auskunft zu
erteilen.
Im Anschluß an den Kongreß findet eine Ausstellung von Apparaten und
Mineralwässern statt.
Nachstehendes Schreiben ging uns mit der Bitte um Aufnahme zu:
Die „Freie ärztliche Gesellschaft zum Studium der Tuberkulose mit be¬
sonderer Berücksichtigung der Hetolbehandlung“
beabsichtigt bis zur Frühjahrsversammlung in Kassel eine möglichst umfangreiche
Statistik über die Erfolge der Hetolbehandlung auszuarbeiten.
Allen Kollegen, welche gewillt sind an dieser wichtigen Statistik mitzuarbeiten,
wird der Geschäftsführer der Gesellschaft, Dr. Weißmann in Lindenfels (Oden¬
wald) auf Wunsch gern einen Fragebogen zur Ausfüllung übersenden. Alle die
Hetolbehandlung ausübenden Ärzte seien auch darauf hingewiesen, daß die oben¬
genannte Gesellschaft besonders sehr praktische Krankengeschichten-Formulare für
Tuberkulose ausgearbeitet hat, die durch den Geschäftsführer bestellt werden können.
Schriftleitung: Dr. Ri gl er in Leipzig.
Druck von Emil Herr mann senior in Leipzig.
27. Jahrgang.
1909.
Tortscbrlttc der Medizin.
Unter Mitwirkung hervorragender Fachmänner
herausgegeben von
Professor Dr. 0. Köster Prio.-Doz. Dr. ». £riegern
in Leipzig. in Leipzig.
Schriftleitung: Dr. Rigler in Leipzig.
Nr. 6.
Erscheint am 10., 20., 30. jeden Monats. Preis halbjährlich
6 Mark, in kl. Zeitschrift für Versicherungsmedizin 8 Mark.
Verlag von Georg Thieme, Leipzig.
28. Februar.
Originalarbeiten und Sammelberichte.
Stauungspapille und Gehirnchirurgie.
Sammelreferat von Prof. Greeff, Berlin.
Mit den Fortschritten der Hirnchirurgie in den letzten Jahren
ist in chirurgischen -ophthalmologischen Kreisen ein erneutes Interesse
für das Wesen und die eventuelle operative Behandlung der Stauungs¬
papille erwacht. Um gleich das Wesentliche vorauszunehmen, so machte
man die Beobachtung, daß nach Beseitigung des die Stauungspapille
verursachenden Gehirntumors man als Hegel ansehen kann, daß danach
auch die Stauungspapille selbst und die Sehstörung zurückgeht. Wenn
aber die Stauungspapille länger besteht, so werden die Sehnervenfasern
nach und nach atrophisch, es tritt unheilbare Erblindung ein. Wird
nun auch mit Erfolg operiert, so ist der Patient doch wegen des V er-
lustes des Augenlichtes übel daran. Solche Fälle sind nicht zu selten.
Während man früher bei einer Stauungspapille, wenn nicht Lues
vorlag, den Patienten seinem Schicksal zu überlassen gewohnt war,
das ihn zur Amaurose oder zum Exitus letalis führte, sinnt man heute
auf chirurgische Methoden wenigstens die Blindheit abzuwenden. Ja
selbst, wenn der Tumor nicht lokalisiert und die Ursache der Stauungs¬
papille nicht beseitigt werden kann, so ist es gerechtfertigt Operationen
vorzunehmen, um wenigstens das Sehvermögen zu erhalten, das zum
Wohlbefinden des Kranken, der immerhin noch Jahre leben kann,
ein Wesentliches ausmacht. Es liegen gerade aus den letzten Jahren
darüber viele Berichte und Arbeiten vor.
Das Wesen der Stauungspapille.
Dr. W. Thorner in Berlin hat neuerdings eine ausführliche und
gründliche experimentelle Arbeit über die Entstehung der Stauungs¬
papille gebracht, v. Graefe stellte die Theorie auf, daß die Erhöhung
des Hirndrucks den Sinus cavernosus komprimiere, infolgedessen der
Blutabfluß der Vena opt. sup. und folglich auch der Vena centr. retinae
behindert sei. Die dadurch herbeigeführte Blutstauung bewirke eine
Inkarzeration des Sehnervenkopfes in dem unnachgiebigen Skleralring.
Diese Anschauung kann als widerlegt angesehen werden, besonders
durch die anatomischen Untersuchungen von Seseman, daß die V. opt.
sup. ausgiebige Anastomosen mit der V. facialis ant. besitzt, so daß
eine Behinderung des venösen Abflusses nach der Schädelhöhle noch
nicht eine venöse Stauung in der V. centr. ret. hervorbringt. Nur
15
226
Greeff,
v. Bramanh 'ist fn neuerer Zeit wieder auf diese Theorie zurück'
gekommen. Er sieht die Ursache der Stauungspapille in der direkten
Druckwirkung des Tumors auf den Sinus cavernosus oder auf den
Sinus transversus, durch den der Sinus cavernosus seinen Abfluß'
findet.
Sonst stehen sich im wesentlichen heute zwei Theorien gegenüber,
1. Die Ansicht, daß es sich hei der Stauungspapille um primäre mecha¬
nische Wirkung der Steigerung des intrakraniellen Druckes handelt,
der sich zwischen den Scheiden des Sehnerven bis an das Sehnerven¬
ende fortpflanze (Manz, Schmidt-Bimpler, v. Michel usw.) ; 2. daß
die Stauungspapille eine primäre Entzündung durch toxische Produkte
der intrakraniellen Neubildungen sei (Leber, Deutsch man usw.).
Manche Autoren nehmen eine vermittelnde Stellung ein.
Thorner untersucht zuerst die physikalischen Gesetze, welche
hier Geltung haben. Es ist zwar richtig, daß ein erhöhter Druck sich
nach allen Seiten hin gleichmäßig fortpflanzen muß, also auch ein
erhöhter Hirndruck, aber das Gesetz modifiziert sich, wenn es sich
um lange kapilläre Böhren und Spalten handelt, dann steigt der Druck
in der kapillären Bohre nicht gleichmäßig mit, sondern bleibt zurück.
Nun ist der Zwischenscheidenraum um den Sehnerv eine sehr lange
kapilläre Bohre, im Foramen opticum ist nur unten eine ganz schmale
Spalte vorhanden, ferner ist der Baum im ganzen Verlauf vielfach
in Buchten und Taschen geteilt, so daß sicher zu folgern ist, daß
ein erhöhter Hirndruck (und gewaltige Steigerungen kommen ja gar
nicht vor) gar nicht bis zu dem Sehnervenende seine Wirkung aus-
üben kann.
Die bisher am toten wie am lebenden Tier angestellten Experi¬
mente haben keine befriedigende Lösung ergeben. Vor allem ist ein¬
zuwenden, daß nicht nur der intervaginale Lymphraum, sondern auch
der supravaginale und der Tenon’sche mit dem subarachnoidalen kom¬
munizieren, sich also bei erhöhtem Lymphdruck füllen müßten. In
der Tat ergaben die Injektionsversuche vom subarachnoidalen Baum
aus, daß sich auch diese füllten und sich zuerst Exophthalmus ein¬
stellte. Es müßte also bei erhöhtem Hirndruck Exophthalmus eintreten
und umgekehrt starker Exophthalmus erhöhten Hirndruck machen,
wenn freie Kommunikationen hier beständen, was beides nie beob¬
achtet wird.
Thorner hat nun eine neue Idee bei seinen Experimenten durch¬
geführt. Um mechanisch eine Einwirkung auf die Papille zu erzielen,
ohne eingreifende anatomische Veränderungen, wählte er den Weg direkt
durch den Bulbus und zwar in der Weise, daß eine Spritze oder Kanüle
durch den Glaskörper bis in die Tenon’sche Kapsel oder etwas über
diese hinaus in der Umgebung der Papille eingestochen wird und hier
die Substanzen, die eine mechanische oder irritative Wirkung auf
den Sehnerven ausüben sollen, eingespritzt worden.
Es wurde zunächst metallisches Quecksilber beim lebenden, narko¬
tisierten Tier injiziert. Nach Beendigung der Injektion sah man das
Quecksilber rings um die Kornea an der Konjunktiva durchschimmern.
Es trat ferner ein mäßiger, aber deutlicher Exophthalmus ein. Ophthal¬
moskopisch zeigten sich sofort nach der Injektion die Arterien der
Betina verschwunden, jedoch nach einigen Minuten schon waren wieder
normale Zirkulations Verhältnisse vorhanden. Eine Stunde später sah
Stauungspapille und Gehirnchirurgie.
227
die anfangs blasse Papille wieder normal ans, sie erwies sich auch so
bei der anatomischen Untersuchung.
Als Gegenprobe wurden Stoffe gewählt, die zwar keine Druck¬
wirkung ausübten, aber entzündungserregend wirkten. Zunächst der
elektrische Strom, dann Jiequiritilösung und das alkalische Liquor
ammonii. Es trat bald und erheblich ein starkes Ödem der Papille ein.
Aus allen Gründen scheint dem Verfasser von allen Theorien
über (die Entstehung der Stauungspapille die von Leber aufgestellte
Toxintheorie diejenige zu sein, welche alle bekannten Erscheinungen
am besten erklärt.
Wenn es auch nicht üblich ist in einem Referat viel von all¬
gemein kritischen Erwägungen zu bringen, so sei doch schon hier
bemerkt, daß mit dieser Arbeit das letzte Wort in dieser Frage noch
nicht gesprochen ist. Die Experimente des Verfassers sind wohl richtig,
es fragt sich nur, ob seine Schlüsse daraus unbedingt so ausf allen
müssen. Bei dem erhöhten Hirndruck hält der gesteigerte Druck
Wochen und Monate an und er könnte so doch eher seinen Weg bis
zur Papille finden als in dem Experiment. Ferner sprechen die klini¬
schen Erfahrungen nicht immer zugunsten der Entzündungstheorie,
sonst müßte gerade bei einem Hirnabszeß die Stauungspapille häufig,
bei etwa einem Nervenfibrom im Hinterhauptslappen sehr selten sein.
Das Umgekehrte ist aber fast regelmäßig der Fall. Auch die unten zu
erwähnende Tatsache, daß bei einer einfachen palliativen Eröffnung
des Schädels die Stauungspapille meist zurückgeht und zwar häufig
sofort, ist gegen diese Theorie zu verwerten.
Operatives Vorgehen.
Bei Bestehen der Stauungspapille sind meistens die äußeren
Scheiden der Dura um den Sehnerv eine Strecke weit hinter dem Bulbus
ampullenartig aufgetrieben : Hydrops vaginae nervi optici. Wenn
diese Erscheinung durch erhöhten Druck hervorgerufen wäre, so wäre
es am naheliegendsten diese Scheiden einzuschneiden. Dies ist auch
öfters früher geschehen (Borchardt), jedoch kann die Operation als
nutzlos oder schädigend, als verlassen angesehen werden.
E. v. Hippel hat es unternommen, im Anschluß an einen Fall
die große Literatur über die operative Behandlung der Hirntumoren
mit Stauungspapille zusammenzustellen und statistisch zu verwerten.
Es ist danach zunächst eine unbestreitbare Tatsache, daß, wenn
bei Stauungspapille das Sehvermögen anfängt abzunehmen, die Pro¬
gnose für den Visus in der großen Mehrzahl der Fälle eine absolut
schlechte ist. Die definitive, unheilbare Erblindung läßt nicht lange
auf sich warten.
Was leistet nun die Operation betreffs der Stauungspapille? Es
steht zunächst fest, daß diese nach radikaler Beseitigung des Grund¬
leidens (Tumor, Abszeß) so gut wie ausnahmslos verschwindet und
ein gutes Sehvermögen erzielt wird, wenn nicht zu spät operiert ist,
also alle Sehnervenfasern schon zugrunde gegangen sind.
Aber wir können heutzutage weitergehen. Das gleiche Ergebnis
wird sehr oft dann erreicht, wenn die Causa morbi nicht entfernt,
sondern durch eine Trepanation nur eine Aufhebung des gesteigerten
intraokularen Druckes herbeigeführt wird. Deshalb reden neuere
Autoren Sänger, Finckh, v. Krüdener, v. Hippel der Palliativ¬
trepanation das Wort. Von 221 Fällen starben im Anschluß an die
15*
228
Greeff, Stauungspapille und Gehirnchirurgie.
Operation 53, bei den übrigen 168 ging die Stauungspapille hundertmal
zurück, nur achtzehnmal tat sie es nicht, bei den übrigen fehlen ver¬
wendbare Angaben.
In bezug auf das Sehvermögen ergibt sich, daß die Aussichten
für Wiederherstellung oder Erhaltung des Sehvermögens günstige sind,
wenn man rechtzeitig, d. h. wenn noch brauchbares Sehvermögen vor¬
handen war, dagegen sehr schlechte, wenn spät operiert wird.
Die Trepanation steht unter den operativen Eingriffen, welche
die Stauungspapille zum V ersch winden bringen können, zweifellos oben¬
an. Es ist mit Nachdruck zu betonen, daß es sich bei der Trepanation
durchaus nicht immer bloß um ein Hinausschieben des Endes handelt,
sondern daß auch völlige Heilungen Vorkommen, daß ferner die Lebens¬
dauer der Patienten durchaus nicht selten eine solche ist, daß man auch
in dieser Hinsicht den Eingriff als einen durchaus lohnenden bezeichnen
muß. Es ist ein gewaltiger Unterschied, ob ein sonst schwer
leidender Mensch auch noch blind ist oder nicht.
Der einzige Einwand, der gegen die Palliativtrepanation gemacht
wird ist der, daß die Gefahr derselben zu groß sei. Eine beweiskräf¬
tige Statistik in dieser Hinsicht kann nur die Zukunft bringen. Die
unmittelbare Gefahr der Operation ist im allgemeinen viel geringer,
wenn sie in einem relativ frühen — d. h. in dem für unsere Zwecke
in Betracht kommenden Stadium der Krankheit — gemacht wird.
Die Gefahr wird dann von besonders erfahrenen Chirurgen (Kocher,
Horsley) als gering bezeichnet, sofern die Art des operativen Vor¬
gehens zweckmäßig ist. Verfasser geht nun auf die Technik ein, aus
der ich nur den wichtigsten Satz anführen möchte, daß die einfache
Trepanation nicht genügt, sondern die Inzision oder Exzision der
Dura notwendig sei.
Von Bedeutung ist der Ort, an welchem die Trepanation aus¬
geführt wird. Es empfiehlt sich möglichst in der Nähe des raum¬
beengenden Gebildes zu trepanieren. Wenn also der Tumor auch nur
mit Wahrscheinlichkeit lokalisiert werden kann, so soll die betreffende
Gegend gewählt werden.
Es ist zu erwarten, daß die Unsicherheit in der Lokalisation
immer mehr abnimmt, je weitere Anwendung die Neisser’sche Hirn-
punktion finden wird. Durch die Bohrlöcher, die man dann setzt,
kann auch eine Punktion der Ventrikel vorgenommen werden und
diese kann besonders dann Wert haben, wenn es sich nicht um eine
Neubildung, sondern um eine intrakranielle Drucksteigerung aus anderen
Gründen handelt. Schon v. Bergmann hat die Punktion der Seiten¬
ventrikel empfohlen.
Die Lumbalpunktion gilt jedenfalls bei der Wahrscheinlich¬
keitsdiagnose auf Tumor der hinteren Schädelgrube jetzt ziemlich all¬
gemein als zu gefährlich (s. bes. die Todesfälle aus der Kieler Klinik).
Aber es ergibt sich auch, daß bei Tumoren anderer Gegenden der
Lumbalpunktion keine erhebliche therapeutische Bedeutung zukommt.
Nach dem Besultat über 32 Fälle von Lumbalpunktion bei Stauungs¬
papille läßt sich vielleicht folgendes sagen: Als therapeutisches Ver¬
fahren zur Heilung der Stauungspapille kommt die Lumbalpunktion
nicht in Betracht, wenn die überwiegende Wahrscheinlichkeit für
Tumor besteht; dagegen ist sie als der einfachere Eingriff bei Menin¬
gitis, besonders der serösen, bei Syphilis, sowie bei Schädeltraumen zu
versuchen, ehe man sich eventuell zur Trepanation entschließt.
Peters, Die chemisch-biologischen Eigenschaften des Hämatopans.
229
Von besonderen Verfahren wären noch zu nennen der Bai keil¬
st ich hei Hydrocephalus, Tumoren und bei Epilepsie, den Anton und
v. Bramann in seinen Fällen ausführten. Die Operation bezweckt
die Herstellung einer offenen Verbindung zwischen dem Ventrikel und
dem subduralen Raum, wodurch für ausreichende Abführung des Liquor
gesorgt werden soll. '
Zu erwähnen ist schließlich noch, daß Payr in Greifswald bei
Hydrocephalus und Stauungspapille die Vena saphena in den Ventrikel
einführte, sie in den Sinus longitudinalis einnähte und so eine Ven¬
trikel-Drainage erzielte.
Literatur.
W. Thorner: Untersuchungen über die Entstehung der Stauungspapille.
v. Graefe’s Archiv f. Oph. 69. 3. 1908.
E. v. Hippel: Über die Palliativtrepanation bei Stauungspapille, v. Graefe’s
Archiv f. Oph. 69. 2. 1908.
U. Finekh: Über die Palliativ-Operationen bei Stauungspapille. Inaug. Diss.
Freiburg i. B. 1904.
Anton u. v. Bramann: Balkenstich bei Hydrocephalus, Tumoren und Epi¬
lepsie. Münch. Med. Woch. 1908. Nr. 32.
Sänger: Über die Palliativtrepanation bei inoperablen Hirntumoren. Klin.
Monatsbl. 1907, Febr.
v. Krüdener: Zur Pathologie der Stauungspapille und ihrer Veränderung
durch Trepanation, v. Graefe’s Archiv, Bd. 65, S. 69.
Die chemisch-biologischen Eigenschaften des Hämatopans und
sein therapeutischer Wert in der Praxis.
Von Dr. Peters, Eisenach.
Der modernen Blut- und Nährpräparate, die das letzte Jahr¬
zehnt uns beschert hat, ist Legion. Viel Gutes findet sich darunter,
unleugbar, aber auch manches Minderwertige, was viel verspricht und
wenig hält. Kaum eines aber ist bisher darunter, das allen an ein voll¬
kommenes, blutbildendes und gleichzeitig kräftigendes Präparat zu
stellenden Anforderungen nach jeder Richtung hin gerecht wird. Seihst
die in der Praxis beliebtesten der neueren derartigen Mittel weisen
gewisse Mängel auf, die den sie verwendenden Arzt oft genug veran¬
lassen, sich bald von dem einen wieder einem anderen Präparat zuzu¬
wenden, von dem er bessere Dienste und Erfolge erhofft, weil nach
ein paar vielleicht günstigen Erfolgen es sich immer wieder zeigt,
daß das Mittel die ihm nachgerühmte Wirkung nicht bei allen Fällen
entfaltet, daß es oft genug im Stiche läßt. Da dürfte es nun nicht
uninteressant sein, einmal kurz festzustellen, welche chemischen und
physikalischen Eigenschaften und welche Wirkungen man von einem
wirklich guten, als vollkommen zu bezeichnenden Blut- und Nähr¬
präparat verlangen muß.
Als erstes Haupt- und Grunderfordernis muß man da die Eigen¬
schaft einer kräftigen Hebung und Belebung der vitalen Energie der
Einzelzelle wie des Gesamtorganismus, einer in dem zugeführten Stär¬
kungsmittel seihst liegenden Anregung zu seiner Aufnahme und Ver¬
wertung voranstellen. Denn der Verlust des Blutes an Bluteisen, der
Mangel der Gewebe an Nährstoffen ist nicht immer nur durch vermin¬
derte oder fehlende Zufuhr dieser Stoffe verursacht, sondern eben¬
sowohl durch die verminderte Lebenskraft der Zellen, der mangelnden
230
Peters,
Fähigkeit, die Stoffe auf zunehmen und zu verwerten. Darum genügt
es nicht, dem Organismus nur die fehlenden Stoffe wieder zuzuführen,
sondern ihm muß auch gleichzeitig die Anregung zur Aufnahme und
Verwertung der zugeführten Zellnahrung gegeben werden, weil —
wie Professor Starling in London treffend ausführt — ,,die Zelle
zur Entfaltung ihrer Tätigkeit der Beiz- und Energiestoffe bedarf“.
Gehen wir den Zellgeweben des Organismus in diesen Stoffen die
gesunde Lebensenergie, die ihr zur Verwertung der Nahrung mangelte,
wieder, dann wird sich mit der geweckten Lebenskraft auch die Lust
zur Aufnahme der Nahrungsstoffe einstellen; das Signal hierfür im
Körper ist der gesteigerte Appetit. Von einem guten, wirksamen Kräf¬
tigungsmittel muß man also in erster Linie die prompte Hebung und
Besserung des Appetits verlangen, denn sie ist erst das Zeichen, daß
in den einzelnen Zellgeweben sich die vitale Energie und die Aufnahme¬
lust wieder hebt, und daß nun auch das gegebene Stärkungs- oder
blutbildende Mittel zur Verwertung und damit zur Wirkung gelangen
werde.
Das zweite Erfordernis bei einem guten Blutbildungs- und Kräf¬
tigungsmittel ist die V ermeidung der Einseitigkeit in der Zusammen-,
setzung. Es darf nicht neben dem Eisen lediglich Eiweiß enthalten,
sondern es muß neben dem Eiweiß stets einen Gehalt an Kohle¬
hydraten in richtigem Verhältnis besitzen. Diese Lehre gibt uns schon
die Natur selbst, die uns bei allen von ihr dargebotenen natürlichen
eisenhaltigen Nahrungsmitteln das Eisen stets in Verbindung mit
Eiweiß und Kohlehydraten gibt. Der Grund, warum gerade hier die
Kohlehydrate unentbehrlich sind, erhellt schon aus der unbestrittenen
Erfahrung, daß — wie Kobert hervorhebt — die bei der Verdauung
der Eiweißkörper im Darm leicht sich entwickelnden Fäulnisprozesse
und Gärungen durch gleichzeitige Verabreichung von reichlichen Kohle¬
hydraten vermindert, ja verhindert werden, daß also letztere neben ihrer
ernährenden auch noch eine antiseptische Funktion im Darm haben.
Notwendig aber ist die Beimengung geeigneter Kohlehydratmengen
zu Blut-Eiweiß-Präparaten noch aus einem anderen Grunde. Erfah¬
rungsgemäß sind gerade die mit Herabsetzung der vitalen Energie
in den roten Blutkörperchen einhergehenden oder in solcher beruhenden
Erkrankungen, wie Anämie, Chlorose usw., bei deren Behandlung vor¬
nehmlich Mittel der genannten Art in Anwendung kommen, in den
weitaus meisten Fällen mit Hyperchlorhydrie des Magensaftes ver¬
bunden, infolge deren es ja gerade bei chlorotischen und anämischen
Personen so leicht zur Bildung eines Ulcus ventriculi kommt. Nun
besitzen aber gewisse Kohlehydrate, besonders einzelne Zuckerarten,
wie die Dextrose, bekanntlich einen starken sekretionsvermindernden
Einfluß auf die Salzsäure des Magens; darum wird durch eine Bei¬
mischung derartiger Kohlehydrate im Eiweißpräparat von großem
Nutzen sein und den Wert dieser gerade bei den genannten Krankheiten
unentbehrlichen und souveränen Mittel bedeutend erhöhen.
Endlich soll von einem guten, die Blutbildung anregenden und den
Kräftezustand bessernden Präparat verlangt werden, daß es die dem
Körper fehlenden und im speziellen Falle zuzuführenden Stoffe in
einer im Organismus leicht resorbierbaren und assimilierbaren und
zugleich gut haltbaren Form enthält. Die Erfahrung hat gelehrt,
daß die beste derartige Form des Eisens und des Eiweißes die direkt
aus dem Blute sich herleitenden Präparate enthalten, dem Blute, das
Die chemisch-biologischen Eigenschaften des Hämatopans.
231
unbestreitbar die beste Quelle des Eisens und des Eiweißes ist; dieses
Prinzip hat sich die Industrie schon seit Jahren in der Herstellung der
verschiedenen Hämoglobinpräparate zunutze gemacht.
Sehen wir uns nun die große Reihe dieser Präparate daraufhin
an, wie weit die einzelnen den obigen Forderungen entsprechen, so
müssen wir mit Bedauern sehen, wie eines nach dem andern dem
kritisch prüfenden Blick nicht standhält und ausfällt. In erster Linie
sind das die flüssigen Hämoglobinpräparate ; aus zwei Gründen : erstens
ist der Nutzwert bei einem Gehalt von 10°/0 Hämoglobin und 70°/0
Wasser, Alkohol und Glyzerin ein recht geringer, zweitens aber auch
die Haltbarkeit der Präparate eine schlechte, da die flüssigen Hämo¬
globinpräparate — wie Koning nachgewiesen hat — ein überaus
günstiger Nährboden für Bakterien aller Art sind. Infolge dieser
mangelhaften chemischen Eigenschaften fehlt auch die Anregung der
vitalen Energie durch diese Präparate fast völlig, da der Gehalt an
-Alkohol, wenn er auch momentan ein künstlich gesteigertes Wohl¬
gefühl hervorruft, nur schwächend und erschlaffend auf den Organis¬
mus einwirkt. Endlich aber — und das ist die Hauptsache ! — leiden
die flüssigen Hämoglobinpräparate, wde die trockenen Eisen-Eiwei߬
präparate, die nachgewiesenermaßen zum großen Teil unverändert
wieder im Kot ausgeschieden werden, daher einen nur geringen Aus¬
nutzungswert besitzen, alle an dem großen Fehler der Einseitigkeit :
sie alle enthalten wohl Eisen und Eiweiß in den verschiedensten Formen
J — als Albumine, als Peptone usw. — , aber ihnen fehlen die Kohle¬
hydrate, deren hervorragende Wichtigkeit neben den zwei genannten
Substanzen wir oben bereits betont und begründet haben. Am besten
und vollkommensten hält der kritischen Prüfung in diesen Beziehungen
das seit etwa vier oder fünf Jahren in die Praxis eingeführte Hämatopan
stand ; es erfüllt die vier Grundforderungen, die vorhin aufgestellt
wurden, in denkbar vollkommenster Weise. Kraft welcher Eigenschaften
-es das tut, sei hier kurz erläutert.
Die grundlegende Eigenschaft einer mächtigen Anregung der vita¬
len Energie verdankt es seinem relativ sehr hohen Gehalt an Lezithin
(1,2 °/0). Das Lezithin ist bekanntlich der in jeder lebenden Zelle sich
findende, auch einen wesentlichen Bestandteil des Gehirns, der Nerven -
Substanz und der Blutkörperchen bildende physiologische Phosphor,
die natürliche Glyzerin-Phosphor-Eiweiß Verbindung, an deren Wirkung
die Zellneubildung, kurz alles organische Leben gebunden ist. Der
reichliche Gehalt an diesem anerkannt lebenswichtigen Stoff verleiht
daher dem Hämatopan die Eigenschaft einer mächtigen Anregung der
Zellenergie und der Ernährung, zugleich aber auch des gesamten Nerven¬
systems und macht es dadurch nicht allein zu einem die Blutbildung
fördernden, sondern auch nervenstärkenden und allgemein die Ernährung
hebenden Präparat.
Die zweite obengenannte Forderung erfüllt das Hämatopan eben¬
falls in ausgiebigem Maße: es weist neben Hämoglobin einen hohen
Gehalt an Kohlehydraten, hauptsächlich in Form der Maltose, dem
Doppelmolekül der Dextrose auf. Das ist — wie oben erwähnt, —
sehr wichtig einmal in bezug auf die Verdauung und die Ausnutzung
der Eisen- und Eiweißstoffe, deren einseitige Zuführung ohne An¬
wesenheit von Kohlehydraten die vitale Energie des Organismus eher
hindert als fördert, weil durch sie die Verdauungsorgane stark belastet
232
Peters,
werden — wie Clemm1) treffend ansführt; dann aber wichtig auch
deshalb, weil der Nährwert des Malzzuckers ein sehr hoher ist, bei¬
spielsweise doppelt so hoch wie der Milchzucker, wie ja überhaupt
nach den Untersuchungen von E. und C. Voit die Zucker als echte
Glykogenbildner anzusehen sind.
Dank der gleichen Eigenschaft genügt das Hämatopan auch der
dritten oben aufgestellten Forderung: daß es hei Anämie und Chlorose,
die sehr oft mit einer zu Ulkushildung führenden Hyperchlorhydrie des
Magensaftes einhergehen, die Säurebildung des Magens herabsetzt, weil
die in ihm enthaltene Dextrose nach den Untersuchungen von Clemm
vor allen andern Zuckerarten einen starken Einfluß auf die Magen¬
saftsekretion hat, indem sie nicht nur die Saftmenge verringert,
sondern besonders den Gehalt an HCl vermindert. Dadurch gewinnt
Hämatopan ganz besonders an Wert als Präparat bei der Behandlung
der genannten Krankheitsformen, speziell bei denen mit Neigung zu
Ulkusbildung.
Endlich erfüllt Hämatopan auch die vierte Anforderung der guten
Haltbarkeit und der leichten Resorptionsfähigkeit ebenfalls in sehr
vollkommener Weise. Die Herstellungsweise in absolut trockener Form
schließt von vornherein die bei den flüssigen Hämoglobinpräparaten
bestehende Gefahr einer Mikrobenentwicklung in dem Präparat aus,
und die Beimischung der besonders leicht und schnell resorbier baren
Maltose erhöht die leichte Löslichkeit des Hämoglobins, wodurch letz¬
teres besonders leicht und vollkommen aufgenommen und im Organis¬
mus ausgenutzt wird.
Das Hämatopan kennzeichnet sich in der in den Handel kom¬
menden Form als ein absolut trockenes, fein kristallinisches Pulver
von sehr leichtem Gewicht, rubinroter Farbe und von malzig-würzigem
Geruch und Geschmack, das sich in Wasser leicht löst zu einer wein¬
roten Flüssigkeit. Nach der Analyse von J. König in Münster ent¬
hält Hämatopan :
Wasser 6,53 °/0
Stickstoff 8,35 „
Maltose 26,05 „
Dextrin 12,92 „
Asche 2,15 „ ,
(darin Lezithinphosphor 0,108 °/0 entsprechend Lezithin 1,2 °/0)
Hämoglobin 43,8 „ .
Daß das Hämatopan alles, was es nach seiner Zusammensetzung
und den hieraus resultierenden Eigenschaften verspricht, in der prak¬
tischen Verwendung auch in vollem Umfange hält, davon habe ich
mich bei einer Anzahl von Fällen überzeugt, bei denen ich Hämatopan
in Anwendung gebracht habe. Es waren das vier Fälle von stillenden
Wöchnerinnen, bei denen die anfangs recht geringe Laktation sich
nach Hämatopangebrauch ganz auffallend besserte ; sechs Fälle von
Anämie und Chlorose, zwei Fälle von bestehendem, bezw. drohendem
Ulcus ventriculi und drei Fälle von hochgradiger Abmagerung und
Schwächezuständen infolge verschiedener körperlicher Ursachen. Von
diesen beobachteten fünfzehn Fällen seien die sechs eklatantesten hier
näher berichtet.
0 Dr. Clemm, Vortrag auf dem 78. Naturforscher-Ärztetag in Stuttgart 1906.
Die chemisch-biologischen Eigenschaften des Hämatopans.
233
1. Elsbeth C., 23 Jahre alt, leidet, als sie im Mai in meine
Behandlung kommt, an heftigen Kardialgien, zeitweisem Erbrechen,
Kopfschmerzen, absoluter Appetitlosigkeit usw. Blasses, stark ab-
gemagertes Mädchen ; Magen sehr schlaff, Epigastrium auf Druck
sehr schmerzempfindlich; Hämoglobingehalt des Blutes (nach Tall-
quist) = 55 °/0; Salzsäuregehalt des Magensaftes erhöht. Annahme
eines Ulcus ventriculi wahrscheinlich. Verordnung: Bettruhe, Um¬
schläge, Einläufe, schleimige Kost; intern Wismut mit Kodein. Nach
vier Tagen Beginn der Verabreichung von Hämatopan, dreimal täglich
ein Teelöffel voll, in Schleimsuppen. Nach acht Tagen Auf hören der
Kardialgien ; Patientin steht zeitweise auf. Hämatopan wurde im
ganzen drei Monate lang genommen ; nach einem Monat Hämoglobin¬
gehalt auf 65°/ 0, nach zwei Monaten auf 80°/0 gestiegen. Kardial¬
gien verschwunden, Aussehen bedeutend besser, jkeine Kopfschmerzen
mehr; Speisen, auch festere, werden gut vertragen. Gewichtszunahme
von 86 auf 102 Pfund ; Anfang August geheilt entlassen.
2. Emma K., Plätterin, 22 Jahre alt, ließ mich am 16. Juni
rufen wegen heftigen Bluterbrechens ; sie fühlte sich schon länger
nicht wohl und hatte viel an ,, Magenschmerzen“, Verdauungsbe¬
schwerden und Appetitmangel zu leiden gehabt. Es waren ca. 600 g
dunklen, zum Teil geronnenen Blutes, mit Schleim vermischt, erbrochen ;
einzelne kleinere Nachblutungen traten noch auf. Diagnose: Ulcus
ventriculi. Ordination : Eisbeutel auf die Magengegend, intern Eis¬
stückchen und Arg. nitr. -Pillen ; trotzdem wiederholte sich am zweiten
Tage noch eine heftige Magenblutung. Unter fortgesetzter Behandlung
in angegebener Weise wurden weitere Blutungen nicht mehr beobachtet.
Die Schmerzen verschwanden etwa am fünften oder sechsten Tage
nach der zweiten Blutung ; vom dritten Tag ab eisgekühlte Milch in
kleinen Portionen. Patientin ist sehr schwach und hochgradig anämisch
geworden. V om achten Tage ab Hämatopan in Schleimsuppen und
Milch, zuerst dreimal eine Messerspitze, später ein Teelöffel voll täg¬
lich. Nach drei Wochen erstes Auf stehen. Von der vierten Woche
ab festere, kohlehydrat- und fettreichere Kost, daneben andauernd
Hämatopan, zehn Wochen hindurch, Rekonvaleszenz verläuft auf¬
fallend schnell und günstig ; Besserung des anämischen Aussehens ;
Hämoglobingehalt bei der Entlassung = 75°/0.
3. Lisbeth N., 1 71/2 Jahre alt, wird mir von der Mutter am
18. März wegen „Bleichsucht“ zugeführt. Körperlich großes, aber
schmächtiges, blasses, mageres Mädchen. Hämoglobingehalt 50°/0;
dyspeptische Beschwerden, Gastralgien, Dysmenorrhöe, Leukorrhoe.
Zuerst hydrotherapeutische Behandlung, innerlich Hämoglobinpräparate,
da „Eisen“ wegen schlechter Erfahrungen abgelehnt wird. Nach an¬
fänglich geringer Besserung am 16. April heftige Menorrhagie, acht
Tage anhaltend, trotz Bettruhe, Eisapplikation und Sekale. Danach
große Erschöpfung, Mattigkeit, anämisches Aussehen. Zwei Monate
lang Aletris Cordial2), danach Besserung der Menses bezüglich Dauer
und Stärke. ' Von Mitte Juni an Hämatopan, ein Teelöffel voll dreimal
täglich. Besonders bemerkenswert ist die alsbald sich zeigende gute
Appetitzunahme, die eine reichlichere, kräftigere Ernährung ermög¬
licht. Am 9. Juli Hämoglobingehalt — 70°/0. Hämatopan wird fort-
2) Vergleiche meine Abhandlung über „Aletris Cordial; ein Beitrag zur Frage
der internen Behandlung von Frauenleiden“. Das Bezept, Heft 4 — 6, 1908.
234
Peters,
gesetzt bei anhaltender Besserung des Kräftezustandes, erheblicher
Gewichtszunahme und Besserung des Aussehens. Am 16. August letzte
Konsultation. Gewichtzunahme 14 Pfund seit Ende April, Hämoglobin¬
gehalt = 85°/0, keine Magenbeschwerden. Menses, wenn auch nicht
beschwerdefrei, so doch regulär und von mäßiger Stärke und Dauer.
4. Therese Z., 18 1/2 Jahre alt, schmächtiges, mageres Mäd¬
chen, konsultiert mich am 20. Mai wegen hochgradiger körper¬
licher Schwäche und Mattigkeit, die sie angesichts eines schon länger
bestehenden kurzen, trockenen Hustens befürchtet auf beginnende
Lungenschwindsucht zurückführen zu müssen. Untersuchung der
Lunge ergibt chronischen trockenen Katarrh des rechten Oberlappens ;
Auswurf spärlich, keine T. B. Totale Anorexie, Magenatonie, Poly-
mennorrhöe, Anämie. — Neben Behandlung des Lungenkatarrhs Häma-
tojmn -Verabreichung, zuerst dreimal, später viermal täglich ein Tee¬
löffel voll. Hämoglobingehalt steigt von 65 °/0 auf 80°/0 innerhalb
vier Wochen, dabei ausgezeichnete Nahrungsaufnahme infolge mächtiger
Appetitsteigerung und Zunahme des Körpergewichts von 87 auf 95
Pfund. Hämatopan im ganzen zwei Monate lang gegeben. Am 8. August
entlassen. Lunge absolut frei von Erscheinungen; Körpergewicht 102
Pfund, Hämoglobingehalt 85 °/0 ; gutes Wohlbefinden, frisches, gesun¬
des Aussehen.
5. Maschinistenfrau Caroline J., 28 jährige Erstgebärende, konsul¬
tierte mich vier Wochen vor der Entbindung. Körperbefund normal,
aber Brüste ziemlich klein, wenig Sekret ausdrückbar. Da IMtientin
gern selbst stillen will, wird Hämatopan in reichlicher Menge, vier
Teelöffel voll pro Tag, verordnet. Schon vor der Niederkunft zeigt
sich deutlich Zunahme der Sekretion auf Druck. Am dritten Tage
nach der normal verlaufenen Entbindung mäßige Schwellung der Brüste ;
das Kind findet genügend Nahrung, die unter der am achten Tage
wiederaufgenommenen Hämatopan -Verabreichung sehr reichlich wird.
Die Frau hat das Kind nunmehr seit fünf Monaten an der Brust, ohne
andere Nahrung hinzugeben zu müssen. Von der Schwächung durch
die Entbindung hat sie sich auffallend schnell und gut erholt.
6. Musikerfrau Helene A., 27jährige Drittgebärende, fragt mich
kurz vor der Entbindung, ob es inicht möglich sei, bei ihr eine reichlichere
Milchsekretion zu erzielen ; sie habe die beiden ersten Kinder drei
Wochen lang nähren können, habe sie dann aber wegen Nahrungsmangels
entwöhnen müssen. Sie erhält Hämatopan, das bei Beginn der Ent¬
bindung ausgesetzt, vom siebenten Tage an aber wieder allmählich
steigend gegeben wird. Die Milchsekretion ist so reichlich wie bei
keiner der vorangegangenen Laktationsperioden, und die Frau hat jetzt
seit fünfthalb Monaten allein das Kind genährt, kann auch — an¬
gesichts des absolut guten und kräftigen körperlichen Befindens —
das Stillen vorläufig noch fortsetzen.
Alle diese Fälle, denen die übrigen günstigen Beobachtungen
in Verlauf und Resultat im wesentlichen gleichen, zeigen uns ganz
besonders die mächtige Anregung der vitalen Energie infolge
der vermehrten Zellneubildung in allen Organen, damit die ganz er¬
hebliche Steigerung des allgemeinen Stoffwechsels, die sich auch in der
fast durchweg beobachteten raschen Appetitsteigerung kundgab. Die
zum Teil freilich auf die vermehrte Nahrungsaufnahme zurückzu¬
führende Gewichtszunahme und Besserung der Körperkräfte aber ist
nebenbei nicht zum geringsten Teil auf den Gehalt an Maltose zurück-
Die chemisch-biologischen Eigenschaften des Hämatopans.
235
zuführen. Ermöglicht wurde die durchweg anstandslose Aufnahme
des Präparats durch seinen Wohlgeschmack und die leichte Verdau¬
lichkeit. Erwähnenswert ist ferner noch die hei allen mit Hyper¬
chlor hydrie und Dyspepsie einhergehenden Fällen, namentlich auch hei
denen mit Ulkusbildung, beobachtete günstige Einwirkung des Häma¬
topans auf die Funktion des Magens und die schnelle Besserung der
von diesem ausgehenden Beschwerden und Krankheitserscheinungen,
sowie die deutlich erwiesene Förderung der Milchsekretion infolge der
durch das Hämatopan aufgebesserten Ernährung.
Kurz erwähnt sei hier noch, daß das Hämatopan dank seiner
erwähnten Eigenschaften sich vorzüglich als Vehikel zur Einführung
einer Beihe von Medikamenten in den Körper eignet, deren Aufnahme
sonst wegen ihrer chemischen Eigenschaften, ihres Geschmacks oder
aus andern Gründen oft Schwierigkeiten verursacht. Es sind bisher
besonders drei Medikamente mit Hämatopan in Verbindung gebracht,
Guajakol, Arsen und Jod. Bei dem Guajakol-Hämatopan wird der
oft die Ordination unmöglich machende häßliche Geschmack des Guaja-
kols durch den würzigen Maltosegeschmack des Hämatopans fast ver¬
deckt, daher seine Anwendung, auch hei empfindlichen Patienten er¬
möglicht, während hei Verabreichung von Arsenhämatopan und Jod-
hämatopan infolge der Bindung des Jods und Arsens an Eiweiß die
unerwünschten Nebenerscheinungen einer längeren Medikation dieser
Arzneistoffe völlig vermieden werden. Alle drei Präparate vereinigen
die Vorzüge einer Medikation der betreffenden Arzneimittel mit der
gleichzeitigen Darreichung eines appetitanregenden Nährmittels und
energischen Blutbildners.
Zuletzt sei noch als ein ganz besonderer Vorzug des Mittels,
seine relative Billigkeit erwähnt, die am besten durch einen allgemeinen
Vergleich mit anderen Bluteiweißpräparaten dargetan wird. Während
nämlich von Hämatopan bei einem täglichen Verbrauch von drei Tee¬
löffeln voll (== 6 g), bei der eine Originaldose ä 100 g = 1,80 Mk. sech¬
zehn Tage ausreicht, die monatliche Ausgabe sich auf 3,60 Mk. stellt, be¬
trägt die monatliche Ausgabe bei dem Liq. ferri mang, pept., von dem sich
250 g durchschnittlich auf 0,90 Mk. stellen, hei täglichem Verbrauch von
dreimal ein Eßlöffel voll (= 60 g) ca. 6,50 Mk., während von dem flüssi¬
gen Hämatogen (200 g — 2 Mk.) bei derselben Verabreichung monatlich
für 18 Mark verbraucht wird ! Berechnet man sich beispielsweise die
Differenzen dieser Zahlen für größere Krankenkassen auf ein Jahr
— unter Annahme von nur hundert Patienten im Monat, denen Eisen¬
präparate ordiniert werden, so kommt man schon zu ansehnlichen Be¬
trägen von vierstelligen Zahlen, die von den Kassen allein schon an
solchen Mitteln hei Bevorzugung von Hämatopan erspart werden
könnten.
Alle diese Eigenschaften und Vorzüge des Hämatopans3), die sich
in der Praxis erwiesen und bewährt haben, berechtigen zu dem Urteil,
daß wir es hier mit einem Präparat zu tun haben, das sowohl in bezug
auf physiologische und therapeutische Wirksamkeit, als auch in öko¬
nomischer Beziehung so leicht von keinem zweiten Präparat ähnlicher
Art erreicht oder gar übertroffen wird, und daß ihm deshalb eine
möglichst ausgiebige Anwendung und V erbreitung in der Praxis durch¬
aus zu wünschen ist.
3) Hergestellt von den Sudbracker Nährmittel werken von Dr. A. Wolff
in Bielefeld.
236 Ascher,
Breslauer Brief.
Von Dr. Ascher.
In der Sitzung der Schlesischen Gesellschaft für vaterlän¬
dische Kultur am Freitag den 27. November 1908 sprach Professor
Fr. Rosenfeld „Zur Methodik der Entfettungskuren“.
Vortr. machte genaue Angaben über seine als Kartoffelkur be¬
kannte Entfettungsmethode. Die Dauer derselben erstreckt sich in der
Regel über mehrere Monate. Alan muß dem Sättigungsgefühl Rechnung
tragen. Er empfiehlt die Zufuhr von vieler nährwertsarmer Flüssigkeit
wie Wasser, Tee, Kaffee, leere Brühe, dünne Suppen. Im Gegensätze
zur Örtelkur empfiehlt er kaltes Wasser, weil dasselbe zu seiner Er¬
wärmung die Verbrennung nicht geringer Mengen von Fett verlangt.
Voluminöse, kalorienarme Nahrung ist zu verordnen. In erster Linie
Kartoffeln mit 80°/0 Kalorienwert, dann Fleisch mit 100°/0, Fett muß
streng verboten werden, weil es einen Kalorienwert von 930°/0 und
ein geringeres Volumen habe. Aus demselben Grunde ist Alkohol zu
meiden. Häufigere kleinere Mahlzeiten sind dringend anzuraten, da
großer Hunger zu abundanter Nahrungsaufnahme führt. Der fettzeh¬
rende Einfluß durch Bewegung wird • seiner Meinung nach zu hoch,
die bewirkte Appetitsteigerung aber zu niedrig bewertet. Deshalb
empfiehlt er bei seiner Kur die Anwendung der Bettruhe. Wasser- und
Fleischverluste bei Entfettungskuren sollen vermieden werden.
Menschen von 150 — 180 cm Länge brauchten in maximo 3000
Kalorien. Werden ihnen nur 1000 Kalorien geboten, so können sie als
Höchstleistung 2000 Kalorien von ihrem Körperfette decken. Zu diesem
Zwecke müßten 215 gr Fett verbrannt werden. Dieses Maximum der
Fettabnahme würde monatlich 6,5 Kilo betragen. Jedes Mehr bedeutet
Fleisch- und Wasserverluste. Je nach der Zusammensetzung des Mast¬
ansatzes korpulenter Personen ist eine Abnahme bei einer Kur zu
erwarten. Starke Esser, Nascher, Trinker nehmen schnell ab, Leute,
die sich durch Fettnahrung ihr Fett erworben haben, bedeutend lang¬
samer. Die Anwendung der Kur in zweckmäßiger Form erregt keinerlei
Nervosität, auch quälender Hunger und Muskelarbeit fallen fort.
Wo ein über die Norm gesteigertes Körpergewicht — nach der
Länge bestimmt — vorliegt, ist eine Entfettungskur angezeigt. Kontra¬
indikationen sind Tumoren, Phtise, melancholische Depression. Bei
Herzleiden, Bronchitis, Nephritis ist die Kur besonders zu empfehlen.
Bei Hydropsie mit Flüssigkeitsbeschränkung auf zwei Liter. Die Kur
zeichnet sich besonders durch ihre Dauerresultate aus.
In der Sitzung, die am 4. Dezember 1908 stattfand, behandelte
Prof. Uhthoff zunächst das Thema: Katarakt-Operationen bei
Diabetikern.
Vortragender gibt eine Übersicht über 120 von ihm operierte
Fälle. Die Höchstzahl der bis jetzt veröffentlichen Statistiken betrifft
32 Fälle. Auf Grund seiner Beobachtungen ist er zu folgenden Er¬
fahrungen gekommen.
5 °/0 aller Kataraktoperationen sind auf diabetes zurückzuführen,
0,12 °/0 aller Augenkrankheiten betreffen diabetische Katarakt.
Als Komplikationen bei seinen Operationen sind aufgetreten :
6 °/0 schwere Iritiden,
5 „ leichtere Formen,
1,5 °/0 Glaukom,
1,8 „ leichtere Drucksteigerungen.
Breslauer Brief.
237
Komplikationen bei Diabetes wie z. B. die Gangrän eines Beines
bieten im allgemeinen keine Kontraindikation für die Operation. Auch
ist ein Wechsel in der Ernährung, um eine Entzuckerung herbeizuführen,
vor der Operation nicht zu empfehlen.
Die Ermittelung der Sehschärfe ergab folgende Zahlen :
in 68 °/0 gutes Sehvermögen bis auf 1/3
in 18 „ mäßiges „ „ „ 1j10
in 14 „ schlechtes „ unter 1/10
Die Operation ist die gewöhnliche Kataraktoperation. Er ver¬
zichtet ganz auf die Iridektomie. Bei runder Pupille wird Eserin
eingeträufelt. Die Anwendung des Eserins hält er für einen Fort-
sehritt. Komplikationen nach der Operation sind die leichten Infek¬
tionsmöglichkeiten bei Diabetikern. Dieselben sind meistenteils ekto-
gener Natur. Ferner sind Blutungen zu erwähnen. Seine Statistik
weist 9°/0 Blutungen in die vordere Kammer, 4,5 °/0 Blutungen in
die Netzhaut auf. Bei Restitutionshindernissen der vorderen Kammer
ist rechtzeitige Massage am Platze. Bei Narkose soll man stets Äther
an wenden.
In der Diskussion betonte Land mann, daß nach seiner Ansicht
eine Kur zur Verminderung des Zuckergehaltes vor der Operation
am Platze sei.
Jungmann empfahl die Iridektomie vorauszuschicken.
Uhthoff gesteht im Schlußwort in gewissen Fällen eine anti¬
diabetische Kur zu. Bei der vorausgeschickten Iridektomie ist eine
größere Infektionsmöglichkeit vorhanden.
Im Anschluß daran sprach Dr. Cohen über die „Phlyktaene
bei Erwachsenen, besonders in ihrer Beziehung zur Tuber¬
kulose“. Er kommt auf Grund einer genauen Statistik zu folgenden
Feststellungen :
Die Phlyktaene tritt bei Erwachsenen unter Bevorzugung des
weiblichen Geschlechtes in jüngeren und mittleren Jahren fast völlig
unabhängig von der ekzematösen Phlyktaene des Kindesalters auf.
Das Auftreten bei Erwachsenen erscheint geeignet, die Aufmerksam¬
keit des Arztes auf eine beginnende Tuberkulose zu lenken. 63,4°/0
der beobachteten Fälle von Phlyktaenen bei Erwachsenen bieten zu¬
verlässige Anhaltspunkte für Tuberkulose.
In der Sitzung vom 10. Dezember 1908 fanden zunächst eine
Reihe von Demonstrationen statt.
v. Strümpell zeigte ein Kind im Alter von acht Monaten mit
starkem Hydrocephalus. Keine Lähmungserscheinungen, aber beiderseits
Opticusatrophie.
Zieler demonstriert 1. einen Mann mit chronischem Malleus der
Oberlippe und Nase. Infektionsübertragung durch ein Pferd. Die
Diagnose ist durch Tierversuche und Hautimpfung mit Mallein be¬
wiesen.
Therapie : Röntgenbestrahlung.
2. Einen Fall von multiplen Tumoren der Haut. Seit Jahren
bestehend ohne Beschwerden zu machen.
Diagnose: Unbekannt.
Goebel sprach dann 1. über „Periostitis humeri mit Paresis
nervi radialis.
Patient ist wegen Schmerzen im Oberarm auf Rheumatismus
behandelt worden, bis sich deutliche Periostitis ossificans einstellte.
238
Ascher, Breslauer Brief.
Mittels Operation ist eine Knochenlamelle ans dem Arm entfernt
worden. Danach Verschwinden einer früheren Parese der Armnerven
bis auf geringe Hyperästhesie. Jetzt erst stellte sich heraus, daß Patient
vor vier J ahren einen Hufschlag bekommen hatte, der als das aus¬
lösende Moment aller Erscheinungen anzusprechen ist.
2. Drei Fälle von Aktinomykosis. In allen Fällen war die Dia¬
gnose sehr schwer zu stellen. Mit Mühe hat man vereinzelt kleine
Drusen nachweisen können. Zweimal ist es gelungen, die ganze Ge¬
schwulst zu entfernen, der dritte Fall mußte öfter operativ ange¬
griffen werden. Jodkali innerlich. Das von anderer Seite empfohlene
Natr. cacodylicum hat Vortragender nicht versucht.
3. Ein Fall von Milzruptur. 14 jähriger Junge ist vier Meter
tief auf einen Balken gestürzt. Die 20 Stunden später vorgenommene
Laparatomie ließ einen Längsriß in der Milz erkennen. Exstirpation !
Heilung per primam. Vortragender hält dieses für die zweckmäßigste
Operation, Tamponade und Naht hätten keine sicheren Erfolge.
In der Diskussion erklärte sich Danielsen als Gegner der
Splenektomie. Die Milz habe wichtige Funktionen. Bei genügender
Freilegung sei die Unterbindung und Naht gut ausführbar. Besondere
Schwierigkeiten böte die Naht der Kapsel, aber mit feiner Nadel und
feiner Seide seien die Schwierigkeiten zu überwinden.
Dann hielt Geh. -Bat Tietze seinen Vortrag über „Versuche
zur Transplantation lebender Gef äßstüoke auf andere Hohl¬
organe des Körpers“.
Angeregt durch die vorzüglich gelungene Organ-Transplantation
von Stich hat er am Ductus choledochus oder am Ureter Gefä߬
stücke eingenäht. Die Hunde sind anfangs an Peritonitis oder Sepsis
zugrunde gegangen.
Bei späteren Versuchen blieben sie am Leben. Die Sektion
ergab, daß das eingenähte Gefäßstück mikroskopisch nicht mehr
nachzuweisen war ; an der Operationsstelle war immer eine starke
Stenose bemerkbar. Die Versuche sind mißglückt, von der Operation
beim Menschen hat er Abstand nehmen müssen. Er gibt die Ver¬
suche nicht auf ; bei fortgeschrittener Technik ist ein Erfolg in diesem
Sinne nicht undenkbar.
In der Diskussion berichtet Coenen über einige Versuche aus
der königlichen Universitätsklinik. Es ist Aorta und Vena cava mit¬
einander vertauscht und vernäht worden, um zu sehen, ob der Blut¬
strom in umgekehrter Bichtun g erfolgen würde. Der Erfolg war nega¬
tiv. Es ist Lähmung der unteren Extremitäten und dann der Tod
eingetreten. Gleich negativ war der Erfolg bei Umschaltung der Carotis
mit der Vena jugularis, Arteria und Vena renalis.
Eraenkel deutet darauf hin, daß die Gefäßwände bindegewebiger
Natur seien, der Urether aber epithelialen Charakter habe. Es sei
zu empfehlen, epithelisierte Hohlorgane zu diesen Versuchen zu benützen.
Goebel erwähnt, man könne mit Katgutfäden die Lumina gut
zusammenbringen.
Tietze stimmt den Ausführungen FraienkeFs zu, er hat aber
gerade das V erpflanzen von Gefäßstücken bewirken wollen.
Vorläufige Mitteilungen und Autoreferate.
239
Vorläufige Mitteilungen u. Autoreferate.
Über den Stand der Lokalisationslehre für einige Gebiete der Gehirnrinde.
Von Dr. Völsch.
Nach einem Vortrag in der medizinischen Gesellschaft zu Magdeburg, 28. Jan. 09.
Nach kurzer Skizzierung der allgemeinen Anschauungen Munks,
Flechsig’s und v. Monakow’s als der Vertreter dreier verschiedener
Eichtungen bespricht Vortr. die Ausdehnung der Sehsphäre, sowie die
Frage der Eetinaprojektion auf die Einde, die ihm nach den Arbeiten
Henschen’s u. a, nahezu erwiesen scheint. An. einem Schema erörtert
V ortr. das Zustandekommen der kortikalen, homonymen bilateralen
Hemianopsie und behandelt die Differentialdiagnose mit den Tractus-
hemianopsien. Für die Erklärung des relativen Freibleibens der Makula
bei ein- und doppelseitigen kortikalen Hemianopsien scheint ihm die An¬
nahme v. Monakow’s von der nicht inselförmigen, sondern diffusen Endi¬
gung der den Makulafasern sich anschließenden Sehstrahlungsfasern in
der Einde bei weitem die plausibelste. Der [doppelseitige Gesichtsfeldver¬
lust im Vereine mit der Störung des 'zentralen Sehens sind ein (vielleicht
subkortikaler) Bestandteil des für doppelseitige Occipitaiherde charak¬
teristischen Symptomenkonrplexes, der Seelen- bezw. Eindenblindheit.
Dazu kommt (als kortikaler Prozeß) die Unterbrechung der assoziativen
Verbindungen zwischen den Endstätten der optischen und der die Augen¬
muskelempfindungen leitenden Nerven, sowie endlich (als transkortikales
Moment) die Leitungsstörung nach den übrigen Teilen des Großhirns.
So erklären sich die räumliche Desorientierung, die Identifikationstörung
und die sonstigen psychischen Lücken bei dem Seelenblinden. V.
schließt sich dabei in allem Wesentlichen an v. Monakow an. —
In dem der Fühlsphäre entsprechenden Areal glaubt er dagegen auf
Grund der experimentellen Ergebnisse der Autoren, der anatomischen
Verhältnisse und der Kasuistik die Grenzen zwischen der „motorischen“
und der „sensiblen“ Eegion schärfer ziehen zu sollen, als v. M. es tut.
Die er stere scheint ihm beim Menschen auf die vordere Zentral windung
beschränkt zu sein. Die Lage der „Zentren“ der einzelnen Körperteile
wird kurz angegeben, die von den Fozis aus zu erzielenden Bewegungsfor¬
men werden erörtert. Die beim Tierexperiment so wichtige Scheidung in
Bewegungsarten (höhere Eeflexe, Gemeinschafts- und isolierte Bewe¬
gungen) tritt in der menschlichen Pathologie, soweit es sich um umschrie¬
bene Pferde handelt, etwas zurück hinter der Tatsache, daß sich bei sol¬
chen Herden wohl stets auch eine Schwäche für alle Bewegungen, eine
Parese einstelle, teils aus Gründen der phylogenetischen Funktionsent¬
wicklung des Gehirns, teils vielleicht wegen des frühen Übergreifens
dieser Prozesse auf die Projektionsfaserung. Die gekreuzte spastische
Monoparese und die auf einen Körperabschnitt beschränkten Krampfzu¬
stände seien die Charakteristika der Läsion der motorischen Eegion ; beide
könnten sich mit dem Fortschreiten des Prozesses gemäß der Lage der
„Zentren“ ausbreiten, die Krämpfe zur Jackson’ sehen Epilepsie sich
entwickeln. Vielleicht könne als drittes eine relative Intaktheit der
Sensibilität bei Herden, die sich auf die vordere Zentralwindung be¬
schränken, postuliert werden. Gewisse isolierte Sensibilitätsstörungen
will Vortr. vielmehr auf den hintern Teil der Fühlsphäre, die hintere
Zentralwindung, die Parietalwindungen beziehen ; er bespricht das
Wesen des Muskelsinns und hält das typische Lokalsymptom dieser
240
Vorläufige Mitteilungen und Autoreferate.
Gegend, die Stereoagnosie, für eine Störung der höheren assoziativen
Verknüpfungen der durch diesen Sinn übermittelten Eindrücke. Eine
distinktere Lokalisation der Stereoagnosie hält er z. Zt. für nicht
angängig. - — Für den Gyrus angularis kommen räumliche Orien¬
tierungsstörungen infolge Verlegung der Endstätten kinästhetischer
Augenmuskelhahnen und konjugierte Blicklähmung nach der kontra¬
lateralen Seite, resp. bei doppelseitigen Herden die Pseudoophthalmo¬
plegie Wernicke’s in Frage. Bei tiefer greifenden Herden können
die dem Hinterhorn entlang ziehenden longitudinalen Faserstränge, die
Sehstrahlungen und der Fascic. long. inf. geschädigt und damit homo¬
nyme Hemianopsie und (bei linksseitigem Sitz) Alexie und optische
Aphasie hervorgerufen werden. — Überall sind natürlich eventuelle
Nachbarschaftssymptome bei der Diagnose zu berücksichtigen.
Autoreferat.
Über Phonasthenie der Sänger.
Von Dr. R. Imhofer.
(Vortrag gehalten im Vereine deutscher Ärzte in Prag am 8. Januar 1909.)
Von dieser zuerst 1906 von Th. Flatau beschriebenen Erkrankung
der Sänger, Berufsredner, Lehrer usw. hat I. 32 Fälle beobachtet und
macht auf die große soziale Bedeutung dieser Affektion aufmerksam.
Er definiert die Phonasthenie als eine Erkrankung darin bestehend,
daß das Prinzip des kleinsten Kraftausmaßes beim Singen durch¬
brochen wird. Demnach kommen ätiologisch zwei Faktoren in Betracht.
1. Daß a priori zur Produktion eines bestimmten Tones mehr Kraft
verwendet wird als dem nötigen Minimum entspricht. (Falsche Schulung
in verschiedener Art.) 2. Daß die Stimmbandmuskulatur infolge debi-
litierender Einflüsse einem bestimmten Impulse nicht im gewohnten
Maße gehorcht. (Anämie usw.) Der rhinolaryngologische Befund kann
bei dieser Erkrankung ganz negativ sein und V ortr. betont bei
dieser Gelegenheit die unbedingte Notwendigkeit bei zufällig sich
ergebenden pathologischen Befunden in Nase und Nasenrachenraum
und Larynx erst den strikten Nachweis zu führen, daß diese Verände¬
rungen auch wirklich die Ursache der Stimmstörung seien, bevor
man an irgendwelche besonders operative Behandlung derselben her¬
angeht.
Gewisse Beziehungen zur Phonasthenie scheinen V ortragendem
zwei Befunde zu haben, die er zuweilen im Larynx solcher Patienten
erheben konnte, nämlich kleine Unebenheiten der Stimmbandränder,
die öfter zur Verwechslung mit Sängerknötchen Veranlassung gaben,
und eine zirkumskripte Rötung am freien Rande nach dem Singen,
die auf falschen Ansatz deutet. Die Phonasthenie, betont Vortragender,
ist ein scharf abgegrenztes klinisches Bild mit genauem objektiven
Befund und nur auf diesen darf die Diagnose aufgebaut werden. Dieser
Befund ergibt sich bei der akustischen Untersuchung der Stimme eines
solchen Patienten. Bei der Prüfung der Tonleiter findet man an bestimm¬
ten Stellen, gewöhnlich den sog. Übergangstönen entsprechend, Defekte,
die sich bald in Detonieren, bald in einem ganz eigentümlichen rauhen
Beiklang des Tones äußern, der so typisch ist, daß man ihn nur einmal
gehört zu haben braucht, um ihn nicht mehr zu verkennen. Bei Fort¬
schreiten des Leidens dehnt sich dieser Tondefekt über einen immer
größeren Bereich des Stimmumfanges aus, bis es endlich zum völligen
Vorläufige Mitteilungen und Autoreferate. 241
.Ruin der Stimme kommt. Man ist nun imstande, durch verschiedene
von Flat au angegebene Methoden (sog. Ausgleichsmethoden) diesen
Defekt zum Schwinden zu bringen. Von diesen verwendet I. fast aus¬
schließlich den elektrischen Ausgleich, d. h. Durchleiten eines faradischen
Stromes durch den Larynx im Momente der Intonation, wodurch der
Ton rein wird. Mit diesem diagnostischen Ausgleiche ist auch der
Therapie der Weg vorgezeichnet. Man kann auf diesem Wege die Ton¬
defekte beseitigen und unter späterer Abschwächung endlich gänzlicher
Weglassung des elektrischen Stromes eine reine Intonation erzielen.
Allerdings sind hierzu eine Reihe von technischen Kunstgriffen er¬
forderlich, von denen I. nur einen nennt, nämlich daß man nie von
einem kranken Ton, sondern immer von einem gesunden oder, sozusagen,
bereits genesenen Tone aus und von diesem an den kranken Ton sukzes¬
sive herangeht. Die Durchschnittsdauer der Behandlung beträgt zirka
sechs Wochen. Neben dieser mehr chronischen Form unterscheidet
Vortr. noch eine akute, bei welcher der ganze Symptomenkomplex auf
wenige Tage zusammengedrängt erscheint ; dieselbe kommt durch Über¬
anstrengung der Stimme zustande. Auch von dieser Gruppe wird ein
einschlägiger Fall ausführlich erörtert. Diese akute bisher noch nicht
beschriebene Phonasthenie bedarf ebenfalls einer Behandlung, da sie sich
selbst überlassen, auch bei Ruhe nicht zur Heilung gelangt. Vor¬
tragender schließt seine Ausführungen mit der Mahnung, sich bei Sing¬
stimmenerkrankungen nicht mit der rhinolaryngologischen Diagnose
und Behandlung zu begnügen, sondern auf das Wesen der Störung ein¬
zugehen, dann werde einerseits die Polypragmasie auf diesem Gebiete,
anderseits auch das Mißtrauen der Sänger und Gesangslehrer gegen¬
über der laryngologischen Behandlung schwinden. Autoreferat.
(3. Internationaler Kongreß für Irrenpflege. Wien, Oktober 1908.)
Referat über die Fürsorge und Unterbringung von Geistesschwachen,
Epileptischen und geistig Minderwertigen.
Von Privatdozent Dr. H. Vogt, Nervenarzt und Abteilungsvorsteher am neurol.
Institut in Frankfurt a. M.
Alle modernen Fragen über die Erziehung und den Unterricht
der Kinder, die gesetzgeberischen Erörterungen über die Behandlung
Jugendlicher, die Fürsorgebestrebungen auf diesem Gebiete nach allen
Richtungen, sind im letzten Grunde Fragen nach der Psychologie und
der Psychopathologie des Kindesalters. Die psychiatrische Tätigkeit
auf diesem Gebiete berührt sich eng mit erzieherischen, sozialtheore¬
tischen, gesetzgeberischen Fragen. Nur in der gemeinsamen Arbeit
dieser Kreise kann die vielseitige und schwierige Frage ihrer Lösung
entgegengeführt werden. Die Aufgabe ist daher keine rein medizinisch¬
psychiatrische oder pädagogische usw., sondern sie ist nach Umfang
wie nach Inhalt ein soziales* Problem; freilich ein Problem mit
psychiatrischen Fragestellungen.
Die Aufgabe ist, faßt man sie als eine soziale auf, umfassend
und vielseitig. Die fürsorgerische Tätigkeit — wie sie in der
Frankfurter Zentrale für private Fürsorge organisiert ist — hat hier
ein reiches Feld. Alle Bestrebungen, die auf eine Verbesserung der
Rassen- und Volkshygiene hinauslaufen, wirken hier insofern herein,
als sie in jener Tätigkeit den endogenen Momenten entgegenarbeiten.
In der direkten Betätigung bekämpft die soziale Fürsorge die schlechten
242
Referate und Besprechungen.
Lebens- und Milieuverhältnisse, die Wohnungs- und Nahrungsnot un¬
ehelicher und verwahrloster Kinder. Die Ausdehnung der Berufs-
vormundschaft bildet einen Teil der organisierten Kinderfürsorge. Die
gesetzgeberischen Aufgaben treten in der Einrichtung und Ge¬
staltung der Jugendgerichtshöf e, in der strafrechtlichen Behandlung
Jugendlicher usw. zutage. Die Erfahrungen mit dein Eürsorgeerzie-
hungsgesetz lassen erkennen, daß nicht wenige Fälle eine krankhafte
geistige Entwicklung zeigen : bei Einleitung wie bei Ausführung der
Fürsorgeerziehung ist daher eine psychiatrische Mitberatung zu er¬
streben. Nach der unterrichtlichen Seite leistet die Hilfsschule einen
großen Teil positiver Fürsorgearbeit. Die Unterweisung der geistig
defekten Jugend muß vor allem das praktische Moment der Ausbildung
betonen. Brennende Fragen der Hilfsschulorganisation sind die Ein¬
richtung von Tagesinternaten und die Fürsorge für entlassene Hilfs¬
schüler. Die Militärdienstfrage der Hilfsschüler hat durch Min. Erl.
1907 eine erfreuliche Regelung erfahren. Die Anstalten haben eine
ärztlich-psychiatrische und erziehliche Aufgabe. Sie müssen auf der
Grundlage der Krankenanstalten gebaut sein und bedürfen der Ein¬
richtung von Schul- und Handfertigkeitsbetrieben. Die Anstaltsver-,
sorgung Geistesschwacher, Epileptiker usw. bildet einen Teil der Irren¬
fürsorge und ist dem Wirkungsbereich des psychiatrisch gebildeten
Arztes zu unterstellen. Geistig abnorme Eürsorgezöglinge sind gleich¬
falls dem Arzte zu überantworten. Eine ganz besondere Bedeutung
in der Schwachsinnigenfürsorge besitzt die Familien pflege. Sie eignet
sich ebenso zur dauernden Unterbringung Geistesschwacher wie zum
Übergänge von Schule und Anstalt ins Leben (Arbeitslehrkolonie):
Uchtspringe ist hier vorbildlich.
Die ganze Fürsorgefrage hat einmal den Gedanken: Schutz der
Schwachen ! Aber auch der Gesichtspunkt : Schutz vor den Schwachen
kommt bei den antisozialen Neigungen vieler dieser Zustände, ihrem
ausgeprägtem Triebleben, ihren ethischen Defekten in Betracht. In
der praktischen Ausbildung der Geistesschwachen steckt ein therapeu¬
tisches, erzieherisches und wirtschaftliches Moment. Der psychiatrische
Arzt ist — soweit die Angelegenheit nicht ganz in sein Bereich gehört
— zur praktischen Mitarbeit im Interesse des Ganzen an erster Stelle
berufen. Autoreferat.
Referate und Besprechungen.
Innere Medizin.
Die natürlichen Grenzen der Wirksamkeit einer Heilserum-Behandlung
bei der Diphtheria faucium und ihre notwendige Ergänzung durch be¬
stimmte lokale Maßnahmen.
(G. Krönig. Therapie der Gegenwart, Nr. 7, 1908.)
Aus dem Aufsatze, mit dessen theoretischen Auseinandersetzungen nicht
jeder einverstanden sein wird, sei als von praktischem Werte hervorgehoben,
daß Krönig prall gespannte diphtheritische Infiltrate spaltet. Die Blutung
ist meist gering und wird durch warme Umschläge und Spülungen zu
unterhalten gesucht. Subjektive Erleichterung und Fieber abf all pflegen zu
folgen, Gangrän tritt nicht ein; hatte sie freilich schon vor der Spaltung
begonnen, so pflegte diese den Tod an Sepsis nicht aufzuhalten.
F. von den Velden.
Referate und Besprechungen.
248
Heilwirkung des Diphtherie-Serums bei ausgedehnten Lähmungen.
(E. Schneider u. L. A. Vandeuvre. Progr. med., Nr. 85, S. 421 — 424, 1908.)
Bei zwei Soldaten hatten sich im Anschluß an Diphtherie totale Para¬
lysen mit Gaumensegellähmung, Lähmung der Konstriktoren des Schlundes,
Atrophieen, aufgehobenen Reflexen usw. entwickelt; die Bilder erinnerten an
weit fortgeschrittene Tabes. Durch tägliche Einverleibung von 40, später
20 ccm Diphtherie-Serums vom Institut Pasteur gelang es, schon binnen 8 Tagen
die Rekonvaleszenz einzuleiten; im ganzen wurden jedem 100 ccm Serum
inkorporiert.
Irgendwelche üble Neben- oder Nachwirkungen wurden nicht beobachtet;
ev. könnte man Chlorkalzium geben.
Die Autoren sind von der Heilwirkung des Serums fest überzeugt.
Vielleicht ließe sich diese Therapie auch bei anderen als diphtheritischen
Polyneuritiden anwenden. Buttersack (Berlin).
Über die Behandlung des Milzbrandes.
(Otto Schwab. Med. Klinik, Nr. 8, 1908.)
Schwab stellt aus der Literatur der letzten Jahre die Publikationen
über Milzbrandtherapie mit kurzer Skizzierung des Inhalts der betr. Arbeiten
zusammen und berichtet über 8 eigene Eälle, die alle unter einer konservativen
Behandlung, Umschlägen mit Sublimat oder essigsaurer Tonerde, zur Heilung
kamen und zum Teil keineswegs leichte Infektionen darstellten. Schwab
rät von jeder aktiven chirurgischen Behandlung der Milzbrandpustel ab,
will auch von Karbolinjektionen wegen der Vergiftungsgefahr nichts wissen,
höchstens empfiehlt er noch die Anwendung von Serum, die sich in einem
seiner Fälle, — der einzige damit außer Umschlägen behandelte ’ — gut
bewährte und unter Eintreten der charakteristischen Reaktion — Tempe¬
ratursteigerung nach der Injektion und darauf folgender Abfall bis zur
Norm, welch’ letzterer zugleich ein prognostisch günstiges Zeichen ist —
sich erfolgreich erwies. R. Stüve Osnabrück). '
Der gegenwärtige Stand der experimentellen Arterien-Krankheiten.
(Dr. L. Adler, Neuyork. The americ. journ. of the med. scienc, August 1908,
S. 241—255.)
Die Arteriosklerose oder besser die Atherosklerose — so ungefähr re¬
sümierte sich Dr. A. im März v. Js. nach einem Vortrag vor der New-
Yorker medizinischen Akademie — - folgt dem physiologischen Entwicklungs¬
und Wachstumsprozeß sowie dem Altern des Gefäßsystems nach denselben
Gesetzen wie diese. Arteriosklerose als Krankheit ist nichts als ein der
Zeit, Ausdehnung und Intensität nach verfrühtes Eintreten eines physiolo¬
gischen Seniums. Physiologisch ist sie eine Verminderung oder ein Ver¬
lust der Elastizität und funktionellen Anpassungsfähigkeit der Gefäßwände,
pathologisch ein Degenerationsprozeß der elastischen und muskulären Ele¬
mente dieser mit konsekutiver und reparativer Hyperplasie und Hyper¬
trophie hauptsächlich der bindegewebigen Elemente, oft auch mit Neigung
zur Verkalkung und Ulzeration. Die ätiologischen Faktoren, die ihr früheres
oder späteres Eintreten, ihre Ausdehnung, ihre Lokalisation usw. bestimmen,
sind mannigfach, Heredität und physische Überanstrengung („Abnutzung“)
spielen sicher eine Rolle, wahrscheinlich kommen jedoch auch bakterielle
und andere Infektionen und Intoxikationen sowohl mit organischen als an¬
organischen Giften in Betracht. Atherosklerose ist daher als eine klinische
Einheit aufzufassen, deren verschiedene Typen alle eine gemeinsame Ur¬
sache haben. Von diesem Gesichtspunkte aus betrachtet, zielen alle neueren
Experimente mit Adrenalin, Nikotin usw., direkt auf Arteriosklerose ab, inso¬
fern sic den Einfluß verschiedener Toxine auf die Entstehung von Arte-
16*
244
Referate und Besprechungen.
riosklerose beim Kaninchen- zu beweisen scheinen. Sie scheinen aber auch
zu beweisen, daß Toxine verschiedener Art, verschiedengeartete histologische
Läsionen zu erzeugen vermögen. Immerhin zwinge die Unsicherheit, die
jeder Experimentation anhaftet, noch zu einem vorsichtigen Urteil. Zu er¬
warten ist, daß das Studium der spontanen Arteriosklerose besonders bei
Carnivoren , und zwar sowohl wilder als zahmer, ihr Vergleich mit der
menschlichen Arteriosklerose und fortgesetzte Experimentation mit bakte¬
rieller Infektion und anderen Giften besonders am Kaninchen noch mehr
Licht in die Sache bringen wird. Peltzer.
Beitrag zur Kenntnis der Wurmkrankheit der Bergleute.
(Ernst Brandenburg. Med. Klinik, Nr. 10, 1908.)
Brandenburg fand unter 1300 mit Ankylostomum behafteten Wurm¬
kranken nicht einen einzigen, der von seinen Parasiten Beschwerden hatte ;
die Diagnose der Anwesenheit des Parasiten ist allein durch die mikrosko¬
pische Untersuchung des Stuhles möglich. Schwere Anämien hat Br. ebenfalls
nicht beobachtet, nur leichtere Grade von Anämie (Hämoglobingehalt nach
Sahli von 90 — 57° herab) vorwiegend bei solchen ,, Wurmkranken“, die zum
ersten Male infiziert waren; mit der Häufigkeit der Wieder-Infektion nahm
die Neigung zu Anämie bei den Wurmbehafteten ab. Als Ursache der Anämie
ist weniger eine Blutsaugung der Würmer, als vielmehr eine Giftwirkung
der Tiere wahrscheinlich. — Zur Abtreibung der Würmer ist Extract. filic. das
souveräne Mittel, alle anderen Mittel, insbesondere auch Tymol, waren von
unsicherer Wirkung. Trotzdem Brandenburg von dem Eilixextrakt an zwei
aufeinander folgenden Tagen je 10 g nüchtern gab, — kleine Dosen erwiesen
sich ebenfalls nicht wirksam, — hat er keine Vergiftungen oder Erblindungen
erlebt; allerdings zuweilen plötzliche Ohnmachtsanfälle, Pupillenstarre, Er¬
brechen und Temperatursteigerungen bis 39°, Erscheinungen, die stets vor¬
übergehend waren und ohne weitere Folgen blieben. Aspirin und leichtere
Abführmittel beschleunigten die Besserung. — Vor Einleitung der Kur wur¬
den abends 0,2 — 0,3 g Kalomel gegeben. — Brandenburg hat allerdings
die Vorsichtsmaßregel vor Inszenierung der Bandwurmkur gebraucht, daß
er die Augen der Wurmkranken genau untersuchte bez. von Spezialisten
in zweifelhaften Fällen nachuntersuchen ließ, und bei ausgeprägter Myopie,
Hypermetropie und Blässe des Sehnerven niemals Extractum filicis verwandte.
R. Stüve (Osnabrück).
Die praktische Behandlung der schleimig-membranösen Enterokolitis.
(E. Fenoux. Le Bulletin medical, Nr. 21, 1908.)
Fenoux empfiehlt für die Behandlung der schleimig-membranösen
Enterokolitis keine zu strenge Diät; er schlägt vegetabilische Kost mit ein¬
maliger täglicher Fleischration vor. Außerdem ist unbedingt Ruhe und Fern¬
haltung von Aufregung notwendig. Gleichzeitig wendet er das Thigenol folgen¬
derweise an : in den ersten 8 — 10 Tagen werden täglich nach den ent¬
leerenden Klistieren, reinigende Ausspülungen mit einem Liter lauwarmen
Wasser vorgenommen, welchem ein Eßlöffel einer Lösung von Thigenol 50,0
auf Aq. coct. 100,0 zugesetzt worden ist. Es ist notwendig, daß der Kranke
einen Teil dieser Flüssigkeit bei sich behält; nach diesen Spülungen geht
gewöhnlich eine große Menge Schleim und Pseudomembranen ab, dann ver¬
schwinden allmählich die Schmerzen. Die Spülungen werden nach jener
Zeit nur alle 2 Tage, später alle 3 Tage fortgesetzt. In 14 Tagen jbis
3 Wochen wird vollständige Heilung erzielt. Neumann.
Referate und Besprechungen.
245
Beziehungen von Gelenkkrankheiten zur klimakterischen Lebensepoche.
(Fr. Neumann. Med. Klinik, Nr. 12, 1908.)
Auf Grund seiner Beobachtungen an dem Krankenmateriale des gro߬
herzoglichen Landesbades in Baden-Baden, dessen Kranke sich vorwiegend
aus den Kreisen der sozialen Versicherung und aus jenen Schichten der Be¬
völkerung rekrutieren, die sich in bescheidener Lebenslage befinden, hat
Nenmann festgestellt, daß das Auftreten bestimmter Gelenkerkrankungen,
die sich klinisch abgrenzen lassen, und in ihrem Auftreten an milde Gicht¬
formen erinnern, im übrigen sich vorwiegend an den kleinen Gelenken der
Finger unter Bildung der sogenannten Heberclen’schen Knötchen abspielen,
bei Frauen an das Klimakterium gebunden ist, beziehungsweise bei Frauen
vor dem klimakterischen Alter nicht beobachtet wird ; es sei denn, daß
bei einer operativ herbeigeführten Klimax die Affektion auch in früheren
Lebensjahren beobachtet wurde. — Die Behandlung hat in Anwendung hoch¬
temperierter Bäder zu bestehen und zwar sieht Neumann deren Nutzen
vor allem darin, daß sie eine künstliche Steigerung der Körperwärme herbei¬
führen; diese Wärmeapplikationen haben eine innerlich einzuleitende Opo¬
therapie, die unter allen Umständen gerechtfertigt erscheint und in Dar¬
reichung von Eierstockspräparaten (Landau’sche und Noack’sche Pastillen)
besteht, zu unterstützen. Während diese Präparate in den erwähnten Fällen
die Wirkung der übrigen Behandlung zum mindesten wirksam unterstützten,
erwiesen sich in Fällen von echter Arthritis deformans vollkommen wir¬
kungslos. R. Stüve (Osnabrück).
Wie kann man eine Art Sanatoriumsbehandlung Schwindsüchtiger zu
Hause einrichten?
(S. Adolphus Knopf. The Post-Graduate, Nr. 8, August 1908.)
Hierüber sprach in einer Antrittsvorlesung vor der klinischen Gesell¬
schaft der New-Yorker Post-Graduate medical school am 19. Juli v. Js.
der Professor der Phthisiotherapie A. Knopf -New -York. Aus dem inter¬
essanten Vor trage, der sich u. a. auch eingehend mit den verschiedenen For¬
men der Taschenspeigläser, der Atemübungen mittels Zimmergymnastik usw.
beschäftigt, heben wir das von K. selbst angegebene „Fensterzelt“ und
Bull’s „Aerarium“ hervor. Ersteres soll unbemittelten Kranken die Frei¬
luftbehandlung auch zu Hause ermöglichen und ist so eingerichtet, daß
es im Zimmer an das offene Fenster gestellt, dem Kranken Tag und Nacht
ermöglicht, Außenluft zu atmen, ohne daß sein Atem in das Zimmer
oder Zimmerluft zu ihm gelangt. Erreicht wird dies dadurch, daß der
Kranke mit dem Oberkörper unter einer Art geschlossenem Baldachin liegt,
der mit der offenen Seite an das offene Fenster angebracht ist. In das
Zimmer sieht er durch ein Zelluloidfenster. Bull’s Ärarium wird außen
am Fenster angebracht. Das Gesagte wird durch Abbildungen erläutert und
erscheint uns recht beachtenswert. Peltzer.
Gynäkologie und Geburtshilfe.
Die Beziehungen der weiblichen Reproduktionsorgane zu inneren
Krankheiten.
(Prof. Dr. Friedrich Müller. The americ. journ. of the med. scienc, Septbr. 1908,
S. 311—329.)
Der Artikel ist die erweiterte und durchgesehene Wiedergabe eines
Vortrages, den Prof. Fr. Müller-München am 15. April 1907 im deutschen
Ärzteverein in New- York hielt. Wir erwähnen ihn wegen des Appells,
den M. darin sowohl an die Internisten als auch an die Gynäkologen richtet.
Davon ausgehend, wie viele Beziehungen zwischen inneren Krankheiten und
246
Referate und Besprechungen.
denen der reproduktiven Organe des Weibes bestehen, und diese besprechend,
befürwortet er, daß, nachdem sich durch das Zusammenwirken von
Chirurgie und innerer Medizin ein höchst fruchtbares Grenzgebiet entwickelt
hat, auch das Grenzgebiet zwischen Gynäkologie und innerer Medizin mehr
als bisher kultiviert werden möchte. Zu diesem Grenzgebiet gehören zunächst
die in Verbindung mit den physiologischen Vorgängen in den weiblichen
Generationsorganen, nämlich der Pubertät, der Schwangerschaft und der Meno¬
pause, zu beobachtenden inneren Krankheiten. Sodann käme in Betracht die
Bedeutung, welche pathologische Prozesse in den weiblichen Reproduktions¬
organen in bezug auf die Entstehung jmedizinischer Zustände haben, und
drittens handele es sich um die Beziehung gewisser innerer Krankheiten zu
Störungen des weiblichen Reproduktionsapparates — alles Punkte, welche M.,
wie gesagt, des Näheren bespricht. Der Internist, insbesondere der allgemeine
praktische Arzt, sollte es daher in geeigneten Fällen nicht verschmähen, sich
an einen Gynäkologen zu wenden, ebenso wie der Gynäkologe sich in zweifel¬
haften Fällen den Rat des Internisten verschaffen sollte. Peltzer.
Histologische Besonderheiten von Vagina und Blase während der
Gravidität.
(Hofbauer. Monatsschr. für Geburtsh. u. Gyn., Bel. 28, S. 131, 1908.)
Bei systematischen, mikroskopischen Untersuchungen der maternen Or¬
gane während Gravidität und Puerperium machte H. einige interessante
Beobachtungen an Vagina und Blase. Dreimal unter acht untersuchten Fällen
fand er Epithelveränderungen der Vagina; an Stelle des geschichteten Platten¬
epithels fand sich Übergangs- bezw. Zylinderepithel. Diese Veränderungen
bilden Analoga zu den bekannten Epithelmetaplasien bei Hunden und Nagern
während der Brunst- und Tragezeit. Möglicherweise erklären diese Struktur¬
veränderungen die geschwächte Widerstandskraft der Vaginalschleimhaut
während der Gravidität gegen das Eindringen von Gonokokken.
In der Muskulatur der Blase fand H. eine deutliche Dickenzunahme
der kontraktilen Elemente, besonders in den äußeren Wandschichten der
Blase und dem vesikalen Ureterabschnitt. In einem Falle fanden sich ver¬
einzelte Fasern quergestreifter Muskulatur, analog dem stellenweisen Auf¬
treten quergestreifter Muskelzüge in der Wand des puerperalen Uterus. Die
Verbreiterung der bindegewebigen Muskelsepta, die Anhäufung von Plasma¬
zellen in der Schleimhaut und den Muskelinterstitien der Blase lassen sub¬
akute -inflammatorische Vorgänge erkennen, wie sie H. schon für den Larynx
in der Gravidität nachgewiesen hat. Endzündliches Ödem der pars vesicalis
des Ureters erklärt die Erscheinung, daß dieser in der Gravidität leicht
palpabel wird und gibt auch eine neue Perspektive zur Genese der aszendieren-
clen Pyelitis gravidarum. Frankenstein (Köln).
Die Achsendrehung des Dickdarms in Beziehung zu Schwangerschaft
und Geburt.
(Becher. Monatsschr. für Geburtsh. u. Gyn., Bd. 28, S. 155, 1908.)
Bericht über einen seltenen Fall von Volvulus in der Schwangerschaft
bei einer XV para, welche trotz sofort durch Metreuryse eingeleiteter Geburt
nach ö1/2 Stunden ad exitum kam. Bei der Autopsie zeigte sich, daß die
Flexura sigmoidea mit ihrem sehr langen, beweglichen Mesokolon 360° fest
um die Basis des Dünndarmmesenteriums geschlungen war, so daß sich die
Mesenterien gegenseitig abschnürten und die dazu gehörigen Darmabschnitte
— der Dünndarm in 41/2 m Länge, die Flexur in 30 cm Länge — gangränös
waren. Literaturübersicht über acht weitere Fälle von Volvulus in der
Gravidität. Bezüglich des ursächlichen Zusammenhangs von Volvulus und
Schwangerschaft weist B. auf die Verdrängung und Verlegung der Därme
Referate und Besprechungen.
‘247
durch den schwangeren Uterus und auf die Stuhlverstopfung durch Druck
auf das Rektum hin. Die meisten Fälle betrafen alte Vielgebärende mit
schlaffen Bauchdecken gegen Ende der Schwangerschaft. Meist tritt die
Geburt durch den Volvulus ein, nur in zwei Fällen wurde dieser durch
die Geburt bedingt. Das Kind geht rasch, wahrscheinlich durch Intoxikation
zugrunde. Die Diagnose ist schwierig, die Prognose ungünstig. Thera¬
peutisch kommt nur sofortige Laparotomie in Frage, eventuell nach vor¬
heriger Entleerung des Uterus behufs leichterer Orientierung. Von der Ent¬
leerung des Uterus ohne Laparotomie ist kein Erfolg zu erwarten. Das
Auftreten von Volvulus sub partu ist vielleicht nicht ganz selten (in Halle
unter 3000 Geburten zweimal). Frankenstein (Köln).
Zur Ventrofixatio uteri nach meiner Methode und ihre angeblichen
Geburtsstörungen.
(G. Leopold. Gynäk. Rundschau, H. 20, 1908.)
L. betont gegenüber R. Weber, daß, wenn nur seine Art der Ventro-
fixation genau nach seinen Vorschriften ausgeführt wird, Geburtsstörungen
nicht eintreten, wenigstens seien an seinem Material (124 Fälle) nie solche
beobachtet worden. L. legt seit einer Reihe von Jahren zwei Seidenfäden
unmittelbar unter dem Fundus durch den oberen Teil des Corpus uteri und
führt diese Fäden mindestens zwei Querfinger breit über dem oberen Sym-
phvsenrand durch die Bauchdecken. R. Klien (Leipzig).
(Aus der geburtshilflichen Klinik der kgl. Charite.)
Zur Bakteriologie und Technik der Beckenausräumung beim Uterus¬
karzinom.
(Priv.-Doz. Dr. W. Liepmann. Charite-Annalen, Bd. 32, S. 413. 1908.)
Auf Grund eingehender bakteriologisch-klinischer Beobachtungen wird
in der Bumm’schen Klinik neuerdings bei abdominalen Karzinomradikal¬
operationen die Drainage des Peritonealraumes „als längst bekanntes, wirk¬
sames Mittel bei Operationen in infizierten Gebieten“ angewandt und zwar
mit bestem Erfolg. Die primäre Gesamtmortalität ist von 43 auf 15%, die
Mortalität an septischer Infektion von 36 auf 15% gesunken. Natürlich
drainiert diese peritoneale Drainage auch gleichzeitig die subperitoneale Wund¬
höhle. In den glücklicherweise nicht sehr häufigen Fällen, wo schon vor der
Operation septische Keime in den Parametrien bezw. in den Lymphdrüsen
vorhanden waren, versagte leider auch die intraperitoneale Drainage. Dagegen
scheint sie bei Koliinfektion von Wichtigkeit zu sein.
R. Klien (Leipzig).
Über eine neue und wirksame Behandlungsweise verschiedener entzünd¬
licher Frauenkrankheiten.
(R. Pinn er. Therapie der Gegenwart, Nr. 7, 1908.)
Es handelt sich um Ester-Dermasan-Vaginal-Kapseln, die ca. 0,3 g
Salol enthalten. P. hat durch Versuche nachgewiesen, daß die Salizylsäure
V 2 — 5 Std. nach dem Einlegen der Kapsel im Urin erscheint (die außer¬
ordentliche Resorptionsfähigkeit der Vagina wurde schon zurzeit, als das
Ichthyol die kleine Gynäkologie beherrschte, nachgewiesen, Ref.). Indessen
führt P. die Wirkung des Mittels nicht auf das Auftreten der Salizylsäure
in der Zirkulation zurück, sondern auf die örtliche Hyperämie; sollte er
damit recht behalten, so ist nicht einzusehen, warum man nicht bei un¬
schuldigeren hyperämisierenden Mitteln bleibt, die von altersher in dieser
Gegend gebräuchlich sind, anstatt das nicht gleichgültige Salizyl zu ver-
248
Referate und Besprechungen.
wenden. Doch ist es nicht ausgeschlossen, daß auch hier die Salizylsäure
ähnlich wie beim Rheumatismus die Ausscheidung schädlicher Stoffe durch
den Urin bewirkt. Gute Erfolge wurden bei allen chronischen Entzündungen
im kleinen Becken erzielt, besonders bei gonorrhoischen, doch waren hier
stärkere Konzentrationen (bis 0,9 g' Salol auf die Kapsel) notwendig. Ob
die Resultate wirklich besser waren als bei anderen Verfahren, wie P.
glaubt, kann natürlich durch ihn allein nicht entschieden werden.
F. von den Velden.
Behandlung des Harndranges bei verschiedenen gynäkologischen
Affektionen.
(M. Jacoby. Med. Klinik, Nr. 11, 1908.)
Bei gynäkologischen Affektionen verschiedenster Art kann sich Harn¬
drang als ein quälendes und lästiges Begleitsymptom bemerkbar machen.
In der symptomatischen Behandlung dieser Nebenerscheinung, deren Beseiti¬
gung meist sehr wünschenswert ist, hat sich Jacoby in sehr vielen Fällen
das Santyl, dreimal täglich 25 Tropfen, außerordentlich gut bewährt. Es
ist selbstverständlich, daß das Grundleiden in entsprechender Weise behandelt
werden muß. R. Stüve (Osnabrück).
Medikamentöse Therapie.
Prolongierter Gebrauch und toxische Wirkung des Sulfonals.
(Dr. James E. Talley, Direktor des klinischen Laboratoriums des Presbyter-
Hospitals in Philadelphia. The americ. journ. of the med. scienc, Okt. 1908.)
Vor 12 Jahren bekam eine wegen eines Uterusfibroids operierte Frau
in mittlerem Lebensalter wegen Schlaflosigkeit Sulfonal und hat seitdem durch¬
schnittlich jährlich 1/2, im ganzen 5V2 Pfund dieses Mittels genommen,
ohne weitere Folgen als daß sie im allgemeinen den Eindruck der Invalidität
macht und zeitweise leicht melancholisch wird, was sie schon bald nach
der Operation wurde. Vor 5 Jahren enthielt der zeitweise untersuchte Harn
Spuren von Eiweiß und hyaline Zylinder. Zum Gebrauch eines anderen
Schlafmittels, das sie angeblich stets benötigte, war sie nicht zu bewegen.
Im Novbr. 1907 kam sie wegen Schlaflosigkeit und seelischer Depression ins
Krankenhaus, wo man sie, um 2 Punkte festzustellen, kurze Zeit auf einer
Dosis von 20 Gran für die Nacht (bis dahin 10 — 15—20) hielt. Die Punkte
waren: 1. ist die Theorie von Stokois haltbar, daß das Hämatoporphyrin des
Harns einer Blutung in die Darmschleimhaut entstammt und das dort trans¬
formierte und absorbierte Hämatoporphyrin nur durch den Urin ausgeschie¬
den wird ? 2. Da Spuren von Hämatoporphyrin sich auch im normalen Harn
finden, enthält der Urin dieser Kranken wenigstens Spuren davon ? Hinzu¬
gefügt muß werden, daß ihr Urin keine Hämatoporphynurie vermuten ließ.
War die St-’sche Theorie richtig, so mußten die Stühle wenigstens eine
positive Blutreaktion geben. Die Kranke wurde auf Milchdiät gesetzt. - —
Die Untersuchung fiel negativ aus, ebenso bezüglich des 2. Punktes, ob¬
gleich hier auch Chemiker zugezogen und die Untersuchungsmethoden von
Salkowski, Riva, Zoja und Garrod angewandt wurden. Möglicherweise
wurden zu geringe Mengen zur Untersuchung verwendet. - — Trotz des langen
Bestehens des Sulfonals und seines häufigen Gebrauchs sind Fälle von Ver¬
giftung damit verhältnismäßig selten, immerhin aber zahlreich genug, um
zur Vorsicht, in bezug auf Dosierung und Länge des Gebrauchs zu mahnen.
Hu et hat nur 50 Fälle in der Literatur gesammelt, ohne diese zu erschöpfen.
Garrod und Hopkins berichten über eine Epileptische, die 6 Jahre lang
fast beständig 26 — 40 Gran Sulfonal genommen hatte, ehe sie Vergiftungs¬
erscheinungen zeigte. Der Fall endete tödlich. Gelegentlich wird eine Idio¬
synkrasie gegen das Mittel beobachtet. Murphy (Brit. med. journ. 1899,
Referate und Besprechungen.
249
209) berichtete von dem Auftreten eines allgemeinen Erythems und eines
Bläschenausschlags nach 10 Gran. Tailor und Sailer (William Tepp er
clinical laboratory reports) haben eine sehr genaue Beschreibung eines zur
Autopsie gekommenen Falles geliefert. Für die Prognose ist wichtig, ob
Lähmungserscheinungen auf treten oder nicht — wenn ja, ist sie schlecht. —
Übrigens kennt Ref. einen alten Herrn, der bis jetzt 20 kg Bromnatrium ge¬
nommen hat, und es noch nimmt, vielleicht hat dadurch nur sein Gedächtnis
etwas gelitten. Peltzer.
Hypodermatische Anwendung der Chinin- und Harnstoff-Hydrochloride bei
der Diagnose und Behandlung akuter und chronischer Malaria-Infektion.
(Solomon Solis Cohen. The americ. journ, of the med. scienc, Septbr. 1908,
S. 344—860.)
Über die Vorzüge der in der Überschrift genannten Salze gegenüber an¬
deren Chininpräparaten bei der Behandlung der Malaria-Infektionen sprach
am 28. März dieses Jahres in der 5. Jahresversammlung der amerikanischen
Gesellschaft für Tropenmedizin in Baltimore der Professor der klinischen
Medizin am Jefferson College in Philadelphia Cohen und kam dabei unge¬
fähr kurz zu folgenden Schlüssen: 1. Es gibt Fälle offenbar akuter Infektion,
die im Charakter oder in der Periodizität der Paroxysmen ganz dem Malaria-
fieber gleichen, bei denen aber kein Malariaorganismus im Blut gefunden
werden kann. In anderen Fällen, in welchen man trotz des abweichenden
Fiebertypus. Grund hat, an Malaria zu denken, wird ebenfalls keine Amöbe
gefunden. In fast allen Fällen dieser Art kann das Vorhandensein oder
Fehlen einer Malariainfektion festgestellt werden, und zwar durch die Reaktion
des Kranken auf eine Injektion des Harnstoff- und Chininsalzes, die, wenn sie
positiv ausfällt, die Abhängigkeit der Symptome von dem unentdeckten, viel¬
leicht verborgen sitzenden Parasiten anzeigt. Bei einem Kranken, der an¬
scheinend eine typische Malaria hatte, wurde eine diagnostische Injektion
von ungefähr 1 g (gemacht, die aber nur einen vorübergehenden Temperatur¬
abfall bewirkte. Darauf stellte sich heraus, daß der Kranke sich vor sechs
Monaten syphilitisch infiziert hatte. Er wurde einer Schmierkur unterworfen
und genas prompt. In einigen Typhusfällen, in denen das Fieber die Tendenz
zum intermittierenden Typus hatte, ohne daß Malariaorganismen im Blut
gefunden wurden, folgte auf eine diagnostische Injektion eine freie Periode,
in anderen wieder nicht. Ersteres war gewöhnlich bei solchen Kranken der
Fall, bei denen man eine Mischinfektion von Malaria und Typhus vermuten
konnte (es handelte sich 1898 besonderss um Soldaten aus dem kubanischen
Krieg). Nach Ablauf des Typhus erschienen bei einigen dieser, bei denen
das Chinin ausgesetzt war, die Plasmodien, bei anderen blieb bei fortgesetztem
Chiningebrauch diese Art der Bestätigung der Diagnose aus. 2. In einigen
diagnostisch zweifelhaften Fällen, in denen die Injektion zur Erzielung eines
freien Intervalls nicht ausreichte, erschienen die Organismen später in typi¬
scher oder atypischer Form im peripheren Blut. Bei wiederholtem Ausbleiben
dieser Erscheinung kann Malaria ausgeschlossen werden. Das Erscheinen
des wahrscheinlich in larvierter Form in der Milz oder im Knochenmark
sitzenden Organismus im Blut der Peripherie ist eine Folge der paratoxischen
Wirkung des Chinins. Daß Organismen lange latent bleiben können, ist be¬
kannt. Peltzer.
La purgation dans la therapeutique des maladies mentales.
(Marie. Bull. gen. de Therap., Nr. 1. 1909.)
Burlureaux’s Kampf gegen gebräuchlichen Mißbrauch der Abführ¬
mittel veranlaßt den Verf., auch hinsichtlich der Behandlung der Geistes¬
krankheiten zu dieser Frage Stellung zu nehmen. Er formuliert dies folgen¬
dermaßen: 1. Die intellektuellen Störungen bei Geisteskranken sind nicht
250
Referate und Besprechungen.
immer Folgen intestinaler Autointoxikation. 2. Trotzdem ist eine sorgsame
Überwachung des Beginnes bei Irren zur Vermeidung von Störungen, die vom
Magen oder Darm ausgehen können, notwendig. 3. Hierzu bedarf es aber
keinerlei Purgiermittel oder brutaler Manöver am Darmschlauch, sondern
einfacher Regelung der Magen-Darmfunktionen. v. Schnizer (Danzig).
Experiences sur le pouvoir desinfectant d’un melange compose d’essence
de terebenthine, d’acide phenique, de naphthaline et d’ether sulfurique
(essence de terebenthine d’oucrai'na.)
(E. S. Gribinouk. Arch. des Sciences biolog. p. par kinstitut imperial de med.
experimentale ä St. Petersbourg, Bel. 18, 1908.)
Die Oukrainaessenz besteht aus: acid. carbol. cristall. 2,0, Naphtalin,
pur. 5,0, Aeth. sulf. 25,0, Ol. Terebinth. 100,0. Die Ergebnisse der Versuche
sind folgende: 1. die bakterizide Wirkung der Essenz ist viel energischer,
als die der einzelnen Komponenten allein genommen. 2. die bakterizide Macht
des Gemisches ist je nach der Art der untersuchten Bakterien verschieden.
Der Cholerakeim wird schon nach 1 Minute, der Typhusbazillus nach 20 Min.
der Staphylococcus albus, der übrigens auch anderen Lösungen gegenüber
sehr hart ist, erst nach 50 Min. getötet. 3. Sterile Seidenfäden kann man nachher
in Äther auswaschen . Ein Aufenthalt darin bis zu 25 Tagen ist nicht schädlich.
v. Schnizer (Danzig).
Alkoholseifen.
(Karl Gerson. Med. Klinik, Nr. 4, 1908.)
Während früheren Alkoholseifen der Übelstand anhaftete, daß trotz an¬
scheinend genügend dichter Umhüllung der Alkohol daraus verdunstete und
so dieser für die Händedesinfektion oder den sonstigen bakteriziden Zweck
der Seife so sehr wichtige Bestandteil verloren ging, empfiehlt G. jetzt eine
Älkoholseife von breiiger Konsistenz, deren Alkoholgehalt (ca. 50%^ dadurch
ein konstanter bleibt, daß das Präparat in Zinntuben gefüllt ist. Zur Er¬
höhung der reinigenden Wirkung ist dem Präparat, das den Namen Sapalcol
führt, fein pulverisierter Sandstaub zugesetzt. — Es können auch medika¬
mentöse Zusätze (Teer, Schwefel, Salizyl usw.) gemacht werden. Hersteller :
Chem. Fabrik, Arthur Wolff jr., Breslau X. R. Stüve (Osnabrück).
Beitrag zur Behandlung mit Jodglidine.
(Max Hirsch. Med. Klinik, Nr. 13, 1908.)
Das Jodglidine stellt ein Jodpräparat dar, in welchem das Jod an
Eiweiß gebunden ist. Auf Grund seiner, an 47 Kranken mit verschiedenen
Leiden gesammelten Erfahrungen glaubt Hirsch in dem Jodglidine eine
geeignete Form der Darreichung von Jod zu erblicken, da es das Jod lang¬
sam — im Verhältnis der Zerlegung des Eiweißes — abgibt, keinen Jodismus
hervorruft und die Eigenschaft, ein Joddepot im Körper zu bilden nicht
besitzt. R. Stüve (Osnabrück).
Über Spirosal.
(Karl Perl. Med. Klinik, Nr. 15, 1908.)
Das von Friedr. Bayer & Co. hergestellte Spirosal ist der Monosalizyl¬
säureester des Aethylenglycols und ein Ersatz des Mesotans. Mit Spirit,
vin. rectificatiss. zu gleichen Teilen gemischt, stellt es ein Einreibe¬
mittel dar, das teelöffelweise in die Haut eingerieben sich bei verschiedenen .
rheumatischen und schmerzhafteil Affektionen als ein Heil- oder wenigstens
Linderungsmittel und dabei vollkommen reizlos erwies, so daß es auch von
Patienten, die sonst gegen Salizylpräparate empfindlich waren, gut vertragen
wurde. R. Stüve (Osnabrück).
Referate und Besprechungen.
251
Montefusco hat 45 Bälle von Laryngostenose nach Morbillen mit Pilo¬
karpin behandelt und dabei nur eine Mortalität von 4,4% gehabt. Er findet mit
Roger, der es seinerzeit gegen Diphtherie empfahl, daß sich die Membranen
rascher abstießen, als bei Serumanwendung. Er pflegte 1/2 — 1 mg, in schwereren
Fällen bis zu 3 mgf täglich subkutan zu geben. Formel : Pilocarpin, nitr.
0,05, Aq. dest. 25,0. Oft erfolgt schon nach der ersten Injektion eine er¬
hebliche Linderung der Laryngostenose ; in schwereren Fällen ist eine eventuelle
dreimalige Wiederholung pro Tag und Fortsetzung der Injektionen für einige
Tage notwendig. (Les nouveaux remedes, Nr. 21, 1908.)
v. Schnizer (Danzig).
Gegen die Trunkenheit empfiehlt Prof. Pouch et Ammon, acetic. 15,0,
Sal. marine 5,0, starken Kaffeeaufguß 50,0, Syr. simpl. 30,0. Auf 2 mal in
v4 Stunde zu nehmen. (Bulletin general de therapeutique, Nr. 2, 1908.)
v. Schnizer (Danzig).
Als gutes Schnupfenmittel wird empfohlen: Vaselin-Lanolin aa 6,0,
Perubalsam 2,0, Resorcin 1,0, Menthol 0,1, Thymianessenz gtt N, Cocain
hydrochl 0,1. Mehrmals in die Nase einzuführen. (Bulletin general de Thera¬
peutique, Nr. 2, 1908.) v. Schnizer (Danzig).
Röntgenologie und physikalische Heilmethoden.
Die Behandlung inoperabler Geschwülste mit Radium.
(Dr. Arthur Seelig, Franzensbad. Med. Klinik, Nr. 30, 1908.)
Seelig hat 6 Fälle von Karzinom der Verdauungsorgane mit Radium
behandelt. Zur Anwendung kamen 5 mg Radiumbromid mit 1200000 Ema¬
nationseinheiten, die auf der Bauchhaut über der Geschwulst befestigt wur¬
den. Die jedesmalige Bestrahlungsdauer wechselte von 5 Min. bis zu 24 Std.
Die Gesamtbestrahlungsdauer betrug 40 — 70 Std. Deutliche Erfolge wurden
nicht erzielt. Hahn.
Radiotherapie in tiefen Geweben.
(Bourgade la Dardye. Acad. des Sciences, 14. Dezember 1908. — Bull. med.
Nr. 101, S. 1172, 1908.)
Es ist nachgerade allbekannt, daß die Röntgentherapie nur bei ober¬
flächlichen Affektionen verwertbar ist, daß aber tief sitzende Tumoren sich
ihrem Einfluß entziehen infolge Absorption der Energie in den äußeren
Schichten. Bourgade la Dardye ist auf den Gedanken gekommen, Sub¬
stanzen in die betr. Gewebe einzuspritzen, die unter der Bestrahlung mit
X-Strahlen selbst radioaktiv werden, bezw. eine länger oder kürzer dauernde
Fluoreszenz oder Phosphoreszenz annehmen. So injizierte er eine feine Auf¬
schwemmung von Zinksulfat in Nase und Hoden, und beide Mal gelang es,
die hartnäckigen Prozesse (Schleimhautlupus und Hodentuberkulose) zu be¬
seitigen.
Die Idee läßt sich hören; nur gehören Nase und Hoden nicht gerade
zu den Teilen, die der strahlenden Energie schwer zugänglich sind.
Buttersack (Berlin).
Nord- und Ostseeküste als Aufenthalt für Tuberkulöse.
(Hennig, Königsberg. Rev. hebd. de lar., Nr. 48, 1908.)
Die Mittelmeerküsten haben als Phthisikerstation schon viele unbe¬
friedigt gelassen. H. zieht die deutschen Meere mit ihrem kräftigenden Klima
vor, mit dem frischen, durchlüftenden und abhärtenden Wind, den geringen
252
Referate und Besprechungen.
Temperaturschwankungen. Das reichliche Sonnenlicht und der Salzgehalt der
Luft spielen als Heilfaktoren ebenfalls eine Rolle. Nicht alle Tuberkulösen
sind geeignet, sondern wesentlich solche, bei denen die Heilungsprozesse
überwiegen, die eine anämische, skrophulöse, rhachitische Konstitution haben ;
die kräftigen Personen haben von der Nordsee, ßchwächere von der Ostsee¬
mehr Nutzen. Vorläufig steht freilich das Fehlen von Sanatorien den See¬
kuren noch im Wege. Verf. hat öfters Tuberkulöse mit gutem Erfolg nach
Cranz bei Königsberg geschickt. Arth. Meyer.
Sonnenlichtbäder im Gebirge.
(Hallopeau u. Rollier. Acad. de. med., 24. November 1908.)
Man weiß, daß das Sonnenlicht tief in die Stoffwechselvorgänge ein¬
greift: es wirkt mikrohizid, oxydations- und reduktionsbefördernd, schmerz¬
lindernd, sklerosierend, pigmentbildend. Im Hochgebirge ist diese Wir¬
kung um 25% stärker als in der Ebene. Die beiden Ärzte haben deshalb
ihren Patienten Sonnenbäder im Gebirge empfohlen ; diese Bäder wurden
anfangs nur kurz genommen; länger erst, nachdem die Haut pigmentiert
war. Photographien beweisen den günstigen Effekt bei oberflächlichen und
bei tiefen Tuberkulosen. *
Welche Aussichten eröffnen sich da für ein Luftballon-Sanatorium !
Buttersack (Berlin).
Die Indikationen des Thiopinolbades.
(Dr. Diesing, Bakter. Laborator, des Rudolf Virchow-Krankenhauses in Berlin.
Med. Klinik, Nr. 31, 1908.)
D. hat bei einer Anzahl teils gesunder, teils mit trypanosoma Brucei
und piroplasma canis infizierter Hunde Versuche mit Schwefelbädern ge-
gemacht. Zu Beginn der Behandlung trat eine Vermehrung der farbstoff-
haltenden Elemente ein, die später einem Zunehmen der farblosen Blut¬
zellen Platz machte, so daß das Blut zuletzt das Bild einer Leukämie zeigte.
Wenn weniger Bäder (wöchentlich 2 — 3) gegeben wurden, so trat nur eine
Vermehrung des Hämoglobins ein. Bei den infizierten Tieren wirkten die
Schwefelbäder regulierend auf die Körperwärme, indem sie ein zu tiefes
Absinken, als auch ein zu hohes Ansteigen verhinderten. Auch über¬
lebten die behandelten Tiere die Kontrolltiere um 5 Tage. Durch Kom¬
bination mit Sublimatinjektionen konnten die Tiere über 2 Monate am Leben
erhalten werden. Kombination mit Arsen- oder Atoxylinjektionen wirkten
nicht anders als blose Injektionen von Arsen bez. Atoxyl.
Dieser günstige Einfluß auf tierische Bluterkrankungen veranlaßte D.
die Schwefelbäder auch bei der Syphilis zur Anwendung zu bringen und
zwar in Kombination mit einer Quecksilberkur.
Er will mit dieser kombinierten Kur günstige Resultate erzielt haben.
Näheres führt er nicht aus, sondern verweist auf seine Schrift: die kom¬
binierte Quecksilber-Schwefelbehandlung der Syphilis.
Am Schlüsse empfiehlt D. noch die Behandlung mit Thiopinolbädern
bei entzündlichen Erkrankungen der weiblichen Sexualorgane, Gelenkerkran¬
kungen verschiederner Art usw.
Ref. vermißt die Angabe darüber, welche Zusammensetzung Thiopinol-
bäder haben und darüber, ob die Kontrolltiere piit gleichwarmen Wasser-“
bädern behandelt worden sind, da sonst die Temperaturbeeinflussung mög¬
licherweise auf die bloße Wasserwirkung zurückgeführt werden konnte.
Hahn.
Referate und Besprechungen.
253
Schutz der Haut bei der Massage.
(F. Kirchberg. Med. Klinik, Nr. 12, 1908.)
Zum Schutze der Haut bei der Anwendung der Massage empfiehlt
Kirchberg außer der in der J abludewski’schen Anstalt mit ausgezeich¬
netem Erfolge angewandten weißen Virginiavaseline noch für besonders emp¬
findliche Haut (bei Massage von Diabetikern, ödematösen (Miedern, Narben)
die Lenicetvaseline, die dann zum Gegensatz des sonstigen Gebrauchs nach
der Sitzung nicht abgewischt wird. — - (Lenicetsalbe = Lenicetvaseline ist
weiße amerikanische Vaseline mit Zusatz von polymerisierter trockener essig¬
saurer Tonerde = Lenicet. Hersteller Chem. Fabrik, Dr. R. Reich, Berlin.)
R. Stüve (Osnabrück).
Allgemeines.
Aus der amerikanischen periodischen medizinischen Literatur.
(Oktober — November 1908.)
The St. Paul medical jourmal Novbr. 1908.
Die Originalartikel dieser Nummer beschäftigen sich bis auf einen
von E. R. Sw an, (Cedar. Rapids, Jowa) über Ventilation ausschließlich
mit der Tuberkulose. Es sind dies die Artikel: 1. Der Tuberkelbazillus
und die Ar;t seiner Aktion. Von Dr. F. F. WAsbrook, Direktor der
städitischen Gesundheitsamts-Laboratorien in Minneapolis und med. chirurg.
Dekan an der Universität. 2. Einige Beobachtungen über die Früh¬
diagnose der Lungentuberkulose. Von Dr. Walter J. Markley, In¬
spektor des Minnesota-Sanatoriums für Schwindsüchtige zu Walker, Minnea¬
polis. 3. Die Behandlung Lungentuberkulöser nach der Entlassung
aus einem Sanatorium. Von Dr. H. Longstret Taylor, St. Paul.
4. Flauttuberkulose. Von Dr. Burnside Foster, St. Paul. 5. Chi¬
rurgische Tuberkulose. Von Dr. Walter Courtney, St. Paul. — Alles
Vorträge, die auf der Versammlung der med. Gesellschaft des oberen Missis¬
sippi in Walker, Minneapolis; am 21. Juli 1908 gehalten wurden. Das
Heft bezeichnet sich dann auch als upper Mississippi valley medical society
number.
The Post-Graduate Octobre 1908.
1. Der Monat. Von den Herausgebern. Frederik Cooper Hewitt
von Omego, New-York, ein Mitschüler des bekannten, in diesem Frühjahr
verstorbenen Dr. Roosa, des Begründers der New- Yorker Post-Graduate
school, hat dieser zum Andenken an R. 2 Millionen Dollar vermacht. —
Mängel der ersten ärztlichen Hilfe bei Straßenunfällen und Vor¬
schläge zur Abhilfe, (ähnlich wie bei uns). 2. Persönliche Erfah¬
rungen mit der Celiotomie mittels der incisio transversa sup-
rapubica nach Pfannenstiel. Von Dr. Abram Brothers, Adjunkt-
Professor der Gynäkologie an der P. Gr. school and hospital. Früher kein
Anhänger der queren Abdominal-Inzision, hat er jetzt eigene Erfahrungen
über 60 Laparotomien mittels dieser ohne eine einzige postoperative Hernie
gesammelt und fügt dieses Resultat den von anderer Seite berichteten hinzu
(Pfannenstiel 198 mit 1, Kroenig* 127 mit 4 Hernien). 3. Medizini¬
sche Fortbildung in Wien. Von Dr. Edward Davis, Prof, der Augen¬
heilkunde an der P. Gr. school and hosp. Eigene Erfahrungen. In Wien
besteht nicht wie in New-York eine eigene ärztliche Fortbildungsschule mit
einem Hospital. Jeder sucht sich das, was er hören will und den betr. Lehrer
selbst aus und bezahlt diesen, nicht die Schule. D. sah in Wien zum. erstenmal
eine Entfernung des Thränensacks unter Kokain und Blutleere von Dozent
Dr. Weller, die bisher nur unter allgemeiner Anästhesie und starkem Blut¬
verlust möglich war. Wien ist für amerikanische und englische Arzte so
anziehend, weil hier die meisten Kurse englisch gegeben werden. 4. Einige
neuere Fälle von Prostatektomie. Von Dr. Pollen Cabot, Urogenital-
254
Referate und Besprechungen.
Chirurg, Professor, konsultierender, New-York. Besprechung einiger wich¬
tiger Punkte. Mortalität früher 25 — 40, jetzt 7%. Vor der Prostatektomie
ist häufig erst Cystotomie und Drainage indiziert. Aufschub der Operation,
Postoperative Blutung. 5. Eine Haarnadel als Kern eines Blasen¬
steins bei einer Erau. Von Dr. George W. Warren: Lehrer der veneri¬
schen und Urogenitalkrankheiten P. Gr. sehool. Beschreibung des Falles.
Abbildung des Steins mit der Nadel. Operation. 6. Entfernung einer
Stecknadel aus der Trachea mittels des Killian’schen Bronchos¬
kops. Von Dr. Charles Graef, Lehrer der Nasen- und Brustkrankheiten
P. Gr. sehool. Die von einem 8 jährigen Knaben im Munde gehaltene und
beim Bennen verschluckte Nadel steckte in der hinteren Trachealwand dicht
unterhalb der Stimmbänder. Operation unter Chloroform. Am nächsten Tag
ist der Knabe gesund. Gr. meint, diese seine erste derartige Operation am
Lebenden war doch etwas anderes als die an der Leiche oder am Phantom.
7. Der unter Leitung von Dr. Hopf er Coffin stehende Auszjug- und Refe¬
raten teil bespricht 36 Arbeiten, darunter fast die Hälfte (17) deutsche.
8. Unter „Verschiedenes“ wird anerkennend der Worte gedacht, die seiner¬
zeit R. Kutner im Zentralkomitee für das ärztliche Fortbildungswesen in
Preußen über St. John Roiosa (s. oben Nr. 1) gesprochen.
The american journal of the med, Sciences. Novbr. 1908.
1. Die Gallensteinkrankheit. Von Dr. John B. Deaver, Chef¬
chirurg am deutsch. Hosp. Philadelphia. (Die Diskussion ist noch nicht
abgeschlossen, weder für Internisten noch für Chirurgen. Die Leber ist das
größte Exkretionsorgan des Körpers, wird leicht infiziert und steht zu
die anderen Unterleibsorganen in Beziehung. Daher rechtfertigt sich die
neuere Besprechung). 2. Aszite's bei Typhus. Von Dr. Alexander Mc.
Phedran, Prof. d. Med. Univers. Toronto, Kanada. (Außer Peritonitis er¬
wähnt die Literatur kein derartiges Vorkommnis. Bericht über 6 Fälle
in den letzten 3 Jahren.) 3. Lobäre Pneumonie. Von Dr. George Wil¬
liam Norris, Lehrer der Medizin. Univers. Philadelphia. (Analyse von
445 Fällen mit bes. Berücksichtigung der verminderten Sterblichkeit seit
Einführung von Freiluftbehandlung). 4. Pharmakologie der Herzstimu-
lantien. Von Dr. Horatio C. Wood, Prof, der Pharmakol. Univers. Phi¬
ladelphia. (Besprechung der als Digitalisgruppe zusammengefaßten Drogen
und ihrer für die Therapie in Betracht kommenden Eigenschaften.) 5. Ataxie
des Herzmuskels. Von Dr. E. Schmoll, klin. Lehrer am Cooper College,
St. Francisco. (Mit vielen Pulskurven, ausgehend von Leyden’s Hemisystole.)
6. Interpretation des VenenpuLsejs. Von Dr. Bachmann, Physiologe
am Jefferson-college hospital, Philadelphia. 7. Ermüdung der Schul¬
kinder, nachgewiesen am Ergographen. Von Dr. Rowland C. Free-
man, Lehrer der Kinderheilkunde an der Univers. und dem Bellevue-Hos¬
pital, New-York. (Mit Kurven und Abbildung'.) 8. Der diagnostische
Wert kutaner Hyperalgefsie (Head’sche Zonen) bei Unterleibs¬
krankheiten. Von Dr. Charles A. Eisberg und Dr. Harald Neuhof,
Chirurgen am Monet Sinaihospital, New-York. (Head’s Zonen, obwohl bereits
vor 15 Jahren beschrieben (Lange 1871, Roß 1888), sind noch wenig bekannt.
Beschreibung. Prüfungsmethoden. Diagnostischer Wert;. 9. Tumor des
ganglion Gasseri, 2 Fälle mit Nekropsie. Von Dr. William 0. Spil-
ler, Prof, der Neurologie, Pennsylv. -Univers., Philadelphia. 10. Ätiologische
Bedeutung abnormer Fußstellungen für Affektionen des Kniege¬
lenks. Von Dr. David Silver, orthopäd. Chirurg am Kinderhospital, Pitts¬
burg. (Kniesymptome infolge abnormer Fußstellung erklären sich mechanisch,
es können aber auch aktuelle Veränderungen dadurch herbeigeführt werden.
Daher Korrektur der Fußstellung oder, wo diese nicht möglich, Verlegung des'
Körperschwergewichts!) 11. Die Ricin-Methode von Jacoby-Solms für
die quantitative Pepsinschätzung. Aus dem Privatlaboratorium von
Dr. John H. Muser. Von Dr. Edward H. Goodman, Philadelphia. Von,
den vielen interessanten älteren Methoden (Brücke, Grützner, Jaworsky,
Hammerschlag, Oppler) ist eigentlich keine praktisch. 1906 mit Unter-
Bücherschau.
255
suchungen über Ricin beschäftigt, fand Jacoby (Arbeiten aus d. patholog.
Institut Berlin, Feier, Joh. Orth, S. 655), daß eine l%ige Kochsalzlösung
dieser Substanz trübe wurde infolge in ihr enthaltener unlöslicher Eiwei߬
körper, sich aber nach Pepsinzusatz schnell aufklärte. 1907 veröffentlichte
der unter Jacoby arbeitende Spinös eine Arbeit hierüber, und erst seitdem
hat die Methode Beachtung gefunden. Beschreibung der Technik und Be¬
urteilung der gefundenen Resultate. Hyperazidität ist meist nicht mit ent¬
sprechender Pepsinvermehrung, Subazidität stets mit Pepsinverminderung ver¬
bunden. Die Methode ist einfach, schnell, billig und genau. Peltzer.
Bücherschau.
Grutldzüge der Physiologie. Von Brieger- Wasservogel. J. F. Schreibe]*,
Eßlingen u. München. 180 Seiten. 2.80 Mk.
Die Herausgeber haben sich zur Aufgabe gestellt, ein allgemein-verständ¬
liches Extrakt aus den mehr oder weniger unhandlichen Handbüchern der Physio¬
logie herzustellen. Das ist ihnen sehr gut gelungen Dank einer flüssigen, leicht¬
verständlichen Darstellung und 60, zum Teil farbigen Abbildungen.
Physiologie kann man freilich nicht aus Büchern lernen; indessen zur Unter¬
stützung praktisch-physiologischer Anleitungen erscheint das Buch wertvoll.
Buttersack (Berlin).
Innere Krankheiten der Schwangeren und die Indikationen zur Einleitung
des Abortes. Sanitätsrat Dr. G. Korach. Verlag von Benno Konegen,
1908. 70 Pfg.
Gute Zusammenfassung der heutigen Ansichten über die Indikationen zur
Einleitung des künstlichen Abortes, berücksichtigt die Infektionskrankheiten (bes.
Influenza, Pneumonie, Tuberkulose), Struma, Herzerkrankungen, Erkrankungen des
Zentralnervensystems, Epilepsie, Chorea, Tetanie, die Affektionen peripherer Nerven.
Hyperemesis; Appendizitis; Nieren- und Leberkrankheiten ;. Diabetes; Osteomalazie.
R. Klien (Leipzig).
Über die Nebenwirkungen der modernen Arzneimittel. 3. Folge. Von
Prof. Dr. Otto Seifert, Wurzburg. Würzburger Abhandl. aus dem
Gesamtgebiet der prakt. Medizin. Verlag Kurt Kabitzsch (A. Stuber’s
Verlag) Würzburg. 1.70 Mk.
Da im ganzen weit mehr die guten Erfahrungen mit den neuen Medika¬
menten publiziert und zur Kenntnis der Arzte kommen, ist es ein dankbares Unter¬
nehmen des Verfassers, auch einmal die Nebenwirkungen übersichtlich zu besprechen.
Gleich den vorangegangenen beiden Heften zeichnet auch das vorliegende große
Vollständigkeit aus, im übrigen hält sich Verfasser ziemlich genau an das, was er
in seiner Einleitung zur zweiten Abhandlung ausgesprochen hat. Dem Praktiker
werden auf jeden Fall die Seif ert’schen Abhandlungen großen Nutzen bringen.
R,
Leitfaden des Röntgenverfahrens. Unter Mitarbeit der Prof, und Dr.
Blenke, Hildebrand, Hoffa, Hoffmann, Holzknecht herausg.
v. Ing. F. Dessauer und Dr. B. Wiesner, Aschaffenburg. 3. umg.
AufL Leipzig, O. Numrich, 1908. 336 S., 113 Abb. u. 3 Taf. 10 Mk.
Der Leitfaden will klären und lehren, ohne allzusehr ins Detail zu gehen
und bringt dementsprechend eine kurze aber möglichst erschöpfende fachmännische
Darstellung der physikalischen Gesetze des Röntgen Verfahrens und der technischen
Gesetze des Apparates, sowie einen medizinischen Teil, der die innere und chirur¬
gische Diagnostik und die Röntgentherapie bespricht. Von Einzelheiten seien
erwähnt die Besprechung des wichtigen Blendenverfahrens, der Orthodiagraphie.
256
Bücherschaii.
des stereoskopischen Hilfsverfahrens, des Schutzes von Arzt und Patient, der Do¬
sierung, des Strahlencharakters.
Das Buch kann dem Arzte sowohl zur Orientierung als auch zur Vorberei¬
tung und Begleitung für Röntgenkurse bestens empfohlen werden. Esch.
Unsere Mittelschüler ZU Hause. Schulhygienische Studie. Nach Er¬
hebungen an Münchener Mittelschulen veranstaltet durch die Schul¬
kommission des ärztlichen Vereins München. Bearbeitet von Dr. Eugen
Dornberger und Dr. Karl Graßmann, prakt. Ärzten zu München,
München, J. F. Lehmann’s Verlag, 1908. 208 Seiten.
Während man in Preußen unter Mittelschulen Schulen versteht, die zwischen
der Volksschule und den höheren, den Gymnasien, stehen, bezeichnet man in
Bayern und Österreich gerade diese letzteren und die ihnen gleichgerechneten An¬
stalten als Mittelschulen im Gegensatz zu den Hochschulen. Dies zur Vermeidung
von Mißverständen, zu welchen der Titel des vorliegenden Buches ohne Kenntnis¬
nahme des Inhalts Veranlassung geben könnte, vorauf geschickt, können wir es allen
denjenigen, welche Einfluß auf die Gestaltung des Unterrichts an unseren höheren
Lehranstalten haben, umsomehr an’sHerz legen, als sie nicht zu besorgen haben, daß sie
in ihm den vielfach noch immer gefürchteten ärztlichen Eingriffen in die ausschließliche
Aufgabe der Schule, die Pädagogik, begegnen werden. Hat es doch geraumer Zeit und
der Ueberwindung manches Vorurteils bedurft, ehe dem Arzt als solchen überhaupt
eine Kenntnisnahme von Einrichtungen, die mit der Schule Zusammenhängen, zuge¬
standen wurde. Um was es sich hier handelt, ist vielmehr die Beibringung schul¬
hygienischen Beobachtungsmaterials zur Beleuchtung der Frage, ob nicht auch
außerhalb der Schule Schädlichkeiten liegen, deren üble Wirkung allzuoft ein¬
seitig der Schule zugeschrieben wird. In diesem Sinne sei das Buch aber auch
den Eltern unserer höheren Schüler an’s Herz gelegt, wenngleich sich diese im All¬
gemeinen nicht gern mit Statistik beschäftigen werden. Aber ohne Statistik keine
Verbesserung, keine Reform, wie dies erst kürzlich im Reichstage bei Besprechung
der Arbeitslosen-Interpellation von berufener Seite überzeugend nachgewiesen wurde.
Um kurz etwas näher auf den Inhalt einzugehen, so sei bemerkt, daß zwar die
auf Knaben und Mädchen innerhalb unserer höheren Schule wirkenden Einflüsse
in den letzten 2 — 3 Jahren eingehend studiert sind und hierdurch bereits manche
Änderung, z. B. die Einführung des ungeteilten Unterrichts, sowie die bessere Aus¬
gestaltung der Schulgebäude, herbeigeführt ist, daß aber hiermit das Studium der
persönlichen Hygiene des Schülers außerhalb der Schule nicht gleichen Schritt
gehalten hat. In dieser Beziehung liegen bisher nur die Untersuchungen von
Axel Key für die nordischen Länder und von Patzak-Prag für Österreich vor.
Diese Lücke auszufüllen, ließ sich die Schulkommission des ärztlichen Vereins
München angelegen sein, indem sie mittels genauer Fragebogen, betiv die Schlaf¬
dauer und die Schlafzeit, den Schulweg, den Kirchenbesuch, die häuslichen Ar¬
beiten, die Nebenbeschäftigungen, die freie Zeit, die körperliche Betätigung außer¬
halb der Schule usw. eine Umfrage veranstaltete und diese an die 5 humanistischen
Gymnasien Münchens, sowie an das Realgymnasium, die 3 Kreisrealschulen, das
Kadettenkorps, die städtische Handels-, die städtische höhere Töchterschule sowie
an eine Reihe anderer, auch privater Institute richtete. Das unter Mitwirkung
zahlreicher Ärzte, der Familien und vereinzelt auch der Schüler selbst gewonnene
Material liegt in 2 ausgezeichneten Bearbeitungen, und zwar bezüglich der 5 Gym¬
nasien von Dr Graßmann, bezüglich der anderen Schulen und Institute von
Dr. Dornberger vor. Das Resultat ist im allgemeinen, daß innerhalb des heutigen
Arbeitstages unserer höheren Schüler und Töchter eine bessere körperliche Aus¬
bildung als bisher nicht möglich ist. Soll es anders werden, so müssen sich Haus
und Schule hiermit durchdringen, der Wert geistiger Schulung und des auf diese
Weise gewonnenen Wissens und Könnens braucht damit nicht herabgesetzt zu
werden. „Eines Volkes Zukunft erblüht aus seiner Jugend.“ Peltzer.
Ein neuer Hauptkatalog von B. Zimmermann, Leipzig, über psycho¬
logische Apparate, Mikrotome, Mikroskopie, Mikrophotographie, Mikroprojektion
ist erschienen und wird allen Interessenten kostenlos zugesandt.
Schriftleitung: Dr. Ri gl er in Leipzig.
Druck von Emil Herrmann senior in Leipzig.
27. Jahrgang.
1909.
fortscbriitc der Medizin.
Unter Mitwirkung hervorragender Fachmänner
herausgegeben von
Professor Dr. 0. Köster Prio.-Doz. Dr. o. Cricgem
in Leipzig. in Leipzig.
Schriftleitung: Dr. Rigler in Leipzig.
Nr. 7.
Erscheint am 10., 20., 30. jeden Monats. Preis halbjährlich
6 Mark, in kl. Zeitschrift für Yersicherungsmedizin 8 Mark.
Verlag von Georg Thieme, Leipzig.
10. März.
Originalarbeiten und Sammelberichte.
Zur Klinik des Kleinhirnbrückenwinkeltumors.
Von Dr. C. Velhagen, Augenarzt.
(Vortrag gehalten in der medizinischen Gesellschaft zu Chemnitz.)
M. H. Aus dem wichtigen und schwierigen Kapitel „Tumor cerebriu
möchte ich Ihnen an der Hand eines Präparates über einen Krank¬
heitsfall berichten, von dem ich überzeugt bin, daß er nicht nur wegen
seiner Seltenheit, sondern auch wegen seiner anatomischen und klinischen
Eigentümlichkeiten Ihr Interesse hervorrufen wird. —
Am 21. X. 1903 kam eine 17jährige junge Dame aus der Um¬
gegend von Chemnitz begleitet von ihrer Mutter, in der vergnügtesten,
sorglosesten Stimmung zu mir mit der Angabe, sie habe gestern eine
Hochzeit mitgemacht und die ganze Nacht über getanzt, wolle aber die
Gelegenheit, weil sie gerade hier wäre, benutzen, einmal einen Augenarzt
zu konsultieren. Sie habe zuweilen etwas Flimmern vor den Augen,
könne auch z. B. beim Klavierspielen, Staubwischen usw. nicht mehr
recht alles sehen.
Hie Untersuchung mit dem Augenspiegel ergab zu meinem Ent¬
setzen eine doppelseitige Stauungspapille von einer Intensität, wie sie
selten vorkommt, nämlich von 7 — 8 H, d. h. einer Höhendifferenz des
Sehnervenkopfes gegen die umgebende Retina von 21/2 — 3 mm. Die
Sehkraft rechts war gleich 5/12, diejenige links gleich 5/80. Das Ge¬
sichtsfeld zeigte einige parazentrale Skotome. — Die sofort an die Pa¬
tientin resp. deren Mutter gestellten Fragen nach dem Bestehen sonstiger
Krankheitserscheinungen wurden zunächst verneinend beantwortet. Erst
nach eindringlichen Fragen wurde zugegeben, daß vor einigen Wochen
manchmal etwas Übelkeit und Kopfschmerz dagewesen sei. Auch habe
sie vor einigen Monaten einmal einen Ohrenarzt in Ch. konsultiert, weil
sie auf dem rechten Ohr nicht mehr ganz so gut hören könne wie auf
dem anderen.
Wie wenig mit diesen spärlichen Angaben anzufangen war, ist klar.
Es wird wohl kaum junge Mädchen aus den höher kultivierten Ständen
geben, welche nicht ähnliche Klagen hätten. Anamnestisch wurde aller¬
dings insofern etwas Verdächtiges gefunden, als skrophulöse Erscheinungen
bei der Patientin selbst sowohl, als bei ihren drei Geschwistern dage¬
wesen waren. Auf Lues der Eltern deutete nichts. Da mir bei dem
ophth. Befund die Diagnose auf Tumor cerebri nicht zweifelhaft war,
bestand ich darauf, trotz lebhaften Widerstrebens der Mutter und Tochter,
17
258
C. Velhagen,
welche mich auslachten, daß noch ein anderer Augenarzt gefragt werde
und zwar eine auswärtige Autorität. Dieser bestätigte meine Diagnose
vollkommen und fügte seinem Bericht an mich wörtlich noch Folgendes
hinzu: „Es wäre wohl möglich, daß ein Tuberkelherd oder sonst ein
gutartiger umschriebener Prozeß die Sehnerven direkt vor ihrem Eintritt
zur Kreuzung schädigte. Für eine Fernwirkung von einem weiter hinten
sitzenden Herd sind keinerlei Anhaltspunkte gegeben.“
Die Patientin, welche jetzt ebenso wie ihre Angehörigen von dem
furchtbaren Ernst der Lage überzeugt war, wurde darauf zunächst von
zwei Neurologen untersucht aber ohne Resultat. Auch brachte eine
Röntgendurchleuchtung des Kopfes keinerlei Aufklärung über die Art
und den Sitz des Tumors. Ein sehr erfahrener Otologe nahm einen
Ohrenbefund auf, der dahin lautete, daß sich auf beiden Mittelohren, be¬
sonders am rechten, Trommelfell- und andere -Veränderungen fänden,
welche die Schwerhörigkeit zur Genüge erklärten. Sie hörte rechts 30/150,
links 80/ir)0, Flüstersprache rechts in einem, links in sieben Metern.
Nachdem nun noch eine Schmierkur vergeblich versucht war und
auch die weitere Beobachtung keinerlei Anhaltspunkte für die Lokali¬
sation der Geschwulst geboten hatte, riet ich den Eltern, die Berliner
Chirurgen und Nervenärzte zu konsultieren. Dieselben könnten vielleicht
auf Grund ihrer großen Erfahrungen auf diesem Gebiete den Krankheits¬
herd finden und durch Operation Heilung schaffen. Denn mir schien
unzweifelhaft, daß es sich hier bei der kolossalen Stauungspapille ohne
andere Herdsymptome um etwas Besonderes handeln müsse.
In Berlin haben sich nun hervorragende Vertreter sämtlicher ein¬
schlägiger Spezialfächer mit dem unglücklichen jungen Mädchen be¬
schäftigt, aber keiner ist auch nur entfernt auf die richtige Diagnose
gekommen. An der Anwesenheit eines Tumors in cerebro zweifelte man
zwar nicht, aber die Möglichkeit der Lokalisierung und damit der Opera¬
tion wurde einstimmig verneint. Nur wurde mit Reserve die Ver¬
mutung ausgesprochen, daß der Herd möglicherweise tief in einem
Scheitellappen sitze. —
Eine in Berlin vorgenommene Arsenkur blieb auch ohne Erfolg,
sodaß die Patientin ungetröstet heimkehren mußte. Schon Ende November
erkannte sie nicht das Sonnenlicht mehr. —
Die Eltern wanderten dann mit ihrer Tochter von einem Arzt zum
andern und später von einem Kurpfuscher zum andern, ohne daß sie
irgendwo Hilfe finden konnten.
Fast zwei Jahre blieb der körperliche Zustand dann derselbe un¬
veränderte. Die geistige Regsamkeit der sehr klugen und feingebildeten
Patientin nahm durchaus nicht ab. Sie trieb mit einer Gesellschafterin
fremde Sprachen und schöne Literatur, hatte auch viel geselligen Ver¬
kehr und konnte weite Wege gehen, sodaß man wirklich manchmal an
der Diagnos „Tumor cerebri“ irre wurde. Nur wurde das Gehör schlechter.
Am 31. 6. 04 wurde konstatiert, daß sie rechts Flüstersprache nur in
15 cm vernehmen könne. Im Oktober 06, also zwei Jahre nach der
vollständigen Erblindung, fand sich totale Taubheit rechts und auch links
erhebliche Verschlechterung des Hörvermögens. —
Nach dieser Zeit, während welcher die Stauungspapillen sich lang¬
sam in weisse Scheiben verwandelt hatten, wurde dann auch das Allge¬
meinbefinden ein anderes. Zunächst trat eine große Schwäche in den
Beinen auf, welche so zunahm, daß sie seit 1907 nicht mehr gehen konnte.
Eigentliche Ataxie oder Schwindel scheint aber vorläufig noch nicht da-
Zur Klinik des Kleinliirnbrückenwinkeltuniors.
259
gewesen zu sein. Dann wurde sie alsbald auch auf dem linken Ohr
vollständig taub. Die Außenwelt konnte sich nur dadurch mit ihr in
Verbindung setzen, daß man ihr mit dem Finger etwas in die Hand¬
fläche schrieb. Dazu litt sie an schrecklicher Obstipation. Ferner traten
quälende Neuralgien auf im Gebiet des rechten Trigeminus sowohl wie
an anderen Körperstellen.
Auch machte sie verschiedene Selbstmordversuche. Geistig klar
blieb sie bis vor D/2 Jahren. Um diese Zeit entstand auch Dyarthrie,
welche sich zu vollständigem Unvermögen zu sprechen, steigerte. Dabei
wurde der ganze Körper steif, so daß sie bettlägerig wurde, ungefähr
April dieses Jahres. Zugleich traten auch Krämpfe auf und zwar an¬
fangs täglich, später etwas seltener. Am 1. VIII. d. J. wurde sie in
die „Städtische Heil- und Pflegeanstalt“ zu Dresden überführt, wo sie
am 29. VIII. starb. In der Krankengeschichte, welche dort aufge¬
nommen und mir von dem dirigirenden Arzt, Herrn Sanitätsrat Dr.
Heck er gütigst zur Verfügung gestellt wurde, ist unter anderm notiert,
daß die Kranke vollständig bewußtlos und steif im Bett gelegen habe,
den Kopf stets nach der linken Seite geneigt und den linken Arm starr
an die Brust angezogen. Der Gesichtsausdruck war ohne Bewegung,
nur manchmal zogen sich die Muskeln der Mundöffnung krampfartig
zusammen, wobei eine Parese der rechten Gesichtshälfte auffiel. Die
Gesichtsmuskeln waren atrophisch, ebenso wie die übrige Muskulatur des
Körpers, welche fast ganz geschwunden war. Die Sehnenreflexe waren
wegen der Muskelstarre ganz undeutlich. Die Lider waren halb ge¬
öffnet, während die Augen anscheinend unwillkürlich in der horizontalen
Ebene von Zeit zu Zeit bewegt wurden und zwar in koordinierter Weise.
Die Korneal- und Konjunktivalreflexe waren aufgehoben. Bei Berührung
des Mundes wurde derselbe geöffnet. Der Babinsky war nur am linken
Fuß nachweisbar. Urin ließ sie unter sich. Stuhl kam anf Einlauf.
Dekubitus befand sich an den oberen Brustwirbeln, am Sakrum, an
Oberschenkeln, Fersen und Fußzehen. Temperatur war normal, innere
Organe ohne Befund.
Bei der von Herrn Geheimrat Schmorl vorgenommenen Sektion
fand sich nun eine Art von Tumor, dessen merkwürdige Eigenschaften
wohl noch nicht allen von Ihnen bekannt sind, nämlich ein Kleinhirn¬
brückenwinkel- oder wie er meist genannt wird, ein Akustikustumor.
Der ebengenannte Herr hat nun die große Loyalität gehabt, mir das kost¬
bare und seltene Objekt zur Demonstration zuzusenden, da ich die
Diagnose auf Hirngeschwulst zuerst gestellt und den Krankheitsverlauf
in großen Zügen wenigstens die fünf Jahre hindurch verfolgen konnte.
Außer dem Tumor wurde, um dies vorauszunehmen, bei der Sek¬
tion noch konstatiert sehr starker Hydrozephalus, Atrophie der Schädel¬
knochen, kleine Hirnhernien und andere auf dem Hirndruck basierende
Veränderungen. Diese haben aber aus dem Grunde kein Interesse, weil
sie sehr oft bei Tumor cerebri gefunden werden. Ebenso wenig sind
natürlich die intra vitam in der späteren Zeit der Erkrankung aufge¬
tretenen Symptome von Bedeutung. Muskelstarre, Krämpfe, Abmagerung,
Bewußtlosigkeit usw. kommen im Endstadium sehr vieler Gehirngeschwülste
vor. Sie sind meist nicht als Lokal- oder Nachbarschaftssymptome eines
Gehirntumors aufzufassen, sondern als Folge des gesteigerten Gehirndrucks.
Hier handelt es sich darum, das Krankheitsbild des Kleinhirn¬
brückenwinkeltumors in seinen Anfangsstadien festzustellen und aus der
17*
260
C. Velhagen,
vorliegenden Krankengeschichte eventuell eine Vervollständigung des¬
selben zu gewinnen. —
In der Literatur finden sich einschlägige Beobachtungen aus früherer
Zeit sehr spärlich, während in den letzten zwei bis drei Jahren ver¬
hältnismäßig viel darüber geschrieben worden ist. Schon Virchow hat
die Akustikustumoren gekannt und in seinem Buche von den krank¬
haften Geschwülsten beschrieben. Später sind es u. A. die Namen
Brückner, Sorgo, Pichler, Stevens, Bouch ut, v. Monakow, ßam-
say Hunt, Lepine, Frankl-Hoch wardt und vor allem Sternberg,
Anton, F. Krause, Borchardt u. Oppenheim, welchen Fortschritte
in der Kenntnis dieser eigenartigen Geschwulstart zu verdanken sind. —
Sternberg stellte im Jahre 1900 auf Grund von fünf Sektions¬
beobachtungen zuerst in umfassender Weise die histologischen und ma¬
kroskopischen Eigenschaften des Kleinhirnbrückenwinkeltumors fest, mit
welchen natürlich die klinischen auf das innigste verknüpft sind. Er
fand zunächst, daß die Tumoren ihren Sitz immer in dem nach ihm so¬
genannten Recessus acustico-cerebellaris haben, d. h. in dem Winkel sitzen,
welcher gebildet wird 1. von dem distalen Teil des Pons., 2. vom Cere-
bellum, 3. von der hinteren Fläche der Felsenbeinpyramide, rsp. deren
duraler Bedeckung. — Ferner fand er, daß die Geschwülste immer mit
dem Akustikus, sehr selten mit dem eng benachbarten Facialis in orga¬
nische Beziehung treten, indem bald der Nerv durch die Neubildung
vollkommen ersetzt, bald nur aus seiner Lage verdrängt wird, so daß
er platt gedrückt und degeneriert um die basale Fläche der Geschwulst
verläuft. —
Sternberg hebt ausdrücklich hervor, daß durale Geschwülste, welche
an dieser Stelle Vorkommen, stets extradural liegen und in ihrer histo¬
logischen Beschaffenheit sich anders verhalten. Er nannte die Neu¬
bildungen deshalb Akustikustumoren, ein Ausdruck, der sich jedoch wohl
nicht wird halten lassen, da in letzter Zeit z. B. von Gi erlich (D. med.
Wochenschrift 1908, 15. X.) eine Beobachtung publiziert ist, welcher
zufolge auch der Glosso-pharyngeus an jener Stelle gleichartige Tumoren
erzeugt. Hie indifferente Bezeichnung als Kleinhirnbrückenwinkelge¬
schwülste, die von andern Autoren vorgeschlagen wurde, ist deshalb
wohl vorläufig die beste.
Hie von Sternberg sezierten Tumoren hatten eiförmige Gestalt von
4 cm größtem Hurchmesser, waren von derber Konsistenz, manchmal
mit myxomatös erweichten Anteilen und höckriger Oberfläche. —
Histologisch bezeichnet^ er sie als Mischgeschwülste: Gliofibrome
oder Neuroliome. Als ihr Ausgangspunkt sei ein Gewebsrest anzunehmen,
welcher von der embryonalen Nervenleiste herstamme, aus der sich der
5. 7. 8. 9. u. 10. Hirnnerv entwickele. Ähnlich äußert sich in letzter
Zeit (Berliner Klinische Wochenschrift 1908 Nr. 41) R ose aus dem
Straßburger pathologischen Institut. —
Andere Beobachter glauben sarkomähnliche Bildungen vor sich zu
haben, noch andere, z. B. Henneberg und Koch (1902) echte Neuro¬
fibrome Recklinghausens. Hie letztgenannten Autoren kommen haupt¬
sächlich dadurch zu ihrer Ansicht, daß sie zwei Fälle beobachteten, bei
welchen nicht nur beiderseits im Kleinhirnbrückenwinkel Tumoren saßen,
sondern typische Neurofibrome Recklinghausens sich auch an der Peri¬
pherie des Körpers und, was das Wichtigste ist, an dem Austritt zahl¬
reicher anderer Gehirn- und Rückenmarksnerven aus den Zentralorganen
vorfanden. Has Ungewöhnliche ihrer Fälle sei hauptsächlich der Umstand,
Zur Klinik des Kleinhirnbrückenwinkeltumors.
261
daß die Neurofibrome, welche sonst nur an peripheren Nerven beobachtet
würden, hier diesseits der Duralscheide vorgekommen seien. Der Hör¬
nerv sei deshalb eine Art Prädilektionsstelle, weil überhaupt die Neuro¬
fibrome sensible Nerven bevorzugten. Der Ansicht Virchows, daß es
echte Neurome seien, pflichten Henneberg u. Koch nicht bei. Inner¬
halb der Tumoren und auch an der Oberfläche könne man zwar spär¬
lich erhaltene Nervenfasern vorfinden, aber keine Neubildungen der¬
selben. —
Uhthoff, der im neuen Gräf e-Sämisch den Kleinhirnbrücken -
winkelgeschwülsten ein besonderes Kapitel widmet, findet es sehr auf¬
fallend, daß sie sich fast niemals als Tuberkel etablieren, trotzdem doch
in dem benachbarten Pons und Kleinhirn sehr oft solche beobachtet
würden.
Bei dem vorliegenden Fall scheint es sich um ein Fibrosarcom zu
handeln. —
Während also aus dem Gesagten hervorgeht, daß die Histologie
der Kleinhirnbrückenwinkelgeschwülste keine einheitliche ist, so besitzen
sie in makroskopischer Beziehung zwei gemeinsame Eigenschaften, deren
Vorhandensein von allen Beobachtern zugegeben und mit zweifellosem
Becht für ungeheuer bedeutungsvoll bezeichnet wird. Die erste besteht
darin, daß die Tumoren mit der Umgebung nicht verwachsen, sondern
sich absolut leicht ohne erhebliche Verletzung aus den umliegenden
Hirnteilen herausschälen lassen. Wie schon Virchow betont, sind sie
auch nicht wie die Fibrome, Fibrosarcome und Psammome mit der
Dura im Zusammenhang. Der einzige Punkt, an welchem sie bei Sek¬
tionen manchmal festsitzen, ist der Meatus acusticus internus. Sie sind
dann in Begleitung des Acusticus in das Innere des Felsenbeins unter
leichter Usurierung des Knochens hineingewuchert, manchmal bis zur
Cochlea. —
Die zweite jener merkwürdigen Eigenschaften charakterisiert sich
dadurch, daß die von den Tumoren berührten Hirnpartien durch den
Druck zunächst nicht erweicht, sondern nur im mäßigem Grade sklero¬
tisch und atrophisch werden, so daß sie ihre Funktionsfähigkeit lange
Zeit nicht verlieren. Nach Entfernung der Geschwülste findet man ge¬
wöhnlich becherförmige Eindrücke im Cerebellum und Pons. An dem
vorliegenden Präparat können Sie diese Eindrücke besonders deutlich
sehen, da der Tumor wegen der langen Dauer der Krankheit unge¬
wöhnlich groß geworden ist und den Umfang eines Hühnereies erreicht
hat. —
Da aus dem eben Gesagten ohne Weiteres die Möglichkeit der ope¬
rativen Behandlung der sog. Akustikustumoren hervorgeht, ist natürlich
die Kenntnis des von ihnen hervorgerufenen Symptomencomplexes, welcher
bei vielen anderen Hirntumoren zurzeit nur erst theoretisches Interesse
hat, von denkbar großer praktischer Wichtigkeit. —
Wenn man aber glaubt, daß durch den typischen Sitz der Ge¬
schwülste auch ein dementsprechendes gleichartiges Krankseitsbild her¬
vorgerufen würde, so ist man doch in einem gewissen Irrtum. Hart¬
mann, der in der Zeitschrift für Heilkunde 1902 26 Fälle gesammelt
hat, glaubt allerdings eine so genaue Diagnose aus den Symptomen
stellen zu können, daß er in seine Arbeit auch einige Krankengeschichten
ohne Sektionsbefund aufgenommen hat. Ebenso sagen Alexander und
Frankl-Hochwardt (Arbeiten aus dem neurol. Institut der Wiener
Universität. 11. Band 1904) im Anschluß an eine von ihnen gebrachte
262
C. Velhagen,
Beobachtung: „Aus der ganzen Darstellung geht hervor, wie leicht ge¬
wöhnlich die Tumoren des Kleinhirnbrückenwinkels zu diagnostizieren
sind“. Henneberg und Koch, die schon genannt sind, sagen aber
(Archiv f. Psychiatrie und Nervenkrankheiten 1908), daß die Diagnose oft
unmöglich sei, wegen der Variabilität des Krankheitsbildes. Sie führen
aus der Literatur unter anderen folgende durch die Sektion festgestellte
Fehldiagnosen auf: Hubrich hatte intra vitam Bulbärparalyse festge¬
stellt, Stark ey Meniere’sche Krankheit, Jaffe Absceß, Jacobsohn
im Initialstadium Hysterie, Lesser Trigeminusneuralgie, v. Monakow
Aneurysmen, Westphal Lues cerebri.
Alle Autoren sind natürlich darüber einig, daß das erste Symptom
neben leichtem Kopfdruck, Schwindel und Mattigkeit eine einseitige
Hörstörung sei, welche lange Zeit gewöhnlich weder von den Patienten
selbst, noch von den konsultierten Ohrenärzten genügend beachtet würde.
Wenn, wie in unserem Falle alte Trommelfellveränderungen gefunden
werden, die an und für sich schon eine genügende Erklärung für jene
leichten Störungen abgeben, so ist die Diagnose auf Tumor natürlich
fast unmöglich.
Zweiffellos ist es aber dabei sehr auffallend, daß zwar nicht immer,
aber doch oft der Schwindel in jenem von Hartmann sogenannten
Prodromalstadium gänzlich fehlt oder wenigstens vollständig zurücktritt.
Der an und für sich sehr dünne Akustikus besteht doch vor seinem
Eintritt in Pons und Medulla eigentlich aus zwei Teilen: dem Nervus
cochlearis, der die Gehörseindrücke vermittelt und dem Nervus vesti-
bularis, welcher aus dem Ganglion labyrinthi stammt und eine kompli¬
zierte Endigung im Nucleus clorsalis der Medulla, in den Vorderseiten¬
strängen des Rückenmarks und im Wurm des Kleinhirns findet. Es ist
der Nerv für den Tonus unserer Muskulatur und die Aufrechterhaltung
unseres Gleichgewichts. Wenn also nun öfter trotzdem eine Tumor¬
bildung des Akustikus von vornherein keine starken Schwindelanfälle
hervorruft, so kommt dies entweder dadurch, daß der Tumor von dem
Perineurium des Nerven ausgeht und die Substanz selbst anfangs un¬
versehrt läßt oder daß der im anderseitigen Akustikus verlaufende
Nervus vestibularis die Kompensation übernimmt. In seinem Buche:
„Die Geschwülste des Gehirns“ 1896 betont Oppenheim ausdrücklich,
daß die Symptomatologie der Geschwülste des Akustikus nicht selten
für einen langen Zeitraum nur durch einseitige Hörstörung repräsentiert
wird. Manchmal tritt allerdings mit oder bald nach der Hörstörung
ausgesprochener Schwindel auf meist nach dem Meniere’schen Typus,
dessen Unterschied gegen den cerebellaren Schwindel allerdings kein
ganz durchgreifender sein dürfte. Besonders betont F. Krause 1906
in seinem Vortrag auf der deutschen Gesellschaft für Chirurgie, daß
seine glücklich operierte 44jährige Patientin neben anderen Symptomen
im frühen Stadium ausgesprochene Gleichgewichtsstörung gehabt habe.
Sie sei bei offenen Angen nicht imstande gewesen, gerade zu gehen, bei
geschlossenen sei sie sogar umgefallen.
Während bei dem Akustikustumor nur die soeben beschriebene .
Hör- und eventuell auch die frühzeitige Gleichgewichtsstörung als reine
und einzige Herdsymptome auftreten, so entwickeln sich natürlich nach
mehr oder weniger langer Zeit wie bei jedem Hirntumor Nachbarschafts¬
und allgemeine Hirndrucksymptome. Da diese aber nicht scharf von *
einander zu trennen sind, mögen sie gemeinsam besprochen werden.
Zur Klinik des Kleinhirnbrückenwinkeltumors.
263
Vor allem ist hier natürlich die Stauungspapille oder Neuritis
optica zu nennen, welche so gut wie niemals fehlt. Bei Durchsicht der
Literatur fällt es aber doch auf, daß sie nur selten so sehr und so früh¬
zeitig in den Vordergrund des Krankheitsbildes tritt wie in unserem
Falle. Hartmann glaubt sogar behaupten zu können, daß sie erst
spät zur Erscheinung käme und nur selten zur völligen Atrophie und
Blindheit führe. LTnterstützend hierfür sei, daß die Akustikustumoren
sich seitlich von der Axe des Hirn Stammes entwickelten und vorerst
nur die entsprechende Kleinhirnhemisphäre komprimierten resp. das
Tentorium cerebelli nach oben drängten. Der Hirn stamm mit dem
Aquaeductus sylvii würde daher erst spät zusammengedrückt, sodaß
Lymphstauung mit konsekutivem Hydrocephalus des dritten und der
Seitenventrikel vorläufig noch nicht einträte.
Diese Theorie, welche ja für die Genese des Hydrocephalus bei
vielen Hirntumoren Geltung hat, scheint auf unsern Fall jedenfalls nicht
anwendbar, schon aus dem einfachen Grunde, weil die vernehmlichsten
anderen Hirndrucksymptome, wie Kopfschmerz und Erbrechen, viel
später auftraten. Die Sektion hat natürlich über diesen Punkt auch
keine Erklärung mehr geben können, da bei dem weiteren Wachstum
der Geschwulst usque ad mortem selbstverständlich der Aquaeductus
sylvii obturiert werden konnte.
Wie angedeutet, pflegt sonst mit der Staunngspapille cerebellares
Erbrechen und Kopfschmerz aufzutreten, was ja selbstverständlich ist
und nicht weiter ausgeführt zu werden braucht. Der Kopfschmerz soll
nach Hartmann durch Contrecoup oft kontralateral der Geschwulst
sitzen.
Ebenso entsteht nach den Literaturberichten meist viel früher als
bei unserem Falle durch den Druck des wachsenden Tumors auf das
Kleinhirn cerebellare Ataxie, oft in hemiplegischer Form mit Parese
oder allgemeiner motorischer Schwäche, während der Muskeltonus
ebenso wie die Patellarreflexe im Gegensatz zu reinen Kleinhirntumoren
lange Zeit nicht gestört sind. Die Kranken fallen manchmal, aber nicht
immer, nach der Seite des Tumors und halten zuweilen, um den Schmerz
zu vermeiden, den Kopf nach der entgegengesetzten Seite des Tumors
in Zwangsstellung.
Verhältnismäßig viel später pflegt dagegen der Pons Nachbar¬
schaftssymptome zu machen, trotzdem der Tumor vielfach tiefe Dellen
in sein Gewebe hineindrückt. Ziemlich oft sind assoziierte Blicklähmungen
durch Läsion der Oculomotoriuskerne beobachtet, während Hemiplegia
alternans nur selten vorgekommen ist.
Auffallend ist es auch, daß eine Lähmung des dem Akustikus be¬
nachbarten Facialis nicht immer vorhanden ist. Meist kommt es nur
zu leichten Paresen. Diese wunderbare Erscheinung kann wohl nur
durch das langsame Wachstum der Tumoren oder dadurch erklärt
werden, daß sich auf der Geschwulstoberfläche Billen zur Aufnahme des
Nerven bilden.
Verhältnismäßig oft und frühzeitig sind Trigeminusstörungen in
Gestalt von Beiz- und Ausfallserscheinung auf Seite des Tumors beo¬
bachtet worden, besonders fehlten häufig die Beflexe der Cornea, Nasen¬
schleimhaut und des äußeren Gehörganges.
Die auch in der hinteren Schädelgrube liegenden 9 — 12 Gehirn¬
nerven sind wiederum merkwürdig selten und spät in Mitleidenschaft
264
C. Velhagen,
gezogen worden. Dysarthrie als Frühsymptom hat scheinbar nur
F rankl-Hochwardt beschrieben.
Das im Verhältnis zu der Hörstörung spätere Auftreten der cere-
bellaren Symptome und der Pons sowie der Hirnnervenaffektionen ist
also für die Differentialdiagnose einer Geschwulstbildung in diesem
Organ gegenüber den Akustikustumoren von fundamentaler Bedeutung.
Dann aber gibt es noch eine Erscheinung, welche verhältnismäßig
oft und manchmal sehr früh auftritt, nämlich das Uebergreifen der
Schwerhörigkeit resp. Taubheit auf die andere Seite. Die vorhin er¬
wähnten Fälle von Henneberg und Koch, bei welchen der Akustikus
doppelseitig erkrankt war, erklären sich natürlich sehr leicht. Schwerer
ist es dagegen für die anderen weit häufigeren Fälle, unter welche auch
der unsrige gehört, dies Symptom mit den anatomischen Verhältnissen
in Einklang zu bringen. Hierzu muß man sich den Verlauf des Akus¬
tikus innerhalb des Mittelhirns klarmachen, welchen Edinger (Vor¬
lesungen über den Bau der nervösen Zentralorgane 1904) ungefähr
folgendermaßen schildert: Der Nervus cochleae entspringt aus den Zellen
des Ganglion spirale der Schnecke und beendet sein erstes Neuron in
zwei Kernen des Tuberculum acusticum, welche das Corpus restiforme
umfassen, ungefähr an der Grenze zwischen Brücke und Medulla. Von
hier entspringt die sekundäre Hörbahn, welche in zwei getrennte
Bahnen zerfällt. Die ventrale verläuft durch das Corpus trapezoideum
zu einer kleinen Gangliengruppe, dem Nucleus olivaris superior und zwar
sowohl zu demjenigen der gleichen, als, Avas besonders zu bemerken ist,
der anderen Seite. Hier scheint das zweite Neuron des Nervus coch-
learis zu endigen. Dann aber ziehen \Ton diesem Ganglion olivaris
zahllose Axenzylinder mit End Verzweigungen zu dem Dach des gleich¬
seitigen kaudalen Vierhügels, indem sie die seit langem bekannte laterale
oder Vierhügelschleife bilden, welche an der Seite der Oblongata frei
zutage tritt. In dieser Vierhügelschleife würden die tertiären Aku-
stikusendstäten zu suchen sein.
Im Gegensatz zu diesen aus dem ATentralen Teil des vorhin ge¬
nannten Tuberculum acusticum über den oberen Olivenkern verlaufenden
Fasern des 2. Neurons des Nervus cochlearis, nehmen die aus der dorsalen
Partie entspringenden einen anderen Weg. Sie bilden nämlich die be¬
kannten Striae acusticae und scheinen direkt mit der kontralateralen
Schleife in Verbindung zu treten, um ebenfalls teilweise in den Corp.
quadrig. post, contralat. zu endigen.
Wenn ich nun die Schilderung Edinger s recht verstanden habe,
so geht aus derselben als Pointe für unser Thema hervor, daß eine mehr
oder weniger vollständige Kreuzung der Akustikusfasern ziemlich nahe
der seitlichen Oberfläche der proximalen Oblongatagrenze stattfindet.
Es muß deshalb beim Kleinhirnbrückenwinkeltumor ein A^erhältnismäßig
geringer Druck auf diese Gegend genügen, um doppelseitige Taubheit
oder wenigstens Schwerhörigkeit zu erzeugen. Wenn hierzu ein Druck
erforderlich Aväre, der auf die andere Seite des Pons und der Medulla
Avirkte, müßte natürlich viel früher Exitus eintreten.
Hiermit ist eigentlich der wichtige Punkt der Differentialdiagnose
der Hörstörung beim Kleinhirnbrückenwinkeltumor und derjenigen bei
anderen Hirngeschwülsten, vor allem des Mittelhirns, schon erledigt.
Selbstverständlich machen Neubildungen des Pons, Avie Oppenheim
besonders hervorhebt, bald doppelseitige, bald gleichseitige, bald ge¬
kreuzte Hörstörungen, ebenso natürlich Affektionen der Vierhügel und
Zur Klinik des Kleinhirnbrückenwinkeltumors.
265
der Corpora geniculata. Aber ganz abgesehen davon, daß unter diesen
Umständen dann gewöhnlich auch zngleich ganz andere Krankheitser-
scheinungen auftreten, ist der Verlauf dieser Mittelhirntaubheiten meist
ein viel rapiderer. Siebenmann, der auf diese Punkte aufmerksam
macht, sagt nach Hartmann, daß die Schnelligkeit der Gehörsabnahme
bei der Mittelhirntaubheit proportional sei der Schnelligkeit des Krank¬
heitsverlaufes überhaupt, was in vollkommenem Widerspruch stände mit
dem Verlauf der Tumoren im Recessus acustico-cerebellaris. Unser
Fall illustriert diesen Vorgang ja auf das deutlichste. Die Patientin
hat nach dem Auftreten völliger Taubheit noch jahrelang gelebt.
Tumoren in den Schläfenlappen selbst machen natürlich unter Um¬
ständen auch zuerst Hörstörungen, die aber ganz anderer Art sind und
mit anderen Symptomen verlaufen.
Was nun die Aetiologie der Kleinhirnbrückenwinkeltumoren be¬
trifft, so ist hierüber ebensowenig bekannt, wie über die Entstehungs¬
art der anderen Hirngeschwülste. Wie schon erwähnt, werden Störungen
in der embryologischen Entwicklung beschuldigt. Zu bemerken ist aber
auch, daß oft Traumen als auslösende Ursache angeführt sind. —
Männer scheinen öfter betroffen zu sein als Frauen. Das Alter der
Patienten hat geschwankt von 15 — 45 Jahren, der Verlauf der Krank¬
heit zwischen 2 — 6 Jahren. Die Prognose ist ohne Operation natürlich
absolut schlecht.
Sehr verschieden sind die Angaben über die Häufigkeit des Vor¬
kommens der fraglichen Geschwülste. Henneberg und Koch glauben,
daß sie nicht selten sind, vielleicht aber öfter mit Geschwülsten des
Kleinhirns, der Brücke, Medulla, des Flocculus, der Corp. restiformia
verwechselt seien. Nach Klebs soll auf ca. 55 Fälle von Hirngeschwulst
ein Kleinhirnbrückenwinkeltumor kommen.
Auffallend ist jedenfalls, daß in den letzten Jahren, wie Sie selbst
jedenfalls gelesen haben, in den allgemein medizinischen Zeitschriften
relativ oft über Fälle von Neubildungen im Kleinhirnbrückenwinkel
berichtet ist. Besonders lebhaft aber ist auf den Chirurgenkongressen
bei Gelegenheit der Diskussion über die Chirurgie der hinteren Schädel¬
grube darüber gesprochen worden. Denn wie aus der vorhin gegebenen
Schilderung ihres makroskopischen Verhaltens unmittelbar hervorgeht,
müssen die Geschwülste nach Eröffnung der hinteren Schädelgrube leicht
zu entfernen sein, da sie ziemlich lose in dem oft genannten Winkel
liegen. Wie die Literatur ausweist, haben jedoch lange Jahre hindurch
die Operationen, auch wenn sie von Meisterhand ausgeführt wurden,
immer ad exitum geführt. Nachdem aber wohl besonders von F. Krause
und anderen die Methodik der Kleinhirnbloßlegung vervollständigt ist,
sind auch viele Heilungen vorgekommen, wie schon aus den Verhand¬
lungen des letzten Chirurgenkongresses hervorgeht.
Jedenfalls hat man jetzt auch gelernt, bei Fällen von Hirnge¬
schwulst mehr an den Akustikustumor zu denken. Wenn deshalb unsere
unglückliche Patientin statt 1903 erst jetzt krank geworden wäre, hätten
wahrscheinlich die Neurologen die richtige Diagnose gestellt und die
Chirurgen Heilung herbeigeführt.
266
Berliner Brief.
Berliner Brief.
Während wir sonst in dieser Jahreszeit meist, wenigstens in einer
unserer großen medizinischen Gesellschaften irgend eine sich durch
Wochen hindurchziehende, mitunter recht ermüdende Diskussion über
irgend eine mehr oder weniger aktuelle Frage haben, herrscht in diesem
Jahre überall in der Auswahl des Gebotenen rege Abwechslung. Unter
den Vorträgen und Diskussionen sind nicht wenige, die ein allgemeines
Interesse beanspruchen. So belehrt uns Brugsch in einem Vortrage
im Verein für innere Medizin, daß der Begriff der harnsauren
Diathese, in dem wir Gic'ht und Nephrolithiasis zusammenzufassen
gewohnt waren, nicht zu Recht bestehe. Beide Krankheiten haben eigent¬
lich nichts miteinander zu tun, ihr gemeinsames V orkommen ist nicht
so häufig, wie es nach der Literatur den Anschein hat, allerdings
kann sich auf dem Boden einer Nephrolithiasis Schrumpfniere und
so Cricht entwickeln, Die Gicht ist eine Stoffwechselanomalie des
Purinstoffstoffwechsels, die eine Anhäufung von Harnsäure im Blute
(Uricämie) zur Folge hat. Sie kann aber auch durch eine renale Retention
Zustandekommen, d. i. die Gicht infolge Retentionsuricämie oder Nieren¬
gicht. Er schlägt vor, statt von harn saurer Diathese von gichtischer
Diathese oder Uratsteindiathese zu sprechen. G. Klemperer weist
in der Diskussion darauf hin, daß er den Ausdruck der uratisehen
Diathese bereits seit längerer Zeit verworfen habe ; er stimmt mit
Brugsch darin überein, daß das gemeinsame Vorkommen von Nieren¬
steinen und Gicht viel seltener ist als allgemein angenommen. Den
Begriff der Nierensteindiathese verwirft er überhaupt, da nur selten
mehrere Familienmitglieder an diesem Übel leiden oder gelitten haben;
und dort wo es vorkommt, ist die Art der Steine nicht einmal immer
die gleiche, z. B. leidet der eine an oxalsauren Steinen und das andere
Familienmitglied an harnsauren. Klemperer demonstriert seine reich¬
haltige Sammlung von Nierensteinen und betont im Hinblick auf neuere
chirurgische Bestrebungen, daß er sie alle ohne Operation erhalten
habe. Kraus wendet sich dagegen, aus der im Urin gefundenen Harn¬
säure Schlüsse ziehen zu wollen, wie es vielfach üblich ist. Selbst
wenn man dabei auf die Diät Rücksicht nimmt, hat das keinen Wert.
Nicht die viele Harnsäure, sondern die wenige Harnsäure bei pur in -
freier Kost ist von diagnostischer Bedeutung. Die purinfreie Probediät,
wie sie Brugsch und Schittenhelm Vorschlägen gebe in bezug auf
die gichtische Natur von Erkrankungen wichtige Aufschlüsse, sie ist
derartig, daß sie in der Privatpraxis gut durchgeführt werden kann ;
von dem Patienten wird nur ein Aderlaß von 100 ccm Blut verlangt.
Magnus Levy wirft die Frage auf, wodurch die vermehrte Harnsäure
im Blut bei der primären Gicht unter purinfreier Diät entsteht. Diese
Frage ist bisher unbeantwortet geblieben.
Von allgemeinem Interesse war auch der Vortrag Finkeisteins
über alimentäres Fieber. Die alte Anschauung, daß zu reichliche
Ernährung Fieber hervorrufen kann, eine Anschauung, die vielfach
unheilvolle Konsequenzen gehabt hat, gilt als allgemein verlassen.
Bei magendarmkranken Säuglingen hat nun F. trotzdem ein solches
Fieber mit Sicherheit beobachten können, das nicht durch Mikroorga¬
nismen oder deren Produkte hervorgerufen wird. Der klinische Verlauf
dieser Fälle entspricht nicht dem der gewöhnlichen infektiösen Darmer¬
krankungen, sondern ähnelt mehr einem Koma diabetikum oder uraemi-
Berliner Brief.
267
cum. Bei der Autopsie fand man niemals Giftbildner oder Toxine. Die
Ursache des Fiebers ist eine Intoxikation durch Stoffwechselprodukte.
Nahrungvsentziehung bewirkt sofort ein Verschwinden des Fiebers und
führt zu überraschend schneller Heilung; während im Gegensatz brüske
Steigerung der Nahrungszufuhr das Fieber von neuem hervorruft. Es
ist nun nicht Eiweiß oder Fett, sondern Zucker, gleichgiltig welcher
Art, der diese Erscheinungen hervorruft. Seine fiebererzeugende Eigen¬
schaft ist so klar nachzuweisen, wie eine Tuberkulinreaktion bei
Tuberkulösen. Und zwar ist es nicht sowohl der Übergang in Gährung
als ein physikalischer Vorgang, der das Fieber bedingt. Kleine Darm-
infusionen von Zucker erhöhen bei magendarmkranken Säuglingen
ebenso die Körpertemperatur wie Infusionen von physiologischer Koch¬
salzlösung. Man muß annehmen, daß infolge der Erkrankung des
Darms die Schutzwehr gefallen, die die Aufgabe hat die Stoffe zu ver¬
arbeiten. Im Anschluß hieran berichtet L. F. Meyer über experimentelle
Versuche, die er unter der Leitung Finkeisteins zu dieser Frage
angestellt. In der Diskussion hebt zunächst Ko senheim hervor, daß
auch bei Erwachsenen ähnliche Erkrankungen bekannt sind. Nicht
selten rufen bestimmte Nahrungsmittel schwere Allgemeinerscheinungen
und speziell Fieber hervor. Er erinnert an die Idiosynkrasie gewisser
Personen gegen Hühnereiweiß. Er führt dann einige Beispiele aus seiner
Praxis an von Kranken mit Magendarmaffektionen, die bei einer milden
gemischten Diät dauernd fieberten, deren Fieber nachließ, sobald man
die Diät änderte, aber sofort wieder eintrat, sobald man andere Speisen
gab. Eine bakteriologische Ursache des Fiebers glaubt er hier auch
ausschließen zu können. Albu glaubt die beschriebenen Erscheinungen
auf eine intestinale Autointoxikation zurückführen zu sollen.
Den Einfluß der Körpertemperatur auf den Zuckerge¬
halt des Blutes hat Senator zum Gegenstand eines Vortrages im
Verein für innere Medizin gemacht. Die Behauptung einiger Forscher,
die Zuckerausscheidung der Diabetiker werde durch die Körpertempe¬
ratur beeinflußt, wird von anderen bestritten. Ebensowenig stimmen
die Angaben überein über den Einfluß des Fiebers auf die Zucker-
ausscbeidung bei Diabetes und bei alimentärer Glykosurie. Die Grund¬
frage aber, wie die Körpertemperatur für sich allein ohne Fieber, ohne
alimentäre Beeinflussung und ohne Muskelarbeit auf den Zuckergehalt
wirkt, ist bisher so gut wie gar nicht durchforscht. Man kann sich
zur Prüfung dieser Frage zweier Methoden bedienen: 1. der Wärme-
stauung durch Erhöhung der Umgebungstemperatur und 2. des Sachs-
Aronsohn’ sehen Hirnstiches. Bei den wenigen Kaninchen, die bei
der ersten Methode am Leben blieben, konnte Senator ebenso eine
Zunahme des Blutzuckers konstatieren wie regelmäßig bei der zweiter
Methode. Die Ursache dieser Erscheinung kann einmal darauf beruhen,
daß die Glykogen bildenden Organe mehr Glykogen ins Blut gelangen
lassen und zweitens durch einen vermehrten Eiweißzerfall. Es ist
naheliegend, daß das Fieber, bei dem bekanntlich ein erhöhter Eiwei߬
zerfall stattfindet, eine Erhöhung des Blutzuckergehaltes herbeiführt.
Andererseits können Bakterien und ihre Produkte eine Herabsetzung
des Zuckergehaltes verursachen. So lassen sich die entgegengesetzten
Resultate verschiedener Forscher erklären. Auch der Ernährungszustand
des Kranken dürfte dabei nicht ohne Einfluß sein. In der Diskussion
führt Böninger an, daß er den Blutzuckergehalt bei Fiebernden nur
selten erhöht gefunden habe, und zwar unter 12 Fällen von Pneumonie
268
Berliner Brief.
viermal, in acht Fällen von Typhus überhaupt nicht. Stähelin konnte
hei zwei Hunden, die nach Pankreasexstirpation infolge eines Abszesses
fieberten, keinen Einfluß der Außen- und der Körpertemperatur auf
den Blutzucker beobachten. Im Anschluß daran berichtet Laqueur
über Versuche, den Diabetes durch Wärme therapeutisch zu beein¬
flussen. Sie haben bisher zu keinem positiven Ergebnis geführt.
O. Rosenthal berichtet über die Behandlung der Syphilis mit
Einspritzungen von Acidum arsenicosum. Bereits in einer frühe¬
ren Sitzung hatte er darauf hingewiesen, daß sich diese Methode
ganz besonders für schwere, ulzeröse Prozesse eigene und bei solchen,
in denen eine Intoleranz für Quecksilber besteht. Wenn in der Zwischen¬
zeit behauptet wurde, daß die Einspritzungen mit Acidum arsenicosum
bei der Affensyphilis unwirksam sind, so darf man daraus nur schließen,
daß die Erfahrungen mit der Tiersyphilis sich nicht ohne weiteres
auf die Menschensyphilis anwenden lassen. Zum Beweise demonstriert
er einen Patienten, der infolge einer alten, nur ungenügend behandelten
Syphilis einen fortschreitenden Prozeß im Rachen und Munde hatte,
der schließlich zu einer Perforation des harten Gaumens führte. Eine
Inunktionskur besserte die Verhältnisse nicht; es trat eine heftige
Gingivitis ein; zu gleicher Zeit waren vielfache Ulzerationen, große
Nekrose des Zwischenkiefers und starker Foetor ex ore vorhanden. Schon
wenige Tage nach Beginn von Einspritzungen besserte sich der Zustand.
Der Sequester demarkierte sich und konnte ohne große Mühe entfernt
werden, die Ulzerationen schlossen sich, das Körpergewicht nahm
erheblich zu.
Uber die Bedeutung der Opsonine sprach G. Wolf fsohn in
der medizinischen Gesellschaft. Während in England und Amerika die
Wright’sche Lehre vielfach Gegenstand der Nachprüfung war und
eine Reihe von Publikationen über sie, meist in bestätigendem Sinne,
erschienen sind, hat man sich bei uns ihr gegenüber eine gewisse Reserve
auf erlegt. Das erklärt sich nach des Vortragenden Ansicht teils aus
der Schwierigkeit der angewendeten Technik, teils auch aus dem Um¬
stande, daß bei noch so gewissenhafter Nachprüfung die Methode nicht
das zu leisten vermag, was die Engländer uns versprachen. Wolf fsohn
gibt zunächst eine Übersicht über die Theorie und die Methode, und
besprach dann seine eigenen Erfahrungen. Ich gehe darauf hier nicht
näher ein, da derjenige, der sich mit der Frage näher beschäftigen
will, sie doch nicht aus einem kurzen Referat kennen lernen kann ;
ich begnüge mich mit der Anführung der Wolf f sohn’schen Schlu߬
sätze: 1. die Wright’sche Methode der Bestimmung des opsonischen
Index erscheint wegen ihrer Kompliziertheit und ihrer großen Fehler¬
quellen nicht geeignet, in klinischen Fällen zur Diagnostik heran¬
gezogen zu werden. Sichere Ausschläge erhält man nur, wenn die
Ausschläge sehr groß sind. 2. Die Wright’sche Vaccinetherapie
scheint recht gutes zu leisten und sollte in Zukunft auch bei uns
in Deutschland mehr angewendet werden. 3. Über die rein biologische
Bedeutung der Opsonine müssen noch weitere experimentelle Studien '
Aufschluß schaffen. — Die drei Diskussionsredner Thumim, F. Klem-
perer, Schneider heben sämtlich die Unzuverlässigkeit der Methode
hervor. . - — r.
S. Leo, Wiener Brief.
269
Wiener Brief.
Ein Sammelberieht. — Von Dr. S. Leo.
Bei der Einweihung der neuen Gebärkliniken hielten sowohl Prof.
Schauta als auch Prof. Posthorn, der damit zugleich seine Tätigkeit
begann, bemerkenswerte Beden. Schauta sagte: diese Stätte hat drei
wichtige Aufgaben zu erfüllen. Die erste und oberste ist die der Heilung
und Pflege kranker Frauen, die zweite ist die des Unterrichts der heran-
wachsenden Generation, die dritte Aufgabe ist die der Weiterbildung
des Faches, die Erweiterung unseres Wissens und was damit im Zu¬
sammenhänge steht, unseres Könnens. Niemals darf der Forschungs¬
zweck dem ersten und obersten Zweck übergeordnet werden. Primuni
humanitas, alterum scientia. In den 120 Jahren, während welcher diese
Anstalt sich in ein und demselben (alten) Gebäude befand, ist die Geburts¬
hilfe von einem Handwerk zu einer Disziplin der wissenschaftlichen Medi¬
zin emporgestiegen. Den erweiterten Anforderungen konnte das alte
Gebäude- nicht mehr genügen. Bei der Neuanlage einer so großen Klinik,
wie die in Wien, mußte man sich die Frage vorlegen, ob das Haus im
Blocksystem oder im Pavillonsystem zu erbauen sei. Das letztere erfordert
ein sehr großes Areal, der Betrieb wird noch schwieriger durch die Ent¬
fernungen. Auch ergeben sich technische Schwierigkeiten besonders be¬
züglich der Heizung bei den zahlreichen auf eine große Fläche zerstreuten
kleinen Gebäuden. Deshalb mußten wir uns entschließen, vom Block¬
system Gebrauch zu machen; nur der Isolier pavillon für septische und
unreine Kranke wurde von den beiden Hauptkliniken getrennt. Dagegen
sind die geburtshilfliche und die gynäkologische Station zusammen in einem
Hause in vier Geschossen untergebracht. Die verbaute Fläche beträgt
3235 m2 für jedes der beiden Hauptgebäude, 520 m2 für den Isolier¬
pavillon. Da das gesamte Areal der beiden Frauenkliniken 51000 m2 mißt,
so ergibt sich hieraus, daß immerhin noch 87 °/0 dieser Fläche unbebaut
als Gartenfläche stehen. Die beiden Hauptgebäude (I. und II. Klinik)
sind einander sehr ähnlich. Nur stellt das eine gewissermaßen das Spiegel¬
bild des anderen dar. Im untersten Geschosse, auf dem Plane als Sockel¬
geschoß, befinden sich die Hauptgebäude und im westlichen Flügel die
Bäume für die Schwangeren, im östlichen Flügel und in einem Teile des
Hauptgebäudes das Internat der Studierenden, während im mittleren
Flügel die Bäume für die geburtshilfliche und gynäkologische Ambulanz
untergebracht sind. Im nächsten Stockwerke befindet sich im Haupt¬
gebäude einer der beiden Kreiszimmertrakte, im westlichen Flügel die
Schlafräume der Pflegerinnen, im mittleren Flügel die Laboratoriums¬
räume und im östlichen Flügel sowie im westlichen Teile des Haupt¬
traktes je ein großes Wöchnerinnenzimmer mit den dazugehörigen Neben¬
räumen. Im nächsten Stockwerk ebenfalls ein Kreiszimmertrakt, während
der westliche Flügel ausschließlich der Gynäkologie dient; der östliche
Flügel enthält ein großes Wochenzimmer, während der mittlere Flügel den
durch zwei Stockwerke gehenden Hörsaal mit der Garderrobe, kleinem Vor¬
lesungssaal, Bibliothek, Archiv und Assistentenwohnungen einschließt. Über¬
all ist der weitgehendsten Möglichkeit der Peinlichkeit Bechnung getragen.
Die Fußböden sind mit Platten belegt, an den Übergängen zwischen den
Wänden sind die Ecken sowohl unten als auch oben gegen die Decke
abgerundet. Alle Wände und Decken, selbst in den Korridoren und
Stiegenhäusern besitzen Emailölanstrich. Beichlich ist für Waschtische
verschiedener Systeme mit Kalt- und Warm Wasserleitung vorgesorgt. Alle
270
S. Leo,
Räume sind direkt belichtet. Eine künstliche Ventilation ersetzt die in
früherer Zeit für so wichtig gehaltene natürliche Ventilation durch die
Porosität der Wände. Die Heizung ist eine zentrale Niederdruckdampf¬
heizung. Die Möbel in den Krankenzimmern sind zum größten Teil
aus Eisen und Glas hergestellt; für den Unterricht dient der Hörsaal,
dann die Praktikanten zimmer, und der in dieser Klinik zum erstenmal
zur Durchführung gekommene abgesonderte Zuschauerraum in den Ope¬
rationsräumen der Gynäkologie. Der wissenschaftlichen Forschung dienen
große Laboratorien, von denen wir ein histologisches, chemisches, bak¬
teriologisches Laboratorium mit Wagzimmer und Museum und einem
eigenen Laboratorium des Vorstandes besitzen. Außerdem sind im gynä¬
kologischen Operationstrakte zwei Laboratorien für Untersuchungen
während der Operation, Aufbewahrung und Versorgung der bei der
Operation gewonnenen Präparate vorgesehen, ein kleines Laboratorium
ist außerdem auch noch im Isolierpavillon, ferner sind Institute für
Röntgenuntersuchung und -behandlung, für Photographie, sowie ein Insti¬
tut für experimentelle Pathologie vorhanden. In jedem Saal finden wir
fünf Gruppen von Wöchnerinnen, in jeder Saalgruppe 26 bis 30 Betten,
und zwar verteilt auf je ein großes Zimmer für 23 und mehrere kleine
Zimmer für ein, zwei und drei Wöchnerinnen. Zu jeder solchen Station
gehört ein Dienstzimmer für die Wärterin, eine Teeküche, ein Bad, ein
Klosettraum mit Leibschüsselspülapparat. Gerade in der Angliederung
dieser Nebenräume liegt der wesentliche Unterschied zwischen früher und
jetzt. Es wird ferner möglich sein, gewisse Gruppen von Wöchnerinnen
(Verheiratete, Tuberkulöse, die vor oder nach schweren geburtshilflichen
Operationen befindlichen, die Fälle von Fehlgeburt) zusammenzulegen und
zu isolieren. Zu einer jeden Kr eis zimmer Station ein Sterilisations¬
raum, ein Operationsraum, zwei Erwachzimmer, ein Hebammenzimmer,
ein Dienstzimmer und ein ärztliches Inspektionszimmer. Dazu kommen
Nebenräume, darunter eine Teeküche und ein kleines Laboratorium für Harn-
und Blutuntersuchungen. Eine weitere Station ist die Schwangeren-
station mit entsprechenden Nebenräumen. Bei den gynägologisch en
Stationen ist der Operationsaal durch ein eisernes Geländer in zwei Teile
getrennt, einen kleineren, mehr dem Fenster, und einen größeren gegen
den Sterilisierraum zu gelegenen. Der erstere ist durch entsprechende
Stufen als Zuschauerraum eingerichtet, die Stufen selbst aus Platten, so-
daß wir hier den ersten Versuch eines aseptischen Zuschauerraumes
im Operationssaale finden. Der Zugang zu diesem Zuschauerraum ist
direkt aus dem Wartezimmer, so daß also die Zuschauer in den eigent¬
lichen Operationsraum, Narkosenraum, Sterilisationsraum nicht gelangen.
Sowohl bei dem Operationssaal für Geburtshilfe, als auch bei dem für
Gynäkologie finden wir je zwei Erwachräume, dazu bestimmt, frisch
Operierte in den ersten 24 Stunden nach der Operation aufzunehmen,
zu einer Zeit, wo sie durch das Erwachen aus der Narkose durch ihre
Unruhe eine Belästigung und Beunruhigung für ihre Umgebung bilden
können und außerdem noch mitunter eine Nachoperation notwendig ist. — *
Verlassen wir dieses glänzende Bild eines Institutes, bei dessen
Erbauung und Einrichtung man nur auf die Bedürfnisse und nicht
auf die Kosten geschaut hat, und gehen wir zu den Vorträgen über.
Rudolf Kraus und Stefan Bächer sprachen in der Gesellschaft der *
Ärzte über Meningokokkenserum: Mehrere Autoren, wie Jochmann,
Ruppel, Kolle, Wassermann, haben durch Vorbehandlung der Pferde
mit Kulturen des Meningococcus intracellularis (Weichseibauin) ein Serum
Wiener Brief.
271
gewonnen, das bei der Meningitis cerebrospinalis therapeutische Erfolge
aufgewiesen hat. Zur Wertbemessung haben Kuppel und Jochmann
den infektiösen Wert feststellen wollen, indem sie das Serum gegenüber
einer infektiösen Dosis von Meningokokken geprüft haben. Diese Methode
scheiterte aber daran, daß es nicht gelang, die Virulenz eines Meningo¬
kokkus konstant zu erhalten und daß dieselbe bei gleichgewichtigen
Tieren schwankt. Selbst durch Passagen des Meningokokkus gelingt es
nicht, einen Meningokokkus von konstanter Virulenz zu erhalten. Ko Ile
und Wassermann haben als Prüfungsmethode die Komplementablenkung
angewendet. Jedoch haben mehrere Autoren gezeigt, daß der Gehalt
an Ambozeptoren nicht als Maß für die komplementbindende Eigenschaft
eines Serums hingestellt werden kann. Kraus und Bacher fanden, daß
Meningokokkenserum keine stärkere Komplementbindung besitzt wie
normales Serum. Dagegen konnten die Genannten, ebenso wie Flexner
zeigen, daß man aus Kulturen des Meningokokkus Gifte darstellen kann,
welche für Meerschweinchen giftig sind. Mit diesen Giften gelang es
ihnen, giftneutralisierende Sera von Tieren zu gewinnen. Sie haben daher
die giftneutralisierende Eigenschaft solcher Sera zur Wertbemessung heran¬
gezogen und die Sera auf ihren Antitoxingehalt bestimmt. Damit hätten
wir eine Methode, den therapeutischen Wert eines Meningokokkenserums
zu bestimmen. In letzter Zeit hat Neufeld gezeigt, daß dem Meningo¬
kokkenserum opsonierende Eigenschaften zukommen und hat den opso¬
nischen Index als Maßmethode angenommen. Diese Methode ergibt tat¬
sächlich Werte, welche die opsonierende Eigenschaft des Serums deutlich
erkennen lassen. Für die Wertbestimmung der Sera in der Praxis ist
sie aber viel zu umständlich. Sie haben daher die infektiöse Eigenschaft
mit einer neuen Methode, die eine Modifikation des Pf eif er’schen Peri¬
tonealversuches ist, zu bestimmen gesucht. Es werden zunächst einem
gesunden Meerschweinchen bestimmte Mengen einer Meningokokkuskultur
(Agarkultur) 24-stündig peritoneal injiziert und nach 1 — 8 und 12 Stunden
vom Peritionalinhalte Kulturen angelegt. Diejenige kleinste Menge Kultur,
unabhängig davon, ob sie tödlich ist oder nicht, welche noch zahlreiche
Kolonien ergibt, wird als Pestdosis genommen. Nach dem Vorversuche
werden die Kulturmengen mit abfallenden Mengen des zu prüfenden
Serums und eines normalen Serums peritoneal injiziert und wiederum
Kulturen angelegt. Mit dieser Methode konnten sie zeigen, daß dem
Meningokokkenserum tatsächlich eine antiinfektiöse Eigenschaft zukommt,
die normales Serum nicht besitzt. Die Sera, welche im Peritoneum wirk¬
sam waren, zeigten sich in bakteriziden Plattenversuchen mit Zusatz
frischer Meerschweinchensera unwirksam. Ferner ergab sich eine Über¬
einstimmung zwischen dem antitoxischen und opsonischen Wert. Welcher
Faktor, ob die antitoxische oder die opsonische Kraft des Serums bei
der Heilung mehr in Frage kommt, ist vorderhand nicht zu bestimmen.
Wichtig ist, daß nun solche Körper, welche man als therapeutisch wirk¬
sam annehmen kann, im Meningokokkenserum nachweisbar sind und
bestimmt werden können. Seid zwei Jahren werden auch therapeutische
Arersuche mit Meningokokken extrakten in Wiener Kinderspitälern gemacht.
Zwei Drittel der Fälle (20 cm3 spinal injiziert) wurden geheilt. Man
kann demnach als sicher annehmen, daß die giftneutralisierenden und
antiinfektiösen Eigenschaften des Serums die therapeutische Wirksamkeit
des Meningokokkenserums verursachen. (Schluß folgt.)
272
Vorläufige Mitteilungen und Autoreferate.
Vorläufige Mitteilungen u. Autoreferate.
Über Phthiseogenese.
Von R. Kretz.
Die letzten Etappen der Dissemination des tuberkulösen Prozesses
sind durch die Befunde von Weigert und Ponfick befriedigend
erklärt ; anders der Gang der Entwicklung der häufigsten Form der
tuberkulösen Erkrankung des Menschen, über den ist eine definitive
Einigung trotz sehr zahlreicher und genauer Untersuchungen heute noch
nicht erzielt; die meiste Verbreitung und Anerkennung hat derzeit
wohl die Anschauung Birch-Hirschf eld’s gewonnen; er nimmt eine
primäre Bronchitis und Peribronchitis caseosa mit direktem Haften
des infizierenden Bazillus im Epithel des Bronchus an ; wesentlich
gemehrt wurde das Gewicht dieser Anschauung durch den gelungenen
Versuch Flügge’s im Meerschweinchen durch Infektion mit einer sehr
geringen Menge versprayter Bazillen wirkliche Phthise (Kavernen¬
bildung) zu erzeugen.
Neben dieser heute herrschenden Ansicht hat es schon seit langem
Vertreter der Anschauung gegeben, daß die Phthise eine am Wege der
Blutbahn vermittelte, metastatische Lungenerkrankung sei. Von den
anatomischen Befunden sind es insbesondere die Veränderungen spezi¬
fischer Natur in den Lungenarterienästen, die einen vasogenen Ursprung
nicht nur der granulären Tuberkulose, sondern denselben Ursprung auch
bezüglich der in Phthise ausgehenden Entzündung wahrscheinlich
machten.
Mit der Entdeckung Koch’s hat die experimentelle Erforschung
der Tuberkulose einen mächtigen Aufschwung genommen, aber gerade
die Entstehung der ulzerösen Oberlappentuberkulose wurde von dieser
Entdeckung zunächst nicht vollständig geklärt ; wohl hat man erkannt,
daß granuläre und infiltrierende Tuberkulose eine einheitliche bakterielle
Ätiologie haben, aber wieso die gerade beim Menschen so typische
Spitzenaffektion entsteht, hat man nicht befriedigend erklären können.
Erst Untersuchungen aus einer jüngeren Vergangenheit haben da
wenigstens insofern einen wesentlichen Fortschritt gebracht, als man
gewisse experimentelle Bedingungen des Entstehen der Phthise soweit
kennen lernte, daß man jetzt auch im Tiere sicher eine der menschlichen
Krankheit analoge Lungenveränderung erzeugen kann.
Die wichtigsten Erfahrungen, die man bisher über experimentelle
Tuberkuloseerzeugung gemacht hat, zeigen übereinstimmend: massive
Infektion erzeugt im Tiere immer eine Form der Tuberkulose, die der
akut oder subakut generalisierenden Tuberkulose des Menschen analog
ist, also jene Fälle generalisierter allgemeiner Tuberkulose, die man
am häufigsten bei den Kindern sieht. Im Experimente zeigen diese
Fälle einen typischen Primäraffekt, d. h. der Gang der Infektion läßt
sich von der infizierten Stelle an verfolgen; eine Ausnahme bilden
die gleichen akuten generalisierten Tuberkulosen bei der direkten In¬
jektion der Bazillen in das Blut und die durch Inhalation erzeugten ;
wenigstens läßt sich an den disseminierten Lungenherden bei diesem
Infektionsmodus kein bronchialer Ursprung konstatieren und sie sehen
ganz so aus wie die metastatischen, sind auch ebenso allgemein im
Lungengewebe verbreitet.
Vorläufige Mitteilungen und Autoreferate.
273
Dagegen führt die langsam verlaufende Infektion im Experimente
typisch zur prävalierenden Oberlappenerkrankung und zu der der
menschlichen Phthise analogen Lungeneinschmelzung. Die interessan¬
testen derartigen Experimente stammen von Flügge, der im Meer¬
schweinchen durch die Inhalation einer verhältnismäßig sehr geringen
Anzahl von Bazillen Phthise erzeugte. Baumgarten kam auf einem
ganz anderen Wege zu demselben Endresultate : er in jizierte den Tieren
vollvirulente Tuberkelbazillen in die unverletzte Harnblase. Orth
hat wieder auf einem prinzipiell ganz andern Wege dasselbe Besultat
erhalten ; er hat mit wenig virulentem Material vorbehandelte Tiere
nachträglich mit vollvirulentem Material infiziert. Es läßt sich aus
der Gesamtheit dieser Erfahrungen der Schluß ableiten, daß die Phthise
sowohl durch Inhalation wie auf anderen Wege erworben
werden kann, daß sie also zumindest keine primäre Lungeninfektion
zu sein braucht; sie ist vielmehr vor allem der Effekt jener Infektions¬
form, die zu einer geringen Anzahl von Metastasen führt ; der Ort des
Einbruches, der zu diesem Endeffekt führt, ist offenbar für die Lokali¬
sation im Lungenoberlappen, die sich schließlich typisch findet, ohne
Belang. Die Phthise erlaubt also keinen Rückschluß auf eine primäre
Lungenaffektion, sie kann aber auch ein Effekt der Aspiration inhalierter
Bazillen sein.
Den Schlüssel zum Verständnis dieser scheinbar so verwirrenden
Vielgestaltigkeit der angeführten Experimente bilden die Erfahrungen
über die Differenz im Verhalten des infizierten Organismus, je nach¬
dem er „jungfräulich“ dem Tuberkelbazillus gegenübersteht, oder ob
er schon unter seiner Einwirkung gestanden hat, oder unter der An¬
dauer derselben noch steht. Zur Würdigung dieser Verschiedenheiten
in der wechselweisen Beziehung zwischen Bazillus und Infizierten muß
man sich allerdings von der sehr allgemein verbreiteten Vorstellung
befreien, Miliartuberkel und verkäsende Infiltration seien die zwei
einzig legitimen Wirkungen des Tuberkelbazillus. Am klarsten tritt
diese vielgestaltige Wechselwirkung in dem Experimente über die Immu¬
nisierung gegen Tuberkulose zutage, in denen die verschiedene Wirkung
der zweiten Bazillenzufuhr drei total differente Effekte haben kann :
einmal bei langer Pause zwischen immunisierender Infektion und Prü¬
fung mit vollvirulenten ^Material Erzeugung einer wirklichen Infek¬
tionsfestigkeit, ohne daß je eine typische histologische oder klinische
Keaktioi) auf die Bazilleninvasion erfolgte (Behring); zum zweiten
Entwicklung der Phthise, wie in den angeführten Experimenten von
Orth; zum dritten „paradoxe“ Reaktion, die sehr unerwünscht dann
eintritt, wenn durch zwei in zu kurzen Intervallen einander folgenden
Immunisierungs-Injektionen das Tier an akutem Lungenödem bei Ver¬
schwinden der typischen Färbbarkeit der Bazillen zugrunde geht
(Behring); diese Reaktion ist nach Bail auch auf ein neues artgleiches
Tier übertragbar.
Die Periode vor den krankhaften Erscheinungen nach der Infek¬
tion mit den Bazillen ist charakterisiert durch die Deponierung der
Tuberkelbazillen im lymphatischen Apparat (Barte l’s lymphoides
Stadium der Tuberkulose) ein Ereignis, das trotz seines allgemeinen
Vorkommens in der frühen Periode post infectionem deshalb so lange
übersehen wurde, weil es nicht zur als einzig legitim angesehen histo¬
logischen Veränderung der Drüsen kommt. Dieses Stadium der Depo¬
nierung und Verarbeitung der Bazillen ist symptomenlos und zugleich
18
274
Vorläufige Mitteilungen und Autoreferate.
jene Periode der Infektion, in der eine beträchtliche Steigerung der
Reaktion zwischen Bazillus und Infizierten eintritt. Zunächst ver¬
halten sich die Bazillen im jungfräulichen Tiere nur wie ein blander
Fremdkörper, sie werden in den Drüsen deponiert ; einige Zeit nach
diesem Ereignisse erst wirken sie pathogen im alten Sinne.
Der Weg, auf dem die Bazillen in die Lymphdrüsen gelangen,
ist vor kurzem erst von Orth direkt nachgewiesen worden; nachdem
schon früher Impfexperimente post infectionem und vor Ausbruch der
Krankheit eine auffallende Verbreitung der Bazillen in den verschieden¬
sten Organen des infizierten Tieres gezeigt hatten, konnte Orth durch
Verimpfung des Blutes nach Infektionen ohne Schleimhautverletzung
nachweisen, daß schon in den ersten Stunden nach der Bazillenzufuhr
sich die Krankheitserreger im zirkulierenden Blute finden ; es ist da¬
mit der Kreis der Befunde geschlossen, der die Pathogenese der Phthise
erklärt.
Analysiert man an der Hand dieser Auflösung der Tuberkel-
Infektion die alten Experimente, so ist der Gang der Infektion fol¬
gender: Eintritt eines Teiles der Bazillen sehr früh in die allgemeine
Zirkulation des Blutes, teilweise Deponierung im Lymphapparate und
unter dem Einflüsse der Verarbeitung dieser Elemente starkes An¬
steigen der Reaktionsfähigkeit des Infizierten auf die restlichen Infek¬
tionserreger ; mit der andauernden Propagation der überlebenden Bazillen
im Infizierten Entwicklung der Tuberkeleruptionen in den Organen
unter gleichzeitigem Auftreten der Krankheitssymptome. Der Primär¬
affekt ist immer dann kenntlich, wenn dabei ein Bazillendepot ge¬
schaffen wird, das zurzeit des Eintretens der morbiden Reaktion noch
nicht geschwunden ist.
Die Infektion mit wenig Bazillen oder mit dieser Versuchsanord¬
nung gleichbedeutend die erworbene Steigerung der Resistenz des Infi¬
zierten verläuft in den Etappen der Blutinvasion, Deponierung in den
Lymphdrüsen und Reaktionsänderung gleich wie die Infektion mit
massiver Bazillenzufuhr in den älteren Experimenten. Zurzeit der
sich entwickelnden gesteigerten Reaktion des Infizierten sind aber nur
mehr sehr wenig Infektionsträger da; wenn die jetzt via Lymphbahn
in das Blut gelangen, zirkulieren sie nicht mehr wie indifferente
Pigmentkörner im ganzen Organismus, sondern sie werden im ersten
Kapillargebiete abgefangen ; sie bleiben also beim typischen Ein¬
bruch in der CaVa sup. in den Pulmonalarterienästen stecken.
Da kleine Emboli aus dem oberen Hohl venengebiete typisch in den
oberen Lungenarterienästen stecken bleiben, ist der Effekt des Ein¬
bruches via Lymphbahn in das Blut typisch vergesellschaftet mit der
Spitzenerkrankung der Lunge. Eine so einfache Erklärung hat die
Mensch und Tier gemeinsam auffallende Lokalisation der chronischen
Tuberkelinfektion in den Lungenspitzen, wenn man die bisherigen Er¬
fahrungen über die unter Reaktionsänderung verlaufende Propagation
des Bazillus im Organismus einfach logisch aneinanderreiht.
Daß damit auch die Sektionserfahrungen am Menschen stimmen,
zeigen recht deutlich die Beobachtungen Abrikossof f’s, der, zwar ein
Verteidiger Birch-Hirschfeld’s, die Lungenarterienerkrankung bei be¬
ginnender Spitzentuberkulose ganz richtig in Form einer zentral im
Herde gelegenen Affektion abbildet; das zeigt auch die alte klinische
Beobachtung der leichten Hämoptyse als Initialsymptom der Tuber¬
kulose, auf die schon Aufrecht mit Recht hinweist Daß selbst bei
Vorläufige Mitteilungen und Autoreferate.
275
der Infektion durch Inhalation in der Versuchsanordnung Flügge’s die
Bazillen nicht primär in der Lunge haften durften, darauf deutet das
Verschwinden derselben auch bei Verwendung massiver Inhalations¬
dosen nach wenigen Stunden aus dem respiratorischen Lungengewebe ;
es fällt dieses Ereignis zeitlich in jene Infektionsperiode, für die
Orth den Nachweis der Infektion des zirkulierenden Blutes führte.
Auch bei Tötung eines mit Tuberkulose infizierten Tieres in der Inkuba¬
tion kann man histologisch leicht den Nachweis von Lungenarteriener¬
krankung und Blutung als Initialstadium der metastatischen Infektion
demonstrieren.
Die Tuberkulose ist also im Sinne Läennec und Cohnheim’s
auch als Phthise das Resultat einer allgemeinen Infektion mit Meta¬
stasenbildung ; Rokitansky’s tuberkulöse Dyskrasie ist nichts anderes
als eine vor ahn ende Betonung der maßgebenden Bolle der Reaktions¬
änderung für den Verlauf der Tuberkulose. Die Phthise ist in ihrer
Entwicklung unabhängig vom Infektionswege ; sie kann das
Resultat einer einmaligen wie einer auf gepfropften Infektion
sein. Daß die Analyse der vielgestaltigen Beziehungen zwischen
Tuberkelbazillus und Infiziertem noch viel andere Seiten hat als die
hier hervorgehobenen ist wohl nicht besonders zu betonen.
Autoreferat.
Tuberöse Sklerose.
Zur Diagnostik der tuberösen Sklerose.
(H. Vogt. Zeitsckr. für Erforschung usw. des jugendlichen Schwachsinns, H. 1,
Bd. 2, 1908.)
Zur Pathologie und pathologischen Anatomie der verschiedenen Idiotie¬
formen. Tuberöse Sklerose.
(H. Vogt. Monatsschr. für Psych. u. Neurol., H. 2, Bd. 24, 1908.)
Beitrag zur diagnostischer Abgrenzung bestimmter Idiotieformen
(weitere Fälle von tuberöser Sklerose).
(H. Vogt. Münch, med. Wochenschr., Nr. 89, 1908.)
Tuberöse Sklerose.
(Enzyklopäd. Jahrbücher 1908.)
Während die Idiotie früher als ein einheitliches Krankheitsbild
galt, haben wir durch die Forschungen der letzten Jahre in der fami¬
liären amaurotischer Idiotie, dem Mongolismus, der Myxidiotie usw.
mehrere scharf umschriebene Krankheitszustände kennen gelernt, welche
pathogenetisch, zum Teil auch anatomisch, dann im klinischen Bild
sich als Typen abgrenzen lassen. Eine bisher nur anatomisch und zwar
nur makroskopisch -anatomisch ab grenzbare Form ist die tuberöse Skle¬
rose. Die vorliegenden Arbeiten verfolgen einmal ein genaues bisto-
pathologisches Studium, dann eine klinische Symptomatologie, aus welch
letzterer sich die Möglichkeit ergab, das Krankheitsbild intra vitam
als eine besondere Form zu diagnostizieren.
Für die klinische Erkenntnis war aus den anatomischen Studien
das Ergebnis Voraussetzung, daß es sich bei dem krankhaften Hirn¬
prozeß um einen zwischen Tumor und Mißbildung liegenden - also
jedenfalls tumorartigen Prozeß — handelt.
Die bisherige klinische Definition lief darauf hinaus, daß es
sich bei der tuberösen Sklerose um Fälle von ziemlich schwerer Idiotie
handelte. Der Grad dieser ist wechselnd, auch der Verfasser sah
unter drei Fällen einen mit Imbezillität. Fast stets ist eine Epilepsie
18*
276
Vorläufige Mitteilungen und Autoreferate.
vorhanden, doch auch dies nicht stets: Bourneville hatte unter elf,
der Verfasser unter drei einen von Epilepsie freien. Form und Ver¬
lauf dieser Zustandsbilder geben keine sicheren Anhaltspunkte. Nicht
selten kommt ein gehäuftes Auftreten von Degenerationszeichen vor.
Der Verfasser stellt fest, daß in einer großen Zahl von Fällen
bei der tuberösen Sklerose Tumoren anderer Organe und zwar von
Herz, Niere und Haut — soweit bisher die Beobachtungen reichen —
Vorkommen. Verfasser sah in drei Fällen bei tuberöser Sklerose Nierem
und Hauttumoren, den letzten Fall diagnostizierte er auf Grund dieses
Zusammentreffens mit dem psychischen Bilde intra vitam. Zwei weitere
Fälle sind auf Grund dieser Angaben inzwischen anderorts gleichfalls
intra vitam diagnostiziert und durch Autopsie bestätigt.
Dies ist deshalb möglich, weil — wie das histologische Studium
zeigt — die Tumorbildungen der somatischen Sphäre ihrer Natur nach
Analogien mit dem Hirnprozeß zeigen: die Herztumoren sind Rüab-
domyome, die Hautbildungen das Adenoma sebaceum (Entwicklungs¬
störung der Hautdrüsen), auch beim Nierentumor ergaben sich An¬
zeichen, die auf embryonal-pathologische Momente hinweisen.
Der hirnanatomische Prozeß ist folgender: Makroskopisch-ana¬
tomisch ergibt sich :
1. Einzelne Windungsabschnitte oder herdförmige Partien der
Hirnoberfläche treten tumorartig über die Oberfläche etwas hervor,
sind verbreitert, blaß, fühlen sich hart an, so daß es den Eindruck
macht, daß der betreffende Abschnitt expansiv gewachsen sei. Die
Pia ist zart, und überall leicht abziehbar, die Konfiguration des Ge¬
hirns weist im ganzen sonst keine Veränderungen an der Oberfläche
auf. An den tuberösen Stellen ist die Binde breit, ihre Grenze ver¬
schwommen : dies sind die sogenannten Tuberosftäten der Hirn¬
rinde, zuweilen aber selten auch am Kleingehirn vorkommend.
2. Im Mark finden sich zuweilen graue Streifen und Herde, diese
bestehen aus verlagerten Partien grauer Substanz: Heterotoipien.
3. Besonders charakteristische Veränderung ist schließlich das Vor¬
kommen tumorartiger Prominenzen in den Seitenventrikeln, von Hirse¬
korn- bis Kirschengröße, die meist an der Grenze von Thalamus und
Corpus striatum sitzen ; seltener finden sich ähnliche Gebilde im vierten
Ventrikel : V entrikeiltumor en.
Mikroskopisch ist der Prozeß folgendermaßen charakterisiert :
Wir fassen die Hirnrinde und zwar die in derselben gelegenen
Herde ins Auge, denn wir können die dort sich findenden histolo¬
gischen Veränderungen als Grundlage für die Beschaffenheit der Herde
und der tumorartigen Bildungen überhaupt nehmen. Im wesentlichen
bestehen zwischen diesen einzelnen Erscheinungsformen des Krankheits¬
prozesses nur graduelle Unterschiede. Die histologischen Momente
sind folgende :
1. Zeichen gestörter Entwicklung, hervortretend in mangelhafter
histologischer Differenzierung der Ganglienzellen, mangelhafter Orien¬
tierung und Gruppierung derselben, unklarer Schichtenbildung, schlech¬
ter Abgrenzung der Binde, Verlagerung von Zellen, Verringerung
ihrer Zahl.
2. Auftreten atypischer Zellen, wahrscheinlich Derivaten von Vor¬
stufen der Ganglienzellen, die sog. großen Zellen.
3. Enorme Proliferation der Glia, \ ermehrung sowohl ihrer Fasern
Vorläufige Mitteilungen und Autoreferate.
277
wie Zellen, Auftreten der Randglia in anderwärts bisher nicht be¬
kannter Gestaltung, den büschelförmigen Figuren.
4. Erscheinungen von chronischer Erkrankung (Degeneration) an
den vorhandenen typischen Ganglienzellen der Rinde.
5. Fehlen entzündlicher Erscheinungen, insbesondere auch in der
Umgebung der Gefäße; die Vaskularisation zeigt nur insofern Verände¬
rungen, als die Herde wenig Gefäße besitzen und diese z. T. verdickte
Wand zeigen.
Besonders wichtig für die Beurteilung des Krankheitsprozesses
ist der Befund der sog. großen Zellen, eigenartiger, sonst im Zentral¬
nervensystem nicht festgestellter Typen, welche aber einen regel¬
mäßigen Befund bei der Affektion darstellen : es handelt sich um
Elemente, welche teils gliaähnlich, teils ganglienzellenähnlich sind,
wahrscheinlich handelt es sich um Abkömmlinge von den Elementen des
Neuralepithels vor der Trennung in Spongioblasten und Neuroblasten.
Also eine Störung der Zelldifferenzierung. Das anatomisch-histolo¬
gische Bild ergibt somit einige interessante Gesichtspunkte sowohl für
die Organdifferenzierung des Zentralnervensystems, als für allgemeine
Probleme, für die Tumorentstehung usw.
Praktisch liegt der Wert dieser ganzen Überlegung im folgenden:
Wir haben klinisch objektiv nachweisbare Symptome, auch solche
somatischer Art, die uns bei der Stellung der Diagnose einer be¬
stimmten Idiotieform unterstützen, ja wir haben Anzeichen, welche,
wie die Beschaffenheit der äußeren Haut, uns auf die Natur der Krank¬
heit aufmerksam machen, und uns veranlassen müssen, nach den ande¬
ren verborgenen Momenten zu forschen. Sollte eine weitere Vertiefung
dieser Erfahrungen dahin führen, daß die Diagnose der tuberösen
Sklerose sich mehr und mehr sichern läßt, so ist mit der auch
klinischen Umschreibung 'einer bestimmten Idiotieform ein weiterer
Schritt auf dem Wege der Erforschung der Idiotie getan.
Autoreferat.
Verein deutscher Ärzte in Prag, Sitzung vom 13. November 1908.
Prof. Dr. Lieblein spricht über einen Fall von angeborener
doppelseitiger Supinationsstörung der Ellbogengelenke bei
einem 17 jährigen Mädchen, bei welchem die Difformität bald nach der
Geburt entdeckt worden ist. Beide Ellbogengelenke zeigen zwar nor¬
male Konfiguration und vollständig freie Beweglichkeit im Sinne der
Beugung und Streckung, dagegen sind beide Vorderarme in extremer
Pronationsstellung fixiert und ist die Ausführung von Rotationsbe¬
wegungen unmöglich. Die Untersuchung der Ellbogengelenke ergibt,
daß das Radiusköpfchen weder an normaler noch an pathologischer
Stelle nachweisbar ist. Die Röntgenuntersuchung ergibt eine Ver¬
wachsung von Radius und Ulna in ihrem obersten Abschnitte mit
einer Luxation des Radiusköpfchens, mangelhafte Formentwicklung der
proximalen Radiusepiphyse und vermehrtes Längenwachstum derselben.
Der Vortragende geht des näheren auf die Ätiologie derartiger Mi߬
bildungen ein (Druckwirkung von seiten des Amnion resp. der Uterus¬
wand), um sodann die Frage der Therapie, die nur eine operative sein
kann, zu besprechen. Die gar nicht oder nur wenig befriedigenden
Erfolge in den bisher operierten Fällen (Kümmel, Morestin, Schil¬
lin g-Helferich) lassen eine Operation nur dann als einigermaßen
278
Vorläufige Mitteilungen und Autoreferate.
erfolgreich erscheinen, wenn sie in frühester Jugend ausgeführt wird.
In einem Falle, wie es der vom V ortragenden beobachtete war, würde
am zweckmäßigsten eine Kontinuitätsresektion im Bereich der Badius-
diaphyse mit Interposition eines Muskellappens in Frage kommen.
Autoreferat.
Akute Ataxie nach Diphtherie.
Von Dr. Brückner, Oberarzt der Kinderlieilanstalt in Dresden.
(Nach einem in der Gesellschaft für Natur- u. Heilkunde, Dresden, am 10. Januar 1909,
gehaltenen Vortrag.)
Vierjähriges Mädchen, früher gesund, erkrankte nach viertägigem
Unwohlsein mit den Erscheinungen der Larynxstenose. Bazillenbefund
positiv. Nach Serumeinspritzung und Dampf Bückgang der Erschei¬
nungen. Am sechsten Tage Bewußtseinsstörung, vollständige Aphasie,
einige Tage später eigentümliche Sprachstörung, an skandierende Sprache
erinnernd. Keine Lähmung, keine Sensibilitätsstörung, erhöhte Beflexe,
incontinentia alvi, hochgradige motorische und statische Ataxie. Dia¬
gnose ; Encephalomyelitis disseminata. Wird später veröffentlicht
werden. Autoreferat.
Aus der geburtshilflichen Praxis.
Von Dr. Leo, Frauenarzt, Magdeburg.
(Nach einem Vortrag in der med. Gesellschaft in Magdeburg.)
L. bespricht an der Hand von Präparatdemonstrationen folgende
Fälle aus seiner Praxis:
1. Zweieiige Zwillinge; heim zweiten stark ausgesprochene vela-
mentöse Insertion der Nabelschnur. Sprengung der Blase an
einer gefäßfreien Stelle. Wendung und Extraktion auch des zweiten
lebenden Zwillings.
2. Alte Erstgebärende mit dem Wunsch, ein lebendes Kind zu
bekommen, blutet im achten Monat. Placenta praevia lateralis und
vorzeitige Plaeentarlösung, dabei hochgradige Schwanger¬
schaftsnephritis. Vaginaler Kaiserschnitt. Gutes Besultat für
Mutter und Kind.
3. Z willingisjschwanger schaft mit heteiroto/pem Sitz der
Früchte. Intrauterine Gravidität im dritten Monat, kompliziert
durch beginnenden Tubenabort und Buptur einer gleichzeitig gra¬
viden Tube. Laparotomie. Exstirpation der Tube und des Ovars.
Ungestörter Fortgang der intrauterinen Gravidität. Autoreferat.
Referat über den am 4. Dezember 1908 in der „wissenschaftlichen
Gesellschaft deutscher Ärzte in Prag“ gehaltenen Vortrag.
Dr. Garkisch demonstriert:
a) Ein kleinkindskopf großes, submuköses, spontan aus Ut. und
Vagina ausgestoßenes Uterusmyom.
Die Patientin wurde wegen angeblich vorhandener Gebärmutter¬
senkung ein Jahr lang mit Bingpessar behandelt. An der Stelle, wo
das Pessar saß, sieht man eine sattelförmige Einsenkung und eine
ganz zirkumskripte, plaqueförmige, weißliche Verdickung, die äußerer
Haut sehr ähnlich sieht. Die histologische Untersuchung dieser Partie
ergibt einen ganz außergewöhnlichen Befund: Mächtige Plattenepithel-
Referate und Besprechungen.
279
Schicht, deren obere Lagen verhornt sind, sehr deutliche Basalzellen-
Schicht, von welcher nach innen in ein äußerst kernarmes Binde¬
gewebe zahlreiche „Papillen“ ausstrahlen.
b) Ein mannskopfgroßes retroperitoneales Liposarkom, welches aus
einem unteren soliden und einem oberen, aus zahlreichen Lappen be¬
stehenden, Abschnitt besteht ; letztere reichten bis zum Zwerchfell
hinauf. Transperitoneale Exstirpation — Diagnose wurde auf Ovarial¬
tumor gestellt — in Lumbalanästhesie, Heilung. Kurze Besprechung der
Diagnose, Therapie und Prognose der retroperitonealen lipomatösen Ge¬
schwülste, wobei die Literatur kurz gestreift wird.
Referate und Besprechungen.
Experimentelle Pathologie.
Einfluß von Blutentziehungen auf die hämolytische Kraft.
(C. Sacerdotti. Arch. p. 1. scienze med., H. 2, Bd. 32, 1908.)
Durch Aderlässe anämisch gemachte Tiere gewinnen sehr rasch wieder
ihre ursprüngliche hämolytische Kraft. Bei manchen Tieren (Hunden) steigt
nach starken Blutentziehungen die hämolytische Kraft sogar auf das Doppelte,
während keine Aderlässe ohne Einfluß sind. Die Transfusion i so tonischer
CINa- Lösungen ändert die hämolytische Kraft nur wenig im Sinne einer
Verminderung infolge Blutverdünnung : Transfusionen nach Aderlaß beein¬
trächtigen nicht die oben erwähnte Vermehrung der Hämolyse. Letztere
bleibt in manchen Fällen auch nach der völligen Erholung des Blutes be¬
stehen, in anderen sinkt sie wieder zur Norm herab, kann aber durch neue
Aderlässe aufs neue gesteigert werden.. Ist durch einen starken Aderlaß
die hämolytische Kraft auf ein bestimmtes Niveau gehoben worden, so ver¬
mögen neue Blutentziehungen keine Vermehrung mehr zu erreichen. Die Ver¬
mehrung der hämolytischen Kraft des Blutes kann nicht auf einem raschen
Eindringen beträchtlicher Mengen Lymphe ins Blut beruhen ; denn einmal
ist die Lymphe schwächer hämolytisch als das Blut, dann ändern Kochsalz¬
infusionen nichts an der Vermehrung, trotzdem sie dem Eindringen der
Lymphe entgegenwirken. Möglicherweise hängt die Vermehrung der Hämo¬
lyse mit der bei Blutentziehungen eintretenden Leukozytenvermehrung zu¬
sammen. M. Kaufmann.
Experimentelle Erzeugung maligner Tumoren bei Tieren durch Infektion.
(O. Schmidt, Köln. Zentralbl. für Bakt., H. 3, Bd. 47, 1908.)
Verfasser ist es gelungen, bei 8 Tieren durch Infektion mit einem aus
menschlischem Karzinom gezüchteten Mikroorganismus maligne Neubildungen
zu erzeugen. Die mikroskopische Untersuchung und die Virulenz sprechen
für die Malignität der Tumoren. Die Geschwülste saßen am Orte der In¬
fektion, an dem Spontantumoren sehr selten beobachtet werden. Ein großer
Teil männlicher Tiere ist befallen; auch ist ein Zufall auszuschließen wegen
der außerordentlich großen Differenz in den Zahlen einerseits der Spontan¬
tumoren bei Mäusen überhaupt und andererseits der experimentell erzeugten
Tumoren bei den geimpften Tieren. Schürmann (Düsseldorf).
Über experimentelle Hauttuberkulose bei Affen.
(Prof. Dr. Kraus u. Dr. S. Groß. Zentralbl. für Bakt., H. 3, Bd. 47, 1908.)
Verfasser haben die von Kraus und Kren unternommenen Versuche
neu aufgenommen; sie versuchten zu erfahren, ob Reinkulturen von Tuberkel-
280
Referate und Besprechungen.
bazillen verschiedener Herkunft tuberkulöse Impf produkte erzeugten und
ob verschieden geartete Impfgeschwüre den verschiedenen A. -Stämmen ent¬
sprächen. Es zeigte sich nun, daß Tuberkelbazillen menschlicher Herkunft
sowohl wie Perlsuchtbazillen tuberkulöse Hauterkrankungen bei den Affen
hervorrufen können. Die Impfungen wurden mittels Skarifikation in der
Supraorbitalgegend vorgenommen; nach 14 Tagen kommt es zu entzündlichen
Veränderungen, die meist (geschlossen) zerfallen. Eigentümlich war es, daß
die Stämme der Vogel tuberkulöse nur ganz geringe klinische Veränderungen
erzeugten. Während die vom Menschen herrührenden Stämme nur ein Krank¬
heitsbild auf die Impfstelle beschränkt hervorriefen, zeigten die Stellen,
die mit tierischer Tuberkulose geimpft waren, die Tendenz, sich weiter aus¬
zudehnen. Man fand bei der Untersuchung der Impfprodukte auf Tuberkel¬
bazillen in den mit Zerfall einhergehenden Formen wenig oder gar keine
Tuberkelbazillen, in den mit menschlichen Tuberkelbazillen erzeugten Impf¬
produkten, die nicht jjrogredient sind und nicht zu Zerfall neigen, dagegen
reichlich Bazillen in Anordnung der Leprabazillen. Die Versuche, ob eine
vorausgehende Infektion der Haut eine herabgesetzte Empfänglichkeit der¬
selben gegen eine anderwärts gesetzte Neuinfektion bedingen könnte, haben
keine Beeinflussung nach dieser Richtung hin erkennen lassen.
Schürmann (Düsseldorf).
Einige Untersuchungen über das Nagana-Trypanosoma.
(Dr. Mario Battaglia. Zentralbl. für Bakt., H. 3, Bd. 47, 1908.)
Verfasser hat feststellen können, daß das Nagana-Typanosama in den
Tieren, denen es injiziert wurde, seine Entwickelung mit einer endoglobulären
Amöbenform beginnt. Injektion einer Öse Blutes eines an Nagana gestorbenen
Meerschweinchens in die Vagina ergab starke Vulvovaginitis mit Zervikal¬
drüsenanschwellung. Eine Reinkultur von Trypanosomen fand sich fast in
der Vagina. Die infizierten Tiere waren sehr niedergeschlagen und kränker,
als die auf anderem Wege infizierten. Verfasser hält eine Nachprüfung
für zweckmäßig. Schürmann (Düsseldorf).
Innere Medizin.
Die Bedeutung der Magenfunktionsuntersuchung für die Diagnose des
Ulcus ventriculi.
(Axel Borgbjärg, Kopenhagen. Arcli. für Verdauungskrankh. H. 3 u.4, Bd. 14, 1908.)
Borgbjärg zieht aus seinen Untersuchungen folgende Schlüsse: „Die
Stagnation mikroskopischer Art, gefunden zwölf Stunden nach einem Probe¬
abendessen, spricht in hohem Grade für das Vorhandensein eines organischen
Magenleidens; in der Regel ist dasselbe ein Ulkus (oder Karzinom), es kann
wahrscheinlich aber auch eine chronische Gastritis sein. Ist außer der Stag¬
nation mikroskopischer Art auch noch ein nüchternes salzsaures Sekret vor¬
handen, so ist die Anwesenheit eines Ulkus um so wahrscheinlicher. Ist mit
der kontinuierlichen Hypersekretion und der Stagnation mikroskopischer Art
auch noch eine — und sei es auch nur unbedeutende oder periodisch guf-
tretende — Stagnation makroskopischer Art oder eine motorische Insuffizienz
ersten Grades (Atonie) vergesellschaftet, so ist sicher ein Ulcus ventriculi
vorhanden. Die kontinuierliche Hypersekretion spricht in hohem Grade für
das Vorhandensein eines Magengeschwürs ; da dieselbe aber fast immer mit
der Stagnation mikroskopischer Art vergesellschaftet auftritt, so wird man
nur selten darauf angewiesen sein, die Diagnose Ulcus ventriculi ausschlie߬
lich auf Grundlage der Hypersekretion zu stellen. Die Anwesenheit einer —
und sei es auch sehr unbedeutenden — Menge nüchternen salzsauren Sekretes
muß jedoch immer die Aufmerksamkeit des Untersuchers auf den Magen
lenken, und bietet der Patient zugleich ausgesprochene Magensymptome dar,
so deutet die Hypersekretion darauf hin, daß die Magensymptome von einem
Magengeschwür abhängig sind.“ M. Kaufmann.
Referate und Besprechungen.
281
Aus der medizinischen Klinik der Universität Halle a. S.
Über die neueren klinischen Untersuchungsmethoden der Darmfunktionen
und ihre Ergebnisse.
(Prof. Dr. Adolf Schmidt. Deutsche med. Wochenschr., Nr. 23, 1908.)
Zur Feststellung der Darmfunktion gibt Schmidt dem Patienten eine
2 — 3 tägige Probediät, deren genaue Zusammensetzung im Original pach-
zulesen ist. Der dritte Stuhlgang nach Beginn der Diät muß möglichst so¬
fort untersucht werden. Normaler Stuhl ist geformt, festweich und hellbraun,
vermischt mit vereinzelten kleinen braunen aus unverdauten Spelzenresten
bestehenden Pünktchen.
Zahlreicher auftretende Bindegewebs- und Sehnenreste deuten auf eine
Störung des Magens, der allein rohes Bindegewebe verdauen kann. Schmidt
weist auf die sogenannten gastrogenen Darmerkrankungen hin, deren Sym¬
ptome in einer vorhergegangenen oder noch bestehenden Magenerkrankung,
in der Bindegewebslientrie sowie in dem Nachweis besonderer Mikro bien in
den Fäzes bestehen. Die Therapie muß sich gegen die Magenstörung richten
und besteht vor allem in Magenspülungen.
Seltener finden sich Reste von Muskelgewebe. Ihr Vorkommen spricht
für eine Störung der Dünndarmverdauung, vor allem aber für eine solche
der Pankreassekretion. Letztere läßt sich noch besser nachweisen durch die
Schmidt’sche Kernprobe, die darauf beruht, daß die Gewebskerne nur von
Pankreassaft verdaut werden können, ihr Vorhandensein in der Fäzes also
auf einer ungenügenden Pankreasfunktion besteht.
Die gleichfalls für die Pankrassekretion dienende Sahli’sche Glutoid-
kapselprobe hat mehr negativen diagnostischen Wert, weil der Herstellung
eines gleichmäßigen Härtegrades für die Kapseln nicht gelingt.
Überbleibsel von Kartoffelbrei in Gestalt von sagokornähnlichen Körnern
weisen auf eine Störung der Dünndarmverdauung hin ; die isoliert Vorkommen
kann und als Insuffizienz des amylolytischen Darmsekrets aufzufassen ist.
Die Erscheinung findet sich vor allem in den typischen Fällen von intestinaler
Gärungsdyspepsie, die auf neurasthenischer oder anämischer Basis beruhen, sowie
in Fällen gastrogenen Ursprungs. Es kommt dabei zu abnormen Gärungen,
die man auch durch 24stündiges Verbleiben des Probekotes im Brustschrank
nachweisen kann. Die Therapie besteht in Entziehung der Kohlehydrate.
Die Annahme einer intestinalen Fäulnisdyspepsie als eines Zustandes
vermehrter Fäulnisvorgänge im Darmkanal bei ungenügender Eiweiß Verdauung
hält Schmidt nicht für angängig. Das Eiweiß, das übrigens nicht von
unverdauten Nahrungsresten herkommt, sondern von der Darmwand selbst
abstammt, liefert nicht das Material zu Zersetzungen, sondern der Schleim,
Eiter und das transsudierte Serum. Derartige faulige Diarrhöen werden oft
als sogenannte nervöse Diarrhöen behandelt, während es sich meist um ver¬
steckte Katarrhe oder leichte Reizzustände in höheren Darmabschnitten
handelt.
Was nun die Beteiligung der Gärungs- und Fäulniserreger im Darm¬
kanal betrifft, so spielen sie nur eine sekundäre Rolle; die Zusammensetzung
des Chymus ist der maßgebende Faktor bei der Entstehung von Zersetzungs¬
vorgängen.
Zum Schluß kommt Schmidt auf die chronische Obstipation zu sprechen;
die nicht, wie bisher angenommen auf einer Verminderung der peristal tischen
Dickdarmarbeit beruht. Es besteht vielmehr eine zu gute Verdauung, wo¬
durch ein für die Bakterienbildung zu schlechter Nährboden entsteht, was
zu einer Verminderung der Darmbakterien und der Zersetzungsprodukte und
somit zum Fortfall der natürlichen Basis der Peristaltik führt. Ein Mittel,
um den Kot voluminöser und wasserreicher zu machen glaubt er in Agar-
Agar oder in dem daraus hergestellten Regulin gefunden zu haben.
F. Walther.
282
Referate und Besprechungen.
Über Unterschiede in der Temperatur beider Achselhöhlen bei akuter
Epityphlitis.
(Dr. E. Hönck -Hamburg. Deutsche med. Wochenschr., Nr. 35, 1908.)
Die Beobachtung Widmer’s (Münchner mediz. Wochenschrift, Nr. 13)
eines Halles von Epityphlitis, während deren Verlaufe die Temperatur in
der rechten Achselhöhle 0,3 — 1,5° höher war wie in der linken, was er als
nicht oder unvollkommen generalisiertes Eieber bezeichnete, faßt Hönck
als unwiderleglichen Beweis einer von ihm bereits früher aufgestellten Be¬
hauptung auf, daß im Beginn einer akuten Epityphlitis der rechte Sympa¬
thikus gereizt sei und dann in manchen Fällen nach einiger Zeit die Reizung
auf den linken überspringe. Die nach dieser Annahme zu erwartende Er¬
höhung der Temperatur in der linken Achselhöhle gegenüber der rechten, hat
er in zwei Fällen bestätigt gefunden. Wegen Mangels an klinischem Material
möchte er dazu auffordern, diese Beobachtungen weiter zu verfolgen.
F. Walther.
Fälle von Ischochymie, Gallensteinerkrankung vortäuschend.
(Max Einhorn. Arch. für Verdauungskrankh., H. 4, Bd. 14, 1908.)
Einhorn berichtet über drei Fälle, in denen eine benigne Pylorus¬
stenose eine Cholelithiasis vorgetäuscht hatte, und weist darauf hin, wie
wichtig es ist, in allen Fällen von scheinbarer Grallensteinerkrankung, be¬
sonders da, wo die Diagnose nicht sicher gestellt ist, eine Sondenuntersuchung
des Magens vorzunehmen. Eine Kombination beider Krankheiten kommt
auch vor, ist aber selten. • M. Kaufmann.
Ätiologie der Pfortaderthrombose.
(V. Hecht. Wiener klin. Wochenschr., Nr. 26, 1908.)
Bei einer 15 jährigen Patientin, die mit 6 Jahren ein Trauma erlitten
und seitdem häufig blutiges Erbrechen gehabt hatte, stellte sich das typische
Bild der Pfortaderthrombose : Blutbrechen, Aszites, Milz- und Leberschwellung
ziemlich plötzlich ein. Die Obduktion ergab einen abnormen Verlauf der
Pfortader derart, daß der Ductus cysticus im Bogen über sie hinzog und
so bei normaler Füllung der Gallenblase ein Zirkulationshindernis bilden
mußte. Die Anomalie war angeboren, das Trauma wahrscheinlich ohne ätiolo¬
gische Bedeutung. Der Autor gibt noch eine Übersicht über die Ätiologie
der Pfortaderthrombose: Kompression durch Neubildungen, Lymphdrüsen-
schwellung; Leberzirrhose und -Syphilis; Wanderkrankungen des Gefäßes
bei Pyämie, Peritonitis; Pankreasnekrose; Traumen. E. Oberndörffer.
Einige diagnostisch bemerkenswerte Fälle von Nierentuberkulose.
(Prof. Casper. Deutsche med. Wochenschr., N. 31, 1908.)
Die Operation ist nach Casper das empfehlenswerteste Verfahren bei
Nierentuberkulose, zumal durch die Cystoskopie und den Ureterenkathe-
terismus eine frühzeitige Diagnose gestellt werden kann und man infolge
der funktionellen Nierendiagnostik die gesunde oder doch funktionsfähige
Niere zu erkennen vermag, woraus sich das außerordentliche Sinken der
Mortalität bei Operationen ergibt. Casper verfährt bei der Diagnostik in der
Weise, daß er den Urin bei sich häufiger wiederholender Hämaturie un¬
bekannter Ätiologie und bei Pyurie auf Tuberkelbazillen mikroskopisch unter¬
sucht und bei negativen Resultat durch Impfung von Meerschweinchen ein
sicheres Ergebnis erhält. Durch Cystoskopie und Ureterenkatheterismus sucht
er sodann die erkrankte Niere festzustellen. Spritzt jedoch aus beiden Ure-
teren trüber und purulenter Urin, so bestimmt er die Arbeitskraft der Nieren
durch Vergleich der Gefrierpunkte ihres Harns, sowie des Prozentgehaltes
Referate und Besprechungen.
288
an Harnstoff, an Saccharum, nach muskulärer Phloridzininjektion und der Fär¬
bung nach Indigkarmininjektion und endlich der Zeit des Eintritts der Färbung
und der Zuckerausscheidung. Er hat gefunden, daß stets die tuberkulöse
Niere geringere Valenzwerte zeigt, als die gesunde oder gesündere, und daß die
Blaufärbung und Zuckerausscheidung bei der tuberkulösen Niere später
auf tritt.
Zum Beweis für die Sicherheit der angegebenen Hilfsmittel für die
Diagnose führt er einen Fall an, bei dem von Fachmännern die rechte Niere
als tuberkulös bezeichnet wurde. Auf Grund seiner Diagnostik entfernte
er jedoch die linke und der Erfolg bestätigte seine Diagnose.
Als Gegenstück erwähnt er einen Patienten, bei dem der Ureter¬
katheterismus nicht auszuführen war, und wo man sich auf die ziemlich
unsichere Nieren- und Ureterenpalpation verließ. Die Autopsie zeigte, daß
man die relativ gesündere Niere entfernt hatte, und daß der Fall über¬
haupt inoperabel war.
Um nun in ähnlichen Fällen, bei denen die Beleuchtungsmethoden nicht
ausführbar sind, vor derartigen Mißgriffen verschont zu bleiben, empfiehlt
Casper sich der Farbstoffausscheidung und Indigkarmininjektion und der
Zuckerausscheidung nach Phloridzin intra operationem zu bedienen. Erstere
gibt zwar kein absolut sicheres Bild über die Gesundheit und Funktionstüchtig¬
keit der Niere, aber im Allgemeinen kann man annehmen, daß die Niere
um so besser arbeitet, je schneller und intensiver das Blau ausgeschieden
wird. Geschieht dies und erfolgt die Zuckerausscheidung prompt, so arbeitet
die Niere, ob sie nun krank oder gesund ist, genügend, so daß man das
tuberkulöse Schwesterorgan entfernen kann. Abgesehen von diesen glück¬
licherweise seltenen Fällen stehen uns aber die anderen oben genannten
Methoden zur Verfügung, die sämtlich verschiedene Arbeitsleistungen der
Nieren messen, wodurch die Sicherheit des Urteils wesentlich erhöht wird.
F. Walther.
Nebennierenveränderungen bei chronischer Nephritis.
(A. Baduel. Riv. crit. di Clin, med., Nr. 31 u. 32, 1908.)
Die bei der Nephritis gewöhnlich beobachtete Blutdrucksteigerung ist
trotz zahlreicher Theorien noch nicht genügend erklärt. Eine neue, be¬
sonders von französischer Seite aufgestellte Lehre sucht ihren Grund in
Veränderungen der Nebennieren. Eine Stütze für diese Lehre bilden die
hier vorliegenden Untersuchungen Baduel’s, der in sechs genau histologisch
untersuchten Fällen von Nephritis regelmäßig schwere Veränderungen ent¬
zündlicher Art in den Nebennieren fand. M. Kaufmann.
(Aus dem Sanatorium von DDr. Pariser-Dammert in Homburg v. d. H.)
Über intermittierendes Fieber bei tertiärer viszeraler (speziell Leber-)
Syphilis.
(Dr. F. Dämmert. Deutsche med. Wochenschr., Nr. 35, 1908.)
Aus der ausführlichen, einen Zeitraum von 12 Jahren umfassenden
Krankengeschichte geht hervor, daß der Patient zunächst an einer luetischen
Affektion beider Pleuren erkrankte, wobei schon eine Vergrößerung der Leber
konstatiert wurde. Später stellte sich eine ebenfalls auf Syphilis zurück¬
zuführende Neurasthenie ein, und endlich erkrankte er im Anschluß an einen
Influenzaanfall an intermittierendem mit Schüttelfrost und Schweißausbruch
verbundenem Fieber, wobei er ganz außerordentlich herunterkam. Der Be¬
fund ergab eine starke Vergrößerung der Leber, deren Rand sich hart und
frei von Unebenheiten, anfüllte, aber gegen Druck unempfindlich war. Außer¬
dem bestand Milzvergrößerung. Die Diagnose einer fieberhaften Erkrankung
im Gefolge einer viszeralen tertiären Lues (spez. Lebersyphilis) wurde durch
den Erfolg einer kombinierten Behandlung von Quecksilber und Jod be-
284
Referate und Besprechungen.
stätigt. Der Patient gesundete und ist auch in den nächsten drei Jahren
frei von Beschwerden geblieben.
In der Epikrise erörtert Dämmert zunächst die Erscheinungen dör
Lebersyphilis. Er nimmt an, daß es sich entweder um einen interstitiellen
diffusen Infiltrationsprozeß ohne Perihepatitis oder um miliare Gfummata
handelt. Differentialdiagnostisch können die verschiedensten Möglichkeiten
in Betracht kommen, so die Malaria wegen des Milztumors, Karzinom oder
Sarkom der Leber, Tuberkulose u. a. Prognostisch hält er die Erkrankung für
günstig, therapeutisch die Kombination von Jod und Hydrargyrum am
empfehlenswertesten. Was die Mitbeteiligung anderer Organe betrifft, so
glaubt er eine Erkrankung des Herzmuskels wegen einer früher durchge¬
machten Angina pectoris und der bestehenden Verbreiterung des Herzens,
sowie der Irregularität und Frequenz des Pulses, nicht ganz ausschließen
zu dürfen.
Eine Schädigung des Blutes war nicht nachweisbar. Die Erklärung des
Eiebers ist schwierig. Es dürfte wohl mit dem syphilitischen Virus und
nicht mit der Leber in Verbindung zu bringen sein. F. Walther.
(Aus dem Sanatorium von DDr. Pariser-Dammert in Homburg v. d. H.)
Zwei Fälle von Leberlues mit langdauerndem Fieber.
(Dr. Curt Pariser. Deutsche med. Wochenschr., Kr. 35, 1908.)
Pariser berichtet über 2 weitere Fälle von Leberlues. Bei dem ersten
traten 10 Jahre nach der Infektion unregelmäßiges mit Schweißausbrüchen und
trockenem Husten verbundenes Fieber auf, wobei Leber- und Milzvergrößerung
bestand. Durch Jodmedikation verschwanden diese ein Jahr bestehenden Er¬
scheinungen und zwar der Husten nach 5 und das Fieber nach 3 Tagen und
gleichzeitig verkleinerten sich Leber und Milz etwas. Der Patient konnte blühend
die Anstalt verlassen. Ganz ähnlich verlief der zweite Fall. Auch bei diesen
beiden Patienten erschwerte der bestehende Milztumor und das unregelmäßige
Fieber die Diagnose (Malaria). Was die Erklärung des Fiebers angeht, so
neigt Pariser wegen des schnellen Erfolges auf Joddarreichung der Ansicht
zu, daß es rein toxisch-luetischer Natur ist. F. Walther.
Chirurgie.
Explorative Laminektomie und Meningitis serosa circumscripta.
(de Montet. Korrespondenzbl. für Schweizer Ärzte, Nr. 21, 1908.)
Die 43 jährige, wenig intelligente und beiderseits klumpfüßige Kranke
war subakut von einer Lähmung der Beine und Inkontinenz befallen worden,
mit schmerzhaften Zuckungen und rascher Verschlimmerung des Allgemein¬
zustands. Da der Ort der Erkrankung gut bestimmbar war (5. — 6. Wurzel),
so wurde die Laminektomie ausgeführt, welche intakten Knochen, gespannten
Duralsack und unter hohem Druck ausspritzende Flüssigkeit ergab. Das
Rückenmark war dünn und plattgedrückt, die Flüssigkeitsansammlung offen¬
bar nur lokal, da die vorher ausgeführte Spinalpunktion keinen Überdruck
ergeben hatte (Meningitis serosa nach Oppenheim-Krause). Nach 12 Tagen
etwas Beweglichkeit der Beine, nach 5 Wochen noch etwas spastisch-pare-
tischer Gang, doch keine Inkontinenz; Entlassung. Bei der Nachuntersuchung
fand sich Pat. arbeitsfähig und erklärte sich für gesund; das Fortbestehen
des Babinski’schen und 0 ppenheim’schen Phänomens war das einzige
abnorme.
Über die Dauer der Heilung drückt M. sich zurückhaltend aus und
stellt die Frage, ob nicht eine Punktion bei geringerer Chance der in dieser
Gegend bekanntlich besonders leicht eintretenden Wundinfektion dasselbe ge¬
leistet hätte. F. von den Velden.
Referate und Besprechungen.
285
Über Operation an tiefliegenden Zungenabszessen.
(Dr. Br unk Ohren-Poliklinik Breslau. Deutsche med. Wochenschr., Nr. 23, 1908.)
Tiefliegende Zungenabszesse, wie sie sich vor allem nach Verletzungen
durch Fremdkörper am Zungenboden entwickeln oder auch nach Ulzerationen
der Zunge, oder nach Zungenphlegmone bei eitriger Mandelentzündung usw.,
lassen sich oft vom Munde au,s sehr schwer öffnen. Oft lassen sich die
Abszesse im hinteren Teil der Zunge auch sehr schwer lokalisieren. In
diesen Fällen ist es korrekter, statt der allgemeinen geübten unsicheren und
nicht ungefährlichen Inzision vom Munde her, den Abszeß von außen zu öffnen.
Als einfacher und sicherer Operationsweg zu empfehlen, ist die Freilegung
des M. hyoglossus und stumpfes Auseinanderdrängen seiner Fasern. Diese
Methode eignet sich sowohl für laterale wie für median gelegene Zungen¬
abszesse. Bei letzteren kann in einzelnen Fällen (außen sichtbare Vorwöl¬
bung) eine Durchtrennung der Weichteile in der Medianlinie über dem
Zungenbein vorteilhafter sein. Härting (Leipzig).
Über die Endresultate der Tracheotomie.
(Dr. Lehnerdt, Halle, früher Leipziger Kinder-Krankenhaus.)
Lehnerdt-, der in seiner Inauguraldissertation „zur Kenntnis derNarben-
strikturen und Narbenverschlüsse nach Intubation, Leipzig 1907“, über 16 Fälle
von Narbenstenosen nach der Intubation berichtet hatte bei 1539 intubierten
Kindern, stellt seine Resultate den von Dr. Wolf am Leipziger Stadt¬
krankenhaus tracheotomierten Kindern mit ihren Nachkrankheiten gegenüber.
Danach ist die Mortalität bei Tracheotomie und bei Intubation die gleiche.
Betreffs der Mortalität ist nach Lehnerdt vor allem das Alter der Kinder
zu berücksichtigen : Die Mortalität betrug bei der Intubation bei Kindern
vom ersten bis dritten Lebensjahr 42,3%? hei Kindern vom vierten Lebens¬
jahr an und darüber nur 22,19%. Auch die Narbenstenosen bei der Intubation
fallen vor allem in das erste bis dritte Lebensjahr. Härting (Leipzig).
Zur Behandlung schwerer Schußverletzungen der Lunge mit primärer Naht.
(H. Küttner, Breslau. Deutsche Zeitschr. für Chir., H. 1 u. 2, Bd. 94.)
Trotzdem wir uns daran gewöhnt haben, Herzschüsse, welche in unsere
Behandlung kommen, nach Rehn’s Vorgehen operativ anzugreifen, beobach¬
ten wir den Lungenschüssen gegenüber noch heute eine große Reserve. Der
Grund dieser Zurückhaltung liegt in der weniger dringenden Indikation, der
bis jetzt allgemein angenommenen besseren Prognose und in dem Umstand,
daß wir bis jetzt über kein erfolgreiches Operationsverfahren verfügten.
Die beiden letzten Gründe sind nicht mehr stichhaltig. Aus der kritischen
Verwertung großer Reihen von Lungenschuß Verletzungen ergibt sich einer¬
seits, daß mehr wie 40% tödlich verliefen; andererseits geben uns die moder¬
nen Druckdifferenzverfahren Mittel an die Hand, dem schlechten Ablauf
der Lungenschüsse wirksam zu begegnen.
Verf. berichtet über einen 20 j ähr. jungen Mann mit einem vermittelst
eines 9 mm Revolvers gesetzten Lungenschuß. Der hochsteigende Bluterguß,
der schlechte Puls, Dyspnoe und Cyanose ließen die Situation äußerst kritisch
erscheinen. Nach breiter Eröffnung des Thorax in der Sauer bruch’schen
Kammer wurde der Bluterguß entfernt, der am linken Unterlappen befindliche
Einschuß und Ausschuß mit Seide vernäht und die Thoraxwunde luftdicht
verschlossen. Das Resultat war ein glänzendes ; die Heilung erfolgte per
primam intent.
Dieser Erfolg gewinnt besondere Bedeutung beim Vergleich mit zwei
anderen abwartend behandelten Fällen von Lungenschuß, von denen der eine
ein Empyem akquirierte, der andere erst nach 78 tägiger Behandlungsdauer
schonungsbedürftig entlassen werden konnte.
286
Referate und Besprechungen.
Die bisherige Kasuistik von Lungennähten, welche nur; 6 Beobachtungen
umfaßt, läßt endgiltige Schlüsse nicht zu ; sie zeigt aber die Bedeutung der
Druckdifferenzverfahren für die Lungenchirurgie in hellstem Licht, so daß
wir im Gegensatz zu früheren Maximen jetzt wohl zu der Forderung berech¬
tigt sind, schwerwiegende Lungenschüsse unter Druckdifferenz mit breiter
Thorakotomie, Verschluß der Lungenwunde und primärem Pleuraverschluß
zu behandeln. F. Kayser (Köln).
Über Ileus durch Entspannungsnähte.
(B. Fischer, Bonn-Köln. Zeitschr. für deutsche Chir., H. 1 u. 2, Bd. 94.)
Verf. berichtet über drei Fälle, in denen es nach der Laparototmie
(in zwei Fällen wegen Ileus, in einem Falle wegen multipler Verletzungen
des Darmes und des Netzes nach Huf schlag) zu einem mechanischen Ileus
dadurch gekommen war, daß eine Dünndarmschlinge zwischen Bauchwand und
einem Entspannungsfaden abgeschnürt war. In einem Fall war eine hohe
Ileumschlinge so stark geschädigt, daß sie Erscheinungen beginnender Gangrän
zeigte. In allen Fällen wurde der Befund erst bei der Autopsie erhoben.
Die Strangulation kommt wahrscheinlich dadurch zustande, daß eine
Darmschlinge sich zwischen Faden und Bauchwand legt, bevor der nach
Schluß der Laparotomiewunde angezogene Entspannungsfäden geknüpft wird.
Die Kenntnis des Vorgangs erscheint deshalb bedeutsam, weil der Operateur
wegen der Schwierigkeit der Diagnose eines mechanischen Ileus bei einem
nach der Operation einsetzenden Ileus nicht leicht zu einer zweiten Laparotomie
sich entschließt.
In der Literatur finden sich bis jetzt ähnliche Beobachtungen nicht,
wahrscheinlich deshalb, weil bei der Art der bis jetzt bei der Sektion ge¬
führten Schnittführung die Abschnürung in den Fällen, in denen sich kein
deutlicher Schnürring findet, häufig übersehen wird. Es ist geboten, den
Sektionsschnitt nicht mit der Operationswunde zusammenfallen zu lassen,
so daß das ganze Operationsgebiet der linken Bauchwand in toto zur An¬
schauung gelangt. Verf ist auf diese Weise wiederholt der Nachweis ge¬
lungen, daß Darmschlingen beim Schluß der Bauchhöhle von der Nadel
des Operateurs mitgefaßt waren. Praktische Bedeutung hat diese Beobach¬
tung insofern, als wohl angenommen werden darf, daß beim Vorhandensein
infektionsfähigen Materials in der Bauchhöhle das Entstehen einer Perito¬
nitis dadurch begünstigt wird.
Die Mitteilungen sind für uns deshalb gewiß wertvoll, als sie uns
einen gewichtigen Beitrag zu dem aktuellen Kapitel „Unglücke in der Chi¬
rurgie“ liefern. Die Ansicht, daß sie häufig Vorkommen, kann Ref. aber nicht
teilen, ebensowenig hält er den Versuch für berechtigt, die Operateure gegen den
Vorwurf eines groben chirurgischen Kunstfehlers in Schutz zu nehmen.
F. Kayser (Köln).
Komplette Ausschaltung des Dickdarms wegen hartnäckiger Darmblutungen
bei Syphilis.
(Dr. Canon, Berlin. Deutsche Zeitschr. für Chir., H. 1 u. 2, Bd. 94.)
Bei einem 44 j ähr., an schweren Darmblutungen leidenden Sphmied
wurde, nachdem eine längere Zeit versuchte innere Medikation völlig wir¬
kungslos war, eine partielle Resektion des Colon descendens mit Einnähung
der Darmschenkel vorgenommen. Da die Blutungen fortdauerten und die
Beschaffenheit der Darmwand eine noch bestehende krankhafte Veränderung
des Darmes wahrscheinlich machte, wurde der ganze Dickdarm dadurch aus¬
geschaltet, daß das unterste Ileum in die Flex. sigmoidea implantiert wurde.
Die Darmblutungen sistierten nach dem Eingriff, den Pat. gut überstand.
Nach den bisherigen Beobachtungen ist es wahrscheinlich, daß eine Ausschal¬
tung des Dickdarms beim Verdaüungsprozeß ohne dauernde Schädigung des
Patienten möglich ist; trotzdem sind die Gefahren des Eingriffes so große,
daß er wohl nur im äußersten Notfall berechtigt erscheinen dürfte.
_ F. Kayser (Köln).
Referate und Besprechungen.
287
Blutung in das Nierenlager.
(H. Joseph, Köln. Deutsche Zeitschr. für Chir., H. 5 u. 6, Bd. 94.)
Ein 50 jähriger an Gicht leidender Kaufmann erkrankte morgens beim
Aufstehen plötzlich an heftigen Schmerzen in der rechten Bauchseite und
Anurie. Die Urinsekretion stellte sich nach zehn Stunden wieder ein, doch
bildete sich in den nächsten Tagen unter Meteorismus, Eieber, Leibschmerzen
ein schweres Krankheitsbild aus, welches seine objektive Begründung in
einer vor der rechten Lendengegend nach der Mitte des Leibes sich er¬
streckenden Resistenz fand. Bei dem am zwölften Krankheitstag vorge¬
nommenen Einschnitt ergibt sich eine ausgedehnte Blutung in die Eettkapsel
und in das Paranephrium. Nach Abklingen einer an die Operation sich
anschließenden rechtsseitigen Pneumonie wird wegen fortdauernder Tempe¬
ratur die rechte Niere exstirpiert. Exitus. Die Niere zeigt mikroskopisch
das Bild der eitrigen Nephritis; bei der Sektion findet sich ein großer
septischer Milztumor.
Der Fall ist den Beobachtungen zu subsummieren, welche Wunder¬
lich als „Apoplexie des Nierenlagers“ beschrieben hat. Genetisch kann
man sich den Vorgang der Blutung so vorstellen, daß ein Harnsäure¬
konkrement einen akuten Verschluß des rechten Ureters und infolge
der dadurch eintretenden venösen Stauung die heftige Blutung veranlaßt
hat. Die Anurie ist somit als eine reflektorische aufzufassen. Die
Urininfiltration der durchbluteten Fettkapsel ist kaum als Ursache der Sepsis
aufzufassen; wahrscheinlich bildet der Ureter Verschluß die Gelegenheitsursache
zur Infektion der anatomisch bereits nicht ganz intakten Niere.
Fehlt das Bild der akuten Anämie, so ist differentialdiagnostisch zwischen
akuter Hydronephrose, akuter Paranephritis und einer retroperitonealen peri-
typhlitischen Eiterung zu unterscheiden. Anamnese und Krankheits verlauf
im Anfang kommen als diagnostische Hilfsmittel in Betracht.
Ohne rationelle chirurgische Therapie ist die Prognose infaust. Haupt¬
prinzip ist Entfernung der durchbluteten Fettkapsel ; die Niere ist nur bei
schweren Veränderungen zu entfernen. Die Exstirpation bezw. Spaltung
der Niere durch Sektionsschnitt und Tamponade kommt weiter in Frage,
wenn dauernde Temperatursteigerungen bestehen bleiben. F. Kayser (Köln).
Künstliche Synovia.
(R. T. Morris. Americ. journ. of Surg., Nr. 6, Bd. 22, 1908.)
Morris macht seit vier Jahren Versuche, in sogenannte „trockene Ge¬
lenke“, deren Beweglichkeit infolge einer stumpfen Verletzung oder einer
Entzündung gelitten hat, eine künstliche Synovia, bestehend aus 1 Teil
Boroglyzerid, 3 Teilen Glyzerin und 4 Teilen Salzlösung, durch eine dicke
Kanüle zu injizieren. Ein an gonorrhoischer Synovitis erkranktes und kurze
Zeit vor der Injektion mit geringem Erfolg durch Brisement force behan¬
deltes Gelenk wurde nach derselben alsbald schmerzfrei und erlangte eine
gute Funktion. Eine ältere Frau mit Krachen im Schultergelenk und Ad¬
häsionen, ohne deutlich rheumatische Vorgeschichte, wurde durch die In¬
jektion alsbald erleichtert. Auch bei drei ausgeheilten tuberkulösen Ge¬
lenken (natürlich waren sie aus einer größeren Zahl ausgewählt) will M.
durch Injektion künstlicher Synovia sehr zufriedenstellende Resultate er¬
reicht haben; die besten indessen hatte er bei Adhäsionen, die nach rheu¬
matischer Synovitis auf getreten waren. Natürlich kamen auch Fehlschläge
vor. Die injizierte Menge richtet sich nach der Kapazität des Gelenks. Es
wird zunächst während einiger Tage Bettruhe eingehalten und dann mit
dem Gebrauch des Gelenkes begonnen.
Versuche mit dem bei sauberer Ausführung wenig eingreifenden Ver¬
fahren sind um so mehr anzuraten, als die Therapie versteifter Gelenke noch
recht im argen liegt. F. von den Velden.
288
Referate und Besprechungen.
Volare, mit typischer Radiusfraktur komplizierte Ulnaluxation. Ulnaris¬
lähmung.
(Dr. Thon, Universität Gießen. Münch, med. Wochenschr., Nr. 29, 1908.)
Thon berichtet über einen Fall von typischer Radiusfraktur, der mit
einer Luxation der Ulna im Handgelenk kompliziert war und glaubt an
der Hand des Falles den Entstehungsmechanismus dieser Luxation, wenn
sie mit der typischen Radiusfraktur kompliziert ist, nachweisen zu können.
Sie entsteht, wie Thon annimmt, dadurch, daß nach Fraktur des Radius
die Gewalteinwirkung noch nicht erschöpft ist, sondern noch weiter ein¬
wirkt. Im Thon’schen Fall entstand die Fraktur mit Luxation dadurch,
daß der betr. Schreinergeselle, während er eine Flügeltür auf dem Kopf
trug und mit der rechten Hand hielt, nach vorn ausglitt und auf die
ausgestreckte linke Hand fiel; nachdem er schon zu Boden lag, rutschte
er infolge des Schwunges noch ein wenig weiter nach vorn, so daß die
linke Hand zum zweiten Male stärker dorsal flektiert wurde. Interessant
war an der Verletzung die Ulnarislähmung, die durch Druck der Ulna auf
den Nerv, ulnaris entstanden sein mußte (überstreckte Stellung der Grund¬
gelenke am vierten und fünften Finger, Mittelgelenke dieser zwei Finger
leicht gebeugt). Härting (Leipzig).
Zur künstlichen Blutleere der unteren Körperhälfte nach Momburg.
(H. Ehemann, Leipzig. Deutsche Zeitschr. für Chir., H. 1 u. 2, Bd. 94.)
Im Zentralblatt für Chir. 1908, Nr. 23 beschreibt Momburg ein Ver¬
fahren, unter Blutleere Operationen am Becken und am oberen Teil des
Oberschenkels auszuführen. Er zieht zwischen Becken und unterem Rippen¬
rand einen dicken Gummischlauch derart in mehrfachen Touren um die
Taille, bis der Puls in der Femoralis nicht mehr fühlbar ist. Das in zwei
Fällen angewandte Verfahren erwies sich als brauchbar.
Eine ähnliche Methode ist bereits früher (Zentralbl. f. Chir. 1907, Nr. 45)
von Fr anke- Braunschweig angegeben worden, welcher als Pelotte unter der
umschnürenden Martin’schen Binde eine kleine Porzellandose benutzte, völlige
Blutleere erreichte, aber nach Abnahme der Binde anscheinend infolge Beschädi¬
gung des Darms blutige Durchfälle erlebte. Einen weiteren Beitrag zu der
Frage bringt Riemann. Bei einem schwerverletzten Eisenbahnbeamten, bei
welchem bereits früher die hohe Oberschenkelamputation gemacht worden
war, wurde unter der Momburg’schen Umschnürung die Exartikulation des
Oberschenkelstumpfes vorgenommen. Die Arterie zeigte sich dabei völlig
blutleer, aus der Vene blutete es wenig rückläufig. Die Gefäße konnten vor
Abnahme des Schlauches leicht unterbunden werden.
Nach den bisherigen Beobachtungen ist die Methode der elastischen
Einschnürung des Rumpfes nach Momburg als brauchbar zu betrachten.
Ob sie bei korpulenten und muskulösen Menschen zum Ziele führt, muß
die weitere Beobachtung lehren. Trotz der relativ lange Zeit anhaltenden
Umschnürung — in einem Fall Momburg’s bis 43 Minuten! — ist ein Nach¬
teil nicht beobachtet worden. Auffällig war eine nach Abnahme des Schlauchs
zu beobachtende bis zu 20 Minuten anhaltende Dikrotie des Pulses.
Ref. möchte glauben, daß das Verfahren bei Individuen mit Verände¬
rungen der Gefäßwände leicht zu Embolien führen kann und daß daher die
Anwendung der Methode eine besonders sorgfältige Auswahl geeigneter Fälle
fordert. F. Kayser (Köln).
Der Wert des Zinkleimverbandes in der Chirugie, besonders bei der
Behandlung von Ulcera crucis, Varicen und Gelenkaffektionen.
(Dr. Hecker, Straßburg. Med. Klinik, Nr. 42, 1908.)
Hecker weist auf den Wert des Zinkleimverbandes hin, der im allge¬
meinen viel zu wenig angewandt wird und bei der Behandlung der für
Referate und Besprechungen.
289
die Patienten so unangenehmen und von den Ärzten oft recht stiefmütter¬
lich behandelten Unterschenkelgeschwüren von unschätzbarem Wert ist. Er
wird so angelegt, daß man zunächst das betr. Bein in einem warmen Fu߬
bade mittels Seife gründlich reinigen läßt, dann das Bein rasiert, um ein
Verkleben des Verbandes mit den Haaren des Unterschenkels zu vermeiden,
und danach den Unterschenkel mit Äther oder besser noch mit Benzin gründ¬
lich abreibt. Dann kommt auf das Geschwür selbst am besten Airol, darüber
etwas Watte und nun wird der übrige Unterschenkel mit dem Unna’schen
Zinkleim eingepinselt. Der Unna’sche Zinkleim besteht aus:
Zinc. oxydat
Gelatine äa 10,0
Glyzerin
Aquae destilatae aa 40,0.
Diese Masse wird unter ständigem Umrühren im Topf über der Flamme
oder im Wasserbade aufgelöst. Bis zum Kochen soll man die Unna’sche
Zinkleimmasse nicht kommen lassen, weil dadurch die Klebkraft der Gelatine
leidet. Dann wird eine Stärkekleisterbinde in warmem Wasser eingeweicht
und unter gleichmäßigem starken Anziehen um den Fuß und Unterschenkel
gewickelt. Nach jeder Bindenlage wird von neuem Zinkleim darüber ge¬
strichen. So kommen vier bis fünf Bindenlagen, die immer wieder mit
Zinkleim bestrichen werden, übereinander. Wichtig ist, daß das Bein vor
dem Anlegen des Zinkleimverbandes abgeschwollen ist. Der Patient muß
daher vorher möglichst mehrere Tage zu Bett gelegen haben. Der Zweck
des Zinkleimverbandes ist, die Stauung am Unterschenkel aufzuheben, denn
diese ist es, die das Geschwür nicht zum Verheilen kommen läßt oder sie
nach der Heilung so bald wieder aufbrechen läßt. Der Zinkleim verband
kann im allgemeinen drei Wochen liegen bleiben, ausgenommen, wenn die
Sekretion des Ulkus eine allzugroße ist, wobei man gut tut, den Verband
schon nach etwa vier bis sechs Tagen frisch zu machen. Eine mäßige
Durchtränkung des Zinkleimverbandes von der Sekretion des Ulkus aus
hat auf die Epithelisierung des Ulkus keinen ungünstigen Eindruck.
Härting (Leipzig).
Ein Apparat zur Herstellung von Projektionsbildern, Photographien und
Kinematogrammen hei Operationen.
(Ch. H. Duncan. Americ. Journ. of Surg., Nr. 9, 1908.)
Der Apparat besteht aus einer großen photographischen Kamera, die
über dem Operationsfeld schwebt und von Glühlampen umgeben ist. Die
Kamera ist in der Mitte um 90° abgeknickt und an dieser Stelle ein Spiegel
eingeschaltet, der die Lichtstrahlen in wagerechter Richtung nach der Seiten¬
wand des Operationsraums wirft. Dort ist eine matte Platte angebracht,
die die Betrachtung der Bilder von außerhalb des Raumes gestattet. Von
hier aus können auch Photographien und Kinomatogramme aufgenommen
werden. In den Lauf der Lichtstrahlen eingeschaltete Schichten bunter
Flüssigkeiten sollen die Farbenkontraste, die beim Durchgang durch Lin¬
sen abgeschwächt werden, intensiver machen. Natürlich muß die Einstellung
des Apparates während der Operation kontrolliert werden. Ein Megaphon
ermöglicht dem Operateur zum Auditorium zu sprechen.
Die Vorteile einer solchen Vorrichtung sind einleuchtend. Der Ope¬
rateur ist die sich herumdrängenden Studenten los, diese sehen mehr als
den Rücken der Assistenten und brauchen nicht in der heißen Chloroformluft
des Operationszimmers zu sitzen. Auch die Reinlichkeit der Operation kann
nur gewinnen. Erhebliche technische Schwierigkeiten kann der Apparat nicht
bieten, da die Epidiaskope (etwas anderes ist Duncan’s Apparat im Grunde
nicht) bereits zu hoher Vollkommenheit gediehen sind.
F. von den Velden.
19
290
Referate und Besprechungen.
Psychiatrie und Neurologie.
Die Bedeutung der Hirnentwicklung für den aufrechten Gang.
(H. Vogt. Abdruck aus der Festschrift zum 39. deutschen Antropologentag,
Frankfurt a. M., August 1908.)
Stellt man den Hemicephalen auf alle Viere, so verhält sich seine Ge¬
sichtsstellung, die Richtung seiner Augenachse, wie bei einem vierfüßigen
Tier, das immer in der Richtung blickt, und nach der Richtung die Vorder¬
fläche seines Gesichts, das Geruchsorgan usw. gerichtet trägt, in der es sich
bewegt. Der Hemicephale verhält sich wie ein vierfüßiges Tier ; die Fragen,
ob dieses Verhalten begründet ist in dem Ausfall der Hirnentwicklung des
Hemicephalen (hirnlose Mißgeburt), und wir die so zustande kommenden
Plemmungen der Entwicklung zu Rückschlüssen auf den normalen Gang
der Entwicklung und erst auf allgemeine Entwicklungsgesetze benutzen können,
ist bejahend zu beantworten.
Verf. betont, daß es keinen Atavismus sui generis, den spontanen Rück¬
schlag Carl Vogt’s, gibt, sondern daß der Atavismus eine mechanisch be¬
dingte Bildung ist, indem der Rest der durch eine Krankheit nicht zerstörten
Keimkrusten etwas einfacheres, eine ontogenetisch oder phylogenetisch tiefere
Stufe leistet.
Der Keim hat stets die Tendenz, eine fertige Bildung zu werden. Dieses
Prinzip muß der Entstehung ,, tierähnlicher“, doch auch fertiger Bildungen
günstig sein. Auch eine Bildung, wie die Hirnkonfiguration balkenloser Mi߬
geburten, die Kopfstellung der Anenc'ephalen kann uns den Hinweis liefern
auf primitivere Gesetzwidrigkeiten.
Die Produkte der krankhaft gestörten und unterbrochenen Entwicklung
sind also gesetzmäßige Produkte, die uns die isolierte Wirkung vereinfach¬
ter Bildungsgesetze zeigen. Verglichen mit der Norm, ist die obere Kante
der Gesichtsfläche des Hemicephalen ganz bedeutend zurückgewichen, diese
hat in dem mangelnden Hirnschädel und der damit einhergehenden Ver¬
kürzung der Schädelbasis seinen hauptsächlichen Grund.
Betrachtet man nun die Angelegenheit phylogenetisch, so ergibt sich,
daß man die Schädelbasis in Parallele stellen muß zu den Wirbelkörpern,
denen sic phylogenetisch entspricht. Bei Tieren stehen beide Ebenen dorsal.
Ein Winkel zwischen dem ersten Halswirbel und der Schädelbasis entwickelt
sich erst bei stärkerer Ausprägung der Cerebrums. Die gewaltige Hirnent¬
wicklung des Menschen, die Senkrechtsstellung seiner Schädelbasis zur Längs¬
achse der Wirbelsäule geht einher mit einer Verschiebung des Gesichts nach
abwärts.
Der Mensch als vierfüßiges Geschöpf ist undenkbar, weil die fort¬
schreitende Hirnentwicklung ihn unter Bedingungen setzt, die nur bei auf¬
rechtem Gang ihm den biologischen Gebrauch seiner Körperanlage gestattet.
Es erscheint logisch, diejenigen Haupteigenschaften, die den Menschen vor
allen andern Tieren auszeichnen, bei der Begründung einer so hervorstechenden
Eigentümlichkeit, wie sie der aufrechte Gang darstellt, nicht als eine Neben¬
ursache oder eine Teilerscheinung aufzufassen, sondern als ein wichtiges, trei¬
bendes, wohl mindestens ein wesentlich mitbestimmendes Moment-.
Koenig (Dalldorf).
Hirnanatomie und vergleichende Anthropologie.
(H. Vogt. Umschau, Nr. 32, S. 621, 8. August 1908.)
Es gibt auch heute noch keinen sicheren Weg, die psychologischen Cha¬
raktere erschöpfend zu erklären. Wir können am einzelnen Gehirn des Euro¬
päers die höhere geistige Funktion überhaupt noch nicht materialisieren.
Haben wir nun bestimmte Anhaltspunkte für eine fortschreitende feinere
Organisation des Gehirns, nicht nur in der Tierreihe, sondern handelt es
sich bei diesen Differenzierungen um qualitative Unterschiede so feiner Art,
daß wir doch einmal vielleicht in die Lage kommen werden, auf die verschie-
Referate und Besprechungen.
291
denen Höhen der psychologischen Entwicklungsstufen Rückschlüsse zu machen,
oder doch deutlich einen Parallelismus mit diesen Tatsachen zu erkennen ?
Alle die hier zu berücksichtigenden Fragen erstrecken sich auf Ge¬
biete, welche die feinste Differenzierung der funktionierenden Hirnelemente
betreffen, welche wir mit den höchsten Leistungen des Zentralorganes in
Beziehung bringen. Wir sind noch nicht so weit, daß wir bestimmte Schlüsse
für die Organisationshöhe einzelner Menschenklassen daraus ableiten können ;
es ist auch schwer, das in besonderer diffiziler Weise zu konservierende Mate¬
rial für solche Untersuchungen zu beschaffen. Aber so viel steht fest: es
handelt sich hier um Dinge, an welche die anthropologische Wissenschaft
lebhaften Anteil nimmt, u|nd die deren eigenstes Arbeitsgebiet betreffen.
Hirnanatomie und Anthropologie bewegen sich hier auf einem gemeinsamen
Felde, wo es sich darum handelt, den Bau des Gehirnes zu verstehen aus seiner
Funktion. Verf. führt verschiedene Gehirnuntersuchungen von Autoren an,
die vielleicht im Laufe der Zeit der vergleichenden Anthropologie Nutzen
bringen wird.
Die Unterschiede im Gewebsbau der einzelnen Hirnregionen gestalten
sich langsam im Laufe der Wurzelentwickelung aus, während das Gehirn des
Kindes in den ersten Lebensmonaten noch wenig davon erkennen läßt. Einen
besonderen interessanten Einblick gewährt hier das Studium der Kinder von
in der Hirnentwicklung geschädigten Individuen, von Idioten und ange¬
borenen Schwachsinnigen. In zwei Fällen konnte V. nachweisen, daß eine
Gewebedifferenzierung im Bereiche der ganzen Hirnrinde nicht eingetreten
ist, daß die Hirnrinde überall den Charakter des sechsschichtigen Grund¬
typus bot. Da es sich um sonst wohlausgebildete Gehirne ohne eine Spur
von Mißbildung handelt, so ist die Annahme gegeben, daß hier ein Defekt
der letzten feineren Ausbildung des Hirngewebes vorlag. Die spezielle Diffe¬
renzierung ist jedenfalls ein Vorgang der allerletzten vor sich gehenden
Ausbildung und gibt mit die Grundlage für die feinere Ausbildung der
psychischen Funktionen ab. Ein gewisser Parallelismus zwischen der Höhe
dieser Organisation und der Höhe der Gehirnleistungen besteht sicherlich.
Koenig (Dalldorf).
Über vorübergehende Wahnbildungen auf degenerativer Basis.
(Karl Birnbaum. Zentralbl. für Nervenheilk. u. Psych., S. 637, September 1908.)
Es handelt sich um vorzugsweise durch Wahnbildung ausgezeichnete
Krankheitsbilder, wie sie bei Individuen auftreten, welche sich durch die
bekannten Kennzeichen als degenerierte charakterisieren; zu ihnen sind auch
die hysterischen , gerechnet. Diese degenerativen Wahnformen erinnern zwar
oft an die Paranoia, sie sind aber dem Wesen nach von ihr verschieden und
weisen mannigfache Abweichungen auf. Die wahnhaften Ideen unterscheiden
sich bezüglich ihres Inhaltes oft nicht weiter von denen der Paranoia; so
finden sich zunächst Beeinträchtigungsideen, die sich im großen und ganzen
auf Personen und Verhältnisse der wirklichen Umgebung und Situation be¬
ziehen. Neben diesen hebt sich eine andere Gruppe inhaltlich schon stärker
von den paranoischen Bildungen ab. Es sind dies Größenideen vorzugsweise
phantastischer Art, die sich ohne weiteres als freie Phantasieerfindungen
kennzeichnen; sie beziehen sich auf alle möglichen persönlichen Vorzüge,
hohe Abstammung usw. Mit ihnen verbunden finden sich gelegentlich phan¬
tastische Verfolgungsideen.
Häufig gesellen sich hierzu wahnhafte Vorstellungen, die auf die indi¬
viduelle Vergangenheit hinweisen, phantastisch gehaltene Fabulationen, durch
welche Bilder ähnlich der originären Paranoia zustande kommen.
Es kommen auch noch mancherlei andere Vorstellungen vor, die ihrem
Inhalte nach gar nicht mehr recht als Wahnideen bezeichnet werden können.
Das degenerative Wahnbild weicht in formaler Hinsicht schon stärker
als in inhaltlicher von dem der Paranoia ab. Es kommen hier die größten
Verschiedenheiten und scheinbare Regellosigkeiten vor.
19*
292
Referate und Besprechungen.
Der Wahnkomplex umfaßt bald massenhafte Einzelelemente, bald nur
wenige Wahnbestandtteile, bald machen nur ganz vereinzelte, spärliche Ideen
das gesamte Wahnwesen aus. Die einzelnen Wahngruppen stehen oft un¬
abhängig und unverbunden nebeneinander; darunter leidet der systematische
Aufbau, so daß ein einheitlich geschlossenes Wahnsystem wie das paranoische
kaum vorkommt. Ferner geht den Ideen die Unkorrigierbarkeit paranoischer
Vorstellungen wie deren tiefgehender Einfluß auf das Gefühls- und Vor¬
stellungsleben mehr oder weniger ab.
Die Sinnestäuschungen treten meist gegenüber den Wahnideen an Um¬
fang und Bedeutung zurück, entsprechen inhaltlich meist der Wahnfabel und
ereignen sich auf allen Sinnesgebieten. Auch das Verlaufsbild zeigt Ab¬
weichungen von der Paranoia. Im Gegensatz zu dem lang sich hinziehenden
paranoischen Vorbereitungsstadium findet oft ein akutes Einsetzen statt;
sehr häufig treten initiale Bewußtseinsstörungen vom Charakter hysterischer
Prozesse auf. Auch die Weiterentwicklung ist anders als bei Paranoia, es
fehlt die systematische Progression der Wahnbildung, auch auf der Höhe
der Wahnphase zeigt sich kein systematisches Weitergreifen, höchstens ein
schubweises, sprunghaftes Neuauftreten von oft abweichenden und mit den
bisherigen nicht zusammenhängenden Ideen.
Der Abfall des Wahnprozesses kann allmählich oder plötzlich und
schnell erfolgen. Der Gesamtverlauf bietet eine ungewöhnliche Mannig¬
faltigkeit und Regellosigkeit von Verlaufsformen dar. Was das Ausgangs¬
bild anbetrifft, so findet in vielen Fällen eine Wiederherstellung statt,
dann beobachtet man Fälle mit Residualwahn, ein eigentlicher Defektzustand
ist aber dem Wesen des Prozesses nach ausgeschlossen,. Als Faktoren für
die Vielgestaltigkeit und Regellosigkeit des Verlaufsbildes sind anzusehen
lang dauernde ungünstige Einwirkungen allgemeiner Art, aber auch einmalige,
akute Anstöße (Termin, Verurteilung u. a. m.). Das ziemlich regelmäßige
Auftreten des Krankheitsprozesses im dritten Lebens jahrzehnt hängt mit
den gerade in dieses Lebensalter der beginnenden wirtschaftlichen Selbst¬
ständigkeit fallenden sozialen Erschwerungen und Konflikte zusammen. Von
weiteren die Wahnbildung beeinflussenden Faktoren kann auch der ange¬
borene Schwachsinn hinzugezogen werden.
Eine besondere Berücksichtigung verlangt die Beziehung der degene-
rativen Wahnbildungen zu gewissen, ihnen nahestehenden Krankheitsformen.
Zunächst die pathologischen Schwindler, die in ihren Phantasielügen eine
unverkennbare Ähnlichkeit mit den degenerativen Einbildungen aufweisen.
Die phantasievollen Schwindeleien sind unmittelbar im Charakter begründet
und treten daher oft während eines ganzen Lebens zutage ; wenn die äußere
Situation ihre Ausnutzung zum eigenen Vorteil begünstigt.
Die weitaus engsten Beziehungen bestehen zu den als hysterisch im
weitesten Sinne zu bezeichnenden Krankheitsformen. Die Ähnlichkeit zwischen
den Wahngebilden der Individuen mit hysterischen Kennzeichen und solchen
ohne diese geht, so weit, daß sie sich, abgesehen von den speziell als hysterisch
geltenden Erscheinungen, sonst nicht unterscheiden.
Die hysterischen Bewußtseinsstörungen haben eine besonders enge Be¬
ziehung zu den degenerativen Wahnbildungen; eine scharfe Trennung ist
nicht möglich, es bestehen vielmehr fließende Übergänge zu den sog. Dämmer¬
zuständen. Es rechtfertigt sich die Einverleibung der hysterischen Wahn¬
formen in die größere degenerative Gruppe. Entsprechend dem engen Ver¬
hältnis zur Hysterie besteht gleichfalls enge Beziehung zur Simulation, aller¬
dings nicht die zielbewußte Simulation des Normalen.
Bei der abnormen Beeinflußbarkeit des psychischen Zustandes kann
der Wunsch geisteskrank zu sein oder so zu erscheinen, krankheitsauslösend
wirken. Die zunächst gemachten künstlichen Äußerungen werden dann
auf dem Wege der Autosuggestion leicht zu echten Krankheitserscheinungen,
wobei anscheinend allerhand Übergänge von einen zum anderen existieren.
Späterhin sind sie jedenfalls echt. Zum .Schluß betont Verf., daß einzelne
degenerative Wahnbildungen, nämlich solche mit stabilem und besser syste-
Referate und Besprechungen.
293
matisiertem Wahn sich von der originären Paranoia kaum scheiden lassen.
Verf. spricht auch die Ansicht aus, daß man diesen degenerativen Wahn¬
bildungen eine selbständige Stellung gegenüber anderen Wahnprozessen ein-
räumen kann. Die sie von anderen Krankheitsbildern unterscheidenden Merk¬
male liegen im Wesen des Vorgangs begründet, und sind auf die degenerativen
Eigenschaften zurückzuführen. Ref. ist auf Grund seiner eigenen Erfahrungen
im großen und ganzen mit den Ansichten des Verfassers einverstanden.
Jedenfalls ist es ein lobenswertes Unternehmen, diesem schwierigen Kapitel
in so ausführlicher Weise näher getreten zu sein. Koenig (Dalldorf).
Schwachsinn und Schwerhörigkeit.
(Franz Kobrak. Umschau, Nr. 32, S. 630, 8. August 1908.)
K. hat Untersuchungen an schwerhörigen Kindern an den Hilfsschulen
Breslaus vorgenommen. Er fand bei einer Gesamtzahl von 2% guter Schul¬
leistungen nur 17°/0 bei den Guthörenden, 25% hingegen bei den Schwer¬
hörigen. Wären die Zöglinge der Hilfsklassen durchweg geistig minderwertige,
schlecht begabte Individuen, so wäre es unverständlich, daß bei einer Häufung
von Defekten, wie sie die schlechte Begabung in Vereinigung mit der Schwer¬
hörigkeit darstellt, immer noch die relativ besten Leistungen erzielt werden.
25% jeder Leistungen bei den schwerhörigen Hilfsschülern, gegenüber nur
17% guten Leistungen bei den guthörenden. Wir werden zu dem Schlüsse
gezwungen, daß gewisse Grade und Formen von Schwachsinn durch hoch¬
gradige Schwerhörigkeit vorgetäuscht werden können.
Solche Kinder, die im wesentlichen durch ihre Taubheit geschädigt sind,
würde man zweckmäßig als taubsinnig bezeichnen können. Diesen Kindern
stehen nun ganz besonders intelligente Kinder gegenüber, wie wir sie in
den Normalklassen in Taubstummenschulen antreffen, die trotz ihrer hoch¬
gradigen Schwerhörigkeit gutes leisten.
Es gibt demnach drei Gruppen : Täubsinnige Kinder, taube, schwach¬
sinnige Kinder und taube, intelligente Kinder.
Mindestens für die Taubsinnigen wird man besondere Klassen zu fordern
haben. Arzt und Schule finden hier ein gemeinsames Feld der Betätigung.
Wünschenswert wäre es, wenn in gleicher Weise auch von den Ärzten
den mannigfachen medizinisch-pädagogischen Fragen der Schulhygiene, unter
denen die Sorge für das abnorme Kind eine besondere Stellung einnimmt,
immer größere Beachtung geschenkt würde. Koenig (Dalldorf).
Über die juvenile Paralyse.
(O. Klieneberger. Allg. Zeitschr. für Psych., H. 6, S. 936, 1908.)
K. beschreibt eine Anzahl bemerkenswerter Fälle von jugendlicher Para¬
lyse die geeignet sind, das Krankheitsbild der juvenilen Paralyse in ein¬
zelnen Punkten zu modifizieren. Gemeinsam ist in den meisten Fällen
als ätiologisches Moment die hereditäre Lues, der Stillstand der körperlichen
Entwicklung, das lange Prodromalstadium, das Überwiegen körperlicher Sym¬
ptome und die eigenartige Demenz (stimmt überein mit den Erfahrungen des
Ref.). Einige Schwierigkeiten bereitete ein Fall, bei dem seit 4 Jahren keine
deutliche Progression des Leidens festgestellt werden konnte. Aber auch
hier glaubt K. (mit Recht, Ref.) eine istationäre Form der Paralyse an¬
nehmen zu können.
Halluzinationen waren in keinem Falle nachweisbar. Die Möglichkeit
des Vorkommens von Halluzinationen muß natürlich zugegeben werden.
Nur ein Fall ist von Hause aus als degeneriert zu betrachten ge¬
wesen. Auffällig ist es indessen, daß jugendliche Paralytiker häufig im
Wachstum Zurückbleiben und meist jünger aussehen als sie sind.
Als ätiologisches Moment konnte K. in allen Fällen Lues nachweiseil
(stimmt mit meiner Erfahrung überein Ref.). Es ist vorläufig nicht zu ver-
294
Referate und Besprechungen.
stehen, warum die juvenile Paralyse in einzelnen Fällen früh, in anderen
wieder erst so spät einsetzt. Die nach dem 20. Lebensjahre auftretenden
Erkrankungen bezeichnet K. als Spätformen der juvenilen Paralyse. Als
Frühformen sind die Fälle anzusehen, in denen die Krankheit vor dem
16. Lebensjahre zum Ausbruch kommt.
Auch für den Verlauf der juvenilen Paralyse scheinen weder die erb¬
liche Belastung noch Gelegenheitsursachen eine Rolle zu spielen. Bezüglich
der Dauer des Leidens unterscheidet K. 2 Arten, solche Fälle, die sich über
viele Jahre erstrecken, und solche (sehr seltene) von kurzer Dauer (kürzeste
Zeit 3 Monate). Längere Remissionen kommen vor.
Die juvenilen Paralytiker bekunden kaum jemals einen verbrecheri¬
schen Trieb, nicht einmal einen Hang zu kleinen Verfehlungen; auch das
stärkere Hervor treten sexueller Neigungen scheint zu den Ausnahmen zu
gehören. Oft finden sich auch hereditär -luetische Erscheinungen bei Ge¬
schwistern. der jugendlichen Paralytiker. Bemerkenswert ist, wie häufig sich
in der Aszendenz der juvenilen Paralytiker Tabes und Paralyse findet.
(Richtig. Ref.)
Es wird daher von Bedeutung sein, künftig gerade die Kinder unsrer
Paralytiker wie Tabiker im Auge zu behalten, wenn möglich ihr Blut
serologisch zu untersuchen, um gegebenenfalls durch eine möglichst frühzeitige
Kur späteren Erkrankungen Vorbeugen zu können. Im Falle einer positiven
Reaktion des Blutserums sollte auch die Spinalflüssigkeit einer genauen
Untersuchung unterzogen werden. Koenig (Dalldorf).
Zum Nachweis einiger Sejunktionsvorgänge bei funktionellen Psychosen.
(M. Rosenfeld. Zentralbl. für Nervenheilk. u. Psych., 2. Dez.-Heft, S. 899, 1908.)
Verf. stellte eine Reihe interessanter Versuche an; er suchte fest¬
zustellen, ob bei einer Reihe von Fällen, die mit akuten psychischen Sym¬
ptomen erkrankt waren, und bei denen gerade die Frage nach stattgehabter
Sejunktion von größter Bedeutung sein mußte, sich Störungen der Zeit-
empfindungen und insbesondere Störungen des Empfindungsvermögens für
das Rhythmische nachweisen lassen
Die Empfindlichkeit der verschiedenen Kranken für Takt oder Rhythmus
wurde in der Weise geprüft, daß den Kranken ein bestimmter Rhythmus
oder einzelne Signale in bestimmten Abständen vorgeklopft wurden.
Die Kranken wurden nun aufgefordert, die in einem bestimmten Ryth¬
mus vorgeklopften Signale genau in derselben Weise nachzumachen. Auch
Versuche mit einer hohen und einer tiefen Stimmgabel wurden gemacht,
ferner Gewichtsprüfungen.
Aus diesen Versuchen ging zunächst das eine hervor, daß in einer
Gruppe von Fällen das Nachahmungs vermögen für bestimmte, ganz ein¬
fache Rhythmen irgendwie gestört war, und in einer anderen Gruppe von
Fällen nicht. Es ist kaum zu entscheiden, wie dieses Symptom psycho-
pathologisch aufzufassen ist; man würde sie im allgemeinen zu den Sejunk-
tionsvorgängen rechnen; man wird annehmen müssen, daß die Störungen
darauf beruhen, daß bestimmte Assoziationskomplexe, welche man bei allen
gesunden Individuen voraussetzen kann, in diesen Fällen weniger oder gar
nicht anregbar sind.
Diese Beobachtungen stehen in vollständiger Analogie zu all den anderen
Symptomen, aus welchen man schon längst den Schluß auf einen Mangel
an effektiver Erregbarkeit, an normalen Ausdrucksbewegungen und auf
fehlende apperzeptive Aufmerksamkeit und den Mangel an assoziativer Geistes¬
tätigkeit zu machen pflegt.
Es hat den Anschein, als wenn diese Ausfallsymptome sich gerade bei
denjenigen akuten Fällen finden und mit Konstanz nachzuweisen sind, deren
psychisches Verhalten auch sonst die Diagnose auf Defektpsychose wahrschein¬
lich macht. Es wird also auch vielleicht der umgekehrte Schluß gestattet
Referate und Besprechungen.
295
sein, zu sagen, daß da, wo die Sejunktions Vorgänge sich nachweisen lassen, die
Annahme eines Verblödungsprozesses wahrscheinlich gemacht wurde und zwar
auch dann, wenn andere Symptome die Diagnose noch nicht so sicher erscheinen
lassen. Koenig (Dalldorf).
Bemerkungen zum heutigen Stand der Neuronlehre.
(Max Verworn. Berliner klin. Wochenschr., Nr. 4, 1908.)
Ohne auf die interessanten Einzelheiten der zur Wiedergabe im Rahmen
eines kurzen Referates sich nicht eignenden Ausführungen Verworn’s hier
näher eingehen zu können, sei nur mitgeteilt, daß die Ausführungen Ver¬
worn’s darin gipfeln, daß durch die Ergebnisse der neuesten Untersuchungen
der Begriff des Neurons zu einer gesichterten Tatsache geworden ist. Der
Schwerpunkt der Neuronlehre liegt darin, daß Ganglienzellkörper mit ihrem
Nervenfortsatz und ihren Dendriten als zelluläre Einheit aufgefaßt werden,
während die diametral gegenüberstehende ,, Zellkettenlehre“ die Anschauung
vertrat, daß die peripherische Nervenfaser, der Achsenzylinder, nicht ein
von der Ganglienzelle ausgewachsener Fortsatz, sondern das Produkt einer
langen Kette von besonderen peripherisch gelegenen Zellen sei und erst
sekundär mit der Ganglienzelle in Verbindung stehe.
R. Stiive (Osnabrück).
Über den Begriff der Neurasthenie.
(Rob. Bing. Med. Klinik, Nr. 5, 1908.)
Aus dem der Lektüre im Original nachdrücklich empfohlenen Vortrage
Bing’s sei folgendes andeutungsweise hervorgehoben. Seit der grundlegen¬
den Arbeit von Beard ist als wesentlichstes Kriterium der neurasthenisehen
Zustände die reizbare Schwäche des Nervensystems stets augesehen worden.
Die Neurasthenie im Sinne Bmard’s ist aber nicht mehr als Krankheit,
sondern als Gruppe von Krankheiten anzuerkennen, so daß man am besten
von einer asthenischen Gruppe der Neurosen reden würde. Da sich eine
weitere Einteilung dieser Krankheitsgruppe als wünschenswert herausgestellt
hat, so ist nach Bing ein durchgreifender Unterschied bei den einzelnen
Formen der Neurasthenie vor allem dadurch gegeben, daß in einem Teil der
Fälle ein degenerativ konstitutionelles Moment dominiert, während dies in
anderen Fällen vollkommen vermißt wird. Jeder asthenischen Neurose eigen¬
tümlich ist „die aus dem Mißverhältnis zwischen Anlage und Anforderung
resultierende reizbare Schwäche der Nervenäußerungen ; aber in dem einen
Falle ist ein normal angelegtes Nervensystem einer quantitativ und quali¬
tativ abnormen Beanspruchung erlegen, im zweiten handelt es sich um einen
von Hause aus minderwertigen Apparat, der schon unter für den Normal¬
menschen irrelevanten Umständen versagt.“ Für die Entstehung erworbener
Neurasthenie wieder ist als Ursache nicht allein das quantitative Übermaß
der Erregungen maßgebend, die auf das Nervensystem einstürmen, sondern
ihre qualitative Beschaffenheit und zwar die affektbetonte Färbung der
einzelnen Erregung. Ein robustes Nervensystem, an dem eine affektfreie
Abhetzung spurlos vorüberging, kann unter einer gefühlsbetonten zusammen¬
brechen. (Dasselbe Maß von Arbeit wird einmal in verantwortungsfreier,
das andere Mal unter dem Drucke einer großen Verantwortlichkeit geleistet,
und im ersten Fall ertragen im zweiten nicht.) Die Prädisposition zur er¬
worbenen Neurasthenie ist nicht auf neuropathischer Grundlage zu suchen,
sondern ist lediglich durch das Temperament gegeben. Charakteristisch ist
ferner, daß die psychischen Schädigungen nicht akut gesetzt werden, sondern
daß sich der Erkrankte vielmehr ausnahmslos in einem Zustande chronischer
Gemütsunruhe befunden hat, indem an sich kleine, aber stets protrahiert
wirkende Affektreize, „auf ältere, noch nicht abgeklungene sich auf pfropfend“
in ihrer Wirkung summierten.
296
Referate und Besprechungen.
Bei der konstitutionellen Gruppe der asthenischen Neurosen wird da¬
gegen ein degeneratives Moment im Krankheitsbilde nicht vermißt. Dieses
kann bestehen in neuropathischer Belastung ; diese ist aber nur dann anzu¬
erkennen, wenn in der Aszendenz oder bei den Kollateralen schwere Neuro¬
pathien (Hysterie, Epilepsie und Psychosen) vorgekommen sind, oder wenn
Alkoholismus, Syphilis oder Tuberkulose eine allgemeine Keimschädigung
vermuten lassen. Auf erheblich sicheren Boden gelangt man aber mit der
Annahme der konstitutionellen Neurasthenie in den Fällen, in denen entweder
der Nachweis des Einsetzens der Erkrankung im frühen und frühesten Kindes¬
alter (abnorme Reizbarkeit, unmotivierte Zornausbrüche, Stottern, Enuresis
nocturna, Pavor nocturnus, Angst vor Dunkelheit, vor Alleinsein, ferner Ange¬
wöhnungen wie Papier essen, die Manier, sinnlose Worte zu bilden, bei ernsten
Anlässen Grimassen schneiden, gehören hierher), gelingt, oder die im Symptomen-
bilde selbst hervortretende degenerative Züge (Auftreten von Phobien und
Zwangsvorstellungen) aufweisen, oder schließlich, bei denen körperliche Stig¬
mata einer abnormen Entwicklung (Prognathie, Verbildung der Ohrmuschel,
erhebliche Schädelasymmetrie, Syndaktylie, genitaler Infantilismus) beobachtet
werden. R. Stüve (Osnabrück).
Zur Differentialdiagnose der peripheren Ischias.
(Sigm. Erben, Wien. Verliandl. des 25. Kongr. für innere Medizin. Wiesbaden,
J. F. Bergmann, 1908. S. 468 — 470.)
Es gibt nicht nur die typische Ischias, sondern auch Formen Jnit
wenig ausgesprochenen Symptomen, wenn z. B. nur ein Segment erkrankt
oder die ganze Affektion im Rückgang begriffen ist. Differentialdiagnostisch
ist sie mit den bisher üblichen Untersuchungsmitteln schwer von der Coxitis
und Meralgia paraesthetica abzugrenzen, ebenso von den Beinschmerzen bei
manchen Paralytikern, Tabikern, bei Kompressionsmyelitis, bei Neurasthe¬
nikern und der Pseudoneuralgie der Hysterischen, von den Schmerzen bei
Diabetes, chronischem Alkoholismus, Trichinose und Myositis interstitialis,
bei angiosklerotischen Prozessen in den Muskeln, bei Tarsalgie, Achillodynie,
Plattfuß, Gicht.
Aus allen diesen Schwierigkeiten befreien zwei einfache Hilfsmittel :
man lasse den Patienten husten. Verstärkung der Schmerzen in Wade oder
Gefäß kommt nur bei Ischiatikern vor (sonst natürlich auch bei großen
Beckentumoren).
Das zweite Diagnostikum ist, daß die unteren Lendenwirbel sich bei
der Rumpfbeugung weniger beteiligen ; die Lendenlordose des Stehens geht
nicht wie bei Gesunden in die bogenförmige Kyphosestellung über. Erben
nennt das eine Sperrung der Wirbelsäule zur Vermeidung der Dehnung des
Nerv, ischiadicus.
Das Charakteristische an Erben’s Symptomen ist, daß sie das erkrankte
Bein ruhig lassen und statt dessen den Rumpf in Bewegung setzen. Unzu¬
verlässigen Patienten gegenüber sind sie von doppelt großem Wert.
Buttersack (Berlin).
Ohrenheilkunde.
Beiträge zur Klinik der Labyrintheiterungen.
(Nuernberg, Gießen. Arch. für Ohrenheilk., Bd. 76, S. 139, 1908.)
Die operative Freilegung der Mittelohrräume bei Mittelohreiterungen
ist der Ausgang gewesen für die Erforschung der Labyrintheiterungen; die
Totalaufmeißelung bringt dem .Operateur die äußere Umgrenzung des Laby¬
rinths vor Augen, und Erkrankungen der Labyrinthaußenwand, die man
bei Radikaloperationen fand, gaben den Anlaß, auch sie und weiterhin noch
tiefer im Labyrinth sitzende Krankheitsvorgänge operativ in Angriff zu
nehmen.
Referate und Besprechungen.
297
Am häufigsten kommen Labyrintheiterungen vor bei Personen unter
30 Jahren, und zwar überwiegt das männliche Geschlecht. Meist sind chro¬
nische Eiterungen des Mittelohrs der Ausgangspunkt für die Labyrintheite¬
rungen. Im Anschluß an akute Mittelohreiterungen findet man 0,26% Laby¬
rintheiterungen, im Anschluß an chronische 0,47%. Namentlich sind es die
mit Cholesteatom einhergehenden Mittelohreiterungen, welche das Labyrinth
gefährden. Es ist anzunehmen, daß beim Cholesteatom durch Druck auf die
Labyrinthwand eine Annagung derselben zustande kommt, die dann das
weitere Vordringen der Eiterung ermöglicht. Auch Tuberkulose kann die
Grundlage einer Labyrintheiterung bilden.
Die Infektion des Labyrinths vom Mittelohr her ist bei weitem das
häufigste ; möglich ist freilich auch die Infektion von einer ferner sitzenden
Eiterung’ her metastatisch auf dem Wege der Blutbahn oder bei eiteriger
Hirnhautentzündung vom Schädelinnern her durch den Aquaeductus vestibuli *
oder am Hör- und Gesichtsnerv entlang ; schließlich kann auch ein extra-
duraler Eiterherd in das Labyrinth einbrechen.
Entsprechend der doppelten Punktion des inneren Ohres als Gehörs¬
und als Gleichgewichtssinnes kann man 2 Gruppen von Symptomen der
Labyrintheiterungen unterscheiden : Schneckensymptome auf dem Gehörsge¬
biete und Vorhof -Bogengang-Symptome auf dem Gebiete des Gleichgewichts.
Sitzt die Eiterung in der Schnecke, so beobachtet man subjektive Geräusche,
Schwerhörigkeit, Taubheit.
Erkrankungen der knöchernen Kapsel der Bogengänge und des Vor¬
hofes machen keine Labyrinthsymptome ; solche treten erst auf, wenn der
häutige Vorhof-Bogengang-Apparat von der Eiterung ergriffen ist, und zwar
beobachtet man dann Übelkeit, Erbrechen, Schwindelgefühl, objektive Gleich¬
gewichtsstörungen und Augenzittern (Nystagmus).
Meist erstreckt sich die Eiterung, wenn sie einmal auf das Labyrinth
übergegriffen hat, auf Schnecke, V orhof und Bogengänge gleichzeitig, so daß
dann die genannten Bogengang-Symptome gleichzeitig mit vollständiger Taub¬
heit vorhanden sind. Es kommen aber doch umschriebene Labyrintheiterungen
mit erhaltenem Hörvermögen vor; die Eiterung ist dann auf den Vestibular-
apparat beschränkt: das Vorhandensein von Hörvermögen spricht also nicht
gegen eine Labyrintheiterung. Ebenso kann es aber Vorkommen, daß bei
Labyrintheiterungen Gleichgewichtsstörungen fehlen, und es gestattet also
der negative Ausfall der auf die Peststellung von Gleichgewichtsstörungen
gerichteten Versuche nicht den Schluß, daß dann das Labyrinth unter allen
Umständen unversehrt sein müsse.
Der Vorhof-Bogengang-Apparat ist eitrigen Entzündungen gegenüber
weit widerstandsfähiger als die Schnecke. Ausschließlich aus der Punktions¬
prüfung der Schnecke aber ist eine Labyrintherkrankung nur dann dia¬
gnostizierbar, wenn das Hörvermögen unter unseren Augen sehr rasch ab¬
nimmt und bis zur Taubheit hinabsinkt. Richard Müller (Berlin).
Das Mittelohrkarzinom im Uchte moderner Krebsforschung.
(Leidler, Wien. Arch. für Ohrenlieilk., Bd. 77, S. 177. 1908.)
Bei der Seltenheit des Mittelohrkrebses ist eine Reihe von 3 Bällen,
wie sie Leidler zu veröffentlichen in der Lage ist, recht beachtenswert. Es
handelte sich um 2 Frauen, die beide 46 Jahre alt waren, und um einen
Tagelöhner von 19 Jahren.
Gemeinsam ist allen 3 Bällen, daß sich der Krebs im Anschluß an
chronische Mittelohreiterung entwickelte. Heftige Ohrenschmerzen im Be¬
ginne der Entwickelung und Blutungen aus dem Ohre während des ganzen
Verlaufes, Lähmung des Gesichtsnerven, Taubheit und völlige Aufhebung
der statischen Sinnesfunktion des befallenen Ohres, Polypenbildung im Gehör¬
gange, Anschwellung in der Umgebung des Ohres, Vergrößerung der be¬
nachbarten Lymphdrüsen und allgemeiner Verfall waren die Erscheinungen,
298
Referate und Besprechungen.
die in keinem der 3 Bälle fehlten und die Diagnose des Leidens sicherten :
ihre Bestätigung fand die Diagnose in der histologischen Untersuchung, die
hei allen 3 Kranken das Urbild des Plattenepithelkrebses nachwies.
Prühzeitiges operatives Vorgehen gegen die chronische Mittelohreiterung
wird gewiß manchmal das in der Entwickelung begriffene Karzinom früher
erkennen lassen, als dies bei lange fortgesetzter konservativer Behandlung
möglich ist. In den vorliegenden Fällen lagen bereits so weitgehende Zer¬
störungen vor, daß ein Zweifel an der Notwendigkeit einer Operation nicht
aufkommen konnte. Bei allen 3 Kranken wurde denn auch operiert; die
eine Frau starbi 9 Monate nach der Operation, der Tagelöhner wurde 6 Wochen
nach der Operation auf Wunsch in die Heimat entlassen und die andere*'
Frau ging in häusliche Pflege über; vom weiteren Verlauf in den letzten
beiden Fällen ist nichts bekannt.
Die Geschwulst hatte in allen 3 Fällen den Knochen bis zur harten
Hirnhaut der mittleren und der hinteren Schädelgrube zerstört, die Hirnhaut
war mit Granulationen und Geschwulstmassen besetzt. Auch in das Labyrinth
war die Geschwulst in allen Fällen eingedrungen, und der Gesichtsnerv war
gleichfalls bei allen 3 Kranken ergriffen; bei der einen Frau gingen der
Lähmung einige Tage Zuckungen im Gebiet des Nerven voran.
L. meint, daß wahrscheinlich jedem Mittelohrkrebse eine chronische
Mittelohreiterung zugrunde liege, die durch ihren dauernden Reiz in Ver¬
bindung mit anderen, freilich nicht bekannten Vorbedingungen den Anstoß
zur Entwickelung des Karzinoms gebe. Hinsichtlich der Diagnose und nicht
minder hinsichtlich der Behandlung in nicht operierbaren Fällen erhofft L.
für die Zukunft viel von den ‘ Röntgenstrahlen, auch die Anwendung von
Trypsin und Papayotin und des Radiums wird später in der Behandlung
vielleicht noch einmal eine Rolle spielen; nicht minder dürfte die Immu¬
nisierung gegen Karzinom auch für den Mittelohrkrebs noch eine Zukunft
haben.
Das Mittelohrkarzinom gehört insofern zu den gutartigen Krebser¬
krankungen, als es keine Neigung zur Metastasenbildung besitzt. Die ge¬
schwollenen Lymphdrüsen in der Umgebung waren nicht krebsig erkrankt,
sondern boten nur das Bild entzündlicher Hyperplasie.
Richard Müller (Berlin).
Hautkrankheiten und Syphilis. — Krankheiten der Harn- und
Geschlechtsorgane.
Akne.
(Prof. Dr. Unna, Hamburg. Med. Klinik, Nr. 46, 1908.)
Unna gibt zunächst ein ausführlicheres klinisches und anatomisches
Bild der Akne juvenilis, bei deren Diagnose eine Verwechslung mit Akne
rosacea und Folliculitis ziemlich häufig ist. Er hält- sie auch in ihrer leichtesten
Form für eine ernst zu nehmende Erkrankung, die bei schweren Fällen tief¬
gehende, oft nicht wieder herzustellende Zerstörungen der Haut bedingt.
Ein unerläßliches Symptom bildet der Comedo, der eine zahlreiche Bazillen¬
flora beherbergt, unter der der weiße Kokkus vermutlich der wahre Akne¬
organismus sein dürfte.
Die Therapie besteht in der punktförmigen Behandlung der Einzel¬
follikel, die vom Arzt vorgenommen wird und einer flächenhaften Behandlung
der befallenen Hautregion, die vom Patient auszuführen ist. Die Mittel
für letztere sind das Pulvis cutifricius, die Natronsuperoxydseife und der
Schwefel. Erstere beiden werden auf die Haut aufgerieben, bis die Follikel
eröffnet sind, letzterer wird in Gestalt von hautfarbenen schwefelhaltigen
Deckpasten verordnet, die bei stärkerer Rötung und Entzündung durch eine
entsprechende Zinkschwefelpaste ersetzt wird. Das Rezept für erstere lautet:
Lycopodii cuticolor. 5,0, Sulfur, praecipit, 2,0, Erncerini ad 20,0, u. f. Pasta
Sulfuris cuticolor. c. Lycopodii. Der Arzt hat außerdem in 1 — 2 mal wöchent-
Referate und Besprechungen.
299
lieh stattfindenden Ätzungen die Comedonen und etwaigen Pusteln zu eröffnen.
Die inneren Mittel Schwefel, Arsen und Hefe beschränken in der Haupt¬
sache die Vereiterung der Comedonen. Die verschiedenen Strahlenarten weisen
vorläufig noch keine Erfolge auf. Den Diätvorschriften mißt er keinen
großen Wert bei.
Zum Schluß warnt Unna davor, die Haut zu reizen und Schälkuren
anzuwenden. F. Walther.
Die Behandlung des Lupus.
(Referat gehalten in der Versammlung deutscher Tuberkuloseärzte in München,
16. Juni 1908.)
(P. Wichmann, Hamburg. Deutsche Zeitschr. für Cliir., Bd. 94, Okt. 1908.)
Neben der auch jetzt noch ihr Recht behauptenden Allgemeinbehandlung
beanspruchen die Behandlungsmethoden des. Lupus, welche einen spezifischen
Einfluß ausüben, eine besondere Bedeutung.
Wertvoll ist das Alt- Tuberkulin Kochs bei vorsichtiger Dosierung
(0,0025 mg im Beginn), namentlich in Kombination mit der Bestrahlungs¬
therapie; weit unsicherer ist das Tuberkulin T. R. Die Behandlung mit
Kantharidin, Zimmtsäure, die intravenöse Injektion von Hetol, die Thio-
sinaminbehandlung, die Thyreoidintherapie, die Quecksilbertherapie haben
wesentliche Erfolge nicht zu verzeichnen. Die Methoden der Lokalbehand¬
lung trennen sich in resorptiv- und mechanisch wirkende. Zu den ersteren
gehört die Finsen-Röntgen-Radium-Therapie. Die erzielte Destruktion des
Gewebes und die eintretende Entzündung kommen wahrscheinlich in ihrem
Zusammenwirken als Heilfaktoren in Betracht.
Die besseren Erfolge der in Kopenhagen selbst geübten Finsenbe¬
handlung ist in der Seßhaftigkeit der dortigen Kranken begründet; anderer¬
seits steht fest, daß die Tiefenwirkung eine verhältnismäßig geringe ist.
Tiefgreifende Lupusformen sollten daher der Finsenbehandlung nicht unter¬
zogen werden. Die Kostspieligkeit, die lange Behandlungsdauer, die Un¬
schädlichkeit engen den Indikationsbereich noch weiter ein. Die Versuche,
die Finsenwirkung durch möglichste Verwendung der chemischen Strahlen
und Ausschaltung der Wärmestrahlen sowie durch Ausnutzung der roten,
gelben und grünen Strahlen zu verstärken, sind bisher nicht abgeschlossen.
Ob besonders die neuerdings vielerprobte, die kurzwelligen Ultraviolettstrahlen
produzierende Quarzlampe in der Lupusbehandlung einen Fortschritt be¬
deutet, steht noch nicht fest. Ausgedehnter und intensiver wie das Finsen-
licht, wirkt die Röntgenbestrahlung. Da ihr die Elektivwirkung fehlt,
( ? Ref.) ist es erforderlich durch Einschiebung von Kombinationen die Methode
für die Lupusbehandlung brauchbar zu machen ; in diesem Sinn sind der Lupus
tumidus, die ulzerösen Lupusformen, der mit Skrophulodermen und Lyrnph-
drüsentuberkulose einhergehende Lupus besonders geeignete Objekte der Lupus¬
behandlung. Die Anwendung der Kathodenstrahlen erscheint a priori
von geringer praktischer Bedeutung, da sie nur eine Oberflächenwirkung
besitzen.
Bei der Radium behandlung kommt es darauf an, die oberflächlich
wirkenden, leicht entzündliche Reaktion hervorrufenden Komponenten zu eli¬
minieren, um die reine Wirkung der tiefer dringenden Komponenten zu er¬
halten ; sie spielt, soweit hochwertiges Radium in Betracht kommt, besonders
bei der Behandlung des Schleimhautlupus eine hervorragende Rolle.
Andere gleichfalls direkt mechanisch wirkende neuerdings angewandte
Methoden wie die Thayer’sche Sonnenbrennglasmethode, die Elektrophoto-
kaustik Strebel’s, die Behandlung mit Hochfrequenzfunken, die Fulgura-
tion nach Keatin'g Hart befinden sich noch im Stadium des Versuchs.
Ihr Bürgerrecht, wenn auch in eingeschränkter Form haben behauptet die
alten thermischen Methoden (Ferrum candens, die Heißluftkauterisation)
und die Ätzmethoden. Die radikalste Methode ist die Exzision des Lupus
300
Referate und Besprechungen.
in toto. Ihr Gebiet ist aber durch die meist notwendige Narkose und die
Messerscheu des Patienten eingeengt.
Die jetzige zielbewußt einsetzende Lupustherapie läßt Erfolge erwarten;
von höchster Bedeutung ist jedoch die Organisation einer systematischen
Bekämpfung, welche vor allem den initialen in annähernd 70% der Fälle
in den Kinder jahren beginnenden Lupus in Behandlung nimmt.
F. Kayser (Köln).
Zur Pathologie und Therapie der Pyelitis.
(Prof. Dr. Casper. Med. Klinik, Nr. 40, 1908.)
Casper berichtet ausführlich über 5 Fälle von Pyelitis, die sämtlich
auf Infektion zurückzuführen waren. (2 mit Streptokokken, 1 nach In¬
fluenza, 1 mit Gonokokkus, 1 mit Bacterium coli.) Die Diagnose wurde
durch Auffangen des Urins direkt aus den Ureteren gestellt, ausgenommen
einen Fall, in dem schon die ganze Anamnese auf die Diagnose hinwies.
Die Prognose der Fälle war quoad vitam günstig, quoad valetudinem zweifel¬
haft. Casper ist der Ansicht, daß der Exitus letalis hier zu den größten
Ausnahmen gehören sollte.
Die Therapie bestand in heißen Umschlägen, Chinin, Salizylsäure, Anti-
pyrin usw., Narkoticis verbunden mit einer Trinkkur (6 — 10 1 pro die).
Bei Erfolglosigkeit dieser Maßnahmen nimmt Casper Nierenbeckenwaschungen
mit Argentum nitricum i1 1 1000 ~ 1 1 aoo) vor, die oft von verblüffendem Er¬
folg sind. Die Frage, wann man bei schwerfiebernden Patienten mit
Schüttelfrösten operieren soll, ist schwer zu beantworten und muß dem sub¬
jektiven Ermessen des Arztes überlassen bleiben; empfehlenswert ist es jeden¬
falls, zunächst exspektativ zu verfahren ; natürlich darf der Patient dabei
nicht zu sehr herunterkommen. In diesem Fall ist die Nephrotomie von großem
Wert, wie er an seinen Patienten sehen konnte. F. Walther.
Medikamentöse Therapie.
Zur Lehre von den Abführmitteln.
(Hans Ury. Arch. für Verdauungskrankh., H. 4 u. 5, Bd. 14, 1908.)
I. Über die Trennung von Sekreten und Nahrungsresten in den normalen
Fäzes. — Frühere Feststellungen Ury’s hatten ergeben, daß der normale Darm
des Erwachsenen mit einer erstaunlichen Exaktheit diejenigen Nahrungs¬
substanzen, die er durch den Verdauungsprozeß in Lösung gebracht hat, auch
völlig resorbiert. Nicht allein, daß in den normalen Darmentleerungen keine
wasserlöslichen kristalloiden Substanzen (wie Zucker) nachzuweisen sind, die ja
leichter resorbiert werden, sondern es fehlen auch in den normalen Darmentlee¬
rungen wasserlösliche Eiweißkörper (Albumosen, Albumin) völlig. Von diesen
Feststellungen ausgehend, hatte Ury bereits vor acht Jahren eine Trennung der
im Kot befindlichen Darmsekrete von den Nahrungsresten versucht, indem
er die Fäzes gründlichst mit destilliertem Wasser zerrieb und dann filtrierte.
Da der normale Kot keine wasserlöslichen Nahrungsreste enthält, so mußten
die darin befindlichen wasserlöslichen, also in das Filtrat übergehenden
Substanzen im wesentlichen wenigstens aus der Darmschleimhaut herriiliren;
selbstverständlich kann diese Methode nur annähernd richtige Resultate geben.
Es kam nun darauf an, von diesen wasserlöslichen Darmsekretionsprodukten
Standardwerte für normale Verhältnisse festzustellen, um hiernach pathologi¬
sche Abweichungen besser beurteilen zu können. Diese Aufgabe sucht die vor¬
liegende Arbeit zu erfüllen. Als Mittel aus verschiedenen Bestimmungen
lassen sich für das wässerige Extrakt der Fäzes bei gemischter Nahrung
folgende Standardwerte feststellen (berechnet auf 100 g absolute Trocken¬
substanz): Trockensubstanz = 14,784 g, N-Gehalt = 1,0483 g, Aschesub¬
stanz - 4,552 g, CaO = 0,3944 g, CI = 0,10249 g, S03 = 0,0293 g, KCl -J- NaCl
Referate und Besprechungen.
301
= 3,3586 g. Für besonders wichtig hält Ury dabei den Wert für CI, da der¬
selbe für pathologische Zustände von der größten Bedeutung ist. Ferner
ergeben diese Zahlen, daß in der Norm das sezernierte CI und die S03 bis
auf geringe Spuren völlig resorbiert werden.
II. Über das V orkommen von gelösten Substanzen in den Fäzes bei
gesteigerter Darmperistaltik. — Ury suchte nun festzustellen, ob und in
welchen Mengen bei gesteigerter Peristaltik ein Abgang von wasser¬
löslichem Nahrungsmaterial bezw. von gelösten Verdauungsprodukten
statt hat. Zu diesem Behufe wurden durch Rizinusöl oder Apenta
künstliche Durchfälle hervorrufen, und geprüft, ob bei normaler Nahrungs¬
darreichung sich im Stuhl Zucker, Albumosen, Albumin, ferner andere
wasserlösliche Stoffe, wie Salizyl, Jodkali, Lithium nachweisen lassen.
In je drei Versuchen war weder Dextrose noch Albumose im Stuhl aufzu¬
finden ; ebenso war bei Überflutung des Darms mit Dextrose das Resultat
negativ, während Albumosen unter diesen Umständen im Stuhl erschienen.
Das Vorkommen größerer Mengen von gelöstem Eiweiß ist als selten zu be¬
zeichnen. Jod erschien in einem, salizylsaures Natron in fünf Fällen nicht
im Stuhl, dagegen läßt sich das wasserunlösliche Salol auf finden. Auch
Lithium wird bis auf verschwindende Mengen resorbiert. Viel wichtiger ist
die Frage, ob auch per os gegebenes Chlor unter pathologischen Verhältnissen
glatt resorbiert wird. Wäre dies der Fall, so könnte eine Vermehrung des
Chlorgehalts unmittelbar auf eine vermehrte Sekretion aus dem Innern des
Körpers hindeuten. Tatsächlich verhält es sich so, daß bei Darreichung von
nur geringen Mengen Chlor und bei genügend großem zeitlichen Zwischen¬
raum. zwischen Chloraufnahme und Auftreten von Durchfall das in das
wässerige Fäzesextrakt übergehende Chlor im wesentlichen aus dem Körper-
innern stammt. Bei größeren Mengen Chlor in der Nahrung und bald ein¬
tretenden Diarrhöen dürfte ein Teil des Chlors aus der Nahrung stammen.
III. Zur Theorie der Abführmittelwirkung. — Ury ventiliert hier aus¬
führlich die Frage, inwieweit bei der Abführmittelwirkung gesteigerte Peri¬
staltik bezw. Transsudation in Frage kommen. Für den Fall, daß es uns
gelingt, nachzuweisen, daß größere Mengen von Pankreassekret, Galle,
Magensaft usw. in den dünnflüssigen Fäzes nicht enthalten sind, würde eine
erhebliche Vermehrung des Chlors im wässerigen Extrakt mit Sicherheit
auf eine vermehrte Ausscheidung aus dem Innern des Körpers hindeuten ;
bei Vorhandensein von größeren Mengen von Galle und Pankreassekret usw.
wird man diesen Schluß nicht unbedingt ziehen können, sondern der ge¬
steigerten Peristaltik auch einen Anteil an der Chlorvermehrung einräumen
müssen. Ury glaubt, daß dünnflüssige Ausscheidungen in den untern Teil
des Dickdarms als Beimischung zu dem Darminhalt bei dem Zustandekommen
vieler Diarrhöen eine große Rolle spielen. Die Unterscheidung zwischen
Transsudation, gesteigerter Darmsaftsekretion, entzündlicher Exsudation ge¬
lingt nicht immer leicht. M. Kaufmann.
Einiges über den Gebrauch des Europhens.
(Dr. P. Meißner, Berlin. Berliner klin. Wochenschr., Nr. 35, 1908.)
Meißner rühmt am Europhen, dem Ersatz für das Jodoform, die Ge¬
ruchlosigkeit und das Fehlen übler Nebenwirkungen. Er verordnet es als
5 — 10%ige Lanolinsalbe oder als Pulver zu gleichen Teilen mit pulverisierter
Borsäure. Besonders günstige Resultate erzielte er mit diesem Pulver bei
Ulcus molle, bei dem; es die Sekretion bald zum Schwinden brachte und die
Granulation beförderte. Besonders macht er aber auf die schmerzlindernde
Eigenschaft aufmerksam, die er vielleicht darauf zurückführen zu können
glaubt, daß die bei der kontinuierlichen Spaltung entstehende Kresolkom-
ponente in statu nascendi anästhesierend wirkt.
Ähnlich günstige Erfolge konnte er bei phagedänischem Schanker und
bei Exstirpation der Initialsklerose beobachten. F. Walther.
802
Bücherschati.
Bücherschau.
Jahresbericht über die Ergebnisse der Immunitätsforschung. Heraus¬
gegeben von W. Weichardt. 3. Band. Friedr. Enke, Stuttgart 1908.
543 Seiten. 17 Mk.
Der die Arbeiten des Jahres 1907 umfassende Jahresbericht hat infolge des
rastlosen Arbeitens der besten Kräfte aller Kulturnationen auf dem Gebiete der
Immunitätsforschung gegen den vorjährigen Bericht einen erheblich größeren Um¬
fang erfahren. Es ist daher mit Freuden zu begrüßen, daß sich der Herausgeber
entschlossen hat, von der rein alphabetischen Anordnung der Referate insoweit ab¬
zugehen, als er zwei große Gebiete der Immunitätsforschung, die sich verhältnis¬
mäßig leicht herausschälen lassen, nämlich das Gebiet der Anaphylaxie und das
der Phagozytose (Stimuline, bakteriotrope Substanzen, Opsonine und Agressine) in
zwei größeren Zusammenfassungen von zwei Spezialisten zunächst vorweg behandeln
und diesen Zusammenfassungen die dazugehörigen Referate in alphabetischer An¬
ordnung folgen ließ. Daß künftig auch andere Gebiete abgegrenzt und für sich
im Zusammenhang dargestellt werden sollen, wird gewiß jeder, dem es nicht allein
darauf ankommt, über sämtliche Arbeiten aus der Immunitätsforschung zuverlässige
Referate zu haben, sondern der auch Wert darauf legt, sich über den jeweiligen
Stand der Forschungen in einzelnen Fragen schnell zu unterrichten, mit Freuden
begrüßen. Dadurch, daß Verfasser die vorweg behandelten Referate auch bei der
alphabetischen Anordnung der übrigen Referate unter den Autorennamen zitiert
und auf sie verwiesen hat, ist er jedenfalls allen Wünschen gerecht geworden.
Ein Vorzug des 3. Bandes gegenüber den beiden ersten ist es auch, daß auf die
Bearbeitung des Sachregisters ganz besonderer Wert gelegt ist, was sich schon rein
äußerlich dadurch zu erkennen gibt, daß sein Umfang von 6 Seiten beim 2. Bande
auf 23 Seiten angewachsen ist. Die am Schlüsse des Berichtes wieder vom Heraus¬
geber gebrachte Zusammenfassung nach einzelnen Kapiteln (Komplementstudien,
Physikalisch-chemische Studien, Konzentrierung der Antikörper, Präzipitine, Schlangen¬
gifte usw.) gibt kurz ein Bild des Fortschrittes im Berichtsjahr. Daß ein derartig
umfassender Bericht von einem Forscher, der gleichzeitig experimentell ausgiebig
arbeitet, allein abgefaßt und verhältnismäßig kurze Zeit nach Abschluß des be¬
treffenden Berichtsjahres herausgegeben wird, ist bei dem Umfange des Gebietes
ausgeschlossen. Es ist daher besonders dankenswert, daß der Herausgeber es ver¬
standen hat, eine größere Zahl hervorragender Mitarbeiter zu gewinnen, wodurch
auch erst eine wirkliche Vollständigkeit gewährleistet ist. Die Ausstattung des
Werkes ist in der vornehmen Weise der beiden ersten Bände gehalten. Bereits
jetzt beim 3. Bande kann man das Werk als unentbehrlich für jeden, der sich über
die Fragen der Immunitätsforschung unterrichten will, bezeichnen. H. Bischoff.
Leitfaden der diagnostischen Akustik. Von Richard Geigel. Mit
33 Textabbildungen. Verlag von Ferdinand Enke, Stuttgart 1908. 8°.
226 S. 6 Mk.
Der den Vertretern der physikalischen Diagnostik durch zahlreiche Aufsätze
in diesem Gebiete wohl bekannte Verfasser bringt uns in seinem Leitfaden eine
auf streng physikalischen Prinzipien aufgebaute Lehre vom Schall, von Schalleitung,
Resonanz usw., ohne dabei beträchtlichere, den Mediziner bekanntlich nur selten
zierende, physikalische Kenntnisse vorauszusetzen, und behandelt in. einem 2. Teil
die bei Perkussion und Auskultation in Betracht zu ziehenden besonderen Ver¬
hältnisse, wobei mit Fug und Recht auf manches hier Fehlende und zu Ergänzende
hingewiesen wird. Man wird im Buche etliches finden, was auch den Leitern
„ praktisch er “ Kurse zu wissen und ihren Schülern zu übermitteln ziemt, z. B. Aus¬
lassungen über die Energie des Perkussionsschlags, die verschiedene Schalldauer
bei den einzelnen Stethoskopen bei gleich stark angeschlagenem Stimmgabelton
(p. 166), über das Wesen der Rasselgeräusche (p. 182), wobei namentlich auch die
nahe Verwandschaft von Vesikuläratmen und Knisterrasseln (eine Art „diskonti¬
nuierlich gewordenes Rasselgeräusch“) hervorgehoben wird. Vielleicht hätte des
Ref. und auch anderer Bemühungen um eine Intensitätsmessung der Herztöne Er¬
wähnung verdient, da von mir wenigstens direkte, quantitative Messung nach physi¬
kalischen Grundsätzen angestrebt war. So säuberlich messen, wie im exakten
physikalischen Versuch kann man freilich bei den wechselnden Schallphänomenen
des menschlichen Körpers nicht, aber man sollte immerhin mehr anstreben, als
subjektive Taxation zu leisten vermag. Besonders gefallen hat dem Ref. die An-
Bücherscha'u.
303
leitung zu einfachen und billigen Demonstrationsversuchen, die, großenteils schon
von früher her bekannt, auch geübt, jedenfalls der Vergessenheit entrissen zu
werden verdienen. H. Hughes „Allgemeine Perkussionslehre“ (Wiesbaden
1894) hätte, zum mindesten im Literatur- Verzeichnis, genannt werden dürfen. Warum
wird der berühmte Huyghens oder Huygens in dem sonst so genauen Buche konse¬
quent falsch geschrieben?
Geigel’s Schrift sei allen denen auf’s beste empfohlen, welche für die
Grundlagen akustischer Diagnostik auch nach der theoretischen Seite hin etwas
übrig haben und sich nicht mit dem rein praktisch-diagnostischen Zwecken ange¬
paßten Lehrstoff begnügen wollen. H. Vierordt (Tübingen).
Die künstliche Züchtung des Krebserregers, seine Feststellung in der
Außenwelt und der rationelle Krebsschutz. Von Robert Behla. Mit
2 Tafeln. Berlin 1908. Verlag von Richard Schütz. 8°. 84 S. 2,50 Mk.
Ob diese Schrift, die der offiziellen „Krebszelle“ und den Forschungsmethoden
der „Schul Onkologen“ den Fehdehandschuh hinwirft, den wirklichen Krebserreger
festnagelt, mag noch zweifelhaft erscheinen. Darin hat B. wohl recht, daß „Ka¬
suistik und immer wieder Kasuistik“ die Frage nicht zum Austrag zu bringen ver¬
mag. Nach B. sind die Erreger pflanzliche und tierische Charaktere in sich ver¬
einigende Myxamöben, die auf Holz saprophytisch vegetieren und sich fortlaufend
züchten lassen („Mycetozoon carcinomatosum“). Und zwar soll es vornehmlich
die Familie der Lykogaleen, eine Klasse der Trichiaceen, sein, an die der Krebs
gebunden ist; wo diese auf der Erde fehlen, komme auch kein Krebs vor. B. er¬
klärt auch die Kohlhernie für einen, freilich nicht den echten, Krebs. In der Tat¬
sache, daß Holzarbeiter, besonders solche in „grobem“ Holze, die „Holzindustrie“
überhaupt eine verhältnismäßig große Zahl von Krebskranken aufweisen, sieht B.
eine starke Stütze seiner Anschauungen ; doch spielt auch das Wasser insofern eine
große Bolle, als in dasselbe (und auch in den Erdboden) die Sporen gelangen
können. Körperteile, die von den kratzenden Händen nur schwierig erreicht werden,
wie der Rücken, sind selten von Krebs befallen, der wieder bei Tieren vorzugs¬
weise an dem, näheren Kontakt mit dem Boden usw. ausgesetzten, Bauche sich be¬
merkbar macht. Die Prophylaxe würde auf das Holz, besonders auch moderndes,
auf Erde, das Wasser, rohes Gemüse die Aufmerksamkeit zu richten haben. —
Vielleicht beschert die Zukunft dem Verfasser das von ihm angestrebte, über die
Krebsinstitute nach Anlage und Ziel hinauswachsende onkologische Institut,
das diese in wissenschaftlicher und sozialer Hinsicht hochwichtigen Fragen der
eigentlichen Lösung noch näher bringen möge! H. Vierordt (Tübingen).
Die Nervosität. Von Paul Julius Möbius. Dritte vermehrte und
verbesserte Auflage. Leipzig, J. J. Weber, 1906. 200 S.
Bei der Menge derjenigen für den Laien bestimmten Literatur, die sich mit
dem modernen Leiden der Nervosität in irgendeiner Weise befaßt, stößt man auf
so schiefe, ganz einseitig gegebene Darstellungen, die nur zu oft den Unkundigen
auf falsche Wege führen. Wie häufig muß der Arzt diese Wahrnehmung machen!
Uber seine Leiden, seine mannigfaltigen Beschwerden möchte der Nervöse etwas
mehr hören als es der für ihn oft allzu kurze Besuch seines ärztlichen Beraters
ihm erlaubt. Und dies ist einer der Gründe mit, warum es ihn dazu treibt, über
seine Krankheit etwas zu lesen. Getrost kann der Arzt seinen Patienten dieses
Buch in die Hand geben, Hypochonder werden durch dasselbe so leicht nicht ge¬
züchtet; im Gegenteil, Möbius hat es selbst noch oft durch Zuschriften Kranker
erfahren, was diesen seine „Neurasthenie“ gewesen ist. Den größten Raum nimmt
die Schilderung der Krankheitsursachen ein, dann folgen die Krankheitsbeschrei¬
bungen. Diese führte Möbius, der mit dem vorliegenden Bändchen die Reihe der
„Illustrierten Gesundheitsbücher“ um eins vermehren sollte, in der ihm eigenen
humorvollen Art mit folgenden Worten selbst ein: „Eigentliche Illustrationen zu
geben gestattete die Natur des Gegenstandes nicht, um aber den Namen eines
illustrierten Gesundheitsbuches nicht ganz zuschanden zu machen, wurde der Text
durch zahlreiche kleine Krankheitsbilder illustriert, deren Einfügung auch aus
anderen Gesichtspunkten zweckmäßig erschien.“ Vertrauensvoll kann der Arzt
dieses Büchelchen den meisten, nach medizinischem Lesestoff durstenden Neu¬
rasthenikern überlassen. J. Dräseke (Hamburg).
804
Bücherscha;u.
Vergleichende Volksmedizin. Von O. v. Hovorka und A. Kronfeld.
Schlußband. (Stuttgart, Strecker & Schröder. 21 Mk.)
Der letzte Band des interessanten, hier wiederholt besprochenen Werkes liegt
nunmehr vor. Er umfaßt Geburtshilfe und Frauenkrankheiten, Kinderheilkunde,
Haut-, Augen-, Ohren- und Zahnkrankheiten uud einen besonderen Abschnitt über
die Zaubermedizin. Ein Sachregister und ein Literaturverzeichnis von über tausend
Nummern gibt einen Begriff von der Menge Arbeit, die in dem Werke steckt.
Es sei wiederum hervorgehoben, daß für den, der die ärztliche Kunst gerne
geschichtlich betrachtet, das Werk mancherlei Anregung bietet. Selbst für den
Praktiker ist mancher brauchbare Gedanke darin zu finden und es ist sehr anzu¬
erkennen, daß die Verfasser nicht selten die Volksmedizin gegen die Lehren der
Wissenschaft in Schutz nehmen. Als eine feine Bemerkung sei z. B. erwähnt, daß
Kinder mit Wasserkopf, wenn sie das vierzehnte Lebensjahr erreichen, sehr gescheit
werden. (S. 634.) Beweise dafür sind unter anderen Kant, Adolf Menzel und
Helmholtz; freilich gilt die Regel nicht allgemein. Derartige Beobachtungen
finden sich zahlreich in dem Buche, dessen Lektüre angelegentlich empfohlen sei.
F. von den Velden.
Therapeutische Technik für die ärztliche Praxis. Ein Handbuch für
Arzte und Studierende. Herausgegeben von Prof. Hr. J. Schwalbe.
789 Seiten und 465 Abbildungen. Verlag von Georg Thieme, Leipzig.
20 Mk.
In einer Scherznummer der Münchner med. Wochenschrift wurde vor längerer
Zeit das Überhandnehmen des Spezialistentums dadurch gegeißelt, daß das Urteil
eines ärztlichen Ehrengerichts abgedruckt war, demzufolge sich jeder als Spezial¬
arzt für Herzkrankheiten bezeichnen kann, der ein größeres Instrumentarium wie
ausschließlich ein Höhrrohr benutzt. Das hier ironisch abgehandelte Thema wurde
in letzter Zeit in ausgedehnter Weise für und wieder behandelt, manche Lanze
für den guten alten Hausarzt gebrochen, während die Gegenpartei immer wieder
neben anderen Argumenten mit an erster Stelle auf die schwierige Technik vieler
Spezialfächer hinwies.
Jedenfalls aber ist die Spezialisierung noch nicht so weit vorgeschritten, daß
nicht die große Mehrzahl der Ärzte, besonders auf dem Lande und in kleinen
Städten, auch die grundlegende Technik der meisten Sonderfächer durchaus be¬
herrschen muß und besonders wo schnelles Eingreifen erforderlich ist, wird man
auf den Spezialkollegen nicht warten können.
Neben den technischen Handgriffen und Manipulationen, wie sie jeden Tag
die Praxis erfordert, will der Herausgeber des vorliegenden Werkes auch diese
grundlegenden Kenntnisse der Spezialfächer dem Leser vermitteln. Daß er sein
Ziel erreicht hat, und zwar in vollkommenster Weise, dafür genügt es, die Namen
derer durchzulesen, die die Bearbeitung der einzelnen Kapitel übernommen haben.
Mehr wie alle lobenden Worte dient m. E. nach die einfache Aufführung dieser
Namen zur Empfehlung des Buches. So linden wir mit Beiträgen vertreten:
Geheimen Rat Prof. Dr. Cyerny, Exzellenz, in Heidelberg; Prof. Dr.
Englisch in Wien; Prof. Dr. Eversbusch in München; Prof. Dr. Friedrich
in Kiel; Geheimrat Prof. Dr. Fritsch in Bonn; Prof. Dr. Hildebrand in Ge¬
meinschaft mit Assistenzarzt Dr. Bosse in Berlin; Geheimrat Prof. Dr. Hoffa in
Berlin; Prof. Dr. Hopp e-Sey ler in Kiel; Staatsrat Prof. Dr. Kobert in Rostock;
Priv.-Doz. Dr. Eduard Müller in Breslau; Prof. Dr. Ad. Schmidt in Halle;
Oberarzt Dr. H. E. Schmidt in Berlin; Prof. Dr. J. Schwalbe in Berlin; Prof.
Dr. Sieb enmann in Basel; Geheimrat Prof. Dr. v. Strümpell in Wien; Geheim¬
rat Prof. Dr. Vierordt in Heidelberg.
Hervorgehoben zu werden verdient noch die vorzügliche Ausführung der
Abbildungen, die das geschriebene Wort in willkommener Weise ergänzen. R.
Schriftleitung: Dr. Ri gl er in Leipzig.
Druck von Emil Herrmann senior in Leipzig.
27. Jahrgang.
1909.
fortscbritte der Medizin.
Unter Mitwirkung hervorragender Fachmänner
herausgegeben von
Professor Dr. 0. Köster Prio.-Doz. Dr. o. Criegern
in Leipzig. in Leipzig.
Schriftleitung: Dr. Rigler in Leipzig.
Nr. 8.
Erscheint am 10., 20., 30. jeden Monats. Preis halbjährlich
6 Mark, in kl. Zeitschrift für Versicherungsmedizin 8 Mark.
Verlag von Georg Thieme, Leipzig.
20. März.
Originalarbeiten und Sammelberichte.
Paraffinbehandlung der Nabelbrüche.
Von Dr. Burckhardt, Dresden.
(Vortrag auf der Vereinigung sächsisch- thüringischer Kinderärzte 1908.)
M. H. ! Paraffin war schon von Politzer und Hölscher zum
Ansfüllen geöffneter Warzenfortsätze und retroaurikulärer Fisteln ver¬
wendet worden. Die eigentliche Verwendung für Kosmetik brachte
Eckstein, indem er Stirnhöhlenwunden, entstellende eingezogene
Karben, luetische Sattelnasen, atrophische Wangen nach Lähmungen
behandelte, auch z. B. Hoden plastisch ersetzte. Von Es eher ich stammt
die Idee, den Nabelbruch durch eine intern getragene Pelotte zu heilen.
Auf dem Kongreß in Madrid war seine erste Veröffentlichung darüber.
Angeregt durch persönliche Anschauung und Erlernung des Ver¬
fahrens bei Escherich und Eckstein, der aber Nabelbrüche damals
noch nicht behandelte, habe ich Paraffin in nunmehr 64 Fällen mit
gutem Resultat verwendet, und möchte Ihnen darüber eine kurze Dar¬
stellung geben.
Bei den wenigen zur Verfügung stehenden Minuten kann ich
mich nicht auf die embryologischen Verhältnisse einlassen, die so wichtig
für das Verständnis des Nabelbruches, ob angeboren oder erworben,
werden. Es genügt, kurz an zwei anatomische Tatsachen zu erinnern.
1. Daß der Nabelring nach oben einen scharfen Band hat, während
sein unterer durch Verwachsung des Urachus und der Gefäßbündel
flach ist.
2. Daß der Bruchsack selbst eine peritoneale Ausstülpung ist ;
das ist maßgebend für die Therapie.
Die meisten Nabelbrüche kommen ja in den ersten sechs Monaten
zur Beobachtung, später entstehende sind selten. Ein Persistieren des
Bruches über das zweite Lebensjahr hinaus ist aber gleichbedeutend
meist mit Behalten desselben, und damit oft schwerer Störung, beson¬
ders bei Mädchen.
Abgesehen von operativem Schluß des Bruches kommt bisher
die Pflasterstreifenbehandlung zur allgemeinen Ausübung. Es bat die¬
selbe aber durch die entstehenden Ekzeme den Nachteil, daß die
Kinder noch mehr schreien, und den intraabdominellen Druck erhöhen,
besonders aber das schreiende Kind beim Verbandwechsel das gewonnene
Heilungsresultat wieder vernichtet, da der sofort hervortretende Bruch
die Bänder wieder auseinanderdrängt. Das lang dauernde Verbinden
20
306
Burckhardt, Paraffinbehandlung der Nabelbrüche.
wird ebenso unangenehm empfunden wie Gummibinden mit Pelotten
zu tragen, sie verschieben sich, machen auch Ekzeme und müssen
lange bis zur Heilung getragen werden. — Die Paraffininjektion gibt
uns die Möglichkeit, in sicherer Weise in wenig Tagen einen Ver-
£chluß des Bruches zu. gewinnen.
Das Verfahren besteht darin, daß nach peinlichster Desinfektion
des Nabelgebietes und der Hände der Bruch mit zwei Fingern der
linken Hand hochgehoben wird. Durch die seitliche Kompression sinkt
der Inhalt zurück. Die rechte Hand führt die Nadel, deren Spitze
nach oben gebogen ist und welche ihren Ausfluß auf der entgegen¬
gesetzten Seite trägt, so ein, daß die Spitze frei im Bruchsack fühlbar
ist. Alsdann werden 3—4 ccm Paraffin injiziert, 65° heiß, wobei
der Druck der linken Hand nachläßt, so daß der Bruch noch einmal
in seiner vollen Größe erscheint. Nunmehr sofort Chlorätheraufstäu-
bung nach 1/2 Minute Herausziehen der Nadel. Die Injektionsstelle wird
mit flachem Dermatolgazebausch bedeckt, und dieser mit Heftpflaster¬
streif fixiert. Ein den Bauch zirkulär umfassender Heftpflasterstreif,
der acht Tage liegen bleibt, sichert den Erfolg.
Es hat sich dann im Innern des Bruchsackes eine Paraffinhaube,
die über den anquellenden Darm sich legte und unter Äther erstarrt,
gebildet und ist durch den Druckverband zu einer tellerförmigen, den
Bruch überragenden Platte geworden, die absolut fest den Bruch zurück¬
hält und durch den entzündlichen Beiz eine Verklebung der Bruch¬
pforte herbeiführt.
Anfangs begeht man den Fehler, zuviel Paraffin einzuspritzen,
man erhält dann unschöne, zu große Pelotten. Die Grenze des Ver¬
fahrens setzt voraus, daß die Bruchpforte nicht größer als 1 cm im
Durchschnitt ist. Wenigstens sind dann mehrere Sitzungen zur For¬
mung einer solid sitzenden Pelotte nötig, besonders wenn sich der
Nabelbruch mit einer Diastase der Linea alba nach oben verbindet.
Unangenehme Nebenwirkungen hat Escherich nicht gesehen, ich
habe auch keine beobachtet. Gelangt wirklich heißes Paraffin in die
freie Bauchhöhle, so verträgt dieselbe das gut, denn es erstarrt sofort.
Wesentlich für den Erfolg ist die Wahl und Behandlung des
Paraffins. Es darf nur sogen. Hartparaffin, Schmelzpunkt 54, ge¬
nommen werden. Sterilisiert wird dasselbe durch Kochen in geschlos¬
sener Büchse. Mit Hilfe eines eintauchenden Thermometers wähle
ich die Injektion bei 65°, weil dann die Erstarrung in der Spritze
und Kanüle, die man unmittelbar bis zum Gebrauch in fast kochendes
Wasser halten muß, nicht erfolgt. Gummiüberzüge über die Spritzen
leisten jiicht viel und vermindern die Asepsis.
Eine Abweichung von dieser, in etwa einer Minute zu beenden¬
den Technik habe ich nur dann vorgenommen, wenn der Bruchsack
so starr und narbig ist, daß flüssiges Paraffin einfach nicht hinein¬
zubringen ist. Ich verwende dann eine Spritze mit Drehkolben, welche
Paraffin etwa wie aus einer Salbentube unter großem Druck in halb-
weichem Zustand an die gewünschte Stelle bringt. Die Kinder ver¬
tragen den Eingriff sehr gut und ich habe noch keine Klage hinter¬
her, abgesehen vom Moment des Einstiches, erlebt.
Noch ein Wort über Paraffin selbst. Man unterscheidet zwischen
weichem und hartem Paraffin; das weiche, also von niederem Schmelz¬
punkt, oft mit Vaselin (Gersuny) vermischt, ist gefährlich wegen seiner
Emboliegefahr. Abgesehen davon sind aber durch die maßgebenden
K. Kühl, Beitrag zur Syphilisbehandlung.
307
Untersuchungen von Kirschner (Virch. Archiv S. .182) für beide
Paraffinarten an Stücken, welche aus lebendem Gewebe wieder opera¬
tiv entfernt werden mußten, folgende fundamentale Unterschiede ge¬
funden worden :
1. Das weiche Paraffin wird völlig resorbiert. Mikroskopisch
liegen in dem den Tumor durch wuchernden Bindegewebsnetz Vakuolen,
das sind die früheren Lager der Paraffinplatten.
2. Dadurch, daß es wandert, kommt es an Nachbar st eilen und
kann hier das Bild der schweren Fremdkörper ent zündung her vor rufen,
da es eben nicht an allen Körperstellen, besonders hartgespannter Haut,
vertragen wird.
Dagegen das harte.
Alle untersuchten Prothesen zeigten stets dasselbe Bild. Es tritt
eine Einheilung und Organisation in dem Sinne ein, daß die Prothese
in ihrer Umgebung von einer harten Bindegewebsmasse umgeben wird.
Von dieser geht ein großmaschiges Bindegewebsnetz aus, das die Pro¬
these in kleine Bezirke wohl teilt, sie aber festhält. Das Binde¬
gewebe, dem strotzende Kapillaren folgen, dringt in die geschichtete
Kristallform des Paraffins ein. Es enthält deshalb außerdem noch
ein rosa erscheinendes Maschennetz, welches als vom erstarrenden Paraf¬
fin festgehaltene Gewebssäfte aufzufassen ist und dem Bindegewebe
seine Bahnen erleichterte.
Behandelt sind Kinder von 1 — 12 Jahren. Eine Änderung der
Prothesen habe ich seit vier Jahren nicht beobachtet. Ich glaube,
daß wir die Einfachheit des Verfahrens deshalb den jetzigen Be¬
handlungsweisen vorziehen können.
Beitrag zur Syphilisbehandlung.
Von Dr. K. Bühl in Turin.
Es zweifelt heutzutage niemand mehr an der therapeutischen Wir¬
kung des Quecksilbers bei den verschiedenen Erscheinungsformen der
Syphilis. Dagegen sind die Meinungen der Autoren verschieden hin¬
sichtlich der zweckmäßigsten Darreichungs weise des Quecksilbers.
Während nämlich die einen die Methode der endomoskulären Einsprit¬
zungen bevorzugen, ziehen andere die Einreibungen vor und noch andere
behaupten, es gäbe nichts besseres als die innere Darreichung der
Quecksilberpräparate. Allen Methoden haften aber besondere Übel¬
stände an.
Die Einreibungen mit grauer Salbe erheischen eine gewisse Übung,
einen nicht zu unterschätzenden Zeitverlust und bringen verschiedene
Unbequemlichkeiten mit sich (Beschmutzung der Wäsche, Unmöglich¬
keit, die Behandlung geheim zu halten, usw.), welche den Patienten
von einer regelmäßigen und gewissenhaften Kur abhalten können, der
außerdem meistens — und das ist von besonderer Bedeutung — eine
strenge ärztliche Kontrolle fehlt.
Gegen die Einspritzung unlöslicher Hg-Salze heben einige Autoren
die sehr verschiedene und oft höchst langsame Resorption solcher Prä¬
parate und den Übelstand hervor, daß in gewissen Fällen das Queck¬
silber, nachdem es sich lange Zeit an der Injektionsstelle angesammelt
hat, plötzlich sehr rasch resorbiert wird und schwere Vergiftungs-
20*
308
K. Bühl,
erscheinungen herbeiführt, welche zuweilen, wie in einem Falle von
Neubeck', zum Exitus letalis führen können.
Es gibt nun nicht wenige Fälle — wie jeder Arzt Gelegenheit hat,
sich zu überzeugen — , in welchen man von den bisher betrachteten
Behandlungsmethoden aus besonderen Gründen Abstand nehmen und
zu einer eventuellen inneren Darreichung seine Zuflucht nehmen muß.
Für diese interne Therapie wurden verschiedene Präparate vor¬
geschlagen ; es ist jedoch kein einziges derselben vollständig frei von
Übelständen.
Ein gutes Quecksilberpräparat für die innere Behandlung der
Lues muß folgenden Anforderungen entsprechen:
1. es muß so beschaffen sein, daß es die Darreichung großer
Quecksilbermengen gestattet, um eine energische Behandlung durch¬
führen zu können;
2. es muß frei von jeder Ätz Wirkung sein, um nicht Darm Verlet¬
zungen und -Schädigungen hervorzurufen, welche Kolikschmerzen und
Durchfälle zur Folge haben ;
3. es muß genau dosiert werden können, damit man feststellen
kann, wieviel Quecksilber in einer gewissen Zeit verabreicht worden ist ;
4. die Desorption des Quecksilbers muß eine konstante sein, d. h.
keinen erheblichen Schwankungen unterliegen.
Diese Bedingungen werden aber von keinem der bisher angewen¬
deten inneren Antilueticis erfüllt. So führt die innere Darreichung
von Sublimat nicht selten einen bedeutenden Grad von Appetitlosigkeit
herbei, während das Protojodür des Hg in manchen Fällen starken
Durchfall und zuweilen blutige Stühle verursacht ; man kann zwar
den Durchfall durch Darreichung von Opiumpräparaten bekämpfen,
aber dann geht man anderen Übelständen, nämlich den unangenehmen
Folgen einer lange fortgesetzten Opiumverabreichung entgegen. Was
die von Lustgarten vorgeschlagene Darreichung von gerbsaurem Hg
anbetrifft, so behauptet Zeißl in mehreren seiner Fälle nach solcher
Darreichung heftige Kolikschmerzen beobachtet zu haben.
Nun hat seit einiger Zeit die Firma J. D. Riedel, Aktiengesell¬
schaft in Berlin, ein neues Quecksilberpräparat unter dem Namen
Mer gal in den Handel gebracht, welches nach seiner chemischen Zu¬
sammensetzung und nach seinen pharmakologischen Eigenschaften alle
Bedingungen zu erfüllen scheint, welche wir oben erwähnt haben.
Dieses Medikament, welches in Gelatine-Kapseln enthalten ist, die den
Magen unverändert passieren und erst im Darm sich lösen, besteht
aus cbolsaurem Quecksilberoxyd, welchem gerbsaures Albumin, im
V erhältnis 1 : 2 zugegeben ist.
Nach Mulder, Rose, Elmser und Voit verwandelt sich das
im Körper zirkulierende Quecksilber in letzter Instanz in Quecksilber -
Oxyalbuminat, welchem gerade das cholsaure Hg sehr nahestehend
zu sein scheint. Da nun ferner die Cholsäure ein normaler Bestandteil
der menschlichen Galle ist, so läßt sich annehmen, daß ihre Salze,
also auch ihr Quecksilbersalz, die Bedingungen .zur Darmresorption
darbieten.
Das gerbsaure Albumin, welches im Mergal enthalten ist, hat
den Zweck, die eventuelle, obwohl sehr schwache reizende Wirkung
des cholsauren Hg auf die Darmschleimhaut zu verhindern.
Diese theoretischen Betrachtungen, sowie die Ergebnisse der Ver¬
suche, welche Boß und Keil über die Resorption und Ausscheidung
Beitrag zur Syphilisbehandlung.
809
des in Form von Mergal eingeführten Quecksilbers angestellt haben
und besonders die klinischen Beobachtungen und Erfahrungen ver¬
schiedener Autoren (Boß, Saalfeld, Keil, Leistikow, von Zeißl,
Kanitz, Groß, Ehrmann, Hogge, Fröhlich, Hellmuth, Michaelis,
Schultze u. a. m.), veranlaßten mich, mit dem neuen inneren Anti-
luetikum Versuche anzustellen. Meine Beobachtungen wurden alle
in den von mir vor mehreren Jahren eröffneten „Ambulatorium für
deutsche Arbeiter und Arbeiterfamilien“ gemacht, wo ich freie
Konsultationen abhalte, sie haben im Januar 1907 begonnen und
werden auch heute noch fortgesetzt. Die Kesultate derselben waren
bis jetzt sehr ermutigend, weshalb ich hier über einige Fälle be¬
richten will, aus welchen ich glaube, schon jetzt einige Schlu߬
folgerungen ziehen zu können, wobei ich mir jedoch Vorbehalte, auf
diesen Gegenstand später zurückzukommen, wenn ich ein reicheres Be¬
obachtungsmaterial angesammelt haben werde.
Um jedem Mißtrauen von seiten der Patienten vorzubeugen und
mir den pünktlichen Besuch meines Ambulatoriums durch dieselben
zu sichern, was für die Regelmäßigkeit meiner Beobachtungen er¬
forderlich war, habe ich neben der Darreichung von Mergalkapseln,
auch Einspritzungen mit einer 0,75°/0igen Lösung von NaOl (einmal
in der Woche) ausgeführt, welche, während sie dem Patienten absolut
keinen Schaden verursachten, ihn dazu zwangen, sich bei mir einmal
wöchentlich einzustellen.
Ich werde kurz über meine Fälle berichten :
1. Fall. Patient 27 Jahre, Arbeiter in einer Glasfabrik. Stellt
sich am 18. Januar 1907 vor mit zwei Syphilomen, er war angeblich
ca. 20 Tage vorher infiziert worden. Ich verschrieb lokale Spülungen
mit Sublimatlösung (0,5 °/00), Einspritzungen von NaCl-Lösung (eine
wöchentlich) und eine innere Kur mit Mergal, von dem ich anfangs
dreimal täglich je eine Kapsel nehmen ließ.
Nach einer Woche wurde die tägliche Dosis, da Pat. das Medi¬
kament gut vertrug, auf fünf Kapseln erhöht, und zwar eine morgens,
zwei mittags und zwei abends, während der Mahlzeiten. Pat. der übri¬
gens ein sehr kräftiger und gesunder Mensch war, vertrug auch diese neue
Dosis sehr gut und klagte nie über Störungen des Verdauungstraktes,
wenn man von einem etwas häufigeren Stuhl (ca. zweimal täglich) ab¬
sieht. Nach ungefähr einem Monat war eine leichte Stomatitis nachweis¬
bar, welche jedoch dem Patienten niemals übermäßige Störungen verur¬
sachte und durch Mundspülungen mit Kaliumchloratlösung leicht
bekämpft werden konnte.
Die zwei Primäreffekte verschwanden vollständig im Laufe von
ungefähr drei Wochen. Die Mergalkur in der täglichen Dosis von
fünf Kapseln wurde mehr als zwei Monate fortgesetzt. Während der¬
selben war keine luetische Erscheinung weiter nachweisbar. Nach der
Mergalkur verschrieb ich eine Jodkur (2 g KJ täglich), welche drei
Monate lang durchgeführt wurde. Im Juli verordnete ich, obwohl
keine sichtbare syphilitische Erscheinung mehr aufgetreten war, von
neuem Mergal, wovon Patient zwei Monate lang fünf Kapseln täglich
ohne Übelstände einnahm.
Danach ließ sich Pat. im Laufe einiger Monate nicht mehr sehen.
Er stellte sich im Januar 1908 wieder vor, mit der Aussage, daß
er sich immer wohl befunden habe, worauf ich ihn zu einer neuen
Mergalkur veranlaßte, jedoch nur in der täglichen Dosis von drei
Kapseln.
310
K. Rühl,
Während dieser ganzen Zeit hat Pat., den ich regelmäßig be¬
obachten konnte und, der sich noch vor ungefähr zwei Wochen ein¬
stellte, keine syphilitischen Erscheinungen mehr aufgewiesen.
2. Fall. K. O. 21 Jahre, Mechaniker. Wurde vor drei Monaten
mit Lues infiziert. Obwohl der Arzt die Affektion richtig diagostiziert
hatte, war Pat. nicht überzeugt und beschränkte sich auf eine lokale
Behandlung mit einem Streupulver (Kalomel).
Bei mir stellte er sich am 2. Februar 1907 ein. Status praesens :
Plaques auf der inneren Wangen- und der Bachenschleimhaut, auf
einen großen Teil verbreitetes makulo-papulöses Sj^philoderma, breite
Kondylome in der Umgebung des Afters, Psoriasis palmaris, sehr herab¬
gekommenes Allgemeinbefinden.
Ich ver ordnete eine kräftige Diät, die Einspritzungen von NaCl-
Lösung und Mergal (dreimal täglich zwei Kapseln). Diese Kur begann
am 4. Februar 1907.
Am 11. Februar 1907 ist der objektive Befund fast unverändert.
Allgemeinbefinden etwas gebessert. Pat. klagt über Durchfall und
leichte Kolikschmerzen, weshalb ich die tägliche Mergalgabe auf
vier Kapseln reduzierte.
18. Februar 1907. Die Erscheinungen fangen an rückgängig zu
werden Allgemeinbefinden gebessert. Darmstörungen verschwunden.
25. Februar 1907. Hauterscheinungen bedeutend gebessert: es
besteht noch, obwohl vermindert, die Psoriasis. Wegen einer auf ge¬
tretenen leichten Stomatitis verschrieb ich Mundspülungen mit bor¬
saurem Natron. Die Mergaldosis wird wieder auf sechs Kapseln täglich
gebracht. Pat. setzte diese Kur etwa zwei Monate lang fort, in welcher
Zeit er sie zweimal wegen auf getretener Darmstörungen auf fünf Tage
unterbrechen mußte. Am Ende dieser Zeit waren alle sichtbaren
Erscheinungen der Krankheit verschwunden. Allgemeinzustand sehr
gut. Pat. klagte nie über Schmerzen in der Lendengegend und sein
Harn war stets frei von Eiweiß.
3. Fall. M. D. 32 Jahre, Dienstmädchen. Wurde vor einem
Jahr mit Syphilis infiziert und scheint eine sehr unregelmäßige und
ungenügende Kur durchgemacht zu haben.
23. April 1907. Status praesens : muköse Papeln an der Ober¬
lippe, spezifische Angina, flache Kondylome in der Umgebung des
Anus; Kopfschmerzen, besonders während der Nacht. Es werden sechs
Mergalkapseln täglich verordnet.
2. Mai 1907. Wenig veränderter Zustand, leichte Besserung.
9. Mai 1907. Äußere Erscheinungen werden rückgängig, Kopf¬
schmerzen sind verschwunden. Kein Albumen im Harn.
16. Mai 1907. Die Besserung schreitet fort. Pat. hat die Mergal-
einnahme unterbrechen müssen, weil Durchfall und mittelstarke Kolik¬
schmerzen auf getreten sind. Diese Störungen hoben sich nach Unter¬
brechung der Kur, und wiederholten sich nicht nach Wiederaufnahme
derselben, jedoch wurde die Gabe auf vier Kapseln täglich reduziert.
Normaler Harn. Keine Stomatitis.
Pat. ist nach ungefähr 21/2 Monaten vollständig von den luetischen
Erscheinungen befreit, wenn man von einer inguinalen Adenitis absieht.
Nach weiteren zwei Wochen von Mergalkur wurde KJ verschrieben.
Pat. ließ sich nicht mehr sehen.
4. Fall. G. K. 48 Jahre, Arbeiter. Stellte sich am 3. März 1907
vor wegen eines verdächtigen Geschwürs am Präputium. Um die Dia-
Beitrag zur Syphilisbehandlung.
311
gnose zu sichern, nahm ich von irgendwelcher Verordnung Abstand.
Nach zwei Wochen kommt Pat. wieder und hat nun Roseola am Rumpf,
besonders an den Brustteilen. Es wird eine Mergalkur eingeleitet, dabei
mit drei Kapseln täglich angefangen, und allmählich bis auf acht
Kapseln täglich gestiegen. Die syphilitischen Erscheinungen werden
langsam rückgängig; nach drei Wochen war die Roseola .abgeblaßt
und nach 4 Wochen verschwunden. Obwohl keine Spuren der erlittenen
Syphilis mehr zu sehen waren, ließ ich Mergal weiter einnehmen.
Nach sieben Wochen hatte Pat. ca. 600 Kapseln genommen. Es wurde
darauf eine Jodkur eingeleitet. Seit zwei Wochen nimmt jetzt Pat.
wieder Mergal ein. Hat nie über Verdauungsstörungen geklagt, noch
Nierensymptome auf ge wiesen.
5. Fall. W. S. 37 Jahre, Köchin. Wurde im Juli 1907 infiziert
und stellte sich bei mir Anfang Oktober vor ; klagte über heftige
Kopfschmerzen, welche besonders des Nachts auf treten und über große
allgemeine Schwäche. Sie war im Juli von einem Arzte untersucht
worden, statt aber seine Verordnungen zu befolgen, hatte sie sich mit
einer der Spezialitäten kuriert, welche in den Zeitungsreklamen ange¬
priesen werden. Status praesens : Makulo-papulöses Syphiloderma auf
der Brust, auf dem Bauch und auf den Beinen, muköse Papeln in der
Umgebung des Afters und an den Geschlechtsteilen, spezifische Angina.
Ich verschrieb zuerst drei Kapseln Mergal täglich, und stieg dann
allmählich bis auf sechs täglich. Die Kopfschmerzen verschwanden nach
und nach und es besserte sich der Appetit, Pat. nahm an Gewicht zu
unter bedeutender Besserung des Allgemeinzustandes. Nachdem Pat.
350 Kapseln eingenommen hatte, waren auf der Haut nur noch wenige
pigmentierte Flecke zu sehen ; die Papeln am After und an den Ge¬
schlechtsteilen waren vollständig- verschwunden. Da zu dieser Zeit das
Mergal angefangen hatte, Darmstörungen zu verursachen, wurde die
Kur zwei Wochen lang unterbrochen und dann wieder fortgesetzt.
Es wurden im ganzen 500 Kapseln eingenommen, wonach keine luetische
Erscheinung mehr sichtbar und der Allgemeinzustand ein sehr befrie¬
digender war.
Um überflüssige Wiederholungen zu vermeiden, möge liier nur
noch kurz erwähnt werden, daß ich mit Mergal in weiteren 6 Fällen
ebenso gute Resultate erzielte.
Bei anderen drei Kranken verursachte Mergal Darmstörungen.
Ich kann jedoch auf diese Fälle kein großes Gewicht legen, da ich
nicht feststellen konnte, ob die Kranken nicht auch eine ähnliche
Intoleranz für andere innere Antiluetica aufgewiesen hätten ; denn zwei
derselben wollten absolut nichts mehr von der inneren Kur hören,
und, der dritte stellte sich nicht mehr vor. Auch muß ich darauf hin-
weisen, daß zwei der genannten Pat. bereits mehrmals an Darm¬
störungen gelitten haben, weshalb ich bei ihnen eine gewisse Schwäche
dieses Organes annehmen mußte.
Auf Grund meiner Resultate glaube ich das Mergal als ein sehr
gutes inneres Antiluetikum ansprechen zu dürfen, dessen therapeutische
Wirksamkeit, bei den primären und sekundären syphilitischen Erschei¬
nungen eine ausgezeichnete ist. Nichts kann ich dagegen über seine Wir¬
kung bei Tertiär-Syphilis aussagen, da ich keine Gelegenheit hatte, es in
dieser Hinsicht zu prüfen, wenn ich von einem gegenwärtig in Be¬
handlung stehenden Fall absehe ; es ist jedoch a priori anzunehmen,
312
Ascher,
daß auch in dieser Periode der Krankheit die Wirksamkeit des Präpa¬
rates keine geringere sein wird.
Mergal bietet den großen Vorteil, daß es, während es eine ausge¬
zeichnete therapeutische Wirksamkeit auf weist, in der Mehrzahl der
Pälle keine unangenehmen Nebenerscheinungen entfaltet, wie sie so
oft bei anderen inneren Antiluetiöis beobachtet werden, und in den
Fällen, wo Darmreizungen auf treten — der Magen wird stets dabei
geschont — verschwinden dieselben in kurzer Zeit, wenn man die Dar¬
reichung des Medikamentes unterbricht.
Natürlich muß man während der Mergalkur — wie ich stets
getan habe — eine passende Diät verschreiben, eine solche nämlich,
die den Darmtraktus möglichst schont. Auch muß man gleichzeitig,
wie auch sonst bei allen Quecksilberkuren, für eine sorgfältige Hygiene
der Haut und des Mundes sorgen. Hinsichtlich der Diät sind natür¬
lich solche Speisen zu empfehlen, welche, wie Mehlspeisen, Kakao,
u. a. m., dazu neigen, den Stuhl träge zu machen, und dagegen diejenigen
zu meiden, welche, wie Obst, saure Speisen, Salat u. a. m., dazu
neigen, den Stuhlgang zu beschleunigen.
Nach meiner Überzeugung ist Mergal den anderen bisher bekannten
internen Antilueticis vorzuziehen, weil es stets den Magen schont,
nur selten und vorübergehend den Darm reizt, eine ausgezeichnete Wirk¬
samkeit aufweist und, was nicht ohne Bedeutung ist, besser als jedes
andere Präparat eine diskrete Kur gestattet.
Fasse ich das Gesagte zusammen, so gelange ich zu folgenden
Schlüssen :
1. Mergal ist in allen Fällen angezeigt, wo eine Injektionskur,
welche meines Erachtens stets die sicherste und beste ist, aus beson¬
deren Gründen nicht durchführbar ist.
2. es wird vom Magen und Darmkanal gut vertragen,
3. die Resorption des Quecksilbers im Mergal ist eine gleich¬
mäßige und rasche,
4. die Mergalkur ist einfach, bequem, angenehm und überall
diskret durchführbar ; dabei nicht teurer als eine andere Kur.
Breslauer Brief.
Von Dr. Ascher.
Am 17. Dezember fand hier der 37. Schlesisch e Bädertag statt.
Lachmann, Landeck sprach über „Heilwirkungen der Radium-
Emanation und die Radioaktivität der schlesischen Heil¬
quellen.“
Von den schlesischen Bädern besitzen die Quellen von Landeck
und Flinsberg eine hohe Radioaktivität, die fast der stärksten Gasteiner
Quelle an Emanationsgehalt sich nähert. Veranlaßt durch die Rede des
Brunnendirektors Dr. Büttner, Salzbrunn beschließt der 37. schlesische
Bädertag eine Eingabe an die Behörde zu machen, um eine Konzessions¬
pflicht für Kurorte zu erlangen, damit den spekulativen Interessen
Einzelner bei neuen Bädergründungen kein Vorschub geleistet wird.
Dr. Winkler, Charlottenbrunn empfahl in einem Vortrage „Über
Inhalationen und deren Anwendung“ das Körting’sche System der
Trockeninhalation.
Breslauer Brief.
813
Dr. Determeyer, Salzbrunn schlug vor, öffentlich in den Prospekten
vor eingreifenden Kuren ohne Verordnung des Arztes zu warnen.
Nach Erledigung einiger geschäftlicher Angelegenheiten wurde der
37. schlesische Bädertag geschlossen.
In der Schlesischen Gesellschaft für vaterländische Kultur
waren folgende 2 Vorträge angemeldet.
1. Kaposi über „2 Fälle von Knochenzysten mit Demon¬
strationen.“
2. Most über „Die Verhütung und Behandlung der Hals-
drüsentub erkulose.
1. Kaposi stellte ein 15jähriges Mädchen vor, welches vor l1/2 Jahren
plötzlich niederstürzte und den Oberschenkel brach. Es trat Heilung
ein. Vor :3/4 Jahren frakturierte der Oberschenkel an derselben Stelle.
Die Röntgenuntersuchung zeigte, daß das ganze obere Drittel bis in die
Trochanteren hinein ein großer Hohlraum war. Es wurde eine Knochen¬
plastik mit Einlage eines Elfenbeinstiftes gemacht. Der Knochen wurde
vom Periost aus neu gebildet. Später wurde der Elfenbeinstift entfernt,
worauf normale Heilung eintrat. Das Bein blieb nur 4 cm verkürzt.
Der zweite Fall betraf einen Jungen von 9 Jahren, der auf den
rechten Ellenbogen gestürzt war. Die Röntgenuntersuchung deutete auf
eine Zyste im Oberarm. Bei passiver Behandlung trat nach kurzer Zeit
Besserung ein. Eine Operation war nicht nötig. Es handelte sich in
beiden Fällen um Osteodystrophia cystica nach v. Mikulicz.
In der Diskussion berichtete Tietze über analoge Fälle, deren
Krankheitsbild ganz verschieden gedeutet wurde. Man sprach die Krank¬
heit zuerst für eine sarkomatöse Veränderung an, dann dachte man an
die erweichten Chondrome nach der Virchow’schen Theorie. Mikulicz-
Gottstein waren die ersten, die einen entzündlichen Prozeß bei der
Affektion annahmen. T. selbst sah einen Fall, wo die Erkrankung von
der Kortikalis ausging (Ostitis fibrosa). Die Benutzung des Elfenbein¬
stiftes zur Richtungsangabe für den neuwachsenden Knochen bezeichnete
er als einen großen Fortschritt. Gottstein erwähnte einen Fall über
den er bereits vor 6 Jahren berichtet hatte, und den er lange Zeit hin¬
durch beobachtete. Hier hatte Mikulicz nicht reseziert, sondern aus¬
geräumt und mit Jodoform gefüllt. Bei einem anderen Falle wurde
keine Zyste gefunden, sondern Granulationen. Damals wurde zuerst von
Mikulicz auf die entzündliche Ätiologie der Affektion hingewiesen.
Das Röntgenbild kann zu Irrtümern Anlaß geben, nur die klinische
Beobachtung läßt die sichere Diagnose stellen.
Coenen riet, die mikroskopische Untersuchung in diesen Fällen für
nicht ganz beweiskräftig anzusehen.
2. Most. „Über die Verhütung und Behandlung der Hals¬
drüsen tuberkulöse.
M. besprach den Infektionsweg der Tuberkulose,
1. den hämatogenen,
2. den aszendierenden vom Thorax herauf durch die Lymphbahnen,
3. den deszendierenden Weg.
Der Letztere wurde von ihm als der häufigste angesprochen. Der
Primäreffekt ist zum größten Teile am Übergang der äußeren Haut zu
den Schleimhäuten wie Mund, Nase, Augen zu finden. Am häufigsten
sieht man ihn im Rachen. Der lymphatische Ring, der sonst ein aus¬
gezeichneter Schutz bei Infektion ist, versagt bei hoher Virulenz der
314
S. Leo,
Bazillen. Geschwollene und kryptenhaltige Gaumenmandeln leisten der
Infektion Vorschub. M. untersuchte 60 Fälle. Aus der Lage der
affizierten Drüsen glaubt er einen Anhaltspunkt für defi Entstehungsort
finden zu können.
Der Infektionsweg von der seitlichen Rachenwand und von der
Tonsille aus überwog in großem Maßstabe. Es ist ein Unterschied
zwischen dem bovilen Typus und dem humanen zu machen. Durch den
ersteren sind Kinder bei ungenügender Milchkontrolle sehr gefährdet.
Ekzeme und Entzündungen, die auf den eingedrungenen Tuberkelbazillus
zurückzuführen sind, bedürfen energischer Behandlung. Bei manifester
Drüsentuberkulo^e empfahl M. roborierende und resorbierende Diät.
Bleibt der Erfolg aus, so ist die Radikaloperation mit systematischer
Absuchung und Exstirpation aller affizierten Drüsen am Platze. M. er¬
zielte mit dieser Methode gute Erfolge, aber keine Dauerresultate.
Boeninghaus wies darauf hin, daß bei Nasen- und Kehlkopf¬
tuberkulose eine gleichzeitige Drüsenaffektion zu den Seltenheiten gehört.
Ebenso ist bei affizierten Drüsen selten der Primärherd zu entdecken.
Es wird wohl 2 Arten von Tuberkulose geben, die eine ruft lokale Ent¬
zündungen hervor, die andere dringt leicht ein und führt zu Drüsen¬
affektionen.
Rosenfeld äußerte sich dahingehend, daß vielleicht der bovile
Typus auf eine Weise, der humane Typus anders reagiert. Most
verneinte das Letztere. Er gab aber die Möglichkeit einer Prädisposition
für eine Lokalisierung der Tuberkulose bei Erwachsenen wegen enger
Lymphspalten zu, bei Kindern tritt die Drüsentuberkulose in den
Vordergrund.
Wiener Brief.
Ein Sammelbericht. — Von Dr. S. Leo.
(Schluß.)
Julius Tandler und Otto Zuckerkandl sprachen zur Ana¬
tomie und Ätiologie bei Prostatahypertrophie: die in vielen Fällen
von Prostatahypertrophie vorkommende Erweiterung der oberen Harn-
wege hat ihre Ursache nicht, wie dies allgemein angenommen wird, in
der vesikalen Harnstauung, sondern in einer Strikturierung des Ureters
durch das Vas deferens, welche durch die veränderte Topographie dieser
beiden Gebilde herbeigeführt wird. Bei der Hypertrophie des Lobus
medius prostat. kommt es zur Hochlagerung des Trigonum vesicale, ohne
daß die Eintrittstelle des Vas deferens in die Prostata an diesem Ver¬
schiebungsprozesse gleichmäßig beteiligt wäre. Das Blasenende der Harn¬
leiter wird hierdurch gehoben, während das Endstück des Vas deferens
in situ bleibt. Es kommt daher zur Schlingenbildung resp. zur Knickung
des Ureters an seiner Kreuzungsstelle mit dem Vas deferens. Durch die
Breitenausdehnung der Blase, wie sie bei alten Leuten physiologischer¬
weise schon vorhanden ist, bei Prostatikern noch in gesteigertem Maße
beobachtet wird, wird das Vas deferens in seiner Lage fixiert und kann
daher dem Zuge des Ureters nicht folgen. Die Abknickungsstelle und
damit die Länge des normalen Ureterstückes ist variabel nach gegebenen
Eigentümlichkeiten des speziellen Falles. Vom klinischen Standpunkt
fügt Zuckerkandl hinzu, daß aus diesen Beobachtungen zunächst her¬
vorgeht, daß die renale Harnstauung bei Prostatahypertrophie nicht durch
Wiener Brief.
315
die Blasendistention bedingt wird. Die renale Harnstauung beginnt jen¬
seits der Blase, dort wo der Harnleiter vom Vas deferens gekreuzt
und komprimiert wird. Es kann bei geringfügiger Harnretention in der
Blase die renale Harnstauung hochgradig sein und umgekehrt. Die
Neigung der oberen Harnwege eitrig infiziert zu werden, ist bekannt.
Allgemein wird die Kongestion als das die Infektion begünstigende
Moment bezeichnet. Mit Unrecht, denn auch bei Hydronephrosen aus
anderen Ursachen sind nicht die Zirkulationsverhältnisse, sondern die Ver¬
änderungen des Harns und die Harnstagnation, welche das Organ zur
Infektion praedisponieren. Ist ein Infektionskeim vorhanden, so ist die
Situation beim Prostatiker fast dieselbe, als wenn wir im Experiment
nach Einverleibung eines Eitererregers in die Blutbahn den Ureter unter¬
binden. Auch braucht die Infektion der oberen Harnwege nicht immer
ascendiert zu sein. Es kann sich ereignen, daß die oberen Harnwege
allein hämatogen infiziert sind, wenn die Blase noch aseptisch ist oder
mit dem Katheter infiziert wird. Die Infektionen von Blase und Niere
brauchen beim Prostatiker weder ihrer Entstehungsweise noch ihrer Inten¬
sität nach übereinzustimmen. Wir können klinisch die renale Harnstauung
nicht nachweisen, wir können sie nur aus den Symptomen erschließen.
Sie wird dort vorhanden sein, wo bei starker Vergrößerung der Prostata
und unbedeutender vesikaler Harnretention neben Polyurie die Zeichen
der Insuffizienz bestehen. Ferner weisen ziehende Schmerzen, Ureter¬
koliken im Krankheitsbilde der Prostatahypertrophie auf die Ureterkom¬
pression hin, ebenso schubweise Entleerungen des Eiters in infizierten
Fällen. Was die Therapie anbelangt, so wäre die Durchschneidung
des Vas deferens in bestimmten Fällen vielleicht geeignet, mit der Er¬
leichterung des Harnablaufes aus den Nieren schwere Symptome im
Krankheitsbilde zu beseitigen.
In der „Gesellschaft für innere Medizin“ sprach Romeo Monti
über Modifikationen der Hautreaktion bei Tuberkulose: Bei
der Überprüfung der v. Pi rque Eschen Reaktion hat man gefunden,
daß die Skarifikationen der Haut für das Zustandekommen der Reaktion
nicht unbedingt notwendig sind und daß es möglich ist, auch ohne Ver¬
letzung der obersten Hautschichten durch bloßes Aufträgen des Toxins
auf die Haut charakteristische Hautreakionen hervorzurufen. Lignieres
hat durch Einreiben der rasierten Haut mit Tuberkulin bei tuberkulösen
Tieren konstant eine spezifische Reaktion in Form lupusartiger Haut¬
veränderungen hervorgerufen, Lautier hat in ähnlicher Weise durch 48-
stündige Einwirkung einer 1 °/0 Tuberkulinlösung auf die Haut bei tuber¬
kulösen Individuen eine Reaktion in Form bläschenförmiger Efflores-
zenzen erhalten. Diese Reaktion hat gegenüber der kutanen Reaktion
den Nachteil, daß ihr Resultat erst nach 48 Stunden manifest wird und
sie weniger empfindlich ist, anderseits aber den Vorteil, daß dabei die
Impfung vermieden wird. Moro erzielte durch Einreiben der Haut mit
einer za. 50°/otigen Tuberkulinsalbe bei skrofulösen Kindern eine spezi¬
fische Reaktion. Monti hat an 500 Kindern Nachuntersuchungen ange¬
stellt und kommt zu folgendem Resultat: die Salbenreaktion nach Moro
ist eine spezifische, weil alle Fälle, die perkutan positiv reagierten, auch
bei der kutanen Impfung ein positives Resultat ergaben. Die perkutane
Probe ist etwas weniger empfindlich als die kutane Impfung, weil sie
bei vorgeschrittenen und latenten Tuberkulosen früher versagt als die
v. Pir que Esche Reaktion. M. demonstriert zum Schlüsse noch die
Au rikulo -Reaktion nach Tedeschi, der die vordere Fläche der Ohr-
316
S. Leo, Wiener Brief.
muschel als Injektionsstelle wählt, weil er meint, daß hier das Infiltrat
deutlicher zum Vorschein kommt als an Hautstellen mit gut entwickel¬
tem Unterhautzellgewebe. Diese Reaktion, im Prinzipe der Stichreaktion
nach Hamburger vollkommen gleich, hat den Nachteil, daß sie wegen
der Entstellung, die sie verursacht, bei ambulatorischen Patienten nicht
gut verwendbar ist, und in manchen Fällen eine Schwellung der retro¬
aurikularen Drüsen hervorruft. Monti empfiehlt die kutane Impfung
als bequemste Probe und zur Kontrolle dieser die Stichreaktion. Für
Arzte und Patienten, welche die Impfung scheuen, ist die Salbenreaktion
nach Moro als eine vollkommen unschuldige, wenn auch weniger genaue
Probe zu empfehlen.
Über die Schichtdauer und Sonntagsruhe im österreichi¬
schen Bergwerke wurden vom Ackerbauministerium Erhebungen
durchgeführt. Über Tag und in der Grube waren 1907 zusammen 137,985
Bergarbeiter beschäftigt. Von diesen waren eingeteilt: 155 Arbeiter
oder 0,ll°/o in Schichten bis sechs Stunden, 23 Arbeiter oder 0,02 °/0
in Schichten über sechs bis sieben Stunden, 19,386 Arbeiter oder
19,05 °/0 in Schichten über sieben bis acht Stunden, 72,486 Arbeiter oder
92,53 °/0 in Schichten über acht bis neun Stunden, 7375 Arbeiter oder
5,34 °/0 in Schichten über neun bis zehn Stunden, 13,076 Arbeiter oder
5,48 °/0 in' Schichten über zehn bis elf Stunden, 29,924 Arbeiter oder
17,7 °/q in Schichten über elf bis zwölf Stunden, 1060 Arbeiter oder 0,77 °/0
in Schichten über zwölf Stunden. Dazu wird folgendes bemerkt: Bei vielen
Werken ist die „Anstalt“ üblich, welche in der Regel im Vorlesen und
Beten, mitunter auch in der Erteilung und Entgegennahme von Arbeits¬
anweisungen zur oder nach der Arbeit besteht. Außerdem werden häufig
auch noch andere Vorrichtungen (Ausfassen und Rückgabe der Gruben¬
lampen, der Sprengmittel, des Gezähes oder sonstigen Materials, Zurich¬
ten und Einlasssen von Zimmerungsholz) von den Arbeitern außerhalb
der Schichtzeit, beziehungsweise vor der Einfahrt in die Grube oder
nach der Ausfahrt aus derselben gefordert. Die vom Ackerbauministerium
durchgeführten Erhebungungen, .welche 815 Bergbaubetriebe umfaßten,
haben in dieser Hinsicht folgendes ergeben: die „Anstalt“ ist bei 319 Be¬
trieben üblich. Die durch dieselbe in Anspruch genommene Zeit beträgt
einige Minuten bis zu einer halben Stunde, in der Regel nicht über
15 Minuten und wird bei 198 Betrieben den Arbeitern in die Schicht
eingerechnet. Sonstige Verrichtungen außer der Schichtzeit, beziehungs¬
weise vor der Einfahrt und nach der Ausfahrt werden bei 185 Betrieben
von den Arbeitern gefordert. Die von denselben in Anspruch genommene
Zeit beträgt in der Regel nur wenige Minuten, seltener eine Viertel¬
stunde oder länger und wird bei 102 Betrieben den Arbeitern ganz oder
teilweise in die Schichtdauer eingerechnet. Ferner wurden die Durch¬
schnittsleistungen der Grubenarbeiter beim Kohlenbergbau Österreichs in
den Jahren 1901 und 1903 bis 1907 als nach der Aktivierung der
neunstündigen Schichtdauer beim Kohlenbergbau in der Grube
im Jahre 1903 festgestellt. Nach dieser Zusammenstellung war die Durch¬
schnittsleistung eines Grubenarbeiters in der Schicht in den Jahren 1903
bis 1907 bei 137 (45,36 °/0) Werken höher und bei 49 (16,23 °/0) Werken
niedriger als im Jahre 1901, während 116 (38,91 °/0) Werk ein derselben Zeit
abwechselnd eine Zu- und Abnahme der Leistungen gegenüber jener des
Jahres 1901 aufgewiesen haben. Zusammenfassend läßt sich sagen, daß
es sich nur schwer beurteilen läßt, inwiefern bei jedem einzelnen Werke
die Wirkungen des Neustundengesetzes zum Ausdrucke kommen, fest
Referate und Besprechungen.
317
steht aber, daß mit dem Inkrafttreten des Neunstundentages eine strammere
Organisation des ganzen Betriebes und eine vielseitigere Verwendung
von maschinellen Einrichtungen beim Kohlenbergbau Platz gegriffen hat,
worauf wohl auch bei einer Reihe von Bergbauen die Steigerung der
Leistungen zurückzuführen ist.
Jedenfalls sind die Erfahrungen mit dem Neunstundentag im Kohlen¬
bergbau in Österreich so günstige, daß das Deutsche Reich nicht
länger zögern sollte, ihn ebenfalls einzuführen.
Wie ich in diesen Blättern seinerzeit berichtete, hat die Regierung
außerdem eine Enquete einberufen über Bergbaufragen. Von besonderer
Wichtigkeit war die Frage, die sich auf die Wirkungen der im Jahre
1903 verfügten Verkürzung der Schichtdauer auf neun Stunden beim
Kohlenbergbau bezog. Die Werkbesitzer der Steinkohlenreviere haben
ziffernmäßig nachgewiesen, daß die Leistungen des einzelnen Häuers
infolge der Schichtverkürzung ungefähr proportional zurückgegangen ist.
Von seiten der Arbeitervertreter wurde aber geltend gemacht, daß sich
aus den offiziellen Produktionsweisen das Gegenteil berechnen lasse,
daß die Produktion gestiegen sei (s. o.). Sie stellten daher die Forderung
auf Einführung der Achtstundenschicht auf. Betreffs der Regulierung
der Löhne ergab sich, daß in den Braunkohlenrevieren Böhmens die
wöchentliche Lohnzahlung bereits eingeführt ist, ihre Durchführung aber
in den Steinkohlenrevieren Mährens und Schlesiens vermöge der Geding-
verhältnisse, sowie im Erzbergbau Steiermarks als unmöglich erklärt wurde.
Die Arbeiter hielten die Forderung der gesetzlichen Einführung wöchent¬
licher Lohnzahlungen aufrecht, während die Unternehmungen nur wöchent¬
liche Abschlagszahlungen auf den verdienten Lohn zugestehen wollen.
Es ist selbstverständlich, daß in diesen Fragen des sozialen Fortschrittes
die Gegensätze der Arbeitgeber und Arbeitnehmer aufeinanderprallen.
Sache der Regierung und des Parlamentes ist es, hier ausgleichend ein¬
zugreifen.
Referate und Besprechungen.
Gynäkologie und Geburtshilfe.
Alte und neue Geburtshilfe (Klinischer Vortrag).
(H. Fritsch. Deutsche med. Wochenschr., Nr. 33, 1908.)
Mit zwei Regeln hat die neuere Geburtshilfe gebrochen: 1. daß hei
engem Muttermund stets abzuwarten sei, 2. daß das enge Becken ein ge¬
gebener Faktor sei.
Während für langsame Erweiterung die Metreuryse genügt, hat die
schnelle Erweiterung in dem Dührssen’schen vaginalen Kaiserschnitt mit
Bumm’scher Technik zu bestehen. Bei dieser Methode bildet den Anfang
eine große Scheidendamminzision, gewöhnlich der Schuchard t’sche Schnitt
genannt. Dieser Schnitt muß so groß sein, daß nunmehr nach Einsetzen des
hinteren Spekulums die vordere Vaginalfläche nach Herabziehen der Portio
dem Auge und dem Messer so zugänglich ist, wie die Dammwunde. Ohne
diesen Schnitt ist die Operation bei einer Primipara überhaupt schlechter¬
dings unmöglich. Das Blut, was man aus dem Schnitt verliert, spart man
reichlich dadurch, daß nun die Operation an der vorderen Vaginalwand
viel leichter, schneller und sicherer gemacht werden kann. Nach Unter-
318
Referate und Besprechungen.
bindung der spritzenden Gefäße wird die vordere Vaginalwand sagittal
durchtrennt (manche Operateure, so auch Fritsch, setzen noch einen Quer¬
schnitt darauf) und zwar wird der Schnitt bis zum Harnröhrenwulst ver¬
längert. Sodann wird die Blase abgeschoben, was bei Tiefstand des Kopfes
öfter etwas schwierig ist. Nun wird die Zervix selbst sagittal mit der
Schere durchtrennt. Man setzt in das Ende des Schnittes die Colli n’sche
Zange immer höher ein und schneidet weiter bis an die Anheftestelle des
Peritoneums. Jetzt ist der Eingang zum Uterus frei, das Kind wird extrahiert,
wozu F. die Wendung und Extraktion bevorzugt. Zum Schluß werden sämt¬
liche W unden exakt vernäht. Diese Operation ist schneller, leichter und
ungefährlicher als die Erweiterung mit dem Bossi’schen Instrument, von
dem F. wohl nicht mit Unrecht annimmt, daß es samt seinen zahlreichen
Modifikationen bald nur noch historische Bedeutung haben wird.
Der vaginale Kaiserschnitt soll nun heutzutage die Operation der
Wahl resp. das Normalverfahren bei der Eklampsie sein und zwar bei jedem
Fall von Eklampsie, schwerem wie leichtem. Denn wir können nie wissen,
ob nicht ein anfänglich leichter Fall sehr bald schwer wird. Ferner steht
es fest, daß die Prognose um so besser ist, je zeitiger die entbindende Operation
gemacht wurde. Man muß deshalb nach F.’s Ansicht eine prinzipielle Stellung
zu der Frage einnehmen : entweder gar nicht operieren oder sofort nach
dem ersten Anfall. Spätes Operieren kann nur die neue Methode diskredi¬
tieren. Wartet man längere Zeit ab, dann kann schon Leber und Gehirn
derartig verändert sein, daß eine Heilung, wie die Sektion ja oft nachweist,
überhaupt unmöglich ist. Etwas anders ist der Wert der Nierendekapsu-
lation zu beurteilen. Sie gleichzeitig mit dem vaginalen Kaiserschnitt zu
machen, wäre sicher falsch. Aber wenn nach acht Stunden kein Urin vor¬
handen ist, so wird bei Fortbestehen des Koma die Prognose so ernst, daß
jeder Weg zur Bettung des Lebens beschritten werden darf und muß. Der
Eingriff ist an sich klein. Eine Luxation der Nieren ist gar nicht er¬
forderlich. Sowie man die dunkle Niere in dem hellen Fett erblickt, macht
man mit dem Messer in die Kapsel einen kleinen Einschnitt von 1/2 cm.
Aus diesem Loch spritzt bei starker Schwellung der Nieren das dunkle
Blut förmlich heraus. In dieses Loch führt man nun das Scherenblatt
ein und schneidet nach beiden Seiten hin die Kapsel bis an die Enden der
Niere durch. Die Kapsel klafft, man schiebt sie leicht mit dem Finger
über die Niere weg. Nach Austupfen des Blutes wird die Hautwunde bis
auf ein kleines Loch für den Drainagestreifen vernäht. Bisher wurde nach
der Dekapsulation jedesmal die Diurese reichlich. Ob aber die Prognose
der Eklampsie selbst wirklich gebessert wird, muß sich erst zeigen. —
Was das andere alte Dogma anlangt, so ist es durch die Hebosteotomie
beseitigt. F. empfiehlt die Technik nach D öderlein wegen der dabei mit
Sicherheit zu vermeidenden Blasenverletzungen. Er fragt mit Recht, warum
wir uns gerade hier vor der Anlegung einer kleinen Wunde scheuen sollen.
F. würde sich sogar nicht scheuen, bei einer fiebernden Kreißenden die Heb¬
osteotomie zu machen, da man ja die Wunden für die Säge isoliert asep¬
tisch machen kann. Sehr mit Unrecht wird aber von den Modernisten
unter den Geburtshelfern die künstliche Frühgeburt verworfen. Sie ist und
bleibt eine humane Operation, die weiter geübt und gelehrt werden muß.
Macht man sie mit dem Metreurynter und beendet die Geburt, sobald der
Muttermund genügend erweitert ist, sind die Resultate gut.
Soll man nun die modernen Operationen, vaginaler Kaiserschnitt und
Hebosteotomie, für die Hauspraxis empfehlen ? Darauf antwortet F. be¬
stimmt mit: nein. Wir kommen eben nicht darum herum, daß es heute
eine Geburtshilfe der Klinik und eine solche des Hauses gibt, oder anders
ausgedrückt, wie in der Chirurgie schon immer, so gibt es jetzt auch in
der Geburtshilfe Operationen, welche äußere Anforderungen stellen, denen
nur in der Klinik bezw. im Krankenhaus entsprochen werden kann. An sich
ist das also kein Novum. F. erinnert dabei noch an etwas anderes: außerhalb
der Gebärhäuser hat die Sterblichkeit an Kindbettfieber viel weniger abge-
Referate und Besprechungen.
319
nommen, als in den Gebärhäusern. „Wenn es heute, was ja unmöglich ist,
gesetzlich befohlen würde, daß alle Gebärende in Gebärhäusern niederkämen,
daß außerhalb der Gebärhäuser überhaupt nicht geboren werden dürfte, so
würden jährlich Hunderte von Kindern und Frauen am Leben erhalten
werden! Es ist nur eine Forderung der Logik und der Humanität, wenigstens
die schweren Fälle, wo große Operationen gemacht werden müssen, in
die Gebärhäuser zu schicken. Die Kollegen müssen nach dem Grundsatz
handeln: Gebet den Kliniken, was der Klinik ist! Ist es sicher, daß die
Prognose dieser schwierigen Fälle in den Gebärhäusern besser ist als in der
Privatpraxis, so soll auch der Arzt diese Fälle dem Krankenhause überweisen,
und zwar nicht erst, nachdem allerhand Versuche der Entbindung gemacht
sind, sondern sofort, unangerührt, a priori. — Die praktischen Ärzte werden
nicht geschädigt. Die operativen Fälle, bei denen Schnittoperationen ge¬
macht werden müssen, sind ja so selten, daß sie immer Ausnahmefälle
bleiben, die einem Praktiker nicht einmjal in jedem Jahre Vorkommen.“
R. Klien (Leipzig).
Zur Aetiologie der Schaumorgane.
(Dr. Ghon u. Dr. Sachs. Zentralbl. für Bakt., Bd. 48, H. 4, 1908.)
Die Obduktion einer nach einem Partus verstorbenen Person ergab neben
diphtheritischer Endometritis, verruköser Endokarditis, ein Emphysem des
retroperitonealen und retromediastinalen Bindegewebes, Schaumleber und
Schaummilz. Im Lebersaft wurde ein ungleichgroßes gerades oder leicht
gekrümmtes Stäbchen gefunden. In den anaeroben Kulturen wuchs ein dem
eben genannten sowohl morphologisch wie auch färberisch gleicher Bazillus ;
in Schnittpräparaten fand sich der gleiche Bazillus. In Traubenzucker-,
Stärke- und Neutralrotagar sahen Verf. auch Stäbchen mit keulenartigen
und spitzen Anschwellungen ; öfters fand man mehrere derartige Anschwel¬
lungen hintereinanderliegend. In jungen. Kulturen zeigten sich schrauben¬
förmig gekrümmte Formen. Der junge Bazillus ist gram positiv. In älteren
Formen treten infolge der Degenerationsformen des Bazillus verschiedenfarbige
Bilder auf. Die Stäbchen bilden mittelständige und endogene Sporen. Der
Bazillus ist beweglich, hat zahlreiche peritrische Geißeln. Bei ausbleibender
Sporenbildung geht der Bazillus recht bald hin. Weiße Mäuse reagieren auf
intraperitoneale und subkutane Injektion nicht. Meerschweinchen haben erst
nach Injektionen größerer Mengen an der Injektionsstelle Infiltrate, die
Gasknistern nachweisen ließen.
Erzeugung von Schaumorganen gelang mit dem Bazillus bei Kaninchen
leicht. Verschiedene kulturelle Merkmale unterscheiden den gefundenen Bazil¬
lus von den bisher beschriebenen. Jedenfalls bestätigt die mitgeteilte Be¬
obachtung, daß für die Ätiologie der menschlichen Schaumorgane noch andere
Bazillen in Betracht kommen. Schürmann (Düsseldorf).
Herzkranke und Schwangerschaft.
(Gönnet u. Froment. Rev. de möd., Nr. 12, S. 1026 — 1040, 1908.)
Die meisten Herzbeschwerden während der Gravidität rühren von einem
Neuaufflackern endokarditischer Prozesse her. Ist die erste Affektion aus¬
geheilt, dann wird jede Schwangerschaft gut ertragen; aber dieses muß
erst festgestellt werden, ehe man als Arzt die rigorose Forderung M. Peter’s:
einem herzkranken Mädchen ist von der Ehe, einer herzkranken Frau von
der Schwangerschaft abzuraten, fallen läßt.
Genaueste Thermometrie gibt Aufschluß über das eventuelle Vorhanden¬
sein noch nicht ausgeheilter endokarditischer Herde. Buttersack (Berlin).
320
Referate und Besprechungen.
Konzeption, Menstruation und Schwangerschaftsberechnung.
(Dr. Hans Bab. Deutsche med. Wochenschr., Nr. 33, 1908.)
B. hatte Gelegenheit drei junge Aborteier, resp. deren Embryonen zu
untersuchen, von deren Müttern die Menstruations Verhältnisse und der Kon¬
zeptionstermin genau bekannt waren. B. kommt auf Grund seiner ausführlich
mitgeteilten Untersuchung zu folgenden Ergebnissen: Die Sigismund-
Löwenhardt’sche Regel, daß das befruchtete Ei der ersten ausgebliebenen
Periode angehört und daß die Menstruation den Abort eines unbefruchtet ge¬
bliebenen Eies bedeutet, hat wahrscheinlich allgemeine Gültigkeit. Es müßte
erst durch detaillierte Einzelbeobachtungen bewiesen werden, daß Ausnahmen
von dieser Regel Vorkommen; das ist bis jetzt nicht der Fall. Täuschungen
durch Schwangerschaftsregeln und Abortblutungen müssen ausz aschließen
sein. Die Ovulation und die darauffolgende Imprägnation gehen dem Termin
der ersten ausgebliebenen Regel wohl meist um einige Tage vorauf, was
B. Leopold und Veit gegenüber besonders betont. Die Spermatozoen können
im weiblichen Genitale, speziell den Tuben von einer Menstruation zur an¬
deren fortleben und befruchtungsfähig bleiben. Infolgedessen kann eine be¬
fruchtende Kohabitation an. jedem beliebigen Termin stattfinden! Für das
Vordringen der Spermatozoen im Uterus ist jedoch im allgemeinen nur die
postmenstruelle Zeit günstig, weil später die geschwellte und stark sezer-
nierende Uterusschleimhaut hinderlich ist. Um eine Schwangerschafts-Zeitbe¬
stimmung auszuführen, sind möglichst folgende Punkte zu eruieren : Men¬
struationstypus, Beginn der letzten und vorletzten Regel und Art des Ver¬
laufs derselben, Datum der Kohabitationen zwischen letzter Regel und Termin
der ersten ausgebliebenen Regel, Datum des Beginns subjektiver Schwanger-
schaftssymptome. Bei regelmäßigem Menstruationstypus erhält man den wahr¬
scheinlichen Imprägnationstermin durch Plinzuzählen des gewöhnlichen Men¬
struationsintervalls minus drei Tagen zum Anfangsdatum der letzten Periode.
Bei unregelmäßigem Typus läßt die Berechnung nach dem Anfangsdatum
der letzten Periode im Stich, da die Fehlergrenze Wochen und sogar Monate
umfassen kann. R. Klien (Leipzig).
Aus der Universitäts-Frauenklinik in Königsberg i. Pr.
Spontane Uterusruptur im Beginn der Geburt.
(Dr. H. Gans. Deutsche med. Wochenschr., Nr. 28, 1908.)
Bei einer 33jährigen Frau war gelegentlich' einer Kürettage nach
Abort die Uteruswand perforiert worden. In der darauffolgenden Schwanger¬
schaft traten starke LTnterleibsschmerzen auf, in der Eröffnungsperiode platzte
der Uterus vom Fundus bis zum inneren Muttermund. Für die Schmerzen
sowohl wie für den Korpusriß ist — nach Ausschluß der sonst in Frage
kommenden Ursachen — die nach der Perforation entstandene Narbe ver¬
antwortlich zu machen. Der seltene Fall zeigt, wie gefährlich Narben der
Gebärmutter nach früheren Verletzungen werden können, und weist darauf
hin, daß eine genaue Beobachtung während der Schwangerschaft und Geburt
nach einer Perforation dringend erforderlich ist. Die Frau wurde supra-
vaginal amputiert und genas. R. Klien (Leipzig).
Hebosteotomie und künstliche Frühgeburt.
(A. Schlaf li. Korrespondenzbl. für Schweizer Ärzte, Nr. 24, 1908.)
Schläfli kommt auf Grund einer Statistik über 664 Fälle von Heb¬
osteotomie (Hebotomie) zu einem für diese vernichtenden Urteil, besonders
wegen gefährlicher Nebenverletzungen, Gehstörung und Inkontinenz. Die
Mortalität der Mütter ist gegen 5%, die der Kinder gegen 10%, erstere um
das mehrfache höher, letztere allerdings erheblich geringer als bei der künst¬
lichen Frühgeburt. Sehr mit Recht hebt er hervor, daß die auf geburts¬
hilflichen Kliniken grassierende Überschätzung des kindlichen Lebens im
Referate und Besprechungen.
821
Y ergleich mit dem mütterlichen allein erklärt, daß die Hebotomie noch so häufig
ausgeführt wird, ,,sie ist und darf nur eine Notoperation sein, um ausnahms¬
weise, nach Versagen aller anderen Mittel — hohe Zange — , die Opferung
des Kindes zu umgehen, sofern die Mutter mit dem Eingriff einverstanden
ist, dessen Gefährlichkeit ihr nicht verschleiert werden darf, wie das viel¬
fach geschieht und seihst verlangt worden ist' 8 Außerdem kann sie nur
auf der Klinik ausgeführt werden, da den möglichen Komplikationen im
Privathaus nicht begegnet werden kann. P. von den Velden.
Über beckenerweiternde Operationen und Behandlung der Geburten bei
Beckenverengerungen überhaupt.
(P. Müller, Bern. Korrespondenzbl. für Schweizer Ärzte, Nr. 1, 1909.)
In ähnlichem Sinne wie Schläfli (s. das vorhergehende Referat) erhebt
Peter Müller seine gewichtige Stimme. Er kommt in seiner Klinik praktisch
ohne die beckenerweiternden Operationen aus und hat dabei sehr gute Re¬
sultate für die Mütter, während allerdings 25% der Kinder bei Becken¬
anomalien zugrunde gehen. Den Kaiserschnitt hält er sowohl für Mutter
wie Kind für ebenso günstig als die Hebotomie, während er bei den ganz
engen Becken überhaupt allein in Betracht kommt. Auch der Erühgeburt
läßt M. ihr Recht, wenn auch nicht in so entschiedener Weise wie Schläfli-,
und bei Mehrgebärenden mit schweren Geburten hält er (sehr mit Recht,
Ref.) den Abort für berechtigt. Er betrachtet die Geburt vom Standpunkte
des Geburtshelfers im Gegensatz zu dem des Chirurgen und macht das
bemerkenswerte Geständnis, ,,daß in fast allen Fällen, auch wenn Störungen
von seiten des Beckens hinzutreten, die Geburt am häufigsten durch die
Naturkräfte allein beendigt wird und nur in selteneren Fällen die Hilfe
des Arztes nötig ist“. Die junge Generation wird geneigt sein, ihn deshalb
für einen Reaktionär zu erklären, er dürfte aber doch auf die Dauer Recht
behalten. F. von den Velden.
Pubotomie bei mäßig verengtem Becken.
(W. Sigwart, Berlin. Zentralbl. für Gyn., Nr. 48, 1908.)
Seilheim hat 1905 folgenden Fall beschrieben: VIII p. ; 7 spont. Ge¬
burten. Conj. vera 10,5 cm. Trotz 12stündigen Kreißen tritt der Kopf nicht
tiefer. Bei der Vorbereitung zur Pubotomie tritt eine Uterusruptur ein.
Laparotomie. Heilung. Kind 57 cm lang, 3740 g schwer; frontooccipaler
Umfang 36 cm.
Einen ähnlichen Fall sah Verf. : 27 j. III p. ; Rachitica. Erstes Kind
perforiert. Zweites Kind nach Frühgeburt gestorben. Conj. vera 9 cm.
78 Stunden nach dem Blasensprung trotz starker Wehen kein Tiefertreten
des in rechter Hinterhauptslage liegenden Kindes. Abgang von Mecoricum.
Linksseitige Pubotomie. Heilung ohne Störung. Kind lebend 4200 g schwer.
Umfang des Kopfes: fr. o. 40, Bip. 113/4. Schädel steinhart mit starker
Kopfgeschwulst.
Auf Grund dieser Beobachtungen betont Verf. die Bedeutung der Pubo¬
tomie beim mäßig verengten Becken. Sie hat jedoch vor den „nicht mehr
gebräuchlichen Aushilfsoperationen“, wie der „prophylaktischen Wendung“,
den großen Vorzug, daß die Frau erst zu einer Zeit operativ entbunden wird,
zu der wir sicher sind, daß die natürlichen Kräfte zur Geburt nicht aus¬
reichen.
Dieser Empfehlung gegenüber muß daran erinnert werden, daß diese
Maximen nur für den Spezialisten und für ihn im allgemeinen auch nur für
die in der Klinik geübte Geburtshilfe in Frage kommt und daß die Erfolge
mit der doch wohl noch nicht völlig zu verwerfenden prophylaktischen Wen¬
dung, wenigstens beim rhachitisch platten Becken, recht befriedigende sind.
(Ref.) F. Kayser (Köln).
21
322
Referate und Besprechungen.
Aus der Universitäts-Frauenklinik in Freiburg i. Br.
Schmerzlose Entbindungen im Dämmerschlaf.
(Prof. B. Krönig. Deutsche med. Wochenschr., Nr. 23, 1908.)
K. bespricht die an seiner Klinik bekanntlich ausgearbeiteten Methoden
— bislang an 1500 Fällen erprobt — , betont aber selbst, daß die Anwendung
des Morphium-Skopolamin-Dämmerschlafes eine fortgesetzte sachverständige
Überwachung der Kreißenden voraussetze, wie sie weder der praktische Arzt
noch auch sehr große Kliniken mit relativ beschränktem Sanitätspersonal zu
leisten vermögen. R. Klien (Leipzig).
Die Wertigkeit des Skopolamin-Morphiums in der Gynäkologie.
(E. Boesch, Basel. Zentralbl. für Gyn., Nr. 49, 1908.)
Gegenüber der ablehnenden Haltung der Marburger Klinik tritt Verf.
auf Grund der Erfahrungen der Baseler Klinik mit Wärme für die Skopolamin-
Morphium narkose bei gynäkologischen Operationen ein.
Am Abend vor der Operation erhalten die Patienten 1 g Veronal; eine
Stunde vor dem Eingriff eine einmalige Dose von Scopolamin. hydrobrom.
0,0005, Morph, hydrochl. 0,015 (stets frische Lösung!). Es gelang stets durch
Chloroform-Äther-Sauerstoff den Dämmerschlaf in das Stadium der tiefen
Narkose überzuführen. Bei etwa 2000 Fällen wurden von Skopolamin-Mor¬
phium keinerlei bedrohliche Erscheinungen gesehen. In den Fällen, in denen
keine größeren Operationen in der Narkose ausgeführt wurden (Narkose zwecks
genauerer Untersuchung u. ä.), wurde eine wesentliche Veränderung von
Temperatur und Puls nicht beobachtet. Stets trat die gleiche wohltätige
Wirkung in Erscheinung: Verringerung der Aufregung vor der Operation,
des ersten Wundschmerzes; weniger quälendes Erbrechen; Herabsetzung der
Gefahr postoperativer Pneumonien, die überhaupt nur in 0,7% der Fälle
beobachtet wurden. —
Die Mitteilungen bringen für den Chirurgen, der nach den Kümmell-
schen Mitteilungen wohl schon längst von der Skopolamin-Morphiumnarkose'
mit bestem Erfolg allgemeineren Gebrauch machte, nichts Neues. Ref. er¬
innert insbesondere an die sehr günstigen Erfahrungen, über welche
Neuber-Iviel auf dem Chirurgenkongreß berichtete. Seine Beobachtungen
erstrecken sich auf 550 Fälle. Er hat Erbrechen während der Operation
in 2%, nach der Operation — aber nur vorübergehend — in 30% beobachtet
und keinen Fall von postoperativer Pneumonie gesehen. Dabei hat er, aller¬
dings meist bei nachfolgendem Gebrauch des Schleich’schen Gemenges,
nach der Korff’schen Vorschrift je 21/2, IV2 und V2 Stunde vor der Operation
folgende Dosen gegeben — 0,004 Scopol, -j- 0,01 Morph. — also im einzelnen
Fall 0,0124 Skopolamin (!). *F. Kayser (Köln).
Über die primären Operationsresultate und die Dauerfolge nach 80 ab¬
dominalen Totalexstirpationen des myomatösen Uterus.
(M. Walthard. Korrespondenzbl. für Schweizer Ärzte, Nr. 23, 1908.)
Walthard’s Resultate sind sehr gut, nur ein Todesfall auf 80 Ope¬
rationen. Daß ihm postoperativer Ileus nicht vorkommt, schreibt er der
retroperitonealen Versenkung der Ligaturen und dem Abschluß der Bauch¬
höhle gegen die Vagina durch seroseröse Naht zu. Im Gegensatz zur Enu¬
kleation der Myome und zur supravaginälen Amputation hat er nie ein
Myom rezidiv erlebt, dagegen zwei Sarkomrezidive. Auch deshalb bevorzugt
er die Totalexstirpation, weil sie von Komplikationen weniger abhängig ist;
die Enukleation interstitieller Myome und die Amputation führt er nur
aus, wo Erhaltung der Konzeptionsfähigkeit oder der Menstruation ge¬
wünscht wird.
Blutungen hält W. erst dann für eine Indikation zum Operieren,
wenn der Hämoglobingehalt auf 50 — 60% gesunken ist. Nur wegen Schmerzen
Referate und Besprechungen.
323
hat er bloß in sechs Fällen operiert, und nur in vier vollkommene Besserung
erzielt. Sind die Beschwerden ausschließlich nervöser Art, so vermeidet
er gern die Operation, da zwar eine Besserung meist eintritt, auf völlige
Beseitigung der Beschwerden aber nicht gerechnet werden kann. Er macht
die sehr richtige Bemerkung, daß bei auf die Genitalien bezogenen ner¬
vösen Störungen in weit mehr als der Hälfte der Fälle der Genitalbefund
völlig normal sei, wo dann natürlich ein ,so roher Eingriff, wie die Ent¬
fernung der Genitalien, nichts helfen kann. Die sogenannten Ausfallserschei¬
nungen betrachtet er kritisch und ist überzeugt, daß sie meist schon vor
der Operation bestanden haben, höchstens werden ihre Einzelheiten dadurch
verändert. Nur wer vor der Operation nervöse Beschwerden hatte, hat solche
nachher, freilich oft in etwas anderer Form. Die Belassung von ein bis
zwei Ovarien und das Alter der Patienten spiele dabei keine Bolle. Auch
dies ist ihm ein Grund, die Totalexstirpation den konservativeren Operationen
vorzuziehen. F. von den Velden.
Ovarialkarzinom bei Karzinom des Uterus.
(Dr. Heinrich Offergeld. Würzburger Abhandl. aus der Gesamtgeb. der prakt.
• Medizin, H. 12, Bd. 8, 1908.)
G. hat 111 Fälle aus der Literatur kritisch bearbeitet und kommt zu
folgenden Ergebnissen: bei gleichzeitigem Vorkommen von Uterus- und Ovarial¬
karzinom ist für gewöhnlich das Uteruskarzinom das primäre, und zwar
hat sich dasselbe entweder auf dem Wege der Kontinuität oder auf dem
Lymphwege weiter verbreitet. Der Weg durch das offene Tubenlumen ist
ebenso wenig bewiesen wie der hämatogene. Gleichzeitige Ovarialkarzinome
finden sich häufiger bei Korpuskarzinom als bei Kollumkarzinom. Weder
Zeitdifferenz zwischen Auftreten des primären und sekundären Herdes, noch
Unterschiede in der histologischen Struktur sprechen zugunsten multipler
Primärtumoren. Therapeutisch kommt 0. zu dem Schluß, auch bei Korpus¬
karzinom die Ovarien mit zu entfernen, und zwar möglichst per laparotomiam
zu operieren, eventuell der Drüsen wegen. Die Adenokarzinome sind hin¬
sichtlich der Metastasenbildung ebenso maligne wie die medullären Karzi¬
nome. In der Metastase können weitgehende Veränderungen des Zellcharakters
zum A.usdruck kommen. R. Klien (Leipzig).
Aus dem gewerkschaftlichen Krankenhause in Orlau.
Zur Frage der prophylaktischen Appendikektomie und der systematischen
Untersuchung der Gallenblase bei gynäkologischen Laparotomien.
(Dr. Jos. Gobiet. Gyn. Rundschau, H. 18, 1908.)
Stehen heute schon viele Operateure auf dem Standpunkt, gelegentlich
gynäkologischer Laparotomien die Appendix zu kontrollieren, so mehren sich
die Stimmen, welche eine Entfernung derselben prinzipiell verlangen, sowie
eine genaue Palpation der Gallenblase, da diese ja bekanntlich beim weib¬
lichen Geschlecht so häufig erkrankt ist. Auf den ersteren Standpunkt
ist auch G. gedrängt worden und zwar durch zwei sehr interessante Beobach¬
tungen, Im ersten Fall bildete sich drei Wochen nach der Entfernung
von eitrigen Adnexen inkl. Uterus eine schwere sog. Appendicitis plastica
aus, die eine zweite Laparotomie nötig machte. In dem anderen Fall han¬
delte es sich um eine Tuberkulose der inneren Genitalien, bei deren Operation
die makroskopisch ganz gesunde Appendix mit entfernt wurde : sie bot nach
dem Aufschneiden und histologisch das typische Bild der Schleimhauttuber¬
kulose. Dieser Frau war eine zweite Laparotomie erspart. Interessant war
in dem ersten Fall noch die Art der Operation : da die Appendix, zu der
zu gelangen, bereits äußerst schwer gewesen war, in ihrer ganzen Aus¬
dehnung fest mit dem Cöcum verwachsen war, so machte G. nur eine In¬
zision, zog von dieser aus die gesamte Schleimhaut wie einen Sack
21*
324
Referate und Besprechungen.
heraus und exstirpierte denselben nach Abbindung an seiner Basis ; Drainage,
Heilung. Übrigens haben die histologischen Untersuchungen verschiedener
Autoren ergeben, daß der Wurmfortsatz bei wegen gynäkologischer Leiden
Operierten in 50 — 60% erkrankt war.
Ähnlich wie mit dem Wurmfortsatz verhält es sich mit der Gallenblase.
Zur Illustration, wie nötig eine Abtastung der Gallenblase gelegentlich
der Laparotomie bei der Frau sein kann, fuhrt G. vier sehr instruktive
Fälle an. Bei der ersten Patientin wurden Magenbeschwerden auf die Er¬
krankung des Genitales bezogen und die Patientin deshalb mehrfachen gynä¬
kologischen Eingriffen unterworfen, ohne daß die Magenbeschwerden gebessert
werden waren Man dachte dann an Hysteroneurasthenie. Endlich wurde
bei einer neuerlich vorgenommenen Laparotomie die Gallenblase abgetastet,
sie enthielt 40 Steine; der Schnitt wurde verlängert, die Gallenblase exstir-
piert, sämtliche Beschwerden blieben fort. Bei der zweiten und dritten
Patientin fehlten ebenfalls charakteristische Symptome für eine Gallenblasen¬
erkrankung, man machte eine gynäkologische Laparotomie, deckte dabei durch
Palpation Erkrankungen der Gallenblase auf; Exstirpation der Blase brachte
Heilung. Der vierte Fall beweist die Berechtigung der Forderung Landaus,
die vaginalen Operationen zugunsten der Laparotomie einzuschränken. Die
Beschwerden der Pat. fanden durch den Befund einer Wanderniere und ein
gleichzeitiges Genitalleiden anscheinend genügende Erklärung. In der Rekon¬
valeszenz von der Nephropexie und Kolpotomie kam es zu einer Perforation
der steinhaltigen Gallenblase, durch welche die Pat. in die höchste Lebens¬
gefahr kam. Eine nunmehr vorgenommene Laparotomie schaffte Heilung,
obwohl dieselbe bei bereits beginnender Peritonitis vorgenommen wurde.
Auf Grund eigener und fremder Erfahrung fordert G. prinzipielle
Exstirpation des Wurmfortsatzes und Abtastung der Gallenblase bei jeder
Laparotomie. Bei pathologischem Befunde ist auch die Gallenblase zu exstir-
pieren. Die subperitoneale Methode nach Witzei gestattet dies in kürzester
Zeit. Der ursprüngliche Schnitt wird entweder verlängert oder ein neuer
angelegt. Manche „Hysterika“ wird auf diese Weise geheilt werden.
R. Klien (Leipzig).
Ein Fall von doppelseitiger sekundärer Erkrankung der Bartholin’schen
Drüse an Karzinom.
(Dr. Schlüter, Stettin. Zentralbl. für Gyn., Nr. 50, 1908.)
49 j. anämische Patientin mit kastaniengroßen Geschwülsten am unteren
Teil beider großen Labien, welche sich nach der Exstirpation als Karzinome er¬
wiesen. Da das Curettement des Uterus krümelige Massen ergibt, wird die vagi¬
nale Totalexstirpation des vergrößerten höckerigen Uterus' vorgenommen, dessen
mikroskopische Untersuchung gleichfalls Drüsenkarzinom ergibt. Ungestörte
Rekonvaleszenz; Tod nach 1/2 Jahr in der Heimat an unbekannter Ursache.
Offenbar handelt es sich in dem Fall um einen durch Überimpfung des
karzinomatösen Sekrets entstandenen Drüsenkrebs. Das primäre Karzinom
der Bartholin’schen Drüse ist an sich sehr selten. Die Beobachtung ge¬
winnt durch den Entstehungsmodus durch Überimpfung — in dieser Beziehung
stellt sie ein Unikum dar — sowie durch die Tatsache der Doppelseitigkeit
besonderes Interesse. F. Kayser (Köln).
Soli man bei akuter diffuser Peritonitis des Weibes vaginal oder supra-
pubisch drainieren?
(Dr. G. R. Gurr an, Mankato, Minnesota. The St. Paul med. journ., Septbr. 1908.)
C. hatte sich in seiner Praxis überzeugt, daß bei akuter diffuser,
durch suprapubische Inzision als solche nachgewiesener Peritonitis des Weibes
die vaginale Drainage vor der suprapubischen nicht nur keine Vorteile,
sondern oft sogar Nachteile ihr gegenüber habe, war aber erstaunt, zu
Referate und Besprechungen.
825
finden, daß die Ansicht von der Überlegenheit der vaginalen Drainage trotz¬
dem unter den Chirurgen sehr verbreitet war. Infolgedessen veranlaßte er
eine Art Enquete, indem er einen gleichlautenden Brief an 22 amerikanische
Autoritäten richtete, in dem er diese bat, sich zu der Erage zu äußern.
Der Brief lautete: „Bitte um Ihre Ansicht über den Vorteil bezw. Nachteil
der Vaginal- gegenüber der suprapubischen Drainage bei akuter profuser
Eiterung der Abdominalhöhle, das heißt, halten Sie, wenn Sie das Abdomen
geöffnet haben und eine akute diffuse Peritonitis ohne Vorwölbung des
Cul-de-sac finden, die Vaginaldrainage für besser als die Drainage durch
die Bauchwunde?“ Es gingen 17 Antworten ein, die im Wortlaut mit¬
geteilt werden. Für suprapubische Drainage sprechen sich neun aus, die
von Deaver-Philadelphia, R. T. Moore- New- York, Fi nney -Baltimore,
Murphy-Chicago, May o-Rochester , Maclaren-St. Paul, Richardson-
Boston, O viatt-Oshkosh, Mac- Arthur-Chicago, für vaginale Roswell
Pack-New-York, vorausgesetzt, daß der Drain groß genug genommen wird.
Beide Methoden, je nachdem, wenden an Ochsn er und Webs ter- Chicago,
Evans-la Crosse. Die übrigen Antworten nehmen nicht direkt Stellung
zu der Frage. Peltzer.
Endometritis chronica und Abrasio mucosae.
(Dr. Ludwig Herzl. Gyn. Rundschau, Nr. 17, 1908.)
H. warnt wieder einmal dringendst vor der Behandlung, richtiger ge¬
sagt, Mißhandlung des „Fluors“, der chronischen katarrhalischen Endometritis,
mittels Kürettage. Es ist zu bedauern, daß der Artikel in einem gynäko¬
logischen Fachblatt erschienen ist; der Fachgynäkologe hat schon längst
aufgehört, bei Fluor zu kürettieren, die praktischen Ärzte huldigen aber
leider noch in ausgedehnter Weise diesem „leichten und sicheren“ Eingriff.
Leider ist auch heute noch keine Methode erfunden, die nach ein- oder zwei¬
maliger Anwendung eine jahrelang bestehende Metro-Endometritis heilt; auch
heute noch gehört Geduld, oft über Monate, dazu, eine chronische Endo¬
metritis zu heilen ; neben lokaler Behandlung ist auch die Allgemeinbehand¬
lung zu berücksichtigen. R. Klien (Leipzig).
Aus der inneren Abteilung des Krankenhauses Bethanien in Berlin.
Über Pyelitis bei Frauen und ihre Beziehungen zur Menstruation.
(Dr. E. Scheidemandel. Deutsche med. Wochenschr., Nr. 31, 1908.)
Die primäre selbständige Pyelitis gehört, wie Lenhartz u. a. gezeigt
haben, durchaus nicht zu den Seltenheiten, wie weite ärztliche Kreise noch
heute annehmen. Hinter mancher operierten „einfachen Appendizitis“ bei
Frauen mag in Wahrheit eine rechtsseitige Pyelitis gesteckt haben. Die
Erkrankung beginnt meist plötzlich mit hohem Fieber, Erbrechen. Leib-,
Magen- und Rückenschmerzen können vorhergegangen sein, letztere weiter¬
bestehen. Schmerzen in der Lendennierengegend sind ziemlich eindeutig, aber
nicht immer vorhanden. Blasenbeschwerden fehlen meist. Objektiv besteht
Druckschmerzhaftigkeit der erkrankten Niere besonders von hinten, die oft nur
vorübergehend ist, im Gegensatz zu anderen entzündlichen Erkrankungen
in dieser Gegend. Nicht immer, aber öfter ist die betr. Niere vergrößert.
Der Ur in ist trübe, zeigt oft rein eitrigen Bodensatz (Tagesurin sammeln!).
Mikroskopisch finden sich fast ausschließlich Leukozyten, oft verzerrt und
mit Fettröpfchen und Bakterien angefüllt. Epithelien des Nierenbeckens
sind sehr selten, Blasenepithelien finden sich nur bei gleichzzeitiger Zystitis.
Der Eitergehalt des Urins ist sehr wechselnd, entsprechend wechselt der
Eiweißgehalt, von der Trübung anfangend bis zu l°/oo Ersbach. Bakterio¬
logisch findet sich in der Regel das Bacterium coli; hier und da der
Milchsäurebazillus, Proteus, Paratyphusbazillus, Pneumobazillus Fried¬
länder. — Der KrankheitsvelTauf kann sich verschieden gestalten. Der
326
Referate und Besprechungen.
erste Fieberanfall zeigt meist die Kurve einer Kontinua, ähnlich wie bei
kruppöser Pneumonie; nach fünf bis sechs Tagen ist die Temperatur auf
der Norm. Regelmäßig tritt nach einigen fieberfreien Tagen eine ähnliche,
gewöhnlich kürzere Temperatursteigerung ein; es ist die andere Niere er¬
krankt. Dieses Spiel kann sich noch mehrmals wiederholen. — Ätiologisch
scheint der aufsteigenden Koliinfektion, vom Anus her, die Hauptrolle zuzu¬
fallen; dafür spricht die vorwiegende Beteiligung des weiblichen Geschlechtes.
— Differential diagnos tisch kommen in Betracht: rechtsseitige Appen¬
dizitis und Peritonitis. Bei genauer Untersuchung findet man aber gewöhn¬
lich die erkrankte Niere und zwar von hinten druckempfindlicher als bei
der Palpation von vorn. Betreffs der Zystitis gilt der oben skizzierte Urin¬
befund, sodann der zystoskopische. Von anderen Erkrankungen, mit denen
die Pyelitis schon verwechselt worden ist, sind zu nennen : Influenza, rheu¬
matisches und gastrisches Fieber, „zentrale“ Pneumonie, Nephritis, Lumbago,
Ischias, Gallensteinkoliken, Adnexerkrankungen. — Die Prognose ist günstig.
Nur sehr schwere Fälle verliefen tödlich. — Therapeutisch reiche man
Wildunger Wasser oder Lindenblütentee, täglich dreimal einen halben Liter.
Es können so auch kindskopfgroße Anschwellungen des Nierenbeckens spontan
zurückgehen, besonders bei gleichzeitiger Wärmebehandlung. Bei lithogenem
Verschluß muß natürlich die Operation erwogen werden. — Bemerkenswert ist
der oft prämenstruelle Beginn der Pyelitis resp. ihrer Relapse.
R. Klien (Leipzig).
Kinderheilkunde und Säuglingsernährung.
Die gewohnheitsmäßigen Schulschwänzer und Vagabunden im Kindesalter.
(Moses. Umschau, Nr. 32, S. 634, 8. August 1908.)
Die Grundlagen des Hanges zum Schulschwänzen und Vagabundieren
sind teils sozialer, teils individueller Natur. Die ärztliche Untersuchung
der kindlichen Vagabunden ergibt bei vielen die Zeichen einer schweren
erblichen Belastung. Der Hang zum Vagabundieren ist häufig eine Er-
scheinungs- und Äußerungsform der Degeneration. Diese Degeneration offen¬
bart sich entweder durch einen starken egoistischen, antisozialen Trieb,
oder es sind Hemmungen auf dem Gebiete der intellektuellen Entwicklung
vorhanden, oder endlich krankhafte Veranlagungen manifester Art.
Wie bei erwachsenen Landstreichern ist auch bei den kindlichen Vaga¬
bunden der Anteil des Schwachsinns besonders groß. Bei einer anderen
Kategorie tritt die Vagabundage gern in Form von Anfällen, sog. Fugues
auf, die sich als eine krankhafte Reaktion auf Verstimmungen erweisen und
mit allerlei körperlichen Begleiterscheinungen kombinieren, eventuell kann
der Wandertrieb auch eine Äußerungsform oder Folgeerscheinung einer epi¬
leptischen Veranlagung sein. Andere Gewohnheitsschwänzer sind hysterisch
(pseudologia Phantastica), sie scheuen nicht zurück vor den falschen An¬
schuldigungen und vor den abenteuerlichen Erzählungen.
Zurzeit der Geschlechtsreife komplizieren sich die Erscheinungsformen
unter dem Einflüsse der anderweitigen Gestaltung der Lebensverhältnisse,
wie innerer organischer Ursachen. Die Psyche befindet sich in einem Span¬
nungszustand, der zur Entladung drängt, die sich, wie in allerlei Jugend¬
streichen oder in unsittlichen und kriminellen Handlungen, auch in der Vaga¬
bundage manifestieren kann.
Die Maßregeln im Kampfe gegen das Übel müssen darin bestehen,
das Kind vor dem Verbrechen und vor dem Gefängnis zu schützen. Ein
umfassender Kinder- und Jugendschutz ist notwendig; besonders erscheint
der Ausbau der an die Schulen angegliederten Wohlfahrtseinrichtungen, Kin¬
derhorte, Ferienhorte, Ferienheime, Schulspeisung usw. geboten. Viel gutes
leisten die Hilfsklassen für Schwachbefähigte. In vielen Fällen kommt die
Unterbringung des Kindes außerhalb der Familie in Betracht, auf Grund
vorzüglichen Eingreifens der Armenbehörde oder der Vormundschaftsgerichte
Referate und Besprechungen.
327
oder des Fürsorgeerziehungsgesetzes. Leider gelingt es selten, ein fürsorg'
liehes Erkenntnis zu erlangen, bevor die Kinder kriminell geworden sind.
Für die zum unstäten Vagabundieren neigenden Kinder kommt schließe
lieh die Unterbringung auf einem Ausbildungsschiff nach dem Muster der
Englischen „Reformatory ship“ in Frage. (Beispiellos sind die glänzenden
Erfolge, welche der vor kurzem gestorbene Dr. Barnardo auf diesem Ge¬
biete in seiner langjährigen Tätigkeit erzielt hat. Die meisten Kinder
werden nachts in den elendesten Vierteln Londons auf gegriffen, in den
„Homes“ erzogen, und nach dem Schluß der Erziehung nach Kanada emi¬
griert, wo sie meist Landwirte werden. Die Erfolge sind einzig in ihrer Art,
die Anzahl der nicht geratenen Fälle eine äußerst geringe, so daß sie kaum
in Betracht kommt.) Ref. möchte die Gelegenheit benutzen, um auf diese
wunderbare Rettungsarbeit besonders aufmerksam zu machen, da es ihm
bis jetzt nicht auf gef allen ist, daß derselben bei uns in Deutschland die
notwendige Beachtung geschenkt worden ist. Ivoenig (Dalldorf).
(Aus der zweiten medizinischen Klinik der Charite in Berlin. Direktor: Geh. Med.-
Rat Prof. Dr. Kraus.)
Über Behandlung mit Pyozyanase bei Diphtherie, Scharlach und Anginen.
(Dr. Saar. Deutsche med. Wochenschr. Nr. 36, 1908.)
Saar wandte die Pyozyanase, deren, wirksames Prinzip nach Raubit-
schek und Ruß in einem hitzebeständigen, bakteriziden Lipoid besteht,
täglich 3 — 4 mal mittels Zerstäuber an. Nach 10 maligen Einstäuben muß
der Pat. ausspeien, worauf nochmals gespritzt und dann die Pyocynase im
Rachen belassen wird. Gleichzeitig mit der Behandlung stellte er Labora¬
toriums versuche an, die die bakterizide, aber keine diphtheriegiftbindende
Eigenschaft ergaben.
Bei 14 Diphtheriekranken, von denen 3 außerdem noch mit Heilserum
und 5 !mit Sol. Hydrargyr. cyanati behandelt wurden, hatte die Pyocyanase
sehr zufriedenstellenden, manchmal geradezu überraschenden Erfolg. Die
Membranen schmolzen vom Rande her ab, zuweilen lösten sie sich auf einmal
von der sukkulent aussehenden Schleimhaut, Auch die Diphtheriebazillen
verschwanden meist, nur in 2 Fällen nicht, wo die sehr zerklüfteten Ton¬
sillen wohl die Schuld haben dürften.
Bei 7 Scharlachfällen konnten die Beläge, in denen sich Strepto- und
auch Staphylokokken fanden, nach 3— 4 maliger Behandlung beseitigt wer¬
den, während bei einem achten, dessen Beläge von Fränkel’schen Diplococcus
lanceolatus herrührten, keine Besserung erzielt werden konnte.
3 Patienten mit Angina Plaut -Vincenti kamen außerordentlich rasch
zur Heilung, desgleichen 14 Fälle von Angina.
Saar kommt zu dem Schluß, daß die Pyozyanase für Anginen infolge
von Streptokokken, Staphylokokken und Diphtheriebazillen ein ausgezeich¬
netes lohnendes Mittel ist. Wegen der ihr fehlenden diphtheriegiftbildenden
Eigenschaft muß bei Diphtherie außerdem, wenigstens bei Kindern, poch
Heilserum, wenn vielleicht auch in schwächerer Dosis in Anwendung kommen.
F. Walther.
Röntgenologie und physikalische Heilmethoden.
Phototherapie.
(H. E. Schmidt. Zeitschr. für neuere phys. Medizin, Nr. 17, 1908.)
Verfasser gibt eine Beschreibung der für die „Lichtbehandlung“ in
Betracht kommenden Apparate.
Ausgehend von den Glühkastenbädern erwähnt Verfasser die speziell
wegen ihrer Tiefenwirkung zur Behandlung des Lupus geeignete Finsen-
lampe, ein durch Bergkristall -Linsen konzentriertes, kräftig elektrisches
Kohlenbogenlicht. Später entstanden die Eisenlampen, z. B. die Dermolampe,
328
Referate und Besprechungen.
bei denen der Lichtbogen sich zwischen Eisenelektroden bildet. Diese Lampen
werden z. B. bei der Alopecia areata angewandt und erweisen sich wirksam
infolge der Hyperämisierung der Haut und der Anregung des Zellenstoff¬
wechsels. — Der Nachteil dieser Lampen, der in einer Belästigung der
Patienten durch schädliche Eisenoxyddämpfe und absprühende kleine Metall¬
teilchen besteht, wurde vollständig durch die Konstruktion der Quecksilber¬
lampen in Gestalt der Uviollampe und der Quarzlampe beseitigt. Hier kommt
der Lichtbogen in fast luftleeren Röhren durch Verdampfen von Quecksilber
zustande. Die Quarzlampen finden hauptsächlich Anwendung bei varikösen
JJlcera eruris, Acne vulgaris, subacuta u. a., frischen Ekzemen, Pruritus
vulvae und Alopecia areata. Die Tiefenwirkung ist erheblich geringer als
bei den Einsenapparaten. v. Rutkowski (Berlin).
Lymphatische Leukämie und Röntgenstrahlen.
(Paul Houde. These de Paris. 1908. Steinheil.)
Die Schnelligkeit, mit welcher bestimmte Prägen im Mittelpunkt des
allgemeinen Interesses erscheinen und wieder verschwinden, ist eine inter¬
essante Illustration der reizbaren Schwäche des Zeitgeistes. In dieses Kapitel
gehört auch die Röntgentherapie der Leukämie. Houde hat das Thema
nochmals aufgegriffen und kommt zu dem Ergebnis, daß die X-Strahlen
sowohl die gewucherten Lymphozyten wie das hyperplastische Lympligewebe
destruieren, teils direkt, teils mit Hilfe der Phagozyten ; an chemische Stoffe,
Leukolysine und dergleichen — der Phantasie eröffnet sich da ja ein un¬
begrenztes Gebiet — glaubt er nicht.
Mit Recht betont er, daß die X-Strahlen nicht die Krankheitsursache,
sondern nur die Krankheitserscheinungen wegnehmen. Das Wesentliche, die
Anämie, bleibe unberührt, höchstens, daß die Beseitigung der Leukozytose
den Verlauf des Dramas in die Länge ziehe. Aber schließlich ist das Hinaus¬
rücken des Todes um ein paar Jahre auch ein Erfolg.
Buttersack (Berlin).
Hochfrequenzströme bei Prostatahypertrophie.
(Oro. Congr. de la Societö ital. d’Urologie, Rome. April 1908.)
Massage mit Bisserie’scher Elektrode, die angeschlossen ist an einen
Oudin’schen Resonator (45 cm Funkenlänge; Stromstärke 18 — 20 Volt, zwei
Ampere), hat dem italienischen Arzt Heilungen ergeben bei subakuter gonor¬
rhoischer Prostatitis (54 mal), bei chronischer (69 mal), bei Prostatitis und
Periprostatitis chronica (15 mal), bei Hypertrophie (4mal).
Die Applikation sei angenehmer und einfacher als die Massage mit dem
Finger. — - Dauer: zwei Minuten. ' Buttersack (Berlin).
Die lokalisierte Faradisation bei Störungen der Gefühlsnerven und ihre
Bedeutung für die gerichtliche Medizin.
(A. Laquerriere: Zeitschr. für neuere phys. Medizin. Nr. 17, 1908.)
Die faradische Revulsion mittels des Tripier’schen Rechens dient zur
Entlarvung von Simulationen einer Anästhesie. Sie bestimmt, ob eine schein¬
bar absolute Anästhesie in Wirklichkeit nur eine relative ist. Hat der
faradische Strom nach einigen Sitzungen keine Änderung der anästhetischen
Zone erzeugt, liegt die Vermutung, nicht die Gewißheit nahe, daß es sich
um organische Störungen handelt. v. Rutkowski (Berlin).
Uber den Mißbrauch der Kohlensäurebäder.
(M. Herz, Wien. Allgem. Wiener med. Zeitung, Nr. 42, 1908.)
Da man den C02-Bädern eine blutdrucksteigernde Wirkung zuschreiben
zu müssen glaubte, so hielt man sie anf änglich in Fällen pathologisch gesteiger¬
ten Druckes für kontraindiziert. Dieses Bedenken hat sich in praxi nicht als
Referate und Besprechungen.
329
stichhaltig erwiesen und so steht man, wie H. ausführt, heute auf dem Stand¬
punkte, daß es keine Gegenanz;eigen für diese Bäder hei Herzkranken gebe,
ausgenommen vielleicht die Fälle äußerster Herzschwäche, in denen das Bad
an sich eine gefährliche Anstrengung bildet.
Während nun aber bei Kranken mit Herzmuskelinsuffizienz die C02-Kur
eklatante Erfolge aufweist (Verbesserung des Blutdrucks, Beruhigung, bezw.
Regelung der Herztätigkeit), die ungefähr derjenigen der Digitalis entsprechen,
wirkt sie in Fällen von nervösen Herzbeschwerden z. B. nervöser Über¬
reizung bei normalem Muskel, oft direkt verschlimmernd, namentlich ist sie
kontraindiziert bei konstanter hochgradiger Bradykardie und bei Puls, inter-
mitt. regul., wo Verdacht auf Herabsetzung der Leistungsfähigkeit der Herz¬
muskelfaser -i vorliegt. (Bei den nervösen Herzaffektionen wirken besser Spiri-
tusabreibungen, warme Halbbäder, zimmerwarme Umschläge, Leiters Apparat,
Herzflasche [1 Stunde täglich] viertelstündige indifferente Vollbäder, ferner
Brom, Baldrianpräparate.)
Überflüssig sind die CCL-Bäder bei kompensierten Klappenfehlern, eher
schädHch. als nützlich bei den scheinbaren Insuffizienzerscheinungen, die durch
„Platzmangel des Herzens“ erzeugt und durch mechanotherapeutische, thorax¬
erweiternde Maßnahmen bekämpft werden.
Auf eine C02-Kur muß der Kranke durch einige indifferente Solbäder
vorbereitet werden, die Kohlensäurebäder dürfen weder zu heiß noch zu
zu kalt sein. Herz beginnt mit 34° C und geht von Woche zu Woche um
je 1° herunter, aber nie unter 28°. Das Gefühl des Fröstelns darf sich nie
einstellen. Die Dauer soll anfänglich 8 Minuten betragen und auf nicht
mehr als 15 Minuten steigen. Im Beginn genügen 2 Bäder wöchentlich, später
kann man bis auf 6 steigen. Einatmung des Gases soll durch eine übergelegte
Decke verhindert werden, lan deren Fußende die Kohlensäure entweichen kann.
Bei schwachen Kranken soll dem Bade eine mindestens halbstündige Ruhe
folgen. Esch.
Die Kuren mit direkter Sonnenbestrahlung im Hochgebirge.
(Hallopeau u. Kollier. Sitzungsbericht der Acad. de med., 24. November 1908.
— Münch, med. Wochenschr., Nr. 2, 1909.)
Nach den Erfahrungen der Verff. ist die bakterientötende, oxydierende,
reduzierende, schmerzstillende Wirkung des direkten Sonnenlichtes im Hoch¬
gebirge intensiver wie im Flachland wegen der Lichtabsorption durch die
Atmosphäre. Sowohl oberflächliche wie tiefer liegende Fälle von Tuberkulose
wurden sehr günstig beeinflußt. Die anfangs nur kurze Zeit, vorzunehmende
Exposition kann nach Eintritt der Pigmentierung verlängert werden. Escly
Medikamentöse Therapie.
Über schlimme Zufälle bei der Apomorphinanwendung und über die
Beziehungen zwischen Würgakt und Muskellähmung.
,r(Prof. Dr. Erich Harnack, Halle. Münch, med. Wochenschr., Nr. 36, 1908.)
Harnack berichtet über 6 Fälle von Apomorphinvergiftung (einer da¬
von am eigenen Körper, die anderen aus der Literatur), die Patienten be¬
trafen, welche durch Krankheiten der Respirationsorgane geschwächt waren.
Während bei einem Teil erst Erbrechen und dann Kollaps, bei dem anderen
die umgekehrte Reihenfolge auftrat und ferner bei ihm selbst absolute
Muskellähmung bei intakter Respiration, bei einem anderen Pat. infolge
Respirationslähmung Exitus beobachtet wurde, fand sich gemeinsam bei allen
Kranken Muskelerschlaffung. Die verschiedene Schwere der Vergiftungs¬
erscheinungen ist vielleicht auf Verwendung des amorphen Apomorphins zu¬
rückzuführen. daß, wie Guinard beobachtete, viel gefährlicher ist, wie
das kristallinische.
330
Referate und Besprechungen.
Was nun den Zusammenhang zwischen Brechakt und Muskellähmung
betrifft, so ist er vorläufig noch vollkommen in Dunkel gehüllt. Bekannt
ist ja die bei jeder Nausea auftretende Muskelschwäche, die vermutlich vom
Magen ausgeht und auf nervöser Basis beruht. Die besonders schwere Muskel¬
lähmung bei Apomorphinvergiftung kann vielleicht auf eine Veränderung
der Muskelsubstanz durch Vermittelung der motorischen Nerven zurückzuführen
sein. Eine andere Möglichkeit wäre noch eine reflektorische Erregung von
hemmenden Einflüssen, die auf die motorischen Bahnen abfließen. Darnach
macht dabei auf die Beziehungen aufmerksam, die diese Frage zur Seekrank¬
heit hat. F. Walther.
Über die Wirkung subkutan einverleibten Adrenalins.
(Joh. Emmert. Virchows Arch. für patholog. Anatomie, Bd. 194, S. 114, 1908.)
Die Untersuchungen wurden an weißen Mäusen und Meerschweinchen
begonnen, welch letztere sich aber als ungeeignet erwiesen, da sich bald
starke Nekrosen um die Einstichstellen bildeten. Die längere Zeit mit sub¬
kutan einverleibten mittleren Gaben von Adrenalin behandelten Mäuse magern
ab und sterben schließlich unter denselben Erscheinungen wie die akut ver¬
gifteten Tiere. Manche Mäuse ertragen von Anfang an die sonst tödliche
Dosis. Durch Verabreichung mittlerer Gaben kann die Widerstandsfähigkeit
gegen hohe Dosen gesteigert werden. Die chronische Vergiftung mit Adre¬
nalin scheint teils entwicklungshemmend, teils direkt tödlich auf die Em¬
bryonen zu wirken.
Unter den Erscheinungen der akuten Vergiftung sind bemerkenswert:
Lähmung der Hinterbeine und des Schwanzes, Exophthalmus, Verlagerung
der Linse. Die verlagerte Linse wird als milchfarbiger Körper sichtbar.
In der Niere chronisch vergifteter Mäuse zeigt das Parenchym degene-
rative Veränderungen, daran kann sich Cystenbildung anschließen. Das Binde¬
gewebe vermehrt sich diffus und bei intensiv behandelten Tieren auch herd¬
förmig. Diese Herde sind kompakt und keilförmig von Gestalt, ihre Basis
sitzt lateral, sie erstrecken sich gegen die Papille zu. Mikroskopische Unter¬
suchungen der übrigen Organe stehen noch aus. Weder in den größeren
Nierengefäßen noch an den Glomerulis ließen sich primäre Veränderungen fest¬
stellen. Über das Verhalten des übrigen Gefäßsystems wird nichts gesagt.
W. Risel (Zwickau.
Vergleichende Studien über die Wirkung von Hypophysen- und Neben¬
nierenextrakt.
(A. Carraro. Arch. p. 1. scienze med., H. 1, Bd. 32, 1908.)
Das aktive Prinzip der Hypophyse bewirkt im Tierkörper Verände¬
rungen, die den durch Adrenalin gesetzten ähnlich sein können; doch ist jenes
weniger gefährlich, da einmal die Veränderungen weniger intensiv sind, an¬
dererseits manche ganz fehlen können, wie z. B. die Aortenatheromatose.
An der Leber bewirkt das Hypophysenextrakt ähnlich wie das Adrenalin
degenerative Prozesse bis zu völliger Nekrose, besonders in der Peripherie
der Acini, doch langsamer und weniger intensiv; ähnlich verhält es sich mit
der toxischen Einwirkung beider auf das Nierenparenchym und auf die
Lunge, in welch letzterer sie Hyperämie, Epitheldesquamation und klein¬
zellige Infiltrationsherde bewirken. Im Gegensatz zum Adrenalin wirkt
Hypophysenextrakt weder auf die Erythrozyten, noch bewirkt es transitorische
Glykosurie. Das Adrenalin wirkt auf Gefäße und Nieren bei jeder Appli¬
kation, während Leber und Lunge nur bei intravenöser Einverleibung alteriert
werden ; ebenso verhält sich das Hypophysenextrakt. Die wichtigste Folge¬
rung, die daraus zu ziehen ist, ist die, daß die Folgen der Einverleibung
der Substanzen nicht allein auf ihre drucksteigernde, sondern auch auf ihre
toxische Eigenschaft zu beziehen sind; denn sonst wäre nicht einzusehen,
warum das Hypophysenextrakt, das kaum weniger toxisch wirkt als das
Adrenalin, keine Aortenveränderungen bewirkt. M. Kaufmann.
Referate und Besprechungen.
381
Chemisches und Biologisches über colloidale Metalle.
(L. Bousquet u. H. Roger. Rev. de med., Nr. 12, S. 1041 — 1050, 1908.)
Als Einleitung zu einer Arbeit über den therapeutischen Wert der
kolloidalen Metalle stellen die beiden Kliniker zusammen, was bis jetzt über
diese Körper bekannt ist.
Man führt die Metalle in den kolloiden, gelatinösen Zustand, in welchem
sie nicht oder nur sehr langsam dialysieren, entweder auf chemischem
Wege (durch Reduktionsprozesse oder durch Fällung bei Gegenwart von
Gummi, Eiweiß und dergleichen) über, oder mit Hilfe des Voltabogens.
Diese letztere Methode (von Breldig) ist die bessere, weil sie ein reines
Präparat liefert. Die anderen, wozu auch das Kollargol gehört, enthalten
naturgemäß Körper, die eigentlich nicht hergehören.
Die auf den beiden Wegen gewonnenen Präparate sind übrigens nicht
gleichwertig : die Bredig’schen enthalten bis zu 98% Metall, verlieren ihre
eigentümlichen Eigenschaften durch Erhitzen, wirken auch in viel kleineren
Quantitäten als die auf dem chemischen Wege hergestellten sog. Hydrosole
bezw. Organosole ; des ferneren sind sie überhaupt viel unbeständiger, doch
lassen sie sich durch Hinzufügen ganz geringer Mengen anderer Kolloid¬
substanzen stabilisieren.
Physikalisch betrachtet stellen sie Pseudo-Solutionen dar, indem sie
kaum sichtbare Teilchen suspendiert enthalten. Ihre wichtigste Eigenschaft
ist ihre katalytische Fermentwirkung.
Auf Bakterien wirken sie schon in enormer Verdünnung (1:100000
bezw. 1:50000) tötend. Injektionen solcher Lösungen schützen Kaninchen
gegen die mehrfache tödliche Dosis von Streptokokken, Tetanus, Diphtherie,
Ruhr ; aber natürlich verhalten sich nicht alle Metalle gleich ; Elektro-
Hydrargyrum ist z. B. erheblich stärker als Elektrosublimat.
Für Tiere sind die Elektrometalle unschädlich. In der Hauptsache wirken
sie auf den Stoffwechsel und zwar in dem Sinne, daß die Stickstof fausschei-
dung — namentlich die Harnsäure, aber- auch Harnstoff, Indoxyl — be¬
trächtlich in die Höhe gehen.
Im Blute finden sich die Elektrometalle noch 3—4 Tage nach der
Einverleibung, gleichgültig auf welchem Wege diese erfolgt war.
In einer zweiten Abhandlung teilen sie dann eine Reihe interessanter,
z. T. selbst beobachteter klinischer Fälle mit, aus denen hervorgeht, daß
intravenöse und intramuskuläre Injektionen von je 10 ccm — - beliebig oft
wiederholt — auch in schweren Fällen von Septikämie, Puerperalfieber,
Grippe, Rheumatismus, Diphtherie, Pocken, Scharlach, Typhus ausgezeich¬
nete Dienste leisteten und ersichtlich den Gang der Krankheiten energisch
beeinflußten. Merkwürdig ist, daß ein Fall von Malaria, welcher gegen
Chinin sich refraktär verhielt, durch kolloide Goldinjektionen geheilt wurde.
Erysipelas, Tuberkulose und Syphilis blieben durch diese Therapie un¬
beeinflußt. Buttersack (Berlin).
Aus der chirurgischen Abteilung des Stadtkrankenhauses Dresden- Johannstadt.
Dirigierender Oberarzt: Dr. Crede.
Die Behandlung septischer Erkrankungen mit Kollargolklysmen.
(Dr. Curt Seidel. Deutsche med. Wochenschr., Nr. 31, 1908.)
Neben der Schmierkur mit Kollargolsalbe und der intravenösen Ein¬
spritzung von 3 — 10 ccm einer 2%igen Lösung kommt besonders für den
praktischen Arzt wegen der leichten und bequemen Anwendungsweise die
Behandlung mit Kollargolklystieren in Betracht. In leichten Fällen benötigt
man 1 — 2 g Kollargol auf 50—100 g warmen Wassers ein oder mehreremal
den Tag, in schweren bis zu ß g den Tag 1 — 2 mal. Ist die Wirkung ein-
getreten, so muß die Dosis herabgesetzt werden, die Verabreichung aber noch
ca. 14 Tage lang erfolgen. Zur Vorbereitung gibt man ein Reinigungsklystier
mit warmem Seifenwasser und eine Viertelstunde nach dessen Entleerung
382
Referate und Besprechungen.
vorsichtige Ausspülung des Darmes am besten mit Kochsalzwasser, um den
Schleim, der durch Niederschlagung des Kollagols die Wirkung bedeutend
herabsetzen würde, zu entfernen. Die Resorption geht ziemlich rasch, ge¬
wöhnlich binnen 2 Stunden vor sich. 1 — 5 Stunden nach der Vorbereitung
kommt es oft zu Frösteln und darauf zu Schweißausbruch. Seidel gibt einen
ausführlichen Bericht über mehrere Krankengeschichten, in denen es sich
um Arthritis gonorrhoica, Phlegmonen, Sepsis, Pyämie, Septicopyämie handelt,
und die zeigen, daß das Kollargol wesentlich, vielleicht sogar entscheidend
auf die Erkrankung einzuwirken vermag. Das Allgemeinbefinden bessert
sich und das Fieber klingt danach bald ab. Er empfiehlt es nicht allein
bei septischen sondern auch bei Infektionskrankheiten. F. Walther.
Experimentelle Untersuchungen über formaldehydhaltige interne Harn¬
desinfektionsmittel.
(K. Forcart. Med. Klinik, Nr. 10, 1908.)
Die Untersuchungen wurden in der Weise angestellt, daß die betreffenden
Mittel den Versuchspersonen gereicht wurden und deren Urin auf seine
bakterizide Kraft hin untersucht wurde. Zur Prüfung gelangten Urotropin,
Hippol, Helmitol, Hetrolin, Borovertin; die Wirkung dieser Mittel auf Bak¬
terien besteht darin, daß aus diesen Mitteln im Harn Formaldehyd abgespalten
wird, welches das Wachstum der Bakterien hindert bezw. diese tötet. Aus
den Versuchen ergibt sich, daß Hetrolin, Hippol und besonders Borovertin
— eine Kombination von Urotropin und Borsäure = Hexamethylentetramin-
triborat — am besten wirken, und daß das Bacterium coli den Mitteln
den größten Widerstand leistete, eine Beobachtung, die mit der praktischen
Erfahrung übereinstimmt, wonach eine Koli-Cystitis besonders hartnäckig zu
sein pflegt. R. Stüve (Osnabrück).
Medikamentöse Behandlung der Tuberkulose.
Im Kampfe gegen die Tuberkulose leisten die Lungenheilstätten gewiß
die wesentlichste Arbeit. Wenn auch nicht alle die Erwartungen, die man
bei ihrer Begründung in sie gesetzt, in Erfüllung gegangen sind, so haben
sie uns doch zweifellos in der Bekämpfung der Seuche ein gut Stück vor¬
wärts gebracht. Leider haben die Heilstätten den großen, auch von ihren
eifrigsten Fürsprechern nicht verkannten Nachteil, daß sie quantitativ voll¬
kommen unzureichend sind. Viele Kranke, deren Leiden durch rechtzeitige
Heilstättenbehandlung vielleicht gänzlich gehoben werden könnte, müssen aus
Raummangel oft lange Monate, während deren sich ihr Zustand leicht wesent¬
lich verschlimmern kann, warten oder aus diesem oder jenem Grunde auch
gänzlich verzichten. Für solche Patienten, wie auch für die als gebessert
oder wesentlich gebessert Entlassenen, schließlich auch als Prophylaxe für
die Geheilten ist eine medikamentöse Behandlung durchaus am Platze. Der
Zweck der Therapie muß hier der gleiche sein, wie in den Heilstätten, und
auch hier gilt der Satz, daß viele Wege nach Rom führen. Zunächst gilt
es, die Körperkräfte des Erkrankten zu heben, was am zweckmäßigsten durch
entsprechende Diät unter Zugabe eines künstlichen Nährpräparates geschieht.
Hand in Hand damit muß das Bestreben gehen, ein Wachstum der Tuberkeln zu
verhindern, und womöglich die vorhandenen Krankheitskeime abzutöten, wofür
sich entgiftete Kreosotpräparate eignen. - — Die Elberfelder Farbenfabriken
haben auch bereits ein Nährpräparat — die Somatose — in Verbindung mit ent¬
giftetem Kreosot unter dem Namen Guajacose auf den Markt gebracht. Durch
diese Guajacose wird neben anderen Vorzügen auch das für die Psyche des
Patienten nicht gerade günstige viele Medizinieren glücklich vermieden. Natür¬
lich soll und kann die Behandlung mit Guajacose die Heilstättenbehandlung
nicht ersetzen. Immerhin wird sie mit Erfolg namentlich dort angewandt
werden, wo Heilstättenbehandlung aus diesem oder jenem Grunde nicht mög¬
lich ist. Neumann.
Referate und Besprechungen.
333
Über Dysphagietabletten.
(Singer. Med. Blätter, Nr. 50, 1908.)
Unter dem Namen Dysphagietabletten , die diese Bezeichnung zur
Kenntlichmachung ihres Zweckes erhielten, wird ein Präparat dargestellt,
welches aus Menthol und Anesthesin resp. Kokain und Geschmackskorrigentien
besteht. Es erscheint in ihnen wieder das alte Prinzip, daß die Vereinigung-
kleiner Mengen gleichwirkender Medikamente einen stärkeren Effekt hervor¬
ruft, als größere Dosen der einzelnen Komponenten für sich, mit Glück durch¬
geführt. Die kurzdauernde, durch Kokainwirkung hervorgerufene Anästhesie
der für den Schlingakt in Betracht kommenden Partien des Rachens und
des Anfangteiles der Speiseröhre, wird durch die Verdampfung des in den
Tabletten vorhandenen Menthols erheblich verlängert. Von einer direkten
Heilwirkung kann man nur insofern sprechen, als durch den sich entwickeln¬
den Mentholdampf der nach aufwärts in den Nasen-Rachenraum, nach ab¬
wärts in den Kehlkopf dringt, eine Lockerung der anhaftenden Schleim¬
massen und des nekrotischen Gewebes und damit der Auswurf dieser Hinder¬
nisse erleichtert wird. Die Wirkung ist hier mit der von Mentholölinstil¬
lationen bei Larynxtuberkulose zu vergleichen. Die Tabletten finden unter
diesem Gesichtspunkte Anwendung bei der chronischen Bronchitis älterer
Leute, bei chronischer Rhinitis und bei Angina. Kinder erhalten nur 1U bis
1/2 Tablette 2 — 3 mal täglich.
Eine andere Affektion, bei der günstige Erfahrungen mit Dysphagie¬
tabletten vorliegen, ist der akute Magenkatarrh. Um hier eine volle Wir¬
kung auf die Schleimhaut des Magens zu erzielen, läßt man dreimal täglich
eine Tablette zerdrücken und mit etwas Wasser vermengt trinken. Das
Erbrechen und die Schmerzhaftigkeit werden meist sehr günstig beeinflußt.
S. resümiert seine Ausführungen dahin, daß Dysphagietabletten
nur in beschränktem Sinne als direktes Heilmittel angesprochen werden
können, daß sie aber, wenn es darauf ankommt, Schmerzen der Mundhöhle
und Schlingbeschwerden zu lindern, teilweise zu desinfizieren und desodorieren,
ein bei rationeller Anwendung nicht zu unterschätzendes Hilfsmittel sind,
welches dem Arzte die Dankbarkeit der mit ihnen behandelten Patienten
einzutragen imstande ist; sie gelangen in zwei Modifikationen in den Ver¬
kehr: Nr. I mit Kokain, Nr. II ohne Kokain. Neumann.
Die Behandlung der Dysmenorrhoe und der Uterusblutungen.
(Girardi. Rivista internaz. di Clinic. e Terap., Nr. 15, 1908.)
G. verwandte das Styptol bei starken menstruellen Blutungen und bei
Metrorrhagien; die Wirkung auf die Blutungen war stets sehr zuverlässig,
in jedem Falle wurde eine schnelle Verminderung der Hämorrhagien beobach¬
tet, selbst in Fällen, wo Hamamelis und Hydrastis nur wenig Wirkung ge¬
bracht hatten. Ganz besonders machte sich jedoch die schmerzstillende Wir¬
kung des Styptols bemerkbar. Das Mittel erwies sich auch als sehr wirk¬
sam nach voraufgegangener Operation, so ließen z. B. in einem Falle bei
einer Patientin, bei der ein Jahr vorher ein Kürettement vorgenommen war,
bei wiederauftretenden Störungen, sowohl die Blutungen wie die Schmerzen,
nach Styptol prompt nach. Das Mittel ist ferner für den operierenden Arzt
sehr zu empfehlen, da es sich bei Adnexoperationen, Ovarektomie usw. gut
dazu eignet, um Komplikationen vorzubeugen und weil es ferner eine sedative
Wirkung auf die Unterleibsorgane ausübt.
Im besondern bewährt sich das Styptol bei Dysmenorrhöe, da es nicht
nur die Blutungen herabsetzt, sondern auch vor allem die Schmerzen lindert,
die sich einige Tage vor den Menses einzustellen pflegen. Neumann.
Zur medikamentösen Therapie des akuten Gelenkrheumatismus.
(O. Minkowski. Therapie der Gegenwart, Nr. 9, 1908.)
Minkowski bekennt sich als Anhänger der freien Salizylsäure im
Gegensatz zu den Verbindungen, die sie beinahe verdrängt haben, läßt aber
334
Referate und Besprechungen.
auch ein neues Ersatzpräparat, die unter dem Namen Diplosal in den Handel
gebrachte Salicylo-Salicylsäure gelten. Dieselbe zersetzt sich im Körper unter
Wasserauf nähme restlos zu Salizylsäure und scheint den Magen weniger
anzugreifen als die freie Salizylsäure. Sie ist in Wasser sehr schwer, in
verdünnten Laugen oder kohlensauren Alkalien dagegen leicht löslich. Die
gewöhnliche Dosis war 3 — 6 mal 1,0 g, sie wurde in manchen Fällen während
Wochen ohne üble Nebenerscheinung vertragen. Die Resorption scheint, nach
dem Erscheinen im Urin zu urteilen, in demselben Tempo wie bei der freien
Salizylsäure zu erfolgen. Besonders günstig wirkte das Diplosal bei akutem
Gelenkrheumatismus, weniger bei chronischem und Arthritis deformans.
F. von den Velden.
Aus dem medizinisch-poliklinischen Institut der Universität Berlin. Direktor:
Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Senator.
Über pleuritische Schwarten und ihre Behandlung mit Fibrolysin.
(Stabsarzt Dr. Schnütgen, Assistent. Berliner klin. Wochenschr., Nr. 51, 1908.)
Die bisherige Behandlung pleuri tis/cher Schwarten mit Jod, Jodvasogen
oder Lungengymnastik, wozu sich die pneumatischen Apparate gut eignen,
hat wenig gute Erfolge aufzuweisen. Auf Grund der anderwärts gemachten
günstigen Erfahrungen hat Schnütgen Versuche mit Fibrolysin-Merck an¬
gestellt. Er spritzt es intramuskulär entweder an Ort und Stelle oder in die
Glutäalgegend ein, was für den Erfolg ganz belanglos ist, da die Wirkung
durch die Blutbahn vermittelt wird. Die 2 — 3 mal wöchentlich ausgeführten
Injektionen waren schmerzlos und ohne irgend welche unangenehme Neben¬
wirkungen. Je nach der Schwere des Falles waren 5 oder mehr nötig. Bei
frischen Fällen gingen die subjektiven und objektiven Erscheinungen oft
verblüffend rasch zurück; bei veralteten war der Erfolg nicht so günstig.
Es empfiehlt sich daher möglichst sofort nach der Resorption des pleuritischen
Exsudates, wenn Schwartenbildung zu befürchten ist, mit den Einspritzungen
anzu fangen. F. Watlier.
Über Nukleogenanwendung bei Neurasthenie.
(Dr. Schlesinger. Med. Klinik, Nr. 42, 1908.)
Auf Grund der Empfehlung von Erb, welcher den Eisen- und Arsen¬
präparaten in erster und dem Phosphor in zweiter Linie eine nicht zu unter¬
schätzende Bedeutung in der Behandlung der Neurasthnie zuspricht, ver- .
suchte Schlesinger das Nukleogen, das jene drei Bestandteile enthält.
Nukleogen = nukleinsaures Eisenarsen, in welchen der Nukleinsäure ein
9%iger Phosphorgehalt zukommt. Schlesinger verfügt über 30 Beobach¬
tungen, von denen, 7 etwas ausführlicher mitgeteilt werden, sämtlich schwere
oder mittelschwere Fälle. Diese 30 Fälle wurden behandelt zusammen
249 Wochen lang; ein Fall also durchschnittlich 8,3 Wochen; geheilt wurden
17 Kranke, wesentlich gebessert 7, wenig beeinflußt 6. Vom Nukleogen
wurden 3 mal tägl. 2 Tabletten nach dem Essen gereicht; hergestellt wird
Nukleogen von dem physiol. ehern. Laboratorium Hugo Rosenberg-, Char¬
lottenburg. R. Stüve (Osnabrück).
Das Verhalten der Blutviskosität bei Joddarreichung.
(Priv.-Doz. Dr. D et ermann, Freiburg i. B, Deutsche med. Wochenschr., Nr. 20, 1908.)
Dete rmann hat sowohl unter Benutzung der von ihm verbesserten
Hi rlsch-Beck’schen Methode wie auch mit seinem neuen Apparat Unter¬
suchungen über das Verhalten der Blutviskosität bei Jodgebrauch angestellt.
Er verwandte dazu Patienten mit ruhiger gleichmäßiger Lebensweise, bei
denen normale Viskosität anzunehmen war. Die von anderen Autoren ge¬
fundene Herabsetzung der Blutviskosität kann er nicht bestätigen. Somit
dürfte wohl auch für die günstige Wirkung des Jod eine andere Erklärung
zu suchen sein. F. Walther.
Bücherschau.
335
Über Spirosal.
(Hagner, Graz. Allg. Wiener med. Zeitg. Nr. 28, 1908.)
Während das Mesotan leicht in Salizylsäure, Formaldehyd und Methyl¬
alkohol zerfällt, wodurch bei disponierten Individuen Hautreizung hervor¬
gerufen werden kann, bleibt das Spirosal (Glykolsalizylester) konstanter und
wird erst nach, bezw. während der Resorption zersetzt und als Salizyl aufge-
nommen. Nack 3 Stunden im Harn nachweisbar.) Ohrensausen, Übelkeit usw.
treten bei seiner Anwendung nicht auf. H. sah außer bei Muskelrheumatismus
besonders gute Erfolge bei den verschiedensten Neuralgien. Seines hohen
Preises und der besseren Resorption wegen verschreibe man es mit Spiritus ana.
Esch.
Ein gutes Mundwasser gibt: Tct. guaiac. 30,0, Ta. cochleariae compos.
50,0, Tct. pyreth. comp. 20,0, Tct. vanill. 10,0, Wintergreenöl 1,0, Anisöl 1,0,
Menthol 2,0, Chinin hydrochlor. 0,1. Nach 4 Tagen filtrieren. Einige Tropfen
auf 1 Glas Wasser parfümieren ganz besonders den Atem. (Les nouveaux
remedes, Nr. 13, 1908.) v. Schnizer (Danzig).
De l’emploi de l’atropine dans l’intoxication aigue par la morphine et
par 1’opium.
Man ist sich über die Rolle, die das Atropin als Antagonist des
Morphiums spielt, noch nicht ganz klar. Nach Roch tritt — entgegen
den Resultaten beim Versuchstier — der Tod beim Menschen schon im
1. Stadium, dem der Lähmung (Atemzentrum!) ein. Roch empfiehlt als
besser mehrere kleine subkutane Injektionen (0,002); keinesfalls über 0,01.
Sowie die Pupille sich beginnt zu erweitern, oder sobald eine starke Puls¬
beschleunigung auf'tritt, setzt man mit dem Atropin besser aus. (Les nouveaux
remedes, Nr. 13, 1908.) v. Schnizer (Danzig).
Bücherschau.
Diejenigen, die sich für die Mikrobientherapie interessieren, seien auf
einen Band der
Bibliotheque de Therapeutique von Gilbert-Carnot
aufmerksam gemacht. Die Medicaments microbiens werden da von den derzeit
bekanntesten Vertretern behandelt: Metschnikoff bespricht die Bakteriotherapie
des Darms, Sacquepee die Schutzblattern, Remlinger die Hunds wut, Louis
Martin die Diphtherie, Vaillard den Tetanus, Dopter die Ruhr, Besredka
die Antistreptokokken-Sera, Wassermann und Leber die Serotherapie der Me¬
ningitis, Sacquepee des Typhus, Ed. Dujardin-Beaumetz der Pest, Salimbeni
der Cholera, Calmette der Schlangengifte. Buttersack (Berlin).
Die Beeinträchtigung des Herzens durch Raummangel. Von Privatdozent
Dr. Max Herz, Wien. 77 S. Mit einer Abbildung im Text. Wilhelm
Braumüller, Wien und Leipzig 1909. 1,20 Mk.
Die vorliegende Monographie bringt einen neuen, sehr wichtigen Gesichts¬
punkt für die Pathologie, Prognose und Therapie von gewissen Herzaffektionen.
Der leitende Gedanke besteht darin, daß manche Krankheitserscheinungen von
seiten des Herzens, welche man früher als Ausdruck einer verringerten Herzkraft
betrachtete, sich durch die relative Enge des Thorax erklären lassen.
Unter relativer Enge des Thorax versteht Verfasser ein Mißverhältnis zwischen
der Größe des Herzens und desjenigen Raumes im Thoraxinnern, welcher dem
Herzen für seine Excursionen zur Verfügung steht. Die Wiedergabe der geistvollen
und dennoch nie den Boden der Realität verlassenden Ausführungen des Verfassers
überschreitet bei dem kompendiösen Charakter des Werkes den Rahmen eines
kurzen Referates, darum sei hier nur darauf aufmerksam gemacht, daß durch die
336
Hochschulnachrichten.
Herbeiziehung orthopädischer Gesichtspunkte in die Pathologie und Therapie der
Herzkrankheiten hier wohl zum erstenmal der Weg zu einer nicht bloß symp¬
tomatischen, sondern auch geradezu causalen Therapie auf diesem Gebiete ge¬
öffnet erscheint. Das kleine Werk muß sowohl dem praktischen Arzt im allge¬
meinen als auch speziell dem Versicherungsarzt wärmstens empfohlen werden.
J. Schütz (Wien-Marienbad).
Lehrbuch der Augenheilkunde. Bearbeitet von Axenfeld, Bach,
Biels chowski, Elschnig, Greeff, Heine, v. Hippel, Krückmann,
Peters, Schirmer. Herausgegeben von Prof. Axenfeld. Verlag
G. Fischer, Jena 1909. 14 Mk.
Für die Vortrefflichkeit bürgt schon der Titel: Die Namen der Verfasser
besagen exakteste und fachkundigste Bearbeitung des Themas, der Name des Ver¬
lages die gediegenste Ausstattung des ganzen Werkes. Das so begründete „Vor¬
urteil“ wird beim Studium des Buches in vollstem Maße gerechtfertigt. Die
neuesten Ergebnisse (soweit sie eben wirklich fest gegründete Ergebnisse sind) sind
wiedergegeben; die zahlreichen vortrefflichen, z. T. farbigen Illustrationen machen
einen Atlas entbehrlich. Es bedarf wohl nicht erst besonderer Empfehlung, um
diesem Buche weiteste Verbreitung zu sichern. Enslin (Brandenburg a. H.).
Die natürlichen Heilkräfte des Organismus gegen Infektionskrankheiten.
Von E. Metschnikof f. Sonderabdruck aus dem XXL Jahrgange der
illustrierten naturwissenschaftlichen Monatsschrift „Himmel und Erde“.
Verlag B. G. Teubner, Leipzig und Berlin 1908. 26 Seiten. 1,20 Mk.
Wie aus dem Titel und dem Umfange dieser reich illustrierten Schrift hervor¬
geht, enthält sie eine populär gehaltene Zusammenfassung des über die natürlichen
Heilkräfte unseres Organismus im Kampfe gegen die Infektionskrankheiten Be¬
kannten, wobei naturgemäß der Phagocytentheorie ein relativ breiter Raum ein¬
geräumt wurde. Es ist bewundernswert, mit welcher Klarheit E. Metschnikoff
dieses schwierige Gebiet unter Wahrung der knappsten Form dem gebildeten Laien
verständlich zu machen und für seine Ansprüche auch zu erschöpfen wußte, wobei
er, soweit dies anging, die Anführung nur verwirrender Details vermeidet. Wenn
die Schrift auch dem mit seiner Zeit fortschreitenden Arzte wohl kaum wesentlich
Neues bringen dürfte, so kann sie als ein Beispiel einer mustergültigen populären
Darstellung nicht warm genug auch diesem Leserkreise empfohlen werden, der
wohl in erster Linie dazu berufen ist, sein Wissen der Aufklärung des Volkes
dienstbar zu machen. Das Laienpublikum aber dürfte diese Abhandlung kaum
aus der Hand legen, ohne in das Wesen der Infektionskrankheiten und der Ab¬
wehrkräfte des Organismus in formvollendeter Weise eingeführt worden zu sein.
H. Pfeiffer (Graz).
Hochschulnachrichten.
Berlin. P.-D. Dr. H. Beitzke erhielt den Titel Professor. P.-D. Dr. Kiß-
kalt (Hygiene) wurde zum Professor ernannt. P.-D. Dr. Pick wurde zum
Professor ernannt.
Breslau. P.-D. Dr. J. Biber feld (Pharmokologie) erhielt den Titel Professor.
Gießen. Dr. LI. LI oh 1 weg habilitierte sich für innere Medizin.
Kiel. Dr. med. F. Cohn habilitierte sich für Gynäkologie und Geburtshilfe.
Königsberg i. P. Der o. Prof. Geh. Med.-Rat Dr. Richard Pfeiffer nahm
einen Ruf nach Breslau als Professor für Hygiene an.
Marburg. Dr. P. Sittler habilitierte sich. Für innere Medizin habilitierte sich
Oberarzt Dr. Bruns.
Straßburg. ao. Prof. Dr. Kohts tritt am 1. April 1909 in den Ruhestand.
Würzburg. P.-D. Dr. Zieler (Breslau) erhielt einen Ruf für die Professur der
Haut- und Geschlechtskrankheiten.
Schriftleitung: Dr. Ri gl er in Leipzig.
Druck von Emil Herrmann senior in Leipzig.
27. Jahrgang.
1909.
fomcbrim der medizin.
Unter Mitwirkung hervorragender Fachmänner
kerausgegeben von
Professor Dr. 0. Köster PriMDoz. Dr. o. griegerit
in Leipzig. in Leipzig.
Schriftleitung: Dr. Rigler in Leipzig.
Nr. 9.
Erscheint am 10., 20., 30. jeden Monats. Preis halbjährlich
6 Mark, inkl. Zeitschrift für Yersicherungsmedizin 8 Mark.
Verlag von Georg Thieme, Leipzig.
30. März.
Originalarbeiten und Sammelberichte.
Die Schädigung des Auges durch Licht und ihre Verhütung.*)
Von Prof. Birch-Hirschfeld.
M. H. ! Daß durch Blendung mit hellem Lichte das Auge schweren
Schaden erleiden kann, ist eine uralte Erfahrung. Aber erst in neuerer
Zeit hat man die Art dieser Schädigung genauer untersucht, hat man
sich drei Fragen vorgelegt : Welche Strahlen sind die für das Auge
besonders schädlichen? Wie wirken sie? und wie können wir uns gegen
sie schützen ? - — Diese Fragen gewinnen an praktischer Bedeutung
je mehr w!ir in unserer lichtfrohen Zeit intensive Lichtquellen zur
Beleuchtung, zu technischen oder zu therapeutischen Zwecken in An¬
wendung ziehen.
Welche Strahlen sind für unser Auge besonders schädlich?
Bekanntlich können wir das Spektum jedes Lichtes in drei Be:
zirke teilen,- den ultraroten, den leuchtenden und den ultravioletten.
Nach Wellenlängen bezeichnet würde der ultrarote Teil, dem die sog.
Wärmestrahlen angehören bis etwa 760 fx/Li sich erstrecken, der leuch¬
tende Teil von 760 bis ca. 400 /li/li — die Strahlen von kürzerer
Wellenlänge als 400 fxfi bezeichnen wir als ultraviolette.
Ich bemerke hier schon, daß diese Einteilung in verschiedene
Bezirke nicht auf Gegensätzen in der Wirkung der Strahlen basiert.
Die physiologische Wirkung eines Lichtes ist nicht einfach eine
Funktion der Wellenlänge. Sie hängt ab von dem Gehalt bestimmter
Spektralgebiete an strahlender Energie. Hier bieten die verschiedenen
Spektren wesentliche Differenzen.
Vergleichen Sie das Spektrogramm des Sonnenlichtes, des elek¬
trischen Bogenlichtes, des Eisens, des Magnesiums, des Cadmiums. Sie
bemerken nicht nur, daß die verschiedenen Lichter sehr verschieden
reich an ultravioletten Strahlen sind — daß z. B. das Spektrum des
Eisenlichtes doppelt so weit reicht nach der kurzwelligen Seite, als
dasjenige des Sonnenlichtes. Sie bemerken auch, daß die Intensitäten
in den einzelnen Spektren ganz verschieden verteilt sind* daß z. B.
im Magnesiumspektrum eine besonders hohe Intensität bei 280 u/n
im Eisenspektrum bei 257 [a/li gelegen ist.
Wenn wir im allgemeinen mit Hecht die kurzwelligen Strahlen
als besonders physiologisch aktiv bezeichnen können, so liegt das
*) Nach einem Vortrag in der medizinischen Gesellschaft Leipzig. 23. 2. 1909.
22
338
Birch-Hirschfeld,
daran, daß ihre Absorption im Gewebe umgekehrt proportional zur
Wellenlänge ist, eine physiologische oder pathologische Wirkung aber
nur dort zu erwarten ist, wo Strahlen absorbiert werden.
Handelt es sich nun um eine Schädigung des Auges, so ist es,
ehe wir über den hierbei in Betracht kommenden Spektralbezirk urteilen
können, notwendig, die Absorption der Augenmedien, der Hornhaut,
des Kammerwassers, der Linse und des Glaskörpers kennen zu lernen.
Hierüber liegen verschiedene Untersuchungen vor, die jedoch in
mancher Hinsicht nicht einwandfrei sind, sei es, daß die Spektro-
gramme nicht genau nach Wellenlängen analysiert wurden, die zur
Spektrographie verwendete Lichtquelle kein homogenes, sondern ein
diskontinuierliches Spektrum besaß, daß die brechende Wirkung der
Augenmedien und ihre Dicke nicht genügend berücksichtigt oder end¬
lich die Expositionszeit nicht gleich gewählt wurde.
Ich habe deshalb eine Leihe von spektrographischen Untersuchungen
angestellt bei möglichster Vermeidung dieser Fehlerquellen und bin
dabei zu folgenden Resultaten gekommen :
Am schwächsten absorbiert das Kammerwasser und der Glas¬
körper, etwas mehr (bis 307 fifi) die Hornhaut, am stärksten die Linse.
Die Linse hält Strahlen bis 330, 350, in manchen Fällen bis
fast 400 fifx zurück. Sie bildet also einen wichtigen Schutz für die
Netzhaut.
Strahlen von kürzerer Wellenlänge als 307 fifjb können nicht bis
zur Linse, solche unter 330 ju/a in den meisten Fällen bei vorhandener
Linse nicht zur Netzhaut gelangen.
Außerdem ergab sich, daß nicht unbeträchtliche Differenzen
in der Absorption der Linse Vorkommen, die das eine Auge zur Schädi¬
gung durch kurzwelliges Licht mehr disponieren als ein anderes.
Ob unter pathologischen Verhältnissen oder mit vorrückendem
Lebensalter eine Abnahme der Absorptionskraft der Linse eintritt,
wie behauptet wird, und zugleich eine Abnahme der Fluoreszenz im
kurzwelligen Lichte, muß noch weiter festgestellt werden. Bisher habe
ich mich hiervon nicht überzeugen können.
Fragen wir nun — welche Schädigungen des Auges durch Licht
sind bisher klinisch und experimentell beobachtet? '
Wenn wir von den rein subjektiven Beschwerden absehen, wie
sie namentlich bei nervösen Personen nach Blendung häufig auftreten,
können wir als leichteste, wenn auch recht unangenehme Blendungsfolge
die sog. Ophthalmiia electrica bezeichnen.
Mehrere Stunden nach der Blendung stellt sich ein Reizzustand
des vorderen Augenabschnittes ein mit Lichtscheu, Tränenfluß und
meist sehr heftigen Schmerzen — dem Patienten ist es, als wenn Tausende
spitzer Fremdkörper sich in der Bindehaut hin- und herbewegen. —
Meist sind nur die Lider und die Bindehaut gerötet und geschwellt,
in schweren Fällen ist auch die Hornhaut getrübt und die Iris hyper-
ämisch. Die Netzhaut ist in der Mehrzahl der Fälle nicht beteiligt.
Nach einigen Tagen bilden sich die Erscheinungen zurück, meist ohne
Folgen zu hinterlassen.
Die elektrische Ophthalmie ist mit Sicherheit auf Blendung durch
kurzwelliges Licht zu beziehen. In erster Linie kommen hier wohl
die Strahlen mit geringerer -Wellenlänge als 300 /ufi in Betracht, die
gar nicht ins Augeninnere eindringen können, aber von Bindehaut
und Hornhaut stark absorbiert werden. Aber auch die Strahlen
Die Schädigung des Auges durch Licht und ihre Verhütung.
839
zwischen 300 und 350 ULfJi können mitwirken. Dagegen kommen die
leuchtenden Strahlen hier kaum in Betracht.
Die beschriebenen Symptome können auf treten 1. nach Schnee¬
blendung auf hohen Bergen durch Sonnenlicht, das reich an kurz¬
welligen Strahlen ist ; 2. nach Kurzschlußblendung und Blitzblendung ;
3. nach Blendung mit künstlichem Lichte, das reich an kurzwelligen
Strahlen ist (elektr. Bogenlampe, Eisenlicht, Quecksilberdampflicht
usw.). Sie lassen sich leicht experimentell am Kaninchen hervorrufen.
Ich habe die Veränderungen der Bindehaut bei Ophthalmia elec¬
trica auch anatomisch untersucht und vor allem eosinophile Zellen
im Sekret, Plasmazellen, Lympho- und Leukozyten im subepithelialen
Gewebe angetroffen.
Blendete ich die Kaninchenbindehaut sehr häufig (mehr als 100 mal)
mit dem Lichte der Uviollampe in kurzen Zwischenräumen, so ließen
sich auch eigenartige Veränderungen am Epithel und im subepithelialen
und prätarsalen Gewebe hervorrufen, die den Veränderungen beim Erüh-
j ahrskat arrh ähnlich sind.
Dies ist nicht ohne Interesse, da neuerdings die Conjunctivitis
vernalis von manchen Seiten auf Lichtwirkung zurückgeführt wird.
Durch Blendung mit intensivem, besonders kurzwelligem Lichte
können aber auch Störungen dter Netzhaut hervorgerufen werden.
Im. Laufe des letzten Jahres konnte ich fünf Eälle beobachten,
wo sich nach längerer Einwirkung von Quecksilberdampflicht eine
partielle Farbensinnstörung der Netzhaut für Bot und Grün, und
zwar in einem ringförmigen perizentralen Gebiete entwickelt hatte,
die sich erst nach mehreren Wochen zurückbildete. Auch nach Schnee¬
blendung sind ähnliche Erscheinungen beschrieben worden.
Wieweit hierbei und bei der Erythropsie die ultravioletten
Strahlen zwischen 400 und 350 wieweit die, leuchtenden (besonders
violetten) Strahlen als Ursache in Betracht kommen, ist schwer zu ent¬
scheiden. Manches spricht dafür, daß wir es hier mit einer kombinierten
Wirkung beider zu tun haben.
Das gleiche gilt auch für die Sehstörungen, die nach Blitzblen¬
dung, Kurzsc'hlußblendung und Blendung durch intensives
künstliches Licht hervorgerufen wurden. Ich habe aus der Literatur
einige 100 solcher Fälle zusammenstellen können, bei denen der Augen¬
spiegel entweder keine Veränderung oder nur leichte Verschleierung der
Papillengrenzen entdeckte, während ein zentrales oder parazentrales
Skotom, häufig auch konzentrische Gesichtsfeldeinengung und eine
nicht selten schwere und dauernde Sehstörung vorhanden war.
Daß bei diesen Netzhautveränderungen nur das kurzwellige Licht
das schädliche Agens darstellt, glaube ich nicht, das klinische Bild
spricht vielmehr für eine Mitwirkung der blauen und violetten
Strahlen. Bei der Somnenblendung, die nach Beobachtung von Son¬
nenfinsternissen mit ungenügend geschütztem Auge recht häufig beob¬
achtet worden ist, scheinen sogar in erster Linie oder ausschließlich
die Strahlen von größerer Wellenlänge die schädlichen zu sein.
Endlich ist noch auf die Schädigung der Linse durch Licht
hinzuweisen. Widmark und Hess haben experimentell nachgewiesen,
daß nach intensiver und lang dauernder Blendung das Kapselepithel
des Versuchstieres Degenerationserscheinungen darbieten kann, die von
Linsentrübung gefolgt sind.
Das legt den Gedanken nahe, daß auch der sogen. Blitz star
22*
340 Birch-Hirschfelcl, Die Schädigung des Auges durch Licht und ihre Verhütung.
und der Star nach Verletzung durch Kurzschluß, durch Strahlen¬
wirkung entsteht und zwar würde hier nach der Natur des blendenden
Lichtes und der Absorption der Linse besonders an die ultravioletten
Strahlen zu denken sein. Indessen — wenn wir genauer Zusehen - —
bemerken wir, daß in denjenigen Fällen, wo nach solchen Verletzungen
sich Star entwickelte, keine) reine Blendung, sondern eine direkte
Wirkung des elektrischen Stromes auf den Körper des Betroffenen
in Frage kommt. Es gibt zwar genug Fälle von ec'hter Kurz¬
schlußblendung und mehrere Fälle von reiner Blitzblendung,
aber in diesen blieb die Linse ungetrübt.
Die klinischen Verhältnisse sprechen also mehr gegen als für
die Entstehung der Katarakt durch Blendung mit kurzwelligem Lichte.
Nun könnte aber in mehr chronischer Weise durch Summation
kleiner Einzelschädigungen des Linsenepithels Starbildung bedingt
werden.
Hier wäre besonders an den Glasbläserstar zu denken, bei dem
man neuerdings der Einwirkung des kurzwelligen Lichtes die Hauptbe¬
deutung beimißt. Allein — hier können als Ursache der Starbildung
auch die Wärmestrahlen in Betracht kommen. Es wäre jedenfalls
auffällig, weshalb Arbeiter in anderen Betrieben, die gleichfalls kurz¬
welligem Lichte sehr ausgesetzt sind, z. B. in Schmelzwerken und in
ge w. Zweigen der Beleuchtungsindustrie, die nicht selten an den Er¬
scheinungen der elektrischen Ophthalmia erkranken, nicht auch früh¬
zeitig von Star befallen werden. Ohne deshalb die Mitwirkung des
ultravioletten Lichtes beim Glasbläserstar leugnen zu wollen, bin ich
doch der Ansicht, daß hier außerdem noch andere Ursachen mit in
Betracht kommen.
Will man nun gar, wie manche Autoren es tun, den grauen Star
schlechthin auf Schädigung der Linse durch Licht, besonders das kurz¬
wellige zwischen 300 und 350 fifi zurückführen — so geht man, wie
ich glaube, viel zu weit.
Das Sonnenlicht der Ebene ist relativ arm an kurzwelligem Lichte,
gerade sein Spektralbezirk zwischen 300 und 350 fifi wenig intensiv.
Außerdem - — müßten wir dann nicht erwarten, daß solche Per¬
sonen, die kurzwelligem Lichte exponiert sind, die Bewohner hoch¬
gelegener Orte, die Arbeiter in manchen Betrieben besonders häufig
an grauem Star erkrankten, daß andere, die niemals Blendungen aus¬
gesetzt sind, davon verschont bleiben? — Würde nicht bei der erheb¬
lichen Zunahme der Lichtintensität und der kurzwelligen Strahlen
unserer modernen Lichtquellen eine Zunahme des grauen Stars nament¬
lich bei der Stadtbevölkerung ein treten müssen ? — Bei einem so häufigen
Leiden, wie es der Altersstar ist, würde sich das kaum der Beobach¬
tung entziehen.
Aber selbst wenn man an der Möglichkeit festhält, daß neben
anderen Momenten bei der Starbildung auch das Licht eine Bolle
spielt - — muß man sich darüber klar sein, daß es sich um eine
Hypothese und nicht um eine klinisch oder anatomisch erwiesene Tat¬
sache handelt. Das Ergebnis der Versuche von Hess und Widmark
beweist nicht das Gegenteil.
Zum Schutz gegen Strahlenschädigung des Auges stehen
uns verschiedene Mittel zur Verfügung.
Zunächst können wir künstliche Lichtquellen, namentlich solche,
die reich an kurzwelligen Strahlen sind, so anbringen, daß jede Bien-
Wohlwill, Hamburger Brief.
341
düng ausgeschlossen ist. Da die Intensität im Quadrat der Entfernung
abnimmt, läßt sich das leicht erreichen.
Das Ideal bildet m. E. die sogen, indirekte Beleuchtung, hei der
die Flamme selbst unsichtbar ist.
Zweitens können wir die Lampen mit Schutzglocken oder Zylindern
umgehen, die den größten Teil des kurzwelligen Spektrum bis 400 y/r
absorbieren. Das Beispiel eines solchen Glases bildet das von Schanz
und Stockhausen erschmolzene Euphosglas.
Doch müssen wir bedenken, daß dieses Glas nur gegen ultra¬
violette und durch seine Gelbfärbung in geringem Grade gegen blaue
Strahlen schützt.
Da, wie wir sahen, besonders für die Schädigungen der Netz¬
haut, auch die leuchtenden Strahlen mit in Betracht kommen, werden
wir auch diese abzudämpfen suchen, was leicht durch Färbung oder
Mattierung geschehen kann.
Alle Personen aber, die bei besonders intensivem, an kurzwelligen
Strahlen reichem Lichte zu arbeiten haben, sind mit Schutzbrillen zu
versehen, die durch die Glassorte und die Färbung sowohl blauen und die
violetten als die ultravioletten Strahlen absorbieren.
Hier scheinen mir nach meinen spektrographischen Aufnahmen
besonders das sog. Enixanthosglas (Bodenstock-München), das Hallauer-
glas (Nitzsche und Günther-Bathenow) und das Euphosglas (Deutsche
Spiegelglasaktiengesellschaft-Freden a. d. Leine, ' — namentlich wenn
dieses etwas dunkler gefärbt würde) gute Dienste zu tun.
Meine Spektrogramme zeigen außerdem, daß die rauc'hgrauen
Gläser bezüglich der Absorption für kurzwellige und leuchtende Strahlen
wesentlich günstiger sind, als die blauen Schutzbrillen. Es wäre wohl
an der Zeit, die blauen Schutzbrillen, die noch viel verordnet werden,
ganz beiseite zu lassen.
Für kranke Augen, die besonderen Schutzes bedürfen (bei Iritis,
Keratitis, Chorioiditis usw.), dürfte eine rauchgraue Schutzbrille, die
bis etwa 360 yy die ultravioletten Strahlen absorbiert, die leuchtenden
Strahlen stark abdämpft, für gewöhnliche Verhältnisse völlig ausreichen.
Jedes Auge gegen die recht hypothetische Wirkung des kurz¬
welligen Lichtes auf die Linse durch Gläser, die bis 400 yy absor¬
bieren, zu schützen, halte ich nicht nur für undurchführbar, sondern
für überflüssig.
Hamburger Brief.
Von Dr. Wohlwill, Hamburg.
Die biologische Sektion des ärztlichen Vereins hielt ihre zweite
Sitzung im neuen Jahr am 19. Januar; ab. Zunächst demonstrierte
Lieb recht verschiedene Präparate aus dem Gebiet der Ophthalmo¬
logie, von denen besonders Bilder von Protozoen in Augenmuskeln,
sowie der Sehnerv eines Falles von Nonne interessierte, bei dem es
infolge Atoxylgebrauchs zu einer totalen Erblindung gekommen war.
Anatomisch fand sich in dem Fall nur in den zentralen Teilen des
Optikus eine zentrale Atrophie, ein Befund, welcher nur ein zentrales
Skotom zu erklären imstande gewesen wäre. Jedoch spielen nach
anderweitigen Untersuchungen für die totale Erblindung vielleicht auch
Schädigungen der Betina-Ganglien-Zellen eine Bolle.
342
Wohlwill,
Edlefsen berichtete über eine von ihm gefundene Methode der
quantitativen Kreatininbestimmung im Harn, welche im wesentlichen
darauf beruht, daß salizylsaures Kreatinin in Äther im Gegensatz
zu salizylsaurem Harnstoff unlöslich ist.
Umber wies in der Diskussion darauf hin, wie wichtig es wäre,
eine praktisch brauchbare Methode der Kreatininbestimmung zu be¬
sitzen. um Herkunft und Bedeutung dieses Körpers genauer studieren
zu können.
Hueter demonstrierte das Herz eines plötzlich verstorbenen
Mannes, in welchem sich ein großer Septumdefekt findet, und zwar
tiefer als dem gewöhnlichen Sitz der kongenitalen Defekte entspricht.
Unter den verschiedenen, ausführlich erörterten Möglichkeiten der Ent¬
stehung hält H. diejenige aus: einem früheren Myokardabszeß für die
wahrscheinlichste, während Simmonds nach Analogie mehrerer anderer
Präparate eher ein Gummi annehmen würde. Einen derartigen, genau
untersuchten Fall demonstrierte Fahr in der nächsten Sitzung. Durch
die Gummigeschwulst war das atrioventrikuläre Bündel in Mitleiden¬
schaft gezogen. F. gab an der Hand dieses Falls genauere Details
über den anatomischen Verlauf des His’schen Bündels, und erläuterte
denselben durch zahlreiche histologische Präparate, sowie ein instruk¬
tives Modell. Leider war der betreffende Fall klinisch nicht beob¬
achtet, so daß nicht . bekannt ist, ob der Mann intra vitam das Bild
einer Adam Stokes’schen Krankheit geboten hat.
In derselben Sitzung stellte Wiesinger die Organe eines Falles
vor, bei dem seit vielen Jahren Ulzferationsprozesse im Dickdarm be¬
standen hatten, welche nach langer Zeit relativen Wohlbefindens durch
Darmperforation zur letalen Peritonitis geführt hatten. W. hält die
Ulzerationen nach Ausschluß aller übrigen Möglichkeiten für gonor¬
rhoischer Natur.
In der Diskussion kam namentlich die Therapie dieser Affek¬
tion zur Sprache. W. selbst würde heute in einem solchen Fall eine
möglichst radikale Exstirpation versuchen. Die Gefahr der Erkran¬
kung liegt, wie Simmonds betont, in der Amyloidentartung der Organe,
welche übrigens in diesem Fall nicht vorlag.
Jolasse demonstrierte ein Präparat von hochgradigen Ösophagus¬
varizen bei einem siebenjährigen Kind, welche zu einer tödlichen Häma-
temese geführt hatten. Als Ursache fand sich nur eine erhebliche
'Wandverdickung sämtlicher Pfortaderäste. Differentialdiagnostisch
ist wichtig, daß bei Kindern eine Hämatemese öfter auf ösophagus-
varicten, als auf Ulcus ventriculi beruht.
Simmonds besprach in seinem Vortrag über Hämochromatose
die verschiedenen Zustände, bei denen es zur pathologischen Ablage¬
rung von eisenhaltigem und eisenfreiem Pigment kommt. In Betracht
kommt außer der perniziösen Anämie hauptsächlich der chronische
Alkoholismus, ferner marantische Zustände verschiedener Art. In den
Fällen von Leberzirrhose mit Siderosis ist der Alkoholismus die ge¬
meinschaftliche Ursache für die Bindegewebswucherung in der Leber
und die Pigmentablagerungen. Derartige Fälle kombinieren sich bis¬
weilen mit Diabetes (sogen. Bronze-Diabetes). Auch hier ist die Alkohol¬
intoxikation das primäre; sie fährt im Pankreas zu den gleichen Ver¬
änderungen wie in der Leber und somit zu Diabetes, Leberzirrhose
und Siderosis.
Hamburger Brief.
343
In der Diskussion berichtet Fahr über die Folgen experimenteller
Veronalvergiftung beim Hund. Bei sehr großen Dosen konstatierte
er in vielen Fällen einen starken Eisengehalt der Leber, während in
andern Fällen diese Erscheinung ausblieb, ohne daß zurzeit eine Er¬
klärung dieses wechselnden Verhaltens zu geben wäre.
Im ärztlichen Verein demonstrierte am 26. Januar Holz mann
eine Patientin, welche mit urämischen Krämpfen ins Krankenhaus ein¬
geliefert wurde; die mehr zufällig angestellte Wasser mann- Reaktion
im Serum ergab positiven Ausfall. Alle Nachforschungen auf Lues
bei dem 15 jährigen Mädchen, sowie bei dessen Eltern ergaben nega¬
tives Resultat. 14 Tage später trat Schuppung auf, und die nunmehr
genauer erhobene Anamnese ergab das Vorausgehen einer Scharlach¬
erkrankung mit Sicherheit. Bei mehreren Nachuntersuchungen wurde
die Wassermann -Reaktion allmählich schwächer, um schließlich ganz
zu verschwinden. Ein derartiges Verhalten der Komplementablenkungs-
Reaktion, und zwar ohne daß eine antisyphilitische Behandlung erfolgt
ist, kann, wenn Syphilis mit Sicherheit auszuschließen ist, und Schar¬
lach aus anderen Gründen wahrscheinlich, diese letztere Diagnose
stützen.
Deneke hielt einen umfassenden Vortrag über Blutdruckbestim¬
mung am Kranken. Er demonstrierte außer den älteren und neueren
gebräuchlichen Apparaten einen von ihm konstruierten, Avelcher eine
handlichere und billigere Modifikation des- Apparates von Riva-Rocci
darstellt. Den diastolischen Druck bestimmt er nach der oszillatorischen
Methode. Diese wird durch die Möglichkeit, das Gebläse vom Mano¬
meter durch einen Hahn abzuschließen, erleichtert. Er bespricht so¬
dann die verschiedenen Erkrankungen, bei denen Blutdruckbestimmungen
von Wichtigkeit sind, und hebt namentlich die Frühdiagnose der Arterio¬
sklerose hervor, welche unter Ausschluß von Aorteninsuffizienz und
Nephritis durch eine pathologische Erhöhung des Blutdrucks ermög¬
licht wird. Doch kann dies; Symptom unter noch nicht näher geklärten
Umständen auch fehlen. Deneke betont, daß die Höhe des Blutdrucks
auf diejenige Größe, die zu kennen für die Beurteilung der Herzkraft
am wichtigsten wäre, nämlich das Schlagvolum, keinen Schluß zulasse,
da er auch von der Dehnbarkeit der Gefäße abhänge. Man könne
jedoch bei demselben Menschen die Werte vergleichen, und Verände¬
rungen des Blutdrucks mit einiger Vorsicht auch auf das Schlagvolumen
beziehen, da die Dehnbarkeit der Gefäße sich nicht so schnell ändere.
In der Diskussion zeigte sich, daß unter den Ärzten der Wert
der Blutdruckbestimmungen noch verschieden beurteilt wird. Kor ach
warnte vor zu großem Enthusiasmus, gab aber selbst verschiedene Bei¬
spiele, in denen sie sich als wichtig erweist, so für die Prognose einer
Pneumonie, für die Indikationsstellung zu einer Karellkur, welche er
bei einem Blutdruck von unter 80 mm für aussichtslos hält, für die
Unterscheidung zwischen echter Nephritis und orthostatischer Albu¬
minurie u. a. m.
Hasebrook wies darauf hin, daß die Viskosität des Bluts einen
erheblichen Faktor für die Höhe des Blutdrucks ausmache, und daß
vermutlich viele sonst nicht erklärliche Schwankungen des Blutdrucks
auf veränderten Viskositätsverhältnissen beruhen.
Kotzenberg teilte mit, daß er bei systematisch ausgeführten
Blutdruckuntersuchungen bei akuter und subakuter Appendizitis meist
einen erhöhten Druck gefunden habe, während dieser Befund auffallender-
344 Vorläufige Mitteilungen und Autoreferate.
weise bei anderen entzündlichen Erkrankungen der Bauchhöhle nicht
erhoben wurde.
In (der Sitzung vom 9. Februar stellte Umber einen Kranken mit
multiplen Lipomen vor, welche sich durch eine außerordentliche Schmerz¬
haftigkeit auszeichnen. Die mikroskopische Untersuchung ergab, daß
durch all diese Lipome ein kleiner Nerv hindurchläuft, es sich also
um perineurale Lipome handelt. Nur durch Exzision sämtlicher Knöt¬
chen (über 100) konnte de|r Mann von seinen erheblichen Schmerzen
befreit werden.
Heß stellte einen ,Mann vor, bei dem die paradoxe Pupillen¬
reaktion (Erweiterung auf Lichteinfall) unter allen Kautelen, nament¬
lich auch unter Ausschluß der Wärmereaktion, einwandsfrei nach¬
gewiesen werden konnte. Das Vorkommen dieser Beaktion wird viel¬
fach noch bestritten, und es liegen bisher nur wenige eindeutige Be¬
obachtungen vor.
Lenhartz demonstrierte einen Knaben, bei dem er wegen einer
seit sechs Jahren bestehenden chronischen einseitigen Tuberkulose von
der I. bis IX. Kippe insgesamt ca. 90 cm reseziert hat, Um die sicher
vorhandenen Kavernen zur Schrumpfung zu bringen. Die eingreifende
Operation ist ausgezeichnet vertragen und hat schon nach kurzer Zeit
den Erfolg gezeigt, daß die Rasselgeräusche erheblich abgenommen
haben.
Haenisch demonstrierte eine Reihe schöner Röntgenbilder aus
dem Gebiete der Nierenerkrankungen. Er besprach namentlich die
röntgenologische Diagnose der Hydronephrose. Charakteristisch für
diese Erkrankung ist ein Schatten, welcher nach unten mit einer dop¬
pelten Bogenkontur abschließt. Der eine Bogen entspricht dem Nieren -
schatten, der andere dem erweiterten, flüssigkeitgefüllten Nierenbecken.
Der doppelte Bogen kommt nur dann zustande, wenn, was nicht immer
der Fall ist, das erweiterte Nierenbecken außerhalb des Nierenschattens
liegt. Auf andern Bildern sah man den eingeführten Ureterenkatheter
auf gerollt im Nierenbecken liegen.
Zum Schluß sei noch berichtet, daß der ärztliche Verein zusammen
mit mehreren anderen wissenschaftlichen Vereinen Hamburgs am 13.
und 14. Februar eine Darwinfeier veranstaltete, bei der die Professoren
Waldeyer-Berlin, Detmer-Jena und Klaatsch- Breslau, sowie unsere
Hamburger Professoren Kraepelfn und Gott sehe Vorträge hielten,
in denen Darwin’s Leben, seine Werke, sowie der jetzige Stand der
von ihm begründeten Lehre eine vielseitige und lehrreiche Beleuchtung
erfuhren.
Vorläufige Mitteilungen u. Autor eferate.
Zur Pathologie und Therapie der Tränenwege.
Von Prof. El sehnig.
(Wissenschaftliche Gesellschaft deutscher Ärzte in Böhmen. Sitzung vom 12. 2. 1909.)
Die Konkrementbildungen der Tränenröhrchen, die einzige bis¬
her bekannte Erkrankung derselben, wurden früher als Leptothrix,
später als Actinomyces aufgefaßt, welche Auffassung auch Elschnig
von seinem ersten Falle hatte, den er jedoch später bald als Strepto-
Vorläufige Mitteilungen und Autoreferate.
345
thrix erkannte. In einem zweiten Falle fand er das1 Konkrement als
einen von Leukozyten durchsetzten Detritus mit spärlichen Faden-
pilzen. Infolge dieser Nekrose wahrscheinlich die schwere Kultivier¬
bar keit. Ein dritter Fall wurde durch die einseitige, langwierige Kon¬
junktivitis und leichte Schwellung an der inneren Extremität des be¬
troffenen Lides als solcher diagnostiziert. Ausstrichpräparate und
Kulturen ergaben neben Staphylokokkus Streptothrix.
Elschnig beobachtete im abgelaufenen Jahre eine gewiß nicht
gar so seltene, wenn auch nur von älteren Autoren erwähnte Blen¬
norrhoe der Tränenröhrchen viermal, davon zweimal ohne gleichzeitige
Tränensack-Blennorrhöe, je einmal bei Bindehauttrachom und normalem
Bindehautsack ; zweimal nach glatt geheilter Tränensackexstirpation,
darunter einmal wieder bei Bindehauttrachom. Therapie : in frischeren
Fällen, hei normalem Tränensack, Ausspritzen des Tränenröhrchens
mit l°/0igem Arg. nitr. oder Oxyzyanidlösung ; nach Tränensackexstir¬
pation und hei Bindehauttrachom, wobei Trachom der Tränenröhrchen¬
schleimhaut wohl die Ursache der Blennorrhoe ist, Schlitzung und
Auskratzung oder Kauterisation.
Elschnig empfiehlt ferner die von Toti 1903 angegebene Dakryo-
zystorhinostomie eingehender Würdigung. Die von ihm, stets unter
Lokalanästhesie, operierten, prima intentione und mit ganz kleiner
Narbe geheilten zwölf Fälle zeigten unter den bisher ganz geheilten
zehn Fällen fünfmal normale Tränenahleitung, fünfmal leichtes Ab¬
fließen von in die Tränenröhrchen eingespritzter Flüssigkeit durch
die Nase. Technik: Freilegen und Ausmeißeln des Tränenbeines, ent¬
sprechend dem Knochendefekt Resektion der Nasenschleimhaut und
dann der medialen Wand des Tränensackes, so daß die laterale Wand
mit der Mündung der Tränenröhrchen direkt in die Nasenwände ein¬
gepflanzt wird.
Verein deutscher Ärzte in Prag, 22. Januar 1909.
Prof. Elschnig stellt folgende Krankheitsfälle vor:
18 jähriges Mädchen mit rechtsseitiger Amaurose und linksseitiger
temporaler Hemianopsie. Ursache nicht, wie a priori zu vermuten war,
Läsion des Chiasma durch Hypophysen- oder Keilbeinerkrankung, son¬
dern ein großer 10 — 12 cm im Durchmesser haltender, nach außen
promenierender Tumor (Osteosarkom), entsprechend dem Hinterhaupts¬
lappen, der nach dem Röntgenbefunde oberhalb des Tentoriums in die
Schädelhöhle vordringt ; also vorerst homonyme, linksseitige Hemi¬
anopsie durch Läsion des rechten Sehzentrums im Occipitallappen, dann
Erblindung des rechten Auges, leichte konzentrische Einengung des
erhaltenen Gesichtsfeldes und Herabsetzung des Sehvermögens auf
Fingerzählen in l1/2 m des linken Auges durch Stauungspapille.
Der Tumor wird operiert werden.
36 jähriger Mann. Vor zwei Jahren Ahduzens- und Fazialisparese
rechts, auf Schmierkur geheilt ; seit fünf Monaten Schwäche der unteren
Extremitäten, zuletzt im Rückgehen, und schwere Bewegungsstörungen
der Augen. Schmierkur vergeblich. Es besteht dissoziierter Nystag¬
mus in vertikaler Richtung hei Deviation conjuge© nach links, überdies
rotatorischer Nystagmus in gleichem Sinne, die Bulbi scheinen um weit
außerhalb des Bulbus medialwärts parallel der optischen Achse gelegene
346
Vorläufige Mitteilungen und Autoreferate.
Achsen in gleichem Sinne zu rotieren, so daß jeweilig ein Auge nach
oben, ein Auge nach unten gedreht wird. Der Höhenausschlag nimmt
heim Blick nach links unten zu. Es besteht komplette Blicklähmung
nach rechts mit vollständig erhaltener Konvergenz, so daß
hierbei das linke Auge bis in den inneren Lidwinkel gebracht werden
kann.
Auf Grund des Nervenbefundes (Dozent Dr. Margulies) kann
entweder disseminierte Bückenmarkssklerose oder ein luetischer Prozeß
als Ursache der Affektion angenommen werden. Letzteres erscheint
trotz negativen Wassermanns wahrscheinlich. Der Krankheitsherd der
Augenaffektion ist in den rechten Hirnstamm (Pons oder vordere Vier¬
hügelregion, hinteres Längsbündel) zu lokalisieren.
lieber Wright’sche Vaccine-Therapie.
Von Priv.-Doz. Dr. Strubeil, Dresden.
(Vortrag im Verein für innere Medizin in Berlin. Sitzung vom 25. Januar 1909.)
S trübe 11 -Dresden berichtet ausführlich über seine Erfolge mit
der Wright’schen Vaccine -Therapie. Die Anwendung der Wright’schen
Vaccine zur opsonischen Behandlung ist bis jetzt leider noch immer
an die langwierige, technisch so außerordentlich schwierige Bestimmung
des opsonischen Index geknüpft gewesen. Dies ist natürlich ein großes
Hindernis für die Propagierung der Methode in weitere ärztliche Kreise.
Strubeil ist nun auf Grund seiner Versuche dahin gekommen, die
Behandlung lokaler Tuberkulosen, wenn auch nicht dauernd, wohl
aber nach ein- oder zweimaliger Feststellung des opsonischen Index
auf eine Zeitlang, ohne diese etwas komplizierte 'Kontrolle auszu¬
führen und auf solche Weise wenigstens teilweise diese Behandlung
in die Hände des praktischen Arztes zu legen.
Weit günstiger noch als auf dem Gebiete der lokalen Tuberkulosen
gestalten sich aber die Verhältnisse, sobald man daran geht, lokale
St aphy lok)okken|erkr ankungen opsonisch zu vaccinieren. Strubeil
hat in der Behandlung dieser Affektionen (akute und chronische
Furunkulose, Akne vulgaris, Sycosis coccogenes, nässende Ekzeme) so
unzweideutig gute Erfolge mit Staphylokokken vaccinen ohne Kontrolle
durch den Index erzielt, daß sich ihm naturgemäß die Frage auf-
drängte, durch Herstellung im Großen solcher Vaccinen diese ganze
Behandlung zu popularisieren.
Strubells Versuche, das Wright’sche Verfahren der Vaccine¬
bereitung für die Herstellung größerer Mengen technisch auszuarbeiten,
gelang ihm schon sehr früh, sodaß bereits im November 1907 von der
Chemischen Fabrik Güstrojw, der Strubeil die Darstellung der
Vaccine übertragen hat, der Schutz des Namens ,,Opsonogen“ beim
Kaiserl. Patentamt beantragt wurde. Die Mitteilung, daß dieser Schutz
gesichert sei, erfolgte im März 1908. Unter diesem Zeitpunkt lag auch
eine Publikation Strubells druckfertig vor. Nur durch äußere Um¬
stände ist das Erscheinen dieser Publikation und die Lancierung der
Vaccine verhindert worden. Von nun ab bringt die Chemische Fabrik
Güstrow der DDr. Hillringhaus und Heilmann unter dem Namen
„Opsonogen“ eine S'taphylokokkienvaocine von dem Standard
von 100 Millionen Staphylokokken pro Kubikzentimeter in
kleinen Ampullen von je 1 ccm zum Preise von 1 Mark in den
Handel. Jeder Arzt kann nunmehr die opsonische Behandlung lokaler
Vorläufige Mitteilungen und Autoreferate.
347
Staphylokokkenerkrankungein mit Erfolg in die Hand nehmen,
vorausgesetzt daß er ein aseptisches Verfahren einschlägt, d. h. die
Einspritzungen mit ausgekochter Morphiumspritze nach ausgiebiger
Desinfektion der Haut ins Werk setzt. — Professor Wright hat sich
(Practitioner Mai 1908) zu ganz denselben Prinzipien bekannt und läßt
seinerseits in der Vaccineabteilung seines opsonischen Departments Vac¬
cinen gegen verschiedene Infektionskrankheiten zur Anwendung ohne
Bestimmung des opsonischen Index bereiten. Autoreferat.
Über die Hämolyse der Streptokokken.
Von Prof. W. Zangemeister.
Nachdem die Behauptung Fromme’s;, daß virulente Streptokokken
sich von nicht virulenten durch ihre hämolytischen Eigenschaften unter¬
scheiden, und daß der Befund hämolytischer Streptokokken bei einer
Wöchnerin die Prognose als ernst erscheinen ließe, von seiten der
Hallenser Klinik selbst (Heyne mann) widerlegt worden ist, erschien
es wichtig, die Bedeutung der Streptokokkenhämolyse einmal genau
festzustellen. Durch eingehende Experimentaluntersuchungen stellte
ich fest, daß die Aufhellung des Blutagars lediglich durch den Farb¬
stoffaustritt aus den roten Blutkörperchen bedingt wird, den das Strepto¬
kokkenwachstum bedingt. Eine Resorption oder eine Spaltung des
Hämoglobins findet dabei nicht statt bezw. nur in minimalen Spuren.
Die Säurebildu,ng ist nicht an dem Aufhellungshof auf Blutagar
schuld.
Die hämolysierende Substanz muß von den Streptokokken selbst
und aus ihnen gebildet werden und ist in mäßigem Grad diffussibel.
Wahrscheinlich handelt es sich um einen kolloidaden, in Spuren
auftretenden Stoff, der ausgeschieden wird ; in den Streptokokkenleibern
(Endotoxine) ließ er sich nicht nachweisen. Die Hämolyse ist zahl¬
reichen Mikroorganismen eigen. Die hämolytischen Streptokokken
finden sich in Sekreten, die hämoglobinhaltig sind, die nicht hämo¬
lytischen in hämoglobinfreien. Die letzteren können hämolytisch wer¬
den ; der Übergang ließ sich einwandsfrei beobachten. Im allgemeinen
bewahren die hämolytischen und nicht hämolytischen Streptokokken
diese ihre Eigenschaft — namentlich auf künstlichen Nährböden —
äußerst zäh. Hämolysierende Streptokokken hämolysieren stets auf
allen Blutarten, nicht hämolysierende auf keinem Blut. Virulenz
und Hämolyse gehen nicht völlig Hand in Hand, wenngleich unter
den hämolytischen Streptokokken sich häufiger menschen- und tier¬
virulente vorfinden als unter den nicht hämolytischen. Auch fanden
sich typisch hämolytische Streptokokken im Uterus von gesund bleiben¬
den Wöchnerinnen und Kreißenden; andererseits fanden sich nicht hämo¬
lytische als zweifellose Erreger nicht leichter Infektionen.
Wenn also vorderhand sich die Hämolyse der Streptokokken nicht
prognostisch verwerten läßt (keinesfalls im Sinne Fromme’s), so ist
damit doch noch nicht die Möglichkeit ausgeschlossen, der hämolytischen
Fähigkeit der Streptokokken praktische Bedeutung einmal abzuge-
gewinnen. Für die bakteriologische Diagnostik sowie für die Züchtung
ist die Hämolyse resp. die Vorliebe der Streptokokken für Hämoglobin
heute schon von Wert. Autoreferat.
348
Vorläufige Mitteilungen und Autoreferate.
Dauererfolge der Interpositio uteri veslco-vaginalis.
Von Dr. Fuchs, Danzig.
(Vortrag, gehalten in der nordostdeutschen Gesellschaft für Gynäkologie am 23. 1. 09.)
Vortragender bespricht kurz die historische Entwicklung der
Uterus-Interposition, als deren Ausgangspunkt er die Dührssen’sche
Vaginäfixur bezeichnet, als die erste zielbewußte operative Behandlung
der Cystocele. Diese führte unter Verwertung des Freund’schen Gej
dankens der plastischen pelottenartigen Verwendung des Uterus zu
den technisch mustergültigen Operationen von W ertheim und S'chauta.
Kurze Erörterung der Unterschiede beider Eingriffe. Die meisten
Operateure bevorzugen den Schaut a’schen Modus in Rücksicht auf
die vereinfachte Wundheilung und ungeschmälerte Kohabitationsfähig-
keit der Vagina. E. kennt und übt das Schauta’sche Verfahren seit
mehr als sieben Jahren. Er legt besonderes Gewicht auf sorgfältige
Ausführung der Hilfsoperationen speziell der Amput. colli., die er,
abgesehen von Fällen mit ausgesprochener Portioatrophie, stets aus¬
führt, ferner ausgiebiger Douglasresektion, Kolporrhaphie • im Bereich
des Fornix vaginae und ausgiebigster Scheidendammplastik. Ist das
Corpus uteri zu groß für die Einbettung ins septum vesieo-vaginale, so
wird es reseziert, wie Vortr. dies schon früher (Monatsschrift f. Geb
Bd. 22, S. 646) angab und wie es dann weiter von Cohn aus der
Pf annensitiel’schen Klinik empfohlen wurde. Die Mißerfolge Doeder-
leins (Monatsschr. f. Geb. Bd. 28, S. 723), der völlige Gangrän des
resizierten Uterus erlebte, legen allerdings den Gedanken nahe, ob man
nicht lieber für solche Fälle auf den Wertheim’schen Modus der
Uteruseinpflanzung ohne völlige vaginale Bedeckung seiner Vorder¬
wand zurückgreifen solle. Bei atrophischem Uterus empfiehlt F. seit¬
liche Blasenraffungsnähte zu legen und die vordere Scheidenwand mit
versenkten Nähten an den Uteruskanten zu fixieren. So gelingt es meist,
auch über einem schmalen Uterusrücken die Blase zu retinieren. F. ver¬
fügt jetzt über Erfahrungen an 51 Fällen Schauta’scher Operation.
Ein Teil des Materials ist bereits in einer früheren Publikation (1. c.)
berücksichtigt. F. hat selber 31 Fälle operiert. Von der Gesamtzahl
(51) haben sich 30 wieder vor gestellt, davon 20 mit einer Beobachtung’s-
dauer von 6 — 53 Monaten und nur 10 mit einer solchen von 2 — 5 [Monaten.
Unter den 30 Nachuntersuchten war nur einmal ein Rezidiv festzu¬
stellen, d. h. es ergaben sich 96,7 Prozent Dauerheilung. Dazu kommen
acht briefliche Auskünfte mit ausnahmslos vorzüglichen subjektiven
Erfolgen. Mit F.’s Fällen liegen bis jetzt insgesamt 183 Nachunter¬
suchungen vor, die von Wertheim-Bucur a, Schauta, DoedeiJein,
Gawriloff (Leipz. Klinik) und Petri (Prof. Kl ein --München) bekannt
gegeben wurden. Eine Zusammenstellung dieser Mitteilungen ergibt das
günstige Resultat von 89,7°/0 Dauerheilungen für die Schauta’sche
Prolapsoperation. Die einzige Arbeit, aus der sich ein Fiasko des Wert¬
heim’schen bezw. Scha/ul a’schen Eingriffes ergibt, ist die von Thomsen
aus der Jenenser Klinik, die 33, 3 (Wertheim) bezw. 57,2°/0 (Se'hauta)
Rezidive ergibt. Eine Durchsicht der Operationstabellen Thomsens
ergibt aber, daß in keinem der acht rezidiv gewordenen Fälle eine
Amputatio 'colli, in zwei sogar keine Kolporrhaphie vorgenommen worden
war. Läßt man sich die Mühe der Hilfsoperationen nicht verdrießen,
dann wird die Einlagerung des Uterus ins Septum vesieo-vaginale bei
großen Vorfällen Erfolge auf weisen, wie sie bisher in der Prolaps¬
therapie nicht zu verzeichnen waren. Autoreferat.
Vorläufige Mitteilungen und Autoreferate.
349
Aus der Magdeburger medizinischen Gesellschaft.
Dr. A. Käppis, Sekundärarzt der chirurgischen Abteilung des
Krankenhauses Magdeburg-Sudenburg, stellt am 11. Februar 1909 in
der medizinischen Gesellschaft Magdeburg folgendes vor:
1. 15 1/2 jähriger Glasarbeiter, der am 28. Mai 1908 durch Ver¬
brühung mit glühendem Glas eine ausgedehnte Verbrennnug
dritten Grjades am Hinterkopf, Hals und Nacken erlitten hatte.
Nach Abstoßung der nekrotischen Partien und Peinigung der ausge¬
dehnten Granulationsfläche, wurde (ca. vier Wochen nach dem Unfall)
Thier’ sehe Transplantation aus beiden Oberschenkeln versucht; die
transplantierten Lappen heilten nur zum kleinsten Teil an ; ebenso
blieben die Entnahmestellen an den Oberschenkeln hartnäckig offen.
Deshalb von Ende Juli 1908 ab Behandlung mit Eosinpinselung und
Bestrahlung mit Sonnenlicht. Hierdurch geringe günstige Beeinflussung,
aber kein rechter Fortschritt.
Von Ende August 1908 ab Behandlung mit der von Schmie den -
Berlin empfohlenen 8°/0igen Scharlachrotsalbe. Täglicher Verband¬
wechsel. Wegen Glasigwerden und Quellung der Granulationen ab¬
wechselnd Verband mit Scharlachsalbe und Borsalbe; dadurch wurde
eine zu starke Beizung der Granulationen vermieden.
Der Erfolg dieser Behandlung war eklatant, die Epithelisierung
erfolgte sehr rasch vom Band her und von einzelnen stehengebliebenen
Epithelinseln aus.
Nebenher orthopädische Übungen, um Schultern und Kopf beweg¬
lich zu erhalten.
Die Heilungsdauer war auch unter dieser Scharlachsalbenbehand¬
lung lang, aber beachtenswert ist vor allem der Endeffekt : Das neu¬
gebildete Narbengewebe ist dick, aber trotzdem weich, gleicht an vielen
Partien fast ganz der normalen Haut und ist vollkommen gegen die
Unterlage verschieblich; Narbenkontrakturen fehlen vollständig, Kopf
und Schultern sind ausgezeichnet beweglich.
K. empfiehlt nach kurzer theoretischer Besprechung des Ver¬
fahrens, auf Grund zahlreicher Fälle der chirurg. Klinik Würzburg
und der chirurg. Abteilung des Krankenhauses Sudenburg die An¬
wendung der Scharlachrotsalbe (8°/0 Scharlachrot mit Ungt. paraffini)
zur Behandlung granulierender (gereinigter und auch nicht ganz ge¬
reinigter) Wundflächen, bei denen man aus irgend einem Grund die
Transplantation nicht machen kann oder will.
Eine schädliche Einwirkung, die schon nach den experimentellen
Untersuchungen von B. Fischer, Tores u. a. nicht in Betracht kommt,
ist bei der Anwendung der Scharlachsalbe nie beobachtet worden.
2. Dünndarmvolvulus *) als Folge einer schweren eitrigen Appen¬
dizitis (zwei Monate nach der Appendixoperation).
15 jähriger Fleischerlehrling früher ganz gesund. Am 23. Juli 1908
Appendektomie ; längere Zeit Tampon und Drain - nötig; 5. Septem¬
ber • 1908 vollkommen geheilt ohne Bauchbruch entlassen.
*) Der Vortrag über Dünndarmvolvulus wird ausführlicher an anderer Stelle
erscheinen.
350
Vorläufige Mitteilungen und Autoreferate.
Am 24. September 1908 Wiederaufnahme ins Krankenhaus unter
den Erscheinungen des schwersten Ileus : Schwerer Kollaps, Kotbrechen,
starke meteoristische Auftreibung des Leibes ; bei der Peristaltik deut¬
liche Darmsteifung (drei quer übereinander liegende Darmschlingen in
der Höhe des Nabels von links nach rechts) sichtbar.
Sofort Operation : Medianschnitt vom Nabel zur Symphyse. Achsen¬
drehung des Dünndarms um 180° im Sinn des Uhrzeigers. Größter
Teil des Ileums bis auf ein kleines (unterstes) Stück in den Volvulus
einbezogen, sehr starke Spannung. Die Grenze des geblähten und
kollabierten Dünndarms läßt sich zunächst wegen schwerer teils
f lächenhafter, teils strangförmiger V erwachsungen in der rechten unteren
Bauchseite nicht zur Ansicht bringen. Nach Lösung der Verwachsungen
und besonders nach Durchtrennung eines derben, dicken, vom Cöcum
nach der Grenze von geblähtem und kollabiertem Darm verlaufenden
Stranges dreht sich plötzlich der Volvulus spontan zurück. Auch
das unterste ca. 1 m lange Ileumstück füllt sich wieder und so gelingt
die Reposition der Därme nach leichter Beckenhochlagerung ohne wesent¬
liche Anstrengung. Fortlaufende Schichtnaht der Bauchwunde, Drain
ins kleine Becken; Füllung des Bauches mit Kochsalzlösung. Verband.
Sofort intravenöse Infusion von 0,9°/0 Kochsalzlösung 2000 ccm -[~ 10
Tropfen Suprarenin. hydrochlor. (1 : 1000), dann Hochsetzen im Bett,
Physostygmin. salicyl. 1 mgr. Kasche Hebung des Allgemeinbefindens,
schon am nächsten Tag Flatus, rasche Wundheilung.
K. bespricht kurz die Arbeiten von Wilms u. a. über Entstehung
und Mechanismus des Dünndarmvolvulus. Der vorgestellte Fall ist
kein sicherer Beweis für die Wilms’sche Anschauung, daß zuerst
eine hochgelegene Dünndarmschlinge sich dreht und dann allmählich
die peripheren Darmschlingen nachzieht, bis ein natürliches (Cöcum)
oder neugebildetes (Strang) Hindernis dem Volvulus Einhalt gebietet.
Wegen des plötzlichen Auftretens schwerster Erscheinungen
nimmt K. an, daß bei seinem Fall ein unkomplizierter Volvulus ohne
Zirkulations- und Passagestörungen schon längere Zeit bestanden hat,
und daß die wirkliche Abschnürung durch plötzliche abnorme starke
Peristaltik ausgelöst worden ist. Daß der derbe Strang eine wesentliche
Kolle für den Volvulus gespielt hat, geht aus der spontanen Auf¬
rollung sofort nach Lösung des Stranges mit Sicherheit hervor.
K. betont die Wichtigkeit der Prophylaxe, d. h. die Verhütung
von Verwachsungen bei B auchaff ektionen und Bauchoperationen und
führt als wesentliche Momente an:
Frühzeitige Operation bei Appendizitis. Möglichst frühzeitige
Anregung der Darmtätigkeit : Kochsalzeinläufe evtl, mit Glyzerin,
Kizinus ; Dauereinläufe mit Kochsalzlösung, Physostygmin -salicyl.
dreimal täglich 1 mgr bis zur W irkung ; evtl. Magenspülung und
Rizinusöl durch den Magenschlauch. Baldige Nahrungszufuhr. Früh
auf stehen lassen, dazu notwendigf: nicht zu große Schnitte, möglichst
exakter Verschluß der Bauch wunde in Etagen; Drain und besonders
Tampon nur* kurz (einige Tage) liegen lassen. Unter Umständen Nach¬
behandlung mit Heizung des Bauches (am besten Glühlichtbogen).
Autoreferat.
Referate und Besprechungen.
351
Referate und Besprechungen.
Bakteriologie und Serologie,
lieber das Tuberculinum purum.
(J. Gabrilo witch. Zeitschr. für Tuberk., Bd. 13, Nr. 3, 1908.)
Die bisher schon recht stattliche Anzahl von Tuberkulinen ist durch
ein neues Präparat vermehrt worden, das Ttiberkulinum purum. Dieses wird
aus Kulturen menschlicher Tuberkelbazillen nach Art des Alttuberkulin her-
gestellt, aber durch chemische Reagentien (Xylol, Alkohol, Äther und Chloro¬
form) derartig verändert, daß es bei subkutaner Anwendung keine Allge¬
meinreaktion hervorruft. Es kann daher auch in akuten und subakuten
Fällen, trotz bestehender Komplikationen, in großen, rasch gesteigerten Dosen
angewendet werden.
Die bisherigen Erfolge sollen gute gewesen sein. Eine Nachprüfung
ist vorläufig nicht möglich, weil Krankengeschichten nicht mitgeteilt wer¬
den. Bei der Beurteilung wird Vorsicht geboten sein, da sich schon in der
kurzen, diesem Referate zugrunde liegenden Mitteilung der unerklärliche
Widerspruch findet, daß das Tuberkulinum purum, „keine allgemeinen Reak¬
tionserscheinungen hervorruft“, ,aber doch, wenn auch nur „äußerst selten“,
„Temperatursteigerungen als Reaktionserscheinungen“ zur Folge hat. Bisher
hat man die Temperatursteigerung gerade als die wesentliche Erscheinung
der Allgemeinreaktion angesehen. Sobotta (Reiboldsgrün).
Kartoffelnährbouillon zur Züchtung der Tuberkelbazillen.
(Dr. Jere witsch. Zentralbl. für Bakt., Bd. 47, H. 5, 1908.)
Ausgeschälte Kartoffeln werden gerieben. Zu 500 g Brei werden 500 ccm
HsO zugesetzt. Am anderen Tage wird dieses Gemisch durch Leinwand gut
abgepreßt. Das erhaltene Infus wird nach V2 ständigem Stehen vom Boden¬
sätze abgegossen. Gleichzeitig wird ein Fleischinfus hergestellt (500 g Fleisch
auf ein Liter Wasser). Kartoffel- und Fleischinfus werden zu gleichen Teilen
vermischt und mit 1/2%igem Witte-Pepton und V^/oigem NaCl versetzt.
Erwärmung bis zur Lösung des Peptons und dann eine Stunde lang kochen
im Dampfapparat, endlich warm filtrieren durch ein Faltenfilter. Das Filtrat
wird alkalisiert mit 3%igem Glyzerin und mit gesättigter Sodalösung, dann
im Autoklaven Vr Stunde lang bei 120° gekocht und abgekühlt filtriert,
in Gefäße verteilt und bei 115° eine Stunde lang sterilisiert. Die Bouillon muß
bei richtiger Alkaleszenz eine dunkelbraune Farbe besitzen. Die so bereitete
Bouillon läßt sich auch zur Darstellung von Kartoffelagar benutzen.
Schürmann (Düsseldorf).
Nachweis von Tuberkelbazillen im Blute eines Fötus.
(Dr. Huguenico. Zentralbl. für Bakt., Bd. 48, H. 4, 1908.)
Von anderen Gelehrten bestärkt, glaubte Verf., daß es bei der Tuber¬
kulose wie bei der Syphilis einen latenten Mikrobismus gibt, d. h„ daß ein
Organismus Tuberkelbazillen beherbergen kann, die in den Organen ihres
Trägers weder makroskopisch noch mikroskopisch sichtbare Gewebsverände¬
rungen verursachen. Das Herzblut eines nach einer künstlichen Frühgeburt
verstorbenen Fötus wurde einem Meerschweinchen subkutan injiziert. Das
Tier magerte ab. An der Injektionsstelle ergab sich in 14 Tagen eine kirsch¬
kerngroße harte Geschwulst. Inhalt breiig. Tuberkel fanden sich in der Milz,
in den inguinalen und peritrachealen Lymphdrüsen. Mikroskopisch in der
Milz, Leber usw. Tuberkelbazillen. Verf. glaubt bewiesen zu haben, daß
es beim menschlichen Fötus einen latenten tuberkulösen Mikrobismus gibt,
wie er für die Lues jedenfalls besteht. Schürmann (Düsseldorf).
352
Referate und Besprechungen.
Neue differentialdiagnostische Färbemethode für Tuberkel-Perlsucht und
andere säurefeste Bazillen, nebst Strukturstudien bei verschiedenen
säurefesten Bakterienarten.
(Dr. L. y. Betegh. Zentralbl. für Bakt., Bd. 48, H. 5, 1908.)
Vermittelst eines neuen Färbeverfahrens ist es Verf. gelungen — es
ist nämlich die ,,b-Tolin£ ‘-Methode — eine deutliche Unterscheidung zwischen
Tuberkel- und Perlsuchtbazillen herbeizuführen. Nach Ausstrichen, Fixieren
in der Flamme folgt Beizen der Präparate mit 2 — 3 Tropfen 15%iger Salpeter¬
lösung und Erhitzen über der Flamme bis zum Aufsteigen von Dämpfen.
Abspülen mit Wasser. Nun bringt man einen Tropfen Methylenblau mit
2—3 Tropfen Karbolfuchsin (oder beide Farben ää) auf den Objektträger
und erhitzt wiederum über der Flamme bis zur Dampfbildung. Abwaschen
und Entfärben mit 60°/oigem Alkohol, abwaschen in Wasser, trocknen,
Kanada. Eventuell empfiehlt sich eine Nachfärbung mit Malachitgrünlösung
(einige Sekunden).
Es erscheinen nach dieser Methode die säurefesten Bakterien rot, die
Sporen blau, die Leukozytenkerne blauviolett, Plasma- und Sekundärbakterien
hellgrün.
Aus den Beobachtungen des Verfassers ergibt sich, daß die Tuberkel¬
bazillen des Menschen und die Perlsuchtbazillen jede für sich eine selb¬
ständige Art darstellen und nicht bloß ein Typus sind. Diese Eigenschaften
sind ebenfalls morphologisch, toxikologisch und strukturell nachweisbar. Die
Vogeltuberkulose hat mit der Säugetiertuberkulose nichts zu tun; gemeinsam
ist nur die Säurefestigkeit. Tuberkel-, Perlsucht- und Vogeltuberkulosebazillen
haben Sporen.
Diese b-Tolinmethode eignet sich sehr zur Darstellung der Sporen von
Tuberkel-, Perlsucht-, Vogel-, Fischtuberkulose, Smegma, Lepra und Möller’s
Grasbazillus II. Schürmann (Düsseldorf).
Eine Silberimprägnationsmethode zur Unterscheidung von Lepra- und
Tuberkelbazillen.
(Dr. Yamamoto. Zentralbl. für Bakt., Bd. 47, H. 5, 1908.)
Nach der gleich angeführten Methode erscheinen die Leprabazillcn,
da sie durch Silbermittel nicht imprägniert werden, farblos, während die
Tuberkelbazillen sich schwer gefärbt zeigen:
1. Anfertigen eines Ausstrichpräparates.
2. Lufttrocknen und fixieren in der Flamme.
3. 10 Minuten langes Erwärmen in 5% Silbernitratlösung bei 55 — 60°.
4. 5 Minuten in Reduzierungslösungen (Acid. pyrogallic. 2,0, Acicl. tannic.
1,0, Aqu. dest. ad 100,0).
5. Entfernen des schmutzigen schwarzen Niederschlages mit einem Stück
mit Wasser erweichten Filtrierpapier.
6. Trocknen.
Die hellen Leprabazillen können nach dieser Methode mit dem Tiehl-
schen Karbolfuchsin unter Säurealkoholbehandlung nachgefärbt werden.
Schürmann (Düsseldorf).
Beiträge zur Biologie des IViilzbrandbazillus.
(Dr. Sieber. Zentralbl. für Bakt., Bd. 48, H. 5, 1908.)
Der Zusatz von Galle oder gallensaurem Salzen beeinflußt das Wachs¬
tum des Milzbrandbazillus auf den verschiedensten Nährböden wenig.
Wachsen Bazillen auf derartigen Nährsubstraten, so wird die Infektion
verzögert; in einigen Fällen trat die Infektion nicht ein. Bei den über¬
lebenden Tieren trat keine Immunität gegen Milzbrand ein.
Referate und Besprechungen.
353
IJie Galle verändert den Milzbrandbazillus weder bezüglich der Virulenz
noch bezüglich des Wachstums, denn abzentrifugierte, von Galle befreite
Bazillen behalten ihre Virulenz und Wachstumsfähigkeit. Die Galle scheint
im Tierkörper infektionswidrige Wirkung zu entfalten.
Schürmann (Düsseldorf).
Über das Verhalten der Choleravibrionen dem menschlichen Mageninhalt
gegenüber.
(Dr. Stern, Saratow. Zentralbl. für Bakt,, Bel. 47, H. 5, 1908.)
Verf. sieht den Magen nicht als sichere ,, Barriere“ für Choleravibrionen
an. Es bleiben im normalen Mageninhalt bei 0,2 °/0 HCl-Gehalt nach 40 — 60
Minuten die Choleravibrionen virulent. Wegen des vermehrten Schleimgehaltes
sind Personen mit Magenkatarrh, da der Schleimgehalt nach seinen Ver¬
suchen einen günstigen Einfluß auf die Entwicklungsfähigkeit der Cholera¬
vibrionen ausübt, sehr leicht und ganz besonders der Infektion ausgesetzt.
Eine Hyperazidität hemmt das Aufkommen der Infektion am meisten. Die
Azidität tritt aber erst 1 Stunde nach ^Eintritt der Speisen in den Magen
auf, und so ist es immer noch möglich, daß die Erreger den klagen passieren
können, bevor eine abnorme Azidität auftritt. Choleravibrionen gehen bei
einem HCl-Gehalt von 0,04%, wenn sie mit Wasser nüchtern in den Magen
gebracht werden, zugrunde. Pepsine verstärken die Wirkung der Salzsäure
auf Choleravibrionen, Peptone setzen sie herab. Die bakterizide Wirkung
der HCl wird auch durch Galle herabgesetzt. Bei Vorhandensein von Eiweiß
bleiben sie bei einem Säuregehalte von 0,1% noch sehr lange virulent.
Schürmann (Düsseldorf).
Über Beziehungen des Antitpxingehaltes des Diphtheriserums zu dessen
Heilwert. Über Acidität der Antitoxine.
(Kraus u. Schwoner. Zentralbl. für Bakt., Bd. 47, H. 1, 1908.)
Verf. kommen zu der Ansicht, daß von niederwertigen Seris ein viel
geringerer Gehalt an J. E. heilend wirkt als von hochwertigen. Kaninchen
wurde % Std. vor der Seruminjektion das Gift intravenös appliziert, Meer¬
schweinchen jedoch 2 Std. vor der Serumgabe subkutan. Verfasser glauben,
daß die Bestimmungsmethode des Mischungswertes nach Ehrlich zu einem
unrichtigen Urteil über den Heilwert der Sera führt.
Schürmann (Düsseldorf).
Innere Medizin.
Über die Lageveränderungen des Herzens bei relativer Enge des Thorax.
(Max Herz. Wiener klin. Rundschau, Nr. 30, 1908.)
Unter relativer Enge dels Thorax versteht Verf. das räumliche
Mißverhältnis zwischen der Gköße des Herzens und der Weite des
Thorax. Der Brustkorb kann also bei normaler Herzgröße abnorm verengt
oder das Herz kann bei normalen Thoraxverhältnissen vergrößert sein und
endlich können beide Umstände Zusammentreffen. — Die Beachtung dieser
Tatsachen ist bei der Perkussion des Herzens von praktischer Wichtigkeit.
Eine Vergrößerung des H(erkens im sagittalen Durchmesser wird zu
einer relativen Enge des Thorax führen. Das Herz weicht nicht nach rechts
aus, denn der geringste Widerstand liegt in der linken Thoraxhälfte. Ist
dieser Spielraum erschöpft, so wird das Herz gegen die Brustwand ge¬
drängt und perkutorisch erscheint eine Verbreiterung der absoluten
Dämpfungszone. Steigert sich das Mißverhältnis zwischen sagittalem Herz¬
durchmesser und Thoraxraum noch weiter, so kann es sogar zu einer Ein¬
keilung des Herzens kommen. Steyerthal-Kleinen.
23
354
Referate und. Besprechungen.
Das Verhältnis von Arterien- und Kapillardruck bei Arteriosklerose.
(Ch. Finch. Rev. de. med., 28. Annee, Nr. 8, S. 747 — 757, 1908.)
Nach Finck bestehen gar keine Beziehungen zwischen der arteriellen
Spannung und den klinischen Zeichen der Arteriosklerose ; dagegen existieren
deutliche, wenn auch nicht konstante Beziehungen zum Kapillardruck t. Aber
ganz ausgeprägt und parallel verlaufend stellen sich die Beziehungen des
T
Quotienten — zu den Störungen im Kreislauf bei Arteriosklerose dar; und
zwar etwa in der Weise, daß zunächst der Druck im Kapillargebiet steigt.
Das hat dann eine Steigerung des arteriellen Druckes zur Folge; aber schlie߬
lich erlahmt der Herzmuskel, er gibt den Kampf mit dem sich immer mehr
steigernden Kapillardruck auf, es stellt sich das Bild der Insuffizienz ein.
T
Die Größe — hatte sich dabei zunächst immer auf der normalen Höhe von
t
1,5 — 2 gehalten (T beträgt nach Potain 17 — 18 cm Hg; t nach Gärtner
9 — 10 cm); allein indem T allmählich sinkt und, t zuhimmt, nähert sich der
Quotient der Zahl 1, d. h. der Druck in den beiden Systemen ist gleich ge¬
worden, die Zirkulation ist behindert. Buttersack (Berlin).
Blutuntersuchungen in verschiedenen peripheren Gefäßprovinzen bei
Zirkulationsstörung.
(M. Krämer. Wiener klin. Wochenschr., Nr. 34, 1908.)
Die Schlußfolgerungen aus den sorgfältigen Untersuchungen des Verf.
lauten: Bei bettlägerigen Kranken mit allgemeiner Stauung ist gewöhnlich
eine Anhäufung der Ery tjhr-ozy ten im Blut der Zehen nachweisbar.
Damit geht fast regelmäßig eine Erhöhung des spez. Gewichtes des Zehen¬
blutes einher. Der Unterschied zwischen Zehenblut und Ohrläppchen blut
ist ein Merkmal der ungenügenden Herzarbeit. E. Oberndörffer.
Sphygmotonograph.
(L. Uskoff, Zeitschr. für klin. Med., Bd. 66, S. 90, 1908.)
U. beschreibt einen angeblich leicht, auch bei Schwerkranken anzu¬
wendenden Apparat (Kostenpunkt ?), der den maximalen und minimalen Druck
automatisch aufzeichnet. Im Vergleich mit Frey’s Tonographen gibt er
(an der Hunde-Femoralis) den maximalen Druck um 6 — 48 mm Hg höher an.
H. Vierordt (Tübingen).
Aus dem städtischen Krankenhaus Moabit in Berlin.
Zur Behandlung der perniziösen Anämie.
(G. Klemperer. Berliner klin. Wochenschr., Nr. 52, 1908.)
Klemperer weist zunächst auf das charakteristische Verhalten der
perniziösen Anämie hin, oft in Rezidiven aufzutreten, in deren Zwischenräumen
sich die Patienten leidlich wohl fühlen können. Seine therapeutischen Ver¬
suche stellte er einmal mit Cholestearin an, das im tierischen und auch pflanz¬
lichen Körper außerordentlich verbreitet ist. Die experimentellen Erfahrungen,
nach denen es die hämolytische Fähigkeit des Saponin und Kobragiftes zu
hindern vermag, haben ihn auf die Idee gebracht, es therapeutisch zu ver¬
wenden, wobei er sich aber der gegen diese Ansicht sprechenden Tatsachen,
wie z. B., daß die perniziöse Anämie keine Hämolyse darstellt, sowie der
gegen diese Therapie erhobenen Einwände wohl bewußt ist. Das in 3%iger
Öllösung gegebene Cholestearin wurde schlecht vertragen, war auch sehr
teuer, man kann es viel einfacher in Form cholestearinhaltigen Nahrungs¬
mitteln, Butter und Sahne geben. Klemperer hat acht Patienten mit mög¬
lichst viel Butter und Sahne behandelt, daneben gemischte Kost und bis
auf einen Patienten Arsen verabreichen lassen. Zur besseren Verdauung
Referate und Besprechungen.
355
der fettreichen Kost verordnete er kleine Mengen Kognak oder Kalkpulver.
W enn er auch den Eindruck hatte, als ob diese Cholestearinzufuhr hemmend
auf den Verlauf der Krankheit ein wirke, so waren doch die Erfolge dieser
Therapie nicht sehr bedeutend. Er wandte sich daher einem anderen Mittel
zu, dem Arsen, wobei er die Anschauung im Auge hatte, daß die perniziöse
Anämie eine Infektionskrankheit- sei. Als wirksamstes Arsenpräparat versuchte
er das Arsacetin, von dem er anfangs 0,1 g in 10%iger Lösung injizierte,
um bis auf 0,6 g zu steigen. Die Wirkung bestand in einer beträchtlichen
Beeinflussung der Blutbildung. Er stellt als Regel auf, zunächst am ersten
und zweiten. Tage sofort 0,6 g zu injizieren, worauf eine Woche pausiert
wird. Gewöhnlich geht die Besserung nur bis zu einer bestimmten Grenze.
Nach Verabreichung von im ganzen 5 g schreitet die Besserung nicht fort.
Man hört also dann am besten mit der Kur auf, um sie beim Eintreten
eines Rezidivs wieder beginnen zu können. Üble Nebenwirkungen konnte er
hauptsächlich bei Frauen beobachten. Sie bestanden in Übelkeit, Erbrechen,
Durchfall und Eieberbewegungen. F. Walther.
Leukozytose bei Keuchhusten.
(J. Frank Crombie. Edinburgh med. Journ., New. series, Vol. I, S. 222, 1908.)
Der von J. Fröhlich (1897) u. a, gefundenen Hyperleukozytose bei
Keuchhusten ist Crombie in allen Stadien der Krankheit, bei verschiedenem
Alter der Erkrankten, auch bei Erwachsenen, nachgegangen, bei welch letzteren
übrigens selten über 10000 und eine rasche Rückkehr zur Norm gefunden
wurde. Bei 73 (von im ganzen 112) Fällen unkomplizierten Keuchhustens war
in den ersten 3 Wochen der Krankheit nur bei 7 Fällen eine Leukozytose
unter 10000 zu konstatieren. Da der Grad der Leukozytose mit der Schwere
des Falls in Beziehung steht, — bei ganz leichten Fällen werden ganz
normale Befunde erhoben — , so ist sie Von prognostischer Bedeutung ; nament¬
lich ist die Vermehrung der Lymphozyten über die polymorphen ganz her¬
vorstechend und es findet eine „Inversion“ derart statt, daß man etwa in der
2. Woche 67% Lymphozyten und 31% polymorphe finden kann. Im weiteren
Verlauf der Krankheit nehmen die letzteren immer mehr zu, die Lymphozyten
ab, doch ist oft viele Wochen lang noch eine Verschiebung zu beobachten.
Bei Komplikation mit Pneumonie wurden in 2 von 4 Fällen sehr hohe
Leukozytenwerte, in einem sogar mehr als 200000, festgestellt.
H. Vierordt (Tübingen).
Zur Symptomatologie der Nierenentzündungen.
(Th. G. Janovsky. Rev. de med., 28. Annee, Nr. 8, S. 711 — 719, 1908.)
Auf drei Punkte lenkt Janovsky die Aufmerksamkeit: auf die psy¬
chische Depression, das Ödem und die Dyspnoe.
Die Veränderung der Psyche ist schwer zu beschreiben: es handelt
sich nicht um Schwindel oder Ohrensausen oder Übelkeit oder Mattigkeit,
sondern mehr um eine eigentümliche Form von Apathie. J. drückt das
subjektive Empfinden nach eigener Erfahrung in der negativen Fassung
aus: pas de maladie, mais pas de sante non plus. Dieser Zustand scheint mit
den allerersten Anfängen der Nephritis einzusetzen, oft noch ehe die obligate
Albuminurie nachweisbar ist und dauert zumeist nicht lange; er klingt ab,
auch wenn die Nierenentzündung im übrigen ihren gewöhnlichen Verlauf
nimmt.
Die zweite Bemerkung bezieht sich auf die Ödeme. Neben die seiner¬
zeit beliebten chemischen Erklärungen rückt er ein mechanisches Moment :
die Elastizität der Gewebe. In manchen Fällen ist die erste Gewebsläsion,
welche zur Entstehung von interzellulärer Flüssigkeitsansammlung geführt
hatte, so nachhaltig, daß keine restitutio in integrum eintritt, daß die Ge¬
webe sozusagen überdehnt bleiben, bezw. daß schon eine kleine Kraft genügt,
um abermals Flüssigkeiten in den Gewebsmaschen sich ansammeln zu lassen.
23*
856
Referate und Besprechungen.
Auf diese Weise erklärt es sich, weshalb Anasarka sich auch im späteren
Leben bei ehemaligen Nephritikern einstellt, z. B. nach Anstrengungen, Bergbe¬
steigungen, reichlichen Mahlzeiten; vielleicht ist ein Gefühl von Schwere
und manche Bormen von Parästhesien einem unsichtbaren Anasarka äqui¬
valent. Leichtbegreiflicherweise kann man eine Wiederkehr der normalen
Elastizität eher bei jungen und kräftigen Personen, als bei alten und runzeligen
erwarten.
Schließlich spricht J. von Kurzatmigkeit, welche noch lange in die
Rekonvaleszenz hinein andauere, nachdem die übrigen Krankheitserscheinungen
sich längst verloren hätten; er meint, sie komme eben deswegen dem Pat.
in der Genesungsperiode erst recht zum Bewußtsein, während zuvor seine
Aufmerksamkeit durch allerlei andere Beschwerden in Anspruch genommen ge¬
wesen sei. Bezüglich der Entstehung enthält er sich einer Erklärung ; aber
ich glaube, er hätte seine Gedanken über die Gewebselastizität — analog
etwa dem Emphysem — ganz wohl auch hierher übertragen können.
'Buttersack (Berlin).
Die diagnostische Verwertbarkeit der Zusammensetzung des Harnes bei
der Lungenentzündung.
(E. Zak. Wiener klin. Wochenschr., Nr. 31 u. 32, 1908.)
In 81% her Fälle ist der Kalk im Urin vermindert oder fehlt ganz.
Über die Ausscheidung der Magnesia war nichts Sicheres zu ermitteln. Die
bekannte Verminderung der Chlor- Ausscheidung fand sich in 90% der
Fälle. Geringe Albuminurie, 1 — 2%0, fand sich fast regelmäßig; sie steht
in keinem Zusammenhang mit der Intensität des anatomischen Prozesses.
Am 4. bis 5. Tag werden oft massenhaft inkrustierte Zylinder ausgeschieden,
doch ist dies nicht charakteristisch für Pneumonie. Das gleiche gilt für die
fast stets vorhandenen Albumosen, wogegen der durch Kochsalz ausfällbare
Eiweißkörper meistens bei dieser Krankheit und zwar vom 5. Tag bis zur
Krise gefunden wird. Urobilin ist ein fast konstanter Befund.
E. Oberndörffer.
Aus dem chemisch-mikroskopischen Laboratorium von Dr. M. und A. Jolles in Wien.
Zur quantitativen Eiweißbestimmung im Harn.
(A. Jolles. Allgem. Wiener med. Zeitung, Nr. 48, 1908.)
Da die gewichtsanalytische Methode Scherer’ s oft versagt, weil in
schleim- und eiterhaltigen Harnen das Eiweiß sich nicht vollständig absetzt,
bezw. filtrieren läßt, und auch Tsiuehiya’s Modifikation von Esbach’s
Methode zumal bei eitrigen Harnen des öfteren im Stich läßt, hat Jolles
Scherer’s Verfahren in der Weise abgeändert, daß er das Eiweiß, auch
aus eiterigen und schleimigen Härnen, mit folgendem „Formolreagenz“ fällt:
lu/0 Essigsäure 50,0
Formol 50,0
Natr. chlor. 15,0.
100 ccm der zu untersuchenden Flüssigkeit werden in ein Becherglas
von etwa 200 ccm Inhalt gebracht und, falls sie alkalisch reagieren, mit
verdünnter Essigsäure neutralisiert. Hierauf fügt man 5 ccm des Formol-
reagenz hinzu und erhitzt in kochendem Wasserbade zirka 30 Minuten, bis
außer der Abscheidung des Eiweißes auch eine Klärung der darüber stehen¬
den Flüssigkeit erfolgt. Der Niederschlag wird möglichst rasch, um das
Austrocknen des Eiweißes an den Glaswänden zu vermeiden, über ein vorher
bei 110° getrocknetes Filter filtriert, mit heißem Wasser und hierauf mit
Alkohol und Äther gewaschen, bei 110° bis zur Gewichtskonstanz getrocknet
und gewogen. Das Filter samt -Inhalt wird hierauf in einem Platintiegel
verascht und gewogen, und die Asche von dem gewogenen Eiweiß in Abzug
gebracht. Die Differenz ergibt den Eiweißgehalt. Esch.
Referate und Besprechungen.
357
Asthma bronchiale und Verkleinerung des Herzens.
(A. Götzl u. R. Kienböck. Wiener klin. Wochenschr., Nr. 36, 1908.)
In zwei Fällen fand sich bei der orthodiagraphischen Untersuchung des
Herzens eine auffallende Verschmälerung und Verkleinerung des Schattens,
höchstwahrscheinlich hervorgebracht durch das Exspirationshindernis in den
Bronchien, welches den intrathorakalen Druck steigert und dadurch die
Füllung des Herzens von seiten der großen Venen behindert, die Austreibung
des Blutes aber unterstützt. E. Oberndörffer.
Influenzabazillen im Bronchialbaum.
(F. Wohlwill. Münch, med. Wochenschr., Nr. 7, 1908.)
Unter 158 Leichen (73 Phthisen, 26 akute Infektionskrankheiten,
59 Krankheiten verschiedener Art) wiesen 29 einen positiven Befund von
Pf eif f er’schen Bazillen in den Bronchien auf. Am häufigsten fand sich
der Bazillus bei Phthisikern (16 mal), weiterhin bei Kindern mit Infektions¬
krankheiten (Masern, Keuchhusten). In diesen Bazillenträgern erblickt der
Autor die Vermittler und Weiterverbreiter der Influenzainfektion.
E. Oberndörffer.
Zur Kasuistik der abortiven Pneumonie.
(Dr. Simon-Plauen i. V. Münch, med. Wochenschr., Nr. 35, 1908.)
Simon berichtet über 2 Fälle von Pneumonie crouposa, die alle Sym¬
ptome einer solchen, wie Temperaturerhöhung, frequenten Puls, krepitierendes
Rasseln, Bronchialatmen, Dämpfung, verstärkten Pektoralfremitus, rostfarbenes
Sputum boten, aber nach, 2 Tagen vollständig wieder hergestellt waren. Er
erklärt sich diesen abortiven Verlauf damit, daß der sehr eng begrenzte
Prozeß vielleicht nur oberflächlich gelegen war und infolgedessen leichter
absorbiert wurde oder daß die Virulenz des Diplokokkus Friedländer aus
irgend einem Grunde abgeschwächt war. F. Walther.
Rheumatismus tuberculosus (Poncet).
(P. Es au. Münch, med. Wochenschr., Nr. 8, 1908.)
Bei einem 6 jährigen Kind ohne sonstige Tuberkulose und ohne here¬
ditäre Belastung wurden nacheinander beide Knie- und Fußgelenke, das
rechte Hüftgelenk und die Halswirbelsäule von einer teils in Ankylose,
teils in Heilung ausgehenden Entzündung befallen. Der Prozeß verlief mit
Fieber und Schmerzen, die Hauttemperatur über den kranken Gelenken war
erhöht, ein Erguß nicht nachweisbar. Antirheumatische Therapie war er¬
folglos, dagegen hatte die Behandlung mit Saugapparaten bemerkenswerte
Resultate. Charakteristisch ist der Verlauf in Schüben, der häufige Aus¬
gang in Ankylose, Abmagerung, Schweiße. Gewöhnlich werden jugendliche
Personen mit latenter Tuberkulose befallen. E. Oberndörffer.
Psychiatrie und Neurologie.
Beiträge zur Pathologie des Gehirns.
(Hochhaus. Deutsche Zeitschr. für Nervenheilk., Bd. 34, H. 3 u. 4, 1908.)
Der Verfasser teilt zwei interessante Fälle mit, im ersten handelt es
sich um ein multiples Gliom von ungewöhnlicher Ausdehnung. Im zweiten
Fall liegt von einem frisch: nach Masern entstandenen Fall von ,, zerebraler
Kinderlähmung“ ein Obduktionsbefund vor. Das ist sehr wertvoll. Denn
so oft „alte“ Fälle dieser Art untersucht sind, so selten gibt sich die Gelegen¬
heit, frische Fälle also noch im akuten Stadium zu untersuchen. Bei den
358
Referate und Besprechungen.
brennenden Fragen der Pathologie des kindlichen Gehirns ist dies eine be¬
sonders beachtenswerte Untersuchung. Anatomisch fand sich ein starkes sul-
ziges Ödem der Pia und der linken Zentralwindungsgegend und eine mäßige
Meningoencephalitis dieser Gegend. Der Befund ist nicht gerade hochgradig,
von den Erklärungen für die Deutung der klinischen Erscheinungen, die der
Verfasser anführt, ist jedenfalls die zu bevorzugen, in der er sagt, daß
beim kindlichen Gehirn weniger umfangreiche Entzündungen mit Ödem tief¬
greifende Schädigungen der Funktion hervorrufen können. H. Vogt.
Über falsche Lokalisation der Schmerzempfindung bei Rückenmarks-
Kompression.
(Renner. Deutsche Zeitchr. für Nervenheilk., Bd. 34, H, 3 u. 4, 1908.)
Die Arbeit betrifft eine kurze klinische Mitteilung zu der vor einiger
Zeit von Lewandiowsky erörterten Tatsache, daß bei einer Rückenmark-
kompresision die in den unteren Extremitäten gesetzten Schmerzreize in der
oberen empfunden wurden. Im beobachteten Falle wurden alle Reize, die an
den unteren Extremitäten gesetzt wurden, in eine der Kompressionsstelle ent¬
sprechende hyperästhetische gürtelförmige Hautzone lokalisiert. Das Phäno¬
men kann physisch oder psychisch bedingt sein. H. Vogt.
Zur Diagnostik des Rückenmarktumors.
(Heilbronner. Deutsche Zeitschr. für Nervenheilk., Bd. 34, H. 3 u. 4, 1908.)
Der interessanten Mitteilung liegt folgender Fall zugrunde : Ein
55 jähriger Mann erkrankt mit Schmerzen im Rücken, ausstrahlenden Schmerzen
und Parästhesien in den Beinen; nach fünf Wochen Parese der Beine, die
nach weiteren drei Monaten in Paralyse übergeht. Die Lähmung ist schlaff,
nicht spastisch. Die Bauchmuskulatur bleibt willkürlich beweglich, Blasen-
und Mastdarmstörungen setzen im dritten bezw. vierten Krankheitsmonat ein.
Die Parese ist erst links geringer als rechts. Die Berührungsempfindlichkeit
im dritten Monat noch vorhanden, die anderen sensiblen Qualitäten unsicher.
Die Wahrnehmung passiver Bewegungen fehlt von Anfang an. Dann treten
zunächst rechts anästhetische Flecken auf, nach vier Monaten besteht eine
ziemlich totale Anästhesie der beiden unteren Extremitäten, rechts mit Ein¬
schluß des Nabels, links ist die Grenze etwas tiefer; außerdem vor dieser
Zone getrennt rechts eine anästhetische drei Finger breite Zone mit einer
unteren Grenze ca. zwei Finger oberhalb des Nabels. Exitus an den Folgen
der Cyst-itis nach wochenlangen Fieberdelirien.
Verf. setzt im Schlußteil seiner Arbeit die prinzipielle Bedeutung des
Falles auseinander: Bei rapidem Verlauf kann die Hypertonie der Muskulatur
fehlen, so daß sich eine Kombination von Atonie mit Reflexsteigerung ergibt,
die eine kombinierte Strangaffektion vorzutäuschen vermag. Es kann also
gewissermaßen zu einer Dissoziation zwischen Mark- und Wurzelerscheinungen
kommen. Daß die ersten sensiblen Ausfallserscheinungen infolge der Kom¬
pression mit besonderer Vorliebe die distalen Partien der unteren Extremi¬
täten betreffen, ist eine bekannte Erscheinung: sie werden auch nach ge¬
lungener Operation zuletzt wieder empfindlich. Im Falle H.’s hat sich nicht
nur der sensible, sondern auch der motorische Teil so tief abgegrenzt und
stabilisieit unter Verschonung einer von sensibler und motorischer Störung
freien Strecke zwischen den Mark- und Wurzelzonen, so daß die Annahme
eines einzigen Tumors ausgeschlossen schien. Es schien sich um multiple
Tumoren zu handeln, doch hat die Autopsie nur einen singulären Tumor er¬
geben, der extramedullär, walzenförmig von ca. 2 cm Länge rechts an der
Dura zwischen sechster und siebenter Dorsalwurzel saß ; mikroskopisch handelte
es sich um ein Rundzellensarkom: das Rückenmark war an der betreffenden
Stelle eingedrückt, nicht erweicht.
Die Mitteilung derartiger komplizierter Fälle ist, trotz oder vielleicht
gerade durch die Fehldiagnose, von großem allgemeinem Wert, H. Vogt.
Referate und Besprechungen.
859
Die präaktive Spannung.
(Richard Stern. Wiener klin. Rundschau, Nr. 26, 27 u. 28, 1908.)
Zwischen Wille und Handlung kann ein Zeitabschnitt liegen, wenn
die Handlung nämlich nicht gleich, sondern erst zu einem bestimmten Zeit¬
punkte beabsichtigt wird. Die Tat erfolgt dann gewissermaßen impulsiv,
denn Wille und Ausführung sind zeitlich voneinander getrennt — impul¬
sive Willenshandlung. Wer innerviert nun dieses impulsive und doch
gewollte Handeln? Der Verf. antwortet darauf: Die Lösung der präak¬
tiven Spannung. Diese ersetzt den Willen bis zur Aktion und besteht
vorwiegend in einer dauernden Kontraktion der Muskeln des Beckenbodens
und der Ohrmuskeln. Die Lösung dieser Muskelspannungen wirkt aktivie¬
rend wie der Wille selbst. — Das an sich physiologische Phänomen kann eine
pathologische Bedeutung erlangen durch die übertriebene Dauer und die
Multiplizität der Muskelkontraktionen, welche schließlich, zu einer anhalten¬
den Dysthymie führen. Die Therapie liegt nahe: Beachtung der präaktiven
Spannungen und Entspannung auf der ganzen Linie. — Die klaren und
scharfsinnigen Ausführungen des Verf. verdienen Beachtung, insbesondere
können sie auch zur Erklärung mancher nervöser Angstphänomene wesent¬
liche Dienste leisten. Steyerthal-Kleinen.
Über die Behandlung der essentiellen Urininkontinenz (Enuresis nocturna).
(P. Bazy u. M. Dechamps, Paris. Rev. de Ther. u. Allgem. Wiener med. Zeitung,
Nr. 47—51, 1908.)
Von Maßnahmen gegen das Leiden nennen die Verfasser 1. die empiri¬
schen Mittel: Strafandrohung, Versprechen von Belohnung, Apell an das
Scham- und Reinlichkeitsgefühl. Sie sind teils unwirksam, teils schädlich.
Besonders • gilt das letztere auch von den mechanischen Mitteln des Harn¬
röhrenverschlusses durch Kompressionsmaßregeln, Kollodium usw. Zu emp¬
fehlen ist harte Unterlage, Erhöhung des Bettendes, Verminderung der Flüssig-
keitszufuhr, Seitenlage, nächtliches Wecken, Gewöhnung an langes Zurück¬
halten des Urins zur Erhöhung der Blasenkapazität.
2. Äußere Maßnahmen: Sie sollen entweder die Sensibilität der
Schleimhaut wecken oder die erhöhte Reizbarkeit des vesikospinalen Zentrums
herabsetzen. Es wurden empfohlen: Sondieren (5 — 6mal alle zwei Tage),
Instillation von Arg. nitr. usw., Urethralmassage mit Katheter, Dilatation
der Harnröhre, Blasenmassage durch (wechselwarme) Irrigationen, ferner all¬
gemeine kalte, aromatische und Seebäder, lokale kalte Umschläge (Blase und
Damm), 1/4-stüncliger kalter Wickel mit nachfolgender Abreibung morgens
und abends, kalte Sitzbäder und Klysmen, Klopfung der Lenden- und Sakral¬
region, Massage und Vibration des Blasenhalses.
3. Innerlich wurde Belladonna und Atropin versucht mit oder ohne
Brom, ferner Antipyrin, Cupr. sulf. ammoniac., Strychnin, Ergotin, Rhus
toxicodendror, und raclicans.
Bei Hyperazidität des Urins ist Alkali zu geben und der Eleischgenuß
zu untersagen, bei Zystitis das Grundleiden zu behandeln; ev. ist an Schilcl-
drüsen-Insuffizienz zu denken und ein Versuch mit der Opotherapie zu
machen, auch wurden Erfolge von Nebennierenpräparaten berichtet, Methylen¬
blau zu suggestiven Zwecken gereicht. Die medikamentöse Therapie hat
im allgemeinen wenig Bedeutung.
4. Die elektrische Behandlung wird in verschiedenen Formen und
Kombinationen angewandt, wobei man den negativen Pol perineal oder intra-
urethral (vaginal) appliziert.
5. Die Suggestionsbeh.ancllung kann sowohl im Wachzustand wie
im hypnotischen und jm natürlichen Schlaf wirksam sein. Bei letzterem
wird sie entweder ,,präsomnal“ oder, wenn „intrasomnal“, nach Erwecken
zum halb- oder traumwachen Zustande ausgeführt. Mit Vorteil suggeriert
man zunächst das Fühlen der Notdurft und das Aufstehen, später erst den
Widerstand gegen den Urindrang; sehr suggestibelen Kindern kann man die
Unmöglichkeit, im Liegen zu urinieren, suggerieren.
360
Referate und Besprechungen.
6. Injektionsbehandlung mit artefiziellem Serum (epidural und retro-
rektal) sowie Lumbalpunktion ergab zuweilen Erfolge.
7. Chirurische Behandlung muß bei Mißbildungen platzgreifen, die
die Inkontinenz verursachen (Präputiale Anheftungen, Phimose, Urethral-
stenose, Klitorisanomalien).
Im Allgemeinen ist vor allem die Ursache des Leidens festzustellen. Bei
der essentiellen I. sind zunächst die einfachsten Maßregeln anzuwenden.
Elektrotherapie, Sondierung, Katheterisierung, Suggestion, Instillation, Ein¬
schränkung des Fleisches, Verbot von Alkohol, Kaffee, Tee, Gewürz, Frei-
luftbewegung usw. Esch.
Katatonie im Kindesalter.
(Ra ecke. Arch. für Psych., u. Nervenheilk., Bd. 45, H. 1, 1908.)
Der Verf. ma'cht auf die Tatsache aufmerksam, daß die Unkenntnis über
das Bestehen der Kinderkatatonie vielfach in äußeren Umständen liege.
Das Vorhandensein dieser Kinderpsychose kann gar nicht bezweifelt werden,
die Arbeit von Ra ecke würde jedenfalls den letzten Zweifel hierüber be¬
seitigen. Es werden zehn sehr interessante und gut beobachtete Fälle aus
der Kieler Klinik mitgeteilt, es sei hier der erste Fall etwas näher referiert :
Ein 12 jähriger Knabe, sehr gut begabt, verfällt allmählich in einen Stupor,
der mit Negativismus, Mutismus, Stereotypien, Nahrungsverweigerung, Ein¬
nässen und gelegentlich auf tretenden kurzen Erregungen einherging : also das
ausgesprochene Bild einer Katatonie. In der Klinik allmähliche Besserung,
nach der (zweiten) Entlassung blieb bis zum Ende der kontrolllierten Zeit
(l1/2 Jahre) der Zustand anscheinend dauernd ein guter. Sechs von den
zehn Kindern waren gut begabt, jedenfalls nicht imbezill , doch ließ sich
eine gewisse Disposition (Verschlossenheit, mürrisches Wesen, auffallend stilles
Benehmen) in manchen Fällen nachweisen. Dem Alter nach standen vier
Fälle im 12. Lebensjahr, die anderen waren nur wenig älter. Übereinstimmend
war in allen Fällen der jähe Wechsel zwischen Hemmung und Erregung mit
Neigung zu Stereotypien und zum triebartigen Bizarren, zu impulsiven moto¬
rischen Entladungen und zu blindem Widerstreben bei Fehlen von ausge¬
prägteren Affektanomalien und Bewußtseinstrübung. In einzelnen Fällen
stand mehr Stupor, Mutismus, Nahrungsverweigerung, Unsauberkeit, Flexi-
bilitas oerea, in anderen ein unmotiviert verschrobenes Wesen im Vordergrund:
ein ausgeprägt kindliches Gebahren faßt der Autor als den Ausdruck des
Zurückbleibens der psychischen Entwicklung im Verhältnis zum Lebens¬
alter auf. Die Ähnlichkeit mit den Katatonieformen der Erwachsenen erscheint
unverkennbar: es seien noch der Vollständigkeit halber gelegentliche hysteri-
forme Züge und typisches Vorbeireden erwähnt. Nach der Lösung des
Stupor vermochten die Kinder keine befriedigende Auskunft zu geben, warum
sie so starr gelegen und nichts gegessen hatten. Doch war die Erinnerung
an die Tatsache des Erlebten bei einigen Fällen recht klar. Der Verfasser
kommt zu folgenden beachtenswerten Schlußsätzen: ,,Die Katatonie tritt auch
im Kindesalter auf, vor allem im Alter vom 12. — 15. Jahre und weicht hier
in ihren Hauptzügen nicht von der Katatonie der Erwachsenen ab. In der
Regel läßt sich eine angeborene psychische Minderwertigkeit als Grundlage
nachweisen, auf welcher sich die Psychose entwickelte, während äußere Ur¬
sachen keine wesentliche Rolle spielen. Manche sog. Imbezille mit katatonen
Symptomen mögen schon in der Kindheit einen Anfall von Katatonie durch¬
gemacht und dabei ihre Geistesschwäche ganz oder zum größten Teil er¬
worben haben. Das Bestehen einer imbezillen Grundlage hat auf das äußere
Krankheitsbild und auf die Psychose der Katatonie keinen merklichen Einfluß.“
Trotz des u. E. vom Verf. nachgewiesenen Vorhandenseins einer echten
Katatonie im Kindesalter scheint die Diskuslsion darüber noch offen zu
sein, inwieweit manche „Imbezille und Idioten mit katatonen Symptomen“
aus dem Rahmen der von Raeicke dargestellten Gruppe doch herausfallen
und der von Weygandt seinerzeit näher gewürdigten Genese zuzuzählen sind.
H. Vogt.
Referate und Besprechungen.
361
Trigeminusneuralgie, hervorgerufen durch Veränderungen an den Zähnen.
(W. Wallisch. Wiener klin. Wocliensclir., Nr. 24, 1908.)
Die Beobachtungen des Verfassers sind ebenso interessant als praktisch
wichtig. In mehreren Fällen von Trigeminusneuralgie erwiesen sich Zähne
mit Wurzelplomben als die Ursache; die Zähne waren lege artis gefüllt
und völlig unempfindlich, trotzdem hörte die Neuralgie erst nach Entfernung
der Plombe auf. Ferner können falsche Belastung des Zahnes beim Kauen,
besondere Größe der Plomben £ Verletzungen der Pulpa beim Plombieren
den Nervenschmerz verursachen. Zähne mit Kronen, solche mit Gebißklammern
wirken in gleicher Richtung, ebenso Alveolarpyorrhoe. Die Neuralgie der
Zahnlosen sowie die Trigeminusaffektion bei Empyem der Kieferhöhle sind
wohl allgemein bekannt, E. Oberndörffer.
Über die Neurasthenie.
(X. Congres francais de med. Genf, 1908.)
„Standpunkte sind nicht raisonabel“ hat W. Griesinger einmal ge¬
sagt und — könnte man hinzufügen — - die Verständigung ist um so schwie¬
riger, je mehr mit Worten, Abstraktionen operiert wird. Auf dem 10. fran¬
zösischen Internistenkongreß stand die Pathogenese der neurasthenischen Zu¬
stände auf dem Programm, und zwei Parteien platzten mit Vehemenz auf¬
einander. Die eine, vertreten durch Prof. Dubois aus Bern, faßte die Frage
sozusagen am psychologischen Zipfel, während die andere, unter Führung
von Deschamps und Lepine, am physiologischen zog.
Dubois sieht das Wesen der Erkrankung in einer gesteigerten Er¬
müdbarkeit verbunden mit einer gewissen Erregbarkeit, also was wir etwa
mit reizbarer Schwäche bezeichnen. Die Pat. sind nicht Philosophen genug,
um über den Dingen zu stehen ; es fehlt ihnen das moralische Rückgrat
der Selbstbeherrschung; deshalb sind sie äußeren Vorkommnissen hilflos preis¬
gegeben. Die Ursache dieses Verhaltens sieht D. teils in ererbter Konsti¬
tution, teils in den schädlichen Einflüssen übertriebener körperlicher und
geistiger Arbeit, Vergnügungen und Aufregungen. Der einseitigen Erziehung,
welche hauptsächlich auf Aufspeicherung von vielen Kenntnissen — l’ecole
nous en bourre sans former notre jugement — ausgeht, die ethischen Quali¬
täten aber (Dubois nennt das: l’intelligenc'e morale) unentwickelt läßt, kommt
auch ein Teil der Schuld zu, während somatische Vorgänge, wie chronische
Intoxikationen vom Magen-Darmkanal aus, Störungen der Drüsentätigkeit,
Veränderungen des Blutes, Obstipationen, Cholämie nicht viel zu bedeuten
haben. Wie können, so frägt er, diese Faktoren Neurasthenie erzeugen, da es
doch genug Leute mit Verdauungsstörungen, Gicht, chronischem Ikterus usw.
gibt, bei denen sich keine Spur von Neurasthenie findet? — Die Therapie
ergibt sich bei diesem Standpunkt von selbst. Die Hilfsmittel der Phar¬
makopoe und des physikalisch-diätetischen Arsenals müssen zurücktreten hinter
dem erziehlichen Einfluß, den der Arzt auf seinen Schützling ausüben muß.
Die Aufgabe solchen Patienten gegenüber ist im Grunde die gleiche, welche
man bei der Erziehung normaler Menschen zu erfüllen hat; man muß bei
ihnen . ,,ce jugement ethique sain“ entwickeln ,,ce gros bon sens qui vaut mieux
que l’erudition acquise ä l’ecole ou clans les livres“. ■
Ganz anders faßt die Gegenpartei, Lepine und sein Lehrer Deschamps,
die Sache an. Sieht Dubiois das Wesen der Neurasthenie in einem Mangel
der moralischen, psychischen Energie, so ist ihnen der ganze Erscheinungs¬
komplex. nur der Ausdruck gestörter chemischer, molekularer Energie. Was
ist Kraft, Energie, anderes als Umsetzung molekularer Strukturen, als die
chemischen und physikalischen Operationen der Assimilation und der Des¬
assimilation ? wenn diese Prozesse alle glatt und richtig ablaufen, haben wir
Kraft, Stärke, Gesundheit; sind sie irgendwo gestört: Schwäche, Krankheit.
Wir wissen, daß jedes Organ für sich allein insuffizient sein kann; ist das
zufällig das Nervensystem, dann haben wir die Neurasthenie, wie wir in
362
Referate und Besprechungen.
ähnlicher Weise Insuffizienzerscheinungen am Herzen, an den Nieren, Schild¬
drüsen auftreten sehen.
Solche Insuffizienz des Nervensystems kann die Folge von Erschöpfung,
von zu raschem Verbrauch sein, oder von angeborener Schwäche, oder das
Ergebnis von Hemmungen (z. B. durch Vergiftungen, psychische Faktoren).
Die Patienten der ersten Kategorie kann man wieder völlig hersteilen, die
der beiden anderen aber nur relativ; d. h. man kann nicht mehr tun als sie
in ein Milieu bringen, das keine, ihre Kräfte übersteigende Anforderungen
an sie stellt. Aber es ist einleuchtend, daß diese absolute bezw. relative
Heilung sich nur durch Regelung des Chemismus erzielen läßt.
Von den Diskussionsrednern (Bernstein, Levy, de Fleury, Teissier,
Gr an jux) sprachen die meisten im Sinne der chemischen Lehre.
Beide Parteien können sich auf große Erfolge stützen. Auch Syden-
ham und Morton, Friedr. H, offmann und G. E. Stahl waren zu ihren
Zeiten berühmte Ärzte, obwohl sie von verschiedenen Theorien ausgehend
ganz entgegengesetzte Mittel anwandten; und wenn man die Geschichte der
Medizin durchsieht, wird man finden , daß die Mittel eigentlich weniger
wirkten als die Persönlichkeiten derer, die sie verordneten. Carlyle sagt
in seinem Buch: Helden und Heldenverehrung: ,,Mit unseren Wissenschaften
und Enzyklopädien sind wir geneigt, in unseren Laboratorien das Gött¬
liche zu vergessen .... aber ich meine, die meisten Wissenschaften wären
alsdann gar totes Zeug, welk, streitsüchtig, leer.“ So wird die Sache auch
in der Neurasthenie-Frage liegen, und wenn Lepine am Ende seines Vor¬
trags mit einer höflichen Verbeugung von seinem Gegner sagt: ,,M. Dubois
n’exerce pas seulement sur ses malades le charme imperieux d’une autorite
morale puissante, il meit a leur secours toutes les ressources d’un excellent
medecin“, so wird man bei ihm den Satz umdrehen und sagen können: Eben
durch seine ausgezeichneten Maßnahmen übt Lepine auf seine Kranken
den Zauber einer überlegenen Persönlichkeit aus.
Und damit ist der Verschiedenheit der Meinungen jede Schärfe genommen.
Buttersack (Berlin).
Diätetik.
Der Eiweißbedarf des Kindes.
(F. Sieg er t. Arch. für exper. Pathol. u. Pharmakol. Festschr. für Schmiedeberg,
Supplementband, S. 489, 1908.)
Sieg er t nimmt an, daß die Voit’sche Forderung für die Ernährung des
Erwafchenen mit 1,7 g Eiweiß pro kg und Tag [= 118 g bei 70 kg
Körpergewicht] durch die neueren Versuche, insbesondere die von Chitten-
den, auf 0,9 — 1,0 g festgestellt sei.
Der Säugling, der im 5. Monat sein Gewicht verdoppelt und in 12 Mo¬
naten verdreifacht, braucht nicht einmal 1 g pro kg und Tag in Milch,
in der sich das Eiweiß zu den nichtstickstoffhaltigen Bestandteilen wie
1:15 verhält. Im Gegensatz dazu wird für h er an wT ach sende Kinder von
C am er er und E. Müller 3 — 4 g Eiweiß pro kg und Tag als notwendig
bezeichnet,
Sieger t hat zur Feststellung des Eiweißbedarfs und des Opti¬
mums der Eiweißzufuhr bedeutend geringere Eiweißmengen verwendet, die
nur 9 — 10% der Gesamtkalorienzufuhr der Nahrung repräsentieren (gegen¬
über 16,6% Rubner), und hat die untere Bedarfsgrenze ermittelt (Einzel¬
heiten in Dissertation von Lungwijtz, Halle 1908).
Nach Siegert’s früheren Versuchen nimmt der Säugling im ersten
Lebensvierteljahr 125 — 180 ccm Muttermilch (80 — 117,5 Kal.) pro kg
und Tag zu sich. Sicher führen etwa 150 ccm (100 Kal.) in der Zeit des
maximalen Wachstums beim Säugling zu kräftiger Entwickelung. Im zweiten
Lebenshalbjahr sinkt das Energiebedürfnis des Säuglings auf 80 — 70 Kal.
Ganz anders bei Ernährung mit Kuhmilch, die dreimal eiweißreicher
Referate und Besprechungen.
368
ist und etwa den gleichen Kaloriengehalt aufweist als Frauenmilch. Von
ihr braucht der Säugling eine größere Menge, aber niemals zu seinem Vorteil
(erhöhte Eiweißzersetzung, Wärmeproduktion, NH3- Ausscheidung im Harn,
verminderte aktive Immunität). Mit dem Übergang zur gemischten Kost im
zweiten Lebensjahr ergibt sich eine neue radikale Änderung, welche noch
nicht aufgeklärt ist.
Es wurden in der Kinderklinik der Akademie für praktische Medizin
in Köln 19 Versuche an 10 Kindern im Gewicht bis zu 35 kg anges, teilt ;
einzelne derselben erhielten 1,6 — 1,23 g Eiweiß pro kg und Tag (8,1 — 7,55%
Kaloriengehalt der Gesamtnahrung). Die Versuche erstreckten sich bis auf
31 Tage. Das Optimum scheint bei 9 — 10% Eiweißkalorien zu liegen; eine
Eiweißzufuhr von 2,0 — 1,8 g pro kg und Tag bei Kindern von 3 — 6 Jahren
(13 — 20 kg Körpergewicht), später pro Gewichtszunahme von 2 — 3 kg um
0,1 g sinkend bis auf 1,3 g (35 kg Körpergewicht) und weiter pro Gewichts¬
zunahme von; 5 kg um weiter 0,1 g bis zum Eiweißbedarf 1,0 g der Erwachse¬
nen (50 kg Körpergewicht) scheint eine recht günstige Ernährung des wachsen¬
den Kindes zu sein.
Gleichwohl ist Verf. aber „für eine im allgemeinen reichliche
Eiweißmenge und Gesa’m tenergiezuf uhr“, wie dies Oamerer und
J. Förster fordern, weil die Verhältnisse des Lebens, besonders beim Prole¬
tarier, ganz andere seien als im Krankenhaus (unverdauliche Kost, schlechte
Kleidung und ungünstige Wohnung, die eine größere Wärmeabgabe zur
Folge haben, größere Körperarbeit). E. Rost (Berlin).
Aus der inneren Abteilung der städtischen Diakonissenanstalt in Bromberg.
Wesen und Bedeutung der künstlichen Nährmittel.
(Dr. Lipowski. Oberarzt. Med. Klinik, Nr 50, 1908.)
Lipowski gibt eine gedrängte, aber dabei sehr instruktive Übersicht
über das Wesen der verschiedenen künstlichen Nährpräparate. Sie können
sämtlich in bezug auf Geschmack, Bekömmlichkeit und Preis die natür¬
lichen Nährmittel nicht ersetzen. Dort, wo langanhaltende fieberhafte Krank¬
heiten bestehen, wo eine ausreichende Ernährung durch die gebräuchlichen
Nährmittel so gut wie ausgeschlossen ist, sodann da, wo die Peristaltik des
Magen-Darmkanals nicht sehr angeregt werden soll, hält er sie für unent¬
behrlich. Im ganzen und großen ist er aber der Ansicht, daß ihr Wert zu
sehr überschätzt wird. Ein eingehenderes Studium der Krankenküclie würde
sie sicher in manchen Fällen entbehrlich machen. F. Walther.
Das Fasten als Heilmittel.
(Guelpa. Soc. de med. de Paris, 25. Dezember 1908. — Progr. med., Nr. 2, S. 29, 1909.)
Unter dem Einfluß der Kalorienlehre und der Ernährungstherapie haben
viele vergessen, daß Weniger nicht selten mehr ist. Der Vergleich des
menschlichen Organismus mit einer Maschine — ein Vergleich, dessen Hinken
nicht überall klar erkannt wird, namentlich dort nicht, wo der Begriff der
Selbststeuerung verloren gegangen ist — hat das Prinzip der Überernährung
ungebührlich in den Vordergrund gerückt. Es mutet also fast wie eine Neu¬
entdeckung' an, wenn da und dort Stimmen sich erheben, welche die alte
Weisheit: ayav predigen. Dazu gehört auch Guelpa. Seine Aus¬
führungen erscheinen einfach: Bei und nach jeder Krankheit ist der Organis¬
mus mit Zerfallsprodukten aller Art überschwemmt; man hüte sich also,
durch Hineinstopfen von sog. Nahrungsmitteln den Organismus noch mehr
zu belasten und die Abfuhr der im Blute kreisenden Abfallstoffe zu be¬
hindern. Seine Therapie besteht also in Fasten und in Abführmitteln, bezw.
Klistieren, und war ihm oft von großem Nutzen.
Hippokrates schreibt in seinem Buch rcsp't SiätTrjc bf-eLv „Vollständige
Entziehung der Speisen, bis der Höhepunkt der Krankheit überschritten
ist, ist oft nützlich, falls der Patient es so lange aushält“. Guelpa hat
also ein gutes Vorbild. Buttersack (Berlin).
864
Referate und Besprechungen.
Die Wirkung des Fleisches auf Vegetarianer.
(P. Albertoni u. F. Rossi. Arch. für exper. Path. u. Pharmakol. Festschr. für
Schmiedeberg, Supplementband, S. 29, 1908.)
Im Süden von Italien, in den Abruzzen, leben unter den elendesten
Lebensbedingungen Bauern, die seit alten Zeiten fast ausschließlich von
vegetabilischer Nahrung: Maismehl (Polenta, ungesäuertes Brot — pizza
— , Hefebrot — pizzorullo — ), Gemüse (Kohl und Rübenblätter), Olivenöl
leben und nur selten Mehlspeisen (Maccaroni) und höchstens drei- oder viermal
im Jahr Fleisch (fettes Schweinefleisch) genießen. Die Speisen sind volu¬
minös, wenig schmackhaft und schwer verdaulich; sie sättigen schnell. Im
Winter nehmen die Leute nur zweimal, morgens 10 Uhr und nachmittags
4 Uhr, Mahlzeiten zu sich. 13 Personen (drei Familien) zeigten im Durch¬
schnitt einen N-Gehalt des Harns von 8 g (Männer im Gewicht von 57 kg)
und 6,7 g (Frauen im Gewicht von 51 kg). Der Kaloriengehalt der Nahrung
betrug für Männer 2746, für Frauen 2204. Eine Familie, bestehend aus
fünf dieser Leute, die im Jahr nur 424 Frs. für die Ernährung verbraucht,
erhielt zu ihrer Nahrung, die sie bei gewöhnter Arbeits- und Lebensweise
frei wählen durfte, Fleisch und zwar während 15 Tagen täglich 100 g
Rindfleisch und darauf wieder 15 Tagje lang 200 g; am Ende jeder Periode
wurde während drei Tagen der Stoff Umsatz bestimmt. Die Versuchspersonen
wählten entsprechend weniger Wgetabilien; die Kalorienzufuhr blieb unver¬
ändert. Die Verluste mit dem Kot gingen herab bis auf 10,6% Die
Ausnutzung der Speisen im Darm verbesserte sich also sofort, auch die mit¬
genossenen Vegetabilien wurden vollkommener ausgenutzt. Die Menge des
für den Stoffwechsel verwertbaren Eiweißes nahm beträchtlich zu und die
körperliche Leistungsfähigkeit wuchs, obwohl die Versuchspersonen keine
Muskel Übungen ausführten. Verff. halten damit die Versuche des Ameri¬
kaners C kitten den, wonach der Körper selbst bei angestrengter Muskelarbeit
nur sehr geringer Mengen N im Eiweiß bedürfe, für widerlegt.
E. Rost (Berlin).
Vergiftungen.
Chininintoxikation.
(O. Salomon. Münch, med. Wochenschr., Nr. 34, 1908.)
Eine Patientin mit Lupus, die schon früher Chinin bekommen und ver¬
tragen hatte, erkrankte nach einer ganz kleinen Dosis (0,45 g in 24 Stunden)
unter Atemnot, blutigem Erbrechen, blutigen Diarrhöen, Hämaturie, Schleim¬
haut- und Hautblutungen, welch letztere sich im Gesicht auf die Lupus¬
unter Atemnot, blutigem Erbrechen, blutigen Diarrhöen, Hämaturie, Schleim-
wieder verschwunden. E. Oberndörffer.
Tödliche Montaninvergiftung.
(J. Rosner. Wiener klin. Wochenschr., Nr. 21, 1908.)
Das Montanin ist eine fast farblose, geruchlose Flüssigkeit mit einem
Gehalt von etwa 22% Kieselfluorwafssers tof f säure. Es wird fast nur
in Brauereien zu Konservierungszwecken verwendet. Der Patient hatte ver¬
sehentlich ca. V8 Liter davon getrunken und starb nach 15 Minuten unter
heftigen Magenschmerzen, Erbrechen, Dyspnoe und Krämpfen. Die Obduktion
ergab das Bild der Säureverätzung. Eine weitere Patientin, welche von der¬
selben Flüssigkeit nur einen Eßlöffel geschluckt hatte, bot dieselben Erschei¬
nungen in leichterem Grade und genas nach Ablauf einer leichten toxischen
Nephritis. Die Vergiftung mit Montanin ist noch niemals beschrieben worden.
E. Oberndörffer.
Bücherschau.
365
Aus der medizinischen Poliklinik in Jena.
Über Chrysarobinvergiftung bei interner Anwendung.
(Dr. O. Friedrich, I. Assistensarzt. Med. Klinik, Nr. 49, 1908. )
Nach kurzem Überblick über Herkunft, chemische Beschaffenheit und
Anwendungsweise des Chrysarobin bespricht Friedrich eine Intoxikation
durch dasselbe bei innerlicher Anwendung. Diese beruhte auf einem Ver¬
sehen des Apothekers. 3 keuchhustenkranke Kinder nahmen statt Chininum
tannicuir. je eine Messerspitze Chrysarobin. Eine Stunde danach erfolgte
heftiges Erbrechen, worauf sofort durch Magenspülung noch ziemlich viel
Chrysarobin entfernt wurde. Das Befinden der Kinder blieb in der Folge
gut, eine Schädigung der Nieren trat nicht ein. Dieser glückliche Verlauf
dürfte einmal darin seine Ursache haben, daß starkes Erbrechen eintrat
und dann darin, daß sich das Chrysarobin in der wässerigen Lösung des
Speisebreis befand und daher nicht leicht resorbiert werden konnte. Der
bFall lehrt, daß das Mittel als Emetokathartikum völlig entbehrlich ist und
zu den differenten Stoffen zu rechnen ist. F. Walther.
Über einen Fall von Vergiftung nach Formaminttabletten.
(A. Glaser. Med. Klinik, Nr. 25, 1908.)
Einem von Rote'r’s mitgeteilten Falle von Vergiftungserscheinungen nach
dem Gebrauch von Formaminttabletten (zwei Stunden nach Einnahme von
6 — 8 Formaminttabletten Auftreten einer schweren von Kopfschmerzen, Fieber,
Schlaflosigkeit fund Schwindelanfällen begleiteten Urticaria, die erst am
fünften Tage nachzulassen begann, während die Schwindelanfälle noch bis
zum zehnten Tage dauerten) stellt Glaser einen Parallelfall zur Seite. Nur
trat in diesem die sehr heftige und ebenfalls ziemlich lang anhaltende (acht
Tage) Urticaria schon nach dem Gebrauch von zwei Formaminttabletten auf,
ja derselbe Kranke erinnerte sich nachträglich, schon drei Wochen vorher
nach Einnahme von einer Formaminttablette mehrere juckende Quaddeln auf
der Brust bekommen zu haben. Wenn auch besonders wohl im letzten
Falle eine Idiosynkrasie gegen das Mittel anzunehmen ist, so kann auf der
anderen Seite von einer absoluten Unschädlichkeit der Formaminttabletten
ebensowenig die Rede sein und Glaser empfiehlt das Mittel dem Hand¬
verkauf in den Apotheken zu entziehen. R. Stüve (Osnabrück).
Bücherschau.
Vorlesungen über Tuberkulose. I. Die mechanische und psychische Be¬
handlung der Tuberkulösen besonders in Heilstätten. Von G. Liebe,
Waldhof-Elgershausen. J. F. Lehmann’ s Verlag, München 1909. 5 Mk.
Die nicht gehaltenen Vorlesungen, die den Unterricht der Mediziner an den
Hochschulen zu ergänzen bestimmt sind, bringen eine reiche Fülle von Gedanken
und die Früchte langer praktischer Erfahrung neben fleißiger Verwertung der
Literatur. Man wird zwar von verschiedenen Seiten in diesem oder jenem Punkte
dem Verf. widersprechen, aber im ganzen doch anerkennen müssen, daß die Fragen
frei von Einseitigkeit und rationell behandelt sind, daß gewisse Gesichtspunkte, die
sonst leicht vernachlässigt werden, zu ihrem vollen Rechte kommen, so die Frage
der Konstitution und Disposition, der Überernährung usw. Viele Arzte, denen die
Verhältnisse und das Getriebe in einer Lungenheilanstalt noch nicht bekannt sind,
und Studierende, die sich über dieses Gebiet unterrichten wollen, werden aus
Liebes Vorlesungen einen tiefen Einblick gewinnen und sowohl über die noch
umstrittenen Fragen der mechanischen Behandlung wie über die Wichtigkeit der
psychischen Behandlung, die allgemein anerkannt ist, Aufklärung erhalten.
Sobotta (Reiboldsgrün.)
366
Bücherschaäi.
Die sexuelle, psychogene Herzneurose (Phrenokardie). Von Priv.-Doz.
Dr. Max Herz, Wien. Aus dem diagnostisch- therapeutischen Institut für
Herzkranke in Wien. Wilhelm Braumüller, Wien u. Leipzig 1909. 1,20 Mk.
Man hört in [der Literatur immer von Herzneurosen, ganz allgemein, aber
nirgends wird ein Versuch gemacht, einen bestimmten Typ abzugrenzen. Diesen
Versuch unternimmt nun Verfasser und hofft durch die Abgrenzung eines be¬
stimmten Gebietes wenigstens Klarheit in dessen Grenzgebiete zu bringen. Der
Name der neuen Neurose ergibt sich aus dem Folgenden. Ihrer Kardinalsymptome
sind drei: 1. Der Schmerz, 2. Die Veränderungen der Atmung und 3. Das Herzklopfen.
Der Schmerz: Sitz in der linken* Brust unter der Herzspitze, stechender
krampfhafter Art, seltener als Gefühl des Wundseins, von verschiedener Intensität,
anfallweise auftretend, und zwar ziemlich häufig, nach Gemütserregungen oder zu
bestimmten Tageszeiten, eng zusammenhängend mit der Atmung insofern als er
beim Inspirium auftritt, und nicht selten einen Atmungsstillstand zur Folge hat:
ein Muskelschmerz wahrscheinlich im Zwerchfell, analog dem Lumbago oder dem
Wadenkrampf.
Die Atemveränderungen : Atemnot, aber kein Lufthunger, sondern Folge
einer Insuffizienz des Herzmuskels ; tiefe, seufzende Inspiration bedingt durch Tief¬
stand des Zwerchfells in tonischer Kontraktion, durch dessen dauernde Inspirations¬
stellung. Dadurch Verschiebung des Herzens nach unten: Tropfenherz, und lang¬
gezogenes weiches, oft aber auch rauhes systolisches Geräusch. Große, von der
Psyche beeinflußte Labilität des Herzens. Puls: hie und da intermittiert durch
Extrasystolen, meist höher als bei Gesunden. Charakteristisch dafür die Selbst¬
hemmungsprobe: Aufforderung an den Kranken, den rechten Arm möglichst lang¬
sam und gleichmäßig zu strecken und zu beugen. Dabei zeigt das gesunde Herz
gleichbleibende, das degenerierte verminderte und das nervöse enorm gesteigerte
Pulszahl, weil eben die ganze Aufmerksamkeit auf diesen Vorgang gerichtet ist.
Weitere Symptome: Kriebeln, Kältegefühl, großer Wechsel des Allgemein¬
befindens, häufig gestörter Schlaf, oft eigenartige Wirkung vonWitterungsverhältnissen,
ziehende Schmerzen in den oberen Extremitäten und am Halse, die an die Gefäße
verlegt werden, spastische Obstipation und Pseudoperiostitis Angio-neurotica.
Im Anfall gibt der Kranke im wesentlichen das Bild, als ob er unter einem
großen seelischen Schmerz leide. Die Ähnlichkeit mit der Angina pectoris und
dem Asthma cardiale ist groß.
Differentialdiagnostisch kann Arteriosklerose und Myokarditis in Frage
kommen. Im Allgemeinen stellt das weibliche Geschlecht das größte Kontingent.
Ätiologie kurz: Alterationen des Gemütes durch einen Dauereffekt, den man
am besten als Sehnsucht nach Liebe bezeichnet; Masturbation und sexuelle Exzesse
kommen nicht in Betracht.
Behandlung: im wesentlichen psychisch, unterstützt durch Baldrian, Auf-
klärüng hinsichtlich der Ursache. v. Schnizer (Danzig).
Mechanik und Therapie der in der Austreibungsperiode befindlichen Quer¬
lagen („verschleppte Querlagen“). Aus der königl. Universitäts-Frauen¬
klinik zu Königsberg i. Pr. Von W. Zangemeister (Mit 9 Abb.)
Leipzig, Verlag von F. C. W. Vogel, 1908. 3 Mk.
Abgesehen von der sog. Selbstwendung, durch welche vor Beginn der Aus¬
treibungsperiode aus der Querlage eine Längslage wird, verläuft die spontane Ge¬
burt aus Querlage entweder als Geburt conduplicato corpore oder in Form der
sog. Selbstentwicklung. Beide Geburtsarten durchlaufen einen gemeinsamen
ersten Akt: Umwandlung der querliegenden und in ihrer Haltung viel zu um¬
fangreichen Frucht in ein gebärfähiges Objekt; der zweite Akt, die eigentliche
Ausstoßung ist, wie gesagt, bei beiden verschieden und zwar verläuft die Selbst¬
entwicklung für sich noch auf zweierlei Weise.
Erster gemeinsamer Akt: Durch eine Verbiegung in der Wirbelsäule
nach Art der Kyphoskoliose wird der Kopf dem Beckenende genähert. Der Mittel¬
punkt der Wirbelsäulenbiegung pflegt die Gegend des 3. — 5. Brustwirbels zu sein,
kann aber auch weiter steißwärts liegen. Die Schulter muß infolgedessen ihre
mediane Stellung in der Sagittalebene verlassen und nähert sich derjenigen Becken¬
wand, über welcher der Kopf liegt. Bei Armvorfall liegt die Umbiegungstelle der
Wirbelsäule näher dem Kopfe, als wenn der Arm nicht vorgefallen ist. Der Arm¬
vorfall begünstigt demnach die Selbstentwicklung und erschwert die Geburt condu¬
plicato corpore.
Bücherschau.
367
Zweiter Akt: 1. Die Geburt concluplicato corpore: Mit dem Pas¬
sieren des großen Kopfrumpfdurchmessers durch den Beckeneingang schneidet auch
schon der untere Fruchtpol, die Skapula, ein. Während des weiteren Herabtretens
dreht sich die Rückenbreite in den schrägen Durchmesser, der Kopf tritt nach vorn
oder hinten. Lag die Biegungsstelle der Wirbelsäule mehr steißwärts, dann
schneidet auch ein tieferer Teil, ev. sogar der Steiß zuerst durch. (Uebergangsfall
zur Selbstentwicklung.) Die Geburt conduplicato corpore kommt nur bei besonders
günstigen mechanischen Verhältnissen vor, also bei frühgeborenen oder mazerierten
Früchten, Zwillingskindern und dergl. Unreife Kinder können lebend geboren werden.
2. Die Selbstentwricklung: a) Douglas’scher Mechanismus: Hierbei
treiben die Wehen, während der Kopf über dem Beckeneingang zurückgehalten
wird, an dem in die Länge gezogenen Hals den Rumpf herab. Da dieser in der
Kreuzbeinaushöhlung den meisten Platz findet, so dreht sich jetzt die Fruchtmasse
um ihre vertikale Achse, Hals und Schulter treten nach vorn, letztere unter den
Schambogen. Hierdurch wird Raum im kleinen Becken und es kann nun der
letzte noch über dem Becken befindliche Teil des Rumpfes, der Steiß, neben dem
Promontorium ins Becken herabtreten. Thorax, Bauch und Steiß werden jetzt
rasch geboren. Dieser, der leichtere Mechanismus kommt häufiger bei dorsoan-
terioren Lagen vor. Die Kinder können völlig ausgetragen sein, sind aber dann
stets tot.
b) Denman’scherMechanismus: dieser tritt dann ein, wenn demDouglas’schen
irgendwelche Schwierigkeiten im Weg stehen; z. B. sehr große Kinder. Es bleibt
hierbei die Schulter im Becken stecken und der Rumpf muß ebenfalls im Becken
an ihr vorbei. Dazu muß die Schulter aber doch etwas ausweichen; das tut sie
nach hinten in die Kreuzbeinaushöhlung. Der Kopf kommt dabei auf die Ileosakral-
verbindung zu liegen. Im Gegensatz zum Douglas’ sehen Mechanismus wird da¬
durch ein etwa vorgefallener Arm etwas zurückgezogen. Der Rumpf tritt vorn
seitlich herab und zwar zuerst die seitliche Bauchgegend oder die Hüfte. Mittels
dieses Mechanismus kann ein nahezu ausgetragenes Kind lebend geboren werden,
meist sind aber die Kinder tot gewesen. Im Grunde genommen, ist der Den m an’ sehe
Mechanismus eine Selbstentwicklung im kleinen Becken. Übergänge zwischen allen
drei beschriebenen Arten kommen vor.
Für den Geburtshelfer am wichtigsten sind die Fälle, in denen die Aus¬
treibung in Querlage nicht zu Ende geht. Die Stockung tritt meist schon im
ersten (gemeinsamen) Stadium ein. Je enger das Becken, je größer die Frucht,
je schwächer die Wehen, desto eher sistiert die Austreibung. Diagnostisch ist
nächst dem Tiefstand der Schulter deren Abgewichensein aus der Medianebene
wichtig. Der unterste Fruchtpol wird deshalb nicht durch die Schulter selbst ge¬
bildet, sondern durch einen Teil des Brustkorbes; die Richtung des Halses ist
eine nahezu senkrechte, er verläuft schließlich parallel der Führungslinie. Die
Schulter steht natürlich fest, man kann neben der Frucht kaum die Finger in die
Scheide einführen, der Kontraktionsring steht hoch etc. Wichtig ist es, darauf zu
achten, ob etwa bereits eine der drei Arten des zweiten Aktes in Gang ist: dann
hat man sich im allgemeinen abwartend, nur nachhelfend zu verhalten. Ist das
nicht der Fall, so hat man so schnell wie möglich zu entbinden. Man unterlasse
jeglichen Wendungsversuch! Derselbe ist nur der Ausdruck eines Verkennens der
Sachlage. Indiziert ist vielmehr die Dekapitation. Um die Hauptschwierigkeiten
zu überwinden: Engigkeit der Scheide, schwere Zugänglichkeit des steil stehenden,
seitlich liegenden Halses, mache man tiefe Narkose, eventl. einen großen Scheiden¬
dammschnitt, mache die Hände schlüpfrig, z. B. mit Kaliglyzerinseife, und schneide
nie einen vorgefallenen Arm ab, wie dies neuerdings unverständlicherweise wieder
empfohlen werden ist. Ferner heherzige man die alte Braun’ sehe Vorschrift und
bringe bei ersten Lagen die rechte, bei zweiten die linke Hand an den Hals. Gelingt
es nicht, den Daumen vorn, Zeige- und Mittelfinger hinten herumzulegen, so be¬
gnüge man sich, nur vor dem Hals zwei Finger zur Leitung des Braun’schen
Hakens in die Höhe zu führen. Diesem Haken hat Z. eine zweckmäßigere Krüm¬
mung gegeben, damit er nicht beim Drehen so leicht nach oben entweicht. Ist
die Dekapitation nicht mehr möglich oder zweckmäßig, so hat an ihre Stelle nicht
die Spondylotomie zu treten, sondern die Exenteration mittels Nägele’s Per-
f Oratorium und Siebold’s Schere. Nach Entfernung von mehreren Rippen, Leber,
Lunge und Herz wird die Extraktion conduplicato corpore gemacht, oder die Selbst¬
entwicklung nachgemacht durch Zug am Steiß mittels Krallenzange.
R. Klien (Leipzig).
368
Bücherschau.
Emanation und Emanationstherapie. E. Sommer. München, Ärztliche
Rundschau, (O. Gmelin), 1908. 68 Seiten. 2,50 Mk.
Wer nicht gerade physikalisch sehr begabt ist, wird die vielerlei Mitteilungen über
Radium und Radiumtherapie schwerlich zu einem harmonischen Gänzen haben zu¬
sammenfügen können. Die Schrift von Sommer wirkt da ungemein klärend und
belehrend, um so mehr als sie leichtverständlich geschrieben ist. Von den ersten
Radiumversuchen bis zu den offiziellen Eichscheinen und der therapeutischen Ver¬
wendbarkeit ist alles in dem Heft enthalten. S. empfiehlt die Radiumtherapie zu¬
nächst bei subakuten und chronischen rheumatischen Affektionen und Neuralgien,
sowie als Resorptionsmittel, und gibt von den Emanationspräparaten dem Radio¬
gienwasser der Emanatoren der Radiogesellschaft in Charlottenburg den Vorzug.
- Buttersack (Berlin).
Ratgeber und Wegweiser durch die ärztlichen Kurse Berlins. Von
Schacht. Culm, Westpreußen, 1907. 95 Seiten. 1 Mk.
„Nack Paris strömt fast die ganze medizinische Jugend. Nirgends sind die
Verhältnisse großartiger, bunter, vielgestaltiger und weniger übersichtlich und
nirgends so sehr dem Wechsel unterworfen als daselbst. Gibt es also je eiiie Stadt,
die einen medizinischen Kondukteur nötig macht, so ist dies Paris.“ — Mit diesen
Worten leitete 1841 C. A. Wunderlich seine berühmte Broschüre: „Wien und
Paris“ ein. Setzt man im obigen Satz statt Paris: Berlin, dann paßt er genau
auf Schacht’ s Heftchen.
Welch eine Fülle historischer Gedanken löst die Gegenüberstellung aus!
Wie stolz können wir sein, daß die Flagge des Fortschrittes jetzt nicht mehr an
den Ufern der Seine, sondern an der Spree weht! Aber vergessen wir nicht, daß
die Bilder im Kaleidoskop der Geschichte schnell vergänglich sind und wechseln!
Wie Paris seine Anziehungskraft ausübte, lange nachdem die großen Männer und
Begründer der französischen Schule, die Corvisart, Bichat,Broussais, Laennec,
Dupuytren von der Bühne abgetreten waren, und als in Andral, Bouillaud,
Louis, Piorry, Chomel, Rochoux, Double, Rayer, Ricord u. a. Sterne
zweiter Größe glänzten,, so müssen wir die Beobachtung machen, daß sich auch bei
Berlin dieselbe Erscheinung zeigt: unsere Heroen: Helmholtz, Frerichs, Graefe,
Lange nbeck usw. sind schon lange tot, und doch ist es nur ihr Geist, der die
Fremden anzieht.
Aber auch in der Art der Behandlung des Themas äußert sich die Verschieden¬
heit der Zeiten. Während es sich bei Wunderlich zu einer kritisch -philoso¬
phischen Studie entwickelte, finden wir bei Schacht nur präzise Angaben über die
tatsächlichen Verhältnisse; unsere Zeit verlangt solche Schriften, jene ganz andere.
Sachlich ist über den S ch acht’schen Wegweiser für die Teilnehmer an ärzt¬
lichen Fortbildungskursen nichts Besonderes zu bemerken, als daß er m. E. seinen
Zweck vollauf erfüllt und jedem angehenden Kursisten von großem Nutzen ist.
- Buttersack (Berlin).
In G. Ehrkes Zeitschriftenverlag ist soeben die erste Nummer der
Zeitschrift für Stadthygiene,
herausgegeben von Ingenieur CI. Dörr und Dr. Lungwitz, erschienen. Sie er¬
scheint monatlich und kostet 12 Mk., den Mitgliedern der Deutschen Gesellschaft
für Stadthygiene (Beitrag 10 Mk. jährlich) wird sie gratis geliefert.
Die erste Nummer enthält Aufsätze über die Müllabfuhr bezw. -Verbrennung,
über Kanalisation, Ernährung in öffentlichen Anstalten und Säuglingsfürsorgestellen.
Unter den Mitwirkenden befinden sich neben Aerzten Chemiker, Ingenieure, Archi¬
tekten u. a., sodaß die Zeitschrift von der Einförmigkeit ärztlicher Blätter voraus¬
sichtlich zu ihrem Vorteil abstechen wird. F. von den Velden.
Die Winterkur im Süden. Von Dr. Hans Wen drin er. Ein ärztliches
Vademekum für Rekonvaleszenten und Lungenkranke. Stuttgart, Ernst
Heinrich Moritz, 1908. 2 Mk.
Das Büchelchen ist durchaus zu empfehlen. In übersichtlicher Weise finden
sich praktisch wichtige Winke und gute ärztliche Ratschläge zusammengestellt.
Die einzelnen Kapitel behandeln Reisevorbereitungen, die Reise, W ahl der Pen¬
sionen, Ratschläge für die Kur, Klimatische Grundbegriffe, die südlichen Kurorte,
die Rückkehr usw. Neumann.
Schriftleitung: Dr. Ri gl er in Leipzig.
Druck von Emil Herrmann senior in Leipzig.
27. Jahrgang.
1909.
Tomcbriitc der mcdizin.
Unter Mitwirkung hervorragender Fachmänner
herausgegeben von
Professor Dr. 0. Köster Prio.-Doz. Dr. o. griegern
in Leipzig. in Leipzig.
Schriftleitung: Dr. Rigler in Leipzig.
Nr. 10.
Erscheint am 10., 20., 30. jeden Monats. Preis halbjährlich
6 Mark, inkl. Zeitschrift für Yersicherungsmedizin 8 Mark.
Verlag von Georg Thieme, Leipzig.
10. April.
Originalarbeiten und Sammelberichte.
Ueber plastische Operationen am Knochensystem.
Von. Dr. Georg Axhausen,
Privatdozent und Assistenzarzt der chirurgischen Klinik der Charite, Berlin.
Die plastische Chirurgie, die operative Heilkunde, die es sich
zur Aufgabe macht, nicht angebildete oder verloren gegangene Teile
des Körpers schöpferisch zu ersetzen, ist im Altertum, selbst an den
Blütestätten der operativen Technik, nach unseren bisherigen Kennt¬
nissen unbekannt gewesen. In einer Zeit, in der fast ausschließlich die
Frage um Lehen oder Tod den, Chirurgen ans Krankenbett rief, war
kein Platz für operative Maßnahmen, die anderen Zwecken als der
Lebenserhaltung des Kranken dienten.
Erst die Renaissance in ihrem gesteigerten Schönheitsbedürfnis
hat Männer gefunden, die sich aus Gründen der Ästhetik den Qualen
wiederholter schmerzhafter Operationen unterwarfen, und sie hat
Chirurgen hervorgebracht, die es der Mühe für wert fanden, ihr Denken
und Können der Korrektur entstellender Verstümmelungen zu widmen.
Diese Zeit der plastischen Chirurgie ist die Zeit der Rhinoplastiken
und Otoplastiken. Und auf dem gleichen Gebiete bewegten sich die
späteren Bestrebungen, die im wesentlichen der Vervollkommnung der
Technik dienten, bis in das Ende des verflossenen Jahrhunderts.
Die Bildung eines gestielten Hautlappens, das Annähen und Anheilen-
lassen des freien Lappenrandes an dem gewünschten Ort sowie die
spätere Durchschneidung des Stiels nach erfolgter Anheilung — das
waren die Mittel, die znm Ziele führten, sei es, daß die umgebende
Gesichtshaut, sei es, daß der genäherte Arm als Entnahmequelle diente.
Die unvermeidliche Narbenschrumpfung des wunden Lappens und
das Fehlen einer knöchernen Stütze führten dazu, daß in den meisten
Fällen auch die schönsten unmittelbaren kosmetischen Erfolge im Lauf
der Zeit stark beeinträchtigt wurden. Solche unangenehme Erfahrungen
waren es, die Koenig veranlaßten, das Knochensystem mit zu den
plastischen Operationen heranzuziehen. Indem er mit dem Hautlappen
aus der Stirn die unterliegende Knochenhaut und eine dünne Knochen¬
lamelle gleichzeitig entnahm und verpflanzte, schuf er der nengebildeten
Nase ein formbares knöchernes Gerüst. Durch den Zusammenhang mit
der ernährten Haut mußte auch die Ernährung, die Erhaltung und die
Einheilung des Knochens gewährleistet sein.
24
370
Georg Axhausen,
Dies Beispiel einer Knochenlappenplastik hat, mannigfach
variiert, auf weiten Gebieten der Chirurgie Nachahmung gefunden,
und die Erfolge wurden durch die Ausbildung der modernen Wund¬
behandlung nahezu unfehlbar.
Mit gleichen Hautperiostknochenlappen wurden kleinere und
größere Defekte der Schädelkapsel knöchern gedeckt, Defekte, die teils
nach schweren Verletzungen, teils nach spezifischen Entzündungen,
teils nach Hirnoperationen zurückgeblieben waren. Demselben Gedanken
verdanken die Bestrebungen ihre Entstehung, Unterkieferdefekte, die
nach Entfernung bösartiger Tumoren entstanden waren, durch gestielte
Lappen, die unterliegende Teile des Brustbeins oder des Schlüsselbeins
einschlossen, zur Deckung zu bringen. Und auf dem gleichen Boden
entwickelten sich die Versuche, kleinere Defekte der kurzen und der
langen Röhrenknochen durch abgespaltene Teile des erhaltenen oder
eines benachbarten Knochens unter Belassung ihrer Verbindung mit
den Weichteilen zu überbrücken.
Allein allen diesen Maßnahmen haften erhebliche Nachteile an ;
ihnen ist aus mechanischen Gründen nur allzuleicht eine Grenze gesteckt.
Große Lappen erzeugen große Wunden und umfangreiche Narbenbil¬
dung ; die notwendige Lappen Verschiebung führt zu störender Wulst¬
bildung und die sekundäre Deckung der Entnahmestelle erzeugt oft
verbreitete Narbenflächen. Alles dies führt zu erheblichen Änderungen
der natürlichen Körperformen, die besonders am Schädel und am Gesicht
recht störend sein müssen. Das Material ist spärlich ; die Entnahme¬
stellen sind eng begrenzt ; die Beweglichkeit der Lappen ist beschränkt :
oft sind die gestielten Knochenplastiken aus mechanisch-technischen
Gründen unausführbar.
Der weitere Fortschritt der plastischen Operationen am Knochen¬
system kann auf diesem Wege nicht liegen. Er ist einzig und allein
auf dem Wege der freien Osteoplastik zu suchen, d. h. der Über¬
tragung und Einheilung von Knochenstücken, die ganz aus der Um¬
gebung gelöst sind.
Dieser Weg, der solchen Operationen eine schier unbegrenzte An¬
wendungsmöglichkeit verschaffte, ist schon in den sechziger Jahren
des vorigen Jahrhunderts von einem Mann beschritten worden, der
Ideenreichtum mit Eorscherfleiß und höchstem chirurgischem Geschick
verband: von Olli er.
0 liier erkannte als Erster die Fähigkeit der Knochenhaut, selb¬
ständig Knochen zu bilden, eine Fähigkeit, die diesem Organ auch
nach der Übertragung auf' einen anderen Körper gleicher Species erhalten
bleibt. Dies überlebende, einheilende und Knochen produzierende Periost
vermittelt nach ihm auch, die Einheilung und Erhaltung frei transplan¬
tierten Knochens, wenn es als Decke mit übertragen wird. Solcher Kno¬
chen wird zu einem dauernden, lebenden Bestandteil des neuen Organis¬
mus und kann jede mechanische Leistung entfalten. Anderer, besonders
toter Knochen kann auch einheilen; aber er wird als toter Fremdkörper
eingekapselt und wird früher oder später vom Körper auf gesaugt.
Der artgleiche, periostgedeckte frische Knochen dagegen entspricht allen
Anforderungen, die die operative Chirurgie nur irgend stellen kann.
Damit war der praktischen Anwendung der Weg gewiesen. Solch
Knochen war leicht zu beschaffen; das Material bot der eigene Körper,
dem Knochenstücke selbst größeren Umfanges z. B. von dem leicht zu¬
gänglichen Schienbein ohne irgend welche Störungen entnommen werden
Ueber plastische Operationen am Knochensystem.
371
konnten. Das Kehlen des Stieles verschaffte jede mögliche Bewegungs¬
freiheit; die Narbenbildung war auf ein Minimum reduziert. Dazu
kam, daß die Ausbildung der modernen Wundbehandlung die bei O liier
noch häufige Störung durch Eiterung fast gänzlich beseitigte.
Und doch trat der Anerkennung und Verbreitung der Methode noch
einmal ein Hemmnis entgegen.
Mitte der neunziger Jahre vermochte Barth durch seine Unter¬
suchungen und die aus ihnen gezogenen Konsequenzen die ganze Lehre
Ollier’s in Mißkredit zu bringen. Es gelang Barth, die chirurgische
Welt davon zu überzeugen, daß entgegen O liier der artgleiche, frisch
samt Periost entnommene Knochen keinen anderen Wert besäße als
irgend ein anderes totes Knochenmaterial, da auch solcher Knochen
samt Knochenhaut und Mark abstürbe. Die hierauf sich grün¬
dende ausschließliche Anwendung toten mazerierten Materials hat der
Entwicklung der freien Osteoplastik empfindlich geschadet. Mißerfolge
bei der Anwendung dieses Materials, die nach Ollier’s Lehre ein-
treten mußten, wurden der freien Osteoplastik überhaupt zur Last
gelegt.
Erst die letzten Jahre haben wieder zur Wahrheit zurückgeführt.
Zunehmende chirurgische Erfahrungen lehrten, daß die Barth’ sehen Kon¬
sequenzen irrig sein mußten, und daß die Auffassungen und Vorschriften
Ollier’s zu Unrecht verlassen worden waren. Mit der Wiederbefolgung
der Ollier’schen Methodik, zu der die Mehrzahl der praktischen!
Chirurgen empirisch den Weg zurückgefunden hatte, ließen die Erfolge
der ausgeführten freien Knochentransplantationen nichts mehr zu
wünschen übrig. Dies war der einheitliche Ton, auf den die Ausfüh¬
rungen des letzten Chirurgenkongresses abgestimmt waren.
Die, Frage nach dem Grunde der Überlegenheit des frischen periost¬
gedeckten Menschenknochens wurde in den Diskussionen offen gelassen.
Seitdem habe ich • für die empirisch wiedergefundenen Tatsachen die
histologischen Beweise am Menschen und am Tierkörper erbringen
können und ich habe die Darlegungen Ollier’s nach histologischer und
praktisch-chirurgischer Seite hin ergänzen und erweitern können.
Wohl verfällt auch bei der Übertragung artgleichen, periostge¬
deckten lebenden Knochens das transplantierte Knochengewebe selber
in ganzem Umfange der Nekrose — in diesem Punkte bestand die Auf¬
fassung Barth’s entgegen Ol Her vollkommen zu Recht. Nicht aber
betrifft die Nekrose auch, wie Barth behauptete, in gleicher Weise
das Periost und das Mark. Sind die äußeren Bedingungen einigermaßen
günstig, so bleiben wesentliche Teile dieser beiden knochenproduzierenden
Organe am Leben und geraten in lebhafteste Tätigkeit. Diese von 0 liier
richtig erkannte und von Barth mit Unrecht bestrittene Tatsache
erklärt zwanglos die Überlegenheit der Ollier’schen Methodik. Das
überlebende Periost und Mark tritt mit den umgebenden Weichteilen
rasch in innigste organische V erbindung und vermittelt eine solche
auch mit dem unterliegenden implantierten Knochen; die von der
Proliferation beider Organe ausgehende Knochenneubildung ersetzt
das implantierte, absterbende Knochengewebe rasch durch lebendes
Knochengewebe, so daß nach Ablauf einiger Zeit sich ein lebender,
gewöhnlich nicht unwesentlich verdickter Knochen an der Stelle der
Implantation befindet; die von den überpflanzten ossifikationsfähigen
Geweben ausgehende Knochenbildung trägt bei der Deckung von Kon-
24*
372
Georg Axhausen, Ueber plastische Operationen am Knochensystem.
tinuitätsdefekten an den Enden ein Wesentliches zur raschen knöchernen
Konsolidation hei.
Weitere praktisch wichtige Einzelheiten, die ich im Verlauf der
Untersuchungen feststellen konnte, können hier nicht im einzelnen aus¬
geführt werden, so : der Einfluß von Species und Individuum, die Bedeu¬
tung des Entnahmeortes (Schädel-, Böhrenknochen), die Bolle anhaftender
Muskulatur, die Bedeutung der Formation des Periostes und der äußeren
Gestaltung des zu transplantierenden Knochens u. a. m. Ich verweise
wegen aller dieser Einzelheiten aüf meine ausführliche Arbeit (Lang.
Auch. Bd. 88. H. 1).
Der Siegeszug der freien Osteoplastik wird nunmehr nicht mehr
aufgehalten werden können ; sie ist für plastische Operationen am
Knochensystem die Methode der Wahl.
Die Schwierigkeiten, die vordem umfangreichen Besektionen langer
Böhrenknochen entgegenstanden, existieren nicht mehr. Selbst Total¬
defekte der langen Böhrenknochenschäfte, wie sie nach schweren Osteo¬
myelitiden und nach Entfernung maligner Tumoren entstehen können,
ebenso wie angeborene Totaldefekte mancher Knochen sind mit der
freien Osteoplastik spielend zu ersetzen, worüber uns bereits Erfahrungen
zur Verfügung stehen. Die Möglichkeit der konservativen Behandlung
ist dadurch erweitert, die Kotwendigkeit verstümmelnder Operationen
erheblich eingeschränkt worden.
Und der eingesetzte, zunächst vielleicht dünne Knochenstab ge¬
winnt im Lauf der Zeit durch die Tätigkeit des deckenden Periostes
und unter der Wirkung der mechanischen Inanspruchnahme vollkommen
die Dicke des ursprünglich vorhandenen Knochens wieder. Auf diesem
Gebiete der Anpassung an den Ort und die Beanspruchung, der Um¬
modelung im Sinne der Statik liegt einer der wichtigsten Vorteile der
Ollier sehen Methode. Das Böntgenbild zeigt uns, wie eine schmale,
au Stelle eines verloren gegangenen Mittelhandknochens eingepflanzte
Knochenspange im Lauf der Monate nicht nur sich verdickt, sondern
in ihrer äußeren Gestalt und in ihrer inneren Konfiguration mehr und
mehr einem normalen Mittelhandknochen ähnlich wird, bis zu einem
Grade schließlich, daß nach Jahr und Tag dieser neuerzeugte Mittel¬
handknochen auch röntgenologisch kaum von seinen Nachbarn zu unter¬
scheiden. ist — fürwahr ein schöner Beweis von dem regeneratorischen
Wirken der Natur ! Und in gleicher Weise sehen wir auch an einge¬
pflanzten Stücken die regulären Knochenfortsätze sich herausbilden.
Wir verwenden die freie Osteoplastik weiter zur Ausfüllung von
Knochenhöhlen ; wir nehmen sie für die operative Vereinigung nicht
heilender Knochenbrüche zu Hilfe, indem wir die Vereinigungsstelle
durch frei eingepflanzte Knochenstücke überbrücken und sozusagen
„lebend schienen“. Wir nehmen zur „Verzapfung“ von Knochenbrüchen
nicht, wie früher, rein mechanisch wirkende Elfenbeinstifte, sondern
ebenfalls wieder frei überpflanztes lebendes Knochenmaterial. Wir
können in solchen Fällen, wenn die mangelnde Heilung des Bruches
durch schlechte Knochenhauttätigkeit hervorgerufen ist, z. B. bei be¬
stimmten Nervenleiden, der Hoffnung leben, durch Entnahme der
Knochenstücke von gesunden .jugendlichen Individuen normale Knochen¬
bildung an der Bruchstelle zu erzeugen. Eine ähnliche „lebende Schie-
nung“ mit überpflanzten Knochenstücken vermag auch die Methoden
der künstlichen Gelenkversteifung, der Arthrodesen, zu vereinfachen.
Hummel, Beobachtungen und Tricks aus der Landpraxis. 373
Und neue Gebiete stehen der freien Osteoplastik offen : Man kann
versuchen, die knöcherne Deckung von Wirbelsäulenspalten auf diesem
Wege zu erzielen; und nach gelungener Laminektomie werden durch
entsprechende Implantationen die störenden mechanischen Folgeerschei¬
nungen vielleicht hintangehalten werden können ; bei veralteten Knie¬
scheibenbrüchen, die direkt nicht vereinigt werden können, wird eine
knöcherne V erbindung der Fragmente auf diesem Wege herzustellen
sein u. a,. m.
Auch eine nicht ideale Asepsis des Wundgebietes, so z. B. die An¬
wesenheit von Fisteln, besonders tuberkulöser Natur, schließt die An¬
wendung der freien Osteoplastik keineswegs aus. Ich konnte experi¬
mentell und am Menschen zeigen, daß der periostgedeckte implantierte
Knochen milde Infektionen überwindet und daß, selbst bei profusen
Eiterungen, nicht der ganze Knochen ausgestoßen zu werden braucht,
sondern daß nach Abstoßung kleiner sequestierter Teile die Haupt¬
masse gleichwohl zur Einheilung gelangen kann.
Nimmt man dazu, daß nach meinen experimentellen Untersuchungen
infolge der zähen ,,vita propria“ der Periostzellen auch die periost¬
gedeckten Knochen toter Individuen gleicher Species noch bis 24 Stunden
nach dem Tode ein gutes Implantationsmaterial darstellen und daß es,
wie Lexer zeigte, nach der Olli, er 'sehen Methode auch möglich ist,
ganze Gelenke zu überpflanzen, so sieht man, daß sich auf dem Gebiete
der freien Osteoplastik dem chirurgischen Können eine schöne Per¬
spektive eröffnet.
Diagnostische und therapeutische Beobachtungen und Tricks
aus der Landpraxis.
Von Dr. Hummel, Herrnhut.
(Fortsetzung aus Nr. 31, 1908.)
Otitis media purulenta.
Ein Skeptiker könnte nun bezweifeln, daß bei der vorgeschlagenen
Art der primitiven Gehörgangsspülung, mit abwechselnder leichter
Aspiration, die Spülflüssigkeit wirklich bis zum Sitz der Eiterung,
also in die Paukenhöhle gelbst vordringe. Da letztere in den betr.
Fällen nicht nur Eiter, sondern auch Luft, von der Perforations¬
öffnung oder der Tube her, enthält, so wäre es denkbar, daß diese
Luftsäule einen Gegendruck auf die Flüssigkeitssäule im Gehörgang
ausübt und dieselbe nicht zur Trommelfellfistel hereingelangen läßt.
Es bedeutete dann das Ver fahren nur eine Gehörgangsspülung mit
Finessen und Zeitverlust. Dem ist aber meines Erachtens nicht so.
Allerdings wird im Anfang der Prozedur meistens nur der Gehörgang
gereinigt, und zwar so lange, bis die Perforationsöffnung frei, d. h. der
meist in derselben klebende, eventuell völlig obturierende Eiterpfropf
losgespült und aspiriert ist. Das erfordert ja freilich öfters einige
Geduld und wiederholte Aspirationen. Liegt aber die Öffnung dann
frei, so kann man zunächst mittels tropfenweise langsamen Einträufelns
der Luft Kaum und Zeit zum Entweichen geben und dies durch Vor-
und Zurückdrehen des seitlich stark nach der gesunden Seite geneigten
Kopfes unterstützen ; man wird dann oft erleben, daß der Patient
beim Weiterspülen anfängt zu räuspern und zu spucken mit der An¬
gabe, daß ihm etwas in den Hals laufe ! Die Spülflüssigkeit hat also
374 Hummel,
die Perforation und die Paukenhöhle passiert und ist durch die Tube
teilweise abgeflossen, der Pest ist in der aspirierten Flüssigkeit. Ge¬
lingt es mit den bisher genannten Maßnahmen nicht, sich von der
Paukenspülung zu überzeugen, so wirkt oft folgender Kniff. Nach
gründlichster Peinigung des Gehörgangs, wenn die Aspirationsflüssig¬
keit wiederholt völlig rein zurückkam, füllt man ihn aufs neue
vollständig, d. h. bis zum Überlaufen, mit der schwach antiseptischen
Lösung (s. Nr. 31 d. Fortschritte), *zieht nun, bei vorgenannter Seiten¬
lage des Kopfes, die betr. Ohrmuschel etwas nach vorne — gesichtswärts,
und drückt zugleich mit einem Finger der andern Hand mit mäßiger
Gewalt und wiederholt, gewissermaßen rhythmisch, auf den Tragus.
Dieser wirkt wie der Stempel einer Druckpumpe auf die im Gehör¬
gang eingespannte Flüssigkeit und preßt sie durch die Fistel in die
Paukenhöhle, wie das alsbaldige Würgen und Spucken des Patienten
(s. o.) dokumentiert, vorausgesetzt natürlich, daß die Tube wegsam
ist. Aspiriert man jetzt, so ist sehr oft die vorher wiederholt ganz
klar befundene Flüssigkeit plötzlich wieder trüb, mit Schleim- und
Eiterpartikeln, Eiterfäden usw. durchsetzt, ein ziemlich sicherer Be¬
weis dafür, daß man mittels des einfachen Tricks in noch nahezu oder
ganz unbespülte Ohrregionen, d. h. die Paukenhöhle, gelangt sein muß !
Ich glaube bis jetzt, daß diese Art der Ohrspülung der gewöhnlich
geübten Methode der einfachen Gehörgangsausspritzung oder Aus-
tupfung etwas überlegen und ungefährlich ist, ich habe wenigstens
noch keinerlei Unfälle, noch Verschlimmerungen damit erlebt; möchte
sie daher den Herrn Kollegen zur eventuell gütigen Nach¬
prüfung unterbreiten, mit der Einschränkung auf unkomplizierte
Mittelohreiterungen, mit der Warnung vor zu spitzen oder stechenden
Tropfgläschen, und mit dem wohl selbstverständlichen Hinweis auf
die notwendige aseptische Haltung des Instrumentes.
Pseudotyphlitis bei Influenza?
Während einer unlängst herrschenden Influenzaperiode bekam ich
kurz hintereinander drei Patienten in Behandlung, davon zwei Kinder
und ein Erwachsenes, die sämtlich bettlägerig und mäßig fiebernd
(38,5 — 39,5° Abendtemperatur) unter Appetitlosigkeit, Aufstoßen und
Konstipation über spontane Schmerzen in der Blinddarmgegend klagten.
Es bestand auch deutliche Druckempfindlichkeit an der MacBurney’sehen
Zone und bei zweien zugleich geringer Meteorismus. Entzündlicher
Tumor dagegen war in keinem Falle fühlbar. Es lag offenbar sehr nahe,
jeweils Typhlitis zu diagnostizieren und zu behandeln, doch glaubte
ich mich für Influenza resp. eine Spielart von Influenza entscheiden
zu sollen und zwar in Rücksicht auf die im Verhältnis zur Körper¬
temperatur auffallend starken Kopfschmerzen, die Empfindlichkeit der
Bulbi, die mit leichtem Konjunktivalkatarrh und Lichtscheu vereinigt
war, und endlich im Hinblick auf die jedesmal vorhandenen, allerdings
sehr unbedeutenden katarrhalischen Lungensjmptome. Somit wurde
keine eigentliche Typhlitisbehandlung eingeleitet, deren Möglichkeit
vielmehr nur mittels sehr vorsichtiger Diät Rechnung getragen,
im übrigen Salipyrin und warme Bauchpackungen — letztere eigentlich
mehr zwecks leichter Diaphorese als behufs Schmerzstillung — ver¬
ordnet. Das Salipyrin wirkte jedesmal prompt auf Fieber, Kopfschmerz,
sowie auf die besagten typhlitisartigen Symptome : zwei Fälle waren
innerhalb dreier Tage in voller Rekonvaleszenz, unter Eintritt spontanen
Beobachtungen und Tricks aus der Landpraxis.
375
Stuhlgangs, beim dritten, dem hartnäckigsten, dauerte es allerdings
etwa acht Tage. Bei keinem sind irgendwelche abdominalen Symptome
zurückgeblieben oder wieder eingetreten ! Es ist nun wohl möglich,
bei diesen skizzierten Fällen jene auf Typhlitis beziehbaren Sym¬
ptome mittels viszeraler Neuralgie, die bei Influenza dem theoretischen
Verständnis per analogiam wohl keinerlei Schwierigkeiten bietet, be¬
friedigend zu erklären. Andererseits wäre aber doch auch an die
Möglichkeit zu denken, daß der Influenzabazillus bisweilen den Pro¬
cessus vermiformis oder das Cöcum lokal befallen könnte, um dort
leichtere, (stets ?) sogen, katarrhalische Entzündungen hervorzurufen,
die unter spezifischer Allgemeintherapie ohne Eis und Opium usw.
leicht zur Ausheilung kämen ! (immer ?). Vielleicht interessiert sich
irgend ein Pathologe für diese Frage und richtet bei gelegentlichen
Influenzaleichen regelmäßig sein geübtes Auge auf jene Organe, even¬
tuelle positive Befunde wären mindestens ätiologisch interessant.
Ischias.
Als Ischiasbehandlung hat sich mir folgende Methode oft recht
gut bewährt, und zwar bei akuter Ischias wie bei den chronischen
F ormen :
1. Bei heftigen Schmerzen: Salipyrin und Phenacetin ana 1, clrei-
bis viermal täglich 1/2 Pulver ; bis zum Verschwinden der ärgsten
Schmerzen, gewöhnlich drei bis vier Tage, dazu Bettruhe, warme
Kompresse.
2. Nach Aufhören der heftigsten Attacken sofort Massage des
kranken Beines, plus Gesäß und Kreuz, mit Bheumasanersatz, mög¬
lichst vom Arzt selbst vorgenommen, lege artis, etwa 20 Minuten pro
Sitzung, sanft beginnend, allmählich kräftiger, und Tapotements dabei
nur schwach ausführend oder samt Dehnungsversuchen, bis zur wesent¬
lichen Abnahme der Schmerzen, vermeidend. Pro Woche 3 — 4 solcher
Sitzungen. Oberschenkel, kranke Gesäßhälfte und meist mitbeteiligte,
gleichseitige Lendenpartie müssen bei Beendigung der Massage trocken,
etwas gerötet und deutlich wärmer sein, als die nicht massierte,
andere Seite, andernfalls ist die Massage wenig wirksam ! Hierauf
Geh-, Steig-, Beugbewegungen mäßiger Intensität ; gewaltsame Nerven¬
dehnung, wenn nötig erscheinend, erst später, etwa nach 14 tägiger
Behandlung ; sie frischt, unzeitig ausgeführt, des öftern die kaum
abgeklungenen Schmerzen in heftigster Weise wieder auf und raubt
dem Patienten das Vertrauen zu — und die Ausdauer in — der Be¬
handlung. Mit der Massage einige Wochen zu warten, wie manche
Autoren Vorschlägen, erst lange zu elektrisieren nebst Einreibungen,
Nervina multa usw. usw. habe ich bis jetzt nie nötig gehabt, vielmehr
waren die Patienten mit Ausnahme eines einzigen, der sich der Be¬
handlung baldigst entzog, im Zeitraum von 10 Tagen bis zu 33 Tagen
in maximo, alle im klinischen Sinn geheilt, d. h. voll arbeitsfähig.
Freilich standen sie alle noch im kräftigeren Lebensalter (18 — 50 Jahre)
und unter acht, im letzten J ahr so behandelten Fällen waren nur
zwei als veraltet (chronisch) anzusprechen. Neben dieser Behandlungs¬
art, die allerdings für den Arzt etwas anstrengend ist, für den Patienten
aber meist eine wesentliche Abkürzung der Erwerbsunfähigkeit er¬
zielt, habe ich bis jetzt andere Maßnahmen: (Elektrizität, Bäder usw.)
anzuwenden keine Veranlassung gehabt. (Fortsetzung folgt.)
376
C. Kabisch,
Beitrag zur Therapie der Rachitis
Von Dr. med. C. Kabisch, Frankfurt a. M.
Man braucht heutzutage nicht ausgesprochener Kinderarzt zu sein,
um mit einer großen Menge interessanter und wichtiger Kinderkrank¬
heiten in Berührung zu kommen. Namentlich dürfte dies in den großen
Städten und industriereichen Gegenden mit bedeutender Arbeiterbe¬
völkerung der Fall sein, wo sich meist ein viel stärkerer Familien¬
zuwachs findet, als bei den sogenannten besser situierten Kreisen.
Es liegt dies in der Hauptsache wohl an der minder guten und aus¬
giebigen Ernährung und dann besonders an den Wohnungsverhält¬
nissen, indem meistens nicht genügend Luft und Licht, besonders
während der kälteren Jahreszeit, in die Wohnräume gelangt, und viel¬
fach bei den ganz kleinen Leuten auch noch das einzige geheizte
Zimmer zugleich Küche und Arbeitsstätte des Familienvaters darstellt.
Daß sich nun an und für sich schwächliche, von kranken oder krankhaft
veranlagten Eltern erzeugte Kinder unter solchen Umständen nicht
besonders gut entwickeln können, ist eine Erfahrungstatsache.
Eine der hierhin mit am meisten gehörenden Kinderkrankheiten,
die aber ebenso gut, wenn auch seltener in besseren und besten Familien
Vorkommen kann, ist die sogenannte englische Krankheit oder Rachitis.
Wenn auch Pfister vor einigen Jahren nachgewiesen hat, daß
sich die Krankheit keineswegs hauptsächlich in Gegenden mit feuchtem,
ungesundem Klima, bei ärmeren Familien und rasch aufeinanderfol¬
genden Geburten vorfindet, indem, wie ich soeben erwähnte, ihr Vor¬
kommen auch bei den besser Situierten zu verzeichnen ist, so muß man
doch unbedingt derartige Momente als besonders begünstigende Fak¬
toren betrachten. Auch die von Esser angeführte Überfütterung als
direkte Ursache der Rachitis läßt sich anfechten, indem doch gerade
bei den ärmeren Leuten, von einer Überfütterung sicherlich nicht die
Bede sein kann. Treffend sagt Weiß mann, daß viele überfütterte
Kinder rachitisch, aber nicht alle rachitischen Kinder überfüttert sind.
Bezüglich der Ätiologie dürfte es gerade bei der Rachitis noch
zahlreiche Kontroversen geben, ehe eine absolute und einwandsfreie
Klärung erfolgt. Jedenfalls können und müssen wir aber daran fest-
halten, daß die Disposition zu derselben, die teils erworben, teils direkt
ererbt sein kann, eine bedeutende Rolle spielt. Ich habe eine wesentlich
größere Anzahl von rachitischen Kindern in Behandlung gehabt und
zurzeit in Behandlung, bei 'denen entweder beide Eltern oder wenigstens
eines von ihnen ebenfalls rachitisch waren, als solchen, wo jedes Vor¬
kommen der Krankheit in der Familie geleugnet wurde. Sei dem nun
auch wie ihm wolle, wir müssen die Rachitis als eine reguläre Stoff¬
wechselanomalie betrachten und demgemäß unsere Maßnahmen, quoad
Verhütung und Behandlung treffen.
Daß solche Kinder ganz besonders gut und kräftig ernährt und
durch entsprechende Körperpflege gekräftigt und abgehärtet werden
müssen, ist von vornherein selbstverständlich, aber damit allein genügt¬
es nicht, wie jeder Praktiker, der viele derartige Kinder Zu seiner
Klientel rechnet, ohne weiteres zugeben wird.
Seit langer Zeit spielt der Lebertran und speziell der Phosphor¬
lebertran bei der Behandlung der Rachitis eine große Rolle, und es sind
auch die Erfolge, die man damit neben einer geeigneten physikalisch-
Beitrag zur Therapie der Rachitis.
377
diätetischen Behandlung erzielt, recht nennenswerte. Wie oft hat man
es aber mit Kindern zu tun, welche gegen den entsetzlichen und grä߬
lichen Lebertrangeschmack einen solchen Widerwillen und Ekel haben,
daß sie ihn entweder überhaupt nicht nehmen, oder den ganzen Appetit
verlieren, und infolgedessen noch schlechter dran sind als solche
Kinder, denen man ihn überhaupt nicht gibt. Man hat nun im Laufe
der Zeit eine ganze Masse trefflicher Ersatzmittel für Lebertran und
Phosphorlebertran in den Handel gebracht, z. B. Scotts Emulsion,
Lahusens Phosphorlebertran, Ossin Stroschein usw., aber keines von
ihnen kann sich rühmen, aller Mängel in bezug auf Geschmack, Be¬
kömmlichkeit und Verdaulichkeit frei zu sein.
Es interessierte mich deshalb ganz besonders, als ich im ver¬
gangenen Jahr ein neues Präparat kennen lernte, das mir durch die
Liebenswürdigkeit des Herrn Kollegen Dr. Lungwitz in Berlin
zum Zwecke ausgedehnter Versuche zur V erfügung gestellt wurde.
Dieses Präparat, welches von der Firma Dr. Degen und Kuth in
Düren fabriziert wird, trägt den Kamen Rachisan und enthält als
wirksame Bestandteile 30°/0 Lebertran, 0,05 °/0 Phosphor, berechnet
auf P, 0,8 °/0 Jod, an freie Fettsäuren gebunden, l°/0 freie Fettsäuren,
0,8 °/0 Lezithin, 1,75 °/0 Nukleine, 0,3 °/0 Eisen, organisch an Ovo -Vitellin
gebunden, 6°/0 Mannit als ^erbindungsmittel des Eisens mit dem Vitel¬
lin. Hierzu kommen noch Corrigentia und Aqua destillata ad 100.
Alkohol enthält das Präparat nicht.
Wenn auch bei dem neuen Mittel dank der sorgfältigsten tech¬
nischen und chemischen Bemühungen und Vervollkommnungen haupt¬
sächlich danach gestrebt wurde, demselben einen möglichst angenehmen
Geruch und Geschmack zu geben, so ist es begreiflicherweise doch
nicht zu erreichen gewesen, den immerhin in großer Menge vorhandenen
Lebertran als vollkommen geschmacklos erscheinen zu lassen. Jeden¬
falls ist es aber gelungen, dem Präparat einen wesentlich bessern Ge¬
schmack zu verleihen als ihn der freie Lebertran oder der gewöhnliche
Phosphorlebertran oder auch diverse der andern Ersatzmittel tragen.
In vielen Familien, deren Kinder alle die genannten Präparate nicht
nehmen wollten, wurde mir wiederholt gesagt, daß die Kleinen direkt
nach dem Rachisan verlangt haben, was doch entschieden für einen
angenehmen Geschmack spricht.
Man gibt das Mittel am besten 2 — 3 mal täglich, je einen Kaffee¬
löffel voll und verordnet sonst eine möglichst leichte, aber kräftigende
Diät, entsprechend dem Alter des Kindes und den sozialen Verhält¬
nissen der Eltern. Außerdem lasse man den Kindern Salzbäder geben,
kräftigende, kühle bis kalte Abreibungen machen und sie möglichst
viel ins Freie bringen.
Unter Zugrundelegung dieser Bedingungen habe ich eine ganze
Reihe von Kindern mit Hilfe des Rachisans behandelt und werde mir
erlauben, an einigen Fällen meine Erfahrungen etwas näher zu illu¬
strieren.
1. Zwei Kinder, A. und E. Sch., im Alter von l1/2 und 2 1/2 Jahren,
v äußerst elend und schwächlich, mit skrofulösen Drüsen, eiternden Ohren,
noch nicht ganz geschlossener Fontanelle, rachitischem Thorax, ausge¬
sprochenem Rosenkranz, das kleinere nicht imstande, sich auf die Füße
zu stellen. Die Wirkung des Rachisans war gerade in diesen beiden
Fällen so charakteristisch, daß ich nicht verfehlen möchte, dieselben
378
C. Kabisch, Beitrag zur Therapie der Rachitis.
an erster Stelle zu erwähnen. Der bei beiden Kindern sehr starke
Ausschlag im Gesicht verschwand nach kurzer Zeit vollkommen, die
Drüsen gingen zurück, bald begann das kleinere Kind zu laufen. Im
übrigen erhielten die Kinder Salzbäder und kalte Abreibungen. Heute
sehen sie wesentlich gesünder und kräftiger aus, als vor einigen Monaten.
Unter den gleichen Symptomen war den Leuten im vorigen Sommer ein
Mädchen, ebenfalls hochgradig rachitisch, gestorben.
2. Kind A. G., 3 Jahre alt. Diagnose Skrofulöse, postrachitische
Erscheinungen, wie Hühnerbrust, Rosenkranz, krumme, sehr schwäch'
liehe Beinchen, infolgedessen sich das Kind nur in ängstlicher, wackeln¬
der Form voranbewegen konnte und sehr oft hinfiel. Auf die Dar¬
reichung von Rachisan, welches das Kind ebenso wie die beiden vor¬
genannten sehr gern nahm und gut vertrug, während es den Lebertran
stets zurückwies, trat zusehends eine merkliche Besserung ein, indem
das Kind innerhalb einiger Wochen mehrere Pfund an Gewicht zu¬
nahm, das Aussehen ein frischeres und gesünderes, und der Gang des
Kindes ein sicherer und fester wurde. Die Eltern sowohl, wie Bekannte
der Familie drückten mir wiederholt ihr Erstaunen über die fort¬
schreitende Besserung aus.
3. Drei Kinder eines hiesigen Beamten im Alter von zwei bis fünf
Jahren, A. E. und W. Iv., alle drei rachitisch, elend und kränklich,
ohne Appetit und infolgedessen fast andauernd in ärztlicher Behandlung,
erholten sich auf den Gebrauch des Rachisans in auffallender Weise,
indem der ganz mangelhafte Appetit sich besserte, die blasse und
welke Gesichtsfarbe einer frischeren und gesünderen Platz machte,
und das Körpergewicht seitdem ständig zunahm.
4. Kind L. Schn., 8 jähriges, an Furunkulose und Skrofulöse lei¬
dendes Mädchen, welches nach Angabe der Eltern in den ersten Jahren
sehr stark mit der englischen Krankheit zu tun hatte. Das hochge¬
schossene, sehr schmale, bleich und elend aussehende Kind, das außer¬
dem an chronischem Bronchialkatarrh und leichter Affektion der rechten
Spitze litt, ließ auf den längeren Gebrauch des Rachisan eine deutliche
Besserung nach jeder Richtung hin erkennen. Heute ist das Kind gegen
mehrere Monate zurück fast nicht wieder zu erkennen, indem es breiter
und kräftiger geworden ist und speziell die schlaffen Muskeln der
Arme und Beine fester und voller geworden sind.
5. S. K. 9 jähriges, früher sehr rachitisches, schwächliches Mädchen
mit schwerem Herzklappenfehler und bedeutenden asthmatischen Be¬
schwerden, welches fast das ganze Jahr hindurch nur zeitweise die
Schule besuchen konnte, erholte sich auf Rachisan hin, unter gleich¬
zeitiger Anwendung von Salzbädern nach mehreren Monaten derart,
daß es jetzt schon längere Zeit regelmäßig zur Schule geht. Die
asthmatischen Anfälle sind sehr viel seltener und das Herz ruhiger
O
geworden, der Appetit hat sich wesentlich gehoben, und das Körper¬
gewicht um mehrere Pfund zugenommen.
6. Kind J. H., zweijähriges stark rachitisches, äußerst elendes
Kind mit noch sehr lockerer Schädeldecke, ausgesprochenem Rosenkranz
und sehr schwächlichen krummen Beinchen. Nahrungsaufnahme war
absolut ungenügend, so daß das Kind andauernd abnahm. Als ich
gerufen wurde, gab ich dem Kinde Rachisan, das es nach einigen
Tagen ganz gern nahm, während es den Lebertran stets zurückgewiesen
hatte. Nach einigen Wochen war der Appetit ein ziemlich normaler
Ascher, Breslauer Brief.
379
geworden, die Kräfte begannen sich zu heben, und das ganze Aussehen
des Kindes wurde ein besseres. Heute, nach etwa dreimonatlichem
Gebrauch des Mittels hat das Kind um mehrere Pfund zugenommen,
die Kopfnähte sind fester geworden, und das Kind versucht, sich seiner
Beinchen zu bedienen.
7. Kind El. K., 1 1/2 jähriges, ebenfalls stark rachitisches Kind,
zeigte auf den Gebrauch des Rachisans die gleiche günstige Reaktion,
indem auch eine wesentliche Appetitssteigerung und nach Verlauf von
sechs Wochen eine deutliche Besserung des Allgemeinbefindens eintrat.
, 8. Kind Fr. F., sieben Jahre alt, nach Aussage der Eltern in den
ersten J ahren sehr rachitisch, jetzt schwer skrofulös mit mächtigen
Drüsenpaketen am Halse, triefenden Augen und Ohrenfluß. Nahrungs¬
aufnahme sehr minimal und Kräftezustand äußerst unbefriedigend.
Lebertran war oft und viel, aber ohne Erfolg gegeben worden und
in der letzten Zeit stets zurückgewiesen worden. Rachisan wurde und
wird gerne genommen, Appetit und Allgemeinbefinden besserte sich,
die Gewichtszunahme betrug innerhalb mehrerer Wochen vier Pfund.
Da bei dem Präparate alle die Bedingungen erfüllt sind, welche
man an ein wirklich gutes und brauchbares Antirachitikum stellen
muß, nämlich möglichst angenehmer Geruch und Geschmack, größt¬
möglichste Verdaulichkeit und Resorbierbarkeit des Lebertrans,
Haltbarkeit und Verwendbarkeit zu allen Jahreszeiten, Vor¬
kommen des Phosphors in organischer Verbindung, mithin in ungif¬
tiger Form, so verdient dasselbe unbedingt Beachtung. Da außerdem
sowohl nach meinen eigenen Erfahrungen als auch denen anderer ge¬
schätzter Fachgenossen die Resultate . recht gute zu nennen sind, so
sollte es mich sehr freuen, wenn ich durch meine Auseinandersetzungen
erreicht hätte, eine möglichst große Anzahl von Kollegen zu weiteren
Versuchen mit dem neuen Mittel anzuregen, das vielleicht bestimmt
sein wird, über kurz oder lang eine willkommene und schätzenswerte
Bereicherung unseres Arzneischatzes zu bilden.
Breslauer Brief.
Von Dr. Ascher.
Anfang November taten sich die hiesigen Chirurgen unter dem
Vorsitz des Professors Dr. Küttner zu einer „Breslauer Chirurgischen
Gesellschaft“ .zusammen. Dieselbe bezweckt die besondere Pflege der
Spezialwissenschaft sowie das Eintreten für die wirtschaftlichen Inter¬
essen der Chirurgen. Sie setzt sich aus ordentlichen und außerordent¬
lichen Mitgliedern zusammen. Außerordentliches Mitglied kann jeder
approbierte Arzt werden. Ordentliche Mitglieder, ansässige Chirurgen,
Oberärzte in größeren Krankenhäusern und Privatdozenten der Chirurgie
sind stimmberechtigt. Die Gesellschaft tagt jeden zweiten Monat hier
in Breslau, doch kann die Tagung auch nach auswärts verlegt werden.
Zum Schriftführer wurde der hiesige Chirurg Professor Dr. Gott stein
ernannt.
In der ersten Sitzung am 26. November demonstrierte Küttner
das Fulgurations verfahr en an einer Patientin mit inoperablem
Brustkrebs. Tietze spricht sich in der Diskussion skeptisch über den
Wert des Verfahrens aus, will aber diesbezügliche Versuche fortsetzen.
380
Ascher,
Küttner demonstrierte ferner drei Patienten mit operierten
malignen Tumoren der Tonsille. Er gibt eine genaue Beschreibung
des Operationsverfahrens, welches er (in Bruns, Beitr. der Chirurg-.
B. XX, 1898) veröffentlicht hat.
Ausräumung der .submentalen, submaxillaren und tiefen zervikalen
Lymphdrüsen, Exstirpation beider Gl. submaxiilares. Ligatur beider
Art. linguales und maxillares extern, von einem Kreuzschnitt, dessen
vertikaler Teil vom Kinn bis zum Jugulum, dessen horizontaler Teil
leicht bogenförmig in Höhe des Zungenbeines von einem Kopfnicker-
rande zum andern verläuft.
In der Diskussion betont Part sch die isoliert auftretende Meta¬
stasenbildung in den Lymphdrüsen unterhalb des Processus mastoideus
und hebt den Wert des KoCher’schen Verfahrens hervor. Küttner
bestätigt dieses. Auch sein Verfahren ermöglicht von diesem Schnitte
aus die Ausräumung der oberflächlichen Nackendrüsen.
Küttnelr demonstrierte ferner zwei Fälle von Be Sektion der
H umerus^iäphy se zwecks direkter Nerven Vereinigung bei großen
traumatischen Defekten der Oberarmnerven. Der erste Fall zeigte
nach Resektion und Wiedervereinigung des gelähmten Medianus eine
Wiederherstellung der motorischen Funktion in den Muskeln (Ent¬
artungsreaktion). Der Befund spricht für das gelegentliche Vorkommen
einer prima intentio der Nervenleitung.
In der Diskussion weist Part sch auf gute von Löbker erzielte
Resultate von Knochenplastik bei Nervendefekten hin. Bei Durch¬
trennung von Medianus und U Inaris ist ihm mitunter eine so geringe
Anästhesie begegnet, wie sie absolut in keinem Verhältnis zur Aus¬
breitung ihrer Bahnen zu bringen ist. Küttner bestätigt die außer¬
ordentliche Verschiedenheit der sensiblen Störungen bei Durch trennung
einzelner Nerven stamme und verweist auf die instruktiven Abbil¬
dungen in dem Werke von He a d. Für die motorischen Funktionen
trifft die Verschiedenheit der Ausfallserscheinungen nicht zu.
Küttner sprach dann über fünf Fälle von Dickdarmtumor eü.
Mitunter wird ein Karzinom von einem stenosierenden, isolierten, tuber¬
kulösem Geschwür vorgetäuscht und umgekehrt nimmt man bei Phthi¬
sikern Darmtuberkulose an, so findet man nicht selten einen Krebs.
Solche Fälle sind geeignet, eine Statistik der operativen Dauerresultate
bei Dickdarmkarzinom in günstigem Sinne zu beeinflussen. Er fordert
ständige histologische Untersuchung.
Im Anschlüsse daran demonstriert Oelsner das mikroskopische
Präparat eines Falles von Kankroid des Dünndarmes, kombiniert
mit Tuberkulose, aus der chirurgischen Universitätsklinik in Bern.
Küttner spricht über fünf Fälle von Rückenmarkstumoren.
Intradurale, ein Psammom und ein Fibrom der Cauda equina, waren
gut abgekapselt und konnten leicht entfernt werden.
Demonstration der vollständig geheilten und voll arbeitsfähigen
Patienten. Die drei extraduralen waren bösartig und nicht radikal
operierbar. (Zwei Karzinome, ein Sarkom.)
In der Diskussion weist Tietze auf die Schwierigkeit der Diagnose
der - in Rede stehenden Tumoren hin.
F oerster berichtet über einen Fall von Kompression der
Cauda equina durch Karzinommetastasen im dritten Lendenwirbel,
welche totale schlaffe Lähmung beider Beine, totale Lähmung der
Blase und des Mastdarmes, hochgradige Schmerzen in beiden Beinen
Breslauer Brief.
381
und Anästhesie beider Beine gemacht hatten. Ferner berichtet er über
einen Fall von Tabes dorsalis mit foudroyantem Beginn. Mit totaler
schlaffer Paraplegie der Beine, Blasenstörungen und bis zum Nabel
reichender Anästhesie. Nach Entfernung eines subkutanen Lipoms in
der Gegend des zweiten Lendenwirbels (T fetze), Rückgang der
Lähmung.
Ludloff über die Iüdikationsstellung zur Behandlung der
Gelenktuberkulose. (Bericht folgt später, weil die Diskussion auf
• die nächste Sitzung vertagt wird.)
C o e n e n demonstrierte
a) ein teleangiektatisches Granulom (Botryomykom) der Hohlhand ;
b) multiple teleangiektatische Granulome auf dem behaarten Kopf
eines älteren Mannes und auf dem Rücken eines Jünglings. (Häma¬
togene Entstehung) ;
c) zwei Fälle eigentümlicher Sarkomformen bei älteren Personen,
tellerartig, flach in die Haut hineinwuchernd. Der Verdacht einer
Infektion liegt sehr nahe. Für Sarkoide ist Infektion mit einiger
Sicherheit anzunehmen ;
d) einen entzündlichen Bauchdeckentumor nach Typhlitis ;
e) ein kongenitales fasziales Dermoid der vorderen Bauchwand
bei einem 4 jährigen Knaben.
Ein Spindelzellensarkom der Fußgelenkkapsel bei einem 44 jährigen
Arbeiter.
' Winkler demonstriert einen 14 jährigen Knaben mit einem
Divertikel der Harnblase (Cystoskopisch festgestellt).
Operation, extraperitoneale Entfernung des Divertikels, Resektion
des Ureters, Implantation an normaler Stelle, Dauerkatheter, Heilung.
Der Fall wird nach dem Vorgänge von Englisch als Doppelblase
angesprochen.
In der schlesischen Gesellschaft für vaterländische Kultur sprach
am 8. Januar 1909 Privatdozent Danielsen über ,, Hirnpunktion“.
Neuerdings ist neben Röntgendurchleuchtung, Tuberkulinreaktion
und Serodiagnostik die Hirnpunktion gekommen, um den Sitz eines
zerebralen Leidens festzustellen. Bei Blutungen soll man sie umgehen,
bei Verdacht auf einen Tumor ist sie indiziert. D. erzielte in drei
Fällen positive Resultate. In einem Falle mit wiederholten negativen
Punktionsversuchen handelte es sich um einen Pseudotumor. Durch
Entleerung von Zerebrospinalflüssigkeit kann man bei Drucksteige¬
rungen große Erleichterungen schaffen.
Danach sprach Dr. Goetsch über „die Bekämpfung der
Kindertuberkulose durch den Volksheilstättenverein vom
roten Kreuz“.
G. besprach die Einrichtungen in den modernen Lungenheilstätten.
Denselben ist, was besonders zu, erwähnen ist, ein Heim für Knochen-
und Gelenktuberkulose, eine Gärtnerei für Knaben und eine Haus¬
haltungsschule für Mädchen angegliedert.
Tuberkuloseverdächtige und Genesende sind in besonderen Häusern
untergebracht. Die Behandlung besteht neben roborierender Kost
in Injektionen von Alt -Tuberkulin, die sich mitunter über eine
Zeitdauer von 5 — 6 Monaten erstreckten. Er empfahl die Errichtung
von Lungenheilstätten in großen Städten, um mit Tuberkulin eine
Auswahl verdächtiger Fälle zu treffen und sie dann weiter in den
Heilstätten mit Injektionen zu behandeln.
382
Ascher,
In der Diskussion warnt Professor Czerny vor dem Gebrauch
von Alttuberkulin bei Kindern wegen großer Gefahr. Dasselbe ist
absolut nicht imstande, während der Behandlung das Auftreten neuer
Herde im Körper zu verhindern. C. hält nichts von der Heilstätten-
behandlung. Besseres Aussehen und Appetit sind mit der Heilung
der Tuberkulose nicht identisch.
Ob ein Pall wirklich geheilt ist oder nicht, dazu bedarf es jahre¬
langer Beobachtungen. Die erreichten Heilerfolge sind größtenteils
bei Kindern mit nicht tuberkulöser Skrofulöse eingetreten. Man hat
zwei Arten von Tuberkulose zu unterscheiden :
a.) die äußere mehr benigne Form, die meist spontan zur Heilung
kommt ;
b) die Tuberkulose der inneren Organe, diese letztere ist bösartig
und spottet jeder Behandlung, hauptsächlich die Lungentuberkulose.
Die jetzigen, selbst die neuesten Untersuchungsmethoden, wie die
Böntgendurchleuchtung affizierter Bronchialdrüsen oder die Hautreak¬
tion von Pirquet sind einzeln absolut nicht genügend; nur wenn
alle Symptome Zusammentreffen, kann man ziemlich sicher die Diagnose
stellen.
Zum Schluß anwortete Goetsch durch Hinweis auf das gesund¬
heitliche Plus der mit Injektionen behandelten Kinder gegenüber den
anderen nicht spezifisch behandelten.
Am 15. Januar 1909 sprach Geh. Med. -Bat Prof. Dr. Küstner
in der schlesischen Gesellschaft über die Sectio caesarea und ihre
Indikationen. Gleichzeitig gab er einen Überblick über seine Er¬
fahrungen auf dem Gebiete der Sectio caesarea. Seit dem Jahre 1891,
wo er der Leiter der Universitätsklinik war, sind 108 Kaiserschnitt¬
operationen, ausgeführt worden. 22 fallen davon auf seine Assistenten.
33 mal wurde an Sterbenden operiert; dreimal wurde die Sectio caesarea
an Toten vorgenommen. Hierbei gelang nur einmal ein Kind am
Leben zu erhalten.
Unter den sterbenden Müttern wurde einmal bei einem Herzfehler,
einmal bei einer Phthise, einmal bei einer Meningitistuberkulose ope¬
riert. Nur bei der letzt Operierten gelang es, das Kind einige Tage
lebend zu erhalten. Bei den ersten beiden Bällen konnten die Kinder
sich von der schweren Asphyxie nicht erholen.
Iv. kommt zu dem Besume : Die Sectio caesarea soll man nur
vornehmen, wenn der Tod plötzlich erfolgt, dagegen ist bei langsamem
Tode wegen der schlechten Ventilation des Blutes kein Erfolg zu
erhoffen. Bei Moribunden muß die Sectio caesarea relativ früher vor¬
genommen werden. Pür die Bälle, wo die Brau dem sicheren Tode
verfallen ist, ist der vaginale Kaiserschnitt indiziert.
Bei Eklampsie wurde in sieben Fällen operiert. Die Erfahrungen
waren T keine guten. Doch besserte sich das Besultat nach der Ein¬
führung der Gummihandschuhe und Manschetten an der Klinik. Be¬
friedigende Erfolge waren nur in zwei Fällen, wo die Mutter am
Leben blieb, zu verzeichnen. K. will jetzt bei der Eklampsie früh
operieren, auch zieht er den vaginalen Kaiserschnitt wegen geringerer
Zeitversäumnis bei den Vorbereitungen vor.
In sechs Bällen wurde die Sectio caesarea bei Carcinoma cervicis
gemacht. Wenn große voluminöse Tumoren der Portio vaginalis vor¬
liegen, so ist eine Indikation zur Operation vorhanden. In zwei Bällen
wurde die Badikaloperation sofort angeschlossen. In diesen beiden
Breslauer Brief.
383
Fällen gelang es, das Kind am Leben zu erhalten. Scheint eine Total¬
exstirpation im Anschluß an die Sectio caesarea aussichtslos, wird
die supravaginale Porrooperation gemacht. Trotzdem nach menschlicher
Berechnung die Mutter verloren war, so scheute sich K. doch davor,
den vaginalen Kaiserschnitt zu machen. Die Extraktion durch die
bröckligen Geschwulstmassen und eine gesteigerte Infektionsmöglichkeit
hielten ihn davon zurück.
Die Totalexstirpation wurde in vier Fällen gemacht.
In einem Falle wurde auch die supravaginale Amputation nach
der Sectio caesarea wegen allzugroßer Ausbreitung der Tumoren ab¬
gelehnt. Bei starkem Wachstum des Krebses pflegt Iv. nicht lange
zu warten, auch wenn der Fötus weit zurück ist, wird die Total¬
exstirpation gemacht.
In einem Falle erfolgte die Sectio caesarea bei Narbenatresie der
Zervix, in zwei Fällen bei Antefixation des Uterus.
K. ist der Ansicht, daß die Antefixation ein schweres Geburts¬
hindernis bildet. Die vordere Wand des antefixierten Uterus beteiligt
sich nicht an der Fruchtbildung. Ihre Muskelelemente werden in ge¬
wissem Sinne atrophisch, infolgedessen findet eine starke Belastung
der Hinterwand statt, durch deren fast alleinige Tätigkeit eine kom¬
plizierte Lage und Austreibung des Kindes die Norm bildet.
Nach früheren Uterusrupturen wurde die Sectio caesarea zweimal
gemacht, K. fürchtete einen Biß an derselben Stelle, die bei früherem
Partus schon ein Geburtshindernis bildete.
Bei Zervix-Blasen-Scheidenfistel wurde einmal operiert. K. wies
auf die Schwierigkeit dieses Falles hin, der durch ein enges Becken
kompliziert war, und wo es durchaus darauf ankam, ein lebendes
Kind zu erhalten.
In zwei Fällen boten myomatöse Uteri Indikationen für den Kaiser¬
schnitt. Einmal wurde gleich die Myotomie angeschlossen. Einen
interessanten Anlaß bot ein gleichzeitiger Echinokokkus, der schon
einmal von Mikulicz operiert Worden war, zur Sectio caesarea. Echino¬
kokkus und Uterus wurden beide exstirpiert. Trotz der ungeheuren
Wunde blieb die Frau am Leben.
Ein Kuriosum bot ein von K. ausgeführter Kaiserschnitt bei
einem Affen. Derselbe war einem größeren Affen zur Gesellschaft
beigegeben und von ihm geschwängert worden. Da es sich um eine
große Frucht handelte, war es anzunehmen, daß der Partus sich nicht
der Norm nach abspielen werde. Bei der Operation trat fast gar keine
Blutung auf. Nach zwei Wochen wurde der Affe als geheilt in den
Zoologischen Garten zurückgeschickt. Ein Jahr später gebar er, von
einem Affen seiner Spezies belegt, auf normale Weise lebende Junge.
Was die Sectio caesarea bei Placenta praevia betraf, so besprach
K. ausführlicher die Anregung amerikanischer Autoren. Er selbst
ist ein Gegner dieser Idee. Er hat nach seiner Statistik 75— 80°/0
lebende Kinder und 0,6 °/0 tote Mütter, im Gegensätze zu den ameri¬
kanischen Statistiken von 86°/0 toter Kinder und 20°/0 toter Mütter.
Er hat diesen Eingriff nach Braxton-Hicks vollständig fallen ge¬
lassen und wendet fast ausschließlich die Hystereuryse an. Iv. führt
darauf seine guten Erfolge zurück. — Bei engem Becken wurde 81 mal
operiert, und zwar: in 18 Fällen bei I para.
K. steht auf dem Standpunkt, bei engem Becken der Sectio caesarea
vor anderen Operationen den Vorzug zu geben. Die Mortalität der
Mütter nach künstlicher Frühgeburt beträgt 40°/0.
384
Ascher, Breslauer Brief.
Je mehr die Erfahrungen über den Kaiserschnitt wachsen, desto
mehr wird er angewandt werden. In wiederholten Fällen ist der
Kaiserschnitt hei zwölf Frauen gemacht worden : bei elf Frauen zwei¬
mal und bei einer Frau dreimal. Die Befunde der wiederholt Lapa-
ratomierten boten insofern großes Interesse, als die vor dem Jahre
1900, also vor Einführung der Gummihandschuhe, operierten Frauen
starke bindegewebige Adhäsionen in Abdomine aufzirweisen hatten.
Bei den andern war dieses nur ‘in ganz geringem Maße der Fall.
Bei Frauen, die außerhalb der Klinik untersucht wurden, oder denen
schon vor längerer Zeit das Fruchtwasser abgelaufen ist, lehnt K.
den Kaiserschnitt ab.
Am Schlüsse seiner Ausführung kommt K. kurz auf die von
Frank und Seil heim angegebenen extraperitonealen Kaiserschnitt¬
modifikationen zu sprechen. Nach Seilheim hat er in zwei Fällen
gute Resultate erzielt, die Frank’sche Modifikation ist ihm bei einer
Operation nicht geglückt. K. hält diese Methoden bei weiterem Ausbau
unbedingt für einen Fortschritt.
In der Diskussion rät Rosenfeld beim Kaiserschnitt an Mori¬
bunden einen Versuch mit dem Gärtner’schen Sauerstoffapparat zu
machen, der durch Zuführung von Sauerstoff in eine Vene das Kind
vor dem Tode durch Kohlensäureüberschuß im mütterlichen Blute
retten soll. Baumm hat in den letzten l1/2 Jahren nach der Frank¬
schein Methode 25 Fälle mittels zervikalen Kaiserschnittes operiert
und nur einen Exitus erlebt. Im großen Ganzen ist Vortragender
vorsichtig bei stinkendem Fruchtwasser, bei Verdacht auf häufige
Untersuchungen und bei abgeflossenem Fruchtwasser. Die wirkliche
extraperitoneale Operation hält Vortragender für nicht durchführbar,
weil er bis auf einen Fall das Peritoneum immer verletzt hat. Um
ein abschließendes Urteil zu fällen, bedarf es der Erfahrung betreffs
der Dauerresultate, besonders bei wiederholten Geburten. In der Technik
der Operation hat er eine Modifikation insofern angewandt, als er
statt des angegebenen Querschnittes einen Längsschnitt oberhalb der
Symphyse macht, er durchschneidet dann das parietale und uterine Blatt
des Peritoneums in querer Richtung in 10 cm Ausdehnung. Dann
wird das Peritoneum miteinander vernäht und der Uterus eröffnet.
Je nach Lage der Situation geschieht das in querer oder Längsrichtung.
Ist der Verdacht einer Infektion vorhanden, so wird nach außen hin
drainiert, sonst wird die primäre Naht angeschlossen.
Asch polemisiert gegen die Benennung „vaginaler Kaiserschnitt“,
die nur zu Irrtümern Anlaß gibt, außerdem glaubt er doch dem fun-
dalen transperitonealen Kaiserschnitt wegen Weiterstellung der Indi¬
kationen den Vorzug geben zu -können. Bei engem Becken zieht er
fast unter allen Umständen die künstliche Frühgeburt vor. Er wendet
mit Vorliebe das Bougie an. Die Chance für Mutter und Kind ist
gut. Besonders das letztere ist lange nicht so gefährdet wie man
annimmt. Nach der Jacobi’schen Statistik der Meermann’schen
Klinik sind in 228 Fällen nur 6°/0 toter Mütter zu verzeichnen. 65%
der Kinder sind am Leben geblieben. Bei Eklampsie ist der Kaiser¬
schnitt deshalb anzuraten, weil er die gefährlichen Wehen beseitigt.
Um eine Sterilisierung zwecks Verhütung einer neuen Gravidität zu
erzielen, durchtrennt Vortragender die Tube und vernäht das uterine
Tubenende im Peritoneum.
Vorläufige Mitteilungen und Autoreferate.
385
Im Schlußwort erklärt K„ auf die Anregung ßo senfe ld’s eingehen
zu wollen und die Methode in künftigen Fällen zu erproben. Er
erklärt sich mit der Polemik Asch’s gegen die ungenaue Benennung
„vaginaler Kaiserschnitt“ vollständig einverstanden. Gleichzeitig billigt
er das Verfahren der Einleitung einer künstlichen Frühgeburt, doch
bevorzugt er die Kolpeuryse. Er warnt vor allzu großem Eifer in
der Indikationsstellung für die neue Methode des Kaiserschnittes. Er
selbst hat gute Erfolge bei Kreißenden mit stinkendem Fruchtwasser
gehabt, (doch muß man sie extraperitoneal operieren. Er selbst hält
die Ablösung des Peritoneum von der Gebärmutter für keine Unmög¬
lichkeit. Man muß sich links seitwärts von der leicht emporgehobenen
Zervix an die Ablösung des Peritoneums machen, weil die meisten
Uteri dextrovertiert sind. Auf diese Weise läßt sich das Bauchfell
leicht in toto ablösen.
Am 22. Januar fand in der „Schlesischen Gesellschaft“ ein klini¬
scher Abend statt.
Harttung demonstriert einige Fälle von ausgeheilter Spät-
sjT'philis. Vortragender ist der Meinung, daß im Primärstadium der
Lues die Gelenkerkrankung auf Invasion der Spirochaeta pallida und
nicht auf Allgemeinintoxikation zurückzuführen ist. Auf Quecksilber
tritt entzündliche Reaktion ein. Im sekundären Stadium tritt die
Affektion. multilokulär auf und immer an symmetrischen Gelenken.
Demonstration eines Patienten mit ausgeheilter doppelseitiger Knie¬
gelenksentzündung. Bei Lues hereditaria hat H. häufig Spondylitiden
und Koxitiden gesehen.
In der sich anschließenden Diskussion demonstriert Levy die
Röntgenbilder einer multiplen syphilitischen Gelenkerkrankung
aus der Königlichen Klinik. Er hält die Gelenkschwellungen der
Tabiker und hauptsächlich die leichten Arthropathien für syphilitischer
Natur.
Fräulein Dr. Bieber demonstrierte die Präparate eines Cysti¬
cercus und Echinokokkus des Gehirns.
Neißer stellte einen Fall von Leukämie vor mit Kombinations¬
erkrankung des Zentralnervensystems. Milztumor, keine Drüsenschwel¬
lungen. Gleichmäßige Ataxie beider Beine, Babinski positiv. Fehlen
des Patellarreflexes. Parese der Adduktoren, der Ileopsoas, Quadriceps,
Sensibilitätsstörungen am Oberschenkel.
Fo er st er stellte die Nervendiagnose, daß es sich um eine lokali¬
sierte Erkrankung des Lendenmarks, wahrscheinlich Gefäß Verlegung
infolge Obturation der Arteria lumbalis durch Arteriosklerose handelt.
Vorläufige Mitteilungen u. Autoreferate.
Erkennung und Behandlung der Erkrankungen des Pankreas.
Von Karl Walko.
(Vortrag im Verein deutscher Arzte in Prag am 19. Februar 1909.)
Nach einem kurzen Hinweis auf die Begleiterscheinungen der
Pankreasaffektionen, so Magen-Darmkatarrhe, Störungen der Sekretion
und Motilität des Magens, Duodenalstenosen, -geschwüre und Darm¬
blutungen, Gallengangsverschluß und Cholelithiasis werden sämtliche
Methoden besprochen, die eine Erkennung der Funktionsstörungen der
25
386
Vorläufige Mitteilungen und Autoreferate.
Bauchspeicheldrüse ermöglichen : die Bestimmung der Resorptionsgröße,
der qualitative Nachweis der Störungen der Fett- und Eiweiß Verdau¬
ung, die alimentäre Steatorrhöe, spontane und alimentäre Glykosurie,
der Nachweis der Fermente des Pankreas, die Schmidt’sche Nuklein¬
verdauungsprobe, die Cammidge’sche Reaktion usw. Die interne, Nament¬
lich die diätetische und medikamenteile Therapie gründet sich auf
die Kenntnis der normalen physiologischen Vorgänge der Saftsekretion
des Pankreas und ihrer Beeinflussung durch psychische Erregung, durch
Vermittlung der Salzsäure des Magens, durch den spezifischen Reiz
der Nahrungsmittel und durch sekretionsbefördernde und hemmende
Mittel. Ein therapeutischer Versuch einer Steigerung der meist sehr
niedrigen Salzsäurewerte des Magens, Verabreichung von Salzsäure
selbst hatte keinen deutlichen Erfolg. Zur Ruhigstellung und Ent¬
lastung des sezernierenden Parenchyms der meist geschwollenen, ent¬
zündlich hyperämischen Drüse empfiehlt sich eine möglichst einfache
Kostform wie bei entzündlichen Magen-Darmaffektionen, namentlich
aber als Schonungsdiät eine leicht verdauliche Fleischfettkost. Zur
Erreichung der Ruhigstellung des erkrankten Pankreas dienen weiter
länger dauernde körperliche Ruhe, heiße Umschläge, Trinkkuren mit
alkalischen und glaubersalzhaltigen Quellen und Regelung des Stuhles.
Sehr günstig wirkt in vielen Fällen eine antiluetische Behandlung
und die Substitutionstherapie mit Pankreon. Eine interne Behandlung
ist nur bei chronischen nicht komplizierten Fällen aussichtsreich, akute
Erkrankungen des Pankreas, schwere Schädigungen der benachbarten
Organe, Gallengangsverschluß, langdauernde Schmerzen, zunehmende
Abmagerung und Kachexie erfordern rechtzeitig einen chirurgischen
Eingriff. Autoreferat.
Seltene Spaltbildung der Hand und angeborene Fingergelenksankylosen.
Von Privatdozent Dr. Hilgen reiner.
(Nach einem Vortrag in der Wissenschaftlichen Gesellschaft deutscher Ärzte in
Böhmen am 12. Februar 1909.)
Bei einer 25 jährigen Wöchnerin findet sich der fünfte Mittelhand¬
knochen der rechten Hand bis zur Handwurzel abgespalten und stark
ufnarwärts abduziert, so daß er fast rechtwinklig zur Längsachse der
Hand gestellt erscheint. Der dazugehörige Kleinfinger verläuft nicht
in der Richtung des Metakarpus, sondern zeigt eine starke radiale
Ablenkung, wodurch er fast parallel zu den übrigen Fingern zu stehen
kommt. Er erscheint dabei spindelförmig ohne jedwede Gliederung,
ohne Gelenkfalten, die beiden Interphalangealgelenke sind ankylotisch,
das Nagelglied mangelhaft entwickelt. An der linken Hand findet sich
ebenfalls eine Ankylose des ersten Interphalangealgelenkes des Klein¬
fingers und ebenso an beiden Händen des Kindes, bei welchem sich
überdies an der linken Hand ein überzähliger Kleinfinger in Form
eines zweigliedrigen Appendix vorfindet. Die aufgenommenen Röntgen¬
bilder lassen die Ankylosen im ersten Interphalangealgelenke des fünften
Fingers beiderseits, und zwar .sowohl bei der Mutter wie beim Kinde
als bindegewebige und nur die Ankylose im zweiten Interphalangeal¬
gelenke des rechten Kleinfingers der Mutter als knöchern ansprechen.
Autoreferat,
Vorläufige Mitteilungen und Autoreferate.
387
Aus dem Zander-Institut der Ortskrankenkasse Leipzig.
Leit. Arzt Dr. Lilienfeld, Spezialarzt für orthop. Chirurgie.
L. stellt am 9. Februar 1909 in der medizinischen Gesellschaft zu
Leipzig einen 11 jährigen Knaben vor mit „Hochstand des; linken Schulter¬
blattes, bedingt durch hysterische Kontraktur der M. M. rhomboidei“.
Anamnestisch gab die Mutter an, daß der Junge immer etwas schwäch¬
lich gewesen sei, an Kopfschmerzen leide und „sehr nervös sei“, sie
selbst leide an schweren Gesichtsneuralgien mit Muskelzuckungen.
Seine jetzige Affektion wurde bei dem Knaben zuerst von der Mutter
vor 14 Tagen bemerkt, ohne daß eine äußere Veranlassung vorhanden
war. Die Höhendifferenz der unteren Schulterblattwinkel beträgt 6 cm,
ihre Entfernung von der Dornfortsatzlinie links 5 cm, rechts 10 cm.
Der untere Winkel schwebt in der Luft und droht die Haut zu durch¬
bohren, das ganze Schulterblatt ist nach oben und vorne umgekippt.
Zum Unterschied von dem angeborenen Hochstand der sogenannten
„SprengeUschen Deformität“ bestehen keine Muskeldefekte, keine
Kyphose, kein Ausfall der Oberarmfunktion und vor allem keine Fixa¬
tion. Durch Annäherung des Schulterblattes an die Wirbelsäule und
durch Herabdrücken gelingt es, den Muskelkrampf, um den es sich
hier handelt, zu lösen, aber nur auf' einen Moment, dann sieht man neben
dem inneren Fände des Schulterblattes eine Wellenbewegung unter
der Haut und mit einem Kuck tritt der Hochstand wieder ein. Durch
verschiedene Manipulationen mit dem Knaben, dessen Armfunktion nach
allen Kichtungen vollständig intakt ist, schließt L. eine etwa vorhandene
Serratuslähmung aus und beweist per exclusionem, daß es sich hier
nur um einen Muskelkrampf der M. M. rhomboidei handeln kann.
L. zeigt im Anschluß hieran die Photographie eines schweren Caput
obstipum dextrum mit Sdoliosis convexa dextra dorsalis auch auf
nervöser Grundlage bei einem fünfjährigen Knaben, den er nach drei¬
wöchentlicher Behandlung, nachdem die Affektion im ganzen sechs
Wochen bestanden hatte, vollständig geheilt hat. Er stellt infolge¬
dessen die Prognose im vorliegenden Fall nicht ungünstig, warnt aber
vor jedem brüsken Vorgehen bei der Behandlung und glaubt im Hin¬
blick auf diese Fälle, daß man in ursächlicher Beziehung bei gewissen
Deformitäten eine größere Bedeutung der Muskelwirkung zuschreiben
muß, als bisher geschehen ist. • Autoreferat.
Dementia paralytica (Lues Zerebrospinalis?) in der Gravidität.
(Zur Kenntnis der Krämpfe in der Gravidität.)
Von E. Meyer.
(Vortrag, gehalten in der gynäkologischen Gesellschaft für Ost- und Westpreußen.)
Bei einer 36 jährigen Frau, bei der bis dahin nichts Krankhaftes
bemerkt war, traten im vierten Monat der zweiten Gravidität Krämpfe
im ganzen Körper mit langanhaltender Bewußtlosigkeit auf, gleichzeitig
wurde viel Eiweiß im Urin konstatiert. Daraufhin künstlicher Abort,
keine Anfälle in der nächsten Zeit, Eiweiß blieb im Urin nachweis¬
bar. Seitdem leicht erregbar, zuweilen verkehrte Keden.
September und November 1908 wieder epileptiforme Anfälle, seit
der Zeit zunehmende Schwäche der gesamten Geisteskräfte. Ende
Dezember 1908 (klinische Beobachtung): Differente, fast lichtstarre
Pupillen, artikulatorische Sprachstörung, Schwäche im rechten VII
25*
388
Vorläufige Mitteilungen und Autoreferate.
und XII, Kniephänomen links schwach, rechts erloschen usw., hoch¬
gradige Urteils- und Gedächtnisschwäche. Lymphozytose und patho¬
logischer Eiweißgehalt (Nonne’sche Probe : Phase I -f-) im Liquor
cerebrospinalis. Im Urin Eiweiß. Genitalorgane ohne Veränderung.
Augenhintergrund frei.
M. führt aus, daß das gleichzeitige Auftreten von epileptiformen
Krämpfen und Eiweißbefund im Urin bei einer bisher gesunden Frau
nichts anderes als Eklampsie vermuten lassen konnte. Jetzt handelt
es sich mit Bestimmtheit auf Grund der somatischen wie psychischen
Symptome um progressive Paralyse, höchstens könnte man noch an
Lues cerebrospinalis denken. Für ein mit Eklampsie in Zusammenhang
stehendes Gehirnleiden oder für einen Tumor cerebri, etwa als Metastase
von einer Geschwulst der Genitalorgane, fand sich kein Anhaltspunkt.
So täuschte hier der die Paralyse einleitende Anfall einen eklamp-
tischen vor. Daß Paralyse und Eklampsie nebeneinander bestehen,
ist gezwungen anzunehmen, es haben wohl die Zirkulations- und Stoff¬
wechseländerungen der Gravidität die latente Paralyse zur Entwick¬
lung gebracht, neben der ein Nierenleiden besteht.
M. bemerkt zum Schluß, daß an und für sich eine Paralyse weder
das Zustandekommen noch den regelrechten Ablauf der Gravidität
zu hindern braucht. Autoreferat.
Nasale Ursachen und Behandlung der Erkrankungen der Tränenwege
und der Bindehaut.
Von Arthur Meyer. (Zeitsclir. für Augenheilk., Bd. 21, H. 2.)
Verf. hat mehrere hundert Fälle auf das Vorhandensein nasaler
Erkrankungen untersucht und meist eine für das Auge erhebliche
Affektion gefunden. Er teilt die Fälle in vier Gruppen, deren erste
diejenigen mit negativem Nasenbefund, ungefähr 10— 15°/0 von
allen umfaßt. Bei der zweiten Gruppe liegt infolge raumbeschrän¬
kender Momente im unteren Nasengang, Deformationen des Septum,
Anliegen der Muschel, Hypertrophie, eine rein mechanische Hem¬
mung des Thränenabf lusses vor; hierher gehört ungefähr die Hälfte
der Fälle von Epiphora, Die dritte Gruppe umfaßt eitrige und
entzündliche Zustände der Nase, des Nasenrachens und der Neben¬
höhlen, welche auf verschiedene Art Entzündungen oder Geschwüre
des Tränenschlauchs, der Konjunktiva, Kornea und der Lider verursachen
oder unterhalten ; namentlich die adenoiden Vegetationen, die Ozäna, die
Nebenhöhleneiterungen sind wichtig für die Ätiologie der Augenleiden.
Die vierte Gruppe umfaßt spezifisch infektiöse Prozesse, welche
durch den Tränenschlauch kontinuierlich aufwärts kriechen ; bei weitem
am wichtigsten ist hier der Lupus der Nasenschleimhaut.
Therapeutisch hat der Bhinologe bei der zweiten Gruppe die
Aufgabe, den unteren Nasengang wegsam zu machen, durch Umknickung
der Muschel, Korrektur der Stellung des Septum, Abtragung von Hyper¬
trophien. Bei der dritten und vierten Gruppe ist das Nasenleiden mög¬
lichst zu beseitigen, oder wo das nicht angängig (z. B. Ozäna), die
Nase von Sekreten und Krusten rein zu halten. Daneben muß bei der
dritten und vierten Gruppe die augenärztliche Therapie gehen, die
von den gleichzeitigen nasalen Eingriffen ziemlich unabhängig ist. —
Endlich werden einige neuere Bestrebungen, von der Nase 'aus direkt
Referate und Besprechungen.
389
auf den Tränenkanal einzuwirken, besprochen ; so die retrograde Son¬
dierung, die permanente Drainage der Tränenwege mittelst Seidenfaden
(Ko st er und Kan), die „Dakryozystorhinostomie“ von Toti, die intra-
nasalen Methoden der Eröffnung des Tränensacks (Killian, Passow,
Oku new). All diesen Versuchen haften schwere Nachteile an, so daß
die Tätigkeit des Rhinologen sich im allgemeinen auf die Behandlung
des auslösenden Nasenleidens beschränkt. Autoreferat.
Referate und Besprechungen.
Bakteriologie und Serologie.
Ueber Immunisierungsversuche gegen Tuberkulose und Perlsucht.
(Sammelref erat.*)
Als Versuchstiere dienten Meerschweinchen und Kaninchen, die durch-
„weg gesunden Zuchten entstammten. Als Immunisierungsmaterial verwandten
Verfasser
1. Tuberkelbazillen aus Kultur, die längere Zeit bei 37° in Organen ge¬
sunder Tiere gehalten worden waren. In den Organen gelangten die Tuberkel¬
bazillen in den Organstückchen eingeschlossen zur subkutanen Verimpfung.
2. Tuberkelbazillen aus Kultur, die lange bei 37° in Lymphdrüsen-
dekokten suspendiert gehalten; dann wurden von diesen Mischungen bakterien¬
freie Filtrate hergestellt, die zu Immunisierungsversuchen benutzt werden.
3. Tuberkelbazillen in solchen Filtraten, die längere Zeit bei 37° gehalten
wurden und diese Mischungen einmal oder wiederholt verimpft.
Solche vorbehandelte Tiere nennen die Verfasser die ,, Immuntiere
Die Tiere entwickelten sich gut weiter, lie'ßen aber durchweg lymphatische
Hyperplasien erkennen. Sehr selten trat Marasmus mit brauner Atrophie
der Organe auf. Organstücke solcher Tiere auf gesunde überimpft, ließen
diese frei von manifester Tuberkulose. Daneben hatten Verfasser auch Kon-
trolltiere.
Als virulentes Material benutzten sie
1. Kulturbazillen.
2. Tuberkulöse Meerschweinchenorgane.
3. Tuberkelbazillen aus Kulturen, die längere Zeit bei 37° in sauren und
alkalischen Lymphdrüsendekokten gehalten worden waren.
Bei der Bereitung des Immunisierungsmaterials, wie zur virulenten
Infektion, wurden Bazillen des Typus humanus oder bovinus in wechselnder
Kombination verwendet.
Aus den angeführten Versuchsprotokollen geht hervor: Einmal immuni¬
sierte Tiere, die später mit Kulturaufschwemmungen virulenter Tuberkel¬
bazillen infiziert wurden, zeigten ein ungestörtes Befinden ; Obduktion
(141 Tage t) ergab verkäste Lymphdrüsen, Miliartuberkulose von Milz und
Leber, chronische Tuberkulose der Lungen mit Kavernen. Die Kontrolltiere
starben am 79. und 71. Tage nach der Infektion an hochgradiger Tuberkulose. —
Zweimalige subkutane Immunisierung mit bakterienfreien Filtraten,
Filtratstoffe aus Immunsierungsmaterial und virulenter Kulturaufschwemmung
ergaben : Tod des Immuntieres am 58. Tage an Lungen-, Leber-, Milztuber¬
kulose; die Kontrolltiere verendeten am 48. Tage. Obduktion ergab: Impf-
*) Zu diesem Referate wurden benutzt:
1. Arbeiten von Regner und Stenström: „Versuche mit v. Behring’s
Bovovacein“.
2. Arbeiten von Bartel und Härtel und Bärtel und Neumann:
„Immunisierungsversuche gegen Tuberkulose und Perlsuchtt. (Zentralbl. f.
Bakt. Bd. 48. H. 5.)
390
Referate und Besprechungen.
tuberkulöse mit allgemeiner Ausbreitung. Bei subkutan immunisierten Tieren
mit späterer virulenter intraperitonealer Infektion mit tuberkulösen Meer¬
schweinchenorganen war das Ergebnis folgendes :
Tod des Immuntieres:
am 26. Tage
„ 48.
* US- „
n 23. „
* 54. „
66.
* 48. „
* 18- „
in Mittel 61,5. Tage
Tod des Kontrolltieres :
am 122. Tage
„ 8.
« 54. „
« 74. „
A 63. „
A 52. „
7.
resp. 35. Tage.
Obduktion der Immuntiere und der Kontrolltiere ergab stets Tuberkulose der
Organe.
Immunisierungsversuche mit nachfolgender subkutaner resp. intraperi¬
tonealer virulenter Infektion mit tuberkulösen Meerschweinehenorganen er¬
gaben folgendes Verhalten der Tiere nach ihrer Lebensdauer im Verhältnis
zum Kontrolltier :
Beim Immuntier im Mittel 88 Tage, beim Kontrolltier 58 Tage.
Gleichzeitige intraperitoneale Einverleibung tuberkelbazillenfreier
Filtratstoffe aus Immunisierungsmaterial und virulenter |Kultur auf schwemmung,
ergab: ein Verhalten der Versuchstiere nach ihrer Lebensdauer im Ver¬
hältnis zum entsprechenden Kontrolltier im Mittel beim J. M. 59,5, beim
Kontrolltier 88 Tage. — Dann haben Verfasser Immunisierungsversuche mit
bakterienfreien Filtraten mit längerer Zeit in denselben suspendiert gehaltenen
Tuberkelbazillen mit nachfolgender intraperitonealer Infektion mit Tuberkel¬
bazillen aus Kultur, die längere Zeit in Lymphdrüsendekokten suspendiert ge¬
halten waren, angestellt.
Tod der Kontrolltiere: der Immuntiere:
am 27. Tage am 86. Tage
A 82. „ „ 101. „
A 76. „ fl 55. A
Die Obduktion ergab stets Tuberkulose der Organe.
Noch eine Versuchsreihe wurde angestellt :
Nach Immunisierung mit tuberkelbazillenhaltigem Material und nach¬
folgender intraperitonealer Infektion mit Perlsuchtbazillen aus Kultur
zeigte sich:
Kontrolltier: Immuntier:
am 131. Tage am 155. Tage (Keine Tb.)
nach 9 Mon. getötet 9 Monate
Keine Tb.
188. Tage: getötet: Keine Tb.
Welches waren die pathologischen Befunde der Immuntiere?
Zirrhose der Leber mit Milztumor und Aszites; chronische Tuberkulose
von Bronchiallymphclrüsen und Lungen mit Kavernenbildung; isolierte chro¬
nische Tuberkulose der Lungen, Neigung der rechten Lunge zu tuberkulösen
Erkrankungen ; Freibleiben des Immuntieres von Tuberkulose, wo das Kontroll¬
tier der Tuberkulose erliegt.
Die Immuntiere verendeten also zum Teil früher, zum Teil später wie
die Kou troll tiere. Verfasser kommen zu dem Schlüsse, daß bei ihren Immun¬
tieren V orgänge und Zustände einer Immunität gegen Tuberkulose ausgelöst
wurden.
Sie betrachten es als erwiesen, „daß es gelingt, eine bestimmte Beein¬
flussung von Tuberkelbazillen durch Organgewebe, speziell lymphozytärer
Natur, zum. Ausgangspunkt eines erfolgreichen spezifischen Immunisierungs¬
verfahrens zu machen“.
Referate und Besprechungen.
391
In der gleichen Art wurden Versuche mit Perlsucht angestellt:
Zur virulenten Infektion wurden Aufschwemmungen von Perlsucht¬
bazillen verwendet. Es folgen einige Versuche.
Ein Kontrolltier starb am 34. Tage nach der Infektion. Immuntier am
84. Tage getötet.
oder: Kontrolltier starb am 61. Tage. Immuntier am 77. Tage gestorben
n „ „ „ 121. „ * „ 201. „ getötet.
Bei allen Tieren ergab der Obduktionsbefund jedoch Tuberkulose der
inneren Organe.
Die Ergebnisse fassen Verfasser dahin:
Die Lungen, die bei normalen Kaninchen schon zur Tuberkulose neigen,
sehen sie auf metastatischem Wege, vorwiegend oder auch isoliert manifest
tuberkulös erkrankt, wo die Eintrittspforten und deren regionärer lympha¬
tischer Apparat in spezifisch tuberkulösem Sinne Unverändert gefunden wurden.
Auch hier war Neigung der rechten Lunge zur manifest tuberkulösen Er¬
krankung vorhanden.
Die hinteren resp. oberen Lungenpartien lassen deutlich Lungenlymph¬
knötchen hervortreten. Auch besteht große Neigung zu Verkalkungen. Bei
Verimpfungen von Organen der immunisierten, dann virulent infizierten
Kaninchen zeigte es sich, daß die Verimpfung von nicht spezifisch tuberkulös
veränderten Organen aus dem Eintrittspfortenbereich im Meerschweinchen¬
versuch ein negatives Resultat ergab. Diese Tiere zeigten aber jene lymphatischen
Schwellungen und das Blutserum zeigte positive Agglutination auf Tuber¬
kulose.
Von Regner und Steil ström werden nach der von Behring ange¬
gebenen Methode mit Bovovaccin Versuche an nicht gegen natürliche Tüber-
kuloseinfektion geschütztem Rindvieh angestellt.
Das ursprüngliche Impfverfahren war folgendes : 0,001 g einer 4 bis
6 Wochen alten Serumkultur I (Menschentuberkerlelbazillen) wurden einem
gegen Tuberkulin nicht reagierenden 5 — 7 Monate alten Tiere intravenös
eingespritzt; 4 Wochen später erhält das Tier eine 25 mal so große Dosis,
also 0,025 g (getrockneter Impfstoff = 0,004 g = Tb 1 = 11. E.).
Bei der ersten Impfung dürfen die Tiere nicht über 12 Monate alt
und nicht nachweisbar krank sein.
Für die zweite Impfung wird ein besonderes Tuberkulosevirus angewandt.
Auf einem anderen Gutshofe hat sich unter 19 Tieren kein einziges
infiziert gezeigt. Es werden die Ursachen zu diesem merkwürdigen Verhält¬
nis auf diesem Gute kurz geschildert.
Auf dem Versuchsgute VI reagierten 50% der 8 geimpften Tiere, von
denen nur eins auf! 1 I. E. reagiert hatte. Bei einem Tiere (307) scheint das
Bovovaccin heilend gewirkt zu haben.
Auf dem Gutshofe VIII ist das Material zu gering, um es für be¬
weiskräftig zu halten. Es wurden hier 9 Tiere geimpft, aber nur die erste
Impfgruppe, sowie 2 Kontrolltiere einer Probe mit Tuberkulin unter¬
zogen. Es reagierten nach 1% Jahr von 5 Impftieren 2 nach 5 I. E. und
beide Kontrolltiere.
Auf dem letzten Gutshofe wurden 16 Kälber geimpft und 15 Kontroll¬
tiere. Bei der ersten Impfung zeigten sich wider Erwarten nur 7 oder
43,8 % ansteckungsfrei, von den Konfrontieren dagegen 12 oder 80%.
Es wurde ein reagierendes Impftier und ein Kontrolltier wegen des
eigentümlichen Ausfalles des Resultates geschlachtet.
Kontrolltier zeigte sich frei von Tb; beim Impftier fand man ein
verkalktes Konglomerat in einer Mesenterialdrüse, vereinzelte vergrößerte
Mesenterialdrüsen. Impfung bei Meerschweinchen mit positivem Resultate.
Verf. betrachten dieses paradoxe Resultat als einen Zufall. Nur in
4 Fällen hat hier das Bovovaccin eine kurative Wirkung gehabt.
Verf. halten die Bovovaccination für eine leicht ausführbare unschäd¬
liche Impfmethode ; sie schreiben dem Bovovaccin eine therapeutische Kraft zu.
892
Referate und Besprechungen.
Ob die Bovovaccination mit hygienischen Maßregeln befriedigende Resultate
gibt oder nicht, werden weitere Versuche dartun müssen.
Die Impfmethoden wurden im Laufe der Jahre abgeändert. 1905 wurde
von Marburg aus bekannt gegeben, daß nur gesunde Kälber im Alter
von 2 — 12 Wochen geimpft werden sollten. Bei septischer Kälberpneumonie
soll eine Behandlung mit Pneumoniegerum vorgenommen werden und 4 Wochen
darauf sollen die Tiere bovovacciniert werden.
Prüft man ein Tier frühestens 1 Jahr nach der zweiten Impfung mit
Tuberkulin und reagiert es dann, so kann man nach Römer mit Sicher¬
heit annehmen, daß eine Lokalisation der Krankheit (ein Tuberkelherd) vorliegt.
Es folgen die verschiedenen Versuche auf den verschiedensten Guts¬
höfen.
Auf dem Versuchsgute I haben sich bei der Obduktion oder bei der
Tuberkulinprobe oder bei beiden von 44 Impftieren 13 als tuberkelfrei, 31 als
tuberkulös erwiesen.
Unter den 13 Fällen sind einige mitgerechnet, die auf 1 I. E. reagiert
haben. Das Bovovaccin scheint hier eine theraxjeutische Wirkung gehabt
zu haben.
Kälber, die zweifelsohne von der Tuberkulose angesteckt waren, sind
durch das Bovovaccin dahin beeinflußt worden, daß sie sich frei von Tuber¬
kulose bei der Obduktion erwiesen.
Auf dem zweiten Gute waren 3 auf Tuberkulin nicht reagierende und
10 tuberkulöse Impftiere. Eines der ersteren und 4 der letzteren haben auf
1 I. E. reagiert.
Reaktionsfrei waren hier 33,3 °/0 der Impftiere.
Ein Tier reagierte auf 1 I. E. stark, nicht aber auf Tuberkulin ein
Jahr nach 5 I. E.
Auf dem Versuchsgute III hatte man 17 von der Tuberkulose angesteckte
Tiere. Ansteckungsfrei 29,2%. Die 17 mit Tuberkulin geimpften Tiere haben
reagiert vor der Bovovaccinbehandlung ; sie sind also durch das Bovovaccin
vor der Ansteckungsgefahr geschützt worden. Schürmann (Düsseldorf).
Innere Medizin.
Über epidemische Meningitis.
(Prof. Matthes u. Prof. Hochhaus. Med. Klinik, Nr. 20, 1908.
Beide Autoren berichten über ihre gelegentlich der Epidemie von Genick¬
starre im Jahre 1907 gemachten Beobachtungen und Erfahrungen. Matthes
hat 35 Fälle, davon 13 gestorben, Hochhaus 42 Fälle (28 gestorben) auf
der von ihm geleiteten Krankenabteilung beobachtet. Hinsichtlich der Diagnose
berichten die Autoren übereinstimmend, daß die Regel war ein akuter Beginn oft
mit Frost und Erbrechen und meningitischen Symptomen, unter denen Nacken¬
steifigkeit, starker Kopfschmerz die häufigsten waren, wenn auch in ihrer
Intensität wechselnd. Sehr häufig wurde dann noch von beiden das
Kernig’sche Symptom (Kontraktion im Kniegelenk bei einer Beugung des
Oberschenkels gegen den Rumpf' von 90 — 100°) beobachtet. Merkwürdig
ist, daß Matthes an seinem Material Lähmungen im Fazialisgebiet über¬
haupt nicht sah, während Hoch h aus isolierte Lähmungen am häufigsten
im Fazialisgebiet beobachtete. — Die Diagnose ist zwar im ganzen meist nicht
schwierig; Matthes weist aber darauf hin, daß sie bei perakutem tödlichen
Verlauf, in Fällen, in denen nur das Bild einer schwersten Infektion mit
Benommenheit oder Delirien, ohne daß somatische Zeichen auf das Bestehen
einer Meningitis hinweisen, wie sie namentlich bei jüngeren Kindern Vor¬
kommen, ohne Spinalpunktion vollständig unmöglich sein kann. — Markante
Befunde bei Blutuntersuchungen wurden von beiden Autoren vermißt, eben¬
sowenig gelang jemals der Nachweis der Meningokokken aus dem Blute,
während deren Nachweis in der bei der Spinalpunktion erhaltenen Flüssigkeit
meist leicht gelang ; wie überhaupt die Ergebnisse der Lumbalpunktion die
Referate und Besprechungen.
393
Diagnose in zweifelhaften Fällen mehrfach leicht entschieden. Für die Er¬
leichterung der Ausführung der Lumbalpunktion empfiehlt Matthes an
Stelle Anwendung lokaler Anästhesie eine ganz leichte Narkose. — Die
Prognose der Krankheit ist mit Sicherheit nicht zu stellen. — Die Behandlung
bestand in heißen Bädern, die in Dauer von 15 Minuten und bis zu 40° C
gegeben wurden (M.), und beide Autoren stimmen darin überein, daß diese
den Kranken subjektive Erleichterung brachten. Daneben symptomatische
Behandlung. Die Spinalpunktion war therapeutisch (Herabsetzung des Druckes)
ohne wesentlichen Nutzen (M.) ; beide Autoren haben von der Serumbehand¬
lung, weder bei der Anwendung des Höchster-, noch bei der Anwendung
des Wassermann’schen Serums irgendwelche Erfolge oder einen Einfluß
auf die subjektiven Beschwerden oder die objektiv feststellbaren Symptome
gesehen; Matthes berichtet dagegen von einigen zum mindesten unerwünsch¬
ten Nebenwirkungen. Auch die Anwendung der Bier’schen Stauung erwies
sich nach den Angaben von Matth eis teils als nutzlos, teils als lästig für
die Kranken. R. Stüve (Osnabrück).
Aus dem Karolinen-Kinderspitale in Wien. Dirig. Primararzt Dozent Dr. Wilhelm
Knöp felmache r.
Über Komplikationen und Serumtherapie bei Meningitis cerebrospinalis
epidemica.
(Dr. Stephanie Weiß-Eder. Med. Klinik, Nr. 35, 1908.)
Weiß-Eder berichtet über 43 Fälle von Meningitis cerebrospinalis
epidemica, deren Diagnose stets durch mikroskopische, z. T. außerdem noch
kulturelle Untersuchung gesichert wurde. Das Kindesalter war besonders
befallen, vor allem die blühenden Brustkinder. Die Krankheit trat spora¬
disch auf, ihr Maximum lag in den Monaten Februar bis Mai, ihr Minimum
in Juni, Juli, August. Von den Komplikationen nennt die Verf. eine Meningo-
kokkenseptikämie, eine Meningokokkenendokarditis, eine Nervenerkrankung,
die in Halbseitenlähmung bestand und ihren Grund in einem encephalitischen
Herd haben durfte, ferner kamen Gelenkaffektionen, Herpesausbrüche, Otitis
media acuta purulenta, Augenmuskellähmungen, Neuritis optica und Akko¬
modationsparese zur Beobachtung. Alle bisher gebräuchlichen Behandlungs¬
methoden waren bisher ohne Erfolg, nur die stets angewandte Lumbalpunktion
zeigte Besserung, einen heilenden Einfluß mißt Weiß -Eder ihr aber gleich
falls nicht bei. Von den 43 Fällen wurden 23 mit Seruminjektionen
behandelt und zwar 17 mit dem im Wiener serotherapeutischen Institut
hergestellten Meningokokken- und sechs mit dem Jochmann’schen Serum.
Bei der Technik der intraduralen Injektion ist darauf zu achten, daß mehr
Flüssigkeit abgelassen wie injiziert wird. In vier Fällen wurde intradural
und subkutan injiziert, in einem Fall nur subkutan. Je nach der Schwere
werden die Injektionen bis zu vier Wochen fortgesetzt. Von Bedeutung ist,
daß der Erfolg um so größer ist, je eher mit der Serumbehandlung
begonnen wird, sowie, daß größere Dosen (Erwachsene bis zu 40 ccm)
therapeutisch wirksam sind. ‘Von Nebenwirkungen konnte Weiß-Eder nur
in zehn Fällen Serumexantheme beobachten. Was nun die Wirkung anbe¬
trifft, so betont die Verf. von vornherein, daß es bei der mit so großen
Schwankungen einhergehenden Krankheit sehr schwer ist, ein sicheres Urteil
darüber zu gewinnen. Nur durch Gegenüberstellung von einer größeren Zahl
teils mit, teils ohne Serum behandelter Fälle läßt sich vielleicht ein solches
bilden. Als Maßstab für die Wirksamkeit der Serumtherapie hat dabei weniger
das Verhalten der Temperatur, als vor allem die Betrachtung der Heilungs¬
verhältnisse zu gelten. Bei dem Begriff der Heilung sind zwei Ausgänge
zu berücksichtigen. 1. Vollständige Heilung, 2. Heilung mit Ausgang in
Hyd rocephalus. Die Resultate der Behandlung, die ausführlich wiedergegeben
sind, sind nun dahin zusammenzufässen, daß 20 nicht mit Serum be¬
handelte Fälle eine Mortalität von 85% und 23 Injizierte eine Sterblichkeit
von 39% aufweisen. Von ersteren gingen fünf Fälle in das hydrocephalische
394
Referate und Besprechungen.
Stadium über, von letzteren 13. Dabei ist zu beachten, daß die Kinder
auch nach ihrer Entlassung weiter verfolgt wurden und ihr ferneres Ver¬
halten bei der Aufstellung in Betracht gezogen wurde. Bei der Beurteilung
dieser Resultate ist nun einmal auf die großen Schwankungen der Mortalität
in den verschiedenen Epidemien, sowie auf das Alter der Patienten Rück-
nicht zu nehmen. Je jünger die. Kinder, desto gefährdeter sind sie. Es
findet sich in vorliegendem Falle, daß auch bei der Serumtherapie meist die
alten Kinder geheilt wurden. Trotzdem kommt Weiß-Eder zu dem Schluß,
daß sicher ein Einfluß des Serums auf die Meningitis zu verzeichnen ist.
E. Walther.
Rapports du Goitre exophthalmique et du rheumatique.
(E. Sorel. Arch. med. de Toulouse, Kr. 10, 1908.)
Ätiologisch kommen jetzt für Basedow zwei Theorien in Betracht,
die nervöse und die Thyreoideatheorie. Die erstere ist in zwei Lager geteilt :
die einen nehmen als! Ursache eine bulbäre Läsion, die anderen eine Altera¬
tion des Sympathikus an. Hinsichtlich der zweiten Theorie stehen sich
folgende Ansichten gegenüber : Störung in der Sekretion oder Hypersekretion
der Thyreoidea (Möbius) oder abnormer Sekretion (Jodothyrin) mit bulbo-
protuberantiellen Läsionen als Folge (G aut hier), oder endlich (Marie und
Briissaud) primäre Läsion des Nervensystems und als Folge Steigerung oder
Störung der Thyreoideasekretion. Sicher ist von all diesen Theorien keine.
Nun hat Vincent in der Mehrzahl der schweren oder mittleren Fälle von
fieberhaftem Rheumatismus ein ,,signe thyroidien“ festgestellt, einer schmerz¬
haften Schwellung der Thyreoidea, die gewöhnlich auf Salizylmedikation
zurückgeht. (Chivret, Babinsky und Person haben ja auch Basedow
durch salizylsaures Natron günstig zu beeinflussen gesucht.) Diese Beobach¬
tung hat S erg ent nicht nur bei akutem Rheumatismus, sondern auch bei
Typhus bestätigt. Er faßt die Schjwellung, ähnlich wie die der Milz als
Defensivmaßnahme des Organismus auf. Gewöhnlich ist die Schwellung ephe¬
mer, sie kann aber auch wochenlang' bestehen und nach der Heilung des
Rheumatismus sich ganz allmählich zu einem Basedow weiter entwickeln.
In den Handbüchern ist die Thyreoidea - Schwellung wenn überhaupt, nur
ganz allgemein, erwähnt. Verf'. beschreibt nun einen Fall, bei dem Gelenk¬
rheumatismus und Basedow gleichzeitig bestehen. Vincent hat das ,,signe
thyroidien“ in 68% beobachtet und zwar geht es gewöhnlich Hand in Hand
mit der Schwere des Falles. In seltenen Fällen wurde eine plötzliche Ver¬
kleinerung der Drüse beobachtet, ein Signal für einen neuen Rheumatismus¬
rückfall und wieder bei anderen Fällen blieb die Schwellung mit ihren Folgen
auch noch nach Schwinden des Rheumatismus bestehen. Beim chronischen,
deformierenden Gelenkrheumatismus findet man nach Ansicht der Forscher
stets Insuffizienz und Verkleinerung der Thyreoidea; Ser gen t hat in einem
Falle eine kalkige Entartung des linken Lappens festgestellt. Vinc'ent hat
sogar der hereditären rheumatischen Disposition einen Einfluß auf die Thy¬
reoidea zugeschriebem. Den Umstand, daß Rheumatismus im Kindesalter
nicht selten ist, wohl aber Basedow, führt er darauf zurück, daß die Thy¬
reoidea eben erst in der Pubertät völlig ausgebildet ist.
v. Schnizer (Danzig).
Durchfälle bei Morbus Basedow.
(H. Salomon u. M. Almagia. Wiener klin. Wochenschr., Nr. 24, 1908.)
Bei zwei Basedowkranken, die an Diarrhöen litten, wurde der Stuhl¬
gang bei bestimmter Kost quantitativ untersucht. Bei dem ersten Patienten,
einem gewaltigen Esser, fand sich bei reichlicher Fettzufuhr eine sehr schlechte
Ausnutzung des Fettes, sowie auch eine verminderte Stickstoffresorption, welch
letztere aber fortfiel, sobald der Darm nicht mehr mit Fett überlastet wurde.
Da nicht der für Pankreasinsuffizienz charakteristische Butterstuhl auftrat,
Referate und Besprechungen.
395
sondern das Fett mit dem Ivot innig vermischt war, da ferner die Pankreon-
darreichung keine Wirkung hatte, so beruhte die Verschlechterung der Aus¬
nützung nicht auf einer Störung der Pankreasfunktion. Den Beweis hierfür
liefert der zweite Fall, bei dem die obengenannten Kennzeichen einer Pankreas¬
affektion vorhanden waren : die Obduktion ergab Atrophie der Drüse infolge
Steinverschlusses der Ausführungsgänge. E. Oberndörffer.
Noma bei Erwachsenen.
(A. Weiß. Wiener klin. Wochenschr., Kr. 19, 1908.)
Beschreibung eines tödlich verlaufenen Falles bei einer 37 jährigen Frau.
Von Interesse war die lange Dauer (9 Wochen), die vorwiegende Beteiligung
der Mundschleimhaut in den späteren Etappen der Krankheit, endlich die
Erhebung eines Blutbefundes, der dem Bilde einer akuten gemischtzeiligen
Leukämie entsprach. Da diese Erscheinung aber erst im septischen Stadium
des Leidens bemerkt wurde, ist nicht zu entscheiden, ob die Blutkrankheit
primär oder sekundär war. Die Therapie mußte sich auf symptomatische
Maßnahmen beschränken. E. Oberndörffer.
Therapie der Angina.
(L. Berliner. Münch, med. Wochenschr., Nr. 13, 1908.)
Berliner verwendet eine Salbe von folgender Zusammensetzung: Pro-
targol 1,5, solve in aq. frig. 2,5, tere c. lanol. 6,0, adde Menthol. 0,1, Saccharin
0,3, Vaselin ad 15,0. Diese wird in die Nase gebracht und fließt dann mit
dem Sekretstrom (bei Katarrh) durch die Choanen hinunter. Der Autor sah
günstige Erfolge bei verschiedenen Erkrankungen der Mandeln, auch bei
Diphtherie. E. Oberndörffer.
Aus der Akademie für praktische Medizin in Köln. Innere Abteilung. Prof. Hochhaus.
Zum Verhalten des Stimmfremitus bei kruppöser Pneumonie.
(Dr. Jos. Wolter. Deutsche med. Wochenschr., Nr. 39, 1908.)
Die Behauptung von Arneth, daß im 2. Stadium der kruppösen Pneu¬
monie keine Verstärkung des Pektoralfremitus vorkomme, sondern nur im
1. und 3., weil in diesem Stadium bis zu einer Entfernung von 3 — 4 cm
von der Lungenoberfläche alle Lumina mit Gerinnsel ausgefüllt seien, und sich
diese Schicht genau so wie eine gleich dicke Schicht eines pleuritischen Exsu¬
dates in physikalischer Beziehung verhalte, hat Wolter an ca. 100 Fällen,
von denen er einige genauer schildert, nachgeprüft. Seine Erfahrungen gehen
dahin, daß das Verhalten des Stimmfremitus in den verschiedenen Stadien
ein sehr mannigfaltiges ist, daß die Ansicht Arneth’s sich nicht bestätigt,
da er sehr häufig im 2. Stadium eine Erhöhung des Pektoralfremitus konsta¬
tieren konnte. Die bisher für dieses Phänomen gegebenen Erklärungen scheinen
ihm allerdings auch nicht sehr haltbar. Eine für alle Fälle brauchbare Er¬
klärung für das Verhalten des Stimmfremitus vermag er aber auch nicht zu
geben, hat er doch sogar eine Verstärkung desselben bei bestehendem Exsudat
beobachten können. F. Walther.
Rückwirkung des Lungenemphysems auf den Verlauf des Asthmas.
(M. Saenger. Münch, med. Wochenschr., Nr. 28, 1908.)
Emphysem kann bei Asthmatikern bestehen, ohne daß diese an Dyspnoe
oder Anfällen leiden ; hochgradige Dyspnoe und zahlreiche Attacken kommen
ohne jede Spur von Lungenerweiterung vor. Durch Gewöhnung (psychische
Anpassung) oder durch Kräftigung der Exspirationsmuskeln (mechanische
Anpassung) kann nämlich das Emphysem so kompensiert werden, daß kein
subjektiver Luftmangel sich fühlbar macht. Außerdem kann man durch
vorwiegende Inanspruchnahme der abdominalen Atmung die Entstehung des
Emphysems verhüten. E. Oberndörffer.
396
Referate und Besprechungen.
Aus der ersten medizinischen Klinik der Universität in Wien. Vorsteher: Prof.
Dr. C. von Noorden.
Zur Frage nach der Entstehung der Lungenblähung.
(Dr. Ludwig Hofbauer. Deutsche med. Wochenschr., Nr. 51, 1908.)
Hofbauer hatte gemeinsam mit Holzknecht bei seinen radiologischen
Untersuchungen feststellen können, daß bei vertiefter Atmung ein Teil der
Inspirationsluft noch am Ende der Ausatmung in der Lunge zurückbleibt,
woraus sich bei Fortsetzung dieser Vertiefung der Atmung immer mehr
sich ausprägender Tiefstand des Zwerchfells ergibt. Diese Beobachtung glaubt
er für die Erklärung der Entstehung des Emphysem verwerten zu können.
Um den Einwand Bönniger’s, daß nur unwillkürliche Atmung beweisend
sein könne, zu begegnen, hat er nun an bewußtlosen Patienten Unter¬
suchungen angestellt, dabei sich aber aus verschiedenen Gründen der pneumo-
graphisehen Methode bedient. Bei einem 42jährigen Urämiker mit Cheyne-
Stokes’schen Atemtypus, dessen Krankengeschichte er wiedergibt, zeigte sich,
daß der Thorax während der Atemperiode nie wieder in die Stellung zurück¬
kehrt, die er beim Aussetzen der Atmung inne hatte, daß also ein Teil
der bei der vertieften Atmung auf genommenen Luft in der Lunge zurückblieb
und erst beim Nachlassen der vertieften Atmung wieder exspiriert wurde.
Damit glaubt Hofbauer die Entstehung der Lungenblähung durch ver¬
tiefte Atmung bewiesen zu haben; sowie, daß bei jeder Atmungsvertiefung
die knöchernen Thoraxwände und das Zwerchfell dauernd vom Thoraxzentrum
weiter wegrücken und auch am Ende der Exspiration davon weiter entfernt
bleiben, wie in der Norm. Außer der Radiograjihie und Pneumographie konnte
dies auch durch die Spirometrie bewiesen werden. F. Walther.
Leukozytose bei Nephritis.
(Renon u. Moncany. Soc. med. des höpit., 15. Jan. 1909. — Bull, med., S. 54, 1909.)
Bei der Unsicherheit des Urteils, wie eine Nierenentzündung verläuft,
ist vielleicht die Notiz der beiden französischen Kliniker von Interesse.
Danach wird jede Nephritis von Leukozytose begleitet und zwar ist, wie es
scheint, die Leukozytenvermehrung parallel der Schwere der Nephritis; bei
ödematösen Formen ist sie allerdings relativ gering.
Wer das Krankheitsbild, welches wir — a potiori fit denominatio —
Nierenentzündung nennen, nicht als isolierte Affektion dieses Organs ansieht,
sondern als eine Allg-emeinerkrankung, die sich hauptsächlich am Nieren¬
gewebe unseren Augen sinnfällig darbietet, kann sich ohne große Mühe
einen Zusammenhang- zwischen der Nieren- und Leukozytenreizung kon¬
struieren. Buttersack (Berlin).
Nephritis hämorrhagica durch Tetragenus.
(Pincherle. II Morgani, 1. Jan. 1909. — Bull, med., S. 7, 1909.)
Daß der Tetragenus allerlei Unheil anrieh ten kann, ist bereits, wenn auch
nicht gerade häufig, mitgeteilt worden ; daß er aber auch zu schweren Nieren¬
entzündungen führen kann, dürfte wohl noch nicht beobachtet sein. Pincherle
teilt zwei solcher Fälle aus der Kinderklinik von Bologna mit, das eine Mal
handelte es sich um einen 4jährigen Jungen, das andere Mal um ein 11 jähriges
Mädchen. Die Eingangspforten waren offenbar die Mandeln.
Die Keime ließen sich aus Urin und Blut in Reinkulturen züchten und
gaben mit dem betr. Blutserum die Agglutinationsprobe.
Beide Fälle endigten in Genesung. Buttersack (Berlin).
Verhalten der Lymphdrüsen bei GelenkafFektionen.
(E. Plate. Münch, med. Wochenschr., Nr. 21, 1908.)
Plate beobachtete in mehreren Fällen von subakutem (genuinem oder
gonorrhoischem) Gelenkrheumatismus, daß unter resorptionsbefördernder Be¬
handlung der Gelenke die regionären Drüsen anschwollen und zugleich der
Referate und Besprechungen.
397
Zustand der Gelenke eher schlechter als besser wurde. Erst nach ent¬
sprechender Behandlung und Verkleinerung der Drüsen hatte die Therapie
Erfolg. Der Autor nimmt an, daß die aus den Gelenken resorbierten Massen
die Lymphwege in den Drüsen verstopft und so eine weitere Resorption
der Gelenkexsudate verhindert hatten. E. Oberndörffer.
Involutionserscheinungen beim Mann.
(P. Blum. Gaz. med. de Paris, Nr. 26, 1908.)
Mit Unrecht hält man das Klimakterium für eine ausschließliche Er¬
scheinung am weiblichen Organismus ; auch der männliche bietet Analogien
dazu, die im wesentlichen in einem Nachlaß der physischen und der psy¬
chischen Kräfte zutage treten. Die Veränderung setzt in den 40er Jahren
ein und äußert sich in Unlust zur Arbeit, schnellem Ermüden der Aufmerk¬
samkeit, Abnahme des Gedächtnisses. Die Leute wachen mit einem uner¬
klärlichen Gefühl von Verstimmtsein auf, und die frühere Erische und Elasti¬
zität hat Unentschlossenheit, Unsicherheit Platz gemacht, welche jede Kleinig¬
keit tragisch nimmt. Zerstreuungen wirken nicht mehr; Geselligkeit, Theater
usw. vermögen die deprimierte Psyche nicht aufzurütteln ; die Geschleehts-
funktionen sind herabgesetzt. An ihrem Heim, ihren Kindern haben solche
Pat. keine Freude mehr; sie suchen die Einsamkeit und geben sich bis
dahin ungewohnten Ausschweifungen hin.
Die Haut wird grau, das Gesicht sieht verfallen aus, die Zunge ist be¬
legt, der Atem übelriechend ; es besteht Verstopfung, Leberschwellung ; der
Urin sieht braunrot aus, ist hochgestellt (1025), enthält gelegentlich Zucker
oder Eiweiß, zeitweise Polyurie geht mit Besserung des Wohlbefindens einher.
Am Herzen nichts Abnormes; der 2. Aortenton nicht verstärkt; Pulsfrequenz:
80—100. Der Blutdruck ist herabgesetzt, die Arterien fühlen sich weich an;
die roten Blutkörper sind ungewöhnlich zerbrechlich. Die physische Kraft
ist herabgesetzt ; alle Leistungen müssen mit Aufwand von viel Energie
erzwungen werden.
Dieser Zustand dauert einige Monate, im Mittel 3 — 5 Wochen; Rezi¬
dive kommen nicht vor.
Von chronischer Nephritis, Arteriosklerose, Melancholie und der ge¬
wöhnlichen Neurasthenie lassen sich diese Zustände leicht abgrenzen.
Nach Bluni’s Ansicht handelt es sich um eine allgemeine Ernährungs¬
störung, wahrscheinlich um Störungen der sog. inneren Sekretion, speziell
der Testikel. Demgemäß gestaltet sich die Therapie: man gebe Orchitin
oder Thyreoidin, Abführmittel, Lavements, Sol- oder Schwefelbäder mit
nachfolgender schottischer Dusche und allgemeiner Massage; auch Theo¬
bromin, Urotropin und die Quellen von Contrexeville seien indiziert. Die
Prognose ist günstig ; denn der frühere Zustand stellt sich wieder her, sobald
die innere Sekretion sich ausgeglichen hat. Buttersack (Berlin).
Chirurgie.
Zur operativen Behandlung des chronischen Lungenabszesses.
(Prof. Perthes. Arch. für klin. Chir., Bd. 86, H. 4, 1908.)
Bei dem akuten Lungenabszeß genügt meist die Eröffnung und Drai¬
nage durch die einfache Pneumotomie, um fistellose Heilung zu erzielen ;
die Abszeßwand fällt spontan zusammen und verödet.
Viel schwieriger ist die Therapie des chronischen Lungenabszesses,
namentlich was die Verhütung und Beseitigung der Lungenfistel angeht:
Die Abszeßhöhle ist meist sehr groß, die Thoraxwand recht wenig nach¬
giebig und die Pleura über dem Abszeß schwielig verdickt.
Perthes schlägt vor: Zunächst den Abszeß nur durch Pneumotomie
zu eröffnen und zu drainieren ; zweckmäßig wird dies nach der zweizeitigen
Methode gemacht. Der erste Akt, die Rippenresektion und Pleuranaht, er-
398
Referate und Besprechungen.
folgt in Narkose hei leerem Abszeß; der zweite Akt, der wenige Tage darauf
folgt, besteht in der Probepunktion des gefüllt gehaltenen Abszesses von
der Wunde aus und in seiner Eröffnung ohne Narkose mit dem Paquelin.
Für die spätere Operation, welche die Verödung der Abszeßhöhle er¬
zielen soll, kommt außer den bisherigen Verfahren die Exstirpation der
gesamten Höhlenwandung mit Aufheilen von Hautmuskellappen direkt auf
die Lungenwunde in Betracht, eventl. unter Verzicht auf einen besonderen
Nahtverschluß der Bronchialöffnungen.
Perthes hat in einem sehr langwierigen Fall damit ein recht gutes
Resultat erzielt. Lemmen.
Postoperative Magen-Darmblutungen speziell nach Appendizitisoperationen.
(G. Schwalbach, Berlin. Deutsche Zeitschr. für Chir., Bd. 95, H. 1 — 5.)
Die Kasuistik der nach Appendizitisoperationen eintretenden Magendarm¬
blutungen umfaßt bisher nur 30 Fälle, von denen 17 tödlich endeten. Von
diesen liegen 10 Sektionsberichte vor. Auffallend ist das Überwiegen des
kindlichen Alters (V3 der Fälle) und des männlichen Geschlechts.
Die Blutungen entstehen durch Thrombosen des venösen und arteriellen
Gefäßsystems des Netzes und des Mesenteriolums. Pathologisch-anatomisch
finden sich Hämorrhagien, Ulzerationen und Erosionen im Magen und Darm.
Auch im Tierexperiment gelingt die Erzielung derartiger Veränderungen.
Die Prognose ist zweifelhaft; die Behandlung ist eine abwartende, da
der schwere Allgemeinzustand einen Eingriff verbietet. F. Kayser (Köln).
Die Behandlung der allgemeinen Peritonitis nach Appendizitis.
(D. N. Eisendrath. Amer. Journ. of Surg., Nr. 12, 1908.)
Eisendrath hat mehrmals allgemeine Peritonitis ohne makroskopische
Perforation des Wurmfortsatzes beobachtet und führt gleichlautende Beobach¬
tungen anderer Autoren an. Seine leitenden Grundsätze bei der Behandlung
der Peritonitis sind 1. beinahe aufrecht sitzende Stellung des Kranken in
den ersten Tagen, erreicht mit ,Hilfe einer verstellbaren Rückenlehne mit
Armkrücken. Die untere Fläche des Zwerchfells mit ihren Lymphgängen,
welche stärker resorbiert, als das übrige Peritoneum, wird dadurch dem
Eiter entzogen und dieser nach abwärts den Drains zugeleitet. 2. Der
Darm wird bei der Operation möglichst wenig aus seiner Lage gebracht,
der Appendix von einer kleinen Inzision aus schonend entfernt. 3. Be¬
ständige Rektalinfusion von körperwarmer Salzlösung, etwa ein Tropfen in
der Sekunde, wobei der von heißem Wasser umgebene Irrigator nur 20 cm
höher steht als das Bett. Hierdurch wird für reichliche Diurese gesorgt,
Zunge und Haut feucht gehalten und der Durst soweit beseitigt, daß nur
sehr wenig Flüssigkeit (stündlich 30 — 60 g) vom Munde aus aufgenommen zu
werden braucht. Die Beschränkung des Trinkens hält E. für sehr wichtig.
Die Ausspülung der Bauchhöhle erklärt E. für überflüssig, da gleichgute,
vielleicht bessere Resultate ohne sie erreicht werden. Die Art der Drainage
hält er für ziemlich gleichgiltig, gewöhnlich wendet er einen Gummidrain
oder einen Mikulie'z’sehen Tampon an. Abführmittel vermeidet er, gibt
aber jeden Tag ein Klistier. v
Zu spät eingelieferte Fälle werden nicht operiert, sie werden mit Dauer¬
klistier mit Zusatz von Kaffee und Alkohol in sitzender Stellung behandelt
und kommen so zuweilen durch.
E. hat zehn Fälle am Tag der Erkrankung operiert mit neun Heilungen,
zehn am zweiten Tag mit acht Heilungen, sechs am dritten Tag mit vier
Heilungen-; also recht günstige Resultate. Bei vorgeschrittenen Fällen mit
Darmlähmung und nach der Operation andauerndem Erbrechen hat er mit
gutem Erfolg die Enterostomie ausgeführt. Er ist überzeugt, daß bei Ein¬
lieferung innerhalb der ersten 72 Stunden nach Beginn der Peritonitis die
Mehrzahl der Kranken gerettet werden kann. F. von den Velden.
Referate und Besprechungen.
399
Über Gallensteinileus.
(Lesk, Wien. Deutsche Zeitschr. für Chir., Bd. 94, H. 1 — 2.)
In Anschluß an 5 seihst beobachtete Fälle von Gallensteinileus, von
denen 4 geheilt sind, 1 starb, bespricht, V erf. eingehend das eigenartige Krank¬
heitsbild des Gallensteinileus.
Der Gallensteinileus befällt in der Mehrzahl der Fälle Frauen und
zwar im vorgeschritteneren Alter.
Plötzlich eintretender Schmerz in der Gallenblasengegend, welcher je¬
doch nie zum Shok führt, eröffnet die Szene. Oft setzt frühzeitig Erbrechen
ein. Der weitere Verlauf gestaltet sich offenbar in Verbindung an den ver¬
schiedenen Sitz verschiedenartig. Je nachdem der Stein höher oder tiefer
sitzt, erscheint das Abdomen mehr oder- weniger aufgetrieben. Den Stein
als Tumor nachzuweisen, gelingt nur in seltenen Fällen. Eine Verwechslung
mit einem appendizitischen Abszeß ist möglich, wenn der Tumor in der
Ileokökalgegend auftritt. Normale Temperatur, erhöhte Pulsfrequenz, erheb¬
liche • Störung des Allgemeinbefindens, welche jedoch nicht die Schwere wie
beim Strangulationsileus erreicht, vervollständigen das klinische Bild.
Die verschiedenen Theorien über das Zustandekommen des Gallenstein¬
ileus gibt Verf. kurz referierend wieder; er meint, daß die sich entwickelnde
Darmlähmung infolge Obturation des Darms die letzte Ursache der Erschei¬
nungen ist, daß man also nicht von einer Einklemmung (Inkarzeration) eines
Gallensteins sprechen sollte.
Sitz des Steins ist zumeist das untere Jejunum. Die Größe des Steins
schwankt zwischen 3 — 4 cm im Längendurchmesser und 2 — 3 cm im Breiten¬
durchmesser. Das durchschnittliche Gewicht beträgt 20 g.
Die Ileussymptome erstrecken sich durchschnittlich auf 2—6 Tage.
Die Operationsresultate wTaren früher sehr ungünstig. Hieraus sowie
aus der relativ hohen Zahl von Spontanheilungen (56% Courvoisier, 44%
Naunyn) erklärt sich der selbst von Chirurgen vertretene abwartende
Standpunkt. Frühzeitige Operation ist aber jedenfalls geboten, sobald die
medikamentösen und physikalischen Mittel versagen. Bei fazettierten Steinen
ist eine Revision der Gallenblase und der geblähten Darmschlingen wegen
der Wahrscheinlichkeit, daß weitere Steine vorliegen, erforderlich; bei ab¬
gerundeten Steinen ist dagegen prinzipiell von einer Entwicklung des ge¬
blähten Darm abzusehen. Als Schnittführung der Wahl kommt wohl nur
die mediane Laparotomie unterhalb des Nabels in Betracht, da die Operation
lediglich auf eine Wahrscheinlichkeitsdiagnose hin vorgenommen wird.
_ F. Kayser (Köln).
Das Fadenrezidiv nach Gallensteinoperationen.
(H. Flörken, Würzburg. Deutsche Zeitschr. für Chir., Bd. 93, H. 3, 1908.)
Bei einer 27jährigen Frau, bei welcher fünf Jahre früher nach Ent¬
fernung von Steinen eine Cholecystotomie ausgeführt war, wurde wegen neuer
Beschwerden die Exstirpation der Gallenblase vorgenommen. In der Gallen¬
blase lagen außer zwei freien Steinen, die nach Ansicht des Verf. bei
der ersten Operation wohl zurückgeblieben waren, drei aus Cholestearin und
Bilirubinkalk bestehende Konkremente, in denen sich ein wohlerhaltener Seiden¬
faden, offenbar von den Fixationsnähten der Gallenblase an der Bauchwand
herrührend, fand.
In der Literatur liegen ähnliche Beobachtungen nur in acht Fällen
vor. Durch die Fixation an der Bauchwand wird die Kontraktilität
der Gallenblase herabgesetzt; die um die Fäden gelagerte kapilläre
Flüssigkeitsschicht erleichtert die Ahsiedlung von Bakterien. In diesen Tat¬
sachen vielleicht im Verein mit dem Bestehen der Lüschka’schen Gänge
ist mit Wahrscheinlichkeit die Ursache der Bildung von Steinen um Fäden
zu suchen. Da schon nicht inkrustierte Fäden typische Beschwerden auslösen
können, ist die Zurücklassung von Fäden streng zu vermeiden. Das Faden¬
rezidiv wird verschwinden, wenn prinzipiell für die Gallenblasennaht nur Kat-
gut benutzt wird oder die benutzten Seidenfäden lang gelassen werden.
___ _ F. Kayser (Köln).
400
Referate und Besprechungen.
Über die nach Gastroenterostomie auftretenden Beschwerden und das
radiologische Verhalten des anastomosierten Magens.
(S. Jonas, Wien. Arch. für Verdauungskrankh., Bd. 14, H. 6, 1908.)
Nicht allzu selten kommt es vor, daß längere Zeit nach einer wohl¬
gelungenen Gastroenterostomie lästige Beschwerden auftreten, als Drücken,
Aufstoßen, Übelkeit, Brechreiz, Erbrechen. Es lag nahe, die Ursache derartiger
Beschwerden durch Verwendung der Röntgendurchleuchtung zu ergründen.
Zuvor aber war es nötig, das normale (Verhalten des gastroenterostomierten
Magens im Röntgenbilde kennen zu lernen. Der zu diesem Zwecke durch¬
leuchtete Fall zeigte, daß sich der Magen durch die eingebrachte Wismut¬
mahlzeit nicht füllte, daß diese vielmehr sofort, und zwar ohne den Pylorus
zu passieren, den Magen verließ, so daß die Ingesten sich im Dünndarm
nachweisen ließen. Zur Feststellung der Verhältnisse bei vorhandenen Be¬
schwerden standen Jonas 7 Fälle von wegen Pylorusstenose Gastroenterosto¬
mierten zur Verfügung; Fälle von Gastroenterostomie wegen Ulkus oder
Karzinom wurden von der Untersuchung ausgeschlossen. Es ergab sich, daß
die Schuld an den längere Zeit nach der Gastroenterostomie — bei nicht voll¬
kommen verödeter Anastomose — auftretenden Beschwerden die Stagnation
jener Ingesta trägt, die sich in dem durch die Operation geschaffenen, mehr
oder minder großen kaudalen Säckchen ansammeln. Ihr Druck ist um so
größer, je größer die Menge der Ingesten ist, welche sich in dem kaudalen
Säckchen anzustauen vermögen, d. h. je höher oben die Anastomose angelegt
wird und je weniger durchgängig sie ist, wobei die Anastomose bisweilen
infolge Schlaffheit des Magens durch Dehnung des kaudalen Säckchens nach
oben verschoben wird. Die Verminderung der Wegsamkeit der Fistel ist
bald eine temporäre (z. B. Verlegung durch ein eingekeiltes Speisefragment),
bald eine dauernde (Circulus vitiosus Mikulicz), und wird radiologisch daran
erkannt, daß die Ingesta (besonders die breiigen) die Anastomose nur zu ge¬
ringem Teile passieren und erst unter dem erhöhten Druck effleurageartiger
Handgriffe in den Darm getrieben werden können.
Prophylaktisch ist es in erster Linie wichtig, daß die Anastomose mög¬
lichst tief angelegt wird, damit der kaudale Sack möglichst klein wird.
Muß sie jedoch aus irgend einem Grunde höher angelegt werden, so ist dafür
zu sorgen, daß sich die Ingesta im kaudalen Sack nicht anstauen, und daß
jede weitere Dehnung des letzteren hintangehalten wird. Hierzu eignet
sich am besten das möglichst frühzeitige Tragen einer Leibbinde zur Ver¬
stärkung des Widerlagers der Bauchdecken. Um jedoch die Stauung der
Ingesta auch dort hintanzuhalten, wo infolge teilweiser Verlegung der Fistel
eine solche bereits stattgefunden hat, soll durch radiologische Untersuchung
jene Lagerung des Patienten gefunden werden, bei der die Entleerung der
Ingesta am besten vor sich geht, und diese Lage haben die Patienten für
längere Zeit nach dem Essen einzunehmen. Ferner sind Massageprozeduren
vorzunehmen, einmal um die Muskulatur des Magens und der Bauchdecken
zu kräftigen, dann aber auch, um den Abfluß der Ingesta aus dem Magen
zu fördern. Zu diesem Zwecke ist radiologisch die Stelle der Anastomose
aufzusuchen und auf der Bauchhaut zu markieren, um die Massage in der
Körperstellung, in der sie aufgefunden wurde und in der Richtung der
Anastomose wirken zu lassen. M. Kaufmann (Mannheim).
Die Verwendung der freien Knochenplastik nebst Versuchen über Ge¬
lenkversteifung und Gelenktransplantation.
(Prof. Erich Lex er. Arch. für klin. Chir., Bd. 86, Heft 4, 1908.)
Die Demonstrationen Lex er s>- erregten auf dem vorjährigen Chirurgen-'
Kongreß berechtigtes Aufsehen. Er veröffentlichte kühne, aber erfolgreiche
Versuche auf dem Gebiete der freien Knochenplastik, die bekanntlich wie
die gesamte Extremitätenchirurgie in den letzten Jahren etwas in den Hinter¬
grund getreten war.
Referate und Besprechungen.
401
Lex er benutzte ausschließlich frisches, mit Periost versehenes Knochen¬
material, das lebenswarm und ohne jede mechanische oder chemische Schä¬
digung sofort nach der Entnahme verpflanzt wird. Das Material liefern
fast durchweg amputierte Glieder, die meist wegen Altersbrand abzusetzen
waren; nur in wenigen Eällen benutzte er vom Kranken selbst ein Rippen¬
stück oder die vordere Tibiakante resp. Ulna und Fibula. Er legt Wert
darauf, um überflüssige Reizerscheinungen zu vermeiden, das Knochenmark
des Ersatzstückes vor der Implantation auszulöffeln und durch Jodoform¬
knochenplombe zu ersetzen ; sonst wird das einzusetzende Knochenstück in
keiner Weise präpariert.
Es gelang Lexer, vollkommen periostlose Knochendefekte von 25 bis
30 cm Länge (Oberschenkel, Oberarm, Tibia bei Sarkom usw.) durch frischen,
periostbekleideten Knochen zu ersetzen. Damit die Ersatzstücke ordentlichen
Halt bekamen, wurde in ihre Enden je ein Knochenbolzen (etwa 10 cm
langes Stück der Fibula) zur Hälfte eingetrieben und die übrige Hälfte
in die Markhöhle der resezierten Knochenenden eingefügt.
Durch ähnliche Bolzung konnte er in 19 Fällen paralytische Sprung¬
gelenke zur Versteifung bringen. Von der Sohlenfläche der Ferse her wurde
mit der Fraise ein Kanal bis in die Tibia hineingebohrt und durch Calcaneus
und Talus in die Tibia eine frische Periostknochenspange eingetrieben. In
allen Fällen aseptische Einheilung und gutes funktionelles Resultat. Für
das paralytische Kniegelenk allerdings bevorzugt Lexer vorläufig noch die
alte Arthrodese, da die hier vorgenommenen vier Versuche nicht vollkommen
befriedigten.
Weiter teilt er seine Erfahrungen mit Gelenktransplationen mit; es
gelang ihm, in vier Fällen selbst an großen Gelenken (Knie und Schulter)
halbe Gelenkdefekte durch primäre Transplantation eines geeigneten, mit
Gelenkknorpel und Periost ausgestatteten Knochens zu ersetzen und da¬
durch bezüglich der späteren Funktion nahezu normale Ergebnisse zu er¬
zielen.
Endlich noch zwei Fälle, in denen er das rechtwinklig ankylosierte
Kniegelenk (einmal nach Eiterung, das andere Mal nach Tuberkulose) durch
Keilresektion streckte und in den drei querfingerbreiten Spalt zwischen Ober¬
und Unterschenkelresektionsfläche aus frisch amputierten Beinen das ganze
Kniegelenk einsetzte. Auch hier ein sehr ermunterndes Resultat: aseptische
EiDheilung, Schmerzen weder beim Stehen, noch beim Gehen; keine seitliche
Wackelbewegung. Lemmen.
Die Behandlung des kontrakten Plattfußes im Schlafe.
(Dr. Hübscher, Basel. Zentralbl. für Chir., Nr. 42, 1908.)
Der reflektorische Muskelspasmus, welcher den kontrakten Plattfuß
bedingt, verschwindet nach den Erfahrungen H.’s ohne Ausnahme im Schlafe.
Gelingt es, mittels angegebenen Apparates, ohne den Schlaf zu unterbrechen,
den Fuß in volle Supinationsstellung zu bringen, so wird der Fuß beim
Aufwachen aktiv supiniert und proniert. Es kann sofort ein Gipsabguß
für die Zelluloideinlage nach Lange gemacht werden. Es wird auf diese
Weise die oft lang andauernde Immobilisierung des Fußes im Gipsverbande
umgangen; dabei ist der nächtliche Zugverband sehr schonend und einfach.
Wird nach Anlegung des Verbandes am nächsten Morgen die Supination
nicht erzielt, so weiß man, daß ein Redressement in Narkose notwendig ist,
weil dann bereits Fixationen durch Verwachsungen vorliegen.
Der Apparat besteht aus sandalenartigem Fußbrettchen und drei elasti¬
schen Zügen aus Kautschukrohr, die in ebenso einfacher, wie sinnreicher
Art befestigt werden. (Vergleiche Abbildung im Original.) Sobald der Patient
sich zur Ruhe begeben hat, wird das Fußbrettchen angeschnallt und der
Zug in Aktion gesetzt. Mellin (Steglitz).
26
402
Referate und Besprechungen.
Fersenschmerzen.
Ein Beitrag zur Pathologie des Calcaneus und der Achillessehne.
(H. Jacobsthal. Arch. für klin. Chir., Bd. 88, H. 1, 1908.)
Um die Unklarheiten zu beseitigen, welche in der Deutung der Affek¬
tionen der Achillessehne und des Calcaneus bestehen, hat J. die seit dem Herbst
1904 in der chirurgischen Poliklinik in Jena zur Beobachtung gekommenen
diesbezüglichen Fälle unter Auslassung der genau definierten Erkrankungen,
wie Tuberkulose der Bursa achillea, Tuberkulose des Calcaneus, akuter infek¬
tiöser Osteomyelitis desselben, der Plattfüße, gesammelt und einer kritischen
Analyse unterzogen. Es handelt sich um 42 Fälle, welchen folgende Er¬
krankungen zugrunde lagen : einmal Tendinitis achillea traumatica, einmal
Kontusion der Achillessehne, zweimal partielle Ruptur der Achillessehne,
einmal Verknöcherung der Achillessehne, zweimal Fibrom der Achillessehne,
einmal Peritendinitis achillea, achtmal Bursitis achillea profunda, dreimal
Exostose des hinteren oberen Calcaneusendes, sechsmal Epiphysenerkrankung,
sechsmal Calcaneussporn, viermal Kontusion des Calcaneus. Siebenmal konnte
die Ursache der Fersenschmerzen nicht diagnostiziert werden. Die Zusammen¬
stellung zeigt, wie mannigfach die Ursache für Fersenschmerzen sein können;
wie verschieden ihre Lokalisation und wie schwierig die Diagnose. In einer
Anzahl von Fällen wird ein operativer Eingriff Heilung bringen, andererseits
sieht man lange bestehende Beschwerden oft ohne jede Ursache verschwinden,
so daß die Indikation für einen operativen Eingriff nur mit Vorsicht zu
stellen ist (Röntgenbild). H. Stettiner (Berlin).
Was aus der Frakturbehandlung alter Zeiten zu lernen ist.
(Amer, Journ. of Surg., Nr. 10, 1908.)
„Enthusiastische Chronisten erinnern uns so oft an die wunderbaren
Fortschritte der Medizin,“ sagt E. M. am angef. O., „daß es schwer ist
zu glauben, irgend etwas Wertvolles sei in der Medizin vor den letzten Jahr¬
zehnten bekannt gewesen. Bei solchen periodischen Exazerbationen ärztlichen
Bewußtseins ist es gut, daran zu erinnern, daß unsere Vorfahren erhebliche
Kenntnisse in der Medizin hatten, und zwar ehe die ärztliche Literatur
begann, und daß in der Frakturbehandlung ihre Kenntnisse sich mit den
heutigen mit Vorteil vergleichen lassen.“ Jones hat die Gebeine vop
6000 Ägyptern untersucht, die im alten Nubien ausgegraben worden sind und
bis 4000 vor unserer Zeitrechnung datieren, und kommt zum Resultat, daß
die Knochenheilungen gerade so gut und in vielen Fällen wahrscheinlich
besser waren als heute. Femurbrüche sind ohne merkliche Dislokation ge¬
heilt, mit einer durchschnittlichen Verkürzung von nur 11 mm, Humerus¬
brüche oft nur mit einer Verkürzung von 3 mm.
Die relative Häufigkeit der verschiedenen Frakturen ist sehr ähnlich
der heutigen, nur sind Brüche der Hand und der Knochen unterhalb des
Knies seltener, wahrscheinlich weil es damals weder Treppen, Pflaster und
Randsteine, noch Maschinen gab. F. von den Velden.
Die Therapie der Verbrennungen.
(Prof. Pels-Leusden, Leiter der chirurgischen Universitäts-Poliklinik in der
König! Charite in Berlin. Deutsche med. Wochenschr., Nr. 48, 1908.)
Die Allgemeinerscheinungen bei Verbrennungen, die nur bei ausge¬
dehntesten 1/3 — V* der Körperoberfläche einnehmenden Brandwunden ernstlich
in Frage kommen, verdienen große Beachtung. Sie ziehen Herz, Nieren
und Gehirn in Mitleidenschaft und sind vermutlich durch die infolge der
Hitze entstehenden toxisch wirkenden Stoffe zu erklären'. Bei äußerst ge¬
schwächter Herztätigkeit wird am besten durch intravenöse Injektion von Diga-
Referate und Besprechungen.
403
len, sowie durch' Zufuhr reichlicher Mengen rasch resorbierbarer Flüssigkeiten
(Kaffee, Tee, Klysmata von physiologischer Kochsalzlösung) angeregt, der
Schmerz am besten durch Atropin gelindert. Vorsicht ist dagegen bei dem
permanenten Wasserbad geboten, da dieses den Gefäß tonus herabsetzt. Lokal
dürfen nur Mittel angewandt werden, welche die Herztätigkeit nicht beein¬
trächtigen. Nach 5—6 Tagen ist gewöhnlich die Gefahr vorüber, doch sind
auch mit 8 — 10 Tagen noch Todesfälle unter starken Durchfällen oder Duodenal¬
geschwürsblutungen beobachtet worden.
Verbrennungen ersten Grades heilen gewöhnlich ohne jede Therapie.
Bei solchen zweiten und dritten Grades empfiehlt sich die Methode von
Tslchmarke, die in einer peinliehst, mit heißem Wasser, Seife, Bürste,
Alkohol und Sublimat ausgeführten Desinfektion und darauffolgenden asep¬
tischen Verbände (möglichst nicht Jodoform) besteht wegen ihrer Schmerz¬
haftigkeit aber gewöhnlich unter Lokalanästhesie oder Äthernarkose ausgeführt
werden muß. Damit hat der Verf. glänzende Erfolge erziehlt; Sekundär¬
infektion, Fieber, langdauernde Eiterungen werden vermieden.
Ist dieses Verfahren nicht anwendbar, so ist die Behandlung mit Bar-
del eb erf scher Wismutbrandbinde angebracht, die gleichfalls auf nur sorg¬
fältig gereinigte Wunden aufgelegt werden darf. Die Hausmittel Kalkwasser
mit Leinöl sind zu verwerfen.
Bei tiefgehender Verbrennung mit Geschwürsbildung ist für Abstoßung
der Schorfe und Reinigung der Geschwüre zu sorgen. Sind letztere sehr
ausgedehnt, ist das permanente Wasserbad empfehlenswert.
Bei Hinzutreten von Infektion verwendet er feuchte Verbände. Gegen
Bildung von Kontrakturen sind bisweilen Schienenverbände erforderlich.
F. Walther.
Eine neue Sterilisierungsmethode der Haut bei Operationen.
(Dr. Antonio Großich, Fiume. Zentralbl. für Chir., Nr. 44, 1908.)
Anstelle jeder Waschung hat Grossich bei seinem großen chirurg.
Krankenhausmaterial lediglich mit Jodtinktur (10 — 12%) frische Wund¬
ränder und Umgebung bestrichen und dann genäht. Dabei hat er aus¬
gezeichnete Resultate, wenn vorher noch keine Zeichen von Entzündung an
der Wunde bestanden und wenn er keine Seifenwaschung u. dergl. voraus¬
schickte. Die Haare werden trocken rasiert. Das Jod imbibiert in der alko¬
holischen Lösung alle Spalten, Interzellularräume und Lymphbahnen ; geht
eine Waschung voraus, so quellen die Epidermiszellen und verstopfen den
Eintritt der Kapillarspalten. G. hält das Bestreichen mit Jodtinktur für
das beste Desinfektionsverfahren der Haut; er ist dazu bei allen asep¬
tischen Operationen übergangen (auch Laparotomien und bei Herniotomien).
In diesen Fällen läßt er allerdings die Kranken einen Tag vor der Operation
baden. Vor der Narkose wird mit einem mit Jodtinktur getränkten Tupfer
die Haut bestrichen und ein zweites Mal kurz vor der Operation ; ebenso
wird die Nahtreihe noch einmal mit Jodtinktur bestrichen und dann ein
Verband mit steriler Gaze angelegt.
Ganz neu ist die Methode in Deutschland nicht. Referent erinnert
sich, daß zur Desinfektion des schwer zu desinfizierenden Nabels und ekze¬
matöser Haut in verschiedenen Kliniken Jodtinktur in gleicher Weise und
Absicht seit Jahren zur Verwendung gekommen ist; auf vorausgegangene
Waschung mit Wasser und Seife, Alkohol und Sublimat wurde allerdings
nie verzichtet. Sollte sich die Jodtinktur bei der erweiterten Anwendung
dauernd bewähren, so wäre namentlich für den Praktiker eine schnelle Des¬
infektionsmethode proklamiert und dafür dem Autor großer Dank zu sagen.
Mellin (Steglitz)
26*
404
Referate und Besprechungen.
Röntgenologie und physikalische Heilmethoden.
Biologische Gesichtspunkte im Gebiete der Klimatotherapie.
(Zoltän von Dalmady. Zeitschr. für phys. u. diätet. Therapie, Bd. 12, S. 415 — 428,
190&/09.)
Bei vielen Arbeiten, welche in den medizinischen Zeitschriften er¬
scheinen, kann man sich fragen, ob ihr Verfasser ein wirklicher Arzt ist oder
nicht vielmehr ein mit dem medizinischen Doktorhut geschmückter Physiker
bezw. Chemiker. Je schwerer ärztliche Erfahrungen und Anschauungen sich
in Worte fassen lassen, um so seltener sind derartige Abhandlungen. Wollte
man die verschiedenen Wochenschriften, Archive, Zentralblätter usw. daraufhin
durchsuchen, so wäre — glaube ich — die Ausbeute gering.
In Dalmady’s Studie über Klimatotherapie findet man nichts von
Sauerstoffspannung, Atemvolumen, Zunahme der roten Blutkörperchen usw.
Dagegen zieht er die Erfahrungen der Gärtner und Pflanzenphysiologen,
der Tropenärzte, der Rassenbildung und dergl. heran, um darzutun, daß
ein kurzer Klimawechsel nach Art eines physikalischen Reizes allerlei, im
einzelnen nicht definierbare Reaktionen, Akkommodationen auslöse, daß da¬
gegen ein langer Aufenthalt in fremdem Klima tiefgreifende, artumstimmende,
konstitutionsändernde Wirkungen habe. Es ist also nicht bloß ein quanti¬
tativer, sondern ein qualitativer Unterschied, ob wir jemand kurz oder lang
in ein anderes Klima schicken. Buttersack (Berlin).
Die Hydriatik des Typhus abdominalis.
(J. Sa dg er, Wien-Gräf enberg. Berliner Klinik, H. 242, 1908.)
Nach einer geschichtlichen Einleitung bespricht Sadger die günstigen
Wirkungen der Hydriatik hinsichtlich der Prognose: Unter ihr verläuft der
Typhus leichter, weil die Temperatur nicht so hoch wird, der eigentliche
Status typhosus gelangt nicht zur Ausbildung, der Kranke bleibt ruhig, es
tritt keine Herzschwäche ein, ebensowenig ernstere Komplikationen von seiten
des Respirationssystems. Von augenfälligem Nutzen ist die Hydrotherapie
des Typhus besonders für die Verdauungsorgane: Lippen, Zähne und Zunge
bleiben weich und feucht, der Durst ist gering, Darmgeschwüre, Durch¬
fälle usw. kommen nicht zustande, die Ernährung und Verdauung gehen
gut von statten. Sadger warnt bei dieser Gelegenheit vor der schädlichen
Überernährung.
Von besonderem Interesse ist* die durch die Hydriatik erzielte Stärkung
der Nieren- und Hautfunktion. S. tritt energisch für die Bedeutung der
noch immer nicht genügend gewürdigten kritischen Ausscheidungen
seitens dieser Organe ein.
So bleibt bei der systematischen Wasserbehandlung vom gewöhnlichen
Typhusbild nur übrig: leichtes Eieber, Milzschwellung, Roseola, Infiltration
der Darmdrüsen, unbedeutender Bronchialkatarrh (Brand).
Medikamente hält S. bei Typhus für überflüssig. Sein Verfahren ist
folgendes :
1. Im Prodromalstadium zweimal täglich eine triefende Ganzabrei¬
bung (10.° R) mit nachfolgendem Luftbad und fleißigem Spazierengehen. Bei
Hyperthermie (von 39,5° in asilla an) 2 — 3mal täglich „gewechselte
Packung mit Halbbad oder Abreibung am Schluß“. Diese Packung
(stubenwarm ? Ref.) bleibt nur so lange liegen, bis sie sich zu erwärmen
beginnt, also zuerst 5 — 10, dann 10 — 20, dann eventuell 30 Minuten. Das
dann folgende Halbbad soll 20 — 22° R haben. Zwischen diesen zwei öfter
zu wechselnden Packungen werden 1 — 2 stündlich gewechselte Stammumschläge
appliziert.
Diese Behandlung ist auch bei unklarer Diagnose unschädlich. 2. Bei
ausgesprochenem Typhus folgt die Bäderbehandlung. S. zieht die
Halbbäder den Vollbädern vor. Ihre Temperatur soll 20 — 18°, bei älteren
Leuten und sehr Dekrepiden 24 — 20°, ihre Dauer 5 — 15 Minuten betragen.
Referate und Besprechungen.
405
Der Frost soll nicht abgewartet werden. Nur bei besonders resistenter und
hoher Hyperthermie und bei Pneumonie 18 — 16° und längere Dauer. Im
Halbbad soll der ganze Körper mit Ausnahme des Unterleibs kräftig frottiert
werden, auch vom Patienten selbst. Bei drohender Herzschwäche ist vor- und
nachher Alkohol zu geben, ferner kalte Kopf- und Nackengüsse alle 3 — 5 Min.
(8 — 10 °). Letztere wirken auch bei Somnolenz vorzüglich. Nach dem Bad
wird Patient trocken gerieben und im Bett an Armen und Beinen bis zur
Erwärmung frottiert. Brust und Bauch erhalten einen Umschlag.
Die Bäder sollen höchstens dreistündlich wiederholt werden, also nicht
mehr wie achtmal in 24 Stunden, sechsmal am Tage, zweimal in der Nacht,
sobald die Rektal temperatur 39° übersteigt. Das letztere kann oft hintange¬
halten werden durch häufig gewechselte große Umschläge zwischen
den Bädern (zimmerkalt). Unter ihrer Mitwirkung sind die Bäder oft nur
vierstündlich und noch seltener nötig.
Die Temperatur ist im allgemeinen dreistündlich zu messen, dazu 15 Mi¬
nuten nach dem Bade. Die nämliche Zeit ist auch die geeignetste, den
Kranken seine Nahrung zu reichen, die bis zur Deferveszenz ausschließlich
flüssig sein soll, je V4 Liter nach jedem Bad. Daneben reichlich Wasser
trinken !
Vor Beginn der Bäderbehandlung ist durch eine kalte Teilabreibung
die Reaktion der Haut zu prüfen. Das ist besonders wichtig bei „areolar-
zyanotischer“ Injektion oder anderen kollaps verdächtigen Zeichen. Hier sind
statt der Bäder eventuell nur die präparatorisch wirkenden Stammumschläge
zu machen. Zwischen die erste und zweite Lage derselben schiebt man bei
Herzschwäche und Kollapsgefahr den Herzkühler.
Unterstützend und ableitend wirken stündlich gewechselte Wadenbinden
und dreimalige Teilabreibungen des ganzen Körpers.
Resistente Hyperthermie, die das Halbbad nicht stürzt, weicht dem
vor demselben applizierten häufig gewechselten feuchten Wickel oder
dem Luftwasserbad.
3. In der Deferveszenz soll nicht brüsk mit den Bädern abgebrochen,
vielmehr in der dritten Woche die Badegrenze auf 38,5 0 herabgesetzt werden.
Erst wenn auch diese Temperatur nur abends erreicht wird, kann man die
Bäder bei Tag aussetzen und /sie dann allmählich überhaupt unterlassen.
Jedoch können die Halbbäder in der Deferveszenz wärmer und kürzer sein
(24 — 20° und 3 — 5 Minuten). Die Nahrung wird konsistenter, Fleisch und
feste Nahrung aber erst nach 3 — 4 fieberfreien Tagen gegeben.
Bei der seltenen hypothermischen, adynamischen Form verfährt man
wie oben bei Herzschwäche: kalte Teilabreibung usw., das Halbbad soll
24—22 0 und 3 — 5 Minuten lang mit kräftigsten Friktionen appliziert werden :
hierbei sinkt die Temperatur nicht, sondern sie steigt, während alle übrigen
Symptome sich bessern, „der anormale Typus wird in einen normalen ver¬
wandelt“.
Ähnliches gilt vom Typhus der Greise. Kinder bekommen besser kältere
und kürzere als lange und laue Applikationen.
Bei Pneumonie werden die Halbbäder kälter, bei Herzaffektionen zwei¬
mal täglich eine Stunde der Herzkühler verwandt. Gegen starke Diarrhöen
helfen die großen Kompressen, verbunden mit einem kleinen 6 — 8 °igem
Klistier nach jeder Entleerung. Die Milch, die man gibt, muß entrahmt
werden.
Bei Perforation und Peritonitis Aussetzen der Bäder, Kombination
der Umschläge mit einem Kühler, durch den tagelang quellkaltes Wasser
fließen muß.
Bei Blutspuren im Kot, meist in der ersten Zeit, wirken die Bäder
günstig, bei den später auftretenden stärkeren Blutungen mit Puls- und
Temperaturveränderung, Ohnmacht nur Stammumschläge und Kühler. Bäder
sind also nur kontraindiziert bei Perforation, Peritonitis und schwerer Blutung.
Esch.
406
Referate und Besprechungen.
Die Hydriatik der Masern.
(J. Sa dg er. Wiener klin. Rundschau, Nr. 52, 1908.)
Daß die Masern in der weitaus überwiegenden Mehrzahl der Bälle
von selber heilen, gibt der Verf. zu, aber trotzdem tritt die Wasserbehand¬
lung bei dieser Krankheit in ihre Rechte. Bei bösartigen Epidemien kann
man zuweilen durch prophylaktische kühle Abreibungen die Kinder vor
der Ansteckung bewahren. Gelingt das nicht, so wird der Prozeß selbst
durch die Hydrotherapie erheblich abgekürzt. Der Ausschlag geht schneller
vorüber und die Abschuppung dauert nicht so lange wie sonst. Bei der
schweren, typhösen Form der Masern mit bedrohlichen Gehirnsymptomen
ist die Bedeutung der Methode bereits allbekannt. Vor allem sind es die
Nachkrankheiten der Respirationsorgane — Bronchitis, Pneumonie,
Larynxkroup und Tuberkulose — welche eine liydriatische Behandlung ver¬
langen und gleichzeitig die Größe der Methode zeigen. — Die Wasseran¬
wendungen selbst sind bei den kleinen Patienten außerordentlich einfach :
Halbbäder von 20 — 18° R und 3 Min. Dauer, Ganzabreibungen von 12°,
Abwaschungen von 10°, Packungen, Nackengüsse und dergl. — Einfache, über¬
all anzuwendende, unschädliche und dabei überaus segensreiche Handgriffe !
Goldene Ratschläge für die Praxis ! Schade, daß bei dem Kapitel Hydro¬
therapie so oft tauben Ohren gepredigt wird. Steyerthal-Kleinen.
Ueber die Behandlung der Herzkrankheiten mit oszillirenden Strömen.
(Th. Rumpf, Bonn. Deutsche med. Wochenschr., Nr. 52, 1908.)
Rumpf hat seine Versuche nach den bisherigen günstigen Erfahrungen,
auf die verschiedensten Herzaffektionen ausgedehnt, wobei er in gleicher
Weise verfahren ist, wie bisher. Seine Resultate bestehen bei 39 Fällen in
wesentlicher, ja überraschender Besserung, bei 16 Fällen in einer deutlichen,
aber weniger beträchtlichen und vorübergehenden Besserung, bei 11 Fällen
in keinem Dauererfolg. Ungeeignet zur Behandlung waren frische Fälle
von entzündlichen Herzaffektionen desgleichen Herzhypertrophien mit chro¬
nischer Nephritis. Prognostisch günstiger' gestaltete sich die Behandlung bei
abgelaufenen älteren Prozessen mit ihren Folgen, sowie vor allem bei Herz¬
hypertrophie mit Arteriosklerose, zumal wenn diese nur gering war. Er
schildert 3 Fälle, die 'unter dem Einfluß des oszillierenden Stromes eine
Besserung sowohl der subjektiven, in Kurzatmigkeit, Schwindelanfällen, Oppres-
sionsgefühl bestehenden als auch der objektiven in orthodiagraphisch deut¬
lich nachweisbarer Vergrößerung des Herzens bestehenden Symptomen bieten.
Am meisten eignen sich für die Behandlung Patienten mit einfacher
Dilatation ohne Arteriosklerose, von denen er einige ausführlich schilderf
und gleichzeitig Schattenrisse des Herzens vor und nach der Behandlung
beifügt. 14 Fälle nervöser Herzkrankheiten ergaben bis auf 2 Basedowkranke
keine befriedigenden Resultate.
Zum Schluß erörtert Rumpf die Frage nach der Wirkungsart der oszil¬
lierenden Ströme. Auf Grund seiner experimentellen Erfahrungen glaubt er
ihnen eine kursierende Wirkung auf Herzmuskulatur und Gefäßsystem zu¬
sprechen zu dürfen. F. Walther.
Die Beeinflussung der Herzdilatation durch C0,-Bäder.
(Dr. Grödel II. u. III, Nauheim. Monatsschr. für die phys.-diät. Heilmethod., H. 1, 09.)
An der Hand von Orthodiagrammen berichten die Verfasser über Herz¬
verkleinerungen nach mehrwöchigen Badekuren in Nauheim: Die stärkste
betrug nicht mehr als! 2 cm im queren Durchmesser, im Gegensatz zu manchen
anderen Beobachtern, welche bis 16. cm und mehr gesehen haben wollten,
Immerhin ist selbst eine ,, Reduktion des Breitendurchmessers um 1 cm als
eine recht erhebliche Volumabnahme des Herzens“ anzusehen, wenn man
diese Liniendifferenz ins Körperliche überträgt. Krebs.
Referate und Besprechungen.
407
Die Wirkung der Sauerstoffbäder.
Jos. Tornai. Zeitschr. für phys. u. diätet. Therapie, Bd. 12, S. 424 — 434, 1908/09.)
Die günstigen Berichte über die Sauerstoffbäder mehren sich. Das
ist auch leicht begreiflich; denn in einer Sauerstoffatmosphäre zu baden
erscheint ohne weiteres bekömmlicher als das Baden in einer C02-Atmosphäre.
Indessen, die C024Bäder sind nun einmal eingebürgt; und deshalb trifft
vorerst der Spruch: das Bessere ist des Guten Feind, praktisch noch nicht za.
Auch an der II. midizinischen Klinik zu Budapest sind die Sarason-
schen O-Bäder verwendet worden und haben günstige Resultate gehabt. Sie
wirken schlaf- und appetitbefördernd, Dyspnoe jeder Art wurde prompt
beseitigt, Zyanose machte rosenroter Färbung Platz.
Als Indikationen stellt Tornai auf: inkompensierte Herzschwäche mit
Atembeschwerden, Zyanose, Tachykardie, Arhythmie, nervöse Schlaflosigkeit,
funktionelle Neurosen.
Daß einem Ungarn stilistische Versehen mitunterlaufen (z. B. „das
Bad beeinträchtigte durchwegs günstig den Schlaf“, S. 430), soll ihm nicht
zum Vorwurf gemacht werden. Aber vielleicht kann die Redaktion da helfend
eingreifen; „denn mit der Korruption einer Sprache ist es eine gefährliche
Sache: ist sie einmal eingerissen und in Schrift und Volk gedrungen, so ist
die Sprache nicht wieder herzustellen.“ (Schopenhauer, über die Verhun¬
zung der deutschen Sprache.) Buttersack (Berlin).
Der Einfluß warmer Bäder auf die Viskosität des Blutes.
(Walter Hess. Wiener klin. Rundschau, Nr. 38, 1908.)
Experimentelle Untersuchungen, welche sich auf 82 Bäder erstrecken.
Es erfolgte 60 mal eine Herabsetzung der Viskosität, 10 mal blieb der Wert
gleich und 12 mal war eine Erhöhung zu beobachten. Der Verf. schließt
aus seinen Versuchen folgendes: Warme Bäder haben die Tendenz, die Vis¬
kosität des Blutes herabzusetzen, die Änderung ist indessen selbst bei den
größten Schwankungen so gering, daß ihr vom hämodynamischen Stand¬
punkte eine praktische Bedeutung nicht zukommt.
Verwendet wurden Warmwasserbäder 35° C von 10—15 Min. Dauer.
Steyerthal-Kleinen.
Allgemeines.
Körperkultur. Eine neue Methode der Hautpflege nach griechischem Muster.
(C. L. Schleich.)
Die kleine Arbeit, die zugleich als Prospekt der SchleiclTschen Präpa¬
rate dient, macht Mitteilungen von einigen neuen Präparaten zur Pflege
der Haut, die sämtlich Bienenwachs enthalten. Schleich geht von dem Ge¬
dankengang (für dessen Richtigkeit auch Verf. vielfach eingetreten ist) aus,
daß durch Waschen und Baden der Haut notwendige Stoffe entzogen werden,
und glaubt diese, da sich Wachs in der menschlichen Haut findet und von
altersher in der Kosmetik bewährte Anwendung findet, durch ein wasser¬
lösliches Wachspräparat ersetzen zu können. Es ist jedenfalls der Mühe
wert, mit der Schleich’schen Wachspaste und Wachspastenseife Versuche
anzustellen.
Indessen scheinen dem Ref. solche Präparate doch nur für Personen ange¬
zeigt, die entweder eine sehr empfindliche Haut haben oder dem Waschen
und Baden mehr ergeben sind als sie es vertragen. Für den gesunden
Menschen ist es sehr wohl möglich, die mittlere Linie zwischen Unsauberkeit
und Auslaugung der Haut mit Seife zu finden. Wer die Seife nicht ver¬
trägt, wird in der Regel die gewünschte Reinlichkeit auch mit heißem Wasser
408
Referate und Besprechungen.
erzielen, welches der Haut lange nicht in dem Grade die Schutzstoffe ent¬
zieht. Und wer an übelriechender Hautausdünstung leidet, soll zunächst
seinen Stoffwechsel in Betracht ziehen. Schließlich dürfte selbst Schleich
zugeben, daß die von der Haut selbst präparierten und an Ort und Stelle ge¬
brachten Schutzstoffe immer noch besser sind als seine Wachspaste.
Einige Übertreibungen mögen wohl der Einführung der Sehleich’schen
Präparate nützlich sein, sollen aber doch nicht unerwidert bleiben. „Wir
wissen, daß dieser „Naturschutz“ (nämlich die Schmutzhülle) der Träger ge¬
fährlichster Krankheitserreger ist.“ Die Botschaft haben wir oft gehört,
allein es fehlt der Glaube. „Fort mit den Bürsten und wir würden eine
Menge Krankheiten nicht mehr kennen!“ Welche denn? ist wohl erlaubt
zu fragen. „Die Haut ist die einzige uns zugängliche Angriffsstelle zur
Stärkung und Konservierung unserer Gefäßelastizitat und so haben wür
also in einer rationellen Hautpflege eine nicht hoch genug zu schätzende
Möglichkeit, unsere lebenswichtigsten Funktionen gleichsam systematischen
Turnübungen zu unterziehen.“ Sei ein Trinker und pflege deine Haut nach
Schleich, so wirst du deinem Schlaganfall nicht entgehen. Und woher
kommen die gesunden Blutgefäße eines Holzknechts, dessen Haut überhaupt
keine Pflege angedeiht, wenn man das nicht so nennen will, was Sonne und
Wind ihr an tun ? • F. von den Velden.
Ueber den Sonnenstich.
(Andrew Dune an. Med. Klinik, Nr. 27, 1908.)
Der Sonnenstich beruht nach Andr. Dune an auf der Einwirkung
der aktinischen, d. h. der chemisch wirksamen Strahlen des Sonnenlichts
auf das Zentralnervensystem. Auf Grund der Erfahrungen am eigenen Leibe
empfiehlt D. als ein bewährtes Mittel den Sonnenstich zu verhüten, die
Kopfbedeckung und den Teil des Rockes, welcher das Rückgrat bedeckt,
mit orangefarbenem Stoff zu füttern. R. Stüve (Osnabrück).
Eine seltene menschliche Mißbildung und ihre Bedeutung für die Ent¬
wicklungsgeschichte.
(E. Falk. Virchow’s Archiv für path. Anatomie, Bd. 192, H. 3, S. 544, 1908.)
Verf. beschreibt aus dem Berliner pathologischen Museum eine Frucht
von 26 cm Länge, deren Entwicklung jedoch ungefähr dem achten Monat des
intrauterinen Lebens entspricht. Das geringe Längenmaß ist durch die auf¬
fallende Kürze der Extremitäten bedingt, die in manchen Punkten äußerlich
eine gewisse Ähnlichkeit mit den Veränderungen der fötalen Chondrodystrophie
zeigen. Es handelt sich jedoch um eine andere Entwicklungsstörung, die
zu einer Zeit, in der das Skelettsystem sich noch im vorknorpeligen Stadium
befand, die normale Ausbildung des knorpeligen Skeletts verhinderte. Es
zeigt diese Mißbildung so an einzelnen Teilen durch Hemmung der Entwicklung
den Zustand des Skelettes erhalten, wie er sich bei einer Frucht von 6 Monaten
findet. Der Fall beweist nach F„ daß in der Tat auch beim Menschen eine
Aufnahme von spinalen Wirbeln in den Schädel zur Entwicklung des Occipi-
pitale erfolgt, daß der sogenannte Occipitalwirbel in diesem Falle, wie die
Durchbohrung seines lateralen Teiles durch den Hypoglossus beweist, aus
zwei Segmenten entstanden sein muß, daß somit die Rosenber g’sche Theorie,
nach der ein kaudales Vorrücken des Schädels während der embryonalen
Entwicklung des Menschen stattfindet, zu Recht besteht.
Eine mechanische Entstehung dieser Entwicklungshemmung durch äuße¬
ren Einfluß hält Verf. für nicht möglich. Er glaubt, daß sie wegen ihrer
Ausdehnung über das ganze Skelettsystem am wahrscheinlichsten durch eine
Ernährungsstörung des aus dem Mesenchym entstehenden skeletogenen Ge¬
webes erklärt werden müsse. W. Risel-Zwickau.
Referate und Besprechungen.
409
Wirkung des Frauen-Wahlrechts (?).
In Finnland besitzen die Frauen das aktive und das passive Wahlrecht;
17 weibliche Abgeordnete sitzen im Parlament. Aber auf der anderen Seite
leidet die weibliche Psyche unter den politischen Aufregungen, für die
sie nun einmal nicht geschaffen ist. Onni Granholm, ein finnischer Ge¬
lehrter, hat gefunden, daß die Psychosen beim weiblichen Geschlecht seit
Einführung des neuen Wahlrechts erheblich zugenommen haben; in der kleinen
Stadt Nur m es z. B. gab es bei 12000 Einwohnern 1900 nur 29 weibliche
Geisteskranke, 1907 aber 67 (!). Er sieht der Weiterentwicklung der Dinge
mit Sorgen entgegen, die sich zu dem Alarmruf verdichten: ,,die Frauen¬
bewegung bringt die Menschheit noch ins Irrenhaus.“
Buttersack (Berlin).
Aus der amerikanischen periodischen medizinischen Literatur.
(November-Dezember 1908.)
I. The Post-Graduate Novbr. 1908.
1. Der Monat. Von den Herausgebern. Gelegentlich des 6. internat.
Tuberkulose-Kongresses wird, außer einem Rückblick auf R. Koch, seine
Entdeckungen und seine Lehre, u. a. die Frage aufgeworfen, warum so
wenige Ärzte in den gesetzgebenden Körperschaften seien, handele es sich
doch bei der Bekämpfung der Tuberkulose auch um Gesetzgebung und Er¬
ziehung des Publikums. Also mehr Ärzte ins Parlament! Daß so wenige
Amerikaner fremde Sprachen sprechen und daher die meisten deutschen und
französischen Vorträge auf dem Kongreß fast verloren gingen, liegt am
Schulunterricht, der zu viel Gewicht auf Grammatik und zu wenig auf
Sprachen legt. Die folgenden fünf Artikel beschäftigen sich sämtlich mit
der ektopischen Schwangerschaft. 2. Vorstellung von Beispielen ekto-
pisbher Schwangerschaft. Von Dr. Thompson Sweeny, Lehrer d.
Frauenkrankh. ; P. Gr. school and hosp. Irrtümer in der Diagnose kommen
vor. In einem von S. operierten Fall konnte die Diagnose erst nach Eröffnung
der Bauchhöhle, in einem anderen Fall erst nach Ruptur der Tube gestellt
werden. Man operiere stets so früh wie möglich und opfere die schuldige
Tube ! Denn alle Fälle von Tubenschwangerschaf t sprechen von vorher-
gegangener Sterilität, die eben auf dem Verschluß dieser Tube beruht. In
zwei von drei solchen Fällen sah S. hinterher Uterinschwangerschaft. Der
dritte Fall ist noch in Behandlung. 3. Zwei Fälle von operierter ekto¬
pischer Schwangerschaft. Von Dr. C. A. Finley, Lehrer d. Frauenkr.
P. Gr. school and hosp. 4. Ein innerhalb von sieben Monaten zweimal
wegen rechts- und linksseitiger Tubenschwangerschaft operierter
Fall. Von Dr. Cora Ballard, Lehrer d. Frauenkrankh., P. Gr. sch. and
hosp. 5. Die Diagnose der Extra-Uterinschwangerschaft. Von Dr.
H. St. J. Boldt, Prof, der Frauenkr.; P. Gr. sch. and hosp. 6. Behandlung
der Extra-Uterinschwangerschaft. Von Dr. James N. West, Prof,
usw. — Alle diese Vorträge wurden in der Oktober-Sitzung 1908 der klinischen
Gesellschaft der New- Yorker Post-Graduate medical school and hospital unter
Vorsitz von Dr. Samuel Wiyllis Bandler gehalten. 7. Neue Unter¬
suchungsmethoden in der Diagnose der Tuberkulose bei Kindern
in der New- Yorker P. Gr. sch. and hosp. Von Dr. Henry Dwight
Chapin, Prof, der KinderkL, P. Gr. sch. and hosp. und Dr. T. Homer Ooffin,
Lehrer der Pathologie, ebenda. Der Vortrag ist am 8. Oktober 1908 auf dem
6. internat. Tuberkulose-Kongreß gehalten. 70 Fälle von Tuberkulin-Oph-
thalmodiagnose. 8. Glaukopa. Symptome, Diagnose und Behandlung.
Von Dr. Charles W. Kinney. Vortrag in der Richmond. med. Gesellsch.
9. X-Strahlen in Medizin und Chirurgie. Mit einem Überblick des
Werkes des letzten Jahres in der New-Yorker P. Gr. sch. and hosp.
Von Dr. Byron David, klinischer, elektrotherapeutischer und X-Strahlen-
Assistent, ebenda. Vortrag in der Zöglings-Versammlung der genannten Schule.
410
.Referate und Besprechungen.
II. The american jour,nal of the medical Sciences. Dez;br. 1908.
1. Behandlung des Tetanus mit Subarachnoidal-In j ek tionen
von Magnesium-Sulfat. Von Dr. Robert T. Miller, resident surgeon
am John Hopkin’s Hospital und Lehrer der Chirurgie an der gleichnamigen
Universität in Baltimore. Anknüpfend an die Versuche Metzler’s im Jahre
1905 (medical record 1905, J. XVIII, 965), sowie Haubold’s und Meyers
in 1906 über den Einfluß intravenöser Infusionen bezw. subarachnoidaler
Injektionen von Magnesiumsulfat, analysiert M. 14 damit behandelte Tetanus¬
fälle, davon elf subarachnoidal. Von letzteren elf genasen 5 .= 55% Mortalität.
Die Fälle waren alle schwerste. Drei mit Infusion (intravenös) behandelte
genasen alle. Das Resultat ist ermutigend. Magnesium-Sulfat bewirkt Muskel¬
erschlaffung und ermöglicht so die Nahrungsaufnahme usw. 2. Der Zug in
der Behandlung der Hüftgelenkskrankheiten. Von Dr. E. H. Brad¬
ford, orthopäd. Harvard-Professor und Dr. Rob. Soutter, chirurg. Assistent
am Kinderhospital, Boston. Vergleich der gebräuchlichen Behandlungsmetho¬
den mit zahlreichen erläuternden Abbildungen. Empfehlung des Zuges. 3. Das
Herz in der Lungentuberkulose. Von Dr. Lawrason Brown, resident
physican, Adirondack cottage sanitarium, Saranac lake, New-York. Der Zu¬
stand des Herzens bei Lungentuberkulose ist wichtig für Diagnose, Prognose
und Behandlung, je nachdem es mit erkrankt ist oder nicht. Sich die Be¬
trachtung des miterkrankten Organs noch vorbehaltend, betrachtete B. das
nicht miterkrankte Herz in bezug auf Lage, Größe, Erweiterung und aus¬
kultatorische Zeichen, ferner den Puls und Palpitationen. 4. Das Herz
während der frühen Periode der Konvaleszenz nach akuten Infek¬
tionskrankheiten. Von Dr. Beverley Robinson, klin. Professor d.
Med. an d. Univers. und dem Bellevue-Hospital, New-York. Der Zustand des
Herzens während der genannten Zeit ist noch nicht genügend studiert. Daraus
ergibt sich das weitere. Als R. seine Studien niedergeschrieben hat, erfährt
er, daß der verstorbene Architekt W. W. Smith von New-York der Korpo¬
ration des New- Yorker St.-Lucas-Hospital drei Mill. Doll, vermacht hat für
bedürftige Rekonvaleszenten nach akuten Krankheiten, Operationen usw. ohne
Unterschied. 5. Nicht tö(dlj.ches Koma bei Diabetes. Von Dr. C. N.
B. Camac, Lektor d. Medizin an d. medical College der Cornill-Universität
und Besuchsarzt am Stadthospital New-York. In einem drei Monate lang
beobachteten Fall von Diabetes bekam der Kranke Koma, genas davon
und starb vier Monate später infolge einer Hemiplegie. Ausführliche Be¬
schreibung des Falles. Sektion. Betrachtungen über die Ätiologie des Koma.
6. Pathologische Veränderungen in der Thyreoidea in Beziehung
zu den verschiedenen Symptomen der Graves-Krankheit. Von Dr.
Louis B. Wilson, Direktor der Laboratorien am St. Mary’s Hospital,
Rochester, Minn. Basiert auf den pathologischen Befunden in 294 Fällen
von 1898 — 1908, davon zwei nicht operiert. Zahlreiche Photographien und
Mikrophotographien von Patienten und Präparaten. 7. Polioenöephalitis
inferior bei einem vierjährigen Kinde mit Ausgang in Genesung.
Von Dr. Charles J. Judson, Arzt am Christopher Hospital und Dr. Horace
Carncross, Philadelphia. 8. Der Go;nokokkus als Faktor für Infek¬
tionen nach Abort oder rechtzeitiger Entbindung. Von Dr. Fraser
B. Gurd, erster Assistent der Pathologie am allgemeinen Montreal-Hospital,
Montreal. Der Gonokokkus verursacht häufiger Puerperalfieber als allgemein
angenommen wird. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit einer genauen
Anamnese und Untersuchung der Vagina der Schwangeren. 9. Eine neue
Färbemethode für Diphtheriehazillen. Von Dr. Wm. H. Rush,
St. Louis. Grübler’s Methylenblau, Grübler’s Eosin ,,W. G.“, acid. tart.,
96%iger Alkohol, Aq. dest. Farbentafel. 10. Die Natur der postopera¬
tiven Phlebitis femoralis. Von Dr. Walter Hermann Buhlig, Lehrer
d. klin. Pathologie an der Northwestern university medical school, Chikago.
Die Bezeichnung Phlebitis isit nicht immer korrekt. Viele als Thrombose oder
Thrombophlebitis bezeichnete Fälle sind phlegmasia alba dolens.
Krankenpflege und ärztliche Technik.
411
III. The St. Paul medical journal. Dezember 1908.
1. Postoperative Behandlung. Von Dr. H. J. O’Brien, St. Paul.
Der Operateur soll, wenigstens in der ersten Zeit nach der Operation, die
Nachbehandlungen selbst leiten und nicht anderen überlassen. Zu der Nach¬
behandlung gehört auch die Sorge für den Komfort des Kranken, das Über-
Avachen von Übelkeit und Erbrechen, Schmerzlinderung, Ernährung, Bettruhe
und — offene Wundbehandlung. 2. Akute Mittelohr eit er ung mit
Mastoiditis. Von Dr. E. W. Benham, Mankato. Eine ausführliche Dar¬
stellung der Pathologie und Therapie. 3. Die einfache Atrophie der
Kinder und ihre Beziehung zur Nahrung. Von Dr. Walter K. Ram-
sey, St. Paul. Unter einfacher Atrophie versteht B. diejenige, die nicht
sekundär nach Krankheiten oder Operationen usiw. eintritt, sondern Polge unge¬
eigneter Ernährung, mangelhafter Hygiene und schlechter Umgebung ist
(sog. Inanition, einfacher Marasmus, Unterernährung usw.). Von den beiden
großen Gruppen dieser — Atrophie aus äußeren, u. a. aus inneren Ursachen
nach Czerny — betrachtet er hauptsächlich die zweite und von den inneren
Ursachen besonders die Milchfrage. 4. Der Gehilfe in der Kranken¬
stube (siek room helpers). Von Dr. Haldor Sneve, St. Paul. Forde¬
rung von Krankenpflegerschulen, die an Stelle „erfahrener“ Krankenpfleger
in allen Zweigen ausgebildete liefern. 5. Die 0 phthalmo -Tuberkulin-
Reaktion. Von Dr. H. W. Miller, Jamestown. Von 21 klinisch Tuber¬
kulösen reagierten 20 = mehr als 95% positiv, einer negativ, von 59 Ver¬
dächtigen 40 = 68% positiv, 19 negativ. Von 24 klinisch Nichttuberkulösen
reagierten 20 = über 83% negativ, vier positiv. Verwendet wurde Kocks
altes Tuberkulin, zur Entfernung des Glyzerins und Fleischextrakts mit
Alkohol präzipitiert und wieder gelöst in normaler Salzlösung. Die Reaktion
kann die Diagnose nur unterstützen, für sich allein nicht führen.
In den klinischen und therapeutischen Noten, die dem Heft am Schluß
beigegeben sind, erwähnt Dr. F. R. Woodard, Minneapolis, vier Fälle von
Descensus der Hoden mit Operation, davon zwei eigene und Dr. A. W. Ab bot,
Minneapolis, einen interessanten Fall von Extrauterin-Schwangerschaft. - —
Die Anatomie von Henry Gr'ay (vergl. Fortsehr. d. Med., Heft 2, 1909) ist
in der 17., von Chalmers, Da Costa und Spitzka durchgesehener, ver¬
besserter und vermehrter Auflage für sechs bezw. sieben Dollar bei Lea &
Febiger, New-York, käuflich. Peltzer.
Krankenpflege und ärztliche Technik.
Ein Leib-Büsten-Hüften-Halter.
Von Dr. Langemak.
Spezialarzt für Chirurgie und Orthopädie in Erfurt.
Um dem Rücken sowohl, wie dem Unterleib eine gute Stütze zu
sehen, habe ich nach langen Versuchen einen Halter hergestellt, der
in sich ein Korsett, eine Leibbinde und ein Hüftenmieder vereinigt,
aber die Schädlichkeiten der sonst üblichen Korsetts vermeidet. Wrährend
bei allen anderen Korsetts die Taille eingeschnürt und der Leib nach
unten gedrängt wird, hat mein Halter, der den Hüftknochen aufmodelliert
wird, den Vorzug, daß die Lenden- und Magengegend frei von jedem
Druck bleibt und die untere Partie des Leibes in die Höhe gehoben wird.
Die beiden seitlichen Schnürvorrichtungen, die der Trägerin leicht zu¬
gänglich sind, gestatten es, je nach Wkmsch und Bedarf die Abflachung
des Leibes zu regulieren, während die hintere Schnürvorrichtung nach
einmaliger Anpassung kaum geändert werden braucht. Der Halter
ist jederzeit ohne fremde Hilfe anzulegen, und seitdem auch die Strumpf-
412
Krankenpflege und ärztliche Technik.
bänder an den Laschen festgenäht sind, nicht mehr wie in der Abbil¬
dung mit Knopf und Öse befestigt werden, erfordert das Anlegen des
Halters nicht mehr Zeit als das jedes gewöhnlichen Korsetts.
Der Halter bietet den Kranken, die für die nach Operationen,
Entbindungen usw. geschwächten Bäuchdecken einen guten Halt haben
wollen den großen Vorteil, daß Korsett und Leibbinde vereinigt ist, den
korpulenten oder an Hängebauch leidenden Frauen die Annehmlichkeit,
daß die Figur schlanker, der Leib kräftig gestützt wird. Nicht minder
gerne wird aber der Halter von gesunden Frauen getragen, weil er
unter Vermeidung jeglicher Schädlichkeit die Vorteile für eine elegante
Figur in sich vereint, die sonst ein Büstenhalter und ein Hüftenhalter
erzielt. Ein Verschieben ist unmöglich, weil unten die Strumpfbänder,
oben die Achselträger einen festen Sitz garantieren. Dabei ist die
Bewegungsfreiheit in keiner Weise behindert. Bei den neuen Modellen
sind nämlich die vorderen Enden der Achselträger aus Gummistreifen
gefertigt, die beliebig verstellt werden können ; Amm Busenteil gehen
unter den Armen zwei Gummizüge nach dem Bückenteil, dessen unterer
Abschnitt ebenfalls aus breitem Gummi hergestellt ist. Es wird durch
diese Anordnung ein vorzüglicher Übergang des Kückens in das Gesäß
hervorgerufen und gleichzeitig eine ideale Anpassung des eigentlichen
Bauchbindenteiles erzielt. Dieser geht nur in einfacher Lage über
den Unterleib, trägt also gar nicht auf. Die jetzige Ausführung ist in
vieler Hinsicht noch vollkommener und eleganter, als das erste in den
Abbildungen wiedergegebene Modell; das Wesentliche der Konstruktion
geht aber aus den Zeichnungen hervor.
Krankenpflege und ärztliche Technik.
413
Der Leib-Büsten-Hüften-Halter ist vom Patentamt unter Nr. 853900
als Gebrauchsmuster geschützt und von der Leibbinden- und Korsett-
Fabrik Friedrich Schunck in Coburg zu beziehen. Der Preis beträgt
je nach Ausführung 12, 15, 25 und 30 Mark. Die Ausführung auch
des billigsten Modelles ist eine so vorzügliche, daß sie angelegentlichst
empfohlen werden kann.
Zur Technik der Bandagenbehandlung der Brüche.
Von Dr. Paul Bernstein.
(Zeitschr. für ärztl. Fortbildung, 5. Jahrg., Nr. 23.)
Von den drei in Betracht gezogenen Typen von Bruchbändern für
Unterleibsbrüche sei zunächst das älteste, das Dr. Wolf ermann’sche Bruch¬
band in bezug auf Konstruktion und besondere Eigenschaften einer Be¬
sprechung unterzogen. Das gesteckte Ziel, ein Bruchband zu konstruieren,
welches auf jede Form und etwaige Verlagerung des Bruches einzuwirken
vermag, führte zur Herstellung dieses in den drei stereometrischen Achsen
verstellbaren Bruchbandes, wie es in toto durch Fig. 1 dargestellt ist.
Fig. 1.
Der Pelotenkörper hat nicht die flache Form gewöhnlicher Bruchband-
peloten, sondern ist oval geformt und tritt in der Mitte stark konvex hervor.
Durch diese Form wird eine nachhaltige Kompression des Leistenkanals ge¬
währleistet, ohne welche eine, die Heilung des Bruches einleitende Verklebung
der Wandungen des Leistenkanals nicht herbeizuführen ist. Die eigentümliche
Tiefenwirkung, die durch den Druck dieser Pelote, deren Art und Form
aus Fig. 2 und 3 deutlich erkennbar ist, auf die Bruchpforte und den
Fig. 2.
Fig. 3.
Leistenkanal in seiner ganzen Ausdehnung ausgeübt wird, läßt sich bei
körperlicher Anstrengung irgendwelcher Art dadurch verstärken, daß der
Druckkörper der Pelote durch eine einfache Schiebevorrichtung ausgelöst
und in federndem Zustande in dieser druckverstärkenden Stellung erhalten
wird. Fig. 2 zeigt die Pelote in Ruhestellung, so wie sie bei ruhiger
Lebensweise eingestellt sein muß ; Fig. 3 stellt die Pelote so dar, wie sie
414
Krankenpflege und ärztliche Technik.
zur Erzielung des verstärkten Druckes hergerichtet wird. Diese Druck¬
regulierung geschieht mittels Knopfschiebers, der an Fig. 2 und 3 sicht¬
bar ist. Die nachhaltige und erforderlichenfalls zu verstärkende Tiefen¬
wirkung der Pelote wird somit durch eine sinnreiche Kräftekombination, die
aus Federspannung und Hebelwirkung hervorgeht, erzeugt. Zu erwähnen
ist noch, daß der Druckkörper selbst aus weichem, mit Sammet, Leder
oder Trikot überzogenem Gummi besteht. Die Heilwirkung dieses Bruch¬
bandes zeigt sich dergestalt, daß häufig schon nach wenigen Monaten des
Gebrauchs eine partielle Verklebung des Bruchkanals und die hieraus resul¬
tierende V erkleinerung des Bruches in die Erscheinung zu treten pflegt.
Von da bis zur Heilung des Bruches ist bei sonst günstigen JSTebenumständen
nur eine Zeitfrage.
Um das vorstehend beschriebene Dr. Wolf ermann’sche Bruchband
auch bei erheblichen Senkungen und sonstigen Verlagerungen des Leisten-
bezw. Hodenbruches wirksam zu erhalten, und um es auch selbst für Schenkel¬
brüche verwendbar machen zu können, war es nötig, auf eine größere Ver¬
stellbarkeit der Längs- und Querachse der Pelote Bedacht zu nehmen. Dr. Paul
Bernstein, hat es sich angelegen sein lassen, das Dr. Wo 1 ferm amt sehe
Bruchband entsprechend zu modifizieren.
Fig. 4. Fig. 5.
Man sieht in Fig. 4 und 5, daß dieses Bruchband mit dem gleichen
Mechanismus zur Druckverstärkung versehen ist, wie das vorher beschriebene.
Ein wesentlicher Unterschied besteht in der Anbringung der Beckenfeder mit
dem Dreischlitzsystem b, die mit ihrem vorderen Ende auf der Peloten-
platte c festgeschraubt ist. Der eigentliche Druckkörper a besteht auch
bei diesem Bruchbande aus weichem Gummi. Fig*. 6 zeigt die freiliegende,
Fig. 6.
aus dem Beckengürtel entfernte Feder mit ihrem dreifachen Schlitzsystem,
welches dieses Bruchband mehr als jedes andere befähigt, einer Verlagerung
des Bruches entgegenzuwirken. Auch diese Bandage, ,,Dr. Wolfermann-
Bernstein sches Bruchbiand‘‘ genannt, hat gleich dem vorhin beschriebenen
eine bruch verkleinernde und, günstige -Umstände vorausgesetzt, heilende Wir¬
kung. Der ebenfalls nach Dr. Berns tein’s Angabe hergerichtete eigen¬
artige Bezug des Pelotenkörpers und Beckengürtels befähigt dieses Bruch¬
band in . besonders hohem Maße zur Schweißaufsaugung und Schweißver¬
dunstung.
Krankenpflege und ärztliche Technik.
415
Schließlich sei noch auf das in dem eingangs erwähnten Artikel an¬
geführte ,,Dr. Ber nstein’s Tropenbruchhand Multiform“ hingewiesen,
welches unlängst bereits in der „Berliner klinischen Wochenschrift“ einer
eingehenden Besprechung unterzogen worden ist. Dieses Bruchband führt
seinen Namen, weil es nicht allein für hohe Temperaturen und stark trans¬
pirierende Personen geeignet ist, sondern weil andererseits auch die Pelote
je nach Bedarf in vielfacher Form ohne weiteres eingefügt werden kann.
Auch mit diesem Bruchbande ist daher eine durchaus individuelle Behandlung
des Bruchleidenden möglich. Die Bruchbänder dieses Typs sind zwar außer¬
ordentlich bequem und leicht, jedoch nicht geeignet, auf Heilung hinzuwirken ;
sie gebieten nur der V ergrößerung des Bruches Einhalt, und sind nur bei
kleineren Brüchen, eventuell Bruchanlage verwendbar.
Das ,,Dr. Berns tßin’sche Tropenbruchband Multiform“ ist, wie
Fig. 7 zeigt, in seine einzelnen Teile zerlegbar. A stellt den aus elfenbein-
farbigem Zelluloid hergestellten Pelotendeckel dar, dessen gekröpfter Band
zur Aufnahme des neben B sichtbaren Druckkörpers bestimmt ist. Letzterer
besteht aus einer außerordentlich weichen, gummiähnlichen Masse; er kann
mit der Hand aus dem Pelotendeckel herausgehoben werden und ist hierdurch
leicht durch einen Beservedruckkörper, der jedem Bruchbande beigefügt wird,
zu ersetzen. Diese 'Auswechselbarkeit macht sich bei empfindlicher Haut
und starker Transpiration sehr angenehm fühlbar. Die aus feinstem Stahl
hergestellte Beckenfeder C macht infolge ihres mehrfachen Schlitzsystems die
Pelote in der Länge und Quere vielfach verstellbar, so daß einer Verlagerung
bezw. Senkung des Bruches durch Umstellung der Pelote leicht Bechnung
getragen werden kann. Sogar die Druckverhältnisse auf das Os pubis lassen
sich mit Leichtigkeit regulieren. D zeigt den von der Feder abgezogenen
Beckengürtel.
Das Gewicht dieses Bruchbandes beträgt nur ca. 150 g. Diese Bandagen
werden hergestellt in der Bandagenfabrik von E. Kraus, Berlin S. 14, Kom¬
in and an t-enstr. 55.
416
Kongresse und Versammlungen.
Kongresse und Versammlungen.
Zweiter Kongreß der Deutschen Gesellschaft für Urologie.
Vom 18. bis 22. April d. J. im Langenbeckhaus Berlin, Ziegelstraße 10/11.
Sonntag, den 18. April, nachmittags 4 Uhr: Vorstandssitzung in der Geschäfts¬
stelle Berlin W., Viktoriastraße 19.
Abends Slj2 Uhr: Begrüßung und Empfang der Kongreßteilnehmer mit ihren
Damen durch die Berliner Mitglieder der Deutschen Gesellschaft für Urologie
im Preußischen Abgeordnetenhause.
Montag, den 19. April, pünklich 9 Uhr, Eröffnung des Kongresses im Langenbeck-
hause und daran anschließend eine wissenschaftliche Sitzung.
Thema: Urologie und Gynäkologie.
Referenten: Prof. Dr. Sto eckel-Marburg.
Prof. Dr. Wertheim- Wien.
Nachmittags 21/2 Uhr: Sitzung, Vorträge aus dem Gebiete der Harnröhren¬
krankheiten.
Dienstag, den 20. April, vormittags 9 Uhr Sitzung.
Thema: Die eitrigen, nicht tuberkulösen Affektionen der Nieren.
Referenten: Prof. Dr. v. Frisch- Wien.
Prof. Dr. B arth- Danzig.
Nachmittags 2 Uhr: Sitzung, Vorträge aus dem Gebiete der Nierenkrankheiten,
anschließend Projektionsabend.
Abends 8 */2 Uhr: Bankett mit Damen im Kaiserhof.
Mittwoch, den 21. April, vormittags 9 Uhr: Sitzung.
Thema: Blasentumoren.
Referenten: Prof. Dr. C asp er-Berlin.
Prof. Dr. Zuck er kan dl- Wien.
Nachmittags 2l/2 Uhr: Sitzung, Vorträge aus dem Gebiete der Blasen- und
Prostatakrankheiten.
Donnerstag, den 22. April, vormittags 9 Uhr: Sitzung, Vorträge über verschiedene
Themata aus der Urologie.
26. Kongreß für innere Medizin.
Vom 19. bis 22. April wird zu Wiesbaden unter dem Vorsitze des Geh. Med.-
Rat Prof. Dr. Schultze (Bonn) der 26. Kongreß für innere Medizin tagen. Die
Sitzungen finden im Paulinenschlößchen, Sonnenberger Straße 8 a, statt. Das Bureau
befindet sich ebendaselbst. Als schon länger vorbereitete Verhandlungsgegenstände,
für welche Autoritäten ersten Randes die Referate übernommen haben und welche
bedeutendes aktuelles Interesse haben, stehen auf dem Programme: Der Mineral¬
stoffwechsel in derklinischenPathologie. Referent: Magnus-Levy (Berlin).
Hierzu findet ein Vortrag Wi dal (Paris) : Die therapeutische Dechloruration
statt. Am dritten Sitzungstage: Mittwoch, den 21. April wird He ad (London) einen
Vortrag über Sensibilität und Sensibilitätsprüfung halten.
Weitere Vorträge sind u. a. angemeldet und zwar über:
Kreislaufkrankheiten von v. Bergmann und Plesch, Hering, Horn¬
berger, Külbs, Lüdke, Otfried Müller, Friedei Pick, Rumpf, J. Stras-
burger, Strobel, Strauß.
Über Lungenkrankheiten und Atmung von Bauer, Bönninger,
Engel, Fischer, Goldscheider, Schilling.
ÜberNervenkrankh eiten vonN aegeli-Naef , Sch önborn, A. Siegmund.
Über Verdauung von A. Bickel, Lenhartz, Determann und Wein¬
gärtner, Kirchheim, Mohr und Beuthen uiüller, Plönies, Rodari, Schütz
— und eine große Reihe von Vorträgen aus verschiedenen Gebieten.
Schriftleitung: Dr. Ri gier in Leipzig.
Druck von Emil Herrmann senior in Leipzig.
27. Jahrgang.
1909.
Tortscbritte der medizin.
Unter Mitwirkung hervorragender Fachmänner
herausgegeben von
Professor Dr. 0. Köster Prio.-Doz. Dr. e. gricgern
in Leipzig. in Leipzig.
Schriftleitung: Dr. Rigler in Leipzig.
Nr. 11.
Erscheint am 10., 20., 30. jeden Monats. Preis halbjährlich
6 Mark, inkl. Zeitschrift für Tersicherungsmedizin 8 Mark.
Verlag von Georg Thieme, Leipzig.
20. April.
Originalarbeiten und Sammelberichte.
Arbeit als Kurmittel in der Psychotherapie.
Von Dr. A. Stegmann.
(Vortrag, gehalten am 30. Januar 1909 in der Gesellschaft für Natur- u. Heilkunde
zu Dresden.)
Daß man regelmäßige Arbeit als Kurmittel bei krankhaften Seelen¬
zuständen verwenden kann, ist eine altbekannte Tatsache, und be¬
sonders in der Psychiatrie hat man ganze Systeme auf dem Prinzip
der geordneten Beschäftigung der Kranken aufgebaut. Die kolonialen
Anstalten und die Einrichtungen zur familiären Irrenpflege sind in
erster Linie deshalb geschaffen worden, um ausreichende und passende
Arbeitsgelegenheit für Kranke zu haben, welche einer länger dauernden
psychischen Behandlung bedürfen, und wenn in den großen .Irren¬
anstalten noch heute zahlreiche chronisch Kranke gar nicht oder nur
ungenügend beschäftigt bleiben, so liegt dies nicht an einem Mangel
theoretischer Erkenntnis von seiten der Ärzte, sondern in erster Linie
an der LTnzulänglichkeit der Einrichtungen und der finanziellen Mittel.
Auch die Sanatorien und die Heilstätten für Nervenkranke haben von
jeher das Bestreben gehabt, ihren Kranken Gelegenheit zu systema¬
tischer Betätigung zu geben, und ganz besonders die Volksheilstätten
für Nervöse bemühen sich anscheinend mit Erfolg in dieser Dichtung,
aber schon in den für wohlhabendere Kreise bestimmten Sanatorien,
und noch mehr in der freien Praxis stellen sich diesen Bestrebungen
Hindernisse entgegen, deren Überwindung einer ganz besonderen Auf¬
merksamkeit und Sorgfalt des Arztes und meist eines großen Zeitauf¬
wandes bedarf, und es scheint mir daher nicht überflüssig, auf die
Bedeutung der Arbeit als Kurmittel bei der Behandlung Nervenkranker
etwas näher einzugehen. Ein solches Thema nach allen Seiten hin zu
beleuchten ist allerdings in einem Vortrag nicht möglich, ich werde
mich vielmehr auf die Hervorhebung einiger für die Praxis wichtiger
Punkte beschränken müssen und werde versuchen, Ihnen, soweit mög¬
lich, an der Hand von Bruchstücken einzelner Krankengeschichten zu
zeigen, woran es liegt, daß es oft schwer ist, zu bestimmen, ob ein
Kranker überhaupt arbeiten soll,- wann er damit zu beginnen hat und
welches Maß, welche Art von Tätigkeit für ihn paßt.
Daß Nervenkranke ihr Leiden als Vorwand benützten, um nicht
arbeiten zu müssen, daß sie faul seien, wird zwar oft behauptet,
genauere Beobachtung lehrt aber, daß die Mehrzahl von ihnen, ganz
27
418
A. Stegmann,
im Gegensatz zu dieser landläufigen Anschauung, einen starken Trieb
zur Tätigkeit hat. Verschiedene Gründe hindern freilich die Um¬
setzung des guten Willens in die Tat und diese Gründe festzustellen,
ist die erste Aufgabe des behandelnden Arztes.
Liegt körperliche Erschöpfung vor, sei sie nun durch Organ¬
erkrankungen oder auch durch mangelhafte Ernährung bedingt, so ist
eine Besserung des Kräftezustandes natürlich zuerst anzustreben und
dazu wird meist eine Zeit unbedingter körperlicher und geistiger Buhe
erforderlich sein ; aber diese völlige Ausschaltung jeder Tätigkeit darf
nicht zu lange fortgesetzt werden, sonst geht dem Kranken die Fähig¬
keit sich aufzuraffen überhaupt verloren, und die körperliche Schwäche
wird unvermerkt abgelöst durch eine Willenslähmung, die dann wieder
ihrerseits das Allgemeinbefinden ungünstig beeinflußt. So fand ich
eine Lehrersfrau in einem Dorfe der Lausitz aufs höchste abgemagert im
Bett liegend. Sie war 'bereits seit mehr als einem J ahr nicht zum Auf¬
stehen zu bewegen, hielt das Zimmer verdunkelt und fürchtete jeden
Luftzug. Das Leiden sollte sich im Anschluß an Gelenkrheumatismus
eingestellt haben, es fanden sich aber keine organischen Veränderungen,
und es gelang mir schon beim ersten Besuch, die Kranke zu überzeugen,
daß sie stehen und den Versuch zu gehen machen konnte. Sie hat dann,
wie ich höre, durch regelmäßige Übungen, allerdings erst im Laufe von
zwei J ahren, einigermaßen ihre freie Beweglichkeit wieder erhalten
Wäre sie von Anfang an zu regelmäßigen Muskelübungen angehalten
worden, so hätte die Krankheitsdauer sicher ganz erheblich abgekürzt
werden können. In den meisten Fällen freilich beruht die Arbeitsunfähig¬
keit auf psychisch bedingten Störungen und stellt sich bei näherer
Betrachtung als eine Folge mehrerer schädlich wirkender Momente dar,
unter denen die Menge der geleisteten Arbeit, die „Überarbeitung“
zwar das am häufigsten angegebene, in Wirklichkeit aber keineswegs
das wichtigste ist. Die einfache Überarbeitung pflegt ihre Grenze
zu finden in körperlicher Erschöpfung und ihre Folgen gleichen sich
verhältnismäßig rasch aus, wenn die Ursache beseitigt ist, ohne daß
es einer eingreifenderen ärztlichen Behandlung bedürfte. So kann die
Überlastung mit Berufsarbeit als selbständige Krankheitsursache aus
unseren Betrachtungen ausscheiden, dafür aber haben wir uns einer
Form der Überanstrengung zuzuwenden, aus der Nervenleiden auch
bei Menschen entstehen können, die eine nutzbringende Tätigkeit nie¬
mals oder doch seit langer Zeit nicht mehr ausgeübt haben. S. Freud
hat uns, bestimmter als es je vorher geschehen ist, gelehrt, welch
enorme Kräfteanspannung die innere Verarbeitung von Affekten ver¬
langt, deren normales Abklingen aus irgendwelchen Gründen verhindert
wird. Freud hat bekanntlich die Behauptung aufgestellt, daß die
wichtigste und bei genauerer Psychonalyse stets nachweisbare Ursache
der Neurosen im Gebiet der Sexualempfindungen zu suchen sei, und
er bringt in seinen zahlreichen Arbeiten so viele Beweise für diese
Ansicht, daß meiner Überzeugung nach nicht mehr an ihrer Nichtigkeit
gez weif eit werden kann. Den naheliegenden und oft gehörten Vor¬
wurf der Einseitigkeit und der Übertreibung habe auch ich an dieser
Stelle mehrfach, und zuletzt noch im vorigen Jahre, wenn auch nur
bedingt ausgesprochen, ich halte ihn aber für völlig unberechtigt, seit
ich die Werke des Wiener Autors genau kenne. Daß der von ihm
behauptete ätiologische Zusammenhang besteht, ist sicher, aber Freud
selbst sagt nicht, daß man in jedem Falle danach forschen müsse. Oft
Arbeit als Knrmittel in der Psychotherapie.
419
genug ist der praktische Zweck schon zu erreichen, wenn nur die
sekundären Krankheitsursachen beseitigt werden, und hei der Mehrzahl
der leichteren Erkrankungen sind wir nicht zur Anwendung der syste¬
matischen Psychoanalyse genötigt. Will man aber die Krankheit mit
der Wurzel ausrotten oder handelt es sich um jene schweren Formen,
hei denen alle anderen Kurversuche erfolglos geblieben sind, so kommt
man ohne dieses Verfahren nicht aus. Freud hat nie verlangt, daß
man jeden Kranken nach seinem Sexualleben fragen solle, er lehrt
uns aber eine neue Art der Anamnesenerhebung, er zeigt, wie man
den leidenden Menschen zum Aussprechen seelischer Vorgänge anleitet,
wie man ihn ausfragt, ohne etwas in ihn hinein zu fragen. Diese
Art des vorurteilslosen aber doch vorsichtigen und schonenden Eingehens
auf alle, auch die nicht klar bewußten, psychischen Regungen läßt
uns in vielen Fällen rasch die wahren Ursachen der Überarbeitung
finden und die Hindernisse beseitigen, die der Aufnahme der Arbeit
entgegenstehen. So klagte z. B. ein Referendar, der körperlich unge¬
wöhnlich kräftig und an allerlei Sport gewöhnt war, daß er die seit
einiger Zeit ihm obliegende angestrengtere Arbeit nicht mehr leisten
könne. Er schlief schlecht, war gedankenlos, müde, mißmutig, gereizt
und äußerte Lebensüberdruß. Die nähere Befragung ergab, daß ihm
bei einem Entmündigungstermin der Gedanke aufgeschossen war, er
könne geisteskrank werden. Er fügte sofort ungefragt hinzu, daß
er fürchte, sein Gehirn durch Onanie geschädigt zu haben und daß
er nun vor Sorgen und Selbstvorwürfen niemals zur Ruhe komme.
Belehrung über die Grundlosigkeit seiner Angst genügte, um ihn wieder
arbeitsfähig zu machen,; und nun schien ihm seine Tätigkeit nicht
mehr zu schwer, obgleich er natürlich noch keineswegs ganz gesund
war. In solchen Fällen wäre es ein verhängnisvoller Fehler, eine Ruhe¬
kur anzuordnen, hier darf, wenn irgend möglich, die Berufsarbeit gar
nicht unterbrochen werden. Aber auch in den Fällen, die eine länger
dauernde Analyse nötig machen und in denen die Fortsetzung der
bisher gewohnten Tätigkeit aus irgendwelchen Gründen unmöglich ist,
muß die Gewöhnung an regelmäßige Beschäftigung einen wesentlichen
Teil des Kurplanes bilden, hier bedarf es indessen oft einer längeren
Vorbereitung’, ehe man den Kranken auch nur zur geringsten Leistung
zu bringen vermag. Ziemlich lange dauerte dies bei einem jungen
Ingenieur, der tagsüber wegen eigentümlicher Magenbeschwerden nicht
sitzen und nicht liegen konnte. Man hörte bei ihm spontan entstehende
plätschernde Geräusche in der Magengegend und von Zeit zu Zeit
erfolgte unter knallendem Geräusch Aufstoßen von Luft. Dabei trat
Angst und Beklemmungsgefühl ein, so daß Patient aufspringen und
im Zimmer umherlaufen mußte. Solange dieser Zustand anhielt, war
natürlich jede Beschäftigung ausgeschlossen, sie konnte erst beginnen
nach Beseitigung der quälendsten Symptome durch Psychonalyse.
Je eher es aber gelingt, die Aufnahme irgend einer Tätigkeit
durchzusetzen, um so besser ist es, und auch anfängliche Mißerfolge
dürfen uns nicht von der Wiederholung des Versuchs abschrecken.
So bemühte ich mich lange Zeit vergeblich, einen jungen Kaufmann zur
Aufnahme einer Beschäftigung zu bewegen, der an Zwangsneurose, litt.
Im Geschäft hatte er stundenlang vor den einfachsten Arbeiten gesessen,
da er nicht wagte, das Blatt im Buche umzuwenden, einen Brief
äbzuschicken u. dergl. Zu Hause war er äußerst verschlossen, sprach
anfangs fast gar nichts und verbrachte den Tag in angstvollem Grübeln.
27*
420
A. Stegmann,
Als er dann anfing etwas zugänglicher zu werden, trug ich ihm leich¬
teste schriftliche Arbeiten auf, er vermochte sie aber nicht zu leisten
und es bedurfte immer neuer Anleitung, bis es endlich doch gelang.
Nichts wäre allerdings verkehrter, als in solchen Fällen mit
Vorwürfen und mit Ermahnungen zu größerem Fleiß einen Zustand
bekämpfen zu wollen, der wohl nach außen hin als Trägheit erscheinen
mag, der aber, wie wir gesehen haben, in Wirklichkeit eine Art krampf¬
hafter innerer Tätigkeit dar, stellt. Der Leidende selbst hat hiervon
gewöhnlich nur eine unbestimmte Vor Stellung. Solche Patienten er¬
scheinen sich leicht selbst als faul und machen sich die schwersten
Vorwürfe, während sie doch zugleich den von anderen ausgesprochenen
Tadel als unberechtigt und kränkend empfinden, ein Zwiespalt, der
nur weiter dazu beiträgt, die Beunruhigung zu steigern und die Kräfte
lahm zu legen. Hier muß eine systematische Anleitung einsetzen,
die mit ganz geringen Anforderungen beginnend die Einstellung des
Willens auf ein bestimmtes Ziel und die Überwindung störender Emp¬
findungen lehrt, seien diese nun Ermüdungsgefühle und Schmerzen
oder Angst und innere Unruhe. Anfangs fehlt die Fähigkeit hierzu
noch und deshalb dürfen die Ansprüche nur sehr bescheiden sein,
wenn wir die Fortsetzung der Arbeit auch dann verlangen wollen,
wenn die Beschwerden stärker werden. Sobald wir das dem Kranken
erreichbare Maß überschreiten, verliert er das Vertrauen zu unserer
Führung und gerät in eine Oppositionsstellung, aus der ihn zu be¬
freien immer sehr schwer und oft nur durch einen Wechsel des behan¬
delnden Arztes möglich ist. So verdarb ich mir in einem sehr inter¬
essanten Fall den Erfolg. Eine junge Frau hatte schon vor der Geburt
des ersten Kindes an heftigem, die ganze Zeit hindurch anhaltendem
Erbrechen gelitten ; ihre zweite Gravidität war unterbrochen worden,
weil durch die Hyperemesis das Leben bedroht erschien, und begreif¬
licherweise war sie in großer Angst, als sie wieder schwanger wurde.
Sie legte sich zu Bett und konnte nichts zu sich nehmen ohne heftiges
Erbrechen, auch jede Bewegung löste krampfhaftes Würgen aus. Ich
konnte mich bald überzeugen, daß die Erscheinungen nur psychisch
bedingt waren, und es gelang in der Tat, die Kranke zum Essen, zum
Auf stehen und sogar zum Spazierengehen zu bringen. Das Erbrechen
blieb anfangs nur in meiner Gegenwart, später aber überhaupt weg
und die Patientin konnte ins Bad reisen. Bis hierher war ein energisches,
zeitweilig sogar schroffes Vorgehen nötig gewesen, ich machte aber
den Fehler, eine weitere rasche Steigerung der körperlichen Leistungen
zu verlangen und verlor dabei die Fühlung mit der Kranken; pie
entzog sich meiner Behandlung und ich hörte vom weiteren Verlauf
nur, daß sie wegen erneuten Erbrechens einen Gynäkologen konsultierte,
daß aber eine Unterbrechung der Schwangerschaft nicht nötig wurde.
Solchen Kranken fehlt oft auch völlig die Technik des Arbeitens ;
dann ist es zunächst notwendig, sie zu einer regelmäßigen Zeiteinteilung
anzuhalten, denn die Neigung, sich willenlos von den Empfindungen
des Augenblicks beherrschen zu lassen, bringt in der Pegel eine schon
in der äußeren Lebensführung erkennbare Vernachlässigung jeder Ord¬
nung hervor, die dann ihrerseits natürlich wieder höchst ungünstig
wirken muß. Man möchte nicht glauben, wie hohe Grade solche Ver¬
wahrlosung annehmen kann, und ich führe ihnen deshalb einen extremen
Fall dieser Art an. Eine Kranke, die an schwerer Hysterie litt, hatte
sich allmählich gewöhnt, die Tageszeiten völlig umzukehren, so daß
Arbeit als Kurmittel in der Psychotherapie.
421
sie erst abends spät statt morgens früh auf st and, mitten in der Nacht
ihre Hauptmahlzeit einnahm und gegen Morgen wieder zu Bett ging,
um dann den ganzen Tag über liegen zu bleiben. Es war mir zwar,
wie ich vorausschicken will, nicht möglich, sie wirklich herzustellen,
aber soviel konnte ich doch erreichen, daß sie wenigstens wieder die
Nächte zur Schlafenszeit und den Tag zum Auf stehen bestimmte, und
zwar gelang dies hauptsächlich dadurch, daß ich die Einleitung einer
Hypnosebehandlung, von der sie sich außerordentlich viel versprach,
von ihrem Erscheinen in meiner AVohnung abhängig machte und sie
nötigte, die Termine hierzu allmählich immer genauer einzuhalten.
Die Folge davon war, daß sie bei diesen Wegen in die Stadt selbst
begann eine Menge kleiner Besorgungen zu übernehmen, die sie bis
dahin nicht hatte ausführen können ; sie ernährte sich wieder regel¬
mäßig, machte später auch größere Beisen und erreichte eine verhält¬
nismäßig große Beweglichkeit ; daß sie nicht völlig geheilt wurde,
hatte seinen Grund in Komplikationen, die hier kein Interesse bieten,
ich führe den Fall auch nur an, weil er deutlich zeigt, wieviel schon
allein dadurch erreicht Werdens kann, daß die Grundlage aller Arbeit,
Ordnung und Zeiteinteilung, geübt wird.
In den meisten Fällen freilich wird man von vornherein etwas
weitergehen und gleich zu Beginn bestimmte Anforderungen an die
körperliche und geistige Leistungsfähigkeit stellen können. Oft erweist
sich dabei ein Stundenplan nützlich, doch ist bei manchen Kranken
die Angst vor allzu fester Bindung an bestimmte Zeiten so groß, daß
man zunächst hiervon Abstand nehmen muß, während andere wieder
in einer schriftlichen Verordnung, die sie immer zur Hand haben,
eine willkommene Stütze finden, um sich über ihre bisherige Unordnung
hinweg zu helfen.
Für die körperliche Betätigung kommen naturgemäß zunächst
die gymnastischen Übungen in Frage, deren Nützlichkeit aber doch
meiner Ansicht nach im allgemeinen überschätzt wird. Zunächst haftet
ihnen der Fehler an, daß Isie nur um ihrer selbst willen ausgeführt werden
müssen und daß sie deshalb niemals ein solches Gefühl der Befriedigung
gewähren können, wie es, die Leistung einer im praktischen Leben
verwendbaren Arbeit mit sich bringt. Schlimmer aber noch ist es,
daß sie sehr häufig falsch ausgeführt werden und deshalb bedürfen
sie einer ständigen und eingehenden Kontrolle seitens des Arztes nach
verschiedenen Bichtungen hin. Zunächst kommt es vor, daß die Kranken
aus irgend welchen Gründen keinen genügenden Eifer bei derartigen
Übungen zeigen und daß sie es versäumen, sie regelmäßig und in der
vorgeschriebenen Dauer auszuführen. Meiner Erfahrung nach ist dies
aber doch der seltenere Fall; viel häufiger erlebt man es, daß nach
dem Grundsatz ,,Viel hilft viel“ die vorgeschriebene Zahl der Übungen
überschritten, dafür aber die ordnungsmäßige Ausführung derselben
nicht genügend beobachtet wird. Gerade bei denjenigen Kranken, die
im Gefühl sich gegen den V orwurf der Faulheit verteidigen zu müssen,
eine unruhige Vielgeschäftigkeit an den Tag legen, gilt es, eine Begebung
der Muskelarbeit nach Dauer und Menge zu lehren. In anderen Fällen
wieder wird man zunächst auf selbständige Übungen verzichten und
sich mit passiver Gymnastik begnügen müssen, um überhaupt die
Muskeltätigkeit erst einmal wieder anzuregen. Immer aber ist das
Hauptaugenmerk darauf zu richten, daß den Übungen die vollste
Aufmerksamkeit zugewendet wird. Geschieht dies, so stellen auch die
422
A. Stegmann, Arbeit als Kurmittel in der Psychotherapie.
allereinfachsten Bewegungen für manche Kranke eine recht erhebliche
Anstrengung dar und es ist notwendig, ihnen eine Ruhepause folgen zu
lassen, zu deren Einhaltung wiederum die ärztliche Autorität oft mit
aller Energie eingesetzt werden muß, denn auch das Buhen muß in
solchen Fällen meist, erst durch systematische Übungen gelehrt werden.
Ganz besonders zweckmäßig ist hierfür das Liegen im Freien; es bietet
die Vorteile der so beliebten übertrieben langen Spaziergänge und ver¬
meidet doch deren bedenklichen Nachteil, die übermäßige Muskelan¬
strengung.
Daß die höchsten Grade von Muskelschwäche auf psychischem
Wege entstehen können, ist ja bekannt und wir wissen von den hyste¬
rischen Lähmungen her, die so oft plötzlich durch suggestive Beein¬
flussung geheilt werden, daß es hierbei nicht an der rohen Kraft des
Muskels, sondern vielmehr an der Fähigkeit fehlt, das Organ durch
den Willen in Tätigkeit zu versetzen.
Einen solchen Fall von äußerster Erschwerung der motorischen
Funktionen durch reine Willensschwäche kenne ich seit dem Jahre 1906;
es handelt sich um eine an Hysterie leidende Frau, bei welcher all¬
mählich unter der V orstellung schwerer körperlicher Erschöpfung die
Leistungsfähigkeit immer mehr zurückging, so daß sie zunächst Treppen,
dann aber auch ebene Strecken nicht mehr gehen konnte und schlie߬
lich an den Fahrstuhl gefesselt war, in dem sie nur dann sich wohl
befand, wenn der ganze Körper einschließlich des Kopfes gut unter¬
stützt war; schon das bloße Aufrichten strengte sie so an, daß sie
Herzklopfen und Angst bekam. Das Essen vermochte sie nicht selbst
zu nehmen, und allmählich wurde ihr auch das Kauen so schwer, daß
sie nur mehr flüssige Nahrung zu sich nehmen mochte. Turnübungen
von dieser Kranken zu verlangen, wäre völlig aussichtslos gewesen,
wohl aber gelang es durch passive Bewegungen, ganz allmäh¬
lich wieder eine gewisse Muskeltätigkeit einzuführen, und nachdem
die Kranke sich überzeugt hatte, daß nichts von ihr verlangt wurde,
was sie nicht leisten könnte, fing sie bald an, leichte selbständige Be¬
wegungen zu üben und lernte allmählich nicht nur die vorgeschriebenen
Übungen exakt und in etwas größerer Zahl auszuführen, sondern sie
begann auch, sich freier zu bewegen, verließ ihren Liegestuhl, zunächst
auf kurze Zeit, dann dauernd, und nahm mit einem Eifer, den man
früher für unmöglich gehalten hätte, Versuche im Spazierengehen vor,
bis es ihr gelang, auch Treppen wieder zu steigen und die für die
Leistung des Haushaltes notwendigen Arbeiten zu übernehmen. Sie
ist jetzt zwar noch keineswegs geheilt, aber sie ist doch fähig, ihrem
Hauswesen vorzustehen. Daß hier wie in allen ähnlichen Fällen nicht
die Anleitung zur Arbeit allein den Krankheitsprozeß überwinden
konnte, bedarf wohl keiner besonderen Betonung. Es handelt sich
ja stets um eine systematische Erziehung des Willens, bei welcher
die verschiedensten Hilfsmittel herangezogen werden müssen; im eben
skizzierten Fall bildeten aber die Übungen den wichtigsten Teil der
Behandlung und er ist ein lehrreiches Beispiel dafür, daß man zuweilen
mit allerkleinsten Anforderungen beginnen und sich so gewissermaßen
langsam einschleichen muß, um dem Kranken zunächst Selbstvertrauen
und die Lust an eigener Mitarbeit zu verschaffen. (Schluß folgt).
Wassermeyer, Zur Frage von den Abstinenzdelirien.
423
Zur Frage von den Abstinenzdelirien.
(Erwiderung auf das Referat von Herrn Dr. Holitscher in Nr. 4, 09 dieser Zeitschrift.)
Von Dr. Wassermeyer, Privatdozent in Kiel.
Gegen vorgefaßte Meinungen ist schwer zu kämpfen. Man gewinnt
leider oft den Eindruck, daß der von Vorurteilen befangene Kritiker
nicht imstande ist, fremde Untersuchungsergehnisse objektiv zu be¬
urteilen, sondern daß er immer nur das herausliest, was gerade zu
seinen Anschauungen paßt und alles andere mehr oder weniger über¬
sieht. Nur so vermag ich es mir zu erklären, daß Dr. Hoditscheir
einige Punkte meiner Arbeit „Delirium tremens“ (Arch. f. Psych.
Bd. 44, Heft 3) aus dem Zusammenhang greift und in unzutreffender,
entstellender Weise wiedergibt.
Nachdem er erwähnt hat, daß sich unter meinem Material 3,87 °/0
sog. Abstinenz delirien finden, fährt er fort : „W. bringt nur eine ein¬
zige Krankengeschichte im Auszuge, aus der man allerdings die abso¬
lute Überzeugung, daß es sich hier nur um ein Abstinenzdelirium habe
handeln können, nicht gewinnt.“
Dazu ist zu bemerken, daß ich in meiner Arbeit von den als
Abstinenzdelirien gedeuteten Fällen keine Krankengeschichte, auch
nicht im Auszuge, mitgeteilt habe, ich habe vielmehr an der betr.
Stelle ausdrücklich betont, daß ich glaube, irgendwie fragliche Fälle
ausgeschaltet zu haben, ,,so z. B. einen Mann, der als gemeingefähr¬
lich wegen Eifersuchtswahn ein geliefert wurde, der nur etwas Tremor
zeigte, in der ersten Nacht wenig schlief, am Tage schwitzte tund
zittrig war, in der darauffolgenden Nacht aber ohne Mittel gut schlief
imd am darauffolgenden Mittag plötzlich anfing zu delirieren, bei
dem sich aber von Anfang an im Urin Albumen fand, welches nach
dem Delirium geschwunden war“ (S. 51 des Separatabdr.).
Es heißt dann in dem Referat weiter, daß ich auf Grund dieser
meiner Überzeugung (vom Vorkommen der Abstinenzdelirien) auch
für prophylaktische Verabreichung des Alkohols behufs Verhütung
des Deliriums ein trete. In dieser Verallgemeinerung ist dies jedoch
nicht zutreffend. Ich habe vielmehr hervorgehoben (S. 66 unten), daß
ich glaube, man brauche mit der Prophylaxe nicht so weit zu gehen
wie Aschaffenburg, der es für zweckmäßig hält, in . Gefängnissen
usw. den Säufern Alkohol in Form einer Medizin zu verabfolgen, um
dem Ausbruch des immerhin nicht ganz ungefährlichen Deliriums vor¬
zubeugen.
Ich habe ferner ausgeführt (S. 66 oben), der Ausbruch des Deliriums
infolge plötzlicher Alkoholentziehung sei verhältnismäßig selten und
es scheine mir daher nicht gerechtfertigt, jedem Trinker ohne weiteres
bei seiner Aufnahme ins Krankenhaus Alkohol zu verabreichen.
Prophylaktisch scheine mir die Alkoholdarreichung bei sehr dekre-
piden und verletzten sowie operierten Säufern ratsam, um den Aus¬
bruch des für diese Art Kranken oft so verhängnisvollen Deliriums
nach Möglichkeit zu verhüten (S. 68).
Daß ich Alkohol nach Ausbruch des Deliriums empfehle, ist inso¬
weit richtig, als ich dies bei Komplikationen und Kollapsgefahr Un¬
zweckmäßig erachte, außerdem allerdings auch bei stärkerer motorischer
Unruhe vorwiegend zur Verhütung der Kollapsgefahr, und hier auch
in größerem Umfange als jetzt im allgemeinen geraten wird, und zwar
mit gutem Erfolge. Daß ich mich damit im Gegensatz „zu fast allen
424
S. Leo,
Autoren“ befinde, entspricht für die erstgenannten Fälle jedenfalls
nicht den Tatsachen, wie eine Durchsicht der Literatur ergibt (Bon-
hoeffer, Eichelberg, Eisholz, Friedrich, Fürstner, Ganser,
Jacobson, Kirchhoff, von Kraf ft-Ebing, Krukenberg, Mendel,
Meynert, Oppenheim, Pick, Pilcz, Salgö, Wagner von Jauregg,
Wern icke, Ziehen). Ob man aber Alkohol im Kollaps oder unmittel¬
bar vorher verordnet, oder schon etwas früher zur Verhütung derselben,
ist meines Erachtens ein mehr gradueller als prinzipieller Unterschied.
Wiener Brief.
Ein Sammelbericht. — Von Dr. S. Leo.
Theodor Escherich stellte in der „Gesellschaft der Ärzte“ zwei
Kinder mit Erythema infeÖtiosum, recte Erythema multiforme vor,
einer Erkrankung, die zwar nicht neu, aber doch noch viel zu wenig
gekannt ist, und über deren Natur und Bedeutung noch völlige Unklar¬
heit herrscht. Sie besteht in einem Ausschlag, der bei Kindern meist
zwischen vier bis zwölf Jahren in epidemischer Ausbreitung auf tritt.
Der jüngste Pat., den E. beobachtete, war 14 Monate alt. Der Aus¬
schlag erscheint ohne Vorboten im Gesicht in Form eines blauroten, leicht
erhabenen Erythems, das sich nach der Nasolabiaifalte hin scharf ab¬
grenzt, nach den Ohren und der Stirn sich in große Flecke auflöst.
Bisweilen sind die Ohren stark gerötet, und geschwellt. Die unter
dem Ohrläppchen gelegene Lymphdrüse ist deutlich fühlbar und etwas
schmerzhaft. Außerdem findet sich vorwiegend an den Streckseiten
der Extremitäten, sowie in der Glutäalgegend ein großfleckiges, masern¬
artiges Exanthem, seltener und schwächer ausgeprägt am Stamme.
Der Ausschlag kann durch 8 bis 14 Tage in wechselnder, allmählich
abnehmender Intensität bestehen bleiben. Vor seinem völligen Ver¬
schwinden kommt es manchmal zu einer netzartigen Marmorierung der
Haut. Lymphdrüsenschwellung, begleitende Schleimhautkatarrhe, All¬
gemeinerscheinungen fehlen, Komplikationen und Nachkrankheiten sind
nicht bekannt. Die Bedeutung der Krankheit liegt darin, daß sie leicht
von demjenigen, der sie nicht kennt, mit Scharlach oder Mastern
oder Böteln verwechselt, evtl, als Bezidive derselben aufgefaßt werden
kann. Die Verwechslung ist um so leichter möglich, als die epidemische
Häufung dieser Fälle sich gerade an Masern- und Bötelepidemien an¬
schließt. Die Erkrankung ist durchaus nicht so selten, als die spär¬
lichen Bemerkungen in der Literatur erwarten lassen. Sie scheint beson¬
ders auf österreichischem Boden heimisch zu sein und von hier nach
Norden vorzudringen. Sie wurde zuerst von Tschamer in Graz 1889
als eine Abart, der Bubeoien, als „örtliche Böteln“ beschrieben. Hier¬
auf erschienen folgende Arbeiten: Gumplowicz, 1891, A. Schmidt,
1899, Prof. Sticker beschrieb sie als „neue Kinderseuche in der Um¬
gebung von Giessen 1899“, und PI achte (Berlin) unter dem Namen
Melagerythema epidemicum 1904. E. hat die Beobachtung gemacht, daß
die Fälle in deh einzelnen Epidemien in bezug auf die Form und
Örtlichkeit des Ausschlages große Verschiedenheiten aufweisen, und
daß sie in der Lokalisation, wie dem Verhalten der Effloreszenzen in
auffälliger Weise an das Erythema multiforme erinnern und Über¬
gänge zu demselben auf weisen. Ferner beobachtete E. in Begleitung
des Exanthems typische Knoten von Erythema nodosuni, Gelenkschmer¬
zen, einmal auch Endokarditis. Es spricht dies für eine engere Beziehung
Wiener Brief.
425
zu der Gruppe der rheumatischen Erkrankungen, zu denen auch das
Erythema multiforme gehört. Dafür spricht auch, daß nicht selten
hei dem typischen Gelenkrheumatismus der Kinder ein Erythema
gyratum angetroffen wird. Auch das Erythema multiforme tritt so
wie das Eryth. inf. zu gewissen Zeiten gehäuft auf, ohne daß eine
Kontagiosität nachweisbar wäre, geradeso wie heim Eryth. inf. E.
spricht daher seine Zweifel an der Auffassung dieses Zustandes als
einer neuen kontagiösen Infektionskrankheit aus, und nimmt entschieden
die ältere, schon in der Schmidt’ sehen Arbeit ausgesprochene Ansicht
an, daß es sich bei dieser Krankheit um besonders leicht verlaufende
Fälle von Erythema multiforme Hebrae handelt, das vielleicht gerade
hei Kindern dieses Alters in dieser leicht abortiven Form in Erscheinung
tritt. Salomon Ehr mann schließt sich in der Diskussion der An¬
schauung Escherich’s an, daß es sich um eine Abart des Erythema
multiforme exsudativum und nicht um ein akutes Exanthem handelt.
Auch das typische Erythema exs. multif . tritt zu gewissen Zeiten gehäuft
auf, so daß man eine externe Infektion aus der Atmosphäre annehmen
muß, was unter der Bezeichnung „rheumatische Erkrankung“ ja ver¬
standen werden isoll ; es kommt zuweilen auch bei Erwachsenen vor, und
zwar nicht bloß mit Eryth. nodosum vergesellschaftet, sondern auch
mit dem echten Erythem, multiforme, das ist Erythem, papulatum,
urticäns, und annulare, bezw. Erythema iris und gyratum. Namentlich
zur Zeit, als die großen Wiener Verkehrsanlagen im Bau waren, und
große Erdbewegungen stattfanden, hat Ehr mann diese Form bei Ar¬
beitern und ihren Familien beobachtet.
In derselben Gesellschaft stellte Hermann Schlesinger eine
30 jährige Frau vor, die seit vielen Jahren an Syringomyelie leidet,
mit sehr ausgedehnten Störungen der Schmerz- und Temper aturemp fin -
düng. Sie hat zwei Graviditäten durchgemacht. Während der Gravi¬
ditäten fehlte das Gefühl der Kindesbewegungen vollkommen. Der
Partus erfolgte zur richtigen Zeit ; es wurden lebende, kräftige Kinder
geboren. Die erste Geburt war vollkommen schmerzlos, die zweite bei
vielstündiger Dauer nur (in der letzten Viertelstunde schmerzhaft.
(Einriß des Dammes, der normale Schmerzempfindung aufwies.) Die
Libido sexualis fehlt vollkommen. Die Menses waren stets regelmäßig ;
die Milchsekretion, die Pigmentation der Mammae und der Bauchhaut
verhielten sich wie bei gesunden Frauen. Es bestehen auch hochgradige,
objektiv nachweisbare Störungen der Uterussensibilität, keine moto¬
rischen Blasen-, geringe Mastdarmstörungen. Im Anschluß an diesen
Fall behandelt Sch. die Frage: Wie fühlt die Gravide die intrau¬
terinen Kindelshe wegungen ? Man möchte glauben, daß die oft
sichtbaren Bewegungen der Frucht, Erschütterungen der Bauchwand
hervorbringen, die gefühlt werden können. In diesem Falle wäre es
möglich, daß die Kindesbewegungen auf dem Wege der Berührungs-
(Tast-)empfindung der Bauchhaut zur Kenntnis des betreffenden Indi¬
viduums gelangen. Unsere Beobachtung lehrt, daß die Berührungs¬
empfindung der Haut mit der eigentümlichen Sensation der Kindes¬
bewegungen nichts zu tun hat. Denn in diesem Falle war das Gefühl
für Kindesbewegungen trotz darauf gerichteter Aufmerksamkeit er¬
loschen, während die Berührungsempfindung der Bauchhaut vollkommen
intakt war, so daß selbst die feinsten Berührungen mit einem Haar
wahrgenommen wurden. Dies hängt mit der Affektion der Medulla
spinalis zusammen. Vielmehr kommt Sch. zu folgender Hypothese:
426
S. Leo,
Es gibt eine spezifische Organempfindung, die von der Wand des Uterus
(oder vom Peritoneum) ausgelöst wird, Erschütterungen (Kindesbewe¬
gungen) anzeigt, auf dem Wege des Sympathicus zur Medulla spinalis
gelangt, und bei Rückenmarksaffektionen isoliert erhalten bleiben oder
erlöschen kann. Die spezifische 'Empfindung für Kindesbewegungen
kann bei ungestörter taktiler Empfindung der Bauchwand verloren
gehen. Die zentralen Bahnen für diese Empfindung verlaufen im Rücken¬
mark nicht über den ganzen Querschnitt verbreitet, sondern wahr¬
scheinlich gesammelt, aber nicht mit den Bahnen für die Berührungs¬
empfindung der Bauchhaut. Die Bahnen für die spezifische Empfindung
für Kindesbewegungen treten oberhalb des Sakralmarks in das Rücken¬
mark ein, die Bahnen für den Wehenschmerz in das Sakralmark. Die
zentralen Bahnen für den Wehenschmerz verlaufen wahrscheinlich den
Bahnen für die Schmerzempfindung der Haut benachbart. Die spezifische
Empfindung für Kindesbewegungen und der spezifische Uterusschmerz
kann bei partieller Querschnitterkrankung (Läsion der Hinterhörner,
vielleicht auch der benachbarten Teile der weißen Substanz) zugrunde
gehen. Das Erlöschen dieser Empfindungen muß nicht von schweren
Blasen-, Mastdarmstörungen begleitet sein. Es gibt eine Dissoziation
(zentraler Natur) der uterinen Sensibilität; isolierter Verlust der spezi¬
fischen Empfindung für Kindesbewegungen oder des Wehenschmerzes. —
in der Diskussion bemerkte W. Latzko, daß die Empfindung der
Kindesbewegung normalerweise von der Uterusinnenfläche ausgelöst
werde, möglicherweise auch vom Peritonealüberzug des Uterus. Der
Wehenschmerz und die Empfindlichkeit der Oberfläche und Innenfläche
des Uterus haben nichts miteinander zu tun.
Alfred Exil er stellt eine Pat. vor, die er seinerzeit als mit
Akromegalie behaftet, vorgestellt hat und bei der auf nasalem Wege
die Hypophyse freigelegt wurde, und ein walnußgroßer Tumor exstir-
piert wurde. Trotz Eröffnung der Dura von der gewiß nicht keim¬
freien Nasenhöhle aus zeigten beide Frauen (auch ein zweiter maligner
Fall wurde auf der Klinik Hochenegg operiert) nie die Spur einer
meningealen Infektion. Es mag dies dadurch begründet sein, daß die
Knochenwand des Hypophysenwulstes nur zu einem kleinen Teil ent¬
fernt wurde, und auch die Dura nur an einer kleinen Stelle eröffnet
wurde, gerade groß genug, um mit dem scharfen Löffel eingehen zu
können. Es gelingt auf diese Weise ganz gut, den weichen Tumor
partienweise zu entfernen, was für den Erfolg der Operation genügt,
daß bei dieser Methode Tumorreste Zurückbleiben, die zum Teil auch
noch im weiteren Verlauf durch Blutkoagula, Granulationsbildung ge¬
schädigt werden können, ist zweifellos, doch ist dies nicht von allzu
großer Bedeutung, da eine radikale Entfernung im Sinne einer Karzinom¬
operation auf diesem Wege auch bei ausgiebigster Eröffnung der Dura
nicht möglich erscheint. Drainiert wurde das Bett der Hypophyse durch
Jodoformdochte, die durch ein Drain geleitet, von dem infektiösen
Sekret der Nase, so gut als möglich isoliert wurden. Histologisch
war der Tumor in beiden Fällen ein Adenom. Seit der Operation
haben die früher heftigen Kopfschmerzen fast aufgehört. Die Haut
der Hände und Füße ist dünner geworden, läßt sich nun gut in Falten
abheben, was früher unmöglich war. Der Umfang der Zehen und
Finger hat abgenommen. Der Umfang der großen Zehe hat in der
Mitte seit der Operation um ca. 3/4 cm abgenommen, der Umfang des
Mittelfingers um ca. 1/2 cm. Die Mehrzahl der borstigen Schnurbarthaare
Wiener Brief.
427
sind ausgefallen, ebenso ist die Behaarung in der Mitte des Unterbauches
bedeutend spärlicher geworden. Die Zunge wurde kleiner. Die Zähne
rückten näher aneinander. Die Frau hat 4 kg an Gewicht zugenommen.
Diese Rückbildungen lassen sich nur erklären, wenn wir die Hyper¬
sekretion der Hypophyse als Ursache der Akromegalie annehmen.
Der innige Zusammenhang zwischen Hypophyse einerseits, Thyreoidea
und Keimdrüse anderseits, läßt sich auch hier zeigen. Seit der Operation
hat .sich ein deutlich palpabler Mittellappen der Schilddrüse ent¬
wickelt, der früher nicht vorhanden war. Auf den Einfluß der Ovarien
ist der Ausfall der Schnurbarthaare, und der Haare in der Linea alba zu¬
rückzuführen. In der Diskussion bemerkt v. Eiseisberg, daß bei einem
Falle von Hypophysenoperation nach sechs Tagen reaktionslosen Ver¬
laufes meningeale Symptome auftraten ; im Lumbalpunktale wurden
Streptokokken nachgewiesen. Die Pat. ivurde mit Paltauf’schem Strep¬
tokokkenserum und subkutanen Injektionen von Elektrargol behandelt
und es kam zum Schwinden der meningitischen Reizsymptome.
Im „Wiener mediz. Doktorenkollegium“ sprach Ottokar Chiari
über die Diagnose der Eiterungen der Nebenhöhlen der Nase:
Die häufigsten Ursachen dieser Erkrankung sind die Katarrhe der
Nase und namentlich solche Katarrhe, welche die Folgen heftiger
Infektionen sind. Den ersten Rang nimmt dabei die Influenza ein,
dann folgen die akuten Exantheme, hauptsächlich der Scharlach
und die anderen infektiösen Erkrankungen. Seltener und nur die
Kieferhöhle betreffend ist als ätiologisches Moment die Periostitis um
die Zahnwurzeln herum zu nennen. Noch seltener geben Verletzun¬
gen, Fremdkörper, Tuberkulose die Veranlassung. Die Eiterungen
der Nebenhöhlen können akut oder chronisch auftreten und ferner
freien Ausfluß in die Nasenhöhlen haben oder in solchen Höhlen
verlaufen, deren Ostien verschlossen sind. Die akuten Entzündungen
der Nebenhöhlen kommen sehr häufig, fast bei jeder heftigen Koryza
vor, verlaufen aber meist unter mäßigen Erscheinungen und heilen
spontan aus. Manchmal überdauern sie aber die Entzündung der Nase,
weil die Ostien namentlich der Kieferhöhle und auch der Keilbein¬
höhle ungünstig, d. ,h. höher als der tiefste Punkt der Höhle selbst
gelegen sind. Ferner weil die Ostien eng sind und leicht durch ent¬
zündliche Schwellung verschlossen werden; dadurch kommt es zur
Stauung des Sekretes, welches dann die Schleimhaut der Nebenhöhle
zur Hyperämie, Hypertrophie, ja sogar zur Polypenbildung bringt,
welche Veränderungen nicht selten selbst unter fleißiger Ausspritzung
des pathologischen Sekretes sich nicht mehr zurückbilden und derart
Veranlassung zu chronischen Entzündungsständen der Höhle geben. Am
schwierigsten zu diagnostizieren sind jene chronischen Eiterungen,
welche als Residuen der leichteren akuten Entzündungen Zurückbleiben.
Das hervorstechendste Symptom ist nur ein eitriger Ausfluß der Nase.
Es ist daher begreiflich, daß diese Formen so lange der Diagnose ent¬
gingen. Sie sollten aber auch von dem Praktiker diagnostiziert werden,
weil sie nicht bloß den Kranken durch den Eiterausfluß belästigen,
sondern auch bei stärkerer Sekretion einen nicht gleichgültigen Säfte¬
verlust veranlassen. Ferner kann das ohnehin enge Ostium durch
entzündliche Schwellung seines Randes oder durch Polypen ver¬
schlossen werden, wodurch dann Stauung des Eiters erfolgt, oder es
kann die knöcherne Wand nekrotisch werden und eine Fistelbildung
nach außen stattfinden, oder es kann die Eiterung, sei es durch eine
428
S. Leo, *
solche Fistel oder durch die Vermittelung von Blut und Lymphgefäßen,
in die Orbita oder sogar in die Schädelhöhle durchbrechen. Endlich
kann eine Eiterung in der Keilbeinhöhle oder in den hinteren Siebbein¬
zellen in ähnlicher Weise den N. opticus gefährden. All das sind
Gründe, daß man jede Eiterung in den Nebenhöhlen frühzeitig diagno¬
stizieren soll. Was die Nomenklatur anbelangt, hat man anfangs alle
Eiterungen in den Nebenhöhlen, nämlich auch solche, welche freien Aus¬
fluß in die Nasenhöhlen hatten, Empyeme genannt. Später hat man
für Eiterungen mit freiem Ausfluß den Namen Sinuitis (Sinusitis),
für Eiterungen im Siebbein Cellulitis eingeführt, während Ch. diese
Antritis nennt. Bei der Diagnose muß man vor allem jene Prozesse
ausschließen, die ähnliche Erscheinungen, wie die chronischen freien
Eiterungen der Nebenhöhlen hervorrufen: 1. der chronische Schnupfen
mit starker Sekretion ist eigentlich selten und erweckt immer den
Verdacht auf eine Nebenhöhleneiterung. 2. Infolge von Syphilis kommen
nicht selten Geschwüre und Nekrosen in der Nase vor, welche Eiterungen
veranlassen. Diese Eiterung ist sehr häufig beiderseitig, ist gewöhn¬
lich mit üblem Geruch verbunden, der beim Vorhandensein von nekro¬
tischen Knochen einen stechenden Charakter hat und die Umgebung
sehr belästigt. Das Geschwür ist meist leicht zu sehen und die Nekrose!
durch die Sonde nachweisbar. Häufig besteht zugleich periostitische
schmerzhafte Schwellung der Nasenbeine. Manchmal sieht man auch
aridere syphilitische Erscheinungen an anderen Körperstellen, wie im
Bachen, an der Haut, die Drüsen usw. Doch verlaufen nicht so selten
ein oder mehrere Dezennien nach dem primären Affekt, ohne daß
Sekundärerscheinungen auftreten, bis endlich in der Nase allein sich
ein Gumma oder eine Nekrose entwickelt. 3. Fremdkörper oder Bhino-
lithen veranlassen bei ihrem Verweilen in der Nase ebenfalls eitrigen,
gewöhnlich aber auch stark stinkenden Ausfluß, fast ausnahmslos ein¬
seitig. Die Untersuchung mit der Sonde gibt gewöhnlich Aufschluß.
4. Die Ozäna endlich veranlaßt oft beiderseitigen übelriechenden Aus¬
fluß, der die Umgebung stark belästigt, aber dem Patienten selbst
nicht zum Bewußtsein kommt, weil meist durch den atrophischen Pro¬
zeß auch das Biechepithel zugrunde gegangen ist. Neben dem nicht
immer vorhandenen flüssigen Eiter bilden sich auch stinkende Borken
und Krusten. Die Krankheit besteht meist seit Kindheit und läßt
sich leicht durch die Bhinoskopie erkennen. Es sind dabei nicht bloß
die Schleimhautteile, sondern auch die knöchernen Grundlagen der
Muscheln hochgradig atrophiert, so daß die Nasenhöhle ungewöhnlich
weit ist. Die gewöhnlichen Symptome der chronischen Nebenhöhlen¬
eiterung mit freiem Ausfluß sind dagegen folgende: Der Eiterausfluß
findet meist einseitig statt, am stärksten in den Vormittagsstunden,
wenn eben das Sekret in den Nebenhöhlen durch die! aufrechte Körper¬
stellung und die Bewegungen des Körpers mehr zum Abfließen ge¬
bracht wird. Das Sekret ist meist dünnflüssig eitrig, aber bei sehr
kleinen Höhlen, welche wenig Eiter und diesen nur langsam absondern,
kommt es oft zur Bildung von Borken. Das Sekret hat nicht immer
einen üblen Geruch. Dieser üble Geruch wird meistens nur von dem
Patienten selbst wahrgenommen in dem Moment, als es in den gemein¬
schaftlichen Nasenausgang austritt (subjektive Ivakosmie). Wie das
Sekret aus der Nase herauskommf, verliert es schnell in der kühleren
Außenluft seinen üblen Geruch, doch kann bei reichlicherem Aus¬
fluß von zersetztem Sekret auch die Umgebung manchmal stark be-
Wiener Brief.
429
lästigt werden. Bei der Rhinoskopie sieht man den Eiter ineist immer
von derselben Stelle der Nasenhöhle hervorkommen, und nach seiner
Entfernung wieder nachfließen. In dieser Gegend finden sich dann
gewöhnlich Hypertrophien nnd Polypen. Was die relative Häufigkeit
der Eiterungen aus den verschiedenen Nebenhöhlen betrifft, so stehen
an erster Stelle die Kieferhöhle, an zweiter die Stirnhöhle, dann folgen
die Siebbeinzellen und die Keilbeinhöhlen.
Der Bericht der Gewerbeinspektoren über ihre Amtstätigkeit
im Jahre 1907 bestätigt den alten Satz: Eine gute industrielle und
wirtschaftliche Konjunktur ist die sicherste Stütze des sozialpolitischen
Fortschrittes. Die Hochkonjunktur, die erst in den letzten Monaten
des Jahres ihr Ende erreicht hatte, hat den Unternehmer geneigt ge¬
macht, einen Teil des Konjunkturgewinnes der Verbesserung der wirt¬
schaftlichen Lage der Arbeiter zu widmen und die Gewerbeinspektoren,
die seit jeher Vorkämpfer für den sozialen Fortschritt waren, fanden
ein williges Ohr, wenn es galt, V erbesserungen der hygienischen Ein¬
richtungen zu fördern und Unfallsgefahren zu bannen. Gerade für
den hygienischen Fortschritt bilden alte Fabriken oft ein Hindernis,
da es hier beim besten Willen manchmal nicht möglich ist, die sani¬
tären Bedingungen des Arbeitsprozesses günstiger zu gestalten. Das
Jahr 1907 ist ein Jahr der Fabriksneubauten. 3b8 Fabriken, 42 große
Steinbrüche, 42 Maschinenziegeleien, 101 Sägewerke, 63 Elektrizitäts¬
zentralen, 3 Gas- und 2 Azetylengasanstalten wurden 1907 neu in
Betrieb gesetzt. Unter den neuen Unternehmungen befinden sich 51
Textilfabriken, 17 median. Baumwollwebereien, 13 Maschinenfabriken,
13 Metallwarenfabriken, 9 Walzwerke, 15 Zuckerfabriken, 12 Dampf-
und Kunstmühlen und zahlreiche chemische Fabriken. Bei allen diesen
Anlagen wurde der Rat der Gewerbeinspektoren eingeholt und berück¬
sichtigt. Die Neubauten schaffen hygienisch entsprechende Fabriken,
mindern durch zweckmäßige Raumeinteilung die Unfallsgefahren.
Selten wurde auf das Wohl der Arbeiterschaft bei diesen Neubauten
nicht Rücksicht genommen ; diese Fälle werden mit Recht in dem Be¬
richte tadelnd hervorgehoben. Auch die Einführung von Dampfturbinen
macht Fortschritte. Ihre Konstruktion bietet besondere Vorteile vom
Standpunkte des Arbeitsschutzes ; auch hier geht technischer Fort¬
schritt mit dem sozialen Hand in Hand. Bemerkenswert ist die fort¬
gesetzte Herabsetzung der Arbeitszeit. Die Anzahl der Fabriks¬
betriebe mit elfstündiger Arbeitszeit hat wieder erheblich abgenommen.
In der Textilindustrie ist zum Teil der Zehnstundentag eingeführt
worden. In mehreren Wiener Fabriken trat am Samstag die 61/2stündige
Arbeitszeit in Geltung. In einzelnen Großbetrieben wird die Arbeit
an diesem Wochentage schon um 12 Uhr mittags beendet, ein späterer
Arbeitsbeginn um eine halbe bis eine Stunde an Montagen konzediert
und damit eine Forderung der Arbeiterschaft erfüllt. Auch die Klagen
über die Übertretung der Sonntagsruhevorschriften sind seltener ge¬
worden, ebenso die Anstände wegen Unterbringung der Arbeiter seitens
der Fabriken. Weiteren Anlaß zu Klagen bieten die Ziegeleien und
kleingewerblichen Betriebe. Beim Kleingewerbe ist nicht selten die
Notlage der Kleinmeister daran schuld. Infolgedessen aber wird die
Bewegung unter den kleingewerblichen Arbeitern immer intensiver,
sich von dem noch aus patriarchalischen Zeiten stammenden Brauche,
für einen Teil der geleisteten Arbeit durch Gewährung freier Kost
und freiem Logis entschädigt zu werden, gänzlich zu emanzipieren.
430
Vorläufige Mitteilungen und Autoreferate.
Dadurch werden die Beschwerden über das Wohnungselend der klein¬
gewerblichen Gehilfenschaft beendigt werden. Sehr erfreulich ist die
fortgesetzte Vergrößerung und Neueinrichtung von Badegelegenheiten
und Waschräumen. In früheren Berichten wurde darüber geklagt,
daß die Arbeiter nur schwer zur Benutzung dieser Wohlfahrtseinrich¬
tungen zu bringen sind. Die Klage ist verstummt. Es zeigt sich,
daß die Benutzung von Wohlfahrtseinrichtungen oft von der Hebung
des Intelligenzniveaus der Arbeiterschaft abhängig ist. Neben diesen
Lichtbildern fehlt es nicht an Schattenseiten. Es gibt noch immer
Arbeitgeber, die das Truckverbot ignorieren, noch immer wird über
die mißbräuchliche Verwendung jugendlicher Arbeiter geklagt. Das
größte Kontingent dazu stellen die fabriksmäßigen Unternehmungen
in Tön und Glas. In den Ziegelwerken werden Kinder verwendet,
selbst solche, die noch nicht einmal das Alter von zehn Jahren er¬
reicht haben. Große Sorgfalt widmen die Gewerbeinspektoren der Be¬
obachtung von Berufskrankheiten. Besonders zahlreich waren die
Milzbranderkrankungen ; ferner wurden fünf Fälle von Phosphornekrose
konstatiert. Bücksichtlich dieser Gefahren steht das Verbot des Wei߬
phosphors in Aussicht. Die Konstatierung der häufigen Trachom¬
erkrankungen ist ein neuerlicher Ansporn für die Errichtung eigener
Trachomstationen am Wiener allg. Krankenhaus.
Vorläufige Mitteilungen u. Autoreferate.
Ueber Spätfolgen der Epityphlitis.
Von Dr. O. Retzlaff.
Assistenzarzt der chirurgischen Abteilung der Krankenanstalt Magdeburg-Sudenburg.
(Nach einem in der medizinischen Gesellschaft zu Magdeburg gehaltenen Vortrage.)
Unter den Epityphlitisfällen aus dem Materiale der chirurgischen
Abteilung der Sudenburger Krankenanstalt (Oberarzt Prof. Wendel)
beobachtete B. einige Komplikationen, die erst nach langer Zeit, nach
scheinbar völliger Heilung, Erscheinungen gemacht hatten. Zuerst
werden zwei Fälle von Bauchdeckentumoren beschrieben, von denen
der eine drei Jahre, der andere fünf Monate nach der Operation in der
Narbe aufgetreten waren. Es handelte sich um Granulationsgeschwülste,
ähnlich den Ligatureiterungen. Der eine drei Jahre bestehende wurde
eröffnet, excochleirt’ und heilte nach Inzision eines Bubo inguinalis
derselben . Seite, mikroskopisch fand sich Granulationsgewebe mit Ab¬
szessen, der andere verschwand in drei Wochen unter Thermophor- und
S augb ehandlung .
Es folgt dann ein diagnostisch interessanter Fall. Bei einem
9jährigen Knaben war ohne besondere Ursache eine Beugekontraktur
im rechten Hüftgelenke aufgetreten, so daß die Diagnose Coxitis wahr¬
scheinlich war. Erst bei der Untersuchung in Narkose zeigte sich
eine Besistenz am Ileopsoas und da das Gelenk frei war, wurde als
Ursache ein Epityphlitisrezidiv angenommen. Die Appendicektomie
brachte Heilung. Ferner wurde ein Fall von Strangulationsileus beob¬
achtet. Bei einem 25 jährigen Mädchen, das 1902 im Intervall operiert
worden war, hatten sich Adhäsionsbeschwerden eingestellt, so daß zwei
Jahre später eine Laparatomie nötig wurde, wo Verwachsungen am
Coecum gelöst wurden. Pat. wurde 31/2 Jahr später gravide und bekam
Vorläufige Mitteilungen und Autoreferate.
431
im fünften Monate Ileuser scheinungen mit Icterus und Koterbrechen.
Bei der Laparatomie fanden sich zwischen Uterus und Flexur flächen¬
hafte V erwachsungen. 20 cm oberhalb der Ileocoecalklappe umschnürt
ein vom Becken zum Mesenterium ziehender Strang das Ileum, das
weiter abwärts nochmals von einem 2 cm breiten Strange eingeengt
wird. In der Darmserosa befanden sich außerdem noch derbere narbige
Stellen. Nach Lösung aller Verwachsungen und Stränge war der Darm
frei, und es erfolgte der normale rechtzeitige Partus. Es hatte also
die in unmittelbarer Nähe des graviden Uterus ausgeführte Operation
keinen ungünstigen Einfluß auf die Schwangerschaft ausgeübt.
Eine besondere Beachtung verdienen die isolierten Abszesse in den
Spätstadien der Epityphlitis.
Einem 39 jährigen Pat. war der Processus wegen Gangrän ent¬
fernt worden, und er fühlte sich völlig beschwerdefrei, bis er drei
Monate später akut unter peritonitischen Erscheinungen erkrankte. Bei
der Laparatomie wurde eine große retroperitoneale Eiterung gefunden,
die durch die Wurzel des Dünndarmgekröses in die Bauchhöhle durch¬
gebrochen war. Bei der Sektion fand sich eine Peritonitis, ein binde¬
gewebig abgeschlossener Abszeß medianwärts vom Coecum, an die vor¬
dere Bauchwand anstoßend, je ein mit Exsudatmembranen ausgeklei¬
deter Hohlraum zwischen Colon ascendens, Leber und Duodenum und
zwischen Colon descendens, Badix mesenterii und Dünndarmschlingen,
beide kommunizierend durch die Badix hindurch.
Nunmehr geht B. zur Besprechung der thrombotischen und embo-
lischen Vorgänge in der Nähe der Appendix und der Verschleppung
der Emboli in Lunge und Leber über.
Bei einem 25 jährigen Manne stellten sich im Anschluß an eine
schwere abszedierende Epityphlitis Lungenerscheinungen embolischen
Ursprunges ein und auch Schüttelfröste, die sich stets bei Berührung
der Wunde, so z. B. bei jedem Verbandwechsel zeigten, deuteten auf
ausgedehnte thrombophlebitische Prozesse hin. Der Pat. wurde geheilt
entlassen.
Die Beteiligung der Leber wurde bei zwei Patienten beobachtet.
Im ersten Falle handelte es sich um einen 48jährigen Pat., der vor
zehn Jahren zum ersten Male an Blinddarmentzündung erkrankt war
und dann fast in jedem Jahre ein leichtes Bezidiv gehabt hatte. Er
wurde sehr elend eingeliefert, es war ein Abszeß nachweisbar, der
eröffnet wurde. Später mußten Gegeninzisionen in der Lumbalgegend
gemacht und noch ein subphrenischer Abszeß eröffnet werden, Exitus.
Bei der Sektion findet sich eine retrocoecale Abszeßhöhle, mit der die
Spitze der Appendix verwachsen ist. Bindegewebiger Verschluß der
V . ileocolica und mesenterica magna. V ereiterte Thromben in der Pfort¬
ader, in den intrahepatischen Ästen derselben und in der V. mesenterica
parva, Vereiterung eines Teiles ihrer Wand, Abszeß im Mittellappen
der Leber. Seröseitrige Flüssigkeit in der rechten Pleurahöhle, seröser
Erguß in der linken.
Der zweite Pat. wurde Mitte Februar 1908, 30 Stunden nach dem
Anfalle operiert, in der Bauchhöhle war bereits, ein eitriges Exsudat
vorhanden. Der Prozessus wird exstirpiert und man findet bei Unter¬
bindung des Mesenteriolums eine Gangrän im basalen Drittel, in deren
Bereiche zwei Kotsteine. Im Mai erkrankte Pat., der sich bis dahin
völlig wohl gefühlt hatte, plötzlich unter Atemnot und Herzschwäche.
In der rechten Pleurahöhle fand sich ein trübseröses, später eitriges
432
Vorläufige Mitteilungen und Autoreferate.
Exsudat. Noch ehe die Rippenresektion gemacht werden konnte, starb
er an Herzschwäche.
Bei der Sektion finden sich in der rechten Pleura mehrere Liter
einer dünnen schmutzigbraunen Flüssigkeit, die das Herz stark nach
links verschoben hat. Diei rechte Lunge hat die Größe einer Männer¬
faust, beide Pleurablätter sind mit einem dicken graugelben Belage
versehen. Auf der Leber ist in der Gegend des Lig. coronarium eine
gut handtellergroße Partie der Leberoberfläche mit dem Zwerchfell
verwachsen, nach deren Lösung ein dicker grüngelber Belag zwischen
Leber und Zwerchfell sichtbar wird. Unter diesem Belage finden sich
in der Leber zwei ca. walnußgroße Höhlen mit dickem graugelbem
trübem Inhalte, ihre Wand ist ebenfalls mit graugelbem Belage ans¬
gekleidet.
In dem ersten Falle hatten wir eine Reihe von Komplikationen,
einen Abszeß in der Nähe der Appendix, Thrombophlebitis purulenta
der Pfortader, Leberabszesse und schließlich noch Empyem der rechten
und einen serösen Erguß der linken Pleurahöhle. Im zAveiten Falle
war die Infektion von Anfang an sehr schwer gewesen, nach schein¬
barer Heilung war die Beteiligung der Pleura das einzige Symptom,
das Beschwerden gemacht hatte.
Eingehender werden die Infektionsmöglichkeiten der Pleura be¬
sprochen.
Bei der geringen Aussicht, in diesen Stadien therapeutisch etwas
zu erreichen, empfiehlt R. dringend auf Grund der guten Resultate
der Frühoperationen, in der Epityphlitisbehandlung das Messer des
Chirurgen nicht als ultima ratio zu betrachtein, sondern durch die früh¬
zeitige Exstirpation der Appendix vorbeugend die Quelle des infizieren¬
den Materiales zu verstopfen, ehe dasselbe seinen verderblichen Weg
in den Körper genommen hat. Autoreferat.
Über Ureterverschluß.
Von Dr. Hube sch.
(Vortrag im Verein deutscher Ärzte in Prag, 5. März 1909.)
Vortragender stellt drei operierte Fälle von Ureterverschluß vor
(Röntgenbilder). Das eine Mal fand sich eine Knickung des linken
Ureters mit Hydronephrose (37 jähriger Mann), wahrscheinlich ent¬
standen durch Wanderniere, die beiden anderen Male handelte es sich
um Steine mit Pyonephrose. In diesen beiden Fällen lag das eine Mal
ein verzweigter Nierenbeckenstein (55jährige Frau), das andere Mal
ein ca. bohnengroßer Stein im Ureter und mehrere kleine Konkremente
in der Niere vor (22 jähriges Mädchen).
In den Fällen von Ureterknickung und Nierenbeckenstein wurde
die fast parenchymlose Hydro- resp. Pyonephrose primär exstirpiert,
in dem Falle von Ureterstein wurde ein konservatives Vorgehen, da
noch Nierengewebe erhalten war, versucht: Zunächst die Nephrotomie
vorgenommen und, da von dieser aus nicht auch der Ureterstein ent¬
fernt werden konnte, drei Wochen später durch Ureterotomie der Stein
entfernt. Jetzt nach 21/2 Monaten besteht noch die Nierenfistel, fast
aller Harn entleert sich in die Blase, hat jedoch eine Cystitis erzeugt,
so daß wegen Gefährdung der anderen noch gesunden Niere nunmehr
die Nephrektomie vorgenommen werden muß.
Referate und Besprechungen.
433
Ein Fall von Favus.
Von Dr. Galewsky.
(Nach einem Vortrag im ärztlichen Verein in Dresden.)
Vortragender demonstriert einen achtjährigen Knaben aus Kiew
in Rußland, der seit langer Zeit an Favus leidet. Ergriffen ist der
behaarte Kopf, am Körper und Nägeln ist nichts Pathologisches zu
finden. Die Behandlung soll in Röntgenbeleuchtung und Behandlung
mit desinfizierenden Seifen und Salben bestehen. Autoreferat.
Ueber die Verwendbarkeit der Komplementbindungsmethode zur Diagnose
der Meningitis epidemica.
Von Dr. W. Schürmann. (Med. Klinik, Nr. 43, 1908.)
Verfasser brauchte zur Anstellung seiner Versuche:
1. einen Bazillenextrakt als Antigen,
2. Patientenserum resp. Lumbalflüssigkeit als Antikörper,
3. Meerschweinchenserum als Komplement,
4. Serum eines mit Hammelblut vorbehandelten Kaninchens,
5. eine gewaschene 5°/0ige Hammelblutkörperchenaufschwemmung.
In zehn Fällen von echter epidemischer Genickstarre fand Verf.
sowohl im Blutserum, wie in der Spinalflüssigkeit eine Ablenkung.
Acht Patienten gaben im Stadium der Rekonvaleszenz ebenfalls ein
positives Resultat. In zwei Fällen (Hydrozephalus) versagte die Probe.
Bei tuberkulöser Meningitis und in einem Falle von Gehirnabszeß
fand er keine Komplementbindung. Neun Kontrollen mit normalem
Blute ergaben ein negatives Resultat ; das Blutserum eines Typhus¬
kranken und eines an Icterus catarrhalis leidenden Kindes verhielten
sich ebenso wie das eines normalen Menschen. Verf. rät zur Prüfung
der Methode an einem großen Krankenmaterial, da in einigen Fällen,
wo erst später kulturell Meningokokken festgestellt wurden, Verf.
Voraussagen konnte, ob es sich um eine Meningitis epidemica handelte
oder nicht. Die Methode ist demnach zur Diagnosenstellung recht
gut verwendbar. Autoreferat.
Referate und Besprechungen.
Bakteriologie und Serologie.
(Aus der dermatologischen Klinik des städtischen Krankenhauses Frankfurt a. M.
Prof. Herxheimer.)
Was leistet zurzeit die Wassermann’sche Reaktion für die Praxis?
(Dr. Fritz Höhne, Oberarzt. Med. Klinik, Nr. 47, 1908.)
Die für ihre praktische Bedeutung wichtige Hauptforderung, daß die
Serodiagnostik für Lues spezifisch ist, dürfte wohl nach den bisherigen Er¬
fahrungen erfüllt sein. Sie fällt hei der Mehrzahl der Luetiker positiv
aus, während sie hei gesunden Menschen ein negatives Resultat liefert.
Die hei Scharlach gefundene positive Reaktion konnte nicht bestätigt werden.
Was die Methode anbetrifft, so ist die von Wassermann, Neißer
und Bruck angegebene am zuverlässigsten. Diagnostisch ist darauf hin¬
zuweisen, daß der positive Ausfall zwar sicher beweisend für das Vorhanden¬
sein einer Lues ist, nicht aber dafür, daß die gerade bestehende lokale Er¬
scheinung luetischer Natur ist. Weiter ist hei negativem Ausfall nicht
ohne weiteres die Diagnose Lues hinfällig. Die klinische Beobachtung wird
28
434
Referate und Besprechungen.
demnach nicht überflüssig. Wertvolle Dienste kann die Serodiagnostik einmal
in differentialdiagnostischer Hinsicht, sowie bei Syphilophoben, bei klinisch
gesunden Kindern syphilitischer Eltern, endlich den Neurologen, Ophthalmo¬
logen und Chirurgen leisten. Die prognostische Bedeutung ist nur gering,
da der schwache oder starke Ausfall nach einer Kur nicht viel besagt.
Auf die Therapie hat die Reaktion dagegen bedeutenden Einfluß.
Höhne’s Urteil geht dahin, daß die Wassermann’sche Reaktion entschieden
großen Wert besitzt, da wir durch sie aus dem Gebiete der Vermutungen
und Annahmen herausgekommen sind und mit sicheren Tatsachen rechnen
können. F. Walther.
Bewertung der Wassermann’schen Reaktion für die Frühdiagnose und die
Therapie der Syphilis.
(W. Fischer. Med. Klinik, Nr. 4, 1909.)
Aus den Untersuchungen Fiscjher’s, die im Institut für Infektions-
krankheiten ausgeführt worden sind, geht hervor, daß die Wassermann-
sche Reaktion um so häufiger gefunden wird, je längere Zeit seit der In¬
fektion verstrichen ist. Bei einer Infektion vor 4 Wochen ergab die Reak¬
tion 0%, vor 5 — 6 Wochen 27%, vor 9 — 10 Wochen 80% positive Resul¬
tate. Des ferneren stellte sich heraus, daß dasselbe Individuum überhaupt
nicht immer in gleicher Weise auf den sich in ihm abspielenden syphili¬
tischen Prozeß mit positiver Reaktion antworten muß, wenn auch eine solche
bei früheren Erscheinungen zu konstatieren gewesen war.
Fischer erzählt einige Fälle, in welchen nach antisyphilitischen Kuren
die Reaktion = 0 geworden war und trotzdem gleich darauf sich neue Exan¬
theme, maligne Formen, apoplektislche Insulte eingestellt hatten; er meint
demgemäß, daß für die Therapie und für die Prognosie mit der Wasser-
m an Aschen Reaktion nicht viel anzufangen sei. Buttersack (Berlin).
Experimentelle Untersuchungen über die Leistungsfähigkeit des
Komplementbindungsphänomens für die Typhusdiagnose.
(Dr. Raskin. Zentralbl. für Bakt., Bd. 48, H. 5, 1909.)
Eine Versuchsreihe mit verschiedenen Typhusstämmen wurde nach den
Vorschriften von Wjasse;rmann-Leuohs angestellt und im ganzen acht
Immunsera, die von Kaninchen stammten, die mit Typhusstämmen und Para¬
typhusbazillen vorbehandelt waren, geprüft. Als! Antigen dienten dem Ver¬
fasser Extrakte von Organen oder Bazillen ; die Bazillenextrakte wurden genau
nach der Vorschrift von L;euc(hs und Schöne hergestellt.
68 Versuche wurden im ganzen ausgeführt. Es ergibt sich, daß die
Art des die Immunität herbeiführenden Typhusstammes auf das Zustande¬
kommen und die quantitative Wertigkeit der Komplementbindungsreaktion
einen nicht zu verkennenden Einfluß ausübt. Auch spielt die Art des als
Antigen dienendes Extraktes eine wesentliche Rolle.
Verf. hält es vor der Hand noch verfrüht, wegen der Kompliziertheit
des Verfahrens, es für praktische Zwecke zu empfehlen.
Schürmann (Düsseldorf).
Über die Gefahr der Reinjektion größerer Mengen von Heilserum.
(G. Klemperer. Ther. der Gegenw., Nr. 9, 1909.)
Eine Wöchnerin, über deren Gesundheitszustand nichts Nachteiliges be¬
kannt ist und die ohne Hilfe zum vierten Male geboren hatte, bekam zehn
Tage später einen Schüttelfrost ohne lokale Erscheinungen. Da das Fieber
nicht abfiel, spritzte ein zugezogener Gynäkologe am nächsten Tage 30 ccm
Antistreptokokkenserum ein. Die Temperatur fiel langsam ab, aber vier
Tage später entwickelte sich ein starkes Serumexanthem, dem weitere vier
Referate und Besprechungen.
435
Tage später unter 40° eine Schwellung des Schultergelenks folgte und im
weiteren Verlauf zwei Kollapse, denen die Kranke mit genauer Not ent¬
rissen wurde.
Daß weder Exanthem, noch Gelenkentzündung, noch Kollapse auf die
fieberhafte Wochenbetterkrankung zurückzuführen sind, darüber dürfte kein
Zweifel bestehen; wohl aber über die Frage, ob die Seruminjektion allein
dafür verantwortlich zu machen ist. Klemperer erinnert an die Erfahrung,
daß nach Injektionen von Pferdeserum eine sehr gesteigerte Empfindlichkeit
gegen dasselbe beobachtet worden ist und glaubt eine solche bei der Kranken
voraussetzen zu dürfen, da sie drei Jahre früher mit Diphtherieserum be¬
handelt worden war. Jedenfalls ein neuer Grund, mit den Serumeinspritzungen
sehr zurückhaltend zu sein! Klemperer formuliert seine Ansicht in muster¬
haft vorsichtig -deutlicher Weise in dem Satze: wenn die Injektionen von
großen Serummengen mit Rücksicht auf etwaige Überempfindlichkeit in Zu¬
kunft öfter unterbleiben sollten, so dürfte durch solche Unterlassung nach
dem bisherigen Stande unserer Erfahrungen wohl kaum jemals ein Schaden
geschehen. E. von den Velden.
Klinische Untersuchung und Konjunktival-Reaktion auf Tuberkulose.
(H. Mery, L. Dufestel u. P. Armand-Delille. Bull, med., S. 1099, 1908.)
Mit sicherem Blick hatte Gr an eher erkannt, daß man den Kampf
gegen die Tuberkulose am erfolgreichsten bei den Kindern aufnehmen könne,
und zwar um so erfolgreicher, je früher die Infektion erkannt würde ; die
erwachsenen Tuberkulösen, unsere Heilstätten-Insassen, erschienen ihm als
mehr oder weniger verlorene Posten. Die Frühdiagnose erschien da als
Haupterfordernis, und als die Konjunktivalreaktion veröffentlicht wurde,
haben sich Grancher’s Schüler dieses diagnostische Hilfsmittel sofort nutz¬
bar zu machen gesucht. In einer Mädchenschule untersuchten sie 447 Kinder ;
von diesen erschienen 109 (= 24,38%) klinisch suspekt; 10 (= 2,23%) boten
die Zeichen des ersten Stadiums der Lungentuberkulose dar.
Die Konjunktivalreaktion wurde bei 82 Kindern angestellt (1 Tropfen
0,5%iges Tuberkulin in den inneren Augenwinkel); und zwar bei 67 Ver¬
dächtigen und bei 15 klinisch Gesunden. Von den 67 Verdächtigen reagierten
42 deutlich, neun undeutlich; also' bei wohlwollender Beurteilung 51 positiv.
16 reagierten nicht, wobei zu bemerken ist, daß zwölf auch bei wiederholten
klinischen Untersuchungen verdächtig blieben.
Von den 15 klinisch gesunden Kindern reagierten zwölf nicht, drei
geringfügig.
Ähnliche Resultate hatte Krantz im Sanatorium Hendaye erhalten:
von 315 als tuberkuloseverdächtig auf genommenen Kindern hatten nur 242
konjunktival positiv reagiert.
Man kann also slagen: Die klinische Beobachtung ist immer noch feiner
und zuverlässiger als die Konjunktivalreaktion, welche überdies im Massen¬
betrieb Schwierig auszuführen und schwierig zu deuten ist; auch an die nicht
ganz seltenen zurüc'kbleibenden Reizerscheinungen ist zu denken. Und wenn
man jede geringe Reaktion als positiv deuten will, gelangt man zu praktisch
ganz unbrauchbaren Resultaten: on sie trouverait en presence d’un probleme
insoluble si Ton voulait appliquer des mesures speciales de preservation ä
tous cos enfants ayant reagi. Also: Seul Toxämien elinique peut fournir
des indications precises permettant une selection utile.
Und damit möge die Frage ihr Bewenden haben. Buttersack (Berlin).
Das Marmorek’sche Serum bei Lungentuberkulose.
(K. Kroner. Zeitsclir. für phys. u. diät. Therap., Bd. 12, H. 11, S. 645 — 658,
Februar 1909.)
Man sollte denken, die Frage, ob ein Mittel hilft oder nicht, sei ein¬
fach zu entscheiden ; allein das ist ein Irrtum. Um die Serumtherapie streitet
28*
436
Referate und Besprechungen.
man sich mit Eifer und beiderseits anscheinend guten Gründen, und wenn
gelegentlich ihre Parteigänger ,, magno hiatu“, wie G. E. Stahl zu sagen
pflegte, ihr Lob singen, so finden sich andererseits unter den Hörern genug
skeptische Köpfe, welche die Politik des passiven Widerstandes befolgen.
Sie finden neue Nahrung in dem ‘vorliegenden Bericht von Kroner über
19 Tuberkulöse II. Grades, welche mehr oder weniger lange mit Marmorek-
Serum behandelt worden waren, also keinen durchschlagenden Erfolg er¬
kennen ließen. Kroner ist zwar geneigt, dem Serum eine gewisse spezifische
Wirkung zuzuschreiben, die er in einer Einwirkung auf die von den Bakterien
produzierten toxischen Substanzen sucht. Aber sie sei weder so konstant
noch, so bemerkenswert, daß es berechtigt erscheine, dem Serum einen Platz
in der Therapie der Lungentuberkulose zuzuweisen. Buttersack (Berlin).
Marmorek's Tuberkulose-Serum.
(Ch. Monod. Bull. med. S. 55, 1909.)
Am 19. Januar 1909 hat Monod der Akademie de Medecine über die
neueren Arbeiten berichtet, welche im In- und Ausland über Marmorek’si
Tuberkuloseserum erschienen sind. Im Ganzen liegen nunmehr Mitteilungen
über 1379 Tuberkulosekranke aller Art und Schwere vor; danach sind 65%
der Kranken mit innerer, 72% jener mit chirurgischer Tuberkulose günstig
beeinflußt worden. Monod traut dem Serum bessere Wirkungen zu als sonst
irgend einer Therapie. Etwas Begeisterung gehört ja schließlich auch zu den
therapeutischen Erfolgen.
Die Applikation per clysma vermeidet die sog. Anaphylaxie, ist deshalb
der subkutanen Injektion vorzuziehen.
Was die therapeutischen Erfolge betrifft, so scheinen mir die sog.
Besserungen, günstigen Beeinflussungen nicht allzu hoch zu bewerten zu
sein ; bei ihnen kann man auch an den Spruch denken : Ein langes! Leiden ist
ein langer Tod. Buttersack (Berlin).i
Intraderma-Tuberkulin-Reaktion.
(Hutin el. Gaz. med. de Paris, Nr. 24, 15. November 1908.)
,,Qui uni objecto valde intentus est idque praesertim quasi ecstatice
contemplatur, alia simul externis organis obvia non sentit.“ Dieser Satz findet
sich bei einem der bedeutendsten naturwissenschaftlichen Geister, Franciscus
Glisson, in seinem Tractatus d,e natura substantiae energeticae vom Jahre
1672. Aber er gilt auch noch unvermindert im Jahre 1909. Die Geister
sind so sehr von der Frage hypnotisiert: Wie läßt sich mit Hilfe des Tuber¬
kulins erweisen, ob jemand tuberkulöse Herde in sich trägt? daß ihnen die
von den pathologischen Anatomen nachgewiesene 90%ige Häufigkeit tuber¬
kulöser Ansiedelungen fast ganz entgangen ist. Die subkutane Injektion
nach Koch usw., die Hautreaktion nach v. Pirquet, die Konjunktivalreaktion
nach Wolff-Eisner haben mancherlei Unbequemlichkeiten; darum hat Man¬
toux in Cannes Injektionen in die Cutis O/ioo mg) vorgeschlagen und
Hutinel ist sein Prophet. Er preist die Reaktion als leicht anstellbar, un¬
gefährlich, schmerzlos und leicht deutbar; aber ihre Resultate sind im wesent¬
lichen die gleichen, wie bei den anderen Methoden. Zwar: wenn die Reaktion
ausbleibt, kann man auf völlige Tuberkulosefreiheit schließen, z. B. bei
Kindern in den ersten Lebensmonaten ; es ist nur schade, daß bei diesen
die Frage zumeist nicht akut ist. Bei Erwachsenen bleibt die Reaktion aus
bei Sterbenden, bei Masernkranken, bei Frischgeimpften und bei Kachektischen
(vielleicht auch noch unter anderen Bedingungen), ist mithin nicht eindeutig.
Und mit einer positiven Reaktion ist praktisch erst recht nicht viel anzu¬
fangen ; denn man weiß nicht, ob es ein frischer, fortschreitender oder ein
alter, abgekapselter, ausgeheilter Herd ist, der die typische Infiltration
auslöste.
Also: der Aphorismus: ^ 8e 7te1pa acpaXspf, r\ oe xpiaig X.a^£7ai kann noch nicht
außer Kurs gesetzt werden. Buttersack (Berlin).
Referate und Besprechungen.
437
Über Züchtung von anaeroben Mikroorganismen der Mundhöhle.
(Dr. Mühle ns. Zentralbl. für Bakt., Bd. 48, H. 4, 1908.)
Das Spirillum sputigenum, das Verf. reichlich in der Mundhöhle vor¬
fand, läßt sich anaerob im Pferdeserumagar gut züchten. Er sieht es nicht
als eine Entwicklungsform des Bacillus fusiformis an ; denn bei letzterem
waren weder Geißeln noch aktive Bewegungen nachweisbar.
Verf. konnte im Serumagar auch einen Vibrid der Mundhöhle züchten
und einen anderen anaeroben Geißelbazillus, dessen Geißeln sich gut nach
Giemsa darstelle.n lassen. Schürmann (Düsseldorf).
Über die Wirkung der toxischen Produkte der Pestbazillen auf die
Atmung.
(Dr. Bonis u. Pietroforte. Zentralbl. für Bakt., Bd. 48, H. 5, 1908.)
Die Versuche wurden an Kaninchen gemacht, die für die toxischen
Produkte der Pest sehr sensibel sind. Es zeigte sich nun, daß bei der In¬
jektion mit toxischen Filtraten der Pestbazillen intraperitoneal oder intra¬
venös keine Veränderungen der Atmungsfunktion stattfanden.
Intraperitoneale oder intravenöse Injektion mit dem Nukleoproteid er¬
gab eine Zunahme der Heftigkeit und Häufigkeit der Atmungsbewegungen,
die bei größeren Intoxikationen unregelmäßig im Rhythmus und der Häufig¬
keit werden. Autopsie ergab Anzeichen von funktionellen und anatomischen
Störungen, so Stase, Hyperämie und Infarkte in den Lungen.
Gut ging die Temperatur bei der Injektion des Nukleoproteids zurück.
Aus den Versuchen geht hervor, daß die Symptome, die sich auf die
Atmungsfunktion beziehen, auf das Nukleoproteid zurückzuführen sind. Die
Atmungsstörungen rühren wohl von Intoxikationen der Zentren, jedoch auch
zum großen Teil von den veränderten zirkulatorischen und anatomischen
Bedingungen her. Schürmann (Düsseldorf).
Über die Übertragung der Tollwut durch die Nasenschleimhaut.
(Dr. Repetto. Zentralbl. für Bakt., Bd. 48, H. 5, 1908.)
5 schwarze Ratten wurden dreimal mit fixem Virus auf der Nasenschleim¬
haut infiziert.
Es zeigte sich, daß 60% der Ratten an Wut zugrunde gingen, daß ein
Teil der Ratten am 6. Tage Lähmung aufwies und am 7. Tage verendete und
andere am 7. Tage Lähmungen aufwiesen und am 8. Tage starben.
Schiirmann (Düsseldorf).
Gynäkologie und Geburtshilfe.
Die Ergebnisse der Blutuntersuchung in prognostischer Hinsicht beim
Wochenbettfieber.
(Himmelheber, Heidelberg. Monatschr. für Geburtsli. u. Gyn., Bd. 28, Nr. 3.)
Eine vollständige klinische Blutuntersuchung muß den Nachweis der
Infektionserreger im Blute, die numerischen und qualitativen Veränderungen
der roten und weißen Blutkörperchen und den Hämoglobingehalt umfassen.
Die Aussicht, einen positiven Bakterienbefund zu erhalten, hängt mit der
Schwere der Infektion und der Zeit der Blutentnahme zusammen, dabei zeigt
sich, daß nicht nur Staphylo- und Streptokokken für die puerperale Sepsis,
sondern auch Gono- und Pneumokokken, Koli u. a. in Betracht kommen.
Gerade die Staphylomykosen geben eine ungünstige Prognose ab. Durch
die Bakterieneinwirkung kommt es zu Schädigungen der Erythrozyten und
Verminderung des Hämoglobingehaltes (bis auf 10 — 15%). Die Hyperleuko¬
zytose ist nach H. meist nur durch lokale entzündliche Veränderungen be¬
dingt, während sie bei reiner Puerperalsepsis fehlt. Demnach kommt auch
438
Referate und Besprechungen.
dem „Leukozytensturz“ (Dützmann) nur eine geringe prognostische Be¬
deutung zu. Die Leukozytose ist stets bedingt durch Vermehrung der poly¬
nukleären neutrophilen Elemente ; die mononukleären Formen sind absolut
oder relativ vermindert. Die Eosinophilen verschwinden während des Eiebers
nahezu vollkommen. Wir erhalten also in der neutrophilen Hyperleukozytose
einen Maßstab für die Heftigkeit der Reaktion des Organismus auf die
Bakterieneinwirkung; die Eosinophilie zeigt die Neutralisation der bakteriellen
Toxine an ; die Mononukleose belehrt uns über die Regenerationsfähigkeit
der entstandenen Gewebsdefekte (Rekonvaleszenzmononukleose). Die Beobach¬
tung des Am ethischen neutrophilen Blutbildes allein scheint leider pro¬
gnostisch keine sicheren Anhaltspunkte zu gewähren.
Frankenstein (Köln).
Die Nierendekapsulation bei Eklampsie.
Sammelreferat.
(Priv.-Doz. Dr. E. Kehrer. Zeitschr. für gyn. Urol., Nr. 2, 1909.)
K. zieht aus den bisher veröffentlichten Arbeiten den Schluß, daß
die Dekapsulation in jenen schweren Fällen von puerperaler Eklampsie mit
vorwiegender Beteiligung der Nieren berechtigt ist, ja sogar empfohlen wer¬
den darf, in denen trotz erfolgter Entbindung, trotz Venaesectio und aller
übrigen die Ausscheidungsorgane anregender Maßnahmen eine Verstärkung
der Anfälle und Verschlimmerung des Allgemeinzustandes erfolgt. Doch
darf in solchen Fällen mit der Dekapsulation nur wenige Stunden gewartet
werden. Es ist zu h[offen, daß dann ein Teil der 20% Eklampsien, die sich
nach der Entleerung des Uterus nicht bessern oder danach erst auf treten, ge¬
heilt werden. Unbeeinflußt sind und bleiben natürlich die verzweifelten
Fälle von degenerativen Veränderungen anderer Organe, insbesondere der
Leber und des Herzens, die Fälle von Lungenödem und von Blutungen jn
inneren Organen. Das letzte Wort über die Berechtigung der Nierendekapsu¬
lation werde aber erst die Zukunft zu sprechen haben, ob nicht durch Ein¬
hüllung der Nieren in unnachgiebige bindegewebige Schwielen die spätere
Nierenfunktion beeinträchtigt wird. R. Klien (Leipzig).
Aus der Provinzial-Hebammenlehranstalt zu Köln.
Ovariotomie während der Geburt.
(Dr. K. Hartmann. Med. Klinik, Nr. 40, 1908.)
Unter 24000 Geburten wurden in Köln nur drei mit Ovarialtumoren
komplizierte beobachtet; doch handelte es sich nur um kleinere Geschwülste,
die sub partu nach oben auswichen. Jüngst ereignete sich ein Fall, wo ein
großes Ovarialkystom z. T. über, z. T. im Becken saß, so ein Geburtshindernis
abgebend. Laparotomie. Exstirpation des Tumors. Bei noch offener, nur
provisorisch zugedeckter Bauchhöhle Wendung und Extraktion mit folgen¬
der manueller Plazentarlösung (Grund hierfür nicht angegeben). Nach Revi¬
sion der Ligaturstümpfe Schluß der Bauchhöhle. Am dritten Tag Perito¬
nitis. Bei der Wiedereröffnung des Leibes entleerte sich % Liter einer gelben,
serösen Flüssigkeit; Drainage mittels gazeumhüllten Gummirohres. Von da
ab glatte Heilung.
Ovarialgeschwülste geben sub partu nur dann Anlaß zu besonderen
Eingriffen, wenn sie, im [kleinen Becken eingekeilt, ein Geburtshindernis
abgeben. Vollständig zu verwerfen ist eine gewaltsame Entbindung mittels
Zange oder Wendung (57 bez. 35% Mort.) Ebenso gefährlich ist die ein¬
fache Punktion und der Versuch der Reposition, wenn diese nicht sehr leicht
gelingt. Etwas besser ist es schön nach Fritsch’s früherem Vorschlag, nach
Spaltung des hinteren Douglas die Zystenwand anzunähen und nun breit zu
eröffnen. Das rationellste bleibt jedenfalls die Laparotomie. Die vaginale
Exstirpation wird nur in gewissen Fällen durchführbar sein. H. wirft,
Referate und Besprechungen.
439
wohl unter dem Eindrücke des beschriebenen Falls, die Frage auf, ob in
jedem Fall die Bauchhöhle zu schließen sei. Diese Frage dürfte von Fall
zu Fall zu entscheiden sein nach den sonst üblichen Grundsätzen.
R. Klien (Leipzig).
Achselhöhlenbrüste bei Wöchnerinnen.
(F. Kayser, Köln. Arch. für Gyn., Bd. 85, H. 2, 1908.)
Verf. beschreibt 6 Fälle von Geschwulstbildungen in der Achselhöhle
von Wöchnerinnen, welche sämtlich das gleiche klinische Bild boten: bis
gänseeigroße, vorn vom Pedt. major, hinten vom Latissimus begrenzte mit
der Brustdrüse in keinem nachweisbaren Zusammenhang stehende auf der
Unterlage gut verschiebliche Tumoren von derber höckeriger Konsistenz. Die
Punktion der Geschwülste ergab eine weißliche mikroskopisch als Milch
anzusprechende Flüssigkeit. Die am 2. bis 4. Tag meist unter schmerzhafter
Spannung auftretenden Geschwülste gingen vom 6. bis 8. Tag in typischer
Weise spontan zurück, so daß am 10. bis 12. Tag nur noch flache, kaum
druckempfindliche Resistenzen nachweisbar waren. Die Voraussage der Ge-
sehwulstbildungen ist daher eine gute, die Behandlung eine abwartende.
Im Gegensatz zu Seitz, welcher neuerdings die gleichen Bildungen
als Schwellungen, die infolge einer Hypersekretion der Schweiß- und Talg¬
drüsen mit zeitweiliger Retention des Sekrets entstehen, beschrieben hat
(Arch. f. Gyn. Bd. 80. H. 3), faßt Verf. die Tumoren als Geschwülste auf,
welche einem in der Achselhöhle liegenden, in der Laktationsperiode in Tätig¬
keit tretenden Drüsengewebe ihre Entstehung verdanken. Abgesehen von
der dafür sprechenden Art ihrer Entwicklung bezieht er sich zur Begrün¬
dung seiner Ansicht aufl die neueren embryologischen Ergebnisse, welche den
Verlauf des „Milchstreifens“ bis in die Achselhöhle nachweisen, und vor
allem auf die Resultate der Arbeiten Hirschla nd’s. Dieser wies bei 4 Em¬
bryonen von 7 bis 14 mm Länge eine im ganzen sehr beschränkte Milch¬
drüsenanlage nach, welche gerade unter der oberen Extremität ihren Sitz
hatte. Ist die Annahme des Verf. richtig, so dürfen weitere Feststellungen
derartiger Tumoren insofern ein ethnologisches Interesse gewinnen, als aus
der Häufigkeit der Anlage vielleicht ein Rückschluß auf die Vermischung
mit Elementen der slawischen Rasse ermöglicht wird, bei welcher nach den
bisherigen Beobachtungen Polythelie besonders häufig vorkommt.
F. Kayser (Köln).
Aus der königl. Universitäts-Frauenklinik zu Marburg.
Über den Blasensitus nach Zystozelenoperation.
(Dr. H. Sieber. Zeitschr. für gyn. Urol,, Nr. 2, 1909.)
Von 3 Fällen von einfacher Ivolporrhaphie wiesen 2 bald nach
der Operation wieder Senkung des Blasenfundus und des vorderen Teils des
Trigonums auf. Von 13 Fällen, bei denen die Ivolporrhaphie mit Vagino¬
fixation verbunden worden war, klagten 11 über Blasenbeschwerden!
12 Pat. hatten 3 — 14 Tage nach der Operation katheterisiert werden müssen;
sechsmal fanden sich zystoskopisch erheblichere, fünfmal leichtere entzünd¬
liche Erscheinungen. Zweimal waren Symptome alter Entzündungen zu finden.
Diese, wie es scheint, nach der Vaginofixation regelmäßig auf tretenden Ent¬
zündungen erklärt S. durch die postoperative Verzerrung des Blasen-
bodens, in den sich der Uterusfundus von hinten her hineinbohrt; dadurch
muß eine erhebliche Störung in der Blasenentleerung eintreten: Residualharn,
Zersetzung desselben, Zystitis ev. sogar Pyelitis. Berücksichtigt man noch,
daß nach Vaginofixation auch Rezidive der Zystozele nicht ausbleiben, so ist
die Methode wohl möglichst nicht anzuwenden. — Ganz anders und besser
waren dagegen die Blasenbefunde nach der Schau ta’schen Prolapsoperation.
So operierte Frauen klagten nie über Blasenbeschwerden, es fanden sich bei
ihnen auch nie entzündliche Veränderungen, anfängliche seitliche Rezessus
440
Referate und Besprechungen.
bildeten sich nach einiger Zeit zurück : der verlagerte Ureter streckt sich
offenbar nach und nach von selbst. Die Schauta’sche Operation ist also
in Fällen, wo eine Konzeption nicht mehr in Betracht kommt, sehr zu
empfehlen, da sie auch sehr rezidivsicher zu sein scheint. Ähnlich
schlecht, wie nach Vaginofixation, waren die Blasenverhältnisse nach
Totalexstirpation mit vorderer Kolporrhaphie.
R. Klien (Leipzig).
Aus der Universitäts-Frauenklinik in Bonn.
Zur Behandlung schwerer Entzündungen der weiblichen Blase»
(Priv.-Doz. Dr. Erich Zurhelle. Zeitschr. für gyn. Urol., Nr. 2, 1909.)
Z. empfiehlt zur Behandlung schwerer Zystitiden reinigende Dauer-
Spülungen mittels eines von ihm angegebenen Rücklaufkatheters mit nach¬
folgender Einspritzung von 100 ccm 1% Kollargollösung. Diese kann stun¬
denlang in der Blase belassen werden, ohne irgendwelche Reizerscheinungen
zu machen. Z. ist mit den Erfolgen dieser Behandlung sehr zufrieden. Die
Kollargoleinspritzungen dürften sich auch prophylaktisch gegen Operations-
zystitis eignen, besonders nach Karzinomradikaloperationen.
R. Klien (Leipzig).
»
Aus der königl. Universitäts-Frauenklinik zu Königsberg i. Pr.
Weibliche Inkontinenz durch Narbenzug.
(Prof. Zangemeister. Zeitschr. für gyn. Urol., Nr. 2, 1909.)
Z. macht darauf aufmerksam, daß die nach Fisteloperationen relativ
häufig zurückbleibende Inkontinenz sehr oft auf eine Zerrung der hinteren
Blasenwand zurückzuführen ist durch die entstandene Narbe. Dehnt man
diese Narbe durch Massage oder durch blutige Durch trennung, so ist die
Inkontinenz oft mit einem Schlage beseitigt. Z. empfiehlt des weiteren,
bei der Operation der Blasenscheidenfisteln möglichst die Naht durch quer
gelegte Nähte zu schließen, damit eine sagittale Narbe resultiert. Eine solche
vermag nicht jenen verderblichen Zug auf die hintere Harnröhrenwand aus¬
zuüben. R. Klien (Leipzig).
Verschluß der weiblichen Blase.
(Prof. Zangemeister. Zeitschr. für gyn. Urol., Nr. 2, 1909.)
Z. bespricht auf Grund der Untersuchungen Kalischer’s aus dem
Jahre 1900 den Verschluß der weiblichen Blase. Für die Erhaltung der
Kontinenz ist einzig maßgebend die glatte Muskulatur und zwar die der
oberen Harnröhre. In Fonrn eines schräg gelagerten hinten mächtigeren Ringes
umfaßt hier die glatte Muskulatur Harnröhre plus Trigonum der Blase.
Dagegen gehört der vordere Teil der am Blasenostium selbst gelegenen Mus¬
kulatur zur Blasenmuskulatur. Es stehen also die glatte Muskulatur der
Blase und der Harnröhre nidht in direktem Zusammenhang, sie gehen nicht
ineinander über. Infolge der Einlagerung eines Teils der als Sphinkter fungie¬
renden (Harnröhren-)muskulatur in die Blase selbst (Trigonum) und der,
wie gesagt, vollständigen Trennung der übrigen Blasenmuskulatur von der
der Harnröhre ist es verständlich, daß bei der Kontraktion der Blase deren
Ausgang nicht mit verengt wird. — Von mechanischer Bedeutung für den
Blasenverschluß ist ferner auch die nicht radiäre, sondern etwas schräge
Einmündung der Harnröhre in die Blase. — Es findet also der Verschluß
der weiblichen Blase nicht zirkulär statt, sondern durch die Verteilung
der Muskulatur hauptsächlich auf den hinteren Teil der Zirkumferenz der
oberen Harnröhre erfolgt die Verengerung des Lumens mehr wie durch einen
Quetschhahn, und zwar auf einer relativ langen Strecke. Sehr gute Bilder
veranschaulichen die Verhältnisse. R. Klien (Leipzig).
Referate und Besprechungen.
441
Aus der Universitäts-Frauenklinik in Freiburg i. Br.
Ein Beitrag zur Lehre der „essentiellen“ Hämaturie.
(Dr. Devaux. Zeitschr. für gyn. Urol., Nr. 2, 1909.)
Ein 24 jähriges Mädchen, sonst gesund, hatte eine einmalige ziemlich
erhebliche Nierenblutung-. Die Untersuchung nach Albarran ergab, daß
die blutende rechte Niere relativ funktionsfähig- war, die linke Niere ließ
keine Erkrankung erkennen. Obwohl sich die Blutung innerhalb acht Tagen
nicht wiederholt hatte, wurde die rechte Niere exstirpiert. Verlauf gut, die
linke Niere funktionierte hinreichend. Die anatomische Diagnose der rechten
Niere lautete auf in Ausheilung begriffene hämorrhagische Nephritis!
R. Klien (Leipzig).
Medikamentöse Therapie.
Physiologische Wertbestimmung von Arzneimitteln.
(R. Gottlieb. Münch, med. Wochensclir., Nr. 24, 1908.)
Die Anwendung chemisch reiner Körper gewährt den Vorteil exakter
Dosierbarkeit und den der Trennung von den sonstigen wirksamen Bestand¬
teilen der Droge. Wo diese Isolierung nicht möglich, wie z. T. beim Mutter¬
korn, tritt die physiologische Prüfung in ihr Recht. Das bekannteste Bei¬
spiel eines solchen Mittels ist die Digitalis, in welcher außer dem Digitoxin
und Digitalin noch andre, unbekannte wirksame Stoffe enthalten sein müssen.
Die einzelnen Bestandteile werden offenbar in verschiedener Menge und
Schnelligkeit im Körper aufgespeichert ; auch sind sie verschieden bezüg¬
lich der gleichzeitigen Verengerung bestimmter Gefäßgebiete und bezüglich
der Vaguswirkung. Die Digitalisblätter haben nun aber einen überaus ver¬
schiedenen Effekt je nach Standort der Pflanze und Alter der Droge. Eine
einwandfreie physiologische Prüfung wäre hier ebenso notwendig wie beim
Diphtherieserum. Die Methoden sind vorhanden, ebenso wie bei den Neben¬
nierenpräparaten, wo man die Erweiterung der Froschpupille als Maßstab
der Verdünnung benutzt. Das Mutterkorn läßt sich durch seine Wirkung
auf den überlebenden Uterus der Katze dosieren. E. Oberndörffer.
Über Digitaliswirkung an Gesunden und an kompensierten Herzkranken.
(A. Fraenkel, Badenweiler u. G. Schwartz. Arch. für exper. Path. u. Pharmakol.
Festschr. für Schmiedeberg, Supplementband, S. 188, 1908.)
In Fortsetzung ihrer 1907 S. 849 besprochenen therapeutischen Ver¬
suche mit intravenöser Einspritzung von Strjophan thin (1 mg) bei schweren
Kompensationsstörungen haben Verf. Strophanthin bei 6 Herzgesunden und
bei 6 Herzkranken ohne jede oder ohne beträchtliche Kompensationsstörung
untersucht. Herz gesunde ertrugen 1 mg ohne Störung; die Pulsfrequenz
wurde so gut wie nicht, der Blutdruck, die Pulsamplitude sowie die Harn¬
menge nicht verändert. Das gesunde Herz arbeitet eben mit optimalen Systolen,
so daß eine therapeutische Dosis eines Digitalisstoffs sie nicht erhöhen
kann. Die Dosis, die ein gesundes Herz nicht zu beeinflussen vermag, ist im¬
stande, das kranke Organ wirksam in seiner Leistungsfähigkeit zu steigern.
Bei den übrigen Kranken zeigte sich wiederum wie früher, daß nur da eine
Wirkung der Strophanthininjektion eintrat, wo eine gewisse Dekompensation
vorhanden war, indem hier eine geringe Erhöhung der Pulsamplitude und
eine geringe Abnahme der Pulsfrequenz bei Besserung des Befindens sich ein¬
stellte, so daß man aus dem Verhalten der Amplituden bei Stfophanthininjek-
tion sehr wohl einen Schluß auf die funktionelle Leistung des Herzens
machen kann.
Aus den Befunden bei der Darreichung von Strophanthin (Böh ringer) in
ebenfalls bei 6 Kranken, ließen sich sichere Schlüsse nicht ziehen.
E. Rost (Berlin).
442
Referate und Besprechungen.
Über eine spezifische Nierenwirkung der Digitaliskörper.
(Jonescu u. Otto Loewi. Arch. für exper. Path. u. Pharmakol., Bd. 58, S. 71, 1908.)
Obwohl eine der wichtigsten Heilwirkungen der Digitalisstoffe die
Hervorrufung und Unterhaltung profuser Diuresen ist, hat man dem Mecha¬
nismus der diuretischen Wirkung bisher nur wenig Aufmerksamkeit ge¬
widmet. Man hat dabei wohl angenommen, daß die Diurese alleinige Folge
der durch die Digitalisstoffe bewirkten Steigerung der Herztätigkeit sei.
Die Herzwirkung kann aber nur in den Fällen zur Erklärung herangezogen
werden, wo vorher der Blutdruck abnorm niedrig war und wo Digitalis
den Blutdruck steigert, allein durch Vermehrung der Herzarbeit ohne gleich¬
zeitige Verengerung der Gefäße. Dies geschieht aber nur bei medizinalen
Gaben; bei großen Dosen verengern sich alle Gefäße und damit auch die
Gefäße der Niere, die Folge davon ist eine Herabsetzung oder Unterdrückung
der Harnsekretion. Wenn der Blutdruck nach Digitalis dagegen nicht oder
nicht nennenswert ansteigt, kann eine eintretende Diurese wohl nur die
ausschließliche Folge einer direkten Wirkung der Digitalis auf die Niere
selbst sein. Loewi konnte nun in Versuchen an Kaninchen zeigen, daß
die Ursache für diese Vermehrung der Harnmenge nach Digitalisdosen, die
den Blutdruck nicht erhöhen, eine Erweiterung der Gefäße in der Niere
ist, wobei die Digitalis direkt peripher angreift. E. Rost (Berlin).
Euphyllin, ein neues Diuretikum.
(Dessauer. Ther. Monatsh., Nr. 8, 1908.)
Das Euphyllin ist nach D. ein Diuretikum!, das vielen anderen Diu-
retizis nicht nachsteht, sie in manchen Fällen an Wirksamkeit sogar über¬
troffen hat. Sein wesentlicher Vorteil besteht darin, daß es infolge seiner
Leichtlöslichkeit und Resorbierbarkeit die Anwendung per Rektum gestattet
und als Suppositorium oder Klysma gegeben, auffallend gute Fähigkeit hatte,
die im Körper zurückgehaltenen pathologischen Wassermengen zu eliminieren.
Am besten bewährt es sich bei Kranken mit Ödemen, welche auf primäre
Schwächezustände des Herzens zurückgeführt werden. Ferner bei dem Nach¬
lassen der Kompensation eines Klappenfehlers oder der Insuffizienz eines
myokardi tischen Herzens, sowie deren Folgeerscheinungen ; bei Erkrankung
der Nieren wirkt es ebenfalls, wenn nicht die Erkrankung des Nierenparen-
parenchyms zu weit vorgeschritten ist. Auch bei Leberzirrhose wurde in
einem Falle ein Erfolg konstatiert. Das Euphyllin (eine Verbindung von
Theocin und Ätylendiamin) wird am besten in Form von Suppositorien ver¬
wendet. Diese kommen direkt in den Handel und bestehen aus: 0,36 Euphyl¬
lin. pur. 2,5 Kakaobutter. Es wurden meist 2 — 4 Suppositorien täglich ge¬
geben. Will man das Mittel per Klysma anwenden, so empfehlen sich
folgende Formeln: Rp. Euphyllin pur. 1,0, solv. in aq. dest. qt. sat. Decoct
Salep ad. 120,0, — D. S. — Zu 2 — 4 Klysmen. Bei der Anwendung per
os setzt man am besten Tae Cort. Auranth. zu, nach folgender Formel :
Rp. : Sol. Euphyllin pur. 1,0:160,0 Sir simpl. Tae Cort. Auranth. ää 20,0,
Ds. 2stüncll. 1 Eßlöffel. Neumann.
Di un Alcaloide del gruppo delle Tropeine e sua azione fisiologica e
medicamentosa.
(Massini. II Tommasi, Nr. 20, 1908.)
Auf Veranlasslung von Prof. Tedeschi verwandte M. das Eumydrin
verschiedentlich bei Stenosis spastica, Gastralgie, nervösem Vomitus, Ivardia-
krämpfen usw., und kommt auf Grund seiner Erfahrungen zu dem Resultat,
daß das Eumydrin bei dies'en Magenerkrankungen ein ausgezeichnetes Ersatz¬
mittel für Atropin ist infolge seiner sekretions- und krampfstillenden Wirkung;
daß es gut vertragen wird und auch noch insofern den Vorzug vor Atropin¬
sulfat verdient, weil es erheblich weniger toxisch ist als das letztere und
auch die unangenehmen Nachwirkungen des letzteren nicht besitzt. Neumann.
Referate und Besprechungen.
448
Aus der Königl. Universitätsklinik für Hautkrankheiten in Breslau. Direktor:
Geheimrat Neißer.
Erfahrungen über Anwendung von Isoform als Streupulver, Gaze, Zahn¬
paste (Saluferin-Zahnpaste) etc.
(Dr. Konrad Siebert. Therap. Monatsh., November 1908.)
Das Isoform kommt als Pulvis Isoformi, das eine Mischung von Para-
jodanisol und Calium phosphor. ää darstellt, in den Handel. Seine Vorzüge be¬
stehen in hoher bakterizider Kraft, relativer Ungiftigkeit und Geruchlosig¬
keit. Während es für die Haut ganz indifferent ist, führt es bei Wunden
und Granulationen zu oberflächlicher V ereiterung. Infolgedessen darf man
es nur so lange anwenden, als es sich um verschmierte, unreine Wunden
handelt. Sind an Stelle dieser Beläge reine Granulationen getreten, so geht
man besser zu einem indifferenten Streupulver oder einem 2 — 5°/oiS’en Iso-
formpulver über.
Vor allem hat sich das Isoform als Gaze bewährt, die in 1,3 und
10%iger Stärke in den Handel kommt. Bei ihr gilt in bezug auf Anwendungs¬
art dasselbe, wie beim Pulver!.; In Gestalt der 5% Isoform enthaltenden
Saluferinzahnpaste (Norddeutsche chemische Werke, Berlin) dient das Iso¬
form als Prophylaktium und als therapeutisches Mittel gegen Stomatitis
mercurialis. Wenn auch nicht stets eine solche bei energischen Quecksilber¬
kuren zu vermeiden war, so konnte Siebert doch beobachten, daß sie nicht
in so heftiger Weise auf trat. An den von vielen nicht angenehm empfundenen
Geschmack gewöhnen sich die Patienten sehr bald. Gegen die Stomatitis
mercurialis ist das Bestreichen des Zahnfleisches mit einem 10%igen Iso¬
formbrei oder die Tamponade zwischen Zahnfleisch und Wange mit 1 bis
3%iger Isoformgaze von großem Nutzen. F. Walther.
In die neue französische Pharmakopoe (le nouveau codex) sind Bella-
donna-Poclophyllin-Pillen aufgenommen :
Rp. : Podophyllin 0,8
Extract Belladonn. 0,1
Sap. med. 0,3.
f. pilul. N. X.
Da das Podophyllin als Abführmittel bei vielen unverdienterweise in Ver¬
gessenheit geraten ist, so darf bei dieser Gelegenheit vielleicht wieder darauf
hingewiesen werden. Buttersack (Berlin).
Von Medikamenten sind nach Onde,rdonk (Med. Prog., Nov. 08) die
Baldrianpräparate bei der Hysterie die wichtigsten. Gute Erfolge erhielt
Verf. auch mit Bromural, das sich ihm in nicht zu schweren Fällen ganz laus-
gezeichnet bewährte. Gerade bei Hysterischen kommt es weniger auf ein
starkes Narkotikum an, als vielmehr auf ein Sedativum, das die Reizbarkeit
des Nervensystems herabsetzt, einen leichten erfrischenden Schlaf herbeiführt
und keine Benommenheit hinterläßt. Neumann.
Röntgenologie und physikalische Heilmethoden.
Magendarmtätigkeit im Röntgenbild.
(M. Faulhaber bzw. G. Friedei. Arch. für phys. Med. u. med Technik, Bd. 3,
H. 3/4, S. 20—274 u. 294-302, 1908.)
Wie sich die Dinge im Magen und Darm abspielen, ist auffallend wenig
bekannt; die auf bleibende Zuständlichkeit ausgehende normale und patho¬
logische Anatomie schenkte diesen Vorgängen leichtverständlicherweise keine
große Aufmerksamkeit. Da setzt nun der Röntgenschirm ein, und das Studium
der eingehenden Abhandlung Faulhabers kann nur jedem empfohlen werden.
444
Referate und Besprechungen.
Nicht minder wichtig sind die Bilderserien von Friedei, aus welchen
erhellt, daß die Verstopfung, jene verbreitete Klage des weiblichen Ge¬
schlechts, in vielen Fällen nur der Ausdruck eines Tiefstands und einer
Atonie des gesamten Kolons ist. Magen und Dünndarm arbeiten bei solchen
Patientinnen in sekretorischer wie motorischer Hinsicht ganz normal ; nur
die Reste früherer Peritonitiden (nach Metritis, Appendizitis u. dgl.) sind es,
welche durch Einschnürungen jene Beschwerden hervorrufen.
«gl Buttersack (Berlin).
Das heiße Bad.
(E. Baelz. Monatsschr. für die phys.-diät. Heilmethoden in der ärztl. Praxis.
1. Jahrg., H. 1, Januar 1909.
Das vorliegende Heft stellt die Fortsetzung der bekannten Winternitz-
schen Blätter für klinische Hydrotherapie dar; die Monatsschrift wird jetzt
von J. Marcuse und A. Strassfer redigiert und erscheint bei J. F. Leh¬
mann in München. Der Beitrag von Professor E. Baelz ist eine Empfehlung
der heißen Bäder. Heiß sind Bäder von über 37°; mäßig heiß sind solche
von 40 — 42°, sehr heiß die von 42° und darüber. B. bedauert es, daß dieses
wirksame Agens in Europa so wenig benützt werde; bei guter Ventilation
des Baderaums und bei vorherigen heißen Übergießungen des Kopfes sei
es ganz unschädlich.
Als Indikationen bespricht er kurz: akute Erkältungen, Rheumatismus,
Gicht, Syphilis, Skrophulose, Pseudokrup, akute und chronische Bronchitis,
Asthma (Schwefelbäder von 38 — 40°), Bronchopneumonie der Kinder, Nephritis
acuta, chronische Beckenexsudate, Menstrualbeschwerden (heiße Sitzbäder
von 42 °).
Kontraindikationen sind: Herzleiden, Atherom, reizbares Nervensystem,
organische Nervenleiden, Tuberkulose, Diabetes.
Mag auch manch einem diese japanische Therapie etwas zu energisch
Vorkommen, so muß er sich doch dem klinischen Probatum est beugen. Jeden¬
falls ist der Hinweis auf ,,die heutige schüchterne Anordnungsweise, bei
welcher die Bäder in bezug auf Wärme, Zahl und Dauer in oft lächerlich
ängstlicher und wichtigtuerischer Weise zudekretiert werden“ beherzigens¬
wert. Warum soll auch ein Rheumatiker oder Syphilitiker nicht mehrmals
am Tage baden ? Natürlich, nervösen Indiviuen wird man nicht allzuviel
zumuten ; aber schließlich gibt es gelegentlich doch auch noch einige nicht¬
nervöse Mitmenschen. Buttersack (Berlin).
Balneotherapie bei durch StofFwechselstörungen bedingten Herz- und
Gefäßerkrankungen.
(Dr. Maurus Fisch, Wien-Franzensbad. Med. Klin., Nr. 28, 1908.
Zu den Stoffwechselstörungen, die Herz- und Gefäßerkrankungen zur Folge
haben können, sind einmal diejenigen zu rechnen, # die ihren Grund in unge¬
nügender Verdauung oder mangelhafter Nieren- und Leberfunktion haben
und die hauptsächlich nur durch Blut-, Harn- und Kotanalyse exakt nach¬
gewiesen werden können. Fisch lenkt hierbei das Augenmerk besonders auf
die Beschaffenheit des Gebisses, von der eine befriedigende Verdauung- mehr
abhängt, als gewöhnlich angenommen wird. Weiter gehören hierher die ura-
tische Diathese, der Diabetes mellitus, die Adipositas universalis und die
U nter ern ährung.
Die Therapie dieser Herz- und Gefäßerkrankungen muß in erster Linie
auf die Regulierung der Diät gerichtet sein. Eventuell kommen hier unter¬
stützend noch alkalisch-salinische Mineralwässer in Betracht. Selbstredend
muß auf die Herztätigkeit gleichfalls eingewirkt werden. Auf Schonung und
gleichzeitig auch Übung derselben ist Bedacht zu nehmen. Dazu gesellen
sich Kohlensäure-Solbäder und alle in Frage kommenden physikalischen Be¬
handlungsmethoden. F. Walther.
Referate und Besprechungen.
445
Eine neue Form von Kataplasmen zur Erzeugung trockner Wärme.
(Dr. Markus e, Partenkirchen. Monatsschr. für die phys.-diät. Heilmethod., H. 1, 1909.)
Sehr praktische, nicht teure, — 12 — 13 Mk. — und leichte Apparate,
hergestellt von Hilzinger in Stuttgart, welche aus einer Hülle von Trikot¬
stoff bestehen, in denen sich ein System von Widerstandsdrähten befindet.
An jede elektrische Stromart von nicht über 120 Volt Spannung anschlie߬
bar, werden diese Kataplasmen in entsprechender Formung für Extremitäten
usw. hergestellt. Stromverbrauch minimal. Ein Versuch mit diesen Wärme¬
trägern scheint empfehlenswert. Krebs.
Wirkung lokaler Arsonvalisalion.
(Fr. Linn. Arch. für phys. Med. u. med. Technik, Bd. 3, H. 3/4, S. 275—293, 1908.)
Die therapeutische Wirkung der sog. Teslaströme auf den Allgemein¬
zustand scheint diesseits und jenseits der Vogesen verschieden zu sein; bei
uns sind die Resultate leider negativ geblieben. Dagegen sind bei lokaler
Anwendung der Hochfrequenzströme physiologische Effekte nicht zu leugnen.
Linn teilt solche mit, die teils mit den gewöhnlichen Knopf-Platten- oder
Spitzenelektroden, teils mit der sog. Kondensatorelektrode erzielt worden
sind; bei der letzteren ist im Inneren eines beliebig geformten Glasmantels
Graphit oder ein Metalldraht enthalten ; letzterer stellt den inneren, die
Haut des Pat. den äußeren Kondensatorbelag dar, der Glasmantel selbst
repräsentiert das Dielektrikum.
Versuche an Kröten, Laubfröschen, Salamandern, Schlingnattern, Meer¬
schweinchen und Kaninchen ergaben: Schmerzgefühl, Veränderung von Respi¬
ration und Zirkulation (wohl aus Schmerz), hämostatische Wirkungen, Ver¬
änderung der Hautfarbe, Verbrennungserscheinungen, Lähmungen und Tod.
Ein Einfluß auf das freigelegte, noch pulsierende Froschherz war nicht
nachweisbar; dagegen scheint die hämostatische Wirkung etwas Spezifisches
zu sein. Auch die Leitungsbahnen im Rückenmark scheinen besonders emp¬
findlich gegen Arsonalströme zu sein.
Merkwürdig ist die übermäßige Produktion des Hautsekrets bei Am¬
phibien, welche die Tiere bis zum Tode erschöpfen kann ; z. B. ein Salamander
war als Folge einer Bestrahlung von 10 Minuten mit einem weißen, rahmartigen
Sekret überzogen und nach 24 Stunden tot, ohne sichtbare Veränderungen
an den inneren Organen, speziell am Zentralnervensystem.
Von funktionellen Neurosen hat Linn hysterische Ptosis, Kontrakturen,
Stimmbandlähmungen durch wenige Sitzungen beseitigt, ebenso Warzen und
spitze Kondylome. Leider ist das Instrumentarium zurzeit noch sehr teuer.
_ _ _ Buttersack (Berlin).
Die Erfolge der Radiotherapie.
(Dr. Kienböck, Wien. Referat aus der Kölner Naturforscher- Versammlung, vergl.
Münch, med. Wochenschr., Nr. 43, 1908.)
Die Röntgenstrahlen wirken besonders auf in Proliferation befindliche
Gewebe. Überflüssige Haare fallen 2 — 3 Wochen nach der Sitzung aus,
bis zum definitiven Effekt ist die Behandlung IV2 Jahre fortzusetzen.
Alopecia areata bleibt meist unbeeinflußt, gut wirkt die Radiotherapie bei
Favus, Herpes tonsurans, Follikulitis, Sykosis, Aknekeloid. Bei Prurigo
und Pruritus wird die Juckung gehoben. Psoriasis heilt nur vorübergehend,
Lupus und Lepra gar nicht.
Das Hautepitheliom wird in 50 — 80% der Fälle geheilt, sonstige Kar¬
zinome zerfallen nur oberflächlich, bei Sarkomen wurde oft Verkleinerung
beobachtet, bei Syringomyelie Besserung. Leukämie wurde in 70 — 90% günstig
beeinflußt, die akute Form nimmt aber trotzdem ihren rapid letalen Verlauf.
Milztumor und Symptome gehen zurück (Gefahr von Toxämie infolge des
Tumorenzerfalls).
Chronische Milztumoren bleiben meist unbeeinflußt, Strumen und
M. Basedow zeigen zuweilen Besserung. Esch.
446
Bücherschau.
Bücherschau.
Die Wechselbeziehungen zwischen Diabetes und dem Generationsprozesse.
Von H. Offergeld. (Würzburger Abhandlungen IX, 3/4. Heft).
Würzburg Kurt Kabitzsch 1909. 8°. 92 Seiten. Einzelpreis 1,70 Mk.
Die Abhandlung hat zum Gegenstand die Komplikation des (schweren)
Diabetes mellitus mit Schwangerschaft und gründet sich auf 63 Fälle, darunter
3 eigene. Meist handelt es sich um Mehrgebärende; nur in 24 Fällen erreichte die
Schwangerschaft ihre normale Dauer, 31 mal wurde sie vorzeitig beendet, davon
12 mal im 8. Monat, 17 starben während der Geburt oder in den nächsten Tagen
am Koma diabeticum, 14 innerhalb der folgenden 30 Monate, wobei außer dem
Diabetes selbst namentlich Lungentuberkulose in Betracht kam. Unter 57 Be¬
obachtungen starben 29 Kinder schon intrauterin ab, 6 schwach entwickelte in
den ersten Lebenstagen, 7 in den ersten Lebensjahren. Demnach sind die Aus¬
sichten im allgemeinen für Mutter und Kind im ganzen wenig gute und es wäre
bei schweren Formen des Diabetes die Ehe prinzipell zu widerraten, andererseits
unter günstigen Verhältnissen bei milden stationären Formen zu gestatten. In
schweren Fällen ist bei der schwangeren Diabetica die Frühgeburt einzuleiten, 0.
meint auch dann, wenn die (diabetische) Azidose unter Verschlechterung des All¬
gemeinbefindens und stetiger Gewichtsabnahme an Stärke zunimmt. Ueber 3—3,5 g
Ammoniak- Ausscheidung pro Tag bei rapide absinkender N-Ausscheidung recht-
fertigen nach O. die künstliche Frühgeburt, die auch bei negativer Sahli’scher
Glutoidprobe, wenn Verdacht auf Pankre as- Diabetes besteht, als Palliativum vor¬
zunehmen wäre. H. Vierordt (Tübingen).
Wie ernähren wir uns am zweckmäßigsten und billigsten? Von Dr.
L. Reinhardt. (Naturwissenschaftliche Volksbücher Nr. 4/6.) Verlag
des „Kosmos“, Gesellschaft der Naturfreunde (Geschäftsstelle: Franckh’sche
Verlagshandlung) Stuttgart. 75 Pfg.
Eine zweckmäßige und zugleich möglichst billige Ernährung ist für alle
Schichten der Bevölkerung von der allergrößten Bedeutung. Von ihr hängen
Leistungsfähigkeit und Gesundheit des einzelnen ab. Trotzdem sind gerade über
die Frage einer gesunden und zweckmäßigen Ernährung in den weitesten Kreisen
überaus falsche Ansichten verbreitet. Die immer teurer werdende Lebenshaltung
verlangt aber, den Wert unserer täglichen Nahrung sorgfältig abzuschätzen. Hier
bietet sich das Reinhardt’sche Buch als treuer, zuverlässiger Ratgeber an. Der
Verfasser ist ein Praktiker, dessen Arbeit sich auf zwanzigjährige fachmännische
Tätigkeit und auf die neuesten Forschungen stützt. Den Nährwert der einzelnen
Nahrungsmittel untersucht er genau und gibt eingehend ganz vortreffliche Anlei¬
tungen zur Zubereitung nahrhafter, gesunder Speisen. Jedem, dem körperliches
Wohlbehagen eine Hauptbedingung ist, sei das Reinhardt’sche Werk empfohlen.
Neumann.
Atlas und Grundriß der topographischen und angewandten Anatomie.
Von Prof. Dr. O. Schultz e. 2. Auflage. Mit 22 Tafeln und 205 Ab¬
bildungen. Verlag von J. F. Lehmann in München. 16 Mk.
Die zweite Auflage des bewährten Schultze’schen Atlas hat innerlich und
äußerlich manche Änderung und Bereicherung erfahren. Die Abbildungen wurden
um nicht weniger als 115 vermehrt. Auch diese neuen zeigen dieselbe Klarheit
und Übersichtlichkeit wie die bisherigen.
Von großem Nutzen sind die im Schlußabschnitt nach jedem Kapitel zu¬
sammengefaßten „ Anwendungen“, die zugleich die Lektüre des" Buches für jeden
Leser äußerst anregend und interessant gestalten. In den wenigen Monaten seit
dem Eintreffen des Buches hat sich Ref. schon oft aus ihnen unmittelbar für die
Praxis wichtigen Rat geholt.
Des Verfassers Wunsch, dem er in dem Vorwort zur ersten Auflage Ausdruck
gegeben hat, daß es ihm, dem Arzt ohne Praxis, eine Freude sein würde, wenn
er auch in seiner Weise die Praxis fördern würde, ist sicher bei allen denen, die
den Atlas besitzen, im reichsten Maße in Erfüllung gegangen. R.
Bücherschau.
447
Wandlungen der Medizin und des Ärztestandes in den letzten 50 Jahren.
Von O. v. Bollinger. Rektoratsrede. München, J. F. Lehmann, 1909.
44 Seiten. 1 Mk.
Es ist interessant zu sehen, wie sich in dem abgeklärten Auge eines hervor¬
ragenden Mannes die jüngste Vergangenheit und die Gegenwart spiegelt. Alle
wesentlichen Fragen, die unsere Zeit bewegen, sind kurz, aber scharf beleuchtet,
etwas ausführlicher die soziale Miseres des Ärztestandes infolge der sozial-politischen
Gesetzgebung. Was mögen die Leute, die in abermals 50 Jahren die Rede lesen,
über die Zustände von 1909 denken? Buttersack (Berlin).
Angina pectoris. Von Louis Peiser, Stuttgart. Verlag von Ferdinand
Enke 1908. 8°. 106 S. 2,80 Mk.
Eine die Pathologie der Angina pectoris in genügender Ausführlichkeit
(namentlich auch bezüglich der Ätiologie der Arteriosklerose) behandelnde* Mono¬
graphie, die wesentlich praktische Ziele verfolgt. Mit A. Fränkel nimmt P. als
A. p. vera nur solche an, die auf Grund einer bereits vorhandenen Affektion des
Gefäß apparates sich entwickelt. Die A. p. spuria s. Pseudoangina stelle nur eine
rein funktionelle Herzstörung dar. Einzelne lassen ja überhaupt nur eine Angina
coronaria mit organischen Veränderungen der Kranzarterien zu. P. teilt außer 8
eigenen 11 charakteristische Krankengeschichten, zum Teil mit Sektionsbefund,
aus der Literatur mit und bespricht, ohne freilich eigentlich neues zu bringen, das
ganze, nur allzu große therapeutische im Anfall und im Intervall anzuwendende
Rüstzeug. Er selbst hat in einem Fall durch Agurindarreichung bei funktions¬
tüchtigen .Nieren sehr guten Erfolg gehabt. Auch die Angina spuria und vasomo-
toria sind berücksichtigt. Einige Seiten sind der Prophylaxe gewidmet. Das
Ganze beschließt ein Literaturverzeichnis, worin bei Alb ertini’s bekannter Schrift
(1726 verfaßt, 1748, nicht 1721 erschienen) die Wiederausgabe durch M. H. Rom¬
berg (Berolini 1828) Erwähnung verdient hätte. H. Vierordt (Tübingen.)
Grundzüge der allgemeinen pathologischen Histologie. Von J. Stein¬
haus. Leipzig, Akademische Verlagsgesellschaft., 1909. 10 Mk.
Der frühere Prosektor am Krankenhaus Czyste in Warschau und jetzige
Vorsteher des Laboratoriums für Krebsforschung in Brüssel hat, von der Auf¬
fassung ausgehend, „mit Hilfe von Mikrophotogrammen leichter und besser als
mit Hilfe von Zeichnungen belehren“ zu können, in den vorliegenden Grundzügen
auf jede Zeichnung verzichtet und nur Mikro ph otogramme von beobachteten
Fällen in Lichtdruck der Darstellung zugrunde gelegt. Auf 25 Tafeln werden etwa
150, größtenteils eigene Photogramme, die sorgfältig ausgewählt sind und fast
durchgängig als gut und sehr instruktiv bezeichnet werden müssen, zusammen¬
gestellt. Dadurch, daß jeder Tafel ein Blatt mit Erläuterungen, die allerdings für
den Anfänger bisweilen etwas ausführlicher hätten gehalten werden können, bei¬
gegeben ist, wird der Gebrauch dieser Tafeln sehr erleichtert.
Auf 162 Seiten Text werden knapp, klar und übersichtlich die Untersuchungs¬
methoden, * Härten, Fixieren, Färben, Schneiden usw. (wobei die Untersuchung
frischer, ungefärbter Ge websschnitte mehr empfohlen werden könnte) — und die
Grundlagen der allgemeinen pathologischen Histologie (Regressive Gewebsände-
rungen, Regeneration, Hypertrophie der Gewebe, Entzündung und Neubildungen)
behandelt.
Das Buch kann empfohlen und die Nachfolge der als eventuell erscheinend
angekündigten speziellen)pathologischen Histologie gewünscht werden.
E. Rost (Berlin).
Die Luftelektrizität, Methoden und Resultate der neueren Forschung.
Von Alb. Gockel. Leipzig, S. Hirzel, 1908. 206 Seiten. 6 Mk.
Seitdem die Chemiker die Luft für ein ziemlich konstantes Gemisch von
Gasen erklärt hatten, hat sich die Allgemeinheit nicht viel um das Milieu ge¬
kümmert, in dem wir leben; auch die Hygieniker begnügten sich mit Feststellung
der Temperaturverhältnisse, der Sonnenscheinstunden, Windbewegungen usw. Mit
welchem Erstaunen muß es da jeden Denkenden erfüllen, wenn er an Gockels
Hand einen Einblick in das elektrische Gewoge tut, das sich in der scheinbar so
harmlosen Luft fortdauernd abspielt!
448
Hochschulnachrichten.
Es ist natürlich nicht möglich, den Inhalt des Buches auch nur annähernd
wiederzugeben. Eine geordnete Darstellung mit gesicherten Ergebnissen kann ja
gar nicht gegeben werden über ein Gebiet, dessen Grenzen der Geist noch kaum
überschritten hat; das Buch trägt demgemäß auch mehr den Charakter von Zu¬
sammenstellungen zum persönlichen Gebrauch. Aber immerhin, auch so verfehlt
es seine Wirkung nicht. Denken wir uns die Erde als negativ geladene Kugel in
einer mit negativen und positiven Jonten — der Plural: Jone ist schrecklich! —
erfüllten Atmosphäre, dann kann sich jeder ungefähr eine Vorstellung davon
machen, wie labil die Jonisations Verhältnisse, das Potentialgefälle im elektrischen
Erdfeld, die elektrischen Strömungen in der Atmosphäre sein müssen, und er wird
wenigstens eine Ahnung bekommen, welche Schwankungen im ersteren vor sich
gehen mögen, und daß Kräfte vorhanden sein müssen, welche die Jonisation immer
wieder unterhalten; wir pflegen sie z. B. als radioaktive Faktoren zu bezeichnen.
Aber es sind nicht gesetzlose Schwankungen, sondern wir können bereits da
und dort tägliche und jährliche Perioden erkennen, und unwillkürlich lenkt sich
der Blick über die Erde hinaus in das Sonnen- und das ganze Milchstraßensystem,
von dem wir ein so kleiner Teil sind und zu dessen Riesenorganismus unsere
Sonne als winziger Bruchteil gehört. Das Individuum versinkt, und wie eine neue
Religion öffnet sich dem Auge die unergründliche Unendlichkeit.
Aber andererseits stehen wir Individuen mitten drin in diesem Gewoge,
und wenn wir erfahren, wie z. B. bei Böenregen das Potentialgefälle in wenigen
Sekunden von — 6000 Volt zu -j- 6000 Volt m übergehen kann, oder daß ein
Regen das Erdfeld in einem Umkreis von 800 km stört, dann dämmert wohl jedem
das Verständnis für Erschütterungen unseres Organismus, denen wir dauernd aus¬
gesetzt sind — und von denen wir bis jetzt nichts ahnten. Von exakten Ver¬
suchen im Sinne unserer Modernen oder von physiologischen Beobachtungen kann
freilich noch lange keine Rede sein.
Am Anfang des 19. Jahrhunderts unternahm A. v. Humboldt den Versuch,
die Erdoberfläche mit Stationen zu korrespondierenden Messungen der magnetischen
und elektrischen Verhältnisse der Atmosphäre zu überziehen. (H. W. Dove, korre¬
spondierende Beobachtungen über die regelmäßigen stündlichen Veränderungen
und über die Perturbationen der magnetischen Abweichung 26. 9. 1880). Der große
Mann war seiner Zeit voraus, seine Idee geriet anscheinend völlig in Vergessenheit.
Wie würde er sich freuen, diese neueste Phase zu sehen, die sein Geist vorahnend
geschaut! Buttersack (Berlin).
Hochschulnachrichten.
Berlin. Geh. Med.-Rat von Renvers ist verstorben. Der Vorsteher der Seuchen¬
abteilung am Königl. Institut für Infektionskrankheiten Dr. Otto Lente er¬
hielt den Titel Professor.
Breslau. Oberarzt Dr. E. Müller hat den Ruf nach Marburg als ao. Professor
angenommen.
Gießen. Dr. Hohlweg (innere Medizin) habilitierte sich.
Göttingen. P.-D. Dr. Birnbaum wurde zum Professor ernannt.
Halle a. S. Prof. Dr. E. Leser wurde zum Geh. Sanitätsrat ernannt. •
Jena. Als Professor der allg. Pathologie und path. Anatomie wurde der o. Prof.
Dr. Ernst Schwalbe in Rostock ausersehen, er hat aber den Ruf abgelehnt.
Kiel. P.-D. Dr. H. Noesske erhielt den Titel Professor. Neuer P.-D. für
Physiologie Dr. R. Höher vorher Privatdozent in Zürich.
Königsberg. Der ao. Prof, der gerichtlichen Medizin Dr. Puppe erhielt einen
Lehrauftrag für soziale Medizin.
Marburg. Prof. Dr. Brauer, Direktor der inneren Klinik, erhielt einen Ruf
nach Greifswald als Nachfolger Minkowskis. Er lehnte den Ruf ab.
München. Dr. F. Plaut u. Dr. E. Rüdin habilitierten sich für Psychiatrie.
Dr. A. Hasselwerder habilitierte sich für Anatomie. Prosektor Dr. H. Hahn
habilitierte sich für Anatomie.
Straß bürg i. E. Prof. Dr. O Kohts wurde zum Geh. Medizinalrat ernannt.
Tübingen. Dr. E. Holzbach habilitierte sich für Gynäkologie. Prof. Dr. Kruse
erhielt einen Ruf als Direktor des hygienischen Instituts. Zu ao. Professoren
wurden ernannt: P.-D. Dr. Blauel (Chirurgie), Dr. von Brunn (Chirurgie),
Dr. Lins er (Hautkrankheiten).
Schriftleitung : Dr. Ri gl er in Leipzig.
Druck von Emil Herrmann senior in Leipzig.
27. Jahrgang.
1909.
Tortschritte der Medizin.
Unter Mitwirkung hervorragender Fachmänner
herausgegeben von
Professor Dr. 6. Köster Priv.-Doz. Dr. v. ßriegern
in Leipzig.
Schriftleitung:
in Leipzig.
Dr. Rigler in Leipzig.
Nr. 12.
Erscheint am 10., 20., 30. jeden Monats. Preis halbjährlich
6 Mark, in kl. Zeitschrift für Versicherungsmedizin 8 Mark.
Verlag von Georg Thieme, Leipzig.
30. April.
Originalarbeiten und Sammelberichte.
Arbeit als Kurmittel in der Psychotherapie.
Von Dr. A. Stegmann.
(Vortrag, gehalten am 30. Januar 1909 in der Gesellschaft für Natur- u. Heilkunde
zu Dresden.) '
(Schluß).
Diese Lust an eigener Mitarbeit zu wecken ist bekanntlich be¬
sonders schwer bei den rentenberechtigtein sogenannten Unfallkranken.
Bei ihnen werden alle Krankheitsgefühle durch den Gedanken ver¬
schärft, daß die Bemessung der Rente vom Grade der Krankheit ab¬
hängt, und sie können nur genesen, wenn es gelingt, sie, von der
Sucht nach Rente abzulenken und sie auf irgendeine Weise zu über¬
zeugen, daß sie durch Wiederherstellung ihrer früheren Leistungs¬
fähigkeit in jeder Beziehung, besonders auch materiell, am besten gestellt
werden. Hier haben Turnübungen und zumal diejenigen an Apparaten
und in Turnsälen den geringsten Wert, denn es gilt ja noch weniger
als bei anderen Nervösen, die Kräfte einzelner Muskelgruppen wieder
herzustellen, sondern es handelt sidh um Stärkung des Willens und um
Wiederbelebung der natürlichen Freude an der Arbeit. Deshalb gehört
die Beschaffung einer den Verhältnissen des Verletzten entsprechenden.
Erwerbsmöglichkeit zu den Forderungen, deren Erfüllung immer wieder
verlangt werden muß, wenn sie auch vorläufig nur selten erreicht
werden kann. Kein Schema kann hier zum Ziel führen, am wenigsten
aber wird erfahrungsgemäß durch Zwang in irgend einer Form er¬
reicht. Jeder Schein einer ungerechtfertigten Verkürzung drängt den
Kranken znm Kampf um die Rente und schafft damit Verschlim¬
merungen des Leidens, die nach dem Stande unserer Rechtsprechung
als Unfallsfolge zu entschädigen sind. Wir müssen vor allem ver¬
suchen, durch sachliches Eingehen auf die Beschwerden und genaue
Untersuchung das Vertrauen des Kranken zu gewinnen, dann werden
wir nicht selten ungerechtfertigte Ansprüche im Keim ersticken und
die Entstehung der so bedenklichen Rentenprozesse verhindern können.
Niemals darf der Arzt sich damit begnügen, auf Grund des objektiven
Befundes die Rente herabzusetzen, er muß vielmehr versuchen, den
Kranken soweit zu belehren,- daß er mit dem vorgeschlagenen Prozent¬
satz zufrieden ist und, wenn das nicht gelingt, ihm mit ruhiger Be¬
stimmtheit darlegen, daß und warum seine weitergehenden Ansprüche
unerfüllbar sind. Eine wirkliche, Erfolg versprechende, Behandlung
29
450
A. Stegmann,
kann nur in den Fällen einsetzen, in denen es gelungen ist, auf diese
Art eine gesunde Grundlage zu schaffen und sie gestaltet sieh dann
im wesentlichen ebenso wie bei andern Nervenkranken. In allen Fällen,
besonders aber dann, wenn eine Einigung mit dem Kranken unmög¬
lich ist, muß natürlich auch das schriftliche Gutachten die Gründe
für unser Urteil so klar und bestimmt darlegen, daß sie der Laie
verstehen kann. Dann aber werden wir, zumal bei einiger Kenntnis
der bisher ergangenen grundsätzlichen Entscheidungen, erreichen, daß
unsere Abschätzung auch von den höheren Instanzen anerkannt wird.
Nur unter dieser Voraussetzung ist die Kürzung der Rente zweckmäßig,
im andern Falle wird damit nichts bewirkt als eine Schädigung der
Arbeitsfähigkeit des Kranken und eine Erhöhung der für ihn zu
leistenden Aufwendungen.
Ähnlich wie beim Unfallkranken, bei dem die Furcht, seine Rente
zu verlieren, die Arbeitslust vernichtet, haben wir bei den an nar¬
kotische Mittel Gewöhnten, den Morphinisten und Alkoholisten, vor
allen Dingen die Aufgabe, den Trieb zur Betätigung neu zu wecken ;
hier finden wir eine auf der spezifischen Wirkung jener Gifte beruhende
geistige Trägheit, während die Körperkräfte nur bei den Morphinisten
längere Zeit darnieder zu liegen pflegen. Alkoholkranke erholen sich
fast immer unter strenger Abstinenz rasch wieder so weit, daß sie zu
regelmäßiger körperlicher Tätigkeit fähig sind, und die Hauptauf¬
gabe der Behandlung ist es, sie zunächst zu solcher Arbeit zu ver¬
anlassen. Heilstätten für Alkoholkranke pflegt man daher als land¬
wirtschaftliche Betriebe einzurichten und auch die Niederlassung unseres
sächsischen Volksheilstätten Vereins „Seefrieden“ bei Moritzburg hat,
wie Sie wohl wissen, die Form eines kleinen Landgutes erhalten, was
sich bisher so gut bewährt, daß man sicher bei weiteren Gründungen
ebenso verfahren wird. Es ist erstaunlich zu beobachten, wie es dem
freundlichen Zuspruch eines im Umgang mit Alkoholkranken erfahrenen
Hausvaters und der ermunternden Wirkung einer auf gemeinsame Arbeit
gestimmten Umgebung gelingt, die landwirtschaftliche Tätigkeit selbst
solchen Kranken schmackhaft zu machen, die aus der Großstadt stam¬
men, und die vielleicht bis dahin überhaupt niemals körperlich gearbeitet
haben. Andererseits haben wir die Erfahrung machen müssen, daß
geistige Arbeit selbst von den daran gewöhnten Alkoholkranken in
den ersten Wochen, manchmal sogar Monaten, der Heilstättenbehandlung
nicht verlangt werden kann, und daß alle Versuche, sie dazu zu er¬
muntern, an einem passiven Widerstand scheitern, einem Widerstand,
der in günstig verlaufenden Fällen allerdings nach einiger Zeit völlig
verschwindet und oft sogar einem gewissen Übereifer Platz macht.
Diesen Schaffensdrang in die richtigen Bahnen zu lenken, ist die
weitere, schwierigere Aufgabe der ärztlichen Leitung ; wenn es aber
gelingt, auf ernster Arbeit beruhende Lebensfreude, für deren Mangel
ja bis dahin Ersatz im Rausch gesucht wurde, wieder zu beleben,
dann kann man auch mit Sicherheit auf eine dauernde Heilung rechnen.
Gelingt es schon nicht leicht bei körperlichen Übungen ein festes
allgemeingültiges Maß zu finden, so ist dies bei geistiger Tätigkeit
fast ganz unmöglich ; die Grundsätze, nach denen wir verfahren, bleiben
aber natürlich dieselben. Auch hier haben wir mehr auf die Art der
Ausführung als auf die Menge der Leistung zu sehen und wir werden
oft mit ganz geringen Anforderungen beginnen müssen. Dabei kommt
uns die größere Mannigfaltigkeit der Arbeitsmöglichkeiten zu statten,
Arbeit als Kurmittel in der Psychotherapie.
451
die uns erlaubt, etwa vorhandenen Neigungen entgegenzukommen und
besondere Hemmungen zu berücksichtigen. Auch hier wieder emfiehlt
sich die Einrichtung fester Arbeitszeiten und ein allmähliches Fort¬
schreiten von geläufigen und altgewohnten Beschäftigungen zu eigent¬
licher ernster Arbeit. So veranlaßte ich einen jungen Mann, der wegen
hypochondrischer Angst jede Tätigkeit auf gegeben hatte, zunächst ein¬
mal die Briefe von Freunden und Verwandten zu beantworten, die
er seit Monaten liegen gelassen hatte, und schrieb ihm hierzu eine be¬
stimmte Tageszeit vor; in anderen Fällen wird man mit dem Lesen
eines Buches beginnen und entweder gleich oder später verlangen, daß
über den Inhalt kurze Aufzeichnungen gemacht werden. Ordnen von
Sammlungen, Betrachten von Kunstwerken, womöglich wieder mit
schriftlicher Fixierung der Eindrücke, Musizieren, Übersetzungen,
Handarbeiten und unzählige andere leichte Beschäftigungen sind für
die ersten Anfänge zu verwerten, aber niemals darf der Arzt versäumen,
sich persönlich für die Fortschritte seines Patienten zu interessieren,
oft ist sogar unmittelbares Mitarbeiten nötig, um die ersten Bedenken
und Schwierigkeiten überwinden zu helfen und die nötige Konzentration
der Aufmerksamkeit sicher zu stellen. Nicht selten nämlich stutzen
die jeder energischen Anspannung entwöhnten Kranken vor einer
Tätigkeit, die sie im Lauf des täglichen Lebens ganz unbedenklich
ausführen, sobald der Begriff „Arbeit“ damit verbunden wird, und
hier ist, wie wir auch bei der Gymnastik sahen, eine geduldige und
verständnisvolle Anleitung für den Erfolg unerläßlich. Soll Lektüre
als Übungsmittel dienen, so wird man hierzu nur selten Zeitungen
mit ihrem sprunghaft wechselnden Inhalt verwenden können ; auch
humoristische Werke, die oft empfohlen werden, weil sie Zerstreuung
und Ablenkung von traurigen Stimmungen bringen sollen, sind nur
selten von Nutzen, jm Gegenteil soll man das Interesse für ernste
Stoffe zu wecken suchen und soll sich nicht scheuen, dem Kranken
Bücher in die Hand zu geben, die ihm zunächst schwer verständlich
erscheinen, wobei natürlich stets auf seine Vorbildung und seine Inter¬
essen Rücksicht zu nehmen ist. Indem man so dem Kranken zeigt,
daß er fähig ist, Aufgaben zu lösen, die ihm selbst der Mühe wert
scheinen, verschafft man ihm ein Gefühl der innern Zufriedenheit und
Freiheit, das auf anderen Wegen kaum zu erreichen wäre.
Mit der Wiederherstellung der bloßen, sozusagen mechanischen
Arbeitsfähigkeit, wie wir sie durch, die geschilderten Übungen erreichen
können, ist aber unseren Kranken noch nicht gründlich geholfen ; es
handelt sich vielmehr weiter darum, sie auch zu einer wirksamen
Ausnützung der neugewonnenen Kraft anzuleiten und ihnen die Über¬
zeugung beizubringen, daß sie eine Stellung im Leben auszufüllen,
daß sie vor allem auch für andere etwas zu leisten vermögen. Hann
erst sind sie reif zur Rückkehr in ihren Beruf und manche werden
mit dieser geläuterten Lebensauffassung eine Tätigkeit erfreulich oder
doch erträglich finden, die ihnen vorher verhaßt geworden war.
In den sehr zahlreichen Fällen, in denen die Krankheit jiicht
die Arbeitsfähigkeit an und für sich beschränkt, sondern nur die
Gemütsstimmung verbittert und die Freude am Leben ausgeschaltet
hat, ist diese Anleitung zu altruistischem Empfinden geradezu der
Ausgangspunkt der psychotherapeutischen Beeinflussung. Der Mangel
eines Berufes, das Gefühl, zwecklos auf der Welt zu sein, ist ja
besonders bei weiblichen Nervenkranken aus wohlhabenden Kreisen
‘29*
452
Bunck,
ein Haupthindernis ihrer Genesung, während dort andererseits der
Lust, sich zu betätigen, eine völlige Unfähigkeit zu ernster Arbeit,
oft auch der Mangel an Gelegenheit dazu entgegensteht. Hier genügt
es nicht, die Zeit mit Handarbeiten, Übersetzungen und dergleichen,
im letzten Ende zwecklosen Unternehmungen auszufüllen ; hier muß
man, anknüpfend an die praktisch gegebenen Möglichkeiten, an die
Begabung und die Kräfte der Kranken, versuchen, sie zu einer Tätigkeit
zu führen, die einen greifbaren Nutzen bringt. Der Gewohnheit, mit
Beschäftigung zu spielen, muß entgegengetreten, an Stelle der dilettan¬
tischen Art die ernste, systematische Arbeit gesetzt werden. Die
mannigfachen sozialen Bestrebungen unserer Zeit bieten hierzu ja reich¬
lich Gelegenheit und eine Menge brachliegender Kräfte kann dafür
nutzbar gemacht werden zur Freude der bis dahin untätigen Nerven¬
kranken und zum Nutzen der Allgemeinheit, wenn man konsequent
mit der Arbeitsbehandlung vorgeht. Gerade nervöse Damen haben
allerdings meist eine große Scheu vor jedem Hervortreten in der Öffent¬
lichkeit, allmählich aber läßt sich auch dieses Hindernis überwinden,
wenn man nur zunächst die Freude an der Sache zu wecken und die
Leistungsfähigkeit zu heben vermag. Säuglingspflege, Unterricht an
unbemittelte junge Mädchen, die verschiedenen Formen der Antialkohol¬
bewegung u. a. m. bieten für solche nach einem Pflichtenkreis ver¬
langende Frauen und (Mädchen ein willkommenes Arbeitsfeld.
So dient die Arbeit dazu, das Individuum für das Wirken im
Ganzen zurückzugewinnen, ihm das Gefühl der Daseinsberechtigung
und der Lebensfreude wiederzugeben, und hier ist der Punkt, wo
Arbeit als Kur mittel sich organisch mit den mannigfachen anderen
psychotherapeutischen Hilfsmitteln zu einem System zusammenschließt.
M. H. ! Ich bin am Ende meiner Ausführungen! Vieles konnte
ich freilich nur andeuten, was erst bei näherem Eingehen Leben und
Interesse gewinnen würde, und manches mag Ihnen allzu selbstver¬
ständlich erschienen sein. Immerhin hoffe ich, Ihnen gezeigt zu haben,
daß Arbeit ein unentbehrliches, wenn auch nicht ganz leicht zu hand¬
habendes Hilfsmittel der Psychotherapie ist, und daß die Hindernisse,
die sich ihrer Verwendung entgegenstellen, auch in der freien Praxis
keineswegs unüberwindlich sind.
Jodival in der Kinderpraxis.
Von Dr. Runck, Mnndenheim.
Nachdem ich das schon vielfach und vielseitig erörterte Bromural
in seiner kardinalen Bestimmung auf seinen Heilwert geprüft1) und
kürzlich wieder2) zum Gegenstand erweiternder Betrachtungen gemacht
habe,’ liegt es nahe, daß mein Interesse auch den korrespondierenden
Halogen- Verbindungen dieses Körpers sich zuwandte. Unter diesen inter¬
essierte mich vor allem das Jodprodukt, welches nach seinem ganzen
chemischen Aufbau, nach seinem im menschlichen Organismus zu erwar¬
tenden Abbau und zuletzt nach den erfreulichen Erfahrungen mit dem
stammverwandten Bromural zu besonderen Hoffnungen berechtigte,
wenn diese auch nicht an eine definitive Lösung der Jodfrage sich hin¬
wagten. Die Bestätigung meiner Auffassung sollte nicht lange auf sich
1) Münch, med. Wochenschr., Nr. 15, 1907.
2) Berl. klin. 'Wochenschr., Nr. 24, 1908.
Jodival in der Kinderpraxis.
453
warten lassen. Schon die ersten Ergebnisse waren von überzeugender
Kraft und die weiteren Erfahrungen vermochten das Interesse nur zu
steigern. Dabei gestaltete sich die Einführung des Jodprodukts in die
weite Domäne der Internen nicht als ein ängstliches Prüfen und Tasten,
sondern gestattete schon nach den ersten erfolgreichen Anfängen ein
so bestimmtes und sicheres Versieren, als habe man es mit einem längst
Vertrauten zu tun. Wohl ist cliese rasche Intimität mit dem neuen
Jodprodukt mit die Folge einer alt eingeführten, sorgfältig gepflegten
Jodliteratur, aber andererseits ist diese in die Augen fallende Leich¬
tigkeit seiner praktischen und kritischen Verwertung zweifelsohne auf
die hervorragenden Eigenschaften des Präparates zurückzuführen,
welche, von Schwankungen und Nebenwirkungen frei, klar und scharf
zum Ausdruck kommen.
Dieses Jodprodukt ist der a-Monojodisovalerianylharnstoff, welcher,
ähnlich dem Bromural, ein halogensubstituiertes Isovalerianylharnstoff-
derivat in der Zusammensetzung
CH • CHJ • CO • NH • CONH2
o
darstellt.
Dieser, Jodival benannte, ebenfalls von Dr. Saarn dargestellte
und von der Firma Knoll & Co., in den Handel gebrachte Körper
ähnelt in seiner weiß-kristallinischen Pulverform auch äußerlich dem
nahestehenden Bromural und ist wie dieses unlöslich in kaltem Wasser,
löslich in heißem Wasser, Äther, Alkohol, Öl und alkalischen Flüssig¬
keiten. Die Ähnlichkeit erstreckt sich auch auf den leicht bitteren
Geschmack, der bei Jodival noch etwas zurücktritt und daher keine
Schwierigkeiten bereitet. Ausgestattet mit einem Jodgehalt von 47°/0
übertrifft Jodival die Jodwerte aller bisher verwendeten organischen
Erastzpräparate. Dabei sinkt die Gefahr ein tretenden Jodismus auf
ein Minimum, weil das Präparat unzerse fczt den Magen passiert, im
Darme wohl gelöst und resorbiert wird, aber erst in den Geweben der
Abspaltung allmählich anheimfällt.
Wohl wissen wir, daß die Konzentration allein nicht maßgebend
ist für die Beurteilung eines Jodpräparates, aber ebensowenig zweifel¬
haft ist die Tatsache, daß bei der Beurteilung der therapeutischen
Wirksamkeit nur die Jodkomponente und die Art der Abspaltung des
Jods im Organismus in die Wagschale fällt.
Als Begleitwirkung kommt hauptsächlich eine sedative in Betracht.
Sie ist etwas schwächer als bei Bromural und schwindet mit der
Trennung des Jod von dem beruhigend, fast völlig unwirksamen Iso¬
valeriany lharnstoff. Da die Trennung nur allmählich vor sich geht,
so ist die Haltbarkeit der Verbindung von hinreichender Dauer, um
die beruhigende Wirkung des Jodivals auch klinisch zum Ausdruck
zu bringen. Besonders bei Kindern, bei schwächlichen und älteren
Individuen, läßt sich deutlich ein leicht sedatives Initialstadium wahr¬
nehmen. Hat diese, die eigentliche Jodwirkung einleitende Aura sedativa
mit ersterer nichts zu tun und könnte füglich entbehrt werden, so ist
sie andererseits niemals störend empfunden worden, sondern wußte
sich meist in solch wohltuender Weise geltend zu machen, daß diese
Begleitwirkung eher als ein Vorzug angesprochen werden muß.
Die Fülle der Erfahrungen, welche ich der therapeutischen Ver¬
wendung des Jodivals verdanke, stützt sich auf ein so umfangreiches
Krankenmaterial, daß ich leider genötigt bin, von einer deskriptiven
454
Runck,
Besprechung und Zitierung von Einzelfällen abzusehen und mich mehr
auf eine allgemeine kritische Erörterung der Jodival Wirkung zu be¬
schränken. Meine Untersuchungen erstreckten sich vorwiegend auf
Erkrankungen des Kindes altera, weshalb ich auch diesen bei der Be¬
sprechung den Vorzug einräumen möchte.
Von den Erkrankungen des Kindesalters beansprucht wohl das
Hauptinteresse die unter dem Sammelnamen Skrophulose bekannte
Krankbeitsform. Da wir es hier fast ausschließlich mit einer erb¬
lichen Krankheitsanlage zu tun haben, in welcher die mehr oder weniger
rein überkommenen Toxine oder Stoffwechselprodukte zum Ausdruck
kommen, so bietet sich hier dem Jodival die beste Gelegenheit, als
inneres Desinfiziens seine reinigende, entgiftende Kraft zu beweisen.
Wohl ist die Jodbehandlung der Skrophulose schon längst kein
Novum mehr und die spezifische Heilkraft des Jods steht außer Zweifel,
aber zu einer generellen Anwendungsweise ist es trotz mancher ver¬
lockender Einzelerfolge nicht gekommen. Irritierender Geschmack, In¬
toleranzerscheinungen, technische Schwierigkeit steigerten bei dieser
meist nicht dringlichen Krankheitsform mehr als sonstwo die indivi¬
duellen Bedenken und machten alle auf Verallgemeinerung hinzielenden
Bestrebungen bis jetzt illusorisch. Um so gespannter wurden meine
Erwartungen, als ich bei Jodival diese Untugenden vergeblich suchte
und jeder neue Versuch eine neue Bestätigung war. Nach Hunderten
zählen die Kleinen, welche Jodival meist gern und ohne Widerstreben
nahmen. Keines ihachte eine Ausnahme, selbst der zarte Säugling
beanspruchte keine Sonderrücksichten, sondern ging mit gutem Beispiel
voran, indem er, ohne Indigestionen zu äußern, relativ hohe Dosen
bezwang. Wohl konnte hier und da ein leichter Schnupfen oder eine
leichte Akne bemerkt werden, indessen kam nie eine Störung des Allge¬
meinbefindens zur Beobachtung, welche eine Unterbrechung des Jod¬
gebrauches nahe legte. Kein Wunder, wenn unter diesen Umständen
meine Voraussetzungen immer festeren Fuß gewannen und in mir die
Überzeugung festigten, daß der generelle Gebrauch des Jodival nur
eine Frage der Zeit sein könne.
Die Bedeutsamkeit dieser Erkenntnis, deren Sanktionierung zu¬
nächst noch der Zukunft angehört, wäre indessen minder wertvoll,
wenn sie nicht gleichzeitig identisch wäre mit der generellen Erschlies¬
sung der hervorragenden Heilwirkungen dieses Mittels.
Die meisten Kinder lassen schon im Laufe der ersten Woche die
Jodival Wirkung erkennen. Mehr oder weniger beobachtete, halb latente
Affektionen bronchialer oder sonstwie entzündlicher Art haben sich
merklich gebessert, sind vielleicht während dieser Zeit schon verschwun¬
den und haben als Ausdruck dieser stillen Arbeit ein erhöhtes sub¬
jektives Befinden hinterlassen, das besonders in dem Eintreten eines
kräftigen Appetits sich offenbart. Dieser Aufschwung des Allgemein¬
befindens ist bezeichnend für jeden eine gewisse Dauer umfassenden
Jodivalgebrauch und pflegt auch in der Folge stabilen Charakter bei¬
zubehalten, zumal wenn die Vorsicht geübt wird, die Kur zeitweilig
zu wiederholen.
Da solche erfreuliche Wahrnehmungen ohne die Voraussetzung
einer ungestörten Magen- und Darmfunktion undenkbar sind, so kann
es keinem Zweifel unterliegen, daß Jodival unverändert den kindlichen
Magen passiert und erst im Dünndarm mit dem Überwiegen der Alkal-
essenz der Auflösung anheimfällt. Das Jodival wird erst im Gewebe
Jodival in der Kinderpraxis.
455
und zwar mit Vorliebe da, wo entzündliches Protoplasma vorhanden
ist, die Jodkomponente abgeben, welche, im Status nascendi noch
über ungeschwächte Kraft verfügt. So nur können wir uns den nun
einsetzenden kräftigen Resorptions- und Oxydationsprozeß erklären,
so nui’ die Hebung des Appetits, die Vertiefung der Atmung, welche
für den Mehrbedarf an Sauerstoff aufzukommen hat.
Wenn wir gleichzeitig die Wahrnehmung machen, wie unter dem
Einfluß des Jodival nach und nach die skrophulosen Ekzeme und
katarrhalischen Neigungen der Schleimhäute verschwinden, wie die
entzündlichen Drüsen zurückgehen, das Aussehen der Kinder durch
das Aufhellen der Haut und der Gesichtsfarbe gewinnt, dann dürfen
wir wohl annehmen, daß dieser Stoffwechselprozeß auch eine reini¬
gende entgiftende Aufgabe erfüllt. Es erfolgt gewissermaßen eine
Reformierung der Körpersäfte, eine Blutreinigung, welche der Ent¬
wicklung des kindlichen Organismus in genereller Weise zugute kommt
und ihm neue und günstigere Lebensbedingungen schafft, ohne daß
sie durch Gegenleistungen toxischer Art eine Schmälerung zu befürchten
haben.
In gleich günstiger Weise wußte sich Jodival die Einführung
bei sonstigen Erkrankungen und selbst bei Traumen des Kindesalters
zu sichern. LTnd da seine gleichbleibende Toleranz den weitgehendsten
Gebrauch gestattete, konnte auch die Vielseitigkeit seiner Anlage nicht
lange okkult bleiben. Bald fesselt uns seine Resorptions- und Desin¬
fektionskraft, bald sind wir geneigt, ihm als Nervinum und Prophy-
laktikum den Vorzug zu geben. Bald äußern sich seine Wirkungen
mehr zentral, bald mehr peripher.
Der Resorption durch Jodival unterliegen alle protoplasmatischen
Gebilde, welche durch krankhafte oder gewaltsame Störungen aus dem
stützenden organischen Verband ausgeschieden sind (gewissermaßen nur
noch als Fremdkörper dem Organismus angehören). Eine Hydrocele
schwindet ebenso willig unter dem Einfluß des Jodivals, wie die unver¬
meidlichen Blutbeulen älterer Kinder, ohne daß wir dabei unter Bei¬
behaltung der üblichen Kanteten mit der Gefahr der Abszedierung
rechnen müßten. Eine Cephalhaematoma neonatorum, ein entzündliches
Transsudat oder Exsudat verfällt ebenso prompt der Resorption, wie
die interstitiellen oder artikulären Blutextravasate bei Frakturen, Luxa¬
tionen und Kontusionen, welche wieder in einer beschleunigten Heil¬
tendenz, in der herabgesetzten Neigung zu Rezidiven und Residuen
wie Callusbildung zum Ausdruck kommt. Selbst Lymphangoitiden,
Phlegmonen, entzündliche Drüsenschwellungen sah ich auf frühzeitigen
Jodivalgebrauch hin manchmal noch unblutig verlaufen, öfter aber
noch konnte in diesen Fällen eine beschleunigte Abszedierung beobachtet
werden. Auch diese ist zweifelsohne durch Jodival bedingt, unter
dessen Einfluß das Gewebe der Bakterienwanderung einen stärkeren
Damm entgegensetzt und so durch Herdbeschränkung die eitrige Ein¬
schmelzung derselben begünstigt.
Die Annahme, daß Jodival ähnlich wie Bromural auf das Zentral¬
nervensystem eine bevorzugte Wirkung ausiibe, fand ich durch meine
Beobachtungen bestätigt. Sie finden sich hierbei in Übereinstimmung
mit den Angaben v. d. Velden’s, denen zufolge nicht allein die sedative,
sondern auch die spezifische Jodentwicklung und -Wirkung vorwiegend
im Großhirn sich abspielt. Erstere läßt sich bei leichter Unruhe der
Kinder, bei Dentition, bei fieberhaften Erkrankungen leicht erkennen,
456
Runck,
tritt aber bei organischen Erkrankungen des Nervensystems hinter der
spezifischen Jodwirkung völlig zurück. Letztere tritt um so deutlicher
zutage, je zentraler der Sitz der Erkrankung gelegen ist.
Eine anfängliche generelle, dann mehr auf die beiden unteren
Extremitäten sich beschränkende, spinale Kinderlähmung zeigte schon
auf niedrige Gaben hin merklichen Rückgang. Unter Steigerung der
Dosen hielt der Fortschritt an und heute geht die Erkrankung, unter¬
stützt durch die belebende Wirkung des galvanischen Stromes, nach
mehrmonatiger Dauer der Heilung entgegen.
Hierher darf ich wohl auch einen Fall von Hydrocephalus inter¬
nus zählen, der unter Verlust der Ausfallsymptome bald wieder nor¬
male Funktion erkennen ließ. Ein Fall von schwerer Commotio cerebri,
15 Jahre alt, erlangte unter dreistündlicher Anwendung von 0,3 g
Jodival, als Suppositorien, nach acht Stunden wieder das Bewußtsein,
nach acht Tagen folgenfreie Wiederherstellung.
Der Hinweis auf eine in Heilung begriffene Sklerodermie einer
Vierzehnjährigen, welche ich mir für eine spätere Besprechung Vor¬
behalten möchte, spricht in besonders typischer Weise für eine zentrale
Wirkung des Jodival und zeigt, daß auch die vasomotorisch trophischen
Neurosen für Jodival die Bedeutung eines noli me tangere verloren
haben.
( ■ _
Die Erythromelalgie des Unterarmes einer Fünfzehnjährigen er¬
gab sich nach zwei Wochen, trotzdem die Erkrankung volle sieben
J ahre lang bestanden hatte.
Ungeteilter Gunst erfreut sich Jodival in der Behandlung der
infantilen Lues. Die vorzüglichen Ergebnisse dürften wohl geeignet
sein, dem Schrecken dieser Erkrankung manches zu nehmen, beson¬
ders wenn in richtiger Erkenntnis eine vernünftige Prophylaxe ge¬
übt wird. So sah ich eine syphilitische Mutter, welche bereits drei¬
mal abortiert hatte, unter dem Schutze des Jodival zum ersten Male
ein kräftiges ausgetragenes Kind zur Welt bringen. Da letzteres,
dem Beispiel der Mutter folgend, Jodival weiter bezog, hielt auch
die fernere günstige Entwicklung an.
Die meist anämischen, zu Erkältungen geneigten, luetischen Kin¬
der, mit ihren dyspeptischen Beschwerden, den unbestimmten Fieber¬
zuständen und ewig wechselndem Allgemeinbefinden, zeigten auf Jodi-
valgebrauch auffallende Veränderungen. Der meist unreine Teint, die
von Geschwüren und Hauteffloreszenzen gerne heimgesuchte Haut
hellt sich langsam auf und wird durchsichtiger. Die periodisch
wiederkehrenden Störungen des Allgemeinbefindens werden seltener und
bleiben schließlich ganz aus ; die dyspeptischen Beschwerden vergehen,
der Appetit macht sich geltend, die Anämie geht allmählich zurück
und das Kind geht ersichtlich einer ruhigeren Entwicklung entgegen.
Zu bemerkenswerten Ergebnissen führten meine Bemühungen, den
Indikationsbereich auch auf suppurative Erkrankungen auszudehnen.
Ein Empyem eines zweijährigen Kindes, einen abdominalen tuberku¬
lösen Abszeß einer Sechzehnjährigen, welch letzterer nach außen per¬
forierte, sah ich ohne operative Hilfe völlig verheilen.
Unter 15 Appendizitiden und Perityphlitiden, von denen etwa
die Hälfte dem Kindesalter -angehörte, sach ich 13 unter Jodival-
wirkung abheilen, trotzdem ein guter Teil mit Abszeßbildung ein¬
herging. Der 14. wurde operativ behandelt, nachdem die Erkrankung
innerhalb eines Vierteljahres dreimal rezidiviert hatte. Letalen Aus-
Jodival in der Kinderpraxis.
457
gang nahm ein rapid verlaufender Fall, der mit atypischen Druck'
schmerzep und peritonitischen Erscheinungen einsetzte und wohl auch
sub cultro keine besseren Chancen geboten hätte. In dubio entschied
ich hier für Appendizitis.
Bei dieser Gelegenheit sei mir der Hinweis gestattet, daß der
ätiologisch nicht zum ersten Male geäußerte Zusammenhang von
akuten Infektionserkrankungen insbesondere von Anginen mit den Er¬
krankungen des Appendix auch meinerseits in vielen Fällen bestätigt
werden konnte.
Durchweg günstige Resultate zeitigte der Jodivalgebrauch bei
der Otitis media. Neben der lokalen Trockenbehandlung beschränkte
ich mich auf die Darreichung von zwei- bis viermal täglich 0,3 g
Jodival. Nur in schwer gelagerten Fällen, die mit alarmierenden,
zerebralen Symptomen einhergingen, ging ich zu stärkeren Gaben
(dreistündlich 0,3 g als Suppos.) über. Die "Wirkung ließ in der
Regel nicht lange auf sich warten. Zuerst pflegte sich ein reichlicher,
dünnflüssiger Fluor einzustellen, während gleichzeitig die Patienten
über Abnahme der Schmerzen oder des Fiebers zu berichten wußten.
Nach einigen Tagen ließ die Sekretion nach und die Wunde begann
sich zu reinigen. Die sich anschließende Abheilung meist unter Regene¬
ration des Trommelfelles beanspruchte selten mehr als zwei bis vier
Wochen.
Auch chronische Otitiden zeigten sich durchaus zugänglich, wenn
sie auch etwas längere Zeit zur völligen Vernarbung beanspruchten.
Bei den infektiösen Erkrankungen, wie Masern, Scharlach, Diphthe-
ritis, Varizellen u. a., hatte ich Gelegenheit, neben der internen auch
die externe Jodivalwirkung kennen zu lernen. Die örtliche Behand¬
lung erstreckte sich auf die Bestäubung der erkrankten Rachen- und
Kehlkopfpartien und frappierte mitunter durch das rasche Einsetzen
schmerzbefreiender Wirkung. Diese lokale Anästhesie wurde jedoch
nur teilweise bestätigt und hat daher den Nachteil, daß sie leider
inkonstant ist. Desgleichen kam auch die extern desinfizierende Wir¬
kung ungleich oder verzögert zum Ausdruck.
Bei der internen Behandlung fand ich, daß die bakterizide Kraft
wohl über leichtere und mittlere Virulenzgrade Herr wird, dagegen
bei schweren Graden in den üblichen Dosen (dreimal täglich bis drei¬
stündlich 0,3 g Jodival) mitunter versagt oder seine Potenz erst noch
zu erweisen hat. Dafür machte ich die Beobachtung, daß Jodival
eine bemerkenswert anregende Wirkung auf das subjektive Befinden
entfaltet, welche selbst in den schwersten, hochfebrilen Fällen das
übliche Krankheitsgefühl vermissen läßt. Da nun das Krankheits¬
gefühl nach der geltenden Auffassung lediglich als Ausfluß der Stoff¬
wechselprodukte in Betracht kommt, so darf man wohl annehmen,
daß letztere der desinfizierenden Kraft des Jodival erliegen und so
den herabstimmenden Einfluß auf das subjektive Befinden verlieren. 3 * * * * 8)
Diese Erkenntnis hatte für mich die praktische Weiterung, als sie
mir vielfach gestattete, mit Nutzen der medikamentösen und hydria-
3) Während mir der Korrekturbogen zur Durchsicht vorliegt, nehme ich
Kenntnis von Prof. Ehrlich’ s Veröffentlichung über Partialfunktionen der Zelle
(Nobelvortrag, gehalten am 11. Dezember 1908 zu Stockholm), worin dieser Forscher
in präsumtiver Weise Jod als einen Körper bezeichnet, der für die Vernichtung
der Stoffwechselprodukte in Betracht kommt. Diese Aufstellung wird durch meine
praktischen Erfahrungen, mit Jodival vollkommen bestätigt. Runck.
458
Runck,
trischen Bekämpfung des Fiebers zu entsagen und dafür dessen dia-,
gnostisch-therapeutischen Effekt entgegenzunehmen.
Als eine weitere Folge dieser innerlichen Antisepsis möchte ich
eine geringere Neigung zu Komplikationen und sekundären Affek¬
tionen ansprechen.
Bei den akuten Erkrankungen der unteren Luftwege sehen wir
Jodival schon mehr zur Geltung kommen. Hier bieten sich dem
internen Gebrauch schon dankbarere Angriffsflächen in der gesteiger¬
ten Sekretion der erkrankten Bronchien, in der Anhäufung entzünd¬
lichen, lockeren Protoplasmas im Bereiche der entzündeten Bronchial-
schleimhaut und der beteiligten Drüsen. Dafür sind aber auch die
Wirkungen deutlicher, fühlbarer, konsequenter. Ja man kann ruhig
sagen, der Effekt ist immer da und zwar um so prägnanter, je schwerer
die Symptome einer akut einsetzenden Tracheo- oder Bronchodyspnöe
sich geltend machen. Schon eine Stunde, selten länger als zwei Stun¬
den nach Einnahme äußern die Patienten befriedigt das Gefühl der
Erleichterung und Befreiung über der Brust. Die Atmung wird tiefer
und langsamer, der Schleim flüssiger, die Expektoration leichter, und
nach einigen Tagen ist die Krankheit behoben. Bei der zähen chronischen
Form läßt sich wegen des meist vorhandenen Hustenreizes ein Nar¬
kotikum nicht ganz entbehren. Im übrigen sind hier die Wirkungen
dieselben, nur weniger augenfällig, da die Beschwerden auch geringere
sind. In einigen Wochen tritt leicht und sicher die Heilung ein.
Anders liegen die Verhältnisse bei der tuberkulösen Form. Wohl
sehen wir auch hier Jodival seine resolvierenden, resorbierenden Eigen¬
schaften erfolgreich entfalten, aber der spezifische Charakter der Er¬
krankung entzieht sich zunächst der Jodivalwirkung. Dagegen sehen
wir Jodival bei längerem Gebrauch eine ungemein anregende, aktive
Wirksamkeit entfalten. Das Aussehen des Patienten verändert sich
unter seinem Einfluß zusehends. Wir sehen die schmutzig graue
Gesichtsfarbe langsam weichen. Der Teint wird durchsichtiger, heller,
der Appetit stellt sich ein, oft überraschend schnell, sprungweise,
manchmal wieder langsamer, aber stetig, die Formen werden nach
und nach wieder voller, das aufsteigende Kraft- und Gesundungsgefühl
verfehlt nicht seinen belebenden Einfluß auf die Kranken auszuüben.
Auch dort, wo vorgeschrittenere Zerstörungen, wo Cavernen und
Schrumpfungen die Prognose trüben, bei Miliartuberkulose und selbst
im Schlußstadium der Tuberkulose, stets sehen wir Jodival seine lin¬
dernde, solvierende .Wirkung entfalten, wenn keine Heilung, so doch
Linderung.
Schon höher werden die Anforderungen an das Jodival bei jenen
gewichtigen Erkrankungen der Atmungsorgane, welche wie die krup¬
pöse Form der Pneumonie oder wie die exsudative der Pleuritis durch
Ausschaltung ganzer Lungenbezirke jene schweren dyspnoischen Zu¬
stände schaffen, welche abgesehen von ihrer steigenden Tendenz noch
bedrohlicher sich zuspitzen, je weniger die Kraftreserve des Herzens
sich zulängilch erweist.
Aber auch hier machte sich Jodival ausnahmslos geltend und
zwar zunächst durch eine bemerkenswerte Vertiefung* und Verlang¬
samung der Atmung, welche nach Angabe mitunter schon in wenigen
Stunden, selten später als nach 24 Stunden eintritt, und dem ganzen
Krankheitsbilde sein charakteristisches Gepräge verleiht.
Schon die erste Nacht pflegt den Kranken einen, wenn auch
Jodival in der Kinderpraxis.
459
nur nach Stunden bemessenen, erquickenden Schlaf zu bringen. Sie
äußern sich befriedigt darüber, ebenso auch über den Nachlaß der
Atemnot, an dessen Stelle das Gefühl der Erleichterung und Befreiung
getreten sei. Am besten kann man sich von den eingetretenen Wir¬
kungen überzeugen, wenn man Gelegenheit hat, den Patienten im
Schlafe zu treffen. Die zuvor mühsame beschleunigte Atmung findet
man erstaunt durch einei ruhige, tiefe, ausgiebige ersetzt, so daß man
oft gar nicht vor dem Bett eines Kranken zu stehen glaubt.
Indessen ist damit die Bedeutung dieser Wirkung noch nicht
erschöpft. Die Vertiefung der Atmung involviert gleichzeitig eine
stärkere Durchblutung der Lunge und damit eine sehr wesentliche
Entlastung des pulmonalen Kreislaufs, welche dem ohnehin über¬
lasteten und weniger kräftigen rechten Herzventrikel zugute kommt,
andererseits eine Hebung des Atemchemismus bezw. der Oxydation
des Blutes.
Trotzdem ist wohl zu beachten, daß wir es nicht gar zu oft mit
einem intakten Herzorganismus zu tun haben, dem diese Hilfe von
seiten des Jodival genügt und daß auch der intakte Herzmuskel mit
der depressiven Wirkung der Infektionserreger zu rechnen hat. In¬
folgedessen dürfte es die Prophylaxe wünschenswert erscheinen lassen,
die Wirkungen des Jodivals auch nach dieser Richtung hin zu stützen
bezw. die Herztätigkeit schon beizeiten durch Zuhilfenahme geeigneter
Cardiaca wie Digitalis, Theobromin, Bromural zu disziplinieren.
Ähnlich liegen die Verhältnisse bei der Pleuritis, gleichviel ob
die feuchte oder trockne, leichte oder schwere Form in Frage kommt.
Mühelos bricht die Jodivalwirkung durch. Schon nach wenigen Dosen
wird die Atmung leichter. Nach 1 — 2 Tagen ist die Atemnot fast
unmerklich geworden. Die Atemzüge zeigen fast normales Gepräge.
Sie sind jetzt ruhiger, tiefer, langsamer. Der Husten ist nicht mehr
trocken und quälend, sondern feucht, lose, befreiend. Schlaf und Appe¬
tit stellen sich wieder ein und neue Hoffnung belebt, die Patienten.
Nach 2 — 3 Wochen, selten länger, ist die pleuri tische Affektion ver¬
schwunden und die sonst noch vorhandenen katarrhalischen Affektionen
hellen sich zusehends auf. Niemals sah ich bis jetzt unter Jodival¬
wirkung ein Empyem sich entwickeln und der Erfolg blieb nur da
aus, wo tiefere Zerstörungen oder schwerere Komplikationen gleich¬
zeitig in Frage kamen.
Auch hier leistete die Verbindung mit einem geeigneten Diure¬
tikum oft wertvolle Dienste.
In geradezu souveräner Weise wirkt Jodival auf jene angstvoll
dyspnoischen Attacken von Asthma bronchiale, über dessen Genese
heute noch die verschiedensten Theorien im Umlaufe sind, ohne daß
es gelungen wäre, eine auf allseitiger Anerkennung basierende Einigung
zu erzielen. Schon in kurzer Zeit, durchschnittlich eine Stunde nach
Einnahme der hier üblichen Dosis von 0,3 g Jodival beginnen die
dyspnoischen Beschwerden zu weichen, so daß der Kranke bald wieder
befreit aufatmen und seinen unterbrochenen Schlaf fortsetzen kann.
Da hier aber keine entzündliche Schwellung der Bronchien, kein
Infiltrat oder Sekretanhäufung die plötzliche Atemnot bedingt, sondern
ein Krampf der Bronchialmuskulatur in Betracht kommt, so kommen
wir mit der bisher genügenden Erklärung der vertieften Atmung nicht
aus. Wir müssen daher nach einer anderen Erklärung suchen.
Die meisten Autoren, darunter Einthoven, Beer, neigen zu der
460
Runck, Jodival in der Kinderpraxis.
Anschauung, daß dieser Bronchialspasmus nervösen Ursprungs sei und
der Krampfzustand, welcher dem asthmatischen Anfalle zugrunde liege,
das Werk des erregten Nervus vagus sei, und demgemäß auch spasmo-
lytischen Mitteln die Aufgabe zufiele, die Erregbarkeit dieser Nerven
herabzusetzen. Dieser Forderung (Einthovejn’s) entspricht nach meinem
Dafürhalten Jodival, welches auf die Großhirnhemisphären wie den
Nervus vagus beruhigend und spezifisch einwirkt und damit das Ge¬
heimnis der vertieften Atmung erklärt.
Nachdem nun diese vertiefte Atmung, wie wir gesehen haben,
auch bei stärkeren Infiltrationen und Verdrängungserscheinungen zu
beobachten ist, so ergibt sich daraus, daß auch bei diesen Prozessen,
sei es aus reflektorischen, sei es aus mechanischen Gründen, Bron¬
chialspasmus oder ein stärkerer Tonus vorliegt, welcher nun der Ein¬
wirkung des Jodivals unterliegend, das Phänomen der vertieften Atmung
dar bietet.
Beim Emphysem mögen wohl ähnliche Vorgänge sich abspielen,
jedoch in bedeutend geringerem Maßstabe. Jedenfalls werden auch
hier die Wirkungen wohltuend empfunden und vermögen je nach dem
Grade der Atrophie, einer vernünftigen Diät und der Dauer der Kur
bessere und teilweise haltbare Verhältnisse zu schaffen. Meine durch¬
wegs günstigen Ergebnisse sind wenigstens geeignet, das Jodival auch
nach dieser Richtung nur zu empfehlen. Als ein bemerkenswertes
Ad j urans darf auch hier die Theobrominkombination gelten, deren oft¬
mals beschleunigte oder erhöhte Wirkungen wohl nicht zu Unrecht
sich der dauernden Gunst meiner Asthmatiker erfreuen.
Keinerlei Ausstellungen veranlaßte, wie schon erwähnt, das Ver¬
halten des Jodivals im Darmtraktus. Indigestionen, welche mit Sicher¬
heit auf Jodival zurückzuführen waren, wurden nicht beobachtet. So¬
gar bestehende Darmstörungen bildeten keine absolute Kontraindika¬
tion. In vereinzelten Fällen vermochte ich sogar positive Resultate
zu erzielen. So sah ich ein vier Monate altes schwächliches Kind mit
Soor zweiten Grades unter Jodivalwirkung* genesen, obwohl es tagelang
in einem halbagonalen Zustand verharrte. Trotzdem bin ich weit
entfernt, daraufhin einer neuen Indikation das Wort zu reden, deren
Sanktionierung erst noch weiterer Prüfungen bedarf.
Wenn auch die Erfahrungen, welche ich der Verwendung des
Jodivals bei Erkrankungen des Kindesalters verdanke, infolge dieser
ßelbstgezogenen Beschränkung kein erschöpfendes Bild seiner Wirk¬
samkeit ergeben, so zeigen sie doch eine bemerkenswerte Einigung in
der Anerkennung seines hohen Heilwertes.
Überraschend wirkt die Fülle der Indikationsstellungen und deren
mühelose Übertragung gerade auf jenes Lebensalter, das aus nahe¬
liegenden Gründen bisher nur in bescheidenstem Maße die therapeutische
Verwendung der Jodprodukte kannte. Allerdings tritt uns der neue
Repräsentant in vielfachem Sinne als ein Novum gegenüber, das mit
unbegrenzter Aktionsfähigkeit, erhöhte Wirksamkeit und Toleranz wohl
zu verbinden weiß. Darauf basiert die umfassende Indikationsstellung
des Jodival, welcher im einzelnen näher zu treten, wohl zu weit führen
würde. Für zweckmäßiger und instruktiver möchte ich es erachten,
aus dem Resümee der gewonnenen Erfahrungen die Hauptmerkmale
der Jodivalwirkung herauszugreifen und in kurzen Erfahrungssätzen
wiederzugeben. Diese rekapitulierende Form der Charakteristik dürfte
für Jodival den vollkommenen Wert einer detaillierten Indikations-
Vorläufige Mitteilungen und Autoreferate. 461
Stellung und nebenbei den Reiz besitzen, zu weiteren Indikationen an¬
zuregen.
In diesem Sinne möchte ich folgende Thesen auf stellen :4)
1. Jodival wird durchschnittlich gern und ohne Widerstreben
genommen. Im Verhinderungsfälle (Erbrechen, Trismus, Koma, Idio¬
synkrasie) bietet die rektale Einverleibung vollkommenen Ersatz.
2. Jodival erzeugt keine Indigestionen, wirkt vielmehr anregend
auf den Appetit.
3. Jodival erzeugt keine Intoxikationen, welche für das Allgemein¬
befinden in Betracht kommen.
4. Die Dispensation ist eine sehr elastische und gestattet die weit¬
gehendste Anpassung an jede Altersstufe, jeden Kräfte- und Krank¬
heitszustand. (Dreimal täglich 0,1 bis dreistündlich 0,3.)
5. Das Resorptions- und Desinfektionsvermögen sind gleich hoch
entwickelt. Beide sind in hohem Grade steigerungsfähig, ohne dabei
an Stetigkeit der Wirkung einzubüßen.
6. Die Resorption erstreckt sich auf alle protoplasmatischen Ge¬
bilde, welche, durch Entzündung oder Trauma, den organischen Kontakt
verlöre/) haben.
7. Die Desinfektion richtet ihre Hauptstoßkraft auf die Ver¬
nichtung der Stoffwechselprodukte, während eine ausgesprochen bak¬
terizide Wirkung weniger zu beobachten ist.
8. Spezifisch ist die Jodival Wirkung bei allen Erkrankungen und
Traumen des Nervensystems und besonders der zentralen Teile des¬
selben. Degenerationszustände sind natürlich ausgeschlossen.
9. Die Verbesserung des kapillaren Kreislaufs, die Steigerung der
Gewebsoxydation sind teilweise auch zentralen Ursprungs.
10. Die leicht sedative Wirkung kommt nur bei intaktem Nerven¬
system zur Geltung.
Vorläufige Mitteilungen u. Autor elerate.
Ueber den operativen (plastischen) Ersatz von ganz oder teilweise ver¬
lorenen Fingern, insbesondere des Daumens, und über Handtellerplastik.
Von Dr. Kurt Noesske, stellv. Chirurg. Oberarzt am Carolahaus, Dresden.
(Vortrag am 13. März 09 in der „Gesellschaft für Natur- und Heilkunde“ zu Dresden.)
N. betont die Notwendigkeit und Möglichkeit der Erhaltung von
Fingern, besonders des Zeigefingers und Daumens, bei vielen, selbst
sehr schweren, mit ausgedehnten Weichteildefekten einhergehenden
Verletzungen der Hand, zumal bei gewissen Berufen, die Zeigefinger
und Daumen in ganzer Länge nötig haben, sowohl aus technischen
Gründen (Uhrmacher, Schreiber, Schneider usw.) als aus kosmetischen
(Künstler, Lakaien). Namentlich bei erhaltenen Sehnen und Gelenken
sollte nicht mehr ohne weiteres amputiert werden. Die italienische
Plastik („Stiellappen-Fernplastik“ ist ein bezeichnenderer Name) gebe
hier den Weg zur konservativen Extremitätenchirurgie an und zeitige
ausgezeichnete Resultate.
N. demonstriert stereoskopische Aufnahmen des plastischen Er¬
satzes der gesamten volaren Weichteile am Daumen eines 43jährigen
Arbeiters, dessen Daumen trotz gleichzeitigen Trümmerbruches des
Zwischengelenks und dadurch bedingter Versteifung mit Hilfe der Plastik
4) Dieselben gelten mutatis mutandis auch für das reifere Lebensalter.
462 Vorläufige Mitteilungen und Autoreferate.
wieder ein sehr brauchbares Organ geworden ist (Plastik aus Brust¬
haut, 1905).
Bisher noch nicht anderweitig ausgeführt ist, soweit N. die Lite¬
ratur kennt, die Neubildung- des durch Trauma ganz verlorenen
rechten Daumens aus Brusthaut und einem Periostknochen¬
lappen der Tibia; einen 13jährigen Knaben, den N. vorstellt, hat
er im Sommer 1908 so operiert. Der neugebildete Daumen ist also
seit 3/4 Jahr in Punktion und ist keiner nachträglichen Schrumpfung
oder gar Rückbildung (Knochenresorption) anheimgefallen, wie auch
drei Röntgenbilder beweisen. Das ist interessant, weil bisher freie
Knochen transplantationen immer nur zwischen zwei andere Knochen
eingesetzt bezw. in quasi „ortsansässige“ Weichteile eingebettet wurden,
während hier das 4 cm lange, 1/2 cm dicke Tibiastück bajonettartig
als periphere Verlängerung in das Capitulum metacarpi eingerammt
wurde, und außerdem von „ortsfremdem“ Gewebe, der aus Brusthaut
gebildeten Weichteilhülle, umgeben war. Letztere wurde zuerst ge¬
bildet, und zwar wurde eine entsprechend lange und dicke Walze aus
Haut und Fettgewebe so an den Stumpf (am Capit. metacarpi gelegen)
rings angenäht, daß die künftige Volarfläche des Daumens, abgesehen
von dieser Zirkulärnaht, narbenfrei blieb. Stieltrennung nach drei
AVochen, Formierung der Kuppe des Daumens. Erst nach der Wund¬
heilung erneute Längsspaltung der Dorsalnarbe, Implantation des Tibia¬
stückes (Corticalis mit sehr reichlichem Periostmantel) ; Synostose mit
dem Metacarpus nach drei bis vier Wochen fest, strichförmige Haut¬
narbe. Der neue Daumen ist infolge der an sich ja sehr ausgiebigen
Beweglichkeit des ersten Metacarpus trotz Pehlens des Zwischen- und
Grundgelenkes ein recht guter Ersatz eines normalen Daumens ge¬
worden, insbesondere kann er soweit adduziert und opponiert werden,
daß auch der Kleinfinger ihn mühelos mit seiner Kuppe berührt, und
daß also sowohl grobe wie auch subtile Verrichtungen (gute Hand¬
schrift mit gewöhnlichem Federhalter) ohne Anstrengung ausführbar
sind. Das Gefühl hat sich allmählich bis dicht an die Kuppe des
Daumens wieder eingefunden und dürfte bald auch in dieser normal
sein. Aus kosmetischen Gründen beabsichtigt N. noch demnächst den
Nagel einer Zehe samt Matrix und umgebender Hautpartie nach
Art eines Kr ause’schen Lappens auf den neuen Daumen zu über¬
tragen.
N. skizziert kurz die bisherigen Methoden des Fingerersatzes
(v. Eiselsberg, Nicoladoni, Guermonprez, Lauenstein usw.) und
deren Nachteile. Ersatz von Fingern durch zweizeitige (gestielte)
Zehenüberpflanzung ist nach N. nur da anzuwenden, wo nicht ein
ganzer Finger, sondern nur ein Glied oder wenig mehr zu ersetzen ist
(Hänel- Dresden), da sonst das kosmetische Resultat, meist auch das
funktionelle, zu unbefriedigend seien, zumal wenn nicht die erste Zehe
verwendet werde, was beim Daumenersatz Erfordernis sei, wenn man
entsprechende Kraft bezw. Widerstandsfähigkeit von dem übertragenen
Organ erwarte. Andererseits sei die Wegnahme der Großzehe für
das Gehvermögen durchaus nicht gleichgültig, abgesehen von der Bläss¬
lich keit der Verstümmelung und der Gefahr einer spannenden und
empfindlichen Amputationsnarbe am Fuße. Überhaupt hält N. die
Beweglichkeit des neuen Daumens im Zwischengelenk, evtl, auch im
Grundgelenk, für nebensächlich wegen der besonderen Beweglichkeit
des ersten Metacarpus. Seine Methode aber gestatte die Herstellung
Vorläufige Mitteilungen und Autoreferate.
468
eines beliebig langen und beliebig kräftig gebauten Daumens von aus¬
reichender Beweglichkeit und kosmetisch (zumal nach Nagelüberpflan¬
zung) recht befriedigender Gestalt, ohne beschwerliche oder hässliche
Verstümmelung oder Narben an den Entnahmestellen des Knochens
und der Haut, auch ohne die zwei- bis dreiwöchige Zwangsstellung
einer Bandagierung der Hand an den Euß ; selbst partielle V erluste des
Metacarpus seien auf diese Weise mit ausgleichbar.
Weiterhin stellt N. einen von ihm vor 41/2 Jahren operierten,
jetzt 13jährigen Knaben vor, dem er die Haut fast des ganzen
rechten Handtellers, die durch Abwälzung (Überfahrung) verloren
gegangen war, aus der Brusthaut mittels der Stiellappen-Fernplastik
ersetzt hat. Interessant ist daran, daß der Hautlappen in gleichem
Maße wie die normal entwickelte Hand mit gewachsen ist. Es besteht
absolut freie aktive Beweglichkeit der Finger, sogar aktive Über¬
streckung ist ziemlich weithin möglich. Die Haut ist weich, auch
bei starkem Druck schmerzfrei, die Sensibilität normal, die Verschieb¬
lichkeit ist ausgiebiger als beim normalen Handteller. Die anfänglich
noch bestandene Flaumbehaarung ist beim Gebrauch der Hand ver¬
loren gegangen, dagegen hat sich eine ausgesprochene bräunliche Pig¬
mentierung des ganzen Lappens eingestellt, die anfangs fehlte und
wohl auf die chronischen Insulte zurückzuführen ist, die den neuen
Handteller betroffen haben.
Zuletzt demonstriert N. mikroskopische Präparate und Zeich¬
nungen, die das Verhalten der mittels Stiellappen-Fernplastik über¬
tragenen Haut zeigen. Dieselbe macht doch, wenigstens anfangs, ehe
sie quasi einheimisch in dem neuen Gebiete wird, mehr Veränderungen
durch, als angenommen wird. Die Papillen wuchern zum Teil tief
in die Cutis hinab, sich oft gabelnd. Besonders interessant aber ver¬
halten sich die elastischen Fasern, an denen man in den ersten
Wochen der Plastik vielfach ein deutliches Hineinwqchern in die
Epithelschicht konstatieren kann, was bisher wohl bei Plastiken
nicht beobachtet wurde. Die Präparate rühren her von Probeexzisionen
gelegentlich zweier Plastiken im Jahre 1907 (große Hautdefekte an
Ferse bezw. Knöchelgegend, die mit Haut vom andern Bein zweizeitig
gedeckt wurden).
Diskussion.
Fr. Hänel beglückwünscht den Vortragenden zu seinen Resultaten
und betont die Wichtigkeit einer gut erhaltenen Bewegungsfreiheit
des ersten Metacarpus beim Ersatz des Daumens. Seinen vor sechs
Jahren hier vorgestellten Fall von Ersatz des halben Zeigefingers
' durch die zweite Zehe hat H. seit J ahren nicht wiedergesehen ; die
Funktion war damals gut, das Aussehen erinnerte aber doch an das
einer Zehe.
Schmor 1 wirft die Frage auf, ob sich die Wiederbildung des
Daumens nicht durch zweizeitige Übertragung eines Hautperiostknochen¬
lappens aus der Brust mit einem Stück Rippe vereinfachen lasse.
Der Vortragende erwidert, daß er von diesem Verfahren ab¬
sichtlich Abstand genommen habe wegen der zu dünnen, biegsamen
Kortikalis der Rippen im Gegensatz zur starren Kortikalis der Tibia,
und weil über den Rippen immerhin so viel Weichteile lägen, daß der
Daumen gejviß zu wulstig geworden wäre. Andererseits sei auch über
der Ulna oder Clavicula die Entnahme großer Partien von Haut und
Fettgewebe nicht unbedenklich. Autoreferat.
464
Vorläufige Mitteilungen und Autoreferate.
Ueber Alkaptonurie.
Von Dr. Oscar Adler u. Dr. Emil Luksch (Prag).
(Vortrag, gehalten von Dr. Adler in der Wissenschaftlichen Gesellschaft deutscher
Ärzte in Böhmen am 12. März 1909.)
Der Vortragende stellt einen Fall von Alkaptonurie vor, der auf
der Klinik des Hofrates Pr ihr am zur Beobachtung kam. Der Patient
hatte wegen Abmagerung, Schwächegefühl und Kopfschmerzen die
Klinik aufgesucht ; während seines Aufenthaltes auf der Klinik schwan¬
den diese Symptome bald und es erfolgte eine erhebliche Gewichts¬
zunahme. Die Alkaptonurie besteht in diesem Fall seit der frühesten
Kindheit ; schon damals waren der Mutter des Patienten die dunklen
Flecke in der von Urin benetzten Leibwäsche aufgefallen. Der Harn
des Patienten bietet die charakteristischen Beaktionen des Alkaptonurie-
harnes. Aus sieben Litern Harn konnten ca. 21 g Homogentisinsäure
da-rgestellt werden. Der mit Schwefelsäure versetzte Harn wurde in
hohem Vakuum eingeengt, mit reinstem absolutem Äther extrahiert,
der Äther im Vakuum entfernt; der Bückstand kristallisierte. Die
Substanz wurde aus Wasser unter Zusatz von Tierkohle umkristalli¬
siert. F = 147°. Nach dem Auskochen mit Chloroform war F = 150
bis 152°. „Uroleuzinsäure“ war nicht vorhanden. Die tägliche Aus¬
scheidung von Homogentisinsäure betrug bei reichlicher Fleischkost
durchschnittlich ca. 7 g. — Mit Bücksicht auf das familiäre V or-
kommen von Alkaptonurie wurde auch der Harn der Schwester und
des Kindes des Patienten untersucht; beide Harne waren normal.
Störungen von seiten der Gelenke, die bei einigen Fällen von Alkap¬
tonurie beobachtet wurden, bestehen bei unserem Patienten nicht. Auch
die Böntgenaufnahme bietet normale Verhältnisse. Da der Patient
nicht lange auf der Klinik verweilte, konnten nur wenige Stoffwechsel¬
versuche angestellt werden, über die in einer späteren Mitteilung be¬
richtet werden soll. Autoreferat.
Verein deutscher Ärzte in Prag, am 5. März 1909.
Dr. Hecht: Anschließend an die Demonstration eines Falles von
ausgebreitetem Lichen lueticus, der trotz anderweitiger schwerster
Symptome der Lues bei der Untersuchung des Serums nach der Wasser-
mann’schen Beaktion ein negatives Besultat ergab, wird die Bedeutung
dieser Beaktion für den praktischen Arzt besprochen. Der praktische
Arzt wird diese Beaktion nur selten selbst ausführen können, dagegen
oft in die Lage kommen, einem Patienten, der sein Serum untersuchen
ließ, Auskünfte erteilen zu müssen. Da ist es nun wichtig, zu wissen,
daß man bezüglich des Ehekonsenses, bezüglich der Art und Dauer
der Behandlung, der Dauer der Erkrankung, der Infektiosität, der
Aussicht betreffs etwaiger postsyphilitischer Erkrankungen bloß mit
Bücksicht auf den Ausfall der Beaktion nichts Bestimmtes sagen kann.
Dagegen kommt der W. B. als differentialdiagnostisches Mittel zur
Unterscheidung der Lues von ähnlichen Krankheitsbildern ein großer
Wert zu; gebraucht man bei der Diagnosenstellung die Vorsicht, nur
komplette Hemmungen gelten zu lassen, dann wird man die Bedeutung
der W. B. hoch einzuschätzen lernen. Autoreferat.
Referate und Besprechungen.
465
Referate und Besprechungen.
Innere Medizin.
Ueber neuere Forschungen aus dem Diabetesgebiete.
(Ferdinand Blumenthal. Deutsche med. Wochenschr., Nr. 48, 1908.)
Seit jeher sind drei Organe für die Erklärung des Diabetes herangezogen
worden. Blumenthal faßt die Beteiligung des Nervensystems so auf, daß
Nervenfasern, die zur Regulierung des Stoffwechsels dienen, durch die Medulla
oblongata gehen, die der Sitz des Reizzentrums für die Zuckerbildung ist.
Ihre Reizung ruft Funktionsstörungen in den für die Zuckerbildung wichtigen
Organen, besonders der Leber hervor.
Der Leber vermag er keine primäre Rolle zuzuweisen, sondern nur eine
sekundäre. Die zur Störung der Glykogenbildung führenden Reize gelangen
nicht direku zu ihr, sondern jedenfalls erst über das Nervensystem und
Pankreas.
Dagegen ist das Zustandekommen des Diabetes durch das Pankreas ein
primäres. Blumenthal bespricht eingehend die gegenteilige Ansicht Pflü-
gieF s. Wenn auch noch kein sicherer Beweis erbracht ist, so steht doch
soviel fest, daß Stoffe im Pankreas gefunden worden sind, die den fermenta¬
tiven Zuckerabbau aktivieren. Ihr Fehlen bildet eine Ursache für das Ent¬
stehen des Diabetes.
Die Muskulatur hat insofern Einfluß, als in ihr die Zuckerverbrennung
vor sich geht. Bei mangelhafter Funktionstüchtigkeit tritt Hyperglykämie
und Glykosurie ein. Schließlich erörtert Blumenthal noch die Frage nach
der Herkunft des Zuckers beim Diabetiker. Die eine Quelle sind die Kohle¬
hydrate, die andere das Eiweiß, bei welchem die Aminosäuren von großer
Bedeutung sind. Auch die von ihm und Neuberg früher behauptete Bildung
der A.zetonkörper aus Eiweiß ist jetzt bewiesen. Dieselbe Eigenschaft kommt
dem Fett zu ; dagegen ist die Zuc'kerbildüng aus diesem noch fraglich.
F. Walther.
Ueber den Azetonkörpergehalt der einzelnen Organe beim Phlorizindiabetes.
(G. Satta u. L. Lattes. Archiv p. 1. scienze med., Bd. 32, H. 5 u. 6, 1908.)
Azeton findet sich stets in den Organen, sowohl im Normalzustand
wie im Hunger wie bei Diabetes; die Werte sind aber sowohl für die ein¬
zelnen Organe als auch bei verschiedenen Beobachtern für das gleiche Organ
sehr verschieden. Während Geelmuyden in der Leber des Diabetikers
relativ wenig Azeton gegenüber anderen Organen fand, erhielten Halpern
und Landau bei phlorizin vergifteten Kaninchen den geringsten Wert in
den Muskeln, dann aufwärtsi in Blut, Leber, Nieren, Lungen. Bei normalen
Hunden fand Maignon den kleinsten Wert im Blut, den größten in den
Nieren. Für ß-Oxybuttersäure liegen nur Versuche von Magnus -Le vy an
Diabetikern vor, die die größten Werte im Blut, dann abwärts in Milz,
Leber, Muskeln zeigten. Satta und Lattes untersuchten die Organe
von drei phlorizinvergifteten Hunden auf ihren Gehalt an Azetonkörpern.
Das Ergebnis war, daß ß-Oxybuttersäure nur einmal im Blute sich fand
in einer Menge von 0,088 mg pro 100 c'cm, während Azeton in allen unter¬
suchten Organen, sogar in der Galle nachgewiesen wurde. Die größten Zahlen
wies das Blut auf (Durchschnitt 14 mg), dann Milz (8,49), Nieren (5,31),
Gehirn (5,52), Magendarm (4,02), während Muskeln (2,76) und Leber (3,1)
sich neben Lunge (2,71) durrch die niedrigsten Werte auszeichneten. Für die
Bildungsstätte der Azetonkörper beweisen diese Werte allerdings sehr wenig,
da bei dem Gehalt eines Organs an diesen Körpern nicht nur sein Bildungs¬
sondern auch sein Zerstörungsvermögen in Betracht kommt, sowie sein Ge¬
halt an dein azetonkörperreichen Blut. M. Kaufmann (Mannheim).
30
466
Referate und Besprechungen.
Über den Einfluß von diuretisch wirkenden Mitteln auf das Zustande¬
kommen der alimentären Glykosurie.
(E. Lützow. Wiener klin. Rundschau, Nr. 82, 1908.)
Die Existenz des ech'ten renalen Diabetes ist ungewiß, dagegen ist
an dem Vorkommen einer transitorischen renalen Glykosurie nicht
zu zweifeln. Durch Tierversuche ist festgestellt, daß durch gewisse Arznei¬
mittel (besonders Kof f ein -Pr äp a*rate) eine Vermehrung der Harnsekretion
und Übergang von Zucker in den Harn hervorgerufen werden kann. — Diese
Versuche hat der Verf. an sechs Patienten nachgeprüft. Er kommt auf
Grund seiner Erfahrungen zu dem Schlüsse, daß beim Menschen bei gleich¬
zeitiger Darreichung von Traubenzucker und diuretisch wirken¬
den Mitteln eine nicht unerhebliche Glykosurie zu erzielen ist, welche
ohne die Diuretika nicht eintreten würde. Steyerthal-Kleinen.
Aus der medizinischen Universitätsklinik in Leipzig, Prof. Dr. Curschmann.
Ein Fall von Friedreich’scher Krankheit mit Diabetes mellitus.
(Dr. Meitzer, K. S. Oberarzt. Münch, med. Wochenschr., Nr. 48, 1908.)
Das Leiden, das schon im 26. Lebensjahre begonnen hatte, bietet in
seinem Symptomenbild völlig den von Friedreich auf gestellten Typus. Den
ein Jahr nach Auftreten der Gehstörungen entstandenen Diabetes mellitus
glaubt Meitzer in Zusammenhang mit der Friedr eich’schen Ataxie bringen
zu können. Die Ataxie beruht ja auf einer degenerativen Erkrankung der weißen
und z. T. auch der grauen Substanz der Medulla spinalis und es wäre theo¬
retisch wohl denkbar, daß diese Degeneration auch die Stelle des vierten
Ventrikels in Mitleidenschaft gezogen hat, deren experimentelle Verletzung
beim Zuckerstich Diabetes verursacht. Verschiedene Literaturangaben lassen
diese Vermutung nicht unmöglich erscheinen. F. Walther.
Alimentäre Lävulosurie.
(A. v. Sabatowski. Wiener klin. Wochenschr., Nr. 22, 1908.)
Die Seliwanof f’sche Reaktion ist bis zu einer Verdünnung von 0,005%
positiv. Die Untersuchungen des Verfassers erstreckten sich auf 78 Kranke,
darunter 20 Fälle von Leberzirrhose. Die Patienten bekamen 100 g Lävulose
auf nüchternen Magen. Nur zwei Fälle von Leberzirrhose waren negativ.
Auch bei Ikterus catarrhalis war die Reaktion stets positiv; ein Gallen¬
abschluß ist zu ihrem Zustandekommen nicht nötig, vielmehr beruht sie auf
einer toxischen Parenchymerkrankung der Leber. Auf gleiche Weise ist
die häufige Lävulosurie bei Typhus und Pneumonie zu erklären. Bei 16 Kranken
mit Stauungsleber war die Reaktion mit einer Ausnahme negativ, weil die
Gewebsschädigung erst relativ spät die periportale Zone der Acini erreicht.
Auch bei Diabetes ist die Lävulosurie selten. E. Oberndörffer.
Eine neue Harnsäure-Reaktion.
(Ganassini. Soc. med. chir. de Padova, 10. April 1908. — Gazette med. de Paris,
Nr. 25, 1908.)
Eine wässerige Lösung von Harnsäure oder einem harnsauren Salz
gibt mit einer wässerigen Lösung von Zinksulfat einen gelatinösen Nieder¬
schlag von basisch harnsaurem Zink. Sammelt man diesen Niederschlag
auf einem Filter, so nimmt er allmählich — offenbar durch Luftoxydation —
eine grünliche, dann eine himmelblaue Farbe an. _
Die Probe sei feiner als die Murexydprobe ; Eiweißkörper stören
sie nicht. Buttersack (Berlin).
Referate und Besprechungen.
467
Zur Pathologie und Anatomie des Skorbuts.
(T. Säte u. K. N ambu. Virchows Archiv für pathol. Anatomie, Bd. 194, S. 151, 1908.)
Die Arbeit gründet sich auf die Untersuchung von etwa 700 Mann
der kriegsgefangenen russischen Besatzung von Port Arthur, mit 13 Sek¬
tionen.
Die Verff. kommen zu dem Schlüsse, daß die bisherige Theorie, daß
der Skorbut nur auf dem Mangel von frischem Pleisch und Gemüse, d. h.
auf der verminderten Kalizufuhr beruhe, nicht haltbar sei, daß der Skorbut
vielmehr eine spezifische Infektionskrankheit sei, welche sich besonders gern
einer fehlerhaften Ernährungsart und ungünstigen hygienischen Verhältnissen
anschließt Die Hauptsymptome bestehen in der Alteration des Blutes (Ver¬
minderung der roten Blutkörperchen und des Hämoglobingehaltes) und der
hämorrhagischen Diathese. Die Ursache der Blutung beruht wahrscheinlich
auf vermehrter Durchlässigkeit der Kapillaren und feineren Gefäße, be¬
dingt durch unbekannte Veränderungen an denselben infolge der Blutalte-
rationi. Was die letztere betrifft, so halten es die Verff. für sehr wahr¬
scheinlich, daß im Blute eine toxische Substanz zirkuliert, die Blut, Ge¬
fäßwände und innere Organe schädigt. W. Risel (Zwickau).
Polyglanduläre Störungen (in Hypophysis, Thyreoidea, Ovarium).
(L. Renon, Arth. Delille, Monier-Vinard. Soc. möd. des hopit., 4. Dez. 1908. —
Tribüne med., S. 760, 1908.)
Vor einiger Zeit hatten Claude und Gougerot in der Revue de Mede-
cine (1908, Nr. 10/11) den; Satz aufgestellt, daß die innere Sekretion zumeist
nicht in einer einzelnen der mysteriösen Drüsen gestört sei, sondern in allen,
wenn auch bald in dieser, bald in jener mehr in die Erscheinung tretend. Ge¬
wissermaßen als Illustration hierzu stellten Renon, Delille und Monier-
Vinard in der Societe medical e des hopitaux ein 16 jähriges Mädchen vor
mit folgenden Erscheinungen:
1. Das Mädchen war ungewöhnlich groß: 1,68 m, aber nicht proportio¬
niert entwickelt: Spannweite der Arme = 1,80 m; Länge der Beine = 1,03 m.
2. Auf Erkrankung der Hypophysis deuteten Anfälle von heftigen
Kopfschmerzen mit dem Sitz zwischen Orbita und Schläfe, Schwindel, Brech¬
neigung, weiße Atrophie der Papillen, Verbreiterung der Sella turcica (radio-
skopisc.h festgestellt).
3. Insuffizienz seitens der Thyreoidea: Verstopfung, kalte Eüße, trübe
Gedanken, Fehlen eines Schilddrüsenkörpers beim Betasten, reichliche Fett¬
entwicklung am Rumpf.
4. Insuffizienz der Ovarien : Amenorrhoe, Kreuzschmerzen, infantile
Brüste, männliches Becken, Fehlen der Scham- und der Achselhaare, fliegende
Hitze mit Schweißausbrüchen.
Mag auch im einzelnen viel Hypothetisches mit unterlaufen, so muß
doch das physiologische Denken, welches die Störung von Funktionen über
die anatomische Veränderung eines isoliert betrachteten Organes stellt, als
Reaktion gegen das deskriptiv-anatomische Denken begrüßt werden.
Butter sack (Berlin).
Thyreoidea und Fettsucht.
(Labbe u. Furet. Soc. de Biologie, Nov. 1908. — Bull, med., 1908.)
Während man allgemein annimmt, daß mit Hilfe der Schilddrüsen -
Therapie die Fettsucht zu bekämpfen sei, haben Labbe und Furet auf
Grund von Stoffwechselversuchen herausgebracht, daß Schilddrüsenpräparate
die Muskeln zerstören, die Verbrennung des Fettes hindern und somit einer
Entfettung entgegenwirken.
30*
468
Referate und Besprechungen.
„Ipsaque praxeos principia tantopere turbata sunt, ut inter peritissimos
hodie non facile constet, quid tenendum ? cui credendum ? qua demum via
progrediendum sit?“ (Baglivi, opera omnia medico-practica, edit. IX. Ant.
werpiae MDCCXV, S. 121.) Buttersaok (Berlin).
Aus dem pathologischen Institut der Universität Göttingen.
Zur Differentialdiagnose der Leukämien.
(Priv.-Doz. Dr. Walter H. Schultze. Münch, med. Wochr., Nr. 4, 1909.)
Während die Unterscheidung der chronischen lymphoiden und myeloischen
Leukämien keine Schwierigkeit bereitet, ist die Differntialdiagnose der akuten
Formen schwieriger. Als wertvolle diagnostische Hilfsmittel bezeichnet
Schultze 1. die genaue histologische Untersuchung der Organe. Er konnte
eine Myeloblastenleukämie beschreiben, bei der das lymphoide Gewebe völlig
atrophisch und durch myeloblastisches verdrängt war. Umgekehrt sind Fälle
von lymphoider Leukämie bekannt, bei denen das lymphoide Gewebe ge¬
wuchert war.
2. Die morphologischen Unterschiede zwischen Myelo- und Lymphoblasten,
wie sie Schridde beschrieben hat, die aber praktisch nicht so große Be¬
deutung haben.
3. Die chemischen Verschiedenheiten, die zwischen den Zellen der Knochen¬
mark- und lymphatischen Reihe bestehen. Die Knochenmarkzellen und vor
allem die Leukozyten sind Träger verschiedener Fermente, die Lymphozyten
nicht. Solche Fermente sind ein proteolytisches, ohne allgemeine praktische
Bedeutung und ein oxydatives, das nur den Leukozyten zukommt. Sein
Vorhandensein hat zu zwei verschiedenen Reaktionen geführt. Die eine
besteht in der Verwendung der Guajaktinktur, die Leukozyten, nicht aber
Lymphozyten zu bläuen vermag, die andere wichtigere ist die sogenannte
Oxydasereaktion oder Indophenoblausynthese. Ihre Ausführung ist am besten
im Original nachzulesen. Sie kann sowohl an formolfixiertem Material, wie
auch an Blutpräparaten ausgeführt werden und hat nur den einen unwesent¬
lichen Nachteil, daß die Präparate nur für Stunden haltbar sind.
F_ Wälth'er.
Beeinflussung der Gerinnbarkeit des Blutes als Prophylacticum.
(Ch ant em esse. Bull, med., Nr. 3, S. 21, 1909.)
Nach den Arbeiten der letzten Jahre weiß man, daß die Eiweißkörper
des Blutplasmas sich in verschiedenen Molekularzuständen befinden, die einen
mehr im Zustand der Suspension, die andern mehr in Lösung, und dabei
spielen die Salze insofern eine Rolle, als die Kalksalze die Gerinnung be¬
fördern, die Zitrate, Oxalate, Fluorverbindungen dagegen die Löslichkeit.
Durch Zuführen dieser Salze kann man die Gerinnfähigkeit nach Belieben
beeinflussen : c’est le jeu d’un balancier qu’on meut ä volonte.
Ch. hat nun gefunden, daß bei Typhuskranken vor Darmblutungen
die Gerinnfähigkeit des Blutes abgenommen, nach denselben zugenommen
hatte; ebenso verhielten sich Frauen mit Uterusfibromen vor und nach der
Operation. Durch Eingeben von Kalziumchlorid (4 — 6 g in viel Wasser
täglich) bezw, von Acid. citr. (12 — 18 g pro die, aber nur während 2 bis
3 Tagen) kann man die Gerinnfähigkeit regulieren und insbesondere drohende
Phlebitiden bezw. Thrombosen wirksam bekämpfen. Leider ist die Methode,
im gegebenen Falle die Gerinnfähigkeit des Blutes festzustellen, etwas um¬
ständlich, und auch die Therapie dürfte nicht nach jedermanns Geschmack
sein. Buttersack (Berlin).
Referate und Besprechungen.
469
Chirurgie.
Über offene und subkutane Verletzungen der Bauchorgane.
(Oberarzt Dr. Lampe, Bromberg. Med. Klinik, Nr. 34, 1908.
Lampe bespricht in einem äußerst interessanten Vortrage die Symptome
der Bauch Verletzungen, deren richtige Deutung ja oft außerordentlich schwierig
ist, von deren richtigem Erkennen aber meist das Leben der Bauchverletzten
abhängt. Zumal die subkutanen Verletzungen, bei denen keine Verletzung
der äußeren Bauchhaut zu bemerken ist, bieten diagnostische Schwierigkeiten,
und von dem Handeln des zunächst zugezogenen Arztes, also im allgemeinen
des praktischen Arztes, ob konservatives oder operatives Verfahren, wird
es abhängen, ob der betreffende Patient noch zu retten ist oder nicht.
Es handelt sich also um die Erühdiagnose in der Indikationsstellung für
chirurgisches Eingreifen. Wenn man von den Fällen schwerer innerer Blutung
absieht, bei denen sich unter den Augen des Arztes die Zeichen schnell zu¬
nehmender Anämie entwickeln, wenn man ferner absieht von jenen Fällen,
in denen bei breit klaffender Verletzung der Bauchwand eine direkte In¬
spektion der verletzten Eingeweide möglich ist, so müssen wir bekennen,
daß die so dringend nötige Frühdiagnose unmittelbar nach dem Unfall
oft nicht zu stellen ist. Aus dem Auftreten eines Nervenschokes nach Bauch¬
verletzungen kann man bestimmte Schlüsse nicht ziehen ; er kann in aus¬
ausgesprochenem Maße vorhanden sein bei einer einfachen Kontusion der
Bauchdecken, und er kann fehlen bei schwerer Mitbeteiligung der Bauch¬
organe, so daß Leute mit zerborstenem Darm, mit rupturierter Milz sich
bald nach dem Unfall zu Fuß nach Haus oder in die Wohnung des Arztes
begeben können. In solchen Fällen bleibt nichts anderes übrig, als einmal
an der Hand von Erfahrungstatsachen, andererseits unter Berücksichtigung
des anatomischen Sitzes der Verletzung und schließlich unter Analyse
des Verletzungsmechanismus im einzelnen Falle eine Wahrscheinlichkeits¬
diagnose zu stellen, um, wenn irgend möglich schon vor dem Eintreten deut¬
licher diagnostischer Merkmale die chirurgische Intervention herbeizuführen.
Von den Erfahrungstatsachen müssen wir bezüglich der offenen Verletzungen
der Bauchhöhle folgende kennen: Schußverletzungen gehen so gut wie
immer mit Verletzungen der inneren Organe einher. Also unbedingt Laparo¬
tomie! Bei Stichverletzungen können die Darmschlingen eventuell aus-
weichen; ist der Stich aber mit einem scharfen, spitzen Instrument und mit
großer Kraft ausgeführt, so kommt es auch hier in den meisten Fällen zu
Verletzungen der Bauchorgane. Also meist Laparotomie, und lieber einmal
mehr die Bauchhöhle revidieren lassen, als einmal zu wenig ! Dies über die
offenen Verletzungen.
Hinsichtlich der subkutanen Verletzungen der Bauchhöhle wissen
wir, daß schnell und zirkumskript die Bauchhöhle treffende Gewalten, wie
Huf schlag, Stoß usw., zumeist innere Verletzungen verursachen. Trifft der
Schlag die blutreichen drüsigen Organe, so kommt es zu einer Ruptur derselben
im Sinne einer hydraulischen Sprengung (Leber, Milz), trifft er die Hohl¬
organe (Darm), so kommt es durch Überspannung der Elastizitätsgrenze
derselben zu Berstungen. Ebenso führen die schweren Gewalteinwirkungen,
Überfahren, Verschütten, Pufferquetschungen meistens zu inneren Verletzungen.
Hier kommt es meist zu Zerreißungen des Darmes, besonders gern an der
Flexura duodeno-jejunalis oder zum Abreißen des Darmes von seinem Mesen¬
terium durch Anpressen gegen die Wirbelsäule. In allen diesen Fällen, direkt
nach der Verletzung, muß man sich also mit der Wahrscheinlichkeitsdiagnose
begnügen.
Anders steht es mit der Diagnose, wenn bereits einige Stunden nach
dem Unfall verstrichen sind. Ausgetretener Darminhalt oder ausgetretenes.
Blut haben dann bereits die erste Reizung des Bauchfells gesetzt, das eine
Mal im Sinne einer Entzündung, das andere Mal im Sinne einer Fremdkörper¬
reizung, und es kommt nun alles darauf an, diese erste peritoneale Reizung
470
Referate und Besprechungen.
festzustellen und richtig zu deuten, weil in diesem „relativen Frühstadium“
durch chirurgische Hilfe meist noch Bettung möglich ist. Das erste dia¬
gnostische Merkmal dieser ersten peritonealen Reizung ist die Spannung der
Bauchdecken, die Spannung der Muskulatur der vorderen Bauchwand. Dieses
Symptom ist überaus wichtig und sichertauch noch eine „relative Frühdiagnose“,
zu einer Zeit, wo man chirurgisch noch helfen kann. Dieser Bauchmuskel¬
spasmus ist entweder im Bereich der ganzen vorderen Bauchmuskulatur
bemerkbar, oder die geraden Bauchmuskeln sind besonders gespannt, oder
der Spasmus ist auf die Muskelpartie über dem Ort der inneren Verletzung
beschränkt. Das Eindrücken der gespannten Bauchwand wird häufig schmerz¬
haft empfunden; hin und wieder findet man auch das sog. B 1 umber g-
sche Zeichen, daß nämlich der Schmerz erst auf tritt im Moment des Nach¬
lassens des Druckes, bei dem Zurückfedern der Bauchwand. Dazu kommt
als zweitwichtiges Symptom: ein beschleunigter Puls und mit ihm kor¬
respondierend beschleunigte oberflächliche Atmung. Diesen Haupt¬
symptomen gesellt sich zu: fahle Gesichtsfarbe, kühle, spitze Nase, ängst¬
licher Gesichtsausdruck, Leibschmerzen, Brechreiz. In vorgerückteren Fällen
kommen dann eventuell auch die physikalischen Zeichen der Gas- und Flüssig¬
keitsansammlung in der freien Bauchhöhle hinzu; es muß aber ausdrücklich
betont werden, daß es grundfalsch ist, auf diese Symptome zu warten, denn
dann ist es zur Operation meist schon zu spät.
Wir kommen nun noch zu den Fällen, wo die Frühdiagnose ärztlicher¬
seits „verpaßt“ ist, oder wenn, wie das ziemlich oft vorkommt, der Arzt zu¬
nächst überhaupt nicht zugezogen worden ist. Es ist ja eben das Heimtückische
vor allem der subkutanen Verletzungen, daß der Verletzte die Mitbeteiligung
der Bauchorgane zunächst gar nicht empfindet oder daß nach Überstehen
eines geringen Sc'hoks eine Periode relativen Wohlbefindens eintritt. Die
Katastrophe kommt dann aber, bei Berstuugen des Darms in Form der sep¬
tischen Peritonitis, bei Ruptur der drüsigen Organe in Form der Nachblutungen
oder der Verjauchung des Blutextravasates. Nur wenige Fälle heilen spontan
aus oder können durch die Spätoperation noch gerettet werden.
Diese Ausführungen belegt Lapppe mit einer Anzahl von Kranken¬
geschichten. Zunächst Fälle mit „relativer Frühdiagnose“ : 1. elfjähr.
Junge schießt sich versehentlich mit einer Teschingpistole in den Unter¬
leib, geht noch den halben Kilometer zu Fuß nach Haus, kommt 5 Stunden
nach der Verletzung in die Klinik : Allgemeineindruck gut, Puls und Atmung
normal, Einschußöffnung 3 Querfinger über dem Nabel, Musikeispasmus
der vorderen Bauohwand, bes. links- Laparotomie. 2 Darmschlingen
sind durchschossen. Heilung. 2. Messerstich in den Bauch. 8 Stunden da¬
nach in die Klinik : Gesicht fahl, ängstlicher Gesichtsausdruck, ziemlich
unruhig, Puls 96, Atmung oberflächlich, beschleunigt. Einstich Öffnung unter¬
halb des Rippenbogens, aus der Wunde sieht Netz heraüs, gespannte Baudh-
decke, leichter Meteorismus. Laparotomie. Das Netz ist in Länge von1 6 cm
von der großen Kurvatur des Magens abgetrennt. Ein Magenblutgefäß spritzt
stark. Heilung. 3. Huftritt gegen die linke Brustseite. 14 Stunden danach
in der Klinik: blasse Hautfarbe, Nase spitz und kühl, große psychische
Unruhe, Puls schwach, 100 pro Minute. Atmung sehr frequent. Abdomen
meteoristisch, stark gespannte Recti. Im linken oberen Bauchquadranten
deutliche Dämpfung. Diagnose: innere Blutung, eventuell Milzruptur. Lapa¬
rotomie: Milzruptur. Da aber die Milz zahlreiche Verwachsungen aufwies,
wird von der sonst einzig richtigen Behandlung der Milzexstirpation abge¬
sehen und fest tamponiert. Heilung. 4. Durch Sturz aus 4 Meter Höhe
Milzruptur. Aufnahme nach ca. 24 Stunden. Milzexstirpation. Heilung.
5. Schlag mit einer Wagendeichsel gegen den Unterbauch. Sofort ohnmächtig,
schwerer Schok. 19 Stunden darauf in der Klinik : Pat. blaß, hohläugig,
Nasenspitze kühl, Puls klein, frequent, Leib meteoristisch aufgetrieben,
Baudhdecken gespannt. Harnblase nicht zu palpieren oder zu perku-
tieren, trotzdem Pat. 24 Stunden trotz reichlicher Wasserzufuhr nicht uri¬
niert hat; Harndrang, ohne daß Pat. imstande wäre, Harn zu lassen.
Referate und Besprechungen.
471
Diagnose: intraperitoneale Blasenruptur. Laparotomie: intraperitonealer Bla¬
senriß. Naht. Gazedrain, Heilung.
Die Spätoperationen haben selbstredend viel schlechtere Prognose:
Fall 1. Schlag mit einer Maschine gegen den Bauch. Geringer Schok,
am nächsten Tag Übelkeit, Brechneigung ; am dritten Tag Erbrechen, das
schließlich kotig wird. Am vierten Tag zum Chirurgen: Gesichtsfarbe blaß,
Nasenspitze kühl, Puls klein, 112 pro Min., Abdomen meteoristisch aufge¬
trieben, in der Höhe der Kontusionsstelle des Bauches leichte Resistenz-
Laparotomie; diffuse Peritonitis, an der Verletzungsstelle ein zweifaust¬
großes Konglomerat von Dünndarmschlingen, von denen eine einen Defekt
von Markstückgröße trägt. Exitus vier Tage nach der Operation. Fall 2.
Pufferquetschung im Oberbauch durch Lokomotive. Ohnmacht von wenigen
Minuten, Patient geht zu Fuß nach Haus. Am nächsten Tag zweistündige
Bahnfahrt. Die nächsten Tage leidliches Wohlbefinden, Darmtätigkeit in
Ordnung. Nach acht Tagen plötzlich schwere Verschlimmerung: Blässe, kalter
Schweiß, Ohnmachtsanwandlungen. Aufnahme in die Klinik : Puls 136, sehr
klein, schwerer Kollaps, Abdomen mäßig aufgetrieben, gespannte Recti. Aus¬
gesprochene Dämpfung im linken oberen Bauchquadranten. Diagnose: Innere
Blutung, Milzruptur mit Nachblutung. Laparotomie: In der Bauchhöhle
reichlich flüssiges Blut, über der Milz geronnenes Blut. Mehrere Milzrisse.
Pankreas zeigt zahlreiche Rißquetschwunden. Tamponade. Von der Milz¬
exstirpation muß Abstand genommen werden wegen des pulslosen Zustandes
des Patienten. Exitus zwölf Stunden nach der Operation. —
Fall 3. Eine Teschingpatrone dringt einem 9jährigen Knaben durch
Spielerei mit der Patrone in die Bauchwand zwischen Nabel und Symphyse.
Kein Arzt zugezogen, da die Einschußöffnung vom Vater nur für eine
Brandwunde gehalten wird. Am Ende des zweiten Tages Verschlechterung
des Zustandes. Am vierten Tage Zeichen der diffusen Peritonitis. Lapar¬
otomie: Aus der Bauchhöhle stürzen Eiter und Kot hervor. Zwei der
geblähten, mit eitrigen Fibrinmembranen bedeckten Darmschlingen sind durch¬
schlagen. Naht des Darmes. Ausspülen der Bauchhöhle. Drainage. Heilung
wider alles Erwarten, indem die Peritonitis allmählich zurückgeht und die
Peristaltik in Ordnung kommt. — Härting (Leipzig).
Hautkrankheiten und Syphilis. — Krankheiten der Harn- und
Geschlechtsorgane.
Therapie des Hautkrebses.
(E. Gaucher. Assoc. franeaise pour Petude du cancer, 21. Dezember, 1908. — Rev.
de med., Januar 1909. (Supplement.)
Gaucher ist ein ausgesprochener Feind des Messers bei Hautkrebsen;
denn er sah immer die Operierten früher sterben als die Nichtoperierten.
Statt dessen empfiehlt und verwendet er auf seiner Abteilung die Kaute¬
risation bei kleinen Kankroiden (von etwa Markstückgröße), das Radium
bei größeren Neoplasmen und solchen der Schleimhäute, endlich bei ganz
großen und tiefulzerierten die Fulguration. Buttersack (Berlin).
Weitere Beiträge zur ätiologischen Therapie der Syphilis.
Dr. Ludwig Spitzer, Wien. Deutsche med. Wochensehr., Nr. 1, 1909.)
Die Technik der aktiven Immunisierung Luetischer besteht darin, daß
die verriebenen Sklerosen unter aseptischen, aber nicht antiseptischen Vor¬
sichtsmaßregeln in das subkutane Gewebe der Umgebung des Nabels inji¬
ziert werden. ;
Diese Sklerosen werden anfangs stark verdünnt (1 : 200), später immer
konzentrierter (1 : 20) eingespritzt. Die Zahl der Injektionen schwankt zwischen
472
Referate und Besprechungen.
14 und 20. Eine lokale Reaktion konnte Spitzer nie beobachten, desgleichen
keine subjektiven Beschwerden von seiten der Patienten. Die ersten Beob¬
achtungen im Jahre 1905 an 15 JUranken hatten ergeben, daß der Ablauf der
Erscheinungen bei frisch Infizierten anscheinend günstig beeinflußt wird.
Jetzt kann er über 23 Fälle berichten, bei dem die durch den Spirochäten¬
nachweis zeitiger mögliche Diagnose von Bedeutung ist. Von diesen 23 Patien¬
ten blieben bei 10 die Allgemeinerscheinungen der Lues aus, wobei zu be¬
merken ist, daß er dieselben lange, d. h. 1V2 — 4 Jahre in Beobachtung be¬
hielt. Bemerkenswert war bei einem Luetiker, daß er sich 21/2 Jahre nach
der Infektion, während deren er frei von Allgemeinerscheinungen geblieben
war, von neuem mit Syphilis infizierte.
Trotz dieser günstigen Ergebnisse möchte Spitzer es doch nicht wagen,
diese 10 Kranken frei von Syphilis zu erklären. F. Walther.
Aus der Königl. Universitätsklinik für Hautkrankheiten in Kiel. Prof. Dr. Klingmüller.
Die praktische Bedeutung der Serodiagnostik bei Lues.
(Priv.-Doz. Dr. Fr. Behring, Oberarzt. Münch, med. Wochenschr., Nr. 48, 1908.)
Behring hat bei seinen Untersuchungen die Bauer’sche Modifikation
der Wassermann-Neißer-Bruck’schen Seroreaktion verwendet, deren Vor¬
teile darin bestehen, daß kein Hammelblutimmunkörper und weniger Serum
nötig ist. Kontrolluntersuchüngen haben die völlige Zuverlässigkeit der
Methode ergeben. Bei primärer Lues waren die Befunde relativ wenig positiv,
bei sekundärer fast immer. W ährend der positive Ausfall die Diagnose sichert,
ist der negative Ausfall sehr vorsichtig zu verwerten. Behring hält die Serum¬
reaktion für ein sehr wertvolles (diagnostisches Hilfsmittel, sowohl in diffe¬
rentialdiagnostischer Beziehung als auch in Fällen, wo eine klinisch nicht
mit voller Sicherheit zu stellende Diagnose gesichert und kontrolliert wer¬
den soll.
Für die Therapie hat die Reaktion vorläufig noch keine so hohe Be¬
deutung. Bei einem Primäraffekt ist es ratsam, noch vor dem positiven
Ausfall die Behandlung energisch einzuleiten« Durch ein derartiges Ver¬
fahren können zuweilen Sekundärerscheinungen verhütet werden und der
Ausfall der Reaktion negativ bleiben. Weiter hat man gefunden, daß durch
Quecksilberbehandlung der Ausfall der Serumreaktion beeinflußt wird, und
es empfiehlt sich daher stets, die positive Reaktion in eine negative umzu¬
wandeln, also der chronisch intermittierenden Behandlung den Vorzug vor
der symptomatischen zu geben. Vor einer allzuhohen Bewertung der Reaktion
für die Therapie ist aber zu warnen, da es in dieser Beziehung noch allzuviel
schwierige Fragen zu lösen gibt. F. Walther.
Zur Syphilisbehandlung mit grauem Öl.
(Dr. Geyer, Zwickau. Münch, med. Wochenschr., Nr. 4, 1909.)
Da Injektionen mit grauem Öl und anderen Quecksilberemulsionen ziem¬
lich gefährlich sind, hat Geyer ein Verfahren ausgesonnen, das jeder Arzt
ausführen kann. Er kocht 10 g Olivenöl in einer weithalsigen Flasche aus,
läßt es auf 40° abkühlen und fügt 30 g ein 331/3°/0igen Hg-Mitinsalbe
hinzu, wobei darauf zu achten ist, daß die erste kleine Portion abgestrichen
wird. Nach gründlichem Durschütteln des Gemisches entsteht eine Salbe,
die bei Zimmertemperatur ziemlich fest ist. In erwärmtem Zustand füllt man
sie in Pravazspritzen, die man zur Vermeidung von Infektion in Formalin¬
kästen aufbewahrt. Je nach der Masse des Körpers injiziert er nun 1/i — 1/2
Spritze in Zeiträumen von 5 — 7 Tagen. Mikroskopische Untersuchungen der
Salbe haben stets eine feine Verteilung des Quecksilbers ergeben.
F. Walther.
Referate und Besprechungen.
473
Uber die Behandlung der Prostatahypertrophie mittels Injektion von
artfremdem Blut.
(O. Jüngling, Berlin. Deutsche Zeitschr. für Chir., Bd. 95, H. 6, 1908.)
Die Versuche, durch Einspritzung entzündungserregender Stoffe in patho¬
logisch vergrößerte Organe auf dem Wege sekundärer Narbenschrumpfung
eine Verkleinerung des Organs zu erzielen, sind alt, aber längst verlassen. Bier
hat neuerdings auf Grund der nach Einspritzung artfremden Blutes bei Kar¬
zinomen gemachten Beobachtungen den Gedanken wieder aufgenommen und
zwar hat er artfremdes Blut in die Prostata bei Prostatikern injiziert; über
15 so behandelte Fälle berichtet die Arbeit unter ausführlicher Wiedergabe
der Krankengeschichten.
Benutzt wurde vorwiegend Schweine- und Lammblut, vereinzelt Ilinder-
blut. Das im sterilen Kolben aufgefangene Blut wurde 3—4 Minuten kräftig
geschüttelt und vor der Injektion durch ein steriles Sieb filtriert. Während
der Zeigefinger des Operateurs im Rektum des in Knieellenbogenlage befind¬
lichen Patienten sich befand, wurde durch die in den Damm eingestoßene
Hohlnadel 12 — 15 ccm Blut, verteilt auf verschiedene Bezirke der Drüse, in die
Prostata eingespritzt. Als Folgeerscheinungen fanden sich lokal eine ent¬
zündliche Schwellung: der Prostata bezw. des periprostatischen Gewebes
und in einzelnen Fällen Temperatursteigerungen bis 38,8°. Gerade deshalb
stellte die oft in kürzester Frist nach der Injektion auftretende spontane
Urinentleerung ein sehr auffälliges Symptom dar ; vielleicht wird sie erklärt
durch die durch die Einspritzung angeregte Kontraktion der Prostatamusku¬
latur oder durch die bekannte schmerzlindernde Wirkung des entzündlichen
Ödems. Zur Erzielung eines dauernden Erfolgs sind selbstverständlich stärkere
Veränderungen des Gewebes im Sinne einer Narbenschrumpfung erforderlich.
Diese anatomisch mit Sicherheit nachzuweisen ist aus leicht verständlichen
Gründen nicht möglich. Auch die klinische Beobachtung gestattet keine
bindenden Schlüsse. Sichergestellt ist jedoch, abgesehen von 4 unbeeinflußt
gebliebenen Fällen, eine Besserung des Harnstrahles und eine damit Hand in
Hand gehende Herabsetzung der Zahl der Miktionen; auch die Cystitis wurde
in 12 Fällen erheblich gebessert. Über die Dauer der Besserung läßt sich bei
der Kürze der Behandlungszeit nichts Bestimmtes berichten. Anscheinend
sind bei kräftigen Patienten mit akuter Verhaltung die besten Erfolge zu
erzielen. Über Zufälle wurde bisher nichts beobachtet.
Ein abschließendes Urteil ist bisher nicht gewonnen; trotzdem fordern
die Beobachtungen nach Ansicht des Verf. zu weiteren Versuchen auf.
F. Kayser (Köln).
Die Diagnose und Therapie der Reizzustände in der Blase.
(Pirkner. Internat. Journal of Surg., Sept. 1908.)
Reizzustände der Blase kommen sowohl in der Praxis des prakt. Arztes
als des Spezialisten ziemlich häufig vor. Wenn man von den Fällen von
Dysurie, namentlich bei Kindern, absieht, so handelt es sich in der Praxis
des Gynäkologen meist um schwangere Frauen, oder um solche, bei denen
die interne Behandlung erfolglos blieb.
D a es sich häufig nur um lokale Neurosen handelt, empfiehlt P. chirur¬
gische Eingriffe, wenn eben möglich, zu vermeiden.
Dysurie tritt besonders bei Erkrankungen der Harnröhre, der Blase
oder der der Blase benachbarten Organe und Gewebe auf, sowie auch als
rein nervöse Erscheinung.
Erkrankungen der Harnröhre beruhen in den meisten Fällen auf Ure¬
thritis oder Geschwülsten.
Blasenkrankheiten werden durch systematische Prüfung des Urins er¬
mittelt. P. beschreibt eingehend die von ihm angewandte Prüfungsmethode
zur Ermittlung, welcher Art die Blasenerkrankung ist.
Blasensteine Werden mit dem Zystoskop sondiert. Das Zystoskop ist
474
Referate und Besprechungen.
häufig das beste Mittel, die Beziehungen zwischen Erkrankung der Geschlechts¬
teile und der Blase zu erkennen.
Die Behandlung der Dysurie beruht auf der Behandlung der einzelnen
Symptome. Bei nervösen Reizzuständen der Blase sollten Instrumente nicht
angewandt werden, da sie gelegentlich Zystitis hervorrufen, oder den Zu¬
stand verschlimmern.
Zuweilen beheben Narkotika in Form von Suppositorien die Beschwer¬
den, z. B. Opium und Belladonna usw. oder auch Nervina und Antispasmotika
wie z. B. die Brompräparate oder deren Baldrianderivate. Es ist schwer,
Regeln darüber aufzustellen. Sollte jedoch ein chirurgischer Eingriff not-,
wendig werden, so ist die erwähnte interne Behandlung, vor der Operation
angewandt, von Wert.
Obgleich ein Spezifikum gegen die verschiedenen gynäkologischen Be¬
schwerden bei Dysurie nicht zur Verfügung steht, erfreuen sich die Balsa¬
mika berechtigter Beliebtheit. Das für die innere Darreichung geeignetste
Präparat dieser Art ist das Santyl; es pflegt die Beschwerden prompt zu
beheben. Es scheint von vornherein als Anästhetikum auf die Blase zu
wirken, so daß es selten nötig ist, noch zu einem Sedativum zu greifen.
P. verordnet gewöhnlich 25 Tropfen Santyl dreimal täglich auf Zucker,
oder in Fällen von Diabetes! in Kapseln. Im Gegensatz zum Oleum Santali
wild das Santyl vorzüglich vertragen und kann längere Zeit verabreicht
werden.
In rein neurasthenischen Fällen pflegen nach 6 — 10 Wochen Rück¬
fälle einzutreten, die durch innere Behandlung jedoch wieder behoben wer¬
den. P. betont zum Schluß, daß eine lokale Behandlung (selbst milde Ein¬
spritzungen) nur bei genauer Beobachtung der technischen Feinheiten vor¬
genommen werden soll. Neumann.
Diätetik.
Grundzüge der diätetischen Behandlung des schweren Diabetes.
(Kolisch, Wien-Karlsbad. Zeitschr. für phys. u. diät. Therap., Bd. 12, 1908/09.)
„Non is tarnen sum, qui negem chimicis laboribus mirabiles Opera¬
tionen aliquando fieri. Seel nego semper ubique utile esse“, urteilte Borelli
in seinem berühmten Werke de motu animatium; und der in den letzten
Jahren ob seines klinischen Scharfsinnes wieder gefeierte Bretormeau be¬
klagte, je größer seine klinischen Erfahrungen wurden, um so mehr die
verhängnisvollen Mißgriffe, zu denen ihn seine geliebte Chemie verleitet
hatte, „et le peu de partie qu’il en avait tire pour la therapeutique“ (Trou|s-
seau, Clinique medicale II, 451). Unwillkürlich wird man daran erinnert,
angesichts der Kritik, welche Kolisch, ein klinisch denkender Kopf, an
den chemischen Theorien des Diabetes übt. Es ist natürlich nicht entfernt
möglich, den Inhalt des vorliegenden Aufsatzes, der ein kritisches Referat
darstellt, wiederzugeben; so yiel aber ist jedenfalls sicher, daß die naive
Vorstellung , welche den Zucker einfach durch den Körper hindurchgehen
läßt, falsch ist. Der Vorgang ist tiefer zu fassen und zwar in der Weise,
daß der normale kontinuierliche Vorgang der Abspaltung von Zucker aus
dem Protoplasma gesteigert zu denken ist. Normaliter kreist der Zucker
in einer komplizierten, nicht-diffusiblen Verbindung im Blut, kann somit
nicht von den Nieren ausgeschieden werden. Wird aber das Blut mit Zucker
überschwemmt, dann kann diese nicht-diffusihle Verbindung nicht herge¬
stellt werden: ergo muß er im Urin auftreten.
Für den physiologisch Denkenden erhebt sich natürlich sofort die Frage:
was für ein Reiz ist es denn, der diese abnorme Zuckerabspaltung aus der
lebendigen Substanz bewirkt? und Ko lisch gibt darauf die präzise Antwort:
das Eiweiß ist jenes Nahrungsmittel, welches den größten Reiz auf die
Zelle ausübt. Woraus die Zelle ihren Zucker fabriziert hatte, ob aus Kohle¬
hydraten, Eiweißkörpern oder Fetten, tritt demgegenüber in den Hintergrund.
Referate und Besprechungen.
475
Die praktischen Konsequensen ergaben sich daraus leicht: Zunächst
ist der Organismus auf ein niedrigeres Nahrungsbedürfnis einzustellen, das
Nahrungsausmaß ist auf das tunlichste Minimum herabzudrücken. Haupt¬
sächlich aber sind Eiweißkörper zu vermeiden, und tatsächlich ertragen die
Diabetiker diese Reduktion auf 50 — 60 g ausgezeichnet, ja sie setzen dabei
noch N an. Am unschädlichsten ist. Pflanzeneiweiß, dann — gradatim stei¬
gend — Ei, Muskelfleiseh, Kasein. Gelingt es, die Eiweißkörper zu ver¬
ringern, so kann man andereseits ungestraft entsprechend mehr Kohlehydrate
geben, und das läßt sich in der Praxis am besten in Eorm vegetabilischer
Kost, namentlich mit Hilfe frischer Gemüse, ermöglichen.
Natürlich, in letzter Linie ist nicht das; Eiweiß als abnormer Reiz
das Wesentliche, sondern die abnorme Reizbarkeit der lebendigen Substanz.
Allein hier muß die Therapie Halt machen ; denn deren Konstitution zu
beeinflussen, sind wir noch lange außerstande. Buttersack (Berlin).
Bedeutung der Karellkur bei der Beseitigung schwerer Kreislaufstörungen
und der Behandlung der Fettsucht.
(L. Jacob. Münch, med. Wochenschr., Nr. 16 — 17, 1908.)
Die von Karep.1 vor 40 Jahren angegebene, aber fast völlig vergessene Kur
besteht in einer rigorosen Hunger- und Durstperiode von 5 — 7 Tagen, während
welcher der Kranke nur 4X200 ccm Milch zu bestimmten Tageszeiten be¬
kommt. In den nächsten 2 — 6 Tagen kommt dazu ein Ei und etwas Zwie¬
back, dann 2 Eier und Schwarzbrot, gehacktes Fleisch, Gemüse oder Reis
usw., bis nach ca. 12 Tagen eine gemischte Kost erreicht ist, wobei aber
immer (im ganzen 2 — 4 Wochen) nur 800 ccm Flüssigkeit erlaubt sind.
Unterstützt wird die Kur durch Abführmittel. Diese Kur, die nach der
Versicherung des Autors fast immer durchzusetzen ist, wirkt entlastend
und schonend auf das Herz, namentlich bei Muskelerkrankungen, weniger bei
Kompensationsstörungen. Ihre Hauptdomäne sind die Fälle mit Hydrops und
Aszites, wo der Puls noch einigermaßen fühlbar und die Nierenfunktion nicht
zu stark gestört ist. Die Dyspnoe bessert sich rasch, Schlaf stellt sich ein ;
nach 2 — 3 Tagen erfolgt oft eine gewaltige Diurese, vier Liter und mehr, und
das Körpergewicht nimmt durch Schwinden des Hydrops und Aszites kolossal
ab. Vielfach kann man dabei auf Herzmittel verzichten. Wahrscheinlich
spielt der geringe Salzgehalt der Milch eine wichtige Rolle bei der Ent¬
fernung der Transsudate. Zahlreiche Krankengeschichten und Kurven illu¬
strieren die Wirkung der Kur mit oder ohne gleichzeitige oder vorher¬
gehende Darreichung von Digitalis.
Ein zweites Anwendungsgebiet der Methoden ist die hochgradige Fett¬
sucht, bei welcher aber nach den Milchtagen keine gemischte Kost, sondern
eine aus Fleisch, Gemüse, gekochtem Obst und Schwarzbrot bestehende ge¬
geben wird. Dabei wird durch' Massage, Gymnastik usw. für Kräftigung
des Herzens gesorgt; in den ersten 8—10 Tagen allerdings ist Bettruhe not¬
wendig, da die Kur angreifend ist. Die Gewichtsabnahme kann 5 — 10 kg
in 6 — 8 Tagen betragen. — Wo der Herzmuskel schwer entartet ist, bleibt
die Kur natürlich ohne Erfolg. E. Oberndörffer.
Über Übungstherapie und Flüssigkeitsbeschränkung bei Zirkulations¬
störungen.
(Ein Gedenkblatt für M. J. Oertel. Prof. v. Noorden, Wien. Monatsschr. für
die physik.-diätet. Heilmethoden, Heft 1, 1909.)
Würdigung der von Oertel vor 25 Jahren in die Therapie der Herz¬
krankheiten eingeführten methodischen Übung für das muskelschwache Herz.
Abgesehen von törichten, naturgemäß mit Fehlschlägen verbundenen Übertrei¬
bungen, hat sich nach Noorden auch die Terrainkur durchaus bewährt;
Die vordem nur geübte Schonung der Herzkranken ward seit O. durch die
Übung ergänzt; zu ihren Methoden rechnet No orden außer der eigentlichen
Bewegungstherapie auch die hydriatischen Prozeduren und C02-Bäder.
476
Referate und Besprechungen.
Aber auch die Schonungstherapie des Herzens hat Oertel durch die
Beschränkung der Flüssigkeitszufuhr in hervorragendem Maße gefördert. Wenn
auch seine Theorie — bei Fettherz sollte die geringe Wasserzufuhr eine
stärkere Einschmelzung des Fettes bedingen — nach der heutigen Auffassung
als irrig anzusehen ist, die Tatsache bleibt bestehen, daß die Wasserbe¬
schränkung (HA — l1/ 2 Liter) bei ödematösen Herzleiden und bes. im Stadium
der beginnenden Inkompensation und in der Rekonvaleszenz dennoch oft
von größter Bedeutung ist. Die Wasserbeschränkung entlastet einmal das
Herz, das um so weniger zu arbeiten braucht, je weniger Flüssigkeit im
Zirkulationssystem von ihm in Bewegung gesetzt werden muß, und ferner
setzt sie gleichzeitig den Blutdruck mehr weniger nachhaltig herab. An der
Hand von 19 Fällen mit stark erhöhtem Blutdruck — Arteriosklerose und
Schrumpf niere — tritt No orden schließlich warm für die beschränkte
Flüssigkeitsaufnahme bei den genannten Krankheiten aus prophylaktisch-
therapeutischen Gründen ein. Krebs.
Epilepsie und Ernährung.
(R. Brunon. Bull, med., Nr. 82, S. 901 — 903, 1908.)
Der bekannte Kliniker von Rouen hat eine Reihe von Fällen gesehen,
in denen die epileptischen Zufälle trotz großer Bromdosen fortgesetzt auf¬
traten, solange die Pat. Fleisch aßen; sie hörten aber auf bei einer Milch-
Pflanzendiät, manchmal sogar ohne Brom. Die Nutzanwendung ergibt sich
von selbst; ein Versuch kann jedenfalls nichts schaden. Buttersack (Berlin).
Medikamentöse Therapie.
Beiträge zur Kenntnis der Digitalisbehandlung.
(Müller. Münch, med. Wochenschr., Nr. 51, 1908.)
Bei der Digitalisordination entspringt aus der Vielgestaltigkeit der
zu behandelnden Krankheitsbilder eine gewisse Neigung zur individualisie¬
renden Indikationsstellung in der Therapie. Dies ist an und für sich ganz
gut, häufig auch notwendig, jedoch darf in der Individualisierung des Einzel¬
falles der im großen und ganzen doch recht gleichartige und charakteristische
therapeutische Effekt der Digitalismedikation nicht zu sehr in den Hinter¬
grund treten. Dies gilt vor allem für die Darreichung in sehr kleinen oder
verzettelt gegebenen Dosen, bei denen eine Kontrolle der Digitaliswirkung
unmöglich wird.
Ebenso zu verurteilen ist die längere Zeit planlos fortgesetzte Dar¬
reichung {größerer Dosen wegen der Gefahr einer schweren Digitalisver¬
giftung.
Da man heute auf dem Standpunkt steht, daß gerade in der Kombination
der in den Digitalisblättern wirksamen Bestandteile das Wesentliche des
therapeutischen Effektes begründet ist, so lassen sich die verschiedenen Me¬
thoden der Digitalisdarreichung jetzt, nachdem man in ihrer Wirkungsstärke
gut zu vergleichende Digitalispräparate besitzt, weit gründlicher und exakter
studieren als bisher.
Bei einer vergleichenden Prüfung kommen milde Kuren natürlich kaum
in Betracht, es handelt sich hier vielmehr darum, mit einem Digitalisprä¬
parat eine energische Wirkung ohne unliebsame Nebenerscheinungen zu er¬
zielen.
Zur Prüfung gelangte das von Prof. Gottlieb eingestellte „Digipura-
tum“ (Extractum Digitalis depuratum Knoll), welches fast die Gesamtheit
der wirksamen Bestandteile der Digitalisblätter enthält und eine bestimmte
unverändert haltbare Wirkungsstärke besitzt. Die wirksamen Bestandteile
darin sind in kaltem Wasser und Säuren unlöslich, aber in verdünnten Alka¬
lien sehr leicht löslich. Die mit Digipuratum behandelten Fälle betrafen in
erster Linie sehr schwere Zustände akuter und chronischer Herzinsuffizienz
im Gefolge von Klappenfehlern, Herzmuskel- und Gefäßerkrankungen. Dazu
Referate und Besprechungen.
477
kamen chronische Nephritiden, Arteriosklerose ohne schwerere Kompensations¬
störungen, akute Pneumonien, Septikämien, Pleuritiden und Perikarditiden.
Bei letzteren war natürlich eine objektive Kritik des neuen Digftalis-
präparates unmöglich; es ließ sich1 aber feststellen, daß bei diesen Erkrankungen
das Digipuratum ohne nachteilige oder unangenehme Nebenerscheinungen so¬
wohl in kleinen als auch in größeren Dosen gegeben werden konnte.
Vollkommen konstant ist der Effekt bei energischer Dosierung in allen
Fällen stärkerer Herzinsuffizienz, wo sehr prompt eine rationelle Verbesse¬
rung der gestörten Kreislaufsverhältnisse erfolgt, die sich neben der sehr
offensichtlichen Hebung des darniederliegenden Allgemeinzustandes in der
günstigen Beeinflussung der Qualität und Quantität des Pulses, dem An¬
steigen der Amplitude und vor allem in dem Einsetzen der mehr oder weniger
stockenden Diurese bemerkbar macht.
Sehr bald und vollständig wurden die schwersten Stauungserscheinungen
zum Verschwinden gebracht, sei es, daß sie sich als einfache Ödeme oder
als Stauungsbronchitiden, Stauungsleber oder Stauungsniere dokumentierten.
Auch in den Fällen, wo esi sich Um eine mehr oder weniger starke funktionelle
Schwäche des Herz- und Gefäßsystems handelt, besonders bei akuten In¬
fektionskrankheiten, bei nicht eigentlich dekompensierten Arteriosklerosen und
Herzerkrankungen entspricht das Digipuratum allen Erwartungen.
Außer diesen qualitativ günstigen Erfolgen ist die quantitative Wir¬
kung des Digipuratums sehr befriedigend. Schon mit 12 Tabletten kommt
man in vielen Fällen bis! zum Eintritt der Digitaliswirkung. Meistens wird
man etwa 2 g Digipuratum verwenden, um die Wirkung noch zu vertiefen
und besonders nachhaltig zu gestalten. Sehr wesentlich gefördert wird dieses
Ziel durch die gute Bekömmlichkeit des Präparates und das fast völlige Fehlen
von Nebenerscheinungen, ganz besonders von Störungen des Intestinal trak-
tus. Auch bei länger dauernder Darreichung werden bei gutem Erfolg keine
unangenehmen Nebenerscheinungen wahrgenommen, es empfiehlt sich dann,
auf 0,05 g pro dosi herabzugehen. Das Digipuratum besitzt also vor allem
folgende Vorzüge:
Mit Digipuratum, im Gegensatz zu anderen Digitalispräparaten, sind
Intoxikationserscheinungen besonders leicht zu verkleiden.
Es lassen sich infolgedessen energische Digitaliskuren ohne Intestinal*
Störungen durchführen.
Das Digipuratum bleibt in seiner Wirkungsstärke konstant. Neumann.
Die heutigen Methoden zur Anregung der Diurese.
(Prof. Dr. Bömberg. Münch, med. Wochenschr., Nr. 39, 1908.)
Die Diurese wird heutigen Tages nur noch angeregt, um Wasseran¬
sammlungen im Körper zu beseitigen. Zu diesem Zweck sucht man entweder
den gesamten Blutumlauf zu verbessern oder die Nierentätigkeit direkt zu
beeinflussen. Um das erstere zu erreichen, kommt es hauptsächlich darauf
an, die Stromgeschwindigkeit zu erhöhen und infolgedessen kommen die
Herzmittel im wesentlichen zur Geltung und zwar entweder die Digitalis,
oder das Digalen, Strophantus und Strophantin. Außer bei Herzkranken
wendet man diese Mittel bei akuten und chronischen Nierenerkrankungen an,
dagegen nicht bei Amyloid, Pyelonephritis, Hydronephrose, kachektischem
Ödem und Ergüssen unkomplizierter Natur bei Tuberkulose und dgl., weil
bei diesen Erkrankungen ein mangelhafter Kreislauf besteht, in dem den
Gefäßen der der vermehrten Herzarbeit entsprechende Widerstand fehlt. Oft
geht die Steigerung der Diurese nur sehr verzögert vor sich infolge einer
Kompression von Gefäßen durch größere Ergüsse. Durch Inzision oder Punk¬
tion wird dem Übel aber sehr leicht abgeholfen.
Zur Steigerung der Nierentätigkeit bedient man sich am besten der
Körper der Purinreihe. Zunächst ist das Theophyllin oder Theozin zu nennen.
Zur Vermeidung übler Nebenwirkungen gibt man auf 2mal tgl. 0,1, genügt
dies nicht, 2 mal 0,2 und zwar einen Tag um den andern und geht so langsam
auf 3 — 4mal 0,2.
478
Referate und Besprechungen.
Das Diuretin wirkt nicht so energisch. Man gibt es anfangs in Dosen
von 0,5 3 — 4 mal in einem halben Tag und steigt bis auf 4 mal 1,0.
Das Theobromin und Koffein wirken fast gar nicht und werden am
besten weggelassen.
Von den pflanzlichen Diuretizis sind hauptsächlich die Golaz’schen
Dialysate (Species diureticae dialysatae 7 mal je V2 Kaffeelöffel) zu verwerten.
Was das Salizylsäure Natron und das Kalomel angeht, so sind sie sehr
differente Mittel. Ganz ungeeignet sind die Salze, reichliche Wasserzufuhr
und der von See empfohlene Milchzucker. I11 bezug auf die Indikation für
die Anwendung der verschiedenen Mittel empfiehlt Rombeyg bei Herz¬
schwäche und örtlichen Erkrankungen der Nieren vor allem das Theozin
und Diuretin, durch die eine Erweiterung der Nierenblutbahnen bewirkt
wird, wodurch dann erst die Digitaliswirkung voll in Kraft treten kann.
Bei exsudativen Pleuritiden oder Perikarditiden kann man, wenn der
Kreislauf in Ordnung und die Nieren gesund, das Salizylsäure Natron in
Dosen von 4 — 6 g pro die anwenden.
Das Kalomel soll immer nur als Notbehelf dienen und bei Nierenkranken
ganz gemieden werden. Eür die pflanzlichen Diuretizis ist keine bestimmte
Norm aufzustellen.
Für alle Fälle muß aber als Regel gelten, die übermäßige Wasser¬
zufuhr einzuschränken. Auch empfiehlt sich eine kochsalzarme Nahrung. Hier¬
bei muß man sich aber vorsehen, da es leicht zu Abnahme der Kräfte und
zu nervösen Störungen kommt. Schließlich teilt er einen Fall von Bauchfell¬
tuberkulose mit, bei dem durch eine derartige Diät die Diurese gesteigert
wurde und der Aszites zurückging. F. Walther.
Aus der medizinischen Universitätsklinik in Halle a. S. Direktor: Prof. Ad. Schmidt.
Über Veronalnatrium und die Erregbarkeit des Atemzentrums, sowie den
Sauerstoffverbrauch im natürlichen und künstlichen Schlaf.
(Winternitz. Deutsche med. Wochenschr., S. 2248, 1908.)
Das Natriumsalz der Diäthylbarbitursäure, oder Veronalnatrium hat
vor dem Veronal den Vorzug schnellerer Wirksamkeit, vorausgesetzt, daß
der Magen leer ist und der Möglichkeit, es rasch in geringer Menge Flüssig¬
keit aufzulösen. Im übrigen sind sich beide Präparate in bezug auf Wirkung*
und Nebenwirkung gleich. Winternitz hat das Veronalnatrium in ver¬
schiedener Form gegeben. Als Suppositorium ist es unzuverlässig. Vor allem
hat er Versuche mit subkutaner und intramuskulärer Injektion gemacht,
wobei er eine 10%ige wässerige Lösung verwandte, von der er 5 — 10 ccm
injizierte. Die Einspritzung verlief stets reaktionslos. Der Erfolg war folgen¬
der: Die hypnotische Wirkung war auffallenderweise ganz geringfügig und
trat meist erst nach 3 — 4 Stunden ein, wobei zu bemerken ist, daß er nur
Ischias und Interkostalneuralgien bei seinen Versuchen zur Verfügung hatte.
Dagegen war die schmerzstillende Wirkung außerordentlich frappant, so
daß Winternitz die Veronainatriuminjektion bei Neuralgien geradezu emp¬
fiehlt. Beim Vergleich zwischen innerer und subkutaner Verabreichung ergab
sich die Tatsache, daß bei ersterer die Intensität des Schlafes bedeutend
stärker war wie bei letzterer. Die Erklärung dafür dürfte vielleicht darin
bestehen, daß das Veronalnatrium lokal am Ort der Injektion von den daselbst
angehäuften lipoiden Substanzen festgehalten und nur allmählich an das
Blut abgegeben wird. Sicher ist aber, daß das Veronalnatrium nicht das ge¬
suchte subkutan anwendbare Hypnotikum ist. Winternitz hat dann ferner
Respirationsversuche im Veronalschlaf angestellt und gefunden, daß das Ver¬
halten der Atmungsleistung und der Erregbarkeit des Atemzentrums im
Veronal- und im natürlichlichen -Schlaf nahezu das gleiche ist und zwar zeigte
sich, daß die Erregbarkeit des Atemzentrums bei beiden Schlafarten be¬
deutend herabgesetzt ist. Die Resultate Loewy’s, der keine Herabsetzung
der Erregbarkeit fand, erklärt er mit der verschiedenen Versuchsanordnung,
vor allem damit, daß er seine Versuche bei Nacht anstellte, also in einer
Bücherschau.
479
Zeit, wo die im Blute zirkulierenden Ermüdungsstoffe die Erregbarkeit
herabsetzen, was am Morgen nicht mehr der Fall ist. Winternitz kommt
also zu dem Schluß, daß ein natürlicher Schlaf die Herabsetzung der Atmungs¬
tätigkeit durch die Verminderung oder den Fortfall der Atmungsreize senso¬
rischer und psychischer Natur und durch die Abnahme der Erregbarkeit des
Atemzentrums verursacht. Durch Veronal und ähnliche Narkotitis wird
diese Schlafwirkung noch verstärkt. F. Walther.
Über den Einfluß von Chininlösungen auf die Phagozytose.
(Th. Grünspan. Zentralbl. für Bakt., Bd. 48, H. 4, 1908.)
Die Versuche des Verf. gingen dahin, die Einwirkung des Chinins
auf das phagozytäre V ermögen der Leukozyten zu untersuchen. Als V er¬
suchstiere dienten ihm Batten, die intraperitoneale Injektionen von Eiweiß-
Karmin nach einer Aleuronat-Bouillon-Vorbehandlung erhielten mit 1/2 ccm
salzsaurer Chininlösung in verschiedenen Verdünnungen.
Später wurden Pf elf f er’sche Versuche gemacht, Ausstriche angefertigt
und mit Methylenblau gefärbt, die Leukozyten gezählt und der Prozentgehalt
berechnet, in dem die Leukozyten das Karmin aufgenommen hatten.
Es wurden zwei Versuchsreihen angesetzt:
1. Intraperit. Injektion von reinem Karmin in physiol. NaCl-Lösung.
2. Intraperit. Injektion von Eiweiß-Karmin.
Die Ausstriche ergaben folgendes Besultat:
Die Phagozytose wird durch Eiweiß-Karmin nicht energischer beeinflußt,
wie bei Verabreichung von reinem Karmin; man kann also wohl sagen, daß
das Eiweiß kein Mittel zur Anregung der Phagozytose ist.
.3. Intraperit. Injektion von 0,l%igen und 0,002 °/0igen Chininlösungen
in Verbindung mit Eiweiß-Karmin.
Hier ergab sich, daß schwache Chininlösungen in vivo keinen nach¬
teiligen Einfluß auf die Phagozytose haben; daß eine 0,002 %ige Chinin¬
lösung eine relative Erhöhung der Phagozytose herbeiführt, während eine
0,l%ige Chininlösung die Phagozytose bedeutend schädigt.
Auch wurden Versuche angestellt, ob Chininlösungen auf die Phago¬
zytose der Bakterien von günstigem Einflüsse sind.
Die Batten erhielten 1 ccm einer Staphyloc. aureus-Aufschwemmung
intraperitoneal und nach verschiedenen Zeiträumen wurden die Pfeiffer¬
schen Versuche gemacht, die Ausstriche gefärbt und der Prozentsatz be¬
rechnet, in welchem die Leukozyten die Bakterien aufgenommen hatten,
wenn 0,1-, 0,01-, bezw. 0,002 %ige Chininlösung injiziert wurde.
Aus den Versuchen konnten keine günstigen Einflüsse auf die Phago¬
zytose der Bakterien einwandsfrei bewiesen werden.
Eiereiweiß führt keine Erhöhung der Phagozytose herbei.
Sind die von den Leukozyten auf genommenen Staphylokokken als ab¬
getötet zu betrachten oder erliegen sie einer allmählichen Auflösung innerhalb
der Leukozyten ?
Zum Nachweise wurde Neutralrot verwandt. Die Farbenreaktionen
deuten jedenfalls darauf hin, daß die intrazellulären Staphylokokken als
lebend aufzufassen sind. Schürmann (Düsseldorf).
Bücherschau.
Die Migräne, ihre Entstehung, ihr Wesen und ihre Behandlung resp. Heilung.
Von W. Brügelmann. J. F. Bergmann, Wiesbaden 1909. 51 S. 1 Mk.
Verfasser geht von dem Grundgedanken aus, daß Migräne, Asthma und Ur¬
tikaria wesensgleich seien und sowohl in der Familie wie im Individuum sich ver¬
treten können. Es ist das ein Gedanke, der sich schon bei Trousseau findet
(Clinique medical e II. S. 399): „Les dartres, les affections rliumatismales, la goutle,
la gravelle, les hemorrhoides, la migraine et Fasthme, expressions differentes d’une
480
Bücherschau.
meme diathese, penvent se remplacer les unes les autres.“ Für Brügelmann ist
dabei das eigentlich Primäre der Krampf, ausgelöst durch eine Herzneurose nebst
der konsekutiven Zirkulationsstörung (S. 10/11); bei Migräne handelt es sich um
einen Krampf in der Dura und Pia mater. Er unterscheidet die häufigste gast¬
rische Form von der reflektorischen und der zerebralen. Charakteristische Begleit¬
erscheinungen der gastrischen Form sind : N ackenstarre, zyanotische Hautfarbe, Angst,
Neuralgien im Rücken und in den Beinen, oft eine Ischias vortäuschend. Therapie:
kreisrunde Reibungen des Magens und Zwerchfells (mit etwas Kognak und Salz),
heiße Gummiblase (Thermophor) auf den Leib appliziert, salinische Abführmittel,
1 g reine Salicylsäure in Kapseln (zur Entgiftung des Mageninhaltes), heißer Ka¬
millentee mit Op.; zur Vermeidung von Darmfäulnis: dauernder Gebrauch von
Pankreon oder Yoghourt.
Die reflektorische Form kann von überallher ausgelöst werden; am häu¬
figsten vom N. olfactorius, acusticus, opticus, trigeminus aus, aber auch seitens der
Sexualsphäre (Zervixkrämpfe). Die Therapie ergibt sich dann von selbst
Die z erebrale Migräne ist in der Hauptsache ein hysterisches Symptom; bei
ihr verlangen die Patienten warme Umschläge um den Kopf, während Patienten
mit der gastrischen Form Kälte begehren. Suggestion ist das souveräne Heilmittel.
Der theoretische Aufbau des Büchleins, z. B. die Vorstellung eines Krampfes
der Dura und Pia mater findet vielleicht nicht überall Anklang; allein dafür ist
es so reich an Niederschlägen aus einer großen Erfahrung, daß jeder, der selbst
im Kampf mit diesen Tatsachen steht, gern Belehrung und Rat aus der kleinen
Schrift entnimmt. Buttersack (Berlin).
Die atonische und die spastische Obstipation. Ihre Differentialdiagnose
und Behandlung. Von Gustav Schneider, Wien. Sammlung zwang¬
loser Abhandlungen aus dem Gebiete der Verdauungs- und Stoffwechsel¬
krankheiten. Herausgegeben von A. Albu, 1. Band, 6. Heft. Halle a. S.
Karl Marhold, Verlagsbuchhandlung 1909. 46 Seiten. 1 Mk.
Das Heftchen bringt auf knappem Raum vieles und auch der Erfahrene wird
es mit Nutzen lesen. Sehr gut ist die Darstellung der Therapie; sympathisch
berührt der häufige Hinweis darauf, „daß der Gegensatz, der für die Schulfälle beider
Typen aufgestellt wird, sich in praxi nicht immer völlig aufrecht erhalten läßt.
Kombinationen und Übergangsformen sind hier das Häufigere/ Für nicht sehr
glücklich hält Ref. die Wahl des klinischen Beispieles für die atonische Obstipation:
es ist hier ein extrem schwerer Astheniker beschrieben, so schwer, daß man ihn kaum
als Schulbeispiel für die atonische Obstipation betrachten kann. Ferner vermißt
Referent bei der Behandung der Enteroptose jeden Hinweis auf die StillePsche
Asthenie. . M. Kaufmann (Mannheim).
Kurzes Lehrbuch der Desinfektion. Von C. Czaplewski. 3. Auflage.
Martin Hager, Bonn 1908. 178 S.
Das als Nachschlagebuch für Desinfektoren, Ärzte, Medizinal- und Ver¬
waltungsbeamte gedachte Werk ist in seiner 8. Auflage wesentlichen Änderungen
unterworfen worden. Der Text der Einleitung, welche Belehrung über die In¬
fektionskrankheiten und deren Erreger, sowie über die Weiterverbreitung des An¬
steckungstoffes bringt, wie auch der Text des Abschnitts I, in dem die Desinfektions¬
mittel, ihre Anwendung und die Kontrolle der Desinfektionsapparate abgehandelt
werden, haben eine völlige Umarbeitung erfahren. Es sind dabei die neu erlassenen
Seuchengesetze eingehend berücksichtigt worden. Besonderen Wert hat Cz. darauf
gelegt, den Desinfektoren den ihnen fremden Stoff durch Vergleiche mit ihnen ge¬
läufigen Begriffen näher zu rücken. So ist das Werk in seiner dritten Auflage als
dem jetzigen Stande der Wissenschaft völlig entsprechend zu bezeichnen. Fraglich
erscheint nur, ob für die Desinfektoren ein so umfangreiches Werk erforderlich ist,
ob nicht die Fülle der Tatsachen verwirrend wirkt. Man findet oft genug bereits
bei Ärzten ganz wunderbare, unzutreffende Ansichten, daß kaum erwartet werden
kann, daß Desinfektoren ein derartiges Lehrbuch mit vollem Verständnis ver¬
wenden können; dagegen werden die Medizinal- und Verwaltungsbeamten in ihm
einen sicheren Ratgeber ‘finden. H. Bischoff.
Schriftleitung: Dr. Ri gl er in Leipzig.
Druck von Emil Herrmann senior in Leipzig.
27. Jahrgang.
1909.
Tortscbritte der Medizin.
Unter Mitwirkung hervorragender Fachmänner
herausgegeben von
Professor Dr. <L Köster Prio.-Doz. Dr. o. Criegem
in Leipzig. in Leipzig.
Schriftleitung: Dr. Rigler in Leipzig.
Nr. 13.
Erscheint am 10., 20., 30. jeden Monats. Preis halbjährlich
6 Mark, in kl. Zeitschrift für Versicherungsmedizin 8 Mark.
===== Verlag von Georg Thieme, Leipzig. - .
10. Mai.
Originalarbeiten und Sammelberichte.
Ueber die Entstehungsweise der Fovea centralis retinae beim
Menschen.
Von Privatdozent Stabsarzt Dr. Seefelder in Leipzig.
(Vortrag, gehalten in der medizinischen Gesellschaft in Leipzig am 23. Febr. 1909.)
Nach der Ihnen in der vorletzten Sitzung durch Herrn Geheimen
Bat Flechsig gemachten Mitteilung, daß die Markscheidenbildung im
Sehnerven und im okulomotorischen Nervenapparat sehr spät erfolgt,
dürfte für Sie auch die Tatsache von Interesse sein, daß die Ausbildung
der wichtigsten Stelle unseres Sehorgans, der Fovea centralis, ebenfalls
einer späten Entwicklungsperiode Vorbehalten ist.
Es ist Ihnen wohl bekannt, daß diese Stelle im ausgewachsenen
Organ vor der übrigen Netzhaut durch besondere anatomische Merk'
male ausgezeichnet ist, von welchen ich nur die auffälligsten anführen
möchte, nämlich die Verdickung der Ganglienzellenschicht im Um¬
kreise und die Abnahme sämtlicher Zellschichten im Grunde der Fovea,
ferner die größere Länge und Feinheit der Zapfen. Die letztere Eigen¬
schaft ist zugleich die wichtigste, da auf ihr die funktionelle Über¬
legenheit der Fovea über die übrigen Netzhautpartien beruht.
Die Fovea centralis ist aber keine ausschließliche Eigentümlichkeit
der Menschenretina, sondern findet sich auch bei zahlreichen Tieren,
z. B. den Affen, bei verschiedenen Reptilien und Fischen und fast
bei allen bekannteren Vogelarten. Ja, es gibt viele Vögel, welche
uns in dieser Hinsicht sogar überlegen sind und sich des Besitzes
zweier Foveae erfreuen, die natürlich an ganz verschiedenen Stellen
der Netzhaut liegen.
Dieser Gruppe von Tieren steht eine andere große Gruppe gegen¬
über, zu welcher z. B. die meisten unserer Haussäugetiere gehören,
bei welchen die Stelle des schärfsten Sehens nicht durch eine Abnahme,
sondern durch eine Vermehrung der Zahl sämtlicher Netzhautzellen ge¬
kennzeichnet ist. Die Netzhaut erscheint dadurch an dieser Stelle ver¬
dickt und wir bezeichnen diesen verdickten Bezirk zum Unterschied
von der Fovea als Area centralis retinae.
Anmerkung: Die vorgetragenen Tatsachen bilden teils eine Bestätigung
teils eine Ergänzung und Erweiterung von Befunden, welche von Chievitz in
mehreren anatomischen Zeitschriften publiziert worden sind, was ausdrücklich
hervorgehoben sei.
31
482
Seefelder,
Endlich ist zu erwähnen, daß es Tiere gibt, bei welchen weder
eine Eovea noch eine Areja centralis nachzuweisen ist, z. B. hei der
Ratte, Ziege, Huhn usw.
Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß diese anatomischen Ver¬
schiedenheiten in der Differenzierung der hochwertigsten Netzhaut¬
stelle mit der Lebensweise und den Existenzbedingungen der verschie¬
denen Tiere auf das innigste Zusammenhängen und wir begreifen ohne
weiteres, daß der im Fluge seine Beute pfeilschnell erhaschende Raub¬
vogel mit einer geradezu prächtigen Eovea centralis ausgestattet ist.
Es ist nun von großem entwicklungsgeschichtlichen Interesse,
daß beim Menschen in einer gewissen Entwicklungsperiode, und
zwar bis in den sechsten fötalen Monat hinein an der Stelle der
späteren Fovea centralis eine Verdickung der Netzhaut, also
ein der Area centralis verschiedener Tiere vergleichbarer Zustand vor¬
handen ist, und zwar ist diese Verdickung, wie Sie aus diesem Präpa¬
rate eines fünfmonatlichen menschlichen Fötus ersehen, in erster Linie
durch die größere Mächtigkeit der Ganglienzellenschicht ver¬
ursacht.
Eine Täuschung in bezug auf die Orientierung ist dabei voll¬
ständig ausgeschlossen, da andere unverkennbare Merkmale dafür bür¬
gen, daß wir uns an der richtigen Stelle befinden. Es ist dies die
weiter vorgeschrittene Differenzierung dieses Netzhaut¬
bezirkes überhaupt, welche übrigens schon in viel jüngeren Stadien,
ja schon im dritten Monat, angedeutet ist und vorzugsweise in der
hier zuerst nachweisbaren Abspaltung der äußeren Körner- und
der Amakrinenschicht von der bis dahin gemeinsamen Zellschicht
besteht.
Die äußere Körnerschicht wird aber zunächst nur von einer ein¬
fachen Zellreihe dargestellt und verharrt in diesem primitiven Zu¬
stande noch geraume Zeit bis über die Geburt hinaus.
Die ersten Anzeichen einer Eovea centralis sind gegen
das Ende des sechsten bezw. zu Anfang des siebenten fötalen
Lebensmonats nachzuweisen. Sie sehen hier in diesem Präparate, wel¬
ches von einem 34,5 cm langen Fötus herstammt, eine zwar kleine
aber deutliche Vertiefung an der Innenfläche der Netzhaut. Aber
auch sonst haben sich bemerkenswerte* Veränderungen vollzogen.
Die Amakrinen oder, wie sie früher bezeichnet wurden, die
Spongioblasten, sind von der übrigen inneren Körnerschicht viel weiter
abgerückt, und der dadurch geschaffene Zwischenraum wird durch
ein Gerüst von feinen schräg verlaufenden Fasern ausgefüllt. Diese
Easerschicht ist eine exquisit fötale Bildung, welche einige Zeit nach
der Geburt nicht mehr als selbständige Schicht nachzuweisen ist und
hat aus diesem Grunde den Namen transitorische Easerschicht
erhalten.
Die äußere Körnerschicht ist nach wie vor einreihig und zeigt
die gleiche epitheliale Anordnung wie bei dem vorigen Stadium.
Gegen die innere Körnerschicht ist sie durch eine ziemlich deutliche
und nur von den zur Limitans externa ziehenden Müller’schen Radiär¬
fasern durchbrochene Linie abgegrenzt, an welcher die Zapfenzellen
endigen, ohne daß sich zu dieser Zeit eine Zaj)fenfaser nachweisen läßt.
Was uns aber am meisten interessiert, das ist die Tatsache, daß
im Bereich der Eovea noch keine Anzeichen einer Zapf enentwick-
lung nachweisbar sind. Zwar ist das Protoplasma der Zapfenzellen
Über die Entstehungsweise der Fovea centralis retinae.
483
in der äußeren Hälfte dunkler tingiert als in der inneren, und weist
eine etwas über die Membrana limitans externa hervorragende kupp ei¬
förmige Abrundung auf, doch kann diese noch keineswegs als ein
Zapfenaußen- oder -innenglied bezeichnet werden. Das Pigmentepit hei
grenzt vielmehr fast unmittelbar an die Membrana limitans
externa. Wenn wir uns aber ein wenig von der Fovea entfernen,
dann treten immer deutlicher zapfenförmige Fortsätze der Zellen der
äußeren Körnerschicht zutage, zunächst allerdings erst als plumpe,
unvollkommene Gebilde ohne Andeutung eines Außengliedes, aber bereits
in einiger Entfernung von der Fovea — etwa halbwegs zwischen
Fovea und Papille — in einer Entwicklung, welche der des ausgebildeten
Organs nicht mehr allzuviel nachsteht. Hier sind denn auch zwischen
den Zapfen ebenso gut entwickelte Stäbchen anzutreffen, die bekannt¬
lich im Grunde der Fovea und in ihrer nächsten Umgebung das ganze
Leben hindurch fehlen. Auch ist die äußere Körnerschicht außerhalb
des makularen Bereichs bereits durch mehrere Zellreihen vertreten. —
Nun muß allerdings hervorgehoben werden, daß diese Zapfen-
und Stäbchenentwicklung auch nur in einem beschränkten Bezirke und
zwar ungefähr bis zum Äquator bulbi vorhanden ist, es bleibt aber
immerhin die höchst auffällige Tatsache bestehen, daß das Neuro-
epithel an der hochwertigsten Stelle der Netzhaut beinahe
am längsten in einem rudimentären Zustande verharrt.
Dieses eigenartige Verhalten erfährt auch in den nächsten Monaten
keine Veränderung.
Betrachten wir zunächst die Fovea eines achtmonatlichen
Fötus von 42 cm Körperlänge, so sehen wir die Zapfenentwicklung
nunmehr zwar bis auf die Fovea ausgedehnt, insofern jetzt auch hier
zapfenförmige Fortsätze über der Membrana limitans externa hervor¬
ragen, aber es sind und bleiben zunächst noch unvollkommene Gebilde,
die erst in der ersten Entwicklung begriffen sind.
Im übrigen sind einige weitere Fortschritte in der Entwick¬
lung zu konstatieren.
Die sog. transitorische Faserschicht hat an Ausdehnung zuge¬
nommen, die Amakrinenschicht ist einreihig geworden und die Fovea
erscheint wesentlich voluminöser, dadurch daß sich die Verschmäle¬
rung der Ganglienzellenschicht auf ein größeres Areal erstreckt hat.
Sie ist noch sehr flach, nähert sich aber in bezug auf ihre Form der
des erwachsenen Auges. Die innere Hälfte der Zapfenzelle hat sich jetzt
zur allerdings noch unfertigen Zapfenfaser differenziert, und es ist
damit die erste Entwicklung der später so mächtigen Faserschicht
vollzogen, welche nach ihrem Entdecker den Namen Henle’sche Faser-
schicht erhalten hat.
Das nächste Präparat eines gleichaltrigen Fötus zeigt Ihnen analoge
Verhältnisse; ich führe es Ihnen nur vor, weil die Netzhaut dieses
Fötus im ganzen offensichtlich dünner ist als die eben gezeigte, und
daraus hervorgeht, daß auch bereits im fötalen Leben physiologische
Schwankungen der Netzhautdicke Vorkommen.
Auch bei einem etwas älteren 45 cm langen Fötus ist kein weiterer
Fortschritt in der Entwicklung zu konstatieren, so daß ich darauf ver¬
zichten kann, ihnen davon Präparate zu demonstrieren.
Dies ist erst j.n dem Auge eines neugeborenen Kindes der
I all, von dem ich Ihnen durch die Freundlichkeit des Kollegen Wolf rum
ein sehr schönes Präparat zu zeigen vermag.
31*
484
Seefelder, Über die Entstehungsweise der Fovea centralis retinae.
Sie sehen jetzt deutlich, daß der Abstand zwischen der inneren
und äußeren Körnerschicht' infolge einer entsprechenden Verbreiterung
der Hßnle’schen Faserschicht erheblich zugenommen hat. Die Fovea ist
wesentlich tiefer geworden, dadurch daß die Ganglienzellenschicht bis
auf eine einfache -Zellreihe reduziert ist.
Aber im übrigen ist es mit der Entwicklung der Fovea immer
noch recht schlecht bestellt. Die innere Körnerschicht durchzieht nach
wie vor als eine 2 — 3 fache gesonderte Zellschicht den Grund der Fovea
und, was das Wichtigste ist, die Zapfen sind immer noch ganz plumpe
kurze Gebilde, welche eben erst die ersten Anzeichen eines Außen¬
gliedes erkennen lassen.
M. H. ! Schon auf Grund dieses anatomischen Verhaltens allein
könnten wir, wenn uns nicht die allltägliche praktische Erfahrung
zur Seite stände, mit Sicherheit behaupten, daß die funktionelle Wer¬
tigkeit der Neugeb orenenfovea nur höchst bescheiden sein kann, und
daß noch ein weiter Weg zurückzulegen ist, bis sie ihre definitive
Höhe erreicht.
Daß dem so ist, werden die nächsten Präparate beweisen :
Bei einem acht Wochen alten Kinde ist die Fovea auf einer
Entwicklungsstufe angelangt, welche wenigstens auf eine Gleichwer¬
tigkeit mit den benachbarten Netzhautpartien schließen läßt.
Die Zahl der Zapfen in der gleichen Kaumeinheit hat beträcht¬
lich zugenommen und Hand in Hand damit ist eine Vermehrung der
Zapfenkerne gegangen, welche nunmehr in der Fovea ebenso vielreihig
sind als in den angrenzendetn Netzhautpartien. Die Henle’sche Faser¬
schicht ist auffallend breit, die innere Körnerschicht dagegen ein¬
reihig geworden, doch sind von einer Verschmelzung zwischen ihr
und der Ganglienzellenschicht immer noch keine Anzeichen nachweisbar.
Sind wir demnach jetzt so weit gekommen, daß die Zapfenent¬
wicklung in der Fovea der in der übrigen Netzhaut nicht nachsteht,
so kann doch immer noch nicht von einer ausgesprochenen Überlegen¬
heit des fovealen Bezirkes gesprochen werden. Die Zapfen sind näm¬
lich im Grunde der Fovea noch ebenso dick als in der Umgebung,
es fehlt also noch gerade die spezifische Differenzierungs¬
stufe, durch welche die fertige Fovea vor der übrigen Netzhaut ausge¬
zeichnet ist.
Dieser Stufe nähert sich, wie Ihnen das nächste Präparat demon¬
striert, die Fovea eines 16 Wochen alten Kindes.
Die Länge und Feinheit der Zapfen hat weiterhin zugenommen,
wenn sie auch noch weit entfernt ist von der im erwachsenen Organ,
die Zahl der Zapfenzelleu im Grunde der Fovea ist entsprechend
gestiegen, die Ganglienzellen- und innere Körnerschicht beginnen zu
einer einfachen Zellage zu verschmelzen, und zum erstenmal sehen
wir die Membrana limitans externa einen nach dem Glaskörper zu
konvexen Bogen beschreiben und die sog. Fovea externa bilden,
welche ihre Existenz einzig und allein der größeren Länge der Zapfen
in der Fovea verdankt.
Trotzdem wird Ihnen der große Unterschied zwischen dieser und
der folgenden aus dem Auge eines Erwachsenen stammenden Fovea
ohne weiteres in die Augen springen, sowohl was die Höhe als die
Feinheit der Zapfen anlangt, ganz abgesehen von den übrigen, eben¬
falls nicht unbeträchtlichen Veränderungen in der Ganglienzellen- und
inneren Körnerschicht, die jetzt zu einer einfachen und nicht einmal mehr
lückenlosen Zellreihe verschmolzen sind.
Max Hirsch, Der 30. Baineologenkongreß in Berlin.
485
Die Höhe eines Zapfens in der Fovea des Erwachsenen beträgt
65 /u, während sie in der des 12 Wochen alten Kindes kaum 37 /x
erreicht, eine Differenz, die auch in der verschiedenen Ausbildung
der Fovea externa zum Ausdruck gelangt. Und die Dicke eines Zapfen-
innengliedes in der erwachsenen Fovea beträgt 2,5 fx gegen 3,5 [x im
Auge des 16 Wochen alten und 5 jtt des neugeborenen Kindes.
Wenn wir uns nun vor Augen halten, daß der Grad der Seh¬
schärfe durch die Feinheit der Zapfen bestimmt wird, oder mit anderen
W orten, daß die Sehschärfe um so höher ist, je feiner die Zapfen
sind, so ergibt sich aus dem Gesagten die praktisch wichtige Schlu߬
folgerung, daß die Sehschärfe des Menschen von der Geburt
an eine mit der Verfeinerung der Zentralzapfen einher¬
gehende allmähliche Steigerung erfährt.
Aber, m. H., die Dicke der Zapfen bildet auch im Auge des
Erwachsenen durchaus keine konstante Größe. In einer soeben erschie¬
nenen Arbeit von Fritsch*) in welcher das Ergebnis der anatomischen
Untersuchung von 400 menschlichen Augen der verschiedensten Fassen
niedergelegt ist, erfahren wir, daß in dieser Hinsicht sowohl große
individuelle als Kassenunterschiede obwalten.
Und es ist eine für uns betrübende, wenn auch nicht gerade über¬
raschende Kunde, daß nach den Untersuchungen von Fritsch die durch¬
schnittliche Veranlagung des Sehvermögens der europäischen Kassen
geringer ist als die anderer Kassen, welche aber durchaus nicht aus¬
schließlich die in dieser Hinsicht sprichwörtlich gewordenen Natur¬
völker zu sein brauchen.
Von besonderem Interesse ist endlich noch für uns die Mitteilung,
daß mit die beste Veranlagung dem Hottentottenauge zuzusprechen
ist, und wir begreifen jetzt, wie es kam, daß unsere Gegner in Deutsch-
Südwestafrika manchmal mit bloßem Auge mehr zu sehen vermochten,
als unsere mit den besten optischen Hilfsmitteln ausgerüsteten Lands¬
leute.
Der 30. Baineologenkongreß in Berlin.
Von Dr. Max Hirsch, Arzt in Bad Kudowa.
Der 30. Baineologenkongreß, welcher vom 4. — 9. März 1909 in
Berlin tagte, war recht zahlreich besucht. Zum zweiten Male tagte
der Kongreß unter Leitung von Geheimrat Prof. Dr. Brieger; zum
ersten Male hatte er auch die V orbereitungen zu dem Kongreß im
Verein mit dem Generalsekretär der Gesellschaft, Geheimrat Dr. Brock,
getroffen. 53 Vorträge konnten auf diesem Kongreß gehalten werden,
die dafür Zeugnis ablegen, wie sehr die wissenschaftliche Kichtung
in der Balneologie vorangeschritten ist. Mit einer gewissen Wehmut
vernahm die Gesellschaft durch ihren Generalsekretär, Geheimrat Dr.
Brock, am ersten Sitzungstage nach einem warmen Nachruf auf den
dahingeschiedeneji Vorsitzenden, Geheimrat Prof. Dr. Liebreich, die
Nachricht, daß Hofrat Prof. Dr. Wilhel m Wintern itz-Wien sein
Amt als stellvertretender Vorsitzender wegen hohen Alters nieder¬
legen mußte. An seine Stelle wurde einstimmig gewählt Kaiserl. Kat
Dr. Fellner -Franzensbad, der in jahrzehntelanger wissenschaftlicher
und praktischer Tätigkeit sich einen glänzenden Namen erworben hat.
*) Fritsch, Bau und Bedeutung der area centralis des Menschen. Berlin 1908.
486
Max Hirsch,
Der Vorstand der Gesellschaft ernannte Geheimrat Prof. Dr. Senator
in Berlin, in Anerkennung’ seiner großen Verdienste um die Wissen¬
schaft, speziell um die Balneologie, zu ihrem Ehrenmitgliede. In dem
Dank, den Geheimrat Senator der Gesellschaft aussprach, betonte er,
daß er vom Beginn seiner Praxis an, also über 1/2 Jahrhundert, stets
darauf bedacht gewesen sei, die Balneologie zu fördern.
Die Vortragsreihe eröffnete Ewald -Berlin mit seinem Vortrage
„Neuere — besonders radioskopische — Ergebnisse aus dem Gebiet
der Magen- und Darmuntersuchungen“. Vortr. gibt einen interessanten
Überblick über die Fortschritte in der Magen- und Darmdiagnostik,
hebt die Arbeiten von Pawloff und Bickel hervor, ferner das von
ihm und Boas eingeführte Probefrühstück u. a. m. Unter den neuren
diagnostischen Untersuchungsmethoden stellt er die Röntgenoskopie
sehr stark in den Vordergrund. Vor allem könne sie einen guten Auf¬
schluß geben über die physiologischen Verhältnisse des Magen-Darm¬
kanals und auch die Frühdiagnose des Krebses erleichtern. Selbst¬
redend spielt die Erkennung von Fremdkörpern im Verdauungskanal
in der Röntgendiagnostik eine sehr große Bolle. Diesen Vortrag ergänzte
Cohn -Berlin durch eine Reihe von Röntgenbildern des Magen-Darm¬
kanals, welche vor allem die Veränderungen der Lage und der Form des
Magens bei der Atmung zeigten. Vortr. hat deshalb das Röntgen verfahren
dadurch verbessert, daß er eine schnelle Expositionszeit einführte,
welche ermöglichte, in einer Atmungsphase die Aufnahme zu machen.
Einen ähnlichen Gegenstand behandelte Schürmayer- Berlin, näm¬
lich „Beiträge zur röntgenologischen Diagnose der Erkrankungen des
Verdauungstraktus“. Diese Unter suclmngsmethode ist erst ermöglicht
worden durch die Einführung der Rieder’schen Bismutbreitechnik, deren
genaue Innehaltung Vortr. sehr empfiehlt. Vortr. verwirft das von
vielen Autoren geübte Verfahren, durch größere Mengen von Bismutbrei
den Magen zu überlasten, da hierdurch die Normalform des Magens
verändert werden kann. Sodann demonstrierte er eine Reihe von Röntgen¬
bildern, welche die Erschlaffungszustände des weiblichen Magens
zeigten, die Pylorusinsuffizienz bei männlichen Mägen u. a. m. Im
Verein mit der Probekost nach Ad. Schmidt gibt die Ried er’ sehe
Bismutmethode auch Aufschluß über den Ablauf der Darmfunktion
sowie der Sekretionsgröße im Darme.
Ad. Schmidt-Halle spricht „über den Durchfall“. Er betont
vor allem, daß das Wesen des Durchfalls die Absonderung einer fäulnis¬
fähigen Flüssigkeit durch die Darmwandung ist, welche die erhöhte
Peristaltik auslöst. Für die medikamentöse Therapie kommen die
Opiate, die Adstringentien und die Desinfizientien in Betracht. Als
bestes Desinfizienz erwies sich das Wasserstoffhyperoxyd und zwar
in Verbindung mit Agar — Agar, das als Oxygar in den Handel
kommt.
Kionka-Jena bespricht das Thema „Einwirkung von Mineral¬
wässern auf die Darmtätigkeit“. Wasser und Mineralwasser verlassen
den nüchternen Magen verhältnismäßig rasch. Kalt genossenes Wasser
kann daher auch Kältewirkungen noch im Darm erzeugen. Ebenso
wirken auch die mit dem Mineralwasser eingeführten Salze aüf den
Darm. Durch Versuche an isolierten Darmschlingen wurde festgestellt,
daß bei der Einwirkung von Salzen, wie sie in der Lösung der Mineral¬
wässer vorliegen, eine häufig sehr starke gegenseitige Beeinflussung
der vorhandenen Ionen in bezug auf ihre Resorption im Darme statt-
Der 80. Baineologenkongreß in Berlin.
487
findet. Auch lassen sich auf die abführenden Wirkungen der Mineral¬
wässer zum Teil direkt Schlüsse ziehen. Weitere Arbeit auf diesem
Gebiete wird sicher noch weitere Resultate zeitigen.
L. Kuttner-Berlin bespricht die „Vorteile und Nachteile der
Über- und Unterernährung“. Beide Behandlungsmethoden haben ihre
bestimmten Indikationen und sollten nur bis zu einer gewissen Grenze
durchgeführt werden, aber bei beiden Kuren werde gegen diese Vor¬
schriften so oft gefehlt. Eine zu reichliche Nahrungsaufnahme, eine
Überfütterung, zeigt sich heute schon im Säuglings- und Kindesalter.
Im späteren Alter werden Über ernährungs kuren am meisten ver¬
ordnet bei Blutarmut, bei Nervosität und Hysterie, bei Rekonvales¬
zenten und im Anfang der Tuberkulose. Man könnte mit diesem V er¬
fahren gute Erfolge erzielen. Vorbedingung für eine Steigerung der
Nahrungszufuhr sei ein normales Verhalten der Verdauungsorgane.
Man muß sorgf ältig individualisieren, wie weit die Überernährung gehen
darf und ob der Patient während der Kur ruhen oder sich bewegen soll.
Eine strenge Ruhe kann oft direkt schädlich sein. Fettleibigkeit muß
vermieden werden, vor allem aber darf man es nicht bis zu einer Herz¬
schwäche in der Überernährung bringen. Besonders bei Stoffwechsel¬
krankheiten ist große Vorsicht am Platze. Mehr noch als bei Über¬
ernährungen wird bei Unterernährungen durch unzweckmäßiges Ver¬
halten geschadet. Bei Entfettungskuren soll man auf den Zustand
des Patienten die größte Rücksich nehmen, vor allem Schnellkuren
vermeiden und bei jeder Entfettungskur Muskelarbeit mit heranziehen,
da diese am sichersten einem schädlichen Eiweißverlust vorbeugt. Auch
bei den Schonungsdiäten soll man sehr vorsichtig sein, vor allem mit
der Einschränkung der Elüssigkeitszufuhr nicht zu rigoros Vorgehen,
da man damit mehr schaden als nützen kann.
Paris er -Homburg sprach über „Entfettungskuren“. Zunächst
schildert er den höchst interessanten Fall von Fettsucht nach einer Ent¬
fernung des Ovariums. Die Schilddrüse sei der eigentliche Regulator
der Oxydationsenergie für den Zellenhaushalt des Körpers. Bei der
Fettsucht, die ihren Ursprung auf die Schilddrüse zurückführt, emp¬
fiehlt Vortragender die Schilddrüsenpräparate, doch nur dann, nicht
aber bei Mastfettsucht. Selbstredend ist dabei die Entfettungsdiät nicht
zu vernachlässigen.
Gott schalk- Berlin bespricht das Thema „Balneotherapie und
Menstruation“. Er ist der Ansicht, daß man die Trinkkur während
der Menstruation ruhig fortsetzen kann, wenn er auch zugibt, daß
^mitunter blutdrucksteigernde Wirkungen durch das Trinken erzielt
werden. Bäder sollten während der Menstruation lieber nicht gegeben
werden. Als Gründe dafür gibt er zunächst die Möglichkeit einer ört¬
lichen Schädigung durch das Eindringen der Badeflüssigkeit in die
Scheide an, wobei auch pathogene Mikroorganismen ein dringen können
und während der Menstruation einen besonders günstigen Nährboden
finden. Besonders möchte Vortr. noch hervorheben, daß protrahierte
kalte Seebäder die Menstruation sistieren können. In der sehr regen
Diskussion findet der 'Vortr. mit seinen Ausführungen allseitig
Zustimmung, wobei Engelmann-Kreuznach noch das Unästhetische
des Badens während der Menstruation hervorhebt.
Determann-St. Blasien spricht über „Viskosität und Eiwei߬
gehalt des Blutes bei verschiedener Ernährung, besonders bei Vege¬
tariern“. Dabei greift er auf seine vor einigen Jahren mitgeteilten
488
Max Hirsch, Der 30. Balneologenkongreß in Berlin.
Befunde relativ geringer Blutviskositätswerte an gesunden Vegetariern
im Vergleich mit Fleisch-* resp. Gemischtessern zurück. Er fand, daß
unter den Eiweiß arten das Globulin der bei weitem zäheste Blut¬
eiweißstoff ist, daß Zucker und Kochsalzlösungen an sich kaum eine
Bolle spielen. Die an fünf Vegetariern und vier Gemischtessern vor¬
genommenen Untersuchungen der Viskositätsgröße und des Eiweißge¬
haltes des Blutes und der periodenweise eiweißreicher, eiweißarmer, fett¬
reicher Ernährung und unter relativer Hungerkost ergaben negative
Resultate. Nach einigen Bemerkungen darüber, daß die Viskosität auch
von anderen Umständen als dem Eiweißgehalt abhängt, gibt Vortr.
noch eine Übersicht der bis jetzt vorhandenen Apparate zur Prüfung
der Viskosität, wobei er seinem Apparat den Vorzug gibt und betont,
daß ein Hirudinzusatz zum Blut unbedingt notwendig ist.
Sarason-Berlin spricht über „die Bedeutung von Freilufthäusern
für Kurorte“. Vortr. demonstriert eigens konstruierte Modelle, welche
die beste Art von Freiluftwohnungen vorstellen sollen, indem die oberen
Etagen terrassenförmig zurückrücken und Balkons vor jedem Zimmer
sich befinden. Die Kombination dieser beiden Faktoren macht nach
Ansicht des Vortragenden sein System besonders wertvoll.
Engelmann-Kreuznach sprach über „die Gewinnung hochgradig
radioaktiver Salze“ aus dem Rückstände der Kreuznacher Quellen und
deren medizinische Verwertung. Vortr. hebt hervor, daß die Quellen
Kreuznachs andauernd viel radioaktive Substanzen aus dem Erdinnern
an die Oberfläche befördern. Diese finden sich hauptsächlich in dem
Sinter, der jährlich mehrere hundert Zentner beträgt, so daß der Ge-
* danke nahe lag, die Herstellung der Badiumsalze fabrikmäßig zu be¬
treiben. Die Produkte dieser Fabrikation kamen hauptsächlich für
rheumatische Leiden, Neuralgie und Ischias in Verwendung. In neuester
Zeit finden sie viel Verwendung in dem Krebsinstitut von Czerny in
Heidelberg, der sich große Hoffnungen von dem Kreuznacher Radium
macht.
Fu er s t en her g- Berlin hob in der Diskussion hervor, daß die
Emanation sehr schnell aus den Bädern entweiche und der Erfolg nach
radioaktiven Bädern sehr gering sei. Durch die intakte Haut könne
die Emanation nicht hindurchdringen. Am besten wirke Radium inner¬
lich und als Inhalation ; in letzter Form hätte er bei den Phthisikern
Temper atursteigerungen beobachtet. Zweifellos bestehe ein Zusammen¬
hang zwischen Reaktion und Besserung.
Schuster- Aachen spricht über das Thema „Ist die Kombination
von Quecksilber kuren mit Schwefelbädern rationell?“ Vortr. gibt einen
Überblick über die neueren Untersuchungen über die Aachener Kur,
d. h. die Kombination von Thermalbädern und Einreibun obskur en. Er
ist der Ansicht, daß sich die Annahme, es müsse sich bei dieser Kur
unwirksames Schwefelquecksilber bilden, nicht beweisen lasse und
kommt zu folgenden Resultaten. Die Quecksilberschwefelbadekur ist
zweckmäßig, weil dadurch eine energische Aufnahme und Ausscheidung
des Quecksilbers stattfindet, weil die Kur lange und intensiv einwirkt
und dem Aachener Thermalwasser, ein therapeutischer Einfluß auf
die Syphilis zukommt.
Lichtensite, in -Frankfurt a. 0. spricht über „Die Heilerfolge
des Aderlasses“. Auf Grund langjähriger Beobachtungen führt Vortr.
an, vom Aderlaß gute Erfolge gesehen zu haben in der Behandlung
schwerer Anämien, bei Gelenkrheumatismus, bei Lungenentzündung,
W. Zeuner, Indikationen für Vial’s Wein.
489
bei Epilepsie, bei chronischer Nierenentzündung, bei chronischen
Ekzemen, Tetanus, Pyämie, vielleicht auch bei Konstitutionsschwäche.
Ledermann-Berlin spricht über ,,die Bedeutung der Wasser-
mann’schen Serumreaktion für die Diagnostik und Behandlung der
Syphilis“. Unter 800 untersuchten Fällen befanden sich 250, die weder
klinisch noch anamnestisch für Syphilis sprachen. In all diesen Fällen
war das Untersuchungsresultat negativ. An der Hand einer ausführ¬
lichen Tabelle zeigt Vortr., daß der diagnostische Wert der Wasser-
mann’schen Reaktion ein sehr hoher ist. Der Wert der negativen
Reaktion liegt besonders jenseits des fünften Jahres zu einer Zeit, wto
man gut behandelte, seit J ahren symptomfreie Patienten bisher im
klinischen Sinne als geheilt betrachtete. Hier ist die negative Reaktion
ein Glied mehr in der Kette derjenigen Beweismittel, welche uns
erlauben, einen Syphilitiker als geheilt anzusehen. Andererseits soll
man sich in schweren Krankheitsfällen niemals beim negativen Aus¬
fall der Reaktion in seinem therapeutischen Handeln beeinflussen lassen,
wenn der klinisch begründete Verdacht einer bestehenden Syphilis vor¬
liegt. Zuverlässig ist die positive Reaktion, wobei V ortr. darauf hin¬
weist, man möge die Träger derselben, wenn sie auch lange Zeit frei
von Symptomen werden, sorgfältig beobachten, namentlich in bezug
auf ihr Nervensystem. Für die Therapie soll die positive Reaktion
allein nicht maßgebend sein, sondern nur in Verbindung mit klinischen
Methoden.
Möller -Berlin besprach die „hydriatische Behandlung der Lungen¬
schwindsucht“. Er führt au]s,, daß schon Brehmer Bäder, Abrei¬
bungen und Duschen verordnet habe. Man muß daran denken, daß ein
Teil der Lunge seine Funktion eingebüßt habe und das ein kleinerer
Teil der Lunge den Gasaustausch besorgen muß, somit der Gaswechsel,
der in der Lunge stattfindet, nicht ausgiebig genug erfolgen kann.
Deshalb muß man das andere Organ, das in der Respiration eine große
Rolle spielt, zur Hilfe heranholen, nämlich die Haut. Der Blutkreislauf
wird durch eine regere Hautzirkulation angeregt, Katarrhe werden
günstig beeinflußt und beseitigt, die Produkte des Tuberkelbazillus,
die auf den Organismus giftig wirken, werden teils beseitigt, teils ver¬
nichtet, die Schutzkräfte des Körpers gegen die Bakterien werden
durch die Erhöhung der Zellt ätigkeit gesteigert. Das Blut wird ge¬
bessert, seine Alkaleszenz erhöht, wodurch das Wachstum des Tuberkel-
bazillus wesentlich behindert wird. Die Wirkung der hydristischen
Behandlung zeigt sich in der Abnahme der Atmungs- und Pulszahl.
Hauptsächlich kommen in Frage Einpackungen, Abreibungen und
Duschen. (Fortsetzung folgt.)
Indikationen für Vial’s Wein.
Von Dr. W. Zeuner, prakt. Arzt in Berlin.
Tonika sind in allen denjenigen Fällen angebracht, wo es sich
darum handelt, die gesunkene Ernährung zu heben, vorhandene Schwäche¬
zustände zu beseitigen, also eine allgemein stärkende Wirkung als
Heileffekt zu erzielen. Die Tonika sollen durch Zuführung normaler,
aber im erkrankten oder geschwächten Organismus in verminderter
Menge vorhandener Mischungsbestandteile zu dem Blut und zu den
Geweben eine gesteigerte Bildung von Blut und Zellen hervorrufen,
sie sollen die nutritive Tätigkeit fördern, indem sie auf den Verdauungs-
490
W. Zeuner, Indikationen für Vial’s Wein.
apparat günstig ein wirken, die Verdauungssekretion normal machen
und anregen, indem sie weiter die assimilierende Tätigkeit der Magen-
und Darmschleimhaut befördern, wodurch eben eine Besserung der Blut¬
bildung sowie der Gesamternährung erreicht wird.
Vial’s Wein, ein flüssiges Nährmittel von hervorragender
Güte und von besonderem Wohlgeschmack, erfüllt die Anforderungen,
die an ein wirksames Tonikum zu stellen sind, in bester Weise, denn
er ist ein ganz vorzüglicher Chinawein, welchem Fleischextrakt und
Kalziumlaktophosphat hinzugesetzt ist. Er wirkt appetitanregend und
sehr kräftigend und wird von den Patienten gern genommen, weil
er ausgezeichnet mundet und in der Regel schon in kurzer Zeit, nach
Verbrauch von ein oder zwei Flaschen, ein wohltuendes, erwünschtes
Kräftigungsgefühl sich bemerkbar macht.
Das Präparat von Autoritäten wie Erb und Liebreich, Fischer,
Freund, Eulenburg usw. empfohlen, ist angezeigt bei allgemeinen
Schwächezuständen, bei Rekonvaleszenten nach schweren Krankheiten
und nach schweren Operationen, bei Blutarmen, insbesondere auch bei
vielen Nervenleiden, speziell bei Neurasthenie und Hysterie, bei hef¬
tiger Migräne, aber auch bei Tabes und multipler Sklerose neben son¬
stigen Kurmethoden, ferner noch bei Altersschwäche.
In zahlreichen Fällen von Tabes, bei Karzinom- und Syphilis-
Kachexien, bei schwerer Neurasthenie, nervösem Magenkatarrh,
sowie bei senilem Marasmus, in denen allen die Ernährung dar¬
niederlag und der Kräftezustand viel zu wünschen übrig ließ, habe
ich Vial’s tonischen Wein mit sichtbarem Erfolge nehmen lassen, ebenso
wie von solchen Leidenden, die wegen allgemeiner Schwächlichkeit nicht
recht gedeihen wollen, obwohl außer zeitweiliger Anämie keine beson¬
dere Krankheit weiter vorzuliegen scheint. Individuen, die durch lang¬
wieriges Krankenlager und Operationen arg heruntergekommen waren,
erholten sich nach Verordnung von Vial’s Wein zusehends, wobei es
als besonders erfreulich zu beobachten war, daß die Eßlust danach bald
zurückkehrte.
Das Präparat stellt sich für solche, die aus einem der oben ange¬
gebenen Gründe der Kräftigung bedürftig sind, als ein wirkliches
Labsal dar, es ist ein Nährpräparat in fertiger, flüssiger, angenehmer
und wohl bekömmlicher Form, welches den großen Vorzug besitzt,
den Patienten nicht überdrüssig zu werden. Vor allem ist die An¬
regung des Appetits bei seinem Gebrauch hervorzuheben, die es ermög¬
licht, hartnäckige dyspeptische Beschwerden und die mangelhafte Assi¬
milation zu beseitigen. Der spanische Edelwein, Chinarinde, Fleisch¬
saft uni Kalk-Laktophosphat führen dem Körper Stoffe zu, die nicht
nur die Schleimhaut des Magens und Darms mit ihren zugehörigen
Drüsen, sondern auch die Nervenzellen günstig beeinflussen.
Erwachsene nehmen dreimal täglich vor den Mahlzeiten je ein
Likörglas voll oder bei sehr erheblicher Störung der Ernährung ein
kleines Weinglas voll. Kindern gibt man je nach dem Alter zweimal
täglich etwa je 10 g.
Einige Krankengeschichten seien kurz beigefügt :
L. P., Kaufmannsgattin, 48 Jahre alt, in sehr schlechtem Er¬
nährungszustand. Gewicht am 1. Dezember 1906 110 Pfund. Leidet
an Neurasthenie, Globus hystericus, Schlaflosigkeit, hat künstliches
Gebiß. Luetische Infektion ab uxore vor 15 Jahren. Infolge mehrerer
Todesfälle in der Familie (der Mann starb an progressiver Paralyse,
Ascher, Breslauer Brief.
491
der Sohn durch Suicidium) ist sie meist in ganz niedergedrückter Stim¬
mung, neigt viel zum Weinen, klagt über allgemeine Unlust, Schwäche¬
gefühl, Appetitmangel, Magendrücken, Gefühl von Vollsein im Leib,
Kopfschmerzen. Zunge fast ständig etwas belegt. Verschiedene Kuren
in Badeorten, sowie zahlreiche Medikamente und Diätvorschriften
brachten keinen rechten Erfolg, während sich bei Gebrauch von Viabs
Wein bald der Ernährungszustand, sowie der Appetit und die Stimmung
besserten, so daß im Verlaufe von acht Wochen das Körpergewicht
um zehn Pfund stieg. Ordiniert wurde zweimal täglich ein Weinglas
voll Viabs Wein während der Hauptmahlzeiten.
E. L ., Ingenieur, 47 Jahre alt, wurde am 4. Februar 1907 wegen
Perityphlitis operiert, nachdem er schon vier Wochen daran krank
gelegen hatte. Bei der Operation fand sich der Blinddarm tief ins
kleine Becken retrahiert, die Dünndarmschlingen waren zu einem dicken
Konvelut verwachsen, im kleinen Becken war ein großer Abszeß, bei
dessen Eröffnung sich der übelriechende Eiter über das Peritoneum
ergoß. Die Wunde wurde tamponiert, nicht geschlossen. Prognose
infaust. Langsame, schwierige Bekonvaleszenz. Nach sechs Wochen
konnte Patient die Klinik verlassen. Der vorher wohlbeleibte, kräftige
Mann war äußerst abgemagert, ganz entkräftet, ohne Appetit. Nach
Gebrauch von fünf Flaschen Viabs Wein, wie oben verordnet, fanden
sich Appetit und Kräfte wieder ein. Gewichtszunahme in fünf Wochen
ca. 20 Pfund. Die weitere Bekonvaleszenz verlief günstig.
Frl. E. M., Schauspielerin, 38 Jahre alt, Tabes auf luetischer
Basis. Ataxie der Beine, lanzinierende Schmerzen in den Unterschenkeln,
Anästhesie der Blase. Durch achtwöchentliches Krankenlager und die
infolge der Schmerzen meist schlaflosen Nächte kam die Patientin
sehr herunter, bis Viabs Wein, der besser als viele andere Stomachika
vertragen wurde, allmählich wieder Kräftigung und Appetit brachte,
nachdem die tabischen Symptome durch andere Mittel größtenteils
behoben waren. Nach Verbrauch von acht Flaschen des tonischen Weines
stieg das Körpergewicht im Verlauf von acht Wochen um 22 Pfund.
Später verschwanden auch die Schmerzen, und die Ataxie nahm schlie߬
lich erheblich ab.
Dr. E. S., Geheimrat, 76 Jahre alt, Magen-Scirrhus und seniler
Marasmus, vertrug fast gar keine feste Nahrung bei gänzlich darnieder¬
liegender Appetenz, während nach Verordnung von Vial’s Wein, der
gern genommen wurde, sich wieder Eßlust zeigte und die gesunkenen
Kräfte sich deutlich merkbar hoben, soweit dies bei dem bösartigen
Grundleiden überhaupt möglich war. Als besonders erfreulich war
auch in diesem Falle hervorzuheben, wie der wohlschmeckende und
nahrhafte Viabs Wein die Lebensfreude bei dem schwer Kranken,
der sehr niedergeschlagen war, wieder erweckte.
Breslauer Brief.
Von Dr. Ascher.
In der am 5. Februar stattgefundenen Sitzung der schlesischen
Gesellschaft demonstrierte Zieler einen schon einmal gezeigten Malleus-
f all ; derselbe wurde mit Injektionen von Mallein und mit Böntgen-
bestrahlung behandelt. Er bekam im ganzen fünf Injektionen von
Vio — 3/ 4 Öse. Trotzdem er auf die letzte Dose noch mit Fieber reagiert
492
Ascher,
hat, ist der Prozeß zum Stillstand gekommen und kann klinisch als
geheilt betrachtet werden. ^ Es besteht ausgedehnte Narbenbildung. Die
Prognose der Dauerheilung ist dubiös. Der Vortragende schreibt den
Malleininjektionen eine energische Beschleunigung des Heilungs¬
prozesses zu.
Als Zweiter stellt Danielsen ein 12 jähriges Mädchen mit
Ösophagusstenose auf diphterischer Grundlage vor. Das Kind über¬
stand im vorigen Jahre in der medizinischen Klinik eine Diphtherie.
Bald nach der Entlassung stellte sich steigerndes Erbrechen ein. Es
konnte nur flüssige Nahrung genommen werden. Die eingeführte weiche
Sonde und die Wismutsäule im Böntgenbilde wiesen auf eine Ösophagus¬
stenose in der Höhe von 30 em hin. Analoge Fälle sind nur zwei,
von Jungnickel und Kolodzinski veröffentlicht worden. Ein
Fall war durch Perforation in das Mediastinum kompliziert. Es
handelt sich meistenteils um Gewebsnekrosen, um direkte Tiefenwir¬
kung des Bazillus.
Hier in diesem Falle trat nach zwei Seruminjektionen glatte
Heilung der Bachendiphtherie ein. Die jetzige Therapie der Stenose
besteht in Bougierung mit stärker werdenden Sonden und in Thiosin-
amininjektion. Diselbe ist jetzt für 1 cm dicke Sonden durchgängig.
Komplizierend wirkt die Absetzung der Stenose in mehreren Höhen.
In der sich anschließenden Diskussion betont v. Strümpell die
Schwierigkeit der Diagnosestellung, wobei die Sondenuntersuchung den
Ausschlag gibt. Er bespricht einen Fall, den er bei einem Kinde von
11 Jahren in Erlangen beobachtet hat. Der verstorbene Chirurg
H einicke machte die ösophagotomia externa und erweiterte die Striktur
durch Einlegen von Dauerbougies.
Gottstein sah mehrere Fälle von postdiphterischer Ösophagus¬
lähmung, auf deren Bückgang die Gastrostomie wegen Entlastung der
Speiseröhre vorzüglichen Einfluß gehabt hat.
Als Dritter stellte Ludloff einen Fall von posttraumatischer
Myositis ossificans am Ellenbogen vor. Auffallend ist hier, daß der
Vater des Patienten gleichfalls eine Myositis ossificans auf traumatischer
Grundlage hat, die ebenfalls am Ellenbogen ihren Sitz hat.
L. betont das relativ häufige Vorkommen dieser Affektion in
der hiesigen Klinik und glaubt sie auf die frühzeitige, von Mikulicz
inaugurierte, Massage des posttraumatischen Hämatoms zurückführen
zu können. Er warnt vor der Anwendung derselben. Therapeutisch
versucht er jetzt die von Koste angegebenen Fibrolysininjektionen.
Als Vierter sprach Bruck „über spezifische Behandlung gonor¬
rhoischer Prozesse“. Vortragender bespricht ausführlich die Immuni¬
tätsvorgänge, die bei der Gonorrhöe in Betracht kommen. Er bespricht
die Wassermann’schen Endotoxine und die Versuche, die man gemacht
hat, um die Gonokokken auf das Tier zu übertragen. Er hält eine
antitoxische Therapie für aussichtslos; auch sind seine Versuche mit
ambozeptorenhaltigem Gonokokkenserum ohne bemerkenswerten Erfolg
gewesen. Dagegen glaubt er mit einem von ihm her gestellten Gono-
kokkenvaccin bei gonorrhoischen Epididymitiden, Artritiden und der
Vulvo-vaginitis kleiner Mädchen Positives erreicht zu haben. Die
Verimpfung des Gonokokkenvaccins bildet ein Analogon zur Pir quet¬
schen Tuberkulosereaktion. Es tritt nach Einimpfung eine lokale
Cutisreaktion bei Gonorrhoikern auf.
Breslauer Brief.
493
In der sich anschließenden Diskussion appelliert Heißer an alle
anwesenden Kollegen, B. durch Übersendung geeigneter Fälle in seinen
Forschungen zu unterstützen. Er bezeichnet die Cutisreaktion in foren¬
sischer Beziehung als einen Fortschritt.
In der zweiten Sitzung der Breslauer chirurgischen Gesellschaft
wurde über das Thema des Dr. Ludlof'f ,,Zur operativen Behandlung der
Gelenktuberkulose“ diskutiert. L. stellte folgende Thesen auf :
1. Das tuberkulös erkrankte Gelenk ist öfter der einzige tuber¬
kulöse Herd im Körper, nach einer Sektionsstatistik von Koenig bei
21°/0 seiner Fälle.
2. Die Behandlung hat in erster Linie die Eliminierung des Krank¬
heitsherdes zu erstreben, die Erhaltung der Funktion kommt erst an
zweiter oder dritter Stelle, denn an
granulierender Tuberkulose gingen in 18 Jahren 25°/0 zugrunde
und an eitriger ,, ,, ,, 18 „ 46°/0 „
3. Jede Operation, die die Tuberkulose angreift, muß radikal
sein oder unterlassen werden. Anoperierte Fälle verhalten sich wesent¬
lich schlechter, als gar nicht operierte.
Amputation und Exartikulation sind nur als Ultimum refugium
auszuführen.
4. Knochenherde müssen operativ, leichte, rein synoviale Formen
müssen erst konservativ, gemischte Formen von vornherein operativ
behandelt werden.
5. Die Resektion am Knie, Fuß uod Ellenbogengelenk ist ein ver¬
hältnismäßig leichter und funktionell befriedigender Eingriff, die
Resektion der Hüfte ein schwerer und funktionell unbefriedigender.
6. Weder das kindliche noch das Greisenalter geben an sich Kontra¬
indikationen gegen die Resektion.
Küttner teilt den Standpunkt des Vorredners, daß, wenn man
operiert, man unbedingt radikal operieren müsse ; Rücksicht auf die
Funktion des betreffenden Gliedes kommt erst in zweiter Reihe. Er
ist von den subperiostalen Gelenkresektionen abgekommen, weil sie
eine totale Entfernung des Herdes nicht möglich machen. Er wendet
häufig die sogenannte Frühoperation an, die in der Entfernung benach¬
barter Knochenherde besteht, bevor sie das Gelenk in Mitleidenschaft
ziehen. Die Röntgenaufnahme in verschiedenen Richtungen bestimmt
den Eingriff. Er verwirft die Resektion jenseits des 50. Lebensjahres
und behandelt konservativ oder amputiert im äußersten Falle. Er
kommt mehr und mehr von der konservativen Therapie ab, da die
Heilungen bei langer Beobachtung unbefriedigende Resultate geben.
Bei konservativer Behandlung bevorzugt er die Jodoformtherapie. Er
hat bei Abszessen und bei diffusen synovialen Formen gute Resultate
erreicht. Er benutzt 10°/0 Jodoformmandelöl.
Hüft- und Handgelenk sind nach seiner Erfahrung für die konser¬
vative Behandlung geeignet. Schulter-, Knie- und Fußgelenk müssen
operativ angegriffen werden. Das Ellbogengelenk ist individuell ver¬
schieden.
Bei der konservativen Behandlung der Coxitis wird der Gips¬
verband angewendet, fehlerhafte Stellungen werden evtl, durch Oste¬
otomie korrigiert.
494
Ascher,
Bei der Tuberkulose des Fußgelenkes wendet er die Resectio tibio-
calcanea nach v. Bruns an, bei der des Schultergelenkes das Barden¬
heu er’sche Verfahren.
Bei der Tuberkulose des Handgelenkes ist trotz Ausheilung des
Herdes auffallenderweise die Prognosis (quoad vitam) wegen Ausbrei¬
tung des Prozesses zu fürchten.
Parts eh will doch mehr die konservative Therapie berücksichtigt
wissen. Daß in 21°/0 der Fälle die lokale Tuberkulose der einzige
Herd sei, beruht doch nur auf dem nicht sofortigen Erkennen der affi-
zierten Stellen. Man muß mit der Diagnose rein synovialer Form der
Tuberkulose vorsichtig sein, weil öfter ein kleiner Knochenherd in der
Nähe liegt, der übersehen wird. Außerdem sei eine konservative Be¬
handlung ein Indikator für die Operation, da Aufhören der Schmer¬
zen, Wohlbefinden, Appetit usw. bei derartig chronisch Erkrankten
nicht gering bewertet werden dürfen.
Drehmann bemerkt, daß bei Kindern die Knochentuberkulose
sehr selten der einzige Herd im Körper ist. Hier soll möglichst eine
konservative Therapie herrschen. Zur Entlastung empfiehlt er den
Hessing’schen Apparat, aber nur, wenn er vom technisch geschulten
Arzte selbst angepaßt und gewechselt wird.
Methner schließt sich seinem Vorredner an und spricht gegen
Resektionen im Kindesalter. Als Altersgrenze betrachtet er das 14.
bis 15. Lebensjahr. Nach dem 15. Lebensjahr ist die Aussicht, daß
das tuberkulöse Gelenk, der einzige Krankheitsherd im Körper sei,
viel sicherer. Auch ist eine Kombination der Erkrankung mit here¬
ditärer Lues im Auge zu behalten, was für die einzuschlagende Therapie
von Wichtigkeit sein kann.
Goebel empfiehlt die vorbereitende Jodoformbehandlung vor
operativen Eingriffen. Es tritt eine Aktivierung der Leukozyten
des tuberkulösen Eiters auf, die die Reaktionsfähigkeit des Körpers
erhöht. Er steht auf dem Standpunkt, die Tuberkulose des späteren
Alters für eine relativ gutartige zu halten.
Tietze sprach sich darüber, jedem Gelenk eine besondere Pro¬
gnose und Therapie zu stellen, beifällig aus: Schon Mikulicz hat
darauf hingewiesen. Er selbst legt auf die spätere Funktionsfähigkeit
ein größeres Gewicht. Auch glaubt er den sozialen Verhältnissen
Rechnung tragen zu müssen, wenn es sich um konservative Therapie
handeln sollte. Er spricht gegen die Auffassung Ludloff’s, im Kindes¬
alter ohne weiteres zu resezieren. Er hat mit konservativer Behandlung
gute Resultate zu verzeichnen. (Demonstration.)
Selbst spontane Heilungen unter miserablen sozialen' V erhältnissen
gehören nicht zu den Seltenheiten. Deshalb kommt er zu dem Schluß:
„Im Kindesalter ist die konservative Behandlung die Regel, die opera¬
tive die Ausnahme.
Im Schlußwort betont L., daß er gerne den konservativen Stand¬
punkt der Vorredner teilen möchte, doch habe er den Verdacht, daß
die so schön ausgeheilten Fälle von Tuberkulose gar keine Tuberkulose
gewesen seien.
Auch das Röntgenbild schützt hier nicht vor diagnostischen Irr-
tümern. Innerhalb von vier Jahren hat er
Breslauer Brief.
495
311 Spondylitiden
230 Coxitiden
124
Tuberculos
genu.
44
V
pedis
31
n
cubiti
41
V
man us
14
n
(caries sicca) behandelt.
Bei Nachprüfung der Fälle zeigte sich ein großer letaler Aus¬
gang: Deshalb warnt er vor der „allzu konservativen“ Methode. Er
kann den Standpunkt von Part sch, so lange konservativ zu behandeln,
solange man den Eindruck einer Besserung hat, nicht teilen. Das
ist oft ein trügerisches Phänomen. Multilokuläre Tuberkulose auf
chirurgischem Wege anzugreifen ist wenig aussichtsvoll. Da soll die
Czerny’sche Methode Platz greifen. Er empfiehlt statt des Hessing-
schen Apparates den un abnehmbaren Gipsverband. Von der Jodoform¬
glyzerininjektion erwartet er nur bei den Gelenken der oberen Extremi¬
tät eine günstige Beeinflussung, sonst hat sie nach seinen Beobach¬
tungen versagt.
Als Erster stellt Drehmann zwei Fälle von Coxa vara adolescen-
tium vor.
Dem schließt sich Tietze mit einem Vortrag über „Magenschuß“
an. Bei der Demonstration fragt er an, wie Küttner sich zur Frage
der Schußverletzung des Bauches im Frieden stellt. Er berichtet dann
über vier Fälle:
1. Fall (Demonstration). Magenschuß mit Verletzung des linken
Leberlappens.
2. Fall. Perforation einer Dünndarmschlinge mit lokaler Peri¬
tonitis.
3. Fall. Perforation einer Dünndarmschlinge mit lokaler Peri¬
tonitis.
Fall 1 — 3 sind operiert worden. (Heilung.)
4. Fall. Schuß Verletzung des Magens mit Browning-Pistole (nicht
operiert). Es bestand zirkumskripte Peritonitis. (Heilung.)
Küttner will einen strengen Unterschied zwischen Schußver¬
letzung im Kriege und im Frieden gemacht wissen. Im ersten Falle ist
wegen ungünstiger äußerer Verhältnisse die Laparotomie tunlichst zu
vermeiden. Im Frieden soll man so früh wie möglich operieren.
Picht er präzisiert den Unterschied von Friedens- und Kriegs¬
schußverletzungen in bezug auf Größe und Pasanz der Geschosse und
ihrer Verletzungen. Er gibt die genaue Schilderung eines Falles, wo
ein Schuß aus einem Mausergewehr den gefüllten Magen eines Soldaten
traf und wo die Nachbarorgane durch den hydraulischen Druck zum
großen Teil zerrissen wurden.
Gottstein betont die Wichtigkeit der sofortigen Operation unter
günstigen Verhältnissen an der Hand eines Falles, wo der Schuß die
A. coron. ventric. verletzt hatte. Nach Unterbindung sistierte die
Blutung. (Heilung.)
Als Fünfter sprach Goldenberg unter dem Titel „Beiträge zur
Gehirnchirurgie“ ;
a) Demonstration eines Falles von operiertem tuberkulösem Klein¬
hirnabszeß.
Es handelte sich um einen kleinapfelgroßen Herd, der auffallender¬
weise keine Erscheinungen gemacht hatte. Eine Erklärung dafür kann
496
Vorläufige Mitteilungen und Autoreferate.
nur in dem Fehlen des darüber liegenden Knochendaches (Einschmelzung)
und Ausgleich des Druckes herangezogen werden.
b) Demonstration eines Falles von operiertem Gehirnschuß.
c) Bericht über einen am Sitzungstag früh fünf Uhr operierten
Gehirnschuß.
Als Sechster spricht Fo er st er über das Thema „Beiträge zur
Gehir nchir ur gie ‘ ‘ .
In der sich anschließenden Diskussion betont Landmann, daß
bei allen Verletzungen der Augenspiegelbefund nichts Besonderes bot.
Einmal bei Verletzung des Optikus trat am zehnten Tage plötzlich
die Atrophie des Sehnerven auf.
Vorläufige Mitteilungen u. Autor eferate.
Ueber das Elektrokardiogramm.
Von Prof. H. E. Hering, Prag.
(Autoreferat nach einem in der Wissenschaftlichen Gesellschaft deutscher Arzte in
Böhmen am 26. Febr. 1909 gehaltenen Vortrage.)
Daß das Herz bei seiner Aktion elektrische Ströme entwickelt,
ist seit mehr als einem halben Jahrhundert bekannt. Während man
aber früher die Ableitung dieser Aktionsströme immer direkt vom
Herzen vornahm, fand im Jahre 1887 der englische Physiologe A. D.
Waller, daß man auch am un) vier letzten Tiere die Ströme des Herzens
nachzuweisen vermag, wenn man von bestimmten Stellen des Körpers
ableitet. Damit war die Möglichkeit gegeben, auch die Aktionsströme
des menschlichen Herzens abzuleiten, und es hätte schon damals die
elektrographische Methode in die Klinik eingeführt werden können,
wenn sie technisch vollkommener gewesen wäre. Das Kapillar elektro-
meter von Lippmann, welches Waller benutzte, gibt jedoch die
raschen, rhythmisch wiederkehrenden elektrischen Schwankungen so
ungetreu wieder, daß man erst durch umständliche Messungen und
Berechnungen aus der photographisch registrierten Kurve sich jene Kurve
konstruieren muß, deren Form den möglichst genauen Ausdruck der
wirklichen Potentialschwankungen darstellt.
Da kam W. Einthoven im Jahre 1903 auf den Gedanken, das
Prinzip eines neuen Registrier apparates für submarine Kabel, den ein
französischer Telegrapheningenieur, Ader, schon im Jahre 1897 an¬
gegeben hatte, zum Zwecke der Registrierung der Aktionsströme zu
benutzen. Indem er jenen Apparat in vorzüglicher Weise noch ver¬
feinerte und für seine Zwecke modifizierte, konstruierte er das Saiten¬
galvanometer, welches das beste Instrument ist, welches wir bis jetzt
besitzen, um die Aktionströme des Herzens möglichst getreu zu ver¬
zeichnen.
Verbindet man die Saite dieses Instrumentes, welche aus einem
bis unter 0,003 mm dünnen, versilberten Quarzfaden besteht, z. B. mit
den beiden Händen des Menschen, so zeigt das durch Vergrößerung
und Projektion sichtbar zu machende Saitenbild Excursionen im Rhyth¬
mus des Herzschlages, welche sich photographisch reproduzieren lassen.
Die auf diesem elektrographischen Wege gewonnene Kurve bezeichnet
man als Elektrokardiogramm.
Letzteres besteht beim Menschen im wesentlichen aus drei Zacken,
Vorläufige Mitteilungen und Autoreferate.
497
von welchen eine Zacke (P) der Vorkammerkontraktion, zwei Zacken
(B nnd T) der Kammerkontraktion ihre Entstehung verdanken. Das
steht ganz fest. Warum jedoch die Kammerkontraktion zwei Zacken
und nicht nur eine veranlaßt, das wissen wir bis jetzt nicht.
Gotch, der am Froschherzen experimentierte, hat im Jahre 1907
für das Auftreten der Zacke T folgende Erklärung gegeben : Die Er¬
regung geht in der Kammer von der Basis und zwar von ihrem Vor¬
hofabschnitt zur Spitze und dann von dort zurück wieder zur Basis
und zwar zum aortalen Teil derselben. Nikolai hat diese Anschauung
auf das Säugetierherz übertragen.
Die Zacke T zeigt schon bei verschiedenen normalen Menschen
Verschiedenheiten, welche sich besonders in ihrem Größen Verhältnis
zur Zacke B ausdrücken. Während T zumeist kleiner als B ist, kommt
es aber auch vor, daß Ts bei normalen menschlichen Herzen ebenso
groß als B oder größer als B wird, ja es kann einundeinhalbmal
größer sein als B, was die sieben projizierten Elektrokardiogramme
normaler Menschen alles deutlich erkennen lassen. Die Ableitung er¬
folgte hierbei immer von den beiden Händen. Nimmt man bei dieser
Ableitung das Elektrokardiogramm eines und desselben Menschen bei
verschiedener Körperlage (Bückenlage, Bauchlage, linke und rechte
Seitenlage, Stehen) auf, so ändert sich das Elektrokardiogramm nicht
prinzipiell, aber es sind die Zacken in der linken Seitenlage am klein¬
sten, beim Stehen am größten. Unter abnormen Verhältnissen kann
die Form, die Größe, die Zahl, das zeitliche Verhältnis und die Bich-
tung der Zacken sich ändern.
Es fragt sich nun, wie wir uns über die Bedeutung dieser Ände¬
rungen Aufklärung verschaffen können. Es gibt da drei Möglichkeiten :
Klinische Beobachtung, Sektionsbefund und Tierexperiment. Es ist
klar, daß letzteres hier an erster Stelle steht. Daher habe ich mich
auch hauptsächlich mit der experimentellen Analyse des patholo¬
gischen Elektrokardiogramms beschäftigt. Für diese ist es nun schon
sehr hinderlich, daß wir bei der gleichzeitigen mechanischen Begistrie-
rung der verschiedenen Abteilungen des Herzens kein mechanisches
Äquivalent, wenn man so sagen darf, für die Zacke T kennen. Über¬
haupt ist zu sagen, daß wir alle jene Zacken. und deren Verände¬
rungen, für welche wir kein mechanisches Äquivalent be¬
sitzen, bis jetzt nicht zu deuten vermögen.
Das Elektrokardiogramm zeigt uns in verschiedener Hinsicht
mehr als die mechanische Begistrierung, und darin besitzt die elektro-
graphische Begistriermethode ein Übergewicht über die bekannten
mechanischen Begistriermethoden der Flerztätigkeit ; andererseits ver¬
mögen wir aber bis jetzt, wie erwähnt, die Veränderungen des Elektro¬
kardiogramms ohne gleichzeitige Kenntnis des jeweiligen mechanischen
Äquivalentes nicht sicher zu deuten; dadurch verliert jenes Übergewicht,
wenigstens vorläufig etwas an Bedeutung. Immerhin macht uns das
abnorm gestaltete Elektrokardiogramm (tadellose Technik vorausgesetzt)
auf ein verändertes Geschehen aufmerksam.
Die Elektrokardiogramme der 40 Projektionsbilder, die ich jetzt
demonstrieren will, wurden an Hunden, Katzen und Kaninchen ge¬
wonnen; die Tiere waren kurarisiert und wurden künstlich ventiliert;
der Thorax war geöffnet, um mit dem Elektrokardiogramm gleichzeitig
die Suspensionskurven des rechten Vorhofes und der rechten Kammer
zu verzeichnen ; außerdem war eine Karotis mit einem Tonometer ver-
32
498 Vorläufige Mitteilungen und Autoreferate.
bunden, so daß man auch über die Tätigkeit der linken Kammer Auf¬
schluß erhielt. Die Ableitung zum Galvanometer erfolgte von den
beiden Vorderpfoten.
Kommt es bei Vagusreizung zum Kammersystolenausfall, so fehlen
die Kammerzacken und es tritt nur die der Vorhof kontraktion ent¬
sprechende Zacke P auf. Treten andererseits bei der Vagusreizung
automatische Kammerschläge auf, die sich bekanntlich dadurch aus¬
zeichnen, daß ihnen keine Vorhofkontraktion vorausgeht, so fehlt auch
die vorausgehende Zacke P und es treten bei dem automatischen Kammer¬
schlag nur die Kammerzacken auf.
Kommt es bei der Vagusreizung zu abgeschwächten Kammer¬
systolen, dann kann die Größe der Ausschläge des Kammerelektro¬
kardiogramms sehr verschieden sein von der Größe der mechanischen
Kurve und zwar in dem Sinne, daß erstere bedeutend größer sein können
als letztere.
Bei Vagusreizung, aber auch ohne diese kann P zweizackßg
werden, was wahrscheinlich auf die sukzessive Aktion des rechten und
linken Vorhofes zu beziehen ist.
Bei atrioventrikulärer Schlagfolge sieht man das Intervall P — B
bedeutend kleiner werden ; es kann dann statt 0,1 Sek. nur 0,02 Sek.
betragen. Bei rückläufiger Schlagfolge, bei der die Kammern vor den
Vorhöfen schlagen, folgt P der Zacke B nach; sie ist dann zwischen
B und T eingeschaltet.
Besonders eingehend habe ich mich mit der Aufnahme von Elektro¬
kardiogrammen bei Herzalternans beschäftigt; letzterer wurde durch
Glyoxylsäure hervorgerufen.
Der Kammeralternans prägt sich sowohl an der Zacke B als
auch an der Zacke T aus ; gewöhnlich zeigt er sich an beiden Zacken
gleichzeitig, er kann jedoch auch nur an B oder nur an T zu sehen
sein. Fernerhin kann der Alternans des Elektrokardiogramms und der
Alternans der mechanisch registrierten Kurven gegensinnig sein,
indem die kleinen Kurven hier den größeren dort entsprechen und
umgekehrt.
Bei rückläufiger Schlagfolge zurzeit des Kammeralternans kann
man eine Spaltung der Zacken B und T beobachten, was vielleicht
auf eine sukzessive Aktion der beiden Ventrikel hindeutet. —
Auf Grund dieser Experimente ist zu sagen, daß wir wohl imstande
sind, viele Veränderungen im Elektrokardiogramm an der Hand der
mechanisch registrierten Kurven zu erklären ; fehlt uns aber bei geän¬
derten Elektrokardiogramm eine entsprechende Veränderung in der
mechanisch registrierten Kurve, dann sind wir, wie schon erwähnt,
oft nicht imstande, jene Änderung zu erklären. So fehlt uns bis
jetzt das mechanische Äquivalent für das Negativwerden
von P, B oder T bei un geänderter Ableitung. Besonders leicht
kann T negativ werden. Die Zacke T ist überhaupt diejenige, welche
am häufigsten Änderungen aufweist, was klinisch gewiß von Bedeu¬
tung ist.
Solange wir jedoch nicht wissen, wie die Zacke T zustande kommt,
haben vorläufig ihre Veränderungen, wie überhaupt fast alle Ver¬
änderungen des Elektrokardiogramms ohne entsprechendes mechanisches
Äquivalent, nur allgemeinen Andeutungswert, d. h. sie deuten
uns ganz allgemein ein verändertes Geschehen an, ohne uns jedoch
im Spezielleren zu sagen, was sich am Herzen geändert hat.
Vorläufige Mitteilungen und Autoreferate.
499
Durch diesen allgemeinen Andeutungswert des abnormen Elektro¬
kardiogramms ohne mechanisches Äquivalent dokumentiert aber gerade
die elektrographische Methode ihr Übergewicht über die mechanischen
Registriermethoden.
Die Wirkung der ultravioletten Lichtstrahlen auf das Auge.
Von Dr. Fritz Schanz und Dr. Ing. Stockhausen in Dresden.
Nach einem in der Gesellschaft für Natur- und Heilkunde zu Dresden am 13. März 1908
gehaltenem Vortrag.
Die ultravioletten Lichtstrahlen vermögen am Auge ebenso wie
an der Haut Entzündungen hervorzurufen. Bei Leuten, die viel der
direkten Einwirkung des Sonnenlichts ausgesetzt sind, kommt es
neben Bräunung der Haut oft zu Rötung der Augen und Erscheinungen
des chronischen Bindehautkatarrhs. Stadtbewohner bekommen bei Par¬
tien durch besonders sonniges Gelände, bei Schnee-, Wasser- und Berg¬
sport akute Reizungen am äußeren Auge. Bei Hochgebirgstouren können
sich neben den Reizungen der Haut (Gletscherbrand) die Entzündungen
am Auge so steigern, daß die Betroffenen „schneeblind“ werden.
Mit künstlichem Licht lassen sich dieselben Erscheinungen am Auge
hervorrufen. Sie werden am häufigsten bei Arbeiten an elektrischen
Bogenlampen beobachtet, man bezeichnet dieselbe Erkrankung dann
als „elektrische Ophthalmie“.
Die ultravioletten Strahlen dringen aber auch in das Augeninnere
ein. Sie veranlassen lebhafte Fluoreszenz der Linse und Netzhaut.
Widmark hat die Frage aufgeworfen, ob nicht bei der Fluoreszenz
der Linse durch Umsetzung der Energie im Laufe des Lebens Ver¬
änderungen in derselben erzeugt werden, die im Alter in der Form
des Altersstars zum Ausdruck gelangen. Er konnte auch leichte Trü¬
bung der Linse am intensiv belichteten Auge feststellen, wenn er sie
mit derjenigen des nichtbelichteten Auges verglich. Ferner spricht
für seine Annahme, daß die Glasmacher, die besonders intensiv der
Lichteinwirkung ausgesetzt sind, im frühzeitigen Alter an einer ihnen
eigentümlichen Starform erkranken, und daß Prof. Hess nach inten¬
siven Belichtungen in der Linsenkapsel mikroskopische Veränderungen
nachweisen konnte. Auch die Netzhaut wird durch ultraviolette Strah¬
len gereizt. Die ultravioletten Strahlen werden dem normalen Auge
unter Umständen sichtbar und in erhöhtem Grade kann sie der Star¬
operierte wahrnehmen. Die Erscheinungen der Erythropsie sind auf
ihre Wirkung zu beziehen, ebenso die Earbensinnstörungen, die Prof.
Birch-Hinsc'hfeld*) an Arbeitern bei Quecksilberdampflicht feststellen
konnte. Dem letzteren ist es auch gelungen, die durch diese Strahlen
veranlaßten anatomischen Veränderungen in der Netzhaut mikroskopisch
festzustellen, sie bestehen in Veränderungen in den Ganglienzellen und
in den Körnerschichten.
Da die ultravioletten Strahlen auf verschiedene Augenteile ver¬
schieden einwirken, suchte Schanz und Stockhausen nachzuweisen,
welchen Spektralbezirken die Strahlen angehören, die die verschiedenen
Erscheinungen hervorrufen. Sie haben zu diesem Zweck die Augen¬
teile zwischen zwei Quarzplatten gebracht, sie mit dem Licht einer
Bogenlampe belichtet und das austretende Licht mit einem Quarz-
*) Siehe auch Fortschritte der Medizin, Nr. 9, 1909. Anm. d. Red.
32*
500
Vorläufige Mitteilungen und Autoreferate.
spektrographen zerlegt. Sie kamen dabei zu folgenden Ergebnissen :
Die ultravioletten Strahlen von 3:00 — 375 /u/u Wellenlänge veranlassen
die Fluoreszenz der Linse und der Netzhaut und sie können allein
für die Veränderungen in der Netzhaut verantwortlich gemacht werden.
Die ultravioletten Strahlen von 375 — 320 ßß Wellenlänge sind an der
Fluoreszenz der Linse nur wenig beteiligt, sie werden von ihr intensiv
absorbiert, sie werden die nachgewiesenen Veränderungen hervorrufen.
Die ultravioletten Strahlen von weniger als 320 ßß Wellenlänge werden
schon von der Hornhaut absorbiert und erzeugen in erster Linie die
Veränderungen am äußeren Auge.
Brillengläser bieten keinen genügenden Schutz, sie absorbieren
nur die Strahlen von weniger als 300 ßß Wellenlänge. Die ungeeig¬
netsten Schutzbrillen sind die blauen, sie sind besonders durchlässig
für ultraviolette Strahlen. Auch die grauen lassen in ihren schwachen
Nummern noch viel Ultraviolett hindurch. Die sogen. Jagdgläser (gelb¬
braun) absorbieren am besten im Ultraviolett. Darauf beruht wahr¬
scheinlich ihre Wirkung. Sie vermindern die Fluoreszenz der Linse
und Netzhaut und erhöhen dadurch die Schärfe des Lichteindrucks
auf die Netzhaut, außerdem halten sie die Ermüdung der Netzhaut
dadurch auf, daß sie das Fluoreszenzlicht von ihr abhalten. Die
Fieuzal-, Enixanthos- und Hailauergläser schwächen gleichzeitig die
sichtbaren Strahlen mehr als die Jagdgläser und sind ihnen gegen¬
über im Nachteil. Die Euphosgläser bieten den ultravioletten Strah¬
len gegenüber aber einen noch besseren Schutz als die gelbbraunen
Jagdgläser. Dieselben sind gelbgrün gefärbt. Die schwachen Num¬
mern reichen da aus, wo die Augen nicht ganz intensivem Licht aus¬
gesetzt sind. Die stärkeren Nummern sind so abgepaßt, daß sie die
ultravioletten Strahlen einer Bogenlampe von 10 Ampere vollständig
absorbieren; sie eignen sich für Wasser-, Schnee- und Bergsport. Für
Staroperierte, denen die Linse, das Hauptschutzorgan gegen die ultra¬
violetten Strahlen, aus dem Auge entfernt ist, dürften solche Brillen¬
gläser besonders angebracht sein.
Für kranke Augen und für Arbeiter an Schmelzöfen usw. sind
Brillen zu empfehlen, bei denen die sichtbaren Strahlen gleichzeitig
nach Art der rauchgrauen Gläser gleichmäßig geschwächt werden.
Gegen die ultravioletten Strahlen unserer künstlichen Lichtquellen
bedürfen wir auch eines Schutzes. Das Licht der künstlichen Licht¬
quellen wird, wie Schanz und Stock hausen gezeigt haben, immer
mehr durch ultraviolette Strahlen verunreinigt. Die Industrie steigert
die Temperatur der Leuchtkörper und erreicht damit, daß das Licht
qualitativ immer reicher an ultravioletten Strahlen und damit immer
schlechter wird. Man würde aber das Licht unserer künstlichen Licht¬
quellen verbessern, wenn man sie mit Glashüllen umgeben würde, die
die ultravioletten Strahlen in erhöhtem Maße absorbieren. Einen
solchen Schutz bietet das Euphosglas, aus dem jetzt alle möglichen
Lampenhüllen hergestellt werden. Ein solcher Schutz ist um so not¬
wendiger, da wir bei der künstlichen Beleuchtung unsere Augen viel
mehr der direkten Bestrahlung aussetzen. Bei dieser kommen die
natürlichen Schutzmittel unseres Auges weniger zur Geltung und die
Beinigung des Lichts durch diffuse Beflektion, die beim Tageslicht
eine große Bolle spielt, fällt weg.
Referate und Besprechungen.
501
Ueber Coxa valga congenita.
Von Dr. C. Springer, Priv.-Doz. für Chirurgie.
(Vortrag in der Wissenschaftl. Gesellschaft deutscher Ärzte in Böhmen. 26. 2. 1909.)
Steilstellungen des Schenkelhalses wurden bisher meist nur im
Zusammenhänge mit anderen Deformitäten, nach hohen Amputationen,
Osteomyelitis usw. beobachtet, als selbstständige Erkrankung außer
nach Halsfrakturen in einzelnen Fällen. In einem solchen, vom Vor¬
tragenden gefundenen (öjähr. £), bestand, seit das Kind zu normaler
Zeit zu laufen anfing, eine eigentümliche Unsicherheit des Ganges, der
mit seitlichen Schwankungen in der Lendenwirbelsäule erfolgte, ganz
ähnlich wie bei einer angeborenen Hüftluxation bei der die Reposition
nur eine exzentrische Einstellung erreichte. Beweglichkeit in der Hüfte
kaum in einer Richtung eingeschränkt. Auffällig war ferner Flachheit
des Beckenkontur s durch Steilstellung der Darmbeinschaufeln ; Tro¬
chanterspitzen standen in RN-Linie, die Resistenz der Köpfe in inguine
war etwas höher und nach außen vom Femoralispulse zu fühlen.
Die Röntgenaufnahme in Normalstellung: (Beine aneinander ge¬
legt, Patellae nach oben sehend) zeigte eine Erweiterung des Schenkel¬
hals-Neigungswinkels auf 160°, bei Innenrotation derselben auf 142°.
Letztere sind sein wirkliches Maß, gegenüber der Norm eine beträcht¬
liche Vergrößerung. Der große Unterschied durch die beiden Meßarten
beweist zugleich, daß eine abnorm starke Anteversion des Schenkel¬
halses besteht. Außerdem zeigten sich die Pfannen sehr flach, das
Pfannendach steil aufstrebend, die Darmbeine ohne die Schwingung
nach außen. Der Befund : Flachheit der Pfanne, steil aufsteigende
Kämme, starke Anteversion ist der Coxa valga gemeinsam mit der
angeborene Hüftluxation. Vortr. weist darauf hin, daß bereits im
Jahre 1906 Drehmann und er gleichzeitig und unabhängig voneinander
die Vermutung aussprachen, beide Verbildungen stünden einander nicht
nur im Wesen, sondern auch genetisch nahe. Abnorme Haltung des
Foetus in utero, etwa Ausbleiben der Adduktion bei Flexion der Beine
(Peiser) könnte zur Erklärung herangezogen werden.
Therapeutisch ist im Falle des Vortr. bei der Geringfügigkeit
der Gebrauchsstörung vorläufig nichts beabsichtigt. Osteotomien könn¬
ten nur in den schwersten Fällen erlaubt erscheinen; am ehesten wmrde
der Versuch plausibel erscheinen, für einige Monate in frontaler Ab¬
duktion einzugipsen, analog der Verbandstellung bei Hüftluxation,
um zunächst eine Kontraktur, später eine Vertiefung der Pfanne zu
erreichen. Nach der Erfahrung aber, daß Subluxation mit schlechterem
Erfolge operiert werden als komplette angeborene Luxationen, verspricht
sich Vortr. auch von diesem Vorgehen nicht viel. Autoreferat.
Referate und Besprechungen.
Physiologie.
Über Bau und Funktion des Eileiterepithels beim Menschen und bei
Säugetieren.
(Schaffer, Wien. Monatschr. für Geburtshilfe u. Gyn., S. 526 u. 666, 1908.)
In einer sehr fleißigen Arbeit, welche im 2. Teile an der Hand einer
vollständigen Literaturübersicht eine genaue Darstellung des gegenwärtigen
Standes dieser Frage bringt, revidiert Sch. die bisher herrschenden An-
502
Referate und Besprechungen.
sichten über die histologische und histochemische Beschaffenheit des Eileiter¬
epithels. i ‘
Sch. fand hei der Kaninchen tube neben den flimmer tragenden Zellen
hohe heulen-, birn-, oder kelchglasförmige Zellen mit körnigem Inhalte, der
starke Basophilie zeigt. Zwischen den gekörnten („sezernierenden“ oder
,,Drüsen“-)Zellen und den Flimmerzellen finden sich noch alle möglichen
Zwischenformen, die Sch. zum Schlüsse veranlassen, daß die Drüse nzellen
keine Gebilde sui generis, sondern durch Funktionswechsel aus Flimmer¬
zellen hervorgegangen sind. Die Tuben von Meerschweinchen, weißen Ratten,
Mäusen, Katzen, Pferden, Schweinen, Kühen, Ziegen und Affen zeigen im
allgemeinen ähnliche Epithelverhältnisse, deren Einzelbeschreibung im Ori¬
ginale nachzulesen sind.
Am menschlichen Eileiter unterscheidet Sch. 3 Hauptgruppen von Zellen:
vollentwickelte Flimmerzellen, vollkommen flimmerlose Zellen und Übergangs¬
formen. Den flimmerlosen Zellen sind am freien Ende gröbere Körnchen
eingelagert, die sich von den entsprechenden Gebilden der Kaninchentube
durch fehlende Basophilie unterscheiden. Bei den Übergangsformen finden
sich ungleichmäßige Längenabnahme der Zilien, die sich ab und zu in eine
propfartige Masse verwandeln oder gänzlich verschwinden, ferner eine ober¬
flächliche Lage rundlicher Körner, wohl Reste des Basalknötchensaumes, und
das Auftreten von Körnchen im oberen Teile des Zelleibes. Aus diesen
Befunden schließt Sch., daß auch bei der menschlichen Tube die flimmer¬
losen Zellen wiederum durch Funktionswechsel aus Flimmerzellen entstanden
sind. Die in der Literatur vielfach vertretene Ansicht von einem ganz gleich¬
mäßigen Flimmerbesatz des Tubenepithels ist demnach nicht zutreffend.
Frankenstein (Köln).
lieber die Selbständigkeit des Gehirns in der Regulierung seiner Blut¬
versorgung.
(Ernst Weber. Engelmann’s Archiv für Physiol., S. 457 — 536, 1908.)
Yerf. hat an mehr alsi 300 Tieren die Blutfülle, das Volumen jeder
der beiden Hemisphären gleichzeitig mit Hilfe von zwei Onkometern ge¬
messen und damit auch Blutdruckmessungen in der Femoralis, plethysmo¬
graphische Bestimmungen aller Art verbunden.
Die Resultate der ungemein interessanten Arbeit sind nicht ganz leicht
zusammenzufassen. Verf . selbst präzisiert sie etwa folgendermaßen :
1. Im Vagus und Halssympathikus verlaufen, individuell ganz ver¬
schieden gemischt, pressorische und depressorische Fasern. Die anatomische
Konfiguration gibt keinen Anhalt für die physiologische Bedeutung ; so
können z. B. zufällig einmal alle wirksamen Sympathikusfasern im Vagus
verlaufen (S. 477).
2. Während bei Depressorreizung alle von Vasomotoren versorgten Ge¬
fäße des Körpers sich erweitern, erwies sich das Gehirn [ebenso wie die
Lungen] unabhängig vom sog. Vasomotorenzentrum.
3. Im Vago-Sympathikus verlaufen Fasern, welche das Hirnvolumen
vergrößern und solche, die es verkleinern. Bei länger dauernden Versuchen
überwiegt der erstere Effekt; mithin ein Gegensatz zu den Beobachtungen,
wonach die sog. Vasodilatatoren schneller ermüden.
4. Einen Tonus besitzen die im Vago-Sympathikus verlaufenden
Fasern nicht.
5. Zerstörung des sog. Vasomotorenzentrums hiebt die Wirkung der
Vago-Sympathici aufs Gehirn nicht auf, allerdings beobachtet man danach
viel häufiger Vergrößerung des .Gehirns als Verkleinerung.
6. Nach Nikotinisierung erfolgt nur noch Volumenzunahme des Gehirns,
dagegen ist der Effekt der Verminderung des Volumens, welche Webey
der herrschenden Anschauung gemäß einer primären Verengerung der Gefäße
zuschreibt, aufgehoben.
7. Der allgemeine Blutdruck hat keinen Einfluß auf das Gehirnvolumen.
Referate und Besprechungen.
503
8. Erregung aller peripheren sensiblen Nerven kann eine beträchtliche
Zunahme des Gehirnvolumens bewirken; dieselbe wird schnell von einer
energischen Abnahme abgelöst, und zwar vermag die dazu erforderliche
motorische Kraft eine erhebliche Blutdrucksteigerung zu überwinden.
9. Die Effekte der Sympathikusreizung sind jedesmal an beiden Hemi¬
sphären gleich, ebenso wenn der Reiz an irgend einer beliebigen Stelle der
Hirnrinde wirkt.
10. Erstaunlich ist, daß die Volumenschwankungen des Gehirns ein-
treten vom Brustmark aus, auch wenn das Halsmark und die Vago-Sympathici
durchschnitten sind; es muß also das Brustmark mit dem Gehirn auch noch
auf anderen Wegen als dem Vago-Sympathikus in Verbindung stehen.
11. Verf. weist auf die Analogie der Volumenzunahme des Gehirns
bei psychischer Arbeit hin und vermutet ein besonderes, noch unbekanntes,
hirnwärts von der Medulla gelegenes , Vasomotorenzentrum. —
Der Kliniker, der den Organismus als einheitliches Kunstwerk, als
ein Individuum, ein Unteilbares betrachtet, schreckt natürlich zurück vor
den eingreifenden Experimenten Weber’s, und frägt sich, ob denn bei einem
Tier, dem die Halsnerven, das Rückenmark mehrfach zerschnitten, die Medulla
zerstört, Löcher in die Hirnschale gebohrt, die Dura mater stellenweise
losgelöst und das schließlich noch mit Nikotin vergiftet ist, noch normale
Reaktionen zu erwarten sind. Er wird auch nicht ohne ewiteres daran vorüber¬
gehen, daß die Experimente keineswegs immer gleichmäßig ausgefallen sind;
so hatte z. B. Sympathikusreizung bei 1/4 aller Tiere überhaupt keine Volumen¬
änderung des Gehirns zur Folge, und in den 3/4 der ,, positiven“ Fälle wurde
ebensogut Zu- wie Abnahme des Gehirnvolumens beobachtet (S. 479/480).
Allein interessant bleibt die Abhandlung doch, und wenn sie den aufmerk¬
samen Leser auch nur dahin bringt, an einigen der z. Z. gangbaren Lehren
im Stillen zu zweifeln, hat sie großen Nutzen gestiftet.
Buttersack (Berlin).
Der Blutfarbstoff.
(Diesing. Wiener klin. Rundschau, Nr. 49, 1908.)
Der wichtigste Bestandteil des Blutes ist der Blutfarbstoff. Kein
physiologischer Vorgang spielt sich ohne ihn ab, er ist der Träger aller
vitalen Prozesse. — Die Aufnahme von Gasen durch das Blut, wie sie bei
der Atmung stattfindet, ist nach der Ansicht des Verf. von dem wechselnden
Mengenverhältnis des Eiseps und des Schwefels im Hämoglobin ab¬
hängig. Eisen bindet Sauerstoff, Schwefel bindet Kohlensäure.
Bei jeder Passage durch die Körperkapillaren wird eisenhaltiger Farbstoff
an die Gewebe abgegeben und die chemische Valenz zugunsten des Schwefels
verschoben. Die im Körper fortwährend kreisenden Metalle und Metalloide
übertragen chemisch gebundene Lichtenergie, die in Form der Farb¬
stoffe gebunden ist. — Die Idee ist nicht schlecht, aber die Physiologie ist
eine grausame Wissenschaft und ein neuer Gedanke muß ihr erst seine
vitale Kraft erweisen, sonst dreht sie ihm den Hals um. Steyerthal-Kleincn.
Die Farbstoffe der Nebennieren.
(Diesing. Wiener klin. Rundschau, Nr. 51, 1908.)
Bei der wichtigsten Funktion des Blutes, der Atmung fällt die Arbeits¬
leistung vorzugsweise dem Blutfarbstoffe zu. Der wichtigste Regu¬
lator des Farbstoffwechsels sind die Nebennieren. Darauf lassen die
Kardinaleigenschaften ihrer Sekrete, die Reduktionskraft, sowie das Vermögen,
die Körpertemperatur herabzusetzen und den Gefäßtonus zu erhöhen, mit
großer Wahrscheinlichkeit schließen. — Die Funktion der Nebennieren
sieht der Verf. darin, überßchüssigen und verbrauchten Farbstoff
zu reduzieren und auf diese Weise regulatorisch auf den Farbstoffwechsel
504
Referate und Besprechungen.
und die Wärmeproduktion im Organismus einzuwirken. — Wenn es gelingt,
diese Theorie einwandsfrei zu beweisen, so werden wir unsere Anschauungen
über Haushalt und wirtschaftliche Bilanz des Körpers gründlich revidieren
müssen. Steyerthal-Kleinen.
Zahl der roten Blutkörperchen während der Menstruation.
(P. Carnot u. Mlle. C. S. Deflandre. Soc. de Biologie, 9. Jan. 1909.)
Zahlreiche Untersuchungen haben ergeben, daß selbst bei ganz gering¬
fügiger Menstrualblutung die Zahl der roten Blutkörper in den ersten vier
bis fünf Tagen um eine Million abnimmt; nach 10 — 12 Tagen finden sich
wieder die früheren Zahlen.
Die Frage, ob es sich wirklich um einen Untergang der Blutzellen
handelt oder nur um eine andere Verteilung im Organismus, soll durch weitere
Untersuchungen geklärt werden. Buttersack (Berlin).
Contributo alla conoscenza della fine stuttura delT ipofisi.
(Dott. Ettore Savagnone, Palermo. Rivist. ital. di Neuropath., Psich. ed Elettroter.,
Vol. II., Fase. I., p. 8, 1909.)
Auf mikrophotographischem Wege (nach Cajal) wird die feinere Struktur
des hinteren Lappens der Hypophysis bei Katze und Mensch zur Anschauung
gebracht. Das Grundgewebe bilden echte Nervenfasern, die ein Netz von
verschiedener Dichtigkeit, aber immer größter Feinheit darstellen und in
dichten Geflechten, wie S. durch Serienschnitte nachweist, sich aus dem
Infundibulum ableiten. Der hintere Lappen zeichnet sich weiter durch aus¬
gedehnte Vaskularisation und durch multipolare Zellen sowie granulierte
Elemente aus, die die Zwischenräume im Nervengeflecht einnehmen und
den Gegenstand weiterer Untersuchungen bilden sollen.
Fiseher-Defoy (Quedlinburg).
Allgemeine Pathologie und pathologische Anatomie.
Über die Vermehrung erkrankter Lymphdrüsen.
(R. Hammerschlag. Virchows Archiv für pathol. Anatomie, Bd. 194, S. 320, 1908.)
Bei der Untersuchung tuberkulöser und hyperplastischer Lymphdrüsen
anderer pathologischer Herkunft fand Verf., daß entsprechend den Resul¬
taten von Bayer über die Neubildung von Lymphdrüsen nach Exstirpation
sich neue Lymphdrüsen in der Nähe erkrankter im benachbarten Fette und
Bindegewebe entwickeln.
Bei tuberkulösen, hyperplastischen, in beschränktem Maße auch bei
karzinomatösen und sarkomatösen Lymphdrüsen vermehrt sich die Zahl dadurch,
daß die Lymphdrüsen in gleichmäßiger oder ungleichmäßiger Weise sprossen
und daß parallel mit diesem Vorgänge vom Hiluls aus eine Trennung der
vergrößerten Drüsen in mehrere selbständige Drüsenkörper erfolgt. Diese
Veränderungen sind an bestimmte Individuen geknüpft und mit dem ätio¬
logischen Faktor in einer gewissen Beziehung. Die Teilungslinien folgen
bestimmten Bahnen, zu allererst den weiten Lymphwegen, ferner den Be¬
rührung slinien, in welchen die von Saxer beschriebenen Bindegewebskerne
zu Bildungen höherer Ordnung zusammentreten und die sich zumeist an
gewisse Trabekelzüge anschließen.
Die Veränderungen der Oberfläche entstehen hauptsächlich durch Pro¬
liferation der Rindenfollikel. Das kann zu verschiedenen Zapfenbildungen
führen, es kann aber auch durch Sprossung und Abschnürung eine Ver¬
mehrung der Lymphdrüsenzahl daraus resultieren. Die neuen Lymphdrüsen
lehnen sich entweder an den Mutterkörper an oder entwickeln sich ins
Referate und Besprechungen.
505
umliegende Gewebe, um sich völlig zu isolieren. Es kann aber auch Vor¬
kommen, daß die jungen Lymphdrüsen die kranken förmlich umfassen und
in deren Achse sich weiter entwickeln. W. Risel (Zwickau).
Einfluß der Toxine auf den Eiweißabbau der Zelle.
(Hess u. Saxl. Wiener klin. Wochenschr., Nr. 8, 1908.)
Zusatz von Diphtherietoxin zu Organen, die der Autolyse überlassen
werden, bewirkt anfangs eine Hemmung, später eine Steigerung des Eiwei߬
abbaues. Den gleichen Effekt haben Tetanus-, Choleratoxin und Tuberkulin.
Möglicherweise hat der gesteigerte intravitale Eiweißzerfall bei Infektions¬
krankheiten gleichfalls einen toxischen Ursprung. E. Oberndörffer (Berlin).
Untersuchungen zur Biologie und Ätiologie der Tumoren.
(Dr. Saul. Zentralbl. für Bakt., Bd. 49, H. 1.)
Borrel, der in Mäusetumoren Helminthen oder deren Trümmer fand,
urteilte dahin, daß derartige Organismen für die Übertragung des Krebsvirus
in Erage kommen könnten. Vom Verfasser sind die tumorbildenden Eigen¬
schaften der Helminthen geprüft worden.
Er zeigt zahlreiche Photogramme vom Cystericus fasciolaris und von
Tumoren, die nach Implantation eines Cysticercus-Stückes auftraten. Die
weiteren Photogramme stellen den Formenreichtum der Impftumoren dar, die
von ein und demselben Spontantumor, einem Mammakarzinom der Maus ge¬
wonnen wurden. Unter den Tümoren fanden sich Adenokarzinome, Adenome,
Fibrome. Bei einem geimpften Tiere fand Verf. in dem rechten unteren
Lungenlappen eine Metastase, die ein schlauchförmiges Nest von Zellen dar¬
stellte, die die Neigung zu akinöser Anordnung zeigten, wie die Epithelien
des Primärtumors. Schürmann (Düsseldorf).
Antikörper bei Tumoren.
(Weile u. Braun. Wiener klin. Wochenschr., Nr. 18, 1908.)
Die zur Syphilisdiagnostik verwertete Methode der Lezithinausflockung
durch das Serum des Patienten wurde bei Geschwulstkranken angewendet
und ergab in 50% der Fälle ein positives Resultat. Es müssen also Anti¬
körper im Blut kreisen, über deren Natur weitere Studien angestellt werden
sollen. Vielleicht entstehen sie durch die ständige Resorption von Tumor¬
zellen, die man als körperfremde Substanzen auffassen kann.
E. Oberndörffer (Berlin).
Aus dem pathologischen Institut in Berlin.
Über „lipoide Degeneration“.
(Fritz Munk. Virchow’s Archiv für pathol. Anatomie, Bd. 194, S. 527.)
Als lipoide Substanzen bezeichnet Verf. nach dem Vorgänge von
Kaiserling die unter verschiedenen Bedingungen auf tretenden, in ihren
tinktoriellen Eigenschaften dem Fette ähnlichen, aber anisotropen, sogen.
Myelinformen bildenden Substanzen, die in die drei Gruppen der Lezithine
(Verbindungen der Fettsäuren mit Glyzerinphosphorsäure Und einer Am¬
moniumbase), des Protagons (einer komplizierten N- und P-haltigen Ver¬
bindung) und des Cholesterins zerfallen.
Seine Arbeit kommt zu folgenden Schlüssen :
Die fettige Degeneration ist der Ausdruck einer Funktionsstörung der
Zelle. Das morphologisch wahrnehmbare Fett kann dabei stammen teils
aus dem von der schon geschädigten Zelle aus dem Säftestrome noch auf¬
genommenen Fette, teils bei fortgeschrittener Schädigung aus einer mole¬
kular-physikalischen Dekonstitution des präexistierenden Fettes.
506
Referate und Besprechungen.
Die lipoide Degeneration ist der Ausdruck einer Schädigung der Zelle
höheren Grades, ihres Unterganges. Die doppeltbrechende Substanz deutet
die Auflösung des Kernes an. Nur bei allmählichem Absterben der Zelle
im menschlichen Körper werden Lipoide gebildet. Der die Doppelbrechung
bewirkende Körper ist wahrscheinlich Cholesterinester, der sich den Fett¬
tröpfchen zugemischt hat. W. Risel (Zwickau).
Über plötzliche durch Obduktionsbefund nicht mit Sicherheit erklärliche
Todesfälle bei Kindern und ihre forensische Bedeutung.
(Durlacher. Wiener klin. Rundschau, Nr. 46 — 48, 1908.)
Als „plötzliche Todesfälle“ bezeichnen wir solche, die im Laufe
einer Erkrankung unerwartet, dem klinischen Befunde nach unmotiviert oder
gar inmitten scheinbaren Wohlbefindens ein treten. Forensisch besonders
bedeutungsvoll sind diejenigen plötzlichen Todesfälle, deren Ursache selbst
die Obduktion nicht aufklärt. — Bei Kindern gehört das zu den Selten¬
heiten. Unter 1797 Fällen des Wiener gerichtlichen medizinischen Instituts
war der Obduktionsbefund nur viermal negativ. — Zuweilen findet man
in Kinderleichen Erstickungserscheinungen bei starker Thymus.
Diese Befunde sind in foro von Bedeutung. — Verf. teilt das ausführliche
Sektionsprotokoll einer derartigen Beobachtung mit (acht Monate altes, mor¬
gens tot im Bett aufgefundenes Kind) und kommt nach eingehender Er¬
wägung aller Begleitumstände und des vorliegenden wissenschaftlichen Mate¬
rials zu dem Schlüsse, daß zwischen der Thymushypertrophie und dem
plötzlichen Tode des Kindes ein Kausalnexus bestanden hat (Thymus-
t o d). Steyerthal-Kleinen.
Aus dem pathologischen Institut in Bonn.
Über psammomähnliche Bildungen in der Wand einer Meningocele.
(P. Peyer. Virchows Archiv für pathol. Anatomie, Bd. 194, S. 121.)
Bei einem 18 j ähr. Manne wurde eine etwa walnußgroße kongenitale Ge¬
schwulst des Nackens exstirpiert. Sie erwies sich als eine Meningocele, die
vorwiegend aus derbem Bindegewebe bestand und durch epithelähnliche Zell¬
züge mit ausgesprochener Neigung zu konzentrischer Anordnung und Kugel¬
bildung ausgezeichnet war. Diese Bildungen erinnern sehr an die von M. B.
Schmidt früher in der normalen Dura mater beschriebenen kompakten Zell¬
züge, die von dem arachnoidealen Deckendothel herstammen.
W. Risel (Zwickau).
Innere Medizin.
Die auskultatorische Blutdruckmessung im Vergleich mit der oszillatorischen
(Recklinghausen), und ihr durch die Phasenbestimmung bestimmter
klinischer Wert.
(Jos. Fischer. Zeitschr. für phys. u. diät. Ther., Bd. 12, H. 7, S. 389—400.)
Die Blutdruckmessung ist ein Lieblingsfeld der modernen Kliniker. Es
erinnert das etwas an die Zeit, in welcher die Körperwärme im Vorder¬
gründe des Interesses stand. Auch damals hätte man am liebsten eine Normal¬
zahl festgestellt, nach Art der Verwaltungsbestimmungen im bürgerlichen
Leben. Das gelang nun freilich nicht, man mußte eine gewisse Breite der
Temperaturen zulassen, bis Wunderlich die Lehre aufstellte: Nicht die
Bestimmung der absoluten Temperatur ist die Hauptsache, sondern die Labi¬
lität als Ausdruck etwaiger Regulationsstörungen. Diese physiologische Denk¬
weise konnte natürlich in den physikalisch-chemisch gestimmten Gemütern
nicht recht Wurzel fassen, und so sehen wir noch heutigen Tages, wie hohe
Temperaturausschläge überschätzt, kleine unterschätzt werden.
Referate und Besprechungen.
507
So einfach wie ein Thermometer lassen sich die Apparate zur Blut¬
druckmessung nicht handhaben. Darum hat Korotkow 1905 eine hand¬
lichere und billigere Methode vorgeschlagen. Er legte um den Oberarm
eine breite Ri va-Rocci-Recklinghausen’sche Manschette, steigerte den
Manometerdruck über die zu erwartende Norm hinausi und auskultierte die
Kubitalis, während er den Druck in der R-R-R-Manschette langsam sinken ließ.
Dann lassen sich vier Phasen unterscheiden: Zunächst treten Töne auf, dann
Geräusche, dann wiederum Töne und schließlich abermals leise Geräusche.
Fischer hat Korotkow’s Angaben nachgeprüft und bestätigen können.
Vergleiche mit Recklinghausen’s oszillatorigchem Blutdruckmeßapparat
haben ihm ergeben, daß die absoluten Zahlen übereinstimmten, ja mit der
auskultatorischen Methode leichter und präziser bestimmbar sind.
Laute bezw. leise Töne der' dritten Phase deuten auf' vermehrte bezw.
verminderte Herzarbeit. Leise Töne der dritten Phase bei kräftiger Herz¬
tätigkeit deuten auf Aortenstenose, sehr laute Töne bei sinkendem Blutdruck
auf Aorteninsuffizienz.
Das Verhältnis der dritten zur vierten Phase gibt Aufschluß über das
Verhältnis von Herzarbeit zur Gefäßspannung, mithin über die Blutzirku¬
lation, und wenn die Töne über dem Herzen aus physikalischen Gründen
(Emphysem exsudativer Perikarditis) leise gehört werden, so bietet die
Auskultation einer peripheren Arterie einen Ersatz zur Beurteilung der
Herzkraft und der Gefäßspannung.
Über Schwankungen dos Blutdrucks findet sich nur die kurze Notiz,
daß sie „bei stärkeren Neurasthenikern zwischen der ersten und zweiten
Messung oft recht erheblich“ waren; ich möchte glauben, daß die Unter¬
suchungen über solche Schwankungen, über die Labilität des Organismus,
ebenso interessant wären, wie die Bestimmungen des absoluten Druckes.
Buttersack (Berlin).
Aus der zweiten medizinischen Klinik der Universität Berlin. Direktion: Geh.
Med. -Rat Prof. Dr. F. Kraus.
Über Aorteninsuffizienz und Lues.
(Julius Citron, Assistent. Berliner klin. Wochenschr., Nr. 48, 1908.)
Die syphilitische Aortenerkrankung, wie sie bei jungen Individuen
meist im ascendierenden Teil vorkommt, kennzeichnet sich durch kleine strahlig
eingezogene und grübchenförmige Vertiefungen an der Innenfläche des Ge¬
fäßes, die ihren Ausgang von der Adventitia und Media nimmt. Ob diese
histologische Veränderung spezifischer Natur ist, ist noch nicht sicher er¬
wiesen, nur soviel weiß man, daß die Lues die häufigste Veranlassung ist.
Ferner steht fest, daß diese von March and als Mesaortitis productiva be-
zeichnete Erkrankung eine außerordentlich häufige Komplikation der Lues
überhaupt darstellt. So fand z. B. Chiari in mehr als der Hälfte aller
sezierten Luetiker diese Form der Aortenerkrankung. Citron hat nun alle
Fälle von Aorteninsuffizienz serologisch untersucht und erhielt bei 62,6%
ein positives Resultat. Er kommt daher zu dem Schluß, daß die Lues
ein viel häufigeres ätiologisches Moment abgibt, als Anamnese, Kranken¬
geschichte und klinischer Befund vermuten lassen. Auch bei Fällen, wo
Gelenkrheumatismus und toxische Noxen in Betracht kommen, empfiehlt er
nach Lues zu forschen. Er berichtet zum Schlüsse einige Krankengeschichten,
aus denen einmal hervorgeh’t, daß oft schon sehr kurze Zeit nach der In¬
fektion die Gefäßerkrankung auf treten kann, sowie, daß die Wasser mann-
sche Reaktion diagnostisch durchaus zuverlässig ist. Er hält es daher für
unbedingt erforderlich, bei positivem Ausfall der Reaktion eine Behandlung
einzuleiten, um den luetischen Herd, der ungefähr in der Hälfte der Fälle
in der Aorta zu finden ist, wenigstens vorübergehend zu beseitigen.
F. Walther.
508
Referate und Besprechungen.
Zur Differentialdiagnose der Appendizitis.
(Alfred Meisl. Wiener klin. Rundschau, Nr. 2, 1909.)
Die Appendizitis ist in unseren Tagen zur allgemeinen Epidemie ge¬
worden, aber man kann wohl getrost der Annahme des Verfassers beitreten,
daß „die Diagnose Appendizitis noch häufiger ist, als die Er¬
krankung selbst“. — Von solchen Krankheiten, welche eine Entzündung
des Wurmfortsatzes Vortäuschen können, lassen sich drei Arten unterscheiden :
1. Die Blinddarmkolik durch Koprostase,
2. die hysterische und endlich
3. die gichtisch-rheumatische Appendizitis.
Es ist sicher verdienstlich bei dem modernen Furor operativus gerade
solche Krankheitsbilder scharf zu kennzeichnen, welche eine Blinddarment¬
zündung Vortäuschen und dadurch eine zwecklose Operation veranlassen
können, wenn der Verf. aber hofft, durch seine Mitteilung ein Scher flein
dazu beizu tragen, um „die Indikationen des operativen Eingriffs den tatsäch¬
lichen Verhältnissen entsprechend einzuschränken“, so ist das ein beneidens¬
werter Optimismus. Besser ist es unbedingt, sich mit dem beruhigenden
Bewußtsein zu trösten, daß jeder Mensch nur eine einzige Appendix besitzt.
Welch ein Malheur, wenn wir zwei solcher Unglückswürmer bei uns be¬
herbergten ! Steyerthal-Kleinen.
Ueber Blinddarmentzündung und deren Behandlung.
(Leo Silberstein. Wiener klin. Rundschau, Nr. 27, 1908.)
Verf. redet der Opiumbehandlung bei Perityphlitis das Wort,
ohne die operative Methode dadurch in den Hintergrund drängen zu wollen. Er
verwendet Suppos. Opii 0,03 — 0,04. — Von den Patienten, deren Kranken¬
geschichten angeführt werden, ist der eine, dessen Operation der Chirurg
als aussichtslos abgelehnt hatte, durch diese Methode geheilt. Ein zweiter
sehr schwerer Fall ist bei der gleichen Behandlung ebenfalls sehr günstig
verlaufen. Steyerthal-Kleinen.
Der Ursprung der Pneumokoniosen.
(Dr. Guido Ruata. Zentralbl. für Bakt., Bd. 48, H. 1.)
Zur Inhalation verwandte Verfasser Sporen, die einem von Biffi iso¬
lierten saprophyten Bazillus angehören, der von ihm Bacillus clavatus be¬
nannt wurde. Die Kulturmerkmale und das mikroskopische Aussehen wird
kurz erwähnt. Nach 15 Tagen schabte man den oberflächlichen Belag der
Agaikulturen ab, vermengte ihn feucht mit Amidostaub, trocknete die
Mischung, zerrieb sie fein im Mörser. Vermittelst eines Flagon wurde die
Inhalation vorgenommen. Verschluckungs versuchen diente die Sonde.
Bei den Verschluckungs versuchen des Inhalationsmaterials ergibt
sich, daß der Verdaungskanal bei den gesunden Tieren für die Partikelchen,
die keine Eigenbewegung haben, eine undurchdringliche Schranke darstellt,
durch welche in diesem Falle die Sporen des Klavatus, weder zur Lunge
noch zu den mesenterialen Ganglien gelangen können.
Sodann wurden Inhalationsversuche gemacht. Die zu verschiedenen
Zeiten nach der Inhalation getöteten Tiere zeigen in ihren Lungenaussaaten
bei 100° und durch 20 Minuten hindurch sterilisiert alle den Bacillus
clavatus.
So glaubt Verf. sich berechtigt, anzunehmen, daß im normalen Organis;-
mus die Pneumokoniosen ihren Ursprung aus der Inhalation ziehen und nicht
aus der Verschluckung von Staubmaterialien. Schürmann (Düsseldorf).
Referate und Besprechungen.
509
Zur Behandlung der Pneumonie.
(Roux, Lorient. Bull, med., Nr. 74, S. 828, 1908.)
Mit folgender Therapie hat D. Roux außerordentlich schnelle Heilungen
der Pneumonie bei Kindern und Greisen erzielt: Er gibt frische Bierhefe
(Kindern 2 — 3 Tee-, Erwachsenen 2 — 3 Eßlöffel pro die), 1 — 4 Blutegel auf
die erkrankte Seite; Digitalin. cry stall, 0,0001 — 0,0005; Belladonna bei Kin¬
dern, Morph, bei Erwachsenen. Dazu fettfreie Bouillon, Orangen, Tee, Kaffee,
Wein und Wasser, aber keine Milch.
Wenn auch die Pneumonie in Lorient vielleicht unter einem anderen
Zeichen steht, als im übrigen Frankreich und insbesondere in Deutschland,
so lohnt sich doch ein Versuch mit dieser einfachen Therapie. Im übrigen
sei bei dieser Gelegenheit auf1 diesen Satz von Roux’s großem Landsmann
Trousseau hingewiesen, mit dem er die Leute mit feststehenden therapeu¬
tischen Maximen abtut: ,,On reste convaincu, d’une part, de l’etroitesse de
vue des medecins qui restent toujours dans la meme voie, malgre le change¬
ment de Constitution; d’autre part, de l’influence extreme que ce changement
de Constitution exerce sur le monde d’action des memes medicaments dans une
maladie dont la manifestation locale est la meme“. (Clinique medicale I 1865,
S. 744.) Buttersack (Berlin).
Untersuchungen über Genickstarre in der Garnison Würzburg.
(Dr. Mayer. Zentralbl. für Bakt., Bd. 49, H. 1.)
Verf. nimmt an, daß ein Einzelfall des Jahres 1908 auf einen Kokken¬
träger zurückzuführen ist, durch den drei weitere Zimmergenossen zu Kokken¬
trägern wurden.
Bei den Zimmergenossen der Genickstarrekranken fand sich eine auf¬
fallende Häufung krankhafter Prozesse der oberen Luftwege. Verf. glaubt,
daß eine sofortige Isolierung der Umgebung des Kranken, die frühzeitige
bakteriologische Untersuchung, sowie allgemeine Desinfektionsmaßnahmen
als die einzig wirksamen Mittel zur Bekämpfung der Genickstarre zu be¬
trachten sind. Kokkenträger sollen erst nach einer innerhalb 14 Tagen er¬
folgenden, mindestens dreimal negativen Untersuchung kokkenfrei erklärt
werden.
Eine heilende Wirkung Schreibt er der Pyocyanase zu. Der Ku t scher -
sehe Nährboden empfiehlt sich zur Züchtung von Meningokokken.
Beim gesunden Menschen, der nicht mit Meningokokkenkranken in Be¬
rührung kam, fanden sich Bakterien im Rachenschleim, die sich biologisch
nur durch die Agglutinationshöhe von Meningokokken unterscheiden. Eine
Agglutination der Meningokokken durch hochwertiges Serum dürfte nur in
einer Verdünnung von mindestens 1 : 500 als Kriterium für wirkliche Meningo¬
kokken anzusehen sein. Schürmann (Düsseldorf).
Hals-, Nasen- und Kehlkopfleiden.
Die Behandlung des akuten Schnupfens.
(Dr. Hugo Löwy, Karlsbad. Münch, med. Wochenschr, Nr. 29, 1908.)
Zur Behandlung des Schnupfens empfiehlt Löwy das Protargol. Er
legt einen kleinen mit einer 10%igen Protargollösung getränkten Watte¬
bausch auf einige Minuten in den vorderen Teil der mittleren Muschel, wobei
auf dem Transport dahin die Lösung die untere Muschel, den mittleren Nasen¬
gang und den Sulcus olfactorius bespülen soll. Nebennierenpräparate verwendet
er wegen der häufig danach auftretenden Reizerscheinungen nicht. Da dieses
Verfahren nur vom Arzt ausgeführt werden kann, rät er noch nebenbei
Instillationen mit einer 2 — 5%igen Lösung vornehmen zu lassen, die mit
völlig rückwärtsgebeugten Kopfe verabreicht werden müssen. Seine Erfolge
mit dieser Methode sind sehr gute, besonders in frischen Fällen, sowie in
mehrere Wochen verschleppten.
510
Referate und Besprechungen.
Eine andere Therapie besteht in Inhalationen von Menthol und Kampfer
im Verhältnis 4:2. Er gibt einige Tropfen davon in ein Reagenzglas mit
etwas siedendem Wasser Und läßt die Patienten 2 — 3 mal täglich 5 — 10 Min.
die Dämpfe inhalieren. Ähnliche Inhalationen empfehlen auch Mader und
Krause.
Was die Allgemeinbehandlung anbetrifft, so nennt er dafür diaphore¬
tische Maßnahmen sowie vor allem den Gebrauch der Nasenatmung besonders
bei akutem Schnupfen.
Besonders letztere Vorschrift ist auch von prophylaktischer Bedeutung.
E. Walther.
Über die Beziehungen der Rhinitis chron. atroph, zur Diphtherie.
Therapeutische Verwendbarkeit der Pyozyanase bei Ozäna.
(L. Wolff. Med. Klinik, Nr. 83, 1908.)
Die Untersuchungen Wolff ’s bestätigen zunächst die Tatsache, daß
bei der sogenannten genuinen Ozäna auffallend häufig die Anwesenheit echter
Diphtheriebazillen festgestellt wird; trotzdem hält Wolff sich nicht für berech¬
tigt, nach dem Vorgänge Symep jede genuine Ozäna als chronische Diphtherie
der Nase zu bezeichnen. — Die Anwendung von Pyocyanase, die in sechs
Fällen geschah, beseitigte zwar einen Teil der Symptome, brachte insbesondere
auch den Eötor zum Verschwinden; jedoch erwies siofi die Wirkung nicht
als eine dauernde, indem nach Aussetzen der Behandlung die ursprünglichen
Symptome wiederkehrten. Insbesondere gelang eine dauernde Beseitigung
und ,, Abtötung“ der Diphtheriebazillen in keinem Falle.
R. Stüve (Osnabrück).
Direkte Endoskopie der Kieferhöhle.
(Sargnon. Arch. internat. de laryng., Bd. 26, S. 705, 1908.)
Sargnon hat ein Spekulum von der Form eines verlängerten Ohr¬
trichters und von 4 — 5 mm Durchmesser konstruiert. Dasselbe wird durch
eine künstliche oder natürliche Fistel in die Höhle eingeführt. Man kann
so die Beschaffenheit der Schleimhaut (granulierend oder nicht) sowie die
Anwesenheit von Fremdkörpern erkennen, und man kann unter Leitung des
Auges sondieren.
Ref. möchte darauf aufmerksam machen, daß schon vor mehreren Jahren
A. Hirsch mann ein dem Zystoskop nachgebildetes „Antroskop“ hat kon¬
struieren lassen. Es ist zwar vermutlich teurer als Sargnon’s Spekulum,
dafür kann man mit letzterem wohl nur einen kleinen Teil der Höhle übersehen.
Arth. Meyer (Berlin).
Adenoider Schlundring und endothorakale Drüsen.
(Blumenfeld. Zeitschr. für Laryng., Bd. 1. H. 4, 1908.)
Die Tuberkulose der thorakalen Drüsen führt zu Atelektasen und oft
wiederholten, fieberhaften Katarrhen, die die Kranken zum Arzt führen.
Der Ernährungszustand ist schlecht, der Thorax in einem Zustande der Aplasie,
meist in der Zwerchfellgegend eingezogen, oben ausgeweitet. Die Venen
des Brustkorbes sind erweitert, geschlängelt, beim Husten stärker hervor¬
tretend. Fast ausnahmslos bestehen adenoide Vegetationen (oder sind kürzlich
entfernt worden), sowie Affektion der zervikalen Drüsenkette. Die Perkussion
erweist neben, öfters auch auf der Wirbelsäule eine schwache Dämpfung
zwischen dem 2. — 4. — 5. Brustwirbel, vorn sind die Fehlerquellen größer.
Auskultatorisch läßt sich eine Verbreiterung des Bezirks feststellen, in dem
normal Bronchialatmen gehört wird (auf, und unmittelbar neben der Wirbel¬
säule bis zum 4. Wirbel abwärts), und auf dem Sternum ein tieferes Hinab¬
reichen des bronchialen Atemgeräusches. Bisweilen wurde durch Bronchoskopie
Kompression der Bronchien nachgewiesen. Die Durchleuchtung ergibt nicht
Referate und Besprechungen.
511
immer deutlichen Aufschluß, wo aber gute Bilder mit positivem Resultat
zu erzielen sind, bestätigt sie aufs sicherste die Diagnose. Kutane Tuberkulin¬
reaktion gibt über die Natur der Schwellung Aufschluß.
Einen kausalen Zusammenhang mit der Vergrößerung der Rachenmandel
nimmt Bl. mit Sicherheit an, trotz der anatomischen Einwürfe Most’s, der
einen Zusammenhang der zervikalen und thorakalen Drüsen leugnet. — Die
bronchialen Drüsen sind die plausibelste Erklärung für diejenigen Thorax¬
veränderungen, die als Folge der adenoiden Vegetationen beschrieben werden.
Die Verringerung der Elastizität des Thoraxinnern sowie die Ernährungs¬
störungen, welche durch die thorakalen Drüsen lumoren bedingt werden, sind
weit eher für die Veränderung der Thoraxform anzuschuldigen, als das
Atemhindernis im Nasenrachen. — Das Vorhandensein bronchialer Drüsen
modifiziert wesentlich die günstige Prognose, die wir Kindern mit Adenoiden
zu stellen pflegen. Oft zwar heilen auch die tuberkulösen Drüsen, aber die
Gefahr der Infektion anderer Organe, oder schwerer Ernährungsstörungen
läßt den Zustand doch viel ernster erscheinen. — Die Behandlung besteht
in Adenotomie, klimatischer Kur, Solbädern und Schmierseifeneinreibungen.
Arth. Meyer (Berlin).
Anatomie und Behandlung der fibrösen Nasenrachen-Polypen.
(Jaques. Rev. hebd. de laryng., Nr. 48, 1908.)
Verf. widerspricht dem Dogma, daß die Nasenrachenfibrome stets von
der Faserknorpelschicht, die unter der Rachenmandel liegt, ausgingen. Er
erklärt diese Lokalisation für die Ausnahme, dagegen den Ursprung von
der Vorderfläche des Keilbeins, dem Anfangsteil des Pterygoidf ortsatzes,
dem Nasendach, dem Reeessus spheno-ethmoidalis für die Regel. Die Ge¬
schwülste sind demnach meist nasal, ihr Rachenfortsatz geht keine enge
Verbindung mit dem Rachendach ein. Durch 6 lesenswerte Krankengeschichten
operierter Fälle erhärtet J. seine Ansicht. Mehrfach hatten die Tumoren das
Siebbein durchwachsen, Kiefer- und Keilbeinhöhle ausgefüllt und erweitert.
Einmal bestand beiderseitige Erblindung durch Druck auf den Optikus. —
Der Lokalisation entsprechend muß auch die Operationsmethode nasal
gewählt werden. Vom inneren Ende der Brauen wird ein Schnitt abwärts
geführt, der in der Nasenwangenfurche verläuft und den Nasenflügel ab¬
trennt. Nach Abschabung des Periosts wird die apertura piriformis durch
Abmeißelung von Teilen des Nasenbeins und des Stirnfortsatzes des Ober¬
kiefers erweitert, so daß auch die tiefen Regionen der Nase zugänglich
werden. Der Tumor wird mit Hakenzangen vor- und abwärts gezogen und
teils mit einem scharfen Elevatorium, teils mit dem Finger aus seinen Ver¬
bindungen gelöst. Die Blutung ist erheblich, aber durch Kompression meist
in Schranken zu halten. Bisweilen ereignen sich Rezidive, von übersehenen
Fortsätzen des Tumors ausgehend, welche Nachoperation erfordern.
Arth. Meyer (Berlin).
Plastik bei Verwachsung des Rhinopharynx.
(Iw an off. Zeitschr. für Laryng., Bd. 1, H. 5, 1908.)
Die luetischen Verwachsungen zwischen Gaumensegel und hinterer
Rachenwand zu trennen, ist leicht, ihre Wiederverwachsung zu verhüten je¬
doch äußerst schwierig; selbst Umsäumung der Wundränder (Dief f en bach)
schützt nicht davor. Für solche Fälle, in denen die Uvula erhalten ist,
schlägt J. folgendes Verfahren vor: Von der Basis der Uvula aus wird nach
jeder Seite die Synechie bis zur seitlichen Rachenwand getrennt. Sodann
wird die Uvula durch einen Scherenschlag in eine vordere und hintere Hälfte
getrennt; jede derselben wird seitlich nach rechts bezw. links umgeschlagen
und mit einigen Seidennähten mit dem Schnittrande des weichen Gaumens
vereinigt. Nun bilden die beiden Hälften des Zäpfchens den hinteren Rand
des neugebildeten Gaumensegels. Der Nasenrachenraum wird 14 Tage lang
512
Referate und Besprechungen.
jeden zweiten Tag tamponiert. Zeigt sich Neigung zu neuer Verengerung,
so kann man durch Einführung und Aufspreizen einer Adenoidenzange der¬
selben entgegenwirken. J.’ unterwies seine Patientin seihst im Gebrauch
dieses Instruments. Arth. Meyer (Berlin).
Blutungen bei Eiterungen des Pharynx.
(Newcomb. Arch. internat. de laryng., Bd. 26, Nr. 5, 1908.)
Bei einem 55 jährigen Mann tritt nach Inzision eines peritonsillären
Abszesses eine hartnäckige Blutung auf. Da Tamponade und andere Ma߬
nahmen versagen, wird die Carotis communis unterbunden, worauf die Blutung
steht. — In der Literatur sind 50 Fälle mitgeteilt, in denen nach peri¬
tonsillären und retropharyngealen Abszessen oder Gangrän der Tonsille,
entweder spontan oder nach Eröffnung schwere Blutung eintrat. 16 mal
wurde die Carotis communis, einmal die externa unterbunden. Letztere Ope¬
ration, bei Blutung nach Tonsillotomie meist genügend, ist für Abszesse
weniger geeignet, da die Art. Pharyngea ascendens, oft die Quelle der Blutung,
dicht an der Bifurkation entspringt. Im vorliegenden Falle folgten der
Unterbindung wochenlange Kopfschmerzen und Schlaflosigkeit, aber keine
schweren Erscheinungen. — Wo die Schwellung des Pharynx Verdacht auf
ein Aneurysma erweckt, tut man besser, die Arterie freizulegen; einzelne
Todesfälle sind auf Inzision eines Aneurysma zurückzuführen.
Arth. Meyer (Berlin).
Mediane Pharyngotomie.
(Mouret. Rev. hebd. de lar., 17. Okt. 1908.)
a) Pharyngotomia subhyoidea. 8 — 10 cm lange Querinzision durch
Haut und Platysma; Durchtrennung der Zungenbeinmuskeln fingerbreit unter
ihrem Ansatz (behufs Erleichterung der Naht) und der Membr. hyothyroidea
dicht am Zungenbein, um den Nerv, laryngeus sup. zu vermeiden. Der
Einblick ist gut; aber die Wiedervereinigung ist schwer, die Nähte durch
Schleimhaut, Bänder, Muskeln, die alle quer zur Spannung durchschnitten
sind, halten nicht. —
b) Pharyngotomia transhyoidea. Medianer Hautschnitt vom Kinn
zum Schildknorpel, Inzision zwischen den Mylohyoidei, Durchtrennung des
Knochens und der Membr. thyrohyoidea in der Medianlinie, sodann der Schleim¬
haut in der glossoepiglottischen Falte. Die Wiedervereinigung gelingt leicht,
die Fragmente des Zungenbeins lassen sich durch einen um dieses geschlungenen
Faden gut aneinander fixieren. Der Einblick genügt aber nur für die Epi¬
glottis selbst und zwar für nicht zu ausgedehnte, gutartige Tumoren derselben.
Die Aryknorpel liegen in der Tiefe eines engen Trichters. —
c) Pharyngo thyrotomie gibt den besten Einblick, ohne die letzt¬
genannte Operation an Schwere sehr zu übertreffen. Schnitt vom Kinn
zum Sternum; Tracheotomie-Punktion der Membr. cricothyr., Tamponade des
Larynx mit Kokaingaze von hier aus:. Medianschnitt durch Schildknorpel,
Weichteile über dem Zungenbein, Membran und Schleimhaut der glosso¬
epiglottischen Falte, Durchtrennung des Zungenbeins. Die Epiglottis wird,
wenn krank, entfernt, wenn gesund, in der Mitte gespalten. Der Tumor
wird entfernt; Drüsen erfordern einen besonderen Einschnitt. Die Tracheal¬
kanüle bleibt 48 Stunden liegen; die Ernährung geschieht durch Dauersonde,
die durch die Nase eingeführt wird und 3 — 4 Tage liegen bleibt. Nach Blut¬
stillung wird das Zungenbein (wie oben), der Schildknorpel und die Membr.
cricothyroidea. durch Katgutnaht vereinigt, die Muskeln vor dem Larynx
zusammengezogen, die Hautwunde bis auf ein Drain geschlossen, ein leichter
Druckverband angelegt. Arth. Meyer (Berlin).
Referate • und Besprechungen.
513
Vasomotorische Störungen des Gesichts.
(Cartaz. Rev. hebd. de laryng, Nr. 49, 1908.)
Fall 1. 9 jähriger, sonst gesunder Knabe. Sobald ein stark schmecken¬
der Bissen in den Mund genommen wird, erscheint eine unregelmäßig ge¬
formte Röte des Gesichts, die um so intensiver ist, je stärker der Geschmack
der Speise. Schweiß, Speichelfluß und andere Phänome fehlen.
Fall 2. 31jähriger Kaufmann hat vor 2 Jahren einen starken Schnupfen
durchgemacht und leidet seitdem an mäßiger Nasenverstopfung und andauern¬
der Schweißsekretion der rechten Gesichtshälfte ; starkschmeckende Speisen
erhöhen die Absonderung. In der Nase ein Sporn rechts.
Fall 3, (cit. nach Tackenberg): 29 jähriger Mann mit völliger Ver¬
stopfung der rechten Nasenseite durch eine Deviation. Auf der gleichen Seite
des Gesichts wird, sobald Pat. zu sprechen beginnt, reichlicher Schweiß in
Tropfen abgesondert. Nach teilweiser Wegsammachung der Nase erhebliche
Besserung. Hier lag sicher ein pathologischer Reflex vor.
Arth. Meyer (Berlin).
Die professionelle Laryngitis.
(Ernst Barth. Wiener klin. Rundschau, Nr. 26, 1908.)
Der ewige Kehlkopfkatarrh der Pastoren, Lehrer, Anwälte und der
übrigen berufsmäßigen Sprecher ist eine Crux für Ärzte und Patienten.
Die örtliche Behandlung hat meist nur wenig Erfolg und nach einer er¬
folgreichen Badekur ist zu Hause alsbald die alte Geschichte wieder da. —
Das hat seinen guten Grund denn die Veränderungen im Kehlkopfe brauchen
gar nicht groß zu sein und trotzdem können erhebliche Stimmstörungen
auftreten, weil Fehler hei der Atmung und der Stimmbildung ge¬
macht werden : Schlürfendes Einatmen durch den Mund, nicht genügend er¬
weiterte Glottis, Sprechen in zu hoher Tonlage, harter Stimmeinsatz u. dgl.
— Diese Fehler müssen korrigiert werden, der Redner muß ridhtig
atmen (kostoabdominale Atmung, sparsames Luftholen, unhörbares Ein¬
atmen) und richtig sprechen lernen (Lockerlassen der Halsorgane, Ent¬
spannung aller für die Stimmbildung entbehrlichen Muskeln). — Es leuch¬
tet ein, daß mancher alten Laryngitis, die ferro et igni trotzt, durch solche
pädagogische Maßregeln abgeholfen werden könnte. Steyerthal-Kleinen.
Ictus laryngis bei Keuchhusten.
(Jourdin. Arcli. internat. de laryng., H. 6, 1908.)
Ictus laryngis tritt fast nur bei Männern von 35 — 50 Jahren auf, die
meist arthritische Konstitution und alte Katarrhe der oberen Luftwege haben.
Im Laufe eines Hustenanfalls wird das Gesicht rot, der Kranke verliert das
Bewußtsein und fällt nieder oder sein Kopf sinkt vornüber auf den Tisch.
Er erwacht schnell wieder, ohne vom Vorgefallenen zu wissen; Vorboten und
Nachwirkungen fehlen völlig. — Was man als „Kehlkopfschwindel“ be¬
schreibt, ist etwas anderes, denn beim rechten Iktus ist der Gleich-
gcwichtsapparat nicht beteiligt. Der bei Tabes und Epilepsie beschriebene
Iktus hat nichts Besonderes, und wird von Verf. ein zufälliges Zusammen¬
treffen angenommen. Von den verschiedenen Erklärungsversuchen erscheint
nur die Annahme einer reflektorischen Einwirkung auf das Vaguszentruin
plausibel. — In seltenen Fällen äst Iktus beim Keuchhusten Erwachsener
beobachtet worden; Verf. fügt 2 neue Fälle hinzu. Bekanntlich ist der Keuch¬
husten Erwachsener schwer zu erkennen, da die krampfartigen Anfälle nicht
sehr ausgesprochen sind; auch muß man sich vor Verwechslung mit den
sehr ähnlichen Hustenanfallen hüten, welche bei Mediastinaltumoren Vor¬
kommen. In den Beobachtungen Jourdin’s kam Iktus nur während des
spastischen Stadiums vor, nicht während der einleitenden und beschließen¬
den katarrhalischen Periode. Die Therapie ist ziemlich machtlos, verhindern
38
514
Referate und Besprechungen.
kann man den Iktus nicht, der ja aber eine recht harmlose Komplikation
darstellt und den Kranken erschreckt, ohne ihn zu gefährden.
Arth. Meyer (Berlin).
Contusion des Kehlkopfs.
(Seifert. Rev. hebd. de laryng., Nr. 45, 1908.)
Ein 38 jähriger Mann erhält einen Schlag mit dem Rudergriff gegen
den Hals. Sich steigernder Schmerz, heftige Dysphagie stellen sich ein ;
nach ärztlicher Digitaluntersuchung und Brechmittel auch hohes Fieber. In
11 Tagen 33 Pfund Gewichtsverlust. An der rechten Seite von Zungenbein
und Kehlkopf große Empfindlichkeit, ohne daß Krepitation zu fühlen wäre.
Weicher Gaumen und linker hinterer Gaumenbogen blutunterlaufen, Uvula
gangränös. Laryngoskopisch Ödem des Zungengrundes und des ganzen Kehl¬
kopfeingangs, Beweglichkeit der Stimmbänder verringert. Nach Anästhesie¬
rung kann Pat. flüssige Nahrung zu sich nehmen und ist nach kurzer Zeit
geheilt. — S. erklärt den Fall so, daß außer der äußeren Verletzung auch
das Hämatom des Gaumensegels direkt auf den Unfall zu beziehen ist, während
die Infektion wahrscheinlich von der wenig zarten Fingeruntersuchung her¬
rührt und ihrerseits das Ödem der benachbarten Teile und das Fieber ver¬
schuldet. hat. — Die Therapie soll ab wartend sein und sich auf Anästhesierung
und Kälteapplikation beschränken ; Skarifikationen führen leicht zur sep¬
tischen Infektion. Arth. Meyer (Berlin).
Luftembolie oder Synkope?
(J. Märer, Szesceny. Allg. Wiener med. Zeitung, Nr. 47, 1908 )
Verf. schildert in ausführlicher Weise den Fall einer Patientin, die
infolge eines perilaryngealen Abszesses zu ersticken drohte und der er unter
Infiltrationsanästhesie durch eine Inzision im seitlichen Halsdreieck ca. 500 g
Eiter aus einer faustgroßen Höhle entleerte. Die von der Erstickungsgefahr
befreite Frau wurde aber auf dem Heimwege plötzlich bewußtlos und konnte
erst nach einstündiger Bemühung durch künstliche Atmung und Äther-
Kampherinjektionen wiederbelebt werden. Derselbe Vorgang wiederholte sich
nach ca. zwei Stunden nochmals.
Zur Erklärung dieses Ereignisses zieht Verf. nach Ausschluß von Lufi-
röhrenläsion, Hysterie, Stenokardie entweder einen wiederholten Ohnmachts¬
anfall oder Luftembolie durch angeschnittene Hautvenen oder endlich zu
rasche Expansion der relativ atelektatisch gewesenen Lunge heran. (Auch
die Möglichkeit einer Intoxikation oder Idiosynkrasie gelegentlich der In¬
filtrationsanästhesie wäre nicht von der Pland zu weisen. Ref.) Esch.
Röntgenologie und physikalische Heilmethoden.
Zur Physiologie der Massage,
.(Karl Rosenthal, Berlin. Zeitschr. für phys. u. diät. Ther., Bd. 12, 1908/09.)
In einer Anzahl von Arbeiten berichtet R. über die Ergebnisse seiner
Untersuchungen, die darauf abzielten, die Lücken, die noch bezüglich der
physiologischen Grundlagen der Massage so zahlreich vorhanden sind, nach
Möglichkeit auszufüllen. R. kommt dabei zu sehr interessanten Resultaten.
Zunächst wurde der Einfluß der Massage auf die elektrische Erregbarkeit
des ermüdeten und ruhenden Muskels geprüft. Dabei zeigte sich für den
Kaltblütermuskel, daß eine Massage von fünf Minuten Dauer eine bedeutende
Erhöhung der elektrischen Erregbarkeit des ermüdeten Muskels bewirkt
und zwar eine viel bedeutendere als sie durch Ruhe von gleicher Dauer je
erreicht werden kann. Auf den nicht ermüdeten Muskel hat die Massage
bezüglich einer Veränderung der elektrischen Erregbarkeit keinen Einfluß.
Für den Warmblütermuskel ergaben sich bezüglich dieser Fragen, die gleichen
Referate und Besprechungen.
515
Verhältnisse. — Was nun einen anderen, auch für die Praxis sehr wich¬
tigen Punkt betrifft, wieweit nämlich der mechanische Einfluß der Massage
auf das Fettgewebe reicht, so ergaben hier ganz exakt vorgenommene Probe¬
exzisionen mit nachfolgender Härtung und Färbung, daß das Fettgewebe
keinem noch so starkem Drucke ohne Läsion weicht, daher Massage der Bauch¬
deeken behufs Entfettung*, wie bisher, zu verwerfen ist. — Es wurden
auch plethysmographische Untersuchungen über die Volumenveränderung des
menschlichen Arms durch Massage angestellt. Da zeigte sich, daß der ermüdete
Muskel blut- und stoff reicher ist als der ruhende. Die Blut- und Saftfülle
wird durch Massage noch erhöht; dies erklärt sich theoretisch wohl daraus,
daß bei der Ermüdung eine Art Stauung des Blut- und Lymphstroms zu¬
stande kommt, während die durch die Massage bewirkte Beschleunigung
der Blut- und Säftezirkulation die bereits begonnene Regeneration des Mus¬
kels beschleunigt und verstärkt. Fuerstenberg.
Radium als Kropferzeuger.
(Repin. Academie des Sciences, 19. Oktober 1908.)
Rep in hat 14 Quellen in den Departements Savoie und Haute-Savoie auf
ihren Radiumgehalt untersucht und dabei beträchtliche Zahlen erhalten. Weil
in diesen Gegenden, ebenso wie in anderen, wo das Wasser aus großen Tiefen
bezw. aus Eruptivgestein herstammt, der Kropf sehr verbreitet ist, so bietet
sich der Kausalnexus von selbst dar. Besonders interessant ist der Ort
Bourg-d’Oisans ; dessen Bewohner sind kropffrei, dagegen haben alle vier
Personen in einem Gehöft, das von einem besonderen, radioaktiven Brunnen
versorgt wird, vergrößerte Schilddrüsen.
Wenn Repin außerdem noch auf die Häufigkeit des Kretinismus in
den schweizerischen, steirischen, norischen Alpen, in Sardinien und Korsika,
Karpathen, Pyrenäen, Ural, Himalaya, Tibet usw. hingewiesen hätte, wäre
das eine weitere Stütze für seine Theorie, die unzweifelhaft viel Bestechen¬
des hat, Buttersack (Berlin).
Über Technik und Wirkung der Stauungshyperaemie und ihre Ver¬
wendung in der Praxis.
(Kurt Schmidt. Wiener klin. Rundschau, Nr. 36, 37, 38 u. 39, 1908.)
Wenn der Angabe des Verf., daß „die Berechtigung und der Wert der
Bie.r’schen Stauung heute ziemlich allgemein anerkannt sei“ auch nicht
ganz beigepflichtet werden kann, so verdient die Frage, die er sich stellt :
„Ist die Hyperämie als Heilmittel für den praktischen Arzt brauchbar?“
um so mehr Beachtung. — - Nach eingehender Erörterung der Technik, an
die sich eine sehr bemerkenswerte Empfehlung der unerläßlichen Vorsichts¬
maßregeln anschließt, bespricht der Verf. die Heilwirkungen der Methode
und kommt zu dem Schlüsse: „Jedenfalls bedeutet die Behandlung mittels
Hyperämie auf dem weiten Gebiete der äußeren Entzündungen und auch
bei manchen inneren Krankheiten einen gewichtigen Fortschritt in der The¬
rapie, den auch der praktische Arzt ergiebiger als jetzt ausnützen könnte.“
Steyerthal-Kleinen.
Orthodiagraphische Beobachtungen über Veränderungen der Herzgröße
bei Infektionskrankheiten, bei exsudativer Perikarditis und paroxysmaler
Tachykardie nebst Bemerkungen über das röntgenologische Verhalten
der Pneumonie.
(Dr. H. Di et ler, Straßburg. Münch, med. Wochenschr., Nr. 40, 1908.)
Verfasser hat bei Scharlach, Diptherie, akuter Polyarthritis, Typhus
abdominalis, fibrinöser Pneumonie und Sepsis orthodiagraphische Unter¬
suchungen des Herzens vorgenommen. Er fand bei jeder dieser Krankheiten
einen mehr oder weniger großen Prozensatz von Fällen, in denen die Fläche
33*
516
Referate und Besprechungen.
des orthodiagraphischen Herzbildes das normale Durchschnittsmaß übertraf.
Am häufigsten wurden diese Herzveränderungen bei Scharlach, Diphtherie
und akuter Polyarthritis, am seltesten beim Typhus gefunden. Bei Schar¬
lach und Diphtherie trat die Herzvergrößerung gegen Ende der ersten und
zu Anfang der zweiten Krankheitswoche auf und ging nur sehr allmählich,
und fast nie vollständig zurück, blieb sogar in dem einen Palle dauernd
bestehen. Nebenbei wurden mitunter Veränderungen des Pulses, des Spitzen¬
stoßes und des auskultatatorischen Befundes beobachtet. Bei der akuten
Polyarthritis war bemerkenswert, daß be|i 8 Fällen von Herzvergrößerung nur
einmal Endokarditis nachweisbar war und daß bei 3 Fällen mit Endo¬
karditis keine Herzvergrößerung gefunden wurde.
Bei 3 Tachykardien wurde während der Anfälle orthodiagraphisch
keine Vergrößerung, sondern eine geringe Verkleinerung des Herzens nach¬
gewiesen.
Bei der fibrösen Lungenentzündung konnte D. als Nebenbefund fest-
steilen, daß vor dem Auftreten und dem Abklingen des charakteristischen
Perkussionsbefundes sich eine Schattenbildung in der Hilusgegend nach-
weisen ließ.
Am Schluß spricht D. über die röntgenologische Differentialdiagnose
zwischen Herzerweiterung und perikarditischem Exsudat:
Das Schattenbild des Exsudates ist das eines dem Zwerchfell platt auf-
sitzenden Beutels mit sehr schmalem, wenn auch sehr kurzem Halse. Sein
Querdurchmesser ist ebenso lang oder länger als der Längsdurchmesser, so
daß oft die rechte Grenze die rechte Brustwarze, die obere das Schlüssel¬
bein erreicht, was beim vergrößerten Herzen nie vorkommt.
Die Schattengrenze bei Exsudat ist glatt und ohne Pulsation. Hahn.
Glühlichtbäder bei Asthma bronchiale.
(Al. Straß er. Monatsschr. für d. pliys.-diät. Heilmethoden, Bd. 1, S. 17 — 32, 1909.
In der ,, Medizinischen Klinik 1908“, Nr. 1 hatte Ad. Strümpell aufs
wärmste die Behandlung des Asthmas mit elektrischen Glühlichtbädern emp¬
fohlen; Strass er, der diesem Rat gefolgt war, bestätigt die Wirksam¬
keit dieser Therapie. Er gab die Lichtbäder allemal einen um den andern Tag
und füllte die Zwischentage mit leichten, tonisierenden hydriatischen Pro¬
zeduren aus. Im Lichtkasten ließen sich auch schwere Fälle auf der Höhe
des Anfalls koupieren.
Bei der Schwierigkeit der Therapie des Asthmas erscheint jeder Hinweis
dankenswert, der irgendwie Besserung verspricht. Buttersack (Berlin).
Zur Hydriatik des IVIorb. Brightii.
(J. Sadger, Wien-Gräf enberg. Tlier. Rundschau, Nr. 47, 1908.)
Während die frühere Annahme, daß durch Hyperämisierung der Haut
eine Dekongestionierung der Nieren bewirkt werde, sich als unhaltbar er¬
wiesen hat, ist das funktionelle Eintreten der Haut für die Nieren eine thera¬
peutisch sehr wichtige Tatsache; denn, wenn auch die angestrengteste Haut¬
tätigkeit auf die Dauer die Nierenfunktion nicht völlig ersetzen kann, so
ist diese Ersatztätigkeit doch weitaus die bedeutsamste für die durch die
Niereninsuffizienz bedrohte Erhaltung des Lebens.
t Gegen die von altersher erstrebte Beseitigung der Ödeme durch Schwitz¬
prozeduren wurde neuerdings von Leube und Strauß das Bedenken erhoben,
daß die in den Ödemen deponierten krankhaften Stoffwechselprodukte mit
dem Schwinden jener wieder in die Blutbahn gelangen und Urämie hervor-
rufen könnten. Diese theoretischen Bedenken hat die Praxis jedoch nicht
bestätigt, man muß nur die Diaphorese nicht zu sehr forcieren und sie bei
Schrumpfniere und den Übergangsformen zu dieser ganz unterlassen.
Als ein sehr wichtiges diuretisches Heilmittel bei Hydrops hebt S.
sodann die Kar eil’ sehe Milchkur hervor (3 — 4'mal tgl. je 60—200 g abge-
Referate und Besprechungen.
517
rahmte Milch 5 — 6 Wochen lang unter ev. Steigerung bis auf 3 1 täglich
langsam trinken, lassen, in der 2. oder 3. Woche bei ausgesprochenem
Hunger eine altbackene Semmel oder etwas Milchsuppe mit Grütze). Unter¬
ernährung tritt dabei nicht ein, wie ja auch diese Kur beweist, daß der
Mensch nur die Hälfte der bisher angenommenen Kalorienzahl bedarf.
Was die spezielle Hydriatik der einzelnen Formen betrifft, so emp¬
fiehlt S.:
1. bei akuter Nephritis z. B. bei Scharlach, die übliche Halbbäder¬
behandlung, hier, da Kälteapplikationen nicht vertragen werden, in der Tempe¬
ratur von 32 — 29° unter kräftiger Frottierung; bei geringem Fieber und starken
Ödemen sind schweißtreibende Prozeduren indiziert (heiße Wannen-, Dampf¬
kasten-, Wannendampf-, Heißluft-, elektrische Licht- oder Sandbäder). Speziell
das heiße Bad beginne mit 38° und steige rasch auf 40°, nicht länger als 1/4
bis höchstens 1/2 Stunde bei Erwachsenen mit 1 — 2 ständigem Nachschwitzen
in Wolldecken. Sind wenig Ödeme vorhanden, so können auch indifferente
Bäder von 34—35° und 1 — l1/2stündiger Dauer gegeben werden. Strasser
wechselt bei Ödemen praktisch mit beiden Prozeduren ab.
2. bei der subakuten und chronischen Nephritis und vor allem
bei der Schrumpfniere ist besonders auf das Herz und auf die schlechte
Hautreaktion und Temperaturempfindlichkeit des Nephritikers zu achten.
Wenn hier ja auch Kälteapplikationen im Gegensatz zur akuten Nephritis zur
Anwendung kommen können, so dürfen sie doch nur kurz und flüchtig und
nicht zu kalt sein, und müssen stets mit energischer Friktion bis zur Haut¬
rötung einhergehen; die Reaktion muß auf jede Art erzwungen werden.
a) Bei den leichteren Formen der chronischen Nephritis (Albuminurie
ohne sonstige Erscheinungen) beginnt man mit 15°igen Teilabreibungen um
zu 22 — 20° Ganzabreibungen überzugehen, ferner kurze 14° Übergießung, kurzes
Tauchbad, 20 — 18°, 1 Minute, kurze Duschen 20 — 18°. Vorwärmung ist nur
selten erforderlich.
b) Bei den schweren Formen, noch ohne Ödeme und Urämie werden eben¬
falls Teil- und Ganzabreibungen, Begießungen, Duschen, alle mit etwas höheren
Graden, auch Halbbäder von 28 — 25 0 und 3 Minuten Dauer, mit Vorwärmung
im Dampfkasten oder Dampfbadewanne bis zu 25 Minuten (Herzkühler !) ange¬
wandt. Strasser empfiehlt systematische Behandlung mit indifferenten
Bädern von 34 — 35 0 C und 1 — iy2stündiger Dauer mit nachfolgender einstüncli-
ger Bettruhe.
Treten trotzdem Ödeme auf, dann braucht man keineswegs, wie bei
der akuten Nephritis auf jede kalte Prozedur zu verzichten, vielmehr soll die
Herz ton isierung jetzt unsere vornehmste Rücksicht sein. Man macht früh¬
morgens im Bett eine 15° Teilabreibung mit gut ausgewundenem Tuch. Die
Ödeme verlangen jetzt allerdings die eingangs erwähnten Schwitzprozeduren
immer mit eingelegtem Herzkühler, nach dem 1/2 — 1 ständigen Nachdunsten
im Bett kommt dann aber immer die Abkühlung, allerdings mit etwas höheren
Graden z. B. 20° Übergießung oder Duschen mit kräftigem Trockenfrottieren,
nachher ein wenig Bewegung in freier Luft. Bei fortgeschrittenen Leiden
fällt letztere fort, die Abkühlung erfolgt vor dem Nachdunsten.
W egen der notwendigen Herzschonung darf' das Schwitzen stets nur
gelinde sein und muß bei hochgradiger Herzschwäche ganz unterbleiben. In
letzterem Falle statt dessen 2 mal tägliche Teilabreibung und Herzkühler.
c) Beim akuten urämischen Anfall neben Exzitantien und Aderlaß kurze
heiße Bäder, 40 — 43° und 5 — 10 Min. mit kalten Übergießungen und kalten
Klistieren. Die chronische Urämie wird gleich dem Grundleiden behandelt,
bei Kopfschmerzen ständige heiße Fußbäder, kalte Kopfumschläge, bei
Übelkeit, Brechen, Singultus nach Winternitz Stammumschlag mit einge¬
legtem heißen Schlauch auf die Magengegend, bei Durchfall Leibbinde und
wechselwarme Sitzbäder (35° 10 Min., dann 15° 2 Min.) bei zerebralen Sym¬
ptomen kurze Halbbäder von 28 — 25°, 2 — 3 Min. mit 20° Nackenübergießung,
die längeren indifferenten Bäder sind bei chronischer Urämie kontraindiziert,
dergleichen bei :
518
Referate und Besprechungen.
d) der Schrumpf nier e. Sie erfordert ebenfalls Teil- und Ganzab¬
reibungen, Begießungen, Duschen, Herzkühler, endlich, was auch symptoma¬
tisch sehr günstig wirkt, kurze Halbbäder 28 — 25°, 2 — 3 Min. ev. mit
Vorwärmung, Verminderung der Flüssigkeitszufuhr, geeignete Herzgymnastik.
Esch.
Aus dem Institut für physikalische Heilmethoden in Wien.
Hysterie und Hochfrequenzströme, nebst Bemerkungen zur Pathogenese
der Hysterie.
(Dr. Max Kaliane. Med. Klinik, Kr. 43, 1908.)
Die Hochfrequenzströme haben, wie K aha ne auf Grund seiner jahr-
langen Beobachtungen gefunden hat, im allgemeinen bei lokaler Anwendung
gefäßverengende, sekretionsbeschränkende, schmerz- und juckreizlindernde, bei
allgemeiner Anwendung beruhigende und zugleich anregende Wirkung. Ein
auffallender Unterschied zeigte sich bei ihrer therapeutischen Verwertung
an Neurasthenikern und Hysterikern; während erstere außerordentlich günstig
beeinflußt wurden, lehnten die Hysteriker schon nach der ersten Sitzung
eine Weiterbehandlung wegen der Verschlimmerung ihres Zustandes ab. Diese
Tatsache veranlaßt Kahane, auf das Wesen der Hysterie etwas einzugehen,
deren Pathogenese noch völlig ungeklärt ist. Das Versagen der anatomisch-histo¬
logischen und der chemischen Untersuchungen einerseits und das auffällige
Verhalten gegen Hochfrequenzströme andererseits läßt den Gedanken auf¬
komm en, mittels der Physik einer Erklärung zu suchen, wobei man daran denken
könnte, die Hysterie als eine Zustandsänderung des Nervensystems hinsicht¬
lich der Reaktion gegen bestimmte elektrische Energieformen zu erklären,
was soviel heißen würde als die vitale Elektrizität zur Forschung über die
Pathogenese der Neurosen wieder heranzuziehen. F. Walther.
Allgemeines.
Aus der amerikanischen periodischen medizinischen Literatur.
(Dezember — Januar 1908/09.)
The Poist-Graduate. Dezember 1908.
1. Der Monat. Erjslatz kranker Arterien und Organe durch ge¬
sunde. Von Dr. Alexis Carrel, Philadelphia, S. Spezialreferat! 2. Einige
gerichtlich-medizinische Punkte der Trunkenheit. Von Dr. Alfred
Lawrence, Lehrer der Geistes- und Nervenkrankh. an d. P. Grad. med.
sch. and hosp., New-York. Läuft darauf hinaus, daß, wie es bereits Spezialisten
für Geistes- und Nervenkrankheiten gibt, es auch Experten oder Spezialisten
zur Bekämpfung der Trunksucht (inebrietists) geben sollte. 3. Pyurie bei
Frauen. Von Dr. Henry Dawson Furniss, Lehrer der Frauenkrankheiten,
P. Gr. sch. and hosp., New-York. Die kurze Urethra, die Beziehungen des
Uterus und der Ovarien zur Blase des Weibes machen die Pyurie bei diesen
verschieden von der des Mannes. Dies rechtfertigt eine besondere Betrach¬
tung der ersteren, jedoch nur, soweit der Eiter aus der Urethra selbst kommt,
in differentiell - diagnostischer Beziehung. 4. Gallensteine. Lockere
Nieren. Von Dr. Robert T. Morris, Vorstellung eines Falles, wobei M.
darauf hinweist, daß nicht selten cholecystitische Adhäsionen alle Symptome
eines Gallensteinleidens Vortäuschen. Besprechung seines Operationsverfahrens.
Bei der Vorstellung eines zweiten Falles Hinweis darauf, daß eine lockere
Niere einmal den Appendix kongestionieren und empfindlich machen kann,
wenn sie auf die obere Mesenterialvene drückt, sodann aber gelegentlich auch
vorübergehend Gelbsucht verursacht, 5. NierentuberkuLose, Septi¬
scher Niereninfarkt, Von Dr. George W. Warren, Lehrer der Uro-
genital-Krankheiten, P. Gr. med. sch. and hosp., New-York. Vorstellung eines
Falles von Nierentuberkulose. Entfernung der linken Niere und des Ureters
bis zur Blase. Der Fall ist noch in Behandlung. Bei Stellung der Diagnose
ist daran zu denken, daß bei Nierentuberkulose der Harn auch klar sein
Referate und Besprechungen.
519
kann, da der Tuberkelbazillus meist keine Eiterung macht. In einem zweiten,
ebenfalls vorgestellten Fall von Urämie konnte die Diagnose mit Hilfe der
Cystoskopie auf Abszeß der linken Niere gestellt werden, die entfernt wurde
und die Diagnose bestätigte — sie war mit miliaren Abszessen durchsetzt.
Das perirenale Fettgewebe zeigte Koagulationsnekrose. Genesung. In der
Diskussion wurde Warnen zu diesen Erfolgen mit Recht beglückwünscht.
6. Der Wert der Labor atoriumsi-Hilf e bei der Diagnose des Typhus.
Von Dr. T. Homer Coffin, Lehrer der Pathologie, P. Gr. school usw. So
wertvoll die Resultate der Blut-, Stuhl-, Harn- usw. Untersuchungen im
Laboratorium sind, so soll doch die Diagnose auf sie allein hin nicht gestellt
werden. Betrachtung der hierher gehörigen Untersuchungsmethoden. Ein
positiver Widal, in der zweiten oder dritten Woche, ist ein sicheres Zeichen,
ein negativer schließt, besonders in den frühen Stadien, Typhus nicht aus.
Nach Widal kommt die Blutuntersuchung. Die relative Vermehrung der
Mononuklearen auf Kosten der Polymorphonuklearen und das Fehlen einer
Leukozytose differenziert Typhus von mit Eiterbildung einhergehenden ent¬
zündlichen Zuständen. Am sichersten sind Blutuntersuchungen, sie geben
in frühen Stadien die meisten positiven Resultate. Bakteriologische Stuhl-
und Harnuntersuchungen sind wertvoll in zweifelhaften Fällen. In der
Diskussion erwiderte Coffin, daß die Laboratoriumsfunde nur als Hilfs¬
mittel bei der Diagnose betrachtet werden können und mit den klinischen
Befunden zusammengehalten werden müssen. 7. Die Wirkungen der Harn¬
säure auf das Urogenitalsystem. Von Dr. James Pedersen, Adjunkt-
Professor der Urogenital-Chirurgie, P. Gr. school usw. Übersaurer Harn, oft
der Vorläufer der harnsauren Diathese, bewirkt als Irritans zuerst Nieren¬
reizung, nach längerer Einwirkung interstitielle oder parenchymatöse Nephri¬
tis, Ureteritis, Zystitis und Urethritis. Harn mit harnsauren Kristallen wirkt
traumatisch. Beides, die Reizung durch den übersauren, und das Trauma
durch den mit Kristallen beladenen Harn machen die betroffenen Gewebe
leichter zugänglich für Infektionen. Während ein Stein oder mehrere lange
in der Niere, im Nierenbecken oder im Ureter sein können, ohne Schmerz
oder Hämaturie zu veranlassen, wachsen die Harnsäurekristalle durch Apposi¬
tion auch von Phosphaten, bilden Steine und machen Eiterung. Auf ähnlichem
Wege entsteht Pyelonephrose und Pyelonephritis, Ureterverschluß, Stein-
anurie, Blasensteine, Urethritis, Prostatitis. In der Diskussion antwortete
P. auf die Fragte, was er unter übersaurem Harn verstehe? daß er solchen
meine, der bei der gewöhnlichen Lackmusreaktion vermehrten Säuregehalt
anzeige. Im übrigen lieferte die Diskussion Beiträge zum Vortrage P’s. —
in dem Referatenteil (abstract department), der nach Spezialitäten unter
Leitung von Spezialisten geordnet ist und alle Gebiete umfaßt, ist fast die
Hälfte der Arbeiten, über welche referiert wird, deutsch (aus der Berliner
klinischen, der deutschen mediz. Wochenschrift, Virchow’s Archiv usw.). Wir
erwähnen 3 Referate. 1. Eine neue Methode gemischter Narkosle. Von
Dr. Br u n er i (Gaz. med. Ital. 1908, Nr. 30). Zur Vermeidung der Gefahren
des Chloroforms gibt B. mehrere Stunden vor der Operation eine Kombina-
tion von Veronal und Dionin, die besser als alle anderen sein soll und nicht
toxisch wirkt-, auch bei Kindern, besonders aber bei Nervösen, da Dionin
spezifisch auf die Nervenendigungen wirkt, Dosen 2 Stunden vor der Ope¬
ration: Veronal 8- — 12 Gran, Dionin 1/6 — 1/2 Gran bei Männern. Bei Frauen:
Veronal 6 — 8, Dionin ebenso. Bei Kindern: Veronal 4 — -6, Dionin 1 /6 Gran.
Dann genügen gewöhnlich 75 mm Chloroform zur Narkose. Keine Nach-
symptome. 2. Laborator|iumsmethoden bei der Diajgmose von Pan¬
kreaskrankheiten. Von Dr. Albert E. Taussig (Interstate medical Jour¬
nal, Sept. 1908). Darstellung der wichtigsten Laboratoriums- Untersuchungs-
methoden, die bei Pankreasleiden zur Stellung der Diagnose beitragen können.
(Blut, Mageninhalt, Stuhl, Urin.) 3. Einige Drogen im Harn. The Ho¬
spital, 1908, 24 Okt., S. 90). Übersicht fast aller Reaktionen, die der Harn
gibt, (Copaiva, Kubeben, Rhabarber, Santonin, Salizyl, Antipyrin, Tannin.
Karbol, Bromnatrium, Jodnatrium, Chloral, Morphin usw.).
520
Referate und Besprechungen.
The american journal. o f the medical siciences. Januar 1909.
1. Die klinische Bedeutung der Glykosurie bei schwang'eren
Frauen. Von Dr. J. Whitridge Williams, Prof, der Geburtshilfe an
der John Hopkin’s- Universität, Baltimore. Kaum eine Schwangerschafts¬
komplikation hat verschiedenere Deutungen erfahren als die Glykosurie. W.
stellt 6 eigene bezügliche Fälle vor und kommt dann nach einer Analyse
der Literatur zu folgenden Schlüssen: 1. Eine positive Reaktion mit Fehling-
scher Lösung in der Schwangerschaft, beweist nicht notwendig Diabetes son¬
dern hängt gewöhnlich von Laktosurie oder vorübergehender alimentärer
oder rekurrierender Glykosurie ab. 2. In solchen Fällen muß man bestimmen,
ob der Zucker als Laktose oder Glukose vorkommt, da Laktosurie ohne klinische
Zeichen und wahrscheinlich mit vorzeitiger Brusttätigkeit verbunden ist.
3. Die Bedeutung der Glykosurie ist nicht so klar. Wenn alimentär, ist sie
unschuldig, sie kann aber auch wahren Diabetes anzeigen. 4. Schwanger¬
schaf tsglykosurie nicht über 2% und ohne Symptome, verschwindet meist
am Ende der Schwangerschaft. 5. Ernster wird die Sache, wenn der Zucker
früh und in höherem Maße erscheint. Eine positive Diagnose ist hier erst
nach der Entbindung möglich, wenn der Zustand bei Glykosurie schwindet,
bei Diabetes aber bleibt. 6. Eine Diabetische kann schwanger, eine Schwangere
diabetisch werden. Beides ist ernst, aber die Prognose nicht so schlimm wie
gewöhnlich angenommen. 7. Ist der Zucker reichlich und kann er nicht
kontrolliert oder durch geeignete Maßnahmen vermindert werden, so ist künst¬
licher Abort selbst in anscheinend nicht ernsten Fällen angezeigt. 2. Medi¬
zinische Gymnastik bei myokardialer Un tüchtigkcit (incompe-
tence) ohne Klappenfehler. Von Dr. Robert Barcock, ehemals Pro¬
fessor der Brustkrankheiten usw. an der Universität von Illinois, Chicago.
Gemeint sind hauptsächlich die Geschäftsleiter, die beständig unter dem
hohen Druck der Anforderungen des modernen Lebens arbeiten, welcher Druck
zwar nicht der einzige oder auch nur hauptsächlichste Faktor zur Herbei¬
führung kardiomuskulärer Schwäche ist, aber stark dazu beiträgt. Solche
Leute sterben oft an Herzkrankheiten. Als ein Prophylaktikum empfiehlt B.
nach seinen Erfahrungen in frühen Fällen geeignet geleitete medizinische
Gymnastik. 3. Der Wert der Inunktionsmetkode bei Kindern (the
value of the inunction rnethod of administrering drugs to children). Von
Dr. B. R. Rachford, Prof, der Kinderkrankheiten an der Universität Cin¬
cinnati, Ohio. Seit seiner ersten Veröffentlichung vor 14 Jahren ist R. zu
der Überzeugung gelangt, daß Inunk tionen von Guajakol das beste Mittel
zur Behandlung der Tuberkulose bei Kindern sind. Demzufolge hat er die
Tnunktion auch anderer Drogen bei hereditärer Syphilis und Brustkrank¬
heiten (Bronchitis, Pneumonie) versucht und hält diese Methode für besser
als das Eingeben durch den Mund. Aufzählung der Gründe hierfür, Be¬
schreibung der Technik, Beispiele von Salizyl-, Guajakol'-, Jod-, Öl-, Winter-
£>reen-, Merkur-, und Kolloidsilber-Inunktionen, welche letzterer auch bei
Septikämie anwandte. 4. Die Behandlung irreduzibler angeborener
Hüf tgelenksluxationen auf operativem Wege. Von Dr. Gwilym G.
D avis, Prof, der angewandten Anatomie und Chirurg am orthopädischen
Hospital, Universität Philadelphia. Was kann in Fällen geschehen, die über
die Zeit (10 Jahre) hinaus, sind, wo die Luxation auf nicht-operativem Wege
zurückgebracht werden kann? Vorstellung dreier von ihm operierter Fälle.
Abbildung von Instrumenten. 5. Die postoperative Behandlung malig¬
ner Krankheiten. Von Dr. Ennion G. Williams, Radiograph am Me¬
morialhospital, Richmond, Virginia. Die Prinzipien, auf denen die post¬
operative Behandlung maligner Krankheiten mit X-Strahlen 'basiert, sind:
entweder sind einige Zellen des- malignen Gewächses im Gewebe zurückge¬
blieben — dann ist die Behandlung mit X-Strahlen von spezifischer destruk¬
tiver Einwirkung auf diese Zellen, oder es sind solche nicht zurückgeblieben,
dann ist eine derartige Behandlung nutzlos und nicht indiziert. Ersteres ist
zwar jetzt seltener als früher, kommt aber bekanntlich noch vor. Als Bei¬
spiel für die Durchführung seines Gedankenganges nimmt W. ein Karzinom
Referate und Besprechungen.
521
und kommt zu dem Schluß, daß die postoperative Behandlung mit X-Strahlen
stets indiziert ist, um dem Kranken bei der Möglichkeit des Zurückbleibens
maligner Zellen die möglichsten Chancen dauernder Heilung zu geben.
6. Die Differenzierung der ■ gewöhnlichen Typen protrahierter
Fieber. Von Dr. David Bovaird, Ir., Columbia-Universität, Presby ter-Ho-
spital, New- York. Die Schwierigkeit, protrahierte Fieber ohne gleichzeitige
Anwesenheit anderer charakteristischer Zeichen zu differenzieren, ist bekannt:
Im Presbyter-Hospital kamen in den letzten Jahren mehrere hierhergehörige
Fälle zur Beobachtung, B. betrachtet demzufolge der Reihe nach 1. typhöses
Fieber, 2. Tuberkulose, 3. Septikämie, 4. Influenza, 5. unaufgeklärte Fieber
an der Hand einzelner Fälle (Malaria ist absichtlich ausgelassen) und
kommt zu folgenden Schlüssen: 1. Fieber ohne die spezifischen Blutparasiten
ist keine Malaria. 2. Typhöse Fieber sind gleich sicher zu erkennen oder
auszuschließen durch kombinierte klinische und Laboratoriums-Untersuchung.
3. Tuberkulose und Sepsis zeigen oft so ähnliche klinische Züge, daß sie
mitunter nur durch den Ausgang oder die Autopsie auseinander gehalten
werden können. 4. Protrahierte Influenzafieber können gewöhnlich durch
die Umstände, unter welchen sie auftraten, den plötzlichen Beginn, durch
charakteristische Symptome und den Verlauf erkannt werden. 5. Sepsis
ist in einzelnen Fällen angezeigt durch sehr hohen Betrag von Leukozyten mit
hohem Prozentgehalt von Polynuklearen, bevor noch eine Lokalisation des
Prozesses erkennbar ist. 6. Blutkulturen sind sehr wertvoll besonders bei
Typhus und Endokarditis. 7. Es bleiben Fälle übrig, die bis jetzt noch nicht
genügend klassifiziert werden können. 7. Gewisse Komplikationen der
Pneumonie. Von Dr. M. H. Fusis’ell, Assistent-Professor d. Med. an der
Universität von Pennsylvanien, Philadelphia. Mitteilung von Fällen aus der
Praxis und zwar Nieren- und Verdauungsstörungen, Mittelohrerkrankungen,
Herzdilatation, Peri- und Endokarditis, Arthritis, Meningitis, Pleuritis.
8. Inf luen za-Meningitis, Von Dr. Bers-on A.. Cohoe, resident pliysi-
cian am John Hopkins Hospital, Baltimore, Die bis jetzt publizierten Fälle
von Influenza-Meningitis mit exakter bakteriologischer Diagnose, dem besten
Beweis der vielfach angez weif eiten Pathogenizität des Pf ei ff er’schen Bazillus
sind' nicht sehr zahlreich, werden sich aber mit genauerer Untersuchung der
Cerbrospinalflüssigkeit mehren. Mitteilung eines Falles bei einem Erwachse¬
nen mit Ausgang in Genesung. Geschichtliches, Pathologische Anatomie,
Bakteriologie, Pathogenese, Differentialdiagnose, Alter und Geschlecht, Be¬
handlung werden besprochen. 9. Leuc;htgas-Vergif tung. Von Dr. Glenn
J. Jones, klinischer Assistent für die Außenkranken am George Washington-
Universitäts-Hospital, Lehrer der Anatomie, Washington. Chemie des Leucht¬
gases. Vorkommen der Leuch tgasvergiftung (Statistik), Symtomatologie, Dia¬
gnose, Prognose, Pathologie, Behandlung. 10. Zirkumskripte seröse
Spinalmeningitis, Von Dr. William G. Spiller, Prof, der Neuropatho¬
logie an der Pennsylvania-Universität, Philadelphia. Eine Ansammlung klarer
Flüssigkeit in einer Zyste der mater pia spinalis ist ein in Amerika wenig
bekannter Zustand, es wird nur über einen Fall berichtet (Spill er, Muser
und Martin 1903), die deutsche Literatur enthält nur wenige, die franzö¬
sische und englische keine Beispiele. Spiller bespricht nun die bekannt
gewordenen Fälle von Mendiel und Adler, Krause und Oppenheim und
meint schließlich, gewisse Fälle mit den Symptomen eines Spinaltumors
seien einer chirurgischen Intervention zugänglicher als viele andere.
11. Varix einer Nierenpapille als Ursache persis tirender Haema-
turie. Von Dr. Hugh Cabot, Chirurg für die Außenkranken, allgem.
Massachusetts-Hospital, Boston. 1898 hat Hurry Fenwick über einen Fall
von Papillektomie als Ursache einer 5 Jahre dauernden intermittierenden
Hämaturie berichtet, in welchem variköse Venen in der Schleimhaut der
Papille sich fanden. Seitdem bat er 5 ähnliche Fälle gesammelt. In Mass.
scheint noch kein derartiger Fall veröffentlicht zu sein. Über einen solchen,
von Dr. M. H. Richtar dsion operierten, berichtet C. mit mikroskopischen
Abbildungen und schließt daran die 6 Fälle Fenwick’s. 12. Das Immuni-
522
Referate und Besprechungen.
tätsproblem hei Tuberkulose. Von Dr. Edwaird R. Baldwin, New-
York. Erinnert u. a. an die nicht allgemein bekannten (schon 1889 in Amerika
angestellten Immunisierungsversuche mit abgeschwächten Kulturen von Dixon,
Trudean (1892), E. de Schweinitz (1894) und Theobald Smith (1895).
13. Die Cammid ge- Reaktion bei experimenteller Pankreatitis. Von
Dr. John Speese und Dr. Edward H. Goodman, Philadelphia. Systema¬
tische Experimente über den Wert genannter Reaktion. 5 Hunden wurden
10 — 30 ccm Baumwollensamen öl in den duct. pancreat. injiziert, wodurch
eine schnelle Nekrose des Pankreas entsteht. Bei 3 wurde der Urin vor und
nach der Operation untersucht, bei 2 ersteres unterlassen. Die Hunde wurden
nach 8 Stunden getötet. Fall 1: Urin vorher nicht untersucht. Nachher
positive Reaktion. Fall 2: Reaktion vorher und nachher negativ. Fall 3:
Vorher nicht untersucht, nachher positive Reaktion. Fall 4: Vorher negative,
nachher positive Reaktion. Fall 5: Vorher und nachher negative Reaktion.
Um nicht — akute Pankreatitis zu erzeugen, wurde der duct. pancreat.
unterbunden, der Urin vor Anlegung der Ligatur und 24 Stunden nach der
Operation untersucht. War die Reaktion positiv, so wurde der Hund ge¬
tötet. und das Pankreas mikroskopiert. Eine solche mechanische Obstruktion
scheint allemal eine positive Cammidge-Reaktion zur Folge zu haben. Die
Versuche werden fortgesetzt. 14. Einige Beobachtungen über die Chi¬
rurgie der Gallenblase und Gallengänge. Von D. W. D. Hamilton,
Mitteilung von 8 Operationsfällen, darunter 1 Cholecystenterostomie, aus
der eigenen Praxis und der des Dr. Charles S. Hamilton vom 1. Jan.
1907 bis 1. April 1908, die meist im Mount Carmel- Hospital ausgeführt wur¬
den. In diesem waren im ganzen 59 Gallenkranke, von denen 56 nach der
Operation genasen, 3 starben. Hervorgehoben wird, daß, wenn die Krank¬
heit auf die Gallenblase beschränkt ist, die Gefahr der Operation minimal
ist, aber zunimmt, wenn der duct. commun. Sitz einer obstruktiven und in¬
fektiösen Cholangitis ist, denn dann leidet der Kranke sowohl an chronischer
Sepsis, als auch an cholämischer Infektion. Wenn möglich, soll die Gallen¬
blase erhalten werden, und die Frage, ob sich ihre Funktion und die des
duötus cysticus nicht wiederherstellen läßt, ist vor der Cholecystektomie sorg¬
sam zu erwägen.
The St. Paul medic'aJ journal. Nr. 1, Januar 1909.
1. Die Wichtigkeit der Sorge für arme, an Knochen- und
Gelenk tuberkulöse leidende Kinder, und wie der Staat Minnesota
für diese sorgt. Von Dr. Arthur J. Gillette, Chirurg am Minnesota-
Hospital für verkrüppelte und deformierte Kinder, Prof, der Orthopädie,
St. Paul. Mit Abbildungen von Parks, Schulen usw. 2. Milch- und Fleisch-
Inspektion. Von Dr. A. O. Bj eil an d, Gesundheitskommissar in Man-
kato, Minn. Forderungen für diese Inspektion auf Grund eigener Erfahrungen.
Beschäftigt sich u. a. mit den Ansichten Koch’s und Behring’s. 3. In-
f lueozä-G astro-Enteritis. Von Dr. M. M. Gh eint, St. Paul. 4. Ein
Fall von akuter maniakalischer Aufregung bei einer 82jährigen
mit einer Studie über die mögjliche Beziehung des Blutdrucks
zu dem Zustande. Von Dr. Eugen Riggs, Prof, der Nerven- und Geistes¬
krankheiten, Universität Minnesota. Der normale Blutdruck bei gesunden
jungen Erwachsenen beträgt 110 — 130 mm Hg, starke Anstrengung kann
ihn um 20 mm Hg steigern, und klinisch kann das Manometer bis auf
300 mm steigen. 260 hat R. häufig gesehen. Hypertonische Arterienkon¬
traktion kommt allein oder mit Arteriosklerose und Atherom vor. Die Ge¬
fäßwand wird dicker, der Durchmesser ist reduziert und das Lumen ver¬
ringert. Im Gehirn wird durch eine solche Hypertonie lokale Anämie und
bei längerer Dauer Thrombose., .Erweichung oder Hämorrhagie veranlaßt.
Bei der in Rede stehenden Kranken betrug der Blutdruck 210 mm Hg,
durch die Behandlung wurde der Arteriendruck auf 130 herabgesetzt. Gleichen
Schritt damit hielt die Besserung. Der Hämoglobingehalt betrug 68%; rote
Blutzellen 5240000, weiße 17 350, Urin spez. Gew. 1024, sauer, kein Albumen,
kein Zucker, Harnstoff 1,7%, Indikan im Überschuß. Gewicht 63 Pfund.
Bücherschau.
523
13er Überschuß an Indikan wies auf Darmfäulnis hin und war wohl die
Ursache von Unreinigkeiten im Blut, die ihrerseits die arterielle Hypertonie
veranlaßten. Alte Leute sind für Toxine empfindlicher als junge. Mit Wieder¬
ansteigen des Blutdruckes auf 180 mm trat ein Rückfall ein, jetzt ist sie
bei 130 mm wieder auf’ dem Wege der Besserung. 5. Die Kosten der Krank¬
heit der Schwindsüchtigen, die 1907 in Minnesota starben und
ihre Verteilung. Von Christopher Easton, St. Paul. Eine mehr national¬
ökonomische Studie. Peltzer.
Bücherschall.
Medizinische Logik; Kritik der ärztlichen Erkenntnis. VonW. Bieganski,
übersetzt von A. Fabian. Würzburg, C. Kabitzscli. 1909. 237 Seiten.
4,50 bezw. 5,50 Mk.
Als ein Erbteil aus ihrer mystischen bezw. naturphilosophischen Periode
scheint den Medizinern im Allgemeinen ein gewisser Mangel an Logik anzuhaften.
Die Geschichte unserer Wissenschaft ist voll von Irrtümern, die z. T. auf un¬
genügender Kritik der Prämissen, z. T. auf falscher Verknüpfung der Tatsachen
beruhen; dahin gehört vor allem der beliebte Schluß: post hoc, ergo propter hoc.
Da ist es ein Verdienst, wenn von Zeit zu Zeit jemand an das logische
Gewissen pocht. Bieganski tut das in sehr geschickter Weise, indem er zu¬
nächst auf die Notwendigkeit reinen, nicht durch herrschende Hypothesen ge¬
färbten Beobachtens und auf die Bedeutung der Anamnese hinweist. Wie viele
gibt es nicht noch heute, die das, was die Patienten angeben, so gering als möglich
bewerten! Freilich „ist die Beschreibung der Tatsachen durch Kranke oftmals
irrig“ (S. 49); aber das gilt nicht für alle Menschen, jedenfalls nicht für die Ro¬
manen, von deren vorzüglichen Anamesen ich mich wiederholt persönlich über¬
zeugen konnte; und schließlich kommt es nicht auf alle Einzelheiten an, es ge¬
nügen oft retrograde Richtungslinien allgemeiner Art.
Im Abschnitt: Krankheitsbegriff faßt B. die Pathologie an der Wurzel. Für
ihn ist nicht das, was am Toten der Anatom aufzeigt, das Wichtige, sondern was
am Lebenden der Kliniker beobachtet. Aber die Kunst besteht nicht bloß darin,
möglichst exakt mit Hilfe der physikalisch -chemisch -bakteriologischen Unter-
suchungsmethoden ein bestimmtes Organ als erkrankt nachzuweisen, sondern einen
Einblick in den Zusammenhang, in den Ablauf der Phänomene, mithin in das
physiologische Geschehen zu gewinnen. Indessen, das ist mehr Intuition, Kunst,
als Wissenschaft; und die modernen Hilfsmittel des Experiments und der Statistik
lassen da oft im Stich.
Mit großer Wärme tritt B. für die Zweckmäßigkeit als ein biologisches
Prinzip ein, sowie für die elementare Bedeutung der psychischen Faktoren. Die
Bewertung der letzteren ist modern, die der Zweckmäßigkeit mehr als das; denn
sie lehnt sich gegen das auf, was wir heutzutage unter dem Kausalgesetz ver¬
stehen. Aber, so lehrte schon vor 30 Jahren der geistreiche Philosoph Eduard
Zeller, bei diesen natürlichen Ursachen dürfen wir nicht bloß an mechanische
denken, da ihre Wirkungen weit über das hinausgehen, was sich aus räumlichen
Bewegungen erklären oder in solche Bewegungen auflösen läßt; und wenn aus
denselben neben der unorganischen Natur auch das Leben, neben dem Vernunft¬
losen auch das Bewußte und Vernünftige nicht etwa nur zufällig im Laufe der
Zeit hervorgegangen ist, sondern notwendig, vermöge ihrer Natur, hervorgeht und
immer hervorging, wenn die Welt nie ohne Leben und Vernunft gewesen sein
kann, weil die gleichen Ursachen, welche das Leben und die Vernunft jetzt hervor¬
bringen, schon von Ewigkeit her wirkten und sie daher immer hervorgebracht
haben müssen, so werden wir die Welt als Ganzes, trotz der Naturnotwendigkeit,
die in ihr waltet, ja gerade wegen derselben, zugleich das Werk der absoluten
Vernunft nennen müssen.1)
Es scheint, als ob die Präponderanz der pathologischen Anatomie ihrem
Ende entgegenginge, und als ob Cruveilhi er’s2) Wunsch in Erfüllung gehen
„ •
’) Zeller: Uber teleologische und mechanische Naturerklärung in ihrer An¬
wendung auf das Weltganze. Abh. der Akad. der Wissetisch, Philosoph. -histor.
Klasse ß. 1. 1876. S. 38.
2) Couveilhier: Anatomie pathol. Livr. II. S. 5,
524
Bücherschan.
sollte: „L’anatomie pathologique ne doit pas etre une sterile contemplation de la
inort; eile est appelee ä jeter«une vive furniere sur les symptomes souvent si in-
coherents des maladies et a diriger les applications therapeutiques.“ Aber so ganz
überwunden sind die Zeiten noch nicht, von denen K. E. v. Baer3) schrieb: rEs
wurde als ausgemacht betrachtet, daß ein Naturforscher, der von Zweckmäßigkeit
spreche, ein Dummkopf sein müsse.“ Da kann man sich nur freuen, wenn immer
neue Stimmen in dieser Richtung sich hören lassen; und auch wer andere Wege
wandelt, wird dem vorliegenden Buche in jeder Hinsicht viele Anregungen und
entnehmen. Buttersack (Berlin).
Belehrungen
Methoden und Technik der Gewinnung, Prüfung und Konservierung des
zur forensischen Blut- bezw. Eiweißdifierenzierung dienenden Antiserums.
Von Dr. Otto Leers. Verlagsbuchhdl. von R. Schoetz, Berlin 1908. 80 Pf.
Verfasser bespricht die für den Fachmann schon allgemein bekannten, für
interessanten und lehn eichen Methoden und die Technik der
Prüfung und Gewinnung des zur forensischen Blut- resp. Eiweißdifferenzierung
den Neuling recht
dienenden Antiserums
in sehr
klarer und anschaulicher Weise. Das Material zur
Einspritzung wird bei Prüfung auf tierische Eiweiße dem Blutserum der Tiere, bei
Prüfung auf Menscheneiweiß resp. Blut dem Serum von Menschenblut entnommen.
Am besten eignet sich zur Erzeugung eines spezifischen Antikörpers auf die be¬
stimmte Eiweißart das Kaninchen. Die Einverleibung des Serums geschieht ent¬
weder intravenös, intraperitoneal oder auch subkutan; doch ist von allen Methoden
die intravenöse vorzuziehen, weil sie in kürzerer Zeit mit weniger Material zum
Ziele führt. Ist genügend Antiserum gebildet, so macht man eine vorläufige
Probeentnahme und eine Probeuntersuchung, indem man von dem zur Einspritzung
benutzten Serum eine Verdünnung 1 : 1000 herstellt und hiervon 0,9 ccm in ein
Tiemke’sches Röhrchen einfüllt und 0,1 ccm des Antiserums hinzufügt. Es muß
spätestens nach 2 Minuten ein deutlich sichtbarer Ring an der Berührungsstelle
der beiden Flüssigkeiten auf treten, wenn das Antiserum den Anforderungen ent¬
spricht. Dieses Antiserum kann man nach Entbluten eines Tieres sich aufbewahren,
wofür der Verfasser verschiedene Verfahren angibt. Er bespricht darauf die Eigen¬
schaften, die ein Antiserum enthalten muß, bespricht die Bestimmung der Wertig¬
keit und der Artspezifität. Schürmann (Düsseldorf).
Die Krebskrankheit Ihre Natur und ihre Heilmittel. Nach dreißig¬
jähriger Erfahrung von E. Schlegel, Arzt in Tübingen. München,
Verlag der Ärztl. Rundschau, Otto Gmelin 1908. VIII und 252 S. 5 Mk.
Während die Naturwissenschaften unter der Führung bedeutender Geister,
wie E. Mach und W. Ostwald, in den letzten Jahrzehnten zu einer freieren
Auffassung der Erscheinungswelt gelangt sind und sich einer edeln Einfalt in der
Bezeichnung wissenschaftlicher Verhältnisse befleißigen, einer Rückkehr zur Hoch¬
schätzung der Phänomenologie der Natur und ihrer schlichtesten Formulierung,
bleibt die Medizin darin merkwürdig zurück. Es fehlt ihr an führenden Intelli¬
genzen, welche über aller Mannigfaltigkeit der Forschung großzügig verbindliche
Einfachheit walten lassen. Die wahren Ziele der Heilkunde sind verschleiert oder
gar nicht mehr sichtbar, da die Stücke in der Hand noch allein da zu sein scheinen.
Die Lebensbedeutung der Erkrankungen und ihre biologischen Grundlagen werden
in vielfachen lokalistisch aufgefaßten Behandlungsarten gar nicht mehr gewürdigt;
selbst die anscheinend kausalen Methoden der Serumtherapie lassen die autoch-
thonen organischen Kräfte aus dem Spiel.
Von solchen Erwägungen ausgehend tritt E. Schlegel — und sicher nicht
ohne einen schweren inneren Kampf — einer übertriebenen Bewunderung der
chirurgischen Leistungen auf dem Gebiete der Krebstherapie entgegen, um eine
Lanze für die interne, exspektative Behandlung einzulegen und auf Grund ein¬
gehender, sich über ein Menschenalter erstreckender Erfahrungen der in weiten
Kreisen geradezu kopflosen Furcht vor dieser sogenannten Geißel der Menschheit
entgegenzutreten.
Der Verfasser ist überzeugter Homöopath und hat die Bedeutung, wie anderer¬
seits auch die Begrenztheit des homöopathischen Prinzips in zahlreichen Schriften
3) K. E. v. Baer: Zeitschr. für Philosophie von Fichte und Ulrich 1877
Bd. 71. S. 21.
Bücherschati.
525
darzulegen versucht*). Wer sich aber nicht durch grundsätzliche Voreingenommen¬
heit gegen eine andere Richtung vom Studium seiner Werke von vornherein ab-
halten läßt, wird, auch ohne sich zur Homöopathie zu bekehren — wie das auch
seitens des Bef. nicht der Fall ist — aus der Lektüre der auf eine breite wissen¬
schaftliche Basis gestellten, wohldurchdachten, sogar ausnahmslos äußerst geist¬
vollen Schl ege Eschen Arbeiten einen beträchtlichen Gewinn für die biologische Auf¬
fassung alles Geschehens im Organismus und somit auch zur Vertiefung seines Bewußt¬
seins von den Pflichten des wahren Arztes, der vor allem helfen will, davontragen.
Die allgemeine Unwissenheit über die Natur der Krebskrankheit ist durch
die wissenschaftliche Behandlung des Problems nur sehr schwach gemildert worden;
sie wurde zur „docta ignorantia“. Von der bloß anatomisch-histologischen Auf¬
fassung mußte man zur physiologisch-chemischen übergehen und von der. bloß
lokalen zu einer organischen, d. li. man mußte schließlich das unbekannte X der
Krebsursache in Zuständen des Gesamtorganismus suchen. Solche Zustände sind
ersichtlich: Altera des Gesamtorganismus oder einzelner Organe und wahrscheinlich
eine Beladung des Stoffwechsels durch Bürden und Hemmungen giftiger Art, welche
aus lokalen Reizungen und aus allgemeinen Beizungen und Überforderungen (z. B.
diätetische Fehler) hervorgehen. Dazu tragen aber auch ererbte Anlagen bei. Die
Krebskrankheit ist also die lokale Äußerung einer innerlichen allgemeinen und
örtlichen Veränderung. Die ausschließlich lokale Beurteilung der Vorgänge ist
nicht haltbar. Es kann im organischen Zusammenhang das Gesunde und das
Kranke nicht topisch unterschieden werden; dementsprechend ist auch die rein
lokale Behandlung mindestens unzureichend und die Entfernung eines Krebses durch
chirurgischen Eingriff kann nicht als die Trennung des Gesunden vom Kranken
angesehen werden. — Dagegen ist denkbar und ist erwiesen, daß durch allgemeine
Einwirkungen der örtliche Vorgang beeinflußt und zur Fleilung geneigt gemacht
wird. Operationen sind deshalb — und aus Gründen, die reichlich den traurigen
Erfahrungen zu entnehmen sind — nicht als heilende Eingriffe zu betrachten.
Heilungen bei Krebskranken kommen aber aus allerlei Ursachen
nicht selten vor: manche tatsächlich infolge von Operationen, welche dann als
eine starke Veränderung und Erschütterung des phycliosomatischen Betriebes durch
den Aufruf der gesamten Naturheilkräfte im Organismus gewirkt haben; manche
Heilungen folgen auf unvollständige Operationen, was ganz unverständlich
wäre ohne die Annahme einer wichtigen Allgemeinwirkung. Ferner kommen Hei¬
lungen vor zufolge von Rotlauf oder anderen dazwischentretenden Krankheiten
lokaler und allgemeiner Art, endlich nach Serumeinspritzungen und sonstigen
pharmako-therapeutischen Maßnahmen.
Die traurigste Prognose kommt nach S chlegel, dessen Diagnose n
über jeden Zweifel erhaben sind, den Ösophagus- und Brustkrebsen zu,
während Eingeweide- und Gebärmutterkarzinome viel leichter aus¬
heilen und auch die konservativ behandelten Fälle von Mastdarmkrebs
entschieden besser durch kommen, als die operierten.
Äußerst interessant ist übrigens die auf der ausgiebigen Erfahrung eines so
trefflichen Beobachters basierte Notiz, daß Lippenkarzinome in den letzten Jahr¬
zehnten entschieden seltener geworden sind.
Wird das Problem des Krebses richtig gesehen, so zeigt es eine solche Fülle
natürlicher Mannigfaltigkeiten, daß von diesen niemals wird abstrahiert werden
können. Individualisierung muß sich auch hier stets geltend machen, und das Ge¬
meinsame der Fälle, welches sowohl nach der Lokalisation als nach der Lebens¬
bedeutung sich oft als sehr Unwesen tich erweist, muß zurücktreten. Nach natur¬
wissenschaftlicher und energetischer Auffassung bedeutet die Frage nach „einem“
Krebsmittel ein falsches Sehen des Problems. Nicht ein Mittel für alle Fälle,
V E. Schlegel: Innere Heilkunst bei sogen. Chirurg. Krankheiten. Reutlingen,
J. KochaFs Buchh., 1902.
„ Reform der Heilkunde durch die Homöopathie Hahnemann’s.
Brugg, Schweiz, Verlag Ettingerhof A.-G., 1903.
« Hie Annäherung der Schulmedizin an H ahnemann. Zeitschrift
der Berl. Vereins homöop. Ärzte, Bd. 24, 1905.
A Prof. Rosenbach und die Homöopath. Zeitschr. der Berl.
Veremshomöop. Ärzte, Bd. 25, 1906.
« Paracelsus und seine Bedeutung für unsere Zeit. München,
O. Gmelin, 1906.
A Has homöopathische Prinzip in der allgem. Therapie und seine
Vertretung durch Paracelsus. München, O. Gmelin, 1907.
» Paracelsus über den psychosomatischen Betrieb und über die
Relativität des Kleinen. Fortschritte der Medizin 1907, H. 6.
526
Krankenpflege und ärztliche Technik.
aber eine Methode für alle Fälle, d. h. eine solche, die stets zum In¬
dividualisieren zwingt, gilt es zu finden.
Die auf einer überaus großen Zahl nachweislicher Heilungen gestützte An¬
sicht Schlegel’s, daß diese Methode bereits gefunden ist und zwar in der
homöopathischen Pharmakotherapie, wird uns in Anbetracht seines Standpunktes
nicht Wunder nehmen dürfen.
Aber auch d ann, w enn wir uns die -Schwierigkeiten bindender
Schlußfolgerungen auf dem Gebiete der inneren Medizin nicht ver¬
hehlen und dem Autor die Gefolgschaft auf der letzten Strecke
seines Weges versagen müssen, der Einsicht werden wir uns auf Grund
seines umfangreichen und gewissenhaft benutzten Materials nicht ver¬
schließen können: einmal, daß die Prognose des Krebses nicht gen e.r eil
so trostlos ist, wie man das meistens an nimmt und andrerseits daß sie
v on de r w o h 1 d u r c li d a c h t e n u n d d em E i n z e 1 f a 1 1 e angepaßten Anwen¬
dung von Maßnahmen, wenigstens in gewissen Grenzen, abhängig ist,
die wir mit O. Rosen hach unter den Begriff der „hygienischen
Therapie“ subsumieren. Eschle.
Vorlesungen über Magen- und Darmkrankheiten. Von Friedrich Crämer.
4. Heft. Chronischer Magenkatarrh. München 1908. J. F. Lehmann’s
Verlag. 168 Seiten. 4 Mk.
Der „chronische Magenkatarrh“, einst die alles beherrschende Magenkrank¬
heit, ist nach dem Gesetze der sich berührenden Extreme vielfach gar zu sehr in
den Hintergrund geschoben worden, und es ist ein verdienstvolles Unternehmen
Crämers, ihm diese ausführliche Monographie gewidmet zu haben. Fast möchte
man sagen, sie sei etwas zu ausführlich geworden; es hätte sich ohne Schaden
vieles kürzer fassen lassen, besonders in den ersten Kapiteln. Ein großer Vorteil
ist diese Ausführlichkeit in den der Therapie gewidmeten Abschnitten, und jeder,
der in der Praxis steht, wird dem Autor für seineins Einzelne gehenden Ratschläge
Dank wissen. Den Wert eines großen Vorrats therapeutischer Einzelheiten lernen
wir ja alle erst in der Praxis kennen, und dem Kranken ist unsere schönste und
feinste Diagnose gleichgültig, wenn ihm nur geholfen wird. Crämer schreibt aus
der Praxis für die Praxis, und das macht seine Monographien doppelt lesenswert.
M. Kaufmann (Mannheim).
Krankenpflege und ärztliche Technik.
Klebro-Binde.
Von den Teuf ersehen Fabriken orthopädischer und chirurgischer Arti¬
kel in Stuttgart, die zuletzt mit dem bekannten ,, Diakonband'1 hervorgetreten
sind, wird gegenwärtig eine wichtige Neuheit in der sogenannten
Klebro-Binde auf den Markt gebracht, einer elastischen und klebenden
Rollbinde nach Dr. Ferd. von H.euß. Sie ist ähnlich wie das Diakonband
im Gewebe elastisch, aber zugleich klebend, und wird im Gegensatz zu
anderen klebenden Binden ohne Kautschuk oder Guttapercha hergestellt; sic
ist aus diesem Grunde völlig reizlos für die Haut. Da der Binde auch kein
Zink beigemengt ist, so trocknet sie auch nicht aus, während zink- und
gummihaltige Binden leicht brüchig werden und nicht völlig reizlos sind.
Die Klebrobinde ist so zusammengesetzt, daß selbst die empfindlichste Haut
neugeborener Kinder nicht im geringsten von ihr gereizt wird, so daß sogar
nach monatelangem Liegen der Verbände — wie es bei gewissen ITautieiden
nötig ist — - keine andere als eine günstige Wirkung auf die betr. Haut-
partieu ausgeübt wird, im Gegenteil, die Binde wirkt außerordentlich hei-
lungsf ordernd infolge der chemischen Zusammensetzung der dabei verwen¬
deten Masse.
Jedei Fachmann weiß, wie nötig eine derartige Binde auf allen Ge¬
bieten, besonders der Chirurgie, in der Wundbehandlung, bei Hautleiden und
in orthopädischen Heilanstalten ist, weil bekanntlich langes Liegen der Ver¬
bände den Wunden Ruhe bringt oder den beabsichtigten Heilzweck bei Streck¬
verbänden usw. fördert, daß aber alle bisherigen Binden sich bei längerem
Liegen als hautreizend erwiesen haben, selbst die einfachen Mullbinden.
Krankenpflege und ärztliche Technik.
527
Die Klebrobiiule ist ihrer vorgenannten Eigenschaften wegen und
noch aus anderen, nachfolgend erwähnten Gründen allen anderen Verband-
methoden wie Gipsi-Leim-Stärke-Mullverbänden usw., ferner den Zug- und
Druck verbänden aller Art und sämtlichen Wundverbänden, Heftpflastern usw.
unbedingt überlegen und vermag daher alle diese Formen zu ersetzen, weil sie
alles Bisherige an Brauchbarkeit, Handlichkeit und Zweckmäßigkeit übertrifft.
Nach ihrer Zusammensetzung, und wie die Erfahrung bestätigt, darf
man die Klebro binde, direkt auf blutende Wunden auflegen, wo sie blut¬
stillend wirkt und den Schluß der Wundränder befördert, Wundsekrete ab¬
saugt und sie verdunsten läßt. Bei Hautgeschwüren ist ihre Heilwirkung
augenfällig, weil die Verbände wochen- und monatelang ruhig liegen bleiben
können, die Wundsekrete außen verdunsten und die liegenden Verbände beim
Baden unter Benutzung von Seife gewaschen werden können. Wasser ver¬
ändert die Binde nicht, wirkt weder lösend noch verschmierend. Auch ist
eine ausgiebige Wunddesinfektion durch die poröse Binde hindurch mit prophy¬
laktischen und desinfizierenden Mitteln möglich.
Wegen ihrer Klebkraft erfordert das Anlegen der Binde keine Schu¬
lung oder Übung, sie wird einfach Tour neben Tour um den verletzten Körper¬
teil gewickelt und durch Andrücken anmodelliert. Dies gilt auch beim Ver¬
binden von Gelenken und ungleich dicken Körperteilen. Das Ende braucht
nicht mit Nadeln befestigt, sondern nur angedrückt oder untergesteckt zu
werden.
Die Binde ist, aus der Umhüllung genommen, ohne weiteres gebrauchs¬
fertig und hat daher in allen Fällen schneller, blutstillender Notverbände,
aber auch bei Brüchen, Zerreißungen, Verrenkungen (Militärfraktur usw.),
bei Quetschungen, Hieb-, Stich-, Schlag- und anderen Verletzungen unter
Zuhilfenahme irgendwelcher immobilisierender oder fixierender Materialien,
wie sie gerade zur Hand waren (Bergstock, Säbelscheide, Baum¬
zweige usw.) lebensrettend in Lagen gewirkt, die keinerlei andere Ver¬
bände mit gleicher Schnelligkeit, Sicherheit und Zweckmäßigkeit ermöglicht
hätten. Nach Abnahme hinterläßt sie nur einen geringfügigen Rückstand,
der sich mit Benzin (und auch seiner feuersicheren Abart Tetrachlorkohlenstoff)
leicht entfernen läßt. Mit den Haaren verfilzt sich die Klebrobinde nicht,
obwohl sic an ihnen haftet, und deshalb ist ihre Anwendung auch in der
Veterinärmedizin vorteilhaft.
An nicht zu warmem Orte auf bewahrt, ist sie dem Verderben nicht aus-
gesetzt, hält sich vielmehr ohne Verlust ihrer Brauchbarkeit lange Jahre,
da ihre physikalischen und chemischen Eigenschaften sich nicht verändern,
wie bei gummihaltigen und mit! Zink versetzten Binden. Sie wird daher das
Sanitätshandwerkszeug und das ganze Verbandswesen außerordentlich ver¬
bessern, vereinfachen und vereinheitlichen. Schon heute bei Hunderten von
Ärzten, in Krankenhäusern und bei zahllosen Privaten ständig im Gebrauch,
hat sie ihre praktische Überlegenheit über alle Arten Verbände glänzend
erwiesen.
Für Spezialzweck wird sie noch in einigen Abarten mit besonderen In¬
korporationen und auf verschiedenen Stoffarten geliefert, stärkeren und dünne¬
ren, für gewisse Zwecke auch auf undurchlässigen Stoffen. Die gewöhnliche,
aus Krepp gefertigte poröse Binde ist dünn und leicht, aber infolge ihrer
gewissen Elastizität sehr fest, und aus praktischen Gebrauchsrücksichten
nur der Länge nach leicht reißbar. Ungedehnt ist sie 4 m lang und U/2,
-P/Ä 4, 5, 7 und 10 cm breit. Größere Binden werden auf Wunsch geliefert.
Die schmalen U/2 und 21/2 cm breiten Binden sind außerdem auch in Blech¬
dosenpackung, in diesem Falle 2 m lang, erhältlich und für Touristen,
Soldaten, Ärzte, Tierärzte, Jäger, Sportsleute aller Art zum Mitführen, über¬
haupt für jedermanns Westentasche bestimmt.
528
Hochschulnachrichten.
Seitens, der Nikotin-Entzieliungs- Anstalt „Nea“1) werden über
ihr Verfahren folgende Angaben gemacht:
Die. fertigen Tabakfabrikate, also Zigarren, Zigaretten oder Rauchtabak
werden in luftdicht abgeschlossenem Raume bis zu jener Temperatur erhitzt,
bei welcher zwar das Nikotin und Ammoniak und das Wasser in Dampf¬
form entweichen, während bei dieser Temperatur, welche je nach Beschaffen¬
heit des Tabaks zwischen 140 und 190 Grad Celsius liegt, die rein aromati¬
schen Bestandteile, also Apfelsäure, Zitronensäure, die aromatischen öle usw.
sich noch nicht verflüchtigen. Die letzteren bleiben daher vollständig in den
Tabakfabrikaten zurück, während die Wasserdämpfe, das entweichende Nikotin
und Ammoniak sich an der Decke des Erhitzungsgefäßes infolge äußerlicher
Kühlung niederschlagen und durch Ab tropfen nach außen geführt werden.
Das auf gefangene Nikotin in wässriger Lösung wird für technische und
landwirtschaftliche Zwecke verwendet.
Durch das Verfahren, bei welchem natürlich der gesamte Wassergehalt
in Dämpfeform entweicht, werden die Zigarren, Zigaretten usw. so trocken,
daß sie in diesem Zustande einerseits sehr zerbrechlich und andererseits
nicht schmackhaft genug für den Raucher sein würden. Die nötige Feuchtig¬
keit wird ihnen daher durch mehrtägiges Lagern in einem eigens konstruierten
Eeuch träum wieder zugeführt, worauf sie gebrauchsfertig sind.
Der Vorzug des Verfahrens liegt nicht nur darin, daß es unter Ausschluß
irgend eines chemischen Prozesses und ohne Beeinträchtigung von Geschmack
und Aroma wirklich bis zu 80% Nikotin aus dem Tabak entfernt, sondern
auch darin, daß der Raucher nicht genötigt wird, irgend eine bestimmte
Sorte sogenannter „nikotinfreier“ Zigarren zu kaufen, die ihm auf die Dauer
langweilig wird, da jede beliebige, dem Raucher gewohnte und liebgewordene
Sorte zur Entnikotinisierung übernommen und nach wenigen Tagen wieder
abgeliefert wird.
Ö Neu, Berlin W. 9, Potsdamerstraße 10/11.
Hochschulnachrichten.
Berlin. Für Physiologie habilitierte sich Dr. H. Piper, bisher in Kiel. P.-D.
Prof. Dr. Klemperer wurde als o. Professor und Direktor der medizinischen
Poliklinik nach Bonn berufen. P.-D. Dr. E. Müller wurde als ao. Professor
für innere Medizin nach Marburg berufen. P.-D. Dr. H. Boediker (Psychiatrie)
erhielt den Titel Professor.
Bonn. ao. Prof. Dr. W. Kruse wurde zum o. Professor der Hygiene und Direktor
des hygienischen Instituts in Königsberg ernannt.
Frankfurt a. M. P.-D. Dr. H. Vogt, unser geschätzter Mitarbeiter, erhielt den
Titel Professor.
Freiburg i. B. Dr. med. Karl J. Gauß habilitierte sich für Gynäkologie und
Geburtshilfe.
Göttingen. Zum Prosektor am anatomischen Institut wurde P.-D. Dr
M. Voit,
bisher in Freiburg i. B., ernannt.
Halle a. S. P.-D. Dr. R. Freund erhielt den Titel Professor.
Heidelberg. P.-D. Dr. H. Arnsperger erhielt den Titel als Professor.
Jena. Prof. Dr. B. Fischer, Frankfurt, hat den Ruf als Professor und Direktor
des path.-anatom. Instituts abgelehnt.
München. Der ao. Prof, für gerichtliche Medizin, Med.-Rat Dr. M. Hof mann,
wurde auf sein Ansuchen von den Vorlesungen entbunden. Prof. Dr. Hang
ist verstorben.
Wien. An der Klinik von Prof. Höchen egg habilitierte sich Dr. med. A. Exner
für Chirurgie.
Schriftleitung: Dr. Ri gl er in Leipzig.
Druck von Emil Herrmann senior in Leipzig.
27. Jahrgang.
1909.
Tomcbrim der Medizin.
Unter Mitwirkung hervorragender Fachmänner
herausgegeben von
Professor Dr. 0. Köster Prio.-Doz. Dr. o. griefltrn
in Leipzig.
Schriftleitung:
in Leipzig.
Dr. Rigler in Leipzig.
Nr.
14.
Erscheint am 10., 20., 30. jeden Monats. Preis halbjährlich
6 Mark, i n k 1. Zeitschrift für Yersicherungsmedizin 8 Mark.
Verlag von Georg Thieme, Leipzig.
20. Mai.
Originalarbeiten und Sammelberichte.
Ueber Turmschädel mit Sehnervenatrophie.
Von Augenarzt Dr. Emil Leyi, Stuttgart.
Folgender Fall kam in meine Beobachtung:
Der 24jährige Mann, Maler von Beruf, leidet an zunehmender
Sehschwache seit der frühesten Jugend. Als Ursache findet man eine
beiderseitige Sehnervenatrophie, die links stärker ausgeprägt ist als
rechts. Sehvermögen links Fingerzählen in 4 m exzentrisch, rechts 1/10.
Gesichtsfeld beiderseits konzentrisch eingeschränkt, von den Farben ist
Rot — Grün gänzlich erloschen, Blau nur um den Fixierpunkt erhalten,
Pupille rechts weiter als links, bei mittlerer Beleuchtung 6 : 3,5 mm.
Reaktion normal. Es besteht Exophthalmus hohen Grades, so daß
die Bulbi leicht umgriffen werden können und die Sehne des M. obliq.
sup. beiderseits als harter Strang entgegenspringt. Der Bulbus liegt
zum größten Teil außerhalb der Augenhöhle, und er könnte ohne
irgendwelche Schwierigkeit vollends luxiert werden. Trotzdem ist die
Bedeckung und der Lidschluß vollkommen. Die Beweglichkeit ist nach
außen leicht beschränkt. Der Schädel fällt durch seine starke Höhenaus¬
bildung auf. Der Gesichtsschädel ist wenig abweichend, nur die Joch¬
beine springen etwas vor. Die Orbitae sind breit, die Stirne flieht zurück,
das Hinterhaupt ist sehr schwach entwickelt. Die Maße betragen :
Umfang über den Augenbrauen 52,5 cm, über den Stirnhöckern 50,5 cm,
Ohröffnung-Scheitelhöhe 17,0 cm, Lambdawinkel-Glabella 25,0 cm. Macht
man mit dem in den Hutgeschäften gebräuchlichen Apparat eine Messung
des Schädelumfanges, so erhält man eine langgestreckte Ellipse, deren
Länge und Breite 6,5 und 3,5 cm messen (in dem verkleinerten Ma߬
stabe des Abdrucks). An der breitesten Stelle ist auf der rechten
Seite eine leichte Assymmetrie zu sehen nach außen. Die Abtastung
des Schädels ist durch den starken Haarwuchs erschwert ; immerhin fühlt
man die Grenzen der einzelnen Knochen sehr deutlich. Das Stirnbein
ist kaum verkleinert, das Hinterhauptsbein auch nicht, dagegen sind
die Scheitelbeine wesentlich in ihrem Wachstum zurückgeblieben. Die
Sut. sagittalis ist ganz verknöchert und kaum fühlbar ; die sut. coronaria
ist nur an den Schläfenmuskelansätzen etwas zu fühlen, weiterhin aber
über den ganzen Scheitel verknöchert und hervorspringend. Im übrigen
ist der Patient völlig gesund, insbesondere ist kein Symptom einer
manifesten oder latenten Bleivergiftung, woran hei dem Maierberuf zu
denken wTäre, nachzuweisen. Die Intelligenz ist gut, Patient kam in der
84
530
Emil Levi,
Schule stets gut mit und besorgt jetzt selbständig das Geschäft seines
Vaters.
Als Ursache der ‘Erkrankung, die von frühster Jugend an be¬
standen haben soll, wird von der Mutter ein Fall auf den Kopf im
dritten Lebensjahre angeschuldigt. Krämpfe hatte er nie, Kopfweh
bestand zeitweise in früheren Jahren. Die Geburt war normal gewesen,
Rachitis bestand" nicht. Schon in der Schule war er stets sehschwach
gewesen, hatte aber nie seine Augen untersuchen lassen. Seit einem
neuerlichen Falle auf den Kopf soll das Sehvermögen rasch weiter
abgenommen haben bis auf den heutigen Zustand. In der Familie,
deren Mitglieder ich z. T. untersuchen konnte, besteht keine ähnliche
Erkrankung. Trotz der entstellenden Schädelbildung ist die Ähnlich¬
keit zwischen dem Patienten und seiner übrigen Familie sehr ausge¬
prägt und springt besonders in die Augen, wenn man nur den Gesichts¬
schädel betrachtet und den Exophthalmus in Abzug bringt.
Ich habe versucht, den Prozeß, wenn auch nicht zu bessern, so doch
wenigstens zum Stillstand zu bringen durch Injektionen von Fibrolysin.
Nach acht Injektionen mußte ich leider die Kur unterbrechen, ohne
daß eine objektive Änderung nachzuweisen gewesen wäre, weil Patient
ein akutes Exanthem an beiden Nates, Oberschenkeln und Kücken
bekam, das mit starkem J ucken verbunden war. Indifferente Puder¬
behandlung und Aussetzen der Injektionen ließen das Exanthem rasch
wieder verschwinden, so daß die Natur des Exanthems, die auch der
dermatologische Kollege Herr Dr. Tannhäuser als Intoxikations¬
exanthem diagnostiziert hatte, bestätigt wurde.
Die Pathogenese des Turmschädels hat in den letzten Jahren
mehrfache Bearbeitung gefunden. Trotz bedeutender Erweiterung
unserer Einzelkenntnisse wissen wir über das eigentliche Wesen der
Anomalie nichts Bestimmtes. Alle Autoren sind darin einig, daß das
Primäre die Schädelerkrankung ist. Vorzeitige Verknöcherung der
Schädelnähte, immer in den ersten Lebensjahren auftretend, hindern ein
normales Wachstum des Gehirns. Schädel und Gehirn weichen aus
und wachsen in den Richtungen, wo keine vorzeitige Verknöcherung
im Wege steht. Eine solche Anpassungsform bei Verknöcherung der
Sut. coronaria und sagittalis ist der Turmschädel. Der Name, dessen
Entstehung unbekannt ist, drückt das abnorme Höhenwachstum des
Schädels aus, aber unter dem Namen Turmschädel und dem synonym
gebrauchten „Oxycephalie“ gehen alle möglichen Schädelverbildungen,
die z. T. kritiklos vermengt werden, so neben der Oxycephalie die
Scaphocephalie u. a. m. ,
Enslin1) kommt auf Grund seiner vergleichenden Messungen zu
* folgender Definition (S. 200) : ,,Der Turmschädel ist eine durch vor¬
zeitige Verknöcherung der Sut. coronaria entstandene Schädelform, die
eine über den lokalen Durchschnitt hinausgehende gleichmäßige Höhen¬
entwicklung aufweist, während Länge und Breite den örtlichen Maßen
angepaßt sind.“ Also typisch ist nui’ die abnorme Höhenentwicklung,
während die übrigen Maße individuell sind. Um nur einiges hervor¬
zuheben, so schreibt Patry2) (S. 22): Le front est droit, ähnlich Dorf-
mann: „Die Stirn ist steil“. Vergleicht man damit die eigenen Abbil¬
dungen Patry’s, Nr. 2, 3,6, 7, 46 oder den in Gräf e-Sämisch’s Hand¬
buch, 2. Aufl. von Groenouw, Bd. XI, I. Abt., S. 261 abgebildeten
Fall, so sieht man hier im Gegenteil schräge z. T. außerordentlich
flache Stirnen. Mein Kranker fällt durch die flache Stirne sosrar auf,
O
Ueber Turmschädel mit Sehnervenatrophie.
531
Weiter sagt Dorf mann3) bei der Beschreibung des mazerierten Schädels
aus der Wiener anatomischen Sammlung: Der horizontale Umfang
mißt 523 mm und ist kreisrund, während mein Fall eine langgestreckte
Ellipse als Kopf umfang hat. Die widersprechenden Befunde am Canalis
opticus gehören auch hierher. Patry, der die Weite des Canalis an
normalen und Turmschädeln vergleichend mittels Katheterbougies maß,
fand gar keine Unterschiede im Kaliber; 3,6 mm war bei beiden Kate¬
gorien das häufigste Maß. Dagegen beschreiben Michel und Pon,fick
aufs höchste verengte Canales optici, in denen die Sehnerven eingezwängt
und eingeschnürt lagen. Was die Schädelknochen betrifft, so finden
wir einerseits Verdünnung beschrieben, ja selbst Spontanperforationen,
auf der andern Seite waren Exostosen und diffuse Hyperostosen zu
fühlen (bei Michel, Ponfick, Manz, Vortisch). Man braucht auch
nur einen Blick auf Tafel 22, Abb. 3 der Dorf mann’ sehen Arbeit
zu werfen, wo sehr belehrend der Querdurchschnitt des Turmschädels
und eines normalen Schädels abgebildet sind, um zu sehen, daß hier
von einer Barefikation des Turmschädelknochens keine Bede sein kann.
Allerdings sind an mehreren Stellen zelluläre Iiäume, aber ringsum
ist der Knochenquerschnitt verbreitert und die Diplöe fast ganz ver¬
schwunden Auch Patry sagt S. 56: Das Gewebe der Schädelkalotte
war kompakt und hart, an mehreren Stellen bestanden Exkreszenzen
der Schädelinnenwand. An zwei Schädeln, die ich der Freundlichkeit
des Vorstandes der anatomischen Anstalt in Tübingen, Prof, von
Froriep, verdanke, fand ich, daß der eine Schädel mit totaler Ver¬
wachsung der Sut. coronaria und sagittalis, ferner der Sut. spheno-
temporalis und spheno-frontalis keine Verdickung der Schädelkapsel,
sondern bei durchfallendem Licht stellenweise Verdünnung aufwies,
so daß das Licht durchschien. Der andere Schädel dagegen mit Ver-
34*
532
Emil Levi,
knöcherung der Sut. coronaria und sagittalis zeigte ziemliche diffuse
Hyperostose im Schädelinnern. Der Querschnitt des Knochens war
verbreitert. Bei beiden aber war am Canalis optikus keine Verenge¬
rung zu sehen. Trotz abnormer Höhenentwicklung war der erste
Schädel im ganzen der eines Mikrocephalen, während der zweite auch
in den übrigen Maßen nicht unternormal war. Ich möchte deshalb
den ersten Schädel nicht als echten Turmschädel betrachten.
Ist so die Schädelanomalie selbst keineswegs klar, so daß es
dringend zu wünschen ist, daß ein Anthropologe von Fach einmal
das gesamte Material untersucht, so sind die Beziehungen zwischen
der Schädelanomalie und dem Sehnervenleiden vollends unklar. Über¬
einstimmung herrscht in folgenden Punkten:
1. Es kann ein Turmschädel dauernd ohne jede Beteiligung des
Sehnerven bestehen. Hierfür hat jeder Autor an Lebenden und an
mazerierten Schädeln Beispiele und Messungen erbracht und ich selbst
habe gegenwärtig auch einen Mann in Beobachtung, der ausgesproche¬
nen Turmschädel, aber völlig normalen Sehnerv und Sehschärfe besitzt.
2. Die Sehnervenerkrankung tritt in frühster Jugend, unter dem
Bilde der Stauungspapille auf und führt im Laufe der Jahre zu
sekundärer Atrophie des Sehnerven. Völlige Blindheit ist die Aus¬
nahme; meist bleibt ein Best Sehvermögen erhalten.
Wie hängen nun Schädelleiden und Sehnervenerkrankung zu¬
sammen? Friedenwald deutet die Neuritis optika als echte Stau¬
ungspapille, d. h. als Folge des gesteigerten intrakraniellen Drucks.
Auch Dorf mann hält sich an die Drucksteigerung im Schädelinnern.
Bei seinem zweiten Falle, einem vierjährigen Mädchen, versuchte er
durch Trepanation das Leiden zum Stillstand zu bringen. Tatsächlich
erwies sich auch die Dura mater straff gespannt, wölbte sich in die
Trepanationsöffnung vor, die Venen waren strotzend gefüllt und die
Operation hatte den Erfolg, daß das Sehvermögen sich etwas besserte
und das Kopfweh zurückging. Auch die Angabe, daß die Sut. occipito-
mastoidea 3/4 cm diastatisch war, weist auf eine Kaumbeschränkung
im Schädelinnern hin. Trotz aller dieser Punkte kann die Erhöhung
des Binnendrucks nicht die wesentliche Ursache der Neuritis sein.
Zunächst zeigt die Diastase der Sut. occipito-mastoidea, daß bei den
wachsenden Schädeln der ersten Lebensjahre auch bei frühzeitiger Ver¬
knöcherung einzelner Nähte doch noch Möglichkeit vorhanden ist, daß
der Schädel sich nach anderen Kichtungen genügend ausdehnt und
ausweicht. Daß der Turmschädel eine solche Anpassungsform ist, haben
die oben mitgeteilten Resultate Enslin’s erwiesen. Dorf mann
schreibt selbst auch: ,,die Papillitis fehlt beim Turmschädel, wenn
die Kompensation seitens der Gehirnkapsel zur Behebung der intra¬
kraniellen Drucksteigerung ausreicht.“ Weiter aber schreibt er:
„Während die Knochen der mittleren und vorderen Schädelgrube dem
Gehirndruck nachgeben, verbleibt der Keilbeinkörper in seiner Lage
und bietet dem Gehirn einen größeren Widerstand.“ Wie sich Dorf-
mann dies vorstellt, ist mir unklar. Der Gehirndruck ist doch ein
Flüssigkeitsbinnendruck, der allseitig und gleichmäßig wirkt. Eine
Prädilektionsstelle, wo der erhöhte intrakranielle Druck seine Wir¬
kung am stärksten entfaltet, gibt es nicht. Alles weist vielmehr
darauf hin, daß zu der sicher vorhandenen und auch eine gewisse
deletäre Wirkung auf den Sehnerven ausübenden allgemeinen Kaum¬
beengung bei dem Turmschädel eine lokale Ursache am Sehnerven
Ueber Turmschädel mit Sehnervenatrophie.
selbst noch dazukommen muß. Schlagend beweisen dies die vielen
Fälle von Turmschädel, wo dauernd jede Schädigung des Sehnerven
fehlt. Hirschberg, gestützt auf eine Äußerung Virchow’s, nimmt
eine Meningitis der Dura mater an, welche zugleich Ursache der präma¬
turen Synostosen und durch Über greifen auf den Optikus auch der
Neuritis sein soll. Patry schließt sich dieser Meinung an (S. 66),
weil in zwei Fällen bei der Sektion eine Verdickung der Dura mater
besonders auch um das Chiasma gefunden wurde. Hält man diese
Befunde zusammen mit denen von Michel, Ponfick und Manz,
welche eine starke Verengerung des Canalis optikus und den Nerven
darin geradezu eingeschnürt fanden, so liegt wohl genügend Material
vor, um. die Hypothese der Entzündung der Dura mater zu stützen.
Freilich darf man sich hierunter keine echte Entzündung, etwa gar
infektiöser Natur vorstellen. Schon die eine Tatsache, daß neben dem
N. optikus nie ein anderer Augen- oder Hirnnerv beteiligt ist, daß
nie eine Pupillenstörung anderer als optischer Natur beobachtet wurde,
spricht gegen diese Auffassung. Der Prozeß muß sich streng in der
Dura mater abspielen und die übrigen Hirnhäute völlig freilassen.
Erinnert man sich, daß die Dura zugleich das Periost der Schädel¬
knochen und des Can. optikus ist, so gewinnt der Begriff der Ent¬
zündung der Dura mater sofort die Bedeutung einer Periostitis, die
mit Hyperostose einher geht. Die Neuritis des Optikus ist dann eine
Neuritis durch lokalen Druck infolge der raumbeengenden Hyperostose
im Can. optikus, ganz entsprechend den Befunden von Michel und
Ponfick. In diesem Sinne wollte auch Virchow die Entzündung
aufgefaßt wissen, wenn er sagt (zitiert nach Enslin): „Die Ossi¬
fikation geschieht unter vermehrter Hyperämie und zwar nicht bloß
unter stärkerer Anhäufung von Blut in den vorhandenen, etwa er¬
weiterten Gefäßen, sondern wohl auch unter gleichzeitiger Neubildung
von Gefäßkanälen. Zustände dieser Art werden der ^gewöhnlichen An¬
schauung nach unter die entzündlichen gerechnet.“ Enslin fügt hinzu:
Eine Entzündung im Sinne Cohn hei m/s ist dies aber nicht.
Ein Grund, von dieser Erklärung abzugehen, liegt meines Er¬
achtens nicht vor. Wenn Weiß und Brugger an vier Turmschädeln
der Heidelberger Anatomie ebenso wie Patry, und wie Vor tisch
und ich an den zwei Tübinger Schädeln keine Verengerung des Foramen
optikum finden konnten, so genügt dies nicht, um die Virchow’ sehe
Erklärung umzustoßen. Erstens brauchen ja, wie oben erwähnt, lange
nicht alle Turmschädel Veränderungen am Canalis optikus zu bekommen
— über das Verhältnis der mit und der ohne Sehnervenbeteiligung
ist nichts genaues bekannt — ; zweitens können sich, wovon wir eben¬
falls nichts wissen, die hyperostotischen Veränderungen im Laufe des
Lebens zurückbilden und normalen Verhältnissen oder gar Verdün¬
nungen Platz machen, und drittens können vergleichende Messungen
an mazerierten Schädeln keine Entscheidung darüber herbeiführen, ob
nicht in vivo Verengerungen bestanden haben. Die wenigen positiven
Sektionsbefunde wiegen jedenfalls schwerer als die negativen, zwar
zahlreicheren, aber an nicht einwandsfreiem Material erhobenen Be¬
funde. Um die Frage endgültig zu entscheiden, brauchen wir noch
Sektionsbefunde. Freilich, was die Ursache der Hyperostosis interna
cranii ist, so könnte man die Krankheit nennen, um den Nachdruck
auf die Bedeutung der Dura mater als Periost zu legen und um das
Fehlen einer eigentlichen Entzündung im Namen auszudrücken, dies
534
Max Hirsch,
bleibt noch völlig im unklaren. Rachitis und hereditäre Lues, wie
einige Autoren meinten, spielen sicher keine Rolle; familiäre Momente
spielen noch weniger mit. Und die von den Angehörigen meist heran¬
gezogenen Traumen können höchstens ein Hilfsmoment abgeben.
Von einer Therapie war bis vor kurzem überhaupt nicht die
Rede, sei es aus Skepsis, sei es aus Mangel an einem geeigneten
Verfahren. Her Erfolg Horfmann’s mit der Trepanation ist leider
noch zu kurz beobachtet, als daß er entscheidende Bedeutung haben
könnte. Haß ein so großer Eingriff wie eine Trepanation schon rein
als Aderlaß durch die hervorgerufenen Zirkulationsveränderungen eine
Wirkung haben muß, ist ja sicher. Her weiteren Einführung der
Trepanation stehen, selbst wenn sich der eine Erfolg auf die Hauer
bestätigen sollte, mehrere Punkte im Wege. Hie meisten Patienten
kommen erst in späteren Lebensjahren zum Arzte, wenn es schon zu
sekundären Veränderungen am Optikus gekommen ist ; ferner sind die
allgemeinen Hirndrucksymptome, die Horfmann bei seinem Palle be¬
obachten konnte und die die Indikation zu der Operation abgaben,
als seltene Ausnahme zu bezeichnen, ja das Pehlen sonstiger Hirn¬
drucksymptome wurde bisher stets als charakteristisch betrachtet. Ob
bei dem operierten Kinde Horfmann’s sonst noch eine Komplikation
vorlag, ist bei der Besonderheit des Palles nicht von der Hand zu
weisen. Als friedliche Therapie erscheint mir deshalb ein Versuch
mit Einspritzungen von Thiosinamin bezw. Pibrolysin wohl zu
empfehlen. Mein Mißerfolg beweist gegen die Gangbarkeit des Wegs
nichts. Has verhältnismäßig hohe Alter des Kranken, der vorge¬
schrittene Zustand des Sehnerven, schließlich das Exanthem, das zur
frühzeitigen Unterbrechung der Kur nach nur acht Injektionen nötigte,
waren zu ungünstige Momente. Je jünger die Kranken und je weniger
stark der Sehnerv schon verändert ist, um so günstiger liegen die
Aussichten für einen Erfolg der Therapie.
Literatur :
1. Enslin: Die Augen Veränderungen beim Turmschädel, besonders die Seh¬
nervenerkrankung.
v. Gräfe’s Archiv' für Ophthalmologie, Bd. 58, S. 151.
2. Patry: Oontribution ä etude des lesions oculaires dans les malformations
craniennes, specialement dans Poxycephalie. Paris 1905.
3. Dorfmann: Über Pathogenese und Therapie des Turmschädels,
v. Gräfe’s Archiv für Ophthalmologie, Bd. 68, S. 412.
Alle weitere Literatur ist bei 1 — 3 zu finden.
Der 30. Balneologenkongreß in Berlin.
Von Dr. Max Hirsch, Arzt in Bad Kudowa.
(Fortsetzung.)
Rothscliild-Soden hatte das Thema gewählt ,, Bedürfen wir der
Opsoninprüfung bei der Behandlung Tuberkulöser“ ? Hie Opsonine sieht
er als diejenigen Stoffe im Blute an, welche die weißen Blutkörperchen
befähigen, die Tuberkelbazillen zu vernichten. Ihre Prüfung ist jedoch
praktisch wegen der technischen Schwierigkeiten kaum durchzuführen.
Vortr. schlägt statt dessen die Zählung der im Auswurf nachweisbar
von weißen Blutkörperchen gefressenen Bazillen vor, um aus ihrer
größeren oder geringeren Zahl ein Maß für die Stärke der Tuberkulose
zu gewinnen. Has Tuberkulin wirkt um so sicherer auf die Anreiche-
Der 30. Baineologenkongreß in Berlin.
535
rung der Schlitzstoffe im Blut, je artverwandter es den im Erkrankten
befindlichen Tuberkelbazillus ist. Vortr. bereitet deshalb für alle
Patienten, wo dies möglich ist, ein eigenes Tuberkulin (Antituberkulin)
aus ihren eigenen Bazillen. Wo dies unmöglich, verwendet er mit
Erfolg Mischtuberkuline, welche möglichst viele artverschiedene mensch¬
liche Tuberkelbazillenstämme enthalten.
Wolf f-Eisn er -Berlin spricht über ,,die Prognosestellung bei der
Lungentuberkulose mit Berücksichtigung der Beziehungen zur Balneo¬
logie“. Vortr. betont, daß die Entdeckungen der letzten Zeit, die
Kutan- und die Konjuktivalreaktion, zu einer Umwertung vieler Be¬
griffe der Tuberkuloseforschung geführt haben. Der Konjunktival-
reaktion legt er eine große Bedeutung bei, da sie schon das frühe
Stadium der Tuberkulose sichere. Vor allem könne man damit die
Kollapsatelektase von der Tuberkulose differenzieren. Schäden ent¬
stehen durch die Beaktion nicht. Die diagnostische Bedeutung der
lokalen Beaktion steht auf der gleichen Stufe wie die prognostische.
Alle früheren prognostischen Behelfe haben versagt ; mit der Bestim¬
mung der Tuberkulinempfindlichkeit und deren kurvenmäßiger Auf¬
zeichnung erhalten wir einen objektiven Maßstab, um die Widerstands¬
fähigkeit- festzusetzen und die Indikationen für die Balneotherapie
zu wählen. Patienten mit Dauerreaktion wird man ins Hochgebirge
senden, evtl, auch die Patienten mit kräftiger Normalreaktion. Nicht
mehr reagierende Phthisiker soll man möglichst nicht mehr fortschicken.
Aus der Diskussion sei her vor gehoben, daß Br ieger- Berlin betonte,
die Tuberkulinbehandlung sei eine sehr eingreifende Prozedur. Sie
dürfe nur1 an solchen Leuten vorgenommen werden, welche noch eine
kräftige Konstitution besitzen. Im anderen Falle müßte das Bestreben
der Therapie darauf gerichtet sein, zunächst eine Kräftigung der Kon¬
stitution vorzunehmen, dann erst dürfe mit der Tuberkulinbehandlung
begonnen werden.
Schreiber- Königsberg behandelte das Thema „Über flüchtige
Albuminurie“. Die Albuminurien, von denen Vortr. spricht, treten sonst
essentiell auf, sind aber außerordentlich flüchtiger Natur. Sie wurden
in einem Falle hervorgerufen durch Abdominalpalpation bei weichen
Bauchdecken im mittleren Teil des Epimesogas triums. Auch bei Gesunden
konnte durch diese Prozedur flüchtige Albuminurie erzeugt werden.
Dabei handelt es sich nicht um Stauung infolge von Druck auf die
großen Abdominalgefäße, sondern um Zirkulationsstörungen in der
Niere. Die Methode der abdominellen palpatorischen Albuminurie ist
sehr geeignet, den Zusammenhang zwischen Gefäßsystem und Albu¬
minurie näher zu studieren.
An diesen Vortrag schloß sich eine sehr lebhafte Diskussion an,
in der Brieger erwähnte, daß bei Versuchen, die er in Gemeinschaft
mit Ehrlich vor langer Zeit angestellt hatte, die Kompression der
Aorta vorübergehende Albuminurie erzeugt hätte. Die Höhe des Blut¬
drucks hätte veranlaßt, Nephritiker möglichst wenig trinken zu lassen,
und doch hätte die ausgiebige Milchdiät gute Erfolge erzielt. Aus
diesem Grunde empfiehlt Brieger, die Einschränkung der Flüssigkeits¬
zufuhr bei Nierenkranken fallen zu lassen.
Pariser- Homburg weist darauf hin, daß, wenn ein so leichter
Druck, wie ihn Schreiber angibt, schon Albuminurien hervorruft,
man mit Massagen und Duschen aufs Abdomen sehr vorsichtig sein
sollte.
536
Max Hirsch,
Löwen t h a .1- Braunschweig sprach über ,, Kritisches zur physi¬
kalischen Therapie“. Vor allem tadelt Vortr. die übertriebenen unkri¬
tischen Temperaturangaben bei Verwendung von Heißluftapparaten.
Er weist nach, daß auf die Haut tatsächlich nur Temperaturen bis
zu 46 Grad, höchstens 48 Grad C ein wirken dürfen, wenn Verbrennungen
ausbleiben sollen. Bezüglich der Elektrotherapie warnt Vortr. vor der
unkritischen Betonung des suggestiven Faktors und zeigt, wie man im
Einzelfalle die Suggestion als Fehlerquelle ausschalten kann. — Schlie߬
lich weist Vortr. auf die wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Ge¬
fahren hin, welche der physikalischen Therapie von der Überflutung
mit neuen, rein technisch erdachten Apparaten erwachsen.
Laqueur- Berlin teilt seine Erfahrungen mit ,, neuen Methoden
der maschinellen Atmungsgymnastik“ mit. Vortr. demonstriert zu¬
nächst den Boghean’schen Atmungsstuhl, der im Prinzip im wesent¬
lichen darauf beruht, daß bei einem in einen Lehnstuhl sitzenden
Patienten durch zwei Pelotten die unteren Partien des Brustkorbes
rhythmisch während der Ausatmung komprimiert werden. Der Apparat
wird elektrisch betrieben und erlaubt eine genaue Dosierung der Fre¬
quenz und der Stärke der Kompressionen. Ferner demonstrierte er
einen von Hofbauer angegebenen Apparat, der auf dem Prinzip beruht,
durch Verlängerung der Exspirationsphase und Kompression der Bauch¬
decken den Kranken daran zu gewöhnen, die Ausatmungen zu verlängern
und zu verstärken. Schließlich erinnert Vortr. noch an die Strümpeil¬
sehe Behandlung des Asthmas mit Glühlichtbädern. In der Diskussion
spricht sich Senator-Berlin für die ganzen maschinellen Atmungs¬
apparate aus und empfiehlt auch die Kuhn’sche Saugmaske.
Günzel- Soden bespricht „eine neue Behandlung \7on Bronchial¬
asthma“. Er empfiehlt in jedem Falle von Asthma, wenn bestimmte
Grundkrankheiten ausgeschlossen sind, die Elektrisierung der Atmungs¬
nerven mittels hochfrequentem, unterbrochenem Gleichstrom, welcher
anästhesierende Wirkungen ausübt und in wenigen Minuten erhebliche
Erleichterung in der gepreßten Atmung schafft, die Expektorationen
stark befördert und bei mehrmaligen Wiederholungen oft dauernden
Nachlaß des Asthmas erringt. Die positive Elektrode setzt er auf
das rechte Halsdreieck oder führt sie in das Naseninnere ein. Zu diesem
Zwecke hat Vortragender einen sinnreichen Apparat konstruiert, den
er demonstriert.
Fisch- Franzensbad spricht über „künstliche Atmungs- und Herz¬
regulation“. Vortr. ist der Ansicht, daß jedes Verfahren für künstliche
Atmung eine möglichst reichliche Lungenventilation gestatten und zu¬
gleich eine möglichst große Wirkung ausüben muß. Dabei muß es aber
einfach und für jedermann leicht erlernbar sein. Allen diesen Indi¬
kationen genügt das vom Vortragenden ausgearbeitete Verfahren der
mechanischen Herzregulation, welche eine vertiefte Expiration schafft
und auch aktive Inspirationen ausführen läßt. Dabei wird auch das
Zwerchfell mit beeinflußt, und durch das mehr oder weniger starke
Tiefertreten des Zwerchfells erfolgt eine inspiratorische Erweiterung des
Brustraums. Vortr. demonstriert den Herzregulator, den er konstruiert
hat und empfiehlt ihn nachdrücklich für Verunglückte und Kranke.
Lenne -Neuenahr macht einige „Mitteilungen aus der Praxis“,
aus denen hervorgehoben sei, daß er gegen Nephritis in manchen Fällen
die Röntgenbehandlung empfiehlt, ferner unterzieht er das Präparat
Diabeteserin einer Kritik. Er glaubt, daß die Diät, die dabei nebenher
Der 30. Balneologenkongreß in Berlin.
537
verordnet wird, das maßgebende sei. Schließlich demonstriert er zwei
Gallensteine, die einer Patientin in Neuenahr abgegangen sind.
O. Mül ler -Tübingen spricht über „die Kreislauf Wirkung kalter
und warmer Wasseraplikationen sowie verschiedener Medizinalbäder“.
Bei Bädern unterhalb des sogenannten Indifferenzpunktes (34° C) ziehen
sich die Gefäße der Körperperipherie zusammen, die des Körperinnern
(speziell Darm und Gehirn) erweitern sich, der Blutdruck steigt. Die
Schlagfolge des Herzens wird verlangsamt, die geförderte Blutmenge
(Schlagvolumen) wird nicht nennenswert verändert. Bei Bädern ober¬
halb des Indifferenzpunktes bis hinauf zu etwa 39° C erweitern sich die
Gefäße der Körperperipherie, die des Körperinnern verengen sich ; der
Blutdruck sinkt, die Schlagfolge des Herzens wird vermehrt, die ge¬
förderte Blutmenge ebenfalls nicht verändert. Bei Bädern von mehr
als 39° C wird das Schlagvolumen sehr stark gesteigert, so daß trotz
der Gefäßerweiterung in der Körperperipherie der Blutdruck wächst.
Ebenso wie die heißen Wasserbäder wirken die Schwitzbäder wie Sand-,
Heißluft-, Dampf- und elektrische Glühlichtbäder. Alle bewegten Bade¬
formen, wie Wellenbäder, Halbbäder und Duschen wirken qualitativ
wie die unbewegten Bäder gleicher Temperatur, nur entsprechend dem
starken mechanischen Effekt kräftiger. Kalte Bäder stellen mithin
große Ansprüche an die Gefäße, heiße Bäder an das Herz. Bei kohlen¬
sauren und hydroelektrischen Bädern tritt eine Vergrößerung der vom
Herzen gelieferten Blutmenge ein. Die Stromgeschwindigkeit in den
großen Blutgefäßen steigt. Dabei kommt eine Umschaltung der Blut¬
verteilung in der Art zustande, daß bei kühlen Bädern dieser Art die
peripheren Gefäße sich verengen, die zentralen sich erweitern und daß
der Blutdruck steigt. Bei entsprechenden warmen Bädern aber er¬
weitern sich die peripheren, während sich die zentralen verengen und
der Blutdruck sinkt. Kühle, kohlensaure resp. hydroelektrische Bäder
üben also das Herz durch Vermehrung, warme schonen es durch Ver¬
minderung der Widerstände im Gefäßsystem. Bei empfindlichen Kranken
wird man demgemäß mit warmen Bädern beginnen und nur sehr vor¬
sichtig zu kühlen übergehen.
Jacob-Kudowa bespricht die Frage „Welches sind die erwiesenen
Vorgänge der Zirkulation beim Gebrauch von Bädern, die zur Besti-
tution des geschwächten Herzens führen ?“ Die Untersuchungsmethode,
deren er sich zuerst bediente, ist die gewesen, den Thermometer in
eine zentrale und zugleich periphere Stelle des Körpers zu bringen.
Als letztere wählte er die geschlossenen Finger oder Hände. Dabei
stellte er fest, daß im kohlensauren Bade die Innentemperatur sinkt
und die Außentemperatur steigt. Die intensive Böte der Haut sprach
dafür, daß der Hautblutstrom beschleunigt war. Um den Aortendruck
und das Arterienvolumen zugleich messen zu können, verwendete er
das Sphygmomanometer von Basch. Er ermittelte dadurch, daß das
kohlensaure Bad zwar zeitweise eine Verengerung der Badialis, aber
weit überwiegend eine Erweiterung bewirkt.
Aus seinen Untersuchungen ergab sich, daß das kohlensaure Bad
in den Bahmen der Schonungstherapie fällt.
Gr äupner-Nauheim sprach „Über die Möglichkeit, die Druck¬
kraft des Herzmuskels, die Größe des Widerstand im Gefäßsystem und
die Geschwindigkeit zu bestimmen“. Als Grundforderung der Kreis¬
laufsphysiologie stellt er die auf, beim Menschen die Größe der Druck¬
kraft des Herzmuskels, die Größe des Widerstands im Gefäßsystem und
588
Max Hirsch,
die Geschwindigkeit vermittels der Methoden der Druckmessung zu
bestimmen. Die Lösung dieser Aufgabe bezeichnet Hürthle als ein
Problem. Die Portsetzung der Untersuchungen des Vortr. zeigten,
daß entsprechend den Gräupn er’ sehen Blutdruckkurven bei Körper¬
arbeit die Größe der Amplitude als Punktion von Druckkraft und
Widerstand sich einstellt. Auf diese Weise sind die drei Paktoren der
Zirkulationsarbeit beim Menschen bestimmbar und das Problem
Hürthle’s als gelöst zu betrachten.
Kisch jr. -Marienbad hat das Thema gewählt „Über das Ver¬
halten des Pulsdrucks bei Arteriosklerose“. Verf. kommt auf Grund
seiner Untersuchungen zu der Schlußfolgerung, daß aus der Art des
Verhaltens von Puls- und Maximaldruck bei quantitativ bestimmter
Arbeitsleistung ein Maß für die Größe der Reserveenergie des Herzens
sowie seiner Leistungsfähigkeit und Funktionstüchtigkeit gewonnen
werden kann. Bei Arier iosklerotikem ist die Leistungsfähigkeit des
Herzens um so größer, je größer das Arbeitsquantum ist, je größer die
Maximal- und Pulsdruckzunahme ist, je geringer das Minimum des Puls¬
drucks während der Arbeitseinstellung ist. Der Pulsdruck mit gleicher
Berücksichtigung des Maximaldruckes gibt durch seine Werte in Ruhe¬
stellung, verglichen mit denen bei dosierter Arbeit, ein Maß für die
Größe des Widerstandes, der entsprechenden Druckkraft des Herzens
sowie für die Größe der Reserveenergie und den Grad der Punktions¬
tätigkeit des Herzens.
Selig-Franzensbad sprach „Über den Herzschmerz“. Er hebt her¬
vor, daß die proteusartige Erscheinung des Herzschmerzes dem Kranken
wie dem Arzt große Plagen verursache, am meisten das Herzklopfen.
Das zweite unangenehme Symptom ist die Herzangst, die bei Angina
pectoris ihren Höhepunkt erreicht. Auch die Unregelmäßigkeit des
Herzschlages und des Aussetzens der Schlagfolge führt zu unangenehmen
Störungen. Vielfach wird das Herz bei Frauen durch Hängebrüste
gedrückt ; deshalb empfiehlt Verfasser den sogenannten Mammaelevator,
welcher in jedes Korsett eingelegt werden kann. Häufig wird der Herz¬
schmerz verwechselt mit Knochenschmerz, mit Interkostalneuralgie, mit
Gefäßkrisen usw. Auch der Magendarmkanal kann oft Veranlassung
zu Herzbeschwerden geben, namentlich V erstopfung und Flatulenz. Auch
eine mangelhafte Suspension, das Wanderherz, kann zu Beschwerden
führen, ebenso das Mißverhältnis zwischen Herzgröße und Thoraxweite.
Siebelt-Plinsberg machte „Die Lichttherapie in der Hand des
praktischen Arztes“ zum Gegenstand seines Vortrages. Ohne die Frage
zu entscheiden, ob die elektrische Glühlampe im wesentlichen durch ihre
Lichtstrahlen oder durch die Wärmestrahlen wirksam ist, tritt Vortr.
dafür ein, daß dieselbe mehr als bisher in der Hand des Praktikers
Verwendung finden möge. Besonders bewährt sich das blaue Licht in
der Form der Minin’schen Lampe. Redner sah gute Erfolge bei Ge¬
lenkergüssen, rheumatisch -neuralgischen Erkrankungen, auch bei den
quälenden Kreuzschmerzen der Hämorrhoidarier. Ebenso sind manche
Hautkrankheiten dankbare Behandlungsgegenstände, wenn auch z. B.
Psoriasis, Sykosis u. a. unbeeinflußt waren. Schließlich wird noch
darauf hingewiesen, daß gegenüber den Dermatosen eine Art kataphore¬
tischer Wirkung im Spiele zu sein scheine.
Schade-Kiel spricht über „Colloidchemie und Balneologie“. Zu¬
nächst versucht Vortragender eine Definition des Begriffs Colloidchemie
zu geben, die allerdings recht schwer ist. Sodann setzte er die vielen
Beziehungen auseinander, die zwischen der modernen physikalischen
Der 30. Balneologenkongreß in Berlin.
539
Chemie und der Serumtherapie besteht. Vor allem sucht er nachzu¬
weisen, daß der Einfluß des Colloid auf die Vorgänge des Organismus
namentlich in bezug auf die Salze von großer Bedeutung sei. Schlie߬
lich spricht er die Ansicht aus, daß die Colloidchemie noch große
Ziele vor sich hätte, deren Lösung namentlich für die Balneologie von
außerordentlichem Interesse wäre.
Grube- Neuenahr spricht über die ,, chemischen Korrelationen im
Organismus“. Zunächst zeigt er, wie die verschiedenen Organe des
Körpers in ihren chemischen Funktionen aufeinander einwirken und sich
gegenseitig regulieren. Außer den nervösen Beziehungen, welche
zwischen den einzelnen Organen vorhanden sind, müssen auch chemische
Beziehungen vorhanden sein und zwar handelt es sich dabei um Stoffe,
welche in den Organen gebildet, vom Blutstrom aufgenommen und zu
dem Ort ihrer Wirksam beit getragen werden. Diese Stoffe bezeichnet
man neuerdings als „Hormone“. Diese Hormone teilt Vortr. in drei
Klassen ein, nämlich 1. in diejenigen, welche die Verdauung regulieren
und die Beziehungen zwischen den einzelnen Teilen des Verdauungs-
traktus hersteilen ; 2. in diejenigen, welche den Stoffwechsel der aus
dem Verdauungskanal in den Körper übergegangenen Nährstoffe be¬
einflussen und 3. in diejenigen, welche die Wachstums Vorgänge regu¬
lieren. Zum Schluß spricht Vortr. eingehend über diejenigen Hormone,
welche für den Kohlehydratstoffwechsel von größter Wichtigkeit sind.
• S. Munter-Berlin trägt „Neuerungen auf dem Gebiete der Heil¬
gymnastik der Nerven-, Herz- und Stoffwechselkrankheiten“ vor. Er
unterscheidet bei der Therapie der Nervenkrankheiten eine bahnende
und eine kompensatorische Übung, je nachdem noch Fasern vorhanden
sind oder nicht. Beim Rückenmarkschwindsüchtigen geht eine größere
Nervenarbeit vor sich als beim normalen Menschen, weswegen er auch
leichter ermüdet. Deswegen hat Vortr. Apparate konstruiert, mit deren
Hilfe er die Nervenarbeit bei den Übungen bedeutend erleichtert, in¬
dem er die einzelnen Bewegungen zerlegt, den Übenden unterstützt
und die Bewegungen nicht übermäßig stark werden läßt. Die Be¬
wegungen werden durch Lichtsignale kontrolliert. Er hält die Apparate
auch für geeignet für die Behandlung von Herzkrankheiten im Sinne
von Schott.
Bi ekel -Berlin sprach über die „biologische Forschung in der
Balneologie“, die in den letzten Jahren in seinem Institut ausgiebige
Verwendung fand. Vortr. betont die Wichtigkeit wissenschaftlicher
Forschung in der Balneologie überhaupt und besonders die der biolo¬
gischen Prüfung. Die empirische Therapie müßte durch die wissen¬
schaftlichen Untersuchungen aller Art rückwärts verfolgt und begrün¬
det werden. Aber auch für die Indikationsstellung für die einzelnen
Mineralwässer sei die biologische Untersuchung von großer Bedeutung.
An einer Reihe von Beispielen legt Vortr. dar, welche Vorteile die
Balneologie von der biologischen Forschung gehabt hat. Diese Bei¬
spiele entnimmt Vortr. seinen und seiner Schüler Arbeiten. Vor allem
zeigt er, wie die verschiedenen Mineralwässer auf den Magen- und
Darmkanal einwirken, wie sie die Motilität und die Sekretion des
Magens und Darms beeinflussen. Zum Schlüsse betont V ortr. noch die
Wichtigkeit der biologischen Forschung in der Balneologie überhaupt;
denn in der Balneologie habe nicht nur die krasse Empirie ein Wort
zu reden, sondern vor allem auch die Klinik und namentlich das Ex¬
periment. (Schluß folgt.)
540
Vorläufige Mitteilungen und Autoreferate.
Vorläufige Mitteilungen u. Äutoreferate.
Ueber chronische Diarrhöen.
Von Dr. Berger, Spezialarzt für Verdauungskrankheiten in Magdeburg.
(Vortrag, gehalten in der med. Gesellschaft zu Magdeburg am 25. März 1909.)
B. gibt einen kurzen Überblick über die wichtigsten, heutzutage
herrschenden Ansichten über Begriff ünd Wesen des Durchfalles. Er
selbst stellt sich, gestützt auf eine Reihe eigener, in der Hallenser
Klinik ausgeführten Untersuchungen, auf den von Ad. Schmidt ein¬
genommenen Standpunkt, den dieser auf dem letzten Baineologenkongreß
im März d. J. in Berlin folgendermaßen präzisiert hat: ,,Das Wesen
des Durchfalles ist die Absonderung einer fäulnisfähigen Flüssigkeit
durch die Darmwand...., und sie“, — d. h. also diese fäulnisfähige,
eiweißhaltige Flüssigkeit, die sich, da sie unmittelbar mit den Mikro¬
ben des Darmes in Berührung kommt, außerordentlich schnell zer¬
setzt, — „ist es, welche die gesteigerte Peristaltik auslöst.“
Vortragender legt eingehend die Wichtigkeit der Darreichung der
Schmid t’schen Probekost bei Darmerkrankungen dar, nicht nur im dia¬
gnostischen, sondern auch im therapeutischen Interesse und bespricht
sodann die verschiedenartigen Stuhlbefunde, wie sie nach Genuß der
Probekost bei Durchfällen erhoben werden können, indem er sich dabei
die Schinidt’sche Einteilung in a) organische und b) funktionelle Stö¬
rungen zu eigen macht, und bei letzteren wiederum die motorischen, die
Resorptions- und die Sekretionsstörungen voneinander zu trennen sucht.
Nicht immer gelingt es, an der Hand der Stuhluntersuchung diese
Trennung der einzelnen Formen vorzunehmen, insbesondere da sie häufig
kombiniert auftreten und durch hinzugetretene sekundäre Katarrhe die
primäre Störung' mehr oder minder zurücktritt.
Gut abzugrenzen sind in der Regel die Krankheitsbilder der sogen,
gastrogenen Diarrhöen, der Gärungsdyspepsie resp. -katarrhe und meist
der in der Umgebung der Ileocöcalklappe ihren Sitz habenden Darm¬
störungen.
Zum Schluß fügt B. einige therapeutische Bemerkungen hinzu,
warnt vor der indikationslosen Anwendung des Opiums und macht Mittei¬
lung über die günstige antiseptische und gärungshemmende Wirkung eines
von ihm in Gemeinschaft mit Dr. Tsuchiya aus Tokio in der Hallen¬
ser Klinik erprobten, auf Veranlassung von Prof. Ad. Schmidt in der
chemischen Fabrik Helfenberg-Sachsen hergestellten Präparates „Oxy-
gar“, eines mit Wasserstoffsuperoxyd geladenen feingeschnittenen Agar-
Agar. Eine ausführliche Veröffentlichung über diese Untersuchungen
wird demnächst erfolgen. Autoreferat. 1
lieber Anaphylaxie.
Von Dr. Gottlieb Salus.
(Verein deutscher Arzte in Prag. Sitzung vom 2. April 1909.)
Anaphylaxie und Überempfindliohkeit sollten nicht verwechselt
werden ; zur ersteren rechnet - S. nur diejenigen Formen, die nie in
Immunität ausgehen und besonders jene, bei denen das Antigen für
un vorbehandelte Tiere unschädlich ist. Die Überempfindlichkeit gegen
bakterielle Toxine gehört nicht hierher, dort handelt es sich um art-
liche oder individuelle Ausnahmen von der regulär eintretenden Immuni-
Zeit- und Streitfragen.
541
tat, ebenso ist das Mießmuschelgift kein Anaphylaxieantigen, denn
auch da folgt Immunität nach.
Bei Versuchen mit Pferdeserum konnte S. die Beobachtungen von
Otto, daß bloßes Pferdeserum in kleinen Dosen injiziert, Anaphylaxie
erzeugt, bestätigen und viel intensivere Resultate bekommen, wenn
das Intervall auf 25 — 35 Tage ausgedehnt wurde, was sich auch
in Versuchen bei Vorbehandlung mit Diphtherietoxin -|- Pferdeserum
bewährte. Es konnte gezeigt werden, daß die intensiv steigernde Fähig¬
keit des bei der Vorbehandlung verwendeten Diphtherie toxi ns nicht
auf der Erregung von Antitoxin beruht, daß sie vielleicht in
einer allgemeinen Steigerung sekretorischer Funktionen besteht, da das
Toxin durch Salizylsäure ersetzt werden konnte. Die Über¬
tragung der Anaphylaxie gelang im Sinne von U. Friedemann.
Ein neues Antigen wurde im Dottereiweiß gefunden, auch
hier wird der Effekt durch Zusatz von Diphtherietoxin bei
der Vorbehandlung gesteigert. Aktives Rinderserum ist als
Antigen ungeeignet, es ist von Haus aus giftig, ruft lokale
Reizerscheinungen hervor, die sich bei intraperitonealer Injektion selbst
zu tödlichen — bei sterilem Peritoneum — steigern können ; die Rein¬
fektion führt nie zu Allgemeinerscheinungen. Die große Aktivität des
Rinderserums, die sich auch sonst zeigt, ist aus chemischen Differenzen
vom Pferdeserum nicht erklärlich. Eigentümlich ist auch die Spezifi¬
tät der Anaphylaxie; obwohl stets physiologisch gleichartige
Giftwirkungen zu beobachten sind, reagieren die Tiere nur
auf das zur Vorbehandlung verwendete Eiweiß, was dafür
spricht, daß sie dadurch spezifische, fermentartige Mittel
erlangen, diese eine Eiweißart so.abzubauen, daß dabei giftige
Spaltprodukte entstehen (Fermentoldtheorie des Autors).
Zeit- und Streitfragen.
Die hier zum Abdruck kommenden Artikel geben die subjektive Ansicht des Autors wieder.
— Unsere Leser werden gebeten, zu den „Zeit- und Streitfragen“ sich möglichst zahlreich zu äußern.
Diese Einsendungen werden an der gleichen Stelle publiziert und die Diskussion durch ein Schlußwort
des Autors beendigt. _____ Die Schriftleitung.
Weitere Stimmen zur „Obligatorischen Serumtherapie.*)
Ein Sammelreferat von Dr. Esch.
Während Bagin sky und andere der Ansicht sind, die moderne
Wissenschaft habe durch die Serumtherapie erreicht, daß wir die
Diphtherie als eine überwundene Krankheit bezeichnen können, betont
Morgenroth (Ther. Monatsh. 1909, Nr. 1) die noch immer recht erheb¬
liche Todesziffer bei diesem Leiden. Um sie herabzusetzen, schlägt er die
Anwendung von 20 — 30000 Einheiten (wie in England u. Dänemark) als
intravenöse Seruminjektion vor, bei der raschere Resorption der Anti¬
körper erfolge, während sie bei der subkutanen Einverleibung oft erst
nach 1 — 3 Tagen (!) beendet sei. (Die bei letzterer trotzdem so vielfach
berichteten Heilerfolge sprechen, ebenso wie die weiterhin von M. her¬
vorgehobene Tatsache, daß nach den Feststellungen Madsens zeit¬
weise ein ganz geringwertiges, 30faches Serum ausgedehnte therapeu¬
tische Anwendung gefunden habe, für die Richtigkeit der in Nr. 29/08
der F. d. M. ausgesprochenen Vermutung, daß die Serumerfolge wesent¬
lich aul Fremdstoff Wirkung zurückzuführen seien. Ref.)
*) s. Nr. 29 u. Nr. 36, 1908.
542
Zeit- und Streitfragen.
Auch Uffenhei m e r hat s ich mit der Frage, weshalb das
Diphtherieserum so oft versage, ganz speziell beschäftigt, jedoch
konnte er trotz eifrigen Bemühens und zahlreicher Experimente keine
Klarheit darüber gewinnen. Er vermutet (Münch, m. W., Nr. 12), daß
unsere Anschauungen über den Heilwert des Serums überhaupt auf
falscher Grundlage beruhen, daß vor allem keine direkten Beziehungen
zwischen dem Antitoxingehalt und dem Heilwert des Serums bestehen.
Ähnlich Pfaundler (Münch, m. W., Nr. 13, S. 683) und Kraus und
.Schwoner (Zentr. f. Bakt. 1908, Nr. 1).
Meissen (Ztschr. f. Tbk. Bd. X, H. 4 1908) betont, ähnlich wie
Kogenbach, Gl äse r usw., im allgemeinen die Unzulänglichkeit der
Tierversuche, die bestenfalls, wahrscheinlich aber auch, nur unter manchen
Einschränkungen beweisen, daß man durch gleichzeitige oder vor¬
hergehende „spezifische“ Behandlung Tiere gegen künstliche In¬
fektion schützen könne. Darüber aber, ob diese Therapie auch bei natür¬
lich entstandener Infektion wirke, sagen sie nichts aus. Man gehe
zu sehr von der Voraussetzung aus, daß diese Therapie helfen müsse und
daß der mangelhafte Erfolg nur in der ungenügenden Zusammensetzung
und Anwendung begründet sei (vgl. oben Morgenroth’s Forderung
von 30000 Einheiten).
„Es muß endlich einmal wieder ausgesprochen werden“ sagt Kogen¬
bach (Arzt c. Bakteriolog., S. 101 ff.), „daß nicht der ein wissenschaft¬
licher Arzt ist, der den Niederschlag an neuen Formeln und Begriffen
sich frühzeitig aneignet und alles Neue, eben weil es neu und modern
(vulgo wissenschaftlich) ist, gleich mit mehr oder weniger Kritik in
Anwendung zieht, sondern daß nur derjenige auf den Namen eines
wissenschaftlichen Arztes Anspruch erheben darf, der selbständig
denkt und prüft, der durch langjährige sorgsame, objektive Beobachtung
der Lebensverhältnisse des gesunden und kranken Körpers die Fähig¬
keit erlangt hat, einen wahren, bleibenden, objektiven Maßstab an
alles Neue zu legen und den Kern der Dinge nicht mit ihrer äußeren
Form zu verwechseln.
Er wird also all den schematischen Behandlungsmethoden, die
nicht bloß bei allen Fällen derselben ’Krankheitsform, sondern womöglich
bei den ätiologisch und klinisch differentesten Prozessen auf einem
und demselben Wege ein sicheres Heilresultat herbeiführen wollen,
mit größtem Mißtrauen gegenüberstehen.
Martius (V. u. K. Mon. 09, Nr. 4) meint: „Merkwürdigerweise
herrscht noch so vielfach, selbst in den sog. exakten Wissenschaften
die Vorstellung, als sei ein Mensch dem andern im Aufbau, in der
Beschaffenheit und damit in der Widerstandsfähigkeit seiner Zellen,
Gewebe und Organe völlig gleichwertig. Namentlich in der Bakterio¬
logie hat diese stille Voraussetzung viel Unklarheit geschaffen und
den wissenschaftlichen Fortschritt gehemmt.“
„Neuerdings“ meint Gläser (Ketzerische Briefe, Allg. med. Zen-
tralztg. 1905), „erscheint es ziemlich gleichgültig, was man einspritzt,
wofern man nur einspritzt: Serum von immunisierten und nicht immuni¬
sierten Tieren, Saprophyten, abgeschwächte Kulturen oder Serum der
gleichen oder einer anderen Krankheit.“
Was vollends die Absurditäten betrifft, zu denen die allgemeine
Durchführung der Serum-Immunisierung und -Behandlung führen würde,
wenn es je gelingen sollte, „für die lOOOerlei verschiedenen Krankheiten
ebenso viele spezifische Sera“ zu finden, so sind diese Konsequenzen
Referate und Besprechungen.
543
ja bereits von C. Frankel (vgl. Gläser, Ztrlbl. f. Kinderheilk. 1900,
Nr. 5 u. 6), Bofinger und Groddeck (Ärztl. Stimmen über Behring,
Stuttgart 1896) usw. treffend ausgemalt worden.
Hier sei nur noch folgendes hervorgehoben :
Die Behandlung des Menschen mit dem künstlich gewonnenen
Serum künstlich krank gemachter Tiere hat ja schon im allgemeinen
für den Unbefangenen unter anderen das Bedenken, daßi sie so enorm
von allem natürlichen Geschehen ab weicht. Besonders aber gilt das
von der passiven, speziell hier also von der Diphtherie-Immunisierung
und -Behandlung, bei der „so und so viel Einheiten, so und so viel
Kilogramm Versuchstier oder -mensch retten“. „Seit langem“, sagt
Pfaundler a. a. 0„ „lehnen die Kliniker die Anwendung des einfachen
Toxin -Antitoxin-Neutralisierimgsschemas ab und nehmen die Mitwirkung
des Organismus und seiner Wehrkräfte als Mittler des Effekts an.
Metschnikoff und seine Schule haben bekanntlich die Lehre von
der rein passiven Immunisierung stets bekämpft. Behufs einschlägiger
Erklärung der wohl nicht gänzlich zu leugnenden Serumerfolge sei
wiederholt auf die früher besprochene Leukozytose hingewiesen, zu
deren Herbeiführung uns ja die verschiedensten Wege offen stehen.*)
So erzielte z. B. Grawitz (Ther. Monatsh. 1908, Nr. 12) mittels
heißer Bäder und anderer einschlägigen Maßnahmen bei Diphtherie
ohne Serum die gleichen Erfolge, wie sie von letzterem berichtet werden.
„Bei der Hochflut täglich neu erfundener Sera“, meint er, „ist
es dringend nötig zu betonen^ wie viel eine rationelle Behand¬
lung heute auch ohne jene Spezifika leisten kann.“
Referate und Besprechungen.
Gynäkologie und Geburtshilfe.
Über Schwangerschaftstoxikosen.
(Fellner, Wien. Monatsschr. für Geburtsh. u. Gyn., Bd. 29, S. 22, 1909.)
F. versteht unter Schwangerschaftstoxikosen Erkrankungen, die in ge¬
wissem Abhängigkeitsverhältnisse zur Schwangerschaft an sich stehen und
die Annahme nahelegen, daß irgend ein Graviditätstoxin die Ursache ab¬
gibt, trotzdem dessen Nachweis chemisch noch nicht gelungen ist. Ver¬
schiedene klinische Symptome der Schwangerschaft weisen direkt auf eine
Intoxikation hin z. B. die Alterationen der Nerven und der Psyche, die
Knochenveränderungen, die Blut- und Urinveränderung, die Hypertrophie
der entgiftenden Blutdrüsen (Thyreoidea, Hypophyse) usw. Das Wachstum
der antagonistischen Drüsen (Nebennieren) in der Gravidität faßt F. als
Folge der Blutdrüsenhypertrophie auf und erklärt durch dieses Faktum die Blut¬
drucksteigerung und vielleicht auch die Albuminurie in der Schwangerschaft.
Er versucht, den Nachweis zu führen, daß sämtliche spezifischen Schwanger¬
schaftserkrankungen nur eine Steigerung der physiologischen Schwanger¬
schaftserscheinungen seien. Demnach führt er als Graviditätstoxikosen auf:
Neuritis, Chorea, Tetanie, Graviditätspsychosen, Epilepsie (die vorher latent,
erst durch die Gravidität manifest wurde) Ptyalismus, Hyperemesis, Ikterus-
*) *Es genügt, z. B. bei Meerschweinchen, große Mengen eiweißhaltiger Stoffe,
Eiweißlösungen, sterile Bouillon, ja u. U. sogar physiol. Na-CL-Lösung in die Bauch¬
höhle zu spritzen, um sie eine nachfolgende, für Kontrolltiere tötliche Infektion
mit irgendeiner (!) virulenten Kultur überstehen zu lassen. Dieser Satz erstreckt
sich, wie nochmals ausdrücklich betont sei, nicht etwa nur auf eine bestimmte
Infektion, sodern ist allgemeiner, nicht spezifischer Art.“ (Sobernheim,
Lehre von der Immunität in Krehl-Marchand, Allg. Ätiol., S. 433.)
544
Referate und Besprechungen.
gravidarum, Eklampsie, Osteomalacie. Ätiologisch weist er auf den Locus
minoris resistentiae, die Schwäche der Abfuhrorgane hin, glaubt aber der
Annahme einer mangelhaften Antitoxinbildung oder einer pathologischen Über¬
produktion von Schwangerschaftstoxinen (vielleicht in den periphereren Pla¬
zentarzellen gebildet) nicht entraten zu können. Gerade diese letzte Hypothese
könnte auch zur Erklärung der Wochenbe ttstoxikosen dienen, falls sich
hierbei Retention von Plazentarresten findet. Indem E. weiterhin auf Ana¬
logien zwischen pathologischen Menstruations- und Schwangerschaftserschei¬
nungen hinweist, zieht er den hypothetischen Schluß, daß die Ursache der¬
artiger Erkrankungen durch die Insuffizienz eines innersekretorischen Or¬
gans gegeben sei. Bei Berücksichtigung des Verhaltens der Menstruation
bei Erauen, welche an einer Graviditätstoxikose litten, glaubt er einen Zu¬
sammenhang zwischen der Erkrankung und Menstruationsanomalien feststellen
zu können. Frankenstein (Köln).
Nebennierentherapie bei unstillbarem Schwangerschaftserbrechen.
(Silvestri u. Zanfrognini. Riv. crit. di Clin, med., Nr. 3, 1909.)
In der medizinisch -chirurgischen Gesellschaft zu Modena berichteten
Silvestri und Zanfrognini über je einen Fall von hartnäckigstem Gra¬
viditätserbrechen, die durch Darreichung von Nebennierensubstanz geheilt
wurden. Während Silvestri 2 Tabloids täglich des Borr ough-Wellcome-
sehen Präparats gab, mit dem Erfolg, daß nach 2 Tagen das Erbrechen
völlig geschwunden war, verabreichte Zanfrognini das Paraganglin Vassale,
das bekanntlich nur ein Extrakt der Marksubstanz darstellt, und erzielte
damit auch binnen wenigen Tagen Heilung. M. Kaufmann (Mannheim).
Die geburtshilfliche Narkose.
(Hegar, Freiburg. Aus „50 Jahre Geburtshilfe“. Ther. der Gegenw., Nr. 1, 1909.)
„Nachdem durch Simpson die Anästhesierung mit Chloroform ein¬
geführt war,“ so führt Hegar aus, „wurde das Mittel anfänglich nicht nur
bei Geburten, die Kunsthilfe erheischten, sondern ziemlich allgemein auch
bei normalen Niederkünften angewandt, ja von den Frauen verlangt. Da
man bis zum Durchschneiden nur kleine Dosen brauchte, so war die Gefahr
sehr gering. Allmählich kam der Gebrauch des Mittels aber wieder ab.
Es war in Mode gekommen und kam auch wieder heraus. Ben Akiba hat
aber wieder einmal Recht gehabt: In unserer Zeit spielt das Skopolamin¬
morphium dieselbe Rolle wie damals das Chloroform. Die Meinungen darüber
sind sehr geteilt. Die einen loben es, während die anderen es ungünstig
beurteilen. Das Chloroform hat jedenfalls den Vorzug, daß man jederzeit
sofort abbrechen kann. Auch ist der ungünstige Einfluß auf das Kind
nicht vorhanden, den das Skopolamin in reichlichem Maße ausübt.“ Esch.
Aus der königl. Uiversitäts-Frauenklinik in Tübingen.
Zur Behandlung der Placenta praevia.
(Dr. Aug. Fiessler. Münch, med. Wochenschr., Nr. 4, 1909.)
Der von F. gegebene kurze Überblick über die bisherigen Behandlungs¬
arten der Placenta praevia gipfeln in der Empfehlung des extraperitonealen
Kaiserschnittes für die Behandlung der Placenta praevia, wofür bekanntlich
schon sein Chef Seilheim eingetreten ist. Hatte die Wendung nach Brax-
ton-Hicks in der Klinik eine mütterliche Mortalität von 10%, in der
allgemeinen Praxis eine solche von 20%, so beträgt nach F.’s eigener Be¬
rechnung die mütterliche Mortalität nach Metreuryse nur 6,3%. F. tut
dieses ausgezeichnete Resultat mit den Worten ab: „die Sterblichkeit der
Mütter nach Metreuryse ist also nicht höher als die der kombinierten Wendung“.
Referate und Besprechungen.
545
Es läßt sich dann allerdings leichter der extraperitoneale Kaiserschnitt emp¬
fehlen, der in- Tübingen bisher neunmal ohne Todesfall der Mutter ausgeführt
worden ist. Allerdings gibt F. zu, daß diese kleine, glückliche Zahl noch
kein definitives Urteil gestatte. Erhalten blieben in den neun Fällen sieben
Kinder. Bei der kombinierten Wendung beträgt die kindliche Mortalität etwa
60%, bei der Metreuryse 40%. R. Klien (Leipzig).
Aus der Universitäts-Frauenklinik in Kiel.
Über die transperitoneale Sectio caesaria mittels unteren (cervico-
mesouterinen) Längsschnittes.
(J. Pf annenstiel. Deutsche med. Wochenschr., Nr. 40, 1908.)
Das Wichtigste an der vorliegenden Arbeit dürfte die auf Grund einer
kritischen Durchsicht der bisher publizierten Fälle scharf ausgesprochene
Warnung sein, infizierte oder auch nur wahrscheinlich infizierte Fälle
dem extraperitonealen Kaiserschnitt zu unterwerfen. Die Resultate sind näm¬
lich, wie Pf. nachweist, durchaus nicht so glänzende, wie man wohl ge¬
meinhin denkt. Von 17 verdächtigen Fällen starben 2 an Peritonitis bezw.
Eklampsie mit beginnender Peritonitis. Von 7 Fällen mit übelriechendem
Fruchtwasser starb 1 lan Peritonitis, 5 andere machten z. T. schwere Wund¬
eiterungen und Fieber durch. Nimmt man diejenigen Fälle, die vor der
Operation sicher gefiebert hatten, — es sind das nur 4 — so sind 2 ge¬
storben, 1 erkrankte an schwerer Wundeiterung. Von den bisher angege¬
benen Methoden (Frank, Veit-Fromme, Seilheim) wäre die von Seil¬
heim sog. Operation durch die Uterusbauchdeckenfistel noch am ehesten
für unreine Fälle geeignet. Alle anderen Methoden garantieren kein
sicher extraperitoneales Operieren. Aber auch die großen Weichteil¬
wunden sind nicht unbedenklich, was Pf. mit Nachdruck hervorhebt. Zum
mindesten müßte von der Drainage dieser Wunden ausgiebigster Gebrauch
gemacht werden. Für infilzierte Fälle wird der vorsichtige Geburtshelfer
auch heute noch die Perforation auch des lebenden, sowieso meist ernstlich
gefährdeten Kindes, (auch in der Klinik auszuführen haben. Versuche mit
den neuen Methoden des Kaiserschnittes sind auf jene Fälle zu beschränken,
welche zwar schon lange gekreißt haben, aber ohne nennenswerte Krankheits¬
erscheinungen bekommen zu haben, welche verschiedentlich untersucht wor¬
den sind inner- oder außerhalb der Anstalt, oder bei denen unschädliche
aber vergebliche Entbindungsversuche gemacht worden sind, vorausgesetzt
natürlich, daß das Kind lebt. — Ganz anders beurteilt Pf. den Wert der
modernen Kaiserschnittstechnik für „reine“ Fälle. Hier biete der Schnitt
im unteren Bereich des Uterus nur Vorteile. Pf. setzt dann seine Technik
des transperitonealen Längsschnittes in Verbindung mit seinem Faszienquer¬
schnitt ausführlich auseinander. Der Schnitt hat sich im allgemeinen inner¬
halb des unteren Uterinsegmentes zu halten. Nur in der Schwangerschaft
muß man den Schnitt nach unten in die Zervix hinein verlängern ; in diesen
Fällen muß auch die Blase von der Zervix abgelöst werden, was sonst nicht
nötig ist. Dem modernen Kaiserschnitt will Pf. ein etwas größeres Indi¬
kationsbereich zuweisen, als dem bisherigen klassischen Kaiserschnitt, doch
solle das nicht auf Kosten der Hebosteotomie geschehen. Dieser sollten
nur Fälle mit sehr engen Weichteilen und solche entzogen werden, denen
eine längere Bettruhe schädlich sein würde. Ferner sei der transperitoneale
Kaiserschnitt indiziert bei gefahrdrohenden Zuständen, welche die sofortige
Entleerung des Uterus erheischen, als Ersatz des vaginalen Kaiserschnittes,
wenn abnorme Enge und Rigidität der Vagina und Zervix oder sonstige
Schwerzugänglichkeit der Zervix vorliegt ; endlich bei verschleppten Quer¬
lagen oder sonst drohender Uterusruptur bei lebendem Kinde.
R. Klien (Leipzig).
35
546
Referate und Besprechungen.
Aus der königl. Universitäts-Frauenklinik in Greifswald.
Die Retroflexio uteri in der allgemeinen Praxis.
(Prof. Dr. Max Henkel. Münch, med. Wochenschr. Nr. 4, 1909.)
Die Stimmen mehren sich wieder, daß die Retroflexio uteri, auch
wenn sie unkompliziert ist, doch sehr oft ganz bestimmte Beschwerden hervor¬
ruft. Bei der Diagnose ist die mobile Retroflexio scharf von der fixierten
zu trennen. Im Laufe der Zeit pflegen auch bei der mobilen Retroflexio
die Beschwerden nicht auszubleiben. (Sterilität, Inkarzeration eines retro-
flektriert liegenden Uterus.) Kongenitale bezw. vir gineile Retroflexionen ver¬
ursachen meist nur dann Beschwerden, wenn sie mit einem gewissen In¬
fantilismus des Organs oder mit besonders scharfer Knickung nach hinten
kombiniert sind. Hier würde man durch eine Lagekorrektur nichts erreichen,
hier heißt es den Gesamtorganismus kräftigen. — Um in der Praxis über
die Bedeutung des gerade vorliegenden Falles von Retroflexio ins Klare zu
kommen, empfiehlt H., den Uterus aufzurichten und mittels Ring zu fixieren,
ohne der Pat. etwas davon zu sagen. In den Fällen, wo sich das durchführen
läßt, wird man so ein durch Suggestion nicht beeinflußtes Urteil über
die auf die Retroflexio an sich zurückzuführenden Beschwerden erhalten.
Um sich bez. etwaiger Verwachsungen zu orientieren, dient das Ver¬
fahren der bimanuellen Aufrichtung nach Schul tze oder mittels der Sonde.
Letztere ist natürlich bei Verdacht auf Gravidität und bei frischem Zer-
vixkatarrh unzulässig, ebenso bei entzündeten Adnexen. — Therapeutisch
möchte H. mit Pessar, und zwar dem Breuß’schen, nur die Fälle von
frisch im Wochenbett entstandenen Retroflexionen behandelt wissen; ein
Teil dieser Fälle heilt durch Ringbehandlung, andere Fälle dagegen
nach H.’s Erfahrungen nie! diese sind sämtlich nur durch Operation zu
heilen. Für die mobilen Retroflexionen gilt die Alexander- Adam’sche
Operation, vorausgesetzt daß der aufgerichtete Uterus normal hoch liegt,
daß nicht gleichzeitig ein Descensus uteri vorliegt und daß die Parametrien
und Adnexe frei sind. Sind letztere entzündet oder ist der Uterus selbst
erheblich vergrößert oder fixiert, so kommt nach Lösung der Adhäsionen
usw. als lagekorrigierende Operation nur die Ventrof ixation in Frage,
und zwar die Olshausen’sche nach Pf annens tiel’schem Querschnitt. Als
Fixationsfäden benutzt H. bei beiden Operationen Seide. Für die mit
stärkerem Prolaps komplizierten Fälle von Retroflexio empfiehlt H. im
allgemeinen die Sekauta’sche Operation mit gleichzeitiger tubarer Sterili¬
sation; meist handelt es sich ja um Frauen, die keinen weiteren Kindersegen
mehr brauchen. — Aus dem Gesagten geht hervor, daß in der Therapie der
Retroflexion vieles einfacher und dadurch besser geworden ist; vor allem
fallen die oft nicht befriedigenden vaginalen Eingriffe fast ganz fort.
R. Klien (Leipzig).
Aus der Kieler Frauenklinik.
Eine Nebennierengeschwulst der Vulva als einzige Metastase eines
malignen Nebennierentumors der linken Seite.
(E. Gräfenberg. Virchows Archiv für pathol. Anatomie, Bd. 194, S. 17, 1908.)
Bei einer 65 j ähr. Frau wurde ein gTobknolliger, braunschwarzer, pilz¬
förmiger Tumor entfernt, der der Klitoris und Urethralmündung links auf-
saß und auf die ganze linke kleine Schamlippe Übergriff, in einer Größe von
etwa 41/2— 5 cm. Die mittleren Teile und der Stiel bestanden aus hellgelbem
Gewebe mit Fetteinlagerungen und waren oben von einem breiten Saum
schwarzgrauen Gewebes überlagert. Die oberflächlichen Abschnitte waren
nekrotisch. Mikroskopisch bestand das Geschwulstgewebe der mittleren Teile
aus hellen protoplasmareichen, fett- und glykogenhaltigen Zellen, die sehr
an die Elemente der Nebennierenrinde erinnerten. Die schwarze Färbung der
Peripherie der Geschwulst war durch Einlagerung grobkörniger, amorpher
Pigmentschollen im intervaskulären Gewebe bedingt, die keine Eisenreak-
Referate und Besprechungen.
547
tion gaben. Bei der Sektion fand sich ein etwa kindskopfgroßer suprarenaler
Tumor der linken Niere, der sonst im Körper Metastasen nicht gemacht hatte.
Verf. hält sich für berechtigt, den Vulvatumor nicht als ein primäres
Melanosarkom der Vulva, sondern als eine auf dem Wege der retrograden
Embolie entstandene Metastase dieses Nierentumors zu deuten, trotz des
Pigmentgehaltes des Scheidentumors. W. Risel (Zwickau).
Untersuchungen über die chemische Zusammensetzung der Myome und
der Uterusmuskulatur.
1. Teil. Die Eiweißkörper.
(Birnbaum u. Thalheim. Monatsschr. für Geburtsh. u. Gyn., Bd. 28, S. 1908.)
Von der Erwägung ausgehend, daß der Zusammenhang von Myom-
und Herzerscheinungen auf toxische Produkte der Myome zurückzuführen sei,
haben die Autoren es unternommen, den Chemismus der Myome zu studieren.
Allerdings ist zunächst noch nicht abzusehen, ob das gesteckte Ziel, näm¬
lich die supponierten Giftstoffe zu isolieren, erreichbar ist. Auf Grund
mühsamer Arbeiten, bei denen Fehlerquellen leider nicht völlig auszuschalten
sind, gelang es B. und Th. durch Verarbeitung von operativ gewonnenen
Präparaten festzustellen, daß in den Myomen und in der Uterusmuskulatur
im wesentlichen sich zwei Eiweißkörper finden, ein Globulin in geringerer,
ein Albumin in ziemlich großer Menge. Das von Velichi und Vincent
in der glatten Muskulatur gewisser Tiere nachgewiesene Nukleoproteid scheint
in den Myomen zu fehlen. Frankenstein (Köln).
Aus der Üniversitäts-Frauenklink in Graz.
Histologische Untersuchungen über atypisches Plattenepithel an der
Portio und an der Innenfläche der Cervix uteri.
Mit 1 Tafel und 6 Textabbildungen.
(Dr. W. Schauen st ein. Arch. für Gyn., Bd. 85, H. 3, 1908.)
Heterotopes Plattenepithel an der Innenfläche der Zervix ist ein ziem¬
lich häufiger Befund. Sch. beschreibt sehr eingehend drei Fälle, in welchen
sich aus solchem heterotopen Plattenepithel ein Karzinom entwickelt hat,
sowie einen Fall, in welchem sich zweifellos die ersten Anfänge zum Karzinom
finden. Diese bestehen erstens in den veränderten Zellformen: die Zell¬
grenzen sind nicht mehr oder nur schwierig wahrnehmbar, die Kerne sind
groß und unregelmäßig, färben sich meist stärker als normal ; zahlreich sind
atypische Kernteilungsfiguren. Zweitens ist der Zellreichtum ein ganz ex¬
zessiver, die Schichtung ist keine typische mehr, die Basalzellen sind nicht
mehr parallel gestellt, das Stratum corneum oft nur angedeutet. Drittens
dringt dieses atypische Epithel dort in die Tiefe, wo es den geringsten
Widerstand findet, d. h. in die Ausführungsgänge der Drüsen und in diese
selbst, und zwar dringt es dort gleich in breiten Massen vor, mit Durch¬
brechen der Drüsenwände. — Zur Beurteilung solcher Fälle gehört viel
Erfahrung. R. Klien (Leipzig).
Aus der königl. Frauenklinik und dem histologischen Institut der Universität München.
Über das Bindegewebe der weiblichen Geschlechtsorgane.
3. Die Bindegewebsfasern der Schleimhaut des Uterus. 4. Die Bindegewebsfasern
in der Schleimhaut der Scheide und des Scheidenteils. Mit 2 Tafeln.
(Priv.-Doz. Dr. Karl Hör mann. Arch. für Gyn., Bd. 86, H. 2, 1908.)
„1. Die Gebärmutterschleimhaut enthält ein außerordentlich reiches
fibrilläres Fasergerüst, das sich mit der Bi eis ch owsky’ sehen Silberimpräg¬
nation sowohl am fötalen als am kindlichen und geschlechtsreif en Uterus
nachweisen läßt.
35*
548
Referate und Besprechungen.
2. Die Fasern dieses Gerüstes liegen rein interzellulär, d. h. sie hängen
nirgends mit Zellen irgend welcher Art zusammen. Sie bilden Netze, in
deren Maschen die Stromazellen liegen, umstricken diese von allen Seiten.
3. Das Fasergerüst setzt sich also aus exoplastischen Fibrillen zu¬
sammen, und zwar sind diese aus dem Ergebnis von Kontrollfärbungen kolla-
gener Natur.
4. Streng zu unterscheiden von diesem kollagenen Netze ist ein daneben
in der Uterusschleimhaut vorkommendes zelluläres Netz, das durch anasto-
mosierende Protoplasmaausläufer benachbarter Zellen gebildet wird. Beide
Netze sind völlig unabhängig von einander.
5. Das interzelluläre kollagene Stützfasergerüst ist am zartesten und
dichtesten in der fötalen und kindlichen Uterusschleimhaut, im geschlechts-
reifen Organ wird es loser und weitmaschiger, während gleichzeitg die Dicke
der Fasern zunimmt.
6. Unter dem Oberflächen- und Drüsenepithel der Uteruskörper- und
Zervixschleimhaut erfährt das kollagene Fasergerüst eine membranartige Ver¬
dickung zu einer innig verfilzten „Grenzfaserschicht“, welche identisch ist
mit der Basalmembran (Membrana propria) der Autoren. Diese ist demnach
kein strukturloses, homogenes Gebilde, sondern löst sich bei geeigneter Methodik
in feinste Fasern auf.
7. Die Schleimhaut der Zervix ist in keinem Entwicklungstadium wesent¬
lich faserreicher als die des Körpers.
8. Auch in der Decidua graviditatis läßt sich zwischen den Zellen
der Kompakta ein zartes kollagenes Fasergerüst darstellen, in dessen ge¬
räumigen Maschen die großen Deziduazellen liegen.
9. Die Schleimhaut der Scheide (und des Scheidenteils) geschlechts¬
reifer Individuen läßt nach dem verschiedenen Bau des Stützfasergerüstes
deutlich zwei Zonen unterscheiden, eine schmale Tunica propria mit feiner
netzförmiger Faseranordnung und ein breites Stratum submucosum mit paral¬
leler grober Faserung.“ R. Klien (Leipzig).
Psychiatrie und Neurologie.
Gegenwärtiger Stand des Irrenwesens.
(B res ler. Psycli.-neurol. Wochenschr., Nr. 31, S. 253, 1908.)
B. hat sich die Aufgabe gestellt, vorwiegend über diejenigen in den
letzten Jahren gemachten Fortschritte der Irrenpflege zu berichten, welche
ihre Anbahnung und ihr Gelingen der Humanität zu verdanken haben.
Es ist eine herrliche Errungenschaft der Humanität, daß die Anstalten
sich das Ideal der zwanglosen Behandlung gesetzt haben, und daß man sich
allenthalben bemüht, in den Anstaltseinrichtungen diejenigen Bedingungen
zu erfüllen, welche Voraussetzung für die möglichste Annäherung an dieses
Ideal sind.
Den gegenwärtigen Standpunkt in dieser Frage präzisiert B. dahin,
daß die aus ernsten ärztlichen Erwägungen heraus geschehende Anwendung
des Restraints und der Isolierung nicht gegen die Humanität verstößt, daß
sie nicht nur der Kritik standhält, sondern in manchen Fällen wissenschaftlich
begründet und geboten ist (im allgemeinen einverstanden, Ref.).
Eine der Hauptvoraussetzungen für möglichst wenigen Gebrauch von
Zelle und Zwangsmitteln ist, wie B. mit Recht betont, ein gutes und gut
ausgebildetes Pflegepersonal; es ist deswegen erfreulich, daß die Einführung
des systematischen Unterrichts bei dem Pflegepersonal in den letzten Jahren
erfreuliche Fortschritte gemacht hat. (Leider ist die Teilnahme an dem Unter¬
richt noch nicht überall obligatorisch. Ref.)
Vorbildlich ist, was in dieser Richtung in den Anstalten des Seine-
Departements geschaffen ist (s. Original). — Die Verwendung weiblichen
Pflegepersonals bei männlichen Geisteskranken findet immer mehr Anwendung.
(England, Amerika, Rußland.)
Referate und Besprechungen.
549
Bezüglich der Beköstigung der . Anstaltsinsassen ist es erfreulich, daß
nach dem Vorbild von Ucht springe in den Anstalten des Königreichs
Sachsen im Jahre 1904 durch königl. Verordnung bestimmt worden ist, daß
die Beköstigung lediglich nach direktoriellem Ermessen, jedoch unter Bindung
an die festgestellten Etatsätze pro Kopf, versuchsweise zu erfolgen hat.
Die Berichte über den Erfolg dieser Maßnahme lauten bis jetzt günstig.
Auch das finanzielle Ergebnis der neuen Beköstigungsweise ist ein günstiges
gewesen.
Ein weiterer Fortschritt ist die zunehmende Errichtung von besonderen
Häusern für epidemische Erkrankungen. Besonders Beachtenswertes bieten
darin einige Anstalten in den Vereinigten Staaten.
Für die Zukunft ergibt sich für die Irrenanstalten eine weitschauende
Perspektive für eine prophylaktische Tätigkeit und für umfangreiche sanitäre
Vorkehrungen, auf Grund der Entdeckung, daß der Typhus häufig durch
sog. Bazillenträger verbreitet wird. Wenn die Prophylaxe eine gründliche
sein soll, müssen die Dejektionen sämtlicher Anstaltsinsassen untersucht wer¬
den. (Kaum durchführbar in großen Anstalten, um so weniger, da neuer¬
dings, wie B. hervorhebt, nachgewiesen worden ist, daß Personen auch nach
überstandener Ruhr noch jahrelang Dysenteriebazillen ausscheiden können.
Referent.)
Dem erneuten Interesse der Irrenärzte empfiehlt B. die Frage der
Entlohnung der arbeitenden Anstaltspfleglinge.
Die Weiterentwicklung der Familienpflege macht überall zum Teil
recht erfreuliche Fortschritte, neuerdings in Ungarn.
Was die Verwahrung der geisteskranken Verbrecher anbetrifft, so drängt
man jetzt auch in Deutschland zur Errichtung besonderer Häuser für ge¬
meingefährliche Geisteskranke, (namentlich für Berlin ist eine größere An¬
zahl solcher Häuser dringend notwendig ; vor allem nimmt die Zahl der
rückfälligen und gemeingefährlichen Alkoholiker zu. Diese Patienten kann
man nur aui einem festen Hause zur längeren Abstinenz zwingen. Ref.)
Was die Therapie anbetrifft, so ist B. der Ansicht, daß staatlich erseits viel
mehr Geldmittel als bisher zu therapeutischen Studien, insbesondere Stoff¬
wechsel, Blut- usw. Untersuchungen ausgeworfen werden sollten.
Koenig (Dalldorf).
Die Behandlung der Chorea.
F ortbildungsvortrag.
(Prof. Dr. G. Köster, Leipzig. Deutsche med. Wochensclir., Nr. 1, 1909.)
Nach kurzem Überblick über die verschiedenen Choreaformen geht
Köster auf deren Ätiologie ein, die zum größten Teil wenig geklärt ist.
Bei allen kommt sicher die neuropathische Anlage sehr in Frage. Wenn
man eine allgemein gehaltene Erklärung geben will, so kann man die Chorea
als eine Krampfneurose mit einem verschieden lokalisierten Angriffspunkt am
Zentralnervensystem und einer nicht einheitlichen Ätiologie bezeichnen. Am
meisten dürfte wohl die Chorea minor in ätiologischer Beziehung bekannt
sein. Nach Wollenberg’s Untersuchungen steht sie sicher mit den In¬
fektionskrankheiten, speziell mit der rheumatischen Infektion in Zusammen¬
hang. Zwar ist vielleicht eine Entstehung durch Schreck nicht ganz aus¬
zuschließen, wobei es sich meistens um Individuen mit dauernd unter ab¬
normen Stoffwechselbedingungen stehendem Nervensystem handelt, aber auch
in diesen Fällen hat oft ein Blick in die Mundhöhle irgend eine Infektion
dokumentiert. Über die Chorea gravidarum, die Hun tig ton’sche, die senile
und die symptomatische herrscht noch große Unklarheit in ätiologischer
Hinsicht.
Die Therapie kann nach alledem nur in den wenigsten Fällen eine
kausale sein. Auch bei der hysterischen Form der Chorea ist die anscheinend
550
Referate und Besprechungen.
kausale Therapie (Behandlung kariöser Zähne, Eingeweidewürmer, Phimosen)
in Wirklichkeit eine Suggestivjbehandlung. Ist die Pseudochorea hysterica sicher
diagnostiziert, so leisten tinctura amara oder valeriana, sowie Elektrizität
Vortreffliches; ist man unsicher, ob nicht doch ein Chorea minor besteht,
so versucht man am besten die dabei in Frage kommende Therapie. Eine
kausale Behandlung ist bei der Chorea gravidarum möglich, sie besteht in
Unterbrechung der Schwangerschaft; doch soll dieses Mittel nur in den
alleräußersten Notfällen, wie bei außerordentlicher Zunahme der Unruhe
und Hinzutreten einer Psychose, oder bei weiteren Komplikationen, wie Herz¬
störungen, Hyperemesis und dergl. in Anwendung kommen. Sonst genügt
man sich mit Brompräparaten höchstens noch Narkotizis.
Sehr günstig liegen die Verhältnisse bei der Chorea minor. Hier können
wirklich gute Resultate erzielt werden. Salizylpräparate nutzen allerdings
wider Erwarten nichts, was seinen Grund darin haben dürfte, daß die Salizyl¬
säure zwar die Kokken, deren Stoffwechselprodukte ja die Chorea hervor-
rufen, töten, nicht aber die bereits eingetretene Vergiftung des Nerven¬
systems beseitigen können. Die Bromsalze in Dosen von 1 — 3 g je nach
dem Alter des Kindes oder Bromglidine zu 0,5 — 1,5 beruhigen in ganz
frischen Fällen die Kranken sehr, desgleichen reduzierte Bromural oder Veronal-
dosen bei mehrmonatlichem Gebrauch. Am empfehlenswertesten ist das Arsenik,
am besten in flüssiger Form. Zur Vermeidung von Vergiftungen verdünnt
man die Lösung entsprechend dem Alter und verschreibt z. B. einem 7 jährigen
Kinde 7 g Sol. Fowleri auf 13 g Wasser, wovon man dreimal täglich fünf
Tropfen nehmen, alle drei Tage um je einen Tropfen steigen und in gleicher
Weise wieder herabgehen läßt. Das Arsen eignet sich in allen Stadien der
Krankheit und kann monatelang angewandt werden. Gelegentlich unterbricht
man es durch ein Eisenpräparat.
Das neuerdings empfohlene Atoxyl hat Köster wegen etwTaiger /Ver¬
giftung serscheinungen (Atoxylerblindung) nicht angewandt und rät es nur
mit allergrößter Vorsicht zu versuchen.
Was nun die äußeren Mittel betrifft, so sind die Ansichten über ihre
Wirksamkeit sehr geteilt. Elektrizität empfiehlt er nicht, glaubt auch, daß
es sich bei den damit erzielten Erfolgen vielleicht doch um eine Pseudochorea
hysterica gehandelt hat. Dagegen sind gymnastische Übungen dringend anzu¬
raten, befestigen sie doch im Gehirn des Kranken die verloren gegangene
Vorstellung eines normalen Bewegungsablaufs. Sie müssen aber von einem
intelligenten Turnlehrer oder Masseur vorgenommen werden, keinesfalls sind die
Kranken etwa einer Turnklasse gesunder Kinder einzufügen. Auch die Massage
ist von gutem Erfolg, am besten gleichzeitig mit den gymnastischen Übungen.
Unentbehrlich sind ferner hydrotherapeutische Maßnahmen, wie Schwamm¬
bäder von 35 — 40° und folgender Bettruhe, warme Wannenbäder von 30°
in der Dauer 1/2 — 1 Stunde. Kalte Bäder, Sol- oder Seebäder sind bei
stürmisch verlaufenden und frischen Fällen nicht am Platze.
Viel kommt natürlich auf die Hebung des Allgemeinbefindens an, han¬
delt es sich doch meist um blutarme oder an allgemeiner Erschöpfung leidende
Kinder. Je nach der Schwere des Falles ist Bettruhe erforderlich oder es
genügt nur Überwachung, wenn angängig, schickt man die Patienten längere
Zeit ins Gebirge, in ein See- oder Solbad oder wenigstens aufs Land.
Der Schulbesuch ist gewöhnlich zu unterbrechen oder es ist wenigstens
eine Dispensation von allen schriftlichen Arbeiten und vom Turnunterricht
erforderlich.
Etwaige Komplikationen, wie Endokarditiden oder andere Herzstörungen
sind dementsprechend zu behandeln. Aus alledem ersieht man, daß die
häufigste Form der Chorea, die Chorea minor am besten von allen zu
behandeln ist und eine recht günstige Prognose ergibt. F. Walther.
Referate und Besprechungen.
551
Zur pathologischen Anatomie der Friedreich’schen Ataxie.
(Wladislaus Müller. Wiener klm. Rundschau, Nr. 49 — 52, 1908.)
Seitdem Friedreich (1863) zuerst auf das ihm zu Ehren benannte
Krankheitsbild aufmerksam gemacht hat, sind über 200 klinische und patho¬
logisch-anatomische Befunde analoger Fälle veröffentlicht, aber trotzdem sind
auch jetzt die Meinungen über die Pathogenese des Leidens geteilt. Während
Frieldreich selbst glaubte, daß die Krankheit in einer auf1 familiärer
kongenitaler Basis beruhenden Entwicklungshemmung des
Rückenmarks beruhe, haben andere Forscher (Senator, Pierre Marie) das
Kleinhirn als den primären Sitz der Erkrankung bezeichnet. Neuere Unter¬
suchungen ließen dann erkennen, daß das Rückenmark wie das Kleinhirn
mit seinen Adnexen gleichzeitig ergriffen sein kann und endlich sind auch
Veränderungen im Großjhixn festgestellt. — Der Verf. veröffentlicht die
ausführliche Krankengeschichte nebst Sektionsprotokoll einer 17jähr. Patientin,
bei welcher die klinischen Symptome auf eine diffuse Erkrankung des ganzen
Zentralnervensystems hinwiesen und der Befund post mortem diese An¬
nahme bestätigte: Charakteristische Degeneration des Rückenmarks und Ver¬
kleinerung des Großhirns und Kleinhirns. — Verf. schließt aus seinem Be¬
funde, daß man unter Friedreioher Ataxie eine Krankheit zu verstehen
habe, die sich möglicherweise auf das gesamte Zentralnervensystem er¬
streckt und je nachdem ein besonderer Abschnitt betroffen ist, verschiedene
klinische Bilder ergibt (spinaler, zerebellarer, zerebraler Typus).
Steyerthal-Kleinen.
Über Tabes in den ersten Jahren nach der Infektion.
(Galewsky. Med. Klinik, Nr. 8, 1908.)
Während im allgemeinen zwischen dem Zeitpunkt der Infektion mit
Lues und dem Auftreten von tabischen Erscheinungen — - daß zwischen
Tabes und Lues ein kausaler Zusammenhang überhaupt besteht, wird von
neurologischer und syphilidologischer Seite kaum noch bestritten — ein
Intervall von 5- — 15 Jahren liegt, teilt Galewjsky einige selbst beobachtete
Fälle mit, in denen die Erscheinungen der Tabes der luetischen Erkrankung
sehr viel früher folgten und die Tabes sich sozusagen unter den Augen des
Beobachters entwickelte. Besonders interessant ist der erste Fall, in welchem
schon im ersten Jahre nach der Infektion, noch während- des Bestehens
sekundär-syphilitischer Erscheinungen (Plaques, Roseola, Paronychien, Papeln),
sich tabische Symptome bezw. Anzeichen von Hirnlues zeigten. Bei einem
weiteren Falle zeigten sich die ersten tabischen Erscheinungen im zweiten
Jahre, bei einem dritten im vierten; bei drei anderen Kranken sind sie im
vierten bezw. im fünften Jahre nach der Infektion zuerst bemerkt worden. —
Einen Schluß auf den Wert der Quecksilberbehandlung für die Entstehung
der Tabes lassen die Fälle nicht zu; doch bestätigt auch das Material G.’s die
Erfahrung Neißer’s, daß die Quecksilberbehandlung allein nicht vor dem
Auftreten der Tabes zu schützen vermag. Fragt man, welche Ursachen anderer¬
seits die Entstehung der Tabes begünstigen, so könnten in den Fällen
Gal ewsky’s herangezogen werden: familiäre Disposition, Alkoholismus, dieser
im Verein mit körperlichen Strapazen, neurasthenische Veranlagung, geistige
Überreizung, ferner ausschweifendes Leben. Eine besondere Bösartigkeit der
Lues könnte nur für den ersten Fall angenommen werden, da in den übrigen die
Lues verhältnismäßig gutartig auftrat. R. Stüve (Osnabrück).
Ueber multiple Sklerose nach psychischem Shock.
Dr. G. W. Wallbaum, Berlin. Deutsche ined. Wochenschr., Nr. 50, 1908.)
Nach der bisherigen Auffassung führt der psychische Shock zu einer
funktionellen, das mechanische Insult zu einer organischen Nervenerkrankung.
Es ist nun das Verdienst von Leyden’s, den psychischen Shock als ätiologisches
552
Referate und Besprechungen.
Moment auch für organische Erkrankungen festgestellt zu haben. In der
Folgezeit wurde dieser Shock hin und wieder für die Entstehung der mul¬
tiplen Sklerose verantwortlich gemacht. Wallbaum berichtet über 3 Kranke
mit multipler Sklerose, deren Leiden auf einen derartigen psychischen Shock,
bestehend in einem heftigen Schreck, zurückzuführen ist. Mit Sicherheit
ist ein Bestehen der Erkrankung vor dem Unfall auszuschließen. Was nun
die Erklärung für das Entstehen der multiplen Sklerose anbetrifft, so scheint
Wallbaum die in der Literatur geäußerte Anschauung am wahrscheinlich¬
sten zu sein, nach der sie auf vaskulärem Wege zustande kommt, wobei myeli-
tische Prozesse als Vorläufer der Erkrankung aufzufassen sein dürften. Das
als Vorbedingung geforderte prädisponierte Nervensystem findet sich gleich¬
falls bei den 3 Patienten. F. Walther.
Aus der Kuranstalt Neuwittelsbach bei München. Sanatorium für Nerven- lind
innere Krankheiten.
Ueber den Verlust der Sehnenreflexe bei funktionellen Nervenkrankheiten.
(Hofrat Dr. R. v. Ho esslin. Münch, med. Wochensehr., Nr. 50, 1908.)
Hoesslin kann aus seiner Anstalt über 3 Kranke berichten, bei denen
das Westpharsche Phänomen vorhanden war, ohne daß irgend welche ana¬
tomische Erkrankung nachzuweisen war. Bei 2 weiteren Patienten erscheint
ihm die Beobachtungsdauer noch zu kurz, als daß er sie mit dazurechnen
könnte ; hat er doch bei einem anderen Falle, der gleichfalls als einziges
Symptom das Fehlen der Patellarreflexe bot, 6 Wochen darauf eine manifeste
Tabes konstatieren können. Außer der längeren Beobachtungszeit muß man
noch auf das Vorhandensein einer Neuritis oder von Zuständen achten, welche
eine Neuritis im Gefolge haben können, wie Diabetes, Alkoholismus u. dgl.
Auf Grund seiner Beobachtungen, sowie in der Literatur kommt Hoesslin
zu dem Ergebnis, daß die Patellarreflexe auch bei funktionellen Erkrankungen
fehlen können, und zwar 1. infolge einer angeborenen Anomalie der Reflexe, wobei
luetische Erkrankung der Eltern in Frage kommt. 2. infolge schwerer Er¬
schöpfungszustände (Manie). 3. in selteneren Fällen von Hysterie und Neur¬
asthenie. Die Reflexe können in den letzten beiden Punkten nach Ablauf
der Erkrankung wiederkehren. Wenn demnach das Fehlen der Reflexe auch
noch nicht ausschlaggebend für die Diagnose eines organischen Nervenleidens
ist, so rät Hoesslin wegen des überaus seltenen Vorkommens der angeführten
Beobachtungen, doch bei vorhandenem Westpharschen Phänomen stets an
eine organische Erkrankung und an die Möglichkeit der Lues bereditariä
zu denken. Zum Schluß berichtet er über den noch viel selteneren Fall des
Bestehens der Lichtstarre der Pupillen bei funktioneller Erkrankung, die
er bei einem Patienten beobachten konnte. F. Walther.
Schlaflosigkeit auf syphilitischer Basis.
(E. Scho ull. Gazette med. de Paris, Nr. 26, 1908.)
Nach den Beobachtungen von Schoull ist häufiger als man denkt
die Schlaflosigkeit durch früher überstandene Lues bedingt; dieselbe kann
20 und mehr Jahre zurückliegen. Charakteristisch ist in diesen Fällen eine
Art von Periodizität, so, daß Zeiten mit gutem und solche mit schlechtem
Schlaf abwechseln. Charakteristisch ist ferner, daß der Schlaf nicht völlig
ausbleibt, sondern daß die Betreffenden regelmäßig zu einer bestimmten
Stunde — z. B. morgens um 2 Uhr — aufwachen.
Zumeist führen Arzt wie Patient die Insomnie auf Verdauungsstörungen,
Neurasthenie, Überarbeitung, Alkohol, Tabak, Arteriosklerose und dergl. zu¬
rück ; allein die Erfolglosigkeit der darauf abzielenden therapeutischen Ver¬
suche beweist den Irrtum dieser Ätiologie. Dagegen hilft eine spezifische
Behandlung sicher. Buttersack (Berlin).
Referate und Besprechungen.
553
Deila polineurite sifilitica primitiva in periodo terziario.
(Dott. Cesare Frugoni, Firenze. La Rif. med., Nr. 1, 1909.)
Im tertiären Stadium der Lues entwickelte sich bei einem Kellner eine
Polyneuritis syphilitica non gummosa mit pseudotabischen Symptomen.
Sie begann mit unregelmäßigem Fieber, Parästhesien in Armen und Beinen,
Schmerz im linken Plexus brachialisi und gipfelte in einer Amyotrophie des
linken M. deltoideus und Lähmung des linken Armes. Daneben bestand
Ataxie der unteren Extremitäten ; die elektrische Erregbarkeit des linken
Nervus axillaris war herabgesetzt, die Sehnenreflexe der unteren Extremi¬
täten fehlten. Die Hauptnervenplexen waren auf Druck empfindlich. Sen¬
sible Störungen wurden nicht bemerkt. Auf energische antisyphilitische
Kur trat nach mehreren Monaten Heilung ein.
Die besondere Lokalisation auf den linken Arm, zumal den M. deltoideus,
wird dadurch erklärt, daß bei dem Kellnerberuf der linke Arm durch seine
besondere muskuläre Arbeit einen Locus minoris resistentiae bildet. Auf
der Handfläche sind bei gebeugtem Vorderarm und mäßig gestrecktem Oberarm
größere Lasten zu balancieren, so daß u. a. auch der M. deltoideus besonders
angestrengt wird. Fischer Defoy (Quedlinburg).
Prognose und Behandlung der vasomotorisch-trophischen Neurosen.
(Cassirer. Deutsche med. Wochenschr., Nov. 1908, S. 1881.)
Zu den vasomotorisch-trophischen Neurosen rechnet 0. die Akroparasthe-
sien, die Raynaud’sche Krankheit, die Erythromelalgie, die Sklerodermie
und Sklerodaktylie und das flüchtige Ödem Quincke’s. Es handelt sich bei
allen um funktionell nervöse Störungen. Die Art des Verlaufes zeigt die
Neigung zum Auftreten in Anfällen.
Die Prognose ist für die große Mehrzahl der Fälle insofern eine günstige,
als ein Übergang in ein organisches Leiden nicht vorkommt.
Andererseits kan,n sich das Leiden über Jahre und Jahrzehnte erstrecken.
Die Prognose muß vorsichtig gestellt werden, da die Beziehungen zu den
anderen funktionellen Psychosen sehr enge sind. Diese Krankheitsbilder
entstehen auf dem Boden der hereditären oder erworbenen neuropathischen
Diathesei ; alles was dieser krankhaften Anlage entgegenwirkt, wird für die
Therapie dieser Neurosen von Bedeutung.
C. bespricht des weiteren die einzelnen Formen dieser Neurosen. Wir
verweisen auf das Original und wollen hier nur auf das flüchtige Ödem,
die am wenigsten bekannte trophische Neurose eingehen. Die Prognose in
bezug auf die Verhinderung der Wiederkehr von Anfällen ist eine zweifel¬
hafte. Im übrigen hat das Leiden nur bei der besonderen Lokalisation im
Kehlkopf in einigen wenigen Fällen zum Tode geführt.
Die Regelung der Diät und der Darmtätigkeit ist von besonderem Wert,
da vielfache Erfahrungen darüber vorliegen, daß zwischen diesen Faktoren
und der Entstehung flüchtiger Ödeme ursächliche Zusammenhänge obwalten.
Chinin ist sehr zu empfehlen, auch Arsen. Gelegentlich bei flüchtigem
Larynxödem kann einmal die Tracheotomie nötig werden. Das die An¬
schwellungen begleitende heftige Jucken erfordert Pudern mit Salizylstreu-
pulver usw. Die in der Form von Brechanfällen auftretenden Symptome
erfordern die Anwendung von Morphium. Koenig (Dalldorf).
Ueber ein „Schutzbett“ für erregte Geisteskranke.
(J. K. W alter. Psych-neur. Wochenschr., Bd. 29, S. 237, 1908.)
Verf. beschreibt seine Erfahrungen, welche er an einem von Prof. Woiff
konstruierten „Schutzbett“ gemacht hat; er glaubt, daß dasselbe einen
wesentlichen Nutzen in der Behandlung erregter Geisteskranker gewähren kann.
Auch bei vielen nicht im eigentlichen Sinne motorisch erregten Kranken
schafft das Schutzbett eine ganz außerordentliche Hilfe und Erleichterung
554
Referate und Besprechungen.
(z. B. bei Katatonikern mit negati vis tis chen Bestrebungen, Patienten in
Dämmerzuständen). Bei diesen wird oft nicht nötig sein, das Bett völlig
zu schließen.
Die Erwartungen des Verf. sind nicht getäuscht worden, sondern es
ergab sich in praxi noch eine andere Indikation für das Schutzbett. Es
hat sich gezeigt, daß dasselbe auf eine Reihe von ängstlichen Patienten
(besonders infolge von Halluzinationen) beruhigend wirkt, weil sie sich in
demselben geschützt fühlen. Das Schutzbett wurde (seit Erf. acht Schutz¬
betten in Gebrauch) bei 72 Patienten angewandt (30 m.,42 w.) bei einem durch¬
schnittlichen Bestand von 290 Kranken. Die Zahl der Einzelanwendungen ist
aber erheblich größer, da die Patienten, sobald sie ruhig wurden, wieder in
ein gewöhnliches Bett gelegt wurden.
Zur Beurteilung, wie das Schutzbett auf die Patienten wirkt, kann
man drei Gruppen von Kranken unterscheiden.
1. Solche, die sich aus dem Schutzbett zu befreien suchen, weil sie es
als Fessel empfinden.
2. Solche, die im Schutzbett zwar noch unruhig sind (nur daß sie ge¬
zwungen sind im Bett zu bleiben), die aber in keiner Weise versuchen heraus¬
zukommen, und überhaupt auf das! Schutzbett als solches nicht reagieren.
3. Diejenigen Patienten, auf die das Schutzbett eine direkt beruhigende
W irkung ausübt.
Eine strikte Indikationsbehandlung für Schutzbettbehandlung ist ebenso¬
wenig möglich wie für alle anderen Beruhigungsmittel.
Stark maniakalisch Erregte eignen sich am wenigsten, weil sie das
Schutzbett am meisten als Fessel empfinden ; trotzdem ist das Schutzbett auch
in diesen Fällen noch der Isolierzelle vorzuziehen.
Die besten Erfolge waren bei katatonischen und epileptischen Dämmer¬
zuständen zu verzeichnen. Hier wirkte das Schutzbett oft momentan. Keiner
dieser Patienten versuchte gewaltsam das Bett zu öffnen.
Bei den übrigen Krankheitsformen war ein wesentlicher Unterschied
nicht zu konstatieren.
Von geradezu unschätzbarem Wert ist das Schutzbett für Patienten,
die nur wegen ihrer impulsiven Aggressivhandlungen im Schutzbett gehalten
werden, weil man ihnen gegenüber, sofern man sie nicht isolieren will, völlig
machtlos ist.
Das Schutzbett bietet ferner die Möglichkeit, erregte und aggressive
Kranke draußen im Freien zu haben. Auch für die Familienpflege würde
es gute Dienste leisten.
Durch die Einführung des Schutzbettes wird der Gebrauch der Isolier¬
zelle und der Hypnotika weiter eingeschränkt werden.
Es besteht keine Berechtigung, in dem Schutzbett nichts anderes als
ein Zwangsmittel in hergebrachtem Sinne zu sehen. (Die Herstellung der
Schutzbetten erfolgt durch das Sanitätsgeschäft M. Schaerer, A.-G., Bern.)
Koenig (Dalldorf).
Kinderheilkunde und Säuglingsernährung.
Weshalb versagt das Diphtherieserum in gewissen Fällen?
(Uf f enheimer. Sitzung des Münchner ärztlichen Vereins vom 16. Dezember 1908.
Berliner klin. Wochenschr., Nr. 2, 1909.)
U. betont zunächst die Abnahme der Morbidität der Diphtherie, die auch
in München schon vor Einführung der Serum therapie eintrat. Die relative
Mortalität hat hingegen keine Veränderung erlitten, die Epidemien sind ebenso
bösartig wie früher.
In der Titelfrage haben die Experimente U.’s zu keinem Ergebnis ge¬
führt. Er vermutet, daß unsere Anschauungen über den Heilwert des Serums
überhaupt auf falscher Grundlage beruhen, daß vor allem keine direkten
Referate und Besprechungen.
555
Beziehungen zwischen dem Antitoxin gehalt und dem Heil wert
des Serums existieren.
Desgleichen betonte Pfaundler in der Diskussion, daß wir über die
Art und Weise, wie das Serum hilft, überhaupt noch nichts wissen. Esch.
Die Pyozyanase-Behandlung bei Erkrankungen der Tonsillen, des Pharynx
und des Nasenrachenraumes mit besonderer Berücksichtigung der
Diphtherie.
(Zucker. Berliner Klinik, Nr. 247, 1909.)
Pyocyanase (Dresdener ehern. Laboratorium Lingner) ist das bakterio-
lytische Enzym des Pyocyaneus und von Emmepich so benannt. Dieser
Bazillus, wenig pathogen, bildet in seinen Zellen ein sehr wirksames bakterien-
auflösendes Enzym, das in ihm als unlösliches Zymogen vorhanden ist, aber
bei seiner Autolyse im Nährmaterial der Kulturflüssigkeit als lösliches Enzym
in diese übergeht. Die Pyocyanase löst nun nicht nur die eigenen Bakterien¬
leiber auf und tötet sie ab, sondern auch andere Bakterienarten (Diphtherie-,
Milzbrand-, Cholera-, Typhus-, Kolibazillen, Meningo- und Gonokokken, auch
Staphylo- und Streptokokken). Sie wird konzentriert und bakterienfrei in
Lösung gewonnen, kompliziert weiter in Pulverform übergeführt und wässerig
aufgelöst, haltbar und hitzbeständig, lokal mit Pinsel oder Spray appliziert,
und zwar 1 — 3 mal tgl. mit 1 — 3 ccm, nachdem vorher gegurgelt ist.
Nach Verf. Ansicht verhindert die Pyocyanase nicht die Toxinwirkung
des Diphtheriebazillus, beeinflußt aber wohl in manchen Fällen den örtlichen
Prozeß und damit indirekt den Allgemeinzustand. Glücklicherweise weist
Verf. auf die Notwendigkeit der Serumbehandlung neben der örtlichen mit
allem Nachdruck hin. Besser (als andere Gurgelwässer) wirkt die P. wohl
auf den örtlichen Prozeß bei septischen Diphtherien und bei schleppender
Membranablösung mit dem Serum zusammen. Bei Staphylo- und Strepto¬
kokkenanginen scheint die Pyocyanase auch den Prozeß abzukürzen und beim
Scharlach mit malignen Anginen schnell die Bösartigkeit des Lokalprozesses
zu mindern. Verf. vertritt zum Schluß mit Emmerich die Meinung, daß
die Pyocyanase die Diphtheriebazillen nicht nur vernichtet, sondern auch
in eventuellen Resten in ihrer Weiterentwicklung hemmt, ebenso auch Strepto-
und Staphylokokken. Krauße (Leipzig).
Behandlung der postdiphtherischen Stenosen des Larynx und der Trachea.
(H. Ko schier. Wiener klin. Wochenschr., Nr. 16, 1908.)
Die Behandlung darf erst beginnen, wenn die Narben, die die Stenose
bedingen, fest geworden sind. Bisweilen ist auch das knorplige Gerüst des
Kehlkopfs zerstört; in solchen Fällen wird der Larynx gespalten, um die
nötige Übersicht zu gewinnen, und dann ein Drainrohr von der Tracheo¬
tomiefiste] aus in die Stenose eingeführt und diese allmählich dilatiert, bis
man eine (vom Verf. modifizierte) Schornsteinkanüle einführen kann. Bei
vollständi ger Okklusion empfiehlt sich die zirkuläre Resektion des steno-
sierten Teils mit darauffolgender Naht der Stümpfe. Bisweilen gehen durch
langes Tragen der Kanüle die Trachealknorpel zum Teil zugrunde und die
rein membranöse Luftröhre wird beim Atmen aspiriert. Dieser Zustand
wird erfolgreich durch Luftröhrenplastik mittels Zelluloidplättchen behandelt.
E. Oberndörffer.
Zur Ätiologie des Keuchhustens.
(Klimenko, pathol. Institut zu Petersburg. Deutsche med. Wochenschr., Nr. 47, 1908.)
\ erf. Experimente über die Spezifizität des Keuchhustenerregers von
Bordet und Gengon bestätigen die Richtigkeit der Anschauung obiger
Autoren, indem es zum ersten Male gelang, mit dem Keuchhustenstäbchen
556
Referate und Besprechungen.
Affen, junge Hunde und Katzen zu infizieren, sowie diese Bazillen zu züchten
und zwar nicht nur ausi den Exkreten Lebender, sondern auch aus dem Herz¬
blut und dem pneumonischen *Lungensaft eines an kompliziertem Keuchhusten
verstorbenen Kindes. Bei der Züchtung der Migroorganismen auf den üblichen
Laboratoriumsnährböden verlieren die Keime ohne Tierpassage an Virulenz
und erhöhen sie im umgekehrten Falle. Es gelingt sehr leicht, die Tiere
mit obigen Kulturen in sehr charakteristischer Weise erkranken zu machen,
so daß sie auch auf andere Tiere infizierend wirken. Untersuchungen des
Nasenschleims der Keuchhustenkranken müssen obige sehr interessanten Be¬
obachtungen bestätigen. Krauße (Leipzig).
Zur Therapie des Keuchhustens.
(Huftleber, Breslau. Deutsche med. Wochenschr., Nr. 2, 1909.)
Verf. schreibt dem Chinin und dem Antipyrin einen nennenswerten
kausalen therapeutischen Einfluß auf den Keuchhusten zu. Die Mißerfolge
bei diesen Mitteln sieht er vor aillem darin, daß sie, unangenehm schmeckend,
von den Kindern unwillig genommen, beim Einnehmen z. T. verschüttet
und schließlich durch den im Affekt ausgelösten Anfall eventuell in den
eingenommenen Bruchteilen wieder herausgegeben werden. Er verwendet fast
ausschließlich das Antipyrin, und zwar bei größeren Kindern per os, bei
kleineren in 25 ccm Wasser aufgelöst und per klysma hoch hinauf appliziert.
Als Dosierung schlägt Verf. vor: bis zum 6. Jahre 3mal tgl. so viel Dezi¬
gramm wie Jahre, vom 7. — 12. Jahre 3mal 0,75, über 12 Jahr 3inal 1,0.
Unangenehme Nebenwirkungen auf das Herz sah Verf. nie, trotz reichlichen
Gebrauches. Die Einspritzungen in den Darm sollen 10 Tage lang gemacht,
8 Tage ausgesetzt und danln noch einmal 8 Tage wiederholt werden, wenn
die Anfälle wieder nennenswert zunehmen. Bisweilen will S. sogar einen
kupierenden Einfluß vom Antipyrin gesehen haben. Krauße (Leipzig).
Behandlung der chirurgischen Tuberkulose im Kindesalter.
(A. Tietze. Med. Klinik, Nr. 12, 1908.)
In einem längeren Vortrage tritt Tietze für eine möglichst schonende
Behandlung der chirurgischen Tuberkulose im Kindesalter, d. h. dafür' ein,
die Operationen im Kindesalter soweit als möglich auszuschalten und sich
auf Jodoforminjektionen und Allgemeinbehandlung, wobei reichliche Ernäh¬
rung und vor allem frische Luft und Sonne eine Rolle zu spielen haben,
und Bäder usw. zu beschränken. Er befürwortet die Einrichtung von Kur¬
orten bezw. besonderen Hospitälern für die Behandlung chirurgischer Tuber¬
kulosen, namentlich für die Behandlung des Kindes.
R. Stüve (Osnabrück).
Zur Behandlung schwerer Kinderlähmungen.
(Mayer, Köln. Deutsche med. Wochenschr., Nr. 53, 1908.)
Verf. weist noch einmal auf die Wichtigkeit und auf besondere Arten
der Sehnenüberpflanzung hin und zeigt an sicheren Fällen Erwachsener und
Kinder, wie es bei entsprechender Vor- und Nachbehandlung mit Massage
und Elektrizität gelingt, u. U. glänzende Resultate bei veralteten Fällen
zu erzielen. Näheres muß in der Original arbeit nachgesehen werden.
Krauße (Leipzig).
Die Bedeutung des Selbststillens im Kampfe gegen die Säuglingssterblich¬
keit; bestehende Einrichtungen und Vorschläge zur Förderung derselben.
(Jaschke, Wien. Monatschr. für Geburtsh. u. Gyn., Bd. 28, Heft 2 u. 3, 1908.)
J. weist aus statistischen Zusammenstellungen die hohe Sterblichkeit
der Kinder im ersten Jahre und besonders im ersten Lebensmonate nach, und
Bücherschau.
557
den auffallend hohen Prozentsatz der Magendarmerkrankungen als Todes¬
ursache. Er weist von neuem darauf hin, daß wir die Säuglingssterblichkeit
bekämpfen können durch möglichste Förderung der Ernährung an der Mutter¬
brust und durch Besserung der allgemeinen hygienischen Verhältnisse und
der ganzen Pflege des Kindes. In ausführlichen Zusammenstellungen weist
er den Vorteil der Brusternährung des Säuglings nach, bespricht die Kontra¬
indikationen des Selbststillens, die bei genauer Feststellung auf ein Minimum
zusammenschrumpfen, die Ausbreitung der Stillfähigkeit in den verschiedenen
Ländern und zieht den Schluß, daß der Rückgang des Stillens vor allem
durch die sozialen Verhältnisse der großen Massen, mangelhafte Stilltechnik
und fehlende Belehrung der Mütter bedingt ist.
Weiterhin legt er in ausführlicher Weise die Bestrebungen zur Herab¬
setzung der Kindersterblichkeit in Frankreich, England, Deutschland und
Österreich dar und stellt im Anschlüsse daran prinzipiell wichtige Forde¬
rungen auf, die geeignet sind, die Lücken in der bisherigen Organisation
der Säuglingsfürsorge auszufüllen. J. verlangt bessere Belehrung der ver¬
antwortlichen Ratgeber der Frauen, d. h. der Ärzte durch Vertiefung des
klinischen Unterrichtes in der Säuglingsfürsorge in den geburtshilflichen An¬
stalten, ferner der Hebammen und zwar durch Verbesserung ihrer sozialen
Stellung, eventuell durch staatliche Anstellung, durch entsprechende Ab¬
änderung der Hebammenausbildung und ihrer Dienstvorschriften und durch
Stillprämien. Endlich erwartet er von einer weitgehenden Aufklärung der
Mütter großen Vorteil; zu diesem Zwecke schlägt er vor, gute populäre Bücher,
individuelle Propaganda nach Budin, ärztliche Vorträge in allgemeinen
Vereinen und Haushaltungsschulen, Errichtung von Mutterschulen (Esche-
rich), Dienstbarmachung von Kalendern, Merktafeln (bes. in Gebäranstalten),
Museen für Säuglingsfürsorge (Fried jung), eventuell Gründung entsprechen¬
der Vereine. Frankenstein (Köln).
Allgemeines Ödem bei Säuglingen.
(P. Lereboullet u. A. P. Marcorelles. Soc. de Pediatrie, 15. Dezember 1908.
— Bull, med., Nr. 101, S. 1171, 1908.)
Die beiden Ärzte haben ausgedehnte Ödeme bei 5 Kindern einer Pari¬
ser Kripp 3 beobachtet. Das eine Mal betraf die Affektion ein Kind mit
Syphilis hereditaria, das andere Mal eines mit hyperämischen und skle-
rosierenden Prozessen in der Leber ; bei den 3 anderen war das Anasarka
Begleiterscheinung von gastro- intestinalen Störungen, ähnlich wie Verfet¬
tungen und Blutungen in der Leber und in den Nieren. Es handelte sich
also um schwere Ernährungsstörungen in den Geweben und nicht bloß um
lokale Zirkulationsstörungen. Buttersack (Berlin).
Bücherschau.
Forensische Psychiatrie. Von Prof. Dr. W. Weygandt, Direktor der
Irrenanstalt Friedrichsberg in Hamburg. Erster Teil: Straf- und zivil-
rechtlicher Abschnitt. (Sammlung Göschen Nr. 410.) G. J. Göschen'sche
Verlagshandlung in Leipzig. Preis in Leinwand gebunden 80 Pfg.
Durch den gegebenen Raum war eine möglichst knappe Fassung notwendig.
Infolgedessen war es nicht leicht, der Darstellung ein individuelles Gepräge zu
geben. Immerhin werden Kenner des Stoffes, der ja vor allem im kriminellen Be¬
reich heutzutage noch zu manchen Kontroversen der Autoren Anlaß gibt, doch
alsbald wahrnehmen, daß die Ausführungen einen bestimmten Standpunkt festhalten,
der sich in Kürze so zusammenfassen läßt: Vom Determinismus ausgehend hat
der Sachverständige das wichtigste Objekt der forensischen Psychiatrie, den hin¬
sichtlich seines Geisteszustandes angezweifelten Angeklagten, mit allen Hilfsmitteln
der modernen Psychiatrie zu untersuchen und jede Abweichung von der Norm
558
Bücherschall.
darzulegen, jedoch hinsichtlich der Anwendung des die Straffreiheit bedingenden
Zurechnungsfähigkeitsparagraphen, dessen gesamter Inhalt zweckdienlicherweise zu
berücksichtigen ist, soll möglichste Vorsicht und eine gewisse Zurückhaltung geübt
werden. Der bedeutsame Begriff der verminderten Zurechnungsfähigkeit mit seiner
Konsequenz einer qualitativ andern Behandlung des Rechtsbrechers kann erst durch
die Lex ferenda entsprechend verwirklicht werden.
Während das erste Bändchen außer den strafrechtlichen noch die zivilrechtlichen
Bestimmungen bespricht, wird das demnächst erscheinende zweite Bändchen einen
allgemein und speziell klinischen Teil, einen Abschnitt über die verwaltungs¬
rechtlichen Fragen des Irrenwesens und einen über die Beziehungen zwischen der
Unfallgesetzgebung und den Geistesstörungen enthalten. Neumann.
Immunitätsreaktionen und einige ihrer praktischen Verwendungen für
Klinik und Laboratorium. Von R. P. van Calcar. Leiden, bei S. C.
van Doesburgh. Leipzig, bei Johann Ambrosius Barth, 1908. 134 S.
5 Mark.
Die zusammenfassende Studie, welche einerseits für den Studenten und für
den praktischen Arzt zur Einführung in das heute schon so sehr ausgebaute Ge¬
biet der Immunitätserscheinungen dienen soll, andererseits aber auch über eine
Reihe von Eigenbeobachtungen berichten will, leidet nach Ansicht des Referenten
unter eben dieser Zweiteilung ihrer Aufgabe. Denn dadurch wird nicht nur eine
gleichmäßige Behandlung des heute vorliegenden, so überaus reichen Tatsachen¬
materiales beeinträchtigt, wie sie der Student in einem brauchbaren Wegweiser
suchen muß und finden soll, sondern es erscheint auch in demselben Maße eine
detaillierte Wiedergabe neuer wissenschaftlicher Befunde und Beobachtungen in
engem Rahmen unmöglich gemacht, welche doch einem Nachuntersucher mit den
Tatsachen zugleich in peinlich genauer Weise den Weg, auf welchem sie aufgedeckt
wurden, an die Hand geben soll! Deshalb glaubt Referent, daß der Verfasser
seiner Sache besser gedient hätte, wenn er entweder eine Einführung in das Studium
der heute klargestellten Immunitätserscheinungen oder aber eine Zusammenfassung
seiner neuen Beobachtungen geschrieben hätte. Was die Übersicht über die
feststehenden Tatsachen der Serologie anlangt, so besitzen wir heute schon eine
solche Reihe vorzüglicher, erschöpfender, dabei knapp gehaltener und gut einge¬
führter Kompendien (Dieudonnö, Düngern, Hans Sachs, Oppenheimer,
Müller u. a. m.), daß gegen sie, bei aller Anerkennung der Leistungen des Ver¬
fassers, eine erfolgreiche Konkurrenz durch das vorliegende Buch kaum zu erwarten
steht und das umsomehr, als wir auf den 134 Seiten des Buches auf Schritt und
Tritt Anschauungen und Angaben begegnen, die entweder auf das Gebiet der
reinen Hypothese und somit nicht in einen Leitfaden gehören, oder doch
zum mindesten einer Bestätigung und Kritik noch zu bedürfen scheinen.
Was den rein experimentellen Teil der Arbeit anlangt, so wäre — ohne daß Re¬
ferent zum Beispiel über die Nebennieren oder Karzinomstudien ohne eine vor¬
herige Nachprüfung ein Urteil sich anmaßen wollte — diesen Mitteilungen, wie
schon oben erwähnt, eine mehr in das Detail gehende Darstellung sicherlich nur
förderlich gewesen. Nicht unerwähnt darf endlich für die deutsche Ausgabe die
recht mangelhafte Behandlung der Sprache bleiben, die oft in unangenehmer Weise
(z. B.: „vor all“ statt vor allem, „Patholog-Anatom“ statt pathologischer Anatom,
„wir sind Weigert viel verschuldet“ etc.) daran erinnert, daß eine Übersetzung
aus dem Holländischen vorliegt.
Alles in allem: Mag das vorliegende Werk auch dem Immunitätsforscher
vielleicht manche Anregung bringen, zur Einführung in die Phänomene der Im¬
munitätslehre erscheint es dem Referenten weniger geeignet zu sein, als manches
der schon vorliegenden, oben genannten Bücher ähnlichen Inhaltes.
H. Pfeiffer (Graz).
Dialyse, Eiweißchemie und Immunität. Von R. P. van Calcar. Leiden,
bei S. C. van Doesburgh, Leipzig, bei J. A. Barth, 1908. 81 Seiten.
3 Mark.
Der Verfasser kommt auf Grund von Trennungsversuchen mittels seines
Amnion-Kautschuk-Dialvsators zu folgenden, hier nicht näher diskutierbaren Schlu߬
folgerungen :
Bücherschau.
559
1. a) Unter dem Einfluß des Entziehens von Salzen und Alkalien bleiben
Eiweißstoffe, die einen außergewöhnlich hohen osmotischen Druck zeigen, in Lösung.
Sie wirken stark Wasser anziehend.
b) Alkalien erhöhen die wasseranziehende Kraft einiger Eiweißstoffe (Albumine),
erhöhen also auch den osmotischen Druck. Diese Alkalialbuminate dialysieren nicht.
c) Salze und Säuren entziehen den Albuminen ihre osmotische Kraft und
machen aus nicht dialysierenden, dialysierende Verbindungen.
2. Der Dialyse unterworfene Eiweißstoffe gehen nicht in Fäulnis über. Diese
Erscheinung ist von der osmotischen Bewegung und nicht von der Entziehung be¬
stimmter Stoffe abhängig.
3. Eine Beilie von Überlegungen brachten den Verfasser zu der Annahme,
daß das Präzipitat, welches unter dem Einflüsse eines Immunserums entsteht, mit
dem Serumglobulin identisch ist und daß die Agglutination korpuskularer Elemente
eine Begleiterscheinung der Präzipitation ist. Nicht die Agglutination sondern die
Präzipitation ist das Charakteristische der Reaktion.
4. Wenn man in einen Organismus einen fremden Eiweißstoff einbringt, so
lernt er langsam, die Stoffe umzusetzen und zwar mit Hilfe von Produkten ferment¬
artiger Natur. Sowohl bei Abbau durch die Verdauung, als auch im Gefäßsystem
entstehen Stoffe, welche Gifte bilden. Ihnen muß man die Erscheinung der Serum¬
krankheit zuschreiben. H. Pfeiffer (Graz).
Die Krankheiten des Afters. Von F. Schilling, Leipzig. Berliner
Klinik. 20. Jahrgang. Heft 246. Dezember 1908. Verlag von Fisch er’s
med. Buchhandlung H. Kornfeld, Berlin. 25 Seiten. 60 Pfg.
„Die Erkrankungen des Afters und Mastdarms Anden in der allgemeinen
Praxis nicht die ihnen ihrer Häufigkeit und Bedeutung nach zukommende Beach¬
tung.“ Dies die einleitenden Worte des Verf., denen nicht widersprochen werden
kann. Den mannigfachen Gründen, die Verf. für diese Tatsache anführt, möchte
Ref. einen hinzufügen: man hört als Student in der Klinik viel zu wenig über die
Erkrankungen des Afters, speziell nichts über ihre Behandlung. Und erst in der
Praxis erkennt man, wie wichtig gerade diese Dinge sind. Wenn hier Schilling auf
knappem Raume das Wichtigste über die Aftererkrankungen zusammenträgt, indem
er nach einigen allgemeinen Bemerkungen nach einander den Pruritus ani, die
Dermatitis ani, die Fissura ani und die Hämorrhoiden behandelt unter besonderer
Berücksichtigung der Therapie, so hat er sicherlich vielen Kollegen einen Gefallen
erwiesen, und der billige Preis des Heftchens wird jedem Interessenten die An¬
schaffung ermöglichen. M. Kaufmann (Mannheim).
Soured Milk and Pure Cultures of Lactic Acid. Bacilli in the Treat¬
ment of Disease. Von George Herschell. 2. Aufl. 9. Tausend.
London, H. J. Glaisher. 32 Seiten. 1909.
Der Verfasser steht auf dem Boden der Metschnikof f ’schen Lehre von
der Autointoxikation vom Darm aus und hat die von Frankreich aus inaugurierte
Methode, die abnorme Darmfäulnis durch Veränderung der Darmflora vermittels
der Milchsäurebazillen zu unterdrücken, in vielen Fällen erprobt. Dazu empfiehlt
er aber nicht die verschiedenen Arten von saurer Milch, insbesondere nicht den
Yoghourt, sondern die Boucard’schen Tabletten. [Für Interessenten sei beigefügt,
daß dieselben vom Laboratoire de Biologie, Paris, 6 rue Guillaume Teil. — eine
Schachtel mit 45 Tabletten (une boite = 45 comprimes) Lactöol nach Boucard
kostet 4 Fr. — zu beziehen sind.]
Für deutsche Arzte ist es wohl überflüssig, zu betonen, daß man die Milch¬
säuretherapie nicht aufs Geradewohl inszenieren soll, sondern erst wenn man sich
von wirklich vorhandenen Anomalien der Darmflora überzeugt hat. Dann aber ist
diese Therapie erfolgreich nicht bloß bei Darmbeschwerden, sondern auch bei
Hautkrankheiten, Neurasthenie, Gicht, Arteriosklerose, Neuritiden usw.
Diesseits der Vogesen scheint man dem Milchsäurebazillus noch wenig Be¬
achtung zu schenken, und doch ließen sich gewiß manche exakte Versuche damit
anstellen oder Arbeiten darüber schreiben. Buttersack (Berlin.)
560
Kongresse und Versammlungen. — Hochschulnachrichten.
Kongresse und Versammlungen.
Kursus für Schwachsinnigenwesen in Frankfurt a. M.
Vom 21. Juni bis 8. Juli 1909.
Ein Kursus für Schwachsinnigenwesen findet in Frankfurt a. M. vom 21. Juni
bis 3. Juli statt. Es werden folgende Vorlesungen und Demonstrationen
abgehalten: Anatomie und Pathologie des Nervensystems: Prof. Edinger
(Bau und Tätigkeit des Gehirns), Dr. Röthig (Entwicklung des Gehirns), Prof.
H. Vogt (Pathologie und pathologische Anatomie des jugendlichen Schwachsinns).
— - Psychologie und Psychopathologie: Dr. Am ent- Würzburg (Kinderpsycho¬
logie), Vortragender noch unbestimmt (Einführung in die experim. Psychologie),
Prof. H. Vogt (Einführung in die Pathologie der kindlichen Psyche). —
Unterricht geistesschwacher Kinder, Hilfsschulwesen: Rektor A. Henze
(Geschichte, Statistik, Organisation, Lehrmethodik), Rektor Bl eher (Sprachheil¬
kunde), Hauptlehrer End erlin- Mannheim (Handfertigkeit). — Klinik: Prof.
Sommer- Gießen (Ausgewählte Demonstrationen), Dr. Kleefisch-Huttrop (Anstalts¬
ärztliche Tätigkeit), Prof. Sioli (Klinik der jugendlichen Psychosen), Sanitätsrat
La quer (Forensische Psychiatrie des Schwachsinns), Prof. Dan ne mann -Gießen
(Hygiene der Hilfsschulen und Anstalten). — Fürsorge: Prof. Kl umker (Soziale
Fürsorge), Direktor Dr. Polligkeit (Kinderschutz, Vormundschaften usw.), Vor¬
tragender noch unbestimmt (Jugendgericht). — Es wird ferner Gelegenheit zum
Besuch der Frankfurter Hilfsschulen gegeben sein. In den Hilfsschulen wird eine
Ausstellung von Lehr- und Lernmitteln für Schwachsinnige, sowie von Erzeugnissen
des Handfertigkeitsunterrichtes zu Besichtigung und Studium bereit stehen. Auch
wird der Besuch der sonstigen einschlägigen Frankfurter Institute (Neurologisches
Institut, städtische Irrenanstalt mit Beobachtungsstation für Jugendliche, Ein¬
richtungen der Zentrale für private Fürsorge, Kindergarten für schwachsinnige
Kinder, Jugendhorte, psychologisches Institut, Kinderkliniken usw.) ermöglicht
werden. — An je einem Vormittag werden die Taubstummen- bezw. die Blinden¬
anstalt besucht. Die betr. Direktoren (Dir. Vadder und Dir. Wiedow) werden
eine orientierende Übersicht über ihr Arbeitsgebiet hierbei geben. — Auswärtige
Besichtigungen: 1. Hilfsschule und Alicenstift für bildungsfähige Schwachsinnige
in Darmstadt; 2. Psychiatrische Klinik und psycho-physisches Institut der Universität
Gießen (hier finden die Vorträge des Prof. Sommer und Prof. Dannemann [s. oben]
statt); 3. Krüppelheim und Idiotenanstalt in Bad Kreuznach (Vortrag von Dr.
Kühler über Krüppelfürsorge mit Demonstrationen). Diese Exkursionen bean¬
spruchen je einen Tag innerhalb des Kursprogramms. — Anmeldungen bis 1. Juni
erwünscht.
Frankfurt a. M., Prof. Dr. H. Vogt, Neurologisches Institut, Gartenstraße,
Rektor A. Henze, Wiesenhüttenschule.
81. Versammlung Deutscher Naturforscher und Ärzte.
Die 81. Versammlung Deutscher Naturforscher und Arzte findet
vom 19. bis 25. September in Salzburg statt. Vorträge und Demonstra¬
tionen sind bis Ende Mai anzumelden. Geschäftsführer sind: Siadtphysikus Dr.
Fr. Würtemberger und Prof. E. Fugger.
Hochschulnachrichten.
Berlin. Prof. Dr. R. Stern geht nach Greifswald als Leiter der med. Klinik.
Gießen. Es habilitierte sich Dr. H. Hohlweg für innere Medizin. Zum Leiter des
Untersuchungsamtes für Infektionskrankheiten wurde Dr. E. Bötticher berufen.
LIeidelberg. Der o. Professor der Hygiene und gerichtlichen Medizin, Geh.
Hof rat Dr. Knauff tritt am 1. Oktober in den Ruhestand.
Jena. Prof. Dr. Lommel ist als Nachfolger von Prof. Dr. Krause zum Direktor
der med. Poliklinik ausersehen.
Königsberg. Der ao. Professor der Ohrenheilkunde Dr. B. Heine hat einen
Ruf nach München erhalten, dem er folgen wird.
München. Dr. F. Plaut habilitierte sich für Psychiatrie, ebenso Dr. med. E. Rüdin.
Dr. A. Hassel werder habilitierte sich für Anatomie. Prof. Dr. Kräpelin
feierte sein 25 jähriges Jubiläum als akademischer Lehrer.
Schriftleitung: Dr. Ri gier in Leipzig.
Druck von Emil Herrmann senior in Leipzig.
27> Jahrgang.
1909.
fomcbritte der Medizin.
Unter Mitwirkung hervorragender Fachmänner
herausgegeben von
Professor Dr. G. Köster Prio.-Doz. Dr. o. griegern
in Leipzig.
Schriftleitung :
in Leipzig.
Dr. Rigler in Leipzig.
Nr. 15.
Erscheint am 10., 20., 30. jeden Monats. Preis halbjährlich
6 Mark, in kl. Zeitschrift für Versicherungsniedizin 8 Mark.
Verlag von Georg Thieme, Leipzig.
30. Mai.
Originalarbeiten und Sammelberichte.
Die Verhütung der Erkrankungen nach Aufenthalt in
komprimierter Luft.
Nach J. S. Haldane im Verein mit Boycott u. Damant.
Journ. of Hygiene, Vol. VIII, Nr. 3, 1908 und Engl. Komitee-Bericht über Tief-
wassertauchen, London, Wyman and Sons, August 1907.
Besprochen von Prof. N. Zuntz, Berlin.
Die umfänglichen experimentellen Untersuchungen von Haldane
und seinen Mitarbeitern bedeuten einen großen Fortschritt in unserer
Erkenntnis der hygienischen Bedingungen der Arbeit in komprimierter
Luft. Ich hatte in dieser Zeitschrift 1897 Nr. 16 über die das gleiche
Thema behandelnden Untersuchungen von Heller, Mager und von
Schrötter berichtet und bei dieser Gelegenheit zum ersten Male eine
Berechnung der Zeitdauer gegeben, welche voraussichtlich nötig ist,
um beim Übergang aus atmosphärischer Luft in höheren Druck die
Gewebe des Körpers mit Stickstoff zu sättigen und um andererseits)
bei der Rückkehr unter normalen Druck den Überschuß von Stickstoff
•wieder abzugeben. Haldane- bestätigt im wesentlichen die Richtig¬
keit dieser Rechnung und der daraus gezogenen Folgerung, daß es dar¬
auf ankommt, eine möglichst große Spannungsdifferenz des Stickstoffs
zwischen Blut und Geweben einerseits und Atemluft andererseits her¬
zustellen, wenn es gelingen soll, den Körper in nicht zu langer Zeit
von dem, wegen der drohenden Blasenbildung im Blut und in den
Geweben gefährlichen Überschuß an Stickstoff zu befreien. Der von .
mir damals zur Erzielung dieser Spannungsdifferenz vorgeschlagene
Weg*, Einatmungen von reinem Sauerstoff oder sauerstoffreichen Gas¬
gemischen während der Dekompression wird von Haldane als bedenklich
angesehen, weil reiner Sauerstoff schon bei einer Spannung von etwa
1 V2 Atm. an sich gesundheitsschädlich ist.
,Paul Bert hat bekanntlich gezeigt, daß Sauerstoff unter dem
Druck mehrerer Atmosphären eingeatmet, giftig und sogar lebensge¬
fährlich wirkt. Diese Beobachtung ist seitdem mehrfach bestätigt
worden, und auch Haldane hält auf Grund eigener Erfahrungen daran
fest, daß Sauerstoff Spannungen von l1/2 Atm. und darüber, abgesehen
von allgemeinen Erscheinungen, sehr leicht entzündliche Veränderungen
in der Lunge erzeugen. Dies ist auch der Grund, weshalb längerer
Aufenthalt unter einem Druck von 10 Atm. und mehr entsprechend
36
562
N. Zuntz,
einem Tauchen in Meerestiefe von über 100 m an und für sich gefähr¬
lich ist. Bei den gewöhnlichen Arbeiten der Taucher und ebenso bei
den gewöhnlichen Caisson arbeiten kommen aber Drucke über 6 Atm.
kaum in Betracht. Hierbei liegt die einzige Gefahr in der Entwicke¬
lung von Gasblasen bei der Dekompression.
Haldane hat nun im Verein mit V er non gezeigt, daß diese
Gefahr in einzelnen Geweben des Körpers sehr viel größer ist als
in anderen. Fett und Lipoide, also auch speziell die Substanz der
Nervenfasern und des Zentralnervensystems absorbieren bei gleichem
Druck fast sechsmal soviel Stickstoff als Wasser und die wasser¬
reichen Gewebe. Dementsprechend dauert es in diesen Geweben viel
länger als im übrigen Körper, bis die volle Sättigung mit Stickstoff
nach Beginn der Atmung in komprimierter Luft erreicht ist, anderer¬
seits aber auch sehr viel länger, ehe bei Bückkehr unter normalen Druck
das Organ sich seines Überschusses an Stickstoff entledigt hat. Dement¬
sprechend treten bei zu schneller Dekompression reichlich Gasblasen,
besonders im Bückenmark und im Fettgewebe auf. Im ersteren bedingen
sie die schweren Erscheinungen von Neuralgie und Lähmungen, die
ja das größte Kontingent unter den schweren Formen der Caissonkrank¬
heit bilden. Es kommt also außer der Zirkulationsstörung durch Gas¬
blasen im Blut, die bisher wohl allgemein weniger beachtete Gas¬
bildung im Gewebe des Zentralnervensystems in Betracht. Einmal ent¬
standene Gasblasen im Gewebe werden namentlich in so schwach durch¬
bluteten Teilen, wie die weiße Substanz des Bückenmarks tagelang be¬
stehen, ehe sie allmählich, entsprechend der sehr geringen Spannungs¬
differenz zwischen ihrem Stickstoff und dem des Blutes resorbiert
werden. Zur Unschädlichmachung der mechanischen Wirkungen dieser
Gasblasen ist das einzige Mittel die Bekompression, d. h. die Bück-
führung des Patienten in eine sogenannte Sanitätsschleuse, in der er
wieder auf nahezu den früheren Druck komprimiert wird, um dann
sehr langsam und allmählich unter Beachtung der Symptome wieder
auf atmosphärischen Druck gebracht zu werden.
Haldane hat nun zur Verhütung der Caissonkrankheiten eine
neue Methode der Dekompression vorgeschlagen, welche sich zunächst
auf die vielfach am Taucher namentlich gemachte Beobachtung stützt,
daß ein Überdruck von 1— 11/2 Atm. fast momentan aufgehoben werden
kann, ohne daß ernstliche Störungen entstehen, und daß dies auch dann
der Fall ist, wenn der Aufenthalt in komprimierter Luft lange gedauert
hat, die Gewebe also mit Stickstoff nahezu gesättigt waren.
Da die Herabsetzung des Druckes von 1 Atm. Überdruck auf die
Norm eine Halbierung des Totaldruckes bedeutet, schließt Haldane
aus der mitgeteilten Beobachtung, daß man in allen Fällen rasch unbe¬
denklich den Druck auf die Hälfte herabsetzen darf, also ebensogut
wie in den mitgeteilten Beobachtungen von 2 Atm. auf 1 Atm., so auch
von 6 Atm. auf 3 Atm. Dieser Schluß erscheint berechtigt, weil die
Masse des freiwerdenden Gases zwar im letzteren Falle dreimal so
groß ist, das Volum desselben aber nicht größer als beim Übergang
von 2 Atm. auf 1 Atm.
Haldane fordert nun weiter, daß, sobald der halbe Druck erreicht
ist, das Individuum längere Zeit bei diesem Drucke zu verweilen imd
möglichst tief und anstrengend zu atmen hat, um den Gasdruck in
dem Gewebe dem niedrigeren Atmosphärendruck zu nähern. Ist dieses
Die Verhütung der Erkrankungen nach Aufenthalt in komprimierter Luft 563
geschehen, so kann der Druck abermals erniedrigt werden und aber¬
mals auf diesem niedrigeren Stand erhalten werden. Eine genaue Be¬
rechnung auf Grund der vorher entwickelten Prinzipien zeigt, daß
in der Tat durch dieses Verfahren die Zeit der Dekompression ohne
Gefahr erheblich verkürzt werden kann. Ganz verkehrt ist es, wenn
die Dekompression anfangs in langsameren Tempo erfolgt als später,
wie dies z. B. in den Vorschriften der holländischen Regierung gefordert
wird. Nach diesen Vorschriften soll bis zur Erreichung eines Über¬
drucks von 3 Atm. der Druck in 3 Minuten je um 1/10 Atm. verringert
werden, später bis zur Grenze von D/o Atm. alle 2 Minuten und schlie߬
lich bis zur Erreichung des Normaldruckes alle D/g Minuten.
Diese Methode ist, wie Haldane mit Recht betont, viel gefähr¬
licher, als das gleichförmige Absinken des Druckes und erst recht
im Nachteil gegen das von ihm empfohlene Verfahren, am Anfang
rasch und später immer langsamer den Druck sinken zu lassen. Haldane
hat sich, aber nicht begnügt, diese Anschauung theoretisch aus dem
Gesetze der Gasabsorption und den älteren Erfahrungen abzuleiten,
er hat sie vielmehr durch umfängliche Versuche an Ziegen experimentell
begründet. Er hat Ziegen deshalb zu den Versuchen gewählt, weil die
Gefahr der Dekompression bei großen Tieren, dementsprechend auch
beim Menschen sehr viel größer ist, als bei kleineren Tieren. Das
folgt ohne weiteres aus der schnelleren Blutzirkulation bei letzteren.
Es war viel eher möglich, von den Ziegen Schlüsse auf den Menschen
zu machen, als etwa von Viersuchen an Kaninchen und dergleichen,.
Es gelang nun, alle vorher entwickelten Gesichtspunkte in den Ver¬
suchen zu bestätigen, speziell auch den Nachweis zu führen, daß nach
kurzem Aufenthalt unter hohen Druck die Dekompression ungefährlich
ist, und daß selbst bei Ziegen mehrere Stunden, beim schwereren
Menschen also eine noch längere Zeit des Aufenthalts in komprimierter
Luft vergeht, ehe das Maximum der Gefahr bei der Dekompression,
d. h. nahezu volle Sättigung des Körpers mit Stickstoff erreicht ist.
Alle beim Viens dien beobachteten Erscheinungen von leichten
Schmerzen in den Extremitäten speziell in den Gelenken bis zur Lähmung
des Hinterteils und zum akuten Tode durch Luftembolie konnten bei
Ziegen unter entsprechenden Bedingungen beobachtet werden. Durch
Versuche wurde in mehr als 100 Fällen gezeigt, daß bei gleicher Zeit¬
dauer der Dekompression die Zahl der Erkrankungen etwa fünfmal
größer war, wenn die Dekompression gleichförmig erfolgte, als wenn
sie in Etappen nach dem vorher angedeuteten Schema ausgef ührt wurde.
Wenn nur die ernstlichen Erscheinungen in Betracht gezogen wurden,
so war das Verhältnis noch mehr zugunsten der stufen weisen Dekom¬
pression, indem bei dieser zwei Erkrankungen, bei gleichmäßiger Dekom¬
pression jedoch 50 Fälle beobachtet wurden.
Die umfassenden Studien von Haldane bedeuten offenbar einen
sehr großen Fortschritt in der Erkenntnis und Verhütung der besproche¬
nen Störungen, trotzdem möchte ich glauben, daß die Resultate noch
günstiger gestaltet werden können und namentlich ein schnelleres Ab¬
sinken des Druckes und eine Heilung von aufgetretenen Störungen mög¬
lich wäre, wenn man die Atmung sauer stoff reicher Gasgemische unter
Benutzung der aus dem früher mitgeteilten sich ergebenden Kaute len
anwenden würde.
36*
564
Wohlwill,
Hamburger Brief.
Von Dr. Wohlwill, Hamburg.
Zunächst ist noch über die Vorträge von Kümmelt und Lauen-
stein zu referieren. Kümmelt besprach in ausführlicher Weise Diagnose
und Therapie der Anurie. Zunächst ist zu unterscheiden zwischen
falscher oder Okklusionsanurie und wahrer oder renaler Anurie. Die
Okklusionsanurie kommt abgesehen von selteneren Fällen (Kompression
durch Tumoren von außen) durch doppelseitige Uretersteine oder ein¬
seitigen Stein Verschluß bei Erkrankung oder Fehlen der andern Niere
zustande. Die wichtige Entscheidung, welche Seite zuletzt verschlossen
ist, kann durch die Palpation (Druckempfindlichkeit, Stauungshydro-
nephrose) ermöglicht werden. Im übrigen sind stets Ureterenkatheteris-
mus und Röntgenographie heranzuziehen. Die wahre Anurie kommt
vor bei Herzfehlern, bei Schrumpfniere, parenchymatöser Nephritis,
Intoxikationen (Karbol, Sublimat, namentlich Chloroform) bei doppel¬
seitiger Zystenniere, Tumoren, Tuberkulose usw. Wichtig ist die Frage
der sogen. Reflexanurie. Ihre Existenz wird bewiesen durch das Auf¬
treten von Anurie nach Ureterensondierung, und Tierexperimente be¬
stätigen die Rolle des Nervensystems. In Wirklichkeit wird sie aber
zu oft diagnostiziert. Namentlich haben FraenkeUs mikroskopische
Untersuchungen an Nieren von postoperativ an Anurie zugrunde ge¬
gangenen Patienten schwere, wohl durch das Chloroform hervorgerufene
Parenchymschädigungen nachgewiesen. Doch wird das Vorkommen von
Reflexanurie bei Phimose, nach Lithothripsie, sowie namentlich nach
Exstirpation oder plötzlichem Verschluß nur einer Niere nicht in Ab¬
rede gestellt. Nur muß für letzteren Fall der nicht leicht zu führende
Nachweis erbracht werden, daß die andere Niere wirklich gesund ist.
Für die Therapie am dankbarsten ist die Okklusionsanurie. In Frage
kommen die Nephrotomie und die Nephrektomie. Die letztere darf nur
gemacht werden, wenn die andere Niere zweifellos gesund ist. Zur Ent¬
scheidung dieser Frage möchte K. die Kryoskopie nicht missen. Nur
muß man mit der Tatsache bekannt sein, daß bei beginnender Anurie der
Gefrierpunkt noch nicht pathologisch herabgesetzt zu sein braucht. Bei
renaler Anurie schlägt K. vor, in geeigneten Fällen, durch die Edebohlsj-
sche Dekapsulation Entlastung herbeizuführen ; er berichtete über ein¬
zelne günstige Resultate.
In der Diskussion bestätigte zunächst Prochownik den hohen
Wert der Kryoskopie. So oft er einmal sich über ihre Resultate hinweg¬
setzen zu sollen geglaubt hatte, hat er es zu bereuen gehabt. Von den
zu Anurie führenden Giften machte er noch auf das Chlorzink aufmerk¬
sam, vor dessen intrauteriner Anwendung er warnte. Betreffs der
Narkosen anurie, die er mit Kümmell für nepliritischer Natur hält,
erklärte er auch den Äther für nicht ganz gefahrlos. Leider habe er
aber auch, nach Lumbalanästhesie einmal eine Anurie erlebt.
Lauenstein hob noch einmal hervor, wie schwierig die Fest¬
stellung der Gesundheit der andern Niere sei und schlug vor, bei dem
geringsten Zweifel diese stets freizulegen. Mit der Dekapsulation hat
L. zweimal sehr gute Resültate gehabt.
Staude machte darauf aufmerksam, daß bei Operationen an der
Blase bisweilen durch Reizung der Ureterenmündungen eine x/4 bis
1/2stündige Anurie auf treten könne.
Hamburger Brief.
565
Klimme 11 führte in seinem Schlußwort die xUnurie nach Lumbal¬
anästhesie auf Läsion der Nervenwurzeln zurück. Er selbst hat nie
etwas derartiges gesehen.
Lauenstein hielt einen Vortrag über die beim Bau des Elb¬
tunnels beobachteten Caissonerkrankungen, nachdem vorher Herr Bau¬
rat Specht diese Anlage in interessanten Ausführungen technisch er¬
klärt hatte. L. konnte über 232 Erkrankungsfälle berichten, von denen
die schwereren — 52 — ins Hafenkrankenhaus aufgenommen wurden.
Die Symptome sind sehr wechselnd. In den leichtesten Fällen handelt
es sich nur um neuralgiforme Schmerzen in der Muskulatur namentlich
der Unterextremitäten. Sodann treten gastrische Symptome — Er¬
brechen, Flatulenz — auf, ferner Erscheinungen seitens des Ohrs, die
in schwereren Fällen den Monier e’schen Symptomenkomplex darbieten;
Fieber, Zyanose, Pulsbeschleunigung kommen vor, endlich schwerste
Kollapserscheinungen mit Pulslosigkeit. Was die Therapie betrifft,
so ist L. nicht für die meist angewandte Wiedereinschleusung in eine
sogenannte Sanitätsschleuse, da die Wiederversetzung unter erhöhten
Druck neue Schädigungen bedinge. Er verwendet Bäder, Narkotika
und Abführmittel. Zur Verhütung der Krankheit müssen vor allem
die Arbeiter sorgfältig ausgewählt werden, namentlich Leute mit Tuben¬
verschluß und Fettleibige sind auszuschließen. Ferner legt L. großen
Wert auf gute Ernährung, da sich die geringste Erkrankungsziffer stets
bei der Schicht fand, die nach dem Mittagessen eingeschleust wurde.
Eine möglichst langsame Ausschleusung ist nur unter Vorbehalt zu
empfehlen, da sie auch Nachteile hat.
In der Diskussion ging Thost zunächst auf die Entstehung der
verschiedenen Symptome durch Gasembolien in den kleinen Gefäßen
ein. Die Erkrankungen des Labyrinths glaubt er nicht auf diese
zurückführen zu dürfen, er glaubt eher, daß es sich hier ebenso wie
bei der eigentlichen Meniere’schen Krankheit um eine Blutung handle.
Eventuell könne eine kleine Blutung später noch nachbluten, wodurch
das Auftreten der Erscheinungen erst 1 — 2 Stunden nach der Aus¬
schleusung erklärt wird. Th. sprach sich für das Wiedereinschleusen
aus ; er verwendet im übrigen Schwitzkuren mit Pilokarpin, warnt
dringend vor Chinin, das nur schaden könne. In schweren Fällen
bleiben Schwindel und Schwerhörigkeit bestehen.
Sieveking besprach nach kurzer Erläuterung der mechanischen
und der chemischen Erklärungsweise der Erkrankung die von den Be¬
hörden getroffenen Sicherheitsmaßregeln, welche neben strenger Aus¬
wahl der Arbeiter und ständiger Überwachung durch einen Schleusen¬
wärter namentlich in der verlängerten Ausschleusungszeit bestehen.
Die anfängliche Ausschleusungszeit von 30 Min. hat sich als zu kurz
herausgestellt. Seit sie auf fast das Doppelte verlängert ist, ist die
Erkrankungsziffer und die Schwere der Fälle bedeutend zurüokgegangen.
In einer neuerbauten geräumigeren Schleuse ist dafür gesorgt, daß
die Arbeiter sich während des Ausschleusens bewegen können, was
die Ausscheidung des Stickstoffs beschleunigt. S. sprach sich sehr
iür die Anwendung der Sanitätsschleuse aus.
Bor ns t ein stellte zunächst einen eigentümlichen Fall von Caisson¬
krankheit vor. Der betreffende Arbeiter war zunächst nach der Aus¬
schleusung an den üblichen rheumatischen Beschwerden erkrankt. Am
nächsten Tage traten unter der Haut multiple Tumoren auf, die beim
Einschneiden sich als aus Flüssigkeit und Gas bestehend erwiesen.
566
Wohl will,
Mikroskopisch fand sich nur Fett und Detritns (wohl durch die Gas¬
entwicklung zerstörtes Fettgewebe). Beim Wiedereinschleusen wurden
die Tumoren spontan kleiner. B. berichtete sodann über Untersuchungen,
die Gasaufnahme und -abgabe betreffend, welche zeigten, daß pro
Athmosphäre Überdruck 1 Liter N in der Stunde auf genommen wird,
daß die Aufnahme sehr langsam vor sich geht, daß nach zwei Stunden
erst 80°/0 N-Sättigung des Bluts erreicht ist, so daß also ein längerer
Aufenthalt in der Schleuse auch entsprechend gefährlicher ist. Zur
Anregung der Ausscheidung bedient man sich der sogen, staffelförmigen
Ausschleusung (schnelle Dekompression bis zur Hälfte des Drucks,
dann langsames Sinken), der O-Atmung und der körperlichen Bewegung.
B. tritt ebenfalls warm für die Sanitätsschleuse ein. Sie könne aller¬
dings nur die entstandenen Gasblasen beseitigen. Die durch sie be¬
reits gesetzten Schädigungen (Gewebszerrungen, Stase usw.) bleiben
natürlich unbeeinflußt. Deshalb muß die Wiedereinschleusung mög¬
lichst bald erfolgen.
Engelmann sprach Bedenken dagegen aus, daß die Ohrerschei¬
nungen auf das Labyrinth zurückzuführen seien. Sie ließen sich alle
auch durch zerebellare und zerebrale Läsionen erklären. Um schwere
Labyrinthblutungen könne es sich schon deshalb nicht handeln, weil
bisweilen weitgehende Besserung bei der Wiedereinschleusung beob¬
achtet wurde.
Sänger wies an der Hand von zwei Fällen auf die Schwierigkeiten
der Diagnose hin, welche entstehen, wenn eine Komplikation mit Hysterie
vorliegt. Er besprach sodann die in der Literatur oft erörterten ,, akuten
ischämischen Bückenmarkserweichungen“ (spastische Lähmungen mit
Sensibilitätsstörungen), die jedoch in Hamburg nicht zur Beobachtung
gekommen sind.
Lauen stein hielt in seinem Schlußwort - — ohne auf die Gegen¬
gründe einzugehen — an seinem ungünstigen Urteil über die Sanitäts¬
schleuse fest.
Falk stellte einen Fall von Osteomalacie vor, der bemerkenswert
war erstens durch sein Auftreten in der ersten Gravidität und zweitens
dadurch, daß er nach sechs Jahren spontan ausheilte. Eine neue
Schwangerschaft wurde durch künstlichen Abort beendet, da der Kaiser¬
schnitt verweigert wurde. F. besprach die Theorien der Wirkungsweise
der Kastration. Er selbst hat Untersuchungen über den Phosphor¬
säurestoffwechsel gemacht, welche unter genauer Berücksichtigung der
Ernährung keinen Einfluß der Kastration ergaben, im Gegensatz zu
der Behauptung Tarullis, daß kastrierte Hündinnen sehr viel mehr
P205 retinieren.
Lenhartz sprach über Lungengangränoperationen. Bis jetzt hat
L. 112 Fälle operiert. Wenn er von fünf Tuberkulösen und von sechs
Fällen absieht, die so schwer waren, daß nur noch ein Bippenfenster
angelegt, der Herd aber nicht mehr aufgesucht werden konnte, so hat
er 70°/0 Heilungen zu verzeichnen. Er stellte außer einem Fall von
geheiltem Totalempyem nach Schwertverletzung zwei Gangränfälle vor,
von denen der eine durch die Lage des Gangränherds in der Nähe des
Herzens der Operation große Schwierigkeiten bot, während der andere
dadurch bemerkenswert war, daß nach operativer Heilung eines Herds
sich in der andern Lunge eine neue Gangrän entwickelte, welche dann
ebenfalls durch Operation zur Heilung gebracht wurde.
Hamburger Brief.
567
In der biologischen Sektion demonstrierte Sänger einen Hirn¬
tumor, der durch die Inkongruenz des klinischen und autoptischen
Befundes bemerkenswert war. V on Allgemeinsymptomen war nur eine
erheblichem Wechsel unterworfene Somnolenz, von Lokalsymptomen nur
aphasische Störungen und rechtsseitiger Babinsky vorhanden gewesen.
Dagegen hatten einerseits Stauungspapille, Erbrechen, Pulsverlang¬
samung, Erhöhung des Spinaldrucks, andererseits jegliche Paresen ge¬
fehlt. Die Sektion ergab ein gefäßreiches, von Blutungen durchsetztes
Spindelzellensarkom von ungewöhnlicher Ausdehnung, vom Frontal-
lappen bis zum Occipitallappen sich erstreckend, an vielen Stellen bis
nahe an die Binde reichend. Der Tumor ging bis in nächste Nähe
der inneren Kapsel, diese selbst war aber frei geblieben. Sänger be¬
sprach die verschiedenen Erklärungsmöglichkeiten für das Ausbleiben
der Stauungserscheinungen. Die Erhöhung des Spinaldrucks kann
fehlen, wenn das Foramen occipitale magnum ganz durch die Medulla
oblongata verlegt ist, die Ausbildung einer Stauungspapille kann eben¬
falls durch lokale Verhältnisse verschiedener Art verhindert werden.
Im vorliegenden Fall ist wohl am wahrscheinlichsten ein ganz all¬
mähliches Wachstum der Geschwulst mit Supposition der Hirnsubstanz
als Grund anzusehen.
Dieser Erklärung gab auch Emden in der Diskussion den Vor¬
zug, unter Hinweis auf das konstante Fehlen von Hirndruckerschei¬
nungen bei Aneurysmen der Hirnarterien, das dadurch zu erklären
sei, daß der Wachstumsdruck der Geschwulst hier nie größer werden
könne als der Hirndruck selbst.
Umber berichtete über zwei Fälle von Cauda-equina-Affektion.
Er besprach zunächst kurz die allgemeine Symptomatologie und die
schwierige Differentialdiagnose gegenüber Läsionen des Conus termi-
nalis. Für Cauda-equina spricht eine langsame Entwicklung der Schmer¬
zen und ihr Überwiegen über die motorischen Erscheinungen. — Der
erste Fall kam wegen ischiasähnlicher Beschwerden und bot objektiv
typische, einseitige „Beithosenanalgesie“, Fehlen des Anal- und des
linksseitigen Achillessehnenreflexes, leichte Blasenstörungen. Eine
starke Lymphozytose des Liquor cerebrospinalis (Globuline waren ver¬
mutlich mit (einem erheblichen Fibrin gerinnsei mit niedergerissen) machte
wahrscheinlich, daß die Affektion syphilitischer Natur sein möchte,
eine Annahme, die durch den prompten Erfolg eines Traitement mixte
bestätigt wurde. Im zweiten Falle lagen eigentlich nur stärkste, in
die Beine ausstrahlende Schmerzen der Kreuz- und Steißbeingegend
vor, außerdem bestanden nur noch ganz geringe Blasenstörungen. Da
die Patientin eine zweifellose Hysterica war, auch die Besch werden
unter Hypnose sich, zeitweilig besserten, so war die Beurteilung äußerst
schwierig. Die außerordentliche Konstanz und Heftigkeit der Schmer¬
zen ließ aber doch immer wieder an etwas Organisches denken.- Die
im Lauf der langdauernden Beobachtung mehrfach ausgeführte Lumbal¬
punktion förderte jedesmal eine gelbbraune Flüssigkeit zutage, welche
gleich nach dem Austritt gallertig erstarrte. Die* Diagnose wurde
darauf auf zystische Geschwulst der Cauda-equina gestellt; sie wurde
durch die Operation bestätigt. Wie König mitteilte, konnte er nur
eine Entleerung vornehmen. Eine Exstirpation der vielmaschigen Zyste
war unmöglich. Pat. war noch fünf Wochen fast schmerzfrei, ging
dann durch Infektion der Wunde an Meningitis zugrunde.
568
Wohl will,
Sänger betonte in der Diskussion, daß der Befund der gelben,
schnell erstarrenden Spinalflüssigkeit nicht beweise, daß man die Zyste
selbst punktiert, habe, da diese Beobachtung schon wiederholt bei anders¬
artigen Caudaaffektionen gemacht sei; es wäre sehr erfreulich, wenn
sich dies auch weiterhin bestätigen würde und man damit ein wich¬
tiges Symptom für Cauda- und Konusaffektionen gewinnen würde.
Hueter besprach die pathologisch-anatomische Natur des Tumors,
der noch am meisten Ähnlichkeit mit den Fibromen der Nerven- hat,
während sich im Bereich der am Tumor adhärenten Dura riesenzellen¬
haltige Granulationsgeschwülste finden.
In der nächsten Sitzung sprach Schümm über Leuchtgasvergif¬
tung. Man nimmt allgemein an, daß die Einwirkung des Leuchtgases
auf das Blut des Menschen mit reiner CO- Wirkung identisch sei. Sch.
hat nun die sonst in der Literatur nicht erwähnte Tatsache festgestellt,
daß (wenigstens das Hamburger) Leuchtgas nicht ganz unbedeutende
Mengen Blausäure enthält. Er wurde hierauf aufmerksam dadurch,
daß durch Einleiten von Leuchtgas eine Methämoglobinlösung rot
wird und ebenso eine sonst braune alkalische Hämatinlösung leuchtend
rot wird und dann im Spektrum einen Streifen gibt, der dem CN-Hämatin
absolut entspricht. Die Menge der Blausäure ist zwar absolut klein,
aber toxikologisch nicht zu vernachlässigen. Es fanden sich im cbm
0,36 g, das ist das sechsfache der letalen Dosis. Wenn Sch. auch weit
entfernt ist, hierdurch die außerordentlich toxische Wirkung des Leucht¬
gases allein erklären zu wollen, so glaubt er doch eine erhebliche Ver¬
stärkung durch den Blausäuregehalt annehmen zu müssen. Er behält
sich vergleichende Experimente vor mit Tieren, die einerseits mit ge¬
wöhnlichem Leuchtgas, andererseits mit solchem vergiftet sind, das
durch Durchleiten durch Kalilauge CN frei gemacht ist. Im Blut
der Versuchstiere hat er, wie er Fraenkel auf eine Anfrage erwidert,
Blausäure bisher nie nachweisen können.
Fahr hielt einen AMrtrag über die Ganglien des menschlichen
Herzens. Die Angabe über Zahl und Lage der Herzganglien sind noch
sehr widersprechend, was zum Teil an der Benutzung verschiedener
Tiergattungen zu den Untersuchungen liegt. F. hat ein Neugeborenen -
herz zur Untersuchung herangezogen. Er hat davon lückenlose Serien
geschnitten und danach ein Plattenmodell angefertigt, auf dem er die
Lage der Ganglienzellen eingezeichnet hat. Die Hauptmenge der Gang¬
lien fand er am Dach des rechten Vorhofs zwischen Vena cava superior
und inferior. Von hier zieht ein Ganglienring zur Kammerwand her¬
unter, an der Grenze zwischen oberem und mittlerem Drittel des Ven¬
trikels endigend. Außerdem beschreibt er noch mehrere Gruppen von
Ganglien, welche sämtlich dicht unter der Oberfläche liegen und nicht
über das obere Drittel der Kammern hinausgehen. Die unteren zwei
Drittel bleiben frei. Dieser Befund steht im Widerspruch mit dem
Bethe’s, welcher — allerdings am Frosch — die Herzspitze nur gang¬
lienzellenarm aber nicht -frei fand. Auch mit der intra vitalen Methylen¬
blaumethode hat F. beim Meerschweinchen in den unteren zwei Dritteln
keine Ganglien nüchweisen können, er hält aber für möglich, daß die
Methode versagt haben könne. Die Befunde bestätigen die Ansicht,
daß der Ausgangspunkt der automatischen Herzreize zwischen Vena
cava superior und inferior gelegen sei. Der Nachweis von Ganglien
in der Herzkammer erklärt die Tatsache, daß Durchschneidung des
atrio-ventrikulären Bündels nicht Herzstillstand erzeugt. Die Beiz-
Hamburger Brief.
569
erzeugung mag demnach wohl nervöser Natur sein, die Heiz Übertragung
aber ist an das atrioventrikuläre Bündel geknüpft, also muskulärer
Natur. Dafür spricht 1. die Langsamkeit der Reizübertragung, 2. die
Befunde bei Adam-S toke's’scher Krankheit. Die Schwierigkeit, wie
die Übertragung des Reizes von den Ganglien auf die Muskeln zu
erklären ist, hat sich verringert, seit es gelungen ist, das Bündel bis
fast zu jenen Ganglien am rechten Vorhof zu verfolgen.
In pathologisch-anatomischer Hinsicht wird die Untersuchung der
Herzganglien (z. B. mit Nisslfärbung) vielleicht eine große Bedeutung
erlangen in den Fällen (namentlich Alkoholisten), die klinisch unter
dem Bild schwerster Herzinsuffizienz verlaufen, während der patho¬
logische Befund negativ ist.
R recke hielt einen Vortrag über Ösophagussarkome. Primäre
Sarkome des Ösophagus sind sehr seltene Befunde, es sind im ganzen
bisher 28 Fälle bekannt geworden. Bei den Sektionen im allgemeinen
Krankenhause Hamburg-Eppendorf wurde erst kürzlich das erste der¬
artige Sarkom beobachtet, während beispielsweise schon annähernd 400
Karzinome des Ösophagus in den 20 Jahren des Bestehens des Kranken¬
hauses gefunden wurden. Der beobachtete Fall hat besonderes Inter¬
esse, weil das ausgedehnte Sarkom keinerlei klinische Erscheinungen
außer sonst nicht erklärbarer Kachexie verursachte. Der 46 jährige
Kranke wurde mit den Symptomen ausgedehnter eitriger Bronchitis
aufgenommen, zu der bald bronchopneumonische- Erscheinungen hinzu¬
traten, denen der Patient nach dreiwöchiger Krankenhausbehandlung
erlag. Bei der Sektion fand sich ein über fast zwei Drittel des Öso¬
phagus ausgedehnter zirkulärer, knolliger, weichelastischer Tumor, der
in das Lumen vorgewachsen war und zu einer fast zylindrischen Er¬
weiterung der ösophaguswand geführt hatte. Im unteren Drittel des
Tumors fand sich geringer oberflächlicher trockennekrotischer Zerfall.
Aus der Weichheit und der oberflächlichen Glätte des Tumors, der Er¬
weiterung des Ösophagus und dem Freibleiben seiner Umgebung erklärt
sich das Ausbleiben von Stenoseerscheiinungen. Außer in einigen klein¬
haselnußgroßen Drüsen am rechten Lungenhilus fanden sich keine Meta¬
stasen. Mikroskopisch erwies sich der Tumor als großzelliges Spindel¬
zellensarkom, ausgehend von der Submukosa.
Die in der Literatur bisher bekannt gewordenen Fälle ergaben
folgende Gesichtspunkte :
Die Ösophagussarkome kommen in zwei Formen vor: einmal als
mehr umschriebene polypöse oder geschwürige, mehr gutartig verlaufende
und zweitens als mehr diffuse infiltrierende maligne Tumoren, die
zu raschem Zerfall und zur Metastasenbildung neigen.
Die Symptome zeigen einige Verschiedenheit entsprechend der
Form des Tumors. Bei den polypösen Tumoren überwiegen die Stenose¬
erscheinungen, bei den geschwürigen im Anfang mehr die Schmerzen.
Die Differentialdiagnose gegenüber dem Karzinom kann nur eine
zufällig richtige sein, wenn nicht eine ösophagoskopische Probeexzision
sie sicher gestellt hat.
Therapeutisch kann bei der umschriebenen Form und günstigem
Sitz des Tumors eine Operation in Frage kommen.
Der makroskopisch-anatomische Befund ergibt in manchen Fällen
ein durchaus charakteristisches Bild, welches schon mit großer Wahr¬
scheinlichkeit die Diagnose Sarkom stellen läßt.
570
Max Hirsch,
Der 30. Balneologenkongreß in Berlin.
Von Dr. Max Hirsch, Arzt in Bad Kudowa.
(Schluß.)
Erankenhäuser-Berlin gibt ausführliche Darstellungen über den
baineologischen Unterricht an den Universitäten. Diesem außerordent¬
lichen interessanten und zeitgemäßen Vortrage entnehmen wir die be¬
trübende Tatsache, daß die deutschen Universitäten von jeher auf den
baineologischen Unterricht ein sehr geringes Gewicht gelegt haben.
Die Folge davon ist die, daß die weit überwiegende Mehrzahl der jungen
Ärzte in die Praxis geht, ohne jemals Balneologie gehört zu haben.
In der Klinik ist es ja nicht möglich, diesen Fragen eine genügende
Aufmerksamkeit zu widmen. Daß dieser Zustand sehr viel Schaden
anrichtet, und auf die Dauer nicht haltbar ist, geht ohne weiteres
daraus hervor, daß doch die Balneotherapie einen wertvollen Zweig der
Heilkunde bedeutet und es wohl wenig Ärzte gibt, die nicht in die
Lage kommen, ihren Patienten Bäder zu verordnen. Vortr. weist auf
die außerordentlich interessante Statistik von K auf f mann in dem
Deutschen Bäderbuch hin, der wir entnehmen, daß die deutschen Kur¬
orte jährlich über 1000000 Kurgäste auf nehmen. Zum Schlüsse macht
Vortr. einige Vorschläge, wie der Unterricht in der Balneologie zu
fördern sei und wie die Studierenden gezwungen werden könnten, sich
eingehend mit Balneologie zu beschäftigen. Solche Maßnahmen wären
Prüfung der Balneotherapie im Staatsexamen, Gründung balneologischer
Institute an allen Universitäten und schließlich regelmäßige baineo¬
logische Exkursionen der Studierenden. Daß der Staat ein großes
Interesse daran hat, die Balneologie zu kultivieren und bei größter
Sparsamkeit für den Unterricht in der Balneotherapie materielle Opfer
zu bringen sind, geht daraus hervor, daß unsere Kurorte einen wich¬
tigen Teil unseres Nationalvermögens bedeuten, indem sie schon jetzt
jährlich mehr als 370000000 Mark einbringen. In der sehr lebhaften
Diskussion weist D et er mann -St. Blasien darauf hin, daß der Student
der Medizin heute so stark mit allen anderen Gegenständen überlastet
sei, daß für die Balneologie keine Zeit übrig bleibt. So sei die Balneo¬
logie in den Studienplan für das 10. Semester und für dieses auch als
nebensächlicher Lehrgegenstand empfohlen, also für eine Zeit, in welcher
der Student seine Sorgfalt auf die für das Staatsexamen ihm wichtig
erscheinenden Gegenstände verwendet. Dieses Schicksal teile die Bal¬
neologie mit der Ernährungslehre, die ebenfalls als ein höchst unwich¬
tiger Gegenstand angesehen wird. Kionka-Jena sucht die balneologi-
sclien Vorlesungen durch Exkursionen anziehender zu machen und glaubt,
mit Erfolg. Br ieger- Berlin spricht sich dafür aus, daß besondere In¬
stitute für die gesamte Therapie errichtet werden müssen, in denen
auch die Balneotherapie kultiviert würde. Kisch sen. -Marienbad ist
auch der Ansicht, daß den Studenten zu wenig Zeit für die Balneo¬
therapie bleibe, so daß er sich gezwungen sah, diesen wichtigen Gegen¬
stand am Sonntag zu lesen, damit seine Zuhörer für ihn Zeit hätten.
Marc u,s -Pyrmont machte „die Bestimmung der Blutbeschaffenheit
in ihrem Bezug auf die Verdauung“ zum Gegenstand seines Vortrages.
Er führt aus, daß im Blüt eine Substanz enthalten sei, welche die
fermentative Zersetzung der eiweißhaltigen Körper verhindert. Diese
Substanz ist ein Antiferment des Trypsins und wird deshalb Antitryp¬
sin genannt. Bei vielen Krankheiten ist sie im Blute vermehrt, bei
Der 30. Balneologenkongreß in Berlin.
571
anderen vermindert. Dieser Umstand hat zu dem therapeutischen Be¬
streben geführt, durch eine Verbesserung des Blutes einen heilenden Ein¬
fluß auf die betreffenden Blutanomalien auszuüben. Es ist Brieger
und Trebing gelungen, den bei der Krebskachexie stark vermehrten
Antitrypsingehalt des Blutes zur Norm zurückzubringen, wobei das
Allgemeinbefinden sich bessert und das Siechtum auf geh alten wird.
Den bei Diabetes herabgesetzten Antitrypsingehalt konnte V ortragen¬
der erhöhen und dadurch auf den Diabetes günstig einwirken. Da die
Veränderung des Antitrypsingehaltes im Blute bei einer großen Reihe
von chronischen Krankheiten vorkommt, empfiehlt Vortragender, daß
in denjenigen Kurorten, in denen solche chronischen Zustände günstig
beeinflußt werden, ohne daß man einen bestimmten Grund für die Wirk¬
samkeit der Kurorte bisher nachweisen konnte, der Antitrypsingehalt
des Blutes besondere Beachtung finden sollte. Namentlich sollte der
Antitrypsingehalt des Blutes vor und nach der Kur untersucht werden.
Brenn er -Dürkheim spricht über den Wert der Antitrypsinbestim¬
mung des Blutes für Diagnose und Prognose der Anämie und die Beein¬
flussung durch Arsenwasser. Vortragender fand bei fast allen Fällen
von Blutarmut eine mehr oder weniger hohe Steigerung des antitrypti-
schen Ferments. Gleichzeitige Untersuchungen des Hämoglobingehaltes
und der korpuskulären Elemente ergaben nur in etwas der Hälfte der
Fälle sichere Beziehungen, derart, daß bei verminderter Zahl der roten
Blutkörperchen und herabgesetztem Hämoglobingehalt sich eine entspre¬
chende Vermehrung des Antitrypsins findet. In den Fällen, in denen das
Antitrypsin wesentlich verändert und das Hämoglobin wenig ver¬
ändert, ist die Prognose sehr ungünstig. Vortragender behandelte eine
Reihe von Patienten mit Dürkheimer Maxquelle, einem kochsalzreichen
Arsenwasser und konnte damit durchweg gute Erfolge erzielen. Dabei
war die Antitrypsinbestimmung der beste Beweis für den augenblick¬
lichen Zustand des Patienten.
Brieger- Berlin spricht über „den Einfluß physikalischer Behand¬
lung auf die Antifermentbildung im menschlichen Blute“. Vortragender
führt aus, daß sich die Brieger- Tr ebing’sche Methode für die Er¬
kennung des Krebses als sehr wichtig erwiesen hat. Es hat sich außer¬
dem gezeigt, daß man durch Pankreatin vorübergehend die Kachexie auf¬
halten kann, ohne auf das Karzinom selbst zu wirken. Dabei fand sich,
daß weder das Trypsin noch Antitrypsin in Krebsknoten selbst war. In
einer Reihe von Versuchen, die Vortragender im Verein mit Licht-
witz ausführte, zeigte sich, daß hydrotherapeutische Prozeduren auf
den Antifermentgehalt von gesunden Menschen keinen Einfluß aus¬
übten. Dagegen wurde bei anämischen und chlorotischen Individuen
durch physikalische Prozeduren ein abnormer Antifermentgehalt gün¬
stig beeinflußt.
L . F e 1 1 ne r - Franzensbad berichtete über , ,neue U ntersuchungen über
die physiologische Wirkung der Kohlensäure-Gasbäder“. Vortr. hatte
vor einigen Jahren berichtet, daß kohlensaure Gasbäder die Atmungs¬
und Pulsfrequenz zunehmen und den systolischen Blutdruck steigen
lassen. Da diese Angaben s. Z. auf Widerspruch stießen, nahm Vortr.
die Untersuchungen wieder auf und kam zu demselben Ergebnis wie
früher auch mit anderen Untersuchungsmethoden und sieht sich aus
dem Grunde verpflichtet, die Indikationen und Kontraindikationen für
die kohlensauren Gasbäder, die er früher aufgestellt, aufrecht zu
erhalten.
572
Max Hirsch,
Strauß-Berlin berichtet über ,, Blutdruck und Trinkkuren'*. Vortr.
sieht es als eine wichtige Frage für die Balneologie an, wie weit
Blutdrucksteigerungen durch Trinkkuren beeinflußt werden. Am wich¬
tigsten sei diese Frage bei Nierenkrankheiten. Neuere Untersuchungen
des Vortr. führten zu dem Resultat, daß die Zufuhr mittlerer oder
größerer Mengen Flüssigkeit die Blutdrucksteigerung nicht ungünstig
beeinflußt. Da frühere Untersuchungen des Vortragenden über den
Beststickstoffgehalt im Blutserum und auch neuere Befunde dafür
sprechen, daß die Blutdrucksteigerung bei Nierenkranken durch eine
Zurückhaltung von stickstoffhaltigen Stoffwechselprodukten bedingt
ist, welche infolge mangelhafter Nierentätigkeit nicht genügend aus¬
geschieden werden, so glaubt Vortr., daß Trinkkuren in solchen Fällen
durch die Ausschwemmung giftiger Produkte direkt nützen können.
Die Blutdrucksteigerung bei Nierenkranken hält Vortr. für einen zweck¬
dienlichen Vorgang. Mit Kochsalzzufuhr soll man bei Nierenkranken
vorsichtig sein, wenn sie auch den Blutdruck nicht erhöhen. Wie weit
abführende Wässer den Blutdruck herabsetzen, muß noch weiter unter¬
sucht werden.
Dove- Berlin sprach über ,, klimatische Fragen in der Balneologie* ‘.
Er betont die Notwendigkeit, das meteorologische Beobachtungsmaterial
in größerem Umfange als bisher den Ärzten zugänglich zu machen.
Für die Zwecke der Mediziner müßten außerdem für diese wenig
brauchbaren Mittelwerte genaue Angaben der Häufigkeit bestimmter
Extreme und Schwankungen und der Dauer gewisser Perioden und
Witterungserscheinungen (z. B. in den Sommerfrischen der Häufigkeit
und Dauer bestimmter Hitzeperioden) veröffentlicht werden. Eine Er¬
weiterung des Beobachtungsnetzes ist namentlich in den von Kur¬
gästen und Erholungsreisenden besuchten Gegenden dringend erwünscht.
G utzmann-Berlin trug über ,,die Behandlung der Neurosen der
Stimme und Sprache“ vor. Vortr. bespricht zunächst nur diejenigen
Krankheitszustände, auf welche sich sein Thema bezieht. Stottern,
Aphthongie, funktionelle Aphasien, die traumatischen Neurosen der
Stimme und Sprache usw. und geht dann auf die Übungstherapie über,
die in neuerer Zeit durch sorgfältige praktische Untersuchungen der
fehlerhaften stimmlichen und sprachlichen Vorgänge wesentliche Fort¬
schritte gezeigt hat. Vortr. zeigt einige Instrumente, deren er sich für
seine Ubungstherapie bedient, z. B. für die Einatmung bei gewissen
Stimmstörungen das Druckdifferenz verfahren von Brat, die elektrisch
betriebene Stimmgabel usw. Zum Schlüsse empfiehlt er eine ausgiebige
Allgemeinbehandlung bei den Neurosen der Stimme und Sprache und
zeigt, wie Klimatotherapie, Regelung der Diät usw. oft genügten,
um eine Heilung herbeizuführen. Die Hypnose verwirft er ganz beson¬
ders bei Kindern und schließt sich dem Urteil Ziehens an, daß Hypnose
bei Kindern direkt als Unfug anzusehen ist.
Beerwald- Altheide sprach über ,,das Verhalten der Kohlensäure
in künstlichen und natürlichen Kohlensäurebädern“. An 200 Unter¬
suchungen des Badewassers und der Luft über dem Bade an natür¬
lichen und künstlichen Kohlensäurebädern kam Vortr. zu dem Resultat,
daß in den künstlichen Bädern die Kohlensäure nicht so gleichmäßig
verteilt ist wie in den natürlichen, daß sie ferner bei Zunahme von
Zeit und Wärme bei künstlichen Bädern schneller entweicht als bei
natürlichen. Infolgedessen ruht beim künstlichen Bade auf der Ober¬
fläche eine Kohlensäureschicht, deren Einatmung für den Körper schäd-
Der 30. Balneologenkongreß in Berlin.
573
lieh ist und die beim natürlichen Bade unbedeutend ist. Für die künst¬
lichen Bäder ergibt sich daraus die praktische Forderung, daß sie nicht
zu lange genommen werden dürfen, und daß der Kopf des Badenden
ziemlich hoch über der Oberfläche des Badewassers ist.
Fürstenberg-Berlin spricht über die „hydriatische Behandlung
der Neurasthenie“. In seinem klaren, übersichtlichen Vortrag, der
namentlich für die Praktiker von großer Bedeutung ist, sieht Vortr.
die Kunst bei der Behandlung der Neurasthenie durch die Hydro¬
therapie in der exakten Dosierung der hydriatischen Beize. Nur die
Beherrschung der hydriatischen Technik ermöglicht es dem Arzte, bei
einer unter verschiedenartigen Bildern auftretenden Krankheit, wie
es die Neurasthenie ist, die richtigen hydriatischen Verordnungen zu
finden. Vor allem sollte man sich vor dem ,, Zuviel“ hüten. Bei der
Behandlung selbst empfiehlt Vortr. in Betracht zu ziehen, ob die
Zeichen der gesteigerten Erregung oder die der Erschöpfung mehr in
den Vordergrund treten. In beiden Fällen kann man am Morgen, der
sich mehr der Allgemeinbehandlung der Neurasthenie widmet, mit
Teilabwaschungen beginnen, die sehr milde Beize sind. Später geht
man dann zu Ganzabwaschungen, Schwammbädern oder Halbbädern
über. Bei Erregten bewähren sich sehr gut Packungen und protrahierte
und indifferente Bäder. In Krankenhäusern, Sanatorien usw. stehen
dem Arzte noch viele reaktionsbefördernde Mittel zur Verfügung, z. B.
wechselarme Fächerduschen. Die einzelnen Symptome der Neurasthenie,
wie Schlaflosigkeit, Kopfschmerzen, sexuell-neurasthenische Erschei¬
nungen lassen sich ebenfalls sehr gut durch richtig angewandte Hydro¬
therapie bekämpfen. Vortr. hält an dem Grundsatz fest, vor allem
stets zu individualisieren und die einzelnen Prozeduren in ihrer Stärke
den gewünschten Beizen entsprechend zu geben.
Tobias- Berlin spricht über „intermittierendes Hinken“. An der
Hand von neun von ihm beobachteten Fällen gibt er einen Überblick
über dieses Krankheitsbild. Als Hauptursache sieht er die Arterio¬
sklerose an. Man unterscheidet drei Formen, die Charco t-Erb’sche
Form, die auf arteriosklerotischer Basis beruht, ferner die D e j er ine’ sehe
Form und schließlich die Oppenheimsche gutartige Form. Für alle
Gruppen empfiehlt er eine Regelung des hygienisch diätetischen Ver¬
haltens. Für die Oppenheim sche Form hält er Halbbäder und schot¬
tische Duschen, sowie Kohlensäure- und Sauerstoffbäder, galvanische
Teilbäder und Übungskuren für indiziert. Für die D e j erine’sche Form
empfiehlt er die Schmierkur und für die Charco t-Erb’sche Form eine
Allgemeinbehandlung der Arteriosklerose.
Häb er l ein- Wyk a. Föhr spricht über „die Kinderseehospize
Europas und ihre Besultate“. Vortr. berichtet, daß die Seekur seit über
100 Jahren systematisch benutzt wird bei Skrofulöse, Tuberkulose,
Anämie und Katarrhen. Die Besultate sind sehr günstige, besonders
in Frankreich, dessen Seehospizwesen am meisten entwickelt ist. Die
schlechtesten Besultate erzielen Deutschland und Italien und zwar
deshalb, weil bei ihnen die Durchschnittskur eine zu kurze ist (4 bis
6 Wochen), während in Frankreich die Durchschnittskur 400 — 500 Tage
beträgt. Vortr. gibt einen Überblick über die Seehospize in den einzelnen
Staaten und zeigt dabei, daß Deutschland eine untergeordnete Bolle
in dem ganzen Seehospizwesen einnimmt, deshalb empfiehlt er, daß
sich die Städte und andere Verbände mehr für das Seehospizwesen
interessierten.
574
Max Hirsch, Der 80. Baineologenkongreß in Berlin.
I mm el mann -Berlin spricht über ,,die Behandlung der Gelenk¬
steifigkeit mittels Bier’seher und T y r r n au e r’ scher Apparate“. Vortr.
ist der Ansicht, daß die Behandlung der Gelenksteifigkeiten mit den
genannten Apparaten gute Erfolge erzielen läßt, er weiß aber die Be¬
deutung der Röntgenuntersuchungen nicht zu unterschätzen. Handelt
es sich bei den Gelenken um eine knöcherne Ankylose, dann wird die
genannte Therapie nutzlos sein, dagegen bei bindegewebiger Ankylose
gute Erfolge zeigen. Yortr. demonstrierte die Tyrrnaueir’schen Appa¬
rate und hebt ihre Vorzüge hervor, ebenso auch die Bier’schen Appa¬
rate. Zum Schluß hebt er die Bedeutung der Massage und Gymnastik
hervor.
Hir sch-Kudowa bespricht „die Balneotherapie im Kindesalter“.
Yortr. geht von dem Gedanken aus, daß die Balneotherapie in der
Kinderheilkunde noch zu wenig Beachtung findet. Nur auf dem Gebiete
der Sol- und Seebäder werde wissenschaftlich und praktisch gearbeitet.
Yortr. gibt dann einen Überblick darüber, in welchen anderen Gruppen
von Bädern sich Kinderheilkunde und Balneotherapie zusammenfinden.
Besonders weist er auf die Stahlbäder, alkalischen Quellen, Moorbäder
und das Höhenklima hin. Die Ursache für diese ungenügende Berück¬
sichtigung der Balneotherapie im Kindesalter sieht Vortr. in wirt¬
schaftlichen Verhältnissen der Bäder. Er spricht zum Schluß die
Hoffnung aus, daß ebenso wie die Seeheilstätten, nachdem sie nur in
Angriff genommen wurden, esl zu einer großen Bedeutung gebracht haben,
auch nur das Interesse: für die Balneotherapie im Kindesalter geweckt
werden braucht, um die Segnungen der Bäder auch den Kindern zugute
kommen zu lassen, zumal wir ja in dem „Jahrhundert des Kindes“ leben.
Boro den ko -Charkow trägt seine „Untersuchungen zur physio¬
logischen Wirkung kaukasischer Mineralwässer auf die Verdauungs¬
organe“ vor. Die Untersuchungen Borodenkos unter Bickels Leitung
ergaben, daß die Mineralwässer, welche die Magensekretion unter¬
drücken, dieselbe Wirkung auf die Sekretion des Pankreas ausüben,
da beide Organe im engsten Zusammenhänge miteinander stehen. Wenn
man im Organismus in bezug auf den Alkaligehalt eine künstliche Er¬
schöpfung herbeiführt, so tritt ein Moment ein, in welchem das Pankreas
und sein gewöhnlicher Erreger, die Salzsäure, zu reagieren aufhört,
wenn man jetzt alkalische Mineralwässer einführt, beginnt das Pankreas
normal zu funktionieren. Ebenso ist das Verhältnis der Magensekretion
bei Kochsalzentziehung und späteren Zuführung von Kochsalzwässern.
In der Diskussion hebt Meyer -Kis singen hervor, daß die Geschwin¬
digkeit der Verweilung vom Trinkwasser im Magen eine geringere sei
als bei den Kochsalzwässern Kissingens. Er sieht in der längeren Ver¬
weildauer der salzhaltigen Lösung eine Schutzvorrichtung des Orga¬
nismus.
Weidenbaum-Neuenahr machte „Mitteilungen über das deutsche
Eango aus der vulkanischen Eifel“. Diese Substanz sei radioaktiv,
weiche von dem italienischen Eango in der Zusammensetzung zwar
ab, aber verhalte sich sowohl physiologisch wie auch therapeutisch
genau so wie jenes.
Einen Tag vor Beginn des Kongresses fand die Führung durch
das pathologische Museum durch Prof. Dr. Beitzke statt, die gro߬
artige Sammlung, welche wohl in der ganzen Welt nicht ihres gleichen
aufzuweisen hat und die allgemeine Bewunderung hervorrief. An diese
Führung schloß sich ein kurzer Besuch der experimentell-biologischen
Referate und Besprechungen.
575
Abteilung des pathol. Instituts an, die unter Leitung von Prof. Dr.
Bickel steht und den modernsten Zweig der medizinischen wissen¬
schaftlichen Forschung darstellt. Darauf fand eine Demonstration der
Bi ersehen Hyperämiebehandlung und anderer neuerer physikalischer
Maßnahmen in der chirurgischen Universitätsklinik durch Prof. Dr.
Klapp statt. In einem längeren Vortrag setzte Prof. Klapp aus¬
einander, daß die Beziehungen zwischen der Balneologie und Chirurgie
durch die neueren physikalischen Heilmethoden gegeben sind. Zunächst
besprach er die moderne Skoliosenbehandlung nach der von ihm einge¬
führten Kriechmethode. Die Tatsache, daß Vierfüßler niemals Skoliosen
zeigen, wohl aber Vögel und zwar gerade die domestizierten unter
ihnen, brachte den Vortr. dazu, skoliotische Kinder systematisch kriechen
zu lassen und zwar jedes Kind individuell nach eigenem Rezept, Vortr.
demonstrierte 24 Kinder, die er ihre systematischen Übungen vor¬
nehmen ließ. Die Mobilisierung der Wirbelsäule geht auf diese Weise
am besten vor sich. Die Stabilisierung der Wirbelsäule wird durch
Übungen erreicht, welche dem deutschen Turnen entnommen sind. Diese
Behandlungsmethode der Skoliose ist auf rein physiologischen Grund¬
sätzen aufgebaut. Vortr. empfiehlt sie im Freien vornehmen zu lassen,
da er die allgemeine Kräftigung des Organismus dabei für sehr wichtig
anspricht. Sodann demonstriert Vortr. eine Reihe von Bier’schen Appa¬
raten, welche der Mobilisierung von Gelenken dienen. Die größten
Triumphe erzielt die Bier’ sehe Behandlung bei den Gelenkgonorrhöen.
Sodann demonstriert er die Heißluftkästen, Saugapparate usw. Zuletzt
erörtert Vortr. den Heißluftstrom, der besondere Erfolge bei Residuen
der Entzündungen zeigt und bei dem neben der heißen Luft die Stärke
der Windströmung eine Wirkung ausübt.
Von der geselligen Seite des Kongresses sei der Besuch des Eis¬
palastes hervorgehoben, jener modernsten Stätte des altbeliebten Eis¬
laufsports in Berlin. Der Besuchsabend, an dem gerade der Entschei¬
dungskampf des Hockeyspiels stattfand, war außerordentlich interessant
und ließ die Kunst der elastischen Bewegungen auf dem Eise bewun¬
dern. Einige Momente wurden auch dem Zandersaal des Eispalastes
gewidmet, dessen Zweckmäßigkeit und Eleganz allseitigen Beifall fand.
Der nächste Balneologen-Kongreß wird wiederum in Berlin statt¬
finden und zwar in Verbindung mit der Säkularfeier der Hufe ländi¬
schen Gesellschaft, aus deren Reihen die Baineologische Gesellschaft
hervorgegangen ist. Wir wollen uns hier der angenehmen Hoffnung
hingeben, daß der Kongreß sich weiter entwickeln möge zum Segen
unserer Bäder und zur Ehre der Wissenschaft.
Referate und Besprechungen.
Innere Medizin.
lieber die Tuberkulinbehandlung der Lungentuberkulose.
(F. Kl e mp er er. Ther. der Gegenw., Nr. 2, 1909.)
Klein per er kommt zu dem Schlüsse, daß das Tuberkulin kein erwiesenes
Heilmittel der Tuberkulose ist. Dabei ist er kein prinzipieller Gegner des
Tuberkulins, wendet es vielmehr nicht- selten an, vermeidet aber jede Reaktion,
bleibt also vermutlich unter der Schwelle der Wirksamkeit dieses Arznei! ?)-
gifts. —
Es ist wohl menschlich verzeihlich, wenn jeder sich zu seinen Beobach-
576
Referate und Besprechungen.
tungen eine Theorie, die seinen geistigen Bedürfnissen entspricht, zu bilden
versucht. Das Alttuberkulin ist ein Auszug giftiger Stoffwechselprodukte
der Tuberkelbazillen. Hat davon der Phthisiker nicht schon so viel in sich,
daß sein Bedarf einigermaßen gedeckt ist? Ref. hat alle, die Tuberkulin
spritzen, in V erdacht geheimen Einverständnisses mit der Homöopathie. Was
würde man sagen, wenn einer einem Gichtkranken Harnsäure oder einem
Diabetiker Zucker unter die Haut spritzte?
Zugegeben, daß solche Erwägungen falsch sein können, weil unbekannte
Faktoren außer acht gelassen worden sind. In solchen Fällen, wo Theorie
und Erfahrung einander widersprechen, hat letztere zu entscheiden. Aber
nunmehr nach 20 Jahren müßten doch, wenn wirklich das Tuberkulin ein
Heilmittel wäre, beweisende Erfolge in erdrückender Zahl vorliegen! Wer
sie vorhanden glaubt, der beweist die geistige Anspruchslosigkeit, über die
sich K lern per er in vorliegender Arbeit mit viel Witz lustig macht.
_ F. von den Velden.
Komplikation des Abdominaltyphus mit Gangrän der Extremitäten.
(S. E. Biron. Wiener klin. Wochenschr., Nr. 20, 1908.)
Der Autor beschreibt einen Fall von Gangrän des Unterschenkels in
der 3. Woche eines leichten Typhus bei einem 21jährigen Mädchen und
kommt nach eingehender Würdigung der nicht sehr reichen Literatur zu
dem Schluß, daß die Ursache der Erkrankung in toxischer Endarteritis, er¬
höhter Gerinnbarkeit des Blutes und daraus folgender Thrombenbildung zu
suchen ist. Die Prognose ist nicht ganz ungünstig. E. Oberndörffer.
Typhusbazillen 52 Jahre nach der Erkranknng im Körper.
(Gregg. The med. Rev., 1908. — Gazette med. de Paris, Nr. 26, 1908.)
In einer kleinen, gut geleiteten, hygienisch anscheinend einwands¬
freien Pension kamen 1905 — 1908 sieben Fälle von Typhus vor. Lange
blieb es dunkel, von wem die Ansteckung ausgegangen sein könnte, bis es
jemand einfiel, daß die 74 jährige Wirtin als junges Mädchen 1856 Typhus
durchgemacht hätte. Sie hatte dann 1862 geheiratet und 1902 ihren Mann
an Schwindsucht verloren, war während der ganzen Zeit, abgesehen von
gelegentlichen Diarrhöen mit Kopfweh, stets gesund gewesen. Seit 1902
besorgte sie die Küche.
Man goß sofort Conradi-Drigalki-Platten von ihr, und da wuchsen
denn auch Kulturen, welche alle Eigenschaften des sog. Typhusbazillus darboten.
Die Ätiologie schien mithin klar gestellt. Ich glaube, daß manch einer dieser
Geschichte skeptisch gegenüber steht und sich an Gregg’s Landsmann, den
genialen Franziscus Glisson, erinnert, der in der Vorrede zu seinem be¬
rühmten Tractatus de natura substantiae energetica MDCLXXII sagt: ,,Qui
uni objecto valde inten tus est idque praesertim quasi ecstatice contemplatur,
alia simul externis organis obvia non sentit. Similiter in somnis oiünes
sensus externi otiantur“. Buttersack (Berlin).
Ueber die Serumbehandlung des Milzbrandes beim Menschen.
(A. Läwen, Leipzig. Deutsche Zeitschr. für Chir., Bd. 95, H. 6.)
Sclavo-Rom hat 1895 Versuche einer passiven Immunisierung von
Tieren gegen Milzbrand, 1897 die ersten Injektionen beim Menschen mit
günstigem Erfolg ausgeführt. Verf. berichtet über 7 Fälle der Leipziger
Klinik, welche mit dem von Merck in den Handel gebrachten, durch kombi¬
nierte aktive und passive Immunisierung von Pferden, Rindern und Schafen
hergestellten Sobernheim’schen M’ilzbrandserum behandelt wurden. Drei Fälle
endeten letal. Das Ödem nahm, abgesehen von diesen beiden zum Tode führenden
Fällen, nach der Injektion ab. In der Regel folgte auf die Einspritzung zunächst
ein Anstieg; dann folgte ein starker Abfall, welchen man freilich auch ah und
zu bei nicht spezifisch behandelten Fällen sieht. Über die Beeinflussung
der Störungen des Sensoriums waren sichere Beobachtungen nicht zu erheben.
Referate und Besprechungen. •
577
Eine rasche Einwirkung auf den Gesamtverlauf der Erkrankung, wie sie
in der Literatur mehrfach berichtet wird, wurde nicht gesehen, doch war in
Übereinstimmung mit früheren Mitteilungen eine schädigende Wirkung mit
Sicherheit auszuschließen.
Wenn daher ein abschließendes Urteil über den Wert der spezifischen
Behandlung auf Grund der bisherigen Beobachtungen der Klinik nicht mög¬
lich ist, so darf die Therapie doch um so mehr empfohlen werden, als nach
der von Sela vo und Men de z gegebenen Berechnung die Mortalitätsziffer
auf 5 — 6% herabgesetzt ist. Beim Erwachsenen sind etwa 30 — 40 ccm des
Sobernheim’sehen Serums intravenös zu injizieren; die Injektion, welcher
in den nächsten Tagen subkutane Injektionen kleinerer Serummengen folgen,
kann, wenn erforderlich, am gleichen oder folgenden Tage wiederholt werden.
_ F. Kayser (Köln).
Die Differentialdiagnose des Erysipels.
(Milian, Paris. Progr. med., Nr. 30, 1908. — Allg. Wiener mecl. Ztg., Nr. 35, 1908.)
Das Erysipel wird häufig verwechselt mit akutem Ekzem, artefizieller
Dermatitis, Herpes zoster ophth., von den Zähnen ausgehenden Entzündungs-
zuständen, Dakrocystitis, Mumps usw. Der meist als charakteristisches
Zeichen erklärte Erysipelrand ist oft nicht vorhanden, dagegen konnte Milian
als Leiter der Erysipelabteilung im Spital der Bastion 29 drei konstante,
absolut pathognomonische Kennzeichen feststellen, die in zweifelhaften Fällen
gute Dienste leisten. Er bezeichnet sie als:
1. Das Kennzeichen des zentrifugalen Maximums. Im Gegen¬
satz zu anderen entzündlichen Affektionen befindet sich das Maximum der
Schwellung, Rötung und Schmerzhaftigkeit nicht im Zentrum, sondern an
der Peripherie lokalisiert (eine Ausnahme bildet das Augenlid, das beim
„zentrifugalen Absehätzen“ nicht in Betracht gezogen werden darf).
2. Das Kennzeichen des Mi tergrif' f enseins der Ohrmuschel.
Während Abszesse, Phlegmone, Parotiticlen an der Ohrmuschel halt machen,
weil ihr das subkutane Zellgewebe fehlt, greift das Erysipel als Dermatitis
auf sie über.
3. Das Kennzeichen der Druckempfindlichkeit. Es muß nach
M. mehr als bisher beachtet werden. Dank demselben kann man z. B. immer
die Grenze des Erysipels auf der behaarten Kopfhaut, wo es unsichtbar ist,
genau abtasten. Druckempfindlichkeit fehlt bei Ekzem, Herpes zoster ophthal-
micus, Parotitis, sie ist bei Parulis, Dakryocystitis nur im Zentrum der
Affektion vorhanden, während sie bei Erysipel überall, besonders aber an der
Peripherie konstatiert werden kann. Esch.
lieber das Verhalten der Bordefschen Reaktion bei Variola.
(Dr. Beintker. Zentralbl. für Bakt., Bd. 48, II. 4, 1909.)
Das Resultat seiner Unter suchüngen läßt sich kurz dahin zusammen¬
fassen, daß die Kuhpockenlymphe sich gegen das Serum eines Variola infi¬
zierten Menschen und eines mit Pockenorganextrakt immunisierten Kanin¬
chens wie ein Antigen verhält. Die Kontrollen mit Normalserum haben
stets ein negatives Resultat ergeben. Es fragt sich1, ob diese Methode der
Komplementbindung auch als differentialdiagnostisches Mittel bei pocken¬
verdächtigen Fällen angewandt werden könnte. Die Methode hat ihre Vor¬
züge, da die Lymphe weit leichter als der Organextrakt zu beschaffen ist.
_ Schürmann (Düsseldorf).
Contribution au traitement du mal de mer.
(Dr. Vandaele. Les nouveaux remedes, Nr. 2, 1909.)
Man unterscheidet 2 Formen: die psychische und die. somatische oder
wirkliche Naupathie. Eine genaue Abgrenzung ist oft recht schwer. Finden
wir einen Anfall bei ruhiger See, so haben wir es meist mit der 1. Form
zu tun, ebenso bei recht stürmischem Verlaufe des Krankheitsbildes, wobei
37
578
Referate und Besprechungen.
dann meist das alte Sprichwort, gestrenge Herren regieren nicht lange, recht
voll zum Ausdruck kommt. Als bestes Mittel hat sich das Validol bewährte
Hinsichtlich der therapeutischen Aktion sind 3 Gesichtspunkte zu verfolgen :
1. Vermehrung des arteriellen Druckes, 2. Verminderung der zentralen ner¬
vösen Reizung und 3. analgetische Einwirkung auf die Magennerven. Das
beste Mittel ist die Hypnose und da dies meist nicht zur Verfügung steht,
ist man auf die Methode der indirekten Suggestion unter Hilfenahme des
Validol angewiesen. Man läßt den Kranken mit gebeugten Knien, tiefliegen¬
dem Kopf am besten auf der rechten Seite liegen, um Magen und Herz
nicht zu behindern, und verbietet jede Bewegung. Dann lenkt man ihn zu¬
nächst durch eine nicht ermüdende Unterhaltung ab, die in erster Linie
die Anamnese (eventuell neuropathise'he Anlage) feststellt und dann allge¬
meiner Natur wird, gibt dann auf einigen kleinen Stückchen Zucker oder
Biskuit 7 Tropfen Validol mehrmals in 20 — 25 Minuten langen Pausen, ohne
jedoch dem Kranken das Medikament in die Hand zu geben; entfernt sich in
den Zwischenpausen ein paarmal, ihn intensiv auf die rasche und ausgiebige
Wirkung des Validols hinweisend. Man gibt dem Kranken ruhig zu essen
naeh seinem Geschmack, feste Nahrung, verbietet aber jedes Getränk, oder
wenn dies nicht zu machen ist, verabreicht man Eis, Kaffee oder Champagner
löffelweise. Gewöhnlich pflegt der Kranke nach der Mahlzeit einige Stunden
zu schlafen. Dem Schwindel, namentlich bei der Vornahme der Toilette,
begegnet man am besten, indem man den Kranken sich wieder in kleinen
Pausen hinlegen läßt, während er schließlich dabei seine Toilette vollendet.
Sobald nun eine Besserung erreicht ist, läßt man den Patienten auf Deck,
auf seinen Stuhl, wo er zunächst die Augen einige Zeit geschlossen hält.
Verf. ist nicht für die Spaziergänge auf Deck gleich nach dem Essen. Bei
Schlaflosigkeit gibt man 1,0 Sulfonat, außerdem ist eine etwaige Konstipation
zu bekämpfen.
Was die somatische Neupathie anlangt, so ist dieselbe im wesentlichen
nach der herrschenden Anschauung eine Reizung des plexus solaris, besonders
der semilunären Ganglien. Meist ist sie mit der ersteren kombiniert.
Erreicht man auf die angegebene Weise keine Besserung, so legt man
den Kranken ins Bett, appliziert auf die Magengrube einen Wattebausch und
umgürtet den Bauch fest mit einem Handtuch. Erreicht man auch damit
keine Besserung, so verabreicht man alle 1/2 Stunden anfangs folgende Arznei
kaffeelöffelweise: Morph, mur., Cocain, mur. ää 0,1, Chloroform Gtt V,
Aq. dest. 100,0. v. Sehnizer (Danzig). .
Chirurgie.
lieber Stauungsblutungen nach Kompression des Rumpfes.
(E. Ruppanner. Korrespondenzbl. für Schweizer Ärzte, Nr. 2, 1909.)
Mitteilung von vier Fällen, welche die bekannten Ekchymosen des Kopfs
und der Brust, der Konjunktiven und teilweise der Trommelfelle, zyanotisches
und gedunsenes Gesicht aufwiesen. Als ungewöhnlicher Befund kam bei
zwei Frauen, die bei Gelegenheit einer Panik gequetscht worden waren,
Verwirrtheit und Amnesie; Jaktation und Schreien hinzu. Zum typischen
Befunde gehört noch, daß die Ekchymosen nicht druckempfindlich sind und
schon durch kaum drückende Kleidungsstücke an der Entstehung verhindert
werden; so hatte einer der Verunglückten, der, als sein Leib von einem
Straßenbahnwagen eingeklemmt wurde, das Hemd an der Brust offen trug,
eine dem unbedrückten Brustteil entsprechende dreieckige Ekchymose.
Die Frage, warum die Ekchymosen nur an der obern Körperhälfte auf-
treten, führt R. in Anlehnung an Vorgänger darauf zurück, daß beim Menschen
in der Regel die oberhalb des Herzens gelegenen Venen keine schlußfähigen
Klappen besitzen, da die Rückstauung des Blutes durch die Schwere hin¬
reichend verhindert wird. Infolgedessen wird das Blut nur in die obere
Körperhälfte eingepreßt.
Referate und Besprechungen.
579
Praktische Wichtigkeit hat die Bekanntschaft mit den Kompressions¬
blutungen wegen der möglichen Verwechslung mit Strangulation (scharfe
Grenze am Halskragen), mit Zyanose infolge von Glottisverschluß und, in
dem Falle, daß Blutung aus Nase und Ohr damit verbunden ist, mit Frakturen
der Schädelbasis. F. von den Velden.
Beitrag zur Chirurgie des unteren Ösophagusschnitts.
(O. Hildebrand, Berlin. Berliner klin. Wochenschr., Nr. 12, 1908.)
Durch Verwendung der Ösophagoskopie und der Röntgenographie hat
die Diagnostik der Krankheiten des Ösophagus zweifellos große Fortschritte
gemacht, während jedoch die Therapie nicht gleichen Schritt gehalten hat.
Am Hals- und oberen Brustteil des Ösophagus sind Divertikel und Karzinome,
wenn auch die Todesfälle nach der Operation nicht gering sind, mit Erfolg
operiert worden. Größer sind die Schwierigkeiten am Brustteil des Öso¬
phagus. Bei rundlichen hochsitzenden Fremdkörpern wird man mit der
Gastrotomie zum Ziele kommen. Handelt es sich dagegen um Fremdkörper,
die sich schon längere Zeit im Ösophagus befinden oder mit Haken und
Spitzen festsitzen, ist die Ösophaguswand verdünnt oder sogar schon per¬
foriert, so wird eine Extraktion nur möglich sein, wenn man Ösophagotomie
und Gastrotomie ausführt und bimanuell vorgeht. Dann wird es gelingen,
den Fremdkörper von einem hoch und kardialwärts in der Vorder wand des
Magens angelegten Schnitte aus in die von oben eingeführte Zange hinein¬
zuschieben. Sitzt der Fremdkörper fest und eingekeilt in einer Nebenhöhle,
so kann eine Entfernung nur nach Zerkleinerung des Fremdkörpers (durch
Durchglühen nach Killian und Mikulicz oder Zertrümmerung mit der
Zange) erfolgen. Nur ausnahmsweise wird es notwendig sein, den von Forgue,
Henle, Enderlen angewandten thorakalen Weg einzuschlagen. Unter allen
Umständen aber empfiehlt Hildebrand durch eine Gastrotomie dem Magen
die Nahrung direkt zuzufuhren, um den Ösophagus ruhig zu stellen und
so weit wie möglich vor Infektion zu bewahren. Wenn nicht schon Phlegmone,
Gangrän oder Perforation vorhanden sind, gelingt es so, selbst Fälle von
außerordentlich lange Zeit festsitzenden Fremdkörpern zur Heilung zu bringen.
Beim Karzinom des unteren Ösophagus liegen die Verhältnisse noch
viel ungünstiger. Schon bei dem Karzinom des Halsteils des Ösophagus
erreicht man nur selten ein Dauerresultat, weil die Krebswucherung meist
den Ösophagus schon überschritten hat und infolge der anatomischen Ver¬
hältnisse eine weiter ausgedehnte Operation nicht möglich ist. Die Anatomie
des Ösophagus im Thorax zeigt, wie gering die Aussichten auf einen Erfolg
sind, zumal eine wirklich radikale Operation nicht vorgenommen werden kann.
Nach Hildebrand’s Ansicht leistet die Gastrotomie für das Leben des
Patienten viel mehr als die Resektion des Ösophagus.
Carl Grünbaum (Berlin).
lieber die chirurgische Behandlung des Magengeschwürs und seiner
Folgezustände.
(H. Ito u. Y. Soyesima, Kyoto (Japan). Deutsche Zeitschr. für Chir., Bd. 95, H. 5.)
Die Arbeit berichtet über 21 Fälle, bei denen wegen einer nach Ulcus
ventriculi zurückgebliebenen Pylorusstenose die Gastroenterostomie ausgeführt
war. Sämtliche Fälle sind geheilt bezw. gebessert entlassen worden; auch
die Spätresultate sind befriedigende. Trotzdem warnen die Verf. im Gegen¬
satz zu der jetzt vertretenen Ansicht, daß die Gastroenterostomie die Rolle
des souveränen chirurgischen Mittels beim Ulcus ventriculi darstelle, wegen
der Gefahr des Auftretens eines peptischen Geschwürs vor der generellen
Anwendung des Verfahrens. Ihre Grundsätze sind folgende: Bei Verdacht
aul Karzinom Ausführung der Resektion; in allen anderen Fällen ist die
Gastroenterostomie erst dann vorzunehmen, wenn die laterale Gastroduodeno-
stomie bezw. die modifizierte Pyloroplastik nicht ausführbar ist.
F. Kayser (Köln).
37*
580
Referate und Besprechungen.
Gibt es objektive Gründe, die uns veranlassen können, Blinddarmkranke
nach Operationen in fieberfreiem Intervall frühzeitig aufstehen zu lassen?
(Dr. Mönch, Hamburg. Deutsche med. Wochenschr., Nr. 86, 1908.)
Mönch hat bemerkt, daß bei Blinddarmkranken, die im fieberfreien
Intervall operiert wurden und dann zwei bis drei Wochen zu Bett lagen,
die Abendtemperatur im After bei gutem Puls und gutem Allgemeinbefinden
oft noch 38°, ja 38,5° betrug, ohne daß von irgend einer entzündlichen
Reizung des Bauchfells oder der Wunde die Rede sein konnte. Diese erhöhten
Abendtemperaturen verschwanden sofort, wenn die Kranken nach zwei bis
drei Wochen auf standen, und wenn sich demnach die Blutzirkulation erhöhte.
Mönch hat nun nach Kümmels Vorschlag seine im fieberfreien Intervall
operierten Blinddarmkranken schon drei bis fünf Tage nach der Operation
aufstehen lassen und auch danach diiei vorher erhöhte Abendtemperatur im
After heruntergehen sehen. Er nimmt an, daß diese Erhöhung der Abend¬
temperatur im After auf eine vermehrte Blutfülle im Becken zurückzuführen
ist, was bei dem lange vorausgegangenen chronischen Reiz des Blinddarms
ja nicht wunderlich sein dürfte. Bewegen sich die Kranken dann möglichst
bald nach der Operation, so wird die Blut-zirkulation angeregt und die
Abendtemperatur fällt. Mönch glaubt, daß dies! mit dazu dienen könnte,
eine Thrombose und Embolie, die durch eine Blutüberfüllung im Becken
ja sehr nahe liegt, zu verhüten, und glaubt danach Kümmels Vorschlag,
der ja auf ein Herabsetzen der Emboliegefahr hinauslief, unterstützen zu
müssen. — Harting (Leipzig).
Soll der Wurmfortsatz bei gynäkologischen Laparatomien mit
entfernt werden.
(Weißwange. Prager med. Wochenschr., Nr. 3, 1909.).
Auf Grund längerer Beobachtungen, insbesondere aber auf Grund eines
unangenehmen Erlebnisses in einem besonderen Fall, in welchem bei einer
wegen eitriger Adnexerkrankung laparotomierten Frau der gesund erscheinende
Wurmfortsatz zurückgelassen war, der nachträglich aber die unangenehmsten
Komplikationen verursachte, proklamiert Weiß wange folgenden Standpunkt
in der Frage: der Wurmfortsatz ist, auch wenn er makroskopisch keine Ver¬
änderung zeigt, bei allen gynäkologischen Laparotomien grundsätzlich mit
zu entfernen, sofern in dem Allgemeinzustand der Kranken oder in sonstigen
Gründen keine Gegenanzeige liegt. — Es ist makroskopisch nicht festzustellen,
weder durch Inspektion, nocih durch Palpation, ob ein Proc. vermif. gesund
ist. — In der durch die Entfernung der Appendix bedingten Verlängerung
der Operation dürfte nur ausnahmsweise ein Hinderungsgrund zur Ausführung
liegen. R. Stüve (Osnabrück).
Milz-Anämie, Splenektomie, Genesung. Mit 7 Jahre langen Blutstudien.
(Dr. Morris J. Lewis. The americ. journ. öf the med. seien c„, August 1908,
S. 157—172.)
Das Interessanteste an dem Fall ist, daß der Kranke 4 Jahre vor und
3 Jahre nach der Operation beobachtet werden konnte, daß während dieser
langen Zeit von 7 Jahren zahlreiche Blutuntersuchungen von einem und
demselben Dr. W. Es toll Lee, Chefarzt am Pennsylviana-Hospital in Phila¬
delphia, gemacht wurden, und daß er nicht nur nach einer auf die Annahme
eines Magen- oder Darmgeschwürs hin unternommenen Gastroenterostomie,
sondern auch nach totaler Splenektomie vollkommen genas und sich nach
dieser so wohl fühlt wie nie zuvor, ohne Ermüdung sehr tätig sein kann,
z. B. schwimmt, an Gewicht zugenommen und zu keiner Zeit irgend welche
Pigmentierung der Haut oder Vergrößerung der Schilddrüse oder der
Lymphdrüsen gezeigt hat. Unternommen wurde die Splenektomie wegen
enormer, nicht auf Malaria beruhender Vergrößerung des Organs, und Blu¬
tungen. Die Untersuchung des entfernten Organs ergab chronische Peri¬
splenitis und interstitielle Splenitis. Mehrere, die Resultate der Blutunter-
Referate und Besprechungen.
581
suchungen darstellende Tafeln, sowie eine Photographie der Milz und ein
mikroskopisches Bild sind beigefügt. Der Fall ist derselbe, den Dr. Gr. E.
Armstrong-Montreal und Dr. Gaston Forr ance- Birmingham-Alabama als
erfolgreiche Splenektomie veröffentlicht haben. Peltzer.
Über einen neuen Weg, Lokalanaesthesie an den Gliedmaßen zu erzeugen.
(Prof. Aug. Bier. Arch. für klin. Chir., Bd. 86, H. 4, 1908.)
Mit dem Verfahren können sämtliche Operationen an den Gliedmaßen,
die sich unter künstlicher Blutleere vornehmen lassen, schmerzlos ausgeführt
werden. Bier hat am Menschen Gelenkresektionen, Sehnentransplantationen
und ausgedehnte Nekrotomien gemacht.
Um das anästhesierende Mittel den Nervenendapparaten und Nerven-
stämmen zuzuführen, benutzt er den Weg der Blutbahn; also keine Leitungs-,
keine Infiltrationsanästhesie.
Die Technik ist einfach : Die Gefäße des zu anästhesierenden Gebietes
werden durch Umwickeln des Gliedes von der Peripherie her möglichst blut¬
leer gemacht; dann wird zunächst etwas oberhalb des Operationsfeldes die
betreffende Extremität abgebunden; Bier legt Wert darauf, eine weiche,
dünne Gummibinde zu verwenden, um nicht durch den Druck des Schlauches
überflüssige Schmerzen hervorzurufen. In gleicher Weise wird unterhalb
des Operationsfeldes abgebunden. Zwischen beiden Binden wird eine ober¬
flächliche, nicht zu kleine Vene freigelegt (am Bein die vena saph. magna,
am Arm die vena cephal., basil. oder med. cubiti). Das zentrale Ende der
Vene wird unterbunden, in das periphere mittels gut befestigter Metall¬
kanüle das Anästhetikum eingespritzt. Zur Erzeugung einer Analgesie ge¬
nügen 100 — 150 ccm einer 0,25% Novokainlösung; ist bei ängstlichen Patienten
vollkommene Anästhesie unumgänglich, so nimmt man 40 — 80 ccm einer
0,5% Lösung. Das Mittel muß zur Vermeidung von Gewebsschädigungen in
physiol. Kochsalzlösung aufgelöst sein; Nebennierenpräparate sollen nicht
zugesetzt werden, um die schmerzauf heben de Wirkung nicht unnötig zu ver¬
längern. Meist tritt die Gefühlslähmung unter Weißerwerden der Haut
sofort ein.
Die Gefahr der Novokainvergiftung ist nicht zu befürchten; denn ein¬
mal wird das Mittel sehr verdünnt gebraucht, zum anderen werden die
Operationen unter Blutleere ausgeführt und dadurch ein großer Teil des
Giftes gebunden; endlich läuft das meiste der verwandten Menge vor Ent¬
fernung der künstlichen Blutleere aus der Operationswunde ab. Ernstere
Begleit- oder Nacherscheinungen hat Bier bis jetzt nicht erlebt; eventl.
empfiehlt er, die Injektionskanüle bis zum Schluß der Operation liegen zu
lassen und durch sie vor Abnahme der abschnürenden Binde das ganze Ge¬
fäßsystem des operierten Gliedes mit physiologischer Kochsalzlösung iaus-
zuspritzen. Lemmen.
Chirurgische Indikationen für den Gebrauch der Jodtinktur.
(Dr. Chas. C. Allison, Omaha. The St. Paul med. journ., Nr. 8, S. 464.)
Verf. empfiehlt dringend die Anwendung der (C hu r eh il t’sehen) Jod¬
tinktur bei Tuberkulose der Faszien und den so häufigen Verletzungen in
der Industrie mit Quetschung und Zerreißungen von Weichteilen, wo die
Möglichkeit besteht, daß Schmutz in die Wunde gelangt ist, ferner bei Stich-
und Explosivwunden. Freilegen und Exzision tuberkulöser Faszien sei frei¬
lich das Richtige, immerhin blieben einige Bezirke verdächtiger Gewebe
zwischen den Muskeln usw. übrig, die geschwollen sind und die man nicht
entfernt. Gerade hier sei die Jodtinktur, die Verf. bisher stets mit gutem
Erfolge (abgesehen von einige Male mild aufgetretenem Jodismus ohne Nach¬
teil) angewendet sah, von großem Wert. Die Wunden müssen natürlich
gut gereinigt und namentlich auf die Anwesenheit von Fremdkörpern unter¬
sucht werden, dann aber sei die Jodtinktur ein sicheres Schutzmittel gegen
die Infektion mit anaeroben Keimen. Peltzer.
582
Referate und Besprechungen.
Desinfektion der Hände und der Haut mittels JodtetrachlorkohlenstotF
und Dermagummit.
(Wederhake. Med. Klinik, Nr. 34, 1908.)
Das Dermagummit stellt eine Lösung von bestem Parakautschuk in
Tetrachlorkohlenstoff (chemisch = Benzinoform, aber wesentlich billiger als
dieses), (4 g Parak. in 100 Tetrachlork.), dar, dem dann ebensoviel einer
Jodlösung (0,4 Jod pur. : 100 Tetrachlorkohlenstoff) zugefügt werden. Nach
einiger Zeit entsteht eine dünnflüssige, gut sterilisierbare — die Lösung ist
übrigens an sich steril und wird steril von der Fabrik (Dr. Degen & Kuth
in Düren, Rheinland) geliefert — Flüssigkeit, die auf der Haut einen feinen,
durchaus haltbaren Gummiüberzug beim Verdunsten hinterläßt. Der Über¬
zug kann nach der Operation mit einem in Tetrachlorkohlenstoff getränktem
Tupfer leicht entfernt werden. Dem Aufträge der Dermagummitlösung voran
geht eine Reinigung der Hand mit steriler Bürste in Jodtetrachlorkohlenstoff
während drei Minuten. — Seine Beobachtungen faßt Wederhake dahin
zusammen, daß die Jodtetrachlorkohlenstoff-Dermagummit-Desinfektion sich
ihm im Laboratorium, in der Klinik und in der Praxis auch unter den
schwierigsten Verhältnissen in jeder Hinsicht so bewährt habe, daß sie dem
Praktiker empfohlen werden kann. Sie gibt die besten Resultate, ist leicht aus¬
zuführen, schädigt die Haut nicht und der Preis der zu verwendenden Sub¬
stanzen ist gering; sie erfordert kein warmes Wasser und ist überall leicht
ausführbar. — Dermagummit ist in den Apotheken erhältlich. — Hinsichtlich
weiterer Einzelheiten sei auf das Original verwiesen.
R. Stüve (Osnabrück).
Ohrenheilkunde.
Die Feststellung verschiedener Nystagmus-Typen mittels graphischer
Registrierung.
(Dr. Wojatschok, St. Petersburg. Praktitscheski Wratsch, Nr. 22 u. 24, 1908.)
Bäräny’s Forschungen über Labyrinth-Nystagmus regten den Verfasser
an, zum Zwecke genaueren Studiums eine exakte Methode der Gewinnung von
Nystagmus-Kurven auszuarbeiten. Der hierzu ersonnene „Nystagmophoto-
graph“ wurde im Oktober 1907 in der Gesellschaft der Kehlkopf-, Nasen- und
Ohrenärzte zu St. Petersburg demonstriert. Die Aufnahme der Kurven
geschieht etwa in folgender Weise. Über dem geschlossenen Auge des zu
Untersuchenden wird ein kleines, ungemein leichtes Spiegelchen befestigt.
Der Kopf wird nach einem besonderen Verfahren am Apparate’ in
völligste Ruhestellung gebracht. Während der Patient einen bestimmten
Punkt fixiert, fällt auf das Spiegelchen das Licht einer (lOOkerzigen) Nernst-
Lampe, nachdem es eine mit Sammellinsen versehene Röhre passiert hat und
durch einen Vertikalspalt ausgetreten ist, und wird auf eine mit licht¬
empfindlichem Papier beschickte Trommel reflektiert, und zwar durch einen
zur Trommelachse parallelen Horizontalspalt des Trommelgehäuses. Die
Kreuzungsstelle des in vertikaler Anordnung auftreffenden Lichtbündels mit
der linearen, durch den Horizontalspalt freigelassenen Zone des lichtempfind¬
lichen Papiers bildet sich auf diesem letzteren als dunkler Punkt ab, und
die Gesamtheit der Punkte, die solcherart auf der rotierenden Trommel
entstehen, stellt die Kurve der Nystagmusbewegungen dar, allerdings bloß
der horizontalen, wie leicht einzusehen. Die Aufnahmen finden natürlich im
Dunkeln statt. Die weitere Behandlung der Kurven geschieht nach den
Regeln der photographischen Technik. — Die geschilderte Methode übt W.
seit einiger Zeit an der Ohrenklinik der militärärztlichen Akademie in
St. Petersburg, und seine Untersuchungen ergaben im wesentlichen eine Be¬
stätigung der Bäräny’schen Behauptung, wonach die Augenschwingungen
des Labyrinth-Nystagmus durch ihr „rhythmisches“ Verhalten charakterisiert
seien gegenüber den „undulierenden“ Bewegungen bei Nystagmus anderer
Referate und Besprechungen.
583
Herkunft. W. untersuchte beide Arten des Labyrinth-Nystagmus, den künst¬
lich erregten (1. durch Drehung, 2. durch Kalorisation, d. h. thermische
Reizung des äußeren Gehörganges, 3. durch Luftverdichtung daselbst) und den
ohne künstliche Beeinflussung vorhandenen, „spontanen“, der nach Opera¬
tionen, im einen Falle durch Zerstörung eines Bogenganges, im anderen, nach
Annahme des Autors, durch bloße mechanische Reizung des Labyrinths
zurückgeblieben war. In sämtlichen Fällen zeigten die Kurven „rhythmischen“
Charakter: eine Aufeinanderfolge von ungleichschenkligen Wellen, ein Zeichen
dafür, daß eine schnelle Bewegung nach der einen Seite mit einer langsameren
nach der anderen Seite abwechselt. Ein ganz anderes Bild geben die undu¬
lierenden Wellen: auf- und absteigende Schenkel von gleicher Steilheit als
Ausdruck dafür, daß die Geschwindigkeit der Bulbus-Schwankungen nach
beiden Seiten gleich. Kurven von solchem Charakter lieferten die vom Ver¬
dachte der Labyrinth-Erkrankung vollkommen freien Fälle, deren Nystagmus
auf Refraktionsanomalien oder Strabismus beruhte oder ( — 1 Fall — ) als
angeboren betrachtet werden mußte, und deren Ohrenbefund normal war.
Wohl kamen auch 2 Augenfälle zur Beobachtung, deren Kurven an die des
Labyrinth-Nystagmus erinnerten; aber jedesmal fanden sich zwischen un-
gleichschenkeligen Wellen Undulationen in bemerkenswerter Zahl. So ge¬
langt W. zu dem Ergebnis!: In zweifelhaften Fällen spricht die Nystagmus-
Kurve nur dann für Labyrinth-Erkrankung, wenn ihre Beschaffenheit durch¬
aus rhythmisch. Undulierender Charakter jedoch spricht gegen Labyrinth-
Erkrankung selbst dann, wenn zwischen den undulierenden Wellen einzelne
ungleichschenklige Vorkommen. Brecher (Meran-Gas tein).
Der künstliche Nystagmus beim Gesunden.
(Pietri u. Maupetit. Rev. hebd. de lar., Nr. 47, 1908.)
Von den Methoden, Labyrinthreizung zu erzeugen, haben Verff. nur
die Rotation und die kalorische Methode geprüft. Luftverdünnung oder
-Verdichtung im Gehörgang ergab nie positive Resultate. Den Drehungs-
Nystagmus prüft man, indem man die Versuchsperson auf einen ‘ Dreh¬
schemel setzt und in 20 Sek. lOmal um sich selbst dreht. Während der Drehung
läßt man die Augen schließen, im Augenblick des Anhaltens öffnen. Man
beobachtet dann Nystagmus in entgegengesetzter Richtung, als die Rotation
erfolgte, und zwar beim Blick geradeaus von 0 — 10 Sek. Dauer, bei seitlicher
Blickrichtung intensiveren Nystagmus von 30 — 40 Sek. Während der Rota¬
tion geht das Gefühl der Drehung allmählich verloren, dann stellt sich gleich¬
sinniger und beim Anhalten entgegengesetzter Schwindel ein.
Den kalorischen Nystagmus ruft man hervor, indem man entweder
kaltes Wasser von 15 — 20° (nach Barany 30°, Ref.) oder warmes Wasser
von 40° in den Gehörgang injiziert. Im ersten Fall ist der Nystagmus in¬
tensiv, dem nicht gespülten Ohr zugewendet und dauert 15 — 20 Sek., bei
Blick zur Seite 50 — 80 Sek. Auch die Begleiterscheinungen sind heftig,
Schwindel, Nausea, oft kalter Schweiß. Bei Injektion warmen Wassers ist
Intensität und Dauer gering, meist ist der N. nur bei Blick zur Seite her¬
vorzurufen ; seine Richtung ist nach dem gespülten Ohre zu.
Beim Kinde ist der Nystagmus heftiger, namentlich beim Säugling,
dessen Gleichgewichtsapparat noch nicht geübt ist. Beim Greis nimmt die
Erregbarkeit ab. Bei Personen, deren Beruf besondere Ansprüche an den
statischen Sinn stellt, fanden Verff. ebenfalls geringere Erregbarkeit; und wo
beruflich vorwiegend Drehung in einer bestimmten Richtung ausgeübt wurde,
so löste die Drehung in dieser Richtung geringeren Nystagmus aus als in
der entgegengesetzten, (so bei Tänzerinnen, Zirkusreitern). — Die Kopf¬
haltung bei der Labyrinthreizung ändert nicht die Richtung des Nystagmus,
kann ihn aber modifizieren, verstärken, auch dem horizontalen N. rotato¬
rischen hinzufügen.
DG Baräny’sche Theorie besagt, daß bei der Drehung der Nystagmus
stets der Ebene der jeweils horizontal gestellten Bogengänge ent-
584
Referate und Besprechungen.
sprechen und daß derjenige Bogengang gereizt werde, in dem die Endolymphe
nach der Ampulle zu fließt; (die Reizung des Arcus der anderen Seite könne
praktisch vernachlässigt werden). Der Nystagmus soll dann nach dem Ohr
gerichtet sein, dem der vorwiegend gereizte Kanal angehört. Bei der kalo¬
rischen Reizung soll die Abkühlung oder Erwärmung ein Steigen oder
Ballen der Flüssigkeitsteilchen bewirken; danach würde der jeweils verti¬
kal gestellte Arcus gereizt, und der Nystagmus sei entgegengesetzt dem
Flüssigkeitsstrom, der ihn hervorrufe. — - Diese Theorie weisen Verff. zurück,
da ihre Versuchsergebnisse durchaus nicht so ausf allen, wie es nach der¬
selben erwartet werden müßte. Die Kopfhaltung müßte einen weit größeren
Einfluß haben.
Die Orientierung des Nystagmus entspricht nicht konstant derjenigen
der Kanäle; diese kann man nicht einzeln studieren. Arth. Meyer.
Behandlung von Schwindel, Ohrensausen und Schwerhörigkeit.
(Tretröp. Rev. hebd. de lar., Nr. 46, 1908.)
Die genannten Symptome bleiben oft nach einer Influenza, einem Trauma
des Ohres, nach langem Bestehen von Ceruminalpfröpfen zurück. Der Sitz
des Leidens ist nicht, wie bei dem ernsteren echten Meniere-Komplex, das
Labyrinth, sondern das Mittelohr. T. empfiehlt, in solchen Fällen den Patien¬
ten auf eine lange, aber endlich erfolgreiche Behandlung vorzubereiten. Zu¬
erst stellt man die Durchgängigkeit der Tube mittelst Katheterismus und
ev. Bougierung mit den von T. empfohlenen Elephantenhaaren her. (Die¬
selben vertragen das Kochen). Dann mobilisiert man Trommelfell und Ge¬
hörknöchelchen mit dem Delstanche’schen Rarefacteur. Derselbe hyper-
ämisiert zugleich die Pauke, wodurch die Resorption von Exsudaten ange¬
bahnt wird, und zerreißt oder dehnt Adhäsionen. Man darf den Delstanche
aber nicht, wie das meist geschieht, dem Pat. in die Hand geben ; Intensität
und Dauer des Gebrauchs sind auszuprobieren (unter Beleuchtung) und all¬
mählich zu steigern. T. wendet den Apparat 4 — -6 Wochen lang 3 mal wöchent¬
lich an, und zwar in 20 Sek. bis 1 Min. dauernden Sitzungen. Die Behand¬
lung wird stets durch Akumetrie kontrolliert. T. berichtet über erfolgreich
behandelte Fälle. Arth. Meyer.
Resultate der konservativen Behandlung der chronischen Otitis.
(Scheibe. Archiv internat. de lar., Bd. 26, Nr. 6.)
Ein objektives Urteil über die Wirksamkeit konservativer Behandlung
erhält man nur durch die Statistik einer genügend großen Zahl von un¬
komplizierten Fällen, in der solche mit zentraler und solche mit rand-
ständiger Perforation gesondert aufgeführt sind. Scheibe hat 750 Fälle
nach Bezold mit direkter Insufflation von Borsäure nach sorgfältiger Aus¬
trocknung mit gebogenen Sonden behandelt. Die Insufflation geschieht mittels
des Paukenröhrchens, selbst die Kleinheit der Öffnung verhindert sie nicht.
Die Knöchelchen werden nicht extrahiert, da ihre sogen. „Karies“ (in Wirk¬
lichkeit nur Substanzdefekte) nicht die Ursache, sondern die Folge der Antrum¬
eiterung sind. Er entfernt die Knöchelchen nur dann, wenn feststeht, daß
die Amboß-Steigbügel-Verbindung getrennt ist, und wenn sonst der Zugang
zum Antrum zu eng wäre. Auch Ätzungen werden nicht in der Nähe des
ovalen Fensters und des Fazialis vorgenommen; nach Extraktion der Chole¬
steatommembranen schwinden die Granulationen von selbst. — Bei diesen
Grundsätzen brauchte nur in 12 von 750 Fällen die Radikaloperation vorge¬
nommen zu werden, weil es nicht gelang, die Fötidität zu unterdrücken.
Von 395 Fällen mit zentraler Perforation gelang esi in 24 (= 6%) nicht,
Heilung zu erreichen, von 350 Fällen mit randständiger Perforation in
34 (== 1 0 1/s °/ o)- Verf. und Bezold betonen, daß sie nie während der Behand¬
lung eine Komplikation eintreten sahen. — Freilich ist die Therapie auf
Erwachsene beschränkt, welche Zeit und Geduld haben. Arth. Meyer (Berlin).
Referate und Besprechungen.
585
Behandlung der Sklerosen des Ohrs durch Elektro-Ionisierung.
(Mal herbe. Archiv internat. de lar., Bd. 26, S. 696.)
Die Therapie der Sklerose ist ein wenig erfreuliches Kapitel; so ist
es nicht verwunderlich, daß alle Hilfsmittel versucht werden. M. führt
verschiedene Medikamente, besonders Pilokarpin, Jodsalze, Chlorzink (1%) usw.
in den Gehörgang ein. Die eine Elektrode wirkt im Gehörgang, die andere
wird entweder indifferent am Bücken befestigt oder in die Tuba Entachii
eingeführt. Der Strom befördert bekanntlich das Hineingelangen der medi¬
kamentösen Ionen in den Organismus. Bei einigen Formen der Sklerose
hat M. bemerkenswerte Erfolge gehabt. Arth. Meyer (Berlin).
Vergiftungen.
Die gewerbliche Vergiftung der Haut durch Morphin und Opium.
(L. Lewin. Med. Klinik, Nr. 43, 1908.)
Das von Lewin erstattete und zur Publikation gebrachte Obergut¬
achten behandelt einen Fall von Schädigung der Haut, der durch Beschäftigung
mit Morphin in der Weise zustande gekommen war, daß ein Arbeiter in einer
chemischen Fabrik an einem bestimmten Tage Tücher zu reinigen gehabt hatte,
durch welche unreines Morphin filtriert worden war. Unmittelbar im An¬
schluß an diese Verrichtung, bei welcher er außerdem mit Salzsäure, Kalk und
Kohle in Berührung gekommen war, erkrankte er an einem akuten Ekzem
beider Hände und Unterarme, das) später in ein chronisches Hautleiden (Derma¬
titis exfoliativa) überging. In ausführlicher Weise wird entgegen den Auf¬
fassungen und Anschauungen der vorbegutachtenden Ärzte der zwingende
Beweis des Kausalnexus geführt, so daß dann das Reichsversicherungsamt
auch einen Betriebsunfall für vorliegend erachtete und der Witwe — der
Kranke war inzwischen gestorben — die Hinterbliebenenrente zusprach. —
L. hält es nicht für ausgeschlossen, sondern im Gegenteil für wahrscheinlich,
daß die krankmachende Wirkung des Morphins auf die Haut im vorliegenden
Falle durch die gleichzeitige Anwesenheit von Salzsäure ausgelöst bezw.
vorbereitet worden ist. Im übrigen sind Hauterkrankungen nach Anwen¬
dung von Morphin, sowohl innerer wie äußerer, bekannt. — Der Fall ist
geradezu ein klassisches Beispiel eines Unfalles durch Gift.
R. Stüve (Osnabrück).
Verkannte chronische CO-Vergiftungen.
(Edg. Hirtz. Bullet, med., S. 35, 1909.)
Dauernde, an sich scheinbar unschädliche Zufuhr minimaler Giftmengen
in ihrer pathogenetischen Bedeutung ist schon oft erörtert worden, und wenn
Hirt z in der Association medicale des höpitaux auf die epidemische Mangel¬
haftigkeit der französischen Heizanlagen als Ursache chronischer Kohlen¬
oxydvergiftung hinwies, so könnte vielleicht manch einer denken, daß wTir
in Deutschland da besser daran seien. Indessen, auch in unseren Häusern
brennt Gas, und auch unsere Kochapparate funktionieren nicht alle tadellos.
Wenn wir also hören, daß namhafte Kliniker Patienten, die mit wenig
ausgesprochenen Krankheitsbildern zu ihnen kamen, die hauptsächlich über
Kopfweh, Kox)fdruck, Schwindel, Unlust zur Arbeit, verlangsamte Leitung,
Schläfrigkeit, oder — in höheren Graden — über Kribbeln, Migräne, Angina
pectoris klagten, als Anämiker oder Neurastheniker behandelt haben, so wird
uns das zu denken geben und mit solchen Diagnosen vorsichtig sein lassen.
Hirtz empfiehlt in solchen Fällen — sie können sich sogar zu Mono- und
Hemiplegien, trophischen und psychischen Störungen steigern — die Feue¬
rung revidieren zu lassen ; der Rat ist gewiß auch für manche Gegenden
Deutschland beherzigenswert. Aber außer dem CO gibt es noch genug
586
Referate und Besprechungen.
andere Gifte, die uns heimtückisch auflauern, und fast scheint es, als ob
trotz der chemischen Stimmung des Zeitgeistes diese chemischen, schleichenden
Intoxikationen noch zu wenig in den Kreis der differentialdiagnostischen
Überlegungen gezogen würden. Buttersack (Berlin).
Über Vergiftung durch Phosphoroxychlorid.
(Th. Rumpf Med. Klinik, Nr. 36, 1908.)
Rumpf berichtet über drei Fälle von /Vergiftung mit Phosphoroxychlorid
(POCl3) und damit über die ersten Kenntnisse der Wirkungen eines neuen
giftigen Gases. Die Vergiftungen waren zu gleicher Zeit in einer chemischen
Fabrik durch Ausströmen jenes Gases zustande gekommen. Die Giftwirkungen
beruhten teils auf der Chlorkomponente, teils auf der Phosphorkomponente
des Gases und betrafen demnach Erscheinungen an den Respirationsorganen
(Atemnot, Bronchitis, Bluthusten) dem Herzen (Arythmie des Pulses, Herz¬
erweiterung (in einem Falle genauer beobachtet), ferner in Schwellung der
Leber und Albuminurie (ohne Zylinder) — Herabsetzung des Hämoglobin¬
gehaltes des Blutes. Die Wirkung des giftigen Gases war in den 3 Fällen,
trotz gleicher Bedingungen des Zustandekommens der Vergiftung und trotz
gleicher Anfangserscheinungen, sowohl hinsichtlich der Beteiligung der ein¬
zelnen Organe und Organsysteme im einzelnen Falle verschieden, als auch
hinsichtlich der Erscheinungen an den einzelnen Organen, die in den 3 Fällen
graduelle Unterschiede zeigten. R. Stüve (Osnabrück).
Pharmakologie und medikamentöse Therapie.
Über ein pharmakologisches Grundgesetz.
(Martin Jacoby, Berlin. Deutsche Zeitschr. für Chir., H. 1—5, Bd. 95.)
(Festschrift für Sonnenburg.)
Wie wirkt ein prompt wirkendes Arzeneimittel, wie z. B. die Salizyl¬
säure ? Man kann sich vorstellen, daß sie entweder die spezifischen Erreger
direkt vernichtet oder daß sie in den Gelenken selbst elektiv wirkt, d. h.,
daß sich die kranken Gelenke gewissermaßen das Heilmittel aus dem
Säftestrom herausholen. Das letztere ist in der Tat der Fall ganz im Gegen¬
satz zu den Beobachtungen am gesunden Individuum, bei dem das Blut
den Lieblingsplatz für die Salizylsäureablagerung abgibt. Es ergibt sich
hieraus die für das Verständnis der Wirkung ausschlaggebende Lehre, daß
ein Arzeneimittel im normalen und erkrankten Organismus eigenen d. h.
besonderen Verteilungsgesetzen folgt. Eine analoge Beobachtung stellt die
Tatsache dar, daß, wenn man ein Auge eines Tieres tuberkulös macht und dem
Tiere Jod zuführt, das Jod sich unter Umständen nur in dem kranken Auge
findet. Der Schluß, daß bei subtiler Ausbildung der Methode derartige
Reaktionen diagnostische Hilfsmittel darstellen können, liegt nahe.
F. Kayser (Köln).
(A.
Gibt es reduzierende Fermente im Tierkörper.
Heffler. Arch. für exper. Pathol. u. Pharmakol. Schmiedeberg-Festschrift,
S. 253, 1908.)
Die in den tierischen Geweben sich abspielenden Reduktions Vorgänge
sind in zwei Gruppen zu teilen. Bei der einen Gruppe werden die Reduktions¬
vorgänge durch Blausäure und durch Erhitzen kaum beeinflußt (H2S-Bildung
aus Schwefel, Reduktion der Arsensäure zu arseniger Säure, Reduktion der
Kakodylsäure, Pikrinsäure und verschiedener Farbstoffe). Diese Reduktionen
werden durch den labilen H der Sulfhydrylgruppen gewisser Eiweißstoffe
der tierischen Gewebe verursacht. Bei der anderen Gruppe (Umwandlung
der Nitrate in Nitrite und des Nitrobenzols in eine Aminoverbindung) wird
der Reduktionsvorgnng durch Blausäure gehemmt und durch Aufkochen völlig
Referate und Besprechungen.
587
aufgehoben. Aus diesen Gründen hat man hier einen Enzym Vorgang ver¬
mutet.
Auf Grund weiterer Versuche an Lungenextrakten führt Heffter den
Nachweis, daß die Reduktion der Nitrate auf demselben Zellbestandteil im
Organextrakt beruht wie die des Nitrobenzols, und daß die Aufhebung durch
das Kochen nur beweist, daß der wirksame Stoff ein Kolloid ist, der bei
höherer Temperatur, sei es durch Koagulation, sei es durch innere Um¬
lagerung, unwirksam wird. Auch die Hemmung des Vorgangs durch Blau¬
säure ist kein zwingender Grund für die Annahme der Enzymnatur, weil
Blausäure kein allgemeines Zellgift ist, sondern nur auf Zymase und Katalase
hemmend wirkt. Blausäure beeinflußt auch sonst reduzierende, sicher nicht
enzymatische Vorgänge hemmend (so die Reduktion der Jodsäure durch
Ameisensäure, Zucker usw).
Der Vorgang der Nitrat- und der Nitrobenzolreduktion dürfte also durch
die Annahme einer autoxydablen kolloiden Substanz in tierischen Geweben
zu erklären sein, die sich auf Kosten des Nitrat-N leicht oxydiert. Da
ferner außer der Blausäure noch Hydroxylamin und Phenylhydrazin diese
Reduktionsvorgänge hemmen, könnte man sich den autoxydablen Stoff als
Aldehyd, etwa als Amino- oder Oxyaldehyd vorstellen, wodurch sowohl der
großen Verwandtschaft zum Sauerstoff als auch der Hemmungswirkung der
genannten drei Gifte Rechnung getragen würde. E. Rost (Berlin).
Direction logique du traitement de la constipation.
(G. Bardet. Bull., general, de Therap., Nr. 1, 1909.)
Burlureaux hat den jetzt üblichen Mißbrauch der Abführmittel eine
soziale Gefahr genannt. Verf. stimmt dem bei, nur mit der Modifikation,
daß das Abführen ein notwendiges Übel ist, und daß das Kapitel ,, Abführ¬
mittel“ einer gründlichen Umarbeitung bedürfe, unter Vorausstellung der
Mittel, die eine physiologische und keine reizende Wirkung aus üben. Das
Wesen der Konstipation ist leicht zu formulieren : einem erregten Magen
entspricht immer ein gelähmter Darm. Damit ist auch für die Laxation
ein Ziel gesteckt. Denn die mehr minder große Lähmung des 'Darms
betrifft hauptsächlich die Tätigkeit der Drüsen und der Muskulatur, wodurch
die für die Peristaltik und sonstwie nötigen Fermente nicht zur Geltung kommen.
Die richtige Medikation strebt also folgendes an: 1. das Volum der Fäzes
zu vermehren. 2. sie anzufeuchten, 3. die Peristaltik zu regeln und 4. die
Abschülferungen infolge langer Konstipation zu beseitigen. Dies kann auf
milde Weise erreicht werden, z. B. bei Greisen, die bei seniler Atonie auch
noch wenig essen, durch ein Gemüseregime; hypersthenische Dyspep tiker
ertragen dies aber nicht.
Medikamentös läßt sich das erreichen durch die aus Asien kommenden
verschied enen Fukusarten, deren wirkendes Agens das Caraghemin oder Fucia
ist. Diese Mittel sind bei manchen asiatischen Völkerschaften seit uralten
Zeiten in Gebrauch.
Die beste Lösung ist deshalb, in das tägliche Nahrungsprogramm diese
schleimigen Stoffe in Gestalt von Fruchtkompotts oder Gemüsepürees auf¬
zunehmen. v. Schnizer (Danzig).
Zur diätetischen und pharmazeutischen Epilepsiebehandlung in der
Privatpraxis.
(A. Eulenburg. Med. Klinik, Nr. 32, 1908.)
Hinsichtlich der diätetischen Behandlung der Epilepsie ergibt sich aus den
Ausführungen Eulenbur g’s, daß für eine blande, reizlose Kost, die aber
doch genügenden Ernährungswert besitzt, gesorgt werden muß. Dabei müssen
gleichzeitig schädigende Reize für den Verdauungsapparat wie für entfernte
Organe (Nieren) ferngehalten und Überladung auch in quantitativer Hinsicht
vermieden werden. — Im Prinzip daher kleinere aber öftere Mahlzeiten. —
588
Referate und Besprechungen.
Geht man von einem Grundstöcke der Nahrung, bestehend aus Weizenbrot,
Milch, Eiern und Butter aus, so ist die Nahrung in quantitativer und quali¬
tativer Hinsicht anzureichern, den Bedürfnissen des Einzelfalles entsprechend.
Es kommen in Frage nicht zu große Quantitäten Fleisch oder Fisch. Von
den Fleischsorten ist das weiße zu bevorzugen ; ungesalzener Käse, Gemüse,
Süßspeisen, Suppen (Obstsuppen), nötigenfalls künstliche Nährpräparate. (Sana-
togen, Maltokrystol, Glidine, Protylin). Als Morgengetränke sind Milch, Hafer¬
kakao und Kakao oder Schokolade zu empfehlen. — Von Gemüsen kommen
in Betracht Erbsen, Kartoffeln, Makronen, am besten in Püreeform und be¬
sonders Reis. - — Zu vermeiden sind Fleischbrühe, Fleischextrakte, alle scharfen
Gewürze, Kaffee; Alkohol, besonders in Form von Spirituosen und Likören,
sowie schwere Weine ; heiße Alkoholgetränke (Grog) sind unter allen
Umständen zu verbieten; ganz kleine Mengen Bier oder leichten Weines,
sind ausnahmsweise zu gestatten. Als sonstige Getränke kommen in Frage
natürliche und künstliche kohlensaure Wasser. — Von Medikamenten kommen
vor allem die Brompräparate in Betracht. Wenn auch die Akten über die
Frage, ob es zweckmäßig sei, das Chlor in der Nahrung zu beschränken
und durch das Brom, als das nächstverwandte Halogen, zu ersetzen, noch nicht
geschlossen sind, so haben sich doch zwei Nährpräparate, ein Brot und ein
Zwieback, bei deren Herstellung das Kochsalz durch Bromnatrium ersetzt
ist, als bequeme, allerdings nicht billige, Darreichungsmittel für Brom durch¬
aus bewährt (Bela Hoffmann’s Bromopan und Schnizer’s ,, Spasmos.it“),
besonders in den Fällen, in denen verhältnismäßig geringe Mengen von
Brom benötigt werden. — - Als Ersatz der Bromalkalien haben sich ferner
bewährt das Bromipin, das auch in Tablettenform hergestellt wird, und
neuerdings scheint sich auch das von Klopfer hergestellte Bromglidine, in
welcher das Brom an Lezithin-Eiweiß gebunden ist, zu bewähren. — Da¬
gegen enthalten die unter dem Namen Neuronal, Bromural, Bromalin gehenden
Sedativa zu geringe Mengen von Brom, als daß sie gerade für die Epilepsie¬
behandlung geeignet wären. — Versuche mit dem von v. Poe hl hergestellten
Cerebrin, das teils innerlich, teils subkutan angewandt wurde, haben Eulen¬
burg in 25 Fällen, und zwar waren es meist schwere und veraltete Fälle,
immerhin beachtenswerte und nicht ungünstige Ergebnisse geliefert, so daß
es in schweren und für die Brombehandlung weniger geeigneten Fällen weiter
erprobt zu werden verdient. Eine Heilung sah E. allerdings nicht und in¬
sofern kann er der enthusiastischen Lobrede Lion’s auf das Präparat nicht
beistimmen. — Die Prognose der1 Epilepsie ist bei konsequenter Behandlung
vielfach nicht so schlecht wie sie meist dargestellt wird.
R. Stüve (Osnabrück).
Neuere Brompräparate in der Epilepsiebehandlung.
(Hermann FI ay mann. Med. Klinik, Nr. 50, 1908.)
Es werden die in den letzten 10 — 15 Jahren auf den Markt gebrachten
Brompräparate, welche im wesentlichen zum Ersatz der Bromalkalien dienen
sollten, von Haymann besprochen. Von ihnen werden eine ganze Anzahl,
trotzdem sie anfangs begeisterte Lobredner fanden, kaum noch gebraucht
(Bromeigon, Bromalbazid und dergl.). Das gleiche gilt von Bromokoll und
Bromalin, die zugleich wegen geringen Bromgehaltes in ihrer Verordnung zu
teuer waren. — Von den Präparaten, die Haymann näher geprüft hat, sah er
vom Bromipin doch gelegentlich Appetitsstörungen ; wo diese nicht auftreten,
und es auf den Pirfeis nicht ankommt, kann das Mittel versucht werden;
der hohe Preis steht auch der Anwendung des Neuronal entgegen. Brom¬
glidine wurde ebenfalls, wenn auch in beschränktem Umfange, geprüft; von
seiner Anwendung sah Haymann besondere Vorzüge nicht; wohl aber wurde
von den Kranken gelegentlich über leichtere Magenstörungen geklagt. Bün¬
dige Schlüsse über das Präparat will H. aus seinen bisherigen Beobachtungen
nicht ziehen. Dagegen hat sich ihm das Sabromin (dibrombehensaures Kalzium)
infolge Nachhaltigkeit und Konstanz der Wirkung, ohne daß Gewöhnung
Referate und Besprechungen.
589
eintrat, gut bewährt, so daß er es für alle die Fälle der Epilepsiebehandlung
warm empfiehlt, für die sich das Bromalkali nicht eignet, ausgenommen
allein sind augenblicklich zu bekämpfende, stärkere Erregungszustände.
_ It. Stüve (Osnabrück).
Behandlung der Epilepsie mit Borax.
(T. Oe rum, Kopenhagen. Med. Klinik, Nr. 41, 1908.)
Oerum macht auf Borax (Natrium „boracicum“ — ist wohl biboracieum
gemeint ? Ref.) als Ersatzmittel der Brompräparate in der Behandlung der
Epilepsie aufmerksam. Das Mittel ist von Go wer s zuerst gegen Epilepsie
empfohlen und hat auch dem Verf. in einzelnen Fällen gute Dienste geleistet.
Dosierung 1 — 2 g 3mal täglich. — Nach den von anderen Autoren gemachten
und in dem Aufsätze zitierten Erfahrungen scheinen aber unerwünschte
Nebenwirkungen mehrfach nicht ausgeblieben zu sein; es erscheint daher
besonders im Anfänge Vorsicht am Platze und vorsichtige Dosierung not¬
wendig. R. Stüve (Osnabrück).
Pilokarpinzusatz zu Bromsalzen.
(J. u. R. Voisin. Presse med., 1908. — Gazette med. de Paris, Nr. 27, 1. Jan. 1909.)
Die Vergiftungserscheinungen durch Brom kommen dadurch zustande,
daß Brom in unberechenbarer Menge im Organismus zurückgehalten wird.
Deshalb fügen die beiden Ärzte ihren Bromkali-Lösungen etwas Pilokarpin
bei, 'welches die Bromausscheidung durch Urin und Schweiß befördert. Ihre
Formel lautet- Bromkali 70, Pilokarpinnitrat 0,036, Sir. aurant. 400, Aq.
ad 1000. Buttevsack (Berlin).
Ein Beitrag zum Vergleiche der Opium- und Morphinwirkung.
(R. Gottlieb u. A. v. d. Eeckhout. - Arch. für exper. Path. u. Pharmakol. Fest-
schr. für Schmiedeberg, Supplementband, S. 235, 1908.)
Die Überlegenheit des Opiums und seiner pharmazeutischen Zuberei¬
tungen (Tinkturen usw.) gegenüber dem Morphin, dem Hauptalkaloid des¬
selben, bei gewissen Erkrankungen und insbesondere bei Durchfällen ist noch
nicht aufgeklärt; ob es sich dabei wie beim Antagonismus gewisser Gifte im
Kampf um das giftempfindliche Substrat (Ehrlich) um eine veränderte Ver¬
teilung des Morphins und der Nebenalkaloide im Organismus oder um eine
Erhöhung der Reaktionsfähigkeit bestimmter Organelemente handelt, steht
nicht fest. Kombination^ wirku ngen sind auch sonst schon beobachtet
worden. Bei einem Gemisch von Äther- und Chloroformdämpfen wirken
schon geringere Konzen t rationeu der beiden Anästhetika als bei der
Inhalation jedes einzelnen für sich; ebenso wird bei' der kombinierten Mor¬
phin-Skopolaminanwendung eine tiefere und länger dauernde Narkose er¬
zielt als durch eine der beiden Stoffe allein.
Beim Vergleich von Opium tinktur, morphinfreigemachter Opiumtinktur
und Morphin zeigte sich, daß beim Frosch die schwachwirkenden Neben¬
alkaloide in Kombination miteinander weit stärker wirkten, als den geringen
Einzelwirkungen der uns bekannten Komponenten entspricht. Aber auch die
Opiumtinktur wirkte weit stärker als Morphin in entsprechender Menge allein.
Beim Warmblüter führten diese Untersuchungen nicht zu schlagenden Er¬
gebnissen. Dagegen war es bei Katzen, die bei alleiniger Milchnahrung flüs¬
sige Darmentleerung zeigen, möglich, diese Diarrhöe durch morphinfreige¬
machte Opiumtinktur zu stopfen. Hiernach scheint die Resorptionsverzögerung
des Morphins durch die übrigen Bestandteile der Opiumtinktur nicht die
einzige Ursache der stärker stopfenden Wirkung des Opiums gegenüber Mor¬
phin zu sein. Welche der Nebenalkaloide hierbei beteiligt sind, ist noch nicht
ermittelt.
Nach den wenigen Versuchen am Menschen scheint die morphinfrei¬
gemachte Opiumtinktur bei pathologischen Zuständen des Darms nur eine
sehr geringe stopfende Wirkung zu entfalten. E. Rost (Berlin).
590
Referate und Besprechungen.
Experimenteller Beitrag zur Wirkung des Atoxyls auf den tierischen
Organismus.
(Igersheimer. Arch. für exper. Path. u. Pharmakol. Festschr. für Schmiedeberg,
Supplementband, S. 282, 1908.)
Dem Atoxyl, dem Natriumsalz der Paraaminophenylarsinsäure, das
bekanntlich schon wiederholt bei therapeutischer Anwendung Erblindung
verursacht hat, kommen neben Arsen Wirkungen, die unter Umständen sich
geltend machen können, noch eigenartige Wirkungen zu, unter denen außer
Kopfschmerz, Schlaflosigkeit, Schwindelanfälle, Harndrang, Albuminurie,
kolikartige Leibschmerzen, insbesondere Amaurose zu nennen sind. Diese
Amaurose beruht meistens auf einer retrobulbären Neuritis. Versuche an
Tieren (Hunden, Katzen) zeigten, daß nervöse Störungen (Koordinationsstörun¬
gen, Ataxie, Spasmen) auftreten, die an einen myelitisch-degenerativen Prozeß
in der Medulla spinalis denken lassen, was durch die mikroskopische Unter¬
suchung bestätigt wurde. E. Rost (Berlin).
Ueber die Darreichung des Chinins bei Kindern.
(Dr. Pocrier, Boulogne La Prov. med., Nr. 81, 1908.)
Jeder Praktiker kennt die Schwierigkeiten, die bei der Darreichung
des Chinins in der Kinderpraxis zu überwinden sind, erstens wegen des
bitteren Geschmackes dieses Produktes und zweitens, weil es nicht möglich
ist, dasselbe den Kindern in Form von Oblaten oder Pillen beizubringen, da
Kinder diese meist nicht verschlucken können, während es in Suppositorien
sehr leicht reizt.
Verf. stellte nun an vier Kindern Versuche mit Aristochin an. Von
allen 4 Kindern wurde dieses Präparat ohne Widerwillen und mit ausge¬
zeichneten Resultaten genommen.
Die beste Methode ist die von Dr. Mayet-Lyon angegebene, wonach
das Aristochin in Wasser (worin es vollständig unlöslich ist) verrührt oder
einem Löffel voll Fruchtgelee zu geben ist.
Um im Magen das Freiwerden des Chinins vom Aristochin (das letztere
ist ein kohlensaurer Ester des Chinins) zu erleichtern, ist es — ausgenommen
bei Säuglingen — vorteilhaft, einige Minuten nach dem Aristochin einen
Löffel Salzsäure-Limonade zu geben. Neumann.
Intravenöse Adrenalin-Kochsalzinfusionen.
(Th. Meissl. Wiener klin. Wochenschr., Nr. 23, 1908.)
Die Infusion wird an einer Armvene oder an der V. saphena gemacht
und soll 25 — 30 Min. dauern. Die physiol. Kochsalzlösung enthält 10 — 12
Tropfen der käuflichen (1 : 1000) Adrenalinlösung auf 1 Liter. Die beiden
Fälle MeißFs betreffen eine Geburtsblutung schwerster Art und eine eitrige
Peritonitis. Bei der ersteren Patientin waren vorher 4 Liter gewöhnlicher
Kochsalzlösung ohne Erfolg infundiert worden. Der Effekt der Adrenalin-
Kochsalzlösung war unmittelbar und überaus günstig. Beide Kranke genasen.
E. Oberndörffer.
Ueber den Einfluß der Somatose auf die Sekretion der Brustdrüsen.
(Dr. Georg Joachim, Berlin. Allg. med. Zentralzeitung, Nr. 48, 1908.)
Verf. ist zu der Überzeugung gelangt, daß es tatsächlich zweckmäßig ist,
die Somatose bereits in den letzten Monaten der Schwangerschaft zu geben,
ohne jedoch von der ursprünglichen Empfehlung, das Mittel auch während
der Zeit des Stillungsgeschaftes weiter zu reichen, abzugehen.
Verf. beschreibt unter Verzicht auf Anführung der gesamten Kasu¬
istik mehrere besonders bemerkenswerte Fälle, in denen die betr. Frauen
bei früheren Geburten entweder gar nicht oder nicht genügend zu stillen
Bücherschau.
591
imstande waren, nach einer systematisch durchgeführten Somatosekur aber unter
Besserung des Allgemeinbefindens den Säugling viele Monate hindurch voll¬
kommen zu ernähren vermochten, z. T. sogar soviel Nahrung in den Brüsten
hatten, daß sie noch einen zweiten Sprößling hätten satt machen können.
So ist die Verwendung der Somatose nicht nur bei Kranken und
Rekonvaleszenten, sondern noch vielmehr bei Schwangeren und Wöchnerinnen
ein großer Gewinn für die Leidenden, für die Mütter und für die Kinder.
_ _ Neumann.
Une nouvelle medication contre les douleurs fulgurantes du Tabes ou
ataxie locomotrice.
Je 10 Tage werden mit 10 tägigen Pausen an den schmerzhaften Punkten
täglich 1 ccm einer 1-, 2- und 3%igen Natriumnitritlösung nacheinander
steigend injiziert. Nach 40 — 50 Injektionen darf man eine konstante Besserung
erhoffen. (Les nouveaux remedes, Nr. 13, 1908.) v. Schnizer (Danzig).
Benassi empfiehlt das Sajodin als exzellenten Ersatz des Jk bei der
Syphilisbehandlung, 0,5 während oder nach der Mahlzeit in Tabletten oder
Oblaten. Es erzeugt absolut keinen Jodismus, was ich selbst nach meinen
Erfahrungen als richtig bestätigen kann. (Les nouveaux remedes, Nr. 22,
1908.) 1 v. Schnizer (Danzig).
Die medikamentöse Behandlung der Rachitis
schlägt Comby folgendermaßen vor: bei Kindern unter einem Jahr Misch¬
diät mit Phosphorkalk; bei Kindern über ein Jahr: 1. Phosphate in Milch,
2. Lebertran und 3. statt dessen im Sommer Jodphosphorbutter nach der
Formel: frische Butter 500,0, Kal. Jodat. 25,0, Bromkali 1,0, Kochsalz 8,0,
Phosphor 0,01. (Bulletin general de therapeutique, Nr. 9, 1908.)
v. Schnizer (Danzig).
Bücherschau.
Probleme der Protistenkunde. I. Die Trypanosomen, ihre Bedeutung für
Zoologie, Medizin und Kolonialwissenschaft. Von Dr. Doflein, ao. Prof,
der Zoologie an der Universität München. Jena, Verlag von Gustav
Fischer, 1909. 1 Mk.
Die unter obigem Titel uns zur Besprechung vorliegende, 57 Seiten starke
Broschüre ist der Abdruck einer bedeutsamen Rede, welche Professor Doflein
auf Veranlassung des Vorstandes der 70. Versammlung deutscher Naturforscher
und Arzte in Köln in der gemeinschaftlichen Sitzung der medizinischen und
der naturwissenschaftlichen Hauptgruppe am 24. September 1908 gehalten und
in der er Gelegenheit genommen hat, das Trypanosomenproblem im Zusammen¬
hang darzustellen, und dabei seine eigene Auffassung auszusprechen, die von' der
herrschenden Betrachtungsweise dieses Problems abweicht. Hierauf näher ein¬
zugehen, würde den Rahmen eines Referats überschreiten. Das Studium der Broschüre
kann aber auch denen, die sich, wenn auch nur theoretisch, noch nicht mit
Trypanosomen beschäftigt haben, oder welchen diese etwa gar noch ganz fremd
sind, umsomehr dringend empfohlen werden, als sie, wie bereits erwähnt, darin eine
auch für den Laien verständliche zusammenfassende Darstellung der Trypanosomen¬
kunde einschließlich der durch die Trypanosomen veranlaßten Krankheits¬
erscheinungen, der Trypanosomiasis, finden. Der übrige Inhalt hat ein lediglich
spezialistisches Interesse. Die Folgerungen, die Verf. zum Schluß aus seinen Dar¬
legungen zieht, beziehen sich namentlich auf unsere Kolonialwirtschaft und besagen
in dieser Beziehung, daß, wenn es nicht möglich sein sollte, der Schlafkrankheit,
dieser gefährlichsten Trypanosomenkrankheit, anders als durch eine von R. Koch
vorgeschlagene Ausrottung des Großwildes Herr zu werden, in großem Stile Tier¬
reservate mit wissenschaftlichen Beobachtungsstationen angelegt werden sollten,
nicht allein zur Förderung der Naturgeschichte der Tropen überhaupt sondern auch
des Wissens von den Trypanosomen im Besonderen. Peltzer.
592
Bücherschaii.
Lehrbuch der Greisenkrankheiten. Von J. Schwalbe. Stuttgart,
F. Enke, 1909. 850 Seiten. 26 Mk.
Über die Krankheiten der Kinder und Frauen gibt es eine erdrückende
Literatur, über diejenigen der Greise besitzen wir kein modernes Werk. Um so
dankbarer wird das ärztliche Publikum den vorliegenden Band begrüßen; denn
Dank den Fortschritten der Hygiene rücken ja immer mehr Leute in die Alters¬
periode hinein, und Dank der modernen Kultur mit ihren Anforderungen an Körper
und Seele setzt der Alterungsprozeß immer früher ein, etwa entsprechend dem Satze
von Baglivi: „Vivere nostrum siccescere est. Et major pars corporum curis,
vino, venere, aetatis et annorum cursu squalet (erstarrt) primo, deinde siccescit.“
Den Wert dieses Lehrbuches kann jeder leichtabschätzen an den Mitarbeitern,
welche Schwalbe für sein Unternehmen gewonnen hat: Naunyn (allgemeine
Pathologie), C. Hirsch -Göttingen (Kreislauf), E. Grawitz (Blut), Hoppe-Seyler
(Atmung), Ewald (Verdauung), Ebstein (Harnorgane), Fürbringer (männliche
Geschlechtsorgane), Siemerling (Nerven), Ortner-Innsbruck (akute Infektionen),
Koranyi (Gicht, Diabetes, Fettsucht), Dan sch- Göttingen (Bewegungapparat),
Jadassohn (Haut und venerische Krankheiten), Max. Sternberg (Zoonosen und
Vergiftungen). Wenn ich auch nicht hoffe, daß die genannten Autoren aus der
Fülle persönlicher Erfahrungen geschöpft haben, die einst Sydenhams Abhandlung
über das Podagra zu einem Kabinetstück der medizinischen Literatur gemacht
haben, so garantiert doch bei vielen ihr Alter volles Verständnis für ihr Thema.
Peter ’s Klage: „que la Science medicale contemporaine soit exclusivement faite
avec des materiaux d’höpital et par des jeunes gens“ trifft mithin auf das vor¬
liegende Werk nicht zu. Buttersack (Berlin).
Handbuch der Krankenpflege. Von Salzwedel. Berlin, A. Hirschwald,
1909. 9. Auflage. 500 Seiten. 6 bzw. 7 Mk.
Die Leute, die heutzutage von der Therapie sprechen, haben zumeist ver¬
gessen, daß ohpaTisbeiv = dienstbar sein, pflegen heißt, und je gelehrter, je wissen¬
schaftlicher die Medizin geworden ist, umsomehr hat sich jene Grundbedeutung
verloren. Der heutige Medicus begnügt sich nicht mehr mit der Rolle eines
minister naturae et interpres, sondern gefällt sich — stolz auf die sogenannten
wissenschaftlichen und technischen Errungenschaften — in der Toga des Magister
und bombardiert, wie das z. B. Landouzy in der Einleitung zu seinen Sero-
therapies (Paris 1898) sehr charakteristisch darstellt, vom Laboratorium aus mit
seinen Drogen und Seris den ungefügen Organismus, um ihn wieder auf den
rechten Weg zu zwingen.
Daß bei solch einer Geistesrichtung die persönliche Hingabe des Arztes an
seinen Schützling, jenes ohpaTCEusiv xai atopa xai (Luyqv (Plut. Lucull. 22.)/ in den
Hintergrund treten mußte, ist klar; es entwickelte sich demgemäß das Zwischen¬
glied der Krankenpfleger. Mit den Zeiten änderten sich die Ansprüche, und so stellt
das Handbuch der Krankenpflege, dessen erste Auflage vor nahezu 80 Jahren er¬
schienen ist, in seinen verschiedenen Metamorphosen gewissermaßen Querschnitte
• durch ein Partialgebiet der Kultur dar. Was die des Jahres 1909 von einem guten
Pfleger erwartet, ist in der vorliegenden neunten Auflage ausführlich, aber immer
klar und in einer Form, die sich leicht verstehen und behalten läßt, dargestellt.
Drei Tafeln in Farbendruck und 75 Bilder im Text unterstützen das geschriebene
bzw. gesprochene Wort.
Eine detaillierte Angabe des Inhaltes erübrigt sich wohl der Natur des Themas
nach. Aber ich kann nicht umhin, zu sagen, daß viele, oft nur kurze Bemerkungen,
Ratschläge u. dergl. mein ärztliches Denken außerordentlich angeregt und mir
manche bisher weiter nicht beachtete Erscheinungen in neuem Lichte gezeigt
haben. Fesselt somit das Buch auch ältere Ärzte, so sollte es den angehenden
erst recht zum eingehendsten Studium ans Herz gelegt werden; denn sogar das
Examensprädikat: vorzüglich in Chemie, Arzneimittellehre, Perkussion, Augen-,
Kehlkopf- usw. Spiegeln rtsw. nützt herzlich wenig, so lange der Jünger Äskulaps
nicht versteht, einen Kranken anzufassen, und so lange er seine primitivsten Be¬
dürfnisse nicht kennt. Mängel in der Pflege bewertet jeder Kranke, ob hoch oder
gering, ob jung oder alt, ungleich höher, als diagnostische Irrtümer oder die Aus¬
wahl eines vielleicht minder geeigneten Arzneimittels. Buttersack (Berlin).
— •
Schriftleitung: Dr. Ri gl er in Leipzig.
Druck von Emil Herrmann senior in Leipzig.
27. Jahrgang.
1909.
Tomcbrim der Medizin.
Unter Mitwirkung hervorragender Fachmänner
herausgegeben von
Professor Dr. 0. Köster Prio.-Doz. Dr. o. Criegtrn
in Leipzig. in Leipzig.
Schriftleitung: Dr. Rigler in Leipzig.
Nr. 16.
Erscheint am 10., 20., 30. jeden Monats. Preis halbjährlich
6 Mart, in kl. Zeitschrift für Versicherungsmedizin 8 Mark.
Verlag von Georg Thieme, Leipzig.
10. Juni.
Originalarbeiten und Sammelberichte.
Aus der chirurgischen Klinik des städtischen Krankenhauses zu Frankfurt a. M.
Direktor: Prof. Dr. L. Kehn.
Ueber das Coecum mobile.
Von Dr. Heinrich Klose, 1. Assistenzarzt der Klinik.
(Vortrag, gehalten in der wissenschaftlichen Vereinigung am städt. Krankenhaus,
Sitzung am 2. März 1909.)
M. H. In jüngster Zeit wurde von Wilms, dem Baseler Chirurgen,
ein neues Krankheitsbild skizziert, das von ihm vor der Hand als
„Coecum mobile“ bezeichnet wurde. Er will damit sagen, daß sich ihm
die Indikation zu speziellen operativen Maßnahmen erst während des
chirurgischen Eingriffes ergab, weil die klinischen Erscheinungen nichts
sicheres präjudizierten. Es handelte sich in der Tat um 40 Fälle, die
von ihm oder von anderen Chirurgen vor mehr oder minder langer
Zeit wegen sogenannter chronischer Appendizitis meistens schon ope¬
riert worden waren, die aber trotz der Appendektomie die gleichen
Beschwerden behielten und nun einer zweiten Operation sich unter¬
zogen, in welcher eine Fixation des abnorm langen und beweglichen
Cöcum vorgenommen wurde. Die Kranken blieben daraufhin dau¬
ernd geheilt. Mit anderen Worten: die Patienten waren erstmalig
unter einer falschen Diagnose einer Laparatomie unterworfen wor¬
den, nämlich unter der Diagnose der chronischen Appendizitis, erst
die ausbleibende Heilung aber belehrte Operateur und Patient, daß
der keineswegs irrelevante Eingriff umsonst geschehen war und erst
die zweite Laparotomia probatoria führte zu dem gewünschten Resultat.
Nun ist gewiß richtig, daß manchen Chirurgen schon das Gefühl des
Unbefriedigtseins, ja des unnötigen Operierens beschlichen hat, der in
operatione die Inkongruenz zwischen dem pathalogisch-anatomischen
Substrat und den klinisch-manifesten Symptomen wahrnahm. Es ist
ebenso richtig, daß bisher keine statistische Kontrolle über die Erfolge
der Operation bei sogenannter chronischer Appendizitis existiert, aber
es ist auch zweifellos, daß, zunächst wenigstens, auch durch dieWilm-
sche .Publikation ein klares prägnantes Krankheitsbild weder in sub¬
jektiver noch in objektiver Richtung angebahnt ist. Und doch läßt
schon die kurze Geschichte dieses Leidens, abgesehen von prinzipiell-
wissenschaftlichen und praktischen Gründen, eine präoperative Dia¬
gnose dieser Dinge dringlicher als je erscheinen! Wilms berichtet nur,
daß die Kranken nie schwere Attacken von Blinddarmentzündung durch-
38
594
Heinrich Klose,
gemacht hatten, daß sie über mehr oder minder heftige, schmerzhafte
intermittierende Empfindungen in der rechten Bauchseite und hart¬
näckige Obstipation geklagt hatten. Lokal fand er einen Druckschmerz
des Mac-Burney’schen Punktes und eine tumorartige Resistenz da¬
selbst, die so mobil war, daß sie bei oberflächlicher Untersuchung sogar
mit einer Wanderniere verwechselt werden könne. Sind diese Erschei¬
nungen vorhanden, dann nimmt er als anatomisches Kriterium für eine
abnorme Mobilität des Cöcum und für die Notwendigkeit der Fixation,
die Möglichkeit, daß man das Cöcum ,, bequem“ vor die Bauch wunde
lagern kann. Wenn man diese weit weniger als eindeutigen Angaben
mit allgemein chirurgischen und klinischen Erfahrungen vergleicht,
dann möchte man allerdings die Behauptung Curschmann’s bestätigt
glauben, daß das Studium der Anomalie und Lage des Blinddarmes —
denn darum handelt es sich — chirurgisch und klinisch so gut wie
gar nicht studiert sind. Dem ist nun nicht so. Zunächst ist zu bedenken,
daß bei den meisten Individuen die betreffenden Form Veränderungen
im Leben ohne jede Folge und Bedeutung sind, daß sie nur bei einem
ganz kleinen Prozentsatz die Grundlage wichtiger Störungen und chirur¬
gischer Maßnahmen werden. Zweitens geht aus älteren Publikationen
mit Sicherheit hervor, daß diese Verlagerungen des Cöcum, einmal
in klinische Erscheinung getreten, in früheren Zeiten nie oder zu spät
ihre richtige Deutung im Leben fanden, sondern unter intermittierenden,
allmählich zunehmenden Ileuserscheinungen konstant mit dem Tode
abschlossen. Heute ist nicht nur eine theoretische Besserung zu kon¬
statieren. Wilms rechnet damit, daß sogar 20 — 25°/0 seiner chronischen
Appendizitiden an solchen Verlängerungen des Blinddarmes leiden. Auch
wir haben seit zwei Jahren unter 80 Fällen von chronischer Appendizitis
Zwölfmal ein Coecum mobile, d. h. in 15 °/0 dieser Fälle zu operieren
Gelegenheit gehabt. Darunter haben wir siebenmal die Diagnose nicht
bezw. eine falsche gestellt. Bei den fünf letzten Fällen jedoch ver¬
mochten. wir auf Grund zunehmender Erfahrung die Anomalie ante
operationem festzulegen. Sämtliche Fälle aber sind bis heute, die
meisten also seit mehr als zwei Jahren geheilt. Stets haben wir
die Coecopexie nicht durch komplizierte Plastik nach der Wilms-
schen Methode, sondern einfach so erreicht, daß wir das Coecum an
seiner physiologischen Stelle durch breitfassende Sero-peritoneale Seiden¬
knopfnähte fixierten. Von jedem der gewöhnlichen Bauchschnitte aus
ist unsere Operationsmethode auszuführen. Uns leiteten die gleich¬
artigen Erwägungen wie Wilms, jedoch unabhängig von ihm und
es ist mir darum möglich, einiges zur Beantwortung der beiden von
Wilms offen gelassenen Hauptfragen beizutragen: nämlich erstens:
lassen sich aus der Komplexheit der klinischen Erscheinungen solche
abgrenzen, die etwas sicheres hinsichtlich der anatomischen Abnor¬
mität vorausagen ? und zweitens, wann gibt uns die Anatomie das
Recht, von einer krankhaften Länge des Cöcums zu sprechen? Über¬
blicken wir unsere Krankengeschichten, so resultiert schon jetzt ein
ziemlich einheitliches Bild. Im Vordergründe desselben stehen inter¬
mittierende, fieberfreie oder subfebrile Koliken, die sich nach Monaten
oder Wochen, nach Tagen oder Stunden periodisch wiederholen und in
allmählich zunehmender Intensität 1/4 — 2 Stunden anhalten. Die Koliken
sind sichtlich beeinflußt von der Quantität und Qualität der Speisen
und von dem Bauchdeckentonus. Darum ist das weibliche Geschlecht
der besseren Lebenshaltung bevorzugt. Ich betone, daß es, dem strengen
Ueber das Coecum mobile.
595
Sprachbe griff folgend, richtige Dickdarmschmerzen sind, die anfangs in
die rechte Regio meso- und hypogastrica verlegt werden, bald auch in die
linke Iliacalgegend ausstrahlen. Stehen und Sitzen verstärkt die Beschwer¬
den, Liegen, zumal rechte Seitenlage, mindert sie oder hemmt sie auch ganz.
Indessen ist selbstverständlich, daß diese Koliken weder in ihrer Lokali¬
sation noch in ihrer Art ein absolut zuverlässiges Merkmal für die diffe¬
rentialdiagnostische Entscheidung abgeben. Denn die Kranken kommen
meistens so spät in klinische Behandlung, daß die Schmerzen ausstrahlend
oder reflektorisch in ganz entfernt liegenden Organen empfunden werden.
Wie auch Niemann bemerkt, geht regelmäßig den Attacken eine Periode
der Obstipation und Flatulenz voraus. Fast immer bilden frequente Stuhl¬
abgänge den Schluß der Szene und der Schmerzen. Zumeist ist als ob¬
jektiver Koeffekt der gemeinsamen Ursache eine pralle kleinapfelgroße
Resistenz in der Cöcumgegend palpierbar, die über die Medianebene hin¬
aus beweglich sein und dann verschwinden kann. Diese Geschwulst bil¬
det im Verein mit den paroxysmalen Schmerzanfällen den wichtigsten
Ausgangspunkt für die klinische Erörterung der differentiellen Diagnose
und es ist in der Tat von größtem Wert, daß wir in der systematisch
angewandten Radiographie eine Untersuchungsmethode besitzen, die
unsere topische Aufgabe wesentlich erleichtert. Aber von vornherein
dürfen wir nun nicht erwarten, die Frage in so typischer Darstellung
entschieden zu sehen, als wir sie uns theoretisch konstruieren möchten.
Denn die radiographische Aufnahme ist auf Kranke angewiesen, deren
Anfall ab geklungen und deren zeitweise und statische Organ Verlagerung
in der Mehrzahl damit aufgehoben ist. Die Radiographie wird also
auch hier nur ein indirektes, die Klinik in lokalisatorischer Richtung
ergänzendes Verfahren sein. Die Beobachtung des W ismutsohattens
setzte uns bekanntlich in den Stand, absolut sicher und prägnant die
motorische Funktion des Darmes zu bestimmen und zwar, wie für uns
hier wichtig ist, ohne daß die Verwendung eines als Obstipans bekannten
Stoffes auf die motorische Tätigkeit retardierend wirke. Jedenfalls
erlaubt der zeitliche Vergleich zwischen Gesamtverdauung der Mahl¬
zeit und erstem Bismutnachweis im Stuhl nur, eine ganz unbedeutende
Verlangsamung der Dickdarmmotilität anzunehmen. Nach der Ein¬
verleibung sehen wir den Wismut schatten im Magen, nach 21/2 Stunden
bereits in den unteren Ileumschlingen, nach 4 Stunden im Cöcum und
Colon ascendens, da der Weg durch den Dünndarm in 1 — 2 Stunden
zurückgelegt wird. Beim gesunden Menschen hat nach unseren Er¬
fahrungen der Bis mutschatten in 24 Stunden das Colon desoendens
und das Rektum erreicht, in unseren Fällen von Coecum mobile lagerte
nach 24 Stunden der Bismuts dhatten noch im Cöcum, ja nach 36- — 74
Stunden war nicht die geringste Veränderung im Skiagramm zu kon¬
statieren. Ist das Cöcum bereits durch sekundär entzündliche Prozesse
in der Tiefe des kleinen Beckens fixiert, also in einem Stadium, das
ich als das der entzündlichen Komplikationen bezeichnen möchte, so
läßt natürlich die Lagevariation des Schattens die direkte Diagnose
stellen. Diese Erleichterung trifft nur in den schwersten, seltenen
Fällen zu. In den häufigeren jedoch müssen uns komplizierte Über¬
legungen zu Hilfe kommen (Demonstration der Röntgenbilder).
Wo bleibt hier die krankhafte Verlagerung des Cöcum, so
werden Sie mir einwenden. Natürlich läßt dieser abnorm lange, im
Cöcum verweilende Schatten, allein betrachtet, nur auf eine hoch¬
gradigste Atonie desselben schließen, vorausgesetzt, daß durch andere
38*
596 Heinrich Klose,
Momente organisch-stenosierende Prozesse im Kolon ausgeschlossen sind.
Diese Frage streifte bereits das anatomisch-physiologische Bereich unserer
Betrachtung und ist eben nur dadurch zu beantworten. Wir sind
nämlich zu der Vorstellung berechtigt, daß in dem unkomplizierten
Stadium des Goecum -mobile dieses durch regulatorischen Einfluß der
Dünndarmperistaltik, der Bauchpresse zur Zeit des freien Intervalles
an normaler Stelle gehalten wird. Daher die von alten Beobachtern
als auffallend betonte Erscheinung, daß viele Bauchdeckengesunde
Menschen hochgradige Verlängerungen symptomloser tragen. Es ist aus
der Physiologie hinreichend bekannt, daß gerade im Cöcum der Darm¬
inhalt, sei er gasförmig oder breiig, längere Zeit verweilt, ehe er seine
Wanderung durch das auf steigende Kolon fortsetzt. Und die Anatomie
lehrt, daß der Umfang des Cöcums erheblich weiter, seine Wanddicke
erheblich geringer ist, als die anderer Dickdarmteile. Aus physikalischen
Gründen lastet aber ein erhöhter Druck in einem Böhrensystem in
gleicher Stärke auf jedem kleineren Teil. Infolgedessen wirkt auf die
Cöcumwand wegen der größeren Weite ein wesentlich höherer Druck
als in den übrigen Gebieten des Dickdarmes. So wissen wir, daß bei
Stenosierungen in den unteren Dicktarmteilen eine isolierte Dehnung
des Cöcums zustande kommt, ein Symptom, das nebenbei bemerkt, die
größte, leider wohl zu wenig gewürdigte Bolle in der Diagnose noch
nicht palpabler Dickdarmkrebse spielt. So wissen wir weiter, daß
schon normalerweise das Cöcum seinen wechselnden Füllungsverhält-
nissen entsprechend auf seiner Unterlage ausgiebig beweglich ist.
Das Cöcum ist also auf eine möglichst günstige Ortsver äncle-
rung, dabei auf eine bei anatomischem Normal verhalten eben
ausreichende motorische Suffizienz eingestellt. Die Abhän¬
gigkeit beider Faktoren voneinander werden uns am besten aus em¬
bryologischen Erinnerungen klar werden.
Der embryonale Darm stellt in der 5. — 6. Woche der Fötalzeit
ein Bohr dar, das infolge ungleichmäßigem Längen- und Dickenwachs¬
tunis in zwei Hauptsegmente geschieden werden kann : den spindelförmig
angeschwollenen, vertikalgestellten Magen und den zwei ziemlich parallel
und nahe beisammen verlaufenden auf- und absteigenden Schenkeln der
Nabelschleife mit dem Dottergang, dem Ductus omphalomesentericus.
Der zwiefachen Drehung des Magens um die Sagittalachse des Körpers
und seine eigene Längsachse folgt im dritten und den folgenden
Monaten eine Lageveränderung der Darmschleife mit ihrem Mesenterium
derart um ihre Anheftungsstelle an der Lendenwirbelsäule, daß sich
der aufsteigende Schenkel, welcher zum Dickdarm wird, in schräger
Bichtun g in der Diagonale des Bauchraumes über den absteigenden,
zum Dünndarm auswachsenden Schenkel herüberschlägt und allmählich
in querer Bichtung den Anf angsteil des Dünndarmes kreuzt. Durch
diese Drehung gerät der ursprünglich links liegende Anf angsteil des
Dickdarmes oder das Cöcum zunächst unter die Leber, dann ganz in
die rechte untere Bauchseite. Nun ist ausschlaggebend, daß den
Anstoß zu der Verlagerung upd für die Erreichung des ge¬
wollten Endeffektes, das im zweiten Monat beginnende Län¬
genwachstum und die Formierung der Dünndarmwindun¬
gen ist.
Es ist also folgerichtig, daß ein früher oder später sistieren-
des Längenwachstum des Dünndarmes auch den Grad der Ver¬
lagerung des Diokdarmes beschränkt. Wir wissen ja, daß die
Ueber das Coecum mobile.
597
Länge des Dünndarmes zwischen weniger als vier Metern und mehr
als nenn Metern schwanken kann. Eine weitere Folge dieser mangel¬
haften Verlagerung ist nun wieder, daß entwicklungsgeschichtliehe Ver¬
änderungen ausbleiben, die sich kurzweg als Verklebungs- und Ver¬
wachsungsprozesse einzelner Abschnitte der Gekröslamellen mit an¬
grenzenden Partien des Bauchfells kennzeichnen lassen, das Cöcum
behält so ein langes und freies Mesenterium, der Hebelarm
für die Peristaltik ist zu groß. Freilich wird durch Einflüsse der
modellierenden Bauchpresse, des intraabdominellen Druckes, vielleicht
durch sekundäre Konfiguration der Bauchhöhle die peristaltische Über¬
arbeit des Cöcum meistens dauernd, selten nur mehr minder längere Zeit
kompensiert : und dann tritt das Coecum mobile in klinische Erschei¬
nung. Wird nämlich einer der Komponenten ausgeschaltet, also bei
Frauen durch Geburten oder feste Einschnürung des Leibes durch das
Korsett, dann fällt das kotgestaute Cöcum ins Becken, das Kolon wird
abgeknickt und die Kolik tritt ein. Ich stelle mir ihre Genese im einzel¬
nen folgendermaßen vor. Wir nehmen mit Cohnheim an, daß Krankheit
einen Vorgang bedeutet, der eine gewisse Minimaidauer involviert, daß sich
in dieser Zeit an die primäre Entwicklungshemmung mehr oder weniger
große Sekundär Veränderungen anschließen, die nunmehr den Charakter
der Schädigung an sich tragen. Wir 'glauben mit Starling und B ayliß ,
daß bei Heizung des Darmes oberhalb der Beizstelle, also auf unsere
Verhältnisse übertragen im untersten Ileum, eine Kontraktion, eine
Peristaltik entsteht, während unterhalb der Beizstelle der Darm er¬
schlafft, eine etwa vorhandene Kontraktion des Darmes gehemmt wird.
Dieses als ,, Darmgesetz“ bezeiehnete Verhalten ist nach Meitzer nur
eine Teilerscheinung des allgemeinen Gesetzes der „konträren Inner¬
vation“. Danach ist es zur Ausführung einer zweckmäßigen motorischen
Funktion erforderlich, daß mit der Bewegung des einen Teiles gleich¬
zeitig eine Hemmung von hindernden oder unnötigen Bewegungen anderer
Teile ein tritt. Nach den weiteren Ausführungen Meitzers ist es für
die Fortbewegung in muskulösen Schläuchen notwendig, daß in zwei
benachbarten Abschnitten der untere gehemmt wird, während der obere
sich peristaltisch kontrahiert. Eine Störung dieser funktionellen An¬
ordnung’, welche dahin führt, daß eine heftige Peristaltik einen Inhalt
vor sich hertreibt, während eine starke Kontraktion des unteren Ab¬
schnittes den Fortschritt behindert, bringt das Phänomen hervor, das
unter dem Namen „Kolik“ bekannt ist. So entstehen Darmkoliken.
Wir nehmen an, das Coecum mobile leiste die dauernde Mehrarbeit,
die ihm durch Abwesenheit eines genügend festen Hebelpunktes für die
Peristaltik zugemutet wird, unter gewissen Vorbedingungen und je
nach Individualität in ausreichender Weise. Danach tritt Erlahmung
ein und nun erfolgt auf summierte Beizung, die das Cöcum je länger,
natürlich um so häufiger treffen, eine atypische Peristaltik : nämlich
eine starke anhaltende Kontraktion der gereizten Darmsteile und eine
heftige peristaltische Welle in der benachbarten, oberhalb liegenden
Stelle; deren Kombination ja klinisch das Zustandekommen der Kolik
ausmacht. Es muß damit notwendigerweise eine Streckung des
Mesenteriums, eine Abknickung des Kolons und ein Herab¬
sinken des Kolons ins Becken verbunden sein und wir haben
so ein anatomisches Kriterium für die operative Fixierung.
Denn wollte man der Wilm sehen Angabe folgen, nach der jedes
gut hervorzuziehende Cöcum „mobil“ im Sinne der Schädigung
598
Carl Grünbaum,
genannt werden kann, so müßte man in 70°/0 aller dem Auge des
Chirurgen zu Gesichte kommender Därme das Cöcum fixieren. Da¬
durch dürfte das Problem des Coecum mobile keine Förderung er¬
fahren. Und wenn es uns auch die interessante und viel diskutierte
Frage der Entstehung der Darmkolikschmerzen bisher in keine be¬
stimmte Richtung gelenkt hat, so scheint das sich mehrende Interesse
für die anatomische Seite dieser Frage doch zu zeigen, daß der wenig
erfreuliche Satz Sernoffs, „nach welchem der Darmchirurgie aus dem
Studium der Topographie der Darmschlingen keinerlei praktisch ver¬
wertbare Ergebnisse erwachsen können“, endgültig widerlegt ist.
Linoval.
Eine neue Salbengrundlage.
Von Dr. Carl Grünbaum, Arzt für Hautkrankheiten, Berlin.
Vor kurzem ist seitens der Norddeutschen Ölwerke Schmidt & Co.
in Altona a. E. ein neuer Fettkörper, unter dem Namen „Linoval“,
in die Therapie eingeführt worden.
Beim Raffinieren von Leinöl wurde außer einem bisher nicht her¬
gestellten, leicht flüssigen, wasserhellen Leinöl aus dem dabei gewon¬
nenen Mucillagium eine chemisch noch nicht bestimmte flüchtige Fett¬
säure abgespalten, welche die desinfizierenden Eigenschaften des Ol.
Lini. in erhöhtem Maßie auf weist, nicht reizt und in ü her r as ch e n d er Weise
analgesierend wirkt. Diese Fettsäure in Vaselin auf gefangen, mit Am¬
moniak fixiert und als Geruchskorrigens mit etwas Lavendelöl versetzt,
ergibt das Linoval als eine neue Salbengrundlage mit reizfreier, stark
bakterizider Eigenschaft.
Das Präparat, welches 93 Teile Vaselin, 5 Teile flüchtige Fett¬
säure, 1 Teil Ammoniak, 1 Teil Lavendelöl enthält, ist ein gelblich¬
weißes, nicht unangenehm rieöhendes Fett, von weicher Konsistenz,
leicht verreibbar, nicht körnig, iihstande 15 °/0 Wasser aufzunehmen.
Im Gegensatz zu anderen leicht ranzig werdenden Salbengrund¬
lagen ist es von unbegrenzter Haltbarkeit, so lange es nicht bis zum
Schmelzpunkte (31°) erwärmt wird und bleibt in seiner Wirkung unver¬
ändert. Schon das reine Präparat erweist sich bei der Bekämpfung von
Staphylokokken und Streptokokken von ganz überraschender, intensiver
und schneller Wirksamkeit, die noch durch medikamentöse Zusätze nach-
drücklichst gehoben werden kann. Mit allen Zusätzen, als welche sich
Teerpräparate, Metalloxyde, Salizylsäure, Ichthyol, Chrysarobin beson¬
ders eignen, muß Linoval kalt verrieben werden. Metallsäuren und
Alkalien vertragen sich jedoch nicht mit Linoval.
Neben seiner stark bakteriziden Qualität besitzt es noch analge-
sierende Eigenschaften und erscheint zur Behandlung schmerzhafter,
entzündlicher, juckender, brennender Dermatosen besonders geeignet.
Als erster hat Salomon über seine Erfahrungen mit Linoval
berichtet. In Ermanglung von Vaselin gab er das Präparat einem
Patienten mit, welcher wegen eines sehr schmerzhaften exulzerierten
Karzinoms der Wange zur Röntgenbestrahlung erschienen war. Schon
nach acht Tagen war eine auffallende Reinigung der ganzen Geschwürs¬
fläche und, nach den spontanen Angaben des Patienten, vollkommene
Schmerzlosigkeit eingetreten. Dieser erste günstige Erfolg veranlaßte
Salomon, das Mittel auch bei verschiedenen anderen Affektionen der
Haut in Gebrauch zu nehmen.
Linoval, eine neue Salbengrundlage.
599
Zur Prüfung der bakteriziden Wirkung, insbesondere Staphylo¬
kokken und Streptokokken gegenüber wandte er Linovalum purum bei
Folliculitis nuchae und bei Furunkulose an, und zwar mit so
gutem Erfolge, daß ein alter vernachlässigter Fall mit 27 tiefen Furun¬
keln des Rückens nach acht Tagen abgeheilt war; auch bei Hordeolum
bewährte sich das Mittel, namentlich bei bestehender Idiosynkrasie gegen
Quecksilber als Ersatz der offizineilen Augensalbe; doch empfiehlt es
sich, zur Verhütung einer Reizung der Konjunktiva etwas Kokain zu¬
zusetzen.
Absolut reizlos zeigte sich das Mittel in einigen der bekanntlich
sehr empfindlichen Fälle von Sykosis non parasitaria, wogegen bei
Sykosis parasitaria die abtötende Wirkung nicht ausreichte und
deshalb eine Kombination von Linoval mit Chrysarobin resp. dem
schwächeren Lenirobin gegeben werden mußte.
Bei Ulcus cruris trat gute Wirkung durch die nicht nur schmerz¬
stillende und bakterizide, sondern auch epithelialisierende Kraft des
Präparates ein. Von Ekzemen scheinen die impetiginösen und
namentlich die durch Pediculosis hervorgerufenen des Kopfes be¬
sonders günstig beeinflußt zu werden.
Bei schweren Fällen von Ac'ne vulgaris erzielte Verfasser mit
10°/0 Salizyllinoval in Verbindung mit Zucker’scher Medizinalseife sehr
gute Resultate. Chronische Handekzeme, die Salomon mit Lassar-
scher Zinkpaste oder Blaschko’ scher essigsaurer Tonerdepaste unter Er¬
satz des Vaselins durch Linoval oder Paste -j- Linoval aa partes aequales
behandelte, scheint das Präparat infolge seiner größeren Tiefenwirkung
schneller zur Heilung zu bringen, als andere Salbengrundlagen.
Verfasser urteilt daher: „Jedenfalls glaube ich aber auf Grund
meiner eigenen Erfahrungen und der Mitteilungen hochgeschätzter Fach¬
kollegen, die gleichzeitig das Präparat erprobten, dem Linoval eine
Zukunft Voraussagen zu können. Seine hervorragende bakterizide Kraft,
gerade den so viele Krankheitsbilder verursachenden oder doch kompli¬
zierenden Staphylokokken und Streptokokken gegenüber, seine analge-
sierende und epitheliasierende Eigenschaft werden ihm einen dauernden
Platz im dermatologischen Heilschatze sichern.“
In größerem Umfange hat Neumann in einer dermatologischen
Poliklinik mit Linoval Versuche bei den verschiedensten äußeren Krank¬
heiten an gestellt.
Sehr gut und schnell wirkte Schwefellinoval (5 Teile Schwefel¬
blumen, 45 Teile Linoval) bei starker Schuppenbildung der Kopf¬
haut und Haarausfall, indem nach dem Schneiden der Haare die
Kopfhaut mit der Salbe eingerieben und der Kopf mit einem losen Tuche
umwickelt wurde. Der Erfolg war — besonders bei gleichzeitiger Kopf¬
massage — nicht nur bezüglich Entfernung der Schuppen, sondern auch
bezüglich der Anregung des Haarwuchses bei Haarausfall auf para¬
sitärer Grundlage und nach Inunktionsküren, bei Alopecia pityrodes
und seborrhoica so vorzüglich, daß bei drei Patienten mit Haarausfall
auf luetischer Grundlage schon nach 6 — 10 tägiger Anwendung das Vor¬
handensein von Lanugohaaren festgestellt werden konnte.
Des weiteren hat Neümann bei Sykosis ohne die schmerzhafte
und langwierige Epilation gute Resultate gehabt; bei Hordeolum (mit
etwas Kokain-Zusatz) blieben Rezidive aus; bei Intertrigo von Säug¬
lingen, die mit allen möglichen Mitteln behandelt worden waren, erfolgte
600
Carl Grünbaum,
in 2- — 3 Tagen Heilung; bei Acne vulgaris und rosacea wurde mit
5°/0 Salizyllinoval Besserung erzielt.
Zur Behandlung von Ekzemen hat Verfasser das Linoval teils in
un vermischtem Zustande, teils in Verbindung mit Ichthyol gebraucht
und rühmt die kühlende, heilende, reizlose Wirkung des Präparates,
unter dem nicht nur impetiginöse und durch Pediculi hervor gerufene
Ekzeme ausheilten, sondern auch Jahre lang bestehende Ekzeme der
Hand (Berufsekzeme) sich besserten. Bei Psoriasis wurde mit 5°/0
Chrysarobin-Linoval, bei Uldus molle mit 5°/0 Kalomel-Linoval schnelle
Heilung erzielt, in einzelnen Fällen von Dammrissen, Phlegmonen
nach der Inzision, Furunkulose, Erysipel, Lupus, Ic'hthy osis,
sollen die Erfolge gleichfalls recht gute gewesen sein. Seine eminent
juckstillende Wirkung bewies das Präparat in einem Falle von Prurigo
bei einem zweijährigen Kinde, das durch tägliche lauwarme Bäder von
v2 Stunde Dauer und nachheiige Applikation von 5°/0 Zink-Linoval
geheilt wurde. Ein Versuch mit Chrysarobin-Linoval bei einem schon
14 Monate lang behandelten Favus, wo der Kopf von trockenen stroh¬
gelben, in der Mitte vertieften Borken besetzt war, war so erfolgreich,
daß auch ohne Epilation schon am zweiten Tage Abfall der trocken
gewordenen Borken bemerkt wurde; ,,in sechs Tagen war der Genesungs¬
prozeß so weit vorgeschritten, daß eine vollständige Heilung ganz
außer Zweifel schien“.
Als schnelles Heilmittel wurde das Linoval wegen seiner kühlenden
und heilenden Wirkung bei Hautwunden durch Frost und in drei
Fällen von Brandwunden ersten und zweiten Grades kennen gelernt
und wurde infolge seiner bakteriziden, schmerzstillenden Wirkung als
Prophylaktikum gegen eine Infektion bei der Vakkination
empfohlen.
In einer weiteren Arbeit werden recht gute Resultate der mit dem
Linoval angestellten Versuche berichtet; danach ist das Mittel auch ohne
Zusätze schon imstande, Staphylokokken und Streptokokken zu zer
stören. Verfasser hält die Salbe besonders bei denjenigen Hautkrank¬
heiten und Hautreizungen angezeigt, die, wie juckende Ekzeme, Pru¬
rigo, Impetigo, Urticaria, Pruritus vulvae, mit Jucken und
Brennen verlaufen. Wenn hier schon die reine Salbe Linderung und
Kühle schaffte, so war sie mit einem Medikamente verrieben von noch
intensiverer Wirkung und führte überraschend schnell zur Heilung,
zumal ihr größere Resorptionsfähigkeit und beträchtlichere Tiefen¬
wirkung eigen sind als anderen Salbengrundlagen.
Hartnäckige Ekzeme an der Ohrmuschel, im Gesichte und
auf dem Kopfe kamen mit 10°/0igem Borlinovai oder 5 — 10°/0igem
Xeroformlinoval zur Heilung, Furunkel an Hals und Nacken, die
trotz Inzisionen und innerlicher Behandlung immer rezidivierten, heilten
durch 14 tägige tägliche Applikation von reinem Linoval, mehrere Fälle
von Akne im Gesicht,, an der Stirn und im Nacken — bei denen schon
vergeblich alle möglichen Pasten, Wässer, Blutreinigungstees ange¬
wandt waren — bildeten sich unter täglicher Anwendung von 10°/0igem
Salizyllinoval überraschend schnell zurück. Bei Urticaria linderte
das reine Linoval durch seine kühlende Eigenschaft nicht nur das Jucken
und Brennen, sondern beseitigte auch in auffallend schneller Weise die
Frieseierscheinungen.
Die schmerzstillende, bakterizide und granulationsfördernde Wir¬
kung der neuen Salbengrundlage offenbarten sich bei Behandlung selbst
Linoval, eine neue Salbengrundlage.
601
veralteter Unter sehenkelg;e.schwüre, welche teils durch reines Lino¬
val, teils durch 5 — 10°/0ige Xeroformmischung schnell und prompt
zur Heilung kamen.
Einige Fälle von Psoriasis werden mit 10°/0igem Chrysarobin-
Linoval so ungemein günstig beeinflußt, daß nicht nur sofort das
lästige Jucken nachließ, sondern auch merkwürdig rasch die Haut¬
schuppen erweichten und abfielen, daß sich nach 8 — 10 Tagen eine
schuppenlose, glatte, freilich noch gerötete Hautfläche präsentierte. In¬
folge seiner leichten, sühneilen und umfänglichen Resorbierbarkeit eignet
sich das Präparat in Verbindung mit Quecksilber vornehmlich zu
Schmierkuren, und ist bei Seiner leichten Gleitbarkeit, seiner völligen
Reizlosigkeit und seinen bakteriziden Eigenschaften zu Mas'sage-
z wecken allen anderen Fettkörpern und Ölen vorzuziehen.
Endlich wurde das Mittel auch noch als Kosmetikum angewandt
bei Leuten, die an Sprödigkeit und Rauhigkeit der Hände und des Ge¬
sichtes sehr zu leiden hatten. Es macht in kurzer Zeit weiche, glatte,
geschmeidige Haut und wird deshalb als Hautkonser vierungsmittel
namentlich auch den Herren Kollegen empfohlen, die durch viel Han¬
tieren mit desinfizierenden Flüssigkeiten an spröden, rauhen Händen
leiden.
Auch als Mittel gegen das Wundlaufen bei starken Personen im
Sommer oder bei reichlicher Schweißsekretion leistete das Linoval
teils in reinem Zustande, teils mit 5 °/0 Salizyl oder Zinkoxyd verrieben,
unübertroffene Dienste.
Aus einer Reihe privater Zuschriften, welche eine größere Zahl
Kollegen über ihre mit Linoval erzielten Resultate in sehr lobendem
Sinne an den Fabrikanten gerichtet haben, geht schließlich hervor, daß
sich das Präparat bei mehreren Fällen von Pruritus vulvae, ver¬
schiedenen Ekzemjen, Vaginitts gonorrhoica, Phlegmone mit
partieller Gangrän, Gangräna senilis, bei Ulcus cruris, bei
Furunkulose, bei Schrunden an den Brustwarzen und zu Mas¬
sagezwecken ausnehmend gut bewährt hat.
Obige günstigen Berichte haben mich veranlaßt, mit dem Präparate
Versuche anzustellen und zunächst einmal eine mir zur Verfügung ge¬
stellte kleine Probe auf ihre Wirksamkeit zu prüfen. Ich muß offen
sagen, daß ich bei dem massenhaften Auf tauchen und Wiederverschwin¬
den so vieler Produkte der chemischen Industrie, mit großem Skeptizis¬
mus an diesen ersten Versuch bei einem ganz verzweifelten, jahrelang
bestehenden Falle eines chronischen Ekzems beider Hände heran¬
trat und mir keinen weiteren Erfolg versprach. Ich war aber überrascht,
als sich schon nach wenigen Verbänden mit reinem Linoval eine deutliche
günstige Beeinflussung des hartnäckigen Ekzems zeigte und der Fall
— auf den ich weiter unten noch ausführlicher zu sprechen komme
in relativ kurzer Zeit ausheilte.
Dieser erste günstige Erfolg ist dann auch die Ursache gewesen,
weshalb ich die neue Salbengrundlage bei einer größeren Reihe von
Fällen aus dem Gebiete der Chirurgie und Dermatologie einer eingehen¬
deren, objektiven Prüfung zu unterziehen bewogen wurde.
Die chirurgischen von mir mit Linoval behandelten Fälle ge¬
hörten alle in das Gebiet der sogenannten kleinen Chirurgie und betrafen
hauptsächlich Verbrennungein zweiten Grades, Abschürfungen,
Kontusionswunden, Bißwunden, Panaritien, Abszesse. Bei
diesen Arten von Verletzungen lag mir in erster Linie daran, die bakteri-
602
Carl Grünbaum,
ziele Wirkung des reinen Präparates auf Streptokokken einer unpartei¬
ischen Prüfung zu unterziehen, weshalb ich alle Fälle nur mit Linovalum
purum behandelte. Besonders sei jedoch hervorgehoben, daß die mannig¬
fachen Verwundungen nicht mehr aseptisch, sondern meist in irgend einer
Form verunreinigt waren resp. bereits leichte, oberflächliche Eiterung
auf wiesen.
Die erzielten Erfolge übertrafen meine Erwartungen.
Bei den Verbrennungen bestanden in vielen Fällen handteller¬
große Brandblasen an Händen und Füßen in großer Zahl. Die Behand¬
lung erfolgte in der Weise, daß nach Eröffnung der Brandblasen mit
Linova.l dick bestrichene Lagen Tupfermull auf die Wunden gelegt, mit
einer dünnen Schicht Watte bedeckt und dann durch Mullbinden befestigt
wurden. Der starken Sekretion wegen mußten die Verbände täglich
gewechselt werden, wobei in überraschender Weise der fortschreitende
Heilungs- und Überhäutungsprozeß zur Beobachtung kam. Ausgedehnte
Verbrennungen mit starker Blasenbildung kamen in 10 — 14 Tagen zur
Heilung, so daß ich die Tatsache feststellen kann, daß Brandwunden
bei Behandlung mit reinem Linoval vermöge der bakteriziden, granu¬
lationsanregenden, in die Tiefe dringenden Wirkung des Präparates
in relativ kürzerer Zeit der Heilung zugeführt werden, als durch die
anderen üblichen Behandlungsmethoden.
In analoger Weise habe ich auch mit recht gutem Resultate durch
Fall hervorgerufene Schürfwunden an den Extremitäten behandelt.
Ich erinnere mich hierbei eines ganz besonders krassen Falles. Patient
hatte sich beim Turnen am Unterschenkel gestoßen und eine Verletzung
am linken Schienbein davongetragen. Beim Eintritt in meine Behand¬
lung bestand eine handtellergroße, schmierige, eitrig - belegte Haut¬
abschürfung in der Mitte der linken Tibiakante, die noch dadurch
kompliziert war, daß infolge eines aufgelegten Heftpflasters die Haut
in der Umgebung der Wunde in weitem Umfange lebhaft gerötet und
gereizt war. Unter Linovalverbänden bildeten sich Rötung und eitriger
Belag schnell zurück ; Patient konnte nach acht Tagen geheilt entlassen
werden, während doch bekanntlich Kontusionswunden der Schienbein¬
kanten schwer der Behandlung zugänglich sind.
Nicht minder ermutigend waren die Erfolge bei Bißwunden
durch Hunde. Ich habe in solchen Fällen einige Tage Umschläge mit
essigsaurer Tonerdelösung machen lassen und dann mit Linovalverbänden
in wenigen Tagen Heilung erzielt. So heilte auch ein Fall schnell und
prompt, bei dem infolge zahlreicher vernachlässigter Bißwunden an
beiden Händen schon eine Phlegmone im Entstehen begriffen war, ödema-
töse Schwellung und starke Schmerzhaftigkeit bestand.
Meine Beobachtungen erstreckten sich auf chirurgischem Gebiete
weiter auf eine größere Reihe von eitrigen Erkrankungen der Extremi¬
täten, wie Fingerabszesse, Panaritiem, eingewachsene Nägel
und durch Vernachlässigung von Verletzungen entstandene
Granulationen an den Fingern. Solche Fälle wurden zunächst nach
den gebräuchlichen chirurgischen Prinzipien behandelt, indem nach In¬
zision der Panaritien resp. Exzision der Nägel in der Regel Verbände
mit essigsaurer Tonerdelösung oder trockene antiseptische Verbände
angelegt wurden. Sobald die Eiterung nachzulassen begann, bei täg¬
lichem Verbandwechsel gewöhnlich schon nach wenigen Tagen, wurde
Linovalum purum in Gebrauch genommen. Die Heilung erfolgte schnell
und in viel kürzerer Zeit als bei der früher gebräuchlichen Behandlungs-
Linoval, eine neue Salbengrundlage.
603
weise, so daß ich die Anwendung des Mittels in allen denjenigen chirur¬
gischen Fällen empfehlen möchte, in welchen sonst andere desinfizierende
Salben wie Borsalbe usw. benutzt werden.
Ein größeres Beobachtungsmaterial steht mir auf dem Gebiete
der Hautkrankheiten zur Verfügung. Mein erster, schon oben er¬
wähnter Fall, bei welchem ich mit Linoval Versuche anstellte, betraf
ein hartnäckiges, chronisches Ekzem beider Hände. Patient, ein
52 jähriger Fabrikant, litt schon seit zwei Jahren an dieser Affektion
mit tiefen Rhagaden in beiden Handflächen und enormer Verdickung
der Hornschicht in den Handtellern und den Beugeseiten der Finger,
so daß Patient vollkommen des Gebrauches seiner Hände beraubt war.
Jahrelange Anwendung aller möglichen Salben, Pasten, Pflaster hatte
nicht nur keine Heilung gebracht, sondern nicht einmal eine kleine
Besserung von Dauer herbeizuführen vermocht. Versuchsweise ließ
ich das mir gerade zur Probe übersandte kleine Quantum Linoval
in der Weise applizieren, daß die Handflächen und Beugeseiten der
Finger dick damit bestrichen, mit dünner Schicht Watte verhüllt lind
dann mit Guttaperchapapier bedeckt wurden. Entgegen der vom Fabri¬
kanten empfohlenen Anwendungsform ließ ich zur Erhöhung der Wir¬
kung mit Guttaperchapapier abdichten und muß sagen, daß mich der
schon nach wenigen Verbänden zutage tretende Erfolg direkt frappierte.
Trotzdem ich nur un vermischtes Linoval anwandte, konnte ich doch
bei jedem der täglichen Verbandwechsel ein vorschreitendes Schwinden
der dicken Verhornungen mit allmählichem Abheilen der tiefen Risse
beobachten, und konnte den Patienten, indem ich später zur Steigerung
der Wirkung 5 — 10°/0 Teer linoval verordnete, nach einigen Wochen
geheilt entlassen. Prophylaktisch muß Patient freilich noch allabend¬
lich Einfettungen der Hände mit Linoval vornehmen und darüber nachts
leichte Leinenhandschuhe tragen.
In analoger Weise habe ich in der Folge eine Reihe von Gewerbe-
Ekzemen der Hände bei Metallarbeitern mit ausnehmend günstigem
Erfolge behandelt. Ein 46 jähriger Klempner, der viel mit Kupfer und
Kupferbeize (1/3 Salpetersäure, 2/3 Wasser) arbeitet, leidet seit 10 Jahren,
sobald kalte Witterung ein tritt, an tiefen Rissen beider Hände und ein¬
zelner Finger mit stellen weiser Verdickung der Hornschicht. Patient,
der auch mit allen möglichen Mitteln behandelt und einige Jahre nicht
mehr in Behandlung gewesen war, erhielt anfangs reines Linoval,
später Teer linoval, mit dem Erfolge, daß nach verhältnismäßig kurzem
Gebrauche die Rhagaden verheilt und die Handflächen und Finger
glatt waren. Der sehr intelligente Mann erklärte spontan, daß kein
Mittel so schnell geholfen habe und daß die Wirkung der Salbe besser
war, nachdem er die Hände V4 Stunde in warmem Seifenwasser gebadet
hatte, als wenn er seine Hände in gewöhnlicher Weise mit Wasser und
Seife gereinigt hatte.
Ein anderer Patient, dessen Arbeit im Bespinnen der Kupfer¬
saiten zu Klavieren besteht, litt seit zwei Jahren an chronischem Ekzem
beider Handteller mit starker Schwielenbildung imd bestätigte mir nach
kurzem Gebrauche des Linovals, daß sein Zustand noch niemals so gut
gewesen sei, wie nach dem neuen Mittel. Auch dieser Mann war schon
verschiedentlich ohne dauernden Erfolg, zuletzt mit Röntgenbestrah¬
lungen behandelt worden.
Ein dritter Kranker, von Beruf Heizer, war von mir wegen eines
juckenden, schweren Ekzems der Vorderarme und Hände he-
604
Carl Grünbaum, Linoval, eine neue Salbengrundlage.
handelt und geheilt worden bis auf das Ekzem der Finger, das jeder
Behandlung trotzte. Der Zustand, welcher mit Schuppenbildung und
Verdickungen an den Fingern einherging, besserte sich unter Linoval,
das Patient noch weiter gebraucht, zusehends. Bei dem ab und zu
auf tretenden Juckreiz wird die kühlende Wirkung der Salbe sehr gelobt
und allen anderen Mitteln vorgezogen.
Bei einer 25 jährigen Frau, die seit längerer Zeit an Bissen und
Bauhigkeit beider Hände laboriert, die nach dem Waschen aufplatzen
und leicht bluten, habe ich mit reinem Linoval eine wesentliche Besse¬
rung erzielt. Die Bisse sind verheilt, die Handflächen glatter, die
Fingerbewegungen leichter, so daß ich mit dem jetzt verordneten
5°/0igen Teerlinoval eine' vollkommene Heilung der Bhagadenbildung
und der Disposition dazu zu erzielen hoffe.
Prophylaktisch verordne ich allen geheilten Fällen abendliche
Einfettungen mit reinem Linoval.
Bei Frauen habe ich variköse Ekzeme an den Unterschenkeln
mit 5°/0 Zinkoxyd-Linoval schneller Heilung zugeführt und empfehle
bei zirkumskripten chronischem Ekzemen mit starker Infiltration
und intensivem Juckreiz statt anderer lösender und erweichender, juck-
stillender Mittel die Anwendung von 5 — 10°/0 Teerlinoval:
Ol. Busci 5,0 — 10,0
Linoval ad 100,0.
Auch bei den im Sommer bei empfindlichen Personen unter der
Einwirkung der Wärme auftretenden Ekzemen der Finger mit Bläs¬
chenbildung und starkem Jucken habe ich mit 5°/0 Zinkoxyd-Linoval
gute Erfolge gehabt.
Da die Behandlung der Ekzeme, speziell der chronischen Formen,
eine der am schwersten zu lösenden Aufgaben der Hautspezialisten ist,
so haben sich meine Versuche vornehmlich auf die Prüfung der Wir¬
kung des Linovals auf die verschiedenen Formen von Ekzemen erstreckt,
deren ich daher eine große Anzahl mit dem neuen Präparat behandelt
habe. Auf Grund meiner Beobachtungen muß ich sagen, daß ich keine
Salbe kenne, die zur schnellen Beseitigung von Ekzemen so geeignet
wäre, wie das Linoval vermöge seiner mannigfachen vorzüglichen Eigen¬
schaften.
Bei Psoriasis bewirkte das Linoval durch seine keratolytische
Kraft, welche sich schon bei Behandlung von chronischen Ekzemen mit
Schwielenbildung hervorragend dokumentierte, ein schnelles Erweichen
und Abfallen der Schuppen. Wenn die Haut auch relativ schnell glatt
und weich wurde, so war das unvermischte Präparat doch nicht imstande,
eine vollkommene Beseitigung des Krankheitsprozesses zu bewirken.
Deshalb ist es ratsam, die Schuppenflechte mit 10°/0 Chrysarobin-Linoval
zu behandeln.
In frischen Fällen von Unterschenkelgeschwüren, die noch
nicht lange bestanden, habe ich mit reinem Linoval schnelle und dauernde
Heilung erzielt. Bei den schlaffen, atonischen, hartnäckigen Formen
varicöser Geschwüre reicht jedoch die reine Salbengrundlage zur Heilung
nicht aus; deshalb möchte ich einen 5 — 10°/0igen Zusatz von Europhen
empfehlen, welches sich nach meinen Erfahrungen zur Heilung von
Ulcera cruris vorzüglich eignet.
Einige Fälle von Pruritus scroti wurden durch Linovalum purum
wesentlich gebessert und dann durch 10 °/0 Kalomel-Linoval einer de¬
finitiven Heilung zugeführt.
R. Weißmann, Ueber die Wirksamkeit der Irrigaltabletten.
605
Außer diesen Fällen, von denen einzelne durch den günstigen Erfolg
besonders hervorragende, eine eingehendere Besprechung erfahren haben,
habe ich das Linoval noch in vereinzelten Fällen von Furunkeln,
Acne vulgaris und roisadea, Sycosis non parasitaria, Ulcus
molle, Seborrhoea capitis in Gebrauch nehmen lassen. Die bisherigen
Erfolge in diesen Fällen sind zwar nicht weniger ermutigend; da die
Beobachtungen aber noch nicht abgeschlossen sind, muß ich mir ver¬
sagen, jetzt schon ein abschließendes Urteil über die Wirkung des
Linovals bei ihnen zu fällen, nehme aber nach den vorliegenden Be¬
richten der bisherigen Beobachter an, daß die Resultate denen bei
anderen Hautaffektionen nicht nachstehen werden.
Auch als Kosmetikum habe ich das Linoval einer Prüfung
unterzogen, indem ich es einer Reihe von Patienten mit Ekzema
squamosum im Gesicht und bei Sprödigkeit und Rauhigkeit der
Hände verordnete. Die Patienten bekundeten übereinstimmend, daß
das Mittel vorzüglich sei; das Jucken im Gesicht ließ schon nach der
ersten Applikation nach, die Haut wurde glatt, weich und geschmeidig,
das lästige Spannungsgefühl des Gesichts hörte auf. "Wurde es all¬
abendlich auf rote, rauhe, aufgesprungene Hände eingerieben, so konnte
schon nach kurzem Gebrauch festgestellt werden, daß die Hände glatt,
weich und weiß wurden und die Hautrisse abheilten. Als Hautkos rneti-
kum ist das Linoval anderen auf den Markt gebrachten Zusammen¬
setzungen ebenbürtig.
Meine mit Linoval gemachten Erfahrungen stimmen also mit den
günstigen Berichten anderer Autoren voll überein. Auch ich glaube,
daß das Mittel eine überaus wertvolle Bereicherung unseres Arznei¬
schatzes darstellt. Durch seine vielen vortrefflichen Eigenschaften,
seine bakterizide, analgesierende und epithelialisierende Kraft, seine
kühlende, granulationsanregende und keratoly tische Wirkung, verbunden
mit unbegrenzter Haltbarkeit, leichter Verreibbarkeit und intensiver
Tiefenwirkung, ist eine Vielseitigkeit der Verwendung ermöglicht, wie
sie keinem anderen als Salbengrundlage dienenden Fettkörper eigen ist.
Das Präparat verdiente in weiterem Umfange als bisher therapeutisch
verwertet zu werden.
Ueber die Wirksamkeit der Irrigaltabletten.
Von Dr. R. Weißmann, Lindenfels.
Die Prophylaxe ist zu allen Zeiten die vornehmste Aufgabe der
Heilkunde gewesen. Auf keinem Gebiete wird die Verhütung von
Erkrankungen mehr vernachlässigt, als bei allem, was die Behand¬
lung der weiblichen Geschlechtsorgane betrifft. Der viel beschäftigte
Praktiker weiß, wie häufig z. B. die Verstöße gegen die Forderungen
der persönlichen Hygiene zurzeit der Menstruation sind. Er weiß,
daß unzweckmäßiges Verhalten, mangelhafte Reinlichkeit zu dieser Zeit
sehr häufig den Grund legen zu ernsteren Erkrankungen. Er weiß
auch, daß bei krankhaften Zuständen der weiblichen Geschlechts¬
organe die Frauen oft von einer staunenswerten Gleichgültigkeit sind.
Die Aufgabe des praktischen Arztes wird es deshalb sein, bei jeder
sich nur bietenden Gelegenheit auf das weibliche Geschlecht dahin zu
wirken, daß mehr Prophylaxe getrieben wird. Eine der wichtigsten
Maßnahmen zur Verhütung von Sexualerkrankungen ist die Reinlich¬
keit, die sich sowohl auf die äußeren Geschlechtsteile als auch auf
606
R. Weißmann,
das Vaginalrohr erstrecken soll. Regelmäßige Scheidenausspülungen,
wöchentlich ein- bis zweimal, auch während der Menses in der rieh’
tigen Weise angewendet, sind jedenfalls geeignet, eine Reihe von Erkran¬
kungen zu verhüten. Wenn sich solche regelmäßigen Ausspülungen der
Vagina bisher noch nicht in wünschenswertem Maße eingebürgert haben,
so liegt das vielleicht an dem Mangel eines den Frauen genehmen
Zusatzmittels für die Spülflüssigkeit. Das sonst sehr geeignete Kali
permanganicum ist wegen seiner fleckenden Eigenschaft nicht beliebt.
Ein zweites sehr gutes Mittel ist der Holzessig mit seiner mild adstrin¬
genden und schwach desinfizierenden Eigenschaft. Was ihn aber sehr
unpraktisch erscheinen läßt, ist sein intensiver, unangenhemer und lange
haftender Geruch und die flüssige Form. Der chemischen Fabrik
H. Barkowski in Berlin O 27 ist es gelungen, den Holzessig in fester
Form herzustellen. Er wird in Tabletten unter dem Namen Irrigal-
tabletten in den Handel gebracht. Diese Tabletten, mit denen ich
eine Reihe von Versuchen angestellt habe, sind angenehm parfümiert
und riechen nach Veilchen. Zum Gebrauch wird eine Tablette in einer
Tasse oder sonst einem kleinen Gefäße in heißem Wasser gelöst. Diese
Lösung wird dem in den Irrigator gefüllten Spülwasser zugesetzt.
Man erhält auf diese Weise eine angenehm nach Veilchen riechende
Flüssigkeit, die alle wirksamen Bestandteile des Holzessigs enthalten
soll. Ich habe zunächst die Irrigaltabletten einer Anzahl von gesunden
Frauen zur täglichen Benutzung empfohlen. Alle haben mir mitge¬
teilt, daß die Ausspülungen sehr angenehm empfunden werden. Die
Temperatur der Spülflüssigkeit war bei diesen Spülungen 27 — -28° R.
Den Irrigator habe ich in Kopfhöhe aufhängen lassen, wenn die Frau
sich in halb liegender Stellung auf das Bidet oder eine Stuhlkante
gesetzt hatte. Bei dreien dieser Frauen konnte ich mich durch das
Auge überzeugen, daß keinerlei nachteilige Wirkung auf die Vaginal¬
schleimhaut mit den regelmäßigen Ausspülungen mit Irrigal verbunden
war. Ich habe die Ausspülungen auch während der Menses fortsetzen
lassen, die Frauen empfanden sie alle als sehr wohltuend.
Aber auch in mehreren Fällen von Erkrankungen der Sexual¬
organe habe ich Ausspülungen mit Irrigal machen lassen und zwar
handelte es sich um Katarrhe der Vagina, des Zervix, um Erosionen
und um übermäßige und besonders übelriechende Sekretion des Uterus.
Ich lasse kurz die Krankengeschichten der betreffenden Fälle hierunter
folgen :
1. Frau C. H., ,29 Jahr alt. Alter Dammriß, klaffende Rima,
Ekzeme der der Scheide benachbarten Teile der Innenfläche der Ober¬
schenkel, Brennen in der Scheide, dünneitriger reichlicher Ausfluß.
Mit dem palpierenden Finger fühlt man Schwellung der Schleimhaut.
Im Spekulum sieht man Rötung der Schleimhaut, Schwellung der
Falten derselben. Das dünneitrige Sekret reagiert sauer und zeigt
unter dem Mikroskop zahlreiche Pflasterepithelien mit großem Kern,
Eiterkörperchen und Kokken.
Wegen des akuten Zustandes des Vaginalkatarrhs werden die
Ausspülungen mit Irrigal nur 22° R temperiert. Nach acht Tagen
hat das Brennen nachgelassen, der Ausfluß ist wesentlich geringer
geworden, das Ekzem der Oberschenkel ist unter Anwendung von
Ungt. diachylon abgeheilt. Es wird nun zu Spülungen von 28° R über¬
gegangen. Nach weiteren acht Tagen hat die Patientin keinerlei Be¬
schwerden mehr. Das sehr geringe Sekret ist rein schleimig, enthält
Ueber die Wirksamkeit der Irrigaltabletten.
607
nur wenig Pflasterepitjiel, keine Kokken und reagiert alkalisch. Finger
und Auge vermögen krankhafte Erscheinungen nicht mehr nachzu¬
weisen.
2. Frau W. E., 38 Jahr alt, zeigt ebenso wie Fall 1 alle
charakteristischen Zeichen des Vaginalkatarrhs, der verursacht wurde
durch ein zu lange liegengebliebenes Hartgummipessar. Die Behand¬
lung bestand in Entfernung des Pessars und täglichen Ausspülungen
der Scheide mit Irrigallösung von 22° P. Nach acht Tagen waren die
sämtlichen Erscheinungen zurückgegangen und es wurde nunmehr zu
Spülungen von 28° P übergegangen. Nach weiteren 14 Tagen völlig
normaler Befund. Das Pessar konnte wieder eingelegt werden, die Aus¬
spülungen werden noch fortgesetzt.
3. Frau M. S., 32 Jahr alt, Witwe. Anämie, neurasthenische
Erscheinungen, weißer Ausfluß. Die Untersuchung mittels Spiegels
ergibt mäßigen Katarrh der Vagina, Katarrh des Zervix. Ursache der
Erkrankung ist wahrscheinlich Masturbation. Die Behandlung besteht
in Ausspülungen mit Irrigallösung von Körper' wärme) und Darreichung
von Eisen. Nach acht Tagen haben die katarrhalischen Erscheinungen
nachgelassen. Zur Beschleunigung des Heilungsprozeßes wird der Zervi¬
kalkanal mit 50°/0igem Karbolspiritus mehrmals ausgewischt. Nach
drei Wehen völlige Heilung auch des Katarrhs der Vagina.
4. Frau C. B., 36 Jahr alt, sehr korpulente Frau, klagt über sehr
starken und übelriechenden Ausfluß mit Ekzem der Umgehung der
Geschlechtsteile. Scheide eng. Schleimhaut geschwollen und gerötet.
Gebärmutter in reitro flektierter Lage, gegen Druck empfindlich, Erosion
der Muttermundslippen, vereiterte Follikel. Zum Studium der Wirkung
des Irrigais wurde zunächst von weiteren Maßnahmen abgesehen und
nur Ausspülungen mit Irrigallösung von Körperwärme gemacht. Nach
vierzehntägiger Anwendung hat der Ausfluß an Menge wesentlich ab¬
genommen und seinen üblen Geruch verloren. Das Ekzem der Nates
und Oberschenkel ist abgeheilt, die Scheidenschleimhaut nur noch wenig
geschwollen und gerötet. Systematische Ausspülungen der Gebärmutter¬
höhle mit Kollargollösung, Inzision der vereiterten Follikel und Skari-
fikationen der Portio leiten die Heilung ein. Die Patientin ist noch
in Behandlung.
5. Frau A. S., 40 Jahr alt, klagt über übelriechenden Ausfluß,
Urindrang, der sich bei Hustenanfällen zu Urinträufeln steigert, und
schlechten Geruch der Menses. Außer einer sehr geringen Bötung der
Vaginalschleimhaut ist eine örtliche Erkrankung nicht nachweisbar ;
nur klafft die Pirna etwas infolge eines mäßigen Dammrisses. Nach
etwa zehntägig ausgeführten Ausspülungen mit Irrigallösung hat
sich nicht nur der schlechte Geruch verloren, sondern auch die Incon¬
tinentia urinae hat sich auffallend gebessert. Als dann die Menses ein¬
traten, wurden die Spülungen fortgesetzt und hierdurch ein weniger
unangenehmer Geruch der ziemlich reichlichen Blutung erzielt.
Aus meinen Versuchen mit den Irrigaltabletten geht hervor,
erstens, daß die Tabletten keinerlei schädliche Wirkung haben und
zweitens, daß sie bei Katarrhen der Vagina und bei durch sonstige
Erkrankungen der Genitalien bedingten reichlichen, eitrigen und übel¬
riechenden Ausflüssen eine heilende oder doch wenigstens desodorierende
Wirkung besitzen. Man ist daher wohl berechtigt, die Irrigaltabletten
zu prophylaktischen Ausspülungen, namentlich auch solchen während
608
Wohlwill,
der Menses — vorausgesetzt, daß sie richtig gemacht werden — auf
das angelegentlichste zu empfehlen. Weiter dürfte ihre Anwendung
in allen Fällen von Scheidenkatarrh und bei allen durch andere Er¬
krankungen bedingtem Fluor indiziert sein.
Hamburger Brief.
Von Dr. Wohlwill, Hamburg.
In der biologischen Sektion des Ärztlichen Vereins demonstrierte
am 16. Februar zunächst Ho me y er ein Präparat von exstirpiertem
Rektumkarzinom, in welchem sich zwei Knochenstücke eingebettet fan¬
den. H. sieht die Ursache der Ca-Entwickelung bei der jugendlichen
Patientin in diesen Fremdkörpern (chronisch entzündliche Heizung).
Oe h lecker demonstrierte den rechten Fuß eines Mannes, dem vor
neun Jahren wegen derselben Veränderungen bereits der linke ampu¬
tiert war. Es handelt sich um hochgradig deformierende Prozesse.
Drei Jahre nach der ersten Operation war Patient beschwerdefrei
geblieben, dann traten Veränderungen im rechten Fuß auf, welche
allmählich so hochgradige Beschwerden verursachten (Lymphangitiden
usw.), daß auch hier die Amputation nötig wurde. Alle lokalen Ur¬
sachen (Tuberkulose, Lues, Sarkom) waren durch das klinische Bild
und den anatomischen Befund auszuschließen.
Es mußte sich daher wohl um eine neurogene Gelenkerkrankung
handeln. Allein auch für Tabes und Syringomyelie fand sich keinerlei
Anhalt. Es könnte sich daher höchstens um Spina bifida occulta han¬
deln, bei welcher gerade in der Pubertätszeit ähnliche Veränderungen
beschrieben sind.
In der Diskussion besprach König die eigentlichen tabisehen Ge¬
lenkveränderungen unter Demonstration zahlreicher Röntgenbilder. Das
tabische Gelenk zeichnet sich durch besonders monströse Veränderungen
aus, am Fuß zerfließen die Knochen förmlich ineinander.
Zahlreiche freie Knochenspikula finden sieh in der Umgebung des
Gelenks. Aber auch weiter vom Gelenk entfernte Knochenpartien er¬
weisen sich als erweicht. Hierauf und auf der starken Flüssigkeits-
durchtränkung der Gewebe beruhen die schlechten Resultate der Resek¬
tion in solchen Fällen.
Much hielt einen Vortrag über Tuberkulose-Immunität und -Uber¬
empfindlichkeit. Der Begriff der Überempfindlichkeit stammt von
v. Behring. Es handelt sich um das Phänomen, daß Versuchstiere
durch mehrmalige Behandlung mit Bakterien oder Bakterienprodukten
so überempfindlich gegen diese werden, daß sie bereits an dem tausend¬
sten ja zehntausendsten Teil der anfangs letalen Dosis! zugrunde gehen.
Die Erscheinung steht im Zusammenhang mit den „Lysinen“ : Ein immu¬
nisierter Organismus vermag die Bakterienleiber aufzulösen, es werden
dadurch endobazilläre Gifte frei, die das Zentralnervensystem angreifen.
Much studierte diese Erscheinungen an Meerschweinchen, welche
er nach einer von ihm und Deyeke ersonnenen Methode gegen Tuberkel¬
bazillen immunisiert hatte. Infizierte er solche immunisierten Tiere mit
großen Dosen von Tuberkelbazillen, so gingen sie schnell unter Ver¬
giftungserscheinungen zugrunde, während Kontrolltiere erst nach 28
Tagen an Tuberkulose starben. Bei Anwendung kleiner Dosen dagegen
blieben die immunisierten Tiere vollkommen gesund, während die Kon¬
trolltiere wiederum tuberkulös wurden. Auch sonst tritt das Über-
Hamburger Brief.
609
empfindlichkeitsphänomen nur bei massigen Infektionen zutage. Auch
die Tuberkulinreaktion soll ein Uberempfindlichkeitsphänomen sein, da
das Tuberkulin stets noch Tuberkelbazillensplitter enthält. Es wäre
daraus zu schließen, daß ein Tuberkulöser, der stark auf Tuberkulin
reagiert, noch über reichliche Schutzstoffe verfüge, also eine gute
Prognose biete, ferner, daß das Bestreben, gegen Tuberkulin unempfind¬
lich zu machen, unzweckmäßig sei . Doch müßten alle diese Theorien
erst durch klinische Beobachtungen bestätigt werden.
Much stellt sich die Infektion mit Tuberkulose folgendermaßen
vor: Jeder Mensch kommt schon als Kind mit dem Tuberkulosevirus
in Berührung. In den meisten Fällen kommt es zur Heilung der gering¬
gradigen tuberkulösen Prozesse, und es verbleibt eine ziemlich erheb¬
liche Tuberkuloseimmunität. Wenn trotzdem später eine schwere tuber¬
kulöse Erkrankung ausbricht, so kann das erstens daran liegen, daß
der Organismus bei der ersten Infektion geschwächt war, oder daran,
daß die ,, Dosen zu massig“ waren.
Praktisch wird es sich darum handeln, die Bedingungen zu studie¬
ren, unter denen solche massigen Infektionen zustande kommen, und
diese dann möglichst zu vermeiden. Dagegen schütze man die jugend¬
lichen Individuen nicht gegen jede Berührung mit dem Tuberkulosevirus,
wie sich denn auch faktisch zeigt, daß z. B. Neger, welche aus einer
tuberkulosefreien Gregend stammen, in Europa rettungslos der Tuber¬
kulose zum Opfer fallen.
In der Diskussion bemerkte Unna, daß durch die vorgetragenen
Anschauungen vielleicht die Tatsache zu erklären wäre, daß Phthisische
so selten an Lupus erkranken, und umgekehrt. Bitter schloß sich in den
meisten Punkten Much an, glaubte aber doch aus seinen klinischen
Erfahrungen nicht den Schluß ziehen zu können, daß Tuberkulinüber-
empfindliehkeit eine gute Prognose bedeute.
In der nächsten Sitzung stellte zunächst Pie 1 sticker zwei Prä¬
parate von kongenitaler Lungensyphilis vor. Besonders bemerkeinswert
ist das eine, in welchem sich im Oberlappen ein großer Herd befand,
welcher makroskopisch als Gummi gedeutet wurde. Die histologische
Untersuchung ergab, daß es sich um. eine anaemische Nekrose handelte,
bedingt durch Endarteriitis obliterans des zuführenden Arterienastes.
Es gelang P., in der Wand des verschlossenen Gefäßes Spirochäten nach¬
zuweisen .
Fraenkel betonte in der Diskussion zunächst die Wichtigkeit
dieses Spirochätenbefundes bei einer Herderkrankung bei negativem
Befunde in den nicht erkrankten Abschnitten, weil ihm gegenüber ein
Hauptargument der immer noch vorhandenen Spirochätengegner hinfällig
sei. Sodann wies er unter Demonstration eines entsprechenden mikro¬
skopischen Präparates auf die Bedeutung der Gefäß Veränderungen für
den ganzen Prozeß der Pneumonia alba hin. In dem vorgezeigten Gefäß
war einmal eine Blutung zwischen Media und Adventitia und ferner
ein miliarer Gummiknoten in der W and sichtbar.
Simmonds demonstrierte zwei Fälle von Endo- und Perikarditis,
hervorgerufen durch den Gonokokkus. In beiden Fällen gelang der
mikroskopische, in dem einen auch der kulturelle Nachweis des Erregers
in den Klappenauflagerungen, während das Blut steril blieb.
Bevorzugt sind die Aortenklappen, demnächst die Pulmonalklappen,
selten erkrankt die Mitralis.
39
610
Wohlwill,
.Pfister hielt einen Vortrag über traumatische peri- und parostale
Ossifikationen. Er besprach zunächst den Namen, wies den der trau¬
matischen Exostosen als falsch zurück und empfahl den von König
eingeführten: „frakturlose Kallusgeschwülste“. Um echte Geschwulst¬
bildungen handelt es sich übrigens nicht, eher schon um entzündliche
Vorgänge. Jedes Gewebe, welches Bindegewebe enthält, vermag Knochen¬
gewebe zu bilden, wenn zwei Dinge hinzukommen: Nekrose und Kalk¬
ablagerung. Die Knochenbildung tritt meist 3 — 4 Wochen nach dem
Trauma auf. Dies kallusartige Gewebe sitzt dem Knochen entweder
breit oder gestielt auf, oder ist ganz ohne Zusammenhang mit ihm.
Mehrfach konnte die allmähliche Resorption in späterer Zeit verfolgt
werden. Der Ansicht von Stieda, daß es sich bei den in der Gegend
des Epicondylus medialis femoris gefundenen Knochenfragmenten, um
Absprengungen handele, kann ,P. sich nicht anschließen, da er den
Knochensohatten allmählich auf treten und wieder verschwinden sah.
Die Diagnose dieser traumatischen Ossifikationen ist mit Hilfe des
Röntgenbildes meist nicht schwierig, die Therapie soll möglichst kon¬
servativ sein. Vor allem soll nicht opeirert werden zu einer Zeit, wo
die Knochenbildung noch im Zunehmen begriffen ist.
In der Diskussion bemerkte Preis er, daß nach seinen Beobach¬
tungen es sich bei der erwähnten „Stieda’ sehen Fraktur“ häufig um
indirekte Traumen handele. Er glaubt daher, die Entstehung durch einen
Abriß durch das Ligamentum oollaterale mediale erklären zu können.
Er konnte diese Fraktur an der Leiche experimentell hervorrufen. Dem¬
gegenüber hielt König es für sehr unwahrscheinlich, daß, wenn es
sich um eine Fraktur handelte, eine so schnelle Resorption stattfinden
könne, wie er es beobachtet habe. Er wies dann ferner auf die auffallend
großen, und wohl nur durch Nerveneinfluß zu erklärenden Verschieden¬
heiten der Kallusbildung hin.
Einstein und Haenisöh machten noch darauf aufmerksam, daß
es nötig sei, in derartigen Fällen auch die andere Extremität röntgeno¬
logisch zu untersuchen, da sich schon mehrfach derartige, mit einem
Trauma in Beziehung gebrachte Schatten, bei genauerer Untersuchung
als ganz etwas anderes (Kalkkonkremente usw.) erwiesen hätten.
Im Hauptverein demonstrierte Kellner den Schädel eines Homo
australiensis palinander. Derselbe stammt aus Neu - Mecklenburg und
entspricht völlig dem von Haeckel unter obigem Namen beschriebenen.
Es handelt sich wahrscheinlich um den Rassentypus der noch jetzt
lebenden Ureinwohner Australiens. Der Schädel zeichnet sich aus durch
fliehende Stirn, geringe Schädelkapazität, Fehlen der Hinterhauptswöi-
bung, starkes Vorspringen sowie starke Ausbildung des Orbitalrandes
und endlich das Bestehen einer neunten Alveole im linken Oberkiefer.
Sodann demonstrierte Fraenkel mehrere Präparate; zunächst gich¬
tische Ablagerungen in den Crico- Arytaenoid- Gelenken, ein bisher bei
Sektionen nur sehr selten erhobener Befund. Es ist wichtig, auch dieses
Gelenk bei Gicht post mortem zu untersuchen.
Ferner demonstrierte er mehrere Wirbelsäulen. Zunächst eine solche
mit tuberkulöser Spondylitis, bei welcher sich als zufälliger Befund
ein Geschoß in einem Wirbelkörper fand, der übrigens selbst von
tuberkulösen Veränderungen frei war. Bei einem weiteren Präparat
von Spondylitis tbc. waren neun Wirbel knöchern miteinander ver¬
schmolzen. Es stellt dies einen Heilungsprozeß dar, jedoch war es
hierdurch zu einer hochgradigen Kyphose gekommen, und infolge
Hamburger Brief.
611
davon zu Zirkulationsstörungen (schwerste Cyanoise), welche den Tod
herbeiführten. Endlich demonstrierte er noch drei Fälle von Karzinom¬
metastasen in der Wirbelsäule, hei denen sich sowohl oszifizierende
wie rarefizierende ,Prozesse an Körpern und Bögen fanden. Zugleich
zeigte er Röntgenbilder von metastatischen Tumoren der Wirbelsäule,
und sprach dabei den Wunsch aus, daß auch intra vitam bei möglichst
vielen Karzinompatienten eine Röntgenaufnahme der Wirbelsäule vorge¬
nommen werde.
In der folgenden Sitzung berichtete E mb den über einen Patienten,
welcher nach Kopftrauma über Abnahme der Intelligenz und Schwindel¬
gefühl klagte. Es fand sich bei ihm als Symptom einer zerebralen
Störung eine starke ,Polyurie (bis 71). Auf dies Symptom muß besonders
geachtet werden, da die Patienten es oft spontan nicht angeben. Ferner
demonstrierte er einen sechsjährigen Jungen mit Eacialislähmung. Der
Pat. war im November mit hohem Fieber und Allgemeinerscheinungen
erkrankt. Erst mehrere Tage später trat die Gesichtslähmung auf,
und zwar ist der untere Ast mehr als der obere beteiligt. Nach dieser
Anamnese und diesem Befund faßt E mb den die Lähmung als eine
pontine auf und bringt sie in Zusammenhang mit den neuerdings gehäuft
auf treten den Fällen von Poliomyelitis. Entsprechende Beobachtungen
wurden in der von Wiek man beschriebenen skandinavischen Epidemie
gemacht. E. machte dann noch Angaben über das z. Zt. in Hamburg und
Umgegend gruppenweise Auftreten von Poliomyelitisfällen.
Sodann berichtete Nonne über ein junges Mädchen von 16 Jahren,
welches 14 Tage vor der Aufnahme ins Krankenhaus mit leichten
Schmerzen im Rücken und Nacken erkrankt war, wozu sich später eine
Schwäche in den Beinen und Blasen Störungen gesellt hatten. Bei der
Aufnahme fand sich eine spastische Paraplegia inferior mit leichten
Sensibilitätsstörungen und motorische Schwäche der Arme. Der Prozeß
schritt ohne Temperatursteigerung zunächst nach unten fort, so daß
die Lähmung jetzt eine schlaffe wurde, und dann auch nach oben: Be¬
teiligung der Arme und Indiehöherücken der Sensibilitätsstörung. Nach
acht Tagen traten schwere zerebrale Symptome auf, welche schnell zum
Tode führten. Könne besprach ausführlich die Differentialdiagnose,
welche, unter Ausschluß von Meningitis (Lumbalpunktion) Landry-
scher Paralyse (Sensibilitätsstörungen !) Syphilis und zentraler Rücken¬
markstuberkulose zwischen akuter Myelitis aus unbekannter Ursache
und zentralem Rückenmarkstumor schwankte. Die Sektion ergab, daß
die letztem Annahme die richtige war. (Demonstration von Photo¬
graphien und mikroskopischen Schnitten.)
Simmonds berichtete über eine eigentümliche Form von Ileus,
welche zuerst von Glenard beschrieben ist. Es handelt sich um einen
Verschluß des Duodenums, bei welchem man bei der Sektion nur einen
enorm aufgetriebenen Magen und Duodenum findet.
Der Verschluß tritt ein durch Druck der das Duodenum kreu¬
zenden Radix mesenterii. Von Bedeutung für das Zustandekommen
ist einmal die Ektasie eines pto tischen Magens und andererseits eine
besondere Enge der ebenfalls nach abwärts gesenkten Dünndarm¬
schlingen. AVenn intra vitam die Diagnose möglich ist, soll nach
Simmonds’ Vorschlag versucht werden, einfach durch Hochstellen des
Fußendes des Bettes eine Entleerung des Magens zu erzielen. ----- Über
die Vorträge von Kümmel! und Lauenstein soll erst referiert werden,
nachdem die Diskussion über dieselben stattgefunden haben wird.
39*
612 Ascher,
Breslauer Brief.
Von Dr. Ascher.
Am 26. Februar sprach Rosen fei dt in der ,, Schlesischen Gesell¬
schaft“ über Behandlung der Zuckerkrankheit. In seiner Einleitung
wies R. kurz auf die Wandlungen in der Therapie dieser Krankheit
hin. Man ver ordnete früher eine Fleischdiät und entzog die Kohle¬
hydrate. Dadurch wurde der Patient zwar zuckerfrei, aber zusehends
magerer und schwächer. Dann ging man daran, das Toleranzstadium
zu bestimmen. Das Einsetzen einer Eiweißfettdiät hat seine Bedenken,
die zunächst in der drohenden Komagefahr liegt, dann aber ein genaues
Bestimmen der Toleranzgrenze nicht möglich macht, weil der Dia¬
betiker nach der Entzuckerung bedeutend mehr Kohlehydrate verträgt
als ohne diese Kur. Vortragender unterscheidet alimentäre und kon¬
stitutionelle Zuckerfälle. Unter den ersteren leichte und schwere For¬
men. Die leichten Formen können sich verschlimmern, die schweren
entschiedene Neigung zur Besserung haben. An der Hand von Tabellen
aus beiden Gruppen weist er nach, daß mit der Toleranzgrenze nicht
die für den Patienten günstigste Toleranz erreicht wird, wenn auch
Zuckerfreiheit damit verbunden ist. Nach Rosenfel dt ist diejenige
Toter an zgrenze die günstigste, die immer einen konstant bleibenden
Prozen tzatz von Zuckerausscheidung zur Folge hat. Ist diese er¬
reicht, dann hebt sich der Kräftezustand, es verschwinden eine Reihe
nervöser Symptome wie Magenbeschwerden, Neuralgien, Schlaflosigkeit;
letztere wohl durch das Zurückgehen des Zuckers im Blute und im
Urin. Bei den meisten alimentären Fällen ist eine totale Entziehung
der Kohlehydrate nicht nötig und bedeutet für den Patienten eine
Qual ; eine Diät von 80—100 g Semmel pro die erleichtert den Kranken
ihren Zustand ungemein und ist nicht schädlich. Er verfolgt im all¬
gemeinen das Prinzip, bei schweren konstitutionellen Fällen Semmel
zu gestatten und macht aber doch einen Unterschied zwischen leichteren
Fällen, wo die Toleranz anfangs größer ist und schwereren, wo der
Effekt jeder Gabe von Kohlehydraten immer ein negativer bleibt. Je
geringer das Gewicht der Kohlehydrate ist, desto kleiner ist aller¬
dings der negative Wert, aber positive Zahlen oder gar Zuckerfreiheit
lassen sich nicht erreichen. Vortragender kommt auf seine Versuche
vom Jahre 1885 zu sprechen, wo er von dem Gedanken ausging,vdaß
das Eiweiß als Muttersubstanz des Azetons anzusehen ist, während
nach seiner heutigen Meinung das Fett dafür zu gelten habe. Die
Fette verbrennen im Feuer der Kohlehydrate. Fette, die nicht ver¬
brennen, bleiben in der Leber liegen. In den Endstadien des Diabetes
tritt dann die Lipämie ein. Ist die Verbrennung eine teilweise, so
werden die Fette bis zur /^-Oxy buttersäure, Azetessigsäure und zum
Azeton verbrannt. Da im Coma diabeticum die ^-Oxy butt er säure reich¬
lich vorhanden ist, so müssen Kohlehydrate gegeben werden, damit der
Diabetiker das Fett oxydieren kann. Lävulose im Gegensatz zur
Dextrose von Ketoncharakter, erscheint nach mehreren Tagen im Urin
und verwandelt sich scheinbar in Glykogen, das aus der Galaktose
gebildet wird. Die Versuche mit Glyzerin haben keine besonderen
Resultate ergeben. Die Forschungen des Vortragenden haben ferner
ergeben, daß der Zucker auf anhepatischem Wege oxydabel ist. Die
Darreichungsmethode ist die per Klysma und die intravenöse Appli¬
kation. Die Versuche nach dieser Richtung hin sind noch nicht ab-
Breslauer Brief.
613
geschlossen. Die Herabsetzung der Zucker- und Azetonausscheidung
bei der Glutarsäure müsse auch durch die Ausschaltung des Leber¬
weges erklärt werden. Der Alkohol erweist sich beim leichten alimen¬
tären Diabetes als Schädigungsmittel, bei schweren konstitutionellen
Fällen wirkt er einige Tage antiglykosurisch, dann aber oft schwer
schädigend. Am Schlüsse seiner Ausführungen verweist R. auf einen
mittels der Hafer kur von ihm behandelten Fall von schwerem, kon¬
stitutionellem Diabetes, mit dem er einen vorzüglichen Erfolg aufzu¬
weisen hatte. Bei der Hafer kur glaubt er auch einen anhepatisohetn
Weg annehmen zu müssen. Seine Versuche nach dieser Richtung hin,
sind noch nicht abgeschlossen.
In der sich anschließenden Diskussion betont O p-p ler, daß er
mit der Hafer kur keine günstigen Erfolge aufzuweisen hat, Hyrtle
wünscht Beweise für die Umgehung des Leberweges bei der Hafer kur.
Die Sitzung der schlesischen Gesellschaft am 5. März 1909 fand
als klinischer Abend in der Chirurgischen Universitätsklinik statt und
bot ein reichhaltiges Programm.
Als Erster stellte Küttner eiinen 21 jähr. Patienten vor, bei dem
er wegen ausgedehnter chronischer adhäsiver Perikarditis die B rauer -
sehe Operation gemacht hat. Die Indikation besteht in der Verwach¬
sung mit Brustwand, Mediastinum, Pleura, Lunge und der daraus
resultierenden Überlastung und schließlichen Erlahmung des Herzens.
Er beschreibt kurz die Operationsmethode. Sämtliche Beschwerden sind
verschwunden, ein geringer Aszites ist noch übrig geblieben. Er hat
einen Fall in noch vorgeschrittenerem Stadium mit dem gleichen gün¬
stigen Erfolge operiert. Die Fälle sind zwar nicht anatomisch, aber
doch klinisch als geheilt zu betrachten. Er empfiehlt die Anwendung
des Ätherrausches, gegenüber der lumbalen Anästhesie.
Er demonstrierte ferner einen 49 Jahre alten Patienten mit einem
operierten Krebs der Epiglottis. Er hat in zwei Zeiten operiert, weil
sich eine schwere Asphyxie einstellte, die nur durch Trachektomie zu
beseitigen war. 10 Tage später erfolgte die zweite Operation. Frei¬
legen des linken Larynx, Pharinx. Eröffnung des Larynx durch die
Fissur’. Erst als in querer Richtung das Zungenbein durchtrennt war,
gelang es, den Krebs zu entfernen.
Darauf demonstrierte K. zwei Fälle von malignen Klavikular-
tumoren. Ein Spindelzellensarkom und ein Myxo-chondro-osteo-Sarkom.
Bei beiden ist die Exartikulation der Klavikula im Sternalgelenk ge¬
macht worden. Er wies auf die Schwierigkeit der Operation wegen der
sehr nahe liegenden Vena subclavia hin, die meistenteils von dem Tumor
mitergriffen ist. Funktionell sind die Resultate so vorzüglich, daß K.
zu dem Schluß kommt, die Klavikula sei vollständig entbehrlich. Dann
besprach er zwei Fälle von Kleinhirn-Brückenwinkeltumoren. Der erste
Fall kam ad exitum, bevor man noch an den Tumor herangekommen war.
Die Sektion (Dr. Ascher) ergab Tod durch Kompression des Atem¬
zentrums. Die abundante Blutung ist auf einen erschwerten Abfluß
des venösen Blutes zurückzuführen. Der zweite Fall betrifft eine
30jährige Frau (Demonstration). Die Patientin ist jetzt vier Wochen
nach der Operation, und allmählich beginnen die früheren Symptome
zu schwinden. Da das Kleinhirn sich nach der Luxation nicht mehr
zurückbringen ließ, mußte es teilweise reseziert werden. In der Dis¬
kussion betont Bonhoeffer die relative Gutartigkeit der Kleinhirn-
Brückenwinkeltumoren und hält sie in der großen Mehrzahl der Fälle
614
Ascher, Breslauer Brief.
für Akustikustumoren. Gewöhnlich sind Hörstörungen die ersten sub¬
jektiven Symptome.
Herr Foerster spricht über die Charakteristik tabischer Krisen.
Xach den Hea.d’schen Hy per äs tesie tafeln glaubt er eine tabische gastri¬
sche Krise von Erbrechen, die durch Reiz des Zentrums oder durch
ein Karzinom hervorgerufen werden, unterscheiden zu können. Xach
He ad entspricht bei Magenkrisen die Hyperästhesie der Gegend des
VII. — IX. spinalen Segmentes.
Vortragender demonstriert dann einen ungefähr 50 jährigen Mann,
dem von Ivüttner die VII., VIII. u. IX. Wurzeln durchschnitten worden
sind. Die Operation wurde in zwei Zeiten gemacht. Der Patient hat
andauernd drei Wochen hintereinander Erbrechen gehabt. Er schwebte
in Gefahr, zu verhungern. Die Tagesdose Morphium stieg ständig. Sofort
nach dem Eingriff hörten die Beschwerden auf. Patient konnte essen
und befindet sich in einem relativ günstigen Zustande. Doch fällt die
allmähliche Morphiumentwöhnung sehr schwer.
In der sich anschließenden Diskussion spricht Küttner über die
Operationstechnik. Bonhoeffer fragt an, ob die Head’schen Tafeln
von den Internisten bestätigt worden sind.
v. Strümpell erklärt, daß die wenigen und nicht sehr ausge¬
dehnten Versuche, die Head'schen Angaben nachzuprüfen, fast sämt¬
lich negativ ausgefallen sind. Er selbst hat fast nie aus diesen Angaben
einen differentialdiagnostischen Schluß ziehen können. Dem schließt
sich auch Stern an.
Foerster erklärt, über interne Leiden keine Erfahrungen zu
haben. Er erwähnt einen Head' sehen Fall, wo bei einem Herpes zoster
der VIII u. IX. hinteren Wurzel schwere gastrische Erscheinung'en
aufgetreten waren. Er hat ferner tabische Magenkrisen beobachtet,
die mit Herzaffektionen einhergingen, er will das als einen Beweis an-
sehen, daß auch der Vagus den Magen versorgt.
Fabiunke demonstriert einen nach seinen Angaben konstruierten
Röntgenspiegel zur Durchleuchtung der Kieferhöhle und zur genaueren
Beleuchtung von Kieferfrakturen. Ferner eine Kopfstütze mit drei
Platten zur Fixierung bei Kopfaufnahmen und einen Tubus zur Auf¬
nahme der obersten Halswirbel. Dieser ist kegelförmig und wird mit
seinem spitz zulaufenden Ende bis an die hintere Rachenwand geführt.
Im Anschluß daran demonstriert Danielsen ein Sarkom des
Musculus brachialis internus, das sich gut exstirpieren ließ. Er macht
auf die Schwierigkeit der Differentialdiagnose zum Muskelgummi auf¬
merksam. Heute sind die Schwierigkeiten durch die Serumreaktion
gehoben.
Vortragender demonstriert ferner ein Lipom des linken Oberarms
mit intramuskulärer Entstehung. Lieblingssitz für derartige Tumoren
sind Biceps imd Quadriceps. In der Diskussion betont Küttner die
Seltenheit der Tumoren.
Ludloff demonstriert einen Patienten mit einem doppelseitigen
Supra kondylären Bruche beider Oberschenkel. Die Bruchstellen sind
operativ freigelegt worden, durch eiserne Bänder und Schrauben mit¬
einander verbunden und in festen Gips gelegt worden.
Die Metallteile sind per primarn reaktionslos verheilt. Das Resul¬
tat ist vorzüglich. Vortragender warnt vor der kritiklosen Anwendung
des Röntgenphotogramms in solchen Fällen, weil die Hämatome falsche
Bilder vortäuschten. Er bespricht dann die verschiedenen Behandlungs-
Vorläufige Mitteilungen und Autoreferate.
615
methoden, wie die Extensionsmethode mit dem Supping’ sehen Apparate,
die Extension an einem quer durch, die Kondylen getriebenen Stabe,
die Ausschaltung der Gastrocnaemii durch Tenotonomie der Achilles¬
sehne.
Er hat mit seiner Methode sieben Vorderarmfrakturen behandelt
und vorzügliche Erfolge gehabt. (Demonstration eines 12jährigen
Patienten.) Er bevorzugt den frühzeitigen Eingriff, bevor die Kallus¬
bildung sich noch nicht verbraucht habe. Es folgt die Demonstration
eines Patienten, der sich zweimal hintereinander die Quadricepssehne
unterhalb der Patella restlos abgerissen hatte. Die Patella wurde durch
20 dicke Seidenstränge mittels Naht an der Tibia fixiert. Jetzt nach
sechs Monaten werden die Eäden ausgestoßen, doch hat sich inzwischen
ein so festes Bindegewebe entwickelt, daß der Verlust der Seide nicht
mehr schaden kann. Dann wird ein schon einmal demonstrierter Patient
mit Myositis ossificans gezeigt. Die Eibrolysinbehandlung hat vorzüg¬
liche Erfolge gezeitigt.
Koenen demonstriert zwei Ringe, die von dem Penis bei zwei
Patienten durch Aufsägen haben entfernt werden müssen; die starke
Kompression hat den Membris nichts geschadet, weil der Penis eine
starke Blutversorgung aufzuweisen hat. Dann zeigt Pritsch einen
17 Jahre alten Patienten mit einem Abriß der Spina tibiae, und einen
älteren Patienten mit einer Beckenfraktur mit starker Dislokation.
Levy demonstriert ein ab gekapseltes Epitheliom der Oberlippe
und zwei Fälle von Artritis deformans der "Wirbelsäule. Fall 1, 40 j ähr.
Mann. Entzündung des Hüftgelenkes mit leichter Ankylosierung der
"Wirbelsäule. Fall 2, 45 jähriger Mann mit ausgesprochener Ankylo¬
sierung der "Wirbelsäule.
Vorläufige Mitteilungen u. Autoreferate.
Die praktischen Konsequenzen der Wassermanrvschen Luesreaktion für
den Frauenarzt.
Von Dr. Pust.
(Xaeli einem Vortrag in der gynäkologischen Gesellschaft zu Dresden am 18. 8. 09.
Nachdem jetzt so viele tausend Emzelbeobaehtungen vorliegen,
kann die Methode in die einzelnen Disziplinen übernommen werden,
da wesentliche Einschränkungen nicht mehr zu erwarten sind. Die
Fehlerquellen sind bekannt. Ihre Ausschaltung ist Sache des Labora¬
toriums, zum Teil des Klinikers resp. Praktikers. Für unsere Gegenden
kommt nur Scharlach in Betracht. Sonst besteht imbedingt der Satz
zu Recht : WM die Reaktion positiv ausfällt, da ist auch Lues. Die
Lmkehrung ist nicht möglich, da z. B. im Primärstadium und häufig
nach einer Kur die Reaktion negativ ist. Eine negative Reaktion kann
aber wieder positiv werden, da Heilung und negative Reaktion nicht
gleichbedeutend sind. Prognostisch ist die Methode nicht oder jeden¬
falls nur mit ganz erheblichen Einschränkungen zu verwerten. Für
den Frauenarzt ergeben sich speziell folgende praktischen Konsequenzen
aus dieser neuen Errungenschaft.
1. In allen klinisch auch nur ganz entfernt verdächtigen Fällen
ist möglichst die Reaktion anzustellen, namentlich aber bei mehrfachen
Aborten.
616
Vorläufige Mitteilungen und Autoreferate.
2. Bei positivem Ausfall ist unbedingt auf eine Behandlung und
möglichst auch auf eine längere intermittierende serologische Über¬
wachung zu dringen.
3. Der Ehekonsenz kann nicht von dem Ausfall abhängig g'emacht
werden, sondern muß sich wie bisher nach der Behandlung und den
Erscheinungen richten. Eine längere serologische Überwachung ist
wünschenswert. Negativer Ausfall der Reaktion erhöht die Chancen
für eine gesunde Ehe.
4. Bei nachgewiesener Lues der Eltern soll auch das Kind sero¬
logisch untersucht und — wegen der Ansteckungsgefahr — überwacht
werden.
5. Bei der Untersuchung Prostituierter verspricht die Methode
nur zur Sicherung der Diagnose Erfolge. Solange nicht ein weiterer
Parallelismus zwischen Behandlung und Reaktion sich ergeben sollte,
dürfte sie für die Überwachung der Prostitution nicht wesentlich in
Betracht kommen.
6. Keine Klinik sollte eine Amme ohne Anstellung der Wasser¬
mann sehen Reaktion empfehlen, auch wenn sie klinisch gesund und
an amnestisch unverdächtig ist.
7. Jede Amme mit positivem Ausfall der Reaktion muß unbedingt
vom Stillen fremder Kinder ausgeschlossen werden.
8. Bei luesverdächtigen Eltern ist auch der Säugling zum Schutze
für die Amme mehrmals zu untersuchen. " Autoreferat.
Bakteriologische und serologische Untersuchungen bei Scharlach.
Von Dr. Felix Schleiß n er.
(Verein deutscher Ärzte in Prag. Sitzung vom 19. März 1909.)
S. hat an einem größeren Material Blutuntersuchungen vorge¬
nommen und ist zu folgenden Resultaten gelangt: 1. Es scheint, daß
in jenen Fällen von Scharlach, wo man zeitig genug untersuchen kann,
noch vor Beginn der Angina auf den Tonsillen sich fast ausschließlich
Streptokokken finden, die bei Abimpfung und Züchtung auf Rinder¬
serum beinahe in Reinkultur aufgehen. 2. In auffallend vielen Fällen
von Scharlach kann man aus dem Blute Streptokokken züchten, ohne
daß ihr Auftreten irgendwie schlechtere prognostische Bedeutung hätte.
3. Die Sera von Scharlachkranken der 2. — 5. Woche geben mit Emulsio¬
nen mancher Streptokokken, die aus Scharlachblut gezüchtet wurden,
Komplementbindung, enthalten also Streptokokken-Antikörper. In der
ersten Woche scheinen diese Körper noch nicht gebildet zu sein, in der
6. Woche verschwinden sie aus dem Blute; den Höhepunkt scheint ihre
Bildung am 10. Tage zu erreichen ; diese Körper verhalten sich in ihrem
Auftreten ähnlich, wie die anderen Antikörper. 4. Eine Differenzie¬
rung der verschiedenen Streptokokkenarten ergibt sich aus dem Ver¬
halten der Komplementbindung nicht mit Sicherheit. Autoreferat.
Ueber den Infektionsweg der Larynxtuberkulose.
Von Dr. Arthur Meyer, Berlin.
(Autoreferat aus der Zeitschr. für Laryng., I., H. 6. Festschrift für P. Heymann.)
Die Entstehung einer Schleimhauttuberkulose sind wir a priori
immer geneigt auf Oberflächeninfektion zur ückzuf ähren, weil nur diese
die Erkrankung eines einzelnen Organs und nur seiner, dem Kontakt
Vorläufige Mitteilungen und Autoreferate.
617
mit infektiösem Material ausgesetzten Fläche erklärt. Wir müssen
aber, um Positives auszusagen, erst noch nachweisen, daß diese Infek¬
tion möglich ist, und daß mit diesem Übertragungsmodus in stati¬
stischer, ätiologischer und anatomischer Beziehung das Bild der ört¬
lichen Erkrankung vereinbar ist.
1. Der Kehlkopf kann von der Schleimhaut aus mit Tuberkulose
infiziert werden. Gelegenheit dazu ist beim Phthisiker geboten, und
der Bau des Kehlkopfes ermöglicht die Inokulation. Tierversuche
von A. Meyer, Frese, Albrecht haben dargetan, daß durch Ein¬
reiben von tuberkulösem Material die Schleimhaut des Larynx tuber¬
kulös erkrankt. Auch die sicheren Fälle von primärer Kehlkopf¬
phthise sind nicht anders als durch örtliche Inokulation zu erklären.
2. Nur bei Lungenphthisikern erkrankt der Kehlkopf, nicht
bei solchen Patienten, die an Tuberkulose anderer Organe, selbst der
zervikalen Lymphdrüsen, leiden ; also nur wo Sputum vorhanden ist.
Das Fehlen erkrankter Halsdrüsen bei Larynxphthise spricht gegen
die Entstehung dieser auf dem Lymphwege. Nur der Lupus kriecht
in den Lymphspalten abwärts zum Larynx, und in seltenen Fällen
kann sich auch ulzeröse Tuberkulose des Pharynx oder Zungengrundes
auf diesem Wege auf den Kehlkopf fortpflanzen ; doch ist das klinische
Bild solcher Fälle verschieden von den gewöhnlichen.
3. Das männliche Geschlecht ist mehr exponiert, entsprechend der
erhöhten Zahl von Schädigungen, denen das Epithel des Larynx beim
Manne ausgesetzt ist, und welche Eingangspforten für die Bazillen
schaffen. Im Sinne der Kontaktinfektion liegt es, daß vorwiegend
Patienten mit vorgeschrittener Lungentuberkulose am Larynx er¬
kranken; Besold u. Gidionsen’s entgegenstehende Angabe erklärt
sich dadurch, daß kehlkopf kranke Phthisiker früher auf ihr Leiden
aufmerksam werden als kehlkopfgesunde, und sich, selbst bei minder
ausgesprochener Lungenerkrankung, leichter zur Sanatoriumsbehandlung
entschließen. Die von manchen Autoren behauptete „laterale Kor¬
respondenz“, die als Beweis für eine Entstehung auf dem Lymph¬
wege herangezogen wird, hat nach den Angaben der meisten keine
Bedeutung.
4. Die von der Tuberkulose bevorzugten Stellen des Kehlkopfes
sind diejenigen, welche beim Husten und Sprechen dem größten Druck
ausgesetzt sind, und welchen zugleich das Flimmerepithel fehlt, näm¬
lich Stimmbänder und regio mterarytaenoidea. „Kontaktgeschwüre“
an symmetrischen, einander berührenden Punkten der Stimmbänder oder
Aryknorpel sind nur durch Inokulation erklärlich.
5. Der histologische Befund ist an sich weder für die Blut- oder
Lymph- noch für die Oberflächentheorie beweisend. Untersucht man
wirklich beginnende Affektionen, so findet man miliare Tuberkel
in der Mukosa unter intaktem Epithel. Ganz das gleiche Bild ergibt
aber auch die allgemeine Miliartuberkulose des Kehlkopfs, nur
daß der Sitz der Tuberkel vorwiegend die Epiglottis und die Taschen¬
bänder sind. Und auch bei der künstlichen Inokulationstuberkulose
ist das histologische Bild das gleiche.
Es sprechen also alle Tatsachen für die Entstehung der Kehl¬
kopfphthise von der Oberfläche aus. Auch vom praktischen Stand¬
punkte aus ist dies bedeutsam, denn nur durch diese Feststellung ist
uns eine Handhabe zur Verhütung der Kehlkopferkrankung gegeben.
618
Referate und Besprechungen.
Referate und Besprechungen.
Chirurgie.
Gangrän der Gallenblase durch Stieldrehung.
(Dr. Nehrkorn, Elberfeld. Deutsche Zeitschr. für Chir., Bd. 96, H. 1 — 8.)
Bei einer 74 jährigen Erau, bei welcher wegen peritonitischer Erschei¬
nungen unter der Diagnose „Gallenblasenempyem“ auf eine überfaustgroße
Resistenz der Gallenblasengegend eingegangen wurde, zeigte sich die bräunlich
gefärbte Kuppe der Gallenblase rings von Netz- und Darmadhäsionen um¬
schlossen. Die aus ihren Verwachsungen gelöste Gallenblase hing frei an
einem Stiel, welcher einmal vollkommen um sich selbst torquiert war. Zentral-
wärts von der Drehungsstelle spannte sich eine kurze Bandverbindung vom
Cysticus zur Leber. Exstirpation der Gallenblase, deren Wand völlige Nekrose
zeigte.
Es gibt in sehr lockerer Verbindung mit der Leber stehende am Cysticus
wie an einem Stiel hängende Gallenblasen. Wenn eine Achsendrehung einer
derartigen Wandergallenblase, um welche es sich offenbar in dem Fall ge¬
handelt hat, auch verständlich erscheint, so dürfte eine zu einer völligen
Unterbrechung der Blutzirkulation führende Stieldrehung doch ein sehr selten
gesehenes Ereignis sein. F. Kayser (Köln).
Gallensteine in der Harnblase.
(F. Michel, Koblenz. Zentralbl. für Gyn., Nr. 1, 1909.)
Bei einer 29 jährigen Patientin, welche vor 3 Jahren an einer heftigen
Gallensteinkolik und im weiteren Verlauf wiederholt an Anurie und Blasen¬
beschwerden gelitten hatte, wurden aus der von der Scheide aus eröffneten
Blase vier mittelgroße fast ausschließlich aus Cholestearin bestehende Steine
entfernt. Da vor der Operation und auch jetzt noch der Urin zitronengelbe,
dicke ölige Beschaffenheit zeigt, ist anzunehmen, daß noch jetzt eine Ver¬
bindung zwischen den Harnorganen und den Gallenwegen, die die Einwanderung
der Steine in die Blase ermöglicht, besteht ; ob es sich um eine Fistel der
Gallenblase mit einem Ureter oder der Blase handelt, konnte, da die Patientin
eine cystoskopische Untersuchung ablehnte, nicht festgestellt werden.
F. Kayser Köln).
Gallensteine bei einem 71/« jährigen Knaben.
(W. Stelzner. Med. Klinik, Nr. 1, 1909.)
Kasuistische Mitteilung, einen Knaben von 71/2 Jahren betreffend, bei
dem etwa 14 Tage nach Einsetzen eines mit Frost, Leibschmerzen und wieder¬
holtem Erbrachen beginnenden und mit Fieber und Leberschwellung ein¬
hergehenden Ikterus etwa 20 kleine facettierte Steine, teils in Bruchstücken
spontan entleert wurden, die sich bei näherer Untersuchung als Cholestearin-
steine erwiesen. R. Stüve (Osnabrück).
Wie sollen Münzen aus der Speiseröhre entfernt werden?
(Massei. Zeitschr. für Laryng., Bd. 1, H. 6. Festschr. Heymann.)
Es stehen folgende Verfahren zu Gebote: Blind-Extraktion mit dem
Gräfe’schen Instrument oder dem Kirmisson’schen Münzenfänger. Extrak¬
tion unter seitlicher Kontrolle durch Röntgendurchleuchtung nach Hen-
rard; Ösophagoskopie; Ösophago- oder Pharyngotomia externa. Die Ösophagos¬
kopie ist nicht günstig bei Münzen, die im Eingang der Speiseröhre liegen,
jedoch für andersgeartete Fremdkörper das ideale Verfahren. Bei der Wahl
der Methode ist zu berücksichtigen, daß der Eingriff oft dringlich ist, und daß
es sich gewöhnlich um Kinder handelt. Daher ist die an sich vorteilhafte
Referate und Besprechungen.
619
Röntgenuntersuchung oft nicht durchführbar; auch die Ösophagoskopie, die
nur in spezialistischen Händen liegt, fällt oft fort, da der Landarzt die Ent¬
fernung selbst vorzunehmen gezwungen sein kann. Die Pharyngo- oder Öso¬
phagotomie hat hohe Mortalität (20 — 38%) und ist für die Fälle zu reser¬
vieren, in denen die Ösophagoskopie vergeblich blieb. — Massei hat fast
stets mit dem Gräfe’schen Münzenfänger oder dem Kirmisson’schen Haken
Erfolg gehabt. Die Gefahren, die das Gräfe’sche Instrument bei brüsker,
unverständiger Anwendung involviert, werden durch den Haken vermieden.
M. kokainisiert den Rachen und Zungengrund und operiert nach Anlegung
eines Mundsperrers. Arth. Meyer (Berlin).
Die direkte Bluttransfusion — Beschreibung eines einfachen Verfahrens.
(J. A. Hartwell. Amer. Journ. of Surg., Nr. 3, 1909.)
Aus der Arbeit ersieht man, daß die in Europa ziemlich ad acta gelegte
Tranfusion in Amerika an der Tagesordnung ist, gewiß teilweise wegen der
technischen Schwierigkeiten, an denen mancher hofft sich die Sporen zu
verdienen ; übrigens auch aus Indikationen, die uns unwahrscheinlich Vor¬
kommen, z. B. wegen Sarkom. Da die direkte Naht zwischen einer Arterie
des Gebers und einer Vene des Empfängers sehr heikel ist und die Kanülen
sich gewöhnlich durch Gerinnsel verschließen, so hat H. ein Verfahren er¬
probt, das er für einfach und ungefährlich hält.
Die Radialis des Gebers wird auf 5 cm freigelegt (unter Kokain¬
anästhesie) und eine Schlinge um das distale Ende geführt. Eine oberfläch¬
liche Vene unterhalb der Ellenbogenbeuge des Empfängers wird in ähnlicher
Weise freigelegt, ligiert und zentral von der Ligatur durchschnitten ; die
Adventitia wird zurückgestreift und durch Media und Intima drei feine,
mit Vaseline imprägnierte Seidenfäden gelegt; dazu dienen gewöhnliche runde
Daimnadeln. Nun wird die Arterie ligiert, eine Klammer unter geringem
Druck um ihr zentrales Ende gelegt und' die Arterie selbst mit einer feinen
Schere durchschnitten. Am durchschnittenen Ende wird die Adventitia ent¬
fernt und aufwärts auf 2 — 3 cm Länge abgestreift; durch das so gebildete
Röllchen wird eine Seidennaht gelegt und geknotet. Dann wird die Arterie
in Vaseline getaucht und direkt in die mit Hilfe der drei Suturen offen ge¬
haltene Vene gesteckt. Ein Faden der Vene wird dann mit dem Faden der
Arteria durch eine Klammer verbunden und der Überschuß des Venen um-
fangs abgeklemmt, so daß sie die Arterie ohne Druck eng umschließt. Nun¬
mehr läßt man das Blut überströmen, wobei man genötigt sein kann, durch
Kompression den Strom zu verlangsamen, damit das rechte Herz des Emp¬
fängers nicht überlastet wird.
Das Verfahren ist an Hunden oft, am Menschen nur einmal erprobt
worden, wobei es leicht auszuführen war und gut funktionierte. Man ließ
die Anastomose % Std. bestehen.
Die Bestimmung der übergeleiteten Blutmenge ist bis jetzt mit einiger
Genauigkeit nicht möglich.
Während des Überfließens soll dem Geber durch Enteroklyse oder sub¬
kutane Infusion Flüssigkeit zugeführt werden, um Kollaps zu vermeiden.
H. sieht bei der Bluttransfusion vier Gefahren : hämolytische Wirkung
eines Blutes auf das andere, Blut- oder Luftembolie, unbekannte übertrag¬
bare Blutkrankheit beim Geber und Überlastung des geschwächten rechten
Herzens. Vor der ersteren Gefahr ist man niemals sicher. Patienten mit
primären oder sekundären Blutkrankheiten oder Sepsis scheinen ihr besonders
ausgesetzt zu sein.
Die Frage der Technik scheint also ziemlich gelöst zu sein; ob, entgegen
den vielfachen Erfahrungen früherer Zeit, die Bluttransfusion zur Heilung
von Krankheiten verwandt werden kann, ist eine andere Frage. Theoretische
Erwägungen sprechen nicht für ihre Bejahung. Denn wenn auch das Blut,
das Kommunikationsmittel des Leibes, kein toter Körper ist, so ist es doch
durchaus abhängig von den Organen, die es aufbauen, zu ihm hinzufügen
620
Referate und Besprechungen.
und von ihm hinwegnehmen; sobald gesundes Blut in den kranken Körper
transfundiert ist, tritt es in Beziehung zu dessen kranken Organen, die
nicht verfehlen werden, seine guten Eigenschaften in kurzer Zeit zu zer¬
stören. Es ist darum zu verwundern, daß man von der Bluttransfusion je¬
mals mehr als ganz vorübergehende Wirkungen erwartet hat.
Er. von den Velden.
Die Vermeidung der Hämolyse bei der Transfusion.
(M. Rehling u. R. Weil. Amer. Journ. of Surg., Nr. 3, 1909.)
Dem 27 jährigen, an Anaemia splenica erkrankten Patienten wurde durch
direkte Transfusion eine Stunde lang frisches Blut zugeführt. Alsbald Frost,
blutiger Urin, der nach 12 Stunden blutfrei wurde, aber noch Albumen und
Hämoglobin enthielt. Es hatte sich also starke Hämolyse entwickelt, obgleich
hei der vor der Transfusion vorgenommenen Prüfung der beiden Blutarten
nur eine leichte Andeutung von Hämolyse gefunden worden war.
Die Verfasser sind der Ansicht, daß trotz des großen Unterschiedes
zwischen der Prüfung in vitro und der Transfusion die erstere stets ausge¬
führt werden solle und daß, auch wenn sich nur Spuren von Hämolyse
zeigen, ein anderes Individuum zur Bluthergabe zu wählen sei. Betreffs
der Ausführung der Prüfung muß auf das Original verwiesen werden.
F. von den Velden.
Bericht über 3000 Skopolamin-Chloroform-Äthernarkosen.
(Dr. D. Schoemaker im Haag. Deutsche med. Wochenschr., Nr. 7, 1909.)
Schoemaker ist mit den Erfolgen dieser Narkosenmethode recht zu¬
frieden. Dem Pat. wird dadurch die Angst kurz vor der Operation erspart,
die Narkose seihst ist viel ruhiger und weniger angreifend für den Kranken
und endlich kommt dieser über die ersten Stunden nach der Operation ohne
Beschwerden hinweg. Die Technik handhabt er so, daß er nachts um 12 Uhr
1 g Verona! gibt, früh 1/27 Uhr die erste Spritze (0,00025 Skopolamin mit
0,0075 Morphium), um 1/28 Uhr die zweite Spritze von gleicher Stärke.
Um 8 Uhr beginnt die Inhalationsnarkose. Die Nachteile bestehen vor allem
in der ungleichmäßigen Wirkung des Skopolamins auf die verschiedenen Pat.
In 3 Fällen, die er ausführlich wiedergibt, erlebte er Exitus, der sicher auf
die Skopolaminanwendung zurückzuführen war. Er zieht aus diesen Fällen
die Lehre, bei alten und schwachen Leuten mit sehr kleinen Dosen 1/s mg
zu beginnen und bei Albuminurie, die ihren Grund in langdauernden Eite¬
rungen hat, ganz auf das Skopolamin zu verzichten. Schwacher Puls bildet
dagegen keine Kontraindikation, da er durch das Skopolamin voller und
kräftiger wird.
Schoemaker betont zum Schluß, daß er die Methode nicht als einen
Ersatz für die Inhalationsnarkose, sondern als eine Verbesserung und Vor¬
bereitung derselben betrachtet. F. Walther.
lieber sakrale Anästhesie.
(W. Stoeckel, Marburg. Zentralbl. für Gyn., Nr. 1, 1909.)
St. hat den seinerzeit von Cathelin empfohlenen Versuch, durch
Injektionen von Anästheticis in den Sakralkanal die Inkontinenz zu beein¬
flussen, auf die Geburtshilfe übertragen, da die nahen Beziehungen zwischen
der Innervation von Blase und Uterus eine Beeinflussung der Uterussensi¬
bilität wahrscheinlich machten.
Die Technik der Injektion ist folgende: Der Zeigefinger der linken Hand
markiert den Hiatus sacralis, d. h. die an der Grenze zwischen Kreuzbein
und Steißbein liegende, von einer Doppellamelle überspannte dreieckige Öff¬
nung, welche dem fühlenden Finger den Tasteindruck einer Fontanelle bietet;
durch diese Membran wird die Spritzennadel langsam eingeführt ; die richtig
Referate und Besprechungen.
621
liegende Nadel liegt unverschieblich fest. Als Injektionsflüssigkeit wurden
benutzt: physiologische Kochsalzlösung, Novokain und Eukainlösungen mit
und ohne Suprareninbeifügung in einer durchschnittlichen Menge von 30 bis
35 ccm.
Die Beobachtungen erstrecken sich auf 141 Fälle und zwar 89 I p.
und 52 Multip. ; bei 96 Fällen wurde während der Eröffnungsperiode, bei 45
wählend der Austreibungsperiode injiziert.
Die Einwirkung auf die Geburtsschmerzen war eklatant: völlige Be¬
seitigung oder Verminderung lediglich der Kreuzschmerzen in 72 Fällen, der
der Kreuz- und Leibschmerzen in 39 Fällen. Der Durchtritt des Kopfes durch
die Vulva war in 9 Fällen völlig schmerzlos, in 16 Fällen wenig schmerzhaft.
Bei drei Frauen konnte das Kind mit der Zange entwickelt, bei zwei anderen
ein Dammriß ohne Schmerzäußerung genäht werden. Durch eine sehr deut¬
liche Erschlaffung der Muskulatur des Dammes und des Beckenbodens wurde
der Dammschutz wesentlich erleichtert.
Ein Einfluß auf die Wehen in heimmendem Sinn wurde nur bei sehr
frühzeitiger Einspritzung gesehen. Die in kräftiger Aktion befindliche
Wehentätigkeit wurde durch die Injektionen nicht beeinflußt. Einige Atonien,
welche beobachtet wurden, scheinen piit der Methode nicht im Zusammen¬
hang zu stehen. Schädliche Einwirkungen auf das Kind waren nicht nach¬
zuweisen. Eine Harnverhaltung blieb in sämtlichen Fällen aus.
Die Methode ist bis jetzt keinesfalls eine ideale; sie ist aber jedenfalls,
da die injizierte Flüssigkeit wahrscheinlich außerhalb des Rückenmarks mit
seinen Häuten bleibt, im Gegensatz zur Lumbalanästhesie und auch zum
Skopolamin-Morphiumdämmerschlaf eine gefahrlose, die zu weiteren Versuchen
auff ordert. Von selbst ergibt sich bei der Ähnlichkeit des Menstruations- und
Geburtsschmerzes die Perspektive, daß die sakrale Anästhesie auch bei der
„essentiellen“ Dysmenorrhöe Gutes leistet (5 Fälle des Verf. sprechen dafür) und
daß durch sie möglicherweise auch die Kreuzschmerzen bei gynäkologischen
Erkrankungen, bei denen es sich wohl zum teil um sakrale Neuralgien
handelt, günstig beeinflußt werden. F. Kayser (Köln).
Jodtinktur zur Desinfektion der Haut,
(Porter. Brit. med. Journ., 6. Februar 1909.)
Anstelle der komplizierten Desinfektionsmethoden, welche dermalen ope¬
rativen Eingriffen vorherzugehen pflegen, ist schon von mehreren Seiten
einfaches Bepinseln des Operationsgebietes mit Jodtinktur empfohlen wor¬
den. Auch Porter hat davon Gebrauch gemacht, z. B. bei der Radikal¬
operation von Hernien, bei Blinddarm — Varikozele-Operationen usw. ; jedes¬
mal erfolgte die Heilung per primam. Buttersack (Berlin).
Kinderheilkunde und Säuglingsernährung.
Was heißt Scharlach?
(P. Gallois. Le Bull, med., Nr. 14, S. 159—162, 1909.)
In den Lehrbüchern und in den Vorstellungen unserer Zeit erscheint
das Seharlachfieber als eine wohlabgegrenzte Einheit, und daraus leitet sich
zwanglos der Glaube an einen spezifischen Scharlachbazillus ab. P. Gallois
ist anderer Ansicht. Ihm stellt es sich als Streptokokkensepsis dar, deren
sedes morbi im lymphatischen Rachenring zu suchen ist und zu welcher
das Exanthem als etwas Sekundäres sich hinzugesellt; also als eine Angina
mit Hautausschlag. Abgesehen von dem letzteren biete aber der Scharlach
nichts Charakteristisches ; Nephritis, Endokarditis, Gelenkentzündungen usw.
kommen auch bei anderen Anginen vor.
Die Abschuppung sei eine nebensächliche Erscheinung und habe mit
der Übertragung der Krankheit nichts zu tun. Ein Student der Medizin
622
Referate und Besprechungen.
habe einmal große Stücke seiner sich schuppenden Haut an Verwandte und
Freunde gesandt, ohne daß einer davon erkrankt sei (offenbar war hei dem
jungen Kollegen der Forschungstrieb größer als die Rücksicht auf seine
Mitmenschen).
Man brauche also nur die Erscheinungen im Nasen-Rachenraum zu
beachten : sobald diese geschwunden seien, könne man den Pat. als geheilt
ansehen. Aber diese Gegend müsse man allerdings genau inspizieren und
dürfe sich nicht auf die Tonsillen beschränken, sondern solle durch Auslösen
des Würgreflexes sehen, ob nicht noch hinter dem Zäpfchen eitrige oder
schleimige Massen als Ausdruck einer Rhino-Pharyngitis zum Vorschein
kommen.
Sobald die Reizerscheinungen in diesem Gebiete geschwunden seien,
könne der Pat. essen und spazieren gehen ganz nach Belieben. —
Was die zugrunde liegende Idee von der Bedeutung der Affektion der
Rachenorgane betrifft, so ist sie keineswegs neu. Schon der geistige Vater
der Bakteriologie, J. Henle, hat in seinen pathologischen Untersuchungen
über Miasmen und Kontagien, 1840, jener ersten genialen und bis heute
noch nicht ausgeschöpften bakteriologischen Abhandlung, ausdrücklich betont,
daß die Exantheme der Schleimhäute jenen der äußeren Haut vorangehen
und hat die Konjunktiven, Nase, Rachen, Mundhöhle usw. als Eingangspforten
erkannt. Und die andere Vorstellung von dem Streptokokkus, der, je nachdem,
bald Masern, bald Scharlach, bald sonst eine Krankheit hervorrufe, ist schon
Anfang der 90 er Jahre in Deutschland aufgetaucht, hat aber nicht eben
viele Anhänger gefunden. Immerhin ist an Gallois’ Ausführungen dieses
verdienstlich, daß er davor warnt, die Diagnose Scharlach und dergleichen
nur bei den typischen Fällen zu stellen, und die sogenannten Abortivformen,
die gewiß häufiger sind als die ausgeprägten, in den Vordergrund rückt.
Aber das haben wohl alle Praktiker von selbst getan ; ihnen hat der heute
so wenig geschätzte klinische Blick schon längst das gezeigt, was die Mikro-
skopiker trotz allen Suchens noch immer nicht gefunden haben, nämlich die
ätiologische Einheit verschieden abgestufter Krankheitsbilder.
Buttersack (Berlin).
Aus der Infektionsabteilung des Krankenhauses zu Riga.
Der Scharlach und seine Komplikationen.
(Dr. August Berkholz. Monatschr. für Kinderheilk., Dez. 1908.)
Einleitend bemerkt Verfasser die außerordentliche Variebilität des Exan¬
thems in seiner Intensität. Wichtig1 ist das Enanthem, welches differential¬
diagnostisch von allergrößter Bedeutung zu sein scheint. Der hart .und weiche
Gaumen weist eine feinpunktierte Rötung auf, welche dieselben charakteristi¬
schen Zeichen trägt wie das Exanthem. Diese Enanthem ist nach Berkholz’
Ansicht zur Sicherung der Diagnose deshalb so wesentlich, weil wir bei
Abwesenheit desselben bei scharlachähnlichen Hauterkrankungen wie Serum¬
oder Arzneiexanthemen, septischen Exanthemen oder Rubeola in der Lage
sind, Scharlach auszuschließen. Verfasser entwirft dann ein anschauliches
Bild von der sekundären Streptokokkeninfektion und anderen Komplikationen
des Scharlachs. Er kommt dabei zu folgenden beachtenswerten Schlußsätzen:
„Die größte Mehrzahl der Scharlachfälle kompliziert sich mit Strepto¬
kokken, diese sekundäre Infektion kann zu septischen lokalen Komplikationen
in allen Organen oder zur allgemeinen Sepsis führen. In der regelmäßigen
Schädigung des Parenchyms des Herzens und der Nieren durch die Toxine
des Scharlachs liegt mit ein Grund für den oft bösartigen Verlauf der sekun¬
dären Streptokokkeninfektion.“
Verfasser folgert aus diesen klinischen Beobachtungen in therapeutischer
Hinsicht: „im Verlauf jeder Scharlachinfektion, dem Herzen und den Nieren
eine besondere Schonung angedeihen zu lassen“. So empfiehlt er langdauernde
Referate und Besprechungen.
623
Bettruhe, Schonung der Nieren. Das letztere scheint ihm hauptsächlich durch
Einschränkung der Flüssigkeitszufuhr. (Referent hat bei Nierenerkrankungen
mehrfach gute Erfolge mit einer Flüssigkeitsverminderung gesehen, so daß
er Berckholz nur beipflichten kann.) A. W. Bruck.
Die Behandlung des Scharlach.
(B. Bendix. Zeitschr. für ärztl. Fortbildung, Nr. 4, 1909.)
Aus der kurzen Übersicht über die heutige Behandlung des Scharlach
geht hervor, daß wesentliche neue Gesichtspunkte für die Therapie dieser
Infektionskrankheit sich in den letzten Jahrzehnten nicht ergeben haben,
da die Anwendung der verschiedenen, gegen das Scharlach empfohlenen Sera
(das von Aronson soll bakterizid wirken und seine Wirksamkeit haupt¬
sächlich gegen die sekundäre Infektion richten, dem Moser’schen wird eine
antitoxische Wirkung zugeschrieben) über die Versuchsstadien noch nicht
hinaus ist und ihr Wert zum mindesten sehr verschieden beurteilt wird.
Auch die über das Marpmann’sche Serum gesammelten Erfahrungen sind,
zumal bei dem Mangel an einwandfreier klinischer Durcharbeitung, noch
nicht ausreichend, um darüber ein Urteil abgeben zu können. Ein sehr wesent¬
licher Teil in der Bekämpfung des Scharlach fällt der Prophylaxe zu, d. h. der
Verhinderung der Weiterverbreitung durch strenge Isolation der erkrankten
Individuen nötigenfalls in einem Krankenhause. Während die eigentliche
Behandlung des unkomplizierten Scharlach sich abwartend verhalten kann,
fordern die Komplikationen zu eiligem Vorgehen auf. Treten toxische Sym¬
ptome (Sopor oder Delirien, Jaktationen) auf, erweisen sich warme Bäder mit
kühlen bis kalten Übergießungen als sehr wirksam; eintretende Herzschwäche
erfordert die Anwendung von Exzitantien. — Die etwa eintretende Nephritis
ist nach den bekannten Regeln zu behandeln ; das als medikamentöses Prophy-
laktikum gegen die Nephritis empfohlene Urotropin hat sich als solches
nicht bewährt. — Bei Versiegen der Harnsekretion — Absinken der Harn¬
menge unter 5 — 400 cbcm, ferner dem Eintritt von Zeichen der Harnretention
(Erbrechen, Kopfschmerz) sind entweder lokale Blutentziehungen (2 — .3 Blut¬
egel in jeder Nierengegend) oder Aderlaß angezeigt (100 — 150 — 200 cbcm je
nach dem Alter des Kindes). — Den Ohren ist ständige Aufmerksamkeit zu
schenken, besonders bei Wiedereintritt höherer Temperaturen. — Bei etwaiger
Anwendung von Bädern empfiehlt sich Schutz der Ohren durch Wattetampons.
— Die Abschuppung kann durch warme Bäder, nötigenfalls mit nachfolgenden
Waschungen mit Seifenspiritus beschleunigt werden. — In jedem, auch dem
leichtesten Fälle von Scharlach ist mindestens 3 Wochen lang Bettruhe einzu¬
halten. — Die Ansteckungsgefahr ist mit erfolgter Abschuppung als er¬
loschen zu betrachten; man rechnet gewöhnlich 6 Wochen für die Unter¬
brechung des Schulbesuches. R. Stüve (Osnabrück).
Die Diphtheriefälle des Jahres 1907 in der Krankenanstalt Sudenburg.
(O. Retzlaff. Archiv für Kinderheilk., Bd. 49, H. 3 u. 4.)
Die Therapie besteht in sofortiger Anwendung des Diphtherieserums
(1500 Immunisierungseinheiten), bei Gefahr eine zweite Injektion. Lokale
Behandlung der Beläge 2 mal tgl. mit 2°/0iger Kollargollösung. Gurgelungen
mit verdünntem Wasserstoffsuperoxyd. Einblasungen mit Natr. sozojodol.
Auftietende Komplikationen sind: Neben fast nie fehlenden Drüsenschwel¬
lungen am Hals Abszedierungen, Katarrh des Mittelohrs, Myokarditis (nach
Rom b erg 10 — 20%), Albuminurie, Bronchitiden; beim Absteigen der Diph¬
therie auf die Atmungsorgane Croup (23,57%). Von 150 Fällen, unter denen
nur etwa 20 nicht einwandfrei als Diphtherie nachgewiesen wurden, wurden
127 geheilt entlassen (84,66%). Reiss.
624
Referate und Besprechungen.
Zur Statistik und Klinik der Diphtherie im Krankenhause Bethanien zu Berlin.
Juni 1903 — 1908.
Ein Beitrag zur Serumtherapie.
(Eugen Schultze, Berlin. Archiv für klin. Chir., Bd. 88, H. 2.)
Aus der sehr interessanten Arbeit seien nur einzelne Punkte hervor¬
gehoben. Im ganzen kamen in den 5V2 Jahren 602 Diphtheriekranke zur
Beobachtung, von denen 106 = 17,61% starben. 197 — 32,72 % mußten operiert
werden. Von ihnen starben 69 = 35,02%, während von den 405 nicht operierten
37 = 9,11% starben. Die gegen früher bedeutend geringere Zahl der Trache¬
otomien glaubt Verfasser artf die günstige Serumwirkung zurückführen zu
können. Es waren 233 Fälle von ausgeprägter Larynxstenose zu verzeichnen,
bei denen 36 mal = 15,45% die Tracheotomie nicht nötig wurde, indem
12 — 24 Stunden nach der Seruminjektion die zum Teil erheblichen Stenose¬
erscheinungen zurückgegangen waren. Besonders eindringlich kommt aber
die Wirksamkeit des Heilserums durch die Tatsache zum Ausdruck, daß
von den am ersten Krankheitstage Gespritzten nur 6,98 % starben, von denen
am zweiten 8,99%, am dritten 12,5% und so fort in lückenloser Progression
bis zum sechsten Tage mit 45% Mortalität. Als unangenehme Folgen der
Injektion, die aber nie dauernden Schaden den Patienten gebracht, wurden
17mal Serumexanthem und 11 mal Abszesse beobachtet. Nephritiden wurden
80mal = 13,28 % beobachtet. 42 von diesen = 52,5 % starben. Die post-
diphtherischen Lähmungen haben nach Einführung der Serumtherapie nicht
zugenommen. Es wurden 15 = 2,49% beobachtet. Herzschwäche bedrohlicher
Art trat in 7 Fällen auf. Abszedierungen von Drüsen kamen 8 mal, Otitis
media purulen ta 11 mal vor. Was die Tracheotomiefrage betrifft, so wurde in
der Regel die Tracheotomia inferior ausgeführt. Bei älteren Kindern gelang
es meist, die Kanüle nach 48 — 60 Stunden zu entfernen, bei jüngeren mußte
sie oft des Nachts wieder eingeführt werden, um erst am folgenden Tage end¬
gültig beseitigt werden zu können. Das sogenannte erschwerte Decanulement
wurde ungefähr 10 mal beobachtet. 8 Kinder starben vor Fortlassung der
Kanüle einige Wochen nach Beginn der Erkrankung. Viermal waren Ke-
tracheotomien wegen Granulationsstenose nötig. Zu erwähnen ist noch, daß
in der letzten Zeit in vielen Fällen die Pyocyanase angewandt wurde, daß
aber auch sie meist bei den septischen Fällen im Stich gelassen hat.
H. Stettiner (Berlin).
Der Eiweißgehalt und die Lymphozytose des Liquor cerebrospinalis bei
Säuglingen mit Lues congenita.
(L. Barai. Jahrb. für Kinderheilk., Jan. 1909.)
Umfangreiche klinische Nachprüfung der Lymphozytose > des Liquor
cerebrospinalis bei Lues congenita (im (Waisenhause Rummelsburg).
Im Gegensatz zu den Beobachtungen anderer kommt Verfasser zu dem
Resultat, daß die Lumbalpunktionen kein sichereres Ergebnis bringen als die
klinische Untersuchung; der Feststellung des Eiweißgehaltes kann er keinen
unbestreitbaren Wert beilegen, ein positiver zytologischer Befund ist nicht
beweisend, ein negativer erst recht ohne Bedeutung.
Die Lumbalpunktion scheint Verf. keineswegs geeignet, uns zur Früh¬
diagnose der Lues congenita zu verhelfen. A. W. Bruck.
Verblutungstod neugeborener Kinder.
(P. Lissmann. Wiener klin. Rundschau, Nr. 41 u. 42, 1908.)
Ein Nasciturus kann sich vor, während und nach der Geburt verbluten.
Fälle ersterer Kategorie sind selten,. Während des Geburtsaktes kann ein
anormaler Ansatz der Nabelschnur, die geleistete Kunsthilfe und eine Reihe
anderer Gründe die Verblutung bedingen (Insertio velamentosa, Ruptura
hepatis etc.). — Forensisch am wichtigsten ist der Verblutungstod nach
Referate und Besprechungen.
625
der Geburt: Abreißen der Nabelschnur, fahrlässige und krimi¬
nelle Verletzung der Leber, akute multiple Fettdegeneration
(Buhrsche Krankheit), Melaena neonatorum. — Der Gerichtsarzt wird
zuerst die Frage beantworten müssen: Hat das Kind gelebt? — Die auffallende
Anämie der Lungen und der Leber wird die Diagnose des Verblutungstodes
unschwer ermöglichen, und dann erst kommt die Frage zur Entscheidung :
Liegt eine Tötung des Kindes oder ein natürliches Ereignis vor ?
Steyerthal-Kleinen.
Versuche mit Albulaktin bei künstlich genährten Säuglingen.
Mitteilung von Krankengeschichten von Säuglingen nebst Gewichtstabellen.
(J. Cassel u. H. Kamnitzer, Berlin-Wilmersdorf. Archiv für Kinderheilk.,
Bd. 49, H. 8 u. 4.)
Resultat: I. Günstige Beeinflussung der Kuhmilchgerinnsel nach Zusatz
von Albulaktin bei zahlreichen ausgeheberten Mageninhalten.
II. Die Gewichtszunahme der Säuglinge in der Albulaktinperiode besser
als vorher.
III. Frischeres Aussehen, größere Munterkeit und Agilität, größere
Teilnahme an der Umgebung bei den Albulaktinkindern. Reiß.
Zur Geschichte und Kenntnis des Milchalbumins.
(Peter Berg eil, Berlin. Archiv für Kinderheilk., Bd. 49, H. 8 u. 4.)
Die bisherige Frauenmilcheiweißfrage ist durch die Untersuchungen
Sebelieus im wesentlichen zu einer Laktalbuminfrage geworden. Lakt¬
albumin ist in der Frauenmilch in großen Mengen enthalten, in außer¬
ordentlich geringer Menge in der JCuhmilch. Dem Brustkind wird täglich
ein ganz beträchtlicher Teil des von ihm benötigten Stickstoffes in einer
überaus leicht löslichen und resorbierbaren Form einverleibt (5 g Albumin),
während dem Flaschenkind 1,8 g Albumin geboten werden, dabei ist der
Stickstoff durch die Siedehitze seiner leichten Löslichkeit beraubt. Das
gereinigte Laktalbumin muß in leicht lösliche Form übergeführt werden und
wird als Albulaktin von. Joh. A. Wülfing in den Handel gebracht. Reiss.
Ueber akute und chronische Bronchiektasie bei Kindern.
(Prof. Dr. W. Tschernow, Kiew, Jalirb. für Kinderheilk., Jan. 1909.)
Bronchiektasien sind bei Kindern keine sehr häufige Erscheinung.
Tschernow sah in 25 Jahren 15 derartige Fälle.
Dieses Material hat Verfasser genau beobachtet und gibt einen Überblick
über die Ätiologie, Klinik und Therapie mit gleichzeitiger Angabe der Prognose.
Hinsichtlich des klinischen Verhaltens macht er auf den oft plötzlichen
Beginn der Erkrankung mit fast gleichzeitigem Auftreten von eitriger Bron¬
chitis und auf die Entwicklung des subkutanen Emphysems aufmerksam.
In seinen Fällen von akuter Bronchiektasie fand sich gleichzeitig eine
Affektion der Lunge in Form von Bronchopneumonie. Dieses Zusammen¬
treffen ist eine recht häufige Erscheinung, besonders nach Masern und nach
Keuchhusten. In der Frage der Ätiologie steht Tschernow auf dem Stand¬
punkte Lichtheiner’s, daß nicht die Verstopfung des Bronchus zur Ent¬
stehung einer Bronchiektasie führt, sondern das sich in denselben ansammelnde
Sekret, in dem es in den Bronchien eine Entzündung hervorruft, zur Herab¬
setzung der Widerstandsfähigkeit der Wände führt. So wird die Entstehung
von Bronchiektasien einerseits, das Zusammenfallen der Lunge andererseits
(Atelektase) begünstigt.
Die anatomischen Veränderungen hängen vielleicht von den in dieser
Zeit entstehenden Fermenten ab, die das Eiweiß, die elastischen Fasern usw.
verdauen.
40
626
Referate und Besprechungen.
Zur Therapie bemerkt Ts ehern ow, daß bei akut entstehenden Bronchi-
ektasien die ganze Aufmerksamkeit des Arztes auf die bestehende Broncho¬
pneumonie gerichtet sein muß. Diese muß zunächst mit den bekannten Mitteln
bekämpft werden. Sodann muß die Ursache der Bronchiektasie konstatiert
werden : Fremdkörper, eitrige Bronchitis usw.
Verfasser sucht hauptsächlich desinfizierend zu wirken und glaubt die
Reinigung der Bronchien zu erzielen durch Anwendung häufiger Dampf-
inhalationen mit alkalischen Wässern (Vichy, Borshorn, Ems); sowie Zusatz
von aromatischen Ölen. Dabei empfiehlt er besonders Ol. Terebinthin 10,0,
Ol. Menth, gutt. XV, Ol. jeimper. 3,0. 15 Tropfen auf ein Gläschen des
Inhalationsapparates. Eine leichte Massage trägt ebenfalls zu einer Er¬
leichterung der Absonderung des Sputums bei. Von inneren Mitteln Guajakol-
und Thiokolpräparate. Aufenthalt auf dem Lande und im Fichtenwalde.
Die Prognose ist ernst und richtet sich nicht zum mindesten nach den
Lebensbedingungen und materiellen Mitteln. A. W. Bruck.
Universitäts-Kinderklinik Prof. Dr. M. Pfaundler.
Ueber lordotische Albuminurie.
(Hugo Nothmann. Archiv für Kinderheilk., Bd. 49, H. 8 u. 4.)
Es ist dem Verfasser gelungen, durch künstlich hervorgerufene Lordose
(Einschieben eines Keilpolsters), bei geeigneten Fällen künstlich Albumen-
und Essigsäurekörper-Ausscheidung im Liegen zu erzielen. Besonders inter¬
essant sind die Ausführungen und Experimente bei Scharlach-Rekonvaleszenten,
die geeignet sind, auf die Art der Nierenschädigung bei Skarlatina Aufschluß
zu geben. Es besteht manchmal eine leichte postskarlatinöse Nierenschädigung,
die sich in rasch vorübergehender, geringer, manchmal nur orthotisch auf¬
tretender Eiweißausscheidung und Vorhandensein eines spärlich geformten
Sedimentes kundgibt. Bei diesen Kindern ist das in der 3. — 4. Krankheits¬
woche ausgeführte lordotische Experiment positiv. Die Ursache dieser Eiwei߬
ausscheidung ist eine durch Skarlatina gesetzte Nierenschädigung mehr funk¬
tioneller als anatomischer Art. Die Erkrankung ist gutartig und heilt
bei Bettruhe in wenigen Tagen aus. Reiss.
Hais-, Nasen- und Kehlkopfleiden.
Ozäna und Syphilis.
(A. Alexander. Zeitschr. für Laryng., Bd. 1, H. 6. Festschr. Hey mann).
Obgleich schon in den 70er Jahren der Begriff der Ozäna von dem der
Nasenlues getrennt wurde, hält eine Gruppe von Forschern noch, immer daran
fest, daß auch die echte Ozäna wenigstens in einem beträchtlichen Teil der
Fälle, auf syphilitischer Basis beruhe. Die einen denken an eine metasyphili¬
tische Erkrankung wie Tabes und Paralyse, andere an Späterscheinung und
Residuen hereditärer Lues, (so in letzter Zeit namentlich Frese, vgl. Referat
1908, S. 775). Um der Frage näher zu kommen, unterwarf Alexander
26 Patienten, mit Ausschluß von solchen, die Nebenhöhleneiterungen und
syphilitische Anamnese oder Befund darboten, der Wassermann’schen Serum¬
reaktion. Alle 26 reagierten negativ. Jedoch ist Verf. weit entfernt,
hieraus zu folgern, daß die Ozäna nichts mit Lues zu tun habe. Alexander
hat öfters nach geheilter Lues nasi sich eine echte Ozäna entwickeln sehen,
fast ohne daß irgend welche Zeichen auf die durchgemachte Infektion hin-
wieisen. In anderen Fällen konnte er bei Leuten, die seit der Kindheit an
Ozäna litten, Syphilis der Eltern nachweisen ; auch 5 Fälle Frese’s, die
neben der Ozäna Zeichen hereditärer Lues aufweisen, sind recht überzeugend.
Zudem ist es erstaunlich, daß man gar keine Fälle von Ozänösen kennt, die
sich nachträglich luetisch infiziert haben (außer nicht zweifelfreien Angaben
von Frese und Steiner). Hierzu kommen die klinischen Ähnlichkeiten:
Lues nasi und Ozäna sind die einzigen Nasenkrankheiten, die mit „Atrophie,
Referate lind Besprechungen.
627
Borkenbildung und Fötor“, sowie mit Einsinken des Nasengerüsts einher¬
gehen, sie sind auch die einzigen hereditären Erkrankungen der Nase, und
um die Analogie zu vervollständigen, berichtet Schestakow, daß auch bei
Ozäna bei der Sektion oft interstitielle Veränderungen innerer Organe ange¬
troffen werden. — Natürlich ist nicht für alle, aber doch für einen erheblichen
Teil der Ozänafälle syphilitische Ätiologie anzunehmen.
Es ist interessant, wie verschiedene Folgerungen aus gleichen Ergeb¬
nissen gezogen werden können. Am 19. März 1909 berichtete Sobernheim
in der Berliner laryngologischen Gesellschaft gleichfalls über Untersuchungen
mittelst der Wassermann’schen Reaktion an 17 Fällen von Ozäna. Auch
hier reagierten alle negativ. Sobejrnheim vergleicht hiermit die Resul¬
tate anderer bei Tabes und Paralyse, sowie bei hereditär Luetischen, die
einen hohen Prozentsatz positiver Reaktionen (aufweisen; man kennt keine
Erkrankung, die irgend etwas mit Lues zu tun hätte und .100 % negativer
Reaktionen ergibt. S. lehnt daher jeden Zusammenhang der Ozäna mit
Syphilis ab. Seine Ansicht wurde in der Diskussion von berufener Seite
unterstützt.
Bei so entgegengesetzten Anschauungen muß man folgern, daß die
Frage noch nicht hinreichend geklärt ist. Es scheint, daß sorgfältige Nach¬
forschung in einem Teil der Fälle spezifische Ätiologie ergibt, besonders wenn
auch die Familie mit untersucht wird ; andererseits kann man sich doch über
das negative Resultat der Serumuntersuchung nicht hinwegsetzen. Erst weitere
mühevolle Forschungen werden die Materie aufhellen. Arthur Meyer (Berlin).
Endonasale Operation des Kieferhöhlenempyems.
(Kronenberg. Zeitschr. für Laryng., Bd. 1, H. 6. Festschr. Hey mann.)
Kronenberg tritt warm für die endonasale breite Eröffnung ein, die
für chronische Empyeme in den meisten Fällen angezeigt ist. Nur wenn
diese Methode versagt, oder wenn man von irgend einer künstlichen Öffnung
der Kieferhöhle aus durch Sondierung schwere Veränderungen der Schleimhaut
oder des Knochens nachweisen kann, ist die bukkonasale Methode (Luc-
Caldwell oder Denker) am Platze. Iv. geht zweizeitig vor: In der ersten
Sitzung entfernt er nur den vorderen Teil der unteren Muschel ; nach einigen
Tagen macht er einen horizontalen Schnitt am Muschelansatz entlang und an
dessen vorderem und hinterem Ende zwei senkrechte Schnitte abwärts. Nun
löst er den so umschriebenen rechtwinkligen Schleimhautlappen von der Wand
des unteren Nasenganges und z. T. des Nasenbodens los und fixiert ihn durch
Tampons am Septum. Dann wird ein Meißel senkrecht, möglichst weit
vorn, in die Kieferhöhle eingestoßen, und die naso-maxillare Wand vom
Nasenboden abgemeißelt. Der Knochen wird nun mit einer Nasenzange ge¬
faßt und entfernt, der Schleimhautlappen in die Kieferhöhle hinein tamponiert.
— Die Technik weicht von den bisher ausgeübten Methoden von Claoüe,
Rethi, Onodi, Gerber, Stur mann ein wenig ab und erscheint recht zweck¬
mäßig. Verf. hat mehrfach nach seiner Operation, wie nach anderen auch,
eine nachweisbare Verkleinerung der Höhle beobachtet.
Arthur Meyer (Berlin).
Behandlung der tuberkulösen Epiglottis.
(Gerber. Zeitschr. für Laryng., Bd. 1, H. 6. Festschr. Hey mann.)
Gerber empfiehlt zur Abtragung der Epiglottis, anstatt der galvano-
kaustischen Schlinge und der scharfen Instrumente, die kalte Schlinge.
Diese durchschneidet das Gewebe leicht und glatt, der Wundverlauf ist fast
reaktionslos. Blutung und Schmerzen sind gering. Arth. Meyer (Berlin).
40
628
Referate und Besprechungen.
Medikamentöse Therapie.
Zur Digitalisbehandlung.
(L. Müller. Münch, med. Wochenschr., Nr. 51, 1908.)
Die Verschiedenheit der Wirksamkeit der Folia Digitalis, je nach ihrer
Herkunft, ist von jeher für die Therapeuten fatal gewesen. Den Versuchen,
ein konstantes Präparat herzustellen, hat die Firma Kn oll & Co. in Ludwigs¬
hafen a. Rh. einen neuen hinzugefügt, indem sie in ihrem Extractum Digitalis
depuratum Knoll (= Digipuratum) ein gereinigtes Digitalisextrakt von physio¬
logisch ausgewerteter Stärke in den Handel bringt. In das Extrakt geht
fast die Gesamtheit der wirksamen Bestandteile der Blätter über, während
die unnötigen bezw. schädlichen Beimischungen beseitigt sind.
L. Müller berichtet über 40 Kranke der verschiedensten, in den Bereich
der Digitalistherapie fallenden Arten, welche alle mit den Knoll’schen
Tabletten erheblich gebessert worden sind. Er rät, zunächst vier Tabletten
ä 0,1 pro die zu geben und dann allmählich zurückzugehen. 12 Tabletten
genügen im allgemeinen zur Herbeiführung der gewünschten Wirkungen
auf Diurese und Puls ; läßt man dann noch 8 — 12 Tabletten weiter nehmen,
so werden die Wirkungen noch vertieft und nachhaltiger gemacht.
Da sich das übliche Digitalisinfus erfahrungsgemäß leicht zersetzt,
so scheinen diese Tabletten, welche auch bei längerem Lagern nichts von
ihrer Wirksamkeit einbüßen, für die Praxis manche Vorzüge zu bieten.
Buttersack (Berlin).
lieber Gebrauch und Mißbrauch der Digitalis
schreibt Dr. Janeway folgendes: Der Erfolg bei diesem Heilmittel ist im
wesentlichen abhängig von der richtigen Ernte, richtigen Aufbewahrung; die
Droge darf nicht über ein Jahr alt sein und muß jedesmal frisch bereitet
werden. Am meisten Vertrauen verdienen das Infus, die Tinktur und eventuell
das Pulver. Das Präparat sollte nur angewandt werden, wenn man beabsich¬
tigt, auf die Kontraktilität, den Tonus und die Erregbarkeit des Herzens
einzuwirken ; im wesentlichen nur bei Ventrikelinsuffizienz. 8 g im Infus
während einiger Tage unter steter Beobachtung der Herztätigkeit, der auf¬
genommenen Flüssigkeitsmenge und des Urins sind völlig genügend. Nicht
verschrieben werden darf die Digitalis, um eine Tachykardie herabzusetzen,
oder im Fieber, oder um die Diurese bei akuter Nephritis anzuregen, oder
um eine entzündliche Pleuraaffektion zum Schwinden zu bringen. (Les nou-
veaux remedes, Nr. 5, 1909.) v. Schnizer (Danzig).
Ueber Strophantus, dessen Präparate und Anwendung,
(C. Focke. Zeitschr. für ärztl. Fortbildung, Nr 1, 1909.)
Ueber intravenöse Strophantusinjektionen.
(Dr. Engelen, Düsseldorf. Zeitschr. für ärztl. Fortbildung, Nr. 2.)
Die verschiedenartige Beurteilung, welche die Wirksamkeit des Stro¬
phantus bisher erfahren hat, dürfte, wie aus den Bemerkungen F ock es hervor¬
geht, an nicht genügender Kenntnis der verschiedenen Strophantus-Drogen und
ihrem ungleichmäßigen Gehalt an wirksamer Substanz liegen. Man sichert
sich aber die gleichmäßige Wirkung, wenn man sich der Tinct. Stroph.
titrat. bedient, die in Deutschland von den Firmen Caesar & Loretz in Halle
und Schollmeyer in Marburg hergestellt wird. — Wenn auch die Wirkung
des Stroph. derjenigen der Digitalis im großen und ganzen sehr nahe steht,
so unterscheidet sie sich in folgendem von der der Digitalis. 1. Der Stro¬
phantus besitzt eine beruhigende Wirkung auf das Nervensystem; 2. die
Glukoside des Strophantus sind besonders leicht in Wasser löslich und werden
daher schnell resorbiert und 3. klingt die Wirkung des Strophantus schneller
ab als diejenige der Digitalis. Demgemäß sind das Indikationsgebiet des
Referate und Besprechungen.
629
Strophantus vor allem diejenigen Herzleiden, bei denen nervöse Symptome
vorherrschen, ferner aber auch Zustände schwerer und akuter Herzinsuffizienz,
einerlei, aus welchen Ursachen. Die Dosis im ersteren Falle beträgt 10 Tropfen
der Tinct. titr. am besten mit einer spirituöslen Tinktur ää (Tinct. a'ur. oder
Valerian) verordnet. Im zweiten Falle braucht man ausnahmsweise auch ein¬
mal 20 — 25 Tropfen der Tinktur auf einmal zu geben sich nicht zu scheuen.
Indessen ist in solchen Fällen, besonders wenn sie mit Lebensgefahr ver¬
bunden sind, die intravenöse Injektion verzuziehen. Hierfür kann man ein
von Bloch (Basel, Pharmazie St. Leonhardt) hergestelltes Präparat (1 Phiole
= 1 ,cc.m = 1 mg Strophantin) oder ein ähnliches von Böhringer (dieselbe
Dosis) benutzen; beides sind wässerige Lösungen. Zur subkutanen Anwen¬
dung ist Strophantus in jeder Form unzweckmäßig; höchstens kann bei dem
Kollaps bei 1 — 4jähr. Kindern (z. B. bei Masernpneumonie) die intramusku¬
läre Anwendung versucht werden. Die Dosis beträgt von 1 Spritzenteil =
0,1 der Tinktur -j- 9 Teilstrichen Wasser 1 — 4 Teilstriche pro Inj. je nach
den Jahren des Kindes.
In einer Reihe von Fällen akuter Herzinsuffizienz hat dann Engelen zu
intravenösen Injektionen von Strophantus gegriffen (Präparat Bloch), mit
dem Ergebnis, daß er in dem Mittel auf Grund seiner Beobachtungen ein
wertvolles Medikament erkannt hat, mit welchem bei plötzlichen Versagen des
Herzens ein sofortiger sicherer Erfolg von ausreichend nachhaltiger Wirk¬
samkeit erzielt werden konnte. R. Stüve (Osnabrück).
Pyrenol bei Lungenemphysem und Asthma.
(O. Boellke. Med. Klinik, Nr. 8, 1909.)
Bei den genannten beiden Erkrankungen hat Verf. sehr gute Resultate
von 3 — 4 g Pyrenol (Siambenzoesäure -j- Thymol -j- Benzoesäure Oxybenzoe-
säure), pro die in Dosen von je 1 g gesehen. Die subjektiven und objek¬
tiven Erscheinungen gingen zurück, Nebenerscheinungen wurden nicht be¬
obachtet. Buttersack (Berlin).
Zur medikamentösen Behandlung der Lungentuberkulose.
(Dr. Koch, Freiburg i. B. Therap. Rundschau, Nr. 7, 1909.)
Spezifika gegen die Krankheit gibt es nicht, nur Adjuvantia. Unter
diesen nimmt der Kampfer die erste Stelle ein. Solange man dieses
schätzbare Medikament nur per os dem Körper zuführen konnte, war seine
Anwendung in der Praxis wegen unangenehmer Nebenwirkungen eine be¬
schränkte und auch die subkutanen Injektionen sind für den Patienten lästig.
Um nämlich die nötige Quantität dem Körper zuzuführen, sind zum min¬
desten längere Zeit — Wochen und Monate — tägliche Einspritzungen
notwendig.
Der Arzt muß die subkutanen Injektionen selbst machen und Verf. hat
am eigenen Leibe erfahren, was das für Zeit kostet und hat deshalb teils
aus Zeitmangel, teils aus Bequemlichkeit die perkutane Kampferanwendung
im Prävalidin angegeben. Der Effekt ist fast durchgängig der, daß sich
die Expektoration in den ersten Tagen vermehrt, dann allmählich abnimmt
und eventuell bis auf einen Morgenauswurf verschwindet.
Man kann daneben den Appetit erhöhen durch Pneumin, dreimal täg¬
lich eine Messerspitze nach dem Essen, Tct. Chinae compos. und wie die
Mittel alle heißen. Sehr brauchbar ist auch die Guajakolsomatose, bei
der sich der Nährwert der Somatose mit dem Guajakol in einem
wohlschmeckenden Präparat verbindet. Ob, wie von mancherlei Seite be¬
hauptet wird, der Gehalt an Guajakol wirklich spezifisch auf die Tuber¬
kulose wirkt, erscheint dabei zweifelhaft. Die Wirkung aber ist jedenfalls
vorhanden, daß das Sputum sich leichter entleeren kann und daß ein manch-
630
Referate und Besprechungen.
mal geradezu überraschender Appetit sich einstellt. Das konnte Verf. nicht
nur bei Tuberkulosen, sondern auch gerade bei Leuten mit Bronchitis und
anderen harmlosen Erkrankungen des Respirationstraktus feststellen.
Neumann.
Über Pantopon,
ein die Gesamtalkaloide des Opiums in leicht löslicher und auch zu subkutaner
Injektion geeigneter Form enthaltendes Opiumpräparat.
(Prof. Dr. H. Sahli, Direktor der med. Klinik, Bern. Ther. Monatsh., Nr. 1, 1909.)
Das Bestreben, die Gesamtalkaloide des Opiums in praktisch verwend¬
barer Form zu gewinnen und therapeutisch zu verwerten, hält Sahli trotz
der modernen Ansichten, nur genau definierbare chemische Körper anzu¬
wenden, für berechtigt, da die Nebenalkaloide schwererhältlich, noch nicht
genügend erprobt, ja noch nicht (einmal alle bekannt sind. Das offizielle
Extract. opii aquosum kann nicht als ein derartiges Mittel gelten, da- es
eigentlich nur ein ungenügend gereinigtes Opium ist, was schon daraus her¬
vorgeht, daß seine Toxizität und Wirksamkeit nicht viel größer ist, wie
die des Opiums. Durch Dr. Schärges, (Hoffmann, Laroche und Co.
Basel) wurde nun zunächst ein Präparat hergestellt, das die Gesamtalkaloide
des Opiums in Form von weinsauren Salzen enthielt, aber den Nachteil hatte,
daß die Lösungen nicht haltbar waren. Er verwandte nun statt der Weinsäure
Salzsäure, und so entstand das als Pantopon bezeichnete Präparat. Es ist ein
amorphes, bräunliches Pulver, das leicht löslich ist und bräunliche Lösungen
gibt, und reagiert sauer. 1 g Pantopon entspricht 5 g Opium (= 0,5 g
Morphin) -f- 0,4 g Nebenalkaloide (= 0,9 g Gesamtalkaloide). Die Lösungen
können in Siedetemperatur sterilisiert werden und sind durch Zusatz von
5 — -10% Alkohol steril zu erhalten. Die Dosis des Pantopons ist etwa doppelt
so groß, wie die des Morphiums. Sahli verwendet eine 2%ige Lösung, also
entspricht eine ganze Pravazspritze der Normaldosis. Innerlich gibt er es
in Pillenform oder als Pulver oder als Zusatz zu Hustenmixturen. Seine
Erfolge sind günstig, doch wartet er noch weitere Beobachtungen ab ; vor
allem fragt es sich, ob die chemische Zusammensetzung der Lösung bei
längerem Auf bewahren nicht Veränderungen erleidet.
Außer dem Pantopon ist noch ein weiteres Präparat, das Pleistopon
hergestellt worden, das die Gesamtalkaloide mit Ausnahme des Narkotin
enthält. Auch hiermit hat er gute Resultate erzielt. F. Walther.
F. J. Lambkin berichtet über seine Erfahrungen mit Soamin, einem neuen
Arylarsenat. Er injizierte 0,4 subkutan und intramuskulär jeden 3. Tag,
bis die Gesamtmenge von 6,0 erreicht war. Gewöhnlich schon nach 8 bis
10 Injektionen Besserung. Später injizierte er jeden 2. Tag 0,65 g bis 6,5 g
im ganzen erreicht waren. Soamin ist dem Atoxyl vorzuziehen, ist weniger
giftig als dieses. Innerlich kann es nicht gegeben werden, da es die Säuren
des Magens verändern. Von 65 Luetikern, die im Militärhospital in Rochester
Row behandelt wurden, waren 55 in steter Beobachtung und als völlig ge¬
heilt zu bezeichnen, 8 wurden wegen eines Rezidives zum zweiten Male be¬
handelt.
Nach seiner Anschauung ist das Mittel, frühzeitig und in genügender
Dosis angewandt, ein gutes Prophylaktikum gegen die sekundären und ter¬
tiären Erscheinungen; insbesondere scheint es auf alle luetischen Ulzerationen
einen günstigen Einfluß auszuüben, und endlich, ohne das Soamin als ein
zweites Spezifikum gegen Lues anzusehen, muß man betonen, daß cs einen
außerordentlich unterstützenden Einfluß auf die phagozytische Verteidigung
des Organismus ausübt. (Les nouveaux remedes, Nr. 3, 1909.)
v. Schnizer (Danzig).
Referate und Besprechungen.
631
Diätetik.
Wie viel Eiweiß braucht der Mensch?
(Alexander Haig, Sep.-Abdr. aus Med. Press and Circular, 13. Jan. 1909.)
Die Arbeit ist um so bedeutsamer, als Haig , dessen Lebensarbeit darin
besteht, die Schäden einer Anhäufung von Stoffwechselprodukten des Ei¬
weißes im Körper zu erweisen, hier gegen die Richtigkeit der Resultate
Chittendens auftritt.
Vor Voit nahm man an, daß der Mensch vom Durchschnittsgewicht
von 70 kg etwa 75 — 80 g Eiweiß brauche, um auf der Höhe der Leistungs¬
fähigkeit zu bleiben. Voit erhöhte diesen Satz auf 100 g oder darüber,
und Chittenden will ihn auf die Hälfte (50 g) herabdrücken.
So wünschenswert es nun in diesen schlechten Zeiten wäre, daß Chitten¬
den recht hätte, so kann sich doch Haig davon nicht überzeugen. Er
gründet sein Urteil weniger auf physiologische Versuche, bei denen Fehler¬
quellen reichlich vorhanden und nicht einmal sämtlich bekannt sind, als auf
klinische Beobachtung. „Vor unseren Augen gehen täglich Hunderte von
Menschen vorüber, die beständig interessante physiologische Versuche an sich
selbst machen, wir brauchen nur die Augen offen zu halten und die Resul¬
tate abzulesen.“
Wenn ein normaler Körper weniger Eiweiß erhält als er braucht, so
spart er zuerst, nimmt dann nur das nötigste von seinen Körpergeweben
und ersetzt vielleicht einen Teil des Eiweißes durch Fett, so den äußeren
Umfang behaltend, bis er schließlich zusammenbricht. Fett wird leichter
angesetzt, wenn die Eiweißnahrung spärlich ist, denn bekanntlich muß man,
um Tiere zu mästen, nicht nur die Kohlehydrate und Fette der Nahrung
vermehren, sondern auch das Eiweiß vermindern.
Zwei Zeichen lassen erkennen, daß mangelhafte Eiweißernährung an¬
fängt, ihre üblen Folgen zu entwickeln: Muskelschwäche mit verlangsamter
Zirkulation und Veränderung des Bluts, schon äußerlich an der Farbe der
Schleimhäute erkennbar (Haig’s Farbentafel der Schleimhäute und die Be¬
obachtung der Kapillarrückflußzeit können dabei, wie Ref. bestätigen kann,
gute Dienste leisten).
Haig hat durch 30jährige Beobachtung gefunden, daß wenige Menschen
mit weniger als 1,1 g Eiweißnahrung auf das Kilogramm Körpergewicht,
d. h. mit 75 — 80 g für den Menschen von 70 kg auf die Dauer auskommen.
Seine Zahl hält also die Mitte zwischen den Zahlen Voit’s und Chitten-
den’s und stimmt mit der vor Voit angenommenen Zahl überein. Für den
körperlich arbeitenden Menschen rechnet er etwa 10 — 15% mehr Eiwei߬
bedarf als für den mit sitzender Lebensweise.
Seine Überzeugung gründet sich auf die Beobachtung zahlreicher Indi¬
viduen, die es versucht haben, mit weniger Eiweiß als 1,1 g auf das Kilo¬
gramm Körpergewicht zu leben und die, mit einer oder zwei zweifelhaften
Ausnahmen, bei dem Versuch zusammenbrachen. Er hält sich deshalb für
berechtigt, in Chittenden’s Versuchen einen Fehler zu vermuten. Auf zwei
mögliche Fehlerquellen macht er aufmerksam. Es ist ihm oft genug vorge¬
kommen, daß Personen behaupteten, mit dem Chittenden’schen Quantum
auszukomlnen, aber die Untersuchung des Urins erwies, daß sie die von
" ihnen aufgenommene Eiweißmenge unterschätzten. Ferner muß man bei fetten
Individuen eine Korrektur anbringen, um richtige Resultate zu erhalten :
hier ist nicht das absolute Gewicht maßgebend, sondern das Gewicht, das
die Person hatte, ehe sie fett wurde, denn mit der Eiweißnahrung wird
die Muskulatur ernährt und nicht das Fett. Beachtet man das nicht, so
kommt man zu viel zu niedrigen Sätzen der Eiweißnahrung.
Wenn also Haig recht behält und das ist bei einem so sorgfältigen
und scharfsichtigen Beobachter anzunehmen, so hat Voit nun ebensoviel zu
weit als Chittenden zu kurz geschossen, und das Ziel liegt in der Mitte.
Haig schließt mit den der Beherzigung werten Worten: Den Praktikern,
die keine Zeit haben zur Verfolgung der physiologischen Arbeiten, bei denen
632
Referate und Besprechungen.
immer einige Grundlagen unzuverlässig sind, kann ich nur raten : laßt den
Physiologen reichlich Zeit, um ihre Theorien auszuarbeiten und verlaßt euch
bis dahin auf klinische Resultate, die leicht zu erreichen sind und sich als
zuverlässig erwiesen haben. F. von den Velden.
Die kochsalzarme Diät als Heilmittel.
(Dr. Felix Mendel, Essen a. d. Ruhr. Münch, med. Wochenschr., Nr. 9 u. 10, 1909.)
Der Kochsalzmangel scheint die hauptsächlichste Ursache für die Er¬
folge der KarelPschen Milchkur zu sein. Deshalb hat Mendel dieselbe
durch eine kochsalzarme Diät ersetzt und dabei die gleich günstigen Resul¬
tate erzielt, so z. B. in einem Fall von Myokarditis, wo erst die Kar eil kur
und bei einem späteren Anfall wegen Widerwillens gegen Milch, die koch¬
salzarme Kost gegeben wurde. Es unterliegt also wohl keinem Zweifel,
daß das Kochsalz im Haushalte des menschlichen Organismus eine wichtige
Rolle spielt. Aus den bisher gemachten Beobachtungen und Versuchen geht
hervor, daß schon bei normaler Kochsalzzufuhr die Flüssigkeitsmenge des
Körpers um IV2 — 3 Liter vermehrt wird. Wird die Zufuhr vermehrt, so
kann es bei gesunden Nieren zu vermehrter Kochsalzwasserretention kommen,
wird sie vermindert, so wird das kochsalzhaltige Wasser und das Kochsalz
wieder ausgeschieden. Ist der Organismus gesund, so verträgt er eine der¬
artige, von Cohn heim als hydrämische Plethora bezeichnete Flüssigkeits¬
ansammlung ohne Störung. Anders liegen die Verhältnisse, wenn die Gefäße,
vor allem deren Intima, durch lokale oder allgemeine Zirkulationsstörungen
geschädigt sind. Transsudation und Exsudation ist dann die Folge. So führt
diese Plethora bei parenchymatöser Nephritis infolge der Alteration der
Hautkapillaren zu Ödemen, bei Herzerkrankungen wiederum verursacht sie
Kreislaufswiderstände, wodurch die Herzdekompensation und das Auftreten
von Stauungsödemen begünstigt wird. Ebenfalls ungünstig wirkt sie bei
Entzündungen, die mit Exsudatbildung verknüpft sind, z. B. bei Entzün¬
dungen der Gelenksynovia, bei Pleuritis usw., ferner bei Hautkrankheiten, bes.
dem Ekzem. Finkel st ein hat als erster das Ekzem der Kinder durch
kochsalzarme Diät bekämpft. Es empfiehlt sich also bei allen auf einer
derartigen Plethora beruhenden Störungen die Anwendung dieser Diät. Zu¬
weilen führt erst die Kombination mit derselben zu einem Erfolg, wie Mendel
an einem Fall schwerer Herzdekompensation, in dem Digitalis allein nicht
anschlug, zeigt. Außer der Verminderung der Transsudate und Exsudate
beschleunigt die Diät auch die Resorption und Ausscheidung dieser Krankheits¬
produkte. An einer Reihe von Krankengeschichten liefert er den Beweis
dafür. Zum Schluß gibt er genauere Vorschriften für die Ausführung der
Methode. Mehr wie 2 — 4 g darf das Gesamtquantum der täglichen Nahrung
nicht enthalten. Ist es durchführbar, empfiehlt sich daher die Karellkur,
nur bei skrofulösen Kindern muß auch da noch die Milch entsalzt werden.
Bei chronischen Erkrankungen beginnt man am besten mit der Karellkur
und geht dann zur kochsalzarmen Kost über. Die Strauß’schen Tabellen
geben eine genaue Übersicht über den NaCl- Gehalt der einzelnen Nahrungs¬
mittel und sind daher bei Aufstellung des Speisezettels zu Rate zu ziehen.
- F. Walther.
Schmackhaftmachen der Milchund Verwendung desApfelsinderKrankenkost.
(Aus Zeitschr. für Krankenpflege, Nr. 2, 1909.)
Zur Verdeckung des weichlichen Geschmacks der in der Krankenpflege
so überaus wichtigen Milch dient außer dem bekannten Kaffee-, Tee-, Kakao¬
oder Kognakzusatz mit Vorteil auch Magne'sia usta (eine Messerspitze), Rosen¬
wasser, Mandelmilch und besonders Vanillezucker.
Der Apfel wird als Mus (Püree), Apfelsuppe, Apfelreis verwandt.
Apfelwein mit Zucker und Wasteer dient als erfrischendes Getränk. Kranken,
die rohes Obst essen dürfen, wird es auf einer gläsernen Apfelreibe (Rummel,
Berlin W, Neue Winterfeldstr.) fein verteilt gereicht, wobei Geschmack und
Aroma völlig erhalten bleiben. Esch.
Referate und Besprechungen.
633
Röntgenologie und physikalische Heilmethoden.
Karzinom und Jontophorese.
(Rud. Eisenmenger, Szäszväros (Ungarn). Zeitschr. für phys. u. diät., Bd. 12,
H. 12, S. 725—728, 1. März 1909.)
Zu Eisenmenger kam eine 41jährige Frau mit einem Karzinomrezidiv,
welches l1/2 Jahre nach einer vaginalen Totalexstirpation aufgetreten war.
Da eine Operation aussichtslos erschien, versuchte E. folgendes Verfahren:
Er legte der Patientin einen 25 cm breiten Gürtel aus dünnem Bleiblech um
den Leib ; die einhüllenden Gazeschichten wurden mit schwach angesäuertem,
warmem Wasser getränkt (negative Elektrode).
Darauf goß er der mit dem Becken hochgelagerten Patientin ein Gemisch
von Formalin, Thymol, Acid. benz., Acid salicyl., Acid. mur., Alkohol und
Wasser, später Eisenchloridlösungen durch das Spekulum in den in der Vagina
fühlbaren Krater und tauchte darein die sondenförmige, mit Watte umgebene
Anode, jedoch so, daß diese selbst nirgends mit dem Gewebe in Berührung
kam. Es wurden nun drei Wochen hindurch täglich 15 Minuten lang Ströme
von 5 — 50 (vorübergehend sogar 100) M. A. hindurchgeschickt und die Prozedur
nach vier Wochen noch einige Male wiederholt.
Der Effekt war ein vollkommen glattwandiger Krater, leichte, narbige
Resistenz, normale Drüsen. Buttersack (Berlin).
Aus dem allgemeinen Krankenhause St. Georg in Hamburg (Prof. Dr. Deneke).
Ueber ein neues Verfahren zur Erzeugung von Hautreizen.
(Dr. Erich Plate. Münch, med. Wochenschr., Nr. 10, 1909.)
Analog der von der Industrie hergestellten Apparate, die mit Hilfe
von Druckluft kleinere Körperchen fortschleudern, hat Plate einen solchen
zur Erzeugung von Hauthyperämien konstruiert, wobei er an Stelle von
Sand, Samenkörner (Mohn, Hirse, Rübsamen) benutzt. Die Konstruktion
und Anwendungsart des Apparates ist am besten im Original, das mit Ab¬
bildungen versehen ist, nachzulesen. Er nennt ihn Grandinator (von grando =
Hagel, wegen des bei Hagelwetter entstehenden Hautreizes). Durch Auf¬
treffen der Körner auf die Haut entsteht eine arterielle Hyperämie, die nie
in eine venöse übergeht. Die therapeutische Verwendung erstreckt sich auf
Anästhesien, Verhütung von Varizenbildung (infolge der kontraktionserregen¬
den Wirkung), atrophische Zustände, Muskelrheumatismus, Schmerzen nach
Quetschungen, chronisch entzündete Gelenke und Neuralgien. F. Walther.
Die Heilgymnastik in der Therapie des praktischen Arztes.
(M. Immelmann, Berlin. Klin.-therap. Wochenschr., Nr. 10, 1909.)
Eine Reihe von den sonst den Spezialärzten vorbehaltenen heilgym¬
nastischen Maßnahmen kann auch der praktische Arzt leicht alltäglich zur
erfolgreichen Anwendung bringen. Dahin gehören: I. Massage (Streichen,
Reiben, Kneten, Erschüttern); zu beachten ist absolute Sauberkeit des be¬
treffenden Körperteils des Patienten und der Hände des Arztes; Lagerung
des Patienten muß derartig sein, daß die Zirkulation der Gewebssäfte nicht
behindert ist; Mäßigung der angewendeten Gewalt ist zu empfehlen, damit
keinesfalls blaue Flecke als Folgeerscheinung auf treten. — II. Gymnastik ;
a) aktive: Die Bewegungen werden dem Patienten vom Arzt eingeübt, er führt
sie in liegender, sitzender oder stehender Körperhaltung aus; b) Widerstands¬
gymnastik: entweder setzt der Arzt dem Patienten oder der Patient dem
Arzt den Bewegungswiderstand entgegen ; c) passive : die Bewegungen werden
vom Arzt ohne jedes Zutun des Patienten ausgeführt. III. Orthopädische
Maßnahmen. Der beim Tragen orthopädischer Stützapparate entstehenden
Atrophie der Muskulatur muß der Arzt durch Massage und Gymnastik
entgegenarbeiten. Die Erkrankungen, bei denen der Arzt diese Maßnahmen
634
Referate und Besprechungen.
anwenden kann, sind: Kontusionen der Haut und des Unterhautzellgewebes
und Narbenbildungen derselben nach Operationen; Kontusionen und Distor¬
sionen der Gelenke, Erkrankungen der Gelenkbänder, Sehnen, Sehnenscheiden,
Schleimbeutel ; Erkrankungen der Muskulatur, Atrophie derselben nach Krank¬
heiten und Frakturen, sowie Muskelrheumatismus; Verbiegungen der Wirbel¬
säule, die man durch Massage, Widerstandsbewegungen und Suspensionsapparat
beeinflussen kann; Nervenerkrankungen, speziell Neuralgien, z. B. des Trige¬
minus, des Ischiadikus usw., chronische Herzkrankheiten, Fettherz, kompen¬
sierte Klappenfehler; Krankheiten der Verdauungsorgane, besonders chronische
Obstipation. Peters (Eisenach).
Aus dem Berliner Ambulatorium für Massage.
Massage und Heißluftbehandlung.
(Kirchberg. Med. Klinik, Nr. 51, 1908.)
Zur Zerreibung und Verkleinerung fester pathologischer Gebilde und
bindegewebiger Neubildungen und Verklebungen bedient man sich zweck¬
mäßig einer Kombination der Massage mit der Heißluftbehandlung. Während
einerseits die Resorption dadurch beschleunigt wird, dient die aktive Hyper-
ämisierung andererseits dazu, die Empfindlichkeit des zu behandelnden Körper¬
teils herabzusetzen. Verf. bedient sich zur Erzeugung der Hyperämie bei
der Behandlung der Affektionen im Gebiet der Extremitäten des Lin d e¬
in an n’schen Elektro therms (zu beziehen von J. Schneider in Friedenau
bei Berlin) der elektrisch geheizt wird und von seiner ganzen Grundfläche
aus eine gleichmäßige, beliebig regulierbare Wärme ausstrahlt. Man beginnt
namentlich bei empfindlichen Patienten mit einer Anfangstemperatur von
wenig über 40°, steigert dann allmählich bis auf 100°, immer natürlich
unter genauer Beobachtung der individuell sehr verschiedenen Empfindlich¬
keit, Die meist besonders empfindlichen Zehen müssen ev. durch Watte¬
einpackung geschützt werden, ebenso ist bei Narbengewebe besondere Vor¬
sicht am Platze. Ist die Hyperämisierung durchgeführt, schließt sich die
gleichfalls dem Falle angepaßte Massage an. Dieser kombinierten Behand¬
lung sind mit gutem Endresultat zugänglich : Neben veralteten traumatischen
Gelenkerkrankungen, seröse Gelenkergüsse, auch empfiehlt sich das Verfahren
zur Nachbehandlung gonorrhoischer Gelenkprozesse, wo die drohende Muskel¬
atrophie die Massage der Muskulatur unter sorgfältiger Schonung, und Un-
berührtlassen des Gelenkes selbst erfordert, ebenso eignen sich Fingerver¬
steif ungen und alte Frakturen der Hand. Bei der Behandlung der Neuralgien
speziell der Ischias kombiniert K. die Massage mit der Applikation eines
Heißluftstromes aus einer Luftdusche. Endlich sind auch der Muskelrheu-
matismus und die Myosititiden ein dankbares Feld für die Kombination
von Massage und Heißluftbehandlung in der einen oder anderen Form.
Neumann.
Aus dem Röntgeninstitut des allgemeinen Krankenhauses St. Georg in Hamburg.
Die Bestimmung der Herzgröße mit besonderer Berücksichtigung der
Orthophotographie (Distanzaufnahme, Teleröntgenographie).
(Prof. Albers-Schönberg. Fortschr. auf dem Gebiete der Röntgenstrahlen, Bd. 12.)
A. mißt die Größe der Herzen auf zweierlei Arten: 1. durch röntgeno¬
graphische Aufnahme bei einem Plattenröhrenabstand von 2,50 m.
2. dadurch, daß er den Patienten, der auf einer, rechtwinklich zum Zen¬
tralstrahl verschieblichen Stelle sitzt, soweit nach rechts und links bewegt,
bis der Zentralstrahl die rechte bez. linke Herzgrenze auf dem Fluoreszenz¬
schirme abbildet.
Während die letztere Methode eine Abart der Orthodiagraphie dar¬
stellt, die nur kein besonderes Instrumentarium benötigt, sondern sich be¬
quem mit dem A.’schen Blendenkasten ausführen läßt, beruht die erste Methode
darauf, daß mit zunehmendem Röhrenabstand die röntgenographischen Vor-
Referate und Besprechungen.
635
Zeichnungen immer geringer werden und bei einem Abstand von 2,50 m so
klein sind, daß sie praktisch nicht in Frage kommen.
Großen Wert legt A. darauf, daß der Zentralstrahl in der Sagittal-
ebene des Körpers vorläuft.
Die eingehende Beschreibung der Technik ist am besten im Originale
nachzulesen. Die Distanzaufnahme hat vor der Orthodiagraphie den Vor¬
zug, daß bei ihr die Subjektivität des Untersuchers ausgeschaltet wird.
Hahn.
Die Untersuchungen des Magens und des Darms mit der Wismuth-Methode.
(Prof. Albers-Schönberg, Hamburg. Med. Klinik. Nr. 45, 1908.)
Um den Magen und Darm für die Röntgenuntersuchung sichtbar zu
machen, verwendet man Wismutsalze und zwar in der , letzten Zeit das
basisch -kohlensaure Salz, da beim Gebrauch des basisch-salpetersauren Salzes
durch Abspaltung der Salpetersäure Vergiftungen aufgetreten sind. A. ver¬
abreicht zunächst den sog. Wismutbolus, d. h. 2 g Wismut in eine Oblate
gehüllt, oder eine Aufschwemmung von 15 g Wismut in 50 g Wasser.
Diese kleine Wismutmenge dient zur Bestimmung des unteren Magen-
pols. Um die Form des Magens darzustellen, wird dem Kranken die sog.
Riecler’sche Mahlzeit, bestehend aus einem dicken Griesbrei, dem 30 — 40 g
Wismut zugesetzt sind, verabreicht. Kinder erhalten natürlich wesentlich
weniger ; bei ganz kleinen Kindern hebt sich der bloß mit Milch gefüllte
Magen bei der Durchleuchtung deutlich ab. Mitunter führt A. zugleich
noch etwas Brausepulver ein, wodurch er außerordentlich scharfe Kontraste
erzielt.
Bei der Untersuchung ist es stets zu empfehlen, die Durchleuchtung
mit der röntgenographischen Aufnahme zu kombinieren, weil beide Methoden
einander ergänzen. Die Durchleuchtung führt A. mit Hilfe seines allge¬
mein bekannten Durchleuchtungskasten aus, und zwar beim stehenden Patien¬
ten in sagittaler wie in frontaler, beim liegenden Patienten meistens nur in
sagittaler Richtung. Darauf folgt die Untersuchung auf dem Trochoskop.
Jeder Durchleuchtung schließt A. die Aufnahme an. Er braucht dann nur
den Leuchtschirm gegen die Kasette auszuwechseln. Um scharfe Bilder
zu erzielen, ist ein gutes Abblenden nötig. Für gewisse Fälle, besonders
zum Nachweis von Tumoren, wendet A. die von Goldammer empfohlene
Aufnahme in Bauchlage an, nur ist seiner Ansicht nach besonderer Wert
auf die Benutzung der Kompressionsblende zu legen.
Man ist imstande, mittels der Röntgenuntersuchung über die Form,
Größe und Lage des Magens, über seine Peristaltik, die Austreibungszeit
der Speisen, Auskunft zu erhalten. Auch kann man mitunter den Sand¬
uhrmagen, Stenosen am Pförtner (sowie auch Tumoren nachzuweisen. In
seltenen Fällen läßt sich sogar das Magengeschwür, wenn auf der Wundfläche
das rein gegebene Wismut haften geblieben ist, auf der photographischen
Platte deutlich erkennen. Hahn.
Die Röntgentherapie in der Gynäkologie.
(Prof. Albers-Schönberg, Hamburg. Zentralbl. für Gyn., 1909.)
Zur Technik gynäkologischer Röntgenbestrahlungen.
(Prof. Albers-Schönberg, Hamburg. Fortschr. auf dem Gebiete der Röntgen¬
strahlen, Bd. 12.)
Verfasser hat, angeregt durch die Publikation von Foveau de Cour-
melle, Deutsch, Lengfelder, Görl und Fraenkel Versuche über Rönt¬
gentherapie der Uterusmyome angestellt. Es gelang ihm, oft schon nach
wenigen (etwa 5) Sitzungen, Blutungen und Ausfluß zu beseitigen.
Weiterhin beobachtete er wesentliche Verkleinerung der Myome, Nach¬
lassen des Druckes im Leibe, der Stuhlverstopfung und der Schwellungen
der Beine.
636
Bücherschau.
Da diese guten Resultate ziemlich schnell auftreten, glaubt er nicht,
daß sie indirekt durch Beeinflussung der Eierstöcke hervorgerufen werden.
Allerdings tritt nach den Bestrahlungen eine ziemlich schnelle Atrophie
der Eierstöcke ein, die mitunter von Ausfallerscheinungen: Wallungen,
Schweißausbrüchen begleitet ist. Er empfiehlt daher, die Röntgentherapie
nur bei Frauen in der Klimax oder da, wo eine Totalexstirpation in Frage
kommt, anzuwenden. Bei Ausführung der Bestrahlung ist darauf zu achten,
daß genügend starke Röntgendosen in die Tiefe dringen, ohne daß stärkere
Hautreizungen, als Braunfärben der Haut auftreten.
Technik der Bestrahlung : Der 13 Zentimeterzylinder der vom Ver¬
fasser eingeführten Kompressionsblende wird hart über der Symphyse so
eingestellt, daß seine Achse schräg in das kleine Becken verläuft, und
dann nach Zwischenlagerung eines Luffaschwammballes leicht komprimiert.
Man ist dadurch imstande, die Därme wegzudrücken und so einesteils eine
Schädigung der Därme zu verhüten, anderenteils den Uterus stärker zu be¬
strahlen. Bei größeren Myomen wird entweder der 20-Zentimeterzy linder
oder der engere in zwei seitlichen Stellungen benutzt. Zur Härtung der
Strahlen wird zwischen Zylinder und Haut entweder ein Stück dickes Sohlen¬
leder oder eine vierfache Schicht weichen Ziegenleders mit sechsfachen Staniol-
zwischenlagen gelegt. Die Bestrahlungen werden mit einer voll (4—5 M. A.)
belasteten harten Beckenröhre von 6 — 8 Waltereinheiten bei einer parallelen
Funkenstrecke von 24 cm ausgeführt. Bei Benutzung der Müller’schen
Wasserkühlröhre und des Snook’schen Apparates, erhält A. innerhalb von
6 Minuten eine Dosis von 3 — 4 Kienböck’schen Einheiten. Er verabreicht
diese oder etwas geringere Strahlenmengen (21/2 Einheiten) zunächst in 4 ein¬
anderfolgenden Tagen, macht dann 14 Tage Pause und läßt dann Serien von
3 kurz nacheinanderfolgenden Bestrahlungen abwechselnd mit 14 tägigen Pausen
folgen, bis der gewünschte Erfolg eintritt. Es sind 13—23 Bestrahlungen nötig.
Menorrhagien und Dysmenorrhöen myomatösen oder anderen Ursprunges
behandelt Verf. unmittelbar nach Schluß der Periode und kurz vor Beginn
der neuen Periode mit je 4 tägig hintereinanderfolgenden, etwas schwächeren
Bestrahlungen. (Dauer 5 Min., Dosis 2 1/2 Rienböck’sche Einheiten.)
Zur Linderung der Beschwerden genügen 8 solche Bestrahlungen, wäh¬
rend völlige Menopause erst durch längere Bestrahlung zu erzielen ist.
i - Hahn.
Bücherschau.
Geschichte des Medizinalwesens im Gebiete des ehemaligen Königreichs
Hannover. Von Dr. med. IT. Deichert, prakt. Arzt in Hannover. Ein
Beitrag zur vaterländischen Kulturgeschichte. Verlag der Hahn’schen
Buchhandlung in Hannover.
Das Werk, welches den vorstehenden Titel trägt, ist gleichzeitig der 26. Band,
der vom historischen Verein für Niedersachsen herausgegeben: „Quellen und Dar¬
stellungen zur Geschichte Niedersachsens“ (Hahn’sche Buchhandlung, Hannover
und Leipzig, 1908). Das mit einer gut orientierenden Inhaltsübersicht und mit einem
alphabetischem Namenverzeichnis ausgestattete Werk bildet einen stattlichen Band
von 356 Seiten und gliedert sich, abgesehen von einer die Mönchsmedizin und die
ersten weltlichen Ärzte behandelnden Einleitung in 10 Kapitel. Dieselben
besprechen im 1. Kapitel den Staat und die Heilkunde, wobei anhangsweise die
geschichtliche Entwicklung der Bezahlung ärztlicher Hilfe und deren Regelung
durch den Staat geschildert wird. Das 2. Kapitel handelt von der Chirurgie und
ihren Vertretern, das 3. Kapitel von dem Hebammenwesen und der Geburtshilfe, das
4. Kapitel bespricht das Apothekenwesen, das 5. Kapitel das Kurpfuschertum, welchem
Kapitel ein Anhang über die Homöopathie beigegeben ist. Das 6. Kapitel schildert
die Geschichte der öffentlichen Gesundheitspflege, das 7. Kapitel die Geschichte
der Seuchen, anhangsweise die der Malaria, das 8. Kapitel die Geschichte der
Heilquellen und Badeorte, das 9. Kapitel die Geschichte des Militärsanitätswesens,
deren erste Hälfte bis zur Konvention von Artlenburg 1803, die zweite bis zur
Bücherschau.
637
Annexion von Preußen 1866 umfaßt. Das letzte (10.) Kapitel behandelt die Geschichte
der fürstlichen Leibärzte und zwar zuerst die dieser Ärzte aus älterer Zeit und
deren Rangordnung und sodann die der Leibärzte des 18. und 19. Jahrhunderts.
Der Verfasser hat sich bestrebt, die für die Entwicklung des Medizinalwesens in
den einzelnen Landesteilen Hannovers maßgebenden Gesichtspunkte und Geschehnisse
anzuführen. Als Quellenmaterial dienten dem Verfasser die in dem Kgl. Staats¬
archiv in Hannover aufbewahrten Akten des ehemaligen Königreichs Hannover
sowie die einschlägige, in zahlreichen Fußnoten unter dem Text angeführte Literatur.
Ist es schon an und für sich lehrreich, die historische Entwicklung des Medizinal¬
wesens eines in sich geschlossenen Staates kennen zu lernen, so gewinnt das vor¬
liegende Werk dadurch eine besondere Bedeutung, daß der Verfasser bei seinen
Ausführungen nicht nur Vergleiche mit anderen deutschen Staaten betreffs der in
Betracht zu ziehenden Verhältnisse angestellt, sondern auch die Beziehungen der
früheren mit den gegenwärtigen Zuständen des Medizinalwesens erörtert hat. Wie
die Inhaltsübersicht bereits lehrt, enthält das Werk nicht nur eine Geschichte des
amtlichen Medizinalwesens, die im wesentlichen in Kapitel 6, von dem der Verfasser
sagt, daß es sehr heterogene Dinge enthält, abgehandelt ist, sondern alles, was die
medizinischen Verhältnisse im weitesten Sinne des Wortes betrifft. Dahin gehört
u. a. auch die Geschichte des Militärsanitätswesens and besonders auch eine Geschichte
der Seuchen, welche Hannover heimgesucht haben. Ich will hier auf Einzelheiten
nicht eingehen, sondern nur im allgemeinen bemerken, daß das Deichert’sche
Werk demgemäß nicht nur für den beamteten Arzt und für den ganzen Kreis des
ärztlichen Berufes, sondern für die große Zahl der Allgemeingebildeten von erheblichem
Wert ist, die ein Interesse für das Volkswohl und damit natürlich auch für ihr eigene
Wohlergehen haben. Für die Durchführung der Hygiene in seinem Haus kann
überdies jedermann recht viel aus dem D eich ert’schen Buche lernen. Der
Verfasser gibt am Schlüsse des Vorwortes an, daß sein Buch unter den Mühen und
Sorgen der ärztlichen Praxis entstanden ist und glaubt deshalb um Entschuldigung
bitten zu sollen. Das hat er aber nicht nötig. Mir wenigstens haben Inhalt und
Form des Buches ein gleich großes Vergnügen gemacht. Ich zweifle nicht daran,
daß das Buch in den weitesten Kreisen die gebührende Beachtung finden wird.
Insbesondere ist es auch für alle die unentbehrlich, die sich für die Geschichte der
Medizin interessieren. W. Ebstein (Göttingen).
Aus der Werkstatt großer Forscher. Von Fr. Dannemann. Leipzig,
W. Engelmann, 1908. 450 S. 6 Mk.
Es ist ein merkwürdiger Widerspruch, daß in keiner anderen Wissenschaft
der Entwicklungsgedanke so herrschend geworden ist, wie in den unter dem Szepter
der normalen und pathologischen Physiologie vereinigten Disziplinen, daß aber diese
Wissenschaften ihrer eigenen Entwicklung, ihrer Geschichte kein rechtes Plätzchen
gönnen wollen. Leute, die heutzutage Sydenham, Boerhave, G. E. Stahl,
Bi chat lesen, sind selten und werden am letzten Ende als Sonderlinge betrachtet.
Indessen, der Spruch: „que comprendre, c’est pardonner“ gilt auch hier. Die meisten
haben vor lauter neuen Entdeckungen, Ankündigungen und Assignaten auf die
Zukunft gar keine Zeit mehr, ihre Wurzeln tiefer als in das gerade abrollende
Kalenderjahr oder Dezennium zu treiben, und indem sie mit Bewunderung vor dem
letzten Artikel ihrer Wochenschrift erfüllt sind, haben sie den Maßstab zur Bewertung
anderer, früherer Leistungen verloren. Sie halten den gerade tonangebenden
Professor oder Geheimen Rat für die Akme der Medizin, sind aber jederzeit bereit
zu rufen: le roi est mort, vive le roi!
Die geistige Überlegenheit derjenigen, die imstande sind, sich außerhalb der
Tagesströmungen einen Beobachtungsposten zu schaffen, von dem aus sich das
Heute und das Früher in gleichen Äbständen darbietet, ergiebt sich von selbst.
Sie besteht in einer Kühle des Urteils und einem kritischen Vermögen, welches
weiß, was geschichtlich notwendig ist, und Verirrungen deshalb leichter erkennt.
Aber freilich, auf solch einen Standpunkt kann man sich nicht so ohne weiteres
aus eigener oder fremder Kraft hinaufschwingen; er muß als Niederschlag geistiger
Erlebnisse errungen, erworben, erkämpft sein. Man muß sich in den Geist der
Geschichte versenken, und da uns dieser nur in dem Geiste großer Männer faßbar
entgegentritt, so muß man sich in diese vertiefen. Es genügt nicht, zu wissen, daß
Galilei die Fallgesetze, Newton das Gravitationsgesetz, Franklin den Blitz¬
ableiter und Rob. Mayer das Wärmeäquivalent „entdeckt“ hat. Man muß sich in
die geistige Werkstatt, in die Assoziationsbahnen der großen Forscher begeben und
nachfühlend mit ihnen wandeln. Wie scheinbar einfach geht da alles zu! und wie
wenig geistreichen, schwerverständlichen Hypothesen begegnen wir da!
638
Bücherschau.
Da nicht jeder die Energie besitzt, diesen Zweig des Wissens selbstsuchend
zu pflegen, so hat Dannemann durch seine Zusammenstellung von Exzerpten aus
den größten Naturforschern aller Zeiten das Studium zu erleichtern gesucht, und
ich finde, er hat dabei eine glückliche Auswahl getroffen. Von Aristoteles,
Theophrast und Archimedes führt er uns Schritt für Schritt zu Pasteur,
Brücke, Hertz, und wenn auch unsere Spezial Wissenschaft relativ gering darin
vertreten ist, so darf das keinen abhalten, das Buch in die Hand zu nehmen, am
allerwenigsten diejenigen, die mit so viel Emphase die Medizin für nichts anderes
als eine Naturwissenschaft erklären.
Gewiß legen viele das Buch aus der Hand mit überlegenem Lächeln über
diese „überwundenen Standpunkte“. Solche mögen versichert sein, daß unsere Epigonen
schon in 50 Jahren sie ebenso beurteilen werden. Wer aber Fühlung mit dem
Geiste der Geschichte gewann, stellt den roten Faden dar, der sich siegreich durch
die Jahrhunderte hindurchspinnt. Buttersack (Berlin).
Die Erziehung zur Arbeit und durch Arbeit als souveränes Mittel der
psychischen Therapie. Von F. C. R. Eschle. Zeitschrift für Psycho¬
therapie und medizinische Psychologie. Herausgegeben von A. Moll.
Band I, Heft 1. Stuttgart, F. Enke, 1909.
Der Arzt Harith kam zu einem Kranken und sprach: „Ich und du und die
Krankheit sind drei. Wenn du zu mir hältst, so besiegen wir sie; wenn nicht, wirst
du besiegt.“ Leider sagt diese in Arnolds Chrestomathia arabica erzählte Geschichte
nichts Näheres über den Inhalt dieses Bündnisses, nichts darüber, was wohl der
weise Kollege von seinem Patienten verlangt hat; aber daß es eine Form der aktiven
Betätigung gewesen ist, können wir als sicher annehmen.
Und aktives Mitarbeiten im Gegensatz zu den vielen Hydro-, Massage,- Licht-,
Wärme- usw. Therapien, welche heutzutage die Kranken passiv über sich ergehen
lassen, wähnend, ihre Gesundheit sei in einer schottischen Dusche oder in irgend
einer Form der strahlenden Energie enthalten, predigt auch Eschle, der verdienst¬
volle Leiter der Pflegeanstalt Sinsheim bei Pleidelberg. Der Patient muß arbeiten,
nicht im Sinne der Heilgymnastik und Übungstherapie oder um den Stoffwechsel
anzuregen, sondern die Arbeit soll ihm ein Regulator seiner psychischen Funktionen
sein, ein bestimmtes Zentrum und damit eine sichere Basis seiner gesamten Strebungen.
Arbeit lenkt ab von Unluststimmungen, befördert die sozialen Triebe, stärkt
die Energie und verleiht mit dem Pflichtgefühl der ganzen Persönlichkeit ein
moralisches Rückgrat. Man sieht, das Arbeiten steht in striktem Gegensatz zu den
beliebten Zerstreuungen und auch zu den sportlichen Vergnügungen, in denen
dermalen viele den Gipfel hygienischer Maßregeln erblicken; wie viele Leute gibt
es nicht, die den Sport mit Fanatismus betreiben und dabei doch im tiefsten
Innern unbefriedigt, unglücklich, psychisch kränkelnd herumlaufen!
In welcher Weise der Arzt seinen Schutzbefohlenen zum Arbeiten erzieht,
ist eine Kunst, die man noch weniger generell fixieren kann als eine Appendizitis¬
operation oder die Behandlung eines Tuberkulösen. Eschle’s Ausführungen und
Gesichtspunke muß jeder selbst lesen und durchdenken.
Ich möchte nur beifügen, daß sich diese Überlegungen auch auf das Gebiet
der inneren Medizin übertragen lassen, und daß die oft lang ausgedehnte Bettruhe,
welche wir aus ängstlicher Vorsicht unseren Typhus-Pnenmonie- usw. Kranken zu¬
diktieren, vielleicht auch ihre Nachteile hat, indem sie zwar den Brust- und Bauch¬
organen die mechanische Arbeit erleichtert, dafür aber auf das Organ der Psyche
schwächend, destruierend wirkt und dadurch den Gesamtorganismus zum mindesten
nicht fördernd beeinflußt. Buttersack (Berlin).
Das Affen-Problem. Prof. Ernst HaeckeFs neueste gefälschte Embryonen-
Bilder. Von I)r. A. Braß. Leipzig, Biologischer Verlag. 1 Mk.
Braß sucht hier Haeckel die absichtliche Fälschung gewisser Embryonen¬
zeichnungen nachzuweisen. Hat diese Broschüre schon an und für sich genug Staub
aufgewirbelt, so wird sie am besten 'kritisiert durch die ja auch in alle Tages¬
zeitungen übergegangene Erklärung, mit der gegen 50 deutsche Anatomie- und
Zoologie-Professoren, Direktoren anatomischer und zoologischer Institute und natur-
historischer Museen dazu Stellung genommen haben: „Daß sie zwar die von Haeckel
in einigen Fällen geübte Art des Schematisierens nicht gutheißen, daß sie aber im
Interesse der Wissenschaft und der Freiheit der Lehre den von Braß und dem
Krankenpflege und ärztliche Technik.
639
„ Keplerbunde“ gegen Haeckel geführten Kampf aufs schärfste verurteilen;“
eine Kritik, der man sich, vor allem wegen des so wenig vornehmen Stiles und der
unfeinen Form, in der Braß seinen Kampf gegen Haeckel zu führen sucht, nur
voll und ganz anschließen kann! Werner Wolff (Leipzig).
Die Hauptpunkte der sexuellen Aufklärung nach dem gegenwärtigen Stande
ärztlicher Erfahrung. Von L. Loewenfeld. Wiesbaden, J. F. Bergmann,
1909. 52 Seiten. 80 Pfg.
Wenn das Publikum die große Menge von Aufklärungsschriften nur zum
Teil in sich aufgenommen hätte, könnte man das Thema: sexuelle Aufklärung
ruhig beiseite stellen. Das Bedürfnis scheint aber noch nicht erloschen zu sein,
und daLoewenfeld’s Heftchen ruhig und sachlich verfaßt ist, so mag es besonders
hervorgehoben sein. Es behandelt kurz die Anatomie des Geschlechtsapparates,
Onanie und Pollutionen, die Gesundheitsschädigungen, die Enthaltsamkeit, den
Präventivverkehr, die Menstruation und Schwangerschaft, die Libido, die Ehe und
die Potenz.
Indessen, ich glaube, der Kernpunkt der Frage liegt nicht im Wissen, sondern
im Charakter der Menschen, und den beeinflussen Papier und Druckerschwärze
nicht nachhaltig genug. Buttersack (Berlin).
Krankenpflege und ärztliche Technik.
Neue Elektrisiermethode nach Dr. Erfurth.
Es ist eine merkwürdige Tatsache, daß man bis in die neueste Zeit
hinein noch relativ wenig Verständnis erlangt hat für eine Eigenschaft
des elektrischen Stromes, auf die Schnee, der Erfinder des Vierzellen¬
bades mit besonderer Betonung die Aufmerksamkeit zu lenken suchte, nämlich
die Fähigkeit, Blut- und Gewebsflüssigkeit in der Stromrichtung von positiv
zu negativ mit fortzubewegen. Die Richtigkeit dieser Erscheinung ist durch
ein einfaches Experiment bewiesen, das von Niessen angestellt hat: ,,Man
bringt einen Tropfen Blut unter das Deckgläschen und läßt von zwei Seiten
je ein Pinselhaar, hineinführend in den Tropfen, mit unterdecken. Ver¬
bindet man diese mit den beiden Polen des galvanischen Stromes, so werden
die Blutkörperchen unter dem Mikroskop in einem Strom vom positiven zum
negativen Pol fortgerissen, als ob sie innerhalb eines Gefäßlumens dahin¬
ström ten. Unterbricht man, so tritt sofort Stillstand ein.“
Die Konsequenz der dem elektrischen Strome zukommenden Transport¬
fähigkeil ist notwendigerweise die: Alle Blut- und Gewebsströmung, welche
in gleicher Richtung verläuft, wie der vom positiven zum negativen Pole
gehende elektrische Strom, wird durch diesen beschleunigt, alle in entgegen¬
gesetztem Sinne verlaufende Strömung wird durch ihn verlangsamt. Man
kann also dementsprechend, wenn man die Pole an den Körper gleichsinnig
mit der arteriellen Strömung ansetzt, diese beschleunigen bei gleichzeitiger
Stauung des venösen Gebietes und umgekehrt, wenn man die Pole gleich¬
sinnig der venösen Stromrichtung ansetzt, diese beschleunigen bei gleich¬
zeitiger V erlangsamung des arteriellen Stromgebietes.
A.us diesem Grunde legte Schnee auch so großen Wert auf die außer¬
ordentliche Mannigfaltigkeit der mit seinem Vierzellenbad herzustellenden
verschiedenen Stromrichtungen. Er übersah jedoch eine Folgeerscheinung,
die sich aus der Applikation sowohl des positiven als auch des negativen
Pols an den Extremitäten ergeben muß, nämlich die, daß der elektrische Strom,
wenn er an den oberen Extremitäten zentripetal verläuft, an den unteren
Extremitäten zentrifugal verlaufen muß oder umgekehrt, während der Blut¬
strom sowohl des linken als auch des rechten Herzens im ganzen Körper
stets entweder zentrifugal vom Herzen fort gleichartig nach der gesamten
Peripherie oder zentripetal von der ganzen Oberfläche des Körpers zum
Herzen zuströmt. Hieraus folgt, daß bei der Schnee’schen Anordnung nie-
640
Krankenpflege und ärztliche Technik.
mals in den zur Stromapplikation benutzten Extremitäten eine gleichzeitige
Wirkung, entweder Hyperämie oder Anämie im arteriellen oder venösen Strom¬
gebiet erzeugt werden kann, sondern stets beide Wirkungen gleichzeitig ein-
treten müssen, und zwar in den einen Extremitäten die entgegengesetzte als
in den anderen. . *
Von dem Gedanken ausgehend, daß es in vielen Eällen wertvoll ist,
in gleichartiger Weise entweder Hyperämie oder Anämie an der Peripherie
zu erzeugen, ersetzte Dr. Erfurth das Schnee’sche Vierzellenprinzip durch
eine andere Anordung, mit welcher er eine allgemeine „zentrifugale“ Elektri-
sation zu erzielen vermag. Im Gegensatiz zu Schnee appliziert er nur den
einen Pol an die Extremitäten, entweder den negativen oder den positiven,
je nachdem die Peripherie hyperämisiert oder anämisiert werden soll, während
der andere Pol am Rücken angebracht wird, so daß er die Zentralorgane
Herz und Rückenmark trifft. Auf diesem Wege wird eine konstitutionelle
Therapie möglich, welche alle vitalen Prozesse in günstigem Sinne zu beein¬
flussen vermag.
Die Technik der Erf ur th’schen Methode beruht auf der Herstellung
schmiegsamer, sich gleichmäßig großen Körperflächen adaptierender Elektroden,
um den von Schnee so stark betonten Vorteil, durch große Elektroden¬
flächen die Stromdichte herabzusetzen und hierdurch eine größere Elektri¬
zitätsmenge schmerzlos in den Körper einführen zu können, ebenfalls nutzbar
zu machen. Solche Elektroden, mit Moosmasse gefüllt, werden an einem
bequemen Liegestuhle muldenartig angeordnet, um die Arme und Beine, wie
in einer Hängematte liegend, aufzunehmen. Der Rücken des Patienten preßt
sich in eine gleichartige Elektrode ein, welche auf der Lehne des Stuhles
angeordnet ist. Diese wird mit dem einen Pole verbunden, während die
anderen vier Elektroden an den anderen Pol der Stromquelle angeschlossen
werden. Das untenstehende Bild zeigt die Anordnung des Er für th’schen
Stuhles.
Der Apparat wird von der Firma Reiniger, Gebbert & Schall,
Aktiengesellschaft, geliefert.
Schriftleitung: Dr. Rigler in Leipzig.
Druck von Emil Herrmann senior in Leipzig.
27. Jahrgang.
1909.
?ort$cbrim der IIHdizin.
Unter Mitwirkung hervorragender Fachmänner
herausgegeben von
Professor Dr. 6. Köster Priv.-Doz. Dr. v. Criegern
in Leipzig. in Leipzig.
Schriftleitung: Dr. Rigler in Leipzig.
Nr. 17.
Erscheint am 10., 20., 30. jeden Monats. Preis halbjährlich
6 Mark, inkl. Zeitschrift für Yersicherungsmedizin 8 Mark.
== Verlag von Georg Thieme, Leipzig. =
20. Juni.
Originalarbeiten und Sammelberichte.
Aus der medizinischen Klinik in Göttingen. Direktor: Prof. C. Hirsch.
Ueber Fieber und Fieberbehandlung.*)
Von Privatdozent Dr. L. Lichtwitz, Assistent der Klinik.
Die Vögel und die Säugetiere sind vor allen andern Lebewesen
dadurch ausgezeichnet, daß sie eine konstante Temperatur besitzen
und diese trotz erheblicher Schwankungen der Außentemperatur auf¬
recht erhalten. Die einzige Wärmequelle für alle lebendigen Ge¬
schöpfe, die gleichwarmen sowohl wie die wechselwarmen, sind die Oxy¬
dationen und Zersetzungen, die sich in jedem Organismus abspielen.
Für die Erhaltung einer gleichmäßigen Körperwärme ist es er¬
forderlich, daß die Intensität dieser Prozesse gewisser Abstufungen
fähig ist und daß Vorrichtungen vorhanden sind, die eine Regulation
der Wärmeabgabe gestatten. An der Wärmeproduktion sind alle Or¬
gane nach der Intensität ihres Stoffwechsels beteiligt. Die Intensität
des Stoffwechsels, der Energieveränderung, ist abhängig von der Größe
der Arbeit. Will man über die Größe und den Ort der Wärmeproduktion
ein Urteil und einen 'Maßstab gewinnen, so ist es notwendig, die Wärme¬
bildung bei vollständiger körperlicher Ruhe und in nüchternem Zu¬
stande zu messen. Bei einem Menschen von 70 kg beträgt die Wärme¬
bildung etwa 1700 Kalorien. Nach den Berechnungen von Zuntz,
Loewy und v. Schrottes entfallen davon 70 Kalorien auf die Herz¬
arbeit, 150 auf die Atmungsarbeit, 370 auf die Arbeit der Leber
und 75 auf die der Nieren. Den anderen Drüsen kommt bei Ruhe und
Hunger keine größere Bedeutung zu. Der Rest von 1000 Kalorien
wird von den Skelettmuskeln (mit Ausnahme der Atemmuskeln) gedeckt,
die, wie aus den Untersuchungen von Ale ade Smith hervorgeht, auch
im Ruhezustand eine beträchtliche Wärmeentwicklung aufweisen. Die
Wärmebildung steigt mit der Arbeit, die die einzelnen Organe und
Organsysteme leisten, bei Muskelarbeit in der Muskulatur, bei der
Verdauung in den dieser dienenden Organen, besonders in der Leber,
die, wie wir aus den bekannten Untersuchungen von C. Hirsch wissen,
den Ort der höchsten Wärmebildung darstellt. Die Steigerung der
Wärmeproduktion bei der Tätigkeit führt aber nicht zu einer Erhöhung
der Temperatur, weil der Organismus imstande ist, die Abgabe der
Wärme zu erhöhen durch Erweiterung der Hautgefäße, durch ver-
*) Nach einer Probevorlesung, Göttingen 9. 12. 1908.
41
642
L. Lichtwitz,
mehrte Strahlung und Leitung und Verdampfung größerer Wasser¬
mengen in der Lunge und auf der Haut. Umgekehrt vermag der homoi-
otherme Organismus durch eine Einschränkung dieser Funktionen
unter Kontraktion der Hautgefäße seine Temperatur gegen Abkühlung
zu schützen und in Fällen, wo diese physikalische Regulation nicht
ausreicht, durch Steigerung seiner Zersetzungen, durch chemische Re¬
gulation, seine Wärmebildung zu erhöhen. Da der Organismus keine
Organe besitzt, die nur der Wärmeerzeugung dienen (wie unsere Öfen),
sondern aus der zur Verfügung stehenden potentiellen Energie im
Körper immer Arbeit und Wärme entsteht, so kann die Steigerung
der Zersetzungen und der Wärmeproduktion bei der chemischen Re¬
gulation nicht ohne ein entsprechendes Äquivalent von Arbeit erfolgen.
Und so sehen wir in der Tat — zum mindesten beim Menschen —
Muskelkontraktionen auftreten. „Es ist“, wie Tiger stedt hervorhebt,
„unzweideutig, daß die im Dienste der Wärmeregulation stattfindende
Zunahme des Stoffwechsels vor allem durch kleinere und größere
Muskelbewegungen hervorgebracht wird.“
Die physikalische und chemische Regulation der Eigenwärme er¬
folgt durch Vermittlung des Zentralnervensystems. Wir wissen, daß
nach Verletzung des Corpus striatum fast regelmäßig und mitunter
nach Verletzung anderer Stellen im Gehirn eine Temperatursteigerung
auf tritt. Die Entdeckung des Wärmestichs hat dazu geführt, im Cor¬
pus striatum ein Wärmezentrum anzunehmen, dessen mechanische oder
elektrische Reizung zu einer gesteigerten Wärmebildung führt. „Dieses
Zentrum kann aber“, wie Tiger stedt hervorhebt, „nicht das ein¬
zige sein, da eine gesteigerte Wärmebildung von der gesteigerten Tätig¬
keit der Organe abhängt, also von allen Teilen des Zentralnervensystems,
die überhaupt bei den peripheren Organen eine dissimilatorische Wir¬
kung hervorrufen, beherrscht wird.“ Das Zusammenwirken verschie¬
dener Organe ist bei der Wärmeregulation ein anderes als bei der
Atmung, der Brechbewegung oder dem Kreislauf. „Es handelt sich
hier nicht um ein koordiniertes wohl abgepaßtes Zusammenwirken
einzelner Organe, sondern die hier tätigen Körperteile werden ,en bloc‘
erregt.“
Die Wärmeregulation bedarf daher nicht eines besonderen Zen¬
trums, sondern „die nervösen Zentren der Muskelbewegung, der Haut¬
gefäße und Schweißdrüsen reagieren bei Temperatur Veränderung in
einer dem Bedarf der Wärmeregulation entsprechenden Weise“.
Ist diese Regulation gestört, so kommt es zu einer Erhöhung der
Eigenwärme des Organismus. Eine solche kann man künstlich hervor¬
rufen durch Behinderung der Wärmeabgabe in einem warmen Bade
oder in warmer feuchter Luft. Hier versucht der Körper mit seinen
wohl erhaltenen physikalischen Regulationsmechanismen gegen die
Überhitzung anzukämpfen. Eine chemische Regulation steht ihm hier
nicht zu Gebote, da der Organismus unter ein bestimmtes Mindestmaß
der Zersetzungen nicht heruntergehen kann. Ist aber die Wärme¬
zufuhr von außen größer als die Wärmeabgabe, so steigen bei stei¬
gender Temperatur auch die Zersetzungen, so daß dann der Körper
von außen und von innen zu gleicher Zeit erwärmt wird.
Eine derartige Überhitzung des Körpers durch Steigerung der
Wärme bildung bei Muskelarbeit und ungünstigen Bedingungen der
Wärmeabgabe führt zu den höchsten Temperaturen, die beobachtet
worden sind (47,6° in einem letal verlaufenen, 46,1° in einem geheilten
Ueber Fieber und Fieberbehandlung. 643
Falle, zit. nach F. March and) und dem Krankheitsbild des Hitz-
schlags. Es ist bemerkenswert, daß Rekonvaleszenten, Indisponierte
und besonders Leute mit labilem Kreislauf häufiger und leichter vom
Hitzschlag betroffen werden. Das Blut hat die Aufgabe, die Wärme
auszugleichen, sie von den Orten der gesteigerten Erzeugung dahin
zu führen, wo sie nach außen abgegeben werden kann, an die Lungen
und an die Haut. Die Wärme des Blutes ist es auch, die eine Reizung
des Kopfmarks bedingt und beim Hunde zur Polypnoe führt, also die
physikalische Regulation anregt. Ist der Kreislauf zu schwach, um
den Anforderungen dieser Regulation zu genügen, so kommt es zu einer
Wärmestauung, unter der, wie aus dem Auftreten von Delirien und
Benommenheit beim Hitzschlag hervorgeht, vor allem das Gehirn leidet.
Eine Schädigung des Gehirns kann aber seinerseits zu einer Tem¬
peratursteigerung führen und so einen circulus vitiosus bedingen, der
auch bei schroffster Wärmeentziehung eine noch stundenlange Über¬
hitzung unterhält.
Auch bei anderen krankhaften Prozessen im Gehirn sehen wir
Temperatursteigerung auf treten, die in einem Teil der Fälle infektiösen
Ursprungs, zu einem zweiten die Folge von Blutungen oder Gewebs-
zertrümmerungen ist. Das Auftreten hoher Temperaturen bei Krämpfen
kann nicht allein durch die große Muskelarbeit erklärt werden,
da nicht in allen solchen Fällen eine Erhöhung der Eeigenwärme ein-
tritt, sondern es muß sich hier um eine Schädigung der wärmeregu¬
latorischen Einrichtungen handeln, die auch isoliert von motorischen
Erscheinungen, z. B. als psychogene Temperatursteigerung auftreten
kann und augenscheinliche Beziehungen zu dem experimentellen Wärme¬
stich hat.
In diesem und in den künstlichen Hyperthermien haben wir
ein ausgezeichnetes Mittel, um die Temperatursteigerung aus dem
verwickelten Komplex des Fiebers und der Infektion herauszulösen
und zu studieren.
Denn gerade die Temperatur Steigerung und die Beobachtung ihres
Verlaufs ist es, der wir am Krankenbett die größte Aufmerksamkeit
schenken, die uns ein führendes pathognostisches und klinisches Zeichen
ist und die, wie Naunyn sagt, für Diagnose und Prognose wichtiger
ist, als irgend ein anderes Einzelsymptom.
Am häufigsten ist das Fieber auf die Einwirkung von Bakterien
oder Protozoen zurückzuführen. Die fundamentalen Beobachtungen
von Wunderlich und seiner Schule haben uns gelehrt, daß fast jeder
Lifektionskrankheit ein Fiebertypus zukommt. Daß an dem Zustande¬
kommen der typischen Kurve die Spezifizität der Erreger in erster
Linie beteiligt ist, sehen wir vor allem bei der Malaria, deren Fieber¬
verlauf mit dem Entwicklungsgang der Plasmodien aufs engste ver¬
knüpft ist. „Beim Typhus abdominalis sind die Temperatur Verände¬
rungen im Verlaufe der Krankheit der Ausdruck der bakteriellen
Giftwirkung und der ihr folgenden allgemeinen Körper- und
Organveränderungen“ (Curschmann). Gerade bei dieser Krankheit
aber sehen wir auch deutlich, daß nicht allein die Bakterien
die Höhe und den Verlauf des Fiebers bedingen, sondern auch die
Reaktionsfähigkeit des Organismus in hervorragendem Maße beteiligt
ist, daß Kinder, jugendliche und kräftige Personen hoch fiebern, wäh¬
rend ältere Leute eine auffallend niedere und unregelmäßige Tempe¬
ratur auf weisen. Vergleichen wir damit die Mortalität, die mit zu-
41*
644
L. Lichtwitz,
nehmendem Alter rapide steigt, s-o werden wir zu der Auffassung kom¬
men, daß an dem Fiebertypus neben der Spezifizität der Erreger auch
die Spezifizität gewisser Abwehrkräfte des Organismus beteiligt ist.
Außer diesen Beziehungen zur Immunitätsreaktion, von denen
später noch die Hede sein wird, steht das Fieber (als Teilerscheinung
der Infektion) im engsten Zusammenhang mit Störungen des Stoff¬
wechsels, der Zirkulation, der Atmung.
Der Stoffwechsel im Inf ektionsfieber ist seit langer Zeit
im Mittelpunkt des Interesses, weil die Kenntnis seiner Größe und
seiner Art zur Beantwortung der Frage : Wie entsteht im Fieber die
Temperatursteigerung ? notwendig ist.
Die Erwärmung des Körpers muß durch ein Mißverhältnis zwi¬
schen Bildung und Abgabe von Wärme hervorgerufen sein.
Zahlreiche Untersuchungen über die Wärmeproduktion im Fieber
haben ergeben, daß die Gesamtoxydationen in einer nicht geringen
Anzahl von Fällen, besonders im Beginn der Erkrankung, gesteigert
sind. An dem gesteigerten Stoffwechsel ist das Eiweiß in hervorragen¬
dem Grade beteiligt. Wir beobachten bei allen fieberhaften Prozessen
eine gesteigerte Stickstoffausscheidung. Diese vermehrte Stickstoff¬
ausscheidung könnte eine Folge der Temperaturerhöhung sein.
Stoffwechseluntersuchungen bei künstlicher Erwärmung haben
ergeben, daß beim Menschen erst Temperaturen über 40 Grad einen
vermehrten Eiweißzerfall zur Folge haben, der sich durch Kohlehydrat¬
zufuhr nicht in demselben Maße einschränken läßt, wie bei normaler
Eigenwärme (Lins er und Schmidt). Die Temperaturerhöhung allein
kann daher nur zu einem ganz kleinen Betrage eine größere Stickstoff¬
ausscheidung bedingen, die eine zweite Quelle hat in dem Zerfall der
entzündlichen Exsudationen und eine dritte in der Inanition. Im Be¬
ginn und auf der Höhe einer akuten fieberhaften Krankheit liegt der
Appetit darnieder. Die Sekretion des Speichels und der Salzsäure ist
vermindert. Beim Abdominaltyphus sind wir durch die krankhaften
Prozesse im Darm genötigt, eine flüssige und eiweißarme Kost zu
reichen.
Da der Gesamtwert der Nahrung, die man einem Infektionskranken
auf der Höhe des Prozesses beibringt, nur etwa 1/3 des Bedarfs ent¬
spricht, so muß der Körper von seinem eigenen Bestände zehren und
auch von seinem Eiweiß, so daß auch diese Verhältnisse an der nega¬
tiven N-Bilanz beteiligt sind. Weiterhin wissen -wir aus den Unter¬
suchungen von Kraus und seinen Schülern, daß die Immunitätsreaktion,
die Produktion der Antikörper, einen den Eiweißbestand stark angrei¬
fenden kostspieligen Prozeß darstellt. Diese Quote des Eiweißzerfalls
hängt eng zusammen mit dem durch die Infektion selbst bedingten
toxischen Eiweißabbau. Betrachtet man das Verhältnis des N -Stoff¬
wechsels zur Temperatur, so sehen wir, daß andere Prozesse, die einen
vermehrten Eiweißzerfall zur Folge haben, wie die Basedow’ sehe und
die Banti’sche Krankheit, maligne Tumoren, Phosphorvergiftung, doch
nicht zu einer Steigerung der Temperatur führen. Weiterhin kann
man beobachten, daß der Eiweißzerfall bereits vor der Temperatur¬
steigerung auf treten kann und in vielen Fällen das Fieber überdauert
(epikritische Harnstoffausscheidung). Es ist auch gelungen, die Er¬
scheinungen der Temperaturerhöhung und des Eiweißzerfails von¬
einander zu lösen. Bei der Malaria setzt der Eiweißzerfall selbst dann
Ueber Fieber und Fieberbehandlung.
645
ein, wenn die Temper aturs te iger un g unter der Wirkung des Chinins
ausbleibt.
Wenn wir aus diesen sicher gestellten Tatsachen resümieren, daß
weder die Temperaturerhöhung als solche im wesentlichen Grade einen
erhöhten Eiweißumsatz bedingt, noch daß andererseits ein vermehrter
Eiweißumsatz zu einer Temperaturerhöhung führt, so werden wir
unsere Aufmerksamkeit auf die anderen Brennmaterialien richten, die
dem Organismus zu Gebote stehen, auf das Fett und die Kohlehydrate.
Was das Fett betrifft, so ist die Geltung der ursprünglichen Auf¬
fassung von Senator, daß im Fieber nur Eiweiß zersetzt und Fett
sogar zum Ansatz gebracht werden kann, durch die Untersuchungen
von Staehelin eingeschränkt worden, der am Surra-infizierten Hunde
einen Fettabbau beobachtete.
Daß das Glykogen im Fieber rasch verschwindet, wird von vielen
Beobachtern übereinstimmend angegeben. Jedoch ist der Einfluß der
Temperatursteigerung auf die Verbrennung der Kohlehydrate ein
wechselnder. In einer Reihe von Fällen verschwindet beim fiebernden
Diabetiker die Zucker ausscheidung und steigt die Toleranz der Kohle¬
hydrate, in anderen aber wirkt, wie Mohr fand, das Fieber gerade
umgekehrt. Und auch beim Nichtdiabetiker soll im Fieber alimentäre
Glykosurie leichter zu erzielen sein, als im normalen Zustande.
Was nun die Größe der Gesamtoxydationen betrifft, so sind die¬
selben, wie bereits bemerkt, in einem Teil der Fälle, besonders im
Anstieg und auf der Höhe des Fiebers, gesteigert, in andern aber nicht.
Es ist sicher gestellt, daß zwischen der Höhe der Temperatur und der
Größe des Stoffwechsels ein Parallelismus nicht besteht und daß diese
beiden Erscheinungen nebeneinander hergehen.
Bei dieser Inkonstanz hat es nicht an Stimmen gefehlt, die jede
Beziehung zwischen Temperatur und Stoffzerfall in Abrede stellen
und die Steigerung der Zersetzungen für die Folge von Muskelbe¬
wegungen halten. Wenn man berücksichtigt, daß gerade beim anstei¬
genden Fieber und speziell im Schüttelfrost die Oxydationen am mei¬
sten gesteigert sind, und daß das Fieber häufig zu einer motorischen
Unruhe und immer zu größerer Tätigkeit der Herz- und Atemmusku¬
latur führt, und erwägt, daß Muskelbewegungen die Gesamtzersetzungen
in sehr viel höherem Grade steigern, als selbst die höchsten Tempera¬
turen, so gewinnt dieser Einwand an Bedeutung.
Wenn also in dem quantitativen Ablauf des Stoffwechsels eine
Erklärung der Temperatursteigerung nicht gefunden werden kann, so
bietet die Art des Eiweißabbaus im Fieber einige Besonderheiten, die
im kausalen Verhältnis zum Fieber stehen könnten.
Nach Krehl und Matthe s schlägt die Zerlegung des Eiweißes
im Fieber abnorme Bahnen ein, indem es im Sinne der Hydratation
abgebaut wird. Einen genaueren Einblick in diese Verhältnisse gewährt
die Tatsache, daß im Fieber der Schwefel viel schneller ausgeschieden
wird als der Harnstoff. Da sich trotzdem in dem Blute und den Or¬
ganen des Fieberkranken ein vermehrter Harnstoff gehalt nicht findet
(Naunyn), so besteht die Auffassung Liebermeisters, daß im Fieber
die Vorstufen des Harnstoffs längere Zeit im Körper bleiben, zu Recht.
In der Tat finden wir ja nicht nur im Fieberurin Albumosen und Amino¬
säuren, vermehrte Mengen von Harnsäure und Kreatinin, sondern Kraus
fiat auch im Blut von Typhuskranken und Pneumonikern Albumosen
nachweisen können. Da man nun durch Einspritzung von Albumosen
646 Richard Blum, Die Behandlung der Gebärmutterblutungen mit Styptol.
Temperatursteigerung hervorrufen kann, so lag es nahe, diese pyre-
togenen Stoffe mit dem Fieber in einen kausalen Zusammenhang zu
bringen. Man müßte dann annehmen, daß die Albumosen oder andere
Stoffe, die bei der Zerstörung der Körperzellen frei werden, einen
chemischen Reiz auf das Wärmezentrum ausüben, wie der Wärme¬
stich einen physikalischen ausübt. Dieser Versuch einer Erklärung
reicht aber in keiner Weise aus, da wir auch bei anderen krankhaften
Zuständen, die gewöhnlich ohne Fieber verlaufen, Albumosen im Blute
finden, z. B. bei der Leukämie, und weil ebensowenig wie die Stei¬
gerung der Oxydation überhaupt die zentrale Anregung dieser Stei¬
gerung sicher ist. Krehl und Soetbeer haben gezeigt, daß auch beim
Kaltblüter, bei dem jede nervöse Beeinflussung des Stoffwechsels fehlt,
die Intensität der V erbrennungsprozesse durch eine Infektion gestei¬
gert wird. (Schluß folgt.)
Die Behandlung von Gebärmutterblutungen mit Styptol.
Von Dr. Richard Blum, Berlin.
Die Behandlung der Gebärmutterblutungen hat in den letzten
Jahren insofern einen gewissen Fortschritt erfahren, als die konser¬
vative Behandlung viel stärker in den V ordergrund gerückt ist. J a
man kann überhaupt lokale Maßnahmen wie Tamponaden vielfach ver¬
meiden, seitdem man die Wirkung der innerlich anzuwendenden Hämosta-
tika besser kennen gelernt hat. Der große Vorzug, den ein sicher
wirkendes und dabei unschädliches internes Mittel bei Gebärmutter¬
blutungen besitzt, liegt auf der Hand. In dieser Hinsicht genügten
aber gerade die seit alters her benutzten Mutterkornpräparate durch¬
aus nicht, weil sie, abgesehen von unerwünschten Nebenwirkungen,
ungenügend haltbar waren und deshalb ihre Wirkung oft völlig ver¬
sagte. Auch die eine Zeitlang so viel benützte Tinktura Hydrastis war
nicht konstant in der Wirkung und verursachte sehr häufig Magen¬
beschwerden. Ein Präparat, welches den notwendigerweise zu stellenden
Anforderungen von Konstanz des wirksamen Prinzips und Fehlen unlieb¬
samer Nebenwirkungen entsprach, wurde nun vor einigen Jahren in
dem phtalsauren Salz des Cotarnins auf gefunden und unter dem Namen
Styptol in die Therapie eingeführt. Trotzdem das Styptol von ver¬
schiedenen Seiten in der Literatur warm empfohlen worden ist, scheint
es doch vom praktischen Arzte bisher nicht so beachtet worden zu
sein, wie es dieses Mittel verdient. Ich möchte deshalb durch die kurze
Mitteilung meiner Erfahrungen zu weiterer Verwendung des Mittels
anregen.
Ich habe das Styptol in einer großen Anzahl von Fällen angewandt
und durchweg die stark blutstillende Wirkung des Mittels beobachten
können. Das Styptol wird bekanntlich in verzuckerten Tabletten zu
0,05 g verordnet (ein Röhrchen mit 20 Tabletten kostet 1 Mark).
Schon bei der relativ geringen Dosis von viermal täglich einer
Tablette tritt meistenteils die Wirkung ein. Man kann aber auch
aufs Doppelte und Dreifache dieser Dosis gehen, ohne daß üble Neben¬
wirkungen beobachtet werden, wie ich mich in einem Falle überzeugen
konnte, wo eine Patientin statt der gewöhnlichen Dosis versehentlich
das Vierfache nahm. Die hohen Dosen von dreimal täglich drei Tab¬
letten wurden besonders von Jacoby bei schweren Fällen von Dysmenor¬
rhöe angewandt. Bei der geringen Giftigkeit des Mittels sind jeden-
Berliner Brief.
647
falls ganz unbedenklich hohe Dosen zu geben, wenn die gewöhnlichen
niedrigen Dosen nicht wirksam genug sind. Nur in einem einzigen
Falle habe ich eine Idiosynkrasie gegen Styptol feststellen können,
indem die Patientin wiederholt erbrach. Man kann Styptol ganz
allgemein bei den verschiedensten Arten von Uterusblutungen be¬
nutzen, bei denen ein internes Mittel überhaupt zu versuchen ist.
Bei Aborten und nach Abrasio mucosae habe ich es in über 50 Fällen
mit Erfolg angewandt. Sehr zu empfehlen ist Styptol bei den starken
Menorrhagien anämischer Mädchen und junger Frauen, bei denen sich
anatomisch-pathologische Veränderungen meist nicht konstatieren lassen.
Ferner habe ich bei Endometritis ebenso wie bei Myomblutungen gute
Erfolge gesehen. Endlich möchte ich noch auf die sedative Wirkung
des Mittels aufmerksam machen, die besonders bei der Verabreichung
größerer Dosen hervortritt. Durch diese Eigenschaft leistet Styptol
zur Behandlung der verschiedenen dysmenorrhoischen Beschwerden die
besten Dienste. Besonders bei länger fortgesetzter Anwendung kleiner
Dosen, wie sie Abel, von Elischer und Jaeoby empfahlen, erreicht
man es leicht, daß die Beschwerden ganz ausbleiben und die Menses
normal werden.
Berliner Brief.
Im Verein für innere Medizin erstattete Kraus ein Referat
über die Methoden zur Bestimmung des Blutdrucks am Lebenden und
ihre Bedeutung für die Praxis. Die Methoden, die sich in der Praxis
am besten bewährt haben, sind die Methoden des völligen Verschlusses
von Vierordt und die Methode der entspannten Arterienwand von
Marey. Vielleicht erlangt auch die Sahli’ sehe Sphygmobolometrie,
welche die vom Puls geleistete Arbeit mißt, eine klinische Bedeutung.
Die zweckmäßigsten Apparate für die Praxis sind die von v. Reckling¬
hausen und Ushoff, von denen der erste die Blutdruckwerte auf
Wasser, der letztere auf Quecksilber berechnet. Der praktische Wert
der Blutdruckmessung ist dadurch gegeben, daß das Pulsfühlen nur
eine subjektive Methode ist, die sich vorwiegend nur auf die Druck¬
schwankung stützt. Bevor man aus einer bestehenden Hyper- oder
Hypotonie irgend welche Schlüsse zieht, muß man natürlich öfter
wiederholte Messungen vornehmen und auf etwaige Änderungen des
Verhaltens achten. Dauernde Hypertonien findet man bei indurativer
Nephritis, im Frühstadium der Arteriosklerose, bei Hyperglobulie, mit¬
unter bei Morbus Basedowii ; vorübergehend tritt sie auf bei Muskel¬
arbeit, Schmerz, tabischen Krisen, neurasthenischen Darmerkrankungen,
Angina pectoris, bestimmten Intoxikationen und Medikationen, so nach
kohlensauren Bädern. Hypotonie tritt auf: dauernd bei Herzkrank¬
heiten und Morbus Addisonii, vorübergehend bei Kollaps und bei
gewissen vasomotorischen Neurasthenikern.
Aus der Blutdruckmessung allein kann man jedoch kein Urteil
über die jeweilige Leistungsfähigkeit des Kreislaufes gewinnen. Dazu
bedarf es auch noch der Messung der Strömungsgeschwindigkeit, die
man am besten mittels der Flammentachographie von v. Kries vor¬
nimmt. Pie sch hat eine ausgezeichnete Methode ersonnen, mit der es
gelingt, bei jedem Kranken ohne besondere Schwierigkeiten Aufschluß
zu erlangen über die Größe des Minuten- bezw. des Schlagvolumens.
Das Verfahren Plesch’s erfordert die Bestimmung der Gesamtsauer-
648
Berliner Brief.
stoffbindefähigkeit des Blutes, des Sauerstoff Verbrauches pro Minute
nach Zuntz-Goeppert und des Sauerstoff- bezw. Kohlensäuregehaltes
des Venenblutes der rechten Kammer. Auf die letzteren Größen wird
geschlossen aus der Spannung derjenigen Luft, welche mit dem Blut
des rechten Herzens Gleichgewicht hält. Das Spannungsgleichgewicht
wird hergestellt mit dem Gasinhalt eines Respirationssackes, welcher
gewissermaßen einen vergrößerten Alveolus darstellt. Mit Hilfe dieser
Methode ist es bereits gelungen, den Nachweis zu führen, daß der
Sauerstoffverbrauch bei schweren Anämien nicht vermindert ist, die
Herabsetzung der Hämoglobinmenge wird durch V ermehrung des Schlag¬
volumens ausgeglichen.
Im Anschluß an den Vortrag von Kraus setzt Pie sch seine
Methode ausführlich auseinander.
Über die klinische Bedeutung der Serodiagnostik der
Syphilis sprachen Fritz Besser und Blascbko. Nach des ersteren
Erfahrung tritt niemals positive Reaktion auf, ohne daß nicht Syphilis
oder begründeter Verdacht auf Syphilis vorliegt. Die wenigen Fälle
von Scharlach, bei denen man eine positive Reaktion beobachtet haben
will, kommen nicht in Betracht. Die negative Reaktion spricht nicht
gegen Syphilis und läßt nur einen Wahrscheinlichkeitsschluß zu. Zu
beachten ist jedoch dabei, daß selbst in den Fällen von hereditärer
Lues die Reaktion fast stets positiv ist und das erste Jahrzehnt über¬
dauert. Ebenso ist bei Verdacht auf Paralyse die Reaktion fast stets
eine positive; ist sie es nicht, so kann man den Verdacht ruhig fallen
lassen. Zur Differentialdiagnose zwischen Ulcus durum und Ulcus molle
ist die Reaktion ungeeignet ; nur in ganz seltenen Fällen ist die Reaktion
schon vor dem manifesten Primäraffekt positiv. Der Spirochätenbefund
gibt hier besseren Aufschluß. Es hat sich nun gezeigt, daß selbst
eine frühzeitige Exstirpation eines durch Spirochäten bestätigten Primär¬
affektes den Ausbruch einer konstitutionellen Syphilis nicht verhindern
kann; tritt sie nicht auf, so muß erst die Serumreaktion den Nachweis
liefern, daß nicht etwa eine latente Syphilis besteht. Bei Paralyse
hat L. stets eine positive Reaktion gefunden ; bei Tabes fand er nur
in 56°/0 der Fälle positive Reaktion; das führt er darauf zurück,
daß bei dem sehr chronischen Verlauf der Tabes die Syphilis im Laufe
der Zeit zur Ausheilung gekommen sein kann. Denn bei frischen
Tabesfällen ist die Reaktion in 7 5 °/0 der Fälle positiv gewesen, und
zwar wurde Lues in 45 Fällen = 74°/ 0 zugegeben, in 16 Fällen negiert;
von diesen 16 Fällen war aber 13 mal die Serumreaktion positiv. Daher
schließt L., daß alle Fälle von Tabes, in denen ein Trauma ursächlich
nicht in Betracht kommt, syphilitischen Ursprungs sind. Und zwar
sind Tabes und Paralyse syphilitische Erkrankungen in dem Sinne,
daß sich ein syphilitischer Prozeß in den Meningen abspielt, der sekun¬
där zur Degeneration von Nervenbahnen führt.
In 35% der Fälle gelingt es mit der bisher als Norm angegebenen
Kur die positive Reaktion zum Schwinden zu bringen; mitunter genügt
dann auch Jodkalium allein. Man kann meist, ohne dem Kranken
irgend welche Beschwerden zu verursachen, die Kur bis zum Ver¬
schwinden der Reaktion fort setzen. Nicht gelingt dies bei hereditärer
Lues, weil sich bei den Kindern so energische Kuren verbieten; er¬
schwert wird die Kur durch reichlichen Alkoholgenuß. Da sich ge¬
zeigt hat, daß bei positiver Reaktion das Virus noch aktiv ist, so
bedeutet die Reaktion für die Therapie den Fortschritt, daß sie erstens
Berliner Brief.
649
anzeigt, ob wir während eines Latenzstadiums behandeln müssen ;
zweitens, wie lange wir die begonnene Kur fortzusetzen haben.
Aus dem das gleiche Thema behandelnden Vortrag Blaschko’s
will ich hervorheben, daß er eine, allerdings nur kleine Zahl von
Fällen beobachtet hat, bei denen trotz klinisch unleugbarer Syphilis
die Reaktion negativ war. Allerdings waren dies auch niemals Fälle
mit ausgedehnten Krankheitssymptomen. Vielmehr handelte es sich ent¬
weder um isolierte Papeln, Plaques oder Ulcera der Haut oder Schleim¬
haut, ferner um die vorgeschrittenen Fälle von Tabes und Hirnsyphilis,
ganz besonders aber fehlte die Reaktion bei ganz ausgesprochenen syphi¬
litischen Knochenerkrankungen (gummösen Erkrankungen, Exostosen).
Auch B. sah unter Quecksilberbehandlung die Reaktion schwinden. In
der großen Mehrzahl ist das Verschwinden der Reaktion nur vorüber¬
gehend, besonders in den Frühfällen; bei den Spätfällen scheint die
Einwirkung eine nachhaltigere zu sein. Wenn wir trotz geringer mani¬
fester Erscheinungen stark positive Reaktion oder noch mehr, trotz
fehlender Symptome, positive Reaktion haben, so müssen wir behan¬
deln, da anzunehmen ist, daß es sich hier um irgendwelche nicht nach¬
weisbare Organerkrankungen handelt. Nach Möglichkeit soll jede Kur
fortgesetzt werden, bis die Reaktion verschwindet, doch ist auf All¬
gemeinbefinden und Toleranz gegen Hg Rücksicht zu nehmen. Jeden¬
falls muß man bei positiver Reaktion stets die Behandlung einleiten.
Prognostisch ist die Reaktion für die frischen Fälle in den ersten
drei Jahren ohne Bedeutung, bei den Spätformen können wdr wohl
bei dauernder negativer Reaktion annehmen, daß, wenn auch nicht
jegliche Rezidive, so doch wenigstens die schleichende Entwicklung
ausgedehnter Organerkrankungen ausgeschlossen ist.
In der diesen Vorträgen folgenden sehr lebhaften Diskussion
stimmen alle Autoren über den diagnostischen Wert der Reaktion, ins¬
besondere der positiven, überein. Die prognostische Bedeutung, die ihr
Blaschko geben will, wird allerdings angez weif eit. In bezug auf
die Therapie hält es insbesondere Bruhns nicht für unbedenklich,
sich in seinem Handeln durch die Reaktion beeinflussen zu lassen.
Fortsetzung einer Kur bis zur Erzielung einer negativen Reaktion
könnte leicht Quecksilberintoxikation zur Folge haben ; ebenso sollen
wir uns nicht durch den Ausfall der Seroreaktion allein von unseren
bewährten Prinzipien der Behandlung abbringen lassen, d. h. wir sollen
nicht bei negativer Reaktion Kuren unterlassen, die wir sonst vor¬
genommen hätten oder bei positivem Ausfall ohne sonstige Symptome
immer wieder Kuren einleiten, die wir sonst nicht vorgenommen hätten.
His sprach im gleichen Verein über Gicht und Rheumatismus.
Vortragender glaubt nicht, daß das Wesen der Gicht allein, wie es
nach den neuesten Forschungen behauptet wird, eine Störung des Purin¬
stoffwechsels ist. ,Wir begegnen bei der Gicht häufig Symptomen¬
gruppen, die mit der Harnsäure in keiner Beziehung stehen : Dyspepsien,
Dermatosen, Myalgien, Neuralgien, Arteriosklerose. Das spricht dafür,
daß der gestörte Purinstoffwechsel nur ein Symptom einer allgemeinen
Störung und nicht das eigentliche Wesen der Krankheit ausmacht.
Die Gicht ist eine Konstitutionskrankheit. Vortragender glaubt, daß
dieser Begriff klinisch bisher noch nicht ganz verlassen werden kann ;
ebenso wie wir auch jetzt wieder von „Diathese“ sprechen. Auch
dem Sammelbegriff des „Arthritisme“ der Franzosen liegt manchem
Tatsächliche zugrunde.
650
Berliner Brief.
Die chronischen Arthritiden teilt H. in Übereinstimmung mit
Hoffer und Wollenberg ein in 1. sekundären chronischen Gelenk¬
rheumatismus, 2. chronische progressive Polyarthritis (allmählich, meist
an Finger- oder Zehengelenken beginnend), 3. Mono- und Oligarthritis
deformans (Senium oder Trauma), 4. ankylosierende Wirbelsäulenverstei¬
fungen, 5. Heberden’sche Knoten. Anatomisch unterscheidet man
die Formen, die mit einer Degeneration des Knorpels beginnen, die Ge¬
lenkkapsel nur sekundär befallen, und diejenigen, welche mit Entzün¬
dungen der Synovialis beginnen und den Knorpel erst nachträglich
verändern. Ätiologisch kommen in Betracht: Traumen, Blutungen,
Entzündungen, Tuberkulose, Osteomyelitiden; ferner der akute Gelenk¬
rheumatismus als Ursache der oben sub 1 erwähnten Form und andere
Infektionskrankheiten, wie Scharlach, Erysipel, Sepsis, Tuberkulose,
Gonorrhöe, Lues. Eine beträchtliche Gruppe erweckt den Anschein
einer Infektionskrankheit, doch sind ihre Bakterienfunde bisher nicht
einheitlich. Bei einer Anzahl von Fällen bleibt die Ätiologie noch
dunkel, so bei den Heberden’schen Knoten.
H. geht dann auf pathologisch-anatomische Untersuchungen ein,
die er gemeinsam mit Beitzke vorgenommen. Es wurden bei 62 Leichen,
die Knorpelveränderungen aufwiesen, ohne daß sie zu Lebzeiten arthri-
tisch erkrankt waren, Auffaserung der Knorpelgrundsubstanz gefunden
wie beim Anfangsstadium einer deformierenden Arthritis. Es ergab
sich aber, daß die Personen nicht, wie H. erwartet hatte, an konstitu¬
tionellen Leiden, sondern an ganz verschiedenen Erkrankungen gestorben
waren, er nimmt somit an, daß es sich hier um Ernährungsschädigungen
handelt. Ferner prüfte er, ob der Purinstoffwechsel auch bei Kranken
mit „Arthritisme“ gestört sei, mit dem Resultat, daß diese Störung
diesen Erkrankungen nicht zukommt, sondern nur der echten Gicht
eigentümlich ist.
In der Diskussion zu diesem Vortrag versucht zunächst Immel-
mann nachzuweisen, daß es durch Röntgogramme gelingen kann, die
Differentialdiagnose zwischen Rheumatismus, Gicht, Arthritis defor¬
mans und Tuberkulose zu stellen. Goldscheider glaubt, daß für die
Diagnostik die klinischen Symptome trotz der Ergebnisse der Stoff¬
wechseluntersuchungen an Bedeutung nichts eingebüßt hätten. G. führt
eine diagnostisch wichtige Reihe von Symptomen näher an ; hier will
ich nur erwähnen, daß er insbesondere auf den Tophus am Schleim-
beutel des Olecranons aufmerksam macht, der viel häufiger sein soll
als die Gichtknoten an den Ohrmuscheln. Fürbringer hält in Über¬
einstimmung mit His den gestörten Purinstoffwechsel nicht für das
Wesen der Gicht, sondern nur für ein Symptom. Weiß -Homburg
hält die verschleppte und bei manchen Gicht ikern direkt verminderte
U-Ausscheidung bei stark purinhaltiger Nahrung nach vorhergehender
purinfreier Diät für pathognomonisch und differentialdiagnostisch
gegenüber Polyarthritis von größter Bedeutung. Magnus -Le vy weist
auf das für Gicht typische Knirschen hin, das man besonders in den
Kniegelenken fühlen kann. Posner geht näher auf die Dupuytren-
sche Kontraktur ein, deren Zusammenhang mit Gicht wohl jetzt fest¬
steht, sie kommt häufig zusammen mit einer Induratio plastica penis vor.
— r.
S. Leo, Wiener Brief.
651
Wiener Brief.
Ein Sammelbericht. — Von Dr. S. Leo.
Als Antrittsvorlesung wählte sich Alfons v. Rosthorn, der
Nachfolger Chrobak’s, das Thema: Die klinische Beurteilung
des Schmerzes. Nachdem er eingangs die verschiedenen Theorien
über das Schmerzproblem gestreift hatte, weist er auf die Worte
Dubois in seinem Werke über Psychoneurosen hin: ,,Jede Empfin¬
dung ist eine psychische Tatsache. Was an der durch einen Nadel¬
stich erzeugten Schmerzempfindung physisch ist, das ist die Ver¬
letzung, die Erregung der Endapparate der sensiblen Nerven; was
daran physikalisch ist, das ist die Transmission der Nerven Vibra¬
tionen den Nervenstämmen entlang, die eine Geschwindigkeit von
30 m in der Sekunde erreicht ; was daran psychisch ist, das ist die
Empfindung selbst, die Wahrnehmung dessen, was man Schmerz nennt,
gesammelt in den Zentren, deren Lokalisation noch nicht endgültig
bestimmt ist, die aber in der Hirnrinde ihren Sitz haben müssen“.
Beachten Sie weiter, daß je nach dem Allgemeinzustande, besonders
aber je nach dem Seelenzustande des Subjektes, d. i. also nach seiner
Disposition, die Wahrnehmung wechseln kann. Sie kann durch Zer¬
streuung, durch hemmende Autosuggestion vernichtet, durch gespannte
Aufmerksamkeit, Erwartung geschärft, vergrößert werden. Sie kann
aber ohne irgend welchen peripheren Reiz durch geistige Vorstellung
geschaffen werden. Diese Mitwirkung des Gedankens macht das
Studium der Sensibilität so außerordentlich schwierig, wie jenes aller
Erscheinungen, bei welchen wir als Kriterium nur die Aussage des
Versuchsobjektes besitzen. Uns speziell interessiert die Frage, welche
Schmerzkategorien in unserer Beobachtungssphäre Vorkommen und
wie dieselben als Krankheitssymptome in praktischer Hinsicht zu ver¬
werten sind. Goldscheider teilt den Schmerz genetisch in drei Kate¬
gorien : 1. den echten Schmerz im engeren Sinn, 2. den Dolor spurius,
die andauernde, unterschmerzliche Empfindung, das Wehegefühl,
3. die psychogene Hyperästhesie, den ideellen Schmerz und die Kom¬
bination dieser Kategorien. Lomer unterscheidet für unser Kranken¬
material den traumatischen, den Kontraktions-, den neuralgischen,
den entzündlichen und den hysterischen Schmerz. Diese Einteilung
kann vom praktischen, aber nicht vom theoretischen Standpunkt ge¬
rechtfertigt werden, denn sie vermengt den genetischen und den quali¬
tativen Standpunkt. Was die Vermittelung des Schmerzgefühls in
diesen Regimen betrifft, so haben Langly und Anderson festgestellt,
daß dem sympathischen System eine weitgehende Selbständigkeit zu¬
kommt, daß die verschiedenen motorischen Zentren der Beckenorgane
in diesem selbst wahrscheinlich zu suchen seien, und endlich, daß
die alte Lehre, der gemäß die sensiblen Nerven elemente für die inneren
Genitalorgane aus den sakralen Nerven stammen sollen, nicht mehr
zu Recht besteht. Dabei war auch die physiologische Bedeutungs¬
losigkeit des sakralen Abschnittes des Grenzstranges für jene Organ¬
teile festgelegt worden. Klinische Beobachtungen bieten in dieser
Hinsicht vielleicht eher einige Anhaltspunkte. So läßt sich aus der
Tatsache, daß den mit Bauchfell bekleideten Teilen des Sexualsystems
keine der vier bekannten Gefühlsqualitäten (Druck, Wärme, Kälte,
Schmerzgefühl) zukommt, und dieselben sich allen Reizen, seien sie
chemischer, thermischer, elektrischer Art, gegenüber vollkommen re-
652
S. Leo,
fraktär verhalten, der berechtigte Schluß ziehen, daß diese, ähnlich
wie die übrigen Bauchorgane, wenigstens in diesen Abschnitten nur
vom Sympathikus versorgt werden. Denn schon seit Haller’s und
Magendie’s Experimenten, ihren Reizungs- und Exstirpationsversuchen
an den sympathischen Geflechten der Bauchhöhle, war allem vom
Sympathikus versorgten Organen die Auslösung von Schmerzempfin¬
dungen abgesprochen worden. Unsere eigenen Erfahrungen gehen dahin,
daß selbst die Totalexstirpation der Gebärmutter ohne Anwendung
irgend einer Anästhesierungsmethode oft nahezu schmerzlos zur Aus¬
führung gebracht werden kann. Nur ein starker Zug an den Ligamenten
und die Durchtrennung der oberhalb der Scheidengewölbe, also para¬
zervikal gelegenen Bindegewebsmassen, lösen Schmerzen aus. Auch
an den Eierstöcken und Eileitern können allerlei Prozeduren (Stechen,
Schneiden, Brennen usw.) vorgenommen werden, ohne daß die Ope¬
rierten über irgend welche Schmerzen Klage führen. Erst die Zerrung
eines Ovarialstieles oder dessen Unterbindung merkt die Kranke. Es
stimmt dies völlig überein mit den neueren Erfahrungen der Chirurgen
an anderen Organen der Bauchhöhle (Darm, Leber, Niere), besonders
mit den Ergebnissen der systematischen, eigens darauf gerichteten
Untersuchungen Lennander’s. Gegenteilige Anschauungen, daß dem
Sympathikus doch ein gewisser Grad von Sensibilität, unter gewissen
Umständen eine Empfindlichkeit gegen schmerzliche Erregungen zu¬
zugestehen sei, gehen bereits auf Johannes Müller zurück. M. Buch
trachtet in einem Aufsatz, für die Annahme, daß die vom Sympathikus
zu zerebrospinalen Nerven gehenden Irradiationen zum Teil wenigstens
innerhalb des sympathischen Systems sich abspielen, eine anatomische
Basis zu gewinnen. Die Verbindung zwischen Sympathikus und Zentral¬
nervensystem ist durch die n. splanchnici und die rami communicantes
hergestellt. Mittels der letzteren gelangen außer den motorischen wohl
auch sensible markhaltige Easern aus dem Rückenmark in das sym¬
pathische System. Diese letzteren sollen nach Köllicker zur Aus¬
lösung von Schmerzempfindungen in den Viszeralorganen vollkommen
genügen. Die Tatsache, daß das Bauchfell normalerweise vollkommen
unempfindlich ist, bei entzündlichen Veränderungen jedoch zu dem
schmerzreichsten Organe wird, ist von Volkmann in hypothetischer
Weise so gedeutet worden, daß eben unter diesen abnormen Verhält¬
nissen Reizungsbahnen {eingeschlagen werden können, welche sonst
nicht benutzt zu werden pflegen. (Überspringen des Reizes auf andere
Leiter. Reil’s Isolatorentheorie.) Unsere heutigen Kenntnisse von den
verschiedenen Reflexmechanismen, ebenso wie jene über Mitempfin¬
dungen, jene vielfachen Irradiationen, welche die Erkrankungen der
vom Sympathikus versorgten Organe zu begleiten pflegen, dürften
der Lehre von den sensiblen Elementen im Sympathikus eine noch
festere Stütze verleihen. Zur Auslösung von Reflexen bedarf es zentri¬
petaler Leitungsbahnen, dabei mag der Reflexbogen in das Rücken¬
mark oder in den Ganglienapparat des autonomen Systems verlegt wer¬
den. Das letztere wird bei der dem Sympathikus zugesprochenen
Selbständigkeit für die Auslösung der motorischen Reflexe jetzt all¬
gemein angenommen. Eine Kategorie von sensiblen Reflex Vorgängen
bedarf noch einer Würdigung, das ist das Auftreten von Hyperalgesie
im Bereiche bestimmter segmentaler Hautzonen bei Erkrankungen vis¬
zeraler Organe. Ihr Entdecker, Head, hat sie sorgfältig durchforscht.
Den inneren Organen fehlt vor allem der Lokalisationssinn; sie ver-
Wiener Brief.
653
halten sich ganz analog Hautabschnitten, deren Schmerzempfindung
wesentlich herabgesetzt ist. Der das Organ betreffende Reiz wirkt
nach jenem Rückenmarkssegment, von dem seine sensiblen Nerven
stammen. Dort kommt er in nahe Beziehung zu den Schmerzempfin¬
dungsbahnen, die der Körperfläche angehören und aus demselben Seg¬
mente stammen. Aber das Lokalisationsvermögen der letzteren über¬
trifft das der inneren Organe derart, daß das Diffusionsgebiet ge¬
wissermaßen durch einen Urteilsfehler in den Bewußtseinkreis gelangt
und der Schmerz auf die Körperoberfläche anstatt auf das tatsächlich
erkrankte Organ bezogen wird. Viszerale Erkrankungen rufen auch
Steigerung der Hautempfindlichkeit für Hitze und Kälte, niemals
jedoch eine einfache Berührungshyperästhesie hervor. Die Beziehungen
zu den trophischen Nervenbahnen finden ihren Ausdruck in analog
ausgebreiteten Störungen (segmental ausgebreiteter Herpes zoster).
Wir brechen hier die Mitteilung der Antrittsvorlesung ab, um
über die wuchtigsten Vorkommnisse in den ärztlichen Gesellschaften
zu referieren.
In der „Gesellschaft der Ärzte“ demonstrierte Ludwig Teleky
einige Fälle von Bleilähmung, die für die Richtigkeit der Edinger-
schen Aufbrauchtheorie sprechen. Zwei Arbeiterinnen aus der „Put¬
zerei“ einer Eiaschenkapselfabrik, die beide zu wiederholten Malen
schwere Bleivergiftungen durchgemacht, auch bereits Erscheinungen
der Encephalopathie gezeigt hatten und jetzt das Bild schwerer chro¬
nische]' Bleivergiftung darbieten (die eine auch Atrophie n. optici),
zeigen Lähmungen der Muskulatur des rechten Daumenballens. Bei
der einen besteht Atrophie und vollständige Lähmung des Abductor
pollicis brevis, bei der anderen sind auch — neben vollständiger Läh¬
mung des Abductor brevis — die übrigen Muskeln, Opponens, Elexor
pollicis brevis und Abductor stärker mitbeteiligt, es besteht auch in
diesem zweiten Falle ganz leichte Parese der Handstrecker. Diese
Lokalisation erklärt sich aus der Anstrengung der Daumenmuskulatur
bei der Arbeit; die Nicht- oder ganz geringe Beteiligung der Strecker
erklärt sich daraus, daß diese Muskeln bei der Arbeit nur wenig in
Anspruch genommen werden. Trotzdem T. in dieser Arbeitergruppe
zahlreiche Fälle schwerster Bleivergiftung sah, beobachtete er nie
Lähmung der Extensoren, sondern die Lähmungen der anderen Muskel¬
gruppen. Ferner zeigt T. die Photographie der Hand eines Schlossers.
Eine Narbe an der Kuppe des Mittelfingers bewog ihn, den Hammer¬
stiel nur mit dem vierten und fünften Finger zu halten. Nach län¬
gerer Arbeit mit minisiertem Eisen trat eine leichte Streckerlähmung
ein, die sich auf den vierten und fünften Finger beschränkte. Bei
einem Schuhmacher mit schwerer Bleivergiftung und Extensoren¬
lähmung beider Hände war die starke Mitbeteiligung der Beine (spa-
stisch-paretischer Gang) auffallend ; die Erklärung fand sich darin,
daß der Kranke bei seiner Arbeit den Schuh stets fest zwischen den
Beine geklemmt hatte.
Pal macht Mitteilungen über seine Versuche, welche die Wir¬
kung des Hypophysenextraktes auf die Gefäßwand verschiedener
Gefäßbezirke betreffen. Die Beobachtungen wurden an Rinderarterien
ausgeführt. Versuchsanordnung nach Oskar B. Meyer. Der Hypo¬
physenextrakt wirkt auf die Art. carotis, mesenterica und femoralis
mit dem Adrenalin gleichsinnig, auf die Koronargefäße und das peri¬
phere Stück der Art. renalis dem Adrenalin antagonistisch. Er ver-
654
Vorläufige Mitteilungen und Autoreferate.
engert die Coronararterie, erweitert die Nierenarterie. Auf die
Pupille des ausgeschnittenen Frosch auges wirken beide mydriatisch.
Wenn man von der Annahme ausgeht, daß der Hypophysenextrakt
die wirksamen Sekretionsprodukte der Hypophyse enthält, so sind
diese Beobachtungen für die Biologie wichtig. Ähnlich dem Hypo¬
physenextrakt wirkt das Pilokarpin, jedoch erweiternd auf alle Ab¬
schnitte der art. renalis, verengernd auf die Pupille.
(Schluß folgt.)
Vorläufige Mitteilungen u. Äutoreferate.
lieber den Herzschmerz.
Von Dr. Selig, Franzensbad.
(Nach einem Vortrag im Verein Deutscher Ärzte in Prag am 23. April 1909.)
Die proteusartige Erscheinung des Herzschmerzes, die Ätiologie
und Therapie bereitet dem Arzte oft Schwierigkeit.
Die allgemeinste Herzsensation ist das Herzklopfen. Die Ur¬
sachen beim gesunden Herzen sind kräftigere Herzkontraktionen, welche
im Anschluß an den größeren Blutbedarf tätiger Organe auftreten
(Bewegung, Arbeit). Abnorme Zustände des gesamten Nervensystems,
welche der allgemeinen Nervosität oder Neurasthenie nahestehen, rufen
häufig Störungen von seiten des Herzens hervor und erzeugen eigen¬
tümliche Empfindungen in demselben. Der häufigste Grund des Herz¬
klopfens liegt in psychischen Alterationen, je sorgfältiger man
auf die psychischen Verhältnisse des Kranken eingeht, um so häufiger
findet mau das psychische Moment als Auslösungsmotiv des Herz¬
klopfens. Oft jedoch treten diese Sensationen ohne besondere psychische
Einwirkungen auf. Man muß hier auf das sonderbarste gefaßt sein.
Romberg hebt hervor, daß die Anfälle manchmal zu einer bestimmten
Stunde ein treten. Aus der Praxis seien zwei derartige Fälle angeführt.
Ein Fabrikdirektor bekommt beinahe 'täglich zwischen der 6. u. 7.
Abendstunde Herzklopfen ohne jede äußere Veranlassung. Seinen Zu¬
stand wohl kennend, lädt er seine Freunde zu sich ins Bureau, damit
er durch anregende Unterhaltung sein Herzklopfen verliere. Das ge¬
lingt ihm in der Tat. Eine nervöse Dame bekommt beim Anbruch der
Dunkelheit täglich Herzklopfen ; erst wenn im Zimmer Licht gemacht
wird, verschwindet dasselbe. Das Gefühl der Palpit ation ist dem
Kranken besonders lästig, wenn es sich mit dem der Herzangst ver¬
bindet. Angstgefühle sind eine häufige Erscheinung bei Herzkranken.
Viele haben Angst, es könnte ihnen etwas zustoßen, bei anderen ist
das Angstgefühl als sensibles Symptom in Abhängigkeit von Erkran¬
kungen des Herzens, in erster Linie bei Sklerose der Kranzarterien
und Myokarditis. Die Kranken klagen über ein Gefühl der Ängstlich¬
keit, der Beengung, des Druckes — Empfindungen schmerzhaften Cha¬
rakters. Der Anlas zu den Sensationen ist verschieden. Sie stellen
sich einmal ein bei erhöhten Anforderungen an die Leistungsfähigkeit
des Herzens, z. B. Muskelbewegungen, das andermal treten dieselben
nachts auf. Es handelt sich da wohl um die leichtesten Formen des
kardialen Asthmas und der Stenokardie. Die am stärksten ausgeprägte
Schmerzempfindung dokumentiert sich bei der Angina pectoris. Diese
stellt einen scharf umschriebenen Symptomenkomplex dar. Neben dem
Schmerz im Brustbein — der Sensation des Eingespanntseins im Schraub-
Vorläufige Mitteilungen und Autoreferate.
655
stock — ist das Vernichtungsgefühl nnd die Todesangst am meisten
charakteristisch. Die Ausstrahlungen des Schmerzes befallen nicht
nur die Arme, sondern auch häufig Rücken, Epigastrium, Beine und
Testikel. Die Ursache der Angina pectoris ist nicht allein Arterio¬
sklerose, häufig lösen psychische Erregungen Anfälle aus. In der
Praxis spielt die Tabaksangina eine große Bolle, ebenso können all¬
gemeine Krämpfe der Hautarterien Anfälle auslösen (Angina pectoris
vasomotoria).
Eine weitere Gruppe von Sensationen werden durch Störungen
der Rhythmik hervorgerufen. Dieselben finden sich bei der Myo¬
karditis, Sklerose der Kranzarterien, wie bei den nervösen Herzkrank¬
heiten. Für den Praktiker erwächst die äußerst wichtige Aufgabe
der Entscheidung, ob es sich um nervöse oder myokarditische Prozesse
handelt, oder um beides. Es gibt die unglaublichsten Irregularitäten,
welche mangels irgend eines verwertbaren anamnestischen Anhalts¬
punktes für Myokarderkrankung, dennoch in das Gebiet der nervösen
Irregularität einzubeziehen sind. Eine besonders zu besprechende Herz¬
sensation wird durch das Aussetzen der Schlagfolge ausgelöst.
Die meisten Kranken klagen in diesem Augenblick über Beklemmung
und Ängstlichkeit, Stechen im Herzen und Gefühle, wie wenn plötzlich
das Leben erlösche. Diese Sensationen werden durch die frustranen
Herzkontraktionen ausgelöst.
Die von den Engländern als Fluttering bezeichnete Empfindung
ist dem Oppressionsgefühl nahe verwandt. Die Kranken fühlen ihre
meist beschleunigte und schwache Herztätigkeit als Schwirren oder
Flattern des Herzens mit gleichzeitigem Beklemmungsgefühl.
Viele Kranke klagen über eine schmerzhafte Stelle unterhalb
der linken Mamilla, entsprechend der Lage der Herzspitze. Diese
Schmerzempfinduug hat meist konstanten Charakter, steigert sich zu
intensivstem Schmerz bei forcierter Palpation, die Kranken zucken
krampfhaft zusammen.
Diese Empfindlichkeit findet man bei fettleibige^ Personen, speziell
bei fetten Frauen mit schweren Hängebrüsten. Die Schmerz¬
haftigkeit rührt von den Fettklumpen in der Mamma her, welche
durch die Schwere des herabhängenden Mammagewebes gedrückt wer¬
den. Eine Elevation der Mamma von unten beseitigt sofort den so¬
genannten Herzschmerz. Ein von Selig unter dem Namen „Herz-
schutz“ angegebener Apparat, welcher nach Art eines Gummipolsters
aufgeblasen und in jedes in Gebrauch stehende Korsett bequem ein¬
gelegt werden kann, leistet großen Nutzen. Dieser Apparat kann
auch von Männern bei erregter Tätigkeit und Überempfindlichkeit des
Herzens als Herzstütze Anwendung finden. Der Apparat wird in
drei verschiedenen Größen vom medizinischen Warenhaus Berlin,
Karlstraße geliefert.
Häufig wird Herzschmerz mit Knochen sch merz verwechselt.
Gichtische Ablagerungen in den vorderen Rippenpartien entsprechend
dem Situs des Herzens täuschen dies vor. Hier leisten ausgiebige
Pinselungen mit Jodtinktur ausgezeichnete Dienste. Hier und da
dürfte Lues im Spiele sein.
Unter der Flagge des Herzschmerzes segeln sehr häufig die Inter¬
kostalneuralgien. Mit der Heilung der Neuralgie verschwindet auch
der Herzschmerz.
656
Vorläufige Mitteilungen und Autoreferate.
Auf den Zusammenhang' von Herz und Niere wird wenig geachtet.
Es gibt nervöse Druckpunkte, von welchen aus Sensationen in dem
Herzen ausgelöst werden können.
Sehr häufig ist ein solcher unterhalb der Spitze der linken Skapula.
Vasomotorische Einflüsse können Herzschmerzen hervorrufen.
Die anginoiden Zustände der Arteriosklerotiker werden z. B. durch
kühles Wetter ungünstig beeinflußt. Die Verengerung der Gefäße
gibt Veranlassung zu einer Reihe von Beschwerden, welche man unter
dem Namen der Gefäßkrisen zusammen faßt.
Warme Umschläge in der Herzgegend, ebenso warmer Herzschlauch
leisten gute Dienste.
Auch vom Magen-Darmkanal können schwerste Herzsensationen
mit Arythmien und Palpit ationen ausgelöst werden.--- Zwerchfell¬
hochstand durch Uberfüllung des Magens, Obstipation und Elatjulenz-
zus fände wirken ungünstig auf die Herztätigkeit. Die Flatulenz¬
zustände trotzen oft jeglicher Behandlung. Eine Gruppe von Kranken
bekommt bei kleinsten Mahlzeiteü schon Herzzustände, eine andere
Kategorie bei nüchternem Magen Sensationen, welche unter der
volkstümlichen Bezeichnung des Herznagens bekannt sind. Zweifellos
spielen Reflexe, welche die Vagusfasern erregen oder hemmen, eine
große Rolle.
Die Lage des Herzens und seine Exkursionsfähigkeit gibt häufig
Veranlassung zu Herzbeschwerden. Es gibt Wanderherzen, d. h.
Herzen, welche infolge mangelhafter Suspension den verschiedensten
Verschiebungen ausgesetzt sind. Es gibt Gesunde und Kranke, welche
nur in einer bestimmten Lage frei von Herzbeschwerden sind.
Auch das räumliche Mißverhältnis zwischen Herzvolumen
und Thorax gibt Veranlassung zu mannigfachen Herzsensationen. Die
genaue Ermittlung der Ursache des Herzschmerzes im weitesten Sinne
sichert auch dessen erfolgreiche Behandlung.
Orthopädische Apparate in der Kassenpraxis.
Von A. Schanz, Dresden.
(Vortrag in der Gesellschaft für Natur- und Heilkunde in Dresden am 3. 4. 1909.)
Auf Grund des Paragraph 6 des Krankenversicherungsgesetzes vom
15. Juni 1883 findet sich in den Satzungen unserer gesetzlichen Kranken¬
kassen die Bestimmung, daß die Krankenkasse verpflichtet ist, den
bei ihr Versicherten zu gewähren: Brillen, Bruchbänder und ähnliche
Vorrichtungen oder Heilmittel, welche zur Heilung des Erkrankten,
oder zur Herstellung und Erhaltung der Erwerbsfähigkeit nach be¬
endigtem Heilverfahren erforderlich sind.
Dieser Paragraph wird von den Vorständen der Krankenkassen,
sowie in der Rechtsprechung dahin ausgelegt, daß neben den genannten
Heilmitteln orthopädische Apparate dann zu gewähren sind,
wenn diese notwendig sind, und in ihrem Preis von dem Durch¬
schnittspreis der Brillen und Bruchbänder nicht wesentlich
ab weichen. Durch diese Auslegung wird die Mehrzahl der orthopä¬
dischen Apparate von der Verwendung in der Kassenpraxis tatsächlich
ausgeschlossen, denn es sind nur verhältnismäßig wenig Apparate vor¬
handen, welche nicht wesentlich teuerer als Brillen und Bruchbänder
sind. Es kommen da fast nur die Plattfußeinlagen in Frage, und diese
Vorläufige Mitteilungen und Autoreferate.
657
werden von den meisten Kassenverwaltungen heutzutage im Bedarfs¬
fall anstandslos gewährt.
Die Lücke, welche dadurch für die Kassenpraxis in unserem thera¬
peutischem Rüstzeug entsteht, wird nur zum Teil dadurch ausgefüllt,
daß den beiden anderen Versicherungsträgern, der Unfall- und der
Invaliditätsversicherung, die Möglichkeit gewährt ist, jederlei Heil¬
verfahren ein treten zu lassen. Es unterliegen aber diesen beiden anderen
Versicherungen nur verhältnismäßig wenige von den in den Kranken¬
kassen Versicherten, und sodann haben sowohl Berufsgenossenschaften
wie Landesversicherungsanstalten zwar das Recht, orthopädische Appa¬
rate jeder Art den bei ihnen Versicherten zu geben, aber ob sie von
diesem Recht Gebrauch machen oder nicht, steht vollständig in ihrem
Belieben. So kommt es vor, daß Ablehnungen von Anträgen auf
Apparate ergehen in Fällen, wo diese Ablehnung geradezu unbegreif¬
lich ist.
Vortragender hat wiederholt schon, z. B. bei dem achten Kon¬
greß der Deutschen Gesellschaft für orthopädische Chirurgie, später
in der Zeitschrift für Krüppelfürsorge und an anderen Stellen darauf
hingewiesen, wie durch diese Verhältnisse die Interessen der Ver¬
sicherten, wie auch der Versicherungsträger, wie endlich auch des ganzen
Volkes geschädigt werden. Durch die an den Reichstag neuerdings
eingebrachte Reform der Arbeiterversicherung ist die Möglichkeit ge¬
öffnet, daß eine Änderung der Gesetze, auch an dieser oben bezeichneten
Stelle stattfindet.
Um nun auch dem der Orthopädie Fernstehenden klar zu machen,
wie viele Fälle hier in Frage kommen, stellt er eine Reihe von Patienten
mit verschiedenen Erkrankungen vor, bei denen allen die Arbeitsfähig¬
keit durch orthopädische Apparate, welche nach den gesetzlichen Be¬
stimmungen nicht von den Kassen geliefert werden konnten, wieder
hergestellt und erhalten worden ist. Die vorgestellten Fälle betreffen
Erkrankungen der Füße (Plattfüßigkeit, Fußgelenkstuberkulose), des
Knies (Arthritis deformans, tabische Gelenkentzündung, Gelenktuber¬
kulose). Weiter werden vor gestellt Hüftgelenkserkrankungen (Arthritis
deformans, Hüftgelenkentzündung). Von den Erkrankungen der Wirbel¬
säule wird die Notwendigkeit von Stützapparaten an schwer schmerz¬
haften Skoliosen, an verschiedenen Entzündungszuständen nachgewiesen
(Traumatische, chronische ankylosierende Wirbelentzündung, Wirbel¬
tuberkulose usw.).
Zum Schlüsse weist Vortragender darauf hin, daß unter den
20 Fällen, welche im einzelnen besprochen worden sind, kein Fall
von Lähmung, kein Fall von Verlust eines Gliedes ist, daß darunter
kein Fall aus der Kinder Orthopädie sich befindet, daß endlich auch
kein Fall darunter ist, wo eine Stützschiene für ein deformes Glied
zur Verwendung gekommen ist. Derartige Fälle vorzuführen ist nicht
erforderlich, da die Notwendigkeit der Apparate für diese Fälle all¬
gemein bekannt ist.
Endlich zeigt dann Vortragender noch in einem eklatanten Fall,
wie durch die Bestimmung, daß die Apparate auf Kassenkosten nicht
geliefert werden können, den Kassen schwere Geldausgaben erwachsen
können. Es handelt sich um eine Patientin, welcher durch einen Hüft-
apparat in kürzester Zeit die verloren gegangene Erwerbsfähigkeit
wieder geschafft werden könnte. Nachdem es nicht gelungen ist, den
Apparat für diese Patientin zu erwerben, mußte die Krankenkasse
42
658
Referate und Besprechungen.
derselben 26 Wochen das Krankengeld bezahlen, nnd nach dieser Zeit
fällt die Patientin der Invalidenversicherung anheim. Derartige Fälle
rechnerisch durchzugehen hat seinen Wert, indem es eben die Schäd¬
lichkeit der in Frage stehenden Gesetzesbestimmung besonders illustriert.
Autoreferat.
Referate und Besprechungen.
Innere Medizin.
Zur Klinik der Concretio et Accretio cordis.
(N. Ortner. Wiener klin. Wochenschr. Nr. 14, 1908.)
Im Anschluß an eine zu Unrecht auf Concretio pericardii gestellte
Diagnose erörtert der Verfasser in fesselnder Weise die Ätiologie der 2 Haupt-
symptomje Stauungsleber und Stauungsaszites. Für die erstere macht er
eine Kombination von Insuffizienz des rechten Herzens (z. B. hei Emphysem)
mit lokaler Pleurasynechie, welche die Zwerchfellbewegungen hindert, ver¬
antwortlich. Auch die schwielige Mediastinitis, die häufig mit der Concretio
pericardii vergesellschaftet ist, führt zur Zirkulationsbehinderung in den
Venae cavae, mithin Zur Stauungsleber. Ist diese ausgebildet, so können
Ödeme der Beine lange ausbleib en, weil die Leber „sozusagen das ganze
Quantum des Stauungsblutes der untern Körperhälte für sich in Anspruch
nimmt“. — Der „Stauungsaszites“ ist wahrscheinlich oft in Wirklichkeit
ein entzündlicher (chronische Peritonitis !) oder gemischter, transsudativ-exsu-
dativer. Bei einer Stauung, hervorgerufen durch die Überfüllung der Leber
mit Blut, handelt es sich nicht um Pfortader-, sondern um Lebervenenstauung,
wie aus dem Fehlen der bei Pfortaderstauung auftretenden Symptome (Öso-
phagusvaricen usw.) hervorgeht. Wo Leberschwellung und Aszites gleich¬
zeitig auf treten, kann verminderte Resorption der Peritonealflüssigkeit,
sei es durch den Ausfall der Zwerchfellbewegung (s. o.) oder durch
Peritonitis subdiaphragmatica, die Ursache sein. Das Diaphragma spielt mit¬
hin für das Zustandekommen der genannten Symptome die Hauptrolle.
E. Oberndörffer.
Verhalten des Herzens nach langdauerndem und anstrengendem
Radfahren.
(Dietlen u. Moritz. Münch, med. Wochenschr., Nr. 10, 1908.)
Die Verfasser untersuchten- 7 Teilnehmer einer Fernfahrt Leipzig-Stra߬
burg (558 km) vor und ,naJch der Fahrt auf Körpergewicht, Herzgröße,
(Orthodiagramm), auskultatorischen Herzbefund, Blutdruck, Pulszahl. In
keinem einzigen Fall fand sich eine Dilatation, sondern vielmehr bei allen
eine Verkleinerung des Herzens, wie dies auch von anderen Untersuchern
bei verschiedenen Sportarten festgestellt worden ist. Wahrscheinlich nimmt
bei solchen Anstrengungen das Auswurfsvolumen der einzelnen Herzkontraktion
ab und das Organ stellt sich, da die diastolische Füllung geringer wird,
allmählich auf ein kleineres Volumen ein. Das Plus der zirkulierenden Blut¬
menge wird durch Vermehrung der Frequenz geliefert (die Pulsfrequenz be¬
trug 116 — 192 unmittelbar nach Beendigung der Fahrt). Geräusche waren
nur in einzelnen Fällen zu hören. Der Blutdruck war stets gesunken, die
Gewichtsabnahme betrug durchschnittlich 2,3 kg (in 24 Stunden !), bei einem
der Teilnehmer 4 kg. Merkwürdigerweise war der Harn in allen Fällen
eiweißfrei. Bemerkenswert ist noch, daß sämtliche Radfahrer vor der Tour
eine im Verhältnis zur Körpergröße und zum Gewicht beträchtlich vermehrte
Herzmasse besaßen. E. Oberndörffer.
Referate und Besprechungen.
659
Über Herzschmerzen.
(Max Herz. Wiener klin. Rundschau, Nr. 47, 1908.)
Unter Herzschmerzen im engeren Sinne will der Verf. nur solche pein¬
liche Sensationen in der Herzgegend verstanden wissen, deren anatomische
und funktionelle Ursachen unbekannt sind. Diese Herzschmerzen teilt er ein
in stenokardis'dhe und nervöse. Die erstere Form ist häufig die Be¬
gleiterscheinung der Koronarsklerose, die letztere dagegen betrachten wir
als den Ausdruck irgend einer funktionellen Störung des entsprechenden
Rückenmarksegments. Diagnostisch ist es wichtig, beide Arten von Herz¬
schmerzen zu kennen. — Als Pseudoperiostitis angioneur o tica hat
der Verf. eine schmerzhafte Geschwulst an den Rippen und dem Sternum
bezeichnet, welche meist mit den Exazerbationen der nervösen Herzschmerzen
kommt und verschwindet. Steyerthal-Kleinen.
Aus der medizinischen Klinik der Universität in Tübingen.
Ueber Herzdilatation.
(Prof. Ernst Romberg. Deutsche med. Wochenschr., Nr. 47, 1908.)
Die Beurteilung der Herzarbeit ist mit den uns zur Verfügung stehenden
Methoden außerordentlich schwierig. Einen Anhalt geben uns dabei in der
Hauptsache die Veränderungen in der Größe des Herzens. Dieses Hilfs¬
mittel ist aber schon bei sicher bestehenden Herzerweiterungen nicht leicht
zu verwenden. Noch viel komplizierter wird es, wenn eine beginnende Dila¬
tation konstatiert werden soll. Aus der Herzgröße allein eine solche dia¬
gnostizieren zu wollen, ist sicherlich sehr schwer. Romberg weist dabei
auf einen Fehler hin, der häufig gemacht wird. Es wird nämlich gern
eine Dilatation da diagnostiziert, wo ein erregter hoher Herzstoß die Brust¬
wand in großer Ausdehnung nach links erschüttert. Es wird dann die linke
Herzgrenze nicht an die Stelle der stärksten Pulsation verlegt, sondern
fälschlicherweise an die äußerste Grenze der Pulsation.
Sicherlich ist die Entscheidung, ob wirklich Dilatation besteht, durch
verschiedene Umstände erschwert. Hierher sind zu rechnen, erstens die
wechselnde Lage des Herzens zur Brustwand (bei Emphysem, Lungenschrump¬
fung und dergl.), zweitens die verschiedene Projektion des Herzens auf die
wechselnd gestaltete Brustwand (bei sehr fettleibigen Patienten). Die Ortho¬
diagraphie kann zwar diese Schwierigkeiten vermindern, aber auch sie leistet
bei der Beurteilung, ob eine vergrößerte Perkussionsfigur für eine beginnende
Erweiterung oder eine Lageanomalie des Herzens spricht, nur wenig. Es
genügen demnach perkutorische und orthodiagraphische Abweichungen noch
nicht zur Diagnose einer beginnenden Herzerkrankung. Es muß oft der
gesamte Kreislauf, der sonstige Befund und die Anamnese berücksichtigt
werden dadurch ist es bisweilen möglich, eine ganz leichte Herzstörung auch
zu erkennen, wenn sichtbare Veränderungen am Herzen fehlen und man eher
eine nervöse Störung vermutet. F. Walther.
Mors subita der Herzkranken.
(E. Kisch. Münch, med. Wochenschr., Nr. 14, 1908.)
Von 156 Fällen standen nur1 7 in einem Alter unter 30 Jahren; 40 waren
über 60 Jahre alt, die meisten plötzlichen Todesfälle treffen auf das 40. bis
60. Jahr. Anatomisch fand sich Fettherz 35 mal, Myodegeneratio 32 mal,
Atheromatose 59 mal, Aortensklerose 36 mal, Koronarsklerose nur 7 mal, Aorten¬
aneurysma 13 mal, chronische Nephritis 36 mal. Fettsucht und Arteriosklerose
sind also die Hauptursachen. Vollkommen irregulärer Puls oder hochgradige
Bradykardie sind Warnungssignale. Unmittelbare Todesursache sind körper¬
liche Anstrengungen, reichliches Essen und Trinken, Husten, Darm-, Leber¬
oder Nierenkolik, Stuhlgang, Koitus, Koronarerkrankungen sind durch Wetter¬
sturz besonders gefährdet. E. Oberndörffer.
42*
660
Referate und Besprechungen.
Kunstgriff zur Unterdrückung der Anfälle von Angina pectoris und
paroxysmaler Tachykardie.
(Max Herz. Wiener klm. Wochenschr., Nr. 22, 1908.)
Der Kranke nimmt etwas Wasser in den Mund und schluckt es, indem
er sitzend den Kopf möglichst weit nach hinten beugt. Gewöhnlich treten
dabei Ruktus auf und diese Entleerung der Magengase verhütet in manchen
Fällen den drohenden stenokardischen Anfall und verkürzt die Dauer der
Attacke bei paroxysmaler Tachykardie. E. Oberndörffer.
Perkussionshammer und Plessimeter zur Schwellenwertsperkussion
des Herzens.
(R. Lenzmann. Med. Klinik, Nr. 31, 1908.)
L. bedient sich zur Ausführung der sogenannten Schwellenwertsper¬
kussion des Herzens nicht mehr der Finger-Fingerperkussion, sondern mit
gutem Erfolge der Perkussion mittels eines besonderen Hammers und Plessi¬
meters. Letzteres trägt, um möglichst kleine Partien zu perkutieren und
Mitschwingungen der Umgebung auf ein üiöglichst geringes Maß zu be¬
schränken, einen knopfförmigen Ansatz an der kleinen Plessimeterfläche. —
Der kleine Hammer trägt an Stelle des Gummiknopfes einen solchen von Blei,
so daß zur Perkussion des Herzens das Plessimeter mit dem Hammer nur
eben berührt zu werden braucht, um einen einfachen, aber deutlich akzen¬
tuierten Schall zu erzielen. — Für die Lungenperkussion wird über den
Knopf des Plessimeters eine Gummihülise gezogen und es werden stärkere
Schläge angewandt. Die Instrumente können von Gehr. Johnen, Instru-
mentenfabrikanten, Duisburg, bezogen werden. R. Stüve (Osnabrück).
Funktionelle Diagnostik medizinischer Nierenkrankheiten.
(V. Blum. Wiener klin. Wochenschr., Nr. 14, 1908.)
Bei funktioneller Nierenuntersuchung (Ureterenkatheterismus und ge¬
sonderte Prüfung der Harnmenge, der Albuminmenge, der Indigkarminausr
Scheidung und der Phlorhizin-Glykosurie) zeigte sich, daß die chronisch
kranken Nieren beide ganz gleich funktionieren. Dagegen wurde bei akuter
Nephritis, bei Nachschüben in Fällen chronischer Erkrankung eine Differenz
zwischen beiden Nieren fast immer konstatiert. Namentlich kamen Blutungen
oft nur aus einer Niere und in der Zuckerausscheidung nach Phlorhizin-In-
jektion bestanden merkliche Unterschiede. Es scheint, daß die parenchymatöse
Nephritis nicht selten einseitig beginnt, was sich durch Hämaturie, Eiwei߬
ausscheidung und Zylindrurie ohne sonstige Nephritissymptome (Ödeme usw.)
manifestiert. Von besonderem Interesse ist eine einseitige orthostatische
Albutaiinurie, bei der zugleich die Erscheinungen der intermittierenden
Hydronephrose bestanden. Die Operation ergab eine Abknickung des Ure¬
ters durch einen abnorm verlaufenden Ast der A. renalis, welch letzterer
seinerseits wieder durch die Kreuzung mit dem Ureter zeitweise kompri¬
miert wurde, was zu mangelnder Ernährung des Parenchyms führen mußte,
namentlich bei aufrechter Körperhaltung. Nach Exstirpation dieser Niere
verschwand die orthostatische Albuminurie vollständig. E. Oberndörffer.
Einige Nieren-Anomalien.
(Dr. L. L. McArthur, Chicago. The St. Paul med. journ., Nr. 8, 1908.)
Mc Arthur sprach in einer Versammlung der Ramsey county med.
soc. am 27. April v. Js. über einige Nieren-Anomalien, denen er kurz
hintereinander in seiner Praxis begegnet war. 1. Bei einem wegen Nieren-
Referate und Besprechungen.
661
steinen Operierten fand sich eine (rechte) akzessorische rudimentäre Niere
und im Becken dieser ebenfalls' ein Stein, der ebenfalls durch Operation
entfernt wurde. Also drei Nieren und zwei (gleichzeitige) Steinoperationen !
2. Ein wegen linksseitiger Nephrolithiasis Operierter starb fast an totaler
Anurie. Die Obduktion ergab rechts eine rudimentäre Niere, kleiner als
die eines Neugeborenen, die, obwohl sie einen völlig normalen Harn abson¬
derte, für einen Erwachsenen trotzdem nicht ausreichte, zumal die linke
Niere eben operiert war. 3. Ein Kind hatte einen Tumor im Abdomen dicht
hinter der Symphyse; bei der Operation zeigte sich, daß es eine zystische
Niere war, mit einem erweiterten, ungefähr zwei Zoll langen Ureter, dessen
Blasenmündung verengt war. Die Gefäßversorgung stammte von den linken
Iliacis. Verf. sagt, wie es möglich gewesen wäre, hier vor der Operation
eine Niere zu diagnostizieren, wisse er nicht. 4. Ein 19 jähriges, sonst ge¬
sundes Mädchen hatte einen Tumor zwischen Nabel und Symphyse, der
anscheinend mit dem letzten Lendenwirbel verbunden war, über dessen Natur
man sich aber trotz aller Untersuchungshilfsmittel nicht recht klar werden
konnte. Der Urin war normal. Bei der Explorativ- Inzision zeigte sich das
laterale Ende einer Hufeisenniere. Eine zweite Niere konnte nicht gefühlt
werden. Verf. fragt: was tun? Er selbst hielt es zurzeit für das Beste,
nichts zu tun. Peltzer.
Aus dem pathologischen Institut in Köln (Jores).
Über Entartungs- und Heilungserscheinungen in der Amyloidniere.
(R. Sarrazin. Virchows Archiv für pathol. Anatomie, Bd. 194, S. 286, 1908.)
In der Amyloidniere kann man fast regelmäßig in einem großen Teil
der Epithelien der gewundenen Harnkanälchen die Bildung von homogenen,
glänzenden, verschieden großen tropfigen Gebilden im Protoplasma beobach¬
ten (tropfige Entartung). Diese Tropfenbildung führt zum Untergänge
der Zelle, deren der Harnkanälchenlichtung zugekehrter Saum bei höheren
Graden der Entartung zu bersten scheint und den Zellinhalt z. T. in das
Harnkanälchenlumen entleert. Die Zellkerne gehen ebenfalls zugrunde.
Den Tropfen ist eine Mitwirkung bei der Zylinderbildung nicht ab¬
zusprechen. Ihrer chemischen Natur nach sind sie vorläufig in die Gruppe
der hyalinen und kolloiden Stoffe einzureihen.
Die Tropfenbildung beruht vielleicht auf dem Einflüsse von Toxinen,
die auf das Protoplasma eine im Alb rech t’schen Sinne entmischende Wir¬
kung ausüben.
Man kann die Gebilde morphologisch und höchst wahrscheinlich auch
physikalisch als Tropfen, d. h. dem flüssigen Aggregatzustande angehörend
bezeichnen.
Auch bei Nephrosen, die als Eolgeerscheinung allgemeiner Sepsis auf-
treten, ließ sich die tropfige Entartung in mäßiger Ausdehnung beobachten.
Das fast regelmäßige und ausgedehnte Vorkommen der tropfigen Ent¬
artung läßt den Schluß zu, daß sie im Vereine mit der amyloiden und fettigen
Degeneration den Störungen der Nieren tätigkeit bei Amyloidose zugrunde
liegt. Bestimmte ursächliche Beziehungen zur fettigen Degeneration und
zu interstitiellen Wucherungsprozessen ließen sich nicht feststellen.
Heilungs- oder Ausgleichserjscheinungen werden in der aJmy-
loid entarteten Niere bei nicht behinderter Einwirkung der ätiologischen
Schädlichkeit nur äußerst selten beobachtet. Sie treten in Gestalt von wenigen
Mitosen und — z. T. in toto abgestoßenen — Kernzellen zutage. Die Gründe
für ihr seltenes Auftreten liegen darin, daß bei der Amyloidose die für die
Heilungsvorgänge notwendigen Vorbedingungen fehlen, die vorzugsweise die
Ätiologie und den allgemeinen Körperzustand bei Amyloiderkrankung be¬
treffen. W. Bisei (Zwickau).
662
Referate und Besprechungen.
Ausscheidung der Chloride im Harn bei Nierensteinerkrankungen.
(L. A. Gluzinski. Wiener klin. Wochenschr., Nr. 14, 1908.)
Bei einem 60 jährigen Arteriosklerotiker, der an Erscheinungen abdo¬
minaler Gefäßerkrankung (Leibschmerzen, Erbrechen) litt und unter urämie¬
ähnlichen Erscheinungen zügrunde ging, wurde ein vollständiges Eehlen der
Chloride im Harn, auch bei Zufuhr von 8 — 16 g Kochsalz, beobachtet. Die
zugeführten Chloride wurden durch den Magen ausgeschieden, d. h. der Salz¬
säuregehalt des Erbrochenen stieg. Der Autor beobachtete diese Uraemia
achlorica außerdem noch dreimal, bei einem Kranken mit allgemeiner Arterio¬
sklerose ohne Albuminurie und bei zwei Fällen von Schrumpf niere. Ferner
sah er bei akuter Scharlachnephritis gleichzeitig mit dem Auftreten von
Ödemen, Erbrechen und Appetitlosigkeit die Chloride aus dem Harn ver¬
schwinden, während Eiweiß erst 9 Tage später auftrat (doch waren von An¬
fang an rote Blutzellen und Zylinder im Harn). Es scheint also die Retention
der Chloride ein Frühsymptom der Nierenerkrankung zu sein. Mit dem
Erscheinen des Eiweiß nimlnt die Menge der Chloride wieder zu und der
Sedimentbefund wird spärlicher. Bei drei zur Sektion gekommenen Fällen
wurde parenchymatöse Degeneration der Nieren gefunden, welche vielleicht
das Anfangsstadium einer echten Nephritis darstellt. E. Oberndörffer.
Wandernieren.
(E. L. Bell. Amer. Journ. of Surg., Nr. 2, 1909.)
Bell leugnet, daß das Schnüren erheblich zur Ausbildung der Wander¬
niere beitrage, da sie bei samoanischen und ägyptischen Frauen häufig sei;
man kann aber doch den Eindruck nicht los werden, daß ihr beinahe aus¬
schließliches Vorkommen beim weiblichen Geschlecht und auf der rechten
Seite auf das Herunterschnüren der Leber zurückzuführen ist. Wäre die
Erschlaffung des Bauchs durch die Schwangerschaft von so großer Bedeutung,
so wäre vermutlich der Unterschied zwischen rechts und links nicht so aus¬
gesprochen.
Das Tragen von Polstern verdammt B. (mit Recht), nicht dagegen tief
heruntergehende Korsette mit geradem Vorderteil, die am besten vor dem
Aufstehen im Bett angelegt werden.
Im Gegensatz zur europäischen Gewohnheit befürwortet er die Opera¬
tion, von einem vorderen Schnitt aus, der etwas über und hinter der Spina
anterior superior beginnt und sich nach hinten oben bis unter die letzte
Rippe erstreckt. Es bietet den Vorteil, daß man nötigenfalls die Bauchhöhle
explorieren kann und daß die Operation in Rückenlage ausgeführt wird.
Ersteres ist deshalb wichtig, weil, wie EdebohLs festgeistellt hat, 60% der
Wandernieren mit Appendixbeschwerden kompliziert sind.
F. von den Velden.
Medikamentöse Therapie.
Aus der medizinischen Klinik in Zürich.
Ueber die Wirkungen des Tartarus depuratus.
(Eichhorst. Med. Klinik, Nr. 11, 1909.)
Bei einem Patienten mit alkoholischer Leberzirrhose und hochgradigem
Aszites bewährte sich Eich[horst, wie es auch schon bei früher von ihm
beobachteten Patienten der Fall war, der Tartarus depuratus sehr.
Es gelang ohne Punktion den Aszites zum Verschwinden zu bringen,
doch muß der Tartarus depuratus -lange Zeit fortgegeben werden.
Verordnet wurde:
Rp. Decoct. radic. Althaeae 10,0:180,0
Tartari depurati 15,0
Sirup, simpl. 20,0
MDS. Wohl umgeschüttelt, 2 stdl. 15 ccm zu nehmen.
Referate und Besprechungen.
663
Daneben erhielt der Pat. l1/2 Liter gekochte Milch, leichte Mehlspeisen,
nur wenig Fleisch und keinen Wein.
Unter diesem Regime nahm .schon nach wenigen Tagen die Harnmenge
zu, sie erreichte nach 5 Tagen schon 2000 ccm. Nachdem der Kranke 5 Wochen
lang ununterbrochen den Tartarus depuratus genommen hatte, fühlte er sich
subjektiv wieder vollkommen wohl. Natürlich wird das Grundleiden, die
Zirrhose der Leber durch die Medikation nicht beeinflußt. Der Erfolg wird
veranlaßt durch die milde und lange anhaltende diuretische Wirkung des
Tartarus depuratus, dessen Anwendung in ähnlichen Fällen Eichhorst warm
empfiehlt. Neumann.
Kantharidentinktur bei akuter Nephritis.
(E. Lancereaux. Bullet, med., Nr. 13, S. 149 — 150, 1909.)
Die Kanthariden sind als zu gefährlich ziemlich allgemein außer Ge¬
brauch gekommen ; aber im Gegensatz zu vielen anderen Medikamenten, von
deren Wirkungsweise man im Grunde wenig weiß, wissen wir über die
Kanthariden ganz genau, auf welches Organ sie wirken. Lancereaux ist
auf den kühnen Gedanken gekommen, dieses Mittel bei akuter parenchy¬
matöser Nephritis mit Oligurie bezw. Anurie anzuwenden, und indem er
Kindein einen, Erwachsenen fünf bis sechs Tropfen der Tinct. Oantharidum
in einem schleimigen Vehikel (etwa auf 200 g Mixt, gummosa) gab, erzielte
er schnelle Steigerung der Urinmengen, Verschwinden der Ödeme und sehi
schnelle Heilung.
Der Name des bekannten Klinikers kann zu vorsichtiger Aufnahme
dieser Medikation ermutigen. Buttersack (Berlin).
Desalgin, ein Chloroformpräparat in Pulverform zu internem Gebrauch.
(C. L. Schleich. Ther. u. Gegenw., Nr. 3, 1909.)
Desalgin ist ein Eiweißköirper, der etwa 25% Chloroform enthält,
getrocknet und pulverisiert. Schleich läßt es messerspitzenweise 3 — 4mal
täglich, bei intensiven Schmerzen bis zu einem halben Teelöf el 1 mal täglich
nehmen und hat gute Wirkung bei Gallensteinbeschwerden, Appendizitis,
Bronchitis und Phthise beobachtet. Er erklärt sich dieselbe teils durch die
Hyperämie des Darmkanals, teils durch die der Darmflora feindliche Wirkung
des Chloroforms, teils auch einfach durch die beruhigende und infolgedessen
die Sekretion herabsetzende Wirkung. Er empfiehlt das Desalgin bei allen
Schmerzen die vom Peritoneum umkleidete Organe betreffen, Koliken des
Magens, Darms, Gallensystems und Uterus; ferner zur Beschränkung der
Darmflora und als Narkotikum bei Lungen erkrankungen.
Fr. von den Velden.
Jodomenin, ein neues Jodpräparat in der allgemeinen Praxis.
(Friedmann. Berliner klin. Wochenschr., Nr. 11, 1909.)
Mit Rücksicht auf die lästigen Nebenwirkungen der Jodalkalien, hat man
sich in letzter Zeit vielfach bemüht, Präparate zu finden, die diese Neben¬
wirkungen möglichst vermeiden. Hierher gehört neben den Jodeiweißpräpa¬
raten auch das Jodomenin, welches das Jod in einer durch Wismut ver¬
mittelnden Lösung enthält und in ganz hervorragendem Maße die Eigenschaft
besitzt, unaufgeschlossen den Magen zu passieren, um erst im Darmkanal seine
Wirkung zu entfalten. Das Jodomenin löst sich nämlich nicht in verdünn¬
ten Säuren, sodaß der Säuregehalt das Magens das Jod nicht abzuspalten
vermag. Die langsame Resorption des Jods im Darm, bewirkt eine mildere,
aber länger anhaltende Jodwirkung als wie sie mit den Jodalkalien zu er¬
zielen ist.
Es kommt in Tabletten' ä 0,5 g in den Handel und es entspricht eine
derartige Tablette etwa 0,06 g Jodkali. Das Jodomenin ist überall dort
664
Referate und Besprechungen.
indiziert, wo überhaupt eine Jodwirkung am Platze ist. Hervorgehoben zu
werden verdient, daß es sieh in der Kinderpraxis gut bewährt und sich
auch hier als unschädlich erwies.
Fr. sah auch bei mehreren Patienten, die sonst Jod nicht vertrugen,
daß Jodomenin ohne Schaden genommen wurde. Es empfiehlt sich besonders
für langanhaltenden Gebrauch, z. B. bei Arteriosklerose. Neumann.
L’uso delle Jotione nella pratica Dermosifilopatica.
(Rossi. Gaz. Med. Lombarda, Nr. 1, 1909.)
Rossi wandte das Jothion bei Adenitis hyperplastica, Epididymitis,
bei sekundärer und tertiärer Syphilis an und zwar vorzugsweise als 25%ige
Jothionsalbe mit Vaselin und Lanolin. Hiervon wurden zunächst immer 2 — 3 g
pro die verrieben und die Dosis allmählich auf 4 — 5 g, wohl auf' 6 g pro1 die
gesteigert. Verf. ließ unter persönlicher Beaufsichtigung 15 — 20 Minuten
lang einreiben.
Es wurden niemals Zeichen von Intoleranz oder starke lokale Reiz¬
erscheinungen beobachtet . Nur in einigen Fällen machte sich eine leichte
Rötung sowie ein geringes Brennen bemerkbar, weshalb die Kur jedoch
niemals aufgegeben, sondern höchstens einmal ein paar Tage ausgesetzt wer¬
den mußte.
Auf Grund dieser Erfahrungen, die er mit einer Anzahl von Kranken¬
geschichten belegt, kommt der Verf. zu dem Schluß, daß bei den erwähnten
Krankheitsformen sehr gute Resultate mit Jothion erzielt werden. Nur in
zwei Fällen wurde es eine Zeitlang ohne Erfolg angewandt und zwar
bei tuberkulöser Epididymitis und beiderseitiger Adenitis inguinalis.
Wenn man also aus Furcht vor Jodismus in bezug auf die Wahl einer
geeigneten Jodmedikation besorgt ist, dürfte das Jothion das passende Prä-
parat sein, weil selbst in Fällen, wo von anderen Jodpräparaten Abstand ge¬
nommen werden mußte, keine Intoleranzerscheinungen beobachtet wurden.
Neumann.
Erfahrungen mit wasserlöslichen „Alcuentasalben“.
(Kamprath. Klin.-therap. Wochenschr., Nr. 11, 1909.)
In dem Alcuentum wurde eine Salbengrundlage geschaffen, bei der
durch feinste Bindung des Fettes mit Alkohol eine Wasserlöslichkeit der
Masse bewirkt wurde. Außerdem kommt das der Salbengrundlage zugesetzte
Medikament zur feinsten Verteilung und es macht sich die Wirkung des
Alkohols als äußerem Arzneimittel voll geltend. Die von K. mit einem
Alcuentum hydrargyri angestellten Versuche hatten folgendes Ergebnis:
1. Das Alcuentum wird leicht und vollkommen resorbiert.
2. Das Alcuentum hydrargyri läßt sich in kürzerer Zeit und in ge¬
ringen Quantitäten einreiben als die gewöhnliche graue Salbe.
3. Die mit Alcuentum behandelten Stellen fallen nicht störend auf,
was insbesondere in der Frauenpraxis nicht unwichtig ist.
4. Follikulitis und Stomatitis fehlen immer.
5. Das Alcuentum-Hg beschmutzt die Hände nicht, denn es läßt sich
6. von den Händen sehr leicht mit gewöhnlichem Wasser abwaschen.
Neumann.
Allgemeines.
Marshall Hall und der Verfall des Aderlasses.
(D’Arcy Power. The Practitioner, Nr. 8, 1909.)
Hier erfahren wir, daß M. Hall, am meisten durch seine physiologischen
Versuche bekannt, ohne es zu wollen, zu dem um 1840 rasch eingetreteneln
Verfall des Aderlasses, der hauptsächlich Louis in Paris zuzuschreiben ist,
Referate und Besprechungen.
665
beigetragen hat. Es scheint, daß Hall bis zu seinem Tode ein Anhänger
des Aderlasses gehliehen ist, aber seine Versuche, Kontraindikationen aufzu¬
finden und das gedankenlose Aderlässen, bis die Blutung von seihst stand,
abzuschaffen, haben weit über seine Absicht hinaus beigetragen, den Ader¬
laß in Verruf zu bringen, von dem er selbst sagt, daß er von allen 'Mitteln
das wirksamste sei und daß seine Unterlassung in Bällen, zu denen er passe,
der Krankheit ein gefährliches Fortschreiten gestatte.
Noch heute von Interesse ist seine Tabelle der Blutmengen, die ent¬
zogen werden können, ehe Andeutungen von Ohnmacht eintreten. Wir ersehen
daraus, daß diese Menge beim Gesunden eine mittlere ist (etwa V 2 Liter),
erhöht ist sie bei entzündlichen Zuständen (Bronchitis, Pneumonie, Peritonitis,
Erysipel, Wundfieber) und besonders bei Apoplexie und Gehirnkongestion
(bis zu 1% Liter), herabgesetzt dagegen bei Verletzungen, Magen- und Darm¬
störungen, fieberhaften Exanthemen, Delirium tremens und Eklampsie.
Fr. von den Velden.
Risse in den Injektionsnadeln.
(Lafay. Soc. franc. de dermatol. et de syphiligraphie, März 1909. — Bull. med.
Nr. 22, S. 263, 1909.)
Auf der Suche nach der Ursache von Abszessen, Indurationen u. dergl.
bei Injektionen von Ol. cinereum kam Lafay auch auf die Idee, die Injek¬
tionsnadeln zu revidieren. Er verschaffte sich Nadeln von 6 — 8 cm Länge
von den besten Firmen und bemerkte, daß 5 — 18% davon mehr oder weniger
kleine Risse aufwiesen. Von den zur Reparatur geschickten, ,,neu aufge¬
arbeiteten“ (remis ä neuf) hatten sogar 46% Sprünge.
Lafay führt die genannten Zufälle auf ein Austreten von Ol. cinereum
an nicht gewollter Stelle zurück ; das ließe sich wohl unschwer experimentell
nachweisen. Vielleicht kommt daneben auch noch — außer ungenügender
Reinlichkeit — der mechanische Reiz einer solchen rauhen Stelle in Betracht.
Buttersack (Berlin).
Die Müttersterblichkeit in Deutschland
(„Die neue Generation“, Organ des Bundes für Mutterschutz, Dez. 1908.)
ist noch immer außerordentlich hoch. So starben in Preußen allein im
Jahre 1906 3722 Mütter am Kindbettfieber. Von je 10000 lebenden Frauen
starben in einem Jahre 1,97 im Kindbett, von 10000 Entbundenen nahezu
29. In den Städten liegen die Verhältnisse ungünstiger als auf dem Lande
und von allen Städten am ungünstigsten steht Berlin da, wo gegen den Staats¬
durchschnitt von 28,81 auf 10000 Entbundene 56,48 — also gerade die doppelte
Zahl ! — Todesfälle an Puerperalfieber entfallen.
Sollten nicht auch diese Zahlen wieder einen neuen Beweis * für die
Notwendigkeit einer Reform unseres Hebammenstandes bilden?
Werner Wolff (Leipzig).
Die geplante Karlsruher Mutterschaftskasse.
(Dr. med. Alfons Fischer, Karlsruhe. „Neue Generation“, Dez. 1908.)
Ein neuer Weg der Wöchnerinnen-Unterstützung soll jetzt in Karlsruhe
auf Anregung Dr. Alfons Fischer’s versucht werden, ausgehend von dem
Prinzip, daß es vom volkswirtschaftlichen wie auch erzieherischen Stand¬
punkte zweckmäßiger, statt nur den Wohltätigkeitssinn — in Form der
Stillprämien — walten zu lassen, die zu unterstützen, die sich tatkräftig be¬
mühen, sich selbst zu helfen. Geschehen soll dies, nach dem Beispiele der
Pariser Mutualite maternelle, in Form der Versicherung', die während der
ersten vier Wochen post partum die Wöchnerinnen unterstützen soll. Was
nun die von den Versicherten zu leistenden Beiträge anlangt, so ist dafür
ein Monatsbeitrag von 50 Pfg. geplant. Dafür soll dann — wenn die vor-
666
Referate und Besprechungen.
läufigen Berechnungen stimmen — die Kasse ihren Mitgliedern nach ein¬
jähriger Mitgliedschaft für den Fall der Schwanger- und Mutterschaft
20 Mk., nach zweijähriger Mitgliedschaft 30 Mk., nach dreijähriger 40 Mk.
und nach vierjähriger 50 Mk. als Unterstützung gewähren. Vor Ablauf
einer wenigstens ein Jahr dauernden Zugeh örigkeit zur Kasse wird keine
Rente gezahlt, dafür steigt mit der Dauer der Mitgliedschaft die Höhe der
Unterstützung, und wenn diese in der ersten Zeit auch nur kurz bemessen,
dürfte sie nach längerer Mitgliedschaft der Versichterten doch eine beträcht¬
liche Hilfe gewähren.
Es fragt sich nun, ob bei diesen angenommenen Beitrags- bezw. Unter-
stützung'ssummen die Kasse bestehen könnte. Nach den Erfahrungen der
Mut. mat. in den Jahren 1903 — 1906 werden 14,4— 21% der Kassenteilnehme¬
rinnen jährlich entbunden. Nimmt man nun das ungünstigste Verhältnis
(2 1 °/ o) für die Karlsruher Kasse an, so würde diese — wiederum bei Zugrunde¬
legung obiger Bestimmungen — mit einem minimalen J ahresdefizit abschneiden.
Da nun aber schon von vornherein nicht nur damit gerechnet wird, daß
die Geburtenfrequenz unter den Mitgliedern der Karlsruher Kasse weit größer
sein wird als die Geburtenzahl in Karlsruhe überhaupt, sondern auch damit,
daß hier auch die Geburtenhäufigkeit bei den Versicherten die des französi¬
schen Instituts überschreiten wird, so wird doch immerhin bei den beab¬
sichtigten Beiträgen und Unterstützungen das Defizit mit einigen tausend
Mark, also einem verhältnismäßig geringfügigen Betrag, gedeckt werden.
Um nun im Anfang, wo doch erst Erfahrungen gesammelt werden müssen,
das zu erwartende Defizit nicht allzu groß werden zu lassen, soll zunächst
die Zahl der Aufzunehmenden begrenzt werden, damit der vor der Kassen¬
eröffnung zu sammelnde Garantiefonds zur Sicherstellung ausreicht. Es ist
nämlich beschlossen worden, zunächst eine a fond perdu zu gewährende
Summe aufzubrinngen, die vor der Sorge des Defizits schützen soll, eine
Summe, die mindestens 2000 Mk. betragen und dementsprechend auch die
Höchstzahl der Versicherten sein soll. Dieser Garantiefonds soll sich tunlichst
nur aus Beiträgen öffentlicher Kassen zusammensetzen, um die Privatwohl¬
tätigkeit gar nicht in Anspruch zu nehmen, und besteht begründete Hoffnung,
daß die Stadtverwaltung die Hälfte der Summe als Beihilfe gewähren wird,
während sich in die andere Hälfte wohl die Orts- und Betriebskrankenkassen
und die Versicherungsanstalt Baden teilen dürften.
Wie nun die geplante Kasseneinrichtung funktionieren wird, wieviel
Frauen sich zur Aufnahme melden werden, wieviel unter ihnen entbinden
werden, ob die Rentenhöhe genügen wird, um den beabsichtigten Schutz für
Mutter und Kind zu erreichen — all dies läßt sich im Voraus nicht sagen,
nicht einmal vermuten. Es kann sich im Anfang bei dem Unternehmen
eben um nichts anderes als um einen Versuch handeln, der dazu dienen soll,
Erfahrungen zu sammeln und vielleicht auch in anderen Städten zu ähnlichem
Vorgehen anzuregen. Werner Wolff (Leipzig).
Uneheliche Geburten und Universitätsstädte.
(Zeitschr. für Bekämpfung der Geschlechtskrankh., Bd. 8. H. 5.)
Geradezu überraschend sind die Aufschlüsse, welche die Statistik pro
1906 über die Zahl der unehelichen Geburten in Deutschland und ihr Ver¬
hältnis zu den ehelichen gibt. Sie umfaßt leider nur die Orte mit 15000
und mehr Einwohnern, eröffnet aber immer noch genug interessante Einblicke.
So waren in Berlin 17,3 °/0 aller Lebendgeborenen unehelich, eine an sich
schon hohe Ziffer, die aber noch vielfach übertroffen wird: so waren es in
Celle 22,2%, in dem kleinen Neuruppin 18,9% und in Paderborn gar 23,4%.
Am merkwürdigsten ist, daß die absolut und relativ größten Ziffern
des Prozentsatzes unehelicher Geburten für die deutschen Universitätsstädte
gelten. Berlin ist mit seinen 17,3% schon genannt. Bonn weist 21,7%
auf, während die nahegelegenen Städte Köln und Koblenz nur 12% bezw.
6,1% haben.
Referate und Besprechungen.
667
Breslau ist mit 18,1% immer noch schlimmer daran als Berlin, aber
unvergleichlich besser als Göttingen mit 23,7% oder gar Greifswald mit
31,1%. Halle hat, als scheinbar solide Stadt, nur 15,1% ebenso wie Kiel,
während Königsberg schon 16,4% zählt. An der Spitze von allen steht
Harburg mit 37,7%, das den schlechtesten Durchschnitt im Reiche überhaupt
hat! Die bayerischen Universitätsjstädte haben 16,1% in Erlangen, 20,4 %
in Wtirzburg und 26,7% in München, während in einer Ausnahme alle Zahlen
sonst weit hinter diesen Zurückbleiben.
In Sachsen wird Leipzig mit seinen 18,8% nur noch von der Fabrik¬
stadt Plauen um 1% übertroffen, in Württemberg hat Tübingen mit 32,2 %
beinahe dreimal so viel uneheliche Geburten als die Hauptstadt Stuttgart.
Heidelberg hält mit 25,4% den Rekord in Baden, Gießen mit 32,7%
den von Hessen, während Darmstadt nur 8,5% hat.
Rostock steht mit 17,4% an der Spitze von Mecklenburg und Jena
mit 24,4 % an der von Sachsen -Weimar.
Es haben also zweifellos die deutschen Universitätsstädte den größten
Prozentsatz an unehelichen Geburten, eine Tatsache, die doch vielleicht etwas
zu denken gibt! Werner Wolff (Leipzig).
Weniger von medizinischem, als vielmehr von allgemein kulturhisto¬
rischem Interesse ist eine Zusammenstellung der Universitäten und Studie¬
renden in Europa. Danach besitzt
Deutschland
21
Universitäten
mit 49 000 Studenten
Frankreich
16
n
11
32 000
y
Österreich-Ungarn
11
71
30 000
71
England
15
11
11
25 000
11
Rußland
9
y
n
23 000
y
Spanien
9
7 7
y
12 000
y
Schweiz
7
17
y
6 500
y
Belgien
4
TI
n
5 000
y
Schweden
3
n
y
5 000
y
Rumänien
2
11
y
5 000
y
Niederlande
5
17
n
4 000
y
Italien
21
r
y
24 000
71
(Berlin mit 13884 und Paris mit 12985 Studenten stellen die größten
Hochschulen dar.')
Man sieht, es geht ein fast pathologischer Wissensdurst durch die Lande;
aber trotz all der vielen Hochschulen besteht der Satz von G. Ch. Lichten-
berg auch heute noch zu Recht: ,,Das Brauchbarste in unserem Leben hat uns
gemeiniglich niemand gelehrt.“
So verschieden die Hochschulen und ihre Lehrpläne untereinander sein
mögen: auf keiner einzigen wird die Tugend doziert; und doch soll sie
nach Sokrates lehrbar sein. Entweder liegt da ein offenbarer Mangel vor,
oder es gibt neben dem Wissen noch andere Faktoren, die bei der Bildung
eine Rolle spielen; wenn ja, dann müßte man diese doch wohl ebenso pflegen
wie das reine Wissen. Buttersack (Berlin).
Aus der amerikanischen periodischen medizinischen Literatur.
(Februar 1909.)
The american journal of the medic'al Sciences. Februar.
1. Gastrische Neurosen. Von Dr. John B. Deaver, Chefchirurg am
deutsch. Hosp. in Philadelphia. Eine ausführlich begründete Warnung vor
operativen Eingriffen bei Neurosen des Magens.
2. Die Beh andlung der chronischen Bronchitis. Von Dr. F.
Forchheimer, Prof, der Med. am! jnedic. College in Ohio, Universität v.
Cincinati. Seine Erfahrungen haben F. dahin geführt, zu glauben, daß „der
Praktiker es besser ohne die noch vielfach angewandte Pneumatotherapie tut“,
obgleich er deren gelegentliche gute Erfolge nicht verkennt — eine Ansicht,
668
Referate und Besprechungen.
die dadurch gestützt werde, daß die pneumatischen Apparate aus den Zimmern
der Ärzte verschwinden. Demgemäß Besprechung der Behandlung der ver¬
schiedenen Formen der chronischen Bronchitis mit und ohne Arzneien (klima¬
tische Behandlung).
3. Freiluft- und Hyperämie-Behandlung, ein mächtiges Hilfs¬
mittel bei der Behandlung komplizierter chirurgischer Tuber¬
kulose der Erwachsenen. Von Dr. Willy Meyer, Prof, der Chirurgie
an der Post-Graduate school etc. in New -York. An gewissen Stellen des
Körpers, an denen der tuberkulös erkrankte Knochen an sich operiert werden
kann, kann doch durch die Operation allein nicht vollkommene Heilung
erzielt werden, so am os sacrum, am Becken, bei mit suppurativer Koxitis
komplizierter Azetabulitis usw. Mitteilung dreier Fälle zur Illustrierung
des Gesagten. M. plädiert daher für die Einrichtung besonderer Stati men
für derartige Kranke als Adnexe, der bestehenden Sanatorien für Schwind¬
süchtige, in denen sie von besonders für diesen Dienst geschulten ärztlichen
Assistenten mit Bier’scher Stauung und in freier Luft behandelt werden
können.
4. Das Herz in der Lungentuberkulose. Von Dr. Lawrason
Brown, resident physician am Adirondack cottage Sanatorium, Sawanak-See-
New-York. Eine eingehende Studie über das Verhalten des Herzens bei
Lungentuberkulose, wenn es 1. selbst nicht, 2. wenn es erkrankt ist. Der
erste Teil ist bereits früher veröffentlicht, der gegenwärtige zweite beschäf¬
tigt sich mit der Erkrankung des Herzens während einer Lungentuberkulose
(Myokarditis, Veränderungen im Myokard, Peri- u. Endokarditis, Mitral¬
stenose, Thrombose), dem Auftreten einer Tuberkulose während einer Herz¬
krankheit (Endokarditis, Mitral-Insuffizienz und Stenose, Aorten-Insuffizienz
usw.) sowie der Diagnose und Behandlung unter solchen Umständen.
5. Der bacillus coli communis die Ursache einer klinisch
mit Typhus identischen Infektion. Von Dr. Warren Coleman,
Prof, der klin. Medizin an der Cornell-Universität, New- York, und Dr. T. W.
Hast ings, ebenso. Mitteilung 1903 im Bellevue-Hospital, New-York, selbst¬
beobachteter Fälle von typhusähnlichem Charakter verursacht durch bacillus
coli communis, wie solche schon als Folge einer Infektion durch den bacillus
faecalis alcaligenes, den Paratyphoid- und Parakolon-Bazillus (bacillus para-
typhosus, Typus A und B), den bacillus enteritidis und den bacillus pisitta-
cosis (die Bazillen der Typhokolon-Gruppe oder Typhaceen Löffler’s) be¬
obachtet sind. Lediglich klinisch können diese verschiedenen Infektions¬
formen nicht differenziert werden, vorläufig, bis zu einer exakten bakte¬
riologischen Diagnose, müssen sie klinisch, wenn sie einen typhusähnlichen
Verlauf nehmen, als Typhus bezeichnet werden. Eine bakteriologische Klassi¬
fikation würde die Einführung einer neuen Nomenklatur für jede einzelne
Art der Infektion erfordern.
6. Akute Syphilis der Chorda spinalis. Von Dr. Joseph Collins,
Prof, der Nerven- und Geisteskrankheiten gm Post-Gr aduate-Hospital, und
Dr. Charles G. Taylor, klinischer Assistent für Neurologie, ebenda, New-
York. Eine Diskussion über syphilitische Spinalparalyse unter Mitteilung
von 2 Fällen mit Beibringung von Photographien mikroskopischer Rücken¬
markspräparate (Spinalparalyse, syphilitische lleningitis).
7. Habituelle oder rekurrier ende vordere Dislokation der
Schulter. Von Dr. T. Turner Thomas, Chirurg an der Universität von
Pennsylvanien und den general Hospitals in Philadelphia. Eine Studie über
die Kapsuloraphie als Ursache der genannten Dislokation mit Mitteilung
von Fällen und Zeichnungen. Th. kommt zu dem Schluß, daß nach seiner
Ansicht die gewöhnliche vordere . habituelle oder rekurrierende Schulterdis¬
lokation zurückzuführen ist auf eine traumatische, durch Narben veranlaßt«
vordere Hernientasche in der Kapsel und daß es daher Aufgabe der Operation
sei, diese zu obliterieren.
8. Die klinischen Formen der Pyelonephritis. Von Dr. Daniel
N. Eisendraht, Prof, der Chirurgie, Illinois-Universität, Chikago. E. unter-
Referate und Besprechungen.
669
scheidet 1. einen hämatogenen Typus und zwar a) einen hyperakuten, b) einen
akuten, c) einen subakuten. 2. einen urogenen Typus und zwar a) einen
rekurrierenden fieberhaften, b) einen kontinuierlichen fieberhaften (chroni¬
sche Urosepsis). 3. eine Pyelonephritis der Kinder. 4. eine solche der
Schwangeren. 5. eine solche im Puerperium, und beschreibt diese.
9. Die operative Behandlung des def taktierten septum nasale.
Von Dr. Charles W. Richardlson, Prof, der Rhinologie und Laryngologie
an der G. Washington-Universität, Washington. R. operiert submukös (unter
Kokain), zieht diese Methode, die ausgezeichnete Resultate liefern soll, den
älteren Verfahren vor und belegt seine Ansicht mit Gründen.
10. Ein Fall von Tr acheal-Sklerom. Von Dr. Emil Mayer,
Laryngologe usw. am Mount Sinai-Hospital, New -York. M. stellte den Fall zu¬
erst vor 2 Jahren in der amerikanischen Laryngologischen Gesellschaft vor
(dieses Journal 1907, Band 133, S. 751). Jetzt kam die Kranke mit starker
Dyspnoe wieder, es kam Tracheotomie in Frage und so entschloß sich M.
zu einer direkten Behandlung mit X-Strahlen durch eine Öffnung in der
Trachea, der Erfolg war ausgezeichnet. Noch ein Jahr nach der Operation
war die Trachea völlig normal.
11. Das Vorkommen von Tuberkelbazilleln im zirkulierenden
Blut Tuberkulöser. Von Dr. Rändle C. Rosenberger, Assistent-Pro¬
fessor am Jefferson medical College usw., Philadelphia. Tuberkulose scheint
in allen ihren Formen eine Bakterämie zu sein. Tuberkelbazillen kommen,
wenngleich in geringer Zahl, im Blut selbst bei heilenden oder stillstehenden
Fällen vor.
The St. Paul medical journal. Februar.
1. Akute traumatische und chronische Synovitis des Knie¬
gelenks. Von Dr. Robert W. Lovett, Boston. Der Inhalt läßt sich,
nach L. selbst, zum Teil wie folgt zusammenfassen: Chronische Synovitis
des Kniegelenks ist nicht eine Wesenheit für sich, sondern ein Symptom,.
Sowohl bei der akuten als auch der chronischen S. ist die Muskelatrophie
und seitliche Beweglichkeit des Gelenks von großer Bedeutung und muß bei
der Behandlung mit ihr gerechnet werden. Wo sie gemacht werden kann,
ist bei chronischer S. eine ätiologische Diagnose wünschenswert. Hat eine
geeignete Behandlung keinen Erfolg, so sollte man nicht temporisieren, son¬
dern, außer bei Tuberkulose, chronischem degenerativem Leiden intermittieren¬
der Synovitis und Hämophilie das Gelenk öffnen.
2. Metabolismus und seine Beziehung zu gewissen nervösen
und geistigen Zuständen. Eine klinische Studie von Dr. C. Sugen|e
Riggs, Prof, der Nerven- u. Geisteskrankheiten, Universität von Minnesota,
St. Paul. R. möchte die nach ihm gut begründete, wenn auch noch nicht
direkt bewiesene Theorie Mac Pherson’s von dem toxischen Ursprung der
Geisteskrankheit auf gewisse nervöse Zeichen und Zustände ausgedehnt wissen.
Es gebe eine nur durch Toxämie zu erklärende Form der Neurastenie und so¬
lange erstere nicht erkannt und beseitigt sei, steigere sich letztere bis zu
Halluzinationen und könne schließlich zum Tode führen, wenngleich diese
„metabolische Neurasthenie“, der hauptsächlich metabolische Prozesse zugrunde
liegen, allerdings meist milder auf tritt. Die Trennung in Neurosen und
Psychosen sei rein arbiträr, insofern eine Krankheit als Neurose beginnen
und als Psychose enden kann. Unter metabolischer Toxämie versteht R.
die Anwesenheit metabolischer Toxine, wahrscheinlich der Prä- Ureakörper
und in geringerem Grade der Schwefeläther (,,pre-urea bodies and etherial
sulphates“) im Blute. Sie lösen bestimmte nervöse und psychische Symptome
aus, die, wie R. konstatiert hat, pari passu mit der Sekretion des Harns
und des Harnstoffs ab- oder zunehmen. Nach seiner Erfahrung sind unge¬
fähr 25 °/0 aller Neurasthenien metabolisch. (Mitteilung von 5 klinischen
Fällen). Sie spielt ihre Rolle bei Hysterie, arterieller Hypertonie und der
Entstehung von Geisteskrankheiten, bei letzteren infolge der Steigerung des
Blutdrucks. Bei der Behandlung kommt es darauf an, die Toxine zu elimi¬
nieren (Milch, Wasser trinken, Abführmittel, Bettruhe, Tonika usw.).
670
Referate und Besprechungen.
3. Die Diagnose der Gielenkkr aükh'eiten. Von Dr. Alex Colvin,
St. Paul. Wir erwähnen hier nur, was C. am Schluß seiner Beobachtungen durch
7 Radiogramme über die Radiographie sagt. Er meint, sie solle nur zur An¬
wendung kommen, wenn der klinische Augenschein erschöpft ist, denn die
X-Strahlen sind, obgleich ein sehr wichtiger Faktor, doch eben nur einer. Bei
einer akuten Gelenkkrankheit, selbst bei einer akuten Erkrankung der Knochen,
gibt der Radiograph meist ein negatives Bild, er ist nur ein Schatten des
pathologischen Zustandes. Sieht man auf der Platte eine Knochenzerstörung,
so weiß man noch nicht, welcher Prozeß sie hervorgebracht hat. Tuberkulose
ist früh eine Infiltration und kann nicht immer erkannt werden, später gibt
sie das Bild der Zerstörung.
4. Die Behandlung der Trigemj.üus-Neur algie mit tiefen
Alkohol-Injektionen. Von Dr. Chas. R. Ball, St. Paul. Außer dem
temporär wirkenden Morphium versagen bei der Behandlung der Trigeminus-
Neuralgie alle anderen Drogen. Periphere Resektion des Nerven hat nicht
den erwarteten Erfolg, zentrale, an seinem Austritt aus dem Schädel ist oft
von Paralyse der Augen und Geisichtsmuskeln gefolgt, die Exstirpation des
ganglion Gasseri ist ein allerletztes Mittel, gefolgt von Atrophie der Muskeln
auf der Seite der Operation. Zuerst Levy und Baudoin 1906, Brissaud
und Sicard in Frankreich 1907 haben eine Reihe von Fällen von mit tiefen
Alkoholinjektionen erfolgreich behandelter Trigeminusneuralgie veröffentlicht,
1907 folgte Hugh T. Patrick, Chicago, mit 16 Fällen (the americ. journ.
of the med. scienc. 1907, Novbr.). Die Methoden unterscheiden sich nicht
viel von einander, die Hauptschwierigkeit, die Ball fand, ist, dem Nerven
genügend nahe zu kommen. In nicht eiligen Fällen empfiehlt sich ein
Intervall von mehreren Tagen zwischen den Injektionen. Die gebrauchte
Lösung ist eine 80 oder (90%ige alkoholische Lösung von 1 Gran Kokain
auf die Unze. Gebrauchte B. Alkohol ohne Kokain, so waren die Nach¬
schmerzen heftiger. Die Menge beträgt ,2 ccm. Mitteilung von 7 Fällen.
Für andere Nerven empfehlen Levy und Baudoin die Injektion nicht und
erachten sie bei Ischias sogar als gefährlich. B. machte einmal bei lanzinie-
renden Tabesschmerzen mit anscheinendem Erfolg Gebrauch, läßt es aber
dahingestellt, ob es sich nicht [um einen Zufall handelte.
The Post-Graduate. Februar.1)
1. Der Monat. England hat sich, ultrakonservativ wie es ist, lange
ablehnend gegen die Fortbildung bereits Graduierter verhalten. Jetzt besteht
in London das Weist London Post-Graduate College, das von Armee- und
Marineärzten besucht werden muß, das North-East London Post-Graduate College,
das medical Graduates’ College, mit Poliklinik, aber ohne Hospital und die
Londoner Tropenmedizin - Schule, wo ausreisende Ärzte die aus allen Welt¬
teilen zurückkehrenden Kranken studieren können und wo über Helmintologie,
Protozoologie und Entomologie gelesen wird. — Während fremdsprachige
Publikationen in Amerika frei eingehen, zahlen englische Bücher 25, wissen¬
schaftliche Instrumente 45 — 80% Zoll. Es ist eine Bewegung im Gange,
diese, namentlich für die Ärzte drückenden Maßregeln, abzuschaffen. — New-
Ä7ork hat 1908 die bisher niedrigste Sterblichkeit von 73171 Todesfällen =
16,32 %0 und die höchste Geburtsziffer (126863 = 28,68 °/0o) gehabt. Dagegen
haben die Selbstmorde um 151 über den Durchschnitt der letzten fünf Jahre
zugenommen. — Im Staate New -York darf seit 1. Januar dieses Jahres
niemand mehr Augenuntersuchungen zum Zwecke der Verordnung von Augen¬
gläsern vornehmen, der nicht ein Zertifikat vom New York stade board of
examiners in optometry hat.
2. Neuritis und ihre Beziehung zu f äulniserregienden Darm¬
prozessen. Von Dr. Graeme Hammond, Prof, der Geistes- und Nerven¬
krankheiten, P. -Grad, school and' hosp. New- York. Mitteilung von zehn
wohlstudierten Fällen aus der eigenen Praxis zum weiteren Belege dafür,
daß viele Fälle von Neuritis nicht ganz klarer Ätiologie auf Toxinen be-
L Die Januar-Nummer ist ausgeblieben.
Referate und Besprechungen.
671
ruhen, die aus der Fäulnis unverdauten Materials im Darm hervorgehen.
6 mal war die Neuritis auf ,eine Extremität beschränkt, 3 mal auf mehr
als eine ausgedehnt und lmal schwer. Dabei handelte es sich 8 mal um
Männer, 2 mal um Frauen, alle Patienten waren im mittleren Lebensalter
oder darüber, waren früher starke Esser und hatten längere Zeit vor dem
Auftreten der Neuritiden an Verdauungsstörungen gelitten. Nur ein Kranker
war früher starker Trinker, zwei huldigten mäßigem Alkohol- und Tabak¬
genuß. Rheumatismus war in keinem Falle vorhanden. Die Toxine (Indikan,
Skatol, Indol, Buttersäure) waren in jedem Falle reichlich im Urin nach¬
weisbar. Mit dem Verschwinden dieser unter der Behandlung (Chininsulfat
und Aspirin in Kombination) verschwanden ,auch die Symptome, vielleicht,
weil Chininsulfat und Aspirin, letzteres als ein Salizylat, keimtötend wirken.
3. Die chirurgische Beihandlüng der nicht-resolvierten Pneu¬
monie. Von Dr. Samuel Lloyd, Prof, der Chirurgie, P.-G-rad. school usw.,
New- York. Unresolvierte Pneumonie ist nach L.’s Ansicht nur selten, wenn
überhaupt, ein medizinischer Fall, sondern erfordert chirurgische Behand¬
lung. Er stellt sich auf Grund von Beobachtungen an operierten Fällen
den Gang so vor, daß |die Pneumonie zuerst ihren gewöhnlichen Verlauf
nimmt, daß dann aber, sei es infolge einer neuen Infektion, sei es, weil der
Pneumokokkus pyogene Eigenschaften annimmt, sich ein Abszeß bildet, der
entweder in einen Bronchus oder (in die Pleurahöhle durchbricht und in
letzterer ein Empyem macht. Hieraus ergibt sich alles weitere.
4. Idiotie und die verwandten (geistigen Defekte in früher
Kindheit. Von Dr. Herman B. Sheffield, Lehrer der Kinderkrankheiten,
P.-Grad. school usw. New -York. Idiotie ist meist angeboren und beruht
dann auf einer Krankheit vor der Geburt oder einer Entwicklungshemmung
des fötalen Nervensystems, andere geistige Defekte sind das Resultat eines
Traumas vor, während oder nach der Geburt, eine kleine Anzahl von Fällen
verdankt ihre Entstehung einer Krankheit oder mangelhaften Entwicklung
in früher Kindheit. Fälle dieser Art zeigen die Stigmata der Degeneration
am deutlichsten und lassen sich am besten demonstrieren. Besprechung der
charakteristischen Degenerationszeichen der Idiotie in frühem Lebensalter
unter Beifügung von Abbildungen idiotischer Kinder usw.
5. Ein hartnäckiger Fall von Gumma dies Larynx, der den
prolongierten Gebrauch einer Trachealr öihre erforderte. Von Dr.
Charles Graef, Lehrer der Nasen- und Halskrankheiten, P.-Grad. sch.
usw. New -York. Der Fall ist bemerkenswert dadurch, daß es nötig war,
den Tubus zwei Monate lang in der Trachea zu lassen und durch die unge¬
wöhnliche Resistenz des Gumma gegen eine spezifische Behandlung, wo¬
durch dies nötig wurde.
6. Ein Fall von wahrer Angina pectoris. Von Dr. T. Homer
Co ff in. Aus der Klinik dels Prof. Edw. Quintard. Die rechte Koronararterie
war so stark obliteriert, daß man gerade noch einen Stecknadelkopf ein¬
führen konnte, die linke an der Mündung bis auf 2 mm.
7. Die Diagnose des früheren Karzinoms der Brust. Von Dr.
Adolf Bonner. Vortrag mit nachfolgender Diskussion (Prof. Meyer, Dr.
Putnam, Sweeny, Dorm an), betr. die Schwierigkeiten der Diagnose eines
Mammakarzinoms vor dem eigentlichen Karzinomalter, d. h. vor dem 40. Lebens¬
jahre.
8. Ein Fall von purulenter Kniegelenkentzlündung. Von Dr.
A. Bonner. Vortrag.
9. Tinea tricophytina der Labia minora. Von Dr. Thompson
Sweeny. Vortrag. Die seltene Affektion täuschte zunächst eine venerische
Affektion vor, der mikroskopische Nachweis des Mykels und der Sporen des
Trichophytons sicherte die Diagnose.
(Diese letzteren vier Vorträge [6 — -8] wurden in der klinischen Gesell¬
schaft der New -Yorker ärztlichen Fortbildungsschule gehalten, 15. Januar
1909.) Peltzer.
672
Bücherschau.
Bücherschau.
Taschenbuch für Krankenpflege. Herausgegeben von Geh. Medizinalrat
Dr. Pfeiffer, Weimar. Mit zahlreichen Abbildungen und zwei anato¬
mischen Tafeln. 5. Aufl. Weimar, Hermann Böhlau’s Nachf., 1908. 5 Mk.
Das Taschenbuch ist sowohl für den Unterricht von Krankenpflegepersonal, wie
auch für den Gebrauch von Ärzten und in den Familien bestimmt. Es gliedert
sich dementsprechend in zwei Teile. Der erste Teil umfaßt alles das, was etwa in
einem einjährigen Lehrkursus der Krankenpflegerin vorgetragen und ihrer Prüfung
zugrunde gelegt werden muß. Die zweite Hälfte enthält die Vorschriften für die
Pflege bei den einzelnen Krankheiten, und es wird dieser zweite Teil in der Hand des
verständigen Laien, der nicht dazu neigt, auf Grund der erworbenen Kenntnisse in
der Krankenpflege nun auch selbständig kurieren zu wollen, viel Gutes stiften. Eine
große Anzahl von Mitarbeitern hat die Bearbeitung der einzelnen Kapitel unter¬
nommen, auch Mitarbeiterinnen sind vertreten, und zwar ältere erfahrene Schwestern,
denn wie Pfeiffer sagt, kann nur das vorbildliche Mitwirken von gut geschulten
und staatlich gebildeten Frauen allein den Krankenpflegedienst vor dem Herabsinken
in den handwerkmäßigen Lohnkampf bewahren. R.
Die Erkrankungen der Haut. Von E. Gaucher. Paris, Bailiiere et fils
1908. 508 Seiten. 10 bzw. 11,50 Fr.
Der vielerfahrene Dermatologe hat als Bd. XIV. das vorliegende Werk zu
dem großen Handbuch von Gilbert und Thoinot (Nouveau Traite de Medecine
et de Therapeutique) beigesteuert, und auch dieseits der Vogesen wird mancher mit
Vorteil sich in dem mit 180 Photogravüren geschmückten Buche Rats erholen.
Gaucher behandelt im ersten Teil die Erkrankungen der einzelnen Elemente der
Haut, im zweiten die allgemeine Ätiologie, und im dritten die einzelnen Krankheits¬
formen mit besonderer Berücksichtigung der Therapie, und gerade darin, in der
Ver- und Bewertung der modernen Heilmethoden, liegt der Vorzug des Buches für
den Praktiker.
Wir besitzen in der deutschen Literatur freilich eine Reihe vorzüglicher Werke
über diese Disziplin; allein ein Blick über die Grenzen der deutschen Medizin
hinaus wirkt immer anregend. Buttersack (Berlin).
Der Arzt am Scheidewege. Von Bernard Shaw. Berlin, Fischer. 2,50 Mk.
Daß auf ein Theaterstück in einer ärztlichen Zeitschrift aufmerksam gemacht
wird, ist ungewöhnlich, in diesem Falle aber berechtigt, weil kein geringerer als
Shaw, der in Deutschland noch zu wenig bekannte Kritiker und Dichter, hier den
ärztlichen Beruf einer Würdigung unterzieht; freilich wird sie nicht nach dem Ge¬
schmack der meisten Ärzte sein. Besonders sei aufmerksam gemacht auf den ersten
Akt, in dem dem Erfinder eines neuen Schwindsuchtsmittels auf wissenschaftlicher
Basis, die Vertreter verschiedener Species Ärzte, der alte Arzt, der ausschließliche
Chirurg, der ärztliche Geschäftsmann, der Mann mit der freien und mit der
Kassenpraxis zu den Ehrungen gratulieren, mit dem die unerprobte, in ganz ver¬
kehrter Weise, aber mit dem glücklichsten Erfolg an einer fürstlichen Persönlich¬
keit verwandte Erfindung belohnt wurde. Wer zur Meinung geneigt ist, wer nicht
Arzt sei und nichts verstehe, habe es leicht, sich lustig zu machen, der wird be¬
merken, daß Shaw auch in ärztlichen Dingen sehr wohl orientiert ist.
F. von den Velden.
Riedel’s Berichte — Riedel’s Mentor. Herausgeber: I. D. Riedel, Aktien¬
gesellschaft, Berlin X. 39. 1909.
‘ Die Riedel’schen Berichte aus dem wissenschaftlichen Laboratorium der
Fabrik behandeln dieses Mal folgende Themata:
Über die Einwirkung von Alkalidichromat auf Agaricinsäure.
Über die künstlichen Zeolithe.
Über die Zusammensetzung und Prüfung einiger weder im deutschen Arznei¬
buche noch im Ergänzungsbuche enthaltener Präparate.
Das lesenswerte Heft wird auf Wunsch den Interessenten durch die Fabrik
zugestellt. R.
Schriftleitung: Dr. Ri gl er in Leipzig.
Druck von Emil Herrmann senior in Leipzig.
27. Jahrgang.
1909.
fomcbritte der Medizin.
Unter Mitwirkung hervorragender Fachmänner
herausgegeben von
Professor Dr. 0. Köster Prio.-Doz. Dr. o. ßriegern
in Leipzig. in Leipzig.
Schriftleitung: Dr. Rigler in Leipzig.
Nr. 18.
Erscheint am 10., 20., BO. jeden Monats. Preis halbjährlich
6 Mark, inkl. Zeitschrift für Yersicherungsmedizin 8 Mark.
Verlag von Georg Thieme, Leipzig.
50. Juni.
Originalarbeiten und Sammelberichte.
26. Kongreß für innere Medizin zu Wiesbaden.
19.— 22. April 1909.
Berichterstatter: Dr. Ehrmann und Dr. Euld.
I. Sitzung: Montag, 19. April 1909, vormittags.
Eröffnung durch Schultze-Bonn.
Der Vortragende betont in seiner Begrüßungsrede die Selbständig¬
keit der inneren Medizin gegenüber der Bhysiologie wie gegenüber der
pathologischen Anatomie ; ebenso zeigt er, daß dieselbe nicht in einzelne
Spezialitäten aufgelöst werden darf und beklagt, im Interesse der
Kranken insbesondere, die völlige Loslösung der Neurologie. Er wendet
sich sodann zu der Forderung sozial-medizinischen Universitätsunter¬
richts und befürchtet eine Beeinträchtigung der eigentlich medizinischen
Fächer durch das verlangte fünfstündige Kolleg. Der Zeitpunkt für
einen derartigen Unterricht ist das praktische Jahr, und der Ort even¬
tuell die medizinischen Akademien, sobald diesen vom Staat die nötigen
Vergünstigungen gewährt würden, während die Universität überall
nur die Grundlagen zu legen und den kritischen Geist zu erziehen hat.
Magnus-Levy-Berlin : Der Mineralstoffwechsel in der kli¬
nischen Bathologie.
Der Referent beginnt mit der veränderten Auffassung der Salz¬
lösungen, die auch für die tierischen Säfte Geltung hat. Die Auf¬
fassung von der Ionisierung der Salze erleichtert die Forschung schon
insofern, als wir nicht mehr gezwungen sind, wie früher, nach Schick¬
sal und Wirkung zahlreicher Salze, die nichts weiter sind als Ionen¬
kombinationen, zu fragen, sondern uns auf das Studium der einzelnen
Ionen beschränken können. Die Ionenlehre erleichtert aber auch die
Auffassung von dem Übergang der Mineralstoffe in organische, fester
oder lockerer Bindung. Ein solcher Wechsel aus der anorganischen
in die organische Form findet sehr häufig statt. Die Mineralstoffe,
die der Organismus in organischer Form in seinen Geweben beherbergt,
werden in den Nahrungsmitteln, zum Teil schon in organischer Bindung,
zugeführt. Jedoch besitzt der Körper die Fähigkeit seinen Bedarf an
,, Mineralstoffen“ zu decken, sie in organische Bindung überzuführen,
auch wenn man sie ihm nur in anorganischer Form bietet. Das gilt
für die Bhosphorsäure des Lecithins, das der Organismus selber syn¬
thetisch bereiten kann, es gilt für den Kalk, dessen organische Bindung
43
674
Ehrmann und Fuld,
übrigens fraglich ist, vor allem für das Eisen, das nach Bunge’s Lehre,
in gewöhnlicher Salzform zngeführt, für die Bildung des eisenhaltigen
Blutfarbstoffs nutzlos sein (sollte. Hier hat die Erfahrung der Kliniker,
die die Behandlung der Blutarmut mit Eisensalzen zu allen Zeiten
geübt haben, gegenüber der Theorie Beeilt behalten. Zahlreiche exakte
Experimente an jungen wachsenden Tieren haben dn den letzten 15 Jahren
gezeigt, daß tatsächlich gewöhnliches und selbst metallisches Eisen
(in feinster Pulverform aufgenommen) vom Körper verwertet, d. h.
zum Aufbau des komplizierten eisenhaltigen Blutfarbstoffes verwendet
wird. Ja, man muß sogar daran denken, daß auch dieses im Organismus
erst aus der organischen Bindung gelöst werden müsse, ehe es in die
neue und wahrscheinlich ganz andere organische Bindung im Molekül
des Blutfarbstoffs (Verbindung mit einer Beihe von Pyrrolkernen) ein¬
gefügt werden könne.
Von den Mineralstoffen bespricht der Vortr. an erster Stelle die
Bolle des Kalziums bei den verschiedenen Krankheiten des Skeletts.
Die Bachitis der Kinder ausschließlich auf Kalkarmut der Nahrung
zurückzuführen, wie man es früher getan, ist nicht mehr erlaubt.
W ohl kann man bei allen untersuchten jungen Säugetieren durch kalk¬
arme Nahrung einen ähnlichen Zustand erzeugen; namentlich die Ver¬
biegungen der Knochen und die Bewegungsstörungen sind genau die
gleichen. Aber im mikroskopischen Bild und auch im Verhalten gegen
zugeführte Kalksalze ist ein charakteristischer Unterschied zwischen
spontaner Bachitis und ,, Pseudorachitis“ vorhanden. Wenngleich Kalk¬
armut der Nahrung sicherlich nicht ausschließlich Ursache der Bachitis
ist, so kann sie dennoch eine gewisse Bolle spielen. Tatsächlich ist die
menschliche Milch oft verhältnismäßig kalkarm, und man muß mit der
Möglichkeit rechnen, daß Brustkinder beim Abstillen in 6—8 Monaten
nicht genügend Mineralstoffe im Knochen angesetzt haben. Diese Kalk¬
armut ist zwar noch keine Bachitis, bedeutet aber doch vielleicht einen
minderwertigen Zustand und macht die Kinder vielleicht gegen die
nunmehr einsetzenden Schädlichkeiten, die zur Bachitis führen, weniger
widerstandsfähig. Die Betrachtung der Knochenbrüchigkeit der Er¬
wachsenen fällt im großen und ganzen unter die gleichen Gesichts¬
punkte wie die Bachitis. Wie Eehling gezeigt hat, bestehen nahe
Beziehungen zwischen der Tätigkeit der Ovarien und dem Knochen-
system.
Ein gewisser Schwund des Knochensystems kommt bei allen chro¬
nischen Siechkrankheiten vor. Einen besonderen Charakter trägt sie
beim Diabetes mellitus, wo sie trotz sonst guten Ernährungszustandes
vorhanden sein kann. Wahrscheinlich hängt sie hier zusammen mit der
übermäßigen Säurebildung, der Acidosis. Dabei ist auch die Kalkmenge
im Urin stark erhöht, bis zu 2 und 3 g am Tage. Organische Säuren
können möglicherweise auch bei der Bachitis und bei der Gsteomalacie
eine gewisse Bolle spielen.
Mit stärkerer Kalkabgabe geht gewöhnlich auch eine Phosphor¬
abgabe einher, doch ist ein Parallelismus oft nicht zu erkennen, weil
Kalk auch ohne Phosphor säure angesetzt und abgegeben werden kann,
und weil andererseits Phosphorsäure auch aus anderen Organen als
den Knochen in großen Mengen stammen kann.
Extreme Phosphorsäureabgabe beobachtete der Beferent bei akuter
Leukämie. Der „Diabete phosphatique“ besteht zu Unrecht. Die „chro¬
nische Phosphaturie“ beruht nicht auf einer Vermehrung der Phos-
26. Kongreß für innere Medizin zu Wiesbaden .
675
phorsäure, sondern anf einer Zunahme des Harnkalkes (Soetbeer),
doch ist mit dieser Feststellung das Rätsel dieses Symptomenkomplexes
noch keineswegs befriedigend aufgeklärt.
Die Rolle des Schwefels übergeht der Referent, da der Schwefel¬
haushalt ausschließlich einen Teil des Eiweißhaushaltes bilde und so¬
mit an dieser Stelle kaum mit Vorteil zu behandeln sei. Auch das
Jod wird nur kurz gestreift, da die Bedeutung des organischen und
anorganischen Jodes vor zwei Jahren auf dem Kongreß ausführlich
erörtert worden ist. Neu festgestellt ist seitdem nur, daß das Jod
im Jodtyrosin nach Kraus’ Feststellungen am isolierten Herzen und
nach des Referenten Versuchen am gesunden Hund und am myxödem-
kranken Menschen keine von den Wirkungen zeigt, die dem jodhaltigen
Eiweißkörper der Schilddrüse und dem Jodothyrin zukommen.
Das Hauptinteresse ist dem Kochsalzstoffwechsel zugewandt. Hier
haben sich, dank den Forschungen der letzten zehn Jahre, höchst über¬
raschende und unmittelbar für die Praxis nutzbare Erkenntnisse er¬
geben. Am wichtigsten sind diese für die Behandlung der chronischen
Nieren kr ankheiten geworden.
Der Kulturmensch pflegt seine Speisen stark zu salzen, im Gegen¬
satz zu solchen niederen Stämmen, die als Jägervölker vorwiegend auf
tierische Nahrung angewiesen sind.
Jedenfalls sind die großen Salzmengen, 15 — 20 g täglich, für ihn
unschädlich. Sie verlassen den Körper meist innerhalb 24 Stunden
wieder mit dem Harn. Anders verhalten sich Nierenkranke: Sie ver¬
mögen 10 g Salz, die man ihnen versuchsweise zu ihren Speisen zu¬
gibt, nicht in einem Tage wieder aus dem Körper herauszuschaffen.
Diese Tatsache, die Kochsalzretention, ist ziemlich gleichzeitig in Öster¬
reich, Frankreich und Deutschland festgestellt worden. Wenn eine
solche Kochsalzzufuhr sich immer wiederholt, kann diese Aufstapelung
im Körper schließlich nicht ohne Einfluß auf den kranken Menschen
bleiben. Diese Kochsalzanhäufung ist in vielen Fällen die Veranlassung
zum Auftreten der Wassersucht der Nierenkranken. Widal hat das
durch enien höchst einfachen und trefflich durchgeführten Versuch
bewiesen. Es gelang, einen wassersüchtigen Nierenkranken zu belie¬
bigen Malen von seiner Wassersucht zu befreien, sobald man ihm eine
ungesalzene Kost gab. Und mit absoluter Regelmäßigkeit erschienen
die wassersüchtigen Anschwellungen (Ödeme) wieder, sobald zu der
salzlosen Kost 10 — 12 g Kochsalz täglich zugegeben wurden. Schon
immer hatte man sich, wie es auch Widal in den zwei ersten Reihen
seines Versuches getan, in solchen Zuständen der ,, reizlosen Milch“
bedient und mit ihr Erfolge erhalten. Drei Liter Milch, die bei aus¬
schließlicher Ernährung damit notwendig sind, enthalten aber noch
immer 5 g Kochsalz. Eine gemischte Kost, bestehend aus Fleisch,
Brot, Kartoffeln, Reis, Butter usw., enthält noch weniger Salz, nur
1 — 2 g, vorausgesetzt, daß jeder Salzzusatz auch zum Mehl des Brotes,
vermieden wird. Auch bei einer derartigen Kost, die man früher
bei solchen Zuständen gefürchtet hat, verschwinden die Anschwellungen
des Nierenkranken in eben so kurzer Zeit, wie bei ausschließlichem
Genuß von Milch; und sie hat in allerschwersten Fällen von Undurch¬
gängigkeit der Nieren für Kochsalz noch Vorteile vor der Milchdiät,
weil eben der Kochsalzgehalt noch niedriger ist.
Das Regime dechlorure, die „Diät ohne Salz“, hat seitdem viel¬
fache Anwendung erfahren. Sie hat sich vor allem bei der Behand-
43*
676
Ehrmann und Fuld,
lung der wassersüchtigen Anschwellungen der Nierenkranken bewährt.
Man glaubte, daß auch andere Salze, besonders die phosphorsauren,
ebenso wie das Kochsalz retiniert würden und, gleich ihm, V eranlas-
sung zur Entstehung von Ödemen geben könnten. Magnus-Levy be¬
tont, daß zwar im Experiment die Erzeugung von Ödemen gelinge,
wenn man nephritisch gemachten Tieren große Mengen davon bei¬
brächte, aber derartige Verhältnisse kämen im natürlichen Verlauf
der menschlichen Nierenentzündung nicht in dem gleichen Umfange
vor, hier stände tatsächlich das Kochsalz als ödemerzeugendes Salz
weit im Vordergrund. Auch in der Frage, ob die Retention von Koch¬
salz die Aufstapelung von Wasser in den Ödemen herbeiführe oder
umgekehrt, stellt sich der Vortragende auf die Seite von Widal und
S trau ss, wonach das erste der Fall sei.
Die Wassersucht bei Herz- und Leberkrankheiten und die Ent¬
zündung des Brustfells usw. beruhen auf anderen Ursachen, als die
bei Nierenkrankheiten, und werden daher auch von dem Kochsalz¬
gehalt der Nahrung nicht oder nicht so stark beeinflußt, wie die
Ödeme der Nierenkrankheiten. Die Kochsalzretention bei Pleuritis be¬
ruht auf aktiv entzündlichen Prozessen der serösen Häute, die, bei
Herz- und Leberleiden hingegen auf rein mechanischen Ursachen ; im
akuten Infekt spielt vielleicht eine aktive Anziehung des Kochsalzes
durch die Körperzellen eine Rolle. Dennoch kann kochsalzlose Diät,
bei Herzfehlern und bei den Bauchhöhlenergüssen, bei Leberverhär¬
tung zu deren Schwinden beitragen. Tatsächlich liegen hier eine Reihe
guter Erfolge vor. Gewiß verschwinden solche Ergüsse auch ohne
Kochsalzentziehung, bei Anwendung von Arzneimitteln, die Herz und
Niere zu größerer Tätigkeit anspornen.
Eine Kochsalzanhäufung findet in anderer Form, nämlich ohne
Auftreten wässeriger Ergüsse, bei anderen Krankheiten statt, so be¬
sonders bei der Schrumpfniere und bei einigen damit in Beziehung
stehenden Zuständen, wie der Arteriosklerose, der Gicht, Emphysem
u. a. Hier werden die Zellen selbst mit Kochsalz überladen. Die
NaCl-Retention kann hier auch durch Analyse der Leichenorgane nach¬
gewiesen werden.
Auch fast bei allen akuten Infektionskrankheiten findet eine
Zurückhaltung von Kochsalz statt, deren Mechanismus und Bedeu¬
tung aber noch nicht genügend geklärt sind.
Noch bei anderen Krankheitszuständen kann eine Beschränkung
der Kochsalzzufuhr Segen stiften. So bei der Brombehandlung der
Fallsucht. Hier wurde sie von Richet vorgeschlagen, und die Er¬
folge haben ihm recht gegeben. Salzarme Kost läßt das Brom länger
im Körper der Epileptischen verbleiben, wodurch die Wirkung nach¬
haltiger wird.
Bei der Behandlung der sog. zuckerlosen Harnruhr führt nach
Erich Meyer Enthaltung von Kochsalz zu wesentlicher Verminde¬
rung der lästigen übermässigen Harnabscheidung. Das Säuglings¬
ekzem, der ,, Milchschorf“, ein weit verbreitetes Leiden, ist ebenfalls
in manchen Fällen nach Finkelstein’s Beobachtungen einer Besse¬
rung oder Heilung durch Verminderung des Kochsalzes in der Kost
zugängig.
Die große Bedeutung, die das Kochsalz in allen diesen Zuständen
besitzt, kommt jedenfalls auf Rechnung des elektronegativen Ions,
26. Kongreß für innere Medizin zu Wiesbaden.
677
des Chlors. Doch liegen noch nicht genügend Versuche mit dem zwei¬
ten Bestandteil des Salzes, mit Natrium vor.
Für manche der hier noch nötigen Untersuchungen ist der Säug¬
ling ein weit feineres Objekt als der Erwachsene, weil er auf geringe
Störungen seiner Ernährung viel feiner reagiert als der Erwachsene.
Er antwortet mit Fieber, Gewichtsstürzen, mit Eiweiß- und Fett¬
verlusten da, wo der Erwachsene scheinbar ganz unbeeinflußt bleibt.
Einspritzungen dünner Kochsalzlösungen unter die Haut rufen bei
vielen magendarmkranken Kindern leichtes, rasch vorübergehendes Fie¬
ber hervor. Das Fieber bleibt aus, wenn man nach dem Vorgang
des amerikanischen Physiologen Loeb der Kochsalzlösung kleine Men¬
gen von Kalzium- und Kaliumsalzen zusetzt,
Widal-Paris: Die therapeutische D echlorur ation.
Der Vortragende erwähnt in seinem klinischen Referat, daß eine
Reihe von Arbeiten von Bohne, Marischer, Achard und Loeper,
Steyrer, Strauss, Claude und Maute gezeigt haben, daß das
Kochsalz während gewisser Nephritiden zurückgehalten Avird.
Er hat mit Hallion und Carrion, Reichel, Chauffard,
Achard, Strauss gezeigt, wie unter dem Einflüsse der Wirkung
des Kochsalzes, das osmotische Gleichgewicht der Säfte zu bewahren,
das zurückgehaltene Kochsalz alsdann der Ursprung der Wasser¬
retention sein muß.
Achard hat bei den Kranken, welche die eingenommenen Salze
nicht ausschieden, gesehen, daß der Überschuß des Salzes schneller
aus dem Blute als aus den Säften verschwand und durch seine Ex¬
perimente mit Loeper dessen Anhäufung in den Geweben bewiesen.
Er hat außerdem durch die Analyse konstatiert, daß sich der Salz¬
gehalt des Blutes nicht im Verhältnis zu den zurückgehaltenen Sal¬
zen vermehrt.
Im Jahre 1902 hat der Vortragende mit Lemierre die Rolle,
die das Kochsalz in der Pathogenie des Bright’schen Ödems spielt,
unzweifelhaft bewiesen, indem er durch Zulage von Kochsalz beim
Nephritiker regelmäßig Ödeme erzielen konnte.
Diese Tatsachen haben ihn und Javal später dahin geführt, die
Prinzipien der Chlorentziehungskur aufzustellen.
Bis dahin hatte man gedacht, daß die verschiedenen zurückgehal¬
tenen Salze, so gut wie das Kochsalz, Ödeme bewirken können, und
v. Korany beschuldigte die Eiweißabbauprodukte.
Achard glaubte seinerseits, daß in der Pathogenie des Bright-
ödems nicht nur das Kochsalz, sondern auch verschiedene Substanzen,
die im Blute gelöst sind, eine Rolle spielen. Der Vortragende hat
in einer Reihe von Untersuchungen in Verbindung mit Javal ge¬
zeigt, daß das Kochsalz hier allein in Betracht kommt. Weiterhin
zeigte er, daß der Harnstoff, der so häufig bei der Bright’schen
Krankheit zurückgehalten wird, sich vor allem im Blut anhäuft.
Strauss hatte gesehen, daß das Ödem mit der Polyurie und
Polychlorurie überhaupt verschwindet, und daraus den Schluß gezogen,
daß bei solchen Krankheiten die Zuführung des Salzes eingeschränkt
und für eine vermehrte Ausscheidung gesorgt werden muß.
Um die Verminderung der Kochsalzzufuhr herbeizuführen, hatte
er einfach die Milchkur und keine andere Diät empfohlen und zur
Vermehrung der Kochsalzausfuhr die diuretischen Arzneimittel vor¬
geschlagen
678
Ehrmann und Fuld,
Der Vortragende gab mit Javal die ersten Resultate über die
Chloren tziehungskur bekannt und stellte fest, daß selbst die Milch
eine noch zu salzhaltige Nahrung sein kann.
Sie sahen zum ersten Male das Unerwartete, daß Fleisch und
andere Nahrungsmittel (ohne künstlichen Salzzusatz), die bis dahin
für schädlich angesehen wurden, günstig wirkten. In anderen Fällen
ist wieder die Milch vorzuziehen.
Aber wenn man, ohne zu rechnen, Milch gibt, kann man leicht
in bestimmten Fällen eine zu wasser- und zu salzhaltige Kost zu¬
führen, die schon durch ihren Reichtum an Eiweißkörpern schadet.
Das notwendige Mindestmaß an Milch enthält beinahe viermal
soviel Chlor als eine gemischte Kost ohne künstlichen Salzzusatz ; und
dazu enthält die erstere noch fast drei Liter Wasser und wenigstens
120 g Eiweiß, d. h. mehr als viele Nephritiker vertragen können.
Die Ödembildung findet in zwei Zeiträumen statt: erstens unter
Bildung von nicht sichtbaren tiefen Infiltrationen, zweitens unter Bil¬
dung von sichtbaren Unterhautödemen.
Nur durch die Wage kann man die tiefen Infiltrationen fest¬
stellen, und in der Tat muß man das Gewicht der Nephritiker
regelmäßig beobachten.
Die Dichtigkeit der Niere gegen das Salz ist stets eine relative ;
ferner kann sie bei ein und demselben Kranken in verschiedenen Sta¬
dien der Krankheit variieren.
Die Chlorentziehungskur bezweckt zweierlei : erstens aus dem
Organismus das retinierte Salz und damit das ödem zu entfernen,
zweitens eine Diät aufzustellen, deren Chlornatrium noch durch die
Nieren ausgeschieden werden kann.
Durch das Beobachten des Körpergewichts und der Bilanz der
Salzmenge kann man die Grenzdosis bestimmen, die bei der Ernäh¬
rung nie erreicht werden darf.
Es ist sehr leicht, die Menge der eingenommenen Salze festzu¬
stellen, denn wenn der Patient eine Milchdiät durchmacht, ist die
Rechnung sehr schnell gemacht, weil die Milch 1,60 g Kochsalz pro
Liter enthält; wenn er eine gemischte Kost, ohne künstlichen Salz¬
zusatz, erhält, kann man rechnen, daß er täglich 1,50 g Salz ein¬
nimmt.
Die Diät hat bisweilen nicht den gewünschten Erfolg, weil die
Chlorentziehung manche Schwierigkeit darbietet.
Bei bestimmten Kranken gelangt man sehr langsam zum Ziel,
und, um die Wirkung der Kur zu verstärken, muß man noch diuretische
Arzneimittel anwenden.
Wenn die Ödeme geschwunden sind und das Körpergewicht wäh¬
rend mehrerer Tage stehen bleibt, kann man dann, die Nieren des
Kranken vorsichtig prüfend, bestimmen, bis zu welchem Grade man
berechtigt ist, der Diät Salz zuzusetzen.
Der Vortragende hat gezeigt, daß bei der Bright’schen Krank¬
heit die Insuffizienz sich sowohl auf die Ausscheidung der Eiwei߬
abbauprodukte, als auch auf die Chlornatriumausscheidung beziehen
kann. Es bestehen so zwei Typen des Morbus Brigthii.
Stickstoff und Kochsalz werden oft zu gleicher Zeit, besonders
während der Endperiode der Krankheit, in der Niere zurückgehalten.
Die beiden Formen — die N-Retention und die NaCl- Retention
— der Bright’schen Krankheit unterscheiden sich wesentlich.
26. Kongreß für innere Medizin zu Wiesbaden.
679
Der Harnstoff häuft sich im Blut an, das Kochsalz hingegen
geht mit Leichtigkeit aus dem Blut in die Körpergewebe, Daher sieht
man, daß die Kochsalzretention oft mit hydropischer Urämie,
die Stickstoffretention mit trockener Urämie endigt.
Bei den an starker Kochsalzretention leidenden Nephritikern
kann sogar der Harnstoff im Blute nur in minimalen Mengen vor¬
handen sein, zwischen 0,20 und 0,50 g pro Liter schwankend. Findet
man eine solche Menge, so ist das ein sicheres Zeichen für vorhandene
Kochsalz retention.
Wenn das Blut mehr als 1 g Harnstoff pm Liter enthält,
hat man einen Patienten vor sich, bei welchem man es mit der Harn¬
stof fretention zu tun hat. Steigt der Harnstoff auf 3 — 4 g, eine
Menge, die nur . in der Endperiode der Krankheit beobachtet wird,
so ist die Prognose sehr ernst. Wir wissen, wie schwer in gewissen
Fällen die Prognose der urämischen Zustände zu stellen ist.
Gewisse Patienten mit Erbrechen, mit eklampsieartigen Symp¬
tomen oder mit Ödemen können sich manchmal sehr schnell bessern,
während andere nur mit Schläfrigkeit oder Appetitlosigkeit Er¬
krankte plötzlich in ein tödliches Coma verfallen. In diesen Fällen
kann die Bestimmung des Harnstoffs im Blute die Diagnose und
Prognose sichern, ob nämlich eine Kochsalz- oder eine Harnstoffreten¬
tion vorliegt.
Trotz Ödeme und ernster Symptome gibt, wenn das Blut eine
normale Menge Harnstoff enthält, was soviel bedeutet, daß es sich
um eine Chlorretention handelt, eine Kochsalzentziehungskur die beste
Prognose.
Es ist zu hoffen, daß sich diese Untersuchungsmethoden in die
Praxis einbtirgern werden.
Bei N-Betention muß die Nahrungszufuhr beschränkt werden.
Bei der Chlor entziehungskur darf kein Salz zu den Speisen, auch
nicht zum Brot, zugefügt werden. Man kann aber den Patienten 1,5
bis 2 g Salz abgewogen, neben seiner Nahrung, pro Tag geben. Die
Entziehung ist sonst unschädlich, da die ungesalzene Nahrung an
sich schon genügend Salze für den Organismus enthält, Nephritiker,
welche während mehrerer Monate in einem solchen Gleichgewicht mit
nur 2 g Kochsalz pro Tag blieben, zeigten keine Störungen.
Auch der Nephritiker ohne Stauungen soll so wenig wie mög¬
lich gesalzene Nahrung zu sich nehmen, weil man nie wissen kann,
in welchem Moment der Genuß des Kochsalzes wieder schädlich wird.
H. St r auss-Berlin : Über Chlorentziehungskuren bei Nie¬
ren- und Her zwassersucht.
Der Vortr. führt aus, daß er schon vor Widal Chlorentziehungs¬
kuren zur Behandlung und Verhütung der Nierenwasser sucht gefor¬
dert und begründet habe. Er empfiehlt in solchen Fällen von paren¬
chymatöser Nephritis, in welchen der Torpor renalis hypochloruricus
nicht offenkundig ist, die Anwendung einer Probediät. Auch sei zu
berücksichtigen, daß neben der Historetention auch Seroretention ohne
Hydropsien als Vorstadium der letzteren vorkomme. Er fand mit
Maas, daß eine reichliche Kochsalzzufuhr die Flüssigkeitsaufnahme
ganz gewaltig steigert und von großem Einfluß auf die Hydropsie-
bildung ist. Die phosphorsauren und schwefelsauren Salze zeigen in
bezug auf die Betentionsfrage einen Unterschied gegenüber dem Koch-
680
Ehrmann und Fuld,
salz. Er fand, daß nach Kochsalzinjektionen beim Frosch die Epi-
thelien der Froschhaut wenigstens Kochsalz ansscheiden können.
In bezug auf Kochsalzretentionen seien Herz- und Nierenkranke
nicht ohne weiteres zu identifizieren. Nur bei sehr schweren kardialen
Kompensationsstörungen seien die Verhältnisse ähnlich.
Bickel-Berlin: Die Wirkungen der Mineralstoffe auf die
Drüsen des Verdauungsapparates.
Die Mineralien beeinflussen fast ausschließlich auf dem Wege
nervöser Reflexe die Verdauungsdrüsen, z. B. die Magendrüsen. Diese
Reflexe nennt der Vortragende ,,Mineralref lexe“. Sie gehen sowohl
von den sensiblen Organen der Magien- wie auch der Darmschleim¬
haut aus. Durch diese Reflexe kann die Sekretion gesteigert oder
herabgesetzt werden. Eine spezifische Beeinflussung der Qualität des
Sekretes findet nicht statt. Die Wirkung desselben Minerals auf die
gesunde und kranke Schleimhaut kann eine verschiedene sein. Ferner
spielt die Konzentration der Lösung und der Angriffspunkt der Wirkung
eine Rolle. Es gibt Mineralien, die bei ihrer Wirkung vom Magen
aus die Sekretion steigern, während sie vom Darme aus die Sekretion
des Magens herabsetzen. Bemerkenswert sind weiterhin die Beziehungen,
die zwischen chemischer Konstitution und Einfluß auf die Saftsekretion
bestehen, wie ferner die Tatsache, daß eine Änderung des physikalischen
Zustandes, z. B. die Überführung eines Metalls in sein Kolloid die
Wirkung auf die Sekretion ändern kann. Eine genaue Kenntnis der
Mineralwirkungen ist für die baineologische und medikamentöse Be¬
handlung der Sekretionsstörungen im Magendarmkanal von praktischer
Bedeutung.
B lum- Straßburg : Über die Rolle von Salzen bei Ent¬
stehung von Ödemen.
Große Mengen Natrium bicarbonicum machen, wie der Vortr.
fand, auch bei Gesunden Ödeme durch Wasserretention. Besonders!
bei schweren Diabetikern, die noch kein NaHC03 erhalten hatten.
Bisher wurde Natrium bicarbonicum bekanntlich gerade im Gegen¬
teil als Diuretikum angewandt.
Die Gewebe beim Diabetiker mit Acidosis retinieren wahrschein¬
lich das Salz infolge ihrer Salzarmut. Dafür spricht, daß auch bei ge¬
sunden Individuen, bei salzarmer Milchdiät, eine stärkere Salz- und da¬
mit Wasserretention vom Vortr. gefunden wurde, als bei normaler Kost.
Diesing - Berlin : Die Regulierung des Mineralstoff¬
wechsels.
Der Vortr. hat organische Mineralverbindungen der Drüsen mit
innerer Sekretion hergestellt und empfiehlt sie bei Stoffwechselano¬
malien.
2. Sitzung vom 19. April 1909, nachmittags.
Vorsitzender : Schul tze-Bonn.
W. Falta-Wien gemeinsam mit G. Bertelli-Padua, C. Bolaffio,
C. Rudinger und E. Te des ko -Wien: Über Beziehungen der in¬
neren Sekretion zum Salzstoffwechsel.
Vortragender gibt zuerst einen Überblick über die bisher ver¬
öffentlichten Mitteilungen, betreffend die Wechselwirkungen von
Thyreoidea, Pankreas, chromaffinem System und Epithelkörperchen,
ferner über neue Untersuchungen mit dem Pituitrin von Parke, Davis
& Co. (koktostabiler Bestandteil des Infundibularanteiles der Hypo-
26. Kongreß für innere Medizin zu Wiesbaden.
681
physe). Diese Untersuchungen, sowie bereits in der Literatur vor¬
liegende Angaben lassen in bezug auf Eiweiß-, Kohlehydrat- undEett-
stoffwechsel Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Drüsen mit
innerer Sekretion erkennen, welche gestatten, diese in zwei Gruppen
einzuteilen. Der einen Gruppe gehören an : Thyreoidea, chromaffines
System und Infundibularanteil der Hypophyse. Diese Gruppe, welche
innige Beziehungen zum sympathischen Abschnitt' des vegetativen
Nervensystems zeigt und daher als sympathische bezeichnet wird, hat
im allgemeinen einen stoffwechselerhöhenden Einfluß, d. h. sie stei¬
gert den Hungereiweißumsatz, befördert die Kohlehydratmobilisierung
und erzeugt bei stärkerer Wirkung Hyperglykämie, und, soweit Unter¬
suchungen vorliegen, steigert sie auch den Fettumsatz. Die Drüsen
der anderen Gruppe, Pankreas und Epithelkörperchen, die als auto¬
nome Drüsen bezeichnet werden, wirken normalerweise hemmend auf
die Stoffwechselvorgänge ein, d. h. sie schränken den Eiweißumsatz
ein, wirken der Hyperglykämie entgegen und schränken (soweit bis¬
her Untersuchungen vorliegen) auch den Fettumsatz ein. Derselbe Ant¬
agonismus zeigt sich auch in bezug auf den Salzstoffwechsel.
Die sympathischen Drüsen wirken steigernd auf den Salzstoff¬
wechsel ein. Diese Steigerung geht meistens Hand in Hand mit der
Eiweißeinschmelzung, kann aber auch, wie beim schilddrüsenlosen
Hund, in gewissem Umfange unabhängig vom Eiweißumsatz erfolgen.
Dabei wird bei der durch Schilddrüsensaft oder Hypophysin erzeugten
Steigerung der Überschuß an Salzen (z. B. Phosphor, Natrium, Kalium)
durch den Darm ausgeschieden, während nach Adrenalininjektion der
Überschuß nahezu ausschließlich durch die Nieren abfließt. Als
u. x
Grund hierfür ist ein spezifisches Verhalten dieser Hormone zu be¬
stimmten Abschnitten der sympathischen resp. autonomen Nerven an¬
zunehmen. Plingegen wirken die autonomen Drüsen hemmend auf den
Salzstoffwechsel, denn nach Exstirpation derselben tritt eine enorme
Steigerung der Salzausscheidung ein, und es ist interessant, daß hier
der Überschuß fast ausschließlich durch die Nerven abfließt. Einzelne
Faktoren des Salzstoffwechsels scheinen aber außerdem auch noch
durch die einzelnen Drüsen in ganz besonderer Weise beeinflußt zu
werden. So zeigt sich z. B., daß die durch Überfunktion der sym¬
pathischen Drüsen hervorgerufene Steigerung, der Hungersalzstof f-
wecbsel, die minimale Hungerchlorausscheidung unbeeinflußt läßt, wäh¬
rend bei der durch Ausfall der autonomen Drüsen bedingten Steige¬
rung eine enorme Ausscheidung von Chlor durch die Nieren zu be¬
obachten ist. Ein fernerer Antagonismus zeigt sich in den Unter¬
suchungen über die Beeinflussung der Eosinophilie und der galva¬
nischen Erregbarkeit durch diese Drüsen.
E. Beiss -Frankfurt : Kochsalzstoffwechsel und Wasser¬
gehalt des Blutserums.
Der Wassergehalt des Blutserums ist in sehr erheblicher Weise
von dem Wasser- und Salzstoffwechsel des Körpers abhängig. Da
gewöhnlich bei Petent ion von Salzen auch Wasser retiniert wird und
umgekehrt, so erfolgt in solchen Fällen eine Zunahme des Wasser¬
gehalts der Blutflüssigkeit, während ihr osmotischer Druck normal
bleibt. Anders bei Urämie, hier fehlt die Verdünnungsreaktion des
Körpers, der osmotische Druck des Blutes steigt und die Konzentration
der harn fähigen Substanzen wird allmählich eine so hohe, daß Ver¬
giftungserscheinungen auf treten. Wir können in solchen Fällen die
682
Ehrmann und Fuld,
letzte Ursache der urämischen Symptome in einer Störung der Kor¬
relation von Wasser- und Salzhaushalt erblicken.
van den V el den- Elberfeld : Zur Wirkung intravenöser Zu¬
fuhr hypertonischer Salzlösungen.
Die Injektion weniger (3 — 5) Kubikzentimeter hypertonischer
(5 — 10 proz.) Salzlösungen wirkt hämostatisch. Dieser Eingriff ist bei
Tieren und Menschen durchaus harmlos. Eine Leukozytenvermehrung
ist die einzige konstante morphologische Blutveränderung, welche er
nach sich zieht. Eine Konzentrationszunahme des Blutes ließ sich in
keinem Falle nach weisen, sondern allemal nur eine leichte reaktive Ver¬
dünnung, gemessen an dem einzig (konstanten Blutbestandteil, dem Hämo¬
globin (das von Beiß nach Ludwig zugrundegelegte Eiweiß z. B.
ändert sich durch Diffusion). Es tritt eine leichte hydrämische Plethora
auf durch Heranziehung des Gewebswassers. Damit stimmt überein,
daß Amboceptoren-, Antitrypsin- und Antipepsingehalt abnehmen.
Hingegen sieht man eine Verkürzung der Gerinnungsdauer während
mindestens einer Stunde auftreten, ähnlich, nur schwächer auch bei
großen Mengen isotonischer Lösungen. Wahrscheinlich liegt eine Ver¬
mehrung der Thrombokinase zugrunde ; dabei ist die Menge des sich
abscheidenden Fibrins vermindert. Das (zu erwartende) Auftreten von
Lieber war niemals zu konstatieren, ebensowenig dasjenige von Gly-
kosurie.
Diskussion.
Hein eke- München : Trotz scheinbar quantitativer Ausscheidung
zugeführter Salzmengen beim Gesunden steigt ohne ersichtlichen Grund
der Salzgehalt des Blutes, ebenso auch beim gesunden Tier, z. B. von
0,640 beim Kaninchen bis 0,7 °/0.
Mohr -Halle hat experimentell versucht, bei salzarmen Tieren
nach Erzeugung einer Nephritis (Urannephritis) durch Wasserzufuhr
Ödeme zu erzielen. Dies ist an Hunden viermal gelungen. Daher ist
bei der Behandlung von Wassersüchtigen nicht nur auf die Chlor-,
sondern auch auf die Wasserzufuhr zu achten, um so mehr, als die
Chlorentziehung nicht so harmlos ist, wie man sie hinstellt. Zwei
Hunde von 50—56 Pfd. sind bei kochsalzarmer, kalkreicher Kost ohne
pathologisch-anatomischen Befund gestorben. Bei diesem Begime findet
anfang's übereinstimmend mit Bunge’s Annahme stärkerer Kochsalz¬
verlust statt, aber nur ganz vorübergehend während der ersten Tage.
Daher Vorsicht bei der therapeutischen Kochs alzentziehung ! Fragen
wir : Ist denn das Kochsalz überhaupt schädlich ? das heißt, lassen
sich Nephritiden bei Infektionskrankheiten durch Einschränkung der
Kochsalzzufuhr verhüten, so scheint es, als ob diese Frage zu bejahen
sei. 12 Scharlachfälle wurden mit gewöhnlicher Milchkost behandelt,
10 andere mit salzarmer Fleischkost. In der ersten Gruppe trat sechsmal,
in der zweiten bloß zweimal Nephritis hinzu.
Lommel- Jena : Die nervöse „Phosphaturie“ ist nicht häufig;
eigentlich ist es eine Kalkariurie. Das klinische Verhalten dieser
Kranken schien auf eine Darmstörung als Ätiologie hinzuweisen. Doch
fand Bedner bei schwerem Katarrh, ja Amyloid das Verhältnis von
Kot- zu Harnkalk normal und die Kalkresorption ungestört. Auch im
Tierexperiment mit artefizieller Colitis und intravenöser Kalkinjektion
ergibt sich keine Verschiebung der Belation. Die Verteilung zwischen
Niere und Darm hängt nicht von einer Läsion des letzteren, sondern
26. Kongreß für innere Medizin zu Wiesbaden.
683
vielleicht von einer Störung im Zusammenspiel der Hormone ab, im
Sinne Falta’s.
Rothschild-Soden: Nicht nur die Bromwirkung bei Epilepsie,
auch die Jodwirkung bei Lues wird gesteigert durch Kochsalzentziehung.
Nur hypertonische Exsudate sind einer alimentären Beeinflussung
unzugänglich, nicht, wie Magnus-Le vy meint, alle.
Gerhardt-Basel: Trotz schneller Wiederherstellung der Nieren¬
permeabilität können noch nach Wochen die mikroskopischen Symptome
andauern. Wie sind solche Fälle zu beurteilen, welches Kriterium ist
das maßgebende ? Eine weitere Schwierigkeit für die Auffassung liegt
darin, daß subkutan injizierte Salzlösung sehr gut ausgeschieden wird,
obwohl das im Körper enthaltene Salz retiniert wird. Jones, unter¬
scheidet eine rote Granulaniere und eine sekundäre ; nur letztere ist
eine eigentliche Nierenkrankheit, die andere eine Gefäßkrankheit. Herz¬
hypertrophie machen entgegen den Angaben J.’s beide. Dagegen scheint
tatsächlich eine fundamentale Verschiedenheit im Salzausscheidungs¬
vermögen zu bestehen bezw. die unechte Schrumpfniere wird durch
Dechlorurierung gebessert.
Ist der präödematöse Zustand nach Widal als tiefes Ödem an¬
zusehen ? Es scheint fast so nach der Intoleranz solcher Kranker gegen
NaHC03.
Schott -Nauheim : Bohne hat schon im Jahre 1897 auf die Be¬
deutung des Chlornatriums hingewiesen. Es hängt aber viel ab von
der Form der Kochsalzzufuhr, von ihrer Dosierung sowie davon, ob
der Kranke Bewegung hat. Andererseits kann Appetitmangel, Gewichts¬
verlust, ja direkt Ödem durch Salzentziehung hervorgerufen werden.
Cardiaca und Diureticä sind nicht etwa bei Herz-Nierenaffektionen
beiseite zu lassen.
Falta-Wien: Josslin hat vor einem Jahre die gleiche Beob¬
achtung gemacht, wie Blum sie mitgeteilt hat. Auch die sog. Hafer¬
ödeme lassen sich oft durch Einschränkung des Bikarbonats hintanhalten.
Magnus-Levy-Berlin (Schlußwort): Gewichtszunahme der
schweren Diabetiker findet auch ohne Bikarbonatzufuhr statt ; sie
stellt eine Wiederherstellung des normalen Wassergehaltes dieser aus¬
getrockneten Patienten dar.
Bezüglich der kochsalzarmen Diät sind Daten zu sammeln ; un¬
erklärlicher Tod von Hunden findet sich im Laboratorium auch ohne
jede Änderung der Lebensweise.
Ivülbs-Kiel: Über die Herzgröße bei Tieren.
Das Herzgewicht von Schwein und Rind schwankt um 3—4%,
während die Zahlen beim freilebenden Tiere, dem Reh und der Gemse,
ziemlich konstant sind. Durch Arbeit bezw. Ruhe hat er beim Hunde
große Verschiedenheiten der Proportionalgewichte (erzeugen können,
ohne daß eine chemische Differenz sich hätte feststellen lassen.
Beim wilden Kaninchen ist das Herzgewicht 3,29, sinkt aber nach
Wochen der Ruhe auf 2,51, ähnlich wie beim Stallkaninchen. Gleich¬
zeitig nimmt das Gewicht der Skelettmuskeln zu. Die Schwankungen
bei dem Stallkaninchen um den Mittelwert sind dabei viel größer ge¬
worden, ebenso der innere Fettgehalt des Herzens. Kontrolltiere haben
gelbes, Arbeitstiere rotes Knochenmark.
F. Volhar d- Mannheim : Uber die Messung des diastolische, n
Druckes beim Menschen.
684
Ehrmann und Fuld,
Vortr. verwendet seit einigen Jahren ein transportables Queck¬
silbermanometer, das sehr gnt oszillatorische Messungen gestattet, wenn
während der Messung das druckerzeugende Gebläse abgeklemmt wird.
Als Minimaldruck hat V. den Punkt angenommen, bei welchem die
Quecksilbersäule, die bei höherem Manschettendruck erst große, dann
kleinere Oszillationen macht, bei weiterem Senken des Druckes plötzlich
in Ruhe verharrt oder nur noch ganz kleine Meniskusschwankungen
ausführt.
V. hat sich durch Messungen des systolischen und diastolischen
Druckes in der menschlichen Arterie mittels zweier Hg-Manometer
mit Maximum-Minimum ventil davon überzeugt, daß dieser Punkt auf¬
fallend genau dem Minimal druck in der Arterie entspricht.
Man kann sich, wie V. an einer Versuchs anordnung zeigt, an aus¬
geschnittenen Arterien, welche in ein mit einer Pipette verbundenes
T-Rohr eingebunden sind, gut davon überzeugen, daß die größten
Volumschwankungen bei Variationen des Innen druckes, nicht bei völlig
entspannter Arterie, also im Stadium des Minimaldruckes, sondern erst
dann auf treten, wenn der Außendruck den Innendruck übersteigt.
Langstein-Berlin: Diabetes und Glykosurie im Säug¬
lingsalter.
Nach einer Kritik der älteren Angaben über Zucker ausscheidung
beim Säugling und Hervorhebung der alimentären Galaktosurie erwähnt
Redner zwei von ihm beobachtete echte paroxysmale Traubenzucker¬
ausscheidungen, die eine bei Krämpfen auf Grund von Hydrocephalus
und eine ähnliche bei Anendephalie. Er berichtet sodann über einen
Säugling, der im ganzen 200 g Zucker pro die erhalten hatte, ohne
schwerere Darmerscheinungen zu zeigen. Erst sein Durst und die
Steifheit der Windeln veranlaßte zur ärztlichen Untersuchung, und
es ergab sich ein Diabetes mellitus. Dabei bestand schwere Acidosis.
Nachdem durch zuckerfreie Ernährung der Urin zuckerfrei geworden
war, erhielt das Kind zwei Tage lang hintereinander je einen Liter
Hafersuppe durch die Sonde. Die Toleranz stieg nun auf 400 g Milch ;
auf 500 g wurden 0,6 °/0 ausgeschieden. Die therapeutische Bedeutung
der Hafermehlkur erhellt aus dieser Beobachtung aufs neue. Diese
ist für die Kinderheilkunde von besonderem Interesse, da die Erfahrung
die Notwendigkeit eines zweiten Kohlehydrates gezeigt hatte, wenn
eine Intoleranz gegen Eett eine Erhöhung des täglichen Milchzucker¬
quantums erheischt.
Kir chheim - Köln : Über das Verschwinden der Leber¬
dämpfung bei abdominalen Erkrankungen.
Das Verschwinden der Leberdämpfung im Endstadium der Peri¬
tonitis betrifft das ganze Organ und kann durch dessen Kantenstellung
erklärt werden. Diese Erklärung ist unzutreffend im Anfangsstadium
der Entzündung, für welches dieses Symptom von Sprengel hervor¬
gehoben wurde. Hier findet man um so mehr von der Dämpfungs-
figur erhalten, je mehr man sich dem lateralen Thoraxrand nähert.
Im Endstadium der Peritonitis zeigt das Röntgenbild einen Hoch¬
stand des Zwerchfells, umgekehrt im Anfangsstadium. Allerdings sind
seine Exkursionen auch hier eingeschränkt. Eine Kantenstellung
durch Darmaufblähung herbeizuführen, gelingt nicht, wohl aber fin¬
det sich diese autoptisch bei Peritonitis. Bläht man jedoch die Leiche
gleichzeitig durch die Trachea und den Darm auf, so reproduziert
man das Bild des ungleichmäßigen Verschwindens der Dämpfung.
26. Kongreß für innere Medizin zu Wiesbaden.
685
Fixiert man das Organ durch eingestoßene Nadeln und eröffnet das
Abdomen, so findet man, daß der bewegliche Abschnitt des Kolons
sich zwischen Leber und Bauchwand geschoben hat. Das gemeinsame
Moment in beiden Fällen bildet die Erweiterung der unteren Thorax¬
apertur, hier durch passive Dehnung, im Initialstadium der Peri¬
tonitis durch aktive Muskelspannung, eine Art Defense des Zwerch¬
fells, herbeigeführt.
Meinertz-Rostock : Etwas über Druck und Strömung ifn
den Venen.
Der Kollaps der Hautvenen der Hand in bestimmtem Niveau
(Venen phänomen) ist nicht vom Vorhofdruck allein abhängig. Es
muß, wie auch Frey es tut, Blutfüllung und Gesamtquerschnitt der
Venen bahn zur Erklärung herangezogen werden. Von Bedeutung ist
dabei der Scheitelpunkt der Bahn in der Höhe der Vena subclavia,
auf den v. Recklinghausen, aufmerksam gemacht hat. Die Haut¬
venen kollabieren, wenn bei erhobener Extremität die Vis a tergo
infolge der abnehmenden Schwerkraftwirkung der Blutsäule genügt,
in der Zeiteinheit die der zugeführten gleiche Blutmenge ohne Zu¬
hilfenahme der oberflächlichen Bahnen zum Scheitelpunkt emporzu¬
führen. Infolgedessen tritt das Venenphänomen im Liegen, wo der
Scheitelpunkt nicht höher liegt als der Vorhof, in einem im Ver¬
hältnis zum Vorhof tieferen Niveau ein als im Sitzen.
Trotzdem ist das Venenphänomen auch nicht als Maß für die
Durchblutung der Extremität anzusehen, wie Versuche, bei denen die
Durchblutung auf verschiedene Weise gesteigert wurde, zeigten. Offen¬
bar ändert sich auch bei stärkerer Durchblutung meist nicht das
Verhältnis zwischen Venenquerschnitt und Gesamtblutmenge. In eini¬
gen Fällen, besonders solchen mit Zirkulationsstörungen, sind aller¬
dings besondere Abweichungen in der Reaktion der peripherischen
Gefäße vorhanden.
Soetbe er -Giessen : Urämbegif t.
Dies ist nicht im Harn, sondern diesseits der Niere zu suchen;
selbst dafür, daß es im Blut sich findet, wie man annahm, ist kein
Beweis vorhanden. Daher hat Redner auch den abiureten Stickstoff
des Hirns, der Leber und der Muskeln herangezogen. Nephrektomierte,
im Gegensatz zu Hungerhunden, lassen im Gehirn und den Muskeln
eine erhebliche Zunahme dieser Fraktion nach Fleischfütterung er¬
kennen, während sie in der Norm nur in Leber und Blut nachweisbar
sind. Vielleicht genügen diese Anhäufungen von ca. 40°/0 schon zur
Her vorruf ung urämischer Erscheinungen an Hirn und Muskel - — in¬
dessen mögen auch ganz andersartige Stoffe gebildet sein, als in der
Norm; 80°/0 dieser Körper im Blut sind Harnstoff — aber die anderen
20 °/0 sind wegen der Schwierigkeit der Materialbeschaffung noch un¬
bekannt. Erst Versuche des Redners an Pferden eröffnen die Hoff¬
nung, genügende Quantitäten zur Analyse zu erhalten.
Um durch vikariierende Sekretion das Gift in reinerem Zustand
zu erhalten, wurden ferner an Speichelfisteltieren Analysen des nach
Pilokarpininjektion sich ergießenden Speichels ausgeführt; der Fil¬
tratstickstoff steigt nach Nephrektomie um das zehnfache. Da aber
der Gehalt nicht den des Blutes übersteigt, so kann man eine vikari¬
ierende Sekretion nicht statuieren. Nephrektomierte Tiere zeigen nicht
die bekannte, intermittierende, sondern eine kontinuierliche Sekretion
von normalem Magensaft, Der Filtratstickstoff verdoppelt sich dabei
686
L. Lichtwitz,
und das Ammoniak verachtfacht sich sogar, doch sind die absoluten
Werte klein (32 mg pro 100 ccm).
In der isolierten Darmschlinge findet man nach Pilokarpin¬
injektion analoge Sekretionsverhältnisse, daneben aber eine starke Ent¬
zündung, sei es durch das Eklampsiegift, sei es durch das angewen¬
dete Pilokarpin.
Die chemische Entlastung durch vikariierende Sekretion ist in
ihrem Betrage außerordentlich überschätzt worden und die ableitenden
Encheiresen entfalten ihre therapeutischen Wirkungen eher durch die
Verbesserung der Zirkulationsverhältnisse der Nieren.
Diskussion.
Um her -Altona: Bei Sublimatvergiftung findet man achttägige
Anurien. Bei der Blutuntersuchung solcher Patienten stellte Redner
starke N-Retention im Blute ohne jede urämische Erscheinung fest;
der Gefrierpunkt aber war normal. (Fortsetzung folgt.)
Aus der medizinischen Klinik in Göttingen. Direktor: Prof. C. Hirsch.
Lieber Fieber und Fieberbehandlung.
Von Privatdozent Dr. L. Lichtwitz, Assistent der Klinik.
(Schluß.)
Wenn wir uns nun zu der zweiten Komponente der Wärme-
konstanz, der W ärmeabgahe, wenden, so werden wir positivere Er¬
gebnisse bereits aus der klinischen Beobachtung gewinnen. Bei einigen
Krankheiten sehen wir im Beginn, bei anderen auch im weiteren V er¬
lauf eine Erscheinung auf treten, die von jeher das Interesse der Arzte
erregt hat, den Schüttelfrost. Dieser schien den alten Ärzten mit
der beim Eieber sonst beobachteten Temperatursteigerung so unverein¬
bar zu sein, daß Boerhaave dadurch bewogen wurde, nicht die erhöhte
Temperatur, sondern die gesteigerte Pulsfrequenz als pathognomonisches
Fiebersymptom zu bezeichnen. Als aber de Haen im Jahre 1760 als
erster im Eroststadium eine Innentemperatur von 40° C fand, wurde
es unzweideutig, daß der Schüttelfrost und die Temperatursteigerung
zum Eie her zustand gehören.
Dieser anscheinend so widerspruchsvolle Symptomenkomplex des
Schüttelfrostes kommt dann zustande, wenn im Beginn der Infektion
durch eine zentrale Reizung die Hautgefäße kontrahiert werden, die
Haut schlechter durchblutet und blaß wird. Dieses Verhalten der
Haut empfindet die Mehrzahl der Individuen als Kälte.
Der Organismus verhält sich dann wie ein Körper, dem durch
ein kühles Bad Wärme entzogen wird. Es steigen die Zer¬
setzungen, und auch bei dieser Steigerung des Stoffwechsels muß, da,
wie bereits erwähnt, immer nur Arbeit und Wärme gebildet werden
kann, eine vermehrte Arbeit resultieren, die wir bei dem Bilde des
Schüttelfrostes in Muskelkontraktionen (Zittern und Zähnekiappern)
in die Erscheinung treten sehen. Durch diese Reaktion des Organismus
wird nun ein circulus vitiosus geschaffen, da bei andauernder Ver¬
minderung der Wärmeabgabe 'eine vermehrte Produktion durch die
erhöhte Temperatur, die Eieberursache, und die bei den Muskelkon¬
traktionen gebildete Wärme erfolgt.
Dieses Stadium des Schüttelfrostes dauert so lange, bis die Kon¬
traktion der Hautgefäße nachläßt, die Haut rot und warm wird und
die W ärmeabgabe steigt.
Ueber Fieber und Fieberbehandlung.
687
Auf der Höhe des Fiebers bleibt die Wärmeabgabe stets hinter
der Wärmeproduktion zurück. Es wäre aber falsch, zu sagen, daß
der Fieberkranke die Fähigkeit der physikalischen Wärmeregulation
gänzlich eingebüßt hat. Wir sehen, daß der Fiebernde leicht friert
und durch ein kühles Bad leichter abzukühlen ist, als der normale.
Die Temperatur Fieberkranker ist also gegen äußere Einwirkungen
labiler. Wir beobachten aber, daß die erhöhte Temperatur weder durch
x4bkühlungen, noch durch Fiebermittel für längere Zeit zu erniedrigen
ist, sondern daß die Eigenwärme stets wieder steigt. Von dem Nor¬
malen unterscheidet sich also der Fiebernde nicht prinzipiell, sondern
nur dadurch, daß die Reaktion gegen die Abkühlung verspätet, tor¬
pide ein tritt. Die Wärmeregulation ist also im Fieber erhalten, aber
nicht so leistungsfähig. Sie funktioniert träge um ein höher einge¬
stelltes Niveau der- Temperatur (Lieb er meist er).
Diese Störungen in der Wärmeabgabe, die ihren Grund in einer
Reizung entsprechender Orte des Zentralnervensystems hat, über¬
dauert in vielen Fällen das Fieber und tritt noch in der Rekonvaleszenz
in die Erscheinung. So beobachten wir, speziell nach Typhus, daß
zu reichliche Nahrungsaufnahme, Erregungen und Muskelbewegungen
bei diesen Individuen Temperatursteigerungen hervorrufen, als An¬
zeichen, daß die Wärmeabgabe dieser geringen Mehrproduktion noch
nicht gewachsen ist.
Wenn wir nach diesen Darlegungen den Störungen der physika¬
lischen Regulation an dem Zustandekommen der Temperatursteigerung
eine größere Rolle zumessen, als der Wärmeproduktion, so war für
diese geringe Einschätzung der Produktion der Umstand bestimmend,
daß eben Fieber auch ohne eine vermehrte Gesamtoxydation und so¬
gar bei einer Verminderung derselben eintreten kann. Es ist aber frag¬
lich, ob es erlaubt ist, die Größe der Oxydationen mit der gebildeten
Wärmemenge ohne weiteres zu identifizieren.
Wir wissen, daß im Körper ebenso wie bei einer Kraftmaschine
Brennmaterial in Arbeit und Wärme verwandelt wird, und wir be¬
zeichnen den Prozentsatz des Brennwertes, der als Arbeit erscheint,
als den Nutzeffekt der Maschine.
Bestimmungen des Nutzeffekts für den Menschen haben bei ver¬
schiedenen Individuen verschiedene Werte (13,3 — 16,2 — 19,6 °/0) er¬
geben (Atwater). Es ist nun klar, daß bei gleichbleibender Verbren¬
nung um so mehr Wärme gebildet wird, je geringer der Nutzeffekt ist.
Untersuchungen über den Nutzeffekt im Fieber gibt es nicht
und wird es auch bis auf weiteres nicht geben, da die Schwierigkeiten
der Untersuchung kaum zu bewältigen sind. Immerhin sehen wir,
daß im Infektionsfieber die Arbeitsfähigkeit des Organismus außer¬
ordentlich sinkt, daß eine leichte Ermüdbarkeit der Skelettmuskulatur
und ein Nachlassen des Tonus der Gefäß- und Darmmuskulatur eintritt.
Wenn also die Möglichkeit, hier auch bei Gleichbleiben der Ge¬
samtoxydationen noch eine Wärmequelle zu finden, besteht, so kommt
doch zweifellos die größte Bedeutung den Störungen der Wärme¬
abgabe zu.
Das Verhalten des Stoffwechsels ist im IUeber nicht nur von
Interesse für die Erklärung der Temperatursteigerung, sondern vor
allem bedeutungsvoll für das Schicksal des Fieberkranken. Wenn
in einem langdauernden Fieber durch die erwähnten Faktoren
eine fortschreitende Konsumption des Körpers und besonders des Ei-
68S
L. Lichtwitz,
Weißbestandes einträte, so würden die Infektionskrankheiten in einem
viel höheren Prozentsatz letal verlaufen, als es wirklich der Fall ist.
Wir sehen aber, daß hier eine Selbsthilfe des Organismus einsetzt,
daß im Verlauf eines längeren Fiebers Eiweißumsatz und Oxydationen
außerordentlich niedrig werden und daß sich die Patienten mit einer
Kost, die nur 23 — 25 Kal. pro kg Körpergewicht enthält, im Gleich¬
gewicht halten können.
Daß trotzdem so häufig infektiöse Prozesse letal verlaufen, hat
seinen Grund darin, daß außer den lokalen Prozessen das Fieber und
die Infektion zu einer schweren Schädigung lebenswichtiger Organe
führen, von denen in diesem Zusammenhänge nur die besprochen werden
sollen, die zu einer Veränderung der Temperatur Beziehungen haben.
So sehen wir, insbesondere beim Gelenkrheumatismus, in seltenen Fäl¬
len ganz exzessive Temperatursteigerungen auf treten, die als solche
das Lehen bedrohen. Diese Hyperthermien gehen mit zerebralen Er¬
scheinungen, Benommenheit und Delirien, einher und sind wohl durch
die Wirkung von Toxinen auf das Zentralnervensystem zu erklären.
Daß eine solche Giftbindung im Gehirn außerordentlich hohes
Fieber bedingen kann, sehen wir beim Tetanus, bei dem die hohen
Temperaturen nicht allein durch die Krampfzustände erklärt werden
können und dessen Giftstoffe ja eine besondere Affinität zu der Nerven-
substanz haben.
Im Gegensatz zu diesen Hyperthermien sehen wir im Verlaufe
der Infektionskrankheiten nicht selten ein bedrohliches Sinken der
Temperatur auf treten, einen Kollaps, dessen Nähe sich dem Kundigen
bereits durch ein Nachlassen der Spannung der Gefäßwand, das Weich¬
werden und die Dikrotie des Pulses bemerkbar macht. Wenn wir paral¬
lelgehend mit dieser verminderten Spannung der Gefäßmuskulatur
beim Unterleibstyphus sowohl wie bei der Pneumonie einen zunehmen¬
den Meteorismus des Magens und des Darmes beobachten, so werden
wir den Grund dieser Tonusabnahme in der diesen Gebilden gemein¬
schaftlichen Innervation zu suchen haben, die von dem sympathischen
Nervensystem besorgt wird. Das Eintreten des Kollapses hängt von
zwei Bedingungen ab, einmal der Konstitution des Individuums, für
die uns eine präzise Definition fehlt, dann aber von der Menge des
toxischen Stoffes.
Erfahrungen am Tier und am Krankenbett, besonders auch bei
Tuberkulininjektionen, haben gezeigt, daß derselbe Stoff in geringer
Menge Temperaturerhöhung, in größerer Sinken der Temperatur und
Kollaps erzeugen kann. Bömberg und Paß ler haben gezeigt, daß
der Kollaps auf einer Lähmung der Vasomotoren und einer Gefä߬
erweiterung, besonders im Gebiet des Splanchikus, beruht. Bei diesem
Verbluten in die Bauchhöhle sinkt der Blutdruck. Mit der mangel¬
haften Blutversorgung der Muskulatur nehmen Verbrennungsprozesse
und Wärmebildung ab, und die Körpertemperatur fällt.
Daß der Blutdruck und die gute Blut Versorgung an der Höhe
der Temperatur beteiligt sind-, sehen wir an den dem Kollaps verwandten
Temperaturstürzen, die bei schweren Blutungen im Fieber, z. B. der
Darmblutung eines Typhuskranken, aiif treten. Die ominöse Kreuzung
der Puls- und Temperaturkurve läßt uns, wenn wir einen peritonealen
Chok nach Perforation eines Darmgeschwürs ausschließen können, fast
mit Sicherheit blutige Entleerungen erwarten.
Ueber Fieber und Fieberbehandlung.
689
Die Frage, ob die Temperatursteigerung bei der Infektion schäd¬
lich, gleichgültig oder nützlich ist, hat von jeher die Geister bewegt.
Die Anschauungen hierüber haben häufig gewechselt. Während Lieber¬
meister hohes Fieber für unbedingt lebensgefährlich hielt, haben
andere die Auffassung vertreten, daß das Fieber „durch Feuer reinige' \
In neuester Zeit, wo man zu teleologischer Betrachtungsweise
und einem erhöhten Respekt vor der Zweckmäßigkeit der Natur zurück¬
gekehrt ist, hat man versucht, diese günstige Einwirkung der Tem¬
peratursteigerung auf die Infektion auch experimentell zu begründen.
Daß im erwärmten Organismus Mikroorganismen leichter zugrunde
gehen, hat sich ebensowenig exakt bestätigen lassen, wie die Annahme
Wassermanns, daß die Produktion der Schutzstoffe stets mit Fieber
einhergehe. Es zeigte sich, daß künstliche Herabsetzung der Tem¬
peratur durch Antipyretika beim Kaninchen die Immunitätsreaktion
nicht wesentlich störte, und zweifellos gibt es auch beim Menschen
Antikörperbildung, die ohne Fieber erfolgt (chron. Bachendiphtheroid).
Wenn also auch ein positiver Nachweis noch nicht erbracht ist,
so ist doch hier weitere Arbeit notwendig, weil die Beantwortung dieser
Frage von der größten Bedeutung für unser therapeutisches Verhalten ist.
Die Behandlung Fiebernder hat im Laufe der Zeiten die größten
Schwankungen durchgemacht, im gleichen Sinne mit der Auffassung,
die man über das Wesen des Fiebers hatte. Die Zeiten, in denen man
versuchte, dem Fieber das Brennmaterial zu entziehen, es auszuhungern,
sind durch die Einsicht hervorragender englischer Ärzte, vor allem
Graves und Murchison, vorüber. Wir nähren das Fieber und legen
der diätetischen Behandlung eine um so. größere Bedeutung bei, je mehr,
wie besonders beim Typhus, der Verdauungstraktus der Sitz der Er¬
krankung ist.
Die lange Zeit gültige Auffassung, daß das Fieber eine Krank¬
heit an sich sei und daß die hohe Temperatur das Leben bedrohe,
mußte dazu führen, die hohe Temperatur durch forcierte Abkühlung
zu bekämpfen.
Die Kaltwasserbehandlung, die von dem Liverpooler Arzt James
Currie zuerst beim Typhus systematisch angewandt wurde, hat lange
Zeit hoch im Werte gestanden, besonders seitdem durch Ziems sen
die brüske Anwendung kalten Wassers einem schonenderen und mil¬
deren Verfahren gewichen war. Die Einführung des Chinins, die Syn¬
these der Salizylsäure und die Hochflut der Fiebermittelfabrikation
haben der chemischen Antipyrese zu größerem Aufschwung verholfen.
In neuerer Zeit erst ist man zu einem exspektativen Verhalten
gekommen. Die Frage, ob wir das Fieber überhaupt behandeln sollen,
verneinen wir keineswegs nach rein teleologischen Gesichtspunkten.
So sehr wir bewundernd der Natur eine große Heilkraft zu¬
erkennen, so sind doch nicht alle Beaktionen im kranken Organismus
unbedingt zweckmäßige, wie auch aus dem Auftreten der Hyperthermie
hervorgeht. Wir werden uns also bei der Behandlung des Fiebers
ebensowenig für eine prinzipielle Antipyrese entscheiden, wie für ein
bedingungsloses laisser aller. Wir werden, von der Auffassung aus¬
gehend, daß das Fieber als Beaktion heilsame Wirkungen haben kann,
so lange die Temperatur ungestört lassen, als ihre Höhe oder ihre
Dauer keine wesentlichen Störungen macht. Treten aber derartige
Störungen auf, werden die Patienten benommen, wird die Atmung
oberflächlicher, leidet die Nahrungsaufnahme, so wt erden wir eine
44
690
Vorläufige Mitteilungen und Autoreferate.
milde Antipyrese anwenden. Wir werden uns hierbei der Fiebermittel
nur dann bedienen, wenn mit ihrem Gebrauch eine spezifische Wirkung
auf die Krankheitsursache verbunden ist, also des Chinins bei der Ma¬
laria und der Salizylsäure bei dem Gelenkrheumatismus. In den übrigen
Fällen bevorzugen wir, wenn nicht Gegenindikationen vorliegen, wie
sie z. B. eine Darmblutung beim Typhus darstellt, milde Wasser¬
prozeduren, Abreibungen, Abklatschungen oder Bäder, deren Tempe¬
ratur allmählich, aber nicht hochgradig herabzusetzen ist. Eine
Hyperthermie bekämpfen wir mit energischen Mitteln, und gegen den
Kollaps gehen wir mit Digitalis, Kampfer und Koffein, mit Wärme¬
zufuhr von innen und außen vor. Das Prinzip der Behandlung ergibt
sich aus den Resultaten der klinischen und experimentellen Arbeit,
im Einzelfall entscheidet die ärztliche Kunst.
Vorläufige Mitteilungen u. Autoreferate.
Ein künstlicher Extrakt zur Anstellung der Luesreaktion.
Von Dr. W. Schürmann. (Med. Klinik, Nr. 17, 1909.)
Die bei der Wasser mann’ sehen Luesreaktion wirksamen Stoffe
der Organextrakte sind in Alkohol löslich ; so kam denn der Wunsch
auf, künstliche, konstant bleibende Extrakte als Antigen zu verwenden.
Es wurden von mir Extrakte hergestellt, die neben Lezithin, natrium
glycerinum phosphoricum noch das vanadinsaure Ammonium enthielten,
ein Stoff, der katalysatorische Wirkung hervorrufen soll.
Zunächst wurde folgende Extraktzusammensetzung verwandt:
Lezithin 0,3 g ) hiervon werden 20,0 g genommen
Natr. glyc. phosph. 0,8 g > und 30,0 g 1 °/0 Vanadins. Ammon.
Alcoliol 50,0 g J hinzugefügt.
Dieses Extrakt zeigt nur hemmende Eigenschaften in Gemeinschaft
mit dem Syphilisserum.
Die vor einiger Zeitbekannt gewordene Tatsache, Meerschweinchen¬
herzen zu extrahieren und als künstliches Extrakt zu benutzen, regte
in mir den Gedanken an, daß (vielleicht die Fleischmilchsäure resp. Milch¬
säure das wirkende Agens sei. Die folgenden Extrakte enthielten daher
Milchsäure in der Verdünnung 1:10000. Am besten und geeignetsten
erwies sich folgendes Extrakt :
Lezithin 0,3 g : 50 ccm Alcohol
Natr. glyc. phosph. 0,3 in 5 ccm 0,75 °/0 Na-Cl-Lösung gelöst.
Von dieser Mischung wurden 30,0 genommen und hinzugesetzt:
Acid. lact. 1 : 10000 5,0 g
1 % Vanadins. Ammon. 10,0 g.
Dieses Extrakt erwies sich in der Verdünnung 1:10 zur Anstel¬
lung der Reaktion geeignet. Läßt man das vanadinsaure Ammonium
fort, so erfüllt zwar das Extrakt noch die Vorbedingungen, d. h. es
wirkt weder antikomplementär noch hämolytisch, aber es gibt keine
spezifische Unterscheidung zwischen normalen und syphilitischen Sera.
_ Autoreferat.
Luesnachweis durch Farbenreaktion.
Von Dr. W. Schürmann. (Deutsche med. Wochenschr., Nr. 14, 1909.)
Die ideale Methode von W assermann zur Luesdiagnose bietet für
den praktischen Arzt in der Ausführung manche Schwierigkeiten. Es
lag deshalb der Gedanke nahe, eine Vereinfachung herbeizuführen. Auf
Referate und Besprechungen.
691
Grund der Überlegung kam Verfasser zu dem Schlüsse, daß; eine Far ben -
reaktion sich als das einfachste Diagnostikum verwerten ließe ; und
da man Extrakt von Herzmuskeln von Meerschweinchen verwandte,
glaubte er, daß die Milchsäure vielleicht eine Rolle bei der Ausführung
der syphilitischen Luesreaktion spielen dürfte. Das Uf Lelm, an n’ sehe'
Reagens an sich zu dem verdünnten Blutserum gesetzt, ergab kein be¬
friedigendes Resultat. Erst der Zusatz Perhydrol zu den verdünnten
Sera und nachfolgendes Zugeben 0,5 ccm des Reagens, welches folgende
Zusammensetzung hatte: Phenol 0,5 ccm, Aqu. dest. 34,5 ccm, 5°/0iges
Eisenchlorid 0,62 ccm, ergab einen starken, schwarzbraunen, stumpfen
Ton im syphilitischen Serum, eine Hellgrünfärbung resp. auch Hellbraun¬
färbung von klarem Durchsehen im normalen Serum. Die Reaktion
spielt sich im Verlauf von 1 — 2 Minuten ab.
39 nach Wassermann positiv befundene Sera ergaben auch hier
einen positiven Ausschlag. Zwei Scharlachsera waren negativ, ebenso
Hammelsera, Kaninchen- und Meerschweinchensera. Fortgesetzte Unter¬
suchungen werden hoffentlich zu weiterer Bestätigung und Einführung
der Methode beitragen. Autoreferat.
Ueber einen Fall von Rhinophyma.
Von Richard Hoffmann.
(Gesellschaft für Natur- und Heilkunde in Dresden. 8. April 1909.)
Der Vortragende bespricht die Pathologie und Therapie des Rhino¬
phyma, kritisiert die einzelnen Operationsmethoden und berichtet über
einen selbst beobachteten Fall, dessen Operation nach der Methode von
Braun vorgenommen wurde (Querschnitt über die Nasenspitze, von
einem Nasenflügel zum andern mit subkutaner Exstirpation der hyper¬
trophischen Massen und primärer Naht). Günstiges kosmetisches Re¬
sultat. Ob Rezidive eintreten werden, bleibt bei der kurzen Beobach¬
tungszeit abzuwarten. _ Autoreferat.
lieber einen Fall von Höckernase.
Von Richard Hoffmann.
(Gesellschaft für Natur- und Heilkunde in Dresden. 3. April 1909.)
Der Vortragende referiert über die verschiedenen Methoden, welche
zur Korrektion äußerer Formfehler der Nase geübt werden und demon¬
striert an Bildern einen Fall von Höckernase mit sehr günstigem kos¬
metischen Resultat nach der Operation. Dieselbe wurde von außen
vorgenommen. Die Narbe ist unsichtbar. Autoreferat.
Referate und Besprechungen.
Allgemeine Pathologie und pathologische Anatomie.
Die Beziehungen der Konstitution zu örtlichen Leiden.
(Sir W. H. Ben net. The Practitioner, Nr. 2, 1909.)
Bericht über einige erheiternde Fehldiagnosen, die entweder darauf
beruhten, daß vor lauter Anamnese und unter dem Eindruck einer konstitu¬
tionellen Erkrankung der örtliche Befund vernachlässigt oder daß der Labora¬
toriumsbefund einseitig als maßgebend angenommen wurde. B. beklagt, daß
die Diagnostik sich mehr und mehr auf das Laboratorium stützt (Rosen-
bach’s Diagnose in absentia) und daß die Kliniker vor 30 Jahren bessere
Diagnose stellten als heute. Wenn der Laboratoriumsbefund nicht durch die
klinische Beobachtung kontrolliert und ihre Wichtigkeit gegeneinander ab-
44*
692
Referate und Besprechungen.
wogen wird, so kann der erstere ebenso leicht irreführen, als behilflich sein.
Zum Beweis erzählt er Krankheitsfälle, bei deren Trägern Gonokokken im
Urin gefunden, bezw. Syphilis und Typhus serodiagnostisch nachgewiesen
wurden, lange, nachdem diese Krankheiten aufgehört hatten, irgend welche
Symptome zu machen ; die Laboratoriumsdiagnose beeinflußte die Diagnose
akzidenteller örtlicher Krankheiten, die mit jenen Zuständen gar nichts zu tun
hatten, in der Weise, daß sie falsch wurde. , Ferner berichtet er über einen
beginnenden Kniefungus, bei dessen Trägerin alle Tuberkuloseproben negativ
ausfielen, der sich aber dadurch in der Entwicklung nicht hindern ließ (B. er¬
klärt alle Reaktionen auf Tuberkulose für unzuverlässig). Dies bewährte
sich auch bei einem kerngesunden Mädchen, das wegen Schmerzen im Bein
der C almette’schen und anderen Reaktionen auf Tuberkulose unterworfen
wurde. Dieselben fielen positiv aus, das Leiden aber entpuppte sich, als man
den Schaden näher besah, als ein Plattfuß gewöhnlichster Sorte.
_ F. von den Yelden.
Zur Pathologie und Therapie der tumorbildenden stenosierenden
lleocöcaltuberkulose.
(Shiota, Tokio. Archiv für klin. Chir., Bd. 87, H. 4.)
Die im Ileocöcum lokalisierte, sich in Form eines Tumors darstellende
stenosierende Tuberkulose ist nicht sehr selten. Pathologisch-anotomisch ist
der Prozeß durch die Kombination von Bindegewebsneubildung mit Tuber¬
kulose und langsam fortschreitenden, zugleich vernarbenden tuberkulösen Ge¬
schwüren bedingt (hyperplastische narbige lleocöcaltuberkulose). Die Infek¬
tion kann von der Schleimhautseite primär und sekundär erfolgen. Ob
auch eine hämatogene Infektion stattfinden kann, ist noch nicht erwiesen,
ebensowenig wie eine Infektion von den Mesenterialdrüsen aus. Die Be¬
handlung soll eine chirurgische sein und zwar möglichst frühzeitig. (Resek¬
tion — Enteroanastomose — anus praeternaturalis). Die Wahl unter den
Operationen kann erst nach Eröffnung des Abdomens getroffen werden. Die
Laparotomie ist auch schon aus diagnostischen Gründen indiziert.
_ H. Stettiner (Berlin).
Ueber Narbenkarzinome.
(Aloys Eckermann. Wiener klin. Rundschau, Nr. 39 u. 40, 1908.)
Fünf Fälle von typischen Narbenkarzinomen aus der Tr endelen burg-
schen Klinik. Drei der Patienten hatten sich die Narben, aus welchen sich
später die Neubildung entwickelte, in früher Jugend zugezogen — Frost¬
gangrän im neunten und Verbrennung im sechsten bezw. dritten Lebensjahre.
Bei zwei Fällen handelte es sich um Lupuskarzinom. Weder die Anschauung
von der parasitären Natur des Krebses, noch auch die Cohnheim’sche Hypo¬
these von der Entstehung der Karzinome aus kongenitalen Geschwulstkeimen,
findet an den Fällen von Narbenkarzinomen eine Stütze. Steyerthal-Kleinen.
Ein Fall von angeborenen Fibromen am Finger nebst Beiträgen zur Kasuistik
der Fingertumoren.
(Alfred Frank. Wiener klin. Rundschau, Nr. 42 — 45, 1908.)
Neubildungen der Finger sind selten, insbesondere gehören die reinen
Fibrome der Finger zu den Raritäten. Verf. teilt einen solchen Fall
mit, der um so interessanter ist, als es sich um angeborene Fibrome
handelt. Die Tumoren saßen an den Endphalangen des vierten und fünften
Fingers bei einem neugeborenen Kinde, vom vierten Monat an begannen sie
langsam aber beständig zu wachsfen und wurden, als sie die Größe zweier
Erbsen erreicht hatten, exstirpiert. Die mikroskopische Untersuchung ergab
eine fibröse, papillär gebaute, subepitheliale Geschwulst. — Verf.
gibt dann noch eine umfassende Übersicht über die Theorie dieser Tumoren
mit zahlreichen kasuistischen Mitteilungen aus der Literatur. Steyerthal-Kleinen.
Referate nncl Besprechungen.
693
Bakteriologie und Serologie.
lieber die Immunisierung des gesunden Menschen mit Koch’schen Tuberkulin.
(Prof. E. Bertareil i. Zentralbl. für Bakt., Bd. 48, H. 3.)
Verf. nahm, da in seiner Familie Gefahr einer tuberkulösen Infektion
bestand, an sich eine Schutzbehandlung mit Tuberkulin vor. Er ging von
der Ansicht aus, den Organismus gegen die tuberkulinischen Intoxikationen
widerstandsfähiger zu machen und glaubte an ein Ausbleiben wenigstens
einiger Allgemeinerscheinungen, die die Tuberkulose begleiten, z. B. des
Fiebers. Er begann mit den Einspritzungen mit geringen Dosen (5/i00o mg)
und stieg bis auf 1,25 ecm. Im ganzen machte er 72 Injektionen, die nie
Störungen des Allgemeinbefindens verursachten.
Hat nun eine derartige Behandlung beim gesunden Menschen eine Wirk¬
samkeit ? Er kommt zu den Schlüssen, daß eine fortgesetzte Behandlung
mit graduellen Einspritzungen von altem Kpe'h’ sehen Tuberkulin nicht das
Auftreten von Agglutininen für den Ko dh’ sichen Bazillus bedingt, daß eine
bakterizide Wirkung des Serums von mit Tuberkulin Behandelten die des
normalen Serums nicht übertrifft. Jedoch sind in dem Serum des Verfassers
Antikörper für den Tuberkelbazillus vorhanden, die sich mit dem Keime
binden und das Komplement fixieren. Es hatte also das Serum komplement-
ablenkende Eigenschaften aufzuweisen.
Es reagiert also der Organismus auf die Tüberkulininjektionen, wenn
auch die bei dieser Reaktion erzeugten Substanzen eine sehr schwache Wirkung
auf den Tuberkelbazillus entfalten. (Abwesenheit des Agglutinationsvermögens
und des bakteriziden Vermögens des Serums.) Schürmann (Düsseldorf).
Über Tuberkulinimmunität.
(Priv.-Doz. Dr. F. Hamburger, Vorstand der Kinderabteilung in der allgemeinen
Poliklinik in Wien. Münch, med. Wochenschr., Nr. 42, 1908.)
Als Tuberkulinimmunität bezeichnet man eine vollkommene oder fast
völlige Unempfindlichkeit gegen hohe Tuberkulindosen nach einer regelrechten
Tuberkulinkur. Die auffallende Tatsache, daß bei Kindern fast niemals Un¬
empfindlichkeit gegen höhere Dosen erzeugt werden kann, sowie die Be¬
obachtung, daß bei der oft eintretenden Spontanheilung der Tuberkulose
im Kindesalter niemals gleichzeitig Unempfindlichkeit vorhanden ist, haben
Hamburger auf den Gedanken gebracht, daß die künstlich erworbene Tuber-
kulinimmunität als Antikörperabsättigung durch überschüssiges Tuberkulin
zu erklären ist. Aus der Literatur ist ersichtlich, daß auch schon früher
die Unempfindlichkeit als eine erzwungene Reaktionsunfähigkeit durch iknti-
körperabsättigung angesehen worden ist, wofür auch der Umstand spricht,
daß nach längerer Pause in der Therapie schon ziemlich kleine Dosen eine
bedeutende Reaktion hervorrufen. Hamburger teilt zwei Fälle mit, die
dies demonstrieren. Er will damit aber nicht behaupten, daß alle Fälle
von Tuberkulinimmunität auf dieser Reaktionsunfähigkeit beruhen.
F. W alther.
Weitere Beobachtungen in der Tuberkulosetherapie bei der Anwendung
von Marmorekserum.
(Oberarzt Dr. Schenker, Aarau. Münch, med. Wochenschr., Nr. 3, 1909.)
Schenker h'at bei 60 Tuberkulösen hauptsächlich II. und III. Grades
Versuche, mit Marmorek’s Antituberkuloseserum angestellt. Er injizierte
es entweder in Dosen von 5 dem subkutan oder applizierte Dosen von 5 — 10 ccm
per rectum, wobei zu bemerken ist, daß letztere Methode weder Kindern noch
Erwachsenen schadet, die subkutane Anwendung aber sicherer, rascher und
ökonomischer ist. Nach einer Serie von 10 — 20—30 Dosen wurde eine Pause
von 1 — 2 Wochen eingeschaltet. Bei der Beurteilung seiner Erfolge betont
694
Referate und Besprechungen.
Schenker, daß er als geheilt solche Pat. betrachtet, die wieder völlig arbeits¬
fähig sind. Von den 60 Kranken konnten 17 dafür gelten, 25 waren teil¬
weise arbeitsfähig, 6 wenig gebessert und 12 nicht gebessert, verschlimmert
oder gestorben. Die Besserung ging gewöhnlich; nur langsam vor sich, die
Rasselgeräusche nahtinen anfangs zu und verschwanden dann allmählich, an
ihre Stelle trat gewöhinlich verlängertes In- und Exspirium. Bei Harnblasen¬
oder Nierentuberkulose wurde die Zahl der Bazillen im Sediment langsam
geringer.
Um die Annahme vieler Autoren zu widerlegen, daß die Kranken, die
meist in ungünstigen sozialen Verhältnissen leben, mehr durch die bessere
Verpflegung, wie durch das Serum gebessert würden, hat Schenker bei
39 derartigen Patienten, die im Jahre 1906/1907 behandelt wurden, nach¬
geforscht und gefunden, daß ein Viertel davon auch] jetzt noch völlig arbeits¬
fähig ist und ein weiteres1 Viertel teilweise seinem Berufe nachgehen kann.
Auf Grund seiner Beobachtungen kommt er zu dem Schluß, daß das M ar-
mor ek serum an ti toxische Wirkung hat und am besten bei Lungentuberkulose
I. und II. Grades, aber auch bei Knochen-, Bauchfell-, Nieren- und Harnblasen-
tub erkühn e leichteren Grades wirkt. Auch bei Lungentuberkulose III. Grades
kann es oft die Krankheit zum Stillstand bringen ; man darf aber nicht
zu zeitig mit der Anwendung aufhören. Neben der speziellen Behandlung
dürfen aber die anderen therapeutischen Hilfsinittel, besonders die Freiluftkur
nicht außer Acht gelassen werden. E. Walther.
Aus Dr. Turban’s Sanatorium Davos-Platz.
Oie praktische Bedeutung des opsonischen Index bei Tuberkulose.
(Dr. K. Turban u. G. Baer, Reiboldsgrün. Münch, med. Wochenschr., Nr. 38, 1908.)
Die Verfasser haben bei 84 Tuberkulösen und 6 nicht Tuberkulösen
ca. 1000 Einzelbestimmungen des opsonischen Index gemacht, deren Resultate
besser im Original nachgelesen werden. Soviel geht jedenfalls daraus hervor,
wie die Verfasser auch selbst betonen, daß der O. J. stets nur den augen¬
blicklichen Stand der Erkrankung angibt. Für die Prognose ist sein Wert
deshalb auch sehr gering, zumal er durch häufige Wiederholungen in großen
Zeiträumen festgestellt werden muß, während die klinischen Erscheinungen
allein schon für die Prognose das Nötige besagen.
Auch bei Patienten, die spezifisch behandelt werden, kommt dem O. J.
keine allzu große Bedeutung zu. Die Verfasser sind der Meinung, daß es bei
der Tuberkulinbehandlung angebrachter ist, die Temperatur zu beobachten
und die lokalen Reaktionen in den Krankheitsherden genau zu verfolgen,
als den O. J. zu bestimmen, der durch seine bedeutenden Schwankungen den
Arzt ängstlich und den Pat. empfindlich macht. Jeder Wert ist ihm aber
selbstredend nicht abzusprechen, da sein Verhalten auf den Erfolg der Kur
einige Schlüsse ziehen läßt. F. Walther.
Beitrag zur Kritik der Ophtalmoreaktion.
(Heinrich Boral. Wiener klin. Rundschau, Nr. 40, 1908.)
Die Pirquet’sche Methode hält der Verf. bei Erwachsenen für voll¬
kommen unverläßlich, die Calmette’sche Ophthalmoreaktion hat in zwei
von ihm beobachteten Fällen zu schweren Erscheinungen — lokale Reizung
und Störung des Allgemeinbefindens — geführt. Es ist trotzdem nicht
ratsam, die Methode aufzugeben, wohl aber ist Vorsicht bei Auswahl der
Präparate angebracht. Das Tuberkulin -Test Calmette’s, sowie das Höchster
Präparat ist zu vermeiden, die Versuche sind nur mit frisch bereiteter l%iger
Lösung von Alttuberkulin anzustellen. Steyerthal-Ivleinen.
Referate und Besprechungen.
695
Wiederholte Hautimpfungen mit Tuberkulin.
(L. Guinard. Bull, med., Nr. 2, S. 11, 1909.)
Zu den positivsten Tuberkulinreaktionen gehört das unermüdliche Inter¬
esse, das die Ärztewelt diesem Bakterienextrakt entgegenbringt. Immer wieder
treten neue Autoren auf den Plan, ob mit dem Extrakt nicht doch vielleicht
zuverlässige diagnostische Resultate zu erzielen sein möchten; aber noch
schwanken die Behauptungen hin und her, so daß es dem objektiven Zu¬
schauer just ebenso ergeht, wie dem alten Baglivi gegenüber den Rumoribus
Chymicorum: inter peritissimos hodie facile non constat, quid tenendum, cui
credendum sit.
Guinard hat im Sanatorium Bligny allmählich bei 202 Patienten die
v. Pirquet’ sehe Probe angestellt mit diesem Ergebnis. Es reagierten
negativ
5 = 9°/0
1=4,
47 = 40 „
von 57 Tuberkulösen des 1. Stadiums
„23 „ „ 2. „
„118 „ „ 3.
„ 4 Gesunden
deutlich
43 = 75°/0
20 = 87 „
37 = 35 „
4.
schwach
9 = 16%
2 = 9 „
34 = 29 „
Also: la valeur diagnostique de cette methode merite encore d’etre tres
serieusement reservee.
Guinard hat dann 85 Patienten alle acht Tage wieder geimpft bis zu
21 bezw. 25 Wochen; von diesen haben 39 dauernd deutlich, 31 dauernd schwach
bezw. gar nicht reagiert; bei 15 waren die Ergebnisse der einzelnen Impfungen
ganz widersprechend. Von einer Sensibilisierung oder Immunisierung kann
somit keine Rede sein, aber andererseits auch nicht von einem diagnostischen
Wert : il me parait impossible de tirer des deductions ayant quelque valeur.
Angesichts aller der widerspruchsvollen Resultate ist kaum daran zu
denken, daß eines schönen Tages eine allgemeingültige arbiträre Lösung
gefunden wird. Man möchte als unbeteiligter Zuschauer eher annehmen,
daß die zugrundeliegende Frage nicht richtig gestellt sei, und wünschen,
daß die der Tuberkulinreaktion gewidmeten Arbeiten lieber anderweitig nutz¬
bringend verwendet würden. Buttersack (Berlin).
Aus der zweiten inneren Abteilung des Landesspitals in Lemberg.
Erfahrungen mit Marmoreks Antituberkuloseserum.
(Dr. E. Damanski und Dr. G. G. Wilenko. Med. Klinik, Nr. 36, 1908.)
Die Verfasser berichten über 5 Fälle von Lungentuberkulose, die sie
genau nach der Vorschrift mit Marmolrek’s Antituberkuloseserum behandel¬
ten. In 2 Fällen war eine geringe Besserung zu konstatieren, während in
den übrigen entweder keine oder direkt ungünstige Wirkungen auftraten.
Dazu kamen noch unangenehme Nebenwirkungen, wie Gelenkschwellungen
und Ödeme. Auf Grund dieser Erfahrungen haben die Verfasser die Ver¬
suche mit dem Serum nufgegeben. F. Walther.
Züchtung des Tukerkelbazillus auf Galle.
(H. Calmette u. C. Guerin. Acad. d. Sciences, Januar 1909.)
Der Rindertuberkelbazillus auf Ochsengalle gezüchtet dringt bei der
Verfütterung leicht durch die Darmwand hindurch und ruft dann Läsionen
hervor, welche überraschend schnell verkalken.
Bei intravenöser Applikation entwickeln sich keine Tuberkula, sondern
eine fieberhafte Allgemeinkrankheit vom Typus einer sog. Typho-Bazillose.
Der Menschen- und Vogel tuberkelbazillus entwickelt sich auf Ochsengalle
kaum bezw. gar nicht, dagegen sehr üppig auf Menschen- oder Hühnergalle.
Damit wäre also ein Mittel zur Unterscheidung dieser Arten gegeben.
Buttersack (Berlin).
696
Referate und Besprechungen.
Ueber das Vorkommen von Tuberkelbazillen in der Milch und den
Lymphdrüsen des Rindes.
(Dr. H. Srnit. Zentralbl. für Bakt., Bd. 39, H. 1.)
In der Milch kommen des öfteren Tuberkelbazillen vor. Die Milch von
Rindern mit gesunden Eutern, die aber an chronischer Tuberkulose leiden,
enthält nur selten Tuberkelbazillen. Verunreinigungen kommen stets in ihr
vor. Es muß für peinlichste Reinlichkeit im Stalle Sorge getragen werden,
da bei offener Tuberkulose die Tuberkelbazillen aus allen Körperöffnungen
ausgeschieden werden. Auch müssen Tiere mit offener Tuberkulose aus
den Stallungen ausgeschieden werden. Die auf Tuberkulin reagierenden Tiere
sind ebenfalls aus den Stallungen zu entfernen und getrennt unterzubringen.
Die Milch dieser Tiere muß immer für verdächtig gehalten werden. Verf.
gibt den Rat, jede Milch vor dem Genuß zu kosten. Schürmann (Düsseldorf).
Bericht über die 7. internationale Tuberkulose-Konferenz, Philadelphia 1908.
(Prof. Dr. Pannwitz, Berlin-Charlottenburg, 1909.)
In den Verhandlungen der internationalen Tuberkulose-Konferenz sind
hauptsächlich Fragen der Prophylaxe und der Fürsorge besprochen. Ein
rein theoretisches Thema behandelt nur der Vortrag von Mäher über die
Bedingungen, unter denen Bazillen die Säurefestigkeit erwerben -oder ver¬
lieren. Die übrigen Vorträge enthalten Vorschläge über die Durchführung
der Anzeigepflicht, die Isolierung Schwerkranker, die von Lebensmitteln
(Milch) und in Verkehrseinrichtungen (Schlafwagen) drohenden Ansteckungs¬
gefahren. Über die an Heilstätten zu stellenden hygienischen Anforderungen
und über die Infektionsgefahr, die die Heilstätten für die Bewohner der
Umgebung mit sich bringen, wurde Übereinstimmung erzielt, während die
Infektionsgefahren für das Pflegepersonal bei Tuberkulösen noch verschieden
beurteilt werden. Die Verdienste des Roten Kreuzes in der Tuberkulose¬
bekämpfung werden gebührend gewürdigt. Für die Prophylaxe im großen
wird eine hygienische (an ti tuberkulöse) Erziehung gefordert und die Wich¬
tigkeit der Volksaufklärung betont. — Den Beschluß machen die Berichte
über die Fortschritte der Tuberkulosebekämpfung in den einzelnen Ländern.
Sobotta (Reiboldsgrün).
Chirurgie.
Die Fraktur der distalen Fingerphalanx infolge Abriß der Strecksehne.
(Dr. Felix Davidsohn. Berliner klin. Wochenschr./Nr. 23, 1908.)
Die Fraktur der Basis der distalen Fingerphalanx gehört zu den
außerordentlich seltenen Verletzungen. Sie ist bedingt durch Abriß der
Sehne des Musculus extens. digit. commun., deren zwei Zipfel an der Basis
der Nagelphalanx ansetzen und kann entstehen, wenn auf den gestreckten
Finger eine Gewalt einwirkt. Die klinischen Erscheinungen sind meist Schmer¬
zen, Anschwellung, Unmöglichkeit aktiver Streckung der Nagelphalanx, die
in einem Winkel von 45° gebeugt steht.
Davidsohn teilt zwei von ihm beobachtete Fälle dieses Bruches mit.
In dem ersten Falle handelte es sich um einen 23 jährigen Mann, der beim
Heraufschreiten einer Treppe stolperte, sich mit der ausgestreckten rechten
Hand festzuhalten suchte und plötzlich Schmerzen im Endglied des fünften
rechten Fingers verspürte. Im zweiten Falle erhielt ein 24 jähriger Mann,
der sich mit einem Freunde im Scherz boxte, einen Hieb auf die rechte Hand,
nach dem er Schmerzen im Endglied des vierten rechten Fingers verspürte.
Die Röntgenuntersuchung ergab in beiden Fällen Fraktur der Nagelphalanx.
Da eine Restitutio in integrum schwer oder gar nicht möglich ist, empfiehlt
es sich operativ vorzugehen und die Sehne, eventuell mit Entfernung des
Knochensplitters anzunähen. Carl Grünbaum (Berlin).
Referate und Besprechungen.
697
Zwei Luxationsfrakturen der Wirbelsäule ohne Markläsion.
(C. Widmer. Wiener klm. Rundschau, Nr. 46 u. 47, 1908.)
Die Luxationsfrakturen der Wirbelsäule, hei denen das Rückenmark
unverletzt bleibt, sind seltene Ausnahmen. Der Verf. teilt zwei solche Beob-
bachtungen mit. Beide Male handelt es sich um Bahnangestellte, die während
ihres Dienstes einen schweren Stoß in den Rücken bekamen und dadurch
eine Verletzung der Wirbelsäule erlitten. Die Diagnose wurde gleichmäßig
auf Luxationsfraktur des 10. Brustwirbels gestellt, obwohl das Fehlen
aller motorischen Störungen auffällig war. — Der eine Patient wurde
geheilt, der andere starb an hypostatischer Pneumonie. Die Sektion erwies
die gestellte Diagnose als vollständig richtig. Steyerthal-Kleinen.
Die Schädigung des Nervus medianus als Komplikation des typischen
Radiusbruches.
(Blecher, Straßburg. Deutsche Zeitschr. für Chir., Bd. 93, H. 1.)
Bei einem 23 jährigem Kaufmann, welcher eine typische Radiusfraktur
2 cm oberhalb der Gelenkfläche der Radiusepiphyse erlitten hatte, zeigte
sich 4 Tage nach der Verletzung beim Verbandwechsel eine behinderte
Beugung des 2. und 3. Fingers und verminderte Opposition and Abduktion
des Daumens. Unter der eingeleiteten Behandlung (Bäder, Massage, Fara-
disation) trat im Laufe der nächsten 6 Monate eine. Besserung ein, derart,
daß nur noch eine geringradige Atrophie des Daumenballens und eine leichte
Gefühlsstörung der Fingerspitzen zurückblieb.
Diesem eigenen Fall stellt Verf. 9 aus der Literatur gesammelte Fälle
gegenüber, unter denen eigentümlicherweise nur 2 von deutschen Autoren
berichtete Beobachtungen sich finden.
Die Statistik zeigt, daß die den N. medianus beteiligende Störung durch
einen Radiusbruch primärer und sekundärer Natur sein kann. Der Nerv
kann primär durch Druck und Überdehnung geschädigt werden. Die sekundäre
Schädigung wird durch den volalen Bruchkallus hervorgerufen, welcher den
Nerven ähnlich einer über den Steg gespannten Violinsaite empordrängt. Diese
ist die bei weitem häufigere. Da,s Ausdehnungsgebiet der beobachteten vaso¬
motorischen und trophischen Störungen ergibt sich ohne weiteres aus der Be¬
rücksichtigung der anatomischen Verbreitung des Nerven.
Die V oraussage der primären Medianusverletzung ist stets zweifelhaft ;
völlige Regeneration erfolgt nicht immer. Die Revision hat unbedingt zu
erfolgen, wenn nach 3 Monaten keine Besserung beobachtet wird. Die Vor¬
aussage der sekundären Nervenschädigung ist günstig; Wegnahme des Kallus
erzielt Heilung.
Bemerkenswert ist, daß die primäre Medianusverletzung auf die Hei¬
lung des Knochenbruchs keinen hemmenden Einfluß ausübt, daß dagegen
die Wiederherstellung durch die schwere Beeinträchtigung der Funktion von
Hand und Unterarm weit hinausgeschoben wird. F. Kayser (Köln.
Ischämische Muskelkontraktur und Gipsverband.
(Prof. Hildebrand, Berlin. Deutsche Zeitschr. für Chir., Bd. 95, H. 1—5.)
1. Fall. 8 jähriger Knabe, der 5 Tage nach einem Fall auf den aus-
gestreckten Ellenbogen mit Schienenverband eingeliefert wird. Befund: Finger
extendiert; leichte Störungen im Medianusgebiet; Puls nicht deutlich. Typische
suprakondyläre Fraktur. 14 Tage nach der Verletzung blutige Reposition;
gute Verheilung. 6 Wochen später Operation wegen starker Versteifung
in dem Finger- und Karporadialgelenk bei fast vollkommen erloschener elek¬
trischer Erregbarkeit. Der im Narbengewebe eingebettete atrophische Medianus
wird partiell reseziert; der im Narbengewebe liegende Gefäßstumpf der
A. cub. freigelegt. Resultat: Vensteifung der Finger, des Hand- und Ell¬
bogengelenks.
698
Referate und Besprechungen.
2. Fall. 11 jähriger Knabe mit spitzwinkliger Abknickung des Ober¬
arms oberhalb des Ellbogengelenks. Puls an Radialis und Ulnaris nicht deutlich
zu fühlen. Der Bar d<en heu er’sche Streckverband wird nicht vertragen.
Bei der 4 Wochen nach der Verletzung wegen Parästhesien und Paresen
in den Beugemuskeln des Daumens und Zeigefingers vorgenommenen Operation
zeigt sich, daß die A. cubit. und der N. medianus durch das nach vorn
gerückte Bruchstück verletzt und gleichzeitig durch Narbengewebe kompri¬
miert sind. Lagerung des freigelegten Nerven auf eine Muskelbrücke. Resultat:
Mäßige Beugestellung.
Nach alter Ansicht wird die ischämische Muskelkontraktur als Folge¬
erscheinung des Gipsverbands angesprochen. Die beiden Fälle beweisen von
neuem, daß sie auch ohne Gipsverband nach Verletzung der Blutgefäße
entstehen kann. Sie begründen die Forderung, daß man bei Frakturen der
Ellbogengegend, zumal bei Kindern, sorglich auf den Puls der Radialis und
Ulnaris achtet, um nicht durch einen zu fest angelegten Gipsverband den
letzten Rest der Möglichkeit eines Kollateralkreislaufes zu rauben, und um
sich vor ungerechtfertigten Entschädigungsansprüchen zu schützen.
F. Kayser (Köln).
Aus der 1. chirurgischen Universitäts-Klinik (v. Eiseisberg) in Wien.
Ein Fall von coxa vara congenita.
(Dr. O. v. Frisch. Wiener klin. Wochenschr., Nr. 39, 1908.)
Verf. teilt die im Kindesalte.r vorkommende Coxa vara ätiologisch
in 3 Hauptgruppen, deren häufigste, die rachitische, stets eine Teil¬
erscheinung allgemeiner rachitischer Symptome ist und ihre anatomische
Ursache weniger in einer Verkleinerung des Schenkelhalswinkels, als viel¬
mehr in einer Verkrümmung des ganzen koxalen Femurendes hat.
A.ls 2. Gruppe bezeichnet er jene Form, die, analog den Erscheinungen
am Erwachsenen, sich infolge von Epiphysenlösung oder typischer
Schetnkelhal!sfraktur mehr oder weniger akut entwickelt. Diese Art von
Coxa vara ist eingeleitet durch eine Kontinuitätstrennung und kann unter
dem Einfluß der Belastuhg einen besonders hohen Grad erreichen. Diese
beiden Formen unterscheiden sich klinisch, besonders aber im Röntgenbilde
voneinander, sowie von jener als a(nge]b'orenen Coxa vara bezeiehneten,
von Kr edel zuerst beobachteten, früher von Hoffa genau beschriebenen
und als eine Krankheit sui generis präzisierten Deformität, von der ein
tj^pischer Fall beschrieben und 'durch Abbildungen erläutert wird.
Aus der Krankengeschichte verdient folgendes hervorgehoben zu wer¬
den: Das jetzt 7 jährige kräftige Mädchen, aus gesunder Familie und außer
Diphtherie auch selbst bisher gesund, lernte mit 1 Vr Jhren laufen, wobei
den Eltern ein eigentümlicher „watschelnder“ Gang auffiel, der sich im
Laufe der Jahre um ein Weniges noch verschlechterte. Über Schmerzen oder
Ermüdung klagte das Kind nie. Jegliches Trauma entschieden verneint.
Das Becken ist stark nach vorn geneigt, die großen Rollhügel treten
an den Darmbeintellern deutlich hervor und wenn das Kind geht oder
läuft, wiegt es sich in charakteristischer Weise, dabei ausgesprochenes Tren¬
del enburg’sclies Phänomen — der Troch. maior steht beiderseits 4 1J2 cm
oberhalb der Roser-Neloton’schen Linie — so daß eine Luxatio coxae
cong. duplex vorzuliegen (scheint. Bei weiterer Untersuchung findet man
aber, daß der Schenkelkopf nicht am Darmbeinteller, sondern an seiner richtigen
Stelle, im S'carpa’ sehen Dreieck, zu tasten ist. Dementsprechend gelingt es
auch nicht, wie bei der angeborenen Hüftverrenkung, den Femur in seiner
Längsrichtung zu verschieben. Weiter fällt auf, daß die Abduktionssphäre
ganz bedeutend eingeschränkt ist, hingegen die für Coxa vara sonst cha¬
rakteristische Außenrotation fehlt und das Kind mit Parallelstellung der
Füße geht. Symptome abgelaufener oder noch bestehender Rachitis nicht nach¬
weisbar. Das Röntgenbild bestätigt dann die Diagnose einer hochgradigen
Coxa vara duplex: Femurschaft einerseits, Hals und Kopf andererseits bilden
Referate und Besprechungen.
699
miteinander einen spitzen Winkel, der links ungefähr 62°, rechts ungefähr
68° beträgt.
Was die ÄtioRfoigie dqs Leidens anlangt, so wendet sich krisch
dann gegen die Hof'fja’sche Hypothese, daß der Knorpel der Kopfepiphysen-
fuge, dem alle ,, bioplastische Energie“ fehle, durch eine intrauterin durch¬
gemachte Krankheit die Eigenschaft des Wachstums verloren habe, und
kommt zu dem Schluß, daß die vertikale Stellung der Kopfepiphyse, sowie
ihre häufige Gabelung vielleicht als eine Störung der Ossifikation auf¬
zufassen sei. Werner Wolff (Leipzig).
Was dürfen wir von der heutigen Skoiiosenbehandlung erwarten?
(Dr. Wahl, München. Münch, med. Wochenschr., Nr. 28, 1908.)
Wahl berichtet über seine Methode der Behandlung der beweglichen
und der fixierten Skoliosen. Für die bewegliche Skoliose bildet die ortho¬
pädische Gymnastik den Angelpunkt der Therapie. Dieselbe wird aber nicht
in homöopathischen Dosen verordnet, sondern sehr energisch, sie muß sogar
mehrmals am Tage betrieben werden. Außerdem kommen Massage in Betracht
und orthopädische Hausturngeräte, an denen die Patienten zu Haus üben
können, um nicht auf die orthopädischen Institute allein angewiesen zu sein.
Dabei ist dem. technischen Können des betr. Orthopäden viel Spielraum ge¬
lassen. Anders bei der fixierten Skoliose. Von den zunächst bestehenden
Resultaten des forcierten Redressements mit nachfolgendem Dauergipsverband
ist W. sehr zurückgekommen, wegen der Nachteile, die eine so lange Im¬
mobilisation der Wirbelsäule, besonders für die Rückenmuskulatur mit sich
bringt. Er ist deshalb dazu übergegängen, ein Reklinationsbett zu kon¬
struieren, mit dem man eine ähnlich stark redressierende Wirkung ausüben
kann, als mit dem Gipskorsett und welches die Patienten zu Haus selbst
benutzen können. Sie gewöhnen sich nach W. angeblich sehr schnell daran,
und schlafen nachts stets in diesem. Außerdem bringt W. bei den fixierten
Skoliosen noch die Hilfsmittel zur Anwendung, die er bei den beweglichen
Skoliosen verwendet. Er hat selbst einen Redressions -Turnapparat kon¬
struiert, den die Patienten zu ffaus ohne fremde Hilfe anwenden können.
(G lisson’sche Schlinge schräg an einem Mast angebracht mit adressierender
Gabel in der Höhe der Abbiegung ; das Redressement wird durch die Schwere
des eigenen Körpers hervorgebracht.) Außerdem verwendet W. noch ein
redressierendes Korsett. Die damit erzielten Resultate sind nach W. ganz
gute. — Härting (Leipzig).
Primäre Wundheilung nach Operation septischer Fälle.
(J. Heckmann, New-York. New-Yorker med. Monatsschr., Nr. 8, 1908.)
Im Hinblick auf die vielfältig gemachten Erfahrungen, daß Peritoneum
und Brustfell eine große Widerstandsfähigkeit gegen septisches Material
zeigen, falls die Druck-, Zirkulations- und Absorptionsverhältnisse nicht be¬
trächtlich gestört sind und nicht eine abnorme Reizung (z. B. durch die früheren
Antiseptika) gesetzt wird, versuchte Verf., auch die mit viel geringerer
Resistenz (?) begabten Gewebe der äußeren Haut- und Weichteile nach
Entfernung des betr. Eiterherdes primär zur Heilung zu bringen.
Er behandelte demgemäß 29 schwere in den Tropen aquirierte inguinale
Drüsenabszesse nach weichem und gemischtem Schanker mit totaler Ent¬
fernung des Drüsengewebes unter Schonung der Blutgefäße, absoluter Blut¬
stillung, Desinfektion mit reinem Alkohol und nachfolgender Auswaschung
mit steriler NaCl- Lösung, indem er die Wundhöhle durch Schichtnähte exakt
verschloß und die Patienten darauf 12 — 14 Tage Bettruhe einhalten ließ.
Es trat entzündliche Reaktion und leichter Serumerguß ein, jedoch heilten
die Wunden unter täglichem Verbandwechsel in 19 Fällen primär in durch¬
schnittlich 15 Tagen. In fünf Fällen trat oberflächliche, bei drei unruhigen
700
Referate und Besprechungen.
Patienten gänzliche Wundöffnung ein, erstere brauchten ca. 27, letztere
73 Tage zur Heilung. Zwei ungenähte waren in acht Wochen wieder
hergestellt.
Im ganzen ergab sich, daß die radikale Operation der konservativ-
operativen Behandlung vorzuziehen ist, und daß bei der „primären septischen“
Heilung, wenn sie auch nicht so einfach und rasch verläuft wie die aseptische,
doch sehr viel Zeit für den Patienten gewonnen wird.
Zurzeit ist Heckmann mit Versuchen beschäftigt, die postoperative
Alkoholeinschüttung nach dem Vorgang von Mikulicz und französischen
Autoren durch Verwendung von sterilem Serum zu ersetzen. Esch.
Gynäkologie und Geburtshilfe.
Aus der Innsbrucker Universitäts-Frauenklinik.
Ein Beitrag zur traumatischen Schwangerschaftsruptur des hochgraviden
Uterus mit Austritt des ganzes Eies in die Bauchhöhle.
Mit einer Textabbildung.
(E. Ehrendorfer. Arch. für Gyn., Bel. 86, H. 2, 1909.)
Eine 37jährige IV-grav. stürzte im achten Schwangerschaftsmonat aus
einer Höhe von 21/2 m auf die Tenne herab und zwar direkt auf den Bauch.
Nach einem dreiwöchentlichen Krankenlager, das, z. T. unter dem Bilde einer
peritonitischen Reizung verlief, konnte sie allmählich ihrer früheren Be¬
schäftigung wieder nachgehen. Seit dem Sturz hatte die Erau keine Kinds¬
bewegungen mehr gespürt. Bei der einige Zeit nach dem regulären Geburts¬
termin vorgenommenen Laparotomie kam eine dem achten Lunarmonat ent¬
sprechende Frucht, in bereits beginnender Mumifikation befindlich, zutage;
die Plazenta überdeckte pilzförmig die Organe des kleinen Beckens, und
inserierte stielförmig in einer nahe dem Fundus uteri in der Vorderwand
gelegenen Perforationsstelle.
Supravaginale Amputation des Uterus mit retroperitonealer Stielver¬
sorgung. Heilung. — In Ergänzung der von Bai sch gesammelten Fälle
führt E. noch einige Fälle von traumatischer Zerreißung des schwangeren
Uterus aus der Literatur an. R. Klien (Leipzig).
Aus der Universitäts-Frauenklinik in Leipzig.
Kritische und experimentelle Studie zur Toxikologie der Plazenta, zugleich
ein Beitrag gegen die plazentare Theorie der Eklampsieätiologie.
Mit 2 Tafeln.
(Dr. F. Lichten stein. Arch. für Gyn., Bd. 86, H. 2, 1908.)
L. hat Experimente an Kaninchen angestellt. Sie laufen darauf hinaus,
die Theorien von Weicjhardt, Piltz und von R. Freund zu widerlegen,
daß die Eklampsie hervorgerufen werde durch bei der Zytolyse gebildete
toxische Substanzen bei Frauen, in deren Blut nicht genug hemmende Be¬
standteile vorhanden seien, und daß jede Plazenta ein Gift enthalte, welches
zentral wirke. — L. machte, analog den gen. Autoren intravenöse Injek¬
tionen von Plazentarauf schwemmungen, jedoch in verschiedener Verdünnung
und auch von Argillasuspensionen ebenfalls verschiedener Stärke. Es stellte
sich heraus, daß es nur von dem Konzentrationsgrade des Injektionsmaterials
abhängt, in welcher Zeit das injizierte Tier zugrunde geht und ob es über¬
haupt zugrunde geht, ganz unabhängig von der organischen oder anorganischen
Natur des Injizierten. Je gröber und zahlreicher die eingespritzten korpus-
kulären Elemente waren, um so schneller verendete das Tier. L. berichtet
ferner, daß er durch Injektionen von Argillasuspensionen dieselben klinischen
Erscheinungen und pathologischen Veränderungen habe hervorgebracht, wie
mit Injektionen von Plazentarzotten trümmern. Damit sei widerlegt, daß
der Tod der Tiere nach intravenöser Injektion von Plazentaraufschwemmungen
Referate und Besprechungen.
701
durch ein Zellg'ift bedingt sei, durch ein Endotoxin (W ei c har dt und Piltz)
oder durch ein Plasmagift (Freupd). Es hängen somit alle Schlußfolge¬
rungen, welche jene Autoren auf’ Grund dieser nach L.’s Ansicht falschen
Annahme gezogen haben, in der Luft; Freund’s Behauptung, Plazentar-
preßsäfte durch Filtrieren entgiften zu können, sei ebenso unbewiesen wie
die, bei Tieren durch Injektion kleiner Dosen von Plazentarsubstanz eine
Resistenzerhöhung herbeifuhren zu können. — Auch gegen die Veit’sche
Theorie der Synzytiolyse wendet sidh L. Er konnte nämlich nachweisen,
daß das Einbringen nicht nur von Plazentarbrei, sondern auch von eiwei߬
haltigen Flüssigkeiten ohne Epithel- und Stromazellen in die Bauchhöhle
von Kaninchen Albuminurie macht. Auch Liepmann’s Ansicht, daß das
Eklampsiegift vom Chorionepithel gebildet werde, sei falsch, und es seien
bei der Liepm ann’sehen Verarbeitungsweise der Plazenten Fäulnisvorgänge
nicht auszuschließen, auch vermißt L. bei den Liepm an n’schen Experimenten
solche mit anderen Organpräparaten. R. Klien (Leipzig).
Aus der Universitäts-Frauenklinik zu Kiel.
Ueber das Corpus luteum und den atretischen Follikel des Menschen und
deren zystische Derivate.
Mit 2 Tafeln.
(Dr. Franz Cohn. Archiv für Gyn., Bd. 87, H. 2, 1909.)
C. hat seine an über 100 Ovarien angestellten Untersuchungen in
einer sehr ausführlichen, vor allem auch die einschlägige Literatur ein¬
gehend berücksichtigenden Arbeit niedergelegt. Seine Schlußfolgerungen
lauten: Die Entwicklung des Corpus luteum und des atretischen Follikels
stellen zwei prinzipiell verschiedene Prozesse dar. Der Begriff der Lutein*
zelle ist, wie das bereits andere Autoren festgestellt haben, kein einheitlicher ;
Luteinzellen können aus Epithelien und aus Bindegewebe entstehen. Die
des C. 1. entstehen aus den Epithelien der Membrana granulosa. Das Binde-
gewebsgerüst des C. 1. wird durch Invasion von Bindegewebssprossen von
der Theca interna aus gebildet. In der Bildung des C. 1. graviditatis und
menstruationis bestehen keine prinzipiellen Unterschiede. Während der Ent¬
wicklung des C. 1. bildet auch die Theca interna ein von den Granulosa*
Luteinzellen verschiedenes Luteingewebe. Dasselbe stellt die Matrix für die
Bindegewebsinvasion in den gelben Körper dar. Beim Menschen persistieren
Reste der Theca-Luteinschicht häufig auch am fertig ausgebildeten C. 1. Das
C. 1. ist eine nach außen abgeschlossene Bildung. Es kommen wohl Ab¬
schnürungen peripherer Teile des C. 1. vor; diese sind aber ebenfalls gegen
das Stroma gut abgegrenzt. Die Gewebsproliferation. im C. 1. erfolgt in zentri¬
petaler Richtung. Das menschliche C. 1. neigt zur Ausbildung eines weiten
zentralen Hohlraumes und zur Entstehung von Blutergüssen. Letztere treten
entweder während der Entwicklung des gelben Körpers oder nach völliger
Ausbildung der Lu'teinschicht ein. Als Rückbildungsprodukt des C. 1. ist
das kompakte C. albicans anzusehen. Bei der Follikelatresie findet während
und nach der Degeneration des Eies und des Epithels eine Wucherung der
Theca statt, die zur Bildung einer Theca-Luteinschicht führt, namentlich
wmhrend der Schwangerschaft und unter pathologisch-hyperämischen Zuständen
der Genitalien, aber auch unter normalen Verhältnissen. Der atre tische Follikel
ist eine rein bindegewebige Bildung. Das Wachstum der Theca-Luteinzellen
erfolgt in zentrifugaler Richtung nach dem Stroma zu. Die scharfe äußere
Begrenzung des Follikels geht bei der Atresie verloren. Die Follikelatresie
erfolgt entweder nach dem zystischen oder dem obliterierenden Typus. Bei
letzterem ist die Theca-Luteinzellenbildung meist lebhafter. Die Ausfüllung
der Follikelhöhle beim obliterierenden Typus erfolgt nicht durch die Theca-
Luteinzellen, sondern durch kleine Bindegewebszellen aus dem Fasergerüst
der Theca. Nach innen von der Theca-Luteinschicht ist häufig die hyalin
degenerierte ,, Grenzfaserschicht“ des Follikels als helles gewundenes Band
702
Referate und Besprechungen.
sichtbar. Die ein solches schmales, gekräuseltes Band aufweisenden Rück¬
bildungsprodukte sind als Derivate des atretischen Follikels anzusehen. Die
Theca-Luteinzellen bilden sich bei der Rückbildung des atretischen Follikels
zu Stromazellen um, bei manchen Tierspezies jedoch in sehr verlangsamtem
Tempo. Die noch nicht zurückgebildeten Theca-Luteinzellen bilden das inter¬
stitielle Ovarialgewebe mancher Tierspezies. Beim atypischen Verlauf der
Follikelatresie können sich Reste der Granulosa erhalten und sich zu Granu-
losa-Luteinzellen umwandeln. Luteinzysten können sowohl vom C. 1. wie
auch vom atretischen Follikel abstammen. Die Luteinzysten bei Blasenmole
und Chörionepitheliom sind mit Sicherheit auf atretische Follikel zurück¬
zuführen. Die Luteinzellenwucherung stellt hierbei nichts für die Blasen¬
mole Spezifisches, sondern nur eine gesteigerte Follikelatresie dar. Epithel-
ausgekleidete Luteinzysten können durch atypische Follikelatresie mit Per¬
sistenz von Epithelresten entstanden sein. Die Entstehung von Luteinzysten
wird durch hyperämisierende Prozesse im Genitalgebiet angeregt; derartige
Ursachen ließen sich in zwei Drittel der Fälle nachweisen. — - Die Lutein¬
abszesse stehen an Häufigkeit hinter den einfachen Luteinzysten zurück.
Bei der Entstehung größerer Abszesse spielt die Verschmelzung benachbarter
kleinerer Abszeßräume eine Rolle. Die Follikelzysten stellen nichts von
den Follikelluteinzysten prinzipiell Verschiedenes dar; nur fehlt bei ihnen
die Theca-Luteinzellenbildung. R. Klien (Leipzig).
Aus der Klinik der k. k. Hebammenschule in Lemberg.
Zur Tubenmenstruation.
(Adam Czyzewicz jun. Archiv für Gyn., Bd. 85, H. 1, 1908.)
Um die Frage zu entscheiden, ob es normalerweise eine echte Tuben¬
menstruation beim Weibe gibt, hat C. einige durch Laparotomie gewonnene
Tuben mikroskopisch untersucht, von denen die Menstruationstermine ihrer
Trägerinnen genau bekannt waren. Zwei dieser Tuben stammten vom ersten
resp. zweiten Tag der Periode. Es fand sich in ihnen zwar etwas Blut, be¬
sonders in den tieferen Buchten, aber dieses Blut mußte von außen in das
Tubenlumen hineingekommen sein. Es fand sich nirgends ein zerrissenes
Gefäß, es fehlten subepitheliale Blutaustritte mit Erhebung des Epithels,
dessen Zellen vielmehr eng aneinander lagen und nirgends entartet waren.
Offenbar stammte das Blut aus dem Uterus, ist dorthin entgegen dem Zilien¬
strom durch Uteruskontraktionen gelangt, wird aber sehr rasch von dem
Zilienstrom wieder zurückbefördert, denn in einer Tube vom vierten Tag
nach der beendeten Menstruation fand C. bereits kein Blut mehr im Eileiter.
R. Klien (Leipzig).
Über die Herkunft des Fruchtwassers.
(J. Bondi, Wien. Allg. Wiener med. Zeitung, Nr. 6, 1909.)
An der Hand der einschlägigen Literatur, sowie auf Grund eigener
V ersuche kommt B. zu dem Schlüsse, daß das Fruchtwasser überhaupt der
einheitlichen Quelle entbehrt. An seiner Entstehung sind, ebenso, wie das auch
bei anderen Körperflüssigkeiten der Fall ist, verschiedene Faktoren be¬
teiligt. In der Hauptsache entsteht es durch Transsudation und zwar so¬
wohl aus den mütterlichen, als (besonders in der 2. Schwangerschaftshälfte)
aus kindlichen Gefäßen. Sein -charakteristisches Gepräge aber erhält es erst
durch die Tätigkeit des Amniosepi thels. Als ausgeschlossen kann heute
wohl die Annahme gelten, daß dem Fruchtwasser in normalen Fällen kind¬
licher Urin in nennenswerter Menge beigemischt sei. Esch.
Bücherschau.
703
Zum Prinzip der Adhäsion in der Scheide.
(E. Kraus, Brünn. Klin.-ther. Wochenschr., Nr. 8, 1909.)
Verhütung der Konzeption ist bei vielen Frauen aus mannigfachen.
Gesundheitsrücksichten — konstitutionellen Krankheiten, Becken Verengerungen
usw. — geboten ; die bisher gebräuchlichen Mittel und Methoden sind sämt¬
lich nicht absolut sicher und zuverlässig. Ein vollkommen fester Verschluß
des Muttermundes wird auch durch die gebräuchlichen Okklusivpessarien
nicht erreicht; zu seiner Erzielung hat Verf. eine eigene Methode ersonnen,
bei der er sich das Prinzip der Adhäsion zunutze macht. Durch ein genau
angegebenes, technisch nicht sehr schwieriges Verfahren wird mittels eines
langgestielten, mit Stents oder Gips gefüllten Löffels ein genauer, form¬
vollendeter Abdruck der Portio gewonnen, der jedes Fältchen, jede kleinste
Erosion wiedergibt. Hiernach wird nach bekanntem Verfahren das Positiv
und nach diesem wieder das Negativ aus vulkanisiertem Kautschuk, Zelluloid,
Gold usw. angefertigt. Diese mittels Spekulums genau an die Portio an¬
gelegte Platte haftet nach den Gesetzen der Adhäsion so fest an der Portio,
daß sogar ein absolut luftdichter Verschluß erreicht wird, was auf experi¬
mentellem Wege mit Bestimmtheit nachzuweisen gelungen ist. Selbst wochen¬
langes Liegen des Negativs ist von keinerlei schädlichen Folgen begleitet.
Das Okklusivpessar erreicht nur eine Konzeptionserschwerung, das Portio-
negativ eine absolute Konzeptions Verhütung. Peters (Eisenach).
Bücherschau.
Lehrbuch der klinischen Arzneibehandlung für Studierende und Ärzte.
Von Dr. Franz Penzoldt. Mit einem Anhang, Chirurgische Technik
der Arzneianwendung von Dr. v. Kryger. 7. vermehrte Auflage. Verlag
von Gustav Fischer, Jena, 1908. 426 Seiten. Preis 7,50 Mk.
Ein unmittelbar für die Praxis geschriebenes Buch, daß auch in seiner
7. Auflage sicher auf zahlreiche Leser rechnen kann. Die ungeheure Produktion
neuer und neuester Heilmittel macht es für jeden zur unerläßlichen Bedingung,
sich einem sicheren Führer durch alle die Medikamente anzuvertrauen und ein
solcher ist Penzoldt in jeder Weise. Sein Buch soll keine Arzneimittellehre in
der gebräuchlichen Bedeutung des Wortes sein, er legt vielmehr das Hauptgewicht
auf die Arzneibehandlung und auf die therapeutische Verwendbarkeit der einzelnen
Arzneimittel, wie sie die Beobachtung am Krankenbett lehrt. Auch der v. Kryger
bearbeitete Schlußabschnitt verdient gebührende Beachtung. Er enthält in kurzer
Fassung alles wichtige über subkutane Injektionen, Infusionen, Iniiltrationsanästhesie
und Lumbalanästhesie. R.
Die Reize der Frau und ihre Bedeutung für den Kulturfortschritt.
Von H. Sellheim, Tübingen. Verlag von Ferd. Enke, Stuttgart, 1909.
39 Seiten.
Das Büchlein, welches mit einer trefflichen Wiedergabe des Bildnisses
der Jeanne d’Aragon im Louvre geschmückt ist, bringt den Abdruck eines am
17. Dezember 1908 in Stuttgart im Deutschen Frauenverein für Krankenpflege in
den Kolonien gehaltenen öffentlichen Vortrags. Die interessanten, in formvollendeter
Sprache gegebenen Ausführungen, die teilweise sehr subjektives Gepräge tragen,
beziehen sich auf die Verschiedenheit der Ansichten über die Reize der Frau und
ihre Bedeutung; die Analyse der Anziehungskraft der Frau; den Umschwung in
der Reizwirkung infolge der Vermehrung, Verfeinerung und häufigeren Einwirkung
der Reize unter unseren heutigen Kulturverhältnissen; Beruf und Stellung der Frau;
moderne Frauenfragen.
Der Grundton des Vortrags klingt in die Worte aus: rDie Reize der Frau
stehen nicht nur im Dienst der Fortpflanzung des Einzelnen, sondern sie dienen
der Erhaltung und Fortentwicklung des Menschengeschlechts. Somit erfüllt die
Frau in der Ehe nicht nur die herrlichste Natur-, sondern auch die herrlichste
Kulturaufgabe.“' F. Kayser (Köln).
704
Bücherschau.
Das Altern als abwendbare Krankheit. Eine biologische Studie von
Dr. M. Tranjen, Plewna. Halle, Marliold, 1908. 35 S.
Ein köstliches Büchlein! Wie Verfasser die polygamische Veranlagung des
Mannes, „die Don-Juannatur des Ur-Romeo“, die monogamische des Weibes natur¬
wissenschaftlich begründet, das sollten alle unsere Gleichheitsfanatiker, Frauen¬
rechtlerinnen usw. lesen und beherzigen, damit sie ferner nicht das Berechtigte an
ihren Bestrebungen durch falsche Behauptungen diskreditieren.
Ebenso interessant ist seine Auffassung und Erläuterung des Alterns als
„chronische Autointoxikation“. Am schönsten aber — vorausgesetzt daß sie satirisch
gemeint — ist die Konsequenz, die er aus dem modernen Serum-Enthusiasmus
zieht: Wir sollen versuchen „durch die Einverleibung der Säfte greiser Organismen
bei jugendlichen Individuen Unempfänglichkeit für jene Stoffe zu erzielen, die das
Altwerden und mithin den natürlichen Tod bedingen“. Esch.
Diagnose und Therapie der Syphilide. Von S. Jeßner. 2. Auflage.
Würzburg, Stüber, 1909. 2,50 Alk.
Auch in der zweiten Auflage findet der Praktiker alles Wissenswerte aus
dem Gebiete der Diagnose und Therapie der Syphilide in übersichtlicher Form
zusammengestellt. Ich vermisse nur eingehende Ausführungen über die Wasser-
mann’sche Reaktion, deren enorme praktische Bedeutung doch heute nicht mehr
geleugnet werden kann. Max Joseph (Berlin).
Vermischtes.
Röntgen-Kurse Hamburg-St. Georg.
Abgehalten vom 25. Oktober bis 6. November 1909 im Rahmen des Vorlesungs¬
wesens der Oberschul-Behörde.
Honorar für den Gesamtkurs 75 Mk., für Ausländer 100 Mk.
Anmeldungen und Anfragen zu richten an Prof. Albers-Schönberg, Hamburg,
Klopstockstr. 10.
Die Hamburg-St. Georger Röntgenkurse umfassen das gesamte Gebiet der
ärztlichen Röntgenologie und ihrer physikalischen Grundlagen. Es sollen folgende
Kurse gehalten werden: Prof. Dr. Walter: Die physikalischen Grundlagen der
Röntgen-Technik, über Röntgen-Apparate und Röntgen-Röhren, ßstündig. — Prof.
Dr. Albers-Schönberg und Dr. Quiring: 1. Medizinische und chirurgische Auf¬
nahme- und Durchleuchtungs -Technik, einschließlich der Trochoskop -Technik,
Moment- und Teleaufnahmen, Stereoskopie- und moderne Wechselstrom- Apparate.
10 tägig, l1/2stündig. 2. Über Einrichtungen der Röntgen-Institute von Kliniken
und Krankenhäusern, lstündig. 3. Die Anwendung der Röntgenstrahlen in der
Gynäkologie, lstündig. — Dr. med. Haenisch: 1. Herzmeßmethoden und die
Orthodiagraphie. 4stündig. 2. Zahnärztliche Technik und die Technik der Unter¬
suchung der Nebenhöhlen des Schädels. 3stündig. 3. Über die biologischen Eigen¬
schaften der Röntgenstrahlen, einschließlich der Behandlung der Bluterkrankungen.
2stündig. — Prof. Dr. Deneke: Röntgen - diagnostische Übungen am Lebenden.
Die Erkrankungen der Brustorgane, Herz, Aorta, Lungen usw. 4 ständig. —
Dr. med. Jo llasse: Die Erkrankungen des Magen- und Darm-Traktus. 4 ständig. —
Dr. med. Sudeck: Knochen-Erkrankungen. Platten-Diagnostik und Projektionen.
4 ständig. — Dr. med. Saenger: Die Röntgen-Diagnostik in der Neurologie.
2stündig. — Dr. med. Hahn: Die Behandlung der Hautkrankheiten und die ver¬
schiedenen Methoden der Dosierung. 3stündig. — Dr. med. Schwarz: Die
forensischen Gesichtspunkte bei der Amvendung der Röntgenstrahlen. 4stiindig. —
Dr. med. Wichmann: Radium-Forschung und Therapie. 4stündig. — Dr. Wagner:
Photographische Technik des Röntgen -Verfahrens, einschließlich des Herstellungs¬
verfahrens von Diapositiven für Projektionszwecke, sowie der Vergrößerung von
Röntgenplatten. Gstündig.
Schriftleitung : Dr. Ri gier in Leipzig.
Druck von Emil Herrmann senior in Leipzig.
27. Jahrgang.
1909.
fomcbrim der Medizin.
Unter Mitwirkung hervorragender Fachmänner
kerausgegeben von
Professor Dr. 0. Köster Prio. Doz. Dr. o. Criegern
in Leipzig. in Leipzig.
Schriftleitung: Dr. Rigler in Leipzig.
Nr. 19.
Erscheint am 10., 20., 30. jeden Monats. Preis halbjährlich
6 Mark, in kl. Zeitschrift für Yersicherungsmedizin 8 Mark.
Verlag von Georg Thieme, Leipzig.
10. Juli.
Originalarbeiten und Samm elberichte.
Seltenere Erscheinungsformen der infantilen Tetanie.
Von Prof. Dr. Rudolf Fischl, Prag.
Der Beginn des Frühjahrs mit seinem regelmäßigen Anstieg der
Frequenz von Tetaniefällen, welcher sich heuer in besonders intensiver
Weise bemerkbar machte, woran vielleicht der abnorm strenge Winter
schuld trug, hat meiner poliklinischen Abteilung eine größere Zahl
interessanter Beobachtungen aus diesem Krankheitsgebiete zugeführt.
Über zwei derselben, welche ich auch Gelegenheit nahm, im Verein
deutscher Ärzte zu demonstrieren, möchte ich an dieser Stelle kurz
berichten und im Anschlüsse noch einige Vorkommnisse aus meiner
privaten Praxis mitteilen, die gleichfalls zu dieser nosologischen Gruppe
in Beziehung stehen.
Seit dem Jahre 1896, in welchem ich die Ehre hatte, im Auftrag
der Gesellschaft für Kinderheilkunde gemeinsam mit Loos das Bef erat,
betreffend die Beziehungen zwischen Laryngo spasmus, Tetanie und
Bhachitis, auf der Tagung in Frankfurt a. M. zu erstatten, verfolge
ich das mir zufließende Material mit besonderem Interesse und bin
bemüht, es zu sichten und nach Möglichkeit zu verwerten. Der Wechsel
in den Anschauungen über das Wesen der Tetanie, die Einheitsbestre¬
bungen auf diesem Gebiete, die neuerdings mit guten Gründen betonte
Abhängigkeit des Leidens von Veränderungen der Epithelkörperchen,
all das ist ganz danach angetan, immer neue Anregungen zu bieten
und die Aufmerksamkeit stetig wach zu erhalten.
In der meisterhaften, vor kurzem erschienenen Monographie
Escherich’s1) ist die Entwicklung und der jetzige Stand der Lehre
von der Tetanie des Kindesalters in so ausgezeichneter Weise wiederge¬
geben, daß ich den Leser auf das Studium derselben mit allem Nach¬
drucke hinweisen muß und mich selbst bei mehrfachem Anlaß auf sie
beziehen werde.
Wenn ich in den folgenden Zeilen den bescheidenen Versuch wage,
einige Beiträge zur Kenntnis dieser Erkrankung zu liefern, so geschieht
dies nicht etwa in der Absicht, neue Gesichtspunkte zu entwickeln,
sondern lediglich zu dem Zwecke, die herrschende Ansicht durch eigene
Beobachtungen zu stützen und meine persönliche Anschauung über
ß Th. Esch erich: Die Tetanie der Kinder, Wien und Leipzig, A. Holder, 1909.
45
706
Rudolf Fischl,
die sogenannten „tetanoiden Zustände“ auf Grund von jahrelang ver¬
folgten Fällen zu präzisieren.
Der erste Fall, den ich mitteilen will, betrifft ein Kind männlichen
Geschlechtes, welches, zuerst im Alter von neun Monaten, in unsere poli¬
klinische Beobachtung kam und während der mehrwöchentlichein Dauer
derselben den typischen Symptomenkomplex der infantilen Tetanie, also
starke mechanische Ubererregbar keiil der peripheren Nervenstämme,
laryngospastische Anfälle, Tr ousseau’sches Phänomen und karpopedale
Spasmen von intermittierendem Charakter darbot, daneben mäßige Er¬
scheinungen florider Rhachitis zeigte und bei galvanischer Untersuchung
eine Steigerung der Erregbarkeit im anodischen Sinne (v. Pirquet)
aufwies, indem die Anodenöffnungszuckung bereits bei einer Strom¬
stärke von weniger als drei Milliampere in lebhafter Weise erfolgte.
Neben diesen vom gewöhnlichen Typus der infantilen Tetanie nicht
abweichenden Symptomen zeigte der Knabe jedoch eine Veränderung,
welche im frühen Kindesalter, im Gegensatz zu dem Verhalten tetanie-
kranker Erwachsener, als große Seltenheit bezeichnet werden muß.
Es handelte sich nämlich um trophische Störungen an den Nägeln
beider Daumen, welche nach etwa vierzehntägiger Dauer der Erkrankung
sich zu verfärben begannen, große Sprödigkeit und Längsriefung zeigten,
um sich schließlich langsam abzustoßen, während vom Nagelgrunde
her frische Nagelsubstanz von normalem Aussehen nachrückte. An
den übrigen Fingern der Hände, sowie an den Zehen war nichts der¬
artiges zu konstatieren, ebenso zeigten die Linsen beider Augen keine
Trübung, und auch an den Zähnen des Kindes, zur Zeit der Beobachtung
die beiden mittleren oberen und unteren Incisivi, waren keine Ver¬
änderungen vorhanden. Die ausschließliche Lokalisation der trophischen
Störung an den Daumennägeln ließ mich annehmen, daß der Druck,
dem dieselben während der Handkrämpfe ausgesetzt waren, bei denen
bekanntlich die Daumen in die Vola eingeschlagen sind, während sich
die anderen Finger darüber legen, ihre Ursache bildet.
Wie bereits erwähnt, gehören trophische Störungen bei infantiler
Tetanie zu den größten Seltenheiten ; die Literatur bringt nach dieser
Richtung nur einen Fall von Hoff mann1), bei dem es sich gleichfalls
um Veränderungen an den Nägeln handelte, und eine Beobachtung von
Peters2), die einen Schichtstar1 betrifft, und aus diesem Grunde glaubte
ich, won dem Vorkommnis kurze Erwähnung tun zu dürfen.
Uber den weiteren Verlauf des Falles ist zu berichten, daß er
sich durch eine gewisse Hartnäckigkeit auszeichnete, indem weder Phos¬
phorlebertrandarreichung, noch wiederholt durchgeführte temporäre
Mehl diät imstande waren, die laryngospastischen Anfälle prompt zu be¬
seitigen, wie dies sonst meist gelingt ; jetzt sind dieselben geschwunden,
was offenbar mit dem Eintritt warmen Wetters zusammenhängt, die
Daumennägel sind völlig restituiert und nur noch etwas höckerig. Das
Kind sieht gut aus, bietet jedoch in der besonders beim Weinen deutlich
verkniffenen Physiognomie (U f fenheimer’s Tetaniegesicht), dem immer
noch sehr lebhaften Fazialisphänomen (zweiten Grades nach v. Frankl-
Ho eh wart) und der deutlichen Ubererregbarkeit der großen Nerven¬
stämme an den Extremitäten, das Bild des tetanoiden Zustandes dar.
Während im allgemeinen die infantile Tetanie meist mit Beginn
ß Hoff mann: Deutsches Archiv für klin. Medizin, Bd. 43, S. 109.
2) Peters: Zeitschr. für Augenheilk., Bd. 5, S. 99.
Seltenere Erscheinungsformen der infantilen Tetanie.
707
des zweiten Lebenshalb jahres einsetzt und mit Abschluß des zweiten
Jahres schwindet, sind Fälle, in denen die manifesten Symptome ent¬
weder später beginnen oder länger dauern, ziemlich selten. Ich kann
auch über ein solches Vorkommnis berichten, welches in die Kategorie
der von Escherich als ,, akute rezidivierende Tetanie“ bezeichneten
Gruppe gehört.
Es handelt sich um einen Knaben, der im Alter von 3 LG Jahren
in unsere Beobachtung kam. Soweit die Anamnese seitens der ziemlich
unintelligenten Mutter erhoben werden konnte, war das Kind in normaler
Kopflage leicht geboren worden, hatte post partum keine auffallende
Asphyxie dargeboten, sich anfangs normal entwickelt und im Alter
von acht Monaten zum ersten Male Tetanieerscheinungen gezeigt,
die in Form von spontan auftretenden intermittierenden Spasmen der
oberen und unteren Extremitäten sowie laryngospas tischen Anfällen
sich manifestierten. Diese Erscheinungen wiederholten sich alljährlich
gegen Ende des Winters und zu Beginn des Frühlings, um im Sommer
wieder zurückzugehen, zeigten also typisch rezidivierenden Charakter,
und wir hatten Gelegenheit, die vierte Attacke der manifesten Tetanie-
phaso zu beobachten. Daneben entwickelte sich bei dem Kinde eine
schwere Khachitis, welche seine Gehfähigkeit stark beeinträchtigte,
so daß es erst mit 2 1/2 Jahren die ersten Versuche damit machen konnte.
In den Tetaniezeiten traten während des Gehens oft Krämpfe in den
Beinen auf, welche dem Patienten große Schmerzen verursachten und
häufig ein plötzliches Hinstürzen zur Folge hatten.
Als wir das Kind zum ersten Male im März d. J. sahen, bestand
hochgradige Khachitis, besonders im Bereiche des Schädels und der
Extremitätenknochen, welch’ letztere starke Auftreibung der Epiphysen
und bedeutende Verkrümmungen zeigten ; an den Zähnen war nichts
abnormes zu konstatieren. Der in seiner geistigen Entwicklung ziem¬
lich stark zurückjgebliebene Knabe zeigte das typische. Tetaniegesicht
in klassischer Weise, ein überaus lebhaftes Fazialisphänomen, starke
mechanische Übererregbarkeit beim Beklopfen des Kadialis und Peroneus,
sowie deutlichen Trousseau nach drei Minuten langer Kompression
des Plexus brachialis. Die wegen großer Unruhe nicht ganz leicht
durchführbare galvanische Untersuchung ergab, wie im vorigen Falle,
anodische Ubererregbarkeit (An. Ö. Z. <J als 2 Milliamp., An. S. Z. bei
4 M. A., K. S. Z. bei 2,5 M. A., K. Ö. Z. bei 6 M. A.). Daneben be¬
standen ziemlich häufige und recht intensive laryngospastische Anfälle.
Die Untersuchung der inneren Organe ergab etwas Katarrh über den
Lungen, ziemlich beträchtlichen derben Milztumor, sowie mäßige In-
tumeszenz der Leber ; die tastbaren Lymphdrüsen waren sämtlich in
geringem Grade vergrößert und hart. Die Temperatur erwies sich
als normal.
Als ich das Kind am 2. April d. J. im Ärzteverein demonstrierte,
hatte sich sein Zustand insofern verändert, als seit dem Vortage
tieber aufgetreten war. Das Fazialisphänomen ließ sich nicht hervor-
rufen, eine Erscheinung, auf die ich noch zurückkommen werde, hin¬
gegen war die starke mechanische Erregbarkeit an Kadialis und
Peroneus prompt zu zeigen, Trousseau noch vorhanden, jedoch ent¬
schieden schwächer als vorher.
Drei Tage später meldete uns die Mutter den Tod des Knaben,
welcher, nach ihrer Schilderung, in einem laryngospastiscben Anfalle
vom Charakter des Tetanus apnoicUs (Escherich) erfolgt sein mußte,
45*
708
Rudolf Fisch],
denn die Frau gab an, das Kind sei atemlos und dabei vollkommen
steif gewesen.
Die prinzipielle Bedeutung des Falles, die Literatur enthält keinen
Sektionsbefund neueren Datums, der das Verhalten der Epithelkörper¬
chen berücksichtigen würde, veranlaßte mich, die Eltern zur Bewilligung
der Obduktion zu bewegen, welche am 6. April im deutschen patho¬
logisch-anatomischen Institute von Privatdozent Dr. F. Lucksch vor¬
genommen wurde. Aus dem hierüber verfaßten Protokoll seien hier
nur die wichtigsten Punkte mitgeteilt :
Die Dura mater stärker gespannt, die inneren Meningen, sowie
das Gehirn stärker durchfeuchtet, die Ventrikel des letzteren erweitert
und mit klarer Flüssigkeit erfüllt. Die Epithelkörperchen von
rötlicher Farbe (Blutungen in denselben mit freiem Auge nicht wahr¬
nehmbar); die ary epiglottisc'hen Falten leicht ödematös. Die
Lymphdrüsen des Halses leicht vergrößert, z. T. weiß, z. T. rot,
ohne Zeichen von Tuberkulose. Die Thymus zirka 4 cm lang und
2 cm breit. In beiden Pleurahöhlen etwa 1/4 Liter klare Flüssigkeit
Die Lungen frei, an ihrer Oberfläche, besonders rechts, reichliche
miliare Knötchen. In der rechten Lunge um den Stammbronchus ein
Paket kleinkirschgroßer verkäster Lymphdrüsen, und um diese herum
am reichlichsten, aber auch sonst in der ganzen rechten Lunge miliare
Knötchen. In der linken Lunge nur vereinzelte solche. Im PLerz-
beutel klares Serum; das Herz oberflächlich ekchymosiert, in all
seinen Anteilen vergrößert, sämtliche Höhlen dilatiert und mit schwarzen
Cruormassen prall gefüllt. Klappen und Intima der Aorta zart. Im
Bauchraum klare bräunliche Flüssigkeit. Leber groß, stumpf randig,
blaurot, von einzelnen miliaren Knötchen durchsetzt. Milz vergrößert,
Kapsel gespannt, Parenchym schwarzrot, enthält miliare Knötchen.
Die Nieren blaß, gleichfalls miliare Knötchen zeigend. Am Skelett
frische rhachitische Veränderungen.
Die pathologiscih-anatomisiche Diagnose lautete: (Tetania
recidivans), Oedema glottidis, Rhachitis florida (Hydrocephalus chroni¬
cus, Intumescentia costarum, Genua vara), Tbc. chronica glandul.
lymphatic. bronchial. Tbc. miliaris universalis. Hydrops universalis.
Bei der Präparation der Epithelkörperchen gelang es nur, die
beiden linken und das rechte obere aufzufinden, welche, ebenso wie
Schilddrüse und Hypophyse, in 10°/0ige Formolmutterlösung eingelegt
wurden (die Thymus wurde leider nicht aufbewahrt).
Die histologische Untersuchung der Thyreoidea und .Hypophyse,
welche Lucksch vorzunehmen die Güte hatte, ergab normale Verhält¬
nisse. Von den drei Epithelkörperchen fertigte er Serienschnitte an,
die mit Boraxkarmin -Berlinerblau gefärbt und mir freundlichst zur
Untersuchung überlassen wurden. Der Befund war folgender: Im
rechten oberen Epithelkörperchen erscheinen die Gefäße ziemlich
stark erweitert und blutgefüllt; an der Peripherie sieht man im inter¬
stitiellen Bindegewebe einzelne aus homogenen gelbbraunen Schollen
bestehende Haufen von verändertem Blutfarbstoff (positive Berliner¬
blaureaktion). In einzelnen Schnitten ist auch ein größerer derartiger,
gleichfalls peripher im Bindegewebe situierter Herd zu finden. An den
Epithelien selbst sind keine Veränderungen zu bemerken, Mitosen der
Kerne fehlen, die glykogenhaltigen Elemente sind spärlich, oxyphile
überhaupt nicht vorhanden.
Das linke obere Epithelkörperchen zeigt die gleichen Ver-
Seltenere Erscheinungsformen der infantilen Tetanie.
709
änderungen, jedoch in viel ansgesprochenerem Maße. Besonders stark
ist die Hyperämie im Bereiche der peripher ziehenden Gefäße, und
längs der Bindegewebskapsel sieht man einen ganzen Kranz der oben
beschriebenen Herde von Blutfarbstoff in den interstitiellen Faser zügen
eingelagert, wobei nahe Beziehungen zu den dilatierten Bluthahnen be¬
stehen. Spärlichere und kleinere derartige Herde erscheinen auch in
den zentralen Bindegewehszügeh gelagert.
Das linke untere Epithelkörperchen bietet in den Schnitten
eine besonders hochgradige Gefäßfüllung dar, welche sich auch auf
die Kapillaren erstreckt, so daß diese wie in einem Injektionspräparat
hervortreten. Die mehrfach erwähnten Anhäufungen von Blutfarbstoff¬
schollen sind in diesem Epithelkörperchen viel spärlicher (1 — 2 in jedem
Schnitte) und ziemlich klein. Miliartuberkel konnten bei sorgsamer
Durchsicht der Präparate in denselben nicht gefunden werden.
Wir haben also in einem Falle von sogenannter akuter rezidivieren¬
der Tetanie, der bereits die vierte Attacke der manifesten Symptome
darbot, Veränderungen in den Epithelkörperchen gefunden, welche auf
vor längerer Zeit in ihr Gewebe erfolgte Blutungen hinweisen und
sich völlig mit der Beschreihung decken, wie sie Yanase1) und Erd¬
heim2) geben, und deren Aussehen auf etwa einjähriges Zurück¬
liegen der Hämorrhagien deutet. Die ungemein ausgesprochene Blut¬
überfüllung der Gefäße im linken unteren Epithelkörperchen läßt ver¬
muten, daß es bei Fortbestand der Erkrankung in diesem, vielleicht auch
in den anderen, zu neuen Blutaustritten gekommen wäre, so daß wir
ungezwungenerweise annehmen können, das: Rezidivieren der manifesten
Erscheinungen in den einzelnen Jahren sei auf immer wieder sich er¬
neuernde Epithelkörperchenblutungen zurückzuführen. W elches die letz¬
ten Ursachen derselben sind, darüber kann man sich allerdings nur
vermutungsweise äußern; hochgradige Stauungserscheinungen waren ja
an der Leiche vorhanden, die starke Intumeszenz von Milz und Leber
lassen auch an Abweichungen von der normalen Hämatopoese denken,
die floride Rhachitis mag gleichfalls ihren Anteil haben, und so wirkten
mehrere Momente mit, um in diesen offenbar schon von der Geburt
her geschädigten Organen immer wieder neue Veränderungen zu setzen,
welche den Symptomenkomplex der manifesten Tetanie und ihrer inter-
vallären Symptome bei dem Kinde dauernd unterhielten.
Ich sehe gerade darin die prinzipielle Bedeutung des Falles und
eine wesentliche Stütze der parathyreoidalen Theorie der Tetanie, daß
ein Verlauf von eminent chronischem und rezidivierendem Charakter
mit greifbaren und relativ frischen Veränderungen an den Epithel¬
körperchen einherging.
Der Tod war offenbar in einem laryngospastischen Anfalle er¬
folgt, und ist auch der Befund des aryepiglottischen Ödems ziemlich
selten, da solche Kinder meist nur Herzdilatation ohne lokale Erschei¬
nungen im Larynx aufweisen. Es spricht dies dafür, daß nicht jeder
Exitus im Laryngospasmus als reiner Herztod aufzufassen ist.
Die miliare Tuberkulose war offenbar erst in den letzten Tagen
entstanden, die Dissemination auch noch ziemlich spärlich und kam
nicht als Todesursache in Betracht.
Während ich bisher nur die einzelnen in kasuistischer und ätio-
3) Yanase: Jahrb. für Kinderheilk., Bd. 67, 1908, Ergänzungsheft, S. 57.
2) Erdheim: Zeitschr. für Heilk., 1904.
710
Rudolf Fischl,
logischer Richtung bemerkenswerten Beobachtungen aus der letzten
Zeit mitgeteilt habe, möchte ich mich nunmehr noch in aller Kürze
mit den unter der Bezeichnung tetanoider Zustand (Esic'herich), oder
spasmophile Diathese (Th ie mich) gehenden Zuständen beschäftigen,
für welche ich gleichfalls einige aus der privaten Praxis stammende
Paradigmen von recht leigentümlichem Charakter beizubringen in der
Lage bin.
Zunächst will ich über einen jetzt 7 Jahre alten Knaben berichten,
den ich von der Geburt an kenne, dessen Familiengeschichte mir genau
vertraut ist, und welcher ganz merkwürdige Erseheinungen und eine
ganz besondere Entwicklung dieses Leidens darbietet. Um die genauere
Erkenntnis und Dauer beobachtung derartiger Fälle haben sich in den
letzten Jahren besonders Thiemich1), Thiemich und Birk2), sowie
Potpeschnigg3) verdient gemacht, auf deren Arbeiten ich hiermit
verweise.
Der in Red o stehende Knabe stammt von einem neur asthenischen an
Glykosurie (welche auch einige Brüder darbieten) leidenden Vater und
einer sehr zarten, kleinen, anämischen Mutter, die gleichfalls zu den
Nervösen gehört und im Alter von etwa 17 Jahren einen Anfall von
Cholelithiasis durchgemacht hat. Beide Eltern haben in ihrer Jugend
niemals an Krämpfen gelitten und zeigen kein Fazialisphänomen. Der
Knabe wurde etwas vorzeitig spontan in Kopflage leicht geboren, wog
2600 Gramm und entwickelte sich bei einer Ammei in durchaus befrie¬
digender Weise. Er hat weder nennenswerte Erscheinungen von
Rhachitis, noch irgendwelche auf Tetanie deutende Symptome gezeigt,
wenigstens war in den ersten 1 1/2 Jahren seines Lebens nicht der
geringste Anlaß vorhanden, ihn nach dieser Richtung zu untersuchen.
Im Mai des Jahres 1904 trat bei ihm im Gefolge einer mit leichtem
Fieber einhergehenden Verdauungsstörung ein heftiger eklamp bischer
Anfall auf, dem sich in kurzem Intervall weitere Attacken anschlossen,
bis sich schließlich im Verlaufe zweiep Tage ein schwerer Status
eclampticus entwickelte, der mit völligem Schwund des Bewußtseins
und so bedrohlichen Erscheinungen einherging, daß zur Chlor oform-
tnarkose geschritten werden mußte. Diese beendete die Krämpfe, nach
welchen durch mehrere Wochen eine Parese des linken Mundfazialis
zurückblieb, die sich später spurlos verlor. Nach der Genesung war
ich in der Lage, bei dem Jungen ein überaus intensives Fazialisphänomen
nachzuweisen, das seitdem in unverminderter Stärke andauert. Eine
mechanische Übererregbarkeit an Radialis und Peroneus bestand nie,
auch waren seit dieser Zeit weder klonische, noch tonische Krämpfe,
noch laryngospastische Attacken zu konstatieren. Hingegen ist eine
V erdauungsstörung zurückgeblieben, die in Neigung zu Stypsis, reich¬
licher Xndicanurie und häufig wiederkehrendem Lichen urticatus ihren
Ausdruck hat. Als neues Symptom stellten sieb mit 21/2 -Jahren eigen¬
tümliche an Petit mal erinnernde Anfälle ein, die in verschiedenen Inter¬
vallen, am seltensten in der warmen Jahreszeit, auftraten, bald, mehrmals
im Tage sich wiederholten, bald wochen- bis monatelange Pausen machten
und in ihrer Intensität im Laufe der Jahre eine entschiedene Ab¬
schwächung zeigen. Sie gingen niemals mit völligem Schwund des
Bewußtseins einher, auch das Erinnerungsvermögen war nie wesentlich
0 Thiemich, Monatsschr. für Kinderheilk., Bd. 1, S. 160.
2) Thiemich-Birk, Jahrb. für Kinderheilk., Bd. 65, S. 16.
3) Potpeschnigg: Archiv für Kinderheilk., Bd. 47, S. 360.
Seltenere Erscheinungsformen der infantilen Tetanie.
711.
beeinträchtigt, die Pupillenreaktion während der Attacke erhalten. Meist
klagte das sich intellektuell ungemein rasch entwickelnde, entschieden
frühreife und altkluge Kind über Übelkeit, die durch eine unangenehme
Geruchsempfindung (es beschuldigte den Rauch einer Zigarre, auch
wenn in dem Zimmer nicht geraucht wurde) hervorgerufen war, wurde
blaß, sank in Sessel zurück, erholte sich jedoch nach 1 — 2 Minuten
wieder, war aber danach schlaf süchtig und verfiel meist in 1 — 2 Stun¬
den dauernden Schlummer. In den letzten zwei Jahren sind, vielleicht
unter dem Einflüsse protahierter Bromtherapie, die Attacken seltener
geworden, das Kind fühlt den Anfall kommen, dessen Dauer nur noch
wenige Sekunden beträgt, und der keine Schlafsucht zurückläßt. Eine
gewisse Beziehung zur gestörten Darmtätigkeit ist unverkennbar, denn
zuzeiten stärkerer Stypsis häufen sich diese Anfälle, und erst der
Ausbruch einer reichlichen Strophuluseruption beendet eine solche Epoche.
Die im Mai dieses Jahres von mir vorgenommene galvanische
Untersuchung ergab eine stark kathodische Übererregbarkeit (K. 0. Z.
bei unter 2 Milliampere). Geistig hat sich der Knabe in geraduzu be¬
ängstigender Weise entwickelt, führt altkluge Reden und überrascht
seinen Lehrer durch die dem Alter weit vorauseilende Auffassungsgabe.
Körperlich ist er zurückgeblieben, ein kleiner Mann, bei dem die früh¬
reifen Aussprüche doppelt merkwürdig erscheinen. Eine eigentümliche
Beschaffenheit zeigen die Schneidezähne im Ober- und Unterkiefer,
welche ganz kurz wie abgebrochen erscheinen und nur wenig über
den Saum der Gingiva hervorragen. Ob dies durch Schmelzdefekte und
nach hörige partielle Abbröckelung entstanden ist, kann ich nicht sagen,
da das Kind nicht in Prag lebt und mir nur von Zeit zu Zeit vorge¬
führt wird.
Sein psychisches Verhalten ist gleichfalls ein ganz eigentümliches :
ich kann es nicht anders als mit der Bezeichnung unhemmbarer Taten¬
drang charakterisieren. Ohne jede Veranlassung schlägt der Knabe
mit den Händen auf Polster oder Stühle los, seine Liebkosungen zeigen
einen geradezu dramatischen Zug, mag man ihm noch so oft am Tage
vor Augen kommen, die Schilderung seiner Fähigkeiten ist eine stark
übertriebene (,,ich kann springen, daß die ganze Weit zittert“) und
steht zu seinem wirklichen Geschick in gar keinem Verhältnis ; dabei
ist ein egoistischer Zug in seinem Wesen stark ausgesprochen, jäher
Stimmungswechsel an der Tagesordnung ; Störrigkeit und geringe Nei¬
gung zum Folgen, sowie geringe Reaktion auf moralische Strafen oder
körperliche Züchtigung ergänzen das eigentümliche Bild.
Ein jüngerer, jetzt 1 1/2 Jahre alter Bruder ist sowohl in körper¬
licher als geistiger Hinsicht sein gerades Widerspiel und zeigt keine
Spur von Übererregbarkeit, der Typus eines somatisch glänzend ent¬
wickelten, ruhigen, gutmütigen und in normalem Tempo geistig heran¬
reifenden Knaben.
Es ist nicht leicht, sich über das Wesen des vorliegenden Zustandes
ein sicheres Urteil zu bilden. Ich glaube nicht, daß wir berechtigt
sind, den Fall zur infantilen Tetanie zu rechnen, denn eine so lange
Latenz der Erscheinungen wäre wohl nicht gut erklärlich. Anderen
seits aber sprechen das intensive Fazialisphänomen, die kathodische
Ubererregbarkeit und die an Petit mal erinnernden Attacken für einen
tetanoideo Zustand, dessen Beginn wir allerdings nicht in die Zeit der
Geburt, sondern etwa in das vierte Lebenshalbjahr verlegen müssen, also
in die Zeit des gehäuften Auftretens der eklamptischen Anfälle. Ich
712
Rudolf Fischl,
stelle mir vor, daß diese zu Blutungen in die Epithelkörperchen ge¬
führt haben, als deren weitere Folgen sich die geschilderten Zustände
entwickelten.
Gleichfalls ziemlich eigentümliche Symptome zeigt eine Kusine
des Knaben, ein jetzt 6 Jahre altes Mädchen. Ihre Mutter ist tadellos
gesund und kräftig, der Vater, ein Bruder des Vaters des vorerwähnten
Patienten, hat vor etwa 18 Jahren eine luetische Infektion durch¬
gemacht und laboriert seit dieser Zeit an Magenbeschwerden. Seiner
Ehe sind zwei Kinder entsprossen, die ältere ist unsere Patientin, die
jüngere war ein überaus kräftiges Mädchen, das im Sommer vorigen
Jahres einer dysenteriformen Oolieolitis verlag und niemals auf Teta¬
nie oder einen tetanoiden Zustand hinweisende Symptome aufwies.
Ebenso zeigen die Eltern keine Fazialisphänomen. Das ältere Töchter-
chen, welches ich von seiner Geburt an beobachte, hat sich bei der
Amme brillant entwickelt und weder belangreichere rhachi tische Sym¬
ptome, noch irgendwelche Erscheinungen von seiten des Nervensystems
gezeigt, die in die Gruppe der tetanoiden gerechnet werden könnten.
Nur ein überaus lebhaftes Eazialisphänomen, welches ihre jüngere seither
verstorbene Schwester stets vermissen ließ, mußte in dieser Richtung
gedeutet werden, an den übrigen peripheren Nerven bestand keine
mechanische Ubererregbarkeit, und eine galvanische Untersuchung hatte
ich bisher keine Gelegenheit vorzunehmen. Sonst zeigt die Kleine, welche
sich in intellektueller Hinsicht normal entwickelt, deutliche hysterische
Manifestationen, so Lidflattern, ein eigentümliches kokettes "Wesen,
wenig ausgebreitte Anästhesie im Bachen und Anfälle von heftigem
Erbrechen mit Azetonurie, deren hysterischer Charakter in diesem Falle
aus dem prompten Erfolg einer rein suggestiven Therapie mit
ziemlicher Sicherheit hervorgeht. Sie hat im Vorjahre, gleichzeitig
mit ihrem, diesem Leiden erlegenen Schwesterchen, eine dysenteriforme
hoch febrile Colitis (kulturell lediglich Bact. coli) durchgemacht und
sich seitdem körperlich in ausgezeichneter Weise entwickelt.
Sind wir berechtigt) diesen Fall, der in gewissem Sinne fami¬
liäre Beziehungen zu dem vorigen aufweist, die Väter der beiden Kinder
sind ja Brüder, als tetanoiden Zustand aufzufassen, oder ist das überaus
starke Fazialisphänomen den sonstigen bei dem Kinde vorhandenen
hysterischen Manifestationen zuzuzählen ? Eine gewisse Entscheidung
dürfte die Prüfung mit dem galvanischen Strome bringen, welche übri¬
gens, meiner festen Überzeugung nach, gesteigerte Werte ergeben wird,
da so lebhafte Fazialisphänomene erfahrungsgemäß mit einer solchen ein¬
hergehen. Aber auch ohne dieselbe möchte ich die Erscheinungen der
Hj’sterie und des tetanoiden Zustandes als ätiologisch nicht zueinander
in Beziehung stehende, sondern lediglich nebeneinander vorhandene deu¬
ten, und von tetanoidem Zustand bei einem hysterischen Kinde sprechen.
Denn ich stehe, auf Grund meiner Erfahrungen, völlig auf dem von
Chvostek1) entwickelten Standpunkte, daß höhergradige Fazialis¬
phänomene in das Gebiet der tetanoiden Kennzeichen gehören.
In wie eigentümlicher, ich möchte sagen skizzenhafter Form, ein
solcher tetanoider Zustand eine ganze Familie nur streifen kann, zeigt
die folgende Beobachtung. Es handelt sich um die Gattin und die fünf
Kinder eines seit etwa zwei J ahnen in Prag tätigen Kollegen. Die Dame,
welche Anfang der Vierziger steht, und einen völlig gesunden Eindruck
1) Chvostek: Wiener klin. Wo chens ehr., Nr. 17, 1907.
Seltenere Erscheinungsformen der infantilen Tetanie.
713
macht, sie ist lediglich Trägerin einer kleinen parenchymatösen Struma,
soll in ihrer Kindheit viel und in intensiver Weise an Krämpfen ge¬
litten haben, die hei ihr in so heftiger und gehäufter Art auftrafen,
daß sie von den Ärzten wiederholt aufgegeben wurde. Sie hat ihre
sämtlichen fünf Kinder selbst gestillt, ohne während der Gravidität
und Laktation irgendwelche Tetaniesymptome gezeigt zu haben. Momen¬
tan bietet sie ein lebhaftes Fazialisphänomen dar, welches, nach dem
Bericht ihres Gatten, vor einiger Zeit, als die Dame wegen der Be¬
schwerden, welche ihr die Struma verursachte, Schilddrüsentabletten
nahm, besonders intensiv gewesen sein soll.
Als ich den jüngsten, drei Jahre alten, prächtig entwickelten und
geistig überaus geweckten Knaben wegen einer febrilen Indigestion behan¬
delte, nahm ich in der Rekonvaleszenz zufällig Gelegenheit, ihn auf die
Wangen zu klopfen und entdeckte dabei sein, äußerst lebhaftes Fazialis¬
phänomen. Ich ließ nun auch die andern vier Kinder, drei Knaben
und ein Mädchen im Alter von 13 bis zu 7 Jahren, sämtlich blühende
und kerngesunde Individuen, aufmarschieren und konstatierte bei allen
die gleiche Erscheinung. Keines dieser Kinder soll, nach den anamnesti¬
schen Erhebungen, jemals an Laryngospasmus oder ähnlichen Zuständen
gelitten haben, und nur der Zweitälteste Knabe hatte im Alter von
1 V2 Jahren zwei kurzdauernde eklamp tische Anfälle, die ohne Hinter¬
lassung von irgendwelchen Folgen rasch vorübergingen. Die geistige
Entwicklung der Kinder ist eine völlig normale, ihre Lernfähigkeit
ausgezeichnet und ihr körperliches Befinden entspricht, wie schon er¬
wähnt, auch hochgespannten Anforderungen. Der Vater, ein kräftiger
robuster Mann, abgehärtet und passionierter Jäger, zeigt kein Fazialis¬
phänomen.
Wir müssen also für diese interessante Familienbeobachtung an¬
nehmen, daß die Mutter in ihrer frühen Kindheit schwere Tetanie
und Eklampsie gezeigt hat, als deren Residuum bei ihr noch die Uber¬
erregbarkeit des Fazialis zurückgeblieben ist, während bei der Des¬
zendenz ein tetanoider Zustand sich entwickelte, dessen Grundlage
die auf dem Wege der Saugung und der mütterlichen Heredität über¬
mittelte Hypofunktion der Epithelkörperchen ist, welche bei den Kin¬
dern in dem lebhaften Fazialisphänomen zum Ausdrucke kommt. Bei
einem derselben vermochte eine Gelegenheitsursache die schlummernde
Krampfdisposition zum eklamp tischen Anfall zu steigern, bei den
anderen ist der Zustand auf der niedrigsten Stufe, die man geradezu
als forme fruste bezeichnen kann, stehen geblieben.
Eine Beobachtung, welche ich bisher in allen mir untergekommenen
Fällen von lebhafterem Fazialisphänomen, und zwar auch im Verlaufe
manifester Tetanie und in Kombination mit anderen Latenzsymptomen,
machen konnte, ist Schwund desselben bei febrilen Temperaturerhebungen
und Wiederkehr nach Fieber abf all. Für die sonstigen der Untersuchung
zugänglichen Nervenstämme gilt dies . nicht, und für das elektrische
A erhalten habe ich noch nicht Gelegenheit gehabt, es zu prüfen. Immer¬
hin verdient diese bisher nirgends erwähnte Tatsache der Hervorhebung.
Das genauere Studium und die längere Verfolgung der unter die
Krankheitsgruppe Tetanie und tetanoide Zustände einzureihenden Be¬
obachtungen ergibt somit eine Reihe von interessanten und bemerkens¬
werten Gesichtspunkten, zu denen bescheidene Beiträge aus der eigenen
Erfahrung beizubringen ich in vorstehenden Zeilen bemüht gewesen bin.
714
A. Stühmer, Luesnachweis durch Farbenreaktion.
Aus der inneren Abteilung der Krankenanstalt Altstadt zu Magdeburg.
Oberarzt: Dr. Schreiber.
Luesnachweis durch Farbenreaktion.
Von A. Stühmer, Medizinalpraktikant.
Die Arbeit von Bi ach in der Wiener klin. Wochenschrift 1909,
Nr. 17 über die von Schür mann in Düsseldorf angegebene Farben¬
reaktion anf Syphilis veranlaßt mich, auch meine Erfahrungen über
diese Reaktion bekannt zu geben.
In Nr. 14 der Deutschen medizinischen Wochenschrift 1909 gibt
Schür mann in einer „vorläufigen“ Mitteilung ein Verfahren an, das
durch seine Einfachheit geeignet ist, die Aufmerksamkeit des Prak¬
tikers in hohem Maße auf sich zu lenken. Die theoretischen Grund¬
lagen der Reaktion deutet Sch. nur an, und es erübrigt sich daher,
darauf näher einzugehen. Es mag genügen zu erwähnen, daß Sch.
die Milchsäure als spezifisch für luetische Sera ansieht und dement¬
sprechend mit dem Uf f elmann’schen Reagens operiert. Die Technik
gibt er wie folgt an :
„0,1 Serum verdünnte ich mit physiologischer NaCl-Lösung auf
3 resp. 4 ccm, fügte einen Tropfen Perhydrol (Merck) zu, schüttelte
die Lösung gut durch und setzte 0,5 ccm des Reagens zu. Bei meinen
Anfan gsversuchen habe ich folgendes Reagens benutzt :
Phenol 0,5
5°/0 Eisenchlorid 0,62
Aqua destill. 34,5.“
Beim Einbringen des Reagens sollen nun folgende Erscheinungen
zu beobachten sein:
„Die normale Blutserumverdünnung zeigt nach Einbringung des
Reagens eine leichte Grünfärbung am oberen Rande, die beim Schütteln
entweder vollkommen vergeht oder einen leicht grünblauen Farbton
hinterläßt ; die Mischung an sich bleibt stets durchsichtig klar. Ganz
anders verhält es sich bei dem syphilitischen Blutserum. Hier tritt
meistens sofort nach dem Zusammenbringen mit dem Reagens ein
schwarzbrauner, stumpfer Ton auf ; die Lösung an sich macht beim
Schütteln einen dickflüssigen Eindruck. — Das syphilitische Blut zeigt
im Gegensatz zum normalen nach Einbringen des Reagens stets ein
starkes Schäumen. Die Reaktion an sich verläuft in 1 — 2 Minuten.
Ein späteres Nachdunkeln der schon einige Zeit hell gebliebenen Flüssig¬
keit ist ohne diagnostische Bedeutung. Ein leichtes Braunwerden, aber
vollständiges Durchsichtigbleiben der Flüssigkeit deutet höchstens auf
eine leichte Hemmung hin, wie sie auch die Was'sermannsche Re¬
aktion zeigt.“
Ich habe nach dieser Methode 50 Fälle untersucht unter Kontrolle
der Wassermann sehen Reaktion und folgendes festgestellt:
Ich wählte einerseits sicher luetische und andererseits sicher
nicht luetische Sera. Unter den letzteren befanden sich Sera von
Phthisis, Pneumonie, Influenza, Scharlach, Magendarmerkrankungen,
Nephritis und dergl. ohne jede Auswahl. Was nun zunächst das Auf¬
schäumen der luetischen Sera, betrifft, so kann ich die Angaben Sch. ’s
nicht bestätigen. Beim Einbringen des Reagens schäumte kein ein¬
ziges auf. Wohl aber war beim Zusatz des Perhydrols eine leichte
Schaumbildung bei allen zu beobachten, die aber mit der luetischen
Natur des Serums nichts zu tun haben dürfte, vielmehr eine Folge
der Reduktion des Blutfarbstoffs ist.
Ehrmann und Fuld, 26. Kongreß für innere Medizin zu Wiesbaden.
715
Die Farbenveränderungen, die an den Seris vorgingen, las ich
zu den verschiedensten Zeiten ab. Gleich nach dem Einbringen des
Reagens verhielten sich alle Sera fast gleich. Es bildete sich am oberen
Rande der Flüssigkeit ein bräunlicher oder grüner Ring, der bei allen
nach dem Schütteln verschwand und einer leichten Blaugrünfärbung der
gesamten Flüssigkeit Platz machte. Einige Sera aber keineswegs, nur
die luetischen gingen alsbald in einen mehr braunen Farbenton über,
blieben dabei aber hell und durchsichtig. Nach zwei Minuten konnte
ich bei keinem einzigen Röhrchen einen ,, stumpfen, undurchsichtigen
Farbenton“ wahrnehmen. Erst nach längerem Stehen schied sich bei
einer Reihe ein schwarzbrauner Niederschlag ab, der sich im Verlauf
einiger Stunden am Boden absetzte. In dieser Weise sah ich die Re¬
aktion bei Phthisis, Pneumonie und Lues ohne jeden Unterschied ab¬
laufen. Einige sicher luetische Sera blieben absolut klar und fast
farblos, während wiederum sicher nicht luetische einen dicken Boden¬
satz vor allen anderen absetzten.
Trotz sorgfältigster Beachtung der von Schür mann gegebenen
Vorschriften konnte ich also ein spezifisches Verhalten der luetischen
Sera nicht beobachten. Inzwischen sind Schmincke, Stoeber, Mei-
rowsky und Galambos (Deut. med. W. 1909, Nr. 21 u. 22) zu dem¬
selben Ergebnis gekommen.
So wünschenswert es auch wäre, eine Reaktion auf Lues zu be¬
sitzen, die einfach anzustellen wäre wie dies Sch.’sche Verfahren, so
muß doch diese Methode als völlig unbrauchbar abgewiesen werden.
Vielleicht gelingt es auf einem ähnlichen Wege dies Ziel zu erreichen.
Jedenfalls bleibt bisher eine der Komplementbindungsmethoden immer
noch das ultimum refugium.
26. Kongreß für innere Medizin zu Wiesbaden.
19.— 22. April 1909.
Berichtserstatter: Dr. Ehrmann und Dr. Ful(l.
(Fortsetzung.)
III. Sitzung vom 20. April 1909, vormittags.
Vorsitzender: Schultze-Bonn.
Lenhartz - Hamburg : Über die Behandlung des Magen¬
geschwürs,
Die Leube’sche Schonungsdiät führt manchmal, besonders bei
stark ausgebluteten und entkräfteten Patienten, doch nicht zum Er¬
folg. Außerdem kann man die. vorhandene freie Salzsäure am besten
mit Eiweiß sättigen. Daher hat L. eine eiweißhaltige Diät seiner¬
zeit vorgeschlagen und sie seither, ebenso wie auch andere Kliniker,
mit sehr gutem Erfolg durchgeführt. 295 Fälle, 262 davon nach star¬
ker Blutung, wurden nach der Methode vom Vortr. behandelt. Da¬
von starben nur 7, d. h. 2,3°/0. Nur 18 Patienten zeigten eine Wieder¬
holung der Blutung während der Behandlung. Narkotika wurden, im
Gegensatz zur Leubekur, nicht gegeben. Der Vortr. gibt, wie be¬
kannt, sofort nach der Blutung geschlagenes Ei, insgesamt zwei Eier
und 200 ccm Milch am ersten Tage. Im Laufe einer Woche wird
bis zu acht Eiern und einem Liter Milch angestiegen.
Von Minkowski wurden mit dieser Behandlung ebenfalls gün¬
stige Erfahrungen gemacht. Der Vortr. hat mit seiner Kur eine bes¬
sere Mortalitätsstatistik erzielt, als man bisher mit der Leubekur hatte.
716
Ehrmann und Fuld,
Als geheilt wurden die Patienten erst entlassen, wenn mehrere
Wochen lang die Fäces blutfrei blieben. Zeigen die Päces jedoch an¬
dauernd weiter Blut, so muß man auf Karzinom, Leberzirrhose usw.
schließen.
Bosenfeld - Breslau : Über Behandlung von Magenkrank¬
heiten.
Für alle Magenleiden ist die leichtest zu ertragende Substanz
das Fett, besonders als Sahne. Die Eröffnung des Pylorus ist be¬
stimmend für alle Maßnahmen und wird in erster Beihe bedingt
durch die Ordination von Fett. Die in zweiter Beihe auszuwählende
Begleitkost wird nach dem Vorhandensein oder' dem Mangel von Salz¬
säure bestimmt, so nämlich, daß bei den aziden Mägen Eiweißkörper
gegeben und Kohlehydrate in Form von Stärkemehl sorgsam vermieden
werden, da sie die Eröffnung des Pylorus erschweren. Die Begleit¬
kost für andere Mägen besteht in wenig Eiweiß und reichlich Kohle¬
hydraten. Die Mahlzeiten sollen sechs Stunden auseinanderliegen,
damit der Magen auch einmal Buhe bekommt. Vor dieser Kur, be¬
sonders aber bei Magenschmerzen, wendet B. eine Vorkur an, die
,, Nichtsalzsahnenkost“, welche darin besteht, daß vier Tage lang drei-
oder viermal je 1/2 1 Sahne verabfolgt wird, was sofort schmerzstil¬
lend wirkt. Auch bei Magenblutungen wirkt diese Kost sofort blut¬
stillend, indem sie denselben Bedingungen genügt, wie die Gastro¬
enterostomie. Sie eröffnet den Pylorus und bewirkt außerdem die
Verminderung der Salzsäure. Diese Kur, die zwei Jahre vor der
Lenhartz’schen Publikation mitgeteilt wurde, genügt allen theore¬
tischen und klinischen Indikationen bei der Behandlung des bluten¬
den Ulkus.
Diskussion.
v. Leube -Würzburg : Er habe schon vor elf Jahren 2°/0 Morta¬
lität gehabt gegen 13°/0 vor Einführung seiner Kur. Seitdem hat er
insgesamt 627 Patienten mit Ulkus behandelt, davon starben nur
0,3 °/0. Auch bei blutenden Geschwüren hat er nur 2,5 °/0 Mortalität
gehabt.
Es gibt Fälle, bei denen jede Nahrungszufuhr Erbrechen macht
und eine neue Blutung hervorrufen kann. Deshalb ist Abstinenz not¬
wendig. Morphium hat er nur zur Buhigstellung der Peristaltik ge¬
geben. Gegen Blutung gibt er 30 Tropfen 1 prom. Adrenalins. Eisen
wird während der Kur nicht gut vertragen.
Bei nicht blutenden Ulcera hatte er keinen Todesfall und 90°/0
Heilungen meist in .4 — 5 Wochen.
Fuld-Berlin: Bei Ulcus ventriculi fehlt Antipepsin und Anti¬
trypsin. Er hat bei chronischem Ulkus gemeinsam mit Katzen stein
ein Präparat aus trockenem gepulvertem Serum, Amynin (Freund &
Bedlich) gereicht und gute Erfolge erzielt.
v. M ü 11 er- München : Superazidität ist in München bei Ulkus
sehr selten. Daher ist dort auch der Schmerz nicht zu finden. Am
Lebenden kann eine Heilung .des Ulkus nicht festgestellt werden. Der
Hungerzustand bedeutet keine Schädigung des Gesamtorganismus. Bei
hohen Adrenalingaben per ps hat er ungünstigen Ausgang gesehen.
v. Krehl - Heidelberg : Die Lenhartz’sche Methode läßt sich
individuell sehr abändern, was ein großer Vorteil sei.
26. Kongreß für innere Medizin zu Wiesbaden.
717
Auch er hat regionäre Unterschiede gesehen bezüglich der Hyper¬
sekretion. Man muß auf dem empirischen Wege, nicht auf dem ex¬
perimentellen hier weiterzukommen suchen.
Fl einer- Heidelberg: Magengeschwüre sind sehr verschieden nach
Sitz, Größe usw. Er geht bei der Behandlung sehr vorsichtig nach
Leube im Anfang vor. Dann kann man mit der Kost, ganz nach
den individuellen Verhältnissen, vorsichtig weitergehen.
Eine gute Kontraktion des Magens durch heiße Umschläge oder
Eisblase ist dabei wichtig.
Gerhardt-Basel: Seit D/2 Jahren behandelt er nach Lenhartz;
vorher wurde unter Hls nach Leube behandelt. Beide Methoden haben
gleich günstige Resultate nach seiner Statistik ergeben.
P lönies- Dresden : Die Milch bildet dicke Brocken im Magen;
er gibt daher Schleimsuppen mit Ei.
Stintzing- Jena: Eier und Zucker, was Lenhartz gibt, wer¬
den manchmal nicht gern genommen. Er hat auch bei blutenden
Ulcera mit Lenhartz’ scher Kost Erfolge gehabt. Man solle die Aus¬
drücke Perazidität, Subazidität, Inazidität statt der Barbarismen an¬
wenden.
A. Schmidt-Halle: Das Wichtigste in der Behandlung ist die
Bettruhe ; die Diät kommt erst an zweiter Stelle. Die Bettruhe muß
möglichst lange dauern. Vielleicht spielt hierbei der Übergang der
Rieder’schen Hakenform des Magens in die Kuhhornform eine Bolle.
v. T ab ora- Straßburg : 3 — 4 mg Atropin unterdrücken die Salz¬
säuresekretion und sollten daher als Medikament gereicht werden. Er
hat mit der Leubekur bessere Erfolge gesehen. Der Hungerzustand
kann dabei nicht sehr schädigen, denn 42°/0 Patienten wiesen sogar
eine Körpergewichtszunahme auf.
Kraf t-Görbersdorf : In Süddeutschland wird nicht so viel Ei¬
weiß als in Norddeutschland genommen. Daher muß man demgemäß
auch die Kranken regionär verschieden behandeln.
Moritz-Straßburg : Die Leube’sche Kost ist jedenfalls schonen¬
der, die Len har tz’sche vielleicht kräftigender.
Die Pylorusgegend ist, nach seinen Untersuchungen, bei Nah¬
rungsaufnahme nicht ruhig zu stellen.
Lenhartz (Schlußwort): Es hat sich jedenfalls gezeigt, daß man
weniger streng Vorgehen darf, als man bislang tun zu können glaubte.
Der Hunger zustand ist doch nicht ungefährlich für ausgeblutete
Patienten. Eisen schadet nichts, wenn die Pillen nicht zu hart sind.
Goldscheider: Über abgestufte Lungenperkussion.
Nachdem sich durch die Untersuchungen des Vortr. über Per¬
kussion herausgestellt hatte, daß schon die leiseste Beklopfung die
ganze Lunge durchdringt und daß ferner die perkutorische Feststel¬
lung eines luftleeren von einem lufthaltigen Medium bedeckten Ob¬
jektes um so schärfer ausfällt, je leiser die Perkussion ist, ja, daß
die Schwellenwertsperkussion luftleere Objekte auf ansehnliche Strecken
hin erkennen läßt, welche selbst bei geringer Steigerung der Perkus¬
sionsstärke nicht mehr wahrgenommen werden können (Goldscheider’s
Glaskugelversuch), war zu erwarten, daß die sehr leise Perkussion
wie für die Herzuntersuchung, so auch für die Lungenuntersuchung
sich geeignet erweisen würde. Jedoch gestattet dieselbe nicht, die
jeweilige Intensität einer Dämpfung zu beurteilen. Hierzu bedarf es
vielmehr der Anwendung verschiedener Perkussionsstärken. Die
718
Ehrmann und Fuld,
Yariierung der Klopfstärke kann nicht, wie bisher gelehrt wurde,
dazu benutzt werden, mehr oder weniger weit in die Tiefe zu wir¬
ken, sondern lediglich dazu, die Größe der Schallabsorption durch
ein dämpfendes Objekt zu bestimmen. Schwache pathologische Dämp¬
fungen sind nur hei schwacher Perkussion nachweisbar, verschwinden
bei stärkerer. Die dämpfungerzeug'ende krankhafte Veränderung ist
um so beträchtlicher anzunehmen, als bei zunehmender Perkussions¬
stärke die Dämpfung noch nachweisbar bleibt. Die abgestufte Per¬
kussion läßt diese Erscheinungen am besten hervortreten hei gleich¬
zeitig eng umgrenzter Perkussionsfläche. Besonders wertvolle Auf¬
klärungen ergibt dieselbe bei der Phthisis incipiens, indem sie die
Ausdehnung und die Intensität der schon in den frühesten Stadien
vorhandenen Verdichtungen erkennen läßt. Wo die übliche mittel¬
starke Finger-Fingerperkussion nur eine geringfügige Spitzendämpfung
ergibt, zeigt die sehr leise (etwas oberhalb des Schwellenwertes sich
haltende) Perkussion oft ausgedehnte Dämpf imgsbezirke, welche man
durch stufenmäßige Steigerung der Perkussion wieder gleichsam weg¬
radieren kann. Besonders wichtig ist die Untersuchung vorn zwischen
den Köpfen des Sternocleidomastoideus und des medialen Gebietes der
Inf raklivikular grübe, hinten oben unmittelbar neben der Wirbelsäule
bei stark nach hinten geschobenen Schulterblättern. In vielen Fällen
fand der Vortragende mittels sehr leiser Perkussion Spitzendämpfung'en,
wo die mittelstarke Finger-Fingerperkussion und auch die Krönig-
sche Methode gar keinen pathologischen Befund ergeben hatte. Die
Perkussionsergebnisse wurden stets durch die Röntgenuntersuchung
(Levy-Dorn) kontrolliert und zeigten mit den durch letztere erhobe¬
nen Lungenbefunden einen über Erwarten hohen Grad von Überein¬
stimmung. Dabei täuscht die Methode, deren Technik einfach ist, wenn
sie auch eine subtile Ausführung erfordert, keineswegs, wie man denken
könnte, Dämpfungen vor, welche nicht da sind; vielmehr zeigte das
Röntgenbild zuweilen doch noch Verdichtungen, welche sich nicht
perkutorisch ausgedrückt hatten. Nur in wenigen Fällen fehlte das
röntgoskopische Korrelat, aber auch diese waren so beschaffen, daß
das klinische Bild dem perkutorischen Ergebnis eine größere Wahr¬
scheinlichkeit der Richtigkeit zuerkennen ließ. Nur in der kleineren
Hälfte der Fälle waren Rasselgeräusche vorhanden, wobei selbst ganz
vereinzelte, nur nach Hustenstößen auftretende krepitierende Geräusche
mitgezählt sind, während sonst nur die weniger beweisenden auskul¬
tatorischen Zeichen, wie verschärftes In- oder Exspirium, verlängertes
Exspirum, abgeschwächtes Atmungsgeräusch, sakkadiertes Atmen usw.
oder normales Atmungsgeräusch vorhanden waren. Nur in einem Falle
habe er Geräusche ohne Perkussionsbefund gefunden. In einer großen
Anzahl von Fällen fehlte Sputum.
Hieraus erhellt die diagnostische Wichtigkeit der leisesten bezw.
abgestuften Perkussion für die Erkenntnis der Lungenverdichtungen.
Eine Anzahl von Abbildungen, welche den perkutorischen Befund neben
dem jedesmaligen Röntgenbefund wiedergeben, wird demonstriert.
Im Stadium der Resolution von pneumonischen Infiltrationen findet
man zu einer Zeit, wo die mittelstarke Perkussion keine Dämpfung mehr
aufweist, mittels abgestufter Perkussion oft nach Dämpfungen, welche
die kontrollierende Röntgendurchleuchtung als Ausdruck von noch be¬
stehenden Infiltrationsresten erkennen läßt. Bei Pleuritis zeigt die ab¬
gestufte Perkussion oft, daß die Ausdehnung des Prozesses viel größer
26. Kongreß für innere Medizin zu Wiesbaden.
719
ist als die stärkere Beklopfung vermuten ließ. Pneumonische Infiltra¬
tion in einer emphysematosen Lunge, bei der üblichen Perkussion oft
schwer zu erkennen, präsentiert sich bei leisester Perkussion auf das
deutlichste. Die abgestufte Perkussion spielt für die Erkenntnis der
Lungenverdichtungen die Polle einer Lupe.
Diskussion. J. Citr on-Berlin : Bei Unterschieden zwischen Per¬
kussion und Röntgenbefund entscheidet bisweilen die Verdeutlichung
des Perkussionsbefundes nach Tuberkulfninjektion.
Schlossmann-Düsseldorf: Über den Einfluß der Ernährung
auf den respiratorischen Stoffwechsel.
Der Vortragende hat eine Reihe weiterer langstündiger Versuche
mit Hilfe des nach Zuntz und Oppenheimer modifizierten Apparates
von Regnault und Reiset angestellt. Dabei hat sich zunächst die
Tatsache ergeben, daß in der Tat der respiratorische Stoffwechsel pro¬
portional der Oberfläche sich abspielt. Die entgegenstehenden An¬
schauungen, wie sie wiederholt in der letzten Zeit geäußert worden
sind, haben sich also nicht bestätigt. So hat ein und dasselbe Kind im
Alter von 144 Tagen pro Quadratmeter Oberfläche 11,05 g Sauerstoff
verbraucht und 13,78 g Kohlensäure produziert. Im Alter von 284
Tagen, also doppelt so alt und um die Hälfte schwerer als ursprünglich
war die Kohlensäureausscheidung 13,99 g und der Sauerstoff verbrauch
n,05 g.
Eine ganze Reihe von Untersuchungen an Meerschweinchen haben
ergeben, daß auch bei diesen der respiratorische Stoffwechsel ganz
proportional der Oberfläche und dementsprechend gleich bei alten und
jungen Tieren einher geht.
Aus den Versuchen ergibt sich, daß in der ersten Stunde nach der
Darreichung von Muttermilch der Milchzucker vorzugsweise, und zwar
so gut wie ausschließlich, verbrannt wird. East die Hälfte des ge¬
samten in der Nahrung enthaltenen Milchzuckers ist nach einer Stunde
bereits verwertet. Eine irgendwie in Betracht kommende Verbrennung
von Fett und Eiweiß kann in dieser Zeit nicht statthaben, da der respi¬
ratorische Quotient in der ersten Stunde dicht bei 1 liegt. Da spezielle
Gesetze für den respiratorischen Stoffwechsel für den Säugling nicht
vorliegen, so kann also das, was nach dieser Richtung ermittelt wurde,
mutatis mutandis auch auf den Erwachsenen übertragen werden.
Diskussion. S taehed in- Berlin : Er hat bereits früher mit Gigon
Kinder mit älteren, gleich großen Personen verglichen und dieselben
Resultate wie der Vortragende erhalten.
Gigon-Basel: Das Ansteigen des respiratorischen Quotienten in
der ersten Stunde beweist nichts für die Verwertung des Zuckers.
Plesch-Berlin bittet um Erklärung des hohen Quotienten.
Schlos s mann -Düsseldorf : Schlußwort.
Deneke- Hamburg : Blutdruckmessungen in der ärztlichen
Praxis.
Besprechung eines Apparates, ähnlich dem Riva-Rocci’schen, der
leicht transportabel und schnell zusammenzusetzen ist, so daß er sich
zur allgemeinen Anwendung empfiehlt.
Plesch-Berlin: Sauerstof f Versorgung und Zirkulation in
ihren komj^ensatorischen Wechselbeziehungen.
Mit der zahlenmäßig bestimmbaren Größe des Minutenvolumens
bei gesunden und kranken Herzen, wie sie der Vortragende gewonnen
hat, wird die Berechnung einer ganzen Reihe von Größen, im Kreislauf
möglich.
720
Ehrmann und Fuld,
Die Methode von Loewy und Schrott er kann hierzu wegen ihrer
theoretischen und praktischen Mängel nicht angewandt werden.
Der Vortragende ermittelt den Minutensauerstoff verbrauch des
Organismus, die Sauerstoffkapazität des Blutes und den Sauerstoff¬
gehalt des venösen Blutes. Durch diese drei Faktoren ist das Minuten¬
volumen direkt bestimmbar.
Er fand das Minutenvolumen beim gesunden Menschen im Mittel
zu 4,3 Litern und das Schlagvolumen zu 60 ccm. Die Maxima und
Minima der gefundenen Werte liegen zwischen drei und fünf Litern
bezw. zwischen 40 und 80 ccm. Die Ausnützung des arteriellen Sauer¬
stoffs nach Bestimmungen des Gasgehaltes im Blute zeigte, wie der
Vortragende fand, daß sie individuell sehr erheblichen Schwankungen
unterliegt.
Mit einer praktisch einfach auszuführenden und den Kranken
kaum belästigenden Methode, wobei der Betreffende in ein Sacksystem
atmet, ergibt sich, wieviel Sauerstoff vom Organismus aus dem arte¬
riellen Blute verbraucht worden ist.
Es ergab sich, daß die Ausnützung des arteriellen Sauerstoffes
im Mittel 29°/0 ausmacht, so daß das Blut noch mit 68 — 70°/0 Sauer¬
stoff beladen nach dem Herzen zurückkehrt. In pathologischen Fällen
oder bei der Arbeit kann dieser Wert bis auf 52 °/0 sinken. Die ge¬
ringste Ausnützung beim Menschen war eine Sättigung des venösen
Blutes von 78 °/0 Sauerstoff. Eine Ausnahme besteht nur bei offener
Kommunikation mit dem linken Herzen. Hier fanden sich Zahlen von
83 und 88°/0 Sauerstoff im venösen Blute; andere kongenitale Vitien
ohne solche Kommunikation, wie z. B. die Pulmonalstenose, gaben
normale Werte. Die Sackversuche kann man daher als ein diagno¬
stisches Mittel zur Entscheidung der Frage nach dem Vorhandensein
einer Kommunikation zwischen rechtem und linkem Ventrikel benutzen.
Es besteht im Organismus nicht die Tendenz, für längere fort¬
gesetzte Arbeit durch bessere arterielle Ausnutzung den erhöhten Sauer¬
stoffbedarf bei der Muskelarbeit zu decken. Höchstens eine Verdoppe¬
lung des Sauerstoffverbrauches durch die Arbeit wäre mittels einer
Ausnützung des Blutes bis auf 300/o möglich. Jede weitere Verviel¬
fachung des Sauerstoffverbrauches muß1 mit einer Erhöhung des Minuten¬
volumens einhergehen. Eine Erhöhung des Sauerstoffbedarfes um das
22 fache des Buhewertes ist bei maximalster Arbeit für kürzere Zeit
beobachtet worden.
Bezüglich des Schlagvolumens bei Krankheiten wurde gefunden,
daß bei kompensierten Vitien, z. B. bei Mitralstenose, das Schlag¬
volumen durchaus nicht kleiner war, ja, es kann selbst das Schlag¬
volumen erhöht sein, ebenso das Minutenvolumen. Bei den Klappen¬
fehlern wird durch die Methode des Vortragenden nur dasjenige Schlag¬
volumen ermittelt, welches von der Aorta peripherwärts weiterströmt,
über die regurgitierenden Blutmengen, z. B. bei Aorteninsuffizienz
oder diejenigen Mengen, welche bei der Mitralinsuffizienz in den Vor¬
hof zurückgeworfen werden, gibt sie keinen Aufschluß. Man muß
also hierbei zweierlei Schlagvolumina auseinanderhalten : das dem
Körper zugute kommende Volumen, das der Vortragende als systolisches
Fördervolumen bezeichnet, andererseits das Volumen, welches der Ven¬
trikel bei einer Systole insgesamt aus sich herauswirft, das systolische
Totalvolumen.
26. Kongreß für innere Medizin zu Wiesbaden.
721
Diese Unterscheidung kommt nur bei den Insuffizienzen der Herz¬
klappen in Betracht, da bei den Stenosen beide Volumenarten gleich sind.
Die vor zwei Jahren auf dem Kongreß mitgeteilte Bestimmungs¬
methode der Gesamtblutmenge hat der Vortragende verbessert. In Ge¬
meinschaft mit Zuntz hat er ein Verfahren beschrieben, mittels dessen
solche Bestimmungen bequem und sehr genau klinisch auszuführen
sind. Kennt man die Blutmenge, die in der Minute vom Herzen ge¬
fördert wird, so weiß man auch, in wieviel Sekunden die gesamte
ermittelte Blutmenge einmal das Herz passiert hat, d. h. man kennt
die Umlaufsdauer. Es stellte sich bei dieser Berechnung heraus,
daß beim gesunden Menschen die Umlaufsdauer im Mittel in 55 Sekunden
und mit 65 Pulsschlägen ausgeführt wird. Diese Berechnung stützt
sich nicht, wie alle bisherigen, auf angenommene Werte, sondern auf
Faktoren, die sämtlich experimentell festgestellt wurden. Bei maxi¬
malster Muskelarbeit könnte die Umlaufsdauer bis zu fünf' Sekunden
beschleunigt werden. Ähnliche Beschleunigungen sind ständig vor¬
handen bei Anämischen, wenn nämlich die Gesamtblutmenge bei ihnen
abgenommen und das; Minutenvolumen gewaltig zugenommen hat. Um¬
gekehrt ist bei großem Minutenvolumen solcher Anämien, die eine
Vermehrung der Gesamtblutmenge zeigen — häufig bei Chlorosen — ,
die Umlaufsdauer nur in geringerem Maße beschleunigt. Für die Um¬
laufsdauer bei Anämien ergaben sich Werte von 7—30 Sekunden, im
Gegensatz zur Normalumlaufsdauer von 55 Sekunden. Diese Schwan¬
kung steht im wesentlichen in direktem Zusammenhang mit dem Grade
der Hämoglobinarmut. Man kann also sagen, je größer die Anämie,
um so schneller der Umlauf.
Bei den Nephritiden kann die Blutmenge um fast das Doppelte
vermehrt sein. Hier wurde die längste Umlaufsdauer beobachtet, zumal
das Minutenvolumen nicht erhöht war.
Auch die sogenannte Strömungsgeschwindigkeit des Blutes ist
festgestellt worden. Beim gesunden Menschen wird das Blut mit einer
translatorischen Geschwindigkeit von 42 cm in der Sekunde fortbewegt.
Es wird natürlich diese Geschwindigkeit mit der Erweiterung der
Gefäßbahn abnehmen. Sie ist deshalb in den Kapillaren am kleinsten.
Hieraus geht hervor, daß das Blut zu den Gefäßen zweiter und dritter
Ordnung sehr schnell gelangen muß. Da die Umlaufsdauer 55 Sekunden
beträgt, so wird für den Weg in den großen und mittleren Gefäßen
nur etwa der zehnte Teil der gesamten Umlaufsdauer für einen Bluts¬
tropfen verstreichen. Ein Blutstropfen, der vom Herzen nur den ganz
kurzen Weg durch den Pectoralis zu nehmen hat, braucht also kaum
viel weniger Zeit, als einer, der die Kapillaren einer Zehe zu pas¬
sieren hat.
Was die Herzarbeit anlangt, so hat das Herz dabei folgende Arbeit
zu leisten: 1. das Einpressen des Blutes in die Aorta unter Über¬
windung der in dieser herrschenden Spannung, die Hubarbeit ; 2. muß
das Herz dem Blute die Geschwindigkeit erteilen, mit der es dann in
der Aorta weiterströmt, die sogenannte Strömungsarbeit. Die Strömungs¬
arbeit macht kaum 2 — 3°/0 der Hubarbeit aus. Die Hubarbeit hängt
von dem Minutenvolumen und von dem Blutdrucke ab. Diese zwei
Faktoren bestimmen ihre Größe. Die Hubarbeit des ganzen Herzens
beträgt in Buhe und in der Minute 12 mkg, sie kann bei größter Arbeit
bis auf das Zehnfache anwachsen. Man weiß, daß für 1 mkg Arbeit
ein Muskel 1,3 ccm Sauerstoff nötig ist, dementsprechend wird das Herz
722
S. Leo,
für sich in der Ruhe 14, bei maximalster Arbeit bis 106 ccm Sauerstoff
brauchen, das macht etwa 6°/0 des Gesamtsauerstoffbedarfs aus. Aus
diesen Daten berechnete der Vortragende die Blut Versorgung des Herzens
durch die Koronararterien. Es passiert durch den Herzmuskel in einer
Minute 180 ccm Blut, danach ist die Durchblutung des Herzens eine
achtmal bessere als die des gesamten Körpers. Nur auf diese Weise
wird es verständlich, daß die bei der Arbeit auftretenden Ermüdungs¬
produkte so schnell aus dem Herzmuskel geschafft werden können.
Auch die Atmungsarbeit wurde berechnet. Sie ist um 1/4 größer
als die Herzarbeit,
Bei einer Erhöhung des Minuten Volumens, wie sie z. B. bei der
Anämie vorhanden ist, wird dementsprechend auch die Herzarbeit eine
größere sein. Kraus hat zuerst auf einen erhöhten Sauerstoffbedarf
der Anämiker hingewiesen. Die vermehrte Herz- und Atmungsarbeit
der Anämiker, die eine direkte Folge der Anämie ist, genügt rechne¬
risch, um die Erhöhung des Gesamtsauerstoffbedarfs beim Anämiker
zu erklären. (Fortsetzung folgt).
Wiener Brief.
Ein Sammelbericht. — Von Dr. S. Leo.
(Schluß.)
Julius Boese lieferte einen Beitrag zur Ätiologie der akuten
Ajjpendizitis : Bei einem Falle lag eine Möglichkeit eines kausalen
Zusammenhanges zwischen Hautaffektion (Impetigo contagiosa cruci-
nata) und der akuten Appendizitis vor. Es wurde daher der Absze߬
eiter, der Inhalt eines unverletzten Impetigobläschens, der Stuhl und
das Blut des Mädchens bakteriologisch untersucht. Die Untersuchung
ergab sowohl in den Impetigobläschen, also auch im Eiter der Ap¬
pendizitis und im Stuhle der Kranken einen nach morphologischen
und biologischen Eigenschaften anscheinend identischen Staphyloc. pyog.
aureus. Bei der Lokalisation der Hautaffektion an den Fingern kön¬
nen wohl besonders bei einem Kinde — sei es durch direkte Berüh¬
rung, sei es mit den Nahrungsmitteln — 'Bakterien in den Mund und
weiterhin in den Verdauungskanal gelangen. Die Schleimhaut, anfangs
resistent, wurde durch die stetige neue Zufuhr von infektiösem Material
schließlich in einen Zustand der Entzündung vörsetzt, was klinisch
seinen Ausdruck in kolikartigen Bauchschmerzen und Diarrhoen fand.
Daß diese Schmerzen hauptsächlich am Ileocöcum lokalisiert waren,
spricht für eine intensivere Beteiligung gerade dieses Darmabschnittes.
Die Bakterien gelangten dann in die Appendix und führten dort eine
gangränöse Entzündung herbei mit Perforation der Appendix und Ab¬
szeßbildung. Die Pat. erlag trotz operativem Eingriff einer Kompli¬
kation durch einen subphrenischen Abszeß, der in die rechte Pleura¬
höhle durchbrach.
Robert Barany stellte eine 30jährige Erau vor, die er wegen
rezidivierenden Cholesteratoms und Polypen operiert hatte. Das
weit ins Antrum reichende Cholesteatom wurde ausgeräumt. Dann
entfernte B. unter sorgfältiger Schonung des Epidermis Überzuges der
Trommelhöhle den Hammerrest. Dura und Sinus wurden nicht frei¬
gelegt. Bogengang intakt. Im Verlaufe der Nachbehandlung trat
reichliche Granulationsbildung auf, insbesonders zeigte sich ein über¬
hängendes Granulom in der Steigbügelgegend, das entfernt wurde. Da-
Wiener Brief.
723
bei batte die Pat. ein wenig Schwindel, B. dachte sofort an einen
Einriß im Befestigungsbande des Steigbügels. Er stellte nun eine Probe
an, die darin besteht, daß die Olive eines Otoskops luftdicht in den
Gehörgang des zu untersuchenden Ohres eingesetzt wird und nun
mittels eines Gummischlauchs abwechselnd Luftverdichtung und Luft¬
verdünnung im Gehörgange vorgenommen wird. Besteht eine Laby¬
rinthfistel, so tritt ein rotatorischer Nystagmus beider Augen auf.
Dieser trat auch hier auf. Die weitere Behandlung bestand lediglich
in täglich ausgeführtem Verbandswechsel mit lockerer Tamponade der
Wundhöhle und öfterem Einblasen von Borpulver. Dabei verschwand
das Fistelsymptom. Der Steigbügel ist nicht sichtbar ; er ist durch
einen Vorsprung des Fazialissporns gedeckt. Die kalorische Reaktion
durch Einblasen kühler Luft ist prompt auslösbar. Das Gehör hat
sich seither wesentlich gebessert und beträgt 5 — 6 m für Flüstersprache.
Der Fall ist bemerkenswert, weil trotz der nachgewiesenen Stapes-
verletzung ein ausgezeichnetes Hörvermögen erzielt wurde. Die Radikal¬
operation bringt zumeist eine Verschlechterung des Gehörs dort mit
sich, wo vor der Operation ein gutes Gehör bestanden hatte. Immer¬
hin wurden auf der Klinik Politzer und Urbanitschitsch schon
wiederholt Fälle beobachtet, wo nach der Radikaloperation mit Ent¬
fernung der Gehörknöchelchen ein ausgezeichnetes Hörvermögen bis
zu 10 m Flüstersprache konstatiert werden konnte.
Rudolf Bergmeister demonstrierte ein Lymphangiom der
Orbita. Bei einem 21/2 jährigen Knaben besteht folgender Befund:
Die Verdickung des linken Oberlids rührt von einer weichen, schlecht
abgegrenzten Geschwulst her, die ziemlich kompressibel ist und sich
allmählich in der Haut der Schläfe verliert. Bei Blutdruckhemmung
tritt kein An- oder Abschwellen der Geschwulst ein. Der Bulbus
selbst ist nicht protrudiert, aber etwas nach innen unten verschoben.
Fundus beiderseits normal. Von besonderem Interesse' sind zahlreiche,
über Brust und Rücken verbreitete Pigment flecken von Linsen- bis
Kinderhandgröße. Diese sind im Sinne von Recklinghausen als be¬
ginnende Neurofibromatose der Hautnerven aufzufassen. Das Neuro¬
fibrom oder Rankenneurom der Lider ist klinisch oft nicht vom Lymph¬
angiom auseinanderzuhalten, beide sind auch anatomisch verwandte
Prozesse. Hervorzuheben ist das Fehlen der Protrusion des Bulbus,,
wie dies bei Lymphangiomen, die von der Optikusscheide abgehen,
die Regel ist. Therapeutisch wird wegen der schlechten Abgrenzbar-
keit der Geschwulst, die eine reine Ausschälung für unmöglich erscheinen,
läßt, das elektrische Verfahren eingeleitet werden.
In der „Gesellsichaft für innere Medizin“ sprach Erich Stoerk
über verschiedene Formen einer Bindegewebserkrankung (Skleroder¬
mie). Bei ihr handelt es sich um verschiedene Prozesse, die mit einem
Namen zusammen gef aßt werden. Zugrunde liegt ihr eine Erkrankung
des Bindegewebes an seinen verschiedenen Fundorten, wie in der Haut,
im subkutanen Zellgewebe, in der Muskulatur und sogar im Knochen¬
system. Je nach der Lokalisation der Erkrankung ergeben sich ver¬
schiedene Krankheitsbilder. Bei der isolierten Erkrankung der Haut
ist diese glatt, glänzend, ohne Papillen, hart anzufühlen. Bei Er->
krankung des Unterhautzellgewebes finden sich daselbst derbe Platten,
bei Ergriffensein des Muskelgewebes sind die Muskeln hart, und bei
elektrischer Reizung eines Muskels kontrahieren sich auch die Nachbar¬
muskeln, als ob sie mit den gereizten Muskeln fest verbunden wären.
46*
724
S. Leo,
Wenn das Bindegewebe des Skeletts ergriffen ist, kommt es zu mannig¬
fachen Deformitäten desselben, z. B. zn hochgradiger Kyphose. Als
Ursache des Leidens werden lokale Erkrankungen des Bindegewebes,
neurogene Momente oder eine Angiotrophoneurose angenommen ; die
letzte Annahme ist die (Wahrscheinlichste. In einem Teil der Fälle
könnten auch Funktionsstörungen von Blutdrüsen die Ursache des
Leidens abgeben.
Karl Wirth berichtet über die Serumanwendung bei Blu¬
tungen. Der Erfolg, den W. durch Seruminjektionen bei einer Haemo¬
philen mit unstillbarer Blutung erzielte, veranlaßte ihn, diese Methode
auch bei schweren Blutungen anderer Art zu verwenden. Zu den
Injektionen wurde Pferdeserum verwendet, die Dosis betrug gewöhn¬
lich 20 ccm. Die Injektion erfolgte unter die Haut des Oberschenkels
oder des Bauches, üble Zufälle wurden dabei nicht beobachtet. W.
hat auf diese Weise acht Fälle behandelt, in allen ergab sich ein guter
Erfolg, in einigen waren früher alle möglichen Methoden der Blut¬
stillung vergebens angewendet worden. Die einzelnen Fälle waren fol¬
gende: Nachblutung nach Tonsillotomie, Nasenbluten bei Arterio¬
sklerose, Hämoptoe bei Phthise, Darmblutung. Gewöhnlich genügte
eine einzige Injektion zur Blutstillung, und die Wirkung setzte sehr
rasch ein. Wo es anging, wurde auch das Serum lokal angewendet,
z. B. beim Nasenbluten wurde ein mit Serum getränkter Wattebausch
in die Nase eingelegt; bei Darmblutung wurde das Serum im Klysma
mit gutem Erfolg angewendet. Bei Hämoptoe wurde die Serum¬
injektion in neun Fällen ausgeführt, sie wirkte sehr prompt.
Die österreichische Gesellschaft für Kinderforschulng
besprach auf ihrer letzten Versammlung das Thema der Schulärzte.
Prof. v. Es eher ich wies in der Eröffnungsansprache auf die schul¬
ärztlichen Einrichtungen im Deutschen Beiche hin, das auf diesem
Gebiete Österreich weit voran ist. Bei uns weist von größeren Städten
nur Brünn einen organisierten Schulärztedienst auf. Das Verständnis
der Bevölkerung für diese Frage müsse erst geweckt werden. Das Be-
ferat erstattete Dr. Dehne, der auf Initiativen des Herrenhausmit-
glieds Krupp in der Fabriksschule in Berndorf mehrere Jahre Unter¬
suchungen angestellt hatte. Es habe die Untersuchung der Schul¬
rekruten im Herbst möglichst bald nach Schulbeginn zu geschehen,
vorher jedoch mögen Fragebogen an die Eltern abgeschickt werden.
Von jedem Kinde ist ein Gesundheitsschein anzulegen. Die Untersuchung
der Kinder muß dann mindestens zweimal monatlich vorgenommen
werden. Einmal monatlich hält der Arzt eine ärztliche Besuchsstunde
im Schulhause ab. Von allen Krankheitsanlagen, Krankheiten oder
Gebrechen sind die Eltern zu benachrichtigen. Zur Abwehr der Tuber¬
kulose müßten die Kinder bei jeder Gelegenheit zur Beinlichkeit und
Befolgung von Gesundheitsregeln ermahnt werden. Überhaupt' soll
auf Kräftigung und Abhärtung der Kinder Wert gelegt werden. Neben
dem Turnunterricht sollen die Lauf- und Bewegungsspiele im Freien
eifrig gepflegt werden. Die Schaffung von Schulspielplätzen, von
Schulbrausebädern und die Förderung von Schwimmbädern ist wichtig.
Für Augen- und Ohrenuntersuchungen sind Spezialisten heranzuziehen,
ebenso für die Zahnpflege. Von größtem Werte für die Erhaltung
der Zähne künftiger Generationen wird eine energische Bekämpfung
der Bachitis durch eine umfassende Stillpropaganda sein. Der Schul¬
arzt soll auch den Konferenzen der Lehrerschaft und den Sitzungen
Ö
Wiener Brief.
725
des Ortsschulrates mit beratender Stimme beiwohnen. Hierauf besprach
Es che rieh die Bedeutung der Infektionskrankheiten in der
Schule. Von akuten Infektionskrankheiten kommen hier eigentlich
bloß Masern in Betracht; Diphtheritis, Keuchhusten und Scharlach
spielen da keine wesentliche Bolle ; die direkte Infektion ist in der
Schule die weitaus häufigere. Im allgemeinen kann der Schularzt
zur Verhütung dieser Infektion sehr wenig leisten ; es sei denn bei
täglicher Untersuchung, die sich jedoch als eine unmögliche Anfor¬
derung darstellt. Die Hauptaufgabe fällt hier den Lehreren zu, die
über äußere Erscheinungen der Infektionskrankheiten einigermaßen
aufgeklärt werden und ein infektionsverdächtiges Kind sofort dem
Schularzt überweisen sollen. Eine wichtige Aufgabe fällt dagegen
dem Schulärzte bei chronischen Infektionskrankheiten zu, vor allem
bei der Tuberkulose.
Nach längeren Verhandlungen ist die Errichtung eines ständigen
Museums für Technik und Industrie in Wien gesichert. Das
Museum soll nach Art des Deutschen Museums in München die Ge¬
schichte und die Entwicklung der Industrie und Technik an historischen
Maschinen, Apparaten und Modellen veranschaulichen. Für uns hat
dieser Plan noch das besondere Interesse, daß er auch dem Gewerbe-
hygienische^ Museum endlich eine würdige Stätte bereiten soll.
Das Museum soll auf den sogenannten ,, Spitzackergründen“ gegenüber
dem kaiserlichen Lustschloß Schönbrunn erbaut werden. Für diesen
Monumentalbau sind sechs Millionen Kronen als notwendig angenommen
worden, die Gemeinde Wien spendet den Bauplatz, die Begierung
anderthalb Millionen Kronen. Der fehlende Betrag soll durch Bei¬
träge der Industriellen, freiwillige Spenden und durch Beihilfe des
Landes Niederösterreich aufgebracht werden.
Der Minister für öffentliche Arbeiten, der Dr. rerum technic. Bitt
(nebenbei gesagt, der erste Fall, daß ein Techniker in Österreich
Minister wurde), hat folgenden Erlaß an die öffentlichen Landesstellen
gerichtet: In der Absicht, der Wasserversorgung der Gemein¬
den und der Ab wäss erbe seit igung die staatliche Fürsorge zu¬
zuwenden und das Zustandekommen von technisch einwandfreien
Wasserversorgungs-, Kanalisations- und Abwässerreinigungsanlagen zu
fördern, habe ich das Hydrographische Zentralbureau angewiesen, der
Behandlung folgender Agenden besondere Aufmerksamkeit zuzuwenden :
1. Prüfung von Projekten von Wasserversorgungs-, Kanalisations- und
Abwässer anlagen von Städten, Ortschaften und solchen industriellen
Unternehmungen, bei denen öffentliche Interessen berührt werden, auf
die Bichtigkeit der hydrologischenund hydrotechnischen Gesichtspunkte ;
2. Durchführung von technischen Voruntersuchungen für solche Pro¬
jekte an Ort und Stelle; 3. Erteilung von Batschlägen, Intervention
bei Lokalverhandlungen und Erstattung von Gutachten in den ein¬
schlägigen Fragen ; 4. Veröffentlichung der bezüglichen wissenschaft¬
lichen Forschungsergebnisse. Die Behandlung dieser Agenden vom
sanitären Standpunkte ist ausgeschlossen. In etwaigen Fällen ist die
geologische Beiehsanstalt zu Bäte zu ziehen, die Kosten der Inter¬
vention sind von den betreffenden Bauherren zu tragen.
726
Vorläufige Mitteilungen und Autoreferate.
Vorläufige Mitteilungen u. Äutoreferate.
Indikationen bei Behandlung der Stirnhöhleneiterungen.
Von Prof. Dr. L. Harm er.
(Vortrag im Verein Deutscher Ärzte in Prag am 80. April 1909.)
Seit dem Bekanntwerden der Killian’schen Radikaloperation der
chronischen Stirnhöhleneiterung hat sich in den Anschauungen der
Rhinologen eine Wandlung vollzogen, und mit der Zunahme der An¬
hänger des Killian’schen Verfahrens wächst auch die Zahl derjenigen,
welche dieses Verfahren in der Mehrzahl der Fälle, selbst in akuten,
an gewendet wissen wollen; es ist daher an der Zeit, die Frage auf¬
zurollen, ob denn durch die Killian’sche Operation die anderen Be¬
handlungsmethoden in den Hintergrund gedrängt worden seien.
Zufolge der variablen Verhältnisse der Stirnhöhle, sowohl was
Größe und Form, als was Beschaffenheit der Schleimhautauskleidung
und des Ausführungsganges betrifft, ist es keineswegs leicht, in jedem
einzelnen Falle die geeignetste Behandlungsmethode zu finden, doch
ist es durchaus nicht zu rechtfertigen, wenn man ohne zwingende
Gründe zu einem radikalen Mittel greift. Tatsächlich heilen viele
Erkrankungen entweder spontan, oder durch eine endonasale Behand¬
lung, endlich auch durch einfache Trepanation aus. Bei akuten Eite¬
rungen genügt eine konservative Behandlung in der überwiegenden
Mehrzahl der Fälle, aber selbst bei schweren Komplikationen soll man
höchstens die Trepanation, jedoch keine Badikaloperation ausführen.
Auch bei chronischen Eiterungen muß im Prinzip der konservative
Standpunkt so viel wie möglich gewahrt bleiben. Nur solche Fälle
erfordern unbedingt eine radikale Behandlung, welche mit konserva¬
tiven Methoden nicht zur Heilung kommen oder infolge schwerer Kom¬
plikationen, Fistelbildung, abnormer Größe der Höhle, hochgradiger
Veränderungen der Schleimhaut usw. keinen anderen Ausweg lassen.
Die Killian’sche Operation bedeutet einen großen Fortschritt,
und speziell unter den Radikaloperationen gebührt ihr unstreitig der
erste Rang; doch kann eine plan- und kritiklose Anwendung derselben
nur Schaden stiften. Wenn man schon von der Schwere des Eingriffes,
dem man die Kranken doch nicht unnötigerweise aussetzen soll, oder
von der Dauer der Nachbehandlung absieht, so darf man doch nicht
übersehen, daß durch die fast unausbleibliche und zuweilen sehr be¬
trächtliche Entstellung dem Kranken ein schwerer Schaden erwächst.
Kann und darf man ohne zwingende Gründe diese Verantwortung über¬
nehmen ?
Gewiß ist der Weg der konservativen Behandlung der lang¬
wierigere und mühevollere, auch führt er nicht immer und überall
zum gewünschten Ziel, aber dessenungeachtet ist er der einzig rich¬
tige ; wer daran festhält, wird die Zahl der Radikaloperationen wesent¬
lich einschränken können und darin größere Befriedigung finden, als
in einer stattlichen Anzahl von Heilungen, die ausschließlich durch
radikale Operationen erzielt wurden. Autoreferat.
Referate und Besprechungen.
727
Ueber Röntgen-, Schnell- und Momentaufnahmen.
Von Dr. F. Bardachzi.
(Nach einem Vortrag im Verein Deutscher Ärzte in Prag.)
Die Möglichkeit, kurzzeitige Aufnahmen zu erzielen, stellt be¬
sonders für die innere Medizin einen großen Fortschritt dar. An der
Hand zahlreicher Bilder bespricht Vortr. die Wichtigkeit der Atem¬
stillstandsaufnahmen besonders für die Diagnose der Tuberkulose, so¬
wie den Wert der Teleaufnahmen als Ersatz der orthodiagraphischen
Methoden. Die Technik ist infolge der schon von Gilmer gemachten
Erfahrung, daß man mit Röhren von ca. 10 Wehmelteinheiten durch¬
weg die besten Strukturaufnahmen erhält, eine wesentlich einfachere.
Autoreferat.
Walter Beyer hat die Angaben Calmette’s über die Eigenschaft
des auf 58° erhitzten Blutserums Tuberkulöser mit Cobragift zusammen
rote Blutkörperchen zu lösen, während dies im allgemeinen Blutseren
Nichttuberkulöser nicht tun sollen, an einem Material von insgesamt
über 300 Fällen der Krankenanstalt Altstadt in Magdeburg nachge¬
prüft. Es stellte sich heraus, daß die Reaktion zwar ungefähr in
dem von Calmette beobachteten Prozentsatz bei Tuberkulösen auf¬
trat, daß sie jedoch auch sehr häufig bei der Syphilis und noch häufiger
bei den verschiedensten akuten Infektionskrankheiten zu finden war.
B. hält daher die Reaktion zur Diagnosenstellung der Tuberkulose
für ungeeignet und sieht vielmehr in ihr ein ganz allgemein bei Infek¬
tionen auf tretendes Phänomen, dem höchstwahrscheinlich eine durch
die Infektionserreger verursachte Vermehrung des im Blute vorhandenen
Lecithins zugrunde liegen dürfte. Vortr. hat eine Lecithin ophilie der
verschiedensten Infektionsträger im Reagenzglas nachweisen können.
Autoreferat.
Referate und Besprechungen.
Gynäkologie und Geburtshilfe.
Aus der städtischen Dudenstift-Frauenklinik zu Dortmund.
Ueber Abortbehandlung.
(Fritz Engelmann. Med. Klinik, Nr. 45, 1908.)
E. verbreitet sich ziemlich eingehend über die Symptomatologie und
Diagnose des Abortes. Bez. der Behandlung empfiehlt er auf Grund einer
Umfrage bei in der Praxis stehenden Kollegen sowie auf Grund eigener
günstiger Erfahrungen für den unvollständigen Abort, anstatt der viel¬
fach geübten Scheiden-Uterustamponade, die digitale bez. in der Regel die
Ausräumung mittels der breiten Kürette. Dieser hat eine mäßige Dilatation
vorauszugehen. R. Klien (Leipzig).
Zuckerkrankheit und Schwangerschaft in ihren Wechselbeziehungen.
(Dr. Heinrich Offergeld. Archiv für Gyn., Bd. 86, H. 1, 1908.)
Im allgemeinen bildet bekanntlich der Diabetes mellitus eine zwar seltene,
aber sehr ernste Komplikation der Schwangerschaft. Es ist daher sehr
dankenswert, daß O. 61 Fälle aus der Literatur gesammelt hat, denen er
zwei eigene Beobachtungen anreiht. — Von 57 Kreißenden starben direkt
im Koma 17 = 30°/0. Von den Testierenden 43 Fällen müssen mangels
728
Referate und Besprechungen.
langer Beobachtung 29 ausscheiden ; die letzten 14 sind in den nächsten
30 Monaten nach der Entbindung gestorben, und zwar am Diabetes an sich
oder seiner Komplikation mit Lungentuberkulose; diese letztere beginnt im
Wochenbett sehr oft unter dem. Bilde einer Bronchitis. Es beträgt also
die Gesamtmortalität nach 2V2 Jahren mindestens 50%. Was die Kinder
anlangt, so starben von den 57 bereits intrauterin 29 = 51%, 6 weitere
(10,6%) in den ersten Lebenstagen infolge schlechter körperlicher Entwicklung,
weitere 7 (starben in den ersten Lebensjahren an Hydrozephalus, Diabetes und
Polyurie. Das Schicksal der übrigen ist unbekannt. Mindestens 2/ä der Kinder
blieben also nicht am Leben. Dabei verschlechterte sich die Prognose für die
Mütter noch bei abgestorbenem Kinde, da unter 25 solchen Fällen 17mal =
70% der Tod der Kreißenden erfolgte.
Liegt somit die prinzipielle Empfehlung der künstlichen Unterbrechung
der Schwangerschaft nahe, so rät O. doch dazu, zu individualisieren. Bei
den leichten Fällen, welche während der Schwangerschaft ihren milden
Charakter bewahren, in welchem sich weder diabetische Azidose noch Nephrose
entwickelt, beschränkte man sich auf das bekannte interne Regime und
auf die Herbeiführung seelischer Ruhe.
Bei den schweren Fällen dagegen, wenn sie sich frühzeitig als solche
zu erkennen geben, soll der künstliche Abort bezw. die künstliche Früh¬
geburt eingeleitet werden. Zu diesen schweren Fällen sind solche zu rechnen,
bei denen in der vorhergegangenen Gravidität bereits Intoxikationserschei¬
nungen bestanden, diabetische Azidose, eventuell vergesellschaftet mit Albu¬
minurie und Zylindrurie (toxische Nephrose), Erscheinungen, welche nach
der Entbindung wieder schwanden ; bei denen ferner Puerperium und Rekon¬
valeszenz lange dauerten und Bronchitis oder gar Tuberkulose der Lungen
auftrat. Die künstliche Frühgeburt darf natürlich beim Diabetes nie
im Interesse des Kindes, sondern (lediglich in dem der Mutter ausgeführt
werden, so z. B. bei Hydramnios. Sie bezweckt durch Ausschaltung der einen
Ausgabestelle, des Fötus, die Verarmung des mütterlichen Organismus an
Eiweißstoffen zu vermindern. — Bei schon bestehendem Koma ist es fraglich,
ob man den Uterus noch schnell entleeren soll oder nicht. —
Das Stillen ist einer diabetischen Puerpera zu verbieten, ebenso erneute
Schwängerung. R. Klien (Leipzig).
lieber die Tätigkeit des Ovariums in der Schwangerschaft.
(Dr. Otfried 0. Fellner. Archiv für Gyn., Bd. 87, H. 2, 1909.)
Man nahm bisher ziemlich allgemein an, daß die Tätigkeit des Ovariums
während der Schwangerschaft still stehe. Das ist nicht der Fall. Die
Eireifung kann ganz sicher weiter gehen. F. belegt dies mit einer Anzahl
sicherer Fälle von Superfötation. F. sucht aber ferner an der Hand der be¬
kannten Schatz’schen und eigener Schwangerschafts - Blutdruckkurven den
Nachweis zu führen, daß auch die sekretorische Funktion des Ovariums
in der Schwangerschaft weiter bestehen bleibt. In Anlehnung an Schatz
will F. eine Mens truations- und eine Konzeptionskurve bezw. -welle
unterscheiden, oder anders ausgedrückt, eine ovarielle bezw. uterine und eine
fötale resp. plazentare Welle. Letztere tritt in der Schwangerschaft als
Novum auf, erstere bleibt dagegen aus der Zeit vor der Schwangerschaft
einfach weiter bestehen. Aus der von F. nachgewiesenen Bildung von Follikel-
luteinzellen in der Schwangerschaft schließt F. sogar auf eine gesteigerte
sekretorische, entgiftende Tätigkeit des Ovariums während der Schwanger¬
schaft. F. stellt sich vor, daß das Sekretionsprodukt dieser Zellen ebenso
entgiftend auf die eventl. Sekretionsprodukte des Uterus und der Plazenta
einwirken, wie außerhalb der Schwangerschaft die Luteinzellen und viel¬
leicht die interstitiellen Zellen auf das supponierte Sekretionsprodukt des
Uterus. Da sich aber diese Zellen zu einer Zeit bilden müssen, wo der Follikel
noch nicht reif ist, wird die Reifung der Follikel zum größten Teil be¬
hindert. — F. beobachtete übrigens auch bei Myom eine ganz bedeutende
Referate und Besprechungen.
729
Entwicklung von Follikelluteinzellen, sie sind also möglicherweise nur die
Reaktion des Ovariums auf die gesteigerte Sekretion des Uterus. — F. erklärt
zum Schluß die normale Schwangerschaftsdauer von 272 1/2 Tagen aus
der 21 tägigen „Schwangerschaftsperiode“, 21 X 13. Beträgt die ovarielle
Periode mehr als 28 Tage, dann beträgt auch die Schwangerschaftsperiode
mehr als 21 Tage und es nimmt mit zunehmender Länge des Periodenintervalls
die Anzahl der Schwangerschaftsmonate ab. R. Klien (Leipzig).
Aus der königl. Universitäts-Frauenklinik zu Marburg.
Ein Beitrag zur Tuberkulose in der Schwangerschaft.
(Priv.-Doz. Dr. A. Rieländer u. Dr. K. Meyer. Archiv für Gyn., Bd. 87, H. 1, 1909.)
Wegen progredienter Phthise wurde bei einer V-gr. im 3. Schwanger¬
schaftsmonat der schwangere Uterus samt Adnexen per vaginam entfernt. Die
Frau erholte sich in den nächsten Monaten sowohl sub- wie objektiv. Bei
der mikroskopischen Untersuchung fanden sich in, der Dezidua basalis an
verschiedenen Stellen nekrotische Herde, höchstwahrscheinlich tuberkulöser
Natur, wenn auch Bazillen sowie Riesenzellen fehlten. Diese Herde sind
höchstwahrscheinlich auf dem Wege der Blutbahn infiziert worden. Verff.
nehmen an, daß bei einem Fortschreiten des Prozesses zunächst die in die
Dezidua eingepflanzten Haftzotten, sodann die intervillösen Räume und das
Zottengewebe selbst befallen worden sein würden; damit wäre die Infektion
des Fötus selbst ermöglicht. — Sollte sich in Zukunft heraussteilen, daß bei
progredienter Tuberkulose der Mutter häufig eine Infektion der Plazenta
erfolgt-, dann würde die Indikation zur Unterbrechung der Schwangerschaft,
und zwar in Form der Totalexstirpation des graviden Uterus samt der Adnexe
wohl begründet sein. R. Klien (Leipzig).
Aus der königl. Universitäts-Frauenklinik in München.
Ueber den Einfluß der Schwerkraft auf die Entstehung der Schädellagen.
Mit 7 Textfiguren.
(Priv.-Doz. Dr. Ludwig Seitz. Archiv für Gyn., Bd. 86, H. 1, 1908.)
Auf Grund selbst angestellter Schwimmversuche zerstört S. hoffentlich
definitiv die Legende, daß die Schwerkraft einen Einfluß auf die Entstehung
der Schädellagen habe. In den früheren Schwangerschaftsmonaten, wo der
Steiß noch das Übergewicht über den Kopf hat, vermag sich sogar entgegen
der Schwere die Kopflage herzustellen. Die Ursache für die Häufigkeit der
letzteren ist vielmehr in der Form des Uterus und der Gestalt des Kindeä
zu suchen. Der Fötus füllt ganz einfach in seiner intrauterinen Haltung den
vorhandenen Raum am besten dann aus, wenn sich im breiten Fundus Steiß
und Beinehen, im engeren unteren Uterinsegment der Kopf befindet.
R. Klien (Leipzig).
Aus dem Frauenspital Basel.
Der Blasenriß bei der künstlichen Frühgeburt.
(Otto v. Herff. Münch, med. Wochenschr., Nr. 50, 1908.)
v. H. hält zunächst auf Grund von etwa 700 Fällen aus der Literatur
der Hebosteotomie ihr Sündenregister vor: 0,3°/0 der Frauen starben
an Verblutung, 15°/o trugen schwere Risse davon, von diesen starben 12%, in
12% wurde die Blase verletzt, 4% trugen eine dauernde Incontinentia urinae
davon, in 7V2% blieben Hernien in der Knochenspalte zurück; im Ganzen
starben 5% der Mütter, fast 10% der Kipder. In der größten und
besten einheitlichen Statistik, der Bumm’schen — sie erstreckt sich auf 53 Fälle
— beträgt die mütterliche Sterblichkeit 1,9%, die kindliche 13%. Was
für eine ungefährliche und bez. der Kinder auch leistungsfähige Operation
sei dagegen die in neuerer Zeit so viel geschmähte Frühgeburt, besonders
730
Referate und Besprechungen.
wenn man dieselbe nach den mannigfach erprobten Vorschriften v. H.;s aus¬
führe, nämlich mittels des Blasenrisses, nicht -stiches. Derselbe wird im
Spekulum mittels eines zweckmäßig konstruierten Blasensprengers ausge¬
führt, das einfachste, ungefährlichste, sauberste, was es geben kann. Man
braucht dann nur auf die Wehen zu warten, die stets nach 6 — 12 Stunden
eintreten. — Die Vorurteile gegen den künstlichen Blasensprung an sich seien
vollständig unbegründet, denn v. H. beweist an der Hand von etwa 700 Fällen
aus seiner Anstalt, daß selbst der vorzeitige spontane Blasensprung bei ge¬
wöhnlichen Geburten ganz ungefährlich sei, wobei zu beachten ist, daß der¬
selbe in der Mehrzahl der Fälle sich bei engen Becken ereignet. Es ergab sich,
daß diese Geburten eher rascher verliefen, es war weder die Mutter durch
Infektion, noch das Kind durch Asphyxie in einem höheren Grade geschädigt
als sonst. — v. H. bekennt sich freimütig dazu, daß er in der Indikations¬
stellung zur künstlichen Frühgeburt sehr liberal sei. Sein Bestreben gehe da¬
hin, den Kreißenden die sonst sehr erschwerte Geburt nach Möglichkeit zu er¬
leichtern. Es sei dies nur human, humaner als wenn man die Frauen die
Qual einer Geburt bei engem Becken so lange aushalten läßt, bis sie nur
noch mittels gefährlicher, großer Eingriffe in einer Anstalt entbunden werden
können, wenn man nicht auf das Leben des Kindes von vornherein verzichten
will. Der Satz ist wohl zu beherzigen: ,,Ivann denn eine einzige dauernde
Blasenlähmung mit ihren bekannten schrecklichen Folgen ein kleines Mehr
an Kindern überhaupt aufwiegen ?“ v. H. konnte 80% frühgeborene Kinder
lebend entlassen und sie lebten sogar so gut weiter, wie rechtzeitig geborene !
R. Klien (Leipzig).
Ruptur der Symphyse während der Geburt.
(P. Sch eurer. Korrespondenzbl. für Schweizer Ärzte, Nr. 4, 1909.)
Mitteilung des seltenen Falles von Ruptur der Symphyse bei der Zangen¬
entbindung einer 29 jährigen Primipara, bei der keine starke Gewalt ange¬
wendet wurde. Die durch einen um das Becken gelegten Ledergurt fixierten
Fragmente heilten bei 5 wöchiger Bettruhe zusammen. Die Beckenverengerung
war gering, die Mutter sehr klein und das Kind 4000 g schwer. Die Ileo-
sakralfugen waren nicht gesprengt und die Weichteilverletzungen nicht schwer,
woher sich der glatte Verlauf erklärt. F. von den Velden.
Aus der Universitäts-Frauenklinik in Tübingen.
Der Einfluß der Asepsis und Infektion auf die Technik der Entbindung
durch Schnitt.
(Hugo Seilheim. Deutsche med. Wochenschr., Nr. 40, 1908.)
Auch S. ist dazu gelangt, den sog. extraperitonealen Kaiserschnitt nur
noch bei ,, reinen“ Fällen zu machen, infizierte Fälle dagegen, wenn nötig,
durch die „Uterusbauchdeckenfistel“ zu entbinden, falls es sich um Er¬
haltung des kindlichen Lebens handelt.! Sehr schwierig gestalte sich die
Frage nach unserem Tun bei den zweifelhaften Fällen. Für den „alles
versprechenden“ extraperitonealen Kaiserschnitt ist es zu spät, um sich zur
Behandlung „nach dem rücksichtsloseren Prinzip“ für infizierte Fälle zu
entschließen, ist es noch nicht spät genug. Für diese, sowie auch für die
infizierten Fälle selbst liege die Zukunft, wie S. ausführt, in der Prophy¬
laxe. „Wer als verantwortlicher Geburtsleiter es zur Infektion kommen
läßt, hat es sich selbst zuzuschreiben. — Die Entscheidung zur Entbindung
durch Schnitt gehört spätestens in die Geburtszeit vor dem Bankerott der
natürlichen Organisation.“ „In 'der Antizipation der Indikationsstellung liegt
die Wurzel für einen gesunden Konservativismus der Geburtshilfe, während
der falsche Konservativismus so lange schont, bis durch Warten geschadet
ist.“ S. gibt sich selbst nicht der Hoffnung hin, daß sich dieser „weit¬
schauende Geburtsbeistand“ je wird praktisch durchführen lassen. Dazu
Referate und Besprechungen.
731
müßten entweder alle Entbindungen in Anstalten abgemacht werden oder es
müßte an jedem Kreißbett ein Spezialarzt für Geburtshilfe sitzen. — Übrigens
scheint auch S. die Perforation des lebenden Kindes für gewisse Fälle zu
akzeptieren. R. Klien (Leipzig).
Die Gefahren der natürlichen Geburtsbestrebungen bei Placenta praevia
und ihre Verminderung durch den extraperitonealen Uterusschnitt.
(H. Sellheim, Tübingen. Zentralbl. für Gyn., Kr. 40, 1908.)
Zur Behandlung der Placenta praevia.
(B. Krönig, Freiburg. Zentralbl. für Gyn., Kr. 46, 1908.)
Seilheim hat das Prinzip des extraperitonealen Uterusschnittes auf
die Fälle von Placenta praevia übertragen. Platz zum extraperitonealen
Entbinden ist sowohl in der Schwangerschaft, wie in den ersten Stadien der
Geburt genügend vorhanden. Das Durchschneiden des Uterus hat keine
Bedenken; man hat vielmehr den Eindruck, daß die dünne Uteruswand
nicht so stark blutete, wie der Uterusschnitt beim klassischen Kaiserschnitt.
Auch der weitere Blutverlust ist nicht zu fürchten. Außer leichter Tam¬
ponade des oberen Uterusabschnittes hat sich das Auf drücken von Kompressen,
die in heißer Kochsalzlösung ausgerungen sind, gut bewährt. Die direkte
Freilegung der blutenden Gefäße gewährt das Gefühl der Sicherheit, da jeden
Augenblick die zur Blutstillung erforderlichen Maßnahmen einsetzen können.
S. berichtet über 8 extraperitoneale Uterusschnitte bei Plac. jjraev.
Resultat: 8 lebende gesunde Mütter, 8 lebende gesunde Kinder.
Auf Grund dieser Erfahrungen hat sich in der Tübinger Klinik das
Behandiungsprinzip herausgebildet: bei sicherer Diagnose der Plac. praev.
extraperitonealer Uterusschnitt mit nachfolgender Tamponade, sobald das Kind
lebt und die Asepsis der Geburt gewahrt ist. Der vaginale und klassische
Kaiserschnitt kommen als Konkurrenzverfahren kaum in Betracht. Die beim
vaginalen Kaiserschnitt erforderliche Zerrung der Plazentainsertion muß
ebenso wie die Distraktion beim spontanen Geburtsverlauf vermieden werden.
Beim klassischen Kaiserschnitt wird das Zentrum des Gebärapparats statt
folgerichtig dessen Ausgang verletzt: der klassische Kaiserschnitt gibt
eine weniger gute Restitutio ad integrum wie der extraperitoneale Uterus¬
schnitt, welcher zudem die blutende Fläche direkt freilegt. So scheint der extra¬
peritoneale Kaiserschnitt, wenn man ihn auf aseptische Fälle beschränkt,
berufen, Mutter und Kind auf die natürlichste und schonendste Weise aus
der Lebensgefahr, in welcher sie schweben, zu retten.; Er bedeutet aller¬
dings einen gewaltsamen Eingriff in den natürlichen Geburtsverlauf. Wenn
aber Mutter und Kind durch ein eigentümliches Spiel der Katur in Lebens¬
gefahr geraten, so ist es eben unsere Aufgabe, durch unser Behandlungsprin¬
zip die normale Geburt auszuschalten.
Auch Krönig kommt zu der Ansicht, daß gegenüber den schlechten
Resultaten der Statistiken von Zweifel und Veit (6% — 10% mütterliche,
60 %— 80% kindliche Mortalität) ein radikaleres Vorgehen, wie es bisher geübt
wird, indiziert ist. Ihm fehlen Erfahrungen über den extraperitonealen Uterus¬
schnitt bei Placenta praevia. Er plaidiert für den abdominellen Kaiser¬
schnitt, den er 6 mal mit gutem Erfolg für Mutter und Kind ausgeführt
hat. Selbstverständlich ist bei fast völlig erweitertem Muttermund nach
wie vor die Wendung mit nachfolgender spontaner Geburt vorzunehmen;
bei infektionsverdächtigen Fällen suche man sich über den Sitz der Plazenta
zu orientieren und mache bei hinten sitzender Plazenta den zervikalen Kaiser¬
schnitt; bei vorn sitzender Plazenta behandle man nach Braxton Hicks.
(Ob bei der Eile, welche bei der durch Plac. praev. bedingte Blutung meist
erforderlich ist, eine solche Orientierung oft gelingt ? Ref.)
Auffällig erscheint, daß bei beiden Autoren die Behandlung der
Placenta praevia mit der Hystereuryse, deren vorzügliche Resultate (bei
732
Referate und Besprechungen.
119 Frauen 5% mütterliche, nur 49% (!) kindliche Mortalität) neuerdings
wieder von Hannes (Placenta praevia: Hystereuryse oder Braxton Hicks ?
Zentralbl. f. Gyn. 1908, 29, 42) hervorgehoben werden, keine Erwähnung
findet. (Bef.) F. Kayser (Köln).
Was leistet die moderne Therapie bei der Placenta praevia?
(W. Hannes, Breslau. Zentralbl. für Gvn., Kr. 3, 1909.)
Hannes berichtet über 246 Fälle von Placenta praevia, welche in der
Zeit vom 1. April 1894 bis Okt. 1908 in der Breslauer Klinik zur Beobachtung
und Behandlung kamen. Er stellte die Busul täte für Mutter und Kind bei
den verschiedenen angewandten Entbindungsmethoden (Hystereurye, Blasen¬
sprengung, Zange, Perforation und Kraniaklasie, Ivolpeurye, Scheidentam¬
ponade) kritisch zusammen und kommt zu einer warmen Empfehlung des von
ihm bereits früher gerühmten Verfahrens der Hystereuryse. Wird sie als
souveränes Mittel angewendet, so läßt sich die kindliche Mortalität auf etwa
20—25%, die mütterliche auf etwa 7,8% herabdrücken — ein sehr bemerkens¬
wertes Resultat, wenn man erwägt, daß diesen Zahlen bei Anwendung der
älteren Methoden, besonders des viel geübten Braxton-Hicks, 75—80% kind¬
liche, etwa 2,2% mütterliche Mortalität gegenübersteht.
Die Hystereuryse ist besser wie die kombinierte Wendung und hat vor
dem vaginalen und korporalen Kaiserschnitt den großen Vorteil voraus,
daß er auch bei den infektionsverdächtigen Fällen — und zu ihnen gehören alle
poliklinischen — zur Anwendung kommen kann. Nachblutungen und Störungen
der Plazentarperiode gehören bei ihr zu den größten Seltenheiten. Die ge¬
wichtigste Bedeutung besitzt sie aber insofern, als sie von jedem Praktiker
allerorts geübt werden kann ; auch für ihre Resultate gilt selbstverständlich
die Forderung, daß die Fälle möglichst frühzeitig, d. h. nicht in ausgeblutetem
Zustand in Behandlung kommen.
Der große Vorzug der Hystereuryse, die übrigens bereits eine große
Anhängerschaft gefunden, geht aus den gebrachten Daten in überzeugender
Weise hervor. Ob aber für die geradezu überraschend günstigen Resultate,
über welche H. jn „kritischer“ Weise berichtet, nicht vielleicht auch das
Wort Lord Palmerston’s gilt : „Dreierlei Lügen gibt es, die harmloseste
ist die Notlüge, schlimmer ist die zielbewußte Lüge, und dann gibt es noch
die Statistik“ ? (Ref.) F. Kayser (Köln).
Welchen Einfluß hat das Ueberdecken der Maske mit einem Handtuche
auf den Verlauf der Chloroformnarkose?
(Dr. Hof mann, Kalk-Köln. Zentralbl. für Chir., Nr. 22, 1908.)
H. veröffentlicht seine günstigen Erfahrungen bei der Chloroform¬
narkose. Er führt sie darauf zurück, daß er die gewöhnliche Schimmel-
busch’sche Maske mit einem doppelt zusammengelegten Handtuch über¬
decken läßt. Zwischen Maske und Handtuch soll ein gewisser Luftraum
entstehen, im übrigen das Handtuch das Gesicht berühren. Man braucht
so viel weniger Chloroform. Das Chloroform wird auf die Maske gegeben
und das Handtuch dazu gelüftet. Die Narkose kommt sehr schnell in Gang,
Exzitation und Erbrechen bleiben aus. Kommt es zur Exzitation, so hält
H. diese für eine Folge der Überdosierung. H. scheint danach in der glück¬
lichen Lage zu sein, nicht viel Potatoren chloroformieren zu müssen. Nach
Ansicht des Referenten bekommt auf diese Weise der Patient eben schneller
mehr Chloroform zur Einatmung, als wenn das Chloroform frei verdunstet
und darauf beruht die promptere Wirkung. Bei der Äthernärkose ist die
Methode ja bereits allgemein üblich und bezweckt das gleiche.
Mellin (Steglitz).
Referate und Besprechungen.
733
Zur Kasuistik der Uterus perforationes mit Darmverletzung.
(Prof. Ssadowski, Petersburg. Zentralbl. für Gyn., Nr. 41, 1908.)
Eine schier unglaubliche Beobachtung! Bei einer 25jährigen Patientin,
die vor einem Monat einen Abort überstanden hatte, hatte ein Arzt nach
vorausgegangener Dilatation eine Kürettement vorgenommen, mit der Abort¬
zange ,, etwas Weiches“, welches er gefaßt hatte, vorgezogen und abgetragen,
Bei der wegen der Diagnose „Darmverletzung“ vorgenommenen Laparotomie
zeigte sich die Bauchhöhle mit einer Menge flüssigen, fäkal riechenden Blutes
gefüllt, in der vorderen Wand des Uterus eine 2 cm lange Perforation, in
welches der dicht an der Bauhin’schen Klappe von seinem Mesenterium ab¬
gerissene Dünndarm einmündete. Resektion des Darms an Stellen, an
welchen eine genügende Ernährung gewährleistet schien; Schluß des Darm¬
stücks an der Bauhinkchen Klappe. Koloenteroanastomose. Supravaginale
Amputation des Uterus, Peritonisierung des Uterusstumpfes. Mehrfache Drai¬
nage. Nach schwerem fieberhaften Verlauf innerhalb der ersten 8 Tage
glatte Rekonvaleszenz. Heilung.
Das von den Angehörigen dem Operateur nachträglich überbrachte,
von dem Arzt abgeschnittene Darmstück hatte eine Länge von 278 cm und
setzte sich aus drei glatt abgeschnittenen Stücken zusammen !
F. Kayser (Köln).
Innere Medizin.
Angeborener Herzfehler und Polycythämie.
(F. Parkes Weber. Edinburgh med. Journ., new series, Vol. 2, S. 18, 1909.)
W. beobachtete bei einem, in der Entwicklung etwas zurückgebliebenen
(Gewicht 41 kg) jungen Mann von 22 Jahren mit starker Zyanose, Trommel¬
schlegelfingern, systolischem Geräusch in der Mittellinie, orthostatischer Albu¬
minurie, die ungewöhnlich hohe Polycythämie von 10300000 bei 7000 weißen.
Hämoglobin („nach Haldane“) 160. Derartige hohe Werte sind nur in ganz
vereinzelten Beobachtungen berichtet. Die roten Blutkörperchen erschienen
im übrigen normal. H. Vierordt (Tübingen).
Ueber Herzinsuffizienz.
(Hans Eppinger. Med. Klinik, Nr. 14, 1908.)
Über die Ursache der Insuffizienz des hypertrophischen Herzmuskels
bestehen bislang Meinungsverschiedenheiten. Eppinger hat nun mit Hilfe
einer im Original näher mitgeteilten Methode Messungen angestellt über das
Verhältnis des Lumens der Koronargefäße zur Herzgröße (Herzgewicht). Die
teils an „normalen“ und hypertrophischen Herzen im gleichen Alter ver¬
storbener Individuen gewonnenen Meßresultate, weisen, obwohl die Anzahl
der untersuchten Herzen noch klein ist, darauf hin, daß infolge relativer
Kleinheit des Kalibers der Koronargefäße an den hypertrophischen Herzen die
Bedingung für eine ausgiebige Ernährung sich bei diesen ungünstig gestaltet
haben mußten, als für das normale Herz, und daß, wo intra vitam Insuffizienz¬
erscheinungen in den Vordergrund getreten waren, die Ernährungsbedingungen
besonders ungünstig waren. Eppinger setzt die Untersuchungen fort und
stellt weitere Mitteilungen in Aussicht. R. Stüve (Osnabrück).
Aus dem diagnostisch-therapeutischen Institut für Herzkranke in Wien.
Über das Verhalten systolischer Geräusche bei Lagewechsel.
(Priv.-Doz. Dr. Max Herz. Med. Klinik, Nr. 46, 1908.)
Herz kommt auf Grund seiner Beobachtungen zu folgendem Resultat:
„1. Die Rückenlage und noch mehr die linke Seitenlage geben zum Zu¬
standekommen akzidenteller systolischer Geräusche dadurch Veranlassung,
734
Referate und Besprechungen.
daß sie die Querlagerung des Herzens steigern und die normale Stromricihtung
beim Austreten des Blutes aus den Kammern in die großen Gefäße gegen¬
über der Norm ändern.
2. Über der Wurzel der linken Aorta erscheinen häufig bei arterio¬
sklerotischen Veränderungen daselbst im Anschluß ani den ersten Ton kurze
rasche systolische Geräusche in Rückenlage durch Andrängen dieser Teile
an die vordere Brustwand.
3. Beim Tropfenherz pflegen die systolischen Geräusche in der linken
Seitenlage dadurch zu verschwinden, daß die Spitze, der Schwere folgend,
nach links rückt und das! Herz seine normale schräge Stellung annimmt.
4. Bei stark dilatiertem beziehungsweise hypertrophirtem linken Vorhof
bei der Kombination von Mitralinsuffizienz und Stenose des linken venösen
Ostiums, können systolische Geräusche in der Rückenlage auftreten infolge
der Kompression des linken Vorhofes zwischen dem Ventrikelkonus und der
Wirbelsäule; in der linken Seitenlage verschwinden diese Geräusche.“
F. Walther.
Angina pectoris und Enteritis muco-membranacea.
(Maurice Loeper. Bull, med., Nr. 7, S. 75 — 77, 1909.)
Das vielgerühmte anatomische Denken, das ohne Zweifel ein notwendiges
Durchgangsstadium unserer Wissenschaft gewesen ist, hat es mit sich gebracht,
daß die Aufmerksamkeit mancher Ärzte wie hypnotisiert ausschließlich auf
das Organ gebannt bleibt, welches durch seine Störungen in den Mittelpunkt
des Interesses gerückt erscheint. Wenn also ein Pat. Durchfälle, Herzklopfen
usw. hatte, ohne daß nachher der Obduzent makro- oder mikroskopische Ge¬
webeveränderungen am Darm, Myokard usw. aufweisen kann, so sehen sie
darin — wie DubosiReymohd zu sagen pflegte — einen Ausdruck der
Perfidie der Natur.
Die Geschichte der Auffassung der Angina pectoris ist in dieser Be¬
ziehung lehrreich. Von der Theorie der Koronarsklerose, welche übrigens, wenn
ich nicht irre, seinerzeit Fothergill nur so nebenbei aufgestellt hatte, ist
man allmählich zur Reflextheorie übergegangen, und die vorliegende Abhand¬
lung sucht darzutun, daß die Angina pectoris nicht selten eine Reflexerschei¬
nung seitens des Darms sei und sich bei Pat. mit Enteritis muco-membranacea
relativ häufig finde. Allerdings brauchen beide Krankheiten nicht immer
typisch ausgeprägt zu sein, beide können in rudimentären Formen auftreten;
aber die Hauptsache, der reflektorische Zusammenhang, bleibe darum doch
bestehen. Loeper denkt sich diesen Reflex in Form eines Krampfes der
Koronararterien und macht damit sein Kompliment vor der alten anatomischen
Lehre. Da sich dieser Krampf wohl kaum beweisen und damit aus dem Ge¬
biet der Hypothesen in jenes der Tatsachen überführen läßt, so erübrigt sich
eine Erörterung hierüber. I
Der Hinweis Loeper’s verdient aber jedenfalls volle Beachtung, auch
wenn man die beiden Phänomene nicht als subordiniert, sondern als koordiniert,
als Ausdruck derselben Grundstörung auf verschiedenen Gebieten anzusehen
geneigt ist. s
Therapeutisch empfiehlt L. Valeriana, Digitalis, Spartem (von Brom,
Opium, Belladonna rät er ab); warme Umschläge um den Leib, C02-Bäder
(keine kalten Duschen !) ; Milch und vegetabilische Diät, wenig weißes Fleisch ;
als Abführmittel Ölklystiere und Ol. Ricini. Die übrigen Purgantien und sog.
Darmdesinfektionsmittel seien eher schädlich als nützlich.
Buttersack Berlin).
Beitrag zur Pathogenese und Therapie der anginoiden Zustände.
(Th. Jaschke. Med. Klinik, Nr. 5 u. 6, 1908.)
Während auf die die Pathogenie der anginoiden Zustände des Herzens
behandelnden und an Einzelheiten reichen Ausführungen Jaschke’s im
Referate und Besprechungen.
735
Rahmen eines kurzen Referates einzugehen nicht möglich ist und dieserhalb
auf die Originalarbeit verwiesen werden muß, sei bezüglich der Therapie
dieser Zustände mitgeteilt, daß es vielfach geboten erscheint, neben einem
Herztonikum noch Mittel gleichzeitig anzuwenden, welche den arteriellen
Blutdruck herabsetzen. Wegen seiner vasokonstriktorischen Wirkung ist die
Digitalis in solchen Fällen nur mit Vorsicht zu gebrauchen; erstens über¬
haupt nur dann, wenn keine schweren Schädigungen des Myokards anzu¬
nehmen sind und zweitens unter möglichster Ausschaltung der vasokonstrik¬
torischen Komponente. (Durch Darreichung von Amylnitrit im Anfall oder
Erythroltetratnitrat zur Erzielung von Dauerwirkung s. u.) Digitalis ist
am besten als Mazerationsinfus (frigide parat.) der zerschnittenen Blätter
zu verabfolgen und es sind kleinere Dosen zu wählen. — Sehr bewährt hat sich
dagegen in der Behandlung der anginoiden Zustände als Herztonikum die
Tinct. Stroph. mit. Val. aeth. ää. Am ersten Tage 3 mal 10 — 15 Tropfen, am
nächsten Tage 3 mal 7 Tropfen. Nach ca. 8 Tagen bei gutem Erfolge noch
weniger, allmählich bis auf 3 mal 4 Tropfen. Schließlich werden 2 mal
4 Tropfen längere Zeit nach dem Mittag- und Abendessen genommen. —
Strophantin (Böhringer) und Digalen sind nur im Anfall selbst bei akuter
Herzschwäche und dann intravenös anzuwenden. — Als sonstige Ersatz¬
mittel der Digitalis kommen, wenn diese nicht vertragen wird, noch Digitoxin
(Tabl. ä V2 mgr 1 — 2 Stück, besser als Klysma) oder Dialysat fol. digital.
Golaz 3 mal 7 — 15 Tropfen in Betracht. — In Fällen von akuter Herzschwäche
sind im Anfall auch Coff. natr. benzoic. — In Fällen, in denen der asthmatische
Charakter vorwiegt, wirken oft die Theobrominpräparate (besonders Diuretin
in einer Tagesdosis von 2—3 g. sehr gut. — Zur Erzielung der Herabsetzung
des arteriellen Druckes bewährt sich für rasche Wirkung am besten Amylnitrit,
daneben heiße Fußbäder, warme Umschläge auf die Brust, Beklopfen der
Herzgegend im Rythmus Ter Herztätigkeit. Zur Erzielung von Dauer¬
wirkungen Erythrol. tetranitrat werden davon 0,15 g mit Extr. gent. et. pulv.
gent. zu 30 Pillen geformt und hiervon in den ersten Tagen 3 — 4 Stück ge¬
geben, bei günstigem Resultat zurückgegangen auf täglich je eine Pille
morgens und abends. Bei vollständigem Wohlbefinden wird nach 14 Tagen
ein Tag ausgesetzt und diese Versuche tastend wiederholt, und nach längerer
Pause dann mal wieder ein T'ag 4 Pillen gereicht. Mit dem bisher gleichzeitig
gereichten Strophantus ist dann zu wechseln und Coff. natr. benz. 2— 3 mal
tägl. 0,2 g in Lösung an seiner Stelle zu geben. — In leichten Fällen, nament¬
lich bei nachweisbarer Arteriosklerose kann auch eine Dauertherapie mit
Jodkali versucht werden. Kal. jodat. Natr. bicarb. ää 5,0 mit 150 g Aqu.
DS. 2 mal tägl. 1 Eßlöffel zu nehmen. Diese Medikation ist in jedem
Monat 3 Wochen durchzuführen, für den Rest des Monats auszusetzen usf.
V2 Jahr lang. Dann wird etwa für 2 — 4 Monate ausgesetzt und nachher wieder
begonnen. R. Stüve (Osnabrück).
Aus der medizinischen Klinik in Kiel.
Über nervöse Störungen der oberen Extremität bei Arteriosklerose.
(Dyskinesia und Puraesthesia intermittens.)
(Prof. Dr. Oskar Wandel. Münch, med. Klinik, Nr. 44, 1908.)
w andel glaubt für die Bedingungen, unter denen nervöse Störungen
bei peripherer Arteriosklerose zur Entwicklung kommen, auf Grund seiner
an 32 Fällen gesammelten Erfahrungen einige Anhaltspunkte liefern zu können.
Es treten bei sämtlichen Kranken periphere Gefäßstörungen auf, die unter be¬
stimmten Veranlassungen zu schmerzhaften Paroxysmen und motorischen Aus¬
fallserscheinungen führen können. Es werden die Berufszweige mit einseitiger
Extremitätenbelastung vor allem ergriffen. Für gewöhnlich finden sich da nur
Akroparästhesien und Ermüdungsgefühle. Nur, wenn immer wieder energisch
die Arbeit versucht wird, kommt es zu den erwähnten Störungen. Als inter¬
essanten Ausnahmefall führt Wandel einen Patienten an, bei dem schon
736
Referate und Besprechungen.
geringfügige Anstrengungen schmerzhafte Paroxysmen im Ulnarisgebiet aus¬
lösten, die oft auch auf das Medianus gebiet übergingen. Hier kommt ätio¬
logisch Alkohol und Nikotinabusus in Frage. Bei seinen übrigen Kranken
spielen diese Allgemeinschädlichkeiten sowie die neuropathische Diathese von
Bing, Higier und Idelsohn (ätiologisch keine Rolle. Vielmehr ist die
funktionelle Belastung dafür verantwortlich zu machen. Der Beruf seiner
Patienten bringt hauptsächlich Erkältung und Durchnässung der Glieder
mit sich, die einen abnutzenden reflektorischen Reiz auf die peripheren Gefäße
ausüben. Mikroskopisch handelt es sich vorzugsweise um eine Läsion der
Intima, die zur Endarteriitis obliterans führt. F. Walther.
Kleines Herz bei Leberzirrhose.
(P. Carnot. Progres med., Kr. 5, S. 61 — 63, 1909.)
Car not unterscheidet zwei Arten von Leberzirrhose: die eine geht
einher mit Oligurie, Ödemen, vermindertem Blutdruck (10 — 13 cm Hg) und
kleinem Herz ; die andere hat keine Ödeme, normalen Urin, erhöhten Blutdruck
(15 — 20 cm Hg), Arteriosklerose, chronische Nephritis und ein vergrößertes Herz.
Indem er nur die erste Kategorie näher betrachtet, ist er geneigt, die
Kleinheit des Herzens und (die Blutdruckerniedrigung auf eine gemeinsame
Ursache zurückzuführen, nämlich auf Störungen im Pfortaderkreislauf. Er
stellt sich den Vorgang dann so vor, daß infolge eines solchen Strömungs¬
hindernisses weniger Blut ins Herz gelange, daß dieses Organ somit weniger
zu leisten habe, sich seinem kleineren Kontentum anpasse und daß infolge
davon der Druck im Aortensystem sinke; ähnliche Verhältnisse finden sich
bei Lungenschwindsucht und bei Mitralstenose. Carnot’s Deutung hat viel
Bestehendes und wird ohne Zweifel von allen mechanistisch Denkenden gern
aufgenommen werden. Buttersack (Berlin).
Verteilung des Stickstoffs im hypertrophischen Herzmuskel.
(J. Bence. Zeitschr. für klin. Medizin, Bd. 66, S. 441, 1908.)
Das nach der Methode von Wil'h. Müller in seine einzelnen Teile zer¬
legte Herz wurde in 6 Fällen, darunter einem normalen, auf Fettgehalt unter¬
sucht. So weit aus wenigen Fällen geschlossen werden darf, ergab sich
gleichmäßige Verteilung des Stickstoffgehalts für die einzelnen Herzabschnitte,
auch beim hypertrophischen und beim „erschöpften“ Herzen, bei welch letzterem
allerdings der Stickstoff eine prozentuale Abnahme erfährt. Herzhypertrophie
wie Herzerlahmung führt B. auf rein mechanische Ursachen zurück.
H. Vierordt (Tübingen).
Herzkranke im Gebirge.
(Felix. Korrespondenzbl. für Schweizer Ärzte, Nr. 4, 1909.)
Entgegen der verbreiteten Regel, daß Herzkranke das Hochgebirge
vermeiden sollen, berichtet F. über einige Kranke mit Aortenaneurysmen,
die sich in der Höhe von 1400 m und darüber wohler fühlten und viel leistungs¬
fähiger waren als in den mittleren Höhen oder in der Ebene. Darunter ist ein
Fall kompliziert mit Stenose der Art. pulmonalis und Hypertrophie des
rechten Ventrikels, der mit einem Klappenfehler durchaus vergleichbar ist.
Doch will F. darauf hin nicht die Berechtigung der Ansicht bestreiten, daß
Herzkranke bedeutende Höhen besser vermeiden. F. von den Velden.
Ueber die Veränderung des Magenchemismus nach Gastroenterostomie.
(L. Schönheim, Budapest. Archiv für Verdauungskrankh., Bd. 14, H. 5.)
Schönheim prüfte bei 4 Gastroenterostomiefällen vor und (3 Monate
bis 2 Jahre) nach der Operation (bei einem 5. Falle nur 10 Tage nach Gastro-
Referate und Besprechungen.
737
enterostomie) den Magenchemismus. Er kam dabei zu folgenden Ergebnissen:
l.In den meisten Fällen von Gastroenterostomie regurgitiert Galle und Pankreas¬
saft in den Magen. Bei fettfreier Kost sind dieselben nach längerer Zeit, bei
fettreicher Kost schon nach einer halben Stunde nachweisbar. 2. Die alkalischen
Darmsäfte setzen durch chemische Reaktion die Azidität des Magensaftes herab,
das Pepsin wird in vielen Fällen (im alkalischen Medium) unwirksam, während
das Trypsin auch in schwachsaurem Medium seine Wirkung zu entfalten ver¬
mag. 3. Wir sind imstande, durch fette Speisen, häufige Mahlzeiten und durch
reichliche Wasserzufuhr die Salzsäure gänzlich zu eliminieren und dadurch
die Heilung des Magengeschwürs zu fördern. 4. Wenn auch die Gastroenterosto¬
mie der kausalen Therapie des Magengeschwürs entsprechende günstige Um¬
stände liefert, wollen wir doch nur jene Fälle des Magengeschwürs der opera¬
tiven Behandlung zugeführt sehen, die trotz langer und sorgfältiger innerer
Behandlung keine Tendenz zur Heilung zeigen. M. Kaufmann.
Über die Restbestimmung des Mageninhalts nach Mathieu-Remond.
(A. Schüle. Arch. für Verdauungskrankh., Bd. 14, H. 6, 1908.)
Nachdem schon mehrfach Zweifel an der Zuverlässigkeit der Rest¬
bestimmung nach Mathieu-Remond erhoben worden waren, unterzog Schüle
die Methode einer Nachprüfung an einem Kranken, bei dem sie 13 mal
angewendet wurde. Als zu .bestimtnjender Mageninhalt wurden 300 ccm
salzsäurehaltige Milch eingegossen. Die Restbestimmung ergab Inhaltsmengen
von 170 — 600 ccm; nur viermal ergab die Berechnung gerade 300 ccm, vier¬
mal weniger, fünfmal mehr. Ursache der schlechten Resultate ist, daß es
nur mangelhaft gelingt, das nachgegossene Wasser mit dem Ohymus zu
mischen. Eine gründlichere Mischung ließe sich ja wohl durch Schütteln,
Lageveränderungen der Patienten usw. erzielen; aber derartige Manipulationen
scheitern oft an der Empfindlichkeit der Patienten, und das mehrfache Herein-
und. Heraushebern des Mageninhalts, der die bessere Mischung befördern
könnte, scheitert daran, daß während dieses Vorgangs nicht unerhebliche
Mengen Chymus in den Darm übertreten können. Eine bessere Methode können
wir aber vorläufig nicht an die Stelle der Mathieu-Remond’schen setzen,
und es dürfte zum Zwecke der Restbestimmung nichts übrig bleiben, als
den Patienten nach gehöriger Einübung und eventueller Kokainisierung des
Schlundes so weit zu bringen, daß er den Mageninhalt völlig exprimiert.
M. Kaufmann (Mannheim).
Lieber den Einfluß des Wasserstoffsuperoxyds auf die Sekretion des Magens.
(A. Petri, Baden-Baden. Archiv für Verdauungskrankh., Bd. 14, H. 5.),
Petri benutzte zu seinen Versuchen 1/4 — 3/4°/o Lösungen von Wasser¬
stoffsuperoxyd; über Magenbeschwerden wurde danach niemals geklagt. Die
ersten Versuche betrafen Vergleiche mit den Säurewerten nach Probefrühstück,
indem an den Versuchstagen der Tee des Probefrühstücks durch die Wasser -
stoffsuperoxydlösung ersetzt wurde; es fand sich ausnahmslos in allen Fällen,
in denen nach gewöhnlichem Probefrühstück freie HCl vorhanden war, nach
Verabreichung des H202-Probefrühstücks eine bedeutende Herabsetzung sowohl
der Gesamtazidität, als auch besonders der freien HCl, ja in einigen Fällen
sogar ein vollständiges Verschwinden der letzteren. Ein Vergleich dieser
säurehemmenden Wirkung mit der des Öls ergab, daß sie noch viel intensiver
ist. Hand in Hand mit der Säurehemmung geht eine, wie es scheint, geringere
Herabsetzung des Pepsingehalts des Magens. Jedenfalls besitzen wir in dem
V asserstoffsuperoxyd das stärkste bekannte säurehemmende Mittel, von dem
in der Praxis — unbeschadet der Fälle, wo Öl vorzuziehen ist — gelegentlich
Gebrauch gemacht werden kann. Blutungsgefahr ist nicht zu fürchten ; im
Gegenteil kann Neigung zu solchen günstig beeinflußt werden. Der unan¬
genehme Geschmack der wässerigen Lösung verschwindet, wenn man statt
47
738
Referate und Besprechungen.
Wasser Mandelmilch benutzt. Man kann das H202 auch morgens nüchtern
1 — 3 auf 200 — 300 ccm Wasser nehmen lassen, oder 1/4 — V2% zur Magen-’
Spülung verwenden. Gut vertragen wird das H202 auch in Form von Magne-
sium-Perhydrol 3 mal tägl. 2 Tabletten a 0,5; die säurehemmende Wirkung
derselben kann allerdings auch auf das darin enthaltene Alkali zu beziehen sein.
M. Kaufmann.
Klinische Bedeutung der Differenz zwischen Rektal- und Axillartemperatur,
speziell bei Peritonitis.
(Propping. Münch, med. Wochenschr., Nr. 10, 1908.)
Die Achseltemperatur steigt durch Muskelanstrengung und durch Haut¬
abkühlung, in beiden Fällen durch erhöhte Wärmeproduktion in den Muskeln,
welche die Achselhöhle umschließen. Die Rektaltemperatur steigt dabei gar
nicht oder viel weniger, die Differenz zwischen den beiden Temperaturen
wird also kleiner. Bei Krankheiten ergeben sich ganz verschiedene Ver¬
hältnisse, indem die Differenzen sehr stark schwanken ; keinesfalls läßt sich
behaupten, daß ein dem Rektum nahegelegener Entzündungsherd die Rektal¬
temperatur erhöht. Andererseits sieht man z. B. beim Schüttelfrost, daß
es auf die Wärmebildung in den Muskeln ankommt, indem hier die Differenz
klein oder gleich Null ist. Bei 100 Peritonitisfällen fand der Autor 25 mal
eine Differenz von mehr als! 1°, was nach den obigen Ausführungen nur
beweist, daß die W ärmebildung in den Muskeln gering und gleichzeitig die
Wärmeabgabe in diesen Fällen herabgesetzt ist — warum, das wissen wir
nicht. Da aber diese Fälle eine sehr hohe Mortalität zeigen, so ergibt sich
aus der großen Temperaturdifferenz rein empirisch eine ernste Prognose.
E. Oberndörffer.
Zur Frage der Schleimbildung im Darm.
(A. Kaabak u. A. Rosenschein. Virchows Archiv für pathol. Anatomie, Bd. 194,
S. 515, 1908.)
Bei Hunden ergab sich bei Reizung eines isolierten Darmabschnittes,
daß nur in diesem und nicht auch in entfernteren eine vermehrte Schleim¬
bildung auf tritt. Es ist danach unwahrscheinlich, daß bei normalem Nerven¬
system eine reflektorische Schleimbildung auf dem Wege über das zentrale
Nervensystem oder den großen Sympathikus vom Darm selbst möglich wäre.
Auch das Sympathikusgeflecht der Darmwand selbst kann keine reflektorische
Schleimbildung in dem oben genannten Sinne zustande bringen. Dieses Er¬
gebnis entspricht früheren Versuchen von Bickel, nach denen die nach
Reizung der Magenschleimhaut auftretende Schleimbildung sich nur als lokale
Reaktion auf einen lokalen Reiz darstellt. Demnach wäre auch bei der Colitis
membranacea die Schleimbildung als durch krankhaften Reiz auf die Darm¬
schleimhaut ausgelöst anzusehen. W. Risel (Zwickau).
Heiße Gelatineklistiere bei Darmblutungen.
(Ernst Michaelis. Med. Klinik, Nr. 2, 1908.)
Von der blutstillenden Eigenschaft der Gelatine hat M. an der Innen¬
abteilung des Friedrichshain-Krankenhauses in der Weise Gebrauch gemacht,
daß er in Fällen von Darmblutungen heiße Gelatineklistiere anwandte. Er
berichtet über 2 Fälle unbekannter Ätiologie und 11 Fälle von Typhus;
in den beiden erstgenannten hatten die Klistiere prompten Erfolg, wenigstens
hörten die Blutungen auf. Von den 11 Typhuskranken starben 7, trotzdem
die Blutungen nach den Klistieren stets zum Stillstand gebracht waren, so daß
bei den Sektionen der betreffenden Fälle kein frisches Blut mehr im Darm
angetroffen wurde. In manchen Fällen erwiesen sich die Gelatineklistiere
sehr wirksam, wo andere Mittel versagt hatten. Was die eigentlichen Todes-
Referate und Besprechungen.
739
Ursachen angeht, so wird für den Tod der betreffenden Kranken 4 mal die
Schwere der Infektion (2 mal Typhussepsis) verantwortlich gemacht, 2 Kranke
starben an Perforationsperitonitis, eine erlag einer Bronchopneumonie. —
Die Anwendung der Gelatine als Klysma geschah meist in 5%iger — 2 mal
auch in 20%igen Lösungen, in Mengen von je 250 — 300 — 500 cbcm pro Ein¬
gießung; die Lösungen wurden bei einer Temperatur von 48—50° C 2 — 4 mal
täglich angewandt. — (Der Beweis dafür, daß an allen Fällen der Stillstand
der Blutung mit der Anwendung der Gelatineklistiere in ursächlichen Zu¬
sammenhang zu bringen sei, dürfte stets schwer zu führen sein ; der kritische!
Beobachter wird sich stets mit einer mehr oder minder großen Wahrschein'
lichkeit des Zusammenhanges zwischen Mittel und der Wirkung zufrieden
geben müssen. Diese ist aber in Fällen, in denen der Tod an dem der Injek¬
tion folgenden Tage eintritt, wie es bei einzelnen der Fälle M.’s der Fäll war,
gering, da bei großen Blutverlusten bekanntermaßen die Blutung durch die
einsetzende Herzschwäche ,auch von selbst zum Stehen kommen kann. So
wenig ich im übrigen gegen die Anwendung der heißen Gelatineklistiere)
auch bei. Typhus abdom. im gegebenen Falle etwas einwenden würde, so*,
würde ich doch aus naheliegenden Gründen davor scheuen, Mengen wie 500 cbcm
auf einmal zu injizieren. Ref.) R. Stüve (Osnabrück).
Die Rektoskopie und ihre Bedeutung für die Diagnose und Therapie der
Colitis ulcerosa.
(Walter Zweig. Wiener klin. Rundschau, Nr. 29, 1908.)
Die Colitis ulüerosa (Boäs) ist eine seltene Krankheit, die wahr¬
scheinlich bakteriellen Ursprungs ist. Vielleicht passieren die Keime be¬
sonders leicht in den Darm, wenn der Magen keine freie HCl enthält, also
bei Achylia gastrica. Das Leiden neigt zu Rezidiven und wird durch Per¬
forationen und andauernde Blutungen sehr gefährlich. — Verf. empfiehlt
zur Diagnose und Behandlung das Rek to-Rom,anoskop, das einen Über¬
blick über die erkrankten Partien gewährt und eine lokale Behandlung er¬
möglicht. (Trockenbehandlung mit Dermatol u. Acid. tannic. aa 10,0 Natr.
chlor at. 5,00.) Steyerthal-Kleinen.
Chirurgie.
Zur Behandlung der Knochenbrüche durch Extension.
(A. Wettstein. Korrespondenzbl. für Schweizer Ärzte, Nr. 3, 1909.)
W. ist der Ansicht, daß die Gipsverbände, besonders an den unteren
Extremitäten, ganz verschwinden sollten, und daß die operative Behand¬
lung der Frakturen nur selten nötig sei. An der Bar denheuer’schen Methode
bemängelt er den zu starken Zug, der häufig zur Muskelschwäche und weiter¬
hin zu Schlottergelenken führe, für deren Ursache er nicht Kapselerschlaffung,
sondern eben die Muskelschwäche hält. W. kommt mit viel geringeren Be¬
lastungen aus als Bardenheuer, am Oberschenkel mit 4 — 6 kg statt 15 bis
20 kg, am Unterschenkel mit 3 — 5 kg, seit er die von Zuppinger angegebene
Methode befolgt, den Zug an der in allen Gelenken leicht flektierten Extre¬
mität anzubringen; dabei sind alle Muskeln relativ schlaff und die zur
Überwindung des Muskelzugs nötige Belastung viel geringer (über die Zup-
pinger’schen Extensionsapparate geben die Prospekte der Hausmann- A.-G.
Auskunft) Dies Verfahren macht auch das Einschlagen von Nägeln in die
Knochen zur Anbringung des Zugs überflüssig.
Übrigens gibt W. zu, daß man auch ohne die Zup pinger’schen Apparate
auskomme, wenn man die Heftpflasterextension mit etwas Geschick und
Nachdenken anlege. F. von den Velden.
47*
740
Referate und Besprechungen.
Sporotrichose der Tibia unter dem Bilde einer Osteomyelitis.
(Josset-Moure. Soc. med. des hopit., 4. Dez. 1908. — , Tribüne med., S. 761, 1908.)
Ein Mann von 55 Jahren war mit Erscheinungen, welche auf Osteo¬
myelitis im unteren Ende der Tibia hindeuteten, erkrankt und daran innerhalb
dreier Jahre viermal operiert worden, aber ohne Erfolg. Diese Erfolglosig¬
keit bewog Josset-Moure, den Eiter bakteriologisch zu untersuchen, und
es gelang mit Hilfe der Serodiagnostik von Widal und Abrami, sowie
mittelst der Kultur das Sporotrichum Beurmann zu finden.
Jodkali heilte den Patienten in vier Wochen.
Von zwei ähnlichen Fällen berichteten in der Sitzung vom 27. Novem¬
ber 1908 Widal und Joltrain und zwar bei Vetter und Base. Das 17jährige
Mädchen hatte ausgedehnte Ulzerationen, Narben und gummiartige Ge¬
schwülste an den Beinen und der rechten Schulter. Sie hatte sich offenbar
bei ihrem Vetter, einem 10jährigen Jungen, angesteckt, der zwei Jahre
zuvor ähnliche Erscheinungen dargeboten hatte und z. Z. noch die Narben
davon hat. Die Agglutination erwies auch diese Erkrankung nachträglich
als Sporotrichose. Da das Mädchen erst acht Monate nach der Heilung
des Jungen erkrankte, so dient dieser Vorfall als neue Bestätigung der Be¬
hauptung von Beurimann und Gougerot, daß die Parasiten lebens- und
ansteckungsfähig bleiben, lange nachdem die klinischen Erscheinungen ge¬
schwunden sind. Buttersack (Berlin).
Epiphysenfraktur des oberen Humerusendes. Zwei auf eine neue Art
erfolgreich behandelte Fälle.
(Fred H. Albee. The Post- Graduate, Juni 1908, S. 340.)
Epiphysenfrakturen des oberen Humerusendes kommen am häufigsten
in der Jugend vom 10. — 18. Jahr vor und bieten den üblichen Behandlungs¬
methoden gewöhnlich die größten Schwierigkeiten dar. Das obere Fragment
in Position zu halten, ist ohne Operation und Draht häufig unmöjglich,
ja, man hat geraten, bei starker Dislokation den Humeruskopf zu ent¬
fernen. A. behandelte einen, von einem Baum gefallenen 16jährigen Knaben,
der angeblich vorher von den besten Ärzten behandelt und in 14 Tagen
dreimal geäthert war, um die Fragmente wieder auseinander zu bringen.
Nach Abnahme des Verbandes trat jedesmal wieder Dislokation ein. Ein
Skiagramm zeigte das obere Humerusende nach oben und vor den Humerus¬
kopf disloziert. Krepitation konnte nicht „gefühlt werden. A. legte die
Fraktur durch einen U -förmigen, durch eine Zeichnung veranschaulichten
Schnitt mit der Spitze ungefähr l1/2 Zoll oberhalb der Insertion des Deltoideus
bloß, klappte Haut, Faszie und Deltoideus zusammen nach oben und fand die
Fragmente in ihrer falschen Stellung1 zu einander so befestigt, daß sie nur
mit Mühe getrennt werden konnten. Nach Entfernung einiger Knochensplitter
wurden die Fragmente bei geeigneter Stellung des Armes reponiert und
mit Silberdraht fixiert. Als jedoch der Arm an die Seite gelegt wurde,
rotierte der Kopf nicht, und die Drähte begannen zu reißen. Der Arm wurde
daher in einer Stellung fixiert, bei der der Humerus nach innen rotiert war.
Der Deltoideus wurde mit einer unterbrochenen Chrom-Katgutnaht heran¬
geholt und schließlich der Arm mit rechtwinklig gebeugtem Ellenbogengelenk
in eine Spika gelegt; der Kranke blieb zu Bett. Nach 3 Wochen passive
Bewegungen, nach 9 Wochen praktisch normale Beweglichkeit. Ein zweiter
ähnlicher Fall (mit Abbildungen des Skiagramms und der Spika) wurde
ähnlich behandelt, woraus F. den Schluß zieht, daß Frakturen der in Rede
stehenden Art auch von Erfahrenen mit Verrenkung verwechselt werden,
daß das obere Fragment durch Muskelzug stets diskloziert und in dieser
Stellung erhalten wird und daß es daher am rationellsten sei, das untere
Fragment in Abduktionsstellung zu bringen, um es auf diese Weise passend
zum oberen zu stellen. Peltzer.
Referate und Besprechungen.
741
Ueber kongenitales Femursarkom, geheilt durch operative und Röntgen¬
behandlung.
(Carl Goebel. Archiv für klin. Chir., Bd. 87, H. 1.)
Es handelte sich um ein dreiwöchiges Kind mit einem kongenitalen,
d. h. bei der Geburt sofort bemerkten und dann rasch gewachsenen periostalen
Spindelzellensarkom der rechten unteren Oberschenkelepiphyse, das durch
kombinierte operative und Röntgenbehandlung (56 Min. in 9 Sitzungen) bis
jetzt (14 Monate lang) vollkommen geheilt wurde.
Die Röntgenstrahlenwirkung auf die Tumorzellen ist eine mehr oder
weniger ausgesprochene Nekrobiose, vom Schwinden der Chromatin-Substanz
des Kerns bis zu ausgesprochener Nekrose. Dazu treten entzündliche Er¬
scheinungen. Die operative Behandlung (Inzision und Exkochleation) des
Tumors unterstützt die Röntgenisierung vielleicht dadurch, daß sie eine
seröse und leukozytäre Durchtränkung des Tumors und damit eine Art von
„Sensibilisierung“ herbeiführt.
Die Kienböck’sche Ansicht von der guten Reaktion, gerade der zell¬
reichen, rasch wachsenden Sarkome auf die Radiotherapie und die Förster-
ling’schen Tierexperimente über die Eernwirkung auch nur kurzer Bestrah¬
lung auf jugendliches Gewebe werden durch den beschriebenen Fall bestätigt.
(Das bestrahlte Beinchen blieb wesentlich im Wachstum zurück.) Bemmen.
Transplantation von Gliedmaßen.
(A. Carrel. Revue de med., Dez. 1908. — Bull, med., S. 9, 1909.)
Der New -Yorker Chirurg Carrel hat einem Foxterrier ein Bein abge¬
schnitten und auf den Stumpf das Bein eines anderen Foxterriers mit pünkt¬
lichen Nähten aufgenäht. Nach 14 Tagen war das Bein gut angeheilt und
nur daran, daß dasselbe etwas schlanker gebaut war und andere Krallen
hatte, konnte man erkennen, daß esi nicht das eigene Bein des Tieres war.
Natürlich möchte jeder gern wissen, wie es nun mit der Gebrauchs¬
fähigkeit des Beines stand; indessen, der boshafte Hund entzog sich der
weiteren Beobachtung durch den Tod.
Mir scheint, Carrlel könnte mit Harvey über seine Mitteilungen
sagen: „Adeo nova sunt et inaudita, ut verear, ne habeam inimicos omnes
homines“. (De cordis et sanguinis motu 1648, S. 101.)
Buttersack (Berlin).
Ueber einen kongenitalen, teratoiden Sakraltumor mit Metastasierung.
(Hermann Hinterstoisser. Archiv für klin. Chir., Bd. 87, H. 1.)
Bei einem kräftigen Mädchen in der Kreuzsteißbeingegend eine kinds¬
kopfgroße längsovale Geschwulst, die stellenweise beginnende Gangrän zeigt.
Am 4. Lebenstage nach Abtragung des Steißbeins verhältnismäßig leichte
Exstirpation des Tumors (teratoide Sakralgeschwulst mit vielfachen zystischen
Hohlräumen, Knochen und Knorpelstücken, die zum Teil mit einem weichen,
papillären Gewebe bedeckt sind; hier histologisch Rundzellensarkom). Jetzt
nach 2 Jahren großer, rezidivierender retroperitonealer Tumor, dessen Exstir¬
pation mißlingt. Auf der Pleura, im Lungengewebe und in der Leber Meta¬
stasen (großzelliges alveolares Sarkom mit derbem, weitmaschigem Stroma).
Lemmen.
Ueber die v. Mosetig-Moorhof’sche Jodoformknochenplombe.
(Hans Brun. Korrespondenzbl. für Schweizer Ärzte, Nr. 4, 1909.)
Brun zeigt, wie schon mancher vor ihm, daß die Jodoformplombe nur
deshalb nicht mehr in Aufnahme kommt, weil nicht hinreichend genau ge¬
arbeitet wird. Tuberkulöse Herde nimmt er möglichst frühzeitig, osteo-
myoli tische lieber zu spät als zu früh in Angriff. Nach Anlegung des Ver-
742
Referate und Besprechungen.
bandes und Aufhebung der Konstriktion lagert er die Extremität stundenlang
steil in die Höhe, um Nachblutung zu vermeiden. Erkrankte Stellen, die nicht
ganz entfernt werden können, z. B. in der Nähe der Operationsstelle be¬
findliche Fisteln, schließt er von dieser durch Verkleben mit Watte und
Kollodium ab. Wenn möglich, wird die Plombe mit Haut bedeckt. Der
erkrankte Knochen wird völlig entfernt, bliebe auch nichts übrig als das
Periost. Die Austrocknung der Höhle geschieht mit dem Thermokauter en
distance; wo Konstriktion nicht möglich ist, tamponiert man mit Vorteil
zunächst und füllt die Plombe nach 2 — 3 Tagen ein. Im übrigen hält Br.
sich möglichst an die Mosetig’schen Vorschriften.
Mit den Resultaten ist er sehr zufrieden, besonders in den nicht mit
Eiterung komplizierten Fällen. Die Plombe ging nie verloren und Jodo¬
formvergiftungen treten nicht ein, dank der sehr langsamen Resorption der
Plombe, die im Röntgenbild leicht zu verfolgen ist. Br. schließt mit den
Worten: Den Fungus exstirpieren, womöglich bevor er abszediert, gründlich
im Gesunden, die resultierenden starren Höhlen plombieren ; wir schaffen
damit unendlich mehr Gutes, als mit dem nutzlosen Jodanstreichen und
Aufschneiden kalter Abszesse.
Ein temperamentvoller Chirurg wird aber nie eine gute Jodoform¬
plombe zustande bringen. F. von den Velden.
Ueber einen Fall von doppelseitiger Zerreißung der Quadricepssehne.
(Stierlin. Korrespondenzbl. für Schweizer Ärzte, Nr. 5, 1909.)
Bei plötzlichen übermäßigen Anforderungen an den Streckapparat des
Oberschenkels reißt bekanntlich in weitaus den meisten Fällen die Knie¬
scheibe, warum sie zuweilen sich fester erweist als die Quadrizepssehne,
ist nicht aufgeklärt; vermutlich spielen Degenerationsprozesse' in der Sehne
dabei eine Rolle, die in manchen Fällen auch nachgewiesen sind. Das Besondere
am vorliegenden Falle ist, daß den Betroffenen, einem 100 kg schweren
42jährigen Mann, zunächst die eine Quadrizepssehne und ein Vierteljahr
später beide auf einmal rissen. Das erstemal wurde mit Massage behandelt
und das Resultat war eher besser als das zweitemal, wo Sehnennaht ange¬
wandt wurde; denn jetzt verblieb eine Unsicherheit, die den Mann nötigte,
bei weiteren Gängen zwei Stöcke zu gebrauchen und die Treppen rückwärts
hinabzugehen. Seine starke Fettleibigkeit und vielleicht Degeneration in der
Sehnensubstanz sind jedenfalls an dem seltenen Unfall beteiligt.
* F. von den Velden.
Die Fulgurationsbehandlung der Krebse nach Keating-Hart.
(Dr. Erich Rosenkranz. Berliner klin. Wochenschr., Nr. 20, 1908.)
Der Marseiller Spezialist für Elektro- und Radiotherapie Dr. de Kea¬
ting-Hart hat im September 1906 über seine neue Methode zur Behandlung
des Krebses die ersten günstigen Berichte gebracht, die durch Beobachtungen
von Pozzi, Desplats, v. Czerny ihre Bestätigung fanden. Rosenkranz
hat im Czerny’schen Samariterhaus in Heidelberg und in der Marseiller
Klinik des Autors das Verfahren einem eingehenden Studium unterzogen.
Keating-Hart, der viele Karzinomrezidive und inoperable Karzinome
zu behandeln hatte, kam( auf den Gedanken, zu dieser Behandlung den
Funken der hochgespannten und hochfrequenten Wechselströme, der sogen.
Teslaströme zu verwenden (folgt Beschreibung des Instrumentariums).
Um die kaustische Wirkung der Funken auszuschalten, arbeitete er
nur mit gekühlten Funken, die eine eigenartige Wirkung auf die Gewebe
ausüben; sie bewirken Ischämie ' und Gänsehautbildung der Haut, Wunden
nehmen glasige Beschaffenheit an, Muskeln und Fett werden dunkel, kapilläre
Blutungen werden gestillt, Tumormassen werden analgesiert, anämisiert und
erweicht, wonach abundante Wundsekretion mit polynukleären Leukozyten
einsetzt. \
Referate und Besprechungen.
743
Keating-Hart glaubte durch die elektive Wirkung der Funken auf
die Tumorzellen eine Vernichtung der bösartigen Massen erreichen zu können,
da aber die Tiefenwirkung ungenügend war, da der Organismus unter der
profusen Lymphorrhöe vergebliche Anstrengungen machte, das abgetötete Krebs¬
gewebe abzustoßen, so ging er, statt die zerstörende Wirkung der Funken zu
erhöhen, dazu über, die vorher bestrahlten kranken Massen mit Messer, Schere,
Kürette zu entfernen und dann erst die erneute Bestrahlung des Operations¬
feldes als Hauptakt des Verfahrens anzusehen.
3 Kategorien von Tumoren kamen zur Behandlung. 1. Krebse der
äußeren Bedeckungen. 2. Tumoren unter den äußeren Bedeckungen, also
hauptsächlich Brustkrebse. 3. Krebse der Schleimhäute, Zunge, Mund, Rek¬
tum, Uterus.
Wenn auch bei den Haut- und namentlich den Gesichtskrebsen Röntgen¬
strahlen und Radium mitunter gutes Resultat ergeben, so wirkt doch die
Fulguration insbesondere bei vorgeschrittenen Fällen mit Beteiligung des
Knochens und bei rezidi vierten Fällen schnell und gründlich. Von der radi¬
kalen chirurgischen Behandlung hat das Verfahren zudem den Vorzug, daß
es ermöglicht, sich an den Grenzen des Gesunden zu halten, miterkrankten
Knochen energisch mit dem scharfen Löffel zu bearbeiten : Auffallend rasche
Epithelisation und erstaunlich günstiges kosmetisches Resultat sind weitere
Vorzüge der Beblitzung. Keating-Hart hat jetzt wohl 70 Hautkrebse,
fast alle mit gutem Erfolge behandelt, von denen Verfasser einige durch das
Resultat besonders eklatante eingehender bespricht und durch Abbildungen
veranschaulicht.
Bei der zweiten Kategorie von Fällen, hauptsächlich Brustkarzinome,
handelte es sich meist um ulzerierte, weit vorgeschrittene Tumoren mit
ulzerierten Drüsenmetastasen und multiplen Hautmetastasen, chirurgisch in¬
operable Fälle. Der Eingriff dabei besteht darin, daß die Knoten und die
fühlbaren Drüsen einfach entfernt werden. Auffallend ist, daß bei der
1. Sitzung zurückgelassene Drüsen und Knoten von selbst zurückgehen, und
daß Rezidive einen benignen Charakter angenommen haben. 7 so behandelte
Patientinnen sind 1 — 1 1/2 Jahre in gutem Zustande.
Besonders frappant ist der Fall einer 50 jährigen Frau, die auch
Sonnenburg gesehen hat, die nach zweimaliger Operation mit Ulzerationen
in der Mitte der Brust und in der Achselhöhle sowie mit geschwollenem.
Arme in Behandlung kam. Vor 2 Jahren wurden die Tumoren fulguriert
und abgekratzt, rasche Vernarbung; vor einem Jahre die Knoten in der
Achselhöhle und 5 Hautmetastasen entfernt und fulguriert. Der Frau geht
es wieder gut, sie kann den Arm frei bewegen.
Mit den Erfolgen bei Schleimhautkarzinomen ist zwar Keating-Hart
noch nicht recht zufrieden, doch werden beachtenswerte Resultate in je einem
Falle von Rektum-Karzinom und Karzinom des Zungengrundes mitgeteilt.
Bei Uteruskarzinomen rühmt Pozzi die Beseitigung der Schmerzen, der
Jauchung und der Blutung.
Auch in einigen Fällen von Lupus sind Erfolge zu verzeichnen.
Wenn auch die Beobachtungsdauer zu kurz ist, um ein abschließendes
Urteil über das neue Verfahren fällen zu können, so wird man doch den
Worten des angesehenen Pariser Chirurgen Pozzi zustimmen müssen: „Mit
Keating-Hart erkenne ich an, daß der hochgespannte, hochfrequente Funke
blut- und schmerzstillend ist, daß er einen eigenartigen, umbildenden Und
unmittelbaren Einfluß auf das Krebsgewebe hat, daß er außerdem eliminierend
und vernarbend wirkt. Was soll man von mehr oder weniger entfernten
Resultaten sagen. Es scheint mir sicher, daß sie in sehr schweren Fällen,
wo die Chirurgie allein es ablehnte einzugreifen, Wirkungen erzielte, die
keine andere Methode hätte erreichen können/' Auf die Frage, ob damit
das Mittel zur Krebsheilung gefunden sei, meint Pozzi: „Es wäre wenig
wissenschaftlich, dies zu behaupten, und ich erkenne die Zurückhaltung des
744
Referate und Besprechungen.
Autors an, der es der Zeit und den Erfahrungen anderer anheimstellt, diese
Frage zu entscheiden; aber für einen beträchtlichen Zeitraum die Vernarbung
eines Rektumkarzinoms herbeigeführt und die Kachexie beseitigt zu haben,
ferner ein rasch wachsendes Karzinom der Stirn und des Stirnbeins, einen
weichen, ulzerierten, an Muskeln und Rippen adhärenten Brustkrebs be¬
seitigt zu haben, und dies lediglich durch einfache, unvollkommene Aus¬
schälungen mit Kürette und Skalpell unter vorhergehender und nachfolgender
Beblitzung, das nenne ich neue Tatsachen in der Medizin, die für uns hohes
Interesse haben.“
Eine gewissenhafte Nachprüfung der Methode — exakt und konsequent
nach den Intentionen des Autors — dürfte sich nicht nur für vorgeschrittene,
chirurgisch inoperable Krebse oder Krebsrezidive zur Erreichung palliativer
Erfolge empfehlen, sondern auch bei operablen Fällen zur Erzielung besserer
Dauererfolge angezeigt sein. Carl Grünbaum (Berlin).
Gelegentlich des 21. französischen Chirurgenkongresses berichtete Juge
(Marseille) über 40 mit Fulguration behandelte Krebsfälle. Bei 24 hat er
Heilung erzielt; davon waren 11 inoperabel, 6 nur mit enormen Abtragungen
operabel gewesen. Die Methode erfordert nur ein Wegnehmen des Tümors,
soweit er makroskopisch sichtbar ist ; dann läßt man die hochgespannten
Stromentladungen auf die Wundfläche einwirken. Die Lymphbahnen er¬
fordern keine besondere Behandlung.
Sobald irgend ein neuer kleiner Knoten sich zeigt, wird er mit Fulgu¬
ration unschädlich gemacht. Buttersack (Berlin).
Kompendiöser Kasten für Instrumente, Verbandstoffe und Medikamente,
der gleichzeitig als Kochgefäß dient.
(Stabsarzt J. Müller, Brandenburg. Zeitschr. für Krankenpflege, Nr. 2, 1909.)
Der Metallkasten hat die Abmessungen 6,5 X 14 X 22 cm, trägt in seiner
einen Hälfte Instrumente, in der anderen Medikamente, Verbandstoffe, Irri¬
gator, Spirituslämpchen usw. und kann sowohl am Fahrrad wie in der
Satteltasche untergebracht werden. Esch.
4
Die Behandlung des eingewachsenen Nagels mit Eisenchlorid.
(Lehmann. Deutsche militärärztl. Zeitschr., Nr. 21, 1908.)
Lehmann beschreibt eine einfache, von Professor Rehn in Frankfurt
angegebene und an dessen Klinik seit 15 Jahren angewandte Methode der
operationslosen Behandlung eingewachsener Nägel. Man läßt mittels eines
mit Watte umwickelten Holzstäbchens unverdünntes Eisenchlorid sowohl auf
den entzündlichen Wall der überstehenden Weich teile wie auf den einge¬
wachsenen Teil des Nagels selbst wirken. Man muß das Mittel recht tief
hineintupfen, den Wattebausch mit Eisenchlorid eine Zeitlang hineingedrückt
halten. Es empfiehlt sich, diese Prozedur, die leicht schmerzlos gemacht
werden kann, recht gründlich Jauszuführen. Tamponade ist nicht nötig.
Eventuell Wiederholung von 24 zu 24 Stunden. Das Eisenchlorid wirkt
rasch austrocknend, der Entzündungswall schrumpft, wird fest und zieht
sich zurück, der Nagel wird jrnürbe, der Schmerz schwindet. In leichten
Fällen ist die Heilung bald beendet, aber selbst phlegmonöse Prozesse gehen
wieder zurück. In einfachen Fällen kann die Behandlung ambulatorisch
(natürlich nur bei passendem Schuhwerk) erfolgen ; bei starken Entzündungs¬
erscheinungen ist einige Tage Bettruhe erforderlich. W. Guttmann.
Referate und Besprechungen.
745
Medikamentöse Therapie.
Die Antiseptica in der Dermatologie.
(L. M. Pautrier. Bull, med., Nr. 96, S. 1079, 1908.)
In der Annahme, die Antiseptika könnten auf die Erreger der Derma¬
tosen — weil sie scheinbar oberflächlich sitzen — energisch einwirken,
benützt man diese Mittel noch viel zu viel in der Dermatologie. In der Tat
ist ihre bakterientötende Kraft gleich Null ; dafür schädigen sie aber das
lebendige Gewebe. Umschläge mit gekochtem "Wasser, mit Kamillen-, Hol¬
lunder-, Nußblätter-, Blaubeeren- Abkochungen sind bei Hautreizungen vor¬
zuziehen.
Von den sog. Antiseptizis kommen für den Dermatologen nur in Betracht :
Jod, Silbernitrat, Wasserstoffsuperoxyd, übermangansaures Kali. Jod —
in Alkohol, Azeton oder Chloroform gelöst — empfiehlt sich bei epidermalen
Prozessen. Bei Streptokokken — Impetigo, bei Impetigo von Bockhart,
Ekthyma, Pustelbildungen und dergl. wende man zunächst erweichende Mittel
an, betupfte sie dann mit Sol. Argent. nitr. 1 : 100 bis 1 : 50 und verbinde
dann mit einfacher Zinkpaste oder mit einer Zink-Borsäure-Kampfer-Paste
(Camphor. trit. 0,5, Acid. bor. 1,0, Zinc. oxyd. 6, Lanolin 6, Vaselin pur. 8).
Auch Alibour = Wasser (Aq. dest. 200, Camphor. zur Sättigung, Zinc. sulf. 7,
Kupfersulf. 2, Safran 0,4 S. mit der 3 — 4 fachen Menge Wasser zu ver¬
dünnen) empfiehlt sich sehr; man spült die betr. Stellen damit zweimal im
Tag ab. Buttersack (Berlin).
Medizinische Öle als Pulver.
(J. Silberstein. Progres med., Nr. 4, S. 39, 1909.)
Eine Präparation, die sich gewiß schnell Freunde erwerben wird, ist
die Verreibung schlecht schmeckender Öle (Ol. Ricini, Santali, Filicis maris,
Kreosot, Lebertran) mit Magnesia. Auf diese Weise entsteht ein ganz trockenes
Pulver ohne Geruch und ohne Geschmack, das man in beliebiger Form als
Pulver oder als Emulsion nehmen kann. Große und kleine Patienten haben
es ohne weiteres genommen, und was speziell das Ol. Ricini betrifft, so kommt
man in dieser Pulverform mit geringeren Dosen aus als in der bisher üblichen
ölig-flüssigen. In Paris, 6 tfue Michel Chasles, hat sich eine Societe frangaise
des huiles medicinales en poudre aufgetan ; es wird nicht lange dauern, daß
dasselbe auch im deutschen Handel erscheint. Buttersack (Berlin).
Alypin in der Zahnheilkunde.
(Arno ne. La Stomatologia, Nr. 6, 1908.)
Verf. verwandte das Alyp,in bei den schwierigsten und schmerzhaftesten
Zahnoperationen, bei Wurzel extraktionen mit Kieferhöhlenentzündung, Fisteln
trotz komplizierender Alveolennekrose bei der Extraktion von Weisheits¬
zähnen mit Abszessen und Trismus. Gewöhnlich wurden 2 ccm einer21/i>%igen
sterilen isotonischen Lösung injiziert, in schwereren Fällen jedoch auch 4 bis
5 ccm. Die Wirkung war immer eine gute, oftmals ausgezeichnete und nie¬
mals traten Intoleranzerscheinungen auf. So wurde einer 62 jährigen, schwäch¬
lichen Dame 5 ccm einer 2,5°/0igen Alypinlösung ohne weiterem Nachteil als
geringer Parese der Lippen injiziert.
Manchmal, z. B. bei Periostitis wurde der Lösung einige Tropfen
Adrenalin hinzugefügt. Verf. hält esi für das Richtigste, das Alypin jedes¬
mal frisch aufzulösen, jedoch kann auch eine vorrätige Lösung öfters ge¬
braucht und — was im Gegensatz zum Kokain bemerkenswert ist — wieder¬
holt durch kurzes einmaliges Aufkochen sterilisiert werden.
Verf. beschreibt dann den seltenen Fall einer nicht in die Kieferhöhle
hineinragenden Gaumenfistel. Die Operation derselben dauerte 20 Minuten
lang und 3 g der 21/2%igen Alypinlösung genügten, um das Periost aus-
746
Referate und Besprechungen.
zuschneiden und das nekrotische Gewebe schmerzlos auszukratzen. Ferner
wurden einer Patientin auf einmal drei Wurzeln eines Backenzahnes, die
oft die Ursache von Periostitis und Abszessen gewesen waren, vollkommen
schmerzlos ausgezogen. Neumann.
Ueber einige interessante Beobachtungen mit Pyrenol.
(G. Bartsch. Deutsche Medizinalzeitung, Nr. 12, 1909.)
B. befürwortet Verabreichung des Pyrenols bei Cholelithiasis neben
der gewöhnlichen Behandlung. Er nimmt an, daß dem Pyrenol cholagoge
und darmdesinfizierende Eigenschaften zukommen. Zwei einschlägige Fälle
werden angeführt, und er bittet um Nachprüfung des Pyrenols in der ange¬
deuteten Richtung. Es würde mit dem Gebrauch dieses Mittels bei Er¬
krankung der Gallenwege der Indikationskreis eines als vorzügliches Anti¬
febrile, Antirheumatikum, Expextorans und Sedativum bereits bestbekannten
Mittels wesentlich erweitert werden. Koenig (Dalldorf).
Über Coryfin und seine Anwendung.
(Dr. A. v. Kirchbauer in Nürnberg. Deutsche med. Wochenschr., Nr. 51, 1908.)
Der Äthylglykolsäureester des Menthol, Coryfin genannt, wird von
Kirchbauer bei akutem Schnupfen alle 2 — 3 Stunden auf die Nasenschleim¬
haut gepinselt und danach Nasenatmung anempfohlen. Ähnlich verfährt er
auch bei chronischem Schnupfen, bei dem er ganz besonders viel Wert auf
die Nasen atmung legt. Mit seinen Erfolgen ist er sehr zufrieden.
Bei Kehlkopfkatarrhen läßt er 8 — 10 Tropfen durch den Sänger’schen
Arzneiverdampfapparat drei- bis viermal täglich inhalieren ; oder alle 2 bis
3 Stunden ein mit 3 — 4 Tropfen getränktes Stück Zucker im Munde zer¬
gehen, an dessen Stelle neuerdings die Ooryfinbonbons ä 0,02 getreten sind.
Auch bei Bronchialkatarrhen sind Inhalationen zusammen mit ein paar Körn-'
bhen Thymol am Platze.
Gute Erfolge erzielte er endlich bei Neuralgien des Nervus frontalis
und auriculo-temporalis, sowie bei der Migräne durch Aufpinseln des Mittels
auf die Schmerzstellen. F. Walther.
Magnesiumsulfat bei Verbrennungen.
(Stowe. Internat. Journ. of Surg:, Fase. X, 1908.)
Baden in gesättigter Lösung von Magnesiumsulfat von 16° oder ‘ Um¬
schläge damit isollen den Schmerz sofort stillen und die Reaktionserscheinungen
mäßigen. Man kann auch die Wundfläche mit Magnesiumsulfat einpudern
und dann einen trockenen Verband herumlegen.
Ähnliche Mitteilungen sind m. W. schon früher erfolgt.
Buttersack (Berlin).
Die Anwendung von physiologisch reinem Lezithin.
(Kleinertz. Med. Klinik, Nr. 6, 1908.)
Bei der Anwendung von Lezithinpräparaten vermißte Kleinertz öfter
die gewünschte Wirkung und glaubte die Ursache in dem zu geringen oder
schwankenden Gehalt der Präparate an Lezithin erblicken zu sollen. Denn
von dem Augenblicke an, von dem er ein unter dem Namen Biocitin in den
Handel kommendes Präparat, das das Lezithin in besonders reinem Zustande
und in der Menge von 10,7% enthält, verwandte, waren seine Erfolge, wie
die auszugsweise mitgeteilten Krankenbeobachtungen dartun, anscheinend sehr
befriedigende. Dabei soll ein verhältnismäßig niedriger Preis die Heranziehung
des Präparates auch bei minder bemittelten Kranken ermöglichen.
R. Stüve (Osnabrück).
Referate und Besprechungen.
747
Ueber das Verhalten des arsenparanukleinsauren Eisens und der arsenigen
Säure im Organismus.
(E. Salkowski. Biochem. Zeitschr., S. 321, 1908.)
Das arsenparanukleinsaure Eisen, das in der ärztlichen Praxis im Arsen-
Triferrin und Arsen-Triferrol (vergl. Berlin. Klin. Wochenschr., Nr. 4, 1908)
Verwendung findet, wird im Gegensatz zum arsensauren Eisen vom Darm¬
kanal aus schnell resorbiert. Der Harn enthält reichlich Arsen. Hieraus
geht auch hervor, daß das arsenparanukleinsaure Eisen eine chemische Ver¬
bindung darstellt. Nach Einführung der genannten Verbindung findet sich
das Arsen im Harn fast ausschließlich in organischer Bindung, in den ersten
Tagen kann auch etwas anorganisches Arsen vorhanden sein ; mit Hilfe der
Alkoholfällung läßt sich im alkalischen Kaninchenharn organisch gebundenes
Arsen vom anorganischen leicht unterscheiden. Ebenso gut wie vom Darm¬
kanal wird das arsenparanukleinsaure Eisen auch vom Unterhautzellgewebe
resorbiert.
Die Toxizität des arsenparanukleinsauren Eisens richtet sich nach dem
in dieser Verbindung enthaltenen Arsen; bei Kaninchenversuchen ist zu be¬
rücksichtigen, daß diese Tiere reichliche Mengen Arsen vertragen. Das Arsen
wird aus dem Körper nur teilweise ausgeschieden, ein anderer Teil kommt
im Körper zur Ablagerung, so wurden z. B. bei Verfütterung von Natrium-
arsenit in den ersten 6 Tagen nur 62°/0 des eingeführten Arsens im Harn
wiedergefunden. Neumann.
Über ein neues Santalolpräparat des Thyresol.
(Dr. Bornemann, Charlottenburg. Med. Klinik, Nr. 48, 1908.)
Bornemann empfiehlt das von den Elberfelder Farbwerken herge¬
stellte Thyresol, einen Santalotmethyläther. Es belästigt im Gegensatz zu
den übrigen Balsamizis den Magen, die Nieren und die Blase nicht und
eignet sich zum inneren Gebrauch bei allen entzündlichen Beizzuständen
der Harnröhre bes. bei Gonorrhöe. Hier mildert das Thyresol den Urin¬
drang und die Schmerzen wesentlich. Von den verschiedenen Darreichungs¬
formen (Tropfen, Perles gelatineuses a 0,25 und Tabletten ä 0,25) eignen
sich die Tabletten, die wegen ihrüß Gtethaltes an Magnesiacarbonica leicht
abführende Wirkung haben, besonders gut. Man nimmt 3 — 4 mal täglich
2 Stück davon, am besten zwischen den Mahlzeiten. F. Walther.
Ueber Arhovin.
(R. Blum. Ther. Zentralbl., Nr. 17, 1908.)
Das Arhovin intern eingenommen, verringert in kurzer Zeit die sub¬
jektiven Beschwerden sowohl bei akuter als bei chronischer Gonorrhöe; es
wirkt entwicklungshemmend auf die Gonokokken. Bei Cystitiden und Pyeli¬
tiden, auch nicht gonorrhoischen Ursprungs, werden mit Arhovin gute Erfolge
erzielt. Zum internen Gebrauch wird das Arhovin in Gelatinekapseln ä 0,25 g
dispensiert. Zu Injektionen wird 2 — 5% von Arhovin in Ol. olivarum
verwendet. Ferner werden noch Stäbchen mit einem Gehalt von 0,05 g
Arhovin und Vaginalkugeln mit 0,10 g Arhovin hergestellt.
Koenig (Dalldorf).
Röntgenologie und physikalische Heilmethoden.
Die Röntgentherapie der Basedow’schen Krankheit.
(Gottwald Schwarz. Wiener klin. Wochenschr., Nr. 38, 1908.)
Die Röntgenbehandlung des Basedow wurde eingeführt 1905 von dem
New -Yorker Chirurgen Karl Beck und dann weitergeführt vor allem in
Wien von Stegmann, Widermann, Rudinger, Hirschl, Dahan und
748
Referate und Besprechungen.
Schwarz, der auch jetzt wieder über die während dreier Jahre an 40 Fällen
gesammelten Erfahrungen berichtet. Was die von ihm geübte Technik an¬
langt, so muß darüber im Original nachgelesen werden, was die Dauer der
Behandlung betrifft, so soll dieselbe — mit 14 tägigen Intervallen — bis
zu drei .Vierteljahren fortgesetzt werden. Was seine Erfolge anlangt, so
macht schon bald — oft wenige Tage — nach der Einleitung der Röntgen¬
therapie, sich eine Änderung der nervösen Verstimmung geltend: Die Patienten
werden beruhigter, ihre Reizbarkeit nimmt ab. Meist steigt dabei gleich¬
zeitig das Körpergewicht, manchmal außerordentlich rasch, so daß Ge¬
wichtszunahmen von 6—8 kg innerhalb eines Monats, ohne Diätänderung,
nichts Ungewöhnliches sind!
Sehl bald zeigt sich die Beschränkung der Giftzufuhr von seiten der
bestrahlten Drüse in der Besserung der kardial|en Symptome: Die
Zahl der Herzschläge nimmt ab, meist um 20 — 30 pro Minute, das Gefühl
des Herzklopfens schwindet. Nicht selten kommt es auch in kürzerer Zeit
zur Verringerung des Exophthalmus, wenngleich er gewöhnlich am
hartnäckigsten und namentlich bei längerem Bestehen schwer zu beein¬
flussen ist.
Ähnliches gilt von der Struma, bei der kleine Volumsabnahmen (2 — 3 cm
Halsumfangsverminderung) häufig sind, ausgiebigere Schrumpfungen jedoch
seltener ! Jedoch scheinen chronische, durch viele Monate fortgesetzte Be¬
strahlungen auch in dieser Richtung von Erfolg zu sein.
Günstig werden auch die Schweiße und Diarrhöen beeinflußt, wie
auch die sogen. Formes frustes für die Röntgenbehandlung geeignet sind,
wie Verf. an einer Patientin erweist, bei der außer unstillbaren Diarrhöen
kein anderes Basedow-Symptom vorhanden war und bei der nur anamnestisch
eine viele Jahre zurückliegende Basedow- Attacke ermittelt werden konnte.
Die Kranke, die monatelang vergeblich mit Styptizis behandelt worden war,
verlor ihre 15 — 20 Diarrhöen pro Tag nach einigen Bestrahlungen.
Zum Überblick über den Wert der Röntgenbehandlung bei den
einzelnen Symptomen gibt Schwarz dann eine aus seinen 40 Fällen
gewonnene Tabelle, aus der hervorgeht, daß — bei einer durchschnittlichen
Behandlungsdauer von 3 Monaten — die nervösen Symptome stets, die Tachy¬
kardie in fast allen Fällen (bei 36 von 40 = 90%), die Abmagerung bei über
der Hälfte (26 von 40), der Exophthalmus bei 15 von 40, die Struma jedoch
nur in einem Fünftel der Fälle (bei 8 von 40) gebessert wurden.
Im großen und ganzen sind die von Schwarz erreichten Resultate
als recht günstige zu bezeichnen, vor allem wegen der fast regelmäßig er¬
zielten Besserung der kardialen Symptome.
Geht man auch nicht so weit wie Kraus, dann schon von „Heilung“
zu sprechen, wenn einmal die Tachykardie längere Zeit geschwunden, so
bedeutet die Behebung der prognostisch so wichtigen Basedo w’schen Herz¬
affektion — zumal auf eine so schmerzlose und unfühlbare Art, immerhin
einen sehr bedeutenden Erfolg! Werner Wolff (Leipzig).
Maligne Tumoren mit Radium-Strahlen von hoher Penetrationskraft
behandelt.
(H. Dominici. Bull, de PAssociat. francaise pour Petude du cancer., Tome I, 4, 1908.
— Rev. de med., H. 1, 1909. (Supplement.)
Dominici ist auf die Idee gekommen, den Radiumstrahlen die schäd¬
lichen Elemente wegzunehmen. Als solche betrachtet er die leicht absorbier¬
baren a- und ß- Strahlen, und indem er die Radiumsalze (die teils mit Hilfe
von Firnis auf Leinwand oder Metall aufgetragen waren oder frei zwischen
zwei Glasplatten lagen) mit einer Bleihülle von 2,5 — 3 mm Dicke umgab,
schaltete er die a- Strahlen gänzlich, die ß- Strahlen zum größten Teil aus
und behielt nur die y- Strahlen übrig. Allerdings gehen dabei 99% her Gesamt-
Referate und Besprechungen.
749
Strahlung verloren ; allein der Best ist immer noch kräftig genug, um allerlei
therapeutische Effekte zu erzielen. Die Montierung ist höchst einfach : Man
umgibt die Strahlenquelle mit den dünnen Bleiplatten, legt — zur Ver¬
meidung von Sekundärstrahlen — eine Papierhülle herum und wickelt das
Ganze, das beliebig groß gemacht werden kann, in Kautschuk ein. Dieses
Element befestigt man entweder außen auf der betr. Stelle oder führt es
mittels eines kleinen Schnittes in das Innere, z. B. eines Tumors, ein ; man kann
es ununterbrochen liegen lassen (bis zu 120 Stunden) oder in beliebigen
Intervallen abnehmen und wieder wirken lassen.
Domini ci stellte der Gesellschaft teils in persona, teils im Bild eine
Beihe von geheilten Fällen vor : Kankroide im Gesicht, am Penis, an der
Nase, fatale Schleimhautkrebse, Oberkieferkarzinome, sowie solche des Uterus
und der Mamma; auch Sarkome, Lymphosarkome und -Adenome wurden
damit völlig beseitigt. Angesichts dieser Erfolge müssen eventl. theoretische
Bedenken schweigen, und da andererseits kein Schaden damit angerichtet
worden ist, so verdienen die Mitteilungen Beachtung und Nachprüfung, ins¬
besondere, da diese Therapie nicht bloß tuto, sondern auch jucunde wirkt.
Buttersack (Berlin).
Über die Rolle der Salze im Bade.
(M. Herz, Wien. Klin.-therap. Wochenschr., Nr. 1, 1909.)
Die zu Badezwecken verwendeten Salzlösungen wirken bei verschiedenen
Krankheitszuständen heilend. Die Erklärung für die beobachteten Verände¬
rungen des Allgemeinbefindens ist in Beeinflussungen der Körperoberfläche
durch die gelösten Badesubstanzen zu suchen, welche einen indirekt auf das
Nervensystem und den Stoffwechsel einwirkenden Hautreiz ausüben, da nach¬
weislich die Salze lange Zeit in kristallinischer Form der Haut anhaften.
Frankenhäuser hat hieraus die Behauptung einer Herabsetzung der Wasser¬
verdunstung der Hautoberfläche nach Salzbädern hergeleitet. Verf. hat aber
durch angestellte Versuche das nur dann für zutreffend befunden, wenn der
mit Salzlösung (Chlorkalziumlösung) bestrichene Körperteil im Zimmer, bei
Körperruhe und in warmer Kleidung gehalten wurde; alsdann trat lebhaftes
Wärmegefühl auf, das verschwand, sobald die Kleidung entfernt wurde,
sowie bei Bewegung und vollends bei Aufenthalt im Freien. Desgleichen wurde
ein auf die bestrichene Stelle geleiteter warmer Luftstrom intensiv warm
empfunden, während ein kalter Luftstrom an derselben Stelle ein lebhaftes
Kältegefühl erzeugte. Daraus folgt, daß bei raschem Wechsel der den Körper
unmittelbar umgebenden Atmosphäre die Auflagerung des Salzes eine größere
Anteilnahme der Haut an den Temperaturschwankungen der unmittelbaren
Umgebung bewirkt. Peters (Eisenach).
Aus der Universitätsklinik für Hautkrankheiten in Kiel.
Ueber die Behandlung von Hautkrankheiten mit der Kromayer’schen
Quarzlampe.
(Dr. Bering. Deutsche med. Wochenschr., Nr. 2, 1909.)
B. bevorzugt die Kromay er’sche Quecksilberlampe vor allen anderen
Lampen. Ihr einziger Nachteil besteht darin, daß sie leicht Oberflächen¬
nekrosen hervorruft, die aber mit einer glatten und nicht pigmentierten
Narbe abheilen. Die von anderen ^Autoren bemängelte Schmerzhaftigkeit
der Bestrahlungen kann B. nicht bestätigen, da er die Lampe auch bei Kindern
anwenden kann. Zur Behandlung eignen sich die Alopecia areata, die Acne
rosacea, die oberflächlichen Gefäßmäler, die oberflächlichen Formen der
Trichophytie und der Lupus erytematodes. Tiefgehende Gefäßmäler eignen sich
nicht zur Behandlung. Den Lupus vulgaris behandelt er mit gutem Erfolg,
kombiniert mit Röntgenbestrahlungen und Pyrogallussalben. Hahn.
750
Bücherschau.
Über Thermoärotherapie durch Heißluft und Wechselduschen.
(Adolf Schnee. Med. Klinik, Nr. 3, 1909.)
Kurze Beschreibung und Abbildung eines Apparates zur Erzeugung
von heißen Luftduschen, die eventuell mit 'kalten kombiniert werden
können. Der Apparat, „Fön“ genannt, wird von der Elektrizitätsgesell¬
schaft ,,Sanitas“-Berlin fabriziert und kann an jede elektrische Kraft- und
Lichtleitung angeschlossen werden. Die Anwendung der Heißluftduschen
bewährten sich nach Schnee bei allen rheumatischen, gichtischen, ja selbst
gonorrhoischen Gelenkerkrankungen, ferner bei Lumbago, Ischias, Neural¬
gien, sowie auch bei Furunkulose. Weitere Mitteilungen werden in Aus¬
sicht gestellt. R. Stüve (Osnabrück).
Heißlufttherapie bei diabetischer Gangrän.
(Ricard. Soc. de Chir., 24. Februar 1909.)
Bei 5 Diabetikern hatten sich allerlei gangränöse Stellen an Fingern
und Zehen gebildet. Ricard leitete zunächst über die abgestorbenen Stellen
einen Luftstrom von 600 — 700° und behandelte dann die angrenzenden ge¬
sunden Partien mit Luft von 60°. Die Abstoßung erfolgte schnell und
ebenso die Narbenbildung. Buttersack (Berlin).
Zur rationellen Anwendung und Konstruktion des Glühlichtbades.
(J. Deutsch (Kiew). Zeitschr. für phys. u. diät. Ther., Bd. 12, H. 11, S. 670—678,
Februar 1909.)
Deutsch setzt auseinander, daß das Wirksame bei den Glühlichtbädern
nicht die geleitete, sondern die gestrahlte Wärme sei. Bei ungenügender Venti¬
lation machen sich die immer wieder mitgeteilten unerwünschten Neben¬
erscheinungen als Folge von Wärmestauung bemerklich, SO' daß also an Stelle
der üblichen verschlossenen Glühlichtkästen offene, gut ventilierte Apparate
treten müßten. Am besten komme die strahlende Energie zur Verwendung
bei gewöhnlichen weißen Lampen mit parabolischen Reflektoren ; diese müssen
in ihrer Entfernung vom Kranken regulierbar sein. Buttersack (Berlin).
Sterilisation der Milch durch ultraviolette Strahlen.
(V. Henri u. G. Strodel. Acad. des Sciences, März 1909.)
Die beiden Experimentatoren haben Milch, teils im natürlichen Zustand,
teils nach Versetzung mit allerlei Bouillonkultur.en (von Coli-, Milchsäure¬
bazillen usw.) ultravioletten Strahlen ausgesetzt und dadurch absolute Keim¬
freiheit erzielt.
Die Kunde ist gewiß erfreulich; nur müßte man auch wissen, ob nicht
die Milch in ihrem organischen Gefüge durch die Prozedur verändert worden
ist. Leider besagt die Mitteilung hierüber nichts. Buttersack (Berlin).
Bücherschau.
Zentralblatt für Herzkrankheiten und die Erkrankungen der Gefäße.
Redigiert von Privatdozent Dr. Max Herz. Verlag und Administration
Wien IX, Nußdorferstraße 4.
Unter obigem Titel liegt eine neue Zeitschrift vor. Nachdem sich in
der Praxis in den großen Städten und den Badeorten zahlreiche Spezialisten für
Herzkrankheiten entwickelt haben und auch eine Anzahl wissenschaftlicher Forscher
die Physiologie und Pathologie der Zirkulationsorgane vorwiegend oder ausschließlich
bearbeiten, kann man die Berechtigung für ein derartiges Zentralorgan nicht be¬
streiten. An zu referierendem Stoff kann es nicht mangeln und ein Leserkreis
wird sich auch finden.
Bücherschau.
751
Bisher sind erschienen: Nr. 1 (32 Seiten stark), Nr. 2 (16 Seiten), Nr. 3 u. 4
(Doppelnummer von 29 Seiten). Der Herausgeber, neuerdings durch das von ihm
angegebene praktische tragbare Sphygmomanometer viel genannt, nimmt in der
ersten Nummer das Wort zu einem Originalartikel über Angina pectoris. Er zerlegt den
Symptomenkomplex in einzelne Typen, den spinalen Typus, den glossopharyngeus-
vagus Typus, den pelvicus Typus, wie man sieht, nach Ausstrahlungserscheinungen.
Indessen führt er die Trennung nur skizzenhaft aus, etwas eingehender für die
beiden erstgenannten Formen. Ganz scharf würde sie wohl auch kaum durch¬
zuführen sein. Dankbar ist der Leser für einige therapeutische Hinweise, von
denen aber die medikamentösen noch großenteils fehlen und bezüglich deren ein
besonderer Artikel in Aussicht gestellt wird. Im übrigen enthalten die Nummern
Referate, sauber eingeteilt in die Gruppen: Anatomie und allgemeine Pathologie,
Klinik, Therapie, Sitzungsberichte, Bücher, was die Benutzung sehr erleichtert.
Von Mitarbeitern haben sich unterzeichnet (von Nr. 2 ab) Julius Schütz-Marien¬
bad, Rosenfeld-Stuttgart, Buttersack-Berlin, Risel-Zwickau, Ruppert-Salz-
uflen. von Criegern.
Einführung in die Psychiatrie mit spezieller Berücksichtigung der
DifFerentialdiagnose der einzelnen Geisteskrankheiten. Von Th. Becker.
Vierte vermehrte und veränderte Auflage. Leipzig 1908, Verlag von
Georg Thieme. 4 Mk.
Ein ausgezeichneter Leitfaden für Anfänger in der Psychiatrie und besonders
auch für praktische Arzte. Auch der intelligente Laie, namentlich wenn er Jurist ist,
dürfte dieses Buch, welches seine vierte Auflage wohl verdient hat, mit Nutzen
studieren.
Es ist dem Verfasser gelungen, wie er sagt, mit kurzen Worten, in knapper
Form, mit besonderer Hervorhebung der differentialdiagnostischen Merkmale ein
Bild der häufigeren Formen und Erscheinungsweisen der psychischen Erkrankungen
zu entwerfen, welches sich dem Leser plastisch einprägt.
Die Änderungen in dieser Auflage sind das Resultat der Erfahrungen, die
Verfasser in seiner fünfjährigen Tätigkeit als ordinierender Sanitätsoffizier der
Station für Nervenkranke des Garnisonlazeretts in Straßburg und bei seinem zwei¬
jährigen Kommando zur Klinik für psychische und nervöse Krankheiten in Gießen
gesammelt hat. Koenig (Dalldorf).
Die Zuckerkrankheit. Von R. Ldpine, Professor an der Universität Lyon.
Verlag von Felix Alcan, Paris. 704 S. 16 Fr.
Das Buch stellt sich als das Resultat einer langjährigen Beobachtung in der
Praxis dar, in Verbindung mit zahlreichen Versuchen im Laboratorium und klinischen
Untersuchungen an der Universität Lyon. Verfasser gibt eine Darstellung des
Diabetes, bei der er sich an Claude Bernard anschließt und seiner Methode
folgt, die er aufs Sorgfältigste weiter ausgebaut hat. Sowohl die Entstehung der
Glykosurie wie ihr Wesen finden ihre genaue Besprechung auf Grund der neuesten
Arbeiten. Vom praktischen Standpunkt aus hat sich der Autor es angelegen sein
lassen, den Beweis zu erbringen, daß im allgemeinen, wenn keine schweren Komplika¬
tionen vorliegen, die Zuckerkrankheit als heilbar zu betrachten ist, vorausgesetzt,
daß medikamentöse, diätetische und hygienische Maßnahmen gemeinsam zur
Anwendung kommen. R.
Im Verlage von Gustav Fischer in Jena sind einige
Neue preiswerte Lehrbücher für den Studierenden und den praktischen Arzt
erschienen, auf die wir unsere Leser aufmerksam machen möchten.
Die im folgenden genannten Lehrbücher
Axenfeld: Lehrbuch der Augenheilkunde
Binswanger-Siemerling: Lehrbuch der Psychiatrie
Küstner: Kurzes Lehrbuch der Gynäkologie
Mering-Krehl: Lehrbuch der inneren Medizin
Riecke: Lehrbuch der Haut- und Geschlechtskrankheiten
Wullstein- Wilms: Lehrbuch der Chirurgie
752
Bücherschau.
sind nach einheitlichem Plane bearbeitet. Es vereinigten sich die hervorragendsten
jüngeren Gelehrten der betreffenden Gebiete zu gemeinsamer Arbeit. Durch diese
Arbeitsteilung konnte auf möglichst eng begrenztem Raume Erschöpfendes geboten
werden, und wie die Aufnahme der schon in mehreren Auflagen vorliegenden
Werke (Mering, Küstner, Binswanger) beweist, erfreut sich diese Art der
Bearbeitung der größten Erfolge.
Die Herausgeber waren bestrebt, das Allerbeste unter Berücksichtigung des
neuesten Standes der Forschung zu bieten; der Verlag hat es als seine Aufgabe
angesehen, die Werke trotz ihrer reichen Ausstattung so billig wie möglich auf
den Büchermarkt zu bringen. R.
Vermischtes.
Die nächste internationale Konferenz für Krebsforschung wird
Ende September 1910 in Paris stattfinden.
Die geplante Zentralstelle für Balneologie soll am 1. Januar 1910 in
Frankfurt a. M. eröffnet werden.
Hochschulnachrichten.
Berlin. Dr. H. Köllner habilitierte sich für Augenheilkunde, ebenso Dr. A. Leber.
Dr. A. Dönitz habilitierte sich für Chirurgie. Der Vortragende Rat im Kultus¬
ministerium, Geh. Ober-Med.-Rat Prof. Dr. Schmidtmann, wurde zum Wirk].
Geh. Obermedizinalrat ernannt. Geh. Med.-Rat Prof. Dr. A. Guttstadt, einer
der Hauptvertreter der Medizinalstatistik, ist verstorben. Die Professoren Dr.
med. A. Frankel und Dr. A. Hartmann wurden zu Geh. Sanitätsräten ernannt.
Zu Abteilungsvorstehern am physiologischen Institut sind der ao. Prof. Dr. H.
Steudel in Heidelberg und P.-D. Prof. Dr. H. Piper ernannt worden. Prof.
Dr. Greef hat den Ruf nach Halle als Nachfolger von Geh. -Rat Prof. Dr.
Schmidt-Rimpler abgelehnt. Berufen wurde nunmehr Prof. Dr. Hippel
aus Heidelberg.
Bonn. Geh. Med.-Rat Prof. Dr. E. Pflüger feierte seinen 80. Geburtstag.
Breslau. Geh. Med. -Rat Prof. Dr. Pfeiffer hat einen Ruf nach Heidelberg
abgelehnt.
Gießen. P.-D. Dr. G. Mönckeberg (path. Anatomie) wurde zum ao. Professor
ernannt.
Greifswald. P.-D. Dr. H. Gebb habilitierte sich für Augenheilkunde.
Halle a. S. Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Schmidt-Rimpler, Direktor der Augen¬
klinik, gedenkt mit Ablauf dieses Semesters vom Lehramt zurückzutreten.
Heidelberg, ao. Prof. Dr. H. Steudel wurde zum ao. Professor in der Berliner
med. Fakultät ernannt. Dr. E. Tomasczewski habilitierte sich für Haut-
und Geschlechtskrankheiten.
Leipzig. Das 25 jährige Jubiläum als o. Professor beging am 17. Mai der Pharma¬
kologe Geh. Med.-Rat Prof. Dr. R. Böhm. Dr. 0. Sick habilitierte sich für
Chirurgie.
Marburg. P.-D. Dr. A. Lohmann erhielt den Titel Professor.
München. Geh. Hofrat Prof. Dr. v. Ranke ist verstorben.
Rostock. P.-D. Dr. H. Brünning wurde zum ao. Professor für Kinderheilkunde
ernannt.
Straßburg. Die Errichtung eines besonderen Lehrstuhles für Kinderheilkunde
ist vom Landesausschuß bewilligt worden.
Tübingen. P.-D. Oberarzt Dr. B. Fleischer wurde zum ao. Professor ernannt.
(Augenheilkunde.)
Schriftleitung: Dr. Ri gl er in Leipzig.
Druck von Emil Herr mann senior in Leipzig.
27. Jahrgang.
1909.
Tortscbritie der Medizin.
Unter Mitwirkung hervorragender Fachmänner
herausgegeben von
Professor Dr. 6. Köster Prio.-Doz. Dr. «. Criegern
in Leipzig. in Leipzig.
Schriftleitung: Dr. Rigler in Leipzig.
Nr. 20.
Erscheint am 10., 20., 30. jeden Monats. Preis halbjährlich
6 Mark, inkl. Zeitschrift für Yersicherungsmedizin S Mark.
: - Verlag von Georg Thieme, Leipzig. . : -
20. Juli.
v
Originalarbeiten und Sammelbericlite.
Ueber mongoloide Idiotie.
Von Oberarzt Dr. Meitzer, Waldheim i. Sa.
(Nach einem Vortrag, gehalten am 5. Mai 1909 in der med. Gesellschaft in Chemnitz.)
Seitdem die Medizin und speziell die Psychiatrie Zeit und Ge¬
legenheit gehabt hat, sich auch mit der Idiotie zu befassen, ist es
ihr allmählich gelungen, aus diesem großen Krankheitskomplexe ein¬
zelne wohlcharakterisierte klinische Bilder zu entwickeln, die auch
allgemeines Interesse verdienen. Nächst dem Kretinismus ist es der
Mongoloismus, der in den letzten Jahrzehnten die meiste Beachtung
gefunden hat. Die ausführlichste Beschreibung findet man in der Zeit¬
schrift zur Erforschung des jugendlichen Schwachsinns (Gustav Fischer,
Jena) I. Bd., 6. Heft in dem Artikel von Vogt -Frankfurt, der auch
ein gutes Bild eines mongoloiden Idioten bringt, demnächst in der von
Schröter und mir herausgegebenen Zeitschrift zur Behandlung Schwach¬
sinniger (Dresden, Hofbuchhandlung Burdach) 29. Jahrgang, lieft 5,
in der dieser Vortrag in extenso wiedergegeben ist.
Der eigentümliche Name Mongoloismus stammt von englischen Au¬
toren, die auf diese Form der Idiotie zuerst aufmerksam machten, indem
sie auf die große Ähnlichkeit mit Vertretern der mongolischen Rasse hin¬
wiesen. Diese Ähnlichkeit wird in erster Linie hervorgerufen durch den
Schiefstand und die Schmalheit der Augenspalten, die anstatt wie bei
uns wagerecht zu stehen, leicht von außen oben, nach innen unten kon¬
vergieren. Oft schiebt sich zu beiden Seiten des Nasenrückens über
den inneren Augenwinkel ein Epikanthus vor, der ja auch für die
mongolische Rasse typisch ist. Außerdem ist der Schädel auffällig
rund, — es sind Brachycephalien mit Längenbreiten-Indices bis zu 100
beobachtet worden, — das Gesicht ist breit, die Backenknochen vor¬
tretend, die Nasenbrücke breit, die Nasenwurzel tief liegend, die Nasen¬
löcher leicht nach vorn geöffnet, die Lippen gewulstet ; der Hals ist
kurz, der Bauch dick, meist mit Nabelhernie behaftet, die Extremitäten
kurz und plump.. Ganz eigenartig ist die zwar nicht bei allen, aber
bei sehr vielen Fällen beobachtete winklige Stellung' der letzten Pha-
lange des kleinen Fingers zur vorletzten in der Horizontalebene der
Hand ; seltener auch am Daumen beobachtet. Allen Fällen gemeinsam
ist eine abnorme Gelenkschlaffheit, die es gestattet, diesen Kindern
die Finger bis zum Handrücken umzubiegen; einzelne können ihre
Beine bis zur Horizontale spreizen. Dieser übermäßigen Biegsamkeit
48
754
Meitzer,
gesellt sich hinzu eine ganze besondere Weichheit der Muskulatur
und eine gute Fettunterpolsterung der gesamten Haut, die besonders stark
ausgeprägt hei den kindlichen Individuen ist. Man kann sich denken,
daß, wenn Skelett und Weichteile eine derartige Übereinstimmung zeigen,
dann diese Idioten in ihrem ganzen Äußern sich ähneln müssen. Wie
sich Neugeborene bis zu gewissem Grade ähnlich sehen und noch
mehr die Föten aller Menschen, sio haben auch die, mongoloiden
Idioten untereinander eine auffallende Ähnlichkeit, die soweit gveht,
daß es Eltern, die ihr mongoloides Kind in der Änstalt besuchein,
schwer fällt, dieses von anderen mongoloiden Idioten zu unterscheiden.
Sie sehen alle aus wie Geschwister einer Familie, eines Stammes,
während sie sich von ihren leiblichen Geschwistern unterscheiden wie
Tag und Nacht. Sehr richtig bemerkt Vogt, es gehe ihnen das Indi¬
vidualistische der Erscheinung verloren.
Die Haut ist im allgemeinen glatt und elastisch und zu Schwei߬
produktion fähig im Gegensatz zu dem sporadischen Kretinismus, der
Myxidiotie, bei der sie trocken, abschilfernd und faltig ist. Auch
haben wir beim Mongoloiden, der äußerlich und innerlich in mancher
Hinsicht dem kretinoiden Idioten ähnelt, nicht die bekannten dicken
mvxödematösen Hautwülste. Ist die Haut bei diesem mehr blaß und
1/
farblos, so sehen wir beim Mongoloiden oft frisch -rote Backen, die
z. Teil allerdings auf skrofulösem Boden entstanden sind ; die Haut
um Mund und Nase zeigt bläulich roten Schimmer. Deutlich zyanotisch
und kühl anzufühlen ist sie an Händen und Füßen, marmoriert an den
Extremitäten und abhängigen Teilen.
Diese letzteren Erscheinungen erklären sich durch eine mangel¬
hafte Trieb- und Saugkraft des Herzens. Bei einer großen Zahl zur
Sektion gekommener Mongoloiden hat man Entwicklungsfehler des
Herzens, wie Offenbleiben des Ductus Botaili, Septumdefekte, Pul-
mona Hehler u. a. gefunden. Aber nicht immer hat man offenbare
Herzfehler bei der Obduktion nachweisen können und noch öfter ver¬
birgt sich dem auskultiernden Ohre in vivo die Herzanomalie. Ich
habe sämtliche Mongoloiden x/4 Jahr lang zu bestimmter Stunde auf
ihre Körperwärme messen und danach den Blutdruck mit dem Gärtner-
scheu Tonometer untersuchen lassen. Dabei hat sich gezeigt, daß, je
höhergradig der Mongoloismus ausgebildet war, desto niedriger die
Körperwärme und der Blutdruck war. Während bei andern nicht zu
dieser Gruppe gehörigen Idioten, selbst bei Herzfehlerkranken die Tem¬
peratur selten unter 36,5 und der Blutdruck unter 80 betrug, sonstiges
Wohlsein natürlich vorausgesetzt — , hatten wir bei unsern Mongo¬
loiden oft Temperaturen unter 36,0 und Blutdruckzahlen von 70 — 45 !
Es besteht also wohl bei allen Mongoloiden eine Herzinsuffizienz, die,
wenn nicht wie häufig durch organische Fehler, durch Schwäche der
Herzmuskulatur oder Innervation bedingt sein muß. So erklärt sich
auch, was praktisch wichtig, daß diese Idioten im Gegensatz z. B.
zu den Mikrozephalen in ihrer Lebensdauer beschränkt sind. Erwachsene
Mongoloiden sind eine Ausnahme; ich kenne nur einen, der über 30 Jahre
alt ist. Von den gesamten Idioten, die ich überhaupt seziert habe,
waren. 50% Mongoloiden. Entweder fallen sie schon leichteren inter¬
kurrenten Krankheiten zum Opfer, wie gewöhnlich in gut eingerichteten
Anstalten, oder sie sterben an Tuberkulose, zumal wenn sie aus den
hygienischen Verhältnissen der Anstalt in eine Häuslichkeit zurück¬
kehren. in der man gesundheitliche Regeln nicht beobachtet. Ihrer
Ueber mongoloide Idiotie.
755
zarten und leicht anfechtbaren Natur entspricht es auch, daß alle
Leiden hei ihnen besonders hartnäckig auf treten. Ganz besonders gilt
dies von den skrofulösen Erscheinungen auf Haut und Schleimhäuten.
Füße und Hände fangen schon im Oktober bei niedriger werdender
Außentemperatur an anzuschwellen und sich noch blauroter zu ver¬
färben als sie schon sind.
Abgesehen vom Herzen hat man bis jetzt bei den Mongoloidem
an den inneren Organen keine besonderen Anomalien gefunden, auch
nicht an den Drüsen mit innerer Sekretion. Namentlich die Schild¬
drüse zeigt bald eine mäßige Vergrößerung, bald normale Größe, bald
erscheint sie zu klein. Wenig zusammenstimmend sind auch die Be¬
funde am Knochen. Die Psychiater Vogt und Weygandt haben ver¬
spätete Ossifikation gesehen, die Pädiater Kassowitz; und Neu mann
fanden gegen gleichalterige Kinder keine wesentlichen Unterschiede ;
Siegert beobachtete neben verzögerter, vorzeitige Ossifikation. Man
hat es also scheinbar mit großen Unregelmäßigkeiten des Knochen¬
wachstums zu tun.
Auf psychischem Gebiete ist für den Mongoloiden ein hoch¬
gradiger Schwachsinn charakteristisch. Viele von ihnen bleiben trotz
der größten Bemühungen um sie stumm und stumpf, wie sie es vom
ersten Tage an gewesen sind. Die Eltern können sich zuweilen nicht
besinnen, das Kind schreien oder weinen gehört zu haben. Verspätet
lernen sie den Kopf heben, aufrecht sitzen, laufen ; und wenn sie über¬
haupt sprechen lernen, so erscheinen die ersten Wortnachahmungen
in Jahren, wo andere Kinder bereits geläufig sprechen. Nur wenige
lernen überhaupt richtig sprechen ; auch dann sind sie einsilbig. Ihre
Sprache hat stets einen rauhen heiseren Klang. In gemütlicher Be¬
ziehung wechseln bei ihnen oft Tage, in denen sie zu allerlei Faxen und
Grimassen neigen, und die Spaßmacher der Abteilung sind, mit solchen,
an denen sie ungesellig abseits sitzen, die große, rissige Zunge zwischen
dem halbgeöffneten Munde, und so recht das Bild des Stumpfsinns
darbieten. Es gibt natürlich auch hier Eormes frustes, die den Über¬
gang zur Normalität bilden und die dann auch somatisch wie psychisch
bessere Behandlungsresultate ergeben als der Durchschnitt. Diese
lernen dann auch lesen und schreiben, erwerben auch praktisch eine
gewisse Ausdauer und Selbständigkeit, die sie befähigt, eine einfache
Arbeit mit Nutzen zu verrichten. Schilddrüsenkuren, die man mit
ihnen gemacht hat, waren nur von symptomatischem Erfolg. Es besserte
sich danach nicht wie bei dem Kretin der Gesamthabitus, sondern nur
einzelne Symptome wie die Obstipation, der Nabelbruch, die sterto-
röse, auf drüsigen Wucherungen beruhende Atmung u. a. Solche Kuren
sind aber wegen der manchmal erst bei dieser Gelegenheit sich nach
außen kundgebenden Herzinsuffizienz nicht ungefährlich und sollten
nur unter ständiger ärztlicher Überwachung stattfinden.
Als Ursache dieses eigentümlichen Krankheitsbildes hat man viel¬
fach eine Herabsetzung der elterlichen Produktionskraft angesehen, weil
Mongoloide oft das letzte Glied einer langen Reihe von normalen Kindern,
zuweilen auch das einzige Kind der Eltern sind, oder weil die Eltern zur
Zeit der Zeugung oder die Mutter in der Gravidität in ihrer Generations¬
kraft offenbar geschädigt waren. Doch müßte dann der Mongoloismus
wohl viel häufiger sein. Nach Vogt ist es wahrscheinlich, daß es sich
um eine Entwicklungshemmung handelt, um eine unfertige, embryonale
Anlage, die nicht zur Ausreifung gelangt ist. Dafür sprechen die
48*
756
O. Aronade,
Hemmungsbildungen auf seiten des Gefäßapparates, der einfache Bau
des Hirns, die Kleinheit gewisser Hirnteile, wie sie namentlich Flechsig
hei verschiedenen ihm von mir überlassenen Gehirnen auffiel, die Per¬
sistenz des fötalen Zustandes der Augenspalte und das ganze Außere
des Mongoloiden, der mit seinem ausdruckslosen, breitem Gesicht, seinem
runden Ivopf, seiner gut unterpolsterten, lanugobedeckten Haut und
der großen Gelenkschlaffheit einem Fötus der letzten Monate ähnelt.
Fnklar bleibt aber der Zeitpunkt und das primum movens dieser
Hemmung. Es ist auch nicht unmöglich, daß wir es hier mit einer
divergierenden Entwicklung zu tun haben, infofern die Natur einmal
versucht, sjnuingweise etwas Neues zu schaffen, wie es denn wahrschein¬
lich ist, daß sich auf diese Weise einmal die Passen getrennt haben,
nur daß damals unter günstigen Verhältnissen lebens- und fortpflanzungs¬
fähig blieb, was jetzt unter anderen Verhältnissen dem vorzeitigen Unter¬
gang entgegengeht. Auch können wir es mit einer Bückerinnerung
an Vorzeiten zu tun haben, in denen sich beide, die mongolische und
kaukasische Passe vorübergehend gekreuzt haben. Hie Grundver¬
schiedenheit beider Passen würde es erklären, daß es nur vereinzelt
zu solchen Anklängen kommt, und daß diese meist ein pathologisches
Gepräge tragen.
Wiesbadener Brief.
Von Dr. 0. Aronade.
Am 18. April, einen Tag vor Eröffnung des Kongresses für innere
Medizin, fand im Kurhaus die gemeinsame Tagung der niederrheinisch¬
westfälischen und südwestdeutschen Kinderärzte statt.
Nach der Begrüßung durch Hr. Lu gen bü hl übernahm Geh. Rat
Biedert den Vorsitz .
Zunächst besprach Schütz- Wiesbaden in einem eingehenden Vor¬
trage ,,T)ber chronische Magen-Darm-Dyspepsie und chronische dyspep¬
tische Diarrhöen des Kindesalters“ das klinische Bild charakteristischer
Ernährungsstörungen bei Kindern von 2 — 12 Jahren und gab weiterhin
eine Kritik der Untersuchungsmethoden von Sc'hmidt und S tras bür¬
ge r. Der Vortrag erscheint demnächst in den Therapeut. Monatsheften.
Die grundlegenden Untersuchungen sind im Jahrbuch für Kinderheil¬
kunde, Bd 62 und im Deutschen Archiv für klin. Medizin, Bd. 80
und Bd. 94 niedergelegt.
In der Diskussion bestätigt Lugenbühl die Schütz’schen Beobach¬
tungen ; er weist darauf hin, daß es sich meist um neuropathische Kinder
handelt, und daß die Schwierigkeiten der Ernährung bei diesen Kindern
oft schon im Säuglingsalter zutage treten. Selter hat die Binde-
gewebsprobe in einzelnen Fällen im Stich gelassen, von dem Einflüsse
der Heredität hat er sich nicht überzeugen können.
Es folgte eine Mitteilung von Selter- Solingen über günstige
Erfahrungen mit dem Spengle Eschen Immunkörper bei Kinder tuber¬
kulöse, der Vortrag von Aronade über Säuglingstuberkulose und der
Vortrag von Bohmer-Köln über anatomische Heilungsvorgänge der
Lungentuberkulose des Säuglings. Aronade erörtert an der Hand
von acht klinisch und anatomisch untersuchten Fällen die Frühdiagnose
der Säuglingstuberkulose ; er demonstriert fünf Röntgenbilder von Säug¬
lingen mit tuberkulöser Erkrankung der Bronchialdrüsen und Lungen,
sowie die Lungen und mikroskopischen Präparate von vier zur Sektion
Wiesbadener Brief.
757
gekommenen Säuglingen. Nach Besprechung der Infektionsmöglich¬
keiten, besonders in allgemeinen Krankenhäusern mit Säuglingsstation,
unterzieht er die von Schloßmann in die Klinik eingeführte Tuber¬
kulinbehandlung der Säuglingstuberkulose einer Kritik. Nach seinen
Erfahrungen ist der natürlich oder künstlich genährte Säugling der
tuberkulösen Infektion der Bronchialdrüsen und Lungen gegenüber
wehrlos. Bei bestehender Lungenerkrankung ist die Anwendung des
Tuberkulins, auch in der Dosis von 1/100 mg bedenklich und kann
zu Katastrophen führen. Bei isolierter Knochentuberkulose ist die
Prognose auch für den Säugling günstig, hier kann die Tuberkulin¬
behandlung vielleicht die Heilung beschleunigen. Der Vortrag erscheint
in den „Beiträgen zur Klinik der Tuberkulose“. Böhmer hat von der
Tuberkulinbehandlung des Säuglings keine Schädigungen gesehen, bei
drei mit Tuberkulin behandelten, an interkurrenten Krankheiten ge¬
storbenen Kindern hat er reichliche Bindegewebsentwickelung in den
Lungen gefunden, die er als Tuberkulinwirkung auffassen möchte. Die
Versuche sind noch nicht abgeschlossen. In der lebhaften Diskussion,
die sich an die Tuberkulosevorträge anschloß, präzisiert Schloß mann
seinen Standpunkt dahin, daß er nur die in Knochen und Drüsen lokali¬
sierten Tuberkulosen mit Tuberkulin behandelt wissen will. Auch er
hält die spezifische Behandlung der Lungentuberkulose beim Säug¬
ling für erfolglos. Die Tuberkulin versuche sollen vorläufig auf die
Klinik beschränkt bleiben. Die Prognose der Säuglingstuberkulose
hängt davon ab, ob die miliare Aussaat erfolgt ist oder nicht.
Biedert erinnert daran, daß er als erster die einschleichende
Tuberkulinbehandlung mit kleinsten Dosen angegeben hat.
Engel verweist auf seine, mit Bauer verfaßte, im Druck be¬
findliche Abhandlung über Tuberkulin, in der die von Aron ade ge¬
forderten Indikationen und Kontraindikationen besprochen werden. Das
Tuberkulin kann natürlich nur einer der Faktoren sein, welche Einfluß
auf die Heilung haben.
Grosser teilt einen Fall von Bronchialdrüsentuberkulose eines
Säuglings mit, in welchem zwei Wochen nach einer Injektion (0,1 g)
an den Injektionsstellen Abszesse auf traten, in denen Tuberkelbazillen
nach gewiesen wurden.
Bauer möchte diese Erscheinung als Überempfindlichkeitsphä¬
nomen aufgefaßt wissen.
Weintraud weist darauf hin, daß nach seinen Erfahrungen bei
Erwachsenen die Anwendung des Spengler’schen J. — K. Präparates
keine günstigen Besultate gezeitigt habe.
Im Schlußwort ergänzt Selter seine Mitteilung dahin, daß es
sich in seinem Falle um eine Drüsen- und Gelenktuberkulose gehan¬
delt habe.
A.ronade betont im Schlußwort, daß er über die schlechte Prognose
der von ihm behandelten Säuglinge nicht im Zweifel gewesen sei.
Es lag ihm daran, Erfahrungen über die Wirkung des Tuberkulins
auf den Organismus des Säuglings zu sammeln; er freut sich, daß
diese sich mit den in Düsseldorf gemachten Erfahrungen decken, zu¬
mal die erste Mitteilung Schloßmann’s (Deutsche med. Wochensehr.,
Nr. 7, 1909) geeignet war, die günstigen Erwartungen höher zu spannen.
An die Tuberkulosevorträge schloß sich eine Beihe von Vorträgen
über Ernährungsfragen.
758
O. Aronade,
In seinem Vortrage „Uber den derzeitigen Stand der Buttermilch -
Therapie und -Ernährung des Säuglings“ weist Koppe- Gießen auf
die mangelhafte theoretische Begründung der vorzüglichen Wirkung
der Buttermilchsuppe hin und fordert weitere Untersuchungen. Er
selbst hat den Gehalt des Vilbeler Buttermilchpräparates an Bohr¬
zucker, Kasein und Mineralbestandteilen eingehend untersucht und be¬
richtet über seine Ergebnisse.
Zur Biologie des Kolostrums macht Bauer -Düsseldorf inter¬
essante Mitteilungen. Milch und Blutserum derselben Tierart lassen
sich durch Komplementablenkung differenzieren. Ein Kolostrumanti¬
serum gibt im Gegensätze zu einem Milchantiserum mit gleichartigem
Blutserum Komplementbildung. Die Erühmilch der Kuh und Ziege
besitzt im Gegensätze zur Spätmilch hämolytisches Komplement. Hier¬
aus geht hervor, daß das Eiweiß des Kolostrums z. T. ein Abkömm¬
ling des Serumeiweißes ist.
Engel -Düsseldorf berichtet über umfangreiche Untersuchungen
über den Kaseingehalt der Frauenmilch. Er kommt zu der schon
früher von ihm vertreteten Auffassung, daß der Schwerpunkt der Frauen¬
milch Verdauung im Darm liegt.
Nach einem Vortrage von Grosser -Frankfurt a. M. „Über albu¬
minfreie Säuglingsernährung“ — die Versuche sind noch nicht abge¬
schlossen — , fand eine gemeinsame Diskussion statt, in welcher
Grosser auf die Bedeutung der Eettarmut der Buttermilch hinwies,
die einer entsprechenden Magermilch gleichzusetzen sei. Demgegen¬
über betonen Schloßmann, Biedert, Hirsch, Hoffa die Überlegen
heit der Buttermilch.
Wieland-Basel bringt wertvolle Beiträge zur Knochenphysio¬
logie und -Pathologie des Fötus und Säuglings. Als Ergebnis sei
hervorgehoben, daß das physiologische Osteoid in vermehrtem Maße
und um so größerer Fläch enausdehnung sich findet, je weiter man
in der embryonalen Skelettentwickelung zurückgeht. Abweichungen
von den Standardzahlen für den Breitendurchmesser des Osteoids wer¬
den nur bei syphilitischen Früchten gefunden. Die Lehre von der
angeborenen Bachitis erscheint hiermit auch histologisch einwandfrei
widerlegt.
Frank- Wiesbaden berichtet über das typische Bild der akuten
toxischen Diphtherie, das er unter 317 Diphtheriefällen 14mal be¬
obachtet hat. Der Zustand tritt, nachdem die schweren Bachenerschei¬
nungen geschwunden sind, 3 — 13 Tage nach Beginn der Erkrankung
ein und äußert sich in psychischer Verstimmung, Erbrechen, starker
Albuminurie und einer charakteristischen Pulsverlangsamung (40 bis
60 Schläge in der Minute). Die Herzstörung bietet in den leichteren
Fällen das Bild einer dauernden wohlcharakterisierten Irregularität
(Extrasystolen, Herzleitungstörung, Adams -Stokes’scher Symptomen-
komplex). Die Therapie erwies sich bei allen bis zum Ende beobachteten
Fällen unwirksam.
Hoffa-Barmen zeigt Moulagen eines Falles von Dermatitis ex¬
foliativa und berichtet über Beobachtungen bei der endemischen Grippe
der Säuglinge, an der Hand von Temperatur- und Gewichtskurven.
Sonnenberger-Worms bespricht die Einrichtung des im Bau
begriffenen Wormser Erholungsheims für Kinder und demonstriert die
Wiesbadener Brief.
759
Pläne desselben. Er betont die Wichtigkeit eines längeren Verweilens
der Kinder im Heim, auch im Winter, den Wert der hygienischen Ein¬
richtung und der ärztlichen individuellen Aufsicht.
Wieland und Schulten weisen ebenfalls auf die Erfolge der
Winter kuren in den Erholungsheimen zu Basel bezw. Elberfeld hin.
Hierauf folgte die Besichtigung der neuen Kinderabteilung des
Stadt. Krankenhauses unter Führung von Prof. Weintraud und
Dr. Aron ade.
Bei der prinzipiellen Wichtigkeit der Einrichtung von Kinder¬
abteilungen in allgemeinen Krankenhäusern nach modernen pädiatri¬
schen Grundsätzen sei hier einiges über die innere Einrichtung mit¬
geteilt. Die Abteilung bietet Baum für 40 — 45 Betten mit Ausschluß
von Infektionskranken. Von dem breiten Tagesraum, der eine Über¬
sicht über die ganze Abteilung ermöglicht, zweigen auf der einen
Seite die Säuglingszimmer ab, die eine weitgehende Isolierung ge¬
statten ; die Abteilung für ältere Kinder — ein Knaben- und ein
Mädchensaal — ist durch ein Spielzimmer mit eigenem Zugang zur
Veranda von der Säuglingsabteilung getrennt. Alle Neuauf genommenen
passieren das Quarantänezimmer, dessen Insassen bis zur Sicherung
der Diagnose als infektiös betrachtet werden. Drei Säuglingszimmer
mit je vier Betten sind für ernährungsgestörte Säuglinge bestimmt,
eines für die gesunden Ammenkinder. Den Schluß der Reihe bildet
ein Boxensaal für acht ein- bis zweijährige Kinder, die bekanntlich
durch Kontaktinfektion am meisten gefährdet sind. In dem anschließen¬
den Badezimmer für Säuglinge werden die fahrbaren Wannen auf be¬
wahrt, die in den einzelnen Zimmern gefüllt und entleert werden
können.
Der Vorbau nach der Gartenseite wird einerseits durch das Ammen¬
zimmer, anderseits durch die sehr geräumige, gedeckte, mit Liege¬
stühlen ausgestattete Veranda eingenommen. Eine noch nicht fertig
gestellte Brücke wird es ermöglichen, die Säuglinge direkt nach dem
Garten zu bringen.
In allen Bäumen befindet sich Zentralheizung und Ventilations¬
schacht.
Im Souterrain ist die aus Spül-, Kühl- und Mkchraum bestehende
Milchküche untergebracht ; sie enthält eine Flaschenreinigungsmaschine
mit AVasserbetrieb, einen Abtropf Ständer, Sterilisator für 51 Flaschen,
Sprays zur .sofortigen Kühlung der sterilisierten Milch, Rahmzen tri fuge
und Eisschrank.
Im Ganzen ist der Versuch gemacht worden, eine Abteilung zu
schaffen, die im Rahmen des Krankenhauses eine sachgemäße, pädia¬
trische Behandlung kranker Kinder, speziell der Säuglinge, gewähr¬
leistet (vergl. auch Wesener, Die Behandlung von Säuglingen in
allgemeinen Krankenhäusern. Wiesbaden 1906). Nachdem Aronade
nocli einige Fälle auf der Abteilung demonstriert hatte (Myelitis trans¬
versa, doppelseitige Klauenhand, amniotische Abschnürungen, zwei
Luesfälle), kehrten die Teilnehmer nach dem Kurhaus zurück und
beteiligten sich an dem Begrüßungsabend des Kongresses für innere
Medizin.
760
Ehrmann und Fuld,
26. Kongreß für innere Medizin zu Wiesbaden.
19.— 22. April 1909.
Berichterstatter: Dr. Ehrmann und Dr. Fuld.
4. Sitzung vom 20. April 1909, nachmittags.
Vorsitzender: Schultz©.
v. Bergmann und Plesch- Berlin : Hie Anpassung des Schlag¬
volums des Herzens an funktionelle Ansprüche.
v. Bergmann: Steigert man das Sauerstoffbedürfnis des Ge¬
sunden durch Arbeit am Ergostaten, so wächst das Minutenvolum, wobei
das Schlagvolum nicht mitzuwachsen braucht — ja ausnahmsweise
sinken kann, wenn nur die Frequenz entsprechend gesteigert ist — ,
meistens allerdings steigen beide und endlich verbessert sich die Sauer¬
stoffausnutzung des Blutes, so daß der O-Gehalt des venösen Blutes
von 72 auf 62 zurückgeht.
Bei Basedowkranken ist der Sauerstoffverbrauch erhöht (z. B.
8,5 ccm pro kg und Minute), ebenso das Minutenvolum, das Schlagvolum
jedoch normal. Dennoch ist die Minutenarbeit des Herzens erhöht.
Die Ausnützung des arteriellen Sauerstoffs ist bei diesen Kranken
höchst schwankend, ja kaum bestimmbar.
Bei hypertrophiert-dilatiertem linken Ventrikel, z. B. interstitieller
Nephritis, ist das Schlagvolum 96 (statt 80 — 40), das Minutenvolum
nur 5700 also nicht sehr erhöht, bloß entsprechend der Anämie.
Bei Adams-S tokes’scher Krankheit, mit z. B. 40 Pulsen pro
Minute, ist das Minutenvolum sehr hoch (die Kranke war gleichzeitig
anämisch !), 9000, das Schlagvolum 200 ! Diese V olumvermehrung muß
eine Dilatation des linken Ventrikels herbeiführen. Bei Muskelarbeit
schalten sich ventrikuläre Extrasystolen ein, bis zu normaler Frequenz,
die einzige Art, wie die Sauerstoffversorgung in diesen Fällen noch
verbessert werden kann.
Beim Tropfenherzen ist das Schlagvolum meist klein, dafür die
O-Ausnützung sehr gut.
Bei Anämien ist die Ausnützung des arteriellen Blutes der Norm
gegenüber nicht verbessert ; hingegen ist das Minutenvolum entsprechend
der Verminderung der Sauerstoffkapazität erhöht bis auf 19 luter
(statt ,3 — 5). Mit einem solchen Schlagvolum (bis zu 200) ist eine
Arbeitsleistung selbst bei voll erhaltener Arbeitskraft des Herzens
unmöglich, da die physiologische Grenze bereits in der Buhe fast
erreicht ist.
Diskussion.
B o n d i - W ien : N ach der Müll er sehen hämodynamischen Methode
wurde in ca. 250 Fällen das Schlagvolumen bestimmt. Die Werte
waren 60 ccm bei der gesunden Frau, beim Manne etwas höher, also
durchaus ähnlich den von Plesch und v. Bergmann ermittelten.
Jedoch bei Mitralstenose, wenigstens hochgradiger, findet man keine
normalen Werte, sondern bloß 20 — 18 ccm. Dieser Befund erklärt die
Adynamie solcher Kranken. Bei gewissen Anämien allerdings findet
man, wie die Vorredner angaben, eine Erhöhung des Schlagvolums
bis 110, allein bei Chlorose .umgekehrt eine Verminderung. Diese
Differenzen beruhen auf der unzulässigen Voraussetzung Plesclks,
daß die Zusammensetzung der Alveolarluft sich nur durch Diffusion,
nicht durch Sekretion regele. Andere Einwände sollen bis zur Publi¬
kation der Pie seit sehen Methode zurückgestellt werden.
26. Kongreß für innere Medizin zu Wiesbaden.
761
Ivr e hl- Heidelberg : Bei Muskelarbeit erfolgt nach Plesch und
v. Bergmann die Anpassung durch Vermehrung der Pulszahl, während
doch bekannt ist, daß das Herz unter diesen Umständen in der Systole
verkleinert, das Schlagvolum also vermehrt ist.
Mohr -Halle hat am Tier mit der Zuntz’ sehen Bestimmun gs-
methode des Schlagvolums ganz den Plesch-Bergmann'schen analoge
Befunde erhoben — die Methode dieser Autoren muß also richtig
sein. Die erhöhte Sauerstoffkajmzität des Hämoglobins bei Anämie
entsprechend Bohr’s und seiner Auffassung, ist von Morawitz nicht
beobachtet worden, besteht aber dennoch wahrscheinlich zu Becht, weil
dieser das Methämoglobin des Blutes als Hämoglobin mitgerechnet hat.
K raus -Berlin: Arbeitsgewohnte Menschen leisten Arbeit durch
Vergrößerung des Schlagvolums. Verkleinerung des Herzens bei nicht
maximaler Arbeit ist jedenfalls nicht das Normale.
Butterfield berichtet über Untersuchungen an Menschenhämo¬
globin betreffend dessen Sauerstoffkapazität.
Por gesAVien : Mittels der Plesch’schen Methode findet man bei
Herzkranken statt einer Vermehrung der Kohlensäure in der Alveolar-
luft eine Verminderung. Die Lunge ist eben eine Drüse und keine
tote Membran. Ähnliche Verhältnisse müssen erst recht für den
schlechter diffundierenden Sauerstoff gelten.
P lese h- Berlin : Die plethysmographische Methode Müller’s und
Bondi’s ist wegen der verschiedenen Blutverteilung bei Herzkranken
nicht anwendbar. Demgegenüber ist die Sauerstoffkapazität, die er
bestimmt, eine konstante, physiologische Zahl, ebenso die beiden anderen
Faktoren, daher seine Methode exakt. Das Schlagvolum kann nur
kleiner werden, wenn die Pulsfrequenz steigt, sonst erstickt der Mensch.
Denn eine bessere Ausnützung des arteriellen Blutes findet bei Stenose
tatsächlich nicht statt. Die Theorie von Bohr sagt, daß ein Drittel
des Sauerstoffs in der Lunge absorbiert wird. Doch ist die kompli¬
zierte Methodik, mit welcher er seine Lehre stützt,* nicht schlüssig.
P äßler-Dresden : Zur Pathologie und Therapie einiger von
der Mundhöhle ausgehender Sepsisformen.
Bei mannigfachen septischen Erkrankungen sind die Tonsillen
häufig der Ausgangsort. Manchmal finden sich große Tonsillen mit
Pfropfen, manchmal sind die Tonsillen klein, aber in den Becessus
tonsillaris besteht eine Eiteransammlung. Auch in den Bachenton¬
sillen finden sich Herde meist mit Strepto- und Staphylokokken. Selbst
schmerzlose, nicht akut entzündete Zähne können die Infektionsquelle
sein. Die zahnärztliche Desinfektion des Wurzelkanals gelingt nicht.
Bei Pyorrhoea, alveolaris enthalten die tiefen Taschen oft große Mengen
Eiter. Mit Hilfe einer Sammelstatistik hat er eine Beihe von auf¬
fallenden Fällen eines Zusammentreffens von Mundhöhleneiterung und
Sepsis ermittelt. Er schildert eine Beihe derartiger von ihm durch
Behandlung der Mundhöhle geheilter Fälle. Bei Polyarthritis ist es
schwer, ein klares Bild über die Frage zu gewinnen, was das primäre
und was das sekundäre Leiden ist ; sehr häufig aber scheint die primäre
Läsion in der Mundhöhle ihren Sitz zu haben. Plötzliche Herzerkran¬
kungen junger Leute haben gewöhnlich die gleiche tonsillare Ätiologie
und müssen ätiologisch behandelt werden.
762
Ehrmann und Fuld,
Diskussion.
Lange -Frankfurt a. M. berichtet über zwei Fälle von Sepsis mit
Bacillus phlegmonosus emphysematosus, ausgehend von diphteroiden
Geschwüren der oberen Respirationswege.
H amp ein -Riga macht auf eine einschlägige ältere Arbeit von
Hoppe-Seyler - Kiel aufmerksam.
Straßburger - Bonn : Physikalisch - anatomische Unter¬
suchungen zur Lehre von der Enge des Aortensystems.
Der Aortenumfang ist im Alter und bei Männern größer. Mes¬
sungsresultate geben keine Grundlage für die Lehre von der Enge
des Aortensystems. Auch von dem Widerstand leisten die großen Ge¬
fäße unter allen Umständen nur den kleinsten Teil.
Das Wesentlichere ist die „Weitbarkeit“ des Arteriensystems. Bei
älteren Personen ist diese Kapazitätszunahme geringer gefunden wor¬
den ; auch bei Frauen beträgt dieselbe nur 2/3 — 1/2 von der des Mannes,
eine Verminderung, die durch das geringere Körpergewicht der Frauen
nicht \mllig erklärt wird.
Bei Kindern ist trotz der Kleinheit der Aorta die Weitbarkeit
sehr groß, noch mehr bei Tieren. Die absoluten Maße an der Leiche
berechtigen daher zu keiner pathologischen Diagnose. Arteriosklero¬
tische Gefäße führen natürlich zu einem Kreislaufhindernis ; bei jün¬
geren Personen mit geringer Weitbarkeit kann ein solches höchstens
ganz ausnahmsweise bestehen. Fortschritte in dieser Frage sind nur
von der Mitarbeit der Klinik zu erwarten.
Cur sch mann -Mainz : Über die diagnostische und progno¬
stische Bedeutung der Sehnen- und Hautreflexe bei Nephri¬
tis und Urämie.
Bei urämischen Zuständen ist es wichtig, den Anteil und die
Bedeutung der gleichzeitigen Kreislaufstörung zu bestimmen.
Hier gibt das Verhalten der Sehnen- und Hautreflexe nach Red¬
ners Erfahrungen einen Anhaltspunkt. Die Sehnenreflexe steigern
sich bei Schrumpfniere erst dann, wenn Urämie im Anzug ist ; in der
Folge tritt Fußklonus und das BabinskTsche Phänomen auf. Be¬
sonders wichtig ist es, daß auch bei Scharlachkranken das Verhalten
analog ist. Auch bei der protahierten Urämie, bei subakuter Nephritis
konnte die Reflexsteigerung gefunden und durch eine entsprechende
Therapie beseitigt werden. Eine Hypertonie der Muskulatur besteht
dabei nicht. Die Reflexsteigerung kann auch einseitig sein - — eine
solche ist natürlich besonders beweisend. Einmal sah er auf der be¬
troffenen Seite eine Pseudoapoplexie auf treten. Es muß daher eine
Wirkung des hypothetischen Urämiegiftes auf das Hirn angenommen
werden ; ob diese durch Intoxikation oder Erzeugung von Piaödem
zustande kommt, bleibt dahingestellt ; die günstige Wirkung der
Lumbalpunktion deutet auf letztere Alternative. Die mitgeteilten Be¬
obachtungen haben eine hohe praktische prognostische und therapeu¬
tische Bedeutung.
Embden und Wir th-Frankfurt a. M. : Über den Abbau von
Fettsäuren im Tierkörper.
Bei Leberblutung bildet - sich Azetessigsäure, welche durch Zu¬
satz bestimmter Substanzen vermehrt wird.
Zur Ausscheidung gelangt dieses Zwischenprodukt des Stoff¬
wechsels beim gesunden wie beim diabetischen Menschen stets nur bei
einseitiger Ernährung. Auch im Durchblutungsversuch führt die Hinzu-
26. Kongreß für innere Medizin zu Wiesbaden.
768
fügung von verbrennlichen Substanzen zur Durchblutungsflüssigkeit
zu einer Aufhebung der Azetonkörperbildung. So läßt sich z. B. die
Azetessigsäurebildung aus Kapronsäure total hemmen durch Zusatz
von normaler Valeriansäure.
Durchblutet man eine glykogenreiche Leber, so tritt ebenfalls
niemals Azetessigsäure auf. Jedoch kann der Durchblutungsflüssig¬
keit zugesetzter Traubenzucker an einem glykogenfreien Organ das
Glykogen nicht vertreten. Zucker, obwohl er von der Leber gebunden
wird, ist daher weniger angreifbar als das Glykogen.
Alle Störungen des Kohlehydratstoffwechsels beim Diabetiker
würden sich sonach durch eine Störung der glykogenbildenden Funktion
der Organe erklären lassen.
Die antihetogene Wirkung von Zusätzen richtet sich genau nach
dem Grade ihrer Verbrennlichkeit. Vielleicht gewinnen diese Ergeb¬
nisse praktische Bedeutung für die Therapie der Azidosis.
E mb den -Frankfurt a. M. und F. K raus -Karlsbad : Beitrag
zur Lehre vom Abbau der Kohlehydrate im Tierkör;per.
Aus welcher Muttersubstanz, stammt die Milchsäure im Orga¬
nismus ? Bei Durchblutung glykogenfreier Lebern findet man eine
Abnahme der Milchsäure, umgekehrt bei einer abnorm glykogenreichen
Leber eine enorme Zunahme. In diesem Fall läßt sich der Glykogen¬
gehalt der Organe in gewissem geringen Maß durch Zusatz von Trauben¬
zucker zum Durchblutungsblut ersetzen. Andrerseits scheint auch die
Annahme berechtigt, nach der das Eiweiß die Quelle der Milchsäure
sei. Denn auch ein Produkt des Eiweißabbaues, das Alanin, vermag
im Durchblutungsversuch Milchsäure zu bilden. Wahrscheinlich wird
es zuerst in Brenztraubensäure verwandelt, und aus dieser entsteht
durch Beduktion die Milchsäure. Wir sehen somit in der Milchsäure
ein Abbauprodukt sowohl der Kohlehydrate als auch der Eiweißkörper.
An pankreaslose Hunde verabreicht ist die Milchsäure ihrerseits
ein gewaltiger Zuckerbildner. Dieser Übergang von Milchsäure in
Glukose und umgekehrt ist in Zusammenhang zu bringen mit dem
Befund Minkowski’ s über die Anwesenheit von Milchsäure in den
Muskeln von Gänsen nach Leberexstirpation. Jedoch muß noch eine
dritte Quelle der Milchsäure angenommen werden auf Grund folgender
Beobachtung: Frischer Muskelpreßsaft nimmt binnen einer Stunde
einen erheblichen Milchsäuregehalt an. Alanin und Traubenzucker kom¬
men hier nicht in Betracht, ja, Zusatz von solchen ist belanglos. Es
mag hier ein Polymeres (oder dergl.) der Milchsäure vorliegen. Xnter-
essanterweise unterbleibt bei pankreaslosen Tieren diese Milchsäure¬
bildung im Muskelpreßsaft,
Diskussion.
M orit z- Straßburg : Isovaleriansäur e erzeugt nach den Be¬
obachtungen L. Blum’s beim Hungerhund Azeton.
Am gefütterten Tiere führt dieselbe zu keiner Azetonvermehrung.
Dieser Versuch stimmt mit denjenigen Embden’s gut überein.
Rumpf-Bonn: Orthodiagraphie des Herzens und Thorax¬
verschiebung.
Beim Übergang aus der aufrechten Stellung in die Horizontal¬
lage findet bei der Mehrzahl der Menschen eine beträchtliche Ver¬
schiebung des Thorax statt. Durch die Vertikalstellung erfährt das
Brustbein eine Gesamt bewegung nach oben und vorn, so daß die obere
Thoraxapertur sich vergrößert. Die oberen Winkel des Thorax er-
764
Ehrmann und Fuld,
weitern sieh demgemäß hei der Vertikalstellung, ebenso der gesamte
Thoraxraum.
Die Hebung, welche der Processus xiphodeus beim Übergang aus
der Horizontallage zur Vertikalstellung erfährt, läßt sich durch die
Legung gewisser Richtungslinien messen. Die Verschiebungen des Tho¬
rax sind im allgemeinen bei älteren und korpulenten Menschen stärker.
Damit einher geht naturgemäß eine entsprechende Bewegung
der Rippen. Soweit das Herz an der Bewegung des Thorax nicht
teilnimmt, erfährt es infolge der Vertikalstellung eine anschei¬
nende Bewegung nach abwärts. Die differenten Bilder und an¬
scheinenden Lageyeränderungen des Herzens, welche Moritz beim Ver¬
gleich von Horizontalorthodiagrammen mit Vertikaldiagrammen er¬
hält, erklären sich zum Teil durch Verschiebung der vorderen
Thoraxwand, ein anderer Teil durch wirkliche Lageverände¬
rungen der inneren Organe.
Weitere Verschiebungen des Herzschattens werden durch das
Hinaufrücken der Leberkuppe beim Liegen bewirkt; in patholo¬
gischen Fällen kann durch starke Füllung der Bauchhöhle die Leber
die höhere Lage auch in der Vertikalstellung einnehmen. Es
kommt dann leicht zu Störungen der Herzfunktion. Hier ist die ge-
ringere Füllung der Bauchhöhle und die systematische Zwerch¬
fellatmung das beste Unterstützungsmittel für die Herztätigkeit.
Otfried Mü 11 er -Tübingen : Die Herz- und Gefäß Wirkung
einiger Digitaliskörper bei gesunden und kranken Menschen.
Intravenöse Injektion von 1 ccm Strophanthin hat auf das Gefä߬
kaliber weder beim Gesunden noch beim Kranken einen Einfluß (plethys¬
mographisch gemessen). Auf Eisumschläge kontrahiert sich unter Stro-
phanthuswirkung das Gefäß genau wie vorher.
Auch beim Digalen sieht man keine Gefäßwirkung, wohl aber in
beiden Fällen eine solche auf das Schlagvolum (beobachtet am Flammen¬
tachogramm), welches sich zumal beim Herzkranken ganz erheblich ver¬
mehrt. Dies liegt nicht an der plethysmographischen Methode, denn diese
gestattet die Demonstration der kontrahierenden resp. erschlaffenden
Wirkung von Koffein und Natrium nitrosum. Die Digitalispräparate)
sind daher beim Menschen Herzmittel (in den entgegenstehenden Tier¬
versuchen wurden toxische Dosen angewendet), nicht Vasomotorenmittel,
wie die Kohlensäurebäder.
Diskussion.
Fleischmann-Berlin sprach über intravenöse Strophanthinthera¬
pie bei Verwendung von kristallisiertem Strophanthin. Er hat auf
der ersten medizinischen Klinik in zahlreichen Fällen Strophanthin
intravenös injiziert. Das von ihm zu diesen Injektionen verwandte
Präparat, das „kristallinische Strophanthin“, war bisher noch nicht
therapeutisch gebraucht, da alle bisherigen Autoren das sogenannte
Böhringer’sche Strophanthin, ein amorphes Präparat, anwandten. Die
Erfolge waren namentlich bei Herzkranken ganz frappante, indem oft¬
mals schon wenige Minuten nach der Einspritzung der Puls zur Norm
zurückkehrte, die Atemnot und Zyanose verschwand usw.
Pr änkel- Badenweiler: Der therapeutisch beste Digitaliskörper
wird der löslichste sein. Die Gefahren sind allemal die der Summation ;
daher ist es wichtig zu erfahren, ob vorher per os Digitalis gegeben
wurde. Je schwerer der Fall, desto geringer muß die Dosis sein.
Herzgesunde vertragen viel, desolate Fälle sehr wenig, höchstens 1/4 mg
765
26. .Kongreß für innere Medizin zu Wiesbaden.
(des Böhr in geloschen Präparates). Identisch sind das amorphe und
das kristallisierte Präparat nicht. In einer neuen Serie von 60 In¬
jektionen hat er nur einen Todesfall durch Akkumulation gesehen, da
das schlecht ausgeschiedene Thoms’sche Präparat vorher gegeben
worden war.
Volhard- Mannheim : Bei schwerster Kreislaufschwäche (septischer
Pneumonie) wurde 1/2 — 1 ccm Adrenalin injiziert. Der Kranke wurde
blaß und die Herzaktion hob sich gründlich und dauernd. Dieses Gefäß-
mittel besitzt also auch eine Herzwirkung.
K raus- Berlin : Die gewählte Dosis ist zu gering. Man kann
die bezeichnet© Einzelgabe sechsmal pro die geben. Geschwüre wie
beim Hunde treten nicht auf. Die Herzwirkung ist am Elektrokardio¬
gramm deutlich und damit gegenüber Lewandowsky definitiv be¬
wiesen.
His -Berlin: Die Wirkung des Strophanthins bei Hochdruck¬
stauung muß eine Gefäßwirkung sein.
O. Müll er- Tübingen : Die Drucksenkung in diesen Fällen muß
durch die Bradykardie bedingt sein - — die Gefäße ändern sich tatsäch¬
lich nicht.
Ealta-Wien: Beim Menschen steigt der Druck (anders als beim
Hund) unter Adrenalin Wirkung dauernd. Kur bei älteren Leuten kann
es zu Schüttelfrösten kommen.
Moritz -Straßburg fragt, wie sich das S]:danchnikusgebiet ver¬
hält. Das Chlorbaryum wirkt, wie bekannt, dem Adrenalin analog und
auch ebenso günstig. Jenes bewirkt am Tier eine Verkleinerung des
Herzens.
Ptässler-Dresden : Wenn die Blutgeschwindigkeit wächst, fällt
der Grund für die dyspnoische Stauung weg.
E. Pick -Prag: An der Niere bewirken die Digitaliskörper eine
Gefäßerweiterung, ebenso an der Milz.
0 Müll er -Tübingen : Nach der verbesserten Weber’schen Methode
(Rektalplethysmographie unter Korsett) lassen sich gröbere Wirkungen
im Splanc.hnikusgebiet nicht nachweisen.
Moritz und v. Tab ora- Straßburg : Über exakte Venendruck-
messung beim Menschen.
v. Tabor a,- Straßburg : Die Entlastung des venösen Systems
durch Venaesektion und „Abbinden der Glieder“.
Die Bestimmung des Venendrucks geschieht am liegenden Patienten
bei einer solchen Armhaltung, daß die Blutzirkulation möglichst unge¬
hindert ist (Arm bei gebeugtem Ellbogen und pronierter Hand recht¬
winklig abduziert). Man läßt unter vorübergehender Abbindung des
Armes durch eine Pravazkanüle wässrige Flüssigkeit aus einer Kürette
einfließen und notiert den Flüssigkeitsstand (in Kubikzentimetern),
bei welchem ein Einströmen nicht mehr stattfindet. Als Nullpunkt wird
die Lage des rechten Vorhofs angenommen.
Als Flüssigkeit dient eine Lösung von 1 Chinosol zu 2000 Ringer¬
lösung — davon gelangen in die Vene übrigens nur Bruchteile eines
Kubikzentimeters. Der Eingriff entspricht etwa einer intravenösen In¬
jektion und hat tatsächlich niemals Schaden angerichtet. Beim Nor¬
malen ist der Venendruck meist = 40 — 60 ccm Wasser, höchstens
80—100.
766
Vorläufige Mitteilungen und Autoreferate.
Unter jmthologischen Bedingungen steigt er bis zn 300 ccm Wasser
(bei Pneumonie). Bei Herzfehlern, und zwar nur bei Kompensations¬
störung, sieht man gleichfalls hohe Werte. Durch Arbeitsleistung er¬
zielt man ebenfalls Steigerung.
Ein Fall von Lungenödem, in welchem die Abbindung der Extremi¬
täten heilend gewirkt hatte, gab Anlaß, den Effekt dieses Manövers
auf den erhöhten Venen druck zu messen.
Ein Aderlaß muß schon 350—500 ccm groß sein, um normale
Werte erreichen zu lassen. Ganz ebenso wirkt aber die Abbindung der
Extremitäten. Es kommen Abstürze vor von 143 cdm (aUerdings nicht
in jedem Fall).
Die Messung des Venendrucks wird die Indikationsstellung des
Aderlasses sowohl wie die Überwachung seiner Ausführung erleichtern.
Vorläufige Mitteilungen u. Autoreferate.
Ueber Vergiftungen mit bleihaltigem Brotmehl in Negenborn.
Von Sanitätsrat Dr. Niemann, Holzminden.
Verf. hat im Januar 1908 im Dorfe Negenborn durch bleihaltiges
Brotmehl entstandene Bleivergiftungen festgestellt, welche bis in den
Herbst 1906 zurückreichen. Der Bleigehalt des Viehles war dadurch
entstanden, daß ein Müller die Löcher des Mühlsteins mit Blei aus¬
gegossen hatte.
Verf. stellte 119 Fälle von Bleivergiftung fest. Seiner Schätzung
nach sind in den Jahren 1906 und 1907 bis Januar 1908 200 Fälle
von Bleivergiftung unter 1096 Einwohnern vorgekommen.
In 100 g Brot waren durchschnittlich 0,017 g metallisches Blei
enthalten.
Die manifesten Symptome traten ein, nachdem 3 — 4 Wochen Blei¬
brot und damit im ganzen 2,6 bis 3,5 g Blei eingeführt waren.
In bezug auf die Symptome, Kolik und Bleisaum, wurden be¬
merkenswerte Unterschiede zwischen Erwachsenen und Kindern fest-
gestellt.
Während die Männer ausnahmslos schwere Koliken hatten, litt
von den untersuchten 14 Kindern im Alter von 5 — 15 Jahren nur
eins an Koliken. - — Bei 13 Kindern traten statt der Koliken Durch¬
fälle und Erbrechen auf, als deren Ursache die Ätzwirkung des im
klagen gelösten Bleies angenommen werden muß, auf welche der kind¬
liche Magen mit Erbrechen und Durchfall reagiert.
In 38 frischen Fällen war der Bleisaum 29 mal vorhanden und
fehlte in neun Fällen. Zu letzteren gehört ein Zahnloser und das
jugendliche Alter von 5—23 Jahren.
Unter den Kindern bis zum 15. Jahre hatte nur ein lljähr. Mäd¬
chen einen hauchartigen Saum.
Während der Verf. die Bildung des Bleisaums auf eine zuerst
eintretende mechanische Anlagerung der Bleiteilchen am Zahnfleisch¬
saum und alsdann eine damit einhergehende chemische Wirkung auf
dieselben annimmt, erklärt derselbe! das Fehlen des Bleisaums bei
jugendlichen Individuen, insbesondere bei Kindern damit, daß der
Zahnfleischrand bei diesen den Zähnen so fest anliegt, daß hier sich
Bleiteilchen nicht festsetzen können, und daß durch Fehlen der Zahn-
Vorläufige Mitteilungen und Autoreferate.
767
beläge, selbst bei ungenügender Mundpflege, die Bedingungen zur Bil¬
dung von Schwefelwasserstoff nicht gegeben sind. Die von ihm an
von bleikranken Müttern geborenen Kindern vorgenommenen Blut¬
untersuchungen ergaben das vermehrte Vorhandensein gekörnter Ery-
throzythen, welches nach Growitz, Hamei, Büsing und P. Schmidt
unter gewissen Voraussetzungen als charakteristisch für Bleivergif¬
tungen anzusehen ist.
Der Hämoglobingehalt des Blutes der Bleikranken schwankte
zwischen 48 und 65 °/0 und erreichte in fünf Pallen die Höhe von 70°/0.
(Archiv für Hygiene, Bd. LXIX.) Autoreferat.
Verein deutscher Ärzte in Prag, 30. April 1909.
Rubritius demonstriert 1. einen 19jährigen Mann mit mäßiger
Plattfußbildung, welche in der. Pubertätszeit sehr starke Schmerzen
am inneren Pußrand verursacht hatte. Seit sieben Monaten besteht
eine Beugekontraktur der großen Zehe im Grundgelenk (Hammerzehen¬
bildung). Nikoladonis Hammerzehenplattfuß.
2. einen 20 jährigen Mann mit hochgradigen Plattfüßen, welche
früher ebenfalls Schmerzen bereitet hatten ; seit drei Monaten besteht
eine Deformität der Zehen, indem diese ohne Beteiligung der Metatarsi
im Sinne der Plantarflexion, Adduktion und Supination abgelenkt sind.
Rechts ist die Deformität stärker als links. Also eine Kombination
von Pes valgus mit Pes varus. Klumpzehenplattfuß.
R. faßt sowohl den Hammerzehenplattfuß als auch den Klump¬
zehenplattfuß als den Pes valgus kompensierende Deformitäten auf.
Referat über die am 7. Mai in der „Wissenschaftlichen Gesellschaft
deutscher Ärzte in Böhmen“ gehaltene Demonstration.
Prof. Ivleinhans dem. das durch Operation gewonnene, in L. Pie la¬
scher Flüssigkeit konservierte Präparat eines Falles von primärem
Scheidenkarzinom, bestehend aus Uterus, Scheide und einem
12 cm langen Stück Mastdarm im Zusammenhang.
50 j ähr. VII para. Seit 1/2 Jahr Schmerzen beim Sitzen und
wässerig-blutigen Ausfluß,
In der hinteren Scheidenwand zwei flache, oberflächlich ulzerierte
Karzinomknoten von 21/2 und lx/2 cm Durchmesser, der obere an der
Grenze zwischen oberem und mittlerem Scheidendrittel. Diesem ent¬
sprechend ist die Mastdarmwand ergriffen ; auch die Schleimhaut (Rekto¬
skopie) verändert, kleinknollig, wenn auch nicht ulzeriert.
Operation in Lumbalanästhesie : Abpräparieren der Scheide (unter
Aussparung des Urethralwulstes) von der Blase bis zur Plica ;
nach Eröffnung dieser und Luxation des Uterus nach vorne Abbinden
und Durchtrennen der Ligam. und Parametrien, Eröffnung des Douglas
und Abschluß gegen die Bauchhöhle unter Einnähung der Ligament¬
stümpfe. Umschneidung des Introitus, Ablösung des unteren Scheiden¬
randes vom Rektum bis über den Sphinkter. Rechtsseitiger Schnitt
bis gegen die Steißbeinspitze und Auslösung von Rektum und Scheide
im Zusammenhang. Herabziehen des Rektums, Abbindung und Re¬
sektion eines 12 cm langen Stückes Rektum im Zusammenhang mit
der Scheide unter Erhaltung des Sphincter ani. Nach Abtragung der
Sphinkterschleimhaut Durchziehen des proximalen Rektumendes und
768
Referate und Besprechungen.
Befestigung
ponade der
Kontinenz.
K. ist
unten und oben am Sphinkter durch Kopf nähte. Tam-
AV undhöhle. Entlassung nach vier AVochen bei völliger
für ein derartiges radikales Vorgehen in allen Fällen
Karzinom der hinteren Ar aerinalwand in Anbe-
von primärem ix.au <ij.nviu nox m-iiu&xon » mg
tracht der sonst so schlechten Dauerheilungsresultate.
Referate und Besprechungen.
Bakteriologie und Serologie.
Bacillus Ebertb und Bacillus coli.
(de Techoueyres. Bull. med., Nr. 76, S. 840, 1908.)
Der Trieb zum Systematisieren, Registrieren, Etikettieren ist dem
Menschengeschlecht angeboren; offenbar als Mittel, mit den verschiedenen
Naturerscheinungen fertig zu werden. Aber wie so oft, so hat sich auch
hier immer wieder die Erfahrung bestätigt, daß die Methode nicht der Diener
des Forschers bleibt, sondern sein Führer wird; und so ist es gekommen,
daß wir Menschen geneigt sind, Kategorien und Scheidewände in die Natur
hineinzuprojizieren, die tatsächlich gar nicht darin enthalten sind.
Ein klassisches Beispiel hierfür bietet der Typhus abdominalis. Wir
haben uns daran gewähnt, darunter ein mehr oder weniger typisches Krank¬
heitsbild uns vorzustellen, mit reglementsmäßigen Symptomen und der vor¬
schriftsmäßigen Temperatur -Kurve. Daß es aber auch Typhen mit einem
anderen Verlaufe gibt, bewerten nur wenige im ganzen Umfange, und doch
hat schon Griesinger präzis gesagt, daß ,, unser“ Typhus nur eine der
Abstufungen darstelle, welche aus der Reihenfolge der Intoxikationen sich
besonders heraushebe (Infektionskrankheiten 1864, §■ 213).
Interessant ist, wie diese Gedankengänge, welche von der Klinik —
in enger Fühlung mit der Natur — tolerant entwickelt wurden, sich in der
Bakteriologie gestalteten, welche um so intoleranter sein muß, je mehr sie
den Anspruch auf eine ,, exakte“ Wissenschaft erhebt. Jedermann weiß,
mit welcher Zähigkeit von der einen Seite der sog. Typhusbazillus als ein
Ding sui generis, als der wahre und einzige Erreger der Krankheit hin-
gestellt wird, während die andere Partei angesichts der Unmöglichkeit, den
Bac. typhi scharf von den vielen Koliarten abzugrenzen, ihn nur als Spezies
in der Familie der Kolibakterien gelten lassen will.
Diese Auffassung steht der klinischen natürlich viel näher und be¬
wertet insbesondere auch die Reaktionsformen der einzelnen Individuen; denn
schließlich ist das, was wir Krankheit nennen, keine Leistung des Erregers,
sondern des reagierenden Organismus. Demgemäß fügt Noel den vorstehenden
Ausführungen eine Anzahl von Epidemien beim Militär hinzu, bei welchen
durch übermäßige Anstrengungen, enge Kasernierung usw. die für gewöhnlich
ausreichende Widerstandskraft gegen die Kolibakterien erlahmte und es zu
typhoiden Erscheinungen aller Art kam; sobald den Truppen mehr Ruhe
gegönnt war bezw. sobald die Quartiere weniger eng belegt waren, erlosch
die Seuche, ohne daß sonst etwas geändert wurde, insbesondere ohne daß
ausgedehnte Desinfektionen oder Änderungen in der Wasserversorgung vorge¬
nommen wurden. Buttersack (Berlin).
0n a new test for difFerentiation of the bazilli of the typhoid group.
(By C. Chatterjee. ' Zentralbl. für Bakt., Bd. 48, H. 2.)
Der Verfasser bespricht zuerst die von den verschiedensten Forschern
bisher angewandten Methoden zur Differenzierung der zur Typhusgruppe
gehörigen Bazillen. Im Verlauf seiner eigenen diesbezüglichen Versuche fand
Referate und Besprechungen.
769
er folgenden Weg am einfachsten und sichersten, davon ausgehend, daß Nähr¬
böden. die zuerst dem Wachstum eines Bakteriums günstig sind, sich mit
der Zeit ändern, so daß dieses Bakterium nicht mehr darauf wächst, sei es,
daß der Nährboden erschöpft wird, oder daß er von diesem Bakterium aus¬
geschiedene Toxine in sich aufnimmt — - beschickte C. Agarröhrchen mit
Typhusbazillen. Nach dreitägigem Wachstum bei 37° C wurde der reich¬
lich gewachsene Rasen mit steriler NaCl-Lösung abgewaschen. Impfte C.
nun diese Agarröhrchen aufs neue mit Typhusbazillen, so zeigte sich kein
Wachstum, während andere typhusähnliche Stämme (Paratyphen, Bac. Shiga,
Bac. coli communis) ungehindert darauf gediehen. Daß das wachstum¬
hemmende Agens ein Toxin, und zwar ein thermomobiles Toxin ist, schließt C.
daraus, daß ebenso behandelte Agarröhrchen, die er nach dem Abspülen
mit NaCl-Lösung 1 Stunde auf 55° C erhitzte und dann wieder mit Typhus¬
bazillen beschickte, nach 48 Stunden wieder dicht bewachsen waren. Dieses
spezifische Toxin im Nährboden hindert nur das Wachstum des betreffenden
Bazillus, agglutiniert oder tötet ihn aber nicht, hebt auch seine Beweglichkeit
nicht auf. Die Aussat bleibt monatelang lebendig und gedeiht auf frischen
Nährboden weiter.
In gleicher Weise machte C. Versuche mit Ausstrichen von typhus¬
ähnlichen Bazillen. Auch diese erzeugten Nährböden, die für den eigenen
Stamm steril wurden, ohne das Wachstum verwandter Gruppen zu beschränken.
Nur die mit Coli vorbehandelten Nährböden zeigten einen Unterschied; sie
hinderten auch das Wachstum der anderen, der Typhusgruppe angehörigen
Stämme, blieben aber für ganz artfremde Bakterien wie Kommabazillen,
Staphylokokken usw. verwendbar. Schürmann (Düsseldorf).
Ueber den Wert von Typhusbazillen — Mischbouillon zur Serodiagnose
des Typhus.
(Dr. Geisse. Zentralbl. für Bakt., Bd. 48, H. 4.)
Die WiclaFsche Reaktion mit einem gut agglutinablen Stamme hat
dem Verfasser gleich gute Resultate ergeben, wie die gleichzeitige Ver¬
wendung mehrerer Typhusstämme in Form einer Typhusbazillenmischbouillon.
Nach seiner Ansicht enthält ein gut agglutinabler und gut agglutininbildender
Stamm alle für Typhusbazillen charakteristische Aggliftinogene in größter
Menge in seinem Protoplasma. Einzelne Agglutinogene weist nur ein schlecht
agglutinabler Stamm in größerer Menge auf. Zur Feststellung der Typhus-
agglutinine im Serum eines Patienten bietet ein gut agglutinabler Stamm
die günstigsten Chancen. Die Verwendung einer Typhusbazillenmischbouillon
erhöht die Wahrscheinlichkeit, daß möglichst alle agglutinogene Gruppen
für nachzuweisende Typhusagglutinine vorhanden sind, aber diese sind der
gesamten Bazillenzahl entsprechend nur wenig vorhanden. Die Agglutination
der Typhusbazillenmischbouillon wurde in den Versuchen des Verfassers meist
schlechter agglutiniert, als ein gut agglutinabler Stamm allein.
Je größer die Anzahl der in einer Mischbouillon vertretenen Typhus¬
stämme, desto größer ist auch die Gefahr der Reaktion von Gruppenaggluti¬
ninen. Die Verwendung von Mischbouillon bietet keine Vorteile, sondern
begünstigt sogar eine Verwechslung mit anderen, dem Typhus biologisch nahe¬
stehenden Krankheitsformen. Schürmann (Düsseldorf).
Kleiner Beitrag zur Frage der Identität des Typhus und Kolibazillus.
(Dr. Gynla u. Benczus. Zentralbl. für Bakt., Bd. 48, H. 3.)
Die Versuche des Verfassers gingen dahin, zu erforschen, ob bei Züch¬
tung der Typhus- und der Colibazillen unter Verhältnissen, die ihr Wachs
tum wesentlich erschweren, eine Annäherung beider Bazillen in ihren Eigen¬
schaften stattfänden. Er setzte die Kulturen genannter Bazillen einer Tem¬
peratur von 43 u C aus, er züchtete sie auf stark alkalischen Nährböden, er
setzte dem Nährboden einige Tropfen einer 20/oioen Chininlösung zu. Verf.
49
770
Referate und Besprechungen.
untersuchte ferner den Agglutinationstiter der beiden Stämme. Die Ver¬
suche zeigen sicher, daß die Eigenschaften beider Bazillen eine große Be¬
ständigkeit besitzen. Man ist also nicht berechtigt, anzunehmen, daß die
beiden Bazillen innerhalb des Organismus oder in der Außenwelt ineinander
übergehen können. Schürmann (Düsseldorf).
Zur Geschichte der Typhusschutzimpfung des Menschen.
(E. Wright. Zentralbl. für Bakt., Bd. 46, H. 2.)
Friedberger gibt in einer seiner Arbeiten an, daß die Arbeit Wright’s
nur über die Erzeugung seröser Hämorrhagien durch die Typhusimpfüng
handelt. Friedberg'er macht Ansprüche auf die Priorität der Typhus¬
schutzimpfung am Menschen für Kjolle und Pfeiffer.
Wjright gibt die Erklärung ab, daß die Hämorrhagien durch In¬
jektionen erzeugt seien, nur um sie als unangenehme Nebenerscheinungen
bei der Schutzimpfung zu bekämpfen. Schürmann (Düsseldorf).
Über das Aufwärtswandern der Bakterien im Verdauungskanal und seine
Bedeutung für die Infektion des Respirationstraktus.
(F. Dieterlen. Zentralbl. für Bakt., Bd. 45, H. 5, 1908.)
Nach der Ficker’schen Technik sind vom Verfasser Versuche an Kanin¬
chen, Meerschweinchen, Hunden, Ziegen und Katzen mit dem Bacillus pro-
digiosus, Geflügelcholera und Tüberkelbazillen menschlicher Herkunft an¬
gestellt worden. Ein Aufwärtswandern der Bakterien vom Magen aus gelang
nur bei Pflanzenfressern, wurde aber niemals bei Fleischfressern beobachtet.
Schürmann (Düsseldorf).
Wutinfektion und antirabische Immunisierung auf endorektalem Wege.
(Claudio Fermi. Zentralbl. für Bakt., Bd. 47, H. 5, 1908.)
Es gelingt bei Kaninchen, Ratten und Meerschweinchen die Wutinfek¬
tion durch fixus Virus auf endorektalem Wege und zwar in 100% bei Meer¬
schweinchen, in 80% bei den Kaninchen und in 60% bei Ratten. Die In¬
fektion tritt bei intakter Schleimhaut, ohne irgendwelche Läsion derselben
auf; es handelt sich somit um eine Wutinfektion durch die gesunde Darm¬
schleimhaut hindurch. Junge Katzen zeigen sich empfindlich, alte Katzen
und Hunde dagegen geben negative Resultate.
Ratten, die mit Straßenvirus subkutan infiziert waren und dann endo-
rektal mit normaler oder Wutnervensubstanz immunisiert wurden, starben alle
an Tollwut. Ratten, die sofort nach der endorektalen Immunisierung mit
Straßenvirus subkutan infiziert wurden, überlebten zur Hälfte; es starben
aber alle diejenigen, die 8 Tage nach der erfolgten Immunisierung infiziert
waren. Die endorektale Immunisierung mit normaler Nervensubstanz rettete
die Hälfte der Ratten gegen eine endorektale Infektion mit fixem Virus.
Schürmann (Düsseldorf).
Der Erreger der Pneumonie eines Königstigers (Bazillus pneumoniae tägris).
(Prof. Marx, Zentralbl. für Bakt., Bd. 47, H. 5, 1908.)
Es wurde bei einer hämorrhagischen Pneumonie eines Tigers ein Mikrobe
gefunden, der große Ähnlichkeit mit dem Influenzabazillus zeigte. Er war
sehr klein, zeigte Polfärbung und war hämophil. Er wurde wegen seines
kulturellen Verhaltens und seiner Tierpathogenität in die Reihe der Pasteu-
rollosen eingereiht. Schürmann (Düsseldorf).
Referate und Besprechungen.
771
Diagnose des Rotzes am Kadaver mittels Komplementbindung.
(F. Kayser. Zentralbl. für Bakt., Bd. 49, H. 3.)
Zur Diagnosenstellung des „Rotzes“ hatte man bisher nur drei Hilfs¬
mittel zur Hand :
1. Mikroskopische Besichtigung der Deckglaspräparate, die aus ver¬
dächtigen Herden angefertigt werden.
2. Die Agglutination.
3. Die Meerschweinchenimpfung (de Jong).
Infolge abweichender Resultate bei dieser Impfung und des zu spät
zu erfahrenden Resultates wandte Verf. die Komplementbindungsmethode
an. Aus der Tabelle geht hervor, daß die Sera der verdächtigen Pferde, im
Gegensatz zum normalen Pferdeserum, bei Einwirkung auf die Rotzkultur¬
flüssigkeit Komplement zu binden imstande waren, daß jene Sera also Rotz¬
ambozeptoren enthielten.
Es würde sich lohnen, diese Methode an einem großen Material auszu¬
probieren. Schürmann (Düsseldorf).
Lieber die Zerstörung des Wutvirus in situ.
(Claudio Fermi. Zentralbl. für Bakt., Bd. 49, H. 1.)
Es folgt aus seinen Untersuchungen, daß bei Resorption des Wutvirus
von der gesunden Nasen- und Darmschleimhaut und von der gesunden Augen¬
bindehaut aus es schon nach 15 Minuten unmöglich ist, durch reichliche
Waschungen mit Sublimat und mit Thymol (Darmschleimhaut) die Infektion
zu verhindern.. Schürmann (Düsseldorf).
Die Wirkung des Speichels auf das Wutvirus.
(Claudio Fermi. Zentralbl. für Bakt., Bd. 49, H. 1.)
Der Speichel besitzt keine wuttötende Wirkung. Selbst Verdünnungen
der Virus fixe zu 1 : 10000 machte der Speichel nicht einmal auf subkutanem
Wege avirulent. Speichel von durch Virus fixe verendeten Kaninchen wurde
benutzt.
Es ist überhaupt anzunehmen, daß Speichel, der doch die Wutkrankheit
normalerweise überträgt, nicht abschwächend auf das Wutvirus wirken dürfte.
Schürmann (Düsseldorf).
Ein Trypanosoma des Wisent von Bielowesch.
(K. Wrnblewski. Zentralbl. für Bakt., Bd. 48. H. 2.)
Verfasser ist es gelungen, beim1 Wisent (Bonasus), welches noch in Litauen
im Walde von Bielowesch lebt, ein Trypanosoma aufzufinden. Die Länge
der Trypanosomen schwankt zwischen 30 und 50 [J- Im Mittelteil des Trypa¬
nosoma, das verdickt erscheint, liegt der Kern als quergelagertes, an den
Enden schwach abgerundeten Stäbchens. Weiter nach vorn beginnt die Geißel
mit einer kolbenförmigen Anschwellung. Am freien Ende ist die Geißel
wieder etwas verdickt. Vakuolen finden sich im ganzen Trypanosomenleibe
verteilt. Längsteilung in zwei Individuen wurde beobachtet, aber auch wurden
Teilungsbilder gefunden, wo der Kern in mehrere (6) Stücke zerfällt.
Verfasser glaubt annehmen zu dürfen, daß dieses Trypanosoma eine be¬
sondere selbständige Art darstellt, Schürmann (Düsseldorf).
lieber einen vom Meerschweinchen isolierten Tetragenus.
(Dr. Guiseppe Altana. Zentralbl. für Bakt., Bd. 48, H. 1.)
Aus der Leber und aus dem Blute erkrankter Meerschweinchen gelang
es Verfasser, einen Mikroorganismus zu züchten, der sich in vier vereinigt
bleibende Individuen teilte, die von einer deutlichen Hülle umgeben waren.
Das Verhalten dieses Mikroorganismus ist von ihm auf den verschiedensten
49*
772
Referate und Besprechungen.
Nährböden geprüft worden. Wegen seines langsamen Wachstums auf Gelatine
nennt er ihn Tetragenus tardissimus. Ein Hervorrufen der Erkrankung
bei Meerschweinchen, die in Abmagerung, Haarausfall bestand, experimentell
teils durch subkutane, teils. intrapleurale resp. peritoneale und durch direkte
Impfung von Kulturen ins Blut gelang nicht. Eingeben von Tetragenus-
Bouillonkulturen per os blieben auch erfolglos. Schürmann (Düsseldorf).
Übertragungsversuche der Spirochaetagallinarum durch Argus reflexusFahr.
(Schellack. Zentralbl. für Bakt., Bd. 46, Nr. 6.)
Die Zecke Argus miniatus überträgt in Amerika die Spirochaeta Galli-
narum.
Experimentell läßt sie sich auch durch die afrikanische Zecke Ornitho-
dorus monbata übertragen.
In Deutschland lebt eine Zecke Argus reflexus. Durch sie ist dem
Verfasser auch eine Übertragung von Spirochaeta gallinarum gelungen. Bis
64 Tage bestand die Infektiosität der Zecken. Schürmann (Düsseldorf).
Impfversuche mit spirillenhaltigem Blut.
(C. Fraenkel. Zentralbl. für Bakt., Bd. 47, S. 319.)
F r. ist es gelungen, vor längerer Zeit Rekurrenzspirillen auf Ratten
und Mäuse zu übertragen. Die Bösartigkeit der Spirillen steigert sich nach
Beobachtungen des Verfassers nach Jahresfrist. Bei Infektion überstandenen
Ratten und bei den wenigen die Infektion überlebenden Mäusen waren zu
verschiedenen Zeiten Krankheitserreger im Blute wieder nachzu weisen. Ein
Unterschied in der Empfindlichkeit zwischen jüngeren und älteren Tieren
besteht nicht. Schürmann (Düsseldorf).
Behandlung der Blennorrhoea neonatorum mit Rinderserum.
(W. Gilbert. Münch, med. Wochenschr., Nr. 30, 1908.)
Es gelingt, durch zweistündliches Bespülen mit Rinderserum — nach
dem Prinzip der Müller-Peiser’schen Antifermenttherapie — auch schwerste
Fälle in 2—3 Wochen ohne Argentum zu heilen. Man kann eine Vermehrung
der Phagozytose dabei feststellen;.\ Immerhin warnt der Autor davor, zu¬
nächst diese Therapie allein anzuwenden, nachdem wir im Argentum nitricum
ein altbewährtes Mittel besitzen. E. Oberndörffer.
Einige weitere Versuche mit Vitralin.
(Dr. Xylander, Stabsarzt, Dresden. Deutsche med. Wochenschr., Nr. 3, 1909.)
Die Untersuchungen der Hochglanzfarbe Vitralin auf ihre bakterizide
Eigenschaft hatten schon früher ergeben, daß auf den damit gestrichenen
Platten Tuberkel-, Typhus-, Paratyphus- und Diphtheriebazillen, sowie Strepto¬
kokken nach mehr oder weniger langer Zeit absterben. Auch jetzt kommt
Xylander zu den gleichen Ergebnissen, die er noch dahin ergänzt, daß
die desinfizierende Kraft monatelang anhält, nur ist dazu Licht, Wärme,
Sauerstoff und ein mittlerer Gehalt an Feuchtigkeit unbedingt erforderlich.
Der Wandanstrich empfiehlt sich daher besonders für Räume, die dauernder
oder häufiger wiederkehrender Infektion ausgesetzt sind. Ein Vorzug ist
auch die große Widerstandsfähigkeit gegen äußere Einflüsse. Zu beachten
ist, daß das Vitralin zwar die damit gestrichenen Flächen keimfrei erhält,
nicht aber deren Umgebung. Die Wohnungsinfektion bleibt also trotzdem
erforderlich. F. Walther.
Referate und Besprechungen.
773
Innere Medizin.
lieber die Zunahme der Todesfälle an Diabetes und die Möglichkeit, den
Ausbruch der Krankheit zu verhindern oder hinauszuschieben.
(R. T. Williams on. The Practitioner, Nr. 4, 1909.)
Der Diabetes greift in allen Kulturländern um sich, wenn auch diese
Erscheinung zum teil nur auf genauere Diagnosen zurückzuführen ist. W., der
viel mit Diabetikern zu tun hat, hält die Gastwirte für am meisten gefährdet,
demnächst Rechtsanwälte ; erst in großer Entfernung folgen beschäftigte
Ärzte, dann Chemiker und Drogisten. Geistige Überanstrengung ist eine
wichtige Ursache, aber auch nach körperlicher Überarbeitung (Überstunden
bei Arbeitern, Nachtarbeit) hat W. oft Diabetes sich entwickeln sehen. Nach
seinen Beobachtungen ist nicht nur Bier- oder Weingenuß, sondern auch
starker Genuß von Temperenzlergetränken, von stark gesüßter Milch oder
Tee der Entwicklung des Diabetes günstig. Nicht selten hat er ihn bei
Frauen nach Bauchoperationen entstehen sehen (Entfernung1 von Uterus oder
Ovarien), wo indessen zweifelhaft bleibt, ob die Aufregung oder die künst¬
liche Menopause (die Zunahme der Diabeteserkrankungen um die natürliche
Menopause wird bekanntlich behauptet), oder beides als Ursache anzu¬
sehen ist. '
Für wichtig hält W., den Ausbruch des Diabetes bis nach dem 40. Jahre
hinauszuschieben, da er dann milder verläuft. Vorsichtsmaßregeln hält er
für angezeigt:
1. bei Diabetes der Eltern und besonders der Geschwister;
2. bei geistig stark Angestrengten, besonders bei Juden;
3. bei Frauen mit vorübergehender Glykosurie in der Schwangerschaft;
4. bei Gicht, früh entwickelter Fettsucht und Akromegalie;
5. bei 40 — 50 Jahre alten Personen, die sich stark geistig angestrengt
und sich wenig körperliche Bewegung gemacht haben ; zumal wenn sie gut
gelebt haben und fett werden ;
6. bei starken Frauen nach dem Klimakterium oder nach Unterleibs¬
operationen ;
7. wenn Spuren von Zucker zeitweise nach akuten Krankheiten, Ver¬
letzungen, Exzessen in Süßigkeiten oder bei der Untersuchung für die Lebens¬
versicherung gefunden werden ;
8. bei allen Fällen geringer, aber andauernder Glykosurie.
W.’s Vorkehrungen gegen die Entwicklung des Diabetes stimmen in der
Hauptsache mit den bei uns gebräuchlichen überein. Besonderen Wert legt
er auf körperliche Übungen im Freien und allgemeine Mäßigkeit, Zurück¬
haltung im Zuckergenuß erst in zweiter Linie. Ist Glykosurie in der Schwanger¬
schaft aufgetreten, so hält er weitere Schwangerschaften für sehr unerwünscht.
Fr. von den Velden.
Zur Therapie des Pankreasdiabetes.
(Dr. Franz Bruck, Berlin. Med. Klinik, 46, 1908.)
Auf Grund der Annahme von Zuelzer, daß die wirksame Substanz
der Nebennieren, das Adrenalin und das Pankreassekret, Antagonisten seien
und daß ihr Zusammenwirken die Glykosurie verhindere, ist Bruck auf
den Gedanken gekommen, ob man nicht analog der Therapie der Basedotw-
schen Krankheit bei geeigneten Tieren durch möglichste Ausschaltung des
Adrenalins aus der Zirkulation das Pankreassekret von seinen Antagonisten
befreien könne, um dann durch das Serum oder die Milch derartiger Tiere
die bei Pankreasdiabetes vermehrte Adrenalinmenge unwirksam zu machen.
Dadurch könnte dem Diabetiker das fehlende neutralisierende Pankreassekret
zugeführt werden. Bruck stellt diesen Gedanken zur experimentellen Nach¬
prüfung zur Verfügung. F. Walther.
774
Referate und Besprechungen.
Coxa vara, ein Frühsymptom bei Osteomalazie.
(Wilhelm Ortloph, Wiener klin. Rundschau, Nr. 33 — 35, 1908.)
Der Verf. kommt auf Grund seiner Beobachtungen an zwei Patientinnen
und nach eingehendem Studium von fünf osteomalazischen Becken zu dem
Schlüsse, daß die als Coxa vara bezeichnete Verbiegung des Schenkelhalses
mit Reduktion seines Neigungswinkels zum Femurschafte ein Frühsymptom
der Osteomalazie darstellt. Besonders instruktiv in dieser Hinsicht ist die
erste der beiden angeführten Krankengeschichten. Bei dieser Patientin tritt
zu einer doppelseitigen Adduktionskontraktur der Oberschenkel durch einen
Zufall auf der einen Seite eine Schenkelhalsfraktur mit Pseudarthrose hinzu
und dies Ereignis bringt die Kontraktur zum Schwinden. — Früher war
die Mechanik dieser Kontrakturen des Oberschenkels bei Osteomalazie strittig,
besonders hat man wiederholt eine zentrale Einwirkung auf die Muskulatur
dafür herangezogen. Auf Grund seiner Studien schließt 0. jetzt eine solche
Ursache mit Bestimmtheit aus. Steyerthal-Kleinen:
Was nennen wir Skrofulöse.
(Prof. Dr. Theod. Escherich. Wiener klin. Wochenschr., Nr. 7, 1909.)
Unter obigem Titel veröffentlicht E. einen Vortrag, den er in der
k. k. Gesellschaft der Ärzte in Wien im Februar er. gehalten, und in dem
er sich in eingehender Weise vor lallem über das Wesen der Skrofulöse
(äußert. Wenn man früher diese für eine, wenn auch nur in sehr einge¬
schränktem Maße selbständige und von der Tuberkulose verschiedene Er¬
krankung hielt, so wurde diese Ansicht widerlegt, als man durch die Ver¬
wendung der Tuberkulindiagnostik in die Lage gesetzt wurde, in allen
bisher für rein skrofulös gehaltenen Fällen das Bestehen latent¬
tuberkulöser Herde nachzuweisen, so daß, nach Esch., die Skrofu¬
löse jetzt nichts anderes als ein Teil der infantilen Tuberkulose
ist und wenigstens ätiologisch im Begriff der letzteren auf gehen
tnuß. Aber da es von vornherein unmöglich ist, von einem einheitlichen
Bilde der Kindertuberkulose zu sprechen und auch wenn die Annahme zu¬
trifft, daß es sich bei der Skrofulöse stets um tuberkulös infizierte Kinder
handelt, bleiben diesem Krankheitsbilde doch so viel eigenartige Züge, daß
man es ohne Schwierigkeit aus anderen Formen der Kindertuberkulose her¬
auszufinden vermag, so daß auch kein Grund vorliegt, den altgewohnten
Namen der Skrofulöse aufzugeben, zumal ja für diese auch ganz bestimmte
therapeutische Indikationen vorliegen.
Als diejenigen Erscheinungen, die im klinischen Bild als charakte¬
ristisch, in gewissem Sinne als pathognomonisch für die Skrofulöse bezeichnet
werden müssen, nennt E. vor allem die Drüsen sch wellungen des Hal¬
ses und die chronisch entzündlichen Prozesse des Knochensystems: den Tu¬
mor albus und die osteomyeli tischen, zur Fistelbildung führen¬
den Herde, jedoch der histologische Befund wie der Nachweis der Tuberkel
haben gezeigt, daß es sich bei diesen 2 Gruppen tatsächlich um lokale Tuber¬
kulose, um bazilläre Krankheitsherde handelt, die mit den bei nicht skro¬
fulösen Kindern und bei Erwachsenen auftretenden ätiologisch und klinisch
identisch bleibt. Es bleibt als dritte und für diese Krankheit charakteristische
Gruppe von Symptomen, die auf der Haut und den Schleimhäuten
auf tretenden entzündlichen Veränderungen, vor allem der ersten
Kindheit, die E. unter dem Namen der skrofulösen Ober flächenver¬
änder ungen oder der Skrofulide zusammenfaßt: die Plyktänen, die chron.
Blepharitis, die Rhinitis, die verdickte Oberlippe, die gewissen Ekzeme usw.,
die in ihrem wechselnden klinischen Bilde und der charakteristischen Nei¬
gung zu Rezidiven einen höchst eigenartigen Symptomenkomplex darstellen,
wie er bei keiner anderen Krankheit vorkommt und daher mit Recht als
charakteristisch und bis zu einem gewissen Grade als pathognamonisch für
die Skrofulöse bezeichnet werden kann, wie dies auch schon alle früheren
guten Beobachter getan haben.
Referate und Besprechungen.
775
Was nun das Wesen und die Eigenart dieser Krankheitsprozesse
an langt, so ist schon früher darauf hingewiesen, daß in den skrofulösen
Oberflächenerkrankungen sowohl Tuberkulosebazillen als Riesenzellen vermißt
werden und daß es sich dabei um nicht spezifische, entzündliche Vorgänge in
den oberen Gewebsschichten handelt, wie sie durch die Einwirkung eines von
außen eindringenden, chemisch reizenden Giftstoffes hervorgebracht werden.
Die Intensität und die lange Dauer der entzündlichen Vorgänge, insbesondere
aber die häufige Wiederkehr derselben an den gleichen Körperstellen setzt
eine Vulnerabilität und Widerstandslosigkeit dieser Gewebe, eine
individuelle örtliche Disposition voraus, ein Verhalten, das namentlich
die älteren Autoren zur Abnahme einer angeborenen skrofulöslein An¬
lage geführt hat, die auch von neueren Autoren geteilt und durch verschiedene
Hypothesen (angeborene Widerstandslosigkeit der Zellen, abnorme Weite der
Lymphgefäße, veränderter Chemismus der Körpersäfte) gestützt wird. Jedoch
ist, nach E., die Annahme eines angeborenen skrofulösen Zustandes schon
aus dem Grunde unzulässig, weil die skrofulösen Symptome erst gegen Ende
des ersten Lebensjahres in Erscheinung treten und weil alsdann regelmäßig
schon eine positive Reaktion auf Tuberkulin, also eine tuberkulöse Infektion,
vorhanden ist, die bekanntlich beim Neugeborenen und während der ersten
Lebensmonate fehlt. Diese Infektion hat auch bereits zu einer Einwirkung
auf den gesamten Organismus und zu einer Umstimmung desselben geführt,
die sich in der Reaktion gegenüber kleinsten Dosen des spezifischen Toxins
zu erkennen gibt. So ergab sich, daß mit skrofulösen Erscheinungen be¬
haftete Kinder eine Überempfindlichkeit gegen das Alttuberkulin
Koch aufweisen, wie sie bei keiner anderen Form der Tuberkulose vorkommt,
die sich auch schon zeigt in einer bei Skrofulöse stark ausgezeigten örtlichen
Reaktion an der Applikations- resp. Einstichstelle, wo die Rötung und ins¬
besondere die Infiltration einen ganz ungewöhnlich hohen Grad und Umfang
erreicht. In allen Fällen zeigte sich, daß geringste Mengen von TuberkuJo-
toxin auf der Haut Skrofulöser eine ungewöhnlich intensive Reaktion hervor-
rufen, die erheblich stärker ist als die sonst bei latenter Tuberkulose beobach¬
tete, so daß man, nach E., die lokale Überempfindlichkeit der Integu¬
mente gegenüber Tuberkulotoxin als eine allgemeine Eigenschaft
der skrofulösen Kinder betrachten kann. Erwähnung verdient auch,
daß E. durch Tuberkulin-Injektionen auch eine, wie er selbst schreibt, „über¬
raschende“ Abheilung der skrofulösen Oberflächenkatarrhe erzielte, allerdings
keine dauernde Besserung, denn einige Wochen nach Aussetzen der Injektionen
pflegten die Skrofulide sich wieder einzustellen.
Was die Frage anlangt nach den Reizen, die durch ihre Einwirkung
auf die Integumente die reaktiven Entzündungserscheinungen
her vor rufen, so zeigt die klinische Erfahrung ja, daß Insbesondere die
unter ungünstigen hygienischen Verhältnissen einwirkenden chemischen Reize
und mechanischen Läsionen imstande sind, die skrofulösen Katarrhe hervor¬
zurufen, jedenfalls aber sie wesentlich zu verschlimmern. Aber oft, speziell
für die im Auge, einem so wohlgeschützten Organe, auftretenden Krankheits¬
erscheinungen, fehlt oft jeder Anhaltspunkt für einen von außen einwirkenden
Reiz, so daß man gezwungen ist, nach im Organismus selbst gelegenen
Ursachen zu suchen. Erinnert man sich der früher erwähnten spezifischen
Überempfindlichkeit der Integumente gegenüber dem Tuberkulotoxin, so kann
man wohl annehmen, daß es bei Kindern, in deren Säften dies Toxin zirkuliert,
auf hämatogenem Wege zur Bildung örtlicher Krankheitsherde in der
Haut und den Schleimhäuten kommen kann. Es ist aber noch ein anderer
Weg möglich: nämlich die Ausscheidung des Toxins mit den drüsigen
Sekreten und der entzündlichen Exsudation auf die Haut und die
Schleimhäute. Auf diesem Wege würde das Gift, auch wenn es in kleinsten,
nicht nachweisbaren Mengen ausgeschieden wird, in einer der örtlichen Appli¬
kation entsprechenden Weise zur Wirkung gelangen. Wenn es auch bis
jetzt noch nicht gelungen ist, den Nachweis des spezifischen Toxins in den
Sekreten zu erbringen, so glaubt E. trotzdem zu der bestimmten Erkenntnis
776
Referate und Besprechungen.
gekommen zu sein, daß die skrofulösen Oberflächenkatarrhe tuber-
kulo toxische Erscheinungen sind, wenn er auch keineswegs leugnet,
daß nicht schon vor Ausbruch der skrofulösen Symptome eine besondere,
auch klinisch bemerkbare Anomalie des Organismus vorhanden sei, die von
altersher als lymphatischer Habitus bezeichnet wird und die einen wesent¬
lichen und bestimmenden Einfluß auf das typische Krankheitsbild der Skrofu¬
löse, vor allem auf deren klinischen Verlauf, nehme.
Zum Schluß faßt E. die in dem längeren Aufsatze entwickelten An¬
schauungen über die Entstehung der Skrofulöse zu folgenden kurzen Leit¬
sätzen zusammen :
Schon vor dem Auftreten der ersten skrofulösen Erscheinungen zeigen
die Kinder die Merkmale der unter dem Namen des Status lymphaticus be¬
kannten Konstitutionsanomalie, die auch während der ganzen Krankheits¬
dauer nachweisbar bleiben.
Die Infektion mit Tuberkelbazillen führt zur Bildung eines äußerlich
zumeist nicht erkennbaren, abgekapselten tuberkulösen Krankheitsherdes.
Als weitere Folge entwickelt sich der Allergische Zustand, der bei
diesen Kindern zu einer besonderen Vulnerabilität und Überempfindlichkeit
der Integumente gegen äußere Schädlichkeiten, insbesondere gegen kleinste
Mengen von Tuberkulotoxin führt, die vielleicht in den Sekreten enthalten sind.
Als Folge derselben entwickeln sich die skrofulösen Oberflächenkatarrhe,
Skrofulide, welche das pathologische Merkmal der Skrofulöse darstellen.
Erst später kommt es auf lympho- oder hämatogenem Wege zur Ent¬
stehung metastatischer bazillärer Herde und damit zum Bilde der lokali¬
sierten oder generalisierten Tuberkulose.
Als Skrofulöse im modernen Sinne des Wortes wäre also nur die auf
dem Boden der lymphatischen Konstitution entstandene und durch die Neigung
zu Oberflächenkatarrhen charakterisierte Form der infantilen Tuberkulose
zu bezeichnen. Werner Wolff (Leipzig).
Absolute und relative Indikation zur Alkoholanwendung bei einigen
nervösen Zuständen.
(H. Röder. Med. Klinik, Nr. 45, 1908.)
Röder faßt seine beherzigenswerten Betrachtungen in Schlußsätzen,
die nur teilweise im folgenden wiedergegeben werden können, zusammen. Der
arzeneilichen Anwendung des Alkoholes steht sein allgemeiner Gebrauch als
Genußmittel entgegen. Absolute Indikationen zu seiner Anwendung kommen
bei unseren wirtschaftlichen Zuständen sehr selten und immer nur zeitlich
engbegrenzt vor. Relative Indikationen sind weit seltener als sie den tat¬
sächlich getroffenen Verordnungen entsprechen, Welche weder die Summ!©
der neueren Alkoholforschungen berücksichtigen noch den Umstand, daß die
Verbreitung des Alkohols als Genußmittel die Menschen (durch Gewöhnungs¬
und Vererbungsschäden) dermaßen ungleichmäßig beeinflußt hat, daß im
gegebenen Fall niemals die körperliche und seelische Wirkung einer be¬
stimmten Alkoholgabe vorausgesehen werden kann. Die Anwendung des
Alkohols ist meistens ein Zurückweichen vor einer jahrtausendelang nicht
genügend bekämpften Volksmeinung, gegen welche anzukämpfen der einzelne
Arzt, zumal im Beginne seiner Tätigkeit, wirtschaftlich zu schwach ist,
weshalb die Alkoholsitten (besser -Unsitten, Ref.), in denen die Quelle der
Alkoholschäden zu suchen ist, nur durch die ärztlichen Verbände, Kliniken usw.
wirksam bekämpft werden können. Zu dem Zwecke sind weiter Alkohol¬
unterricht und Examenszwang sowohl für Mediziner als auch für Verwaltungs¬
beamte und Erzieher allgemein, zu fördern. Den heute feststehenden Tat¬
sachen gegenüber ist es der medizinischen Praxis unwürdig, daß bei der Ver¬
ordnung von Alkohol immer noch Begriffe wie Stärkung, Erwärmung, kultu¬
relles Bedürfnis eine Rolle spielen. R. Stüve (Osnabrück).
Referate und Besprechungen.
777
Allgemeines.
Die kalten Füße unserer Schüler.
St an, ge -Leipzig fand, daß die Schüler nach der Frei Viertels Linde,
während, der sie auf dem mit festgetretenem Schnee und Eis bedeckten Schul¬
hofe spazieren gingen, über kalte Füße klagten. Da nun stundenlanges
Sitzen mit kalten Füßen zu mehr oder minder schweren Gesundheitsstörungen
führen kann, so empfiehlt er, die Schüler während der kalten Jahreszeit
in den Pausen nicht mehr auf den Schulhof zu lassen.
Demgegenüber schlägt Sieger t vor, durch eine andere Stundeneintei¬
lung dafüi zu sorgen, daß der Schulhof nicht von allen Klassen gleichzeitig
benutzt werden muß, so daß die Kinder nicht im langsamen Schritt spazieren
gehen müssen, sondern sich frei tummeln können. Nach der Pause sollen
im Sitzen etwa 2 Minuten lang die Füße kräftig gebeugt, gestreckt und
gekreist werden.
Außerdem sollen Pantoffeln zum Wechseln der Fußbekleidung vorrätig
gehalten, trockene Strümpfe von den Schülern mitgebracht werden. Esch.
Zur Behandlung des Schweißfußes in der Armee.
(Schminck u. Schädel. Deutsche militärärztl. Zeitschr., Nr. 23, 1908.)
Den Anforderungen, die man an ein auf wissenschaftlicher Grundlage
hergestelltes Schweißfußmittel stellen muß, entspricht vollkommen das Borsyl.
Es enthält als Hauptbestandteil Borsäure, außerdem als feine pulverisierte
Schutzkörper Walrat und Äthal. Borsyl ist reinlich in seiner Anwendung,
einfach und nicht giftig. Die Fußlappen und Strümpfe der Leute werden
morgens vor dem Marsche stark eingepudert. Ein Waschen der Füße am
Abend vorher ist zweckmäßig, aber nicht unbedingt nötig. Ausgedehnte Ver¬
suche zeigten, daß Borsyl in der Tat ein durchaus rationelles Schweißfu߬
mittel ohne jede schädlichen Nebenwirkungen ist. W. Guttmann.
Die zunehmende Entvölkerung Frankreichs und die Antikonzeptionsliga.
(L. Jullien. Bull, med., Nr. 10, S. 111—117, 1909.)
Die großen, vielgerühmten Fortschritte der Naturwissenschaften haben
auch ihre Schattenseiten. Man verlor die respektvolle Scheu vor dem Wunder
des Organismus und erkühnte sich, ihm in das Handwerk zu pfuschen. Die
Polypragmasie in der Therapie schadete schließlich nicht viel; die vis vitalis
wird zum Glück nicht bloß mit Mikrobien, sondern auch mit — wie Lan-
douzy einmal sagte — mit den medecins-traitants und den medecins-guerisseurs
fertig. Aber man hat einen anderen Punkt erspäht, an welchem sich die
physiologischen Vorgänge nachhaltig beeinflussen lassen: die Vorgänge bei
der Zeugung.
Es ist geradezu eine geistige Epidemie, welche derzeit unser schönes
Nachbarland durchseucht, nämlich das Bestreben, keine Kinder zu bekommen,
und der Geburtenrückgang, der sich seit ca. 20 Jahren statistisch verfolgen
läßt, demonstriert den Gang, die Entwicklung dieser Epidemie mit erschrecken¬
der Deutlichkeit, Schon läßt sich der Zeitpunkt absehen, an dem die Wehr¬
kraft Frankreichs so herabgesetzt ist, daß es in kriegerischen Verwicklungen
unterliegen muß, und damit taucht naturnotwendig das Ende dieses Staaten¬
gebildes am Horizonte auf. Kein Wunder, daß da alle gutgesinnten Bürger
Alarm schlagen; auch Jullien gehört dazu und wähnt, mit rücksichtsloser
Bekämpfung der offenen und versteckten Reklame für antikonzeptionelle
Mittel und der beinahe gewerbsmäßig betriebenen Aborte, mit Erleichterung
und Unterstützung der schwangeren und entbundenen Frauen, durch Gründung
von Elternvereinen, in denen die heranwachsende Jugend in der Richtung*
auf die joies magnifiques qu’une famille grandissante peut seule procurer
erzogen wird, usw. das Verhängnis aufhalten zu können. Eitler Wahn!
Hätte Jullien die Schriften seines großen Landsmannes Gustave Le Bon
gelesen, dann wäre er auf Sätze gestoßen wie: ,,Un egoisme sans borne
778
Referate und Besprechungen.
se developpe partout.- L’individu finit par d’avoir plus cl’autre preoccupation
que lui-meme. Les consciences capitulent, la moralite generale s’ahaisse et
graduellement s’eteint. — Une visible decadence menace serieusement la vitalite
de la plupart des grandes nations europeennes .... La satisfaction de besoins
materiels toujours Croissants tend a devenir leur unique ideal. La famille
se dissocie. les ressorts sociaux se detendent. — Changer tout cela serait une
lourde tache.“ (Lois psychologiques de Involution des peuples. 8e edit. 1907,
S. 165—168.)
Und schon 150 Jahre vor ihm schrieb einer der scharfsinnigsten Köpfe,
welcher die Geschichte kennt, Montesquieu, in seinem Esprit des lois (1748)
über den Rückgang der Bevölkerung: ,,Le mal presque incurable est lorsque
la depopulation vient de longue main, par un vice interieur .... Les kommes
y ont peri par une maladie insensible et habituelle“ (Livre XXIII, Chap.
XXVIII). Wir stehen da vor einem erschütternden Drama größten Stils;
allein die moderne Vorstellung von Wissenschaftlichkeit, welche alles Heil
nur von spezialistischer Forschung und Mikro-Studien erwartet, hindert viele,
das Drama in seinem ganzen Umfange zu erkennen. Die wenigen aber, die
dessen fähig sind, wissen, daß gegen das Altern und das schließliche Er¬
löschen bei den Völkern so wenig zu machen ist wie beim Einzelwesen. In¬
dessen mögen auch die Individuen und die Kationen wechseln: den Faden des
Geistes, der Ideen spinnt Klotho unentwegt durch die Jahrtausende und
schneidet Atropos erst mit dem letzten denkenden Geschöpfe endgültig ab.
Buttersack (Berlin).
Die Behandlung der Trunksucht.
(L. W. Weber. Deutsche med. Wochenschr., H. 18, S. 26, 1908.)
Das wichtigste ist zunächst die Prophylaxe. Sie kann sich bei drei
Gruppen von Individuen erfolgreich betätigen: bei Jugendlichen, hei endogen
Veranlagten und bei den durch exogene Schädlichkeiten Prädisponierten.
Alkoholika haben niemals eine kräftigende Wirkung auf den heranwachsenden
Organismus. Abstinenz macht niemals alkoholintolerant. Die heranwachsende
Generation soll lernen, daß Alkohol kein erstrebenswerter Genuß ist.
Die Behandlung der Trunksucht hat zwei Aufgaben zu erfüllen:
1. Der Kranke muß zur freiwilligen Abstinenz erzogen werden.
2. Die durch die chronische Alkoholvergiftung entstandenen körperlichen
und psychischen Veränderungen müssen behandelt und möglichst geheilt werden.
Die Behandlung muß in einer geeigneten Anstalt stattfinden, in welcher
eine so genaue Aufsicht stattfindet, daß jeder Alkoholgenuß verhindert wer¬
den kann. Die zur Erleichterung der Entziehung empfohlene Atropin-
Strychnindarreiehung ist bei der Anstaltsbehandlung unnötig. Aber auch
außerhalb der Anstalt ist sie wirkungslos. Das gleiche gilt für die sog.
Verekelungskuren und die Suggestiv- oder Hypnosebehandlung. Die Ver¬
abfolgung von narkotischen Mitteln zum Ersatz für Alkoholika ist auch zu
widerraten. Arzte und Anstaltspfleger müssen abstinent sein. Zur Gewöhnung
an die Abstinenz ist eine 1 — l1/2jährige Anstaltsbehandlung erforderlich.
Für frühere Trunksüchtige gibt es keinen mäßigen Genuß. Jeder
Tropfen ist hier vom Übel.
Der Beitritt zu einem der Abstinenzvereine ist dringend zu empfehlen.
Koenig (Dalldorf).
Aus der amerikanischen periodischen medizinischen Literatur.
März 1909.
The american journal of the medical scienes. März.
1. Die diätetische Behandlung des Diabetes. Von Dr. Theodore
C. Janeivay, attending physician am St. Lucas- und am City-Hosiptal,
New -York. Wie wir bei Tuberkulose am meisten Aussicht haben, Erfolge
zu erzielen, wenn die Krankheit so früh wie möglich diagnostiziert und in
Behandlung genommen wird, so bei Diabetes, wenn wir möglichst früh mit
Referate und Besprechungen.
779
der (diätetischen) Behandlung beginnen. Dabei handelt es sich natürlich
um Klassifikation der Fälle je nach ihrer Toleranz für Kohlehydrate (Naunyn,
v. Noorden). In diesem Sinne gibt J. Diätzettel 1. für strikte Diät, 2. mit
beschränktem. Proteingehalt, 3. allgemeine Diät, 4. für milde Fälle, 5. für
grüne Tage und eine Tabelle der Äquivalente.
2. Herzgefahren in großen Höhen. Von Dr. J. N. Hall, Prof,
der .Medizin, Denver, Colorado. Eine Warnung für Herzkranke, besonders
solche mit Myokarditis, Dilatation und Klappenfehlern, ferner Arteriosklero-
tiker vor großen Höhen. Mitteilung eigener Beobachtungen.
3. Thrombose der Vena cava inferior. Von Dr. E. R. Stillmann
und Dr. H. W. Carey, New -York. Mitteilung zweier seltener Fälle, deren
einer akut und wahrscheinlich Folge einer Influenza war, während bei dem
anderen die Diagnose durch die Kollateralzirkulation ermöglicht wurde. Ab¬
bildung dieses in der Front und auf der rechten Seite des Abdomens. Be¬
trachtung der Umstände, unter denen Thrombosen überhaupt Zustandekommen
und der Symptome.
4. Vollkommene Aurikulo ventrikulär - Trennung (auriculo-
ventricular dissociation) ohjne synkopale ode;r epileptif orme An¬
fälle. Von Dr. George Bachmann, resident physiologist am Jefferson
med. College hosp., Philadelphia. Die früheste Beobachtung einer solchen
(Herzblock), die B. in der Literatur finden konnte, datiert von Mayo (1838):
,, zeitweise konnten zwei unvollkommene Ventrikelaktionen gehört werden
zwischen zwei stärkeren, die allein von einem Puls am Handgelenk be¬
gleitet waren“. Die nächste Beobachtung stammt von Stokes (1846). Der
Mayo’sche Kranke litt an Schwindel und epileptiformen Anfällen (Puls 21
bis 34), der Stokes’sche an apoplektiformen ohne nachfolgende Paralyse
(Puls 28 — 40). Dann kam 1879 Blondeau, 1885 Chauveau und 1899 His
mit seinem ,, Herzblock“. Huchard nannte den Symptomenkomplex Adams-
Stokes’sche Krankheit zu Ehren der beiden Dubliner Ärzte, die er für die
ersten Beschreiber hielt. Die Krankheit ist nicht häufig, obgleich vielleicht
systematische Untersuchung eines jeden Falles von Pulsverlangsamung mittels
graphischer oder radioskopischer Methoden ihr öfteres Vorkommen nachweisen
würde. Mitteilung eines Spezialfalls und klinische Studie über den Gegen¬
stand, mit zahlreichen Pulskurven. Im ganzen hat B. von Morgagni an
177 Fälle von Adams-Stokes’scher Krankheit gesammelt, von denen 87 evi¬
dente Aurikulo ventrikulär -Trennung waren. Bis Kranke, eine 45 jährige Frau,
wurde mit Strophantus, Atropin und Jodnatrium behandelt.
5. Die Entstehung der Neuleder- und trockenen Reibegeräusche
.(„new leather“ and ,,dry frictio;n sounds“) bei der Auskultation.
Von Dr. med. et phil. Henry Sewall, Prof, der physiolog. Med. am Denver
and Gross med. College, Denver, jColorado. Als Beleg dafür, wie unsicher
oft die Deutung der auskultatorischen Zeichen ist und manches in sie nur
hineininterpretiert wird, teilt S. einen Fall von linksseitigem Pneumothorax
mit, in welchem deutlich Neuledergeräusch und trockenes Reiben (dry pleural
friction rub) gehört wurde, während die Lunge, wie die Sektion zeigte,
auf Faustgroße zusammengesunken und drei Zoll von der Thoraxwand entfernt
war. S. meint, daß die Geräusche in der Thoraxwand durch Aneinanderreiben
ihrer Elemente entstanden sein müssen.
6. Habituelle oder rekurrioren,de Dislokation der Schulter
nach vorn (anterior dislocation). Von Dr. T. Turner Thomas, Phila¬
delphia. (Fortsetzung der gleichnamigen Studie aus dem Februar - lieft.
II. Die Behandlung.) Apparate, gewöhnlich aus Leder, verhüten nicht immer
Rezidive, Th. ’s Patient bekam solche, trotz Verhaltungsmaßregeln, während
er einen Apparat trug. Von Massage, Elektrizität und aktiven und passiven
Bewegungen ist nicht viel zu erwarten. Bleibt nur die Operation (Capsulor-
rhaj)hie, Verkürzung der Kapsel — shortening the capsule). Beschreibung
dieser im Anschluß an einen persönlichen Fall (23 jähriger Athlet) mit Ab¬
bildungen. S. meint, dem Zustande sollte mehr Aufmerksamkeit zugewendet
werden als bisher, besonders im Hinblick auf das Fehlen einer Statistik über
7-0
Referate und Besprechungen.
die Häufigkeit seines Vorkommens und die guten Resultate der Operation.
Die Hauptursache sei eine Erschlaffung der Kapsel, hervorgerufen dadurch,
daß sich eine neue Karbe über die Ränder des alten, durch die erste Dislo¬
kation veranlaßten Risses in der vorderen Portion der Kapsel legt.
7. Eine röntgenographische Peristaltikstudie: Die Beziehung
der Wellenform zu funktioneller Aktivität la R öntgenographic study
cd peristalsis the relation of wave form to functional activity ). ^ on Dr.
Charles Lester Leonard. Philadelphia. Neuere Fortschritte in der Her¬
stellung der Apparate und der Technik haben es ermöglicht. Augenblicks-Rönt-
g nogiamme vom Magen und Darm aufzunehmen, die einige der verschiedenen
Formen der Peristaltik unter normalen und pathologischen Verhältnissen des
Magens zeigen und gewisse Schlüsse in bezug auf die Differenzierung stheni-
scher und asthenischer Zustände desselben ermöglichen. Sie zeigen, daß eine
konstante Beziehung besteht zwischen der Form und der Amplitude der peri¬
staltischen Welle und dem Betrag der zu leistenden Arbeit, daß He Wellen¬
amplitude variiert mit dem Charakter der eingeführten Nahrung, der Position
des Patienten und dem Betrag des Mageninhalts. Die Variationen in den
sthenischen und asthenischen Formen der Gastrektasie sind so bestimmt,
daß danach eine Gastrektasie aus Muskelschwäche von einer solchen wegen
Pylorusstenose, eine organische von einer spasmodischen unterschieden werden
kaun. 12 R öntgenogramme ( Expositionsdauer Vs — 1 Minute», auf genommen
unmittelbar nach der Ingestion und in verschiedenen Intervallen, illustrieren
das Gesagte. Die eingeführte Nahrung bestand in Wismut in Wasser. Kurniß,
Brot und Milch oder Reispudding.
8. Darmsand, die Banane eine seiner Quellen. Von Dr. Jesse
S. Meyer, lec-turer in medicine. Washington-Universität und Dr. Jerome
E. Cook. St. Louis. Missouri. Über das Vorkommen von Darmsand herrscht
sowohl in bezug auf die Symptomatologie als auch auf die Nomenklatur und
Beschreibung in der Literatur noch ein Chaos. M. und C. beschreiben einen
Fall von wirklichem Sand im Stuhl und gehen die Literatur durch. Die bei
Lntersuchung des Falles <24 jährige Frau» ausgesprochene Vermutung des
Dr. Wm Rush, daß der Sand vegetabilischen Ursprungs sei und wahr¬
scheinlich von einer Banane herrühre, bestätigte sich. Da sich die Be¬
schreibungen in der Literatur vielfach mit diesem Fall decken, so hat es sich
wahrscheinlich häufig um einen ähnlichen Ursprung gehandelt.
9. Allgemeine und spezifische Resistenz gegen tuberkulöse
Infektion. Von Dr. Karl von Ruck. Asheviile. North Carolina. Primi¬
tive Völker der Infektion mit Tuberkulose ausgesetzt, weisen eine enorme
Sterblichkeit auf. andere, die seit langer Zeit infiziert sind, infolge der An¬
passung und des Überlebens der Tüchtigsten, eine verhältnismäßig geringere.
Bei diesen nimmt die Krankheit mehr den chronischen Charakter an. Daraus
folgt, daß sich bei letzteren spezifische Schutzeinrichtungen gegen den Tuber¬
kulose-Bazillus und seine Toxine entwickelt haben müssen.
10. Eine klinische Studie über den Effekt der Tuberkulin¬
behandlung auf die Serumagglutination der Tuberkelbazillen.
1 on Dr. Hugh M. Kinghorn und Dr. C. Twichell, Saranac lake, New-
York. »Aus dem Saranac-Laboratorium des Dr. E. L. Trude au, Direktor.;
^ erf. kommen zu dem Schluß.- daß sich ihnen die Agglutinationsjjrobe als
nicht wertvoll zur Kontrolle der Tuberkulinbehandlung bei Lungentuber¬
kulose erwiesen hat. Das einzige Mittel, solche Fälle richtig zu leiten, ist,
sie nach jeder Dose Tuberkulin genau zu beobachten und auf das geringste
Zeichen einer Reaktion zu achten, mit anderen Worten die klinische Be¬
obachtung.
11. DerV ert der Röntgenstrahlen-L ntersuc-hung bei der Diagnose
der Lungentuberkulose, besonders in Beziehung auf frühe Tuber¬
kulose. ^ on Dr. Paul Krause, Prof, der Medizin und Direktor der med.
Poliklinik in Jena (Deutschland;. Vortrag, gehalten auf dem internationalen
Tuberkulose-Kongreß in Washington, September-Oktober 1908. Bespricht zu¬
nächst kurz die Technik der X-Strahlenuntersuchung bei Lungenkrankheiten
Referate und Besprechungen.
781
und sodann, was dies bei der Frühtuberkulose a.) der Erwachsenen, b) der
Kinder und Jugendlichen leistet.
12. Die Behandlung der tinea tonsurans. Von Dr. R. L. Sutton,
1. Assistent für Dermatologie am University medical College, Kansas city,
Missouri. Empfiehlt nach Tierversuchen und klinischen Beobachtungen in
5 Fällen, von denen einer sehr schwer war, zunächst die zuerst von Schiff
und Freund (Wien. med. Woc-henschr. 1897, S. 856) angegebene Depilation
durch X-Strahlen vor der Applikation von Antiseptizis. und sodann als
pestdepilatorisches Mittel Einreibung einer Jod-Gänsefett-Mischung (Gänse¬
fett dringt am besten in die Haut), worauf 1 2 Stunde später die Einreibung
eine: 2 igen hydrarg. c-hlorat. (mercuric- ehlorirle- Gänsefettsalbe folgt. Es
bildet sich Quecksilber jodid). Doch dürfen beispielsweise bei einem lOjähr.
Kinde nicht mehr als 30 — 35 qcm auf diese Weise bedeckt werden.
The St. Paul medical journal 1909, Xr. 3, März.
1. Die medizinische Geschichte von Edgar Allan Poe. Von
Dr. Charl es Greenl C'umston. Boston. C’. gelangt zu dem Schluß, daß
P. ein ausgezeichnetes Beispiel für den durch ein polymorphes Delirium
charakterisierten Wahnsinn Degenerierter unter dem schon erblichen Einfluß
von Alkohol von Degeneration und Dipsonsanie ist. Die Studie erinnert an
die Möbius'schen Pathographien über Rob. Schumann und Scheffel, so¬
wie die medizinische Geschichte von Fr. Reuter.
2.. Genossenschaftliche ärztliche Verteidigung — ihr gegen¬
wärtiger Stand. Von Dr. Frederick Leavitt. St. Paul. Die vor 23 Jahren
als eine besondere Form der Gesellschaftsorganisation von England unter dem
Xamen British medical defense league ausgegangene genossenschaftliche ärzt¬
liche Verteidigung < co-operative medical defense» — eine Versicherung der
Mitglieder gegen Klagen wegen ungesetzlicher Handlungen (suits for mal-
practice* — umfaßt in Amerika gegenwärtig 10 Staaten — Vereine und
3 große Bezirksgesellschaften (county societies». Die Aufbringung der Kosten
ist verschieden: in Xew-York werden sie aus dem Fonds der Gesellschaft
gezahlt, an anderen Orten zahlt jedes Mitglied einen Beitrag von 10 Cents
tPenns. state med. society» bis 2 Dollar. Die Leistungen bestehen in der
Gewährung legalen Rats in Prozessen ,.for malpractice". In Chicago wird
zu diesem Zweck für 5 Dollar jährlich eine Anwaltsfirma angenommen.
3. Die Behandlung des Gesichts- und Hals-iXacken- Kre bses.
Von Dr. E. S. Judd. junior surgeon am St. Mary s Hospital in Roc-hester.
Minn. ,.Ein Umriß der befriedigendsten Methoden der Behandlung des Krebses
an Gesicht. Hals und Xacken, basiert auf Pathologie. Ausdehnung, lymphati¬
scher Invasion und Metastase."
4. Wird in der Erziehung unserer Medizin-Studierenden der
ärztlichen Ethik genügend Rechnung getragen? Von Dr. Andrew
Henderson, Seanlon. Minn. Vortrag vor der Minnesota-Akademie der Medizin
am 6. Juni 1909. Redner fordert obligatorische Kurse über Jurisprudenz und
ärztliche Ethik an der L niversität und den Medizinschulen, ohne deren Ab¬
solvierung keiner zur Praxis zugelassen werden sollte.
Der Herausgeber = (redaktionelle) Teil (editorial) dieser Xummer des
St. P. journal beschäftigt sich noch einmal mit der Frage, ob Poes Dip¬
somanie erblich war. wie Cum s ton (s. oben Xr. 1) argumentiert, oder nicht
vielmehr akquiriert und kommt ebenfalls noch einmal auf die ,, co-operative
medical defense against mal-practise suits" zurück. Wir gestehen, daß wir
uns aus den Artikeln nicht völlig klar darüber werden konnten, ob es sich
hier nur um eine Versicherung gegen, bezw. einen Schutz in Klagen wegen
Kunstfehler oder allgemein gegen gerichtliche Klagen handelt.
The Post-Graduate 1909, Xr. 3, März.
1. Amaurotische Familien-Idiotie. Von Dr. Edward Davis.
Prof, der Augenkrankheiten. Xew-York und Dr. Edward L. Oatman. Chirurg.
Die Krankheit ist selten, bis heute sind ungefähr 100 Fälle gezählt. Die
Beobachtung eines grauweißen Schleiers um die kirschrote macula durch
Warren Tay 1881 führte zur Entdeckung. T. hielt den Zustand noch für
782
Bücherschau.
lokal, erst Sachs (Nefw-York) erkannte 1887 den allgemeinen Charakter,
von ihm stammt auch der Name der Krankheit. Die Symptome sind nach
Sachs : 1. während der ersten wenigen Lebensmonate intellektuelle Ver¬
schlechterung,. die zu absoluter Idiotie führt. 2. Paresen oder Paralysen.
3. Pehlen oder Steigerung der Reflexe. 4. Verschlechterung des Sehens,
schließlich absolute Blindheit (Veränderungen in der Makula, Optikusatrophie.
5. Marasmus, Exitus. 6. Erkrankung mehrerer Glieder einer Familie. 7. Ge¬
sundheit von der Geburt bis zum 3. oder 5. Monat. — Einen hierher gehörigen
Fall teilt Davis mit Bemerkungen über die Ätiologie und Differential¬
diagnose mit, während Oatman die histologische Untersuchung eine^ 9 Stunden
nach dem Tode entfernten Auges beschreibt.
2. Ein Fall von chronischer Poly cy thaemia splenomegalica.
Von Dr. Arthur C. Chace, Adjunkt-Professor d. Medizin, New-York. Die
Aufmerksamkeit auf chronische Zyanose mit Polycythämie lenkte zuerst 1892
H. Vaquez in den compt. rend. de la soc. de biologie, Paris, Mai 7, 1892.
Seitdem sprach man von einer Vaquez-Krankheit. Elf Jahre später berichtete
Osler in dem americ. journ. of the med. scienc. August 1903 über 9 Fälle,
davon 4 eigene, und zählte im folgenden Jahr 17 zusammen. In den folgenden
5 Jahren sind ungefähr 40 Fälle beschrieben worden. Einen hierher gehörigen
Fall mit Angabe der neueren Literatur beschreibt jetzt Chace.
3. Die Technik der supr apubischen Prostatektomie. Von Dr.
Willy Meyer, Prof, der Chirurgie, New-York. Früher als andere Chirurgen
hat T r e nde le n bu r g - Bonn (jetzt, Leipzig), dessen Assistent W. Meyer seiner¬
zeit war, bei den verschiedensten Blasenkrankheiten mit Erfolg die supra-
pubische Methode geübt, zu der sich jetzt auch M. bekennt, nachdem er die
Bottini-Operation und verschiedene andere perineale Technizismen ausprobiert
hat. Beschreibung seiner Methode, für die er zwar keine Originalität oder
Spezialität beansprucht, von der er aber hofft, daß sie sich Freunde er¬
werben wird. Der Kranke liegt in 30° Trendelenburg-Position. An der
rechten Seite des Kranken stehend, enukleiert M. nach Eröffnung der Blase
mit dem 2. und 3. linken Finger die Prostata gewöhnlich in 15 — 20 Minuten.
4. Biologie , das Grundprinzip in der Kinderernährung. Von
Dr. Henry Dwight Chapin, Prof, der Med. (Kinderkrankheiten). New-York.
5. Glasdrainageröhren in der Prostatachirurgie. Von Dr. Pollen
Cabot, Prof, der venerischen und Urogenitalkrankheiten, New-York. Emp¬
fehlung von Glasdrainageröhren statt solcher von Gummi, die C. nicht befriedigt
haben, wie sie Tiemann & Co., New-York für C. hersteilen (eine doppel¬
läufige, rechtwinklig gebogene Glastube).
6. Die Sorge für das (Kind. Von Dr. E. G. Whinna, ärztlicher
Schulinspektor, Philadelphia. Im Vordergrund steht die Sorge für das Kind
von dem Augenblick an, wo es zuerst das Elternhaus verläßt und die Schule
betritt und vor Ansteckung geschützt werden muß. Peltzer.
Bücherschau.
Das Problem des Lebens. In kritischer Bearbeitung von Generalarzt
Prof. Dr. Berthold Kern. Berlin, August Hirschwald, 1909. 592 S.
Im „Zeitalter der Häufung der Tatsachen“, wie O. Rosenbach die auch jetzt
noch nicht abgeschlossene Epoche unserer medizinischen Entwicklung treffend
nannte, erachtete man es bis vor kurzem noch für einen des Naturforschers allein
würdigen Standpunkt, jede Frage nach dem „Warum?“ zu perhorreszieren. Gerade
aber ein so eminent kritisch veranlagter Geist, wie es dieser uns zu früh entrissene
Forscher war, hatte demgegenüber in den Hinweisen darauf sich garnicht genugtun
können, daß die bloße Beschreibung nur ein Zweig oder eine Methode, aber nicht
das Wesen der Wissenschaft ist und daß das Wort Bacons: „desideratur nimirum
philosophia naturalis vera et activa scientia, cui medicina inaedificetur“ auch noch
heute gilt.
Und in der Tat kann bei dem so umfangreichen Material von isolierten
Bücherschau.
783
Beobachtungen und Beschreibungen das Ziel der naturwissenschaftlichen und ebenso
der speziell medizinischen Forschung nicht darin gesehen werden, noch einige mehr
oder weniger auffallende Tatsachen zu sammeln, sondern wieder einmal feste
Grundlagen für ihre Ordnung zu schaffen. Was uns fehlte, war die Verknüpfung
der mehr als reichlich vorhandenen Beobachtungen zu neuen, umfassenden und
darum gesicherten Urteilen über den Zusammenhang der Geschehnisse. Nur aus
der kritischen Sichtung des Materials erwächst für den jetzigen und den späteren
Forscher die Möglichkeit, allen Beobachtungen gegenüber einen festen Standpunkt
zu gewinnen, um nicht, wie das heute fortwährend geschieht, von neuen Tatsachen
aufs äußerste verblüfft zu werden und haltlos jede neue Feststellung zur Grundlage
einer neuen Theorie oder gar eines neuen — natürlich mehr oder weniger wissen¬
schaftlich verbrämten — Dogmas zu machen.
Wer aber diese Voraussetzungen gelten läßt, wird von den Arbeiten B. Kerns
— und durch jedes neue Werk dieses als Arzt nicht minder als Philosoph bedeutenden
Mannes in immer erhöhtem Maße — befriedigt werden, selbst wenn er sich, wie
das seitens des Bef. der Fall ist, Einzelheiten gegenüber die Freiheit seiner
individuellen wissenschaftlichen Überzeugung wahrt. Denn gerade durch die Werke
Kerns zieht sich wie ein roter Faden die Tendenz zur Verknüpfung der bei ihrer
Zahl und Mannigfaltigkeit geradezu verwirrenden Details durch ein geistiges Band.
Immer wieder bricht durch die bei aller Leidenschaftslosigkeit und Objektivität
doch mit großer Wärme vorgetragene und darum auch den Leser überzeugende
Gewiß heit hervor, daß dieFehde, in der Philosophie und Natur Wissenschaft
im abgelaufenen Jahrhundert miteinander lagen, mit dem entgiiltigen
Bunde beiderWissenschaften endigen muß: „nicht allerdings im Kähmen
einer .überlebten Naturphilosophie, sondern als lebensfrischer Bund
zwischen reiner Naturwissenschaft und reiner Philosophie. Dieser
Bund allein kann der naturwissenschaftlichen Forschung ihr Selbst¬
vertrauenwahren, ihre Wege sichern, sie vor Mystik und Dogma schützen
und unser Geistesleben auf eigene, sich selbst die Ziele steckende
Füße stellen. Er trägt die Herrschaft über die Welt der Erkenntnis
und über die Ziele des Lebens in sich.“
Unendlich groß ist die Zahl der Fragen, die wir nicht lediglich auf der
Basis des Experiments und der Einzelbeobachtung, sondern nur durch die Anwendung
philosophischer Methoden und Wahrheiten auf die Naturwissenschaften zu lösen
vermögen, wenn wir uns nicht auf Irrwege begeben wollen.
Wenn wir von den Grundbegriffen ausgehen: was ist Stoff und was ist
Kraft? Wie verhält sich die Masse als raumerfüllende Substanz zur Materie als
reine Kombination und Verschmelzung von Bewegungsvorgängen? In welchen
Beziehungen stehen die Begriffe Energie, Kraft und Arbeit zu einander? Ist die
Kraft lediglich ein psychologisches Denkgebilde subjektiver Logik oder ein physischer,
d. h. reiner Maß- und Rechnungsbegriff? Ist die Kraft etwas Mystisches, hinter
der wir uns anthropomorphisch einen Träger der Kraft hinzuzudenken haben oder
nicht vielmehr ein bloßer Beziehungsbegriff: die Feststellung der mathematischen
Funktion von Masse und Bewegung, das Maß für die Größe der Energiewirkung?
Ist die Energie als Begriff allen Vorgängen, einschließlich der mechanischen Arbeit
übergeordnet, oder ist sie, wie das vielfach angenommen zu werden scheint, einfach
dem Arbeitsvorrat gleichzusetzen? Oder ist sie gar die „Ursache“ der Bewegung,
der Arbeit? Und was ist wieder Ursache? Ist die Ursache ein Vorgang, welcher
auf ein Geschehen ursächlich einwirkt oder im substantiellen Sinne eine Kraft?
Wodurch unterscheidet sich die anorganische von der organischen Natur?
In welchen Beziehungen steht die organische Zweckmäßigkeit zur zielstrebigen
Entwicklung? Sind die Entwicklungsvorgänge als passiv oder aktiv aufzufassen?
Sind sie aus äußeren Einwirkungen oder aus inneren Ursachen zu erklären? Und
bei letzterer Annahme wieder: sind sie kausal bedingt oder müssen sie teleologisch
gedeutet werden? Haben wir eine Erklärung dafür, daß das Keimplasma die
Bedingungen bewahrt und überträgt, die die gesamte Entwicklung des Stammes
und der Art beherrschen?
Existieren wirklich bei der höchsten irdischen Organisation, der menschlichen,
die scheinbaren Elemente unseres Geisteslebens: Empfindung, Gefühl, Wille? Oder
ist dem passiven Beeinflußtsein das aktive Denken, der gegebenen Organisation des
menschlichen Geistes die in der Erfahrung erworbene Organisation unseres Denkens,
der erschaffenen Anlage die stammesgeschichtliche Entwicklung, den fatalistisch
angeborenen die phylogenetisch angeeigneten Fähigkeiten, der durch menschliches
Denken getrübten die vom Objekt bestimmte und deshalb für menschliches und
übermenschliches Denken gültige Erkenntnis und dann uneingeschränkter Wahrheit
gegenüberzustellen ?
784
Bücherschau.
Für unsere heutige Zeit ist die endgültige Lösung aller dieser Fragen nicht
möglich, will inan sich auf das G ebietlediglich auf Grund „intuitiver Erkenntnis“ basierter
Spekulation begeben. Deshalb sieht sich auch der in seinen Urteilen und Schlüssen
äußerst vorsichtig urteilende Autor, wo er diesen kein unumstößliches Tatsachen¬
material zugrunde legen kann, veranlasst, eine exakte Lösung vielfach der Zukunft
zu überlassen. In solchen Fällen ist schon die Markierung der Grenzlinien, an denen
die Spekulation den realen Boden verlassen würde, von hohem Wert. Und in
diesem Sinne gerade ist es eines der großen Verdienste Kerns, allerlei Irrwege
für das Fortschreiten der biologischen Wissenschaft prinzipiell ausgeschaltet und
der exakten Forschung allerlei Steine des Anstoßes (richtiger sperrende Felsblöcke)
aus dem Wege geräumt zu haben. Aber recht groß ist demgegenüber doch die
Zahl der Fragen, für die der Verf. in einer einfachen und alle Phrasen und Schlag¬
worte ängstlich vermeidenden Darstellung in seiner schönen und edlen Sprache
die Lösung bis zum Ende sucht. Deren Charakterisierung in kurzen Worten und
ohne hinlängliche Wiedergabe ihrer Begründung könnte den wahrhaft hohen Genuß
an der Lektüre nur beeinträchtigen; zu dieser zu ermuntern, soll aber der ver¬
nehmlichste Zweck dieser dem bedeutsamen Werke gewidmeten Zeilen sein. Daß
immerhin subjektive Momente bei der Behandlung dieser bis zum Grunde alles
Seins reichenden Probleme nicht auszuschalten sind, bedarf weiterer Ausführung
nicht. Und daß für manchen, der sich diese Fragen gleichfalls vorgelegt hat, die
Lösung, wie schon oben angedeutet, nicht in allen Punkten mit der von seiten des
geschätzten Autors gegebenen übereinstimmen kann, darf nicht Wunder nehmen.
Aber Kern beabsichtigt ja auch in der weisen Zurückhaltung und Selbstbeschränkurg,
die sich nur der wahre Meister nach dem Ausspruche eines der führenden Geister
unserer Nation auferlegt, nichts als eine kritische Sichtung aller Resultate die
die wissenschaftliche Forschung nach dem Problem des Lebens auf ihrem gegen¬
wärtigen Stande ergeben hat. Er selbst gibt zu, daß manche eine andere Auffassung
jener Ergebnisse für richtiger halten können und dürfen. Aber eine ernste Nach¬
prüfung der für die Wahl seines individuellen Standpunktes maßgebend gewordenen
Gründe darf der kritische Denker und redliche Erforscher der Wahrheit, von jedem,
der es ernst mit seiner Wissenschaft meint, verlangen! Eschle.
Jahresbericht über die Fortschritte der inneren Medizin im In- und Auslande.
Von Schreiber u. Rigler. Bd. I: Bericht über die Jahre 1902 u. 1903.
776 S. 29,10 Mk.
Als vor annähernd 100 Jahren Cuvier sein berühmtes Werk über das Tier¬
reich in seiner Organisation herausgab, schrieb er in der Vorrede zur 2. Auflage:
„Es wird immer schwerer, alle Schriften der Naturforscher um sich zu sammeln
und die Übersicht ihrer Resultate zu vervollständigen“. Was damals nur schwer
gewesen, ist heute unmöglich geworden, so daß ein Zusammenarbeiten von vielen
notwendig wurde, um auch nur ein Teilgebiet zu bewältigen.
Die Idee Ebsteins, Jahresberichte über die innere Medizin erscheinen zu
lassen, ist von Dr. Schreiber-Magdeburg und Dr. Rigi er- Leipzig aufgenommen
und mit Unterstützung von jugendfrischen Kräften weitergeführt worden. Der erste
von Ebstein besorgte Bericht erstreckte sich auf die Erscheinungen des Jahres 1901.
Nun liegen 1902 und 1903 abgeschlossen vor, 1908 und 1904/05 sollen noch in diesem
Jahre folgen, so daß, wenn im nächsten Jahre die Berichte über 1909 und dann
über 1906/07 erschienen sind, die gesamten Fortschritte von 1901 ab leicht über¬
sehbar vorliegen. Besprochen sind die Konstitutionskrankheiten von Bendix-
Köln, Blut, Nieren und Harnorgane von Friedeberg- Magdeburg, Gewaltein¬
wirkungen (Berg- Caisonkrankheit, Elektrizität, Hitzschlag, Sonnenstich), sowie
Krebs von Sch reib er- Magdeburg, Bewegungsorgane von M enzer- Halle, Respira¬
tionsapparat von Uff enor de- Göttingen, Schreiber und Beyer, Zirkulations¬
organe von Mein ertz-Rostock, Verdauungsorgane von Schlüter-Magdeburg.
Die Nerven- und Infektionskrankheiten, stehen noch aus; sie sollen im 2. Bande,
Herbst 1909, erscheinen. Aber auch so ist die Ausbeute noch groß genug, und
wenngleich die Darbietung äußerst bequem und mundgerecht ist, so überkommt
einen doch ein gelinder Schrecken beim Gedanken, daß man eigentlich von all
diesem mühsam Erarbeiteten wenigstens gehört haben sollte.
Die Jahresberichte werden zweifellos zu dem unentbehrlichen wissenschaft¬
lichen Rüstzeug unserer Aera gehören. Buttersack (Berlin).
Schriftleitung: Dr. Rigler in Leipzig.
Druck von Emil Herr mann senior in Leipzig.
I
27. Jahrgang.
1909.
fomcbritte der Medizin.
Unter Mitwirkung hervorragender Fachmänner
herausgegeben von
Professor Dr. 0. Köster Prio. Doz. Dr. o. griegern
in Leipzig. in Leipzig.
Schriftleitung : Dr. Rigler in Leipzig.
Nr. 21.
Erscheint am 10., 20., 30. jeden Monats. Preis halbjährlich
6 Mark, in kl. Zeitschrift für Yersicherungsmedizin 8 Mark.
Verlag von Georg Thieme, Leipzig.
30. Juli.
Originalarbeiten und Sammelberichte.
Aus der Universitäts-Kinder-Klinik Leipzig. Direktor: Geheimrat Prof. Dr. Soltmann.
Spasmophilie und Ernährung im frühen Kindesalter.
Von Dr. Hans Eisei.
Die Neigung der jungen Kinder und Säuglinge zu Konvulsionen
ist bekannt. Dieses Krankheitssymptom hat durch seine Natur stets
die Aufmerksamkeit des Laien auf sich gezogen. So sind auch vom
Arzt stets therapeutische Maßnahmen gefordert worden, und daher reicht
die Lehre von den Krämpfen im Kindesalter schon einige Zeit zurück.
Neuerdings ist man, zum Teil im Gegensatz zu den älteren Anschau¬
ungen, zu der Einsicht gekommen, daß die Mehrzahl aller Krämpfe des
jugendlichen Alters funktioneller Natur sind und nur ein Symptom
der Spasmophilie oder der spasmophilen Diathese. Unter Spasmophilie,
diese zusammenfassende Benennung wird nur als die heute gebräuch¬
lichste gewählt, ist dann jener Symptomenkomplex zu verstehen,
welcher eklamp tische Erscheinungen, tonische Krampf znstände und
Laryngospasmen in sich vereinigt. Er macht sich am Kranken meist
durch das Ch vostek’sche, das Eacialisphänomen, als Ausdruck der
gesteigerten mechanischen Erregbarkeit des Nerven und das Trous-
se au' sehe Phänomen des Auftretens einer Pfötchenstellung der Hand
bei Druck auf den Sulcus bicipitalis geltend. Sein charakteristisches,
gemeinsames und die Zusammengehörigkeit aller dieser verschiedenen
Sjunptome zu einem Krankheitsbild beweisende Zeichen ist aber die
gesteigerte elektrische Erregbarkeit des peripheren Nervensystems, das
Erb’ sehe Phänomen. Für ihr Zusammengehören spricht aber auch,
daß jederzeit aus einer sogenannten latenten Tetanie eine manifeste
hervorgehen kann, und daß dort, wo zunächst nur die elektrische Er¬
regbarkeit gesteigert war, eklamptische Znstände oder Laryngospas-
. men hinzutreten können. So werden heute die früher getrennten Krank¬
heitsbilder der Eklampsie, der infantilen Tetanie und des Laryngo-
spasmus in dem Symptomenkomplex der Spasmophilie zusammengefaßt,
wobei allerdings nicht behauptet wird, daß nicht auch, besonders im
I. Lehen squartal, Krampf znstände anderer Genese im Säuglingsalter
beobachtet werden.
Das maßgebende für die Diagnose Spasmophilie sind also die
Werte der elektrischen Erregbarkeit. Nach T hie mich und Mann
50
786
Hans Risel,
liegen sie bei Kindern nach der achten Woche normaler Weise für den
Medianus,
für die KSZ ASZ AÖZ KÖZ
bei 1,4 2,2 3,6 8,2 Milliampere,
werden dagegen bei der Spasmophilie für alle Zuckungen wesentlich
höher, also 0,7 1,1 0,9 2,2.
Das charakteristische und pathognomonische ist dabei das Auftreten
der KÖZ bei Werten, die unter 5 Milliampere liegen. Auch Werte
für die AÖZ unter 5 Milliampere müssen wohl als pathologisch an¬
gesehen werden. — Indem man nun systematisch kei kleinen Kindern
die elektrische Erregbarkeit prüfte, fand man, daß sie nach dem I. Quar¬
tal in ganz weitem Maße von der Ernährungsweise abhängig ist. Die
folgenden Erörterungen gründen sich auf die Nachprüfung der Ver¬
hältnisse., wie sie besonders von Finkeistein klargelegt wurden. Es
wurden zu diesem Zwecke fortlaufend täglich untersucht die elektrische
Erregbarkeit, auf Chvost ek’sches und Trousseau’sches Phänomen und
die Zahl der laryngospastischen Anfälle unter verschiedenen Ernäh¬
rungsperioden bei 38 Kindern klinischen Materials. Der Wert der
therapeutischen Maßnahmen konnte an 62 Kindern der Poliklinik in
allerdings weniger exakter, aber zeitlich möglichst ausgedehnter Be¬
obachtung beurteilt werden. Ergänzt werden diese Erfahrungen durch
eine große Zahl Einzeluntersuchungen.
Als erstes hat sich nach dem I. Quartal nun ergeben : Die ge¬
steigerte elektrische Erregbarkeit ist ein ganz außerordentlich häufiges
Sj^mptom, aber nur bei Flaschenkindern, während sie geradezu eine
Seltenheit bei Brustkindern ist. Nach Einkelstein zeigt sie sich
bei 55,7 °/0 aller Flaschenkinder, bei natürlich genährten Kindern aber
nur in 2°/0. Ich sah bei einer großen Reihe untersuchter nur
ein einziges allein an der Brust genährtes Kind mit pathologischen
elektrischen Werten und Laryngospasmen. Dieses war in seiner Er¬
nährungsfunktion schwer geschädigt. Dieser Unterschied der natür¬
lichen und der künstlichen Ernährung macht sich aber auch bei den
Kindern geltend, welche an manifesten Symptomen der Spasmophilie
erkrankt sind, und zwar in der Weise, daß dort, wo bei einer Er¬
nährung mit Kuhmilch klonische, tonische Krämpfe oder Laryngo¬
spasmen bestehen, diese auf Erauenmilchernährung mehr oder weniger
prompt verschwinden. Wie weit bei diesem Antagonismus, in dem natür¬
liche und künstliche Ernährung, respektive Frauenmilch und Tiermilch
stehen, der Umstand mitspielt, daß wir Kinder, die an der Brust
genährt werden, ja nur sehr selten in einem auch nur annähernd so
schlechten Gesundheitszustand sehen, wie wir es beim Flaschenkind
ganz gewohnt sind, ist noch nicht aufgeklärt.
Für die künstliche Ernährung hat sich ergeben, daß überhaupt
jede Art derselben zum Vortreten der Symptome der Spasmophilie
beitragen kann. Relativ selten werden schwere Formen echter Spas¬
mophilie bei Kindern beobachtet, die einseitig mit Kohlehydraten, also ,
vor allem Mehlabkochungen ernährt werden. Einen ganz einseitigen
Einfluß macht aber auf ihr Manifestwerden die Kuhmilch geltend.
Besonders deutlich tritt dies gerade hervor bei den Fällen mit Laryngo¬
spasmen. In ihrer Ernährungsanamnese findet man in einem hohen
Prozentsatz, daß entweder Vollmilch schon in sehr jugendlichem Alter,
im oder gleich nach Vollendung des ersten Quartals, gefüttert wird,
oder daß bei Kindern um die Wende des ersten Lebensjahres eine
Spasmophilie und Ernährung im frühen Kindesalter. 787
dauernde ausschließliche Milchernährung statthat, in einzelnen Fällen
mit ganz unsinnig hohen Gaben, die das zulässige Maß von 1 Liter
weit übersteigen. Diese Erfahrung wird durch das Experiment bestätigt.
Man kann bei manchen jungen Kindern, die frei von Spasmophilie sind
und deren Anamnese keine dahingehenden Anhaltspunkte bietet, die
Symptome der Erkrankung durch große Milchgaben, d. h. 1 — 11/2 Liter
pro die hervorrufen. Noch klarer als hei diesen meist rhaehitischen
und der Spasmophilie doch von vornherein verdächtigen Kindern macht
sich aber der Einfluß der Milchernährung dort geltend, wo schon das
eine pathologische Symptom, die gesteigerte elektrische Erregbarkeit,
besteht. Hier genügen häufig schon 1/2 Liter um zunächst nicht vor¬
handenes Ch vostek’sches und Trousseau’sches Phänomen und Laryngo-
spasmen von heute auf morgen wachzurufen. Diese Abhängigkeit der
genannten Erscheinungen von der Kuhmilchernährung tritt aber auch
klar zutage durch ihr gänzliches Schwinden beim Aussetzen der Milch.
Daher ist das sicherste Mittel, Krämpfe im Kindesalter zu unterdrücken,
ein Fortlassen jeglicher Nahrung unter alleiniger Deckung der Wasser¬
verluste', durch Tee auf 24 Stunden. Schließt sich hieran eine mehr¬
tägige Ernährung mit Mehlabkochungen und Breien, so bleibt in der
größeren Zahl der Fälle der Zustand so lange, normal, als die milch-
fr eie Diät fortgesetzt wird. Das in Bede stehende Abhängigkeitsver-
hältnis ist so groß, daß das Schwinden auch der bedrohlichsten Sym¬
ptome nach 24 Stunden ganz vollendet sein kann, daß aber sofort
innerhalb 1 — 2 Stunden die Symptome hei vorher erkranktem Kinde
wieder aufgetreten sein können, nachdem statt der milchfreien Kost,
hei welcher tagelang normale Verhältnisse bestanden hatten, 100 ccm
oder wenig mehr Milch verfüttert wurden. Wie Kuhmilch wirkt Ziegen¬
milch und auch Eselsmilch.
Das Wieder auf treten der Erscheinungen ist sicherer und vor allem
innerhalb kürzerer Zeit zu erwarten als das Schwinden. Bei der Bück-
kehr folgen sich: gesteigerte elektrische Erregbarkeit, Chvostek’sches
und Trousseau’sches Phänomen, und schließlich die Laryngospasmen.
Eklamptische Zustände treten meist erst nach alle diesen auf. Etwa
gerade umgekehrt ist die Beihenfolge beim Bückgang der Erkrankung,
so daß also die bedrohlichen Symptome zuerst verschwinden oder doch
schon abklingen, während die harmloseren noch vorhanden sind oder
wohl auch ganz bestehen bleiben können. Aus der längeren Nach¬
wirkung der Schädigung ist es verständlich, daß die Kurve der elek¬
trischen Werte innerhalb 24 Stunden auf ziemlich gleicher Höhe sich
bewegt, ohne daß, wie man voraussetzen könnte, die vierstündigen
Pausen am Tag und die achtstündige in der Nacht zwischen den
Mahlzeiten sich mit Einsenkungen als Ausdruck eines Bückgangs der
Erregbarkeit geltend machten. Eine jedesmalige Steigerung durch die
einzelne sonst immer gleiche Nahrungszufuhr zu erwarten, liegt noch
näher, doch habe ich sie bisher in meinen Kurven über 24 Stunden
nicht einwandsfrei beobachten können.
Wegen der großen Empfindlichkeit einzelner an Spasmophilie er-
erkrankten Kinder bedarf die Milchfütterung an solche großer Sorg¬
falt. Es ist eine gesicherte Tatsache, daß unter den gewöhnlichen
Pflegebedingungen viele Kinder allein durch unvorsichtige Milchgaben
getötet werden. Die Kinder kommen meist im laryngospastischem An¬
fall zum Exitus. Viele der plötzlichen Todesfälle im Säuglingsalter
fallen mithin neben dem großen Kontingent der reinen Ernährungs-
50*
788
Hans Eisei,
Störungen durch Vermittelung der Spasmophilie auch noch der Er¬
nährungsweise zur Last.
Nun ist natürlicherweise die Frage aufgeworfen worden, welcher
Bestandteil der Kuhmilch denn diese eigentümliche Wirkung haben
möchte. Man hat deshalb die Milch in ihre Komponenten zerlegt,
Kasein und Fett von den Molken getrennt, und diese Bestandteile ge¬
sondert verfüttert. Für das Fütterungsresultat ist es gleichgültig,
ob diese Zerlegung der Milch durch Lab- oder Säurefällung statlfindet.
Es hat sich ergeben, daß Kasein und Fett getrennt oder zusammen
verabreicht in bezug auf die Spasmophilie vollkommen indifferente
Nahrungsbestandteile der Milch sind, daß dagegen der Molke roh und
gekocht alle jene gefährlichen Eigenschaften zukommen wie der Milch
als ganzes. Woran diese nun in der Molke gebunden sind, ist bisher
noch ungeklärt. Ein neuer Anhaltspunkt dafür konnte auch in meinen
Versuchen bisher nicht erbracht werden. Denn verfüttert man weiter
die Molkekomponenten, Milchzucker, einzelne Milchzalze oder durch
H. N., Nr. 1858/08.
Milliampere 0 12./12. 14./12. 16./12. 18./12. 20./12. 22./12. 24./12. 26./12. 28./12. 30./12.
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I
Spasmophilie und Ernährung im frühen Kindesalter. 789
Abdampfen der Molken gewonnene Salze als ganzes, so erhält man
wohl hier und da einen Ausschlag, besonders der elektrischen Werte
ms -Pathologische hei Verfütterung von Salzen, ' aber nie ist bisher
jemals ein so klarer eindeutiger Einfluß und die Rückkehr des ganzen
feymptomenkomplexes gesehen worden, wie das bei den Molken oder
der Milch so auffällig ist.
... Von dem gesagten gibt es Ausnahmen, doch sind diese nicht
häutig. Unter meinen Beobachtungen befinden sich Fälle, wo auch
bei Ernährung mit Frauenmilch, Kasein-Fett, Mehlsuppe die krankhaften
Erscheinungen wieder auftraten. Doch geschah das nicht in der stür¬
mischen Weise wie bei den Molken, sondern erst nach einigen Tagen
normalen Zustandes kehrten langsam die alten Symptome zurück. Nie¬
mals habe ich aber das Ausbleiben des pathologischen auf Molke-
i • * i ^ . in den Fällen, deren individuelle Reaktionsfähig¬
keit vorher sicher gestellt war. ö
H. N., ]Nr. 1858/09. Fortsetzung der vorigen Seite.
13’E 16’;i- 20.il. 22. /I. 24. /l. 26./1. 28. /I. 30/1.
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*) Kasein-Fett wurde mit Labessenz ausgefällt, mit Wasser gewaschen, durchgesiebt und mit Wasser bis zur früheren Milchmenge
auf geschwemmt.
**) Zur Herstellung der Suppe werden die statt Wassers nötige Menge Kuhmilch-Labmolken verwendet.
792 Hans Risel, Spasmophilie und Ernährung im frühen Kindesalter.
Zu r weiteren Erläuterung der Verhältnisse diene eins der Ver¬
such sprotokolle, In den übrigen Fällen wurde in ähnlicher, systemati¬
scher Weise vorgegangen. Die elektrischen Werte sind mit Normal¬
elektroden am Medianus festgestellt, zuerst die Werte für die Kathode
dann die der Anode. Die Laryngospasmen wurden von Untersuchung zu
Untersuchung gezählt.
Herbert N., Nr. 1858/08, U/2 Jahr alt, wird am 12. Dezember 1908 wegen
Stimmritzenkrampfes eingeliefert. Dieser soll schon längere Zeit bestehen, doch
erst innerhalb der letzten Woche vor der Einlieferung bedrohlichen Charakter
angenommen haben. In letzter Zeit war das Kind mit täglich einem Liter Vollmilch
ernährt worden und hatte daneben nur etwas Zwieback bekommen. Uber den Ver¬
lauf des ersten Jahres kann die Ziehmutter nur aussagen, daß längere Zeit hindurch
Ernährungsstörungen bestanden haben.
Aufnahmebefund: Mäßig kräftiges, etwas blasses und pastöses Kind, mäßige
Statik, sitzt eben, läuft nicht. Rachitis der Knochen des Kopfes, des Thorax und
der Extremitäten. Mund und Rachenschleimhaut ohne Veränderung, Respirations¬
und Zirkulationssystem frei von krankhaften Erscheinungen, leichte Drüsen¬
schwellungen in allen Gebieten. Abdomen groß, aufgetrieben und gespannt, mäßige
Leber- und Milzvergrößerung. Reflexe etwas lebhaft.
Den übrigen Befund und den hier wesentlichen Verlauf ergibt Tabelle I.
In Tabelle II ist der Reaktionsverlauf auf 200 ccm Molkenfütterung am 30. Januar
1909 wiedergegeben.
Tabelle II.
Tageskurve: H. N., Nr. 1858/08, l1/2 Jahre, 30. 1. 09.
Zeit
KSZ
ASZ
AÖZ
KÖZ
Fac.
Ernährung
5 50
1,0
1,3
4,5
>5
0
nüchtern
7 •
1,3
1,5
3,0
4,5
0
6h- 200,0 Lab-Kuhmolken, 5 °/0 Rohr¬
zucker.
810
0,75
1,25
2,75
4,0
-j- anged.
95
0,6
1,3
3,5
3,8
+
93°h. 130 Kasein und Fett, Wasser,
9 55
1,0
1J
2,25
3,5
+
70 5°/0 Mehlsuppe, 5°/0 Rohr-
12°
0,8
1,2
2,25
3,5
0?
zucker.
^ 40
0,75
1,1
2,0
3,25
—
1 h- do.
245
0,6
1,1
2,0
3,5
+
3 50
0,6
1,25
2,2
4,25
+
430h. do.
7°
0,75
1,3
3,0
4,5
+
8°
0,75
1,1
2,25
4,5
+
8 h. . do.
Für die Therapie ergehen sich die Schlußfolgerungen von selbst.
Sie ist neben einer medikamentösen, Phosphorlebertran 0,01 : 100,0 zwei¬
mal 5,0 pro die und Bromchloralhyratgahen 1,0 — 2,0 pro die, in erster
Linie Sache der Ernährung. Wo schwere Laryngospasmen und eklamp-
tisehe Zustände bestehen, wird mit 5,0—10,0 Ol. Ricini abgeführt,
eine reine Wasserdiät auf 24 Stunden gegeben und dieser je nach Schwere
des Falles eine Ernährung mit 5°/0 Mehlabkochungen mit 3 — 5°/0
Zuckerzusatz auf 3 — 7 Tage angeschlossen. Der Kaloriengehalt dieser
Mehlsuppe kann eventuell mit ausgefälltem und mit Wasser ausge¬
waschenem Kasein-Fett angereichert werden. Reine Kasein-Fett- Wasser-
aufschwemmungen für mehrere Tage sind nicht zu empfehlen,
sondern es soll, so bald als nach Lage des Falles möglich erscheint,
langsam Milch zugefüttert werden. Sind dabei auch Rezidive zu be¬
fürchten, so hat auch eine länger als 8 Tage ausgedehnte Mehler-
Lorand, Der Einfluß der Blutdrüsen auf die Immunität gegen Infektionen usw. 793
nähning und besonders eine so salzarme Nahrung wie Kasein-Fett-
Wasseraufschwemmungen ihre Gefahren im Säuglingsalter. Letztere
besonders werden bedenklich durch stärkere Gewichtsverluste, subnormale
Temperaturen und unter Umständen durch Eintritt schwer reparabler
Kollapszustände.
Nichts verhütet sicherer als die natürliche Ernährung an der Brust
das Auftreten der Spasmophilie. Wo es aber zur Flaschenernährung
gekommen ist, da muß diese mit knappen Milchmengen, d. h. 3/4 Liter
bis höchstens 1 Liter Milch pro die durchgeführt werden, wenn die Ge¬
fahren des Laryngospasmus und der Eklampsie mit einiger Sicherheit
vermieden werden sollen.
Zum Schluß aber sei gesagt, daß der Ernährung, so wichtig ihr
Einfluß ist, doch nur eine auslösende Bolle bei der Erkrankung zu¬
kommt, und daß sie nur einer jener Faktoren ist, welche überhaupt
spasmophile Erscheinungen zutage treten lassen können. Die verschie¬
dene Wirkung der einzelnen Milcharten dabei ist offenbar begründet
in physikalischen und chemischen quantitativen Unterschieden, deren
Einfluß durch die individuell außerordentlich wechselnde Beaktions-
fähigkeit der Kranken hochgradig modifiziert wird. Es steht zu er¬
warten, daß durch das Studium spasmophiler Symptome bei kranken
Brustkindern und bei Verfütterung von Frauenmilch an mit Spasmophilie
erkrankte und gegen sie individuell sehr empfindliche Kinder die Klinik
dieser Erkrankung noch um manches bereichert werden wird. Weitere
solche Studien sind aber nötig, da sich bisher keine Lehre über das
Wesen der Spasmophilie allgemeine Anerkennung hat verschaffen können.
Literatur:
Finkeistein: Fortschritte der Medizin, Bd. 20, 1902.
„ Lehrbuch der Säuglingskrankheiten, Berlin 1905, Kornfeld.
Escherich: Die Tetanie des Kindes, Wien u. Leipzig, ly08, Alfred Hoelder.
Hier Literaturzusammenstellung bis Sommer 1908.
Soltmann: Gerhardßsches Handbuch der Kinderkrankheiten 1880, ältere Literatur.
Der Einfluß der Blutdrüsen auf die Immunität gegen Infektionen
und Intoxikationen.
Von Dr. Lorand, Karlsbad.
Seit unserer Geburt sind wir fortwährend den unermüdlichen An¬
griffen zahlloser Bakterien wie auch einer großen Menge von Giftstoffen
ausgesetzt, welche entweder von außen in den Körper gebracht, oder
hier selbst, $o z. B. durch die Vorgänge des Stoffwechsels, gebildet
werden. Wenn wir nun imstande sind, diesen endlosen Angriffen zu
trotzen und uns in guter Gesundheit zu erhalten, so haben wir dies
dem Umstande zu verdanken, daß wir über eine Anzahl mächtiger
Waffen zur Führung dieses Kampfes verfügen. Wir besitzen näm¬
lich eine Beihe drüsiger Organe, die uns in diesem Kampfe, in dem
es auf Leben und Tod geht, beschützen. Es sind dies die Blutdrüsen,
insbesondere die Schilddrüse — Nebenschilddrüsen, die Nebennieren,
die Geschlechtsdrüsen, wie auch Leber und Nieren.
Von allen spielt aber die Schilddrüse die wichtigste Bolle, da sie
die ausgesprochensten antitoxischen Eigenschaften besitzt, wie dies aus
den Untersuchungen einer Beihe von Forschern hervorgeht. So zeigten
Charrin und andere, daß Hunde, welchen die Schilddrüse entfernt
wurde, sehr bald allen möglichen Infektionen erlagen. Greenfield
794 Lorand,
fand, daß Personen, die an Myxödem, also an einem Zustande, wo die
Schilddrüse degeneriert, leiden, sehr häufig Tuberkulose akquirieren.
Ebenso konstatierte Pel in Amsterdam, daß die Tuberkulose sehr
häufig in den Familien myxödematöser Personen auf tritt. Möglicher¬
weise steht dies mit der von G. R. Murray erwähnten Tatsache in
Verbindung, daß die Eigenschaften der Schilddrüse, also ihr degene¬
rierter Zustand, auch in der Regel vererbt wird, was übrigens Lanz
in Amsterdam, der frühere Assistent Kocher’s auch an Tieren, z. B.
Ziegen experimentell demonstrieren konnte.
Wie ich am letzten Internationalen Kongreß für Tuberkulose in
Paris 1905 gezeigt habe, kann man die Tuberkulose auffallend häufig
in allen den Zuständen antreffen, wo die Schilddrüse krankhaft ver¬
ändert ist, oder wo sie sich in einem erschöpften Zustande befindet. So
kommt die Tuberkulose überaus häufig nach der Schwangerschaft vor,
besonders dann, wenn das Kind zu lange gesäugt wird, und ebenso
nach geschlechtlichen Exzessen. Auch tritt sie häufig nach vorher¬
gehenden Infektionskrankheiten auf, nach raschem Wachstum in der
Pubertät, nach schwerem Diabetes, sowie auch bei chronischem Alko¬
holismus. Daher können wir uns durch Agenzien, welche die Schild¬
drüse zu einer besseren Tätigkeit anregen, so durch Fleisch- und Milch¬
kost, gegen die Tuberkulose wehren.
Die Schilddrüse bewahrt uns auch gegen Gifte verschiedenen Ur¬
sprunges, so gegen die Produkte des Eiweißzerfalles, wie dies aus
den Untersuchungen von Breisacher und F. Blum hervorgeht. Blum
behauptete direkt, daß die Schilddrüse die aus dem Zerfalle des Ei¬
weißes sich im Darme bildenden Toxine entgiftet. Hierauf beziehen
sich auch die experimentellen Ergebnisse von Chalmers Watson. und
Forsyth. Galeotti und Lindemann fanden auch, daß gewisse Pro¬
dukte des Eiweißzerfalles imstande sind, die Kolloidsubstanz der Schild¬
drüse zu vermehren. Diese Substanz der Schilddrüse ist aber ihr wahres
Sekret. Als wichtiges Element enthält sie Jod, das aber, wie Oswald
nachgewiesen, an die Gegenwart von Kolloidsubstanz gebunden ist.
Eine Schilddrüse ohne Kolloid hat auch kein Jod. Wenn also die
Schilddrüse mehr Kolloid abgibt, so gibt sie auch mehr Jod ab.
Nach meinen Untersuchungen findet man auch mehr Kolloid¬
substanz in der Schilddrüse nach der Narkose mit Chloroform1-). Wir
können dies als einen Abwehrvorgang der Schilddrüse gegen das Chloro¬
form auffassen, um so mehr, da Lanz wie auch Walter Edmunds
nachgewiesen haben, daß Tiere, deren Schilddrüse exstirpiert ist, der
Narkose nur schlecht widerstehen. Wie gegen das Chloroform scheint
aber die Schilddrüse uns auch gegen andere Gifte, z. B. den Alkohol
zu schützen. Hierauf bezieht sich die interessante und von Möbius
hervorgehobene Tatsache, daß manche Frauen, die an der Basedo w’schen
Krankheit leiden, einen dem Alkoholrausche ganz ähnlichen Zustand
zeigen, ohne einen Tropfen Alkohol getrunken zu haben. Nun ist
aber die Basedow'sche Krankheit ein Zustand der Ubertätigkeit der
Schilddrüse.
Der Umstand, daß Patienten, die von Basedo w’scher Krankheit
befallen sind, sowie auch Diabetiker, bei denen nach meinen Unter¬
suchungen die Schilddrüse sehr häufig verändert ist, die Narkose nicht
9 C. R, S. Biologie 25. April 1906.
Der Einfluß der Blutdrüsen auf die Immunität gegen Infektionen usw. 795
gut vertragen, mag damit in engem Zusammenhang stehen. Sehr inter¬
essant ist es, daß wie Schur und Wiesel nachgewiesen, die Narkose
auch an den Nebennieren Veränderungen und erhöhte Sekretion her¬
vorruft.
Vor einigen Jahren wurde von Hunt gezeigt, daß die Schild¬
drüse uns gegen Gifte, wie das Aoetonitril, beschützt. Er zeigte auch,
daß das Jod durch die Schilddrüse wirke. Garnier wies nach, daß
gewisse chemische Produkte, z. B. Jod, große Änderungen an der Schild¬
drüse hervorrufen, zuerst Übertätigkeit und dann Erschöpfung mit
Pehlen von Kolloid.
Nicht nur gegen chemische Gifte, sondern auch gegen die bak¬
teriellen Toxine kann uns die Schilddrüse beschützen, was auch aus
den Untersuchungen einer Beihe von Forschern hervorgeht, die fanden,
daß sich die Schilddrüse hei Infektionskrankheiten in einem Zustande
der Ubertätigkeit befindet, die später in einen Erschöpfungszustand
übergehen kann.
Von diesen Forschern erwähne ich besonders Hoger und Gar¬
nier, Grispino, Torri Bayon in Würzburg, de Quervain in Freiburg.
Hoger und Garnier zeigten an vielen Autopsien, wie auch Tier¬
experimenten, daß bei fieberhaften infektiösen Krankheiten die Schild¬
drüse eine bedeutende Ubertätigkeit mit einer manchmal gewaltigen
Vergrößerung der Follikel aufweist, welche mit einer großen Menge
von Kolloidsubstanz derart überfüllt sind, daß diese sogar in die um¬
gebenden Lymphräume austreten kann. Auf diese Ubertätigkeit der
Schilddrüse kann aber ihre Erschöpfung folgen, so daß nach einer ge¬
wissen Dauer eines hohen Fiebers man in den Follikeln überhaupt
gar kein Kolloid mehr antreffen kann. Es ist daher ganz logisch,
wenn wir annehmen, daß einem solchen pathologisch-anatomischen Be¬
fund, welcher auf eine Ubertätigkeit der Schilddrüse hindeutet, auch
das klinische Bild einer Übertätigkeit dieser Drüse entsprechen muß.
Dieses muß aber notwendigerweise ähnlich sein dem Bilde, welches
wir in dem Zustande der Ubertätigkeit der Schilddrüse y.a% s<zo%ijv,
nämlich in der Basedow’schen Krankheit vorfinden.
Das typische Symptom einer allgemeinen Infektion ist das Fieber.
Ohne jede Fieberbewegung besteht schwerlich oder nur sehr selten eine
allgemeine Infektionskrankheit. Eine lokale Infektion kann ohne Fieber
besteben, wenn aber diese sich ausbreitet und allgemein wird, so rafft
sich der Körper zu einer energischen Abwehr auf und erzeugt so das
Fieber. Daß beim Entstehen desselben aber die Schilddrüse die Haupt¬
rolle spielen mag, geht aus der Tatsache hervor, daß das Fieber wohl
bei allen schweren Infektionskrankheiten mit allgemeinen Erscheinungen
die typischen Symptome einer Übertätigkeit der Schilddrüse aufweist,
so wie wir dies auch in der Basedow’schen Krankheit finden. In
beiden Zuständen haben wir als typisches Hauptsymptom die Tachy-
kardie, eine Vermehrung des Pulses; ohne diese kann man eine wahre'
Basedow’sche Krankheit nicht diagnostizieren. Es besteht in den
meisten Fällen dieser Erkrankung ein Hitzegefühl, und die Hitze kann
sogar in manchen Fällen als Hyperpyrexie hohe Grade erreichen, ja
sogar Todesfälle sind bei einigen solchen Basedow’schen Kranken be¬
obachtet worden. Der Durst, ein häufiges Fiebersymptom, kann eben¬
falls bei beiden auftreten. So hat Albert Kocher 14 Fälle von Poly-
dipsie in 59 Fällen verzeichnet. Ähnliches kann auch künstlich durch
Schilddrüsengaben erzeugt werden, wie Lanz, Georgiewski und
796 Lorand,
andere gefunden haben. Nach einer gewissen Dauer des Fiebers können
auch andere Symptome einer erhöhten Tätigkeit der Schilddrüse sich
einstellen, so reichliches Schwitzen — auch ein typisches Basedow -
Symptom, das ebenfalls künstlich durch Verabreichung von Schilddrüsen¬
auszügen erzeugt werden kann.
Alle diese Symptome sind der Ausdruck einer Selbsthilfe der
Natur. Sie werden erzeugt, damit unser Körper mit ihrer Hilfe giftige
Produkte ausscheiden kann. Wenn dies erfüllt ist, so pflegt ein iU>
fallen der Temperatur und damit eine Besserung des Fieberzustandes
auf zu treten.
Ähnlich wirkt auch die Diarrhöe, die wir in manchen Infektions¬
krankheiten, so bei Typhus, Trypanosomiasis usw. vorfinden, und welche
auch ein typisches Symptom der Basedow’schen Krankheit darstellt.
Hierher gehört ferner die Polyurie, ebenfalls ein Basedow Symptom,
welches nach dem Auf hören des Fiebers auf treten kann und giftige
Stoffe aus dem Körper befördert. Um diese Analogie zu vervollkomm¬
nen, möchte ich noch den toxischen Eiweißzerfall, das Sinken des Körper¬
gewichtes, große Muskelschwäche und die vermehrte Ausscheidung von
Harnstoff und Harnsäure anführen, welche man alle bei beiden Krank¬
heitszuständen als typische Symptome an treffen kann. Ebenso ist die
Schlaflosigkeit im Fieber ein typisches Symptom des Basedow und
kann auch durch Schilddrüsengaben erzeugt werden.
Wie bei der Basedow’schen Krankheit besteht auch beim Fieber
eine Erhöhung der Oxydationsvorgänge. Ebenso kommen Glykosurie
und Azetonurie bei beiden Zuständen häufig vor. Hiermit mag auch
das Auftreten einer spontanen Glykosurie oder selbst eines Diabetes
nach einer vorhergehenden Infektionskrankheit Zusammenhängen. Der
infolge der Ubertätigkeit der Schilddrüse bei Infektionskrankheiten
entstandene Diabetes kann aber im Gegensatz zu anderen Diabetesfälien
nach einer gewissen Zeitdauer durch die darauf folgende Erschlaffung
der Schilddrüse wieder verschwinden, es wird dann zu einem myxöde-
matösen Zustande kommen, in dem aber die Glykosurie äußerst selten
vorkommt und die wenigen publizierten Fälle betreffen keinen echten
Fall von Myxödem.
Sowohl im Fieber als bei der Basedow’schen Krankheit sind die
Stoffwechselprozesse erhöht. Infolge der Erschöpfung der Schilddrüse
kann es daher zu einer Verminderung derselben kommen, und häufig
kann man nach einer ausgeheilten Infektionskrankheit eine Fettsucht
auftreten sehen, welche ich, wie schon gesagt, als endogene Fettsucht
bezeichnete und den Veränderungen der Schilddrüse zuschrieb.
Das Delirium sowie maniakalische Exaltationszustände in den
Fällen hohen Fiebers sind Analoga zu den Exaltationszuständen, welche
man manchmal bei B ased ow kranken beobachtet. Daß bei solchen
ein dem Alkoholrausche ähnlicher Zustand auftreten kann, haben wir
schon oben erwähnt.
Als weitere Begleiterscheinungen sowohl des Eiebers als der Base¬
dow’schen Krankheit sind die Hautausschläge zu betrachten, die im
allgemeinen durch die Ausscheidungen von giftigen Produkten durch die
Haut hervorgerufen werden.
Tonsillitis ist ebenfalls eine häufige Erscheinung sowohl im Eieber
wie auch beim Basedow. Ich konnte sie auch an mir selbst experi¬
mentell durch Gaben von Schilddrüsenpräparaten oder von Jod er¬
zeugen. Möglicherweise hängt dieses Phänomen mit den für wahr-
Der Einfluß der Blutdrüsen auf die Immunität gegen Infektionen usw. 797
scheinlich anzunehmenden antitoxischen Eigenschaften der Tonsillen zu¬
sammen.
Alle diese angeführten Fiebersymptome können wir als den Aus¬
druck eines Heilbestrebens unseres Körpers ansehen, welcher durch ihre
Vermittlung sich giftiger Produkte entledigen will. Die Infektionen
im allgemeinen wirken auf die Schilddrüse ein, und sie wieder er¬
zeugt durch ihre Ubertätigkeit Symptome ähnlich denen, die wir bei
der Basedow’ sehen Krankheit beobachten können. Daß man diese
Symptome insbesondere das reichliche Schwitzen, die Diarrhöen, welche
bei manchen Infektionen z. B. Typhus auftreten, weiter die Polyurie
als direkte Folgen einer Erregung der Schilddrüse betrachten kann,
geht am besten aus der Tatsache hervor, daß auch die Schilddrüse
die Funktionen der Haut, des Darmesi, der Nerven in großem Maße
beeinflußt ; denn wenn sie exstirpiert oder degeneriert ist, sind alle
diese Funktionen vermindert, aber im entgegengesetzten Zustande, der
B a s e d o w’schen Krankheit, erhöht.
Bezüglich der Nieren möchte ich auf meine Mitteilung an die
Pariser Biologische Gesellschaft vom 25. Februar 1907 hinweisen, in
welcher ich den Nachweis zu führen versuchte, daß die Nieren und
Schilddrüse in sehr engen Beziehungen zueinander stehen und daß die
Gicht durch eine Degeneration der Schilddrüse und nachfolgender Reten¬
tion der Harnsäure erzeugt wird.
Durch die Behandlung mit Schilddrüsenpräparaten können wir die
Ausscheidung der Harnsäure manchmal sogar bedeutend vermehren. Im
Myxödem, dem Zustande der Athyroidie, ist der Harn vermindert, und
seine festen Bestandteile werden in der Regel auch in geringerer Menge
ausgeschieden. Das Gegenteil beobachten wir bei der Basedo w’schen
Krankheit, dem Zustande der Hyperthyroidie. Hier wie auch im Fieber
ist die Ausscheidung des Harnes ebenso wie seine soliden Bestandteile
vermehrt. Einen ähnlichen Erfolg erreichen wir auch durch Schilddrüsen¬
gaben, wie ich dies schon in meinen verschiedenen Arbeiten gezeigt habe.
Das Ähnliche ist auch im Diabetes der Fall, bei dessen Entstehung die
Schilddrüse eine große Rolle spielt (Lorand).
Daß die obigen Symptome des Fiebers der Übertätigkeit der Schild¬
drüse zugeschrieben werden können, geht auch zur genüge aus der Tat¬
sache hervor, daß man diese Fiebersymptome künstlich durch Verab¬
reichung von Schilddrüsenpräparaten hervorrufen kann, was ich auch
an mir selbst zu beobachten Gelegenheit hatte. Wenn ich eine Zeitlang
Schilddrüsenpräparate nahm, konnte ich an mir selbst Hitze, rascheren
Puls und ein reichliches Schwitzen konstatieren. Interessant war es
ferner, daß alle Wunden und Exkoriationen, die ich während meiner
durch mehrere Jahre mit längeren Intervallen vorgenommenen Eigen¬
versuche erhielt, ohne jede Eiterung rasch heilten, viel besser als in der
Zeit vor diesen Versuchen.
Fieberähnliche Symptome durch Schilddrüsengaben wurden von
einigen Autoren auch an Tieren hervorgerufen. So sah Lanz, eine Er¬
höhung der Pulsschläge von 100 auf 140 — 160 und Georgiewski eine
solche auf 150 — 200 Schläge eintreten.
Ballet und Enrique z erzeugten ebenfalls dadurch ein regel¬
rechtes Fieber bei ihren Tieren. Easterbrook erreichte eine Tempe¬
raturerhöhung, „some pyrexia“, wie er bemerkt, und eine Pulsvermeh¬
rung um 40 Schläge in der Minute. Tannberg, der frühere Assistent
des Physiologischen Institutes des Universität in Christiania, gab mir
798
Eckermann, Ueber Thyresol, ein neues Sandelölpräparat.
an, daß er nach großen Dosen von Schilddrüse bei Tieren, denen er
dieselbe vorher exstirpierta, eine Temperaturzunahme von 21/2 Graden
beobachten konnte. Weiter ist von der größten Wichtigkeit, daß die¬
jenigen Arzneimittel, welche wir gegen das Fieber anwenden, ähnliche
Symptome her verrufen, wie die Ubertätigkeit der Schilddrüse. So be¬
wirken Salizylate eine Vasodilatation und reichliches Schwitzen, worauf
Besserung des Zustandes mit Temperaturabfall erfolgt. An mir selbst
konnte ich erproben, wie sich nach solchen Präparaten zuerst Hitze
und dann Schwitzen einstellte. Wenn wir gegen eine Erkältung oder
gegen gichtische Schmerzen ein heißes Schwitzbad nehmen, so entsteht
zunächst eine Vasodilatation; ein großes Hitzegefühl tritt ein, der
Puls wird rascher, manchmal fliegend, und hierauf endlich folgt reich¬
liches Schwitzen. Indem wir also künstlich ein Fieber mit den Svm-
ptomen einer Schilddrüsentätigkeit erzeugen, helfen wir der Natur in
ihrem Selbstheilbestreben nach, giftige Stoffe zu vernichten und zu
eliminieren. Daß Arzneimittel, wie z. B. das Jod durch die Schild¬
drüse ihre Tätigkeit ausüben, haben wir schon oben erwähnt. Es liegt
nun nahe anzunehmen, daß die verschiedenen Arzneimittel, die wir
zur Bekämpfung des Fiebers anwenden, dies auf dem Wege durch die
Schilddrüse besorgen. Geben wir aber zuviel von ihnen, so könnte die
Gefahr der Erschöpfung dieser wichtigen Drüse entstehen. Garnier
fand daher nach großen Dosen Jod eine Verminderung, ja ein totales
Verschwinden der Kolloidsubstanz der Schilddrüse. Kocher erwähnt
ähnliches. Auch wissen wir, daß wir einen weichen kolloidhaltigen
Kropf durch große Gaben von Jodkali, ja selbst durch Salben mit Jod
zum Verschwinden bringen können.
Stets aber haben wir uns: bei Bekämpfung des Fiebers von In¬
fektionskrankheiten zu hüten, allzu große Dosen Antipyretica zu geben.
Nur wenn es zu hohe gefährliche Grade, wie etwa beim Typhus, erreicht,
müssen wir energischer einschreiten. Mit bewährten Arzneimitteln haben
wir die Natur in ihrem Heilbestreben zu unterstützen, nie aber dürfen
wir gegen sie arbeiten. (Schluß folgt). •
lieber Thyresol, ein neues Sandelölpräparat.
Von Er. Eckermann, Berlin.
Spezialarzt für Haut- und Harnleiden.
Die Literatur der letzten Monate brachte verschiedene Publika¬
tionen über einen Arzneistoff, der eine verbesserte Form des Sandel¬
öls vorstellt, ein Mittel, das den Zweck verfolgt, nicht nur therapeu¬
tisch das Sandelöl vollkommen zu ersetzen, sondern die Nebenwirkungen,
die letzterem zukommen, soweit dies überhaupt möglich ist, auszu¬
schalten. Dieses Präparat, das Thyresol, ist der Methyläther des
Santalols ; das Santalol wiederum, der Alkohol des Sandelöls, der Haupt-
träger seiner therapeutischen Wirkung. Da diese Zeitschrift über das
genannte Mittel eine Mitteilung noch nicht publizierte, wollte ich nicht
unterlassen, den Leserkreis auf dieses Produkt der Elberfelder Farb¬
werke hinzuweisen. Die Referate hierüber lassen ja bereits erkennen,
um was es sich handelt; es soll deshalb nur kurz zusammengefaßt
werden, daß aus dem Thyresol, also dem Santalolmethyläther, innerhalb
des Organismus kein Santalol abgespaltet wird, der Stoff wird viel¬
mehr als solcher resorbiert und gelangt als solcher zur Wirkung. Hier¬
aus ergibt sich auch, daß die dem Sandelöl und einigen hieraus her-
Referate und Besprechungen.
799
gestellten Präparaten zukommenden Nebenwirkungen bei dem Thyresol
fortfallen oder wenigstens bis zu einem zulässigen Maße verringert
werden. So beachtet man nur in wenigen Fällen Auf stoßen, und wenn
es einmal auf tritt, nur in geringerem Maße. Man beobachtet keine
Magen Störungen und keine Reizungen der Nieren, kurzum es besitzt
in dieser Hinsicht V orzüge vor dem Gonosan, dem Sandelholzöl und
auch dem Santalol.
Nachdem sich eine Reihe bekannter Praktiker mit der Prüfung
des Thyresols befaßt haben und ein durchaus günstiges Urteil hier¬
über abgaben, glaubte ich mich berechtigt, das Mittel auch in meiner
eigenen Praxis zu erproben und es geschah dies bei einer ganzen An¬
zahl von Patienten. Es kann hier nicht meine Aufgabe sein, in einer
Kasuistik dasjenige niederzulegen, was ich als Vorzüge des Präparates
sah, aber ich halte es doch angesichts der günstigen Erfolge für an¬
gezeigt, zu erklären, daß das Thyresol gewisse vorteilhafte Eigen¬
schaften besitzt, so eine gute Verträglichkeit seitens des Magens und
der Nieren und demzufolge Vorzüge gegenüber den bekannten Stoffen.
Man kann getrost sagen, daß es therapeutisch genau dasselbe leistet
wie das Sandelöl, man kann des weiteren als feststehend betrachten,
daß das Thyresol eine schmerzlindernde Wirkung und einen günstigen
Einfluß auf die Sekretion ausübt, daß es demzufolge also alle die¬
jenigen Eigenschaften in sich vereinigt, die wir vom ostindischen
Sandelöl sehen und von ihm erwarten können.
Ein besonderer Vorzug vor den bekannten Kapseln besteht noch
darin, daß das Thyresol mit Magnesia carbon. zu Tabletten kom¬
primiert ist, die eine anregende Wirkung auf die Peristaltik ausüben,
während ja bekanntlich Ol. santali öfter starke Stuhlverstopfung her¬
vorruft ; es wird hierdurch u. a. das Eintreten einer Epididvmitis
verhindert.
Da der Preis von Mk. 2, — für eine Schachtel Thyresoltabletten
in der Privatpraxis ein nicht zu hoher ist, so dürfte sich die Einführung
des Präparates auch in die Kassenpraxis empfehlen (für Kassen 1,80).
Ich halte diese meine Beobachtungen einer Wiedergabe und weite¬
ren Nachprüfung wert.
Referate und Besprechungen.
Chirurgie.
Ueber die Prophylaxis der chirurgischen Infektionen vermittels präventiver
Immunisierung.
(Guidi Lerda. Archiv für klm. Chir., Bd. 85, H. 4.)
Auf Grund von experimentellen und klinischen Versuchen, die ein¬
gehend beschrieben sind und einer sorgfältig gesammelten in- und ausländischen
Literatur (164 Nr.), kommt Lerda zu folgenden Ergebnissen:
Bei Kaninchen und Meerschweinchen kann man durch Einimpfen von
Gemischen aus sterilisierten Kulturen vielfacher Varietäten von Staphylo-
und Streptokokken oder ihrer Filtrate (Endotoxine) einen beträchtlichen Grad
von Immunität gegen diese Keimarten erzeugen ; die so gewonnene Immunität
hat einen polyvalenten Charakter.
Bei Menschen verursacht eine derartige aktive Immunisierung, die
immerhin 8 — 12 Tage zu ihrem Inkrafttreten braucht, keine größeren Störungen
(vorübergehende Temperaturerhöhung bis 38,5°, ausgeprägte Rötung, ödema-
töse Anschwellung und Schmerzgefühl der Impfgegend).
800
Referate und Besprechungen.
Diese Impfungen wären eine nützliche Ergänzung unserer aseptischen
Verfahren, welche ja bekanntlich, selbst in ihrem modernsten Ausbau, eine
absolute und konstante Asepsis kaum ermöglichen. Doch bedürfte es zu der
praktischen Durchführung eines energischen passiv immunisierenden Serums,
das schon nach 24 Stunden seine Wirkungshöhe erreicht, allerdings auch eine
kürzere Wirkungsdauer hat.
(Der praktische Chirurg tut gut, vorläufig wenigstens noch sehr skep¬
tisch diesen Immunisierungen gegenüber zu stehen ; die Erfahrungen mit dem
Tetanusserum u. a. sind nicht gerade ermutigend. Ref.) Lemmen.
Die Korrektur äußerer Nasendeformitäten.
(J. C. Lester. Amer. Journal of Surg., Nr. 1, 1909.)
Bericht über einen Fall von Zertrümmerung und schlechter Heilung
des Nasenbeins, der acht Jahre bestanden hatte. In Narkose wurden die ent¬
zündlichen Adhäsionen im Innern der Nase gelöst, die Nasenbeine mit der
Septumzange refrakturiert, das Septum der Länge nach inzidiert und gerade
gerichtet. Hierauf wurden nach MasoAs Vorgang die Fragmente der Nasen¬
beine durch 2 — 3 chirurgische Nadeln fixiert, die auf der Seite der Haut
aus- und eingestochen wurden, eventuell pach Durchbohrung des Knochens.
Unter die Enden der Nadeln wurden modellierte Hartgummistreifen einge¬
schoben und das Ganze mit Heftpflaster fixiert. Die Streifen wurden täglich
gereinigt und neu angelegt und nach 16 Tagen, als die Nadeln entfernt
wurden, weggelassen. Dann wurde noch 14 Tage lang eine Klemme, ähnlich
dem Mittelstück eines Kneifers, getragen (die aber kaum viel gewirkt haben
dürfte). Während der ganzen Zeit wurde das Innere der Nase mit Salz¬
lösung täglich gereinigt, L. ist mit dem kosmetischen Resultat zufrieden,
obgleich für denjenigen, der nicht selbst der Schöpfer der neuen Nase ist,
das Profil entschieden häßlicher ist als vorher. Die beigegebene Photographie
eines anderen, von Mason operierten Falles, zeigt allerdings, daß bei dieser
Methode auch kosmetisch sehr gute Resultate erzielt werden können.
F. von den Velden.
Chirurgische Behandlung der Hirngeschwülste.
(Biro. Deutsche Zeitschr. für Nervenheilk., Bd. 84, H. 8 u. 4, 1908.)
Der Verfasser bespricht in einem instruktiven Aufsatz die allgemeinen
Indikationen und Gesichtspunkte der Hirntumoroperation. Nach den zahl¬
reichen Erfahrungen, die in den letzten Jahren gesammelt sind und nachdem
die erste wohl etwas überschwängliche Begeisterung für diese Therapie einer
ruhigeren Beurteilung Platz gemacht hat, läßt sich ein objektiveres Bild von
der Angelegenheit gewinnen. Der Verf. meint — im Hinblick auf die nicht
allzugünstige Statistik — daß wir erwägen müssen, wie lange wohl der
Patient und in welchem Zustande er leben würde ohne Operation. Manche
Tumoren, Sarkome z. B. wachsen ja zuweilen gerade durch die Operation
schneller. Einige, so Tuberkelbildungen, erlauben ja überhaupt kaum einen
Eingriff. Am meisten geeignet sind Gliome, Gliosarkome (auch Sarkome selbst),
Fibrome und Cysten. Die chirurgische Behandlung weist bislang ca, 2% guter
Erfolge auf, trotz dieser geringen Zahl ist der Eingriff doch stets zu erwägen
und eventl. zu empfehlen. Natürlich hängt die Gefahr der Operation im
wesentlichen zusammen mit dem Sitz der Tumoren: je näher der Plirnober-
fläche, der Konvexität, desto geringer die Gefahr: an der Konvexität' bieten,
wie Oppenheim gezeigt hat, ja auch subkortikale Tumoren noch eine gute
Prognose. Die motorische Region gibt bis jetzt die besten Erfahrungen. Bei
der Indikation spielt das Verhältnis der Allgemein- zu den Lokalsymptomen
eine wichtige Rolle, Besonders bei Tumoren der motorischen Region braucht
man, da diese ja scharfe Lokalsymptome machen, die Allgemeinsymptome nicht
abzuwarten. Der Verf. weist darauf hin, daß die Stauungspapille nicht selten
als Spätsymptom namentlich bei Tumoren der motorischen Region auftritt.
Referate und Besprechungen.
801
Die Jodtherapie hat — wie der Ref. bestätigen kann — nicht selten auch
bei nicht spezifischen Tumoren, im Rail des Verf. waren es Sarkome, einen
bessernden Einfluß, so daß man aus dem Erfolg der Therapie zunächst auf
luetische Bildungen schließen mußte. Eine Reihe von technischen Erörterungen
für Hirnchirurgie beschließen den lesenswerten Aufsatz. H. Vogt.
Vorteile des Medianschnittes bei der Appendizitisoperation.
Emile ßeymond. 21. französische Chirurgenkongreß. — Bull, med., S. 946, 1908.
Reymond empfiehlt die Eröffnung der Bauchhöhle in der Medianlinie
aus folgenden Gründen :
1. Liegt der Wurmfortsatz normal (was man eben hier „normal“ nennen
kann), so kann man ihn von der Mittellinie aus ebenso gut erreichen, wie bei
seitlicher Eröffnung. Liegt er aber nicht normal, so ist er leichter faßbar,
ebenso auch sekundäre Herde.
2. Von der Mittellinie aus sind auch andere Organe, die eventl. in Mit¬
leidenschaft gezogen sind, leicht zugänglich, insbesondere die weiblichen Gene¬
rationsorgane, deren Erkrankungen ja ohnehin oft genug Blinddarmentzün¬
dungen Vortäuschen.
3. Das Cavum peritonei bleibt dabei besser geschützt.
4. Bauchbrüche kommen nicht vor.
Reymond’s Urteil basiert auf 47 Appendizitisoperationen.
Buttersack (Berlin).
Lieber die Frage der hämatogenen Infektion bei Appendizitis und
Cholecystitis.
(Dr. Canon, Berlin. Deutsche Zeitschr. für Chir., Bd. 95, H. 1 — 5. Festnummer
für Sonnenburg.)
* Die Epityphlitis und Cholecystitis zeigen bezüglich der Genese beider' Er¬
krankungen wichtige Analogien. Beide spielen sich in der Nähe des Darms
in Hohlräumen ab, welche in direkter Verbindung mit dem Darm stehen;
bei beiden wirken widrige mechanische Umstände infektionsbegünstigend.
Die Frage, ob die Infektion vom Blut oder vom Darm aus erfolgt, ist bis
heute noch nicht mit Sicherheit entschieden. Wenn ein strikter Beweis für
die hämatogene Infektion bei der Epityphlitis auch nie wird erbracht
werden können, da immer mit der Möglichkeit zu rechnen ist, daß von dem
erkrankten Wurmfortsatz aus Keime in das Blut gekommen sind, so sprechen
für diese Infektionsart doch eine Anzahl gewichtiger Umstände.
Zunächst sind die Bedingungen für eine hämatogene Infektion, d. h. die
Anwesenheit pathogener Blutkeime und das Vorhandensein eines locus minoris
resistentiae häufig gegeben. Weiter finden sich im Appendixeiter häufig Bak¬
terien, welche im Darm nicht heimisch sind, oft aber im Blut gefunden wer¬
den. Schließlich tritt die Epityphlitis, ganz abgesehen davon, daß Analogien
in Form auf dem Blutweg entstehender lokaler Infektionen in der Nosologie
ganz bekannt sind, häufig nach Infektionen auf, bei denen eine vom Darm
ausgehende Wirkung ausgeschlossen werden kann (Karbunkel, Erysipel usw.).
Auch bei der Cholecystitis besitzt der Blutweg der Infektionsträger
sicher eine ätiologische Bedeutung, vor allem bei der Typhuscholecystitis,
und zwar dann, wenn das Blut der Sitz der Erkrankung ist, sowie bei In¬
fektionen durch Bakterien, welche im Darm nicht heimisch sind. Bei der
Infektion der Gallenblase durch Bact. coli dürfte nur die Infektion vom Darm
aus in Frage kommen.
So darf angenommen werden, daß sowohl bei der Epityphlitis wie bei
der Cholecystitis die hämatogene Infektion, wenn sie auch seltener wie die
enterogene ist, doch eine wichtige ätiologische Rolle spielt. Ob allerdings
eine Diagnosenstellung auf eine „hämatogene“ oder „enterogene“ .Form möglich
ist oder klinische Verwertung finden kann, müssen weitere Beobachtungen
lehren. F. Kayser (Köln).
- 51
802
Referate und Besprechungen.
Kinderheilkunde und Säuglingsernährung.
Säuglingsfürsorge und ärztliche Ausbildung.
(B. Salge. Zeitschr. für Säuglingsfürs., H. 8, 1909.)
Der Herausgeber der Z. f. S. weist nachdrücklich auf die Fortschritte
in der Entwickelung der Pädiatrie und die Notwendigkeit des pädiatrischen
klinischen Unterrichtes hin. „Die Verbesserung des päditatrischen Unterrichtes
ist die beste und billigste Fürsorge für Säuglinge“. (Schloß mann.) Zum
Ausgangspunkte seiner Betrachtungen nimmt S. die Eingabe, welche die
Münchener Zentrale für Säuglingsfürsorge an das bayr. Parlament gerichtet
hat. Verf. spricht mit Recht von einer Lücke, die infolge der raschen Ent¬
wickelung der Pädiatrie zwischen dem Pädiater und dem jjraktischen Arzte
entstanden ist. Sie kann nur dadurch ausgefüllt werden, daß bei der ärzt¬
lichen Staatsprüfung von einem Lehrer der Kinderheilkunde geprüft wird,
nachdem der Student die Verpflichtung erfüllt hat, als Praktikant ein klini¬
sches Kolleg über Kinderkrankheiten zu hören. Es wird weiterhin auf die
zu Unrecht bestehende Anschauung derjenigen Praktiker eingegangen, daß
die bisherige Ausbildung des Arztes genüge, ausreichende Kenntnisse in der
Kinderheilkunde zu gewährleisten, und auf die hieraus resultierenden Gegen¬
sätze zwischen Praktiker und Kinderarzt, die ein ersprießliches Zusammen¬
arbeiten auf dem Gebiete der Säuglingsfürsorge erschweren. Aronade.
Ärztlicher Bericht über die erste Waldkrippe des Vereins „Säuglings¬
milchverteilung“ in Wien.
(B. Mautner. Zeitschr. für Säuglingsfürs. H. 1, 1909.)
Verf. berichtet über die günstigen Erfolge, die mit der Freiluftbehandlung
Kranker, besonders rachitischer Säuglinge erreicht wurden. Die Krippe, die
in einer Baracke der Gesellschaft vom roten Kreuze untergebracht wurde,
enthielt 14 Betten mit den in Säuglingsspitälern gebräuchlichen Utensilien.
Auch im Freien wurde auf möglichste Isolierung der Säuglinge geachtet,
Infektionskranke (Keuchhusten, Angina u. a.) abgewiesen. Der Bericht ist
geeignet, zur Errichtung weiterer Krippen anzuregen, deren Betrieb sich sehr
billig einrichten läßt. Die besprochene stellt den ersten derartigen Versuch
in Österreich dar, in Deutschland hat Schloß mann zuerst in der Dresdener
Heide ein Waldheim für die Säuglinge des Dresdener Säuglingsheims ge¬
schaffen. Aronade.
Aus der Universitäts-Frauenklinik zu Greifswald.
Ueber Krämpfe bei Neugeborenen.
Mit Hervorhebung der intrakraniellen Blutungen, der Eklampsie und der Affektionen
der bulbären Kerne.
(Priv.-Doz. Dr. P. Esch. Archiv für Gyn., Bd. 88, H. 1, 1909.)
Der E.’sche Beitrag ist deshalb zu begrüßen, weil die Krämpfe der
Neugeborenen ein bisher recht stiefmütterlich behandeltes Gebiet sind. Das
beweist am besten ein von Ei. zunächst gegebener allgemeiner Überblick
über die jetzt herrschenden Ansichten. — Was die Erregbarkeit der Gro߬
hirnrinde des Neugeborenen überhaupt anlangt, so sei an dieser nicht zu
zweifeln, wie gelegentliche klinische Beobachtungen mit Sicherheit ergeben
haben. Zurzeit müsse man die Krämpfe noch einteilen in organische und
funktionelle, je nachdem ein organisches Leiden im Zentralnervensystem
nachweisbar ist oder nicht. Beim Neugeborenen überwiegen die organischen
Krämpfe im Vergleich zu dem späteren Alter, wo Rachitis und andere Krank¬
heiten eine wichtige Rolle spielen. Die sog. Spasmophilie komme für die
Neugeborenen nicht in Betracht, weil sich dieselbe erst nach dem zweiten
bis dritten Monat entwickle, andererseits sei ja die Erregbarkeit des Gro߬
hirns Neugeborener, wenn auch sicher vorhanden, so doch eine sehr geringe
und auch die peripheren Nerven des Neugeborenen seien elektrisch unter-
Referate und Besprechungen.
803
erregbar. Dagegen sei von Bedeutung, daß dem Großhirn des Neugeborenen
die Regulierfähigkeit der reizenden und hemmenden Kräfte noch fehlt (leicht
hervorzurufende Arrhythmie der Atmung und der Herztätigkeit). Auch
die Erblichkeit spiele wahrscheinlich eine Rolle, Alkoholismus, Lues, Blei¬
vergiftung u. a. Zur Erklärung der Pathogenese der funktionellen Krämpfe
hat man Zirkulationsstörungen im Schädelinneren herangezogen, zerebrale
Reflexe, toxisch-infektiöse (Kohlensäure, Darminhaltzersetzungen). — Bezüg-
züglich der Diagnose soll man stets nach einem Leiden im Zentralnerven¬
system fahnden. Da spielen die supra- und infratentoriellen Blutungen eine
Hauptrolle; solche können bekanntlich auch nach leichten Spontangeburten
eintreten. Lumbalpunktion und Fontanellenspannung kommen behufs Fest¬
stellung in Betracht. Weiter kommen in Frage Mißbildungen, Hydrozephalus,
äußere Verletzungen des Schädels. — Zu den funktionellen Krämpfen
durch endogene Intoxikationen stellen das Hauptkontingent die Gelegenheits-
krämpfc bei gastrointestinalen Erkrankungen und sonstigen kachektischen
Zuständen, wobei meist das Bild der Myotonia neonatorum, der persistierenden
Beugekrämpfe der Extremitätenmuskulatur und Nackensteifigkeit im Vorder¬
gründe stehen. Hierher gehört auch die Eklampsie der Neugeborenen bei
gleichzeitiger Eklampsie der Mutter. Zu den neurogenen reflektorischen
Krämpfen sind diejenigen zu rechnen, welche auf einen äußeren Reiz ent¬
stehen, z. B. durch plötzlichen Temperaturwechsel. Was die Behandlung
anlangt, so lassen die Krämpfe infolge supratentorialer Blutung auf operativem
Wege eine Heilung erhoffen (Fall Seitz), die infolge luetischen Hydrozephalus
durch spezifische Kur. Die allgemeine Therapie Desteht in Fernhaltung
äußerer Reize, rektaler Darreichung von Brom und Chloral, ev. Lumbalpunktion
bei' großer Fontanellenspannung. — Von bulbären Affektionen finden Er¬
wähnung der Kernikterus mit absolut infauster Prognose, die Aplasie der
Kernregion, sodann die indirekten Reizungen bei infratentoriellen Blu¬
tungen. — Zur Illustration dienen einige Krankengeschichten.
R. Klien (Leipzig).
Beiträge zur Kenntnis der Diphtherievergiftung und ihrer Behandlung.
(Fritz Meyer, Berlin. Archiv für exp. Pathol. u. Pharmakol., Bd. 60, S. 208, 1909.)
Die weitaus meisten Erscheinungen in dem wohl charakterisierten Krank¬
heitsbild der Diphtherie sind als Gif twirkunigen aufzufassen, die wir
in Deutschland rein an ti toxisch behandeln; nur in Frankreich und in Italien
hält man an einer gemischt bakterizid-antitoxischen Serumtherapie fest.
Der Heil- und Schutzwert des antitoxischen Serums wird durch seinen
Gehalt an Immunitätseinheiten bestimmt. Wie überhaupt die bakteriellen
Toxine noch wenig experimentell studiert worden sind (vergleiche dagegen
Tetanustoxin 1904, S. 56), so ist auch das Diphtherietoxin wenig erforscht.
Verf. hat in v. KrehTs Klinik und im Heidelberger Krebsinstitut die Ein¬
wirkung der Diphtherietoxine auf den Blutdruck des Kaninchens, Komple¬
mentgehalt und Blutkörperchen sowie die Heilwirkungen des Diphtherie¬
antitoxins näher untersucht. Die experimentelle Toxinvergiftung geht mit
nachweisbarer Blutdrucksenkung einher, die in der Regel nach 24 — 30 Std.
einsetzt und bis zum Tod andauert. Die beim Menschen nicht selten zur
Beobachtung gelangende hochgradige Blässe und Pulsbeschleunigung
dürften im wesentlichen auf einer Lähmung des Gefäßnervenzentrams und
später auf sekundärer Schädigung des Herzens beruhen. Durch rechtzeitige
Einspritzung von Antitoxin gelingt es, die Drucksenkung zu verhindern
oder wenigstens hinauszuschieben. Eine bereits vorhandene Drucksenkung
kann aber selbst durch die größte Serumdosis nicht aufgehoben werden ;
nur eine Adrenalin-Kochsalzinfusion vermag beim schwer kranken Tier momen¬
tane Erfolge zu erzielen. Die Heilung von Diphtherievergiftung (3 — 6 fach
tödliche Dosis) gelingt durch Heilserum bis auf 9 Stunden nach subkutaner,
bis l1/2 Stunden nach intravenöser Injektion des Giftes. Die Vergiftung
geht mit nachweisbarer Verringerung des Komplementgehalts einher.
51*
804
.Referate und Besprechungen.
Auf Grund dieser Versuche empfiehlt Verf., die Diphtherie Vergiftung
nicht nur nach den örtlichen Befunden in der Mundhöhle, sondern insbesondere
auch nach dem Verhalten des Blutdrucks und Pulses zu beurteilen. Wenn
es auch heute noch Skeptiker hinsichtlich der Wirkung des Antitoxins
gebe, so dürfte dies im wesentlichen darauf zurückzuführen sein, daß das
Serum in Deutschland vielfach in zu kleinen Mengen (2 — 4000 A. E.) gegen¬
über Amerika (8 — 70000 A. E.) angewendet wird. Sofern ein steriles,
karbolsäurefreies und klares Pferdeserum eingespritzt werde, gebe
es überhaupt keine obere Grenze. In verzweifelten Eällen sollte auf jeden
Fall ein Heilversuch mit einer großen Dosis (20 — 50000 A. E.), eventuell
intravenös, gemacht werden. E. Rost (Berlin).
Hautkrankheiten und Syphilis. — Krankheiten der Harn- und
Geschlechtsorgane.
Die Wassermann’sche Reaktion bei Leber-Syphilis.
(Ch. Es me in u. M. Parvu. Soc. de Biologie, 23. Januar 1909. — La Tribüne
mech, Nr. 5, S. 71, 1909.
Lebersyphilis ist gemeinhin schwer zu diagnostizieren. Die Diagnose
wird jedoch leicht, wenn man nicht nur das Blutserum, sondern auch die
Aszitesflüssigkeit der Wassermann’schen Reaktion unterwirft. Der Aszites
erweist sich dann als viel wirksamer, so daß Esmein und Parvu den
Eindruck gewonnen haben, als ob die Leber eine besonders ergiebige Pro¬
duktionsstätte der interessanten Körper sei.
Bei ätiologisch anders begründeter Bauchwassersucht fiel die Wasser¬
mann’sche Reaktion negativ aus. Buttersack (Berlin).
Ueber Syphilisfälle ohne rechtzeitige Hauterscheinungen.
(Watrarzewski. Allg. med. Zentralzeitung, 13. u. 20. Feb. 1909.)
In 25 Fällen traten nach durchgeführter Friktionskur in 7 Fällen
später noch leichte Hautrezidive auf, und zwar nach Ablauf von 2 bis
4 Monaten, wogegen in 18 Fällen, in denen es überhaupt nicht zu kutanen
Manifestationen kam, dieselben auch weiterhin ausblieben und während einer
Beobachtungsfrist von l1/2 — 5 Jahren nicht zum Vorschein kamen. Mit
anderen Worten war bei ihnen die ganze Symptomenkette der Lues in deren
sekundärem und auch im späteren Stadium ohne spezifische Ilauterschei-
nungen abgelaufen.
Diese Fälle zeichnen sich 1. durch einen benignen Charakter aus.
2. Sind bei ihm für gewöhnlich die Lymphdrüsen deutlich in Mitleiden¬
schaft gezogen.
3. Das Körpergewicht sowie das Allgemeinbefinden verändern sich erst
dann deutlich zum Nachteile, wenn die verspäteten Hauteruptionen resp.
andere Symptome konstitutionellen Charakters zum Vorschein kommen.
4. Die gerade zu dieser Zeit eingeleitete spezifische Therapie brachte
die Symptome zum raschen Schwinden und wirkte rasch und vorteilhaft
auf das Allgemeinbefinden und das Körpergewicht des Kranken.
5. Die Rezidive pflegen verhältnismäßig selten zu sein und haben
ebenfalls einen benignen Charakter.
6. Die Prognose bei solchen Fällen, wenn sie einer rationellen Therapie
anheimfallen, ist als günstig aufzufassen.
7. Die Therapie muß den oben erwähnten Umständen Rechnung tragen;
sie soll nicht früher eingeleitet werden als bis entweder die Hauterschei¬
nungen schließlich doch zum Vorschein gelangen oder aber andere auf kon¬
stitutionelle Lues zu beziehende Erscheinungen allgemeinen Charakters bei
gleichzeitig nachteilig beeinflußtem Allgemeinzustande und Körpergewichte
der Kranken das Verordnen einer Merkurialkur nötig machen.
Referate und Besprechungen.
805
Verf. hat seit langen Jahren das Prinzip, daß die Syphilis nicht
Schema tisch zu behandeln ist, und daß mit dem Merkurial nicht zu früh
eingeschritten werden darf. Koenig (Dalldorf).
Aus der Unfversitäts-Frauenklinik zu Kiel.
Der Einfluß der Syphilis auf die Nachkommenschaft.
(Dr. Gräfenberg. Archiv für Gyn., Bd. 87, H. 1, 1909.)
G. konnte in fast sämtlichen von ihm untersuchten mazerierten Früchten
die Spirochaeta pallida nachweisen. Andere Ursachen des Absterbens der
Früchte treten demnach gegenüber der Lues ganz in den Hintergrund. Von
sämtlichen kongenital-luetischen Kindern kamen 92% mazeriert zur Welt.
Es sind demnach frischtote luetische Kinder sehr selten. Die kongenital-
luetischen Früchte kommen meist frühzeitig zur Welt. Von den Müttern,
welche spirochätenhaltige Früchte gebaren, besaßen nur wenige noch deut¬
liche Residuen einer Lues. Floride Lues der Mutter war auffallend selten
mit charakteristischer Lues des Kindes verbunden. — In Übereinstimmung
mit anderen Autoren konnte auch G. die Seltenheit von Spirochätenfunden
in der Plazenta bestätigen. Dagegen fand er fast regelmäßig in dem dem
Hautnabel benachbarten Stückchen der Nabelschnur Spirochäten, wenn sich
solche in den übrigen fötalen Organen fanden; ja es gelang dieser Nach¬
weis sogar bei lebend geborenen kongenital-luetischen Früchten in einer Regel¬
mäßigkeit, daß sich dieser Befund diagnostisch verwerten läßt. Der Sitz
der Spirochäten ist hauptsächlich die Media der Nabelschnur vene. Zu diesen
Untersuchungen empfiehlt G. die Levaditi’sche Silberimprägnierung. Die
Ausstrichfärbung mit Dunkelfeldbeleuchtung erwies sich als weniger geeignet.
Sie ist es aber für die Untersuchung von aspiriertem Lebersaft und vor allem
zur Untersuchung mütterlicher Sekrete, besonders des Zervixsekretes. Es
ist nämlich G. gelungen, in diesem Sekret bei Sekundär-Syphilitischen so gut
wie regelmäßig Spirochäten nachzuweisen. Dieser Befund ist deshalb sehr
wichtig, weil er manche Fälle, bei denen anscheinend gesunde Kinder von
luetischen Müttern geboren werden, die aber nach einigen Wochen Zeichen
sekundärer Lues (Exantheme) bekamen, als sub oder post partum infiziert
erkennen läßt. Bisher deutete man solche Fälle bekanntlich als kongenital¬
luetische mit einer Latenzperiode, obwohl die Symptome eigentlich nicht für
kongenitale Lues paßten. Bei der Infektion sub partu scheint die Nase sehr
oft die Eingangspforte abzugeben. Die Coryza später Luessymptome auf¬
weisender Säuglinge sei offenbar oft der luetische Primäraffekt. Diese Er¬
kenntnis ist in prophylaktischer Beziehung wichtig. — Während also echt
kongenital-luetische Föten meist mazeriert zur Welt kommen, oder mit charak¬
teristischen Erscheinungen (Pemphigus, Aszites, Hydrozephalus), so wird auch
die tertiäre Form der kongenitalen Syphilis selten in die Erwachsenenzeit
hinübergenommen. Die in den späteren Lebensjahren auf tretenden tertiären
Veränderungen an den Sinnesorganen, an den Gelenken usw. sind wohl immer
Erscheinungen der während oder nach der Geburt erworbenen Kindersyphilis.
Natürlich fällt mit dieser Erkenntnis das Profeta’sche Gesetz. — Was
den Weg betrifft, auf dem die Spirochaeta pallida in den kindlichen Keim
eindringt, so kommt wohl ausschließlich die germinative Vererbung in
Betracht. Die Spirochäten sind entweder dem Sperma oder den mütterlichen
Genitalsekreten beigemischt und dringen eventl. zugleich mit den Sperma-
tozöen in das Eichen ein. Die Plazenta, welche, wie oben erwähnt, so selten
Spirochäten enthält, betrachtet G. geradezu als eine Art Scheidewand zwischen
patern syphilitischer Frucht und gesunder Mutter; Immunität der Mutter
nach dem. Colles’schen Gesetz. Auch der mehrfach beschriebene Befund
von zweieiigen Zwillingen, von denen der eine mit, der andere ohne luetische
Erscheinungen zur Welt kam, letzterer auch gesund blieb, spricht für die
ganz überwiegend germinative Syphilisübertragung und die Seltenheit einer
etwaigen plazentaren oder dezidualen. R. Klien (Leipzig).
806
Referate und Besprechungen.
Diagnose und Therapie der Syphilide.
(Dr. S. Jessner, Königsberg i. Pr. Dermatologische Vorträge für Praktiker,
H. 11 u. 12, Würzburg.)
Die subkutane resp. intramuskuläre Anwendung des Quecksilbers (In¬
jektionskuren) hat, seitdem Lewin die Sublimatinjektionen empfohlen hat,
sich mit Recht sehr eingeführt; sie hat den Inunktionskuren bedeutenden Ab¬
bruch getan.
Man benutzt am häufigsten eine l%ige Lösung nach folgenden Formeln:
Rp. Sublimat 0,3 Rp. Hydr. oxycyan 0,3
Natr. chlorat. 3,0 Alypin nitr. 0,15
Aq. destillat. 30,0 A. destillat. 30,0
D. S. Zur Injektion. D. S. Zur Injektion.
Alle Injektionen führt man am besten intramuskulär aus, indem man
die Nadel blitzartig senkrecht bis ans Ende in die Haut einsticht und dann
die betreffende Lösung injiziert. Am Schlüsse zieht man die Nadel mit
einem Ruck heraus. Als Desinfektion der Haut genügt das Abreiben mit
in Benzin getauchter Watte. 1
Bei dieser Gelegenheit betont der Verf., daß jeder Patient seine eigene
Nadel haben muß. Woran das liegt, daß bei dem einen Patienten eine sehr
heftige, bei dem anderen eine kaum merkbare örtliche Reaktion eintritt,
ist nicht immer klar.
Die Schmerzhaftigkeit der Injektion wird auch sehr verschieden an¬
gegeben. Sehr dringend rät er, bei schwächlichen oder sehr erregbaren
Individuen die Injektion in liegender Stellung zu machen ; in dieser hält
man erheblich mehr aus. Auffallend ist die Beobachtung, daß die meisten
Menschen an beiden Körperhälften nicht gleich empfindlich sind.
Behufs Verminderung des Schmerzes ist es von Nutzen, der Lösung
V o — 1% Alypin nitr. zuzusetzen. Die mit diesem versetzte Lösung von
Hydr. oxycyanat. scheint besonders wenig Schmerz zu verursachen.
Neumann.
Medikamentöse Therapie.
Zur Kenntnis der Digitalis als Blutstillungsmittel.
(Hecht. Ther. der Gegenw., Nr. 3, 1909.)
Anschließend an eine Arbeit von Focke (Ther. d. G., Nr. 2, 1909)
worin dieser die Digitalis als Blutstillungsmittel gegen spontane Blutungen
wieder empfiehlt, eine Indikation, die dem ärztlichen Wissen verloren ge¬
gangen sei, weist Hecht darauf hin, daß Huchard im Jahre 1888 auf diese
Bedeutung der Digitalis hingewiesen habe und zu diesem Zweck Pillen von
folgender Zusammensetzung angegeben hat :
Rp. Ergotin
Chinin, sulf. ™ 2,0
Pulv. fol. digital.
Extr. Hyoscyami ü 0,2
F. pill. Nr. 20.
D. S. 5 8 — 10 Pillen tgl. Neumann.
Desalgin.
(Schleich. Ther. der Gegenw., Nr. 3, 1909.)
Bei seinen Versuchen zur Herstellung eines Narkotikums in fester
Form gelang es Schleich, einen Eiweißkörper aufzufinden, welcher das
Chloroform dauerhaft und fest zu binden vermochte und von ihm, auch ge¬
trocknet, bis zu 25% dauernd fixiert wurde. Durch ein besonderes Ver¬
fahren ließ sich daraus ein graues amorphes, fein verteilbares Pulver ge¬
winnen, das gleichsam kolloidales Chloroform in fester Form darstellt, und
das ausgesprochen schmerzlindernde Wirkungen entfaltet. Verf. empfiehlt
Referate und Besprechungen.
807
es daher bei allen Schmerzzuständen, welche vom Peritoneum umkleidete
Organe betreffen, vorzüglich gegen kolikartige Beschwerden vom Magen-,
Darm- und Gallensystem her. Auch bei dysmenorrhoischen Beschwerden
hat es sich gut bewährt. Die antibakterielle Kraft des Chloroforms läßt es
außerdem noch indiziert erscheinen bei bakteriellen Erkrankungen des ganzen
Intestinaltrakts, aus demselben Grunde wurde es bei Phthisikern angewandt.
Eine Messerspitze Desalgin enthält etwa 0,0625 g reines Chloroform. Bei
Gallensteinkoliken und rezidivierenden Appendizitiden gab Sch. 2 — 3 Wochen
hindurch das Mittel täglich 3 — 4mal messerspitzenweise und hat nie irgend
welche nachteilige Eolgen davon gesehen. Bei intensiven Schmerzanfällen
läßt sieh vorübergehend die Dosis bis zu einem halben Teelöffel für einmal
des Tages steigern. Neumann,
Ueber Propäsin, ein neues Lokalanästhetikum.
(Kluger. Ther. Monatsh., Nr. 2, 1909.)
Im Propäsin, dem Prophylester der Paramidobenzoesäure liegt nach den
Beobachtungen von Kluger ein unschädliches Anästhetikum vor, das berufen
scheint, neben Anästhesin, dem es an Wirksamkeit überlegen ist, ein Ersatz¬
präparat für Kokain zu werden.
Auf Grund seiner Eigenschaften kann Propäsin im ganzen Gebiete
der praktischen Medizin, in verschiedener Form, innerlich und äußerlich, An¬
wendung finden. Per os wird Propäsin als Pulver oder in Form von Tabletten
genommen. Als Pulver ist es indiziert, sowohl bei rem nervösen wie auch
bei Ulkus und Karzinom auftretenden Magenschmerzen, nervösen Übelkeiten,
Vomitus gravidarum usw., also in allen den Fällen, in denen uns bis jetzt
Kokain seine Dienste leistet. Weitere Indikation bilden allerlei Intestinal¬
schmerzen, Koliken usw. Wenn es sich um die Wirkung im Magen handelt,
gibt man Propäsin als Pulver in Oblaten, um keine Anästhesierung des
Speisetraktus hervorzurufen. Um im Darm zu wirken, wird es in Keratin¬
pillen dargereicht. Da die Keratinpillen sich aber größtenteils als unlöslich im)
Darmtraktus erwiesen haben, wäre es besser, wenn man anstatt Keratin den
von Professor Jaworski empfohlenen, bei Temperatur von 45 — 50° C schmel¬
zenden Hammeltalg (Sebum ovile) als Überzug benutzen möchte.
Bei Hustenreiz, Schleimbeschwerden usw. wird Propäsin in Form von
Troehisci angewandt, die je 0,02 desselben enthalten. Außerdem kann Pro¬
päsin in Form von Salbe, Hämorrhoidalsuppositorien, Urethralstäbchen, Emul¬
sionen in allen den Fällen Anwendung finden, wo es sich um die Linderung
der Schmerzen oder lokale Anästhesierung handelt.
Das gleichfalls hergestellte Dipropäsin, aus zwei Propäsinmolekülen
bestehend, soll erst in physiologisch - alkalischer Lösung zur Wirkung
kommen.
Die Schattenseite des Propäsin besteht in seiner geringen Löslichkeit
in Wasser, weswegen es sich zu subkutanen Injektionen nicht eignet.
Neumann.
Diplosal, ein neues Antirheumatikum.
(Strauch. Ther. Monatsh., Nr. 2, 1909.)
Mit Rücksicht auf die vielfachen unangenhmen Nebenwirkungen der
freien Salizylsäure wurden im Laufe der letzten Jahre eine Reihe Ersatz¬
präparate in den Handel gebracht. Mit einem derselben, dem Diplosal, stellte
Strauch im Krankenhaus Bethanien in Berlin Untersuchungen an. Das
Diplosal läßt sich auffassen entweder als ein Salol, bei dem die giftige
Karbolsäure durch Salizylsäure ersetzt ist oder als Aspirin, das an Stelle
der indifferenten Essigsäure nochmals die wirksame Salizylsäure enthält.
Das Präparat stellt ein geruch- und geschmackloses Pulver dar, das in
Wasser sehr schwer, in Säure unlöslich ist.
808
Referate und Besprechungen.
Das Diplosal wurde bei mehr als 70 Fällen von akutem und chronischem
Gelenkrheumatismus, von Ischias, Perikarditis exsudativa, Arthritis gonor¬
rhoica angewandt.
Die beobachteten Fälle gehörten in der Mehrzahl zu den schweren
Formen der Polyarthritis rheumatica und waren zum großen Teil mit Er¬
krankung des Herzens kompliziert. Die täglich verabreichten Dosen waren
durchschnittlich 4 mal 1 g, und zwar wurde gewöhnlich vormittags gegen
10 Uhr ein Pulver a 1 g und nachmittags um 4, 5 und 6 Uhr je 1 g ge- i
geben. Die am meisten schmerzhaften Gelenke wurden mittels trocknen
Watteverbandes etwas fixiert. Nach Ablauf von 2 Stunden nach der Ein¬
nahme eines Gramm Diplosal trat auf Eisenchloridzugabe im Urin noch
bei 100 fach er Verdünnung eine deutlich violette Färbung auf.
Bei fieberhaften Gelenkerkrankungen beobachtete man nach 2 — 3 Tagen
Fieberfreiheit und wesentliche Abnahme der Gelenkschmerzen und schon ge¬
ringe Beweglichkeit. Unangenehme Nebenwirkungen auf Herz, Magen und
Nieren wurden nie beobachtet, Ohrensausen nur in wenigen Fällen. Auch
Mengen von 5 — 6 g täglich erzeugten niemals Magenbeschwerden, Erbrechen
und Übelkeit; selbst bei wochenlangem Gebrauch traten weder bei jüngeren
noch bei älteren Individuen unangenehme Nebenerscheinungen auf.
In Fällen mit hochgradiger Gelenkschwellung und etwas verzögertem
Heilungsverlauf ist es zweckmäßig, die innere Darreichung des Diplosal
mit der äußeren Applikation von Spirosal-Alkohol 1 : 3 durch Aufpinseln
auf die schmerzhaften Gelenke zu kombinieren und dann die Gelenke mit
trocknem Watteverband etwas zu fixieren. Gerade diese Kombination wirkt
bei sehr schmerzhaften und stark geschwollenen Gelenken prompt und sicher,
ohne jede schädliche Nebenwirkung. Neumann.
Ichthalbin.
(L es enger. The New Albany Med. Herald, Jan. 1909.)
Die Erfahrungen des Autors mit Ichthalbin, einem fast geschmack¬
freien Ichthyoleiweißpräparat, beziehen sich vor allem auf die Kinderpraxis,
in der das Ichthalbin von L. jahrelang bei Gastro-Intestinalstörungen, Dysen¬
terie und tuberkulösen Durchfällen mit bestem Erfolge verwandt wurde.
Besonders gute Ergebnisse zeigten sich bei chronischer Colitis und bei Darm¬
katarrh. Selbst in den unangenehmsten Fällen gingen die bedrohlichen
Symptome bald zurück und die Rekonvaleszenz machte infolge der besseren
Assimilation sehr gute Fortschritte. Bei chronischen Darmerkrankungen zeigte
sich die Wirkung des Ichthalbins vor allem in einer Besserung des Appetits
und einer Herabsetzung der Darmfäulnis, so daß die Widerstandskräfte des
Körpers gegen diese Krankheiten sehr gesteigert werden. Vor allem ist Nach¬
druck auf das Fehlen von Nebenwirkungen zu legen, die man bei der inter¬
nen Anwendung des Ichthyols häufiger beobachtet. Die Patienten zeigen
bald durch Gewichtszunahme und besseres Aussehen den Erfolg der Ichthalbin-
medikation. Neumann.
Une methode nouvelle et efficace de desinfection des appartements.
Langhlin sieht die Nachteile der Formaldehyddesinfektion in der
Polymerisation desselben, sofort nachdem es in das zu desinfizierende Zimmer
eingeführt ist, was sein Penetrationsvermögen und damit seine desinfizierende
Eigenschaft lahmlegt. Dies kann man durch Karbolsäurezusatz verhindern,
wie er gefunden hat; er empfiehlt eine 75 %ige Mischung einer 40%igen
Formaldehyd-, ( 25% igen Karbolsäurelösung und hält davon 260 g für ge¬
nügend, um einen 1000 Kubikfuß großen Raum zu desinfizieren. (Les nou-
veaux remedes, Nr. 23, 1908.) v. Schnizer (Danzig).
Bücherschau.
809
Bücherschau.
Der Kampf um Kernfragen der Entwicklungs- und Vererbungslehre.
Von Oskar Hertwig. Jena 1909, Gustav Fischer. 122 S. 3 Mk.
Der kindliche Organismus stellt ein Mischprodukt dar, das sich aus Substanz
von Mutter und Vater auf baut und alles spricht dafür, daß Ei und Samen-
fadeu, obwohl an Quantität der Substanz so ungeheuer verschieden, in Bezug auf
die Vererbung von Eigenschaften einander gleichwertig sind. Nachgewiesenermaßen
haben die Einheiten, vermittels welcher sich die Arten von Pflanzen und Tieren
durch Fortpflanzung erhalten: Sporen, Ei und Samenfaden, den Formwert von Zellen.
Die meisten Forscher, welche über das Problem der Vererbung tiefer nachge¬
dacht haben, stellen sich vor, daß die Zelle zwar ein Elementarorganismus im Ver¬
gleich zu den zusammengesetzten, pflanzlichen und tierischen Lebewesen ist, sich
selbst aber aus noch kleineren elementaren Lebenseinheiten aufbaut, die allge¬
mein dem ultramikroskopischen Gebiet angehören. Diese Einheiten (die „Protomeren“
der ontogenetischen Forscher, die „Energeten“ nach O. Bosenbach1) sind nach
dieser Auffassung nicht nur außerordentlich zahlreich in einer Zelle, sondern auch
zugleich qualitativ voneinander unterschieden. Je nach der Art ihrer stofflichen
Natur sind sie auch die Träger besonderer Eigenschaften und damit imstande,
durch direkte Wirkung oder durch verschiedenartig kombiniertes Zusammenwirken
in den vom Keime abstammenden Zellen die unzähligen morphologischen und
physiologischen Merkmale zu entwickeln, die wir in der Organismenwelt wahr¬
nehmen.
Daß die Zelle, welche in den populären Schriften des Darwinismus als etwas
so Einfaches dargestellt wird, eine unser Denkvermögen überschreitende Fülle von
Verschiedenheiten höheren und niederen Grades in der Organisation des Stoffes
zuläßt, geht schon daraus hervor, daß es die Keimzelle gibt („ Artzellen“ nach
O. Hertwig), die schon im Beginn der Ontogenese, also schon im „einfachen Zellen¬
stadium“ die Organismen durch Stammes-, Klassen-, Ordnungs-Familien, -Arten und
individuelle Charaktere, ebenso gut wie später, nur in andererWeise, unterscheiden.
Tritt die Zelle im ganzen Organismenreich unter allen übrigen elementaren
Einheiten auch ganz besonders hervor, so ist sie doch immerhin nur eine Stufe
in der Organisation der lebenden Substanz, keineswegs die einzige morphologische
und physiologische Lebenseinheit, in die sich der Körper der Pflanzen und Tiere
zerlegen läßt. Vor allem sind die Zellen nicht Bausteinen zu vergleichen (wie
Heidenhain in seiner „Bausteintheorie“ das will), da sie nicht nur in einem rein
äußerlichen Zusammenhänge, sondern in einer organischen Verbindung unterein¬
ander stehen. Die Verbindung ist keine chemische sondern eine biologische,
d. h. die Zellen haben in mehr oder minder hohem Maße Teile ihrer Autonomie
an das Ganze abgetreten und werden von diesem in ihren Lebensäußerungen bedingt :
sie sind seine integrierenden Teile geworden. Zwischen einem Aggregat von Zellen,
wie sie die Bausteintheorie annimmt, und einer biologischen Verbindung von
Zellen, die zu Teilen eines Organismus geworden sind, besteht, um den Vergleich
Hertwigs zu akzeptieren, ein ähnlich großer Unterschied, wie zwischen Gemischen
von 2 Volumen Wasserstoff mit 1 Volumen Sauerstoff auf der einen Seite und
ihrer chemischen Verbindung zu Wassermolekülen auf der andern.
Gewiß wäre es ein großer Fortschritt in der Vererbungslehre, wenn sie den
Begriff der „Anlage“, der doch nur auf eine unbekannte, in der Beschaffenheit der
Erbmasse gelegene Ursache oder auf den unbekannten Grund einer Erscheinung
hinweist, die im Verlauf des Entwicklungsprozesses in einer bestimmten Organi¬
sation des Entwicklungsproduktes mit Gesetzmäßigkeit zutage tritt, durch Zerlegung
in seine letzten Elemente und Herausschälung des Kerns der verwickelten Vor¬
gänge anschaulich und greifbar zu machen verstände. Wir sind aber nach O. Hert¬
wig von diesem idealen Ziele der Vererbungslehre noch so weit entfernt, daß es
fast unerreichbar erscheinen könnte. Namentlich glaubt der Autor, trotz manches
Gemeinsamen in der Anschauung, der Art und Weise entgegentreten zu müssen,
wie Weismann das Problem behandelt. Wie es ihm geradezu willkürlich und
fehlerhaft zu sein scheint, die Anwesenheit eines bestimmten materiellen Teilchens,
eines besonderen „Bioblasten“ als Träger der Vererbung vorauszusetzen, vermag
er sich ebensowenig mit der — auch von Weismann übernommenen — Deter¬
minantenlehre Keinckes zu befreunden. Er macht sich im Hinblick auf diese
9 Vergl. 0. Bosenbach. Energetik u. Medizin. 2. Auflage. Berlin, August
Hirsch wald, 1904.
810
Bücherschau.
Erklärungen den in Deutschland von Konrad Günther propagierten Ausdruck
des französischen Forschers Yves Delage zu eigen, der von „Koffertheorien“
spricht, (aus dem Koffer kann man ja alle möglichen Dinge herausnehmen, wenn
man sie vorher hineingepackt hat). Das muß aber, worauf hinzuweisen ich nicht
unterlassen möchte, nach den Ausführungen Poincare’s1) nicht nur für eine große
Zahl der naturwissenschaftlichen Hypothesen, sondern sogar auch mehr oder weniger
für alle mathematischen Lehrsätze gelten!
Einverstanden hingegen erklärt sich O. Hertwig mit Weismanns An¬
nahme der Idioplasmatheorie von Naegeli. Naegeli unterscheidet zwei ver¬
schiedene Arten von Protoplasma: eine, welche im Ei und Samenfaden in gleichen
Mengen vorhanden und Trägerin der erblichen Eigenschaften ist (Idioplasma)
und eine Art, die zwar im Ei in großen Mengen angehäuft ist, im Samenfaden
aber ganz oder so gut wie ganz fehlt und die vorzugsweise Ernährungsprozessen
dient (gewöhnliches Plasma, Ernährungsplasma). Das Eigenartige der
Theorie 0. Hertwigs beruht aber in der Annahme einer Lokalisation
des Idioplasmas in der Kernsubstanz.
O. Hertwig war der erste, der für die tierischen, E. Straßburger, der
für die pflanzlichen Objekte zu dem beide Male gleichen Ergebnis kam, daß die
Kerne nach der Rolle, die sie bei der Befruchtung, bei der Entwicklung und
im Zellenleben im allgemeinen spielen, als die Träger der erblichen Anlage
betrachtet werden müssen und daß daher ihre Substanz, besonders wohl das Chroma¬
tin dem Idioplasma von Naegeli entspricht. Es vollzieht sich im Innern des
Eidotters die Verbindung der beiderseitigen Kerne, des Ei- und des Samentieres,
zu einem Keimkern. Der Keimkern ist ein durch „Amphimyxis“ entstandener
gemischter Kern, der mütterliche und väterliche Kernsubstanzen in gleichen Be¬
trägen in sich vereinigt. Und von ihm stammen während des Entwicklungsprozesses
durch den komplizierten Vorgang der Kariokinese alle nachfolgenden Kerngenera¬
tionen ohne Ausnahme ab. Der Satz: „omnis cellula e cellula“ findet so
seine Erweiterung und Ergänzung in dem zweiten gleich wichtigen:
„omnis nucleus e nucleo“.
Dieser Theorie 0. Hertwigs und E. Straßburgers schlossen sich bald
Weismann, Kölliker, Hugo de Vries, Richard Hertwig, Roux, Boveri
und noch andere Forscher an. 0. Hertwig selbst aber vervollständigte die Theorie
zu einer Hypothese die er das „Gesetz von der Äquivalenz von Ei- und
Samenkern“ nannte. Danach besitzen durch die Teilungsprozesse nach erfolgter
Amphimyxis alle Tochterzellen in entsprechenden Phasen des Zellenlebens, z. B.
gleich nach einer neuen Teilung, denselben Gehalt an erblicher Kernsubstanz.
Boveri hat dieses auch von ihm angenommene Verhalten mit dem kurzen und
treffenden Ausdruck als „proportionales Kernwachstum“ bezeichnet.
Es wäre nun nach Hertwig ganz falsch, wenn man sich vorstellen wollte, daß
dieselben zwei Idioblasten, welche durch die Befruchtung zusammengeführt werden,
später durch die Reduktion der Zellmasse bei der Teilung einfach wieder vonein¬
ander getrennt werden. Er schließt sich dabei der Hypothese von de Vries an,
der eine Beeinflussung der Zellmasse auf materiellem Wege annimmt und dadurch
den Gegensatz der anscheinend durch die Idioplasmatheorie zwischen Kernsubstanz
und Protoplasma geschaffen ist, ausgleicht, ohne daß dadurch doch der Grund-
cliarakter der Theorie aufgehoben wird. Hertwig glaubt nicht genug hervorheben
zu können, daß mit seiner Hypothese in keiner Weise eine Scheidewand zwischen
Protoplasma und Kern errichtet oder letzterem eine Art Monopol für die Leistung
aller Lebensvorgänge zugesprochen werden soll. Protoplasma und Kernsubstanz
betrachtet er vielmehr als zwei für das Zustandekommen der Lebensprozesse gleich
wichtige Substanzen, die keine der andern entbehren kann. Denn der Kern ist in
mehr als einer Hinsicht auf das Protoplasma angewiesen, in dem sich die Er-
nährungsprozesse von erster Hand abspielen und überhaupt der Verkehr mit der
Außenwelt vermittelt wird. Nur unter Vermittelung des Protoplasmas können über¬
haupt die Merkmale, welche als Anlagen im Kern gewissermaßen magaziniert sind,
zur Entwicklung gebracht werden, entstehen Muskel-, Nervenfib rillen, Interzellular¬
substanzen usw. Er teilt also gleichsam die Ausführung dem Protoplasma, die Lei¬
tung dem Kerne zu. De Vries — und mit ihm Hertwig — denkt sich im Detail die
Sache so, daß von der im Kern vorhandenen Anlagesubstanz einige Bioblasten oder
Pangene (de Vries), während die .meisten einstweilen inaktiv bleiben, wachsen,
sich vermehren und dadurch auch in Wirksamkeit treten, daß ein Teil von ihnen
in das Protoplasma auswandert, doch nicht daß alle Arten von Bioplasten noch im
*) Vergl. Po in care, Henry. Wissenschaft und Hypothese. Autorisierte
deutsche Ausgabe von E. L. Lin de mann. Leipzig, B. G. Teubner, 1904.
Bücherschau.
811
Kern vertreten werden. (De Yries nennt den subponierten Vorgang intrazelluläre
Pangenesis“). Wenn man will, kann man also unter voller Aufrechterhaltung der
Hertwigschen Hypothese neben der Vererbung durch den Kern auch von einer
Vererbung durch das Protoplasma sprechen.
Übrigens protestiert Hertwig dagegen, daß sein Standpunkt in irgend einer
Richtung als „vitalistischer“ bezeichnet werde. Er will keine unüberbrückbare
Kluft zwischen Lebewesen und unbelebter Natur errichten, wenn er auch der
lebenden Substanz eine viel verwickeltere und tausendmal kompliziertere Organi¬
sation, dadurch aber auch die Möglichkeit zur Entfaltung eines eigentümlichen
und ganz anderen Wirkens zuschreibt, als die es ist, mit der der Chemiker sich
beschäftigt. In dieser Beziehung vermag ich ihm bei aller Hochachtung vor seiner
sonstigen unbestreitbaren Logik nicht zu folgen. Er begründet seinen Standpunkt
damit, daß ihm mit Rabl die Entwicklung der Organismen im Grunde nur als
„eine kontinuierliche Kette chemischer Vorgänge erscheint, gebunden und reguliert
durch ein bestimmtes anatomisches Substrat“. Seinen Leitsatz, daß unter der „Be¬
schaffenheit“ wesentlich die „Konfiguration“ zu verstehen sei, die die Wertungs¬
weise eines materiellen Systems bedingen, kann ich nur beipflichten, wenn ich mir
mit 0. Rosenbach1) hinter dem Kunstwerk auch den Künstler, hinter dem Musik¬
stück den Komponisten, hinter dem Klavier seinen Spieler denke. Eschle.
Die Summation einzeln unwirksamer Reize als allgemeine Lebenserscheinung.
Von E. Steinach. Bonn, Martin Hager, 1908. 112 S. u. 7 Taf. 7 Mk.
Daß am Nerv-Muskel präparat durch Häufung minimaler Reize, welche einzeln
anscheinend wirkungslos bleiben, Zuckungen ausgelöst werden können, ist wohl
bekannt. Steinach ist diesen Reizen experimentell nachgegangen und hat mit
sinnreichen Versuchsanordnungen sowohl die geringsten Reize, die überhaupt noch
in ihrer Summation Reaktionen auslösen, als auch die zeitlich zulässigen Intervalle
zwischen den Einzelreizen bestimmt.
Ein ganz besonderes Verdienst aber kommt ihm zu, weil er sich nicht auf
Versuche an Muskelpräparaten beschränkte, sondern auch einzellige Organismen
(Flagellaten und Ziliaten), Pflanzenzellen (Spirogyra, Mimosa, Berberis, Nitella) und
Leuchtzellen in den Kreis seiner Betrachtungen zog.
Aus seinen Ergebnissen, welche durchweg aufmerksamstes Studium verdienen,
seien folgende besonders herausgehoben: Alle lebendige Substanz besitzt ein starkes
Summationsvermögen; dasselbe erstreckt sich einerseits über eine Reizskala, welche
weit unterhalb die Schwellenwerte hinabreicht, andererseits läßt es Pausen zwischen
den Einzelreizen bis zu 6 Sekunden bei Pflanzen und längsgestreiften Muskeln,
1 Sekunde für die Nerven-, 0,2 Sekunden für die Muskelzellen zu.
Das Summations vermögen ist um so größer, je träger die Substanz auf Reize
oder spontan reagiert.
Ob die einzelnen Reize von derselben Seite oder von verschiedenen, ev. ent¬
gegengesetzten Seiten zugeleitet werden, ist gleichgültig.
Bei Ermüdung erlischt allmählich die Wirksamkeit der kleinsten Reize, so daß
die Breite des Summationsvermögens, die Skala der unwirksamen Reize kleiner
wird. Dabei bleibt aber die gewöhnliche Reizschwelle intakt; es ist somit jene
Einengung des Summationsvermögens das feinste Reagenz für die physiologische
Leistungsfähigkeit einer Zelle. Daß demgemäß schon die leisesten Störungen sich
diesem Reagenz enthüllen, erscheint begreiflich; so hat Steinach beträchtliche
Unterschiede im Summationsvermögen bei Fröschen im Oktober und im März-April
konstatieren können, und bei Zirkulationsstörungen, Überanstrengungen, Degenera¬
tionen usw. treten sie erst recht auf. Umgekehrt äußert sich die Erholung im
Wiederanwachsen der Summationsbreite.
Nach Stein ach s Untersuchungen darf das Vermögen, unterschwellige Reize
zu summieren, nicht mehr als besondere Eigenschaft der Nervenzellen angesehen
werden ; es ist vielmehr eine allgemein verbreitete Lebenserscheinung, welche sich
bei vielen und ganz verschiedenartigen Substanzen in einer ungleich mächtigeren
Ausbildung vorfindet als bei jenen Gebilden, bei welchen sie entdeckt und als
spezifische Eigenschaft gewürdigt worden ist. Die lebendige Substanz ist bei ihren
natürlichen Reaktionen für sämtliche Reize eingestellt.
Ich glaube, jedem physiologisch Denkenden werden die S tein ach’ sehen
Mitteilungen zu denken geben. Er wird nicht mehr die dicken, groben, katastrophen-
1) Vergl. O. Rosenbach. Die Seekrankheit als Typus der Kinetosen. Wien,
A. Holder, 1886.
812
Bücherschau.
mäßig wirkenden Reize, wie sie die Experimentalphysiologie z. B. im elektrischen
Strom, die Ätiologie in einzelnen, sich besonders heraushebenden anamnestischen
Momenten, die Therapie in? bestimmten Arzneidosen verwertet, ausschließlich be¬
rücksichtigen, sondern sich stets vor Augen halten, daß die Lebenserscheinungen,
welche uns sinnfällig werden, auf jenen minimalen immerwährenden Reizen beruhen,
wie ja in ähnlicher Weise auch das Bewußtsein ganz im Unbewußten wurzelt. Er¬
innern wir uns, wie alle Organe untereinander in engem Zusammenhang stehen,
und wie jeder Vorgang eine Resonanz im Gesamtorganismus auslöst, dann scheint
sich für einen Augenblick der Schleier von dem Mysterium des Lebens zu heben,
um freilich sofort in dem Gewirr verschlungener Kombinationen um so dichter
sich wieder herabzusenken. Buttersack (Berlin).
Kinderschutz gegen Unfälle. 300 Regeln für Eltern, Erzieher und Kinder
von Albert Fleck, Arzt in Berlin. Berlin, Verlag von Julius Springer,
1908. 47 S. 80 Pfg.
Das Werkchen gibt in sehr durchdachterWeise und unter Vermeidung aller
überflüssigen Redensarten, zu denen das Thema vielleicht verführen könnte, Be¬
lehrungen über die Gefahren, denen unsere kleinen Lieblinge ausgesetzt sind, und
deren Verhütung. Man könnte bei der Fülle der Unfallschancen — nicht nur in
den großen Städten, sondern auch auf dem platten Lande trotz seiner einfacheren
und an sich gefahrloseren Verkehrs Verhältnisse — von vornherein an dem Erfolg
jeder Prophylaxis durch Belehrung und Warnung verzweifeln: aber bei einer gründ¬
lichen Vertiefung in die Materie wird man doch dem Verf. recht geben müssen,
der nach achtjähriger Beobachtung und Sammeltätigkeit zu der Überzeugung ge¬
langte, daß die Möglichkeiten, zu Schaden zu kommen, zwar vielgestaltig genug, aber
immerhin auch wieder in gewissem Maße begrenzt sind, und daß sie sich fast immer
in derselben Verkettung wiederholen. Jedenfalls gestattet uns diese Erwägung
nicht, einfach die Flinte ins Korn zu werfen und auf Warnungen ganz zu ver¬
zichten oder uns andererseits mit einer derartig übertriebenen Ängstlichkeit er¬
füllen zu lassen, daß wir nun durch allzu große Häufung von Verboten die
Bewegungsfreiheit und damit auch die harmlose Fröhlichkeit der Jugend völlig unter¬
drücken. Eschle.
Leitfaden für den geburtshilflichen Operationskurs. Von Döderlein,
8. Aufl. Mit 163 Abb. 240 S. Georg Thieme, Leipzig, 1909. 4 Mk.
Der Döderlein-’ sehe Leitfaden, dessen 6. Auflage von mir in diesen Blättern
(Fortschritte der Medizin, 1904, S. 1254) bereits ausführlich besprochen ist, liegt
jetzt in 8. Auflage vor. Im äußeren Gewand hat sich nichts, im Innern wenig
verändert. Bilder und Text haben Verbesserungen erfahren; ein Teil der Bilder
wurde erneuert, einzelne neue wurden hinzugefügt. Ein kurzer Anhang bringt nach
einem kurzen historischen Überblick und einer Erörterung der Indikationen eine
knapp gehaltene anschauliche Schilderung des Kaiserschnitts (auch der neuerdings
so aktuelle „extraperitoneale Kaiserschnitt“ wird kurz gestreift) und der becken-
erweiternden Operationen. Die offenen Operationsmethoden der Symphvseotomie
und Hebosteotomie erklärt Döderlein für überwunden; die subkutane Durch¬
schneidung der Symphyse nach Frank findet allerdings keine Erwähnung.
Daß der Bossi’sche Dilatator, dessen Leistungsfähigkeit in geübter Hand
außer Zweifel steht, in einem den Zwecken des Studenten und Praktikers dienenden
Büchlein keine Erwähnung findet, ist verständlich; auffallend erscheint jedoch,
daß auch Indikation und Technik des vaginalen Kaiserschnitts nicht erörtert wird.
Die Methode ist besonders in ihrer Anwendung bei der Eklampsie längst über den
Rahmen eines nur für die Klinik brauchbaren Verfahrens hinaus gewachsen, so
daß sie auch in einem kurzen Abriß der wissenschaftlichen Gehurtshilfe nicht mehr
fehlen sollte.
Der bekannte Leitfaden wird auch in seiner jetzigen Gestalt dem lernenden wie
dem ausübenden Mediziner sich als bewährter Führer erweisen. F. Kayser (Köln).
Die Pflege und Ernährung des Neugeborenen. Von Prof. A. Martin.
Fragen des Lebens. Verlag für Volkshygiene, Berlin. 30 Pfg.
So beherzigenswert die von dem bekannten Gynäkologen gegebenen Winke
sind, soweit sie die Hygiene und Diätetik der Wöchnerin betreffen, so wenig wird
Bücherschau.
813
sich der Kinderarzt mit einigen Angaben über die Pflege der Kinder einverstanden
erklären können. Dazu gehört das Badeverbot für die ersten Lebenstage, die von
M. empfohlene Mundreinigung, die energische Ablehnung des Schnullers, die für
die Zeit der Menstruation geforderte Unterbrechung des Stillens, sobald grünliche,
dünne Entleerungen auftreten. Anzuerkennen ist der Hinweis auf rechtzeitiges
Befragen des Arztes bei Erkrankung und die recht ausführliche Besprechung der
Diätetik der Stillenden. Die beigegebene Tabelle für künstliche Ernährung für das
erste Lebensjahr von Ebert-Wilmersdorf ist im allgemeinen ausreichend. Bef. möchte
hier auf das ausgezeichnete Büchlein von Pescatore: Pflege und Ernährung des
Säuglings hinweisen. Aronade.
Blutungen und Ausfluß aus dem Uterus. Ihre Ursachen und Behandlung.
Von Hofrat Dr. A. Teilhaber. Verlag von Ernst Reinhardt, München,
1909. 2,50 Mk.
Vorliegendes Heft ist eine sehr dankenswerte Zusammenfassung der bis¬
herigen Arbeiten Teilhabers und seiner Assistenten auf überschriftlich genanntem
Gebiet. Bekanntlich gipfelt das Resultat dieser Untersuchungen bez. der Blutungen
darin, daß nur in den seltensten Fällen (abgesehen von Neubildungen) das Endo¬
metrium die Quelle der Blutungen ist, vielmehr fast ausschließlich das Myometrium.
Erinnert sei an den von Teilhaber aufgestellten Begriff der Insufficientia uteri
(analog der des Herzens), der Myofibrosis uteri, des Adnexuterus u. a. Therapeutisch
ist der ursächlichen und allgemeinen Behandlung mehr Rechnung zu tragen, neben¬
bei wird man aber meist auch zu lokaler greifen müssen, wobei Auswischungen
mittels Wattestäbchen mit Formalin- oder Chlorzinklösungen an erster Stelle zu
nennen sind. — Was den Ausfluß anbetrifft, so sind Theilhabers Ansichten hier¬
über soeben a. a. O. in diesen Blättern referiert worden. R. Klien (Leipzig.)
Vorlesungen über Geschichte der Medizin. Von Prof. Dr. Ernst Schwalbe.
Zweite umgearbeitete Auflage, mit einer kurzen Übersichtstabelle von
Dr. L. Aschoff. Verlag von Gustav Fischer in Jena, 1909. 3,80 Mk.
Die Beschäftigung mit der Geschichte der Medizin erscheint im Studiengang
unserer Wissenschaft als ein rechtes Stiefkind und wird es auch wohl vorläufig bleiben.
Es kann das auch nicht wundernehmen, wenn man berücksichtigt, wieviel Vor¬
lesungen in den klinischen Semestern gehört werden müssen und den vorklinischen
Semestern fehlt wohl in den allermeisten Fällen noch das Interesse für diesen
Zweig unserer Wissenschaft. Und doch ist die Studienzeit zweifellos die einzig
geeignete, um sich einige historische Kenntnisse anzueignen, denn späterhin wird
es den meisten im Drange der Berufsgeschäfte kaum möglich sein, sich in den
Geist der Zeiten zu versetzen. Eine historische Grundlage aber sollte sich wenigstens
jeder zu verschaffen suchen und das klar und übersichtlich geschriebene Werk von
Schwalbe, der großzügig und von großen Gesichtspunkten aus die Geschichte im
Wandel der Zeiten an uns vorbeiziehen läßt, bietet dazu die sehr geeignete Gelegen¬
heit. Es wird jeder Leser das Buch nicht nur dankbar, in dem Bewußtsein, nun¬
mehr über ein abgerundetes Bild unserer Wissenschaft zu verfügen, aus der Hand
legen, auch ein praktischer Nutzen dürfte sicher aus dem Studium dieser Vorlesungen
von Schwalbe resultieren, wie ihn der Autor erhofft, wenn er zum Schluß seiner
Ausführungen sagt: „Wer die Geschichte der Medizin etwas sorgfältiger kennen
lernt, den wird diese Kenntnis zu einem Gegner jeder oberflächlichen Heilmethode
machen, jeder Heilmethode, die sich als die einzige für alle Krankheiten hinstellt.
Wer die Geschichte der Medizin kennt, der wird in besonderem Maße befähigt sein,
der Kurpfuscherei und den Auswüchsen der Medizin selbst, wie der Homöopathie,
entgegenzu treten.
Und noch eine Lehre wollen wir aus der Geschichte der Medizin schöpfen.
Wir können beobachten, daß gerade in der Zeit stärksten Theoretisierens der als
Arzt der Mitwelt am größten erschien, der theoretische Streitigkeiten ablehnend in
rastloser Menschenliebe seinem Beruf lebte, so Sydenham, so auch, um ein Beispiel
aus der Zeit der Naturphilosophie zu nennen, der — alte Heim — . Das gibt uns
zu denken. Schwer ist der Beruf des Arztes, am schwersten wohl des Arztes, der
allein auf dem Lande den mannigfachsten Krankheiten gegenübersteht.
Der Arzt muß zwei Eigenschaften verbinden, die ihn allein zu seinem Beruf
geschickt machen, er muß mit der Fähigkeit der naturwissenschaftlichen Beobachtung
und dem Wissen, das ihm sein Studium gibt, die Humanität vereinen, die allein
ihm die Begeisterung verleiht, die sein Beruf erfordert.
814
Krankenpflege und ärztliche Technik.
Wenn die Geschichte der Medizin wie ich sie Ihnen im Überblick gegeben
habe, ein wenig dazu hilft, durch die Bewunderung und das Verständnis für unsere
Vorgänger, diese Begeisterung für Ihren Beruf zu stärken, so wäre mir das eine
hohe Befriedigung.“
Die von Aschoff bearbeitete und dem Buche beigegebene Übersichtstabelle
schließt sich demselben sehr gut an und eignet sich vorzüglich zur schnellen
Orientierung. R.
Krankenpflege und ärztliche Technik.
Die Luftdusche „Fön“.
Zur einfachen und bequemen Erzielung örtlich begrenzter Hyperämien
unter gleichzeitiger Einwirkung höherer Temperaturen hat sich die Behand¬
lung mit strömender Heißluft besonders wirksam erwiesen. Die vorzüg¬
lichen, auf der Bier’schen Stauungstherapie fußenden Heilerfolge sichern
dieser neuen Behandlungsmethode bei den verschiedensten Gelenkerkrankungen
und Neuralgien sowie bei Eurunkulosen eine dauernde therapeutische Ver¬
wertung.
Das neue Behandlungsverfahren konnte sich jedoch in ärztlichen Kreisen
nur auf Grund eines sowohl in konstruktiver Hinsicht wie auch in bezug
auf Handlichkeit und Hygiene jeder Anforderung entsprechenden Apparates
einbürgern.
Alle diese Bedingungen erfüllt die Heißluftdusche „Fön“ in hohem
Maße, die durch Verbindung eines kräftigen Ventilators mit einem im
Handgriff vorgesehenen Motor und Verwendung eines eigenartig konstru¬
ierten, leicht auswechselbaren Heizkörpers unmittelbar nach Anschluß an
eine elektrische Lichtleitung einen kräftigen, konstanten auf über 100° C
erhitzten Luftstrom liefert. Da dieser außerdem absolut trocken ist, ist
jede Verbrennungsgefahr für den Patienten ausgeschlossen. Auch kann nach
Bedarf durch Verwendung von Ansatztuben mit verschiedenen kleineren Aus¬
strahlöffnungen nicht nur die Intensität des Luftstromes gesteigert, sondern
auch dessen Temperatur auf 120—150° 'C erhöht werden. Ferner läßt sich der
Heizkörper ausschalten und der Apparat derart gleichfalls zur Applikation
eines Kaltluftstromes verwenden. '
Die Heißluftdusche wird zweckmäßig an einer Aufhänge-Vorrichtung
befestigt, die Höhen- und Seitenverschiebungen mit absolut sicherer Fixierung
gestattet.
Das geringe Gewicht des Apparates bietet die Möglichkeit leichtester
Krankenpflege und ärztliche Technik.
S15
Transportabilität und damit auch der Verwendung desselben zur Behandlung
bettlägeriger Patienten außer Haus.
Bei allen Vorzügen dieser Heißluftdusche ist, um so mehr als lästige
Reparaturen fast ganz in Wegfall kommen, der Preis von 60 Mark als
ein sehr niedriger zu bezeichnen.
Fabriziert wird dieser Apparat von der E. G. „Sanitas“-Berlin.
Antiphone und Paraphone.
Von Dr. Sprenger, Stettin.
Die bisher gebräuchlichen Antiphone sind Kugeln aus Metall, aus Hart¬
gummi oder aus Zelluloid mit einem zur Handhabe dienenden, daran be¬
festigten Anker. Außerdem gibt es handschuhfingerartige Einlagen in den
Gehörgang aus W eichgummi und endlich W achsantiphone : die W achskugel
wird mit den Fingern eingelegt und mittels eines daran befestigten Fadens
oder Drahtbügels wieder entfernt. Diese sämtlichen Antiphone sind nach
dem Einlegen sichtbar, drücken, verursachen Sausen und schließen schlecht ab.
Eine Sonderstellung nimmt das ,, Paraphon“ (Paraffin-Antiphon) nach
Dr. Sprenger ein. Sprenger ging von dem Gedanken aus, daß ein Anti¬
phon nach dem Eingelegtwerden nicht zu sehen sein dürfe, daß es weich
sein und gut schließen müsse. Da alle bisherigen Antiphone aus hartem
Metall bestanden — auch das Wachs macht davon keine Ausnahme — so
suchte er nach einem Stoffe, der beliebig weich verwendbar wäre ; als sol¬
chen fand er am geeignetsten das Paraffin. Hartparaffin wäre zu hart
gewesen, Paraffinöl zu weich. Er mischte also diese beiden, bis er zu einem
Produkte kam, das bei Zimmertemperatur gerade hart ist, im Ohre aber
öligweich wird. Eine derartige Paraffinkugel kann natürlich nicht ohne
weiteres als Antiphon benutzt werden, da sie nur schwierig, eventuell nur
durch Ausspritzen entfernt werden könnte.
Es wurden deswegen Watteröllchen genommen und in die
erwärmte Paraffinmischung eingetaucht; diese Paraffin -Watte -Anti¬
phone sind sehr gut brauchbar, aber auch schwierig zu entfernen, da sie
manchmal auseinanderreißen. Sprenger legte deswegen eine Seiden¬
hülle herum, die durch Knüpfung geschlossen wird. Durch die
Seidenhüllc bekommt das Antiphon einen kleinen, als Handhabe dienenden
Stiel, und dieses Paraffin -Watte -Antiphon mit Stiel wird nochmals in die
Paraffinmischung eingetaucht und bekommt dadurch einen leichten Paraffin¬
überzug. Es ist bei Zimmertemperatur fest-weich und wird im Ohr fast
öligweich. Es wird durch Erfassen des Stieles eingelegt und noch zwei
bis drei Minuten, wenn es weich geworden ist, mit dem Finger angedrückt.
Die Entfernung geschieht durch Anfassen am Stiel. Zur Erzielung einer
besonders großen Schwerhörigkeit dient eine kleinere Nummer des Para¬
phons, die mit einer besonderen Pinzette D. R. P. tiefer in den
Gehörgang versenkt wird, nämlich bis zur Grenze des knorpligen
und knöchernen Gehörganges. Die Pinzette unterscheidet sich von den
bisher gebräuchlichen Ohrpinzetten dadurch, daß sie einen breiten Körper
und kurze Arme hat. Die tiefe Versenkung des Paraphons hat dreierlei Vorteile :
1. völlige Unsichtbarkeit,
2. absoluten Schluß,
3. wird keinerlei Druckgefühl und keinerlei Sausen a-usgelöst..
Paraphone D. R. P. und Pinzette D. R. P. sind zu beziehen durch die Firma:
„Unitas“- Stettin, Falkenwalderstr. 25.
816
Krankenpflege und ärztliche Technik.
Stetoscop mit Muscheln aus elastischem Gummi
und einsteckbarem Zwischenrohr.*)
Nach Dr. med. G. Freuden thal.
Die Verbesserung besteht darin, daß die sonst
aus Hartgummi oder anderen nicht elastischen Mate¬
rialien hergestellten Muscheln aus Weichgummi an¬
gefertigt werden. Die große Muschel, welche als Ohr¬
stück dient, legt sich dem Ohr fest und passend an,
während die kleine Muschel sich dem Körper (Rippen
usw.) anschmiegt und weder durch Druck noch Kälte
den Patienten belästigt.
Durch den fast luftdichten Weichgummi- Ab¬
schluß wird der Schall von den Organen deutlich
übertragen und äußere Nebengeräusche vermieden.
Das Zwischenrohr ist in die Muscheln fest ein¬
geklemmt und wird aus bestem Hartgummi herge¬
stellt, doch können die Muscheln abgenommen und
lose in der Tasche getragen werden.
*) Hannoversche Gummi -Kamm -Compagnie, Aktien-
Gesellschaft, Hanno ver-Limmer.
Kronen-Fuß-Stütze.
(Gesetzlich geschützt D. R. G. M.)
Von E. A. Schuchardt, Erfurt.
Die neue Fußstütze ist aus Leder muldenförmig mit erhöhtem Rand
gewalkt und unterstützt von einer Feder.
Das Ideal der Kronen-Fuß-Stütze ist der erhöhte Fersenrand, wodurch
das bisherige lästige Verrutschen unmöglich und dieselbe leicht auswechsel¬
bar ist. Die Einlage hält sich zwischen Ferse und Schuh fest, so daß das
Hinterteil des Fußes in einer Mulde ruht. Der umgewalkte Lederrand ist
im Gegensatz zum Schuh etwas nach außen gehalten, wodurch die Einlage
sich an den Schuh fest anlegt.
Es ist ferner zu beachten, daß der Schuh an der Ferse gerade gehalten
ist, durch die Rundung der Ferse entsteht ein leerer Raum, welcher dement¬
sprechend von der Einlage ausgefüllt wird.
Die Feder an der Einlage selbst ist oval, ohne jede Ecke und be¬
schränkt sich nur auf den hohlen Fuß, wodurch jeder Druck auf die Ferse
und den großen Zehenballen vermieden, sowie ein Zerbrechen und Durch¬
drücken der Feder vollkommen ausgeschlossen wird, ferner ist die Feder-
Erhöhung so breit gehalten, daß dieselbe den Seitenpartien des Fußes einen
vollkommenen ganzen Halt gibt. Bei vorsichtiger Behandlung lassen sich
bei starker Deformation die kurzen Federeinschnitte korrigieren.
Die Kronen-Fuß-Stütze wird in 9 Größen angefertigt und zwar für
Kinder, Damen und Herren in je 3 Größen mit der näheren Bezeichnung!
bezw. Einteilung klein, mittel und groß.
Schriftleitung: Dr. Rigi er in Leipzig.
Druck von Emil Herr mann senior in Leipzig.
27. Jahrgang.
1909.
Tomcbrim der medizin.
Unter Mitwirkung hervorragender Fachmänner
herausgegeben von
Professor Dr. 0. Köster Prio.-Doz. Dr. v. Criegern
in Leipzig. in Leipzig.
Schriftleitung: Dr. Rigler in Leipzig.
Nr. 22.
Erscheint am 10., 20., 30. jeden Monats. Preis halbjährlich
6 Mark, in kl. Zeitschrift für Versicherungsmedizin 8 Mark.
Verlag von Georg Thieme, Leipzig.
10. August.
Originalarbeiten und Sammelberichte.
Aus der medizinischen Klinik (Säuglings- und Kinderabteilung) Marburg.
Neuere Ansichten über die Ätiologie der Rhachitis.
(Klinischer Vortrag.)
Von Privatdozent Dr. Paul Sittler.
M. H. ! Die Beantwortung der Frage nach den Ursachen der
Rhachitis ist im Laufe der Zeiten sehr verschieden gewesen.
Zahlreiche Faktoren physikalischer, chemischer nnd sogar direkt in¬
fektiöser Natur sind zur Erklärung des Auftretens der englischen Krank¬
heit angeschnldigt worden. Es sei nur bezüglich der letztgenannten
Momente an die Hypothese erinnert, welche in der Rhachitis eine analoge
Infektionskrankheit sehen wollte, wie wir sie z. B. in der Malaria
vor uns haben, und welche znm Beweis dieser Analogie, die Lei Rhachitis
so oft vorhandene Milzvergrößerung heranzog. — Ähnlich hat auch
Mir coli in der Rhachitis einen entzündlich -infektiösen Prozeß' sehen
wollen.
Die obige Hypothese hat aber niemals eine allgemeine Verbreitung
finden können, ebensowenig wie eine andere Annahme, die das Ent¬
stehen der Rhachitis nicht auf direkte bakterielle, sondern auf infek-
töse Einflüsse chemisch-toxischer Natur zurückführen wollte.
Einer der Haupt Vertreter dieser Ansicht ist Marfan. Auf gleiche
Stufe mit anderweitigen Stoffwechsel- nnd ähnlichen Störungen stellt
er auch die toxischen Einwirkungen, die besonders von der hereditären
Lues (auf Knochenmark, Milz und Drüsen) ausgehen nnd sieht hierin
einen schädlichen Reiz, der das Auftreten von Rhachitis zu bewirken
vermag. — In anderer Weise haben Fede, Jovane und Fo<rte toxische
Einflüsse als Ätiologie der Rhachitis angeschuldigt. Diese Autoren wollen
bei Tieren Rhachitis dadurch erzeugt haben, daß sie systematische,
subkutane und intravenöse Injektionen von Fäzesextrakten von rhachi-
tischen nnd magendarmkranken Kindern machten. Daß durch diese
toxisch wirkenden Injektionen, — die für die Annahme einer Autoin-
toxikation heim Menschen als Ursache der Rhachitis sprechen würden
heim Tiere eine echte Rhachitis erzeugt werden kann, steht noch
nicht einwandfrei fest. — Denn auch durch kalkarme Fütterung läßt
sich im Tierversuch eine zwar der Rhachitis klinisch ähnliche, aber trotz¬
dem (nach den mikroskopischen Befunden) nur den Namen Pseudo-
rhachitis verdienende Krankheitsform bewirken. (St ölt zner,M agniis-
Levy). —
52
818
Paul Sittler,
In das Kapitel der chemisch-toxischen Einflüsse gehört auch die
Ansicht derjenigen Autoren, die die Ätiologie der Khachitis in der
Insuffizienz, d. h. in der mangelhaften entgiftenden Funktion eines
Organs mit innerer Sekretion gesucht haben So wurde schon früher
die Schilddrüseninsuffizienz (ebenso auch eine Thymusinsuffizienz) als
ursächlich angeschuldigt ; therapeutische Versuche vermittels Zufuhr
von Schilddrüsen- (und Thymus-)Substanz haben aber durch ihre Un¬
wirksamkeit die Nichtberechtigung dieser Hypothese bewiesen. — - Fast
gleichzeitig mit dem Nachweis der Erfolglosigkeit der Schilddrüsen¬
therapie bei Khachitis wurde hauptsächlich von Stöltzner ein anderes
opotherapeutisches Mittel, die Darreichung von Nebennierensubstanz
bei Khachitis empfohlen. Stöltzner hatte beim Verfolgen der Frage
nach der Bedeutung der Drüsen mit innerer Sekretion bei Khachitis in
der Nebenniere das Organ zu finden geglaubt, dessen normale Tätig¬
keit das Auftreten von Khachitis verhindere. Die Folge dieser An¬
nahme war die Empfehlung (1900) von Nebennierensubstanz in Tabletten-
form als Antirhachiticum (Khachitoltabletten), eine Therapie, die aber
von Stöltzner selbst wieder verlassen wurde. — Im Abschnitt ,, Khachi¬
tis“ in Pf aundler-Schlossmann’s Handbuch der Kinderheilkunde
(1906, Bd. I, 2) sagt Stöltzner: „Das beste Heilmittel der Khachitis
ist nach meiner Überzeugung der Phosphorleberthran“, ein Ausspruch,
der mir, wenn man seinen Umfang auch auf einige andere Phosphor¬
präparate ausdehnt, heute noch seine Gültigkeit zu haben scheint. —
Nun ist aber in der letzten Zeit Bossi, nach ihm auch wieder Stöltzner
auf die Frage des ursächlichen Zusammenhangs zwischen Neben¬
nieren und Khachitis zurückgekommen. Insbesondere Bossi hat in
verschiedenen Arbeiten diesen Konnex (auch zwischen dem Auftreten
von Osteomalazie und mangelhafter Funktion der Nebennieren) scharf
betont und therapeutisch bei Khachitis (wie auch bei Osteomalazie)
die Verabreichung von Adrenalien per os (in Form der l°/oo Lösung)
empfohlen; — auch subkutan ist Adrenalin zugeführt worden. Ver¬
suche an Tieren schienen diese Annahme Bossi’s nur zu stützen. Den
Anschauungen Bossi’s hat sich Stöltzner angeschlossen und der An¬
sicht Ausdruck gegeben, ,,daß bei Khachitis die suprareninbildende
Funktion der Nebennieren insuffizient ist“, daß diese Insuffizienz „keine
Begleit- oder Folgeerscheinung, daß sie die nächste Ursache der Kha¬
chitis ist.“ Die therapeutische Verwendung von Adrenaiinlösung hat
sich auch Stöltzner bei Khachitis bewährt. Es wäre ja a priori nicht
auszuschließen, daß dem Adrenalin eine therapeutische Wirkung zu¬
kommt, während die wohl nur wenig adrenalinhaltigen Nebennieren¬
substanz-Tabletten diese Wirkung nic'ht besitzen. — Der definitive
Nachweis, inwieweit diese Annahme der beiden genannten Autoren ihre
Berechtigung hat, muß erst durch therapeutische und hauptsächlich
histologische Untersuchungen an einem großen Material geliefert wer¬
den. Ein Versuch, bei Sektionen von rhachitischen Kindern histologische
Veränderungen der Nebennieren zu finden, ist von Jovane und Pace ge¬
macht worden, mit negativem Resultate. Vom anatomisch-histologischen
Standpunkte aus wollen diese Autoren „jedwede Beziehung zwischen
Nebennieren und Khachitis ausschließen“. Dagegen ließe sich allerdings
immer noch der Einwand erheben, daß die hypothetischen Nebennieren¬
veränderungen eben nicht anatomischer, sondern chemischer Natur
sind. Die gleichen Autoren, (welche früher (1907) den Zusammenhang
zwischen Nebenniereninsuffizienz und Khachitis verteidigt hatten), haben
Neuere Ansichten über die Ätiologie der Rhachitis.
819
in letzter Zeit (1909) auch an ihren Tierexperimenten gezeigt, daß
man diese Versuche nicht zum Beweise für die Bossi-Stöltzner’sche
Anschauung heranziehen dürfe. Denn einerseits gelinge es im Tier¬
versuche nach Exstirpation der beiden Nebennieren nicht, junge Tiere
lebend zu erhalten, andererseits mache einseitige Nebennierenexstir¬
pation keine Rhachitis. — Jedenfalls ist es nach dem gegenwärtigen
Stande der Frage nicht unangebracht, den Beziehungen zwischen Neben¬
nierenfunktion und Rhachitis noch eine gewisse Skepsis entgegen zu
bringen. —
Hieran anschließend seien die von der Nahrung ausgehenden
Einflüsse auf das Auftreten der Rhachitis genannt. Hier handelt es
sich um Einwirkungen rein chemischer Natur von verschiedener Art.
Einerseits kann die Möglichkeit ein treten, daß mit der Nahrung ein
Minus an denjenigen Stoffen eingeführt wird, ohne die im Körper ein
rhachitischer Prozeß zum Ausbruch kommen kann (z. B. Kalk) oder
daß eine unzweckmäßig zusammengesetzte Nahrung zu einer vermehr¬
ten Ausfuhr dieser Stoffe Veranlassung gibt. Dann übersteigt der
Verbrauch oder die Ausfuhr deren Einfuhr, d. h. die Bilanz dieser Sub¬
stanzen im Stoffwechsel wird eine negative. — Andererseits könnte
die übermäßige Zufuhr irgend eines Bestandteiles der Nahrung (z. B.
Eiweiß) auch in einer Weise einwirken, wie wir sie uns analog bei
der Erkrankung irgendeiner Drüse mit innerer Sekretion vorstellen
müssen. Es könnte die Mehrzufuhr des betreffenden Bestandteiles im
Körper u. a. auch zur Bildung von schädlich, (Rhachitis erzeugend)
wirkenden Produkten im intermediären Stoffwechsel*) führen.
Zuerst möge hier die Bedeutung der Überfütterung im allge¬
meinen für das Entstehen der Rhachitis erwähnt sein. Schon längst
war es bekannt, daß es auf diätetischem Wege wohl gelingt, durch
Zufuhr einer zweckmäßig zusammengesetzten (nicht übermäßige Mengen
zuführenden) Nahrung sowohl das Auftreten einer Rhachitis zu ver¬
hüten. als auch bei schon r ha chi tischen Kindern einen Stillstand der
Erkrankung herbeizuführen. Der Anschauung vom Zusammenhänge
der Rhachitis mit der Menge der zugeführten Nahrung wurde von
Esser in einer ganz bestimmten Weise Ausdruck gegeben. Esser hat
die direkte Ätiologie der Rhabhitis in einer Überfütterung be¬
sonders während des ersten Lebensjahres gesehen. Der Einfluß der
chronischen Überfütterung sowohl bei künstlicher als bei natürlicher
Ernährung hat nach Esser zum Zwecke „einer vermehrten Bildung
leukozytärer Elemente eine erhöhte Inanspruchnahme des Knochen¬
marks zur Folge“ und darin besteht für diesen Autor das ursächliche
Moment beim Auftreten des rhachitis eben Knochenprozesses. Nach
Esser ist es hauptsächlich die Überfütterung mit Milch, die hier in
Präge kommen soll , während dieser Autor „gar nicht so häufig der
Mehlpäppelung“ als Ursache der Rhachitis begegnet sein will. Einen
ähnlichen Standpunkt hat Orgler vertreten, daß nämlich „sowohl nach
einseitiger Überernährung mit Milch als auch nach einseitiger Kohle¬
hydratüberernährung schwerste Rhachitis auftreten kann“. - — In welcher
Weise die Überernährung zur Schädlichkeit wird, ist von den betreffen¬
den Autoren dahingestellt gelassen. Nur Aron hat z. T. durch gemein¬
sam mit Sebauer ausgeführte Tierexperimente am Hunde den Versuch
*) Der Bildung von autotoxisch wirkenden Produkten im Darm ist schon
oben gedacht.
52*
820
Paul Sittler,
gemacht, eine Erklärung hierfür zu geben. Er glaubt, „daß über¬
reichliche Ernährung — eben wegen des dadurch hervorgerufenen
stärkeren Wachstums — selbst mit einer sonst ausreichend Kalk ent¬
haltenden Nahrung de facto eine unzureichende Kalkzufuhr bedingt“,
weil in diesem Falle die Kalkretention mit der übrigen Körpergewichts¬
zunahme nicht gleichen Schritt zu halten vermöge. —
Nehmen wir hingegen, wie oben an, daß die Überfütterung zur
Bildung krankmachender Stoffe im intermediären Stoffwechsel führt,
so müßten wir eher einen einzelnen Bestandteil der Nahrung, wohl
am ersten mit Weißmann die Eiweißüberfütterung als ursächlich
für das Auftreten der Bhachitis ansehen. Weiß mann hat ausgehend
von der auch von Lungwitz bestätigten Tatsache, daß bei weitem
nicht jedes überfütterte Kind an Bhachitis erkrankt oder nicht jedes
rhachitische Kind allgemein überfüttert ist, die einseitige Ernährung
mit Eiweiß als ursächlich angeschuldigt. ,,Das Eiweiß liefert (sc. im
intermediären Stoffwechsel) durchweg saure Spaltungsprodukte, welche
bei gewissen Konstitutionen die Kalksalze indirekt in Lösung erhalten
und ihre Einlagerung in die Knorpelsubstanz verhindern.“ — Einen
analogen, aber auch die Eetternährung beschuldigenden Standpunkt
scheint Siegert zu vertreten, wenn er therapeutisch bei Bhachitis
eine kohlehydratreiche, fettarme, mehr vegetabilische als animalische
Ernährung empfiehlt.
Im direkten Gegensatz zu den Anschauungen dieser beiden letzt¬
genannten Autoren stehen die Ansichten einiger amerikanischer Ärzte.
Southwort und auch Kerley empfehlen bei Bhachitis als direktes
Therapeutikum die Verabreichung einer eiweißreichen Kost und
Morse hat bei fettreicher Ernährung der Bhachitiker sogar bessere
Besultate gesehen als durch Darreichung von Phosphor.
Gehen wir nun zur erstgenannten Möglichkeit über, nämlich zu
derjenigen Auffassung, die die Entstehung der Bhachitis in einem
Mangel an irgendwelchen Bestandtpilein der Nahrung gehen
will. Es ist bei der Suche nach dem Fehlen eines Nahrungsbestandteiles
fast natürlich, daß man sehr bald, nachdem man in der Bhachitis
eine mangelnde Knochen Verkalkung erkannt hatte, den Mangel an Kalk¬
salzen als Ursache dieses Leidens anschuldigen wollte. Nun haben
aber einerseits therapeutische Versuche durch Zufuhr von Kalkpräpa¬
raten allein die Bhachitis nicht zu heilen vermocht, andererseits wurde
gezeigt, daß im Körper, auch im zirkulierenden Blute, mit Ausnahme
des erkrankten Knochengewebes, bei Bhachitis genügend Kalk enthalten
sei (Stöltzner). Diese Annahme Stöltzner’s wurde jüngst von Aron
und Dibbelt bestritten. Beide Autoren haben betont, daß man bei
Bhachitis entschieden einen primären Kalkmangel des gesamten Kör¬
pers, bedingt durch einen zu geringen Kalkgehalt in der Nahrung an¬
nehmen müsse ; auch das an der Mutterbrust normal ernährte Kind
erhalte leicht eine zu kalkarme Nahrung zugeführt. Dibbelt hat
sogar in der natürlichen Ernährung mit ihrem nach seinen Berechnungen
allgemein während der ersten 6 — 9 Lebensmonate (im Vergleich zum
Bedarf des Säuglings) zu geringem Kalkgehalt, ein „prädisponieren¬
des Moment für die Entstehung der Bhachitis“ sehen wollen. Die
Ansichten dieser beiden Autoren (die beide Nicht-Pädiater sind), stützen
sich auf theoretische Berechnungen und auf Tierversuche. Nun zeigt
uns aber die praktische Erfahrung, daß gerade die natürliche Ernährung
an der Mutterbrust das beste Prophylaktikum (Perier), ja auch ein
Neuere Ansichten über die Ätiologie der Rhachitis.
821
Therapeutikum (Weiß mann) gegen Rhachitis bildet. Wir müssen
in diesem Ralle unbedingt den Tatsachen, die uns die tägliche Er¬
fahrung an unseren menschlichen Patienten lehrt, den Vorzug geben.
Denn die Resultate von Tierversuchen und noch viel weniger die einer
unsicheren (Orgler) theoretischen Berechnung lassen sich nicht ohne
weiteres auf die menschliche Pathologie übertragen ; ganz abgesehen
davon, daß von anderen Autoren bestritten ist (s. oben), daß die durch
kalkarme Rütterung beim Tiere entstehende Knochenerkrankung mit
Rhachitis irgendwelchen innern Zusammenhang hätte. — Schabad
spricht von einer Pseudorhachitis infolge von Kalkhunger auch beim
Menschen; ähnlich Magnus-Levy.
Stoffwechselversuche an rhachitischen Kindern haben allerdings
in einzelnen Rallen eine negative Kalkbilanz ergeben (Birk,
Dibbelt), d. h. die Ausfuhr dieses Mineralbestandteils in Kot und Urin
überstieg dessen Einfuhr mittels der Nahrung. Aber auc'h der gesamte
Aschenstoffwechsel und neben dem des Kalzium speziell der Magnesium-
und der Phosphorstoffwechsel können hier ebenfalls eine negative Bilanz
zeigen, trotzdem, wie die spätere Beobachtung lehrt, „die Einfuhr der
Mineralien nicht ungenügend“ war (Birk). In anderen Rallen von
Rhachitis fand sich nur eine verminderte Retention der betreffenden
Mineralbestandteile oder gar keine Unterschiede ,,im gesamten Stoff¬
wechsel gegenüber dem der gesunden“ Kinder, auch keine vermehrte
Kalkausscheidung (Cronheim-Müller).
Nach all dem ist es nicht angängig, „die Rhachitis der Kinder
ausschließlich auf Kalkarmut der Nahrung zurückzuführen“ (Magnus-
Levy), oder eine Störung des Kalkstoffwechsels allein als das AVesen
der Rhachitis anzusprechen. Noch weniger aber ist es gestattet, auf
der Basis dieser unsicheren theoretischen Annahmen a priori von einer
therapeutischen Mehrzufuhr von Kalzium allein eine ätiologische Be¬
einflussung der Rhachitis zu erwarten.
Außer dem Kalzium ist auch schon früher eine Störung im Stoff¬
wechsel der anderen Mineralbestandteile als zur Entstehung der Rhachitis
von Wichtigkeit herbeigezogen worden. Zander und nach ihm Zweifel
haben die Beziehungen zwischen Natrium- und Kaliumgehalt der Nah¬
rung angeschuldigt. Und zwar glaubten diese Autoren, daß eine ver¬
mehrte Kaliumzufuhr eine Erhöhung der Natriumausscheidung (in der
von Bunge angedeuteten Weise) im Gefolge haben müsse. Der ent¬
stehende Natrium- (Kochsalz-) Mangel sollte dann den rhachitischen
Krankheitsprozeß anfachen. Aber Natriumzufuhr (als Kochsalz) bei
Rhachitikern bleibt therapeutisch erfolglos, ebenso wie die vermehrte
Zufuhr von Kalium nicht das Auftreten einer Rhachitis begünstigt,
wie mir ein vier Monate dauernder Versuch an eineiigen Zwillingen,
von denen der eine täglich außer der gleichen Nahrung wie der andere
0,1 g Chlorkalium (KCl) erhielt, zeigte. Also wirkt hier weder die
vermehrte Natriumzufuhr, noch das Kalium an sich schädigend. (Da¬
mit ist aber nicht gesagt, daß eine vermehrte Kaliumzufuhr nicht
auf andere Weise - — z. B. durch Verminderung der natürlichen Im¬
munität — schädlich wirken könnte.) —
Ich habe geglaubt, darauf hinweisen zu müssen, daß die
Rhachitis da am häufigsten und in ihren schwersten Eormen auf tritt,
wo längere Zeit bei künstlicher Ernährung eine Rütterung mit
individuell zu großen Mengen von Kohlehydraten, insbesondere
von Mehl durchgeführt worden ist. Auch ohne daß bei den be-
822
Paul Sittler,
treffenden Patienten eine allgemeine Überernährung eintritt, kommt
es bei der Mehlbeifütterung sehr oft zum Auftreten von Anfangs¬
erscheinungen der Rhachitis (Craniotabes, leichter Rosenkranz). Wird
dann die Beigabe von Meh'l zur Nahrung in gleichem oder in erhöhtem
Maße fortgesetzt, so verstärken sich die rhachitischen Symptome
schneller oder langsamer je nach der Intensität der Einwirkung der
genannten schädlichen Einflüsse. — Umgekehrt kann man die be¬
ginnende Rhachitis allein dadurch zur Heilung bringen, (insbesondere
an dem Verschwinden der Craniotabes zeigt sich dies deutlich), daß man
das bisher verabreichte Mehl (Kohlehydrat) aus den Nahrungsgemischen
fortläßt. — Macht sich gleichzeitig mit der Mehlüberfütterung eine
allgemeine Überernährung (pastöses gedunsenes Aussehen — Mehl¬
nährschaden) bemerkbar, so treten die Erscheinungen der Rhachitis
meist um so rascher und schwerer in die Erscheinung. — Var io t
und Lassabliere sahen Säuglinge, die mit in Wasser gekochtem Brot
(Brotsuppe) ernährt wurden, ebenfalls rhachitisch werden. — Nicht
nur die Mehlfütterung, auch die Darreichung von allzu großen Mengen
von anderen (löslichen) Kohlehydraten, insbesondere von Rohr-
(Rüben-)Zucker und von Malzzucker scheint mir in ähnlicher Weise
auf das Auftreten einer Rhachitis begünstigend zu wirken, allerdings
findet sich dies bei weitem nicht so oft wie bei der Mehlfütterung.
Hier sieht man sicherlich häufiger als bei jeder anderen Ernährung
Rhachitis auftreten, ich habe aber vereinzelt auch z. B. bei Kindern,
welche längere Zeit Milch -Wassermischungen mit großem Rohr¬
zuckerzusatz erhielten, ernstere Formen von Rhachitis auftreten
sehen, ebenso wie nach länger dauernder Verabreichung von Malz-
suppe. Nicht beobachten konnte ich das Auftreten von Rhachitis-
fällen schwerer Art bei Kindern, die künstlich nur mit Milch -Wasser¬
mischungen unter Zusatz von Milchzucker ernährt waren. Ob die
Milch zuckerverabreichung erst bei einer höheren Grenze schädlich zu
werden anfängt, oder ob bei Herstellung der Milchmischungen im Hause
vom Milchzucker, der hier meist kaffeelöffelweise abgemessen zu wer¬
den pflegt, als einem leichteren und viel schwerer löslichen Pulver
weniger zugegeben zu werden pflegt als bei Rohr zucker zusatz, mag
dahingestellt bleiben.
Die Grenze, bei der das Mehl und die Kohlehydrate anfangen,
schädlich zu wirken, ist natürlich eine bei verschiedenen Kindern sehr
verschiedene. Die individuelle Disposition zur Erkrankung an Rhachitis,
auf die schon Weiß mann (s. o.) aufmerksam gemacht hatte, spielt
zweifellos hier eine große Rolle. Daß auch der Vererbung bei Rhachitis
eine gewisse Bedeutung zukommt, hat S reger t besonders betont. —
Kinder mit irgendwelchen angeborenen Konstitutionsanomalien unter¬
liegen natürlich ebenfalls leichter diesen Einflüssen als normale Kinder.
Darin mag es einen Grund haben, daß gerade z. B. hereditär- syphi¬
litische Patienten oder Kinder mit Skrofulöse (exsudativer Diathese)
bei gleichstarken krankmachenden Reizen leichter erkranken als gesunde.
Es ist oben darauf hingewiesen, daß auch Orgler nach ,, ein¬
seitiger Kohlehydratüberernährung“ Rhachitis auftreten sah; er stellt
aber die einseitige Milchüberernährung betreffs der Erzeugung einer
Rhachitis hiermit auf gleiche Stufe. Ich kann diesen Standpunkt nicht
teilen; ich muß nach meinen Beobachtungen gerade die stärkere
Kohlehydratüberfütterung, insbesondere in Form der Mehle,
auch dann schon, wenn sie noch nicht zur „einseitigen Kohlehydrat-
Neuere Ansichten über die Ätiologie der Rhachitis.
823
Überernährung“ geworden ist, d. h. wenn noch keinerlei Symptome eines
Mehlnährschadens aufgetreten sind, als den wichtigsten .Faktor hei der
Entstehung der Rhachitis ansprechen. Besonders aber Kinder mit aus¬
geprägtem Mehlnährschaden bieten die stärksten Prozentzahlen von
schwerer Rhachitis. - — Anders beim Milchnähr schaden ; man pflegt
beim unkomplizierten Milchnährschaden (bei dem eine das indivi¬
duelle Normalmaß übersteigende Fütterung mit Kohlehydraten sicher
auszuschließen war), wohl schwerere Atrophien, aber keine sehr
schweren Formen von Rhachitis auftreten zu sehen. Der anderslautenden
Ansicht von Esser (s. o.) muß ich hier entschieden widersprechen.
Meines Erachtens ist die Mehlschädigung (Kohlehydratschädigung)
das häufigste ätiologische Moment der Rhachitis, die ich infolgedessen
als eine typische Ernährungsstörung im Gefolge eines Kohle-
hvdrat-N ähr Schadens auffassen möchte.
Auf welche Weise das Auftreten der rhachitischen Symptome
zu erklären ist, bleibt eine noch offene Frage. — Birk zeigt, daß
eine starke Seifenbildung im Darm bei rhachitischen Säuglingen zu
erhöhter Kalkausscheidung führt, ein Symptom, das sich durch thera¬
peutische Zufuhr von Phosphorlebertran beheben läßt. Hiermit wäre
nur dann eine Erklärung für das Auftreten der Rhachitis gegeben,
Avenn wir die Störung des Kalkstoffwechsels als die alleinige Ursache
dieser Erkrankung ansehen dürften. Andererseits findet sich die er¬
höhte Seifenausscheidung vorwiegend beim Milchnährschaden, dessen
Beziehungen zur Rhachitis wir ja eben fast völlig geleugnet haben.
Zwar ist die Möglichkeit nicht von der Hand zu weisen, daß auch durch
die infolge der Seifenstuhlbildung beim Milchnähr schaden entstehende
Alkaliverarmung des Körpers (relative Azidose) ein das Auftreten, der
Rhachitis begünstigendes Moment geschaffen wird. Diese relative
Azidose wird aber am stärksten bei Zufuhr von sauren (Buttermilch)
oder von im Darm zur sauren Gärung führenden Nahrungsmitteln,
also hauptsächlich von Mehlen und anderen Kohlehydraten. Der schäd¬
liche Einfluß saurer Nahrung wird auch von Gilbert bestätigt, der
sogar soweit geht, zu behaupten, daß „eine Mutter, die viel saure
Speisen zu sich nimmt, und saure Milch produziert, ihr Kind bald
rhachitisch macht“. — Während beim Milchnährschaden der entleerte
(meist alkalisch reagierende) Seifenstuhl eher zur Ausscheidung von
Kalzium und Magnesium führt, enthält der dünnere saure Gärungsstuhl
bei Mehlnähr Schädigungen mehr Natrium und Kalium (Freund). Und
gerade in diesem letzteren Falle wird hauptsächlich das Auftreten
von Rhachitis begünstigt. Es scheint, daß diese Entziehung von fixen
Alkalien eo ipso schon schädlich wirkt. Da zur Neutralisierung der
im intermediären Stoffwechsel gebildeten sauren Spaltungsprodukte
bei Mangel an fixem Alkali eine vermehrte Bildung von Ammoniak
erfolgt, so entsteht auch keine Anhäufung von Säuren im Körper und
keine Verminderung der Blutalkaleszenz, Faktoren, denen früher, mit
Unrecht (cf. Stöltzner), eine ursächliche Wirkung beim Entstehen der
Rhachitis zugeschrieben wurde. —
Es erscheint mir zweifellos, daiß wir es bei der Rhachitis mit
einer echten Ernährungsstörung zu tun haben und daß auch die
physikalischen Faktoren, welche zur Erklärung des Auftretens dieses
Leidens herangezogen worden sind, nur von nebensächlicher Bedeu¬
tung sind. Es läßt sich nicht bezweifeln, daß die Rhachitis unter un-
hygienischen Verhältnissen, — Mangel an Luft, Licht, Bewegung —
824
Osterloh,
häufiger vorkommt (Fe de, Findlay, Nakahara), und daß die Jahres¬
zeit — Winter - — , während der die Kinder weniger in die Luft heraus¬
kommen, erhöhte Morbiditätszahlen aufweist (Stöltzner). Aber auch
unter diesen unhygienischen Verhältnissen braucht sich, wie bei einem
Vergleich der verschiedenen Gegenden Italiens in bezug auf die Häufig¬
keit der Rhachitis gezeigt worden ist (Pfister), kein vermehrtes Vor¬
kommen von Rhachitis zu zeigen, wenn die Einwirkung der oben ge¬
schilderten Ernährungsschädigungen — durch systematisch durchge¬
führte natürliche Ernährung — vermieden wird.
Ueber Skopomorphinnarkose.
Von Dr. Osterloh.
(Vortrag gehalten in der gynäkologischen Gesellschaft zu Dresden am 13. Mai 1909.)
Seit dem 1. Januar 1877 sind von dem Vortragenden bei allen
Operationen die Narkosen in der Weise ausgeführt worden, daß eine
halbe Stunde vor der Operation 0,01 Morphium subkutan gegeben wurde.
Einer langen Periode, in der nur die Chloroformtropfmethode Anwendung
fand, folgte eine gleiche mit fast ausschließlicher Ätherinhalation, seit
11 Jahren aber wird Äther bei vorhandenem Reizzustand der Schleimhaut
der Atemwege vermieden, andererseits Chloroform bei Herzaffektionen.
Häufig wird während der Operation das Narkotikum gewechselt, was
mit dem jetzt gebrauchten Braun’schen Apparat sehr einfach geht.
Hervorzuheben ist, daß in dieser langen Zeit nur ein Fall von Pneumo¬
nie infolge von Zersetzung des Chloroforms bei Gaslicht beobachtet
wurde, die aber in Genesung ausging. Todesfälle in der Narkose oder
durch die Narkose sind nicht vorgekommen.
Ferner war von Bedeutung, daß fast nie ein Arzt narkotisierte,
sondern stets dieselbe Schwester, z. B. narkotisiert die jetzige Schwester
seit fast 3 Jahren (abgesehen von ihrem Urlaub). Ihre ganze Auf¬
merksamkeit konzentriert sich auf die Narkose, während jeder Arzt
unwillkürlich gern seine Aufmerksamkeit auch auf den Verlauf der
Operation richtet. Wenn sonach an und für sich kein Anlaß vorlag,
mit der Narkosenmethode zu wechseln, so führte doch die Kenntnis der
Korff’schen Veröffentlichungen in der Berl. Klin. Wochenschrift 1906
und 1908 und die eignen, in der Krönig’schen Klinik längere Zeit
gemachten Beobachtungen über den Skopolamin-Dämmerschlaf dazu,
einen Versuch mit ihm zu machen, um vielleicht die Menge von Chloro¬
form oder Äther erheblich einzuschränken und die Folgezustände nach
den Operationen, besonders das Erbrechen, zu verhüten.
Zum Versuch stellte in dankenswertem Entgegenkommen die Firma
J. D. Riedel, A.-G Berlin ihr Skopomorphin zur Verfügung. Das Sko-
pomorphin kommt in zugeschmolzenen und sterilisierten Ampullen in
den Handel. Die Lösung ist zusammengesetzt aus
Scopolamin. Hydrobrom. „Riedel“ 0,0012
Morphin, hydrochloric. 0,03
Aqu. dest. ad 2 ccm.
Die Anwendung geschah genau nach den Korff’schen Vorschriften
(Berl. Klin. Wochenschr. 1908, Nr. 29) und den von der Firma J. D.
Riedel beigelegten (Deutsche Mediz. Zeitung 1906, Nr. 81). Dabei
wurden im dunkeln Zimmer, mit besonders verdeckten Augen der Frau
und unter Vermeidung jeden Geräusches die Einspritzungen gemacht.
Ueber Skopomorphinnarkose.
825
Die erwähnten Vorschriften sind an den bekannten Stellen nach¬
zulesen. Die 34 Operationen, die unter Beihilfe von Skopomorphin
ausgeführt wurden, waren
3 abdominelle Uterusexstirpationen,
1 vaginale, desgl.
3 Ovariotomien (2 doppelte, 1 einseitige),
2 supravaginale Uterusamputationen bei Myom,
1 unvollendete Laparotomie bei Sarkom des Netzes,
1 Ausschneidung einer tiefgehenden Bauchfistel,
11 Entfernungen der erkrankten Gebärmutteranhänge,
2 intraabdominale Verkürzungen der Ligamenta rotunda nach
Menge bei fixierter Retroflexio uteri,
4 Alexander Adam’s- Operationen,
6 Prolapsoperationen.
Hierbei ist hervorzuheben, daß in keinem Falle irgend eine nach¬
teilige Erscheinung beobachtet wurde; abgesehen von der Verlang¬
samung der Atmung, die nur anfangs auffällt, wurde Skopomorphin
gut vertragen.
Es ist auch zu betonen, daß das subjektive Befinden einiger
Operierter beim Erwachen aus der Narkose ein auffallend gutes war.
Dagegen ist keine Operation überhaupt ohne Inhalation von Chloro¬
form und Äther auszuführen gewesen ; in mehreren Fällen trat über¬
haupt kein tieferes Einschlafen durch Skopomorphin ein, sondern erst
nach Anwendung von einem der beiden Narcotica. Ferner war zwar
die Menge des während der Operation zu völliger Narkose dargereichten
Chloroforms oder Äthers oder beider meistens nicht unbedeutend ge¬
ringer, als in den Fällen ohne Skopomorphin, immerhin war sie abeir
in der Mehrzahl der Fälle noch so bedeutend, daß bei langdauernden
Operationen der Unterschied immer mehr verschwand. So wurde z. B.
bei den supravaginalen Amputationsfällen nach Skopomorphin 25 bis
28 g Chloroform verbraucht, in den entsprechenden Fällen ohne Skopo¬
morphin 30 — 50 g.
Am geringsten war der Verbrauch in den Operationen, die schnell
verliefen, weil ja natürlicherweise hier die Wirkung der 0,03 Morphium
am meisten zur Geltung kam.
Wenn also eine wesentliche, die Einverleibung einer so bedeutenden
Menge Skopolamin und Morphium rechtfertigende Abminderung der
Chloroform- oder Äther-Inhalation nur sehr selten beobachtet werden
konnte, so gestaltete sich auch die Beobachtung der Folgezustände
nach den Operationen und zwar der charakteristischsten, nämlich des
Erbrechens nicht besonders ermutigend. Von den 34 Operierten
blieben nur 9 frei von Erbrechen, 12 hatten bald vorübergehendes mäßi¬
ges, 13 aber heftiges, bis zu 21/2 Tage anhaltendes Erbrechen.
Nach diesen, in voller Objektivität gemachten Erfahrungen lag
keine Veranlassung vor, die Versuche fortzusetzen, da der Unterschied
der Narkosen mit und ohne Skopomorphin zu gering war, um die vor¬
her geübte Narkosenmethode aufzugeben. Zu betonen ist dabei, daß
die Versuche nicht gemacht wurden, weil eine Unzufriedenheit mit den
bisherigen Narkosen vorlag, sondern lediglich, um die anderwärts ge¬
machten Erfolge, wenn möglich, sich zu eigen zu machen.
826 Lorand,
Der Einfluß der Blutdrüsen auf die Immunität gegen Infektionen
und Intoxikationen.
Von Dr. Lorand, Karlsbad.
(Schluß.)
Daß die Schilddrüse uns vor Infektionen beschützt, geht auch
daraus hervor, daß sie einen nicht geringen Einfluß auf ctre Phago-
zvtose ausübt. Nach den Untersuchungen von Traube und Fassin
fehlen die Alexine nach der Exstirpation der Schilddrüse. Sir Alm-
roth Wright, der Begründer der Opsonintheorie, schreibt bei der Er¬
zeugung der Opsonine der internen Sekretion der Blutdrüsen, eine wich¬
tige Bolle zu. Sehr wichtig ist die Tatsache, daß wie Step an off
und Marbe durch Arbeiten am Institut Pasteur in Paris, nachwiesen,
die Opsonine nach der Exstirpation der Schilddrüse fehlen, dagegen
aber nach Schilddrüsengaben vermehrt werden. Wodurch die von mir
in einer im Landet 6 Monate früher veröffentlichten Arbeit angenommene
Hauptrolle der Schilddrüse als Abwehr gegen Infektionen experimentell
gestärkt wird.
Dieselben Symptome des Fiebers können jedoch von verschiedenen
Ursachen herrühren. Es können kleine Lebewesen des Pflanzenreiches,
wie die Bakterien, gewisse Pflanzen, auch Früchte, Fieber hervorrufen.
So sehen wir bei manchen Personen nach Genuß von Erdbeeren Urti¬
caria auf treten. Auch kleine Wesen des Tierreichs, Protozoen, wie
hei der Trypanosomiasis und Syphilis, rufen Fiebererscheinungen her¬
vor, ebenso kann der Genuß tierischer Nahrung, wie der Austern,
oder der Biß gewisser Tiere, der Schlangen, Skorpione, Taranteln, Fieber
erzeugen. Es ist aber nicht unbedingt erforderlich, daß die Gifte dem
Körper von außen zugeführt werden. Auch in ihm selbst können sie
durch Abscheidung gewisser Drüsen, so der Schilddrüse entstehen und
das Auftreten von Fieber bedingen, wie wir es bei der Basedo w’ sehen
Krankheit finden. Wenn aber so viele verschiedene Ursachen dasselbe
Resultat erzeugen, so liegt es nahe, anzunehmen, daß allen Fieberer¬
scheinungen ein und dasselbe Agens zugrunde liegt. Wie daher bei
der Basedo w’ sehen Krankheit die Ursache des Fiebers in der Über-
tätigkeit der Schilddrüse zu suchen ist, so wird diese zweifellos auch
bei Fieber erscheinungen anderer Krankheiten eine Hauptrolle spielen.
Schon oben wurde erwähnt, daß die Übertätigkeit der Schilddrüse
in Erschöpfung, wie beim myxödematösen Zustande, übergehen kann.
Das gleiche beobachten wir bei der Trypanosomiasis. Die afrikanische
Schlafkrankheit, die dieser gewöhnlich folgt, zeigt in der Tat, wie ich
auf dem Kongresse für innere Medizin 1905 in Wiesbaden nachgewiesen
habe, alle Symptome eines myxödematösen Zustandes. Ebenso sehen
wir im sekundären Stadium der Syphilis, besonders bei Frauen, mit
dem Auftreten der Roseolen häufig eine Schwellung der Schilddrüse
einhergehen. Im tertiären Stadium stellen sich auch eine Reihe myxöde-
matöser Symptome, zum mindesten solche einer Hypothyroidie ein. In
solchen Fällen verabreichen wir daher Jod, das Hauptelement der Schild¬
drüse, oder auch Arsenik, ebenfalls einen wichtigen Bestandteil der¬
selben, wie G aut hier und Bertram d zeigen.
An einer an Lepra der tuberoanästhetischen Form, erkrankten
Dame, die einige Jahre früher das gelbe Fieber überstanden hatte, konnte
ich durch Schilddrüsenbehandlung auffallende Besserung erzielen. Das
gedunsene Ödem der Hände und Füße und des Gesichtes verschwanden.
Der Einfluß der Blutdrüsen auf die Immunität gegen Infektionen usw. 827
Der Gesichtsausdruck wurde feiner. Ihre Bekannten behaupteten, sie
sehe bedeutend jünger aus. Müdigkeit und Appetitlosigkeit verschwan¬
den, und die seit vier Monaten ausgebliebenen Menses kehrten wieder.
Mit ähnlichem Erfolge wurde die Behandlung von dem Dermatologen,
der sie mir wegen eines durch die Behandlung mit Chaulmoogra ver¬
ursachten Magenkatarrhs zugewiesen hatte, fortgeführt.
Es wäre daher sehr angebracht, bei den nach den verschiedensten
Infektionskrankheiten auftretenden Folgezuständen eine vorsichtige
Schilddrüsenbehandlung zu versuchen.
Wenn eine Person eine gute Schilddrüse besitzt, so kann bei ihr
nach Erkältungen ganz spontan ein Gefühl von Hitze, Rötung des
Gesichtes und wohltätiges Schwitzen ein treten, ohne daß irgend ein
Arzneimittel, etwa Salizylat anzuwenden nötig wäre.
Dagegen tritt bei Personen mit untätiger Schilddrüse nur selten
nach solchen Agenzien Fieber auf. So beobachtete ich einen jungen
Spanier von 22 Jahren mit ähnlichen Symptomen, wie sie Hertoghe
für die Hypothyroidie als typisch beschrieb. Er litt seit mehreren
Tagen an einer mäßigen Angina, ohne daß irgend welche Fiebersym¬
ptome sich einstellten, aber es dauerte auch zehn Tage, bis es vorüber
war, und auch danach fühlte er sich recht schwach. Sein Vater starb
kürzlich an Diabetes.
Vor zwei Jahren war eine Typhusepidemie in der Irrenanstalt
von Colorno in der Nähe von Pavia ausgebrochen. Wie mir Dr. Gas-
senghi von der Universität Pavia mitteilte, starb die Hälfte der
Patienten, das Merkwürdige aber war, daß man bei ihnen kein Fieber
beobachten konnte. Das mag damit Zusammenhängen, daß viele Fälle
von Geisteskrankheiten und Idiotie auf einen degenerierten Zustand
der Schilddrüse zurückgeführt werden können. Ebenso kommt ein hohes
Fieber bei der Pneumonie von Potatoren nur sehr selten vor, dafür aber
sterben sie sehr rasch.
Aus allen obigen Beobachtungen schließen wir daher, daß solche
Personen, die über eine gesunde, recht tätige Schilddrüse verfügen, bessere
Aussichten in einem eventuellen Kampfe gegen Infektionen oder In¬
toxikationen haben. Bei ihnen kann es eben viel leichter zu einer
Übertätigkeit der Schilddrüse mit der Ausscheidung von giftigen Pro¬
dukten durch die Organe, die unter dem Einflüsse der Schilddrüse
stehen, kommen als bei solchen Personen, deren Schilddrüse degeneriert
ist und deren Haut infolgedessen trocken, deren Darm verstopft und
deren Nieren untätig sind.
Wir sehen, daß das Fieber im allgemeinen eine recht wohltätige
Einrichtung der Natur ist, und daß es wahrscheinlich durch eine Über¬
tätigkeit der Schilddrüse hervorgerufen wird, welche eine Ausscheidung
der für den Körper sehr schädlichen Substanzen bezweckt. Das Fieber
ist also eine Reaktion gegen Schädlichkeiten verschiedener Art, und
seine Symptome sind der direkte Ausdruck einer Übertätigkeit der
Schilddrüse zur Ausscheidung dieser Schädlichkeiten. Es wäre daher
ein Fehlgriff, diese Heiltendenz der Natur zu bekämpfen, außer es
handelte sich um Fälle von Hyperpyrexie. Der Arzt als der Diener
der Natur muß sie eher unterstützen und mit ihr, nicht gegen sie-
arbeiten ! Nicht nur das Fieber allein, sonderi^ wahrscheinlich alle
Krankheiten können auf dieser Grundlage als eine Reaktion auf Schäd¬
lichkeiten, als eine Art Selbsthilfe der Natur betrachtet werden.
828
Lorand,
Allein nicht nur die Schilddrüse, auch die anderen Blutdrüsen
können ims gegen Infektionen und Intoxikationen verteidigen. So die
Hypophyse, welche, wie von Castelli, Guerini, Torri und in letzter
Zeit insbesondere von Renten und seinen Assistenten Azam undDelille
gezeigt wurde, hei den verschiedenen Infektionskrankheiten ebenfalls
verändert ist. So fand Torri bei vielen Fällen von Pneumonie, Typhus,
Tuberkulose und Diphtherie eine Hyperplasie der c'hromophilen Zellen
der Hypophyse und ein Verschwinden der Kolloidsubstanz aus den
Follikeln. Garnier konstatierte Veränderungen der Hypophyse bei
chronischer Tuberkulose.
In seiner letzthin veröffentlichten These berichtet Tha,on über
Veränderungen der Hypophyse in vielen Fällen von Infektionskrank¬
heiten verschiedener Art, auch in Fällen von Intoxikationen intesti¬
nalen Ursprunges. Er kommt zum Schlüsse, daß die Hypophyse auf
alle Arten von Infektionen oder Intoxikationen reagiert, indem sie
daraufhin Veränderungen aufweist.
Diesen pathologisch-anatomischen Veränderungen der Hypophyse
müssen aber auch klinische Symptome entsprechen, und so wies Re n on
darauf hin, daß die Verminderung des Blutdruckes, die Erhöhung der
Pulszahl im Fieber, die Schlaflosigkeit, das Hitzegefühl, das Schwitzen
usw. auf Veränderungen der Hypophyse beruhe. Allerdings haben wir
oben auf Grund unserer Beobachtungen alle diese Symptome auf die
Schilddrüse bezogen, womit wir selbstverständlich nicht verneinen woll¬
ten, daß auch andere Blutdrüsen am Entstehen des Fiebers mit be¬
teiligt sein können.
Bei gesundem Zustande der Hypophyse ist der Blutdruck erhöht
und die Pulszahl vermindert. Ist sie aber degeneriert, so tritt das
Gegenteil auf: der Blutdruck ist erniedrigt und die Pulszahl vermehrt
(Oliver und Sc'häffer, Livon, Garnier und Thaon, Hallion und
Carrion usw.). Es liegen hier also die Verhältnisse umgekehrt wie
bei der Schilddrüse, so daß sich unsere Beobachtungen mit denen Renons
ergänzen. Während wir im Fieber eine Ubertätigkeit der Schilddrüse
annehmen, behauptet er eine Untätigkeit der Hypophyse. Tatsächlich
auch pflegt neben einer Übertätigkeit der Schilddrüse eine Untätigkeit
der Hypophyse zu bestehen, denn es wurde auch von Ro'go witsch
Stieda, Ben da und anderen bewiesen, daß, wenn man die Schilddrüse
entfernt, die Hypophyse hypertrophiert und victe versa. Auch im Myx¬
ödem besteht ähnliches (Ponfick, Coulon).
Renon, Delille und Azam konnten bei zahlreichen Fällen von
Infektionskrankheiten, den Blutdruck erhöhen und den Puls vermindern,
indem sie Extrakte der Hypophyse verabreichten. Gleichzeitig erzielten
sie aber auch eine bedeutende Besserung des fieberhaften Zustandes.
Von Sajous wurde die Rolle der Schilddrüse, Hypophyse und Neben¬
nieren bezüglich ihrer antitoxischen Eigenschaften mit umfangreicher
Literatur in einer großen Monographie besprochen1). Auch die Neben¬
nieren und Geschlechtsdrüsen spielen in der Verteidigung des Körpers
gegen Infektionen und Intoxikationen eine wichtige Rolle.
Die Ovarien pflegen in den meisten schweren Infektionskrank¬
heiten Veränderungen aufzuweisen. Das plötzliche Auftreten der Men¬
struation oder von Metrorrhagien infolge eines solchen Anlasses spricht
in diesem Sinne. Beim Typhus wies Cornil eine Hypertrophie des
Corpus luteum, also des wichtigsten Teiles der Ovarien nach.
b Sajous, Internal Secretions. Davis & Co. Philadelphia 1902.
Der Einfluß der Blutdrüsen auf die Immunität gegen Infektionen usw. 829
Metsch nikoff und Matchinski1) stellten nach Injektionen von
Tetanustoxinen die größten Mengen derselben in den Ovarien oder
Testikeln der Tiere fest. Auch wiesen sie das ähnliche bezüglich von
Diphtherietoxinen nach. Auch zeigten die Ovarien weitgehende Ver¬
änderungen. Lingard2) fand bei Rindern, denen er Hodenextrakte
subkutan injiziert hatte, eine erhöhte Resistenz gegen die Rinderpest.
Auch ist von großer Bedeutung, daß das Serum solcher Tiere andere
gegen die Rinderpest immunisieren kann. Brown Sequard und A’ Ar-
son val wandten Hoden extrakte mit Erfolg in Fällen von Tuberkulose
und Uspensky3) in solchen von asiatischer Cholera an.
Es wurde auch durch eine Reihe von Autoren gezeigt, daß das
Spermiri von Poehl hei Injektionen, manchmal sogar in Fällen von
Septikämie gute Dienste erweisen kann. Loewy und Richter fanden,
daß nach Spermingaben zuerst eine große Verminderung der Leukozyten
infolge von Leukolyse stattfindet, darauf aber ein Zustand von Hyper¬
leukozytose folgt. Gleichzeitig besteht eine bedeutende Zunahme der
Alkalinität des Blutes.
Diese Forscher konnten auch Tiere durch Injektion von Spermin in
Fällen von experimenteller Pneumonie heilen, selbst wenn diese Tiere
das drei- bis vierfache einer letalen Dosis von Pneumoniekokken er¬
hielten. Ebenso versuchten sie das Spermin bei der Diphtherie anzu¬
wenden, aber hier waren die Resultate weniger ausgezeichnet, wenn
auch in einigen Fällen, wo gerade eine tödliche Dosis von Mikroben
gegeben wurde, ein Erfolg konstatiert werden konnte.
Nach Poehl würde die Zunahme der Alkalinität des Blutes durch
das Spermin seine Wirkung gegen die Infektionen erklären.
Auch gegen Darmgifte, so gegen die Leukomaine, das Neurin und
Cholin, welche beim Entstehen einer gastrointestinalen Autointoxikation
eine gewisse Rolle spielen dürften, wandte man das Spermin mit guten
Resultaten an (v. TarChanow und v. Poehl).
Wie die Schilddrüse, können auch die Hoden oder Ovarien uns
gegen Gifte, wie das Arsenik, Chloroform usw. schützen. Bezüglich
des Arseniks wurde dies am Pasteur-Institut durch die Arbeiten Mat-
chinski’s nachgewiesen. Tarclhanow fand, daß Frösche oder Hunde
nach einer Injektion mit Spermin die Chloroformnarkose viel besser
vertrugen Dasselbe konstatierten Wedjaminoff am Menschen und
Krüger nach Äthernarkose (nach Poehl zitiert).
Auch die Leber, ebenso eine Drüse mit innerer Sekretion (Gilbert,
H. Strauß), spielt beim Schutze unseres Körpers, wie Heger fand, eine
große Rolle.
Daß die Thymus, die zu den Blutdrüsen in naher Beziehung steht
und bei Kindern ein wichtiges epitheliales Gebilde ist, ebenfalls eine
große antitoxische Bedeutung hat, wird durch Brieger, Wassermann
und Kitasato bewiesen, welche zeigten, daß Cholerabazillen ihre toxi¬
schen Eigenschaften durch Thymusextrakte verlieren.
Es kann nach all dem keinem Zweifel mehr unterliegen, daß unsere
Immunität gegen Infektionen und Intoxikationen vom Besitze gut funk¬
tionierender Blutdrüsen abhängt. Wer diese hat, ist auch mehr gegen
leben verkürzende Faktoren gefeit. Es ist wohl möglich, daß auf dieser
x) Annales de l’Institut Pasteur 1900. 3 Mars p. 113.
2) Zentralblatt für Bakteriologie vol. XXX VIII, H. 2. S. 246.
3) C. R. Soc. Biol. 5. Nov. 1892.
830
Ascher,
Grundlage die Frage der Lebensversicherung in einer rationelleren Weise
gelöst werden kann.
Bei Personen, deren Blutdrüsen in nicht ganz vollkommenem Zu¬
stande sind, kann es durch den geringsten Anstoß sehr leicht zur Ent¬
stehung einer Infektion oder Intoxikation kommen. Die vier wichtigsten
Ursachen sind : Unterernährung, Erkältung, Kummer und Sorgen, ge¬
schlechtliche Ausschweifungen, wozu weiter noch auch alle Fehler gegen
die persönliche Hygiene im weiteren Sinne gehören.
Nach dem oben mitgeteilten werden wir leicht verstehen, weshalb
kleine Kinder so sehr Infektionskrankheiten ausgesetzt sind. Ihre Blut¬
drüsen sind eben noch nicht entwickelt. Aber auch Greise zeigen
gegen Infektionen weniger Widerstand, weil ihre Blutdrüsen schon
degeneriert sind.
Breslauer Brief.
Von Dr. Ascher.
In der ,, Schlesischen Gesellschaft“ hielt Küttner einen Vortrag,
den er einen „Appell in der Apjmndizitis- und Cholelithiasisfrage“
nannte. Dieser Appell richtet sich an die praktischen Ärzte und Inter¬
nisten, die Patienten möglichst frühzeitig dem Chirurgen zu über¬
weisen. Er betont, daß gerade in Breslau eine merkwürdige Animosi¬
tät unter den Ärzten gegen den chirurgischen Eingriff herrsche. Im
letzten Jahre wurden der chirurgischen Klinik zu Breslau 70 Blind¬
darmaffektionen im akuten Stadium überwiesen.
Im Anfall innerhalb der ersten 24 Stunden 2 Fälle, innerhalb
der ersten 48 Stunden 6 Fälle.
Auf den Wurmfortsatz beschränkt waren 7 Fälle, in 43 Fällen
traten schwere Abszedierungen ein, in 20 Fällen diffuse eitrige Peri¬
tonitis.
Der letale Ausgang aller Fälle betrug 70°/0. Rechtzeitig operiert
wurde in 11 °/0- Zu spät operiert wurde in 89 °/0. Die Gesamtmortalität
betrug 26,5 °/0.
Vortragender vergleicht die Perityphlitis mit phlegmonösen Pro¬
zessen an Extremitäten, die jeder Arzt doch chirurgisch behandle. Die
Basis der therapeutischen Anschauung muß sein : Appendizitis ist eine
rein chirurgische Erkrankung. Eine vernünftige Opiumtherüpie führt
mitunter in leichten Fällen zu Erfolgen.
Doch besteht die Gefahr der Verschleierung in schweren Fällen.
Zur Aufhebung eines deletären Prozesses ist Opium nicht ge¬
eignet. Empfehlenswert ist mitunter eine Morphiumgabe. Abführ¬
mittel sind direkt schädlich. Der Charakter eines Falles kann sich
jeden Augenblick ändern, wenn auch ein momentanes Abklingen bei
interner Behandlung zu konstatieren ist. Appendizitiden mit glück¬
lichen Ausgang eines einmaligen Anfalles sind selten. Vor Rezidiven
bewahrt nur der frühzeitige chirurgische Eingriff. Der Eingriff in
den ersten 48 Stimden ist Indikation. Doch haben auch "Eingriffe
in den ersten 24 Stunden mitunter keinen Erfolg gehabt. Das sind
besonders die Fälle von akuter Gangrän des Darmes, die selbst der
Früh Operation spotten. Es gibt zwei Schwierigkeiten bei der Förde¬
rung der Frühoperation, die Abneigung der Angehörigen gegen einen
chirurgischen Eingriff und die nicht sichere Diagnose. Die Verant¬
wortung für die Vornahme des Eingriffes trägt der Chirurg.
Breslauer Brief.
831
Bei Kindern ist besonders auf eine plötzlich eintretende Harn¬
verhaltung zu achten. Die Frühoperation verläuft wie eine Intervall¬
operation, es tritt keine Hernienbildung ein, da die Schnitte nicht
groß angelegt werden. Bei länger bestehenden, sogenannten leichten
Beizun'gen, ist die Gefahr der Perforation eines- Abszesses in das Peri¬
toneum, weil dasselbe dann seine Schutzstoffe verbraucht hat, sehr
groß. Bei der Diagnose kommen Palpation, Temperatur, Puls und
Gesichtsausdruck in Betracht.
Besonders zu beachten ist der Gesichtsausdruck (Facies abdomi¬
nalis). Auch im Intermediärstadium werden Nähte gelegt, nur bei
gangränösen Prozessen wird tamponiert. Selbst in scheinbar ver¬
zweifelten Fällen soll man operieren, doch ist die Aussicht bei diffuser
eitriger Peritonitis eine sehr schlechte.
Im Anschlüsse daran kommt Vortragender zu den Indikationen
für Cholelithiasisoperationen. Er selbst hat hier im ganzen 45 Gallen¬
stein-Laparotomien gemacht. Darunter
13 Choledoehotomien,
5 Leberabszesse und
23 komplizierte Fälle.
Die Gesamtmortalität betrug 6°/0. Er hält die Gallensteinchirur¬
gie für sehr erweiterungsfähig. Am Schlüsse seiner Ausführungen
präzisiert er seine Indikationen, die Cholelithiasis ist nicht wie die
Appendizitis eine rein chirurgische Erkrankung. Etwa 50°/0 der Fälle
heilen bei interner Behandlung klinisch aus. Es gibt
1. Absolute Indikationen,
2. relative Indikationen,
3. Gegenindikationen.
1. Absolute Indikationen :
a) Die akute schwere Cholezystitis. Hier ist Abwarten ge¬
fährlich wegen eventl. eintretender Gangrän. Im schweren
Anfall sofortige Operation, beim leichten Anfall nach Ab¬
klingen derselben.
b) Der Leber abszeß, der subphrenische Abszeß, die eitrige
Pericholezystitis.
c) Hydrops und Empyem der Gallenblase.
d) Folgezustände von Entzündungen, Heus und Pylorusstenose.
e) Chronischer Verschluß des Choledochus.
2. Belative Indikationen :
a) Wenn soziale Verhältnisse einen schnellen Abschluß der
Krankheit verlangen (Arbeiter, Mutter mit vielen Kindern).
b) Chronische rezidivierende Cholezystitis.
3. Gegenindikationen :
a) Seltene Anfälle.
b) Schmerzloser Abgang von Steinen.
c) Schlechtes Allgemeinbefinden.
d) Akuter Verschluß des Choledochus.
In der Diskussion weist Ponfick auf die weit vorgeschrittene
Kenntnis der Appendizitisbehandlung hin, um die sich gerade die Chirur¬
gie viele Verdienste erworben hat. Der pathologisch-anatomische Be¬
fund deutet geradezu auf die Notwendigkeit des frühzeitigen chirur¬
gischen Eingriffes. Er hält im Gegensätze zu anderen Pathologen den
Kotstein für die Ursache mancher Appendizitis. P. betont dann das
Auftreten von regionär ganz entgegengesetzt liegenden Eiterungen. Zur
832
Ascher,
Erklärung dafür müsse das Vorbeipassieren der in Peristaltik befind¬
lichen Darmschlingen an dem primären Eiterherd herangezogen werden.
Tietze schließt sich im allgemeinen den Ausführungen Küttner’s
an. Von 167 in den letzten Jahren ausgeführten Ap peondiz it isoper ation en
hatten fünf einen letalen Ausgang. Bei allen tödlich verlaufenen* Fällen
war vorher diffuse Peritonitis festzustellen. Alle Früh Operationen, und
Intervalloperationen hätten ein gutes Resultat. Poliklinisch hat Vor¬
tragender 92 Fälle später als 48 Stunden operiert. Darunter 22 Fälle
mit tödlichem Ausgange. Davon war bei 17 Patienten vorher diffuse
Peritonitis nachzuweisen. Zwei Patienten gingen an Tuberkulose zu¬
grunde. Bei 57 Frühoperationen hatte er nur einen Todesfall. Er
faßt seine Darlegungen so zusammen, die Frühoperation ist zwar nicht
unbedingt notwendig, doch ist sie bei konsequenter Durchführung das
beste therapeutische Mittel. Bei Kindern ist die Frühoperation un¬
bedingt zu fordern. Die Gallensteinoperationen hält er für gefähr¬
licher als die Blinddarmoperationen. Rezidive hat er nicht selten ge¬
sehen. Seine Indikationen für die Operation sind:
1. Chronische rezidivierende Cholezystitis.
2. Hydrops und Empyem der Gallenblase.
3. Verschluß des Choledochus mit Fieber, Diarrhöen und Gewichts¬
abnahme.
In der Diskussion hebt Fraenkel die Schwierigkeit der Diffe¬
rentialdiagnose vom Standpunkt des Gynäkologen bei perforierter
Appendizitis und Torsion von Ovarialtumoren hervor. Die Appen¬
dizitis in der Gravidität ist nicht selten, wird aber oft übersehen.
Drei bis vier Tage post partum tritt dann die Katastrophe ein. Er
tritt für eine genaue Untersuchung im warmen Vollbade bei Links¬
lagerung ein und betont die Wichtigkeit einer präzisen Anamnese.
Schmeidler ist nach 40 jähriger ärztlicher Tätigkeit unbedingter
Anhänger der Frühoperation geworden. Er hat Opium und Morphium¬
therapie fast ganz ausgesetzt, empfiehlt jedoch in den ersten Stunden
kalte Umschläge. In der Cholelithiasisfrage verhält er sich mehr re¬
serviert. Er schreibt den Ölkuren, besonders per Klysma dargereicht,
günstige Wirkungen zu.
Alexander hat nach Ölkuren nur Seifensteine, niemals aber echte
Gallensteine abgehen sehen. Um Anhänger der Frühoperation zu wer¬
den, will er erst eine einwandsfreie Statistik der Chirurgen sehen,
die bessere Resultate als die interne Behandlung aufzuweisen hat.
Er will doch die interne Behandlung mit ihren Erfolgen nicht gering
anschlagen. Der Ausdruck diffuse Peritonitis wird öfters zu Unrecht
gebraucht. Nach seiner Ansicht ist eine vernünftige Opiumtherapie
geeignet, eine frühzeitige Abgrenzung durch Adhäsionen hervorzurufen.
Toeplitz empfiehlt bei Kindern dringend die Frühoperation, weil
sich schwere und leichte Fälle nicht unterscheiden lassen.
Im Schlußwort betont Küttner die Wichtigkeit des Kotsteines
als Entstehungsursache der Appendizitis. Bei Komplikationen der
Appendizitis mit Gravidität will er immer den Gynäkologen zuge¬
zogen wissen. Er warnt noch einmal vor der Anwendung des Opiums
und empfiehlt Bettruhe und Morphium. Was die Frage der Chole-
lithiasisoper ation betrifft, so ist er der Meinung, daß bei richtig ge¬
wählter Operationszeit die Rezidive ausgeschlossen sind.
Die nächste Sitzung der „Schlesischen Gesellschaft“ fand am
12. März in der königlichen Hautklinik statt.
Breslauer Brief.
838
Als Erster demonstrierte Zieler einen Fall von Boeck’schem
Sarkoid. Unter dem Namen Miliarlupoid ist es; in letzter Zeit häufig
in Beziehung zur Tuberkulose gebracht worden. Die Pir quetsche
Reaktion war negativ, auch eine allgemeine blieb aus. Die Infiltrate
sind flach, diffus oder vom Zentrum aus abheilende Herde. Das Bild
ähnelt sehr dem gewöhnlichen Lupus, weil sich einzelne Knötchen
unterscheiden lassen. Es folgt eine
Demonstration von Moulagen, in denen mehr gelbliche Farbe der
Knötchen dominiert, die an der Stirn besonders auffallend ist.
Öfter werden diese Fälle für Lupus erythem. und Lues angesehen.
Es besteht allgemeine indolente Drüsenschwellung. Die Drüsen gaben
dasselbe histologische Bild wie die eigentlichen Hautaffektionen. Die
Herde bestehen aus Epithel und Riesenzellen, keine Randzellenzone,
keine destruierende T]endenz im Wachstum, keine Zerstörung ist zu be¬
merken, nur Verdrängung des normalen Gewebes. Experimentell war
keine Tuberkulose zu erreichen, nur ähnliche Drüsenschwellungen sind
von Bruck durch Impfung dargestellt worden. Es handelt sich um
säurefeste Bazillen.
Die ganze Affektion wird als chronisches, infektiöses Granulom
angesprochen, die Ätiologie ist unbekannt. Häufig findet man Spina
ventosa ähnliche Knochenauftreibung mit dieser Affektion vergesell¬
schaftet.
Die Therapie besteht in protahierten Arsendosen, in Einsen und
Röntgenbestrahlung. Im Anschluß daran wurden einige Pirquetreak¬
tionen demonstriert. Es wurden darunter auch einige Fälle gezeigt,
die nach alter Pirquetreaktion lokal auf Tuberkulin wie echte Tuber¬
kulose reagierten. Es handelt sich dabei nicht um traumatische Tuber¬
kulose. Die späteren Reaktionen auf Tuberkulininjektionen waren
immer stärker als der erste Pirquet.
Daran schloß sich ein Fall mit prurigoähnlichen . Hauterschei¬
nungen, wie man sie bei Leukämie und Pseudoleukämie nicht selten
findet. Der Juckreiz spricht gegen Tuberkulose, trotzdem die Narben
einen solchen Verdacht aufkommen lassen. Auch sind solche Haut-
erscheinungen bei malignen Lymphomen und Malaria beobachtet worden.
Es besteht allgemeine Drüsenschwellung, doch keine reinen Symptome
irgend einer Grundkrankheit.
Braendle stellt einen Fall vor, bei dem multiple Keloide an der
Stelle aufgetreten sind, wo vor fünf Jahren Kampferinjektionen ge¬
macht wurden. Dieselben sind seit zwei Jahren bemerkbar, ohne sub¬
jektive Erscheinungen hervorzurufen. In der Diskussion betont Zieler
einen Fall, den er in München gesehen hatte, bei dem ähnliche Ver¬
änderungen aus der gleichen Ursache aufgetreten waren.
Koppel stellt einen Fall zur Diagnose, bei dem Lichen ruber
oder Lues differentialdiagnostisch in Frage kommen. Außerdem de¬
monstriert er einen Fall mit einem Primäraffekt am Mons pubis, der
sich unter den Erscheinungen einer gewöhnlichen Haarbalgfollikulitis
entwickelte.
Hayassi demonstriert histologische Präparate von Phlyktänen.
Er hält dieselben für eine rein toxische Wirkung der Tuberkelbazillen,
da Tierimpfungen stets resultatlos verlaufen sind.
In der Diskussion betont Zieler die Annahme einer toxischen
Tuberkulose. Die zentrale Verkäsung deutet auf eine echte Tuber-
53
834
Ehrmann und Fuld,
kulose im Gegensätze zum Pirquet knoten, der niemals zentrale Ver¬
käsung zeigt.
Sieb er t demonstriert Moulagen von Syphilis en cocard.
Hayn spricht über die Entstehung von Leukoderm. Er betont
hauptsächlich, daß auch Leukodermata auf treten können, wo keine
Effloreszenzen gesessen haben. Zur Differentialdiagnose demonstriert
er Moulagen mit Leukoderm nach Psoriasis. Zum Schlüsse zeigt er
einen Patienten mit maligner Lues.
Zieler präzisiert die Haupteharakteristika der malignen Form.
Die Effloreszenzen zerfallen sofort, die ganze Krankheitsform läßt das
Individuum sehr herunterkommen. Die souveräne Therapie ist Kalomel.
Beinking spricht an der Hand eines Falles von Labyrinthlues
über verschiedene Symptome dieses Krankheitsbildes.
Plötzlich einsetzende Schwerhörigkeit deutet auf eine syphilitische
Affektion des schallempfindenden Apparates. Das Trommelfell war
in diesem Falle ohne jeden Befund, da»3 Mittelohr vollständig intakt.
Starke Einschränkung der oberen Tongrenze, die der unteren nur gering.
Luftdusche ohne jeden Erfolg. Es stellen sich starke Kopfschmerzen
ein. Auf eine energische Quecksilber- und Jodkalikur schwanden die
Kopfschmerzen und das Gehör besserte sich. Der Bogengangsapparat
ist nicht beteiligt.
Charakteristisch für diese Affektion ist das plötzliche Einsetzen
von Taubheit oft innerhalb von 24 Stunden, die immer noch progressiv
sein kann. Ferner starke subjektive Hörgeräusche. Die Krankheit
spottet oft jeder Therapie.
Pathologisch -anatomische Veränderungen sind nicht viel bekannt.
Es handelt sich meistens um periostitische Veränderungen. Die bis jetzt
publizierten Fälle variieren in ihrem Befunde,
Pürckheimer demonstriert histologische Präparate von Spiro-
chaeta pallida, Knorpelknochengrenze luetischer Föten und experi-
mentel 1er Kaninchenkeratitis.
Baumm demonstriert einen Böntgendosimeter nach Saborand
N oire, der eine bequeme und genaue Abmessung der Strahlen gestattet.
Es folgt dann eine Demonstration von bestrahlten Patienten.
1. Krebskranke (werden nur dann bestrahlt, wenn die Operation
aus irgend einem Grunde unmöglich ist).
2. Lupuskarzinom.
3. Fall von Rosacea (durch Quarzlampe geheilt).
4. Einige Favusfälle (mit Böntgenbestrahlung geheilt).
5. Lupus (muß neben Bestrahlung noch antiparasitär behandelt
werden).
6. Psoriasisfälle (mit Röntgenstrahlen behandelt).
26. Kongreß für innere Medizin zu Wiesbaden.
19.— 22. April 1909.
Berichtserstatter: Dr. Ehrmann und Dr. Fuld.
(Fortsetzung.)
5. Sitzung vom 21. April 1909, vormittags.
Vorsitzender : Schultze-Bonn.
Der Kongreß beschließt, in der Begel in Wiesbaden zu tagen.
Eppinger und Hess- Wien: Zur Pathologie der Basedow¬
schen Krankheit.
26. Kongreß für innere Medizin zu Wiesbaden.
835
Das viszerale Nervensystem ist teils sympathischen, teils auto¬
nomen Ursprungs ; diese Bestandteile können anatomisch nicht vonein¬
ander getrennt werden. Wohl aber scheint eine solche Sonderung mög¬
lich durch Verwendung pharmakologischer Agenzien, indem das! Adre¬
nalin auf das sympathische System wirkt, das Pilokarpin und Physo¬
stigmin vorwiegend auf das autonomische (Vagus-) System. Durch
Heranziehung dieses Hilfsmittels läßt sieh feststellen, daß die beiden
Systeme im Verhältnis von Antagonisten stehen, indem das eine Beiz¬
wirkung ausübt, wo das andere hemmend wirkt. Bei einzelnen Indivi¬
duen nun sieht man von Pilokarpingaben überhaupt keine Wirkung,
weder Speichelfluß noch Schweiße ; aus der Erfahrung im Tierexperiment
schließt man in diesem. Fall auf einen Untertonus des Vagus. Gerade
bei diesen Menschen läßt sich eine Adrenalinglykosurie leicht hervor-
rufen ; umgekehrt kann man da, wo diese ausbleibt, mit Sicherheit
Voraussagen, daß das Pilokarpin wirken wird. Menschen von dem
zuletzt angedeuteten Verhalten sind vagusneurotische (v. Noorden),
bradykardische, spastisch obstipierte Leute mit nervöser Hyperhidrose.
Bei Basedowkranken, deren autonomes wie sympathisches System
in einem Beizzustand sich befindet, vermochte Bedner zwei Typen zu
unterscheiden, je nachdem der Beizzustand des einen oder des anderen
überwog. Bei dem einen, dem autonomen Typus z. B., bestehen nur
Schweiße und Diarrhöen, Möbius’sches Symptom, dagegen kein Exoph¬
thalmus usw.
In diesen Fällen ließ sich durch Adrenalinzufuhr keine Glykosurie,
bei dem anderen Typus wiederum keine Pilokarpinspeichelung hervor-
rufen.
Es könnte scheinen, als ob wir es in dem einen Fall mit Dys-
thryeoidismus und in dem anderen mit Hyperthyreoidismus zu tun
hätten. Jedoch liegt in Wahrheit auch beim Basedowismus mit auto¬
nomem Beizzustand kein Dysthyreoidismus vor, sondern gleichfalls
ein Hyperthyreoidismus, der einen vagotonischen Menschen befallen hat.
Diese Einteilung der Menschen in Vago- und Sympathikotoniker ist,
wie das ausgeführte und andere Beispiele lehren, für Pathologie und
Therapie von großer Bedeutung.
Bönniger-Pankow-Berlin : Zur Ätiologie des Lungen¬
emphysems.
Das lokale Emphysem beruht im Gegensatz zum diffusen auf einer
Überdehnung der Alveolen. Es gelang, künstlich ein solches an normalen
Lungen zu erzeugen, welches von natürlichem Emphysem nicht zu unter¬
scheiden ist. Auch die Lokalisation ist eine ganz ähnliche, wie man sie
z. B. bei Diphtherie sieht. Das sogenannte interstitielle Emphysem be¬
trifft in der Begel nicht die Interstitien, sondern die ihnen zunächst
liegenden Alveolen.
Head-London : Ü her Sensibilität und Sensibilitätspr iif ung.
Es ist allgemein bekannt, daß die Sensibilitätsstörungen, welche
nach Durchschneidung der peripheren Nerven auftreten, den Erwartungen
nicht entsprechen. Der Mensch unterscheidet auf Grund der täglichen
Erfahrung eine Empfindung der Berührung, die allmählich in eine
schmerzlose Druckempfindung übergeht. Schmerz, Hitze und Kälte
sind für uns scharf voneinander getrennte, einheitliche Qualitäten.
Wir unterscheiden ferner eine Gruppe der Empfindungen, mit deren
Hilfe wir die gereizte Stelle und die räumlichen Verhältnisse unserer
Glieder erkennen.
53*
836
Elirmann und Fuld,
Solche Empfindungsqualitäten müssen von spezifischen Impulsen
abhängig sein; aber jeder Versuch, die Sensibilitätsstörungen nach Ver¬
letzungen der peripheren Nerven oder des Rückenmarkes in solche,
a priori ausgedachte Kategorien einzureihen, scheitert am Widersprach
mit dem tatsächlichen Befund.
Der Kliniker ist deswegen genötigt worden, andere Sensibilitäts¬
qualitäten, wie z. B. die „tiefe Sensibilität“, voraus zu hilfe zu nehmen,
die in pathologischen Fällen als allein übrigbleibende Empfindungs¬
gruppe nachweisbar ist. Aber trotz aller Annahmen ist es nicht möglich,
die Sensibilitätsstörungen, die nach Läsionen verschiedener Abteilungen
des Nervensystems zustande kommen, in dieselben Empfindungskate¬
gorien einzureihen. Man redet von der erwähnten „tiefen Sensibilität“,
als sei diese etwas Definiertes ; aber diese Sensibilität bietet nach Ver¬
letzungen der peripheren Nerven ein ganz anderes Bild, als bei Läsionen
des Rückenmarks oder des Gehirns.
All diese Schwierigkeiten verschwinden nun, sobald man die An¬
nahme macht, daß die sensiblen Impulse in ihrem Verlauf von der
Peripherie bis zum Gehirn auf jeder Stufe des Nervensystems eine Neu¬
gruppierung erfahren.
Ich möchte Ihnen im folgenden zeigen, wie auf' identische Reize
die Empfindung sich jedesmal anders gestaltet, je nach der Stufe des
Nervensystems, an' welcher die Störung angreift.
Unsere Resultate stützen sich teils auf klinische, teils auf experi¬
mentelle, am eigenen Körper nach Durchschneidung zweier Nerven aus¬
geführte Untersuchungen.
Die Methoden zur Sensibilitätsprüfung, die ich heute besprechen
werde, sind nicht für alle klinische Zwecke brauchbar. Denn für die
Untersuchung von Kranken, die leicht ermüden und kein Interesse an
der Prüfung zeigen, sind die einfachsten Methoden die besten. Die
Prüfung darf nicht zu lange dauern und bloß die einfachste Selbst¬
beobachtung verlangen.
In meinem eigenen Palle glaubten wir uns dagegen der strengsten
psychophysischen Methoden bedienen zu sollen und haben ein besonderes
Gewicht auf die Ergebnisse dieser Selbstbeobachtung gelegt.
Der Patient hält während der Prüfung die Augen geschlossen, oder
es wird ein Schirm in der Weise aufgestellt, daß der untersuchte Teil
seines Körpers ihm unsichtbar wird. Bei der Untersuchung werden
keinerlei Fragen gestellt, von vornherein aber wird er dahin instruiert,
zu melden, sobald er etwas spürt. Der Sinn für oberflächliche Be¬
rührung wird mit einem kleinen Büschel Baunrwolle geprüft ; es muß
jedoch Sorge getragen werden, daß dieses nicht steif genug ist, um
Druckempfindungen hervorzurufen und doch so steif, daß es an ver¬
dickten Teilen der Haut, wie einer hornigen Hand oder Sohle angewendet
werden kann.
Leider aber ist diese bequeme und leicht meßbare Methode bei
Läsionen des peripheren Systems kein differenzieller Reiz für haar-
bedeckte Hautpartien ; unter gewissen Bedingungen ist es deswegen not¬
wendig, die untersuchten Teile zu' rasieren. Aber in vielen Fällen können
Schwierigkeiten vermieden werden, indem man von Frey’s „Reizhaare“
benützt. Professor von Frey hat in der freundlichsten Weise eine
Reihe solcher Haare für uns angefertigt, die wir bei den Untersuchungen
an meinem Arm benutzt haben.
26. Kongreß für innere Medizin zu Wiesbaden.
837
Die Schmerzempfindung ivird in der gewöhnlichen Weise mittels
eines Nadelstiches oder des f arabischen Stromes geprüft. Bei Rücken¬
marksläsionen ist jedoch zu beachten, daß der Kranke öfters trotz
totaler Analgesie die Fähigkeit behält, die Spitze von dem Kopf einer
Stecknadel zu unterscheiden. Daher ist er imstande, „Stich“ zu ant¬
worten, obwohl die Reizung vollständig schmerzlos bleibt.
Die Drucksensibilität wird mit irgend einem stumpfen Objekt ge¬
prüft. Sobald man den Druck erhöht, entsteht eine Schmerzempfindung,
deren Schwelle man mit einer Modifikation des Cattell’schen Algo-
meters bestimmen kann. Ein solches Instrument gibt sehr verschiedene
Messungen in den Händen verschiedener Beobachter, je nach der Ge¬
schwindigkeit, mit welcher der Druck ausgeübt wird und je nach der
Intelligenz des Kranken. Wir haben deswegen stets die kranke mit der
gesunden Seite des Körpers verglichen und kleine Unterschiede ver¬
nachlässigt.
Zur Prüfung des Temperatursinnes benutzen wir meistens mit
heißem oder kaltem Wasser gefüllte silberne Gefäße,
Die Lokalisationsfähigkeit wird nach vier Methoden geprüft. Der
Kranke wird aufgefordert, den gereizten Ort zu nennen und nachher mit
dem Finger auf ihn zu deuten. Bei intelligenten Kranken wird die
Henri’ sehe Methode benutzt, besonders wenn die Sensibilitätsstörung
die Haut betrifft. Zu diesem Zwecke fertigt man zwei lebensgroße
Abbildungen der Hand an; auf der einen werden die gereizten Stellen
notiert, während der Kranke auf der anderen die Stelle auf zeichnet, wo
er glaubt, gereizt worden zu sein. Diese Methode ist besonders lohnend
bei Läsionen der Hirnrinde. Nach der Spear manschen Methode wird
ein mit einem Loch versehenes Blatt, Pappdeckel oder steifes Papier
über den geprüften Körperteil gelegt. Sämtliche Reizungen werden durch
das Loch gemacht; die Kranke bezeichnet mit einem Bleistift die Stelle,
an welche er den Reiz verlegt. Die Fähigkeit, zwei in einiger Ent¬
fernung voneinander aufgelegte Hautreize gesondert zu empfinden, wird
mittels eines Zirkels mit abgerundeten Spitzen geprüft. Um genaue
Ergebnisse zu erhalten, ist es notwendig, bald die eine, bald beide
Spitzen in einer unregelmäßigen Reihenfolge anzulegen, so daß schlie߬
lich jede Art der Reizung gleich oft, z. B. zehnmal, angewendet worden
ist. Die auf die Reizung gegebenen Antworten können, wie McDougall
vorgeschlagen hat, in Form eines Bruches aufgeschrieben werden; die
Zähler geben die Art der Antworten an für Reizung mit einer Spitze
und die Nenner diejenigen für zwei Spitzen. Niemals versuchen wir
eine Schwelle zu bestimmen, aber von vornherein werden die Spitzen
des Zirkels auf eine solche Entfernung voneinander gestellt, daß sie auf
der normalen Haut unbedingt getrennt wahrgenommen wurden.
Um die Empfindung passiver Bewegungen und die Lagewahr¬
nehmung zu prüfen, wird der Kranke aufgefordert, die Stellung des
bewegten Gliedes mit der Hand nachzuahmen. Wird z. B. die große
Zehe in die Strecksteilung gebracht, so erhebt er den Daumen, wird
der Fuß abwärts bewegt, so beugt er die Hand usw.
Es ist wesentlich, die Antworten, wie bei dem Zirkelversuch, als
Bruch aufzuschreiben, denn durch diese Methode allein kann man den
Einfluß des Zufalls ausschalten.
Das Vibrationsgefühl wird in der gewöhnlichen Weise mit einer
Stimmgabel geprüft, die 128 Schwingungen in der Sekunde hat.
888
Ehrmann und Fuld,
2. Periphere Anordnung“ der Sensibilität.
a) Tiefe Sensibilität.
Nach Durchschneidung der beiden Nerven an meinem Arm trat
ein totaler Empfindungs Verlust ein längs einer ausgedehnten Fläche
der Haut an der radialen Hälfte des Vorderarmes und des Handrückens.
Reizung mit Baumwolle, einer Nadelspitze, die Applikation jeder Form
von Hitze und Kälte blieben unbemerkt. "Wenn jedoch derselbe Teil
mit der Spitze eines Bleistiftes, dem Kopf einer Nadel oder selbst mit
dem Finger berührt wurde, wurde der Reiz sofort bemerkt und mit
unerwarteter Genauigkeit lokalisiert. Die Vibration einer Stimmgabel
und die Rauheit eines reizenden Gegenstandes wurden ebensogut, wie
auf der normalen Hand erkannt.
'Übermäßiger Druck in dieser Gegend erzeugte heftigen Schmerz,
und mit Cattell’s Algometer wurde gefunden, daß solcher mit dem¬
selben oder selbst einem kleineren Druck als auf der normalen Seite
ausgelöst werden konnte.
Trotz der guten Lokalisation konnten die beiden Spitzen des
Zirkels nicht unterschieden werden, aber passive Bewegungen der .
Muskeln wurden ebensogut erkannt wie auf der normalen Seite.
Man sieht, daß auf der peripheren Stufe des Nervensystems die
tiefe Sensibilität zur Erkenntnis und Lokalisation des Druckes,
der Druckbewegung, des Druckschmerzes, der Vibration einer Stimm¬
gabel, der Rauheit des reizenden Gegenstandes und der passiven Be¬
wegungen der Muskeln und Gelenke dient. Sie bietet keinerlei Hilfe
bei der spezifischen Empfindung der leichten Berührung, des Nadel¬
stiches, der Wärme oder Kälte sowie beim Zirkelversuch.
b) Sensibilität der Haut.
Nach Durchschneidung eines peripheren Nerven, wie z. B. des
Medianus oder des Ulnaris, beschränkt sich die Analgesie auf ein
kleineres Gebiet als das der anatomischen Verbreitung des Nerven,
Daneben liegt eine dem Innervationsgebiet genau entsprechende Zone,
innerhalb deren jede Empfindung für leichte Berührungen, das Er¬
kennen der Zirkelspitzen, das Erkennen von Temperaturen zwischen
22 und 40° C und das Vermögen der genauen Lokalisation aufgehoben
ist, während in demselben Bezirk der Stich einer Nadel, außerordent¬
liche Kälte und (öfters) Hitze gut erkannt werden. Die Verbreitung
dieser intermediären Zone ist sehr verschieden, aber in jedem Fall
sind selbst die erhaltenen Zahlen der Sensibilität bedeutend herab¬
gesetzt.
Etwa 10 Tage nach der Durchschneidung fängt die Haut dieser
Zone an in einer merkwürdigen Weise zu reagieren. Auf schmerzhafte
Hautreize wird die Empfindung weit unangenehmer als sonst auf der
normalen Haut empfunden, während gleichzeitig in entfernte Teile der
betroffenen Fläche ein diffuses Prickeln verspürt wird.
Nun ist selbst in den günstigsten Fällen innerhalb dieser inter¬
mediären Zone die Sensibilität selbst für schmerzhafte Hautreize stark
erniedrigt, wie man mittels der von Frey’schen ,, Schmerzhaare“ be¬
weisen kann. Trotzdem ist hier die Reaktion auf schmerzhafte Haut¬
reize noch kräftiger als über normaler Haut.
Diese auffallende Beobachtung wird durch den Zustand meiner
Hand während des ersten Stadiums der Regeneration erklärt. Die
Wiederherstellung der Empfindung geschah nicht durch ein gleich¬
mäßiges Ansteigen aller Arten der Sensibilität, vielmehr wird die
26. Kongreß für innere Medizin zu Wiesbaden.
839
betreffende Hautfläche zuerst für Stiche und kurz danach allmählich
auch für die extremen Formen der Kälte und Wärme empfindlich.
Erst nach einem Jahre fingen die höheren Formen der Sensibilität
a n zurückzukehren.
In diesem ersten Stadium, das ich als „protopathisches“ be¬
zeichnet habe, bestand die ganze Sensibilität der Haut in der Existenz
von Schmerz-, Hitze- und Kältepunkten. Die ganze Ausdehnung der
Hautfläche blieb für leichte Berührung und Temperaturen von 26 bis
38° C unempfindlich; genaue Lokalisation und getrennte Empfindung
der beiden Zirkelspitzen war ebenfalls nicht möglich.
Wenn man die Eigenschaften dieses protopathischen Hautgebiets
mittels abstufbarer Beize genauer untersucht, so findet man, daß ein
bestimmtes Beizhaar hier unangenehmer empfunden wird, als auf der
normalen Haut. In einer ähnlichen Weise rufen, trotz der beträchtlich
erhöhten Schwelle für Kälte und Wärme, Temperaturen wie 15 und 45° C
eine auffallend kältere oder wärmere Empfindung als auf der normalen
Haut hervor. Wir gelangen so zu dem merkwürdigen Besultat, daß
eine Stelle, die eine meßbare hohe Schwelle besitzt, mit einer stärkeren
Empfindung als die normale Haut reagiert.
Wenn ein protopathischer Teil mit Haar versehen ist, so erzeugt
das Ziehen an einem Haare eine sehr schmerzhafte und unangenehme
Empfindung, die weithin ausstrahlt. Leichtes Bürsten mit Baumwolle
ruft eine Empfindung hervor, die keineswegs normal ist ; denn sie be¬
steht nicht nur aus einem sonderbaren Stechen oder Ameisenkriechen,
sondern sie strahlt weit um den Beizpunkt hin aus und wird obendrein
häufig auf eine entfernte Gegend bezogen. Doch wird die Haut durch
Basieren vollkommen unempfindlich für Baumwolle.
Erst nach einem Jahre fing die Haut an, für leichte Berührung
und mittlere Temperaturen (zwischen 26 und 38° C) empfindlich zu
werden, und mit dieser Bückkehr der normalen Empfindung hielt das
Zurückgehen der erhöhten Beaktion auf schmerzhafte Kälte- und Wärme¬
reize gleichen Schritt.
Auf Grund unserer Beobachtungen glauben wir, daß die Inner¬
vation der Haut von zwei verschiedenen Systemen, besorgt ist ; das eine,
protopathische, besteht aus drei Arten von punktförmigen Endorganen,
die auf schmerzhafte Beize, auf Hitze über 38° C und auf Kälte unter
26° C reagieren. Ist dieses System allein in Funktion, so wird die
Beaktion stärker als auf der normalen Haut, und die Empfindung wird
diffus oder sogar in einen entfernteren Teil verlegt. Diese primitive
Art der Empfindung wird in günstigen Fällen mehrere Monate vor
den höheren Empfindungsarten wieder hergestellt.
Erst nach etwa einem Jahre erscheinen wieder die epikritischen
Funktionen, und die Haut wird wieder für leichte Berührungen und
mittlere Temperaturen empfindlich ; zwei Spitzen des Zirkels werden
wieder unterschieden und Hautreize allmählich immer genauer loka¬
lisiert.
Die Sensibilität der peripheren Nerven beruht deswegen auf drei
verschiedenen Systemen.
I Tiefe Sensibilität. Druckberührung, Druckschmerz, Lokali¬
sation des Druckes, Vibration, Bauheit des reizenden Gegenstandes.
Die sensiblen Nervenfasern, auf deren Vorhandensein diese Sensi¬
bilität beruht, verlaufen mit den Nerven für Muskeln, Sehnen und
Gelenken.
840
Ehrmann und Fuld,
II. Protopathische Sensibilität. Schmerz, Kälte unter 26° C-,
Hitze über 38° C, eine besondere diffuse Sensibilität der Haare.
Von diesem System werden die Schmerz-Kälte- und -Wärmepunkte
inner viert. Seine Fasern regenerieren binnen 6 — 24 Wochen nach der
Wiederherstellung der Nerven.
III. Epikritische Sensibilität. Leichte Berührung (Reizhaare
bis 5 grm/mm). Sensibilität für Temperaturen zwischen 26° C und
38°. Das Erkennen zweier Zirkelspitzen. Genaue Lokalisation.
Die Wiederherstellung dieses Symptoms braucht wenigstens ein
Jahr. Nach Durchschneidung der peripheren Nerven wird meistens
diese Sensibilität auf einer größeren Fläche als die protopathische ver¬
nichtet ; aber in seltenen Fällen kommt die entgegengesetzte Dissoziation
zustande, und trotz einer vollständigen Analgesie bleibt eine größere
oder kleinere Hautfläche empfindlich für leichte Berührung.
3. Gruppierung der afferenten Impulse im Rückenmark.
Durch das Gesagte wird es leicht verständlich, daß auf der peri¬
pheren Stufe des Nervensystems gewisse Dissoziationen der Sensibilität
zustande kommen können, andere dagegen unmöglich sind. Nun aber
werde ich versuchen, Sie zu überzeugen, daß die Dissoziationen der
Sensibilität bei Rückenmarkserkrankungen sich vollständig anders ge¬
stalten, als bei Läsionen des peripheren Nervensystems.
a) Schmerz.
Nach Durchschneidung der Nerven an meinem Arm erschien eine
vollständige Dissoziation zwischen jeder Form der schmerzhaften
Empfindung der Haut und der tieferen Teile. Die Haut wurde gänzlich
unempfindlich gegen alle schmerzhaften Reize. Sobald man aber auf
die tieferen Teile kräftig drückte, wurde eine schmerzhafte Empfindung
ebenso leicht auf der kranken als auf der normalen Seite erregt.
Wenn dagegen bei Läsionen des Rückenmarkes der Schmerz bei
einer Reizart fehlt, so fehlt er ebenso bei jeder anderen (abgesehen von
der größeren Intensität des Druckschmerzes).
Ungeachtet dieses Verlustes der tiefen Sensibilität für schmerzhafte
Reize bleiben die analgetischen Teile bei der leisesten Berührung
empfindlich ; eine allmähliche Steigerung des auf sie ausgeübten Druckes
wird ebenso richtig geschätzt wie in der Norm, trotz der Unempfind¬
lichkeit gegen schmerzhafte Druckreize.
b) Leichte und tiefe Berührung.
Eine häufig nach peripher en Läsionen zustande kommende Disso¬
ziation der Sensibilität besteht darin, daß leichte Berührungen nicht-
erkannt, tiefe Berührung und Druck dagegen richtig empfunden werden.
In solchen Fällen würden die von der tiefen Sensibilität besorgten
Empfindungen notwendigerweise das Vorhandensein des Sinnes der pas¬
siven Lage und Bewegung in sich schließen. Jede Beeinträchtigung
der Empfindlichkeit auf tiefe Berührung wird eine gleichzeitige Ver¬
minderung dieses Sinnes mit sich bringen.
WTenn aber die Läsion im Rückenmark liegt, erscheinen und ver¬
schwinden die Impulse auf leichte und tiefe Berührung gleichzeitig.
Im Rückenmark sind alle Tastimpulse vereinigt; die Druckempfindung
ist für dasselbe bloß eine intensivere Form der Berührung. So war
in einer charakteristischen Form von Brown-Sequard-Lähmung das ganze
rechte Bein unempfindlich gegen Reizung mit Baumwolle, gegen von
Frey’ sehe Haare und gegen Druck, selbst von vielen Kilogrammen.
Dieser Kranke erkannte jedoch jede passive oder aktive Veränderung
26. Kongreß für innere Medizin zu Wiesbaden.
841
in der Lage des sonst unempfindlichen Gliedes. Eine solche Disso¬
ziation könnte niemals infolge einer Läsion der peripheren Nerven
entstehen.
c) Passive Lage und Bewegung.
Wahrnehmung der passiven Lage und Bewegung nach Durch¬
schneidung der peripheren Nerven ist ein Beweis für die Integrität des
tiefen Systems der SeAsibilitäjt. Diese setzt die Erhaltung anderer
Formen der tiefen Sensibilität voraus, nämlich tiefe Berührung und
Druckschmerz. Denn nach Läsionen der peripheren Nerven sind alle
drei Arten der Sensibilität zusammen vorhanden oder fehlen gemeinsam.
Bei einer intramedullären Läsion kann jedoch jede von diesen
drei Gruppen unabhängig von den beiden anderen gestört sein.
Ferner ist es allgemein bekannt, daß bei Fällen von Brown-
Sequard-Lähmung die Empfindung für passive Lage und Bewegung
auf der (den sonstigen Sensibilitätsstörungen) entgegengesetzten Körper¬
hälfte vollkommen fehlt.
d) Hitze und Kälte.
Nach Durchschneidung der peripheren Nerven wird von den drei
protopathischen Komponenten die Wärmesensibilität am meisten be¬
einträchtigt. Jedoch selbst in Fällen, die in dieser Beziehung die
größte Dissoziation zeigen, sind alle drei Arten der Empfindung,
Schmerz, Kälte, Hitze, mehr oder weniger vernichtet.
Anders bei Bückenmarksläsionen ; hier bilden Hitze- und Kälte¬
empfindung zwei getrennte Qualitäten. Jede Art der Sensibilität kann
verloren gehen, ohne daß dann die andere auch nur vermindert zu sein
braucht Ein Ausfall der Empfindung für mittlere Temperaturen bei
erhaltener oder gesteigerter Sensibilität für die extremen Grade kommt
bei Bückenmarkserkrankungen nicht vor.
e) Die Zirkelprobe.
Einer der bemerkenswertesten Unterschiede zwischen dem Empfin¬
dungsverlust nach Nervendurchschneidung und demjenigen auf Grund
• von Bückenmarksläsionen tritt bei der Zirkelprobe an den Tag. Auf der
peripheren Stufe des Nervensystems hängt die Fähigkeit, zwei gleich¬
zeitig aufgelegte Spitzen als getrennt zu erkennen, mit der Sensibilität
für leichte Berührung zusammen. Umgekehrt kann es bei Bücken¬
markserkrankungen Vorkommen, daß der Kranke bei einem Abstand
von 20 cm statt zwei Spitzen nur eine fühlt, obwohl die Empfindung
für die leiseste Berührung erhalten ist. W enn, aber diese Empfindung
wirklich einmal gestört ist, so betrifft dieser Ausfall die (den sonstigen
Sensibilitätsstörungen) entgegengesetzte Körperhälfte.
Wir haben gezeigt, daß die verschiedenen Formen der peripheren
Impulse nach ihrem Eintritt in das Zentralnervensystem eine neue
Gruppierung erfahren. Diese Umwandlung findet mit mehr oder weniger
großer Geschwindigkeit auf derselben Seite wie der Eintritt der fmpulse
statt. Dies ergibt sich aus den Beobachtungen bei einseitiger Syringo¬
myelie, da hier die Sensibilitätsstörung, obwohl sie rein intramedullären
Ursprungs ist, dieselbe Körperseite betrifft wie die Muskelatrophien.
Diese umgeänderten Impulse treten mit verschiedener Geschwindig¬
keit in die gegenüberliegende Bückenmarksseite über, um in den langen
Leitungsbahnen zum Gehirnstamm aufzusteigen.
Die Impulse für Schmerz, Hitze und Kälte durchziehen etwa fünf
bis sechs Bückenmarksegmente, ehe ihre Kreuzung vollendet ist ; die
842
Vorläufige Mitteilungen und Autoreferate.
Impulse für Berührung jedoch brauchen eine beträchtlich längere Strecke,
ehe sie gänzlich hinübergetreten sind.
Aus diesem Grunde kann es gelegentlich Vorkommen, daß bei ein¬
seitigen Rückenmarksläsionen Störungen der Sensibilität für Schmerz,
Hitze und Kälte ohne Verlust der Berührungsempfindung auftreten.
Ehe sie eine Umordnung erfahren, steigen sämtliche sensiblen
Impulse in den Hintersträngen auf. Einige werden rasch verändert,
andere langsamer ; aber die Impulse, die dem Sinn der passiven Lage
und Bewegung und dem Erkennen zweier Spitzen zugrunde liegen,
bleiben allein in diesen Strängen bis zu den Hinterstrangskeirnen, wo
auch sie eine neue Gruppierung erleiden; und, wie alle seniblen Impulse,
gelangen sie endlich auf die gekreuzte Seite des1 Nervensystems.
Die Umwandlung der seniblen Impulse besteht übrigens nicht
allein in einer Neugruppierung, sondern es treten auch Hemmungen für
gewisse periphere Impulse hinzu. Wenn man z. B. die Haut dem Reiz
einer Temperatur von 45° C aussetzt, so ruft man im allgemeinen bloß
ein angenehmes Wärmegefühl hervor. Auf den Teilen der Haut jedoch,
wo keine Wärmepunkte existieren, ruft diese Temperatur eine Empfin¬
dung von Kälte, die sogenannte paradoxe Kälte, hervor. Läßt man die
Temperatur bis auf 40° C abf allen, so werden die Kältepunkte nicht
mehr gereizt, und nun verspürt der Patient eine reine Schmerzempfin¬
dung. Normalerweise werden also bei einer Temperatur von 45° C, die
eine angenehme Wärmeempfindung hervorruft, Kälte- und Schmerz¬
impulse gehemmt. Erst wenn die Wärmeempfindung wegfällt, so
können die normalerweise gehemmten Impulse zum Vorschein kommen.
In dieser Einrichtung liegt die Möglichkeit der Entwicklung. Der
Mensch ist nicht mit vollendetem Nervensystem erschaffen worden,
sondern seine sensiblen Organe haben sich aus denen der niederen
Tiere entwickelt. Diese Entwicklung besteht in der allmählichen Ver¬
vollkommnung der sensiblen Impulse auf jeder Stufe des höher ent¬
wickelten Nervensystems.
Eine solche Theorie setzt voraus nicht allein eine phylogenetische
Entwicklung, sondern auch einen täglichen Kampf ums Dasein auf den *
physiologischen und psychologischen Stufen.
Darin erblicken wir das Mittel, durch welches: ein unvollkommener
Organismus bis zu höheren Funktionen und psychischer Einheit sich
hin auf gearbeitet hat. (Fortsetzung folgt.)
Vorläufige Mitteilungen u. Autoreferate.
Zur Kasuistik der penetrierenden Stichverletzungen des Abdomens.
Von Dr. Köppl.
(Wissenschaftliche Gesellschaft deutscher Ärzte in Böhmen. Sitzung am 28. Mai 1909.)
Demonstration eines 58 jährigen, dementen Patienten, der sich in
selbstmörderischer Absicht ein gewöhnliches, spitzes Tischmesser in den
Unterleib stieß. Das Messer war senkrecht genau im Nabel einge-
• stoßen, durchsetzte die Abdominalhöhle und stak mit der Spitze fest
in der Wirbelsäule haarscharf - neben der Aorta. Nach 24 Stunden
erst kam Pat. zur Operation, die Waffe hatte er im Abdomen stecken
lassen. Es bestanden Stuhl- und Windverhaltung, mäßiger Meteoris¬
mus und Schmerzen in der Umgebung des Einstiches, sonst Allgemein¬
befinden nicht alteriert. Die Laparotomie ergab, daß keinerlei innere
Vorläufige Mitteilungen und Autoreferate.
843
Verletzung zustande gekommen war. K. erklärt letzteres damit, daß
erstens die Messerspitze stumpf war, es wurden infolgedessen die Bauch¬
decken vor ihrer Durchbohrung zunächst trichterförmig bis gegen die
Wirbelsäule eingestülpt, und zweitens ein kolossal verfettetes und ver¬
dicktes Dünndarmmesenterium vorhanden war, an dessen freiem Bande
der mäßig gefüllte Dünndarm nur eine Art schmalen Saumes dar¬
stellte ; durch genannte trichterförmige Einstülpung der Bauchdecken
wurde das Mesenterium der vorliegenden Dünndarmschlinge, und diese
mit ihm wiederum trichterartig ausgebreitet. Da die Spitze des Messers
knapp unterhalb der Ansatzlinie der Badix mesenterii in die Wirbel¬
säule eindrang, blieb auch das Mesenterium unverletzt.
Heilung per secundam in acht Wochen. Autoreferat.
lieber präsenile Gangrän infolge von Arteriitis obliterans.
Von Dr. med. Schümann.
Sitzung der medizinischen Gesellschaft zu Leipzig am 11. Mai 1909.
Vortragender berichtet über zwei Fälle von prä seniler Gan¬
grän, die in der Leipziger chirurgischen Universitätsklinik zur Be¬
obachtung kamen.
Der erste Fall betrifft einen 39 jährigen Schuhmacher, der seit
1 1/2 Jahren an heftigen Schmerzen im rechten Fuß und Unterschenkel
litt ; es bestanden die typischen Beschwerden des intermittierenden Hin¬
kens. Aufnahme am 23. Oktober 1908 einer fortschreitenden Zehen¬
gangrän wegen. Völliges Fehlen der Fußpulse auf der kranken Seite.
Amputation nach Pirogoff (Geheimrat Trendelenburg). Heilung ohne
Komplikationen; Patient bietet aber jetzt die Erscheinungen des Be-
zidivs am andern Fuß. Präparat: Arterien völlig frei von Verkal¬
kung und Verfettung, enorme, an den kleineren (Metatarsal-) Arterien
zum Verschluß führende Intimawucherung (Demonstration).
Beim zweiten Fall handelt es sich um einen 36 jährigen russisch-
jüdischen Händler, Erscheinungen dem ersten Fall durchaus ähnlich.
Kein Diabetes, keine allgemeine Arteriosklerose, kein Herzfehler nach¬
zuweisen. Operation nach Pirogoff am 24. XII. 1907, Esmarch’sche
Blutleere hierbei völlig entbehrlich. Heilung. Auch bei diesem Patienten
ist ein Bezidiv am andern Fuß eingetreten (gangränöses Geschwür
am Nagelbett).
Bei beiden Patienten ließ sich in ätiologischer Beziehung Lues
und Alkoholismus ausschließen, wohl aber lag Nikotinabusjus stär¬
keren Grades vor. (10 — 20 Zigaretten bei dem einen Patienten seit
dem zwanzigsten, 20 — 30 Zigaretten pro die bei dem andern seit dein
zwölften (!) Lebensjahre.) Hinweis auf die Erb’schen Statistiken über
den Einfluß des Bauchens sowie auf die experimentelle Arteriosklerose
durch intravenöse Nikotininjektionen (Henkel). (Die Arbeit erscheint
ausführlich in der Münchner med. Wochenschrift.) Autoreferat.
Neue Untersuchungsergebnisse bei der Blutdruckmessung mittels
des Tonographen.
(Minimaldruckpunkt, Pulsdruck und Schlagvolumen, Gefäßtonus und seine
Bestimmung in absoluten Zahlen.)
Von Dr. Silbermann, Kudowa.
Der vom Verf. konstruierte und bei seinen Untersuchungen an¬
gewandte Tonograph, stellt sich als der schreibende Biva-Bocci’sche
844
Referate und Besprechungen.
Blutdruckmesser dar, der dementsprechend ans einem Quecksilbermano¬
meter mit Schwimmer und Schreibnadel, Pulsschreiber, Zeitschreiber
und Kymographion besteht. Die mit dem Apparat erzielten absoluten
Werte liegen nur 5 mm tiefer als beim üblichen Riva-Rocci. (Nähere
Beschreibung des Tonographen siehe Med. Klinik 1908, Nr. 35.)
Verf. stellt in seiner Arbeit folgende Sätze auf :
1. Der Minimaldruckpunkt entspricht in seiner Lage dem größten
bezw. dem ersten mehrerer gleich großer, vergrößerter Pulse, nicht
dem ersten verkleinerten Pulse.
2. Pulsdruck und Schlag volumen sind nicht miteinander zu iden¬
tifizieren, da beim Anstieg des Druckes von Minimal- zu Maximaldruck
nicht nur der Innendruck sondern auch der Gefäßtonus, der nur zu
einem Teil vom Innendruck abhängig ist, für die Erhöhung von wesent¬
lichem Einfluß ist.
3. Es ist zu unterscheiden zwischen Minimal- und Maximaitonus,
da die Wandspannung nicht nur vom Grade der Elastizität der Arterien
abhängig ist, sondern auch vom Innendruck, dieser aber in den beiden
Phasen der Arterie ein wesentlich verschiedener ist.
4. Die Differenz von Minimaldruck und Minimaltonus gestattet
einen Rückschluß auf den Füllungszustand der Arterie in ihrem Ruhe¬
zustand, die Differenz von Maximaldruck und Maximaltonus auf die
Herzarbeit, und ferner gibt die Differenz von Maximal- und Minimal¬
tonus den Grad der Wandspannungszunahme vom Ruhezustand zum
Zustand höchster Erweiterung der Arterie an.
Die logische Entwicklung dieser Sätze eignet sich nicht zu kurzem
Referat. Autoreferat.
Untersuchungen über 5 Streptothrixstämme.
Von Dr. W. Schürmann. (Zentralbl. für Bakt., Bd. 49, H. 2.)
Bei der Untersuchung von Originalpräparaten diphtherieverdäch¬
tiger Rachenabstriche fand Verfasser häufig Bakterienformen, die nach
der Neißer’schen Färbemethode eine große Ähnlichkeit mit dem Diph¬
theriebazillus aufwiesen. Das Plattenverfahren ergab keine Diph-
tb erleb azillen. Es handelte sich bei weiterer genauer Untersuchung
um Streptothrixarten. Es wurden 5 derartige Stämme untersucht, die
sowohl in ihrem äußeren Verhalten, wie in ihrem Wachstum auf den
verschiedenartigsten Nährböden sich verschieden verhielten. Besonders
charakteristisch war ihr Wachstum und die Veränderung des Nähr¬
bodens der einzelnen Stämme auf Lakmusmolke, Barsiekow-Mannit und
Barsiekow-Milchzucker. Beigefügte Tafeln illustrieren die Farbenver¬
änderungen aufs klarste.
Keiner der untersuchten Stämme war tierpathogen. Autoreferat.
Referate und Besprechungen.
Bakteriologie und Serologie.
Ueber die Anpassung der Bakterien an die bakteriolytische Eigenschaft
des Blutserums.
(C arapelle u. Gueli. Zentralbl. für Bakt., Bd. 46, H. 7, 1908.)
Fortlaufende Züchtung von Bakterien (Typhus, Staphylococcus aureus,
Prodigiosus, Coli) in frischem Blutserum brachte nach einigen Passagen
Referate und Besprechungen.
845
eine Anpassung an die bakterizide Kraft des Serums. Es ließen sich die
Bakterien schließlich in frischem Serum gut kultivieren. Hierbei erwarben
sie, wie das Tierexperiment zeigte, eine große Pathogenität. Im Blute der
Tiere ließen sich die verimpften Bakterien rasch nachweisen, während dieser
Nachweis bei nicht angepaßten Bakterien mißlang.
Schürmann (Düsseldorf).
Ueber Anaphylaxie beim Kaninchen unter besonderer Berücksichtigung
des „Arthus’schen Phänomens“.
(Dr. Thompson u. W. Marchildon. Zentralbl. für Bakt., Bd. 48, H. 4, 1908.)
Das als „Arthus’sches Phänomen“ bekannte lokale Auftreten der Serum-
Anaphylaxie beim Kaninchen beruht auf einer Gewebsläsion des Kapillar-
endotheliums, welche zu Blutergüssen führt. Infolge des Mangels an Wider¬
standsfähigkeit des neugebildeten Epitheliums kommt es zu einer schlechten
Abheilung der Nekrose bei Kaninchen. Folgt auf eine Seruminjektion eine
allgemeine Reaktion, so wird die Haut nicht angegriffen. Große Injektionen
von Serum oder andauernde Einspritzungen immunisieren das Kaninchen, so
daß spätere Gaben keine lokale Läsion erzeugen. Einspritzungen von Serum
bei einmal schon bestehendem Serumexanthem vergrößern die Ausdehnung
der Läsion nicht.
Pferdeserum ist für das subkutane Gewebe kein Reizmittel ; ebenso¬
wenig reagiert der Körper lokal auf eine Injektion von Bouillon, Milch,
Pankreatin, Harnstoff und Glyzerin. Alkoholinjektion erzeugt nur eine lokale
Veränderung; es tritt nie eine Blutung ein im Gegensatz zu der hämorrha¬
gischen Veränderung bei den mit Serum behandelten Tieren. Behandelt man
Kaninchen mit Ascites-, Hydrocelen- und Pleuraflüssigkeit, so tritt eine
gewisse Anaphylaxie ein. Starke subkutane Injektionen dieser Flüssigkeiten
bei richtig sensibilisierten Kaninchen erzeugen eine milde Abart des ,,Arthus-
schen Phänomens.“
Auch wurden von Verf. Untersuchungen mit altem Diphtherieanti¬
toxin und antitetanischem Serum vorgenommen. Das Ergebnis dieser Unter¬
suchungen war, daß das Alter die Toxizität dieser Sera erhöht.
Schürmann (Düsseldorf).
Kommt der bei der aktiven Immunisierung auftretenden negativen Phase
eine Bedeutung im Sinne der erhöhten Empfänglichkeit des vaccinierten
Individuums zu?
(Pfeifer u. Friedberger. Zentralbl. für Bakt., Bd. 47, H. 4, 1908.)
Meerschweinchen, die mit abgetöteten Typhus- oder Cholerabazillen im¬
munisiert waren, zeigen keine erhöhte Empfänglichkeit gegenüber der In¬
fektion nach der Immunisierung, sondern in den ersten 24 Stunden einen
deutlichen Schutz, der auf allgemeiner Resistenz beruht. Es ist also auch
beim Menschen im Anschluß an die Schutzimpfung eine Steigerung der
Empfänglichkeit für die Infektion wenig wahrscheinlich.
Schürmann (Düsseldorf).
aa
Uber Komplementbindung bei Immunisierung mit Corpus luteum.
(Miller. Zentralbl. für Bakt., Bd. 46, H. 7, 1908.)
Behandelt man Kaninchen mit Corpus luteum-Emulsionen von Kühen
und Schweinen, so gewinnt des Serum des Kaninchens die Fähigkeit, mit dem
homologen Luteinextrakt und dem Extrakt anderer Organe derselben Tier¬
art, Komplement zu binden. Es gelingt diese Komplementbindung aber nicht
mit heterologen Lutein- und Organextrakten. Ein Nachweis eines spezifischen
Sekretionsproduktes des Corpus luteum konnte mit der Komplementbindung
nicht erbracht werden, vielmehr handelt es sich dabei um eine Immunisierung
mit Organzellen eines fremden Tieres. Schürmann (Düsseldorf).
846
Referate und Besprechungen.
Opsonische Kraft und kerative Wirkung einiger therapeutischen Sera*
(J. Staal. Zentralbl. für Bakt., Bd. 49, H. 2.)
Die Resultate seiner Untersuchungen sind folgende:
Im Immunserum ist die opsonische Kraft höher als die des überein¬
stimmenden Normalserums. Das bakterizide Vermögen ist nicht ausgesprochen
höher als das für gleichartiges Normalserum. Ein direkter Zusammenhang
zwischen opsonischer Kraft und kerativer Wirkung eines Ser'ums besteht nicht.
Ist in einem Gemisch von Leukozyten-Serum-Bazillen das normale Serum vor¬
handen, so zerfallen die Leukozyten eher, als wenn das kerative Serum zugegen
ist. In Vitro stark opsonisches Immunserum fördert bei Injektion eines Tieres
die opsonische Kraft dessen Serum erheblich. Schürmann (Düsseldorf).
Immunisierende iepsizide Wirkung des Cholestearins, Lezithins und ver¬
schiedener Lezithin enthaltender tierischer Teile.
(Fermi Claudio. Zentralbl. für Bakt., Bd. 48, H. 3, 1908.)
Welchem Hirnbestandteile kommt die immunisierende Wirkung gegen
subkutane Wutinfektion bei Muriden zu?
Lezithin und frisches Eidotter zeigte eine starke, Cholestearin eine
schwache immunisierende Wirkung. Lezithin mit Cholestearin gemischt er¬
wiesen sich gegenüber einer Infektion mit fixem Virus wirksamer als reines
Lezithin. Jedoch ist die immunisierende Kraft der Hirnsubstanz erheblich
stärker als sie ihrem Lezithin- und Cholestearingehalt entspricht.
Das Serum von Tieren, die mit einem Gemisch von Lezithin -Cholestearin
behandelt waren, zeigte nur geringe Immunisierungskraft.
In vitro fehlt jede wuttötende Wirkung bei Lezithin, Eidotter und
Hühnereiweiß und Serum von Kaninchen, die mit dem angegebenen Lezithin-
Cholestearingemisch vorbehandelt waren. Schürmann (Düsseldorf).
Die Schnellagglutination und ihre Verwendung bei der Serodiagnosedes Rotzes.
(Dr. Miessner. Zentralbl. für Bakt., Bd. 48, H. 2.)
Aus bei 60° abgetöteten Rotzbazillen stellte Verf. eine Abschwemmung-
mit 0,85%iger Karbolkochsalzlösung dar. Je 2 ccm dieser Testflüssigkeit
werden mit dem fraglichen Serum in verschiedenen Verdünnungen 1 : 200 bis
1 : 2000 zusammengebracht und 24 Stunden bei 37° und 12 Stunden bei Zimmer¬
temperatur stehen gelassen. Bei vorhandener Agglutination ist die opale¬
szierende Testflüssigbeit klar geworden, während sie bei Ausbleiben der
Agglutination ihr Aussehen nicht ändert und am Boden einen undurchsichtigen,
scharfbegrenzten grauen Klumpen entstehen läßt. Diese Agglutinationsmethode
hat einen Nachteil, der darin besteht, daß immer zwei Tage vergehen, ehe
man zum Resultate kommt. Er läßt sich durch Zentrifugieren vermeiden.
Verf. bewahrt deshalb die in Zentrifugierröhrchen angefüllten 2 ccm
Testflüssigkeit mit den entsprechenden Serumverdünnungen 10 Minuten bei
37° auf, zentrifugiert 10 Minuten lang. Der Bodensatz wird geschüttelt und
man erkennt eine deutliche Körnung und Flockung als Zeichen für den
positiven Ausfall der Agglutination, während der zopfförmige Schleier das
Ausbleiben der Agglutination anzeigt. Die,se vom Verf. angegebene Methode
ist in 100 Fällen angewandt und arbeitet mit großer Sicherheit und-
Schnelligkeit. Schürmann (Düsseldorf).
Ueber die Beeinflussung des hämolytischen Komplementes durch Injektion
Leukozytose erregender Mittel (Hetol und Hefenukleinsäure).
(Dr. W. Busse. Zentralbl. für Bakt., Bd. 47, H. 3, 1909.)
Die Menge des hämolytischen Komplementes im Serum zeigt bei Hetol-
injektionen im Stadium der Hyperleukozytose bei starker Leukozytose eine
geringe Vermehrung; bei mäßiger Leukozytose zeigte sich eine Zunahme,
Referate und Besprechungen.
847
resp. Abnahme der Komplementmenge. Im Gleichgewichtsstadium zeigte sich
nach 24 Stunden eine geringe Zunahme; im Stadium der Leukopenie in einem
Versuche eine Zunahme, im anderen Versuche eine Ahnahme des Komple¬
mentes. Die weiteren Versuche mit Nukleinsäure ergaben ein ähnliches Resul¬
tat. Verfasser kommt zu der Ansicht, daß man nicht von einer Beeinflussung
der hämolytischen Komplementmenge weder bei Hyperleukozytose noch bei
Leukopenie sprechen könne und es läßt sich für die klinisch nachgewiesene
Wirkung der Injektionen infolge der geringen Veränderungen in der Menge
hämolytischen Komplementes keine Erklärung abgeben. Schürmann (Düsseldorf).
Beschleunigung und Verstärkung der Bakterienagglutination durch
Äntieiweißsera.
(Moreschi. Zentralbl. für Bakt., Bd. 46, H. 5, 1908.)
Die an Blutkörperchen beobachtete Erscheinung, — Agglutination der
roten Blutkörper durch den Einfluß von Antieiweißsierum — ist auch für
Bakterien gültig. Aus seinen Versuchen geht hervor, daß Bakterien hei
Gegenwart eines homologen Antieiweißserums durch subminimale Dosen agglu¬
tinierenden Serums verklumpt werden. Bei schwer agglutinablen Stämmen tritt
diese Erscheinung sehr deutlich hervor. Schürmann (Düsseldorf).
Über die Reduktionserscheinungen der Bakterien.
(Dr. E. Car ap eile. Zentralbl. für Bakt., Bd. 47, II. 5, 1908.)
Nicht alle Bakterien reduzieren Methylenblau; das Reduktionsvermögen
mit den verschiedenen Mikroorganismen variiert. Die Reduktion durch ein
und denselben reduzierenden Mikroorganismus ist am stärksten in Bouillon,
weniger in Gelatine, noch weniger in Agar. Der Aspergillus fumigatus und
einige Mikroorganismen der Gartenerde reduzieren bei Züchtung in Mineral¬
lösung.
Mit dem Altern der Kultur läßt das Reduktionsvermögen nach, in
jungen Kulturen ist es intensiver. Von besonderem Einfluß auf das Reduk¬
tionsvermögen ist die Temperatur; bei 0° hört die Reduktion auf, bei 37°
ist sie beschleunigt, bei Zimmertemperatur verlangsamt. Die Reduktions¬
prozesse der Mikroorganismen werden anfangs durch Sonnenlicht begünstigt,
nach zehn Stunden der Aussetzung ins direkte Sonnenlicht erfolgt ein Still¬
stand der Reduktion. Bei diffusem Lichte waren mehrere Tage nötig, bis
dieses Reduktionsvermögen gänzlich verschwand. Eine Steigerung der Alka-
leszenz oder der Azidität des Nährmediums ruft Verminderung und sogar
das Verschwinden der Reduktion hervor; ebenso findet eine Herabsetzung
durch Einwirkung der Hypnotika statt. Endlich kommt Verf. zu dem Schlüsse,
daß das Reduktionsvermögen zum Teil auf die Stoffwechselprodukte zurück¬
zuführen sei. & Schürmann (Düsseldorf).
Die Kenopräzipitinreaktion und ihre Beziehung zur Kenotoxinforschung.
(Dr. Weichardt. Zentralbl. für Bakt., Bd. 48, H. 4, 1909.)
Verfasser weist seine in letzter Zeit angefochtene Kenopräzipitinreaktion
wieder in die richtigen Bahnen. Sie ist keine anorganische Kalziumphosphat¬
fällung. Denn diese Reaktion läßt sich auch herbeiführen, wenn man den
Kenopräzipitinpräparaten vorher Ammoniumoxalat im Überschuß zusetzt oder
wenn der Lösung kenopräzipitabler Substanz vor dem Versuche genügende
Mengen von Kalksalzen zugesetzt wurde.
Auch bedingt das Fehlen der Kenopräzipitinreaktion durchaus nicht
die Abwesenheit von Kenotoxin oder dessen Antikörper, denn die kenopräzipi-
table Substanz ist nur ein häufiger Begleiter, nicht ein Bestandteil des
Kenotoxins. Für den sicheren Nachweis des Kenotoxins dient das biologische
Experiment: Inj ektions versuche mit zum Teil unvorbehandelten, zum Teil
mit Antikenotoxin passiv immunisierten Tieren. Schürmann (Düsseldorf).
848
Referate und Besprechungen.
Beitrag zur Züchtung und Isolierung von Anaerobien.
(DDr. Fehrs u. Sachs-Müke. Zentralbl. für Bakt., Bd. 48, H. 1.)
Verfasser bringen sehr einfache, einleuchtende Methoden zur Züchtung
und Isolierung von Anaerobien. Sie benutzen die großen v. Drygalski-
Conra di sehen Schalen. In die beimpften Agarplatten setzen sie eine kleinere
Glasschale resp. Petrischale fest auf. Man kann auch den Agar in den
Schalendeckel ausgießen, die Schale selbst darin eindrücken und den Raum
zwischen Schale und Deckel mit Agar ausfüllen. Photographische Platten
eignen sich zum Auflegen auf den Nährboden mit ebener Oberfläche am
besten. Sie halten dieses Verfahren gegenüber dem Lief mann’ sehen für
billiger, der statt der Glasplatten Glimmerplatten benutzt; auch ist hier
die dem Sauerstoff der Luft unzugängliche Zone größer und die Anwendung
der gewöhnlichen Nährböden ohne Zusatz reduzierender Substanzen möglich.
Beigefügte Abbildung veranschaulicht die Sache recht gut.
Schürmann (Düsseldorf).
Ueber Versuche, aus Gärungsstühlen den Granulobacillus saccharobutyricus
zu züchten.
(Dr. Kemp. Zentralbl. für Bakt., Bd. 48, H. 1.)
Verfasser hat mit Sicherheit nicht entscheiden können, ob die in Gärungs¬
stühlen so auffallend häufig auftretenden ovalen, sowie Zitronen- und Spindel¬
formen mit dem Gr aßiber geir und Schattenf roh’sehen Granulobazillus
und dem von ihm selbst gezüchteten identisch sind. Die Kolonienbildung
auf Platten, die Klostridienbildung mit Granuloseablagerung und die Beweg¬
lichkeit sprechen jedenfalls für seine Identität.
Schürmann (Düsseldorf).
Untersuchungen über die Verbreitung der ultramikroskopischen Keime in
der Natur.
(Dr. Cano. Zentralbl. für Bakt., Bd. 39, H. 1.)
Verf. wählte zu seinen Untersuchungen Straßenstaub, die verschiedensten
Waschwässer, Gartenerde usw., Stoffe, die verflüssigt durch Berkefeld-Filter
filtriert wurden. Nach Entnahme der filtrierten Flüssigkeit wurde sie in
Bouillon ausgesät, direkt mikroskopisch angesehen und auf die einzelnen
Enzyme untersucht.
Die Versuche fielen negativ aus. Ultramikroskopische Keime ließen
sich nicht nachweisen. Schürmann (Düsseldorf).
Innere Medizin.
Hypophysis-Pulver bei Herzkranken.
(L. Renon u. Arth. Delille. Gaz. med. de Paris, 15. April 1909.)
Die Hypophysis enthält blutdrucksteigernde Substanzen. Mit Dosen
von 0,2 bis 0,4 g haben die beiden Kliniker bei geeigneten Pat. günstige Er¬
folge erzielt. Die Digitalis werde freilich nicht dadurch verdrängt, aber in
den Intervallen zwischen zwei Digitaliskuren lasse sich die Hypophysis gut
verwerten. Buttersack (Berlin).
Schilddrüse und Infektionskrankheiten.
(Vitello Giuseppe. II Morgagni, Nr. 2, Februar 1909.)
Schwellung der Schilddrüse im Verlaufe von Infektionskrankheiten ist
ein signum mali ominis. Buttersack (Berlin).
Referate und Besprechungen.
849
Rezidivierende tuberkulöse Polyarthritis (Tuberkulöser Gelenk¬
rheumatismus).
(K. Schaffer. Zeitschr. für Tuberk., Bd. 13, Nr. 5, 1908.)
Die Poncet’sche Lehre vom tuberkulösen Rheumatismus wird vollauf
bestätigt. Neben den typischen tuberkulösen Gelenkaffektionen kommen akute
und chronische Gelenkerkrankungen auf tuberkulöser Basis Amr, ohne die
charakteristischen pathologisch-anatomischen Veränderungen. Als Ursache ist
eine Toxinwirkung anzunehmen, vielleicht auch eine abgeschwächte Viru¬
lenz der Tuberkelbazillen. Man beobachtet außer einfachen Arthralgien,
die wohl am häufigsten Vorkommen, akute und subakute Polyarthritis und
schließlich die chronische Form, die unter dem Bilde des chronischen Gelenk¬
rheumatismus verläuft. Der tuberkulöse Charakter dieser Erkrankungen
wird teils durch den klinischen Verlauf, teils durch die Tuberkulinreaktion
und Tierversuche, seltener durch den Bazillenbefund erbracht.
Die Diagnose macht oft Schwierigkeiten, weil das Krankheitsbild dem
gewöhnlichen Gelenkrheumatismus vollständig gleicht. Jedoch wird darauf
zu achten sein, daß beim1 tuberkulösen Gelenkrheumatismus niemals Endo¬
karditis auf tritt, und daß die Salizyltherapie versagt. — Mitteilung von
Krankengeschichten. Sobotta (Reiboldsgrün).
Aus der Hautabteilung der Magdeburger Krankenanstalt Altstadt.
Dr. Schreiber, Oberarzt.
Zur Behandlung der Arthritis gonorrhoica.
(Dr. Paul B endig. Med. Klinik, Nr. 34, 1908.)
Nach kurzem Überblick über die verschiedenen Behandlungsmethoden
der Arthritis gonorrhoica berichtet B endig über 7 Fälle, die er gleichzeitig
mit Kollargol und Stauung ev. Heißluftbädern behandelt hat. Das Kollargol
wurde bald als Klysma in Lösung 2,0 : 50,0, bald als Einreibung (Ung. Crede)
verordnet. Die günstigen Erfolge erklärt er einmal durch die Vermehrung
der Leukozyten in der Gelenkflüssigkeit infolge des Kollargols und weiter
durch die Hyperämie infolge der Stauung. F. Walther.
La question de l’arthritisme par suralimentation.
(Dr. J. Laumonier. Bull. gen. de therap., Nr. 13 — 16, 1908.)
Die klassischen Theorien leiten den Arthritismus von nutritiven und
nervösen Stoffwechselstörungen her, die sie in Beziehung bringen zu einer
fehlerhaften, konstitutionellen, hereditären Disposition. Nun hat Prof. Mau¬
ree -Toulouse als wesentliche Ursache der Entvölkerung Frankreichs die Über¬
ernährung angegeben und Pascaul t-Cannes hat dann direkt den Satz aus¬
gesprochen : der Arthritismus ist Folge einer Überernährung.
Es gibt heute mehr Arthritiker als man glaubt, und zwar in Kreisen,
bei denen man es nicht vermutet ; dies bestätigen alte Landärzte für die
Bauern, die Kassenärzte bezüglich der Arbeiterbevölkerung der Städte. Eine
genaue Anamnese ergibt fast stets, daß die Vorfahren der Gichtiker und
diese selbst Plethoriker sind, und zwar durch Überernährung. Diese habituelle
Überernährung, die man heutzutage in allen Ständen, besonders aber in der
arbeitenden Klasse in Paris trifft, ist geradezu erstaunlich. Sie ist im
Avesentlichen eine der Folgen unserer Kulturfortschritte1:, man ißt allerseits
mehr und besser; dasselbe gilt in mancher Beziehung auch vom Trinken.
Wie hängt dies nun mit dem Arthritismus zusammen? Man unter¬
scheidet 2 Gruppen von Nahrungsmitteln, die plastischen und die dyna-
mophoren (Eiweißstoffe, Salze — Kohlehydrate, Fette). Im großen ganzen und
unter sich sind diese sehr verschieden hinsichtlich ihres Assimilationswertes
und hinsichtlich ihrer Reizfähigkeit auf die einzelnen Zellkonglomerate, die
Organe. Da ist nun in erster Linie das Fleisch, ein sehr verdauliches, nahr¬
haftes, aber auch toxisches und die Zellen mehr reizendes Nahrungsmittel,
54
850
Referate und Besprechungen.
als das Pflanzeneiweiß. Durch diese Eigenschaften entsteht bei Mißbrauch — -
und der findet reichlich und allerorts statt, — und ,wird unterhalten eine
Hyperfunktion aller Organe, Drüsen, Muskeln, Lungen, Nieren und besonders
des Nervensystems. Dazu kommt, daß die starken Esser aus Gewohnheit
nicht nur zu viel Fleisch essen, sondern sich auch in Gewürzen und Alko-
holicis übernehmen. Und diese sind nun noch schädlicher. Ein Organismus
kommt dann in pathologischen Zustand, wenn er mit einer anormalen Inten¬
sität funktioniert und die Reaktion bleibt gewöhnlich, wenn dies andauert
nicht allzu lange aus, genau wie bei einer Maschine, von der zu viel ver¬
langt wird. Und so unterscheiden Maurel und Pascault 3 Perioden, die
man gewöhnlich bei 3 aufeinanderfolgenden Generationen beobachten kann
— das zu gute Leben war früher nur ein Vorrecht der Besitzenden — : 1. die
Periode der präarthritischen Hyperfunktion, 2. die der Dysfunktion oder des
deutlichen Arthritismus mit seinen verschiedenen klinischen Formen, haupt¬
sächlich defensiver Natur und 3. die der Hypofunktion oder der all¬
gemeinen Insuffizienz, charakterisiert durch die Unfruchtbarkeit und vor¬
zeitigen Tod. Davon sind uns die 2 letzten Perioden wohl bekannt, während
wir von der ersten fast gar nichts wissen, die doch in vorbeugender Hin¬
sicht sehr wesentlich ist.
Beim überernährten Präarthritiker treten als erste Erscheinungen die
der Ermüdung, der Erschöpfung auf. In jeder lebenden Zelle entstehen
Trümmer, Ausscheidungsprodukte, nicht durch Verbrauch, sondern im Ge¬
brauch : die Reste der plastischen oder dynamophoren Substanzen, qualitativ
und quantitativ nach der Art der Nahrung und der Intensität der Tätigkeit
verschieden Diese Trümmer sind nun löslich oder nicht löslich. Die letzteren
können sich sogar in den einzelnen Organen niederschlagen und diese ver¬
ändern, wie dies gewöhnlich im Alter der Fall ist. Häufen sich die lös¬
lichen an, so entsteht die Ermüdung, deren, bestes Heilmittel die Ruhe
ist; nimmt die Anhäufung ohne entsprechende Elimination immer mehr zu,
so ist die Autointoxikation in Permanenz erklärt, und man hat die Er¬
schöpfung. Diese Ermüdungserscheinungen brauchen nun nicht immer zuerst
als digestive Störungen aufzutreten; das am wenigsten widerstandsfähige
Organ setzt zuerst aus. Gewöhnlich zwischen 45 und 50 Jahren läßt die Ver¬
dauung nach: Blähungen, vages Unwohlsein, Somnolenz nach den Mahl¬
zeiten, schlechter Schlaf, Kopfschmerzen, Schwindel. Die funktionellen Stö¬
rungen greifen vom Magen auf die Eingeweide über: die Ausnutzung des
Darminhaltes wird eine geringere, der Bakteriengehalt mehrt sich. (Damit
hängen auch die häufigen Blinddarmentzündungen bei den Überernährten
zusammen. Die nächste Folge Enteritiden, Enterokolitiden und nervöse
Manifestationen; im weiteren Verlaufe treten dann Störungen von seiten der
Leber, der Gefäße (Varicen, Hämorrhoiden) und des Nervensystems in den
Vordergrund, die Erregbarkeit des Herzens nimmt zu. Weiterhin versagt
die Tätigkeit der großen Drüsen.
Von seiten des Nervensystems sind in diesem Stadium Neurasthenie,
Psychasthenie, Neuralgie, Migräne, Arteriosklerose als direkte Manifestationen
des freien Arthritismus zu nennen.
Übei die letzten Ursachen, die eigentlichen Gifte, die diese Zustände
veranlassen, wissen wir nichts.
. Warum fallen nun die Deszendenten eines Überernährten, eines Ple-
thorikers, in einem Falle, der Gicht in andern dem Diabetes oder der Fett¬
sucht anheim. Dies sind Abwehrmaßregeln des Organismus: der Körper
eliminiert den Zucker z. B., den er nicht verwenden kann.
Dank diesen Abwehrmaßregeln tritt ein Stillstand in der Entwickelung-
des Arthritismus ein: Die Überfunktion wird bedrängt durch eine unge¬
nügende, zum mindesten tief alt'erierte, so daß oft alle Arzneimittel nichts
nützen: die 2. Periode.
x Dann kommt die 3. Periode, die Zunahme der Insuffizienzen, der Ein¬
tritt der Sklerosen. Bis dahin hat gewöhnlich noch eines standgehalten,
die Fruchtbarkeit: sie wird jetzt getroffen. Während der Plethoriker im
Referate und Besprechungen.
851
allgemeinen noch recht fruchtbar ist, haben schon, die Ileredoarthritiker,
seine nächsten Nachkommen, nichts mehr darin mit ihnen gemein: schwäch¬
liche, leidende, von jeder Infektion mitgenommene, dabei oft ganz intelligente
Kinder, von kurzer Lebensdauer, oft schon von Geburt an nervös; und
tatsächlich ist so der Arthritismus schuld an dem Aussterben großer Familien
aller Länder. Sogar in Japan ist diese Beobachtung gemacht worden. So daß
man ernstlich die Befürchtung hegen kann, daß dieses Leiden der Tuberkulose
als Volksgeisel gleichkomme.
Dazu kommt, daß der Plethoriker noch der bazillären Infektion leicht
widersteht, während sein heredoarthritischer Nachkomme mit seinen demi-
neralisierten Säften fast jeder Infektion zugänglich ist und auch leicht erliegt.
Dieses ganze Krankheitsbild kann nun in all diesen Etappen bei einem
und demselben Individuum Vorkommen, viel häufiger verbreitet es sich auf
3 — 4 Generationen. Von den 3 großen Perioden dieses Leidens ist eigentlich
nur die erste unserer Therapie zugänglich.
Nach dem Vorangegangenen versteht man Pascault’s Ansicht: der
Arthritiker stirbt meist am Bauch.
Von den allgemeinen objektiven Symptomen sind zunächst zu nennen
die Urinveränderungen, die recht eingehend untersucht werden müssen und
in deren Vordergrund der Überschuß an Säure steht. Die Anamnese ergibt beim
Präarthritiker nichts Wesentliches. Gewöhnlich findet man das Cöcum erwei¬
tert,- während der Magen als widerstandsfähiges Organ, ziemlich lange intakt
bleibt. Dyspeptische Störungen stehen nicht immer im Vordergrund. Dagegen
einzelne Zeichen: Intoleranz gegen gewisse Nahrungsmittel, namentlich fette,
Konstipation, unruhiger nicht erfrischender, häufig auch zu ganz bestimmten
Stunden unterbrochener Schlaf : also in Wirklichkeit eine latente, vorwiegend
intestinale Dyspepsie, deren letzte Ursache die Leber ist. Diese kann man
vergrößert und schmerzhaft finden, namentlich im linken Lappen, dem „lobe
d’alarmeu Pascault’s. Ferner sind konstant die Anzeichen des kleinen
Brightismus (Dieulafoy) : Kopfschmerzen, Schwindel, Ameisenlaufen, Beißen,
Pollakyuric usw.
Die Arteriosklerose zeigt sich beim Präarthr. nur in ihren Anfangs¬
symptomen. Die nervösen Symptome sind sehr verschieden, sehr undeutlich.
Die Prognose ist günstig, wenn — die Lebensweise von Grund aus ge¬
ändert wird.
Die Behandlung ist, wie leicht erklärlich, hauptsächlich eine diätetische
und eine hygienische.
Zu erwähnen ist nur die irrige Ansicht, einen Präarthritiker wenig
schlafen zu lassen. Er soll viel schlafen,. Die medikamentöse Behandlung
ist hauptsächlich symptomatisch gegen die funktionellen Störungen gerichtet.
Die Behandlung dauert oft recht lange : ihr wesentlicher Grundzug
heißt energisch brechen mit alten Gewohnheiten und Vorurteilen.
_ v. Schnizer (Danzig).
Ein Fall von schwerer Spondylarthritis deformans gebessert durch
Fibrolysinbehandlung.
(Georg Müller. Med. Klinik, Nr. 3, 1909.)
In einem sehr schweren Falle von Spondylarthritis deformans erzielte
Müller, nachdem andere Behandlungsmethoden versagt hatten, durch An¬
wendung von Fibrolysin eine so auffallende, überraschende Besserung des
an sich eine trostlose Prognose gebenden Leidens, daß er den Fall schon jetzt
mitteilt, obwohl die Behandlung noch nicht abgeschlossen ist. Es wurden
ßO Einspritzungen ä 2,3 g des Merck’schen Präparates in die Glutäen im
Laufe von 4 Wochen gemacht, unter Aussetzen während der Menses, und
daneben einen Tag ein Lichtbad, und einen Tag heiße Dampfdusche auf den
Rücken angewandt. Ferner wurden nach Beendigung der Einspritzungen
Massage und passive Bewegungen ausgeführt. Weitere Einzelheiten sind im
Original einzusehen. — Die Kur soll demnächst wiederholt werden.
_ R. Stüve (Osnabrück).
54*
852
Referate und Besprechungen.
The Local Treatment of Rheumatism.
(Hutchins. Canad. Journ. of Med. and Surg., Nr. 4, 1908.)
Nach den Erfahrungen Hutchin’s wird Mesiotan nicht nur gut resor¬
biert, so daß es auf diese Weise direkt, lokal auf den Krankheitsprozeß ein¬
wirkt, sondern es übt eine ganz ausgesprochene Allgemeinwirkung auf den
Organismus aus. Verf. hat Mesotan seit Monaten in zahlreichen Bällen von
akutem und chronischem Gelenk- und Muskelrheumatismus gebraucht.
Die Wirksamkeit des Mesotans bei diesen Erkrankungen steht außer
Frage und zwar bei allen Formen des. Rheumatismus, vor allem bei Muskel¬
rheumatismus, wo der Effekt oft noch rascher zur Geltung kommt. Neben¬
wirkungen wurden nie beobachtet, trotzdem es zeitweise wochenlang 2 — 3 mal
täglich mit seltener Unterbrechung appliziert wurde. Verf. weist noch be¬
sonders auf die bekannte Tatsache hin, daß Mesotan nicht kräftig eingerieben
werden darf. Neumann.
Schilddrüse und Gelenkrheumatismus.
(Diamantberger. Soc. med. des höpitaux, 16. Okt. 1908. — Bull, med., Nr. 83,
S. 918, 1908.)
Die Beziehungen zwischen Schilddrüse und Gelenkrheumatismus sind
in den letzten Jahren mehrfach erörtert worden; nun dehnt D. dieselben aus,
indem er auf ein Zuviel bezw. Zuwenig an Jod in kolloidalem Zustand nicht
allein Gelenkschwellungen mit und ohne Fieber, sondern auch chronische
Deformitäten an Knochen und Bändern, neuritische und Hautaffektionen
zurückführt. Fortgesetzte Gaben von Jodothyrin von 0,25 bis 2,0 g im Tag
seien da von Erfolg. Buttersack (Berlin).
Adams-Stockes’sche Krankheit und Syphilis.
(Vaquez u. Esmein. Soc. med. des hopit., 27. Nov. 1908. — Bull, med., Nr. 95,
S. 1071, 1908.)
Daß so ein kleiner Bazillus den ganzen Körper durchseuchen kann,
wissen wir alle und finden das weiter nicht wunderbar; daß er aber auch
den Geist verseuchen kann, wird weniger beobachtet. Zwar im allgemeinen
scheint sich die Hochflut der Überschätzung der Mikroben, die seinerzeit in
einer fast pathologischen Bakteriophobie zum Ausdruck gekommen war, all¬
mählich zu verlaufen; dafür äußert sich die Infektion jetzt darin, daß manche
Forscher ihrem Lieblingsbazillus möglichst viele krankhafte Erscheinungen
in die Schuhe schieben möchten. Die Erreger der Schwindsucht und der
Syphilis sind Prototypen hierfür.
So setzen Vaquez und Esmein ganz hübsch auseinander, daß die
Adams-Stokes’sche Krankheit (Pulsverlangsamung und epileptoide Anfälle)
in zwei Typen verlaufe: einmal in Form plötzlich eintretender Bradykardie
mit heftigen Anfällen, das andere Mal als dauernde Pulsverlangsamung mit
zeitweise auf tretenden Bewußtseinstrübungen, die sich allmählich verlieren.
[Unwillkürlich fällt einem bei dem zweiten Typus Napoleon I. ein.] Die
beiden Forscher sehen die anatomische Ursache in einer Erkrankung des
His’schen Bündels, der sog. Blockfasern, und zwar handle es sich das eine
Mal um eine unvollständige Störung der Beziehungen zwischen der Vorhofs¬
und der Kammertätigkeit, während im anderen Falle die Dissoziation voll¬
ständig sei und die Ventrikel ganz selbständig funktionieren.
Aber was für eine Schädlichkeit hat die Blockfasern lädiert? — Natür¬
lich der Syphiliserreger. Beweis : von 20 Patienten waren sieben nachgewiesene
Syphilitiker, und die anderen werden es wahrscheinlich auch gewesen sein;
und dann : eine Hg-Kur hatte mehrfach günstige Erfolge.
Als ob das Quecksilber ausschließlich bei Lues wirkte!
Buttersack (Berlin).
Referate und Besprechungen.
853
Das Verhalten der roten Blutzellen bei der Biermer’schen progressiven
Anämie.
(Ernst Block. Med. Klinik, Nr. 4, 1909.)
Das wesentliche Charakteristikum der sogenannten Biermer’schen pro¬
gressiven Anämie ist in dem Auftreten von großen roten Blutkörperchen
(sogenante Megalohlasten) in vermehrter Anzahl im Blute zu erblicken. Die
Megaloblasten sind durch einen relativ hohen Hämoglobingehalt ausgezeichnet,
im übrigen ist ihre, die sonstigen Blutelemente überragende Größe das einzige
durchschlagende Merkmal, da weder das V erhalten zu Farbstoffen, noch das Vor¬
handensein oder Fehlen eines Kernes für die Zugehörigkeit einer Blutzelle zu den
Megaloblasten der Biermer’schen Anämie ausschlaggebend ist. Erythrocythen
von 11— 12 [x Durchmesser und darüber sind den Megaloblasten zuzurechnen;
fehlen solche in einem gegebenen Falle im Blute konstant, so spricht dieser
Umstand gegen das Bestehen einer Anämie im Sinne Biermer’s. Zugleich
ist der Rückgang dieser Formen unter dem Einflüsse der Therapie als ein
prognostisch günstiges, das konstante Vorhandensein als ein prognostisch sehr
ungünstiges Zeichen aufzufassen und es ist der genannte Umstand für die
prognostische Beurteilung des einzelnen Falles viel wesentlicher, als der
Hämoglobingehalt oder die Zahl der roten Blutkörperchen. — Alle anderen, bei
der Biermer’schen Anämie an den Erythrozyten wahrzunehmenden Verände¬
rungen sind für diese Erkrankung nicht charakteristisch, da sie wie die
Poikylozytose, Poly chrom atophilie usw. auch bei anderen Erkrankungen des
Blutes bemerkt werden. — Das Verhalten des Blutes bei der progressiven
Anämie (Auftreten der genannten Megaloblasten mit relativ hohen HämogUbin-
gehalt) zeigt eine auffallende Ähnlichkeit mit dem normalen Bilde des Blutes
im embryonalen Leben. R. Stüve (Osnabrück).
Blutserum gegen posthämorrhagische Anämien.
(Mlle CI. Deflandre. Progres med., Nr. 7, S. 92 — 94, 1909.)
P. Carnot’s eifrige Mitarbeiterin hatte gefunden, daß das Serum von
Tieren, welche zuvor einen ausgiebigen Aderlaß über sich hatten ergehen
lassen müssen, bei anderen Tieren eine erhebliche Zunahme der roten Blut¬
körperchen hervorrufe. Nachdem sie diesen Effekt auch bei anämischen
Menschen beobachtet hatte, ging sie dazu über, das im Handel befindliche sog.
Diphtherieserum zu verwenden, und zwar in trockener Form, um die immerhin
lästigen Injektionen zu umgehen. Sie gab es mehreren Frauen, welche teils
durch Menorrhagien, teils durch Aborte viel Blut verloren hatten, in großen
Quantitäten und konstatierte bei allen subjektive und objektive Besserung.
Solch eine Verwendung hätte sich das Diphtherieserum am Anfang seines
Siegeszuges gewiß nicht träumen lassen. Buttersack (Berlin).
Ueber die Addison’sche Krankheit.
(W. Haie White. The Practitioner, Nr. 2, 1909.)
Mitteilung von zwei Fällen, die nur insofern etwas besonderes bieten,
als in einem ein dunkler Pigmentfleck auf der Zunge war, im anderen die
Fingernägel dunkel gefärbt waren. Haie hat öfters bei Addison tuberkulöse
Herde auch außerhalb der Nebennieren, z. B. in der Wirbelsäule, gewöhnlich
in der Lendengegend, beobachtet.
„Wenn zwei oder drei Jahre nach Stellung der Diagnose der Kranke
noch lebt, so ist sie höchst wahrscheinlich falsch gewesen“. Haie wendet
als einziges Mittel Adrenalininjektionen an, die den Blutdruck etwas steigern,
von denen er aber nicht glaubt, daß sie das Ende hinausschieben.
F. von den Velden.
854
Referate und Besprechungen.
Fieberbehandlung.
(E. Strasser, Wien. Blätter für klin. Hydrotli., Nr. 10, 1908.)
Strasser betont in diesem Auszug aus einer größeren Arbeit vor
allem, daß das Fieber, genau wie der Entzündungsprozeß ein regulatorischer
Vorgang sei, indem die stärkere Oxydation und die daraus hervorgehende
Wärmeproduktion in hohem Grade geeignet erscheine, überflüssige und schäd¬
liche Produkte durch Verbrennung zu beseitigen. Der Infektionsstoff selbst
dagegen werde meist nicht auf diesem Wege unschädlich gemacht — die
dazu nötigen Grade erreicht das Fieber nur selten — vielmehr beruhe die,
neben der selteneren chemischen Neutralisierung viel häufiger vorkommende
Ausscheidung der (noch virulenten) Mikroorganismen auf einer Modifi¬
kation ihres Nährbodens, des menschlichen Körpers, durch die während
des Fiebers in ihm vor sich gehende Stoffwechselrevolution.
Dazu sind sehr hohe Temperaturgrade gar nicht nötig, im Gegenteil
geht der regulatorische Fieberprozeß ja in seiner Intensität und Dauer oft
über das notwendige Maß hinaus, und in diesem letzteren Falle ist der Zeit¬
punkt gekommen, wo das Fieber bekämpft werden muß, besonders wenn es
mit Schlaflosigkeit, Kopfschmerz, Delirien, Somnolenz, Verdauungs-, Zirku¬
lationsstörungen usw. verbunden ist.
Die Überlegenheit der hydrotherapeutischen über die medikamentöse
Antipyrese ist heute allgemein anerkannt. Trotzdem kann z. B. Pyramidon
in kleiner Dosis (0,1 — 0,2) infolge der Euphorie, die es herbeiführt, Ernährung
und Pflege des Kranken wesentlich erleichtern. Die bei der hydriatischen
Antipyrese früher als die Hauptsache betrachtete Wärmeentziehung wird
heute nichl mehr so sehr betont, wie die Besserung der Nerven-, Zirkulations¬
und Respirationstätigkeit, die Hebung der Diurese, des Appetits usw.
Die Temperatur der Brand’schen Bäder ist von 15° auf 22 — 32° erhöht,
ihre Häufigkeit durch Waschungen, Begießungen, Umschläge vermindert wor¬
den, wie man überhaupt gelernt hat, sich vor hydriatischen Übertreibungen,
die zu Überreizung führen, zu hüten. Namentlich ist das Eintreten der
Reaktion wohl zu beachten.
Die bis vor kurzem beliebte „kräftige“ Ernährung Fieberkranker ist
neuerdings modifiziert worden, weil eine unzeitige Belastung des Verdauungs¬
apparates zu schweren Schädigungen führen kann, während Gewichts- und
Gewebs Verluste in die Rekonvaleszenz meist rasch ersetzt werden. Esch.
Eine neue Methode der subkutanen Serum- usw. Injektionen.
(Dr. Krautschneider, Innsbruck. Münch, med. Wochenschr.)
Um die vor allem bezüglich der Asepsis bestehenden Mängel der bis¬
herigen Injektionsspritzen zu beseitigen, hat Krautschneider einen wenig-
verständlich beschriebenen Apparat erfunden, bei dem zusammenquetsehbare
papierdünne Zinnpatronen in einen Metallzylinder gebracht und nach Auf¬
setzen der Nadel langsam durch dieselbe ausgequetscht werden. Die Vor¬
teile sollen darin bestehen, daß die Spritze stets gebrauchsfertig ist, nicht
jedesmal gereinigt werden muß, und die Injektion langsam erfolgen kann,
ohne Entstehung schmerzhafter Quaddeln, wobei Luftinjektion oder Verlust
von Injektionsflüssigkeit ausgeschlossen ist. Die Spritze wird unter dem
Namen „Injektor“ von der Firma Evens & Pister in Kassel in den Handel
gebracht. F. Walther.
Gynäkologie und Geburtshilfe.
Über chronische Metritis.
(Prosektor Dr. C. Hueter. Archiv für Gvn., Bd. 87, H. 3, 1909.)
Die pathologische Anatomie der chronischen Metritis ist noch ipamer
nicht recht geklärt. Erst in neuerer Zeit steht den Autoren operativ ge¬
wonnenes Material zu Untersuchungszwecken zur Verfügung. Im allgemei-
Referate und Besprechungen.
855
nen kann man sagen, daß ies sich bei der chronischen Metritis um einen
Schwunnd der muskulären und eine Vermehrung der bindegewebigen
Elemente handelt. Der Muskelschwund scheint auf fettiger Degeneration
zu beruhen, die Vermehrung des Bindegewebes sehen einige neuere Autoren
als einen hyperplastischen Vorgang an. H. ist der Meinung, daß letzteres nicht
in allen Eallen zutrifft. Eine Zunahme des Bindegewebes könne ebenso gut
durch akute entzündliche Prozesse, durch Granulationsbildung, zustande kom¬
men. Manche Autoren unterscheiden auch bei der chronischen Metritis ein
primäres, entzündliches Stadium mit zelliger Infiltration und ein zweites
Stadium der Bindegewebswucherung. Einen ganz eklatanten Ball, wo in
dem wegen Blutungen exstirpierten Uterus etwa 1/3 der Muskulatur fettig
zugrunde gegangen war, andererseits eine ganz riesige Bildung von entzünd¬
lichem Granulationsgewebe — die Uteruswände waren 4 — 5 cm dick — zu¬
stande gekommen war, beschreibt H. ausführlich. Der Ball scheint bis jetzt
einzig zu sein. Ob in diesem Balle eine Regeneration der Muskelfasern einge¬
treten sein würde oder ob es zu einer hochgradigen Schrumpfung des ganzen
Organes gekommen sein würde, muß dahingestellt bleiben. Vielleicht wird
man mit Richelot zwischen chronischer Metritis und Stauungssklerose bez.
-induration zu unterscheiden haben. R. Klien (Leipzig).
Aus der Dührssen’schen Privatanstalt für Geburtshilfe und Brauenkrankheiten.
Die Keilresektion des Corpus uteri wegen chronischer Metritis.
(A. Dührssen. Archiv für Gyn., Bd. 85, H. 8, 1908.)
D. nimmt gegenüber Pfannenstiel die Priorität für die in der Über¬
schrift genannte Operation energisch für sich in Anspruch, indem er nach¬
weist, daß er die Operation bereits im Jahre 1898 ausgeführt und empfohlen
hat. D. macht die Resektion stets nur an der vorderen Korpuswand oder
am Pundus und stellt dadurch, daß er die Vaginifixur bezw. die Vesici-
fixur (mit isoliertem Verschluß der Peritonealöffnung) anschließt, eine Art
extraperitonealer Lagerung der vernähten Uteruswunde her. Es heilten die
Bälle nämlich meist nicht ganz glatt, sondern mit mehrtägigem Bieber. Bände
nun wirklich einmal eine Vereiterung der Nahtstelle statt, so würde der
Eiter durch die Vaginalwunde in die Vagina durchbrechen und nicht in die
Bauchhöhle. Nach einer anfänglichen bedeutenden Anschwellung des Uterus,
zurückzuführen auf die venöse Hyperämie, welche durch die vielen zur
Blutstillung erforderlichen Nähte verursacht wird, trat stets eine sehr gute
Um- und Rückbildung des Uterus ein. — D. empfiehlt bei dieser Gelegenheit
auch angelegentlichst die Keilresektion der Tubenwinkel aus dem Uterus
bei Exstirpation der entzündlichen oder tuberkulösen Tuben. Das hat
mit der Keilresektion aus der Vorderwand bezw. dem Bundus des Uterus eigent¬
lich nichts zu tun, doch scheint es in der Tat, als ob dieses bez. der Ver¬
meidung von Stumpfexsudaten und zurückbleibenden Resten entzündeter Tuben
so sehr wichtige Verfahren trotz wiederholter Empfehlung von den ver¬
schiedensten Seiten noch lange nicht allgemein genug geübt würde: insofern
ist D.'s neue Empfehlung gewiß zu begrüßen. Nicht ohne weiteres ver¬
ständlich ist dagegen, wie D. die bei der keilförmigen Tubenresektion ge¬
setzten Wunden durch Ventrifixur des Bundus aus der Bauchhöhle aus¬
schalten will; wenn man nicht allzu tief reseziert, wobei allerdings die Blut¬
stillung nicht immer ganz exakt durchzuführen sein dürfte, erscheint eine
extraperitoneale Lagerung hier überhaupt nicht indiziert, weil ja alles Ent¬
zündliche entfernt ist. Bür nicht am Platze hält D. die Keilresektion aus
der Vorderwand bezw. aus dem Bundus bei Prolapsen, entgegen den An¬
schauungen der Pf annenstiel’schen Klinik, denn gerade bei Prolapsen sei
ein großer Uteruskörper von Nutzen; in der Regel handele es sich hier auch
weniger um hochgradige Metritis corporis als vielmehr um eine Elongatio colli.
R. Klien (Leipzig).
856
Referate und Besprechungen.
Aus der akademischen Frauenklinik in Düsseldorf.
lieber die Beeinflussung entzündlicher Erkrankungen der weiblichen
Genitalien und ihrer Nachbarschaft durch Behandlung des Darmkanals.
(Dr. P. Kuliga. Gyn. Rundschau, H. 23, 1908.)
Schon vor einigen Jahren hat A. Müller auf den Zusammenhang ge¬
wisser entzündlicher Erkrankungen des weiblichen Genitalapparates, bes. der
sog. Parametritis posterior mit Erkrankungen des Rektums hingewiesen. Wenn
auch Müller diesen ätiologisch wichtigen Zusammenhang, indem er ihn auf
90°/o der Fälle anwenden wollte, offenbar überschätzt hat, so ist derselbe
nach den Untersuchungen K.’s tatsächlich recht oft, vielleicht in 50 — 60 °/ 0
zu Recht bestehend. Gleichzeitige Erkrankung des Rektums bez. sogar des
Kolons fand sich außer bei der Parametritis post, bei entzündlichen Adnex¬
erkrankungen, bei Dysmenorrhöe, bei Obstipation allein und mit entzünd¬
lichen Prozessen häufig, dagegen selten bei Retroflexio uteri. Um die Betei¬
ligung des Rektums objektiv nachzuweisen, empfiehlt K. die Palpation des
Rektums von der Scheide aus. Man kann so abnorme Druckempfindlichkeit
und Abweichungen in dem Kontraktionszustand nachweisen. Durchaus nicht
immer stimmen objektiver Befund und subjektive Beschwerden — Schmerzen
und Obstipation bez. Durchfälle — miteinander überein. Therapeutisch hat K.
sehr gute Resultate mit der Flein er’schen Ölklystierkur gesehen. Fast durch¬
weg wurden neben der Obstipation, wenn solche bestand, die entzündlichen
Genitalaffektionen günstig beeinflußt, Dysmenorrhöen und Parametritis post,
oft nur dadurch geheilt, besser noch in Verbindung mit Wärmeapplikation.
R. Klien (Leipzig).
Zur Anatomie der Zysten der kleinen Schamlippe.
(Bon di, Wien. Monatschr. für Geburtsh. u. Gyn., Bd. 28, S. 648, 1908.)
B. gibt ausführlich Krankengeschichte und anatomischen Befund von
8 einschlägigen Fällen wieder. In 7 Fällen handelte es sich um reine Schleim¬
zysten, einmal fand sich atheromatöser Inhalt. In 2 Zysten konnte deut¬
lich Flimmerbesatz des auskleidenden Epithels nachgewiesen werden. In den
übrigen Fällen fand sich einschichtiges Epithel von flacher, niedriger bis
zu hoher Zylinderform wechselnd, bisweilen papilläre Exkreszenzen auf¬
weisend. Leider lassen die histologischen Befunde keine ausreichenden Schlüsse
bez. der Genese der Zysten zu. Es scheint, daß sie von versprengten Teilen
des Wolf f’schen Ganges, zum Teil auch von peristierenden, verlagerten
Schleimdrüsen des Vestibulum herstammen. Frankenstein (Köln).
Aus dem Laboratorium der Frauenklinik von Geh. -Rat L. Landau u. Dr. Th. Landau
in Berlin.
lieber das Lymphangioendothelioma ovarii.
Ein Beitrag zur Kenntnis der endothelialen Geschwulstbildungen im Eierstock.
(Dr. T. Kubo. Archiv für Gyn., Bd. 87, H. 3, 1909.)
Iv. gibt zunächst eine Literaturübersicht über 52 Fälle und akzeptiert
die Borst’sche Einteilung in intravaskuläre und perivaskuläre Hämangio-
endotheliome und in Lymphangioendotheliome. Einen Fall letzterer Art
beschreibt er ausführlich. Bei einer 41jährigen Frau wurde ein hämorrhagisch¬
nekrotischer linksseitiger Ovarialtumor per laparotomiam entfernt und drei
Jahre später zwei Rezidivtumoren unter Resektion eines Stückes Dünndarm
nebst einer rechtsseitigen Eierstockszyste. Neun Jahre nach dieser Rezidiv¬
operation war die Frau noch gesund. Die Histologie des Falles deckte sich
mit den Befunden von L. Pick und Pfannenstiel. — Das Endothelioma
ovarii, welches klinisch nicht von anderen Formen bösartiger- Ovarialtumoren
zu unterscheiden ist, zeigt sich zwar auch metastasierungsfähig, scheint aber
von weit geringerer Bösartigkeit wie das Sarkom oder das primäre Karzinom
des Eierstockes zu sein. * R. Klien (Leipzig).
Referate und Besprechungen.
857
Zur operativen Behandlung der puerperalen Peritonitis undThrombophlebitis.
(G. Leopold. Archiv für Gyn., Bd. 85, H. 3, 1908.)
L. hat bereits früher a. a. O. über zwölf Fälle von ^operativ behandelter
puerperaler Peritonitis und Pyämie berichtet, von denen nur 3 starben, weil
sie zu spät operiert wurden. Infolgedessen suchte L. die Beobachtung am
Krankenbett so zu verschärfen bez. der Symptome der puerperalen Peri¬
tonitis, daß ihr Beginn mit möglichster Sicherheit zeitig festgestellt werden
konnte, um danach baldigst die Eröffnung der Bauchhöhle und die Ablassung
des Eiters vorzunehmen. Das zeitigste und wichtigste aller Symptome ist
das Klein- und Frequentwerden des Pulses; er steigt in wenigen Stunden
auf 120 — 140, wobei die Temperatur noch ganz normal, das Allgemeinbefin¬
den ein noch ganz ungetrübtes sein kann. Das zweite sich sehr bald ein¬
stellende, höchst pathognomonische Symptom ist das Auftreten von Singult us;
hierauf muß, damit es nicht der Beobachtung entgeht, direkt gefahndet werden.
Diese beiden Zeichen genügen L., die Diagnose auf beginnende Peritonitis
zu stellen. Die bald noch hinzukommenden weiteren Krankheitserscheinungen :
zunehmender Meteorismus, Leibschmerz, Dämpfung in den seitlichen Partien
des Leibes, Fieber, Verschlechterung des Allgemeinbefindens vervollständigen
zwar das Bild, sollen aber nicht erst abgewartet werden. Wie eine Perforations¬
peritonitis, z. B. nach Appendizitis, so soll nach L. auch die puerperale Peri¬
tonitis innerhalb der ersten 48 Stunden operiert werden. Dann ist die
Gefahr der Laparotomie eine viel geringere als die der Peritonitis; man kann
noch auf eine vollständige Abdrainierung des Eiters hoffen, zu einem Moment,
wo noch keine Überschwemmung des Blutes mit den Infektionserregern statt¬
gefunden hat. Sowie dies der Fall ist, kommt die Operation zu spät, ja sie
ist sogar jetzt für den ganz geschwächten Körper eine viel zu gefahrvolle
Maßnahme. Diese Kranken sind unrettbar verloren. — L. berichtet in der
vorliegenden Arbeit übler 6 neue Fälle; 5 mal handelte es sich um puerperale
Peritonitis. Von diesen wurden 3 durch die Laparotomie gerettet, obwohl
dieselbe zum Teil erst am 5. Krankheitstag gemacht wurde. Es ist sehr
zu bedauern, daß alle diese Fälle nicht einer eingehenderen bakteriologischen
Bearbeitung unterzogen worden sind. Nirgends wird von Kulturversuchen
etwas berichtet. Es gehört das aber heutzutage unbedingt zur exakten
wissenschaftlichen Bearbeitung derartiger Fälle und muß von einer Klinik
von der Bedeutung der Dresdener unbedingt gefordert werden. Es würde dann
unmöglich sein, daß L. einen Fall in der Epikrise für Gonorrhöe reklamiert,
bei dem sich im abgelassenen Bauchexsudat massenhafte Streptokokken ge¬
funden hatten und bei dem eine Darmnaht ausgeführt worden war. (Fall I.)
Schwer verständlich und nicht überzeugend ist es auch in Fall III, wo in
der Klinik die Zange gemacht wurde, die Peritonitis am 3. Tage einsetzte,
ein schmierig belegter Riß in der rechten Scheidenwand gefunden wurde,
wenn hier eine Infektion von außen abgelehnt wird, wenn vielmehr erklärt
wird, daß es sich auch hier um einen Fiebererreger gehandelt haben werde,
der schon in der Schwangerschaft bezw. in den letzten Tagen vor Geburts¬
beginn in die inneren Teile abgelagert worden sei. Um das plausibel zu machen,
gehört mehr als die Bemerkung, daß sich in der Bauchhöhlenflüssigkeit
.massenhaft Eiterkörperchen, „spärliche Kokken unbestimmter Art“ gefunden
hätten. Genaue bakteriologische Untersuchungen wären schon um deswillen
so notwendig gewesen, um den ganz auffallenden Unterschied in den Erfolgen
der Dresdner Klinik gegenüber der Hallenser zu erklären : in Halle wurde
von fünf puerperalen Peritonitisfällen durch die Laparotomie kein einziger
gerettet! In diesen Fällen handelte es sich durchweg um Infektion mit
dem hämolytischen Streptokokkus; man möchte unwillkürlich die Frage beant¬
wortet haben, um was es sich in Dresden gehandelt hat. — Der eine tödlich
verlaufende Fall wäre vielleicht durch zeitigeres Operieren zu retten gewesen;
er wurde am vierten Krankheitstage operiert ; in der Bauchflüssigkeit waren
„Streptokokken“. Bei dem anderen Todesfall handelte es sich um einen pro¬
trahierten, offenbar kriminellen Abort, bei dem eine unbemerkt gebliebene
Verletzung des Kollum stattgefunden hatte, die sich bei der Sektion als
septisch erwies. —
858
Referate und Besprechungen.
Schließlich berichtet L. noch über einen Fall von venöser Form des
Puerperalfiebers nach spontaner Geburt vom 9. Tage ab. Doppelseitige Throm¬
bose der Venae femorales. Später Schüttelfröste. Am 40. Tag transperi¬
toneale Entfernung der thrombosierten rechten Vena spermatica interna. Deren
Thrombus befand sich in eitriger Einschmelzung. Genesung.
R. Klien (Leipzig).
Aus der königl. Universitäts-Frauenklinik Halle a. S.
Die prognostische Bedeutung bakteriologischer Untersuchungen bei
abdominalen Uterusexstirpationen.
(Dr. C. Barth. Archiv für Gyn., Bd. 87, H. 2, 1909.)
B. fand bei einem Material von 55 Fällen, daß ungefähr die Hälfte
aller Uteruskarzinome mit dem hämolytischen Streptokokkus infiziert ist.
Ob im Einzelfall von dem positiven Befund deletäre Folgen abhängen, richtet
sich nach der jeweiligen Virulenz der vorhandenen Kokken. Infaust ist
die Prognose, wenn sich am Schluß der Operation virulente hämolytische
Streptokokken auf dem Peritoneum finden. Diplokokken, Stäbchen und der
Streptococcus viridans sind als relativ ungefährliche Saprophyten 2.u be¬
trachten. Im Gegensatz zu Liepmann fand B. in den Parametrien nur
äußerst selten (einmal) hämolytische Streptokokken, er untersuchte die Para¬
metrien aber auch sofort nach ihrer Eröffnung von oben her, nicht, wie
Liepmann, erst nach ihrer Exstirpation. Jener eine Fall B.’s genas, in¬
folgedessen ist es auch nicht zulässig, bei Befund von h. Str. in den Para¬
metrien die Prognose infaust zu stellen. — Die Virulenz gefundener Strepto¬
kokken soll nach dem übrigens bereits angezweif eiten (Ref.) Verfahren von
Fromme nachzuweisen sein. Absolute Vermeidung von Verunreinigung des
Peritoneums durch Karzinom- und Scheidensekret sowie Drainage haben sich
bis jetzt als bestes Prophylaktikum gegen die postoperative Peritonitis er¬
wiesen. R. Klien (Leipzig).
Aus der Universitäts-Frauenklinik in Innsbruck.
Die Ätiologie des Uterovaginalprolapses.
Eine klinisch-anatomische Studie.
(Dr. Oscar Nebeskv. Archiv für Gyn., Bd. 87, H. 3, 1909.)
Von der sehr breit angelegten, übrigens preisgekrönten Arbeit können
im Referat nur die Schlußsätze berücksichtigt werden: Alle Arten des Pro¬
lapses sind das Produkt der gleichen Faktoren : der Stärke, Dauer und Rich¬
tung des intraabdominalen Druckes, der Weite und Form der Bruchpforte und
der Größe der Widerstände, welche durch die Organkohärenz und die Ver¬
bindungen der Organe untereinander und mit der Beckenwand geleistet wer¬
den. Im allgemeinen kommt N. zu denselben Anschauungen wie Halban-
T an eil er und Küstner. — Sehr zu bedauern ist das gänzliche Fehlen von
Abbildungen. R. Klien (Leipzig).
Aus der Frauenklinik von L. u. Th. Landau, Berlin.
Ueber Duodenalverschluß.
Mit 1 Textfigur.
(Dr. Beruh. Rosenthal. Archiv für Gyn., Bd. 86. H. 1, 1908.)
Eine sehr instruktive Abhandlung über das in jüngster Zeit so lebhaft
diskutierte Krankheitsbild. R. berichtet über zwei Fälle aus der Landau-
scheu Klinik und über 20 aus der Literatur. In dem ersten mitgeteilten Falle
war zweifellos der Duodenalverschluß das Primäre, die Magenerweiterung das
Sekundäre. Leichenversuche ergaben, daß der eigentlich komprimierende Strang
die Arteria mesenterica superior ist, daß die Zugwirkung durch die in das
kleine Becken hinabgesunkenen kollabierten Dünndarmschlingen vermittels
Referate und Besprechungen.
859
ihres Mesenteriums ausgeübt wird. Dieser Zug wird verstärkt durch den
sich dilatierenden Magen, kann es aber ebenso auch durch die volle dilatierte
Blase werden. Im Chloroform dürfte eine Ursache für den akuten Duodenal¬
verschluß nicht zu finden sein, wohl aber in einer Autointoxikation für die
sekundäre Magendilatation. Sehr magere Personen erscheinen besonders dis¬
poniert, bei ihnen springt die Arteria niesen terica als derber harter, unelastischer
Strang vor; ferner scheint eine Lordose der Lendenwirbelsäule nicht ohne
Bedeutung zu sein. Die Diagnose ist, wenn man überhaupt an das Krank¬
heitsbild denkt, nicht schwer: Durst, Erbrechen großer Mengen galliger
Flüssigkeit. Aufgetriebensein des Epigastriums, Indikan im Harn sind die
hervorstechendsten Symptome. Die souveräne Therapie ist bekanntlich die
Bauchlage meist kombiniert mit Magenspülungen. R. Klien (Leipzig).
Die Gefahren und der Nutzen der intrauterinen Injektionen.
(P. Zweifel. Archiv für Gyn., Bd. 86, H. 2, 1908.)
Z. hat systematische Versuche mit Kontrolle bei nachfolgender Lapa¬
rotomie angestellt, um die alte Streitfrage definitiv zu lösen, ob Arzneilösungen
bei intrauterinen Einspritzungen durch die Tuben in die Bauchhöhle fließen
können. Was zunächst intrauterine Spülungen mit dem Fritsch-Bozeman-
schen Katheter anlangt, so flössen dabei in der Regel wässrige Lösungen,
die nicht ätzen und nicht reizen, in die Bauchhöhle über unter der Be¬
dingung, daß jede Anregung zu Zusammenziehungen der Gebär¬
mutter vermieden wird. Alkoholische Lösungen traten nur in die Tuben,
nicht aber in die Bauchhöhle über; Z. sieht den Grund hierfür darin, daß
bei alkoholischen Lösungen bereits leichte Kontraktionen der Gebärmutter
und wahrscheinlich auch der Tuben auftreten. — Was die Injektionen
anlangt, so ergab sich zunächst, daß die sog. Pinselspritzen nicht anders wirken,
als die alte Braun’sche. Z. hat sich zu seinen Versuchen einer Pinselkanüle
bedient, welche in der Breite der amerikanischen Silberstäbchen möglichst
platt geformt ist. Auch bei Verwendung dieser Spritze floß Liquor ferri,
in der Menge von nur 1 ccm eingespritzt und trotzdem sich die umgewickelte
Watte bis unter den äußeren Muttermund hinunter mit Liquor voll saugte,
also denselben teilweise ableitete, in beide Tuben ein, ja sogar durch die
eine, die durchgängig war, bis in die Bauchhöhle. Es ergibt sich hieraus,
daß man in die Uterushöhle überhaupt keine ätzende Flüssigkeit einspritzen
darf oder höchstens 2 — 4 Tropfen (v. Braun), wenn der Abfluß nicht voll¬
kommen gesichert ist. Folgerichtig muß diese strenge Einschränkung der
intrauterinen Einspritzungen zu einer Empfehlung der Pinselbehan dlung
führen. Da ergab sich aber, wenn Z. sich ganz streng an die bekannten
Menge’schen Vorschriften hielt, daß die allseitige Verbreitung des Liquor
in der Korpushöhle nur dann gelang, wenn der Muttermund weit war.
Leider ist dies in praxi nur in etwa einem Drittel der Fälle der Fall, m den
anderen zwei Dritteln müßte maji erst dilatieren. Z. benutzte eine gebogene
Metallröhre, welche nach event. leichter Dilatation eingeführt wird, und goß
in diese Röhre den Liquor hinein. Es wurde ein feiner Drahtwattepinsel nach¬
geschoben, um die Flüssigkeit aufzusaugen und unter allmählichem Zurück¬
ziehen des Röhrchens und, ihm folgend/, des Pinsels mit allen Teilen der
Uterushöhle in Berührung zu bringen sowie schließlich den Liquor sicher
nach unten abzuleiten. In vielen punderten von Fällen hat Z. bei dieser
Anwendung des Liquor ferri (bei Blutungen) niemals die geringste Störung,
nie einen Krampfanfall, nie eine Entzündung des Bauchfelles gesehen. Leider
ist aber diese Art Pinselbehandlung mit Sicherheitsvorrichtung wegen der
meist erforderlichen vorauszuschickenden Dilatation in der Regel nicht in
der Sprechstunde ausführbar. — Durch die von Z. festgestellten Tatsachen
wird aber noch eine neue Perspektive eröffnet. Da injizierte wässerige, nicht
ätzende Flüssigkeiten in die Tuben eindringen, falls nur deren Orificium
uterinum offen ist, so lassen sich beginnende Fälle von aszen dienender
Gonorrhöe mittels intrauterinen Injektionen von wässrigen, nicht ätzenden,
860
Referate und Besprechungen.
z. B. 2%igen Argentaminlösungen behandeln; dasselbe gilt für ältere Fälle,
bei denen sich die Epithelien bereits wieder regeneriert haben. Z. hat diese
an die Gr ammaticati’sche erinnernde Behandlungsart in der Tat schon
Jahre lang mit sehr guten Erfolgen durchgeführt. Man soll vorsichtig mit
einigen Tropfen beginnen und erst dann, wenn die Toleranz feststeht, 1 bis
2 1/2 ccm täglich oder jeden zweiten Tag injizieren. Es pflegen zwar Schmerzen
in der erkrankten Seite auf zu treten für 1 — 2 Stunden, aber nie Koliken.
In der Mehrzahl der Fälle konnten die Pat. nach durchschnittlich dreiwöchent¬
licher Behandlung geheilt entlassen werden ! Das wäre in der Tat ein phä-
nomales Resultat. Einige blieben ungebessert und wurden operiert.
R. Klien (Leipzig).
Die medikamentöse Therapie der Endometritis.
(Privatdozent Dr. E. Kehrer. Med. Klinik, Kr. 10, 1909.)
Ein ausgezeichnetes Kolpitismittel — wenigstens für die gonorrhoische
Form — besitzen wir in den Hefepräparäten. Ob die Tamponade der mit in
Silberlösung getränkten Gaze (1% Argent. nitr., 1 — 5°/0 Ichtharganglyzerin,
5 — 10% Pro targol- Glyzerin) im akuten Stadium zu empfehlen ist, scheint
fraglich. Das Uterussekret kann nicht gut abfließen und könnte bei reich¬
licher Bildung doch wohl nach den Tuben zu Vordringen. Im subakuten
und chronischen Stadium der gonorrhoischen Vaginitis und Endometritis
bringen diese Mittel jedoch gute Erfolge.
In diesen Silberpräparaten besitzen wir Mittel, denen man eine gerade¬
zu spezifische Wirkung auf die Gonokokken zuschreibt. Wir verlangen,
daß sie die Gonokokken auf der Schleimhautoberfläche abtöten, eine mög¬
lichste Tiefenwirkung entfalten und die Schleimhaut zur Exsudation reizen,
ohne sie wesentlich zu schädigen. Bezüglich der Reizwirkung stellte v. Her ff
folgende Skala von der schwächsten bis zur stärksten Wirkung auf: Sophol,
Protargol, Novargan, Nargol, Largin, Ichthargan und Argentum nitricum.
In der Praxis erfreut sich das Protargol auch wegen seiner adstringierenden
Wirkung großer Beliebtheit und die entzündliche Exsudation, zweifellos ein
unentbehrlicher Heilfaktor bei der Gonorrhöe, wird durch Protargol gerade
stark hervorgerufen. Heumann.
Über resorptive Zinkintoxikation nach intrauteriner Chlorzinkätzung.
(Buttersack, Heilbronn. Monatschr. für Geburtsh. u. Gyn., Bd. 29, S. 11, 1908.)
B. berichtet einen einschlägigen Fall, bei dem am 14., 16. und 19. Tage
nach einem zweimonatlichen Abort, welcher mittels Abrasio behandelt wor¬
den war, je eine intrauterine Chlorzinkätzung mit 10 — 15 — 30%iger alko¬
holischer Lösung vorgenommen worden war. Am 1. Tage nach der letzten
Ätzung stürmische Krankheitserscheinungen mit nephritischen, gastrointesti¬
nalen und später vesikalen Symptomen. Im Urin und in den nach 18 Tagen
ausgestoßenen Ätzschorfen gelingt der Zinknachweis. Am 62. Krankheits¬
tage Exitus im urämischen Anfall; der chemische Nachweis von Zink in
den Abdominalorganen gelingt ebenfalls. Der Fall beweist von neuem, daß
die Gefährlichkeit der intrauterinen Chlorzinkbehandlungen noch immer nicht
bekannt genug ist. Schon die früheren Publikationen über die lokalen
Schädigungen bei intrauteriner Chlorzinkätzung hätten wohl genügen müssen,
derartige Ätzungen so kurze Zeit nach einem Abort nicht auszuführen.
Dieser letzte Umstand dürfte wohl auch die Resorption begünstigt und
damit die Intoxikation bedingt haben, da irgendwelche Spuren fehlten, welche
auf eine Passage der Lösung durch die Tuben in den Bauchfellsack hindeuteten.
Es dürfte an der Zeit sein, Chlorzinklösungen aus der intrauterinen
gynäkologischen und der geburtshilflichen Therapie endgültig zu
streichen. B.’s Arbeit ist wegen der sehr genau geführten Krankengeschichte
lesenswert, doch würde es sich empfehlen, gerade derartige Aufsätze noch mehr
zur Kenntnis nicht nur der Spezialisten, sondern auch der Allgemeinpraxis
treibenden Ärzte (Wochenschriften!) zu bringen. Frankenstein (Köln).
Referate und Besprechungen.
861
Ist eine spezifische Anregung der Milchsekretion möglich?
(Dr. K. Weiß, Wien. Allg. Wiener med. Zeitung, Nr. 41, 1908.)
Von verschiedenen Nährpräparaten ist immer und immer wieder be¬
hauptet worden, sie regten die Milchsekretion quasi spezifisch an. Wir
wissen ja mit Sicherheit, daß reichliche Eiweißkost zunächst eine Entwick¬
lung oder ein Wachstum der sekretorischen Elemente und des Drüsenvolumens
der Brüste veranlaßt, und proportioneil damit steigt auch die Gesamtmenge
des Sekrets und der Fettgehalt desselben (Luciani). Es handelt sich hier
aber wohl um eine indirekte, nicht spezifische Wirkung. Wenn es nun
überhaupt spezifisch die Milchsekretion anregende Stoffe - — und es scheinen
in der Tat die Ovarien solche Substanzen zu sezernieren — gibt, so hält
W. es für wahrscheinlich, daß ihre Wirkung als eine lymphagoge zum Aus¬
druck kommt. Alles deutet ja daraufhin, daß die Milchdrüse besonders
aus dem Serumeiweiß der Lymphe das Material zur synthetischen Bildung
der Nukleoproteide und Glykoproteide schöpft, welche die Protoplasma¬
körnchen zusammensetzen, aus deren Zerfall die spezifischen Bestandteile
der Milch stammen. Es gibt nun eine ganze Reihe von Substanzen, welche
lymphagog wirken, zum Beispiel Hiradin, Krebsmuskelextrakt, Erdbeerex¬
trakt, Albumosen usw. (merkwürdigerweise scheinen alle Substanzen, welche
die Lymphsekretion vermehren, gleichzeitig die Gerinnungsfähigkeit des Blutes
zu vermindern). Es schien W. daher nicht uninteressant, den Einfluß der
Albumosen auf die Milchsekretion einmal genau festzustellen. Als Typus
eines reinen Albumosenpr äp ar ates benutzte er die Somlatose.
In einer Versuchsreihe, die sich auf' Mutter und Kind bezieht und
die etwa 7 Wochen umfaßt, ergab sich eine beträchtliche Zunahme des Ge¬
wichtes der Mutter von rund 6 kg, eine entsprechende Zunahme des Kindes
(von 2300 auf 3700 g) und insbes. eine außerordentliche Vermehrung der Milch¬
mengen von 520 auf 840 g. Dieser Fall illustriert deutlich die günstige Be¬
einflussung der Milchsekretion durch Somatose.
Der galaktagoge Effekt der Somatose ist übrigens schon von zahl¬
reichen Beobachtern festgestellt worden. Lewai glaubt, die günstige Beein¬
flussung des Stoffwechsels veranlasse eine kräftigere Durchblutung des Drüsen¬
gewebes, vergrößere dadurch die Milchdrüsen und vermehre deren sezernie-
rende Epithelzellen; er erklärt ferner, daß die Somatose auch in nachweis¬
barem Maße den Fettgehalt hebt, außerdem die Umwandlung des Kolostrums
in reine Milch erheblich beschleunigt. Lewai macht außerdem noch auf
einen wichtigen Punkt aufmerksam, wodurch sich die Somatose als Laktagogum
von allen ähnlichen Produkten unterscheidet. Die Somatose vergrößert näm¬
lich, wenn sie lange gereicht wird, das Volumen der Brustdrüsen durch Appo¬
sition von Bindegewebefett. Diese Erscheinung ist wohl am einfachsten so
zu erklären, daß die Drüse infolge einer Steigerung ihrer Funktion quasi
zu Hypertrophie tendiert. Gerade aus der stärkeren Entwicklung der Drüse
läßt' sich aber wieder deduzieren, daß die Somatose einen mächtigen Reiz
auf die Sekretion der Brustdrüsen ausüben muß, wahrscheinlich weil die
Albumosen eine spezifische, lymphagoge Wirkung haben. Neumann.
Zur Hygiene der Brustwarzen.
(Gustav Lennhoff. Med. Klinik, Nr. 35, 1908.)
In dem kleinen Aufsatz wird eine praktisch erscheinende kleine Klemme
beschrieben und abgebildet, welche dazu dient, erstens bei schwangeren Frauen
die Bildung zweckdienlicher Brustwarzen zu befördern, zweitens, der wich¬
tigere Zweck, das lästige Abfließen von Milch aus den Brüsten stillender
Frauen zu verhindern. Der kleine Apparat kann unter dem Hinweis auf
die Äskulapgarantiemarke in allen namhaften Fachgeschäften von chirur¬
gischen Instrumenten erhalten werden. Die Klemmen sind selbstverständlich
nicht dauernd am Tage zu tragen. R. Stüve (Osnabrück).
862
Bücherschau.
Bücherschau.
Handbuch der Gynäkologie. 4. Bd., 1. Hälfte. Mit 185 Abbildungen im
Text und auf 10 Tafeln. Von J. Veit, Halle. Verlag von J. F. Berg¬
mann, Wiesbaden. 549 S. 16,60 Mk.
Der jetzt vorliegende 4. Band, erste Hälfte bringt die Erkrankungen des
Eierstocks und des Neben eierstocks, bearbeitet von J. Pfannenstiel unter Mit¬
wirkung von Kr ö in er, Berlin. Auf 549 Druckseiten gibt das Werk eine bis in die
einzelnen Details gehende Darstellung der Anatomie, Pathologie des Ovariums, Ätio¬
logie, Diagnose, Behandlung der Ovarialtumoren und der Prognose der Ovariotomie.
Druck und Ausstattung auch dieses Werks ist eine treffliche. F. Kayser (Köln).
Instinkt und Gewohnheit. Von C. Lloyd Morgan. Deutsch von
Maria Semon. Berlin-Leipzig, B. G. Teubner, 1909. 390 Seiten. 5 Mk.
Der Kreislauf des Interesses der Allgemeinheit wendet sich, das ist wohl
unverkennbar, allmählich von den anatomisch-materiellen Dingen wieder funktionellen,
psychischen Fragen zu, und mit erneuter Kraft suchen rührige Forscher die Innenwelt
des Menschen ebenso zu ergründen, wie das die Heroen der Naturwissenschaft für
die Außenwelt geleistet hatten.
Das vorliegende Buch des Professors der Zoologie am University College in
Bristol sucht an zahlreichen Beispielen aus dem Gesamtbereich der Tierwelt darzutun,
daß die Phänomene des Instinkts die biologische Grundlage der psychologischen
Entwicklung bilden. Das im Gefolge der Instinkttätigkeit auftretende Bewußtsein
liefert dann das „Grundgewebe der Erfahrung“, und die Intelligenz modifiziert und
erweitert die erblich gegebenen Reaktionsweisen.
Das Werk ist voll von feinen Beobachtungen der Tierwelt und liest sich
demgemäß ungemein interessant. Aber es teilt mit allen verwandten Versuchen die
Schwierigkeiten, die sich für den Menschen ergeben, sich in die Psyche eines
Hühnchens, eines Papagei, eines Foxterriers usw. zu versetzen; ist doch schon die
Geisteswelt eines Australnegers oder Botokuden für uns immer noch höchst rätselhaft.
Allein abgesehen von der Frage der Zustimmung oder Ablehnung ist für
uns Deutsche lehrreich, die Ideen kennen zu lernen, die im Vaterlande DarwTns
dermalen herrschen Der Vergleich schützt vor Einseitigkeit. Buttersack (Berlin).
Die atmosphärische Elektrizität. Von L. Mache u. E. v. Schweidler.
Braunschweig, Fr. Vieweg u. Sohn, 1909. 236 S. 6 Mk.
Vor kurzem (Nr. 11, S. 447) habe ich über Gockels Luftelektrizität berichtet;
daß abermals ein Werk über dieses Thema vorliegt, beweist die Wichtigkeit der
Angelegenheit. Das vorliegende Buch bildet den 30. Band der „Wissenschaft“,
einer Sammlung naturwissenschaftlicher und mathematischer Monographien, welche
die berühmte Verlagsanstalt seit einigen Jahren erscheinen läßt.
Die einzelnen Kapitel behandeln das elektrische Feld der Atmosphäre, die
Elektrizitätsleitung der Atmosphäre, die Jonten, Jonisatoren und Elektrisatoren,
die elektrischen Strömungen und die leuchtenden Entladungen in der Atmosphäre,
und wenn sie auch — zunächst für Physiker geschrieben — uns Ärzten ungewohnte
Schwierigkeiten darbieten, so möchte ich das Buch trotzdem zum Studium empfehlen.
Es bildet ein dringend notwendiges Gegengewicht gegen das z. Zt. prävalierende
chemische Denken und lenkt den Blick von hypothetischen Atom- und Molekül¬
gruppen wieder auf den Makrokosmus des Weltgebäudes; und indem es dartut,
wie wir und die ganze sogen. Schöpfung nur Teile dieses Riesengebäudes, der Un¬
endlichkeit, sind, eröffnet es neue Ausblicke in ungeahnte Gegenseitigkeits¬
beziehungen, die nicht' bloß dem Arzt für seinen Spezialberuf, sondern auch dem
Menschen für seine ganze Weltanschauung förderlich sind. Buttersack (Berlin).
Nationale Erziehung und sexuelle Aufklärung. Von F. Siebert. München,
Ärztl. Rundschau, 1909. 54 S. 1,30 Mk.
Aus den landläufigen Abhandlungen über das Liebesieben ist nicht recht er¬
sichtlich, warum eigentlich die verschiedenen menschlichen Gebilde masculini oder
Bücherschau.
863
feminini generis nicht ad libitum von ihren Sexualorganen Gebrauch machen sollen.
Siebert bezeichnet das als einen Proletarier-Standpunkt, der im wesentlichen
darauf basiert, daß das Individuum mit seiner materiellen Erscheinungsform und
seinen leiblichen Gelüsten viel zu sehr in den Vordergrund gerückt wird, und stellt
ihm einen höheren gegenüber, nämlich jenen, auf welchem der irdische Wanderer
sich nicht als ein scharf abgegrenztes, egozentrisches Etwas der Umgebung gegenüber¬
stellt, sondern auf dem er sich als integrierenden Bestandteil, kals Glied in der
Kette seiner Familie und seines Volkes fühlt. Im Lichte einer solchen Welt¬
anschauung löst sich die sogen, sexuelle Frage ganz von selbst; denn der gemeine
Begattungstrieb wird durch aristokratische, auf sich selbst und auf die Familie
haltende Rücksichten geregelt und eingedämmt.
Aus der Schrift spricht eine volle Persönlichkeit, in welcher sich Natur¬
wissenschaft und Religiosität harmonisch verschlungen haben; möchte es doch recht
viele Persönlichkeiten in unserem Volke geben, welche die Welt mit ähnlichen
offenen, heiligen Augen ansehen, die den Weg vom toten Atom zur weit- und
lebenschaffenden Idee zurückgefunden haben! Aber wo soll der Einzelne die Kraft
hernehmen, aus der Herrschaft des Augenblicks mit seinen zahllosen Ansprüchen
und aus der Herrschaft anatomisch-materieller Vorstellungen sich ins Reich des
Grenzenlosen, wie Anaximander sagte, zu flüchten? Indessen, wir wollen uns
freuen, daß wenigstens in die Kreise der geistig am höchsten Stehenden wieder die
Ideale ihren Einzug halten. Im Laufe der Zeit werden sie mit Naturnotwendigkeit
von selbst in die Masse dringen, und auch an Siebert und seinen Gesinnungs¬
genossen wird sich des großen Empedo kl es prophetisches Wort erfüllen: „Schlie߬
lich werden die Weisen zu Sehern und Sängern und Ärzten“. Buttersack (Berlin).
Der Haschisch. Psychologische Studien über ein ephemeres Paradies.
Von Raymond Meunier. Bibliotheque de Psychologie experimentale
et de Metapsychie. Paris, Blond et Cie., 1909. 219 S. 3 Mk.
Bei aller Hochachtung vor den Naturwissenschaften und den Fortschritten
der Erkenntnis, die wir ihnen verdanken, ist doch nicht zu leugnen, daß unter der
Herrschaft ihres exakten Geistes die gemütlichen Qualitäten der Menschenseele zu
kurz gekommen sind. Eine Zeitlang mochten ja die Errungenschaften auf dem
Gebiete des Materiellen und des Energetischen und die Perspektiven auf noch größere
Ausdehnung der Macht den Gedankenkreis ausfüllen; aber allmählich regen sich
auch wieder die anderen Seiten der Seele, und der aufmerksame Beobachter, der
nicht weltfern sich in den mikroskopischen Horizont seines Spezialgebietes verirrt
hat, fühlt da und dort die Sehnsucht nach Idealen neu sich regen.
Freilich, diese Sehnsucht nach dem Unendlichen, nach dem Guten, Wahren,
Großen, Schönen sucht auf verschiedenartige Weise Befriedigung. Strebt der Weise
nach dem Glücke der Erkenntnis, indem er aus dem was ist und aus dem was
war, den Geist der Geschichte, die Idee der Welt zu begreifen sucht und den
Höhepunkt des Glückes erreicht hat, in welchem sein Ich mit jenem Geist,
mit jener Idee zusammenfließt, so macht sich die große Menge die Sache leichter
dadurch, daß sie mittels Betäubungsmittel die Großhirnfunktionen ausschaltet und
jene Verschmelzung im Unterbewußtsein vor sich gehen läßt. Daher die Herrschaft
des Alkohols und des Opiums, und diesen fügt sich der Haschisch als weiteres
Glied zur Trias an.
Es ist im Grunde die gleiche Geschichte bei allen dreien, nur daß vielleicht
der indische Hanf das liebenswüdigste Narkotikum darstellt. Die Erregbarkeit ist
gesteigert, die Ideenassoziationen fließen leichter, die Suggestibilität ist erhöht: auf
diesen Elementen baut sich das Paradies auf, zu welchem die Haschisch-Pfeife
den bequemen Eingang bildet. Aber: „Haschisch — Träume — Wahnsinn“ ist
die markante Überschrift des 6. Kapitels.
In welcher Weise sich der einzelne sein Paradies ausmalt, hängt natürlich
ganz von seiner Individualität ab. Ob man daraus brauchbare Einblicke in die
Gesetze der Psychologie gewinnen kann, scheint mir zweifelhaft. Meunier glaubt,
daß das Aufdecken des Unterbewußtseins für den Arzt von diagnostischem Wert sei.
Ich glaube nicht, daß wir in Deutschland viel mit Haschischzuständen zu
tun haben werden Das Referat soll nur darauf aufmerksam machen, mit welchen
Mitteln die Menschheit der Not der Zeit zu entgehen sucht, später, bei fortschreitender
pessimistischer Weltauffaussung, vielleicht noch mehr als heute.
Buttersack (Berlin).
864
Bücherschau.
Die Küche in der modernen Heilanstalt. Von W. Sternberg. Stuttgart,
Ferd. Enke, 1909. 78 S. 2 Mk.
Die diätetische oder Ernährungstherapie ist seit langem ein vielgebrauchtes
Schlagwort in der Medizin; aber sie blieb in dem chemischen Wahne stecken, daß
es nur auf die Zusammensetzung der Speisen und ihren kalorischen- Effekt ankomme.
Daran, daß die Speisen den Kranken auch schmecken müßten, ja daß das eigentlich
die Hauptsache sei, dachte niemand. Erst Sternberg war es, der diesen Gesichts¬
punkt in den Mittelpunkt gerückt hat,’ und da derselbe jedem Menschen mit einfachem
Menschenverstand ohne weiteres einleuchtet, so ist anzunehmen, daß er all¬
mählich überall festen Fuß faßt, wenn auch zunächst noch allerlei Bedenken und
Einwände erhoben werden.
Mittlerweile hat Sternberg aber doch da und dort Beachtung gefunden, und
man fängt an, an die Küche, dieses Laboratorium der diätetischen Heilkunst, ähnliche
Ansprüche zu stellen wie an Zandersäle, Röntgeninstitute und hydrotherapeutische
Anstalten. Man fängt an, einzusehen daß der Kranke mit seinem kapriziösen
Appetit und seiner ohnehin darniederliegenden Psyche in den Speisen nicht bloß N,
C, H und 0, und nicht bloß Kalorien zugeführt erhalten müsse, sondern auch
Lustgefühle. Auf welche Weise das zu bewerkstelligen ist, wie die Küche gebaut,
eingeteilt und geleitet sein muß, die Kunst des Kochens, Anrichtens und Servierens:
das alles ist als Niederschlag aus langen Studien und vielen literarischen Publi¬
kationen in dem vorliegenden Buche enthalten, und zwar in einer mit Geist und
froher Laune gewürzten Darstellung, — wie eben eine gute Küche schmecken soll.
Buttersack (Berlin).
Karlsbad. Von Ad. Ritter. München, R. Oldenbourg, 1908. 110 S. 1 Mk.
Der weitverbreitete Ruf Karlsbads hat es wohl mit sich gebracht, daß manche
Arzte sich über diesen Heilfaktor nicht mehr weiter orientieren. Um dem abzuhelfen,
hat der Magistrat einen Preis ausgesetzt für die beste Abhandlung über die
Wirkungsweise, Indikationen und den Heilwert der Karlsbader Mineralquellen; die
vorliegende Broschüre ist als Siegerin aus dem Wettbewerb hervorgegangen. Sie
enthält in der Tat alles Wissenswerte über die klimatischen und hygienischen
Verhältnisse, über die Quellen, ihre Salze und ihre physikalisch-chemischen Eigen¬
schaften,, über die Badeanstalten und — natürlich am ausführlichsten — über die
Wirkungsweise und die Indikationen einer Karlsbader Kur. Das Schriftchen ist
gewiß verdienstlich, aber noch besser wäre es, wenn die Ärzte sich an Ort und
Stelle persönlich von dem allen überzeugen wollten. Buttersack (Berlin).
Kongresse und Versammlungen.
16. internationaler medizinischer Kongreß.
Die Leitung des 16. internationalen medizinischen Kongresses zu Budapest
(29. August bis 4. September d. J.) begann soeben mit der Versendung des zweiten
Rundschreibens. Das ansehnliche Heft enthält neben dem wissenschaftlichen Arbeits¬
programme der 21 Sektionen eine ausführliche Beschreibung der Kongreß-Ausflüge,
wie auch alle notwendigen Aufklärungen betreffs Reise und Unterkunft in Budapest.
Es sei auch an dieser Stelle ausdrücklich bemerkt, daß die Unterkunftsfrage derart
gelöst wurde, daß jeder Teilnehmer am Kongresse ohne Schwierigkeit eine seinen
Verhältnissen und Wünschen entsprechende Unterkunft finden kann. Der Mitglieds¬
beitrag beträgt 25 Kronen; Gattinnen und Töchter der Mitglieder zahlen 12.50 Kronen.
Geldsendungen wolle man an den Schatzmeister des Kongresses: Prof. Julius v.
Elischer, Budapest, VIII., Esterhazy- utca 7, adressieren. Es liegt in der Natur der
Sache, daß, obwohl das Rundschreiben in mehr als 20000 Exemplaren verschickt
wird, die Gesamtheit der Kollegen mit demselben nicht bedacht werden konnte.
Die Kongreß leitung bittet daher alle Leser unseres Blattes, diese Mitteilung als
Einladung zur Teilnahme am Kongreß zu betrachten. Allen Interessenten, die
sich an die Kongreßleitung wenden, wird also das Rundschreiben zugestellt, wie
dieselbe auch allen sonstigen Anfragen und Wünschen bereitwilligst entsprechen
wird. Adresse: Bureau des 16. internationalen Kongresses, Budapest, VIII.,
Esterhäzy-utca 7.
Schriftleitung: Dr. Rigi er in Leipzig.
Druck von Emil Herr mann senior in Leipzig.
27. Jahrgang.
1909.
fomcbrim der medizin.
Unter Mitwirkung hervorragender Fachmänner
herausgegeben von
Professor Dr. 0. Köster Prio. Doz. Dr. o. griegern
in Leipzig. in Leipzig.
Schriftleitung: Dr. Rigler in Leipzig.
Nr. 23.
Erscheint am 10., 20., 30. jeden Monats. Preis halbjährlich
6 Mark, in kl. Zeitschrift für Yersiclierungsniedizin 8 Mark.
Verlag von Georg Thieme, Leipzig.
20. August.
Originalarbeiten und Sammelberichte.
Pathogenese und kausale Therapie der Oedeme.
Von Medizinal rat Dr. Eschle,
Direktor der Pflegeanstalt des Kreises Heidelberg zu Sinsheim a. E.
Nach der Genese pflegt man auch heute noch drei Formen des
Ödems zu unterscheiden, nämlich das Stauuitgsödem, das entzünd¬
liche ödem und das hydraulische oder kachektische Ödem.
Man denkt sich das Zustandekommen von Flüssigkeitsansamm-
lungen in den Geweben, die ja offenbar mit einem Mißverhältnis zwischen
Zufluß und Abfluß in Zusammenhang stehen müssen, lediglich durch
pathologische Zustände am Gefäßapparat bedingt und nimmt an, daß
rein mechanisch ein eiweißarmes Transsudat des Blutplasmas durch die
sonst nur in beschränktem Maße den Durchtritt von Lymphe ge¬
stattende Gefäßwand hindurchgepreßt würde, teils unter dem Einfluß
eines übermäßigen intravaskulären Drucks und abnormer Strömungs-
widerstände (Stauungsödem), teils auch schon unter ganz oder nahezu
normalen Druckverhältnissen bei einer supponierten — objektiv jedoch
keineswegs nachgewiesenen1) — pathologisch -anatomischen Verände¬
rung der Gefäßwand, speziell einer „gewissen Lockerung des Zusammen¬
hanges ihrer Endothelzellen“2) (entzündliches und hydropistih.es
bzw. kachektisches Ödem).
Diese physikalisch-mechanische Erklärungsweise mag
nun vielleicht den Pathologen befriedigen, der nur die End¬
resultate lange dauernder und vielfach verschlungener Pro¬
zesse zu sehen bekommt, aber sie kann nicht ohne Widerspruch
seitens des Arztes hingenommen werden, der Lebensvorgänge
zum Objekt seiner Beobachtungen macht.
Jeder, der ein größeres Menschenmaterial in ärztlicher resp.
hygienischer Obhut hat, wird gleich mir häufig in die Lage gekommen
sein, ein ödem, speziell an den Fußknöcheln, als erste Anomalie an
einem Individuum feststellen zu können, das bis zu diesem Zeitpunkt
gearbeitet hat, und über keine oder keinesfalls so große Beschwerden
irgend welcher Art klagt, daß ihm eine ärztliche Behandlung erforder¬
lich oder auch nur wünschenswert erscheint. .Wie oft vermissen wir
ß cfr. E. Ziegler, Lehrbuch der allgemeinen pathologischen Anotomie und
Pathogenese, 4. Aufl., Jena, Gustav Fischer, 1885, p. 43 u. 128.
ß cfr. E. Ziegler 1. c.
55
866
Esckle,
in solchen Fällen trotz genauester und wiederholt vorgenommener Unter¬
suchung jede objektive Veränderung an den lehenswichtigen Organen !
Es ist schwer zu glauben, daß das immer an unserer mangelhaften
Beherrschung der Untersuchungsmethoden oder an der Unzulänglichkeit
dieser selbst liegen sollte. Erst geraume Zeit später sehen wir dann
in der einen Reihe solcher Fälle, wie ein Herzleiden immer deutlicher
und deutlicher zutage tritt, und wie in der anderen bei zeitweilig —
wenn auch nicht immer ohne jeden Einspruch seitens des etwas zwangs¬
weise zum Patienten Gestempelten — schließlich doch durchgesetzter
Bettruhe (eventl. auch mäßigem Digitalisgebrauch) nicht nur das er¬
wähnte Symptom schnell schwindet und auch in Lustren, ja Dezennien
nicht wiederkehrt, sondern daß der vordem leicht Hydropische sich
anscheinend auf die Dauer einer uneingeschränkten Leistungsfähigkeit
erfreut.
Da müssen wir uns doch fragen: Wie ist das zu erklären?
Wenn stets pathologische Verhältnisse am Gefäßapparat das
Auftreten von Ödemen verschulden sollen, warum tritt denn
bei anscheinend völliger Integrität des Herzens oder doch
lange vor dem Beginn manifester Erscheinungen das eine
Mal Flüssigkeit, und oft in großelr Menge, in das Gewebe
(z. B. bei akuter Nephritis), das andere Mal trotz größter
Herzschwäche nicht (z. B. bei Sklerose der Kranzarterien,
bei allgemeiner Arteriosklerose, bei schwere)r Albuminurie
oder im letzten Stadium des Diabetes)? Warum fehlen ge¬
wöhnlich Ödeme bei sogenannter typislöher Schrumpfniere,
während sie bei amyloider vorhanden sind? Warum sind bei
Emphysem oder Leberatrophie jeden Ursprungs einmal Hy¬
drops bezw. Aszites enorm, das andere Mal kaum nachweis¬
bar? Warum sammelt sich Ödemflüssigkeit bei akuter Kon¬
gestion und Entzündung bei Vermehrung des Zuflusses
ebenso an, wie bei Erschwerung des Abflusses (z. B. akutem
kongestivem Stauungsödem der Lunge)?
Diese Fragen sind im wesentlichen schon von O. Rosenbach auf¬
geworfen worden und wir sind sie nur zu beantworten imstande, wenn
wir an der Hand seiner Arbeiten die Beziehungen der Herzarbeit zur
Organarbeit ins Auge fassen, vor allem aber nicht außer acht lassen,
daß Gefäßsystem und Parenchym nicht etwas funktionell Gegensätz¬
liches, sondern eine Einheit bilden, und daß besonders das die Kapillaren
umbettende Gewebe keineswegs die lediglich passive Rolle in der Zirku¬
lation spielt, die ihm in der Regel zugesprochen wird.
Es ist nach Rosenbach eine durchaus einseitige Auffassung,
die in der Überschätzung der physikalisch-mechanischen Erklärungs¬
weise physiologischer Verhältnisse begründet ist, wenn man das Herz
einfach für eine Saug- und Druckpumpe, die Blutbewegung ausschlie߬
lich als Effekt der Herzarbeit an sieht und wenn man die Blutgefäße
als Leitungsröhren und das Blut selbst nur als eine Nährflüssigkeit
von einem gewissen spezifischen Gewicht bezw. einem konstanten Gehalt
an Salzen und Albuminaten betrachtet. Rosenbach war der Erste,
der mit dieser Anschauung brach und die These aufstellte, daß der
Blutkreislauf nicht aufrecht erhalten werden könne, wenn nicht die
Tätigkeit des peripheren Protoplasmas resp. der peripheren Organe mit
der des Herzens regelmäßig interferierte, so daß, der Systole der Peri¬
pherie eine Diastole des Herzens entspricht und umgekehrt. Die Blut-
Pathogenese und kausale Therapie der Oedeme.
867
bewegung kommt nach dieser Auffassung zunächst durch eine Peri¬
staltik bezw. saugende Wellenbewegung der Kapillarwände zustande,
die sich auf die Wände der größeren Gefäße und des Herzens f ort¬
pflanzt. Das Herz vermittelt nur, bewirkt jedoch nicht ausschlie߬
lich, ja nicht einmal im wesentlichen die Aspiration des Blutes
aus den Kapillargebieten einerseits oder der Eintrieb in die Kapillar¬
gebiete in dem zentrifugalen Stromgefälle andererseits. Die Kapillaren
selbst sind lediglich Werkzeuge, im besten Falle Synergeten des Proto¬
plasmas, dessen rhythmische Schwingungen sie fortpflanzen ; sie ver¬
halten sich in ihrer Funktion zum Protoplasma wie das Herzarterien¬
system zum Herzmuskel. Die rhythmische Tätigkeit des peripheren
Protoplasmas wird durch verschiedene Momente gefördert : zunächst
durch den arbeitssparenden Faktor des Rhythmus selbst, der in der
Wellenform seinen eklatanten Ausdruck findet, ferner durch Atmung,
Muskelbewegung, durch die Fixation des Organgewebes in den Säcken
seröser Höhlen, kurz durch die Fähigkeit des Organismus, kapillare
Räume von den verschiedensten Dimensionen zu bilden, sie periodisch
zu verkleinern und zu vergrößern, ohne daß das Gewebe in der Tat
aber komprimiert oder zur trägen Masse verdichtet wird. Gerade die
Fixation in den Säcken der serösen Häute hat an der Vollkommenheit der
wunderbaren Leistung der muskulären (hohlen) Organe einenlwes entliehen
Anteil. Es wird so eine eigentümlich stabil-lokale Insertions- resp.
Operationsbasis geschaffen, die die Last so verteilt, daß die vertikale
Komponente des Massendrucks, die Schwere möglichst wenig ihre
dehnende Wirkung auf das Gewebe ausüben kann, sondern der Druck
jeder Welle auf das einzelne Gewebsteilchen enorm gering ist. Bei dem
Zusammenwirken von Druck- und Saugtätigkeit geht die Bewegung
des Inhalts unmerklich in die kraftersparende, tangentiale, spiralig-
lokomotorische über: die Wand wird nur mit einem Partialkomponente
der Schwere belastet. Durch die Beteiligung aller Protoplasmabestand¬
teile bis zu den Gewebszellen an diesem rhythmischen Wechsel von
Systole und Diastole ’ aber wird erst der Austausch der Stoffwechsel¬
produkte, der Kreislauf der Atome, das Ineinanderarbeiten der kleinsten
Protoplasmamaschinen (der „Energeten“ Rosenbaöh’s, gleichsam der
lebenden Moleküle) ermöglicht.
Besonders infolge der spiraligen Anordnung der Gefäßmuskulatur
braucht daher das Herz nur die Kraft für die Überwindung minimaler
Reibungs-- und Übergangswiderstände und zur Bildung der „Signal-
wellen‘‘ zu liefern, die, dem eigentlichen Strome vorauseilend oder rück¬
läufig ihn kreuzend, den Antrieb für Hemmung oder Verstärkung
der Kontraktionen geben. Denn auch die Impulse für die kinetische
Energie verlaufen nach Rosenbac'h nicht ausschließlich nach mecha¬
nischem Schema in den nachweislichen Bahnen des Nervensystems, son¬
dern es handelt sich auch hier um einen sich geschlossenen und immer
zu dem Punkte des Anstoßes wiederkehrenden Kreislauf : um eine Summe
von verketteten Prozessen, gleichsam um ein System von spiralig sich
kreuzenden Bahnen, die den Austausch von Schwingungen und Kraft¬
material. zwischen der Außenwelt und den kleinsten wie den größten
Elementen des organisierten Individuums vollziehen. Das wäre aber
nicht möglich ohne eine Regulation der Oberflächenspannung.
Und diese außerordentlich wichtige, leider bisher fast ganz
übersehene Funktion erfüllt das Hautorgan.
Der auch seinerseits wechselnde Tonus der Haut — einmal als
55*
868 Eschle,
Organ und auf der anderen Seite als Gewebe — hat die Aufgabe,
nicht nur die Aufnahme und Transformation der feinsten EnergLeströme
der Außenwelt, die als mechanische Reize den Betrieb der organischen
Maschine unterhalten, besonders im diastolischen Organtonus während
des nächtlichen Schlafes zu unterstützen, sondern auch seinerseits, wie
alle protoplasmatischen Betriebe durch den rhythmischen Wechsel
des diastolischen und des systolischen Ge web st onus den Kreislauf —
und zwar in ganz hervorragendem Maße — nach zwei Richtungen hin
zu unterstützen: einmal durch Verringerung des Widerstandes für den
Abfluß aus dem arteriellen System und dann durch (reziproke) Er¬
höhung des Druckes für das Quellengebiet der Venen.
Wenn wir uns an der Hand des oben Gesagten vergegenwärtigen,
daß jedes Organ durch gesteigerte Tätigkeit kompensierend für die ver¬
ringerte Tätigkeit eines der andern Faktoren der Zirkulation eintreten
kann, so werden wir neben dem Hauttonus und der Muskelarbeit, die
ja ein bekanntes wichtiges Moment für den Umtrieb des Blutes ist,
namentlich nicht vergessen, welche wichtige Rolle auch die Lungen¬
tätigkeit bei der Aufrechterhaltung der Zirkulation spielt. Durch jede
Inspiration wird die Saugkraft des Herzens ganz außerordentlich ge¬
steigert, während jede Exspiration die Kontraktsfähigkeit des Herzmuskels
beträchtlich erhöht. Nicht minder als die äußerlich zutage tretende
Leistung der Lungen ist aber auch deren innere Gewebsarbeit, durch
welche neben der Bewegung einer größeren Blutmenge auch eine schnelle
und reichliche Sauerstoffaufnahme und -Verarbeitung bemerkt wird, von
der größten Bedeutung. Und gerade in den Fällen, in denen einer der
erwähnten Faktoren teilweise versagt, vermag das vikariierende Eintreten
der Lungen, die regulatorisch in einen Zustand von Hyperämie treten,
kompensatorisch einen Ausgleich für den Ausfall an den andern den
Kreislauf aufrechterhaltenden Kräften zu schaffen — wenigstens
so lange der interorganische Verkehr noch nicht wegen völligen Da-
niederliegens der periodischen Gewebstätigkeit und des Hauttonus, von
dem diese abhängt, total zum Stocken gekommen war.
Das führt uns auf die Frage der Zusammenhänge von aktiver und
passiver Hyperämie mit dem Ödem, die wohl etwas komplizierter sind,
als man es gemeinhin annimmt.
Beide Male handelt es sich ja um ein Mißverhältnis zwischen
Zufuhr und Abfuhr. Dieses ist bei der Kongestion der aktiven Hyper¬
ämie dadurch bedingt, daß ein innerer Reiz gewissermaßen durch Aus¬
schaltung des kongestionierten Gewebes zugunsten der intraorganischen
(parenchymatösen) Betätigung das harmonische Verhältnis zwischen dieser
und dem interorganischen Verkehr stört. Die Kongestion als Reaktion
steht jenseits von Gut und Böse: sie kann den Reiz eliminieren, aber
auch über das gerade erforderliche Maß hinausgehen. Je mehr das sonst
leistungsfähige Gewebe durch die im letzteren Fall nutzlose Mehrarbeit
den Widerstand in der Venenbahn zu überwinden sucht, desto mehr
Blut nimmt es in der entsprechend verstärkten Phase der diastolischen
Spannung, die erst allmählich zur Erschlaffung wird, auf und verarbeitet
es. Desto mehr füllen sich aber auch durch akuteste maximale Tätig¬
keit die nächstliegenden Reserveräume mit Betriebsflüssigkeit, die durch
die charakteristische Anhäufung mobilisierter Rundzellen als entzünd¬
liches Ödem charakterisiert ist.
Der Sitz und die Form der Störung wird beim entzündlichen Ödem
durch den lokalen (Gewebs-) Reiz bestimmt, man kann es als primäres
Pathogenese und kausale Therapie der Oedeme.
869
Ödem gegenüber dem sekundären, kollateralen bezeichnen, wie
es sich bei der Beteiligung größerer Kapillar- oder richtiger Protoplasma¬
gebiete in den vom Sitz des Reizes mehr oder weniger entfernten Be¬
zirken einstellt, z. B. in denjenigen Abschnitten der Lunge, in denen die
Zirkulation keine direkte Hemmung erfährt, wenn etwa ein pneumonisches
Exsudat einen Lungenabschnitt füllt oder ein Thrombus die Arterie ver¬
stopft. Das Odem, das in den anscheinend gesunden Teilen plötzlich
auftritt, hat in den Verhältnissen der Blutzufuhr, vor allem in der
Gemeinsamkeit des zuführenden Blutkanals und in der kompensatorischen
Inanspruchnahme der kollateralen Gebiete seinen Grund. Es ist hier —
um einen Vergleich Rosenbachs zu gebrauchen — nicht anders wie
bei der plötzlichen Bewässerung größerer Gebiete. Wenn z. B. nach
längerer Trockenheit ein Fluß anliegendes Land überschwemmt, so kann
ein Teil für einige Zeit so viel Wasser zugeführt bekommen, daß die im
Boden wirksamen motorischen Kräfte für die Versickerung nicht aus¬
reichen und daß hier Überschwemmung eintritt. Die Analogie mit den
Verhältnissen bei der Entstehung des Ödems ergibt sich leicht, wenn
dieses auch keineswegs nur auf dem rein mechanischen Wege zustande
kommt, wie die Überschwemmung, sondern auf Grund einer schon beim
primären Odem erwähnten, entsprechend stärkeren lokalen Tätigkeit des
Gewebes, auf die aber unten noch eingegangen werden wird.
Im Gegensatz zu der arteriellen regionären Hyperämie steht die durch
übermäßige interorganische Abflußwiderstände bedingte venöse oder Stau¬
ungshyperämie. Die geweblichen Kräfte sind hier nicht imstande,
die erforderliche Quote interorganischer Arbeit für die Überwindung des
herzwärts gelegenen Widerstandes für den Abfluß aufzubringen und es
kommt zu Ödemen. Aber auch hier werden nicht etwa die wässe¬
rigen Bestandteile des Blutes einfach durch die Wandungen
gepreßt, sondern primär aus der absoluten Insuffizienz der
Protoplasmaelemente und aller Spannungen oder erst sekundär
aus der Erschöpfung durch die ihm zugemutete abnorm gestei¬
gerte Leistung resultiert die veränderte Arbeit des Gewebes,
die sich in der mangelnden Fähigkeit dokumentiert, das W asser
in der gewöhnlichen Weise gebunden zu erhalten, zu akti¬
vieren. Im Gegensatz zum Ödemwasser ist das im Körper zirkulierende
oder in den Geweben Arbeit leistende Wasser aktiv, aktiver als in ver¬
dünnten Lösungen. Es entspricht etwa dem Energiezustande bei chemischen
Reaktionen, wo beständig Wasser zersetzt oder zusammengesetzt wird
(d. h. wo sich die Atome in labilster Spannung befinden), bzw. dem Zu¬
stande komprimierter Gase oder des gespannten Dampfes. Das Ödem¬
wasser geht in den tropfbar flüssigen Zustand über und wird
in den sich zu Hohlräumen erweiternden Gewebsspalten vorder¬
hand deponiert.
Der Fehler unserer ganzen Anschauungen über das Wesen der
Zirkulation und ihrer Störungen beruht ja, wie bemerkt, darin, daß uns
immer die mechanischen Verhältnisse eines Pumpwerks vor Augen
schweben, und die Inkonsequenzen unserer Auffassung beruhen zum
ganz wesentlichen Teile darauf, daß wir in diesem supponierten Pump¬
werke unter normalen Verhältnissen einen kontinuierlichen Druck
voraussetzen.
Kontinuierlicher Druck, der durchweg von größtem Vorteil für ein
offenes System ist (d. h. für ein System, das an der Öffnungsstelle
andere Druckverhältnisse bietet) bedeutet einen Nachteil für ein ge-
870
Eschle,
schlossenes, wie es der Kreislauf darstellt. Wenn das Herz sich kon¬
trahiert, müssen die Arterien sich erweitern, wenn die Arterien sich
kontrahieren, muß das Gewebe sich erweitern (sich diastolisch spannen);
wenn das Gewebe sich kontrahiert, müssen die Venen bzw. die Vorhöfe
sich erweitern. Wenn die Vorhöfe sich kontrahieren, muß der Ventrikel
sich ad maximum dilatieren.
Wenn die diastolische Oberflächenspannung, das Espansionsbestreben
im Gewebe und in der Haut, die dilatative (Hohlräume schaffende)
Fähigkeit gegenüber dem aggregierenden Drucke der Außenwelt abnorm
niedrig geworden ist, muß also die Propul sivkraft für den rückläufigen
Strom sinken.
Die Ausbildung von Ödemen steht also stets im Zusammen¬
hänge mit dem Nachlaß des Tonus der Haut und des Druckes
in der Oberfläche des Körpers, mit der Verringerung der
konzentrischen, periodischen (systolischen) Wirkung des
Hautorgans. Und zwar gilt das auch für die durch über¬
mäßigen Zufluß von Blut und Beizen oder durch besondere
Steigerung des Arterien druckes bedingte kongestive bzw.
entzündliche Form.
Durch den Nachlaß des Tonus werden hier Reserveräume ge¬
schaffen, in die die Flüssigkeit austritt, um doch wieder im Bedarfsfälle
zur Füllung des Venensystems und der Lymphräume, also zum schnellen
Ausgleich von Druckunterschieden oder als Hilfsmittel bei Veränderung
des inneren geweblichen Betriebes (als Lösungswasser) zur Disposition
stehen.
Da nun das Blut als das kostbarste Material natürlich nicht direkt
in die dem Verkehr entzogenen Bäume hineingepreßt wird, sondern
erst, nachdem es dem Bedürfnis des (Gewebs)-Stoffwechsels genügt hat,
so bleibt in den Gewebslücken nur das Material zurück, dessen Trans¬
port zum Herzen temporär am wenigsten notwendig ist, durch dessen
Zurückhaltung aber die Arbeit für den Transport und die sonstige Be¬
einflussung der Blutmassen wesentlich erleichtert wird, nämlich das
Wasser. Zum rechten Herz und der Lunge kehrt so, sobald die Inten¬
sität des Umtriebes unter der mangelhaften Funktion des Hauttonus zu
leiden beginnt, ein entsprechend konzentriertes Blut zurück und das Ge¬
webe vollzieht seinen Stoffwechsel gleichsam auf kürzestem Wege
und direkt, indem jeder Reserveraum gleichsam als Exkretionsraum
dient, wohin ein Teil der eliminierbaren Substanzen (geringe Mengen
von Harnstoff, Albumen usw.), vor allem aber das augenblicklich nicht
notwendige Wasser ausgeschieden werden.
Wenn man von der Vorstellung ausgeht, die Gefäßwände verhielten
sich wie tierische Membranen, welche eine eiweißarme Flüssigkeit leichter
als eine eiweißreiche hindurchfiltrieren lassen, so kann man sich vor
allem das hydrämische oder kachektische Ödem nicht erklären.
Jene Anschauung ist s. Z. schon von Cohnheim aufs schärfste be¬
kämpft worden. Eine experimentell erzeugte Hydrämie hat kein Ödem
zur Folge, und wenn man, wie das u. a. Ziegler in seinem verbreiteten
Lehrbuche besonders hervorhebt,1) durch Überfüllung des Gefäßsystems
mit verwässertem Blute eine Steigerung der Transsudation aus den Ge¬
fäßen und auch wohl Ödeme erzielen kann, so treten diese Ödeme ein¬
mal erst bei sehr hohem Wassergehalte des Blutes auf, sodann entwickeln
b vgl. Ziegler 1. c. p. 44.
Pathogenese und kausale Therapie der Oedeme.
871
sie sich aber auch nicht an den nämlichen Stellen, wie die sogen, hydra¬
ulischen Ödeme beim Menschen. Wir müssen daher zum mindesten für
die Ödeme der Kachektischen, sowie für die der Nephritiker bzw. von
solchen Individuen, deren Nierensekretion gestört ist, eine andere Er¬
klärung suchen. Nach Cohnheim sollten sie wesentlich einer Alteration
der Gefäßwände ihre Entstehung verdanken, und zwar einer Alteration,
die entweder durch die hydrämische Beschaffenheit des Blutes oder durch
ein im Blute zirkulierendes Gift veranlaßt sein sollte. Eine für diese,
aber zugleich auch für alle anderen Fälle von Hydrops akzeptable Er¬
klärung gab uns jedoch erst O. Rosenbach, der, wenn auch Schüler
Cohnheims und diesem persönlich besonders nahestehend, doch schon
frühzeitig durchaus eigene Wege der Forschung einschlug. Rosenbach
konnte, nachdem er sich aus eigener Erfahrung von der Unmöglichkeit
überzeugt hatte, das schwierige Problem auf dem Wege des Tierexperi¬
ments endgültig zu lösen, durch unanfechtbare Schlußfolgerungen aus
der kritischen Beobachtung eines überaus reichen Krankenmaterials die
Lehre aufstellen, daß nicht in der herabgesetzten Elastizität der Gefäße,
sondern in dem sie umschließenden Protoplasma und seinen wieder vom
Hauttonus abhängenden periodischen Spannungsphasen die eigentliche
Ursache der Wasseransammlungen zu suchen, und daß der enorme Wasser¬
überschuß im Gewebe nur ein Indikator für die durch diese patholo¬
gischen Spannungsverhältnisse bedingten Insuffizienz des gesamten Proto¬
plasmas, d. h. der unzureichenden Fähigkeit, Wasser zu aktivieren, und
des hieraus wiederum resultierenden Defizits in der Leistung mechani¬
scher Arbeit ist. Nicht der kachektische Prozeß an sich ist danach
die letzte Ursache des Ödems - — sonst müßte ja auch die Krebs¬
kachexie als solche und unabhängig vom Sitz des Leidens weit häufiger
Ödeme mit sich bringen — , sondern die tiefgehende Beeinflussung des
Parenchyms des Hautorgans, die erst die Gewebsstörung oder die Blut¬
anomalie (den nephritischen Prozeß oder die Veränderung in der Zahl
der weißen Rundzellen, die wir als Leukämie bezeichnen) hervorruft.
Nicht erst infolge des sich auch pathologisch-anatomisch dokumentie¬
renden Symptoms, sondern nebenher und — soweit es sich um einen
(in Anbetracht der individuellen Leistungsfähigkeit) tatsächlichen Exzeß
der Regulation handelt, sogar trotz desselben kommt es zu hydrä-
mischem Ödem.
Herz, Gefäßsystem und Körperprotoplasma wirken zu¬
sammen einerseits als Komponenten der Zirkulation, andrer¬
seits aber auch als Bildner kapillärer, .oder richtiger luft¬
leerer Räume, in die die Abscheidung des für den Betrieb
zeitweilig nicht verwendbaren Wassers erfolgt.
Wie das Herz aber sekundär in Mitleidenschaft gezogen wird, so¬
bald die tonischen und kraftliefernden Einflüsse an der Peripherie in¬
suffizient werden und ihm wegen primären Versagens der Leistung —
selbst in den Ruheperioden bzw. im Schlafe — nicht mehr Betriebs¬
material in hinreichender Spannung, vor allem mit dem Sauerstoff in
lockerster molekularer Bindung vereinigtes (und daher mit dem gewöhn¬
lichen keineswegs identisches) Wasser zufließen lassen, so leidet natürlich
auch umgekehrt der periphere Betrieb, sobald ihm vom Herzen resp.
von den Lungen her nicht mehr die nötige tonische und rhythmische
Beeinflussung zuteil wird.
Mit anderen Worten: die sich im Ödem kundgebende
Anomalie des Hauttonus ist nicht ausschließlich und nicht
872
Fritz Reuter,
immer die Folge der beeinträchtigten Herzarbeit, sondern oft
finden wir geradezu das umgekehrte Verhältnis — das Herz
beginnt zuweilen erst infolge der Erschwerung des Blutum-
triebes und damit seiner eigenen Versorgung mit Spannkraft¬
materialien in größerem oder geringerem Grade insuffizient
zu werden. (Fortsetzung folgt.)
Milchüberfluß eine häufige Ursache des vorzeitigen Abstillens.
Von Dr. med. Fritz Reuter, Kalk-Köln.
Eine recht häufige Ursache für das vorzeitige Entwöhnen des
Brustkindes ist — so paradox das klingen mag — Milchüberfluß bei
der Mutter. Wenigstens hier am Rhein, wo die Bevölkerung und be¬
sonders auch die Frauen des Mittelstandes und der besser gelohnten
Arbeiterkreise sich im allgemeinen, in erster Linie aber während der
Schwangerschaft, im Wochenbett und während des Stillens, recht gut
und vor allem recht reichlich ernähren. Besonders Überernährung der
Mutter mit Eiern und Milch ist eine sehr häufig zu beobachtende Er¬
scheinung. Auch der Alkohol spielt dabei eine wichtige Rolle, als
Kognak, „Blutwein“ und vor allem als Bier. Kognak mit Ei zum ersten
Frühstück, Rotwein zum zweiten, und recht viel Bier zum Mittag-
und zum. Abendessen (wenn möglich als Malzbier) gilt fast als Regel.
Die Folge ist dann in vielen Fällen ein Überreichtum an Mutter¬
milch, dem das Kind nicht oder doch nicht ohne Störung der Verdauung
gewachsen ist. Ohne schädliche Folgen für das Kind bleibt dieser
Überreichtum dann, wenn dasselbe nicht mehr trinkt, als ihm zukommt,
was jedoch zu den Seltenheiten gehört. Auch dann tritt meist eine
Störung des Befindens beim Säugling nicht ein, wenn derselbe — in
größerer Einsicht als seine Mutter, möchte man sagen — den Überfluß
wieder von sich gibt. „Speikinder — Gedeihkinder!“ sagt in guter
Beobachtung ein altes Sprichwort.
In den meisten Fällen dagegen nimmt der arme Säugling in seinem
Unverstand ruhig die ihm gebotenen Mengen an. Daß solche Mütter
ihre Kinder alle 1 — 2 Stunden tagsüber und jedesmal für eine halbe
Stunde trinken lassen, während die unglücklichen Würmer dann meist
auch noch die ganze Nacht an der Brust der Mutter liegen, ist wahr¬
lich keine Seltenheit. Wenigstens kommt es in den meisten Fällen
dieser Art sehr schnell dahin und zwar auf folgende Weise. Durch
die Unmengen von Nahrung bekommt das Kind sehr bald Beschwerden,
der Leib ist hart, prall gespannt, der Magen aufs äußerste gedehnt,
oft sogar überdehnt. Das arme Wurm wälzt sich ruhelos auf seinem
Lager oder zieht, wenn es das infolge der festen Wickel nicht kann,
die Knie an den Leib und schreit. Tag und Nacht kann es keinen
Schlaf finden und wird deshalb von der Mutter umhergeschleppt und
— in Ermangelung der heute glücklicherweise überwundenen Wiege — -
auf den Armen gewiegt. Vor allem gleich nach dem Trinken sind die
Beschwerden am heftigsten, deshalb schreit ein derartiges Kind ganz
besonders nach dem Trinken. J a oft läßt es schon während des Trinkens
häufiger die Brust los, um zu schreien. Das ist nun für die Ange¬
hörigen der sicherste Beweis, daß das Kind „nicht genug“ bekommen hat.
Nun wird zunächst die Mutter noch mehr wie bisher gemästet,
wenn möglich, muß sie noch einige Eier und noch einen Liter Milch
mehr in sich hineintrichtern. Vor allem aber das Kind! Es kommt
Milchüberfluß eine häutige Ursache des vorzeitigen Abstilllens.
873
jetzt fast gar nicht mehr von der Brust. Sowie es schreit — und es
schreit fast ununterbrochen — wird es angelegt und das arme Wurm
in seiner Verzweiflung trinkt und trinkt, aber die Schmerzen wurden
nur immer schlimmer, das Schreien infolgedessen immer heftiger. Häufig
wird es dann, sobald es die eine Brust leer getrunken hat, sofort noch
an die zweite gelegt und oft genug wird dann, wenn dadurch natürlich
nichts gebessert wurde, hinterher noch Hafergrütze und ähnliches dabei
gefüttert, bis das Kind schließlich früher oder später ernstlich krank
wird, Erbrechen und Durchfall bekommt, nachdem vorher der Stuhl
des überfütterten Kindes meist ziemlich fest gewesen war, und nun
vielleicht endlich einmal der Arzt gefragt wird, der dann, wenn ihm
derartige Fälle bekannt sind, meist sehr leicht den Sachverhalt durch
einige Kreuzfragen feststellen kann, während ihm der prallgespannte
Leib des Kindes, der massenhafte, meist nur halb verdaute Stuhl und
die noch reichlichere Urinentleerung eine weitere Bestätigung gibt.
Bei den Angehörigen begegnet er zunächst allerdings einem sehr
energischen Schütteln des Kopfes, wenn er erklärt : ,,Das Kind hat zu¬
viel bekommen, es muß deshalb jetzt einmal recht knapp gehalten
werden“. Häufig genug wird auch sein Bat zunächst nicht oder nur
unvollkommen befolgt aus Furcht, das arme Kind müsse verhungern.
Wird er aber befolgt, dann ist auch, wenn das Kind noch nicht zu
sehr in Grund und Boden verdorben ist, der Erfolg meist ein geradezu
überraschender. Das Kind wird ruhig, findet endlich einmal erquicken¬
den Schlaf und ist oft schon nach 1 — 2 Tagen völlig verwandelt. In
ganz schlimmen Fällen habe ich derartige Kinder zunächst für 24 Stun¬
den nur auf Tee gesetzt und dann nur dreimal täglich, später dann
fünfmal nicht länger als höchstens 10 Minuten anlegen lassen. In
gleicher Zeit muß man dann allerdings für eine Einschränkung der
Milchproduktion bei der Mutter durch starke Verringerung der Flüssig-
keitsmengen in der Uahrung Sorge tragen, wenn man nicht, wie ich
es mehrfach in solchen Fällen mit gutem Erfolge versucht habe, die
Mutter noch ein zweites Kind, dem durch vorzeitige Entwöhnung die
Milch der eigenen Mutter unnötigerweise entzogen wurde, nebenbei
schenken lassen will. Man schlägt dann zwei Fliegen mit einer Klappe
und hat die größere Gewißheit, daß nicht so leicht ein Bückfall erfolgt.
Anders natürlich, wenn — namentlich in den heißen Sommer¬
monaten — schon eine schwerere Verdauungsstörung besteht. Dann
hält es bei solchen überfütterten Brustkindern mitunter ebenso schwer,
wie bei dyspeptischen Flaschenkindern, eine normale Verdauung wieder
herzustellen.
Daß ein derartig überfüttertes Brustkind in heißen, schwülen
Sommertagen plötzlich an einem Hitzschlag zugrunde geht, habe ich
mehrfach erlebt. Solche Fälle sind besonders dann recht traurig, venn
die betreffenden Kinder vorher noch nicht ernstlich erkrankt waren, viel¬
mehr infolge ihres übermäßigen Fettansatzes bei den Eltern als ganz
besonders gesund und kräftig galten.
In den allermeisten Fällen von derartiger Überernährung bei Brust¬
kindern kommt es aber gar nicht zu einer ernsteren Erkrankung des
Kindes, solange es die Brust bekommt, weil dasselbe — und damit komme
ich auf die in der Überschrift angedeutete paradox erscheinende Be¬
obachtung — schon vorher infolge des Überreichtums an vorhandener
Muttermilch entwöhnt wird !
Das Kind schreit ununterbrochen, es schreit, wie die Angehörigen
874
S. Leo,
annehmen, weil nicht genug Nahrung vorhanden ist, mithin wird es
von der Brnst getan. Tnt das die Mutter nicht aus eigenem Antriebe,
so geschieht es auf Veranlassung des Ehemanns, der seine Nachtruhe
haben will, oder die Großmütter und Tauten gehen den weisen Bat, der
bekanntlich von den unerfahrenen Frauen viel strenger befolgt wird,
als der des Arztes. Die freundwilligen Nachbarinnen erklären, sie
hätten das von vornherein gewußt, daß die Frau zum Schenken ,,zu
schwach“ sei und so wird denn, mitunter vielleicht ungern, meist aber
ganz gern, das Kind entwöhnt, denn der Bat leuchtet der Mutter ohne
weiteres ein, namentlich, wenn ihr dann auch noch klar gemacht wird,
daß die Muttermilch dem Kinde ja augenscheinlich ,, nicht bekomme“.
So wird denn nun dem bisher entsetzlich überfütterten Kinde in der
Eiasche eine genau abgemessene Portion gereicht und — siehe da ! —
das Kind schreit nicht mehr. Also die guten Tanten hatten recht!
Es ist nicht satt geworden, das arme Kind !
Der weitere Verlauf des Falles hängt dann meist von der Jahres¬
zeit ab. Kommen die heißen Sommermonate, so wird der Säugling
krank und dann erst bekommt in den meisten Fällen der Arzt das
Kind zu sehen. Fragt er dann, woraus man denn geschlossen, daß es
nicht genug Nahrung erhalten habe, so hört er, daß es immer ge-
schrien habe usw. Fragt er dann weiter, ob sich das Kind, solange
es nur die Brust bekam, wohl immer viel naß gemacht habe, dann
bekommt er meist die stereotype Antwort: ,,Oh ja, bis unter die Arme!“
Und seitdem es die Flasche bekommt, macht es sich nicht mehr soviel
naß. Der Fall liegt also sehr klar, aber nicht immer gelingt es, die
Mutter von der begangenen Torheit zu überzeugen und in den meisten
Fällen ist es ja auch viel zu spät für eine Beiakt ation, obwohl es - — -
den guten Willen der Mutter vorausgesetzt — auch nach 4 — 6 Wochen
stets noch wenigstens versucht werden sollte, die Funktion der Brust¬
drüse wieder in Gang zu bringen. Nach 2 — 3 Wochen ist mir das
mehrfach noch gelungen und es sind ja Fälle bekannt geworden, wo es
noch nach 8 — 10 Wochen erreicht worden ist. Aber guter Wille und
Verständnis muß bei der Mutter vorhanden sein, sonst ist alles ver¬
gebliche Mühe.
Wiener Brief.
Ein Sammelberickt. — Von Dr. S. Leo.
In der feierlichen Jahressitzung der „Gesellschaft der Ärzte“,
die zum Schlüsse des Wintersemesters stattfindet, warf. Prof. v. Berg¬
meister einen Biickblick auf die vergangene Vortragssaison. Es fan¬
den 31 Sitzungen statt, in denen insgesamt von 122 Mitgliedern 130 De¬
monstrationen und 25 Vorträge abgehalten und 14 Mitteilungen gemacht
wurden. Besonders hebt B. den Fest vor trag über den Antagonismus der
Gifte hervor, die Vorträge über orthotische resp. lordotische Albuminurie,
über die Tätigkeit der innersekretorischen Organe in der Schwangerschaft,
über den Antagonismus sjunpathischer und autonomer Nerven in der
inneren Sekretion, über experimentell erzeugte Verlängerung der Trag¬
dauer bei Kaninchen, über Tuberkuloseschutzimpfung beim Binde, über
die fortlaufende Bestimmung der Beaktionsfähigkeit auf Tuberkulin
während der Masern, über Anaphylaxie, über die photo-dynamische
* hämolytische Wirkung chlorophyllhaltiger Pflanzenextrakte, über die
Spirochäten der Syphilis, über Pappatacifieber, über Hepatoptose, über
Blutdruckmessung, über eine neue Theorie des erworbenen Platt- und
Wiener Brief.
875
Klumpfußes, über Technik und Bedeutung des1 Wassermann’schen Ver¬
fahrens, über Volumsveränderungen des Herzens, über den Einfluß der
Nebennierenexstirpation bei Hunden auf den Blutzucker, über den der¬
zeitigen Stand der Diagnose und der ätiologischen Therapie der Cholera
asiatica, über Herzbeengung, über Skrofulöse, über Hepatotoxin, über
Tetanie, über die Funktion der Epithelkörperchen, über Eunuchoide usw.
Ein Mitglied berichtete über die Wirkung des Hypophysisextraktes
auf die Gefäßwand verschiedener Gefäßbezirke. Die Zahl der günstig
verlaufenen Operationen bei Hypophysentumoren mit Rückgang der
Skelettveränderungen und Wiederkehr der Genitalfunktionen resp. Ent¬
wicklung der rückständig gebliebenen Genitalentwicklung wird größer.
Andererseits wurde über einen Fall berichtet, bei dem auf Grund
genitaler Überentwicklung intra vitam die Diagnose auf Zerstörung der
Zirbeldrüse gestellt, und diese nekroskopisch bestätigt wurde. Daneben
beschäftigte sich die Gesellschaft auch mit allgemein hygienischen
Fragen. Zur Verhütung und Ausbreitung der Geschlechtskrankheiten
wurde eine populäre Broschüre : An unsere Frauen, Belehrungen und
Mahnungen, verfaßt ; ferner wurde ein Komitee für die Phosphorfrage
eingesetzt, und sein Bericht an die zuständigen Behörden, ferner an das
Abgeordneten- und Herrenhaus gesendet, ebenso ein Komitee zur Be¬
ratung und zeitgemäßen Reform des Ammenwesens.
Oskar Hirsch demonstrierte eine neue Methode für die endo-
nasale Operation von Hypophysentumoren. Bei einem ge¬
schlossenen, nicht enthirnten Schädel hat H. durch das linke Nasen¬
loch die mittlere und obere Muschel entfernt, das ganze Siebbein aus¬
geräumt, und die vordere Wand der linken Keilbeinhöhle in toto frei¬
gelegt und abgetragen. Diese Eingriffe bilden zusammen eine Opera¬
tionsmethode, die von Doz. M. Hajek zur Behandlung des chronischen
Keilbeinhöhlenempyems angegeben wurde und heutzutage vielfach aus¬
geführt wird. Nach diesen Eingriffen konnte H. die Keilbeinhöhle
übersehen und die Sella turcica zu Gesicht bekommen, worauf er mit
einem schmalen Meißel eine Öffnung im Knochen der Sella turcica
anlegte und mit einer Knochenstanze erweiterte. Die Operation voll¬
zieht sich also nach H. folgendermaßen: Unter Kokainanästhesie wird
in einer ersten Sitzung die mittlere Muschel entfernt, nach einigen
Tagen in einer zweiten Sitzung, ebenfalls in Kokainanästhesie, das
vordere und hintere Siebbein ausgeräumt. Nach einer weiteren Pause
von einigen Tagen wird wieder in Kokainanästhesie die vordere Keil¬
beinwand in toto abgetragen und eventl. unter Einschaltung einer noch¬
maligen Pause von mehreren Tagen die Eröffnung des Hypophysen¬
wulstes und die Schlitzung der Dura vorgenommen. Diese Methode
war bloß bei solchen Tumoren anzuwenden, die tief in die Keilbein¬
höhle herabreichen. In der Diskussion hebt Hajek die Schwierigkeiten
der neuen Methode hervor: Um zur Hypophyse zu gelangen, ist es
am zweckmäßigsten, die Knochenwand der Sella turcica in der Mitte
und nicht an den seitlichen Teilen zu entfernen, wo man mit dem Sinus
cavernosus in gefährliche Kollision gelangen kann. Um dies tun zu
können, müßte man beiderseits endonasal die Keilbeinhöhle freilegen,
und überdies noch die hintere Partie der Nasenscheidewand entfernen.
Auf endonasalem Wege sind hierzu mindestens 5—6 operative Ein¬
griffe mit Zwischenpausen von je 3 — 5 Tagen nötig. Aber selbst
dann stellen sich große technische Schwierigkeiten entgegen, nämlich
1. die beschränkte Zugänglichkeit durch ein Nasenloch und 2. die
876
S. Leo,
relativ große Distanz von der äußeren Nasenöffnung bis zum Dach
der Keilbeinhöhle. Egon Ranzi weist darauf hin, daß das Indikations¬
gebiet für die Hirsch’sche Methode ein sehr beschränktes ist. Denn
H. operiert nur dann, wenn die Sella weit in die Keilbeinhöhle vor¬
springt. Unter 5 von Eiseiberg operierten Fällen war dies zweimal
der Fall. Ferner ist die Gefahr der Meningitis eine viel größere.
Julius Tandler warnt vor einer eventuellen Optikusverletzung.
Artur Schüller bemerkt, daß, nachdem bereits Bartels darauf hin¬
gewiesen hatte, daß bei der Häufigkeit des Vorkommens breiig-flüssiger
Beschaffenheit der Hypophysentumoren eine einfache Punktion des¬
selben vom Bachendach aus einen genügenden operativen Eingriff dar¬
stellen dürfte, es wohl berechtigt war, eine analoge palliative Operation
von der Nase aus in Vorschlag zu bringen. Diese Methode bietet,
wrie Sch. sich röntgenologisch überzeugt hat, günstige Chancen.
0. Hirsch erwidert im Schlußworte zuerst Hajek, daß nicht das
Problem vorliegt, die Schädelbasis in ausgedehntem Maße freizulegen ;
es genügt eine relativ kleine Öffnung im Hypophysen wulst anzu¬
bringen; auch bei den nach Schloffer operierten Fällen ist es nicht
gelungen, den Hypophysentumor vollständig zu entfernen ; schon eine
partielle Entfernung zeitigte günstige Resultate. Hohenegg selbst
hat empfohlen, eine möglichst kleine Öffnung im Hypophysenwulst
anzulegen, da diese für die Einführung eines scharfen Löffels und
zur Entfernung des meist breiigen Tumors genügend ist. Die Eröffnung
der Keilbeinhöhle wird in Etappen ausgeführt, ohne daß eine stärkere
Blutung auftritt ; selbst eine Tamponade ist entbehrlich. Gegenüber
Ranzi bemerkt er, daß bezüglich einer drohenden Meningitis eine Vor¬
aussage nicht gut möglich ist. Die Gefahr einer Optikusverletzung
ist nicht so groß.
Rosthorn kam in Fortsetzung seiner Antrittsrede auf das Auf¬
treten von Hyperalgesie im Bereiche bestimmter segmentaler
Haut zonen bei Erkrankungen viszeraler Organe zu sprechen. Ihr Ent¬
decker, Tie ad, behauptet, daß den inneren Organen vor allem der Lokali¬
sationssinn fehlt ; sie verhalten sich ganz analog den Hautabschnitten,
deren Schmerzempfindung wesentlich herabgesetzt ist. Der das Organ
betreffende Reiz wirkt nach jenem Rückenmarkssegment, von dem seine
sensiblen Nerven herstammen. Dort kommt er in nahe Beziehung zu
den Schmerzempfindungsbahnen, die der Körperoberfläche angehören,
und aus demselben Segment stammen. Aber das Lokalisationsvermögen
der letzteren übertrifft das der inneren Organe derart, daß das Diffusions¬
gebiet gewissermaßen durch einen Urteilsfehler in den Bewußtseins¬
kreis gelangt und der Schmerz auf die Körperoberfläche anstatt auf
das tatsächlich erkrankte Organ bezogen wird. Außer dieser Steigerung
der Hautempfindlichkeit für Schmerzen rufen viszerale Erkrankungen
auch solche für Hitze und Kälte, niemals jedoch eine einfache Be¬
rührungsanästhesie hervor. Die Beziehungen zu den trophischen Nerven¬
bahnen finden ihren Ausdruck in analog ausgebreiteten trophischen
Störungen (segment al ausgebreiteter Herpes zoster). Auf eine analoge
gesetzmäßig kausale Beziehung zwischen Erkrankung der vegetativen
Organe und ausstrahlenden konsensuellen Störungen hat Kyri hinge¬
wiesen. Er betonte hierbei die Beziehungen des Sympathikus zu Motili¬
tätsstörungen, Tonuslähmungen, für welche gewisse anatomische Be¬
funde, so der Nachweis sympathischer Elemente in den Spinalganglien
maßgebend sein dürften. In Fällen von Ovarie lassen sich nach Kyri
Wiener Brief.
bei exakter Prüfung die oberflächlich gelegenen Druckschmerzpunkte
an jenen Stellen nach weisen, an denen die Rami perforantes die faszielle
Bekleidung der Bauchwandmuskeln durchbrechen, um die Haut mit
sensiblen Ästen zu versorgen. Andere derartige Durohbruchsstellen
sind die des N. cutaneus fein. ext. und der N. cun. superiores. Ana¬
tomisch entspringen diese Haut äste aus den Wurzeln des 12. dorsalen
und 1. und 2. Lumbalnerven. Diese stehen wieder mit den renalen
bezw. spermatikalen Ganglien, von denen die Ovarialnerven abgehen,
in Verbindung. Auch die Kreuz- und Rückenschmerzen machen sich
immer in jener Höhe geltend, in der diese Nerven mit dem mitaffizierten
Rami communicantes in Verbindung stehen. Für den Gynäkologen
kommt hier zunächst der Eiersitock in Betracht, Von dem nor¬
malen Organ geht, wenn es bei bimanueller Untersuchung stärker kom¬
primiert wird, kein Schmerz, aber eine unangenehme eigentümliche Sen¬
sation aus, die mit der durch Kompression des Hodens verglichen zu
werden pflegt. Bei den Operationen erscheint der Eierstock vollkom¬
men unempfindlich. Dagegen ist die Abbindung des Stieles schmerzhaft
und kann sogar Shokerscheinungen im Gefolge haben. Die Kompression
des entzündlich erkrankten Organes läßt einen ganz bestimmten Schmerz
entstehen, der wie der spontane Organschmerz, von der Pat. deutlich
nach der Lendengegend, zuweilen auch in die Gegend oberhalb oder
seitlich vom Nabel verlegt wird. Der Schmerz wird demnach nach
der 10. He ad’ sehen Dorsalzone reflektiert. Die Charcot’sche Ovarie
hat mit dem Ovarium nichts zu tun. Sie dauert trotz erfolgter Kastra¬
tion hartnäckig fort und kommt auch bei Männern vor. Bei ausge¬
sprochenem Tiefstände der Ovarien in die Dou g 1 as’sche Tasche wird
über einen eigenartigen Zerrungsschmerz geklagt. Nach Olshausen
ist das eine echte Ovarialneuralgie ; andere bestreiten dies. Wenn die
Eierstöcke in Adhäsionen eingehüllt sind (Perioophoritis), dann ist die
bimanuelle Tastung zuweilen recht empfindlich.
Ebenso stellt sich der normale Eileiter als vollkommen unemp¬
findliches Organ dar; der entzündlich erkrankte ruft ebenso wie der
Eierstock bei Kompression eine bestimmte Schmerzkategorie hervor
(Martins Zeichen). Derselbe wird an der Haut analog den Verhält¬
nissen beim Nebenhoden nach der 11. und 12. Dorsalzone Head’s pro¬
jeziert. Der Organschmerz kann bei Salpingitis sehr heftig werden ;
die Tubenkolik ist eine Art Kontraktionsschmerz, beruhend auf Zu¬
sammenziehung der hypertrophierten Tubenmuskulatur infolge der an¬
dauernden Bestrebungen zur Ausstoßung des angestauten eitrigen In¬
halts. Hydrosalpinxsäcke sind meist ganz unempfindlich. Die Ruptur
eines tubaren Fruchtsackes wird oft gar nicht bemerkt, indes die Aus¬
stoßung des Eies beim tubaren Abortus einen Schmerz, auslöst, der
von bereits Geborenhabenden mit dem Wehenschmerz bei der gewöhn¬
lichen Fehlgeburt verglichen wird. Die geringe oder gänzlich fehlende
Empfindlichkeit der Scheide und der Portio vagin. sind bekannt. Selbst
schwere Schädigungen, z. B. durch zu große Pessarien (Druckdekubitus),
werden gar nicht bemerkt, es sei denn durch den hartnäckigen Aus¬
fluß. Zur Ausführung plastischer Operationen bedarf es zumeist nicht
einmal der lokalen Anästhesie, wenn nicht der Scheideneingang oder
der Damm in Betracht kommt. Cal mann fand, daß der Ortssinn
nicht einmal für eine genauere Unterscheidung zwischen Harnröhre und
Scheide ausreicht, und daß die Beurteilung für Form, Größe und Be¬
schaffenheit eingeführter Gegenstände mangelt, und zwar sowohl bei
878
S. Leo, Wiener Brief.
Multiparen, wie Nulliparen. Die Tamponade wird nicht empfunden ;
nur ein geringes Unterscheidungs vermögen von Wärme und Kälte be¬
steht. Das Anhaken der Portio mit dem Häkchen oder mit der Museux-
schen Zange wird, wenn auch noch so vorsichtig und langsam aus¬
geführt, von dem Kranken oft unangenehm empfunden, während Skari-
fikation und Spaltung bei Diszission, sowie Anfrischung und Naht
bei der Emmet’schen Operation kaum gefühlt wird. Dagegen ist
der Dehnungsschmerz bei eröffneter Wehentätigkeit bekannt, sowie der
Schmerz bei brüsker Dilatation mit Metallstiften, die von B. nur in
Narkose ausgeführt wird. Die Empfindlichkeit der Innenfläche der
Gebärmutter ist individuell schon im normalen Zustande eine wechselnde.
So wird die Sondierung oft gar nicht gefühlt. Dies ist schon von
P. Berger, Tardieu vom forensischen Standpunkt aus konstatiert wor¬
den. Manchmal löst die Sondierung jedoch eine deutliche Empfindung
aus, die von einzelnen Pat. als mit einer bei der Menstruation auf¬
tretenden Sensation als identisch beschrieben wird, und jener beim
Einlegen von Quellstiften und intrauterinen Pessarien gleichkommen
soll. Bei engem inneren Muttermunde und zuweilen auch bei Be¬
rührung des Eundus uteri mit der Sonde wird ein ausgesprochener
Schmerz empfunden, der besonders gern nach der Magengegend irradiiert.
Die Gebärmutter hat das Bestreben, Fremdkörper oder eingespritzte
Flüssigkeit, aber auch Blutgerinnsel und gestielte Neubildungen durch
Zusammenziehen auszustoßen. Der dabei ausgelöste Kontraktions¬
schmerz wird als uterine Kolik bezeichnet. Hierher gehören die mecha¬
nische Dysmenorrhöe bei Stenose, die Nachwehen am puerperalen Uterus
und die Schmerzen bei fibrösen Polypen. Während die normale Gebär¬
mutter unempfindlich ist, siehe Perforation und Buptur, so ist sie
bei entzündlichen Veränderungen der Schleimhaut sehr empfindlich.
Bei Endometritis dolorosa überdauert heftige Schmerzempfindung die
Sondierung sehr lange. Nach He ad lassen chronisch entzündliche Ver¬
änderungen der Zervix, wenn der Schmerzsitz wechselt (Kreuz, Lenden,
Leistengegend), annehmen, daß es sich um zwei verschiedene Zonen
handelt ; der untere Teil des Zervix oberhalb des äußeren Muttermundes
scheint der 3. und 4. Sakralzone die obere Partie in der Gegend des
inneren Muttermundes der 11. Dorsal- und 9. Lumbalzone zu entsprechen.
Karl Landsteiner demonstrierte mikroskopische Präparate von
einem menschlichen und zwei Affenrückenmarken. Der Schnitt des
menschlichen Bückenmarkes zeigt die pathologischen Veränderungen der
Poliomyelitis acuta in hohem Grade; sie stammen von einem
Knaben, der nach dreitägiger Dauer dieser Krankheit starb. Mit dem
Bückenmarke wurden im Vereine mit Popper Kulturversuche gemacht,
die ebenso ergebnislos verliefen, wie Injektionen des Materials an Kanin¬
chen, Meerschweinchen und Mäusen. Auch 2 Affen, die von Syphilis¬
experimenten her vorrätig waren und nach Abheilung der Affekte sich
in gutem Gesundheitszustände befanden, wurde zerrieben in Kochsalz¬
lösung aufgeschwemmtes Bückenmark intraperitoneal injiziert. Der eine
Affe (kleiner Cynooeph. Hamadryas) verendete 8 Tage nach der In¬
jektion, nach 2 Krankheitstagen. Lähmungen wurden nicht gesehen.
Die histologische Untersuchung des Bückenmarks dieses Affen
ergab den Befund typischer hochgradiger Poliomyelitis, eben¬
so die mikroskopischen Präparate. Der zweite Affe (klein. Mac. rhesus)
ergab dasselbe Besultat ; bei ihm wurde auch eine vollständige schlaffe
Lähmung beider hinteren Extremitäten beobachtet. (Schluß folgt.)
Vorläufige Mitteilungen und Autoreferate.
879
Vorläufige Mitteilungen u. Autoreferate.
Hörtäuschungen durch Salizylsäure.
Von Dr. Johannes S ei tz, Zürich. (Korrespondenzbl. für Schweizer Arzte, Nr. 6,
S. 185 u. Nr. 7, S. 225, 1909.)
Die Salizylsäure bewirkt nicht nur Ohrensausen und Ertauben,
sondern erregt auch frühere Schalleindrücke wieder zu Hörtäuschungen :
W asserrauschen, Läuten, Tiergeräusche, Stadtlärm, Musik. Eine kleinere
Rolle spielen Sehstörungen und Täuschungen der Allgemeingefühle.
Das erscheint bei geistig vollkommen normalen Menschen mit
leichten Körperstörungen, welche die Gaben dieses Heilmittels veran¬
laß ten. Die „Deliranten“ berichten in vollständiger Klarheit und rich¬
tigem Urteil über diese auffallenden, scheinbar vollkommen naturwahren
Erscheinungen. So ergeben sich sehr lehrreiche Vergleiche mit den
Wirkungen von Alkohol, Opium, Haschisch, mit den Wahnvorstellungen
der Irren.
C, H, O, N usw. mit ihren Verbindungen sind die Träger der
geistigen Vorgänge. C7H603 ist imstande, aus diesem Konglomerat
Bewußtseinsvorgänge abzulösen, genau so, als ob sie durch die Außen¬
welf frisch erregt worden wären, obschon es nur Wiederbelebungen
alter Eindrücke sind. Das ist nur möglich durch innigste Beziehungen
zwischen der einen und andern chemischen Gruppe. Das Medikament
ist imstande einzugreifen im höchsten Gipfel, wo der Übergang von
chemischer und Bewußtseins-Energie stattfindet.
Solche Tatsachen nebst vielen anderen lassen den Wunsch ent¬
stehen, es möchte schon die chemische Formel auch andeuten, daß von
den Leistungen des Elementes bis zur höchsten geistigen Tätigkeit
eine ununterbrochene Kette reichen müsse. Möge der Versuch, eine
solche Formel zu gestalten, der Vorläufer besserer Aufstellungen sein !
Autoreferat.
Ueber arterielle Thrombose im Verlaufe der kruppösen Pneumonie.
Von Dr. H. Fette. (Med. Klinik, Nr. 20, 1909.)
Verf. beschreibt einen Fall von kruppöser Pneumonie, in deren
Verlauf das sehr seltene Ereignis einer Thrombose der Arteria femoralis
eintrat. Die mikroskopische Untersuchung ergab einen atheromatösen
Abszeß in der Art. circumflexa femoris. Hier hatte sich der Thrombus
entwickelt. Maßgebend für das Zustandekommen waren die Gefäßver¬
änderung, der verlangsamte Blutstrom und die Blutalteration.
Zur Vakzinebehandlung der infektiösen Endokarditis an der Hand eines
Falles von Streptococcus mitis Infektion.
Von Dr. H. Fette. (Med. Klinik, Nr. 6, 1909.)
Es handelt sich um einen Fall von Endokarditis. Als Erreger
wurde der oben genannte Streptokokkus stets im Blut gefunden. Durch
Injektion von Vakzinen, die aus eigenen und korrespondierenden Bak¬
terien hergestellt wurden, konnte eine zeitliche Besserung erzielt wer¬
den. Der tödliche Ausgang wurde erklärt durch die enormen Ver¬
änderungen am Herzen und an den Nieren. Der opsonische Index
wurde nicht bestimmt. Dagegen zeigten die täglich gezählten Leu¬
kozyten eine Abhängigkeit von der Vakzination derartig, daß nach
880
Referate und Besprechungen.
jeder Injektion zuerst ein Sinken, dann eine Steigerung ein trat, die
nach sieben Tagen zur Anfangszahl zurückkehrte. Verf. ist der Ansicht,
daß die Leukozytenkurve als leitendes Moment hei der Dosierung der
Vakzine mit in Betracht zu ziehen ist.
Verein deutscher Aerzte in Prag, Sitzung am 11. April 1909.
Professor Elschnig stellt einen Fall von einfacher Fraktur des
rechten Jochbeins durch einen Sturz, mit Impression desselben in die
Orbita, vor. 25 jähriger Mann. Ungefähr in' der Gegend des Foramen
infraorbitale ist die scharfe Bruchstelle zu fühlen, das Jochbein ist —
Betastung und Röntgenbild — l1/2 cm tief in die Orbita eingedrückt,
der Bulbus ist um l1/2 mm nach, oben, 2 x/2 mm1 nach vorn verdrängt.
Kaubewegung rechts gestört, die Sensibilität im Infra, orbitalis-Bereich
aufgehoben. Chirurgischerseits war er durch drei "Wochen beobachtet
und jetzt Paraffininjektion zur Behebung der Entstellung vorgeschlagen
worden. Elschnig legte das Jochbein durch einen Bogenschnitt am
Orbitalrand bloß, lockerte die Frakturstelle mit Messer und Meißel,
reponierte das- Jochbein durch den Zug mit dem stumpfen Hacken. Voll¬
ständige restitutio ad integrum.
Referate und Besprechungen.
Innere Medizin.
Zur Behandlung des pleuritischen Exsudates.
(Kaiser! Rat Dr. L. Fel ln er, Franzensbad. Deutsche med. Wochenschr., Nr. 15, 1909.)
In einem Falle äußerst hartnäckiger Pleuritis mit Exsudat, das Fellner
schon wochenlang ohne endgültigen Erfolg behandelt hatte, versuchte er die
Anwendung des Dampfkasten-Schwitzbades. Da wegen eines Myoms Vorsicht
geboten war, benutzte er aber einen Apparat, der nur die eine Thoraxhälfte
deckte. Zunächst wandte er Temperaturen von 80—100° C, später von 120 bis
140° an. Die Dauer der Sitzungen, die zunächst jeden zweiten Tag, 'dann 2, 3
und endlich 4 Tage hintereinander stattfanden, betrug erst 15, zuletzt 30
Minuten. Nach 14 Tagen war das Exsudat hinten und seitlich bedeutend
zurückgegangen, nach 35 Sitzungen waren alle Reste der Entzündung ge¬
schwunden. F. Waltherf.
Zur Untersuchung der Lungen bei Spitzentuberkulose mit spezieller
Berücksichtigung der Krönig’schen Ergebnisse.
(Dr. G. Richter, Wölfeisgrund. Deutsche med. Wochenschr., Nr. 8 u. 9, 1909.)
Richter betont die Wichtigkeit der Frühdiagnose für die Lungen¬
tuberkulose, um die sich besonders Krönig verdient gemacht hat. Schon
die Inspektion ist von Bedeutung. Heterotopie und Heteromorphie der Lungen¬
spitzen geben oft den ersten Fingerzeig. Bei der Perkussion, die sich übrigens
am besten am sitzenden Patienten empfiehlt, sind die Krönig’schen Lungen¬
schallfelder von besonderem Wert.. Ihre Feststellung muß durch möglichst
leise Perkussion erfolgen, wobei die Resultate sofort mit dem Hautstift
aufgezeichnet werden müssen. Im frühesten Anfangsstadium konnte Krönig
eine Verschleierung einer oder beider Begrenzungslinien beobachten. In etwas
weiter vorgeschrittenem Stadium findet sich neben einer verschieden starken
Dämpfung, Verschiebung des Lungenschallfeldes. Auch auf die untere Lungen-
Referate und Besprechungen.
881
grenze ist zu achten. Nicht selten verschiebt sie sich auf der Seite der
erkrankten Spitzen nur träge oder gar nicht. Dabei erwähnt Richter die
Angabe Krönig’s, daß der Übergang der medialen in die untere Lungen¬
grenze bereits in der Nähe des neunten Brustwirbels vor sich geht. Bei der
Auskultation können bisweilen Muskelgeräusche irre führen und einen Katarrh
Vortäuschen. Desgleichen entstehen durch den Schluckakt oft Geräusche,
die in den Spitzen gehört ^werden. Daher muß bei Vorhandensein von Ge¬
räuschen, ohne gleichzeitig bestehender Veränderung des Perkussionsschalles,
stets eher an derartige Täuschungen gedacht werden. Das Symptom des
verlängerten Exspirium hat sicher Bedeutung. Es ist jedoch auf die Ver¬
schiedenheit beider Spitzen Rücksicht zu nehmen, aus der sich oft bei völlig
gesunden Menschen rechts ein schärferes und längeres Exspirium ergibt, wie
links. Das Vorkommen von Geräuschen über den Spitzen muß ebenfalls
mit Vorsicht bewertet werden. Ist Katarrh vorhanden, so gibt Krönig den
Patienten für die Abend- und Nachtstunden so viel Codein oder Morphium,
daß sie hustenlos schlafen. Das Auffinden von spärlichen Rasselgeräuschen
ist dann früh, bevor die Patienten gehustet haben, bedeutend erleichtert.
Von Bedeutung ist endlich die Auskultation der Elüsterstimme, deren Vor¬
handensein über der Spitze sehr für eine Erkrankung spricht. R. zieht
aus alledem den Schluß, daß bei der Beurteilung eines Palles stets äußerste
Vorsicht am Platze ist. Was die Bedeutung der Röntgenstrahlen anbelangt,
so ist Krönig im Gegensatz zu Strümpell der Ansicht, daß dieselben
für die Frühdiagnose weniger in Betracht kommen. Auf jeden Fall gehört
ein außerordentlich geübter Untersucher dazu. Zum Schluß teilt Richter
einige Fälle von Lungentuberkulose in bezug auf ihren lokalen Befund mit.
_ F. Walther.
Schulterblattknacken als diagnostisches Merkmal für Lungentuberkulose.
(L. Renon u. Moncany. Bull, med., Nr. 8, S. 91, 1909.)
Die beiden Autoren haben sich eingehend mit den eigentümlichen knacken¬
den und reibenden Geräuschen beschäftigt, welche bei vielen Kranken am
inneren Rande des Schulterblattwinkels und 'etwas darunter zu vernehmen
sind. Sie treten bei tiefen Inspirationen und Bewegungen des Armes auf,
lassen sich entweder mit der aufgelegten Hand fühlen oder in einiger Ent¬
fernung hören.
Die Intensität des Phänomens ist, ebenso wie sein Charakter, bei den
verschiedenen Pat. verschieden, aber beim einzelnen konstant und bald mehr,
bald minder schmerzhaft. Es hält sich jahrelang, bis zu acht Jahren.
Wie es zustande kommt, darüber zerbrechen sich Renon und Moncany
nicht weiter die Köpfe. Es genügt ihnen zu konstatieren, daß sie es nicht
fanden bei 500 klinisch Gesunden, wohl aber bei allen acht Tuberkulösen,
die sie daraufhin untersucht haben. Da es genug Tuberkulöse gibt, so hätten
sie diese Anzahl wohl etwas (größer wählen dürfen. —
Anscheinend ist die Ursprungsstelle der Geräusche in die Brustwand
zu verlegen und zwar in die Muskulatur; vielleicht handelt es sich unä ent¬
zündliche Prozesse im Lymphapparat der Muskeln, welche schließlich zur
Atrophie der kontraktiven und elastischen Elemente führen, die ihrerseits
dann weiterhin zu dem bekannten Bilde des flügelförmigen Abstehens der
Schulterblätter führt. 1
Jedenfalls sind alle Notizen zu begrüßen, welche — entgegen den
Bestrebungen der deskriptiven Anatomie — die einzelnen Organe, in diesem
Falle die Lungen, in ihrem Zusammenhang mit ihrer Umgebung zeigen. Mir
scheint, das geschulte Auge vermag von der äußeren Konfiguration des
Thorax einen großen Teil von dem schnell und sicher abzulesen, was die
Kunst des Perkutierens und Auskultierens langsam: und stückweise enthüllt.
Aber freilich, die Zeit, welche das menschliche Erkenntnisvermögen durch
immer feinere Apparate und geistreichere Hypothesen zu erweitern bestrebt ist,
hat nicht mehr das rechte Verständnis für das, was mit fünf gesunden Sinnen
und einfachem Menschenverstand zu machen ist. Buttersack (Berlin).
- 56
882
Referate und Besprechungen.
Die Behandlung der Tuberkulose durch den praktischen Arzt.
(Prof. A. Moeller, Berlin. Klin.-tlier. Wochenschr., Nr. 4 u. 5, 1909.)
Die Tuberkulose und speziell die Lungentuberkulose ist eine wahre
Volksseuche; 15% aller Todesfälle sind ihr zuzuschreiben; ihre Bekämpfung
ist sowohl vom national-ökonomischen, wie vom humanitären Standpunkt
aus dringend geboten. Man unterscheidet drei Stadien: I. Infiltration einer
Spitze, mit oder ohne katarrhalische Erscheinungen, verändertes Atemge¬
räusch auf einer oder beiden Spitzen, Allgemeinbefinden wenig gestört.
II. Ausgesprochene Infiltration beider Spitzen mit oder ohne katarrhalische
Erscheinungen, häufig Fieber bis 38°, Einsenkung, Abmagerung, Auswurf,
Husten. III. Kavernensymptome; hohes Eieber, starke Abmagerung, viel
Husten und Auswurf. Die sichere Diagnose ist im II. und III. Stadium
leicht durch Nachweis der Tuberkelbazillen, im ersten oft schwierig, weil
Tuberkelbazillen meist fehlen, darum müssen häufig' andere Erscheinungen,
sowie Heredität, Habitus usw. zur Beurteilung * herangezogen werden. —
Bezüglich der Therapie hat vor allem die spezifische Behandlungsmethode
mit Tuberkulin in der ambulanten Behandlung ausgezeichnete Resultate ge¬
zeitigt. Tuberkulin ist sowohl zu diagnostischen, wie zu therapeutischen
Zwecken zu verwenden. Als diagnostisches Hilfsmittel ist es von großem
prophylaktischen Wert, mit Rücksicht auf die Infektionsgefahr für die Um¬
gebung, namentlich im I. Stadium; es ist ein unentbehrliches Hilfsmittel
zur sicheren Feststellung der initialen Tuberkulose. Die exakt durchge¬
führte Tuberkulinkur zeitigt Dauererfolge, weil die Kranken in demselben
Klima genesen, während bei Besserung nach klimatischen Kuren im Süden
oft nach Rückkehr in das alte Klima Rückfälle eintreten; auch ermöglicht
die ambulante Behandlung mittels Tuberkulins den Patienten die ununter¬
brochene Fortsetzung ihrer Arbeit. Bezüglich der Verwendung des Tuberkulins
rät Verf. zu diagnostischen (Zwecken nur das alte Koch’sche Tuberkulin
zu nehmen; Beginn mit Injektion von Zehntel-Milligramm Tuberkulin mittels
jedesmal frisch herzustellender geeigneter Verdünnungen; vorher Bestimmung
der Normaltemperatur; Kontraindikationen sind: Fiebertemperatur, Nacht-
schweiße, Blutungen, Herzkrankheiten, Epilepsie, Hysterie. Die Injektionen
werden mittels Luer’scher Spritze in die Rückenhaut beiderseitig abwechselnd
gemacht, am besten in den Nachmittagstunden, alle drei bis vier Tage
eine Einspritzung. Als Reaktion gilt Temperatursteigerung bis 38° (schwache),
bis 38,7° (mittelstarke), über 38,7° (starke); sie tritt oft erst nach wieder¬
holter Injektion mit gesteigerter Dosis ein. — Zur therapeutischen Ver¬
wendung empfiehlt Verf. das alte Koch’sche und das Neu-Tuberkulin (Bazillen-
emulsion). Geeignet hierzu sind unkomplizierte Fälle mit geringer Gewebs¬
zerstörung; Kontraindikationen sind schlechtes Allgemeinbefinden und ab¬
norme Gewichtsabnahme, die zunächst durch hygienisch-diätetische Behand¬
lung zu bessern ist, ferner Herzerkrankungen, Blutungen. Beginn mit Vio mg
Tuberkulin und Steigerung der Dosen nach dem Verhalten der Körpertempe¬
ratur, des Allgemeinbefindens und des Körpergewichts bei wöchentlich zwei
Injektionen, und Aufhören nach Verschwinden aller krankhaften Erschei¬
nungen. — Für Patienten, die einen ebenso unberechtigten wie unüberwind¬
lichen Horror vor Injektionen haben, empfiehlt Verf. die Einbringung des
Neu-Tuberkulins vom Darmkanal aus. Er hat zu diesem Zweck die Bazillen¬
emulsion, die infolge Überempfindlichkeit (des Organismus oft schlecht ver¬
tragen wird, mit einem Präparat aus der Gruppe der „Säurefesten“, dem
Timothein, und ameisensaurem Kalzium in Gelodurat-Kapseln, die er Tuberoid-
kapseln nennt, kombiniert; hiervon wird täglich eine Kapsel nach dem Essen
genommen; besonders eignen sich diese für Kinder mit geschlossener Drüsen¬
tuberkulose (Skrofulöse). — Von der medikamentösen Behandlung ist die
Darreichung von Kreosotal und Duotal zu nennen, deren Einwirkung auf
den tuberkulösen Prozeß selbst jedoch nicht sicher erwiesen ist, ferner von
Arsen, das die Tuberkulose selbst nicht beeinflußt, Hetol-Landerer (zimt¬
saures Natron), dem ebenfalls wenig Einfluß auf den eigentlichen Krank-
Referate und Besprechungen.
883
heitsprozeß zuzusehreiben ist; dasselbe gilt von den anderen empfohlenen
Medikamenten Tannin, Phosphor, Ichthyol, Jod usw. — Die Inhalations¬
therapie leistet gute Dienste ,zur Linderung des Hustenreizes, Lösung des
Auswurfs. — Gegen das Fieber sind besonders Maßnahmen zur Hebung
des Allgemeinzustandes, Fernhalten von Schädlichkeiten, hydriatisehe Ma߬
nahmen, unter Umständen bei starken Frostanfällen außer Bettruhe und
heißen Getränken 0,3 g Pyramidon 1 — IV2 Stunden, vor dem zu erwartenden
Anfall anzuwenden. Nach tsch weiße sind durch gute Lüftung, leichte Be¬
deckung, Abreibungen mit Essigwasser, eventl. Agaricin (Pillen zu 0,005)
zu bekämpfen. Hustenreiz kann oft durch den Willen unterdrückt oder
durch Hustenpastillen gelindert werden, auch Bachenpinselungen mit Tannin-
Glyzerin bringen oft Besserung. Die Expektoration erleichtern Kreuzbinden¬
einpackungen, heiße Milch mit alkalischen Wässern, isländ. Moos-Tee, sowie
Inhalationen von Menthol und Orthokresol. Narkotika sind nur da zu geben,
wo der Allgemeinzustand unter dem Husten leidet (Nachtruhe); meist kommt
man mit Kodein und Dionin aus. Bei Lungenblutungen ist zu unterscheiden,
ob eine aktive Blutung vorliegt, gegen die absolute Bettruhe, abkühlende
Umschläge, Eisbeutel, Wadenpackungen, eventl. Morfin-Einspritzungen, dünne,
schleimige Diät bei möglichst beschränkter Nahrungszufuhr, sowie Eispillen
gegen den Durst anzuwenden sind, oder ob es sich um eine Stauungsblutung
handelt, die in der Begel eine Folge von Herzschwäche ist ; alsdann muß
man von absoluter Ruhe absehen und darf keine Narkotika geben, sondern
muß den Kranken zum Tiefatmen anregen und herzanregende Mittel geben.
Atemgymnastik ist mit Vorsicht und nur in ausgesuchten Fällen anzuwenden.
Hauptsache ist, daß der Patient während der Zeit seiner Erkrankung stets
unter ärztlicher Kontrolle ist, zumal bei der häuslichen Behandlung, bei
der mit den angegebenen Mitteln bei genauer Befolgung der ärztlichen An¬
ordnungen sehr befriedigende Resultate zu erzielen sind.
Peters (Eisenach).
Physikalische Behandlung der Lungentuberkulose durch Hyperämie,
Lymphstrombeförderung usw. vermittels der Lungensaugmaske.
(E. Kuhn. Zeitschr. für Tuberk., Bd. 13, Nr. 4, 1908.)
Die Saugmaske soll durch Behinderung der Einatmung bei unbehinderter
Ausatmung eine Hyperämie der Lungen herbeiführen und dadurch für die
gesamte Lunge diejenigen Bedingungen hersteilen, die unter natürlichen
Verhältnissen den unteren Lungenabschnitten größeren Schutz gegen die Tuber¬
kulose verleihen. Die durch die Saugmaske herbeigeführte Hyperämie unter¬
scheidet sich von der sonstigen Stauungsbehandlung, wie sie z. B. bei Gelenk-
tuberkulöse angewendet wird, dadurch, daß sie nicht auch zu einer Lymph-
stauung führt. Vielleicht beruht das Versagen der Stauungsbehandlung bei
Gelenktuberkulose häufig auf der gleichzeitigen Lymphstauung.
Durch den stärkeren Blutandrang zur Lunge, der sich an Tierversuchen
zweifellos nachweisen läßt, sollen die Bazillen abgetötet werden und eine
bessere Ernährung des Lungengewebes mit reichlicher Bindegewebsbildung
(Vernarbung) herbeigeführt werden. Der Gebrauch der Maske führt außerdem
zu einer Veränderung des Atmüngstypus, der sich, wie die Röntgenaufnahmen
zeigen, fast rein kostal gestaltet unter Verlangsamung der Atemzüge und
Höherstellung des Zwerchfells. Dies ermöglicht eine rationelle und wirksame
Widerstandsgymnastik unter Ausschluß der mit der Gymnastik sonst ver¬
bundenen. Gefahren (Lungendehnung, Blutung usw.). Allmählich kommt es
unter dem Gebrauche der Maske infolge der veränderten Atmung zu einer
Weitung und stärkeren Beweglichkeit des Brustkorbs. Diese Erweiterung
des Biustkorbes ist durch zahlreiche Beobachtungen objektiv nachgewiesen.
Ebenso wie die Lungen wird durch die Saugmaske das Herz in günstigere
Ernährungsbedingungen versetzt und gekräftigt bezw. entlastet. Durch den
Reiz der verminderten Sauerstoff Spannung auf die blutbildenden Organe kommt
es zu einer dauernden Vermehrung der roten und weißen Blutkörperchen
56*
884
Referate und Besprechungen.
und des Hämoglobins. Diese Veränderung der Blutbeschaffenheit macht sich
nicht allein durcL eine Zunahmje der Schutzorgane (Leukozyten) geltend,
sondern wirkt auch günstig auf die Verdauungssäfte ein und fördert somit
die Ernährung der Phthisiker.
Schließlich ist noch zu erwähnen, daß die Maske eine gewisse Müdigkeit
hervorruft und somit schlafbefördernd wirkt.
Die Maske ist gänzlich unschädlich, ruft keine Blutungen hervor, sondern
soll sie sogar unterdrücken. Sie kann täglich stundenlang angelegt und
monatelang angewendet werden und soll hauptsächlich dazu dienen, die An¬
staltsbehandlung der Tuberkulose zu unterstützen. Die bisher in Heilstätten
und Krankenhäusern gemachten Erfahrungen sind günstig.
Sobotta (Reiboldsgrün).
Uber Tuberkulinbehandlung in der Praxis.
(Dr. Jahn, Oberarzt der Direktorialabteilung und Dr. Volhard, Direktor der
städtischen Krankenanstalten in Mannheim. Münch, med. Wochenschr., Nr. 47, 1908.)
Für den praktischen Arzt bietet die Durchführung einer Tuberkulinkur
ziemlich viel Schwierigkeiten. Die Verfasser möchten daher einige Ratschläge
geben, um ihm trotzdem dieses therapeutisches Hilfsmittel zugänglich zu
machen. Was zunächst die für eine Tuberkulinkur geeigneten Fälle betrifft,
so kommt viel auf die sozialen Verhältnisse der Kranken an. Sind diese
günstig, so geben trotzdem die Patienten mit kleinem frequenten Puls, der
in keinem Verhältnis zur Höhe des Fiebers steht, eine ganz ungünstige
Prognose. Auch ist genau darauf zu achten, daß es sich nur um Erkrankung
der Lungen handelt, da gleichzeitig andere Organerkrankungen den Fall
zu sehr komplizieren. Auf die Höhe des Fiebers kommt es nicht an, zumal
wenn man nicht durchaus Heilung erwartet, sondern schon mit einer Besserung
zufrieden ist. Und gerade diese kann ziemlich bedeutend sein ; es kommt
zur Entfieberung, der Husten und der Auswurf läßt nach, das Gewicht
nimmt zu.
Die Verfasser verwenden zur Injektion das Neutuberkulin Koch, von
dem sie sechs verschiedene konzentrierte Lösungen brauchen. Das Schema,
nach dem sie, wenn auch natürlich nicht sklavisch, die Einspritzung vor¬
nehmen, ist am besten im Original nachzulesen. Von Wichtigkeit ist es,
stets jede Reaktion abklingen zu lassen, bevor wieder gespritzt wird. Ferner
muß bei Fieberanstieg oder bei Eintritt irgend einer interkurrenten Krankheit
die Kur längere Zeit unterbrochen werden. Die Injektion erfolgt am besten
in den Nachmittagsstunden. Die Temperatur ist möglichst zweistündlich
zu messen, auf die Injektionsstelle, auf Stuhl, Harnwege, Auswurf und
subjektives Befinden ist genau zu achten, und dies alles ist am besten in
eine Kurve, von der ein Muster beiliegt, einzutragen. Neben der Tuberkulinkur
müssen selbstverständlich noch physikalisch - diätetische Verordnungen ge¬
troffen werden. — F. Walther.
Die therapeutische Beeinflußung der inneren und äußeren Tuberkulose
durch Tuberkulin und verwandte Mittel.
(F. Köhler u. R. Lenzmann. Beih. zur med. Klinik, Bd. 5, Nr. 2, 1909.)
Die Vorträge geben einen ausgezeichneten objektiven Überblick über
den AVer! der Tuberkulinbehandlung unter Berücksichtigung eigener Erfah¬
rungen und der in der Literatur niedergelegten Beobachtungen. Die Ansich¬
ten über die Wirksamkeit der Tuberkuline sind noch recht geteilt, und
das ist zum Teil mit dem verschiedenen „Temperament“ der Beobachter zu
erklären, z. T. aber auch damit, daß die Beurteilung, inwiefern eine Beein¬
flussung des tuberkulösen Prozesses stattfindet, ungemein schwierig ist. Es
kommt dabei neben dem so verschiedenartigen Verlauf der Krankheit die
individuelle Widerstandkraft des Organismus und die Einwirkung ander¬
weitiger Heilfaktoren in Frage. Zudem sind Prüfungen der Behandlungs-
Referate und Besprechungen.
885
ergebnisse an der Hand der Statistik kaum möglich, weil es zu schwierig
ist, gleichwertige Fälle mit und ohne Tuberkulinbehandlung gegenüberzu-
stellen. Die Prüfung auf den Gehalt an Antikörpern oder auf Immunität
gegen Tuberkulin ergibt aber keine praktisch brauchbaren Ergebnisse, weil
hoher Antik örp ergehalt und Tuberkulin-Immunität nidht identisch sind
mit Immunität gegen Tuberkulose. Die Unempfindlichkeit gegen Tuber¬
kulin bedeutet durchaus nicht die Abheilung eines tuberkulösen Prozesses.
Auch die Feststellung des opsonischen Index ist, vorläufig wenigstens, noch
nicht hinreichend zur Beurteilung der erreichten Immunität. Wir sind da¬
her auf die Ergebnisse der klinischen Beobachtung angewiesen. Und diese
zeigt uns noch kein einheitliches Bild, sondern verschiedenartige und un¬
sichere Ergebnisse. Eine wirklich spezifische Wirkung kann keinem der
vielen Tuberkuline oder Sera zugesprochen werden: „der Feind im Innern
des menschlichen Organismus verfügt über Kräfte, die wir in ihrer Eigen¬
art zweifellos noch nicht in vollem Umfange erkannt haben“, so »laß die
in den Tuberkulinen enthaltenen toxiziden und bakteriziden Stoffe noch
nicht voll zur Geltung kommen.
Noch deutlicher als bei der Lungentuberkulose kommt die spezifische
Wirkung der Tuberkuline beim Lupus und bei der chirurgischen Tuberkulose
zum Ausdruck. Besonders das Alt-Tuberkulin, das eine lokale Entzündung
um die Tuberkel hervorruft, erweist sich als ein wertvolles Hilfsmittel für
die Behandlung.
Über die verschiedenen zur Behandlung der Tuberkulose empfohlenen
Sera werden widersprechende Urteile abgegeben. Eine Immunisierung läßt
sich durch Sera bisher noch nicht erreichen, wenn auch1 die antitoxische
Wirkung des Marmorek-Serums zugegeben wird. Es erscheint von vorn¬
herein zweifelhaft, ob es möglich sein wird, so hochwertige Sera zu ge¬
winnen, daß eine passive Immunisierung zustande kommt, während die Aus¬
sichten für die aktive Immunisierung günstiger liegen, da eine Vervoll¬
kommnung der Tuberkuline wohl denkbar ist. Sobotta (Reiboldsgrün).
lieber den Gaswechsel der Phthisiker.
(Alb. Robin. Soc. d’Etudes scientif. sur la Tuberc., 11. Februar, 1909. — Bullet.
med., Nr. 18, S. 211—213, 1909.
Auf Grund wiederholter, genauer Untersuchungen kommt Robin im
Gegensatz zu den bisher üblichen Anschauungen zu folgenden Thesen:
1. Der respiratorische Gaswechsel und die Ventilation der Lungen ist
auch beim nichtfiebernden Phthisiker größer als beim Gesunden; bei diesem
wiederum größer als beim Arthritiker.
2. Die Abkömmlinge von Phthisikern haben, auch wenn sie keinerlei
krankhafte Erscheinungen darbieten, in etwa der Hälfte der Fälle einen er¬
höhten Gaswechsel.
3. Wenn infolge von Gewichtsverlusten bei gesunden Menschen der
respiratorische Gaswechsel (pro Minute und Kilo) steigt, so steigt er beim
Phthisiker unter den gleichen Bedingungen noch mehr.
ä. Nur Tuberkulöse von sehr (gutem Ernährungszustand lassen diese
Steigerung des Gas Wechsels vermissen. Buttersack (Berlin).
Gynäkologie und Geburtshilfe.
Behandlung von Störungen in der Genitalsphäre von der Nase aus.
(P. Bonnier. Acad. des Sciences, 18. April 1909.)
Leichte Kautherisationen des vorderen Abschnittes der Nasenschleimhaut
haben beseitigt: Dysmenorrhöe bei 15 Frauen und Mädchen (7 Mißerfolge),
10 Menstruationsmigränen (davon bestand eine seit 18 Jahren), je 2 Schwindel¬
und Magenkrampfanfälle während der Periode, Regelung der Periode auf
jedesmal 28 Tage (gleichgültig, ob die Blutungen sich zu schnell oder zu
886
Referate und Besprechungen.
langsam folgten). Bei 3 Patientinnen wurden Akne und Erythem des Ge¬
sichts, bei je 2 Pruritus vulvae und Leukorrhoe beseitigt; auch Incontinentia
urinae läßt sich auf diese Weise beeinflussen.
Ein junger Mann von 23 Jahren wurde durch 2 malige Kautherisationen
von allnächtlichen Pollutionen, an denen er seit 11 Jahren litt, befreit.
Buttersack (Berlin).
Aus der Universitäts-Frauenklinik der königl. Charite.
Ueber das Hämatoma vulvae als Geburtshindernis.
(Priv.-Doz. Dr. W. Liepmann. Berliner klin. Wochenschr., Nr. 11, 1909.)
L. schildert kurz vier Fälle von großen Hämatomen der Vulva und
der Scheide sub partu. Alle vier Kreißende wurden mit der Zange ent¬
bunden. In einem Fall, wo das Hämatom nur links saß, wurde rechts eine
Episiotomie gemacht, in einem anderen Fall wurden nach der Überführung
in die Klinik die beiden Hämatome gespalten und ausgeräumt; erst dann
gelang es, die Zange einzuführen.. Im allgemeinen soll man aber suchen,
ohne vorherige Spaltung die Zange anzulegen; die Resorption des Blutergusses
erfolgt im Wochenbett ziemlich schnell. Einen spontanen Geb urts verlauf
wird man in den seltensten Fällen abwarten können, werden doch mit jeder
Minute die Verhältnisse ungünstiger. — Wie aus der Statistik hervorgeht,
sind die an sich sehr seltenen Hämatome bei Erstgebärenden häufiger als
bei Mehrgebärenden. Veranlaßt werden sie durch starken andauernden Druck
des großen harten Schädels, den mangelhaften Rücklauf des gestauten Blutes
durch die Kollateralen des Stammes und die größere Zerreißlichkeit der
peripheren Venen in den Labien. Varizen, Nephritis und Arteriosklerose
spielen keine Rolle. — Die Prognose ist gut, bei gewahrter Asepsis.
R. Klien (Leipzig).
Welche Profixur (Antefixations- Methode) ist bei fixierter Retroversio-
flexio am zweckmäßigsten?
(Otto Klistner, Breslau. Zentralbl. für Gyn., Nr. 2, 1909.)
Verf. empfiehlt die Alexander- Adam’sche Operationsmethode, für
welche er von jeher mit Nachdruck eingetreten ist, auch für die Fälle von
fixierter Retroflexio, bei welchen er durch vorhergehende Laparotomie die
Adhäsionen löst. Neu ist sein Vorschlag, in solchen Fällen zur Vermeidung
dreier Schnitte die Alexander-'Adam’sche Operation nur auf einer Seite
zu machen. Er hat bei mehreren derartig operierten Frauen ein orthopädisch
gutes Dauerresultat jahrelang hindurch beobachtet und verspricht sich hiervon
bei etwa, eintretender Gravidität eine besonders gute Mobilität des Uterus.
(Ob aber bei der bei einer Schwangerschaft zweifellos eintretenden Latero-
version des Uterus nicht durch fehlerhafte Lage des Kindes' bedingte Ge¬
burtsstörungen zu erwarten sind ? Ref.)
Daß Verf. auch nach Exstirpation der Adnexe die Alexander - Adam-
sche Operation ausführt, ist auffällig, da doch wohl die meisten Gynäkologen
auf die Lagerung des Uterus nach der Adnexexstirpation kein Gewicht legen.
Für die Fälle, bei denen es auch bei der Narkosenuntersuchung zweifel¬
haft bleiben muß, ob Adhäsionen vorliegen, empfiehlt Verf.,, vermittelst seines!
Schnittes den Leib zu eröffnen, die inneren Genitalien zu revidieren und erst
nach dieser Probeinzision eventuell die Alexander- Adam’sche Operation vor¬
zunehmen. F. Kayser (Köln).
Die Behandlung von Gebärmutterblutungen mit Serum.
(W. Busse, Jena. Zentralbl. für Gyn., Nr. 7, 1909.)
Die Mitteilung bezieht sich auf 10 Frauen, bei denen wegen sehr
starker durch Kürettement nicht zu stillender menstrueller Blutungen 10 ccm
frisches Menschenserum, welches im übrigen gesunden Frauen bei läge vor bessern-
Referate und Besprechungen.
887
den Operationen entnommen war, intraglutäal injiziert wurde — in 5 Fällen
mit ausgezeichnetem Erfolg. Unerwünschte Nebenwirkungen t lieben abge¬
sehen von einer in 2 Fällen beobachteten Appetitlosigkeit aus.
Verf. empfiehlt die leicht ausführbare, einfache und ungefährliche
Methode zur Nachprüfung für solche Fälle von Blutungen, bei welchen ein
negativer Untersuchungsbefund oder eine Verlängerung der Blutgerinnungs¬
zeit festgestellt ist. F. Kayser (Köln).
Gleichzeitige doppelseitige Tubenschwangerschaft.
(Alfr. Labhardt, Basel-Stadt. Beiträge zur Geb. u. Gyn., Bd. 14, H. 1.)
Bei einer 29 j. II p., welche unter den Erscheinungen einer Extrauterin¬
gravidität im Kollaps der Klinik zuging, fand sich hei der Laparotomie eine
große Menge Blut im Abdomen, am Ende der rechten Tube ein taubeneigroßer
angerissener Tumor, aus welchem ein großes Blutkoagulum mit Eiteilen
herausragte und ähnliche Verhältnisse am linken Tubenostium. Resektion
beider Tuben. Heilung. !
Die genauere Untersuchung ergab in der rechten dilatierten Tube ein
Ei, umgeben von einem äußeren Kapselhämatom ; in der linken Tube wies die
mikroskopische Untersuchung nach langem 'Suchen einige ganz in Blut ein¬
gebettete Zotten nach.
' Es handelte sich somit um eine gleichzeitige Entwicklung von Eiern
in beiden Tuben. Die Beobachtung beansprucht deshalb besonderes Interesse,
weil sie, soviel aus der Literatur hervorgeht, bisher nur in 6 sichergestellten
Fällen gemacht wurde. Sie begründet aber die Forderung, in allen zur
Operation kommenden Fällen die zweite Tube einer eingehenden Untersuchung
zu unterziehen, um nicht ein unter Umständen für die Patientin deletär
werdendes Übersehen zu begehen.
Diese Annahme ist selbstverständlich bisher nur Hypothese, da der¬
artige fatale Ereignisse in der Literatur bisher nicht niedergelegt sind.
F. Kayser (Köln).
Zur Naht des frischen Dammrisses.
(W. Sigwartz, Berlin. Zentralbl. für Gyn., Nr. 10, 1909.)
Bericht über 425 mit MicheTschen Klammern genähte Dammrisse,
von denen nur zwei nicht primär heilten. Die Klammern vereinigen selbst¬
verständlich nur die äußere Haut des Damms, nicht auch die vaginale Schleim¬
haut. Zur Verwendung von Hämatomen und guten Adaptationen der Wund-
flächen ist daher die Anlegung tiefgreifender, von der Scheide aus gelegter
Katgutfäden erforderlich.
Die Entfernung der Klammern geschieht mit einer Zange in leichter,
für die Wöchnerin schmerzloser Weise. F. Kayser (Köln).
Kaiserschnitt. Rückblick und Ausblick.
(O. Küstner, Breslau. Zeitschr. für Geb. u. Gyn., Bd. 63.)
Zu der bereits vielfach diskutierten Kaiserschnittfrage bringt die Ar¬
beit K.’s, welche sich auf 104 in der Breslauer Klinik ausgeführte Operationen
bezieht, einen sehr interessanten Beitrag.
In sechs Fällen wurde an Toten und Sterbenden operiert. Verf. plädiert
dafür, in solchen Fällen, wenn möglich, nicht die Agonie abzuwarten, sondern1
bereits vorher durch den vaginalen Kaiserschnitt zu entbinden. Bei Eklam¬
psie wurden 7 Kaiserschnitte gemacht; 6 Wöchnerinnen starben. Wenn auch
die Fälle besonders schwer waren, so ist doch wegen der Größe des Operations¬
versuches bei der Eklamptischen der klassische Kaiserschnitt durch den vagi¬
nalen zu ersetzen.
6 Operationen wurden bei Karzinom vorgenommen und zwar bei starren
voluminösen Zervixkrebsen. Unser Bestreben muß dahin gehen, bei Kompli-
888
Referate und Besprechungen.
kation mit Karzinom im allgemeinen sofort die abdominale Totalexstirpation
vorzunehmen ; nur bei bald zu erwartender extrauteriner Lebensfähigkeit
des Kindes ist ein exspektatives Verfahren berechtigt. Atypische Indi¬
kationen (Narben atresie der Zervix, vorausgegangene komplete Uterusruptur
und Fisteloperation, Myome, Placenta praevia) führten in 10 Fällen zur Opera¬
tion. Im allgemeinen bildet die Gravidität eine Kontraindikation für die
Myomotomie, da die Kinder auch bei myomdurchsetzter Uteruswand lebens¬
fähig auf natürlichem Wege geboren werden. Bei Placenta praevia ist die
Sectio caesarea nur bei exakter individueller Abwägung aller Verhältnisse,
berechtigt.
Slmal wurde bei engem Becken operiert, 80 Kinder wurden lebend
entwickelt. Verf. gibt der Sectio caesarea den Vorzug vor der Hebosteotomie,
bei welcher eine ideale versorgte Wunde nicht zu erzielen ist ( ? Bef.). Diese
wendet er an bei suspekten Fällen, für welche auch der zervikale Kaiser¬
schnitt in Frage kommt. >
Die Statistik der wiederholten Kaiserschnitte zeigt in interessanter
Weise, daß seit 1900/01 die Adhäsionen weniger intensiv sind — offenbar eine
Folge des größeren Schutzes gegen Keimimport, welchen Verf. besonders in
dem von ihm benutzten Gummischutzsystem sucht. Dieser findet auch seinen
Ausdruck in der geringen Anzahl von postoperativ fiebernden Fällen, in dem
Fehlen peritonealer Beizung auch geringeren Grades. Die früher so oft ge¬
sehene Bewölbung des epigastrischen Winkels wurde kaum mehr beobachtet.
In 2 Fällen erfolgte der Tod unmittelbar nach der Operation infolge Luft¬
eintritts in das Venensystem. Die Beobachtungen sind insofern Baritäten,
als bisher in der Literatur Luftembolien nach sectio caesarea sich überhaupt
nicht finden.
Verf. operiert mit kleinem Längsschnitt in die Bauchdecken, medianer
Spaltung des Uterus (weshalb er den früher geübten Fritsch’schen Fündal-
schnitt verlassen hat, gibt er nicht an. Bef.) ohne Hervorwälzung des Uterus
und mit mehrschichtiger Uteruskatgutnaht, von welcher er nie Nachteile
gesehen hat.
Eine neue Phase in der Kaiserschnittfrage bedeutet der Frank’sche zer¬
vikale Kaiserschnitt. Verf. plädiert für das ursprünglich experitoneale Vor¬
gehen, dessen technische Schwierigkeit ihm überwindbar erscheint. Er glaubt
aber, daß für die uninfizierten Fälle mit intaktem Ei der klassische korporeale
Kaiserschnitt nach wie vor — den Operationstypus darstellt. — ■
In einer Frage, die auch heute noch in Fluß in Bewegung ist, sprechen
naturgemäß auch die Küst ne rschen Ausführungen nicht die letzten Worte.
Sie bringen aber eine Fülle interessanten, wenn auch von einem Gesichtswinkel
betrachteten Beobachtungsmaterials und wirken durch die subjektive Art des
Vortrags in hohem Maße anregend. F. Kayser (Köln).
Historisches und Kritisches über den Kaiserschnitt.
(F. A. Kehrer, Heidelberg. Beiträge zur Geb. u. Gyn., Bd. 14, H. 1.)
Die kurze Arbeit ist referierender und kritischer Natur. Nach einem
kurzen historischen Überblick vom ersten Kaiserschnitt nach Lacerlata-
Deleurge bis zur jüngsten Frank’schen Modifikation behandelt Verf. in
kritischer Weise den Bauchdeckenschnitt, den Uterusschnitt, das Ausziehen
der Frucht und der Nachgeburt und die Uterusnaht. Er resümiert sich dahin:
1. BA reinen Kaiserschnittfällen sectio caesarea in alter Weise mit media¬
nem oder querem Zervixschnitt (den queren Fundalschnitt verwirft er wegen
der Menge der zur Blutstillung erforderlichen Nähte; freilich auf Kosten der
Sicherheit der Naht. Bef.).
2. Bei zweifelhaften oder leicht infizierten Fällen: Extraperitoneales
Vordringen zum Uterus mit Tamponade des Uterus und Herausleiten des Tam¬
pons in die Vagina; Drainage des unteren Wundwinkels.
3. Bei septischer Infektion des Uterus und relativer Indikation Per¬
foration ; bei absoluter Indikation Porro mit Einnähen des Stumpfes in das
untere Ende der Bauchwunde.
Referate und Besprechungen.
889
Man sieht : ein allerdings zumeist auf theoretischen Spekulationen be¬
ruhender, zwischen der alten und neuen Indikationsstellung vermittelnder
Standpunkt. (Ref.) P. Kayser (Köln).
Zur bakteriologischen Diagnose des Puerperalfiebers.
(Krönig u. Pankow. Zentralbl. für Gyn., Nr. 5, 1909.)
Auf Grund von Untersuchungen, welche sich auf 500 Wöchnerinnen er¬
strecken, weisen Verff. darauf hin, daß der Nachweis von Streptokokken durch
Aussaat des Sekrets in Traubenzuckerbouillon für die Diagnose der puerperalen
Infektion ebenso bedeutungslos ist wie die Feststellung einer geringen Anzahl
von Streptokokken im Lochialsekret des Uterus. Zu fordern ist die Verwendung
fester Nährböden, am besten des schwach alkalisch reagierenden Agars, da nur
auf festen Nährböden die Feststellung der Menge der in dem Sekret befind¬
lichen Streptokokken möglich ist. Der Nachweis einer großen Zahl Strepto¬
kokken in kleinsten Sekretmengen ist aber für die Diagnose : puerperale
Streptokokkenendometritis — unbedingt erforderlich. F. Kayser (Köln).
Kinderheilkunde und Säuglingsernährung.
Eine Mißbildung als Ursache unstillbarer Blutung bei Neugeborenen.
(Wirtz, Straßburg. Med. Klinik, Nr. 52. 1908.)
Es handelt sich um einen von gesunden Eltern abstammenden recht¬
zeitig geborenen Knaben, der bereits intra partum weißen fetzigen Stuhl
entleerte und nur durch Reizmittel und Sauerstoffinhalation zu ausgiebigem
Atmen gebracht werden konnte. Bis zum 3. Tage mehrfach weißgraue Darm¬
entleerungen, dann bei leidlicher Brustnahrung flockige, schleimige, weißgraue
Dejektionen. Ikterus der Haut und Skleren, ikterischer Urin. Am 5. Tage
Nabelabfall, auffallend schnelles Eintrocknen der Nabelwunde. Leichte Be¬
nommenheit des Kindes, mäßige Nahrungsaufnahme, Gewichtsstillstand. Nach
dem 8. Tage Ausstößen kleiner Blutungen aus dem Munde, Sugillationen an
dessen Schleimhaut, zunehmender Verfall, schwarze Blutstühle. Urin eiweiß-
un>d gallenfarbstoffhaltig, blutiges Feuchtwerden des Nabels mit schweren
unstillbaren Blutungen, allgemeine Hautblutungen, Bluterbrechen, Blutstühle.
Exitus letalis. Differentialdiagnostisch kamen Morbus Werlhofii, Hämophilie,
Bluterkrankungen, Sepsis und Lues in Frage, alles mußte ausgeschlossen
werden. Die Acholie der Stühle in den ersten Lebenstagen, der starke Ikterus,
der cholämische Sopor, die unstillbaren Blutungen ließen eine Störung in den
abführenden Gallengängen vermuten : die Autopsie bestätigte es : völlige kon¬
genitale Atresie des ductus choledochus bei sonst völlig normalem Kinde. —
Wohl als angeborene Mißbildung aufzufassen. Krauße-Leipzig.
Angeborne Aplasie der Gallenwege verbunden mit Lebercirrhose, durch
Operation behandelt.
(F. Theodor, Königsberg i. Pr. Archiv für Kinderheilk., Bd. 49, H. 5 u. 6.)
Es sind nur wenig Fälle von Aplasie der Gallenwege bekannt. Th. be¬
schreibt einen Fall, der ihm in der Praxis vorkam ausführlich, ebenso die
Operation, Herstellung einer Anastomose zwischen intraperitonealen Gallen¬
gängen und einer Dünndarmschlinge. Bei der Operation zeigte sich voll¬
ständiger Defekt der Gallenwege, vergesellschaftet mit kongenitaler Cirrhose.
Glatte Heilung. Entschiedene Besserung. Nach 8 Tagen Exitus an inter¬
kurrentem Darmkatarrh. Über die Ätiologie der Erkrankung sind die An¬
sichten geteilt. Gessper glaubt, es handle sich meist um Lues, Hesck
(Graz) spricht von Hemmung (Mißbildungen) ebenso Heubner.
Reiss (München).
890
Referate und Besprechungen.
Zur Prognose der spastischen Pylorusstenose der Säuglinge.
(Prof. W. v. Starck, Kiel. Zentralbl. für Kinderheilk., Nr. 5, 1909.)
Für die Diagnose der Erkrankung waren maßgebend :
1. Die sichtbare Magenperistaltik;
2. Das Erbrechen nach jeder Mahlzeit und entsprechende Beeinträchti¬
gung des Ernährungszustandes ;
3. Verminderung der Urin- und Stuhlmenge;
4. Nachweis eines kleinen Tumors in der Pylorusgegend (in ca. 30%).
Als Therapie bewährten sich zunächst kleine häufigere Mahlzeiten,
in der ersten Woche abgezogene Muttermilch aus der Flasche.
Subkutane Kochsalzinfusionen waren in der Hälfte der Fälle im Be¬
ginn der Behandlung ab und zu nötig.
Regelmäßige Magenspülungen wurden im allgemeinen nicht gemacht,
sondern nur, um ein Urteil über die Größe und Zeitdauer etwaiger Rückstände
zu bekommen. Auch ohne Spülung sind die Fälle günstig verlaufen.
Über Salzsäure des Magensaftes fehlen ausreichende Angaben.
Die motorische Insuffizienz war in allen Fällen sehr ausgesprochen
vorhanden.
Die Prognose der Erkrankung ist durchaus günstig.
Als medikamentöse Behandlung wurden verabreicht kleine Dosen Opium
mit einem Valerianainfus oder Chamomillaeinfus oder auch Pulv. Doweri, in
hartnäckigen Fällen Mf subkutan (1/10 — 3/io mg).
In der Magengegend warmer Umschlag oder Termophor. Reiss (München).
Zur Kasuistik der Peritonitis im Säuglingsalter.
(Franz Deiss, Basel. Zentralbl. für Kinderheilk., Nr. 3, 1909.)
Peritonitis, ebenso wie die Perityphlitis, selbst in ihrer perforativen
Form ist keine Seltenheit bei Säuglingen.
Mitteilung: 2 Fälle.
Fall I. Knabe 12 h post partum mit gewaltig aufgetriebenen Abdomen.
Nach IV2 Std. Operation wegen Darmverschluß. Schnitt wie bei Appendizitis.
Es entleert sich eine fast wasserdünne trübe Flüssigkeit, die geruchlos1 ist, bei.
Überimpfen steril bleibt, im Sediment Epidermiszellen und feine Wollhaare,
ca. V3 1. Nach 12 Std. fäkulentes Erbrechen, Ikterus, exitus 40h post
operationem.
Autopsie. Darmverschluß, Dünndarm perforiert.
Diesen Befund deutet D. als Reste einer fötalen Peritonitis. Ätiologie
unbekannt, Tuberkulose und Lues sind sicher auszuschließen.
Fall II. M. K., 10 Monate.
Mitten im vollen Wohlbefinden Erbrechen. Seit 2 Tagen obstipiert.
Auftreibung des Leibes. Temp. 38°. In Narkose: Resistenz der Ileocöcal-
gegend.
Diagnose schwankt zwischen Peritonitis nach Appendizitis und Ileus in¬
folge Invagination.
Operation : Strangulationsileus, durch den abschnürenden, gangränösen
Wurmfortsatz. Appendix an der Spitze 2 feine Perforationsöffnungen.
Exitus 3 h post operationem. Die Sektion ergibt noch eine durchs
Zwerchfell fortgeleitete rechtsseitige Pleuritis.
Es handelt sich um eine Appendizitis gangränosa mit Kotstei.uen und
universeller Peritonitis, kompliziert durch Strangulationsileus und fortge¬
leiteter Pleuritis. Reiss (München).
lieber Beeinflussung des Strophulus (Lichen urticatus) durch
Scheinwerferbestrahlung.
(Dr. E. Ruediger, Marburg a. L. Archiv für Kinderheilk., Bd. 49, H. 5 u. 6.)
R. berichtet von recht günstigem Erfolg bei Strophulus durch Bestrah¬
lung (weißes Kohlenlicht) tägl. 10 — 15 Minuten; der Brennpunkt wurde
stets hinter den Patienten verlegt. Reiss (München).
Referate und Besprechungen.
891
Ueber Pyozynasebehandlung der Diphtherie.
(Grösz, Ofen-Pest. Münch, med. Wochenschr., Nr. 4, 1909.)
Verfassers Resultate stammen von ausgesucht schweren Fällen von
Diphtherie, die natürlich noch alle mit Serum behandelt wurden., Vorher
waren bei den schwersten Formen, namentlich bei kleinen Kindern von
1—2 Jahren, niemals so günstige Resultate beobachtet, wie bei der kom¬
binierten Serum- und Pyozyanasebehandlung. Dieses letzte Produkt wurde
nicht nur in dem affizierten Rachen aufgesprayt, sondern auch beim Krupp
direkt in den Larynx durch einen Sprayapparat (Kolben mit Druckballon
und einem zweimal rechtwinklig abgebogenen Leitungsrohr) und zwar un¬
verdünnt, in 2 — 6 Sitzungen pro die. Das kurze Endstück des Rohres wurde
wie bei der Intubation in den Larynx bezw. hinter die Epiglottis eingeführt.
Die Vorbereitungen zur Intubation mußten für alle Fälle getroffen sein.
Rascheres Ablösen der Membranen bei der kombinierten Behandlung, schneller
Temperaturabfall, rasches Verschwinden des Foetors, reichliche Expektoration
von Membranen, öfteres Unnötigwerden der Intubation und frühere definitive
Extubation sprechen für die Pyozyanaseanwendung. Krauße-Leipzig.
Ein Fall von tuberkulöser Nephritis nach einer Angina bei einem sonst
gesunden Kinde.
(F. Theodor, Königsberg i. Pr. Archiv für Kinderheilk., Bd. 49, H. 5 u. 6.)
Wie nach Scharlach, sollte auch nach Angina der Urin stets auf Ei¬
weiß untersucht werden. Der Verf. teilt einen Fall von mild verlaufener
Angina mit, in dessen Gefolge Albumen im Urin auf trat, nach 4 Wochen
neben Leukozyten und vielen Bakterien Streptokokken und Tuberkelbazillen
im Harn. Nach 3 Jahren Exitus an einer Exazerbation der Nierentuberkulose.
Reiss (München).
Nebennierensubstanz und Rachitis.
Experimentelle klinische Untersuchungen.
(Antonio Jovane u. Carlo Pace, Neapel. Archiv für Kinderheilk., Bd. 49, H. 5 u. 6.)
Es wurden rachitische Kinder den hypodermischen Adrenalininjektionen
unterwarfen. Das Adrenalin war die Viooo Lösung von Parke Dawis oder
Clin. Die Dosis war Vio ccm! bis 1 ccm dieser Lösung. Die Injektion
begann mit Vio ccm und jede Injektion wurde um Vio ccm vergrößert,
tägl. abwechselnd subkutan an einem andern Punkte des Körpers. Niemand
von den Behandelten bekam mehr als 16 Injektionen.
2 Kranke zeigten Intoleranz, von den andern wurde die Kur gut er¬
tragen. Solange diese Kinder unter der Wirkung der Adrenalin-Injektionen
standen, war eine Besserung der rachitischen Symptome unverkennbar, die
aber nach Einstellung der Behandlung alsbald wieder verschwand. Die Verf.
erklären diese Besserung als Verstärkung des Muskel tonus, hervorgerufen
durch die Nebennierensubstanz, die wie innere Sekretion wirkend, den orga¬
nischen Stoffwechsel günstig beeinflußt.
Als Resultat ihrer histologischen Untersuchung fanden die Autoren
die Nebennieren in keiner Weise bei Rachitis verändert. Vollständige Neben¬
nierenexstirpation führt bei Tieren immer zum Tode.
Einseitige Nebennierenexstirpation läßt außer einer Vasodilatation in
den Blutkapillaren der Knochenmarkräume keine histologischen Beschädigungen
entdecken.
Resultat: Pathologisch anatomisch keine Beziehung zwischen Neben¬
niere und Rachitis.
Die chemisch-biologische Seite der Frage ist noch zu erforschen.
Reiss (München).
892
Referate und Besprechungen.
Ueber Wundscharlach.
(L. Kredel, Hannover. Archiv für klin. Chir., Bd. 87, H. 4.)
Während in der vorantiseptischen Zeit der Wundscharlach eine große
Rolle spielte, trat er mit Einführung des Antisepsis mehr in den Hinter¬
grund. Auch ließ eine strengere Kritik eine große Anzahl von Fällen,
welche als Wundscharlach beschrieben waren, als septische Exantheme er¬
klären, ja, es wurde das Vorkommen von Wundscharlach überhaupt ge¬
leugnet. Kredel teilt nun eine Reihe von Fällen mit, die als typischer
Wundscharlach zu bezeichnen sind. Unter 28 im Laufe des letzten Jahres
im Kinderkrankenhause zur Beobachtung gekommenen Fälle traten 12 un¬
mittelbar nach einer Operation, einer hei einer frischen Verbrennung . auf.
Trotz der interkurrenten Scharlachinfektion sind die Wunden mit 3 Aus-
nahmen aseptisch gehliehen. 4 mal konnte mit Sicherheit der Beginn des
Exanthems von der Umgehung der Wunde festgestellt werden. Das schwerste
Exanthem trat bei einem Kinde auf, welches an beiden Füßen operiert war.
Die Inkubation pflegt beim Wundscharlach eine auffallend kurze zu sein.
Die Angina wird bei ihm häufig vermißt, mitunter tritt sie verspätet auf
(2 — 5 Tage nach Ausbruch des Exanthems). Verfasser ist der Ansicht, daß
eine Infektion der Wunde während der Operation stattfindet. Er wirft
die Frage auf, ob man in solchen Zeiten einer Scharlachepidemie zur Ver¬
hütung der Infektion, die Wunden einer vernünftigen Antisepsis — alle
seine Fälle sind rein aseptisch behandelt worden — - unterwerfen soll.
H. Stettiner (Berlin).
Beitrag zur Keuchhustenbehandlung.
(R. Schottin. Med. Klinik, Kr. 7, 1908.)
Die Behandlung des Keuchhustens, wie sie Schottin seit längeren Jahren
übt und empfiehlt, besteht darin, daß die Kranken in einer mit Bromdämpfen
geschwängerten Athmosphäre sich zeitweise aufhalten. Die Kranken befinden
sich vor- und nachmittags in einem Bromdampf zimmer für je 2 — 3 Stunden und
schlafen auch nachts darin. Um die Bromdämpfe zu erzeugen, bedient sich
Schottin eines nach seinen Angaben von der Marien- Apotheke in Dresden
hergestellten und Bromotussin genannten Präparates. Unter der Behand¬
lung mit Bromdämpfen sollen die Keuchhustenanfälle innerhalb von 5 — 8 Tagen
in Bezug auf Heftigkeit und Anzahl auf die Hälfte absinken und nachj 3 bis
4 Wochen ohne Rückfall verschwinden. In einzelnen Fällen ging die Besse¬
rung noch schneller von statten und machte sich schon nach wenigen Tagen
bemerkbar. R. Stüve (Osnabrück).
Psychiatrie und Neurologie.
Ein neues Verfahren zur Nervenzellenfärbung.
(Savini. Zentralbl. für Bakt., Bd. 48, H. 5, 1909.)
Die Verfasser liefern einen kleinen Beitrag zur Nissl-Färbung der
Nervenzellen. Sie haben die Angaben NissT’s hier und dort verändert.
Die Einbettung der Stücke geschieht in Zelloidin.
Die einzelnen Schnitte werden ,auf numerierten Papier blättern aufgefangen
und vor der Färbung kurze Zeit in 96°/0igem Alkohol aufbewahrt. Der
Schnitt wird dann in die Oberfläche der Farblösung gebracht. Die Borax¬
methylenblaulösung wenden Verf. nur halbverdünnt an. Das Färbebad wird
nur bis zur deutlichen Dampfbildung etwa zwei Minuten erwärmt. Die
Differenzierung in Anilinalkohol soll langsam vor sich gehen. Die Differen¬
zierung ist unter dem Mikroskop zu überwachen. Dann, wenn das Präparat
den gewünschten Grad erreicht, wird es in Kajeputtöl aufgehellt, mit Benzin
gewaschen und in Benzinkolophonium eingeschlossen.
Referate und Besprechungen.
893
Das Boraxmethylenblau gebrauchen Verfasser auch zur Romanowsky-
Färbung mit einer gleichzeitigen l%0igen Eosinlösung. Die genaue Färbe¬
methode wird angegeben. Diese Färbung eignet sich gut für Blut, für
Blutparasiten, wie Malaria, Trypanosomiasen. Schürmann (Düsseldorf).
Anatomische Studien über den Mongolismus.
(Paul Hellmann Senkerg, Frankfurt a. M. Archiv für Kinderheilk., Bd.49,H. 5u.6.)
Der Verf. wirft die Frage auf, ob Mongolismus eine Affektion mit hirn¬
anatomischer Besonderheit darstellt. Nachdem er die klinischen Besonder¬
heiten des Mongolismus gegenüber anderen Formen der Idiotie an Hand ver¬
schiedener Krankengeschichten festgelegt hat, geht er an die Deutung des
anatomischen Befundes. Die inneren Organe, die drüsigen Elemente, be¬
sonders die Schilddrüse zeigten keine verwertbare Abweichung von der Norm.
Die Kleinheit des Gehirnes bei einfachem Windungstypus unterscheidet sich
bei Mongolismus nicht von anderen Formen der Idiotie. Entzündliche Ver¬
änderungen an den mesodermalen und ektodermalen Stützelementen, an der
Pia und den Gefäßen sind bei Mongolismus unter allen Umständen auszu¬
schließen. Die quantitative Verzögerung und Verminderung der Markbildung
besonders der Rinde bietet keine anderen Veränderungen, als wir sie bei jeder
Idiotie zu sehen gewohnt sind. Die tieferen Hirnteile (Kleinhirn und Rücken¬
mark) lassen nichts pathologisches erkennen. Die Zeichen einer nicht ganz
fertigen Entwicklung der Gehirnrinde faßt H. als Symptom einer tieferliegen¬
den, uns noch nicht bekannten Krankheitsursache auf. Reiss (München).
Aus dem Sanatorum für innere und Nervenkrankheiten Schloß Hornegg a. N.
Zur Klinik postdiphtherischer Pseudotabes (Liquorbefunde bei
postdiphtherischer Lähmung).
(Dr. L. Roemheld. Deutsche med. Wochenschr., Nr. 15, 1909.)
Die Ähnlichkeit des klinischen Bildes der Tabes dorsalis mit dem der
schweren Formen postdiphtherischer Lähmungen veranlaßte Roemheld, Unter¬
suchungen darüber anzustellen, ob auch das Verhalten des Liquor cerebro¬
spinalis bei diesen beiden Krankheiten Ähnlichkeiten aufweist. Bei einem
erwachsenen Patienten, der mit Serum behandelt worden war und 2—3 Mo¬
nate nach der überstandenen schweren Diphtherie das Bild der postdiphtherischen
Lähmung (Akkomodationsparese, Gaumensegellähmung und im übrigen die Sym¬
ptome der Pseudotabes) bot, konnte er eine pathologische Veränderung des Liquor
cerebrospinalis konstatieren. Sie bestand in Vermehrung des Eiweißgehaltes,
weniger in Vermehrung der zeitigen Elemente und ging mit der Besserung
der klinischen Symptome zurück. Die Eiweißvermehrung war außerordentlich
stark, so wie man sie bei Paralyse oder Meningitis findet.
Nach zwei Richtungen hin ist diese Beobachtung von Wert. Erstens
liefert sie einen Beitrag zur Lösung der Frage nach dem Sitz der post-
diphtherischen Lähmung. Es dürfte sich dabei kaum um eine einfache peri¬
phere Erkrankung der Nerven handeln, vielmehr läßt die Hochgradigkeit der
Liquorveränderung die Möglichkeit zu, daß die nervösen Zentralorgane und
ihre Häute durch septisch entzündliche Prozesse angegriffen sind, die zu
zentralen anatomischen Veränderungen geführt haben. Dabei bleibt es frei¬
lich unentschieden, ob die Liquorveränderung die Folge einer Diphtheriesepsis
im Beginn der Erkrankung ist, oder ob sie erst im Stadium der postdiph¬
therischen Lähmung die Folge einer aszendier enden Entzündung ist. Zweitens
lassen solche Beobachtungen bei akuten Infektionskrankheiten vielleicht auch
Rückschlüsse auf die Entstehung der Lymphozytose und der Eiweißvermehrung
bei metasyphilitischen Erkrankungen zu.
Roemheld führt zum Schluß noch einen Fall von Imbezillität an, die
im Anschluß an eine schwere Diphtherie mit postdiphtherischer Lähmung
eingetreten war. Hier fand sich gleichfalls eine pathologische Liquorver-
änderung. Der Fall unterscheidet sich aber dadurch von dem ersten, daß)
894
Bücherschau.
nach dem Verschwinden der Lähmung ein außerordentlich schweres Krank¬
heitsbild zurückgeblieben ist, und zwar ein stationärer Zustand von Im¬
bezillität, von Pleozytose und von starker Vermehrung des Eiweißgehaltes.
Es dürfte aber ganz besonders dafür sprechen, daß die Liquorveränderungen
auf anatomische Läsionen der Zentralorgane und ihrer Häute zurückzuführen,
also nicht toxischer Natur sind.' F. Walther.
Die Sanatogentherapie bei Erkrankungen des Nervensystems.
(Bernhard Westheim er. Med. Klinik, Nr. 47, 1908.)
Von der Heranziehung des Sanatogens zur Unterstützung der Ernährung
bei den verschiedensten Erkrankungen nervöser Art, sowohl der „rein funk¬
tionellen“ Erkrankungen wie Hysterie, Neurasthenie, besonders auch sexueller
Neurasthenie, bei Epilepsie und auch bei solchen mit organischen Verände¬
rungen (Tabes), sah Wert.heim.er gute, z. T. ausgezeichnete Erfolge.
R. Stüve (Osnabrück).
Bücherschau.
Die chronischen Krankheiten, ihre Entstehung, Verhütung und Heilung.
Entwurf einer biologisch - pharmakologischen Zellulartherapie unter
besonderer Berücksichtigung der Lehre von der Infektion und Immunität.
Von Friedrich Boesser. Leipzig, Paul Schimmelwitz, 1909. 102 S.
8°. 3 Mk.
Nach dem Vorworte soll in dem Buche gezeigt werden, daß das Problem
der chronischen Krankheit nicht unlösbar ist, sondern tatsächlich durch einen
deutschen Arzt (gemeint ist der unten zu erwähnende Dr. Kreidmann) „eine
überraschende Lösung gefunden hat, so daß die Medizin zurzeit vor einem;
ihrer größten Wendepunkte steht, größer noch als jener, der mit der Ent¬
deckung des Blutkreislaufes durch Harwey erfolgte“. Der beigefügte Prospekt
des Verlages über das „inhaltsschwere Werk“ führt das noch weiter mit
hübschen Worten, aus.
Das darf dem Autor (nach Ausweis des Medizinalkalenders „Spezialarzt
für innere und Kinderkrankheiten“ frühen in Chemnitz, neuerdings in Weimar)
beileibe nicht als Unbescheidenheit ausgelegt werden, da er wesentlich nur die
Bolle eines Apostels der von Kreidmänii (gleichfalls „Spezialarzt für innere
und Frauenkrankheiten“, aber in Altona) veränderten Lehre beansprucht,
wenngleich der Tempel [der „Zellulartherapie“, den er als notwendige Er¬
gänzung der Zellularpathologie ,in Gestalt des vorliegenden Werkchens er¬
richtet, offenbar auch der Bäusteine eigenen und auch recht eigenartigen
Gepräges nicht entbehrt.
Alle chronischen Krankheiten sind nach der hier vorgetragenen Auf¬
fassung nichts als Vergiftungen. Die Intoxikation beginnt schon im Mutter¬
leibe, denn die Frucht trinkt schon das krankhafte Fruchtwasser, atmet
seine Gifte in die Lungen und saugt sie in die oberflächlichen und tieferen'
Hautschichten anf- Und der einmal chronisch krank gewordene Körper
kann niemals „von alleine“ wieder vollkommen genesen. Wir besitzen aber
nicht nur in der Salizylsäure, in Chinin und im Quecksilber unzweifelhafte
„Antitoxine“ d. h. körperfremde Agentien, die bei der Anwesenheit der
entsprechenden Krankheits- resp. Intoxikationsstoffe — aber auch nur dann —
heilen, sondern auch Eisen, Kupfer, Jod, Brom, Phosphor, Fluor, Arsen usw.,
kurz die ganze Reihe der Metallika, die die von den Krankheitsgiften ge¬
setzten Zellschädigungen, wie wir belehrt werden, wieder a-usgleichen und
weiter auch, in einem gewissen Kontrast zu diesen stehend, die „biochemischen“
Mittel aus dem . Pflanzenreich : Morphin, Belladonna, Digitalis, Strychnin,
Pulsatilla, Bryonia, Rhus toxicodendri usw. Die biochemischen Mittel dürfen
nur zwischen die unzweifelhaft anti toxischen eingeschaltet gegeben werden ;
die Anwendung und Dosierung der Symptomatika hängt davon ab, ob ein
der experimentellen Arzneiwirkung entgegengesetzter oder homologer Zustand
bei dem Kranken vorhanden ist: im ersteren Falle wirken mittlere, im zweiten
die kleinsten (homöopathische) Gaben heilsam.
Bücherschau.
895
Doch die an ti toxische Therapie würde den Autor vielleicht nicht zu diesem
Hymnus begeistert haben, wenn sie sich bloß bei chronischen und manifesten
Krankheiten, nicht auch bei akuten und ebenso prophylaktisch bewährte.
Es ist ja gerade charakteristisch für die Enthusiasten einer Methode, daß diese
stets und in allen Fällen helfen muß und daß alle Leiden der Menschheit ver¬
möge dieser vermeintlichen Errungenschaft von einem Punkte aus kuriert
werden können. Wir müssen also nicht nur jeden Fall von Schnupfen, Influenza,
Keuchhusten, Masern, Scharlach, Diphtherie usw., sondern auch' jede' Schwangere
während der ganzen Schwangerschaft einer symptomatischen Behandlung mit
pflanzlichen Antitoxinen unterwerfen, wir müssen ,,zur größeren Sicherheit
vorläufig noch" jeden Neugeborenen etwa drei Wochen lang mit pflanzlichen
Antitoxinen innerlich und äußerlich behandeln, „um so jeden Rest von Frucht¬
wassergift aus der Haut, den Schleimhäuten und in den Zellen zu beseitigen“.
Auf weitere Details gehe ich nicht ein, um das ,, zellularpathologische“
Fundament dieser eigenartigen Lehre Revue passieren zu lassen. Andernfalls
unterschlüge ich den Clou des Menus, das uns Herr ,, Doktor der Medizin usw.“
Bo esse r zu servieren die Freundlichkeit hat. Ich kann also nicht umhin,
diese Pastete den verehrten Lesern zu geneigter deliziöser Betrachtung herum¬
zureichen. Hier ist sie :
Verbreitet werden die „chronischen Krankheitsgifte“ im Organismus
durch den „Nervenkreislauf“, der ihnen ein langsames Durchwandern des
Körpers , und die akute ,, Durchseuchung“ bald dieser, bald jener Organe,
z. B. bestimmter Teile des Kopfes von bestimmten Teilen der Brusthöhle,
bestimmter Organe dieser wieder von bestimmten Organen der Bauchhöhle
aus ermöglicht. Dieser „Nervenkreislauf“ im Sinne des Autors und Kreid-
mann’s setzt aber ein wirkliches Fließen von Flüssigkeit in präformierten,
in die Nervensubstanz eingebetteten Röhren voraus, nicht etwa wellenförmige
Schwingungen eines Leiters oder, wie Rosienbach es annimmt, einen durch die
Kombination physikalischer und chemischer Prozesse von Teilchen zu Teilchen
sich fortpflanzenden Energiestrom.
Auf die Begegnung mit diesem Geist, den ich durch Aussprechen des
Namens „Rosenbach“ zitiere, schon gefaßt, hat sich der Verfasser offenbar
schon beizeiten mit dem ganzen Stolze gut gemachter Entrüstung umgürtet,
als er auszog, um seine wissenschaftliche Tat zu vollbringen. Kinder stimmen
bekanntlich mutig klingende Weisen ,an, wenn sie ihre Verlegenheit oder
begründete Furchtsamkeit bemänteln wollen, und so vermaß sich auch Herr
Boesser, mit seinen Enthüllungen den Entdeckungen dieses Forschers „das
Lebenslicht auszublasen und den unerhörten Mißbrauch mit dem Begriff und
Namen des Nervenkreislauf es zu brandmarken“, den dieser seiner Meinung
nach getrieben hat.
Dabei entblödet sich Boesser nicht, den verstorbenen großen Forscher
und edlen Menschen ganz unverblümt des Plagiates zu beschuldigen und
dabei mit der Behauptung, Rosenbach habe erst nach Erscheinen des Kreid-
mann’schen Buches 1893 resp. 1894 'und nach Überlassung eines „Rezensions¬
exemplars“ seitens des Autors zwei bis drei Jahre später „auch einen Nerven¬
kreislauf“ entdeckt, als Kämpe „für Ehre und Wahrheit der Wissenschaft“
zu posieren.
Diese Behauptung ist für jeden, der Rosen bach’s Lehren auch nur
oberflächlich kennt, von einer, ich möchte sagen, so „ehrlichen Falschheit“,
daß niemand durch sie getäuscht werden kann. Aber doch darf ich als Freund,
Schüler und in den letzten Jahren auch Mitarbeiter des Verstorbenen diese
Blasphemie nicht ohne Richtigstellung lassen.
1. Daß Rosenbach nach dem Erscheinen des Kreidmann’schen Buches
um dessen Zusendung ersucht hahen mag, ist möglich und wäre bei dem
Interesse, das jeder Autor an der V/erbreitung seiner eigenen Ideen, an ihrer
Ausgestaltung, an den durch die Individualität des wirklichen oder vermeint¬
lichen Nacharbeiters gegebenen Modifikationen der Auffassung, ja an ihren
Irrtümern nimmt, auch erklärlich. Sehr zzweifle ich hingegen an der Wahr¬
heit der Angabe, daß um ein „Rezensions“-Exemplar gebeten worden sein soll,
schon deshalb, weil Rosen bach sich mit Referaten für Zeitschriften meines
Wissens überhaupt nicht, in jener Zeit aber, als er mit den Korrekturein
seiner 72 Druckbogen (1132 und XVI Seiten) großen Formats umfassenden
Monographie der Herzkrankheiten (1893 — 1897) beschäftigt war, mit Sicher¬
heit nicht abgegeben hat. Wenn sich Boesser — oder Kreidmann durch den
Mund Boesser’s — über das Ausbleiben einer Besprechung beklagt, so kann
ich nur betonen, daß Schweigen oft vielleicht die rücksichtsvollste und wohl-
896
Bücherschau.
_ #
wollen dste Art der Kritik und nach meiner Erfahrung nicht gar so selten
die für den Autor, wie für den Rezensenten angenehmste Lösung der Aufgabe
ist. W äre das doch auch hier nur möglich gewesen !
2. Boesser behauptet, daß Rosenbach erst „neuerdings14 (er meint zwischen
1894, dem Jahre des Abschlusses des ersten [Teiles des Kreidmann’schen Buches,
und 1896) in der schon erwähnten Monographie der Herzkrankheiten, deren erste
Hälfte übrigens 1893 erschien und im Heft 101 der Berliner Klinik, November
1896) mit der Idee des Nervenkreislaufs hervorgetreten sei. (Komisch klingt
bei einem Autor, der um diese Zieit offenbar noch! nicht Student in den klinischen
Semestern war, dieses „neuerdings“!) Aber wenn sich Herr Boesser einesi
recht eingehenden Studiums der Rosenb ach’schen Arbeiten befleißigen wollte,
würde er finden, daß die Grundzüge der Lehre vom Kreislauf schon in dessen
ersten Publikationen (seit dem Jahre 1873) deutlich zutage getreten, immer
ausgesprochenere Gestalt annehmen und in ganz markanter Form erscheinen in dem
Aufsätze „Bemerkungen zur Mechanik des Nervensystems (die oxygene
tonische Energie)“, der 1892 also mindestens ein reichliches Jahr vor dem'
Erscheinen des Kreidin ann’schen Buches in Nr. 43 — 45 der Deutsch. Mediz.
Wochenschrift zum Abdruck gelangte. Die Abfassung des betr. Kapitels
für die Monographie der Herzkrankheiten p. 831 ff, bis 835 fällt auch in diese
oder wenige Monate spätere Zeit. Der Vortrag in der Berliner Klinik
Heft 101, „Bemerkungen zur Dynamik des Nervensystems; der Nervenkreis-
lauf und die tonische Energie“ ist nur eine etwas erweiterte Überarbeitung
des erwähnten Artikels in der Deutschen Medizinischen Wochenschrift, wo¬
von sich jeder überzeugen kann. Und hier — ich hebe ausdrücklich hervor :
in dieser 1892 erschienenen Arbeit Rosenb ach’s — ist nicht nur, wie von
jeher betont, daß die peripheren Nerven im Gegensätze zu der landläufigen
Auffassung, die ihnen lediglich die Rolle von bloßen Leitern im physikali¬
schen Sinne zuerteilt, und ihre spezifischen Endapparate aus arbeitsleistenden;
kleinen Gewebsmaschinen zusammengesetzt sind, die als Transformatoren der
Energie, vielleicht sogar schon als Akkumulatoren wenn auch geringerer
Energiemengen (in den Kernen der Scheiden) dienen, sondern, daß durch
diese Konstruktion des Nervensystems die Unterhaltung eines Stromes von
Energie stattfindet, der von der Peripherie des Organismus zu den
Zentren und umgekehrt kursiert. Durch die besonders empfindlichen End¬
apparate im Hautorgan, das sich hei der bis ins kleinste Detail durchge¬
führten Arbeitsteilung der höheren Organisation im Laufe der phylogeneti¬
schen Entwicklung aus den anfangs als direktes Empfängsorgan aller kineti¬
schen Energie dienenden Körperprotoplasma differenzierte, werden die fein¬
sten Energieströme der Außenwelt aufgenommen, transformiert, von einem
lebenden Molekül zum andern unter Fortführung der Transformation weiter¬
gegeben und unter teilweiser Aufspeicherung in den gewissermaßen als Akku¬
mulatoren dienenden Reservoirs, den Ganglien die Übertragung des aktivierten
Sauerstoffs in alle Köirpergewebe bis zu den nervösen Zentralorganen geleitet.
Die hier zur Aufspeicherung gelangte Energie kehrt dann bei entsprechender
Gestaltung des Impulses unter Vollendung des Zirkels als kinetische Energie
zurück, um sich hier „außerwesentlich“ zu beteiligen.
3. Rosenbach, der schon in der Monographie der Herzkrankheiten
das Ineinandergreifen von 4 Kreisläufen (dem Kreislauf des Gewebs- und
Protoplasmastromes, dem Blutkreislauf [mit dem in ihn als Nebenschließung
eingeschalteten Lymphkreislauf], dem Kreislauf der Lunge und dem Nerven-
kreislauf) eingehend geschildert hat, versteht natürlich unter dem „Nerven-
kreislauf“ einen ganz anderen Vorgang, als wie ihn Boesser und Kreid¬
mann im Auge haben, deren einseitig humoralpathologische Anschauung
ja in der Darstellung vom Fließen der Nervenströme „nach Art des Inhalts
einer Röhrenleitung“ in den supponierten „N ervenkapillaren“ — einer Ent¬
deckung, die ja auch von der bösen Mitwelt totgeschwiegen wird — zum
Ausdruck kommt.
Was überhaupt von allen den Einfällen lesbar ist, haben andere schon
vorher gedacht, und das andere sind nackte Plattheiten, unbeweisbare Be¬
hauptungen und zudem wissenschaftliche Ungereimtheiten. Was aber die
Verunglimpfungen Rosenbachs durch Herrn Boesser anlangt, so scheint
die „Liebe zur Ehre und zur Wahrheit der Wissenschaft“, die er damit zu
dokumentieren vorgibt, doch eine recht unglückliche Liebe zu sein. Eschle.
Schriftleitung: Dr. Ri gl er in Leipzig.
Druck von Emil Herr mann senior in Leipzig.
27. Jahrgang.
1909.
fortscbritte der Medizin.
Unter Mitwirkung hervorragender Fachmänner
lierausgegeben von
Professor Dr. 0. Köster Prio.-Doz. Dr. ». griegern
in Leipzig. in Leipzig.
Schriftleitung: Dr. Rigler in Leipzig.
Nr. 24.
Erscheint am 10., 20., 30. jeden Monats. Preis halbjährlich
6 Mark, in kl. Zeitschrift für Versicherungsmedizin 8 Mark.
Verlag von Georg Thieme, Leipzig.
30. August.
Originalarbeiten und Sammelberichte.
Ueber einseitige Augenbewegungen.
Von Prof. Dr. A. Bielschowsky,
1. Assistent an der Uni versitäts- Augenklinik zu Leipzig.
(Nach einem in der biologischen Gesellschaft zu Leipzig am 21. Mai 1909
gehaltenen Vortrage.)
Es ist eine alte Streitfrage, ob die gleichzeitig und in der Hegel auch
gleichmäßig erfolgenden Bewegungen der beiden Augen eine präformierte
Einrichtung des Zentralorgans darstellen, wie die Anhänger der nati-
vistisehen Anschauung Joh. Müllers glauben, oder ob die motorische
Anrknüpfung der beiden Augen erst eine im Leben des Einzelnen er¬
worbene Tätigkeit sei, erlernt durch das Bestreben, den Gegenstand der
Aufmerksamkeit in beiden Augen auf den Netzhautmitten als den
Stellen des schärfsten Sehens zur Abbildung zu bringen. Die letztere,
von Helmholtz und der empdristischen Schule vertretene Lehre,
schien eine Stütze zu finden in den gelegentlich zu beobachtenden
einseitigen bezw. ungleichmäßigen Augenbewegungen, die man
auf isolierte bezw. verschiedenartige Innervation der beiden Einzelaugen
zu beziehen geneigt war. Demgegenüber wies Hering einerseits darauf
hin, daß auch ein von frühester Kindheit an sehschwaches oder blindes
Auge stets die Bewegungen des zweiten (sehtüchtigen) Auges gleich¬
sinnig und gleichmäßig mitmache, was auf eine angeborene nervöse
Verknüpfung ihrer motorischen Apparate schließen lasse. Anderer¬
seits zeigte er, daß auch die beim gewöhnlichen Sehen des normalen
Menschen zu beobachtenden ungleichmäßigen bezw. einseitigen Augen¬
bewegungen auf gleichmäßige Innervation der beiden Augen zurück¬
zuführen sind. Wenn jemand, der einen fernen Punkt fixiert, in die
linke Gesichtslinie nahe vor das Auge eine Nadelspitze bringt und die
Augen dann auf letztere einstellt, so macht nur das rechte Auge eine starke
Bewegung nach einwärts (links), am linken sieht man höchstens eine
minimale Zuckung. Trotzdem hat die Änderung der Innervation, die
zur Einstellung auf die Nadelspitze führte, das linke Auge in der näm¬
lichen Weise beeinflußt, wie das rechte. Daß nur letzteres mit einer
deutlichen Bewegung reagierte, liegt daran, daß keine einfache, sondern
eine zusammengesetzte Innervation erteilt worden ist, zusammengesetzt
nämlich aus einem (gegensinnigen) Bewegungsimpuls zur Naliestel-
lung (Konvergenz) und einem (gleichsinnigen) Bewegungsimpuls
zur Linkswendung des Doppelauges. (Nur für „unendliche“ bezw.
57
898
A. Bielschowsky,
sehr große Entfernungen spielt der Seitenabstand der Augen von der
Medianebene keine Holle, so daß man ein unendlich fernes Fixations¬
objekt gleichzeitig in der Medianebene des Körpers und in jeder der
beiden Gesichtslinien liegend erachten kann . Innerhalb endlicher Ent¬
fernungen jedoch liegt alles „seitwärts“, was nicht in der Medianebene
liegt. Nur wenn das fixierte Objekt in der Medianebene heranrückt,
kann die Fixation durch ausschließliche Änderung der Konvergenz¬
innervation erhalten bleiben. Rückt es jedoch in einer der Gesichts¬
linien, z. B. in der linken heran, so muß zur Erhaltung der Fixation
sich mit der zunehmenden Konvergenz-, eine entsprechend zunehmende
Linkswendungsinnervation verbinden.) Sowohl der Konvergenz- wie
der Linkswendungsimpuls treiben das rechte Auge in dem nämlichen
Sinne — zu einer Adduktionsbewegung — an ; am linken dagegen
wirken beide Impulse einander derart entgegen, daß eine Stellungs¬
änderung nicht erfolgt. Die von Hering erbrachten Beweise dafür,
daß — in dem als Beispiel gewählten Falle — das stillstehende linke
Auge die nämliche In n e r v at i on s än derung erfahren hat, wie das allein
bewegte rechte Auge, brauchen hier nicht- rekapituliert zu werden.
Durch Einübung kann man es leicht dahin bringen, ein Auge
isoliert aus der Mittelstellung nach innen und wieder zurück zur Mittel¬
stellung wandeln zu lassen. Man muß nur lernen, auch ohne ein be¬
stimmtes, nahegelegenes Fixationsobjekt einen Konvergenzimpuls auf¬
zubringen. Tut man dies und achtet man gleichzeitig auf ein ent¬
ferntes, gut von der Umgebung abstechendes Objekt, so erscheint dieses
in gleichzeitigen Doppelbildern. Wenn man nun den Konvergenz impuls
verstärkt, während man dauernd das eine von den Doppelbildern, z. B.
das linke, fixiert, so bleibt das linke Auge unverrückt, während das
rechte Auge sich nach innen bewegt. Hatte man das rechts gelegene
Bild andauernd fixiert, so wäre eine isolierte Bewegung des linken
Auges erfolgt.
Viele, die an latentem oder manifestem Auswärtsschielen leiden,
sind imstande, die Augen nach Belieben nicht nur parallel, sondern
auch in Konvergenz zu stellen. Wenn sie dabei die Aufmerksamkeit
ständig auf die Netzhautbilder des einen — des führenden — Auges
richten, so vollzieht sich ebenso wie in dem oben geschilderten Falle der
Übergang aus der Divergenz- in die Konvergenzstellung einseitig,
ebenso die entgegengesetzte Bewegung, die bei Nachlassen der Konver¬
genzanstrengung eintritt. Wiederum liegt der einseitigen Bewegung
eine bilateral-gleichmäßige (aus einem gegen- und einem gleich¬
sinnigen Bewegungsimpulse zusammengesetzte) Innervation zugrunde.
Jemand, dessen Augen in ihrer (anatomischen) Ruhelage nicht
divergieren, kann die einseitige Bewegung des Auges nach außen (die
Abduktion) nicht erlernen, weil die Divergenzinnervation nicht in der
AVeise dem Willen- unterstellt ist, wie die Innervation zur Konvergenz.
Wohl aber kann er innerhalb geringer Grenzen sowohl einseitige
Abduktion, wie auch einseitige Bewegung nach oben oder unten
durch Vermittelung des Fusionszwanges ausführen. Dieser, den man
auch als „Streben nach binokularem Einfachsehen“ bezeichnet hat, be¬
ruht auf der an einen Reflexmechanismus erinnernden Abhängigkeit
des motorischen vom sensorischen Apparate des Doppelauges. Sobald
nämlich die zu demselben Objekt gehörigen Bilder auf beiden Netzhäuten
gegeneinander verschoben werden — z. B. durch Vorsetzen eines Prismas
lieber einseitige Augenbewegungen.
899
vor ein Ang'e — , so daß sie nicht mehr anf korrespondierenden Stellen
liegen, wird gleichsam automatisch — ohne Zutun des Betreffenden —
diejenige gegensinnige Innervation ausgelöst, welche die korrespondie¬
rende Bildlage wieder hergestellt. Auf diese Weise kommen (gering¬
gradige) Augenbewegungen zustande, die sonst dem Willen nicht unter¬
stehen ; aber auch für diese ist der Beweis erbracht, daß, auch wenn
sie einseitig erfolgen, stets eine bilateral-gleichmäßige Innerva¬
tion erteilt worden ist, wobei ein Auge durch die sich gegenseitig
auf hebenden Wirkungen eines gleich- und eines gegensinnigen Be¬
wegungsimpulses in seiner Lage erhalten wird.
Es sind zwar wiederholt Fälle beschrieben worden, die angeb¬
lich nach Belieben ein Auge zu abduzieren oder in vertikaler Lichtung
zu bewegen vermochten, doch dürfte bei diesen Individuen stets eine
entsprechende Anomalie der (anatomischen) Buhelage Vorgelegen haben,
die zeitweilig durch den Fusionszwang latent gehalten wurde, zeit¬
weilig aber — bei Auf hören des Fusionszwanges — in einseitiger Schiei¬
ablenkung zutage trat. Ein besonders charakteristisches Beispiel mag
dies erläutern. Ein junger Mann konnte angeblich seit früher Kindheit
nach Belieben das linke Auge isoliert nach oben bewegen. Wie die Unter¬
suchung ergab, war eine Parese seines linken M. obliquus superior
die Unterlage für eine Vertikaldivergenz der Gesichtslinien. Vermöge
eines sehr gut entwickelten Fusionszwanges konnte die Anomalie je¬
doch latent gehalten werden : Pat. konnte binokular fixieren, sobald
er den betreffenden Gegenstand mit Aufmerksamkeit betrachtete, und
die beiderseitigen Netzhautbilder mit annähernd gleichem Gewicht ins
Bewußtsein traten. Wurde eine von diesen unerläßlichen Voraus¬
setzungen für das Wirksamwerden des Fusionszwanges ausgeschaltet,
so war es dem Pat. nicht möglich, das nach oben schielende Auge
dem anderen parallel zu stellen. So z. TB-., wenn man die Netzhautbilder
eines seiner Augen durch ein dunkelfarbiges Glas abschwächte. Was
einzig und allein im Belieben des Pat. stand und die Fähigkeit, die
Augen isoliert zu innervieren, vortäuschte, war das Aufgeben der die
Schieistellung korrigierenden Innervation. Er konnte seine Aufmerk¬
samkeit den Gesichtseindrücken absichtlich entziehen — wie man es
macht, wenn man „ins Leere starrt“ — : dann hörte der Fusionszwang
auf, und die Vertikaldivergenz trat in der Abweichung des einen Auges
zutage, während die Fortdauer des Fixationsbestrebens das andere Auge
in seiner Stellung erhielt.
. •
Für alle bisher besprochenen Arten einseitiger Augenbewegungen
ließ sich der Nachweis erbringen, daß die einseitige Bewegung das
Produkt einer beiden Augen gleichmäßig zufließenden Innervation
darstellt, die sich nur deswegen an beiden Augen verschiedenartig äußert,
weil die zusammentreffenden gegen- und gleichsinnigen Bewegungs¬
impulse sich an dem einen Auge entgegenwirken, während sie sich am
anderen Auge unterstützen. Veranlaßt sind alle derartigen Bewegungen
durch die Bedürfnisse des Sehakts bezw. durch die Abhängigkeit des
okulomotorischen Apparates von den zur Binde geleiteten Erregungen
der Doppelnetzhaut.
Es gibt indessen zweifellos aiuch einseitige Augenbewegun-
gen, die durch isolierte, bezw. verschiedenartige (dissoziierte)
Innervationen der Einzelaugen entstehen. An ihrer Entstehung
sind aber Willen und Gesichtseindrücke nicht beteiligt, und darin
57*
900
A. Bielschowsky,
liegt das wesentliche Unterscheidungsmerkmal gegenüber allen sonsti¬
gen Augenbewegungen. Dies haben bereits Ibach Im ann und Wit-
kowski (1877) in der Erklärung der von ihnen bei Schlafenden,
Kindern in den ersten Lebensitagen und bei Narkotisierten be¬
obachteten atypischen Augenbewegungen mit Hecht hervorgehoben. Sie
fanden neben ganz ungewöhnlichen gegensinnigen auch rein einseitige
Augenbewegungen im Sinne einseitiger Abduktion, Hebung oder Senkungf,
aber nur unter Umständen, wo es ,,an der durch das Bedürfnis des
Einfachsehens gegebenen Nötigung zur zweckentsprechenden Assoziation
der Augenbewegungen, sowie an den zu dieser Assoziation notwendigen
Willensimpulsen fehlt“.
Eine weitere Gruppe von einseitigen Augenbewegungen zeigt einen
ausgesprochen krampfartigen Charakter ; dazu gehört vor allem der
einseitige Nystagmus, der in mehr als 2/3 der beobachteten Fälle ein
vertikaler, viel seltener ein horizontaler oder rotatorischer ist. An¬
gesichts der Tatsache, daß die Zahl der einseitigen bezw. ungleich¬
mäßigen Nystagmusformen verschwindend klein ist gegenüber dem
bilateralen, streng assoziierten Nystagmus, haben manche Autoren ver¬
sucht, auch den. einseitigen Nystagmus auf bilaterale Innervation zu¬
rückzuführen. Die dazu erforderlichen Hilfshypothesen erscheinen mir
jedoch ebenso gewaltsam wie unzulänglich. Ich will daher an dieser
Stelle nicht näher darauf eingehen, zumal im folgenden Belege für
die Existenz einseitig wirkender, voneinander unabhängiger okulomoto-
rischer Zentren zu erbringen sein werden, die meines Erachtens auch
für den einseitigen Nystagmus verantwortlich zu machen sind.
Zuvor nur ein kurzer Hinweis auf eine besondere Art einseitiger
Augenmuskelkrämpf e, die man in vereinzelten Fällen an gelähmten
Augenmuskeln beobachtet hat. Es handelte sich stets um einseitige, aus
frühester Kindheit stammende oder angeborene Okulomotoriuslähmung,
die zuzeiten das bekannte gewöhnliche Krankheitsbild (Ptosis, Schielen
nach außen und unten, Mydriasis) am gelähmten Auge bot. In ge¬
wissen Intervallen von meist nur minutenlanger Dauer erfolgt eine
langsame Hebung des sonst schlaff herabhängenden Oberlides, gleich¬
zeitig verengt sich die sonst gänzlich reaktionslose! Pupille, der Ciliar¬
muskel kontrahiert sich und bewirkt (einseitigen) Spasmus der Akkom¬
modation, daneben läuft auch eine einseitige Bewegung, die das diver¬
gierende Auge in die Mittelstellung bringt, mitunter auch etwas senkt.
Nachdem der Krampf, der das nicht gelähmte Auge völlig unbeein¬
flußt läßt, einen Bruchteil einer Minute gedauert hat, läßt er allmählich
nach : Lid und Bulbus kehren in die gewöhnliche Lage zurück, die
Pupille wird wieder weit, die Akkommodation entspannt. Die wenigen
(5) bisher beschriebenen Fälle dieser Art (Fuchs -Salz mann, Ram-
poldi, Axenf eld-Schürenberg, Bielschowsky) zeigten im wesent¬
lichen das gleiche eigentümliche Verhalten, nur fehlte in meinem Falle
die Beteiligung des levator palp. sup. an den periodischen Krämpfen.
Was den ihnen zugrunde liegendem Mechanismus anlangt, so hat wohl
die Annahme am meisten für sich, daß eine Läsion im Kern- bezw.
Wurzelgebiet des einen Okulomotorius dessen Erregbarkeit für Willens¬
impulse aufgehoben hat, daß aber Besiduen des Krankheitsprozesses,
die auf eine unbekannte Art und Weise vasomotorischen Einflüssen
unterliegen, eine intermittierende (zeitweilig gehemmte) Beizung einige
von den gelähmten Muskeln bewirken. So viel ist wohl sicher, daß
diese Augenmuskelkrämpfe peripheren, bezw. nuklearen Ursprungs sind.
Ueber einseitige Augenbewegungen.
901
Schwieriger zu deuten ist die Entstehung einer anderen Art ein¬
seitiger Augenbewegungen. Bei Untersuchungen des Sehens der Schie¬
lenden fand ich, daß Verdecken des schielenden Auges in manchen
Eällen eine isolierte Bewegung desselben zur Folge hatte, meist der¬
art, daß es bei Verdecken nach oben abwich, bei Wieder fr eilassen in
(oder nahe an) die horizontale (konvergente oder divergente) Lage zu¬
rückkehrte. Dieser Vorgang erinnert an das, was wir als Merkmal
von latentem Schielen kennen gelernt haben, wo die einseitige Be¬
wegung des vom gemeinschaftlichen Sehen ausgeschlossenen Auges das
Aufhören der vom Fusion szw ange unterhaltenen Ausgleichsinnerva¬
tion erkennen läßt. Jetzt handelt es sich aber um permanentes
Schielen, bei dem durch Verdecken des Schielauges eine Änderung der
Schieirichtung bewirkt wird, ohne daß es je zur binokularen Fixation
kommt. Denkbar wäre es allerdings, daß trotz Schielens ein gemein¬
schaftliches Sehen der beiden Augen und ein hierauf' gegründeter Fusions¬
zwang bestände, vergleichbar mit dem, der an die normale Netzhaut¬
korrespondenz gebunden ist. In der Tat sprechen manche Beobach¬
tungen an Schielenden zugunsten einer solchen Annahme. Nicht nur
findet man bei Schielenden in der Hegel kein Doppeltsehen, das auf
Grund der disparaten Abbildung der Außendinge zu erwarten wäre,
sondern in vielen Fällen eine der Schieistellung angepaßte Änderung
der relativen Raum-(Richfungs-) Werte der Netzhaut — eine Art
anomaler, erworbener Korrespondenz — , welche die Basis für ein,
wenn auch unvollkommenes Binokularsehen geben könnte. Rudimente
eines solchen sind auch insofern nachgewiesen worden, als manche Schie¬
lende zwei Halbbilder im Steroskop zu einem Sammelbilde vereinigen,
auch ein zwar grobes, aber dem einäugigen Sehen überlegenes Tiefen¬
unterscheidungsvermögen besitzen.
Mit Rücksicht hierauf konnten die oben erwähnten ein¬
seitigen Bewegungen des Schielauges, die bei dessen Verdecken und
Freilassen mit ziemlicher Gesetzmäßigkeit bezgl. der Richtung und
des Umfangs der Bewegung erfolgen, den Eindruck erwecken, als
stände auch der okulomotorische Apparat unter dem Einfluß der er¬
worbenen (anomalen) Netzhaut -Beziehung. Es war sehr wohl denk¬
bar, daß die Ruhelage der Augen im Laufe der Jahre nicht die¬
selbe geblieben war, wie zur Zeit der Entwicklung der anomalen Netz¬
hautbeziehung, daß aber die Änderung des Schieiwinkels nur dann
zutage treten könne, wenn (z. B. durch Verdecken des Schielauges)
der Einfluß des („anomalen“) Binokularsehens ausgeschaltet wäre. Träfe
diese Auffassung zu, so läge der einseitigen Bewegung des Schiel¬
auges — speziell der bei Freigabe des zuvor verdeckten Auges zu be¬
obachtenden — eine bilaterale Innervation zugrunde, analog der, die wir
im Anfang unserer Erörterungen bei den typischen Fusionsbewegungen
kennen gelernt haben. Zugunsten dieser Auffassung schienen auch
Beobachtungen von Schlodtmann und Tschermak zu sprechen, die
während der Änderung der Stellung des Schielauges am fixierenden
eine Rollung (Änderung der Meridianstellung) beobachteten.
Nachdem ich aber im Laufe der Jahre in weiteren zahlreichen
Fällen von Strabismus die einseitigen Bewegungen des Schielauges ver¬
folgt habe, bin ich zu der Überzeugung gekommen, daß diese Be¬
wegungen vielfach — wo nicht immer’ — unabhängig sind von einer
etwaigen Verwertung der Schielaugeneindrücke für einen binokularen
902
Eschle,
Sehakt, und daß die den Stellungsänderungen des, Schielauges zugrunde
liegende Innervation entweder nur einseitig oder doch zum mindesten
nicht bilateral-gleichmäßig im Sinne des Assoziationsgesetzes er¬
folgt. Bestimmend für diese Anschauung waren nachstehende, hier
nur kurz anzuführenden Feststellungen. (Schluß folgt.)
Pathogenese und kausale Therapie der Oedeme.
Von Medizinalrat Dr. Eschle,
Direktor der Pflegeanstalt des Kreises Heidelberg zu Sinsheim a. E.
(Fortsetzung.)
Darmerkrankungen, ebenso Haut- und Nierenentzündungen können
zur Entstehung von Herzleiden, ja direkt zu Klappenfehlern Veranlas-
sung geben. Und im umgekehrten Verhältnis von Ursache und Wirkung
findet sich sehr oft bei der Aortenklappeninsuffizienz die typische Form
der hämorrhagischen Nephritis als Analogon zur braunen Induration der
Nieren bei Mitralfehlern.
Erst wenn man sich das Ineinandergreifen der verschiedenen Teile
des Betriebes und die Mannigfaltigkeit der Transformationen vergegen¬
wärtigt, wird der scheinbare Antagonismus, in dem Haut und innere
Organe, Lunge und Haut, Haut und Nieren, die einzelnen Elemente
des Gewebes und die höheren Bildungen der Organe, schließlich der
Organismus und die Außenwelt zueinander stehen und auf der andern
Seite das trotzdem eine harmonische Einheit schaffende Zusammenwirken
zur Erreichung eines Zweckes, und die damit gegebene komplizierte
Selbststeuerung des Organismus verständlich. Man kann sagen, daß
verschiedene Kreisläufe sich mit dem Gefäßkreislaufe verbinden bzw.
in ihn eingeschaltet sind, um den Verkehr des Organismus mit der
Außenwelt, die Aufnahme von Strömen lebendiger Energie und der
Spannkraftmassen, sowie die Abgabe der im Körper transformierten
Ströme und Massen der Außenwelt zu vermitteln. Diese vier Kreis¬
läufe sind: der Nervenkreislauf, der Kreislauf der Lunge, der (nur
scheinbar geschlossene) innere Kreislauf (Blut- bzw. Gefäßkreislauf, in den
als Nebenkreislauf der Lymphkreislauf mit den die Empfangsstation
repräsentierenden Verdauungsorganen eingeschaltet ist) und endlich der
Kreislauf des Gewebs- oder Protoplasmastromes. So hält eine Kette
oder eine riesige Summe von verketteten Prozessen, ein System von
spiralig sich kreuzenden Bahnen den in sich selbst wiederkehrenden
Kreislauf und den kontinuierlichen Austausch von Schwingungen und
Kraftmaterial zwischen der Außenwelt und den kleinsten wie größten
Elementen des organisierten Individuums aufrecht. Schon eine relativ
kurze Unterbrechung kann die Existenz des Betriebes, also die Verbin¬
dung und Schwingungsfähigkeit der Teile gefährden; aber auf der an¬
deren Seite wird gerade durch diese Kompliziertheit auch die Zahl der
Möglichkeiten für einen Ausgleich vermehrt und so am ehesten ein
gegenseitiges Eintreten geschwächter oder gar defekter Systeme für ein¬
ander und die Aufrechterhaltung einer gewissen mittleren Gesamtleistung,
kurz die Akkommodation an die Ungunst der Arbeitsverhältnisse bis
zu einem gewissen Grade gewährleistet.
Gerade weil die Kompensation der Zirkulationserschei¬
nungen nicht allein auf eine Verstärkung der Tätigkeit des
Herzens, sondern auf einer solchen des Protoplasmas der ver¬
schiedenen Gebiete, vor allem desjenigen an der äußersten
Pathogenese und kausale Therapie der Oedeme.
903
Peripherie angewiesen ist, ergibt sich zunächst ganz unge¬
zwungen eine Erklärung für das Ausbleiben von Ödemen bei
vielen Fällen von selbst beträchtlicher Herzschwäche.
Wir dürfen eben Ödeme nicht erwarten, solange der Tonus der
Haut (bzw. auch der serösen Häute) so stark ist, daß er die Schwäche
der Herzleistung kompensiert und imstande ist, positiv ein Gefälle von
der Peripherie nach dem Zentrum (im Venensystem) und negativ den
Abfluß für die Arterien in genügender Weise aufrecht zu erhalten. Und
dieser Ausgleich wird erreicht durch die Verkleinerung der Wellen bei
gleichzeitiger Steigerung der Anzahl der Einzelleistungen, z. B. durch
Erhöhung der Frequenz der Kontraktionen. Unter diesen Umständen
kann das Protoplasma Wasser in beliebiger Menge gebunden erhalten
und unter eben genügendem Druck bzw. bei regelmäßigem Wellengänge
eine entsprechende Quote in den mit Wandungen versehenen Ka¬
nälen befördern, denn der abnorme Wasserüberschuß der Hydropischen
ist ja nur ein Indikator für die ungenügende Fähigkeit das Wasser zu
aktivieren, resp. der Ausdruck eines daraus resultierenden Defizits in der
Leistung der mechanischen Arbeit, der Massenbewegung.
Nur wenn die Zahl und Größe der unter den veränderten Bedin¬
gungen beanspruchten Leistungen durchaus im Mißverhältnis zu den An¬
forderungen steht, wenn der Strom des Kreisprozesses an irgend einer
Stelle vollkommen stockt, tritt lokales oder allgemeines Ödem auf.
Daß eine primäre Schwäche des Herzens die Energetik
abnorm gestalten kann, das beweist ja nicht bloß die theore¬
tische Erwägung, sondern vor allem die klinische Erfahrung,
z. B. bei Klappenfehlern und anderen Formen rein lokaler
Herzerkrankung (Sklerose der Kranzarterien) im Stadium der
K ompensationsstörung.
Die Stauungserscheinungen sind die wichtigsten Symptome der
Kompensationsstörung; man hat sie und die aus ihnen resultierenden
Ödeme sich aber nach dem Gesagten nicht als einfach durch die mecha¬
nischen Verhältnisse in einem durch ein Pumpenwerk gespeisten Köhren¬
system, durch eine lediglich passive Dilatation mit Ündichtwerden der
Wände bedingt vorzustellen, sondern man muß in der Gewebsveränderung
ein Signal dafür erblicken, daß die Grenze, bis zu der Kompensations- und
Akkqmmodationsleistung möglich war, nunmehr erreicht ist. Und erst
die Überschreitung dieser Grenze, die Insuffizienz der Gewebe für die
Lieferung der erforderlichen Betriebsenergie, wofür ja die Befähigung
zum Wechsel von systolischem und diastolischem Tonus der einzelnen
an der Energieversorgung in reziproken Phasen beteiligten Gewebe die
wesentliche Vorbedingung ist, schafft die Situation für die Entstehung
von Odemen. Sehr lehrreich in dieser Hinsicht ist es, die Verhältnisse
des Ausgleichs und der Kompensationsstörung bei den Klappenfehlern
und in erster Linie die bei der wohl häufigsten Kategorie von solchen,
den Fehlern am Ostium venös um sinistrum eingehend zu analysieren.
Durch die Insuffienz der Mitralis wird primär nicht die schema¬
tische, gewissermaßen reglementsmäßige Volumszunahme des linken Vor¬
hofs, sondern so ungemein häufig diese auch Platz greift, zunächst eine
Vergrößerung der linken Kammer bedingt. Ja, man kann sagen: zu
einer mechanischen Kompensation der Mitralfehler gehört in leichteren
Fällen eine bloße Hypertrophie des linken Ventrikels, in schwereren ein
ganzer Komplex von akkommodativen Einrichtungen, unter denen eine
aktive Dilatation und eine entsprechende Hypertrophie des linken Ven-
904
Esckle,
trikels, ferner die Hypertrophie und aktive Dilatation des linken Vor¬
hofs in die erste Linie gerückt sind. Aber damit nicht genug! Die
Selbststeuerung des Organismus sucht den größeren Bedarf an Energie,
den diese Mehrleistung des linken Herzens erfordert, durch die Erhöhung
der Gesamtleistung zu decken. Da eine völlige Kompensation beim
lebenden Individuum nicht bloß zur Ausgleichung eines wesentlichen
mechanischen Hindernisses dient, sondern auch die Akkommodation für
außerwesentlichen Bedarf und somit vor allem die Mehrforderungen in
chemischer Beziehung zu berücksichtigen hat, müssen auch die dem Gas¬
wechsel dienenden Apparate ihre Leistung entsprechend steigern. Und
das können sie nur auf dem Wege eines dauernd erhöhten Blutzuflusses
zu den Lungen, d. h. einer allmählich im Volumen pulmonum auctum
sich auch äußerlich kundgebenden aktiven tonischen Hyperämie des
Atmungsorgans, die dann ihrerseits wieder die Ausbildung einer Hyper¬
trophie des rechten Ventrikels zur Voraussetzung hat. Es wird also
in allen schwereren Fällen von Mitralinsuffizienz schließlich
das Manko an Energie, das aus der erforderlich werdenden
abnorm hohen wesentlichen Leistung des linken Herzens er¬
wächst, durch Verstärkung der außerwesentlichen Arbeit des
rechten Ventrikels gedeckt, deren Ergebnis die Hypertrophie
auch dieses Herzabschnittes ist.
Bei Insuffizienz des linken Ventrikels kommt es zu passiver Über¬
füllung des Lungenkreislaufs, die sich in chronischen, rezidivierenden, oft
fälschlich auf andere Ursachen zurückgeführte Bronchialkatarrhe, und
in kardialer Dyspnoe (kardialem Asthma bei anfallsweisem Auftreten) äußert.
Im Bereiche des großen Kreislaufs macht sich die venöse Stauung
durch allgemeine Zyanose, durch Blutaustritte (Petechien) und Hydrops,
der sich bald im Ünterhautzellgewebe entwickelt (Anasarka), bald im
Körperinnern auftritt (Aszites, Hydrothorax) bemerkbar.
Einen vorzeitigen Eintritt dieser Kompensationsstörung wird aber
auch durch einen andern Ausgleich — wenigstens unter entsprechenden
Vorbedingungen — vorgebeugt.
Eine solche Kompensation, ein Heilungsvorgang für die Insuffizienz
ist gewöhnlich die Mitralstenose. Eine relative Stenose kann aller¬
dings ohne Insuffizienz auch dadurch entstehen, daß der Klappen¬
ring sich nicht — gewöhnlich handelt es sich da auch um irgend
welche Kompensationen — dem Bedürfnis entsprechend dilatiert. Aber
selbst bei knopflochförmigem Ostium ist, wenn die kompensierenden
Apparate nur funktionieren und durch interkurrierende Zufälle keine zu
großen Anforderungen gestellt werden, immer eine zufriedenstellende
Kompensation durch Heranziehung der gleichen Hilfsmechanismen, wie
sie vordem aufgezählt wurden, möglich, nur daß zunächst eine Hyper¬
trophie und aktive Dilatation des linken Vorhofs beobachtet zu werden
pflegt. Die häufige gleichzeitige Hypertrophie des linken Ventrikels ist
nach Rosenbach immer dadurch zu erklären, daß eine Insuffizienz der
Stenose vorausgegangen ist.
Bei der Erklärung der Kompensationsvorgänge am Ostium
venosum sinistrum wird mit der Aspirationskraft der Herz¬
höhle, die bei mangelnd em -oder erschwertem Zufluß, also ge¬
rade bei der Stenose als wesentlicher Faktor für die Erleichte¬
rung und Beschleunigung der Blutbewegung dient, gewöhnlich
ebensowenig gerechnet wie mit der Steigerung der Tätigkeit
des Lungengewebes und doch ist auch die Kompensation der
Pathogenese und kausale Therapie der Oedeme.
905
Mitralstenosen nicht möglich ohne Mithilfe dieser verstärkten
Protoplasmaarbeit und der Reizkräfte, welche die mechanische
Störung vom Ostium durch Verringerung der Abflußwider¬
stände auszugleichen suchen. Die passive Dilatation kommt
hier wie immer erst dann zustande, wenn dieselben Aufgaben,
die sonst eine Hypertrophie verursachen, an ein bereits neu-
rastisches Herz gestellt Averden.
Wenn infolge gesteigerter Anforderungen an die Körperarbeit oder
infolge des Fortschreitens der Gewebsprozesse eine weitere Kompensation
unmöglich gemacht oder die bereits erreichte wieder gestört wird, pflegt
sich die ein tretende Insuffizienz in einer passiven Dilatation zu doku¬
mentieren, die in der Regel zuerst das linke, bald aber auch das rechte
Herz befällt.
Bei der Insuffizienz des linken Herzens dominieren die Zeichen
der Stauung im Lungenkreislauf. Unter teilweisem Zugrundegehen der
ektatischen Kapillaren (Endarteriitis proliferans) wird das Bindegewebe
\rerdickt, der Blutfarbstoff verwandelt sich in schwarzes Pigment und
pigmentfaltige Leukozyten treten auf (braune Induration). Kurzum
es wiederholt sich an den Lungen jener Vorgang, den wir an der Viere
als Stauungsniere, an der Leber als Muskatnußleber bezeichnen. Klinisch
aber gibt sich diese Lungenstauung in diffusen Katarrhen mit Absonde¬
rung eines zähen, schleimigen, häufig mit hellrotem oder rostfarbigem
Blute durchsetzten Sputums kund, das nicht selten von sogen. Herz¬
fehlerzellen, (eigentümlichen, mit rotbraunem oder gelbem Pigment er¬
füllten Zellen) durchsetzt ist. Zugleich mit starker Zyanose der Gesicht-
und der Schleimhäute machen sich quälende Paroxysmen von Atemnot,
die aber nachts geringer zu sein pflegen, und heftiger Husten bemerkbar.
Oft kommt es zum ausgeprägten Lungenödem, dem Ausdruck der
stärksten, arteriellen und venösen Hyperämie des kleinen Kreislaufs.
Auf die Dauer kann aber auch bald der rechte Ventrikel
den übermäßigen Anforderungen nicht länger genügen.
Mit der Zunahme der Atonie des rechten Ventrikels ver¬
mindert sich zwar zunächst die Stauung im Lungensysteme, aber mit
dem Langsamerwerden des Blutstroms Avird auch die Ernährung der
GeAvebe, und zwar aller GeAvebe, immer schlechter. Das Herz macht
frustrane Kontraktionen, denen keine PulsAArelle entspricht, und nament¬
lich der linken Kammer Avird es sclrwer, die in ihr stockenden Blut¬
mengen auszutreiben. Der Ablauf des Venenblutes wird noch mehr er¬
schwert, wenn auch der Vorhof sich im Zustande atonischer Dilatation
befindet. Im großen Avie im kleinen Kreislauf ist schließlich die Menge
des interzellularen, stark verdünnten Blutserums aufs höchste gestiegen
und es kommt zu hydropischen Ansammlungen im Gewebe. Bei
den Punktionsstärungen am Ostium venosum sinistrum finden sich be¬
sonders häufig und frühzeitig Ödeme der Füße. Diese Fälle sind offenbar
prognostisch auch günstiger zu beurteilen als diejenigen, die mit Leber¬
anschwellung einhergehen.
Di eser Hydrops, der bald in kleineren oder größeren oder
gar in allen Gebieten auftritt und aber an sich durchaus nicht
unter allen LTmständen den Rückgang der motorischen Leistung
des Herzens und der muskulären Elemente im Gefäßsystem an¬
zeigt, sondern ihn oft erst zur Folge hat, schließt auch hier
den fehlerhaften Zirkel und führt durch Unterernährung und
Atonie der G e av e b e , speziell der Haut und mit der immer
906
Eschle,
weiteren Erschwerung jeder Organtätigkeit auch zum völligen
Versagen der blutbewegenden Kräfte.
Während bei den Mitralfehlern der Hauptausgleich im
Kapillarsystem der Lunge liegt., basiert die Kompensation der
Aortenfehler im Kapillarsystem des großen Kreislaufs.
Die spezifische Arbeit des Lungenprotoplasmas, die sekretorische und
exkretorische Tätigkeit vollzieht sich unter wesentlich günstigeren Be¬
dingungen als die des geschädigten arteriellen Systems im Körperkreis¬
lauf mit seinen ausgedehnten Gefäßbezirken und seinen komplizierten
Sp a nnun gs Verhältnissen .
Bei der Aorteninsuffizienz ist ja im Stadium der Kompensation
Hyperämie des arteriellen Systems, Turgor aller Gewebe im großen
Kreislauf vorhanden, wie das blühende Aussehen derartiger Patienten
beweist. Ein wesentlicher Grund für den relativ malignen Verlauf der
Aortenklappeninsuffizienz liegt nach Bosen bach wohl darin, weil mangels
aller Beschwerden und vor allem bei dem langen Intaktbleiben des
Lungenkreislaufs eine Vermeidung der beruflichen Arbeitsleistung nur zu
oft allzuspät für notwendig gefunden wird. Bekanntlich wird kaum ein
Klappenfehler anfangs — nämlich so lange er kompensiert wird — von
relativ so wenig Beschwerden begleitet als die Insuffizienz der Aorten¬
klappen, aber kein Herzfehler führt in der großen Mehrzahl der Fälle
auch so rapid zum Exitus, sobald die Störung der Kompensation erst
einmal eingetreten ist.
Tritt zuerst Insuffizienz des linken Ventrikels ein, so haben wir
dieselben Verhältnisse, wie sie bei den Mitralfehlern geschildert wurden:
die Uberfüllung des kleinen Kreislaufes zeitigt pathologisch -anatomisch
das Bild der braunen Induration, klinisch die gleichen rezidivierenden
Katarrhe.
Versagt — was prognostisch ungünstiger ist — der rechte Ven¬
trikel früher als der linke, so treten die Erscheinungen der Stauung
ganz auffallend in den Vordergrund. Weil unter dem Einfluß der
Spannungszunahme im Körpersystem die Blutfülle der Gewebe noch viel
stärker ist als bisher, bleibt auch im kleinen Kreislauf eine erhebliche
Vermehrung der Stauungssymptome nicht aus: Bronchialasthma, resp.
Anfälle von Atemnot, zäh-schleimige, häufig mit Blut untermischte
Expektorationen, oft schnell hintereinander folgende Infarkte (nicht
embolischer, sondern thrombolischer Natur). Diese Erscheinungen
können sich aber auch jetzt noch bei geeignetem Begime
zurückbilden, und bei dem relativ guten Funktionieren des
H auttonus sind Ödeme im großen Kreisläufe selten, trotz
der starken Stauung in einzelnen Protoplasmagebieten, z. B.
in der Leber.
Nur wenn der rechte und der linke Ventrikel gleich¬
zeitig insuffizient werden, treten neben den Anfällen stärkster
Atemnot, Bassein und Pfeifen über der ganzen Lunge, reichlich blutig¬
schleimigem Sputum, neben dem Atmen von Cheyne-Stokes’schem Typus
und neben hämorrhagischer Nephritis sowie Ernährungsstörungen des
Gehirns, die sich in Schwindel, Sprachstörungen, namentlich Wort¬
verwechslungen, Delirien mit Verfolgungsideen, Sopor usw. kundgeben,
schließlich neben Embolien in den verschiedensten Organen auch
Ödeme auf.
Bei den Stenosen des Aorten ostiums haben wir es entweder
mit einem Folgezustand einer Insuffizienz der dortigen Klappen zu tun
Pathogenese und kausale Therapie der Oedeme.
907
oder mit einer arteriosklerotischen Stenosierung des Aortenursprungs.
So wenig wir diese Zustände diagnostisch voneinander zu trennen ver¬
mögen, so sehr fällt am Aortenostium im Gegensatz zu den Störungen am
Ostium mitrale auf den ersten Blick der Unterschied zwischen den Be¬
funden bei Insuffizienz und bei Stenose auf. Wir werden im Verlauf
der späteren Ausführungen an der Hand der BosenbaclPschen Arbeiten
sehen, Avie diese Differenz nur scheinbar ist, indem es sich beide Male
nur um die verschiedenen Stadien ein und desselben Vorgangs — um
eine noch ausstehende oder sich vollziehende resp. schon vollendete
Kompensation eines Zustandes relativer Insuffizienz — handelt.
Die aus akuter Endokarditis entstehende Aorteninsuf¬
fizienz findet beim Übergänge in die chronische Form eben¬
falls, A\7ie Avir das für die Mitralklappen bereits feststellten,
durch eine Verdickung der Klappen, also durch Stenosen¬
bildung ihre Heilung. Leider ist aber infolge der vielen interkurrenten
Kompensationsstörungen dieser Ansgang an der Aorta viel seltener als
an der Mitralis. Die endokarditischen Veränderungen zeigen hier auch
weniger Tendenz zu bindegewebiger Verdickung, und die Erkrankung
rezidiviert häufig und zerstört oft die Klappen total. Die immerhin
also seltenen Fälle, in denen es zur Ausheilung durch Stenose
kommt, unterscheiden sich dann in nichts von den arterio¬
sklerotischen Formen der Stenosenbildung, die primär ohne
ATorangegangene Insuffizienz (der Aortenklappen, aber selten
wohl ohne eine solche des Zirkulationsmechanismus an sich!)
ein treten können. Während die Kompensationsfaser des linken Ven¬
trikels in solchen Fällen von Aortenstenose ganz deutlich hyper¬
trophisch ist, bleibt die Dilatation sehr Avenig ausgesprochen, Aveil die
Selbstkompensation der Insuffizienz durch die Stenose den muskulösen
Verschlußmechanismus gegenüber dem Zustande vorher A7iel Aveniger in
Mitleidenschaft zieht. Auch die Stärke der Herzaktion und die Inten¬
sität des Spitzenstoßes ist gegenüber der reinen Insuffizienz vermindert,
ja der Spitzenstoß kann sogar fast unmerklich Averden, trotzdem er seine
Stellung im sechsten Interkostalraum beibehält. Und mit dem Zunehmen
der Stenose und dem Zurücktreten der Insuffizienz verliert der Puls all¬
mählich immer mehr die Eigenschaft des Hüpfens, die für den Pulsus celer
so charakteristisch ist. Auch das nicht minder charakteristische Pulsieren
der großen Gefäße hört schließlich ganz auf, obwohl sie als geschlängelte
Stränge infolge ihrer verdickten Wandungen deutlich Avahrnehmbar sind.
In ausgeprägten Fällen, besonders bei der arteriosklerotischen Form,
haben Avir mit zunehmendem Engerwerden der Arterien sogar einen ex¬
quisiten Pulsus tardus. Der Puls ist jedoch nicht nur gedehnt,
sondern auch Arerlangsamt (rarus) infolge der geringeren Füllung der
Koronararterien, Avodurch Avieder nach den Untersuchungen Lud av i g
Trau b es die Ernährung des Herzens leidet. Und damit pflegt dann
auch die Kompensation ihr Ende erreicht zu haben.
Bei der auf arteriosklerotischer Basis entstandenen Aorten¬
stenose muß man sich ebenso sehr hüten, aus der Stärke der physikali¬
schen Störungen einen Rückschluß auf die Größe der Störung zu ziehen,
Avie umgekehrt beim Fehlen Avesentlicher physikalischer Zeichen die vor¬
handenen subjektiven und funktionellen Erscheinungen zu leicht zu
nehmen.
Ganz im allgemeinen hängt ja die Prognose der Aorten¬
stenose A^or allem A7on dem Verhalten der Kranzarterien und
908
Eschle,
dem Ausfall an bewegender Kraft ab, den die den Prozeß an
der Klappe begleitende Gewebsveränderung des Hauptblut¬
gefäßes, der Aorta, mit sich führt und nur zum geringsten
Teile von der vorhandenen Verengung des Ostiums.
Bei Aorteninsuffizienz führt die beträchtliche Hypertrophie und
Dilatation der linken Kammer, die als notwendige Folge der Schlu߬
unfähigkeit der Klappen auftritt, zu völlig veränderten Füllungsverhält-
nissen der einleitenden Gefäße, und zwar zunächst in den dem Herzen
benachbarten und später in den weiter entlegenen Gebieten. Das Arterien¬
rohr wird nicht nur stärker gefüllt, sondern auch rapider und energischer
von der Blutwelle getroffen, so daß es an Elastizität und Kontraktilität,
sowie in seinem Tonus Einbuße erleidet. Die arteriellen Gefäße werden
weiter und können sich nicht mehr so energisch zusammenziehen. Durch
den Ausfall an zirkulatorischen Kräften wird aber kein Apparat mehr
beeinträchtigt, als der Herzmuskel selbst, weil seine der Ernährung
dienenden Gefäße den schädlichen Einflüssen der übermäßigen Aus¬
dehnung am meisten und gewissermaßen aus erster Hand ausgesetzt sind.
Eine weitere deletäre Folge der nicht kompensierten
Fehler am Aortenostium — im Gegensatz zu den Mitralfehlern
— ist die frühe Schädigung des Protoplasmas im großen Kreis¬
lauf. Gerade bei den Aortenklapppenf ehlern muß dieses un¬
ausbleiblich und zwar so schnell einen Verlust an seiner vitalen
Energie erleiden, weil hier die Kompensationsvorgänge auf
den Ausgleich in dem überall verzweigten Kapillarsysteme
des großen Kreislaufes, und nicht wie bei den Fehlern der
Mitralis in dem der Lunge, angewiesen sind. Mit dem konse¬
kutiven Fortfall des Gewebstonus ist aber einer der wichtigsten
Faktoren für die Blutbewegung ausgeschaltet, und alles Sti¬
mulieren des Herzens kann den fatalen Effekt der vorhandenen
Kreislaufsstörung nicht aufhalten.
Trotzdem ist, wie bemerkt, ein Ausgleich möglich, solange die
kleinsten Gefäße im Aortensystem genügende Kompensationen bilden.
Bei Einschränkung der außerwesentlichen Leistungen kann er sogar von
einer gewissen Dauer sein. Sobald aber die Kompensation versagt, er¬
folgt auch unaufhaltsam die Katastrophe.
Zu bemerken ist dabei namentlich, daß die bei der Aorten¬
stenose auf arteriosklerotischer Basis schließlich erfolgende Kom¬
pensationsstörung in anderer und in einer weniger stürmischen Form
eintritt, als wie bei der Aorteninsuffizienz. Das Arteriensystem wird ja
nach Ausbildung des sklerosierenden Prozesses sogar weniger und lang¬
samer ausgedehnt als in der Vorm. Es findet kein Ausfall an bewegen¬
den Kräften in den Gefäßkanälen statt, oder der schon erfolgte Ausfall
gleicht sich bis zu einem gewissen Grade aus. Die Kompensations¬
störung hängt dann einzig und allein von dem Eintritt der In¬
suffizienz des linken Ventrikels ab, die sich dann in derselben
Weise wie bei der Nierenschrumpfung kundgibt (s. unten!), d. h. zuerst
mit den schon beschriebenen Erscheinungen der Stauung im Lungen¬
kreisläufe beginnt. Wie schon bemerkt, kommt es auch zu Ödemen
in diesem Stadium selten oder nie. Erst lange nach dem
Übergreifen des sklerotischen Prozesses auf die Kranzarterien
und wenn die Insuffizienz des Herzens proportional den hier
vorhandenen Gewebsstörungen fortgeschritten ist, pflegen
Ödeme aufzutreten.
Pathogenese und kausale Therapie der Oedeme.
909
Trotzdem sich bei keiner Herzkrankheit die Symptome der all¬
gemeinen Ernährungsstörung so frühzeitig entwickeln als bei der Ver¬
schließung der Koronarien durch den sklerotischen Prozeß, treten bei
reinen Formen der Koronararteriosklerose trotz ausgeprägter Erschei¬
nungen von Herzschwäche Ödeme, die bei andern Funktionsstörungen
des Herzmuskels ein wesentliches Glied in der Symptom enkette bilden,
selten und dann nur in geringem Grade auf. Hier ist ja auch wegen
der Beschränkung des Prozesses auf einen bestimmten, wenn auch recht
gefährlichen Bezirk eine Kompensationstörung im großen Kreislauf mit
konsekutiver Beeinträchtigung des peripherischen Gewebstonus einiger¬
maßen ausgeschlossen.
Nur nach schweren Anfällen von Angina pectoris werden —
übrigens schnell vorübergehende — Ödeme der Knöchel und des Fu߬
rückens als Ausdruck hochgradigster Herzschwäche nicht selten beob¬
achtet. (Differentialdiagnostisch ist es wohl nicht unwichtig, daß bei
malignen Tumoren des Mediastinums, die namentlich, solange sie keinen
größeren Umfang erreichen, von ganz ähnlichen Symptomen wie die
Koronararteriosklerose begleitet sind, ein verhältnismäßig starkes Ödem
des Halses und Gesichtes nach sich zu ziehen pflegen, während ein solches
bei den in der gleichen Begion lokalisierten Aneurysmen hinwiederum
ausbleibt. Erklärungen für diese Erscheinungen würden aber viel zu weit
in das Gebiet der Spekulation hinübergreifen.)
Bezüglich der Funktionsstörungen, die die Klappenfehler des
rechten Herzens setzen, und ihres möglichen Ausgleichs darf ich
mich mangels eines einwandfreien Beobachtungsmaterials und weil es sich
hierbei mehr oder weniger um lediglich theoretische Konstruktionen
handelt, die sich auf Analogien zu den bei anderen Klappenfehlern tat¬
sächlich beobachteten Erscheinungen aufbauen, kürzer fassen. Das gilt
speziell für die äußerst seltene und immer angeborene Insuffizienz der
Pulmonalklappen. (Eine intra vitam entstandene Stenose einzelner
Äste der Pulmonararterie hingegen ist bei den zahlreichen Schrumpfungs¬
prozessen, für die in den einzelnen Teilen der Lunge zur Entwicklung
reichliche Gelegenheit ist, nicht selten. Aber der Ausgleich vollzieht
sich hier auf Grund der günstigen motorischen Verhältnis relativ leicht.)
Auch von den möglichen Symptomenkomplexen einer Insuffizienz
des Ostium venös um dextrum kann man sich mangels ausreichender
klinischen Beobachtungen kaum ein richtiges Bild machen. Man nimmt
gewöhnlich an, daß hier analog den Verhältnissen bei Mitralinsuffizienz
die Kompensation dadurch zustande kommt, daß sich eine Hypertrophie
und Dilatation des rechten Vorhofs und Ventrikels entwickelt. Sicher
ist nach Posenbach, daß der Eintritt der (sekundären) funktio¬
nellen oder relativen Trikuspidalinsuf fizienz bei Überfüllung des
Lungenkreislaufs ein Mittel ist, einer allzu großen Stauung in den Lungen¬
gefäßen und damit einem drohenden Lungenödem vorzubeugen, wenn
es auch zu einen solchen „heroischen Aderlaß aus dem Lungenkreislauf “
überhaupt nur in ungünstigsten Verhältnissen kommen kann. Wird
der geschwächte rechte Ventrikel wieder funktionstüchtig, so gleicht sich,
sobald auch der linke Ventrikel wieder kräftiger arbeitet und der
Lungenkreislauf entlastet wird, die Störung relativ leicht und vollkommen
aus und es tritt mit Nachlaß der Stauungserscheinungen für lange Zeit
ein relativ befriedigender Zustand ein, bis es endlich zum Versagen dieser
Kompensationseinrichtung kommt und sich dann dauernde Überfüllung
des großen Kreislaufs und seine Folgen einstellen: ungenügende
910
Ehrmann und Fuld,
Leistung des gesamten Körperprotoplasmas, das keine .Regene¬
ration mehr zuläßt und dem Leben unter massenhaften hy dro-
pischen Ergüssen in alle Körperhöhlen ein Ende macht.
Schon die vorstehenden Betrachtungen über die Kompensation und
ihre Störungen bei Klappenfehlern geben uns einigermaßen Antwort auf
die Frage, wie das so ungemein häufige Ausbleiben von Ödemen
bei Arteriosklerose zu erklären ist. (Fortsetzung folgt.)
26. Kongreß für innere Medizin zu Wiesbaden.
19.— 22. April 1909.
Berichtserstatter: Dr. Ehrmann und Dr. Fuld.
(Fortsetzung.)
Schönborn -Heidelberg: Einige Methoden der Sensibilitäts¬
prüfung und ihre Ergebnisse an Nervenkranken.
An 64 Fällen wurden die Angaben Head’s nachgeprüft und ihre
Richtigkeit sowie die Brauchbarkeit der Methoden bestätigt. Außerdem
wurde der Miescher’sche Wärmetaster, ein mit Wasser durchström-
bares Instrumentchen, sehr brauchbar gefunden und ein neues Algo-
meter konstruiert, welches mit denselben Einschränkungen verwendbar
ist wie die vorhandenen Apparate.
Hie Prüfung der tiefen Empfindlichkeit mit dem Cattel Eschen
Algometer ist sehr vorsichtig zu verwerten.
Redner vertritt gegenüber He ad die Möglichkeit, Schwellenwerte
zu finden, auch beim Ungebildeten. Zur Ergänzung der Head’ scheu
Untersuchungen am Hypoästhetischen hat er hyperästhetische, neural¬
gische Zonen in den Kreis seiner Untersuchungen gezogen. Hoch wur¬
den nur in zwei Fällen von Herpes zoster wirkliche Hauthyperästhesien
gefunden, d. h. es wurden Reizhaare unangenehm empfunden, von einer
Feinheit, welche sonst keinen derartigen Effekt hat. In allen anderen
Neuralgiefällen bestand nur die bekannte tiefe Empfindlichkeit.
Bei Syringomyelie konstatiert man oft eine korrekte Empfindung
für die mittleren, nicht aber die extremen Temperaturen,
Sehr kompliziert liegen die Verhältnisse bei der Tabes dorsalis.
Harum wurde allein die Kältehyperästhesie der Tabiker untersucht.
Bei punktförmiger Reizung (selbst am Fiebernden) sieht man im all¬
gemeinen niemals ein Zusammenschrecken wie beim Tabiker — dieser
hat in dem hypertherniästhetischen Gebiet der Bauchhaut keine Ver¬
mehrung der Zahl seiner Kältepunkte.
Am ehesten wäre das Verhalten vergleichbar mit dem protopathi¬
schen Unlustgefühl Head’s. Tatsächlich hat man hier eine Art proto¬
pathischer Zone, niese Annahme widerspricht der Lehre Head’s, nach
welcher eine solche- nur bei peripheren Störungen zu erwarten wäre.
Hie Erklärung dieses scheinbaren Widerspruchs ergibt sich daraus,
daß die Krankheit nicht im Rückenmark, sondern im Wurzelgebiet
ihren Sitz hat. Hie feinen Methoden sind nötig, aber nur bei peripheren
Störungen.
Gerhardt-Basel: Beitrag zur Lehre von der Lokalisation
sensibler Lähmungen.
Beobachtungen an Tumorkranken, welche durch die Operation ge¬
heilt wurden, lassen ein in letzter Zeit wenig berücksichtigtes, funktio¬
nelles Gesetz der Sensibilitätsstörung hervortreten. Her Tumor fand
sich im ersten Falle am 8. Zervikalwirbel. Her Kranke hatte die
26. Kongreß für innere Medizin zu Wiesbaden.
911
Symptome der Brown- Sequard’ sehen Lähmung, die allmählich an-
stieg und erst zuletzt die Ulnarseite des Armes ergriff ; binnen einer
Woche nach der Exstirpation bildete sich diese znrück, darauf die des
Kumpfes, zuletzt die der Sohle. Im anderen Falle saß der Tumor in
der Höhe des 11. Brustwirbels; die Sensibilität stellte sich nach der
Exstirpation langsam wieder ein und ließ sich daher um so besser
verfolgen.
Die verschiedenen Hypothesen der nervösen Zuordnung werden an¬
geführt; alle versagen jedoch gegenüber den beobachteten Tatsachen.
Die Sensibilität in der Steißgegend und Perinealgegend tritt gleich¬
zeitig wieder auf ; erst mehrere Monate später diejenige des Fußes.
Es kann dabei nicht die periphere Lagerung der langen Bahnen
(Flat au) entscheidend sein, sondern funktionelle Momente; ähnlich wie
die Symptome bei Hirnapoplexien durch Eintreten von Bahnen der
anderen Seite nach einem bestimmten Turnus zurückgehen, den inan
bei den verschiedensten Affektionen in gleicher Weise, wiederkehren
sieht. Stets ist die Peripherie am frühesten geschädigt; selbst bei
Tabes kann man ähnliches beobachten, ebenso bei Syringomyelie und
multipler Neuritis. Vielleicht erklärt sich dies Gesetz nach der Ab¬
nutzungstheorie (E ding er), — indessen ist dieses für den Kumpf nicht
recht anwendbar. Jedenfalls sind neben den anatomischen auch funk¬
tionelle Faktoren für die Lokalisation der Ausfallserscheinungen von
Bedeutung.
Eventuell kann die Außerachtlassung dieser Tatsachen zu un¬
richtigen Annahmen über die Lokalisation von Tumoren des Zentral¬
nervensystems führen. Übrigens können selbst segmentär angeordnete
Störungen funktioneller Natur sein, eventuell ebenfalls auf Grund
stärkerer Abnutzung bestimmter Segmente.
Diskussion.
Goldscheider-Berlin: Die Unterscheidung eines protopathischen
und epikritischen Nervensystems ist nicht ausreichend begründet. Ver¬
schiebungen der Erregbarkeitsverhältnisse allein genügen zur Erklärung
der Beobachtungen. Was He ad protopathischen Zustand nennt, ent¬
spricht durchaus der relativen Hyperästhesie von Leyden’s, Hyper¬
ästhesie bei erhöhter Schwelle. Nur die Unterscheidung tieferer und
höherer Sensibilität ist berechtigt. Ähnliche Verschiedenheit, wie die
zwischen der Früh- und Spätperiode ILead’s sieht man im Experiment
bei Kompression der Nerven, ja in gewissem Umfang selbst nach Appli¬
kation von Menthol auf die Haut. Bereits in der Norm sprechen ver¬
schiedene Temperaturpunkte verschieden leicht an ; es ist einleuchtend,
daß solche Unterschiede bei Störungen der Leitung noch mehr hervor-
treten.
Auch bei zentraler Störung, z. B. Hemiplegie, beobachtet man der¬
artige relative Hyperästhesien. Nicht jeder Befund von Dissoziation der
Empfindungen berechtigt sogleich zu einer Unterscheidung von ver¬
schiedenen Fasersystemen. Die Irradiation im protopathischen Stadium
kommt einfach her von der zentralen Verknüpfung der Nervenfasern:
in der peripheren Bahn liegen alle diese Elemente zusammen ; im Kücken¬
mark liegen sie getrennt, werden aber andererseits durch Ganglienzellen
verknüpft ; und dieses räumliche Auseinandertreten der Bahnen, anderer¬
seits ihre Verknüpfung erklärt befriedigend die Phänomene der Sum¬
mation und Irradiation.
912
Ehrmann und Fuld,
Die Vorsicht Head’s in der Verwertung der Messungsmethoden ist
durchaus angebracht; jedoch führt selbst die Methode der richtigen und
falschen Fälle, die Head anwendet, wegen störender Ermüdung des
Patienten und der Schwankungen seiner Aufmerksamkeit zu ungenauen
Resultaten.
Schmidt- Halle: Die Beziehungen der spontan auf tretenden
Schmerzen zu den Sensibilitätsstörungen sind durchaus keine unmittel¬
baren. Bekannt ist ja die Druckempfindlichkeit der Muskeln bei den
Menin gitischen. Dies leitet über zu der Frage nach der Entstehung der
eigentlichen Neuralgien. Niemals kann man aus der Lage eines tiefen
Druckpunktes die Lokalisation der zentralen Läsion ermitteln — viel¬
leicht sind bei dem tiefen Schmerz der Neuralgischen eher die Nervi
nervorum als der Nerv selbst beteiligt.
Bei Stovainisierung des Bückenmarks sah Finkelenburg zuerst
die Schmerzempfindung verschwinden. 'Weiter gehört in diese Reihe die
noch völlig ungeklärte Präge der Myalgie.
Kohn stamm- Königstein weist zur Erklärung von Beobachtungen,
wie den Gerhardt’ sehen, auf die Wichtigkeit der anatomischen Faser -
an Ordnungen hin. Die höher oben entspringenden Fasern, der gekreuzt
aufsteigenden Bahn halten sich, wie anatomisch nachgewiesen ist,
medialer, als die Fasern, welche tiefere Hautregionen versorgen und
sind daher der Kompression durch einen in der Peripherie gelegenen
Tumor weniger ausgesetzt als diese. Eine weitere Komplikation ist
dadurch gegeben, daß die gekreuzt aufsteigenden Fasern nach einer
gewissen Dauer ihres Verlaufs in die graue Substanz zurückkehren und
durch diese Lage für längere Zeit von einer derartigen Druckwirkung
geschützt sind. Diese Umschaltung ins Innere der grauen Substanz ist
am klarsten nachweisbar an den sensiblen Kernen, welche im Bereich
des Himstamms die gekreuzt aufsteigende Bahn ungekreuzt fortsetzen.
Head: Die vorgetragene Ausdrucksweise enthält wenig Hypotheti¬
sches; sie sagt einfach aus, wie die Impulse sich verknüpfen. Dem¬
gegenüber spricht Goldscheider von Faser Verbindungen und der¬
gleichen rein erschlossenen Dingen.
Daß diese Auffassung den Tatsachen nicht gerecht wird, kann am
besten ein Fall von Verletzung des untersten Halswirbels zeigen, in
welchem außer den typischen segmentären Ausfallserscheinungen pine
isolierte Störung der Sensibilität des Unterarms vorkam im Sinne
des Auftretens einer protopathischen Zone. Zugleich zeigt dieser Fall
(neben anderem), daß die (zweifellos betroffenen) langen Bahnen ge¬
wissermaßen eine Verlängerung der peripheren Nerven darstellen. Die
Umschaltung der Impulse findet sonach an einer räumlich wenig aus¬
gedehnten, zirkumskripten Stelle statt,
Falta und Rudinger- Wien : Klinische und experimentelle
Studien über die Tetanie.
Insuffizienz der Epithelkörperchen setzt bei Hunden die Assimila¬
tionsgrenze für Dextrose herab. Während schilddrüsenlose Hunde auf
Adrenalin nicht glykosurisch werden, bewirkt dieses nach kombinierter
Exstirpation von Schilddrüse und Epithelkörperchen starke Glykosurie.
Das innere Sekret der Epithelkörperchen wirkt demnach unter normalen
Verhältnissen der Hyperglykämie entgegen, wahrscheinlich dadurch,
daß es bestimmte Abschnitte des Sympathikus im Sinne einer Hemmung
beeinflußt. Auch bei menschlicher Tetanie ließ sich eine Übererregbar¬
keit des Sympathikus nach weisen, indem in vier Fällen von Arbeiter-
26. Kongreß für innere Medizin zu Wiesbaden.
913
tetanie eine subkutane Injektion von Adrenalin den Blutdruck viel
prompter ansteigen ließ, als in der Norm. Gleichzeitig trat unter der
Adrenalin Wirkung eine akute Exazerbation des tetanischen Zustandes
ein. Nun findet sich andererseits bei der Tetanie eine erhöhte mecha¬
nische und galvanische Erregbarkeit der peripheren Nerven. Verschie¬
den durchgeführte Durchschneidungsversuche (Dorsalmark, periphere
Nerven) an tetanischen Tieren ergaben, daß der Sitz der Übererregbar-
keit in den Ganglienzellen des Hirnstammes und Bückenmarkes zu suchen
sei und daß diese von den trophischen Zentren aus sich den peripheren
Neuronen mitteile. Es ist nun die Annahme am wahrscheinlichsten,
daß die supponierten Hemmungen über den Sympathikus zum Zentral¬
nervensystem gehen und daß der Funktionszustand der anderen Drüsen
mit innerer Sekretion ebenfalls einen gewissen Einfluß auf diesem
Wege auf den Erregungszustand der Ganglienzellen ausübe, da Adrena¬
lininjektion, wie erwähnt, den Erregungszustand steigert, während im
Gegenteil bei schilddrüsenlosen und myxödematösen Hunden die gal¬
vanische Erregbarkeit herabgesetzt ist.
6. Sitzung vom 21. April 1909, nachmittags.
Vorsitzender : Schultze-Bonn.
Demonstrationen.
E. Hering-Prag: Über das Elektrokardiogramm (mit
Lichtbildern).
Die experimentellen Untersuchungen (an Hunden, Katzen und
Kaninchen) über Herzalternans ergaben folgendes:
Der Herzalternans kann sich sowohl an der Zacke B als auch an
der Zacke T ausprägen ; er zeigt sich gewöhnlich an beiden Zacken
gleichzeitig, ist jedoch unter Umständen nur an der Zacke B oder nur
an der Zacke T zu sehen ; er kommt im allgemeinen an der Zacke T
stärker zum Ausdruck als an der Zacke B.
Der Alternans im Elektrokardiogramm und der Alternans in den
mechanisch registrierten Kurven kann gegensinnig sein, d. h. es ent¬
spricht dann die kleine Kurve hier der großen Kurve dort und um¬
gekehrt.
Hieraus kann man schließen, daß nicht nur die kleine Systole,
sondern unter Umständen auch die große Systole des Alternans auf
partieller Asystolie beruhen kann.
Der Alternans kommt im allgemeinen in den mechanisch registrier¬
ten Kurven stärker zum Ausdruck als im Elektrokardiogramm.
Eür die Erklärung des normalen Elektrokardiogramms erscheint es
von großer Bedeutung, daß das Eroschherz, welches nur eine Kammer
hat, prinzipiell dasselbe Elektrokardiogramm aufweist, wie das Herz
der Säugetiere und des Menschen.
Eür diejenigen Erscheinungen im Elektrokardiogramm, für welche
wir kein mechanisches Äquivalent besitzen, fehlt uns bis jetzt auch die
entsprechende Erklärung, sie deuten uns etwas Besonderes an, ohne
uns jedoch im speziellen zu sagen, was sich am Herzen geändert hat.
Immerhin ergibt sich daraus ein Übergewicht der elektrographi-
schen Begistriermethode über die mechanischen Begistriermethoden in¬
sofern, als die elektrographische Methode Erscheinungen zeigt, auf
welche die mechanischen Begistriermethoden bis jetzt noch nicht auf¬
merksam gemacht haben.
Hof f mann -Düsseldorf : Zur Kritik des Elektrokardio¬
gramms.
58
914 Ehrmann und Fuld,
Die Untersuchungen wurden an Tieren (Katzen) und Kranken der
verschiedensten Art v o rgenommen . Sie ergaben, daß bei den ver¬
schiedenen Ableitungen I — V sich die Zacken des typischen Elektro¬
kardiogramms verschieden verhalten. Sie fallen, wie die Versuche mit
der gleichzeitigen Aufschreibung zweier Galvanometer, die an ver¬
schiedenen Ableitungspunkten angelegt waren, bei den verschiedenen
Ableitungen nicht in identische Zeiten. Einfluß auf die Form der
Zacken hat vor allem die Lage des Herzens, was besonders bei Auf¬
blähung des Magens zu sehen ist.
Die Einalschwankung des Kammerelektrokardiogramms, die
Zacke T, welche in pathologischen Fällen oft fehlt, ist in ihrer Größe
direkt abhängig von der Schnelligkeit der systolischen Erregung. Sie
entspricht in ihrer Größe nicht der Kontraktilität des Herzens, sondern
der von dieser durchaus verschiedenen Erregbarkeit. Die zeitlichen
Verhältnisse der Kurve lassen erkennen, daß Erregbarkeit und Kon¬
traktion in verschiedener nicht gleichsinniger Weise verlaufen können.
Es sind deshalb Rückschlüsse aus der Höhe der Kurven (quantitative
Ausmessung des Elektrokardiogramms) auf die Kraft des Herzens nicht
statthaft.
Dies beweisen besonders die beim Herzflimmern und bei Extra¬
systolen aufgenommenen Kurven, bei denen die Größe der Erregbarkeits¬
schwankung in direkt umgekehrtem Verhältnis zum mechanischen
Effekt steht.
Auch der Rückschluß aus der Form der Kurve auf den Ent¬
stehungsort eines Extrareizes ist sehr zweifelhaft, da sich von den Ven¬
trikeln direkt abgenommene Elektrokardiogramme umgekehrt verhalten
wie die bei künstlicher Reizung beim Hunde von den Ventrikeln er¬
haltenen. Es ist sicher, daß der auf die Außenfläche wirkende künst¬
liche Reiz einen anderen Ausbreitungsweg nehmen muß, wie der an der
Innenfläche entstehende oder doch verlaufendei spontane Reiz.
Es wurden verschiedene Fälle von Tachykardie untersucht, und da
zeigte sich ein durchaus verschiedenes Verhalten des Elektrokardio¬
gramms bei einfacher Tachykardie, auch Basedowtachykardie, und der
im Anfall von Herz jagen auf tretenden. Bei letzterem Falle hatten die
einzelnen Elektrokardiogramme durchaus die Form der bei Extrasystolen
beobachteten. Es spricht dies für eine durchaus eigenartige Ent¬
stehung der Anfälle.
Da das Elektrokardiogramm das Studium einer bis dahin der
Untersuchung nicht zugänglichen Eigenschaft des Herzens, nämlich
der Erregbarkeit ermöglicht, so muß erst eine genauere physiologische
Grundlage geschaffen werden, ehe die pathologischen Befunde; voll ge¬
deutet werden können.
Strubell-Dresden : Die Bedeutung des Elektrokardio¬
gramms für die Klinik.
Strub eil bespricht nach l1/^ jährigen Erfahrungen die Bedeutung
des Elektrokardiogramms für die Klinik der Herzkrankheiten. Von den
typischen Bestandteilen des normalen Elektrokardiogramms A — Vor¬
hofschwankung, J = Initialschwankung, F = Finalschwankung ist die
letztere, die Finalschwankung, allein maßgebend für die Deutung des
augenblicklichen •Muskelfunktionszustandes des Herzens. Die Nach¬
schwankung oder Finalschwankung ist, wie Kraus und Nikolai ge¬
zeigt und Kahn neuerdings definitiv erwiesen hat, der funktionelle
Ausdruck der Austreibungszeit des Herzens; Veränderungen der Nach-
26. Kongreß für innere Medizin zu Wiesbaden.
915
Schwankung1 im Sinne des Kleinerwerdens, Verschwindens oder gar
Nega.tivwerdens sind der Ausdruck verschlechterter Herzfunktion.
Solche Veränderungen können eintreten einmal im Verlaufe: des höheren
Alters, ferner durch Vergiftungen und Krankheiten; Herzmuskelent¬
zündungen, Arteriosklerose mit folgender Myodegeneratio cordis spielen
die wesentlichste Holle, während die Herzklappenfehler, soweit der
Herzmuskel intakt bleibt, auch hochgradige Aortenaneurysmen keinen
unmittelbaren Ausdruck im Elektrokardiogramm finden müssen. Die
Nach Schwankung wird günstig beeinflußt durch die Arbeit, und zwar
momentan, aber auch dauernd, insofern der Sport und eine reich- .
liehe körperliche Betätigung günstig auf das Erhaltensein derselben
einwirken, während körperliche Untätigkeit, Exzesse und Aufregungen
genau in demselben Sinne wie die Krankheiten ein frühzeitiges: Ver¬
schwinden derselben begünstigen. Die Herzmittel Strophantus und
Digitalis erhöhen ebenso wie balneotherapeutische Maßnahmen, z. B.
elektrische Bäder, die Nachschwankung, sofern dieselbe nicht bereits
negativ geworden ist; dann ist eine solche Rückkehr zur Norm nicht
mehr möglich. Für die rhythmische Störung des Herzens und des
Pulses (Arhythmie, Inäqualität, Extrasystolenbildung) bietet die elektro-
kardiographische Untersuchung vereint mit der gleichzeitigen Aufnahme
der Pulswelle ein neues, unsere Kenntnisse wesentlich erweiterndes,,
diagnostisches Moment. Die Feststellung der anomalen Ventrikelschwan¬
kungen hat an die Stelle der früheren Unsicherheit etwas Positives ge¬
setzt, die Gewißheit, daß man es hier zum Teil mit einem ganz ver¬
änderten Geschehen im Gegensatz zum normalen Elektrokardiogramm
zu tun hat, indem hier die Erregungswelle sich wirklich gradlinig über
das Herz fortpflanzt. In der elektrokardiographischen Funktionsprüfung
des Herzens existiert eine neue Methode, die in einer Weise, wie es
bisher nicht möglich war, einen Einblick in das jeweilige Verhalten des
Herzmuskels gestattet.
Diskussion.
Kr aus -Berlin rät, das Elektrokardiogramm nicht nur klinisch,
sondern auch experimentell zu studieren. Das Elektrokardiogramm gibt
in vielen Fällen Auskunft, wo man bei der mechanischen Registrierung
nichts beobachtet. Man soll aber beide Methoden gleichzeitig anwen¬
den. Die fehlende Nachschwankung kann prognostisch nicht verwertet
werden.
Bei der Dissoziation ist die Zahl der Herzschläge sehr gering,
etwa 30. Solche Patienten können keine Arbeit leisten.
Eine Patientin dieser Art wird von dem Vortragenden schon länger
beobachtet. Sie zeigt extraventrikuläre Systolen und dann 60 Schläge.
Sie ist zur Arbeit befähigt.
Friedl Pick-Prag spricht über Adams-Stokes’sche Krank¬
heit und demonstriert das Elektrokardiogramm eines Falles, welches
in ausgezeichneter Weise die vollständige Unabhängigkeit im Rhythmus
der Vorhöfe (72) von dem der Kammer (30) erkennen läßt. Die
komplette Dissoziation entstand im Anschlüsse an eine Endoperikar-
ditis vor vielen J ähren und besteht bei dem im anstrengenden Be¬
rufe stehenden Patienten konstant, während die anfänglich vorhandenen
Ohnmachtsanfälle seit mehreren Jahren ganz ausgeblieben sind. Die
Diagnose dieser Läsion des Atrioventrikularbündels ist natürlich auch
durch das Phlebigramm möglich, wie P. durch Demonstration der von
demselben Fall von Hering und Iiihl aufgenommenen Kurven zeigt,'
58*
916 Ehrmann und Fuld, 26. Kongreß für innere Medizin zu Wiesbaden.
doch stellt das Elektrokardiogramm die weitaus bequemere und deut¬
lichere Methode dar.
Hering -Prag: Auf die von den Physiologen gefundene Tatsache,
daß der Aktionsstrom und mit ihm die Erregungswelle der Kontraktions¬
welle um einen sehr kleinen Zeitteil vorangeht, habe er erst kürzlich
(Deutsche med. Woehenschr., Kr. 1, 1909) wieder aufmerksam gemacht.
E. B. Hof mann konnte bei den stärksten Graden von Muskarinvergif¬
tung des Froschherzens makroskopisch keine Kontraktion inehr sehen,
obwohl noch ein Aktionsstrom auf trat; dasselbe sah Noyons bei starker
Vergiftung des Eroschherzens mit Digitoxin. Trotzdem möchte er vor¬
läufig noch nicht so weit gehen wie A. Ho ff mann. Schon der
komplizierte Bau der Kammer läßt es nicht erwarten, daß das Kammer¬
elektrokardiogramm die Energie der Kammertätigkeit genau wiedeirgibt.
An der Hand der von Friedei Pick demonstrierten Venen- und
Arterienkurven, die er vor 4 Jahren aufnahm, konnte er die Dissoziation
in diesem Falle nachweisen, welche der Patient gewiß schon seit 1893
besitzt, denn schon damals schlug das Herz nur 30 mal in der Minute.
Seit dieser langen Zeit ist keine Wiederherstellung der Überleitung er¬
folgt, was gegen die Annahme spricht, daß die Überleitung im His-
schen Bündel eine nervöse sei, denn Nerven pflegen im allgemeinen
leicht zu regenerieren.
L. B. Mül ler -Augsburg : Anatomische und histologische
Studien über die Beziehungen der sympathischen Nerveü
zum zer ebrospinalen System (mit Projektionen).
Der Vortr. projiziert zuerst Zeichnungen, welche die großen Varie¬
täten des Verlaufes der Kami communicantes an der Brustwirbelsäule
darlegen. Noch unregelmäßiger als hier ist die Anordnung der Ver¬
bindungsstelle zwischen dem Grenzstrange und der Ursprungsstelle
der peripheren Nerven an der Lendenwirbelsäule. Bei dem makro¬
skopischen Studium ist eine sichere Unterscheidung zwischen weißen
und grauen Kami communicantes nicht möglich, was auch schon daraus
zu entnehmen ist, daß häufig nur ein Verbindungsbündel gefunden wird,
dann aber wieder drei und vier solche nachzuweisen sind. Zum genauen
Studium des Faserverlaufes und der Anordnung der markhaltigen und
der marklosen Nervenfasern in den Rami communicantes sind mikro¬
skopische Präparate notwendig. Die Herstellung von solchen ist nicht
ganz einfach, da es schwer gelingt, die Einmündungsstelle aller Rami
communicantes in den peripheren Nerven auf einem Präparate zu treffen.
Der Vortr. zeigt an Projektionsbildern, daß die weißen, d. h. mark-
haltigen Rami communicantes ihre Fasern vom Rückenmark her be¬
ziehen, und daß sie fast in allen Fällen lateralwärts von den Rami
communicantes grisei aus dem peripherischen Nerven entspringen. Die
grauen Rami communicantes ziehen also medialwärts zum Spinalnerven,
ihre Fasern wenden sich zum Teil zentripetalwärts, zum großem Teil
verlaufen sie aber mit den Fasern des Spinalnerven nach der Peripherie.
Sehr häufig sind in einem Ramus communicans sowohl markhaltige
Fasern, die vom Rückenmark her nach dem sympathischen Ganglion
ziehen, als auch marklose Bündel, die von diesen nach der Peripherie
und dort zu den Organen der- Haut, zu den Schweißdrüsen, zu den
Haarbalgmuskeln und zu den V asomotoren verlaufen, vereint.
Die marklosen Bündel der Rami communicantes entspringen, stets
aus dem nächstgelegenen vertebralen Ganglion des Grenzstranges. Die
markhaltigen Fasern der Rami communicantes münden aber wenigstens
S. Leo, Wiener Brief.
917
im Brustteil des Sympathikus, meist nur zum geringen Teile im nächst¬
gelegenen vertebralen Ganglion, die meisten ihrer Fasern ziehen vielmehr
an der Peripherie dieses Ganglions zu dem llamus internodialis, um im
nächst darüber oder darunter gelegenen vertebralen Ganglion zu endigen,
oder in die weißen, d. h. markhaltigen Nerven des Halssympathikus
oder des Splanchnikus überzutreten.
Auf anderen Projektionsbildern zeigt der Vortr., daß die Ganglien¬
zellen des sympathischen Systems sich ganz verschieden, je nach der
angewandten Färbungsmethode darstellen. Auf Schnitten, die mit
Hämatoxylin-Eosin gefärbt sind, erscheinen sie als rundliche fortsatzlose
Kugeln, welche den von einer fibrillären Kapsel gebildeten Hohlraum
nicht ganz ausfüllen. Bei der Anwendung der Bielschowsky’schen
Tinktionsmethode zeigt sich aber, daß die Zellen in den sympathischen
Ganglien ohne Ausnahme zahlreiche, vielfach stark sich verzweigende
Fortsätze haben. Der Autor glaubt in den verschiedenen Ganglien des
sympathischen Nervensystems, wie in den vertebralen, prävertebralen
und in dem Plexus vesicalis auch verschiedene Typen von Zellen ge¬
funden zu haben und belegt diese Behauptung mit mikrophotographischen
Darstellungen.
In dem Verbindungsast zwischen den vertebralen Ganglien, dem
sogenannten llamus internodialis, als in dem eigentlichen Nervus sym-
pathicus sind stets noch sehr zahlreiche Ganglienzellen festzustellen.
Die Nervenfasern dort bestehen zum Teil, und zwar hauptsächlich in den
Bandpartien aus dicken markhaltigen Fasern, zum Teil haben sie aber
eine dünne Markumhüllung, und in der überwiegenden Mehrzahl sind
nackte Achsenzylinder zu finden.
In dem peripherischen Nerven des autonomen Systems, d. h. in
den zarten Bündeln, welche von den Ganglien des Grenzstranges oder
den großen Gangliengruppen der Bauchhöhle zu den inneren Organen
ziehen, sollen nach der bisherigen Anschauung fast alle Nerven nackten
Achsenzylindern entsprechen. Sieht man aber mit starken Ver¬
größerungen und nach Färbung der Präparate mit der Weigert' sehen
Markscheidenmethode genauer zu, so muß. man feststellen, daß auch
die angeblichen nackten Achsenzylinder sehr häufig auf eine kleine
Strecke hin eine ganz zarte sich eben grau färbende Markumhüllung
aufweisen. Daneben sind dann stets noch vereinzelte Nervenfasern
festzustellen, deren Markumhüllung zwar schmal ist, sich aber intensiv
schwarz gefärbt hat, meist kolbige Auftreibungen zeigt, und schließlich
ist in jedem von diesen peripheren Bündeln des autonomen Systems
eine oder die andere dicke Markscheide aufzufinden, die dann meistens
die Lantermann’sche Segmentierung zeigt. Zum Schluß demonstriert
der Vortr. ein Schema des Faserverlaufes in den Verbindungsästen
zwischen dem sympathischen Nervensystem und dem zerebrospinalen.
(Fortsetzung folgt.)
Wiener Brief.
Ein Sammelbericht. — Von Dr. S. Leo.
(Schluß.)
In der „Gesellschaft für innere Medizin“ sprach v. Eiseisberg über
Tetania parathyreopriva nach Kropf Operation. Die im Mai
1905 wegen hochgradiger Stenose der Luftröhre ausgeführte Kropf -
Operation war bei dieser Pat. insofern schwierig, als wegen jilötzlicher
918
S. Leo,
Erstickungsanfälle rasch die Tracheotomie ausgeführt werden mußte.
Dabei wurde die frontal abgeplattete Trachea auch in ihrer hinteren Wand
durchschnitten und eine dahinter gelegene Cyste eröffnet, so daß Pat.
an dem durchfließenden Cysteninhalt zu ersticken drohte. Es wurden
beide Schilddrüsenlappen bis auf Stücke entsprechend den oberen Polen
entfernt. Einige Tage später stellten sich tonische Krämpfe in Händen
und Füßen, sowie Chvostek’sches und Trousseau’sches Phänomen
ein. Da die Verabreichung von Thyreoidintabletten nur vorübergehend
Besserung herbeiführte, wurde der Pat. im Mai 1906, weil Epithelkörper¬
chen nicht zur Verfügung standen, Stücke von einer parenchymatösen
Struma in die Rektusscheide eingepflanzt. Unter weiterer Fütterung
mit roher Kalbschilddrüse und Thyreoidintabletten sistierten die
Krämpfe. Seit Juni 1908 ist Pat. gravid und seit einem Monat bestehen
heftige Krämpfe in den unteren und oberen Extremitäten und Atem¬
beschwerden in der Nacht. Das rechte Stimmband ist paretisch, die
Stimme heiser. Der 1. n. ulnaris zeigt für den galvanischen Strom
ziemliche Erregbarkeit, die aber nicht als wesentlich gesteigert zu
betrachten ist. Was die klinische Seite der Tetanie nach Kropf Opera¬
tionen angelegt, so wurde von E. bei 600 Strumenoperationen 15 mal
leichtes Chvostek’sches Phänomen beobachtet; einigemal war dasselbe
schon vor dem Eingriff nachweisbar. 10 mal traten deutliche Tetanie¬
symptome auf, die in einem Falle zum Tode führten. Es war dies bei
einer 67 jährigen Frau, die nach einer Rezidivoperation unter tetani-
schen Erscheinungen starb. Ob die Tetanie oder die gleichzeitig be¬
stehende Pneumonie die Todesursache war, ist unentschieden. Thera¬
peutisch wäre die Einpflanzung von Epithelkörperchen wünschenswert.
Es wurde dieselbe bereits auch zweimal ausgeführt und je ein Epithel¬
körperchen bei der Operation kleiner Cystenkröpfe gewonnen, wobei
man annehmen mußte, daß die übrigen E. K. gänzlich unbeschädigt
blieben. Da aber die Beschaffung dieses Materials doch schwierig ist,
so wurden in zwei anderen Fällen E. K. von Affen zur Implantation
verwendet,
Robert Dehne sprach über den heutigen Stand des Säuglings-
schutzes in Österreich. Der vom Vereine „Säuglingsschutz“ ein¬
geschlagene Weg zur Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit durch
Förderung der natürlichen Ernährung und durch Beratung der Mütter
über rationelle Säuglingspflege ist wie die Statistik beweist, der rich¬
tige. Es ist gelungen, sowohl Stillungshäufigkeit als auch Stillungs¬
dauer unter den Müttern erheblich zu bessern und die Sterblichkeit
der überwachten Kinder von Jahr zu Jahr bis auf ca. 10°/0 herab¬
zudrücken (gegen 19°/0 sonst in Wien und gewiß über das doppelte
bei den in Frage kommenden Schichten der Provinzbevölkerung) hin¬
gegen sind die absoluten Zahlen des Geleisteten gegenüber dem Aus¬
lande verschwindend kleine. Abgesehen von der Notwendigkeit der
Aufwendung größerer Geldmittel ist vor allem eine Ausbildung der
kommenden Ärztegeneration in den Disziplinen der Säuglingsfürsorge
dringend geboten, um eine Anstellung sachlich gebildeter Säuglings¬
fürsorgeärzte im Sinne Kellers in genügender Anzahl zu ermöglichen.
Ferner müssen die Hebammen zur Förderung des Stillens durch Unter¬
richt und durch Instruktionen herangezogen werden. Zur Durch¬
setzung rationeller Säuglingspflege im weitesten Kreise, müssen Mutter¬
schulen errichtet werden, an den Frauen und Mädchen aller Stände
zu den Pflichten der Mutterschaft erzogen werden. Das Krippenwesen
Wiener Brief.
919
muß modernisiert, die Krippen dezentralisiert nnd als Stillkrippen an¬
gelegt werden, die am besten an die Fabriken anzugliedern sind. In
der Diskussion hob Siegfried Weiß hervor, daß die Stillprämiierung
nach dem System der Stillmilchkasse des Vereines ,, Säuglingsmilch¬
verteilung a einzurichten wäre. Zur Verbreitung der Stillung ist es
notwendig, möglichst frühzeitig an die Mutter mit der Aufmunterung
zur Sillung heranzutreten ; ferner ist es.1 geboten, die Stillbeihilfen in
einer solchen Höhe zu verabreichen, daß den Frauen nicht bloß eine,
einer Gnadengabe ähnliche Belohnung, sondern eine wirkliche Unter¬
stützung zur Aufbesserung ihrer Ernährung gewährt wird, und daß
schließlich diese Unterstützung auf viele Monate hinaus gegeben wird.
Diese drei Forderungen zu erfüllen, müssen die Frauen schon in der
Schwangerschaft zur Ausführung der künftigen Stillung verpflichtet
werden, ferner können die von der Wohltätigkeit und den Gemeinden
aufgebrachten Subventionen durch eine Selbstbesteuerung seitens der
von der Stillpropaganda geförderten und zu erfassenden Bevölkerungs¬
schichten soweit erhöht werden, daß eine in bezug auf Anspruch und
Höhe anstrebenswerte Prämiierung in Aussicht steht. Schließlich muß
die Stilldauer fast bis zur Grenze des physiologischen Termines aus¬
gedehnt werden, was durch ärztliche Überwachung gewährleistet wer¬
den soll.
Im „Wiener med. Doktorenkollegium“ sprach Georg LotheisSen
über die „Chirurgie der Lungen“. Die Gefahr des Pneumothorax vor
allem war die Ursache, daß die Lungenchirurgie erst so spät zur Ent¬
wicklung gelangte. Unter den Mitteln, die diese Gefahr bannen, hebt
L. zuerst die Sauerbruch’sche Unterdruckkammer, ferner den Brauer-
schen Überdruckapparat hervor. Aber auch einfache Vorrichtungen
zur Schaffung von Überdruck scheinen vielversprechend zu sein, wenn
auch durch diese Mittel noch nicht sämtliche Gefahren, z. B. bei der
Nachbehandlung der Operierten beseitigt erscheinen. Während man bei
den Lungeneiterungen auch ohne Druckdifferenzanwendung sehr gute
Erfolge erzielt hat, wird die Chirurgie der Lungenverletzungen, so¬
wie der Lungentumoren durch das Druckdifferenz verfahren erst zur
vollen Entwicklung gebracht werden. Unter den Verletzungen der
Lungen ist die Commotio thoracis seltener, die penetrierenden Lungen¬
wunden werden hingegen sehr häufig gesehen, bedürfen jedoch in der
großen Mehrzahl der Fälle keines operativen Vorgehens. L. führt
hierfür als Beweis einen Pat. mit 16 Stichen in der Brust, (die
meisten in die Lunge penetrierend), bei welchem unter Buhe und Eis-
applika.tion rasch volle Heilung eintrat. Bei starken Blutungen, nament¬
lich nach Lungenschüssen wird die Thorakotomie und Lungennaht am
besten bei der Druckdifferenz das geeignete Verfahren darstellen. Bei
Medistinalemphysem hat Sauerbruc'h mittels gleicher Behandlung zwei¬
mal wenigstens Besserung des Zustandes erreicht, doch waren die Pat.
in zu elender Verfassung, als daß sie noch zu retten gewesen wären.
L. hat in mehreren Fällen auch bei anderen Lungenerkrankungen die
Lungennaht angewendet und kann die Angaben Ivüttners, daß diese
Naht nicht schwer ist, bestätigen. Es ist einerlei, ob man Katgut,
Seide oder Zelluloidzwirn als Nähmaterial verwendet. Von Tumoren
der Lungen kommen nur die primären in Betracht. Das Karzinom der
Bronchialwand am Hilus wird vorderhand noch nicht operiert werden
können ; doch führt es öfters zu Bronchiektasien und Abszessen. Von
den Karzinomen des Lungengewebes selbst wurde bisher noch keines
920
Vorläufige Mitteilungen und Autoreferate.
vollständig exstirpiert, doch haben Excochleationen für Monate Besse¬
rung gebracht. Unter den Entzündungsprozessen der Lunge ist die
Aktinomykose verhältnismäßig selten, doch finden sich in der Literatur
immerhin über 90 Fälle von primärer Lungenaktmomykose. Die Dia¬
gnose der Erkrankung wird durch den Nachweis von Pilzdrusen im
Sputum gesichert. Ist der Krankheitsprozeß bis an die Oberfläche der
Lunge vorgeschritten, so erscheint die Operation nicht allzu schwierig,
und es sind auf diesem Wege sehr schöne Resultate erzielt worden.
Bei der Tuberkulose der Lungen hat die chirurgische Behandlung bis¬
her noch keine glänzenden Ergebnisse aufzuweisen. Die Eröffnung
von Kavernen ist nur dann vorzunehmen, wenn Mischinfektion und
septisches Eieber bestehen. Ausgedehnte Rippenresektionen um die
Kavernen zum Zusammenfallen zu bringen, stellen einen sehr bedeuten¬
den Eingriff dar, den man in der Regel, namentlich bei Blutungen den
Kranken nicht wird zumuten können. Eür derartige Fälle wird der
künstliche Pneumothorax durch Stickstoffeinblasung sich besser eignen.
Der Eingriff ist nicht schwierig und bringt dem Pat. sofort Erleichte¬
rung. Ereund’s Operation, die prophylaktische Pseudarthrosenbildung
im ersten Rippenknorpel ist ein vielversprechendes Verfahren. Die
Abszesse der Lungen entstehen durch Fremdkörper, durch Embolie (diese
sehr häufig multipel und daher die Prognose weniger günstig), am
häufigsten sind sie metapneumonisch, ev. auch kombiniert mit Lungen¬
gangrän. Von großer Wichtigkeit für die Art des Eingriffes und die
Stellung der Prognose ist in solchen Fällen eine genaue Herddiagnose.
Die Röntgenstrahlen leisten dabei sehr wertvolle Dienste, namentlich
zur Aufsuchung eines zweiten und dritten Herdes. Bestehen bereits
Pleuraverwachsungen, so ist die Eröffnung mit keinen Schwierigkeiten
verbunden, da ein Pneumothorax nicht mehr zu fürchten ist. In den
meisten Fällen wird man sich mit der Eröffnung begnügen müssen,
und die Behandlung der starren Höhle auf später verschieben. L. ope¬
riert jetzt nur in Lokalanästhesie und hat seitdem keinen Pat, durch
die Operation verloren. L. hat bei einem Materiale von 26 Operationen
eine Gesamtsterblichkeit von 45 °/0, bei einfachen Höhlen von 18,2 °/0,
erfreuliche Resultate, wenn man in Betracht zieht, daß früher, ohne
Operation, etwa 75 — 80°/0 der Kranken gestorben sind.
Vorläufige Mitteilungen u. Autoreferate.
Ammen im Krankenhause.
Von Dr. Clemens, Chemnitz.
(Vortrag in der medizinischen Gesellschaft in Chemnitz am 5. Mai 1909.)
Im Chemnitzer Stadtkrankenhause wurde mit dem Jahre 1908 die
Ernährung kränker Säuglinge durch Ammen eingeführt. Ich
berichte kurz über die recht erfreulichen Ergebnisse — die Vergleichs¬
zahlen des vorhergehenden Jahres sind jeweils in Klammern angeführt.
Es wurden 56 (57) Kinder bis zu einem halben Jahre aufgenommen.
Davon starben innerhalb der ersten drei Tage 12 (8). Von den übrigen
44 (49) Kindern sind dann weiterhin noch gestorben 19 (41), das sind
43,2 (83,7) °/q. Gewiß ist diese Zahl immer noch hoch, aber man muß
in Betracht ziehen, daß z. B. 1908 über die Hälfte dieser Kinder nicht
an einfachen Ernährungsstörungen litten, es waren einerseits Früh-
Referate und Besprechungen.
921
gebürten, anderseits Kinder mit Hasenscharten, Pemphigus, Pneumonie,
Tuberkulose, Meningitis usw. darunter. Ungeheilt, auf Wunsch der
Eltern oder Behörden, verließen noch das Krankenhaus 1 (4) Kinder.
Aus gleichen Gründen wurden nur gebessert entlassen 4 (4). Schlie߬
lich konnten, wir fast völlig oder völlig wieder hersteilen 20 (0). Hier
liegt der große, unverkennbare Erfolg, doppelt deutlich für den, der
weiß, in welchem Zustande vielfach die Säuglinge ins Krankenhaus
geliefert werden. Es bedurfte dafür freilich meist monatelangen Auf¬
enthaltes, wobei dann auch Gewichtszunahmen bis zu 6 kg erzielt
wurden. Bei einem Bestände von 12 — 15 Säuglingen kamen wir mit
zwei Ammen vielfach nicht gut aus, wir haben darum fürs neue Jahr
eine dritte bewilligt erhalten.
Medizinische Gesellschaft zu
Chemnitz.
(Sitzung vom 5. Mai 1909.)
In der Sitzung der Chemnitzer
Medizinischen Gesellschaft stellte
Clemens zwei in Chemnitz ge¬
bürtige und wohnhafte Brüder
vor, die seit vielen Jahren an
Dystrophia musculorum pro¬
gressiva leiden. Weitere Fälle
in der Verwandtschaft sind nicht
bekannt. Von Interesse ist, daß
bei beiden die gleichen Muskeln
bezw. Muskelgruppen hypertro¬
phisch (Deltoideus, Trizeps und
Wadenmuskulatur) und die gleichen
atrophisch sind (lange Kücken¬
strecken, Unterarm- und Ober¬
schenkelmuskeln).
.
•'-x : ’ VAU
Referate und Besprechungen.
Psychiatrie und Neurologie.
Psychische Störungen und Hypophysis.
(Laignel-Lavastine. Rev. de Med., 10. März 1909, 29. Jahrg., S. 172 — 181.)
Die Zirbeldrüse erfreut sich in Frankreich eines größeren Interesses
als in Deutschland, und insbesondere in unserer Psychiatrie spielt sie keine
große Rolle. Laignel-Lavastine sucht sie in dieser Hinsicht ins rechte
Licht zu rücken, indem er daran erinnert, wie der Riesenwuchs und die
Akromegalie, die klassischen Hypophysensyndrome, mit allerlei psychischen
Anomalien verknüpft seien und wie es eigentlich logisch sei, diese Ano¬
malien — Infantilismus, geistiges Zurückbleiben — auf dieselbe Grund¬
ursache zurückzuführen.
922
Referate und Besprechungen.
Eine Bestätigung seiner Theorie sieht er in den paar günstigen Er¬
folgen der Hypophysis-Organtherapie, von denen L. Levi und H. de Roth¬
schild berichtet haben.
Immerhin dürfte es angemessen sein, ebenso wie bei den Basedow-
Kranken auf die Schilddrüse, so bei den bedauernswerten Mitbürgern, di©
gerade noch das polizeilich verlangte Mindestmaß von Intelligenz, laber
keinen Deut mehr besitzen, auf die Zirbeldrüse zu achten. Wenn man ihr
nur besser beikommen könnte ! Buttersack (Berlin).
Psychische Störungen von den männlichen Genitalien aus.
(Laignel-Lavastine. Revue de med., 29. Jahrg., 1. März, S. 232 — 248, 1909.)
Gegenüber der herkömmlichen Auffassung, welche dem Gehirn und
Geistesleben eine weitgehende Autonomie zuerkennt und auf welcher nicht
nur die Psychiatrie größtenteils beruht, sondern auch die Psychologie, Rechts¬
wissenschaft usw., machen sich allmählich entgegengesetzte Bestrebungen
geltend, welche mehr die peripheren Vorgänge in den Vordergrund rücken.
So unterscheidet Laignel-Lavastine an den Testikeln zwei Elemente:
die Samenkanälchen und das interstitielle Bindegewebe, dieses für innerej
Sekretion dienend, jenes für die äußere. Störungen, Insuffizienz der inneren
Sekretion bewirkt vor der Pubertät Entwicklungshemmungen des Gehirns,
geistigen Infantilismus; -beim Erwachsenen kann sie allerhand Delirien
lau sl Ösen.
In ähnlicher Weise ist die Prostata in den Kreis der Betrachtungen
zu ziehen. Als Anhaltspunkte liegen da vor : die blutdrucksteigernde, herz¬
beeinflussende Wirkung der Prostataextrakte bei Tieren, die Häufigkeit
der Selbstmorde nach Prostatektomie, die neurasthenischen Anwandlungen
der Prostatiker. Danach wären der inneren Sekretion auch dieser Drüse
Einflüsse auf die Psyche zuzuschreiben.
Ohne Zweifel werden auch noch seitens anderer Organe Wirkungen
auf die Psyche ausgeübt; sie alle im einzelnen auszuwerten, erscheint der¬
malen kaum möglich. Aber das Endresultat läßt sich schon jetzt erkennen,
nämlich, daß Wechselbeziehungen zwischen der Seele und den einzelnen
Organen bestehen, ein Resultat, das freilich biologisch-denkenden Köpfen
weder neu noch überraschend sein dürfte. Buttersack (Berlin).
Paralytiker in ihrer äußeren Erscheinung.
(Rob. Mignot. Revue de med., 29. Jahrg., Nr. 3, S. 161 — 171, 10. März 1909.
Entgegen den zurzeit mit so großer Vorliebe betriebenen mikroskopi¬
schen Studien lenkt Mignon, der Direktor der Maison Nationale in Charen-
ton — welche etwa einer unserer Privatirrenanstalten für bemittelte Männer
entspricht — die Aufmerksamkeit auf den äußeren Habitus der Paralytiker
und kommt dabei zu dem Resultat, daß die Mehrzahl dieser Kranken zu den
schönen Erscheinungen gehören: Le paralytique est le plus souvent „un bei
homme“.
Er hat diesen — zunächst allgemeinen — Eindruck durch Messungen
zu erhärten gesucht und je 30 Paralytiker und 30 andere Geisteskranke
(Melancholiker, Dementia epileptica, praecox, paranoides, Verfolgungswahn
usw.) verglichen. Dabei ergaben sich als Mittelzahlen:
andere
Geisteskrankheiten
169 cm
61 kg
87 cm
Man könnte einwerfen, daß unter den Paralytikkern viele Offiziere
seien, welche gemeinhin besonders groß zu sein pflegen. Allein auch diesen
Einwand entkräftet Mignon durch folgende Tabelle; danach betrugen die
Mittelzahlen für Offiziere mit
Größe
Gewicht
Brustumfang
Paralytiker
172 cm
68 kg
96 cm
Durchschnitt
für die Franzosen
164 — 165 cm
61— 65 kg
86 — 89 cm.
Referate und Besprechungen.
923
Größe
Gewicht
Brustumfang
Paralyse
174 cm
71 kg
93 cm
anderen Geisteskrankheiten
162 cm
60 kg
91 ein.
Wie häufig die Paralyse im französischen Offizierkorps vorkommt, er¬
hellt daraus, daß von den in C hären ton aufgenommenen Of fizieren 80%
an dieser Krankheit leiden.
Woher die Vorliebe der Dementia paralytica gerade für große, schöne
Figuren rührt, sucht Mignon durch allerlei soziale Verhältnisse zu erklären;
vielleicht spielt auch der Umstand mit, daß solche Erscheinungen zumeist
auf nervös-psychischem Gebiet etwas zu kurz gekommen sind und deshalb
früher verbraucht werden. Indessen, wenn auch die hier mitspielenden Ver¬
hältnisse sich auf absehbare Zeit nicht mit einem Schlagwort klären lassen,
sei das nun Syphilis oder Kleinheit des Gehirns oder Kulturkrankheit u.
dergl., so erscheint Mignon’s Hinweis doch zum mindesten interessant.
Buttersack (Berlin).
Syphilitische Meningo-Myelitis 30 Jahre nach dem PrimärafFekt.
(Brissaud u. Bauer. Societe de Neur., Januar 1909.)
Während die exakte Schule vor einigen Dezennien die Anamnese gegen¬
über - dem Status praesens vielleicht über Gebühr vernachlässigte, scheint
heutzutage umgekehrt die Neigung vorzuherrschen, frische Erkrankungen
mit weit zurückliegenden Momenten in ursächlichen Zusammenhang 'zu
bringen. So stellten Brissaud und Bauer einen Kranken vor, der in seinem
51. Lebensjahr mit Schmerzen in den Beinen und an Inkontinenz erkrankte;
die Spinalflüssigkeit ergab 'ebenso zahlreiche polynukleäre wie Lympho¬
zyten. Der Mann hatte im 21. Jahr einen Schanker gehabt.
Mir persönlich kommt es gewagt vor, den Verbindungsfaden dieser
beiden Ereignisse unter Hintansetzung der Faktoren, welche in den zwischen¬
liegenden dreißig Jahren auf den Organismus eingewirkt haben, über so
lange Zeit hinweg zu [knüpfen. Aber als Gegengewicht '.gegen die che¬
mische Vorstellungsweise, welche die Reaktionen allzuschnell aufeinander
folgen läßt, bedeuten diese anamnestischen Analysen immerhin einen Fort¬
schritt, und wenn erst der Blick nicht mehr wie hypnotisiert an der Lues
kleben bleibt, sondern auch andere Dinge bewertet, wird das Denken den
Allgemeinheit dabei gewiß nur gewinnen können. Buttersack (Berlin).
Ziegenmilch als Heilmittel des Morbus Basedow.
(Clement. Revue de la Suisse rom., Jan. 1909. — Bullet, med., Nr. 8, S. 85, 1909.)
Eine Dame sollte ob ihres Basedow mit Milch einer thyreodektomierten
Ziege behandelt werden; das Tier erlag aber diesem Eingriff. Das mit¬
leidige Herz der Pat. wünschte keine Wiederholung des Versuchs; sie be¬
gnügte sich mit einer Milchkur von einer normalen, nicht verstümmelten
Ziege — und wurde geheilt.
Für die schönen Antikörper- u. dergl. -Hypothesen ist diese Notiz ge¬
wiß unbequem. Buttersack (Berlin).
Kinderheilkunde und Säuglingsernährung.
Aus der medizinischen Universitätsklinik Marburg, Prof. Dr. Brauer.
Biologische Fragen bei der natürlichen und künstlichen Säuglingsernährung.
(Priv.-Doz. Dr. Sittler. Der Kinderarzt, Nr. 3 u. 4, 1909.)
Die künstliche (unnatürliche) Säuglingsernährung steht aus mancherlei
Ursachen der natürlichen nach. Zunächst erfährt die Tiermilch durch den
unvermeidlichen Kochprozeß gewisse Veränderungen in ihren wichtigsten che¬
mischen Bestandteilen: das Laktalbumin gerinnt, das Kasein dissoziiert, mög-
924
Referate und Besprechungen.
licherweise tritt auch eine Zerstörung der Fettbestandteile ein usw. : außer¬
dem werden auch die so wichtigen Fermente und Antikörper vernichtet,
welch letztere mindestens in prophylaktischer Hinsicht von Bedeutung sind,
aber nur vom säugenden Neugeborenen unzersetzt in den Körper übergeführt
werden können, und zwar nur von der arteigenen Milch aus. Aber nicht bloß
theoretische Erwägungen, sondern auch Experimente, namentlich von Brü¬
ning, die allerdings nicht ganz unwidersprochen geblieben sind, führen zu
dem Ergebnis, daß sich zur Ernährung des Neugeborenen am besten die rohe
arteigene Milch eignet, am schlechtesten die artfremde rohe, während bei
der Unmöglichkeit einer natürlichen Ernährung die Darreichung von art¬
fremder gekochter Milch am vorteilhaftesten ist. Die wichtigsten Unter¬
scheidungsmerkmale zwischen beiden Ernährungsarten sind weniger in der
verschiedenen Verdaulichkeit der Eiweißkörper zu suchen als besonders im
Fett, auf welches die chronischen Verdauungsstörungen in der Mehrzahl der
Fälle zurückzuführen sind, und welches als die Hauptursach^ des sog. Milch¬
nährschadens und der daraus resultierenden Atrophie (Dekomposition) anzu¬
sehen ist; für die letztgenannten Zustände muß nach Ansicht des Verf. auch
die Wirkung der Molken noch zur Erklärung herangezogen werden, während
bezüglich des Zuckers Unterschiede zwischen künstlicher und natürlicher Er¬
nährung sich nicht konstatieren lassen. Über die Bedeutung der Salze sind
eindeutige Ergebnisse noch nicht gefunden; soweit sie für die Entstehung
der Rachitis eine Rolle spielen, die ja hauptsächlich bei künstlich genährten
Kindern auftritt, handelt es sich vielleicht nicht bloß um ungenügende Zu¬
fuhr, sondern auch um mangelhafte Retention von Salzen, speziell von Kalk,
infolge abnormer Vorgänge im Darmkanal. Steinhardt (Nürnberg).
Zur Säuglingspflege im Krankenhaus.
(Dr. J. Gewin, Amsterdam. Archiv für Kinderheilk., Bd. 49, H. 5 u. 6.)
Seit 1. April 1905 wurde im Wilhelmina-Krankenhaus zu Amsterdam
eine Station für Säuglinge eingerichtet. Es wurde zu diesem Zwecke ,ein
Krankensaal adaptiert. Die künstliche Ernährung wurde im allgemeinen
nach dem Schema von Escherich betätigt.
Sehr begrüßenswert ist die Einrichtung, daß es den Müttern kranker
Brustkinder unter allen Umständen ermöglicht wird, das Stillgeschäft fort¬
zusetzen, sie bleiben, wenn es die Umstände erfordern, den ganzen Tag im
Krankenhaus und werden auch dort verköstigt. Das gleiche gilt mutatis
mutandis für kranke Mütter, die ihr Kind mitbringen, das dann auf der
Säuglingsstation untergebracht wird.
Die Säuglingspflege geschieht durch geübte Pflegerinnen, denen Schüle¬
rinnen beigegeben sind.
Bis 1. Januar 1908 wurden 286 Kinder unter 1 Jahr auf dieser Station
verpflegt. 54 waren bei der Aufnahme nicht krank. 9 wurden gleich in
die Couveuse aufgenommen. Es waren 111 Knaben, 96 Mädchen; die durch¬
schnittliche Verpflegungsdauer betrug 34 Tage.
Die Sterblichkeitsziffer inkl. der gefunden Kinder betrug 355/io%- An
dem schlechten Ernährungszustände der Kinder bei der Aufnahme ist häufiger
die ungeschickte und gedankenlose Art, wie die Kinder gefüttert wurden
schuld als Arbeitslosigkeit und ungenügender Verdienst der Eltern. Die
Sterblichkeit der Kinder, welche nur oder höchstens 2 Monate Muttermilch
bekamen, betrug 52,5%; die Mortalität der Kinder, die länger als 2 Monate
gestillt wurden 29,5%; gewiß bemerkenswerte Zahlen. Reiss (München).
Beitrag zur Frage der biologischen Beziehungen zwischen Mutter und Kind,
(Carl Stäubli, Basel. Archiv für Kinderheilk., Bd. 49, H. 5 u. 6.)
Verfasser, dessen Versuche über diese Frage weit zurückliegen und in
mehreren Arbeiten bereits niedergelegt sind, will durch seine Arbeiten zur
weiteren Klärung anregen. Es ist ihm nicht gelungen, Trichinelleninfektion,
die er deshalb wählte, weil sie von allen Infektionskrankheiten die auffälligsten
Referate und Besprechungen.
925
Veränderungen setzt, bei den Jungen des Versuchstieres zu erzielen. Inwie¬
weit die Plazenta die Fähigkeit besitzt, Giftstoffe für die Frucht unschäd¬
lich zu machen, ist noch nicht vollkommen geklärt. Reiss (München).
Die Giessener Milchküche.
(C. Kockerbeck. Zeitschr. für Säuglingsfürs., H. 1 u. 2, 1909.)
Mitteilung über die mit einer Mutterberatungstelle verbundene, nach
modernen Prinzipien eingerichtete Milchküche, die sich — bei einer Geburten¬
zahl von 600 — mit 220 Kindern in 40 Wochen eines recht regen Besuches
zu erfreuen hatte. Es werden Erfahrungen über das Verhalten des Energie¬
quotienten mitgeteilt, nach welchen dieser vor allem bei debilen Kindern
höher liegt, als man bisher annahm, (vergl. auch die Arbeit von J. Rosen¬
stern: Deutsche medizin. Wochenschr. 1907, Kr. 7). Es ist Ref. aufge-
fallen, daß nur Milchmischungen verabreicht werden, doch dürften wohl
Buttermilch und Liebigsuppe nach den allgemeinen günstigen Erfahrungen
auch hier eingeführt werden, zumal wir gerade Ko eppen -Gießen eine wesent¬
liche Bereicherung unserer Kenntnisse von der Buttermilch verdanken und
in der Vilbeler Buttermilchmischung ein vorzügliches Präparat zur Ver¬
fügung steht. Aronade.
Rohe Milch in der Kinderernährung.
(Mery u. Mlle. Szczawinska. Soc. de Ped., 20. 4. 1909.)
In dem ehemaligen Landhause Zola’s in Medan ist ein Kinderheim
eingerichtet worden, in welchem die Kinder — Rekonvaleszenten von Magen¬
darmkatarrhen und solche mit chronischen Dyspepsien — mit roher Milch
ernährt werden. Von 73 Kindern sind 52 gut gediehen, 2 haben sich nicht
erholt, 19 sind gestorben. Das Gesamtergebnis ist dieses, daß Kinder unter
6 Monaten mit Darmaffektionen die Kuhmilch schlecht ertrugen.
Da jedoch unter den Säuglingen nicht wenige tuberkulöse waren, so
lassen sich die Mißerfolge nicht ohne weiteres gegen die rohe Milch verwerten.
Daß diese natürlich nicht verdorben sein darf, versteht sich von selbst.
Buttersack (Berlin).
Eine Indikation für Fleischbrühe in der Säuglingsernährung.
(W. Stöltzner. Med. Klinik, Nr. 6, 1909.)
Die Verwendung der Fleischbrühe als Zusatz zur Milch in der Ernährung
von Säuglingen, die künstlich genährt werden müssen, rührt von Breton ne au
her. Trotz mancher späteren Empfehlungen und „Neu-Entdeckungen“ hat sich
in Deutschland das Verfahren keine große Anhängerschaft erworben, während
in Frankreich die Anwendung der Fleisch- im besonderen der Kalbfleischbrühe
aus der Säuglingsbehandlung niemals ganz wieder geschwunden ist. Breton-
neau empfahl die Fleischbrühe-Milchmischung besonders bei solchen Säug¬
lingen, die an Tabes mesenterica zu „deutsch“ „Atrophie“ litten und sah
gute Erfolge. Stoeltzü'er teilt, neue Beobachtungen mit, wonach sich von
den verschiedenen Formen der Atrophie diejenige ganz besonders zur Be¬
handlung mit der Fleischbrühe-Milchmischung e ignet, welche auf eine
Überfütterung oder ausschließliche Ernährung der Säuglinge mit Mehl¬
präparaten zurückzuführen ist und als „Mehlnährschaden“ bezeichnet wird,
der eine ziemlich schlechte Prognose gibt. — Der Nutzen der Milch-
Fleischbrühemischung zeigte sich manchmal schon nach wenigen Tagen,
insofern nicht nur die vielfach bestehenden Durchfälle aufhörten und das
Gesamtbefinden sich besserte, sondern auch wieder Mehlzusatz zur Milch
vertragen und Gewichtszunahme erzielt wurde. Eis handelt sich im ganzen
um 14 poliklinische Fälle, von denen 5, d;ie längere Zeit beobachtet werden
konnten, besonders günstig verliefen. Die Erfahrungen Stöltzner’s ermun¬
tern zu weiteren Versuchen über die Frage, wie lange etwa die Milch-Fleisch-
926
Referate und Besprechungen.
brühediät mindestens durchgeführt werden muß, und wann man wieder Kohle¬
hydrate in größerer Menge zu Reichen hat, sind weitere und besonders klinische
Untersuchungen wünschenswert. — Die Herstellung der Fleischbrühe erfolgte
in der im Haushalte üblichen Weise entweder aus Rind- oder Kalbfleisch mit
Salz, aber ohne Grünzeug, im übrigen weder besonders stark noch beson¬
ders schwach. Das Mischungsverhältnis mit Milch war wechselnd, meist 2/3
bis 1/3 Fleischbrühe und V3 — 2/3 Milch; vorübergehend (1 Tag) wurde auch
ausschließlich Fleischbrühe gereicht. Der Milch-Fleischbrühemischung wurde
niemals Zucker zugesetzt. R. Stüve (Osnabrück).
Zur Behandlung der Entbindungslähmungen.
(Otto mar Roh de, Greifswald. Zentralbl. für Kinderheilk., Nr. 2, 1909.)
I. Schlaffe Lähmung des linken Armes gleich nach der Geburt.
II. Lähmung der rechten Hand und in geringem Maße des rechten
Armes.
Fall I. Behandlung mit faradischen und galvanischen Strömen, Massage
und passive Bewegungen.
Nach sechswöchiger Behandlung kein Erfolg. Exitus an interkurren¬
ter Bronchitis und Enteritis. 1
Fall II. 8 Wochen post partum Beginn der Behandlung.
Ruhigstellung des gesunden Armes. Alle Willensimpulse scheinen dem
gelähmten Gebiet zugeführt zu werden. Täglich Massage und Elektrisierung
beider Arme. Nach etwa 5 Monaten Heilung. Reiss (München).
Augenheilkunde.
Beitrag zur Ätiologie des Trachoms.
(E. Bertarelli u. G. Cecchetto. Zentralbl. für Bakt., Bd. 47, S. 422, 1908.)
Bei Affen gelang die Übertragung des Trachoms ; nach 45 Tagen sieht
man ein in starker Entwicklung befindliches Trachom bei ihnen. Verfasser
konnten nachweisen, daß das Trachomvirus Berkefeldkerzen passiert. Fär¬
bung von Ausstrichen von Affentrachom mit Giemsa gab unregelmäßige
rötlich-violett gefärbte Körper im peripheren Teil der Zelle, außerdem im
Protoplasma unregelmäßig verteilte, rötliche Körperchen und endlich rötliche,
rundliche oder auch läügliche Körnchen, die bald zusammengehäuft, bald
zerstreut liegen. Untersuchung von Menschentrachomen lieferte uns die Pro-
wazek’schen Körperchen, die in der Nähe des Kerns gelegen sind, rundes
oder ovales Aussehen haben ; die Grundsubstanz färbt sich bläulich oder
violett.
Alle genannten Gebilde halten die Verfasser für Prowazek’sche Körper;
sie halten dieselben für parasitäre Elemente und für Trachome durchaus
für spezifisch. Schürmann (Düsseldorf).
Die Korrektion der Alterssichtigkeit durch pantoskopische Augengläser.
(E. A. Heimann. Ther. der Gegenw., Nr. 3, 1909.)
Hei mann hat nach einem amerikanischen Modell liieren- oder bohnen¬
förmige Augengläser (Exkavation nach oben) hersteilen lassen, die es Pres¬
byopen ermöglichen, beim Sehen in die Ferne das Glas zu vermeiden, ohne
den Kopf zu senken oder die Brille auf die Stirne zu schieben. Er gibt
an, daß die Gläser weniger auffallend aussehen als die sonst angewandten
pantoskopischen Gläser. Fr. von den Velden.
Alkohol und Auge.
In einem Aufsätze über „Psychose und Auge“ bespricht Prof. Dr. Hugo
Winterstein auch die Beziehungen zwischen Alkohol und Auge. Er er¬
wähnt zunächst das Doppeltsehen bei akuter Alkoholvergiftung, die Bedeutung
des chronischen Alkoholismus für die Ätiologie der Arteriosklerose, die ihrer-
Bücherschau.
927
seits wieder Retinitis haemorrhagica oder auf dem Umwege einer Nephritis
eine Retinitis albuminurica zur Folge haben oder durch Gehirnhämorrhagie
eine Hemianopsie verursachen kann; ferner die Augenmuskellähmungen, die
entweder durch eine periphere alkoholische Neuritis des III., IV. oder VI. Ge¬
hirnnerven oder durch eine hämorrhagische Entzündung am Boden des IV. Ven¬
trikels hervorgerufen werden. Am wichtigsten ist aber die direkte Läsion
des Sehnerven bei chronischem Alkoholismus. Diese offenbart sich als eine
partielle Atrophie der Papille, bedingt durch eine chronische retrobubüre
Neuritis optica, welche in charakteristischer Weise nur das sogenannte papillo¬
makuläre Bündel ergreift. Die subjektiven Symptome bestehen dabei in
Sehstörungen, manchmal auch in einem geringen Grade von Hemeralopie.
Objektiv ergibt sich ein Skotom, das anfangs nur für einzelne Farben gilt
und später zum absoluten Skotom wird. Gewöhnlich findet sich bald eine
Abblassung eines Teiles der Papille, die bekannte decoloratio nervi optici,
seltener kommt es zu ausgesprochener Sehnervenatrophie. Immerhin konnte
W. unter 111 Alkoholikern (Irrenhausinsassen) neben 39 einfachen Abblassungen
der Papille fünf ausgesprochene Sehnervenatrophien konstatieren, also 39,6%
atrophischer Vorgänge im Sehnerven.
Seltener als die Decoloratio nervi optici findet sich bei Alkoholismus
eine Papillitis, eine Sehnervenentzündung. Trifft man nur einfache Hyper¬
ämie an der Papille und in der Netzhaut, so kann diese ein Vorläufer einer
•solchen Entzündung sein, braucht es aber nicht zu sein ; man muß erst kon¬
statieren, ob nicht etwa ein Delirium tremens unmittelbar vorhergegangen
ist, welches sich in einer vorübergehenden Kongestion des Augenhintergrundes
äußert. (Österr. Ärztezeitung Nr. 21, 1908, S. 395.) Neumann.
Bücherschau.
Die Basedow sche Krankheit. I. Teil. Symptomatologie. Mit fünf Ab¬
bildungen im Text und einer farbigen Tafel. Von Dr. med. H. Sattler,
o. ö. Professor der Augenheilkunde an der Universität Leipzig. Verlag
von Wilhelm Engelmann, Leipzig, 1909.
In dem jetzt erschienenen ersten Teil (523 Seiten) behandelt der Verfasser die
Symptomatologie der Erkrankung. Die gewaltige Literatur (2896 Arbeiten sind
berücksichtigt) zusammengetragen zu haben, ist schon eine Achtung gebietende
Leistung. Aber weit bewundernswerter ist die überaus kritische und von reicher
Erfahrung getragene Art der Einteilung und Bearbeitung des Stoffes, der hier
seinen Meister gefunden hat.
Die Symptomatologie der Basedowschen Krankheit, die trotz Möbius noch
ziemlich ergänzungsbedürftig war, hat durch Sattler eine nahezu erschöpfende
Darstelluug erfahren. Daß von einem Ophthalmologen der Besprechung der Augen¬
symptome eine besondere Sorgfalt gewidmet wird, ist natürlich. . Der innere
Mediziner und Neurologe wird hierüber nur erfreut sein können. Bei der sehr
großen Zahl der Basedow-Symptome ist es unmöglich, jede einzelne Krankheits¬
erscheinung hier eingehend zu erörtern. Ich muß mich vielmehr mit der Hervor¬
hebung der wesentlichsten Punkte aus dem Sattler’sche Buche begnügen.
So möchte ich als neu besonders hinweisen auf die graphische Darstellung
der Lage des protrudierten Bulbus bei verschiedenen Haltungen des Kopfes und
bei Kompression der Abflüsse nach der Vena facialis, die Birch-Hirsclif eld auf
Veranlassung des Autors ausgeführt hat.
Neu ist ferner die Beweisführung, daß das über dem Exophthalmus hörbare
Geräusch ein Muskelgeräusch ist, ferner die Häufigkeit des Vorkommens eines ein¬
seitigen Exophthalums, der Lidsymptome ohne Exophthalums, das einseitige Vor¬
kommen der Lidsymptome, die differential-diagnostischen Fragen bezüglich der
Lidsymptome und die Erklärung der Lidsymptome. Sehr interessant sind die Aus¬
führungen Sattlers über Papillitis und Sehnervenatrophie, die nicht selten durch
übermäßigen Schilddrüsengebrauch bedingt sind. Durch experimentelle Unter¬
suchungen Birch-Hirschf elds und Inoujes, die auf Sattlers Veranlassung
vorgenommen wurden, konnte die Existenz einer Thyreoidinamblyopie erwiesen
werden. Interessant sind ferner die Hinweisungen auf die vielen, oft nicht genügend
928
Bücherschau.
gewürdigten Fehlerquellen bei der Beurteilung des Möbius’schen Symptoms und die
Uebereinstimmung des Basedowr-Tremors mit dem leichten Tremor normaler Personen.
Die große Zahl der übrigen nervösen Symptome wird von Sattler mit sachgemäßer
Gründlichkeit behandelt, so daß auch der Neurologe viel Belehrung und Anregung
zu weiterer Beobachtung aus den Ausführungen des Autors empfängt. Bemerkens¬
wert ist das seltene Auftreten schmerzhafter Krämpfe oder Tetanie-ähnlicher
Krampfanfälle oder das häufigere choreiformer Bewegungen. Da wo die Chorea
sich erst im Verlaufe des Basedow entwickelte, vermag sich Sattler der Ansicht
nicht zu verschließen, daß Chorea und Basedow durch ein und dieselbe Schädlich¬
keit ausgelöst werden können.
Besondere Beachtungen verdienen die bei der Basedowschen Krankheit vor¬
kommenden Ophthalmoplegien und bulbären Lähmungen, die entweder zusammen
oder für sich allein bestehen können. Eine bei M. Basedowii bestehende
bilaterale Ophthalmoplegia exterior muß nach Sattler ihrem Wesen nach als
eine mehr oder weniger vollständige assoziierte Blicklähmung aufgefaßt werden.
Eine wirkliche Konvergenzlähmung bei ungestörten assoziierten Bewegungen für
alle Blickrichtungen ist bei der Basedowschen Krankheit ganz außerordentlich
selten. In einigen Fällen trat zu dem Basedow eine akute letale Bulbärparalyse.
Da es nicht meine Absicht sein kann, alle Symptome und Komplikationen der
BasedowSchen Krankheit, die Sattler mit bewundernswertem Fleiß und scharfer
Kritik zusammengestellt hat, einzeln durchzusprechen, so sei hier nur kurz ver¬
wiesen auf die Komplikationen mit Myasthenie, die nicht zufällig sondern gemein¬
samen toxischen Ursprunges zu sein scheint, während bei Kombinationen mit
Hemiplegie oder spinaler Muskelatrophie der Zufall eine Rolle spielt. Hervorgehoben
seien die Ausführungen über das Verhalten der Reflexe, die Kombination der
Basedowschen Krankheit mit Hemicranie und Hysterie. Eine besondere praktische
Bedeutuüg kommt der Beobachtung zu, daß sich Basedow im Anschluß an einen
Unfall zugleich mit den Symptomen einer traumatischen Neurose resp. Hysterie
entwickelte.
Außer den bekannten Störungen im Seelenleben der Basedow-Kranken be¬
schreibt Sattler die ausgesprochenen Psychosen, die depressiven F ormen, die Dementia
praecox, die akute Verwirrtheit, die verschiedenen Zustandsbilder des manisch-
depressiven Irreseins, deren toxischer Charakter unverkennbar ist. Sehr eingehend
ist ferner das Kapitel der vasomotorischen Störungen bearbeitet, unter denen nicht
nur die bekannten Schweißstörungen, Hitzegefühle und Erytheme in Folge von
Sympathikusaffektionen sondern auch Blutungen aus den Schleimhäuten und
Hautblutungen erwähnt werden. Erwähnt seien ferner die Zusammenstellungen
über die Häufigkeit des Durchfalles (30 Proz.) und des Erbrechens (15 Proz.), sowie
die Bedeutung des Ikterus, als eines prognostisch ernsten Symptomes.
Unter den Veränderungen der Haut bei der Basedow’schen Krankheit,
sei vor allem auf die neuen Beobachtungen hingewiesen, die der Abschnitt
über derbe Hautschwellungen mit einer künstlerisch ausgeführten Abbildung
eines von Sattler beobachteten Falles bringt. Es handelt sich hier um eine
symmetrisch lokalisierte eigenartige Hautverdickung an beiden Unterschenkeln,
der nach der histologischen Untersuchung ein Flüssigkeitserguß, vermutlich
angioneurotisehen Ursprunges, in den tieferen Lagen der Lederhaut zugrunde
lag. Nachdem Sattler das Zusammentreffen der Basedow’schen Krankheit mit der
Sklerodermie, der Raynaud’schen Krankheit, der Osteomalazie und dem Riesenwuchs
besprochen hat, geht er auf die Beziehungen des Myxoedems zum Basedow ein.
Sehr interessant ist die von Sattler hervorgehobene Tatsache, daß im Verlaufe
der Basedow’schen Krankheit einzelne ihrer Symptome abgelöst oder ersetzt werden
durch solche des Myxoedems oder daß die Basedow’sche Krankheit allmählich
spontan in ein Mvxoedem übergehen kann. Am längsten persistieren daiyi zumeist
die Tachykardie und der Exophthalmus.
Schließlich geht des Verfasser auf die Stoffwechselstörungen und die Basedow-
Hyperthermie sowie die Blutbeschaffenheit bei Basedow mit ganz besonderer
Sorgfalt ein.
Somit ist dieser erste Teil der Sattler’schen Buches ein an Reichhaltigkeit
und kritischer Sichtung des Inhaltes gleichmäßig ausgezeichnetes Buch, das nicht
nur dem Spezialforscher eine Fülle der Anregung bietet, sondern auch für den
praktischen Arzt eine willkommene. Lektüre zur Bereicherung seines Wissens und
zur Kontrole seiner Erfahrungen sein wird. Dem Erscheinen des zweiten Bandes
sehen wir daher mit Spannung entgegen. G. Köster (Leipzig).
Schriftleitung: Dr. Ri gl er in Leipzig.
Druck von Emil Herr mann senior in Leipzig.
27. Jahrgang
1909
Tortscbriitc der Medizin.
Unter Mitwirkung hervorragender Fachmänner
herausgegeben von
Professor Dr. 0. Köster Prio.-Doz. Dr. o. Criegern
in Leipzig. in Leipzig.
Schriftleitung: Dr. Rigler in Leipzig.
Nr. 25.
Erscheint am 10., 20., 30. jeden Monats. Preis halbjährlich
6 Mark, in kl. Zeitschrift für Yersicherungsmedizin 8 Mark.
Verlag von Georg Thieme, Leipzig. =
10. Septbr.
Originalarbeiten und Sammelberichte.
Aus der medizinischen Klinik zu Marburg. (Prof. Dr. Brauer.)
Die Behandlung der Schuppenflechte.
Von Privatdozent Dr. Hübner, Arzt der Hautkrankenstation.
- Verhältnismäßig häufig sehen wir uns vor die Aufgabe gestellt,
bei der Schuppenflechte therapeutisch einzugreifen und zwar liegt dies
an zwei Umständen: Erstens handelt es sich um eine an sich nicht gar
zu seltene Erkrankung, d. h. ein verhältnismäßig nicht ganz kleiner
Prozentsatz aller Menschen wird von ihr befallen und zweitens sind
dies sozusagen „geborene Psoriatiker“, d. h. sie werden in der Hegel
immer wieder von Nachschüben ihrer Krankheit belästigt.
PRid damit sind die Grenzen unseres therapeutischen Könnens
schon gezogen. So sicher es auch uns gelingen muß, die jedesmal
vorhandenen Erscheinungen der Schuppenflechte zu beseitigen, so wenig
können wir das Eintreten von Rezidiven verhindern. Aber auch bei
der Behandlung des typisch entwickelten Krankheitsbildes wird nur
der Therapeut Erfolge erzielen, der aus der großen Zahl der vor¬
handenen Antipsoriatika das nach der Eigenart des vorliegenden Falles
grade passende Mittel auszuwählen versteht, und der den Neben¬
wirkungen dieser Mittel zu begegnen weiß. Es sei mir daher gestattet,
die Behandlung der Psoriasis grade nach der Seite der speziellen In¬
dikation der Mittel hier zu erörtern.
Hierzu haben wir die Fälle zunächst zu sondern in frische,
erste Eruptionen und in alte inveterierte. Bei den letzteren tritt die
externe Behandlung in ihr Hecht, die bei den er steren, den frischen
Fällen, direkt kontraindiziert ist, weil sich bei ihnen die Haut in einem
gesteigerten Zustand von Reizbarkeit befindet, bei dem die Anwendung
der äußeren Antipsoriatica zu einer Eruption der Krankheit über die
ganze Haut führen könnte.
Zum Glück besitzen wir im Arsen ein Mittel, das grade diese
frischen Eruptionen zum Schwinden bringt. Dieses „launische“ Mittel,
wie es B lasch ko einmal genannt hat, wirkt zwar bei der Psoriasis
nicht mit solcher Sicherheit wie etwa beim Lichen ruber, aber doch
immerhin in der großen Mehrzahl der frischen Fälle. Die Anwendungs¬
weise dieses nicht ungefährlichen, aber in der Dermatotherapie durchaus
unentbehrlichen Mittels muß genau bekannt sein.
Wir pflegen das Arsen in der Form der sogenannten asiatischen
Pillen ä 0,0025 zu verordnen. Der Patient beginnt mit 3 Pillen täglich,
59
930
Hübner,
je einer nach dem Frühstück, dem Mittag1- und dem Abendessen. Nach
3 Tagen steigt er auf 4, nach weiteren 3 auf 5 Pillen usf . bis 3 mal
3 = 9 Pillen täglich genommen werden. Auf dieser Höhe bleibt der
Patient bis, unter schwachgrauer Pigmentierüng, die Involution der
Piaques beginnt. Dann folgt langsamer Abfall der Arsendosis nach
dem gleichen Schema. Intoxikationserscheinungen sind bei dieser Art
der Verabreichung des Arsens nicht zu befürchten. Man muß sie
und ihre drohenden Vorboten aber kennen, um, falls sie doch auf-
treten sollten, richtig zu handeln. Quälende Trockenheit im Halse,
schmerzhafte Darmkoliken und Durchfall, Erytheme und zosterähn¬
liche Blaseneruptionen auf der Haut sind die Zeichen der beginnenden
Arsenvergiftung : Sie erheischen ein rasches Hinuntergehen mit der
Dosis, aber kein brüskes Aufhören. Letzteres würde die bedrohlichen
Erscheinungen nur noch steigern.
Gegenüber der angenehmen sicheren und billigen Darreichungs¬
weise des Arsens in der Form der asiatischen Pillen treten alle anderen
Arsenmedikationen zurück. Ähnlich wie die Pillen wirkt die Solutio
Fowleri. (3 mal täglich 5 — 15 Tropfen). Die subkutane oder gar die
intravenöse Injektion der l°/0igen Lösung von Natrium arsenicosum
(1/4 — 1 cbcm täglich) wird außerhalb des Krankenhauses wohl nur
selten gemacht werden. Das sogenannte Atoxyl hat seinen Puf als
ungiftiges Arsenpräparat nicht gerechtfertigt.
Außer dem Arsen gibt es noch ein zweites internes Mittel, das
imstande ist, Psoriasis zum Schwinden zu bringen: das Jodkali. Aber
es wirkt nur in exorbitant hohen Dosen bei Psoriasis. Es ist Tat¬
sache, daß Jodkali in Tagesdosen bis zu 30 g, längere Zeit gegeben,
Psoriasis heilt. Es sollen auch die unangenehmen Nebenwirkungen, die
dieses Mittel bei manchen, aber durchaus nicht bei allen Patienten
hat, nicht wesentlich stärker oder häufiger bei diesen hohen Dosen
auf treten wie bei den sonst üblichen. Aber trotzdem hat die Jodkali-
therapic der Psoriasis etwas Gewaltsames an sich und schon der hohe
Preis der Kur sowie der schlechte Geschmack des Mittels bei der
erforderlichen Menge desselben wird es mit sich bringen, daß dieses
Präparat nur sehr selten gegen Psoriasis angewendet werden wird.
Da die inveterierten Fälle und Rezidive der Zahl nach häufiger
sind als die frischen, sind wir auch öfters in die Notwendigkeit ver¬
setzt, die externe Psoriasisbehandlung anzuwenden als die interne. Vor¬
bedingung für die Wirksamkeit jedes äußeren Mittels ist die Ent¬
fernung der Schuppen von den Herden. Diese hat der Applikation eines
Antipsoriasismittels jedesmal vorauszugehen. Sie kann rein mechanisch
im warmen Bade mit Seife und Wurzelbürste erfolgen. Zweckmäßiger¬
weise nach vorhergehender Erweichung der Schuppen mit 1 — 3°/0iger
Salizylvaseline. Auf die so von den Schuppen befreiten roten Plaques
wird dann das Antipsoriatikum mit einem starken Borstenpinsel auf-
gepinselt. Aus der großen Zahl der hier in Betracht kommenden Medi¬
kamente sei in erster Linie das Chrysarobin genannt. Seit seiner
Empfehlung durch Sequeira ist es das am sichersten und schnellsten
wirkende Mittel gegen Psoriasis geblieben. Seine Nachteile, die un¬
angenehmen Nebenwirkungen, kann man in den Kauf nehmen wogen
der prompten Wirkung auf den ganzen Krankheitsprozeß der Psoriasis.
Wirkliche Vergib tungserscheinungen sind bei äußerer Anwendung
selbst auf große Hautpartien nie beobachtet worden. Dagegen lassen
sich die Reizerscheinungen der Haut, die sich ausschließlich an den
Die Behandlung der Schuppenflechte.
981
gesunden Hautpartien und an der Konjunktiva zeigen, wenn nicht ganz
vermeiden, so doch durch einfache antiphlogistische Maßnahmen in
erträglichen Grenzen halten.
Das Chrysarobin wird am häufigsten in Salbenform angewandt,
deren Konzentration sich nach der Konstitution des Patienten zu richten
hat. Die Haut eines kräftigen Arbeiters verträgt eine 20°/0ige Chry-
sarobin salbe, einem jungen blassen Mädchen wird man eine 5°/0ige
ordinieren. Diese Salbe wird mit einem steifen Borstenpinsel kräftig
in die Plaques eingerieben unter möglichster Schonung der gesunden
Umgebung, und zwar solange, bis die erkrankten Stellen die Farbe
der normalen Haut angenommen haben, während die Umgebung unter
der Einwirkung des Chrysarobins dunkel-braunrot geworden ist. Diese
doppelte Farbenveränderung ist das Zeichen, daß das Chrysarobin ge¬
nügend eingewirkt hat. Man sucht dann unter reizmildernder Behand¬
lung (Pinselung mit Zinksuspension usw.) wieder das Chrysarobin-
erythem zum Schwinden zu bringen.
Handelt es sich nur um einige wenige Plaques, so kann man wegen
der größeren Sauberkeit bei der Anwendung an Stelle der Salbe das
Traumatizin als Vehikel für das Chrysarobin in der gleichen Kon¬
zentration benutzen. Auch die Anwendung von 10°/0igem Chrysa-
robinpf laster kann bei einzelnen, isoliert stehenden Plaques von Vor¬
teil erscheinen.
Die unangenehmen Nebenwirkungen des Chrysarobins, zu denen
auch das Verderben der Leibwäsche zu rechnen ist, haben dazu geführt,
daß man nach Ersatzpräparaten immer Umschau gehalten hat. So wurde
durch J arisch in die Psoriasistherapie die Pyrogallussäure eingeführt.
Sie wirkt nicht mit der Schnelligkeit und Sicherheit, wie das Chrysa¬
robin auf die Krankheit und ist auch nur in Fällen von geringer Aus¬
dehnung des Leidens anwendbar. Bei Anwendung der 5 — 10°/0igen
Pyrogallus salbe auf größere Hautpartien besteht die Gefahr der Resorp¬
tion dieses nicht unbedenklich toxisch wirkenden Mittels. Akute Nieren¬
entzündungen, selbst solche mit tödlichem Ausgang, sind nach Anwendung
des Pyrogallus bei gleichzeitiger Einreibung an gTößeren Partien des
Körpers beschrieben worden. Man wendet daher dieses Mittel nur
bei lokalisierten Formen von Psoriasis bei Erwachsenen mit nachweis¬
lich gesunden Nieren an.
Die 10°/0ige offizielle weiße Präzipitatsalbe wirkt nur langsam
gegen die Psoriasis. Ihr Anwendungsgebiet ist daher nur die Kopf¬
haut, wo das Chrysarobin wegen der Nähte der Augen und die Pyrogallus-
salbe wegen der häßlichen tintenartigen Verfärbung der Haare nicht
anwendbar ist.
Der Schwefel, mit dem man bei der Behandlung des der Pso¬
riasis klinisch so nahestehenden Eczema seborrhoicum so ausgezeichnete
Erfolge erringen kann, leistet gegenüber der Psoriasis fast gar nichts.
Wohl aber ist in der Zahl der Äntipsoriatizis noch der Teer zu nennen.
Dieses bei der Behandlung der chronischen Ekzeme so unentbehrliche
Mittel wird bei der Schuppenflechte von manchen Therapeuten fast
gar nicht, von andern wieder fast ausschließlich benutzt. Das Urteil
über seine Wirksamkeit bei der Schuppenflechte schwankt also noch.
Ich habe das Glück1, an zwei großen Hautkliniken tätig gewesen,
zu sein, von denen bei der einen die Chrysarobin- bezw- Pyro-
gallusbehandlung, bei der anderen die Teerbehandlung der Psoriasis
als Standartkur galt. Ich darf mein Urteil über den Wert beider
59*
932
Hübner, Die Behandlung der Schuppenfiechte.
Behandlungsmethoden wohl dahin zusammenfassen, daß ich sage, der
Vorteil der Teerbehandlung liegt in der absoluten Reizlosigkeit, während
das Chrysarobin viel sicherer und unvergleichlich schneller wirkt. Die
Nebenerscheinungen bei ihm können, wenigstens im Krankenhaus, leicht
verhindert und bekämpft werden. Im Krankenhause wird daher in
der Regel dem Chrysarobin der Vorzug zu geben sein, während in
der außerklinischen Behandlung, wo die dauernde ärztliche Beobach¬
tung nicht gewährleistet werden kann, und wo ein besonders rascher
Heileffekt nicht so sehr notwendig erscheint, manches Mal der Teer
vorgezogen werden wird.
Am meisten werden sich die resorbierenden Eigenschaften des
Teers eignen zur Behandlung älterer, recht inveterierter Psoriasispla¬
ques. Als Anwendungsform empfiehlt sich das Teerbad. Der Kranke
wird in ein warmes Vollbad gesetzt, nachdem die affizierten Stellen
mit dem Teerpräparat gepinselt worden sind. Die Wahl des letzteren
ist ziemlich irrelevant. Die Reinheit des Mittels vorausgesetzt, sind
Tinctura rusci, oleum rusci, Lithranthol u. a. gleichwertig.
Der Reihe der gegen die Psoriasis gebräuchlichen Mittel wäre noch
anzu schließen eine Salbe, die die wichtigsten von ihnen vereint ent¬
hält. Wenn auch die moderne Medizin im allgemeinen von den langen
Rezeptformeln der früheren J ahrzehnte abgekommen ist, so hat sich doch
eine Kombination der verschiedenen Antipsoriatizis, wie sie von Dreuw
vor einigen J ahren angegeben wurde, in der Praxis bewährt. Die
Dreuw’ sehe Salbe ist nach dem Schema der bekannten Wilkinson-
schen Salbe zusammengesetzt, und enthält die keratolytisch wirkende
Salizylsäure, grüne Seife, Chrysarobin und Oleum rusci nach der
Eormel :
Acid. salicyl.
10,0
Ol. rusci, Chrysarobini aa
Sapon. viridis
20,0
Vaselin i Li
25,0
Der hohe Chrysarobingehalt der Salbe wird von der Haut ohne
starke Reizung vertragen, da sich die Chrysophansäure mit der Seife
zu chrysophansaurem Alkali bindet.
Neben der medikamentösen Behandlung der Psoriasis sind in letzter
Zeit auch die physikalischen Behandlungsmethoden gegen diese Der¬
matose ins Feld geführt worden. Soweit es sich dabei um rein hydro¬
therapeutische und Schwitzprozeduren handelt, dürfte der scheinbare
Erfolg darin bestehen, daß mechanisch durch diese Maßnahmen ein Ver¬
schwinden des allerdings am meisten in die augenfallenden Symptoms
der Krankheit, der Schuppen, erzielt wird. Auch die sogenannten Glüh¬
lichtbäder wirken nur durch die Wärme der Lampen, also als Schwitz¬
kästen.
Dagegen hat die Röntgenbehandlung der Psoriasis in der Hand
versierter Therapeuten unleugbare Erfolge, ja sie könnte wegen des
Fortfalls all der schmutzenden Salben als die idealste Psoriasisheil¬
methode hingestellt werden, wenn sie nicht auf dem schwierigen Ge¬
biet der Röntgenbehandlung der Hautkrankheiten überhaupt das schwie¬
rigste Kapitel darstellte. Die- oft erwähnte Reizbarkeit der Haut zur
Zeit der Psoriasiseruption macht die richtige Dosierung der Strahlen
ungemein schwierig.
Als ein Nachteil der. Röntgen-, von anderer Seite übrigens; auch
der Chrysarobinbehandlung wird das rasche Auftreten schwer zu be-
A. Bielschowsky, Ueber einseitige Augenbewegungen.
933
seitigender Rezidive erwähnt. Der statistische Nachweis für diese
Ansicht steht noch ans und dürfte überhaupt schwer zu erbringen sein;
denn die Zahl der Rezidive in den einzelnen Rallen ist eben sehr
wechselnd und wir wissen nicht, wodurch sie beeinflußt wird. Wir
müssen uns bei der Unkenntnis über die Ursache der Psoriasis! gestehen,
daß unsere Therapie eine rein symptomatische ist. Wie dieselbe aber
ausgebildet und mit Erfolg betrieben werden kann, das sollte in dem
Vorstehenden kurz zusammenfassend dargestellt werden.
Ueber einseitige Augenbewegungen.
Von Prof. Dr. A. Bielschowsky,
1. Assistent an der Universitäts- Augenklinik zu Leipzig.
(Nach einem in der biologischen Gesellschaft zu Leipzig am 21. Mai 1909
gehaltenen Vortrage.)
(Schluß.)
1. Auch bei hoch- und höchstgradiger Sehschwache des Schiel¬
auges (infolge von Medientrübung, Optikus-Atrophie, Netzhautab-
lösung u. a.), wo eine binokulare Verwertung der Netzhautbilder
ausgeschlossen erscheint, ist in manchen Fällen die einseitige Be¬
wegung des Schielauges hervof zurufen. Und zwar auf verschiedene
Weise. Wenn das amblyopische Auge noch über qualitatives Sehen ver¬
fügt, bewirkt Verdecken desselben eine Änderung seiner Stellung
meist im Sinne einseitiger Hebung. Ist nur noch quantitatives Sehen
übrig (Unterscheidung von Hell und Dunkel, Erkennen von Bewegungen
dicht vor dem Auge), so erfolgt in derartigen Fällen eine Senkung
des amblyopischen Auges, wenn vor das fixierende Auge ein dunkles
Glas gehalten wird, wodurch man das Bild des fixierten Objektes
(Flamme) abschwächt. In einem Falle von einseitiger Optikus-Atrophie,
wo das sehschwache Auge Handbewegungen nur noch in einem kleinen,
peripheren Gesichtsfeldbezirk erkannte, genügte schon die Abblendung
des von der Seite her ins sehtüchtige (fixierende) Auge fallenden Lichtes
zur „Auslösung“ der einseitigen Abwärtsbewegung des anderen, nahezu
blinden Auges. Diese einseitige Bewegung war um so ausgiebiger, je
stärker die Verdunkelung des sehtüchtigen Auges war, dessen Stellung
dabei unverändert blieb. In einem anderen Falle war die Sehschärfe
des divergent schielenden Auges auf 1/50 der normalen vermindert.
Trotzdem sah der Patient spontan — was er seit Jahren bemerkt
hatte — von auffälligen Objekten (Flammen usw.). Doppelbilder,
deren Lage zueinander dem Schielwinkel genau entsprach, woraus die
Intaktheit der normalen (präformierten) Netzhautkorrespondenz her¬
vorging. Das auswärtsschielende Auge stand zeitweilig etwas nach
oben, mitunter - — aber seltener — etwas nach unten abgelenkt, was
auch in entsprechendem Tiefer- bezw. Höherstande des zugehörigen
(Trug-)Bildes zum Ausdruck kam. Auch in diesem Falle bewirkte
Verdecken des Schielauges erhebliche Ablenkung desselben nach obeli,
während ebenso erhebliche einseitige Senkung erfolgte, sobald ein
dunkles Glas die Netzhautbilder des fixierenden Auges abschwächte.
War durch Verdecken des schielenden Auges die Ablenkung nach oben
herbeigeführt worden, so kehrte es hinter der Deckung zur horizon¬
talen oder etwas gesenkten Lage zurück, sobald das fixierende Auge
verdunkelt wurde.
934
- A. Bielschowsky,
2. Schielen und einseitige Schwachsichtigkeit sind aber durchaus
nicht unerläßliche Vorbedingungen für das Zustandekommen dieser
eigentümlichen Art von einseitigen Augenbewegungen. Ich habe auch
eine Reihe von Fällen mit nur geringer oder gar keiner Differenz im
beiderseitigen Sehvermögen gefunden, bei denen das jeweils verdeckte
Auge nach oben abwich, aber sofort (hinter der Deckung) wieder herunter
ging, wenn das fixierende Auge verdunkelt wurde. In diesen Fällen
war in der Regel das einseitige Bewegungsphänomen sowohl am linken
wie am rechten Auge in der nämlichen, eben geschilderten Art, wenn
auch nicht immer in beiderseits gleichem Umfange nachzuweisen.
Diese Tatsache gibt uns wenigstens einen Anhaltspunkt für die
Deutung des merkwürdigen Vorgangs. Sämtliche hierher gehörigen
.Fälle nämlich bilden eine Sondergruppe unter den Motilitätsstörungen
der Augen insofern, als die Richtung der (latenten oder manifesten)
Vertikalablenkung die gleiche ist, mag das eine oder das ander© Auge
in Schieistellung sein. Bei den gewöhnlichen, an Zahl die hier erörterten
weit überwiegenden Vertikalablenkungen (paretischen oder nichtpare-
tischen Ursprungs) findet man, wenn das zunächst nach oben schielende
(beispielsweise) rechte Auge zur Übernahme der Fixation veranlaßt
wird, daß das (zuvor fixierende) linke Auge nach unten abweicht,
weil die den Fixationswechsel bewirkende Senkungsinnervation beiden
Augen gleichmäßig zufließt, das aufwärts schielende in die Hori¬
zont als tellung, das horizontal stehende zur Senkung bringt. In jener
Sondergruppe von alternierendelm Aufwärt&sichielen erfolgt
zwar synchron mit der Einstellung des nach oben schielenden (z. B.
rechten) Auges in die horizontale Richtung eine kurze Abwärtsbewegung
des anderen (linken) Auges, unmittelbar anschließend daran aber eine
isolierte Bewegung des letzteren nach oben, so daß nunmehr das linke
Auge aufwärtsschielt. Bisher wußte man von diesen relativ seltenen
Fällen nur, daß das jeweils verdeckte Auge nach oben abweicht,
nicht aber, daß — wie oben gezeigt wurde — die Ab Sch wächung
(Verdunkelung) des einen (fixierenden) Auges eine Senkung des an¬
deren bewirkt, bezw. die sonst durch Verdecken des letzteren veranlagte
Hebung nicht (oder doch nur in sehr beschränktem Maße) zustande
kommen läßt.
Die Fälle, in denen das amblyopische Auge nicht zentral zu fixieren
vermochte, in denen sich also nur einseitige Vertikalbewegungen des
amblyopischen Auges (durch Verdecken dieses oder Verdunkeln des
anderen) hervorrufen ließen, gehören zweifellos in die zuletzt be¬
sprochene Gruppe : d. h. sie würden ebenfalls alternierend aufwärts¬
schielen, wenn beide Augen zur Fixation befähigt wären.
Wie sind die einseitigen Augenbewegungen der soeben erörterten
Kategorie zu erklären? Daß es sich nicht um Fusionsbewegungen
handelt, deren Anlaß unter allen Umständen eine von beiden Netz¬
häuten zum Sensorium geleitete Erregung sein muß, bedarf nach den
angeführten Versuchen keiner näheren Begründung mehr. Es genügt
der Hinweis auf die eine Tatsache, daß ein vom Sehakt (durch Ver¬
decken) ausgeschlossenes Auge eine Bewegung ausführt, sobald das
fixierende Auge etwas verdunkelt wird.
Das einseitige Bewegungsphänomen ist nach meinen bisherigen
Erfahrungen beschränkt auf die zu alternierendem Aufwärtsschielen
veranlagten Fälle. Ich habe früher („Uber die Genese einseitiger Ver¬
tikalbewegungen der Augen“, Zeitschr. f. Augenheilk., XII, S. 545,
Ueber einseitige Augenbewegungen.
935
1904) ausgeführt, daß das Phänomen des alternierenden Auf'wärts-
schielens nur zn erklären ist durch die Annahme isolierter, von ein¬
ander unabhängiger Innervationen jedes Einzelauges, die nicht
unter dem Einflüsse des Willens stehen, wohl aber insofern vom Seh¬
akt abhängig sind, als die einseitige (abnorme) Heberinnervation ge¬
hemmt ist, sobald und solange die Aufmerksamkeit den Netzhaut¬
bildern des betr. oder beider Augen zugewendet ist.
Diese Anschauung muß jetzt dahin ergänzt werden, daß die bloße
Belichtung des betr. Auges — ohne Zuwendung der Aufmerksamkeit
auf die von ihm vermittelten Eindrücke — die automatische Hemmung
der einseitigen Erregung der Hebermuskeln bewirkt.
Es müssen außer den Zentren für die assoziierten Augen¬
bewegungen noch untergeordnete, einseitig wirksame motorische
Zentren existieren, die von einander und auch vom Willen unabhängig
sind. Ihre Wirkung tritt in der Pegel nur unter Verhältnissen zutage,
in denen Wille und Fusionszwang zugleich mit dem Bewußtsein fehlen
(im Schlaf, in der Narkose); ausnahmsweise aber auch im Avachen
Zustande: dann nämlich, wenn eine abnorme Erregung in jenen
einseitig' wirkenden Zentren besteht.
Die abnorme Erregung, über deren Wesen vorläufig noch gar
nichts zu sagen ist, bleibt bei binokularem Sehakt überhaupt latent,
bei zeitweiligem Ausschluß des einen Auges vom Sehen wird sie an
diesem Auge manifest, am anderen bleibt sie latent. Fehlt das bino¬
kulare Sehen infolge einseitiger Amblyopie in einem Falle, wo jene
abnorme motorische Erregung vorliegt, so äußert sich letztere gewöhn¬
lich in einer zeitweiligen oder auch ständigen „Unruhe“, die eine ge¬
wisse Ähnlichkeit mit dem Nystagmus hat, nur fehlt die letzterem
eigentümliche Gleichmäßigkeit im BeAvegungsrhythmus, Völliger Licht¬
abschluß vom amblyopischen Auge bewirkt bedeutende Zunahme der
Unruhe, in der Hauptsache aber einen starken (einseitigen) Antrieb
zur Bewegung des Auges nach oben : die vorher noch bestehende, wenn
auch unvollkommene „Hemmung“ der abnormen Erregung ist durch den
Lichtabschluß beseitigt.
Wie kommt aber die Ab wärtsbewegung des amblyopischen
bezw. verdeckten Auges bei Verdunkelung des fixierenden
zustande ?
Wir haben angenommen, daß in den betr. Fällen beide einseitig
wirkenden, voneinander unabhängigen motorischen Zentren in abnormer
Erregung sind, und daß die letztere auf der einen oder anderen oder auf
beiden Seiten schon durch die Belichtung der Augen in ihrer Wirkung
auf die Hebermuskeln automatisch gehemmt ist, während Verdunke¬
lung jene Wirkung hervortreten läßt bezAv. steigert. Wenn nun das
fixierende Auge verdunkelt wird, ohne daß dadurch das fixierte Objekt
unsichtbar wird, so wird die zuvor bestehende Hemmung der abnormen
Heber-Innervation so ab geschwächt, daß der Pat., um nicht die
Fixation zu verlieren, mittels eines Senkungsimpnilses dem (unwill¬
kürlichen) Antrieb zur Hebung entgegenwirken muß. Dieser Sen¬
kungsimpuls fließt aber als willkürliche Innervation beiden
Augen gleichmäßig zu: dem einen (fixierenden) ermöglicht er den
Verbleib in seiner Stellung, das andere (amblyopische bezw. verdeckte)
Auge treibt er zu der (einseitigen) Abwärtsbewegung, oder verhindert
die sonst durch Verdecken zu erzielende Abweichung nach oben.
936
Eschle,
Passen wir die aus den klinischen Beobachtungen abgeleiteten
Folgerungen noch einmal kurz zusammen.
I. Die durch Willensimpulse oder Gesichtseindrücke aus¬
gelösten doppelseitigen oder einseitigen Augenbe wegungen sind stets
auf gleichmäßige Innervation beider Augen zurückzuführen.
II. Wenn der okulomotorische Apparat weder durch Willens-
impulse, noch durch Gesichtseindrücke — im Sinne des' Fusions¬
zwanges — beeinflußt ist, kommen Augenbewegungen vor, die auf
isolierte bezw. ungleichmäßige Erregungen der Einzel- Augen zurück¬
geführt werden müssen (im Schlafe,- in der Narkose, hei angeborener
oder frühzeitig erworbener „Anlage“ zum alternierenden Aufwärts¬
schielen). [
III. Die isolierte Innervation der beiden Einzelaugen geht aus
von untergeordneten (subkortikalen) Zentren, die unabhängig voneinander
(isoliert) in einen Erregungszustand gelangen können, wenn die Tätigkeit
der ihnen übergeordneten, auf Willensimpulse und (bewußtwerdende)
Gesichtseindrücke ansprechenden Zentren, die nur das Doppel äuge
beeinflussen, suspendiert ist.
IV. Die Existenz der einseitig wirksamen Zentren wird in wachem
Zustande nur ausnahmsweise offenbar in Fällen, in denen sich jene
Zentren in einem abnormen Erregungszust ande befinden. Die
Ursache dieses letzteren ist noch dunkel, steht aber wohl in naher
Beziehung zur Grundlage des Nystagmus.
V. Der abnorme Erregungsvorgang in jenen Zentren wird beein¬
flußt: 1. von den übergeordneten okulomo torischen Zentren, indem
nämlich Fixationsabsicht und Fusionszwang hemmend auf die abnorme
Erregung des einen bezw. jedes der beiden Augen wirken; 2. reflek¬
torisch auch von der Netzhaut des gleichseitigen Auges aus: das
einseitig wirksame motorische Zentrum wird durch Verdunke¬
lung bezw, Belidh'tung des gleichseitig gelegenen Auges anta¬
gonistisch bee in f 1 u ß t.
Das in den obigen Sätzen enthaltene Resümee meiner Beobach¬
tungen bedarf natürlich in mancher Hinsicht noch näherer Ausführung
und Begründung an der Hand der Literatur und der Einzelheiten des
Beobachtungsmaterials, worauf ich a. a. O. demnächst zurückkommen werde.
Pathogenese und kausale Therapie der Oedeme.
Von Medizinalrat Dr. Eschle,
Direktor der Pflegeanstalt des Kreises Heidelberg zu Sinsheim a. E.
(Fortsetzung.)
Bei mäßiger Verengerung eines großen Gefäßes muß natürlich,
wenn das Leben nicht vernichtet werden soll, ein zentraler Abschnitt
bzw. das Herz eine entsprechend größere Arbeit leisten; aber dieses trägt
nicht allein die volle Last der Arbeit, sondern es wird ein großer Teil
davon durch andere Organe übernommen und durch eine verstärkte
(ansaugende) Tätigkeit des ganzen Protoplasmas, durch die auf reflek¬
torischem Wege erfolgende Vermehrung der Arbeit der Gefäßwände
(neben der der Eröffnung von Kollateralen) jede das Herz allzu schnell
erschöpfende Arbeit von diesem und den zentralen Gefäßgebieten nach
Möglichkeit abgewälzt. Dem erhöhten Blutdruck kann daher nach
Rosenbach die Bedeutung in der Pathogenese der Arteriosklerose nicht
beigemessen werden, die er nach der landläufigen Ansicht haben soll.
Pathogenese und kausale Therapie der Oedeme.
987
An und für sich sind die arteriosklerotischen Veränderungen, die
man gewöhnlich als Druckerscheinungen, also als rein passiven Vorgang,
als Folge der Blutstauung und Dehnung der Gefäße zu betrachten pflegt,
nur das Resultat der erwähnten, veränderten, d. h. anfänglich verstärkten
und schließlich verminderten Arbeit des Gewebes der Gefäßwand selbst,
die zuletzt, wenn die außerwesentliche Arbeit wegen des Stockens der
wesentlichen immer unergiebiger wird, in Veränderungen der intermole-
kulären Struktur ihren Ausdruck finden muß. Die Arteriosklerose ist
im Kompensationsstadium nur der Ausdruck der Arbeitshypertrophie der
Wand, im Stadium der Kompensationsstörung der Degeneration der
W andelemente.
Ein positiver Wanddruck ist nicht ohne Ursache. Er kommt auch
bei Verdickung und Verkalkung der Gefäßwand nicht zustande, da
gerade dann infolge der Vergrößerung der Stromgeschwindigkeit und der
Ausbildung eines vollkommenen Preßstrahls das Aufeinanderprallen der
Wand- und Blutmoleküle — wenn es überhaupt je stattfindet, da ja die
Randschichten ruhen — immer weniger wahrscheinlich wird. Jedenfalls
müßten vor völliger Aufhebung des Tonus ganz ungewöhnliche Verhält¬
nisse vorliegen, wenn statt der axialen, der Fortbewegung dienenden
Komponente eine seitliche oder gar zur Stromrichtung vertikale wirksam
würde und die Energie des Stromes wesentlich vermindern hülfe.
Daß jede erhebliche Veränderung im Gefäßsystem beträchtliche
Folgen für die Zirkulation und somit für die Leistung der Gewebe mit
sich führen muß, namentlich wenn ein für die Fortbewegung des Blutes
oder für die Erhaltung des Herzens besonders wichtiger Gefäßabschnitt
Einbuße an seiner Leistungsfähigkeit erlitten hat, ist nach Analogie der
die Klappenfehler begleitenden Erscheinungen ohne weiteres klar.
Ebenso klar ist es auch, daß vor Ausbildung einer sichtbaren anatomischen
Veränderung schon wesentlich veränderte Bedingungen für die Arbeit
des ganzen Organismus oder mindestens des betreffenden Abschnitts be¬
standen haben müssen. Ein Teil der schweren Störungen bei Erkran¬
kungen des Gefäßsystems, namentlich bei Läsionen der Aorta und der
Kranzarterie, ist nur auf diesen Ausfall von Arbeitsleistung im Proto¬
plasmagebiet und die Unmöglichkeit einer Deckung der mangelnden
Leistung durch die Triebkräfte der Gefäßwand selbst zurückzuführen.
Die Verdickung der Wand, die wir Arteriosklerose nennen,
ist also nicht unter allen Umständen eine Erschwerung für die
Abwickelung der Funktion, sondern sie kann der Ausdruck
eines sie erleichternden Ausgleichs sein. Hierdurch ist, be¬
sonders bei dem langsamen Verlaufe des Prozesses, die Mög¬
lichkeit einer Ableitung des Gefälles auf andere mit der
Außenwelt in Kommunikation stehende Bezirke, vor allem die
Haut, gegeben. Und je nach dem Grade der chemischen und
mechanischen Leistung der Wandelemente ist die Verdickung
identisch mit Hypertrophie und Hyperplasie oder mit Atro¬
phie und entsprechender Bindegewebswucherung. Nicht infolge
des Druckes sterben im Stadium der Kompensationsstörung
die spezifischen Elemente ab, sondern sie tun dies aus Mangel
an Reiz und Ernährungsmaterial und machen dem Binde¬
gewebe oder der Verkalkung Platz.
Der sklerotische Prozeß an den Arterien, der nur der Ausdruck der
erwähnten vermehrten Arbeit und eines Ausgleichs, aber zugleich der
Indikator für die Erreichung der Grenze der Ausgleichsmöglichkeit ist,
938
Eschle,
wird daher unabhängig von der Kompensation der Klappenfehler, nament¬
lich dann auftreten, wenn die Anforderungen der Lebensarbeit in ihrer
Summierung ein gewisses — individuell natürlich äußeist variables —
Maß überschritten haben, d. h. im Senium. Die Gefäßdegeneration, die
wir als „Gefäßverkalkung“, als „Arteriosklerose“ im engsten Sinne be¬
zeichnen, wird ebenso, wie die Herzhyperthrophie und Herzdegeneration
als Folge der Steigerung der normalen außerwesentlichen Heize, die das
Leben mit sich bringt, also als Erscheinung des höheren Alters selten
fehlen, weil die sozialen und sonstigen Lebensbedingungen nur in einer
verschwindenden Minderheit von Fällen, die Möglichkeit gewähren,
dauernd und uneingeschränkt das erforderliche Spannkraftmaterial aufzu¬
nehmen und durch Auslösungsenergie in bestimmter Weise einzuöetzen.
Daß das unter Umständen vorkommt, ist durch Sektionen sehr alter
Leute mit völlig unversehrten Arterien erwiesen. Ebenso ist aber auch
erwiesen, daß diese Umbildung auf Grund einer konstitutionellen Anlage
zuweilen schon bei Kindern im Alter von wenigen Monaten eintreten
kann und mit ihrem Fortschreiten die Grenze für die Steigerung der
Leistungsfähigkeit, der sich der Mensch sonst erst mit dem Eintritt in
das Senium nähert, schon in frühester Jugend erreicht wird.
Überhaupt ist die Gefäß Veränderung nur in sehr seltenen
Fällen (z. B. bei primärer Verengerung oder Verschließung eines Ge¬
fäßes auf Grund von Embolie, durch Druck von Geschwülsten oder
Narben usw.) die Ursache der Veränderung im Protoplasma des
Gefäßgebietes, sondern meist ist sie die (kompensatorische)
Begleit- oder Folgeerscheinung der durch übermäßige Leistung
herbeigeführten Funktionsveränderung des Gewebes bestimm¬
ter Organe.
Vicht die direkte Beeinflussung der Gefäßwand durch
gewisse Heize, deren Resultat schließlich in der sichtbaren
Läsion zutage tritt, muß notgedrungen eine Störung der Zir¬
kulation nach sich ziehen. Sie kann es zwar tun, wenn sie
selbst wieder zum Ausgangspunkt einer Erschwerung der Ar¬
beit wird. Immer aber ist die ungleichmäßige Verteilung der
Arbeitsleistung und ihre Insuffizienz in bestimmten Proto¬
plasmagebieten die letzte Ursache der Zirkulationsstörung.
Und solange der Tonus der Haut noch so gut funktioniert, daß
trotz der Minderleistung einzelner Bezirke der Kreislauf des
Blutes aufrecht erhalten wird, kommt es zu Ödemen nicht.
Bei sogen. Nierenschrumpf ung, bei Pankreas- und Leber¬
zirrhose muß das Gewebe infolge der Einwirkung von zum Teil un¬
bekannten Reizen stärker arbeiten und bedarf deshalb eines größeren
Blutzuflusses, und je länger diese anormale Arbeitsleistung anhält und
je mehr auch andere Gebiete des Protoplasmas, wie das Herz usw., ge¬
reizt werden, desto eher bildet sich auch bei allen diesen Zuständen
die dauernde akkommod ati ve Veränderung in den stärker ar¬
beitenden Gefäßen aus, die wir Arteriosklerose nennen.
Was wir wenig treffend als Nierenschrumpfung bezeichnen, ist
nach Hosenbach eine Konstitutionskrankheit, die sich uns allerdings
oft unter dem Bilde der atrophischen Niere, der Funktionsatrophie des
besonders stark belasteten Ausscheidungsorgans präsentiert, während
aller Wahrscheinlichkeit nach nur die veränderte Arbeit des gesamten
Albuminatstoffwechsels schließlich in dieser W eise anatomisch zum Aus¬
druck kommt.
Pathogenese und kausale Therapie der Oedeme.
939
Wenn nun das spezifische Parenchym eines Organs — in vorliegen¬
dem Falle das der Nieren — durch lange und übermäßige Arbeit insuf¬
fizient geworden ist, weil auch die Kompensationsfähigkeit der Gefäße,
die das Material für die Mehrarbeit liefern, schließlich versagt, dann
tritt Atrophie der spezifischen Teile und vikariierende Bindegewebs¬
wucherung, eben die „Schrumpfung“ ein, die ja, wie die Verkalkung,
nur eine andere Form der Erhaltung des Zusammenhangs darstellt. Die
Niere atrophiert nur deshalb oder erscheint uns bei unseren
Methoden am meisten beteiligt, weil sie das hauptsächlichste
Organ für die Ausscheidung der verarbeiteten stickstoffhaltigen
Bestandteile des Körpers ist. Und dieser Prozeß wird für
lange Zeit aufgehalten durch die verstärkte Blutbewegung und
akkommodative Gefäß Veränderung, die sich besonders in der
Verdickung der Gefäßwände kund gibt. Infolge der Verände¬
rungen im spezifischen Organprotoplasma aber fällt ein wichtiger Faktor
für die Blutbewegung fort und es kommt zum* Stocken des Blutzuflusses
und zu Ernährungsstörungen der Gefäßwand, die schließlich ein Absterben
des Endothels und Gerinnung des Inhalts zur Folge haben können.
Wenn nicht eine Apoplexie dem Leben vorher ein Ende macht oder
nicht in anderen Fällen in einem urämischen Anfall der Exitus letal i
erfolgt, kann es — immerhin ist das recht selten der Fall — in dem aller¬
letzten Stadium, wenn man schon von totaler Insuffizienz des Betriebes
und aller Kompensationsvorrichtungen sprechen darf, auch zu Ödemen
kommen. In der Kegel finden wir aber gerade bei der Nierenatrophie
das Auftreten dieser in einer direkten Abhängigkeit von den Regionen, in
denen sich die Kompensationsfähigkeit des Gefäßsystems aus diesen oder
jenen Gründen zuerst erschöpft; deshalb sind bei nicht tödlich verlaufenden
apoplektischen Insulten schwächeren Grades mit totaler oder partieller
halbseitiger Lähmung nur die Extremitäten der gelähmten Seite stark
hydropisch, während die der andern Seite frei bleiben.
Aus den nahen Beziehungen zur Arteriosklerose und zur
Schrumpfniere macht es sich auch erklärlich, daß wir bei den
schweren Formen der Diabetes, speziell dem „Diabete maigre“
kaum jemals Ödeme finden. Die Trias: Diabetes, Arteriosklerose,
Nierenschrumpfung bildet, wie Rosenbach ausgeführt hat, gewissermaßen
das Schlußergebnis einer familiären Unzulänglichkeit gegenüber erhöhten
Anforderungen des Lebens. Nur fälschlich wird nach Rosenbach
die Albuminurie bei Diabetes als Zeichen einer primären entzündlichen
Nierenaffektion (Nephritis diabetica) angesehen und die bei der Obduk¬
tion sich findende Nierenschrumpfung als das pathologisch-anatomische
Substrat ihres letzten Stadiums betrachtet. Aber auch wo sich noch
nicht die Symptome der Nierenschrumpfung vorfinden, nicht nur bei
allen schweren, sondern auch bei den mittelschweren Fällen von Diabetes
ohne Adipositas pflegt die Arteriosklerose im Vordergründe des Bildes
zu stehen.
Die Unmögligkeit, die kompensatorische Gef äß Verände¬
rung zu produzieren, die wir in ihren Endstadien — nach Ver¬
sagen der Kompensation — als Arteriosklerose bezeichnen,
erklärt es uns aber, weshalb wir bei der amvloiden Entartung
der Niere, die der Ausdruck einer herabgesetzten Tätigkeit
aller G ewebe ist und nach der durchaus plausiblen Hypothese
von Hoffmeister und Meixner eine Unzulänglichkeit des Orga¬
nismus für die Bindung der Nahrung, namentlich der Eiweiß-
Eschle,
9 40
Stoffe oder (wegen der ungenügenden Fähigkeit, anhaltend die genü¬
gende Zahl weißer Blutkörperchen für die Tätigkeit des Darmes zu
stellen) sogar für die Aufnahme jener Materialien dokumen¬
tiert, Ödeme so häufig und in so erheblichem Grade auf-
treten sehen.
Aus den bisherigen Ausführungen ergibt sich aber ferner,
weshalb bei akuter Nephritis Ödeme so oft und so schnell ein¬
tret en. Allerdings darf nicht, wie Rosenbach klargestellt hat, die
bloße Anwesenheit von Eiweiß im Urin schon die Diagnose Nephritis
begründen: die Funktionsanomalie ist noch nicht Krankheit und es
kann sich um einen reinen regulatorischen Vorgang handeln, um die
Elimination von im Körper nicht verwertbarem Eiweiß. So ist ja auch
die Albuminurie bei Arteriosklerose nicht der Ausdruck einer primären
Schädigung oder Schwächung der Niere, sondern das Resultat einer
starken, sogar maximalen Leistung des Organismus, der das im Blute
gebundene, resp. von den Organen nicht akzeptierte Eiweiß nach Be¬
darf fortschafft. Ebenso ist bei der Schrumpfniere die Albuminurie rein
regulatorisch und das sogen, dritte Stadium der Nephritis hat mit der
Schrumpfniere nichts zu tun. Natürlich kann oft aus der rein funk¬
tionellen Störung bei Fortdauer der verursachenden Noxe und schließ-
lichem Insuffizientwerden der übermäßig arbeitenden Nieren eine Ent¬
zündung resultieren. Aber erst von dem Augenblicke an, wo das Organ
den ihm gestellten Anforderungen nicht mehr genügt, kommt es zu Er¬
nährungsstörungen in seinem Gewebe; und in der Regel müssen diese
Mehrforderungen schon lange bestanden haben oder es müssen spezifische
Reize (Entzündungserreger) in die unter dem Einfluß einer konstitu¬
tionellen Erkrankung stärker arbeitende Niere gelangen. Wie aber an
und für sich die Größe der Eiweißausscheidung nicht ein Zeichen der
lokalen Erkrankung und damit der Gefahr ist, die der Niere droht oder
von ihr ausgeht, sondern nur ein solches der mangelnden Fähigkeit der
Gewebe, Eiweiß zu verarbeiten, so sind anderseits Ödeme, Herzaffek¬
tionen, amyloide Degeneration den verschiedensten Formen der Nephritis
gemeinsam. Denn nicht minder als der Stoffwechsel auf die Organfunktion
hat auch die Organ erkrankung bei weniger widerstandsfähigen Individuen
gewisse Rückwirkungen auf den Stoffwechsel des ganzen Körpers und
damit wieder auf die Ernährungsbedingungen noch anderer Organe.
Chronische Nephritis disponiert zu Endokarditis, aber wie die Nieren und
Hautentzündungen können auch Darmerkrankungen zu Klappenfehlern
Anlaß geben. Oft hinwiederum — das ist nach Rosenbach bei der dem
Galopprhythmus zugrunde liegenden Funktionsstörung der Fall — liegt
der Insuffizienz des Herzens, der Nieren und des Gehirns die gleiche
Allgemeinerkrankung zugrunde.
Welcher Art nun auch die Einflüsse sein mögen, ob man
toxische, bakterielle oder andere Reize im Einzelfalle für die
Entstehung der Nephritis verantwortlich macht, jedenfalls
muß die ihr zugrunde liegende Anomalie in der Verarbeitung
der Eiweißstoffe mit einer charakteristischen Tendenz zur
vorwi egenden Richtung des Wassergefälles von der Oberfläche
des Körpers zu den Nieren verbunden sein, die sich aber nicht
erfolgreich durchzusetzen vermag. Während eine gesteigerte
Hauttätigkeit lange Zeit die vermehrte Arbeit der Nieren kompensieren
kann, scheint bei wirklichen Erkrankungen der Nieren ja nicht nur
jene vikariierende Tätigkeit auszubleiben, also nicht nur relativ, d. h.
Pathogenese und kausale Therapie der Oedeme.
941
im Verhältnis zu den erhöhten Anforderungen sondern sogar absolut,
(d. h. der Vorm gegenüber), vermindert zu sein; denn selbst die Mittel,
die sonst schweißtreibend zu wirken pflegen, versagen bei gewissen
Nierenkrankheiten nicht selten. Auch bei der Scharlachinfektion,
besonders sobald sie ohne sichtbares oder mit sehr schwachem und
als skarlatinös nicht ohne weiteres erkennbarem Exanthem verläuft,
lenkt oft die Trockenheit und die blasse oder sogar gelbliche Verfär¬
bung der Haut als erstes Zeichen unseren Verdacht auf das Vorliegen
einer Nephritis und ganz abgesehen von den Fällen, in denen eine
späte deutliche Schuppung ein Licht auf die Natur der überstandenen
Hautaffektion wirft, schafft hier erst die durch das Daniederliegen der
Hautfunktionen veranlagte Urinuntersuchung Klarheit über die Situation.
Versagt aber die Hauttätigkeit, so muß proportional der
Abnahme der Urinsekretion die Anhäufung von Wasser im
Körper erfolgen. Die Unfähigkeit des Protoplasmas Albuminate zu
verarbeiten muß auch hier, wenn wir RosenbaclFs Schlußfolgerungen
gelten lassen, mit einer Veränderung der Bindungsfähigkeit des Blutes
für Wasser in Verbindung stehen; wegen der Beeinträchtigung der Haut¬
tätigkeit wird, wenn die allein übrigbleibende Regulationsmöglichkeit
durch die Nieren erschöpft ist, das nicht aktivierte Wasser zurückhalten.
Gerade die vielfach berührten antagonistischen Beziehungen
von Niere und Haut machen das Auftreten von Ödemen an der
Peripherie und auch weiter den Umstand erklärlich, daß die
Restitution zum großen Teile an die Reaktivierung der vollen
Tätigkeit des Hautorgans geknüpft ist.
Einige Worte wären speziell der Leberatrophie zu widmen. Es
darf hier, worauf Rosenbach zuerst und zwar mit aller Schärfe hin¬
gewiesen hat, nicht vergessen werden, daß auch bei zeitig vorgenommener
Autopsie das Ergebnis der Untersuchung großer, blutreicher parenchy¬
matöser Organe, namentlich was Größe und Konsistenz anlangt, unmög¬
lich identisch sein kann mit dem an Lebenden erhobenen Befunde und
daß namentlich der Umfang, die Konfiguration und Konsistenz der Leber,
des größten und blutreichsten aller drüsigen Organe, sich nach dem
Tode auffallend schnell verändert. Man findet deshalb fast in allen
Fällen mit Ausnahme der reinen Fettleber und amyloiden Entartung,
sicher aber in allen Fallen von akuter Veränderung der Leber das
Organ nach dem Tode in allen Durchmessern um mehrere Zentimeter
verkleinert und alle im Leben sicher konstatierten Unebenheiten ganz
auffallend ausgeglichen. Wie häufig die „Leberatrophie“ im Obduktions¬
protokoll fälschlich konstatiert wird, muß also von vornherein dahingestellt
bleiben. Sehr oft hat es sich, worauf gleichfalls von Rosenbach hin¬
gewiesen ist, um die ; — an und für sich keine üble Prognose bietende —
Serositis, um eine Perihepatitis simplex gehandelt, die oft, sicher bei
Frauen in der Gravidität, wo sie besonders häufig vorkommt, einer Ver¬
änderung des Stoffwechsels entspricht, die mit gewissen Blutanomalien
in ganz sichtlichem Zusammenhänge steht. Als wichtigstes ätiolo¬
gisches Moment für die Perihepatitis muß die dauernde oder häufig
eintretende Hyperämie der Unterleibsorgane bezeichnet werden, eine
Hyperämie, die nach RosenbaclFs Auffassung bei weitem mehr aktiv
als passiv ist, also weniger von der mechanischen Erscheinung des Ab¬
flusses als von der Erhöhung der den Blutzufluß zu den Organen be¬
dingenden (parenchymatösen) Reize und der Vermehrung der Fähigkeit
942
Wohlwill,
des ganzen Gewebes, Blut aufzunehmen und zu verarbeiten, d. h. von
einer wahren funktionellen Plethora herrührt.
Jede abdominelle Plethora — auch die arterielle, diese
allerdings nur relativ — hat bei längerem Bestehen Stauungen
*im Gefolge. Die chemische Überleistung führt zu einem Manko
an Energie für die Bewegung der Säfte, also zu einer mecha¬
nischen Insuffizienz des Protoplasmas in einem oder dem andern
Quellgebiete der Pfortader. Und mit dem Ausfälle dieser
kleinsten, aber ihrer Vielheit wegen äußerst einflußreichen
Faktoren, die die bewegenden Kräfte des spezifischen Paren¬
chyms der Organe repräsentieren, ist ein nicht mehr ausgleich¬
bares Defizit für die Fortbewegung des Blutes gegeben. Es
resultiert die wahre Stauung (auch im Venensystem), und diese
führt auf dem Wege des bereits oben hinreichend charakteri¬
sierten Mechanismus zum Ödem. (Schluß folgt.)
Hamburger Brief.
Von Dr. Wohlwill, Hamburg.
In der Sitzung des ärztlichen Vereins; vom 20. April demonstrierte
Nonne fünf Fälle, die das Gemeinsame hatten, daß in allen eine ganz
unerwartete Heilung eintrat. Im ersten Falle handelte esl sich um einen
Knaben, der mit Kopfschmerzen, Fieber und epileptischen Konvulsionen
erkrankt war. Es schloß sich daran ein außerordentlich bedrohlich aus¬
sehender, 6—7 Tage dauernder Status epilepticus, der danach langsam
wieder abklang. Als alle Erscheinungen verschwunden waren, stellte
sich ebenso plötzlich eine schwere Koordinationsstörung im Gesicht, in
den Ober- und Unterextremitäten ein. Auch diese Affektion. heilte
restlos. Nonne hat in der letzten Zeit in der Gegend, aus der der
Kranke stammte, eine ganze Reihe von Poliomyelitis1- und Enzephalitis¬
fällen gesehen, die letzteren zeigten alle Ausgang in völlige Heilung.
Im zweiten Fall handelte es sich um einen jungen Menschen,
der ohne nachweisbare Ätiologie mit Schwäche in den Beinen erkrankte.
Bald entwickelten sich schwer^ Spasmen in den Unterextremitäten,
dabei Schmerzen, Blasen- und Sensibilitätsstörungell, die einen Tumor
spinalis wahrscheinlich machten. Bei der Probelaminektomie fand sich
nichts, nicht einmal Druckerhöhung des Liquor. Trotzdem gingen
darauf alle Erscheinungen zurück, der Mann hat noch einen beider'
seitigen Babinsky, ist sonst subjektiv und objektiv gesund. Am wahr¬
scheinlichsten ist jetzt, daß es sich um eine ganz atypische Form
der multiplen Sklerose handelt.
Endlich zeigte er drei Fälle von Hämatomyelie, zwei traumatisch,
einen spontan entstandenen. In allen Fällen hatten schwerste Läh¬
mungen, einmal der Beine, zweimal aller vier Extremitäten Vorge¬
legen. Der eine ist reistlos geheilt, der zweite zeigt nur noch eine
geringe Schwäche in beiden Tricipites, der dritte, der noch in voller
Rekonvaleszenz begriffen ist, kann ebenfalls wieder gehen und seine
Arme benutzen. Wichtig ist die Diagnose des intramedullären Sitzes
der Blutung, damit keine nutzlosen Laminektomien bei derartig Ver¬
letzten gemacht werden.
S immens hielt einen Vortrag über weibliche Genital tuberkulöse.
Er verfügt über ein Material von 80 Sektionsfällen (l1/^ °/0 der weib¬
lichen Sektionen). Es erwiesen sich als krank die Tuben in 86 °/0,
Hamburger Brief.
943
der Uterus in 75 °/0, beide gleichzeitig in 68°/0 der Fälle; die Ovarien
waren nnr viermal erkrankt. Bei der Salpinpitis tbc. unterscheidet
S. 3 Formen : 1. die bekannte Guir 1 anden form , bei der meist ein alter
Verschluß des Fimbrienendes durch Verwachsungen vorliegt, die Tuber¬
kuloseinfektion erst sekundär erfolgt. 2. Oberflächliche Schleimhaut¬
nekrosen mit feinen Knötchen. 3. Tuben mit ganz gesunder Wand,
deren Inhalt aus tuberkelbazillenhaltigem Eiter besteht. Letztere Form
hält S. für das Anfangsstadium: Erst vom Inneren des Kanals greift
die Affektion auf die Wand über. Dasselbe ist beim Uterus der Fall.
Hier spielt ebenfalls der primäre Verschluß des Os externum (Pyo-
metra der Greisinnen) eine Bolle. In der viel erörterten Frage, ob die
Infektion vorzugsweise auf dem Blutwege oder von außen erfolge,
nimmt S. den Standpunkt ein, daß letzterer Modus sehr selten sei ;
er hält ihn unter seinen 80 Fällen nur einmal für wahrscheinlich.
Wenn Tube und Uterus beide erkrankt sind, ist der Prozeß in der
Tube meist weiter vorgeschritten. S. glaubt aber, daß wohl meist
kein Deszendieren, sondern ein gleichzeitiger und gleichwertiger Prozeß
vor liegt. Ein Übergang der Tuberkulose vom Peritoneum auf die Tube
war nur in 4 Fällen anzunehmen. Das Umgekehrte ist etwas häufiger
der Fall. In 9 Fällen bestand zugleich eine Tuberkulose des uro-
poetischen Systems, doch lagen nur in einem Fall die Verhältnisse so,
daß ein direkter Zusammenhang wahrscheinlich erschien. Eine Kon¬
zeption findet in den schwereren Fällen nicht mehr statt. (Einmal
sah S. wohl infolge der Unwegsamkeit Extrauteringravidität.) Eine
bestehende Gravidität wird dagegen nicht gestört, führt aber ihrer¬
seits zu schnellerem Fortschreiten des Prozesses und event. zu Miliar¬
tuberkulose. Betreffs der Diagnose weist S. auf die immer häufiger
werdende Möglichkeit hin, durch Untersuchungen von Kurettements
Tuberkel oder Tuberkelbazillen nachzuweisen. Die Prognose ist stets
ernst. Heilungsvorgänge sah er nie. Er rät daher zu ziemlich radi¬
kalem Vorgehen bei Operationen.
Im Anschluß hieran hielt in der nächsten Sitzung Prochownik
einen Vortrag über dasselbe Thema vom klinischen Standpunkt aus.
Betreffs der Pathogenese (Seltenheit der primären Genital tuberkulöse
usw.) stimmt er mit Simmomos ganz, überein. Ziemlich häufig ist
nach P’s. Erfahrungen eine Entstehung auf dem Boden anderer (gonor¬
rhoischer) Erkrankungen. Bei schwerer Lungenphthise ist die Er¬
krankung der Genitalien auffallend selten, dann aber ausnahmslos sehr
schwer. Die Diagnose muß viele Hilfsmittel zu Bäte ziehen. Klinisch
spricht für Tuberkulose ein lang anhaltender, sonst ätiologisch nicht
erklärbarer (zumal bei Kindern und Virgines), jeder Therapie trotzender
eitriger Katarrh, der mit andauernden geringfügigen Blutungen, sowie
wenig intensiven aber härtnäckigen Schmerzen einhergeht. Fieber ist
meist mäßig aber andauernd, auf jeden kleinen Eingriff erfolgt Tem¬
peratursteigerung. Von Bedeutung ist ferner die Bosenkranzform der
Tube und eine bestimmte Form der schrumpfenden Parametritis. Bazillen
im Sekret wurden nur viermal gefunden, im Kurettement wurden zwei¬
mal Tuberkel, zweimal Bazillen nachgewiesen. Großen Wert legt P.
auf die probatorische Tuberkulininjektion. Für die Lokalisation der
Tuberkulose an den Genitalien sprechen dann bei Ausbleiben pulmo¬
naler und renaler Beaktionen starke Genitalschmerzen und vermehrter
Fluor, in dem es dann noch weitere viermal gelang Tuberkelbazillen nach¬
zuweisen. Therapeutisch empfiehlt P. große Zurückhaltung. Er warnt
944 Wohlwill,
vor dem Kurettement und namentlich vor Atzungen. In den leichteren
Fällen begnügt er sich mit leichter lokaler „ Trocken therapie“ und
legt den Hauptwert auf die Allgemeinbehandlung (Tuberkulinkur, Heil¬
stättenbehandlung). Nur in schweren Fällen (mit Sekundärinfektion,
Fistelbildung usw.) operiert er, und dann möglichst radikal, er ent¬
fernt stets beide Tuben, oft aber auch den Uterus.
In der gemeinschaftlich über beide Vorträge geführten Diskussion
besprach Fraenkel zunächst 2 seltene Formen von Genitaltuberkulose,
1. die von ihm beschriebene „papilläre Zervixtuberkulose“, die makro¬
skopisch kaum von einem karzinomatösen Blumenkohlgewächs zu unter¬
scheiden ist und 2. die einem Sarkom gleichende geschwulstartige Um¬
wandlung von Zervix und Portio. Er demonstrierte sodann ein Prä¬
parat der sehr selten vorkommenden Ovarialtuberkulose.
In der weiteren Diskussion spielte die Frage nach der primären
Genital tuberkulöse die Hauptrolle. Man war sich ziemlich einig darin,
daß sie nur an Sektionsmaterial zu entscheiden sei, doch wurde der
Einwurf gemacht, daß auch, wenn gleichzeitig z. B. Lungentuberkulose
gefunden würde^ die primäre Natur dieser letzteren schwer zu er¬
weisen sein könnte. Was die Prognose anbelangt, so waren die Kliniker
durchgehend nicht so pessimistisch wie die Pathologen. Sie wußten
doch von einigen erfreulichen Besserungen zu berichten auch ohne, daß
eine radikale Exstirpation vorgenommen wäre.
Im biologischen Verein demonstrierte Fraenkel Präparate, die
von einem Fall von Gefäßverkalkung im Gehirn stammen. Es handelt
sich um einen Prozeß, der mit Arteriosklerose nichts zu tun hat und
von Virchow schon vor 50 Jahren unter dem Namen „Kalkmetastasen“
beschrieben ist. Virchow hatte in seinen Fällen auch Kalkablagerungen
in den Lungen und in der Magendarmschleimhaut und dabei — mit
einer Ausnahme — stets schwere mit Auflösung von Kalksalzen ein¬
hergehende Knochenprozesse gefunden. Seither sind erst wenige gleich¬
artige Fälle — u. a. von Hansemann — beschrieben. In Fraenkels
Fall handelte es sich, im Gegensatz zu den meisten übrigen, um ein
älteres Individium, bei dem sich denn auch als Komplikation eine
ausgesprochene Arteriosklerose der Hirnbasisgefäße fand. In beiden
Streifenhügeln und in beiden Kleinhirnhemisphären fanden sich Er¬
weichungsherde, die in ihrem Zentrum Kalkkonkremente bargen. Auf
dem Durchschnitt fanden sich nun überall in der Marksubstanz Ge¬
bilde, die wie ein Heer von Borsten oder „wie die Stoppeln eines
schlecht rasierten Bartes“ über die Schnittfläche hervorragen. An ganz
besonders schönen Röntgenaufnahmen von ca, 1 cm dicken Gehirn¬
scheiben sah man das ganze Netzwerk verkalkter Kapillaren und
kleinster Gefäße wie an einem Injektionspräparat scharf her vor getreten.
Fr. konnte an diesen Röntgenbildern demonstrieren, daß auch die Hirn¬
rinde nicht, wie früher angenommen, von diesem Prozeß frei bleibt,
was allerdings makroskopischer Betrachtung entgehen muß. Die Ab¬
lagerung von Kalk findet, wie Elastikafärbungen dartun, in erster
Linie in den Kapillaren, demnächst in den kleinen Arterien, dann in
den Venen statt.
In derselben Sitzung hielt Jörns einen Vortrag über die Vis¬
kosität des Blutes und ihre Beeinflussung durch Jodkali. Er hat
sich der Methode von Deteirmann bedient. Als Durchschnittswert
fand er für Frauen 5,08, für Männer 5,37 (Durchlaufszeit im Vergleich
zu dest, Wasser von 20°). Als normal gelten Werte von 4,5 — 5,5.
Hamburger Brief.
945
Abweichungen von der Norm fand er nur, wenn auch sonst das Blut
oder das Gefäßsystem erkrankt war. Am auffälligsten ist der Parallelis¬
mus mit dem Hämoglobingehalt des Bluts. Den niedrigsten Wert
von 1,73 fand er hei einem Hämoglobingehalt von 10°/0. Es besteht
zwar auch eine gewisse Abhängigkeit von der Erythrozytenzahl, doch
entspricht z. B. bei Chlorose die Viskosität nicht letzterer, sondern
dem Hämoglobin. Venöses Blut zeigt höhere Viskositätswerte als arte¬
rielles, dementsprechend ist die Viskosität erhöht bei pathologisch
C02 = reichem Blut (Pneumonie, Emphysem, Mitralstenose usw.).
Ferner wurde bei Hemiplegie vermehrte Viskosität konstatiert und
zwar einmal in der gelähmten Seite höhere als: in der gesunden. Hohe
Werte finden sich meist auch bei Arteriosklerose. Nach Ottfried
Müller sollte das Jodkali die Viskosität herabsetzen und so durch
die entsprechend erhöhte Stromgeschwindigkeit die durch die Gefä߬
wanderkrankung verursachte Zirkulationsstörung, ausgleichen. Die Be¬
funde fanden Widerspruch. Jörns konstatierte unter 8 Fällen sech¬
mal ein erhebliches Sinken der vorher erhöhten Viskosität, während
in 2 Fällen mit anfangs normaler Viskosität eine geringe Zunahme
eintrat.
In der Diskussion fügte zunächst Umber ergänzend hinzu, daß
sich am wirksamsten die chronische Darreichung kleiner Joddosen er¬
wiesen habe.
Müller berichtete über Untersuchungen die er an 126 chirurgisch
Kranken der Abteilung von König mit der Hess’ sehen Methode ge¬
macht hat. Aus seinen Befunden ist hervorzuheben, daß nach schwere¬
ren (und zwar nicht besonders blutigen sondern eingreifenden z. B.
Abdominal-) Operationen die Viskosität steigt, obwohl dabei weder Hämo¬
globin- noch C02-Gehalt des Bluts vermehrt ist. Ferner soll ein Unter
schied bestehen zwischen Fieber, das durch Infektion und solchem,
das durch Blutresorption verursacht ist, indem nur ersteres Steigerung
der Blutviskosität verursacht. Bei Magenstenosen soll ein niedriger
Viskositätswert für Malignität sprechen. Bei Hirndruck ist die Vis¬
kosität ebenfalls erhöht. In einem Fall von Dura-Hämaton konnte
M. ein gleichzeitiges Wiederabsinken des Hirndrucks und der Blut¬
viskosität beobachten. Daß Arteriosklerose oft die Viskosität erhöhe,
bestreitet er.
Denecke erklärte die verschiedenen Resultate von Jörns und
Müller durch die verschiedenen Untersuchungsmethoden. Bei der durch
Stauung bedingten Viskositätssteigerung spielen wohl außer der Kohlen¬
säure die gesamten Abbauprodukte der Gewebe eine Bolle. In den ge¬
lähmten Extremitäten von Hemiplegikern ist wohl auch die Zirkulations¬
störung die Ursache der erhöhten Viskosität.
Sehr interessante Mitteilungen machten im Hauptverein Much
und Holz mann über eine Beaktion, die sie gemeinschaftlich als bei
gewissen Geisteskrankheiten im Blut vorkommend nachgewiesen haben.
Die Beaktion beruht auf folgendem : Kobragift vermag gewaschene
menschliche Blutkörperchen aufzulösen. Zusatz von menschlichem Serum
beeinflußt im allgemeinen diesen Vorgang nicht. Stammt das Serum
jedoch von Kranken, die entweder an Dementia praecox oder an manisch-
depressiven Irresein leiden, so wird die Hämolyse gehemmt. Diese
von den Vortragenden „Psychoreaktion“ genannte Beaktion war in allen
Fällen, in denen die Diagnose auf eine der beiden genannten Krank¬
heiten gestellt war, positiv. In einigen wenigen Fällen, wo sie negativ
60
946 Wohlwill,
war, stellte sich bei weiterer Beobachtung heraus, daß es sich mit
Sicherheit oder großer Wahrscheinlichkeit um eine falsche Diagnose
handelte. Gesunde und an anderen Krankheiten leidende Menschen gaben
die Reaktion nicht, dagegen war sie positiv bei einigen sonst geistig
Gesunden, die aber aus einer Familie stammten, in. der die oben ge¬
nannten Krankheiten vorgekommen sind. Es wird damit die Lehre
von der hereditären Disposition zu diesen Krankheiten bestätigt. Daß
die Reaktion von weittragender Bedeutung für die theoretische Auf¬
fassung der Psychosen sowie für die Diagnose sein wird, liegt auf
der Hand. Much sprach auch Hoffnungen für eine darauf aufzu-
b auen de Ther ap ie au s .
Sick demonstrierte einen. 40jährigen Mann, dem er einen dattel¬
förmigen Tumor des Halsmarks exstirpiert hat. Die Wahrscheinlich¬
keitsdiagnose war lediglich daraufhin gestellt, daß der sonst durch¬
aus nicht neurasthenische Mann, bei dem es auch sonst an andern ätio¬
logischen Momenten fehlte, ganz konstant heftige Schmerzen hatte,
welche von der linken Skapula in den linken Arm ausstrahlten, ,und
besonders stark beim Lachen wurden. Der Tumor fand sich — wie
auch sonst oft — höher, als den Symptomen nach anzunehmen war.
Es trat vollkommene Heilung ein.
Die Sitzung des biologischen Vereins vom 11. Mai fand im tropen¬
hygienischen Institut statt und war fast ausschließlich der Besprechung
von Tropenkrankheiten Vorbehalten. Besonderes Interesse fanden die
Ausführungen von Giern sa über Beri-Beri. N achdem die Suche nach
Parasiten bei dieser Krankheit resultatlos geblieben ist, ist man auf
den früheren Standpunkt, in ihr eine Ernährungskrankheit zu sehen,
wiederzurückgekommen. Die Untersuchung von Segelschiffsproviant von
solchen Schiffen, auf denen die Segelschiffsberiberi geherrscht hatte,
hatte zunächst kein Ergebnis!, wohl aber die von Schaumann
auf Gie m s a ’ s Vorschlag angestellten Untersuchungen an Exkre-
tenvon solchen Kranken. Es fand sich, daß die Phosphorsäurei-
ausscheidung bei ihnen auf 1/3 gesunken war, nach Zufuhr frischer
Nahrung aber wieder zur Norm zurückkehrte, ebenso, wenn man die in
Ostasien als Heilmittel der Beri-Beri bekannte Katjang-idjo-Bohne gab.
Die weiteren Resultate waren folgende: Zur Gesunderhaltung ist orga¬
nisch gebundener Phosphor unentbehrlich. Nahrung, welche letzteren
unzureichend oder in denaturierter Form enthält, verursacht Beri-Beri.
In einer ganzen Reihe von Konserven sind die Phosphorproteide-
durch die Konservierungsprozesse hydrolytisch zersetzt, dadurch wasser¬
löslich geworden und in die Büchsen flüssigbeit übergegangen. Reis
verliert von seinem an und für sich schon geringen Phosphorgehalt 2/3,
wenn mit dem „Schälen“ das Silberhäutchen verloren geht, Tauben,
die mit solchem Reis1 gefüttert werden, gehen unter Lähmungserschei-
nungen in 33 Tagen zugrunde. Zusatz von P-armem Hühnereiweiß, nicht
P-haltigen Mineralsalzen, aber auch von Kaliumbiphosphat, Glyzerin¬
phosphorsäure usw. zur Nahrung vermögen den Tod nicht aufzu¬
halten. Dagegen ist die an Nukleinensubstanzen reiche, getrocknete
Hefe und die Katjang-idjo-Bohne imstandel, sowohl das Entstehen von
Lähmungen hintanzuhalten als auch die bereits bestehenden zur Heilung
zu bringen. Es fand sich ferner, daß der Segelschiff sproviant in der
Tat vielfach ein starkes Minus an Nukleinen aufweist. Vielleicht spielt
außerdem auch Eisenarmut der Nahrung mit, da diel betreffenden Kon¬
serven ebenfalls sehr wenig Fe enthalten. Da sich bei der Segelschiffs-
Hamburger Brief.
947
beriberi zu den Lähmungen häufig auch skorbutartige Erscheinungen
gesellen, so liegt ein Vergleich mit der Barlow’schen Krankheit nahe,
bei welcher ebenfalls eine Unterernährung an P und Fe vorliegt. *
Sehr auffallend waren die pathologischen Befunde, die Roden -
waldt im Anschluß an den Vortrag mitteilte. B. hat die Nerven
der zu den Experimenten benutzten Tauben an Osmium-Zupf präparaten
untersucht und dabei schwerste, oft kaum eine Faser freilassende
degenerative Veränderungen nicht nur bei den gelähmten Tauben ge¬
funden, sondern auch bei solchen, die infolge der Auffütterung schon
seit mehreren Tagen wiederhergestellt waren. R. gab folgenden Er¬
klärungsversuch : Die Tiere können mit einem kleinen Bruchteil ihrer
Nervenfasern auskommen ; wird auch dieser Rest noch geschädigt, so
brechen sie zusammen ; hierbei müßte es sich dann um keine völlige
Degeneration sondern um eine der Rückbildung fähige Läsion handeln.
— In Antwort auf eine Anfrage von Eraenkel bemerkte er noch,
daß an den Knochen wesentliche Veränderungen nicht gefunden wurden.
In der Diskussion stand die auffallende Diskrepanz zwischen dem
pathologischen Befund schwerer Nervendegenerationen mit dem klini¬
schen ganz leicht reparabler Lähmungen im Vordergrund des' Interesses.
Luce setzte sie in Parallele zu den diphtherischen Lähmungen, bei denen
häufig auch in klinisch intakten Nerven schwere Degenerationen ge¬
funden werden. Saenger erklärte die angewandte Methode für un¬
geeignet. Emden regte u. a,. Prüfung der elektrischen Erregbarkeit an.
Die skorbutoiden Erscheinungen sind, wie Noclit hervorhob, be¬
sonders bei der Segelschiffsberiberi ausgesprochen, bei der echten, Beri-
Beri treten sie weniger hervor ; hier sind dafür die Lähmungen schwerer
und hartnäckiger. Im Tierexperiment kommt es auf die Versuchsan¬
ordnung an, ob Skorbut entsteht oder nicht. So hat Axel Holst bei
seinen Meerschweinchenversuchen Knochenveränderungen beobachtet, die
mit skorbutischen nahezu identisch sind. Dies wird von Eraenkel,
der die Originalpräparate selbst gesehen hat, bestätigt.
Mayer sprach über Untersuchungen über das ostafrikanische
Küstenfieber der Rinder, die er gemeinschaftlich mit Keystelitz im
Aufträge der Hamburger wissenschaftlichen Stiftung ausgeführt hat.
Als Erreger hat Koch seinerzeit ein ,,Piroplasma parvum“ beschrieben.
Doch bleibt die Bedeutung dieses Parasiten unklar. Es Avurde auch
bei gesunden Rindern gefunden. Viele Rinder haben in ihrer Jugend
Texasfieber durchgemacht, welches auch durch Piroplasmen verursacht
wird. Die Rinder werden dann gegen Texasfieber immun, bleiben aber
Parasitenträger ; es ist wohl möglich, daß bei einer andern Infektion
die Parasiten wieder zum Vorschein kommen. Fest steht, daß die
Krankheit durch Zecken übertragen wird. Pathologisch-anatomisch ist
das auffallenste der Befund weißlicher Knoten in den Nieren, die
früher meist als Infarkte gedeutet wurden. In ihnen finden sich die
von Koch als für das Küstenfieber charakteristisch beschriebenen Plas¬
makugeln, außerdem noch in Leber, Milz und Knochenmark. Sie
entstehen zum Teil im Protoplasma, zum Teil in den Kernen (ver¬
änderte Nukleolen ?). Ob es sich hierbei um Reaktionsprodukte auf
den unbekannten Parasiten handelt, läßt M. dahingestellt. Ähnliche
Gebilde fand er in Organen von Rekurrensmäusen und Tsetsemeer-
schweinchen.
Sodann demonstrierte er Blutpräparate; die von einem an Verruga
peruviana leidenden Mann stammen. Diese in den Anden heimische
60*
948
Ehrmann und Fuld,
Krankheit beginnt nach 2 — 4 wöchentlicher Inkubationszeit mit un¬
regelmäßigem Fieber, Milz- nnd Drüsenschwellung, Anämie und Durch¬
fällen und führt entweder schon in diesem Stadium zum Tod oder
geht nach kurzer Dauer in das Stadium der Vor rügen über (bisi tauben¬
eigroße Blasen und Knoten). Als Erreger galt früher ein Bakterium
der Typhus-Koligruppe. Im vorliegenden, dem Intervall zwischen 1.
und 2. Stadium entstammenden Blutausstrich finden sich kleine, dunkel¬
rot gefärbte, kokkenartige (den Piroplasmen nicht unähnliche) Gebilde,
die M. für Parasiten hält.
Prowazek berichtete über Versuche mit Variolavirus. Filtriert
man Vaccineflüssigkeit durch Agar, so bleiben kleinste diplokokken¬
ähnliche Gebilde zurück. P. hält diese für identisch init den von
Paaschen beschriebenen und sieht in ihnen den Erreger der Pocken.
Er fand sie stets in Synbiose mit Streptokokken. Dem entspricht,
daß Impfungen von Variolaflüssigkeit zusammen mit Streptokokken
viel stärkere Reaktion an der Kaninchen-Kornea hervorruft, als erstere
allein. Das Virus geht nur in geringem Maße in das Blut und die
inneren Organe über. Impfungen mit Blut von Variolakranken gingen
dementsprechend fast nie an. Da die Guanerischen Körperchen, die
jetzt allgemein als Reaktionsprodukte aufgefaßt werden, sich nun auch
in der Leber finden, so verdanken sie ihre Entstehung vermutlich einer
Reaktion auf die Toxine, nicht auf die Parasiten selbst.
26. Kongreß für innere Medizin zu Wiesbaden.
19 — 22. April 1909.
Berichterstatter: Dr. Ehrmann und Dr. Fuld.
(Fortsetzung.)
R oos -Freiburg: Untersuchungen über die Sohallerschei-
nungen des Herzens. (Mit Demonstrationen.)
Der Vortr. demonstriert eine Anzahl Bilder, welche Schallerschei¬
nungen des Herzens darstellen, reine Töne und auch Geräusche, die gut
zur Geltung kommen. Aus dem Verhältnis der Tonbilder zum Karotis-
puls, der neben den Tönen graphisch geschrieben wird und zeitlich zu
demselben in genaue Beziehung gebracht ist, lassen sich mancherlei
Schlüsse ziehen. Dann geht Roos noch besonders auf den Galopp¬
rhythmus und die Verdoppelung der zweiten Töne ein. Diese bisher
schon studierten Phänomene sind jetzt durch die Aufnahme der Ton¬
erscheinurigen einer genaueren Untersuchung viel zugänglicher geworden.
K. Bürker: Ein einfaches Vergleidhsspektr oskop zur Un¬
tersuchung im sichtbaren und wenig sichtbaren (violetten)
Teile des Spektrums.
Spektroskopische Beobachtungen gewinnen wesentlich an Wert,
wenn sie sich auf ein Vergleichsspektrum stützen können. Der Vor¬
tragende hat ein einfaches handliches Vergleichsspektrum konstruiert,
indem er von dem Spalt eines kleinen geradsichtigen Spektroskops
den Albrecht’schen Glaskörper und vor diesem ein aus zwei Ab¬
teilungen bestehendes Absorptionströgchen anbrachte. Der Apparat kann
so eingestellt werden, daß die zu vergleichenden Spektren über- oder
nebeneinander gelegen sind, er kann ferner bei gefülltem Absorptions¬
trögchen im Auditorium zur Betrachtung der Spektren herumgereicht
werden.
26. Kongreß für innere Medizin zu Wiesbaden.
949
Um mit diesem Apparat die Untersuchung im lichtschwaehen
violetten Teile des Spektrums, wo der für den Mediziner so wichtige
Blutfarbstoff noch stärkere Absorptionsstreifen als im gut sichtbaren
Teile aufweist, vornehmen zu können, muß an violetten Strahlen reiches
Licht, wie direktes Sonnenlicht oder das Licht der Nernstlampe in den
Kollimeter spalt gelenkt und in den Gang der Strahlen nach dem Vor¬
gänge von Potior ein blauviolettes Glas eingeschaltet werden, wodurch
der lichtstarke Teil des Spektrums abgeblendet, der lichtschwaehe aber
hervorgehoben wird ; unter diesen Umständen kann man mit dem kleinen
Apparate das Sonnenspektrum bis zu den dicken Fraunh'of er’schen
Linien H und K übersehen.
Der Apparat ermöglicht es, daß in kürzerer Zeit ein genauerer
spektroskopischer Befund erhoben werden kann als mit einem gewöhn¬
lichen Handspektroskop.
Franz Groedel III-Nauheim: Röntgenkinematoigraphie.
Der Vortr. zeigt kinematographische Röntgenaufnahmen des Herz¬
schlags und von Bewegungen in den Gelenken.
Det ermann und Weingartner - Freiburg : Röntgenunter¬
suchungen der Diökdarmlage bei Darmstörungen, besonders
bei Verstopfung.
Die Vortr. haben die Dickdarmlage im Röntgenbild nach Dar¬
reichung einer wismuthaltigen Mahlzeit (300 — 500 g Hafergrütze, 20 bis
30 g Bismutum carbonicüm, dazu Bratensauce, etwas Butter und Ei oder
Sahne) in Serienbildern geprüft. Es zeigte sich, daß besonders bei Ver¬
stopfung sehr oft die Dickdarmlage eine abnorme, meistens eine abnorm
tiefe ist. Oft schien eine scharfe Abknickung am Cöcum oder im Ver¬
lauf des Colon ascendens zu bestehen. Oft war die Hubhöhe vom tief¬
liegenden Querkolon bis zur linken Flexur eine sehr große, öfters
auch war der Sitz des Hindernisses sicher an der Flexura sigmoidea.
Ein Zusammenhang mit allgemeiner Enteroptose war dabei häufig, aber
nicht regelmäßig. Zur Klarstellung der Ursache der Verstopfung er¬
scheine die Röntgenbeobachtung sehr wertvoll.
Eine Prüfung der Kolonlage mittelst Röntgenbeobachtung sei in
allen Fällen von Blinddarmreizung und bei unklaren gynäkologischen
Befunden von Wichtigkeit.
Bevor man Massierungen vornehme, müsse man die Lage des Dick¬
darms erst feststellen.
Diskussion. H i s - Berlin : Der Zusammenhang der chronischen
Obstipation mit Lageveränderungen des Dickdarms wurde zuerst von
Curschmann festgestellt. Er läßt sich auch einfach mit Luftauf¬
blähung des Darmes nachweisen.
Kästle-München : Neue Einblic'ke in den Verlauf der Magen¬
bewegung bei der Entleerung.
Der Vortr. demonstriert Röntgenbilder vom Entleerungsmechanis¬
mus des Magens, die er gemeinsam mit Rieder und Rosenfeld aufge¬
nommen hat (Münchener med. Wochenschr., Nr. 6, 1909).
Gutzmann - Berlin : Über die Unterschiedsempf indlidh-
keit des sogenannten Vibrationsgef ühles.
Der Vortr. demonstriert einen nach seinen Angaben von E. Zim¬
mermann-Leipzig verfertigten Stimmgabelapparat. Mit diesem kam
er jetzt zu dem Resultat, daß in der Tonreihe von A bis; e1, also in dem
Bereiche der Schwingungszahlen 108 — 325, eine Differenz der Vibrations¬
zahlen durch den tastenden Finger mit Sicherheit wahrgenommen wird,
950
Ehrmann und Fuld,
wenn die beiden Zahlen sich verhalten wie 9 : 8, d. h. wenn sie das
Verhältnis zweier nm einen ganzen Ton voneinander unterschiedener
Schwingungszahlen darstellen.
Der StimmgabeLapparat überträgt die Vibrationen mit großer Kraft
und Konstanz auf eine Luftkapsel, an welcher der Finger tastet. Die
gesamte Einrichtung ermöglicht es auch, die Amplituden der Vibrationen
so abzustufen, daß die Unterschiedsempfindlichkeit für die Intensität
der Vibrationen ebenfalls bestimmbar wird.
Der Stimmgabelapparat ist auch zu therapeutischen Zwecken ver¬
wendbar, so zur systematischen Behandlung funktioneller Stimmstörun¬
gen und zur Beseitigung der quälenden, subjektiven Gehörsempfindungen
bei Otosklerose.
K 1 i e n e b e r ge r - Königsberg : Bö n t gen de m o ns tr a t i o neu .
1. Verkalkter Hirntumor, dem Mark des hinteren, unteren Parietal¬
lappens angehörend und klinisch sonst nicht lokalisierbar.
2. Demonstrationen einer Beihe von Pyopneumothoraxes, von ge¬
ringem Eitergehalt und mit kleiner Luftblase, klinisch als Empyeme
imponierend.
3. Böntgenbilder kollabierter Lungen bei Pneumothorax.
Diskussion.
Kr aus-Berlin : Nach sehr vielen Probej)unktionen bildet sich eine
kleine dreieckige Luftblase durch Anstechen der Lunge, wodurch dann
der Pyopneumothorax auch in den demonstrierten Fällen vielleicht zu
erklären ist.
Klieneberger-Königsberg : Das ist auszuschließen, da nur ein
Teil der Fälle vor der Durchleuchtung punktiert wurde, und da über¬
dies sämtliche Fälle die für Pyopneumothorax non tubercülosus charak¬
teristische gasbildende Bakterienflora aufweisen.
B odari-Zürich : Untersuchungen zur medikamentösen
Therapie der Hyperaziditätszustände des Magens (mit Demon¬
stration von Kurven).
Experimentell-biologische und klinische Untersuchungen ergaben
bei gewissen Adstr ingentien folgende verschiedene Arten der Sekre¬
tionsbeeinflussung des Magens :
1. Körper, welche immer eine Sekretionssteigerung hervorrufen;
2. Körper, die immer eine Sekretionshemmung zur Folge haben.
Die Erklärung hierfür liegt vorwiegend in der chemisdhen Be¬
schaffenheit dieser Substanzen.
3. Körper, die einen Doppelmodus der Wirkung auf die Sekre¬
tion entfalten, sowohl eine Steigerung als auch eine Hemmung. Die
Erklärung hierfür liegt vorwiegend oder vielleicht ausschließlich in
der physikalischen Beschaffenheit der Mucosa bezw. in ihrer kol¬
loidalen Beschaffenheit in bezug auf ihren Wassergehalt.
Fet zer -Tübingen : Experimentelle Untersuchungen über
den Eisenstoffwechsel in der Gravidität.
Eisenfütterung während der Schwangerschaft wirkt auf den Fe-
Gesamtgehalt der Nachkommenschaft vermehrend ein, Eisenentziehung
kann vorzeitiges Gebären zur Folge haben.
Staehel in -Berlin : Über 'die Korotkow’sche Methode der
Blutdruckbestimmung (nach Untersuchungen mit Wjasmenski).
Die Korotkew’sche auskultatorische Methode der Blutdruck¬
bestimmung zeichnet sich durch ihre Einfachheit aus, andererseits nach
Angabe russischer Autoren dadurch, daß sie gestatten soll, einen Ein-
26. Kongreß für innere Medizin zu Wiesbaden.
951
blick in die eine Komponente, die die Höhe des diastolischen Blutdrucks
und die Amplitude bedingt, in den Kontraktionszustand der Arterien,
zu gewinnen. Wenn der Druck in der Armmanschette in der Höhe
zwischen maximalem und minimalem Blutdruck ist, hört man an der
KubitaJarterie Töne oder Geräusche. Die obere Grenze der Töne stimmt
überein mit dem maximalen Blutdruck, das Leiserwerden und Ver¬
schwinden des Tones fällt zusammen mit der Abnahme und dem Klein¬
werden der nach v. Recklinghausen beobachteten Oszillationen,
erlaubt also auf einfache Weise die Bestimmung des minimalen Blut¬
drucks. Dagegen konnten St. und W. die Angaben der russischen
Autoren, daß aus dem Charakter der Schal .Erscheinungen irgendwelche
Schlüsse auf den Kontraktionszustand der Arterien möglich sei, nicht
bestätigen. .
E. Frank und S. I saab -Wiesbaden : Zur Frage der bei der
physiologischen Regulation des Blutzuc'kergehaltes wirk¬
samen Faktoren.
Die Exstirpation beider Nebennieren beim Kaninchen hatte in
der Zeit bis zu dem nach fünf Tagen erfolgenden Tode der Versuchs¬
tiere kein Absinken des Blutzuckergehaltes zur Folge. Die Adrennlin-
Glykosurie wird bedingt durch Beizung der sympathischen Nerven¬
endigungen in der Leber und ist ein spezieller Fall des Gesetzes von
der elektiven Wirkung des Adrenalins auf die sympathischen Nerven¬
endigungen. Die Regulation des Blutzuckers hat man sich als einen
neuroch emischen Vorgang zu erklären: er verläuft in sympathischen
Bahnen, die durch physiologische sympathikotrope Substanzen ständig
stimuliert werden, von denen eine das Adrenalin ist. Es wird weiter
über Versuche berichtet, die auf klären sollten, ob den sympathischen
Nerven auch bei der Blutzuckerregulation autonome Nerven als Anta¬
gonisten gegenüberstehen. Als autonomotrope Substanz wurde das
Cholin verwendet; es hatte in variierten Versuchen an Hunden und
Kaninchen keinen Einfluß auf die Adrenalinhyperglykämie und -glyko-
surie, woraus der Schluß gezogen wird, daß das autonome Nerven¬
system nicht gut bei der Zuckerregulation beteiligt sein kann. Pilo¬
karpin scheint sogar die Adrenalinglykosurie eher zu verstärken.
Diskussion. Porges-Wien hat bei zwei Fällen von Morbus
Addisonii eine Abnahme des Blutzuckergehaltes konstatiert und glaubt,
daß man dieses Symptom eventuell diagnostisch verwerten, kann.
Gigon-Basel: Uber den Einfluß deis Opiums auf den mensch¬
lichen und experimentellen Diabetes.
Beim menschlichen Diabetes vermag das Opium nicht nur die
Glykosurie, sondern auch die Azetonausscheidung regelmäßig, wenig¬
stens temporär, herabzudrücken. Die gleiche Wirkung zeigt es beim
pankreaslosen Hunde. Auch beim Phloridzindiabetes tritt, wenn ein
Normaltag zwischen zwei Phloridzintagen eingeschaltet wird, regel¬
mäßig eine deutliche Herabsetzung der Harnzuckermenge auf. Diese
Ergebnisse deuten auf eine spezifische Wirkung des Opiums hin. Der
Angriffspunkt könnte in allen drei Fällen die Leber sein.
H eiln er -München : Über eine Frage aus dem Gebiet der
Eiweiß Zersetzung.
Reichlich zugeführtes Wasser (nicht aber wasserhaltige Nahrungs¬
mittel) steigert die Fettzersetzung, wenn die Flüssigkeit sonst keinen
physiologischen Zweck erfüllt. In der Norm wird solch ein Überschuß
von Wasser nicht aufgenommen.
952 Ehrmann u. Fuld, 26. Kongreß für innere Medizin zu Wiesbaden.
Während, reines, überschüssiges Wasser den Eiweißstoffwechsel nur
wenig steigert, läßt dieser sich durch subkutan injizierte Lösungen
von Harnstoff in physiologischer Kochsalzlösung um ca. 53°/0 in die
Höhe treiben.
Gewisse Endprodukte des Stoffwechsels scheinen demnach anregend
auf diejenigen Stoffwechselvorgänge zu wirken, hei deren Ablauf sie
sich gebildet haben.
Diskussion. Schittenhelm- Erlangen glaubt nicht an eine An¬
regung der Fermente durch Körperabbauprodukte, demgemäß der Stoff¬
wechsel quasi von hinten anfangen würde. Jedoch können durch End¬
produkte Ausschwemmungen hervorgerufen werden. So fand S., daß
nach intravenöser Einfuhr von Allantoin beim Hunde ca. 80°/0 mehr
ausgeschieden wurden.
Fr. Rolly und Weltzer- Leipzig : Stof fwechseluntersuChun-
gen im Fieber und in der Rekonvaleszenz.
XL konnte bereits früher schon mit Hornig an Typhuskranken
mittels des Zuntz-Geppert’schen Apparates feststellen, daß im Fieber
bei nüchternem Zustande ein Defizit von 0 in der Ausatmungsluft
vorhanden war und da bei diesen Patienten, wie Versuche zeigten,
dieser O weder durch den Urin poch durch die Haut ausgeschieden
sein konnte, so mußte ein qualitativ veränderter Stoffwechsel ange¬
nommen werden, d. h. es mußte ein 0-reicher Körper im Fieber retiniert
worden sein.
Durch Gaswechseluntersuchungen bei denselben Typhuspatienten
wurde es sehr wahrscheinlich gemacht, daß dieser im Fieber zurück¬
gehaltene 0 als C02 den Organismus in der Rekonvaleszenz wieder
verläßt.
Jetzt hat R. zusammen mit W. weiterhin festgestellt, daß ein
derartig qualitativ veränderter Stoffwechsel bei allen Infektionskrank¬
heiten statt hat. Es wurden im Fieber und in der Rekonvaleszenz bei
7 Sepsisfällen, 4 Anginen, 1 katarrhalischen Pneumonie, 1 Polyarthri¬
tis rheumatica, 1 Erysipel und 2 tuberkulösen Patienten analoge Be¬
funde wie bei Typhus erhoben, und es mußte als die Ursache dieser
Erscheinung im Fieber der Inanitionszustand und die fiebererregende
Noxe angesprochen werden.
.Weiterhin wurde durch Versuche festgestellt, daß auch schon bei
einfachem Inanitionszustand ein O-reicher Körper im Organismus zurück-
gehalten wurde. Untersucht wurden in dieser Richtung zwei Patienten
mit Magengeschwür, welche in den ersten Tagen nach der Magenblutung
nur eine minimale Menge Nahrung zu sich nehmen konnten, außerdem
sechs Patienten, welche an Krebs und ein Patient, welcher an Anämia
perniciosa erkrankt war. Bei allen diesen Patienten wurde, solange
das Körpergewicht abnahm und in pathologischer Weise Körpersubstanz
eingeschmolzen wurde, auch eine 0-reiche Substanz im Organismus
zurückbehalten. Bei gleichbleibendem Körpergewicht war die O-Aus-
scheidung durch die Lungen normal, bei Zunahme des' Körpergewichts
wurde der früher retinierte 0 durch die Lungen als C02 wieder aus-
geschieden
Da es sich nun bei der Einschmelzung von Körpersubstanz in der
Hauptsache um eine solche von Eiweiß und Fett handelt, so wurde die
N- Einfuhr und -Ausfuhr zugleich mit dem Lungengaswechsel bestimmt
und es konnte auf diese Weise gezeigt werden, daß an den Tagen mit
negativer N-Bilanz 0 im Körper retiniert wurde, an den Tagen mit
Vorläufige Mitteilungen und Autoreferate.
953
N-Gleichgewicht normale O- Ausscheidung durch die Lungen und an den
Tagen mit N-Ansatz die Ausscheidung des vorher retinierten 0 stattfand.
Bei Zerfall von Eiweiß entsteht nun ein N- und ein C-haltiger
Körper. Bei alleiniger Oxydation des N-haltigen Körpers entsteht nach
Bühner ein Verhältnis der C02 -Ausscheidung zum 0 -Verbrauch im
Lungengaswechsel von etwa 0,4; es würde in diesem Falle ein O-reicher
Körper im Organismus Zurückbleiben. Bei einer derartigen Annahme
würden sich alle Befunde erklären lassen. Durch weitere Befunde
wurde eruiert, daß höchstwahrscheinlich nur das Körpereiweiß und
nicht das Nahrungseiweiß in dieser abnormen Weise zerfallen kann.
B. kommt zu dem Schlüsse, daß bei allen Zuständen, welche zu
einer Inanition führen, das pathologisch abgeschmolzene Körpereiweiß
in gegen die Norm veränderter Weise oxydiert wird und zwar so,
daß der N-haltige Teil sofort verbrannt, der C-haltige Teil aber vom
Körper mit großer Zähigkeit zurückgehalten wird. Dieser C-haltige
Teil wird alsdann in der Bekonvaleszenz unter gleichzeitigem N-Ansatz
im Körper und Zunahme des Körpergewichts durch die Lungen wieder
ausgeschieden.
• Diskussion.
’S tae helin- Berlin : Es handelt sich wahrscheinlich nicht um
Eiweißzersetzung. Nur 24lstündige Versuche können hier Wert haben,
nicht kurzdauernde, wie sie die Vortr. angestellt haben.
Salomon-Wien hat die gleichen Bedenken gegen die Kürze der
Versuchsdauer.
Bolly: Bei dem Zuntz-Geppert’schen Apparat ist eine längere
Untersuchungsdauer nicht notwendig. (Fortsetzung folgt.)
Vorläufige Mitteilungen u. Autoreferate.
1. Zur Frage der Bazillenträger.
Von W. G. Esch, Bendorf. (Ther. Rundschau, Nr. 4, 1909.)
2. Beitrag zur Behandlung der Typhusbazillenträger.
Von Liefmann, Halle. (Münch, med. Wochensclir., Nr. 10, 1909.)
1. Unter Hinweis auf die den latenten Mikrobisinus berührenden
Arbeiten von Menzer, Henkel, Krönig, Lüdke (letztere mit zu¬
sammenfassender Übersicht), auf Tarchettis Autotyphisation usw.
kommt Verf. zu folgendem Schluß:
Da die Bekämpfung der Infektionskrankheiten, soweit sie sich
gegen die mehr oder weniger ubiquitären Mikroorganismen und
ihre Träger richtet, wenig aussichtsreich erscheint, und da ferner
,,Infektions“-Krankheiten auch ohne direkte Übertragung sowohl
vereinzelt als auch epidemisch dadurch entstehen können, daß infolge
dispositionserhöhender Einflüsse (Kriegs- und Notzeiten, meteorolo¬
gischer Anomalien, gemeinsamer psychischer, Ernährungs-Schädigungen
usw.) bisher beim Menschen parasitisch, saprophy tisch, latent vorhan¬
den gewesene Mikrobien zur Krankheitserregung fähig werden, so
dürfte bei aller, hinsichtlich Desinfektions-, Isolierungsmaßregeln usw.
gebotenen Vorsicht das Augenmerk rationellerweise doch in erster
Linie auf jene Faktoren zu richten sein, die konstitutions verschlechternd,
dispositionserhöhend auf die Menschen (u. virulenzsteigernd auf die
Mikrobien) wirken. Die Bazillenträger (im weiteren Sinne)
954
Vorläufige Mitteilungen und Autoreferate.
müssen vor allem gegen die Gefahr „immunisiert“ werden, die
ihnen von ihren eigenen Bazillen droht.
Wenn auch auf diesem Gebiet noch vieles unklar ist und gründ¬
liches Studium erfordert (u. a. würde es sich um Weit erbauen auf der
von v. Pettenkofer, Dunbar gelegten Grundlage handeln), wenn
wir auch gegen die von alter sher zur Erklärung der Epidemien heran¬
gezogenen meteorologischen Einflüsse an sich machtlos sind, so kann
doch andererseits hinsichtlich der Stärkung der Widerstandsfähigkeit
des Organismus viel Ersprießliches geschehen.
Vor allem hat hier die „soziale“ Medizin, die Ernährungs-, Klei-
dungs:, Wohnungshygiene einzugreifen, es sind alle jene Bestrebungen
zu unterstützen, die dafür Sorge tragen, daß immer weitere Bevöl¬
kerungskreise eine rationelle Lebensweise führen können und — wallen.
Je mehr wir in dieser Richtung fortschreiten, desto weniger brau¬
chen wir Bazillen und Bazillenträger zu fürchten, und desto seltener
werden die letzteren selbst in Krankheitsgefahr geraten.
2. Lief mann betont, daß nach Untersuchungen von Frosch,
Nieter und ihm selbst die Bazillenträger hinsichtlich ihrer Gefähr¬
lichkeit für andere überschätzt worden sind. Schritt man doch sogar
bei ihnen zur Exstirpation der Gallenblase. Da ihre dauernde Isolierung
usw. untunlich erscheint, so versuchte L. ihnen auf andere Weise bei¬
zukommen: Angeregt durch die Untersuchungen von Met sehn ik off ,
v. Drigalski usw. behandelte er eine Anzahl Bazillenträger mit Yogurth
und es gelang ihm, deren Darmflora dadurch so günstig zu beeinflussen,
daß die Typhusbazillen aus dem Stuhl verschwanden. Dasselbe will
er bei Ruhr und Cholera versuchen.
Nach Hain’s Vorschlag (vgl. Bl. f. klin. Hydr., Nr. 5) könnte
man statt Yogurth auch einfach Sauermilch verwenden, da der vom
Magendarmsaft unbeeinflußt bleibende Milchsäurebazillus andere Bak¬
terien „vertreibt“.
Ueber die Bedeutung der positiven Wassermann’schen Reaktion.
Von Fritz Hoehne. (Dermatol. Zeitschr., Bd. 13, H. 5, 1909.)
Verfasser tritt dafür ein, daß eine positive Wassermann’sche
Reaktion in unseren Breiten mit Sicherheit für Lues spricht. Die
einzige Ausnahme ist der Scharlach, bei welcher Erkrankung in einem
geringen Prozentsatz ebenfalls die Wasser mann sehe Reaktion positiv
ausfallen soll. Verfasser hat daraufhin 133 Scharlachfälle mehrmals
in den verschiedensten Stadien dieser Krankheit untersucht und nur
einmal eine schwache positive Reaktion bei einem 17 jährigen Mädchen,
bei der keine Anhaltspunkte für Lues Vorlagen, konstatiert. Eine Reihe
von Gründen spricht dafür, daß ein positiver Wassermann nicht nur
darauf hinweist, daß der Betreffende einmal Lues gehabt hat, sondern,
daß er noch aktives luetisches Virus beherbergt, daß er also gewisser¬
maßen „Bazillenträger“ ist. An 200 Fällen, die vor und nach der
Behandlung untersucht wurden, konnte gezeigt werden, daß die Therapie
von wesentlichem Einfluß auf den Ausfall der Reaktion ist. 55,5 °/0
dieser Patienten ließen eine deutliche Beeinflussung der Reaktion durch
die Therapie erkennen. Stellt man hieraus die „genügend“ Behandelten
zusammen, so erkennt man sogar bei 65,6 °/0 die Einwirkung der Therapie.
Immer läßt sich ein solcher Einfluß der Behandlung auch durch noch
so energische Kur nicht erzielen. In einigen Fällen scheint der Organis-
Referate und Besprechungen.
955
mus sich auch ohne Behandlung, durch eigene Kraft, der die Reaktion
bedingenden Stoffe zu entledigen.
Verfasser sieht die positive Wasser mann’sche Reaktion ebenso
für ein Symptom der Lues an wie die Haut- und Schleimhauterschei¬
nungen dieses Leidens, und es liegt nahe, irgend eine Wechselwirkung
zwischen ihr und dem Syphilisgift anzunehmen. Die positive Reaktion
gibt wie jedes Symptom der Lues die Berechtigung, energisch anti-
luetisch zu behandeln, falls keine Kontraindikationen entgegenstehen.
Autoreferat.
Referate und Besprechungen.
Innere Medizin.
Kupierung und Behandlung des Schnupfens.
(W. Winternitz. Wiener Bl. für klin. Hvdroth., Nr. 11, 1908.)
Die interessante Arbeit von Winternitz sei hier hauptsächlich wegen
der in ihr enthaltenen all g ern eitl e n Bemerkungen über die ,, Erkältungs¬
frage“ besprochen.
Trotzdem hier noch manche Unklarheiten bestehen, so führt W. aus,
haben doch auch Chodounsky’s Experimente die Jahrtausende alte Er¬
fahrungstatsache nicht a,us der Welt schaffen können, daß bei den weitaus
meisten Menschen Prädispositionspunkte gegen thermische Unbilden bestehen.
Natürlich ist es ganz falsch, die Intensität der Abkühlung oder Erhitzung
zum Maßstab für die Erkrankungshäufigkeit zu machen, vielmehr sind gerade
die geringen, kaum merkbaren Wärmeentziehungen oder Erhitzungen, nament¬
lich wenn sie längere Zeit hindurch einwirken, als das zu Erkältungskrank¬
heiten führende Moment anzusehen. Denn gerade bei den milden, aber länger'
dauernden thermischen Unbilden treten länger anhaltende Gefäßreflexe ein,
die Reaktion bleibt unvollständig, die Zirkulationsstörung führt zu einer
Hemmung der Wechselwirkung zwischen Blut, Gefäßwand und Geweben;
mit den Störungen der normalen Blutzufuhr ändert sich aber auch der lokale
Stoffwechsel.
Was speziell die Nasenschleimhaut betrifft, so ist sie wegen ihres
großen Nervenreichtums, ihrer ^mächtigen Blut- und Lymphgefäßverzweigungen
ein günstiger Ort für Bildung, Aufnahme, Weiterverbreitung toxischer Stoff¬
wechselprodukte (sowohl lokal entstandener als transitorischer, intermediärer),
die ihrerseits wieder den, auch in der Nase des Gesunden stets vegetierenden
mannigfachen Organismen günstige Ernährungs- und Proliferationsbedingun¬
gen bieten.
Demgemäß ist also 'die Entstehung des Schnupfens (auch des infektiösen !)
und damit auch diejenige der Erkältungskrankheiten überhaupt auf die un¬
vollständige Reaktion nach einer mäßigen thermischen Unbilde zurückzu¬
führen. (Vgl. Goldscheider, „Erkältung ist Abkühlung ohne ausreichende
Regulierung“. Ref.) Als unterstützende schädliche Momente sind noch zu
nennen : ein die Perspiratio insensibilis hemmender großer Feuchtigkeitsgehalt
der Luft, weiter unsere undurchlässige, zu dicke Bekleidung, die die Reflex¬
erregbarkeit und das Wärmeausgleichsvermögen herabsetzt und ähnliche die
Abhärtung hindernde Kulturerrungenschaften. Es ist aber zu betonen, daß
auch der Abgehärtetste erkranken kann, wenn thermischen Unbilden keine
vollkommene Reaktion folgt.
Therapeutisch sollte man dementsprechend von hydriatischen Prozeduren
zur Behandlung oder Kupierung der Erkältungskrankheiten nur solche an¬
wenden, denen eine vollkommene Reaktion, prompte Wiedererwärmung des
Körpers folgt, d. h. sehr niedrig oder sehr hoch temperierte, kurze, von
kräftigem mechanischem Reiz begleitete Prozeduren: Abreibungen oder Über¬
gießungen mit nachheriger kräftiger Trockenfrottierung.
956
Referate und Besprechungen.
Medikamentös empfiehlt W. hei Schnupfen Einatmung einer auf der
Hand zerriebenen 10%igen Mentholchloroformlösung, die, gleich im Anfang
gebraucht, durch Zirkulationsvermehrung und gleichzeitige Desinfektion kupie¬
rend wirken kann.
Ref. möchte noch in aller Bescheidenheit bemerken, daß er bereits
1904/05 in der Ztschr. f. physik.-diät. Ther. die Erkältungsfrage besprochen
hat und dabei zu ganz ähnlichen Resultaten wie Winternitz gekommen
ist, wobei er namentlich die Überlegenheit der konstitutionellen über die
moderne lokalis tische Pathologie bezw. bakterielle Therapie betonte. Esch.
lieber Behandlung von Lungen- und Herzkrankheiten mit Hitze.
(Dr. A. He er mann, Deutz. Deutsche med. Wochenschr., Nr. 12, 1909.)
Heermann wandte bei Katarrhen der Luftröhre und Bronchien, sowie
bei Pneumonien und Pleuritiden lokale Erhitzung der erkrankten Partien
durch Thermophore u. der gl. 2 mal täglich in der Dauer einer Stunde an und
erzielte damit gute Heilerfolge. Bei einem Falle schwerer kruppöser Pneu¬
monie mit Asphyxie versuchte er durch einen Heißluftapparat, der über den
Unterkörper bis zum Magen gesetzt wurde, den stark blutüberfüllten Ober¬
körper zu entlasten, was ihm gelang. Dies hat ihn veranlaßt, beide Ver¬
fahren gemeinsam anzuwenden. Die Wirkung, die er oft erprobt hat, be¬
steht in Beseitigung der Kopf- und Atembeschwerden, Erleichterung des Aus¬
wurfs, Abkürzung des Krankheitsprozesses, Abnahme der Reibegeräusche und
Exsudate, vor allem aber in einer Zunahme der Herzkraft. Dies führte
Heermann dazu, den Heißluftapparat auch bei Herzleiden zu versuchen.
Die Wirkung bei Herzschwäche infolge von Sepsis, Erysipel u. dergl. aber
auch bei Stauungserscheinungen auf Grund von Herzfehlern war gleichfalls
sehr günstig. Natürlich kann diese Methode nur eine symptomatische sein.
Auch die Anwendung lokaler Wärme auf das Herz hatte äußerst günstige
Wirkung. Heer mahn ist daher der Ansicht, daß man nicht bei jedem
Herzleiden symptomatisch Eis anwenden sollte, sondern es erst einmal mit
Wärme, wenn auch zunächst von geringen Graden, versuchen sollte.
F. Walthjer.
lieber Pleuritis exsudativa.
(Felix Lommel. Med. Klinik, Nr. 4, 1909.)
In dem über den heutigen Stand der Lehre von der Pleuritis exsudativa
gegebenen Überblicke wird zunächst in diagnostischer Beziehung darauf hin¬
gewiesen, daß der von jeher betonte Unterschied im Verhalten des Stimm
fremitus bei Pneumonie und pleuritischem Exsudat keineswegs durchaus kon¬
stant ist, wie ja mit Ausnahmen stets gerechnet wurde. Keineswegs soll man
sich durch Bronchialathmen oder vermehrtes Stimmzittern zu lange von der
Probepunktion abhalten lassen, am wenigsten bei Kindern, bei denen oft häufig
über massigem Exsudat lautes Bronchialathmen gehört wird. — Dagegen ist das
von Grocco zuerst beschriebene, in seiner Genese noch nicht völlig geklärte
paravertebrale Dämpfungsdreieck auf der gesunden Seite, das bei einer durch
Pneumonie bedingten Dämpfung niemals beobachtet wird, differentialdiagno¬
stisch zu verwerten. Ferner hat die Anwendung der Röntgenstrahlen öfter den
Nachweis zentral gelegener Exsudate, deren Erkennung sonst unmöglich gewesen
wäre, ermöglicht. )— Die nähere Unterscheidung der Art des Exsudates ist nur
durch die Probepunktion möglich. Die Grundlage eitriger Exsudate bilden
entweder die Tuberkulose oder Anwesenheit von Pneumo-, Staphylo- oder
Streptokokken. Sind die letzteren meist leicht durch einfache mikroskopische
Untersuchung nachweisbar, so kann man den tuberkulösen Eiter als solchen
daran erkennen, daß ein Tropfen davon, in Millon’sches Reagens gebracht,
sich zusammenballt, während Kokkeneiter ein leicht zerfließliches, sich bei
längerem Stehen oft sich rötlich färbendes Scheibchen bildet. — Die Unter-
Referate und Besprechungen.
957
Scheidung, ob es sieh hei serösem oder serös-fibrinösem Pleuraerguß um ein
pleuritisch.es Exsudat oder um ein Transsudat handelt, kann abgesehen von
der Verwertung des spezifischen Gewichtes, das bei Exsudaten bekanntlich
höher ist (1018 — 1024 bei Exsudaten, 1012 — 1015 bei Transsudaten) auch nach
dem größeren Eiweißgehalt der Exsudate herbeigeführt werden. Läßt man
einen Tropfen des Exsudates in einen mit sehr verdünnter Essigsäure gefüllten
Glaszylinder fallen, so bildet sich um ihn im Niedersinken ein graues, dem
Zigarrenrauch ähnliches Wölkchen, das bei Transsudaten nicht oder nur an¬
gedeutet vorkommt. — Der bei der Kochprobe entstandene Eiweißniederschlag
besteht bei Exsudaten aus großen groben, klumpigen schnell zu Boden sinken¬
den Flocken.; bei Stauungsergüssen bilden sich dagegen reichlich große, aber
losere und leichter zerfallende Flocken, die ebenfalls zu Boden sinken, bei
hydrämischen Ergüssen kleine, lose, lang schwebende Flocken. Da ein sehr
großer Teil aller serösen Pleuritiden auf tuberkulöser Grundlage beruht, so
spitzt für die Praxis sich die Frage nach der 'Ätiologie von Pleuritiden in der
Regel dahin zu, ist eine vorliegende Pleuritis serosa tuberkulös -oder nicht.
Für die sichere Beantwortung dieser Frage bleibt nur das Kultur verfahren
oder der Tierversuch. Allenfalls läßt das Ergebnis der mikroskopischen Unter¬
suchung des Zentrifugenrückstandes für die Diagnose sich in dem Sinne
verwerten, daß ein Überwiegen der Lymphozyten über die polymorphkernigen
Leukozyten bei akuter fieberhafter Entstehung des Exsudates für Tuberkulose
spricht. — Für die Therapie des pleuritischen Exsudates sind wesentliche neue
Gesichtspunkte nicht hervorgetreten; im allgemeinen ist die Entleerung des
serösen Exsudates durch Punktion nicht zu lange hinauszuschieben wenn sich
keine Neigung zur Resorption zeigt; manchmal genügt die Vornahme der
Probepunktion, um diese Resorption einzuleiten. R. Stüve (Osnabrück).
Aus der Abteilung für Chronischkranke des Bürgerspitals zu Straßburg i. E.
Ueber eine einfache Bestimmungsmethode des diastolischen Blutdrucks.
(Prof. Dr. Ehret, Chefarzt. Münch, med. Wochenschr., Nr. 12, 1909.)
Ehret empfiehlt eine Methode zur Nachprüfung, bei der nur die
Recklinghausen’sche Manschette mit Gebläse und ein Quecksilberbarometer
erforderlich sind. Er palpiert die Arteria cubitalis am unteren Rand der
Manschette, während der Druck in der Manschette langsam erhöht wird.
Es tritt dann gewöhnlich ohne jedes Übergangsstadium von einem Puls¬
schlag zum andern auch für den Ungeübten eine deutlich wahrnehmbare
„in die Finger springende“ Pulsveränderung auf, die sich darin bemerk¬
bar macht, daß der Puls die ganze Umgebung erschüttert, auf einen Schlag
„brutal“ wird. Der palpierende Finger empfindet von dem ersten, so ver¬
änderten Schlag an eine schwingende, plötzlich aufblitzende, harte Pulsa¬
tion. Etwas anders ist das Phänomen bei sehr fettleibigen Leuten, wo man
die Arteria cubitalis nicht fühlt. Hier fühlt der senkrecht zu der mut¬
maßlichen Richtung der Arterie aufgelegte Finger plötzlich den Puls und
gleichzeitig eine Erschütterung der Umgebung. Aus zahlreichen Unter¬
suchungen geht nun hervor, daß der Manschettendruck, unter dem das Phä¬
nomen auftritt, dem oszillatorisch ermittelten diastolischen Druck entspricht,
wobei natürlich die Differenzen zu berücksichtigen sind, die dem, Spiel¬
raum der oszillatorischen Hemmung entspringen, die 5 — 10 mm Hg betragen.
F. W alther.
Chronische Appendizitis.
(J. Kaufmann, New-York. New-Yorker med. Monatsschr., Nr. 1, 1909.)
Außer den Appendizitisfällen, die sich als episodische Steigerung einer
chronisch verlaufenden Erkrankung charakterisieren und der chronisch-rezi¬
divierenden Appendizitis gibt es noch eine dritte Form, bei der es nicht zu
akuten Anfällen kommt, wo der von vornherein chronische Prozeß chronisch
958
.Referate und Besprechungen.
bleibt und periodische oder kontinuierliche Beschwerden verursacht. Gerade
diese, im engeren Sinne chronische A. verdient besondere Beachtung, weil
sie erfahrungsgemäß sehr oft ohne genügend sichere Basis diagnostiziert
und — operativ behandelt wird.
Der Grund für die häufigen Fehldiagnosen liegt darin, daß sowohl
die ob- wie die subjektiven Erscheinungen oft sehr vage sind.
„Wenn man bedenkt, wie sehr neuerdings bei allen Abdominalbeschwerden
die Vorstellung der Appendizitis das Bewußtsein von Patienten
und Ärzten beherrscht, so kann es bei einer so vagen Abgrenzung
eines Krankheitsbildes picht überraschen, daß die verschiedenartigsten Ab¬
dominalerkrankungen als chronische A. diagnostiziert werden und daß bei
der Operation ein normaler Appendix gefunden wird, daß weiterhin auch
selbst da, wo Veränderungen am A. vorliegen, diese häufig nicht die Ursache
der Beschwerden waren, deretwegen man operierte. Da letztere nach der
Operation unverändert f ortbestehen, ja bei manchen sogar gesteigert wlerden,
(Adhäsionen usw.), so kann man sich nicht mit dem Hinweis zufrieden geben,
daß mit der Entfernung des A. nichts geschadet wurde.
K. warnt zunächst davor, allein auf die Erscheinung des Druckschmerzes
am Mc. Burney’schen Punkt die Diagnose A. zu gründen. Er ist bei ner¬
vösen Patienten häufig und kommt selbst nach Entfernung des A. noch vor
infolge von entzündlichen Prozessen am Cöcum, überhaupt bei chronischem
Dickdarmkatarrh. Ähnliches gilt von den in den rechten Oberschenkel aus¬
strahlenden und von den bei gewissen Lagen und Bewegungen (II eo psoas)
auftretenden Schmerzen, die vielfach auf das Bestehen von Adhäsionen hin-
weisen. Sicherer ,wird die Diagnose, wenn derartige Schmerzen mit dem
wiederholten Auftreten sog. appendikulärer Koliken verbunden sind. Koch
häufiger kommen reflektorisch ausgelöste Dünn- und Dickdarmkoliken, even¬
tuell gleichzeitig mit Diarrhoen vor im Gegensatz zu der bei Gallenblasen-,
Magen-, Ureterkolik usw. meist bestehenden Verstopfung.
Zur Abgrenzung gegen Darmkolik dienen mit Vorteil die erwähnten,
lokalen Schmerzhaftigkeiten. Hinsichtlich der Fühlbarkeit der verdickten
und druckempfindlichen Appendix hüte man sich vor Täuschungen.
K. macht im allgemeinen das vorhergehende Bestehen akuter Anfälle
zur Bedingung der Diagnose und glaubt, durch die so erzielte Herabsetzung^
der Zahl der Operierten nichts zu versäumen. Esch.
Diagnose des Duodenalgeschwürs.
(v. Sohlern. Med. Klinik, Kr. 51, 1908.)
Ein Ulcus ventriculi und ein Ulcus duodeni ist nicht immer leicht
zu unterscheiden. In einem solchen Falle neigt v. Sohlern dahin, Gly-
kosurie als Zeichen eines Duodenalgeschwüres aufzufassen. Seine Anregung
verdient Beachtung, ist auch vielleicht einmal physiologisch verwertbar.
Buttersack (Berlin).
Gynäkologie und Geburtshilfe.
Aus der Universitäts-Frauenklinik in Königberg i. Pr.
Ueber nicht operative Heilversuche beim Karzinom.
(Prof. Zangemeister. Deutsche med. Wochenschr., Kr. 47, 1908.)
Z. gibt eine kurze zusammenfassende Schilderung der bisher versuchten
Mittel und Wege, dem Karzinom ohne Operation beizukommen. Leider sind
bisher alle sog. „Heilmethoden'' als durchaus unzuverlässig und nutzlos
erkannt worden, wenn sie streng wissenschaftlich nachgeprüft wurden. Trotz¬
dem leugnet Z. nicht, daß einzelne echte Karzinome gelegentlich durch Licht-,
Röntgen-, Radiumstrahlen, ebenso auch spontan geheilt sind. Im einzelnen gibt
es bis heute kein Mittel, welches durch isolierte Schädigung der Krebszellen
Referate und Besprechungen.
959
eine Heilung herbeizuführen imstande wäre : in diese Kategorie sind zu zählen
die verschiedenen Strahlen, ferner chemische Mittel wie Cholin, Trypsin,
Plazentarsaft, tierische Galle, Nuklein, artfremdes Serum, ja sogar der spezi¬
fische Immunkörper. Ebensowenig haben sich die spezifischen zyto- oder
karzinoly tischen Stoffe bez. Sera bewährt. Es dürfte überhaupt die Anti¬
körperbildung im Tierkörper bei Karzinom eine unsichere sein. Ähnlich wie
bei der antibakteriellen Therapie käme störend die Artfremdheit des verwen¬
deten Tierserums in Betracht (Z. schlägt infolgedessen Affenblutserum vor),
ebenso die Zellart (Karzinomzellen, Normalzellen irgendwelcher Art), mittels
der die Antikörperbildung ausgelöst werden soll. Neuerdings sind auch Ver¬
suche in der Richtung der aktiven Immunisierung gemacht worden, bei welchen
Krebskranke mit dem Karzinom anderer resp. mit ihrem eigenen Karzi¬
nom geimpft werden. — Endlich sind noch zwei ganz andere Wege zur
Karzinomheilung eingeschlagen worden : man hat versucht, den Karzinomzellen
wieder einen benignen Charakter anzuzüchten, ohne aber bisher dieses theo¬
retisch nicht ganz unmögliche Ziel zu erreichen. Zweitens hat man, davon
ausgehend, daß vom Krebsgewebe gewisse chemische, fermentative Stoffe pro¬
duziert werden, welche das alles vernichtende Umsichgreifen der Neubildung
erst ermöglichen, versucht, diese Krebsfermente zu zerstören, z. B. durch
Radiumstrahlen oder durch Antifermente. Letzteres sowie Versuche mit all¬
gemein fermenthemmenden Mitteln hält Z. für theoretisch von vornherein ver¬
fehlt. — Nicht läugnen läßt sich der günstige Einfluß einer absolut vege¬
tarischen Diät auf manche Karzinome. . R. Klien (Leipzig).
Kritik der prämonitorischen Symptome der Thrombose und Embolie.
(Dr. Nacke, Berlin. Zentralbl. für Gyn., Nr. 33, 1908.)
Verf. hat 40 Wöchnerinnen näher beobachtet, bei denen die für Thrombose
als charakteristisch angegebenen Symptome : Kopfschmerzen, Schmerzen in der
Inguinalfalte, aufgetriebener Leib, Blutungen, Herzschwäche die Vermutung
einer entstehenden Thrombosierung von Venen wahrscheinlich machten. Nur
zwei von den Wöchnerinnen sind, die eine am 12., die andere am 18. Tage, post
partum erkrankt;. Andererseits hat Verf. in den Krankengeschichten von
Patienten, welche unzweifelhaft an Thrombose litten, die prämonitorischen
Symptome vermißt oder sie durch zufällig von früher herstammende Erkran¬
kungen erklären können. Selbst der „Mahl er’ sehe Kletterpuls“ fehlte häufig.
Gerade die tödlich verlaufenden Embolien hatten regelrechte Wochen¬
betten durchgemacht. — Aus diesen .Beobachtungen folgt der Schluß, daß
wir in den meisten Fällen nicht imstande sind, mit einiger Sicherheit die
Diagnose auf Thrombose zu stellen. Unerwartete Embolien können wir daher
nur dann vermeiden, wenn wir durch genügend lange Bettruhe der Wöch¬
nerinnen eine Organisation etwa vorhandener Thromben abwarten. Das
neuerdings vielfach geübte frühzeitige Aufstehenlassen der Wöchnerinnen
ist als ein gefährliches Unternehmen abzulehnen. F. Kayser (Köln).
Aus der deutschen Universitäts-Frauenklinik in Prag.
Klinische und anatomische Beiträge zur operativen Behandlung des
Uteruskarzinoms.
(Dr. Alexander Scheib. Archiv für Gyn., Bd. 87, H. 1 u. 2, 1909.)
Sch. hat das Material der Prager deutschen Klinik einer eingehenden
Bearbeitung unterzogen. Es ergibt sich, daß wir heute noch immer nicht
den Wert der einzelnen Operationsverfahren bez. vollständiger Heilung
des Uteruskarzinoms kennen. Nur das eine ist sicher, daß die sog. er¬
weiterten Operationen der einfachen vaginalen Totalexstirpation weit über¬
legen sind. Das gilt sowohl von der abdominalen, wie von der vaginalen er¬
weiterten Operation. Es spricht jedoch die sehr geringe Zahl der Dauer-
heilungen bei Fällen mit regionärem Drüsenkarzinom zur Zeit der Operation
960
Referate und Besprechungen.
nach abdominaler Entfernung dieser Drüsen gegen die Nützlichkeit der Drüsen¬
ausräumung im allgemeinen; damit ist der Wert der abdominellen Methoden
überhaupt in Frage gestellt. Sollte deren Wert hauptsächlich in einer aus¬
giebigen Entfernung des Parametriums beruhen, dann muß man zugeben, daß
die erweiterte vaginale Methode nach Schauta fast gleiches leistet. Die
alle anderen Resultate bei weitem überragenden Erfolge Wer theiim’s und
Maekenrodt’s dürften an der Person hängen. Da jedoch die Bedeutung
der Entfernung der erkrankten Drüsen zurzeit noch nicht genau feststeht,
empfiehlt Sch., vorläufig die erweiterte abdominale Methode weiter zu
üben, besonders da zu hoffen ist, daß deren primäre Mortalität in Zukunft
noch weiter sinken wird. R. Klien (Leipzig).
Aus der Landau’schen Frauenklinik in Berlin
Das Karzinosarkom des Uterus.
(Dr. Hjalmar Forssner. Archiv für Gyn., Bd. 87, H. 2, 1909.)
Zwei Fälle von Karzinosarkom des Uterus. In dem einen war offenbar
ein malignes Adenom mit verschiedenen Impfmetastasen in der Korpusschleim¬
haut von einem sich später entwickelnden Sarkom von stärkerer Wachstums¬
energie angegriffen worden und teilweise zerstört, so daß von dem Adenom
schließlich nur noch kleinere, im Sarkomgewebe isolierte Partien nachweis¬
bar waren. Ob sich das Sarkom im Stroma des malignen Adenoms oder neben
demselben entwickelt hatte, ließ sich nicht entscheiden. — Im zweiten Fall
wurde ein Polyp sekundär sarkomatös, während rings um seine Basis ein
ringförmiges Karzinom entstand. Beide Neubildungen hatten in ihrem weite¬
ren Wachstum offenbar aufeinander übergegriffen, das Sarkom war wieder
der Stärkere und hatte z. T. das Karzinom vernichtet. — Bisher sind erst
acht ähnliche Fälle beschrieben. R. Klien (Leipzig).
Aus dem städtischen Dudenstift in Dortmund.
Ein Beitrag zur Pathologie und Therapie des chondrodystrophischen
Zwergbeckens.
(Dr. Fritz Engelmann. Archiv für Gyn., Bd. 86, H. 1, 1908.)
E. gibt eine kurze Darstellung der sog. chondrodystrophischen Zwerge,
einer wohlcharakterisierten Art (kurze Extremitäten, großer Kopf), auf welche
zuerst von französischer Seite aufmerksam gemacht wurde.
Die Becken dieser Zwerge sind wohl alle Kaiserschnittbecken, sie sind
entweder hochgradig allgemein verengt und platt oder hochgradig platt (Nieren¬
form des Eingangs) mit hochstehendem Promontorium und stark geneigtem
Kreuzbein. Die Erkrankung kann familiär sein. — E. entband selbst eine
chondrodystrophische Zwergin durch Kaiserschnitt, was näher beschrieben
wird. R. Klien (Leipzig).
Experimentelle Beiträge zur Kenntnis der automatischen Bewegungen
des Uterus und deren Bedeutung für die Pathologie und Therapie der
uterinen Infektionskrankheiten, insbesondere der Gonorrhoe.
(Dr. Karl Schindler. Archiv für Gyn., Bd. 87, H. 8, 1909.)
Sch. hat die bekannten Versuche Kur dj.no wsky’s nachgeprüft und
fortgesetzt. Die Technik war die von Kurdinowsky angewandte, welche
gestattet, jeden störenden äußeren Reiz während der Versuchsdauer von den
bloßgelegten inneren Genitalien fernzuhalten. Verwendet wurden 90 z. T.
schwangere Kaninchen und drei Katzen. Als Narkose diente 0,03 Morphium
subkutan. Sch. konnte folgende Tatsachen feststellen : Der Uterus trägt
— automatische — Ursprungsreize in sich selbst und die Bewegungen erfolgen
rhythmisch-automatisch, unabhängig vom Zentralnervensystem. Ob die
Kraftquelle für die Automatic in myo- oder neurogenen Ursprungsreizen zu
Referate und Besprechungen.
961
suchen ist, will Sch. a. a. O. dartun. Jeder Uterus hat ferner seine ihm
eigene, individuelle Erregbarkeit. Von vollkommener Trägheit bis zu
beängstigend lebhaften Zusammenziehungen kommen alle Übergänge vor.
Z. T. hängt die individuelle Erregbarkeit ab von dem geschlechtlichen Leben:
virginelle Uteri sind weniger erregbar ;als Uteri solcher Tiere, welche ge¬
schlechtlich bereits verkehrt haben. Am größten ist die Erregbarkeit zu
Beginn der Schwangerschaft. Trotzdem hat aber auch jeder schwangere Uterus
seine ihm individuell eigene Erregbarkeit. Die rhythmisch- automatischen
Bewegungen kommen jedoch nicht nur dem Uterus zu, sondern auch seinen
Adnexen. Die Bewegungen dieser erfolgen entweder synchron mit denen
des Uterus oder für sich allein, letzteres im Ermüdungsstadium. Auch die
Vagina arbeitet individuell. Endlich kontrahiert sich der gesamte Band^-
appasrat, besonders in der Schwangerschaft. Die automatisch-rhythmische
Bewegung des Uterus und seiner Adnexe ist eine wellenförmige, und zwar
sowohl im peris taltischen Sinn als auch im antiperistaltischen. Beize
mechanischer, chemischer, besonders aber thermischer Art steigern die In¬
tensität der Bewegungen, ebenso gewisse Gifte. Eine Vaginalspülung mit
39 — 40° warmem Wasser kann bereits eine stürmische Steigerung der Automatie
des Uterus und der Adnexe hervorrufen, desgleichen Darmeingießungen von
gleicher Temperatur. 3 — 10%ige Argentum nitricum- Lösung wirkt ebenfalls
außerordentlich reizend, wobei aber wieder jeder einzelne Uterus ungleich
reagiert. 1/2 — l%ige Protargollösung wirkt weniger erregend. Was die
an tiperistal tischen Bewegungen anlangt, so ist deren Häufigkeit verschieden;
außer in der Schwangerschaft treten sie gegenüber den peristaltischen zurück.
Wurde das Tier allmählich dprch U02r Überladung des Blutes erstickt, so
hörten bei beginnender Zyanose des Uterus die automatischen Bewegungen auf;
bei wiederbeginnender Arterialisation begannen auch die Bewegungen wieder.
Dieses Spiel konnte Sch. an ein und demselben Tier 3 — 4 mal wiederholen.
Ebenso lähmte Atropin die automatischen Bewegungen, ja sogar die direkte
mechanische Erregbarkeit, wenn es in genügender Konzentration — l°/0iger
Lösung — ■ in die Uterushörner injiziert wurde. Die Wirkung hielt mehrere
Stunden an Diese Atropinwirkung ist es vor allem, die Sch. veranlaßt,
die Ergebnisse seiner Experimente auf den Menschen und auf die Therapie
entzündlicher Prozesse an Uterus und Adnexen zu übertragen. Für Sch.
besteht kein Zweifel, daß auch der menschliche Uterus rhythmisch-automatisch,
unabhängig vom Willen, in regelmäßigem Wechsel zwischen Buhe und Arbeit
peri- und antiperistal tische Bewegungen ausführt, daß er auf Beize im allge¬
meinen ebenso reagieren wird, wie der Kaninchenuterus. Man muß sich also
vor allen Dingen hütein, bei uterinen Infektionen die automatischen Be¬
wegungen zu steigern. Keimhaltiges Sekret kann aus der Zervix nicht nur
durch antiperistaltische Bewegungen nach oben gezogen werden, sondern unter
gewissen Umständen auch durch die peristaltischen. (Regurgitation von
Eiter z. B. im Spätwochenbett, während der Menstruation.) Besonders wichtig
ist die Übertragung der neuen Erkenntnisse auf die akute Gonorrhöe. Die
Schwere des Verlaufs derselben hängt hiernach fast einzig und allein ab von
der ganz individuellen Erregbarkeit des Uterus, mit der er mecha¬
nische, chemische und thermische Beize beantwortet. Da wir nun jene Er¬
regbarkeit im konkreten Palle nie kennen, so ist jede irgendwie aktive
Therapie bei frischer gonorrhoischer Infektion des Uterus, und bestünde
sie nur in warmen Scheidenspülungen oder in Prießnitzumschlägen kontra-
indizierfc. Es können zu leicht antiperistaltische Bewegungen ausgelöst werden.
Vielmehr ist eine strenge Ruhigstellung der Organe indiziert, und dies ist
neben der selbstverständlichen Bettruhe mit Atropin zu erreichen. Sch.
schlägt vor, 3 mg pro die 'innerlich zu reichen. Man kann diese Dosis
wochenlang fort geben, ohne unerwünschte Nebenwirkungen dafür in Kauf
nehmen zu müssen, abgesehen von der obligaten Akkommodationslähmung.
Ob in Anlehnung an die C02-Experimente eine Saugbehandlung mittels
Vaginalspekulums ratsam ist, mit eventuell sofort folgender vorsichtigster
Auswischung des Zervikalkanals mit Protargollösung, darüber stehen Sch.
61
962
Referate und Besprechungen.
noch keine genügenden Beobachtungen zu Gebote. — Jedenfalls sind die
mühsamen Experimente Sch. ’s sehr verdienstlich und es dürfte sich wohl
lohnen, für die Therapie Nutzen aus ihnen zu ziehen. Den Schlußsatz Sch. ’s
dürfte man wohl schon heute (allseitig akzeptieren: „Auf jeden Fall aber
wird die systematische Atropinisierung des Uterus, seine Ruhigstellung, das
A und 0 der zukünftigen Gonorrhöetherapie bei Frauen sein und bleiben“.
R. Klien (Leipzig).
Aus der Universitäts-Frauenklinik der Charite in Berlin.
Beitrag zur Ätiologie und Therapie der weiblichen Sterilität.
(Dr. Ernst Runge. Archiv für Gyn., Bd. 87, H. 8,- 1909.)
R. hat 66, seit 2V2 — 3 Jahren steril verheiratete Frauen, bei deren
Ehemännern sowohl die Potentia coeundi ,als auch die generandi festgestellt
war, und die an keinem palpablen gynäkologischen Leiden erkrankt waren,
6, 12 und 36 Stunden post coitum untersucht. Es wurde unter den nötigen
Kautelen untersucht das Sekret des hinteren Scheidengewölbes, des Zervikal¬
kanals und des Korpus. Bei 34 Frauen (51V2%) konnten überhaupt keine
Spermatozöen nachgewiesen werden, das Sperma war sehr bald post coitum aus¬
gelaufen. Bei 17 zur Kontrolle untersuchten Frauen, die bereits geboren
hatten, fehlten nur in 3 Fällen (17,6%) die Spermatozöen. Also ein großer
Unterschied! Ähnlich waren die Verhältniszahlen für die einzelnen Ab¬
schnitte des Genitalkanals. R. kann aus seinen Untersuchungen die Ansicht
seines Lehrers Bumm vollauf bestätigen, daß der Grund für die weibliche
Sterilität sehr oft in mangelhafter Ausbildung der inneren Genitalien, in
Infantilismus derselben liegt. Zwei Momente sind es hauptsächlich,
welche die Ursache für die Sterilität bilden: erstens ein Hindernis für das
Eindringen der Spermatozöen in die Uterushöhle, zweitens ein zu frühes
Abfließen des Samens aus der Scheide. Das Hindernis liegt bei infantilem
Uterus am äußeren, noch häufiger am inneren Muttermund, wie das auch aus
den Untersuchungen R.’s hervorgeht. Der Spermagehalt der Zervikalhöhle
erwies sich gegenüber dem des hinteren Scheidengewölbes bedeutend herab¬
gesetzt, noch mehr aber der der- Korpushöhle gegenüber dem der Zervikalhöhle.
Für das zu kurze Verweilen des Samens in der Vagina ist nicht mit Kisch
das Ausbleiben des Wollustgefühls zu beschuldigen, sondern zu geringe Aus¬
bildung der Scheide, eine zu große Enge derselben, infolge deren sie kein
eigentliches Receptaculum seminis bildet. Meist ist das Scheidengewölbe
kongenital verbildet, mitunter sind auch Verlagerungen des Uterus, Ver¬
kürzungen der Douglasfalten schuld. Sodann spielt eine Rolle eine schlecht
entwickelte Beckenbodenmuskulatur mit schlaffem niedrigen Damm und wage-
rechtem oder gar sich absenkendem Verlauf der Scheide. Wenn sich beide
obengenannten Momente, wie das häufig der Fall ist, kombinieren, dann wird
die Sterilität erst recht begünstigt. Ähnlich sind natürlich die Retroflexionen
zu bewerten, denn bei ihnen taucht der äußere Muttermund ja auch nicht
in die Samenlake ein.
Die Behandlung hat in folgendem zu bestehen: Findet sich schon
kurze Zeit nach dem Koitus kein Sperma mehr in dem hinteren Scheiden¬
gewölbe, liegt also vorzeitiger Abfluß desselben vor, ist der Damm dabei
normal hoch und auch der Verlauf der Scheide nach hinten gesenkt, dann
muß man versuchen, das hintere Scheidengewölbe zu dehmen, um ein ge¬
eignetes Receptaculum seminis zu schaffen. Fortgesetzte Gazetamponade,
Massage, Quecksilberkolpeurynter, Kolpeuryntermassage sind hierzu geeignete
Maßnahmen: eventuell sagittale- Spaltung der hinteren Scheidegewölbewand
mit nachfolgender querer Wiedervereinigung. Bei wagerechtem oder nach
vorn gesenktem Verlauf der Vagina ist mäßige Beckenhochlagerung gleich
nach dem Koitus zu versuchen. Die Stellung ä la vache wird sich prak¬
tisch schwerlich durchführen lassen. — ^Findet man in der Vagina noch
Sperma, in der Zervix jedoch nicht, so ist das Hindernis im äußeren Mütter-
Referate und Besprechungen.
963
mund zu suchen, dieser zu erweitern; findet sich Sperma in Vagina und
Zervix, im Korpus aber nicht, so ist der innere Muttermund als Sitz des
Hindernisses zu erweitern. R. Klien (Leipzig).
Ein Beitrag zur Serodiagnostik der Lues in der Geburtshilfe.
(F. Engelmann, Dortmund. Zentralbl. für Gyn., Nr. 8, 1909.)
Die Wassermann’sche Luesreaktion ist für viele praktische Fälle,
wie bei habituellem Abort mit dunkler Ätiologie, die Ammenuntersuchung u. ä.
unentbehrlich; sie beansprucht aber, wie es scheint, auch noch ein darüber
hinausgehendes allgemeineres Interesse. Aus der Tatsache, daß bei symptomen-
freien Müttern luetischer Kinder die Reaktion positiv ausfällt, scheint hervor¬
zugehen, daß das sog. Colles’sche Gesetz einer Revision bedarf, d. h., daß
wir es mit latent syphilitischen Frauen zu tun haben. Es ist ferner fest-
gestellt, daß bei scheinbar gesunden Säuglingen luetischer Mütter ein posi¬
tiver Ausfall der Serareaktion auftritt. Das Prof eta’sche Gesetz besteht
also, wie es scheint, auch zu unrecht. Müssen wir aber annehmen, daß derartige
Menschen mit latenter Syphilis ihr Leiden übertragen müssen ? Diese Frage
ist in bejahendem Sinn entschieden und zwar durch eine sehr interessante!
Beobachtung des Verf. Er sah, daß eine symptomenfreie Frau, aus deren
erster Ehe mit einem luetischen Mann mehrere luetische Kinder entsprossen
sind, mit einem notorisch gesunden Mann wieder luetische Kinder erzeugte.
All diese Tatsachen weisen darauf hin, daß clie kongenitale Lues wahr¬
scheinlich stets eine materne ist. Den Beweis dafür zu erbringen, ist viel¬
leicht die Wassermann’sche Reaktion berufen.
Dieser Schluß ist zu weitgehend, weil durch die neuesten Erfahrungen
nachgewiesen ist, daß die Wassermann’sche Reaktion nicht ausschließlich
bei Lues vorkommt. (Ref.) F. Kayser (Köln).
Königl. Universitäts-Frauenklinik Genua; Direktor: Prof. L. M. Bossi.
Bromural in der geburtshilflichen und allgemeinen Frauenpraxis.
(Privatdozent Dr. Varaldo. La Liguria Medica, Nr. 5, 1909.)
In der Gynäkologie hat man sehr häufig mit Reflexneurosen zu tun,
die auf Grund von Erkrankungen der Sexualorgane sich ausgebildet haben,
jedoch nicht immer nach Beseitigung des primären Leidens verschwinden;
ferner pflegen während der Gravidität und des Klimakteriums sehr häufig
nervöse Störungen aufzutreten, die sich zu idiopathischen Krankheiten aus¬
bilden können. In solchen Fällen ist neben der Indicatio causalis ein Seda¬
tivum dringend angezeigt.
Verf. bediente sich für solche Zwecke des Bromurals mit bestem Er¬
folg. Er wandte es in der Geburtshilfe bei Frauen an, bei denen während
der Gravidität infolge der Bewegungen des Fötus sowohl psychische Er¬
regungen als auch schwere Schlaflosigkeit bestanden. Auch die bei Pri-
miparen häufige Furcht vor den kommenden Wehen und die nervöse Über¬
reizung, die häufig schlaflose Nächte verursachen, wurden durch Bromural
stets gut beeinflußt. Sogar Konvulsionen, charakterisiert durch klonische
Zuckungen sämtlicher Körpermuskeln wurden durch Bromural gut gebessert.
Ganz besonders wirkt das Mittel auch auf die Hyperästhesie der Hautnerven.
Unter den behandelten Reflexneurosen sind besonders die Fälle be¬
merkenswert, bei denen nach Beseitigung des Grundleidens allgemeine Un¬
ruhezustände und Angstgefühl sowie vasomotorische Störungen, die sich vor
allem durch Tachykardie bemerkbar machten, zurückgeblieben waren und
erst auf Bromural-Behandlung verschwanden.
Ferner wurde das Mittel bei den nervösen Störungen der Menopause
und der Menses, sowie bei postoperativer Behandlung nervöser Frauen mit
Vorteil verwandt. Hervorzuheben ist, daß niemals irgend eine Nebenwirkung
auf Mutter oder Kind beobachtet wurde. Neumann.
61*
964
Referate und Besprechungen.
Psychiatrie und Neurologie.
lieber Aktual- und Psychoneurosen im Lichte der Freud’schen Forschungen
und über die Psychoanalyse.
(S. Ferenczi. Wiener klin. Rundschau, Nr. 48 — 51, 1908.)
Die Freud’sche Lehre von der Hysterie hat einen Kampf der Geister
entfesselt, in dem die schärfsten Waffen gerade gut genug sind. Gegen die
grausamste Ironie kämpft ,die überschwenglichste Begeisterung. Während
der eine Forscher glaubt, diesen Popanz mit vernichtender Kritik für immer
in den Orkus befördern zu können, melden sich auf der andern Seite tag¬
täglich neue Streiter, denen esi bei dem neuen Evangelium wie Schuppen von
den Augen gefallen ist. Das pro et contra Freud wird wohl sobald noch
nicht von der Tagesordnung verschwinden. — Ferenczi beginnt seine Arbeit
mit einer ausführlichen Darstellung der Neurosenlehre, als deren begeisterter
Anhänger er sich bekennt : „Unter solchen Umständen verkündet das Evange¬
lium Freud’s von der Entdeckung des wahren Schlüssels der Hysterie eine
förmliche Erlösung für Ärzte und Patienten“, so schreibt er. — Die Ein¬
leitung der F.’schen Arbeit enthält weiter nichts Neues und kann hier über¬
gangen werden, nur die in der Überschrift erwähnten Begriffe Aktuäl-
und Psycho neu roSen bedürfen der Erwähnung. Die erste dieser Gruppen
umfaßt bei Freud die Neuraslthlenie und die Angstneu rose, die zweite
dagegen die Hysterie und die Zwangsneurose. Bei allen vier Unter¬
abteilungen steht natürlich die Sexualität als unsichtbarer Drahtzieher im
Hintergründe. Die Neurasthenie entsteht durch Masturbation, die Angst¬
neurose ist das Symptom der fälsch geleiteten sexuellen Libido, die Hysterie
hat ihren Grund im nicht genügend abreagierten kindlichen, sexuellen Trauma,
das im geheimen fortwirkt und bei der Zwangsneurose endlich verschiebt
sich jener körperliche Reiz auf einen quälenden Gedankenkomplex. — Die
von F. angeführten sieben Krankengeschichten lassen den Panegyricus auf
die neue Lehre nur schwer verständlich erscheinen. Gemeinsam ist allen
diesen sieben Patienten nur das eine: nämlich das sexuelle Erlebnis in der
Jugend oder event. auch später. Wie man daraus die hinterher auftretende
Neurose erklären will, ist völlig unverständlich. Es wird nur wenige Anam¬
nesen sterblicher Menschen geben, die frei sind von solchen tragischen Er¬
eignissen und es gibt doch immerhin noch eine ganze Anzahl neurosen¬
freier Menschen ! Die Hysterie ebenso wie die Angstneurose und all die
anderen Kategorien sind, so wie sie bei Freud erscheinen, schwankende, halt¬
lose Begriffe und nur das Jagen nach solchen vagen, künstlich zurecht¬
gesponnenen Vorstellungen erklärt die Entstehung jener Theorie.
Steyerthal-Kleinen.
Double Absces cerebral diagnostique, trepanation et guerison.
(Julien Bourguet, Toulouse. Arch. med. de Toulouse, Nr. 24, 1908.)
An der Arbeit interessiert besonders die Epikrise. Wenn man die
klassischen Werke liest, so findet man gewöhnlich eine Menge von Symptomen
verzeichnet, mit denen aber, wie Lermpyez sagt, höchstens der Examens¬
kandidat, der einen „Gehirnabszeß bekommen“ hat, brillieren kann; der Prak¬
tiker pflegt sie in der Regel nicht so schön und abgerundet in einem Falle
vereinigt zu sehen. Verf. ist für breite Öffnung ohne allzu ängstliche
Schonung des Gehirnparenchyms. Er wirft nun zum Schlüsse die Frage
auf: woher kommt die große 'Mortalität. Zweifelsohne liegt ein Mangel
in der Technik vor, und den sehen fast alle Operateure in der Unzulänglichkeit
der Drainage. Ein anderer gewichtiger Grund ist aber, daß im allgemeinen
die Diagnose zu spät gestellt wird. v. Schnizer (Danzig).
965
Referate und Besprechungen.
Hydrocephalus internus idiopathicus chronicus mit Beteiligung des
IV. Ventrikels, erst diagnostiziert, dann durch Punktion bestätigt und
durch Operation (Ventrikeldrainage) zurzeit geheilt.
(P.-D. Dr. Halben, Augenarzt, Greifswald. Deutsche med. Wochenschr., Nr. 10, 1909.)
Die Patientin, eine 16 jährige Seminaristin, klagt über Abnahme des
Sehvermögens, Doppeltsehen und Kopfschmerzen, welche bestehen, solange
sie denken kann, seit 4 — 5 Monaten aber stärker geworden sind. Der Augen¬
befund ergab linksseitige Abduzensparese, doppelseitige hohe Stauungspapille,
Sehvermögen rechts fast 1/2, links fast 1. Nystagmische Zuckungen, Tremor
an Kopf, Rumpf und Händen. Bei der Diagnosestellung glaubte er trotz der
Stauungspapille einen Tumor ausschließen zu können. Dazu ist der Ver¬
lauf ein viel zu langsamer, auch ist nur der Abduzens ergriffen, ohne daß
ein anderer Hirnnerv in Mitleidenschaft gezogen wird. Gegen die Malignität
oder die luetische und tuberkulöse Natur eines Tumors spricht ferner der
Ernährungszustand der Patientin. Am häufigsten kommt nächst den Hirn¬
tumoren die Stauungspapille bei Hydrocephalus und Meningitis serosa vor.
Gegen letztere spricht der sehr chronische Verlauf und die nicht allzu
stürmischen Erscheinungen. Für Hydrocephalus paßt auch die einseitige
Abduzenslähmung, die auf eine Beteiligung des IV. Ventrikels hinweist.
Damit sind auch gleichzeitig die nystagmischen Zuckungen erklärt. In ätio¬
logischer Beziehung kommt ein neun Jahre vorher überstandener Scharlach
in Frage, der mit vielleicht nicht diagnostizierter Meningitis einhergegangen
sein kann.
Nach vergeblicher Jodkalikur wurde von Prof. Payr die Punktion
des rechten Seitenventrikels sowie eine Lumbalpunktion vorgenommen. Beides
ergab ein Übermaß an Flüssigkeit in den Ventrikeln und brachte allerdings
nur vorübergehend Besserung. Es wurde nun zur Ausführung der Dauer¬
drainage geschritten. Der Erfolg bestand in Rückgang aller Symptome.
Was die Dauer desselben anbetrifft, so ist kaum anzunehmen, daß nun
nach Ablauf der ersten vier Wochen, noch irgend welche Verlegung der
Abflußbahn stattfinden könnte. F. Walther.
Psychoses infectieuses, confusion mentale aigue, „Amentia“ (0. Meynert).
(Pilez. Arch. de Neurol., Juli- August 1908.)
Es wird die Ätiologie der Intoxikationspsychosen eingehend besprochen
und speziell deren Beziehungen zum klinischen Symptomenkomplex. Der
Verfasser schließt: Die Pathologie der akuten Psychosen, die man unter
dem Namen der Amentia von Meymert (akute halluzinatoriche Verwirrtheit)
zusammenfaßt, ist eine toxische, sei die Intoxikation endogenen oder exogenen
Ursprungs, von einer Infektion oder von gastrointestinalen Störungen ab¬
hängig. Die Psychose ist dabei nur ein Syndrom eines Krankheitsprozesses,
der eben vornehmlich das Nervensystem ergreift und zwar besonders die
Hirnrinde; aber auch das periphere Nervensystem bleibt nicht intakt (Neu¬
ritis), außerdem manifestiert sich die Krankheit durch die verschiedensten Stö¬
rungen der vegetativen Organe. Es werden dann Prognostik, Verlauf und
Therapie umgehend besprochen. II. Vogt.
Über Tumoren des vierten Ventrikels.
(Stern. Deutsche Zeitschr. für Nervenheilk., Bd. 34, H. 3 u. 4, 1908.)
Verf. teilt einen charakteristischen und gut beobachteten Fall mit,
dessen Symptome waren : plötzlich einsetzender heftiger Occipitalschmerz,
eigenartig steife nach vorn gebeugte Kopfhaltung, sonst keine Herdsymptome,
auch keine Stauungspapille. Das Fehlen der letzteren ist nach Bruns bei
Tumoren des vierten Ventrikels recht häufig. Soweit Herdsymptome vorhanden
waren, erklären sie sich also aus der Anteilnahme der Medulla und des Kleinhirns.
966
Referate und Besprechungen.
Bruns hat für den freien Cysticercus des vierten Ventrikels als charakteristisch
folgenden Symptomenkomplex angegeben : plötzliches Hinstürzen, Auftreten
heftiger zerebraler Erscheinungen, Schwindel und Erbrechen bei plötzlichen
Lageveränderungen des Kopfes. Dieses Symptom fehlte in dem mitgeteilten
Fall in der Tat: es ist — wie der Autor dies seinerzeit angab — offenbar
zurückzuführen auf die passiv freie Beweglichkeit des Cysticercus im Ven¬
trikel. Der Fall zeigte ferner in charakteristischer Weise periodischen Verlauf
und plötzlichen Tod. Die Diagnose konnte aus dem klinischen Komplex ge¬
stellt und namentlich aus den erwähnten Tatsachen heraus gegen den Cysticer¬
cus abgegrenzt werden. Die Prognose bleibt leider infaust, da keine unmittel¬
bare Therapie möglich ist (syphilitische Tumoren dieser Gegend sind bislang
nicht beschrieben), nach dem Verfasser kommen die vorsichtig ausgeführte
Lumpalpunktion und die Ventrikelpunktion als symptomatische Heilmethoden
in Betracht H. Vogt.
Drei Fälle sinnlicher Geistesstörung mit dem Symptom „falscher
Antworten“.
(P. Rosenbach. Allg. Zeitschr. für Psych., H. 22, S. 928, 1908.)
Betreff der Ganser’schen Symptome ist Verf. der Ansicht, daß nicht
jede falsche Antwort hierher gehöre. Viele Kranke, sowohl schwachsinnige
als auch hysterische oder maniakalische, können auf die Frage, wieviel
Finger sie haben, eine falsche Antwort geben, nicht deshalb, weil sie es nicht
wissen, sondern aus verschiedenen anderen Gründen, die Frage kann ihnen
als beleidigend Vorkommen, oder sie sagen aus Mutwillen oder Scherz elf
statt zehn, oder sie antworten mit Willen falsch, damit man sie in Buhe lasse.
In allen den von R. beobachteten Fällen stellte das Symptom falscher
Antworten einen Versuch dar, Schwachsinn vorzutäuschen, und hatte nichts
gemein weder mit hysterischem Dämmerzustand, noch mit katatonischem
Stupor. Die Subjekte, an denen es beobachtet wurde, waren Neurastheniker,
Alkoholiker, Degenerierte, aber nicht geisteskrank, und das Symptom falscher
Antworten beruhte bei ihnen nicht auf Bewußtseinsstörung, sondern auf
der Absicht, den Arzt bezüglich ihrer Verstandstätigkeit irrezuführen. Verf.
bemerkt, daß die meisten seiner Fälle sich auf Untersuchungsgefangene be¬
ziehen. Gerade aus diesem Grunde steht Ref. diesen Ausführungen skeptisch
gegenüber. Besonders bei Untersuchungsgefangenen liegt so gut wie nie eine
böswillige Simulation vor; es handelt sich einfach um eine Denksperrung, die
Folge des psychischen Traumas, welches durch die Haft gesetzt wird; dabei
können sämtliche Symptome der Hysterie vollkommen fehlen. Ich habe
viele derartige Fälle eingehend beobachtet und habe noch in keinem mich
berechtigt gefunden, Simulation zu diagnostizieren, im Gegenteil konnte ich
in einer ganzen Reihe solcher Fälle, die als der Simulation verdächtig zu
uns kamen, den strikten Nachweis führen, daß diese Annahme nicht richtig war.
Koenig (Dalldorf).
Ein angebliches Abstinenzdelirium.
(K. Graeter. Zentralbl. für Nervenheilk. u. Psych., 1. Dez.-Heft, S. 85, 1908.)
G. führt aus, mit Rücksicht auf einen von Ho sch (Münchener med.
Wochenschrift, Nr. 44, 1907) veröffentlichten Fall, daß bis jetzt ein zwingen¬
der Beweis für einen ätiologischen Zusammenhang zwischen Abstinenz und
Delirium tremens nicht erbracht worden ist,; trotzdem würde in manchen
neueren Lehr- oder Handbüchern noch immer ohne jegliche einschränkende
Bemerkung die plötzliche Alkoholentziehung unter den Ursachen desf Deli¬
riums tremens angeführt. Auch das zustimmende Urteil von Cr am er und
Weber über den Fall Hbsdh findet G. „einfach unbegreiflich“.
Koenig (Dalldorf).
Referate und Besprechungen.
967
Aus der Akademie für praktische Medizin in Köln. Innere Abteilung.
Ueber Hirnerkrankungen mit tödlichem Ausgang ohne anatomischen Befund.
(H. Hochhaus. Deutsche med. Wochenschr., Nr. 39, 1908.)
Hochhaus schildert 7 Bälle, die während des Lebens ausgesprochene
Hirnsymptome boten, wäürend sich bei der Sektion nichts von zerebralen
Herderscheinungen nachweisen ließ. Beim Suchen nach Momenten, die irgend¬
wie eine Erklärung dafür bieten könnten, fanden sich! in 6 Fällen Zirkulations¬
störungen, die teils auf Arteriosklerose, teils auf Vitium cor dis beruhten. Diese
Störungen wären vielleicht für die Erklärung verwendbar. Man müßte an¬
nehmen, daß eine derartige Störung sich in einer umschriebenen Hirnpartie
stärker geltend gemacht hat, wie es ja auch nicht allzuselten vorkommt,
daß eine allgemeine Stauung siohj auf ein bestimmtes Organ z. B. die Leber
beschränken kann. Hierzu kommt noch, daß in 2 Fällen sich noch Residuen
alter Apoplexien fanden. Nur bei einem Fall läßt jeder Erklärungsversuch
im Stich. F. Walther.
Un cas d’agitation motrice forcee chez un degenere psychasthenique.
(Schmiergeld. Arch. de Neurol., Aug.-Sept. 1908.)
Bei einem Kranken, der den Typus der Degenerierten (zahlreiche körper¬
liche und psychische Stigmata) bot, der wegen seiner Verminderung der
psychischen Spannung und Gefühlsschwankung als Psychastheniker bezeichnet
wird, traten eigenartige, vom Willen unabhängige Krisen motorischer Art
auf, welche anfallsartig in Erscheinung traten. Das Bewußtsein war dabei
erhalten, auch sonst bestand keine Ähnlichkeit mit epileptischen Zuständen.
Es handelt sich um ein Symptom, das weder hysterisch, noch epileptisch ist,
vielmehr mit der Grundkrankheit zusammenhängt. H. Vogt.
Über Verstellungskontamination, Sprachverwirrtheit und inhaltliche
Verwirrtheit.
(K. Heilb rönne r. Zentralbl. für Nervenheilk. u. Psych., H. 24, S. 898, 1908.)
Die Kontamination besteht darin, daß man aus mehreren Sätzen (oder
Teilen von Sätzen) einen macht, aus mehreren Worten eins. Können solche
Kontaminationen, abgesehen vom sprachlichen Ausdruck, auch im Verstellungs¬
ablauf sich vollziehen und nachgewiesen werden? Verfasser ist der An¬
sicht, daß die Frage noch nicht spruchreif ist. Man könne bezweifelt,
ob es überhaupt jemals gelingen wird, diese so außerordentlich verwickelten!
Probleme völlig zur Lösung zu bringen. Der geeignete Weg dazu scheint H.
nicht die nachträgliche Analyse des mehr oder weniger stabilisierten End¬
produktes, sondern die genaue Verfolgung der Genese. Diese Endzustände
können sich unter Umständen im Verlaufe von wenigen Jahren entwickeln.
Koenig (Dalldorf).
Zur Frage der Benennung der Dementia praecox.
(G. Wolff, Basel. Zentralbl. für Nervenheilk. u. Psych., H. 23, S. 856, 1908.)
W. stimmt mit der Majorität der Psychiater darüber ein, daß uns das
Wesen der Dementia praecox noch sehr unklar ist. Völlige Einigkeit scheint
vor allem wenigstens über einen Punkt zu herrschen, daß die heutigen
Anschauungen den Namen „Dementia praecox“ als nicht mehr zutreffend
erscheinen lassen, weil er sowohl ,in seinem Gattungsnamen wie in seiner
Speziesbezeichnung Kriterien enthält, die für das Krankheitsbild nicht not¬
wendig sind. ! . [ i i i o|
Eine Demenz braucht keineswegs in allen Fällen der Ausgang des
Leidens zu sein; auch tritt die Krankheit in so verschiedenen Lebensaltern
auf, daß sie nicht mehr als „Jugendirrsinn“ bezeichnet werden kann. Es sei
deshalb wünschenswert, wie Bleuler und Jahrmärker es betont haben, den
968
Referate und Besprechungen.
Namen der Krankheit zu ändern. Der vor geschlagene neue Name erweckt aller¬
dings manches Bedenken. (Sehr richtig; er klingt sogar komisch. Ref.) Wollen
wir daher den Namen ändern, ohne imstande zu sein, das Wesen der Krank¬
heit auszu drücken, slo bleibt nur die Möglichkeit übrig, einen Namen zu
wählen, der gar nicht den Versuch macht, über das Wesen der Krankheit etwas
auszlusagen, einen Namen also, der nur den Anspruch erhebt, als Etikette
z!u dienen, und welcher dadurch, daß er überhaupt nichts sagt, sich davor
schützt, etwas Falsches zu sagen. Nur ein solcher Name ist imstande, jeden
nur möglichen Wechsel in unseren Anschauungen auszühalten. Das Wort
,, Typhus“ ist z. B. völlig nichtssagend. Das Wort ,, Dysenterie“ bildet im
medizinischen Sprachgebrauch auch nur die Etikette für eine ganz bestimmte
Darmerkrankung, über deren Wesen unsere Anschauungen ebenfalls ganz
fundamentale Wandlungen erfahren haben, ohne daß der Name Dysenterie
dadurch berührt werden konnte. Verf. schlägt den Namen ,,Dysphrenie“
vor. Diese Bezeichnung würde sprachlich weiter nichts bedeuten, als eine
geistige Krankheit. (Eben deswegen muß Ref. diese Bezeichnung erst recht
als eine unglückliche ansprechen, da jede geistige Erkrankung schließlich
eine Dysphrenie ist.) Verf. meint allerdings, daß man durch einfache Beiwörter
alle speziellen Unter formen bezeichnen könnte, z. B. Dysphrenia hebephrenica
paranoides usw. Wenn Verf. wirklich glaubt, hierdurch einen Fortschritt
in der Dementia praecox-Frage zu sehen, so muß man seine Bescheidenheit be¬
wundern. Es wird wirklich1 Zeit, daß man in der Psychiatrie aufhört, nach
neuen Benennungen zu suchen. Der Ruf der psychiatrischen Wissenschaft
wird dadurch nicht gerade erhöht. Koenig (Dalldorf).
Über Rindenmessungen.
(K. Brodmann. Zentralbl. für Nervenheilk. u. Psych., 1. Novemberheft, S. 781, 1908.)
Die Ergebnisse von Br. ’s Feststellungen sind folgende:
Die Breite der menschlichen Großhirnrinde schwankt schon unter jdiysio-
logischen Verhältnissen in sehr weiten Grenzen, und zwischen 1,5 mm und
4,5 mm auf der Kuppe der Windungen (die Insel abgerechnet). Man hat
bezüglich der Kuppenrinde zu unterscheiden:
1. Wesentliche regionäre Differenzen zwischen den einzelnen Rinden¬
feldern. Diese sind in allen normalen Gehirnen gesetzmäßig und konstant
und bilden ein Hauptmerkmal der strukturellen Verschiedenheiten der Gro߬
hirnoberfläche; jedes Strukturfeld besitzt demnach eine bestimmte „mittlere“
Durchschnittsbreite, durch welche es sich von den Nachbarfeldern auszeichnet.
2. Örtliche Schwankungen geringeren Grades innerhalb eines Rinden¬
feldes. Sie betragen immer nur Bruchteile von Millimetern und sind teils
bedingt durch äußere morphologische Verhältnisse, wie verschiedene Gestalt
und Lage der Windungen, teils aber bringen sie auch einen individuellen
Faktor zum Ausdruck. Die Differenzen dieser Art bilden die „mittlere
Variation“ der Rindenbreite für ein Rindenfeld; sie sind nicht in allen
Teilen der Oberfläche gleich; es gibt vielmehr Felder mit großer mittlerer
Variation und solche mit geringer.
3. Individuelle Differenzen zwischen verschiedenen Gehirnen. Diese
betreffen sowohl die Durchschnittsbreite der einzelnen Areae, wie deren
mittlere Variation. Sie können für einzelne Felder nicht unerheblich sein
und bis zu V2 mm betragen. Dazu kommen die bekannten in dieser Arbeit
nicht behandelten Unterschiede zwischen der Oberfläche und der Furchen¬
tiefe der Windungen. Koenig (Dalldorf).
Beitrag zu einer Pflegerfrage.
(Dr. Lauschner. Psych.-neurol. Wochenschr., Nr. 24, S. 193, 1908.)
L. bespricht zunächst in kurzem die wesentlichen der noch heute in
Anstalten üblichen Strafarten. Diese bestehen aus Verweis, Sperrung eines
Referate und Besprechungen.
969
oder mehrerer Ausgänge, Geldstrafen zugunsten der Pflegerkasse, Einstellung
der Vorrückung in eine höhere Lohnstufe, Strafwachen, Strafdienst, strafweise
Kündigung, sofortiger Entlassung; die Verbesserungsbestrebungen des Pflege¬
personals in der Treptower Anstalt, an welcher Verf. Oberarzt ist, zielen in
erster Linie nach einer Verbesserung der Stellung in pekuniärer Hinsicht.
L. ist gegen Geldstrafen im allgemeinen und im besonderen gegen das zufließen-
lassen derselben in eine Pflegerkasse. Von etischen Gesichtspunkten aus
sei es nicht gerechtfertigt, daß aus dem Vergehen des einen, anderen Vorteile
entstehen.
Ein zweiter wichtiger Punkt der Verbesserungsbestrebungen ist die Ge¬
währung von mehr Urlaub. Es hat demnach auch die Straf weite der Frei¬
heitentziehung ihr Bedenkliches. Es muß auch als verfehlt erscheinen, den
Pfleger mit einer Mehrarbeit zu beladen, wie sie mit dem sog. Strafdienst
und den Nachtwachen verbunden ist.
Die bisher in einzelnen Anstalten angewandten Disziplinarmittel ent¬
halten manchen heiklen und bedenklichen Punkt. In Treptow bedient man sich
jetzt keines anderen Strafmittels als des Verweises, wobei ein Unterschied ge¬
macht wird zwischen einfacher Ermahnung, dem Verweis ohne und mit Ver¬
merk in den Akten. Die Strafe der Urlaubsentziehung ist prinzipiell niemals
in Anwendung gekommen, ebensowenig Strafdienst usw. Verweis und Ent¬
lassung müsse so ziemlich das einzige werden, was zur eventuellem Besserung
in Anwendung gebracht werden soll.
Es sollte, wie L. mit Recht hervorhebt, allgemeine Einigkeit darin be¬
stehen, daß solche, die von der einen Anstalt wegen Untauglichkeit entlassen
worden sind, nicht mehr in einer andern wieder auf genommen werden können.
Beistimmen muß man dem Verf. auch darin, daß in solchen Fällen
erst die Akten der bisherigen Anstalt erbeten werden sollten, und daß diese
bei der Anstellung den Ausschlag geben müßten. In Dalldorf werden die
Akten solcher Pfleger einverlangt, und es wird ihnen sofort gekündigt, falls
die weitere Anstellung auf Grund der Akten nicht wünschenswert erscheint.
(Ref.) Koenig (Dalldorf).
Hautkrankheiten und Syphilis. — Krankheiten der Harn- und
Geschlechtsorgane.
Staphylokokkenserum gegen Akne.
(A. Maute. Tribüne med., 6. März 1909, Nr. 10, S. 152 u. 153.)
Ein junger Mann von 28 Jahren litt seit vier Jahren an Akne pustu¬
losa des Gesichts, die in immer neuen Schüben ihn quälte. Alle Thera¬
pien : vegetarische Diät, strenges antidyspeptisches Regime, Arsen, Alkohol¬
waschungen, Schwefel .waren wirkungslos geblieben. Da entschloß sich
Maute, abgetötete Staphylokokken zu injizieren. Zuerst injizierte er
100 Millionen in den Oberschenkel, dann dreimal je 200 und schließlich
zweimal je 400 Millionen, allemal in Intervallen von fünf his sechs Tagen.
Nach der neunten Injektion war Pat. geheilt. — Da solche Injektionen
nicht jedermanns Sache sind, so füge ich hinzu, daß mir kürzlich in einem
ähnlich langwierigen Falle Massage des Gesichts ein ausgezeichnetes Re¬
sultat gegeben hat. Buttersack (Berlin).
Alis der dermatologischen Klinik der Universität in Breslau. (Direktor:
Geh. Medizinalrat Prof. Dr. A. Neisser.)
lieber spezifische Behandlung gonorrhoeischer Prozesse.
(Dr. Carl Bruck. Deutsche med. Wochenschr., Nr. 11, 1909.)
Während man bisher annahm, daß es eine Immunität gegen Gonorrhöe
nicht gibt, daß ihr klinischer Verlauf und ihre Komplikationen nicht auf das
Vorhandensein einer Immunitätsreaktion von seiten des Organismus hinzu¬
weisen scheint, und daß nur Endotoxine, nicht aber Toxine der Gonokokken
970
Referate und Besprechungen.
nachzuweisen sind, haben neuerdings Bruck u. a. eine Immunitätsreaktion
des menschlichen Organismus auf gonorrhoische Prozesse nachweisen können,
wobei sie sich des von Wassermalin und Bruck angegebenen Komple:
mentbindungsverfahrens mit Bakterienextrakten bedienten. Durch künstliche
Vorbehandlung von Tieren und spontan bei gonorrhoischen Allgemeinerkran¬
kungen traten Stoffe von Ambozeptorencharakter im Blutserum auf. Dieses
Serum wandte Bruck auf gonorrhoische Prozesse an, hatte aber weder bei
direkter Auftragung auf die Urethra noch bei subkutaner oder intravenöser
Injektion den gerinsten Erfolg, so daß also eine passive Immunisierung un¬
wahrscheinlich ist. Bruck versuchte nun die aktive Immunisierung, nahm
aber dabei im Gegensatz zu den amerikanischen Ärzten nicht den opsonischen
Index zur Grundlage seines therapeutischen Handelns. Sein Verfahren, das
übrigens noch in den Anfängen steht, ist folgendes. Er stellt aus Gonokokken¬
kulturen ein Stammvakzin her und injiziert davon in steigenden Mengen
und Zwischenräumen von 4 — 5 Tagen unter genauer Beobachtung der Tem¬
peraturkuren. Die Injektionen sind meist schmerzlos, die Temperatur steigt
in der Regel nach 24 Stunden um 1/4 — 1°. Irgendwelche Störungen konnte
er nicht beobachten. Fiebernde Patienten eignen sich nicht für die Methode.
Seine Erfolge waren nur bisher die: Akute oder chronische männliche Ure-
thralblenorrhöen blieben unbeeinflußt, dagegen konnte er bei Epididymitisl
teils ein deutliches Zurückgehen des entzündlichen Prozesses, teils ein völliges
Verschwinden jeglicher krankhafter Erscheinung beobachten. Besonders wich¬
tig erschien ihm dabei die Angabe der Patienten, daß einige Stunden nach der
Injektion der Nebenhoden schmerzhafter wurde, am nächsten Tage aber kleiner
und weicher sich anfühlte. In einem Falle von Arthritis und einem Falle
von Vulvovaginitis kleiner Mädchen hatte er gleichfalls deutlichen Erfolg.
Natürlich sind alle diese Fälle wegen ihrer geringen Zahl nicht beweisend.
Was nun die Wirkungsweise der aktiven Immunisierung anbetrifft, so
ist das Gonokokkenvakzin eventuell in Analogie mit dem Tuberkulin zu setzen,
sie scheint weder auf einer weiteren Anregung der phagozytären Tätigkeit,
noch auf der Vermehrung der komplementbildenden Ambozeptoren zu beruhen.
Bruck hat deshalb mit der Untersuchung der Überempfindlichkeits¬
reaktion begonnen und bisher eine Kutireaktion durch kutane Impfung mit
Gonokokkenvakzin erzielt. F. Walther.
Hals-, Nasen- und Kehlkopfleiden.
Beziehungen zwischen Nase und Brustkorb.
(Chauvet. Rev. hebd. de laryng., Nr. 12, 1909.)
Im ersten Teil seiner Ausführungen macht Ch. darauf aufmerksam,
daß eitrige Sekretionen der Nase und ihrer Adnexe chronische Infiltration
der Lunge am oberen inneren Schulterblattwinkel hervorrufen können. Diese
entsteht durch Herabfließen des septischen Sekrets während des Schlafs.
Sie kann erhebliche Bedeutung gewinnen durch Beeinträchtigung des All¬
gemeinzustandes und kann der Differentialdiagnose gegen Tuberkulose oft
Schwierigkeiten bereiten.
Auch einfache Verstopfung einer Nasenseite ist für die Brust von
Bedeutung. Vf. verschloß sechs Kaninchen eine Nasenhälfte mit Watte und
fand nach 3 — 5 Wochen eine Skoliose der Brustwirbelsäule nach der Seite
der unverschlossenen Nase zu. Die Rippen der verschlossenen Seite befan¬
den sich in Exspirationsstellung, der untere Teil des Sternum wich nach
der Seite der verstopften Nasenhöhle ab. Es bestand also eine Beeinträch¬
tigung der gleichnamigen Thoraxhälfte zugunsten der anderen. — Auch
bei Menschen, denen die eine Nasenseite zugehalten wurde, fand sich eine
Veränderung des Atemgeräusches der gleichen Brustseite; dasselbe war leiser
und tiefer. Dieselbe einseitige Veränderung fand sich bei Patienten, die)
an einseitiger Verengerung der Nase litten. — Ch. schließt hieraus auf
einen physiologischen, reflektorischen Zusammenhang zwischen dem Grade
Referate und Besprechungen.
971
der Durchgängigkeit jeder Nasenhälfte und der Thoraxmuskulatur der glei¬
chen Seite; jedoch bedarf es, ehe man eine so wichtige Entdeckung unter
die Tatsachen einreiht, doch noch sehr der Nachprüfung. — Infiltrationen der
Lungenspitzen bei Nebenhöhleneiterung sind übrigens von deutschen Autoren,
wiederholt mitgeteilt worden. Arth. Meyer.
Zur Kenntnis des dentalen Empyems der Kieferhöhle.
(M. Hajek. Wiener klin. Wochenschr., Nr. 16, 1908.)
Unter 250 Antrumeiterungen sah Hajek 20 Empyeme dentalen Ur¬
sprungs. Von akuten Prozessen kommt ätiologisch in Betracht der Wurzel¬
abszeß (4 mal), die akute Alveolarperiostitis (5 mal), die zirkumskripte und
diffuse Ostitis des Alveolarf ortsatzes. Von den chronischen Prozessen spielt
die Hauptrolle die Wurzelhautentzündung, sowie das Durchwandern der Eiter¬
erreger vom erkrankten Wurzelkanal durch die ca. 1 cm dicke Knoehen-
schicht zwischen Alveole und Kieferhöhle. Bei Behandlung der Zahnpulpa
oder der Wurzelgranulome kann gleichfalls eine Kieferhöhlen ei terung ent¬
stehen. Bisweilen wird die Eiterung von einem plombierten, nicht schmerz¬
haften Zahn induziert. Die Radiologie kann krankhafte Prozesse an den
Wurzeln scheinbar gesunder Zähne auf decken. E. Oberndorf fer (Berlin).
Behandlung der Empyeme der oberen Nebenhöhlen.
(Hajek. Arch. internat. de laryng., Nr. 1, 1909.)
Die therapeutischen Methoden bei Sinusitis sind in 3 Kategorien ein¬
zuteilen : Die Allgemeinbehandlung, die endonasalen Maßnahmen und die ope¬
rativen Eingriffe von außen. Die Allgemeinbehandlung ist für alle
Höhlen die gleiche, sie ist besonders bei akuter und sub akuter Eiterung ange¬
zeigt und warm zu empfehlen. Sie besteht in Schwitzkuren mit 1 — 2 g Aspi¬
rin und trockenen Abreibungen mit Frottiertüchern. — Bei Empyemen der
Stirnhöhle bringt man den vorderen Teil des mittleren Nasenganges durch
Kokain-Adrenalin zum Abschwellen und macht, wenn möglich, Spülungen
der Höhle. Bei akuter Eiterung kommt man oft so zum Ziele. Wenn nicht,
entfernt man das vordere Ende der mittleren Muschel, indem man für aus¬
giebige Freilegung des Infundibulum. Sorge trägt, und beseitigt etwaige
Hypertrophien. Radikale Operationen kommen nur dann in Frage, wenn ge¬
fährliche Komplikationen drohen, oder wenn bei erheblichen Beschwerden die
endonasale Behandlung erfolglos blieb; in letzterem Falle sind sie indes nicht*
eilig. Die beste Operationsmethode ist die Killian’sche, nur läßt Hajek
die Wunde eine Zeitlang offen.
Akute Eiterungen des Siebbeins sind ganz besonders der Allgemein¬
behandlung zugängig. Bei chronischen Affektionen geht man an die Eröff¬
nung der Zellen, mit der Maßgabe, alles Kranke zu entfernen. Bei guter
Anästhesierung und Anämisierung gelingt dies oft in einer Sitzung; andern¬
falls folgen die Eingriffe einander im Abstand von mehreren Wochen, um
Reaktionen abklingen zu lassen. Tamponade ist möglichst zu vermeiden,
Granulationen sind mit Argentumlösung in Schranken zu halten. Bei nicht
zu enger Nase ist, mit Ausnahme der Infundibularzellen, das ganze Siebbein
zugängig. Sind die Infundibularzellen schwer erkrankt, so muß von außen
operiert werden, mit Wegnahme des proc. frontalis des Oberkiefers, ebenso
wenn orbitale Komplikationen vorliegen. — Bei denjenigen Fällen von diffu¬
sem Siebbeinempyem, die unter dem Bilde der Ozaena verlaufen, sowie bei
diffuser offener Eiterung verwirft H. die Operation, da der Erfolg zu
schlecht ist.
Die Keilbeinh öhle bedarf in akuten Fällen der örtlichen Behand¬
lung nur dann, wenn das Ostium relativ eng ist. Spülungen sollen nur da
gemacht werden, wo die Kanüle sich bequem einführen läßt, sie können die
Heilung nur unterstützen. Die Fortnahme der hinteren Hälfte der mittleren
Muschel und etwaiger Hypertrophien schafft Raum und bringt das Ostiuml
972
Referate und Besprechungen.
in Sehlinie. Die Erweiterung des Ostium mit Haken, Stanzen oder Fraise
ist nur da auszuführen, wo man es gut sehen kann, da bei der großen Ten¬
denz zui' Verengerung sonst das Offenhalten nicht gelingen würde. Die
breite Resektion der vorderen Wand der Keilbeinhöhle erfordert die Eröff¬
nung der hinteren Siebbeinzellen, um auch den lateralen Teil der Wand
freizulegen. Die Nachbehandlung besteht in Überwachung der Höhlenschleim¬
haut und Unterdrückung der Granulationen an der Öffnung. Eröffnung
des Sinus von außen ist nur im Anschluß an die Operation einer anderen
Höhle indiziert. Arth. Meyer (Berlin).
Röntgentherapie der oberen Luftwege.
(Mader. Arch. internat. de laryng., Bd. 27, H. 1.)
Mader behandelt auch Karzinome des Kehlkopfs mit Radiotherapie.
Er verwendet dazu besondere, $og. Mader-Rosentharsche, von der Firma
Polyphos gefertigte Röhren, bei denen die Strahlen aus einer Verlängerung
der Röhre senkrecht zu deren Längsaxe hervorgehen. Diese Verlängerung
ist derart belegt, daß Mund und Rachen geschützt werden und die Strahlen
nur aus einer kleinen freien Stelle, wie von einem Kehlkopfspiegel, entspringen.
Die Bestrahlung soll nicht etwa die Operation ersetzen ; umschriebene Tumoren,
bei denen man gewiß ist, alles Kranke entfernen zu können, bedürfen chirurgi¬
scher Behandlung. Wo das Resultat einer Operation zweifelhaft ist, infolge
der Ausdehnung der Geschwulst oder des Zustandes des Patienten, ist. die
Radiotherapie am Platz; ebenso wenn ein Eingriff verweigert wird und bei
postoperativem Rezidiv. Arth. Meyer (Berlin).
Fulguration bei Kehlkopfkarzinom.
(Georges Laurens. Arcb. internat. de laryng., Bd. 27. Nr. 1.)
L. hat die De Keating-Hart’sche Methode auf das Larynxkarzinom
übertragen, 2 Fälle operiert und schildert die Technik. 1. Tiefe Tracheotomie*
Einlegen einer gläsernen Tamponkanüle. Narkose mittels dieser. 2. Frei¬
legen des Larynx, Unterbinden sämtlicher Gefäße, um. alle metallenen In¬
strumente zu entfernen. Nach Thyrotomie Kokainisierung des Larynxinnern ;
Beiseiteziehen der Kehlkopfhälften mit gläsernen Ekarteurs oder mit Seiden¬
fäden, welche durch die Schildknorpelplatten gezogen werden. 3. Isolierung
des Larynx von Trachea und Schlund durch Tampons, Schutz der gesunden
Kehlkopfseite durch gläsernen Schützer oder Tampons. Erste Fulguration.
4. Exzision oder Kürettement des Tumors bis etwa zur Grenze des Gesunden.
5. Nochmalige Fulguration, 10 — 30 Min., je nach Ausdehnung. Hierzu werden
besondere, feine, gläserne Elektroden benutzt, um; die Wirkung zu lokalü-'
sieren. 6. Naht unvollkommen, so daß die Wunde drainiert werden kann.
Die Tamponkanüle wird durch eine gewöhnliche ersetzt, bei kleinem Tumor
sofort entfernt. — Im Kehlkopf wurde leichtes Ödem, Ecchymose, Laryngitis
erythematosa beobachtet, es bildete sich ein Schorf von pseudomembranösem
Charakter, nach dessen Abstoßung das Stimmband seine Gestalt wiederge¬
wann. Schwere Erscheinungen wurden nicht beobachtet. — Über den wirk¬
lichen Erfolg enthält sich Verf. mit Recht noch jeden Urteils.
Arth. Meyer.
Röntgenologie und physikalische Heilmethoden.
Aus dem Laboratorium des Herrn Prof. Dr. G. Rosenfeld, Breslau.
Das Karlsbader Wasser und die Harnsäure.
(Dr. Adalbert Rosenthal, Karlsbad-Breslau. Berl. klin. Wochenschr., Nr. 15, 1909.)
Rosenthal hat an sich selbst Versuche angestellt, um die Wirkungs¬
weise des Karlsbader Wassers auf die Harnsäureausscheidung zu studieren.
Die Versuche zerfallen in zwei Abschnitte von je 10 resp. 9 Tagen und zwar
Referate und Besprechungen.
973
war die Diät in beiden die gleiche, dabei nahm er im ersten Abschnitt täglich
1 Liter Mühlbrunnen, im zweiten nicht. Jeder Abschnitt wurde in 2 Perioden
eingeteilt, von denen die erste purinhaltige, die zweite lakto-vegetabilische
Kost bot. Das Resultat seiner Untersuchungen faßt er dahin zusammen, daß
das Karlsbader Wasser in oben genannter Menge sowohl bei purinreicher,
wie auch bei purinarmer Kost die Harnsäureausscheidung wesentlich vermin¬
dert hat. Dabei bleibt es zweifelhaft, ob dies auf eine verminderte Aus¬
scheidung der Harnsäure oder auf eine vermehrte Zerstörung zurückzuführen
ist. Letzteres ist allerdings wenig glaubhaft, weil einerseits die Harnmenge
während des Gebrauchs des Brunnens um zirka 50% gestiegen war und
andererseits die harnsäurelösende und -ausschwemmende Wirkung kalkhaltiger
Wässer durch die Untersuchungen von Lehmann und Posner nahegelegt ist.
P. Walther.
Behandlung venerischer Ulzerationen mit Röntgenstrahlen.
(A. Buschke. Ther. der Gegenw., Jan. 1909.)
Bei einer Reihe von syphilitischen Geschwüren, welche auf keine der
üblichen Methoden zur Heilung zu bringen waren, hat Buschke zu den
X-Strahlen als ultimum refugium gegriffen und sah darunter die hartnäckigen
Ulzerationen heilen.
Daß er, wie schon früher, in den typischen Effloreszenzen der Syphilis
maligna die Spirochaeta pallida nicht fand, sei zur Würdigung dieses mikro¬
skopischen Gebildes erwähnt. Buttersack (Berlin).
Röntgendurchleuchtungen beiTageslichtunter vollkommenem Strahlenschutz
für Arzt und Patienten.
(Davidsohn, Berlin. Deutsche med. Wochenschr., H. 52, 1908.)
D. beschreibt eine einfache und sinnreiche Einrichtung, die den Zweck
hat, den Arzt völlig gegen Röntgenstrahlen zu schützen und die Durch¬
leuchtung in nicht verdunkeltem Zimmer vorzunehmen. Die Einrichtung
hat nur den Nachteil, daß nicht mehrere Personen zugleich beobachten können
und daß der Arzt nicht imstande ist, den Patienten in verschiedene Stellen zu
drehen, was z. B. bei Untersuchungen des Mediastinums von großer Wichtig¬
keit ist. Hahn.
Ueber die Behandlung mit Radiumemanation.
(Dr. Alfred Fuerstenberg. Deutsche med. Wochenschr., Nr. 52, 1908.)
F. hat im wesentlichen das emanationshaltige Wasser der Radiogen-
Gesellschaft angewendet. Am wirksamsten ist seiner Ansicht nach die Trink¬
kur, die Badekur dagegen wirkt wahrscheinlich nur durch die Inhalation
der dem Bade entweichenden Emanation. Es wurden durchschnittlich jeden
zweiten Tag 10000 Einheiten gereicht, doch konnten auch bedeutend größere
Mengen (bis zu 100000 Einheiten) ohne schädliche Nebenwirkungen getrunken
werden. Die besten Erfolge wurden bei chronischen, rheumatischen oder
gichtischen Erkrankungen erzielt, und zwar war die Besserung sowohl sub¬
jektiv, durch Nachlaß der Schmerzen, /als auch objektiv, durch Rückgang
der Schwellung nachweisbar. Bei einer Anzahl von Fällen und zwar bei
denen, die günstig beeinflußt wurden, traten nach den ersten Behand¬
lungen als deutliche Reaktion lokalisierte oder über den ganzen Körper
verbreitete Schmerzen, sowie Rötung und Schwellung der kranken Gelenke
auf. Diese Reaktion hielt 2 — 24 Stunden an. Ihre Stärke und Dauer ent¬
sprach der Menge der verabreichten Emanationseinheiten. Hahn.
974
Referate und Besprechungen.
Moderne Frakturenbehandlung mit Zuhilfenahme des Röntgenverfahrens.
(C. Beck, New-York. New-Yorker med. Wochenschr., Nr. 4, 1909.)
Lobeshymnus auf die Röntgendiagnose der Frakturen. So sehr der
durch sie erreichte Fortschritt zu preisen ist, erscheint es doch zweifelhaft,
ob die Bezeichnung der früheren Behandlung als teilweise „verbrecherisch“
angebracht sein dürfte. Esch.
Medikamentöse Therapie.
Die Jodferratose in der Kinderheilkunde.
(Dedin. Rasseg. di Terap., Nr. 28, 1908.)
Verfasser hat sich in einer früheren Arbeit mit der experimentellen
Untersuchung der Jodferratose beschäftigt ;und läßt jetzt diesen Unteir-^
suchungen seine klinischen Beobachtungen folgen.
Die Wirkung der Jodferratose wurde an einer Anzahl von Kindern
erprobt, welche an Skrofulöse und Anämie mehr oder weniger stark erkrankt
waren. Während der Behandlung wurde auf das Körpergewicht der Kinder,
auf verschiedene physische Merkmale, auf das Allgemeinbefinden und auf
den Hämoglobingehalt des Blutes besonders achtgegeben. Die Erkrankungen
der Kleinen waren teils auf erbliche Belastung, teils auf ungünstige hygie¬
nische Verhältnisse zurückzuführen.
Das Präparat wurde von den Patienten durchweg gut vertragen und
erzeugte auch bei größeren Dosen weder Jodismus noch Verdauungsstörungen.
Es übte vielmehr stets eine gute Wirkung auf die Darmfunktion und auf
den Appetit aus.
Die gute Bekömmlichkeit des Präparates zeigte sich auch durch das
verbesserte Aussehen der Patienten und die Veränderung im Ernährungs¬
zustand und der Hautfärbung. Letztere besonders wurde sehr bald frisch
und rosig, und das ödematöse Aussehen verschwand. Die Jodferratose wirkt)
anregend auf die Funktion der Organe und des Lymphstromes und be¬
einflußt günstig fieberartige Zustände; ein Fall von remittierendem Fieber
bei einer komplizierten Polyadenitis klang in besonders rascher Weise abi.
Wegen seines Wohlgeschmacks nehmen die Kinder das Präparat gern ein.
• -■ _ Neu mann.
Untersuchungen über Spirosal.
(Koch u. Schultz. Ther. Monatsh., Nr. 8, 1909.)
■Verfasser kombinierten in geeigneten Fällen, d. h. nach Ablauf der
akuten Erscheinungen beim Gelenkrheumatismus die Bier’sche Stauung mit
der perkutanen Spirosal-Applikation, und zwar wurden die erkrankten Ge¬
lenke mit je 5 ccm Spirosal- Alkohol eingepinselt. Die Staubinde war vor¬
her schon angelegt und blieb durchschnittlich fünf Stunden liegen. Es er¬
gab sich, daß die Haut des gestauten Gliedes das Spirosal gut resorbierte.
Besonders auffallend war, daß die ■Salizylausscheidung im Harn, das Spi¬
rosal ist der Monosalizylsäureester des Äthylenglykols, außerordentlich lange
Zeit anhielt. Ungünstige Nebenerscheinungen wurden nicht beobachtet. Selbst
solche Kranke, die andere Salizyl-Präparate schlecht vertrugen, hatten keine
Beschwerden. Nur bei einem Patienten mit sehr empfindlicher Haut träten
nach einmaliger Spirosaleinpinselung linsen- bis zehnpfennigstückgroße, er¬
habene rote Flecken auf, die nur wenig juckten und nach wenigen Tagen
wieder verschwanden. ,
Gleich den früheren Untersuchern fiel den Verfassern besonders auch
die schmerzstillende Wirkung und ein auffallendes Zurückgehen sehr hart¬
näckiger Gelenkergüsse auf. „ Neumann.
Kollodium gegen rheumatische Schmerzen wird in (Les nouveaux r£medes,
Nr. 8, 1909) nach folgender Formel empfohlen: Morphin, hydrochlor. 2,0, Aether 5,0,
Kollodium (mit Ricinusöl) 25,0. D. S. Aufpinseln. v. Schnizer (Danzig).
Bücherschau,
975
Gr. Berti tritt warm ein für die Anwendung des grauen Pulvers
der Engländer bei der Syphilis der Neugeborenen. Dieses, der Ethyops
calcaire der Pharmakopoeen, stellt eine Mischung von kohlensaurem Kalk
mit metallischem Hg im Verhältnis 67 : 33 dar. Er gibt es mehrmals täg¬
lich in Dosen von 0,03 — 0,09, je nach dem Alter und hat gute Resultate
davon gesehen. (Les nouveaux remedes, Nr. 23, 1908.)
v. Schnizer (Danzig).
Allan behandelt das Erysipel mit reiner Karbolsäure, indem er es
etwa 1 cm über die Demarkationslinie hinaus aufpinselt, bis die Oberfläche
weiß wird und dann mit 95% Alkohol wieder abwäscht. Eventuell wird der
im ganzen geringen Schmerzen wegen eine Alkoholkompresse notwendig. In
12 Fällen war nur eine 2lmalige Anwendung notwendig. Narben sind in keinem
Falle zurückgeblieben. (Les nouveaux remedes, Nr. 23, 1908.)
v. Schnizer (Danzig).
Bücherschau.
Handbuch der Technik und Methodik der Immunitätsforschung. Unter
Mitwirkung zahlreicher Fachgenossen herausgegeben von Prof. Dr. R. Kraus
und Dr. C. Levaditi. Zwei Bände. Verlag von G. Fischer, Jena,
1908 und 1909.
Das große zweibändige Sammelwerk, welches bei der enormen theoretischen
und praktischen Bedeutung der Immunitätslehre sowohl von dem Fachmanne, als
auch von dem hier sich wissenschaftlich betätigenden Kliniker bei seinem Erscheinen
auf das lebhafteste begrüßt wurde, liegt nunmehr abgeschlossen vor. Damit ist auch
eine wesentliche Lücke ausgefüllt, welche das Handbuch von W. Ko Ile und
A. Wassermann trotz seiner erschöpfenden Behandlung auch der Immunitäts¬
erscheinung durch das Ziel offen lassen mußte, welches zu erreichen es sich vor¬
gesteckt hatte. Dort mußte die Technik und Methodik der Immunitätsforschung
von gewissen zusammenfassenden Kapiteln abgesehen, im Zusammenhänge mit der
Besprechung der einzelnen Krankheitserreger abgehandelt werden. Sie konnte dem¬
nach nicht in den Vordergrund der Darstellung gelegt werden. Demnach fehlte
bisher eine ins Detail gehende Gesamtdarstellung der tierischen und pflanzlichen
Antigene und ihrer Antikörper, ebenso wie eine den gegenwärtigen Wissensstand
zusammenfassende Übersicht über die Methodik. Dies hatte für alle auf dem
Gebiete der Immunitätserscheinung Arbeitenden, ganz besonders aber für den
Neuling zur Folge, daß er sich die bisher aufgedeckten Tatsachen und Methoden
aus der heute schon unübersehbar angeschwollenen, manchmal auch schwer zugäng¬
lichen Literatur zusammensuchen mußte. So kommt das vorliegende Werk dem
Bedürfnisse, sowohl als Nachschlagewerk im Laboratorium, als auch zur Anleitung
zu eigenen Arbeiten zu dienen, ebenso entgegen, wie es gleichzeitig eine Orientierung,
sowie ein Detailstudium des umgrenzten Wissensgebietes ermöglicht. Die Tatsache,
daß es nunmehr vollendet vorliegt, kann nicht warm und anerkennend genug
begrüßt werden!
Die Herausgeber, Prof. R. Kraus (Wien) und Dr. C. Levaditi (Paris) haben
bei der Durchführung ihres großen Unternehmens in richtigem Verständnisse von
der Bedeutung des Zusammenschlusses von Fachmännern aus den verschiedensten
Ländern und Instituten, hier eine solche auch tatsächlich erreicht. So haben für
das Werk die Begründer dieses Forschungszweiges E. Mets chnikof f und P. Ehrlich
wertvolle zusammenfassende Beiträge geliefert und unter den Mitarbeitern finden
sich die Namen hervorragender Forscher und die Angehörigen der verschiedensten
Institute für Serumforschung und Serumtherapie (wie Paris, Lille, Frankfurt,
Kopenhagen, .Wien, Berlin, Petersburg u. a. m.). Daß diese Zusammenarbeit der
verschiedensten Vertreter der Immunitätsforschung in so ausgeglichener und voll¬
kommener Weise möglich war, wie es hier tatsächlich geschehen ist, begründet sich
vielleicht auch in dem Umstande, daß gegenwärtig die lebhafte Diskussion
über verschiedene prinzipiell wichtige Fragen wenn auch nicht verstummt oder gar
entschieden, so doch eine wesentliche Abschwächung erfahren hat. Die Benützung
dieses Zeitpunktes für die Abfassung des vorliegenden Handbuches ist ihm auch
aus den oben ängedeuteten Gründen sicherlich nur von Vorteil gewesen.
976
Bücherschau.
Was die vortreffliche Anordnung des großen Stoffes anlangt, so sind im
ersten Bande (1138 Seiten, 3 Tafeln, 1 Kurve, 126 teils farbige Abbildungen im Texte)
die Antigene abgehandelt. Dabei wird zuerst von M. Neisser das Allgemeine
über bakterielle Antigene besprochen, deren Antikörper bakteriolytische, agglu¬
tinierende, präzipitierende Eigenschaften auf weisen und Thorwald Madsen faßt
in einer Abhandlung das über bakterielle Antigene-Toxine bekannte zusammen,
deren Antikörper antitoxische Eigenschaften besitzen. Es folgt dann die Besprechung
der einzelnen pflanzlichen und tierischen Antigene sowie die Technik ihrer Ge¬
winnung im besonderen in 34 Kapiteln durch die verschiedensten Autoren, wobei
naturgemäß der Methodik der verschiedenen Schutzimpfungen ein besonders breiter
Baum gewährt wurde. Unter den Mitarbeitern finden wir hier die Namen von
B. Kraus, Calmette, H. Sachs, A. Wassermann, W. Kolle, Boemer,
Wladimiroff u. a. m. Im zweiten Bande (1219 Seiten, 2 Kurven, 1 Tafel, 101 teils
farbige Abbildungen im Texte) wird die Antikörpererzeugung bei großen (Kretz,
Levaditi) und kleineren Versuchstieren (Thorwald Madsen), ferner ihre Dar¬
stellung mittels chemischer und physikalicher Methoden (E. Pr ibr am) abgehandelt
und ihre Auswertung erörtert. Weiterhin finden wir in zahlreichen Einzelarbeiten
das heute über die verschiedenen Antikörper im einzelnen Erworbene detailliert
besprochen (Thorwald Madsen, M. v. Eisler, E. Pribram, B. Grassberger
u. Schattenfroh, Kraus, Levaditi, Calmette, P. Uhlenhuth, Kolle u. a. m.).
Abhandlungen über das Wesen und die Technik der Agglutination (E. Volk,
B. Kr eis sei), über die Technik des biologischen Eiweiß-Differenzierungsverfahrens
(P. Uhlenhuth u. Weidanz), über die Komplementbindungsmethode (J. Ci tron),
über Kolloide und Lipoide in ihren Beziehungen zur Immunitätslehre (O. Porges)
beschließen das Werk.
So repräsentierten sich die zwei Bände nicht nur durch die Fülle und Lücken¬
losigkeit des gebotenen, sondern auch eben so sehr durch das Wie der Darstellung als
ein Standard work allerersten Banges, welches leider im Bahmen eines kurzen
Beferates nach Gebühr nicht voll gewürdigt zu werden vermag. Die lebhafte Zu¬
stimmung, die schon das Erscheinen der ersten Lieferung seinerzeit in den beteiligten
Kreisen hervorrief, erübrigt jedes Wort der Empfehlung. Die weite Verbreitung,
welche dem Werke schon vorneherein sicher war, wird den Herausgebern wie dem
Verlage gewiß erhärten, welch großes Verdienst sie sich damit für den Fortschritt
und die Verbreitung der Immunitätslehre erworben haben. H. Pfeiffer (Graz).
Die Arbeitsteilung in der Heilkunde. Von O. Körner. Wiesbaden,
J. F. Bergmann, 1909. 24 Seiten.
Wer jeglichen historischen Sinnes bar ausschließlich in der Gegenwart lebt,
dem mag wohl eine Strömung, welcher die erdrückende Mehrzahl der Zeitgenossen
anhängt, als eine elementare Erscheinung von unabsehbarer Dauer erscheinen.
Und troßdem sind es nur Seifenblasen der Weltgeschichte, die dann zerplatzen, wenn
sie den größten Umfang angenommen haben. So geht es wohl auch mit dem
Spezialistentum. Diese Seifenblase hat offenbar, wie ein Blick in die literarischen
Unternehmungen und ins reale Leben zeigt, ihren größten Umfang noch nicht
erreicht; aber doch melden sich schon Stimmen im entgegengesetzten Sinne. Dazu
gehört der Vortrag des bekannten Kostocker Otologen. Freilich eifert er in der
Hauptsache gegen eine Trennung von Oto-, Bhino- und Laryngologie, welche er
neben der Ophthalmologie, Dermatologie, Psychiatrie, Pädiatrie usw. als organologische
Fächer der inneren und chirurgischen Klinik als den methodologischen Disziplinen
gegenüberstellt. Aber daneben kommt doch auch die allgemeine Erkenntnis zum
Ausdruck, daß der Spezialist keineswegs den Höhepunkt der Heilkunst verkörpert,
und manche Stellen muten wie eine Rehabilitierung des Allgemein-Praktikers an.
Sätze wie: „Vor der persönlichen Uberhebung und der Überschätzung seiner spezia-
listischen Leistungen schützt ihn die Allgemeinpraxis, indem sie ihm beständig zum
Bewußtsein bringt, einen wie kleinen Teil der Heilkunde das von ihm besonders
gepflegte Fach einnimmt“ könnte mancher Spezialist mehrmals lesen. Der berühmte
Dermatologe Lewin pflegte zu sagen: „Das Spezialistentum soll nicht ein Aus¬
wuchs, sondern eine Blüte an dem Baum der Medizin sein“ ; auf denselben Ton ist
auch Körner’s Vortrag gestimmt. Buttersack (^Berlin).
Schriftleitung: Dr. Rigler in Leipzig.
Druck von Emil Herrmann senior in Leipzig.
27. Jahrgang.
1909.
fomcbrim der Medizin.
Unter Mitwirkung hervorragender Fachmänner
herausgegeben von
Professor Dr. 0. Köster Pm.-Doz. Dr. v. Criegern
in Leipzig. in Leipzig.
Schriftleitung: Dr. Rigler in Leipzig.
Nr. 26.
Erscheint am 10., 20., 30. jeden Monats. Preis halbjährlich
6 Mark, inkl. Zeitschrift für Yersicherungsmedizin 8 Mark.
Verlag von Georg Thieme, Leipzig.
20. Septbr.
Originalarbeiten und Sammelberichte.
Aus der städtischen Heilanstalt Dösen bei Leipzig. Direktor: Obermedizinalrat
Dr. Lehmann.
Ueber choreatische Bewegungsstörungen bei Neurosen und
Psychosen und Chorea chronica.
Von Oberarzt Dr. Max Liebers.
(Nach einem in der medizinischen Gesellschaft zu Leipzig am 11. Mai 1909
gehaltenen Vortrage.)
Bekanntlich versteht man unter choreatischen Bewegungen un¬
willkürliche und unzweckmäßige Muskelkontraktionen, die oft gleich¬
zeitig', nebeneinander und nacheinander in den verschiedensten Muskel¬
gebieten des Körpers auf treten und mit mehr oder minder ausgiebigen
wechselnden Bewegungseffekten verbunden sind. Keineswegs handelt
es sich dabei um gänzlich unkoordinierte Muskelzuckungen, wie bei
den klonischen Muskelzuckungen, sondern die ausgiebigen Bewegungs¬
wirkungen erweisen sie schon als bis zu einem gewissen Grade koordi¬
niert, wenn auch als unzweckmäßig und regellos koordiniert. Die» cho¬
reatischen Muskelzuckungen erfolgen meist ziemlich schnell, blitzartig,
und gehen, wenn sie langsamer auf treten, ohne scharfe Grenze in die
athetotischen über. Nur erfolgen bei der Athetose die einzelnen Be¬
wegungen mehr gleichmäßiger und betreffen mehr die distalen Ab¬
schnitte der Extremitäten, während bei der Chorea auch die proximalsten
Teile und die Rumpfmuskulatur sowie die Muskeln des Kopfes leb¬
haft beteiligt sind.
Die ticartigen Zuckungen unterscheiden sich von den choreatischen
durch ihre mehr systematisierte Beschaffenheit, durch ihren zwangs¬
artigen Charakter, mit dem sie gewöhnlich aufzutreten pflegen, und
durch die sie begleitenden und den Kranken oft peinigenden Unlust¬
gefühle. Ticartige Zuckungen sind immer zwangsmäßig auftretende
Reflex-, Abwehr- und Ausdrucksbewegungen. Doch wird auch das
gleichzeitige Vorkommen der Tickrankheit und der Chorea erwähnt
(Oppenheim, Raymond).
Man kann sagen, daß fast jede Chorea mit psychotischen Sym¬
ptomen kompliziert ist. Auch von der gewöhnlichen Chorea minor,
der hauptsächlichsten und häufigsten Repräsentantin aller Erkrankungen
mit choreatischen Bewegungsstörungen, gilt dasselbe. Wir beobachten
bei ihr die verschiedensten psychischen Erkrankungen, so vor allem
schwere Depressionszustände, halluzinatorische Delirien, paranoische Zu-
62
978
Max Liebers,
standsbilder und maniakalische Erregungen. Namentlich die Chorea
minor der Erwachsenen zeigt diese psychischen Störungen in gesteiger¬
tem Maße. Aber auch die Chorea minor der Kinder, bei der ausge¬
sprochene Psychosen schon seltener auftret, en, zieht die Psyche sehr
häufig in Mitleidenschaft. Diese Kinder führen oft ein psychisches
Binnenleben, die Beziehungen zur Außenwelt sind gestört, sie sind
reizbar, fahrig, unaufmerksam, oft auch verschlossen und in sich ge¬
kehrt. Sie zeigen bei genauerer Prüfung auch eine leichte Ermüdbar¬
keit und Abnahme ihrer geistigen Leistungsfähigkeit. Interessant ist
ferner die bei choreakranken Kindern oft vorhandene linkshändige
Spiegelschrift, die mit Ablauf der Erkrankung gewöhnlich schwindet
und auch ein Zeichen der schwer gestörten Psyche bildet (Soltmann).
Auch der Übergang der choreatischen Bewegungsunruhe in den
Bewegungsdrang der Manie wurde von Jolly beobachtet.
Das Vorkommen choreatischer Erscheinungen bei manchen organi¬
schen Hirnerkrankungen soll nur kurz erwähnt werden. Es gehören
hierher die bei Hemiplegikern sich oft bei Wiederkehr der aktiven
Beweglichkeit einstellende sogenannte Chorea posthemiplegica und die
choreatischen Beizerscheinungen bei der zerebralen Kinderlähmung und
den zerebralen Diplegien.
Die Beobachtungen choreiformer Beizerscheinungen bei organischen
Gehirnerkrankungen bilden gewissermaßen einen Übergang zu gewissen
psychischen Erkrankungen mit anatomischem Befund, von denen auch
manche sich mit choreaartigen Erscheinungen verknüpfen. So sieht
man gelegentlich gar nicht zu selten in den Endstadien der Dementia
paralytica namentlich in Verbindung mit paralytischen Krampfanfällen
choreiforme Muskelzuckungen. Es ist auf diese auch schon den älteren
Autoren bekannte Erscheinung in neiuester Zeit wieder von Binswanger
und vor allem von Dräseke hingewiesen worden. Dräseke gibt
an, sie auch schon in den früheren Stadien dieser Erkrankung gesehen
zu haben.
Auch bei der Epilepsie, bei der die neuesten Eorschungen doch
auch organische Veränderungen namentlich der Hirnrinde ergeben haben,
bildet die Chorea öfters ein Begleitsymptom. Gowers, Eere u. a.
bringen entsprechende Beobachtungen, die auch das Vorkommen chorea¬
tischer Zuckungen in der interparoxysmalen Zeit beweisen. Es gehört
hierher die Epileptia Continua russischer Autoren (Muratoff, Kojew-
nikoff, Bechterew) und die Epileptia choreica Bechterew’s. In
der Tat sieht man gelegentlich bei Beobachtung mancher älterer Epi¬
leptiker namentlich bei psychischen Erregungen, beim Erschrecken, brüs¬
kem Anreden von hinten, oft deutliche choreatische Bewegungsstörungen.
Sie kommen dann auch dadurch zum Ausdruck, daß die Kranken bei
ihrer Beschäftigung auffallend unsicher und ungeschickt werden und die
gewollten Bewegungen erst nach wiederholten ausfahrenden Abschwen¬
kungen und Abweichen von der ursprünglichen Bewegungsrichtung zu
Ende führen können. Es gibt Epileptiker, deren Bewegungen und ganzes
Gebaren durch diese sich bei allen intendierten Bewegungen störend
einschiebenden choreatischen Muskelkontraktionen etwas Groteskes, Um¬
ständliches und Weitschweifiges erhält, daß man schon von weitem
oft glaubt, einen Choreatiker vor sich zu haben.
Nur kurz soll an dieser Stelle erwähnt werden, daß' manche
Autoren (Möbius, E. Schultz, e, Bötticher) die Un verricht’ sehe
Myoklonie, eine familiäre Erkrankung, die sich aus epileptischen An-
Ueber choreatische Bewegungsstörungen bei Neurosen usw. 979
fällen und den den choreatischen sehr nahestehenden myoklonischen
Zuckungen zusammenzetzt, ganz als eine Abart der Chorea chronica
betrachten.
Relativ häufig finden wir choreatische Reizerscheinungen hei Idio¬
ten und Imbezillen, und Oppenheim macht darauf aufmerksam, daß
die Chorea minor hei geistesschwachen Kindern sich besonders lange
hinziehen soll.
Die auf dem Boden der Hysterie sich entwickelnde hysterische
Chorea unterscheidet sich zunächst einmal schon durch ihre Entstehung
im Anschluß an Gemütsbewegungen und ähnliche Momente, dann sind
die Bewegungen meist stereotyper. Der Nachweis von anderweitigen
hysterischen Stigmata wird meist die Unterscheidung ermöglichen. Doch
kann in einzelnen Fällen aus der Symptomatologie allein der Nachweis
der hysterischen Genese oft nicht geführt' werden, so z. B. bei den
durch Nachahmung entstandenen Formen. Sonst sind es meist kom¬
pliziertere Bewegungen, welche diese hysterische Chorea kennzeichnen,
z. B. als oh der Patient sich zum Gruß verneige, mit dem Hammer
auf den Amboß schlüge (Chorea malleatoria) usw. Charakteristisch
ist ferner das oft plötzliche Auf hören der Chorea hysterica im An¬
schluß an einen Anfall usw.
Französische Autoren (Brissand, Fere u. a.) machen auf eine
bei psychisch Degenerierten vorkommende „Choree variable ou poly¬
morphe“ aufmerksam, die sich durch große Schwankungen hinsichtlich
Intensität und Charakter der Zuckungen und durch eine Beeinflußbar¬
keit durch den Willen kennzeichnen soll, und Oppenheim weist darauf
hin, wie sehr dije hei nervösen Personen oft in der Verlegenheit einsetzende
motorische Unruhe der choreatischen Unruhe gleiche.
Ferner sieht man öfters hei manchen Geisteskranken, namentlich
Paranoischen eigentümliche Bewegungen, die als Abwehrbewegungen
wahnhafter feindlicher Beeinflussungen und Belästigungen angesehen
werden müssen. Als seelisch bedingt gehören sie natürlich nicht zu
den choreatischen, gleichen ihnen aber oft sehr in ihrer äußeren Er¬
scheinungsform. Eine größere Ähnlichkeit und nähere Beziehungen zu
den ehoreatischen Phänomenen zeigen aber ferner manche eigentümliche
Bewegungsäußerungen gewisser sogenannter Katatoniker. Es würde
jedoch zu weit führen, auf diesen interessanten Punkt hier näher einzu¬
gehen.
Noch recht unsicher sind unsere Kenntnisse über die anatomische
Grundlage der choreatischen Bewegungsstörungen. Gewisse Befunde
von Herderkrankungen hei der Chorea posthemiplegica, die sich nament¬
lich auf gewisse Teile des Thalamus opticus und der subthalamischen
Region, des Nucleus ruber und der zu diesen Gebilden ziehenden zere¬
bellaren Bahnen erstreckten, haben zu verschiedenen Theorien geführt
(Kahler, Pick, Anton, Hartmann, Bonhöffer u. a.) Die aber
teilweise noch recht unsicher sind. Außerdem muß betont werden, daß
hei der Chorea minor, der häufigsten Choreaform meist grob anato¬
mische Befunde vermißt werden, und dasselbe gilt natürlich auch von
andern Formen der Chorea. Immerhin kann man ganz allgemein sagen,
daß alle diejenigen pathologisch-anatomischen Krankheitsprozesse das
Auftreten choreatischer Bewegungen begünstigen, welche die höheren
motorischen Hemmungsapparate, die wir in der Hirnrinde zu suchen
haben, lähmen und dadurch der Tätigkeit der subkortikalen automatischen
Zentren größeren Spielraum gewähren.
62*
980
Max Liebers,
Was nun die Zeitdauer betrifft, die choreatische Zuckungen anzu¬
dauern pflegen, so ist ja bekannt, daß die Chorea minor meist nur mehrere
Monate bis zu einem Jahre anzuhalten pflegt. Doch existieren auch
Beobachtungen von wesentlich längerer Dauer. Oppenheim z. B. sah
Chorea minor hei einem Mädchen vom 7. — 24. Lebensjahr sich hinziehen.
Bekannt ist ferner, daß die Chorea minor häufig auch rezidiviert und
dadurch schon für längere Zeit einen chronischen Charakter annehmen
kann. Im allgemeinen scheint ferner die Chorea minor um so länger
sich auszudehnen, je älter das Individuum ist, das von ihr befallen
wird. Es gibt also doch zweifellos Fälle, wo eine gewöhnliche Chorea
minor in eine Chorea chronica, die fast das ganze Leben ausfüllen kann,
übergeht. Auch von der sogenannten Chorea senilis gilt dasselbe.
Die meisten Fälle sogenannter Chorea chronica sind aber anderer
Art. Das gilt zunächst einmal von der sogenannten Huntiington’schen
Chorea chronica. Im Gegensatz zu der keineswegs als selten zu be¬
zeichnenden Chorea minor handelt es sich hier um eine ziemlich seltene
Erkrankung von ausgesprochen familiärem, hereditären Charakter. Die
Krankheit pflegt auch gewöhnlich zuerst zwischen dem 30. und 40.
Lebensjahr aufzutreten und sich fortzuerben. Und zwar ist dabei die
zuerst von Heilbronn er erwähnte Tatsache interessant, daß sie bei der
Vererbung in immer zeitigerem Alter auftritt. Sie ist ferner charakte¬
risiert durch eine sich mit Fortschritt des Leidens immer mehr ent¬
wickelnde Demenz, auf deren Boden sich dann andere schwere psychische
Störungen namentlich Depressionszustände und Erregungszustände ent¬
wickeln können. Auch paranoide Symptome konnte ich einmal beo¬
bachten und Lähmung vom Typus der Hemiplegie (Zentralblatt für
Nervenheilkunde 1905). In den Endstadien 'treten dann oft die moto¬
rischen Beizerscheinungen zurück, es kommt zur Bildung von Beuge¬
kontrakturen, und die Kranken gehen meist an interkurrenten Erkran¬
kungen (Pneumonien, Dekubitus, Cystitis usw.) im Stadium eines dem
paralytischen Marasmus sehr ähnlichen Zustandes allgemeiner Mazies
und Erschöpfung zugrunde. Die choreatischen Zuckungen gleichen sonst
fast genau denen bei der Chorea minor, sie sistieren wie diese gewöhnlich
auch im Schlafe, die Augenmuskeln bleiben fast immer frei, während
die Artikulationsmuskulatur relativ zeitig sich mitaffiziert zeigt und
die Sprache oft zu einem unverständlichen Lallen wird. Auch das
Schlucken ist in den Endstadien oft erschwert, und man kann geradezu
von einem bulbärparalytischen Symptomenkomplex sprechen. Bei see¬
lischen Erregungen nehmen alle choreatischen Zuckungen zu, während
intendierte Bewegungen oft einen vorübergehend wenigstens beschwich¬
tigenden Einfluß haben. Auffallend ist mir mehrmals die enorme
Beteiligung der Bumpfmuskulatur und der Muskulatur der großen
Gelenke gewesen, namentlich beim Gehen und Stehen, so daß die Patien¬
ten auch ziemlich leicht infolge Störung des Gleichgewichts hinfielen.
Ätiologisch hat sich auch bei unsern Fällen nichts Bestimmtes eruieren
lassen. Überanstrengung und Erkältung wurden mehrmals angegeben.
Auch konnte ein sporadischer Fall beobachtet werden, bei dem sich
hereditäre Momente nicht nachweisen ließen. Interessant war bei
diesem Patienten, einem 50 Jahre alten Schlosser, ein gewisser Paralle¬
lismus zwischen choreatischer Bewegungsunruhe und seelischer Erregung
insofern als die choreatischen Zuckungen auch die seelische Erregung
steigerten. Auch zeigte der Patient, abgesehen von seiner Demenz
Beeinträchtigungswahnvorstellungen seinen Verwandten gegenüber, auch
Ueber choreatische Bewegungsstörungen bei Neurosen usw.
981
die hypochondrische Idee herzkrank zu sein, saß bei ihm sehr fest. Ein
später hinzugekommenes Trauma hatte offenbar eine starke Steigerung
des Leidens bewirkt.
Zum Schluß soll noch an der Hand eines 35 jährigen Imbezillen
mit allgemeiner Chorea und Athetose, namentlich der Kopf und Nacken¬
muskulatur und der Gesichtsmuskulatur auf einen seltenen Entstehungs¬
modus allgemeiner Chorea hingewiesen werden. Ich meine nämlich die
Chorea auf dem Boden der zerebralen Kinderlähmung und der zu ihr
gehörenden Gruppe der zerebralen Diplegien. Bekanntlich handelt es
sich bei dieser Erkrankung um keine nosologische Einheit. Allen
Formen gemeinsam ist nur die organische Grundlage und zwar eine
frühzeitige oft schon intrauterine Schädigung des Hirns, der Hirn¬
rinde und anderer Teile durch meningoencephalitische und thrombotisch-
embolische Prozesse, durch encephalitische Erkrankungen und in seltenen
Fällen wohl auch durch Agenesien. Pathologisch-anatomisch finden sich
dann die verschiedensten Veränderungen, vor allem Porencephalien,
Mikrogyrien, Defektbildungen, Heteropien der grauen Substanz usw.
Die wichtigsten klinischen Symptome sind spastische Lähmungen, Epi¬
lepsie und Chorea- Athetose und Idiotie. Es gibt nun Fälle, Freud
hat sich namentlich um die Kenntnis dieser Dinge verdient gemacht,
wo im späteren Verlauf Lähmungen schwinden und Epilepsie und Chorea
allein Zurückbleiben. Manche später dann als genuine Epilepsie be-
zeichnete Form hat diese Grundlage, und von der Chorea chronica der
Imbezillen gilt dasselbe. Es versteckt sich hier dahinter die zerebrale
Diplepie.
Unser Patient hat eine schwere Entbindung durchgemacht. Die
Zange mußte dreimal angelegt werden, er war schon im Mutterleib
asj)hyktisch und konnte nach der Geburt nur durch langes Schlagen
und Schütteln zum Atmen gebracht werden. Bald nach der Geburt
fielen choreatische Zuckungen des Gesichts und der Extremitäten auf,
während die linke Seite gleichzeitig etwas gelähmt war. Vom dritten
J ahre an nahmen die choreatischen Zuckungen zu, und in späteren
Jahren nahmen namentlich die Muskeln des Kopfes und Nackens daran
lebhaft teil und führten zu einer enormen Hypertrophie der Nacken¬
muskeln und zu einer beträchtlichen Lordose. Heute besteht noch ein
konstantes Abweichen der Zunge beim Hervorstrecken nach links und
eine geringe Volumensabnahme der linken Extremitäten als letzte Beste
der ursprünglichen Hemiparesis sinistra. Die Chorea zeigt sich heute
vor allem in beständigem häßlichen Grimassieren und Verdrehen des
Kopfes nach den Seiten, nach oben und unten. Außerdem treten noch
langsame choreatisch-athetotische Bewegungen an Armen, Händen und
Fingern auf und der Gang zeigt einen eigentümlichen spastisch-ataktisch¬
schleudernden Charakter. Die Muskulatur befindet sich meist in Hyper¬
tonie und an den Extremitäten treten bei passiven Bewegungversuchen
reflektorische lebhafte Spasmen auf. Der Patient kann nicht sprechen,
versteht aber einfache Aufforderungen. Psychisch ist er imbezill und
leidet außerdem an öfters auftretenden heftigen Erregungszuständen.
Es handelt sich also hier Um allgemeine Chorea mit tonischer Starre,
für die, wie in den meisten derartigen Fällen, ein Hirnschädigung infolge
erschwerter Geburt (Zange!) verantwortlich gemacht werden muß.
982
Eschle,
Pathogenese und kausale Therapie der Oedeme.
Von Medizinalrat Dr. Eschle,
Direktor der Pflegeanstalt des Kreises Heidelberg zu Sinsheim a. E.
(Fortsetzung.)
Große Verwirrung herrscht offenbar hinsichtlich der Beurteilung
des als „Lungenblähung“ bezeichneten Zustandes, den man nicht nur
als eine Krankheit sui generis, sondern in allen Fällen mit dem „Em¬
physem“ für identisch zu halten pflegt.
Das „Volumen pulmonum auctum“, die übermäßige Aus¬
dehnung der Lungen mit Luft als aktiver kompensatorischer
Vorgang ist streng von der atonischen Dilatation, dem pas¬
siven Aufgeblasensein (s /tufvo ctco y inflo, tumefacio) des Em¬
physems zu unterscheiden. Beim Volumen pulmonum auctum
finden wir eine gleichmäßige Verstärkung des In- und Ex-
spiriums, beim Emphysem infolge konstanter Dehnung und
Erweiterung der Lungen alve ölen sowie mehr od er minder fort¬
geschrittenem Schwunde ihrer Scheidewände eine charakte¬
ristische Vermin derung der Inspirations-, mehr aber noch der
Exspirationsfähigkeit.
Wir haben schon gesehen, daß ein gut kompensierter Klappen¬
fehler am linken venösen Ostium bei einem Menschen, der eine mittlere
außerwesentliche Arbeit zu leisten hat, stets mit einer Volumszunahme
der Lunge vergesellschaftet ist. Ja man kann soweit gehen, zu sagen:
Kein Klappenfehler am linken Herzen überhaupt kann ohne
Beteiligung der Lungen, die gewissermaßen das arterielle
Reservoir für den Herzmuskel repräsentieren, au sge glichen
werden.
Wir müssen eben die rein mechanische von der biologischen
Kompensation trennen. Die eine, die konsekutive Hypertrophie des
Herzmuskels, gleicht nur die außerwesentlichen mechanischen Widerstände
aus, — die andere muß auch Ersatz schaffen für die wesentlichen An¬
forderungen an die Bildung der oxygenen Energie und der Wärme, die
jeder Klappenfehler mit sich bringt. Je geringer die außerwesentlichen
Anforderungen sind, desto geringer braucht auch die wesentliche Leistung,
die aktive Hyperämie der Lunge und die ihr entsprechende aktive
Dilatation (die Hyperdiastole) des rechten Ventrikels auszufallen. Die
Größe der Hypertrophie des rechten und linken Herzens entspricht
nur der Größe des durch den Klappenfehler gesetzten mechanischen
Hindernisses, wenn wir den Widerstand für die Strömung des Blutes so
bezeichnen Avollen — die Größe der tonischen Dilatation entspricht
der Mehrforderung an oxygener Energie und Wärme für die Erhaltung
dieser Massenzunahme des Herzmuskels. Sie ist auch in gewissem
Sinne ein Maß für die Leistung von außerwesentlicher Arbeit, da schlie߬
lich jede Form der Arbeit im Organismus an dem Verbrauch von Sauer¬
stoff gemessen wird.
Wenn die Anforderungen an die Leistung so steigen, daß die nötige
Menge von oxygener Energie nicht mehr aufgebracht wird, so tritt die
Kompensationsleistung durch atonische Dilatation ein: das Herz
bleibt auch noch in der Systole erschlafft und eine maximale Kontrak¬
tion kommt nicht mehr zustande. Es ist klar, daß diese Form der Dilata¬
tion ebenfalls stets mit einer Hyperämie der Lunge vergesellschaftet sein
muß. Denn da die ihr vorausgehende tonische Dilatation (dilatative
Pathogenese und kausale Therapie der Oedeme.
983
Hypertrophie) mit einer Blutüberfüllung in den Lungen verknüpft war,
muß diese nicht nur bestehen bleiben, sondern sie kann unter Umständen
noch vermehrt werden, nämlich dann, wenn der linke Ventrikel vor
dem rechten erlahmt. Jedenfalls aber ist diese Form der Blutüber¬
füllung von der mit der tonischen Dilatation verknüpften Hyperämie
völlig verschieden (wie das, abgesehen von allen andern klinischen Symp¬
tomen gestörter Kompensation, schon der Nachlaß der Verstärkung des
Puhnonaltones anzeigt).
Volle biologische Kompensation kann also nur bei tonischer Er¬
weiterung des linken und rechten Ventrikels bestehen. Und diese letztere
ist der Ausdruck der gesteigerten Tätigkeit der Lungen. Die Vergröße¬
rung der mechanischen und chemischen Arbeit im Lungenkreislauf und
im Lungengewebe ist auch hier wieder charakterisiert durch die Zunahme
der Atmungsfähigkeit, durch die gleichzeitige Beschleunigung und Ver¬
tiefung der Atemzüge, sowie durch die sich bald einstellende Lungen¬
blähung, des Analogon der aktiven (tonischen) Dilatation. Hier ist
trotz des anscheinenden Tiefstandes der Lunge die respiratorische Ex¬
kursion noch geradezu maximal, wie die Beobachtung der Zwerchfell-
bewegung erweist.
Es gibt nach allem kaum einen Fall von ausgesprochener
Arteriosklerose, in dem nicht mehr oder minder auch Lungen¬
blähung vorhanden wäre. Und diese Erscheinung ist besonders
dann stark ausgeprägt, wenn die Leistungsfähigkeit für äußer¬
wesentliche Muskelarbeit stark in Anspruch genommen wird.
Allerdings können sich die Begleiterscheinungen der Arteriosklerose bzw.
der schließlich zu dieser Veränderung am Gefäßsystem führenden Prozesse
in zwiefacher Art am Atmungsapparat äußern. Es kann zunächst — das
betrifft aber nur die Anfangsstadien und ganz leichte Fälle — zu einer
bloßen Veränderung des Atmungstypus kommen, entsprechend der
Erscheinung am Zirkulationsapparat, die man als Pulsarhythmie bezeichnet:
sie tritt bald als Symptom vorübergehender Zirkulationsstörung auf, bald
als solches weit ausgedehnter Veränderungen an den Gehirngefäßen (im
letzteren Falle als „zerebrales Asthma“) in ausgeprägteren, ja eigentlich
in meisten Fällen mit ausgeprägtem Chey ne-Stokes’schem Typus, für
den mit dem Schlagworte „Sauerstoffmangel“ natürlich alles nur keine
ausreichende Erklärung ausgegeben ist. Es kommt aber auf der anderen
Seite auch zu jener nachweislichen Veränderung der Lunge, zu dem
Zustand Akkomodation, die wir Lungenblähung nennen.
Die Lungenblähung auch bei der Arteriosklerose geht geAvöhnlich
parallel mit den Erscheinungen am Herzen, ja es besteht sogar meist
schon längst ein mäßiger Grad von Volumen auctum, bevor die ersten
Zeichen der Kompensationsstörung am Herzen bei größeren Anforde¬
rungen oder gar dauernd sichtbar werden Allerdings wird oft eine
isolierte Vergrößerung der Lungen dadurch vorgetäuscht, daß sich
manifeste Erscheinungen am Zirkulationsapparate nicht nachweisen lassen,
sei es, daß die Herzdilatation gegenüber der — durch die gewöhnliche
und auch die palpatorische Perkussion schwer nachweisbaren — Hyper¬
trophie zurücktritt, sei es, daß durch die Lungenblähung an sich die
aus der Vergrößerung der Herzhöhle und den Veränderungen des Spitzen¬
stoßes resultierenden Zeichen der Hypertrophie verdeckt werden. Durch
hohe Grade der Lungenblähung wird der Zusammenhang der Erschei¬
nungen insofern verdunkelt, als der Nachweis der Vergrößerung des
Herzens, sowie der der veränderten Besistenz des Spitzenstoßes und auch
984
Esclile, Pathogenese und kausale Therapie der Oedeme.
der Verstärkung des zweiten Aortentones wesentlich erschwert wird.
Und gerade derartige Fälle haben die Grundlage für die Annahme ge¬
liefert, daß die Hypertrophie des (linken und) rechten Ventrikels erst die
Folge des „Emphysems“ sei, die notwendigerweise durch die Widerstände
im Lungenkreislauf und die sogen. Kohlensäure- Anhäufung im Körper
hervorgerufen werden müsse. In solchen Fällen dienen oft nur das
krankhafte Aussehen des Patienten, die abnorme Fülle und Spannung
des Pulses, die eigentümlichen dyspnoischen Anfälle und die Anamnese,
welche keinen Anhaltspunkt für das Entstehen eines angeborenen oder
erworbenen Emphysems gibt, zur Stützung der Diagnose, die sonst ge¬
wöhnlich auf reines Emphysem mit sekundärer Beteiligung des Gefä߬
apparates gestellt wird. Eine eingehende und wiederholte Prüfung wird
aber stets, wenn die Aufmerksamkeit des Beobachters auf diesen Punkt
einmal gerichtet ist, auch ergeben, daß entweder die manifesten Ver¬
änderungen am Herzen, speziell eine Hypertrophie des linken
Herzens der Veränderung an der Lunge entweder vorausgeht, oder daß
beide Symptomenreihen sich gleichzeitig als Produkt eines und desselben
Reizes ausbilden, daß es sich also bei der Lungenblähung —
mindestens in einem sehr großen Teil der Fälle — um eine
kompensatorische Funktionsleistung handelt, indem durch die
tiefe Atmung (energische respiratorische Exkursionen und
dauernde Volumszunahme der Luftreservoirs) das dem Orga¬
nismus aus der Steigerung der Reize einer bestimmten Kate¬
gorie erwachs ende Bedürfnis an Sauerstoff gedeckt werden
m u ß.
Die erwähnte linksseitige Herzhypertrophie ist ein Korrelat des
die Arteriosklerose im großen Kreisläufe bedingenden Ausfalls an lokaler
mechanischer Leistung im Protoplasma. Sie ist aber nicht imstande, wo
es sich auch um Veränderungen des chemischen Teiles der Arbeit
handelt, völligen Ausgleich zu bewirken. Zu voller Kompensationsleistung
für den mit stärkeren außerwesentlichen Reizen arbeitenden Organismus,
also bei vermehrtem Bedarf an Spannkraftmaterial und Energie, gehört
auch die Vermehrung des Schlagvolumens des linken Herzens, die in
der tonischen Dilatation (Hyperdiastole) zum Ausdruck kommt. Und
da natürlich eine Vermehrung der Blutquantität des linken Ventrikels
nur durch entsprechende Vermehrung der Leistung des rechten Herzens
geliefert werden kann, da die vermehrte Blutmenge zu ihrer Verarbeitung
auch eines größeren Quantums in der Lunge intensiv verarbeiteten
Sauerstoffs bedarf, so erfolgt vor allem jene Verstärkung der Tätigkeit,
die nicht identisch ist mit einer bloßen Steigerung der Luftbewegung
durch Beschleunigung der Atmung, sondern die eben, weil es sich hier
auch um eine Vermehrung der wesentlichen (sekretorischen), wie um
eine Steigerung der außerwesentlichen (mechanischen) Arbeit der Lunge
(Aufnahme und Bewegung des Luftvolumens) die Vergrößerung der
respiratorischen Exkursion, die Vertiefung der Inspiration zur Voraus¬
setzung hat.
Eine Rückbildung der Lungenblähung ist hier übrigens temporär
noch möglich und oft zu beobachten, wenn eine Zeitlang stärkere
Körperbewegungen vermieden und auch sonst ein zweckmäßiges Ver¬
halten beobachtet wird. Die verstärkte Atmung und mit ihr die Lungen¬
blähung tritt aber mit Fortschreiten des Grundleidens wieder auf oder
sobald größere Anforderungen an die Herztätigkeit gestellt werden: die
Anomalie wird dann allmählich zu einer dauernden.
Ehrmann u. Fuld, 26. Kongreß für innere Medizin zu Wiesbaden.
985
Aus der dauernden tonischen Dilatation der Lungen kann die
atonische, das eigentliche Emphysem hervorgehen.
Die atonische Dilatation ist zwar auch mit dem Tiefstand des
Zwerchfells verbunden, aber hier ist bereits eine Verringerung der respi¬
ratorischen Exkursionen erfolgt, und es besteht deshalb eine mangel¬
hafte Kompensation für die außerwesentlichen Anforderungen,
als deren Zeichen Dyspnoe, Zyanose, unter Umständen auch Ödeme usw.
auftreten.
Nicht also von dem Bestehen oder Nichtvorhandensein
einer Lungenblähung oder eines Emphysems (im engeren
Sinne) hängt das Auftreten von Ödemen ab, sondern von der
Art ihm zugrunde liegenden primären Leidens und dem Grade
seiner Kompensation. (Schluß folgt.)
26. Kongreß für innere Medizin zu Wiesbaden.
19.— 22. April 1909.
Berichtserstatter: Dr. Ehrmann und Dr. Ful(l.
(Fortsetzung.)
7. Sitzung vom 22. April 1909, vormittags.
Vorsitzender: Schultze-Bonn.
Friedei Pick-Prag: Uber periodische Schwankungen der
Herztätigkeit.
Bei der Untersuchung von zu begutachtenden traumatischen Fällen
ist dem Vortr. mitunter eine periodische Zu- und Abnahme der Frequenz
und Intensität des Pulses auf gef allen, die im Sphygmogramm der Cubi-
talis sich als wellenförmige Schwankungen geltend macht. Diese sind
ganz unabhängig von der Atmung, umfassen 15—20 Pulse, im Wellental
sind die Pulse höher und länger als am Wellenberge. Über derartige!,
von der Atmung unabhängige Schwankungen ist für den Menschen gar
nichts in der Literatur bekannt (mit Ausnahme einer nebenbei gemachten
Bemerkung Kneifs), während beim Tier viele Arten solcher Wellen
beschrieben sind (Traube-Hering, S. Mayer u. a.), allerdings meist
unter besonderen experimentellen Bedingungen (Curare, Vagotomie usw.).
Während diese von den Experimentatoren wegen der angeblich dabei
stets gleichmäßigen Herztätigkeit meist auf Beeinflussungen des Vaso¬
motorenzentrums bezogen wurden, kommt P. durch Analyse der Sphygmo-
gramme zu der Annahme periodischer Schwankungen in den, dasi Herz
regulierenden Nervenzentren in der Oblongata, wie sie nach Traumen
des Nervensystems in anderen Gebieten beobachtet sind. Daß diese
Schwankungen bisher nicht beschrieben wurden, liegt vielleicht daran,
daß sie nur an den längeren Kurven des Kygmographions deutlich
w erden ; weitere Beobachtung muß lehren, ob sie nicht vielleicht als
objektives Zeichen traumatischer Erkrankungen des Nervensystems ver¬
wertet werden könnten.
Diskussion.
Sahli- Bern erklärt, daß ihm derartige Schwankungen wohl be¬
kannt sind und bei Benutzung seiner sphygmobolometrischen Methode
besonders schön hervortreten.
Hering -Prag: Die auf genommenen Kurven zeigen die Änderung
der Frequenz. Bei Erhöhung der Frequenz sieht man den Druck
steigen.
986
Ehrmann und Fuld,
End. Funke- Prag : Über rhythmische Schwankungen der
Pulswellenlänge und des Blutdrucks.
H. Adam-Berlin: Zur Viskosität des Plasmas.
Eine Fülle von Viskositätswerten ist an Gesunden und Kranken
gesammelt worden, und doch ist ihre Deutung noch ganz; unklar, weil
die Bedingungen nur ungenügend bekannt sind, welche die Viskosität
verändern. Das Blut besteht aus einer kalloidalen, Eiweiß und Salze in
Lösung haltenden Flüssigkeit, dem Plasma, und den in ihr suspendierten
halbfesten Körperchen. Der Einfluß, den die Zahl, die Größe und der
Hämoglobingehalt der Körperchen auf die Viskosität ausübt, ist ge¬
nügend bekannt, weniger der Einfluß, den Veränderungen des Plasmas
hervorrufen. An der His’ sehen Klinik hat der Vortr. folgende Eesultate
gefunden: Mit zunehmendem Eiweißgehalt steigt die Viskosität rasch an.
Die Salze wirken verschieden. Einige sind positiv viskos, wie Natrium-,
Kaliumchlorid, Bromnatrium u. a., andere negativ viskos, wie Brom¬
kalium und Natrium-, Kalium- und Bubidiumjodid. Die Wirkung auf
Wasser, Binger’sche Lösung, salzfreie Serumalbuminlösung und Plasma
erfolgt in demselben Sinne. Die Viskosität von Hämoglobinlösungen
schwankt nach dem Kohlensäure- bezw. Sauer st off geh alt. Löst man
kristallinisches Hämoglobin in Plasma und leitet C02 ein, dann sinkt
zunächst die Viskosität, um bei weiterer Zufuhr wieder zu steigen.
K oranyi und Ben de haben das für das lebende Blut bereits nachge¬
wiesen. Jenes Minimum der Viskosität zu fixieren ist aus zwei Gründen
wichtig: einmal, weil wir unsere Viskositätswerte unabhängig von jenem
stetig wechselnden Faktor haben wollen, den der Gaswechsel bedingt,
sodann, weil jener Wert gerade für das Kapillargebiet des Körpers
in Frage kommt. Jenes Minimum der Viskosität findet man einiger¬
maßen genau, wenn man Hirudinblut schüttelt bis soeben die dunkle
Farbe des venösjen in die rote des arteriellen Blutes übergeht. Tut
man dies, dann erklären sich manche Differenzen der Viskosität in
der Hauptsache durch den wechselnden Gasgehalt. So fand Deter-
mann Vermehrung der Viskosität nach Muskelarbeit, nach einer kalten
Brause mit guter Beaktion. Mit seiner Methode fand der Vortr. die
Vermehrung nur sehr gering, und diese erklärt sich durch eine gleich¬
zeitige Zunahme der Zahl der roten Blutkörper, die auch Determann
nachwies. 0. Müller und Inada haben am Lebenden eine Viskositäts-
erniederung des lebenden Blutes bei Jodkalimedikation gefunden, was
Determann nicht bestätigen konnte. Der Vortr. hat bei 30 Menschen,
die Jodkali (3 g pro die) nahmen, die Viskosität unter Beachtung'
des Gasgehaltes untersucht und gleichzeitig außer der Viskosität des
Gesamtblutes, die des Plasmas bestimmt sowie die Zahl, die Größe und
den Hämoglobingehalt der roten Blutkörper. 6 mal fand er eine Ver¬
minderung, 2 mal eine Zunahme. Unter den 6 Fällen 4 mal gleich¬
zeitig eine Verminderung der Viskosität des Plasmas, bei den anderen
beiden eine Abnahme des Volumens der roten Blutkörper.
Diskussion.
U mb er -Altona hat auch Hämoglobingehalt und Viskosität in Zu¬
sammenhang gefunden. Bei starkem Diabetes wurde von U. im Koma
ein exorbitanter Wert der Viskosität gefunden.
Salomon und Saxl-Wien: Ein Harnbefund bei Karzinom.
Im Harn Karzinomatöser sind die mit sodaalkalischer Silbernitrat- ■
lösung niederschlagbaren Stickstoffsubstanzen vermehrt. Die Ausschei¬
dung dieser Substanzen beträgt bei normalen oder nicht karzinoma-
26. Kongreß für innere Medizin zu Wiesbaden.
987
tosen Individuen 1 — 31/20/0 des Gesamtstickstoffs, hingegen bei Kar¬
zinomkranken 4 1/2 — 7 °/o- Auch die absolute Menge dieser Substanzen
in der täglichen Harnausscheidung zeigt bei karzinomatösen Individuen
höhere 4Verte als hei nicht karzinomatösen. Sie beträgt im ersteren
Falle 0,250 — 0,950 g Stickstoff, im letzteren 0,120 — 0,250 g. — Die
chemische Natur dieser Substanzen, die dem Allantoin nahestehen, wurde
noch nicht näher untersucht. Es wurde vorderhand nur festgestellt,
daß eine große Anzahl der untersuchten Karzinomfälle eine erhöhte
Ausscheidung dieser Substanzen aufwies, während nicht Karzinomatöse
immer geringere Ausscheidungen aufwiesen. Die Ausscheidung dieser
Substanzen ist immer unabhängig von der Zusammensetzung" der Nah¬
rung und der Kachexie.
Diskussion.
Schitt en heim -Erlangen hat aus großen Mengen menschlichen
Urins kein Allantoin bekommen, dagegen andere stickstoffhaltige Sub¬
stanzen in der Allantoinfraktion. Harnsäure in alkalischer Lösung
mit Wasserstoffsuperoxyd gibt, wie Sch. fand, Tetrakarbonimid, dann
Dikarbonylharnstoff, der als Abbauprodukt bisher nicht bekannt war,
schließlich Harnstoff und Kohlensäure. Die beiden ersten Stoffe sind
wahrscheinlich das, was in die Allan toinfällung hineingeht. Solche
Fällungen solle man aber nicht zu diagnostischen Zwecken heranziehen,
ehe man sie chemisch kenne.
Salomon-Wien weist auf die Kegelmäßigkeit hin, mit der man
diese Fällung bei Karzinom vermehrt finde, auch im Anfangsstadium,
so daß trotz fehlender chemischer Charakterisierung die Reaktion kli¬
nisch von Wert sei.
Liebermeiter-Köln : Über verschiedene histologische Er¬
scheinungsformen der Tuberkulose.
Die tuberkulöse Infektion verläuft nicht nur unter dem als typisch
bekannten histologischen Bilde, sondern es gibt eine untere Grenze der
Infektion, wo der Infektionsreiz nicht mehr spezifisch, sondern nur
als nicht charakteristischer Reiz wirkt, und eine obere, an der die
Infektion so akut und schwer verläuft, daß sie den eitrigen Prozessen
sehr ähnlich ist.
Schott elius-Höchst : Die experimentellen Grundlagen der
spezifischen Therapie der Ruhr.
Rosenthal fand, daß der Ruhrbazillus ein lösliches Toxin bildet.
Dieses Toxin kann, wie der Vortr. untersuchte, zu aktiver Immunisie¬
rung benutzt werden. Am Kaninchen zeigen sich nach der Injektion
des Toxins weniger Erscheinungen am Darmkanal, als vielmehr Läh¬
mung der Extremitäten und Lähmung der Harnblase. Im Rücken¬
mark zeigen sich dabei Hämorrhagien mit Zertörung der Ganglien¬
zellen (Poliomyelitis hämorrhagica mit Sklerosierung). Pferde, die eben¬
falls gegen das Toxin empfindlich sind, können zur Gewinnung von
Antikörpern verwandt werden.
Dieses antitoxische Heilserum wirkt noch besser als die bisherigen
antibazillären Heilsera, deren Wirkung wahrscheinlich größtenteils auf
die Antitoxine zurückgeführt werden müsse, welche auf die bei der
Immunisierung mit Bazillen miteingeführten Toxine sich gebildet haben.
Lü dke -Würzburg : Uber Milztransplant ationen und deren
Folgen für das Blutleben.
Im Milzgewebe eingepflanzt erhalten sich Milzstücke selbst von
anderer Tierart gut ; von Interesse ist es, daß mit dem transplantierten
988 Ehrmann u. Fuld, 26. Kongreß für innere Medizin zu Wiesbaden.
Organteilen immunisierter Tiere bakterizide Eigenschaften auf das
Wirtstier übertragen werden konnten, die sich bisweilen über 3 Monate
noch nachweisen ließen.
Daß auch gut eingeheilte Organe später doch zur Desorption
kommen, beruht wahrscheinlich auf entstandenen Cytolysinen. Solche
Cytolysine konnte der Vortr. wiederholt im Blute der Tiere nachweisen.
Falta gemeinsam mit Benedidt-Boston und Joslin-Boston :
Untersuchungen mit dem Respirationskalorimeter über den
Energieumsatz beim Diabetes mellitus.
Die bisher in der Literatur vorliegenden Untersuchungen über den
Energieumsatz der Diabetiker haben zu keinem einheitlichen Resultat
geführt. Sie sprechen aber eher dafür, daß der Umsatz nicht erhöht
ist. Hingegen haben die Untersuchungen beim pankreaslosen Hund
einen erhöhten Eiweiß- und Fettumsatz ergeben. Für die vorgetragenen
Untersuchungen an Diabetikern, die im Laboratory of Nutrition in
Boston mit dem At water -Bene dict’schen Respirationskalorimeter an¬
gestellt worden sind, war folgende Fragestellung maßgebend : Gibt es
schwere Fälle von Diabetes mellitus, welche trotz reichlicher Zucker¬
ausscheidung im Hungerzustand keine Erhöhung des Umsatzes zeigen ?
Das Resultat läßt diese Frage bejahen. Die Vortr. fanden bei einem
Quotienten D : N von 5 — 3 im Hunger eine Wärmeproduktion, die von
der unter gleichen V erhältnissen beobachteten Wärmeproduktion gleich-
gewichtiger Personen nicht wesentlich abwich. Es zeigt sich hier ein
Unterschied gegenüber dem Diabetes nach Pankreasexstirpation, der
zusammen mit anderen Momenten (kein gesteigerter Eiweißumsatz, ver¬
schiedenes Verhalten der Lävulose, größere Intensität der Zuckerbil¬
dung) als ein prinzipieller anzusehen ist und gemeinsam mit den unbe¬
friedigenden pathologisch-anatomischen Befunden am Pankreas darauf
hinweist, daß beim menschlichen Diabetes die Insuffizienz des Pankreas
gegenüber der gesteigerten Mobilisierung resp. Bildung von Kohle¬
hydraten nur relativ ist.
Diskussion.
We in tr au d -Wiesbaden : Die mitgeteilten Untersuchungen be¬
weisen wohl, daß der hungernde Diabetiker keinen erhöhten Gesamt¬
umsatz hat, und diese Tatsache sowohl wie die, daß der rationell er¬
nährte, keinen oder nur wenig Zucker ausscheidende Diabetiker keinen
gesteigerten, sondern sogar oft einen auffallend geringen Nahrungs¬
bedarf hat, stimmt damit gut überein.
Es muß demgegenüber aber doch auf die Tatsache hingewiesen
werden, daß schwere Diabetiker bei nicht rationell gestalteter frei
gewählter Diät oft lange Zeit eine Kost von solchem Energiewert zu sich
nehmen, daß auch nach Abzug der von dem ausgeschiedenen Harn¬
zucker repräsentierten Kalorienmenge die Kalorienzufuhr noch über¬
mäßig groß ist. Und trotzdem nehmen sie an Gewicht ab. Es scheint
nicht zulässig, den offenbar gesteigerten Gesamtumsatz, der hier vor¬
liegt, allein mit der spezifisch-dynamischen Wirkung des in der Kost
allerdings reichlich enthaltenen Eiweißes zu erklären. Vielmehr muß
man sich fragen, ob der nicht rationell und überreichlich ernährte
zuckerausscheidende Diabetiker .nicht — trotz der vorliegenden Hunger¬
versuche — doch einen gesteigerten Umsatz hat.
(Schluß folgt.)
Referate und Besprechungen.
989
Referate und Besprechungen.
Innere Medizin.
Aus der Diphtheriestation der chirurgischen Klinik Zürich (Krönlein).
Diphtherie und Heilserum.
(Ph. Schönholzer. Korrespondenzbl. für Schweizer Ärzte, Nr. 8 u. 9, 1909.)
Schönholzer’s flott und anziehend geschriebene und von vorurteils¬
freiem, objektiven Denken zeugende Arbeit sei an dieser Stelle kurz be¬
sprochen, weil sie sich weitgehend mit der in den F. d. M. 1908,. Nr. 29
ausgesprochenen Anschauung des Ref. deckt.
Sch. verwertet ein Material von 2322 Diphtheriefällen aus den Jahren
1881 — 1908, also 14 Jahre vor und 14 Jahre nach Einführung des Serums.
Beim Vergleich der Resultate gelangt er zu dem Schluß, daß das Serum
die Diphtherie keineswegs zu einer überwundenen Krankheit gemacht habe,
wie manche Enthusiasten behaupten. Sowohl die Zahl der operativen als die¬
jenige der Todesfälle war trotz Anwendung von bis zu 8000 Einheiten immer
noch hoch: Die Gesamtmortalität betrug 13,3%? von den 25,5% operativen
Fällen endigten 32 vom Hundert letal.
Allerdings betrug die Gesamtmortalität der Vorserumperiode in der
Klinik 39,9%; jedoch betont Sch. energisch, daß es sich hier früher um
ein ganz an de ros Material handelte. „In der Vorserumperiode kamen
durchweg schwere, meist mit Krupp komplizierte Diphtherien, deren Dia¬
gnose infolge der ernsten Symptome zweifellos war, zur Klinik, in der
Serumzeit dagegen viele leichte Fälle, einfache Tonsillardiphtherien (z. B. bei
Arbeiterkindern, die oft nur wegen der Einspritzung ins Spital geschickt
wurden), deren diphtheritische Natur mehr durch den bakteriologischen Nach¬
weis der Löfflerbazillen als durch die klinischen Erscheinungen festgestellt
wurde. — So erklärt sich auch der Umstand, daß die Serumperiode 650 Fälle
mehr aufweist als die Vorserumperiode. — Daß auf diese Weise das Serum
gute Erfolge hat, die die Statistik verschönern, ist einleuchtend.“
Direkt für das Serum scheint Sch. nur die Tatsache zu sprechen,
daß die Sterblichkeit der Operierten seit 1895 fast konstant kleiner ge¬
blieben ist als früher. Andererseits ist aber in Zürich seit 1895 auch keine
schwere Epidemie mehr aufgetreten. „Im Kampf mit ernsten Epidemien
haben wir das Serum noch nicht gesehen — , hoffen wir, daß es uns bei
der Wiederkehr schlimmer Zeiten nicht im Stich läßt!“ (vgl. hierzu die
1898 er, trotz Injektion von 8000 Einheiten erreichte Mortalität von 32% in
Köln, M. m. W. 1908, Nr. 38, Ref.).
Der Abfall der Krankenhausmortalität von 40 auf 13% ist also auch
nach Schönholzer im wesentlichen der gegen die Vorserumzeit weit gün¬
stigeren Qualität des Krankenmaterials zuzuschreiben, indem jetzt auch viele
leichte Fälle ins Krankenhaus kommen.
Die Rolle des; Serums erscheint aber noch um so zweifelhafter im Hin¬
blick auf den am 9. Juni 1909 von J. Meyer in der Berl. meid,. Gesellsch'.
gehaltenen Vortrag:
Nachdem noch am 17. Juni 1908 Baginski dort die Diphtherie als eine
durch die Serum therapie überwundene Krankheit bezeichnet hatte, zeigte
jetzt Meyer (ebenso wie Morgenroth) auf Grund von Tierexperimenten,
daß bei „schweren“ Fällen die bisher üblichen 3 — 5 — 8000 Einheiten unwirk¬
sam und intravenöse Injektion von 30 bis 50000 Einheiten nötig sei..
Da nun also das bisherige Serum bei den bekanntlich von selbst
heilenden „leichten“ Fällen überflüssig, bei den „schweren“ aber wirkungslos
war, so sind seine vielgerühmten Erfolge illusorisch, und wir stehen in der
Tat, wie Heubner in der Diskussion betonte — „vor einer neuen Ära, der
Serumtherapie“. —
Weiter hören wir aber dann von Schönholzer, daß er in 90 Fällen
des Vergleichs wegen nicht geispritzt und doch Heilung erzielt hat.
990
Referate und Besprechungen.
Es handelte sich meist um Kinder mit echter, mittelschwerer Rachendiphtherie
und teilweiser Beteiligung der Nase. ,,Ich gestehe“, sagt Sch., ,,daß mich
häufig der rasche Heilungsverlauf überraschte und daß der Reinigungs¬
prozeß sich in gleicher Weise und in derselben Zeit vollzog wie bei den
Eingespritzten. Auch war das Allgemeinbefinden nicht erheblicher gestört,
und niemand würde bei Durchsicht der Krankengeschichten ent¬
scheiden können, ob mit oder ohne Serum behandelt wurde“.
Diese und ähnliche Beobachtungen im Verein mit der Überlegung,
daß es sich bei der Serumtherapie doch um. eine, von allem natürlichen
Geschehen so enorm abweichende Behandlung kranker Menschen mit dem
künstlich gewonnenen und artfremden Serum künstlich krank gemachter Tiere
handelt, werden hoffentlich die moderne Heilkunde allmählich zu der Ein¬
sicht führen, daß wir nie „für die tausenderlei verschiedenen Krank¬
heiten ebenso viele spezifische Heilmittel“ finden werden, daß
wir überhaupt nicht unsere Krankheiten „per procuram“ durch
Pferde usw. überstehen lassen können, sondern vielmehr nur da¬
für zu sorgen imstande sind, daß unser Organismus durch eine
gesundhei tsgefnäße Lebensweise befähigt wird, die eventl. nöti¬
gen Antitoxine selbst zu produzieren. Esch.
Diphtherie-Serum bei Erysipelas.
(J. G. Apostoleanu. Spitalul, 1. Februar 1909. — Bull, med., Nr. 21, S. 245, 1909.)
Im großen Krankenhaus von Bukarest bekommen seit einiger Zeit
alle Patienten mit Erysipelas große Quantitäten von Diphtherie-Serum in¬
jiziert und sind dann nach durchschnittlich drei Tagen wieder hergestellt.
Diese Notiz ist nicht neu, aber immer wieder interessant, für die
Lehre von der Spezifität der Sera mit allen darauf aufgebauten Hypo¬
thesen freilich nicht gerade bequem. Buttersack (Berlin).
Diphtherie-Serum bei Asthma.
(H. F. Gillette. Therap. Gaz., 15. 3. 1909. — Bull, med., Nr. 28, S. 329, 1909.)
Das Diphtherie-Serum wird immer interessanter: es hilft nicht bloß
bei Diphtherie, sondern auch bei manchen Affektionen gänzlich anderer Art,
jetzt auch bei asthmatischen Zufällen; wenigstens berichten das amerikanische
Doktoren. Allein noch merkwürdiger ist es, daß dieses Heilmittel gelegent¬
lich — und zwar nicht allzuselten — höchst fatale Nebenwirkungen ent¬
falten kann. In relativ kurzer Zeit konnte Gilette 28 Fälle zusammenstellen,
in welchen bei Patienten mit Asthma bronchiale, cardiale oder Heufieber die
Diphtherieserum-Injektionen schwere Kollapszustände hervorriefen; 15 davon
sind sogar gestorben. Nun wird wohl niemand mehr zweifeln, daß das
Diphtherie-Serum wirklich eine wirksame Substanz sei.
Buttersack (Berlin).
Große Serumdosen bei schweren Anginen und diphtheritischen Lähmungen.
(H. Mery, B. Weill-Halle u. Parturier. Bull, med., Nr. 34, S. 405, 1. Mai 1909.)
Die 3 Assistenten von Marf an, der kein großer' Anhänger des Diphtherie-
Serums ist, haben auf seinen Rat die Angina- und Diphtheriekinder fortgesetzt
unter Serum gehalten, in der Art, daß zunächst täglich 40, 50, G0 ccm inji¬
ziert wurden und — nach Abstoßung der Membranen usw. — alle 1 bis 2 Tage
10—20 ccm; manche Kinder haben auf diese Weise 500 ccm Serum bekommen.
Im Winter 1908/09 haben sie in der Marf an’schen Klinik keinen Todesfall
gehabt, wohl aber 18 Paralysen, von denen jedoch nur 3 schwer waren.
Überempfindlichkeitssymptome, Serumkrankheit u. dgl. sind nicht aufgetreten.
Leider haben die 3 Verfasser vergessen, anzugeben, wie viele Kinder
im ganzen behandelt worden sind, so daß. ihr subjektiver Eindruck (l’emploi
du serum systematique . . . . a paru donner des resultats favorables) unkon¬
trollierbar bleibt. Buttersack (Berlin).
Referate und Besprechungen.
991
Lebensalter und Serumkrankheit.
(Marfan u. Oppert. Soc. de Pediatrie, 20. 4. 1909. — Bull, med., Nr. 32, 1909.)
Die beiden Kliniker hatten den Eindruck gewonnen, daß ganz kleine
Kinder höchst selten von Serum-Zufällen befallen wurden. Ihre daraufhin
durchgesehene Statistik, welche sich auf 2682 Fälle in den letzten 4 Jahren
erstreckt, ergab, daß
bei Kindern
von
1—
6 Monaten
die
Serumzufälle
in
4
°/o
7
n
V
7—
■12
71
71
7
5
7
n
n
7
1—
- 2 Jahren
7
71
7
11,8
7
7
7
7
2-
- 6
71
71
7
13
7
7
71
71
6—
15
7 )
7
7
13,4
7
auftraten.
In Weiterführung dieser Statistik fügte Leroux hinzu, daß in der
Pestabteilung in Frioul 44,7% der mit Pestserum behandelten von — oft
höchst unangenehmen und langdauernden Zufällen heimgesucht würden.
Buttersack (Berlin).
Künstliche Roseola.
(Chauffard u. J. Troisier. Soc. de Biol., 27. März 1909.)
Die beiden Forscher haben ganz dünne Lösungen des Merck’schen
Typhus-Toxins intra- bezw. subkutan tropfenweise injiziert und dann typische
Roseolaflecke erhalten, genau so wie sie bei Typhösen auftreten ; nur daß sie
schon nach 24 bezw. 48 Stunden wieder verschwunden waren. Sie erklären
die verschieden lange Dauer damit, daß in dem einen Falle nur das — relativ
leicht zu beseitigende Toxin, im andern dagegen die lebendigen Toxinbildner
in der Haut sitzen. Buttersack (Berlin).
Ueber das Funktionieren des Darms bei Typhus.
(Olm er u. Monges. Province med., Nr. 2, 1909. — Tribüne med., Nr. 13, S. 204, 1909.)
Die beiden Autoren haben gefunden, daß das Fett der Milch von
Typhuskranken — wenn nicht ebenso gut wie von Gesunden, so doch immer¬
hin viel besser ausgenutzt wird, als man gemeinhin annimmt; die anderen
Fette dagegen weniger gut, und zwar offenbar infolge von Störungen der
Verseifung, wofür Olmer und Monges das Pankreas verantwortlich machen.
Gelatinekapseln mit Natr. salicyl. (0,25 und 0,5 g) wurden ebenso
prompt wie von Gesunden aufgelöst und der Inhalt resorbiert.
Das Resultat der Mitteilung wäre also dieses, daß der Darm Typhöser
erheblich leistungsfähiger und lange nicht so schwer erkrankt ist, als sich!
die Allgemeinheit vorstellt. Man kann daraufhin geneigt sein, dieses Funk¬
tionieren auszunützen und dem Kranken geeignete Speisen zuzuführen. Das
klingt freilich ketzerisch; allein ebenso w;i,ei andefre Ärzte habe guch ich
bis jetzt nur günstige Erfolge von einer vorsichtigen Ernährung gesehen.
Die Furcht vor Rezidiven schreckt den nicht, der weiß, daß solche auch
bei der sog. absoluten Diät, d. h. beim Fastenlassen, auftreten. Auf der
andern Seite verschlechtert paan sic)i selbst 'die Situation, wenn (man zu
dem gesteigerten Stoffverbrauch während des Fiebers noch die Gefahren
der Inanition hinzufügt. Buttersack (Berlin).
Ein unter dem Bilde einer Miliartuberkulose verlaufener Typhus.
(F. Theodor, Königsberg i. Pr. Archiv für Kinderheilk., Bd. 49, H. 5 u. 6.)
Th. berichtet über einen atypisch verlaufenen Typhus, der erst bei
bakteriologischer Untersuchung in der Rekonvaleszenz erkannt wurde und
der trotz von der Norm abweichender Typhusdiät in vollkommene Heilung
überging. Reiss (München).
992
Referate und Besprechungen.
Ueber Ankylostomiasis.
(O. Henggeier. Zentralblatt für Schweizer Aerzte, Nr. 11, 1909.)
An dem Aufsatze sind von besonderem Interesse die Erfahrungen, die
Henggeier in Deli an den chinesischen und javanischen Plantagearbeitern
gemacht hat, von denen eine große Anzahl an Ankylostomen erkrankt war.
Da bei den schweren Formen Herzbeschwerden und allgemeine Ödeme häufig
sind, so wurden diese Fälle häufig mit Beriberi verwechselt, ja, es ist so¬
gar mehrfach versucht worden, Beriberi auf Ankylostoma zurückzuführen.
Als wirksamste Kur erwies sich die Anwendung von Thymol in Dosen von
6—8 g nach einer fünftägigen Abführkur mit Karlsbader Salz. Thymol
wurde meist gut vertragen, und die Erholung erfolgte rasch, nur in schweren
Fällen zog sich die Genesung in die Länge.
Prophylaktisch wurde die Krankheit durch Behandlung aller Wurm-
träger und durch Verabreichung von Tee an Stelle des ungekochten Wassers
bekämpft. Natürlich .wurde sie nicht ausgerottet, da der Kuli noch un¬
reinlicher ist als der deütsche Grubenarbeiter. Die Anwendung des Tees!
zeigt jedenfalls, daß man auf den Sundainseln auch der Infektion vom
Mund aus noch Wichtigkeit beilegt und sich von der Looss’schen Ansicht,
daß fast ausschließlich von der Haut aus Infektion erfolge, nicht über¬
zeugt hat. Fr. von den Velden.
Aus dem Institut für Schiffs- und Tropenkrankheiten in Hamburg.
Die Therapie der Malaria.
(Prof. Dr. Nocht. Deutsche med. Wochenschr. Nr. 12, 1909.)
Aus den Beobachtungen, die Schaudinn über die Wirkungen des
Chinins auf die Malariaparasiten im menschlichen Körper gemacht hat, geht
einmal hervor, daß eine Malariainfektion nicht durch einmalige, auch nicht
zwei- und dreimalige Dosen von Chinin zu heilen ist, weiter, daß die Makro¬
gameten, die weibliche Geschlechtsform der Parasiten, die langgesuchte Latenz¬
form zwischen Erstlingsinfektion und Rezidiven bilden. Aus der Un¬
empfindlichkeit dieser Form gegen Chinin erklärt sich die Unmöglichkeit,
bei damit behafteten Kranken Rezidive zu verhüten. Weiter ist es dringend
erforderlich, möglichst zeitig mit der Chinintherapie z!u beginnen, da sich
die Makrogamete schon sehr früh, nach dem zweiten oder dritten Anfalle,
bilden können. Endlich ist die beste Zeit für die Chinindarreichung die
unmittelbar vor und während der ersten Stunden nach dem Froststadium,
eines Anfalles.
Die Zahl der Methoden der Chinindarreichung ist unendlich groß.
Nocht hat sich zunächst der von den deutschen Tropenärzten geübten Art
angeschlossen, nur mit einigen Modifikationen. Er gibt bei Erwachsenen
möglichst nur volle Grammdosen, aber nur einmal am Tage und beginnt
in fieberfreier Zeit einige Stunden vor dem vermutlichen Eintreten des!
Fieberanfalls, oder wenn dies nicht vorauszusehen, möglichst bald nach
dem Abklingen des gerade bestehenden Anfalls. Dann wird das Chinin noch
mehrere Tage (6 — -7) weiter gegeben, dann drei Tage pausiert, sodann vier
Tage, dann fünf, sechs und endlich sieben Tage. Zwischen diese Pausen!
werden drei Chinintage a 1 g eingeschoben. In Fällen, wo die großen
Dosen nicht vertragen wurden, gab er das Mittel in kleineren, öfters wieder¬
holten Dosen, aber so, daß die Gesamttagesdosis 1 g betrug. Da dies gut
vertragen wurde, gibt Nocht in der letzten Zeit sofort nach der Diagnose¬
stellung auch während des Fiebers das Chinin in Form von 0,2 g fünfmal
tgl. und verfährt im übrigen nach dem o'ben angegebenen Modus. Aus
einer Zusammenstellung der Fälle mit Grammdosen und der mit den kleinen
Dosen ergibt sich kein Unterschied in der Wirkungsweise. Unangenehme
Nebenwirkungen wurden bei der neuen Methode gar nicht beobachtet. Da¬
bei ist zu bemerken, daß seine Fälle in bezug auf Schwere denen in den
Tropien nicht nachstehen.
Referate und Besprechungen.
993
Die Chininpräparate selbst sind nicht gleichartig. Nocht empfiehlt die
freie Chininbase, das salzsaure Chinin, das Chinabisulfat und das Chinintannat
in Form von Schokoladeplätzchen, letzteres aber nur dann, wenn es sicher
den Anforderungen des deutschen Arzneibuches entspricht. Die Brauchbar¬
keit der Tabletten und Pillen ergibt sich daraus, daß sie in Wasser binnen
wenigen Minuten sich auflösen. Die Chininderivate, von denen nur das
1 Vs mal schwächere Euchinin in Frage kommt und die Ersatzmittel, unter
denen das sehr langsam wirkende Methylenblau zu nennen ist, sind sämt¬
lich dem Chinin, nicht gleichwertig. Was die subkutane oder intramuskuläre
Injektion des Chinin anbetrifft, so hat sie neben der schwer, vermeidlichen
Abszeßbildung vor allem den großen Nachteil, daß die Resorption viel lang¬
samer vor sich geht, als bei der Darreichung per os. Nur eine Lösung ist
empfehlenswert, der Urethan zugesetzt ist. Nach Giemsa lautet das Rezept
folgendermaßen: Chinin mur. 10 g, Aqu. dest. 18 g, Aethylurethan 5 g.
Die Lösung wird in Ampullen gefüllt und zwar am besten so, daß jede
1,6 ccm enthält. (1,5 ccm enthält 0,5 Chinin.) Die Injektion ist schmerzlos,
die Resorption geht rasch vor sich. Eine Kontraindikation gegen Chinin gibt
es nur bei schwerer Chininidiosynkrasie und bei Disposition zu Schwarz¬
wasserfieber. Hier muß man durch Methylenblau zu helfen suchen.
Die symptomatische Behandlung richtet sich gegen Aufregungszustände,
die durch Morphium bekämpft werden. Erbrechen hört gewöhnlich mit der
Chininwirkung auf, oder man gibt Jodtinktur 1 Tr. auf ein Weinglas Wasser.
Ziemann wendet folgendes Rezept an: Chloroform 10,0, Gummi arabic. 10,0,
Zucker 20,0 in einem Mörser zerrieben und mit Aqua ad 200,0 versetzt. Vor
dem Gebrauch gut umschütteln. Man gibt davon 1 — 2stdl. 1 Teelöffel bis zu
1 Eßlöffel. Bei Auftreten von Nervosität empfiehlt sich Rückkehr in die
Heimat, in der zunächst eine gründliche Chininkur erforderlich ist. Daran
schließt sich dann erst Bade- und Kuraufenthalt. F. Walther.
' Universal-Äeidimeter.
(H. Citron, Berlin. Zeitschr. für Krankenpflege, Nr. 2, 1909.)
Der Apparat dient zur Bestimmung und unmittelbaren Ablesung
der freien Salzsäure und der Gesamtazidität sowohl größerer und mittlerer
wie ganz kleiner Mengen Magensaft, unter Benutzung von Reagenstabletten.
Er besteht aus einem starken Glaszylinder mit drei voneinander ge¬
trennten Gradierungen. Ihm ist ein Glasstab zum Zerkleinern der Tabletten
und ein Fläschchen mit 50 Reagenztabletten beigegeben. Bei Zusatz von
V10 Normalnatronlauge eintretender Farbenumschlag zeigt die Sättigung usw.
an. Fabrikant Schallmeyer & Co., Berlin N. Esch.
Chirurgie.
Narbengewebe, seine Beschränkung und Beseitigung.
(Ch. H. Duncan. Amer. Journ. of Surg., Nr. 5, 1909.)
Die Vorteile einer narbenfreien Technik sind teils kosmetischer Natur,
Narbenschmerzen und Kontrakturen werden vermieden und die Möglichkeit
des Auftretens von Iveloiden wird eingeschränkt. Duncan schneidet die Haut
nicht im rechten Winkel ein, sondern in einem spitzen Winkel von 30° zur
Hautoberfläche, so daß ein Wundrand den anderen deckt; muß aber Haut
exzidiert werden, so legt er beide Hautschnitte schräg, den einen nach links,
den andern nach rechts um 30° von der Vertikalen abweichend, so daß die
Wundränder vor der Naht an der Oberfläche klaffen, er glaubt, daß so die
Ernährung des Wundrands besser ist, weil die Epithelschicht in besserem!
Zusammenhang mit den darunter liegenden Schichten steht. Im allgemeinen
wendet er Drainage erst an, wenn die Wunde sich als infiziert erweist,
nur über sehr fette Gewebe legt er für 24 Stunden ein Drain ein, um das
flüssige Fett abzuleiten. Um die Spannung der Haut zu mindern, legt er
63
994
Referate und Besprechungen.
bei Operationen im Gesicht eine subkutane Matratzennaht aus Katgut, die
Hautnähte aus Seide sind ohne Spannung” und nur 3 mm voneinander ent¬
fernt; hierdurch werden Randnekrosen vermieden. Gesichtswunden werden
nur mit Seidenpflaster bedeckt, dieses nach 24 Stunden abgeweicht und nun
die Wunde täglich mit einem dicken, nicht reizenden Öl verbunden, Coldcreanä
oder Vaseline mit einem kleinen Zusatz von Bienenwachs, hierdurch wird
Ankleben des Verbandstoffs und Bildung von Blutgerinseln verhindert. Täg¬
lich wird die Wunde sanft aber gründlich feucht gereinigt und die Nähte
möglichst früh, vom 5. Tage an, entfernt. Kann die Spannung der Haut
nicht vermieden werden, so werden entlang den Wundrändern durchlochte
Heftpflasterstreifen auf geklebt und wie ein Schuh zusammengeschnürt. Auf
diese Weise wird die Irritation der Wunde möglichst vermieden, was der
wesentliche Punkt bei der Herstellung einer schönen Narbe ist. Die ver¬
wandten Rette werden durch Hitze sterilisiert.
Auf die Erhaltung der Nerven, besonders bei Bauchoperationen, macht
Duncan besonders aufmerksam, werden sie durchschnitten, so leidet nicht
nur die Ernährung, sondern auch der Tonus der Gewebe und Hernien sind
die Rolge.
Ein weiterer Teil der sehr beachtenswerten Arbeit handelt von der
Entfernung der Narben, die als weniger wichtig hier übergangen werden kann.
Fr. von den Velden.
Aus der 1. chirurgischen Universitäts-Klinik in Wien. v. Eiseisberg.
Zur Statistik des Zungenkarzinoms.
(Hans Ehrlich. Archiv für klin. Chir., Bd. 88, H. 2.)
Ohne auf die technischen, vom Verfasser berührten, nicht zu unter¬
schätzenden Fragen an dieser Stelle einzugehen, sei aus den Schlußsätzen
hervorgehoben: Trotz der hohen Operationsmortalität von 25% und der ge¬
ringen Zahl dauernd geheilter (13%) Fälle ist die Operation des Zungen¬
karzinoms in allen Fällen, in Welchen die Aussicht auf radikale Entfer¬
nung besteht, dem Patienten zu empfehlen, da auch in den Fällen, welche
nicht dauernd geheilt bleiben, das Leben um1 mehrere Monate verlängert
wird. Besonders wird davor gewarnt, durch Versuche mit Röntgenbehand¬
lung, mit der direkte Erfolge beim Zungenkarzinom bisher nicht erzielt
sind, den günstigen Zeitpunkt für ein operatives Eingreifen verstreichen!
zu lassen. H. Stettiner (Berlin).
Die Behandlung des Karzinoms mittels Fulguration.
(De Keating-Hart. Klin.-therap. Wochenschr., Nr. 9, 1909.)
Bei des Verfassers Verfahren handelt es sich um eine Vereinigung
der Elektrizität und der Chirurgie ; hinsichtlich ersterer gelangt ein Funke
von hoher Frequenz und hoher Spannung (zwei- bis dreihunderttausend Volts)
zur Anwendung ; daß letztere nicht gefährlich für den Menschen wirkt,
liegt in der hohen Frequenz von Millionen von Schwingungen in der Minute
begründet, die keine tödlichen Erschütterungen zulassen. Diese Funken ent¬
stehen aus Strömen von einer Intensität von 6—10 Amperes auf 60 — 120 Volts
und werden modizifiert durch sukzessives Durchgehen durch einen Trans¬
formator, Kondensatoren und einen Resonator. Die so erzeugten Maximal¬
funken sind von solcher Heftigkeit, daß eine lokale oder allgemeine Anäst¬
hesie bei ihrer Anwendung erforderlich ist. Die Wirkung des Funkens be¬
steht in einer Herabsetzung der Vitalität der neoplastischen Elemente (Side*-
ration). Vereinigt mit chirurgischem Eingriff erfordert die Fulguration eine
allgemeine Narkose. Der chirurgische Eingriff ist der erste, die elektrische
Einwirkung der letzte Akt, auch alternieren beide häufig untereinander, je
nachdem die Sachlage oder die Art und der Sitz des Karzinoms es erfordern ;
doch ist zur Erzielung eines dauernden Erfolges die chirurgisch möglichst
vollständige Entfernung aller Partien des Neugebildes als notwendiges Mini-
Referate und Besprechungen.
995
mum zu betrachten. Die Fulguration zerstört die an der Oberfläche der Wunde
verbieiteten Keime und wirkt auch auf das umgebende und das darunter¬
liegende Gewebe. Die Verlängerung der Eingriffsdauer ist die einzige Er¬
schwerung, welche die Fulguration bedingt. Nach der Blutstillung muß die
Wunde drainiert werden wegen der reichlichen serösen Sekretion, die Wund¬
ränder möglichst vereinigt werden. Die nach der Fulguration sich einstel¬
lende Diapedesis und reichliche Lymphorrhoe bildet einen starken Schutz
gegen Infektionen. — Die Tiefenwirkung des Funkens ist nicht groß, zwei
Zentimeter Zerstörung in die Tiefe sind das Maximum. In dem vom erkrankten
Gebiet abhängigen lymphatischen Netz treten Rückbildung und Stillstand
in der Entwicklung der Drüsen ein oder rasche' Entwicklung mit Abszedie¬
rung und käsigem Zerfall ihres Inhalts. — Manche Sarkome sind gegenüber
dem elektrischen , Funken besonders empfindlich. Bei Karzinomfällen mit
entfernten und multiplen Metastasen wird man nur ausnahmsweise versuchen,
mit der Fulguration die Schmerzen zu lindern. Bei anatomisch inoperablen
Karzinomen ergänzt Verf. die Wirkung des Funkens mit der des Radiums.
Bei den chirurgisch für inoperabel geltenden Karzinomen mit Adhäsionen
in der Tiefe, starker Drüsenbeteiligung und lebhafter Rezidivneigung nach
dem ersten Eingriff hat Verf. mit seinem Verfahren die schlagendsten Er¬
folge gehabt; bei den eigentlichen operablen Fällen ist der einzige Nachteil
die Verlängerung der Heilungsdauer; dafür wird aber die sonst bestehende
Gefahr der Rezidi vierung beseitigt. Die bisherigen Erfolge des Verfassers
und andrer Autoren sind als recht günstige zu bezeichnen. Peters (Eisenach).
Penetrierende Bauchwunde ohne Symptome.
(Ch. Jaeger. Amer. Journ. of Surg. Nr. 5, 1909.)
Ein dreizehnjähriger Junge litt nach einem Sturz an einer Eiterung
an der Seite des Bauchs, Flexion im Hüftgelenk und Spasmus der Wirbel¬
säule nach der gleichen Seite, was ihn aber nicht tarn Umhergehen hinderte.
Er bekam einen Gipsverband zur Stellungskorrektur und die Wunde »wurde
ambulant behandelt. Nach zwei Wochen wurde ein Stück Bleistift, 9 cm
lang, aus der Wunde ausgestoßen, das nach der Lage derselben mit Perfora¬
tion der Bauchhöhle in den Psoas eingedrungen sein mußte. Es erfolgte
jetzt rascher Schluß der Fistel und Verschwinden der Spasmen.
Es muß ein recht gesunder Junge gewesen sein. Fr. von den Velden.
Die operative Behandlung der Perikarditis.
(Ernst Venus. Wiener klin. Rundschau, Nr. 44 u. 45, 1908.)
Die Perikarditis kann nach drei Methoden operiert werden, mittels
Punktion (Parazentese) Inzision des Perikards und Inzision nach
voraufgegangener Resectio costae. Der einzuschlagende Weg wird sich
nach der Beschaffenheit des Exsudates, der Erfolg im wesentlichen nach der
primären, die Perikarditis hervorrufenden Krankheit richten. Bei eitrigem
Exsudat wird man nur die Rippenresektion und daran anschließend die
Perikardiotomie wählen.
Es empfiehlt sich, eine vorsichtige Spülung mit steriler Kochsalzlösung
folgen zu lassen. Der Erfolg ist statistisch nicht zu berechnen. Daß Tuber¬
kulose, Sepsis, Pyämie, Meningitis und ähnliche Allgemeinerkrankungen die
Aussichten auf einen günstigen Ausgang von vornherein sehr gering erscheinen
lassen, ist selbstverständlich. Steyerthal-Kleinen.
Hernien nach Appendizitis-Operationen.
(O. G. T. Kiliani. New- Yorker med. Monatsschr., Nr. 1, 1909.)
Da Mc. Burney’s Gridiron-Operation, die Kocher’s Vorschrift der
physiologischen Schnittrichtung folgt, bei Vorhandensein von Eiter usw.
zwecklos wird, weil das mühsam erhaltene Muskelgerüst dann durch Quer-
63*
996
Referate und Besprechungen.
trennung zerstört werden muß und da auch der Lenn an der -Schnitt Nr. 3
bei Tumoren, gewissen Abszessen usw. unangebracht erscheint, so bevorzugt
Iv. im allgemeinen die pararektale Schnittführung Kämmerers unter mög¬
lichst kurzer Inzision (meist zwei Zoll), minimalster Weich teilquetschung,
Schonung aller Nervenäste und möglichst exakter Etagennaht, bei eitrigen
Fällen bis auf eine kleine Öffnung. Er vermeidet so alle Hernien, außer
in den Fällen, wo der Versuch des Bauchverschlusses infolge von Infektion
mißlingt. Esch.
Der entzündete Hämorrhoidalknoten und seine Behandlung.
(E. Payer. Med. Klinik, Nr. 18, 1908.)
Da es sich bei der Entzündung des Hämorrhoidalknoten meist, wenn
nicht stets, um eine Thrombosierung dieser Gebilde handelt, so empfiehlt Payer
die chirurgische Behandlung des Leidens mit Ausräumung des Knotens unter
Lokalanästhesie. Bezüglich der genau angegebenen Einzelheiten der Technik
muß auf das Original verwiesen werden. — Die Behandlung hatte, ohne daß
P. imstande wäre, Gründe dafür anzugeben in vielen Fällen auch den Nutzen,
daß die Kranken von Rezidiven längere Zeit und zwar Jahre hindurch ver
schon blieben. R. Stüve (Osnabrück).
Die Operation des eingewachsenen Nagels.
(J. E. Jennings. Amer. Journ. of Surg., Nr. 5, 1909.)
Jenningls wirft den herkömmlichen Operationen des eingewachsenen
Nagels vor, daß die Nagelfalte durch Narbengewebe ersetzt wird, das kaum
weniger empfindlich gegen Irritation ist als das entfernte Gewebe. Die von
ihm vorgeschlagene Operation berührt die Nagelfalte nicht, sondern entfernt
einen Teil der Matrix mit einem größeren oder kleineren. Stück Nagel. Die
Inzision läuft vom Winkel des Nagels (auf der erkrankten Seite) schräg
nach oben außen, Nagel und Nagelbett werden in querer Richtung etwa
entlang dem mittleren Teil des Nagelfalzes durchschnitten und die Matrix
der kranken Seite gründlich entfernt, so daß auf dieser der Nagel nicht
wieder wachsen kann, auch keine irritierenden Nagelrudimente gebildet werden
können. Je nach der Blutung wird die Wunde vernäht oder tamponiert,
sie heilt in 8 — 10 Tagen. J. behauptet, mit dieser Operation bessere Resul¬
tate als mit irgend einer anderen zu haben. —
In der vornarkotischen und voraseptischen Zeit betrachtete man den
eingewachsenen Nagel als ein Zeichen 'verschlechterter Konstitution, einet
Anschauung, über die der moderne Chirurg die Achseln bedauernd zuckt,
deren teilweise Berechtigung man aber, wenn man erst einmal darauf auf¬
merksam geworden ist, leicht erkennen wird. Der eingewachsene Nagel
kommt nicht nur von schlechtem, die Zirkulation beeinträchtigenden Schuh¬
werk, sondern auch von einer aus allgemeinen Ursachen schlechten Gewebs-
ernährung, an diesem exponiertesten Posten der Blut- und Lymphzirkulation
— man denke nur an die Gichtkonkremente, die sich auch gerade die große
Zehe als ersten Platz ausgesucht haben. Daher die mangelhaften Heilungs¬
resultate trotz gründlicher und chirurgisch einwandfreier Operation. Gegen
diese Benachteiligung der großen Zehe wird wohl auch die Jennings’sche
Operation nicht immer aufkommen. Ref. hat bei ungesunden Personen den
eingewachsenen Negel ohne örtliche Maßnahmen nur bei weiteren, die Knickung
im Tarsometatorsalgelenk vermeidenden Schuhen und bei Besserung von Kon¬
stitutionsanomalien heilen sehen und hält bei Schwindsüchtigen, Zucker¬
kranken oder sonst Heruntergekommenen die Operation für verfehlt.
Fr. von den Velden.
Referate und Besprechungen.
997
Aus der chirurgischen Abteilung des städtischen allgemeinen Krankenhauses Linz a. D.
Primärarzt: Dr. Brenner.
Osteotomie des Keilbeins bei Hallux valgus.
(Herrmann Riedl. Archiv für klin. Chir., Bd. 88, H. 2.)
Es gibt kaum ein Leiden, das so verbreitet ist, wie der Llallux valgus.
Nicht ausschließlich, wenn vielleicht auch in der Mehrzahl der Fälle, ist un¬
zweckmäßige Fußbekleidung die Ursache für denselben. Auch fehlerhafte
Keimanlage, intrauterine Druckverhältnisse, Vererbung, endlich Prädisposi¬
tion (Schwäche der Fußmuskeln, Bänder und Knochen, Rhachitis) spielen
bei seiner Entstehung eine Rolle. Während bei den leichten Graden des
Leidens die unblutigen, einfach redressierenden Methoden zur Anwiendung
kommen, muß bei hochgradigen und hartnäckigen Beschwerden ein opera¬
tives Verfahren eingeschlagen werden. Nach Ansicht des Verfassers haben-
aber die bisherigen operativen Methoden deshalb keinen vollen Erfolg erzielt,
weil sie zwar die starke Köpfchenvorragung des Metatarsus I und die Val-
gusstellung der Großzehe ausglichen, nicht aber die abnorme Abduktions¬
stellung des Metatarsus beseitigten. Nur Loison hat einen diesbezüglichen
Vorschlag gemacht, der aber nicht ausgeführt zu sein scheint. Das von Bren¬
ner zuerst ausgeführte Operationsverfahren besteht darin, daß aus dem ersten
Keilbein ein Knochenkeil mit lateral gerichteter Basis, nach Freilegung des¬
selben und seiner Gelenkverbindung mit dem ersten Mittelfußknochen durch
einen Längsschnitt am inneren Fußrande, herausgeschlagen wird, worauf es
nach Umschneidung der Basis des Metatarsus I gelingt, dieses gerade zu rich¬
ten und dann das Redressement der Großzehe auszuführen. Nach Stillung
der Blutung und Naht der Wunde wird die neue Stellung des Metatarsus
und der Großzehe durch einen Gipsverband fixiert. Der Fuß wird erst dann
belastet, wenn eine feste knöcherne Vereinigung der Keilbeinstücke erfolgt
ist. Brenner hat dies Verfahren in einem Falle mit doppelseitigem Hallux
valgus, wie die Röntgenaufnahmen zeigen, mit Erfolg ausgeführt.
H. Stettiner (Berlin).
lieber die Behandlung des paralytischen pes equino varus.
(Walter Sochaczewski. Archiv für Kinderheilk., Bd. 49, 3 u. 4.)
Bespricht die verschiedenen Methoden der Behandlung mit Angabe
der Literatur; ein Urteil über die Vor- und Nachteile soll nach eingehender
Prüfung später folgen. Reiss.
Ausbleiben der Wirkung auf das Bewußtsein bei ungewöhnlich großen
Mengen von Narkose-Flüssigkeit.
(Cr am er. Med. Klinik, Nr. 13, 1909.)
Zur Entfernung von 17 kariösen Zähnen wurde bei einer zwar nervösen,
sonst aber sehr gesunden Patientin die allgemeine Narkose eingeleitet. Es
blieb jede Spur von Schlaf Wirkung selbst nach unglaublich großen Mengen
der gebräuchlichen Narkotika, Chloroform und Äther, aus, dagegen zeigte
sich bei völligem Wachsein der Patientin eine volle Schmerzunempfindlich¬
keit, wie sie sonst im dritten Stadium der Narkose auf tritt. Es konnte
so die ursprüngliche Absicht, die Entfernung der kariösen Zähne, bequem;
durchgeführt werden, wobei Patientin sich nur 'über den Blutgeschmack;
im Munde beschwerte. Sofort nach Reinigung der Mundhöhle stand sie
auf und bemerkte keinerlei Nachwirkungen von der Narkose.
Vom WitzeLschen Narkose-Gemisch waren verbraucht 80 g, im An¬
schluß daran kamen 50 g Chloroform zur Verwendung und schließlich noch
40 g Äther. Neumann.
998
Referate und Besprechungen.
Bakteriologie und Serologie.
Die phagozytosebefördernden StofFe der Normal- und Immunsera.
(E. Weil. Zentralbl. für Bakt., Bd. 47, H. 11 — 13.)
Nach kurzer Einleitung bespricht Verf. die Fragen:
1. Angriffspunkt und Wirkungsweise der Opsonine.
Nach, den Urteilen mancher Autoren ist die Einwirkung1 der Opsonine
auf die Bakterien unzweifelhaft erwiesen. Die Opsonine sind häufig oft
gerade gegenüber solchen Bakterien nachweisbar, die weder von Aggluti-
ninen noch von Bakteriolysinen beeinflußt werden. Wright’s Ansicht geht
dahin, daß die Bakterien in ihrer Leibessubstanz Stoffe besitzen, die sm
vor der Phagozytose schützen ; diese werden von den Opsoninen zerstört.
Dagegen schreibt Neufeld den Bakterien und körperfremden Zellen die
Fähigkeit zu, Stoffe abzugeben, welche die Leukozyten zur Phagozytose reizen ;
bei Ausbleiben von Abgabe dieser Reizstoffe findet auch keine Phagozytose
statt. Die der Phagozytose Widerstand leistenden Keime haben eben nicht
diese Schmeckstoffe für die Leukozyten. Bei kapseltragenden, phagozytose-
resistenten Bakterien erfolgt wegen der Kapsel die Diffusion dieser Reiz¬
stoffe nicht.
2. Normal- und Immunopsonine.
Neufeld und Rim pan hatten in gewissen Immunseris Bakteriotro-
pine gefunden; sie geben nicht zu, daß die Normal- und Immunopsonine
identisch seien; die Immunopsonine sind thermostabil, die Normalopsonine
aber thermolabil.
Verfasser schließt nach einer gründlichen Kritik der verschiedenen
Arbeiten und Angaben für und wider die Identität der beiden Stoffe aus
dem Ganzen, daß aiur eine quantitative Differenz zwischen Normal- und
Immunantikörpern besteht und daß die Immunantikörper die durch den
Immunisierungsprozeß vermehrten Normalantikörper darstellen, gemäß der
Ehrlich’schen Anschauung. Normal- und Immunopsonine seien also quali¬
tativ gleichartig.
3. Die Stellung der Opsonine zu den bekannten Immunkörpern.
V erf asser erwähnt die verschiedenen Ansichten der einzelnen Autoren
über die Stellung der Opsonine zu den bekannten Immunkörpern. Verfasser
schließt sich der Anschauung von Neufeld und Hektoen an, die die
Opsonine für keine reaktivierbaren Ambozeptoren halten und keinen kom¬
pletten Bau derselben annehmen. Sie kommen den Agglutininen in ihrem
Bau sehr nahe.
4. Die Herkunft der Opsonine.
Über die Bildungsstätte der Opsonine herrscht noch große Unklarheit.
Man denkt ihren Ursprung in die Muskeln, in die drüsigen Organe, in die
Leukozyten zu verlegen. Neumann’s Versuche, aus den Leukozyten das
Opsonin zu gewinnen, waren ohne Erfolg.
5. Opsonine und Agg res sine.
Weil und Nakayama schrieben den Aggressinen eine phagozytose¬
hemmende Wirkung zu. Gr über gibt an, daß im Aggressin einfach in¬
folge Opsoninmangels die Phagozytose ausbleibt. Aus Versuchen von Weil
und Tsuda geht hervor, daß das Dysenterieaggressin die Phagozytose der
Dysenteriebazillen in spezifischer Weise behindert, indem es dieselben bei
Staphylokokken und Heubazillen zuließ. Man glaubte deshalb, daß das
Aggressin nicht auf die Leukozyten, sondern auf die Bakterien wirken müsse.
Das Aggressin schützt dabei die Bakterien vor der Phagozytose, ähnlich wie
die Kapsel den Milzbrandbazillus. Im Tierkörper verhindern die Aggressine
nicht die Phagozytose. Ts chisto witsch hat in neuerer Zeit eine phago-
zytose Behinderung der Pneumokokken erzielt. Aus dem Waschwasserextrakt
konnte er die Phagozytose befördernden Stoffe (Antiphagine) auffinden. Die
gewaschenen Bakterien unterlagen dann der Phagozytose. Diese Antiphagine
sind spezifisch, sie können nur auf die Bakterien selbst, nicht auf die
Leukozyten wirken.
Referate und Besprechungen.
999
6. Diagnostische und therapeutische Verwertung der Opso¬
nine.
Verf. gibt die Technik und Methodik der Opsoninhestimmung an. Er
vertritt die Anschauung Baumgar ten’s, daß die Phagozyten nicht befähigt
seien, alle Bakterien abzutöten und hierin liegt das Bedenken, was man
allen therapeutischen Bestrebungen entgegen bringen muß. Nur jenen Bak¬
terien gegenüber sind Opsonine erfolgreich, die von den Leukozyten im
Wachstum gehemmt, resp. abgetötet werden. Zweifel lassen sich nicht unter¬
drücken gegenüber der Wirksamkeit der Opsonine gegen Staphylokokken
und Tuberkelbazillen. Schürmann (Marburg).
Ueber eine neue Reaktion der Tuberkelbazillen und eine darauf
begründete differentialdiagnostische Färbungsmethode derselben.
(Demetrius Gasis. Zentralbl. für Bakt., Bd. 50, H. 1.)
Die Methode ist folgende:
1. .Herstellung des Farbstoffs (5 ccm 1% Eosinlösung werden mit
Quecksilber im Reagenzglase gekocht).
2. Fixiertes Ausstrichpräparat mit Farblösung 1 — 2 Min. bedeckt.
3. Abspületn in Wasser, Übergießen mit dem Entfärbungsmittel (0,5
Natriumhydrat, 1,0 Kaliumjodid, 100 (50%) Alkohol.
4. Abspülen mit Alcoh. absol., Wasserspülung.
5. Gegenfärbung mit Methylenblaulösung. 2 — 3 Sekunden.
6. Wasserspülung, Trocknen.
Die Bakterien sind hellrot, das übrige blau gefärbt. Aus seinen weiteren
Untersuchungen geht hervor, daß sich die Tuberkelbazillen gegen Säuren
und Alkalien amphoter verhalten, daß sie zum Teil säure- resp. alkoholfest,
aber durchaus alkalifest sind.
Die neue Reaktion der Tuberkelbazillen (Alkalifestigkeit) ist wohl
den Nukleinen der Wachshülle zuzuschreiben. Schürmann (Marburg).
Ueber eine in den tuberkulösen Lymphdrüsen vorhandene, Tuberkelbazillen
tötende Substanz.
(Dr. Fontes. Zentralbl. für Bakt., Bd. 50, H. 1.)
Nur in kranken, tuberkulösen Lymphdrüsen von Meerschweinchen be¬
findet sich eine Substanz, die in vitro die Zahl der Tuberkelbazillen herab¬
setzt. Die größte Wirkung entfaltet sie bis zu der 120. Stunde. Sie wird
durch frisches Blutserum eines gesunden Meerschweinchens reaktiviert.
Schürmann (Marburg).
Spezifische Behandlung bei experimenteller Tuberkulose.
(Dr. Zeuner. Zentralbl. für Bakt,, Bd. 50, H. 1.)
Verf. hält subkutane Injektionen von einem Filtrat einer Lösung aus
ölsaurem Natrium 1 : 60 aqua, die mit geschüttelten und dann durch lang
andauernde Erhitzung abgetöteten Tuberkelbazillen bereitet wird für ein spe¬
zifisches Mittel zur Behandlung bei experimenteller Tuberkulose. Die In¬
jektionen dieser flüssigen Ölseife verursachen weder Abszesse noch andere
spezifische Schädigungen bei den Versuchstieren. Das Präparat soll er¬
wiesenermaßen lebensverlängernd wirken. Schürmann (Marburg).
Zur kulturellen Unterscheidung zweier Pseudotuberkulosebazillen (Bazillus
Pfeiffer und Bazillo opale agliaceo Vinzensi) der Nagetiere.
(Dr. Livio Vincenzi. Zentralbl. für Bakt., Bd. 50, H. 1.)
Dem Aussehen nach sind beide Bazillen sehr ähnlich ; auf der Ober¬
fläche von Gelatineplatten bildet der Bacillo opale agliaceo helle, feucht¬
glänzende Kolonien mit bläulichem Farben ton; der Pf ei ff er’sche Bazillus
1000
Referate und Besprechungen.
dagegen zeigt hlaßgelhe trockene Kolonien. Beide Bazillen sind für Meer¬
schweinchen und Kaninchen pathogen; sie verursachen per os eingeführt,
Pseudotuberkulose der Tiere. Schürmann (Marburg).
Ueber die verschiedene Wirkung der Pyozyanase auf Mikroben in festen
und flüssigen Nährböden.
(W. Podwyssozki. Zentralbl. für Bakt.., Bd. 50, H. 1.)
Verf. untersuchte die Einwirkung der Pyozyanase auf den Bac. diph-
theriae, Vibrio cholerae asiaticae und Bac. coli communis und fand, daß
die Pyozyanase am schnellsten und wirksamsten zerstörend auf den Bac.
diphtheriae, am schwächsten auf den Bac. coli communis wirkt. Auf festen
Nährböden wird nur die oberste Schicht der Kultur angegriffen. Offenbar
diffundiert die bakterizide und proteolytische Substanz der Pyozyanase sehr
schlecht in festen Nährböden. Bei einzelnen im Schleim zerstreuten Diph¬
theriebazillen reichen wiederholte Pyozyanase-Bestäubungen aus zur Abtö-
tung der Bazillen. Auch wurde die Einwirkung der Pyozyanase auf lebende
und abgetötete Bakterien im Reagenzglase versucht.
Schürmann (Marburg).
Beitrag zur Biologie des Rotlaufbazillus.
(W. Stickdorn. Zentralbl. für Bakt., Bd. 50, H. 1.)
Lange Nährbodenpassage setzt die Virulenz des Rotlauf bazillus herab.
Nach Passage durch weiße Mäuse bleibt die Virulenz für weiße Mäuse er¬
halten, für graue Mäuse wird sie um ein Geringes herabgesetzt. Für graue
Mäuse wird die Virulenz nach vorhergehender Taubenpassage dagegen er¬
höht. Gegen Rotlauf immunisierte weiße Mäuse sterben bei gleichzeitiger
Injektion von Rotlaufbazillen und einer für sich allein nicht tödlichen Dosis
von Kulturen des Bacterium coli commune des Schweines. Ein Wachstums¬
unterschied im Gelatinestich besteht bei den durch längere Nährböden, —
Mäuse — Taubenpassagen erhaltenen Rotlaufstämmen.
Schürmann (Marburg).
Allgemeines.
Lieber die steigernde Wirkung des subkutan eingeführten Harnstoffs auf
den Eiweäßstoffwechsel.
(Ernst Hei ln er. Zeitschr. für Biol., Bd. 52, S. 216 — 235.)
Im Verfolge planmäßig studierter Injektionen (bei Kaninchen) hat
Heilner auch Harnstoff bald in großen, bald in kleinen Mengen, bald in
Aq. destillata, bald in Kochsalzsolutionen gelöst injiziert und dabei gefunden,
daß dieser Körper die N- Ausscheidung ungemein erhöht, und zwar in be¬
deutend höherem Grade, als dem Stickstoff des Harnstoffs an sich entspricht.
Es handelt sich also nicht um eine einfache Durch- oder Ausschwemmung
N- haltiger Körper, sondern um eine Mehrzersetzung des Eiweißes. Diese
Mehrzersetzung entspricht ziemlich genau den eingeführten Harnstoffmengen:
Bei Zufuhr von 10 g beträgt sie 88% (heim Kaninchen), bei 1 g = 38%.
Die Senkung, welche Injektionen von Aq. destillata bewirken, werden
durch Zusatz von Harnstoff ausgeglichen.
Die Mitteilungen erscheinen höchst interessant, und wenn der Leser der
Auffassung Heilner’s beitritt, daß. gewisse Endprodukte des Stoffwechsels
eben durch ihre Wirkung diejenigen Vorgänge der Zersetzung, welchen sie
ihre Entstehung verdanken, weiterhin gewährleisten, so hat er damit ein
weiteres Beispiel für das die ganze Physiologie beherrschende Prinzip der
Selbststeuerung. Buttersack (Berlin).
Referate und Besprechungen.
1001
Einfluß des Windes auf die Ökonomie des tierischen Körpers.
(Maurel. Gaz. med. de Paris, Nr. 31, 1. März 1909.)
Nach Versuchen am Meerschweinchen, welche Maurel in der Societe
de Biologie vorgetragen hat, steigert ein Wind von 12 km in der Stunde
die Ausgabe um ca. V6, dafür wird aber der Hunger so lebhaft angeregt,
daß das Mehr an auf genommener Nahrung das Mehr an verbrauchter Energie
überwiegt und demgemäß das Wachstum erheblich zunimmt. Es entspricht
also gewissermaßen einem physiologischen Bedürfnis, daß die Kinder sich
so gern bei Wind und Wetter im Freien tummeln. Buttersack (Berlin).
Die Kunst des Atmens.
(H. Pudor. Zeitschr. für phys. u. diät. Ther., Bd. 12, H. 11, S. 678 — 684.)
Jedermann glaubt, richtig atmen zu können. Aber das ist ein Wahn.
Schon oft ist auf die Unzulänglichkeit unserer Respiration hingewiesen wor¬
den, z. B. von Speck (Das normale Atmen, Marburg 1889), und die Ohnmachts¬
anwandlungen der Patienten, auf die wir beim Auskultieren stets gefaßt sein
müssen, können uns jeden Tag eines besseren belehren. Nun macht Pudor auf
eine ganz besonders schädliche, allgemein verbreitete Gewohnheit aufmerksam,
daß nämlich die meisten Kulturmenschen den Atem anhalten oder nur ganz
oberflächlich atmen, sobald sie irgend welche größere körperliche Leistungen
auszuführen haben; und gerade das sind Momente, in denen durch vertiefte
Respirationen das Außeratemkommen verhütet und die Leistungsfähigkeit
erhöht werden könnte. Auch wer nur über die heutige offizielle Physiologie
in ihren Rudimenten verfügt, ist imstande, diesen Gedanken nach der theore¬
tischen wie praktischen Seite hin durchzudenken, weshalb diese kurze Notiz
hier wohl genügen wird. Buttersack (Berlin).
Schädigungen durch Telegraphie ohne Draht.
(P. Beleiee. Arch. de Med. navale, März 1909. — Tribüne med., S. 187, 1909.)
Während des viermonatigen Aufenthaltes des französischen Schlacht¬
schiffes „Descartes“ auf der Rhede von Tanger wurden so viele drahtlose
Depeschen befördert, daß B. geneigt ist, eine Reihe von gesundheitlichen
Störungen auf die Wirkung des Meeres von Hertz’schen Wellen zurückzu¬
führen, in welchen die Telegraphisten leben mußten. Zuvörderst führt er
Entzündungen der Konjunktiven auf, sowie Keratitiden, Ekzeme, Anfälle
Von Herzklopfen und Präkordialschmerz ; (da der betr. Pat. zugleich seit
einigen Jahren über Abnahme der Sehkraft klagte, so könnte es sich in diesem
Falle vielleicht auch um chronische Nephritis oder dergl. gehandelt haben).
B. macht übrigens mit Recht darauf aufmerksam, daß die Schädigungen
durch drahtlose Telegraphie nicht akut aufzutreten brauchen, sondern sich
schleichend entwickeln (ils peuvent se produire pour ainsi dire silencieusement).
Dieser Satz ist gewiß richtig, gilt aber wohl für die überwiegende Mehrzahl
aller pathologischen Vorgänge und wird ohne Zweifel den stillschweigenden
Fundamentalsatz der heutigen Experimentalpathologie ebenso überwinden, wie
die LyelPsche Evolutionslehre die Katastrophentheorie von Cu vier über¬
wunden hat.
B. hat die Augen seiner Telegraphisten durch Brillen mit blauen, gelben
oder orangefarbigen Gläsern zu schützen gesucht. Die Farbe tut da nichts
zur Sache; man wird in solchen Fällen besser tun, Gläser von Jena zu be¬
ziehen, welche keine ultravioletten Strahlen durchlassen.
Buttersack (Berlin).
1002
Bücherschau.
Bücherschau.
Die Mitarbeit der Hausfrau an den Aufgaben der Volksgesundheitspflege.
Von Emilie Eschle. München, Verlag der ärztlichen Rundschau,
Otto Gmelin.
Die geistvolle Verfasserin will in der vorliegenden Schrift zeigen, daß auch
die verständige Hausfrau, die den großen Fragen unserer Zeit Interesse entgegen¬
bringt, wohl imstande ist in ihrem kleinen Kreis an der Volksgesundheitspflege in
ganz bedeutender Weise mitzuwirken. Diese Aufgabe ist ihr in jeder Weise ge¬
lungen und es ist nur zu hoffen und zu wünschen, daß die deutschen Hausfrauen
in recht ausgedehntem Maße das Buch nicht nur lesen, sondern auch seine Forde¬
rungen beherzigen. Aber nicht nur unter den modernen Frauen, — wohlverstanden
im guten Sinne! — wünsche ich der Schrift viele Leser. Die verschiedenen in dem
Buch berührten sozialen Fragen und praktischen Ratschläge werden auch den Arzt
fesseln, besonders den im Anstaltsbetriebe tätigen, denn gerade auf diesem Ge¬
biet schöpft die Verfasserin aus einem Born reicher Erfahrung. R.
Grundzüge der Ernährungstherapie auf Grund der Energetik. Von
Dr. Bi r cher-Benne r Zürich. Berlin, Salle, 1909. 4 Mk.
Ein originelles und interessantes Buch, das auch der mit Nutzen lesen wird,
der dem Verfasser nicht in die äußersten Konsequenzen folgt. Bircher, der Leiter
eines nach seinen Prinzipien geführten Sanatoriums, fußt auf Haig, Rubner,
Emil Fischer, Chitt enden u. a. , geht aber vielfach noch über sie hinaus. Er
ist Vegetarianer mit Ablehnung aller Genuß- und Reizmittel, des Fleischs, der Eier
und sogar der Milch und mit starker Neigung zur Rohkost ; den Eiweißbedarf nimmt
er noch niedriger als Chi tt enden an (30 — 40 gr) und will ihn nur. aus dem Pflanzen¬
reich decken. Die Rohkost gilt ihm als das ideale Nährmittel, mit der originellen
Begründung, daß das chemische Potential oder die Energiespannung in keiner
anderen Nahrung größer sei, daß es sowohl durch Kochen als durch die Passage durch
den Tierkörper vermindert werde; jede andere Nahrung erzeuge ein geringeres
Energiegefälle. Indessen ist ohne Zweifel das chemische Potential der Eier auch
ein sehr hohes, höher als das des Fleisches, wahrscheinlich ähnlich hoch als das¬
jenige der Pflanzensamen, und doch verhalten sich die Eier als Nährmittel ganz
anders als diese. Nach des Ref. Ansicht dürfte das chemische Potential weniger
wichtig sein als die den Stoffwechsel belastenden Bestandteile der animalischen
Nahrung.
Sehr der Beachtung wert und dem Ref. wertvoller als alle Theorie sind
Birchers Resultate bei verschiedenen Krankheiten, im wesentlichen eine Be¬
stätigung der Haig’schen.
Bircher weiß wohl, daß der strengen Durchführung seiner Lehren die
größten Hindernisse im Wege stehen und macht allerlei Konzessionen. Was aber
die Gesunden betrifft, so scheint er dem Ref. nicht hinreichend zu beachten, daß die
beste Kost der Kranken noch nicht die beste Kost der Gesunden ist. Wer das
ganze Jahr unter Kranken lebt, verliert leicht die Erinnerung daran, daß jenseits
der Sanatoriumsmauern auch noch Leute wohnen. Fr. von den Velden.
Ernährung und Pflege des Kindes mit besonderer Berücksichtigung des
ersten Lebensjahres. Von Medizinalrat Franz C. B. Eschle. 5. Auflage.
Leipzig, Benno Konegen, 1909. 176 S. 2,50 bezw. 3 Alk.
Ich kenne viele Bücher, die zwar sehr umfangreich und trotz der Bezeichnung:
Handbuch höchst unhandlich sind, in denen man aber doch zumeist gerade das
nicht findet, was man sucht. Das vorliegende Werk von Eschle ist das Gegenteil
davon: klein von Volumen enthält es eine Fülle von Winken und Ratschlägen, die
zudem ausnahmslos höchst praktisch sind.
Kein gelehrtes Beiwerk erschwert dem Leser bezw. der Leserin das Verständnis,
und doch wirkt alles überzeugend, weil es eben von Sachkenntnis durchdrungen
und mit gesundem Menschenverstand vorgetragen wird.
Was eine junge Mutter tun muß, um ihr Kind in zweckmäßigerWeise selbst
oder künstlich zu ernähren, wie sie die Milch beurteilt, behandelt, abmißt, auf¬
bewahrt usw., wie sie das kleine Geschöpf wäscht, badet, trocken legt, bekleidet,
Bücherschau.
1003
bettet u. dergl., ist präzis geschildert; auch für das Verhalten bei Erkrankungen
sind wertvolle Fingerzeige gegeben. Aber am meisten möchte ich den 5. Abschnitt
zur Beherzigung empfehlen: „Die Anfänge der Erziehung“. Gewöhnung an Ord¬
nung und an Gehorsam sind für Eschle die Grundpfeiler einer soliden geistigen
Konstitution und der beste Schutz gegen die Unrast, Ruhelosigkeit usw., welche
die Signatur unserer heutigen Generation bildet. An diesem Punkte überschreitet
das Büchlein die Kinderstube und beeinflußt das ganze Familienleben und Geschick
der Nation; denn aus der Kinderstube wird die Welt regiert. —
Ich halte Eschle’s Schrift für eine der gediegensten und praktisch-brauch¬
barsten literarischen Erscheinungen der letzten Zeit, Buttersack (Berlin).
25 Merkblätter zur Pflege und Behandlung von Kindern in gesunden und
kranken Tagen. Von Baron, Dresden. Verlag von Konegen, Leipzig.
1,60 Mk.
Die Merkblätter sind in einem Bändchen vereinigt, einzeln abzureißen und
den Eltern in die Hand zu geben. Sie verdanken ihre Entstehung dem Wunsche,
Vorschriften allgemeiner Natur, öfters wiederkehrende Maßnahmen gedruckt vor¬
rätig zu halten. Für manchen vielbeschäftigten Arzt sind solche Merkblätter ange¬
nehm und werden sicher, den Eltern dauernd vor Augen, Gutes stiften, wie die
über die natürliche Ernährung, über Flaschenernährung, ihre Zubereitung, über die
Ernährung nach dem ersten Jahre, über Zahnpflege, über Bäderzubereitung und über
Vorschriften bei Infektionskrankheiten. Solchen Merkblättern ist ohne weiteres
zuzustimmen, nicht denen, wo es sich um medikamentöse Ratschläge handelt, die
allerdings sehr stark in den Hintergrund treten oder denen über Körpergewicht
und Nahrungsmischung, oder denen bei Nervosität betr. bei Herzkrankheiten.
Solche Blätter stiften mehr Verwirrung und Beängstigung, da gehört der Arzt hin,
individuell ratend und jeden einzelnen Fall abwägend, mit dem gesprochenen Wort,
nicht mit dem gedruckten Schema, Ivrausse (Leipzig).
Taschenbuch für Magen-, Darm- und Stoffwechselkrankheiten. Von L.
Jankau. II. Teil. Eberswalde, Verlag von Max Gelsdorf, 1909. 240 S.
5 Alk.
Wie in dem 1. Teil (besprochen Fortschr. d. M., 1908, S. 319) ist auch in dem
vorliegenden 2. Teil auf engem Raum eine beinahe erdrückende Fülle von Material
und Zahlen aufgehäuft. Er enthält hauptsächlich Tabellen über physikalische
Behandlung: Luft-, Licht- uud Sonnenbehandlung, Hydrotherapie, Balneologie usw.,
und wird auf diesen Gebieten vielen ein willkommenes Nachschlagebuch sein. Daß
das am Schlüsse angefügte Dozenten- usw. Verzeichnis reichlich Fehler enthalten
wird, vermutet der Verfasser selbst, und so ist es in der Tat; aber derartige
Verzeichnisse haben doch nur Wert, wenn sie aktuell sind, und sollten in einem
Buche, dessen sonstige Angaben nicht so dem Wechsel unterworfen sind wie
Personenverzeichnisse, lieber wegbleiben. M. Kaufmann (Mannheim).
Sanitätsdienst und Gesundheitspflege im deutschen Heere. Ein Lehr-
und Handbuch für Militärärzte des Friedens- und des Beurlaubtenstandes.
A7on A7illaret und Paalzow. Verlag von Ferd. Enke-Stuttgart, 1909.
Lief. 1, 160 S. 4 Mk.
Auch die heutige Militärmedizin ist eine Spezialwissenschaft geworden, welche
einen erheblichen Umfang angenommen hat. Nur durch eine Vertiefung in die zahl¬
reichen einzelnen, manchem Militärarzt nicht ohne weiteres zugänglichen Dienst¬
vorschriften lassen sich die Dienstkenntnisse erwerben, die zu einer erfolgreichen
und befriedigenden beruflichen Betätigung erforderlich sind.
Aus dieser Erwägung heraus ist der Gedanke zur Herausgabe eines speziell
militärärztlichen Zwecken dienenden umfangreichen Handbuchs entstanden, welches
unter Mitwirkung einer großen Anzahl auf den einzelnen Spezialgebieten des
Sanitätsdienstes bewährter Militärärzte von Villaret und Paalzow heraus¬
gegeben wird.
Der Stoff gliedert sich in eine Darstellung der Entwicklung des Sanitätskorps
und seiner jetzigen Organisation. Die weiteren Kapitel schließen sich an die Lauf¬
bahn des Soldaten an, soweit sie für militärärztliche Beurteilung in Frage kommt,
1004
Krankenpflege und ärztliche Technik.
verfolgen ihn also von der Musterung und Aushebung bis zur Entlassung. Das
Schlußkapitel soll über Rapport und Berichterstattung berichten, an welches sich
eine Darstellung dem Heere eigentümlicher und solcher Krankheiten anreihen wird,
welchen in ihrer genetischen Auffassung und in ihrem Ausgang für die Dienst¬
brauchbarkeit besonderes militärärztliches Interesse zukommt.
Das Werk soll zunächst dem jungen in den Heeresdienst tretenden Militär¬
arzt den Weg zeigen, daneben soll es den Militärärzten des Beurlaubtenstandes
sowie den erfahrenen in aktiven Dienst stehenden Ärzten ein Nachschlagebuch
werden. Die vorliegende Lieferung I behandelt die Geschichte und Organisation
des Sanitätskorps, Musterung und Aushebung und freiwilligen Eintritt in das Heer.
Das in 6 bis 7 Lieferungen zum Preise von je 4 Mk. erscheinende Werk wird bis
zum Herbst dieses Jahres vollständig vorliegen.
Druck und Ausstattung sind entsprechend den Grundsätzen des Verlags
vortrefflich. F. Kayser (Köln).
Krankenpflege und ärztliche Technik.
Ueber Fortschritte in der Konstruktion von Apparaten zur Therapie mit
strömender Luft.
Von Dr. Adolf Schnee, Spezialarzt für innere Medizin, Berlin.
In einem Artikel „Ueber Thermotherapie durch Heißluft und Wechselduschen*1
in Nr. 8, Jahrg. 1909 der Zeitschrift „Medizinische Klinik“ habe ich Gelegenheit
genommen, auf die Vorzüge der von der Elektrizitätsgesellschaft „Sanitas“ fabrizierten
„Fön-Heißluftdusclien“ hinzuweisen, deren ich mich in letzter Zeit zur Behand¬
lung gichtischer und rheumatischer Gelenks- und Muskelaffektionen, ferner der
Ischias, Neuritiden und Neuralgien, sowie schließlich der Furunkulosen und Abzeß-
bildungen ausschließlich bediene.
In der „Zeitschrift für physikalische und diätetische Therapie“, Band XIII,
viertes Heft, 1909/10 habe ich ferner „Zur Therapie mit strömender Luft“ berichtet
und in einer beigegebenen Tabelle die Resultate einer sechs Jahre umfassenden
Beobachtung an 123 Fällen übersichtlich zusammengestellt.
Würdigt man die dabei erzielten Erfolge mit absoluter Objektivität, so muß
man unumwunden zugestehen, daß bisher der heilenden Kraft der strömenden
Heißluft viel zu wenig Beachtung geschenkt wurde und daß es im höchsten
Grade wünschenswert wäre, wenn neben so hervorragenden und berufenen Männern
wie Max Herz- Wien, Rubner, Wolpert, Zuntz und Löwy auch andere be¬
währte Physiotherapeuten sich in noch intensiverem Maße der dankenswerten Auf¬
gabe des weiteren Ausbaues dieses Zweiges der physikalischen Heilmethoden
widmen würden.
Tatsächlich ist es mir auch schon gelungen, eine Reihe bekannter Autoren,
zu denen ich persönlich Beziehungen habe, für das Studium dieser Frage zu ge¬
winnen, und die Erfahrungen, welche diese inzwischen gesammelt und zum Teile
auch schon publiziert haben, sprechen für die Berechtigung der von mir auf-
gestellten F orderung.
Fovea u de Courmell es -Paris, der bereits in seiner „L’annee electrique,
electrotherapique et radiographique“ 1) in dem Kapitel: „Methode de Bier et
insufflations d’air chaud“ auf Seite 170 die Vorzüge der Behandlung mit strömender
Heißluft bei Neuralgien und den verschiedenen Formen des Rheumatismus hervor¬
gehoben hatte, wobei er auch die Mitteilung machte, daß unter dem Einfluß dieser
Behandlungsmethode selbst Warzen zum Schwinden gebracht werden könnten und
daß Dausset und Laqueriere die Behandlung mit strömender Heißluft nicht
minder vorteilhaft bei Vereiterungen, Gelenksteifigkeiten, Pruritus usw. in Anwendung
bringen, wiederholte diese Beobachtungen anläßlich einer Demonstration der Hei߬
luftdusche „Fön“ in der Sitzung der „Societe Internationale de Medicine
physique“ am 4. Februar dieses Jahres.2) Dabei ergänzte er sich dahin, daß die
Narbenbildung bei Lupusulzerationen bei der Behandlung durch strömende Heiß-
1) Verlag Cli. Beranger, Baudry & Cie., Nachf., 15 Rue des Saints Peres, Paris 1909.
2) Archives genörales de therapeutique physique, VI, Nr. 61 vom 20. 2. 1909.
Krankenpflege und ärztliche Technik.
1005
luft in Kombination mit der Phototherapie mittels des Radiators schneller stattfinde
und daß das Radium, das bisher bei Warzen als Spezifikum zu wirken schien, durch
Heißluftapplikation als einem viel einfacheren und unendlich billigeren Mittel
ersetzt erscheine.
In einer Arbeit schließlich: Nouveaux Traitement du Cancer1) betont
derselbe Autor neuerlich in überaus anerkennender Weise die Vielseitigkeit der mit
günstigem Erfolge angewendeten Applikation strömender Heißluft.
Wenn ich nun weiter hervorhebe, daß mir ähnlich lautende günstige Urteile
auch von Sr. Exzellenz dem Herrn Geheimrat Professor E. v. Leyden-Berlin,
den Professoren Paul Lazarus-Berlin, Frumus an -Paris, Gil y Casar es- Santiago
und S. R. v. No orden -Homburg v. d. H. vorliegen, so bedarf es wohl keiner
weiteren Erörterungen, die die Berechtigungen und Wichtigkeit der neuerlichen
Behandlung dieses Themas rechtfertigen.
Im Gegenteil, ich halte es für meine Pflicht, von jeder Verbesserung und
von jedem Fortschritt auf diesem Gebiet Mitteilung zu machen, damit alle, die
daran ein Interesse haben, sofort nach Möglichkeit orientiert seien.
Zunächst erscheint es mir von Wichtigkeit, einige Worte über die Dosierung
der Temperatur und Intensität des Luftstromes zu sagen. Dabei gehe ich
von der Voraussetzung aus, daß sich alle diesbezüglichen Bemerkungen auf den
von mir nunmehr ohne Ausnahmen für strömende Heißluftapplikationen benutzten
„Fön“ beziehen.
Durch Annähern an den Körper bezw. Entfernen von demselben lassen sich
schon an und für sich beträchtliche Variationen der Intensität und Temperatur
des Heißluftstromes erzielen und den jeweiligen individuellen Verhältnissen genau
anpassen.
Inzwischen wurde jedoch eine noch genauere und weit bessere Dosierungs¬
möglichkeit geschaffen, die zufolge ihrer Einfachheit doppelte Anerkennung verdient.
Kleine Ansatztuben (Fig. 1) mit verschieden großer Ausstrahlöffnung
werden vorn auf das Rohr der Heißluftdusche (Fig. 2) aufgesetzt und können
leicht gegen einander ausgewechselt werden. Je nach der Größenwahl der
Ausstrahl Öffnung wird nicht nur die Intensität und der Wärmegrad des Hei߬
stromes sich ändern, also mit zunehmender Größe abnehmen, und mit abnehmender
Größe zunehmen, sondern es wird sich auch die Begrenzung des Gebietes, auf dem
eine lokale Hyperämie erzielt Averden soll, viel schärfer und exakter durchführen
lassen. —
J) L’actualite Medicale, Nr. 3 vom 15. März 1909, Paris, 2 Rue de Chateaudun.
1006
Krankenpflege und ärztliche Technik.
In der Hydrotherapie finden bekanntlich „Wechsel warme“ und „schottische“
Duschen häufig dort Anwendung, wo es sich um die Erzielung intensiverer Reaktionen
durch Kontrastwirkung handelt. Auch wissen wir, daß eine Reihe von Kaltwasser¬
prozeduren nur dann durch kräftige Reaktion zur Geltung kommen kann, wenn
man für eine genügende Vorwärmung Sorge getragen hat, wie dies besonders bei
anämischen und schwächlichen Personen der Fall ist.
Dem Wunsch, auch wechselwarme Luftströme (abwechselnd warme und kalte
Luftströme) mittels Luftwechselduschen applizieren zu können, durch die sich
derselbe Effekt wie durch die eben erwähnten liydropathischen Prozeduren erzielen
läßt, die aber noch den großen Vorteil besitzen, daß sie auch in allen jenen Fällen
zur Anwendung gelangen können, wo ein Naß werden der Haut unerwünscht oder
sogar von schädlichem Einfluß sein könnte, verdankt der nach meinen Angaben
konstruierte „Fön-Duplex“ seine Entstehung. (Fig. 3.)
Zu diesem Zwecke dient ein Doppelrohransatz (Duplex-Rohransatz, Fig. 4)
der sich auf jeder „Fön-Heißluftdusche“ (Fig. 5) durch einfaches Aus wechseln ihres
Rohransatzes überaus leicht und schnell anbringen läßt.
E.S.SBNIIASBERnH.«.
- Fig. 5.
Der Duplex - Rohransatz besitzt eine Momentumsch altung, mit der
man durch einen Griff im Augenblick den Heiß- resp. Kaltluftstrom
wechseln kann.
Krankenpflege und ärztliche Technik.
1007
Die Erfolge, die ich bisher durch Anwendung dieser Luftwechseldusche
erzielt habe, entsprechen durchaus den in diesen vervollkommneten Apparat gesetzten
Erwartungen, ja, übertreffen sie in vielen Fällen um ein Bedeutendes.
Ganz besonders groß ist der Vorteil, daß die durch den Duplex-Rohr¬
ansatz geschaffene Erweiterung des Indikationsgebietes des „Föna für jeden Besitzer
einer solchen Heißluftdusche ohne nennenswerte Auslagen erreicht wird.
Harnuntersuchungs-Taschenbesteck für den praktischen Arzt.
Von Dr. H. Fried mann, München.
Der Wunsch und das Bedürfnis, in der Lage zu sein, am Kranken¬
bett selbst eine genaue orientierende Harnuntersuchung auszuführen, ist
schon so alt, als die Harndiagnostik selbst. Eine Menge von portativen
Eiweiß- und Zuckerreagentien, von kleinen und großen Harnuntersuchungs-
etuis und Kästen suchten diesem Bedürfnis abzuhelfen; keines hat An¬
klang finden können. Die Reagentien waren zu allgemein, gehalten, die
Etuis zu klein und erfüllten dadurch nicht die Anforderungen einer ge¬
nauen Urinuntersuchung, oder aber zu groß, waren dadurch nicht in der
Tasche transportabel und zu teuer. Ein Harnuntersuchungsetui muß fol¬
gende Voraussetzungen erfüllen : bequem in der Tasche transportabel, nicht
zu teuer, aber reichhaltig und handlich sein, daß heißt: es müssen sich sämt¬
liche für den Praktiker wünschenswerte Reaktionen ausführen lassen, und
*
zwar nach, den gebräuchlichen Methoden.
Von diesem Gesichtspunkte aus ist das vor¬
liegende Harnuntersuchungs-Taschenbesteck zusam¬
mengestellt. Die Untersuchungen werden mit zwei
Reagensgläschen genau wie im Laboratorium aus¬
geführt. Es läßt sich nach den gewöhnlichen
Methoden die Reaktion, das spezifische Gewicht,
der Azeton-, Azetessigsäure-, Alkaptansäure-, Xn-
dikan-, Ammoniak-, Melanin-, Urorosein-, Gallen¬
farbstoff- und Blutnachweis führen. Zucker ist
sowohl nach Tr omm er als Ny 1 ander zu be¬
stimmen. Eiweiß läßt sich mit verschiedenen Pro¬
ben nachweisen (weitaus am empfehlenswertesten
und genauesten ist die Zweigläserprobe mit Essig¬
säure Ferrozyankali). Die quantitative Eiwei߬
bestimmung wird, wem die Schätzungsprobe von
Müller - Seif er t nicht ausreicht, nach der Brand-
berg’schen Methode ausgeführt. Wichtig ist die
Kochsalzbestimmung, die es ermöglicht, sich sofort
über die Funktions- und Leistungsfähigkeit der Nieren zu orientieren
Wenn auch die Bedeutung der Kochsalzbestimmung für diagnostische
Zwecke vielfach bestritten wird, so leistet sie doch, wie die Erfahrung
zeigt, ausgezeichnete Dienste, einmal in der Beurteilung eines bestehenden
nephritischen Prozesses, zum andern im Auffinden der Nephritiden ohne
Eiweißausscheidung. Es steigt resp. sinkt nämlich der Kochsalzgehalt im
Urin im umgekehrten Verhältnis zu den granulierten Zylindern. Nähere
Angaben in der Gebrauchsanweisung zum Besteck.
Albumose, Muzin und eine Menge Arzneistoffe, die mitunter differential-
diagnostisch in Betracht kommen, lassen sich nachweisen. Die notwendigen
Chemikalien führt man in den für die einzelnen Reagentien bestimmten Gläs¬
chen gebrauchsfertig mit. Ein kleiner Glastrichter, eine graduierte Pipette,
Objektträger, Filtrierpapier und ein Gläsertuch vervollständigen das Besteck.
Eine Spirituslampe in der Größe eines Mikroskopobjektivs liegt jedem Be-
siteck bei.
1008
Hochschulnachrichten.
Den Gebrauch des Harnuntersuchungs-Taschenbestecks erleichtert eine
übersichtliche genaue Gebrauchsanweisung mit einem Anhang von diagno¬
stischen Notizen. -Was die Anzahl der Harnuntersuchungen betrifft, die
sich ohne frisches Nachfüllen der Reagentien ausführen lassen, so schwanken
sie für die einzelnen Restimmungen zwischen 2 — 5 Untersuchungen.
Die Größe ist genau 14,5 : 10,5 : 2,5 cm, also ein bequemes und hand¬
liches Taschenbesteck. Der Preis ist, für die Menge der Bestimmungen, die
sich damit ausführen lassen, ein äußerst müßiger (16 Mk.). Zu beziehen
ist das Besteck vom Sanitätsgeschäft M. Schaerer, A.-G. in Bern.
Hochschulnachrichten.
Bonn. P.-D. Dr. W. Re iss erhielt den Titel Professor. Der ao. Professor Dr.
med. et phil. H. Leo ist zum o. Professor und Direktor des pharmakologischen
Instituts ernannt worden.
Breslau. Der P.-D. Dr. R. Scheller wurde zum Abteilungsleiter am hygienischen
Institut ernannt. Prof. Dr. Stern wird das Ordinariat der inneren Medizin
in Greifswald nicht annehmen, an seiner Stelle wurde Prof. Dr. Steyr er-
Berlin ausersehen. Dr. med. K. Bruck habilitierte sich für Syphilis und
Hautkrankheiten und für Augenheilkunde Dr. G. Lenz.
Freiburg i. B. Den P.-D. Dr. Franz Knoop (physiologische Chemie) und
# Dr. W. Trendelenburg (Physiologie) wurde der Titel ao. Professor verliehen.
Giessen. Für innere Medizin habilitierte sich Dr. med. A. Weber.
Göttingen. Geh. Medizinalrat Prof. Dr. W. Ebstein feierte sein 50jähriges
Doktorjubiläum.
Greifswald. Es habilitierte sich Dr. med. A. Hoff mann für Chirurgie.
Halle a. S. Geh. Medizinalrat Prof. Dr. K. Eberth feierte sein 50jähriges
Doktorjubiläum. Geh. Medizinalrat Prof. Dr. Schwartze feierte gleichfalls
sein 50 jähriges Doktorjubiläum.
Jena. Geheimrat Prof. Dr. W. Müller, bis vor kurzem Direktor des patholo¬
gischen Instituts in Jena, ist verstorben.
Kiel. Geh. Medizinalrat Prof. Pf annenstiehl, Direktor der Königl. Frauenklinik,
ist an den Folgen einer Blutvergiftung, die er sich bei einer Operation zugezogen
hatte, gestorben.
Leipzig. Dr. med. H. Wiehern habilitierte sich für innere Medizin. Geh.
Medizinalrat Prof. Dr. Hering vollendete am 5. August das 75. Lebensjahr.
Das Jubiläum 25 jähriger Tätigkeit als o. Professor beging am 25. Juni der
Direktor der psychiatrischen und Nervenklinik Geh. Rat Prof. Dr. Flechsig.
Dr. R. Dittler habilitierte sich; Probevorlesung über das Thema: Direkte und
indirekte Muskelreizung. Dr. med. et phil. O. Groos habilitierte sich mit einer
Probevorlesung über die theoretischen Grundlagen die Lokalanästhesie durch
Medikamente.
München, ao. Professor Dr. M. Crem er ist als Direktor für das neu gegründete
physiologische Institut in Köln in Aussicht genommen. Prof. Dr. B. Heine
aus Königsberg wurde zum ao. Professor für Ohrenheilkunde ernannt. Der
P.-D. für allgemeine Pathologie Dr. R. Rössle wurde zum ao. Professor
ernannt.
Straßburg. Für die Professur für Kinderheilkunde ist der o. Professor Dr.
A. Czerny in Breslau in Aussicht genommen.
Tübingen. Dr. med. A. Busch habilitierte sich für Psychiatrie.
Wien. Der Gynäkologe Prof. Dr. Rosthorn ist plötzlich verstorben.
Schriftleitung: Dr. Ri gl er in Leipzig.
Druck von Emil Herr mann senior in Leipzig.
27. Jahrgang.
1909.
Tortscbritt« der Medizin.
Unter Mitwirkung hervorragender Fachmänner
herausgegeben yon
Professor Dr. 6. Koster Prio.-Doz. Dr. v. Criegern
in Leipzig. in Leipzig.
Schriftleitung: Dr. Rigler in Leipzig.
Nr. 27.
Erscheint ain 10., 20., 30. jeden Monats. Preis halbjährlich
6 Mark, in kl. Zeitschrift für Yersicheruugsmedizin 8 Mark.
Verlag von Georg Thieme, Leipzig.
30. Septbr.
Originalarbeiten und Sammelberichte.
Pathogenese und kausale Therapie der Oedeme.
Von Medizinalrat Dr. Eschle,
. Direktor der Pflegeanstalt des Kreises Heidelberg zu Sinsheim a. E.
(Schluß.)
Die vorstehenden Betrachtungen wären für den Arzt prak¬
tisch wertlos, wenn sie nicht zugleich die Wege zu einer ratio¬
nellen, d. h. im letzten Grunde kausalen Therapie zu weisen
imstande wären. Nur wer in dem anscheinend überflüssigen
Wasser fälschlich den Grund der Störungen und nicht ihren Indikator
blickt, wird von den sogen. Entwässerungsmethoden etwas er¬
warten können.
W enn man z. B. dem Hydropischen Durst-odersogarT rocken kuren
verordnet in der Annahme, die Reserveräume auszutrocknen und so die
abnorme Spannung im Venensystem zu verändern, so gleicht man, wie
Rosenbach sagt, dem Manne, der sein Thermometer kühlt, um eine
Verminderung der Hitze herbeizuführen. Die Beschränkung der Flüssig¬
keitszufuhr wird im Gegenteil um so weniger angezeigt sein, je mehr der
meistens vorhandene enorme Durst trotz aller Ansammlungen von Ödem¬
flüssigkeit den tatsächlichen Mangel des Körpers an zirkulierendem
Wasser signalisiert.
Wenn man Ödeme auf operativem Wege (durch Skarifikation,
Punktion, Einlegung von Drains usw.) entleert, so ist man sich ja meistens
klar darüber, daß man nur ein palliatives oder symptomatisches Mittel
anwendet und den Grundfehler des Betriebes nicht beheben, die posi¬
tiven Triebkräfte für das Gefälle nicht vermehren kann. Vorteilhaft kann
aber auch die durch den Eingriff geschaffene Entlastung des Organismus
auf dem schnellsten Wege von vornherein nur dann sein, wenn noch die
Haut die leidliche Fähigkeit besitzt, als Organ und Gewebe funktionieren
zu können, d. h. durch eine aktive Systole und Diastole nach erfolgter
Entlastung die Arbeit des Gewebes wieder einigermaßen auf die Norm
zu bringen. Immerhin wäre in solchen Fällen die Punktion von Höhlen
oder des Anasarka noch rationeller, als stärkste Reize ohne Auf hören
— und doch zwecklos — im Blute zirkulieren zu lassen. Durch die
ergiebige Entleerung der Reserveräume, die ja mit Betriebswasser erst
allmählich wieder gefüllt werden können, gestalten sich zweifellos die
Arbeitsbedingungen für die Nieren temporär am besten, da ja ein Teil
64
1010
Eschle,
der Arbeit auf das nunmehr wieder aktivere Hautorgan übertragen wird.
Das entlastete und durch die Ruhe gestärkte Organ bietet natürlich
größere Chancen für eine weitere Steigerung der Leistung und einen
stärkeren Anreiz für die Restitution der Anomalien im gesamten
Kreislauf.
Das Mittel der Blutentziehung aus dem total überfüllten Venen¬
system leistet im Grunde nichts anderes, als die mechanische Entleerung
der Ödeme. Die Venäsektion ist nur deshalb manchmal scheinbar wirk¬
samer, weil sie für den Augenblick eine direkte Entlastung des Kreis¬
laufes, eine energische Erniedrigung der Abflußwiderstände im ganzen
Stromgebiet, gleichsam eine Entlastung der ganzen Oberfläche zur Folge
hat. Daß ein derartig energischer Eingriff aber noch größere Vorsicht
erfordert als etwa die Punktion, liegt auf der Hand.
Das Ansetzen von Schröpfköpfen nach vorangegangener
Stichelung ist lediglich eine modifizierte Form der Skarifikation.
Aktive und passive Muskelbewegungen und ebenso die
Massage gehören zu den mechanischen Methoden, die heute wohl so
gut wie verlassen sind. Alle diese Maßnahmen können ja beim Hydro-
pischen niemals die gleiche Beschleunigung und Erleichterung des Blut¬
umlaufes in den Venenstämmen erzielen wie beim Gesunden. Außerdem
vermag der in einem relativ kleinen Gebiete bewegte Säftestrom kein
normales Venengefälle zu repräsentieren und das so beschaffene Venenblut
ist keinesfalls imstande, die notwendigen tonischen Impulse für die
Diastole resp. Systole des rechten Ventrikels zu geben.
Durch passende Lagerung (z. B. Hochlager bei leichteren Schwel¬
lungen der unteren Extremitäten) oder durch regelrechtes Banda¬
gieren (der Glieder) mit Flanellbinden lassen sich Ödeme natürlich
für den Patienten weniger bemerkbar machen, aber ihre dauernde
Beseitigung oder auch nur Verringerung wird auf diesem Wege niemand
erhoffen, da auch hier nicht die Flüssigkeit resorbiert, d. h. dem Gefä߬
system als aktives Material zugeführt, sondern nur nach anderen Stellen
verdrängt wird.
Die auch heute noch herrschende Auffassung setzt die Möglichkeit
voraus, die Ödeme oder die starke Wasserspannung durch Hydragoga
zu beseitigen. Und wo die Steigerung der Diurese, auf die ich noch
zurückkomme und die man noch immer mit der Wasserabscheidung durch
die Nieren identifiziert, nicht glückte, versucht man meistens eine vikari¬
ierende (kompensatorische) Leistung der andern wasserabscheidenden Organe,
der Haut und des Darms durch Diaphoretika oder Abführmittel
zu erstreben. Die tägliche Erfahrung am Kranken spricht aber durchaus
dagegen, daß durch forzierte Transpiration oder kräftiges Laxieren eine
Entfernung hydropischer Ergüsse möglich ist. Beim Gesunden ist
die Diaphorese verhältnismäßig leicht zu erzielen, denn bei gutem Tonus
der Haut wird die Reizschwelle schon durch geringe Reize Überschriften.
Wir haben aber gesehen, inwieweit jedes Auftreten von Ödem (primär
oder sekundär) von einer Veränderung des Hauttonus abhängt; und wo
die Haut als Organ ganz insuffizient geworden ist, wird jeder Versuch
es an der Kompensation zu beteiligen nicht nur von vornherein frucht¬
los, sondern auch in ähnlicherWeise gefährlich sein, wie der Mißbrauch,
der bei atonischem oder insuffizientem Darm mit Abführmitteln getrieben
wird. Bei der erforderlichen Stärke muß der Reiz in solchen Fällen eher
in einem unserer Absicht konträren Sinne auf die Spannung des Organs
wirken. Es muß z. B. besonders davor gewarnt werden, bei Scharlach-
Pathogenese und kausale Therapie der Oedeme.
1011
nephritis mit auffallend trockener Haut und schwacher Herztätigkeit —
wo die Funktion der Haut sicher häufig primär, d. h. in gleicher Art
wie die der Nieren gestört sein kann — das an sich schon stark an der
Kompensationsarbeit beteiligte und darum kranke oder bereits ganz in¬
suffizient gewordene Hautorgan mit starken Mitteln zu vermehrter Tätig¬
keit anreizen zu wollen, in der Hoffnung, dadurch eine kompensatorische
Entlastung des Organismus zu bewirken.
Wenn es aber auch im günstigsten Falle gelänge, eine solche vika¬
riierende Tätigkeit in dem erforderlich hohen Maße anzuregen, so würde
allenfalls in einem Gebiete der lokale Hydrops schwinden, ebenso wie
nach einem Aderlaß der abnorme Seitendruck in diesem Bezirke sinkt.
Aber man kann sich leicht vorstellen, wie stark die vikariierende Tätig¬
keit resp. die Entlastung sein muß, um bei Verteilung auf den ganzen
Körper eine merkbare Wirkung zu entfalten. Nie wird es, abgesehen
davon, daß die Verminderung des Flüssigkeitsgehalts — immer den
günstigsten Fall vorausgesetzt — nur sehr gering und auch schon wegen
der Steigerung des Durstes beim Kranken von recht kurzer Dauer ist,
geliugen, bei der Einwirkung auf die Haut durch Diaphorese zu einer
ergiebigen Entlastung der Vena cava und der Herzvene zu kommen.
Daneben muß man auch beachten, daß im Falle tatsächlichen Erfolges
in erster Linie Betriebswasser und nicht hydropisches Wasser ausge¬
schieden wird.
Kurz, diaphoretische und purgierende Maßnahmen können
bloß wirken, wenn die mangelnde Kompensationstätigkeit nur
auf einer gewissen Unerregbarkeit eines Teiles der betreffen¬
den Apparate beruht, wenn z. B. die Schweiß- und Darmdrüsen
trotz der allgemeinen Störung doch noch ausnahmsweise funk¬
tionstüchtig sind und nur wegen eines lokalen Defektes in den
Reizen oder einer falschen Form der Regulation nicht so fun¬
gieren als sonst. Nur bei noch etwas feuchter Haut kann man
einen Versuch mit der Diaphorese machen, weil dann anzu¬
nehmen ist, daß das Organ noch nicht völlig insuffizient ist,
d. h. bei stärkeren Reizen noch stärkere Arbeit leisten kann.
Da die diaphoretischen Maßnahmen gewöhnlich in heißen Packungen,
lauen und warmen Frottierungen mit nachfolgenden losen Einpackungen
oder den verschiedenen Teearten, die meistens heiß genossen werden,
bestehen, so können sie in Fällen von geringer Kompensations¬
störung, die nicht mit bedeutenden stenokardischen Anfällen
und starker Spannung und Plethora im arteriellen Gefä߬
system resp. maximaler Hypertrophie vergesellschaftet sind, wegen
der Wärmezufuhr von großem Nutzen sein, da dabei die Wärmebildung
im Gewebe meist herabgesetzt zu sein pflegt.
Was von der Diaphorese gesagt ist, läßt sich im wesentlichen auch
von der Diurese sagen. Schon oben ist auf das Irrtümliche der An¬
sicht hingewiesen worden, die Diurese direkt mit einer Wasserabscheidung
durch die .Nieren zu identifizieren. Rosenbach hat jedoch noch auf
einen anderen Punkt aufmerksam gemacht, der in der Beurteilung der
auf Diurese hinzielenden Maßnahmen von Bedeutung ist: da die Wasser¬
ausscheidung nur in extremen Fällen die hauptsächliche Ursache der
Störungen, sonst nur ein Indikator für die Schwäche des Protoplasmas
ist, kann sie vielleicht unter Umständen sogar ein Mittel darstellen, das
durch Erzielung einer Art von Seitendruck den Ausfall des systolischen
Tonus bis zu einem gewissen Grade kompensiert. Das Wasser, außer-
64*
1012
Eschle,
dem in solchen Fällen der mechanisch und chemisch indifferenteste Stoff
für das Gewebe, schadet, sobald es in inaktivem Zustande retiniert und
dem Verkehr gewissermaßen entzogen ist, offenbar weniger als die häu¬
fige Darreichung differenter Mittel, bei denen immer die Gefahr besteht,
daß sie für den Organismus mehr schädigend als nutzbringend sein
können. Die maximalen Heize, deren Wirkung doch bei ihrer schnellen
Ausscheidung nur ephemer sein kann, müssen den normalen, mittleren
Reiz zur Sekretion für die Folge unwirksam machen und die frühere
Minderleistung des Organs wird nicht nur fortbestehen, sondern unter
Umständen einer dauernden Herabsetzung der Erregbarkeit bzw. der
Spannungsfähigkeit und damit wieder einer weiteren Abnahme derLeistungs-
fähigkeit, d. h. kompletter Asthenie und Atonie Platz machen. Jeden¬
falls wäre das bei zu häufiger Anwendung von Mitteln zu bedenken, die
die Nierentätigkeit (primär oder sekundär) stärker in Anspruch nehmen.
Es ist nun aber nach Rosenbach’s Ausführungen sehr fraglich, ob es
überhaupt direkte Diuretika bzw. spezifische Nierenreize gibt.
So zweifellos Luxuswasser (resp. Bier), übermäßige Mengen von Zucker,
Harnstoff, Flarnsäure und die diesen Substanzen nahestehenden Stoffe,
wie Koffein und Theobromin die Ausscheidung durch die Niere ver¬
stärken, so sicher ist es auch, daß ebenso einige fremde toxische Stoffe
durch die Niere eliminiert werden und die Arbeit dieses Organes be¬
sonders stark in Anspruch nehmen. Wir sind aber nicht imstande fest¬
zustellen, ob durch diese A*gentien die Nieren direkt zur Tätigkeit an¬
geregt oder ob sie nur für die Ausscheidung von Gewebsprodukten, die
auf diese Reize hin an anderen Stellen gebildet sind, sekundär besonders
stark in Anspruch genommen werden. Möglicherweise handelt es sich
(und dabei kommen nicht nur die Diuretika, sondern alle Hydragoga im
allgemeinen in Frage!) um Stoffe, die im Gebiete des ganzen Protoplas¬
mas die Fähigkeit verringern, Wasser zu aktivieren, d. h. es in feste Ver¬
bindung mit den eigentlichen Elementen des Körpers oder seiner Spann¬
kraftmaterialien zu bringen. Und das Gegenteil wollen wir doch durch die
Diurese bewirken! Aber davon ganz abgesehen: die künstliche Be¬
seitigung eines Symptoms braucht an sich noch keine Bedeu¬
tung für die Energetik zu haben.
Nun hat man ja aber in der Digitalis infolge der oft zauberhaften
Wirkung auf das Zurückgehen von Ödemen und auch der Anurie ein
Mittel sehen zu müssen geglaubt, das die kranke und insuffiziente Niere
selbst in verzweifelten Fällen zu kräftiger Tätigkeit anregt. Das aber
ist nach Rosenbach ein Trugschluß. Die Digitalis ist kein Reizmittel,
das bei primärer Erkrankung der Niere (z. B. bei chronischer Nephritis,
Schrumpfniere, Amyloid, bei Scharlachniere oder Entzündung nach In¬
fektionskrankheiten) das atonische oder insuffiziente Organ wieder zu
einem gewissen Maße spezifischer Arbeit befähigt, sondern nur bei
sekundärem Daniederliegen der Nierenfunktion infolge von Verringe¬
rung der Leistungsfähigkeit anderer Glieder des interorganischen Be¬
triebes, die sich in der Kompensationsarbeit erschöpft haben, namentlich
des Herzens.
Weiter ist die Digitalis auch kein Herzmittel im eigent¬
lichen Sinne, wie Rosenbach das eingehend ausführt, sondern
ein wichtiges Mittel für die Tonisierung des gesamten Proto¬
plasmas. Sie beeinflußt die Aktivierungsvorgänge im gesamten Proto¬
plasma, nicht bloß im Herzen, wenn auch da die Wirkung am stärksten
hervortritt, weil dieses Organ eben am meisten beansprucht wird und
Pathogenese und kausale Therapie der Oedeme.
1013
seine Wirkung am besten zu beurteilen ist. Wie sollte man es sonst
erklären , daß diese merkwürdigerweise oft dort am deutlichsten ist, wo
die ersten Kompensationsstörungen bereits das gesamte Gebiet des
Körpers betreffen, z. B. bei allgemeinen Ödemen infolge von Klappen¬
fehlern, während bei anderen Formen der Herzschwäche, z. B. manch¬
mal bei der idiopathischer Hypertrophie, bei der Sklerose der Koronaria,
bei Nierenschrumpfung oder Leberzirrhose eine so energische Wirkung
auf das Herz nicht hervortritt? Ja, für den Zweck der expansiven Ge¬
websspannung (Diastole des Gewebes, Kontraktion der Energeten) be¬
sitzen wir bisher außer den durch den normalen Betrieb selbst gestal¬
teten Substanzen in der Digitalis das einzige fremde Mittel. Sie ist bei
nicht zu großer Störung des Gleichgewichts imstande, als Substrat hoch¬
gespannter intermolekularer Energie die Einwirkung von genügenden
Mengen hochgespannter (Atom-) Wärme auf allen Gebieten des Proto¬
plasmas zur Geltung zu bringen und mit der Verstärkung der Aktivie¬
rungsfähigkeit des Protoplasmas unmittelbar zur Anregung der Oxyda¬
tionsvorgänge und mittelbar zur Bildung der weiteren Kreisprozesse
beizutragen. Falls sich überhaupt noch Spannungen erzielen
lassen, vermag die Digitalis mit einem Wort trophisclie Wir¬
kungen auszuüben, wie sie sonst nur dem Vagus und den tro-
phischen (sympathischen?) Nerven zukommen.
Rosenbach nimmt übrigens nicht an, daß die Digitalis etwa die
letzten Kräfte im Kern der Molekülgruppe freimacht, sondern daß mittels
der von ihr entwickelten Energie eine neue Spannung bewirkt wird, die
die Energeten befähigt, aus der Außenwelt wieder feinste Ströme von
Energie aufzunehmen und in normaler Weise zu transformieren. Auf
diesem Wege können dann auch allmählich wieder Spannkraftmateria¬
lien (Nahrung und Sauerstoff) aufgenommen und verarbeitet und so die
kunstvollen Gleichgewichtsverhältnisse, die die Grundlage des interorga¬
nischen Betriebes bilden, wiederhergestellt werden.
So erhöht die Digitalis auch direkt den Tonus des Herzgewebes
und indirekt den des Herzmuskels, indem sie das Gebilde dem Einfluß
des Hemmungsnervensystems, der den Betrieb im Gewebe selbst an¬
regenden Nerven unterstützt. Sie gibt dem Herzen Gelegenheit, in einer
längeren Diastole oder richtiger Pause, die innere parenchymatöse Ar¬
beitsleistung wieder auf eine beträchtliche Höhe zu bringen; sie
schafft durch Spannung nitrogener Energie die Basis für eine starke
Systole, die dem Gesamtkreislauf zugute kommt und somit dazu beiträgt,
das Protoplasma aller Organe auch wieder zu einer größeren Leistung
von wesentlicher und außerwesentlicher, von intraorganischer und inter-
organischer Arbeit zu befähigen.
Die Wirkung der Digitalis ist nur vortrefflich, wenn sie die Basis
für den normalen Tonus im gesamten Gefäßsystem liefert, wenn sie
den anomalen Phasengang beseitigen, die Schwäche der Ge webstätigkeit
durch Verstärkung des Aufnahmevermögens für Ströme fließender Energie
der Außenwelt herabsetzen kann. Sie ist aber Null, wenn das Proto¬
plasma aller wichtigen Organe oder selbst nur des Herzens aus Mangel
von Betriebsmaterial nicht mehr zu einer Selbstregulation des richtigen
Phasenganges kommen kann.
Digitalis ist also nur ein indirektes Mittel für die Diurese.
Sie steigert nicht — oder wenigstens nicht allein — den Se¬
kretionsreiz für die Niere resp. für die interorganische Tätig¬
keit, sondern schafft nur durch Regulierung des Gewebstonus
1014
Eschle,
aller protoplasmatischen Gebiete und so auch ganz besonders
des Herzens erst wieder ein normales intraorganisches Gefälle
und dadurch normale Arbeitsverhältnisse für das Herz und
die sekundär beteiligten Organe. Je günstiger die Verhält¬
nisse in einem dieser Gebiete, namentlich in der Niere noch
sind, je mehr die Störungen nur sekundäre Bedeutung
haben, wie z. B. bei Klappenfehlern, wo der Herzmuskel primär
insuffizient wird und die andern Organe nur aus Mangel an
den der Herztätigkeit entspringenden interorganischen Reizen
und nicht aus Mangel an Betriebs material für das Proto¬
plasma an der vollen Aktion behindert sind, desto sicherer
gelingt auch die Regulation und damit die Fortschaffung der
Ödeme durch Digitalis.
Da, wie oben gezeigt wurde, eine Erhöhung des Tonus im Gefä߬
system nicht unter allen Umständen mit einer Erhöhung des Wider¬
standes identisch zu sein braucht, im Gegenteil die Bedingungen hierfür
nur bei einer maximalen Erregung der Blutgefäße bzw. ihres Proto¬
plasmas gegeben sein können, müssen wir, wenn wir RosenbaclPs
Schlußfolgerungen gelten lassen, von vornherein alle Versuche für frucht¬
los ansehen, durch energische Stimulierung der zentralen Teile (Äther,
Alkohol, Ammoniak) den supponierten Widerstand überwinden zu wollen.
Und auf der anderen Seite, wenn der gefäßsystolische Faktor des Druckes
abnorm niedrig ist, werden wir nicht, wie schon erwähnt, von einer
maximalen Reizung der kleinsten Gefäße (durch energische Muskelarbeit
eingreifende hydropathische Prozeduren usw.) Erfolge erwarten dürfen,
sondern nur von der Anwendung relativ schwacher Reize.
Ein solches Mittel nun, das auf die Prostal tik der Gefäßmuskulatur
und damit auf die Herstellung des normalen Tonus im Arteriensystem
zuverlässig einwirkt und das in mäßigen Dosen ohne Schaden durch
längere Zeit verabreicht werden kann, steht uns nach Rosenbach im
Ergotin bzw. in dem Secale cornutum zur Verfügung. Und es
ist keineswegs eine theoretische Deduktion im Hinblick auf die Rolle,
die dieser Forscher den kleinsten Gefäßen zuerteilt, sondern wie sich
jeder überzeugen kann, eine am Krankenbett sich immer wieder be¬
stätigende Erfahrung, daß bei bestimmten Erkrankungen die
Sekalepräparate eine entschieden kräftigende Wirkung auf
den peripheren Kreislauf ausüben. Es sind das alles Fälle,
wo die Digitalis versagt, weil die hauptsächlichsten Kompen¬
sationsstörungen nicht im Herzmuskel oder im peripherischen
Protoplasma, sondern in den Arterien selbst liegen, die ihren
Tonus verloren haben, d. h. in Fällen von sogen, idiopathischer
Herzdilatation (wie sie z. B. nach schweren Kriegsstrapazen beobachtet
wird) von Aorteninsuffizienz und ausgesprochener Arterio¬
sklerose. Hier ist ja fast immer eine Leistungsfähigkeit der Gefä߬
wandungen resp. des spezifischen Protoplasmas dieser Organe vor¬
handen. Gerade wenn ein Teil der schweren Störungen bei Erkran¬
kungen des Gefäßsystems, namentlich bei Läsion der Aorta und Kranz¬
arterien auf die Unmöglichkeit einer Deckung der mangelhaften
protoplasmatischen Leistung durch die Triebkräfte der Gefäßwand selbst
zurückzuführen ist, hilft das Ergotin der übermäßigen Beanspruchung
des Herzens längere Zeit vorzubeugen und selbst in sehr schweren
Fällen, wenigstens für kurze Zeit, Hilfe zu schaffen. Das sehen wir
namentlich da, wo Kapillarpuls besteht (wenn derselbe auch nicht für
Pathogenese und kausale Therapie der Oedeme.
1015
die Insuffizienz der Aortenklappen pathognomonisch ist) aber auch sonst
in den erwähnten Kategorien von Fällen, Avenn wir dem Ergotin
bei einer methodischen und nicht zu schnell abgebrochenen Darreichung
Zeit lassen, seine volle Wirkung zu entfalten. Dies zeigt sich zunächst am
Pulse selbst, der gleichmäßiger, voller und gespannter, vor allem beträcht¬
lich langsamer Avird; und damit parallel geht gewöhnlich die Abnahme
der Atemnot, der stenokardischen Anfälle, des Herzklopfens, während
die Steigerung der Urinsekretion meistens nicht beträchtlich ist. Aber
die direkte Wirkung des Ergotins auf die Gef äß Avand ung (im
Gegensatz zu der den Protoplasmatonus im allgemeinen be¬
einflussenden Digitalis) macht es auf der andern Seite auch er¬
klärlich, Aveshalb das Mittel gerade bei Kranken versagen
muß, die bereits beträchtliche, längerdauernde Ödeme haben,
ebenso bei den anderen Formen der Klappenfehler, als bei
der Insuffizienz der Aortenklappen oder bei organischen, nicht
durch Arteriosklerose bedingten Herzerkrankungen.
Eines Mittels aber darf hier keinesfalls zu gedenken unterlassen
werden, das zu einer zielbewußten Regulation der natürlichen Kompen¬
sationsvorgänge uns in die Hand gegeben ist: es ist das Morphium.
Dabei müssen Avir von der bloß proliibitiven Wirkung der Opium deri-
vate, d. h. von der Ersparnis an Energie, die lediglich durch den
hypnotischen und sedativen Einfluß erzielt wird, zunächst absehen. Die
Opiate sind eben, Avie Rosenbach nachgewiesen hat, Tonica,
d. h. Mittel, die durch ihre Zerfallsprodukte direkt Avichtige
Reize resp. Energieformen für den inneren Teil der Energetik
liefern, den wir im weitesten Sinne als we sentliche Arb eit be¬
zeichnen, Aveil er die Prozesse umfaßt, die (im Gegensatz zur
außerwesentlichen, der Betätigung in der Außeirwelt und dem Materialien¬
transport im Organismus dienenden Arbeit) zur Erhaltung der Be¬
triebsspannungen des dynamischen Systems zur BeAvahrung
des spezifischen GleichgeAvichts der organisierten Elemente
notAvendig sind. Das Morphium begünstigt in gleichem Maße die
Kraft e rsp arnis durch Herabsetzung der außenvesentlichen, namentlich
der exosomatischen Leistung, Avie die Kraftbildung durch Wiederher¬
stellung normaler Spannungen.
Gerade Avegen dieser tonischen Wirkungen auf die Ge-
Avebe ist kein Mittel besser als das Morphium geeignet, den
letzten, stärksten Kampf des Organismus für die Wieder¬
herstellung des gestörten Gleichgewichts zu unterstützen, d. h.
zur Freude des Arztes nicht etAva bloß das fliehende Leben
für eine kurze Frist aufzuhalten, sondern auch nicht selten
Avieder einen länger dauernden, befriedigenden Zustand herbei-
z u f ü h r e n.
Dazu kommt die direkt schlafbringende Wirkung des Morphiums!
Der Schlaf — besonders der nächtliche Schlaf — ist ja (unter sonst
günstigen Bedingungen für den Zufluß der feinsten Ströme) an sich die
Periode der Restitution des Gewebstonus, der Wiederherstellung der
Spannungen in den kleinsten Elementen, die am Tage und Avährend des
Wachens unter dem Einfluß der Arbeit für Massenverschiebung und
-Spannung mehr oder Aveniger gelöst worden sind. Und Avir haben
schon gesehen, Avie überall da avo infolge geschwächter Gewebstätigkeit
allgemeine Hautödeme (Anasarka) oder Flüssigkeitsansammlungen in den
Höhlen des Körpers (Hydrothorax, Hydroperikard, Aszites) entstanden
1016
Eschle, Pathogenese und kausale Therapie der Oedeme.
sind, die sich bei vollkommener Ruhe, Digitalis- und vorsichtigem Mor¬
phiumgebrauch (zu rechter Stunde und in rechtem Maß) nicht ausgleichen
lassen, die Möglichkeit, sie durch andere Einwirkungen fortzuschaffen,
äußerst gering ist.
Wenn wir uns immer vor Augen halten, daß bei Herzfehlern und
allen Störungen des Betriebs nicht bloß ein Organ, sondern alle an
der Kompensation beteiligt sind, daß dieser nur darum nicht vollkommen
ist, weil die Größe der durch die Außenwelt gesetzten störenden Einflüsse
und die Ansprüche, die auch durch die Willensakte an den Betrieb ge¬
stellt werden, größer sind als die in der Organisation gegebenen Mittel,
den Betrieb zu erhalten, werden auch unsere therapeutischen Be¬
strebungen weniger auf die Erzielung großer Organleistungen,
als auf die Herstellung des richtigen Gleichgewichts durch
zweckmäßige Verteilung von Betätigung und Ruhe, von außer¬
wesentlicher Arbeit und Gelegenheit zu wesentlicher Arbeit
durch Erholung und Schlaf gerichtet sein. Und beim Vor¬
handensein von Ödemen, die schon immer ein beträchtliches
Defizit an Energievorräten dokumentieren, wird man in der
Beschränkung der außerwesentlichen Arbeit zugunsten der
Ruheperioden sich gar nicht genug tun können. Hier ist das
Bett das Heilmittel, das in erster Linie steht, zumal es auch
durch Verminderung der Wärmeabgabe als Sparmittel im
Energiehaushalt wirkt.
Bereits oben ist auf den Nutzen der Wärmezufuhr resp. Wärme¬
konservierung bei manchen Fällen von Kompensationsstörung hingewiesen
worden, da dabei die Wärmebildung im Gewebe meistens herabgesetzt
zu sein pflegt. Namentlich bei Klappenfehlern, vor allem bei Stenose
des Ostium venosum sinistrum, ist Wärme unerläßlich, ja sogar oft
direkte Wärmezufuhr geboten, zumal selbst im Bett und unter dem
Schutze schlechter Wärmeleiter im Bett die Extremitäten fortgesetzt
kühl bleiben.
Überhaupt tritt für den Beobachter der Lebensarbeit —
denn ein solcher und nicht bloß ein Beobachter der Krank¬
heit soll der Arzt im Sinne Rosenbach’s sein — die Form und
Größe der Kompensationsleistung um so stärker und deutlicher
hervor, je unmerkbarer die Entwickelung der Reize vor
sich geht.
Zwei Anforderungen erwachsen aus einer derartigen Er¬
wägung an den Arzt, einmal, daß er die Regnlationsstörungen
bis zu ihrem feinsten Ursprünge verfolgt und die kleinste sicht¬
bare Veränderung der Arbeit zu erkennen sucht, um recht¬
zeitig der Verschiebung des Gleichgewichts vorzubengen, die
wir Krankheit und vom anatomischen Gesichtspunkte Gewebs-
störung nennen — dann aber auch, daß er auf eine nicht zu
frühzeitige, aber doch stetige und langsame Steigerung der
Anforderungen Bedacht nimmt. Die Fälle sind verschwindend
gering, in denen nicht bei ganz allmählicher Anpassung und
Hebung das Vielfache der ursprünglichen Leistung erreicht
w i r d.
Literatur:
O. Rosenbach: Über regulatorische Albuminurie nebst Bemerkungen über amyloide
Degeneration. Zeitschr. für klin. Medizin, Bd. VIII, S. 86, 1884.
„ Grundlagen, Aufgaben und Grenzen der Therapie. Wien und
Leipzig, Urban & Schwarzenberg, 1891.
Martin Mendelsohn, Ueber den Herzschmerz und seine Beseitigung. 1017
0. Rosenbach: Die Krankheiten des Herzens und ihre Behandlung. S. 508ff.,
551 ff., 861 ff., 906 ff., 927 ff., 975 ff., 1056—1110. Wien und Leipzig,
Urban & Schwarzenberg, 1893—1897.
„ Die Grundlagen der Lehre vom Kreislauf. Wien, M. Pertes, 1894.
„ Plethora abdominalis und Atonie nebst Bemerkungen über Darm¬
bewegungen. Archiv für Verdauungskrankli., Bd. I, 1895.
„ Grundriß der Pathologie und Therapie der Herzkrankheiten.
Berlin und Wien, Urban & Schwarzenberg, 1899.
„ Perihepatitis. Eulenburg’s Enzyklopäd. Jahrb., Bd. IX, 1900.
„ Uber lokalisierte Stauungen und Ergüsse bei Herzkranken nebst
Bemerkungen zur funktionellen Diagnostik der Übergangsformen
von Exsudat und Transsudat. Münchener med. Wochenschr.,
Nr. 14, 1901.
„ Die Ziele der funktionellen Diagnostik nebst Bemerkungen über
das Blut als Organ und die regulatorische Funktion der Nieren.
Nr. 17 u. 18, 1891.
„ Energotherapeutisclie Betrachtungen über Morphium als Mittel
der Kraftbildung, v. Leyden’s und Klemperer’s Deutsche
Klinik, Bd. I, 1902.
„ Warum sind wissenschaftliche Schlußfolgerungen auf dem Gebiete
der Heilkunde so schwierig und in welchem Umfange können
wesentliche Fehlerquellen durch die betriebstechnische (ener¬
getische) Betrachtungsweise vermindert oder beseitigt werden?
Berlin, Aug. Hirschwald, 1903.
. r Eine neue Kreislaufstheorie. Berl. klin. Wochenschr., Nr. 46, 1903.
„ Bemerkungen über die Behandlung der Leukämie mit Röntgen¬
strahlen. Münch, med. Wochenschr., Nr. 22, 1905.
„ Gesammelte Abhandlungen. Plerausgegeben von W. Guttmann.
2 Bde. Leipzig, Joh. Ambr. Barth, 1909.
Ueber den Herzschmerz und seine Beseitigung.
Von Prof. Dr. med. Martin Mendelsohn in Berlin.
Wenn man viel Herzkranke zu sehen und zu behandeln Gelegen¬
heit hat, so tritt einem immer wieder aufs Heue die Tatsache entgegen,
daß kaum eine Erscheinung den Kranken so sehr beunruhigt und quält,
als der Schmerz, der Herzschmerz. Und doch hat im allgemeinen
dieser ,, Herzschmerz“ gar nichts oder nur recht wenig mit dem eigent¬
lichen Herzleiden zu tun. Aber er ist der Warner, der oft die Kranken
überhaupt erst zum Arzte führt, und das dann oft zu einem Zeit¬
punkte, an dem noch nicht viel verloren ist, wo noch die Möglichkeit
einer vollen Erhaltung' der Herzkraft bei sorgsam durchgeführter Thera¬
pie gegeben ist. Und ebenso, wie Shakespeare die Schmerzen Freunde
nennt, da sie gutes raten, müssen auch die Ärzte den Schmerzen aus
diesem Grunde dankbar sein.
Selbstverständlich ist hier von allen den schweren Formen der
Angina pectoris nicht die Rede ; und auch, die leichteren Zustände
derart, welche mit ihr Zusammenhängen, haben ja ihren Ursprung
im Herzen selbst. Daneben aber gibt es eine außerordentlich mannig¬
faltige Reihe der verschiedenartigsten Schnierzempfindungen, welche
so belegen sind, daß sie jeder Kranke mit Naturnotwendigkeit auf das
Herz beziehen muß ; und die dabei doch mit dem Herzen gar keinen
oder nur einen losen Zusammenhang haben. Zwar besteht kein Zweifel,
daß sämtliche im Bereiche des linken Brustkorbes belegenen Nerven
im innigen Zusammenhänge mit dem Pierzen stehen, und daß nicht
nur sie selbst durch fehlerhafte Reize, die vom Herzen ausgehen,
gereizt und zu schmerzhafter Empfindung gebracht werden können,
sondern daß umgekehrt auch krankhafte Reize, welche auf diese peri-
1018
Martin Mendelsohn,
pheren Nerven einwirken, durch Fortleitung auf das Herz selbst dieses
in seiner Tätigkeit beeinflussen und sogar schwere Anfälle in ihm
auslösen können. Für gewöhnlich jedoch haben die Schmerzen, über
welche Herzkranke in der Herzgegend klagen und die sie auf ihr
Herz beziehen, ihren Sitz nicht im Herzen selbst, sondern in der Brust¬
wand, entweder in den Interkostalnerven oder in dem Periost der
Kippen oder, was besonders häufig ist, bei Frauen in den Nerven
der Brustdrüse, besonders wenn die Brust stark entwickelt ist und
durch ihr Gewicht (drückt und zerrt. Selig1) hat alle diese Formen
des Herzschmerzes unlängst in einer Arbeit besprochen.
Da nun in der Mehrzahl der Fälle diese Schmerzen mit der da¬
neben bestehenden Herzerkrankung gar nichts zu tun haben, so
bedürften sie an sich auch fast nie einer Therapie, denn sie bleiben
immer in durchaus [erträglichen Grenzen ; und nur ihr Sitz ist es,
der sie den Kranken so peinlich macht. Ich frage in solchen Fällen
fast immer meine Patienten, ob ihnen der Schmerz etwas ausmachen
würde, wenn er in gleicher Stärke und Dauer an einer anderen Körper-
steile, etwa, im Oberschenkel, säße; und erhalte stets die Antwort,
daß sie sich dann gar nichts daraus machen würden. Es ist eben
nur die Deutung, welche diese Schmerzen von seiten der Kranken
haben ; es ist eben nur die dauernde Mahnung, welche von der Schmerz-
empfindung ausgeht, daß sie herzkrank seien, welche zum Handeln
und zum Eingreifen zwingt : denn die Aufgabe ist hier nicht etwa
nur die, Kranke von einer lästigen Empfindung zu befreien — eine
Aufgabe, die ja jeder Arzt jederzeit, soweit als irgend möglich, zu
erfüllen die Pflicht hat — sondern gerade bei Herzkranken ist
die dauernde Besorgnis und die Rückwirkung, welche durch die immer
wieder erneut auf tretende Sorge um ihren Zustand stetig auf das Herz
ausgeübt wird, ein nicht zu unterschätzender Faktor, der unter allen
Umständen beseitigt werden muß. Die Herztätigkeit selbst v/ird durch
ihn ungünstig beeinflußt ; die durch Hilfsmittel der Therapie ange¬
strebte Schonung des Herzens wird durch die hier vorhandene stetige
Erregung zum großen Teile beeinträchtigt und oft sogar ganz auf¬
gehoben. Es besteht daher die dringende Aufgabe, den Schmerz zu
beseitigen ; und das ist niöht immer ganz leicht.
Zunächst hat eine Form des Schmerzes bei Herzkranken derartige
Ursachen, daß sie nur durch eine Heilung der Herzkrankheit selbst
beseitigt werden kann. Ich verstehe unter ,, Heilung“ einer Herzkrank¬
heit die vollständige Wiederherstellung des Blutumlaufes; lange Zeit
bevor es zu den sogenannten Kompensationsstörungen kommt, hat die
mangelnde Herzmuskelkraft in den Lungen, im Gehirn, in den großen
Arterien, in den Unterleibsgefäßen Beeinträchtigungen des Blutum¬
laufs hervorgerufen, aus denen in der Hauptsache alle die Beschwerden
resultieren, welche die Herzkranken überhaupt erst zum Arzte führen.
Hebt man mit geeigneten therapeutischen Mitteln die Herzkraft, sorgt
man dafür, daß die Zirkulation überall wieder im gleichmäßigen Ganne
vor sich geht, gelingt es vor allem den erhöhten Blutdruck wieder
auf die Norm herabzubringen, so schwinden auch die Beschwerden,
und man hat als Arzt alles .erreicht, was man unter einer Heilung
der betreffenden Krankheit verstehen kann. Nun tritt gar nicht so
selten bei Herzkranken — und nicht nur bei bestehender Arterio-
1) Artur Selig, Kurarzt in Franzensbad. Medizinische Klinik, Nr. 21, 1909,
Ueber den Herzschmerz und seine Beseitigung.
1019
skleroso — ein sehr quälender, drückender, überaus heftiger Schmerz
in der linken Brustseite auf, der in der Hauptsache hinten am Bücken
zwischen den Schulterblättern empfunden wird, aber auch vorn in der
Brust; und den die Kranken oft so schildern, als wenn er von vorn
nach hinten den Körper durchsetzt. Dieser Schmerz ist kein Nerven¬
schmerz, er ist nicht durch die Beizung' irgend eines nervösen Apparates
entstanden, sondern beruht, wie mich zahlreiche Beobachtungen gelehrt
haben, darauf, daß hier infolge einer Überfüllung des Anfangsteiles
der Aorta, die Wände dieses großen Gefäßes übermäßig gedehnt werden
und so der Schmerz zustande kommt. Es ist bekannt, daß die schlimm¬
sten Schmerzen, welche überhaupt im menschlichen Organismus auf-
treten können, durch die übermäßige Dehnung röhrenförmiger Leitungen
entstehen (Nierensteine, Gallensteine) ; hier genügt, wenn auch quan¬
titativ kein Vergleich etwa mit der Dehnung des Ureters durch einen
Nierenstein sein kann, schon die wesentlich geringfügigere Dehnung
der Arterienwände durch .das sich stauende Blut, um einen solchen
lästigen, drückenden Schmerz zu erzeugen. Und natürlich kann er
nur dann wieder verschwinden, wenn es gelingt, den Blutumlauf aus¬
reichend auszugleichen. Ein solcher Schmerz also kann nur mit allen
Hilfsmitteln der Herztherapie zur Beseitigung gebracht werden, er ist
im innersten Wesen des Herzleidens selbst begründet und es gelingt
nur mit der Hebung der Herzkraft und mit dem Ausgleich des gestörten
Blutumlaufs ihn zu bannen.
Ganz anders aber sind die Möglichkeiten, die quälenden lokalen
Erscheinungen bei Herzkranken dort zu beseitigen, wo es sich um
direkte oder indirekte Beizungen sensibler Nerven handelt oder wie
gar — was ja auch vorkommt — rheumatische Beizungen der Brust¬
muskulatur oder gleichzeitig bestehende Interkostal-Neuralgien vor¬
liegen, oder wo - — ein ganz besonders häufiges und wichtiges Vor¬
kommnis — die sensiblen Nerven in der linken Brustwand infolge
der Veränderung des Herzens selbst, seiner Erweiterung, oder seiner
Hypertrophie, oder seiner Lage Veränderung, im Laufe der Zeit in
einen solchen Zustand von Überempfindlichkeit und gesteigerter Reiz¬
barkeit gelangt sind, daß schon die geringsten Beize in ihnen nicht
nur Empfindungen, sondern Schmerzempfindungen auslösen. Liier muß
eine lokale Therapie, welche die Empfindlichkeit herabsetzt oder gar
ganz ausschaltet, außerordentlich günstig wirken, und sie tut es auch
in der Tat.
Schließlich hat ja unser guter Eisbeutel, der auf die Herzgegend
aufgelegt wird, in der Hauptsache auch immer nur diese Wirkung:
die Empfindung der Nerven abzustumpfen. Er wird zwar gewöhnlich
in der Idee auf das Herz gelegt, hierdurch eine Herabsetzung der
Herztätigkeit selbst, eine Verminderung seiner Schlagfolgei zu veran¬
lassen; tatsächlich ist dies aber keineswegs der Fall; und der viel
verwendete und auch oft mißbrauchte Herz-Eisbeutel hat dort, wo er
wirkt, keinen anderen Effekt als den, die Sensibilität der Herzgegend
abzustumpfen und die . quälenden Sensationen dem Kranken weniger
fühlbar werden zu lassen.
Nun können wir heutigen Tags dieses therapeutische Ziel viel
wirksamer und viel sicherer mit neueren Hilfsmitteln erreichen, als
mit der einfachen Anwendung der Kälte, die ja ohnedies schon ihrer
äußeren Form wegen umständlich und nicht immer anwendbar ist.
Ich habe, wie gesagt, gerade dieser Aufgabe der Herztherapie stets
1020
Martin Mendelsolm,
die vollste Aufmerksamkeit zugewandt und habe alles verwendet, was
nur irgend diesem Zwecke zu entsprechen vermochte ; aber wenn auch
vorübergehend starke Hautreize, wie Sinapismen, zwar dadurch von
Wirksamkeit waren, daß bei ihrer Anwendung einer überstarken Reizung
der Nerven eine reaktive Unempfindlichkeit folgte, so erfüllten diese
Mittel doch immer erst nur auf einem Umwege ihre Aufgabe und
auch immer hur für eine relativ kurze Frist und nicht ohne 'Beschwerden
für den Kranken. Auch lokale Kohlensäure-Applikationen, wie sie
seit einiger Zeit möglich sind, haben mir manchmal wertvolle Dienste
geleistet; indes war die Wirkung auch nur hier und da eine aus¬
reichende, da eben der therapeutische Reiz hier, wo es sich um Tiefen¬
wirkung* handelt, ein zu geringfügiger ist. Und so war es mir sehr
erwünscht als ich endlich in dem Rheumasan, jenem bekannten, seit
einigen Jahren im Handel befindlichen Mittel, ein Medikament fand,
welches bei allen meinen Herzkranken, an denen ich es in Verwendung
zog, die vollste Wirksamkeit entfaltet hat.
Es ist bekannt, daß das Rheumasan eine Seife darstellt, welche
Salizvlsäure durch die Haut hindurch in die Tiefe zu bringen und an
Ort und Stelle zur Wirkung kommen zu lassen vermag. Das Mittel ist
zunächst in der Absicht hergestellt worden, zum Zwecke einer allgemei¬
nen Wirkung Salizylsäure dem Körper so einzuverleiben, daß dabei die
Einnahme durch den Magen ausgeschaltet wird, da ja hierdurch die zahl¬
reichen ungünstigen und lästigen Nebenwirkungen entstehen, welche eben¬
solange bekannt sind, als die Salizylsäure verwendet wird. Das Rheuma-
san ist eine weiche lOprozentige Salizylseife ; die Salizylsäure ist in
ihm frei vorhanden, nicht als Alkalisalz; sie ist dadurch völlig resorp¬
tionsfähig und wirkt direkt, überall wo sie beim Einreiben hindurch
in die Tiefe gelangt. Und diese Salizylsäure, in der Form des Rheuma-
sans, über der Herzgegend auf der Fläche der linken Brustseite ein¬
gerieben, beseitigt bei systematischer und ausreichend durchgeführter
Verwendung alle die quälenden und auch für den Allgemeinzustand sehr
bedeutsamen Empfindungen, von denen Herzkranke sehr oft heim¬
gesucht werden.
Ich habe es allmählich von jedem der Kranken, bei welchem
solche Erscheinungen Vorlagen, verwenden lassen. Die Anwendung ist
eine äußerst einfache: Es wird, je nach der Intensität der vorliegenden
Beschwerden zwei oder drei, oder auch mehrere Male pro Tag', eine
kleine Menge der weichen Seife langsam und stetig in die Haut der
linken Brustseite eingerieben. Das Einreiben muß langsam, unter sanf¬
tem Druck, erfolgen, gewöhnlich sind 10 Minuten Zeit dazu erforder¬
lich. Man läßt eine dünne Schicht des Rheumasans auf der Haut
zurück und bedeckt die eingeriebene Stelle mit irgend einem kleinen
Stücke eines leichten Stoffs.
Wenn ich mich hier in Kasuistik ergehen wollte, so könnte ich
eine große Reihe von Fällen anführen, in denen diese einfache Medi¬
kation alle störenden Erscheinungen beseitigt hat ; das verbietet sich
von selbst. Ich möchte nur auf einen besonderen Fall aus meinen
zahlreichen Erfahrungen und Beobachtungen besonders hinweisen. So
wurde ein alter, sehr urteilsfähiger und geistig sehr hervorragender
Herr dadurch besonders beunruhigt, daß er von Zeit zu Zeit von
„Herzanfällen“ befallen wurde. Er hatte eigenartige Empfindungen
in der linken Brustseite, leichtes Stechen und Kribbeln in der linken
Schulter, glaubte während der ganzen Zeitdauer des Anfalles, „daß
Ueber den Herzsclimerz und seine Beseitigung.
1021
ihm das Herz herausfiele“, und zeigte noch manch andere Symptome
mehr. Ich hatte Gelegenheit, ihn genau zu beobachten und sah bald,
daß trotz der zweifellos vorhandenen Arteriosklerose und trotz einer
nicht unbeträchtlichen Erschlaffung des Herzmuskelfleisches, diese Er¬
scheinungen, welche in der Tat nur von Zeit zu Zeit und ausgesprochener¬
maßen anfallsweise auftraten, keineswegs etwa Anfälle von Angina
pectoris waren. Es fehlte jede eigentliche Schmerzempfindung, es fehlte
jede Beeinträchtigung des Herzschlages und des Pulses, es fehlte jede
Störung der Atmung. Trotzdem waren es gerade diese Zufälle, welche
den Kranken ausnehmend beunruhigten. Ich habe ihn mit Bheumasan
behandelt, habe es zunächst nur dann anwenden lassen, wenn sich Vor¬
boten dieser Empfindung" einstellten und habe damit in wenigen Tagen
erzielt, daß die Zufälle schon nach wenigen Minuten zum Schwinden
gebracht wurden. Alsdann habe ich in einer Art prophylaktischer
Absicht dem Kranken das Mittel regelmäßig dreimal täglich in relativ
geringen Mengen einreiben lassen und die Anfälle sind, nachdem dies
einige Wochen fortgesetzt wurde, vollständig beseitigt. Der Patient
hat die Einreibungen weiter fortgesetzt und sie alsdann allmählich
ausklingen lassen ; auch später sind die Erscheinungen nicht wieder
auf ge treten. Natürlich ging hiermit eine sorgfältige und systematische
Behandlung seines eigentlichen Herzleidens und seiner Arteriosklerose
Hand in Hand ; aber auch diese Behandlung wurde wesentlich erleichtert
und gefördert durch den Umstand, daß es gelungen war, die Depression
von dem Kranken zu nehmen, welche bei jedem Auftreten jener Er¬
scheinungen sich seiner bemächtigte.
Nochmals möchte ich hervorheben, daß es sich, wie auch in dem
eben erwähnten Falle, keineswegs etwa immer um ausgesprochene
Schmerzen handelt. Die Empfindungen am Herzen sind mannigfacher
und verschiedener Art; das Bheumasan wirkt auch, und ganz besonders
günstig, wo die Kranken über Kältegefühl in der Herzgegend, über
Prickeln und Stechen und über die mannigfachsten anderen Empfin¬
dungen klagen.
Ich weise nochmals darauf hin, wie ich immer und immer wieder
gesehen habe, welche ganz außerordentliche Bedeutung die Befreiung
von lokalen Empfindungen abnormer Art für jeden Herzkranken, den
man heilen will, besitzt. Das JHerz selbst, auch das kranke, hat nur
in den seltensten Fällen eigene Empfindung ; der Krankheitszustand
macht sich ja in anderer Weise, erst durch die gestörte Zirkulation
bemerkbar. Treten indessen solche Empfindungen auf, so werden sie
ausnahmslos von dem ohnedies stark geängstigten Kranken auf ihren
Herzzustand bezogen, und jede Vermehrung dieser Empfindung ist
ihnen gleichbedeutend mit einer Verschlimmerung ihres eigenen Leidens.
Es ist daher von der größten Wichtigkeit über ein Mittel zu ver¬
fügen, welches diese Empfindungen zu beseitigen vermag und den
Kranken dadurch wenigstens an Ort und Stelle den Anschein einer
Behebung seiner Krankheit erweckt. Und da es die Empfindlichkeit
der ganzen beeinflußten Partien herabzudrücken und zu mildern ver¬
mag, so hat es besonders auch in den zahlreichen Fällen von Herz¬
krankheiten Geltung, wo das linke Herz vergrößert und mit seiner
Masse vermehrt ist. Gerade hier, wo dann oft noch durch seine ver¬
mehrte Schwere das nur lose auf gehängte Organ an der linken Kuppe
des Zwerchfells nach unten sinkt und sich mehr und mehr an die
Brustwand herandrängt, gegen die es ohnedies schon durch sein ver-
1022
Ehrmann und Fuld,
mehrte s Volumen stark angepreßt ist, gerade bei diesen Zuständen fühlt
der Kranke jede einzige seiner erregten und gesteigerten Herzzusammen¬
ziehungen wie einen Schlag gegen seine Brustwand, und gerät dadurch
in einen Zustand dauernder Beunruhigung und Erregung. Auch hier
ist es möglich, diese Empfindung durch eine systematische Behandlung
mit Bheumasan einzuschränken und zu mildern ; auch hier wird durch
die Einschränkung dieser Empfindungen den Kranken ein vermehrtes
W ohlbehagen geschaffen und die weitere Herztherapie begünstigt und
gefördert.
So ist der Zweck dieser Zeilen der, darauf hinzuweisen, daß
überall, wo Herzkranke störende Empfindungen lokaler Art haben,
diese behandelt und beseitigt werden. Denn unsere Herztherapie setzt
sich aus einer großen Zahl verschiedener Einzelaufgaben zusammen ;
und nur, wenn alle diese systematisch und zielbewußt in einer ge¬
schlossenen Kur zur Durchführung kommen, ist es möglich, die Auf¬
rechterhaltung der Herzkraft und den Betrieb des Kreislaufes auch
am erkrankten und geschwächten Herz bis zur natürlichen Grenze
des Alters aufrecht zu erhalten.
26. Kongreß für innere Medizin zu Wiesbaden.
19—22. April 1909.
Berichterstatter: Dr. Ehrmann und Dr. Fuld.
(Schluß.)
Mohr -Halle hat neuerdings einen neuen Fall von schwerem Dia¬
betes untersucht, der bei ca. vierwöchiger Beobachtung bei geregelter
Ernährung dauernd erhöhte Hüchternwerte für den 02 hatte, die zwischen
30 und 40°/0 über der Horm lagen. Es scheint nicht richtig zu sein,
zu sagen, der Energieumsatz beim menschlichen Diabetiker unterscheidet
sich prinzipiell von dem des pankreaslosen Hundes ; die Fragestellung
muß vielmehr lauten : in welchen Fällen von menschlichem Diabetes
finden wir Erhöhung der Umsatzes? Es wäre sehr wünschenswert,
wenn auch beim pankreaslosen Hund die direkte Kalorimetrie durch¬
geführt würde. Die Berechnung des Umsatzes auf indirektem Wege
hat etwas Mißliches, weil die Frage nach der Herkunft des Zuckers
nicht entschieden ist.
Magnus-Levy-Berlin : Die Höhe des Umsatzes beim Diabetiker
ist nicht Frage der Individualität des Falles, sondern der Zweckmäßig¬
keit resp. Unzweckmäßigkeit seiner Ernährung. Der Pankreasdiabetes
ist ein akuter Übergang des gesunden in den kranken Stoffwechsel,
ein Umschwung, der beim Menschen stets allmählich vor sich geht.
Falta (Schlußwort): Gegenüber Weintraud bemerkt der Vor¬
tragende, daß Diabetiker, wenn sie irrationell ernährt werden, allerdings
sehr rasch an Gewicht verlieren können, trotz einer Kalorienzufuhr,
bei der ein Gesunder sich im Körpergleichgewicht erhalten sollte. Um¬
gekehrt findet man, daß Diabetiker beim Übergang von einer irra¬
tionellen Ernährung zu einer rationellen ungemein rasch an Körper¬
gewicht zunehmen können. Er hat schon vor 3 Jahren auf diesem
Kongreß und in seinen Publikationen darauf hingewiesen, daß sich
solche Schwankungen im Körpergewicht des Diabetikers ohne wesent¬
liche Veränderung des Eiweißbestandes abspielen können und daß hier
neben dem Ansatz resp. Verlust von Fett und Kohlehydrat Schwan-
26. Kongreß für innere Medizin zu Wiesbaden.
1023
kungen im Wassergehalt Vorkommen. Es ist sicher anzunehmen, daß hei
reichlicher Zuckerausscheidung resp. starker Hy per glyämie der Diabetiker
durch die gesteigerte Diurese sehr viel Wasser verliert und umge¬
kehrt hei Besserung der Symptome rasch Wasser wieder aufnimmt.
Es sind daher derartige Beobachtungen über das Körpergewicht beim
Diabetiker mit großer Vorsicht aufzunehmen. Eine entscheidende Be¬
deutung in dieser Frage erkenne er nur exakten, alle diese Momente
berücksichtigenden Stoff- und Gaswechseluntersuchung zu.
Gegenüber Mohr bemerkt er, daß er nicht behauptet habe, daß
in allen Fällen von Diabetes mellitus der Umsatz nicht erhöht ist,
sondern ausdrücklich die Frage aufgeworfen habe : Gibt es schwere
Fälle, welche trotz reichlicher Zuckerausscheidung im Hungerzustand
keine Erhöhung des Umsatzes haben?
Gegenüber Magnus-Le vy erwidert er, daß man auch beim Hunde
eine allmähliche Entwickelung des Diabetes herbeiführen könne durch
unvollständige Exstirpation des Pankreas. Es sind mehrere Fälle in
der Literatur genau beschrieben, in deinen sich dann oft erst nach
Monaten ganz allmählich ein schwerer Diabetes entwickelte. In keinem
dieser Fälle ging aber der Quotient D:N über die Minkowski’ sehe
Zahl 2,8 hinaus, während man in den Fällen des menschlichen Diabetes
viel höhere Quotienten, besonders bei reichlicher Ernährung mit Fett
beobachten kann.
A. Böhme- Frankfurt a. M. : Klinische Untersuchungen über
Opsonine.
Die Untersuchungen bei Staphylo- und Streptokokkenerkrankungen
ergaben in Anbetracht der Fehler der Methode keine brauchbaren Re¬
sultate. Die Angabe Wright’si, daß schwer Tuberkulöse einen stark
schwankenden Index haben, wurde bestätigt, ebenso Inman’s Befund,
daß nach körperlicher Bewegung der Index bei Tuberkulösen rasch
sinkt und dann wieder ansteigt. Seröse tuberkulöse Exsudate haben
nur in einem Teil der Fälle einen herabgesetzten Index ; eitrige Exsudate
geben immer niedrige Werte, jedoch nicht nur gegenüber Tuberkel¬
bazillen, sondern auch gegenüber anderen Bakterienarten. Die Herab¬
setzung beruht hier auf einer nicht spezifischen Absorption der Opso¬
nine durch die Leukozyten. Wenn die Wrigh Eschen Befunde über
Tuberkulose auch zum Teil bestätigt wurden, so sind die Ausschläge
doch nicht genügend groß und konstant, um die opsonische Methode
hier als diagnostisch empfehlenswert erscheinen zu lassen.
Sehr starke spezifische Erhöhungen des Index wurden bei Typhus,
Paratyphus, Koliinfektionen und Meningitis gefunden. Jedoch konnte
in allen vom Vortr. beobachteten Fällen die Diagnose auf einfacherem
Wege durch die Agglutinationsprüfung gestellt werden. Eine größere
praktische Bedeutung scheint also auch hier der opsonischen Unter¬
suchung nicht zuzukommen. Beim Typhus ist der Opsoningehalt meist
sehen während der Lyse, stärker in der Rekonvaleszenz erhöht, um
nach kürzerer oder längerer Zeit wieder zur Komi abzufallen.
Von den thermolabilen Opsoninen sind verschieden die thermosta¬
bilen Bakteriotropine, wie besonders Untersuchungen bei Tuberkulose
ergaben. Normales Serum enthält keine Tuber kulosebakteriotropine,
bei schwer Tuberkulösen wurden sie in etwa 75 °/0 der Fälle gefunden,
bei leicht Tuberkulösen seltener, nach längeren Tuberkulinkuren waren
sie stets nachweisbar. Eine prognostische Bedeutung kommt ihnen nicht
zu, auch diagnostisch kommen sie praktisch kaum in Betracht.
1024
Ehrmann und Fuld,
Ein strengerer Parallelismus zwischen der jeweiligen Heilungs¬
tendenz und dem Opsoningehalt besteht nicht, die Verfolgung des In¬
dex erscheint daher für die Vakkinationsbehandlung nicht von größerem
Werte zu sein. Vortr. hat etwa 25 Fälle nach Wright mit abgetöteten
Bakterien behandelt, ein sicheres Urteil über den Wert dieser Be¬
handlungsmethode ist ihm aber noch nicht möglich.
Eine wesentliche praktisch -diagnostische Bedeutung haben die
Opsonine kaum, als biologische Reaktionsprodukte bieten sie viel Inter¬
essantes.
Diskussion.
Klingenberger-Königsberg hält die Bestimmung des Index für
Koli wegen der enormen Verschiedenheit der Kolistämme für sehr
schwierig, wenn nicht der Stamm des Patienten bereits isoliert ist.
Rothschild-Soden: Die opsonische Untersuchung hat bei der
Tuberkulose allerdings keinen diagnostischen Wert, dafür aber einen
um so höheren therapeutischen, denn sie lehrt uns, ob der Index niedrig
ist, die Tuberkulinkur also einen Sinn hat. Ferner kommt es darauf
an, durch Anwendung des eigenen Tuberkulins von den Bazillen des
Patienten oder mindestens eines möglichst spezifischen Misch tuberkulins
Einfluß auf die opsonischen Werte zu gewinnen.
Citr on- Berlin : Nicht die Steigerung des Index ist das Ziel der
Tuberkulinbehandlung, sondern die Erregung einer Herdreaktion. Ob
ein Zusammenhang zwischen dem Ansteigen des Index und dem Auf¬
treten der Reaktion besteht, ist durchaus fraglich.
Böhme: Die Bestimmung des Index geschah bei Koliinfektion
möglichst gegenüber dem eigenen Stamm.
Auch therapeutische Bedeutung kann der Messung des Index nicht
beigemessen werden, denn bei hohem Index kann der Patient krank
bleiben, bei niederem genesen. Eine größere Bedeutung hingegen
scheinen die Bakteriotropine zu besitzen.
Magnus- Alsleben -Basel : Uber die Beziehungen zwischen
Temperaturerhöhung und Stoffwechsel im Fieber.
Es kann weitgehende Unabhängigkeit zwischen der Temperatur¬
erhöhung und der Stoffwechselstörung bestehen. Bei Phthisikern ist
trotz hohen, kontinuierlichen Fiebers manchmal keinerlei ungünstiger
Einfluß auf den N-Stoffwechsel nachweisbar. Gelegentlich kommen bei
Phthisikern aber auch N-Retentionen vor, welche nicht als Ablagerung
einer zweckmäßig verwendeten Substanz zu deuten sind (analog denen
bei Diabetikern).
C
In akuten Infektionskrankheiten ist die Proportion — im Harn
gestört ; im Scharlach und Typhus ist sie kleiner, in der Angina größer
als normal. Die abnorme Erniedrigung resp. Erhöhung pflegt die Zeit
der Temperaturerhöhung nicht unbeträchtlich zu überdauern.
R. Schütz-Wiesbaden: Zur Kenntnis der baikteriziden Darm¬
tätigkeit.
Durch Versuche am überlebenden isolierten Katzendarm wurde
festgestellt, daß die bereits früher vom Redner gefundene bakterizide
Wirkung den Epithelien der Darmschleimhaut zukommt, und zwar
handelt es sich um präformierte Schutzstoffe.
26. Kongreß für innere Medizin zu Wiesbaden.
1025
Muskat-Berlin: Nervöse Störungen nadh Plattfuß.
Die Symptome des Plattfußes können mit nervösen Erkrankungen
verwechselt werden. Besonders kommen Ischias, Tabes und Neurasthenie
in Frage.
Nur die Kenntnis aller diagnostischen Kennzeichen des Plattfußes
kann vor Verwechselungen schützen ; die Anschauung, daß lediglich
das Abflachen des Fußgewölbes ein Zeichen von Plattfuß sei, ist irrig.
Bei geeigneter Behandlung sind sowohl die Plattfußbeschwerden, wie
die Erscheinungen, welche irrtümlich für „nervöse“ gehalten wurden,
zu beseitigen.
Naegeli-Naef -Zürich : Über Bleineurasthenie, eine Paral¬
lele zur traumatischen Neurose.
Der Vortr. berichtet ausführlich über das epidemieartige Auftreten
von neur asthenischen Symptomen an 7 Patienten mit leichtem Satur¬
nismus. Da in der Schweiz eine staatliche Versicherung gegen Gewerbe¬
krankheiten besteht, so unterlagen die Kranken den gleichen psychischen
Schädlichkeiten, wie hierzulande die Unfallverletzten. Es entwickelten
sich bei ihnen unter dem Einfluß von Begehrungsvorstellungen, von Be¬
schuldigungen der Simulation usw., das klassische Bild der traumatischen
Neurose, während die Bleisymptome immer mehr in den Hintergrund
traten.
E. Meyer- Kissingen- Berlin : Fermentwirkungen der Sdhild-
drüse.
Die Tatsache, daß die Basedowkranken mit vergrößerter Schild¬
drüse sich in bezug auf den Fettstoffwechsel entgegengesetzt verhalten
wie Myxödematöse mit verkümmerter Schilddrüsenanlage, veranlaßte
den Vortr., von normalen Tier- und menschlichen Schilddrüsen Preßsaft
zu gewinnen und ihn auf eine Fettemulsion (Eigelb) bei Brutschrank-
wärme einwirken zu lassen. Die gleichen Versuche stellte er dann mit
frisch operierten Basedow- und Kolloidkröpfen an. Er fand die Ab¬
spaltung von Fettsäuren bei Basedowkranken vermehrt, bei kolloid-
haltigen Kröpfen kaum angedeutet. Er schloß daraus auf eine regu¬
lierende Tätigkeit der Schilddrüse im Eettstoffwechsel, vielleicht durch
Fermente, deren Isolierung auch therapeutisch, zur Entfettung, erwünscht
sein dürfte.
Diskussion.
Umber- Altona: Alle Organpreßsäfte, nicht nur Schilddrüsensaft,
üben eine lipoly tische Wirkung auf die Eigelbemulsion aus.
Th. Schilling-Nürnberg : Die Behandlung der chronischen
Bronchitis und des Bronchialasthmas mit Röntgenstrahlen.
Der Vortr. bestätigt und ergänzt seine erste, vor drei Jahren auf
dem Kongreß gebrachte Beobachtung. Von 50 teilweise schweren Er¬
krankungen erzielte er bei 25 °/0 Heilung, bei 50°/0 wesentliche Auswürf-
verminderung und vielmonatige Besserung, bei 25 °/0 keine Beein¬
flussung. In vielen Fällen trat die Beeinflussung nach jahrelangem;
Bestehen des Leidens im Anschluß an die Röntgenbehandlung auf. Die
Besserung bezw. Heilung hält in manchen Fällen 1 — l1/^ Jahre an. Ein
Fall von jahrelang bestehenden Bronchiektasien ist seit 2 1/2 Jahren fast
völlig frei von Auswurf und Beschwerden. Kinder scheinen den besten
Erfolg bei der Röntgenbestrahlung aufzuweisen.
65
1026
Vorläufige Mitteilungen und Autoreferate.
PI önies - Dresden : Die Beziehungen der Magenkrank¬
heiten zu den Störungen und Erkrankungen des Zirkulatious-
apparates mit besonderer Berücksichtigung der nelrvöseü
H er z s t ö rungen.
Der Vortr. behauptet, daß aus der Herzgrößenbestimmung ein
sicherer Rückschluß auf die Magenerweiterung möglich sei. Magen¬
gärungsprozesse sollen zur Erweiterung von Magen und Herz führen.
„Die Herzerweiterungsgröße ist uns also ein zuverlässiger trefflicher
Indikator für die Größe und Schwere dieser von Gärungs- und Zer¬
setzungsprozessen im Magen herrührenden Toxine.“
Vorläufige Mitteilungen u. Autoreferate.
Ueber Spezialmilch mit reduziertem Fettgehalt.
Von Dr. Brandenberg, Winterthur.
(Korrespondenzbl. für Schweizer Ärzte, Nr. 10, 1909.)
Eine Serie von 1200 — 1300 Stuhluntersuchungen brachten Verf.
die Überzeugung, daß die Dyspepsien im Kindesalter infolge unge¬
nügender Eiweißverdauung an Zahl bedeutend hinter den Dyspepsien
Infolge Insuffizienz der Fett-' und Kohlehydrate zurückstehen. Die
Färbemethoden zum Fettnachweis' haben B. nicht befriedigt. Praktisch
wichtiger schienen ihm verminderte Adhärenz der Stuhlpartikelchen
an den Objektträger und Nachweis von stark lichtbrechenden Schollen
im mikroskopischen Präparat. Daß diese als fetthaltig anzusprechen,
folgert nicht nur aus dem optischen Verhalten, sondern auch ex juvan-
tibus, diese Schollen nehmen ab oder verschwinden beim Verabreichen
fettarmer Nahrung. Bei mangelhafter Fettverdauung ist in erster Linie
Buttermilch zu empfehlen. Verf. will die Empfehlung derselben gegen¬
über den anderwärts gegebenen Indikationen (allen Arten allgemeiner
Atrojohie, bei anämischen, rachitislchen Kindern mit schwachen Magen,
bei akutem Darmkatarrh) einschränken auf Anwendung: in erster Linie
bei Insuffizienz der Fettverdauung. Die tägliche Bereitung der Butter¬
milch im Hause zeigt viele Inkonvenienzen, da der Butterungsprozeß
bei gleicher Milch und gleichem Verfahren oft gar nicht oder sehr
ungenügend gelingt, dementsprechend der Fettgehalt sehr schwankt. B.
empfiehlt daher eine von der Berner Alpenmilch-Gesellschaft nach seiner
Verordnung hergestellte „fettarme Spezialmilch“ mit, einem Fettgehalt
von 0,2 — 0,3°/0. Die damit angestellten Versuche haben bei richtiger
Indikationsstellung sehr befriedigt und wöchentliche Gewichtszunahmen
von 80 — 250 g ergeben. Diese bestätigen, daß ein Kind auch bei ge¬
ringerer Fettzufuhr gedeihen kann, als bisher angenommen wurde. Da
diese Milch gegenüber der gewöhnlichen Kuhmilch weniger stark ver¬
dünnt werden muß, erhält das Kind das Milcheiweiß in größerer Quan¬
tität. Der Übergang zur gewöhnlichen Milch geschieht entweder durch
Kahmzusatz oder Einschalten von gewöhnlicher Marktmilch. Diese
Spezialmilch wirkt auch günstig bei Behandlung gewisser Ekzemfälle.
Bei älteren Kindern kann der1 Ausfall des Fettes durch Verabreichung
fettarmer Kindermehle, speziell Kufeke, eventuell auch Kacahaut
Delangrenier gedeckt werden, diese letztere besonders bei Neigung
zu Diarrhöen. Die Spezialmilch wird auch in der Diätetik erwachsener
Dyseptiker in geeigneten Fällen gute Dienste leisten. Autoreferat.
Vorläufige Mitteilungen und Autoreferate.
1027
Ein Fall von Chylurie mit Glykosurie.
Von Dr. Brandenberg, Winterthur. (Deutsche med. Wochenschr., Nr. 21, 1909.)
Das l1/2 jährige Kind leidet seit 3 — 5 Tagen an starkem Durst-
gefühl bei vermindertem Appetit, Harnmenge bedeutend vermehrt. Der
heutige Vormittagsurin ist milchig getrübt, während der erste Morgen¬
urin noch ganz klar war. Die Veränderung war nur an diesem Tage
zu beobachten.
Urinbefund : Reaktion sauer, spezifisches Gewicht 1030. Eiweiß
nach Esbach nicht nachweisbar, Trommer’sche Probe deutlich, bei
Zusatz von Äther entsteht ein gelatinöser Bodensatz, darüber eine
trübe Schicht, der Bodensatz nimmt nach längerem Stehen zirka 1/5 der
gesamten Flüssigkeitsmenge ein. Im Gärungssaccharometer wird der
Zuckergehalt auf 1,5 — 2 °/0 bestimmt. Die Urinuntersuchung anderen
Tags ergibt spezifisches Gewicht 1025, Trommer’sche Probe undeut¬
lich. Eine zirka l1/2 Jahr später vorgenommene Urinuntersuchung
spezifisches Gewicht 1030, weder Zucker noch Albumin nachweisbar.
Im Gegensatz zu Brieger’s Fall (Charite-Annalen 1882) zleigte B.’s Fall
Zucker. Ein Übergang des Chylus; aus den renalen Lymphgefäßen in
den Urin kann für das Auftreten der Glykosurie nicht verantwortlich
gemacht werden, da der Zuckergehalt des Chylus nur 0,1 — 0,2 °/0 be¬
trägt, ebenso ist alimentäre Glykosurie auszuschließen, sowie das Auf¬
treten einer Glykosurie auf psychischen Reiz oder Trauma hin. Auch
Lipurie, von der Verf. früher einen Eall beschrieben, kommt nicht
in Präge. Eine Erklärung für das' gleichzeitige Auftreten von Chylus
und Zucker im Urin, das nur an einem einzigen Vormittag beobachtet
werden konnte, vermag Verf. nicht zu geben. Autoreferat.
Die Wassermann’sche Reaktion und ihre Beeinflussung durch die Therapie.
Von Fritz Hoehne. (Berl. klin. Wochenschr., Nr. 19, S. 869, 1909.)
Verfasser berichtet über die vom 1. Januar 1908 bis 1. März 1909
von ihm in Gemeinschaft mit Prof. Sachs ausgeführten 2383 Unter¬
suchungen an 1832 Patienten. Die Reaktion fiel bei Lues: I in 38,6 °/0,
bei Lues II (unbehandelt) in 79,1 °/0, bei Lues II (behandelt) in 48,4 °/0,
bei Lues maligna in 7 5 °/0, bei Lues III in 63,6 °/0, bei Aortitis luetica
in 100 °/0, bei Lues eerebrospinalis in 16,7 °/0, bei Lues latens in 31,3 °/0
und bei Lues hereditaria in 87,5 °/0 positiv aus. Erwähnenswert er¬
scheint, daß in fast einem Drittel der Fälle mit Primäraffekt die
klinische Diagnose durch den positiven VMssermann bestätigt wurde,
trotzdem Spirochäten nicht nachgewiesen werden konnten. Bei Tabes
wurde in 60°/0 und bei Paralyse in 80°/0 positive Reaktion gefunden.
In 427 Fällen kam eine luetische Ätiologie differentialdiagnostisch in
Betracht, von denen 101 positiv reagierten. Von 320 zur Kontrolle
untersuchten Patienten, die weder klinisch, noch anamnestisch Anhalts¬
punkte für Lues darboten, haben 317 negativ und 3 positiv reagiert.
Bei 2 von ihnen war nach genauester Beurteilung eine luetische In¬
fektion doch nicht ganz von der Hand zu weisen, beim 3. Fall han¬
delte es sich um ein scharlachkrankes Mädchen. Unter den FMellis
publicis, die keine Anhaltspunkte für Lues darboten, fiel die Reaktion
in 21,5 °/0 positiv aus, wodurch die Indikation zur Einleitung' einer
spezifischen Behandlung gegeben war. Die Behandlung übt einen un¬
verkennbaren Einfluß auf den Ausfall der Reaktion aus. Von 211 Fällen,
die zu Beginn der Behandlung positiv reagierten, reagierten bei späteren
1028
Referate und Besprechungen.
Untersuchungen 43,6 °/0 absolut negativ, 11,8 °/0 nur noch angedeutet
positiv. Es wurde mithin in 55,4 °/0, d. h. in mehr als der Hälfte
der Fälle eine sehr deutliche Beeinflussung der Reaktion durch die
Behandlung konstatiert. Unverändert positiv blieben 44,6 °/0. Viel deut¬
licher ist der Einfluß der Therapie auf den Ausfall der Reaktion
bei „genügender“ Behandlung, wobei man nur in 33,9 °/0 keine Ände¬
rung der Reaktion feststellen konnte. Verfasser versucht, festzustellen,
welches Medikament die Wassermannsche Reaktion am stärksten be¬
einflußt. Hiernach scheint das Kalomel am energischsten zu wirken.
Hg. sal. und die löslichen Hg -Präparate kommen sich in ihrer die
Reaktion vermindernden Kraft sehr nahe ; doch ist die Zahl der unter¬
suchten Fälle bei einzelnen Mitteln eine so kleine, daß man aus ihnen
wohl noch keine definitiven Schlüsse ziehen kann. Autoreferat.
Referate und Besprechungen.
Bakteriologie und Serologie.
Lipoide als Schutzkörper.
(Gerard u. Lemoine. Tribüne med., Nr. 17, S. 201, 24. April 1909.)
Seitdem H. Büchner mit dem Begriff der Alexine die chemische Vor¬
stellung und Erklärung der Immunität inauguriert hat, mühen sich die
Forscher ab, dieser Schutzkörper habhaft zu werden. Die Geschichte der
letzten Jahrzehnte ist voll von solchen Versuchen.
Neuerdings hat sich das Interesse den Lipoiden zugewendet, und Gerard
und Lemoine vertreten die Ansicht, daß ihr antitoxisches Vermögen auf
antihämolytischen Eigenschaften beruhe, welches eben die roten Blutkörper
(und wohl auch die übrigen Zellorganismen des tierischen Körpers) vor der
Auflösung schütze.
Sie sind im weiteren Verfolg ihrer Studien dem Sitze dieser Lipoide
nachgegangen und haben dabei gefunden, daß diejenigen Organe, welche
durch ihre Lage oder ihre Funktion den Angriffen toxischer oder infektiöser
Agentien am meisten ausgesetzt sind, den größten Lipoid-Gehalt auf weisen ;
sie stellen demgemäß die Lungen dem Knochenmark gegenüber, wobei jedoch
zu bedenken ist, daß die Lungen gar nicht so sehr den 'Bazillen exponiert sind,
als man früher angenommen hatte. Auch daß das Gehirn ungemein reich
an Lipoiden ist, will sich meines Erachtens nicht so ganz diesem jGedanken-
gang einfügen.
Die Zweckmäßigkeit, mit welcher der Organismus eingerichtet ist, von
der aber die modernen Naturforscher nichts wissen wollen, hat es so einge¬
richtet, daß an den bedrohten Punkten die Lipoide sich anhäuften: „dans ce
cas, les graisses des autres parties de l’economie se mobilisent en quelque
sorte et leur apportent les principes actifs qu’elles contiennent“ ; und in diesem
Lichte erscheinen die Verfettungsprozesse, welche man bisher als Degenerations¬
zeichen betrachtete, vielmehr als Schutzmaßregeln.
Indessen, keineswegs alle Lipoide sind kraft ihrer antihämolytischen
Eigenschaften als Immunisierungskörper anzusprechen. Es gibt auch solche
mit hämolytischem Vermögen, und zwar hängt die Eigenschaft, Zellen auf¬
zulösen oder nicht, von anderen Körpern ab, welche sich mit den Lipoiden
verbinden : Antitoxisch, antihämolytisch wirken Zugaben von Gallenbestand-
teilen, Cholesterin, Oxycholesterin u. drgl., während Beimengungen von
Lezithin und Phosphatiden eine" entgegengesetzte Wirkung haben. Nach
Gerard und Lemoine ist demgemäß die Leber das Zentrum der Immunität;
denn sie produziert im Bedarfsfälle die antitoxischen Lipoide, ergießt sie
in den Darm, von wo sie resorbiert und an die gewünschten Punkte trans¬
portiert werden.
Die Bedeutung der Lipoide soll nicht bestritten werden ; aber die ganze
Referate und Besprechungen.
1029
Immunität machen sie doch wohl nicht aus. Auch aus der Ger ard-Lemodne-
schen Darstellung leuchtet die Notwendigkeit einer intakten Reizleitung her¬
aus; schließlich ist zum Erreichen des beabsichtigten Effektes der plan¬
mäßige Transport der Schutzkörper ebenso wichtig wie ihre Produktion.
Ein intakter Reaktionsapparat — im weitesten Sinne genommen — scheint
mir deshalb immer noch das Wesentliche an diesen Vorgängen zu sein.
Buttersack (Berlin).
lieber einen neuen Bazillus als Erreger eines exanthematischen Fiebers
in der Mandschurei während des japanisch-russischen Krieges, „Bacillus
febris exanthematici Mandschurici“.
(T. Horinchi. Zentralbl. für Bakt. Bd. 46, H. 7.)
Bei 40 Fällen bot sich ein dem Unterleibstyphus ähnliches Krankheits¬
bild, das mit Schüttelfrösten, Exanthem in Form einer großen Roseola am
ganzen Körper mit Befallen des Gesichts begann. Nach sieben Tagen war
ein staffelförmiger Jheberabfall innerhalb 1 — 2 Tagen bis zur Norm zu
beobachten. Aus dem Stuhl der Patienten war ein Stäbchen gezüchtet wor¬
den, das in seinem morphologischen und biologischen Verhalten dem Para¬
typhusbazillus und dem Bakt. coli ähnelt. Traubenzucker vergärt es nicht,
Milch gerinnt nicht; deutliche Indolbildung nach 24 Stunden. Auf den üb¬
lichen Nährböden wächst es wie Typhus- und Paratyphusbazillen.
Die Widal’sche Reaktion war nur mit diesem Bazillus positiv. Immu¬
nisierte Kaninchen liefern ein Serum, das in 2000facher Verdünnung den
genannten Bazillus noch zur Agglutination bringt, aber niemals Dysenterie¬
bazillen usw. agglutiniert. Schürmann (Düsseldorf).
Ueber die lyssizide und immunisierende Wirkung der Zerebrospinal¬
flüssigkeit gesunder, wutkranker und immunisierter Tiere.
(Claudio Fermi. Zentralbl. für Bakt., Bd. 48, H. 2.)
Nach den Untersuchungen des Verfassers ist der Zerebrospinalflüssig¬
keit von Hunden, Katzen und Eseln eine stark lyssizide Wirkung zuzusprechen.
Sie findet sich nicht nur in der Zerebrospinalflüssigkeit von wutkranken
oder immunisierten, sondern auch von gesunden Tieren. Es wirkt die Zere¬
brospinalflüssigkeit von immunisierten Tieren stärker wuttötend ; dagegen
ist die Zerebrospinalflüssigkeit von stark gegen die Wut immunisierten!
Tieren der immunisierenden Wirkung nicht nur gegen das fixe Virus, son¬
dern auch gegen das Straßenvirus beraubt.
Es ergibt sich auch, daß wuttötende und das Serum immunisierende
Substanzen nicht in die Zerebrospinalflüssigkeit übergehen.
Schürmann (Düsseldorf).
Ueber eine neue Methode zur Darstellung der Tuberkelbazillensporen.
(L. v. Betegh. Zentralbl. für Bakt., Bd. 49, H. 8.)
Die Methode ist folgende :
1. Ausstrich der Reinkulturen; Lufttrocknen, fixieren.
2. Beizen mit einer 10%-Silbernitratlösung über der Flamme eine Minute
bei 80— 90° C.
3. Wasserabspülen.
4. Einwirkenlassen einiger Tropfen von 50% wässeriger Rodinal - Lösung
20 — 30 Sekunden, bis die Schicht braun wird.
5. Wasserabspülen, trocknen. Kanada usw.
Es findet nach dieser Methode nur eine Färbung der Sporen statt,
die schwarzbraun und scharfkantig erscheinen. Eine kurzdauernde Nach¬
färbung mit Karbolfuchsin färbt auch die Hülle. Es gelang der Nachweis
der Sporen sicher in Reinkulturen von Tuberkel-Perlsucht-Vogeltuberkulose,
-Fischtuberkulose, Blindschleichen-, Froschtuberkulose und in den Sputa
tuberkulöser Individuen. Schürmann (Düsseldorf).
1030
Referate lind Besprechungen.
Innere Medizin.
Fränkel’scher Pneumokokkus und Schwindsucht.
(L. Panichi. Annali delP Istituto Maragliano, Volume II, Fascicolo VJ. —
Genova, S. 352—364, 1908.)
Im Blut von Patienten mit Lungentuberkulose begegnet man häufig
dem latent zirkulierenden Pneumokokkus, und zwar lange, bevor der Bat.
stirbt. Buttersack (Berlin).
Aus dem städtischen Obucliow-Krankenhause zu St. Petersburg.
Zur Behandlung der fibrinösen Pneumomie.
(Dr. E. B. Blumenau. Allg. Wiener med. Zeitung, Nr. 49 — 51, 1908.)
B. betont, daß man heutzutage das Fieber als eine zweckmäßige Er¬
scheinung, als den Ausdruck des im Organismus vor sich gehenden Selbst¬
heilungsprozesses auf fasse, indem es die Neutralisierung der toxischen Sub¬
stanzen durch die Produktion von Antitoxinen begünstige. Deshalb solle der
Arzt das Fieber nur in denjenigen Fällen herabzusetzen versuchen, in denen
es gefährlich zu werden drohe. Von allen, das Herz ungünstig beeinflussenden
Antifibrilia sieht er ab und wendet statt ihrer nur das Chinin an, das auf
die Herztätigkeit verlangsamend und kräftigend einwirkt. Er gibt es sämt¬
lichen (?!) Pneumoniekranken in der Quantität von 1 g täglich bis zum
Eintritt der Krise.
Zur Erhaltung und Hebung der Herzkraft empfiehlt er ausgedehnte
Anwendung von Digitalis und besonders von Kampfer, die er beide auch schon
prophylaktisch vielfach verordnet. Daneben Eisblase und trockene Schröpf¬
köpfe, in der Resolution Expektorantien. Aderlaß glaubt er durch die
Kampferdarreichung vermeiden zu können. Die Mortalität betrug in zehn
Jahren, nach Abzug der hoffnungslos Eingelieferten, durchschnittlich 24°/0.
Esch.
Ein Fall von PulmonaremboSie nach Injektion von Quecksilbersalicylat.
(E. H. Ei sing. Amer. Journ. of Surg., Nr. 1, 1909.)
Der Fall ist durch die Überschrift ziemlich erledigt und eine Warnung,
daß selbst, wenn man nach dem Einstechen der Nadel wartet, ob Blut austritt,
Embolie erfolgen kann. Die Injektion wurde wegen oberflächlicher Glossitis
bei einem starken Raucher gemacht, obgleich alles gegen Syphilis sprach.. Daß
das ein leichtsinniger Streich war, scheint E. nicht eingefallen zu sein.
F. von den Velden.
Aus der zweiten inneren Abteilung des Städtischen Krankenhauses am Urban
in Berlin.
Die Behandlung des akuten Gelenkrheumatismus.
(Prof. Dr. A. Plehn. Deutsche med. Wochenschr., Nr. 51 u. 52, 1908.)
Die nach Salizyldarreichung beobachteten Katarrhe der Harnwege
möchte Plehn nicht anders einschätzen, wie einen passageren Magenkatarrh,
der infolge irgend einer Arzneigabe auftritt, ohne daß man deswegen mit
dieser Arzneiverordnung aufhört. Er hält die Salizylsäure für ein spezi¬
fisches Mittel gegen den Gelenkrheumatismus, die aber in genügender Dosis
gegeben werden muß. Natürlich muß die Diagnose absolut sicher sein.
Plehn verordnet das Salizyl in seiner Klinik folgendermaßen. Am ersten
Tage erhalten die Patienten alle halben Stunden 1/2 g oder alle Stunden 1 g
acidum salicylic. als Pulver, im ganzen 3 — 5 g, die folgenden Tage täglich
6 g und zwar so lange, bis sie drei Tage lang völlig fieberfrei geblieben
sind. Hierauf bekommen die Kranken noch sieben Tage läng 4 g pro die
und müssen am Schluß noch drei Tage ohne Medikament das Bett hüten.
Referate und Besprechungen.
1031
Die unangenehmen Nebenerscheinungen bestehen in Schwerhörigkeit und
Ohrenklingen (besonders bei Frauen, denen er infolgedessen nur 5—3 g pro die
gibt), sowie in Magenbeschwerden, die bisweilen so heftig auftraten, daß die
Behandlungsmethode abgebrochen werden mußte. Die Appetitlosigkeit dauerte
gewöhnlich nur so lange, wie Fieber bestand, nach dessen Auf hören konnte
er, wie er an der Hand einiger Krankengeschichten zeigt, beträchtliche
Körperzunahme feststellen.
Komplikationen des Harnapparates fand er unter 341 Kranken nur einmal,
doch ging hier die Eiweißtrübung des Urins schon während der Salizyl-
darreichung zurück. Überhaupt konnte Plelin konstatieren, daß die bei
Gelenkrheumatismus und anderen Infektionskrankheiten vorkommende, stets
geringe Albuminurie, noch während der Salizylbehandlung aufhörte. Selbst
akute und chronische Nephritiden wurden nur sehr wenig beeinflußt. Was
die Beeinflussung des Herzens anbetrifft, so fand er weder beim gesunden
Herzen, noch bei alten kompensierten Klappenfehlern, noch bei Herzhyper¬
trophien infolge chronischer Nephritis irgend welche Störungen. Nur bei
schweren frischen Endokarditiden und Myokarditiden, die noch nicht völlig
kompensiert waren, sah er besonders in drei Fällen heftige Intoxikations¬
erscheinungen. Tritt in solchen Fällen tiefes Inspirium auf, das Zeichen
ernsterer •Vergiftung des Nervensystems, so muß sofort mit der Salizyl¬
behandlung aufgehört werden. Sind die Organe sonst gesund, so gehen
die üblen Erscheinungen wieder zurück. Oft stand die Schwere der Sym¬
ptome nicht im richtigen Verhältnis zur Salizylmenge, so daß also sicher
die persönliche Disposition eine Rolle spielte.
Wichtig für den Verlauf der Erkrankung ist es, daß mit der Salizyl-
therapie möglichst zeitig nach Beginn des Leidens angefangen wird. Einmal
kann dadurch der Anfall kupiert werden, dann hat es aber auch auf die
Herzaffektionen großen Einfluß. Kann Plehn doch nachweisen, daß bei
319 nach seinem Salicylregime behandelten Kranken nur zweimal Herzklappen¬
fehler auftraten, während bei 101 auswärts und wahrscheinlich ungenügend
mit Salizyl behandelten Patienten 36 an Herzfehlern erkrankten. Er glaubt
zwar nicht, daß die Salizyltherapie noch Einfluß hat, wenn der Entzündungs- *
prozeß schon das fibröse Klappengewebe ergriffen hat, ist er aber noch
auf die serösen Häute beschränkt, so hält er eine günstige Wirkung des
Salizyls doch für möglich. Er möchte daher die frühzeitige Salizyltherapie
gleichsam als Prophylaxe gegen Herzerkrankungen angewandt wissen.
In Fällen ungenügender Wirkung des Salizyls wendet er Kalium jodatum
3 — 4 g pro die an oder macht intramuskuläre Einspritzungen einer Kombi¬
nation von Chinin (0,5) und Antipyrin (0,5 — 1,0). In ganz besonders hart¬
näckigen Fällen eignen sich am besten intravenöse Injektionen einer 5%igen
Kollargollösung und zwar jeden 3. — 5. Tag 3 — 5 ccm.
Es ist dabei zu vermeiden, daß etwas von der Lösung in das umgebende
Gewebe kommt, da sonst heftige Entzündungserscheinungen auftreten. Bei
gut gelungener Injektion tritt das erstemal ein starker Schüttelfrost ein,
der bei den folgenden Einspritzungen allmählich verschwindet. Gewöhnlich
genügen fünf Injektionen bis zur Heilung.
Was die physikalischen Hilfsmittel betrifft, so dürfen sie nur als
unterstützende Faktoren in Frage kommen, können aber die medikamentöse
Therapie in keiner Weise ersetzen. F. Walther.
Typhus ohne Darmgeschwüre.
(E. Sacquepee u. F. Chevrel. Progres med., N. 73—76, 1908.)
Der Begriff Typhus ist heutzutage so eng mit den Vorstellungen
von Darmgeschwüren verknüpft, daß man fast Bedenken trägt, einen Fall,
bei dem sich solche nicht finden, für einen wirklichen Typhus zu erklären.
Das ist nicht immer so gewesen. Die pathologischen Anatomen in der ersten
Hälfte des XIX. Jahrhunderts, z. B. Rokitansky, P. C. A. Louis, wußten
ganz wohl, daß Darmulzerationen nicht unumgänglich nötig waren, um einen
1032
Referate und Besprechungen.
Typhus zu diagnostizieren; aber wir alle wissen, wie allmählich immer mehr
die exakten Demonstrationen an die Stelle des klinischen Denkens getreten sind.
Zum Glück bietet sich in der Widal’schen Agglutination ein Verfahren, [welches
nicht weniger exakt als die Okularinspektion des Darms eine präzise Diagnose
zuläßt, und mit dieser Reaktion fand sich zum allgemeinen Erstaunen die alte
Wahrheit neuentdeckt, daß es Typhen ohne Darmgeschwüre gibt.
Auch Sacquepee und Chevrel haben 2 solcher Fälle zu sehen be¬
kommen und machen diese Beobachtungen zum Ausgang längerer Delibera-
tionen, warum es da nicht zu Ulzerationen gekommen sei. Natürlich suchen
sie die Ursache entweder in irgend einem ungewöhnlichen Verhalten des
sog. Typhusbazillus oder des Patienten; am wahrscheinlichsten kommt ihnen
eine plötzliche septische Überschwemmung des ganzen Organismus vor, wo¬
bei gar keine Gelegenheit zu lokalen Nekrosen u. drgl. bleibe. Aber auch so
ist ihnen die Sache noch „assez mysterieuse dans sa pathogenie et son
etiologieV
In Wahrheit ist die Erscheinung aber meines Erachtens keineswegs unbe¬
greiflich; man darf nur eben nicht die Darmläsionen in den Vordergrund rücken
und als das Wesentliche betrachten. Verlegt man den Sitz, die sedes morbi, ins
Lymphdrüsensystem, wie ich das z. B. in Band I der Zeitschrift für Tuber¬
kulose getan habe, — auch Sacquepee und Chevrel betonen ausdrücklich,
daß in ihren Fällen die Mesenterialdrüsen typisch typhös erkrankt gewesen
seien — , dann stellen sich die Schwellungen der Lymphapparate des Darmes
als Teilerscheinungen des Gesamtprozesses dar, und es hängt nur von den
lokalen Verhältnissen ab, z. , B. von der Darmflora oder der chemischen
Beschaffenheit des Darminhaltes, ob und in welchem Umfange die markig
geschwollenen Gewebe nekrotischen Prozessen anheimfallen. An den Pocken¬
pusteln sehen wir ganz den gleichen Vorgang sich abspielen: dort, wo es ge¬
lingt, sekundäre Infektionen der Bläschen zu verhüten, heilen diese glatt ab
ohne sekundäre Temperaturerhöhungen und ohne Narben. Vielleicht entfällt
überhaupt nur ein Teil der Typhussymptome auf den sog. Typhuserreger,
. der andere Teil aber, und gerade die heute für Typhus für charakteristisch
gehaltenen Lokalerscheinungen, auf Mikrobien, die nachträglich eingewandert
sind. Durch Verhinderung der Sekundärinfektionen ließe sich dann der Ver¬
lauf der Gesamtkrankheit wesentlich beeinflussen ; allein die Darmoberfläche
ist erheblich schwerer zu schützen als etwa die äußere Haut mit Hilfe des
roten Lichtes. Buttersack (Berlin).
Milzbrand und seine Behandlung.
(Barlach, Neumünster. Med. Klinik, Nr. 44, 1908.)
Bei der in Neumünster ausgebreiteten Lederindustrie ist dort der Milz¬
brand eine nicht allzu seltene Erkrankung. Die Erfahrungen Barlach’s
erstreckten sich über 42 Fälle, die sich auf drei Beobachtungsperioden ver¬
teilen. Periode I, rein expektative Behandlung, 10 Fälle mit 3 Todesfällen;
Periode II, chirurgische Behandlung, 9 Fälle, kein Todesfall, längere Behand¬
lungsdauer; Periode III, gemischte Behandlungsweise, 23 Fälle, kein Todes¬
fall, kurze Behandlungszeit, keinerlei nachteilige Folgen, wie Narben und
dergleichen. Es ergibt sich, daß weder die rein expektative noch die chirur¬
gische Behandlung, sondern die Kombination beider das Richtige ist. —
Die von Barlach geübte Behandlungsmethode stellt sich folgendermaßen dar:
1. In jedem Falle unbedingte Bettruhe; wichtig wegen der durch Körper unruhe
entschieden vergrößerten Gefahr der Übertragung der Infektion in die Blutbahn.
2. In leichten Fällen Bedeckung der Pustel und Umgebung mit Umschlägen
von essigsaurer Tonerde oder ähnlichem. 3. In schweren Fällen Spaltung
und Umkreisung der Pustel, wobei die Umschläge fortgesetzt werden. Jod¬
einspritzungen. Schwere Fälle dokumentieren sich vor allem durch den lokalen
Befund ; Aufsitzen der Pustel auf bretthartem Untergründe und stärkeres
Ödem der Umgebung und Milzbranderysipel, Anschwellung der regionären
Drüsen. In diesen Fällen, auch bei gutem Allgemeinbefinden des Kranken,
Referate und Besprechungen.
1033
Spaltung der Pustel mit kleinem, aber sehr scharfem Messer. Die Umkreisung
der Pustel wird mit spitzem Thermokauter in der Weise ausgeführt, daß rund
um die Pustel herum tiefe Punktionen gemacht werden, ein Loch neben dem
anderen, so daß eine Rinne entsteht. — Sehr wirksam sind dann noch Jod¬
injektionen, die vermittels einer mit feiner Kanüle armierten und stramm
schließenden Kolben versehenen Pravazspritze gemacht werden und wobei je¬
weils ein bis zwei Tropfen reiner Jodtinktur (im ganzen 1/2 — 1 Spritze
höchstens) an der Grenze zwischen dem Erysipel und der gesunden Haut in
Abständen von 5 — 10 cm eingespritzt werden. Bei ausgedehntem Erj^sipel
außerdem noch Injektionen der gleichen Art in die vom Erysipel ergriffene
Haut. — Die Jodinjektionen, die in schweren Fällen in einigen Tagen wieder¬
holt werden können, werden in ihrer Wirkung, die sie oft schon am Abend
nach der morgens gemachten Applikation, jedenfalls am nächsten Morgen,
durch auffallendes Zurückgehen des Ödems und Verschwinden des Erysipels
zeigt, von Barlach sehr gerühmt, wenn er auch die Wirkung nicht erklären
kann. 4. Inzisionen sind nur bei sehr großer Spannung des Ödems erforder¬
lich. — Mit den durch diese Behandlungsmethode erzielten Erfolgen in der
Therapie des Milzbrandes ist Bar lach in jeder Beziehung außerordentlich
zufrieden gewesen. — Im Anschluß an den Aufsatz von Bar lach wird
in Nr. 47 desselben Jahrganges der gleichen Zeitschrift von Dr. Ungar in
Vaslui (Rumänien) ein Verfahren zur Behandlung des Milzbrandes empfohlen,
das dem Autor auch in schweren Fällen, wie er schreibt, nie versagt hat.
Das Verfahren besteht darin, daß die Pustel mit Watte bedeckt wird, die
mit einer Mischung von Thymol 1,0:100 Olivenöl getränkt ist; diese Watte
wird täglich zweimal gewechselt; die pdematöse Umgebung wird mit Um¬
schlägen von 3°/0igem Liquor, alum. acet. bedeckt. R. Stüve (Osnabrück).
Chirurgie.
Sur le syndrome de Mikulicz ä l’etat physiologique.
(M. H. Frenkel. Arch. med. de Toulouse, Nr. 4, 1909.)
Der Mikulicz’sche Symptomenkomplex besteht in einer harten, nicht
entzündlichen Schwellung des ganzen Speicheldrüsensystems mit oder ohne
Beteiligung der Tränendrüsen, bilateral, chronisch, ohne Schmerzen, Fieber,
funktionelle Störungen oder entzündliche Erscheinungen, bei gutem Allgemein-
zustand, regelrechtem Blut- und Lymphbefund. Verf. hat nun im Verlaufe
eines Jahres diesen Symptomenkomplex bei 15 Personen festgestellt, die sonst
ganz gesund waren oder jedenfalls keine Krankheit der blutbildenden oder
Drüsenorgane aufwiesen. Aus seinen Beobachtungen zieht er folgende Schlüsse :
Neben dem pathologischen Mikulicz’ sehen Symptomenbild gibt es ein physio¬
logisches, das sich ausschließlich auf die Speicheldrüsen beider Seiten er¬
streckt, die sich hart geschwollen, aber schmerzlos und ohne Funktionsstörung
präsentieren. Die Vergrößerung kann auf beiden Seiten in geringem Grade
verschieden sein ; die Submaxillardrüsen sind dabei gewöhnlich noch etwas
nach unten und innen hin verlagert. Die histologische Untersuchung ergibt
absolut regelrechte Acini und Zellen. Die Häufigkeit des Vorkommens dürfte
etwa 1% betragen; Männer sind häufiger befallen wie Frauen; Alter: nur
Erwachsene. Erblichkeit kann möglicherweise in Frage kommen.
v. Schnizer (Danzig).
Zur Bakteriologie der akuten und chronischen Appendizitis mit besonderer
Berücksichtigung des peritonealen Exsudats.
(E. Franke, Rostock. Deutsche Zeitschr. für Chir., Bd. 96, H. 4 — 6.)
Zu der noch lebhaft umstrittenen Frage der Bedeutung der bei
der Appendizitis beobachteten Mikroben bringt die Arbeit des Verf. einen
weiteren Beitrag. Verf. kommt zu dem Schluß, daß den einzelnen Er¬
regern kein differentes Symptomenbild entspricht; auch in therapeutischer
1034
Referate und Besprechungen.
Beziehung ist die Art der Erreger im allgemeinen ohne Belang. Der wich¬
tigste Erreger ist das nur selten vermißte Bact. coli ; neben diesem!
kommen der Streptococcus pyogenes, Diploeoccus lanceolatus und Staphyl.
pyog. aureus vor. Die Anwesenheit dieser Erreger neben dem Bact. coli
verschlechtert die Prognose. Daraus ergibt sich die im allgemeinen schlechte
Voraussage bei der akuten Appendizitis junger Menschen bis zum 30. Lebens¬
jahre, bei denen Streptokokken und Diplokokken vorzugsweise beobachtet
werden. Als besonders bemerkenswert verdient aber hervorgehoben zu wer¬
den, daß das seröse Bauchhöhlen-Exsudat im Frühstadium in der großen
Mehrzahl der Fälle steril ist. P. Kayser (Köln).
Appersdicitis yangränosa und Frülioperation.
(Theodor Kocher. Korrespondenzbl. für Schweizer Arzte Nr. 13, 1908.)
Bei den früheren pathologisch-anatomischen Untersuchungen des ver¬
änderten Wurmfortsatzes ist nicht genügend Wert auf die klinischen Symptome
gelegt worden; nur so konnte es kommen, daß chronische Veränderungen, wie
sie namentlich Bibbert in seinen Obliterationen des Appendix als physiologisch
beschrieb, viel zu oft als etwas primäres gedeutet wurden, während sie in
Wirklichkeit lediglich Eolgezustände überstandener akuter Erkrankungen
waren.
Es ist charakteristisch für die akute Wurmfortsatzentzündung, daß sich
gleich beim ersten Anfall sehr wichtige Störungen in der Blutversorgung
einstellen- es handelt sich nicht nur um Hämorrhagien in der Wand, sondern
auch in der Schleimhaut des Appendix, und zwar zeigen die Zirkulations¬
störungen mit ihren mehr oder weniger begrenzten Blutaustritten eine eigen¬
tümliche zirkuläre Anordnung. Kocher betont, daß durch diese Blutaustritte
sehr gern schon bei dem ersten akuten Anfall Nekrose und Gangrän eintritt,
die oft, durch vorsichtige interne Behandlung vorläufig und oberflächlich zur
Ausheilung gebracht, entweder kurz nachher durch einen neuen Schub (Per¬
foration) zur Abszeßbildung oder Peritonitis führt oder durch ihre Folge¬
zustände (Verwachsungen, Knickungen, Stenosen) zu immerwährenden Rezi¬
diven Veranlassung gibt. Darum möglichst frühzeitige operative Entfernung
des Organs. (Die Erklärung der Präparate wird durch die beigegebenen,
sehr intruktiven farbigen Zeichnungen anschaulich erläutert.) Lemmen.
Beitrag zur Frage des Zustandekommens der Torsion von Appendices
epiploicae,
(H. Zoeppwitz, Kiel. Deutsche Zeitschr. für Chir., Bd. 98, H. 2 u. 3, 1909.)
Ein 20 j. Arbeiter, welcher bereits seit einem Jahr an zeitweise auf-
tretenden Schmerzen im Leib litt, ging mit heftigen Schmerzen in der Ober¬
bauchgegend und einer Temperatursteigung von 38,2° der Klinik zu. Die
Untersuchung ergab ein eingefallenes Abdomen und eine zwei Querfinger ober¬
halb der Mitte der Verbindungslinie zischen Sp. il. ant. und Nabel be¬
ginnende, bis zum Rippenbogen reichende druckempfindliche Stelle. Dia¬
gnose: Perityphlitis. Bei der Laparotomie zeigte sich ein mit einem Netzzipfel
verbackener blauroter, pflaumengroßer Tumor, der sich als eine um 180° ge¬
drehte Appendix epipl. des Colon transversum erwies. Ligatur des Stiels.
Heilung.
Das geschilderte Symptomenbild ist für die Stieldrehung einer Append.
epipl. charakteristisch. Bei dem Patienten hatte mit Wahrscheinlichkeit
die Verwachsung des Netzzipfels den ersten Anlaß zur Drehung gegeben;
für die Weiterentwicklung der Torsion kommen aber vor allem die Wachs¬
tumsvorgänge des gedrehten Organs in Betracht. Nur bei akuter Drehung
kommen schwere klinische Erscheinungen zustande, welche bekanntlich häufig
genug in Fällen, bei denen freie Körper der Bauchhöhle, d. h. eben allmählich
abgedrehte Append. epipl. beobachtet wurden, fehlen. E. Kayser (Köln).
Referate und Besprechungen.
1035
Experimentelle Untersuchungen über Verhütung von peritonealen Adhäsionen.
(M. Busch u. E. Bibergeil. Archiv für klin. Chir., Bd. 87, H. 1.)
53 Laparotomien an 35 Hunden.
Ivontrollversuche : hei einfachen Laparotomien ohne Eröffnung des In¬
testinal traktus und aseptischen Operationen an der Leber ließen sich keine
postoperativen Verwachsungen nachweisen ; nach Mageii-Darmoperationen waren
stets Adhäsionen im Bereiche der Darm- resp. Magennaht, zum Teil mit Netz-
verldebungen vorhanden; der Nahtverschluß gelang stets.
Versuchung zur Verhütung der Adhäsionsbildung :
1. Reizlose Fette, in Mengen von 30 — 50 ccm, sterilisiert und bei Körper¬
wärmetemperatur einfach in die Bauchhöhle eingegossen : Olivenöl ruft zu
starke Reizung hervor, Lanolin schädigt die normale Verklebungsfähigkeit der
Peritonealblätter (Nahtinsuffizienz!); Paraffin, liqu. wird nicht genügend
resorbiert, die mehr oder weniger großen Paraffinpartikel führen durch die
ausgedehnte Fremdkörperreizung zu einer chronischen Peritonitis.
2. Schleimige Substanzen: Gummi arabicum und Lösung von isländischem
Moos reizten nicht, wurden aber zu schnell resorbiert. (Die Mittel, welche die
Verwachsungen verhindern sollen, müssen sich mindestens 4 — 6 Tage in der
Bauchhöhle halten können, weil dann erst die Gefahr der Adhäsionsbildung
vorüber ist.) Agar und Gelatine führten zu einer trockenen Peritonitis
und einem eigentümlichen Kontraktionszustand der Därme.
" Fibrolysin wurde zu schnell resorbiert; das die Peristaltik anregende
Physostigmin konnte neben der drohenden Gefahr der Nahtinsuffizienz stär¬
kere Verwachsungen nicht verhindern.
Für die Praxis sind demnach die Versuche negativ ausgefallen ; hier
muß vor allen Dingen jede Infektion hintenangehalten werden, da sie be¬
kanntlich die meisten und schwersten Verwachsungen herbeiführt; weiter
empfehlen die V erf., den Bauchinhalt nur mit feuchten, in Kochsalzlösung ge¬
kochten Kompressen anzufassen, die weniger als die trockene Gaze die Serosa
reizen. Lemmen.
Darmstenose durch submuköse Hämatome bei Hämophilie.
(A. von Khautz, Wien. Archiv für klin. Chir., Bd. 87, H. 3.)
Der mitgeteilte Fall ist in mehrfacher Beziehung interessant. Ein
24 Jahre alter Waggonschieber erkrankte drei Tage vor der Aufnahme
in das Krankenhaus mit Schmerzen im Unterleib, heftigem Singultus, Er¬
brechen. Stuhl und Winde angehalten. Bei der Untersuchung zeigte sich
links unterhalb des Nabels ein wurstförmiger, mäßig derber, verschieblicher,
sehr schmerzhafter Tumor mit längsverlaufender Achse. Es wurde eine In-
tussuszeption vermutet und trotzdem Patient Bluter war, zur Operation
geschritten. Nach Eröffnung des Abdomens entleerte sich reichlich dunkel-
rote, blutige Flüssigkeit. Es wölbte sich sofort eine 15 cm lange Ileum-
schlinge vor, die schwarzrot verfärbt, derb und in ihrer Wand mit ge¬
ronnenem Blut gefüllt war. Oberhalb derselben waren die Schlingen ge¬
bläht. Auch an andern Stellen fanden sich multiple Blutungen in die
Darmwand. Es handelte sich* also um durch Hämophilie bedingte submu¬
köse Hämatome des Ileums, welche das Darmlumen fast bis zur Undurch¬
gängigkeit verstopft hatten. Bei der Sektion zeigten sich auch andere Sym¬
ptome der Hämophilie. Der Fall ist auch in unfallrechtlicher Beziehung'
von Interesse. Ein Unfall, der drei Wochen vor der Erkrankung den Patienten
betroffen, konnte mit dem jetzigen Leiden, da die Blutung frisch war,
nicht in Beziehung stehen. Wohl ist aber anzunehmen, daß ein kleiner
Stoß vor den Bauch, welchem er in seinem Berufe als Waggonschieber
wohl ausgesetzt war und welchem er keine Bedeutung beilegte, bei seiner
hämophilen Konstitution genügte, um die erwähnten Folgen auszulösen.
H. Stettiner (Berlin).
1036
Bücherschau.
Bücherschau.
Jahrbuch der praktischen Medizin. Kritischer Jahresbericht für die Fort¬
bildung der praktischen Aerzte. Jahrgang 1909. Herausgegeben von
Prof. Dr. J. Schwalbe. Verlag von Ferdinand Enke in Stuttgart.
669 Seiten. Mit 58 Abbildungen. 15,40 Mk.
Mit gewohnter Pünktlichkeit hat sich das Sch walbe’sche Jahrbuch wiederum
eingestellt. Das Werk ist so bekannt und allgemein so beliebt, daß sich empfehlende
Worte eigentlich erübrigen. Es genügt zu betonen, daß sich der Band dieses
Jahres in jeder Weise würdig seinen Vorgängern anschließt. Einige Änderungen
in der Zusammensetzung des Herausgeberkollegiums sind zu verzeichnen. An
Stelle des leider allzu früh verstorbenen Hoffa ist Prof. Vulpius (Heidelberg)
getreten. Ferner hat Prof. H. Vi er or dt (Tübingen) infolge Arbeitsüberlastung sein
seit mehreren Jahren bearbeitetes Referat „ Akute allgemeine Infektionskrankheiten
und Zoonosen“ abgegeben, dessen Bearbeitung Prof. Schittenhelm übernommen
hat. Endlich hat Geheimrat Fürbringer dieses Mal sein Referat „Krankheiten
der Harnorgane“ in Gemeinschaft mit Dr. Citron erstattet.
Eine Anzahl instruktiver Illustrationen, die auch in diesem Jahre dem Werke
wieder beigegeben sind, erhöhen noch seinen praktischen Wert. R.
Arbeit und Geisteskrankheiten. Von A. Marie u. Martial. (Travail
et Folie, Bibliotheque de Psychologie experimentale et de Metapsychie.)
Paris, Blond et Cie.. 1909. 106 S. 3 fr.
Entgegen den Bestrebungen, welche womöglich für jede Krankheit eine
bestimmte Ursache festnageln wollen, vertreten die beiden Autoren den Standpunkt,
daß das Erkranken meist die Folge verschiedener Faktoren sei, ein Gedanke, den
schon Friedrich Hoff mann in seinen Fundamenta pathologiae generalis (Halae,
Magdeburg, 1746, S. 77) mit aller wünschenswerten Schärfe zum Ausdruck gebracht
hatte: „ln generandis morbis non una, sed plures concurrunt causae.“
Daß jedenfalls weder die Syphilis, noch der Alkohol, noch sonst ein Agens
das allein ausschlaggebende Moment sei, zeigen Marie u. Martial daran, daß die
begüterten Leute besser mit dem Leben fertig werden, d. h. seltener erkranken, als
die Armen, die immer im Kampf ums Brot stehen.
Von Krankheiten, die die Arbeiterwelt besonders heimsuchen, werden auf¬
geführt: Debilität, Manie, Melancholie, Erschöpfungspsychosen, Parasyphilis, Delirium
tremens. Aber es muß eine offene Frage bleiben, ob die Arbeit diese Krankheiten
hervorgerufen hat, oder ob nicht eine schon von Haus aus bestehende Minderwertigkeit
die Individuen gezwungen hat, einen der Berufe zu ergreifen, die an die Intelligenz
keine allzu großen Anforderungen stellen und die man gemeinhin unter dem
Sammelnamen der „Arbeiter“ zusammenfaßt.
Das Buch wäre epochemachend, wenn es sich auf eine große und sorgfältige
Statistik stützen könnte. Über deren viele Lücken helfen sich die Autoren mit
gutem Humor hinweg, aber mehr als einen Torso konnten sie darum doch
nicht liefern. Buttersack (Berlin).
Die Röntgenuntersuchung der Brustorgane und ihre Ergebnisse für Physio¬
logie und Pathologie. Von Hans Arnsperger. Leipzig, Verlag von
F. C. W. Vogel, 1909.
A. gibt im ersten Teile seines Werkes (S. 1—88) nach einer kurzen tech¬
nischen Vorbemerkung und einer Schilderung des normalen Thoraxbildes bei den
verschiedenen Durchleuchtungsrichtungen eine Beschreibung der einzelnen normalen
Organe, während er im zweiten Teile (S. 89 — 252) die einzelnen pathologischen
Röntgenbefunde zur Darstellung bringt. Das Werk faßt in klarer, knapper Form
alles für die radiologische Untersuchung der Brustorgane Wissenswerte zusammen,
und bildet durch gleichzeitige Berücksichtigung der Anatomie, Physiologie, sowie
der klinischen Untersuchungsmethoden' ein wertvolles Unterstützungsmittel für die
allgemeine Diagnostik der Brustorgane.
Eine Sammlung von zum Teil recht gut gelungenen und reproduzierten Auf¬
nahmen ist ihm beigegeben. Hahn.
Krankenpflege und ärztliche Technik.
1037
Geschichtlicher Rückblick über die Entwicklung der Röntgenstrahlen.
Jahrbuch über Leistungen und Fortschritte auf dem Gebiete der physi¬
kalischen Medizin. Von L. Freund, Wien. 1. Jahrgang.
F. schildert in seinem interessanten Artikel, in welch verhältnismäßig
kurzer Zeit die Röntgentherapie aus den bescheidensten Anfängen zu einem mäch¬
tigen Zweig der Heilkunde herangewachsen ist. Hahn.
Die therapeutischen Leistungen des Jahres 1908. Von Dr. A. Pollatschek
u. Dr. H. Nador. Wiesbaden, Verlag von J. F. Bergmann. 20. Jahrg.
354 S. 9,60 Mk.
Bei der Durchsicht des vorliegenden Buches bekommt man den Eindruck,
daß die Verfasser es verstanden haben ihren Lesern über die wirklich wichtigen
therapeutischen Arbeiten des verflossenen Jahres mit kritischer Würdigung des
Gebotenenen ein übersichtliches Bild zu geben. Gerade auf dem Gebiete der
Therapie ist solche Sichtung notwendig und der Praktiker wird sich mit Vorteil
der vorliegenden Sammlung bedienen, um sein therapeutisches Rüstzeug zu ergänzen
und sich in dem Labyrinth der neuesten Heilmittel und Heilmethoden zurecht¬
zufinden. R.
E. F. W. Pflüger als Naturforscher. Von Nußbaum. Bonn, Martin
Hager, 1909. 40 S. 1 Mk.
Überragende Persönlichkeiten sind schwierig zu analysieren; wer einen solchen
Versuch unternimmt, erliegt allzuleicht der Gefahr, einen überreichen Inhalt in
den engen Rahmen des eigenen Geistes zu pressen. Deshalb hat Nuß bäum den
anderen Weg gewählt, Pflüger sich selbst darstellen zu lassen, und er tat das auf
die Weise, daß er ein Verzeichnis der zahlreichen Schriften des großen Physiologen
mit den wichtigsten Zitaten versah. Die Zusammenstellung ist sehr verdienstlich;
denn sie tut dar, von welcher Bedeutung Pflüger für die physiologische und
kulturelle Entwicklung gewesen ist. Es ist nur zu wünschen, daß viele die Fäden
seines Denkens aufnehmen und in derselben großzügigen Weise weiterspinnen.
Buttersack (Berlin).
Krankenpflege und ärztliche Technik.
Elektrometer für radioaktive Messungen.*)
Nach H. W. Schmidt.
Der Untersuchungsapparat TJ (vgl. Fig. 1) besteht aus zwei Teilen :
dem eigentlichen Elektrometer E und dem Zerstreuungsgefäß Z. Der Mantel
ni des Zerstreuungsgefäßes Z ist ein Messingzylinder, der unter Zwischen¬
schaltung .eines Lederringes luftdicht auf die obere Wand i des Elektro¬
metergehäuses aufgeschraubt w|erden kann. Die innere Elektrode ist ein
dünner Draht Je, der mit seinem unteren Ende in einen Messingstift e hinein¬
paßt. Dieser Stift ragt durch den isolierenden Bernstein b hindurch von
oben in das Innere des Elektrometergehäuses hinein und stellt die Verbin¬
dung zwischen der inneren Elektrode Je und dem Aluminiumblättchen a her.
a ist an dem Blättchenträger s' angeklebt; der Blättchenträger selbst wird
an den durch den Bernstein b hindurchgehenden Metallstift e angeschraubt.
Das Blättchen kann beim Transport des Instrumentes durch eine verschieb¬
bare Backe geschützt werden. Die Ablesung der Blättchenstellung wird
durch einen am Blättchen befestigten Quarzfaden erleichtert und geschieht
mit Hilfe eines Ablesemikroskops durch zwei sich gegenüberstehende Glas¬
fenster / hindurch, welche in die Vorder- und Rückwand des metallenen,
Elektrometergehäuses eingekittet sind. Beobachtet wird der Schnittpunkt
des Quarzfadens (bezw. dessen einer Kante) mit einer durch die Okular¬
skala laufenden horizontalen Linie. Der Faden soll am Anfang (O) und
Ende (10) der Skala scharf im Gesichtsfeld erscheinen. Ist das nicht der
*) Hergestellt von der Firma Spindler & Hoyer in Göttingen.
1038
Krankenpflege und ärztliche Technik.
Fig. 1.
Fall, so muß das Mikroskop verstellt oder der Blättchenträger s etwas ge¬
dreht werden (nach Abschrauben des rückseitigen Gehäusedeckels).
Ablesemikroskop M (vgl. Fig. 2) und
Untersuchungsgefäß sind fest miteinander
verbunden und auf einem Dreifuß D mon¬
tiert. Die Justierung des Instrumentes
geschieht mit Hilfe einer auf dem Deckel
des Zerstreuungsgefäßes Z aufgeschraub¬
ten Libelle L und durch die Stellschrauben
am Dreifuß.
Die Ladung der inneren Elektrode
wird mit einem durch die Rückwand des
Elektrometergehäuses isoliert hindurch¬
gehenden, geeignet gebogenen Messing¬
draht l ausgeführt. Beim Laden liegt der
Draht am Streifen a, beim Gebrauch am
Gehäuse an. Das Laden geschieht am
einfachsten in der Weise, daß man in das
Mikroskop hineinsieht, mit der linken
Hand den Ladehebel umlegt, mit der
rechten Hand dem Metalldraht eine ge¬
riebene Siegellack- oder Hartgummistange
nähert und den Ladehebel dann zurück¬
dreht, wenn das Blättchen am Anfang
der Skala (0) oder noch etwas weiter links
(im Gesichtsfelde) steht. Bei einiger Übung
ist es nicht schwer, das Elektrometer genau,
bis zu der gewünschtenSpannung aufzuladen.
Fig. 2.
Krankenpflege und ärztliche Technik.
1039
Für viele Zwecke genügt es, wenn die Skala des Okularmikrometers
in relativem Maße geeicht ist. Man bestimmt zu diesem Zwecke die Ge¬
schwindigkeit des Blättchenwanderns an verschiedenen Stellen der Skala,
wenn sich ein Radiumpräparat in der Nähe des Apparates befindet. Die
Zeit zum Durchwandern eines bestiminten Teiles der Skala ist dann ein
Maß für die Spannungsdifferenz zwischen den betreffenden Teilstrichen. —
Um die Skala in Volt zu eichen, ist noch die Kenntnis der Blättchenstellung
bei zwei bekannten an die innere Elektrode gelegten Spannungen nötig.1)
Auch bei Abwesenheit radioaktiver Substanzen wird das Instrument
stets einen Ladungsverlust anzeigen. — Dieser Ladungsverlust, die soge¬
nannte „natürliche Zerstreuung“, ist bei allen Messungen in Abzug zu bringen.
Der Apparat wird in 2 Ausführungen hergestellt.
1. „Standapparat“, zu Messungen im Laboratorium, auf schwerem Drei¬
fuß montiert, mit großem, gut schließendem Zerstreuungsgefäß.
2. „Reiseapparat“, zu Messungen im Freien (Bestimmung der Radio¬
aktivität von Quellen), mit kleinerem Zerstreuungsgefäß und leichtem Drei¬
fuß aus Aluminium zum Befestigen auf hölzernem Stativ eingerichtet
(vgl. Fig. 2).
Der Apparat kann benutzt werden zu :
. 1. Emanationsmessungen.
Zur Feststellung der Emanation von Quellwasser kann folgende Methode
dienen.2) Die zu untersuchende Wassermenge w wird vorsichtig in die Flasche
F gefüllt und mit der Luftmenge l nach Abschluß der Flasche ca, l1/2 Minu¬
ten lang geschüttelt, so daß der größte Teil der Emanation in die Luft
entweicht. Dann wird die mit Emanation angereicherte Luft nach Öffnung
der beiden an F befindlichen Hähne h± und ii2 durch ein Zirkulationsgummi¬
gebläse G mit der im Zerstreuungsgefäß Z befindlichen Luft vermischt,
die Hähne am Elektrometer geschlossen und aus der zeitlichen Ladungs¬
abnahme des geladenen Systems die Emanationsmenge bestimmt.
Da die zeitliche Ladungsabnahme (Zerstreuung) nach Einführen der
Emanation erst infolge Bildung des aktiven Niederschlags ziemlich stark
zu, später infolge Abklingens der Emanation langsam abnimmt, so macht
man praktischerweise die Ablesungen 3 — 5 Stunden nach Einführung der
Emanation. Die während dieser Zeit gemessene Zerstreuung ist annähernd
konstant und kann am besten zur Feststellung des Emanationsgehaltes die¬
nen. — Hat man bei dieser Versuchsanordnung im Elektrometer die Zer¬
streuung V (nach Abzug der vorher ermittelten natürlichen Zerstreuung)
festgestellt, so würde die ganze in 1000 ccm Wasser enthaltene Emanation,
die Zerstreuung bewirken :
1000 ri+y+4 L m -1 v= a v Volt/Sec
wo w die Wassermenge (in Kubikzentimetern) Q, l2, h die Luftmenge (eben¬
falls in Kubikzentimetern gemessen) in der Schüttelflasche, den Gebläse¬
teilen und dem Zerstreuungsgefäß bedeutet und a ein Maß für die im Wasser
zurückgebliebene Emjanation ist (bei Zimmertemperatur = ca. 0,25). Zu
Vergleichsmessungen berechnet man den elektrischen Strom, der von der in
1 Liter Wasser enthaltenen .Emanation mit ihren Zerfallsprodukten
im Elektrometer unterhalten wird:
i
G aV
300
E. S. E.
wo C die Kapazität des Elektrometers bedeutet und V in „Volt pro Sekunde“
ausgedrückt sein muß, wenn der Strom i in elektrostatischen Einheiten (E.
x) Vgl. H. W. Schmidt, Über Eichung und. Gebrauch von Blattelektrometern
Physikal. Zeitschr., 7, 157, 1906.
2) Vgl. H. W. Schmidt, Über eine einfache Methode zur Messung des
Emanationsgehaltes von Flüssigkeiten. Physikal. Zeitschr., 6, 561, 1905.
1040
Krankenpflege und ärztliche Technik.
E. S.) gemessen wird1) ; oder man gibt die Radiummenge an, die im Zustand
des radioaktiven Gleichgewichts eine der gemessenen gleiche Emanations¬
menge enthält. Zu diesem Zwecke macht man denselben Versuch mit Wasser
von bekanntem Radiumgehalt (etwa im ganzen ca. 3 X 10-9 g Ra.).2)
Will man den Emanationsapparat auf Reisen direkt an den Quellen
benutzen, so empfiehlt sich, um Zeitverluste zu vermeiden, die von der
„Emanation allein“ bewirkte Zerstreuung aus dem anfänglichen Anstieg
der Zerstreuung zu berechnen.3) Diese ist ungefähr halb so groß als die
Zerstreuung, die von der „Emanation und ihren ZerLajllsprodükften“
unter denselben Verhältnissen bewirkt wird.
Genauere Resultate als mit der Schüttelmethode erhält man, wenn
man die Emanation durch Kochen aus der Flüssigkeit austreibt, sie unter
Wasser auffängt und dann mit Luft zusammen in das vorher mit einer
Wasserstrahlpumpe leergepumpte Elektrometer einführt.4) Auf diese Weise
lassen sich äußerst kleine Radiummengen (bis zu 10 - 11 g) verhältnismäßig
genau bestimmen und z. B. in gewöhnlichen Gesteinen nachweisen, wenn
man diese in Lösung gebracht hat.5)
Nach Beendigung eines Versuches muß man durch Abschrauben des
Zerstreuungsgefäßes vom Elektrometer oder durch mehrmaliges Auspumpen
desselben mit der Luftpumpe die Emanation sorgfältig entfernen. Infolge
des auf den Gefäßwänden zurückbleibenden aktiven Niederschlags wird die
im Elektrometer gemessene Zerstreuung anfänglich viel größer sein, als die
natürliche Zerstreuung, jedoch in ca. 3 Stunden auf den normalen Wert
herabgehen.
2. Aufnahme von Abklingungskurven.
Hierbei wird beim Standapparat ein kleineres, oben offenes Zerstreu¬
ungsgefäß und eine kürzere, innere Elektrode benutzt.
Der aktivierte Körper, z. B. Aluminiumfolie, wird entweder direkt
auf das Zerstreuungsgefäß gelegt, oder an der Unterseite eines Bleches be¬
festigt. In atmosphärischer Luft aktivierte Drähte werden auf einen Rahmen
aufgewickelt, der in das Zerstreuungsgefäß eingesetzt werden kann.
Pulverförmige Körper untersucht man in einer' kleinen Blechschale,
die auf den Boden des Zerstreuungsgefäßes paßt.
3. Vergleich der Strahlungsintensität fester Körper.
Man bringt die zu vergleichenden Körper unter denselben Bedingungen
in das Zerstreuungsgefäß hinein oder in dessen Nähe, Schirmt man die
weicheren Strahlen durch Bleiplatten von ca. 3 mm Dicke ab, so ist es mög¬
lich, aus der Intensität der j-Strahlung direkt den Radiumgehalt des einen
Präparates zu bestimmen, wenn der Radiumgehalt des anderen Präparates
bekannt ist.
Auch für viele andere radioaktive Messungen ist der Apparat mit
Vorteil zu verwenden.
1) Multipliziert man den im elektrostatistischen Maßsystem (E. S. E.) gemessenen
Strom i mit 1000, so kommt man zu den sogenannten „Macheeinheiten“, die bei
Radioaktivitätsangaben von Quellen vielfach benutzt werden.
'2) Da der elektrische Strom abhängig ist von den Gefäßdimensionen, hat die
Angabe von „Emanationseinheiten“ die meiste Berechtigung. Dabei versteht man
unter Emanationseinheit nach dem Vorgänge französischer Forscher die Emanations¬
menge, die von 1 mg metallischem Radium in 1 Sekunde entwickelt wird, also die
Menge, die mit 1/470000 = 2,13 X 10-° mg metallischen Radiums im radioaktiven
Gleichgewicht stellt,
3) Über diese Berechnungen vgl. die unter 4) S. 1039 zitierte Arbeit, außerdem
H. W. Schmidt u. K. Kurz, Ueber die Radioaktivität von Quellen im Großherzog¬
tum Hessen und Nachbargebieten. Physikal. Zeitschr., 7, 209, 1906.
4) Vgl. Rutlierf ord-Levin, Radioaktive Umwandlungen, Braunschweig 1907,
S. 152. — Ein Referat über Emanationsmessungen erschien von H. W. Schmidt,
Baineolog. Zeitung, Februar und März 1909.
5) Vgl. R. J. Strutt, On the distribution of radiurn in the earth’s crust,
and the earth’s internal heat. Proc. Roy. Soc. (A) 77, 472 u. 78, 150, 166.
Schriftleitung: Dr. Rigler in Leipzig.
Druck von Emil Herrmann senior in Leipzig.
27. Jahrgang.
1909.
Tomcbrim der Medizin.
Unter Mitwirkung hervorragender Fachmänner
herausgegeben von
Professor Dr. 0. Köster Prio.-Doz. Dr. o. griegern
in Leipzig. in Leipzig.
Schriftleitung: Dr. Rigler in Leipzig.
Nr. 28.
Erscheint am 10., 20., 30. jeden Monats. Preis halbjährlich
6 Mark, inkl. Zeitschrift für Yersicherungsmedizin 8 Mark.
- Verlag von Georg Thieme, Leipzig. . .
10. Oktober.
Originalarbeiten und Sammelberichte.
Fortschritte der Medizin in den letzten Dezennien.
Von Dr. Lipowski,
dirig. Arzt der inneren Abteilung der städtischen Diakonissenanstalt in Bromberg.
(Vortrag gehalten im Fortbildungskurs des Aerztevereins des Reg.-Bez. Bromberg.)
Die neue Zeit wurde eingeleitet durch die Entdeckung Jenners,
daß Menschen, welche sich mit Kuhpocken infiziert hatten, weniger
zur Infektion mit Menschenpocken neigten, oder wenn sie infiziert
wurden, die Infektion viel leichter überstanden. Diese ungemein wich¬
tige Entdeckung blieb jahrzehntelang ohne weitere Bedeutung für die
Medizin. Erst P ast eur nahm die Forschung auf wissenschaftlicher
Grundlage wieder auf. Seine Untersuchungen über Lyssa sind bis
auf den heutigen Tag von maßgebender Bedeutung geblieben. Der
Vater der modernen bakteriologischen Forschung ist Robert Koch,
dem wir die wichtigsten Ergebnisse auf diesem Gebiete verdanken.
Neben ihm verdienen in erster Linie Behring und Ehrlich genannt
zu werden.
Die moderne Physiologie ist durch Johannes Müller begründet
worden, dessen Einfluß die gesamte physiologische Forschung des
vorigen Jahrhunderts beherrschte. Von epochaler Bedeutung wurde
die Entdeckung der Zelle durch Schleiden und Schwann. Der un¬
geheure Einfluß dieser Entdeckung zeigte sich besonders in der patho¬
logisch anatomischen Forschung, die ihren größten Meister in Rudolf
Virchow fand.
Um die Mitte des vorigen Jahrhunderts begründete Justus von
Liebig die organische Chemie, welcher wir die moderne Arzneimittel¬
lehre verdanken.
Ende der siebziger Jahre entdeckte Lister die Bedeutung der
antiseptischen Wundbehandlung, der dann die aseptische folgte. In
den neunziger Jahren entdeckte Röntgen die nach ihm benannten
Strahlen, welche einen ungeahnten Einfluß auf die medizinische Dia¬
gnostik und Therapie gewonnen haben.
Als Begründer der Lichttherapie hat sich Einsen ein unvergäng¬
liches Verdienst erworben. Wenn auch nach ihm auf diesem Gebiete
andere Entdeckungen gemacht worden sind, so hat sich die Einsen’sche
Behandlung als die beste bewährt.
Als letzter Forscher, der eigene Wege- geht, verdient Bier ge-
66
1042
Lipowski,
nannt zu werden. Ihm verdanken wir die Lumbalanästhesie und die
Anwendung der Hyperämie als Heilmittel.
Wenn wir in großen Zügen die Geschichte der Medizin über¬
blicken, so sehen wir, daß der Sedes morbi im Laufe der Jahrhunderte
immer mehr eingeengt worden ist. Zur Zeit der Humoralpathologie
wurden die Krankheiten durch falsche Mischung der Säfte erklärt.
Wenn Blut, Schleim, gelbe und schwarze Galle in unrichtigem Ver¬
hältnis oder unzweckmäßiger Temperatur sich mischten, dann entstanden
nach damaliger Vorstellung die verschiedenen Krankheiten.
Nachdem durch Vesalius die menschliche Anatomie gefördert
worden war, unterschied man die Krankheiten des Kopfes, der Brust,
des Leibes usw. Durch Laenneck’s pathologisch anatomische For¬
schungen wurde der Krankheitssitz mehr eingeengt. Man unterschied
die Krankheiten nach den affizierten Organen und sprach von Er¬
krankungen des Herzens, der Niere, der Leber usw. Durch Köllicker’s
bahnbrechende histologische Untersuchungen sah man sich veranlaßt,
als letzten Krankheitssitz die Gewebe zu betrachten, die dann durch
die Zelle abgelöst wurden. Virchow’s unsterbliches Verdienst wird
es bleiben, in der Zelle dasjenige Substrat erkannt zu haben, in welchem
sich alle krankhaften Veränderungen nach weisen lassen. Neuerdings
genügt auch dieses mikroskopische Gebilde nicht als letzte Einheit,
als welche man das Eiweißmolekül betrachtet.
Das Eiweißmolekül ist ein sehr kompliziert zusammengesetzter
mosaikartig konstruierter Bau, in dem bisher nach der Angabe einiger
Autoren 125 Kerne nachgewiesen sind. Wenn man bedenkt, daß die
einzelnen Kerne stereoskopisch in mannigfachster Art zusammengesetzt
sein können, dann kann man sich eine ungefähre Vorstellung von der
fast unentwirrbaren Komposition machen.
Die Eiweißnatur eines Körpers folgern wir nach unseren heutigen
Vorstellungen aus gewissen chemischen und physikalischen Eigen¬
schaften. Alle nativen Eiweißkörper enthalten ein N-Atom, koagu¬
lieren in der Hitze, lassen sich aus ihren Lösungen durch Salze ausr
fällen, gehen in ungelöstem Zustande schwer durch tierische Membranen
hindurch und drehen infolge der asymmetrischen Anordnung ihrer
C-Atome die Polarisationsebene nach links.
Den Eiweißstoffen sind gewisse chemische Reaktionen gemein¬
sam, die zu ihrer Nachweisung dienen. Wenn man zu einer Eiwei߬
lösung ein Alkali und Kupfersulfat hinzusetzt, dann entsteht eine
Violettfärbung, die sogen. Biuretreaktion. Eine zweite wichtige Eiwei߬
reaktion ist die Millon’sche, die darin besteht, daß eine Eiweißlösung,
der man salpetersaures Quecksilber mit einem Zusatz von salpetriger
Säure hinzusetzt, sich rot färbt.
Man unterscheidet einfache und zusammengesetzte Eiweißkörper.
Zu ersteren gehören die Albumine, Globuline, und die gerinnbaren
Eiweißkörper; zu letzteren die Mucine, die einen präformierten Kohle¬
hydratkern besitzen, die Homoglobine mit einem eisenhaltigen Kern,
die Nukleine mit einem phosphorhaltigem Kern und die Proteide,
Da die gewöhnlichen Eiweißstoffe unlöslich sind und corpora
non agunt nisi fluida, so müssen zunächst die unlöslichen Eiweißkörper
in lösliche übergeführt werden. Dies geschieht mit Hülfe der Fermente,
von denen wir das Ferment des Magens, das Pepsin, die Fermente des
Pankreas, das Trypsin und Pankreasptyalin und die Fermente des
Darmsaftes : das Erepsin, Steapsin, Maltase und Galaktase, kennen.
Fortschritte der Medizin in den letzten Dezennien.
1043
Mit Hilfe dieser Fermente werden die unlöslichen Eiweißstoffe in lös¬
liche Albumosen und Peptone übergeführt.
Nun müßte man annehmen, daß diese Produkte im Blute nachzu¬
weisen sind. Das ist aber nicht der Fall. Die Albumosen und Peptone
zerfallen vielmehr in zahlreiche Trümmer, und aus diesen Trümmern
setzen sich dann die im Blute und Urin nachweisbaren Eiweißstoffe
zusammen. Nur wenn im Körper ein sehr starker Zerfall von Organ¬
eiweiß stattfindet, so z. B. im Lösungszustand der Pneumonie, bei
Abszedierung, in kachektischen Zuständen des Karzinoms, bei Tuber¬
kulose, dann findet man Albumosen im Blute und Urin.
An das Eiweißmolekül knüpfen sich auch unsere modernen Vor¬
stellungen über Immunität und Serumtherapie. Bevor wir zu der
EhiTich’schen Theorie übergehen, wollen wir in kurzen Zügen die
Entwickelung der Immunitätslehre verfolgen. Wie in der kurzen histo¬
rischen Übersicht erwähnt wurde, war Pasteur der erste, welcher
die Jenner’sche Beobachtung wissenschaftlich verwertete. Er machte
die Beobachtung, daß das Virus durch die Überimpfung von Tier zu
Tier in seiner Virulenz zu verändern ist. Wenn man z. B. das Virus
der Lyssa von Kaninchen zu Kaninchen über impft, dann nimmt die
Virulenz stetig zu, derart, daß Kaninchen schließlich nach sechs Tagen
tödlich erkranken, während in der Regel die Erkrankung erst nach
mehreren Wochen erfolgt. Andererseits wird die Virulenz durch Über¬
impfung von Affe zu Affe herabgesetzt.
Therapeutisch wird diese Erfahrung in der Weise benutzt, daß
das im Zerebrospinalkanal enthaltene Virus durch Trocknung, Pulve¬
risierung und Emulsionierung des Rückenmarkes gewonnen wird. Zu¬
nächst wird ein 14 Tage lang getrocknetes Präparat benutzt, dann ein
13 tägig es usf. Im großen und ganzen wird dasselbe Verfahren noch
heute geübt.
Im Prinzip dasselbe Verfahren benutzte Koch bei seiner so er¬
folgreichen Schutzimpfung gegen die Rinderpest, Koch machte näm¬
lich die Beobachtung, daß in der Galle der pestkranken Rinder das
Virus sich in abgeschwächter Form vorfand. Er benutzte daher die
Galle zur Immunisierung mit solchem Erfolge, daß jährlich durch die
von Koch inaugurierte Schutzimpfung ca. 40 Millionen im englischen
Afrika gespart werden.
Eine neue Etaj^pe in dieser Frage wurde durch die Entdeckung
Ferran’s erreicht, der nachwies, daß es auch durch subkutane Ein¬
verleibung von Cholerabazillen gelingt, Menschen gegen diese Krank¬
heit zu immunisieren, obwohl die Cholerabazillen sich im Unterhaut¬
bindegewebe nicht vermehren. Es mußte also die konstatierte Immu¬
nität durch Stoffe erreicht sein, welche aus den Bakterienleibern her¬
rühren. Denselben Weg beschritt Koch, der versuchte, durch Ein¬
verleibung von Tuberkelbazillen in das Unterhautbindegewebe von
Meerschweinchen diese gegen Tuberkulose zu immunisieren. Koch
mußte aber die Beobachtung machen, daß die Tuberkelbazillen am
Orte der Injektion Nekrose erzeugen. Er versuchte daher an Stelle
der Bazillen deren Extrakte zu injizieren. Tuberkelbazillen wurden
sechs Wochen lang in einer Bouillon gezüchtet, welcher 1% Pepton
und 5°/0 Glyzerin hinzugesetzt war. Die Kultur wurde dann einer
Temperatur von 110° unterworfen, filtriert und auf Vio c^es Volumens
eingedampft. Diese Flüssigkeit ist das so berühmt gewordene Tuber¬
kulin (alt). Es ist bekannt, welche unendlichen Hoffnungen an dieses
66*
1044
Lipowski,
therapeutische Präparat geknüpft wurden und wie wenig von diesen
Erwartungen erfüllt wurde. Koch selbst war mit seinem Präparat
nicht zufrieden. Er glaubte, daß im Tuberkulin nicht alle Bestand¬
teile der Bazillen enthalten waren, weil deren Eetthülle der Extrak¬
tion aller Stoffe Widerstand entgegensetzte. Er tat daher der extra¬
hierenden Flüssigkeit 1/10 Normalnatronlauge hinzu, welche die Eett¬
hülle zerstören sollte. Dieses Präparat ist unter dem Namen Tuber¬
kulin a (alkalisch) bekannt geworden. Auch dieses Produkt hat nicht
die Erwartungen Koch’s erfüllt. Bei einem neuen Verfahren wurden
die Bazillen getrocknet, zermahlen und zu einer Emulsion aufge¬
schwemmt. Diese wurde dann der Zentrifugenwirkung unterworfen.
Der Rückstand, welcher die Bestandteile der Bazillenleiber enthielt,
wurde T. R. (Rückstand) genannt. Die obere klare Flüssigkeit wurde
T. o. (oben) benannt. Endlich hat Koch noch eine fünfte Tuberkulin¬
flüssigkeit (Bazillenemulsion) hergestellt, eine Kombination von T. R.
mit Alttuberkulin. Wenn auch, wie erwähnt, sich die überschweng¬
lichen Hoffnungen nicht erfüllt haben, so begegnen wir in der Literatur
immer zahlreicheren Mitteilungen, welche von günstigen Heilwirkungen
des einen oder andern Präparates berichten.
Nach derselben Methode fand Karl Eränkel, daß mit dem Pro¬
dukt von Diphtheriebazillen eine Immunität gegen Diphtherie zu er¬
zielen ist. Dieser Weg ist jedoch praktisch nicht zu benutzen, weil
die Methode zu umständlich und zu gefährlich ist.
Auf eigenartige Weise ist Behring zu seiner epochalen Ent¬
deckung gekommen. Er suchte eine Erklärung für die Beobachtung,
daß weiße Mäuse gegen Milzbrand immun sind. Auf der Suche nach
immunisierenden Stoffen machte er die Erfahrung, daß, wenn er Meer¬
schweinchen Diphtheriebazillen und an dieselbe Stelle Jodtrichlorid
injizierte, diese Tiere eine zweite sonst tödliche Infektion überstehen.
Es mußten sich also im Blute dieser Tiere Stoffe gebildet haben,
welche die Giftstoffe der Diphtheriebazillen neutralisieren, cl. h. anti¬
toxisch wirken. So kam Behring zu der Vorstellung der Antitoxin¬
wirkung.
Es zeigte sich bald, daß eine einmalige Erkrankung eines Tieres
nicht genügende Mengen von Antitoxin lieferte. Vielmehr mußte durch
immer wiederholte Infizierung die Toxinbildung gesteigert werden.
Um möglichst viel antitoxinhaltiges Serum zu gewinnen, benutzte man
große Tiere, von denen sich schließlich Pferde als die geeignetsten
erwiesen. Zur genauen Bestimmung der anzuwendenden Antitoxin¬
menge mußte eine Einheit bestimmt werden. Nach Ehrlich’s Vor¬
schlag wird als Antitoxineinheit diejenige Antitoxinmenge angesehen,
welche die 100 fache für ein Meerschweinchen von 250 ^g tödliche Toxin¬
dosis neutralisiert. In Anwendung kommt Serum von 400 bis 1000
Immunitätseinheiten in 1 ccm Serum. Je früher die Erkrankung zur
Behandlung kommt, je kleiner das Kind und je leichter die Erkrankung
ist, um so geringer ist die anzu wendende Antitoxindosis.
Leider hat die bei der Diphtheriebehandlung sich als so erfolgreich
erwiesene Antitoxinbehandlung bei anderen Krankheiten versagt außer
der Tetanuserkrankung. Wenn bei dieser die Antitoxinbehandlung in
den ersten 24 Stunden einsetzt, dann bietet sie nach den bisherigen
Erfahrungen die bei weitem günstigsten Heilungschancen. Jm Ver¬
trieb befindet sich das nach Behring’s Verfahren von den Höchster
Farbwerken hergestellte Serum und das nach Tizzoni und Cattani
Fortschritte der Medizin in den letzten Dezennien.
1045
von Merck fabrizierte Präparat. Zu Heilungszwecken werden 100 Ein¬
heiten injiziert und die gleiche Dosis an den drei nächsten Tagen
wiederholt, während zur Prophylaxe 20 Einheiten injiziert werden.
Besonders interessant wurde die Antitoxinfrage, als Ehrlich den
Nachweis erbrächte, daß auch durch Gifte im Blute Gegengifte er¬
zeugt werden. Es gelingt durch allmähliche Giftsteigerung das viel¬
fache der tödlichen Dosis ohne Schaden zu injizieren. Es erklärt sich
auf diese Weise die altbekannte Immunität der Fakire gegen
Schlangengift.
Bei der Antitoxinbehandlung werden nur die Toxine neutralisiert,
während die Bazillen durch das Antitoxin nicht vernichtet werden.
Eine einschneidende Wendung nahm diese Frage durch die Entdeckung
Pfeiffers, daß Cholerabazillen, in das Blut von Tieren injiziert,
ein Serum erzeugen, welches, gleichzeitig mit Cholerabazillen in die
Bauchhöhle injiziert, die Bazillen zur Auflösung bringt. Diese Ent¬
deckung von der bakteriziden Wirkung des vorbehandelten Serums
ist vom wissenschaftlichen Standpunkt der antitoxischen gleichwertig,
wenn auch die praktische Ausnutzung die gehegten Erwartungen nicht
erfüllt hat. In der Veterinärmedizin hat die bakterizide Eigenschaft
des Serums zu der erfolgreichsten Behandlung des Schweinerotlaufesl
geführt. Nach der Simultanmethode wird gleichzeitig antitoxisches
und bakterizides Serum injiziert. Im Verlaufe dieser interessanten
Untersuchungen wurde weiterhin gefunden, daß es nicht nur gelingt,
Bazillen im Blute zur Auflösung zu bringen, sondern ebenso auch rote
Blutkörperchen, wenn vorher das Blut durch Injektion roter Blut¬
körperchen „vorbehandelt“ worden ist. Diese Lehre von der Hämolyse
wurde dann dahin erweitert, daß es durch entsprechende Vorbehand¬
lung auch gelingt, z. B. Flimmerzellen zur Auflösung zu bringen.
Eine weitere Beobachtung auf diesem Gebiete ist die Aggluti¬
nation, welche darin besteht, daß Bazillen durch Immunserum in ihrer
Beweglichkeit geschädigt, sich in Haufen zusammenballen, aggluti-
nieren. Besonders schön sieht man dieses interessante Phänomen in
einem hängenden Tropfen einer Typhuskultur, der man Serum eines
Typhuskranken hinzufügt. Sehr bald sieht man die Bazillen ihre
Beweglichkeit einbüßen und sich zu Haufen zusammenballen. Aus
dem Grad der zur Auslösung der Erscheinung erforderlichen Ver¬
dünnung werden diagnostische Schlüsse gezogen.
Eine analoge Erscheinung verdanken wir der Beobachtung von
Kraus, welcher die Entdeckung machte, daß vorbehandeltes Serum
in filtrierter Kulturflüssigkeit* einen Niederschlag verursacht. Diese
Präzipitatbildung erfolgt auch, wenn entsprechendes Serum einer fil¬
trierten Eiweißlösung hinzugesetzt wird. Diesem Verhalten verdankt
die gerichtliche Medizin eine eminent wichtige Untersuchungsmethode.
Wenn man eine auch ganz alte Spur Menschenblut in physiologischer
Kochsalzlösung auflöst und dem Filtrat entsprechend gewonnenes Serum
hinzusetzt, dann spricht ein sich bildender Niederschlag mit absoluter
Sicherheit für Menschenblut,
Genial ist die Theorie der Antitoxinbildung, welche wir wie so
viele Kenntnisse Ehrlich verdanken.
Im Blute aller Menschen finden sich bakterienfeindliche Stoffe,
welche von Buöhner Alexine, von Metschnikoff Cytase, von Ehrlich
Komplement genannt werden. Diese Substanz ist leicht zerstörbar,
so z. B. durch Sonnenlicht und Temperaturen von 55°. Sie allein genügt
1046
Scharfe,
aber nicht zur Bindung der Toxine. Dazu ist eine zweite Substanz
erforderlich, welche spezifisch durch die Immunisierung entsteht und
von Ehrlich Zwischenkörper genannt wird. Im Gegensatz zum Kom¬
plement ist der Zwischenkörper gegen Hitze und chemische Agentien
sehr widerstandsfähig. Komplement und Zwischenkörper ermöglichen
die Bindung und Unschädlichmachung des Toxins.
Nach Ehrlich’s stereochemischer Vorstellung des Eiweißmoleküls
besitzt dieses zahlreiche und verschiedenartige sogenannte Seitenketten,
welche mit entsprechenden anderen Molekülen Anklammerungen, Ver¬
bindungen eingehen. Der Zwischenkörper besitzt nun im Gegensatz
zum Komplement solche (haptophore) Seitenketten, mit deren Hilfe
er sich an die Zelle anlagert. Andererseits besitzt er eine andere
Gruppe, welche Anklammerung mit dem Alexin (komplementophile
Gruppe) ermöglicht. So bildet der Zwischenkörper also ein Zwischen¬
glied zwischen Zelle und dem Komplement. Nach Weigert’s Vor¬
stellung bedeutet die Anlagerung der Alexine an die Zelle einen Beiz
zur Bildung neuer Seitenketten, die, überreichlich produziert, von der
Zelle abgestoßen werden und nun im Blute als schwimmende Anti¬
körper fungieren.
Abgesehen von der immunisierenden Eigenschaft des Serums
kommt auch manchen körperlichen Bestandteilen des Blutes eine anti-
bakterielle Eigenschaft zu. Metschnikoff machte die Beobachtung,
daß die Leukozyten die Fähigkeit besitzen, feste Körper in sich auf¬
zunehmen und, soweit sie der Verdauung zugänglich sind, sie aufzu¬
lösen und zu resorbieren. Dieser Phagozytose fallen auch die Bakterien
zum Opfer. Man kann sich also nach dieser Beobachtung die Phago¬
zytose als Kampf der Leukozyten gegen die Bakterien vorstellen.
Von der Zahl und Virulenz der Bakterien wird es abhängen, wer im
Kampf obsiegt.
Neuerdings ist noch eine andere Einwirkung der Leukozyten auf
die Bakterien festgestellt worden. Man fand in den Leukozyten ein
Ferment, welches Eiweiß und auch das der Bakterien zur Auflösung
bringt. Dieses Ferment kommt ausschließlich den Leukozyten zu,
nicht aber den Lymphozyten. Es erklärt sich auf diese Weise die
geringe Heilungstendenz der kalten Abszesse, welche nur durch Lympho¬
zyten gebildet werden. Aus dieser Beobachtung hat man therapeuti¬
schen Nutzen dadurch zu ziehen gesucht, daß man die kalten Abszesse
durch Einbringung von Leukozyten in warme umzuwandeln versucht,
nach vorliegenden Berichten nicht ohne Erfolg. (Fortsetzung folgt.)
Beobachtungen an stillenden Müttern.
Von Dr. Scharfe, Köthen i. Anh.
(Vortrag, gehalten in der Vereinigung mitteldeutscher Gynäkologen am 27. 6. 1909.)
Als das zweckdienlichste Verfahren zur Verminderung der Säug¬
lingssterblichkeit gilt die Beförderung des Säugens durch die Mütter ;
und um in dieser Beziehung die Mütter zu beeinflussen, hat sich das
regelmäßige Verteilen von Stillprämien oder Stillbeihilfen bewährt.
Seit zwei Jahren w.erden in Köthen auf meine Veranlassung durch den
vaterl. Frauenverein Stillprämien, wöchentlich in Höhe von 3 Mark
gezahlt an Frauen, die selbst stillen, wenn
1. das Einkommen des Haushaltvorstandes im Jahre 1000 Mk.
nicht erreicht,
Beobachtungen an stillenden Müttern.
1047
2. wenn die Mütter sich einer regelmäßigen häuslichen Kontrolle
durch die Vorstandsdamen,
3. wenn sie sich einer wöchentlichen ärztlichen Kontrolle unter¬
werfen.
Die ärztliche Kontrolle wird von mir ausgeübt. Ich möchte Ihnen
berichten über meine Verlegenheiten und meine Überlegungen, über
meine Beobachtungen bei der Kontrolle und meine Schlußfolgerungen.
Die Kontrolle hat wesentlich festzustellen, ob die Forderungen
des Stillgeschäftes erfüllt wurden. Da war ich gleich in großer Ver¬
legenheit, denn es ist kein sicheres Kriterium dafür bekannt, ob Frauen
geeignet sind zum Stillgeschäft, ob ihre Milch „gut“ ist und ob sie
genug davon haben. In der Literatur, die ich vor Beginn der Unter¬
suchungen studierte, fand ich nur
1. lose Angaben über Prognose auf Stillfähigkeit,
2. Methoden, um die Milchmenge zu messen,
3. eine größere Anzahl vorzüglicher chemischer Untersuchungen
über die Zusammensetzung der Milch.
Zunächst die Prognose auf Stillfähigkeit soll gut sein, bei großer
Zahl von Montgomery’ sehen Drüsen, bei starkem Achsellappen der Drüse,
bei Festigkeit des Drüsengewebes und bei großer Warze.
V on allen diesen Zeichen hat mir keins Stich gehalten. Die
Zahl der Montgomery, sehen Drüsen bedeutet nichts ; prall gefüllte, milch-
absondernde M. -Drüsen fanden sich allerdings nur bei Frauen, die viel
Milch hatten. Die anscheinende Festigkeit des Drüsengewebes ist auf
Nichtanlegen des Kindes vor der Untersuchung zurückzuführen ; ein
beliebtes Manöver der Ammen. Die Warze nimmt an Größe in der
Stillzeit zu ; wirklich sehr große Warzen hatten nur Frauen, die schon
mehrere Kinder gestillt hatten. Starke Pigmentierung des Warzenhofes
fand ich nur bei milchreichen Müttern, doch haben nicht alle milch¬
reichen Mütter starke Pigmentation. Die dunkelhaarigen Semitinnen
z. B. sind meist gute Ammen, haben aber nur wenig Pigment.
Die Bestimmung der Milchmenge geschieht durch Wiegen der
Kinder vor und nach der Mahlzeit oder durch Abmelken. Beide Methoden
geben unsichere Resultate, wenn sie selten und in der Ambulanz aus¬
geführt werden. Die größere oder geringere Milchmenge, die eine Brust
hergibt, hängt meines Erachtens nicht allein van dem vorhandenen
Milchvorrat ab ; sie wird stark beeinflußt von der Psyche der Mutter,
ich meine von ihrem „guten Willen“, von ihrer Bereitwilligkeit, dem
Kinde die Brust zu geben, sich Milch abnehmen zu lassen. Einen
strengen Beweis kann ich nicht führen, aber nur so erklärt sich mir
der ständige Milchmangel bei Müttern, die nur mit Mühe überredet
wurden, ihr Kind an die Brust zu nehmen, nur so das ständige Wund¬
sein ihrer Warzen. Eine weitere Stütze für meine Ansicht finde ich
in der häufigsten Form der Polygalaktie: die Mutter erwacht nachts
vom Schreien des Kindes, erhebt sich, um es atnzulegen und verliert
in der kurzen Zeit bis dahin so viel Milch, daß trotz Brustvorlagen
die Nachtkleider naß werden und noch Milch auf die Erde tropft.
Unbestreitbar ist, daß die Bestimmung der Milchmenge unsichere
Resultate gibt. Unsichere Resultate sind für K ontrollunter suchungen un¬
brauchbar. Drum habe ich auf die regelmäßige Feststellung der Milch¬
menge verzichtet. Genügende Milchmengen nehme ich an, wenn das
Kind an Gewicht zunimmt und bei den Untersuchungen die Brust voll
1048
Scharfe,
ist; natürlich nur dann, wenn ich sicher bin, daß regelmäßig ange¬
legt wurde.
Ich komme zu den Untersuchungen über die Qualität der Milch
durch Bestimmung der Trockensubstanz, des Fettes, Eiweißes, Zuckers
und der Asche. Ich erwähne besonders die ausführliche Arbeit von
Baumm und Illner von 1894 und aus den letzten Jahren die Be¬
stimmungen von Czerny und Keller. Beide weisen nach, daß bei
derselben Frau die Verschiedenheit der Milch an beiden Brüsten, die
Ungleichheit zu verschiedenen Tageszeiten oder Wochentagen größer
ist als die Differenz der Milch verschiedener Frauen. Das ist ein
eigentümliches Resultat. Wenn das wahr ist, muß doch die Milch
jeder Frau für jeden Säugling passen. Und doch haben alle Praktiker
die entgegengesetzte Erfahrung gemacht. Ich habe noch nirgends von
einem Versuch zur Lösung dieses Rätsels gelesen.
Für meine Zwecke war jedenfalls auch diese Untersuchungsmethode
mit ihren wechselnden Befunden bei jeder einzelnen Frau unbrauchbar.
So blieb mir nur noch die Möglichkeit, durch makroskopische und
mikroskopische Beobachtung der Milch zu Resultaten zu kommen. Die
Quintessenz des hiervon Bekannten steht in folgenden Sätzen einer
Enzyklopädie : ,J9ie Frauenmilch ist eine undurchsichtige, weiße, leicht
bläuliche Flüssigkeit von alkalischer Reaktion und 1030 spez. Gewicht.
Unterm Mikroskop stellt sie sich dar als eine klare Flüssigkeit, in
der eine Unmenge Fettröpfchen von 1—1 1/2 y Durchmesser schwimmen.
Je gleichmäßiger die Emulsion ist, um so besser erscheint die Milch.
Außer den Fettkörnchen finden sich in ihr große Zellen mit
Fettröpfchen, Kolostrumkörperchen genannt und zeitige Elemente, die
von einem als Drüsenzellen, von andern als weiße Blutkörperchen, von
dritten als dem Produkt der Milchdrüsen eigene ,, Kugeln und Kappen“
angesprochen werden.“
Mit diesem Wissensmaterial ging ich an die Kontrollunt er suchungen.
In den ersten Wochen schien mir nur die Veränderlichkeit der Bilder
beständig zu sein. Als ich aber eines Tags ohne bestimmten Plan
verlangte, daß alle meine Pflegebefohlenen gleichmäßig stets nur an
einer Brust dreistündig mit einer sechsstündigen Pause nachts die Kinder
anlegen sollten, da war mit einem Schlage die Konstanz in den Be¬
funden da.
Wenn nun die Art des Stillens den maßgebenden Einfluß auf die
Milch ausübt, so ist es klar, daß für alle Bestimmungen nicht eine
Normalmilch, sondern die Milch bei einem bestimmten Stilltypus als
Grundlage genommen werden muß.
Den Normalbefund bei unserem Stilltypus beschreibe ich am Gang
einer Kontrolluntersuchung.
a) Zuerst wird das Kind gewogen, auf Gesundheit, Wundsein und
Reinlichkeit untersucht. Eine Zunahme von weniger als 100 g wird
moniert.
b) Dann werden die beiden Brüste der Mutter betastet. Die Brust,
an der das Kind zuletzt trank, ist schlaffer als die andere und fühlt
sich für den aufliegenden Handrücken wärmer an.
c) Von jeder Brust wird ein Tropfen Milch auf trockenem Objekt¬
träger aufgefangen. Der Tropfen aus der Brust, an der das Kind
zuletzt trank, bildet eine stark konvexe, gleichmäßige weiße Halb¬
kugel. Der Tropfen der andern Brust ist bläulicher oder streifig,
weniger konvex und hat Neigung, auseinanderzufließen.
Beobachtungen an stillenden Müttern.
1049
d; Jeder Tropfen wird mit einem Deckglas bedeckt und mit
SOfacher Vergrößerung betrachtet. Der Tropfen der ersten Brust zeigt
ein so dichtes Gewimmel feiner, gleichgroßer Milchkügelchen, daß man
vom Milchplasma fast nichts sieht. Das andere Präparat zeigt im
ganzen oder wenigstens stellenweise weit spärlicher gleichgroße Milch¬
kügelchen, so daß Milchplasma deutlicher sichtbar wird.
Die Erklärung für den verschiedenen Befund der Milch beider
Brüste liegt in der Differenz des Fettgehaltes zwischen Anfangs- und
Endmilch jeder geruhten Brustdrüse.
Abweichungen von diesem Typus habe ich zunächst immer auf
Nachlässigkeit im Stillen geschoben und die Wirkung strengerer Kon¬
trolle gab mir meist recht. In einigen Fällen war aber Ordnung im
Stillgeschäft sicher da, es mußte also noch andere Gründe geben. End¬
lich gelang es mir, die abweichenden Fälle in zwei Gruppen zu ordnen
und zwei — sit venia verbo — Krankheitsbilder aufzustellen.
Traten bei einer regelmäßig stillenden Frau im mikroskopischen
Milchbilde zwischen den feinen Fettkügelchen einzelne gröbere auf,
so fanden sich bei späterer Untersuchung mehr, dann auch zerfallende
Kolostrumkörper, noch später so viele frische, daß sie das Bild be¬
herrschten. Zugleich nahm die Milchmenge rapide ab und beim Kinde
traten Verdauungsstörungen auf.
Den Grund für die Erscheinung fand ich darin, daß die Mutter
mehr Milch produzierte als das Kind trank. Aus der positiven Diffe¬
renz zwischen Milchproduktion und -Konsum entstand eine Milch¬
stauung in der Brust mit ihren Folgeerscheinungen. Diese Form tritt
auf bei gesunden, gut genährten Müttern mit frühgeborenen, zarten
oder kranken Kindern.
Ist umgekehrt die Mutter krank oder nährt sie sich ungenügend,
wäiirend das Kind kräftig ist, so entsteht eine negative Differenz
zwischen Milchproduktion und -Konsum. Durch das Mikroskop stellen
wir zuerst ein Seltnierw'erdeü der Fettkügelchen in beiden Brüsten
fest. Dann werden die Kügelchen kleiner und feiner, endlich staub¬
förmig. Das Kind leidet im Anfang nicht, besonders treten Verdauungs¬
störungen nicht auf ; später wird es natürlich durch die Unterernäh¬
rung elend.
Die Therapie ergibt sich aus den Anschauungen über die Ent¬
stehungsursache. In den > Fällen mit zu großer Milchproduktion rate
ich gern, noch ein Kind an die Brust zu nehmen und helfe mir, wenn
das verweigert wird, mit der Milchpumpe. In den Fällen mit negativer
Differenz versiegt trotz verständiger Ernährung oft genug die
Milchquelle.
Damit bin ich am Ende. Ich möchte nur noch die Herren, die
öfter Ammen einstellen, bitten, die Nutzanwendung aus meiner Be¬
obachtung zu ziehen und milchreiche Ammen zu schwächlichen oder
kranken Kindern nur mit dem eigenen Kinde kommen zu lassen.
Literatur:
Ferd Ad. Kehrer im Handbuch der Geburtshilfe von P. Müller.
Baumann u. Köstlin, Enzyklopädie der Geburtshilfe usw.
E. Bouchacourt, Bevue d’hygiene 1907.
Michael Cohn, Über Frauenmilch. Berl. klin. Wochenschr. 1900.
P. Baumann u. B. Illner, Sammlung klinischer Vorträge Nr. 105.
1050
Wilhelm Sternberg,
Der Alkohol in der klassischen Malerei.
Von Dr. Wilhelm Sternherg,
Spezialarzt für Zucker- und Verdauungskranke in Berlin.
Mit meinen verschiedenen Studien über den Alkohol und den
Genuß der Genußmittel in den mannigfachsten Aufsätzen, erst in
Heft 13 der Deutschen Ärzte -Zeitung vom 1. Juli 1309 mit meinem
Aufsatz „Wissenschaft und Alkohol“ habe ich nachgewiesen, daß die
Wissenschaft den Alkohol, die Genußmittel überhaupt, ja schon den
Genuß selber mitunter ganz einseitig behandelt. Das tritt noch mehr
hervor, wenn man die Kunst und den Alkohol einmal betrachtet. Die
Wissenschaft der Medizin hat die Betrachtung der Kunst und die kultur¬
historische Bedeutung der Kunst in dieser Richtung fast ganz ver¬
nachlässigt, sehr zu ihrem eigenen Schaden. Wie ich im Zentralblatt
für Physiologie 23, Nr. 4, S. 3, in meiner Arbeit „Der Hunger“, be¬
reits hervorgehoben habe, dürfte der experimentellen Methode aueh
die Sprachen -Psychologie, wenn nicht ebenbürtig, so doch eine will¬
kommene Beigabe sein, ferner aber auch noch die Methode der Kunst¬
psychologie. In gewissem Sinne verfolgt doch der Künstler von Gottes
Gnaden dasselbe psychologische Problem wie der Forscher. Der Künstler
beobachtet unbewußt oft sogar besser und früher als der Gelehrte.
In diesem Sinne dürfte es nicht nur berechtigt, sondern sogar erforder¬
lich sein, für die psychologische Erforschung zu sammeln, was die klassi¬
schen Künstler zu verschiedenen Zeiten an den mannigfachsten Orten
über die subjektiven psychischen Empfindungen berichten. Man kann
also wohl hoffen, daß aus der theoretischen wissenschaftlichen Be¬
trachtung der Kunst auch manche fruchtbaren Resultate für den Forscher
über den wahren Genuß der Genußmittel fließen werden. Ich setze
mich damit in schärfsten Gegensatz zu denjenigen von den Ärzten,
welche ihre „Exaktheit“ bloß in der Anwendung von Experimenten an
der handvoll von Haustieren der Forschung: Hund, Katze, Maus
und Ratte sehen und damit schon die Wissenschaft erschöpft zu haben
vermeinen. Ich untersuche vielmehr den Genuß der menschlichen
Genußmittel an der Physiognomie des Menschen, und zwar der
Kenner, der professionellen Koster und Feinschmecker. Ich studiere
die Kunst und betrachte die Effekte, welche die Künstler von Gottes
Gnaden seit jeher, zu allen Zeiten und an allen Orten erzielt haben,
indem sie nur den Genuß der Menschen an den mqn sch liehen Ge¬
nußmitteln zur Darstellung brachten. Das sind meine Experimente.
So leistet indirekt die Kunst der Wissenschaft Dienst und Hilfe. Aber
auch einen direkten Anteil hat die Kunst an der Wissenschaft. Es
ist nämlich grundfalsch, immer noch anzunehmen, wie es die Wissen¬
schaften stets tun, daß Essen, Wohnen und Kleiden bloß nützliche
Tätigkeiten seien. Wir essen doch aber nicht, um uns bloß zu nähren.
Wir wohnen doch nicht, um uns bloß ein Loch zu schaffen. Wir
kleiden uns doch nicht, um uns bloß zu wärmen. Vielmehr kommt
hier noch das ästhetische, das künstlerische, das angenehme
Moment hinzu. Deshalb reicht für Nahrung, Wohnung und Kleidung
die theoretische Wissenschaft mi't ihren nüchternen Betrachtungen nicht
mehr aus. Vielmehr muß sich zur Wissenschaft hier noch die Kunst
gesellen. Vor allem gilt dies für den Genuß des Essens und Trinkens.
Mit Recht spricht die deutsche Sprache von „Genießen“, „Genuß“ des
Essens auch beim ärmsten Mann, schon beim Essen der Nahrungsmittel.
Der AJkoliol in der klassischen Malerei.
1051
Bereits hierin drückt sich die psychologische Feinheit der deutschen
Sprache aus. Wir nehmen doch nicht bloß Kalorien und Brennwerte
und Nährwerte zu uns, sondern wir wollen „genießen“ und wir wollen
„schmecken“.
„Ich kost’ und ich schmecke beim Essen“, sagt Goethe. Daher
ist die Kochkunst von so hoher praktischer Bedeutung und auch von
theoretischer für die Ernährungslehre.
Was den Alkohol in der Kunst anlangt, so will ich mich zunächst
auf die Malerei beschränken.
Massenhaft finden sich Darstellungen des Genusses der Genu߬
mittel. Doch besonders tritt unter diesen Genußmitteln der Alkohol
hervor. Das ist wichtig in mehrfacher Beziehung. Was die modernen
Abstinenzler dem Alkohol vorwerfen, das ist seine Einwirkung auf
die g'eistige Tätigkeit des Nervensystems, er mindere das Denken,
er schläfere ein, Kaffee hingegen rege an. Das ist nicht ganz un¬
richtig. Deshalb ist Alkohol ein vorzügliches Schlafmittel und zu¬
gleich Genußmittel und zugleich Nährmittel. Wir haben nicht viele
Schlafmittel oder überhaupt Arzneimittel, die zugleich Genußmittel
und zugleich Nahrungsmittel sind. Außerdem kommt aber noch eins
hinzu. Alkohol wendet sich an die seelischen Organe, Alkohol regt
zwar nicht geistig, aber seelisch an. Daher kommt es, daß Alkohol
die Kunst fördert. Alkohol ist das Genußmittel der Künstler, wie
Kaffee die Wissenschaft fördert und Kaffee das Genußmittel des
Forschers ist. Daher kann man eine reiche Ausbeute für die Wissen¬
schaft über den Alkohol aus der Kunst schöpfen.
Unter den Malern stehen in dieser Beziehung die Holländer obenan.
Daß sich die Ylamen ganz besonders dabei hervortaten, liegt tief in
ihrer Stammesnatur begründet. An Völlerei im Schmausen und Trinken,
an wilder Lust beim Tanz und in anderen Ausschweifungen wurde
Erkleckliches geleistet, und die Maler trugen kein Bedenken, alle diese
Exzesse nach dem Grundsätze „Naturalia non sunt turpia“ getreulich
zur Anschauung zu bringen. David Teniers der Jüngere war noch
einer der Zahmsten unter diesen Sittenschilderern. An den schlimm¬
sten Dingen wie Vomieren, Exkretionen u. dgl. ging er entweder ganz
vorüber oder er hatte doch so viel Feingefühl, sie in den Hintergrund,
in eine dunkele Ecke zu verweisen.
Es ist außerordentlich lehrreich, sich die Meisterwerke von Teniers
nach dem Vorwurf, den sie zur Darstellung bringen, einmal einzu¬
teilen. Im großen und ganzen kann man vier Klassen aufstellen.
Teniers zeigt uns die TafelgenüSse, Küche und Keller. Sodann führt
er uns das Laboratorium des Chemikers vor, die „schwarze Küche“.
Die Werkstätte des Arztes kommt an die Reihe. Schließlich erschöpft
er sich an der künstlerischen Ausführung des Genusses der Genu߬
mittel.
Bekannt ist das Meisterwerk Teniers’ : „Die fünf Sinne“ (Kgl.
Galerie in Brüssel).
Demnach finden wir auch auf seinen Gemälden alle Freuden
dieses Lebens. Der Künstler vergißt auch den Geschmack nicht. Dem¬
nach haben wir auf vielen seiner Bilder die Tafelgenüsse, Küche und
Keller. Kein Meister hat uns mehr und besser über die Küche belehrt
als Teniers. Neben vielen anderen gibt uns David Teniers der Jüngere
in seinem Werk „Der Zeitungsleser“ (Kaiserl. Galerie in Wien) ein
Küchenbild. Im Nebenzimmer rührt eine Frau mit einem Quirl in
1052
Wilhelm Sternberg,
einer Pfanne, die sie vom Feuer nimmt, es könnte Rührei sein. Auf
seiner Zeichnung „Vorbereitungen, zu einem Schmause“ sehen wir den
Wirt vor seinem Kochkessel stehen und einem davoneilenden Bediensteten
noch eine letzte Weisung erteilen, während in der Ecke ein Trunkener
schon zusammengebrochen ist, dem die Frau „auf die Beine hilft“.
Teniers führt uns auch in die Küche der chemischen und pharma¬
zeutischen Laboratorien, die ja auch aus der Kochküche hervorgegangen
sind. Deshalb spricht Goethe im Faust von der „schwarzen Küche“
seines Vaters,
„Der in Gesellschaft von Adepten
Sich in die schwarze Küche schloß.“
Bekannt sind Teniers’ Meisterwerke: „Ein Alchymist“ (Haag,
Kgl. Galerie), „Der Alchemist“ (Galerie in Dresden).
Es ist ganz gewiß kein Zufall, wie ich in der Zeitschrift für
Hygiene in meinem Aufsatz „Die moderne Kochküche im Großbetrieb“
1909, S. 19, hervorhebe, daß die Meister, die uns, so viel Küchenstücke
gegeben haben, sich auch vielfach mit der Darstellung der ärzt¬
lichen Behandlung beschäftigen: David Teniers der Jüngere „Der Zahn¬
arzt“ (Kassel, Kgl. Galerie), „Der Dorfarzt“ (Brüssel, Kgl. Museum),
„Eine chirurgische Operation“ (Galerie in Madrid), „Die Baderstube“
(Galerie in Brüssel) ; oder Adriaen Brouwer : „Eine chirurgische Ope¬
ration“ (Städelsche Galerie in Frankfurt); oder Gerard Dov: „Der
Zahnarzt“ (Dresdner Galerie), „Die Wassersüchtige“ im Louvre, „Arzt,
ein Uringlas am Fenster beobachtend“ (Belvedere in Wien) ; oder Gabriel
Metsu: „Die kranke Frau“ (Petersburg, Eremitage); Adriaen van
Ostade : „Der Arzt in seinem Studierzimmer“ (1665 im Kgl. Museum
in Berlin) oder Franz von Mieris : „Arzt“ (München, Pinakothek), „Der
Quacksalber“ (Eremitage in Petersburg); oder Jean Steen: „Doktor¬
visite“ (München), „Doktorbild“ (Im Haag) u. a. m.
Teniers zeigt uns die Freuden des Gesellschüf tsspiela : „Die Puff¬
spieler“ (Kgl. Gemäldegalerie in Berlin). — „Die Wachtstube“ (Reichs¬
museum in Amsterdam).
Ferner zeigt uns der Künstler den Genuß am Ohrenschmaus durch
die Tonkunst „Der Dudelsackpfeifer“ (Zeichnung im Kupferstichkabinett
zu Dresden). — „Der Dudelsackpfeifer“ (Buckinghampalast in Lon¬
don). — „Affenkonzert“ (Alte Pinakothek in München).
Alsdann folgen die Freuden am Genuß der Genußmittel, welche
die modernen Wasserdoktoren und neuzeitlichen medizinischen Forscher
mehrfach als „Gifte“ auffassen. Es wären dies also gewissermaßen „Gift¬
wirkungen“. Erst kommen die Freuden am Tabakgenuß oder „Nikotin¬
gift“ : „Ruhestunde“ (Reichsmuseum in Amsterdam). — „Der Raucher“
(Im Privatbesitz in Paris). — „Die Raucher“ (Alte Pinakothek in
München). — „Das Rauchkollegium“ (Galerie in Dresden). — „Rauchende
Affen im Wirtshaus“ (Alte Pinakothek in München).
Es folgen die Unmenge der klassischen Werke, welche uns den
Genuß am Genußmittel des Alkohols zur Darstellung bringen: „Der
Bauer mit dem Weinglas“. — „Der Bauer mit dem Bierkrug“. —
„Inneres einer Dorfkneipe“ (Alte Pinakothek in München). — „Vlä-
mische Zechstube“ (Alte Pinakothek in Berlin). — „Wirtsstube“ (Im
Besitz des Herrn Carl Hollitscher in Berlin). — „Ländliches Wirts¬
haus“ (Eremitage in St. Petersburg). — „Bauernhochzeit“ (Alte Pinako¬
thek in München). — „Bauerntanz in einer Wirtsstube“ (Alte Pina¬
kothek in München). — „Bauerntanz vor einem WJrtshause“ (Galerie
Der Alkohol in der klassischen Malerei.
1058
in Berlin). — „Der Kirmeßtag“ (Kaiserl. Galerie in Wien). — „Vlä-
mische Kirmeß“ (Mnsenm in Brüssel). — „Vlämische Kirmeß“ (Prada-
museum in Madrid). — „Dorfkirmeß“ (Rijksmuseum in Amsterdam).
— „Tanzende Bauern“ (Kaiserl. Galerie in Wien). — „Bauerntanz
vor einem Wirtshause“ (Zeichnung in der Albertina in Wien).
Es ist außerordentlich interessant und zugleich instruktiv, daß
dieser Maler, der Schöpfer der „fünf Sinne“, außer den hier aufgef ührten
Werken gar keine weiteren, jedenfalls nicht mehr viel bedeutende ge¬
schaffen hat !
Weshalb sich wohl kein Maler, kein Künstler finden mag, der
uns die wasserdichten Abstinenzapostel vor Augen führen möchte ? Die
Antwort ist einfach. Nüchterne Freuden der Abstinenz haben noch
niemals die Künstler von Gottes Gnaden zur künstlerischen Darstellung
angeregt. Vielmehr ist das Gegenteil der Fall. Gräßliches stößt ab.
Auch die Brüder Adriaen und Isaak van Ostade (1610 — 1685)
befaßten sich intensiv mit den Freuden und Genüssen. Zweimal be¬
schäftigten sie sich mit der Wiederherstellung der Gesundheit: „Der
Arzt in seinem Studierzimmer“ (1665, im Kgl. Museum in Berlin).
— „Der Charlatan“ (1648). —
Vor allem ist es das Familienleben der Bauern, welches Ostade
von den verschiedensten Gesichtspunkten betrachtet: „Die Bauernstube“
(Kgl. Museum in Berlin). — „Lachender Bauer“ (Albertina in Wien).
— „Familienbild (die sogenannte Familie des Adriaen van Ostade)“
(Louvre in Paris). — „Eine Bauernunterhaltung“ (Gräflich Schönborn¬
sehe Galerie in Wien). — „Bauerngesellschaft“ (Kgl. Gemäldegalerie
in Berlin). — „Die Scheune“ (1647). — „Die Familie“ (1647). — „Die
Spinnerin vor der Haustür“ (1652). — „Der Familienvater“ (1648).
— „Bildnis einer alten Frau“ (Kgl. Museum in Berlin). - — „Studie
nach einem Bauern“ (Kgl. Kupferstichkabinett in Dresden). - — „Studie
nach einem Bauern“ (Nach einer Zeichnung im Kgl. Kupferstichkabi¬
nett in Dresden). — „Inneres einer Bauernhütte“ (Louvre in Paris).
— „Die Dorfschule“ (Louvre in Paris). — „Bauerngesellschaft“ (1661)
(Reichsmuseum in Amsterdam). — „Der Schulmeister“ (1662) (Louvre
in Paris). — „Ein Bauer mit einer Laterne“ (Uffizien in Florenz). —
„Holländische Bauernstube“ Alte Pinakothek in München). — „Eine
Bäuerin mit zwei Kindern an der Haustür“. — „Ein Bauer unter der
Haustür“. — „Bauernstudien“ (Albertina in Wien). — „Bauern unter
der Sommerlaube“ (1676) (Kgl. Gemäldegalerie in Kassel). — „Bauern
in der Veranda“ (Albertina in Wien). — „Naturstudie nach einem
Bauern“ (Albertina in Wien). — „Bauern am Kamin“ (1667) (Bucking¬
hampalast in London). — - „Bauernfamilie“ (Buckinghampalast in
London).
Demgemäß schildert er die ganze Beschaulichkeit des täglichen
Lebens: „Der Leser“ (Louvre in Paris). — „Der Zeitungsleser (1653)
(Louvre in Paris). — „Ein Blick aus dem Fenster“ (Eremitage in
St. Petersburg) . — „Der Schweinestall“ (Louvre in Paris). — „Der
Fischmarkt“ (Louvre in Paris). — „Das Tischgebet“ (1653). — „Nach
der Mahlzeit“ (Buckinghampalast in London). — „Mittagsruhe“ (Kgl.
Kupferstichkabinett in Dresden). — „Zwei schmausende Bauern“ (Kgl.
Gemäldegalerie in Dresden). — „Der Bäcker, der frische Backwaren
ankündigt“ (Eremitage in St. Petersburg). — „Der Bäcker“ (Reichs¬
museum in Amsterdam). — „Der Heringsesser“ (Kgl. Museum in
Brüssel).
1054
Wilhelm Sternberg, Der Alkohol in der klassischen Malerei.
Auch Ostade zeigt uns die Freuden am Gesellschaftsspiel und
am Liebesspiel: „Die Brettspieler“ (Buckinghampalast in London). —
„Bauern beim Brettspiel“ (Albertina in Wien). — „Das Kegelwerfen“
(1673) (Albertina in Wien). — „Belustigung auf dem Eise“ (Louvre
in Paris). — „Belustigung auf dem Eise“ (Kgl. Gemäldegalerie in
Dresden). — „Winterlandschaft mit Schlittschuhläufern“ (1644) (Louvre
in Paris). — „Ein zugefrorner Fluß mit Schlitten und SchLittschuh-
läufern“ (Nationalgalerie in London). — - „Tanzende Bauern“ (Samm¬
lung Kay [früher Habich] in Kassel). — „Bauerntanz“ (Fürstlich
Lichtensteinsche Galerie in Wien). — „Der Tanz im Wirtshaus“. —
„Ein Liebespaar“. — - „Ein Maler in seiner Werkstatt“ (1663) (Kgl.
Galerie in Dresden). — ,,Ein Maler in seiner Werkstatt“ (Reichs¬
museum in Amsterdam). — „Der Heiratsantrag“ (Kgl. Museum im
Haag).
An diese Bilder reihen sich Ostades Schöpfungen über den Ge¬
nuß seitens des Gehörs: „Musikalische Unterhaltung“ (1656) (Bucking¬
hampalast in London). — „Das vlämische Trio“ (Kgl. Museum in
Brüssel). - — „Der Spielmann“ (1673) (Kgl. Museum im Haag). - —
„Der Leiermann und der kleine Fiedler“ (Kgl. Kupferstichkabinett
in Dresden). — „Der Fiedler“ (Buckinghampalast in London). —
„Bauern in der Schenke“ (1662) (Kgl. Museum im Haag). — „Der
Geiger“ (1648) (Eremitage in St. Petersburg). — „Der Leiermann“
(1648) (Eremitage in St. Petersburg). — „Der Leiermann“ (1647). —
„Das musikalische Trio“. — „Ein Geiger vor einem Dorfwirtshaus“.
— „Der Leiermann vor dem Bauernhause“ (Kgl. Gemäldegalerie in
Berlin). — „Ländliches Konzert“ (Kgl. Gemäldegalerie in Kassel).
Es folgen die eigentlichen Genußmittel mit ihrem Genuß oder in
der Sprache mancher „exakten, modernen Forscher“, die „Gifte“ mit
ihren „Giftwirkungen“ : „Der Raucher“ (1655) (Museum in Antwerpen).
— „Zwei rauchende Bauern“ (Kgl. Gemäldegalerie in Dresden). —
„Der Raucher“. — „Rauchende und trinkende Bauern“ (Buckingham¬
palast in London). — „Das Bauernpaar in der Wirtslaube“ (Bucking¬
hampalast in London). — „Männer und Frauen in einem Bauernwirts¬
hause“ (1679) (Kgl. Gemäldegalerie in Dresden). — „Vor dem Wirts¬
haus an der Landstraße“ (Reichsmuseum in Amsterdam). — „Bauern¬
gesellschaft in der Schenke“ (1647) (Alte Pinakothek in München).
— „Stammtisch in der Dorfschenke“ (1666) (Kgl. Gemäldegalerie in
Dresden). — „Wirtshausszene“ (Albertina in Wien). — „Ausgelassene
Bauern in der Schenke“ (Kgl. Gemäldegalerie in Dresden). — „Lustige
Bauerngesellschaft“ (Alte Pinakothek in München). — „Bauerngesell¬
schaft in der Schenke“ (Alte Pinakothek in München). — „Bauern
in einer Schenke“ (Großherzogi. Galerie in Darmstadt). — „Wirtshaus
an der Landstraße“ (1647) (Eremitage in St. Petersburg). — „Halt
vor dem Wirtshaus“ (Albertina in Wien). — „Die Rast vor dem
Wirtshaus“ (Albertina in Wien). — „Wirtshausstube“ (Albertina in
Wien). — „Die Rast der Reisenden“ (1671) (Reichsmuseum in Amster¬
dam). — „Der Reisewagen vor dem Wirtshaus“ (Buckinghampalast
in London). - — „Halt vor der Dorf schenke“ (Reichsmuseum in Amster¬
dam). — „Halt vor der Dorfschenke“ (Kgl. Museum in Berlin). —
„Rast vor dem Wirtshaus“ (Louvre in Paris). — „Ein Trinker“ (Kgl.
Kupferstichkabinett in Dresden). — „Buveur“ (Ancien Cabinet de M.
Poullain). — „Buveur“ (ebenda). — „A votre sante“ (Bridgewater
Gallery). — „Die Trinker“ (Buckinghampalast in London). — „Ein
Ascher, Breslauer Brief.
1055
Trinkgelage“. — „Zechende Bauern“ (Albertina in Wien). — „Trun¬
kener Bauer“ (Kgl. Kupferstichkabinett in Dresden). — „Raufende
Bauern“ (Alte Pinakothek in München). — „Bauernschlägerei“ (Kgl.
Kupferstichkabinett in Dresden).
Nicht minder interessant), fesselnd und lehrreich zugleich sind
die Schöpfungen von Jan Steens, Franz Hals, Adriaen Brouwer, Gabriel
Metsu u. a,. m. Man ersieht jedenfalls aus allen diesen Betrachtungen
der Gemälde im Wirtshaus, daß man in der theoretischen Forschung
vielfach die Rechnung ohne den Wirt bisher gemacht hat. Einseitig
zum Teil und schon darum falsch sind die nicht exakten Deutungen
mancher modernen wissenschaftlichen Abstinenzforscher aus ihren
exakten Experimenten.
Breslauer Brief.
Von Dr. Ascher.
Die Breslauer chirurgische Gesellschaft hielt im Krankenhause
der Barmherzigen Brüder ihre zweite Sitzung ab. '
Als Erster demonstrierte Dreh mann die Röntgenbilder eines Falles
mit Fraktur beider Vorderamknochen. Er empfiehlt den Verband in
Mittelstellung und weist auf seine vorzüglichen Erfolge hin.
Ihm schließt sich Part sch mit einem Vortrage „Über Folge¬
zustände nach Osteomyelitis“ an. Es handelte sich um drei Knaben
im Alter von 13, 12 und 10 Jahren.
Fall 1. „Osteomyelitis des linken Oberarmes.“ Vortragender gibt
eine genaue Beschreibung des Krankheitsprozesses und des Operations¬
verfahrens. Die Krankheit ist im dritten Lebensjahre des Patienten
zum Ausbruch gekommen und kann jetzt, da seit Oktober 1906 keine
Eiterung oder Sequestrierung mehr vorgekommen ist, als geheilt be¬
trachtet worden. Das funktionelle Resultat ist ein gutes.
Fall 2. „Osteomyelitis des Unterschenkels nach einem Fall auf
das Knie.“ Beschreibung des Krankheitsprozesses und Operationsver¬
fahrens. Um eine Pseudarthrose zur Heilung zu bringen, wurde ein
Stück der Ulna zwischen die beiden abnorm beweglichen Knochenfrag¬
mente eingekeilt. Es trat zwar keine Einheilung, aber eine starke
periostale Wucherung und Kallusbildung auf. Das implantierte Stück
wurde als Sequester ausgestoßen. Doch wurde durch die Kallusbildung
eine feste Konsolidation des Knochens erreicht. Heilung.
Fall. 3. „Osteomyelitis des linken Unterschenkels.“ Es folgt
genaue Beschreibung des Krankheitsprozesses und des Operationsver¬
fahrens. Es handelte sich um eine unterhalb der Epiphysenlinie spontan
geheilte Fraktur mit bajonettartiger Verschiebung beider Fragmente
gegeneinander. Sequester wurden ausgestoßen. Durch die Osteotomie
wurde die Stellung korrigiert und ein gut funktionierendes Bein herge¬
stellt. Vortragender weist darauf hin, daß solche Frakturen bei Osteo¬
myelitis der langen Röhrenknochen nicht gar so selten sind. (Demon¬
stration eines Präparates.)
In der sich anschließenden Diskussion erinnert Co einen bei Pseud-
arthrosen der Tibia an die Reichersche Knochenplastik. Er spricht
gegen die Autoplastik von Müller, die einen schon durch den Krank¬
heitsprozeß , wenn auch nur in geringem Grade beeinflußten Lappen
von der affizierten Tibia zu bilden vorschreibt. Die Reichel’sche
Plastik ist in ihrer Ausführung lange nicht so unbequem wie die Rhino-
1056 Ascher,
plastik nach Tagliacozza und Israel. (Demonstration von Photo¬
graphien und Böntgenbildern.)
Tietze betont, daß gerade das Ausbleiben der Wachstumsstörung
bei dem Pall 1 von Part sch von großem Interesse sei; er erinnert
an einen Fall mit starken Wachstumsstörungen, den er vor einigen
Jahren in der schlesischen Gesellschaft vorgestellt hat. Er spricht von
seinen ausgeführten Knochenplastiken (publiziert im Gedenkband für
Mikulicz). Knorpel und Periost sind sehr lebensfähig. Vortragender
hat einen Fall von Pseudarthrose nach Codivilla operiert. Dieser
ist von Br ad e publiziert worden.
Küttner hat bis jetzt noch nie einen Fall dieser Art ohne Wachs¬
tumsstörungen gesehen. Er hat Spontanfrakturen besonders häufig am
Oberschenkel bemerkt und stellt ihnen eine gute Prognose.
Part sch demonstriert ein Präparat von Knochenplastik am
Menschen.
Es handelte sich um einen Knaben von 16 Jahren mit Tuberkulose
des Metakarpus IV der linken Hand. Derselbe wurde teilweise durch
ein Knochenperioststück aus der rechten Ulna ersetzt und ist eingeheilt.
Von einer Substitution des Knochengewebes ist nichts zu sehen. Da¬
neben ist eine starke periostale Wucherung zu bemerken. Das Präparat
steht im Widerspruche zu den Untersuchungen von Ollier und Barth.
Daran schließt sich die Besprechung eines Falles von Unterkieferresek¬
tion wegen eines umfangreichen Fibrosarkoms. Vortragender wandte
die Sehr öder sehe Prothese mit einer Modifikation an, indem er das
ins Gelenk reichende Stück mit Glas armierte. Er empfiehlt diese
Methode wegen der geringeren Beizung der Gelenkgegend. In der Dis¬
kussion betont Küttner die Zweckmäßigkeit der von P. angegebenen
Prothese.
Gott schlich gibt in seinem Vortrage „Über Darmzerreißung“ die
genaue Krankengeschichte von drei einschlägigen Fällen. Zweimal war
die Ätiologie dieser Affektion Trauma durch Hufschlag, einmal Trauma
durch Sturz. Er kommt zu dem Schlüsse, so früh wie möglich zu ope¬
rieren. Leider handelt es sich oft um verspätete Fälle, die erst vom
Lande in ein Krankenhaus geschafft werden müssen. Er tritt für eine
ausgiebige Spülung mit warmer Kochsalzlösung ein, diese soll sowohl
analeptisch als auch mechanisch reinigend auf das Peritoneum wirken.
Partsch und Küttner heben in der Diskussion die Unzulänglichkeit
der Transportmittel auf dem Lande mit ihren Folgen bei abdominalen
Verletzungen hervor. K. empfiehlt bei der Operation die Anlage eines
großen Bauch Schnittes.
Gretschel spricht über zwei Fälle von Nervennaht. Im ersten
Falle handelt es sich um einen neunjährigen Knaben, der sich durch
eine Schnittverletzung den N. ulnaris ganz und den N. medianus teil¬
weise durchtrennt hatte. Nervennaht. Heute nach iy2 Jahren restitutio
ad integrum. Es besteht keine Ausfallserscheinung von seiten der
durch trennten Nerven mehr.
Im zweiten Falle handelt es sich um einen 34 Jahre alten Mann,
der sich infolge eines Unfalls den Stamm des N. ischiadicus durchtrennt
hatte. Direkte Nervennaht durch Katgutnähte. Jetzt nach fünf Jahren
sind die Symptome zum größten Teil ganz allmählich geschwunden.
Vortragender hofft, daß auch in diesem Falle eine vollständige Heilung
eintreten wird.
Breslauer Brief.
1057
Tarn demonstriert einen Fall von operiertem Aneurysma der
Arteria femoralis. Ätiologie: Arteriosklerosis. Bei der Operation, die
unter Esmarch’scher Einwickelung vollzogen wurde, mußte die Vena
femoralis mit reseziert werden ; es war auch nötig die Vena saphena
zu durchtrennen. Der Tumor war kindskopfgroß. Heilung per primam.
Als Letzter zeigt Langner drei Fälle mit ausgedehnten Tiersch-
sc'hen Transplantationen.
In zwei Fällen handelte es sich um Verbrennungen dritten Grades.
Die Transplantation ah alieno gab immer schlechte Resultate.
Die Lappen wurden immer nekrotisch. Die eigene Haut dagegen heilte
vorzüglich an.
Beim dritten Falle handelte es sich um ein Trauma, durch das der
rechte Oberschenkel eines jungen Mannes vom Knie bis zur Leistenbeuge
vollständig von der bedeckenden Haut entblößt wurde. Transplantation.
Heilung per primam.
In der dritten Sitzung der Breslauer chirurgischen Gesellschaft
demonstrierte als Erster Kaposi einen gangränösen Wurmfortsatz, der
sich bei der Operation eines perityphlitischen Abszesses frei im Eiter
schwimmend ohne Zusammenhang mit dem Cöcum gefunden hatte.
Ihm schließt sich Gottstein mit der genauen Krankengeschichte
und Operationsbeschreibung eines Falles von Lungenemphysem an. In
der sich anschließenden Diskussion spricht Sandberg über die Ätiologie
des Emphysems und berührt hauptsächlich die Frage : Ist die Thorax¬
anomalie die Primärerscheinung oder die Lungenveränderung ? Er
nimmt eine primäre Lungen anomalie an.
Gottstein spricht noch über den Zwerchfellbefund im Böntgen-
bilde nach der Operation. Die Exkursionsbreite des Zwerchfells hat
bedeutend zugenommen. Bei der Operation hat er die Äthertropfen¬
narkose angewandt, die sich vorzüglich bewährt hat, doch ist er der
Meinung, dieselbe auch unter Lokalanästhesie ausführen zu können. Im
Anschluß daran spricht Gottstein über zwei Fälle von Förster scher
Operation bei spastischen Lähmungen. Es handelte sich im Fall I
um die beiderseitige Durch trennung der 2., 3. und 5. Sakral wurzel und
der 2. Lumbalwurzel. In der Diskussion führt Förster die Ursache
der Affektion in Fall I auf eine Meningoenzephalitis zurück, weil
es sich um eine zerebrale Paraplegie handelt. Sehr schnell nach der
Operation war das rechte Bein passiv und aktiv zu beugen möglich.
Abduktion und Adduktion waren frei. Links waren dieselben Be¬
wegungen auslösbar, nur wurden dieselben durch eine im Knie und
Hüftgelenk bestehende Kontraktur der Beugungsmuskeln stark be¬
einträchtigt. Im Fall II bestand eine rechtsseitige spastische Hemi¬
plegie mit Fußklonus, mit Kontraktion des Quadrizeps und der Hüft-
muskeln.
Hier wurde die 2., 3. und 5. Lendenwurzel rechts und die 1. Sakral¬
wurzel beiderseits durchtrennt.
Der Fußklonus ist durch die Durch trennung der 1. Sakral wurzel
nicht ganz beseitigt worden. Es besteht bei diesem Falle als Kompli¬
kation noch eine kurz vorher akquirierte Lues. Die Spasmen in Hüft-
und Kniegelenk sind beseitigt. In der Diskussion empfiehlt Ludloff
zur Behandlung der Subluxation des Kniegelenkes die Braatz’sche
Schiene.
67
1058
Ascher,
Dreh. mann will statt dessen die' suprakondyläre Osteotomie ge¬
macht wissen. Nach seinen Erfahrungen ist sonst ein Schlottergelenk
zu befürchten.
Küttner hat die Operation fünfmal bei Litt le’ scher Krankheit
hei Kindern unter und über zehn Jahren ausgeführt. Er operiert gern
in zwei Zeiten, weil sonst der Eingriff zu schwer ist. Ungünstigei
Folgen bei der Tragfähigkeit der Wirbelsäule sind nicht bemerkt wor¬
den. Die Wurzeldurchschneidung ist einfach; die Beizerscheinungen
sind gering und von kurzer Dauer. Bei Liquorabfluß Beckenhoch¬
lagerung. Gleich nach der Operation verschwinden die Spasmen und
kehren nicht wieder. Bei der Nachbehandlung sind mitunter Teno-
tomien, redressierende Gipsverbände von großer Wichtigkeit. Die Psyche
wird ungemein günstig beeinflußt.
K. spricht die Forst er’sche Operation als einen großen Fort¬
schritt an.
Tietze hat die Operation sechsmal ausgeführt, darunter dreimal
bei Erwachsenen. Zwei von diesen sind gestorben, einer an einer In¬
fektion, der andere im Shok. T. spricht sich auch für die Operation
in zwei Zeiten aus.
Förster betont, daß die Operation nur bei ganz schweren Fällen
indiziert ist, wo die Hilfe der Orthopädie versagt.
Dann spricht Gottstein über einen Fall von Embolie einer Finger¬
arterie nach Pharynxoperation“. Ihm schließt sich Hadda mit einem
Vortrage über „Parotitis nach Säure Verätzung, sowie nach Operation an
Bauch- und Genitalorganen an“.
Fall 1. 16 jähriger Junge. Nach einem Suicidv ersuch mit Salz¬
säure trat doppelseitige schwere Parotitis auf. Temperatur 39,6. Links¬
seitige Fazialisparese, Perforation in beide äußeren Gehörgange. Doppel¬
seitige Inzision. Drei Wochen später Gastroenterostomie wegen Pylorus¬
stenose. 3 Monate nach dem Suicid begann sich der Fazialis zu regene¬
rieren und ist jetzt vollständig intakt. H. spricht die Parotitis in
diesem Fall als aszendierenden Prozeß an. Als Infektionsweg ist der
ductus Stenonianus anzusehen. Das Analogon ist die Parotitis mercu-
rialis bei dem Gebrauch von Quecksilber. Dann erwähnt H. noch zwei
Fälle von postoperativer Parotitis.
Fall 2. 68 jährige Frau. Nach einer Gastroenteroanastomie mit
Enteroanastomose wegen Gallenblasenkrebs, trat eine schwere rechts¬
seitige Parotitis auf, die in Abszedierung überging.
Fall 3. 42 jährige Frau. Nach supravaginaler Amputation wegen
großer Myome, einseitige Parotitis,
Von einigen Autoren werden 3°/0 der Patienten nach Laparotomien
mit Parotitis behaftet angesprochen. H.’s Untersuchungen bestätigen
dieses nicht. Das bevorzugte Auftreten von Parotitiden bei Genital¬
operationen führt H. auf die Verwendung sekretionshemmender Mittel
wie Atropin, Skopolamin usw. zurüdk. Untersuchungen darüber sind
im Gange.
In der Diskussion hebt Hannes die Seltenheit der beobachteten
Parotitiden nach gynäkologischen Operationen in der königlichen Uni¬
versitätsfrauenklinik hervor. Dieselbe ist innerhalb von acht Jahren nur
zweimal gesehen worden. In einem Falle war eine präoperative Infek¬
tion sehr wahrscheinlich.
Küttner hat die sekundäre Parotitis sehr häufig gesehen. Haupt¬
sächlich nach Laparotomien mit besonderer Neigung nach Magenopera-
Breslauer Brief.
1059
tionen, Resektionen nsw. bei Karzinom. Die doppelseitige Affektion
ist sehr ernst zu nehmen. Es tritt ausgedehnte Abszedierung, Nekrose
und sehr häufig Sepsis mit letalem Ausgange ein. Treten nach zwei
Tagen die Erscheinungen nicht zurück, so sind ausgiebige Inzisionen
indiziert.
K. führt die Entstehung auf Infektion durch die Mundflora bei
mangelnder Mundpflege zurück. Er verweist auf die Pawlow’schen
Experimente, wonach bei Austrocknung der Mundhöhle nach Laparoto-
tomien die Infektion verständlich erscheint.
Levy hält die Ansicht K.’s für nicht wahrscheinlich, weil er
immer Staphylokokken aus den infizierten Drüsen gezüchtet hat, teil¬
weise sogar in Reinkultur, Staphylokokken aber sind in der Mund¬
flora äußerst selten.
Golden her g hält die Ätiologie der Infektion durch Quetschung
beim Vor schieben des Unterkiefers für gegeben. Als locus minoris re-
sistentiae ist eine leichte Infektion auf hämatogenem Wege möglich.
Sandberg macht das Aufhören der Sekretion nach Bauchopera¬
tionen für die Enstehung verantwortlich und empfiehlt den Gebrauch
von Kaupastillen.
Gottstein fragt an, ob in den beobachteten Fällen Skopolamin
oder Atrophin-Morphium zur Narkose angewandt wurde.
Kiittner hat die Parotitis auch bei nicht narkotisierten Patienten
gesehen.
Es spricht noch Hadda über „Fistula auris congenita“. Bei dem
vor gestellten Patienten trat vor elf Jahren unter Fieber er scheinungen
eine Vorwölbung hinter und vor dem rechten Ohre auf. Inzision. Die¬
selbe heilte aus, doch brach sie immer wieder auf. Auf dem rechten
Ohre besteht vollständige Ertaubung. Nach sechs Jahren mußten die¬
selben Inzisionen wiederholt werden. Dieselben sind bis auf zwei Fistel¬
gänge vor und hinter dem Ohre ausgeheilt. Jetzt ist noch eine Öffnung
in der Gegend des Kieferwinkels dazugekommen. Diese kommuniziert
mit der Fistel vor dem Ohre. Beide Fisteln sind ungefähr 2 cm lang.
Das Kiefer gelenk ist frei, Tuberkulose ist ziemlich sicher auszuschließen.
Bei der Ohruntersuchung fand sich eine totale Atresie des äußeren
Gehörganges durch Exostosen. Durch die Tube eingespritzte Flüssig¬
keit kommt durch die Fisteln nicht heraus. Durch Röntgenbild ist ein
Zusammenhang der Fisteln mit Nachbarorganen nicht festgestellt.
Es handelt sich um eine Hemmungsmißbildung des äußeren Ohres,
die ziemlich selten ist. Urbantschisch hat 12 Fälle unter 2000 Unter¬
suchungen aufzuweisen. Ott mann unter 7500 Untersuchungen keinen
Fall, öfter ist die Anomalie erblich. Ihre Entstehung verdankt sie
einer unvollkommenen Verwachsung zwischen Crus helicis und Crus
supratragicüm. Differentialdiagnostisch kommt noch eine Otitis rnedia,
die infolge des atresierten Gehörganges sich einen Weg durch den
Knochen gesucht hat, in Betracht.
Dann demonstriert Söhwenk zwei Fälle von Totalluxation des
Kniegelenkes.
Fall 1. „Luxatio genu anterior“ inveterata. Kompliziert durch
die Lähmung des Nervus peron ant.
Fall 2. „Luxatio genu posterior“ durch direktes Trauma entstanden.
Ferner demonstriert Vortragender einen Fall von „Symmetrischer
Osteomyelitis nach Variola“. Abszeßbildung an beiden Schultern.
Sequestrotomie, Heilung.
67*
1060
Ascher, Breslauer Brief.
Am 19. März sprach in der schlesischen Gesellschaft Biberfeld
„Uber Herz und Gefäßmittel“. Die Wirkung der Digitalis ist
seit den grundlegenden Traube’schen Versuchen in ärztlichen Kreisen
allgemein bekannt. In den letzten Jahren haben Experimente anderer
Autoren die Anschauungen darüber modifizieren müssen. Dieses gilt
besonders für die Kombinationen der Digitalis mit anderen Medika¬
menten. Nach Traube ist die Blutdrucksteigerung das wesentlichste
in der Wirkung der Digitalis. Sie wird hervorgerufen einerseits durch
die Zunahme der Herzkraft, andererseits durch Vermehrung der Wider¬
stände in den Gefäßen. Letzteres läßt sich nur durch eine direkte
Erregung des vasomotorischen Zentrums in der Medulla oblongata oder
durch eine unmittelbare Einwirkung auf die kontraktilen Gefäßwand¬
elemente erklären. Bei der Verengerung der Gefäße wird die Herz¬
arbeit vermehrt. Beim experimentell isolierten Eroschherzen sieht man
bei jeder Systole eine größere Menge von Blut in das Gefäßsystem,
eintreten. Pick fand bei seinen Versuchen eine Verringerung der
Ausflußgeschwindigkeit. Gottlieb und Magnus fanden eine Ab¬
nahme der Gefäßvolumina. Diesen Eigenschaften der Digitalis ver¬
dankt der kranke Organismus seine Wirkung. Nach Sahli besteht bei
nicht kompensierten Herzfehlern eine nicht regulierte Verteilung des
arteriellen und venösen Blutes, durch welche die Arterien nicht die
richtige Blutmenge bekommen. Hier ist das wirksame Prinzip die
Stärkung des Herzmuskels. Von den neueren Präparaten hat sich
das Digitoxin nicht bewährt, trotzdem es: den wirksamen Bestandteil
der Droge fast ohne andere Beimengungen enthält. Das Digalen ist
zu teuer, ist aber sehr wirksam. Auch bei ihm läßt sich die kumu¬
lierende Wirkung nachweisen. Die Ergebnisse der Tierexperimente
lassen sich nicht ohne weiteres auf den Menschen anwenden. Intra¬
venös können Digalen und Strophantin angewendet werden. Bei der
Anwendung des letzteren ist Vorsicht am Platze ; es sind verschiedene
Todesfälle nach seinem Gebrauche veröffentlicht worden. Die An¬
sicht, daß Kampfer auf das vasomotorische Zentrum wirkt, ist heute
kaum noch haltbar. Koffein wirkt dilatierend auf die Koronargefäße.
Alkohol erweitert wahrscheinlich die Gefäße und hat eine lähmende
Wirkung. Strychnin wirkt schon in kleinen Dosen anregend auf das
vasomotorische Zentrum. Vortragendem ist der Nachweis gelungen,
die mitunter tödliche Wirkung des Kokains bei Lumbalanästhesie durch
Strychningaben zu paralysieren.
In der sich anschließenden Diskussion hebt Hürthlq die Wider¬
sprüche bei den Ergebnissen der einzelnen Forscher hervor. Posen¬
feld bestätigt die Koffeinwirkung auf die Koronargefäße. Der rumä¬
nische Kliniker Petresko hat bei Pneumonie 12 — 15,0 Digitalis in
mehreren Tagen gegeben und hat die beste Pneumoniestatistik. P. hat
bei Schrumpf niere mit deutlicher, aber nicht lange anhaltender Wirkung
Thiosinamin gegeben. Auch Menthol subkutan hat sich bei Herz-
palpitationen gut bewährt. Jetzt gibt er per Klysma (12% in Ol.
Ricin.), weil es an dem Einstich immer zu Abszessen kam.
Asch sah nach Ergotininjektionen bei Gravidis mit schwerer
Nephritis einen sofortigen Rückgang der Ödeme, die ein starkes Geburts¬
hindernis bildeten.
Im Schlußwort führt Biberfeld die widersprechenden Eor-
schungsresultate auf Ungenauigkeiten, besonders in den Arbeiten von
Gottlieb und Magnus zurück.
Vorläufige Mitteilungen und Autoreferate.
1061
Vorläufige Mitteilungen u. Autoreferate.
Zur Kasuistik des Diabetes mellitus.
Von Dr. Brandenberg, Winterthur.
(Korrespondenzbl. für Schweizer Ärzte, Nr. 4, 1909.)
Diabetes conjugalis. 62jährige Frau, mit jahrelang bestehender
doppelseitiger Ischias zeigt auf rechtem Fußrücken ein Ulcus, daneben
besteht heftiger Juckreiz in der Haut, Durst und Hungergefühl nicht
abnorm, keine deutliehe Polyurie. Urinuntersuchung: spez. Gewicht
1030, Trommer’sche Probe deutlich, Zuckergehalt 3 °/0, Albumen nach
Esbach l°/oo- Naunyn fand Ulcus perforans 7 mal bei Diabetikern,
Eiweiß wird nach dem gleichen Autor selten gefunden. Es handelt sich
in diesem Fall um Nierendiabetes. Nach einigen Wochen wird der
Urin vom Ehemann zugleich mit dem der Frau eingesandt. Der Urin
der Frau ist zuckerfrei, der des Mannes gibt deutlich Trommer’sche
Reaktion. Verwechslung der Flaschen nach genauer Information aus¬
geschlossen. Zucker konnte später im Urin des Mannes nicht mehr
nächgewiesen werden. Die Diagnose wird daher auf: Glycosuria
conjugalis gestellt.
Diabetes mellitus nach psychischem Trauma bei 6 jährigem Kinde.
Dasselbe machte vom 6. Mai bis 8. Juni 1906 einen mittelstarken,
Keuchhusten durch, der nach Bromoformbehandlung (zirka 15 g in
21/2 Wochen) günstig verlief. Im August machte das Kind einen
großen Schrecken durch. Eine Leiter, auf der ein Arbeiter stand, brach
und fiel derart, daß das Kind, von der Leiter unberührt zwischen
zwei Sprossen derselben zu Fall gebracht wurde. Das Kind war längere
Zeit sprachlos. Neben großem Appetit fiel der Mutter das große
Durstgefühl, besonders zur Nachtzeit auf. Am 19. Oktober wurde
Diabetes konstatiert, der am 27. November von mir untersuchte Urin
zeigte ein spezifisches Gewicht von 1042, starke Trommer’sche Reaktion,
Zuckergehalt 81/2 — 9°/0. Das Kind erlag unter den Erscheinungen
des Coma diabeticum am 2. Februar 1907. Der Keuchhusten bildete
wohl das prädisponierende,, das psychische Trauma das aus¬
lösende Moment der in 7 Monaten tödlich verlaufenden Erkrankung.
Autoreferat.
Zur Diagnostik und Therapie der Dyspepsien im Kindesalter.
Von Dr. Brandenberg, Winterthur. (Zentralbl. für Kinderheilk., Nr. 12, 1909.)
Die Kunst der Ernährung der Säuglinge besteht nicht in der
Verabfolgung künstlicher Nährpräparate, sondern in der möglichsten
Vereinfachung der Erfnährungstechnik. Verf. tritt warm für
die mikroskopische Untersuchung der Fäzes ein. Die makroskopische
Beurteilung der Fäzes gibt erst eine richtige Deutung, wenn ein ,,fait
aecompli“ vorliegt, während die mikroskopische Untersuchung schon
auf die Anfänge einer früher oder später einsetzenden Dyspepsie auf¬
merksam macht. Die Dyspepsien werden hervorgerufen durch :
1. Insuffizienz der Eiweißverdauung.
2. Insuffizienz der Fettverdauung.
3. Insuffizienz der Kohlenhydratverdauung.
Verf. bespricht die mikroskopischen Befunde bei jeder dieser Gruppen.
1062
Referate und Besprechungen.
Bei der ersten Gruppe empfiehlt er Verwendung der Backhaus¬
milch und Buttermilch, in geeigneten Fällen Zusatz eines Kindermehls.
Bei der zweiten Gruppe spricht er speziell der Buttermilch das Wort.
Bei den „Kohlenhydratdyspepsien“ werden die jodophilen oder Granulose-
bakterien erwähnt, wo diese vorhanden, wird statt Zucker Saccharin
zur Versüßung verwendet, günstigen Einfluß auf das Verschwinden
dieser Bakterien schreibt Verf. dem Benzonaphtol zu. Bei Insuffizienz
der Kohlenhydratverdauung darf von Kindermehlen am ehesten noch
Theinhardt’s Kindernahrung versucht werden, bei dem das Dextrin
durch Enzymeinwirkung erzeugt ist und deshalb leichter verdaulich
sein soll als das durch chemischen Prozeß erzeugte Dextrin.
Autoreferat.
Referate und Besprechungen.
Innere Medizin.
Herz und Gemüt.
(G. Rh ein er. Korrespondenzbl. für Schweizer Ärzte, Nr. 7, 1909.)
Rh ein er betont, daß man trotz aller physikalischen Diagnostik am
Herzen öfter als an anderen Organen unliebsame Überraschungen erlebe,
da der Einblick in die Lebensverhältnisse des gesunden und kranken Herzens
mangelhaft sei. Sichere Anhaltspunkte, um psychogene Herzbeschwerden beim
gesunden Herzen von Beschwerden durch anatomisch nachweisbare Verände¬
rungen zu unterscheiden, gebe es nicht, und besonders dann sei die Ent¬
scheidung schwierig, wenn man die Kranken nicht schon länger kenne.
Er berichtet den — leider seltenen — Fall einer alten Frau, deren Me¬
lancholie, da sie einen sehr harten, etwas unregelmäßigen Puls von 120—140
hatte, versuchsweise und mit bestem Erfolg mit Digitalis behandelt wurde,
nachdem ihre Geistesstörung wochenlang unverändert bestanden hatte. Nach
4,5 g im Infus ging der Puls auf 72—80 Schläge und die Psyche wurde klar,
die Körperkräfte stellten sich wieder her, und die Heilung scheint von
Bestand zu sein. Er. von den Velden.
Eine neue Appendizitistherapie.
(Vorläufige Mitteilung von Distriktsarzt Heinrich Jaeger in Bartenstein (Württ.).
Münch, med. Wochenschr., Nr. 46, 1908.)
Jaeger berichtet über ein Verfahren bei Appendizitis, das er, da er
selbst ein Anhänger der operativen Therapie ist, nur in Fällen angewandt
wissen will, wo eine Operation aus irgend einem Grunde unmöglich ist. Er
konnte es bisher erst in sechs Fällen anwenden. Es besteht darin, daß er
unter Weglassung aller Medikamente die ersten zwei Tage die Patienten
fasten läßt und ihnen täglich 1 — 2 mal die ganze rechte Unterbauchgegend
eine halbe Stunde lang mit gewöhnlichen Schröpfköpfen dicht besetzt, sie
dann abnimmt und dann nochmals eine halbe Stunde lang auf die frei ge¬
bliebenen Interstitien auf setzt. Vom 3. bis 4. Tage ab wurde dies nur einmal
täglich ausgeführt und flüssige Diät gegeben. Er konnte beobachten, daß
schon während der 2. Sitzung bei der Mehrzahl der Fälle die Schmerzen
wegblieben, wobei gleichzeitig das Fieber zu sinken begann. Jaeger bittet
um Nachprüfung dieses Verfahrens. F. Walther.
Referate und Besprechungen.
1063
Untersuchungen über Indolbildung des Bakterium coli commune.
(W. C. de Gr a aff. Zentralbl. für Bakt. Bd. 49, H. 2.)
Die Indolbildung ist bei den verschiedenen Colistämmen im allgemeinen
ungleich. Stets wird das gleiche Quantum Indol von ein und demselben Coli-
Bakterium gebildet, wenn es stets auf dieselbe Art gezüchtet wurde. Die
Indolbildung hat nach 3 Wochen ihr Maximum erreicht. Es verringert sich
Indolbildung bei starker Alkaleszenz des Nährbodens und bei anärober Züch¬
tung; Zusatz von Glukose zum Nährboden hemmt die Indolproduktion voll¬
ständig. In Bouillon ohne Peptonzusatz bilden die Coli-Bazillen kein Indol.
Schürmann (Düsseldorf).
Diagnose und Therapie der akuten Cholezystitis.
(L. Arnsperger. Med. Klinik, Nr. 11, 1909.)
Die Diagnose der akuten Gallenblasenentzündung beruht auf dem
Nachweis der vergrößerten, bimförmigen, schmerzhaften Gallenblase, die sich
durch die anfangs weichen Bauchdecken palpieren läßt. Daneben besteht
meist Fieber, hoher Puls, allgemeiner schwerer Krankheitszustand und häufig
galliges Erbrechen. Ikterus fehlt im Anfang stets. Während nun die Dia¬
gnose, im Anfänge der Erkrankung wenigstens, leicht sein kann, kann sie
in anderen Fällen sehr schwer, fast unmöglich werden. Besonders nahe liegt
eine Verwechslung mit akuter Appendizitis, mit der die Erkrankung praktisch
auch am meisten verwechselt wird. Differentialdiagnostisch kommen hier
in Betracht: Lokalisation der größten Bauchdeckenspannung und Schmerz¬
haftigkeit mehr in der Oberbauchgegend, der Nachweis des Zusammenhanges
der Resistenz oder Dämpfung mit der Leber, und als wichtigstes Zeichen die
Feststellung einer schmerzfreien, eventuell tympanischen Zone zwischen Resi¬
stenz und Poupar t’schem Bande, die bei Appendizitis fast nie gefunden
wird. — Die Behandlung der akuten Cholezystitis ist zunächst auf internem
Wege zu versuchen, mit Bettruhe und warmen Umschlägen, eventuell unter
Zuhilfenahme von einigen Morphiumeinspritzungen ; indessen ist hiermit, wie
bei der Behandlung der akuten Appendizitis, Vorsicht geboten wegen möglicher
Verschleierung des Krankheitsbildes. Gegen Obstipation sind vorsichtige Ein¬
läufe von Öl oder Kamillen am Platze, Abführmittel kontraindiziert. Da¬
gegen ist die Operation im akuten Stadium indiziert, wenn die Erkrankung
so heftig auftritt, oder so progressiven Charakter zeigt, daß das Leben des
Kranken bedroht wird, (absolute Indikation), d. h. wenn sich schwere peri-
tonitische (steigende Pulsfrequenz, größere Empfindlichkeit und verbreitete
Muskelspannung) oder cholangitisch-septische Symptome einstellen.
[Es wird aber hierbei, genau wie bei der akuten Appendizitis, die große
Schwierigkeit sich ergeben, daß der geeignete Zeitpunkt nicht versäumt wird;
die Schwierigkeit bei der akuten Cholezystitis ist aber unter Umständen
um so größer, weil, wie Arnsperger ausführt, etwa auf tretender Ikterus
sowohl in einer einsetzenden Cholangitis ascendens diffusa, die eine sehr
schlechte Prognose gibt, ihre Ursache haben, als auf dem Vorhandensein eines
Steines beruhen kann, der von den Naturkräften durch die Gallenwege in das
Duodeum befördert wird, und letztere Fälle nach Möglichkeit nicht operiert
werden sollen. Differentialdiagnostisch gegen die Cholangitis diffusa käme
bei diesen Fällen das Fehlen schwerer septischer Erscheinungen in Betracht. —
In solchen Lagen hängt aber von der subjektiven Beurteilung durch den Be¬
obachter und seinem Standpunkt alles ab. Ref.] — Eine relative Indikation zur
Operation besteht dann, wenn die Erkrankung nach 4 — 6 Tagen interner
Therapie nicht deutlich zurückgeht, sondern sich in die Länge zieht. — Als
Operationsmethode gibt die Cholezystektomie, auch im Anfalle, wobei also
das erkrankte Organ gänzlich entfernt wird, die besten Resultate, wie Verf.
auch an seinem Material (im ganzen 36 Fälle, darunter 12 Cholezystektomien
mit 11 Heilungen und 1 Todesfall; letzterer erfolgte an Lungenembolie,
deren Thrombus aus der Vena poplitea stammte) nachgewiesen hat.
1064
Referate und Besprechungen.
Im allgemeinen ist wie bei der Appendizitis auch hier die V ornahme
der Operation im Intervall, d. h. im entzündungsfreien Zustande das schonen-
dere Verfahren. R. Stüve (Osnabrück).
Europäische Chylurie.
(A. Magnus-Levy. Zeitschr. für klin. Medizin, Bd. 66, S. 482.)
Bei einem seit 6 Jahren in der kälteren Jahreszeit trüben Urin aus¬
scheidenden und an Harnbeschwerden leidenden, aber erst seit einigen Monaten
abgemagerten 51jährigen Buschwärter von der Nogatmündung, wurden in
dreiwöchiger Beobachtungszeit neben Zucker, der übrigens mit Entziehung
der Kohlenhydrate verschwand, milchige, gerinnende Beimengungen zum Harn
festgestellt, meist so, daß der Nachtharn chylös war, der Tagharn klar und
frei von Eiweiß und Fett. Nach kystoskopischer Ermittlung stammte die trübe,
reichlich sezernierte Flüssigkeit aus dem rechten Ureter; es wurden unter Zu¬
grundelegung des Harns der linken Niere berechnet 2 Teile Chylus auf 1 Teil
Urin. Unter Berücksichtigung dieses Umstandes kommt ein Kochsalzgehalt
von 0,60%, Eiweißgehalt von 3,45% Fettgehalt von 2,8% heraus, Zahlen,
die mit den von Munk u. Rosen st ein (1891) bei einer Lymphfistel des Beins
ermittelten gut übereinstimmen. Magnus-Levy erörtert eingehend unter ge¬
schickter Verwertung der Kasuistik die alten Streitfragen über die (europäische)
Chylurie, wobei er sich wesentlich zu denselben Resultaten, wie vor Jahren
Carter, bekennt und eine direkte Zuleitung von Chylus (Lymphe) aus dem
Lymph- in die Harnwege annimmt, ohne daß es gelingt, die Kommunikations¬
stelle auch makroskopisch nachzuweisen. Eine besondere Blutbeschaffenheit
anzunehmen, ist ganz unnötig. Das gelegentliche Vorkommen von Zucker —
4 — 6 mal unter etwa 50 Fällen von europäischer Chylurie — könnte mit Rück¬
stauung in das Pankreas Zusammenhängen und mit. entzündlichen Vorgängen,
die ohnedies, mangels eines zureichenden Parasitismus, bei den europäischen
Fällen in ätiologischer Beziehung in den Vordergrund zu stellen sind.
H. Vierordt (Tübingen).
Aus der Universitäts-Frauenklinik zu Erlangen.
Über einen Fall von Icterus gravis.
(Adolf Hiiffell, Assistent. Münch, med. Wochenschr., Nr. 8, 1909.)
Ein 12 Tage altes Brustkind kommt wegen hochgradigen Ikterus und
Nabelblutungen in die Klinik. Im weiteren Krankheitsverlauf stellen sich
dunkelblaue Flecken am Rücken, zahlreiche Hauthämorrhagien, Nasenbluten,
Darmblutungen, Hämatom am Oberschenkel ein. Die Nabelblutung sistiert
nicht. Der anfangs acholische Stuhl wird allmählich dunkler. Die zwecks
Blutstillung vorgenommenen Gelatineinjektionen müssen wegen Blutung aus
den Stichkanälen aufgegeben werden. Die anfänglich 36,5° betragende Tempe¬
ratur steigt langsam auf 38,5° und 39,3°. Plötzlich erfolgt der Exitus.
Der Fall ist als septische Erkrankung, die ihren Ausgangspunkt vom
Nabel genommen hat, aufzufassen, fanden sich doch sowohl im Blut des
Oberschenkelhämatoms, sowie in dem eine Stunde nach dem Tode entnommenen
Blute zahlreiche Streptokokkenketten. Das Fieber glaubt Hüffell weniger
mit der Sepsis in Verbindung bringen zu müssen, da es bei Neugeborenen oft
fehlt, er hält es vielmehr für ein Resorptionsfieber der Gelatine. Der Ikterus
ist wohl, da jede Veränderung an der Leber fehlt, als Stauungsikterus zu
erklären. Die hämorrhagische Diathese ist eine bekannte Begleiterscheinung
des Icterus gravis. Die Therapie hat in derartigen Fällen keine Erfolge
aufzuweisen. F. Walther.
Referate und Besprechungen.
1065
Aus dem Spital Cochin, Paris.
Icterus hämolyticus.
(Chauffard. Allg. Wiener med. Zeitung, Nr. 42, 1908.)
Statt des alten hepato- und hämatogenen unterscheidet man jetzt einen
Retentions- und einen hämolytischen Ikterus. Bei letzterem findet man ,, glo¬
buläre Hyporesistenz“ und zahlreiche kernhaltige rote Blutkörperchen, die
offenbar vom Knochenmark ausgehen. Die Frage der Wechselbeziehungen
der Milzvergrößerung zu dem hämolytischen Prozeß ist noch ungelöst, jedoch
kann man eine „posthämolytische“ Splenomegalie und eine wahre „pleno-
megalische Hämolyse“ unterscheiden.
Die kongenital hämolytisch Ikterischen zeigen Milzhypertrophie, Urobi-
linurie und Nichtentfärbung des Stuhls, sie sind zwar nicht eigentlich krank,
aber doch schwach, etwas anämisch, zeigen periodische Besserung. Die Krank¬
heit ist unheilbar, sie besteht in einer kompensierten Dystrophie. Man hat
außer dem angeborenen noch den erworbenen h. Ikterus und die ikterogene
perniziöse Anämie zu unterscheiden. Widal hat Chlorkalzium ohne Erfolg
versucht. Ch. hatte bei der anämischen Form einige Male Glück mit Injektion
von Natriumarseniat und mit der Opotherapie (Knochenmark). Esch.
Aus der inneren Abteilung des jüdischen Krankenhauses und der chemischen
Abteilung des Kgl. hygienischen Instituts zu Posen.
Beiträge zur Diagnostik von Pankreaserkrankungen.
(L. Caro u. E. Wörner. Berliner klin. Wochenschr., Nr. 8, 1909.)
In einem Fall von subakut verlaufender hämorrhagischer Pankreas¬
nekrose, sowie bei einer Pankreasaffektion, die pathologisch-anatomisch aller¬
dings den Nebenbefund bildete, aber doch eine ausgesprochene Funktionsherab¬
setzung der Bauchspeicheldrüse verursachte, erwies sich die Cammidge’sche
Reaktion positiv. Die Ausführung derselben war von den Verfassern in
chemisch-technischer Beziehung etwas vereinfacht. Sie fassen ihre Ergebnisse
dahin zusammen, daß in dem einen Falle der Schmelzpunkt der Phenyl¬
hydrazin- und Parabromphenylhydrazinverbindung anzeigt, daß Glykuron-
säure am positiven Ausfall der Reaktion beteiligt ist. Es empfiehlt sich
daher, bei allen positiven Resultaten die Parabromphenylhydrazinverbindung
darzustellen und durch Schmelzpunkte eventuell durch ihre starke Links¬
drehung zu charakterisieren. Endlich konnten die Verfasser die Deucher’sche
Beobachtung bestätigen, nach der bei Pankreaserkrankungen der Lezithin¬
gehalt des Kotes zunimmt. F. Walther.
Pathogenese und Aetrologie der Achylia gastrica.
(K. Faber u. G. Lange, Zeitschr. für klin. Med., Bd. 66, S. 53 u. 246.)
An 12 in der Kopenhagener Klinik genau beobachteten Fällen, teil¬
weise mit eingehenden anatomischen Befunden, suchen die Verf. den Nach¬
weis zu führen, daß die chronische Achylia gastrica mit aufgehobener Magen¬
saftsekretion, bei geringer (weniger auf Salzsäure als) auf sauren Phos¬
phaten beruhender Totalazidität, auf krankhaften Veränderungen im Epithel
und interstitiellem Gewebe des Magens, auf einer chronischen Gastritis be¬
ruhe, die auch ohne Vermehrung der Schleimsekretion verlaufen könne. Lang¬
andauernde Achylie könne keinesfalls als rein „nervöse“ auf gef aßt werden,
wenn auch eine solche gelegentlich Vorkommen mag. Die Achylie tritt meistens
erst in den höheren Altersstufen, nach dem 40. und besonders 50. Jahre auf,
ohne daß sie als eigentlich „senile“ Erscheinung aufzufassen wäre. Mangel¬
haftes Gebiß und demgemäß ungenügendes Kauen sollen dabei häufig Vor¬
kommen, freilich nicht die einzige Ursache der Affektion darstellen, da
auch solche toxischer Natur (bei perniziöser Anämie, Typhus u. a.) anzu¬
nehmen ist. Ein einheitliches Symptomenbild läßt sich nur schwer auf¬
stellen, da die Beschwerden nach Art und Stärke sehr wechseln.
H. Vierordt (Tübingen).
1066
Referate und Besprechungen.
Zur Pathologie und Therapie der falschen (erworbenen) Divertikel
des Dickdarms.
(Prof. Felix Franke, Chefarzt des Diakonissenhauses Marienstift in Bräunschweig.
Deutsche med. Wochenschr., N‘r. 3, 1909.)
Wie aus der Literatur hervorgeht, ist die Anlage zur Divertikelbildung
des Darms ziemlich häufig. Besonders die kleinsten, nur mikroskopisch sicht¬
baren finden sich zahlreich, seltener die größeren. Die Divertikel sind an
allen Teilen des Darms beobachtet worden, hauptsächlich an der Flexura sig-
moidea. Ihre Zahl schwankt zwischen 1 und mehreren 100. Gewöhnlich sitzen
sie am Mesenterialansatz und sind von runder oder länglicher Gestalt, oft¬
mals gestielt. Der Unterschied zwischen falschem und wahrem Divertikel hat
sich dadurch etwas verwischt, daß sich auch bei ersterem nicht selten ein
muskulärer Überzug konstatieren läßt. Die Ätiologie ist noch nicht geklärt,
nur soviel steht fest, daß sie sich hauptsächlich bei älteren Personen finden.
Die pathologisch-anatomischen Veränderungen sind ziemlich vielgestaltig. Man
kann eine Divertikulitis und Peridivertikulitis unterscheiden. Entweder ent¬
wickelt sich dann eine Peritonitis ohne Perforation, nur durch Überwandern
der Bazillen durch die dünne Wand, oder es kommt zur chronischen proli-
ferierenden Entzündung mit Verdickung der Darmwand bis zur Tumor- und
Stenosenbildung, wobei es bald zu Verwachsungen mit benachbarten Organen,
bald zu geschwürigen Prozessen mit Perforation kommt. Zuweilen hat man
die Entwicklung eines- Karzinoms im Anschluß an die Divertikelbildung,
sowie die Entstehung von Kotsteinen beobachtet.
Die klinischen Symptome ähneln denen der Appendizitis. Wegen des
Sitzes in der linken Unterbauchgegend ist die Diagnose oft erschwert. Hat
man einen Tumor vor sich, der umschrieben und rundlich ist, so ist bei der
Frage nach der Malignität wichtig, daß bei Tumoren infolge Divertikels fast
niemals Darmblutungen beobachtet werden. Ist der Tumor mehr wurst¬
förmig, ist die Diagnose bedeutend leichter. In diese Gruppe gehören dann
auch die Fälle, bei denen der Dickdarm leicht verdickt ist oder sich wie ein
fester, unter dem Finger hin- und hergleitender Strang anfühlt. Die meisten
als Kolitis oder Sigmoiditis beschriebenen Fälle dürften nach Frankens An¬
sicht auf eine Erkrankung der Divertikel zurückzuführen sein. Er berichtet
eingehend über einen Fall, der jahrelang an chronischer hartnäckiger Kolitis
mit unaufhörlichen Durchfällen erkrankt war und durch Operation als Er¬
krankung der Divertikel erkannt und geheilt wurde. Wenn es in den meisten
Fällen auch zur Selbstheilung kommt, so besteht die Therapie beim Aus¬
bleiben derselben in der Hauptsache in Operation (Kolostomie, Resektion).
Verfasser glaubt, daß die Erkrankung in Zukunft noch an Bedeutung ge¬
winnen werde. * F. Walther.
Vikariierende Tätigkeit des Darmes bei Nephritis.
(C. Ru ding er. Wiener klin. Wochenschr., Nr. 14, 1908.)
Bei Nephritikern findet man meist eine gegenüber der Norm gesteigerte
Ausscheidung von Stickstoff und Ammoniak durch den Darm, welche sich
durch Laxantien noch bedeutend steigern läßt. In letzterem Falle nimmt
namentlich der Ammoniakgehalt der Fäkes zu, was beweist, daß der Darm
Eiweißschlacken auszuscheiden fähig ist. E. Oberndörffer.
Klinisch diagnostisch schwierige Krankheitsfälle aus der Gruppe der
infektiösen Darmerkrankungen. (Enteritis, Dysenterie, Pseudodysenterie,
Paratyphus, Typhus.)
(Adolf Baginsky, Berlin. Archiv für Kinderheilk., Bd. 49, H. 3 u. 4.)
Überaus instruktive Krankengeschichten mit besonderer Berücksichtigung
der bakteriologischen Befunde, Differentialdiagnose und Epikrise ; zu kurzem
Referat ungeeignet. Im Anhang empfiehlt B. Kochsalzinfusionen, denen er
gelegentlich einen geradezu lebensrettenden Einfluß zuspricht. Er empfiehlt
Referate und Besprechungen.
1067
nicht physiologische (6 — 7%) NaCl- Lösungen, sondern 3 — 4%ige. Bei Säug¬
lingen 100 — 150 ccm, höchstens 2 mal tgl., für ältere Kinder 300 — 500 ccm
pro dosi, ebenfalls 2 mal tgl. Reiss.
lieber das Vorkommen der sogenannten „langen Bazillen“ im Verdauungs-
traktus und ihre Beziehungen zu den Funktionsstörungen des Magens.
(E. Fricker. Archiv, für Verdauungskrankli., Bd. 14, H. 5.)
Die zur Gattung Leptothrix gehörenden sog. „langen Bazillen“, „Faden¬
bazillen“, Milchsäurebazillen“, „Boas-Oppler’schen“ Bazillen kommen außer in
stagnierendem, salzsäurearmem Mageninhalt auch in anderen Teilen des Ver-
dauungstraktus — Mundhöhle, Speiseröhre, Darm — vor und gelangen daselbst
unter besonders günstigen Entwicklungsbedingungen zur Anreicherung. Sie
geben aber nur, wenn sie sich auf amylumhaltigen Nährboden entwickelt haben,
die sog. Granulosereaktion. Da diese somit keine konstante Eigenschaft der
langen Bazillen ist, so darf sie allein nicht zur Differenzierung gegenüber
anderen Mikroorganismen derselben Gattung verwendet werden ; wohl aber
eignet sie sich unter Berücksichtigung der übrigen biologischen und morpho¬
logischen Eigentümlichkeiten gut zur Agnoszierung. Die langen Bazillen
sind nicht nur als Erreger der Milchsäuregärung im stagnierenden, salzsäure¬
armen Mageninhalt zu betrachten, sondern es fällt ihnen diese Rolle höchst
wahrscheinlich auch im stagnierenden Ösophagusinhalt und unter außergewöhn¬
lichen Verhältnissen vielleicht auch im Darm zu.
Der Magen entledigt sich normalerweise innerhalb bestimmter Zeiträume
vollkommen seines Inhaltes; bis zu einem gewissen Grade erstreckt sich dieser
Reinigungsprozeß auch auf einige Saprophyten, wie Hefe, Sarzine, lange
Bazillen, die sich also bei ungestörter Motilität nicht anreichern können.
Genügt nun bei Hefe und Sarzine die motorische Störung allein, um eine
Anreicherung zu ermöglichen, so muß für die langen Bazillen noch eine
Störung des Chemismus, eine Herabsetzung der Salzsäureproduktion, gleich¬
zeitig vorhanden sein. Der Befund erheblich vermehrter Fadenbazillen in
einem Mageninhalt berechtigt uns folglich zu dem Schlüsse, daß im betreffenden
Fall ein Zusammentreffen verminderter Salzsäureproduktion mit Herabsetzung
des Entleerungsvermögens stattgefunden hat, was weitaus am meisten beim
Karzinom zutrifft. Eine pathognomonische Bedeutung kommt den langen
Bazillen ebensowenig wie der ihnen in diagnostischer Beziehung gleichwertigen
Milchsäure zu
Die Vorteile der mikroskopischen Funktionsdiagnostik unter Mithilfe
der langen Bazillen gegenüber den chemischen Untersuchungsmethoden (Milch¬
säurenachweis) bestehen einmal darin, daß zur ersteren die kleinsten Mengen
des Untersuchungsmaterials (Ausgehebertes, Erbrochenes, Schleim im Sonden¬
fenster) genügen, Quantitäten, welche eine zuverlässige chemische Prüfung
nicht immer zulassen, dann des weiteren darin, daß es dazu nicht, wie zum
Milchsäurenachweis, besonderer Kautelen bedarf. (Nach der Zusammenfassung
des Verfassers.) ' M. Kaufmann.
Der Tuberkelbazillus als Ursache der Leberzirrhose.
(H. Gougerot. Revue de med., 29. Jahrgang, Nr. 1, S. 81-111, Februar 1909.)
Die Domäne des Koch’schen Bazillus dehnt sich immer mehr aus;
seinen mannigfaltigen Schandtaten fügt Gougerot noch eine weitere hinzu:
der Tuberkelbazillus ruft auch Leberzirrhose hervor. Zwar hatten gewiegte
Kliniker das schon lange vermutet; allein der exakte Beweis stand noch aus.
Dieser ist aber nicht so leicht zu erbringen, als manch einer wohl denken
mag; denn wenn man in der hergebrachten Weise Tüberkelbazillen in die
Bauchhöhle einspritzt, dann entwickelt sich bei den Meerschweinchen eine
rasch verlaufende Tuberkulose und das Tier ist tot, ehe es zu demonstrablen
zirrhotischen Veränderungen kommt. Man muß also wenige und abgeschwächte
Bazillen wählen, etwa solche von einer tuberkulösen Meningitis, Pleuritis
1068
.Referate und Besprechungen.
sero-fibrinosa, von einem Lupus, Behring’sche Vakzine oder den für Meer¬
schweinchen weniger gefährlichen Typus humanus. Andererseits muß man
die Lebensdauer der Tiere durch Tuberkulininjektionen verlängern; aber man
hüte sich, diese zu stark zu nehmen ! sonst gehen die Tiere daran zugrunde.
Hat man sich durch diese Scylla und Charybdis der Experimentierkunst
glücklich hindurchgefunden, so findet man bei den Meerschweinchen alle
die von menschlichen Obduktionen her wohlbekannten Bilder : frische Zirrhose
mit Hepatitis interstitialis und beginnende Sklerose; hypertrophische und
atrophische Zirrhose mit und ohne Neubildung von Gallengängen, Hepatitis
parenchymatosa, Steatose und Mischformen von sklerosierenden und fettigen
Prozessen.
Also: der scharfsinnige Diagnostiker und ätiologische Therapeut wird
angesichts eines Zirrhotikers nicht mehr bloß an den Alkohol, sondern auch
an den Tuberkelbazillus denken. Ich halte es aber nicht für wahrscheinlich,
daß damit die Reihe der Ursachen erschöpft ist; Spezialisten für Koli-
bazillen, für den sog. Typhusbazillus, für Ruhr, Appendizitis usw. werden
die Zirrhose wohl mit guten Gründen auch für ihre Spezialnoxe reklamieren,
so daß man zum Schluß erst recht nicht weiß, wie eigentlich die Zirrhose
entsteht. Buttersack (Berlin).
Ein Fall von angeborener Hypoplasie der Leber.
(S. M. Zypkin. Virchows Archiv für pathol. Anatomie, Bd. 194, S. 68, 1908.)
Bei einer 30 jährigen Frau, bei der erst 9 Monate vor ihrem Tode
Aszites aufgetreten war, fand sich eine winzig kleine Leber. Sie maß nur
15:11:6 cm bei etwa 500 g Gewicht’; war unregelmäßig ovoid und ohne
die normale Lappenbildung. Die Oberfläche war glatt. Die linke Leber¬
hälfte bildete einen kegelförmigen, an seiner Spitze mit dem Zwerchfelle
verwachsenen Höcker, an dessen Vorderfläche die Gallenblase in einem breiten
Ausschnitte lag. Die untere Fläche der Leber zeigte mehrere unbedeutende
Vertiefungen und ließ ebenfalls die normale Lappenbildung vermissen. Die
Milz war sehr vergrößert (17 : 18 : 5 cm). Im Stamme der sklerotischen Pfort¬
ader steckte ein dunkelroter, mit der Wand fest verschmolzener, aber doch
noch frischerer Thrombus.
Verf. glaubt es mit einer angeborenen Hypoplasie der Leber zu tun
zu haben, da gleichzeitig auch die Genitalien sehr klein waren, und die
Leber nur Veränderungen aufwies, die als Folge des Pfortaderversehlusses
anzusehen waren. Die Entstehung des Aszites führt Verf. auf die durch
die Hypoplasie bedingte Einengung des Gefäßbettes der Leber zurück. Das
dadurch hervorgerufene Hindernis für die Zirkulation wurde höchst wahr¬
scheinlich während des größten Tbils des Lebens überwunden, erst in der
allerletzten Zeit traten Kompensationsstörungen und damit der Aszites ein.
W. Risel (Zwickau).
Phobien und Dyspepsien.
(Jacques Carles. Bull, med., Nr. 87, S. 963 — 965, 1908.)
Carles hat eine Reihe von neuropathischen Zuständen, z. B. Beklem¬
mungen, Angstanfälle, Schwindel, Angst nicht mehr gehen zu können oder
Aufträge zu vergessen, Zustände, die nach dem Typus der Phobien auftraten,
dadurch geheilt, daß er die gleichzeitig bestehenden Störungen der Magen-
Darmtätigkeit beseitigte. Dieselben bestanden fast immer in chronischer
Verstopfung, so daß Carles diese Phobien als Ausdruck von Vergiftungen
bezeichnete.
Nachträglich entsinne ich mich eines Patienten, dessen Angst vor geraden
Straßen und Trieb sich zum Fenster herauszustürzen, in kurzer Zeit durch
Regelung der Ernährung und milde hydriatische Prozeduren zum Verschwinden
gebracht wurden. Vielleicht gehört dieser Fall auch zu den Fällen, auf
welche Carles aufmerksam macht. Buttersack (Berlin).
Referate und Besprechungen.
1069
Die sekretorische Funktion der Magendrüsen unter abnormen Bedingungen
der Innervation und Kanalisation des Organs.
(G. de Cristina. Virchows Archiv für pathol. Anatomie, Bd. 194, H. 1, S. 32, 1908.)
Die Untersuchungen verfolgten den Zweck, vom zytologischen Gesichts¬
punkte aus festzustellen, wie die Magenahsonderung durch nervösen Einfluß
oder durch längere Ruhe des Drüsengewebes modifiziert wird.
Vorversuche über die normale Absonderung der Zelle der Magenschleim¬
haut lehrten, daß der Absonderungsvorgang der Labdrüsen bei Hunden aus
zwei Momenten besteht, der Bereitung der Körnchen und der Ausscheidung
derselben, und daß sowohl Kern als Zytoplasma sich am Sekretionsprozeß
aktiv beteiligen, und zwar so, daß die Hauptzellen dabei viel mehr beteiligt
sind als die Belegzellen, welch letztere in speziellerer Weise Veränderungen
der Struktur des Kernes zeigen, und daß die Zelle im Augenblicke der
Ausscheidung des Sekretes absondern kann : a) Granula, die sich in den
adelomorphen und delomorphen Zellen, in den Zellen der Pylorusdrüsen und
im Deckepithel finden; b) Flüssigkeiten, wie die Bildung von Vakuolen
in den delomorphen und adelomorphen Zellen und in denen der Pylorus¬
drüsen beweist; c) Fasern, die besonders deutlich in den Hauptzellen und
in den Belegzellen der Pylorusdrüsen wahrzunehmen sind und im Deck-
epithele der Schleimhaut. Die beiden Hauptpunkte des1 Sekretionsprozesses
sind somit die Erzeugung der Sekretionskörnchen durch den Zellkern und
die weitere Verarbeitung der Körnchen im Zytoplasma und ihre Ausschei¬
dung während des Verdauungsvorganges.
Die zeitweilige Reizung des V,agtis erregt in der Drüsenzelle
den ersten Akt der Absonderung, der im Austreten fuchsinophiler Granula
aus dem Kerne besteht, der alsdann ein homogenes Aussehen erhält. Die
Hauptzellen werden durch die Reizung des Vagus stärker beeinflußt: der
Kern verliert die fuchsinophilen Granula vollständig und nimmt ein homo¬
genes Aussehen an ; im Zytoplasma zeigt sich, abgesehen von der ausge¬
sprochenen Verminderung der Granula, eine intensive Vakuolisierung. Die
Belegzellen beteiligen sich auch deutlich an dem Sekretionsvorgange, indem
ihr Kern beträchtliche Veränderungen in bezug auf Größe und Inhalt auf¬
weist, während das Zytoplasma bei fast normaler Menge fuchsinophiler
Granula zunimmt. Unter dem Einflüsse der Vagusreizung werden anscheinend
endonukleäre Sekretionskörnchen nicht bereitet, sondern nur, soweit sie vorher
schon gebildet waren, ausgeschieden. Auch trotz verlängerter Reizung des
peripheren Stumpfes des durchschnittenen Nervus vagus erfolgt die Aus¬
scheidung der Sekretionskörnchen nicht in allen Drüsenelementen gleich
intensiv.
Bei längerer Reizung des V agus durch Anlegung einer Seidenschlinge
an dem untersten Teile des Ösophagus oberhalb der Kardia nach der Methode
von Gaglio, so daß sie alle Fasern des Vagus mitumfaßte, ohne doch das
Lumen der Speiseröhre einzuengen, traten noch andere Reizerscheinungen
mit hinzu, die vielleicht von einer Stockung des: Magensaftflusses, von Stö¬
rungen in der Bewegung der Magenwand oder von Störungen im Kreisläufe
abhängen. Wo diese abnormen Bedingungen stärker hervortreten, und wo
vorzugsweise atrophische Veränderungen und vakuoläre Degeneration des
Schleimhautepithels vorkommt, ist die Produktion der Granula beträchtlich
vermindert.
In der Magenschleimhaut, die durch Anlegung einer künstlichen
Stenose durch Abschnürung des Magens zwischen zwei Seidenschlingen infolge
der Unterbrechung der Lichtung nicht mit Nahrungsmitteln in Be¬
rührung gekommen ist, ihre normale Gefäßversorgung aber behalten hat,
entwickelt sich ein katarrhalischer Prozeß in dem ausgeschalteten Abschnitte.
Die Drüsenzellen zeigen vakuoläre Degeneration des Zytoplasma und Karyo-
lyse. Der Sekretionsprozeß kommt in ihnen zum Stillstände. In denjenigen
Drüsen zellen, deren Kern unversehrt geblieben ist, dauert die Bereitung und
Ausscheidung von Granulis fort, allerdings sind sie kleiner als sonst. Die
Saftabsonderung ist vermehrt.
1070
Referate und Besprechungen.
Kurs zusammengefaßt geht also aus den Versuchen hervor, daß der
Sekretionsprozeß der Labdrüsen beim Hunde in der Bereitung und Ausschei¬
dung fuchsinophiler Granula besteht, daß die Bereitung dieser hauptsächlich
an die Funktion der Kerne gebunden ist und unter abnormen Innervationsr
bedingungen unverändert bleibt, daß die Ausscheidung der Granula von der
Einwirkung des Vagus abhängig ist. Bei tiefgehenden Veränderungen des
Zytoplasma (vakuolärer oder atrophischer Degeneration, hydropischer Schwel¬
lung) bleibt der Vorgang der Sekretionsbereitung so lange unverändert, als
der Kern verschont ist, hört aber auf, sobald der Kern Degenerationserschei¬
nungen aufweist. W. Bisei (Zwickau).
Eine schnelle Reaktion auf Gallenbestandteile im Urin.
(P. Pellissier u. L. Sckaibejle. Journ. de Med. int., 1909. — ■ Gaz. med.de Paris.,
15. April 1909.)
Die heutzutage üblichen Gallenfarbstoffreaktionen sind so wenig scharf,
daß sie eigentlich nur dann positive Resultate geben, wenn man dem -Urin
schon von weitem seine pathologische Beimengung ansieht. Eine feinere
Reaktion besteht in folgendem: Man la-sse auf ca. 10 ccm Urin 2 Tropfen
einer Methylviolettlösung 1 : 500 fallen und füge nach einigen Sekunden,
wenn die obere Hälfte der Urinsäule gefärbt ist, 3 Tropfen einer Trichlor-
essigsäurelösung 1 : 3 hinzu. Dann bedeutet
1. Blaufärbung — Abwesenheit;
2. Weinrotfärbung — Anwesenheit von Gallenbestandteilen (und zwar
um so mehr, je stärker die Rotfärbung ausfällt);
3. Kupferfärbung — Rhabarber;
4. Hellrotfärbung — Senna;
5. Violettfärbung — ’ Santonin. Buttersack (Berlin).
Zur Physiologie und Pathologie des Dickdarms.
(Prof. Dr. Th. Rosenheim. Deutsche med. Wochenschr., Kr. 17, 1909.)
Die verschiedenen Dickdarmabschnitte haben trotz ihrer Zusammenge¬
hörigkeit doch ein hohes Maß von Eigenart und Selbständigkeit. So konnte
Rosenheim schon früher die Sonderstellung des S romanum feststellen,
die sich in reichlicher und andauernder Füllung mit festen Ballen und geringem
Gasgehalt ausdrückt. Die Füllungsverhältnisse des Dickdarms an Leichen
und bei Autopsie an Lebenden hat Roik eingehend studiert. Er fand unter
anderem, daß das Colon descendens meist leer ist, demnach also die Füllungs¬
und auch Druckverhältnisse vor und unmittelbar hinter der Flexura coli sinistra
große Differenzen aufweisen. Über die Raschheit der Fortbewegung läßt sich
darum jedoch nichts Sicheres feststellen, auch die Verwendung der Röntgen¬
strahlen am mit Wismut gefüllten Darme können keine einwandfreien Resul¬
tate liefern.
Rosenheim hat seit Jahren systematisch eine Anzahl junge gesunde
Leute palpatorisch auf die Füllungsverhältnisse ihres Dickdarms untersucht
und gefunden, daß normalerweise das Cöcum im nüchternen Zustande meist
leer ist und erst 5 Stunden nach der ersten Mahlzeit sich zu f üllen beginnt,
daß bei genügender Defäkation sich sämtliche Abschnitte unterhalb der Flexura
coli sinistra entleeren und ferner, daß im Bereiche der Flexura sigmoidea die
Kotbeförderung sehr langsam vonstatten geht, ja sogar stocken kann, dieses
Organ aber eine Art Reservoir bildet, in dem länger als 12 Stunden des Tages
sich Kot vorfindet. Dies hat seinen Grund offenbar in dem anatomischen Bau
des Colon pelvicum sowie in hemmend wirkenden Innervationsvorgängen (selte¬
neres Eintreten des peristaltischen Impulses, längere und kräftigere Innerva¬
tion der Ringsmuskulatür als der Längsmuskulatur.
Wenn die Füllungsverhältnisse sich nun auch nicht schematisieren lassen,
so lassen sich doch mit einiger Kritik normale und pathologische Zustände
unterscheiden. Ein besonderes Augenmerk richtet Rosenheim daher auf
Referate und Besprechungen.
1071
diese Verhältnisse bei der chronischen Obstipation. Von vornherein gibt er
die Trennung in atonische und spastische Formen auf, können doch oft völlig
physiologische Zustände der Muskulatur das Bild einer Atonie oder eines
Spasmus bieten. Großer Wert ist vielmehr auf die Kontrolle der Füllungs-
verhältnisse des Dickdarms in seinen einzelnen Abschnitten zu legen; ist doch
nie der ganze Darm dabei betätigt, sondern es kann die Obstipation sich auf
die Flexura sigmoidea, oder das Cöcum, resp. Colon ascendens beschränken.
Um ein richtiges Bild von den Füllungsverhältnissen zu bekommen, muß
die palpatorische Untersuchung im Stadium der Verstopfung stattfinden. Zu
diesem Zwecke läßt Verf. die Kranken 2—3 Tage ihre Kotverhaltung ertragen
und gibt dabei gemischte Kost. Er hat auf diese Weise gefunden, daß eine
ziemlich große Zahl habitueller Obstipationen auf eine Funktionsstörung
der Flexura sigmoidea zurückzuführen ist, wobei er den Eindruck hatte,
daß der gewöhnlich als spastische Obstipation bezeichnete Zustand weiter
nichts als eine Kotlaufhemmung im Gebiet der Flexura sigmoidea darstellt.
Nicht so häufig ist diese Hemmung am Cöcum und Colon ascendens und sehr
selten an den Flexuren. Auch auf die verhältnismäßige Leere der tieferen
Abschnitte muß Gewicht gelegt werden. Von Wichtigkeit ist ferner eine
Beständigkeit des Befundes bei nochmaligen Untersuchungen. Selbstredend
kann eine Kotlaufhemmung zu gleicher Zeit an verschiedenen Stellen Vor¬
kommen, doch muß man dabei wiederum berücksichtigen, daß eine Stagnation
im untersten Dickdarmteil sekundärer Natur sein kann und endlich darf man
sich durch das Phänomen der einfachen Rückstauung nicht täuschen lassen.
Die Gründe für diese Kotlaufhemmungen sind von der verschiedensten
Art. Lokalisiert in verschiedenen Kolonbezirken finden sie sich einmal, wenn
sie als Begleiterscheinungen , neben Magenaffektionen, Cholezystitis, chroni¬
scher Appendizitis und Genitalerkrankungen auftreten, dann wenn sie das
quälendste Symptom einer Neurose darstellen, ferner bei gewissen Lageano¬
malien der Bauchorgane und endlich auch bei habitueller Verstopfung, die
auf abnormer nervöser Entstellung der Rektum- und Kolonperistaltik beruht.
Für viele Fälle ergeben sich daher wichtige therapeutische Hinweise.
F. Walther.
Gynäkologie und Geburtshilfe.
Zur Behandlung der Placenta praevia.
(Pfannenstiel, Kiel. Monatsschr. für Geb. u. Gyn., Bd. 29, S. 265.)
Veranlaßt durch die Empfehlung der Sectio caesarea für Placenta
praevia-Fälle durch Krönig und Seilheim unterzieht Pf. die bisher ge¬
übte Therapie der Placenta praevia einer Kritik. Er sieht in der Tamponade
lediglich einen Notbehelf, der in Kliniken nicht mehr Anwendung finden
sollte, auch die Wendung nach Braxton Hicks sei unzureichend. Dagegen
empfiehlt er angelegentlichst die Metreuryse, abgesehen natürlich von der
sofortigen Entbindung und der Blasensprengung allein bei dafür geeigneten
Fällen. Es ist zwar selbstverständlich, aber doch unter Berücksichtigung
der vorliegenden Literatur leider notwendig, daß Pf. ganz besonders darauf
hinweist, daß die Metreuryse eine bestimmte Technik erfordert, falls man
befriedigende Erfolge erzielen will und zwar Erfolge, die scheinbar denen
der Sectio caesarea kaum nachstehen. Durch letztere werden zweifellos mehr
Kinder gerettet, als durch die Metreuryse. Es fragt sich nur, ob die sozialen
Verhältnisse uns die Berechtigung geben, aus diesem Grunde den Müttern
(meistens sind es vielgebärende Proletarierfrauen) die Laparotomie zuzumuten.
Dabei wäre auch die Frage zu streifen, ob nicht die Praxis an den theoretischen
Überlegungen, die zur Sectio caesarea bei Placenta praevia führen, einfach
vorübergehen wird, da die Schwierigkeiten, diese Fälle dem chirurgischen
Geburtshelfer zu überweisen, meist zu große sind. Zu der von Pf. ge¬
forderten Metreuryntertechnik gehört Einlegen des Ballons im Spekulum
in die Eihöhle, nach Sprengung der Blase beim Einführen der mit dem
1072
Referate und Besprechungen.
Ballon armierten Zange; eventl. extraovuläres Einlegen des Metreurynters,
aber stets nach Sprengung der Blase; Auf füllen des Ballons mit 500 ccm
steriler Kochsalzlösung; Belastung des Metreurynters durch Gewichts zug von
1 Kilo. Abwarten der Spontangeburt des Ballons. Frankenstein (Köln).
Zur Behandlung der Placenta praevia.
(Thies, Berlin. Monatsschr. für Geb. u. Gyn., Bd. 29, S. 270.)
Th. prüft an dem Materiale der Bumm’schen Klinik aus den letzten
4 Jahren die Frage, ob die Bereicherung der Therapie der Placenta praevia
nach den Vorschlägen von Krönig und Seilheim notwendig sei. In diesem
Zeiträume ergab sich bei 179 Fällen aus Klinik und Poliklinik eine Morta¬
lität der Mütter von nicht ganz 3% ; die Sectio caesarea dürfte diese Zahl
bei größeren Erfahrungsreihen kaum verringern. Die Mortalität der Kinder
war dagegen ziemlich hoch (60%); rechnet man aber die unreifen Früchte
ab, so bleibt nur eine Mortalität von 41,3 %. Der Grund für diese große
Zahl ist in der kombinierten Wendung nach Braxton Hicks zu suchen
(80%). An der Bumm’schen Klinik wurde deshalb in letzter Zeit bei Pla¬
centa praevia bevorzugt: die Blasensprengung bei partiellem Vorliegen der
Plazenta mit Spontangeburt (6% Kindermortalität), die Sch eiden tarn ponade
mit Gaze oder Kolpeurynter (23% Kindermortalität), der vaginale Kaiser¬
schnitt, bei dem dfe reifen Kinder scheinbar alle lebend geboren wurden
und die Metreuryse mit 14% Kindermortalität.
Auf Grund dieser Resultate hält Th. die Ausführung der Sectio caesarea
bei Placenta praevia mit Recht für unnötig, in der allgemeinen Praxis für
undurchführbar und glaubt auch ohne den Kaiserschnitt die Mortalität der
Mütter auf 3— 5%, die der Kinder auf 10 — 20% herabdrücken zu können.
Frankenstein (Köln).
Aus der königl. Universitäts-Frauenklinik zu Greifswald.
Die Therapie der Placenta praevia.
(Prof. M. Henkel. Archiv für Gyn., Bd. 86, H. 8, 1908.)
Für den Praktiker, zum größten Teil aber auch für die Klinik ist
nach H.’s Ansicht die möglichst frühzeitige Wendung mit nachfolgend
spontanem Geburtsverlauf das einzig richtige Verfahren bei Placenta praevia.
Man müsse jedoch heute darauf dringen, daß die Fälle von PI. pr. unmittelbar
nach dem ersten Auftreten bez. provisorischen Stillung der Blutung der
Klinik überwiesen werden; dort sind die Chancen für die Erhaltung des
Lebens der Mutter unverhältnismäßig günstiger wie im Privathaus.
Für die Fälle mit rigider Zervix und nicht durchgängigem Zervix-
kanal dürfe heute nur die Hysterotomia anterior noch in Frage kommen,
um die Frau den in Zukunft hoffentlich mehr gewürdigten Gefahren der
protaliierten Blutung zu entreißen. H. betont dabei, daß er diese Operation
nicht macht, um etwa das (Kind zu retten, derartige Versuche, besonders
wenn sie die Mutter gefährden, lohnten sich bei Plazenta praevia, -Kindern
überhaupt nicht, wie H. zu Anfang seiner Arbeit darlegt. Für die Mehr¬
zahl der Fälle genüge deswegen auch die Schaffung einer etwa kleinhand¬
tellergroßen Öffnung, wobei dann natürlich der nachfolgende Kopf perforiert
werden muß. — H. macht u. a. darauf aufmerksam, daß viele Blutungen
in der Schwangerschaft auf Plazenta praevia zurückzuführen, daß viele
Aborte Pr äviaa horte mit zentralem Sitz der Plazenta seien: es sei also
nicht richtig, in Blutungsfällen immer, wie dies allgemein geschehe, in
nachdrücklicher Weise bestrebt zu sein, die Schwangerschaft zu erhalten.
Die Gefahr bleibt bestehen und tritt dann später oft in verhängnisvoller:
Weise auf. — Was die Stillung einer Präviablutung bei geschlossenen!
Zervikalkanal für den praktischen Arzt anlangt, so könne man die Dinge
wenden, wie man wolle, ihm bleibe nichts anderes übrig, wie die Tam¬
ponade und zwar mit Gia-ze binden. H. empfiehlt, sterile Gazebinden
Referate und Besprechungen.
1073
mit 2%ig’er Alaunlösung getränkt zu verwenden. Eine solche Tamponade
könne jeder praktische Arzt mit Sorgfalt ausführen, sie wirke dann sicherer,
als ein Kolpeurynter, von dem man, wenn er die Vagina allseitig genügend
straff ausfüllen solle, stets mehrere Größen vorrätig haben imüßte, was
für den praktischen Arzt schlechterdings unmöglich sei. — Auch die Metreu-
ryse sei technisch nicht leicht und quoad Blutung unzuverlässiger, als die
Wendung nach Braxton Hicks. Diese könne man bei einiger Geschick¬
lichkeit auch bei erst für einen Finger durchgängigem Zervixkanal aus¬
führen. H. reißt dazu mittels einer halben Kugelzange die Fruchtblase
auf, sodann sucht er mit dem Zeigefinger an den Fuß heranzukommen, nach¬
dem er etwas Fruchtwasser hat abfließen lassen. Der Fuß wird dann so ein¬
gestellt, daß die Zehen direkt über der Muttermundsöffnung liegen, der
Zeigefinger berührt sie, und jetzt legt man unter Kontrolle dieses Fingers
eine Kornzange an den Fuß und zieht ihn unter möglichster Streckung
durch den Zervixkanal bis vor den äußeren Muttermund. Natürlich ist zu
dieser Operation Narkose erforderlich. — Die digitale Erweiterung desl
erst für einen Finger durchgängigen Zervikalkanals empfiehlt sich nicht,
da sich dabei oft Zervixrisse ereignen: selbst in der Königsberger Klinik
dreizehnmal unter siebzehn Fällen. — Der Blasenstich ist nur bei PI. pr.
marginalis ausreichend, sehr selten bei Pl. p'r. lateralis. Bedingung ist
auch, daß dann sofort gute Wehen einsetzen. — Sehr verhängnisvoll können
bei Pl. pr. auch noch nach der Entbindung auf tretende Blutungen werden,
sei es infolge von Riß oder von Atonie. Für letztere stehen uns zur Ver¬
fügung heiße Irrigationen, Massage des Uterus, Tamponade, intravenöse Adre¬
nalin-Kochsalzinfusionen. Bei Rissen kommt ev. die Naht in Betracht, dann
aber vor allem, ebenso wie bei Atonie, die von H. erfundene Art der Dauer¬
kompression der Utetinae mittels zweier Muzeux - Zangen, welche
nach Einführung einer hinteren Platte und Herabziehen des Uterus mittels
Kugelzange jederseits an das Parametrium angelegt werden, so zwar, daß
noch ein Streifen Uteruskante mitgefaßt wird. H. hat bei diesem quoad
Blutung absolut sicheren Verfahren nie eine Blasen- oder Ureterenverletzung
erlebt, wahrscheinlich, weil diese beiden Organe bei starkem Abwärtsziehen
des Uterus genügend nach oben ausweichen. Auch würde eine kleine Stich¬
verletzung genannter Organe wohl wenig z!u bedeuten haben und spontan,
heilen. — Eine Kombination der Muzeux-Klemmen mit Tamponade er¬
folgte nie; von der Uterus -Vaginal -Tamponade hält H. als Blutstillungsmittel
überhaupt nicht viel. R. Klien (Leipzig).
Zur Therapie des Puerperalprozesses. (Versuche mit
Rekonvaleszenten-Serum.)
(Dr. Theod, Meißl, Wieden. Wiener klin. Wochenschr., Nr. 1, 1909,)
Bereits mehr als zehn Jahre sind verflossen, ohne daß es gelungen
wäre, mit der Serumtherapie beim Puerperalprozeß auf einen grünen Zweig
zu kommen. Mit keinem der verschiedenen Antistreptokokken - Sera (= AS)
(Marmorek, Tavel, Aronson, Paltauf, Höchst usw.) konnte man einen
unbestrittenen Erfolg beim Menschen verzeichnen, obwohl an ihreml kura¬
tiven Wert beim Tier nicht zu zweifeln ist. Was die Ursachen der ver¬
schiedenartigen Wirkungsweise der Tiersera beim Menschen und beim Tier
anbelangt, so fanden Lenhartz und Zangemeister, daß auch beim Anti-
streptokokken-Serum zur Wirkung auf die Bakterienzelle ein Aneinanderpassen
des Immunkörpers an das Komplement des zu schützenden Tieres oder Men¬
schen notwendig sei. Auch Ehrlich hatte schon 1898 darauf aufmerksam
gemacht, daß man zur Gewinnung von Immunserum, welches auf das mensch¬
liche Komplement passen soll, nicht das Pferd, sondern ein dem Menschen
näherstehendes Tier, \z. B. den Affen, nehmen soll. Insbesondere billigt
Ehrlich auch den Lenhar tz’schen Versuch, daß Immunserum vom Men¬
schen selbst, der eine Streptokokken-Infektion durchgemacht, zu gewinnen,
da in diesem Falle die Möglichkeit, daß sich der Imlmunkörper richtiger
68
1074
Referate und Besprechungen.
komplementiert, jedenfalls nahe liegt. Durch die gleichen Erwägungen kam
auch Meißl, noch bevor er die Lenhar tz’schen Versuche kannte, dazu,
Experimente mit einem vom Menschen gewonnenen Rekonvaleszenten-Serum
(= RS) anzustellen, über die er jetzt berichtet. Es wird in der üblichen
Weise von Fällen gewonnen, bei denen Streptokokken im Uterus und im
Blute während der Erkrankung in Reinkultur nachgewiesen wurden. Da
es auch bei solchen Kranken angewendet wurde, so ergab sich eine längere
Reihe von Fällen, die mit RS behandelt und nach ihrer Genesung zur
Serumbereitung herangezogen wurden. Vor den bisherigen Antistreptokok-
ken-Sera hat das RS jedenfalls das eine voraus, daß es sich bisher als ab¬
solut unschädlich erwiesen hat: es wurde dabei so gut wie nie eine lokale
Reaktion, auch keine Spur von Serumkrankheit beobachtet. Das RS wird
in sterilen Röhrchen ohne jeden Zusatz im Kühlen aufbewahrt gehalten,
nachdem es vorher auf keimfreie Beschaffenheit geprüft wurde. Dies war
um so notwendiger, als bei Ermangelung einer jeden Kenntnis über das
zeitliche Auftreten einer Immunität beim Menschen empirisch versucht wer¬
den mußte, daß Serum einmal unmittelbar nach der definitiven Entfieberung
(Frühserum), das andere Mal nach sichtlicher Erholung zu gewinnen (Spät¬
serum). Auch Serumgemische von mehreren Fällen wurden bereit gehalten.
Auf den Versuch, den kurativen Wert des RS im Tierversuch zu prüfen,
hat Meißl aus denselben Gründen, die früher gegen die Anwendung der
Tier-AS beim Menschen ins Treffen geführt wurden, von vornherein verzichtet.
Was nun die Anwendungsweise des RS anbelangt, so wurde von
Meißl das Gebiet der Darreichung absichtlich eingeschränkt. So- sah er
von vornherein von einer Serumtherapie ab, wenn nicht Streptokokken wenig¬
stens im Uterus, zumeist auch im Blute in Reinkultur nachgewiesen werden
konnten. Dabei wurde getrachtet, den bakteriologischen Befund sobald als
möglich zu erheben, um das RS baldigst in Anwendung bringen zu können.
So wurden von 80 bakteriologisch untersuchten Fällen nur 16 der RS-Be-
handlung zugeführt. Die geringe Anzahl der behandelten Fälle findet ihre
Erklärung einerseits in äußeren Schwierigkeiten, die hauptsächlich darin
bestanden, daß nicht immer so große Mengen RS zur Verfügung standen,
andererseits in dem Umstande, daß M. sich in der Behandlung der puer¬
peralen Fälle eine gewisse Beschränkung auf erlegte, indem er die Anwesen¬
heit einer reinen StreptokokkenTnfektion als natürliche Voraussetzung zur'
Bewertung einer AS -.Behandlung betrachtete. Es wurden somit Misch¬
infektionen sowie alle Saprämien (septischer Abortus) von der RS-Behand-
lung ausgeschlossen.
JDes weiteren war für Meißl die anatomische Beschaffenheit
des Falles, insbesondere die Art und Lokalisation des Prozesses, ma߬
gebend für die Auswahl. So schienen vor allem solche Fälle geeignet für)
die RS-Therapie zu sein, bei welchen es im Anschluß an eine durch Rein¬
kultur von Streptokokken und dem Uterus - Sekret nachgewiesene Endo¬
metritis zum Einbruch der Kokken in die Blutbahn gekommen war, ohne
daß lokal in der Umgebung des Uterus Entzündungsherde von größerer
Ausdehnung durch, die bimanuelle Untersuchung zu konstatieren waren.
Mit Absicht wurden gerade solche Fälle der Serumbehandlung zu¬
geführt, da ja das Auftreten einer Bakteriämie nach Endometritis puer-
peralis immerhin als ein prognostisch bedenkliches Zeichen gilt. Hingegen
wurde von jeder RS-Therapie abgesehen, falls sich in der Umgebung des
Uterus, namentlich in den Parametrien, größere Exsudate fanden, wie sie
sich ja im weiteren Verlaufe des Prozesses so häufig einzustellen pflegen.
Wenn man nun von diesen Gesichtspunkten aus den Effekt der
RS-Therapie betrachtet, so muß man dabei zwei größere Gruppen unter¬
scheiden
a) Solche Fälle, bei denen zur Zeit der Aufnahme noch gar keine
Veränderungen in der nächsten Umgebung des Uterus durch den Touchier-
befund zu erheben waren;
b) Fälle, bei denen anatomische Veränderungen in Form der Metro¬
phlebitis bei der Aufnahme bereits bestanden.
Referate und Besprechungen.
1075
Bei allen behandelten Fällen konnten ausnahmslos im Uterus Strepto¬
kokken in Reinkultur nachgewiesen werden, während sie vorübergehend im
Blute bei 11 von 16 Fällen gefunden worden.
Für die Gruppe a kommen sechs Fälle in Betracht (Endometritis puerp.
mit Bakteriämie), bei denen ein Einfluß des RS vorhanden zu sein schien.
So schwer die Beurteilung und Prognosestellung beim Puerperalprozeß ist,
so war doch der allgemeine Eindruck, daß diese Fälle ohne die RS-Be-
handlung nicht so glatt verlaufen wären, ^ur Unterstützung dieser Mei¬
nung kann man nicht bloß die üblichen Kriterien, wie Temperaturabfall,
Sinken der Pulsfrequenz, auffallende Besserung im Allgemeinbefinden an¬
führen, welche in diesen Fällen nach den Serum - Injektionen so deutlich
ausgesprochen waren, man kann auch darauf hinweisen, daß es nicht ge-
gelungen ist, weiterhin im Blute Kokken und im weiteren Verlaufe ana¬
tomische Veränderungen in den Parametrien nachzuweisen.
Bei den zehn Fällen der zweiten Gruppe (b) waren bei der Aufnahme
bereits tastbare entzündliche Veränderungen in der Umgebung des Uterus
nachweisbar, zu denen im weiteren Verlaufe noch andere Krankheitserschei¬
nungen (Metastasen in den Lungen, pyämische Abszesse usw.) hinzukamen.
Bei Beurteilung dieser Fälle gelingt es jedoch nicht, einen Effekt der RSh
Therapie festzustellen, die das Auftreten von metastatischen Abszessen, einer
abgesackten Peritonitis, großer parametraner Exsudate im weiteren Verlauf
des Prozesses, sowie drei letale Ausgänge doch nicht verhindern konnte,
und wenn die größere Zahl dieser Gruppe schließlich gesund geworden ist,
so muß Meißl selbst zugeben, daß es verfehlt wäre, dies auf Rechnung
der RS Therapie zu setzen.
Jedoch bei dem Umstande, daß das RS absolut unschädlich ist und
in einzelnen, oben näher beschriebenen Fällen doch einen sichtbaren Ein¬
fluß zu entfalten schien, kann man mit Meißl die Fortsetzung weiterer
Versuche mit RS an einem geeigneteren Materiale für durchaus wünschens¬
wert halten, insbesondere, solange wir kein besseres (vielleicht Affen-Immun-
serum) besitzen. Werner Wolff (Leipzig).
Erfahrungen mit moderner Wochenpflege.
(E. Opitz. Med. Klinik, Nr. 1 u. 2, 1909.)
Der größere Teil der Arbeit ist der Besprechung des frühen Aufstehens
der Wöchnerinnen gewidmet; Opitz tritt im großen und ganzen warm
dafür ein, gesunde Wöchnerinnen früher als bisher allgemein üblich und
zwar oft schon, nachdem nach der Geburt nur eine Woche verflossen ist,
auf stehen zu lassen. Opitz geht so vor, daß er den gesunden Wöchnerinnen
an seiner Anstalt das Aufstehen gestattet und in ihr Belieben stellt, sobald
sie sich ausgeruht haben und keine Kontraindikationen vorliegen. Als solche
gelten genähte Dammrisse, Plazentaroperationen, Fieber unter der Geburt,
ferner, bestehende Krankheiten (Nephritis, Herzfehler usw.) und Fieber nach
der Entbindung. Von 235 so behandelten Frauen haben 200 das Bett früher
verlassen, als sonst üblich, und zwar 56 am ersten, 65 am zweiten, 27 am
dritten, am vierten bis sechsten Tage zusammen 52. Von diesen 200 Frauen
haben aber nachträglich noch 62 wieder das Bett für 1 — 2 Tage aufsuchen
müssen, aber meist nur wegen leichterer Störungen und meist nur zur Vor¬
sicht. Gleich nach der Entbindung wird jeder Wöchnerin eine feste Leibbinde
zum Schnallen angelegt, die durch einen Steg, der zwischen den Beinen hin¬
durchführt und zugleich die Vorlage festhält, in ihrer Lage gehalten wird. —
' Als Gefahren des Frühaufstehens werden von c den Gegnern desselben be¬
zeichnet die Möglichkeit der Embolien, der Lageveränderungen des Uterus
und Störungen der Erholung. Bedenken nach einer der drei Richtungen
hin haben sich Opitz aber nicht gezeigt, wie im einzelnen näher begründet
wird, so daß das frühe Aufstehen sich auch an seiner Anstalt nicht nur
als unschädlich, auch mit Bezug auf puerperale Infektionen, sondern auch
in mancher Weise als nützlich erwiesen hat. Freilich bleibt sorgfältiges
68*
1076
Referate und Besprechungen.
Individualisieren notwendig, und 0(pitz gibt ohne weiteres zu, daß auch
in diesem Punkte des Frühauf stehens der Wöchnerinnen die Verhältnisse
der Klinik nicht ohne weiteres auf die geburtshilfliche Außenpraxis über¬
tragen werden dürfen, da zweifellos das Frühaufstehen im Hause größere
Bedenken hat, als das in der Klinik. — Zur Prophylaxe der Mastitis wird
in den letzten sechs Wochen der Schwangerschaft jeden zweiten Abend
die Brustwarze mit warmem Wasser ünd Seife gereinigt, abgetrocknet und
mit i0%igem Tanninspiritus betupft. Nach jedem Anlegen — zuerst
24 Stunden post partum und stets nur sechs Mahlzeiten täglich mit Über¬
springen der Nachtzeit von 10 Uhr abends bis 6 Uhr früh — Bestreichen
der Warze mit einer Lanolinsalbe (Lanolin. Ol. oliv, ää 50, acid. boric. 4,0),
die vor dem Trinken wieder abgewischt wird. — Bei beginnender Mastitis wird
das Kind nur an die gesunde Seite angelegt, die erkrankte Mamma hochgebunden
und in Prießnitz mit essigs. Tonerde verpackt. Sämtliche vier Mastitiden, die
so behandelt Wurden, gingen auf diese Art zurück. — Beim Anlegen der Kinder
wird jedesmal möglichst nur eine Brust gereicht und die Kinder höchstens
eine Viertelstunde an der Brust gelassen. — Die Wolf - Eisner’sche Oph¬
thalmoreaktion wurde bei 163 Frauen angestellt und hatte bei 39 von ihnen
ein positives Ergebnis, obwohl nur zwei von ihnen klinische Erscheinungen
der Tuberkulose hatten. Allen wurde das Stillen ihrer Kinder erlaubt,
mit Ausnahme von einer, deren Tuberkulose progredienten Charakter hatte.
— Die Nahrung der Wöchnerinnen bestand in derselben Kost, wie die der
Frauen der gleichen Verpflegungsklasse, nur wurden blähende Speisen ver¬
mieden. — Die Kinder erhalten sämtlich l%iges Arg. nitr. in die Augen
nach der Geburt beträufelt; benutzt wurde meist die Wattezopfpipette von
Hellend all. — Die Nabelversorgung geschieht durch Unterbindung mit
sterilem Bändchen etwa 2 cm vom Nabelkegel. Nach dem Bad wird
der Nabel mit Alkohol betupft, mit steriler Gaze überdeckt und durch
einfache, um den Leib gewickelte Gazebinden geschützt, das Blad iü den
ersten Tagen durch -‘Waschungen ersetzt, bis der Nabel abfällt. Bei Bei
feuchtung des Nabels mit Urin wird der Nabelverband gewechselt und der
Nabel eventuell mit Xeroform nach vorherigem Betupfen mit Alkohol be-
puclert. R. Stüve (Osnabrück).
. [302t-
Psychiatrie und Neurologie.
Autonomie des Gehirns während der Wachstumperiode.
(V ariot u. Lassabliere. Soc. de Biol., Jan. 1909. — Bull, med., Nr. 12, S. 140, 1909.)
Die beiden Autoren haben die Gehirngewichte von normalen Kindern
und von solchen, die zwar gleichalterig, aber in der körperlichen Entwicklung
zurückgeblieben waren, verglichen und dabei überraschenderweise gefunden,
daß die letzteren den ersteren keineswegs nachstanden, sodaß man fast den
Eindruck gewann, als ob sich das Gehirn auf Kosten des übrigen Organismus
entwickelt hätte; auch beim Hungern gibt bekanntlich das Nervensystem
am wenigsten, beinahe nichts, her.
Im übrigen seien bei den körperlich zurückgebliebenen Kindern nicht
alle Organe gleichmäßig beteiligt; z, B. die Knochen erheblich weniger
als die anderen Gewebe. Buttersack (Berlin).
Ueber Abschwächung bezw. Aufhebung des Zehen- und Verkürzungsreflexes,
(S. Goldflam. Neur. Zentralbl., Bd. 20, S. 946, 1908.)
In dieser interessanten Arbeit kommt G. auf einen Reflex zu sprechen,
welchen er „Verkürzungsreflex u nennt. Unter Verkürzungsreflex versteht er einen
bei Reizung der Fußsohle außer der Plantarflexion der Zehen zusammen¬
gesetzten Reflex des Beines, bestehend in einer mehr oder minder ausge¬
sprochenen Kontraktion der Muskeln, welche die Dorsalflexion des Fußes,
Referate und Besprechungen.
1077
die Flexion im Knie- und Hüftgelenk und Adduktion des Oberschenkels be¬
wirken, alle zusammen oder nur partiell.
Ref. möchte zunächst bemerken, daß er derartige Beobachtungen im
Jahre 1899 publiziert hat, welche in den Jahren 1891/1892 angestellt wor¬
den sind.1)
Verf. hat recht, wenn er der Abschwächung bezw. Aufhebung der
Verkürzungsreflexe mindestens dieselbe Bedeutung beilegt, wie den Bauch-
und Kremasterreflexen.
Das Resultat seiner Untersuchungen faßt er zusammen wie folgt :
Sowohl im normalen, als im pathologischen Zustande läuft der Ver¬
kürzungsreflex gewöhnlich mit dem Zehenreflex parallel (richtig, Ref.), doch
kommen normale und pathologische Fälle vor, wo der Zehen- oder Verkürzungs¬
reflex allein vorhanden ist oder allein schwindet.2)
Es sprechen manche Gründe dafür, daß diese beiden Phänomene nicht
Bestandteile eines Reflexes sind, sondern zwei gesonderte Hautreflexe dar¬
stellen. (Richtig. Ref.) Die Herabsetzung bezw. Aufhebung der Zehen- und
Verkürzungsreflexe — hauptsächlich einseitige — kommt bei Affektionen des
zentralen Nervensystems mindestens ebenso häufig vor, wie die gleichen Sym¬
ptome seitens der Bauch- und Kremasterreflexe, und beanspruchen eine eben¬
solche diagnostische Bedeutung. In manchen Fällen traten sie sogar als
erstes Zeichen einer zentralen Affektion auf und zwar zu einer Zeit, da
andere Symptome kaum ausgesprochen sind oder fehlen.
Herabsetzung bezw. Aufhebung der Zehen- und Verkürzungsreflexe
scheint vorzugsweise bei solchen Läsionen )des auf steigenden Schenkels für
diese Hautreflexe vorzukommen, wo halbseitige Sensibilitätsstörungen und
hypotonische Erscheinungen klinisch überwiegen, die Motilitätsstörungen
dagegen ganz in den Hintergrund treten.3)
Diese Phänomene kommen ferner vor bei komprimierenden, aber nicht
destruierenden Läsionen der psychomotorischen Region der Rinde (das ver¬
meintliche Übertragungszentrum • für die Hautreflexe soll im Gyrus post-
centralis und parietalis liegen), desgleichen bei Schädigung des absteigenden
Schenkels dieser Hautreflexe. Im letzteren Falle aber, zumal wenn die
kortikospinale Bahn mit affiziert ist und Motilitätsstörungen mit Erhöhung
des Tonus und der Sehnenreflexe vorherrschen, tritt meist der Babinski’sche
Reflex auf und zwar als Folge vom Ausfall der zerebralen Hemmungs Vorgänge
und dadurch bedingter Steigerung der Reflexerregbarkeit des Lendenmarks.
Ist die Läsion der absteigenden Bahn eine schwere, dann tritt Babinski
sofort zutage, ist sie aber gering oder die Affektion progredient, dann ver¬
geht eine gewisse Zeit, bis sich die Isolierungsveränderungen ausgebildet
haben. Unterdessen kann Zehen- und Verkürzungsreflex herabgesetzt bezw.
aufgehoben sein und als Vorstufe des Babinski’schen Reflexes erscheinen.
Auf diese Weise wird es verständlich, daß mitunter in einem gewissen
Stadium des Verlaufes Babinski’scher und Zehenreflexe koexistieren können.
(Zehenreflex gewöhnlich schwächer als auf der gesunden Seite.)
Als eine andere Folge der Isolierungsveränderungen des Lumbalmarkes
tritt der Verkürzungsreflex (spinaler) immer kräftiger hervor. Der Zehen¬
reflex ist ein Hautrindenreflex, der Babinski’sche ein ausschließlich spinaler,
der Verkürzungsreflex ein Hautrinden- und spinaler Reflex zugleich.“
Die interessanten Befände des Verf. verdienen Nachprüfung.
Koenig (Dalldorf).
Ü Über die bei Reizung der Fußsohle zu beobachteten Reflexerscheinungen
mit besonderer Berücksichtigung der Zehenreflexe bei den verschiedenen Formen
der zerebralen Kinderlähmung. (Arch. für Psych., Bd. 83, H. 1.)
2) Ref. hat den VR. unter normalen Verhältnissen nie vermißt, wohl aber
den Z. r.
3) Einseitiges Fehlen des Verkürzungsreflexes hat Ref. bei Hysterie, speziell
in einem Falle von traumatisch -hysterischer Parese des einen Beines gefunden.
Durch diesen Befund konnte Simulation ausgeschlossen werden.
1078
Referate und Besprechungen.
Zur Entartungsfrage.
(E. Kraepelin. Zentralbl. für Nervenheilk. u. Psych., 2. Oktoberheft, S. 745, 1908.)
K. macht auf die beunruhigende Erscheinung des raschen und stetigen
Anwachsens der anstaltsbedürftigen Geisteskranken aufmerksam. Über die
Frage, ob nicht die Häufigkeit des Irreseins überhaupt eine rasche Steigerung
erfährt, vermag die bisherige Statistik keine völlig abschließende Antwort
zu geben.
In Java fiel K. die große Seltenheit der Paralyse und der Alkoholismus
auf. Alkoholismus und Syphilis sind die beiden Volksgifte, die geeignet
erscheinen, zumal bei dem Anwachsen der großen Städte, eine beträchtliche
Zunahme der Geistesstörungen zu erzeugen. Schlimmer als die unmittelbaren
Wirkungen von Alkohol und Syphilis ist die durch sie verursachte Keim¬
schädigung, die eine Entartung ganzer Geschlechter bedingen kann. Es
gibt aber noch andere Ursachen in unserem Kulturleben, die geeignet sind,
die tiefsten Wurzeln unserer geistigen Gesundheit zu schädigen; die Fähig¬
keit, krankmachende Einflüsse wieder auszugleichen, dazu gehört die Ent¬
wicklung der Gesittung, welche uns lostrennt aus unserem Verhältnisse zur
Natur.
Eine zweite Gruppe von Kulturschädigungen faßt K. unter dem gemein¬
samen Namen der Domestikation zusammen, der Loslösung aus den natürlichen
Lebensbedingungen. Hierzu gehört auch der Vorgang der Proletarisierung.
Die Folgen der Domestikation sind Verkümmerung und Lebensschwäche.
Eine weitere Gefahr für den Bestand unsrer Rasse bildet die einseitige
Züchtung geistiger Eigenschaften unter Vernachlässigung des Körpers und
der Willensentwicklung. Mit Fug Und Recht betont K., daß unsere Schul¬
erziehung fast ausschließlich die Verstandesbildung berücksichtigt im Gegen¬
satz zur Pflege körperlicher Kraft und Gewandtheit. Ebenso recht hat
K., daß die Übung im Gebrauche der wichtigsten Waffe für den Lebens1
kampf, des tatkräftigen Willens in der Hauptsache zufälligen Einflüssen
überlassen wird.
Eine gemeinsame Wirkung der Domestikationseinflüsse ist die Ab¬
schwächung der natürlichen Triebe. Die Abschwächung des Arterhaltungs¬
triebes zeigt sich in der stetigen Abnahme der Geburtsziffer.
Diese Kulturschädigungen stehen auch in gewissen ursächlichen Be¬
ziehungen zu bestimmten Formen des Entartungsirreseins.
Es liegen zurzeit Fragen vor, die für unser Dasein als Volk von aller¬
höchster Wichtigkeit sind. Zur Beantwortung dieser Fragen bedarf es sorg¬
samer, über Jahrzehnte sich erstreckender Untersuchungen, wie sie am besten
mit Hilfle des Reiches durchgeführt werden können. Außer der Zahl und
Fruchtbarkeit der Ehen, der Erkrankungshäufigkeit und Sterblichkeit, der
Lebensdauer und Militärtauglichkeit, wird die Verbreitung von Verbrechen,
Prostitution, Trunksucht und Syphilis, wie das Vorkommen von Geistes¬
krankheiten, Schwachsinn, Psychopathie und Epilepsie, sowie deren Vererbung
ins Auge zu fassen sein. Alles dies wird erst die unerläßliche wissenschaftliche
Grundlage geben, um in der Entartungsfrage zur Klarheit zu gelangen.
Koenig (Dalldorf):
Das zurzeit an der Berliner chirurgischen Universitätsklinik übliche
Verfahren der Rückenmarksanästhesie.
(A. Bier, Berlin. Deutsche Zeitschr. für Chir., Bd. 95, H. 1 — 5.)
Bier gibt einen eingehenden Bericht über die jetzt von ihm geübte
Methode der Lumbalanästhesie. Er empfiehlt das Tropakokain ; er verwirft
das Novokain, das Alypin, sowie — wegen der Gefahr der Muskellähmung —
das Stovain. Normaldosis ist 0,05 g; Maximaldosis 0,06 g. Grundsätzlich
wird dem Mittel Suprarenin zugesetzt. Die Lösung (1,25 ccm einer 5%igen
Tropokokainlösung -{- 0,000125 g Suprarenin) befindet sich in einer aus
alkalifreiem Jenenser Glas hergestellten Tube.
Referate und Besprechungen.
1079
Reizung des Rückenmarks durch eine Blutung in den Lumbalsack, An-
spießung von Nerven muß vermieden werden. Das Anästhetikum darf nicht
eingespritzt werden, bevor nicht Liquor in rascher Tropfenfolge abfließt.
In je mehr Flüssigkeit gelöst das Anästhetikum eingespritzt wird, um so
höher geht die erzielte Anästhesie hinauf. Für hoch hinaufreichende An¬
ästhesien ist auch die Beckenhochlagerung gut zu verwenden, die ungefährlich
ist, wennn die Lageveränderung ganz allmählich ausgeführt wird. Als Indi¬
kator für eine genügende Anästhesie dient der Nachweis des Verschwindens
der Reflexe nach 1 — 2 Minuten. Am leichtesten ist die Lumbalpunktion in
sitzender Stellung zu erreichen; beim liegenden Patienten muß in besonderer
Weise darauf geachtet werden, daß die Nadel in der Mittellinie einge¬
stochen wird.
Bei der Frage der Versager ist zweifellos die Technik von weit¬
gehender Bedeutung : Bei über 100 Fällen, bei denen die Punktion von geübter
Hand vorgenommen wurde, fand sich kein Versager; in einem Ärztekurs
in kurzer Zeit drei. Bedrohliche Nebenerscheinungen wurden bei den letzten
400 Anästhesien, abgesehen von Erbrechen in 5% der Fälle, nicht beobachtet.
Die Kombination der Lumbalanästhesie mit Skopomorphindämmerschlaf em¬
pfiehlt Verf. ; er gibt von dem Riedel’schen Kölbchen-Skopomorphin 2/3 des
Inhalts — zweizeitig und zwar l1/2 und 3A Stunden vor der Operation. Auch
bei den Tropokokainanästhesien wird eine genügende Erschlaffung der Bauch¬
muskulatur. ähnlich wie beim Stovain, erzielt. Die Versuche, die die Re¬
sorption verhindernden Mucilaginosa (Gelatine nach Klapp; Gummi nach
Ehrhardt) als Zusatz zum Anästhetikum zu verwenden, sind bis jetzt nicht
erfolgreich gewesen ; zumal der schwere kollapsartige Zustand, in welchen
ein von Ehrhardt auf dem vorjährigen Chirurgenkongreß demonstrierter
Patient verfiel, läßt den weiteren Gebrauch der Mucilaginosa recht bedenk¬
lich erscheinen. Eine hochreichende Anästhesie läßt sich mit den bisherigen
Mitteln (Ansaugen von viel Liquor spinalis, steile' Beckenhochlagerung ; An¬
legen einer unmittelbar nach der Einspritzung entfernten Stauungsbinde)
erzielen. Das Problem, ungefährliche, hoch heraufreichende Anästhesien zu
erzielen, ist aber bisher nicht gelöst. Verf. hat bisher zwei Todesfälle be¬
obachtet: bei einem 75jährigen Mann, dem 0,13 g Tropokokain eingespritzt
war (die Dosis war zu hoch), und bei einem 40jährigen fettleibigen Mann,
der sieben Minuten nach der Einspritzung in einen nicht aufzuhaltenden
Kollaps verfiel. Es ist dies der erste Todesfall bei normaler Dosierung
des Mittels, dem allerdings kein Suprarenin zugesetzt war.
F. Kaysier (Köln).
Aus der 2. chirurgischen Abteilung des Rudolf Virchow-Krankenhauses in Berlin.
Dirig. Arzt: Prof. Borchardt.
Zur Kasuistik der Abducensiähmung nach Lumbalanästhesie mitTropokokain.
(Dr. C. Gontermann. Berliner klin. Wochenschr., Nr. 33, 1908.)
Ein 35 jähriger, sonst vollkommen gesunder, syphilitisch nicht infizierter
Mann, wurde am 2. April 1908 wegen einer Skrotalfistel nach Epididymitis
gonorrhoic i operiert. Lumbalanästhesie mittelst Injektion von 0,0625 Tropo¬
kokain ohne Adrenalin zwischen erstem und zweitem Lendenwirbel. Operation
in Steinschnittlage bei horizontaler Rumpf- und leicht erhöhter Kopfhaltung.
Am achten Tage nach der Operation Doppeltsehen, links starke, rechts
schwächere Abducensparese. Die Störungen waren nach sechs Wochen unter
Galvanisation und hydrotherapeutischer Behandlung verschwunden. Gold¬
schwend t hat diese nach Tropokokain ohne Adrenalin bisher fünfmal beobach¬
tete Komplikation in der Weise zu deuten versucht, daß „erst nach Stunden
und Tagen eine Verdünnung des Anästhetikums mit dem Liquor des Hals¬
markes und Gehirns eingetreten sei, daher die Nachwirkungen (Fieber, Kopf¬
schmerz, Erbrechen, Abducensiähmung)“; er glaubt also an eine direkte,
späte Kontaktwirkung. Gontermann nimmt auf Grund verschiedener Er¬
wägungen an, daß die schweren Zufälle (Atmungslähmung) kurz nach der
1080
Referate und Besprechungen.
Injektion durch direkte Kontaktwirkung’ des Giftes auf den Nervenkern be¬
dingt, die späteren motorischen Störungen durch Resorption des Giftes hervor¬
gerufen seien, ähnlich der Nephritis nach Lumbalpunktion und z. B. den
postdiphtheritischen Lähmungen. Carl Grünbaum (Berlin).
Behandlung der Ischialgie mit Lange’scher Kochsalzinjektion.
(Julius Flesch. Med. Klinik, Nr. 1, 1909.)
Aus einer kleinen Reihe von Beobachtungen (8 Fällen) geht hervor,
daß einige Fälle von Ischialgie prompt auf Lange’sche Injektion reagierten,
während andere sich refrektär verhielten und zwar solche, bei denen es sich
nicht um eine reine Neuritis ischiadica handelte, sondern wo dieses Leiden
durch bestehende andere Affektionen (Periostitis, Myositis usw.) vorgetäuscht
wurde. Da nun weder die typischen Druckpunkte noch das Lasegue’sche
Phänomen allein, noch die subjektiven Beschwerden mit Sicherheit auf
das Bestehen einer Neuritis ischiadica schließen lassen, so glaubt Flesch
im Erloschensein des Achillessehnenreflexes der erkrankten Seite ein zu¬
verlässiges Zeichen gefunden zu haben, welches auf eine echte Ischias un¬
zweideutig hinweist und gleichzeitig die Indikation für die Lange’sche
Injektion abgibt. — Der Patellarreflex des kranken Beines muß erhalten sein.
R. Stüve (Osnabrück).
Beitrag zur Kasuistik und Ätiologie der Jackson’schen Epilepsie.
(Wilhelm Vollmar. Wiener klin. Rundschau, Nr. 44 — 46, 1908.)
Verf. führt zunächst aus der Literatur fünf Fälle an, in denen eine
Jaek'son’sche Epilepsie durch ein Trauma hervorgerufen war. Daran
anschließend wird die Krankengeschichte eines 27 jährigen Patienten mit¬
geteilt, der im Alter von neun Jahren vom dritten Stock heruntergestürzt
ünd mit dem Kopfe gegen das Treppengeländer geschleudert war. Durch
eine Wunde im Schädel war Gehirnmasse in der Größe einer Haselnuß heraus¬
gedrungen. Die Wunde heilte glatt, später wurde dann noch eine osteo¬
plastische Trepanation vorgenommen, um das frieliegende Gehirn zu decken.
Ein Jahr nach dieser Operation traten zuerst Anfälle von Jacks on’scher
Epilepsie auf, die mit jahrelangen Unterbrechungen andauerten bis der
letzte den Tod des Patienten herbeiführte. Die Sektion ergab eine Er¬
weichungszyste im rechten Stirn- und Scheitelhirn. — Es folgen
dann vier weitere Fälle aus der Literatur, in denen Hirntumoren und
zwei, in denen eine tertiäre Lues die Jackson’sche Epilepsie bedingten.
Steyerthal-Kleinen.
Kalziumhypophosphit bei Epilepsie.
(F. Cicarelli. II Policlinico, fase. 5/6, 1909.)
Bei 29 Epileptikern hat Cicayelli, Assistent am Provinzialirrenhaus
in Aquila, sehr erfreuliche Erfolge von großen Dosen von Kalzium hypo-
phosphorosum gesehen. 2 bis 3 g pro die verminderten die Anfälle ebenso
wie Brom, übten auf die Psyche einen guten Einfluß aus und zeigten keinerlei
N ebenerscheinungen.
Am besten sei es, 14 Tage lang die Kalktherapie anzuwenden und
dann 8 Tage Brom zu geben.
Diejenigen, die etwa in Deutschland geneigt sein sollten* die Sache
nachzumachen, seien darauf aufmerksam gemacht, daß nach anderweitigen
Mitteilungen Kalziumhypophosphit bald fatale Erscheinungen seitens des
Verdauungsapparates hervorruft; Vorsicht scheint da mithin angezeigt.
Buttersack (Berlin).
Referate und Besprechungen.
1081
Einfluß der Übungstherapie auf die Leitungsgeschwindigkeit bei
Tabes dorsalis.
(D. de Vries Reilingh. Zeitschr. für klin. Medizin, Bd. 66, S. 423, 1908.)
Der Verf. stellte seine Untersuchungen hei einem 27 Jahre alten, 8 Jahre
zuvor infizierten, nie behandelten verheirateten Zimmermann an, der seit
4 Wochen nicht mehr gehen konnte. Zunächst ermittelte er die Verzögerung
der Leitung für die verschiedenen Gefühlsqualitäten ; die Reaktionsbewegung
hatte der Kranke mit der rechten Hand auszuführen, da die motorischen
Bahnen der Hände, verglichen mit dem Gesunden, keinerlei Störungen in der
Leistungsfähigkeit aufwiesen. Gereizt wurden rechte Fußsohle oder rechter
Fuß. Durch geeignete systematische Übungen wurde in der Zeit von De¬
zember 1907 bis April 1908 erzielt — Werte = Vioo Sekunde (genaueres S. 431):
normal Patient
Dez. April
Tastsinn, Reaktionszeit 28,8 188 98
„ Reflexzeit 16,3 ? 150
Schmerzgefühl, wenig Änderung
Drucksinn, Reaktionszeit 17,8 183,7 77,7
Bewegungssinn, Reaktionszeit 18,4 85,3 21,0
Auch verringerte sich allmählich die Zahl der Nachempfindungen und
besserte sich das Gefühl für Lage und Bewegung der Beine. Verf. verlegt
die hier in Betracht kommende Störung in das periphere zentripetale Neuron,
und zwar ist der Reflexbogen als affiziert anzusehen, da die Reflexzeit
viel mehr verzögert ist als die Reaktionszeit, bei normaler zentrifugaler
Leitung der Beine (auf Grund der gemessenen Reaktionszeit Hand : Bein,
die hinter der „normalen“ keineswegs zurückstand). Für die verschiedenen
Empfindungsqualitäten sind auch verschiedene zentripetale Bahnen anzu¬
nehmen. H. Vierodt (Tübingen).
Über Fazialislähmung nach Zahnextraktion.
(Edwards Williams. Wiener klin. Rundschau, Nr. 31, 1908.)
Drei Fälle von Fazialislähmung nach Zahnextraktion. Der erste Fall
entstand fast unmittelbar nach dem Eingriffe, der zweite Fall zwei und
der dritte sechs Tage später. Steyerthal-Kleinen.
Zur Kenntnis der akuten multiplen Sklerose.
(Herbert Koch. Wiener klin. Rundschau, Nr. 34 u. 35, 1908.)
Krankengeschichte eines 30jährigen Patienten, der 4 drei Wochen vor
seiner Aufnahme zuerst verschiedene nervqse Störungen bemerkt hatte
(Schwächegefühl in einem Beine, Anästhesien und Parästhesien in wechselnder
Anordnung an beiden unteren Extremitäten und dergl.). Das voll entwickelte
Krankheitsbild entsprach der Myelitis disseminata bezw. der Encephal¬
itis multiplex. Nach ca. vierwöchiger Beobachtung erfolgte der Exitus
letalis unter rasch zunehmenden Lähmungserscheinungen. Sektion: typische
sklerotische Herde im Brust- und Halsmarke, sowie in der Medulla
oblong ata. — Auffällig ist der relativ akute Beginn ohne prämonitorische
Zeichen und der schnelle Fortschritt ad exitum. Gewöhnlich setzen wir
bei der multiplen Sklerose einen eminent chronischen Prozeß voraus, die
akuten Fälle dieses Leidens verdienen deshalb eine besondere Erwähnung.
Steyerthal-Kleinen.
Die physikalische Therapie der Chorea.
(Theodor Frankel. Zeitschr. für phys. und diät. Ther., Nr. 12.)
Die systematische Übungstherapie, wie sie von Fränkel, bei Tabes
eingeführt wurde, ist auch bei Chorea in modifizierter Form anzuwenden.
Fortgesetzte Übung der ergriffenen Muskelpartien; dabei legt Verf. mehr
1082
Bücherschau.
Wert auf die gewissenhafte Wiederholung der Übungen als auf deren Inten¬
sität. Auch Massage sei ein wertvoller Heilfaktor, der in früheren Jahren
nicht nur nicht gewürdigt, sondern sogar perhorresziert worden sei. Die
Hydrotherapie leiste stets Wertvolles, was man von der Elektrotherapie
keineswegs behaupten könne. E. kommt zu folgenden 4 Leitsätzen
1. Sowohl die leichten als schweren Choreafälle werden am besten durch
maschinelle Heilgymnastik und Masisage günstig beeinflußt.
»2. Die von Both angegebene Übungstherapie hat sich gut bewährt.
3. Die Hydrotherapie in Eorm von Abreibungen und Hälbbädern wirkt
wesentlich unterstützend bei der Behandlung dieser Krankheit.
4. Von der Elektrotherapie kann ganz abgesehen werden.
Beiss (München).
Bücherschau.
Die Pathologie und Therapie der Leukämie. Von Wilhelm Ebstein.
Stuttgart, Verlag von Ferdinand Enke, 1909. 137 S. 4 Mk.
Die Leukämie ist trotz oder vielleicht wegen reicher, immer mehr anschwellen¬
der Kasuistik auch heute noch ein schwieriges und in manchen Stücken unauf-
gehelltes Gebiet der Pathologie und Klinik, in das die Schaffung stets neuer, dem
persönlichen Empfinden ängepaßter „Formen“ nur scheinbar Klärung zu bringen
vermag. Um so willkommener wird den Fachgenossen eine Schrift aus sachkundiger
Feder sein, die, ohne die Leukämie bloß vom „hämatologischen“ Standpunkt aus
zu beurteilen, ein klinisches Bild der wechselvollen Krankheit in ihren verschieden¬
artigen, zuweilen schwer erkennbaren Äußerungen entwirft und das praktisch
Wichtige in zwei Hauptabschnitten, akute und chronische Leukämie, unter kritischer
Sichtung des Materials abhandelt. In der schwierigen Frage nach „der Natur und
dem Wesen“ der Leukämie neigt E. der Annahme eines infizierenden Giftes,
vielleicht eines mikroparasitären Krankheitserregers, zu, ja manches spricht, zumal
bei den sogenannten sekundären Leukämien, für das Vorhandensein verschiedener
Krankheitserreger. Den Beschluß des lehrreichen und nützlichen Buches bildet
die Behandlung der Leukämie, wobei besonders die bekanntlich mit sehr wechseln¬
dem Erfolg angewandte Böntgenbehandlung eingehender besprochen wird.
H. Vierordt (Tübingen).
Frühsymptome bei Geisteskranken. Von Dr. W. Fuchs. Verlag von
Max Gelsdorf, Eberswalde, 1908. 37. S.
Das anregend geschriebene Büchlein stellt vor allem die Frage der individuellen
Anlage und der individuellen Färbung des Krankheitsbildes in den Vordergrund
der Betrachtung. Die Schrift nennt sich „Beitrag zur Persönlichkeitsforschung“
und tut dies unseres Erachtens mit Becht. Von den Kapiteln „Geisteskrankheit
und Vererbung“, „Degeneration“, „Antisozialität“, sei hier besonders auf das zweite
hingewiesen: Der Verf. versucht hier an einem Analysebogen, der „Erlebnis“ und
„Leistung“ gewisser beliebiger Bewußtseinsvorgänge kurz kennzeichnet, klar zu
machen, daß später Geisteskranke schon nach dem ziemlich einfachen Schema im
Laufe ihrer noch „normalen“ Zeit, also vor der eigentlichen Erkrankung deutlich
als pathologisch erkennbare Beaktionen geben. Die Betrachtungsweise ist (trotzdem
es praktisch sich nicht um allgemein durchführbare Dinge handelt) von wissen¬
schaftlichem Wert und ohne Frage originell. Am meisten verdient das Bestreben
Anerkennung Krankheitssymptome zu studieren und zu analysieren und hieraus erst
zu einem Verständnis der Krankheitsbilder zu gelangen. Besonders hat der Verf.
die soziale Seite der Psychose eingehend studiert. H. Vogt.
Taschenbuch für Chirurgen und Orthopäden. Von L. Jankau. 3. Aus¬
gabe. Verlag Max Gelsdorf, Eberswalde bei Berlin. 4 Mk.
Das Kompendium enthält auf ca. 400 Seiten eine Fülle von Wissenswertem
zunächst aus dem Gesamtgebiet der Medizin in einem allgemeinen Teile, und dann
in einem speziellen Teile Fragen, die speziell für den Chirurgen von Wichtigkeit
sind. Aus dem allgemeinen Teile seien hervorgehoben physikalische Notizen über
die Luft, Elektrizität, über den Schall, Verbrauch des Menschen, Kalorien usw.,
Bücherschau.
1083
ferner Notizen über die Lymphe, das Blut und den Nährwert der Nahrungsmittel.
Ferner enthält der allgemeine Teil Notizen aus der Arzneiverordnungslehre, einen
Auszug aus der Arzneitaxe, über ökonomische Verordnungsweise, die Maximaldosen
der Arzneimittel, die wichtigsten subkutan zu verwendenden Mittel, Notizen über
akute Vergiftungen, die Inkubationsdauer der Infektionskrankheiten, medizinische
Bäder, Desinfektionsmittel, erste Hilfe bei Unglücksfällen, Harnuntersuchungs¬
methoden und die wichtigsten Bäder Deutschlands, Österreichs und der Nachbar¬
länder. Der spezielle Teil bringt Notizen über das Auftreten der einzelnen Knochen¬
kerne, was besonders röntgenologisch von Wichtigkeit ist; ferner die wichtigsten
Sachen über die Organe der Schädelhöhle, der Brust- und Bauchhöhle, des Beckens,
der Wirbelsäule und über die Funktionen der Gelenke. Daran schließt sich eine
kurze Besprechung über die Magensaft-Untersuchungsmethoden (Salzsäure, Milch¬
säure, Pepsin, Probemahlzeiten usw.), die Untersuchungen des Darminhaltes, die
Narkosen und Lokalanästhesie.
Ferner finden sich in einem klinischen Teile Notizen über Frakturen und
Luxationen, über die Differentialdiagnostik der Abdominalerkrankungen (Perityphlitis,
Cholelithiasis, Magenkarzinom, Nierenerkrankungen usw.), der Lokalisation von
Hirnaffektionen. Schließlich sind noch bakteriologische und statistische Notizen
zu finden, sowie Bemerkungen über die Unfallpraxis und den Schluß bilden Angaben
aus der Gesetzeskunde (Gebührenordnungen usw.) und über Krüppelanstalten.
Das Büchel enthält demnach eine Fülle des Wissenswertesten und dürfte als
kurzes Nachschlagebücliel dringend zu empfehlen sein. Härting (Leipzig).
Taschenbuch der Untersuchungsmethoden und Therapie für Dermatologen
und Urologen. Von Albrecht Freiherr von Notthaft. Leipzig,
Max Gelsdorf, 1908. Fünfte Auflage. 280 S. 4 Mk.
Die fünfte Auflage des bekannten Taschenbuches für Dermatologen und
Urologen ist in erweitertem Umfange und mit Umarbeitung der wissenschaftlichen
Teile erschienen. In neun Abschnitten: „1. Von der Ausnützung der eingenommenen
Nahrung durch den Stoffwechsel; 2. Nahrungsmittel; 3. Anatomische und physio¬
logische Daten aus dem Gebiete der Haut und der Harnwege; 4. Untersuchungs¬
methoden für Harnwege und Haut; 5. Aus der allgemeinen Arzneiverordnungslehre;
6. Pharmocopoea oeconomica; 7. Dermatologisch-urologische Apotheke; 8. Behand¬
lung der einzelnen Krankheiten der Haut, Harnwege und Geschlechtsorgane;
9. Elektrotherapeutische Notizen“ hat Verfasser auf kleinem Raume alles für den
Spezialisten Wissenswerte in klarer und übersichtlicher Form zusammengestellt.
Wenn auch das Büchlein das Studium eines großen Lehrbuches nicht ersetzt, so
kann es doch als handliches Nachschlagebuch für die Sprechstunde warm
empfohlen werden.
Das dem Taschenbuche in einem besonderen Anhänge angefügte Spezialisten-
Verzeichnis kann jedoch auf Vollständigkeit auch nicht annähernd Anspruch
erheben. Carl Grünbaum (Berlin).
Taschenbuch für Nervenärzte und Psychiater. Von L. Jankau. 3. Aus¬
gabe. Verlag von Max Gelsdorf, Eberswalde. 315 S. 4 Mk.
Die J ankau’schen Taschenbücher haben sich einen festen Kreis von Freunden
mit Recht erobert. Wenn man eines derselben durchsieht, so muß man immer
wieder den Fleiß und die Belesenheit des Herausgebers bewundern, der die gleiche
Sorgfalt den verschiedenen von ihm bearbeiteten Gebieten widmet.
Natürlich kann nicht alles in gleicher Ausführlichkeit behandelt werden,
aber das ist ja auch nicht der Zweck der Taschenbücher; eine gute und zuverlässige
Orientierung ist auf jeden Fall auch durch dies Buch gewährleistet, oft sogar mehr,
wie z. B. im klinischen Teil. R.
Erholungs- und Kurorte. Nach ihren Höhelagen zusammengestellt von
Lasirifa. Berlin, Verlag von August Hirschwald. 60 Pfg.
Gerade noch rechtzeitig zur Reisesaison hatte sich das sehr dankenswerte
Büchlein von Lasirifa eingestellt, welches uns nach Höhenlagen geordnet einen
zuverlässigen Überblick über die verschiedensten Kur- und Badeorte gibt. Bei
Durchsicht des Heftes hat Ref. zu seinem Erstaunen feststellen müssen, daß er
über die Höhenlage mancher Kurorte sehr falsche Begriffe hatte. Er wird in Zukunft
im Zweifelsfalle sich bei Lasirifa zuvor genau orientieren, um sich nicht eventuell
von dem Patienten durch bessere Ortskenntnis beschämen lassen zu müssen. R.
1084
Bücherschau.
Berichtigung.
In Nr. 23 dieser Zeitschrift hat Herr Eschle gegenüber meiner Be¬
hauptung von dem Rosenbach’schen Plagiat eine Richtigstellung versucht.
Indem ich es ablehne, seinem schlechten Beispiel zu folgen und auch meiner¬
seits persönlich zu werden, begnüge ich mich damit, im folgenden die An¬
gaben des Herrn Eschle rein sachlich zu widerlegen und den exakten
Nachweis für meine Behauptung zu erbringen, sofern das nicht schon in
meinem, der Kritik des Herrn Eschle zum Opfer gefallenen Buch über die
chronischen Krankheiten geschehen ist.
1. Es ist unwahr, daß die Grundzüge der Lehre vom Kreislauf, resp.
Nervenkreislauf schon in den ersten Publikationen Rosenbach’s (seit dem
Jahre 1873) deutlich zutage getreten seien.
Wahr ist vielmehr, daß Rosenbach vor dem Jahre 1893, also vor
Erscheinen von Kreidmann’s Nervenkreislauf, in keiner seiner Publika¬
tionen weder einen Nervenkreislauf ahnt, noch kennt, noch nennt, wie ich
weiter unten nachweisen werde.
2. Es ist unwahr, daß diese angeblichen Grundzüge der Lehre vom Nerven¬
kreislauf in Rosenbach’s Arbeit „Bemerkungen zur Mechanik des Nerven¬
systems (die oxygene tonische Energie)“, 1892, Deutsche Medizinische Wochen¬
schrift Nr. 43—45, immer ausgesprochenere Gestalt annehmen und in ganz
markanter Form erscheinen.
Wahr ist vielmehr, daß auch diese Arbeit weder einen Nervenkreislauf
kennt noch von einem Nervenkreislauf spricht. Ihr Verfasser spricht viel-'
mehr nur ganz allgemein vom Nervenstrom, wie vor ihm und nach ihm
jeder Physiologe. Die ihm eigentümliche Auffassung des Nervenstromeö
besteht aber darin, daß er einen ständigen Zufluß und Abfluß kinetischer
Energie von der Außenwelt in den Körper und umgekehrt annimmt. Wenn
also Rosenbach in dieser Arbeit von einem kreisenden Nervens trom
spricht, so ist das genau so und, nicht anders zu verstehen, als wenn der
physiologische Chemiker von einem Kreislauf der Elemente vom Erd¬
boden in die Pflanzen- und Tierwelt und wieder rückläufig in den Erd¬
boden zu sprechen pflegt. Neben diese Lehre vom Kreislauf der Elemente
Stellt also Rosenbach die Lehre vom Kreislauf der Energie durch die
belebte und unbelebte Natur. Einen Nervenkreislauf aber, d. h. einen Kreis¬
lauf irgendwelcher Art, der sich lediglich in den anatomisch festgelegten
Nervenbahnen unseres Körpers abspielt, kennt Rosenbach im Jahre 1892
noch nicht; von einem Nervenkreislauf hat er im Jahre 1892 noch keine
Ahnung, und zwar einfach deshalb nicht, weil er noch nichts davon gehört hat.
8. Es ist unwahr, daß Rosenbaeh’s Arbeit vom Jahre 189 6 „Be¬
merkungen zur Dynamik des Nervensystems; der Nervenkreislauf und die
tonische Energie“ (Heft 101 der Berliner Klinik) nur eine etwas erweiterte
Überarbeitung der Arbeit vom Jahre 1892 (Deutsch. Med. Wochenschrift
Nr. 43 — 45) darstellt.
Wahr ist vielmehr, daß innerhalb dieser vier Jahre — in welche be¬
kanntlich das Erscheinen des Kreidmann’schen Nervenkreislauf es fällt,
der 1893 zu Rosenbach’s Kenntnis kam — Rosenbach’s Anschauungen
vom Nervensystem sich völlig gewandelt haben, und daß diese Wandlung
aufs deutlichste sowohl im Titel als auch im Inhalt der kleinen Broschürje
zum Ausdruck gekommen ist.
Denn jetzt zum erstenmal spricht er das Wort „Nervenkreislauf“ aus,
ja, er setzt es sogar auf!, den Untertitel der Arbeit. Jetzt zum erstenmal
unterschlägt er aber auch die ihm wohlbekannte Tatsache, daß ein anderer
bereits vor ihm die Existenz eines Nervenkreislauf es gelehrt hat. Er er¬
weckt also absichtlich den Anschein, als sei er der Entdecker des Nerven-
kreislaufes, sagt er doch auf Seite 23, er habe an anderer Stelle, nämlich
in den Krankheiten des Herzens, Wien und Leipzig 1893/97, ausgeführt,
daß eine Reihe von Gründen zur Annahme eines Nervenkreislauf es zwinge!
Liest man nun aber in diesem Werk unter „Nervenkreislauf“ nach, so findet
man, daß er dort, Seite 830 ff., wohl von einem Nervenkreislauf fabelt,
ohne aber auch nur einen einzigen Grund für die Annahme eines solchen
beizubringen. Die „Reihe von Gründen“ hat er also einfach — geträumt,
und zwar nicht vor dem Jahre 1896, denn auch dieser Teil der Rosen¬
bach’schen Monographie über die Herzkrankheiten ist, wie ich unter 4.
nachweisen werde, frühestens im Jahre 1896 entstanden.
Aber nicht genug damit! Rosenbach gibt dem IV. Abschnitt der
Broschüre von 1896 die Überschrift „Der Kreislauf der Energie im Nerven-
Bücherschau.
1085
System (Nervenkreislauf)“.. Während er also bis zum Jahre 1892 lediglich
einen Kreislauf der kinetischen Energie von der Außenwelt in den Körper
Und wieder zurück annahm, läßt er jetzt im Jahre 189 6 seinen „neuent¬
deckten“ Nervenkreislauf sich im Nervensystem abspielen und erklärt,
Seite 23, daß „für dessen Zirkulation eine Nervensystole unid
-Diastole ebenso notwendig sei, wie die der Gefäße für den Blut¬
kreislauf, wenn auch die Volumensänderungen an den Nlerven
nicht so deutlich zutage träten wie bei jenen“. Hiermit aber hat
sich Rosenbach selbst verraten, denn für einen Kreisprozeß kine¬
tischer Energie wird niemand, am allerletzten ein im physikalischen
Denken wohlgeschulter Kopf wie Rosenbach, so töricht sein, Volu'm-
schwankungen der Lei tungsbahüen anzunehmen! Im Anschluß an
die Hypothese von der Nervensystole und -Diastole sagt er dann, Seite 24,
Zeile 4 von oben, wörtlich: „das System der zentripetalen (induktiven)
Nerven entspricht somit dem der Venen, das der motorischen
(eduktiven) dem Ar teriensy s tarn . . ein Vergleich, der fast wörtlich
aus Kreidmann’s Nervenkreislauf abgeschrieben sein könnte, da ihn Kreid¬
mann, indem er die Analogien beider Kreisläufe — des Blutkreislaufs und
des Nervenkreislauf s — der Reihe nach auf zählt, bis aufs kleinste durch¬
führt. Bedenkt man nun noch, daß Rosenbaeh’s Nervensystole und -diastole
nur ein etwas modifizierter Ausdruck für Kreidmann’s Lehre, das Herz
sei der Motor des Nervenkreislaufs, ist, so dürfte es außer allem Zweifel
stehen, aus welcher verschwiegenen Quelle Rosenbach’s Weisheit vom Jahre
18 96 geflossen ist. Aus der Vermengung des früheren Kreislaufs der Energie
zwischen Außenwelt und Körper mit dem neuen Kreislauf der Energie im
Nervensystem entsteht nun ein ganz seltsames Gebilde: den gewöhnlichen
Energiestrom läßt Rosenbach durch alle Gewebe, aus der Außenwelt und
zurück in sie fluten, und „nur dort, wo es sich um allerfeinste Vorgänge
der isolierten Eortleitung der Energie handelt, findet wahrscheinlich die
Eortpflanzung allein in longitudinaler Richtung, in geschlossene;]!
Bahnen, in isolierten Nervenröhren statt . . .“ Wohl gemerkt, unter
periodischer, systolischer und diastolischer Volumschwankung, „die sich in
den pulsatorischen Schwankungen des Gehirns auch äußerlich
kundgibt“ (Krankheiten des Herzens, Seite 854, Anm.), und je nach der
motorischen oder sensiblen Natur der Nervenröhre in zentrifugaler oder
zentripetaler Richtung. Das sind zweifellos wesentliche Attribute eines
Nervenkreislaufes, und doch verdient die ganze unklare und verworrene
Idee diese Bezeichnung nicht, da ihr das wesentlichste Attribut des Nerven¬
kreislaufes, der kontinuierliche Übergang von der motorischen Sphäre in die
sensible, fehlt; denn — und das ist das Köstliche, schier Unbegreifliche —
Rosenbach träumt von einem Nervenkreislauf, während er noch an Nerven¬
endigungen glaubt! (vgl. Heft 101, Seite 21, Zeile 18 von oben, wo er von
den Endapparaten des Nervensystems spricht). Da war jener andere Autor,
der vor einigen Jahren unter nachweisbarer Zuhilfenahme der Kreidmann-
schen und Rosenbach’schen Schriften, aber ohne beide ihm sehr wohl be¬
kannte Vorgänger zu nennen, ebenfalls einen Nervenkreislauf „entdeckte“
(weshalb ich seinen Namen verschweige, habe ich in meinem Buch angegeben),
doch erheblich konsequenter in seinem Denken, indem er den hypothetischen
Zusammenhang zwischen sensibel und motorisch als denknotwendiges Postu¬
lat bezeichnete und seinen exakten Nachweis voraussagte — er wußte nämlich
nicht, daß jener Nachweis schon im Jahre 1888 von dem ungarischen Ana¬
tomen Apathy erbracht worden war.
4. Es ist unwahr, daß die Abfassung des für den Nervenkreislauf in
Betracht kommenden Kapitels der Monographie der Herzkrankheiten im
Jahre 1892, resp. vor Erscheinen des Kreidmann’schen Buches (1893)
stattgefunden habe.
Wahr ist vielmehr, daß dieses Kapitel nicht vor 1896 geschrieben
worden ist.
Dies geht unzweideutig aus der schon in meinem Buch zitierten An¬
merkung auf Seite 854 des Rosenbach’schen Werkes (Krankheiten des
Herzens) hervor, in der sich Rosenbach zunächst darüber beklagt, daß
der Nervenkreislaufsentdeckung bisher nicht die genügende Anerkennung
zuteil geworden sei, um dann zum Schluß aüf seine angeblichen bisherigen
Erörterungen dieses Themas zu verweisen, nämlich erstens auf die Arbeit
in Nr. 43 — 45 der Deutschen Medizinischen Wochenschrift von 1892, und
zweitens auf sein 1896 erschienenes Buch „Die Seekrankheit als Typus
1086
Bücherschau.
der Eine tosen“. Auch Herr Eschle wird wohl oder übel zugeben
müssen, daß ein Kapitel, in welchem auf ein 1896 erschienenes.
Buch verwiesen wird, nicht gut im Jahre 1892 geschrieben sein
kann. Ich habe nun bereits oben konstatiert, daß die von Rosenbach
behauptete ,, Reihe von Gründen“, die zur Annahme eines N ervenkr eislaufes
zwingen, an der von ihm angegebenen Stelle, in der Monographie über
Herzkrankheiten, nicht zu finden sind. Auch habe ich den Nachweis
geführt, daß die Arbeit von 1892 (Deutsch. Med. Wochensehr. Nr. 43 — 45)
nicht die Spur von der Idee eines Nervenkreislaufes enthält. Eine Durch¬
sicht des Buches über die Seekrankheit ergibt nun dasselbe verblüffende
Resultat: auch in ihm wird zwar viel geredet vom Kreislauf der Energie
im Sinne von 1892, ja Rosenbach versteigt sich hier zu der mystischen
Behauptung, diese Kreisprozesse der Energie seien ,, eigentlich“ Spiralen(!)
— aber von der Idee und dem Namen eines Nervenkreislaufes kein Sterbens¬
wörtchen. Somit hat Rosenbach mit dieser Anmerkung von 1896
seine Leser bewußt ir;re geführt, hat bei ihnen zwei resp. drei
Jahre nach Erscheinen des Kreidmann’schen Nervenkreislaufes
die Meinung zu erwecken versucht — und wie das Beispiel des Herrn
Eschle lehrt, erfolgreich versucht — er habe bereits ein Jahr vor Kreid¬
mann den Nervenkreislauf entdeckt.
Daher ist und bleibt es eine ebenso unbestreitbare wie bedauerliche Tatsache,
daß Professor Ottomar Rosenbach am Begriff und Namen des Kreidmann’schen
Nervenkreislaufes ein Plagiat begangen hat!
Es wür — leider — nötig, dies öffentlich festzustellen, da in den
Nekrologen auf Rosenbach (z. B. diese Zeitschrift, 17, 1907, Seite 511)
die Behauptung auf tauchte, zu seinen vielen Verdiensten um die Wissen¬
schaft gehöre auch — die Entdeckung des Nervenkreislaufs. Man wird
fortan gut tun, diese Behauptung zu unterlassen. Meinetwegen mag man
sie dahin abändern, daß dem Professor O. Rosenbach wenigstens die Er¬
findung des spiraligen Kreisprozesses der Energie zukommt. Hier¬
über mit ihm zu rechten, ist nicht unserer, der Lebenden Aufgabe, denn die
Priorität dieser schönsten Erfindung wird er mit dem Vater aller Mystiker,
dem alten Swedenborg, im . Geisterreich auszumachen haben.
Weimar, den 29. August 1909. Dr. Boesser.
Erwiderung auf vorstehende „Berichtigung“.
Falsche Behauptungen werden bekanntlich durch Wiederholung, und
geschähe diese noch so oft und eindringlich, nicht wahrer.
Die Herren Kreidmann und Boesser beklagen sich naeh allem
darüber, daß Rosenbach einen Nervenkreislauf beschrieben habe, der aber
nicht der von ihnen entdeckte bzw. approbierte Nervenkreislauf sei und
charakterisieren ein solches Unterfangen als Plagiat.
Ich sage „die Herren Kreidmann und Boesser“, denn Herr Kreid¬
mann ist, wie aus einem nach Erscheinen meines Referats bei mir ein¬
gegangenen Privatbriefe von dieser Seite, sowohl dem Inhalte wie der Fassung
nach, hervorgeht, der Spiritus rector des illustren Unternehmens: er will
nächstens selbst auf dem Plane erscheinen. Man könnte es ordentlich mit
der Angst bekommen, wenn man von solcher Energie hört und weiß, daß
man es mit einem Manne zu tun bekommt, der offenbar durch einen vor¬
züglichen Training für jede Art des Kampfes wohl vorbereitet sein muß,
sei es nun, daß er die praeter propter 14 Jahre, seit ihm das vermeintliche
Unrecht geschah, sich in der so schweren Kunst des absoluten Schweigen^
übte — sei es, daß er ebenso lange Zeit in freiwilliger Entsagung sich jeder
Lektüre von fachwissenschaftlichen Zeitschriften enthielt, in denen er der
Rosenbach’schen Lehre vom Nervenkreislauf sicher begegnet wäre.
Die ganze Anklage läuft also darauf hinaus, Rosenbach hätte sich
Kreidmann’s Ideen hinterlistig anzueignen versucht, sie aber nicht in ihrer
ganzen Tiefe zu erfassen vermocht. Man sieht, daß es noch immer bescheidene
Leute gibt !
Boesser gibt in der vorstehenden „Berichtigung“ nun wohl zu, daß
Rosenbach mit dem von ihm geschilderten unausgesetzten Kursieren der
Nervenströme im Organismus, die ihn bald in zentripetaler, bald im zentri¬
fugaler Richtung durchfluten, „zweifellos die wesentlichen Attribute eines
Nervenkreislaufes“ gegeben habe (so wenig diese „ganz unklare und ver-
Bücherschau.
1087
worrene Idee“ nach dem maßgebenden Urteil des Herrn Boesser diese Be¬
zeichnung verdient, weil angeblich der kontinuierliche Übergang von der
motorischen in die sensible Sphäre fehlt).
Boesser gibt das aber nur für die Auseinandersetzungen in den
„Krankheiten des Herzens“, deren letzter Teil ausgangs 1896 gedruckt wurde,
zu — nicht für die in den früher erschienenen Arbeiten Rosenbach’s,
vor allem nicht für die umfangreichen Ausführungen in den Nummern 43
bis 45 der Deutschen Med. Wochenschrift vom Jahre 1892. Er gibt auch
nicht zu, daß die „Bemerkungen zur Dynamik des Nervensystems, (Die
oxygene Energie)“, die als Heft Nr. 101 der Berliner Klinik (November
1896) herauskamen und die den Gegenstand in noch ausführlicherer W eise als
die große Monographie der Herzkrankheiten behandeln, nur eine etwas andere
Bearbeitung des Artikels in der Deutschen Med. Wochenschr. seien, wie ich
das in meinem Referat behauptet habe.
Um diesen letzten Punkt vorwegzunehmen, so zeigt ein genauer
Vergleich allerdings, daß die Lehre vom „Kreislauf der Energie im
Nervensystem“ in den dazwischen liegenden vier Jahren eine noch größere
Vertiefung und eine weitere Klärung erfahren hat. Aber alle ihre
wesentlichen Züge finden sich in dem erwähnten älteren Aufsatze vom
Jahre 1892: hier gelangen schon die Fundamentalsätze der von Rosen¬
bach inaugurierten energetischen Betrachtungsweise der Lebens Vorgänge (im
Gegensatz zu der zeitweilig in der Medizin allein herrschenden Qualifikation
von rein pathologisch-anatomischen Gesichtspunkten), die durch die „Krank¬
heiten des Herzens“, die „Oxygene Energie“, ferner durch die 1896 heraus1
gegebene „Seekrankheit als Typus der Kinetosen“, sowie durch ca. 200 weitere
Arbeiten Rosen bach’s Eingang in immer weitere Kreise fand, ihren klaren
und prägnanten Ausdruck. Hier, in der Abhandlung vom Jahre 1892, ist nicht
nur von dem Ineinandergreifen und von der Verschlingung der einzelnen, an
gewisse Systeme gebundenen Energieströme, die fortgesetzt den Organismus
durchfluten und in reziproken Phasengängen bald zentripetal, bald zentri¬
fugal umgetrieben werden, im allgemeinen ‘gesprochen, sondern es ist hier
auch speziell ausgeführt, daß und wie sich Ströme der Energie im Nerven¬
systeme bewegen können, daß vor allem (p. 991) die peripheren Nerven
und ihre spezifischen Endapparate nicht Leiter in physikalischem Sinne,
sondern, wie alle Gewebe, aus kleinsten Maschinen zusammengesetzt sind,
denen in diesem Palle die besondere Aufgabe zuerteilt ist, Wärme oder
andere Arten lebendiger Energie aus der Außenwelt aufzunehmen, sie spezifisch
zu transformieren und als Nervcnenergie wieder nach der Peripherie zu leiten.
Hiermit ist schon der fundamentale Gegensatz zu der Annahme eines Kur-
sierens von Flüssigkeit in einem System geschlossener Röhren, mit der
Kreidmann später an die Öffentlichkeit trat, hinlänglich charakterisiert.
Es ist hier aber auch ferner in klaren Werten ausgesprochen, daß neben
diesem Umtrieb der Energiesubstrate von der Oberfläche des Organismus
durch die Nervenbahnen zu den Zentren und wieder zurück, auch eine
Aufspeicherung in den Ganglienzellen (des peripheren und noch mehr des
zentralen Nervensystems) stattfindet, so daß diese an und für sich und in
erhöhtem Maße da, wo sie zur funktionellen Einheit zusammentreten, im
Rückenmark und im Gehirn gewissermaßen Akkumulatoren (und gleichzeitig
Hemmungsapparate nach Art der Rheostaten) darstellen. Dabei ist es dann
scharf betont, daß in- den motorischen Nerven, für die man sonst nur eine
zentripetale Leistungsfähigkeit annimmt, auch recht umfangreiche zentri¬
fugale Impulse — und zwar hemmende und beschleunigende — verlaufen;
Rosenbach zieht an dieser Stelle (p. 1013) zur Erklärung der Lokalisation
von Degenerationserscheinungen im durch trennten Nerven ganz besonders den
Umstand heran, daß die den motorischen Nerven bildenden Transformatoren
zentrifugal geladen werden und degenerieren müssen, sobald der sie speisende,
d. h. ihr labiles Gleichgewicht bewirkende Nervenstrom unterbrochen ist.
Wenn also Herrn Boesser der 'Übergang von der motorischen zur sensiblen
Sphäre durch den nach Rosenbach’s Lehre zu einer größeren funktionellen
Einheit mit dem Nervensystem zusammengeschlossenen Muskel- und Haut¬
apparat nicht genügen sollte, so demonstriert Rosenbach ihm hier noch
einen engeren geschlossenen Zirkel, in dem sich der Umlauf der oxygenen
Energie — allerdings nicht der Hauptsache nach — vollzieht.
Die Parallele, in die der Nervenstrom zur Blutbewegung gesetzt wird,
und die Herr Boesser wegen des vermieintlichen ersten Auftauchens in der
spätem Arbeit vom November 1896 als ein Indizium für einen unlauteren
1088
Bücherschau.
Wettbewerb mit heimlich und erst vor kurzem bezogener Kreidmannscher
Weisheit ansieht, findet sich schon auf Seite 963 der Deutsch. Med. Wochen¬
schrift vom Jahre 1892 erwähnt.
Wenn ich nicht irre, legt Kreidmann nach dem Buche seines Barden
Boesser — ich habe das epochemachende Elaborat, wie ich zu meiner Be¬
schämung gestehen muß, meiner Bibliothek nicht einverleibt und daher auch
nicht zur Hand — den Schwann’schen Scheiden resp. ihren Kernen und den
von Ranvier entdeckten Einschnürungen an den peripheren Nerven auch
eine gewisse Bedeutung bei und ich gebe vielleicht leichtfertigerweise den
Anstoß zur Entwickelung einer neuen Reihe von Beeinträchtigungsideen,
bei den Herren Verbündeten, wenn ich darauf hinweise, daß die Rolle, die
die Kerne und Einschnürungen im Betriebe der Nervenmaschinerie spielen,
auch bei Rosenbach einer Erörterung unterzogen ist: allerdings auch schon
im Bande 1892 der Deutsch. Mediz. Wochenschr. (S. 991), also geraume Zeit,
ehe die Welt von den Entdeckungen des Herrn Kreidmann unterrichtet war.
Herr Boesser wundert sich in seiner ebenso liebenswürdigen wie
bescheidenen Weise, daß ein ,,im physikalischen Denken so geschulter Kopf
wie Rosenbach so töricht sein konnte, bei einem Kreisprozesse kinetischer
Energie Volumsschwankungen in den Leitungsbahnen anzunehmen“; er scheint
sich das auch wieder, wie aus der Bemerkung hervorgeht : „hiermit aber hat
sich Rosenbach selbst verraten“, nur so erklären zu können, daß Rosen-
bach’s Intellekt für das Erfassen der sublimen Kr eidmann’schen Weisheit
nicht ganz gelangt habe, daß er sich aber den Bluff mit der pulsierend in
den Röhren fortbewegten Flüssigkeit doch nicht entgehen lassen wollte. Die
ganze Lehre Rosenbach’s beruht ja gerade auf der Voraussetzung, daß einmal,
wie schon oben betont, die Nerven keineswegs elektrische Leitungen (noch
weniger Leitungsröhren für Flüssigkeit) sind und daß andrerseits Systole
und Diastole in allen kleinsten G ew eb s best an d t ei len wechseln und mit den
entgegengesetzten Schwingungsformen der größeren funktionellen Einheiten
(der Organe) interferieren. Das hat Rosenbach in allen seinen Arbeiten
von der frühesten Zeit bis an ' sein Lebensende immer wieder hervorheben
zu sollen geglaubt — und auch wer ihm nicht unbedingt auf seinen Pfaden
Gefolgschaft leisten konnte, hat diesen auf ein universelles Wissen gegrün¬
deten und von einem skeptischen Kritizismus in den Schranken strengster
Wissenschaftlichkeit gehaltenen Deduktionen mindestens in ernste und inter¬
essierte Erwägung ziehen zu müssen geglaubt. Um ihn als „Mystiker“
in die Gesellschaft von Swedenborg zu tun — dazu fehlte bisher ein
Mann wie Boesser. Und der hält sich merkwürdigerweise für einen Bio¬
logen ! Wer sich mit der Biologie beschäftigt hat, sieht immer mehr ein,
in welcher Mannigfaltigkeit hier die verschiedensten aus chemischen und
physikalischen Vorgängen sich komplizierenden Variablen ineinandergreifen
und die exakte Lösung der biogenetischen Gleichung geradezu unmöglich,
ja überhaupt schon bindende Schlußfolgerungen schwierig machen. Wer
aber auf biologischem Gebiete alles aus einem Punkte erklären will und
sich der Schwierigkeiten bei der Lösung der Lebensprobleme offenbar gar
nicht bewußt wird, sollte sich in diesen Dingen eines schönen Stillschweigens
befleißigen.
Wenn Herr Boesser nun noch nicht alles vom Herzen herunter haben
sollte, so wird die Schriftleitung in ihrer anerkennenswerten Langmut ihm
wohl noch ein paar Seiten zur Verfügung stellen — ich meinerseits ver¬
zichte dankend darauf, diese Liebenswürdigkeit noch weiter in Anspruch
zu nehmen und schließlich die Leser mit Beweisen für Dinge zu ennuyieren,
die für jeden, der auch Rösenbaeh’s ausgezeichnete menschliche Eigen¬
schaften kannte, eigentlich keines Beweises bedürfen! Eschle.
Schlußwort.
Ich müßte, wie Herr Eschle, mich in nebensächliche Kleinigkeiten vertiefen,
und, wie Herr Eschle, die Aufmerksamkeit des Lesers von der unter 4. meiner
Berichtigung festgestellten Hauptsache ablenken, wollte ich noch einmal sachlich
einem Gegner antworten, der die Schwäche seiner Position durch die Art seiner
Kampfesweise zu verdecken sucht. Boesser.
Schriftleitung: Dr. Ri gl er in Leipzig.
Druck von Emil Herrmann senior in Leipzig.
27. Jahrgang.
1909.
fomcbritte der Medizin.
Unter Mitwirkung hervorragender Fachmänner
herausgegeben von
Professor Dr. 6. Köster Priv.-Doz. Dr. o. griegern
in Leipzig. in Leipzig.
Sckriftleitung : Dr. Rigler in Leipzig.
Nr. 29.
Erscheint am 10., 20., 30. jeden Monats. Preis halbjährlich
6 Mart, in kl. Zeitschrift für Versicherungsniedizin 8 Mark.
Verlag von Georg Thieme, Leipzig.
20. Oktober.
Originalarbeiten und Sammelberichte.
Aus der chirurgischen Abteilung der städtischen Krankenanstalten zu Elberfeld.
Ueber Stichverletzungen der Leber.
Von Dr. A. Nehrkorn, Chefarzt.
Im Sommer 1905 kamen innerhalb weniger Wochen drei Stich¬
verletzungen der Leber in meine Behandlung, die frühzeitig der Ope¬
ration unterzogen und geheilt werden konnten. Die Fälle soheinein
mir der Mitteilung wert, nicht nur, weil sie die Kasuistik erzielter
Heilungen durch rechtzeitigen Eingriff vermehren, und in den neueren
Zusammenstellungen die Stichverletzungen auffallend hinter den
Schußverletzungen und subkutanen Rupturen der Leber zurückstehen,
- — - so beobachtete Neumann unter 22 Traumen der Leber nur zwei
Stichverletzungen — sondern namentlich auch, weil sie geradezu Para¬
digmata bilden für die Verletzungsmodi, die beim Eindringen des ste¬
chenden Instrumentes in den Körper statthaben können. Zugleich be¬
stätigen die Fälle, daß mit Heilung der Leberwunde der Krankheits-
verlauf nur zu oft nicht abgeschlossen ist, sondern sich dank kompli¬
zierender Verletzungen anderer Organe und Nachkrankheiten poch recht
in die Länge ziehen und viel Sorge machen kann. Zwei unserer Fälle
sind erst nach etwa drei J ahren in den Zustand der erreichbaren de¬
finitiven Heilung gelangt.
Fall I. Der 53jähr. Schlosser M. Wurde am 8. Mai 1905 nachmittags
in das Krankenhaus eingeliefert, nachdem er vormittags in angetrunkenem
Zustande erst versucht hatte, sich zu erhängen und sich dann sein Taschen¬
messer in den Leib gestoßen hatte. Alle Anzeichen schwerer innerer Blutung.
In den abhängigen Partien des Bauches Dämpfung ; in der Lebergegend
Tympanie. Unterhalb des Schwertfortsatzes eine etwa 21/2 cm lange Stich-
Schnittwunde. Diagnose: Wahrscheinlich Verletzung von Leber oder Magen.
Unter gleichzeitiger Koehsalzinfusion sofortige 'Oper ation : Nach gehöriger
Eröffnung der Bauchhöhle unter Erweiterung der vorhandenen Stichöffnung
entleert sich massenhaft dunkles Blut, das ohne weiteres auf eine Leber¬
verletzung hinweist. An der Unterf lache des rechten Leberlappens findet
sich eine etwa 2 cm lange, 1/2 cm klaffende und auch ebenso tiefe Schnitt¬
wunde, aus der es trotz des sehr anämischen Aussehens der ganzen Leber)
noch lebhaft blutet. Umstechung des Wundspaltes mit zwei Katgutnähten,
Tamponade mit Jodoformgazestreifen, Schluß der Bauchwunde bis auf die
Drainageöffnung. Wundheilung ohne Komplikation. Am 15. Juli Entlassung
des Patienten in gutem Allgemeinzustand. Über das weitere Ergehen des
Verletzten konnte später nichts mehr eruiert werden.
69
1090
A. Nekrkorn,
Fall II. Der 9jähr. Knabe N. verunglückte am 15. Mai 1905, indem
er beim Erklettern eines eisernen Schaufenstergitters ausglitt und sich mit
der rechten Seite auf eine Spitze des Gitters auf spießte. Er ging noch zu
Fuß nach Hause, wurde aber vom Vater alsbald ins Krankenhaus verbracht.
In der vorderen Axillarlinie, 'entsprechend dem IX. Interkostalraum, fand
sich eine 1V2 cm lange Stichwunde, aus der wenig dunkles Blut sickerte.
Mehrfaches Erbrechen. Leib mäßig aufgetrieben, rechts stark gespannt; große
Flüssigkeitsmenge in der Bauchhöhle nachweisbar. Aussehen blaß, Puls sehr
klein. Die Diagnose auf Leberverletzung ließ sich ohne weiteres stellen.
Operation: Querschnitt von der Hautwunde medialwärts und vom medialen
Wundwinkel Längsschnitt im äußeren Drittel des Rektus abwärts. Nach
Feststellung der etwa 2 cüi langen, stark blutenden Wunde an der konvexen
Leberfläche, zunächst Tamponade, dann Aufklappung des Rippenbogens, Her¬
abziehen der Leber und Umstechung der Wunde mit drei tiefen Katgut-
nähten. Einlegen eines Jodoformgazetampons, im übrigen Naht der Bauch¬
wunde in Etagen. Wundheilung glatt. Entlassung am' 20. Juni 1905. An
der Drainagestelle bildete sich eine kleine Hernie, die im Sommer 1908 durch
Anfrischung und Etagennaht geschlossen wurde.
Fall III. Der 23jähr. Schreiner C. wurde am Abend des 29. Juni 1905
in das Krankenhaus auf genommen. Er war, als er um Feierabend von der
Arbeit nach Hause ging, sein Handwerkszeug in der rechten Hand tragend,
ausgerutscht und dabei so unglücklich gefallen, daß sich ihm sein Stecheisen
in die rechte Seite bohrte. Er ging danach zunächst, einen Weg von etwa
10 Minuten zurücklegend, nach Hause und, nach kurzem Aufenthalt daselbst,
nach V4 Stunde bis zum nächsten Arzt. Mit Notverband fuhr er in der
Schwebebahn von der Vorstadt nach Elberfeld, wo er etwa zwei Stunden
nach dem Unfälle im Krankenhause anlangte. Nach Abnahme des stark
durchbluteten Verbandes sah man auf der rechten Brustseite, etwas vor der
mittleren Axillarlinie, in der Höhe des X. Interkostalraumes, eine etwa
IV4 cm lange Stichwunde. Wie tief das verletzende Instrument eingedrungen
und, wie es wieder aus der Wunde herausgekommen war, wußte der Pat.
nicht anzugeben. Das Aussehen war mäßig blaß, der Puls etwas klein
und mäßig beschleunigt. Das Atemgeräusch rechts aufgehoben. Die vor¬
handenen Symptome ließen sich zunächst durch die Eröffnung der Pleura
mit Pneumothorax erklären, und es wurde deshalb noch eine Stunde abgewartet.
Als sich in dieser Zeit der Puls rasch verschlechterte, wurde zur Operation
geschritten: Nach Resektion der X. Rippe und Erweiterung der Pleurawunde
sieht man von oben her hellrotes, von der Mitte her und vom Zwerchfell
dunkles Blut sickern. Der eingeführte Finger tastet einen Zwerchfellschlitz
und darunter einen Spalt in der Leber. Nach Erweiterung der Zwerchfell-
wunde ließ sich der Schnitt in der Leber, aus dem es lebhaft blutete, über¬
sehen und mit zwei Katgutnähten umstechen. Nach Auflegen eines Jodoform¬
gazestreifens wurde die Zwerchfellwunde bis auf die Tamponöffnung ge¬
schlossen und ebenso die Thoraxwundei, nach Einlegen eines Gummidrains
neben dem Gazestreifen durch Nähte verkleinert. Der Wundverlauf war in
bezug auf die Zwerchfell- und Leberverletzung günstig, aber es bildete
sich ein Empyem. Infolge Verklebung der Pleurablätter an der Operations¬
teile hatte der Eiter nach unten keinen Abfluß und es mußte deshalb
in typischer Weise die Empyemoperation mit Resektion der VIII. Rippe ge¬
macht werden. Die Lunge blieb kollabiert, die Empyemhöhle verkleinerte
sich nicht. So mußte schließlich die Thoraeoplastik gemacht werden, um
endgültige Heilung zu erzielen. Wie ich es stets tue, operierte ich nach
Sudeck in zwei Etappen und erzielte durch diese Vorsicht, daß der sehr
heruntergekommene Kranke die Eingriffe gut überstand und schließlich genas.
Wenn auch der Verletzte an seiner Erwerbsfähigkeit natürlich erheblich
eingebüßt hat, so ist er doch wieder imstande, leichte Schreinerarbeiten,
auszuführen, als Kellner auszuhelfen und leichte Beschäftigungen in Feld
und Garten zu verrichten. Er klagt nicht über besondere subjektive Be¬
schwerden und macht einen leidlich gesunden Eindruck.
Ueber Stichverletzungen der Leber.
1091
In der größten Mehrzahl der Fälle von Leberstichwunden, die
in der Literatur beschrieben sind, geschah die Verletzung- durch scharf
schneidende Instrumente, gewöhnlich das Messer oder den Dolch, dib
zumeist in selbstmörderischer Absicht oder von fremder Hand geführt
wurden, selten nur durch Unglücksfall in den Körper eindrangen ;
durch stumpfe oder stumpf spitze Instrumente wurde die Wunde sehr
viel seltener gesetzt, und in diesen Fällen handelte es sich um einen
Unfall. In die erste Gruppe gehört von unseren Fällen nur der erste,
sowohl wegen dieser Ätiologie, als auch wegen seines Verlaufes der
wenigst bemerkenswerte, in -die zweite gehören die beiden anderen
Fälle, die von erheblich größerem Interesse sind. Bei dem zweiten
unserer Fälle war es die Spitze eines eisernen Gitters, die dem Knaben
in die Seite drang, als er beim Klettjem einen Fehltritt tat, in dem]
dritten Falle handelte es sich ebenfalls um einen Unfall, indem dem
Patienten sein Stecheisen, ein zugespitztes Schreinerwerkzeug, in die
rechte Brustseite drang und eine penetrierende Biß-Stichwunde setzte.
Stichverletzungen des Körpers durch eine eisernes Staketspitze sind
an sich nicht so selten, denn namentlich Pfählungsverletzungen dieser
Art beim Fall auf das Gesäß werden häufiger beobachtet, aber der
Vorgang in unserem Falle II, das seitliche Aufspießen des Körpers
mit dem unteren, knorpeligen Thoraxrande, der sicher infolge der Ela¬
stizität leicht ausweicht und den verletzenden Fremdkörper tangential
abgleiten läßt, ist gewiß als sehr ungewöhnlich anzusehen, um so
mehr, als offenbar nicht ein Sturz aus großer Höhe besondere Wucht
beim Anprall bedingte. Ebenso ist die Stecheisenverletzung beim ein¬
fachen Fall auf die Erde seltsam,, denn es gehörte eine ganze Beihe
unglücklicher Bewegungen dazu, daß C. beim Fall die rechte Hand,
die das Werkzeug fest umklammerte, auf den Boden stützte und so
die gefährliche Spitze in der Bichtung gegen den fallenden Körper
fixierte.
Der Wege, die das stechende Instrument nehmen kann, um die
Leber zu treffen, gibt es im wesentlichen zwei, und zwar den ab¬
dominalen und den transpleuralen. Als eine Unterart des einen
wie des anderen Verletzungsmodus kann man es ansehen, Wenn der
stechende Fremdkörper interkostal eindringt, aber eine reine Abdo¬
minalwunde setzt, also die Thoraxwand nur unterhalb des Pleurasinus
passiert. Wie eingangs bemerkt, können unsere drei Fälle geradezu
als Schulbeispiele gelten. Beim Falle I handelte es sich um eine typische
abdominale Verletzung mit Schnitt an der Unterfläche der Leber und
ohne Neben Verletzung anderer Organe der Bauchhöhle, im Falle III
haben wir das Beispiel -eines schweren transpleuralen Stiches mit den
Komplikationen, die von -einer Verwundung der Pleura und Lunge
vermittelst infizierenden Instrumentes gefürchtet werden müssen, im
Falle II endlich liegt die seltene Beobachtung vor, daß der Fremd¬
körper zwischen zwei Bippen hindurch eindringt, aber die Pleura
unverletzt läßt.
Was das Symptomenbild der Leberstichverletzung anlangt, so
wird dasselbe meistens beherrscht von den Erscheinungen des schweren
Blutverlustes. Natürlich richtet sich der Grad der Verblutung nach
der Art und Tiefe der Wunde: Glatte Stich- und Schnittwunden bluten
stärker als die halb gerissenen Wunden, die von stumpf spitzen oder
halbscharfen Instrumenten herrühren, aber auch aus diesen rieselt das
Blut ununterbrochen, bis die Verblutung den Höhepunkt erreicht. Die
69*
1092
A. Nehrkorn, Ueber Stichverletzungen der Leber.
Beschaffenheit des Blutes, das ans der Hautwunde quillt, kann einen
Bingerzeig gehen, wenn die Leberwunde nahe der Oberfläebenwunde
liegt, und alsdann eben die dunkle Farbe des Blutes ohne weiteres
auf die Leber als Ursprung hin weist, wie das im Fall II zu beobachten
war. Rinnt das Blut in das Abdomen oder die unverletzte Pleurahöhle,
so wird das Aussehen des Blutes den Weg zu seiner Quelle erst weisen,
wenn man die entsprechende Körperhöhle übersichtlich eröffnet hat.
So imponierte die Verletzung im Fall I .äußerlich als einfache Bauch¬
deckenschnittwunde, während im Fall III die Blutung aus der Wunde
wohl auf Lungen-, aber nicht auf Leberverletzung hinwies. Das Aus¬
sehen des Blutes wird also nur in einigen seltenen Fällen zur Diagnose
helfen. Wichtig ist natürlich die Richtung des Stichkanales und die
Anamnese in Bezug auf den Hergang der Verletzung, die allerdings1
nicht jedes Mal zu erheben ist. Die Länge des verletzenden Werk¬
zeuges, die Wucht, mit der es sich gegen den Körper richtete, die
Stellung, die der Verletzte beim, Empfang des Stoßes einnahm, lassen
gegebenen Falles wichtige Schlüsse zu. Muskelspannung in der rechten
Oberbauchgegend, Schmerz am Rippenbogen und im Rücken, nach
dem iSchulterblatt ausstrahlend, Behinderung der Atmung sind natürlich
auch wichtige Symptome, aber bei den offenen Verletzungen nicht
von der gleichen Bedeutung, wie bei den subkutanen Leberrupturen.
Erbrechen und Meteorismus alsbald nach dem Trauma, weisen nicht
ohne weiteres auf innere Verletzung hin (Hei necke1). Ikterus ist
selten beobachtet und kann nur als spätere Folge des etwaigen Grallen¬
ausflusses erwartet werden. In unseren Fällen I und III ließen ver¬
schiedene Symptome die Diagnose auf Leberverletzung mit Wahrschein¬
lichkeit stellen, Sicherheit brachte erst das operative Vorgehen, das
die Organe übersehen und die Quelle der Blutung erkennen ließ.
Was die einzuschlagende Therapie anbetrifft, so wird für den
Chirurgen auch dann kein Zweifel bestehen, wenn sich nach allen
Anzeichen nur eine Wahrscheinlichkeitsdiagnose stellen läßt. Man wird
sich schwerlich auf Zuwarten mit Auflegen von Eisbeutel, Applikation
von Gelatine- Kochsalz -Infusion und dergl. beschränken, sondern nicht
zögern, zum Messer zu greifen, um die Körperhöhle, in die der Stich¬
kanal zunächst führt, zu eröffnen und sich Klarheit zu verschaffen,
welche Organe von der Verletzung betroffen sind. Ergibt die Inspektion
und Palpation, daß eine Riß- oder Stichwunde in der Leber vorliegt,
so gilt es, die Blutung zu stillen. Man kann sich dabei auf die Tam¬
ponade beschränken, wie Kehr es empfiehlt, oder die Leber nähen,
sei es mit stumpfen Nadeln und tiefen Stichen, sei es mit feinen
Kapselnähten (Wilms2), Nötzel3), und die Bauchhöhle schließen,
wenn die Wunde klein war und die Blutung vollkommen stand, oder
noch einen J od o f ormg aze s tre i f en auf die Nahtlinie legen, wenn aus
dem Wundspalt noch Blut sickert oder der Verdacht besteht, daß
das Sistieren der Blutung zur Zeit des Eingriffes nur durch den Kol¬
laps bedingt wird. Das letztere Verfahren, die Naht, verbunden mit
Tamponade, habe ich in allen drei Fällen angewandt, glaube aber,
daß die Gefahr der Nachblutung und Peritonitis bei primärem Ver¬
schluß der Bauchdecken nicht bedeutend ist, wenn die Leberwunde
nicht zu groß, die Substanz des Organs nicht zu brüchig und das ver-
ß Archiv für klin. Chirurgie, Bd. 83.
2) Deutsche med. Wochenschr., Nr. 34, 1901.
3) Beiträge zur klin. Chirurgie von Bruns, Bd. 48.
Lipowski, Fortschritte der Medizin in den letzten Dezennien. 1093
letzende Instrument mit Wahrscheinlichkeit nicht, besonders infektiös
war. Plattennähte dürften bei Stich- und Schnittverletzungen im all¬
gemeinen nicht erforderlich sein, und ebensowenig wird man die blutende
Lebersubstanz mit dem Thermokauter oder nach Holländer mit heißer
Luft zu behandeln brauchen.
Die Prognose der Leberstichverletzungen wird jetzt im allge¬
meinen als ziemlich günstig angesehen. Während noch vor etwa zwan¬
zig Jahren die Mortalität auf 50 — 60°/0 geschätzt wurde, beträgt die¬
selbe nach den Statistiken der letzten Jahre kaum mehr als 15 — 20°/0.
Um so günstiger wird im einzelnen Palle, abgesehen von der Größe
der Wunde und dem allgemeinen Kräftezustand des Verletzten, die
Aussicht auf Genesung sein, je rascher chirurgische Hilfe zur Stelle
ist. Um so unsicherer wird der Erfolg der operativen Therapie sein,
je mehr die Verletzung durch gleichzeitige Verwundung änderet Bauch¬
organe, wie Magen, Darm, Pankreas, Milz, Niere, oder Eröffnung der
Pleura mit Läsion der Lunge kompliziert ist. So war in unserem
Falle III die Gefahr, die seitens der Leberwunde drohte, wohl durch
den primären Eingriff beseitigt, aber die Komplikation durch die
Thoraxverletzung brachte noch ein langes schweres Krankheitslager
und ließ schließlich nur eine Heilung mit Defekt, erreichen. Die, Kom¬
plikation durch Empyem, wie sie in diesem Falle ein trat, ist glücklicher¬
weise bei den transpleuralen Verletzungen kein so häufiges Ereignis,
wie man a priori befürchten sollte, denn nach der Zusammenstellung
von Suter1) wurden nur 5 Empyeme bei 63 transpleuralen Zwerchfell¬
verletzungen beobachtet. Dazu sei anhangsweise bemerkt, daß etwa
zu gleicher Zeit mit der beschriebenen rechtsseitigen transpleuralen
Verletzung1 auch eine linksseitige auf meiner Abteilung in Behandlung
kam, eine Stichverletzung mit, Netzprolaps, die unter einfacher Be-
sektion des vorgefallenen Netzzipfels und Tamponade auf die Zwerch¬
fellwunde ohne weitere Komplikation heilte.
Fortschritte der Medizin in den letzten Dezennien.
Von Dr. Lipowski,
dirig .Arzt der inneren Abteilung der städtischen Diakonissenanstalt in Bromberg.
(Fortsetzung.)
In innigster Beziehung zur biologischen Funktion des Blutes steht
die Lehre von der Organtherapie. Diese beruht auf der Erfahrungs¬
tatsache, daß durch die mangelhafte oder ausgeschaltete Funktion
einiger Organe der Körper selbst bis zur Vernichtung geschädigt wird.
So machte man die Erfahrung, daß eine ungenügende oder fehlende
oder endlich durch Exstirpation beseitigte Funktion der Thyreoidea
Myxödem resp. Kretinismus erzeugte, eine Affektion, weiche durch
Zuführung von Schilddrüsensubstanz mit Sicherheit beseitigt wird.
Eine tuberkulöse Erkrankung der Nebennieren, jener kleinen, lange,
vernachlässigten Organe, verursacht die perniziöse Addison’sche Krank¬
heit. Wir wissen ferner, daß durch Kastration und Entfernung der
Eierstöcke mannigfache Veränderungen im Organismus hervorgerufen
werden. Es kann nach alledem keinem Zweifel unterliegen, daß alle
diese erwähnten Organe im Haushalt des Organismus eine wesentliche
für das Wohlbefinden oder Existenz unerläßliche Bolle spielen. Im
ß Beiträge zur klin. Chirurgie von Bruns, Bd. 46 u. 47.
1094
Lipowsld,
Blute häufen sich alle Produkte der Organfunktionen an, von deren
ungestörtem Ablauf hängt die zum Gedeihen des Organismus not¬
wendige normale Blutmischung ab.
Die chemische Forschung nahm sich dieser Materie mit .großer
Liebe an. Das erste positive Ergebnis verdanken wir Baumann,
welcher aus der Schilddrüsensubstanz einen in organischer Bindung
enthaltenen Jodkörper darstellte, Jodothyrin oder Thyro jodin genannt.
Damit war die moderne Forderung erfüllt, an Stelle der Schilddrüsen¬
substanz selbst, welche den wirksamen Stoff neben einer Masse un¬
wirksamer, eventuell schädlicher Nebensubstanzen enthält, den wirk¬
samen Körper in möglichster Isolierung darzustellen. Obwohl durch
häufigen positiven Erfolg mit Sicherheit nachgewiesen ist, daß' Thyro-
jodin in der Tat zu den wirksamen Bestandteilen der Thyreoidea ge¬
hört, hat man doch die Erfahrung gemacht, daß zuweilen der Drüsen¬
substanz selbst eine bessere Wirkung innewohnt. Nachdem man erfolg¬
reich versucht hatte, die Schilddrüse von Hammeln in die Bauch¬
höhle von Kranken zu implantieren, ein Verfahren, das wegen seiner
Umständlichkeit und Gefahr bald verlassen wurde, ging man dazu über,
die Substanz selbst oder ihre Extrakte therapeutisch anzuwenden. Da
nun die Drüse in frischem Zustande wenig haltbar ist, wandte man
das bei Drogen häufig bewährte Verfahren der Trocknung im Vakuum
an. Die eingetrocknete Masse wird dann pulverisiert und mit in¬
differenten Substanzen, besonders Milchzucker, zu Pulvern oder Ta¬
bletten verwendet.
Zu den interessantesten Präparaten der Physiologie und Therapie
gehört ein zweites Organpräparat, der Nebennierenextrakt, Adrenalin,
Suprarenin, Epirenan oder Paranephrin genannt. Obgleich die physio¬
logische Wirkung der kleinen Organe noch unerkannt ist, hat die
aus ihnen gewonnene Substanz, welche auch in ihrer chemischen Kon¬
struktion erforscht ist, eine ungeahnte Bedeutung erlangt. Der thera¬
peutische Gebrauch des Präparates beruht in der Eigenschaft des Ex¬
traktes, die Gefäßmuskulatur in krampfhaft kontrahierten Zustand
zu versetzen. Das Adrenalin und die entsprechenden Präparate sind
daher das beste der bekannten Blutstillungsmittel, ein Erfolg, dem
auch die Gefäße unverletzter Schleimhäute unterliegen. Intravenös
injiziert versetzt es die gesamte Gefäßmuskulatur in tetanisehen Zu¬
stand, bewirkt daher bei Herzschwäche infolge herabgesetzten Blut¬
druckes, eine augenblicklich eintretende und in solchen Fällen durch
ein anderes Mittel unerreichbare Steigerung des Blutdruckes. Große
Bedeutung hat die Kombination mit Kokain und seinen Derivaten
erlangt, so, wie erwähnt, bei der Bier’schen Lumbalanästhesie, bei
Schleich’scher lokaler Infiltrationsanästhesie, bei Zahnextraktionen,
in der Rh in o 1 ar y n go 1 o g ie , Urologie und anderen Sonderdisziplinen. Der
wunderbaren therapeutischen Wirkung stehen aber auch Gefahren be¬
sonders in subkutaner und intravenöser Applikation gegenüber. Bei
alten Leuten ist Gangrän der Extremitäten beobachtet; nach der In¬
jektion selbst geringer Mengen (4 mg) ist wiederholt Exitus einge¬
treten. Gefahren bei Schleimhautanwendung sind bisher nicht zutage
getreten.
Wie das Jodothyrin nicht völlig die Schilddrüse selbst in der
therapeutischen Anwendung verdrängen konnte, so kommt neben den
Adrenalinpräparaten auch die Nebenniere selbst in der Therapie zur
Fortschritte der Medizin in den letzten Dezennien.
1095
Geltung, und zwar als Merck’sche Glandulae suprarenales siccatae
pulverisatae und als Extractum suprarenale h a e m o s t a t i du m .
Von wesentlich geringerer Bedeutung haken sich die zuerst mit
großem Enthusiasmus aufgenommenen Oophorin-, Spermin-, Lezithin-
und ähnliche Präparate erwiesen.
Die Ehrlich- Weigert’ sehen Vorstellungen von der Konstruk¬
tion des Eiweißmoleküls ermöglichen auch ein intimeres Verständnis
der Ernährungsvorgänge im Eiweißmolekül. Wie eine Gruppe von
Seitenketten der Bindung toxischer Stoffe dient, wird eine andere
Gruppe zur Erhaltung der Zelle, noch eine andere zur Ernährung
benutzt.
Wie wir bei der Besprechung der Eiweißchemie gesehen haben,
ist uns der genaue Einblick in den Ablauf der Ernährungsvorgänge
bisher verschlossen geblieben. Wir müssen uns mit der empirisch
festgestellten Tatsache abfinden, daß zur Ernährung bestimmte Mengen
von Nährstoffen erforderlich sind, die bis zu einem gewissen Grade
für einander eintreten können, bis auf eine bestimmte Eiweißmenge,
welche unbedingt zur Erhaltung des Organismus erforderlich ist.
Während man früher 100 g Eiweiß, 100 g Eett und 500 g Kohle¬
hydrate für einen erwachsenen Menschen für erforderlich hielt, be¬
rechnet man jetzt die notwendige Nahrungsmenge nach Kalorien. Für
1 kg Körpergewicht sind ca. 35 Kalorien notwendig, d. h. für einen
Menschen von 50 kg Gewicht 50 mal 135 = 1750 Kalorien. Die not¬
wendige Kaloriengröße ändert sich naturgemäß nach der Beschäftigung.
Es ist ohne weiteres ersichtlich, daß ein stark arbeitender Mann eine
andere Kaloriengröße braucht als ein ruhender Mensch. Nach dem
Gewicht des Menschen und seinem Verhalten ist also mit leichter
Mühe die erforderliche Kalorien menge festzustellen, wenn man den
Kaloriengehalt der Nahrungsmittel beherrscht, was leicht zu erreichen
ist. Die Kalorienberechnung ermöglicht die richtige Einschätzung des
Nährwertes der Nahrungsmittel, demnach eine rationelle Bestimmung
der Diät und eine Würdigung der von der Natur gegebenen Nahrungs¬
mittel im Verhältnis zu den künstlich hergestellten Präparaten. Die
Kalorienberechnung erweist auch den enormen Nährwert der Milch,
welche 600 Kalorien in einem Liter enthält. Wenn man bedenkt,
daß 100 g Eiweiß 100 . 4,1 Kal. = 410 Kal. enthalten, dann ergibt sich
ohne weiteres die enorme Überlegenheit der Milch.
Noch bedeutungsvoller ist die Kalorien Wertung zur richtigen Ein¬
schätzung der künstlichen Nährpräparate geworden. 1 g Eiweiß ent¬
wickelt, wie erwähnt, 4,1 Kal. Verbrennungswärme, ebenso 1 g Kohle¬
hydrat, während 1 g Eett 9,3 Kal. entwickelt. Angenommen, ein
künstliches Eiweißpräparat hätte 100 °/0 Eiweiß, ein Gehalt, den kein
Präparat besitzt, dann würde ein Teelöffel des Präparates, zu 5 g ge¬
rechnet, 5 . 4,1 Kal. = 20,5 Kal. enthalten. Die Kalorienberechnung er¬
weist demnach, daß also oal. 30 Teelöffel eines künstlichen Eiwei߬
präparates dem Nährgehalte eines Liters Milch entspricht. Bedenkt
man ferner, daß 1 kg Somatose z. B. mit 1000 . 4,1 Kal. = 4100 Kal.
50 Mk. kostet, eine Kaloriengröße, welcher etwa 7 Liter Milch ent¬
sprechen, welche etwa 1,40 Mk. kosten, so ergibt sich aus dieser Be¬
rechnung’, daß Somatose etwa 35 mal so teuer ist als Milch.
Die künstlichen Nährmittel verdanken ihr Dasein dem Bestreben,
die von der Natur gebotenen Nährstoffe in reiner konzentrierter Form,
in guter Bekömmlichkeit und zu billigem Preise zu bieten. Zur Be-
1096
Lipowski,
urteilung eines künstlichen Nährpräparates sind folgende Fragen zu
beantworten: 1. der Nährwert, 2. die Bekömmlichkeit, 3. der Geschmack,
4. die Möglichkeit der Einverleibung, 5. der Preis.
Was zunächst den Nährwert betrifft, so zeigt die obige Berech¬
nung, daß wir in der Milch ein von der Natur gebotenes Nahrungs¬
mittel besitzen, welches alle Kunstpräparate bei weitem übertrifft.
Die zweite Frage, die Bekömmlichkeit, läßt im allgemeinen zu¬
gunsten der künstlichen Präparate entscheiden. Abgesehen von den
Magen und Darm reizenden Peptonen werden die meisten Kunstpräpa¬
rate gut vertragen, während der Geschmacksinn weniger gut befriedigt
wird. Die Wahl zwischen einem gut zubereiteten Beefsteak und un¬
löslichem Eiweißpulver ist nicht schwer. Wo der Geschmack allein
entscheidet, kommen die künstlichen Mittel überhaupt nicht in Frage.
Nicht ganz identisch mit dem Geschmack ist die Möglichkeit der Ein¬
verleibung, die von chemischen und physikalischen Eigenschaften des
Präparates abhängig ist. Sanatogen z. B. kann wegen leichter Zer¬
setzlichkeit beim Kochen überhaupt nicht benutzt werden.
Von den künstlichen Mitteln haben die Eiweißpräparate die
größte Verbreitung gefunden, einmal, weil die Ernährungsphysiologie
die große Bedeutung des Eiweißes im Haushalt des Organismus dar¬
getan hat und dann, weil die Erfahrung am, Krankenbett häufig die
große Schwierigkeit erweist, die notwendige Eiweißmenge durch die
gebräuchlichen Nahrungsmittel einzuver leiben.
Die Kohlehydratpräparate sind weniger ein Produkt therapeuti¬
scher Notwendigkeit als industriellen Unternehmungsgeistes, Bei Be¬
rücksichtigung aller den Wert eines künstlichen Nährmittels bestim¬
menden Faktoren bleiben im Vergleich zu den im Haushalt gebräuch¬
lichen Nahrungsmitteln wenige Vorzüge den Kunstpräparaten Vorbe¬
halten. Zwei Gesichtspunkte sind es, die vom Standpunkte des Thera¬
peuten Anerkennung verdienen : die möglichst feine Zermahlung mehl-
haltiger Substanzen mit möglichster Ausschaltung der unverdaulichen
Zellulosesubstanzen und zweitens die Schaffung von sogenannten Kinder¬
mehlen als Ersatz für die häufig von Kindern nicht vertragene Milch.
Die Fette sind von der Natur in so mannigfacher Art und von so
ein wandsfreiem Wohlgeschmack gegeben, daß für die Kunst nicht viel
übrig bleibt. Die meisten Fettmittel sind als Ersatzmittel des Leber¬
trans gedacht.
Nach dieser kurzen Übersicht über das Wesen der künstlichen
Nährpräparate müssen wir uns die Frage vorlegen, welche Bedeutung
ihnen in der diätetischen Therapie zukommt. Als Leitmotiv in dieser
ganzen Frage muß der Satz ausgesprochen werden, daß überall dort,
wo die gebräuchlichen Nährmittel in genügender Menge ein-
verleibt werden können, diesen wegen ihres besserem Ge¬
schmackes, der besseren Be k ö rn m 1 i c h k e i t und vor allem wegen
wirtschaftlicher Überlegenheit unbedingt der Vorzug zu
geben ist.
Die künstlichen Nährpräparate sind unentbehrlich bei lang-
dauernden, fieberhaften und konsumptiven Krankheiten, wo eine aus¬
reichende Ernährung durch die gebräuchlichen Nahrungsmittel schwer
oder gar nicht durchführbar ist. Sie sind ferner unentbehrlich, wenn
bei genügender Nahrungszufuhr 'die Peristaltik des Magen- und Darm¬
kanals möglichst wenig angeregt werden soll (Perityphlitis, Magen-
und Darmulzerationen).
Fortschritte der Medizin in den letzten Dezennien.
1097
Empfehlenswert ist die Beimengung der Kunstpräparate, wenn
eine Hebung des Kräftezustandes mittels der üblichen Nährmittel nicht
erreichbar ist, was in der Praxis bei genügender Beherrschung der
Krankenkost äußerst selten notwendig wird. Wenn die Ärzte sich
der Krankenküche, dieses wichtigen Zweiges unseres Heilschatzes, mit
größerer Liebe widmeten, würden die künstlichen Nährpräparate nicht
so maßlos in ihrer Bedeutung überschätzt werden.
Die Kalorienberechnung feiert ihre größten Triumphe bei der
Diätbestimmung in der Behandlung Zuckerkranker, Fettleibiger und
bei Mastkuren.
Wenn ein Zuckerkranker z. B. bei 2 Liter Urin 2 °/0 Zucker
verliert, dann sind bei der Aufstellung des Ernährungsplanes der Ver¬
lust von 40 g Zucker = 40 . 4,1 Kal. = 164 Kal. zu ersetzen. Dieser Ver¬
lust ist durch 40 g Eiweiß oder ca, 18 g Fett auszugleichen. Für
die Behandlung Zuckerkranker hat Naunyn zwei eminent wichtige
Sätze aufgestellt : Bei geringerem Zuckergehalt steigt die Toleranz
gegen Kohlehydrate, und die Zuckerbildung wird durch Entlastung
des Stoffwechsels herabgesetzt, daher die häufig so heilsame Wir¬
kung der Einfügung von Hungertagen.
Bei der Behandlung der Fettleibigkeit kommt es darauf an, bei
der Aufstellung des Diätplanes eine geringerer Kaloriengröße zu er¬
halten, als nach dem Körpergewicht erforderlich wäre. Wenn z. B.
ein Mann von 100 kg Körpergewicht 100 . 35 Kal. = 3500 Kal. braucht
und etwa, nur 3000 Kalorien erhält, dann ergibt sich ohne weiteres,
daß das Minus von 500 Kalorien täglich sich durch Reduzierung des
Körpergewichtes bemerkbar machen muß. Für den Fettansatz ist es
ziemlich gleichgültig, durch welche Nahrungsmittel die 3000 Kalorien
aufgebracht sind, wenn nur die notwendige Eiweißgröße gereicht wird
(etwa 1 g Eiweiß pro kg Gewicht). Hieraus ergibt sich auch, ohne
weiteres der Wert aller berühmten Entfettungskuren mittels Kartoffel-
Fett-Milchnahrung. Jede Entfettungskur ist eine Unterernährungskur,
deren Kunst darin besteht, das Essen möglichst abwechselungsreich,
sättigend und kalorienarm zu gestalten. Selbstverständlich ist neben
der Unterernährung gesteigerter Stoffumsatz zu erstreben.
Bei Mastkuren ist das umgekehrte Verfahren angebracht. Die
Kaloriensumme muß die notwendige Kaloriengröße übersteigen und der
Stoffumsatz ist nach Möglichkeit einzuschränken.
Von großer Bedeutung sind für diese Frage die Untersuchungen
Pawlow’s geworden. Er durchschnitt den Ösophagus eines Fiundes
und nähte sowohl das obere als auch das untere Ende desselben in
der Haut ein. Auf diese Weise konnte er eine Scheinfütterung vor¬
nehmen, indem der Schluckakt die Speisen aus der oberen Speiseröhren¬
öffnung herausbrachte. Andererseits konnte durch die untere Öffnung
der Mageninhalt zur Untersuchung herausgeholt werden.
Pawlow fand, daß der Magensaft einmal durch Vagusreizung
abgesondert wurde, welche nach Durchschneidung dieses Nerven sistierte,
dann auch durch den Sympathikus, und zwar von dessen Ganglien
in und unter der Magenschleimhaut. Die psychische durch Vagus¬
reizung bedingte Saftabsonderung wurde bereits durch den Anblick
der Speisen ausgelöst, setzte wenige Minuten nach Beendigung des
Kauaktes ein, um 30 bis 35 Minuten anzuhalten. Die sympathisch
verursachte Saftabscheidung beginnt erst 30 bis 35 Minuten nach Ein¬
bringung der Speisen in den Magen. Hierbei haben sich sehr inter-
1098
S. Leo,
essante Beobachtungen ergeben. Trockenes Brot, gekacktes Hühner-
ei weiß nnd Fett bleiben stundenlang im Magen, ohne Saftabscheidung
auszulösen, während Bouillon und Fleisch nach ca. 1/2 Stunde eine
rege Saftabsonderung zur Folge hat. Mechanische Beizung der Magen¬
schleimhaut sowie Einbringung von Salzsäure, Kochsalz bleibt ohne
Einfluß. Fett ist imstande, die Saftabsonderung zum Stillstand zu
bringen, eine Erscheinung, welche von Strauß therapeutisch bei der
Hy per chlor hydrie benutzt worden ist.
Es ergibt sich aus diesen wichtigen Untersuchungen die Not¬
wendigkeit, Hühnereiweiß, trockenes Brot und vor allem Fett nur bei
vorhandenem gutem Appetit zu verabfolgen, während Fleisch und vor
allem Bouillon ein vorzügliches Mittel zur Magensaftabsonderung ist,
bei Magensaftfluß daher dringend zu vermeiden ist.
Während Pawlows grundlegende Untersuchungen uns einen
klaren Einblick in die chemischen Verhältnisse der Magen Verdauung
brachten, verdanken wir ganz neue Aufschlüsse über die motorische
Tätigkeit des Magendarmkanals der Untersuchung mit Böntgenstrahlen.
(Schluß folgt.)
Wiener Brief.
Ein Sammelbericht. — Von Dr. S. Leo.
In der Gesellschaft der Ärzte sprach Georg Ivanno vics über
das Hepatotoxin. Gegenüber den Anschauungen, die den organotoxi-
sc’hen Immunseris sowohl jede Organspezifität als auch ihre Artspezi¬
fität absprechen, stellte I. Experimente an, von dem Grundsätze aus¬
gehend, daß ein spezifisches Organgift existiert, von dem wir ver¬
langen müssen, daß es erstens spezifisch auf dasjenige Organ einwirkt,
mit welchem es hervorgerufen wurde (Organspezifität) und zweitens,
daß es für die betreffende Tierart spezifisch ist (Artspezifität). Bei
den vorbereitenden Immunisierungen trachtete ich (Ivanno vics) eine
möglichste Steigerung der spezifischen Antikörper dadurch zu erzielen,
daß ich lange Zeit immunisierte. Zur Immunisierung verwendete ich
nicht abgetötete Organzellen, auch nicht die aus ihnen zu gewinnenden
Nukleoproteide, sondern einen Zellbrei, der aus den lebenswarmen, mit
physiologischer Kochsalzlösung ausgiebig gewaschenen Organen her¬
gestellt worden war. Zur immunisatorischen Vorbehandlung dienten
mir Katzenlebern, welche entbluteten Tieren unmittelbar nach dem
Tode entnommen wurden. Im Wege einer in die Vena portae eingeführ¬
ten Kanüle wurde das Organ mit mehreren Litern physiologischer Koch¬
salzlösung durchgespült. Hierauf wurde die Leber fein geschabt und
der Leberbrei durch eine Organpresse getrieben. Die zuerst abfließen¬
den, leicht blutig gefärbten Portionen wurden abgegossen, während
die späteren, welche einen gelbbraun gefärbten Brei darstellten, In
möglichst dichter Suspension in physiologischer Kochsalzlösung zur
intraperitonalen Injektion an Kaninchen gelangten. Die Immunisie¬
rung setzte ich unter strenger Asepsis und steter Kontrolle des Körper¬
gewichtes durch mehr als zwei Jahre fort. Das Resultat dieser Immu¬
nisierung war ein Serum, das nach meiner Voraussetzung durch die
21/2 jährige Vorbehandlung die Eigenschaft gewonnen haben mußte!, in
exquisiter Weise gerade nur Leberzellen und zwar vornehmlich Von
Katzen, spezifisch zu schädigen. Diese Voraussetzung wurde auch
durch die Autopsie von drei Katzen bestätigt, die ein, zwei und vier
Wiener Brief.
1099
Monate nach der einmaligen Einverleibung des Giftes erfolgte und
Läsionen der Leber erzeugte, die einsetzend mit fettiger Metamorphose
des Parenchyms zum Schwunde ganzer Leberlappen führen können.
An ihre Stelle tritt ein mehr oder weniger zahlreiches Bindegewebe,
das seinen Ausgang von der intrahepetal die Gefäße begleitenden Cap¬
sula Glissonii nimmt. Die übrigen Organe erwiesen sich normal, nur
die Milz zeigte leichte Veränderungen. Ein solcher anatomischer Be¬
fund spricht wohl für eine organspezifische Wirkung des angewende¬
ten Immunserums. Bezüglich der Artspezifität habe ich keine Erfah¬
rungen, doch scheint dieselbe nach unseren Kenntnissen über Immuni¬
tät nicht zweifelhaft zu sein. Es ist selbstverständlich, daß die hier
geschilderte Gewinnung eines spezifischen Lebergiftes sich auch für
eine ganze Leihe anderer Organe durchführen ließ, wodurch uns Gifte
in die Hand gegeben sind, mit welchen wir an den verschiedenen Orga¬
nen ausgesprochen lokalisierte Wirkungen erzielen und dadurch Aus¬
fallserscheinungen auslösen können, welche ein gründliches Studium
der verschiedenen Zellfunktionen in ausgedehntem Maße ermöglichen.
Fahren wir sodann in der Fortsetzung des Los t hör n’ sehen Vor¬
trages: Die klinisdh'e Bedeutung des Schmerzes fort: Als dump¬
fen Organschmerz bezeichnen wir jenen, welchen man bei chronischer
Metritis des öfteren begegnet. Lomer führt . denselben auf die Be¬
teiligung des Bauchfelles zurück. Er mag damit meiner Ansicht nach
insofern Locht haben, als das mitaff izierte subseröse Lymphgefäßnetz
die bekannte Druckempfindlichkeit des puerperal infizierten Uterus
auslöst. Auf die Beteiligung der Lymphbahnen möchte ich auch die
bei chronischer Metritis so oft zu konstatierende Empfindlichkeit der
sakrouterinen Ligamente zurückzuführen, deren Nervenreich tum (N.
hypogastricus) bekannt ist. Dieser in diagnostischer Hinsicht wichtige
Bandapparat macht sich auch beim Tuschieren gesunder Genitalien
bemerkbar. Dehnung derselben bei bimanueller Untersuchung, Be¬
rührung des Fornix vaginae mit einem Wattetupfer werden fast regel¬
mäßig schmerzhaft empfunden. Bekannt ist das Fehlen jeder Schmerz¬
haftigkeit bei oft weit vorgeschrittenem Karzinom. Wenn ein solches
von Schmerz begleitet wird, dann ist es der Druckschmerz, welcher
durch die karzinomatöse Infiltration des Parametriums ausgelöst wird.
Den eigentlichen Wehenschmerz denken wir uns auf Grund der Loit-
schen Untersuchungen durch Ausbreitung der nervösen Elemente jm
benachbarten Beckenbindegewebe, durch allmählich fortschreitende
Dehnung dieser bindegewebigen Partien entstanden. Die Lokalisation
des Wehenschmerzes wechselt während der zwei Geburtsperioden ; die
erste Form wird nach dem oberen Teile der Kreuz- und Leistengegend
verlegt ; später erscheint derselbe weiter unten, und zwar in den unteren
Abschnitten des Kreuzbeins und im Steißbein, sowie im Damme. Die
Nachwehen sind ganz deutlich mit Schmerzempfindungen in recht aus¬
gedehnten Hautzonen verbunden, und zwar finden sich nach Ho ad
die 10., 11., 12. Dorsale, erste Lumbale und dritte sakrale Zone be¬
teiligt. Somit zeigt die Gebärmutter auch bei der Geburt ähnlich wie
die Harnblase reflektierte Schmerzen mit Hautempfindlichkeit in
einer zweifachen Gruppe von Zonen. Die meisten Erkrankungen gynä¬
kologischer Art sind von Kreuzschmerzen begleitet. Es ist dies zweifel¬
los ein irradiierter Schmerz, der sich vielleicht ganz durch die Head’sche
Projektion erklären läßt. Es ist dabei aber immer daran zu denken,
daß Neurasthenische und Hysterische mit V orliebe über Schmerzen
1100
S. Leo,
in dieser Gegend klagen, ohne daß irgendeine gynäkologische Ver¬
änderung nachzuweisen wäre. Es ist dies die bekannte Neurasthenia
spinalis, die der Spinalirritation der alten Mediziner und dem Lenden¬
marksymptome Hegar’s gleichzusetzen wäre; differentialdiagnostisch
kommen nur rheumatische Zustände in den Rückenmuskeln oder patho¬
logische Prozesse an der Wirbelsäule in Betracht, Der Kreuzschmerz
zählt übrigens noch als Teilerscheinung zu den sogenannten Senkungs¬
beschwerden bei bestimmten Lageanomalien (Descensus, Prolaps). Die
Affektionen der serösen Häute erzeugen nach H e ad keinen reflektierten
Schmerz. Sie verursachen nur eigien ganz lokalen Schmerz, der dem
Laufe peripherer, sensibler Spinalnerven folgt und mit einer1 tief¬
liegenden Empfindlichkeit nur über den betroffenen Stellen verbunden
ist. Die Bauchdecke, welche vom N. ileoinguinalis und ileohypogastrius
versorgt wird, sowie die Vulva, zeigen Verhältnisse, wie sie den übrigen
Integumenten gleichkommen. Wir begegnen hier dem typischen Wund¬
schmerze nach Trauma und operativer Durchtrennung, welcher jedoch
schon am Tage nach dem erfolgten Trauma verschwunden zu sein
pflegt. Auch findet sich hier der entzündliche Schmerz bei Abszessen,
und phlegmonösen Prozessen wie bei anderen Körperteilen. Hyper-
algesie der Bauchdecken wird demnach für eine Viszeralerkrankung,
Hyperästhesie als hysterisches Stigma hingestellt werden können. Here¬
ditäre Belastung (neuropathische Veranlagung), anämisch - chlorotisches
Fieber, chronisch andauernder Schmerz, sowie der Menstruationsprozeß
sind Momente, welche als Ursache für die Herabsetzung der Wider¬
standsfähigkeit des Zentralnervensystems angesehen werden können.
All dies und psychische Affekte vermögen den Schmerz zu verall¬
gemeinern Auf Grund solcher Generalisationen kann eine wirkliche
Psychose ihren Ursprung nehmen. So finden sich denn auch alle Über¬
gänge der beschriebenen typischen Sensibilitätsstörungen zu .jenen,
welchen wir bei den Hysterischen begegnen. H e, ad unterscheidet - —
ob mit Recht, wage ich nicht zu entscheiden — einen zerebrospinalen
und psychischen Typus der Hysterie ; bei ersterem finden sich die
von H. beschriebenen Zonen mit ihren scharfen Grenzen, bei letzterem
gehen diese verloren und setzt ausgesprochene^ Gesichtsfeldeinschrän¬
kung ein; über der anästhetisch gewordenen Zone sind die Reflexe
erloschen. Kur für den letzteren Typus möchte er die Bezeichnung
Hysterie beibehalten.
Was die Diagnose des Schm;erzes betrifft, so fällt es vor allem
schwer, von unseren Kranken präzise Angaben über die Art und den
Sitz des empfundenen Schmerzes zu erlangen. Sie verfügen zwar über
eine ganze Skala von Schmerzqualitäten, wobei die Bezeichnungen
nach Ter Analogie mit den bei verschiedenen Traumen gemachten Wahr¬
nehmungen gewählt werden. So werden ziehende, schneidende, stechende,
bohrende, klopfende, durchschießende, dumpfe Schmerzen beschrieben.
Es werden dabei die scharf umschriebenen von den diffus verbreiteten
und ausstrahlenden, die plötzlich einsetzenden von den langsam |an-
steigenden, andauernde von den intermittierenden, zeitweilig exazer-
bierenden deutlich unterschieden. Einzelne dieser Qualitäten sind für
die Diagnose verwendbar. Abgesehen von jenen Fällen, in welchen
eine organische Läsion, bezw. eine deutlich greifbare, pathologische
Veränderung‘ nach Sitz und Qualität des Schmerzes jene als unzweifel¬
hafte Ursache des Schmerzes erkennen läßt, wird man in Anbetracht
der großen Häufigkeit der Psychoneurosen speziell bei unserem Kranken-
Wiener Brief.
1101
material gut tun, bei nicht klar gewordenem Zusammenhänge von
Schmerz und der gefundenen, oft unbedeutenden Anomalie: nach Merk¬
malen zu fahnden, welche die neuropathische Veranlagung des Indi¬
viduums erkennen lassen. Schon die erregte, übertriebene Art der Dar¬
stellung, die Vielseitigkeit der Klagen und der große Wechsel in den
Beschwerden wird unsere Aufmerksamkeit erwecken. Für den Geübten
genügt oft ein kurzer Verkehr mit dem Kranken, um die neuras thenische
oder hysterische Natur des Leidens zu entdecken. Aber aus den
Schmerzen allein lassen sich Psyehoneurosen nicht diagnostizieren.
Zur Feststellung des hysterischen Charakters bedürfen wir die Fest¬
stellung von Sensibilitätsstörungen (Hemianästhesie, inselförmige oder
diffuse Anästhesie, Anästhesie der Schleimhäute und Aufgehobensein
des konjunktivalen und Würgereflexes, Einschränkung des Gesichts¬
feldes und das Vorhandensein von hysterogenen Zonen). Differential-
diagnostisch kommen hierbei Neuritis, Neuralgie, organische Erkran¬
kungen des Zentralnervensystems in Betracht. Leider fehlen in einer
großen Anzahl von Fällen die Stigmata, anderseits ist das Fehlen des
Würgereflexes so außerordentlich häufig, daß es nur dann verwertet
werden kann, wenn es in sehr ausgesprochener Form vorliegt oder sich
mit anderen Zeichen kombiniert.
Victor Gräfe berichtet über die moderne Chlorophyll - For¬
schung und den Blutfarbstoff : Marchlewski fand, daß aus dem
Phylocyannin, einem blaugrünen Salzsäureabbauprodukt des Chloro¬
phylls, durch Erhitzen mit Kalilauge das Phylloporphyrin in schönen
roten Nadeln entsteht, ein Körper, der sich vom Hämatoporphyrin,
das aus Hämoglobin hergestellt werden kann, nur durch einen Minder¬
gehalt an Sauerstoff unterscheidet ; sie geben unter bestimmten Be¬
dingungen ein und dasselbe Derivat, das farblose Hämopyrrol. Der
Versuch, Hämatoporphyrin in Phylloporphyrin umzuwandeln, ist bis
jetzt noch nicht geglückt, wohl aber die Darstellung eines Körpers,
der eine Zwischenstellung zwischen beiden einnimmt (Mesoporphyrin).
Natürlich muß das eisenhaltige Hämatin, wenn es in ein dem eisen¬
freien Chlorophyll nahestehendes Produkt übergeht, zunächst sein
Eisen abgeben ; eine solche Abspaltung tritt auch ein, wenn sich Häma¬
tin in die dem Hämatoporphyrin sehr nahestehenden Gallenfarbstoffe
verwandelt, diese selbst verwandeln sich durch Fäulnisvorgänge im
Darm in Urobilin, das sich aus Hämatin und Hämatoporphyrin, fer¬
ner durch Stehen an der Luft aus Hämopyrrol gewinnen läßt. Das
Urobilin ist an der gelben Farbe des Harnes beteiligt, der mitunter auch
kleine, nach Vergiftungen mit Blei, Sulfonal, Trional, und nach Leber¬
krankheiten erhebliche Mengen des roten Hämatoporphyrin selbst ent¬
hält. Jedenfalls sind beide lebenswichtigen Farbstoffe Abkömmlinge des!
Pyrrols, unsicher ist, ob das Chlorophyll zu den Eiweißkörpern gehört,
während das Hämoglobin sich aus Hämin und dem Globin, einem
typischen Eiweißstoff, zusammensetzt. Ferner läßt sich das Phyllo¬
porphyrin in eine eisenhaltige Verbindung, das Phyllohämin, über¬
führen, die dem Bluthämin ganz analog ist. Besondere Beachtung
findet in neuester Zeit die Tatsache, daß alle Derivate des Chloro¬
phylls mit Metallsalzen Verbindungen eingehen, die in mancher Hin¬
sicht an native Chlorophylle erinnern im Hinblick auf das konstant^
Vorkommen von Magnesium im Blutfarbstoff. Man weiß nämlich,
daß gerade die organischen Verbindungen des Magnesiums sich durch
äußerst große Reaktionsfähigkeit auszeichnen, eine Eigenschaft, die
1102
S. Leo,
dazu geführt hat, daß der moderne Chemiker sehr zahlreiche Syn¬
thesen, die sonst schwierig in die Wege geleitet werden können, durch
die Grignar d’sche Reaktion mit Hilfe der organischen Magnesium¬
salze durchführt. Auch im Chlorophyll, diesem großartigen Synthetik er,
spielt nach WilLstätter das Magnesium dieselbe Rolle, welche im
Hämoglobin das Eisen spielt. Die Scheidewand zwischen Pflanzen- und
Tierreich aber wird durch die Aufhellung dieser Beziehungen beider
Farbstoffe noch dünner, und es wird verständlich, wie dem Auseinander¬
weichen der beiden divergenten Reihen, Tiere und Pflanzen, aus ge¬
meinsamen Anfängen auch der Ausbau des die Verwandtschaft ver¬
mittelnden Phylloporphyrinmoleküls nach zwei verschiedenen Rich¬
tungen und damit die entgegengesetzten spezifischen Rollen dieser
beiden Farbstoffgeschwister entsprachen. Die Form der Zellkomplexe,
welche die einzelnen Organe bilden, wird durch den Stoffwechsel be¬
dingt, und dieser wieder ist ein Resultat der gegebenen Lebensbedin¬
gungen, so daß wir einen Schritt weiter in die Entwicklungsgeschichte
der Organismen gehen können.
Es gibt eine ganze Reihe von Organismen, welche die Synthese
ihrer Körpersubstanz ohne Chlorophyll, ja, ohne Chromophyll über¬
haupt im Dunkeln aus der Luftkohlensäure durchführen und welche
dazu natürlich einer anderen Kraftquelle bedürfen, als die größeren
Pflanzen, deren Farbstoff eben eine besondere Anpassung dieser
höheren Organismen an die Ausnützung der Lichtenergie vörstellt. Es
sind die aus chemischen Lebensreaktionen freiwerdenden Kraftüber¬
schüsse, die bei diesen niederen Organismen vermittelnd eingreif en ;
hier finden wir auch nicht nur die größte Mannigfaltigkeit des Stoff¬
wechsels, sondern auch der Form, und es liegt nahe, mit N en ck i
anzunehmen, daß die Bildung neuer Arten hier viel leichter stattfindet,
als bei den in späteren Zeitperioden entstandenen, komplizierter ge¬
bauten Organismen, denn die ersteren gehören wahrscheinlich mit zu
den ältesten Bewohnern unserer Erde. Aus der Muttersubstanz des
Chlorophylls entstand dann in einer späteren Zeitperiode im Tierkörper
das Hämoglobin, dessen Funktion eine viel beschränktere ist, denn
wenn die biologische Bedeutung des Chlorophylls in seiner synthesen¬
vermittelnden und seiner optischen Wirkung liegt, in der Ausnützung
und Umwandlung der Lichtstrahlen für ihre chemische Arbeit in der
Pflanzenzelle, reduziert sich die Aufgabe des Hämoglobins im wesent¬
lichen auf die lockere Bindung des Sauerstoffs und der Kohlensäure
und auf ihre Abgabe in aktiver Form, kurz : auf seine katalytisch
die Zersetzung vermittelnde Funktion. Die Pflanzenzelle enthielt also
bereits im potentiellen Zustande die tierische, war also in der Lage,
es zu ermöglichen, daß das Lehern der Synthese mit Hilfe von
Magnesium zum Leben der Oxydation mit Hilfe von Eisen
wurde. —
Im Anschlüsse an einen Vortrag Hamburgers, der bei gro߬
städtischen Kindern eine Verseuchung von 94 °/0 mit Tuberkulose an¬
nimmt, sprach J. Robinsohn über das Verhältnis Zwischen Röntgen¬
ologie und Tuberkulosediagnostik (Gesellsch. f. innere Medizin):
Die Untersuchungen von Hamburger und Ghon haben erleuchtend
auf unsere Auffassung und erleichternd auf unser ärztliches Gewissen
gewirkt; sind wir doch für das Aufstellen und Fallenlassen einer
Diagnose in gleichem Maße verantwortlich. Bisher standen die Kli¬
niker den Befunden des Röntgenologen in vielen Fällen ebenso skep-
Wiener Brief.
1103
tisch gegenüber, wie den biologischen nnd anatomischen. Die Röntgen¬
durchleuchtung und namentlich die Röntgenplatte offenbart nämlich,
daß man beim Erwachsenen so gut wie nie, beim älteren Kinde nur
selten eine Lunge findet, die vollkommen frei ist von denjenigen Schat¬
tenbildungen, die wir nach den Erfahrungen in den klinisch manifesten
Fällen als für die Tuberkulose charakteristisch erkannten. Es sind dies
drei Gruppen von morphologischen Differenzierungen von Röntgenschat¬
tenbildung: 1. streifenförmige Verdichtungen, die dem Verlaufe der Bron¬
chialverzweigungen folgen (Peribronchitis, Induratio pulmonalis inter-
stititialis), 2. inselförmige Verdichtungen, die nach Form, Lage und
Größe auf das Lymphdrüsensystem bezogen werden müssen, wel¬
ches die Trachleaj und den B/ronchialbaum bis in die feinsten Vor-
>
zweigungen begleitet (Adenitis pulm.) oder unregelmäßig gelegene und
wirkliche Infiltrationsherde (kleinere und größere Konglomerattuberkel
und andere Lun gen Verdichtungen), 3. lufthaltige (parenchymfreie, resp.
parenchymarme) Lungenherde, von denen im einzelnen Falle röntgen¬
ologisch schwer festzustellen ist, ob sie einem Gewebszerfall (Kaverne)
oder einer zirkumskripten Erweiterung der Luftwege (Bronchiektasie,
interstititielles Emphysem) entsprechen. Es ereigneten sich bisher fol¬
gende Fälle : 1. Die klinischen Erscheinungen (d. h. was man bisher,
klinisch nannte : die Ergebnisse der Inspektion, Auskultation, Per¬
kussion und der bakteriologischen Untersuchung) stimmten vollkommen
mit dem Röntgenbefunde überein, sehr selten ; 2. die sogenannten kli¬
nischen Befunde deckten nur einen mehr oder weniger großen Bruch¬
teil derjenigen Veränderungen auf, die das Röntgenbild vermuten ließ ;
3. einem absolut negativen klinischen stand ein auffallender röntgen¬
ologisch positiver Befund gegenüber und 4. umgekehrt. Es hat also!
das Röntgenbild anscheinend einmal zu viel, das andere Mal zu wenig
gezeigt, und bei dem großen Vertrauen, das man in die altbewährten
Untersuchungsmethoden setzte, war man geneigt, und scheinbar mit
Recht, idem relativ jungen Röntgenverfahren in diesem Punkte wenig¬
stens die Verläßlichkeit abzusprechen. Die eine Unvollkommenheit
des Röntgen Verfahrens, die negativen röntgenologischen bei positiven
klinischen Befunden haben wir in den letzten Jahren fast vollständig
getilgt. Während man früher bei der Röntgenuntersuchung der Lunge
sich meistens auf die Durchleuchtung beschränkte, wissen wir jetzt,
daß man mittels der Durchleuchtung die respiratorischen Bewegungs¬
phänomene, also funktionelle Abweichungen von der Norm gut, die
morphologischen Anomalien aber nur in groben Zügen feststellen kann.
Zur Darstellung feiner und feinster anatomischer Veränderungen der
Lunge ist das Röntgenographieren bei respiratorischem Stillstand, am
besten die Momentaufnahme unerläßlich. Bei der regelmäßigen Kom¬
bination von Röntgenoskopie und Röntgenographie läßt sich die Zahl
der Versager auf ein Minimum reduzieren. Bleiben also noch die Fälle
von Widerspruch zwischen klinischem und Röntgenbefund in dem Sinne,
daß ein Röntgenbild zu viel zeigt. Nach Hamburger und Ghon kön¬
nen wir ruhig sagen, daß das scheinbare Zuviel der Röntgenbefunde
als vollwertig zu nehmen ist,
Hans Eppinger und Leo Heos sprachen über die Pathologie
der Basedowschen Erkrankung: Pharmakologische Untersuchun¬
gen aus jüngster Zeit habien zu dem Ergebnisse geführt, daß gewisse
Arzneisubstanzen eine elektive Reizung des sympathischen oder des
autonomen Nervensystems ausüben. Das erster© wird vom Adrenalin,
1104
S. Leo, Wiener Brief.
das letztere vom Pilokarpin (resp. Physostigmin) gereizt. Diese phar¬
makologischen Prüfungen liefern für das Studium der IST ervenf unktionen
zuverlässigere Resultate als die älteren Experimente, die in elektri¬
scher Reizung der Nerven bestehen, da die anatomischen Nervenein-
heiten keineswegs auch funktionelle Einheiten darstellen. Beide Ner¬
vensysteme beteiligen sich an der Innervation sämtlicher inneren Organe,,
die sie in antagonistischem Sinne beeinflussen. So bewirkt z. B. Sym¬
pathikusreizung eine Erweiterung, autonome Reizung eine Verengerung
der Pupille. Injiziert man Menschen subkutan 0,01 Pilokarpin, älso
ein sogenanntes vagotropes Mittel, so beobachtet man Salivation,
Schweiß, Röte des Gesichts, auch gesteigerte! Darmperistaltik, Brech¬
reiz. Dagegen hat 0,001 Adrenalin, subkutan gegeben, Tachykardie,
Glykosurie und Polyurie zur Folge, Wirkungen, die wir als Sympa¬
thikusreizung auffassen. Beide Pharmaka müßten, gleichzeitig verab¬
folgt, ideal völlig wirkungslos bleiben. Bei manchen Menschen isind
jedoch die erwähnten Pharmaka, in den üblichen Dosen gereicht, ohne
jeden Effekt, während bei anderen mächtige Wirkungen zur Beobach¬
tung kommen, bei diesen letzterlen sind daher allem Anscheine nach
günstigere Angriffspunkte vorhanden. Von Interesse war die Beobach¬
tung der Vortrag., daß bei jenen Menschen, die gegen Pilokarpin refrak¬
tär sind, eine starke Adjren al inw irkung sich erzielen läßt Und daß
umgekehrt eine starke Pilokarpinwirkung dort auftritt, wo Adrenalin
versagt. Bei der erstereu ist aus diesem Verhalten ein erhöhter Tonus
im sympathischen System zu postulieren ( , , sy mp ath iko t oni s ch e “ Men¬
schen), während bei den letzteren der Tonus des autonomen System, sl
als erhöht anzunehmen ist. Dfe große Fülle der sog. Nebenerschei¬
nungen bei der Basedow 'sehen Krankheit läßt sich von diesem Ge¬
sichtspunkte aus in solche gliedern, die auf einem erhöhten Reizzu¬
stand des autonomen Systems beruhen (Schweiß, Exophtalmus, Diar¬
rhöen, eventl. spastische Obstipation) und in solche, die sich auf einen
erhöhten Sympathikustonus beziehen lassen (Protrusio bulbi, vielleicht
Tachykardie, spontane und alimentäre Glykosurie usw. Zahlreiche Be¬
obachtungen zeigen, daß tatsächlich die Fälle von Basedow sich in
zwei Gruppen gliedern lassen, in deren einer die Reizer scheinungen des
sympathischen Systems vorherrschen, während bei der anderen im
Vordergründe die Erscheinungen von erhöhtem Vagustonus' stehen
(sympathikotonischer und vagotonischer Basedow). Endlich muß her¬
vorgehoben werden, daß in einer nicht geringen Zahl Von Basedowfällen
ein Reizzustand beider Nervensysteme auf der Höhe der Erkrankung
besteht. Wenn nun von mancher Seite die Ansicht geäußert wurde, daß
der Basedow’ sehen Krankheit ein Dysthyreoidismus zugrunde liege,
so muß demgegenüber hervorgehoben werden, daß auf Grund dieser
Anschauungen auch die Annahme eines Hyperthyreoidismus genügt,
um die Fälle der pathologischen Phänomene zu erklären, wenn man
außerdem eine geänderte Reizbarkeit der beiden antagonistischen Ner¬
vensysteme zur Erklärung heranzieht.
Vorläufige Mitteilungen und Autoreferate.
1105
Vorläufige Mitteilungen u. Autoreferate.
. _ o
lieber Chlorom.
Von Prof. Alfred Pribram, Prag.
Vortrag gehalten am 9. Juli 1909 im Verein deutscher Aerzte in Prag.
Ein 22 jähriger Arbeiter, welcher dem Anfnahmsarzt den Eindruck
einer Basedow’ sehen Krankheit machte, kam auf die Klinik mit folgenden
Erscheinungen :
Blässe, mäßig guter Ernährungszustand, beiderseitiger Exophthal¬
mus, Gräfe, jedoch weder Möbius noch Jäger, leichte Abduzens-
parese links ; die Schilddrüse in allen drei Lappen gleichmäßig paren¬
chymatös vergrößert, im rechten Lappen ein härtlic'her Knoten, keine
Gefäßgeräusche, keine Tachykardie.
Am Sternum eine halbkugelige, fest aufsitzende harte Geschwulst
von ca. 2 cm im Durchmesser. Kleinere solche Geschwülste am Schädel,
und zwar am Scheitel, an der rechten und an der linken Schläfe ;
umschriebenes Ödem am rechten Kiefergelenke, Milztumor bis knapp
vor dem Rippenbogen, Leberschwellung, keinerlei Hirnerscheinungen,
kein Kopfschmerz, Schwerhörigkeit und Sehstörung. In ersterer Rich¬
tung eitrige Mittelohrentzündung beiderseits, besonders rechts, und poly¬
pöse W ucherungen an der hinteren Bachen wand, in letzterer beider¬
seitige Stauungspapille mit vielen kleinen Extravasaten. Röntgenauf¬
nahmen des Schädels und des Brustkorbes ergaben durchaus normale
Verhältnisse mit Ausnahme einer vielleicht durch eine linksseitige
Pleuritis herbeigeführten leichten Verschiebung des Herzschattens nach
rechts. Das Blutbild zeigte 21/2 Millionen E. mit 55 °/0 Hb., 10000,
später 8000 Leukozyten, vorwiegend Lymphozyten und darunter sehr
viele große einkernige Zellen, wenige Myelozyten; W assermann’sche
und Pirquet’sche Reaktion negativ. Im Harn minimale Eiweißspur,
keine Albumosen, kein Bence- Jones, sehr viel Indican.
Auf Grimd des Vorhergesagten wurde die Diagnose Chlorom bezw.
Chloroleukämie gemacht. Der Vortragende erörtert kurz den Begriff
dieses Prozesses bezw. der Chlor o leukosar ko m atose und Chloromyelo-
sarkomatose Sternberg’s, die Aufstellung N aegeli’s bezgi. der Rolle
der Myeloblasten und erwähnt auf Grund der Literatur das V orkommen
von prävertebralen Leukozyteninfiltraten, fügt ferner hinzu, daß am
Abend vor dem Vortrag plötzlich eine rapid sich ausbreitende Typhlitis
eingesetzt hatte, die am folgenden Tage zur Operation führte. Es wird
ein einschlägiger Fall von Chlorom der Valv. Bauhini von Sternberg
erwähnt, und auf den sehr wjechselnden Leukozytenbefünd bei Chlorom
hingewiesen.
Bei der Operation fand sich eine Invaginatio ileocoecalis mit
enormer phlegmonöser und ödematöser Infiltration der Klappe und der
anstoßenden Blinddarmpartie (über welche, vom chirurgischen Stand¬
punkt, Dr. Rubeseh berichtete). Der Vortragende erörtert die Diffe¬
rentialdiagnose von Syphilis, Tuberkulose, Myelom und von einem in
diesem Falle noch am schwersten auszuschließenden multiplen Karzinom.
In letzterer Richtung wird auf das Vorkommen kleiner multipler Karzi¬
nome als Metastasen, bei kleinem Schilddrüsenkarzinom, hingewiesen,
welche Vortragender öfter beobachtet hatte.
Der Kranke starb an dem auf den Vortrag folgenden Tage. Bei
der Sektion fanden sich grünliche bis grüne tumorähnliche Auflage-
70
1106
Vorläufige Mitteilungen und Autoreferate.
rungen unter dem Periost der früher erwähnten Stellen, grüne Knoten
in Schilddrüse und Leber, Milztumor, große prävertebrale Infiltrate von
grünlicher Farbe, ebensolche beiderseits im retrobulbären Bindegewebe,
linksseitiges Pleuraexsudat.
Die genaue Untersuchung wird später veröffentlicht werden. Der
Fall gehört zu den sehr wenigen, die bisher im Leben diagnostiziert
wurden (nach Jacob aeus bisher drei).
Ueber kortikale Schlucklähmung.
v. Niessl-Mayendorf , Leipzig.
Eine 45 jährige Bergmannsfrau kam am 4. August 1904 in die
Nervenklinik zu Halle a. Saale. Im Herbst 1903 konnte sie plötz¬
lich nicht sprechen; sie war eine Viertelstunde stumm, aber klar bei
Verstände. Die letzten sechs Wochen vor der Aufnahme wurde die
Sprache allmählich schlechter. Die linke Schädelhälfte sehr klopf-
empfindlich. Der linke vierte Gehirnnerv paretisch. Mit dem linken
Augapfel kann Pat. nicht ganz nach unten blicken. Der rechte Gesichts¬
nerv innerviert schwach. Die Zunge ist sehr unbeholfen, weicht stark
nach rechts ab, kann kaum über die Zähne gebracht werden. Kau-
und Schluckstörung. Trismus. Beide Processus mastoidei druck¬
schmerzhaft. Pat, ißt sehr wenig, weil sie nicht schluckt. Der Schluck¬
akt selbst geht ungehindert von statten. Artikulationsstörungen, jedoch
keine motorische Aphasie. Anfangs rechtsseitige Parese, später
spastische Hemiplegie, ohne Sensibilitätsstörung. Auch die linke Körper¬
hälfte schlaff gelähmt. Ptosis links. Zurückbleiben des Augapfels bei
Bewegungen nach links. Maximale Dilatation der Pupillen und nur
spurweise Peaktion. Ohne wesentliche Änderung der Symptome Exitus.
Bei der Sektion fand sich im dritten unteren Viertel beider linken Zen¬
tralwindungen eine scharfe abgegrenzte borsdorferapf eigroße Geschwulst,
Vortragender demonstriert mittelst des Projektionsapparates eine fort¬
laufende Leihe von nach Weigert-Pal gefärbten Horizontalschnitten,
welche die Unversehrtheit der Pars opercularis Pol an di ca, dartun.
Primäre Markdegenerationen durch Hirndruck und die sekundär degene¬
rierten ganz entmarkten Bündel in der inneren Kapsel (hinterer Schenkel)
durch Zerstörung eines Teils ihrer Ursprungsgebiete werden vorgeführt.
Brücke und Medulla oblongata wurden in eine fortlaufende Leihe durch¬
sichtiger Frontalschnitte zerlegt, teils nach Weigert, teils mit Karmin
gefärbt. Die mit Karmin imbibierten Hypoglossuskerne werden in ihrer
normalen Beschaffenheit demonstriert. Die Geschwulst ist daher zweifel¬
los die Ursache des pseudobulbären Symptomenkomplexes gewesen. Da
der Schluckakt durch Anpressen der Zungenwurzel an den harten
Gaumen ünd Hebung des Kehlkopfes sich vollzieht, so ist es eine teleo¬
logisch zusammenwirkende Muskelgruppe, deren Innervationsempfin¬
dungen eine zentrale Projektion in der bezeichneten Lindenregion dan-
steilen. Die Beeinflussung des Schluckaktes durch die Hirnrinde ist
in der willkürlichen Einleitung und Hemmung desselben gegeben. Die
ärztliche Wahrnehmung, daß der Schluckreflex in normaler Weise
auslösbar war, beweist die Unfähigkeit einer Einleitung des Schluck¬
aktes von der Hirnrinde her und rechtfertigt die Auffassung des
Falles als kortikale Schlucklähmung. Autoreferat.
Referate und Besprechungen.
1107
Opsoninuntersuchungen bei Mutter und Kind.
Von Dr. Busse, Jena.
Nach der WrigK t’schen Technik werden die Sera von Schwange¬
ren, normalen Wöchnerinnen, Neugeborenen, Säuglingen bis zum 16. Tage
auf den Gehalt an Normalopsoninen gegenüber Staphylokokken unter¬
sucht, da die Angaben der Literatur über diesen Gegenstand beträchtlich
verschieden sind. Die Resultate sind die folgenden :
1. Bei Schwangeren und Wöchnerinnen schwankt der Opsoninge¬
halt zwischen 0,75 und 2,0 und beträgt durchschnittlich 1,1.
2. Das fetale Serum enthält stets Opsonin. — Durchschnittswert 0,4.
3. Der Wert bleibt bei den Säuglingen bis zürn ca. 16. Tage konstant.
4. Fruchtwasser enthält Opsonin. — Wert etwa 1/2q-
5. Fetaler Urin hat Opsonin in gleicher Menge wie Fruchtwasser.
6. Muttermilch enthält kein Opsonin. Autoreferat.
Referate und Besprechungen.
Innere Medizin.
Aus der königl. Universitätsklinik für Hautkrankheiten (Geheimr-at Neisser), sero¬
diagnostische Abteilung (Dr. Bruck) und der inneren Abteilung des Stadtkrankenkauses
in Posen (Sanitätsrat Dr. Korach).
Scharlach und Serumreaktion auf Syphilis.
(Dr. Carl Bruck u. Dr. Leo Cohn. Berl. klin. Wochenschr., Nr. 51, 1908.)
Den von Much und Eichelberg hei Scharlach erhobenen Befunden
.gegenüber verhalten sich die meisten Autoren — Schleissner, Jochmann
und Töpfer, Meier, Höhne, Boas und Hauge — durchaus ablehnend.
Einige suchen eine Erklärung für diese Befunde, die durch irgendwelche
sich unserer Kenntnis noch entziehende Nebenumstände bedingt sind. So
fanden Seligmann und Klopstock, daß ein Extrakt, mit welchem sie hei
13 Scharlachfällen negative Reaktion erhalten hatten, nach längerer Zeit
auch mit mehreren normalen, sicher nicht von Luetikern und Scharlachkranken
stammenden Seren positiv reagierte, daß das Antigen also mit der Zeit un¬
brauchbar geworden war und zu Trugschlüssen führte.
Halberstädter, Müller und Reiche mischten so Scharlachseren mit
einem durch zahlreiche Untersuchungen kontrollierten Extrakt und fanden
in 5 Fällen einwandfreie positive Reaktion, in 9 Fällen positive Reaktion
in der ersten Woche, in einem nach Ausbruch des Exanthems; in einem
Falle war am 32. Tage negative, am 36. und 45 Tage positive, am 67.
wieder negative Reaktion. Als nun dieselben positiven Seren mit einem
anderen ebenfalls reichlich geprüften Extrakte untersucht wurden, war das
Resultat stets negativ. Daraus ergibt sich, daß zwei zur Reaktion verwendete
Extrakte (,, Antigene“) in der Weise voneinander divergieren können, daß
das eine mit Lues und Scharlachserum, das andere nur mit Luesserum,
beide aber nicht mit normalen Seren positive Ausschläge geben.“
Diese Resultate finden ihre Bestätigung durch die Untersuchungen von
Bruck und Leo Cohn, welche 37 Seren von 28 Scharlachkranken in den
verschiedensten Zeiträumen während und nach der Erkrankung prüften. Zur
Prüfung verwandten sie schon häufig [kontrollierte alkoholische Extrakte
aus luetischen Lebern und ein gleichfalls schon brauchbar befundenes alko¬
holisches Extrakt aus Meerschweinchenherzen. Die in einer Tabelle nieder¬
gelegten Resultate zeigen, daß die verschiedenen Extrakte sich verschieden
verhalten, daß ein Scharlachserum mit einem Extrakt positiv reagiert, mit
mehreren anderen aber nicht. Verfasser resümieren daher: „Der Ausdruck,
daß die Syphilisreaktion bei Scharlach vorkomme“, ist also irrig. Vielmehr
70*
1108
Referate und Besprechungen.
ist das Verhalten so, daß eine Zeitlang bei der Scharlacherkrankung Stoffe
im Serum auftreten können, welche mit gewissen Substanzen in Organextrak¬
ten eine Komplementbindung verursachen. Diese letzteren müssen aber ganz
andere als diejenigen sein, mit welchen die Luesreaktion erfolgt, da Extrakte,
welche prompt auf Lues reagieren, sich Scharlach gegenüber völlig negativ
verhalten, die letztere Reaktion vielmehr auf bestimmte einzelne Extrakte
beschränkt ist.
Der Wert der Wassermann-Eeisser-Bruck’ sehen Reaktion für
die Syphilisdiagnose wird durch die Scharlachbefunde also- in
keiner Weise gemindert. Carl Grünbaum (Berlin).
Aus der experimentell-biologischen Abteilung (Prof. H. Sachs) des königl. Instituts
für experimentelle Therapie zu Frankfurt a. M. (Direktor: Geh. Ober-Medizinalrat
Prof. Dr. Ehrlich) und aus der dermatologischen Klinik des städtischen Kranken¬
hauses zu Frankfurt a. M. (Direktor: Prof. Dr. Herxheimer.)
lieber das Verhalten des Serums von Scharlachkranken bei der
Wassermann’schen Reaktion auf Syphilis.
(Dr. Fritz Höhne. Berl. klin. Wochenschr., Nr. 38, 1908.)
Während die von Wassermann, Neisser und Bruck angegebene und
ausgebaute Methode der Serodiagnostik bei syphilitischen Erkrankungen in
kurzer Zeit als wichtiges und zuverlässiges Hilfsmittel der klinischen Medi¬
zin von zahlreichen berufenen Forschern anerkannt wurde, erregten die Ver¬
öffentlichungen von Much und Eichelberg Aufsehen, welche bei Schar¬
lach in 40% der Fälle einen positiven Ausfall der Reaktion gefunden hatten.
Nachprüfungen dieser Resultate von Bruck in der Neisser’schen Klinik,
G. Meier im Laboratorium Wassermanns, von Jochmann und Töpfer,
von Boas und Haupe bei 146 Seris von Scharlachkranken ergaben stets
negative Reaktion; nur in einem Falle haben Boas und Hauge eine partielle
Hemmung ein treten sehen. Höhne hat nun weiter 53 Serumproben bei
37 Scharlachkranken zu verschiedenen Zeiten der Krankheit untersucht und
konnte in keinem einzigen Falle auch nur eine Andeutung einer positiven
Reaktion wahrnehmen. Verfasser schildert ausführlich die von ihm bei mehr
als 1000 Seris erprobte und als äußerst zuverlässig gefundene Technik der
Untersuchung und sucht die Fehlerquellen zu ergründen, auf die vielleicht
die einzig dastehenden Resultate von Much und Eichelberg zurückzu¬
führen sind. Ob nun die abweichenden Befunde durch die Verwendung
zu großer Serummengen verursacht sind, oder durch andere Umstände, „jeden¬
falls ergibt sich aus den nunmehr durch die Mitteilung von Much und Eichel-
berg veranlaßten Untersuchungen von insgesamt 183 Scharlachfällen, daßi
das Überstellen einer Skarlatina die Deutung1 der mittels der
Wassermann’schen Reaktion erhaltenen Ergebnisse und die groüe
Bedeutung der Methode fü,r die Serodiag.no s tik der Syphilis in
keiner Weise beeiütr ächtigt.“ Carl Grünbaum (Berlin).
lieber den postdlpbtherischen Herztod.
(E. Michlin, Riga. St. Petersburger med. Wochenschr., Nr. 4, 1909.)
Verfasser faßt seine Ausführungen in folgendem zusammen. Die Re¬
konvaleszenten von Diphtherie müssen sehr lange nach überstandener Krank¬
heit jegliche Anstrengung des Herzens vermeiden. Die medikamentöse Thera¬
pie bei der Diphtherie darf das Herz nicht schwächen (Vermeidung großer
Dosen von Salizyl oder Aspirin, ebenso Brechmittel oder Pilokarpin), die
Diät muß von Anfang an roborierend und stimulierend sein. Der post¬
diphtherische Herztod würde jetzt häufiger als in der Zeit vor Anwendung
des Serums, weil mehr schwere Fälle am Leben bleiben.
R. Stüve (Osnabrück).
Referate und Besprechungen.
1109
Entgiftung des Körpers bei akuten Exanthemen.
(Gustav Heim, Bonn. Zentralbl. für Kinderheilk., Nr. 6, Juni 1909.)
Bei den akuten Exanthemen haben wir offenbar einen Akt der Selbst¬
heilung vor uns. Der Körper sucht sich des eingedrungenen Giftes durch
die Haut — neben den Nieren das wichtigste Ausscheidungsorgan — zu
entledigen, wobei diese sich in einer den Giften entsprechenden Weise ent¬
zündet. Diese Art der Entgiftung will Verf. durch seine Maßnahmen unter¬
stützen. Er erreicht es durch Schweißprozeduren, durch feuchte Einpackungen.
Ein 2. Mittel zur Entgiftung erblickt er in reichlicher Elüssigkeitszufuhr.
Als dem Körper adäquatestes Getränk bezeichnet er gutes Trinkwasser.
Von einer von gleichen Gesichtspunkten ausgehenden Therapie ver¬
spricht sich Verf. auch bei Lues, die mit Exanthem einhergeht, ohne medi¬
kamentöse Behandlung Erfolg. Reiss (München).
Zu den Beziehungen zwischen Haut- und Nierenkrankhesten.
(E. No hl. Med. Klinik, Nr. 9, 1909.)
Es werden drei Fälle mitgeteilt — zwei davon betreffen Mutter und
Tochter — in denen es sich um eine eigenartige Infektionskrankheit handelt
mit hauptsächlicher Äußerung auf der Haut und in den Nieren, so jedoch,
daß die Erscheinungen an der Haut, die im wesentlichen unter dem Bilde *
des Erythema exsudativum multiforme auftraten, das Krankheitsbild anfäng¬
lich beherrschten, bis nach anfänglicher Versäumnis die genaue Urin-Unter¬
suchung die Nierenerkrankung als die wichtigere ergab, die im ersten Falle
zum Exitus führte und in den beiden anderen der Behandlung zugänglich
war und auch das Hautleiden zunächst schwinden ließ. Wenn auch die
Genese und der Zusammenhang (resp. die gemeinsame ( ?) Ursache der Er¬
krankungen noch manche Streitfrage und manche Unklarheit in sich schließen,
das eine ergibt sich mit Notwendigkeit aus dem! Aufs atze : die Wichtigkeit
und die Bedeutung der Urin-Untersruchüng in Fällen von, Erythema exsudativum
und auch bei harmloseren Erythemen und sonstigen Hautkrankheiten.
R. Stüve (Osnabrück).
Beitrag zur Behandlung der Epistaxis.
(H. Herzfeld. New-Yorker med. Monatschr., Nr. 1, 1909.)
H. empfiehlt Einblasen von Natrium perboricum, in schweren Fällen
leichte Tamponade mit einem borwasserbefeuchteten und mit Natr. perbori¬
cum bestreuten Mullstreifen. Esch.
Gynäkologie und Geburtshilfe.
Ueber Blasenbeschwerden des Weibes ohne zystoskopischen Befund.
(P. Rißmann. Zeitschr. für gyn. Urol., Nr. 4, 1909.)
So gut es trotz Zystoskop und Ureterkatheter noch Fälle von essentieller
Nierenblutung gibt, so gäbe es auch Fälle, die wir heute noch der reizbaren
Blase (irritable bladder) resp. den nervösen Blasenbeschwerden zurechneit
müssen. Es gäbe z. B. hysterische und neurasthenische Blasenbeschwerden,
sodann scheinen gewisse gelöste oder ungelöste Bestandteile des Harns! häu-.
figer, als bislang angenommen wird, Harndrang zu veranlassen, z. B. harn-
saures Natron. Auch geschlechtliche Reizungen, Onanie spielen ätiologisch
eine Rolle. R. führt einige einschlägige Krankengeschichten kurz an. Es
sei also neben der Zystoskopie die chemische und mikroskopische Unter¬
suchung des Harns ja nicht zu vernachlässigen. Therapeutisch helfe in
solchen Fällen ohne jeden objektiven lokalen Befund manchmal schon alleiuj
die psychische Behandlung, die Wachsuggestion, ev. mit Zuhilfenahme der
Elektrizität. Bei hartnäckigen Fällen hält R. auch die Hypnose für be-
1110
Referate und Besprechungen.
rechtigt. Direkt zu warnen sei in solchen Fällen vor Trinkkuren, vor den
üblichen Harndesinfizientien, vor Blasenspülungen, wie überhaupt vor jeder
lokalen Therapie. Dagegen hat R. Kapseln mit Ol. Santali des öfteren
nebenbei mit Vorteil gegeben. R. Klien (Leipzig).
Aus der königl. Universitäts-Frauenklinik Marburg.
Ueber die Behandlung der Enuresis nocturna mittels epiduraler Injektionen
nebst experimentellen Versuchen über die Aetiologie dieser Erkrankung.
(H. Sieber. Zeitschr. für gyn. Urol., Nr. 4, 1909.)
Die von Cathelin erfundene Methode ist schon vielfach gegen die
Enuresis mit, wenn auch nicht durchgängigem, so doch häufigem Erfolg
angewendet; worden. Auch in der Marburger Klinik hat man zehn Fälle
so behandelt : drei Heilungen, zwei dauernde Besserungen, drei vorüber¬
gehende Besserungen, zwei Mißerfolge. Daß die Resultate keine besseren
waren, schiebt S, darauf, daß die Injektionen im Einzelfall nicht oft genug
gemacht wurden ; sieben Fälle erhielten nur eine einzige Einspritzung. S.
erläutert dann die sehr komplizierten und leider noch immer nicht ganz
aufgeklärten Verhältnisse der Blaseninnervation und des Vorgangs der Blasen¬
entleerung. Was speziell die Enuresis nocturna betrifft, so handelt es sich
dabei höchst wahrscheinlich um einen chronischen Reizzustand des gesamten
sympathischen Systems, der sich äußert in einer Hypertonie des Detrusor
vesicae. Durch die epiduralen Injektionen werde eine Tonusveränderung des
Sympathikus hervorgerufen. R. Klien (Leipzig).
Aus der chirurgischen Klinik zu Pisa.
Harnblasenovarialfistel durch die Zysioskopie diagnostiziert.
(Prof. Dr. Rinaldo Cassanello. Zeitschr. für gyn. Urol., Nr. 4, 1909.)
Mittels der Zy stoskopie gelang der Nachweis, daß dem Urin beigemengter
Eiter aus einer neben der rechten, funktionierenden Uretermündung gelegenen,
mit einem Granulationspfropf fast ausgefüllten Öffnung austrat. Da beide
Nieren funktionierten, konnte es sich nicht, worauf die klinischen Symptome
deuteten, um eine Pyelitis bez. Pyonephrose handeln, vielmehr mußte die
Quelle der Eiterung in den zu einem Tumor verwandelten rechten Adnexen
gesucht werden. Die Laparotomie bestätigte dies; es wurden Uterus und
beiderseitige Adnexe entfernt. Rechts kommunizierte die eitrige Tubo-
ovari algeschwulst mit der Blase. Tabaksbeutelnaht der Blase ; Dauerkatheter.
Drainage per abdomen und per vaginam. Heilung. R. Klien (Leipzig).
Aus der Frauenklinik der Universität Heidelberg.
Vesikolabialfistel nach Hebosteotomie.
(Priv.-Doz. Dr. Maximilian Neu. Zeitschr. für gyn. Urol., Nr. 4, 1909.)
Bei einer rhachitischen V.-p. wurde genau nach Döderlein rechts
die Pubotomie ausgeführt. Der nach der Entbindung gesetzte Katheter ent¬
hielt reines Blut. Eine penetrierende Scheidenverletzung bestand nicht. Da¬
gegen floß durch Blasenspülflüssigkeit verdünntes Blut aus der genähten
Hebosteotomiewunde, besonders bei Druck, heraus. Es wurde daher senk¬
recht zur oberen Inzision eine etwa 5 cm lange Längsinzision über das
rechte große Labium angelegt, und nun ließ sich zwischen dem Sägespalt
die Blase vorziehen. Deren scharfrandige, von der Säge herrührende Ver¬
letzung wurde sorgfältig genäht, Drainage durch die untere Ausstichöffnung.
Auf dem Umweg über eine kleine, spontan heilende Vesikolabialfistel und
eine leichte Thrombose der linken Vena saphena Heilung. — N. sieht die
Ursache zur Blasenverletzung in dem veränderten Situs der Blase: der
Schädel stand auf dem Beckeneingang in der Weise aufgestemmt, daß das
untere Uterinsegment und die hochgezogene Blase mitsamt dem Schädel
Referate und Besprechungen.
1111
förmlich als Tumor über der Symphyse hervordrängte. Es war offenbar
nicht geglückt, die Blase aus dem Sägebereich zu schaffen. N. will in
Zukunft Schutzvorrichtungen, wie Spatel, Sägerinnen u. ä. gebrauchen. Übri¬
gens sind auch bereits von anderer Seite Blasenverletzungen bei der Döder-
lein’schen Methode beobachtet worden. Therapeutisch hält es N. für streng-
indiziert, derartige große Verletzungen, wie im beschriebenen Fall, sofort
zu nähen, sich nicht mit Dauerkatheter zu begnügen; dieser reiche nur
aus in den Bällen, wo es sich um stichförmige Verletzungen handelt (Methode
Bumm). R. Klien (Leipzig).
Aus der Frauenabteilung des Allerheiligen-Hospitals zu Breslau.
Nierenveränderungen bei Uretervaginalfisfeln.
(H. Peiser. Zeitschr. für gyn. Urol., Nr. 3, 1909.)
P. führt auf Grund einer größeren Anzahl Literatur- und dreier neuer
Fälle den Nachweis, daß, so mannigfaltig sich auch die Erkrankungen von
Fistelnieren gestalten mögen, sie alle, wenigstens in vielen Fällen, ein und
demselben Ziel zustreben: einer Atrophie der Niere mit Nachlassen der
Funktion und schließlich völliger Funktionseinstellung. Das bedeute g,ber
eine Art Selbstheilung, zum mindesten hören die Erscheinungen und Be¬
schwerden der Fistel auf. Wir sind damit zugleich der Notwendigkeit einer
eingreifenden Operation überhoben, wie es die Nephrektomie ist.
R. IGien (Leipzig).
Aus der Universitäts-Frauenklinik in Bonn.
Die Dekapsulation der Nieren bei der Eklampsie.
(Prof. Dr. K. Reifferscheid. Zeitschr. für gyn. Urol., Bd. I, H. 3, 1909.)
R. berichtet über zwei Fälle von Eklampsie und einen Fall von schwerer
puerperaler Nephritis, die alle drei durch die Dekapsulation der Nieren
nicht mehr gerettet werden konnten ; eine vorübergehende Besserung ließ
sich aber in zwei Fällen feststellen, und vielleicht wäre Fall I gerettet wor¬
den, wenn nicht eine Jodoformintoxikation hinzugetreten wäre. R. warnt
daher sehr mit Recht davor, Jodoformgaze zur Drainage zu verwenden.
— Es sind bis jetzt 30 Fälle von Dekapsulation der Nieren bei Eklampsie
veröffentlicht. Von diesen starben 15, also eine Mortalität von 50%. Nach
Abzug von drei Fällen, die an komplizierenden Erkrankungen zugrunde gingen,
beträgt die Mortalität 40%. Die schlaffen und weichen Nieren hatten keine
schlechteren Resultate wie die mit erhöhter Spannung. Ein abschließendes
Urteil über den Wert der Operation läßt sich heute noch nicht abgeben.
Jedenfalls ist aber der Eingriff hinsichtlich der in einzelnen Fällen beobach¬
teten eklatanten Erfolge berechtigt. Abzulehnen ist jedoch der Vorschlag
von Edebohls, die Operation in der Gravidität ohne vorherige Entleerung
des Uterus auszuführen, ebenso der Vorschlag von Gauss, in jedem Fall
von Eklampsie an die Entbindung sofort die Entkapselung anzuschließen.
Es ist richtiger, nach der sofort nach dem Ausbruch der Eklampsie auszufüh¬
renden Entleerung des Uterus noch 8 — 12 Stunden das Verhalten der Nieren¬
funktion abzuwarten und erst dann /einzugreifen, wenn keine Besserung
sich zeigt. R. Klien (Leipzig).
Kinderheilkunde und Säuglingsernährung.
Stillwille und Stillmöglichkeit in den unteren Volksschichten.
(H. Keller. Wiener klm. Wochenschr., Nr. 18, 1909.)
Interessante Einblicke gewährt eine Statistik, die Keller auf Grund
von 1300 auf der Kinderabteilung des Kaiser-Franz- Josef- Ambulatoriums be¬
obachteten Fällen aufstellt. Wenn sie auch zunächst nur auf die besitzlosen
Wiener Volksschichten sich bezieht, so mag sie doch auch für die gleichen
1112
Referate und Besprechungen.
Volksschichten anderer Städte annähernd zutreffen. Gar nicht gering ist
der Prozentsatz (78,6%) der Brauen, die zu stillen anfangen; er wäre noch
größer, wenn nicht mangelhafte Einsicht (in 6,3%) oder noch mehr fremde
Einflüsse (13,5%) das Stillen verhinderte. Besonders der Rat der Hebammen
hat 8,5% der Frauen am Stillen verhindert, in zehn Fällen = 0,8% aber auch
Ärzte ohne hinreichenden Grund. 0,8% der Frauen waren zum Stillen ab¬
solut unfähig. Ledige Frauen, Angehörige „besserer“ Berufe und Erst¬
gebärende stillten weniger als Verheiratete, Proletarierfrauen, Mehrgebärende.
Die in die Arbeit gehenden Frauen hatten wenig Lust, das Kind während
der Dauer des Bezugs der W öchnerinnenunterstützung anzulegen. Unter
den nicht zur Arbeit gehenden, auf Schwangerschaft versicherten Frauen
war die Stillfreude viel größer als bei den Nichtversicherten. — Die Re¬
sultate bezüglich Weiterstillens sind nicht befriedigend : sechs Monate haben
nur 29% der Frauen gestillt, während 29,2% vorher abstillten, davon 11,9%
aus gar nicht stichhaltigen Gründen, nur 6% wegen wirklicher Unfähig¬
keit. Auch hier macht sich der Einfluß der Hebammen (6%) geltend, aber
auch der ärztliche Rat scheint in 1% unbegründet gewesen zu sein. Auch
hier üben der ledige Zustand und die besseren Berufe eine ungünstige Wirkung
aus, indem hier meist schon in den ersten drei Monaten das Stillgeschäft
abgebrochen wurde. Die Zahl der durch mindestens sechs Monate ausschlie߬
lich an der Brust genährten Kinder betrug nur 21%.
M. Kaufmann (Mannheim).
Die Pirquetsche Reaktion bei Säuglingen.
(G. Kritz. Med. Klinik, Nr. 5, 1909.)
Die von Kritz an der Sol tmann’schen Kinderklinik in Leipzig ge¬
machte]! Beobachtungen (bei 5 von 40 zur Autopsie gelangten Säuglingen, die
sämtlich intra vitam die Reaktion auf Tuberkulose nicht gezeigt hatten, fand
sich bei der Autopsie Tuberkulose) bestätigen die Erfahrung, daß jede Kachexie
die Reaktionsfähigkeit in ungünstigem Sinne beeinflußt bezw. aufhebt, und
daraus "folgt, daß je besser das Material einer Säuglingsklinik ist, um so zu¬
verlässiger die Ergebnisse der Pirquet’schen Reaktion sein werden. Hier¬
durch erfährt aber die Bedeutung der Pirquet’schen Reaktion für das Säug¬
lingsalter ganz allgemein eine wesentliche Einschränkung, so daß auch jetzt
noch häufig die Frage, ob es sich gegebenenfalles um atrophische Zustände in¬
folge von Ernährungsstörungen oder um solche auf tuberkulöser Basis han¬
delt, unentschieden bleiben wird. R. Stüve (Osnabrück).
Zur kutanen Tuberkulinprobe nach von Pirquet im Kindesalter.
(Th. Hecker. St. Petersburger med. Wochenschr., Nr. 45, 1908.
Auf Grund seiner Untersuchungen kommt Hecker zu dem Resultat,
daß wir in der kutanen Tuber kulinimp füng1 ein diagnostisch äußerst prä¬
zises Mittel besitzen, in manchen, nicht ganz klaren Fällen das Vorhandensein
der Tuberkulose anzunehmen bez. auszuschließen. . Im’ übrigen ist er der Mei¬
nung, daß die Anstellung der kutanen Tuberkulinprobe besonders bei Kindern
große Vorzüge der Ophthalmoreaktion gegenüber besitze, nach welcher er
öfters das Auftreten starker Konjunktivitiden und randständige Phlyctänen
beobachtet hätte, und er bestätigt die auch von anderen Autoren gemachte
Beobachtung, daß die kutane Reaktion im vorgeschrittenen Stadium der
Tuberkulose, insbesondere einige Zeit vor dem Tode, negativ ausfällt.
R. Stüve (Osnabrück).
Aus der Universitäts-Kinderklinik Christiania.
Ueber die kutane Tuberkulinreaktion im Kindesalter.
(Dr. E. Hellesen, 1. Assistent der Klinik. Jahrb. für Kinderheilk., Juni 1909.)
Verfasser hebt die Bedeutung der Pirquet’schen Entdeckung (kutane
Impfung mit dem Koeh’schen Alttuberkulin) als diagnostisches Hilfsmittel
Referate und Besprechungen.
1113
für das Kindes alter hervor. Diese von deutschen Pädiatern allgemein
vertretene Ansicht stützt er auf ein Material von 418 Impfungen.
Zur Reaktion wurde stets sowohl ungemischtes Alttuberkulin, als auch
eine 25%ige Lösung davon verwandt. Daneben wurde eine Kontrollimpfung
ohne Tuberkulin gemacht. Irgendwelche Schädlichkeit der Impfung hat
Verfasser nie gesehen. (Desgl. Referent nie bei vielen Hundert Impfungen
an der Feer’schen Klinik in Heidelberg.) Hellesen teilt die Impflinge
in 3 Gruppen:
Gruppe 1 umfaßte Fälle von klinischer Tuberkulose, Gruppe 2 solche,
die tuberkuloseverdächtig waren, zur dritten gehörten Patienten ohne kli¬
nisch nachweisbare Tuberkulose.
Von der ersten Gruppe reagierten 97%, von der zweiten 59%, von der
dritten 23% (meist ältere Kinder).
Verfasser kommt nach seinen Beobachtungen zu dem Schluß, daß die
kutane Tuberkulinreaktion als spezifisch angesehen werden muß und mit
Kritik angewandt ein sehr wertvolles diagnostisches Hilfsmittel bei Tuber¬
kulose im Kindesalter ist.
Der positive Ausfall beweist das Vorhandensein einer Tuberkulose,
sagt aber nichts von deren Aktivität aus. Von größter Bedeutung ist die
Reaktion bei Kindern unter 2 Jahren, wo die Tuberkulose fast immer aktiv
ist, im späteren Lebensalter verliert die positive Reaktion wegen häufigen
Vorkommens inaktiver Tuberkulose an Wert.
Die negative Reaktion schließt in der Regel aktive Tuberkulose aus.
Deshalb hat der negative Ausfall große praktische Bedeutung.
A. W. Bruck.
Zur Frage der Wassermann’scben Reaktion bei Scharlach.
(R. Fua u. H. Koch. Wiener klin. Wockenschr., Nr. 15, 1909.)
lieber Komplementbindungsreaktion bei Scharlach.
(V. Hecht, M. Lateiner u. M. Wilenko. Wiener klin. Wochenschr., Nr. 15, 1909.)
Beide Arbeiten beschäftigen sich mit der Frage, ob die Wassermann-
sche Reaktion {noch als Luesreagenz brauchbar ist, nachdem sie in einer
nicht unbeträchtlichen Reihe von Scharlachfällen (von 353 Fällen bei zehn
Autoren in 45) positiv gewesen ist. In der ersten Arbeit, aus der Wiener
Kinderklinik stammend, ivird über das Resultat der Untersuchung von
59 Fällen berichtet : Davon zeigten 43 komplette Hämolyse, bei 14 Proben
trat eine Verzögerung der Hämolyse ein, in einem Fall war eine geringe
Hemmung noch nach 24 Stunden kenntlich. Nie konnte man eine so starke
Hemmung sehen, /daß eine Verwechslung mit der Wassermann’schen Re¬
aktion möglich gewesen wäre. — - Die zweite Arbeit, aus der Prosektur des
Kaiser-Franz-Josef-Spitals in Wien stammend, bezieht sich auf 119 Schar¬
lachsera bei 106 Fällen (96 Patienten, 10 Leichen). Es ergab sich nur in
drei Fällen (davon zwei bei Leichen) komplette Bindung; in allen diesen
Fällen war eine schwere Nephritis vorhanden. Die Verf. schließen daher,
daß der Wert der Komplementbindungsreaktion für Lues durch die spora¬
dischen und vorübergehenden positiven Befunde bei Scharlach in keiner Weise
beeinträchtigt wird. M. Kaufmann (Mannheim).
Bakteriologische und serologische Untersuchungen bei Scharlach.
(F. Schleißner, Prag. Wiener klin. Wochenschr., Nr. 16, 1909.)
Nach den Untersuchungen Schleißner’s scheint es, daß in jenen
Fällen von Scharlach, wo man zeitig genug untersuchen kann, noch vor
Beginn der Angina auf den Tonsillen sich fast ausschließlich Streptokokken
finden, die bei Abnahme und Züchtung auf erstarrtem Rinderserum beinahe
in Reinkultur aufgehen. In auffallend vielen Fällen . von Scharlach kann
man aus dem Blute Streptokokken züchten, ohne daß ihr Auftreten irgendwie
1114
Referate und Besprechungen.
schlechtere prognostische Bedeutung hätte. Die Sera von Scharlachkranken
der 2.-5. Woche gehen fast ausnahmslos mit Emulsionen mancher Strepto¬
kokken, die aus Scharlachblut gezüchtet wurden, Komplementbindung, ent¬
halten also Streptokokkenantikörper. In der ersten Woche scheinen die Kör¬
per noch nicht gebildet zu sein, in der sechsten Woche verschwinden sie
aus dem Blut; den Höhepunkt scheint ihre Bildung am zehnten Tage zu
erreichen. Diese Körper verhalten sich in ihrem Auftreten also ähnlich
wie die anderen Antikörper. Eine Differenzierung der verschiedenen Strepto¬
kokkenarten ergibt sich aus dieser Versuchsanordnung der Komplementbin¬
dung nicht tmit Sicherheit. — Wir können nach diesen Ergebnissen mit
Sicherheit sagen, daß der Streptokokkus zur Scharlacherkrankung in engster
biologischer Beziehung steht, ohne allerdings ihn als den Erreger der Krank¬
heit bezeichnen zu dürfen. M. Kaufmann (Mannheim).
Aus dem Kaiserin Friedrich Kinder-Krankenhaus.
Zystoskople und Ureterenkatheierismus in der Kinderpraxis.
(Portner. Deutsche med. Wochenschr., Nr. 43, 1908.)
Blasen- und Nierenleiden sind beim Kinde seltener, wie beim Erwach¬
senen, aber auch bei der zumeist unsicheren Anamnese und dem oft unklaren
objektiven Befund schwerer zu diagnostizieren. Doch darf dabei nicht ver¬
gessen werden, daß eine regelmäßige Untersuchung des kindlichen Urins,
wie sie sonst üblich ist, in chemischer wie morphologischer Beziehung, oft
Klarheit und exakte Diagnose schaffen könnte. Leider liefern viele Blasen-
und Nierenerkrankungen beim Kinde keine greifbaren Veränderungen im
Urin, wie Mißbildungen, manche Geschwülste der Harnorgane, besonders der
Nieren, sogar Nephritiden. Aber (stets müssen exakteste und wiederholte
Urinuntersuchungen vorausgesetzt sein, ehe man sich zu dem beim Kinde
besonders eingreifenden zystoskopisclien Untersuchungsmodus entschließt. Vor¬
aussetzung dafür ist der Nachweis pathologischer Eormbestandteile : wo kein
Sediment da ist, können keine zystoskopisch erkennbaren Blasenveränderungen,
vorliegen. Sonst liegt die Gefahr nahe, Kinder mit nervösen Blasenbeschwerden
zwecklos zu untersuchen und ev. zu schädigen. Wo Eiter, Blut oder andere
korpuskuläre Elemente vorhanden sind, liegt das eigentliche Gebiet der zysto-
skopischen Diagnostik, wenn man ohne diese nicht diagnostisch oder thera¬
peutisch auskommen kann und Wenn gleich zu Anfang eine chirurgische
Erkrankung vorzuliegen scheint. Es scheiden natürlich auch Fälle von Häma¬
turie aus, die durch den Nachweis anderer Blutungen oder von Zylindern
als Teilerscheinungen von hämorrhagischer Diathese oder Nephritis aufzu¬
fassen sind. Besteht Hämaturie oder Pyurie trotz exakter Therapie (Uro¬
tropin, Silbernitratspülungen) über vier Wochen fort oder sind dann noch
diagnostische Zweifel vorhanden, muß die Lokalinspektion einsetzen, und
zwar in Narkose. Bei Mädchen ist die Zystoskopie nach dem ersten Jahre
möglich, beim Knaben nach dem zweiten Jahre, und der Ureterenkatheterismus
nach dem. achten Jahre. Die Benutzung besonders dünner Instrumente ist
nötig. Beiläufig ist noch zu erwähnen, daß bei jeder länger dauernden und
therapeutisch undankbaren Pyurie an Tuberkulose der Nieren zu denken ist.
Leider ist es nicht allgemein bekannt, daß oft ein frühzeitiger Tub.-Bazillen-
Nachweis gelingt. Krause (Leipzig).
Behandlung der multiplen Papillome des Kehlkopfs bei kleinen Kindern.
(Van den Wildenberg. Arch. internat. de lar., Bd. 27, H. 2.)
Die Kehlkopfpapillome der Kinder sind eine Crux laryngologorum.
Der kindliche Kehlkopf ist sehr eng, die Affektion bedroht daher das Leben;
die Laryngoskopie ist bei kleinen Kadern gewöhnlich nicht ausführbar,
und endlich ist die Tendenz zu Rezidiven sehr groß. Verf. hat 3 Kinder
von 17 — 18 Monaten mit der Killia n’schen direkten Laryngoskopie mit
Röhrenspatel operiert, zwei in Narkose mit hängendem Kopf, das dritte
Referate und Besprechungen.
1115
ohne Narkose und sitzend. Er verzichtet auf lokale Anästhesie wegen der
Intoxikationsgefahr. Die Kleinheit der Epiglottis in diesem frühen Alter
ist eine erhebliche Erschwerung. Es gelang, mit der Löffelzange von Killiair
die Geschwülste zu fassen, doch sind gewöhnlich mehrere Sitzungen nötig,
und Rezidive verlangen erneute Behandlung. Zweimal wurde Tracheotomie
erforderlich. Ein vierter Eall zeigt die Schwierigkeiten der Therapie, Ein
Kollege machte die Thyrotomie und rottete die Papillome aus. Nach drei
Wochen schon zwang ihn ein Rezidiv zur Tracheotomie. Nach vier Jahren
sah Verf. das nun 8jährige Kind; obgleich der Kehlkopf so lange Zeit durch
die Kanüle ruhig gestellt war, war er wieder voll von Papillomen. Nun
wurde zur Laryngos tomie geschritten, d. h. zur Dauereröffnung des Kehl¬
kopfs mit Einlagen von Kautschukdrains, welche Drucknekrose verursachen,
worauf Vernarbung der oberflächlichen Schichten folgt. Für schwere Fälle
dürfte dies das indizierte Verfahren sein. Arth. Meyer.
Hals-, Nasen- und Kehlkopfleiden.
Frühdiagnose und Behandlung des Kehlkopfkrebses.
(Bourack. Arch. internat. de lar., Bd. 27, LI. 2 u. 3.)
Die erste subjektive Erscheinung des Kehlkopf karzinoms ist meist chro¬
nische Heiserkeit, so daß oft ohne Prüfung chronischer Katarrh diagnostiziert
wird. Man sieht laryngoskopisch eine Infiltration, einen Tumor von oft
papillomatösem oder polypoidem Aussehen. Weder die Oberfläche, noch die
Konsistenz und Farbe sind an sich charakteristisch. Selbst die große Wachs¬
tumsenergie kann fehlen, namentlich bei den ,, inneren“ Krebsen, die mecha¬
nischen Insulten ,wenig ausgesetzt sind. Bisweilen sieht man periodisches)
Wachstum oder scheinbare Heilung. Die Lokalisation ist nicht bestimmend
für oder gegen Karzinom. Lymphdrüsen findet man oft nicht, weil sie
beim inneren Krebs oft fehlen und in der Tiefe nicht leicht zu finden sind;
wenn vorhanden, können sie aber auch von einer anderen Affektion bedingt
werden.
Man glaubte, aus dem Alter einen Schluß auf die Diagnose ziehen zu
können; aber 16% aller Kehlkopfkarzinome finden sich bei Leuten unter1
40 Jahren, und eine Reihe von Fällen ist bei Kindern beobachtet worden. —
Probebehandlung mit Jodkali läßt gewisse Schlüsse zu; Lues pflegt schnell
darauf zu reagieren, und auch Tuberkulose bessert sich in höherem Grade
als Karzinom, bei dem nur ein ganz flüchtiger, leichter Effekt erzielt wird.
Aus subjektiven Zeichen kann man nichts entnehmen, Schmerz tritt meist
erst in vorgeschrittenem Stadium auf. — Die Beweg ungshemmung des
Stimmbandes spricht in hohem Grade für Karzinom, obgleich auch bei Tuber¬
kulose Fixation beobachtet wird. Tuberkelbazillenbefund schließt Karzinom
nicht aus, da Phthise und Krebs nebeneinander bestehen können.
Die sichersten Resultate gibt die Probeexzision mit mikroskopi¬
scher Untersuchung. Jedoch kommen Fälle vor, in denen die Karzinom¬
struktur wenig Charakteristisches hat ; ferner muß man sich hüten, nur aus
den wuchernden Granulationen oder aus der bedeckenden pachydermischen
Schicht zu exzidieren.
Einzelne an sich beweisende Zeichen des Karzinoms gibt es kaum ; in
jedem Falle bedarf es der Zusammenfassung des ganzen Bildes und einer aus
der Erfahrung resultierenden Einsicht in das Werden der Krankheit, um zur
Diagnose zu kommen.
2. Die Behandlung muß chirurgisch sein, sich aber der Ausdehnung
des Leidens, ja dem Grade seiner histologischen Malignität anpassen; so rät
Navratil z. B., bei „encephaloiden“ Tumoren, selbst wenn sie minimal sind,
zur Totalexstirpation.
Die Totalexstirpation des Kehlkopfs hat mit der Zeit immer bessere
Resultate erreicht, die Mortalität ist gesunken, die Zahl der Heilungen ge¬
stiegen. Die Technik ist individuell noch verschieden; auch die Indikation.
1116
Referate und Besprechungen.
Die meisten jedoch operieren nur, wenn keine ausgedehnte Durchwachsung
der Umgebung und keine Metastasen vorhanden sind. Teilexstirpation wird
in letzter Zeit immer seltener angewendet; ihre Mortalität ist eher größer
als die der totalen. Es kommen natürlich nur einseitige Fälle in Betracht.
Die Thyrotomie hat am meisten Boden gewonnen, dank der Arbeit
Semon’s, Chevalier Jacksion's, Pinia,zek’s u. a. Die Mortalität ist ge¬
ringer als nach Totalresektion, aber doch nicht so gering, daß man die Thyro¬
tomie als Explorativoperation ausführen dürfte, wie manche wollen. Ein
weiterer Vorzug ist die leichte Technik. Der Tumor muß gut abgegrenzt sein.
Die endolaryngeale Operation, zuerst von Eränkel eingeführt, ist
vielem Widerspruch von chirurgischer, aber auch von laryngologischer Seite
begegnet. Sie hat aber, bei kleinen Tumoren (ein Stadium, das leider nicht
oft zur Operation kommt), sehr gute Resultate, und vor allem den Vorzug
einer Mortalität = 0. Verf. fügt drei eigene, günstig verlaufene Fälle an.
Vollkommene Beherrschung der Technik ist freilich erforderlich. Besonders
geeignet sind zirkumskripte Knötchen und gestielte (polypoide) Tumoren.
Die Röntgen- und Radiu'mbehandlung ist zur Beseitigung des
Tumors nicht geeignet, sie kann dagegen nach der Operation zur Verhütung
des Rezidivs und bei inoperablen Geschwülsten zur Anwendung kommen.
Arth. Meyer.
Larynxkondylome.
(A. Aronson. Archiv für Laryng., Bd. 22, H. 1.)
Die Kondylome oder Plaques muqueuses sind an diejenigen Stellen des
Kehlkopfes gebunden, wo Papillen unter dem Epithel bestehen. Ihr Lieblings¬
sitz ist der freie Rand der Stimmbänder. Hier ist die häufigste Form eine
weißliche, einem Lapisfleck ähnliche Verfärbung des Epithels, von einem
hyperämischen Hof umgeben. Später, sobald durch Abstoßung des Epithels
Erosionen sich bilden, nimmt die grauweiße Farbe eine rötliche Nuance an.
Durch Kontaktwirkung pflegt auf der Gegenseite eine gleiche, meist kleinere
Erosion zu entstehen, so daß ein symmetrisches Auftreten charakteristisch ist.
Rauhigkeit der Stimme ist das häufigste Symptom, aber auch Behinderung
der Atmung ist in einzelnen Fällen berichtet worden. Die Plaques sind im
Kehlkopf sehr viel seltener als im Rachen und auf der Haut. Aber wenn
Verf. sie nur auf 2,4% aller syphilitischen Larynxerkrankungen schätzt, so
hält Ref. diese Zahl für viel zu niedrig. Während die Plaques durchjauis
dem Frühstadium angehören, berichtet Verf. über einen Fall, in dem sie drei
Jahre nach dem Primäraffekt auftraten. — Neben der Allgemeinbehandlung
ist auch die lokale wichtig. A. rät zu Inhalation von Adstringentien, Kalo-
mel- und Dermatol-Einblasungen, bei tieferer Geschwürsbildung zu Ätzung
mit Lapis in Substanz. Arth. Meyer (Berlin).
Ein Fa!! von Larynxstenose beim Erwachsenen, mit Intubation erfolgreich
behandelt; beständiges Tragen der Tube während vier Jahren.
(W. K. Simpson. Amer. Journ. of Surg., Nr. 4, 1909.)
Wegen einer geschwürigen Verengerung des Pharynx und Larynx un¬
bekannter Natur war der Kranken nach Tracheotomie eine Kanüle eingelegt
worden; sie konnte während mehreren Monaten nicht entfernt werden und
brachte die Kranke durch beständiges Husten und starken Auswurf so weit
herunter, daß schließlich nach Dilatation des verengten Kehlkopfs in Nar¬
kose eine Intubationstube aus Hartgummi eingelegt und die Kanüle ent¬
fernt wurde. Die Tube wurde nun andauernd getragen, von Zeit zu Zeit
ausgehustet, mußte aber immer * nach einigen Stunden oder Tagen wegen
zunehmender Dyspnoe wieder eingeführt werden. Nach der in Narkose vor¬
genommenen Verschließung der Trachealfistel atmete die Kranke nur durch
die Tube. Einmal wurde die Tube zwei volle Jahre getragen, ohne entfernt
zu werden, bis sie dann schließlich wieder ausgehustet wurde. Doch lernte
Referate und Besprechungen.
1117
es die Kranke, sie bei Hustenanfällen mit dem Ringer zurückzuhalten.
Sie tat in dieser Zeit ihre gewöhnliche Arbeit und empfand nur wenig
Belästigung. Nach vier Jahren wurde die Tube versuchsweise entfernt und
brauchte im folgenden Jahre nicht mehr eingesetzt zu werden.
Als die Tube nach vierjähriger Anwesenheit im Kehlkopf entfernt
wurde, war dieser stark gerötet, doch ohne Ulzerationen, die Stimmbänder
bewegten sich, aber die Stimme war zunächst klanglos, erholte sich je¬
doch. Natürlich blieben dauernde Veränderungen im Kehlkopf, doch wurde
er zu praktischer Brauchbarkeit hergestellt.
Simpson schließt aus dieser Krankengeschichte, daß die Dauer¬
intubation ein besseres Mittel ist, um? Absorption und Erweiterung1 zu
bewirken, als die temporäre Dilatation, daß eine Tube auf die Dauer besser
vertragen wird, als eine Trachealkanüle und daß sich eine Hartgummi¬
tube besser dazu eignet, als eine metallene — die von der Kranken ge¬
tragene Kanüle war nämlich ,aus Hartgummi, und S. ist überzeugt, daß
eine Metallkanüle mehr Kalk angesetzt und die Umgebung stärker gereizt
haben würde. Er. von den Velden.
Behandlung der Kehlkopftuberkulose durch Sonnenlicht.
(Kramer. Archiv für Laryng., Bd. 21, H. 3.)
K. empfiehlt die SorgoAche Methode. Die meisten Patienten erlernen
die Autolaryngoskopie gut. Besonders ist der Aufenthalt an der Riviera
für diese Kur geeignet. Verf. berichtet über einen vorgeschrittenen Fall, der
erhebliche Besserung erfahren hat. Das Licht wirkt zwar an sich bakteri¬
zid, doch hält K. die reaktive Entzündung für den eigentlichen heilenden
Faktor. Arth. Meyer (Berlin).
Diätetik.
Die diätetische Behandlung der Cholelithiasis.
(R. Kolisch, Karlsbad. Monatsschr. für die phys.-diät. Heilmethod., 1. Jg., 2.H., 1909.)
Bei der Häufigkeit der Gallensteinkrankheit ist es gewiß von Inter¬
esse, die Ansichten kennen zu lernen, welche sich ein logisch denkender Kli¬
niker auf Grund ausgedehnter Erfahrungen gebildet hat. Kolisch hält
die Bildung von Gallensteinen für den Ausdruck einer Konstitutionsano¬
malie, welche jedoch nichts zu bedeuten habe, so lange nicht eine entzünd¬
liche Reizung dazugetreten sei. Nicht das Auflösen oder Hinausbefördern
der Steine sei das Ziel einer auf das Erreichbare gerichteten Therapie,
sondern die Abhaltung von Reizen, welche die Entzündung wieder auf¬
flackern lassen. An erste Stelle rückt er deshalb Ruhe, Ruhe des Körpers
und Ruhe der Eingeweide. Nahrungsmittel, welche an den Verdauungsapparat
möglichst geringe Anforderungen stellen (viel Kohlehydrate, wenig Eiweiß
[Eier, Fisch, weißes Fleisch, Milch], mäßig reichliche Fette, und zwar in
Form von Milch, Rahm, Butter, Öl, Lipanin), keine Gewürze, kein Alkohol,
keine kalten, sondern heiße Flüssigkeiten, ev. hohe Darmspülungen mit
heißem Karlsbader Sprudel sind seine diätetischen Vorschriften. Aber es ge¬
nügt nicht, diese nur 4—6 Wochen lang einzuhalten. Der Kranke muß
mindestens ein ganzes Jahr sein strenges Regime befolgen; dann erst kann
er hoffen, daß die Reizung, welche in dem Anfall zum Ausdruck gekommen
war, sich endgültig beruhigt hat, daß die Latenz der Steine dauernd ge¬
worden, der Patient wieder geheilt ist. Buttersack (Berlin).
Ueber die Bouma’sche Diabetesmilch.
(Mayer. Zeitschr. für Balneol., Nr. 5, 1909.)
Die bisherigen Milchpräparate für Diabetiker enthielten immer noch
relativ große Mengen von Milchzucker oder hatten einen so wenig zusagenden
1118
Referate und Besprechungen.
Geschmack, daß sie sich nicht einbürgern konnten. Demgegenüber enthält
die Bouima’sche Milch nur ganz minimale Mengen von Milchzucker. Sie
hat einen recht guten Geschmack, ist vor allem sehr fettreich und kann wie
gewöhnliche Milch sterilisiert werden. s
In Berlin wird sie hergestellt nach den Angaben des Erfinders von
der Molkerei Hellersdorf. Neumann.
Die vegetarische Lebensweise bei Gesunden.
(Determann. Beiheft der med. Klinik, Nr. 3, 1909.)
Verf. kommt nach einwandfreier Prüfung und Beiseitelassung aller un¬
wesentlichen Momente zu folgendem Schlüsse:
Die Pflanzenkost inkl. Milch und Milchpräparaten und Eiern leistet
für die Ernährung vollständig alles, was zur Erhaltung der Gesundheit er¬
forderlich ist; sie bietet gegenüber der vorwiegenden Fleischkost keinen
Nachteil, wenn sie richtig vorbereitet und ausgewählt ist. Auch der Eiwei߬
gehalt läßt sich durchaus genügend groß gestalten. Zwischen den Eleisch-
und Pflanzeneiweißstoffen besteht bezüglich der Verwertung im Körper wahr¬
scheinlich kein spezifischer Unterschied. Ein zu hoher Eiweißgehalt der
Nahrung bringt andererseits wahrscheinlich Schädlichkeiten für die Gesund¬
heit mit sich. Auch haben die Harnsäurebildner, die besonders im Fleisch
enthalten sind, in zu großer Menge eingeführt, höchstwahrscheinlich Nachteile
für die Gesundheit. Es ist aber nicht nötig, das Fleisch zu vermeiden, sondern
es ist nur eine erhebliche Beschränkung des Fleischgenusses zu empfehlen.
Die Pflanzen-Milchkost ist viel billiger als die vorwiegende Fleischkost,
allerdings ist auch ihre Ausnutzung durch den Darm schlechter. Der Über¬
gang zur Pflanzen-Milchkost kann nur allmählich erfolgen. Die sorgfältige
Zubereitung in der Küche macht die vegetarische Kost leichter verdaulich
und ausnutzbar. Neumann.
Die therapeutische ChSorentziehung.
(Prof. F. Widal, Paris. Klin.-ther. Wochenschr., Nr. 18, 1909.)
Nachdem man durch das Studium des Kochsalzstoffwechsels zur Er¬
kennung der hy dropserzeugenden Wirkung des zurückgehaltenen Chlornatriums
gelangt war, bewies Verf. durch eine Reihe von Versuchen, daß unter den
gelösten Substanzen das Kochsalz die einzige sei, welche in der Pathogenese
des Bright’schen Ödems in Betracht kommt, während dem zurückgehaltenen
Harnstoff keine Rolle bei der Entstehung des Hydrops zukommt. Verf.
hat demzufolge weiter gezeigt, daß man in vielen Fällen die sonst übliche
Milchdiät durch eine noch salzärmere ersetzen kann, welche aus reichlichen
Mengen Fleisch und festen Speisen besteht; letztere kann, wenn sie ohne
Salz verabreicht wird, die wohltätigste Wirkung ausüben; daß weiter eine
chlorarme Diät nicht nur das Fortschreiten des Bright’schen Ödems aufzuhalten,
sondern sogar dessen Rückbildung zu bewirken vermag. Der Grund hierfür
ist in der Undurchgängigkeit der Niere für Chloride zu suchen, die in
manchen Fällen eine äußerst hochgradige ist. Die therapeutische Chlor ent-
ziehung hat zwei Indikationen: Die Entfernung des Salzes und des Ödems
aus dem Organismus und die Einleitung einer Diät, deren NaCl-Gehalt der
Durchgängigkeit der Niere für Chloride entspricht; hier ist durch allmäh¬
liches Tasten eine Toleranzgrenze zu bestimmen, die in der Ernährung inne¬
zuhalten ist. Unter der therapeutischen Chlorentziehung verschwinden die
Ödeme mit überraschender Schnelligkeit; sie behandelt nur die Chlorreten¬
tion, nicht die Anhäufung des Harnstoffs im Blut. Die Bestimmung des
letzteren ist jedoch von der größten prognostischen Bedeutung; sie ermög¬
licht es auch, zu erkennen, in welchen Fällen die chlor arme Diät ihre ganze
Heilwirkung entfalten kann. Nachteile für die Brightiker hat die chlor¬
freie Diät selbst bei längerer Dauer in keiner Beziehung. Peters (Eisenach).
Büch erschau.
1119
lieber „Macrobiose“, ein neues Nährmittel.
(Dr. J. Nerking, Düsseldorf. Med. Klinik, Nr. 4, 1909.)
Das beschriebene Nährpräparat gehört zur Gruppe derjenigen, welche
die organischen Nährstoffe sämtlich enthält und zwar in konzentrierter Form,
und daneben einen reichlichen Gehalt an Salzen aufweist. Die mit dem Mittel
bei schwächlichen Kindern etc. erzielten Resultate waren als günstige zu be¬
zeichnen; ein Stoffwechselversuch ließ erkennen, daß die Ausnutzbarkeit
des Präparates eine gute war. R. Stüve (Osnabrück).
Bücherschau.
Fettresorption im Darme und Galtenabsonderung nach Fettdarreichung.
Zugleich ein Vorschlag zur Verbesserung der Oelkur. Von Dr. Georg
Köster, Professor an der Universität Leipzig. Mit 6 Tafeln. Leipzig
1909, Verlag von Dr. W. Klinkhardt. 98 S. 6,50 Mk.
Den experimentellen Untersuchungen, die K. in seinem Buche niedergelegt hat,
verdanken wir eine Reihe interessanter und für die Praxis bedeutsamer Ergebnisse.
So erfahren wir, daß stomacliale wie rektale Fettzufuhr zwar keine Vermehrung
der abgesonderten Gallenmenge bewirke, wohl aber eine beständige Entleerung der
Gallenblase, und daß in diesem Sinne die Oelkur — ohne also echt „cholagog“ zu
wirken — , sich zur Behandlung der Cholelithiasis zweckmäßig erweise, wobei außer¬
dem die Erweichung der Stuhlmassen, bei der meist gleichzeitig vorhandenen
Obstipation von Nutzen sei. Der Nachweis nun, daß kleine Oelmengen, rektal ein¬
verleibt, sicher bis zur Bauhin’schen Klappe wandern, ermöglicht eine sehr er¬
wünschte Vereinfachung der Oelkur: schon geringe Mengen (40—45 g) genügen.
Die Bevorzugung des Eunatrols ist nach K. grundlos, da Neutralfett für den Darm
bekömmlicher ist als Seifen. Für die Herstellung von Nährklysmen wiederum von
wesentlicher Bedeutung ist die vom Verfasser betonte überraschend große Fähigkeit
des Dickdarms (samt Rektum), Fett zu resorbieren, eine Fähigkeit, die durch
Pankreon-Zusatz noch gesteigert werden kann, auf chemischem Wege übrigens
bereits von anderen Autoren erwiesen wurde. Zum gleichen Ergebnisse führt nun
auch die histologische von K. unternommene und sorgfältig durchgeführte Er¬
forschung des Warmblüterdarms nach intravitaler Fettzufuhr. Der chemischen
Methode zeigt sich die histologische weit überlegen, und zwar wegen ihrer ungleich
größeren Empfindlichkeit, wo es sich um das Studium jener subtilen Vorgänge
handelt, die den Verdauungsprozeß zusammensetzen, besonders aber bei Beobachtung
der initialsten Stadien der Resorption. Der Mangel der histologischen Methode,
das Fehlen eines objektiven Maßstabes zur genauen Abschätzung quantitativer
Verhältnisse, entgeht dem Verfasser keineswegs, wie denn diese Studien überhaupt
von kritischer Betrachtungsweise geleitet sind. Durch Kritik anderer Arbeiten aus
dem gleichen Gebiete verschafft er uns gleichzeitig einen Überblick über den
gegenwärtigen Stand der Fettresorptionslehre. Fehlerquellen, in Mängeln der
chemisch-histologischen Technik begründet, werden da enthüllt und scheinbare
Widersprüche in der bisherigen Forschung aufgelöst. Mehrfach betont K. — auf
seine Befunde gestützt — den vitalen Charakter der Fettresorptionsleistung, und
ein eigener Abschnitt des Buches zeigt uns, wie sehr die Fettresorption des über¬
lebenden Darmes hinter der des lebenden zurücksteht. Hier stützt sich K. auf
Versuche, die er im Gegensätze zu den Arbeiten anderer Forscher am künstlich
überlebenden, d. h. mit Ringer’scher Lösung gespeisten Darme vorgenommen hat,
was besonders hervorgehoben sei. Von den sonstigen Resultaten der K.’schen
Untersuchungen soll hier nur erwähnt werden, daß Fettresorption vom Magen aus
niemals nachgewiesen werden konnte, daß die Behauptungen früherer Autoren be¬
stätigt werden, wonach nicht die Galle, wohl abpr das Pankreas-Sekret zur Fett¬
resorption absolut nötig ist, ferner, daß künstliche Fett-Emulsionen vom Darme
nicht so gut vertragen werden wie die von ihm selbst emulgierten Fette. Bei Er¬
klärung des Fett-Resorptionsvorganges selbst erkennt K. die prinzipielle Richtigkeit
der Lösungstheorie an, nicht ohne auf ihre derzeitige Lückenhaftigkeit hinzuweisen,
wobei wir einigen Einblick in die Schwierigkeiten dieses Forschungsgebietes er¬
halten. Ausführliche Versuchsprotokolle, eine Tabelle und eine Reihe anschaulicher
histologischer Bilder ergänzen die Ausführungen des Verfassers, und jenen Lesern,
die sich mit den Themen dieser Schrift eingehender zu befassen wünschen, wird das
beigegebene Literaturverzeichnis ein willkommener Wegweiser sein. G. Brecher.
1120
Bücherschau.
Atlas und Grundriß der Röntgendiagnostik in der inneren Medizin.
Bearbeitet von C. Beck-New-York, L. Brauer-Marburg, F. M. Groedel-
Nauheim, G. F. Haenisch-Hamburg, F. Jamin-Erlangen, A. Köhler-
Wiesbaden, P. Krause-Bonn, G. Spieß-Frankfurt a. M., A. Steyrer-
Berlin. Herausgegeben von Franz M. Groedel, Bad Nauheim. Mit
297 Abbildungen auf 12 photographischen und 44 autotypischen Tafeln
und mit 114 Textabbildungen. München 1909, Verlag J. F. Lehmann.
Preis gebunden 24 Mk.
Seit dem Erscheinen des klassischen Buches von Holzknecht: „Die rönt¬
genologische Diagnostik der Erkrankungen der Brusteingeweide“ (1901) sind manche,
wenn auch nicht allzuviele, neue Errungenschaften auf dem Gebiete der internen
Röntgendiagnostik erzielt worden. Es war daher ein durchaus berechtigter Gedanke,
eine zusammenfassende Darstellung unserer jetzigen Kenntnisse auf diesem Gebiete
zu geben. Groedel hat diesen Gedanken in glücklicher Weise verwirklicht und
mit Hilfe bewährter Forscher ein Handbuch geschaffen, das für jeden Kliniker
und Röntgenologen ein wertvolles Nachschlagebuch bilden wird. Von den, nicht
alle ganz gleichwertigen, Abhandlungen haben dem Referenten besonders die von
Groedel selbst verfaßten Abschnitte über die Untersuchung des Herzens und des
Magen-Darmkanals gefallen. Für die Darstellung der Röntgen-Untersuchung der
Leber und der Gallenblase (Beck) hätten 1 — 2 Seiten (statt 15 Seiten) reichlich
genügt. Auch einigen anderen Abhandlungen haftet eine gewisse Weitschweifigkeit
an, die durch klinische, kaum zum Thema gehörige Erörterungen bedingt ist.
Wenn dagegen z. B. Haenisch bei der Röntgen-Untersuchung des uropoetischen
Systems schreibt „auf die spezielle Technik näher einzugehen ist hier nicht der Ort“
so erhebt sich die Frage: wo ist denn sonst der Ort dafür? Diese kleinen Aus¬
stellungen sollen aber keineswegs den Wert des Gesamtwerkes herabsetzen, das, wie
nochmals hervorgehoben sei, eine hervorragende Leistung darstellt. Ein ausführliches
und sorgfältiges Literaturverzeichnis wird vielen Benutzern angenehm sein.
W. Guttmann.
Mann und Weib. Eine Darstellung der sekundären Geschlechtsmerkmale
beim Menschen. Von Havelock Ellis. Deutsch von H. Kurelia.
Würzburg, C. Kabitzsch, 1909. 533 S. 6 bezw. 7 Mk.
Daß das Weib ein anderes Gebilde sei als der Mann, hat sich auch den
primitiven Völkern mit zwingender Kraft aufgedrängt. Den Unterschieden „exakt“
nachzugehen, haben erst die letzten Dezennien unternommen. Was da alles an
anatomischen und physiologischen Daten erarbeitet worden ist, hat Ellis im vor¬
liegenden, bereits hinlänglich bekannten Buch zusammengestellt. Es ist der Haupt¬
sache nach eine Art von Nachschlagewerk, in gleicher Weise wertvoll für den
physiologisch denkenden Arzt, für Psychologen wie für Sozialpolitiker.
Auf die ersten 5 Kapitel anatomischen Inhalts folgen 6 Abschnitte über
physiologische Dinge (die Sinne, Bewegungsfunktionen, intellektuelle Begabung,
Stoffwechsel, innere Organe, Periodizität), dann wird das psychische Verhalten zur
Hypnose u. dergl., die Emotivität, die künstlerische Begabung und die psycho¬
pathischen Erscheinungen erörtert, und schließlich folgen 2 Kapitel über die
Variabilität bei den Geschlechtern sowie über Natalität und Morbidität: auf jeder
Seite verrät der Autor eine Unmenge von Kenntnissen und viel Esprit. Der Ueber-
-setzer bleibt dem Original wohl nichts schuldig. —
Seit den ältesten Zeiten werden Mann und Weib als zwei gänzlich verschiedene
Organisationen betrachtet; auch der Titel des vorliegenden Werkes betont die
Gegensätzlichkeit der Geschlechter. Aber wenn gleich ohne Zweifel auf der einen
Seite Herkules, auf der anderen die Venus von Milo die Ideal-Typen verkörpern
mögen, so stellen m. E. die Menschen, wie sie die Erde beleben, keine reinen Typen
dar, sondern Mischungen von — wenn man so sagen darf — männlichen und weib¬
lichen Eigenschaften. Daher kommt es, daß wir so vielen, standesamtlich als
Männer eingetragenen Personen begegnen mit weiblichen, pnd Frauen mit männ¬
lichen Qualitäten. Also auch in' dieser Beziehung erkennen wir schon im Einzel¬
wesen das synthetische Bestreben der Natur, dem unsere Analysis- bezw. Eman¬
zipationsgelüste schnurstracks zuwiderlaufen. Buttersack (Berlin).
Schriftleitung: Dr. Ri gier in Leipzig.
Druck von Emil Herrmann senior in Leipzig.
27. Jahrgang.
1909.
?ort$cbrim der medizin.
Unter Mitwirkung hervorragender Fachmänner
herausgegeben von
Professor Dr. 0. Köster Prio.-Doz. Dr. o. (Kriegern
in Leipzig. in Leipzig.
Schriftleitung: Dr. Rigler in Leipzig.
Nr. 30.
Erscheint am 10., 20., 30. jeden Monats. Preis halbjährlich
6 Mark, inkl. Zeitschrift für Versicherungsmedizin 8 Mark.
Verlag von Georg Thieme, Leipzig.
30. Oktober.
Originalarbeiten und Sammelberichte.
Fortschritte der Medizin in den letzten Dezennien.
Von Dr. Lipowski,
dirig. Arzt der inneren Abteilung der städtischen Diakonissenanstalt in Bromberg
(Schluß.)
Es ist bekannt, daß, wenn in einen Stromkreis eine möglichst
luftleer gemachte Glasröhre eingeschaltet wird, in dieser kein Funke
überspringt, sondern ein Licht entsteht, welches, von der der Kathode
gegenüberstehenden Antikathode ausgehend, imstande ist, feste Körper
zu durchdringen. Dieses von Röntgen entdeckte Phänomen führte
zu den nach diesem genialen Beobachter genannten Strahlen, welche
sich gradlinig fortpflanzen, nicht reflektiert werden, durch einen
Magneten abgelenkt werden und imstande sind, chemische Wirkungen
hervorzubringen, daher auch die photographische Platte verändern.
Nach dem man die Entdeckung gemacht hatte, daß Wismutsalze
Röntgen strahlen absorbieren, benutzte man diese Beobachtung zur rönt-
genologen Untersuchung des Magendarmkanals.
Der Magen wird mit einem dünnen Griesbrei (300 g) gefüllt, dem
zwei Eßlöffel Bi carbonic. hinzugefügt sind. Sowohl auf dem Platin-
zyanürschirm als auf der photographischen Platte sieht man dann
deutlich den mit dem Brei gefüllten Magen, dessen Inhalt sich sehr
bald zu entleeren beginnt. Nach wenigen Stunden bereits ist vom
normalen Magen der gesamte Inhalt herausbefördert, der dann sehr
schnell den Dünndarm passiert und erst im Cöcum längere Zeit ver¬
weilt. Erst nach 24 bis 36 Stunden ist der Brei im S. Romanum an¬
gelangt. Im Darm geht dem festen Inhalt eine Luftblase voraus,
welche die Entfaltung des Darmes zu bezwecken scheint.
Der Röntgendurchleuchtung des Magens verdanken wir auch die
Kenntnis seiner normalen Gestalt, die wir bisher aus anatomischen oder
chirurgischen Beobachtungen her kannten. Der normale Magen hat
nach übereinstimmenden Berichten die Gestalt eines Posthornes oder
Rinderhornes, das ziemlich senkrecht links von der Mittellinie steht,
mit dem Pylorus die Mittellinie überragend. Bei ptotischen Mägen
senkt sich der Fundus bis tief in das Becken hinab, während der Pylorus
durch das Duodenum fixiert ist. Auf diese Weise bildet der Magen
in seinem Fundus einen mehr oder weniger großen Knick, welcher
in hochgradigen Fällen der Weiterbeförderung des Mageninhaltes einen
71
1122
Lipowski,
mechanischen Widerstand leistet. In anderen Fällen sieht man -den
Magen quer stehen als Folge einer Verwachsung des Pylorus mit der
Leber. Ist die Magenwand durch ein Ulzus oder ein Karzinom zer¬
stört, dann haftet an diesen Stellen nicht der Bi. -Brei, so daß im
Röntgenbilde an diesen Stellen das Magenbild wie ausgenagt erscheint.
Befindet sich das Karzinom am Pylorus, dann erscheint die Magen¬
figur am Pylorus wie abgeschnitten.
So verdanken wir der röntgenoskopischen Untersuchung außer¬
ordentlich wichtige Ergebnisse, welche allmählich denen der anderen
Untersuchungsmethoden an Bedeutung gleichkommen.
Koch weiter fortgeschritten sind die röntgenoskopischen Unter¬
suchungen und Ergebnisse der Thoraxorgane. Zentrale Lungenverände¬
rungen, welche bisher unseren Untersuchungsmethoden nicht zugänglich
waren, sind jetzt ohne weiteres auf dem Röntgenschirm oder auf der
photographischen Platte sichtbar. Ebenso bietet sich uns das Herz
in seiner normalen Gestalt dar, unabhängig von der das Herz über¬
lagernden Lunge. Aneurysmen, Ösophagusdivertikel, Fremdkörper in
der Speiseröhre, Mediastinaltumoren und dergl. sind dankbare Objekte
für die Röntgenuntersuchung.
Eine große Schwierigkeit bot bisher die Größenbestimmung der
im Körperinnern gelegenen Organe. Da die Strahlen von der Anti¬
kathode kegelförmig ausgehen, wird, da der zu durchleuchtende Körper¬
teil zwischen Lichtquelle und Schirm liegt, der Körperteil größer als
er !in Wirklichkeit ist, auf den Schirm projiziert werden. Diese Fehler¬
quelle ist auf zwei verschiedene Arten vermieden worden.
Einmal kann man die Lichtquelle beweglich machen und an den
Grenzen des zu umzeichnenden Organes herumführen. Wenn man dann
ferner in derselben Achse mit der Lichtquelle einen Zeichenstift an¬
bringt, dann kann man auf diese Weise den zu untersuchenden Körper¬
teil in seiner natürlichen Größe erhalten (Orthodiagraphie).
Ein anderer neuerdings beschrittener Weg ist die Durchleuchtung
mit parallelen Strahlen, welche man dadurch erlangt, daß die Licht¬
quelle mindestens einen Meter von dem zu durchleuchtenden Körper¬
teil entfernt ist. Um die Schädigung des Bildes durch Atembewegungen
auszuschalten, ist neuerdings die Momentphotographie eingeführt wor¬
den, welche durch geringfügige Änderung des bisher üblichen Instru¬
mentariums möglich ist.
Wie wir oben gesehen haben, besitzen die Röntgenstrahlen che¬
mische Eigenschaften, welche sich in der ersten Zeit der Röntgen¬
untersuchungen sehr unangenehm bemerkbar gemacht haben. Alle
Röntgenologen bekamen mehr oder weniger Veränderungen der Haut,
der Haare und Nägel, welche in der Regel jeder Behandlung trotzten.
Röntgen Verbrennungen der Haut brauchten jahrelange Behandlung, wenn
sie überhaupt heilten. Es ergab sich daher von selbst die Notwendig¬
keit, Schutzmaßregeln zu erfinden. Die Beobachtung, daß Blei, selbst
in geringer Dicke, Röntgenstrahlen nicht durchlasse, führte zu der
Anwendung der Bleischürzen und Bleikappen, welche den großen Nach¬
teil der Schwere und geringen Handlichkeit haben. Viel zweckmäßiger
sind die Schutzwände und Schutzhäuser, welche mit Bleiplatten resp.
Bleiglas ausgeschlagen sind. Der Untersucher steht bequem hinter
der Schutzwand und kann sowohl den Kranken wie die Röhre kon¬
trollieren.
Fortschritte der Medizin in den letzten Dezennien.
1123
Diese zunächst Bestürzung erzeugende Beobachtung führte sehr
bald zur therapeutischen Ausnutzung der chemischen Eigenschaften
der Röntgenstrahlen. Bei der immensen Gefahr der unrichtig ange¬
wandten Strahlen kann nicht genug betont werden, daß Röntgenthera¬
peut nur werden darf, wer das Instrumentarium und die theoretischen
Kenntnisse durchaus beherrscht. Dann allerdings verfügt man über
eine ausgezeichnete therapeutische Kraft, besonders zur Behandlung
von chronischen Ekzemen, Psoriasis, Pruritus, Verrucae und dergl. Ober¬
flächliche Karzinome bieten ein außerordentlich dankbares Gebiet für
Röntgenbehandlung, während tiefliegende Karzinome weniger der Ein¬
wirkung 'der Röntgenstrahlen unterliegen. Viel leichter werden Sarkom¬
zellen durch Röntgenstrahlen vernichtet. Interessant ist die Einwirkung
auf die Milz bei Leukämie. Ursprünglich mit Enthusiasmus zur Be¬
handlung dieser Blutkrankheit herangezogen, erwiesen sich die Strahlen
als nicht unbedenklich, insofern häufiger infolge der Behandlung mit
Röntgenstrahlen aus der chronischen Form sich die unmittelbar lebens¬
gefährliche akute entwikelte.
Schon vor der Entdeckung der Röntgenstrahlen war die Licht¬
therapie, d. h. die Behandlung mit Lichtstrahlen, namentlich durch
Ein sen’s Verdienst, in die Medizin eingeführt worden. Finsen hat
durch streng wissenschaftliche Untersuchungen die enorme chemische
Kraft der im Licht enthaltenen ultravioletten Strahlen dargetan. Der
therapeutische Effekt der Lichtstrahlen wird durch die Wärmestrahlen
erheblich beeinträchtigt. Es galt daher zunächst, die störenden Wärme¬
strahlen auszuschalten, was durch mannigfache Kühlverfahren erstrebt
und erreicht worden ist. In der Auffassung der therapeutischen Ein¬
wirkung war Finsen zunächst in einem Irrtum befangen. Er glaubte,
daß z. B. beim Lupus der therapeutische Erfolg auf1 bakterizide Ein¬
wirkung der ultravioletten Strahlen auf die Tuberkelbazillen zurück¬
zuführen ist, während in Wirklichkeit die Strahlen elektiv vernich¬
tend auf die Bazillen einwirken, die gesunden Zellen dagegen intakt
lassen, etwa in der Weise, wie Milchsäure tuberkulöses Gewebe im
Gegensatz zum gesunden zerstört.
Ein sen’s Verfahren, das trotz aller Neuerungen in seinem thera¬
peutischen Effekt unerreicht ist, hat sich für die allgemeine Praxis
als zu teuer erwiesen. Wenn man bedenkt, daß eine Hautfläche von
einem Quadratzentimeter eine Stunde lang bestrahlt werden muß, daß
die Bestrahlung derselben Stelle häufiger wiederholt werden muß, daß
schließlich bei dem enormen Stromverbrauch von 80 Amperes viel
teure elektrische Kraft verbraucht wird, dann ist bei der über Jahre
sich hinziehenden Behandlungsdauer ersichtlich, daß nur unter großen,
materiellen Opfern ein Dauererfolg erzielt werden kann. Die Regie¬
rung sowohl als private Wohltätigkeit haben es möglich zu machen
versucht, daß auch Minderbemittelten eine Finsenbehandlung zuteil
werden kann. In verschiedenen Gegenden sind Finseninstitute unter
sachgemäßer Leitung eingerichtet worden, in denen für billiges Geld
oder unentgeltlich Lupus behandelt wird.
Um die Lichtbehandlung billiger und bequemer zu gestalten, sind
zahlreiche Ersatzapparate erfunden worden, von denen sich die von
Lorthet und Genoud, besonders aber die von Bang und von der Dermo-
gesellschaft angegebenen Lampen bewährt haben. Der zum Betrieb
notwendige Stromverbrauch ist nur ein Bruchteil von dem der Finsen-
lampe, der Anschaffungspreis ist ein sehr geringer (eine Dermolampe
71*
1124
Lipowski,
ist bereits für ca. 150 Mk. zu haben). Die Reaktion, welche bei der
Finsenbehandlung nach vielen Stunden eintritt und erst nach acht bis
zehn Tagen abgelaufen ist, tritt bei den anderen Apparaten bedeutend
schneller ein und hinterläßt auch eine viel geringere Reaktion. Da¬
gegen ist die Tiefenwirkung wesentlich geringer, der Dauererfolg dem¬
entsprechend minderwertiger. Die kleinen Lampen bewähren sich vor¬
züglich zur Behandlung von Akne, Nävus, Nävus pigmentosus, Tele¬
angiektasien, Sikosis usw.
Ein anderes Gebiet der Lichtbehandlung ist die Anwendung des
elektrischen Lichtbades. Ursprünglich als Panacee gegen alle mög¬
lichen Leiden empfohlen, hat es sich als vorzügliches schweißtreibendes
Mittel bewährt. Der Kranke wird in einen mit zahlreichen elektrischen
Flammen besetzten Kasten gebracht, aus dem nur der Kopf heraussieht.
Bei einer Temperatur von 55 bis 60° beginnt eine profuse Schwei߬
sekretion bei geringer Beeinträchtigung der Flerztätigkeit. Der Puls
steigt in der Regel auf 100 bis 110 Schläge in der Minute, während
im Dampf kastenbade bei entsprechendem Schwitzeffekt der Puls wesent¬
lich frequenter wird. Neben den gewöhnlichen Glühbirnen werden auch
Bogenlampen im Kasten angebracht, welche in der Regel durch blaue
Scheiben zur Abhaltung der störenden Wärmestrahlen verdeckt sind.
Es hat sich als unzweifelhaft erwiesen, daß dem elektrischen Licht
eine spezifische Einwirkung auf die Schweißdrüsen zukommt.
An Stelle der gewöhnlichen Glühbirnen ist von Wulff (Bromberg)
der langgezogene Glühfaden mit |)arabolischem Reflektor eingeführt
worden, eine Modifikation, durch welche die elektrischen Lichtstrahlen
parallel auf den Körper des Kranken geworfen werden und daher die
Schweißabsonderung bei geringerer Temperatur bewirkt wird. Die Lampen
sind derart angebracht, daß sie serienweise eingeschaltet werden können.
Als letzter therapeutischer Gewinn der Neuzeit sind die Lumbal¬
anästhesie und die Anwendung der Hyperämie als Heilmittel zu nennen,
Errungenschaften, welche wir Bier verdanken.
Zur Anwendung der Lumbalanästhesie ist Bier durch Quincke
in Kiel veranlaßt worden, welcher die Lumbalanästhesie zum Gemein¬
gut der Ärzte machte. In horizontaler Lage des Kranken mit leicht
kyphotisch gekrümmter Wirbelsäule wird zwischen dem dritten und
vierten Lendenwirbel eine lange dünne Kanüle senkrecht in die Tiefe
gestoßen. In der Regel gelingt es leicht, in die Wirbelhöhle der
Cauda equina zu gelangen, aus welcher im kräftigen Strahl oder
schneller Tropfenfolge die Zerebrospinalflüssigkeit ausläuft. Durch
ein mittels eines Gummischlauches mit der Kanüle verbundenes Glas¬
rohr von einem Quadratmillimeter Durchschnitt kann der im Zerebro-
spinalkanal herrschende Druck gemessen werden. Steigt er beim Er¬
wachsenen wesentlich über 150 mm oder beim Kinde über 100 mm hinaus,
dann besteht ein krankhaft gesteigerter Druck, welcher bei meningi-
tischer Reizung resp. Entzündung, bei Tumoren im Zerebrospinal-
traktus, bei Verletzungen des Gehirnrückenmarkkanals und seiner Um¬
gebung vorkommt. Diagnostisch wuchtig ist ferner der mikroskopische
Befund der Zerebrospinalflüssigkeit und häufig auch ihre bakterio¬
logische Untersuchung. Man. findet den Meningokokkus, den Pneumo¬
kokkus, den Tuberkelbazillus, verschiedene Eitererreger und andere
Bakterien. Die mikroskopische Untersuchung der Flüssigkeit ergibt
im normalen Zustand sehr wenige feste Bestandteile, wie spärliche
Leukozyten, Erytrozyten und Endothelien. So hat man in der Druck-
Fortschritte der Medizin in den letzten Dezennien.
1125
messung, der mikroskopischen und bakteriologen Untersuchung der
Zerebrospinalflüssigkeit außerordentlich wichtige Kriterien zur Be¬
urteilung der Zerebrospinalhöhle und ihrer Umgebung.
Durch diese Untersuchungen angeregt, kam Bier auf den Ge¬
danken, eine geringe Menge Zerebrospinalflüssigkeit abzulassen und
an Stelle derselben eine lokalanästhesierende Flüssigkeit einzuspritzen.
Es gehört mit zu den Ruhmestaten des kühnen Forschers, daß er die
zunächst außerordentlich gefährlichen Untersuchungen an sich selbst
ausgeführt hat. Das zunächst angewandte Kokain erwies sich als
zu gefährlich. Von den der Reihe nach versuchten Ersatzpräparaten
fand man schließlich das Novokain als das geeignetste, und zwar mit
Zusatz von Adrenalin. Es ist durchaus erforderlich, daß zuerst Zerebro¬
spinalflüssigkeit abläuft, damit man den Beweis hat, daß man in der
Rückenmarkshöhle sich befindet. Beachtet man diese Vorschrift nicht,
dann kann es durch Verletzung der Cauda equina zu bösen Lähmungen
kommen, die in mehreren Fällen unheilbar geblieben sind. Die Flüssig¬
keit muß in kräftigem Strahl oder in schneller Tropfenfolge sich ent¬
leeren. Nachdem wenige Kubikzentimeter abgeflossen sind, injiziert
man langsam die anästhesierende Flüssigkeit, welche sich nun in der
Rückenmarkshöhle verteilt. Durch Hochlagerung des Beckens kann
die Ausbreitung nach oben begünstigt werden. Durch Zwicken oder
Stechen der Bauchhaut kann und muß. die Höhenwirkung kontrolliert
werden. Mit größter Sorgfalt muß das im verlängertem Mark ge¬
legene Atemzentrum von der Einwirkung der anästhesierenden Flüssig¬
keit behütet werden, da. schwerste Suffökationserscheinungen und häufig
genug auch der Tod durch Lähmung des Atemzentrums eingetreten
ist. In dieser Gefahr der Methode liegt ihr größter Fehler. Beein¬
trächtigt wird dieses Verfahren in seinem Wert ferner durch häufige
nachbleibende Kopfschmerzen, Schwindelerscheinungen, Brechneigung,
Symptome, welche sich selbst bei sorgfältigster Beobachtung aller V or-
schriften nicht vermeiden lassen. Zurzeit wird dieses geniöse und
ungemein wichtige Verfahren beschränkt auf Operationen bei alten
oder allgemein oder herzschwachen Menschen, wenn die Vermeidung
der Narkose als wünschenswert erscheint. In solchen Fällen leistet
diese Methode Hervorragendes.
Zum Schluß sei noch die Anwendung der Hyperämie als Heil¬
mittel erwähnt, ein eminent wichtiger Zweig der modernen Therapie,
den wir gleichfalls Bier verdanken. Er unterscheidet die aktive von
der passiven Hyperämie. Unter der ersteren versteht er die durch
Zuführung von heißer Luft erzeugte Blutwallung, während durch
venöse Stauung infolge Abbindung von Körperteilen und ferner durch
Anwendung von Saugapparaten passive Hyperämie verursacht wird.
Das Leitmotiv dieser Therapie liegt in dem Gedanken, die in
dem Blute des Menschen enthaltenen resp. sich bildenden Schutzstoffe
zum Kampfe gegen die schädigenden Krankheitsursachen heranzuziehen.
Die passive Hyperämie findet ihre hauptsächlichste Anwendung zur
Bekämpfung von Entzündungen. Durch Abbindung von Fingern, Arm,
Bein, Hals usw. wird das Blut in dem darüber gelegenen Gebiet ge¬
staut, und dadurch wird der Entzündungsprozeß bei geeigneten Fällen
in der Regel sehr günstig beeinflußt. Es bedarf nicht der Erwähnung,
daß eine große Erfahrung neben vollster Beherrschung aller Vor¬
schriften dazu gehört, mit dieser Behandlungsart gute Erfolge zu er¬
zielen. Besonders bei der Behandlung von tuberkulösen Prozessen ist
1126
Goldmann,
die größte Vorsicht am Platze. Bei zirkumskripten Erkrankungs¬
herden ist das besonders von Biers Assistenten Klatt ausgebildete
Saugverfahren angebracht. Es besteht in der Anwendung von schröpf -
köpf ähnlichen Sauggefäßen, welchen durch Gummibälle oder Säug¬
pumpen Luft entzogen wird.
Die aktive Hyperämie hat ihre Domäne bei der Behandlung von
versteiften oder schmerzhaften Gelenkerkrankungen, und zwar hier
besonders zweckmäßig in Kombination mit der passiven Hyperämie.
Nachdem, z. B. ein versteiftes Gelenk die Nacht hindurch abgebunden
war, rwerden am nächsten Tage die durch die Blutstauung aufgelockerten
Verwachsungen und Ablagerungen durch den enormen Blutstrom der
aktiven Hyperämie durohströmt und fortgeschwemmt. Die durch diese
Behandlungsart erzielten Erfolge lassen keinen Vergleich mit anderen
Methoden auf kommen.
Es ist kein Zufall, daß die Bier’schen Methoden inauguriert
wurden zu einer Zeit, da die Lehre von den Schutzstoffen im Blute
zu so eminenter Bedeutung gelangt ist. Die Empirie hat uns von
altersher einen Beleg für Bier’s Lehren gegeben. Es ist eine alt¬
bekannte Tatsache, daß Herzkranke mit Blutstauung in der Lunge
ungemein selten an Lungentuberkulose erkranken. Die durch die Blut¬
stauung verursachte Anhäufung von Schutzstoffen in der Lunge lassen
eine Infektion mit Tuberkelbazillen nicht aufkeimen.
So sehen wir auf allen Gebieten der Medizin reges pulsierendes
Leben. Alle Zweige der Wissenschaft und Technik haben wir uns
untertan gemacht, und ohne Übertreibung kann behauptet werden, daß
kein Beruf eine derartige Anspannung aller Kräfte verlangt wie der
unserige. Die heutige Gesellschaft ist uns den Dank dafür schuldig
geblieben. Aber dank der in jedem Arzt vorhandenen Initiative haben
wir zur Selbsthilfe gegriffen. In dem deutschen Ärztebunde und dem
Leipziger Verbände haben wir Konzentrationszentren, welche ihre Kraft
schon deutlich genug offenbart haben, und wie in der wissenschaftlichen
Medizin ein hell erleuchteter Himmel strahlt, so sehen wir auch unsere
soziale Zukunft durch zarte Hoffnungsschimmer erleuchtet.
Ueber Europhen in den verschiedenen Indikationsgebieten.*)
Von Dr. Goldmann, Berlin.
Bekanntlich wird die antibakterielle Wirkung des Jodoforms auf
die Abspaltung von freiem Jod zurückgeführt, wodurch in statu nascendi
ein bakterizider und zugleich antitoxischer Effekt ausgelöst wird. Auf
diese Weise werden die aus der Zerstörung des Eiweiß-Moleküls im
verletzten Gewebe stammenden toxischen Substanzen eliminiert und
gehen mit dem frei gewordenen Jod unschädliche Verbindungen ein.
Außerdem beschränkt das Jodoform die Sekretion und verhindert die
Leukozytenauswanderung exzessive.
Neben diesen ausgezeichneten Eigenschaften weist das Jodoform
aber auch die bekannten Nachteile auf und es muß daher fein Mittel,
das unter Wegfall des üblen Geruches und der Toxizität (1) nur die
Vorteile des Jodoforms in sich birgt, bei Arzt und Patient gleich
beliebt sein. Dies ist bei einem der ersten Ersatzprodukte des Jodo-
*) Die Literaturangaben finden sich am Schluß der Arbeit unter dem
alphabetischen Verzeichnis der Autorennamen.
Ueber Europhen in den verschiedenen Indikationsgebieten.
1127
forms, dem Europhen, der Fall, vor dem es, außer den ebenerwähnten
Eigenschaften auch noch den Vorzug hat, spezifisch leicht und daher
im Gebrauch sehr sparsam zu sein.
Nachdem durch Siebei eine dem Jodoform vollkommen ebenbürtige
Wirksamkeit bakteriologisch festgestellt war, mußte man dem Europhen
a priori auch dessen klinische Eigenschaften vindizieren. Daß das
Präparat allen billigen Anforderungen, die man an ein Jodoformersatz¬
mittel zu stellen berechtigt ist, entspricht, geht aus der zahlreichen vor¬
handenen Literatur über das Mittel hervor.
East in allen Spezialgebieten der Medezin hat das Europhen Ein¬
gang gefunden. Das Hauptanwendungsgebiet bilden die Geschlechts¬
krankheiten, wie Ulcus durum, Condylomata lata, Ulcus molle und
verschiedene Dermatosen, gegen die es von fast allen Autoren (Eic'hhoff
(2), Gaudin (3), Roseüthal (4), Estay (5), Griwzow (6), Kopp (7),
Poulet (8), Parkier (9), Belezza (10), Bornemann (11), Lohn¬
stein (12), Gottheil (13), Cortona (14), Goldschmidt (15), Fournier
(16) usw. mit gutem Erfolg angewendet wurde. Eichhoff, einer der
ersten Prüfer, empfiehlt es in den verschiedenen Stadien der kon¬
stitutionellen Syphilis lokal in Salbenform, und hebt besonders die
protrahierte Wirkung, sowie die Möglichkeit der Einverleibung relativ
hoher Dosen als besondere Vorzüge hervor. Gleich günstig wurden die
Fälle von Ulcus cruris, Skrophuloderma, Lupus exulcerans und Com-
bustio beeinflußt, wogegen Eczema parasitarium, Psoriasis und Favus
nicht tangiert wurden, wohl infolge des Mangels an Feuchtigkeit zur
Abspaltung des freien Jods. Trotz der späteten, weniger erfolgreichen
Resultate Eichhoff’s über Europhen als Injektions-Antisyphilitikum
empfehlen Oefelein und Neuberger (17) l°/0ige Lösungen in öl mit
oder ohne gleichzeitige interne Jodkaliumgaben zur subkutanen Applika¬
tion, und zwar wegen des günstigen Einflusses auf die tertiären Erschei¬
nungen, sowie wegen der völligen Schmerz- und Reizlosigkeit. Auch bei
den anderen Indikationen, z. B. Verletzungen mit großen Substanzver¬
lusten, j^legmonösen Prozessen, inzidierten Panaritien, Frakturen,
Erosionen am Penis und der Vulva, Balanitis, Fissuren am Anus usw.
trat nicht nur ein deutlicher antiseptischer Effekt, sondern auch eine
vorzügliche aus trocknende Wirkung, ohne die geringste ekzematöse
Reizung deutlich zutage, ein Urteil, das auch in den Arbeiten von
Eckstein (18), SaialfeJd (19), Saxl (20) usw. seine Bestätigung findet.
Nach Saalfeld erwies sich Europhensalbe oder Pulver auch bei Pemphigus
vulgaris, Impetigo corporis und Impetigo contagiosa von Nutzen, des¬
gleichen bei akuten und chronischen Ekzemen nach Sh oy er (21). Bei
tertiärem Phagedaenismus, der allen anderen therapeutischen Eingriffen
widerstanden hatte, sahen Fournier (16), Meißner (22) u. a. eine vor¬
zügliche Wirkung, Shoemaker (23) bei Acne rosacea, Gesichtserysipel
und Alopecia circumscripta, Goldschmidt (24) und van der Speck (25)
bei Lepra. Meissner hebt noch besonders die spezifisch schmerzlin¬
dernden Eigenschaften des Mittels lobend hervor.
Zu ähnlich günstigen Ergebnissen kommt aucli Neisser (26)
Breslau, der von allen Jodoformersatzmitteln dem Europhen den
am meisten spezifischen Einfluß auf den Ducrey’schen Bazillus zu¬
spricht, sowie Nolda (27), nach dem „das Europhen das Geschwür
(Ulcus molle) in kürzerer Zeit reinigt, schönere Granulationen hervor¬
bringt und schneller zur Heilung führt als Jodoform“. Die Wunden
werden mit reinem Europhen eingepudert, morgens und abends mit
1128 Goldmann,
Sublimat 1:2000 abgespült, mit Watte abgetupft und wieder ein-
gepudert. In den meisten Fällen trat die Heilung und Vernarbung
innerhalb 7 — 9 Tagen ein.
Der reinen Anwendung des Europhens zieht Richter (28) eine
25°/0ige Mischung mit Borsäure vor, resp. eine 15°/0ige Salbe (Europhen
OL oliv, ää 1,5 Lanol. ad 10,0) und erzielte damit Heilung des weichen
Schankers durchschnittlich in zehn Tagen, der Bubonen in 2 — 3 Wochen,
ein mit Rücksicht auf die oft schweren Eälle recht glänzendes Resultat.
Außer den 66 Fällen von Ulcus molle und zwölf Fällen von Bubonen
wurden noch Balanoposthitis, Herpes progenitalis, Sykosis non parasi¬
taria, Furunkulosis, Ekzema chron., Eczema seborrhoicum, Herpes zoster,
Acne vulgaris und Ulcüs cruris varicosum mit Erfolg behandelt ; speziell
in einem Falle von schwerer ulzeröser Syphilis, die schon, längere Zeit
mit grauem Pflaster vergebens behandelt worden war, zeigte sich die
antiseptische Wirkung in eklatantester Weise. Tägliche oder später
2 — 3 tägige Verbände mit Europhensalbe brachten die Geschwüre in drei
Wochen zur Vernarbung. Schon nach dem zweiten Verband wurden
die Schorfe abgestoßen und das Befinden des stark heruntergekommenen
Patienten besserte sich zusehends.
Bei Herpes genitalis läßt Aronstam die erkrankten Stellen mit
lauwarmer Borsäure-Lösung abwaschen, mit Watte abtupfen und einen
Puder aus Zinc. oxyd., Bism. subnitr. ää 12,0 Europhen 8,0 aufstreuen.
Zur Vermeidung von Reibungen wird ein Borgazeverband angelegt.
Außerdem berichten auch Lewis, Nepi, Canan u. a. über gleich
günstige Erfahrungen bei Herpes zoster und progenitalis.
Weiterhin eignet sich Europhen, wie Stewart und Canan be¬
richten, bei Cystitis und Urethritis zu Blasenspülungen und zwar
injizieren sie 1 — 4°/0ige Lösungen bei gleichzeitiger interner Behand¬
lung. Durch c!a. 15 Minuten dauerndes Verbleiben der Injektion in
der Blase werden Tenesmus und Harndrang, sowie die Schmerzen beim
Harnlassen gehoben.
Nach der Ansicht von Canan, Richtmann, sowie nach Waugh,
Roulet und Eichhoff, erwies sich Europhen auch in der gynäkolo¬
gischen Praxis bei Vulvitis, Vaginitis, Leukorrhoe, Erosionen, Ulze-
rationen der Portio, Endometritis chronischer oder akuter Art, Adenitis,
Kraurosis vulvae usw. von großem Nutzen. Eichhoff läßt bei diesen
vielfach in Verbindung mit Gonorrhöe auf tretenden Erkrankungen das
Mittel zweimal täglich aufpudern oder einen mit Europhen armierten
Wattetampon auf legen, welch letzterer durch Aufsaugung des Sekrets
gleichzeitig günstig auf den gonorrhoischen Prozeß einwirkt.
Die schmerzlindernde und antibakterielle Wirkung macht das
Europhen auch zu einem wertvollen Mittel in der Chirurgie, z. B. bei
Behandlung von Schnittwunden, Abszessen, Frostbeulen, Furunkeln,
Brandwunden, Hauttransplantationen und dergleichen. Die in der
chirurgischen Universitätsklinik von Exzellenz Czerny in Heidel¬
berg von Vulpius mitgeteilten günstigen Resultate werden auch von
fast allen anderen Prüfern auf chirurgischem Gebiete bestätigt. „So
ziemlich in allen Fällen“ sagt Vulpius „war ein günstiger Einfluß
des Mittels auf den Heilverlauf zu erkennen. Schon nach wenigen
Tagen zeigte sich ein rasches Äufschießen kräftiger Granulationen, die
in mehreren Fällen mit geradezu erstaunlicher Geschwindigkeit große
Defekte ausfüllten, (ja das Niveau der Haut überwucherten und so die
Uberhäutung schwierig gemacht hätten, wäre nicht zur rechten Zeit
Ueber Europhen in den verschiedenen Indikationsgebieten.
1129
das Europhen weggelassen worden)“. Ähnlich äußert sich auch außer
van der Speck, Gilbert, Nepi usw. besonders Ullmann über die
Erfahrungen in der Professor Hebra’schen Poliklinik in Wien: ,,Die
zahlreichen Fälle, wo es sich um reine, d. h. nicht infizierte Operations¬
wunden handelte, z. B. nach Exstirpation kleiner Geschwülstchen,
Wucherungen, Papillomen der Haut an den verschiedenen Körperstellen,
ebenso auch nach Phimosenoperationen, Zirkumzisionen, Exstirpationen
mit darauf folgender Naht, gestaltet sich der Heilprozeß der Wunden
ganz gleich dem unter der Jodof ormanwendung gewöhnlich beobachteten.
Wir kamen wenigstens niemals in die Lage, das Mittel während der
Behandlung auszusetzen oder durch Jodoform ersetzen zu müssen.“
In der Rhino-Laryngo- und Otologie haben es in der Hauptsache
Petersen, Löwenstein, Chapell und von Szoldrski einer ein¬
gehenden Prüfung unterzogen. Sowohl bei den auf einer Vermehrung
der Sekretion beruhenden Krankheitsformen der Nase, (Rhinitis hyper-
secretoria und acuta) als auch bei denen, die eine Verminderung
bedingen (Rhinitis atrophica simplex, Rhinitis atrophica foetida), sowie
bei Eczema narium und nach chirurgischen Eingriffen haben Europhen-
salbe-Tampons vorzügliche Dienste getan. Dabei scheint nach Petersens
(auch von Löwen stein bestätigten) Erfahrungen die Inkorporierung
des Medikaments in einer Salbe (Europhen 10,0 sol. in ol. oliv. 15,0
Lanol. anhydr. ad 100,0) vor den Insufflationen den Vorzug einer
schnelleren Wirkung zu haben, was wohl auf einer leichteren Abspaltung
von freiem Jod aus dem in öliger Lösung befindlichen Europhen beruht.
Bei Ozäna sahen Witthauer, Trnka in einer Reihe von Fällen
Heilungen, jedoch traten vereinzelt auch leichte Rezidive auf, die sich
aber, wenn die Behandlung sofort wieder aufgenommen wurde, rasch
wieder beseitigen ließen.
Der Serumbehandlung des Heufiebers scheinen noch immer manche
Mängel anzuhaften, weshalb Prof. Denker versucht, außer durch
spezifische Einwirkung auch die disponierenden Faktoren zu bekämpfen
und zwar durch Herabsetzung der Empfindlichkeit der Mukosa. Für
diesen Zweck eignet sich am besten eine vorsichtige Massage der Schleim¬
haut mit 10°/0igem Europhenöl, der eine Einpinselung mit 10°/0iger
Kokain-Adrenalinlösung vorausgehen muß. In sämtlichen Fällen war
die Massage während der Heufieberperiode von Erfolg begleitet.
Die Beeinflussung von tuberkulösen Prozessen scheint etwas
zweifelhaft zu sein, jedoch beseitigt es nach dem Urteil aus Professor
Jur aß Klinik in Heidelberg (Szoldrski) bei Larynxphthise die patho¬
logisch gesteigerte Sekretion der Schleimhaut innerhalb kurzer Zeit,
so daß eine fast spezifische Einwirkung vorgetäuscht werden konnte.
Nach Prof. J. Lef f ingwell-Hatch darf bei Patienten, deren Lungen¬
prozeß zu weit vorgeschritten ist, nicht erwartet werden, daß eine
Heilung erzielt werden kann, „jedoch ist auch in diesen Fällen die Be¬
deutung des Europhens nicht zu unterschätzen, weil es die lästigen
Symptome der Dysphagie und Aphonie mildert bezw. gänzlich beseitigt“.
Nolda imd ausführlicher noch Rieht mann und Lieven berich¬
ten über die Behandlung der eitrigen Mittelohrentzündung. Letzterer
Autor gießt eine 10°/0ige Lösung in Öl in das vorher durch Ausspritzen
gereinigte und getrocknete Ohr imd erreicht durch 2 — 3 Minuten lange
Einwirkung eine völlige Reinigung der sichtbaren Paukenhöhlen-Schleim-
haut weit besser als nach Verwendung der antiseptischen Spülwässer.
1130 Goldmann, Ueber Europhen in den verschiedenen Indikationsgebieten.
In der Ophthalmologie zeigte Europhen nach Fernandez bei Kon-
junktivitiden, Keratitiden, zufälligen Traumen und Operationswunden
außer schmerzstillenden Eigenschaften auch noch eine ganz erhebliche
sekretions vermindernde, austrocknende und narbenbildende Wirkung,
selbst nach schweren Operationen, wie Enukleationen.
Ganz vereinzelt hat Europhen auch in der internen Medizin An¬
klang gefunden. Po well empfiehlt gegen die Schmerzen bei chronischer
Enterokolitis, chronischem Magen- und Darmkatarrh, chronischer
Obstipation usw. Suppositorien (Europhen und Aristol ää) nach deren
Gebrauch die Schmerzhaftigkeit prompt nachließ ; außerdem leisten
beide Mittel als Haemostatica bei Epistaxis vorzügliche Dienste.
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1131
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Witthauer, Münch. Med. Wochenschr. 1901, 24.
Berliner Brief.
Die Berliner medizinische Gesellschaft beschloß im Sommer 1906
nach einer eingehenden Perityphlitisdeb ätte für das Jahr 1907 eine
Sammelforschung unter der Ärzteschaft Groß-Berlins, betreffend die
Blinddarmentzündungen, zu veranstalten. Sie wählte eine neungliedrige
Kommission, an deren Spitze Kraus und Kotter standen, die einmal
einen Fragebogen entwerfen', sodann die Statistik durchführen sollte. ,
Man hoffte auf diesem Wege einige noch strittige Fragen zu klären.
Ist es doch noch' immer zweifelhaft, oh die Krankheit in den letzten
Jahrzehnten wirklich häufiger und auch schwerer geworden als früher
oder ob die Zunahme der Erkrankung nur durch die bessere Diagnostik
unserer Zeit vorgetäuscht wird. Auch in bezug auf Ätiologie und
Therapie der Krankheit erwartete man manche für Wissenschaft und
Praxis wichtige Aufschlüsse.
Wie Al hu, eines der Mitglieder der betreffenden Kommission,
jüngst in der medizinischen Gesellschaft berichtete, hat diese Statistik
nach 'mehreren Richtungen hin versagt, zum Teil durch die ungenügende
Beteiligung der praktischen Ärzte. Kur 134 Ärzte, d. i. 8°/0 der in
Betracht kommenden, haben sich daran beteiligt, während sich von
den öffentlichen Hospitälern nur zwei - — aus unbekannten Gründen - — -
ferngehalten haben. Die geringe Beteiligung der Ärzte wird allerdings
zum Teil darauf zurückgeführt, daß die Patienten mit Blinddarm¬
entzündungen, sofern sie nicht schon von vornherein ein Krankenhaus
oder eine Klinik aufsuchen, so doch von den Ärzten solchen über¬
wiesen werden, und die Ärzte dann die Anzeige der Fälle den be¬
treffenden Anstalten überlassen haben. Wenn der Berichterstatter als
einen ferneren Grund anführte, daß manche Ärzte sich zurückgehalten
haben, da sie in Mitteilungen an die Kommission eine Verletzung
des Berufsgeheimnisses fürchteten, so dürfte er doch wohl irren. Soweit
ich die Berliner Ärzte kenne, beteiligen sie sich zum Teil nur ungern
an solchen Sammelforschungen, weil sie der vielleicht irrtümlichen
Ansicht leben, sie nützen damit der Wissenschaft wenig, arbeiten dafür
aber ad majorem gloriam einzelner Kommissionsmitglieder.
Von 3489 Zählbogen kamen 369 in Abzug als Doppelzählungen,
104 Meldungen = 3,3 °/0 als Fehldiagnosen. Diese betreffen zum großen
Teil Erkrankungen der weiblichen Genitalien, ferner Bauchfelltuber-
kulose, Ileus, Bauchdeckenphlegmone, Gasabszeß, Cholelithiasisi und
Nephrolithiasis. Bei den 2705 akuten Anfällen, die gemeldet sind,
befindet sich eine Mortalität von 8°/0; wenn die Mortalität in den
Krankenhäusern bedeutend höher ist als in der Häuslichkeit, so ist
das darauf zurückzuführen, daß hier nur die leichteren Fälle behan¬
delt werden.
Die Hauptzahl der Erkrankungen, 34,6 °/0, kommt im zweiten
Lebensjahrzehnt vor, fast ebenso groß ist die Frequenz im dritten
Lebensjahrzehnt, nämlich 29,6 °/0; dann nimmt sie ab und jenseits des
1132
Berliner Brief.
50. Lebensjahres sind es nur noch 3,5 °/0. Die Mortalität, nach ein¬
zelnen Lebensaltern betrachtet, verläuft der Morbidität keineswegs
parallel. Bei Kindern unter 10 Jahren ist die Mortalität 17,4 °/0, dann
sinkt sie, um erst wieder nach dem 30. Lebensjahr zu steigen; nach dem
50. Lebensjahr erreicht sie ihre größte Höhe (21°/0).
Uber die Drage, wie weit vorauf gegangene Infektionskrankheiten,
insbesondere Influenza und Angina die Perityphlitis herbeigeführt haben,
läßt die Sammelforschung vollständig im Stich. Trauma ist auch
nur dreimal verzeichnet; es ist hier wohl nur ,,agent provocateur“ für
latente Entzündungsherde. Bei der Mehrzahl der Fälle handelt es
sich um enterogene Infektion des Wurmfortsatzes. Wenn dabei von
voraufgegangenen Darmerkrankungen nur in 2 °/0 der Fälle Kolitis,
in 9,5 °/0 chronische Obstipation angegeben wird, so beruht das nach
der Ansicht des Referenten auf mangelhaften anamnestischen Angaben.
Er selbst konnte in 50 — 60°/0 der Fälle aus seinem eigenen Material
ausgesprochene chronische Darmschwäche nachweisen. Als initiales
Symptom findet sich Obstipation in 50°/0 der Erkrankungen verzeich¬
net, ebenso oft Erbrechen; mit Fieber verlaufen 62 °/0. Bezüglich der
reflektorischen Bauchmuskelspannung über dem Krankheitsherde, der
sogen. Defense musculaire, versagt die! Statistik ganz. In 60°/0 der
Fälle sind Resistenzen verzeichnet, davon werden 19°/0 als Abszesse
angegeben.
Interessant ist, daß neben 68,5 °/0 erstmaligen Erkrankungen nur
31,5 °/0 Rezidive beobachtet wurden, so daß also ihre Häufigkeit wohl
überschätzt wird. Somit ist auch bei erstmaliger Erkrankung die
Rücksicht auf etwaige Rezidive kein ausreichender Grund für operative
Behandlung. Kur der klinische Befund im akuten Anfall kann dafür
ausschlaggebend sein.
Während auf dem Gebiet der Ätiologie und der Symptomatologie,
wie aus dem Albu’schen Referat hervorgeht, die Sammelforschung
nicht sehr ergiebig war, gibt der Bericht Rotter’s über die thera¬
peutischen Erfolge interessante Einzelheiten. Der Bericht gewinnt an
Interesse durch den •Vergleich, den der Berichterstatter mit den Ergeb¬
nissen einer Zusammenstellung aus dem Material des St. Hedwigs-
Krankenhauses aus den Jahren 1893 — 1908 zieht. Von den 2705 akuten
Erkrankungen der Sammelforschung wurden 2365 im Krankenhaus,
340 in der Familie behandelt. Im Krankenhaus wurden 1344 Fälle
operiert, und zwar 105 am ersten Tage mit einer Mortalität von 0,9 °/0;
am zweiten Tage 318 mit einer Mortalität von 7 °/0 ; am dritten Tage
238 mit einer Mortalität von 10 °/0 ; von 683 Fällen, die am vierten
Tage oder später operiert wurden, starben 22 °/0. Das zeigt, daß die
Operation während des akuten Stadiums nicht gefährlicher ist als
im Stadium ä froid. Wenn von 1021 nichtoperierten Fällen nur 1,6 °/0
starben, so besagt das nur, daß man nur solche Fälle unoperiert ließ,
bei denen von einer Operation kein Erfolg mehr zu erwarten war.
Von Iden 340 in der Familie behandelten Fällen starben auch nur 1,7 °/0.
Daraus ist ersichtlich, daß schwerere Fälle nur ausnahmsweise in der
Familie behandelt werden. Bei 902 Operationen ä froid war eine Mor¬
talität von 0,9 °/0; nahezu die Hälfte dieser Operationen wurde bereits
nach dem ersten Anfall gemacht. Prognostisch am ungünstigsten ist
die Operation nach einem überstandenen Abszeß.
Die Resultate der Epithyphlitisbehandlung haben sich nach den
Ergebnissen des Jahres 1902 gegen früher im Spät Stadium nicht
Berliner Brief.
1133
wesentlich gebessert, weil die Mortalität der vorgeschrittenen diffusen
Peritonitis und der Abszesse stets eine hohe bleiben wird. Dagegen
ist durch die Frühoperation die Mortalität von 10°/0 auf 2°/0 ge¬
sunken. Es soll daher von jetzt ab das ganze Schwergewicht unserer
Epityphlitistherapie nicht in das Intervall, sondern in den akuten
Anfall, und zwar in das Erühstadium — die ersten 48 Stunden —
verlegt werden. —
Daß die Form der Anwendung des Behring’ sehen Serums bei
der Diphtherie in mancher Hinsicht modifiziert werden muß, suchte
F. Meyer durch die Versuche nachzuweisen, über die er in der medi¬
zinischen Gesellschaft berichtete. Die Mortalität ist nach Einführung
des Serums um mehr als 50°/0 gesunken, beträgt aber noch immer
12 — 18 °/0. Man hat bei der Diphtherie vier Todesursachen. Zunächst
den akuten Herztod. Er wird nach Romberg’s Hypothese durch eine
Yasomotorenlähmung mit sekundärer Herzschwäche bedingt. Dement¬
sprechend wurde auch bei Tieren vor dem Tode ein rapides Sinken des
Herzdruckes beobachtet. Wie Meyer nun beobachtete, kann recht¬
zeitig verabfolgtes Serum die Drucksenkung verhüten, eine bestehende
Drucksenkung kann durch die größten Dosen Heilserum jedoch nicht
aufgehoben werden. Die schweren hypertoxischen Fälle erzeugte M.
beim Tier durch intravenöse Injektion einer einfach tödlichen Toxin¬
dosis. Hier erzielte er durch schnellste Anwendung größter Serum¬
mengen auf intravenösem Wege Heilung, selbst wenn trotz schein¬
baren Wohlbefindens schon Zeichen einer organischen Giftbildung sich
nachweisen ließen. Als einziges wirksames Herzmittel, das imstande
ist, den Diphtheriekollaps für eine Reihe von Stunden vollkommen
zu bekämpfen, erwies sich das Adrenalin.
Dem Tode durch zu späte und ungenügende Behandlung kann
vorgebeugt werden, indem man auch in den scheinbar leichteren Fällen
die Serumdosis vergrößert ; für schwerere Fälle hat sich eine noch
bedeutend größere Dosis, insbesondere in Form der intravenösen Ein¬
spritzung als wirksam erwiesen. Für letztere müßte allerdings ein
steriles Serum ohne den bisher vorgeschriebenen Karbolzusatz herge¬
stellt werden. Auch die nach Diphtherie eintretenden Herzstörungen
können durch zeitig gegebene große Seruminjektionen verhindert wer¬
den ; die Heilung bereits bestehender anatomischer Veränderungen durch
das Serum ist durchaus unwahrscheinlich. Der postdiphtherische Maras¬
mus, den man bei Tieren ebenso wie beim Menschen beobachten kann,
kann durch eine Injektion, welche imstande ist, die Intoxikation zu
einer akut nichttödlichen zu machen, nicht aufgehalten werden. Zeitig
verabfolgte und häufiger wiederholte große Dosen wirken aber auch
hier günstig.
Die praktischen Erfahrungen in der ITeubner’schen Klinik be¬
stätigen, wie Eckert in der Diskussion bemerkt, die Experimente
Meyers. Er betont die Notwendigkeit der frühzeitigen Injektion.
Dabei ist die subkutane Injektion fast ganz verdrängt vornehmlich
durch die intravenöse Injektion, die auch mit dem karbolhaltigen Serum
in Dosen bis zu 9000 Einheiten unschädlich ist. Für die Privatpraxis
ist, da leichter ausführbar, die von Morgenroth empfohlene intra¬
muskuläre Injektion in die Glutäen vorzuziehen. Auch E. hat günstige
Wirkungen bezüglich Hebung des Blutdrucks durch Adrenalin gesehen.
Ritter erinnert daran, mit wie kleinen Mengen Serum man früher
Erfolge gesehen haben will. Nach den Beobachtungen Meyers und
1134
Vorläufige Mitteilungen und Autoreferate.
den Erfahrungen der Heubner’schen Klinik muß man annehmen, daß
diese Heilungen nur durch Autosuggestion auf das Serum bezogen sind.
Er ist auch nicht dafür, gleich zu Beginn der Erkrankung zu große
Dosen zu geben. Mitunter versagen auch die riesigen Dosen. Ba-
ginsky stellt es mit Nachdruck in Abrede, daß es bei der Serum¬
therapie Autosuggestion gegeben habe. Er glaubt, daß auch jetzt nicht
die hohen Dosen notwendig seien. Sie wären schon aus finanziellen
Gründen schwer durchführbar ; die Einspritzungen bei einem Einzel¬
fall könnten 50 — 80 Mk. kosten. Morgenroth sieht in den Versuchen
Meyer’s eine Bestätigung seiner bereits vor zwei Jahren erhobenen
Forderungen. Die subkutane Injektion ist ganz zu verlassen. Für
die intravenöse Injektion muß ein Serum ohne Phenol hergestellt wer¬
den, was ohne Schwierigkeit geschehen kann. Heubner erinnert daran,
daß Koch und Behring geglaubt haben, daß man durch 600—1000
Einheiten, die man früh einverleibt, das innerhalb des Blutes zirku¬
lierende Diphtherietoxin abfange ; von späteren größeren Dosen haben
sie keinen Erfolg erwartet. Ob, wie es die Meyer’schen Untersuchungen
versprechen und die Ecker t’schen Erfahrungen zu bestätigen scheinen,
spätere größere Dosen weitere Gefahren zu bannen vermögen, bleibt
abzuwarten. — r.
Vorläufige Mitteilungen u. Autoreferate.
Ueber duodenalen postoperativen Ileus.
Von Dr. C. Weinbrenner, Magdeburg.
Die akute Magenlähmung mit Verschluß des Duodenum durch
Kompression der über den horizontalen Schenkel hinwegziehenden Mesen¬
terialwurzel ist eine ernste Komplikation, die die schlechteste Prognose
hat, wenn sie nicht erkannt und in der geeigneten Weise behandelt wird.
Die Diagnose ist nicht immer leicht, weil eine Verwechselung mit
einer stürmischen Peritonitis naheliegt. Die Auftreibung des Leibes
besteht lediglich aus dem geblähten Magen und Duodenum, während
der Dünndarm kollabiert im kleinen Becken liegt. Stuhl und Winde
sind angehalten. Es besteht andauerndes Erbrechen. Das Erbrechen
setzt sich aus Transsudat, Galle und Pankreassaft zusammen. Der
Nachweis des permanenten Bückflusses von Galle und Pankreassaft
in den Magen ist für die Beurteilung eines infrapapillären Hindernisses
im Duodenum von Wert. Das Erbrochene hat nie f äkuläpten Geruch.
Die Temperatur ist nicht erhöht, während der Puls bald frequent und
schlecht wird. Großes Durstgefühl; rapider Verfall. Operative Ma߬
nahmen sind nicht geeignet. Eventuell können frühzeitig begonnene ünd
systematisch durchgeführte Magenausheberungen helfen, sind aber nicht
zuverlässig. Das beste Heilmittel ist die zuerst von Schnitzler für
solche Fälle empfohlene Bauchlage, bei der der Dünndarm Und der Magen
durch ihre Verlagerung ihre Zugrichtung und ihren Druck in dem,
Sinne verändern, daß eine Entspannung der Badix mesenterii und eine
Entlastung des Duodenum die Folge ist. Der Erfolg trat in allen bis
jetzt bekannten Fällen meist momentan ein.
In der Frage der Ätiologie gehen die Ansichten auseinander. Meist
wird die primäre Strangulation des Duodenum bestritten. Die Inkarze¬
ration soll nur sekundär im Anschluß an akute Magendilatation ein-
treten, und zwar in der Weise, daß der sich ausdehnende Magen die Dünn-
Vorläufige Mitteilungen und Autoreferate.
1135
därme aus dem Bauchraum nach dem Becken zu verdrängt und dadurch
unter bestimmten anatomischen Voraussetzungen das Mesenterium so an¬
spannt, daß die Wurzel des Mesenterium das Duodenum stranguliert.
W. ist der Ansicht, daß dieser Mechanismus nicht allen Fällen zugrunde
liegt. Die Strangulation kann auch primär entstehen. Die Schwere und
der Zug der ins kleine. Becken hängenden leeren Dünndarmschlingen
kommt nach W. dabei weniger in Frage und ist unwahrscheinlich, wohl
aber Zufälligkeiten, die mechanisch die Zerrung am Mesen¬
terium hervorrufen oder die im kleinen BieCken liegenden Dünn¬
därme zurückhalten. Namentlich sind es nach Operationen in der
Bauchhöhle Verwachsungen und Tamponade, die als Ursache einer Zer¬
rung am Mesenterium unsere Beachtung verdienen. W. beobachtete einen
Fall, in dem die Zerrung am MeseDterium und die Inkarzeration des
Duodenum mit Lähmung des oberhalb gelegenen Darmabschnittes (Duo¬
denum und5 Magen) dadurch hervorgerufen wurde, daß nach einer Laparo¬
tomie (Adnexoperation, Ventrifixur) die wegen diffuser Wundflächen¬
blutung in den Douglas geführte Tamponade eine dem vorspringenden
Promontorium sich vorlagernde Dünndarmschlinge fixierte und damit
eine Zerrung am Mesenterium verursachte, die nach den Experimenten
an der Leiche auch bei geringem Zug eine Einschnürung des Duodenum
durch die Mesenterialwurzel zur Folge hat. Der Fall verlief äußerst
stürmisch. Die Entfernung der Tamponade genügte nicht, die Inkarze-,
ration aufzuheben, da der Magen bereits stark erweitert war und durch
seine Schwere die Kompression weiter unterhielt. Die Kranke wurde
in desolatem Zustande in Knieellenbogenlage gebracht mit dem Erfolg,
daß momentan das Erbrechen zum Stillstand kam. Die Lagerung dauerte
3/4 Stunde. Flatus spontan, keine Übelkeit und kein Erbrechen mehr.
Genesung.. W. empfiehlt in der Annahme, daß bei der Verlagerung
der Därme leichte zerrende Adhäsionen gelöst oder entspannt werden
können, bei postoperativem Strangulationsileus überhaupt vor einer
Wiedereröffnung des Leibes einen Versuch mit allseitiger Lagever¬
änderung.
Die bakterizide und hämolytische Wirkung der tierischen Gewebsflüssig¬
keiten und ihre Beziehungen zu den Leukozyten.
Von Dr. B. Schneider, München. (Archiv für Hygiene, Bd. 70, H. 1 u. 2.)
Unter die dem Organismus zur Verfügung stehenden antibakte¬
riellen Schutzmittel sind neben dem Alexin und der Phagozytose die
„Leukine“ zu rechnen. So nennt der Verfasser die von ihm studierten
Stoffe der polymorphkernigen Leukozyten. Durch Digestion in phy¬
siologischer Kochsalzlösung, der eine gewisse Menge Blutserum zu¬
gesetzt ist, kann man die Leukozyten zur Abgabe ihrer wirksamen
Substanzen bringen. Dies geschieht aktiv infolge einer sekretorischen
Tätigkeit der weißen Blutzellen — nicht etwa infolge ihres Absterbens.
Die Leukozyten sind demnach Freß- und Sekretionszellen.
Unter normalen Verhältnissen enthält das Blut ebenso wie die
Gefäßlymphe keine Leukine; letztere finden sich jedoch in leukozyten¬
haltigen Exsudaten und in der Stauungslymphe des Unterhautzell-
ge wehes.
Die Leukine sind nicht identisch mit dem Alexin (Büchner) oder
der bakteriziden Mikrozytase (Metschnikof f), da sie vor allem ther¬
mostabil sind und Bakterien abtöten, gegen die das Alexin nichts ver¬
mag (Streptokokken, Pneumokokken, Diphtheriebazillen).
1186
Referate und Besprechungen.
Das hämolytische Alexin, die Makrozytase, stammt nicht, wie
Metschnikoff annimmt, ans den mononukleären Leukozyten. Es lassen
sich aus diesen Zellen, die ebenso Bakterien wie rote Blutkörperchen
unter geeigneten Umständen fressen und verdauen, keine glohuliziden
Stoffe gewinnen.
Die hämolytische Wirkung der Extrakte aus makrozy teilhaftigen
Organen (Lymphdrüsen, Milz) und die globulizide Aktion des Blut¬
serums sind auf verschiedene Substanzen zurückzuführen.
Die Blutplättchen liefern nur Plakine (Grrubeir), deren bakterizide
Wirkung sich nur auf den Milzbrandbazillus und seine Verwandten
erstreckt. Autoreferat.
Referate und Besprechungen.
Bakteriologie und Serologie.
Aus der königl. dermatologischen Universitätsklinik zu Breslau (Direktor: Geh.
Med. -Rat Prof. Dr. Neisser). Serologische Abteilung (Dr. Bruck) und dem staat¬
lichen Lepraheim in Memel (Kreisarzt Dr. Gessner).
Ueber Serumuntersuchungen bei Lepra.
(Dr. Carl Bruck u. Kreisarzt Dr. Gessner. Berl. klin. Wochenschr., Nr. 13, 1909.)
Außer den von einigen Autoren bei Scharlach erhobenen Befunden,
welche, wie allgemein anerkannt, die praktische. Verwendbarkeit der W asser -
mann’schen Komplementbindungsreaktion für die Syphilis in keiner Weise
beeinträchtigen, kommt analoge Reaktion nach den heutigen Erfahrungen
nur noch bei Framboesia tropica und Lepra vor. Die von Bruck und Hoff-
mann-Blumenthal bei Frambo>esia erhobenen Befunde sind bei der großen
klinischen und ätiologischen Verwandtschaft nicht weiter auffallend. Über
Untersuchungen von Leprösen liegen eine "größere Anzahl von Arbeiten vor.
Slatineano und Danielopol untersuchten 26 Fälle vorgeschrittener Lepra,
von denen 20 stark, 4 mäßig und 2 schwach positiv reagierten, sowie. 19
Lumbalflüssigkeiten, von denen 7 stark, 4 mäßig, 3 schwach und 5 negativ
reagierten. Jundell, Almquist und Sandlnann fanden bei 26 Lepra-
kranken 4mal völlige, 4mal partielle positive, 16 mal negative Reaktionen.
Die 8 positiven Fälle betrafen 5 mal die tuberöse, 3 mal die anästhetische
Form, woraus Verfasser schließen, daß der Ausfall der Reaktion wedier von
der Form der Krankheit noch von dem Verlaufe und Alter derselben ab¬
hängig sei. Dagegen vertritt Georg Meier, der 28 Lepröse untersuchte,,
die Ansicht, daß bei der der Syphilisreaktion analogen Untersuchung positive
Reaktion ausschließlich oder weitaus häufiger bei der tuberösen Lepra vor¬
komme. Bruck und Gessner berichten über die Untersuchungen, welche
bei 10 Leprösen des Memeler Lepraheims vorgenommen wurden. Sie fanden,
daß von 7 Fällen tuberöser Lepra 5. = 71,4% positive Reaktion zeigten,
während die 2 anderen tuberösen Fälle und ajlle 3 anästhetischen negativ
reagierten, stimmen daher der Ansicht von G. Mei,er bei, daß die positive
Reaktion bei Lepra wenn nicht ausschließlich, so doch besonders häufig eine
Begleiterscheinung der tuberösen Form darstellt. Verfasser glauben nicht,
daß die beschriebene Seroreaktion eine große diagnostische Bedeutung haben
wird; interessant ist nur, daß zwei ätiologisch und klinisch so fernstehende
Krankheiten wie Syphilis und Lepra eine gleichartige Reaktion auszulösen
vermögen. '
Ob die bei Syphilis und Lepra reagierenden Substanzen identisch oder
verschieden sind, läßt sich mit Sicherheit noch nicht entscheiden.
' Carl Grünbaum (Berlin).
Referate und Besprechungen.
1137
Ueber den Komplementbindungsversuch bei Variola vera.
(T. Sugai, Osaka. Zentralbl. für Bakt., Bd. 49, H. 5.)
Die Methode der Komplementablenkung nach Wassermann tritt nach
den Untersuchungen des Verfassers auch bei Variola vera ein. Die Reaktion
gelingt auch, wenn statt des Inhaltes der Pusteln Kuhpockenlymphe als
Antigen gegen das Serum des Pockenkranken benutzt wird. Im Blute einer
Person, die eine Vaecination mit Erfolg durchgemacht hat, sind Antikörper
im Blute gegen Pocken noch nach langer Zeit (zehn Jahre) nachzuweisen.
Hieraus wird ersichtlich, daß Pocken und Kuhpocken ursprünglich ein-
und dieselbe Krankheit sind.
Eine agglutinierende Wirkung auf den Inhalt der Pusteln von Pocken¬
kranken besitzt das Serum Pockenkranker nicht. Schürmarnn.
Untersuchungen über den Impfschutz mittels der Bordet’schen Reaktion.
(P. Bermbach, Köln. Zentralbl. für Bakt., Bd. 49, H. 5.)
Gelingt der Nachweis von Ambozeptoren im Serum von geimpften Indi¬
viduen in der ganzen Zeit, während welcher der Impfschutz anhält? In den
zunächst vorgenommenen Tierversuchen waren keine Ambozeptoren im Blut¬
serum nachgewiesen. Verf. hat 18 menschliche Blutsera von vaccinierten und
re vaccinierten Personen untersucht. Auch hier waren Ainbozeptoren in nennens¬
werter Menge nicht nachzuweisen. Die negativen Resultate sind vielleicht so
zu erklären, daß man annimmt, die Lymphe ohne längere Mazeration eigne
sich nicht zur Untersuchung, weil ihre wirksamen Bestandteile im Innern
der körperlichen Elemente eingeschlossen sind und nicht so schnell in Lösung
übergehen. Gegen das Fehlen von Antigenen in den Lymphverdünnungen
spricht der Umstand, daß bei Benutzung derselben Verdünnung die Resul¬
tate verschiedenartig ausfielen. Schürmann.
Ueber den Mechanismus der Komplementabsorption durch Bakterienextrakte.
(Dr. Tovosumi, Prag. Zentralbl. für Bakt., Bd. 48, H. 3.)
Es sollte vom Verfasser der Nachweis erbracht werden, ob die Komple¬
mentbindung bei Gegenwart von spezifischem Immunserum durch Bakterien-
extrakte nicht auf der Anwiesenheit fremder Rezeptoren beruht. Cholera¬
vibrionenextrakt mit einer Immunserummenge versetzt, die gerade noch nach¬
träglich hinzugefügte Choleravibrionen zu sensibilisieren imstande war, ließ
nach Komplementzusatz Vibriolyse auf treten. Von dem Ambozeptor war also
durch die Choleraextrakte nichts gebunden worden. Es besitzen somit die
Extrakte keine freien Rezeptoren und das Komplement wird auch nicht an
die komplementophile Gruppe des Ambozeptors gebunden. Man entfernt alle
Antikörper, wenn man zu einem Extrakt-Immunserumgemisch nachträglich
Vibrionen bringt und später abzentrifugiert. Trotz dieser Manipulation
wirkt das Gemisch noch komplementbindend. Bei stärkerer Immunserum¬
konzentration nimmt die Wirkung ab; es entsteht ein sichtbares Präzipitat,
das beim Zentrifugieren mit entfernt wird. Durch das Präzipitat wird also
das Komplement gebunden. Schürmann.
Die begünstigende Reizwirkung kleinster Mengen von Bakteriengiften auf
die Bakterienvermehrung.
(Dr. Hüne, Stettin. Zentralbl. für Bakt., Bd. 48, H. 2.)
Nach den Untersuchungen des Verfassers scheint es festzustehen, daß
allen Bakteriengiften eine Begünstigung des Bakterienwachstums zukommt.
Bei Alkohol, Äther, Thymol, Formaldehyd, bei Kupfersulfat, war das Gleiche
zu beobachten. Koli, Cholera, Typhus, Ruhr verhalten sich der Reizwirkung
gegenüber ziemlich gleich. Schürmann.
1138
Referate und Besprechungen,
Chirurgie.
Das Fehlen einer zweiten Niere vom chirurgischen Standpunkt.
(F. Cathelin. Bullet, med., Nr. 8, S. 87, 1909.)
Der berühmte Urologe macht darauf aufmerksam, daß Menschen mit
nur einer Niere nicht allzuselten sind; in der Literatur sind seit 1870 bereits
mehr als 300 beschrieben. Es ist nicht leicht für die Chirurgen, sich gegen
diesbezügliche Irrtümer zu schützen, namentlich deswegen nicht, weil mit¬
unter normal einmündende und scheinbar normal verlaufende Uretheren von
der gleichen Niere ausgehen können; in solchen Fällen läßt also auch der
Uretherenkatheterismus im Stich. Cathelin empfiehlt deshalb seine endo-
vesikale Trennung der Urine ; am sichersten aber geht der, der sich durch
Palpation von dem Vorhandensein beider Nieren überzeugt.
Buttersack (Berlin).
Zur Tuberkulinnachbehandlung der chirurgischen Tuberkulose.
(C. Kraemer. Med. Klinik, Nr. 4, 1908.)
Kraemer tritt mit Nachdruck dafür ein, daß jeder Kranke mit
chirurgischer Tuberkulose nach deren scheinbarer Ausheilung zunächst einer
Prüfung mit Tuberkulin unterworfen und nach positivem Ausfall der Reaktion
einer regelrechten Tuberkulinkur unterworfen wird, damit auch andere bis
dahin latente tuberkulöse Herde aufgedeckt und nach Möglichkeit der Heilung
zugeführt werden. Kraemer wird bei Aufstellung dieser gewiß nicht un¬
berechtigten Forderung von der Anschauung geleitet, daß nicht nur in den
allermeisten Fällen einer wiederholten Erkrankung an Tuberkulose die Neu¬
erkrankung, insbesondere auch innerer Organe, nach vorangegangener chirur¬
gischer Tuberkulose nur das Wiedererwachen einer latenten Tuberkulose,
fast niemals eine Neuinfektion darstellt, sondern daß auch die sogenannte
Disposition zur Tuberkulose weiter nichts sei, als eine Verwechselung mit
latenter Tuberkulose. Vor dem Glauben an die Harmlosigkeit der latenten
Tuberkulose könne aber nicht genug gewarnt werden. — Die Infektion mit
Tuberkulose finde in den meisten Fällen schon in der Kindheit des Indi-
vidiums statt, sie komme bei dem Erwachsenen auch unter den (für die
Tuberkuloseinfektion) günstigen Bedingungen nur schwer zustande.
R. Stüve (Osnabrück).
Glückliche Entfernung eines Angioma arteriovenosum.
(Jul. Broeckaert, Gent. Bull, de l’Acad. Royale de Med. de Belg., 4. Serie,
Tome 22, Nr. 5/6, S. 365—375, 1908.)
Bei einem im übrigen gesunden, erblich nicht belasteten Jungen fand
sich seit der Geburt von der Nasenwurzel nach der Stirn zu ein pulsierender
Vorsprung, den die Eltern zunächst für eine erweiterte Arterie hielten.
Vom 12. Lebensjahr ab jedoch begann der Vorsprung ziemlich schnell zu
wachsen, er füllte das ganze mittlere Drittel der Stirn aus, erstreckte sich
bis zum Vertex, bis zum /Nasenrücken und in die linke obere Orbita; es
bestand linksseitiger Exophthalmus. Der Tumor pulsierte und ließ sich völlig
komprimieren. Die sicht- und tastbaren Arterien des Schädels und Gesichts
waren stark erweitert; ihre Kompression hatte keinen Einfluß auf den Tumor.
Die Retinagefäße waren normal, ebenso die des Gehörorgans ; dagegen
waren die Nasen- und Rachengefäße erweitert. Gleichzeitig bestanden An¬
zeichen einer Aorteninsuffizienz.
Im Hinblick auf die zunehmende allgemeine Anämie, Abnahme der
geistigen Qualitäten, Anfälle von Bewußtlosigkeit und epileptiformen Krämp¬
fen (Jackson’scher Typus), zeitweise rechtsseitiger Hemiplegie und Aphasie,
sowie auf abundantes Nasenbluten wurde die Abtragung des Tumors be¬
schlossen. Die Operation gestaltete sich dadurch sehr schwierig, weil er an
drei Stellen durch mehr oder minder große Löcher im knöchernen Schädel-
Referate und Besprechungen.
1139
dach hindurch mit den intrakraniellen Gefäßen in Zusammenhang stand;
doch gelang es jedesmal, durch Zustopfen mit Paraffinum solidum auch der
bedrohlichsten Blutungen Herr zu werden.
Da das Angiom nicht von der Haut loszulösen war, so blieb eine große
Wundfläche übrig, welche indessen ohne Störung sich überhäutete.
In ähnlicher Weise wurde zwei Monate später auch jener Teil des
Tumors, welcher an der oberen Orbita saß, herausgenommen, worauf sich
der Exophthalmus allmählich zurückbildete.
Die histologische Untersuchung ergab eine Erweiterung der Arterien,
Kapillaren und Venen, so daß B. die Bezeichnung Angioma arteriovenosum
für gerechtfertigt hält. Buttersack (Berlin).
Ersatz kranker Arterien und Organe durch gesunde.
(The Post- Graduate, Nr. 12, 1908.)
In der das amerikanische Journal the Post-Graduate einleitenden Monats-
Übersicht the month von den Herausgebern Dr. Henry T. Brooks, Dr. Homer
Coffin und Dr. Ludwig Kasit findet sich diesmal eine Stelle, die in wört¬
licher Übersetzung folgendermaßen lautet: „Auf einer Versammlung der ame¬
rikanischen philosophischen Gesellschaft in Philadelphia im letzten Monat
beschrieb Dr. Alexis Carrel vom Rockefeller-Institut dieser Stadt Ver¬
suche, welche zu dem Schluß führen würden, daß von nun an kranke
Arterien und selbst Organe beim Menschen erfolgreich durch gesunde Arterien
und Organe ersetzt werden können, die von toten Personen genommen sind.
In der Tat, die große Schwierigkeit würde sein, ein gesundes Organ zu finden,
durch welches ein krankes zu ersetzen wäre, und die Gefahr, irgend eine
Infektion von außen einzuführen. In meinen Versuchen, Arterien zu erhalten
(präservieren)“ sagte Dr. CarpreL, „fand ich, daß es Austrocknung nicht tut,
sondern einen Zustand von absolutem Tod herbeigeführt. Dann legte ich die
Arterie in Refrigeratoren und ließ sie bei einer Temperatur ein wenig über
dem Gefrieren in hermetisch versiegelten Tuben. Ich fand, eine Arterie konnte
60 Tage lang lebend erhalten und der Arterie eines lebenden Tieres substituiert
werden. Ich habe die Abdominalarterien einer Katze durch die Karotiden
eines Hundes ersetzt. Einmal, als ich von dem New York-Hospital ein mensch¬
liches Bein erhielt, hielt ich die Arterien 24 Tage lang in einem Refrigerator
und setzte sie dann in einen Hund. Der Hund überlebte die Operation leicht
und blieb gesund; und als er einige Monate später geäthert und das Bein
wieder geöffnet wurde, wurden die menschlichen Arterien schön befunden
(found to be doing beautifully).“ Dr. Carjrtel zeigte auf dem Schirm einen
herumspringenden Foxterier, nachdem ihm auf den Stumpf seines Beines
das Bein eines toten Hundes aufgesetzt war, und wie die Nieren, die Drüsen
und Venen zwischen Tieren mit demselben dauernden Erfolg gewechselt waren.
Dr. W. W. Keen berichtete, wie in einem auswärtigen Fall von ankylosiertem
Kniegelenk die kranken Teile ausgeschnitten waren und ein normaler Teil
von dem Bein eines Mannes substituiert war, der bei einem Unfall getötet
war. Der Mann kann jetzt leicht gehen und selbst mit dem Fuße stoßen
(and even kick). Peltzer.
Eine neue Methode, in hoffnungslosen Fällen von Harninkontinenz Hilfe
zu schaffen.
(Dr. W. G. Eckstein. The Post-Graduate, Sept. 1908.)
Den Unglücklichen, die wegen Harninkontinenz infolge von Rücken¬
marks- oder anderen Leiden ein Urinal tragen müssen, fällt es wegen des
Geruchs, den sie um sich verbreiten, nicht allein oft schwer, Beschäftigung
zu finden, es droht ihnen auch die gefährliche Cystitis mit ihren Kompli¬
kationen. E. hat nun neuerdings in zwei derartigen Fällen zur großen Er¬
leichterung der Kranken suprapubische Drainage ausgeführt. Beide wollten
ihre so angelegten Fisteln nicht zuheilen lassen. Der eine Kranke hatte über
72*
1140
Referate und Besprechungen.
ein Quart Residualharn in der Blase, die Blase war paralytisch und die
Prostatektomie nicht ratsam. Eine Zeitlang' schafften regelmäßige Blasen¬
spülungen und die Anwendung von Antiseptizis Erleichterung, schließlich
aber war der Kranke dem Selbstmord nahe. E. entschloß sich zur Eröffnung
der Blase unter Lokalanästhesie und fand außer chronischer Cystitis, einer
vergrößerten Prostata und Erweiterung der dünnwandigen Blase noch 4 Phos¬
phatsteine. Wenige Tage nach Anlegung der Drainage mittels Verweil-Kathe-
ters verließ der Kranke die Klinik. Nachher stellte er sich regelmäßig
wieder vor und besserte sich in jeder Beziehung, aus einem vorher fast Aus-
gestoßenen wurde ein reinlicher arbeitsfähiger Mensch. Das Ende seines
Verweilkathetes, das mit einer Klammer verschlossen war, trug er in einem
eigens für ihn angefertigten Gürtel. Den Urin ließ er alle 3 — 4 Stunden
ab. Er lernte seine Blase selbst auswaschen und Harnträufeln aus der Fistel
vermeiden. Ein Resultat, zu dem im ganzen allerdings auch die vergrößerte
Prostata insofern beitrug, als sie ein Hindernis für den Abfluß des Urins
durch die Harnröhre bildete. Der Hauptvorteil eines solchen Verfahrens läge
darin, daß es den Kranken vom Urinal befreit. E. hofft, daß es möglich sein
wird, in ähnlichen Fällen, namentlich auch da, wo keine Prostatavergrößerung
vorliegt, auf dieselbe Weise Hilfe zu schaffen. Zu diesem Zweck hat er an
Leichen und Hunden experimentiert und gefunden, daß die Obliteration
der Harnröhren Öffnung auf verschiedene Weise erreicht werden kann. Das
Weitere hierüber muß im Original nachgesehen werden. Peltzer.
Die schnappende Hüfte (Lux. tractus cristo-femoralis).
(zur Verth, Berlin. Deutsche Zeitschr. für Chir., Bd. 98, H. 1, 1909.)
Verf., welcher selbst Träger einer schnappenden Hüfte ist, gibt eine
interessante Analyse der Anomalie. Prinzipiell zu unterscheiden ist die will¬
kürliche und die habituelle schnappende Hüfte. Unter ersterer ist die Fähig¬
keit zu verstehen, einen bandartig verdickten Streifen der Fascia lata, welcher
teils vor, teils über dem Troch. major hinwegzieht (einen Teil des sog.
Maissiat’schen Streifens) willkürlich über den Troch. major schnellen zu
lassen. Sie ist erlernbar, daher eine ,, Kunst“, funktionell bedeutungslos
und bedarf keiner Behandlung. Anders die habituelle schnappende Hüfte.
Sie beruht auf einem durch krankhafte Areränderung des Maissiat’schen
Streifens oder des Glut. max. bedingten vom Willen unabhängigen von
lebhaften Schmerzen begleiteten Hinüberschnellen des Maissiat’schen Strei¬
fens über den Trochanter major. Je nach der Art ihrer Genese erfordert
sie eine operative oder funktionelle Behandlung.
Die interessanten Detaildarlegungen sind im Original nachzulesen.
_ F. Kayser (Köln).
i ... B|
Zur Implantation von Schilddrüsengewebe bei Kretinen.
(Eugen Boicher, . Basel. Deutsche Zeitschr. für Chir., Bd. 98, H. 1, 1909.)
Bei drei Kretinen, welche sich zu anderweitigen Operationen in der
Klinik befanden, wurde die Implantation von Schilddrüsengewebe, welches
anderen an Struma operierten Patienten entnommen war, subkutan vorgenommen.
Die Gewebsteile kamen zur Elinheilung, waren aber nach etwa drei Monaten
völlig resorbiert. Die eingetretene Resorption konnte durch Exzision in einem
Fall einwandsfrei nachgewiesen werden. Das funktionelle Resultat war ein
völlig negatives : das äußere wie innere Wesen blieb durch die Implantation
völlig unbeeinflußt.
Verf. glaubt, daß die von anderen Autoren beobachtete günstige Be¬
einflussung der krankhaften Erscheinungen lediglich auf die Resorption des
vorhandenen Kolloids und nicht auf eine neu entstehende Epithelleistung
zu beziehen ist.
Damit würde sich auch die neuerdings ventilierte Streitfrage erledigen,
ob das Schilddrüsenstück besser in die Milz (Payr) oder in das Knochen¬
mark (Kocher) überpflanzt wird. F. Kayser (Köln).
Referate und Besprechungen.
1141
Ueber eine neue Methode der Nephropexie.
(C. Beck, New-York. Deutsche Zeitschr. für Chir., Bd. 9?, H. 1, 1909.)
B. befestigt die durch Schrägschnitt freigelegte Niere an ihrem oberen
Pol mittelst dünnem durch ein Bohrloch geführten Bronzedraht an' der zwölften
Rippe. Er hat bei einer am 14. April 1908 operierten Patientin mit der
Methode ein anscheinend gutes Dauerresultat gehabt.
Nach Ansicht des Ref. ist das Verfahren keineswegs neu. Schon Jon-
nesco fixierte bekanntlich durch zwei durch den oberen und unteren Nierenpol
gezogene Silberdrahtnähte die bewegliche Niere am Periost der 12. oder 11.
Rippe. Die ausschließliche Befestigung des oberen Nierenpols hat aber bereits
Küster verworfen, welcher vielleicht mit Recht darauf hinwies, daß alle
Fixationsverfahren der .Forderung entsprechen müssen, daß die Niere im¬
stande ist, die physiologischen Drehungen um ihre Querachse bei den Be¬
wegungen des Zwerchfells auszuführen. F. Kayser (Köln).
Allgemeinanästhesie für kurzdauernde Eingriffe.
(Bonain. Rev. hebd., de laryng., Nr. 29, 1908.)
Da die Dauer der Chloräthyl-Narkose für manche kleinere Operationen
(z. B. Tonsillo- und Adenotomie) sich als nicht ausreichend erwies, kombiniert
Verf. sie mit der Chloroformnarkose nach „englischem Verfahren“, bei weichem
5 — 10 g Chloroform auf einmal gegeben werden. Er wendet ein Gemisch]
von gleichen Volumenteilen beider Narkotika an, das in Ampullen von 21/2 ccm
Inhalt aufbewahrt wird. Um eine Narkose von 1/2 — IV2 Minuten zu er¬
reichen, werden für Kinder von 1 — 5 Jahren eine Ampulle, von 5 — 12 Jahren
zwei, von 12 — 16 Jahren drei, für Erwachsene vier Ampullen verwendet.
Der Inhalt einer Ampulle wird immer auf einmal auf die Gazelagen der
Maske aufgeschüttet, die folgenden Dosen nach Bedürfnis.
Arthur Meyer (Berlin).
Gynäkologie und Geburtshilfe.
Ueber Tuberkulose des weiblichen Genitalapparates.
(Dr. M. Simmonds. Archiv für Gyn., Bd. 88, H. 1, 1909.)
Die Arbeit stützt sich auf 80, im allgemeinen Krankenhause St. Georg
in Hamburg zur Sektion gekommene Fälle von Genitaltuberkulose. Es kamen
alle Stadien, auch die allerfrühesten, zur Beobachtung. l1/3°/o aller zur
Sektion gekommenen Frauen und Mädchen waren mit Genitaltuberkulose
behaftet. Das größte Kontingent wurde von dem zweiten Dezennium gestellt.
Uterus und Tuben waren in 65 %, der Uterus allein in 11 %, die Tuben allein
in 28% erkrankt. In 85% der Fälle von tuberkulöser Endometritis lag
gleichzeitig eine Tuberkulose der Tuben vor, in 74% der Fälle von tuber¬
kulöser Salpingitis war auch der Uterus tuberkulös erkrankt. —In der Tube
beginnt der tuberkulöse Prozeß entweder mit subephitelialen Knötchen
oder seltner als oberflächlicher Desquamativkatarrh. Bei dieser zweiten
Form der Epithelnekrose finden sich in der Regel weit mehr Bazillen im
Lumen des Kanals und in der nekrotischen Schicht. S. vertritt die Ansicht,
daß die Bazillen auf dem Blutweg und durch Ausscheidung in das Tuben¬
lumen gelangen, ähnlich wie er es früher für die Tuberkulose der Samen¬
bläschen auseinandergesetzt hat. Ein Übergang der Bazillen bez. des tuber¬
kulösen Prozesses aus der Nachbarschaft, insbesondere vom Bauchfell her,
komme auch vor, aber selten. Im Uterus ist der Beginn der Tuberkulose
als bazillärer Katarrh das häufigste. Auch in die Uterushöhle kommen
die Bazillen nach Ansicht S.’s in der Regel auf dem Blutwege, selten sei
die Herkunft von der erkrankten Tube, noch seltener von der Scheide. Unter
den 80 Fällen ließ sich nur ein einziges Mal Infektion per c'ohabi tationem
mit Sicherheit feststellen. In drei weiteren Fällen handelte es sich aller¬
dings noch um primäre Genitaltuberkulose, aber sicher nicht um Infektion
1142
Referate und Besprechungen.
von der Vagina her. In allen übrigen Fällen war die Genitaltuberkulose
eine sekundäre, meist bestanden Lungenherde. Bei der Infektion von der
Vagina her braucht es sich übrigens nicht immer um eine Urogenitaltuber¬
kulose des Mannes zu handeln, S. macht darauf aufmerksam, daß auch das
mit Speichel verunreinigte männliche Glied Tuberkelbazillen importieren
kanni — Am allerhäufigsten bilden also die Tuben den Ausgangs¬
punkt der tuberkulösen Erkrankung im Genitalsystem. Findet man, wie
in der Mehrzahl der Fälle, bei Tubentuberkulose den Uterus auch erkrankt,
so handelt es sich um einen deszendierenden Prozeß. Ausnahmen können
Vorkommen, es kann auch einmal Uterus und Tube gleichzeitig erkrankt
sein. — Die Konzeption wird wohl durch eine Genitaltuberkulose gehemmt,
nicht aber das Fortbestehen einer Schwangerschaft. Stets war aber die
Schwangerschaft für die betr. Frau verhängnisvoll. Entweder er-
folgte der Tod infolge Verschlimmerung des tuberkulösen Prozesses in anderen
Organen, oder aber .es war der Geburt eine Miliartuberkulose gefolgt. Auch
starb ein Kind im Alter von acht Wochen an ausgebreiteter destruierender
Lungentuberkulose, die wohl sicher kongenital war. — Wenn man nichts
tut, schreitet der Prozeß unaufhaltsam weiter; im Uterus greift er auf
tiefere Wandschichten über, von den Tuben setzt er sich auf das Bauchfell
fort und führt so in einer großen Anzahl von Fällen durch tuberkulöse
Peritonitis zum Tode. Allerdings ist die Neigung zur Ausbreitung eine
recht verschiedene; bei Greisinnen ist sie sehr gering, besonders wenn es
sich um tuberkulöse Pyometren handelt. Diagnostisch muß man ev. das
Tierexperiment mit heranziehen. — Therapeutisch empfiehlt sich nach S.
bei tuberkulöser Endometritis zunächst die Kürettage, weil erfahrungsgemäß
der Prozeß sich anfänglich an der Oberfläche halte; diese Ausschabungen
sollen von Zeit zu Zeit unter mikroskopischer Kontrolle wiederholt werden.
In den Fällen, wo tiefere ulzeröse Prozesse der Gebärmutterinnenfläche vor¬
liegen, wo sich gröbere käsige Massen aus dem Uterus entfernen lassen, soll
das Organ samt den Tuben entfernt werden. Bei nachgewiesener Erkrankung
einer Tube sind stets beide zu entfernen, die Ovarien aber nicht, weil sie sehr
selten miterkranken. — Bei einer Laparotomie wegen Peritonealtuberkulose
soll man die Tuben stets mit entfernen, auch wenn sie anscheinend gesund sind.
R. Klien (Leipzig).
Experimentelle Beiträge zur Behandlung des Puerperalfiebers.
(Zangemeister, Königsberg. Monatsschr. für Geburtsh. u. Gyn., Bd. 29, S. 163.)
In seiner sehr interessanten Arbeit beschäftigt sich Z. lediglich mit
puerperalen Streptokokkeninfektionen. Von den unzähligen Heilmitteln des
Puerperalfiebers bespricht er nur einige Verfahren, die in neuerer Zeit be¬
sonderes Vertrauen genießen. Zunächst das operative Vorgehen, d. h. ent¬
weder Wegnahme des ganzen Infektionsherdes, oder die Freilegung resp.
Eröffnung desselben. Auf dem ersten Wege glaubt Z. bei gleichzeitiger
Antistreptokokkenserumtherapie mehr erreichen zu können, als dies zurzeit
angenommen wird. Das zweite chirurgische Verfahren ist bei parametranen
Eiterherden unbestritten, bei Peritonitiden dagegen verspricht er sich von,
der Drainage und Kochsalzdurchspülung wenig Erfolg, da ihn der Tier¬
versuch lehrte, daß die Drainfenster durch Verklebungen von Darm und
Netz sehr .rasch wieder verschlossen wurden. Dagegen empfiehlt er, evtl,
wiederholt den Eiter aus der Bauchhöhle mittels Troikarts zu entleeren, und
zwar durch Ausspülung derselben mit mehreren Litern warmer physiologischer
Kochsalzlösung, und zum Schlüsse etwa, 1/2 Liter) Kochsalzlösung mit) 0,5 — 1,0%
Nuklein in der Bauchhöhle zu belassen. Tierversuche lehrten ihn nämlich, daß
schon eine einmalige intraperitoneale Kochsalzinfusion günstigen Einfluß habe ;
der Effekt läßt sich durch Nukleinzusatz erhöhen, während subkutane
oder orale Nukleindarreichung viel geringeren Wert besitzt. (Z. bevorzugt
das Nuklein Horbäczewski.) Den therapeutischen Wert des Kollargols
glaubt Z. beim Tiere rundweg verneinen, beim Menschen als zweifelhaft
Referate und Besprechungen.
1143
hinstellen zu müssen. Das Adrenalin erscheint ihm auf Grund seiner Tier¬
versuche zweckmäßiger, er empfiehlt evtl. Adrenalinzusatz zur intraperi¬
tonealen Einspritzung. Das Verdienstvollste an Zangenmeister’s Arbeit
scheint darin zu liegen, daß er einen Weg gezeigt hat zur relativ exakten
Prüfung der gegen Puerperalfieber empfohlenen Mittel, deren Wirksamkeit
sich bei dem vielgestaltigen Verlaufe der puerperalen Infektionen klinisch
nicht beurteilen lassen. Frankenstein (Köln).
Der Kaiserschnitt in moderner Beleuchtung.
(Prof. Dr. J. Veit. Volkmann’s Samml. klin. Vortr., Nr. 515. Gyn., Nr. 189, 1909.)
Verf. will einen scharfen Unterschied gemacht wissen zwischen Infek¬
tion mit progredienten Keimen (in der Regel Streptokokken) und mit sapro-
phy tischen Keimen. Die Frauen, die mit progredienten Keimen infiziert
sind, seien stets, mit und ohne Kaiserschnitt, aufs höchste gefährdet, wenn
nicht überhaupt verloren. Diese Keime können bekanntlich von außen bei
der Operation hereingebracht werden; dagegen müsse unser üblicher antisep¬
tischer Apparat, wenn er gut funktioniert, schützen. Die Keime können aber
auch schon vorher in der Vagina oder im Uterus vorhanden sein: dann sei
die Frau so gut wie verloren. Anders bei den sap rischen Keimen, die zu
ihrer Entwicklung einen toten Nährboden brauchen. In dieser Beziehung
gelte es, das event. mit diesen Keimen verunreinigte Fruchtwasser, Blut usw.
nicht in die Bauchhöhle fließen zu lassen. Hierzu genüge das früher beim!
klassischen Kaiserschnitt übliche Herauswälzen des Uterus vor die Bauch¬
decken keineswegs, sondern man müsse dazu die Bauchhöhle provisorisch
abschbießen. Verf. gibt zu diesem Zwecke zwei von ihm angewandte
Verfahren an: einmal Zusammenklemmen des parietalen und des Uterusperi¬
toneums mittels eigener kleiner Klemmen, zweitens die temporäre Vernähung
des parietalen und dann des inzidierten uterinen Peritoneums mit der Bauch¬
haut. Beide Verfahren seien gut, das erstere erfordere jedoch ein ziemlich
weit vorgeschrittenes Geburtsstadium. Mit dieser Einschränkung paßten beide
Arten von Kaiserschnitt für jeden Fall und sie seien auch für den praktischen
Arzt durchführbar. Verf. geht aber nicht so weit, den klassischen Kaiser¬
schnitt für sicher reine Fälle heute bereits auf geben zu wollen. Seine Metho¬
den kämen in erster Linie den infizierten Fällen zugute, soweit diese nicht
eben an sich verloren seien. — Bezüglich der Indikationsstellung ist
Verf. im allgemeinen für Zurückhaltung: besonders in der Geburtshilfe solle
man nicht operieren, weil es schließlich möglich ist, sondern nur, wenn es
wirklich nötig ist. So ist Verf. z. B. entschieden dagegen, bei Placenta
praevia regelmäßig den Kaiserschnitt zu machen,* wo uns andere gute, weniger
eingreifende Methoden zur Verfügung stehen; ähnlich sei es bei der Eklam¬
psie. — Verf. will in weiser Beschränkung die Indikation zum Kaiserschnitt
nur auf diejenigen Fälle von engem Becken ausdehnen, bei denen man sonst
das lebende Kind perforieren mtißte; in diesen Fällen zieht er aber den
Kaiserschnitt der Hebosteotomie vor, sowohl für Erst- als für Mehrgebärende,
unter Voraussetzung der oben beschriebenen Technik. Nur für Hausopera¬
tionen möchte Verf. der Beckenspaltung den Vorzug geben.
R. Klien (Leipzig).
Lieber Darmverletzungen bei gynäkologischen Operationen.
(Barth, Danzig. Monatsschr. für Geburtsh. u. Gyn., Bd. 29, S. 153.)
B. berichtet über seine diesbezüglichen Erfahrungen an neun Fällen
mit keinem Exitus. Läsionen der Darmserosa oder -muskularis ereignen
sich ja relativ leicht bei der Operation stark verwachsener Adnextumoren
und können bei schlechter Versorgung noch nachträglich zur Perforation
führen. B. macht in solchen Fällen außer der Übernähung auch noch eine
plastische Überdeckung mit Netzteilen, besonders um die Schädigungen des
Darmes durch eine evtl, notwendige Gazetamponade zu vermeiden.
1144
Referate und Besprechungen.
Bei perforierender Darmverletzung führt B. selbstverständlich pri¬
märe Darmnaht und Tamponade aus, doch weist er mit Recht auf Un¬
zuverlässigkeit der zirkulären Naht des Rectum und des übrigen Dick¬
darmes im Gegensatz zu der des Dünndarmes hin. In zwei Fällen um¬
ging B. die Gefahr durch weites Einführen des zentralen Dickdarmendes
in das periphere und (möglichst exakte Naht. Endlich warnt B. bei
Kotfisteln, die trotz exakter Versorgung der perforierenden Darmwunde
entstehen, vor frühzeitiger Resektion, er glaubt, daß die meisten Fisteln
bei einiger Geduld spontan heilen können. Frankenstein (Köln).
Ohrenheilkunde.
Staphylokokken-Otitis.
(Richon. Rev. hebd. de laryng., Nr. 8, 1909.)
Man hat in letzter Zeit mehrfach versucht, bestimmte klinische Formen
von Otitis media abzugrenzen, welche einzelnen Mikroorganismen entsprechen ;
so hat man erkannt, daß Ohrentzündungen, welche durch den Pyozyaneus,
den Influenzabazillus, durch Diplokokken erregt werden, charakteristische
Besonderheiten des Verlaufs aufweisen. R. teilt 5 Beobachtungen mit
Welche erlauben, eine Otitis durch Staphylokokken abzutrennen. Dieselbe
beginnt nicht sehr heftig, sie zeichnet sich aus durch Bildung von Fib rin¬
ge rinnsein in der Umgebung der Perforation. Die Gerinnsel sind schwer
zu entfernen und erzeugen neuralgif örme Schmerzen, können auch den
Abfluß des Sekrets erschweren. Ein zweites Charakteristikum ist das seröse
goldgelbe Exsudat. Irgendwie bedrohlich verläuft die Erkrankung nicht.
Therapeutisch ist im Anfang Karbolglyzerin angezeigt. Die moderne Methode
der Drainage des Gehörgangs mit Gazestreifen ist für diese Form minder ge¬
eignet, regelmäßige Ausspritzungen sind vorzuziehen. Arth. Meyer (Berlin).
Die Hygiene des Ohrs.
(P. Maas, Aachen. Würzburger Abhandl., Kabisch Verl.)
Des Ohr ist am meisten durch Erkrankungen der Nase gefährdet.
Richtiges Schneuzen, richtige Anwendung der Nasendusche sind erforder¬
lich, um Infektion des Ohrs zu vermeiden; auch muß die hintere Tampo¬
nade möglichst eingeschränkt werden, bei den meisten Fällen von Nasen¬
bluten ist sie entbehrlich. Die rechtzeitige Erkennung und Operation von*
adenoiden Vegetationen ist für die Gesundheit des Ohrs wichtig, auch
die Pharyngitis lateralis ist für dieses nicht gleichgültig ; auch Pflege der
Mundhöhle und der Zähne ist erforderlich. — Erkältungen werden am
besten durch rationelle Abhärtung vermieden. Erfrierungen der Ohr¬
muschel begegnet man durch Schutzklappen, allmähliche Erwärmung nach
Kälteeinwirkung, etc. Das Stechen von Löchern für Ohrringe ist eine
gefährliche Unsitte. — Ohrenschmalz bedarf meist keiner instrumenteilen
Entfernung; bei Leuten, die zu Anhäufung desselben neigen, hat solche durch
den Arzt, am besten durch Ausspritzen zu erfolgen. — Ungeeignete Versuche,
Fremdkörper des Gehörgangs zu entfernen, treiben diese stets in die
Tiefe und können zu den schwersten Komplikationen führen. Darum sollen
Fremdkörper nur durch otologisch erfahrene Ärzte entfernt werden, zumal
einiges Abwarten in den meisten Fällen keinen Schaden bringt. — Ohrfeigen,
Küsse etc. können Tromtmelfellrup turen herbeiführen; ist eine solche
entstanden, so lasse man sie völlig in Ruhe und verschließe nur den Gehör-
gang mit Watte. — Unrichtiges Ein- und Ausschleusen können bei Caisson¬
arbeitern, der dauernde Lärm bei Metallarbeitern zu gewierblicher Schädi¬
gung des Ohrs führen. Chinin, Salizylsäure, Alkohol, Tabak affizieren ge¬
legentlich das Organ. — Besteht eine Ohreiterung, so verhütet die richtige
Reinigung, die richtige Behandlung den Übergang in den chronischen (Zu¬
stand, sowie intrakranielle Komplikationen. — Bei unheilbaren Erkran-
Referate und Besprechungen.
1145
kungen, bes, der Sklerose, sind Hörrohre, ev. „Audiphone“, welche die
Knochenleitung zur Verbesserung heranziehen, am Platz; auch das Ablesen
vom Munde ist wertvoll. Vor den zahlreichen Schwindelapparaten, die gerade
auf diesem Gebiete angepriesen werden, (Höröl, Hörbrillen, elektr. Batterien,
Audiphon Bernard — Ref. möchte noch den Keith-Harvey’ sehen Apparat ge¬
nannt wissen) ist natürlich dringend zu warnen. Arth. Meyer.
Die Otologie im Felde.
(To übet u. Salt et. Arch. internat. de lar., Bd. 27, H. 3.)
Verff. teilen ihre otologischen Erfahrungen aus dem marokkanischen
Feldzuge mit. Mit beschränkten Mitteln, mit einem sehr bescheidenen Instru¬
mentarium haben sie in dem ihnen unterstellten Lazarett ein otologisches
Ambulatorium installiert und sich mit der Zeit auch das Hilfspersonal zur
sachkundigen Mitarbeit (Ausspritzungen, Verbände, Reinigung usw.) ausge¬
bildet. So wurde eine große Anzahl von Ohrenkranken behandelt, auch von
den etwa zugrunde liegenden Pharynxleiden (Adenoide, Tonsillenhypertro¬
phien) befreit. Einige Aufmeißelungen und Radikaloperationen wurden gleich¬
falls ausgeführt. Die Erfolge waren recht gute, eine ganze Anzahl von Fällen
wurde geheilt der Truppe wieder zugeführt, die ohne sachverständige Thera¬
pie in die Heimat hätten abgeschoben werden müssen. Mit Recht verlangen
daher die Verff. für die Ohrenheilkunde einen ständigen Platz auch zu Kriegs¬
zeiten. Arth. Meyer (Berlin).
Allgemeines.
Aus der amerikanischen periodischen medizinischen Literatur.
April 1909.
The american journal of the medical Sciences.
1. Chirurgische Anämie und Wiederbelebung. Von Dr. George
W. Crile, Prof, der klin. Chirurgie, Cleveland, Ohio. Chirurgische Anämie
wird veranlaßt durch Blutverlust (Hämorrhagie), durch ungleiche Verteilung
der Blutmasse innerhalb des Gefäßsystems infolge Störung des Gefäßmecha¬
nismus (Chock oder Kollaps), oder mechanische Unterbrechung (Thrombose,
Embolie, Strangulation, Torsion, Tourniquet, Bandagen, Druck usw.). Ihr
gegenüber haben nicht nur die verschiedenen Gewebe und Organe des Körpers,
sondern auch die verschiedenen histologischen Elemente eines und desselben
Organs eine verschiedene Toleranz. Knochen, Bindegewebe, Muskeln, Haut,
Bauch- und Brusteingeweide, spezielle Drüsen, Herz und Blutgefäße vertragen
sie länger als das Zentralnervensystem — je höher die Funktion, je größer
die Empfindlichkeit gegen Anämie. Diese darf daher eine gewisse Zeitdauer
nicht überschreiten. Wirksamer als Stimulantien, Nitroglyzerin, intravenöse
Infusion, Elektrizität, Herznadeln und selbst direkte Herzmassage ist zentri¬
petale arterielle Infusion von Adrenalin mit gleichzeitiger rhytmischer Pres¬
sion des Thorax. (Die verschiedene Toleranz der Gewebe gegen das Abster¬
ben bringt es unzweifelhaft mit sich, daß bei Sektionen und Begräbnissen
einzelne Körperteile noch leben.)
2. Der E influß von Gemütsbewegungen au;f die Funktionen
des Nahrungskanals. Von Dr. W. B. Cannon, G. Higginson, Professor
der Physiologie an der Harvard med. school, Boston. Der Einfluß von Ge¬
mütsbewegungen auf die Tätigkeit von Magen und Darm zeigt sich, wie
Experimente dartun, in einer meist ungünstigen Einwirkung auf die Magen¬
saftsekretion und die Peristaltik, die so weit gehen kann, daß hierdurch die
Verdauung aufgehalten oder gänzlich behindert und so ein circulus vitiosus
geschaffen wird, indem die Verdauungsstörung auf das Gemüt und die Ge¬
mütsstörung auf die Verdauung wirkt. Ehe man also bei Verdauungsstörungen
einen Heilplan entwirft, ziehe man auch den Gemütszustand in Betracht !
1146
Referate und Besprechungen.
3. Die Bedeutung der Häfnatemesis. Von Prof. Dr. William
Fitch Cheney, S. Franzisko. Anfangs der 60er Jahre des vorigen Jahr¬
hunderts erhielt Referent als Rigorosüms-Klausurarbeit das Thema : de variis
haemorrhagiis, quae ex ore oriuntur. Dabei kam es hauptsächlich auf die
Unterscheidung von Hämatemesis bei ulcus ventr. und Hämoptyse an. Wie
hat sich seitdem die Zahl der Affektionen vermehrt, auf welche die Diffe¬
rentialdiagnose ihr Augenmerk zu richten hat, wenn es sich um eine Blutung
aus dem Munde handelt. Da gibt es heute: 1. Leberzirrhose, 2. ulcus ventri-
culi, 3. Magenkrebs, 4. Milzanämie, 5. akute Pankreatitis, 6. Urämie, 7. Toxische
Gastritis — Dinge, an die man damals überhaupt noch nicht dachte. Für
jede dieser Krankheiten führt Ch. Fälle aus der eigenen Praxis auch als
Beispiele dafür an, wie durch falsche Deutung der Symptome Fehldiagnosen
entstehen.
4. Krankheiten, die von Störungen der inneren Sekretion ab-
hängen. Von Dr. Wilh. Falta,, Privatdozent und Assistent der 1. med.
Klinik (v. Noorden), Wien. Rede vor den Studenten der Harvard med.
school, Boston, 3. November 1908. „Innere Sekretion“ ist die Funktion der
Schilddrüse und Adnexe, des Pankreas, der Nebennieren, der Genitaldrüsen
und der Hypophysis. Störungen dieser liegen vor bei Morbus Basedowii,
Myxödem, cachexia, strumipriva, Diabetes, Morbus Addisonii, Akromegalie
und dem zuerst von Fr ankUHpchw ard und Froehlich beschriebenen
Symptomenkomplex bei Hypofunktion der Hypophysis (Zerstörung durch ein
langsam wachsendes Karzinom).
5. Die Behandlung akuter Infektionskrankheiten mit Leuko-
zy ten-Extrakt (Hiss). Von Dr. Siamuel W. Lambert, Prof, der ange¬
wandten Therapie, Columbus-Universität, New-York. Die neue, von Hiss er¬
arbeitete Behandlungsmethode besteht in der subkutanen Injektion eines wäs¬
serigen Extrakts von abgetöteten, von Kaninchen entnommenen Leukozyten.
Die Leukozyten werden in einem bakterienfreien Zustande aus den Pleurahöhlen
der Tiere unter dem Einfluß des Reizes einer Aleuronat-Injektion entnommen,
die Exsudate werden zentrifugiert, mit Salzlösung frei von Serum gewaschen
und dann mit einer dem ursprünglichen Betrage des Exsudats gleichen Menge
destillierten Wassers extrahiert. Hiss beobachtete, daß entgegen der An¬
nahme Wright’s, wonach die phagozytische Kraft der Leukozyten lediglich
von dem Gehalt des Serums an Opsoninen abhängt, diese Kraft unter ge¬
wissen Bedingungen von den Opsoninen unabhängig ist und variiert. Die
Leukozyten durch Zuführung der von ihnen selbst produzierten Substanzen
zum Blutplasma in ihrem Kampf gegen die Bakterien zu unterstützen, ist
die Absicht, die er mit seiner neuen Behandlungsmethode verfolgt, und die
Lambert daraufhin bei Meningitis, Pneumonie, ulzeröser Endokarditis, Mala¬
ria, akutem Erysipel und anderen septikämischen Zuständen versucht hat.
Die Erfolge scheinen für die Therapie zu sprechen. Malaria konnte jedoch
nur durch Chinin geheilt werden.
6. Die Röntgenstrahlen in der Behandlung tief sitzender
maligner Krankheiten. Von Dr. George E. Pfahler, Direktor des
Röntgen-Laboratoriums des mediko-chirurgischen Hospitals, Philadelphia. Der
Nutzen der Röntgenbestrahlung bei Oberflächenkarzinom ist unbestritten,
nicht so bei tiefsitzenden malignen Tumoren. Um zur Klärung der Ansich¬
ten hierüber beizutragen, veröffentlicht Pf. 35, meist eigener Beobachtung
entnommene Fälle von Sarkom und 304 tiefsitzender Karzinome, die im
allgemeinen keiner anderen Behandlung mehr zugänglich waren und daher
mit Röntgenstrahlen als letztem Mittel behandelt wurden. Einige wurden
gerettet, fast alle temporär gebessert. Den Schluß machen Bemerkungen
über die nicht leicht zu beschreibende Technik gerade in derartigen Fällen.
7. Verdient die Perkussion als Lungenuritersuchungsmethode
größere Aufmerksamkeit ? Von Dr. C. E. Waller, medical Superintendent
des Halahult-Sanatoriums, Halahult, Schweden. Auskultation und Perkus¬
sion, wie sie jetzt geübt werden, unterscheiden sich fundamental voneinander :
man auskultiert direkt an einer Stelle, bei der Perkussion vergleicht man den
Referate und Besprechungen.
1147
Schall an zwei symmetrisch gelegenen Stellen. Nach W. kann man jedoch
mit größerer Sicherheit und unabhängig von der vergleichenden symmetrischen
Methode eine Dämpfung nachweisen, wenn man mehr den verschiedenen
Charakter des nicht tympanitischen Schalles bei verschiedener Stärke der
Fingerperkussion beobachtet. Die; bisherige, leicht zu irrigen, Schlüssen führende
Methode sollte daher verlassen werden. Zwei Abbildungen zeigen die von
W. geübte, direkte Fingerperkussion der Spitzen.
8. Spezifische Hilfen ih der Diagnose und Prognose der Tuber¬
kulose. Von Dr. Silvio vop. R'uck,, Asheville, Nord-Carolina., v. Ruck
hat aus der Literatur eine große Zahl der Resultate zusammengestellt, welche
bisher die subkutanen, kutanen und Konjunktival-Reaktionsmethoden ergeben
haben und wägt deren Wert sowohl nach eigenen Erfahrungen, als auch
durch den Vergleich dieser mit denen anderer Autoren ab.
9. Einige Punkte der anuria qalculosa. Von Dr. Francis S. Wat-
son, Lehrer der Genito-Urinar-Chirurgie an der Harvard med. school, Boston.
In gewissqp Punkten stimmen die Ansichten der Chirurgen und Pathologen
bezüglich der Anuria calculosa überein, bei anderen nicht, oder man wendet
ihnen nur verhältnismäßig wenig Interesse zu. Zu letzteren gehört zunächst
das häufig geleugnete, von W. aber durch zwei Fälle belegte Vorkommnis,
daß die Funktion einer normalen, nicht obstruierten Niere reflektorisch durch
die plötzliche Obstruktion des Urethers der anderen Niere unterdrückt werden
kann. Ferner gehören hierher die Unterschiede zwischen den post-mortem-
Nierenbefunden und den bei dem Beginn der Anurie auf genommenen, sowie
die Unmöglichkeit, zu bestimmen, "welcher Grad von Strukturveränderung
in der Niere notwendig ist, um ihre Funktion aufzuheben. Der praktische
Schluß, der sich hieraus ergibt, ist: man operiere frühzeitig! Andererseits
ist eine Niere, die nur noch wjenig sezernierende Substanz besitzt, nicht not¬
wendig nutzlos. Schließlich handelt es sich um die Vorteile, die sich bei
anuria calculosa manqhimal aus der gleichzeitigen bilateralen Nephrotomie
oder Nephrolithotomie ergeben, wenn sich z. B. nach dem Ausschneiden einer
Niere ergibt, daß die andere Niere nicht mehr genügend funktionsfähige
Substanz besitzt oder wenn beide Uretheren blockiert sind, oder nur der eine
blockiert ist und sich in der anderen Niere ein Stein befindet, der wahr¬
scheinlich demnächst auch den anderen Urether blockiert. W. hat sechs hier¬
her gehörige Fälle in der Literatur gefunden. Drei lebten, drei starben,
davon zwei mehr an Sepsis, als an einem Ausbleiben der Wiederherstellung
der Nierenfunktion.
10. Die Wichtigkeit der Modifikationen der Sensibilität in
der Krankheitsdiagnose. Von Tom A. Williams , M. B., C. M. (Edin.).
Washington, D. C. Während man früher nur von einem Berührungs-, einem
Temperatur- und einem Schmerzgefühl sprach, haben wir seit den Unter¬
suchungen Head’s und seiner Kollegen (Brain 1905, XXVIII, 99, 115)
drei sehr bestimmte und verschiedene Modalitäten des Gefühls in der Peri¬
pherie : die tiefe, die epikritische und die protopathische Sensibilität, die
einzeln betrachtet werden. Ein näheres Eingehen auf den Gegenstand, der
sich nicht kurz referieren fäßt, verbietet sich an dieser Stelle.
11. Zysten des gerne iusainen Gallenganges. Von Dr. R. S, La-
venson, pathologischer Assistent am Universitäts-Hospital, Philadelphia.
Mitteilung des klinisch und pathologisch ungewöhnlich interessanten Falles
eines achtjährigen Mädchens, das nach der Operation zur Sektion kam, im
Anschluß daran Analyse von 28 aus der Literatur gesammelten Fällen von
Retentionszysten des gemeinsamen Gallenganges. Photographie des operierten
Kindes mit aufgezeichneter Dätnpfungsfigur des Tumors und der Zyste
selbst in 2/3 der natürlichen Größe. Von 21 in der Literatur genauer be¬
schriebenen Fällen wurden drei lediglich punktiert, alle drei starben; 14
wurden inzidiert und drainiert, davon starben ,13. Cholezystenterostomic
wurde viermal ausgeführt mit drei Genesungen. Letztere Operation scheint
also die besten Aussichten zu geben.
1148
Referate und Besprechungen.
12. Einige Fälle von multipler Infektion. Von Dr. Wm. Royal
Stokes, Prof, der Pathologie und Bakteriologie, und Dr. Thos. M. W right,
bakteriolog. Assistent am städt. Gesundheitsamt, Baltimore. Im Darm vege¬
tiert, abgesehen von den jSaprophyten, eine ganze bakterielle Flora patho¬
gener Natur: der Bacillus coli, Bac. aerogenes, Bac. Friedländer, Bac1. enter-
idis, Bac. paratyphi, Bac. dysenteriae (diese Typen agglutinieren nicht mit
Dysenterie-Serum), Bac. pyocyaneus, Staphylococcüs albus, Staph. aureus,
Streptococcus pyogenes und Bac. aerogenes capsulatus (Welch). Verf. ver¬
öffentlichen nun vier Fälle, welche zeigen, daß die Therapie (mit bakteriellen
V accinen) zuzeiten eigentlich gleichzeitig gegen verschiedene dieser Bak¬
terien gerichtet sein müßte. Nebenbei sind die Fälle zum Teil Beispiele
vom Eintritt der Bakterien durch Perforationen des Gastrointestinaltrakts.
Im ersten Fall, einer extensiven fibrinopurulenten Peritonitis nach Per¬
foration eines Typhusgeschwürs, ergaben Kulturen aus dem Herzblut und
der Milz zahlreiche Typhus- und Kolonbazillus -Kolonien, wogegen Kulturen
aus dem Eiter der Peritonealhöhle keine typischen Typhuskolonien, wohl
aber vier andere Bakterienarten zeigten : den Streptococcus pyogenes, Diplo-
coccus pneumoniae, Bac. aerogenes 'capsulatus und Bac. coli — im ganzen
also fünf Organismen in einem Körper, vier im Eiter, einen im Blut. Neben¬
bei gesagt hatte der Kranke, der außerdem an einem Aneurysma des Aorten¬
bogens litt, bis zu seinem Tode pie Fieber gehabt. Der zweite Fall von
Polyinfektion betraf einen Stier ln einem der großen Schlachthäuser, in
dessen Herzwand, wie eine Photographie zeigt, eine von einem hämorrhagischen
Hof und dicken Fibrinmassen umgebene Nadel steckte und der außerdem
einen Leberabszeß hatte. Kulturen des fibrinösen Exsudats und aus dem1
Leberabszeß enthielten den Bacillus coli, den Bac. aerogenes capsulatus und
den Pneümpkokkus. Der dritte, auch in anderer Beziehung interessante
Fall betraf eine puerperale Infektion mit dem Bac. aerogenes und dem Strepto¬
coccus pyogenes. Die Infektion mit dem Gasbazillus war auf das Kind be¬
schränkt, das pyogene Bakterium hatte die Mutter infiziert. Im übrigen
war der enorm durch Gas ausgedehnte Kopf ein derartiges Geburtshindernis,
daß — (es handelte sich um eine Querlage) — bei dem Versuch der Wen¬
dung auf die Füße die Arme abrissen. Eine Photographie stellt den Fötus
dar. Die Mutter, durch viertägige vergebliche Geburtsarbeit schon vorher
geschwächt, starb bald nach ihrer Aufnahme in das Krankenhaus. Der
vierte Fall betraf einen (Mumps bei einem Kinde, in welchem Kulturen
aus der Parotis, dem Blut, der Leber, der Milz und den Nieren den Strepto¬
coccus pyogenes enthielten. Außerdem wird über andere ähnliche Fälle aus
der Literatur berichtet.
13. Hernia diaphr agmütioa. Von Dr. E. T. Bell, assistant Pro¬
fessor der Anatomie an der Universität von Missouri, Columbia. Mit Ab¬
bildungen. Der mitgeteilte Fall (das Vorkommnis ist sonst nicht selten,
Grosser hat 1899 433 Fälle gesammelt), ist insofern ungewöhnlich, als
der Bruchinhalt — ohne einen pleuralen oder peritonealen Sack — ein 8 cm
langer, 5 cm. breiter und ,2 — 3 cm hoher Teil der Leber war. Die Hernie
war wahrscheinlich eine erworbene und die Leber nach Entstehen des Risses
im Diaphragma, wahrscheinlich durch den negativen Druck im Thorax, all¬
mählich in diesen hineingezogen worden. Eine genaue Anamnese war nicht
erhältlich. Der Kranke, ein ungefähr 40jähriger Neger, starb an Tuberkulose.
The St. Paul medical journal.
1. Die Embryologie der Gesichts- und Nackengegend niit Be¬
ziehung auf kongenitale Mißbildungen. Von Dr. Arnold Schwy-
zer, St. Paul. Mit Abbildungen.
2. Die Vorbereitung .und Nachbehandlung chirurgischer
Patienten. Von Dr. John C. M|u[nro, Chef-Chirurg, Carney-Hospital, Boston.
Bezieht sich mehr auf Winke und wichtige Kleinigkeiten, die bei der Vor¬
bereitung und Nachbehandlung chirurgischer Kranker nicht nur im Inter¬
esse dieser, sondern auch des Operateurs selbst zu beachten sind, als auf
Referate und Besprechungen.
1149
größere chirurgische und andere Maßnahmen. Derartige Gepflogenheiten bil¬
det jede Praxis aus.
3. Die Ramsey county (medizinische Gesellschaft; ihre Pri¬
vilegien und Pflichten. Von Dr. Arthur Swieeny, St. Paul. Rede
des Vorsitzenden am 25. I. 1909. Rückblicke auf das verflossene Gesell-
schaftsjahr, Ausblicke auf die 'Zukunft.
4. Diphtherie. Von Dr. ,T. C. Kelly, Mankato, Minn. Ätiologie,
Prädisposition, Symptome, Komplikationen, Diagnose, allgemeine, lokale Be¬
handlung.
Im Herausgeberteil (editorial) wenden sich die Herausgeber (die Ram¬
sey county medical society, iSt. Paul) unteü der Überschrift ,, Eines medi¬
zinischen Journals Vorstellung von Ehrlichkeit“ mit Recht voller Ent¬
rüstung gegen einen Artikel des Chikagoer medical Standard vom Februar
d. Js., in dem offen folgendes ausgeführt wird: Der Praktiker engagiert
den Chirurgen als seinen Agenten und. sorgt für dessen Bezahlung. Er, der
Praktiker, nennt dem Patienten [den ganzen Betrag der Rechnung, ohne
daß er diesem zu sagen braucht, wieviel er, der Praktiker, sich dabei für
sich selbst und wieviel für den Chirurgen anrechnet. Der Chirurg erhält
sein Honorar von dem Praktiker. Wenn ersterer dem letzteren dann nach¬
her noch eine 20-Dollar-Note von den 100 oder 200 Dollars, die der Prak¬
tiker dem Chirurgen bezahlt hat, abgibt, so sei dabei nichts zu finden.
„Wenn der Standard gesagt hätte : Sobald der Patient anästhesiert ist, durch¬
suche seine Taschen und nimm alles Geld, was du darin findest“ — fügen
die Herausgeber hinzu — „so hätte er nichts Unehrlicheres sagen können.
Das läuft darauf hinaus : mache Geld von deinen Patienten — wenn mög¬
lich auf anständige Weise — aber mach’ Geld!“ Wir selbst fügen hinzu:
Was ist dagegen der angebliche, noch nicht einmal bewiesene sogenannte
Patienten - Schacher ? — In zwei weiteren Artikeln treten die Herausgeber
dafür ein, daß erstens nach dem Beispiel größerer Journale auch die Presse
noch mehr für medizinische Aufklärung des Publikums, namentlich in be¬
zug auf Prophylaxe tun und dadurch mittelbar zur Bekämpfung des Kur¬
pfuschertums, der Antivaccio- und lAntivivisektionisten beitragen sollte, so¬
dann, daß in allen größeren Krankenhäusern medizinischer Unterricht statt¬
finden sollte, u. a. auch (deshalb, wleil die Anwesenheit der Zuhörer eine
größere Gründlichkeit der Untersuchung und Behandlung, also gewisser¬
maßen eine Kontrolle, verbürge.
The Pos t - Gr ad uate.
1. Der Monat, An der P.-Gr. school in New York ist ein tropenmedi¬
zinischer ^Kursus eröffnet worden. Es wird aber befürwortet, statt dessen
eine Schule nach Londoner und Halmburger Muster einzurichten. — Das
Neueste aus Paris ist die Entdeckung Qüinton’s, daß die chemische Kon¬
stitution des Seewassers praktisch dieselbe ist wie die des vitalen Plasmas.
G. C. Mehanti empfiehlt daher in chronischen Krankheiten Seewasser-
Injektionen.
2. Zwei Fä(lle von her edj.tärer Syphilis tarda. Von Dr. Eber¬
hard W. Di t tri ch, Dermatologe am deutschen Odd Fellows home usw.,
New York. Mit Abbildungen: 1. Sattelnase. 2. und 3. Hutchinson - Zähne.
3. Hyperemeisis während drei Schwangerschaften. Von Dr. J a-
ines N. W(est. Der Fall betraf eine 25jährige verheiratete Westindierin.
Das erste Mal 1905 (Entbindung durch die Zange, das zweite Mal „Ent¬
leerung des Uterus“, das dritte Mal Morphiumbehandlung mit nachfolgender
natürlicher Entbindung.
4. Ein Fall von akzidenteller inter- und post - partum - Hänfor-
rhagie. Von Dr. Abraham Brothers und Dr. S. J. Goldfarb.
5. Die Leitung der Entbindung. Erstes und zweites Stadium. Von
Dr. Wm. H. W. Knipe.
6. Leitung des dritteln Entbindungsstadiums und des Wochen¬
betts. Von Dr. George L. Brodhead, Prof, der Geburtshilfe P. Grad.
School and Hosp. N. York.
1150
Bücherschau.
7. Tuberkulöse Peri(toni|tis. Bericht über einen Fall. Von
Dr. Ralph Waldo, Prof, der Fr auen-Rr ankheiten , P. Gr. School usw. Mit
Abbildung der tuberkulösen Tube und des Ovariums.
8. Urethritis beim Weibe. — Von Dr. H. D. Furniss, Lehrer der
Frauenkrankheiten, P. Gr. Sch.
9. Die Notwendigkeit des Studiums der Postgraduierten. Von
Dr. William S. Thayer, Prof, der Min. Medizin an der John Hopkins
med. school, Baltimore. — Eine Bankettrede am 20. I. 1909.
10. Die Hauptsachen deis Elrfodges in einer Pos t - Graduate-
(Fortbildungs-)Schule. Von Dr. George Adaini1, Montreal, Canada. Be¬
merkungen zu Nr. 9, gemacht ,am 20. I. 1909.
Büch erschau.
Atlas chirurgisch pathologischer Röntgenbilder. Von Privatdozent Dr,
Rudolf Grashey. Mit 240 autotypischen, 105 photographischen Bildern
66 Skizzen und erläuterndem Text. München 1908, J. F. Lehmann’s
Verlag. Preis gebunden 22 Mk.
Grashey, dem wir bereits den vorzüglichen „Atlas typischer Röntgenbilder
vom normalen Menschen“ verdanken, hat im vorliegenden Bande eine Darstellung
der wichtigsten Röntgenbefunde gegeben, soweit sie für die chirurgische Pathologie
in Betracht kommen. Er hat es verstanden, das riesige Gebiet auf einen verhältnis¬
mäßig kleinen Raum erschöpfend zu behandeln. Seine Kunst, an der Hand lehr¬
reicher Fälle und vorzüglicher Abbildungen durch knappe, den Kernpunkt der Sache
stets treffende Beschreibungen ein anschauliches Bild von allen in Frage kommenden
Veränderungen zu geben und vor allem auch den Blick für die Beurteilung patho¬
logischer Röntgenbilder zu schärfen, verdient rückhaltlose Anerkennung. Sein
Atlas ist ein Meisterwerk, unentbehrlich für jeden Chirurgen und Röntgenologen.
W. Guttmann.
Energie und seelische Richtkräfte. Von H. Herz. Leipzig, Akadem.
Verlagsgesellschaft, 1909. 105 S. 2,80 bezw. 3,50 Mk.
Es repräsentiert — so ungefähr drückt sich Lotze in seiner allgemeinen
Pathologie und Therapie (S. 12/18) aus — den höchsten Standpunkt, dem Grunde
nachzuforschen, welcher einen gegebenen Zusammenhang, so wie er ist, ins Dasein
gerufen hat, und zwar wird es die Idee sein, welche als letzter Grund die Ver¬
bindungsweise der Teile und Funktionen geordnet hat und dauernd ordnet. Aber
der Idee fehlt die Kraft, um tote Massen zu bewegen; sie kann nur durch Ver¬
mittlung eines Systems von Energien wirken.
Aber wenn der Philosoph der Naturwissenschaften vor einem halben Säkulum
die Frage nach den dirigierenden Momenten nicht aufgenommen hat, weil sie ein
für sich abgeschlossenes, getrenntes Gebiet bilde, so drängt sie sich uns Heutigen
immer lebhafter auf, um so mehr, je weniger überraschend das Gesetz von der
Erhaltung der Energie, je selbstverständlicher es geworden ist. Wenn also z. B.
Chwolson sagt: „Es existiert unzweifelhaft ein umfassendes Weltgesetz, welches
aussagt, in welchen Richtungen der Ablauf der physikalischen Erscheinungen
möglich bezw. unmöglich ist“, oder wenn Clausius das Postulat aufstellt: „Wärme
kann nicht ,von selbst4 von einem kälteren auf einen wärmeren Körper übergehen“,
so kommt da die Ahnung eines über den Energien liegenden Agens unverkennbar
zum Ausdruck.
In diesen Kreis ist auch H. Herz eingetreten. Er löst die Frage durch An¬
nahme eines Systems von Richtkräften sozusagen niederer und höherer Ordnung.
Eine solche Richtkraft erzeugt z. B. im Kristall die ausgeprägteste Struktur der
anorganischen Welt, indem sie die freien Energien in schärfster Weise richtet. Sie
ist es auch, die in das lebendige Plasmaklümpchen immer wieder die verbrauchten Atom¬
gruppen an der richtigen Stelle und in der richtigen Proportion einfügt, und Richt¬
kräfte sind es, die das ganze Seelenleben des Menschen beherrschen. Natürlich
sind diese Richtkräfte in keiner Weise zusammenzustellen mit dem, was wir heute
als Kräfte, Masse-bewegende Energien bezeichnen; sie lassen sich eher dem Archi¬
tekten vergleichen, dessen Vorhandensein etwa teleskopbewaffnete Marsbewohner
Hochschulnachrichten .
1151
ja auch nur ahnen, aber nicht exakt nach weisen, und dessen Einfälle und Pläne
sie nicht a priori berechnen können.
Richtkräfte und Energien bewirken in ihrer Kombination das Weltbild, aber
während diese ewig, unvergänglich sind, entstehen und vergehen jene in ewigem
Wechsel, und wie die künstlerische Betätigung immer abhängig gewesen ist von
dem vorhandenen Material, so fassen sie die geraden vorhandenen Energien und
Energiekomplexe immer wieder anders zusammen. Es ist ungemein interessant,
H erz bei der Übertragung seiner Vorstellungen auf die Psyche zu folgen. Jeden¬
falls stellt seine Abhandlung einen wichtigen Abschnitt im Denken der Allgemein¬
heit dar, falls sie eine Resonanz auslöst. Buttersack (Berlin).
10. Jahresbericht der Neuen Heilanstalt für Lungenkranke zu Schömberg.
Von Dr. G. Schröder und Dr. K. Kaufmann. Stuttgart 1909.
Der Jahresbericht enthält außer den üblichen statistischen Angaben eine
wertvolle Auslassung über die im Verlaufe chronischer Lungentuberkulose auf-
tretende Pleuritis. Sobald ein Erguß nachgewiesen ist, soll die Probepunktion vor¬
genommen werden. Ergiebt diese ein seröses oder sanguinolentes Exsudat, so ist
die Ruhigstellung der erkrankten Seite (Heftpflaster verband) bei strengster Bettruhe
und Unterdrückung des Hustenreizes geboten. Die Entleerung des Exsudates
kommt erst in Frage, wenn Verdrängungserscheinungen seitens des Herzens oder
der großen Gefäße auftreten. Aber auch dann entleere man nur so viel Flüssigkeit,
Avie nötig ist, um die bedrohlichen Erscheinungen zu beseitigen. Denn die Anwesen¬
heit des Exsudates an sich ist von günstiger Einwirkung auf den tuberkulösen
Prozeß, ähnlich wie der künstliche Pneumothorax: das Exsudat bewirkt durch
seinen Druck einen Kollaps des Lungengewebes, stellt die Lunge ruhig, begünstigt
die Bindegewebsbildung. „Vielleicht kommt noch eine Anregung der Antitoxine
bildenden Organe zur vermehrten Tätigkeit hinzu.“ Es dürfte sich daher auch
empfehlen, nach Punktionen etwas Stickstoff in die Pleurahöhle einzuführen. Nach
Resorption des Ergusses gilt es, die Entstehung fester bindegewebiger Verwachsungen,
die die Ruhigstellung der Lunge gewährleisten, zu begünstigen : jede Atemgymnastik
ist daher zu unterlassen.
Wird die kranke Seite lange genug ruhig gestellt, so kommt es nicht leicht
zur Bildung eines Empyems. Hat man ein Empyem festgestellt, so behandle
man es wie einen kalten Abszeß: Punktion, Aspiration, Einspritzung von Jodoformöl,
eventuell Einführen von Stickstoff. Man erreicht damit bessere Ergebnisse als
durch die Rippenresektion. Sobotta (Reiboldsgrün).
Zur Erinnerung an die vor 90 Jahren vollzogene Gründung des Geschäftes
hat die Firma H. Windl er, Berlin N. 24, Friedrichstraße 188a, eine Reihe Spezial¬
kataloge und einen Hauptkatalog fertig gestellt, deren Kenntnisnahme wir unsern
Lesern empfehlen. Es liegen folgende Spezialkataloge vor: Wissenschaftliche
Medizin, Zahnheilkunde, Ophthalmologie, Otologie, Rhinologie und Laryngologie,
Dermatologie und Urologie, Innere Medizin, Gynäkologie, Sterilisatoren und
Krankenhausmöbel, Bandagen, Krankenpflegeartikel. R.
Hochschulnachrichten.
Berlin. Der ao. Professor für medizinische Chemie und Vorsteher des chemischen
Laboratoriums am Pathologischen Institut Geh. Med.-Rat Dr. med. Ernst
Salkowski wurde zum o. Hon.- Professor ernannt. Die staatliche Lehrmittel¬
sammlung im Kaiserin Friedrich-Hause wird um eine Sonderabteilung für
Tropenmedizin bereichert. Der Staatssekretär des Reichskolonialamtes
Dernburg hat die Schutzgebiets Verwaltungen angewiesen, geeignete Objekte
und auch Eingeborenengegenstände, die für die Völkermedizin von Interesse
sind, an das Kaiserin Friedrich-Haus nach Berlin zu senden.
Bonn. Der o. Professor und Direktor des pathologischen Instituts, Dr. Ribbert,
wurde zum Geh. Med.-Rat ernannt.
Erlangen. Für Psychiatrie habilitierte sich Dr. med. K. Kleist.
Freiburg i. Br. Der o. Prof. Geh. -Rat Dr. Christian Bäumler wurde auf sein
Ansuchen unter Ernennung zum Wirklichen Geheimen Rat in den Ruhestand
versetzt und an seine Stelle der o. Prof, der Kinderheilkunde und Direktor der
1152 Mitteilungen.
med. Poliklinik in Freiburg, Dr. med. Oskar de la Camp vom 1. Oktober ab
zum o. Prof, der speziellen Pathologie und Therapie und Direktor der med.
Klinik ernannt. Exzellenz Bäumler steht im 74. Lebensjahre. 1872 übernahm
er eine ao. Prof, für propädeutische Klinik in Erlangen. 1874 kam er als Prof,
der Pharmakologie nach Freiburg i. Br., wo er zwei Jahre später als Nachfolger
Kußmauls zum Direktor der med. Klinik und Prof, der speziellen Pathologie
und Therapie ernannt wurde. — Das Ordinariat des Prof. Dr. med. Oskar de
la Camp wurde in zwei Extraordinariate aufgeteilt. Zum ao. Prof, für Kinder¬
heilkunde wurde der Göttinger Prof. Dr. Bruno Salge ernannt, die Leitung
der med. Poliklinik erhielt als ao. Prof, der P.-D. Dr. Paul Morawitz in
Heidelberg.
Greifswald. Zum Nachfolger von Minkowski wurde Prof. Dr. A. Steyerer
aus Berlin berufen. Prof. Dr. Allard wurde zum Oberarzt an der Breslauer
medizinischen Klinik ernannt.
Göttingen. Auf eine 25jährige Tätigkeit als o. Professor konnte am 1. Oktober der
Direktor der chirurgischen Klinik, Geh. Med.-Rat Dr. Heinrich Braun, zurück¬
blicken. Der Oberarzt an der Kinderpoliklinik in Kiel, Dr. med. Göppert,
ist vom 1. Oktober ab zum ao. Professor für Kinderheilkunde an der Univer¬
sität ernannt worden. Zum Nachfolger des Geh. Rats Runge für Geburtshilfe
und Gynäkologie ist der o. Prof. Dr. Otto v. Franque in Gießen in Aussicht
genommen.
Halle. Der Senior der med. Fakultät Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Weber feierte
seinen 80 jährigen Geburtstag.
Heidelberg. Der o. Prof, der Hygiene, Geh. Hofrat Dr. Franz Knauff, der
in den Ruhestand tritt, wurde zum Geh. Rat ernannt. Prof. Hofrat Dr. H.
Lossen ist verstorben.
Jena. Der o. Prof, der Geburtshilfe und Gynäkologie und Direktor der Frauen¬
klinik Dr. Karl Franz erhielt einen Ruf nach Kiel.
Kiel. Dem P.-D. für Zoologie und vergleichende Anatomie an der Universität
Dr. Johannes Reibisch ist der Titel Professor verliehen worden. Geh. Med.-
Rat Prof. Dr. Heusen, Direktor des physiologischen Instituts, feierte sein
SOjäliriges Doktorjubiläum.
Köln. Dem Dozenten und außerordentlichen Mitglied der Akademie für praktische
Medizin, Oberstabsarzt Dr. Fritz Kayser, unserem geschätzten Mitarbeiter,
ist vom Kultusminister das Prädikat Professor verliehen worden.
München. Geh. -Rat Prof. Dr. Ritter v. Bollinger ist verstorben. Der P.-D. Dr.
Erich Meyer geht als ao. Prof, und Leiter der medizinischen Poliklinik nach
Straßburg i. E.
W ü r z b u r g. Dr. G. Hotz habil itierte sich. _
Mitteilungen.
Budapest. Der Internationale Aerztekongreß erkannte den Pariser Preis von
8000 Frank dem belgischen Prof. Bordet in Gent und den Moskauer Preis
dem Prof. Hertwig (Berlin) zu in Anerkennung ihrer wissenschaftlichen
Forschungen auf dem Gebiete der Diagnostik des Blutserums bezw. der Ent¬
wicklungslehre.
Der 31. Baineologenkongreß wird unter Vorsitz von Geh.-Rat Brieger
vom 29. Januar bis 1. Februar 1910 im Anschluß an die Zentenarfeier der Hufe-
landischen Gesellschaft in Berlin tagen. Anmeldungen von Vorträgen und An¬
trägen nimmt entgegen der Generalsekretär der Balneologischen Gesellschaft Geh.
Sanitätsrat Dr. Brock, Berlin NW., Thomasiusstr. 24.
Im nächsten Jahre soll in Brüssel ein internationaler Radiumkongreß
stattfinden. Die belgische Regierung selbst gab die Anregung zu diesem Plan, der
auch von der französischen Gesellschaft für Physik unterstützt wird. Bis jetzt
haben u. a. ihre Teilnahme zugesagt: Sir William Crookes, Svante Arrlienius,
Ph. Lenard, Frau Curie, E. Rutherford und vor allem Sir William Ramsay.
Schriftleitung: Dr. Ri gier in Leipzig.
Druck von Emil Herrmann senior in Leipzig.
27. Jahrgang.
1909.
fomcbrim der medizin.
Unter Mitwirkung hervorragender Fachmänner
herausgegeben von
Professor Dr. 0. Röster Pric.-Doz. Dr. v. griegern
in Leipzig. in Leipzig.
Schriftleitung: Dr. Rigler in Leipzig.
Nr. 31.
Erscheint am 10., 20., 30. jeden Monats. Preis halbjährlich
6 Mark, inkl. Zeitschrift für Yersicherungsmedizin 8 Mark.
— Verlag von Georg Thieme, Leipzig. -■
10. Nov.
Originalarbeiten und Sammelberichte.
Klinischer und experimentellpathologischer Beitrag zur Atoxyl-
vergiftung.*)
Von Georg Köster.
M. H. Im folgenden möchte ich Ihnen über Untersuchungen be¬
richten, die ich zusammen mit dem’ Ophthalmologen Herrn A. Birch-
Hirschfeld an Atoxyl - vergifteten Menschen und Tieren angestellt
habe. Bei der Kürze der verfügbaren Zeit vermeide ich möglichst ein
Eingehen auf die vorhandene Literatur.
Wir hatten Gelegenheit, zwei Männer zu beobachten, die wegen
Psoriasis vulgaris von andrer Seite mit Atoxyl gespritzt worden waren.
Beide Patienten waren früher Potatoren gewesen.
Der eine, ein 40 jähriger Mann, erhielt im ganzen 45 Injektionen
einer 20°/o Lösung = 9 gr Atoxyl. Schon nach 3 Wochen entwickelte
sich beiderseits eine Sehnervenatrophie, die auf dem rechten Auge bald
zu völliger Erblindung führte, während auf dem linken bei einem mini¬
malen Gesichtsfeld noch G/20 Sehkraft übrig blieb. Dabei erhielt sich
auch auf dem völlig erblindeten Auge die Pupillenreaktion dauernd.
Ferner traten in der 4. Injektionswoche Inkontinenzerscheinungen der
Blase auf, die sich nach einigen Wochen wieder verloren. Die Sehnen¬
reflexe waren die ganze 6 monatige Beobachtungszeit hindurch bis zur
Andeutung von Patellar- und Fußklonus gesteigert.
Der andere Kranke, ein 55jähr. Mann, erhielt im Ganzen 32 Spritzen
einer 20°/0 Lösung ~ 6,4 gr Atoxyl. Schon in den ersten Wochen trat
eine Abnahme der Sehschärfe, erhebliche Einschränkung des Gesichts¬
feldes und völlige Erblindung ein. Dabei war die Pupillenreaktion durch
2 */2 Jahre bis zu dem an Bronchitis erfolgten Tode des Kranken erhalten.
Bermerkenswert ist ferner, daß er nach der 32. Injektion vorübergehend
weder Urin noch Stuhl halten konnte und daß noch durch weitere
7 Monate eine Neigung zur Inkontinenz bestand, die dann einer Dysurie
Platz machte. Die Sehnenreflexe waren anhaltend gesteigert. Beim
Stehen mit geschlossenen Füßen zeigte der erblindete Kranke stets ein
deutliches Schwanken.
Es verdient besonders hervorgehoben zu werden, daß bei beiden
Kranken anfangs die ophthalmoskopische Untersuchung negativ ausfiel.
*) Vortrag, gehalten am 24. Oktober 1909 auf der lö. Versammlung mittel¬
deutscher Neurologen und Psychiater zu Jena.
7B
1154
Georg Köster,
Vorgreifend möchte ich darauf hinweisen, daß auch bei unsern Versuchs¬
hunden der Augenhintergrund meist bis zum Tode normal gefunden wurde,
während die histologische Untersuchung schwere Veränderungen in Netz¬
haut und Sehnerv ergab. Nur eine auffallende Einengung des Gesichts¬
feldes bestand anfänglich bei unsern Patienten, aber kein zentrales Skotom,
wie wir dies bei der Tabak- oder Alkoholvergiftung zu finden gewöhnt sind.
Der zweite unserer Kranken starb Jahre nach eingetretener
Erblindung an einer Bronchitis und genau 4 Stunden nach dem Tode
wurden durch Herrn Dr. Drosinski beide Bulbi, die Sehnerven bis zu
den Traktus optici und die corpora geniculata externa entnommen.
Mittels der Mar chi-Methode ließ sich kein frischer Markscheidenzerfall
mehr erkennen. Dagegen zeigte sich bei Anwendung der modifizierten
Weigert-Färbung (Wolters-Kulschitzky), daß überhaupt nur noch
wenige wellige, verstreute Fasern im ganzen Verlaufe des unteren Opticus
vorhanden waren. Sie erkennen auf den nach Heldischen Gliafärbungen
angefertigten Zeichnungen deutlich, daß der Verlust an markhaltigen
Fasern sowohl durch eine kolossale sekundäre Gliawucherung als auch
durch starke persivaskuläre Bindegewebswucherungen ausgeglichen ist.
Auch die Ganglienzellen des corpus geniculatum externum zeigten die
verschiedensten Degnerationsphasen an Kern und Protoplasma. Ohne
auf Einzelheiten z. B. die teilweise Schrumpfung der Gliakerne einzu¬
gehen, will ich nur hervorheben, daß beide nervi optici in ihrem ganzen
Verlauf als gleichmäßig fast völlig verödet an nervösen Elementen zu
bezeichnen sind. Ein besonderes Interesse erwecken die Netzhäute. Die
Betinalganglienzellen sind entweder ganz verschwunden oder es sind
noch charakterlose Trümmer übrig, die man nur aus ihrer Lage als
Reste. der Retinalganglienzellen erkennt. Die innere Körnerschicht zeigt
alle Ubergangsbilder der Entartung, so daß entweder stark überfärbte
oder geschrumpfte Zellen oder blasse, vacuolisierte schattenhafte Reste
zu sehen sind. In der äußeren Körnerschicht sind die Stäbchenkörner
partiell zerfallen, während Sie die Zapfenkörner als gut erhalten er¬
kennen. Dies Verhalten wird in der Gegend der Macula am klarsten,
wo ein Kegel normalaussehender Zapfenkörner gegen die degenerierten
Stäbchenkörner scharf absticht. Es liegt die Vermutung nahe, daß das
' relativ lange Erhaltenbleiben eines kleinen Gesichtsfeldrestes mit der
Dauerhaftigkeit der Zapfenkörner in einer Beziehung steht. Auch das
dauernde Vorhandensein der Pupillenreaktion trotz voller Amaurose
hängt vielleicht mit der Resistenz der Zapfenkörner zusammen.
Andere Organe dieses Kranken standen uns leider nicht zur Ver¬
fügung. Durch experimentelle Vergiftung von Hunden und Kaninchen
haben wir das beim Menschen von andern Autoren und uns beobachtete
Bild bestätigen können. Der Hund ist dem Atoxyl gegenüber empfind¬
licher als das Kaninchen und ähnlich empfindlich wie der Mensch.
Durchschnittlich erhielten die Tiere täglich 0,05 — 0,1 Atoxyl, je nach
Körpergewicht und Allgemeinbefinden. Obwohl eine möglichst chronische
Vergiftung angestrebt wurde, starben mehrere Tiere schon nach einigen
Tagen, so daß ein Hund z. B. schon nach 4 Tagen mit 0,9 Atoxyl zur
Untersuchung gelangte. Von. den Hunden hat eine Foxhtindin mit
9,93 gr Atoxyl in 93 Tagen, von den Kaninchen eines mit 15,95 gr
Atoxyl in 166 Tagen am längsten ausgehalten. Das klinische Ver¬
giftungsbild der Hunde wie der Kaninchen ist charakteristisch, berührt
sich in manchen Zügen, weicht aber in andern voneinander ab.
Klinischer und experimentalpathologischer Beitrag zur Atoxylvergiftung. 1155
Sofern die Hunde nicht schon nach einigen Tagen unter Erbrechen,
Durchfall und rasch fortschreitender Erschöpfung zugrunde gingen, zeigten
sie nach mehrwöchiger Vergiftung eine zunehmende Mattigkeit, Konjunk¬
tivitis, Katarrhe der Atemwege, Freßunlust, gesteigerten Durst und Ataxie
der Hinterbeine. Bei Aussetzen der Giftzufuhr gingen diese Erscheinungen
teilweise oder ganz zurück, um bei neuer Giftzufuhr verstärkt wieder ein¬
zusetzen. Dann beteiligten sich gegen das Ende hin auch die Vorder¬
beine an der Ataxie und in den letzten 5 — 8 Tagen schwankten die Tiere
wie vorgeschrittene Tabiker. Der Urin wurde viel häufiger entleert als
sonst und mitunter war der Stuhl dünn. Im Urin der getöteten Tiere
war stets Eiweiß und zuweilen Blut enthalten. Die Sehnenreflexe wiesen
dauernd eine Steigerung auf, ohne daß es zu Spasmen gekommen wäre.
Der Augenhintergrundsbefund blieb meist bis zum Schluß normal und
nur in einem Falle trat eine Abblassung der Papille ein. Die aus der
klinischen Pathologie entlehnte Annahme, daß bei chronischem Alkohol¬
mißbrauch die Atoxylzufuhr leichter zur Vergiftung führe, findet bei
einem unserer Hunde, der in 6 Monaten fast 4 Liter Fuselschnaps und
9,3 gr Atoxyl bekam, keine Stütze. Denn das Tier wurde während der
Alkoholzufuhr äußert freßlustig und wohlgenährt und durch Atoxyl
schwerer vergiftet als alle übrigen Versuchshunde. Während im klinischen
Bilde der Atoxylvergiftung beim Hunde außer der Schwäche die Ataxie
das auffallendste Symptom ist, sind es beim Kaninchen die Spasmen und
die Neigung zu Konvulsionen. Opisthotonus, spastische Paralyse, be¬
sonders der hinteren Extremitäten, enorme Steigerung der Reflexerregbar-
keit gesellen sich beim Kaninchen der gleichfalls vorhandenen Ataxie
hinzu. Ein ähnliches klinisches Bild beschreibt Igersheimer bei der
chronisch mit Atoxyl vergifteten Katze. Dazu kommt der ophthal¬
moskopische Nachweis, daß die Papille blasser wurde und die von ihr
ausgehenden Markstrahlen zum Teil einen welligen und angenagten
(körnigen) Eindruck machten.
Der grob anatomische Befund am ganzen Nervensystem, speziell
am Auge und Sehnerven ist bei Hund und Kaninchen negativ. Dagegen
ergibt die histologische Untersuchung bei beiden Tierspezies ein reiches
Besultat. Die Ganglienzellen der Netzhaut sind in jedem Falle mehr
oder minder entartet, je nach der Intensität der Vergiftung und der
individuellen Disposition. Die Zeit verbietet uns, hier alle Befunde
detailliert zu schildern. Sie werden sich an den Präparaten oder Ab¬
bildungen mühelos überzeugen, daß alle bekannten Veränderungen des
Kernes und Protoplasmas sich mit der Nißl -Hel duschen oder Heiden-
hai Aschen Methode nachweisen lassen.
Quellung, Auflösung, Schrumpfung oder Verlagerung des Kernes,
Zerstäubung oder Klumpung der chromatophilen Elemente, Vakuolisierung
des Protoplasmas oder Auflösung der ganzen Zelle — alles dies wird
häufig in den verschiedensten Kombinationen beobachtet. Auch die
innere Körnerschicht zeigt durch Schrumpfung oder Quellung an, daß
sie auf Atoxyl reagiert. Verfettungen der Retinalzellen haben wir bis
jetzt noch nicht nachweisen können. Der Sehnerv zeigt weder bei Hunden
noch beiKaninchen mit derWeigert-Methode irgendwelche Veränderungen.
Dagegen findet sich bei beiden Tierspezies nach Marchi- oder Fleming-
Fixierung im unteren Opticus ein individuell verschiedener Markscheiden¬
zerfall ziemlich gleichmäßig durch die ganze Länge des Nerven bis hinter
das Chiasma. Bald zeigen die zentralen, bald die peripheren Teile des
Nervenquerschnittes die stärkeren Schwärzungen.
73*
1156
Georg Köster,
Auch die von Igersheimer bei der Katze gefundenen unregel¬
mäßig varicös aufgetriebenen geschwärzten Nervenfasern werden beim
Hunde auf Längsschnitten durch den Sehnerven nicht vermißt. Während
sich bei einigen Tieren neben schweren histologischen Veränderungen
in der Netzhaut ein noch normaler Sehnerv fand, zeigten andere neben
beträchtlichem Markscheidenzerfall im unteren Opticus noch fast normale
strukturelle Verhältnisse in der Retina. Das Corpus geniculatum externum
zeigt wie beim Menschen so auch bei Hund und Kaninchen deutliche
Entartung seiner Ganglienzellen in verschiedener Abstufung.
Im Großhirn der Hunde fanden wir ziemlich konstant (Fleming-
Fixierung, Safraninfärbung) eine fettige Degeneration der Ganglienzellen,
wie ich sie in früheren Jahren bei der CS2- Vergiftung bereits nach¬
gewiesen habe. Das Fett wird offenbar in den Lymphgefäßen des Ge¬
hirnes weggeführt, denn in den perivaskulären Lymphscheiden sehen wir
oft Fettropfen verschiedenster Größe. Ebenso stoßen wir aber auf Fett
im Inneren der Gehirnkapillaren, also auf Fettembolien. Dies Fett
stammt wahrscheinlich aus der Leber oder Niere, Organe, in denen wir
in diesen Fällen Fettinfiltration resp. Fettdegeneration der Epithelien
trafen. Mit der Nißl- Heldischen Methode konnten wir beim Hund
und Kaninchen an den Nervenzellen der Hirnrinde und des Hirnstammes
dieselben Veränderungen nachweisen wie in der Netzhaut. Auffallend
waren in der Rinde der Kaninchenhirne die vielfach geschrumpften und
überfärbten Zellen, ohne daß etwa Fixierungsfehler die Schrumpfung
veranlaßt hätten. Auch im Rückenmark aller unserer Versuchstiere
zeigten die Vorderhornzellen eine individuell verschiedene Entartung.
Sie erkennen an den Abbildungen, daß dieselben Stufen der Degeneration
durchlaufen werden, wie wir sie bei der Netzhaut antrafen, so daß ich
auf die Aufzählung im Einzelnen verzichten kann. Dasselbe gilt für die
Spinalganglienzellen beider Tierspezies, an denen sich wegen ihrer Größe
die Veränderungen des Kernes und Zellprotoplasmas, besonders gut
studieren lassen. Bei allen Tieren ließ sich ein frischer, diffus durch
das ganze Rückenmark verbreiteter Markscheidenzerfall nachweisen. Bei
einem 77 Tage hindurch mit 6,7 gr vergifteten großen Jagdhunde fanden
wir aber mit der Weigertfärbung ein dreieckiges degeneriertes Feld in
den Goll’schen Strängen, das im Brustmark erstmalig erschien, um im
Halsmark allmählich zu verschwinden. Sie erkennen auf der Photographie,
ja sogar mit unbewaffnetem Auge auf dem Präparat das helle Feld, in
dessen Bereich die markhaltigen Fasern vielfach untergegangen sind.
Auf Fl eming- oder Marchi-Präparaten zeigt die entsprechende
Hinterstrangpartie eine Lichtung der markhaltigen Fasern und vereinzelte
Schwärzung der vorhandenen. Es handelt sich also um einen noch
langsam fortschreitenden, schon mehrere Wochen alten Degenerations¬
prozeß, dessen Alter auch aus der nachweisbaren Gliawucherung im Be¬
reiche des Faserschwundes (Heldische Färbung) hervorgeht. Wir haben
hier die experimentelle Bestätigung des von Nonne am Menschen er¬
hobenen Rückenmarksbefundes vor uns.
In den peripheren Nerven aller unserer Versuchstiere konnten wir
außer einem mäßigen initialen Markscheidenzerfall und gelegentlicher
spindeliger oder varicöser Auftreibung der Nervenfasern nichts Besonderes
wahrnehmen.
Aber nicht nur am Nervensystem, sondern auch an den inneren
Organen kann das Atoxyl zum Teil recht schwere Veränderungen bewirken.
Klinischer und experimentalpathologischer Beitrag zur Atoxylvergiftung. 1157
In einem Falle fanden wir ausgedehntere Blutungen im Herzmuskel,
bei den iibiigen Tieren nur gelegentlich kleinste Blutergüsse.
Die Leber wies bei mehreren Hunden, weniger ausgesprochen bei
Kaninchen, eine Fettinfiltration auf, die schon grob anatomisch dem
Organ ein gelblichfleckiges Aussehen verlieh. Mikroskopisch kann die
Fettanhäufung, die sich zumal in den peripheren Abschnitten der Azini
findet, einen hohen Grad erreichen.
Sehr charakteristische und konstante Veränderungen weist bei Hund
und Kaninchen die Niere auf, die in jedem Falle nachweisbaren Blutungen
an der Grenze zwischen Mark und Binde. Besonders ausgedehnt sind
die schon makroskopisch wahrnehmbaren Blutungen bei den Hunden.
Heidenhain- oder Mallory-Färbungen zeigen uns nicht nur die Aus¬
dehnung der Blutaustritte, sondern auch die starke Blutüberfüllung des
ganzen Organes, die Quellung der Epithelien und die zahlreichen hyalinen
und körnigen Zylinder. An Flein in g-Präparaten sehen wir die aus¬
gedehnte fettige Degeneration der Nierenepithelien bei Hunden und
Kaninchen. Schließlich finden wir auch Fett in den körnigen Zylindern
und in den Blutgefäßen.
So sehen wir, daß sowohl das Nervensystem als auch die inneren
Organe in schwerer Weise durch das Atoxyl geschädigt werden können
und daß das in den Kreislauf übergegangene Gift je nach der Disposition
des Individuums bald da, bald dort funktionelle und strukturelle Ver¬
änderungen hervorruft. Der Sehnerv und die Netzhaut sind aber ohne
Zweifel die am frühesten geschädigten Teile bei Mensch und Tier.
Die praktischen Schlußfolgerungen ergeben sich von selbst. Nur
unter ständiger augenärztlicher Kontrolle sollte das Atoxyl angewendet
Averden. Bei den ersten subjektiven Beschwerden muß man es aussetzen,
da nach der Erfahrung anderer Autoren sich unter Umständen beginnende
Sehstörungen zurückbilden können. Wo schon eine Opticusatrophie
besteht, darf Atoxyl nicht verwendet werden. Auch bei Potatoren scheint
\Torsicht in der Anwendung dieses Mittels geboten. Ob Atoxyl bei der
Behandlung von Lues wirklich so unentbehrlich ist, wie es nach manchen
Publikationen erscheinen möchte, ist mir recht fraglich. Ich persönlich
komme bei Behandlung der Syphilis gut ohne Atoxyl aus. Bei der
Therapie der Schlafkrankheit mag es unentbehrlich sein.
Für direkt fehlerhaft aber halte ich es, bei beliebigen harmlosen
Hautaffektionen (Ekzem, Psoriasis), gegen die es zuverlässige Mittel gibt,
eine Atoxylkur anzuwenden, da wir nie wissen können, ob nicht eine
besondere Empfindlichkeit des Sehnerven gegenüber diesem Mittel vor¬
liegt. Der erreichte Nutzen steht hier in keinem Verhältnis zu der
Gefahr, der wir den Kranken aussetzen.
Ueber schlecht gedeihende Brustkinder.
Von Prof. Dr. Martin Thiemicli, Magdeburg.
Nach einem Vorträge in der medizinischen Gesellschaft zu Magdeburg.
Im Vordergründe aller modernen Bestrebungen auf dem Gebiete
der Säuglingsfürsorge, sowohl wenn es sich darum handelt, die Sterb¬
lichkeit herabzudrücken, als auch dann, wenn man es für die wesent¬
lichste Aufgabe hält, . das gesundheitliche Niveau der Überlebenden
günstiger zu gestalten, steht heute ganz allgemein die Still-Propaganda.
Soweit die Gründe dafür, daß überhaupt nicht oder zu kurze
Zeit gestillt wird , sozialer Natur sind, sollen sie uns heute nicht
1158
Martin Tliiemich,
beschäftigen. Die Bestrebungen, da, wo widrige soziale Verhältnisse,
besonders die Frauenarbeit, vorläufig in sehr vielen Fällen die vor¬
zeitige Trennung von Mutter und Kind veranlassen, nach Möglichkeit
Abhilfe zu schaffen, ist kein rein ärztliches Problem, wenn auch, wie
es zweckmäßigerweise hier in Magdeburg geschieht, die praktische
Durchführung aller Fürsorgemaßregeln in der Hand des Arztes ver¬
einigt ist.
Wo nicht die sozialen Verhältnisse die Schuld tragen, sind es
hauptsächlich zwei Gründe, welche das Stillen ganz verhindern oder
vorzeitig beenden: erstens Erkrankung der Mutter, zweitens Nicht¬
gedeihen des Kindes.
Auf den ersten Punkt will ich hier nicht näher eingehen. Es ist
klar, daß der Arzt um so seltener einen zwingenden Grund anerkennen,
wird, einer Mutter das Stillen mit Bücksicht auf ihre eigene Gesundheit
von Anfang an oder nach kurzer Zeit zu untersagen, je höher er selbst
den Wert der natürlichen Ernährung für das Kind einzuschätzen ge¬
lernt hat. Er wird sich dann nicht durch eine gewisse Blässe oder
Mattigkeit oder Nervosität, wie man sie so häufig besonders bei Erst¬
entbundenen findet, auch nicht durch die meist rasch vorübergehenden
Schwierigkeiten während der ersten Stillzeit (Schmerzen beim Anlegen,
Ziehen im Bücken usw.) zum Abstillen des Kindes veranlaßt finden,
sondern nur da, wo wirklich ernste Erkrankungen der Mutter : rasch
fortschreitende Tuberkulose, schwere Nervenkrankheiten oder septische
Wochenbettserkrankungen dies erheischen.
Einen recht häufigen und, wie ich Ihnen zeigen will, eigentlich
niemals berechtigten Anlaß zum Entwöhnen bildet das Nichtgedeihen
des an der Brust ernährten Kindes. Jeder Laie und leider auch mancher
vielbeschäftigte Arzt verbindet heute mit dem Begriff des Brustkindes
die Vorstellung eines dicken, rosigen, ewig heitern Wesens, das aus¬
gezeichnet verdaut und schläft und regelmäßig zunimmt. Mag nun
auch diese Vorstellung für die Mehrzahl der Brustkinder zutreffen, so
gibt es doch eine große Menge andere, die nicht ungestört gedeihen,
und vor allen Dingen an Körpergewicht nicht, befriedigend zunehmen,
sondern immer hinter ihren Altersgenossen Zurückbleiben. Gerade in
solchen Fällen wird das mangelhafte Gedeihen häufig darauf geschoben,
daß die Muttermilch qualitativ ungeeignet sei, und solche Kinder werden
in der Begel, oft auch mit ärztlicher Einwilligung, vorzeitig entwöhnt.
Mag auch das hervorstechende Merkmal der ausbleibenden oder
mangelhaften Gewichtszunahme allen gemeinsam sein, so bieten diese
Kinder bei genauerer Untersuchung doch eine Beihe wesentlicher Unter¬
schiede und es ist notwendig, die verschiedenen Umstände und Ursachen
eingehender zu berücksichtigen.
Als erster Punkt wäre der Hunger bezw. die Unterernährung an
der Brust zu nennen. Niemals genügt der Gewichtsstillstand allein
zur Sicherung des Tatbestandes. Eine häufige, aber sehr vieldeutige
Erscheinung ist die Unruhe des Kindes, weil sie öfter Zeichen einer
bestehenden Ernährungsstörung und eines dadurch hervorgerufenen Un¬
behagens beim Kinde ist. Ja, es läßt sich sagen, daß die meisten
wegen knapper Milchmengen an der Mutterbrust nicht oder kaum zu¬
nehmenden Brustkinder, wenn sie sonst gesund sind, ihre Unterernäh¬
rung nicht durch besondere Unruhe verraten. Viel wichtiger zur Be¬
urteilung ist das Seltenerwerden der Ausleerungen, welche bei erheb-
heblichem Nahrungsmangel meist nur in mehrtägigen Pausen erscheinen
Ueber schlecht gedeihende Brustkinder.
1159
und. an Masse hinter der Norm Zurückbleiben. Daneben fällt regelmäßig,
wenn das Kind nicht Tee zwischen den Mahlzeiten erhält, das lange
Trockenliegen als Zeichen verminderter Urinabsonderung auf. Am Kinde
selbst bemerkt man eine straffe Einziehung der Bauchdecken. Die
endgültige Entscheidung darüber, ob Nahrungsmangel allein den An¬
wuchs verhindert, gibt nur die Bestimmung der aus der Brust ge¬
trunkenen Nahrungsmengen durch jedesmaliges Wägen des Kindes vor
und nach dem Anlegen. Natürlich muß es, um Täuschungen durch
Stuhl- und Urinverluste während des Saugens zu verhüten, stets sorg¬
fältig eingepackt sein. Es ist ferner nötig, wenigstens an einzelnen
Tagen sämtliche Mahlzeiten mit der Wage zu kontrollieren, da die
getrunkenen Mengen zu verschiedenen Tageszeiten viel zu stark diffe¬
rieren, als daß es möglich wäre, die 24stündige Nahrungsmenge durch
die Kontrolle von einer oder zwei Mahlzeiten rechnerisch zu bestimmein.
Da nun innerhalb gewisser Grenzen, wenigstens bei Säuglingen der
ersten Lebensmonate, die 24stündige Nahrungsmenge 1/6 bis 1/8 des
Körpergewichts beträgt, 1/10 des Körpergewichts etwa als die untere
Grenze derjenigen Nahrungszufuhr gelten kann, bei der überhaupt noch
ein bescheidener Gewichts ans tieg möglich ist, so ist mit diesen Daten
eine sichere Entscheidung darüber möglich, ob das Kind ausreichende
Nahrung erhält oder nicht.
Es erscheint mir von größter Wichtigkeit, darauf hinzuweisen, daß
selbst wochen- und monatelang bestehende Unterernährung beim Brust¬
kinde völlig ungefährlich ist. Daß das Kind durch dieselbe keinen
Schaden erlitten hat, erkennen wir mit Sicherheit daraus, daß es sofort
zunimmt, wenn man die Nahrungsmenge steigert, z. B. dadurch, daß
man 1 — 2 Mahlzeiten künstliche Nahrung hinzufügt. Ist die Unter¬
ernährung nicht so groß, daß das Kind dauernd abnimmt, und wird
nötigenfalls durch Zugabe von etwas Tee für ausreichende Flüssig¬
keitszufuhr Sorge getragen, so kann man also sehr lange ohne Be¬
denken abwarten, und schafft dem Kinde insofern einen Vorteil, als
es mit zunehmendem Alter rasch gegen die Schädigungen durch künst¬
liche Nahrung immer mehr gefeit wird. Als Beispiel für das Gesagte
führe ich Ihnen aus der Beobachtung unserer Krankenhaus- Abteilung
einen Fall an, dessen Gewichtskurve Sie in Figur 1 dargestellt finden.
Das frühgeborene erste Kind wurde
mit seiner Mutter im Alter von vier
Wochen als Ammenkind in die An¬
stalt aufgenommen. Ohne daß sonst
Störungen vorhanden waren, nahm
das Körpergewicht, entsprechend der
geringen Milchsekretion der Mutter,
nur sehr langsam1 zu. Als die Mutter
nach ihrem Austritt aus der Anstalt
dem Kinde nur morgens, mittags,
abends und einmal nachts die Brust
reichte und ihm vor- und nachmit¬
tags, während sie durch Fabrikarbeit
ferngehalten war, je einmal eine
Flasche Milch mit Wasser und
Zucker verabreichen ließ, stieg das
Körpergewicht in vollkommen nor¬
maler Weise an, wie Sie es auf der
Kurve verzeichnet sehen. Die Mutter
hat die Zwiemilchernährung in der
Fig. 1.
1160
Martin Thiemich,
geschilderten Weise noch zwei Monate zu Hause durehgeführt, das Kind ist
dabei gesund geblieben. Mutter und Kind wurden dauernd in den städtischen
Fürsorge- Sprechstunden überwacht. Erst kürz nach dem völligen Entwöhnen.
Anfang November, ist es an einer übrigens leichten akuten Ernährungsstörung
erkrankt.
Die mitgeteilte Beobachtung ist nicht etwa eine Seltenheit, son-
defn kann als Typus für eine ganze große Gruppe von Fällen gelten.
Wesentlich anders ist eine zweite Art schlecht gedeihender, d. h.
vor allen Dingen mangelhaft zunehmender Brustkinder zu beurteilen,
bei denen niemals ein Nahrungsmangel ursächlich in Betracht kommt.
Hier liegt vielmehr die Ursache immer am Kinde. Es handelt sich
um Kinder, die, sei es bei der Brust, sei es — viel häufiger — bei
künstlicher Ernährung in den ersten Lebenstagen oder -wochen eine
tiefgreifende Ernährungsstörung erlitten haben. Als Folge dieser früh¬
zeitigen ernsten Erkrankung ist es aufzufassen, daß solche Kinder auch
bei sorgfältiger Regelung der natürlichen Ernährung, d. h. wenn sowohl
eine Uber- als eine Unterernährung vermieden wird, lange Zeit brauchen,
bis überhaupt oder (ausreichend eine Gewichtszunahme eintritt. Es
ist dabei nicht von Belang, ob in dieser Zeit noch leichtere Magendarm¬
symptome (zerfahrene, an Zahl vermehrte, oft säuerlich riechende, ge¬
legentlich auch nach Fäulnisprodukten stinkende Stühle, oder gelegent¬
liches, nicht massenhaftes Erbrechen) bestehen oder nicht. Ihren Sitz
hat die zugrunde liegende Erkrankung doch nicht in der Darmschleim¬
haut, sondern im intermediären Stoffwechsel. Gleiche Erscheinungen
von seiten des Magendarmkanals sehen wir bei zahlreichen prächtig
gedeihenden Brustkindern und dürfen sie folglich für klinisch bedeu¬
tungslos halten ; umgekehrt weisen die nicht gedeihenden Kinder, von
denen ich eben spreche, häufig nicht die geringsten Erscheinungen von
seiten des Magendarmkanals auf, und kommen trotzdem und trotz
richtig dosierter Nahrungsmengen manchmal wochenlang nicht vor¬
wärts. Wir bezeichnen diese Zeit als Beparationsperiode und sehen
die Ursache des langen Gewichtsstillstandes in einer Störung der Fett¬
verdauung, die erst langsam mit zunehmender Heilung der allgemeinen
Stoffwechselerkrankung schwindet.
Dadurch ist es auch zu erklären, daß manche dieser Kinder
nach erfolgter Heilung bei weiterer Ernährung an einer ausgiebig
sezernierenden Brust späterhin sehr fett werden. Ich brauche Sie ja
nur daran zu erinnern, daß die Frauenmilch fast die fettreichste
Nahrung ist, die wir einem Kinde geben können. Als Beispiel führe
ich Ihnen statt vieler wenigstens zwei von unseren Beobachtungen an.
Im ersten Falle, den Sie in Figur 2 därgestellt finden,
handelt es sich um ein am 30. Januar geborenes, von
Anfang an an der Mutterbrust ernährtes zweites Kind
einer gesunden Mutter, welches am 9. Februar als
Ammenkind in die Anstalt eintrat. Über die ersten
sechs Wochen ist nichts genaueres zu ermitteln, die
wenig intelligente Mutter weiß nur anzugeben, daß
das Kind oft unruhig war und häufig angelegt wurde.
Trotz ausreichender Nahrungsmengen bei der Mutter
— dieselbe spritzte, nachdem sie ihr Kind gesättigt
hatte, anfangs 100 — 200, später 500 — 600 ccm Milch
pro Tag für kranke Kinder der Anstalt ab — nahm
das Kind fast einen Monat hindurch unter erheblichen
Gewichtsschwankungen um ca. 200 g ab, war dabei
häufig unruhig und hatte vermehrte, drei bis fünf, an einzelnen Tagen acht
Ueber schlecht gedeihende Brustkinder.
1161
Ausleerungen täglich. Durch Einschaltung einer 18stündigen Teediät gelang
es nur für wenige Tage, die Zahl, der Stühle zu vermindern. Am 26. Feb¬
ruar erkrankte das Kind an einer leichten fieberhaften Angina und trank
sehr wenig. Von da an schwanden die dyspeptischen Stühle, ja, es blieb an
einzelnen Tagen der Stuhl Laus, aber trotz ausreichender Nahrungsmengen
dauerte es noch vierzehn T age, bis Gewichtszunahme eintrat. Außerhalb
der erwähnten Erkrankung hat das Kind nie Temperatursteigerungen über
37,4°, und auch diese nur an wenigen Tagen dargeboten.
Wir haben hier ein typisches Beispiel einer allerdings reichlich
lange dauernden B e p a rat i on s p e r i o de eines im frühesten Alter an der
Brust erkrankten Kindes.
Das andere Kind, dessen Krankengeschichte Ihnen Figur 3 veranschau¬
licht, hat nur elf Tage Brust bekommen. Dann kam es in Pflege und wurde
dort künstlich ernährt, wahrscheinlich mit Milch und Wasser unter zeit¬
weiligem Zusatz von Zwieback. Am 17. Juni 1908. wurde es, vier Wochen
Fig. 3.
alt, wegen heftigen Erbrechens und weil es aus dem Munde geblutet haben
soll, der Anstalt zugeführt. Die Stühle waren angeblich, wenigstens in
letzter Zeit, gut. Sonstige (Krankheitserscheinungen bestanden nicht. Der
Versuch, das Kind in der Anstalt zunächst mit 1/3 Milch und Milchzucker
zu ernähren, führte zu einem so rapiden Gewichtsabsturz und sichtlichem
Verfall des Kindes, daß wir trotz leidlicher Stühle, mäßigen Erbrechens und
Fehlens von Fieber schon am 25. Juni davon abstehen mußten, das Kind
künstlich zu ernähren. Von diesem Tage an erhielt es bei einem Gewicht
von 2850 g täglich fünfmal 80 g Frauenmilch, von der ein Teil anfangs
wieder erbrochen wurde. Am 16. Juli wurde das etwas erholte Kind zum
Trinken direkt an die Brust der Amme angelegt, die Nahrungsaufnahmen
wurden seitdem etwas schwankend, aber im Durchschnitt nicht größer als
vorher, wo es äbgespritzte Milch bekam. Die in dieser Wieise vom 25. Juni
bis 29. Juli durchgeführte Frauenmilchernährung führte, wie ich schon än-
gedeutet habe, zu einer sehr offenkundigen Besserung des Allgemeinbefindens,
doch blieb jede, auch die bescheidenste Gewichtszunahme aus. Erst der am
30. Juli begonnene Ersatz zunächst einer, 14 Tage später zweier Brustmahl¬
zeiten durch je 100 g ,Malzsuppe brachte einen Umschwung herbei.
Bei fast zweimonatlichem Allaitement mixte von Frauenmilch und Malz¬
suppe erfolgte befriedigendes Gedeihen, doch erwies sich das Kind später
dadurch als noch nicht völlig genesen, daß der Versuch, die Malzsuppe zwecks
Entlassung in Außenpflege durch eine malzfreie Milch-Mehlmischung zu er¬
setzen, neue, nur langsam überwindbare Schwierigkeiten bereitete. Ich hebe
1162
Martin Thiemich, Ueber schlecht gedeihende Brustkinder.
dieses besonders hervor, damit Sie sehen, daiß die befriedigende Zunahme
an und für sich noch nicht die restlose Beseitigung der vorangegangenetn
schweren Ernährungsstörung verbürgt. Hätten wir in Überschätzung der
Gewichtszunahme die Zufütterung von Malzsuppe früher begonnen, ehe das
Kind nach seinem sonstigen Verhalten als gebessert zu betrachten war, so würde
wahrscheinlich der Erfolg ausgeblieben oder in bezug auf die vollkommene
Genesung noch weniger vollständig gewesen sein.
Der vorliegende Fall ist, wie der vorige, ein gutes Beispiel der
langsamen Hepar ation eines frühzeitig und zwar hier bei künstlicher
Ernährung erkrankten Kindes. Der hier nur durch Zugabe einer fett¬
armen, kohlehydratreichen Beikost erzielte Erfolg ist zugleich ein Hin¬
weis darauf, daß wir in diesem wie in zahlreichen ähnlichen Fällen
eine Störung der Fettverdauung vor uns haben und aus therapeutischen
Gründen nicht eine fettreiche, sondern eine kohlehydratreiche Nahrung
wählen müssen.
Eine besondere Beurteilung erfordert ein Krankheitsbild, auf das ich
hier nicht näher eingehen werde, sondern das nur aus differentialdiagnostischen
Gründen Erwähnung verdient: der Pylorospasmus. Bei ihm beherrscht das
Erbrechen vollkommen die Szene, die Stühle sind infolge der dadurch herbei¬
geführten relativen Inanition ebenso spärlich und selten, wie beim primär1
hungernden Kinde. Auch in diesen, seit dem Bekanntwerden des eigentüm¬
lichen Leidens immer häufiger zur 'Beobachtung gelangenden Fällen ist übri¬
gens nach dem fast einstimimigen Urteile aller erfahrenen Arzte das Ab¬
warten bei vorsichtiger Brusternährung dem planlosen Herumprobieren mit
künstlicher Nahrung vorzuziehen, und nur in wenigen Fällen zwingt schlie߬
lich der beständige, allmählich bedrohlich werdende Gewichtsverlust zu opera¬
tiven Eingriffen.
Für eine große Zahl von unbefriedigend zunehmenden Brust¬
kindern, bei denen es sich nicht, wie in der unter Nr. 3 geschilderten
Beobachtung, um eine Keparation von einer früh erworbenen Ernährungs¬
störung handelt, verdanken wir ein V erständnis erst den Untersuchungen
Czernys. Er hat zuerst unter dem Namen exsudative Diathese ein
Krankheitsbild ab gegrenzt, in dessen Vordergrund eine gewisse Vul¬
nerabilität der Haut und Schleimhäute und eine gesteigerte Disposition
zu Infektionen steht, welche am häufigsten von den Schleimhäuten
der oberen Luftwege, speziell des Nasenrachenraums ihren Ausgang
nehmen. Die genannte Konstitutions anomalie verrät sich sehr häufig
schon während der ersten Lebenswochen durch das Auftreten eines
Wangenekzems und eines schuppenden seborrhoischen Ausschlages der
behaarten Kopfhaut ; oft tritt auch schon in den ersten Wochen Schnupfen
und durch Fortleitung der Infektion auf dem Wege durch die Tuben
ein Otitis media ein, nicht selten entwickelt sich auch bei solchen
Kindern bereits während der ersten Monate eine Landkartenzunge
später nach Durchbrechen der ersten Zähne an den oberen Schneide;
zähnen die unter dem Namen der zirkulären Zahnkaries bekannte und
schon früher von H. Neumann mit der Skrofulöse in Zusammenhang
gebrachte Zahnerkrankung. Die anfangs stets auf die Wangen oder
auf diese und die behaarte Kopfhaut beschränkte Hautaffektion breitet
sich häufig, wenn auch keineswegs immer, auf mehr oder minder aus
gedehnte Bezirke der übrigen Llautdecken aus, sei es in Form eines
universellen, mehr oder minder nässenden Ekzems, sei es in Form
einzelner oder in Gruppen schubweise auftretender Knötchen. Oft
findet sich auch eine trotz sorgfältiger Hautpflege kaum zu beherr1
sehende Neigung zu Intertrigo. Als Ausdruck der banalen, häufig
ganz symptomlos verlaufenden Infektionen ergibt die genaue klinische
Wolfrum, Der jetzige Stand der Trachomforschung.
1168
Untersuchung gewöhnlich das Vorhandensein kleiner Schwellungen der
Zervikaldrüsen und geringfügiger, nur bei sorgfältiger, täglich mehr¬
maliger Messung erkennbarer Temperatursteigerimgen. Während die
Temperaturkurve des gesunden Säuglings eine gewisse Monothermie
mit geringen Tagesschwankungen aufweist, finden wir bei exsudativen
Kindern oft schon von den ersten Lebenswochen an unregelmäßige,
manchmal vereinzelte, manchmal mehrere Tage mit oder ohne Demis¬
sionen anhaltende Temperatursteigerungen bis 38 Grad, zuweilen auch
höher. Dabei sind wir in der Kegel nicht imstande, auch bei genauester
Untersuchung einen zur Erklärung des Fiebers ausreichenden objek¬
tiven Befund festzustellen. Kur die allmählich eintretende, aber nie¬
mals erhebliche Vergrößerung der Zervikaldrüsen deutet darauf hin,
daß sich im Bereiche der zugehörigen Lymphgebiete, d. h. der Schleim¬
häute des oberen Nasenrachenraums, Infektionsvorgänge abspielen. Die
Kenntnis dieses von Czerny umgrenzten Krankheitsbildes ist nun für
unser Thema darum von größter Wichtigkeit, weil solche exsudative
Kinder sehr häufig während ihrer ersten Lebensmonate schlecht ge¬
deihen. Dies beruht wahrscheinlich zum Teil darauf, daß die Kinder
durch, die, von den vulnerablen Haut- oder Schleimhautpartien ein¬
dringenden Infektionen geschädigt werden, wobei vielleicht die Appe¬
titlosigkeit und die dadurch bedingte geringere Nahrungsaufnahme eine
Rolle spielt, zum Teil aber beruht es, wie Czerny annimmt, auf
einer angeborenen Anomalie des Fettstoffwechsels. Trotzdem erscheint
bei solchen Kindern auch bei monatelangem Ausbleiben befriedigender
Gewichtszunahme die Fortführung der Ernährung an der Brust als das
einzig berechtigte Vorgehen und zwar aus mehreren Gründen. Erstens
verlaufen die häufigen, auch bei sorgfältigster Pflege des Kindes unver¬
meidbaren Infektionen viel harmloser, solange das Kind durch die
natürliche Ernährung vor alimentären Schädigungen oder infektiösen
Alagendarmkatarrhen geschützt ist. Zweitens ist der mangelhafte Fett¬
ansatz bei solchen Kindern eher nützlich als schädlich, weil besonders
die ekzematösen Hauterkrankungen meist in mäßigen Grenzen bleiben,
solange das Kind mager ist, während sie häufig bedrohliche Formen
annehmen, sobald reichlicher Fettansatz auf tritt. (Schluß folgt.)
Aus der Uni versitäts- Augenklinik in Leipzig.
Der jetzige Stand der Trachomforschung.
Von Privatdozent Dr. Wolfrum.
Die Erkenntnis, daß das Trachom eine ansteckende; Krankheit ist,
ist eine alte, leider auch am Arzte selbst oft erprobte Wahrheit.
Die großen Epidemien im Gefolge der Napoleonischen Feldzüge liefern
auch das nötige Stück Geschichte dafür. Aber obwohl diese Erkenntnis
schon längst gewonnen war, so w,aren doch die Kenntnisse über den
mutmaßlichen Erreger gleich Null. Obgleich man sich darüber einig
war, daß es sich um ein lebendes: Kontagium handele, so hatten doch die
künstlichen Übertragungsversuche von Addario, der sie von Mensch
auf Mensch unternahm und von Heß und Römer, welche das Trachom
auf Affen übertrugen, wohl bemerkenswerte Eigenschaften des: Virus
aufgedeckt, selbst hatte man es jedoch weder beobachten noch züchten
können. Ich will hier nicht im einzelnen die fast alljährlich wieder¬
kehrenden Berichte von Forschern auf zählen, welche den Erreger des
1164
Wolfram,
Trachoms gefunden zu haben angaben. Sie würden uns eine Geschichte
menschlicher Irrungen, aber zugleich menschlichen Forschungsdranges
geben. Erwähnen möchte ich hier nur kurz! die Untersuchungen von
Müller, welcher in der Heimat des Trachoms, in Ägypten, sich mit dem
Probleme beschäftigte, aber auch hier stellte sich, bald heraus, daß der
Mikroorganismus, den er beschrieben hatte, nicht der gesuchte war.
Die Sachlage änderte sich mit einem Schlage, als H alberstädt er
und Prowazek bekannt gaben, daß sie anläßlich der Heiß er’ sehen
Syphilisexpedition auf der Insel Java, bei den, dortigen Eingeborenen,
die zahlreich an Trachom erkrankt waren, immer wiederkehrend Zell¬
einschlüsse im Ausstrichpräparat fanden, die -ohne Zweifel parasitärer
Natur waren. Nach Deutschland zurückgekehrt, setzten sie ihre Unter¬
suchungen fort und konnten hier an Trachomkranken die gleichen
Befunde erheben. Sie erklärten die Zelleinschlüsse für Protozoen und
trugen kein Bedenken, sie bei der Häufigkeit der Befunde als den längst
gesuchten Erreger hinzustellen.
Die sofort von vielen Seiten unternommene Nachprüfung der An¬
gaben der beiden Forscher rief eine wahre Hochflut von Publikationen
im In- und Ausland hervor pnd leider auch Prioritätsstreitigkeiten,
die sich im Anschluß daran entwickelten. Es! soll hier keine kritische
Sichtung der einzelnen Veröffentlichungen vorgenommen werden. Wich¬
tig ist aber zu wissen, daß dabei teils von negativen, teils von positiven
Befunden berichtet wurde. In den positiven Fällen handelte es sich
um das Auffinden von Einschlüssen in den Epithelz'ellen, wie sie von
Halber stä(dter und Prowazek bereits beschrieben waren, also um
eine Bestätigung ihrer Angaben. Die Einschlüsse waren in Form und
Lage charakteristisch und fanden sich meist in der Nachbarschaft des
Zellkernes, Mit guten Ölimmersionen ließen sich die Einschlüsse in
einen Haufen feiner Körnchen auflösen, die jedoch in Größe und Tink-
tionsvermögen verschieden waren. Die Giemsafärbung, welche hier als
die souveräne Methode gehandhabt wurde, zeigte die Körnchen bald
in einem roten, bald in einem blauen Farbenton. Sie lagen gewöhnlich
in einem Hof in der Zelle und waren untereinander zum Teil durch
-eine sich bläulich fingierende Masse züs am men ge h al ten , welche von
Halber städter und Prowazek als Plastinmasse bezeichnet wurde.
Sie ist von stark wechselnder Ausbildung in den einzelnen Haufen.
Ich konnte an verschiedenen frischen und auch älteren Trachomen
auf Grund eigener Untersuchungen im Ausstrichpräparate mit der
Giemsamethode die gleichen Befunde erheben, wie sie ursprünglich
von Halbers t,ädter und Prowazek angegeben wurden. Der Ent¬
stehungsmodus des Körnchenhaufens scheint immer der gleiche zu sein,
wie nicht nur die Untersuchung des weniger zuverlässigen Ausstrich¬
präparates, sondern auch des Schnittpräparates ergibt. Es wächst in der
Zelle aus kleinen Anfängen, die aus wenigen Körnchen bestehen, schlie߬
lich zu einer solchen Größe heran, daß es das Protoplasma der Zelle
bis auf schmale Bandschichten auf braucht. Und schließlich zerberstet
die Zelle, weil der schmale Protoplasmarand den Körnerhaufen nicht
mehr zusammenzuhalten vermag. Sicherlich ist letzterer Vorgang viel¬
fach ein mechanischer, bedingt durch das für eine Zelle doch etwas
grobe Manöver des Ausstreichens, aber er läßt sich auch in dem viel
weniger Läsionen ausgesetzten Schnittpräparat beobachten. Die Köm¬
ehenmasse ergießt sich in den ,Kon j unktivals ack , wenn die Lage der
zerborstenen Zellen eine oberflächliche war und nun ist, vorausgesetzt
Der jetzige Stand der Trachomforschung.
1165
natürlich, daß wir in den Körnchen lebende Mikroorganismen vor uns
haben, massenhaft Gelegenheit zur Neuinfektion von Epithelzellen ge¬
geben.
Die vorwiegende Lebensweise der Mikroorganismen scheint dem¬
nach eine intrazelluläre zu sein, wenn man auch eine extrazelluläre Ver¬
mehrung nicht in Abrede stellen kann. Ich habe selbst im Schnitt¬
präparat beobachten können, daß sich solche Körnchenhaufen im Zell¬
detritus, der nur noch aus Zelltrümmern bestand, sich zuweilen in
regelrechter Form entwickelten.
Weiter fand ich bei eigener Beobachtung im Schnittpräparat,
daß die verschiedenen Größensorten der Körnchen nicht in willkür¬
lichem Durcheinander liegen, sondern daß die größeren im Haufen eine
Randschicht ab geben, die allenthalben dem Protoplasma der Zelle dicht
an liegt.
Auf dem Budapester Kongresse machte sodann Herzog eine Reihe
von interessanten Mitteilungen über die erste intrazelluläre Entwicke¬
lung der Körnchen, die in den Anfangsstadien sich auf eine besondere
Weise teilen und besondere Formen dabei annehmen sollen.
Hier erhielt aber auch die Angelegenheit eine besondere uner¬
wartete Wendung, als HeymJann, der seine Untersuchungen im P fei for¬
schen Institute angestellt hatte, mitteilte, daß derartige Einschlüsse nicht
nur beim Trachom, sondern auch bei der Ophthalmoblennorrhoe vorzüg¬
lich der Neugeborenen aufzufinden seien. Zwar hatte schon St ar-
gar dt vorher in einem Falle von Blennorhöe der Neugeborenen dieselben
Befunde erheben können (Heidelberger Kongreß 1908), jedoch hat er
später selbst offenbar keine gleichen Resultate mehr gewonnen, und
deshalb sind wohl auch seine Angaben nicht weiter nachgeprüft worden.
In einer neueren Publikation berichtet nun Hey mann, daß bei
fortgesetzten Untersuchungen von Blennorrhoe sich dieselben Resultate
ergeben hätten, so daß an der Sicherheit der Beobachtungen wohl kaum
noch ein Zweifel bestehen kann. Er hatte vorzugsweise! an solchen
Stellen die Zelleinschlüsse gefunden, wo die Gonokokken minder reich¬
lich vertreten waren, und er hat deshalb schon auf dem Budapester
Kongresse die Meinung ausgesprochen, daß die Schlüsse, welche H alb er¬
st ädt er und Prowazek aus diesen Befunden für das Trachom gezogen
hätten, zu weitgehende gewesen seien.
Inzwischen ist aber eine Antwort von Halberstädter und Pro¬
wazek in der Berl. klin. Wochenschr. erschienen, in welcher sie mit¬
teilten, daß sie bei Blennorrhoea neonatorum non gonorrhoica eben¬
falls Einschlüsse gefunden hätten und daß sie deshalb keinen Grund
hätten, von ihrem bisher eingenommenen Standpunkt abzugehen.
Soweit die bisherigen Publikationen. Es ist nun wohl kaum an¬
zunehmen, und darüber besteht wohl auch kein Zweifel, daß es sich
in all den Fällen von Trachom und Blennorrhoe, bei denen diese Ein¬
schlüsse beobachtet wurden, sicher um keine Zelldegenerationsprodukte
handelt, sondern um in die Zelle eindringende Mikroorganismen. Zu
diesem Ergebnis führen mich auch meine eigenen Untersuchungen, vor¬
züglich am Schnittpräparat bei Trachomen in den verschiedensten
Stadien.
Wie nun schon von Axenfeld auf dem Budapester Kongreß an¬
läßlich der Trachomdiskussion betont worden ist, wäre das Vorhanden¬
sein der Körperchen bei Blennorrhoe noch kein Gegenbeweis dafür, sie
als die Erreger des Trachoms zu betrachten. Sie könnten ja wie manche
1166
F ritz B ran d enb e rg,
Bakterienarten ihre harmlosen, avirulenten Doppelgänger haben. Da
Uthoff an gleicher Stelle ausdrücklich betont, daß es sich in den von
Hey mann untersuchten Fällen um keine Mischinfektionen gehandelt
habe, so wären damit, die Zelleinschlüsse bei der Ophthalmoblennorrhoe
Erscheinungen, die auf das Krankheitsbild anscheinend keinen nennens¬
werten Einfluß haben. Eine andere Beurteilung verdienen in dieser Hin¬
sicht schon die von Halberstädter und Prowazek mit geteilten Be¬
funde, wo es sich um nicht gonorrhoische Bindehauterkrankungen han¬
delte. Wenn auch bei der Spärlichkeit der bis jetzt vorliegenden Mit¬
teilungen viele Fragen nicht entschieden werden können, so ist doch
das eine sicher, daß den Zelleinschlüssen, wie man sie ursprünglich als
eine Eigentümlichkeit des Trachoms annehmen zu müssen glaubte, jeden¬
falls eine wesentlich größere Häufigkeit zukommt. Welche Itolle sie
bei den einzelnen Erkrankungen spielen und wie groß ihre Verbreitung
überhaupt ist, darüber wird die Zukunft Aufschluß geben müssen, und
hier eröffnen sich weite Felder für neue Forschungen.
Ueber familiäres Auftreten der chronischen Leukämie.
Von Dr. Fritz Brandenberg, Winterthur.
Die Verbesserung der Färbetechnik der Blutpräparatei hat zu einem
erneuten Studium der Bluterkrankungen spez. der Leukämie geführt.
Die Erfolge der Blutuntersuchungen zu diagnostischen Zwecken haben
dem französischen Forscher recht gegeben, der schon vor Jahren prophe¬
zeite : Die Zukunft gehört der Blutuntersuchung. Gar manche Fehl¬
diagnose wird verschwinden, wenn die Blutuntersuchung noch mehr
Eigentum auch des praktischen Arztes geworden. Die Schwierigkeiten
der richtigen Deutung solcher Blutuntersuchungen können nicht ge¬
leugnet werden und in zweifelhaften Fällen wird eben der Hämatologe
das entscheidende Urteil abgeben. Leider garantiert z. Z. die richtige
Diagnose noch lange nicht einen therapeutischen Erfolg. Tn manchen
Fällen stimmt sogar die vom Hämatologen gestellte Diagnose nicht
mit dem spätem pathologischen anatomischen Befund überein.
Da in engem Zusammenhang mit meinen Beobachtungen von Lenk- *
ämie an zwei Knaben der gleichen Familie stehend, möchte ich zur
Illustration des Gesagten, einen in der Deutsch, med. Wochenschr. ver¬
öffentlichten Fall anführen.
Im Verein für innere Medizin in Berlin (Sitzung vom 16. Nov.
1908) spricht Hans Hirschfeld über: Myeloide Pseudoleukämie, Der
Blutbefund spricht nicht für myeloide Leukämie, sondern nur für sekun¬
däre Anämie und neutrophile Leukozytose. Blutbefund 29200Ö0 rote,
1900 weiße Blutkörperchen. Die Zahl der weißen Blutkörperchen
steigerte sich später auf 8900. Zuletzt war der Blutbefund wie bei
perniziöser Anämie (Myeloblasten und Myelozyten) Milzexstirpation.
Das Abstrichpräparat von der Milz ergab hochgradige myeloide Um¬
wandlung, es wimmelte von neutrophilen Myelozyten, zahlreichen poly¬
morphkernigen Leukozyten, Mitosen und von Normo- und Myeloblasten,
derartige hochgradige Veränderungen kommen nur bei Leukämie vor.
Die von Ben da ausgeführte Obduktion bewies das Vorliegen einer
leukämischen, gleichzeitig mit schwerer Anämie komplizierten Affeik-
tion. Auch das Knochenmark war rein myeloid. Es sind in letzter
Zeit bekanntlich wiederholt sichere Leukämien beobachtet worden, in
Ueber familiäres Auftreten der chronischen Leukämie.
1167
denen eine Vermehrung der eosinophilen und. Mastzellen nicht zu be¬
obachten war. Soweit der Auszug aus dem Referat.
Übergehend auf meine Beobachtungen notiere ich aus der
Anamnese :
Vater (geh. 1865) litt häufig an Lungenkatarrhen mit Engbrüstig¬
keit, Mutter (geh. 1867) war stets gesund, bis Frühjahr 1909, wo sie
ca. acht Wochen nach Geburt des letzten Knaben, an einer Brustfell¬
entzündung, die mehrere! Wochen dauerte, litt. Allgemeinbefinden und
Aussehen zurzeit wieder gut. Die Reihenfolge der Geburten, die nach
normalem Schwangerschaftsverlauf, immer rasch und ohne ärztliche
Hilfe erfolgten, war :
1. 1891, 1. Oktober, Martha, starb an Blinddarmentzündung 11. Oktober 1893,
2. 1892, 2. November, Anna,
3. 1894, 18. Januar, Agnes,
4. 1896, 9. März, Alois, starb 9. Januar 1897, Todesursache nicht ermittelt, Krank¬
heitsverlauf angeblich wie bei den beiden letzten Knaben,
5. 1897, 27. Mai, Marie,
6. 1898, 10. Mai, Josephine,
7. 1901, 25. Januar, Karl, starb 3. April 1902, Todesursache nicht ermittelt, Krank¬
heitsverlauf angeblich wie bei den beiden letzten Knaben,
8. 1908, 22. Februar, Franz, starb 3. Mai 1909,
9. 1909, 30. Januar, Ernst, starb 19. Mai 1909.
Meine Mitteilung1 bezieht sich auf die beiden letztgebornen Knaben.
Franz litt schon in den ersten Tagen nach der Geburt an Verdauungs¬
störungen. Trotz Muttermilch traten Diarrhöen auf. Der Knabe be¬
kam dann Isterilisierte Milch 1/3 : 2/3 Wasser, später Haferschleim ; hatte
täglich 10 bis 12 schleimige Entleerungen. Mit sechs Wochen wurde
Löfflunds Malzsuppe verordnet, während der nächsten sechs Wochen
gute Gewichtszunahme, Mit ungefähr acht Wochen treten Nasenbluten
und Blutflecken in die Haut auf. Der Malzsuppe wird nun Milch
zugesetzt, mit Ca, zwölf Wochen erhält der Knabe 2/3 Milch und 1/3
Wasser. Blutiger Stuhl. Statt Kuhmilch wird vom Arzte Ziegen¬
milch verordnet mit Gerstenschleim. Da die Stühle schlecht bleiben,
wird Ziegenmilch roh verabfolgt, unverdünnt, Stuhl dabei schlecht
verdaut, übelriechend, Gewichtsabnahme, das allgemeine Aussehen trotz¬
dem ordentlich. Blutflecken und Nasenbluten halten etwa acht Wochen
an, hierauf verschwinden die ersteren, treten aber bald wieder auf.
Die Ziegenmilch wird gekocht und mit Reisschleim verdünnt. Ein
stark juckender Ausschlag über den ganzen Körper stört die Nacht¬
ruhe. Statt der Milch bekommt Patient ein Kindermehl (Galaktina),
dem in der Folge Troökenfütterungsmilch zugesetzt wird. Mit ca,
zehn Monaten (17. Dezember 1908) trat der Knabe in meine Behand¬
lung. Stuhl sehr übelriechend, mikroskopisch werden darin viel Fett¬
seifen und Neutralfett nachgewiesen, wenig Kohlehydrate. Tempe¬
ratur subfebril. Verordnung: abgerahmte Milch zur Hälfte mit Wasser
verdünnt. 20. Dezember immer noch sehr übelriechender Stuhl, mikro¬
skopischer Befund wie am 17. Dezember. Verordnung : Buttermilch,
dreimal täglich mit Kindermehlzusatz. 2. Januar Stuhl enthält trotz¬
dem noch viel Fettseifen, starke Lugolreaktion, keine Gewichtszunahme.
Gegen das stark juckende und schuppende Ekzem wird Lianthral 0,5,
Ichthyol 1,5, ung. Zinc. oxyd. 50,0 verschrieben. Wegen starker Lugol¬
reaktion : Theinhardts lösliche Kindernahrung. Zur genauen Beobach¬
tung tritt der Knabe am 9. Januar in Privatklinik.
1168 Fritz Brandenberg, Ueber familiäres Auftreten der chronischen Leukämie.
Der äußerst blasse, stark abgemagerte Knabe zeigt neben schuppen¬
dem Ekzem vom Typus der Erythrodermia desquamativ a (L einer)
harte, verschiebbare, über bohnengroße Drüsenschwellungen an linker
Thoraxseite, wenig vergrößerte Drüsen in der Axilla und Inguinal¬
gegend. Über den Lungen vereinzelte, trockene Konchi. Über den
Herzklappen und größten Gefäßen schwache, anämische Geräusche.
Körpergewicht 6100 g. Da die Stühle trotz Buttermilch immer noch
starken Fettgehalt zeigen, wird eine, nach meinen Angaben von der
Berner Alpenmilchgesellschaft hergestellte, ,, Spezialmilch mit redu¬
ziertem Fettgehalt“ verabreicht. Der Fettgehalt dieser Milch war
anfangs auf 1,5 °/0 eingestellt, wurde aber in der Folge auf 0,2 bis 0,3 °/0
reduziert. Als Zusatz erhielt der Knabe Kufeke’s Kindermehl. Stühle
ordentlich ein- bis zweimal täglich. Während des sechswöchentlichen
Aufenthalts in der Klinik trat mehrmals Bronchitis mit Temperatur¬
erhöhungen bis 38,7 auf, die Morgentemperaturen sind stets höher
als die Abendtemperaturen, abwechselnd Hauthämorrhagien und Nasen¬
bluten, Blutnachweis im Stuhl, infolge des von der Nase stammenden,
verschluckten Blutes.
Eine Blutuntersuchung vom 20. Januar ergab:
Hämoglobingehalt ca. 15 °/0 nach Sahli- Go wer. Mikroskopisch
viel Leukozyten, spez. polynukleäre, ferner basophile und wenige dar¬
unter mit doppelter Körnung. In einem Gesichtsfeld (Zeiß DD, Okku-
lar 4, Vergrößerung 390) wurden 74 Leukozyten gezählt, in einem
andern (Immersion) des gleichen Präparates 7 basophile, 2 eosinophile,
1 mononukleärer Leukozyt, in einem dritten Gesichtsfeld war das Ver¬
hältnis 60 bis 80 rote zu 7 weißen Blutkörperchen.
Am 30. Januar betrug das Körpergewicht 5880 g. Vom 8. Februar
bekam der Knabe täglich zwei- bis dreimal 1/2 Kaffeelöffel voll Levico
Schwach -Wasser. Körpergewicht am 19. Februar 5710.
Eine zweite Blutprobe am 20. Februar ergab :
Hämoglobingehalt ca. 15 °/0 (was einem absoluten Hämoglobin¬
gehalt nach Matrai von 2,1 °/0 entsprechen würde). Mikroskopisch:
spärlich eosinophile, viele, nach Jenner, stark blau gefärbte Leuko¬
zyten, ohne deutliche Körnung, polynukleäre Leukozyten. Bei Zeiß
Vergr. 390 bis 40 Leukozyten im Gesichtsfeld. Eine Zählung zur
Bestimmung des prozentualen Verhältnisses der weißen Blutkörperchen
zueinander und des Zahlenverhältnisses der roten zu den weißen wurde
nicht gemacht, ich verhehle daher nicht, daß diese Blutuntersuchungen
keinen strikten Beweis für die Diagnose Leukämie zu erbringen ver¬
mögen, daß ein sicherer Beweis für die Vermehrung der weißen Blut¬
körperchen nicht erbracht ist, wohl aber eine Verminderung der roten
nicht ausgeschlossen werden darf. Aber im Verein mit dem klinischen
Befunde schien die Diagnose Leukämie gerechtfertigt. So wurde denn
anderorts von einem bekannten Hämatologen aus dem Blutbefund die
Diagnose Leukämie nicht bestätigt, obwohl unter dem Einfluß einer
mit Husten und Fieber einhergehenden Grippe der Leukozytengehalt
auf 12 — 15000 bestimmt wurde, eine Zahl, die mit meinem mikrosko¬
pischen Befund übereinstimmen dürfte.
Die Geburt des letzten Knabens Ernst fand, da die Mutter die
Ernährung des Knaben von mir geleitet wünschte, im hiesigen Privat¬
krankenhause statt (30. Jan. 1909). Der Knabe zeigte bei einem Geburts¬
gewicht von 2500 g nichts Abnormes. Er wurde mangels genügender
Muttermilch sofort von einer gesunden, jungen Amme gestillt. Die V erdau-
A. Menzer, Die Medizin des Celsus im Lichte moderner Anschauungen. 1169
ung war gut, die wöchentlichen Gewichtszunahmen schwankten zwischen
90 bis 200 g. Seit Anfang April, also wieder mit ea. acht. Wochen
zeigten sich die gleichen Hautblutungen wie bei Franz, ebenso wurde
der gleiche juckende Hautausschlag beobachtet. Der Hausarzt Dr. von
Deschwanden, dem ich die Notizen bestens verdanke, konstatierte
einen starken Milztumor, der beim erst beschriebenen Knaben fehlte.
Seit Mitte April beständige Gewichtsabnahme, unter dem Bilde der
Inanition tritt am 19. Mai der Exitus ein.
Interessant sind die, allerdings ärztlich nicht kontrollierten An¬
gaben der Eltern, daß, Haut- und Nasenblutungen ausgenommen, der
Verlauf der Erkrankung bei den beiden ersten Knaben (geh. 9. März
1896 und 5. Januar 1901) gleich gewesen sein soll, auch diese starben
unter den Erscheinungen höchstgradiger Blutarmut, was die Ange¬
hörigen zum Ausspruch veranlaßte : die Knaben können nicht sterben, .
bis alles Blut aufgebraucht sei.
Der pathologisch-anatomische Befund bestätigte meine im
ersten Fall gestellte klinische Diagnose und lieferte so ein Gegen¬
stück zum zuerst zitierten Falle Hirschberg. Die Sektionen der
beiden Leichen wurden von Frl. Dr. Kworostanski an der Univer¬
sitäts-Frauenklinik in Zürich ausgeführt. Da das Ergebnis später in
Extenso erscheinen wird, muß ich hier auf eine vollständige Wieder¬
gabe des Sektionsprotokolls verzichten und erwähne daraus nur:
Fall 1. Franz H. : Herzklappen ohne Befund, Leber vergrößert,
vermehrte Leukozyten und Lymphozyten.
Milz klein, hart vermehrte Leukozyten (neutrophile und eosino¬
phile) und Lymphozyten, vereinzelte kernhaltige rote Blutkörperchen.
Lymphdrüsen enorm vergrößert, hart, mikroskopisch zeigen sie myelo¬
gene Umwandlung.
Im Knochenmark vermehrte Zahl der Leukozyten und Lympho¬
zyten, die roten kernlosen Blutkörperchen sind vermindert.
Pathologisch-anatomischer Befund: Leukämie, in den inneren
Organen Poikilozytose.
Im zweiten Fall Ernst H. : In der Magenschleimhaut kleine rote
Petechien, im Darm, im ganzen Kolon streifenförmige Blutungen, keine
freie Blutung. Milz 7:5:2 cm, hart. Mesenteriale Lymphdrüsen stark
vergrößert. Nebennieren enorm klein. Blutleere in den inneren Organen.
Pathol. - anatom. Befund: leukämischer Habitus.
Diese Beobachtungen zeigen also wieder, daß der Blutbefund allein
die Diagnose auf Leukämie nicht ausschließt. Was das familiäre
Auftreten dieser Krankheit anbetrifft, sind wohl die hier aufge¬
führten Fälle die ersten dieser Art.
Die Medizin des Celsus im Lichte moderner Anschauungen.
Von A. Menzer, Halle a. S.
(Nach einem im Aerzteverein zu Halle a. S. gehaltenen Vorträge.)
M. H. ! Wie ein rüstiger Bergsteiger nicht imstande ist,
einen hohen Berg ohne Einhaltung von Buhepausen zu erklimmen,
und wie er denn naturgemäß den Blick nach rückwärts wendet, um
an der bereits zurückgelegten Strecke die Entfernung des Endzieles
zu ermessen, so geziemt es auch uns, die wir bemüht sind, auf dem
Wege der medizinischen Erkenntnis vorzudringen, von Zeit zu Zeit
innezuhalten und nach rückwärts zu schauen. Und wie des Bergsteigers
74
1170
A. Menzer,
Auge mit besonderem Wohlgefallen auf lachenden Auen im Tale ver¬
weilen wird, so werden auch wir uns gern zu solchen Epochen der
Medizin zurückwenden, in denen wir unsere Wissenschaft zu hoher
Blüte entfaltet sehen oder gar Berührungspunkte zu unseren heutigen
Anschauungen finden.
Eine solche Epoche ästhetischen Genusses für den Arzt stellt
nun, wie ich Ihnen in den folgenden Ausführungen darzutun hoffe,
die Medizin des Celsus dar. Inwieweit ihr Studium geeignet ist, auch
praktischen Nutzen zu gewähren, soll weiter unten erörtert werden.
Celsus lebte in der Zeit von etwa 25 — 30 a. Chr. bis etwa,
45 — 50 p. Chr. und war einer der römischen Enzyklopädisten, welche
sich bemühten, die Summe des griechischen Wissens ihren Landsleuten
zu übermitteln. Ein Vorgänger des Celsus ist z. B. Marcus Terren-
tius Varro, der mit Vorliebe in Lehrbüchern der Bakteriologie zitiert
wird, da von ihm die Äußerung über die „animalcula quaedam minuta“,
welche aus der Sumpfluft stammen und durch ihr Eindringen in Mund
und Nase ernste Krankheiten erzeugen sollen, herrührt. Auf die Streit¬
frage, ob Celsus Arzt oder ärztlich gebildeter Laie war, wollen wir
hier nicht eingehen, da sie für die objektive Würdigung seiner An¬
schauungen ohne Belang ist.
Von der Enzyklopädie des Celsus, welche verschiedene wissen¬
schaftliche Fächer umfaßte, sind nur noch Bruchstücke vorhanden und
unter diesen befindet sich zum Glück für die medizinische Geschichts¬
forschung sein Buch „De medicina“.
Für die folgenden Betrachtungen beziehe ich mich auf die deutsche
Übersetzung des Celsus durch Scheller1). In seinem Werk behan¬
delt Celsus im Anschluß an eine kurze geschichtliche Betrachtung das
damalige medizinische Wissensgebiet, indem er teils einfach beschrei¬
bend, teils kritisch seinen eigenen Standpunkt darlegend verfährt. Wir
wollen, bevor wir auf die Anschauungen des Celsus näher eingehen,
die Lehren der wichtigsten medizinischen Schulen seiner Zeit kurz
anführen, um so für ein Verständnis des Celsus besser vorbereitet zu sein.
Es waren damals von Bedeutung die Schulen der Hippokratiker,
Herophileer, Erasistrateer, Methodiker und Empiriker.
Die Hippokratiker schlossen sich an die Lehren des Hippokrates
an, den wir als den Begründer einer wissenschaftlichen Medizin an-
sehen dürfen. Während seine Vorgänger in Anlehnung an naturphilo¬
sophische Systeme verschiedene Stoffe, wie z. B. das Wasser oder
die Luft oder Feuer und Wasser, oder Feuer, Wasser, Luft und Erde
als die Elemente des tierischen Organismus ansehen, verwirft Hippo-
krgtes diese vagen Hypothesen und gibt in der Schrift über „die
alte Medizin“ den Weg für eine exakte medizinische Forschung an.
„Für sie (die ärztliche Kunst), ist sowohl das Prinzip, als auch die
Methode gefunden, der zufolge die vielen schönen Entdeckungen ge¬
macht sind und auch das übrige bereits noch entdeckt werden wird,
wenn einer, befähigt und des bereits Entdeckten kundig, von da aus¬
gehend seine Forschungen ans teilt.“
Dieser induktiven Methode entsprechend sucht Hippokrates die
Zusammensetzung des Organismus aus den vier im Körper beobach¬
teten Säften „Blut, Schleim, schwarze und gelbe Galle“ zu erklären.
ß Aulus Cornelius Celsus, Ueber die Arzneiwissenschaft. Uebersetzt und
erklärt von Scheller, durchgesehen von Frieboes, 1906, Braunschweig.
Die Medizin des Celsus im Lichte moderner Anschauungen.
1171
Die richtige Mischung der vier Säfte (Krasis) bedingt Gesundheit,
die unrichtige Mischung (Dyskrasis) ruft Störungen hervor, auf welche
der Organismus unter dem Bilde der verschiedenen Krankheiten reagiert.
Die Krankheiten, besonders die akuten, verlaufen in drei Stadien, dem
Stadium der Bohigkeit, der Kochung und der Krisis, d. h. der Aus¬
scheidung der schlechten Säfte. Diese Vorgänge werden durch die
im Herzen befindliche angeborene Wärme ( s/uKpvTov ^sq^lov), welche
durch das in der Luft befindliche Pneuma unterhalten wird, ausgelöst.
Die Krankheit wird als ein Versuch zur Selbsthilfe des Organismus
auf gef aßt. die Naturen sind der Krankheiten Ärz’te, die ärztliche Kunst
hat die Heilungsbestrebungen der Natur zu unterstützen, sie darf in
keinem Falle schaden, sie soll „ajyjskesiv r\ f-ii] ßhamsiv“ , nützen oder
wenigstens nicht schaden.
Besaß Hippokrates schon beachtenswerte anatomische Kennt¬
nisse, so wurden die anatomischen Studien besonders von der alexan-
drinischen Schule im Beiche der Ptolemäer eifrig betrieben, so daß
sogar, wie einwandfrei berichtet wird, Sektionen an lebenden Ver¬
brechern ausgeführt wurden. Die berühmtesten alexandrinischen Ärzte
sind Herophilus und Erasistratus, ersterer in seinen Lehren auf
Hippokrates fußend, letzterer ein Gegner des Hippokrates. Era¬
sistratus und seine Schule sehen eine wichtige Krankheitsursache)
in dem Übermaß der Nahrung, in ihrer ungenügenden oder schlechten
Verdauung und der sich daraus herleitenden Überfüllung der Gefäße,
der Plethora. Ihre Therapie gipfelt daher in einer Bekämpfung des
plethorischen Zustandes.
Wenn die bisherigen Schulen vorwiegend von einer Berücksich¬
tigung der Säfte (humores) ausgegangen sind, so trat diesen humoral¬
pathologischen Anschauungen eine Lehre gegenüber, welche sich auf
die festen Bestandteile des Körpers gründete. Für eine solche Solidar-
pathologie war der Boden bereitet durch die bekannte Atomentheoriei
des Leukippos und Demokritos. Diese Theorie bildete auch die
Grundlage für die Lehren des Epikurs und wurde ärztlicherseits ver¬
wertet durch Asklepiades von Bithynien, welcher im zweiten Jahr¬
hundert v. Chr. in Born sich einer großen Berühmtheit erfreute. Im
Körper sind Atome von verschiedener Größe und Form vorhanden, die
feinsten Atome sind diejenigen des Feuers und der Seele. Die richtige
Anordnung der Atome bedingt Gesundheit, ihr Durcheinandergehen
bewirkt Verstopfung (Stase). Die Therapie hat die Aufgabe, anreizend
zu wirken . Demnach spielen in der Behandlung des Asklepiades
Bewegung, Massage und kaltes Wasser eine große Bolle. Asklepiades
erkennt eine Naturheilkraft nicht an, er verwirft den Hippokrates
und stellt als Aufgabe der Therapie hin: „Non solum non prodesse
naturam, verum etiam nocere.“ Er will die Heilung „cito, tuto jucunde“
bewirken. Wie er dabei vorgeht, schildert Celsus des Näheren: „Er,
(Asklepiades) war auch der Meinung, man müsse die Kräfte des
Kranken durch den Einfluß des Lichts, durch Wachen und großen
Durst schwächen, so daß er in den ersten Tagen nicht einmal das
Ausspülen des Mundes erlaubte“.1) Celsus fügt sehr richtig hinzu:
„Daher täuschen sich diejenigen gar sehr, welche glauben, die Be¬
handlungsweise des Asklepiades sei in allen Stücken für die Kranken
angenehm“.2)
u. 2) 1. c., S. 114.
74*
1172
A. Menzer,
V on der Beachtung' der festen Bestandteile ging man auf die
Zwischenräume zwischen den Atomen über; die betreffende Schule, ge¬
nannt die der Methodiker, sah in der Erschlaffung oder Zusammen¬
ziehung der Zwischenräume die wichtigste Krankheitsursache. Ein
solcher Zustand beherrschte als eine Kommunität den ganzen Organis¬
mus, und es galt nun einfach, den Status laxus oder strictus durch
entgegengesetzte Maßnahmen „contraria contrariis“ zu bekämpfen. Als
dritte Kommunität kam später noch der Status mixtus hinzu. Die
Therapie wurde sehr einfach, einige Methodiker machten sich anheischig,
auch ungebildeten Leuten das Wissenswerte aus der Medizin in einem
halben Jahre beizubringen. Der Spruch des Hippokrates: „Vita
brevis, ars longa“ wurde umgekehrt in ,,Yita longa, ars brevis“.
Den bisher genannten Schulen traten nun die Empiriker entgegen.
Sie betonten, daß alle theoretischen Spekulationen und anatomischen
Forschungen zu nichts geführt hätten. Es käme nicht darauf an,
nach den Ursachen der Krankheiten zu forschen, sondern zu ergründen,
wodurch die Krankheiten am besten geheilt würden, und letzteres1
könne nicht durch Künste der Dialektik, sondern nur durch Erfahrung
erlernt werden.
Unter diesen Empirikern befanden sich tatsächlich viele tüchtige
Ärzte, und manche gute Errungenschaften auf dem Gebiete der Phar¬
makotherapie, der Chirurgie usw. sind ihnen zu verdanken. Es bestand
ja auch unter Laien in der damaligen Zeit eine große Kenntnis über
die Wirkung von Giften, ich erinnere hier vor allem an Mithridates,
aber auch von dem König Attalus III. von Pergamos wird berichtet,
daß er an lebenden Verbrechern mit Giften und Gegengiften experi¬
mentiert habe.
In dem Streit der Schulen, welche sich, wie zu allen Zeiten,
auch damals vielfach bekämpften, nimmt nun Celsus folgenden ver¬
mittelnden Standpunkt ein.1)
„Um demnach auf meinen Gegenstand zurückzukommen, so glaube
ich, daß die Heilkunde zwar ijait Theorie verbunden sein, aber auf
den offenbaren Ursachen fußen müsse ; alle dunklen Ursachen sind,
wenn auch nicht vom Nachdenken des Arztes, doch aber von der
Kunst selbst auszuschließen. — Das öffneu lebender Körper halte
ich für grausam und überflüssig, das der Leichen hingegen für not¬
wendig für die Lernenden, denn sie müssen Lage und Anordnung der
Teile kennen — und dies zeigen Leichname besser als ein lebender
verwundeter Mensch.
Das übrige dagegen, was nur bei Lebenden erkannt werden kann,
wird bei der Behandlung der Verwundeten die Praxis selbst, freilich
etwas langsamer, aber auf bei weitem mildere Weise zeigen.“
Ich komme nun zur Darlegung der Anschauungen des Celsus
in den einzelnen Gebieten der Medizin und schließe mich hier in der
Anordnung und Auswahl des Stoffes zum Teil dem Vorgang von
Kobert2) an.
Vas zunächst die anatomischen Kenntnisse des Celsus an¬
betrifft, so werden nicht nur das Knochensystem, sondern auch die
Eingeweide vielfach richtig und gut beschrieben. Von einer besonderen
Physiologie und pathologischen Anatomie ist jedoch nicht die
1) S. 33. 2) Vgl. Kobert’s Vorwort zur vorerwähnten Ausgabe des Celsus.
Die Medizin des Celsus im Lichte moderner Anschauungen.
1178
Rede. Weit besser sind die Kenntnisse in den klinischen Fächern.
Zunächst einige wichtige Angaben aus der Augenheilkunde: Celsus
beschreibt als Erster die Staroperation. Bezüglich der Entstehung
des Stares nimmt er an, daß sich in dem in der Nähe der Pupille
gelegenen leeren Raum eine allmählich erstarrende Flüssigkeit an¬
sammelt und das Sehen hindert. Er empfiehlt, mit der Nadel seitlich
in den leeren Raum einzudringen und den Star langsam bis unter
die Pupille herabzuschieben oder aber zu zerstückeln, wenn er nicht
unten sitzen bleibt, 4)
Celsus kennt weiterhin die Hemeralopie, „Außer den genannten
Krankheiten gibt es eine andere Schwäche der Augen, bei welcher
die Kranken zwar bei Tage ziemlich gut, bei Nacht aber nichts sehen.“2)
Als besonders bemerkenswert hebt Kob er t hervor, daß bei Augen¬
entzündungen mit und ohne Hornhautgeschwüren von Celsus ein
pupillenerweiterndes Mittel empfohlen wird. 3) Einem seiner Augen¬
mittel ist Alraunsaft beigefügt. Die Alraun- oder Mandragorawurzel
enthält nun verschiedene Alkaloide, darunter Skopolamin und IJyos-
cyamin und mußte demnach Mydriasis hervorrufen. Nach Kober t
ist die, wichtige mydriatische Wirkung der Mandragora und verwandter
Solanaceen, welche auch Galen noch bekannt ist, später in Vergessen¬
heit geraten und erst nach fast zwei Jahrtausenden wieder entdeckt
worden.
Auch über die Ohrenkrankheiten finden sich bemerkenswerte
Angaben bei Celsus. Schon in der Einleitung zu dem betreffenden
Kapitel zieht er einen interessanten Vergleich zwischen diesen und
den Augenkrankheiten. Er sagt4) „die Krankheiten derselben (der
Ohren) sind bei weitem gefährlicher, denn die Krankheiten der Augen
sind nur für letztere gefährlich ; die Entzündungen und Schmerzen
der Ohren aber verursachen zuweilen Irresein und Tod“. Die Behand¬
lung der Ohrenleiden erfolgt mit Ruhe und Fasten und warmen Brei¬
umschlägen. Auch die Ohrenspritze wird zur Einbringung erwärmter
Arzneimittel angewendet.
Schorfe und Schmutz werden durch Eingießen von warmem öl
oder Wehmiet mit etwas Soda oder auch Essig mit Soda u. dgl. er¬
weicht. Fremdkörper werden mit der Ohrensonde oder einem stumpfen,
etwas gekrümmten Häkchen entfernt, zum Herausholen von einge¬
drungenen Tierchen empfiehlt Celsus mit Watte umwickelte Sonden,
welche in klebriges Harz getaucht sind. Es ist ihm ferner bekannt,
daß Stockschnupfen Ohrensausen hervorrufen kann und er macht bei
der Schilderung des Zustandes eine Angabe, welche wohl, wie auch
Kober t hervorhebt, als eine Beschreibung des: Valsalva’schen Ver¬
suches gedeutet werden darf. Celsus sagt5): „Wird das Ohrensausen
durch einen Stockschnupfen hervorgerufen, so reinige man die Ohren
und halte den Atem so lange an, bis aus dem Ohr schaumige Flüssig¬
keit kommt“.
Wir gehen zu den Nasenkrankheiten über. Über die Ozänar>)
bemerkt Celsus, daß „dagegen kaum ein Mittel helfen kann“, ein
Standpunkt, über den wir heute wohl auch noch nicht viel hinaus¬
gelangt sind. Was Celsus zur Behandlung empfiehlt, nämlich Ein¬
bringen von Honig mit Terpentinharz zur Lösung der Schorfe und
x) S. 385. 2) S. 332. 3) S. 313. 4) S. 333. 5) S. 339. 6) S. 341.
1174 A. Menzer, Die Medizin des Celsus im Lichte moderner Anschauungen.
Bähungen mit Wasser dämpfen, sowie nachfolgende Betupf ung mit einer
tanninhaltigen, in Wein gelösten Substanz (Lycium), kann nur als
verständig bezeichnet werden.
Er erwähnt dann auch eine operative Behandlungsmethode1), nach
welcher man bei Ozäna die Nase von unten bis auf den Knochen
einschneiden soll, damit man die ganze kranke Stelle übersehen und
das Glüheisen leichter ansetzen könne. Celsus kennt ferner die Nasen¬
polypen2), deren Beseitigung durch ätzende Mittel er anrät. Es ist ihm
bekannt, daß Nasenpolypen Erstickungsanfälle auslösen können.
Von den Mundkrankheiten sei dann erwähnt, daß er den
Mandelabszeß kennt, dessen Eröffnung durch Inzision mit nachfolgendem
Gurgeln mit warmem Weinmet er richtig er weise empfiehlt.
Besonders zu rühmen sind die Kenntnisse in der Chirurgie:
Im Beginn des Abschnittes, der von der Chirurgie handelt, werden
die Leistungen der Chirurgie und der internen Medizin verglichen3) :
„Da aber bei den Krankheiten das Glück eine so große Bolle spielt
und dieselben Mittel bald heilen, bald wirkungslos sind, so kann man
wirklich im Zweifel sein, ob die Herstellung der Gesundheit den ange¬
wandten Mitteln oder der Selbsthilfe des Körpers zuzuschreiben
ist“ usw. „Bei dem chirurgischen Teil der Medizin ist aber offenbar
der meiste Erfolg dem chirurgischen Eingriffe zuzuschreiben, wenn
er auch zum Teil von den anderen Teilen der Heilkunst unter¬
stützt wird.“ '
Gut werden die an einen Chirurgen zu stellenden Anforderungen
beschrieben4): „Ein Wundarzt muß im kräftigen Mannesalter oder
wenigstens diesem näher stehen als dem Greisen alt er. Seine Hand
sei sicher und fest und zittere nie; er sei ebenso geschickt im Ge¬
brauche der linken als der rechten Hand. Scharf und hell sei die
Sehkraft seiner Augen, furchtlos sein Gemüt und mitfühlend sei er nur
in der Weise, daß es sein fester Wille ist, den in Behandlung ge¬
nommenen Kranken zu heilen, ohne sich durch das Geschrei desselben
rühren und zu größerer Eile, als die Umstände erfordern oder zu
weniger oder kleineren Schnitten, als nötig sind, bestimmen zu lassen ;
vielmehr führe er alles aus, als ob durch das Klagegeschrei des
Kranken bei ihm gar kein Mitleid erregt würde.“
Bezüglich der durch Geschosse verursachten Wunden fordert
Celsus vom Arzt eine richtige Prognosestellung. 5) Von rettungslosl
verlorenen Verwundeten soll er die Hände lassen, damit nicht die
Angehörigen ihm die Schuld am Tode beimessen können. Auch in
ernsten Fällen soll er die bedenkliche Lage in seinem eigenen Inter¬
esse offen mitteilen, sich aber vor der Weise eines Scharlatans hüten,
der unbedeutende Wunden als gefährlich hinstellt, um dadurch den
Schein desto größerer Leistungen zu erwecken.
Die Heilung der Wunden ist abhängig von Alter, Konstitution,
Lebensweise und Jahreszeiten, als günstigste Jahreszeit wird das Früh¬
jahr hingestellt, große Hitze und große Kälte wirken schädlich auf
Wunden ein, der Herbst mit seiner wechselnden Jahreszeit soll am
ungünstigsten sein. ö) ' (Fortsetzung folgt.)
ß S. 341. 2) S. 391. 3) S. 362. 4) S. 363. 5) S. 261. 6) S. 263.
Vorläufige Mitteilungen und Autoreferate.
1175
Vorläufige Mitteilungen u. Autoreferate.
Ueber Lumbalanästhesie mit Novocain bei gynäkologischen Operationen.
Von Dr. Gross.
Vortrag im Verein deutscher Aerzte in Prag, 11. Juni 1909.
Nach kurzem Überblick über die Geschichte der Methode, ihre
Technik, ihre Vor- und Nachteile berichtet G. über 615 seit 1907 in der
Prager Frauenklinik operierte Fälle. Zur Verwendung kam das in
Ampullen vorrätige 5%ige Novocain-Suprarenin (Höchst). Eine halbe
Stunde vorher Injektion von 0,01 Morph, mur., 0,0003 Söopolamin.
hydrobrom. subkutan.
Es gelang die vollkommene Anästhesie in 538 = 87,5 °/0 der Fälle,
Versager kamen 22 = 3,5 °/0 vor, unvollkommene Anästhesien (d. h.
Fälle, bei denen kurz nach gelungener Spinalanalgesie Schmerzempfin¬
dung auftrat und daher die Inhalationsnarkose nötig war), in 55 — 9°/0
der Fälle. Davon waren 450 Laparotomien (davon 388 = 86,2% voll¬
kommene, 43 = 9,6 °/0 unvollkommene, 19 = 4,2 °/0 Versager) und 165
vaginale Operationen (150 = 9,1 °/0 vollkommene, 12 = 7,2 °/0 unvoll¬
kommene und 3 = 1,8 % Versager). Es handelt sich durchwegs um
größere Operationen, so 100 Totalexstirpationen des Uterus wegen
Karzinom, 74 wegen Myom, 37 wegen Affektionen der Adnexe. Die
Zahl der Versager ist bei Laparotomien größer, ihre Ursache ist in den
meisten Fällen auf technische Fehler zurückzuführen, in manchen Fällen
ist wegen Pressens nach Eröffnung des Peritoneums zur Narkose ge¬
schritten worden. Auffällig ist die größere Zahl der Versager bei
jüngeren Individuen. Im Alter von 20 — 29 Jahren 105 Fälle mit 7 =
6,6 °/0, im Alter von 30 — 39 Jahren 180 Fälle mit 11 — 6,1 % Versagern,
während bei den 204 im Alter von 40 — 49 Jahren operierten Frauen
nur 3 = 1,7 °/0, bei den 93 zwischen 50 — 59 Jahren alten Frauen nur
1 = 1,07 % Versager vorkamen, während bei den 25 60 — 80 Jahre alten
Finnen die Methode nie versagte. Auch die Nacherscheinungen sind
bei jugendlichen Individuen häufiger. Kopfschmerzen kamen in etwa
10% vor, langdauernde hartnäckige Kopfschmerzen aber nur selten
bei jungen, nervösen Frauen. In einem Falle wurde eine Abduzens¬
lähmung beobachtet, die nach zwei Monaten zurückging. In zwei un¬
mittelbar hintereinander (im Jahre 1907) operierten Fällen kam es zu
Infektion, wahrscheinlich durch Verwendung einer nicht sterilen Koch¬
salzlösung, mit der die damals noch in Sodalösung gekochten Instru¬
mente ausgespült wurden ; seitdem erfolgt die Sterilisation ohne Zu¬
satz von Soda. Der eine Fall starb an diffuser eitriger Zerebrospinal-
meningitis (im Eiter Bact. coli) ; der zweite Fall hatte typische meningi-
tische Symptome, die Lumbalpunktion ergab trüben Liquor, im Sedi¬
ment Eiter mit intrazellulär gelegenen Stäbchen, bakteriologisch konnten
dieselben nicht als pathogen identifiziert werden. Es wurde die Lumbal¬
punktion noch viermal wiederholt (über 80 ccm entleert), am 12. Tage
waren Fieber- und die sonstigen Erscheinungen ab geklungen, die Frau
genas. Sonst kamen in der ganzen Reihe keine Nachwirkungen der
Spinalanalgesie zur Beobachtung. Autoreferat.
1176
Vorläufige Mitteilungen und Autoreferate.
Die Behandlung der Lungenentzündung.
(Schütz, Burbach. Zeitschr. für ärztl. Fortbildung, Nr. 11, 1. Juni 1909.)
Peinlichste Beobachtung des Krankheitsverlaufes verbessert die
Prognose gegenüber dem Patalismus mancher Ärzte. Hauptzweck vor¬
liegender Arbeit ist, hervorzuheben, daß ein Nachlassen der Herzkraft
nicht erst abgewartet werden darf, sondern daß in jedem Falle von
Pneumonie, auch bei Kindern, betreffs der Herzkraft eine Prophylaxe
nötig ist, die in jedem Falle in Darreichung von Digitalis besteht.
Ist die Digitalis Wirkung deutlich geworden, dann Pause, eventl. Auf¬
hören der Digitalisbehandlung, zwecks deren Verf. sich meistens des
Digitalysatum Bürger bedient. Während der Pause zweistündlich ein
Kampferpulver. Bei drohendem Lungenödem unter anderem Oleum
camphoratum forte oder Coffeinum natrio-salicylicum subkutan, (vor
der Krisis) zuweilen Venaesectio.
Abends, bei hohem Fieber auch morgens, gebe man Phenacetin
0,5 — 0,75, Kindern Antipyrin 0,06 — 0,25 und mehr. — 1 — 2 stündlich
mache man kalte Umschläge um Brust, Bücken und Schultern, oft auch
auf den Kopf. Erwachsenen ist reichliches Trinken von Weißwein
nützlich, Kindern Tokayer oder Tee mit Kognak. In nicht seltenen
Fällen scheint der Aderlaß lebenrettend zu wirken, z. B. ist er zu ver¬
suchen bei langem Ausbleiben der Krisis, bei vollblütigen Menschen
und Patienten mit von vornherein etwas zyanotischer Gesichtsfarbe.
Expektorantien sind nach der Krisis angebracht, meist Dee. rad. Senegae
mit Liq. Ammon, anisat. In der Bekonvaleszenz gibt Verf. gern ein
Chinadekokt oder Sirolin.
Die Bedeutung der physikalischen Eigenschaften eines Heilmittels für
seine Dosierung.
Von Dr. Oskar Antze, Bremen. (Ther. Rundschau, Nr. 15, 1909.)
Verfasser geht aus von den neueren Untersuchungen über das
Wesen der Zellmembran, die (nach O vier ton, Nathanson u. a.) aus
lipoider und eiweißhaltiger Substanz besteht. Man unterscheidet jetzt
eine physikalische Permeabilität für lipoidlösliche Stoffe (hierzu ge¬
hören alle Narkotika in weitestem Sinne), und eine physiologische Per¬
meabilität für lipoidunlösliche Stoffe (die meisten Schwermetall-, Alkali-
und Erdalkalisalze). Lipoidlösliche Stoffe permeieren unter allen Um¬
ständen, während die Permeabilität lipoidunlöslicher Stoffe von will¬
kürlichen Lebensäußerungen der Zelle abhängig ist, und zwar von dem
Quellungszustand der Plasmahaut, der wieder der Ausdruck herabge¬
setzter oder erhöhter Erregbarkeit ist.
Hiervon ausgehend weist Verfasser auf den prinzipiellen Unter¬
schied hin, der hinsichtlich der Dosierung lipoidlöslicher und lipoid¬
unlöslicher Arzneien bestehen muß. Während lipoidlösliche Arzneien
in genauem Verhältnis zu ihrer Dosierung im Innern der Zelle zur
chemischen Wirksamkeit kommen (Narkotika), ist das bei den lipoid-
unlöslichen Arzneien (den meisten Salzen) nicht der Fall, denn die ge¬
sunde Zellmembran vermag alle lipoidunlöslichen chemischen Komplexe
fernzuhalten, die nicht zu den notwendigen Komponenten ihres Stoff¬
wechsels gehören. Dieser Abschluß kommt durch den Beiz zustande,
den der betreffende chemische Komplex auf die Erregungskolloide der
Plasmahaut ausübt. Da dieser Beiz vermieden werden muß, können
lipoidunlösliche Arzneien nach Ansicht des Verf. nur von einer be-
Referate und Besprechungen.
1177
stimmten Verdünnung ab zur chemischen Wirksamkeit innerhalb der
Zelle kommen, und ein Herabsetzen der Dosis kann unter Umständen
die Wirkung einer Arznei erhöhen resp. überhaupt erst ermöglichen.
Günstiger liegen die Verhältnisse bei kranken, in ihrer Erregbarkeit
herabgesetzten Zellkomplexen, denn der Zustand der herabgesetzten
Erregbarkeit hat eine Auflockerung der Plasmahautkolloide zur Folge
und damit eine über das Normale gesteigerte Permeabilität. Aber auch
hier muß man die Dosis klein genug wählen, um die pathologische
Auflockerung der Plasmahaut zu benutzen, und keinen Reiz zu setzen,
der eine Zusammenziehung der Erregungskolloide hervorrufen könnte.
Nun gibt es gerade unter den lipoidunlöslichen Stoffen (den
meisten Salzen) Arzneien von ausgesprochenem Heil wert. Die Erfah¬
rungen, die man bei Trinkkuren in Bädern über die Wirkung klein¬
ster Mengen bei sonst indifferenten Stoffen gemacht hat, sind eine
gute Stütze für obige Theorie.
Es besteht nach Ansicht des Verf. ein Mißverhältnis zwischen
lipoidlöslichen und lipoidunlöslichen Arzneien : Lipoidlösliche haben
durchweg prompte Wirkung, in genauem Verhältnis zur Dosierung,
aber infolge ihrer narkotisierenden Eigenschaft wohl nur geringen Wert
im Sinne einer direkt heilenden Arznei ; unter den lipoidunlöslichen
Arzneien dagegen gibt es sicher viele, die eine große physiologische
Und therapeutische Bedeutung haben, aber ihrer Anwendung stellen
sich hinsichtlich der Dosierung Schwierigkeiten entgegen, die Adelleicht
nur in der ausgeführten Weise, durch Herabsetzen der Dosis (eventuell
unter eine festgestellte unwirksame Grenze) zu beheben sind.
Autoreferat.
Referate und Besprechungen.
Bakteriologie und Serologie.
Originalbericht über die Tagung der freien Vereinigung für Mikrobiologie, Juni 1908.
Beitrag zur Frage der Schnelldiagnose der Tuberkulose im Tierversuche.
(Dieterlen. Zentralbl. für Bakt., Bd. 47.)
Verfasser hält die nach subkutaner Injektion auf tretende Schwellung
der gequetschten Drüsen für Tuberkulose für nicht spezifisch. Die Wahr¬
scheinlichkeit für Tuberkulose wird größer bei dem Nachweis von säurefesten
Stäbchen. Eine Diagnose auf Tuberkulose ist jedoch erst zu stellen, wenn
die inneren Organe einen deutlichen Befund von tuberkulösen Veränderungen
aufweisen. Unter allen Umständen ist stets eine sechswöchige Versuchs¬
zeit abzuwarten. Schürmann (Düsseldorf).
Das Verhalten der Tuberkelbazillen in indifferenten Fliißigkeiten.
(Bartel u. Neumann. Zentralbl. für Bakt., Bd. 47, H. 4.)
Als indifferente Flüssigkeiten wählten Verfasser eine l°/0ige Nährstoff-
Heyden-Lösung, ferner Wasser mit reichlichem Sputumzusatz und eventuell
Ringer-Loeb’sche Flüssigkeit mit 3°/0igem Glyzerinzusatz und Glyzerin¬
bouillon. Für die Virulenz sind folgende Lösungen, wie destilliertes Fluß-,
Regenwasser, 0,75 — 0,9°/0ige NaCl -Lösung, reine Bouillon nicht gleichgültig.
Glyzerinzusatz erhöht die Schädlichkeit noch mehr, dagegen erweist er sich
bei wirklich indifferenten Aufschwemmungsflüssigkeiten von großem Werte
für das Wachsen und die Erhaltung der Virulenz der Tuberkelbazillen.
Schürmann (Düsseldorf).
1178
Referate und Besprechungen.
Die Intradermo-Reaktion auf Tuberkulin.
(P. Lereboullet. Progres med., Nr. 7, S. 87 — 91, 1909.)
Wenn einer in etwa 100 Jahren retrospektiv eine Geschichte der Medizin
schreibt, wird er ein besonderes Kapitel der Tuberkulinepidemie widmen
müssen. Einer Anzahl von Ärzten um die Wende des XIX. zum XX. Jahr¬
hundert — so ungefähr dürfte er sich ausdrücken — genügten die Fest¬
stellungen der Anatomen nicht, wonach zis zu 90% der Menschen tuber¬
kulöse Herde in sich bergen. Sie wollten die Diagnose auch chemisch sichern
und glaubten, das mit Hilfe von Injektionen von Tuberkelbazillen-Extrakten
erreichen zu können. ' Die Irrtümer, die da zugrunde lagen, bestanden zu¬
nächst in der Annahme, daß alle Menschen in der gleichen Weise reagieren
müßten, und dann darin, daß für den Arzt gar nicht der Nachweis eines
eventuellen tuberkulösen Herdes im Mittelpunkt des Interesses steht, sondern
die Widerstandsfähigkeit des Organismus; diese ist aber ihrer Natur nach
etwas Fließendes, etwas Stetsveränderliches je nach den Faktoren, welche
auf das Individuum einwirken.
Zum Beweise, daß schon zu Anfang des XX. Jahrhunderts einzelne
diese Entgleisungen der medizinischen Logik fühlten, könnte der spätere
Geschichtsschreiber füglich die Schlüsse zitieren, zu denen die vorliegende
Arbeit kommt: „Fällt die Intradermoreaktion positiv aus, so darf man noch
lange nicht annehmen, daß die Bronchitis oder was sonst gerade vorliegen mag,
tuberkulöser Natur sei“; und umgekehrt: „Negative Intradermoreaktion be¬
weist keineswegs Freisein von Tuberkulose“.
Wer aber trotzdem glaubt, die Reaktion anstellen zu sollen, injiziere
von einer Tüberkulinlösung 1 : 5000 einen Tropfen (= 0,01 mg = 0,00001 g)
in das Derma; er wird dann nach 24 — 48 Stunden eine zweimarkstückgroße
Infiltration mit zentralem Knötchen beobachten, die sich langsam in einigen
Wochen verliert. Zweifellos höchst interessant; aber ein Königreich dem,
der darauf eine sichere, absolut zuverlässige Diagnose aufzubauen vermag !
________ • Buttersack (Berlin).
Tuberkulin reproduziert Dermatosen bei Nicht-Tuberkulösen.
(J. Thibierge u. P. Gastinel. Soc. med. des höpitaux, 23. 4. 1909.)
Die genannten Ärzte haben verschiedenen Kranken mit Dermatosen.
(Erythemen) Tuberkulin 1 : 100 mg intrakutan appliziert und dann nach
ca. 30 Stunden eine lokale Reaktion von dem Typus, von welchem der im übrigen
gesunde Pat. befallen war, beobachtet. So entstanden je nachdem Urtikaria¬
quaddeln, oder papulöse Erytheme usw.
Kontrollversuche mit Diphtherie-Tetanusserum und physiologischer Koch¬
salzlösung hatten den gleichen Effekt, nur daß die Erscheinungen bei NaCl-
Lösung kleiner, bei Diphtherieserum ausgedehnter ausfielen. Das Wesentliche
ist demgemäß eine besondere Reizbarkeit der Haut, une reactivite cutanee
speciale; den genannten Agentien (vielleicht auch noch anderen Einflüssen)
kommt nur die Bedeutung einer Gelegenheitsursache zu. Buttersack (Berlin).
Tuberkulmreaktion, speziell über eine Äurikuloreaktion.
(V. Tedeschi, Padua. Archiv für Kinderheilk., Bd. 49, H. 3 u. 4.)
T. kam bei dem Wunsche nach einer Körperregion, die dank eines
härteren Substrates, wegen ihrer Vaskularisation und ihrer Durchsichtigkeit
eine sichere Schätzung der tieferen Erscheinungen nach angestellter Tüberkulin-
ieaktion gestatte, auf die pars horizontalis der Ohrmuschel. Er beobachtete
dabei Verhärtung des Derma, in anderen Fällen Rötung und Schwellung,
manchmal an der Injektionsstelle eine Blase, welche 12 — 24h zur Entwick¬
lung braucht, um nach 2 — 3h auszutrocknen. T. benützt zu seiner Reaktion
eine exakt gedichtete Spritze und äußerst geringe, genau dosierte Quanti¬
täten Tuberkulins. (Angaben über die Herkunft und Menge des verwendeten
Stoffes fehlen.) Reiss.
Referate und Besprechungen.
1179
Innere Medizin.
Zur Kenntnis der einfachen nicht tuberkulösen Kollapsinduration der
rechten Lungenspitze bei chronisch behinderter Nasenatmung.
(D. G. Richter, Wölfeisgrund. Deutsche med. Wochenschr., Nr. 18, 1909.)
In differentialdiagnostischer Beziehung ist die Kenntnis eines zuerst
von Krönig erkannten und geschilderten Symptomenkomplexes von Wichtig¬
keit, der als einfache nichttuberkulöse Kollapsinduration der rechten Lungen¬
spitze bei chronisch behinderter Nasenatmung zu bezeichnen ist. Individuen,
bei denen die Nasenatmung längere Zeit ausgeschaltet ist, zeigen häufig
schon bei der Inspektion eine Schrumpfung der rechten Lungenspitze mit
mangelhafter Atmung derselben. Die Perkussion ergibt daselbst Dämpfung
sowie geringe oder beträchtlichere Einengung des Spitzenschallfeldes, Bei
der Auskultation findet sich entweder unverändertes Atmen oder auch alle
Modifikationen des Atemgeräusches. Die Bronchophonie kann verstärkt sein.
Die Verschieblichkeit der unteren Lungengrenzen ist meist erhalten. Im
Auswurf sind nur Kokken und Epithelien der oberen Luftwege nachweisbar.
Dem Krankheitsbilde fehlen jedoch Fieber, Gewichtsabnahme, Appetitlosigkeit
und Pulsbeschleunigung, während Mattigkeit, Husten, Brustschmerzen und
Nachtschweiße zuweilen vorhanden sind. Die Ursache der Erkrankung bildet
der inhalierte Staub und die nicht erwärmte, nicht angefeuchtete und unge¬
reinigte Inspirationsluft. Wegen Einleitung einer richtigen Therapie und
wegen der Gefahr, daß derartige Kranke in Lungenkurorte geschickt werden
könnten, wo ihre angegriffene Spitze leicht tuberkulös infiziert werden könne,
ist eine genaue Kenntnis dieses! Krankheitsbildes und seiner Ursachen unbe¬
dingt erforderlich. Richter gibt die Krankengeschichten von acht derartigen
Patienten ausführlich wieder. Eine Tuberkulinprobe hat er nicht vorge¬
nommen; diese ist nach Krönig in Fällen, denen alle allgemeinen Zeichen
der Tuberkulose dauernd fehlen und deren Pleura intakt ist, so daß ihre
freie respiratorische Bewegung in den Komplementärräumen erhalten bleibt,
nicht unbedingt erforderlich. Von Wichtigkeit ist auch, daß stets nur die
rechte Spitze ergriffen, sowie daß eine Behinderung der Nasenatmung vorhanden
war. Die Richtigkeit der Diagnose konnte ferner durch den günstigen Erfolg der
angewandten Therapie, die in Verkleinerung der hypertrophischen Nasenschleimhaut
bestand, bestätigt werden. F. Walther.
Die Frühdiagnose der verschiedenen TuberknSoseformen und der Einfluß
der nordischen Heere (Ost- und Nordsee) auf Tuberkulose.
(A. Hennig, Königsberg i. Pr. Klin.-ther., Wochenschr., Nr. 2, 1909.)
Die trotz aller staatlichen und privaten Maßregeln der letzten Jahr¬
zehnte immer noch recht bedeutende Sterblichkeit an Tuberkulose ist größten¬
teils dem Mangel einer gründlichen Kenntnis der klinisch frühdiagnostischen
Methoden seitens der Ärzte zuzuschreiben. Erkenntnis der ersten Anfänge der
Tuberkulose zu einer Zeit, da das Individuum scheinbar gesund und wohl ist,
also noch kräftig und widerstandsfähig zum Kampf mit den Bazillen ist,
wird die Mortalität und Morbidität der Tuberkulose am ehesten herunter¬
setzen. Die früh diagnostischen Methoden sind: 1. Spitzenperkussion nach
Krönig, Auskultation nach einer durch Narkotika ruhigen Nacht; 2. Spu¬
tumuntersuchung, a) auf Tuberkelbazillen, b) auf Lymphozyten ; diese ist
besonders wichtig, weil bei beginnender Tuberkulose die Lymphozyten oft
33—90% der Sputumzellen ausmachen; ihr Vorhandensein in solcher Menge
ist stets verdächtig auf Tuberkulose; c) auf elastische Fasern; 3. Thermo-
metrie; selbst bei geringster Infektion mit Tuberkelbazillen bestehen stets
Temperaturschwankungen; Messungen müssen zwei- bis dreistündlich gemacht
werden; 4. Röntgenverfahren, und zwar nicht nur Durchleuchtung, sondern
Röntgenogramm ; durch dieses sind selbst kleinste Herde, namentlich am
Hilus, sowie besonders die kindliche Bronchialdrüsentuberkulose früh zu er-
1180
Referate und Besprechungen.
kennen; 5. Zytodiagnose aus den Exsudaten nach Wolf f-Elsner ; 6. Kutan-
und Konjunktivalreaktion. — Auch hei Kehlkopfsymptomen ist frühzeitige
Feststellung des Charakters der Erkrankung notwendig. An Hand seiner
langjährigen Beobachtungen rühmt Verfasser den äußerst günstigen Einfluß
des Ost- und Nordsee-Klimas auf die Tuberkulose der oberen Luftwege. Ohne
die großen finanzeilen Opfer eines Hochgebirgs- und Südklimaaufenthalt'es
ist weitesten Kreisen der Bevölkerung ein heilsamer Aufenthalt daselbst
möglich ; im ersten Stadium bringt derselbe meistens völlige Heilung, im
zweiten wesentliche Besserung. Im ganzen sind die Ostseebäder zu bevor¬
zugen. Mit der klimatischen Kur muß eine hygienisch-diätetische, medi¬
kamentöse, eventl. lokale Behandlung (bei Kehlkopftuberkulose) verbunden
. werden. — Der Grund der vorzüglichen Wirkung ist in der reinen, staub-
und keimfreien Luft, den günstigen Temperaturverhältnissen, dem hohen
Ozongehalt der Luft u. a. Momenten zu suchen. Peters Eisenach.
Aus der med. Universitäts-Poliklinik in Heidelberg (Geh. Hofrat Prof. Dr. Fleiner).
Beitrag zur Behandlung der Lungenkrankheiten mit Kuhn’scher Saugmaske.
(Assistenzarzt Dr. J. H. Greeff. Münch, med. Wochenschr., Nr. 18 u. 19, 1909.)
G ree ff hat bei 22 Patienten mit Lungenerkrankungen verschiedenster
Art die Kuhn’sche Saugmaske angewandt. Es ist dabei eine exakte Aus¬
führung der Übungen bei richtiger Körperlage und ständige Beaufsichtigung
durch Pflegepersonal unbedingt erforderlich. Anfangs wird die Maske Zweimal
zehn Minuten am Tage angewendet, wobei der zur Luftregulierung dienende
Schieber nur ganz allmählich vorgerückt wird. Die sonstige Behandlung
bestand in diätetischen Vorschriften, in einigen Fällen in medikamentären
Verordnungen. Der Erfolg war bei einigen Kranken mit Lungentuberkulose
oder Bronchitis eine entschiedene Besserung, bei Bronchiektasien war er
ganz besonders günstig, der Auswurf nahm hier beständig ab, Entfieberung,
Hebung des Kräfte- und Ernährungszustandes trat ein.
Gleich anderen Autoren konnte Greeff eine Vermehrung des Hämo¬
globingehaltes, sowie der roten Blutkörperchen konstatieren. Die Verringerung
der Auswurfmenge kann er bestätigen, die Untersuchung derselben auf Bazillen
ergab in mehreren Fällen Verschwinden der Tuberkelbazillen, in zwei Fällen
fand er Herzfehlerzellen, was vielleicht auf eine starke Hyperämie zurück-
züführen ist. Auf die Beweglichkeit des Thorax, die Kapazität der Lungen
und Stärke der Thoraxmuskulatur hat die Anwendung der Saugmaske ent¬
schieden günstigen Einfluß. Die Gewichtsverhältnisse der Tuberkulösen
scheinen sich gleichfalls zu bessern. Die Untersuchung des Blutdrucks ergab
eine leichte Herabsetzung. Der Puls wird ruhiger, gleichmäßiger, kräftiger
und voller. Bei fieberenden Patienten konnte Greeff bisweilen Sinken der
Temperatur beobachten. Schließlich wird durch die Maske ein Müdigkeits¬
feefühl und Schlafbedürfnis hervorgerufen. Bei Patienten mit Hämoptoe
ist die Methode weniger angebracht. F. Walther.
Über Asthma bronchiale und dessen Behandlung mit Atropin.
(Paul v. Terray. Med. Klinik, Nr. 3, 1909.)
Die Arbeit enthält eine zusammenfassende Darstellung der Geschichte
der Atropinbehandlung des Asthma bronchiale bez. Asthma nervosum, wie
man besser sagen sollte, da in dem Bilde des typischen Asthma eine nervöse
Kompenete nicht vermißt wird. Sodann werden die Resultate der Atropin¬
behandlung an sieben eigenen Fällen — sämtlich weibliche Patienten be¬
treffend, mitgeteilt. Die Erfolge sind teilweise sehr gut, teilweise als gut
zu bezeichnen ; trotzdem stellt auch das Atropin eine Panazee gegen das
Asthma nicht dar. Die Darreichung des Atropins geschah in Pillenform,
die Pille enthält 1/2 mg, und es wurde mit der Darreichung einer Pille
begonnen und nach einigen Tagen gestiegen, bis auf 2, bei einer auch 3 mg
Referate und Besprechungen.
1181
tägl. Unangenehme Nebenwirkungen sah Terray nicht. — Eumydrin, das
einer Kranken an Stelle von Atropin gegeben wurde, erreichte in diesem!
Falle die Wirkung des Atropins nicht. — Durch subkutane Anwendung von 1 mg
gelang es einmal, einen Anfall gänzlich zu kupieren. R. Stüve (Osnabrück).
Chirurgie.
Temporärer Verschluß des Colon bei Resektionen oder Ausschaltung
des Darms.
(Prof. AVilms, Basel. Deutsche Zeitschr. für Chir., Bd. 96, H. 1 — 3.)
Bei entzündlichen Affektionen des Dickdarms (Gonorrhöe, Lues, Dysen¬
terie) ist es geboten, den Darm temporär auszuschalten. Wenn zu diesem Zweck
auch bisher die Kolostomie mit gutem Erfolg ausgeführt wurde, so lag es
doch nahe, einen innerhalb der Bauchhöhle liegenden Verschluß des Darms
herbeizuführen, der jederzeit ohne weiteren operativen Eingriff gelöst werden
kann. Von dieser Erwägung aus geht Wilms derart vor, daß er den Darm
in einen starken nach Art einer Haarnadel gebogenen Metalldraht hineinlegt,
dessen eines Ende durch das Mesenterium hindurchgeführt wird. Die zu¬
sammenliegenden Spitzen des Drahtes werden lose umschnürt, der Anschnü¬
rungsfaden nach außen geleitet; der Darm, ohne daß er eine schädigende
Quetschung erfährt, derart zusammengedrückt, daß eine Kotpassage unmög¬
lich wird. Der Darminhalt wird durch eine oberhalb der Nadel liegende Stelle
durch eine seitliche Kolostomie abgeleitet. Das gebogene Ende der Nadel
bleibt in der Wunde sichtbar. Meist ist eine Öffnung des Darms erst nach
12—24 Stunden notwendig. Eine Schädigung des Darms wird durch die Nadel
nicht hervorgerufen, doch muß dafür Sorge getragen werden, daß die Fistel
bis zur Lösung der Darmabschnürung breit offen bleibt.
Die anfangs für die Darmausschaltung bei ulzerösen Prozessen ge¬
dachte Methode hat sich auch bei der Exstirpation von Tumoren des Darms,
vor allem der tiefsitzenden Kolonkarzinome, bei denen eine Entlastung der
Nahtstelle für die Heilung der Darmwunde sehr wichtig ist, bewährt. Verf. ist
es auf diese Weise sogar gelungen, nach der Exstirpation eines tief im kleinen
Becken liegenden Mastdarmkarzinoms mit Erfolg auf die Naht zu verzichten;
die Darmstücke wurden 3 — 4 cm weit invaginiert und das invaginierte Darm¬
ende durch vier durch den After geführte Zügel fixiert gehalten. Die Heilung
erfolgte ungestört; der Stuhl entleerte sich, nachdem die schnürende Nadel
nach sechs Wochen entfernt war, auf regelrechte Weise. F. Kayser Köln).
Zur Therapie der Darm-Blasenfsstel mittelst Darmausschaltung.
(AV. Sachs, Mühlhausen i. E. Deutsche Zeitschr. für Chir., Bd. 96, H. 4 — 6.)
Eine 60jährige Patientin erkrankte acht Tage nach der operativen Be¬
seitigung einer eingeklemmten linksseitigen Schenkelhernie an Urinbeschwer¬
den (Abgang trüben, übelriechenden Urins, starker Urindrang). Die Unter¬
suchung ergab Luftgehalt des Urins, Beimengung von Darminhalt (mikro¬
skopisch wurjden Pflanzenzellen, Muskelfasern mitj gut erhaltener Quer¬
streifung nachgewiesen), eine vom linken Scheidengewölbe aus nachweisbare
Resistenz ; zystoskopisch ließ sich eine in der Mitte der linken Seitenwand
der Blase befindliche schwarze, kraterähnliche Stelle als Ausdruck einer
Kommunikation mit einem Darmstück feststellen.
Bei der Laparotomie wurde auf Lösung dieser mit der Blase verwach¬
senen Dünndarmschlinge verzichtet. Ein za. 15 cm-Stück der Darmschlinge
wurde aus der Kontinuität herausgeschnitten, ihre beiden Enden durch Naht
geschlossen. Die Darmstümpfe wurden mittels Murphyknopf vereinigt. Un¬
gestörte Rekonvaleszenz ; der Blasenkatarrh ging langsam zurück und heilte aus,
so daß Pat., die schon vor acht Jahren operiert wurde, dauernd gesund blieb.
Verf. stellt aus der Literatur die wegen gutartiger Blasendarmfisteln operativ
behandelten Fälle — im ganzen 31 — zusammen, von denen 17 starben,
1182
Referate und Besprechungen.
14 geheilt oder gebessert wurden. Als Operationsmethoden kamen Durch¬
trennung des Fistelgangs mit isolierter Naht von Darm und Blase, Naht
der Fistelöffnung in der Blase nach sectio alta und die Kolotomie zur An¬
wendung. Letztere gibt naturgemäß nur vorübergehende Besserungen ; sie
kommt nur in Betracht für Blasendickdarmfisteln. Für Blasendünndarm¬
fisteln scheint nach der vorliegenden Beobachtung die bisher nicht angewandte
Darmausschaltung ein durchaus brauchbares Operationsverfahren zu bilden.
Die Gefahr, daß durch den in den ausgeschalteten Darm übertretenden Urin
sich Inkrustationen des Darmes bilden, scheint nicht groß zu sein, da bei dem
Schrumpfungsprozeß, welchen der Darm erfährt, wahrscheinlich eine Behin¬
derung des Urinabflusses ein tritt. Jedenfalls können in dieser Frage, für
welche bisher nur der Fall des Verf. vorliegt, lange Jahre hindurch fortge¬
setzte Beobachtungen das letzte Wort sprechen. F. Kayser (Köln).
Klinische Studie über die Veränderungen in paretischen Muskeln, die
durch seitliche Sehnennaht mit gesunden Muskeln verbunden sind.
(Fr. Bucceri. Arch. di Ortopedia, Nr. 2, 1909.)
Bucceri gelangt zu dem Resultat, daß die seitliche Sehnennaht gewöhn¬
lich den paralytischen Muskel bessert, vorausgesetzt, daß keine besonderst
ungünstigen Nebenumstände vorliegen. Ob dabei kollaterale Nervenfasern
im Spiele sind oder ob der kranke Muskel durch die passiven Kontraktionen
angeregt wird, bleibt unerklärt; jedenfalls kann ein Muskel, der die faradische
Reaktion verloren hat, auf diese Weise wieder anfangen zu funktionieren.
F. von den Velden.
Bemerkungen über die operative Behandlung der erweiterten Saphena.
(J. S. Lewis. Amer. Journ. of Surg., Nr. 6, 1909.)
L. beschreibt die Modifikationen der Kellar’schen Ausziehung der
Saphena, die er in einem vorher mit doppelter Durchschneidung, aber ohne
dauernden Erfolg behandelten Falle angewendet hat. Die Saphena wurde
von 7 cm unterhalb des Abgangs von der vena femoralis bis 5 cm ober¬
halb des malleolus internus von drei queren Schnitten aus entfernt. An¬
statt aber nach Kellar’s Vorgang eine Öhrsonde durch die Vene zu schieben,
das Ende anzubinden und so die Vene in sich selbst einzustülpen und
auszuziehen, verwandte L. eine glatte Sonde mit einer ringförmigen Ein¬
kerbung am Ende, um welche die Vene mit einem Seidenfaden geschnürt
wurde. Es entstand die übliche Ecchymose entlang der Lage der Vene, doch
sonst keine üblen Folgen. Stärkere Seitenäste werden vor dem Ausziehen
subkutan durchschnitten. Die Methode versagt, wenn die Vene stark geschlän¬
gelt oder mit der Haut verwachsen ist. L. zieht es vor, in die Vehe naßh
doppelter Durchschneidung von oben (entgegen dem Blutstrom) einzudringen,
im Gegensatz zu dem vorgeschlagenen Verfahren, von unten vor Anlegung
der oberen Ligatur die Sonde in die Vene einzuführen; letztere Weise hat
den Vorzug, daß man auf den Sondenknopf einschneiden kann, könnte aber
zu Embolie Anlaß geben. Fr. von den Velden.
Gynäkologie und Geburtshilfe.
Zur operativen Anzeigestellung bei chronischen entzündlichen
Adnexerkrankungen.
(Pro ch ownick, Hamburg. Monatsschr. für Geb. u. Gyn., Bd. 29, S. 134.)
Pr. betont ausdrücklich, daß auf Grund des entzündlichen Charakters
der Adnexerkrankungen zunächst stets eine Heilung der Entzündung mit
Erhaltung der Organe anzustreben ist. Erst nach Erfüllung dieser Vor¬
aussetzung kommt der operative Eingriff in Frage; doch liegt es im Interesse
Referate und Besprechungen.
1183
der Kranken, die diesbezügliche Auslese möglichst frühzeitig zu treffen.,
Die Ätiologie läßt sich leider zu dem Zwecke nicht verwerten; nur die
genaue Krankenhausbeobachtung eventl. wiederholte konservative Kuren lassen
die geeignete Operationsauswahl treffen. Nach seinen Erfahrungen wider¬
stehen ca. 5% derartiger Fälle von vornherein der konservativen Behand¬
lung und verfallen dem Messer; der operative Eingriff erst macht sie wieder
gesund, falls Tuberkulose nicht mit im Spiele ist> Ca. 15% zeigen zu¬
nächst subjektive Scheinerfolge der konservativen Behandlung, während der
objektive Befund sich kaum bessert. Da diese Fälle nach der 2. oder
3. konservativen Behandlung doch noch operiert werden müssen, glaubt Pr.
sie einem frühzeitigeren Eingriffe zuweisen zu müssen, wodurch Mortalität
und postoperative Morbidität gebessert würden. In dieser Gruppe spielen
ätiologische Adnexinfektionen vom Darme aus und Gonorrhöe mit Tuber¬
kulose kombiniert eine Rolle. Rein tuberkulöse Adnexerkrankungen sind
tunlichst nicht operativ anzugreifen; falls lokale Beschwerden zum Ein¬
griff drängen, muß dieser frühzeitig und ganz radikal sein.
Dauernde Fistelgeschwülste sollen, wenn man sie nicht extraperitoneal
drainieren kann, möglichst früh und radikal operiert werden.
Frankenstein (Köln).
Ueber die Resorptionsfähigkeit der Schleimhaut der Vagina und des Uterus.
(Dr. S. Higuchi. Archiv für Gyn., Bd. 86, H. 3, 1908.)
H. stellte durch zahlreiche klinisch-chemische Versuche fest, daß die
Scheidenschleimhaut Medikamente, wie Jodkali, Salizylsäure, Strychnin zu)
resorbieren vermag. Das beste Vehikel ist Kakaobutter (Vaginalkugeln),
dann kommt Wasser, am schlechtesten ist das vielbeliebte Glyzerin. Durch
seine bekannte wasserentziehende Wirkung tmuß es ja a priori der Re¬
sorption entgegenwirken. Muß Glyzerin durchaus angewendet werden, dann
räumlich und zeitlich getrennt von den zu resorbierenden Arzneimitteln.
— Von der Uterushöhle wird eingespritzte wässerige Jodkalilösung eben¬
falls resorbiert. R. Klien (Leipzig).
Behandlung des Gebärmuttervorfalls mit Chinininjektionen in die
Ligamenta lata.
(J. Inglis Parsons. The Practitioner, Nr. 3, 1909.)
Parsons bekämpft die Ansicht, daß der Uterus durch den Becken¬
boden und den intraabdominalen Druck in seiner Stellung gehalten werde.
Zerrissene Dämme ohne Prolaps sind häufig, P. hat sogar eine Kranke mit
seit fünfzehn Jahren bestehenden Dammriß (bis ins Rektum), aber ohne
Prolaps, operiert. Andererseits beobachtet man Vorfälle bei Jungfrauen. Mag
der Beckenboden noch so gut repariert werden, er bietet keine Garantie
für Heilung des Prolapses.
Der intraabdominale Druck (oder richtiger : negative Druck) könnte
selbst dann, wenn er existierte, den Uterus nicht zurückhalten, denn die
Atmosphäre drückt nicht nur aufs Perinäum, sondern auch auf die größere
Fläche des Abdomens, würde also den prolabierten Uterus nicht in die Bauch¬
höhle treiben können. Der intraabdominale Druck existiert aber gar nicht,
wie schon daraus zu ersehen ist, daß die äußere Luft durch die Tuben mit
der Peritonealhöhle kommuniziert.
Seinen hauptsächlichen Halt bekommt der Uterus vom subperitonealen,
die Gefäße umgebenden Bindegewebe der Ligam. lata sowie von den ein¬
gestreuten Muskelfasern. Der haltende Strang verläuft von der Fascia ob-
turatoria zum Zervix.
Die Ventrofixation verwirft P. wegen ihrer üblen Folgen bei eintre-
tender Gravidität, nicht aber die Ventrosuspension nach Kelly. Eine idealere
Methode bestände indessen in der Verstärkung der Ligamenta lata. Eine
solche hat P. versucht, indem er Chinin injizierte, ausgehend von der Er-
1184
Referate und Besprechungen.
fahrung, daß nach subkutanen Chinininjektionen (gegen Malaria) eine Schwel¬
lung entsteht, die einige Monate anhält. Er injiziert eine Lösung von 1:5,
etwa 30 Tropfen auf jeder Seite, und hat in 150 Fällen nur dreimal Eiterung,
und zwar nur bei heruntergekommenen Frauen und ohne allen Schaden,
beobachtet. Die beste Zeit ist eine Woche nach Ablauf der Menstruation.
Fieber tritt nur ausnahmsweise, und dann erst nach dem sechsten Tage ein.
Nach der Injektion, die natürlich von der Scheide aus stattfindet, wird der
Uterus antevertiert und durch ein Stielpessar drei Tage in dieser Stellung
gehalten. In den ersten Tagen muß gewöhnlich katheterisiert werden, und
manchmal tritt leichte Zystitis auf. Bei der Nachuntersuchung nach zwei
oder drei Monaten kann man gewöhnlich fibröse Stränge in den Parametrien
fühlen.
Da der Zweck dieses Referats nur der ist, auf die neue Methode hin-
zuweisen, kann die genaue Beschreibung der Operation unterbleiben.
Die Bettlage muß nach der Operation mindestens zehn Tage eingehalten
werden, und weitere Schonung ist erforderlich, bis nach drei Monaten ein
Pessar nicht mehr getragen zu werden braucht. Nach sechs Monaten hat
das neue fibröse Gewebe seine volle Stärke erreicht. Dammrisse, wenn vor¬
handen, werden genäht (wodurch P. anerkennt, daß auch der Damm ein
wenig dazu beiträgt, den Uterus in seiner Lage zu halten).
Die Resultate der Injektionsbehandlung sind gut. Obgleich die schweren
Fälle in der Überzahl waren, blieben 75% dauernd geheilt und 20% gebessert.
Frühzeitig in Behandlung genommene Prolapse wurden so gut wie sämtlich
geheilt. Die Erfahrungen P.’s reichen elf Jahre zurück, und — was viel
heißen will — andere haben mit seinem Verfahren gleichgute Resultate er¬
reicht. Irgendwelche Störungen der Schwangerschaft erfolgen danach nicht.
Fr. von den Velden.
Sind Guellstifte so notwendig?
v. Herff (Zentralbl. für Gynäkologie, Nr. 41) betont, daß der Laminaria-
stift nicht zu den unbedingt erforderlichen Instrumenten des Gynäkologen
gehört; er meint, daß die Hegar’sche Erweiterungsmethode bei einfacher
Technik die Gefahr einer Schädigung auf ein Mindestmaß herabsetzt und
daß sie mit ganz vereinzelten Ausnahmen, z. B. etwa bei der Blasenmole
zum sicheren Erfolg führt. F. Kayser (Köln).
Kinderheilkunde und Säuglingsernährung.
Kreosot bei Säuglings-Diarrhoen.
(Dr. M. Ljaschenko, Charkoff. Prakt., Wratsch, Nr. 51, 1908.)
Das Kreosot ist nach L.’s Ansicht das energischeste Desinfiziens für
Magen und Darm der Säuglinge. Die besten Dienste leiste es bei allen akuten
Magen- und Darmkatarrhen, bei ,, Cholera“ infantum aber wirke es geradezu
als Spezifikum, das selbst in schwersten Fällen manchmal noch nützen könne.
Sehr gut sei die Wirkung auch bei den subakuten, von Erbrechen und Er¬
scheinungen der Darmfäulnis begleiteten Magen-Darmkatarrhen der Säuglinge,
ebenso bei allen chronischen Darmkatarrhen der kleinen Kinder (bis zum
2. Lebensjahre), namentlich wenn stinkende Durchfälle bestehen. Bei diesen
nichtakuten Erkrankungen wird das Mittel bloß 2 — 3 Tage lang gegeben;
so erziele man eine gründliche Desinfektion, wonach andere — antidiarrhoische
— Mittel angezeigt seien, die nun ausgezeichnet wirken sollen. Einjährige
Kinder bekommen 0,05 pro die, jüngere bloß 0,03 — 0,04 pro die. Am besten
bewähren sich dem Verfasser seit vielen Jahren folgende Rezepte: Kreosot.
0,2, Aqu. menth. pip., Mucil. Salep ää 50,0, Syrup. simpl. 25,0. S. 2stdl.
(8 mal tgl.) 1 Teelöffel. (Ijähr. Kind mit Cholera infant.) Ferner: Kreosot.
0,15, Aqu. dest. 100,0, Vini Cognac 15,0, Syr. cort. aurant. 25,0. S. 2stdl.
(8 mal tglß 1 Teelöffel. (Ijähr. Kind mit akutem Darmkatarrh.) Immer
Referate und Besprechungen.
1185
verordnet er Salzsäure als unterstützendes Mittel, und zwar: Acid. hydrochl.
dil. 0,5, Aqu. Melissae 100,0, Syr. simpl. 25,0, ebenfalls zu 1 Teelöffel 2stdl.,
jedoch derart, daß Kreosot und Salzsäure von einer Stunde zur anderen ab¬
wechseln. Ein Nachteil des Kreosots für die Kinderpraxis liegt in seinem:
Geruch und Geschmack, wohl ein guter Grund, das Mittel nur in Mixturen
zu verordnen. Zu vermeiden ist seine Anwendung vor allem bei Dysenterie,
wo es leicht Entzündung, also Ver s chlimtner ung hervorrufen kann; ebenso
bei allen follikulären Formen des Darmkatarrhs und bei subakuter und chroni¬
scher Kolitis. Dort aber, wo es angezeigt, scheint es dem Autor ein hervor¬
ragendes, zuweilen sogar lebensrettendes Medikament. Brecher (Meran).
Phosphor in der Therapie der Rachitis.
(J. A. Schab ad. Zeitschr. für klin. Med., Bd. 67, S. 454, 1909.)
Behandlung der Rachitis mit Lebertran, Phosphor und Kalk.
(J. A. Sch ab ad. Zeitschr. für klin. Med., Bd. 68, S. 94, 1909.)
Zwei rachitischen Knaben von 2 Jahren 1 Monat und von 4 Jahren
— zum Vergleich ein .ekzematöser, sonst gesunder vierjähriger — wurde bei
einseitiger Nahrung (Vollmilch, Weißbrot) Phosphorlebertran gereicht. Kalk
der Milch und des Brotes wurde vorher bestimmt. Sch. zieht aus seinen
Versuchsreihen nachstehende Schlußfolgerungen :
„1. Phosphor in therapeutischer Dosis läßt keinen Einfluß auf den Kalk¬
stoffwechsel gesunder Kinder erkennen, vergrößert aber den Kalkansatz bei
Rachitis.
2. Die Erhöhung des Kalkansatzes basiert auf verstärkter Resorption
und verminderter Kalkausscheidung durch Harn und Kot.
3. Die Erhöhung des Kalkansatzes tritt sehr schnell nach Beginn der
Phosphordarreichung ein, ist nach 3 — 51/2 Tagen schon stark bemerkbar und
sinkt nach Einstellung der Phosphorzufuhr sehr allmählich, so daß noch
nach zwei Monaten der Kalkansatz über der Norm steht (wenn der Phos¬
phor im Laufe von 21/2 Monaten eingeführt wurde).
4. Phosphor wirkt spezifisch auf rachitische Knochen und bringt ihren
Kalkgehalt der Norm näher.“
Der zweite Aufsatz erweitert die Sätze dahin, daß der Phosphorleber¬
tran bei Rachitischen die Retention des Kalks und des Phosphors der
Nahrung steigere, daß beide Bestandteile des Medikaments dazu beitragen,
weil Lebertran allein schwächer wirkt, und daß bei gleichzeitiger Anwendung
von Phosphorlebertran und einem Kalkpräparat, z. B. essigsaurem Kalk,
eine „gute“ Retention dieses anorganischen Kalkes stattfinde, der eine ent¬
sprechend vermehrte Retention von Phosphor aus der Nahrung parallel gehe.
H. Vieror dt (Tübingen).
Insuffizienz der Nebennieren bei Scharlach.
(V. Hutinel. Bull. m5d., Nr. 21, S. 247—250, 1909.)
Der vielerfahrene Arzt des Hopital des Enfants — Malades tadelte
es, daß wir bei Scharlach unser Augenmerk nur auf eine beschränkte1
Anzahl von Organen : Mandeln, Ohr, Herz, Nieren, Gelenke richten. Sein
Urteil: notre champ visuel est trop retreci trifft leider außer für Scharlach
auch noch für manche andere Situationen zu. In dem vorliegenden klinischen
Vortrag führt er eine Reihe von Erscheinungen auf Störungen in der Kapsel
der Nebennieren zurück: abnorme, hochgradige Asthenie, welche die kleine
Pat. regungslos im Bett liegen läßt, Störungen der Herztätigkeit, Leibschmer¬
zen, die an eine Cholezystitis denken lassen, braune Verfärbung der Haut,
welche dort, wo man mit dem Nagel darüber fährt, den Sergent’scheu
weißen Streifen zeigt.
Von Nebennierenextrakt oder von Adrenalin 1:1000 (morgens und
abends je sechs Tropfen) hat er gute Erfolge gesehen, betont aber, daß
75
1186
Referate und Besprechungen.
diese abnorm schweren Krankheitsbilder keineswegs immer von den Neben¬
nieren ausgelöst sein müssen, sondern ebensogut von der Hypophysis, dem
Pankreas und anderen Organen aus bedingt sein können. Buttersack (Berlin).
Aus der Kinderabteilung des Städtischen Krankenhauses in Wiesbaden.
lieber chronische Nephritis im Kindesalter.
(Dr. O. Aronade, Assistent, jetzt Kinderarzt in Kattowitz. Jahrb. für Kinder-
heilk., Juni 1909.)
Verfasser beschreibt einen Pall von chronischer Nephritis im Kindes¬
alter, der in seinem Verlaufe interessant ist. Er geht aus von den von Heub-
ner zuerst mitgeteilten Beobachtungen chronischer Nieren erkrankungen im
Kindesalter. Diese charakterisieren sich hauptsächlich durch das Pehlen,
aller Folgeerscheinungen, die die chronische Nephritis sonst nach sich zu
ziehen pflegt. Diese Form der chronischen Nephritis im Kindesalter ist durch
die Arbeiten zahlreicher Beobachter genügend klinisch erforscht, nicht jedoch
die andern parenchymatösen und interstitiellen Erkrankungen der kindlichen
Niere. Diese Lücke will die Studie des Verfassers ergänzen. Die Einzel¬
heiten des klinisch genau beobachteten Palles mögen im Original nachgelesen
werden. Es handelte sich um ein 70 Wochen lang in klinischer Behandlung
stehendes Kind, bei dem offenbar im Anschluß an Morbillen eine akute
Nephritis entstand, die sich zunächst besserte, später aber besonders durch
die Neigung des Kindes zu anginöser Erkrankung immer wieder exazerbierte.
Schließlich kam es unter dem Bilde der Urämie und der akuten Peritonitis
zum Exitus. A r o ma d e faßt dieses Ende als einen unglücklichen Zufall
auf, denn nach dem klinischen Bilde und dem anatomischen Befunde lag
kein Grund für diesen Abschluß nach seiner Meinung vor. Es fanden sich
nämlich bei der Sektion nur einige kleine, durch Atrophie der Harnkanäl¬
chen aus Bindegewebewucherung ausgezeichnete Stellen.
Drei während der Erkrankung auf getretene urämische Anfälle faßt
A. als Ausdruck einer schweren akuten parenchymatösen Nephritis auf, die
anatomisch so geringe Veränderungen hinterlassen hat, daß man eine Zeitlang
von einer Heilung in klinischem und anatomischem Sinne hätte sprechen
können. Die den Tod hervorrufende Peritonitis hält A. für eine Infektion,
die durch Überwanderung der Bakterien vom Darme ausging, da Durchfälle
bestanden. A. W. Bruck.
Aus der Universitätskinderklinik München. Direktor: Prof. M. Pfaundler.
Ueber einen seltenen Lähmungstypus nach Geburtstrauma.
(Dr. Theodor Gölt. Jahrb. für Kinderheilk., April 1909.)
Verfasser berichtet über einen Pall von Lähmung beim Neugeborenen.
Die Extraktion des Kindes kann seiner Meinung nach, ohne Verletzungen der
Wirbelsäule zu setzen, zu Gefäßzerreißungen innerhalb des Wirbelkanals, also
Blutergüssen ins Mark und seiner Häute, Veranlassung geben. Palls diese
nicht tödlich, kann es zu einem klinisch gut charakterisierten Bilde kommen.
Dies zeigt u. a. schlaffe Lähmungen der unteren Körperhälfte mit völliger
Atrophie der stärkst befallenen Muskeln, Pehlen der Reflexe, Blasenstörungen.
Meist führt eine Kolizystitis zum Exitus. A. W. Bruck.
Aus der anatomischen Anstalt in Breslau.
Der Icterus neonatorum.
(C. Hasse. Jahrb. für Kinderheilk., Juni 1909.)
Anatomische Studie mit folgenden Schlußergebnissen:
„Die normale Gelbsucht der Neugeborenen ist ein Stauungsikterus,
kommend und schwindend unter dem Einfluß der Zwerchfellstauung während
der ersten Lebenstage. Bei dem Niedergehen des Zwerchfells während der
Einatmung wird der schon vor der Atmung auf den Leberausführungsgängen
Referate und Besprechungen.
1187
und auf den Gefäßen, besonders der Pfortader, in und an der Leberpforte
bestehende normale Druck erhöht.“ Dadurch Gallenstauung und Aufnahme
derselben vom Körper. — Schwinden des übernormalen Drucks und der
Stauung infolge der durch die Atmung im weiteren Verlauf bewirkten Ab¬
schwellung der Leber und durch die Lageveränderungen, welche die Leber¬
pforte mit den darin gelagerten Gefäßen und Ausführungsgängen erfährt.
Damit erlischt der Ikterus. A. W. Bruck.
Psychiatrie und Neurologie.
Zur Pathologie der Medianus- und Ulnaris-Lähmung.
(M. Bernhardt u. M. Jondek. Med. Klinik, Nr. 4, 1909.)
In dem einen der beiden mitgeteilten Fälle handelt es sich um eine
Verletzung des Nervus medianus und ulnaris, die als Folge einer typischen
Fraktur der unteren Epiphysen des Radius und der Ulna cintrat. Der
Bruch selbst kam dadurch zustande, daß ein von dem Verletzten straff ge¬
haltenes Seil plötzlich bewegt wurde. Der Fall bietet insofern Interesse,
als die Beeinträchtigung der Funktion beider Nerven bei demselben Indivi¬
duum anscheinend bislang noch nicht beschrieben worden ist. Während
sonst die Prognose der Medianuslähmung durch Verletzung im allgemeinen
eine zweifelhafte ist, wurde im vorliegenden Falte durch elektrische Be¬
handlung eine vollkommene Wiederherstellung erzielt. Einzelheiten der Dia¬
gnose und Therapie müssen im Original eingesehen werden. — Der zweite
Fall betrifft eine Lähmung des Ulnaris als Spätfolge einer Ellenbogenver¬
letzung. Ein Arbeiter (Fräser) hatte als Knabe von 4 — 5 Jahren einen Bruch
im rechten Ellenbogengelenk erlitten, dann mehr als 30 Jahre gearbeitet.
Nachdem dann mehrere (4 — 5) Jahre hindurch Schmerzen in dem rechten
Unterarme bestanden hatten, die von dem Ellenbogengelenk ausgingen und
an der Ulnarseite des rechten Unterarms herabstrahlten, kam es zu einer
ausgeprägten Atrophie sämtlicher Mm. interossei und des Hypothenar, nebst
mangelhafter Fähigkeit, die Finger zu spreizen bezw. aneinander zu bringen,
— - Krallenstellung der Finger bestand nicht. Es besteht galvanische und
faradische Unerregbarkeit der genannten atrophischen Muskeln, während die
Muskeln der ulnaren und Beugeseite des rechten Vorderarmes auf faradische
Ströme nur wenig schwächer reagieren als links. — Der Mann hatte in den
letzten Jahren als sogenannter „Vorschlaghammer“ den rechten Arm und die
rechte Hand sehr angestrengt. — Wenn in solchen Fällen die Entfernung
der den Nerven schädigenden Knochen und Deformitäten nichts fruchtet
oder wo eine Trennung des Nerven vorhanden ist, soll man nach Sherren
die geschädigte Portion des Nerven entfernen und die Nervennaht machen,
•obwohl der Erfolg solchen Vorgehens immerhin doch zweifelhaft bleibt. —
Für das Ausbleiben der Krallenstellung der Finger, im vorliegenden Falle
wird die schon von Duchenne beschriebene Tatsache ins Feld führt, daß
die M. Lumbricales zum großen Teil vom N. Medianus innerviert werden
und ihre Funktion behalten können, während ein eigentliches Eintreten desi
N. Ulnaris für den Medianus vom Verf. weder in diesem noch in anderem
Fällen beobachtet worden ist. — Ferner beschreibt Bernhardt noch eine
teilweise Lähmung des Ulnaris, die durch Druck auf den Nerven am Hand¬
gelenk beim Radfahren infolge Festhaltens der Lenkstange besonders häufig
auf der linken Seite zustandekommt. Der mitgeteilte Fall betrifft einen
64jährigen Mann, bei dem eine Schwäche der vom Ulnaris versorgten kleinen
Handmuskeln (mit partieller Entartungsreaktion) beobachtet werden konnte.
— Die Prognose dieser Fälle ist günstig. R. Stüve (Osnabrück).
Tabes dorsalis im Geschlechtsleben der Frau.
(Peukert, Halle. Monatsschr. für Geburtsh. u. Gyn., Bd. 29, S. 141.)
P. berichtet über einen Fall von Tabes des ersten Stadiums nahe
.am Übergange zum zweiten in Kombination mit Gravidität, der bei der
75*
1188
Referate und Besprechungen.
relativen Seltenheit der Beobachtung nicht ohne Interesse ist. Die Haupt¬
symptome des Falles waren: in regelmäßigen Intervallen auftretende lanzi-
nierende Schmerzen mit Auftreten von Sugillationen am Ober- und Unter¬
schenkel, gastrische Krisen, Pupillenstarre, Fehlen der Patellarreflexe und
leichte Ataxie. Besonderes Interesse erheischen die gastrischen Krisen, die
leicht mit Hyperemesis gravidarum verwechselt werden können; von diffe¬
rentialdiagnostischer Bedeutung ist ihr Auftreten in mehrwöchentlichen
Intervallen die ganze Schwangerschaft hindurch und darüber hinaus. Die
bekannte Schmerzlosigkeit der Gehurt bei Tabes bestand in P.’s Falle eben¬
falls. Zum Schlüsse spricht P. sich noch besonders gegen die künstliche
Unterbrechung der Schwangerschaft bei Tabes aus, zu welcher man durch
die gastrischen Krisen leicht veranlaßt werden kann; ein ungünstiger Ein¬
fluß der Gravidität auf den Verlauf der Tabes konnte nicht festgestellt
werden. Auch das Geschick der Kinder scheint gegen die Unterbrechung
der Schwangerschaft zu sprechen. Frankenstein (Köln).
Ein Fall von Hirntumor bei Paralyse.
(Rühle. Zentralbl. für Nervenheilk. u. Psych., 1. Aprilheft, S. 233, 1909.)
Bei der Sektion fand sich ein Stirnhirntumor, der zu Lebzeiten klinisch
keinerlei Erscheinungen gemacht hatte. Mitteilungen über das Vorkommen
von Tumor cerebri neben progressiver Paralyse finden sich in der Literatur
äußerst spärlich. In dem vorliegenden Falle handelt es sich klinisch sicher
um progressive Paralyse. Auf den klinischen Verlauf der Paralyse dürfte
der Tumor kaum von Einfluß gewesen sein, dagegen hat R. den Eindruck
gewonDen, daß das histo-pathologische Bild durch den Tumor selbst einige
Modifikationen erfahren hat.
Der Tumor ging zweifellos von den weichen Hirnhäuten aus und ist
gewissermaßen als ein Adnex derselben zu betrachten. Bemerkenswert ist,
daß die Pia in unmittelbarer Nähe des Tumors fast frei ist von den typischen
Infiltrationszellen, die Bindegewebssepta im Tumor selbst zeigen außer zahl¬
reichen Mastzellen keinerlei ungewöhnliche zellige Elemente, die wenigen
Gefäße des Tumors sind nicht infiltriert. Es wäre wichtig, weitere Fälle
histologisch zu untersuchen, in welchen durch den Tumor die Gehirnsub¬
stanz selbst in Mitleidenschaft gezogen wird. Man müßte bei derartigen
Fällen darauf achten, ob die paralytische Gehirnveränderung im Bereich
der durch den Tumor geschädigten Teile eine ähnliche Beeinflussung erfährt,
wie in dem vorliegenden Falle. Koenig (Dalldorf).
Die Nachkommen von Paralytikern.
(G. Bai et. Acad. de Med., 27. April 1909.)
Entgegen der allgemeinen Meinung behauptet Balet, daß man die
Nachkommen von Pat. mit Dementia paralytica nicht als erblich belastet
ansehen dürfe. Diese Krankheit sei nichts weiter, als eine Folge der Syphilis
und nur in diesem Sinne zu bewerten. Er hat auf gut Glück 50 Kinder
von Paralytikern im Alter von 15 — 30 Jahren zusammengesucht und dar¬
unter ,,nur‘‘ zwei Epileptiker, zwei Personen, die an Zweifelsucht litten
und drei einfach Nervöse gefunden. Balet will damit die Bedeutungs¬
losigkeit der Krankheit der Väter illustrieren; aber man könnte ebensogut
diesen Prozentsatz von Anomalien im Nervengebiet abnorm Loch finden.
Buttersack (Berlin).
Zur Pathogenese der Migräne.
(L. Jacquet u. Jourdanet. Revue de Med., XXIX. Annee., Nr. 4, S. 271—291,
10. April 1909.)
Die Migräne ist ein Anfall (Krise) von Hyperästhesie der Hirnsub¬
stanz, insbesondere der Hirnrinde mit allerlei nervösen Irradiationen. Die
Anfälle werden ausgelöst durch Reize seitens der peripheren Organe, in erster
Referate und Besprechungen.
1189
Linie seitens des überlasteten Magen-Darmtraktus. Therapeutische Versuche,
einerseits die mechanische Überreizung des Magens (durch ganz langsames)
Kauen), andererseits die chemische (durch Entziehung aller Gewürze, Alkohol.
Kaffee usw.) zu vermeiden, haben durchweg günstige Resultate ergeben.
Natürlich kann die Hirnrinde auch noch anderswoher gereizt werden
(vom Genitalapparat, von den Augen, von der Leber aus) ; allein die Tachy-
phagie, das schnelle Hinabschlingen der Speisen ist jedenfalls einer der
wichtigsten ätiologischen Faktoren. Buttersack (Berlin).
Augenheilkunde.
Die Tuberkulintherapie in der Universitäts-Augenklinik zu Göttingen.
(Dr. Davids. Klin. Monatb. für Augenheilk., Heft 5, 1909.)
Bald nachdem Koch das Tuberkulin (das jetzige Alttuberkulin) der
Allgemeinheit übergab, ist es in der Augenheilkunde zu therapeutischen
Zwecken benutzt worden. Die Erfolge waren gut, doch waren lokale Reak¬
tion und Temperatursteigerung störende Nebenerscheinungen. Das Mittel
wurde deshalb allmählich nur mehr als Diagnostikum verwandt und hat sich
als solches bis auf den heutigen Tag bewährt. Therapeutische Erfolge er¬
zielte man dann mit dem T. R., aber hierbei sind nach Hippels Erfah¬
rungen nach anfänglich prompter Heilung manchmal Rezidive gefolgt. Des¬
halb wurde auf Kochs Veranlassung die Bazillenemulsion angewandt, die
bisher vor Rezidiven geschützt hat, nebenbei auch wesentlich billiger ist.
(1 ccm = 1,25 Mk. gegen 8,50 Mk. bei Tuberkulin.) Man beginnt je nach
dem Alter und dem Kräftezustand des Kranken mit Viooo oder 1/50o mg
Trockensubstanz. Tritt nach der ersten Injektion keine Reaktion auf, so
steigt man alle zwei Tage um 1/500 mg. Von IO/50o steigt man jedesmal'
um Vöo mg bis io/ö0 mg und dann weiter um 1/5 oder auch um V10 mg bis
zu 1 mg. „Trat im Verlauf der therapeutischen Injektionen eine Reaktion
auf, so spritzten wir nicht gleich weiter, sondern warteten 1—2 Tage, bis
die Erscheinungen vollständig vorüber waren. Sodann wandten wir nicht
die nächsthöhere Dosis an, sondern nochmals dieselbe, die die Reaktion hervor¬
rief. Im allgemeinen nahmen wir eine Reaktion an, wenn die Temperatur
über 37,5° stieg. Wir richteten uns bei der Dosierung aber nicht nur nach
der Temperatur, sondern auch nach den anderen Symptomen, wie Kopfschmerzen,
Mattigkeit, Abnahme des Körpergewichts usw. Auch bei lokaler Reaktion am
Auge übten wir größere Vorsicht und gaben lieber dieselbe Dosis noch
einmal als eine höhere.“
Über die Dauer der Kur läßt sich natürlich nichts Bestimmtes sagen.
Zu warnen ist vor einer zu kurzen Behandlung. Nach v. Hippel müssen
die Injektionen bei Augenkranken so lange fortgesetzt werden, bis alle
Tuberkelknötchen durch Narbengewebe ersetzt sind, die Schwellung und
Vaskularisation der Iris sich zurückgebildet hat, Präzipitate an der Hinter¬
fläche der Hornhaut und Glaskörpertrübungen verschwunden sind.
Referent, der selbst sehr gute Erfolge mit Tuberkulin bei Iristuber¬
kulose zu verzeichnen hat, möchte für statistische Zusammenstellungen die
Bemerkung nicht unterdrücken, daß es sicher bei Augentuberkulose auch
Spontanheilungen gibt. Enslin (Brandenburg a/H.).
Heber die praktische Tragweite der Schädigungen des Auges durch
leuchtende und ultraviolette Strahlen.
(Prof. Dr. Best, Dresden. Klin. Monatb. für Augenheilk., Heft 5, 1909.)
Nach einer Reihe theoretischer Arbeiten der letzten Jahre über die
schädigende Wirkung ultravioletter Strahlen auf das Auge sind auch prak¬
tische Angaben von Schutzgläsern gefolgt, die die nicht sichtbaren Strahlen
resorbieren. Es wird nun aber die Netzhaut im gewöhnlichen Leben nur
von sichtbaren Strahlen getroffen, die ultravioletten werden durch Horn-
1190
Referate und Besprechungen.
haut und besonders Linse größtenteils abgehalten. So ist auch die Ery-
thropsie nach Schneeblendung Und die Retinaerkrankung durch Blendung mit
direktem Sonnenlichte die Folge allzu stark einwirkender sichtbarer Strahlen ;
denn ein die ultravioletten Strahlen abhaltendes Gelbglas schützte nicht da¬
vor, wie B. durch Versuche am eigenen Körper nachweisen konnte.
j4uch die Theorie, daß Starbildung beim Menschen die Folge chronischer
Einwirkung ultravioletter Strahlen sein kann, ist nicht bewiesen. Wir wissen
über die chronische Einwirkung ultravioletter Strahlen nichts, und die ex¬
perimentelle Kataraktentwickelung beim Tier durch vorübergehende intensive
Bestrahlung mit ultravioletten Strahlen beweist nichts für die chronische
Einwirkung beim Menschen. Wenn konzentrierte Bestrahlung mit Ultra¬
violett die Linse trübt, so kann doch das unter gewöhnlichen Bedingungen
vorkommende Maß vollständig ohne Einfluß, vielleicht sogar zweckmäs¬
sig sein.
Aber auch bei den modernen Lichtquellen kommt unter gewöhnlichen Ver¬
hältnissen eine übermäßige Einwirkung ultravioletter Strahlen nicht in Frage.
Denn die Beschwerden beim Arbeiten neben einer intensiv hellen Lampe datieren
zum größten Teil von dem starken Unterschied an Licht neben der Lampe
und im übrigen Zimmer. Der häufige Adaptationswechsel ist störend und
unbehaglich ; dieselbe Lampe im hellen Tageslicht angezündet, ruft keine
Beschwerden hervor.
Am angenehmsten ist die indirekte gleichmäßige Zimmerbeleuchtung.
Daß durch künstliche Beleuchtung Starbildung ausgelöst werden kann, ist
ganz unwahrscheinlich; denn wie viel mehr ultraviolette Strahlen aus der
Sonne treffen beharrlich unsere Augen, als solche aus künstlichen Licht¬
quellen. Aus alledem erhellt also auch, daß Gläser, die nur ultraviolette
Strahlen abhalten, zwecklos sind. Am besten sind hellgraue Schutzbrillen^
die den ganzen Strahlenbereich abschlwächen, also für Touren im Hoch¬
gebirge, bei Arbeiten an der Bogenlampe und auch bei allen Erkrankungen:
des Auges.
Referent möchte hinzufügen, daß es dabei durchaus nicht auf die
Dunkelheit der Gläser ankommt; im Gegenteil genügt gewöhnlich eine leichte
Graunuanzierung, um alle Blendung auszuschließen, ohne daß das Auge
dabei dunkel adaptiert wird. Geschieht dies, so ist der Kontrast beim Ab¬
nehmen des Glases auch im blendenden Tageslicht nicht störend.
Enslin (Brandenburg a/H.).
Weitere Untersuchungen über die Aetiologie des Trachoms.
(E. Bertarelli u. E. Cecchetto, Parma. Zentralbl. für Bakt., Bd. 50, H. 1.)
Beim Menschen trachom ' beobachteten Verfasser oft zelluläre Verände¬
rungen des Bindehautepithels, die bei dieser Erkrankung eine besondere)
Häufigkeit — ohne spezifisch zu sein — aufweisen. Man kann und darf
diese Veränderungen nicht mit den verschiedenen Momenten einer zyklischen
Entwicklung des Parasiten in Zusammenhang bringen. — Außerdem beobach¬
teten sie granulöse Gebilde verschiedener Größe, die als parasitäre Elemente
wenigstens vermutet werden können. Schürmann.
Zwei Fälle von Bulbusruptur mit subkonjunktivaler Linsenluxation und
Herausschleuderung der Linse aus dem Auge.
(Adolf Rupp. Wiener klin. Rundschau, Nr. 35 — 37, 1908.)
Die subkonjunktivalen Luxationen der Linse sind keine alltäglichen
Vorkommnisse. Der Verf . hat ' zwei solcher Fälle erlebt. Einmal war ein
49 jähriger KJnecht von einem Ochsen ins Auge gestoßen, die Linse war
luxiert und lag unter de|r unverletzten Konjunktiva. Nach Ent¬
fernung der bereits kataraktös veränderten Linse erfolgte glatte Heilung. —
Der zweite Fall betrifft eine 73jährige Patientin, der vor sechs Jahren ein
Holzsplitter in das Auge geschleudert war. Hier war ein Riß in der Kon-
Referate und Besprechungen.
1191
junktiva entstanden, durch den die Linse herausgeschlüpft war. Auch
diese schwere Verletzung heilte trotz M angels aller therapeutischer Ma߬
nahmen vollständig aus. — Ein Überblick über die in der Literatur ver-
zeichneten Verwundungen ähnlicher Art vervollständigt die interessante
Arbeit. Steyerthal-Kleinen.
Hautkrankheiten und Syphilis. — Krankheiten der Harn- und
Geschlechtsorgane.
Papulo-erosive Syphilide in Mund ‘ und Schlund mit Nachweisung von
Spirochaete pallida neun Jahre nach der Infektion.
(Dr. Ludwig Nielsen. Monatsh. für prakt. Derm., Bd. 48, Nr. 2.)
Nach Fourniers Erfahrungen sind sekundäre Syphilide der Schleimhaut
fast immer nur oberflächlicher Natur und rein erosiven Charakters; papulo-
erosiver Typus, viele Jahre nach der Infektion, mit ungewöhnlicher Lokalisa¬
tion auf Gaumenbögen und Tonsillen, und mit Spirochätenbefund gehört zu
den Seltenheiten. Nielsen berichtet von einem Patienten, der April und Mai
1900 wegen eines Lues-Rezidivs (Papeln am Penis und Anus, Adenitis univer-
salis, Papeln auf Tonsillen, Gaumenbögen, Innenseite der Wange und linkem
Zungenrand, Larynxkatarrh und Leukoderma colli) im Kopenhagener Kom¬
munehospital eine Schmierkur absolviert hatte. Lange Jahre frei von Er¬
scheinungen wurde Patient September 1908 im Friedrichsberg-Hospital auf¬
genommen. Auf beiden vorderen Gaumenbögen, auf beiden Tonsillen auf
die hinteren Gaumenbögen übergehend, links an der Unterfläche der Zunge
finden sich mehrere typische, erbsengroße, leicht erhabene Papeln mit schar¬
fen bogenförmigen Konturen und gräulicher erodierter Oberfläche, ein Paar
konfluierte Papeln an der Innenseite der Unterlippe. Im Abgeschabten von
den Papeln im Schlunde und auf der Zunge wurden typische Spirochaete
pallidae nachgewiesen. Das Wieder auf treten der Papeln auf fast denselben
Stellen wie vor 8V2 Jahren macht es wahrscheinlich, daß sich die Spirochäten
die ganzen Jahre über latent gehalten haben. Nach Eournier soll das Auf¬
treten erosiver Syphilide später ,als 10 Jahre nach der Infektion zu den
Seltenheiten gehören; er erwähnt nun 2 Fälle, die im 16. und 18. Jahre
nach der Ansteckung beobachtet wurden. Nielsen beobachtete in seiner*
Praxis 2 Fälle von erosiven papulösen Syphiliden der Mundhöhle 11 rsp.
13 Jahre nach der Infektion, von denen der eine immer dann ein Rezidiv
hatte, wenn er zu rauchen anfing. Der Nachweis der Spirochaete pallida im;
mitgeteilten Falle beiweist die hohe Ansteckungsgefahr derartiger tardiven,
sekundären Syphilide, wie auch von Fournier sicher konstatierte Fälle von
Ansteckung durch solche Formen zwischen dem vierten und sechsten Jahre
nach der Infektion und noch später beobachtet und mitgeteilt sind.
Carl Grünbaum (Berlin).
Aus Statens Seruminstitut (Laboratoriumdirektor: Dr. med. Th. Madsen) und der
4. Abteilung des Kommunehospitals zu Kopenhagen (Oberarzt: Dr. med. C. Rasch).
Die Bedeutung der Wassermann’schen Reaktion für die Therapie der Syphilis.
(Harald Boas. Berl. klin. Wochenschr., Nr. 13, 1909.)
Während der Wert der Wassermann’schen Reaktion für die Diagnose
allgemein anerkannt ist, sind die Ansichten der Autoren über die Bedeutung
der Reaktion für die Therapie poch geteilt. Citron, Besser, B lasch' Ido
behaupten, daß die Behandlung so lange fortgeführt werden muß, bis die
positive Reaktion verschwindet, und daß die Behandlung wieder aufgenommen
werden muß, sobald wieder positive Reaktion auftritt, während andererseits
Much, Bruhns und Halberstaedter der Ansicht sind, daß positive Reak¬
tion nach einer gut geleiteten Behandlung ohne Bedeutung ist. Um zu ent¬
scheiden, welche Behandlung die überlegene ist, dürfte es sich deshalb emp¬
fehlen, eine vergleichende Untersuchungsreihe anzustellen derart, daß eine
i
1192 Referate und Besprechungen.
Reihe von Patienten durch längere Zeit beobachtet und dann immer von
neuem behandelt werden, sobald die Reaktion positiv ist, eine andere
Reihe Patienten, unabhängig von der Serumdiagnose, chronisch intermittie¬
rend behandelt werden. Boas hat unter dem großen Material der 4. Abtei¬
lung des Kommunehospitals in Kopenhagen 82 Fälle sekundärer Syphilis
längere Zeit beobachtet. Während vor der Behandlung alle positiv reagier¬
ten, boten nach der Behandlung 76 keine Reaktion, 6 blieben positiv. Von
diesen letzteren entzog sich 1 Fall der Beobachtung, die 5 übrigen bekamen
alle innerhalb eines Monats naeh der Behandlung ein Rezidiv, während von
den 76 nur 3 innerhalb des gleichen Zeitraumes rezidi vierten. Die Reaktion
schwindet allgemein nur nach Quecksilber und zwar bei sekundären und
tertiären Erscheinungen häufig schon nach 15 — 20 Einreibungen, ohne daß
man jedoch deshalb die Behandlung' schließen darf. Denn die Reaktion
kann selbst bei schnellem Rückgänge der Symptome bestehen bleiben und
umgekehrt beim Bestehen der Symptome schwinden. Bei sehr schweren Er¬
scheinungen, die der Behandlung schwer zugänglich sind, bleibt die Reak¬
tion lange bestehen. Beginnt die Behandlung bei bestehender Induration
ohne sekundäre Erscheinungen, so schwindet die Reaktion um so schneller,
je früher man mit der Behandlung begonnen hat.
Von 65 nach der Behandlung beobachteten Patienten — - deren Krank¬
heit in den ersten 3 Jahren lag — ohne Reaktion boten 62 nach 1 — 2 Mona¬
ten — 8 mit gleichzeitigem Rezidiv — wieder positive Reaktion. Von den
übrigen 54 wurden 19 nicht behandelt und bekamen alle spätestens IV2
Monate nach Konstatierung der positiven Reaktion ein Rezidiv, zu einer
Zeit, wo sie nach der gewöhnlichen Behandlungsmethode nicht behandelt
werden sollten, die übrigen 35 wurden sofort behandelt, sobald die Reaktion
positiv war und blieben rezidivfrei.
Über die späteren Stadien der Krankheit herrscht einerseits die An¬
schauung, daß eine positive Reaktion einen aktiven syphilitischen Prozeß
anzeigt, während andere meinen, daß der positive Befund nur amdeutet,
daß Patient einmal Syphilis gehabt, da in vielen Fällen klinische Erschei¬
nungen nicht konstatiert werden können. Dem hält Boas einige eklatante
Beobachtungen entgegen. B ei 2 Patienten mit positiver Reaktion viele Jahre
nach der Infektion wurde durch Röntgenaufnahme bei dem einen ein Aneu¬
rysma, bei dem anderen eine diffuse Ektasie der Aorta konstatiert, bei 2
anderen Patienten mit positiver Reaktion viele Jahre nach der Infektion
ergab die Autopsie eine typische syphilitische Aortitis und ein kleines
Aneurysma.
Aus den Untersuchungen von Boas geht hervor, daß positive Wasser-
mann’sche Reaktion nach einer gut durchgeführten Kur ein schnelles Rezidiv
verheißt. In den ersten Jahren nach der Ansteckung kann man durch
monatliche Serumuntersuchung und nach positivem Resultate durch eine ev.
sofort eingeleitete Kur ein Rezidiv verhindern. Vielleicht gelingt es auch
durch jahrelang fortgesetzte Serumuntersuchungen und eine dem Unter¬
suchungsbefunde angepaßte Behandlung schweren Ausbrüchen der Krank¬
heit vorzubeugen. Carl Grünbaum (Berlin).
Vergiftungen.
Die Lorchelintoxikation.
(Dr. Elis Lövegren, Helsingfors (Finnland). Jahrb. für Kinderheilk., April 1909.)
Verfasser berichtet über seine Erfahrungen bei Vergiftung mit Mor¬
cheln = Lorcheln. Als typisch für eine tötlich verlaufene Intoxikation
hält er folgendes Krankheitsbild :
Ein fünfjähriges Mädchen beginnt etwa vier Stunden nach einer reich¬
lichen Morchelmahlzeit Leibschmerzen zu fühlen; acht Stunden später stellt
sich anhaltendes Erbrechen ein, die Schmerzen lassen nach, aber es tritt eine
immer mehr zunehmende Mattigkeit ein. Etwa 36 Stunden nach dem Ge-
Referate und Besprechungen.
1193
nuß der Morcheln wird das Kind bewußtlos, stößt gellende Schreie aus.
Einige Stunden später wird langsame, ungleichmäßige Respiration konstatiert,
tonische Krämpfe an den Extremitäten und im Nacken; erweiterte, reaktions¬
lose Pupillen, leichter Ikterus, schwacher, rascher Puls. Der tonische Krampf
nimmt zu, der Puls wird immer schlechter, und 53 Stunden nach der Morchel-
imahlzeit ist Patientin tot.
Die Sektion ergibt meist ausgedehnte Blutungen in verschiedenen Or¬
ganen. Die Veränderungen in den Nieren sind denen am meisten ähnlich,
die Heubner bei Nephritis nach Diphtherie fand.
Verfasser empfiehlt zur Vermeidung der Vergiftung : alle Morcheln
vor ihrer Zubereitung gründlich abzubrühen und das Wasser, womit dies
geschah, zu entfernen. Die von v. Jaksch ausgesprochene Kontrolle der
zum Verkauf kommenden Morcheln hält er für undurchführbar.
Therapeutisch empfiehlt Lövegren selbstverständlich Entfernung der
Pilzreste aus Magen und Darmkanal. Zugleich ist Kochsalz subkutan oder
noch besser intravenös zu geben. Sonst symptomatische Behandlung.
A. W. Bruck.
Stark beschreibt einen interessanten Fall von Vergiftung mit Brom,
das eine 35jährige, im neunten Monat gravide Frau während einer Nacht
in der Menge von 17 g nahm. Am andern Morgen halb komatöser Zustand,
eine ganz charakteristische Aphasie, die erst allmählich am dritten Tage
wich, verzögerte Atmung, Herz, Pupillen und Sensibilität intakt. Die Er¬
innerung an die Vergiftung war völlig geschwunden. Die Geburt verlief
gut: ein gesundes Kind. (Les nouveaux remedes 5/1909.) v. Schnizer (Danzig).
Aly Beifadel berichtet von einer Petroleum Vergiftung bei einem
1V2 jährigen Kinde, das etwa 40 g Petroleum genommen hatte. Der Puls
war auf 48 gefallen, während die Respiration auf 60 gestiegen war. Weiter¬
hin : Kalte, trockene Haut, spärliche, hochgestellte Urine, scheinbare Kon¬
stipation, völlige bukkopharyngeale Lähmung. Vomitive erfolglos. Außer¬
dem Koffein, Benzoe und drei Löffel Rizinus, auf die wohl infolge der Läh¬
mung des Darmkanals nur zwei ganz spärliche Entleerungen erfolgten. Dank
häufiger Purgative und Milchdiät nach einigen Tagen Wiederherstellung.
(Les nouveaux remedes 5/1909.) v. Schnizer (Danzig).
Olschanetzki berichtet von einer Branntweinvergiftung eines sieben¬
jährigen Kindes, das einige Stunden nach dem Genuß von 1V2 Gläschen
Branntwein in einen komatösen Zustand verfiel, mit bleichem Gesicht, be¬
schleunigter Atmung und 150 fadenförmigen Pulsen. Nach Ipecacuanha Er¬
brechen von Alkohol. Temperatur am nächsten Tage 39°. Injektionen von
Kampferöl, Koffein und Magenspülungen blieben erfolglos, erst die Injektion
von 300 und kurz darauf 200 ccm physiologischer CINa- Lösung regte die
Tätigkeit der Nieren an und brachte Besserung. Der Harn enthielt dann
2% Eiweiß. (Les nouveaux remedes Nr. 5/1909.) v. Schnizer (Danzig).
Medikamentöse Therapie.
Zur internen Therapie der Syphilis.
'Von Dr. Emil Winter, Spezialarzt für Haut- und Harnleiden, Cliarlottenburg.
Als Behandlungsmethoden der Syphilis behaupten bei uns in Deutschland
immer noch die Schmier- und Spritzkur das Feld, während man in England, Frank¬
reich und Amerika schon seit Jahren fast vorwiegend innere Mittel anwendet.
Die zahlreichen Mängel, die den bei uns üblichen Kuren noch anhaften, erklären
das Bedürfnis und das Verlangen nach einer Methode, die bequem, unauffällig,
schmerzlos und sicher die luetischen Erscheinungen beseitigt. Diese Bedingungen
erfüllt ein gutes Präparat, das ohne Funktionsstörungen hervorzurufen, innerlich
verabreicht wird und gleichzeitig die Sicherheit bietet, energisch auf die Krankheit
1194
Referate und Besprechungen.
einzuwirken. In diesem Sinne verdient das von der Firma Riedel in den Handel
gebrachte Mergal Beachtung, über das sich bereits eine ansehnliche Literatur an¬
gesammelt hat. Boß, Ehr mann, v. Zeißl, Höhne, Leistikow und viele andere
haben eingehende Versuche sowohl in der Privatpraxis als auch in Kliniken an¬
gestellt und sind durchweg zu günstigen Resultaten gelangt. Zunächst kommt in
erster Linie in Betracht, daß Mergal keine Magen-Darmläsionen hervorruft und
in Mengen von 8 bis 10 bis 12 Kapseln pro die anstandslos genommen wird.
Aber auch die zweite wichtige Bedingung, die an ein gutes Antisyphiliticum gestellt
werden muß, erfüllt das Mittel glänzend, nämlich die prompte Wirkung auf die
Krankheitserscheinungen. Das in Frage stehende Präparat kommt in dünnen,
elastischen Kapseln auf den Markt, von denen jede 0,05 Hydrarg. choli-c. oxydat
und 0,1 Albumin tannic. enthält. Bezüglich der Dosierung besteht die Vorschrift,
in den ersten Tagen 3 mal täglich 1 Kapsel zu verabreichen, nach zirka <5 — 6 Tagen
jedoch auf 6, 8 und 10 Kapseln pro die zu steigen, was 8 — 12 Wochen fortgesetzt
werden muß, um frühzeitige Rezidive zu vermeiden. Nach diesen Prinzipien habe
ich mehrere Fälle von Lues mit Mergal behandelt und möchte in folgendem kurz
über meine Versuche berichten:
Fall 1. J. W., 25 J., stud. Infektion vor l1/ 2 Jahren. 2 Spritzkuren, 1 Schmier¬
kur. Seit 8 Tagen Schmerzen im Hals und auf der Zunge. 2. Januar 1908: Status:
Auf beiden Tonsillen Plaques, auf der Zunge einige Papeln. Therapie: 3 mal täglich
1 Kapsel Mergal. 8. Januar 1908: Status idem. Kapseln werden gut vertragen.
Jetzt 3 mal täglich 2 Kapseln. 15. Januar 1908: Darmtätigkeit etwas beschleunigt,
sonst keinerlei Beschwerden. Plaques abgeblaßt, Papeln noch sichtbar. 25. Januar
1908: Plaques und Papeln verschwunden. Patient nimmt vorläufig 8 mal täglich
2 Kapseln weiter.
Fall 2. Fr., 39. J. Infektion vor 4 Jahren. 2 Schmier- und 2 Spritzkuren.
Seit 14 Tagen Ausschlag an beiden Beinen, der jeder Behandlung trotzt. 8. Februar
1908: Status: An beiden Nates, sowie Ober- und Unterschenkeln ein stark nässen¬
des ulcerös-syphilitisclies Exanthem. Haut mäßig ödematös. Therapie: 3 mal täg¬
lich 1 Kapsel Mergal. Lokal Zinkpuder. 15. Februar 1908: Krankheitsbild un¬
verändert. Mergal wird gut vertragen. 3 mal täglich 2 Kapseln. 25. Februar 1908:
Linkes Bein völlig trocken. Rechtes Bein noch etwas angeschwollen. Einige
ulceröse Stellen stark nässend. 4 mal täglich 2 Kapseln. 29. März 1908: Befund
sehr gut. Patient ist völlig beschwerdefrei. Geheilt entlassen.
Fall 3. L., 31 J. Infektion November 1907. 1 Spritzkur. Seit einigen
Tagen Schmerzen im Hals und auf der Zunge. 14. Februar 1908: Status: Papeln
auf der Zunge, auf der rechten Tonsille Plaques. Rechte Submaxillardrüse ange¬
schwollen. Therapie: 3 mal täglich 1 Kapsel Mergal. 19. Februar 1908: Sub¬
maxillardrüse ist kleiner geworden. Schluckbeschwerden geringer. Keine Magen-
Darmstörungen. 3 mal täglich 2 Kapseln. 29. Februar 1908: Keine Schmerzen
mehr. Drüse klein, Papeln und Plaques kaum zu sehen. 10. März 1908: Erschei¬
nungen sind ganz zurückgegangen. Patient nimmt 3 mal täglich 2 Kapseln weiter.
Fall 4. Fr. S., 43 J. Infektion vor 7 Jahren. 2 Schmierkuren. Seit einiger
Zeit Geschwür am Bein, das nicht heilen will. 9. März 1908: Status: Am linken
Unterschenkel ein Markstückgroßes zerfallendes Gumma. Therapie: Jodkali und
Mergal. 8. April 1908: An Stelle des Gumma kleine Narbe. Patientin ist geheilt,
hat Mergal gerne genommen und gut vertragen.
Fall 5. A. W., 39 J. Infektion vor 3 Jahren. 3 Kuren. Seit einiger Zeit
Geschwüre an den Genitalien. 5. April 1908: Status: Rings um den Vorhautrand, der
leicht angeschwollen ist, zahlreiche stark eiternde Rhagaden. Am scrotum mehrere
Papeln. Therapie: Lokal Zinkpuder, 3 mal täglich 1 Kapsel Mergal. 11. April 1908:
Sekretion hat schon nachgelassen, 3 mal täglich 2 Kapseln. 28. April 1908: Prae-
putium glatt, Papeln verschwunden. Keine Störungen durch Mergal, 3 mal täg¬
lich 2 Kapseln werden weiter genommen.
Fall 6. G. Sch., 41 J. Infektion vor 10 Jahren. 2 Schmierkuren, 1 Spritz¬
kur. Seit einigen Wochen Schmerzen im Hals. 25. Juni 1908: Am weichen Gaumen
za. Pfennigstückgroßes Gumma, ebenso an der hinteren Rachenwand. Therapie:
Jodkali. 30. Juni 1908: Gummata sind größer. Jodkali und Mergal. 6. August 1908:
Kapseln bekommen gut. Patient ist beschwerdefrei, beide Gummata glatt vernarbt.
Fall 7. R., 19 J. Infektion vor 1/2 Jahr, 1 Spritzkur. Seit einigen Tagen
Geschwüre an den Genitalien, Schmerzen beim Schlucken. 6. August 1908: Status:
Am Praeputium 2 nässende Papeln, auf den Tonsillen Plaques. Therapie: Mergal.
25. August 1908: Keine luetischen Erscheinungen mehr zu sehen, Mergal wird an¬
standslos vertragen und weiter genommen.
Referate und Besprechungen.
1195
Ich habe also, wie aus vorstehendem zu ersehen ist, Mer gal verordnet bei
männlichen und weiblichen Patienten, bei sekundärer und tertiärer Lues, bei
kräftigen und auch schwächlichen Individuen und war erstaunt, wie gerne es ge¬
nommen und vor allem, wie gut es durchweg vom Magendarmkanal vertragen wurde.
Nur in einem Falle ist über etwas vermehrte Stuhlentleerung berichtet, die jedoch
keineswegs als Diarrhoe bezeichnet werden kann. Die sekundären Erscheinungen
schwanden durchweg nach 14 Tagen bis 8 Wochen und bei Lues III unterstützte
das verabreichte Mer gal sichtlich die Wirkung des Jodkali. Auf die Mundpflege
muß natürlich, wie bei jeder Hg-Kur große Sorgfalt verwendet werden, und auch
in der Diät ist Vorsicht zu empfehlen. Die Ernährung soll reichlich und kräftig,
aber reizlos für den Darm sein, wobei nach Möglichkeit frisches Obst, Säuren,
Salate, scharfe Gewürze und fette Speisen zu vermeiden sind. Im übrigen soll
der Patient ein ruhiges, solides Leben führen, für genügend Schlaf und peinliche
Haut- und Körperpflege sorgen. Wenn auf alle diese Dinge streng geachtet wird,
ist die Behandlung mit Mergal nicht im geringsten angreifend, und der Patient
geht in keiner Weise geschwächt aus der Kur hervor. Empfehlenswert ist natürlich
auch eine gleichzeitige lokale Therapie, um im Interesse einer rascheren Heilung
die Mergal Wirkung zu unterstützen.
Zum Schlüsse kann ich daher nur das wiederholen, Avas vor mir schon
andere durch genaue Untersuchungen festgestellt haben, daß das Mergal ent¬
schieden eine willkommene Bereicherung unseres Arzneischatzes
bildet und wir in ihm ein ausgezeichnetes internes An tisy philiticum
haben, das namentlich in bezug auf die intermittierende Hg-Therapie
höchste Beachtung Arerdient. Denn seine prompte Wirkung, leichte
Dosierbarkeit, das Fehlen jeglichen Reizes auf den Darm und vor
allem die diskrete Durchführung der Kur sichern ihm den ersten
Platz unter den innerlichen Merkurpräparaten.
Ueber klinische Versuche und Erfahrungen mit Bromglidine.
(Altvater. Münchener med. Wochenschr., Nr. 36, 1909.)
Im Bromglidine ist das Brom organisch an PflanzeneBveiß und zwar an
Lezithineiweiß gebunden. Es stellt ein bräunliches Pulver von leichtbitterem Ge¬
schmack dar, das in Tablettenform in den Handel kommt. Jede Tablette enthält
0,05 gr Brom. Verordnet Avurden zwischen 4 — 14 Tabletten am Tag. Aehnlich Avie
bei den geAvöhnlichen Bromsalzen findet auch beim Bromglidine eine Anreicherung
mit Brom im Körper statt. Leichtere Fälle von Epilepsie wurden günstig beeinflußt,
auch wenn die geAvöhnliche Diät nicht zugunsten einer kochsalzarmen Amrändert
wurde, außerdem Avar der Autor mit seinen Erfolgen bei den funktionellen Neu¬
rosen mit der Darreichung von Bromglidine zufrieden. Neumann.
Zwei Digitalisfragen aus der Praxis. I.
(Focke, Düsseldorf. Med. Klinik, Nr. 25, 1909.)
Focke hat durch Versuche festgestellt, daß man durch einen mäßigen
Spirituszusatz zu einem Digitalisinfus eine Haltbarkeit von einer für prak¬
tische ZAvecke beliebigen Dauer erzielen kann. Im übrigen sprechen seine
Erfahrungen für die Annahme, daß der Alkoholzusatz auch die Wirkungs¬
schnelligkeit erhöht. Es scheint ihm der reine Spiritus mehr' empfehlens¬
wert zu sein, als der Spir. e vino. Die Mischung mit Kognak schmeckt
vielen, nicht nur weiblichen Patienten, keineswegs angenehm, während der
Geschmack des reinen Spiritus bei 3 — 7% wenig und nur in angenehmer.
Weise bemerkt wird.
Nachdem er fast zwei Jahre hindurch, im Winter und Sommer, den
Zusatz von etwa 5% Spiritus zu 100 oder 150 ccm Infus zu vollster Zufrie¬
denheit der Patienten benutzt hat, glaubt er sagen zu dürfen, daß er alle
Anforderungen erfüllt, die man bezüglich Einfachheit, Verbesserung der Wir¬
kungsschnelligkeit, Geschmack und Haltbarkeit stellen darf. Bei einem be¬
sonders empfindlichen Magen setzte er behufs Neutralisation außer dem
Spiritus noch Natrium carbonicum 0,02 hinzu. Neumann.
1196
Referate und Besprechungen.
Röntgenologie und physikalische Heilmethoden.
Ein neues Meßgerät für die Röntgentechnik.
(G. Werner, Frankfurt a. M. Klin.-therapeut. Wochenschr., Nr. 11, 1909.)
Während wir hei allen Einrichtungen zur Anwendung elektrischer
Energie als Heilmittel Meßinstrumente besitzen, welche uns die systematische
Dosierung der angewandten Energiemengen ermöglichen, fehlen uns auf dem
großen Anwendungsgebiet der Röntgenstrahlen derartige Meßinstrumente als
Wegweiser vollständig. Das vereinzelt derartig verwendete Milliamperemeter
ist in seinen Angaben überaus unzuverlässig, sowohl wegen seines Konstruk¬
tionsprinzips, wie wegen der veränderlichen Zusammensetzung des passierenden
Stromes, dessen Richtung häufig wechselt; das Instrument zeigt nur den An¬
schlag, der dem Stärkeunterschied der negativen Stromimpulse gegenüber den
positiven entspricht. Man hat daher Meßinstrumente konstruiert, in denen
die Wirkungen der positiven und negativen Stromwellen nicht subtrahiert,
sondern addiert werden, die daher besonders für Wechselstrom bestimmt
sind; ihr Zeigerausschlag ist von der Stromrichtung unabhängig. Durch
Serienschaltung dieses Instruments mit einem Drehspul-Milliamperemeter, wie
sie in der von Hartmann und Braun, Frankfurt a. M., erzeugten Instru¬
mentenkombination, einer elektrischen und mechanischen Verbindung von Ver¬
teilungsanzeiger und Strommesser, vorliegt, ermöglicht sowohl eine Beurteilung
der Härte mehrerer Röhren, als auch eine Beobachtung der Änderung des
Härtegrades während des Betriebes ; gleichzeitig ist es ein hochempfindlicher
Schließungslichtdetektor, so daß mittels des Instrumentariums alle Betriebs-
feliler und -abweichungen unzweideutig und rechtzeitig erkannt werden kön¬
nen. Die Möglichkeit, durch seinen Gebrauch die Röhren zu schonen und
die Lieferung zahlenmäßiger Angaben sind überaus schätzbare Vorteile des
Instrumentariums. Peters (Eisenach).
Radium bei Oesophagus-Karzinom.
(Guisez u. Barcat. Soc. med. des höpit., 2. April 1909. — Bull, med., S. 326, 1909.)
Bei fünf Patienten mit histologisch nachgewiesenen Speiseröhrenkrebsen
haben die beiden Ärzte Sonden, die mit Radiumbromid armiert waren, ein¬
geführt und in mehreren Sitzungen je 4 — 5 Stunden liegen lassen. Bei
allen sind die subjektiven und objektiven Erscheinungen verschwunden; für
wie lange, muß die Zukunft lehren. Buttersack (Berlin).
Beobachtungen über den therapeutischen Wert des Radiums und seine
Anwendung.
(J. M. H. Macleod. The Practitioner, Nr. 5, 1909.)
M. faßt seine Erfahrungen dahin zusammen, daß Ulcus rodens mit gutem
Erfolg, allerdings zuweilen mit Rezidiv, mit Radium behandelt wird. Nicht
so entschieden wirkt Radium auf Hautepitheliome, noch weniger auf Epi¬
theliome der Schleimhäute. Naevi vasculosi werden mit Radium besser be¬
seitigt, als auf irgend eine andere Weise. Bei tiefer sitzenden Krebsen ver¬
sagt das Radium, bei der Hauttuberkulose Treten fast immer Rezidive ein.
Die Arbeit enthält ausführliche Mitteilungen über die Anwendungsweise
des Radiums, die sich zum Referate nicht eignen. Fr. von den Velden.
Kombinierte Radium- und Elektrolyse-Behandlung bei Nävi.
(Foveau de Courmelles. Acad. des Sciences. Prog. med., Nr. 24, S. 811, 1909.)
Will man Naevi mit Radium zum Verschwinden bringen, so braucht
man 1500000 Einheiten. Wenn man jedoch die Naevi zuerst mit Elektrolyse
behandelt, dann genügt ein Firnis von 0,005 g Radiumbromid auf 100000,
um nach 3 — 4 Tagen die Geschwulst als dicke Borke abfallen zu lassen.
Buttersack (Berlin).
Bücherschau.
1197
Bücherschau.
Medizinische Diagnostik. Ein Leitfaden zur bakteriologischen, chemischen
und mikroskopischen Untersuchung menschlicher Sekrete und Exkrete.
Von C. S. Engel. Verlag von G. Thieme, Leipzig. 361 S. 8 Mk.
Noch ist die Zeit nicht allzu lange her, wo die bakteriologische, chemische
und mikroskopische Untersuchung der Sekrete und Exkrete in der allgemeinen
Praxis sich äußerst einfach gestaltete. Die rastlos vorwärts schreitende Wissen¬
schaft hat auch hierin Wandel geschaffen, und was früher dem Spezialisten Vor¬
behalten war, wurde vereinfacht und ein Gemeingut aller Praktiker. Wie lange
wird es dauern und einfache Verfahren machen es möglich, auch die Wasser-
mann’sche Beaktion in der Sprechstunde auszuführen. Jedenfalls ist aber eine
genaue Kenntnis dieser und anderer komplizierter diagnostischer Untersuchungs¬
methoden für keinen Arzt mehr zu entbehren und er kann sich diese Kenntnisse an
der Hand des vorliegenden Buches, das sich sehr bescheiden ein Leitfaden nennt,
in vorzüglicher Weise aneignen. Gerade der Umstand, daß der Autor die Ergeb¬
nisse seiner so beliebten und stets zahlreich besuchten Fortbildungskurse dem Buche
zugrunde gelegt hat, macht es für die Praxis wertvoll. Theoretische Betrachtungen
treten in ihm gegenüber der praktischen Durchführung zurück, wobei die Schwierig¬
keiten bei der Beurteilung der einzelnen Reaktionen die gebührende Berück¬
sichtigung finden. Zahlreiche Abbildungen im Text ermöglichen in erwünschter
Weise einen Vergleich mit den gefundenen Ergebnissen. R.
Zoologisches Wörterbuch. Erklärung der zoologischen Fachausdrücke.
Zum Gebrauch beim Studium zoologischer, entwickelungsgeschichtlicher
und naturphilosophischer Werke. Herausgegeben von Prof. E. Ziegler.
Dritte (Schluß-) Lieferung.
Das hervorragende Werk, das wir bereits beim Erscheinen der ersten Liefe¬
rung (S. 755, 1907) nach Gebühr gewürdigt haben, liegt nunmehr vollendet vor,
645 Seiten stark mit 529 Abbildungen, in prächtiger Ausstattung. Daß es trotzdem
nur 10 Mark (gebunden) kostet, ist wie schon früher erwähnt, der Munifizenz des
verstorbenen Geheimrats Krupp zu danken. Das der ersten Lieferung gespendete
Lob gilt in vollem Maße auch für das ganze Werk. Für eine zweite Auflage, die
sicher bald notwendig sein wird, wäre es wünschenswert, wenn die für die mensch¬
liche Pathologie in Betracht kommenden tierischen Lebewesen noch eingehender
berücksichtigt würden. Auch wäre es vielleicht zweckmäßig, die gebräuchlichen
Abkürzungen der Autornamen aufzunehmen. W. Guttmann.
Moderne Säuglingsfürsorge. Von Eugen Schlesinger, Straßburg.
Straßburg 1909. 2,80 Mk.
Der Verfasser spricht über die Größe undUrsache der Säuglingssterblichkeit.
Als vornehmstes Mittel zu ihrer Bekämpfung bezeichnet er die Stillpropaganda.
Der Mutterschutz habe sich nicht nur mit der Fürsorge für Wöchnerinnen, sondern
auch für Schwangere zu beschäftigen. Ein Kapitel ist der Frage von der
Gewinnung einwandfreier Kuhmilch zur künstlichen Ernährung des Säuglings
gewidmet. Den Milchküchen, Säuglingsheilstätten, Kinderpolikliniken und Krippen
wendet S. besondere Aufmerksamkeit zu. Eine eigene Fürsorgestelle für uneheliche
und Kostkinder, für arme und verlassene Säuglinge fordert er. Trotzdem schon
viel geschehen sei, kein statistisch nachweisbares allgemeines Sinken der Säuglings¬
sterblichkeit. S. verlangt am Schlüsse seines Buches Übernahme der Einrichtungen
zum Wohle der Säuglinge aus den Händen der Vereine in städtische Verwaltung und
Beteiligung des Staates zur Ermöglichung großzügiger Aktionen. Reiss (München).
Frühdiagnose und Tuberkulose-Immunität. Ein Lehrbuch für Ärzte und
Studierende. Von Dr. A. Wolf f-Eisner. Zweite vermehrte Auflage.
Würzburg, C. Kabitzsch, 1909. 10 Mk.
Das Buch behandelt hauptsächlich die Tuberkulindiagnose und in erster
Linie die Lokal-Tuberkulinreaktionen. Indessen ist anzuerkennen, daß die übrigen
1198
Bücherschau.
Methoden, namentlich die klinische Untersuchung, eingehend berücksichtigt werden.
Auch die Röntgendurchleuchtung wird ausführlich erörtert, während die Methoden der
Sputum-Untersuchung, trotz der ihr von W.-E. zugesprochenen praktischen Bedeutung,
etwas vernachlässigt sind; die neueren Vervollkommnungen der Technik wären
noch zu berücksichtigen. Die Bedeutung der Lymphozyten für die Diagnose ist
eingehend gewürdigt. Die Inoscopie und die Agglutinationsmethode finden
Anerkennung, während die Komplementbindungsmethode, die Opsoninbestimmung und
die Kobragift-Methode vorläufig noch keine praktisch brauchbaren Resultate geben.
Bei Besprechung der lokalen Tuberkulinreaktionen wird die Bedeutung der
v. Pirqu et’schen Kutanreaktion voll anerkannt. Die Konjunktivalreaktion wird
gegen die zahlreichen Angriffe in Schutz genommen: die von ihr herrührenden
Schädigungen werden auf mangelhafte Technik, ungeeignete Tuberkulin-Präparate
usw. zurückgeführt. Die nach subkutaner Tuberkulininjektion auftretenden Schäden
werden dagegen besonders hervorgehoben. Die lokalen Tuberkulinreaktionen
ermöglichen eben, mit geringen Ausnahmen, das Vermeiden einer Allgemeinreaktion.
Zudem zeigt die subkutane Tuberkulinprobe unterschiedlos aktive wie inaktive
Prozesse an, während die Konjunktialreaktion nur aktive Tuberkulose aufdeckt.
Andererseits wird zugestanden, daß der Kutanreaktion die größere prognostische
Bedeutung zukommt.
Die weiteren Abschnitte des Buches enthalten interessante Abhandlungen
über das Wesen der Tuberkuline, die als grundsätzlich gleichartig hingestellt
werden, weil sie alle durch die in ihnen enthaltenen Tuberkelbazillensplitter wirken
— über das Wesen der Tuberkulinimmunität, über die Prognosestellung und die
Bedeutung der lokalen Tuberkulinreaktionen in sozialer Hinsicht sowie für die
Heilstättenfrage. Gerade hierfür ist die Entscheidung, ob eine aktive oder inaktive
Tuberkulose vorliegt, von größter Wichtigkeit: die Aufnahme in die Heilstätte
sollte davon abhängig gemacht werden, ob aktive Tuberkulose besteht oder nicht,
und die Statistik der Heilstättenerfolge sollte dies berücksichtigen.
Sobotta (Reiboldsgrün).
Der Wintersport; vom ärztlichen Standpunkt aus beleuchtet. Von A. Nolda,
St. Moritz. Leipzig-Berlin-München-Paris, Grethlein & Co., 1909. 50 S.
Ähnlich wie im Mittelalter die Kirche alles, was das Leben mit sich bringt,
in ihren Kreis zu ziehen bestrebt war, ähnlich verfährt heutzutage die Gesundheits¬
pflege. Die Fragen, ob etwas gut oder schön oder edel sei, treten zurück hinter
der anderen, ob es gesund, bekömmlich sei, wobei ein paar gebrochene Rippen oder
luxierte Gelenke (S. 21) weiter nicht in Anschlag gebracht werden.
Das vorliegende Heftchen beschreibt die Technik, Vergnügungen und Rekord¬
leistungen beim Rodeln, Tobogganing, Luging, Bobsleighfahren, Bobsleighing, beim
Rennwolffahren, Skilaufen, Skikjöring, Skisegeln, Dandy, Hockey, Curling, und da
es außerdem auch von prinzlichen Sportsleuten und von prachtvollen Toiletten und
dergleichen handelt, so paßt es nicht blos für das Vorzimmer des Arztes, sondern
ebenso gut für die Salons mondainer Damen. Buttersack (Berlin.)
Abhärtung und Erkältung. Von A. Kühn, Rostock. Berliner Klinik,
21. Jahrg., Heft 248, Februar 1909. 32 S. 60 Pfg.
Ein anspruchsloser, in liebenswürdigem Vortrag gemachter Versuch, die
bakteriologischen und die physiologischen Gesichtspunkte zu vereinigen. Zumeist
sind es, so ungefähr ist der Gedankengang, die Mikroorganismen, welche die Krank¬
heit hervorrufen, aber nur, wenn die natürliche Widerstandskraft herabgesetzt ist.
Eine gelegentliche, vorübergehende, wenn auch energische Abkühlung bewirkt aber
solch eine Herabsetzung keineswegs, erhöht vielmehr reaktiv die Resistenz,
wenigstens beim Durchschnittsmenschen.
Anders verhält sich die Sache bei Personen mit geschwächtem Reaktions¬
apparat, oder bei langdauernder Abkühlung, auf welche sich der Organismus nicht
einstellen kann. Diese Verhältnisse sind übrigens höchst variabel und individuell,
und angesichts dieser physiologischen Tatsache erscheinen die z. B. üblichen Ab¬
härtungsversuche mit kalten Duschen, Luftbädern usw. irrationell. Es muß eben
jeder sehen, wie viel er seinem Reaktionsapparat zumuten darf. Rationelle Lebens¬
führung und möglichstes Fernhalten von Infektionsgelegenheiten schützt am besten
vor Erkältungen, wie vor anderen Erkrankungen.
Für Abhärtungsapostel sind Kühn’s Ausführungen lesens- und beherzigenswert.
_ Buttersack (Berlin).
Krankenpflege und ärztliche Technik.
1199
Krankenpflege und ärztliche Technik.
Kastenklappstuhl
nach Dr. Gmelin.
D. R.-G.-M. D. R.-P. angemeldet.
Der Kastenklappstuhl ist eine Art tragbare Liegehalle. Er vermeidet
also die Nachteile sowohl der großen Liegehalle, in der viele Menschen
zusammengedrängt sind und sich leicht stören, die weder gegen Südwind
Schutz bietet, noch der Morgen- und Abendsonne Zutritt gestattet, wie
die des einfachen Liegestuhls, der weder Sonne, noch Wind und Regen
abhält. Er unterscheidet sich von allen ähnlichen älteren Konstruktionen
dadurch, daß der Kasten, in den der Stuhl eingebaut ist, dicht schließt.
Der Stuhl ist also nach Regen sofort wieder benutzbar und leidet nicht
durch Nässe, während alle korbartigen Liegestühle tagelang naß bleiben,
rasch sich abnutzen und daher viel Reparatur erfordern. Der Kasten ist
auf Holzrahmen gebaut, mit starken verzinkten Metallfüllungen versehen
und mit Ölfarbe gestrichen. Weit ausgreifende Streben sichern eine feste
Stellung. An seitlichen Griffen läßt sich der Kasten bequem heben; das
Gewicht beträgt ca. 35 kg.
Der Klappstuhl selbst besteht aus drei Holzrahmen, die durch Schar¬
niere verbunden und mit Rohrgeflecht bespannt sind. Sämtliche Beschläge
sind verzinkt. Nach Öffnung der Tür wird der Stuhl mit einem Griff her¬
ausgezogen und stellt sich sofort fest. Die Unterstützungsfläche schmiegt
sich der Körperform an.
Zum Schutz für die Augen ist eine selbsttätig sich auf stellende Jalousie,
an den Seiten eine Armlehne angebracht.
Die Innenseite der Tür ist zur Aufbewahrung von Büchern und Zei¬
tungen zu benutzen. Auch lassen sich Decken und Mäntel, die zur Liege¬
kur gebraucht werden, im Innern unterbringen.
Der Stuhl ist verwendbar am Meer wie im Binnenland, im Sana¬
torium und Krankenhaus wie in der Privatpraxis.
In der Rekonvaleszenz nach schweren Krankheiten, bei Lungen¬
leiden und Blutarmut, Herzschwäche und Nervosität, wird er große Dienste
leisten, da er überall Ruhe mit dem Genuß der frischen Luft zu verbin¬
den erlaubt.
Der Kastenklappstuhl wird hergestellt von der Korbfabrik CI. Elvers
in Büsum (Holstein).
Der Preis beträgt M. 65. — Anstalten erhalten bei größerer Ab¬
nahme Rabatt.
Leicht auswechselbare Elektroden.
Dr. Würth von Würthenau, Stabsarzt an der Wilhelms-Heilanstalt, Wiesbaden.
Häufig schon ist es mir aufgefallen, daß mit den Elektroden meist
solange elektrisiert wird, bis der Hirschlederüberzug unansehnlich und un¬
brauchbar 'geworden ist, da das Wechseln des Überzugs mit mehr oder
weniger Schwierigkeiten verbunden ist.
Eine solche Elektrode wandert von Körper zu Körper, wird
täglich unansehnlicher und ist in ästhetischer Hinsicht in den
Augen des Arztes und noch mehr eines sensiblen Kranken ein
Greuel, nach der heutigjen Ansicht auch in hygienischer Hin¬
sicht zu beanstanden.
Dies veranlaßte mich, der Konstruktion einer Elektrode näher zu treten,
welche es leicht ermöglicht, bei jedem Kranken schnell eine frisch über¬
zogene, einwandfreie Elektrode zu verwenden, ohne daß das Wechseln des
Überzuges dem Arzte besondere Mühe und Kosten verursacht.
1200
Krankenpflege und ärztliche Technik.
Sg.<
3 I
o
5\g."b.
Nach verschiedenen Entwürfen und Proben habe ich beistehendes Modell
gewählt, daß ich nunmehr seit Jahresfrist in Betrieb habe, das sich in der
Praxis bewährt hat und allen Anforderungen gerecht wird.
Die Elektrode Fig. a besteht aus einem
Elektrodenhalter Fig. b und einem Elek¬
trodenkopf Fig. c.
Der Elektrodenhalter Fig. b empfängt
in der bisher üblichen Weise den Strom
durch Anschluß der Verbindungsschnur.
Vorn endet der Halter in einem Metall¬
rohr, das seitlich einen Schlitz k besitzt.
Der Elektrodenkopf Fig. c besteht aus
einer Metallplatte d in deren Mitte ein
runder Metallstab e abgeht, im Durch¬
messer entsprechend der Lichtung des
Rohres vom Elektrodenhalter. Der Metall¬
stab besitzt in der Nähe seines freien
Endes eine kleine Nase f, die so groß ist,
daß sie in den seitlichen Schlitz des Rohres
vom Halter paßt und eine Drehung der
Elektrodenplatte verhindert.
Eine zweite nur wenig kleinere, gekrümmte Metallplatte g mit zen¬
tralem Loch, durch welches der Metallstab e hindurchführt, kann durch eine
Mutterschraube h, deren zugehöriges Gewinde sich am Metallstab e befindet,
auf die Elektrodenplatte d fest angedrückt werden. Zwischen die beiden
Flächen der Metallplatten werden die Enden eines über die feste Elektroden¬
platte gelegten Stoffüberzuges i festgeklemmt.
Die Metallplatten d und g erhalten je nach ihrer Bestimmung die ge¬
wünschte Form und Größe, viereckig oder rund, groß oder klein. An Stelle
der Metallplatten können auch pinsel- oder bürstenförmige, auswechselbare)
Metallelektroden treten.
Der zum Elektrisieren durch Überziehen mit Stoff fertig gemachte Elek¬
trodenkopf wird nun einfach in den Elektrodenhalter eingeschoben. Der
Kopf kann im weiteren schnell, ohne Mühe und ohne Zeitaufwand durch einen
kleineren oder größeren, oder auch durch einen pinsel- oder walzenförmigen
ersetzt werden. Vor allen Dingen fällt das sonst übliche zeitraubende und
lästige Abschrauben der Elektrode weg, da der Halter einmal angeschraubt,
dauernd liegen bleiben kann. Bei genügendem Vorrat von Elektrodenköpfen
kann jeder Kranke stets mit anderen, frischen, nicht gebrauchten Elektroden
elektrisiert wlerden. Die Köpfe werden beiseite gelegt und die Überzüge
derselben außerhalb der Sprechstunde gewechselt. Die Überzüge sind wasch-
und sterilisierbar. Für sensible Kranke können eigene Elektrodenköpfe bereit
gehalten werden. Das Wechseln des Überzugs selbst erfordert bei einiger
Übung höchstens 1/2 Minute Zeit Und geschieht in der Weise, daß die Schrauben¬
mutter h gelockert und die lose Platte g hochgehoben wird. Der alte Überzug
wird abgenommen, der neue um die feststehende Elektrodenplatte d gelegt,
die freien Enden des Überzuges mit den Fingern etwas zurückgelegt und durch
die bewegliche Platte g mit der Schraubenmutter h wieder festgedrückt.
Die Elektrode hat also den Vorteil, daß der Elektrodenhalter
mit oder ohne Stromunterbrecher dauernd an dem Leitungsdraht liegen
bleibt, daß jeder gewünschte Elektrodeükopf , ohne den geringsten
Zeitverlust ausgewechselt werden kann und daß der gebrauchte
wasch- und sterilisierbare Überzug leicht un,d bequem durch einen
neuen zu ersetzen ist.
Diese auswechselbaren Elektroden werden von den Veifa -Werken Frank¬
furt a. M., Mainzerlandstr. 148 angefertigt.
Schriftleitung: Dr. Rigler in Leipzig.
Druck von Emil Herrmann senior in Leipzig.
27. Jahrgang.
1909.
Tortscbritte der medizin.
Unter Mitwirkung hervorragender Fachmänner
herausgegeben von
Professor Dr, 0. Köster Prio.-Doz. Dr. o. Criegern
in Leipzig. in Leipzig.
Schriftleitung: Dr. Rigler in Leipzig.
Nr. 32.
Erscheint am 10., 20., 30. jeden Monats. Preis halbjährlich
6 Mark, in kl. Zeitschrift für Yersicherungsmedizin 8 Mark.
Verlag von Georg Thieme, Leipzig.
20. Nov.
Originalarbeiten und Sammelberichte.
Ueber schlecht gedeihende Brustkinder.
Von Prof. Dr. Martin Thiemich, Magdeburg.
Nach einem Vortrage in der medizinischen Gesellschaft zu Magdeburg.
(Schluß.)
Der Versuch, solche Kinder schon nach den ersten Lebenswochen
zu entwöhnen, sei es wegen der mangelhaften Gewichtszunahme, sei
es weil die exsudativen Symptome fälschlich einer ungeeigneten oder
fehlerhaften Beschaffenheit der Mutter- oder Ammenmilch zur Last
gelegt werden, bereitet gewöhnlich sehr große Schwierigkeiten oder
schlägt gänzlich fehl. Auf die Störungen des Fettstoffwechsels habe
ich schon hingewiesen. Bei künstlicher Ernährung macht sich dies
sehr bald, auch bei vorsichtiger Dosierung der Kuh- oder Ziegenmilch,
durch das Auftreten von Seifenstühlen bemerkbar ; die Toleranzbreite
für das Fett jeder Tiermilch ist so gering, daß man schnell zur Zugabe
reichlicher Kohlehydratmengen schreiten muß, wenn man das Kind
nicht dauernd unterernähren will. Man setzt dadurch das Kind allen
Nachteilen und Gefahren einer frühzeitigen Kohlehydratüberernährung
aus. Es ist darum notwendig, im Falle des Bestehens einer exsudativen
Diathese die Ernährung an der Brust mindestens während der ersten
Lebensmonate auch dann durchzuführen, wenn gar keine oder nur sehr
geringe Gewichtszunahmen erzielt werden.
Handelt es sich um ein nicht von der Mutter, sondern von einer
Amme gestilltes Kind, so wird häufig ein Ammenwechsel vorgenommen.
Ob zwar theoretisch zuzugeben ist, daß die Milch verschiedener Frauen
einen individuell verschieden hohen Fettgehalt besitzt, welcher auch
durch Änderungen in der Ernährung der Stillenden nicht wesentlich
und für die Dauer geändert werden kann, und obwohl zweitens eine
fettärmere Frauenmilch einer fettreicheren vorzuziehen wäre, so er¬
scheint ein Ammenwechsel als eine sehr unsichere und unter allen
Umständen entbehrliche Maßnahme. Denn erstens erfahren wir nur
durch sehr mühsame, längere Zeit fortgesetzte Untersuchungen den
individuellen Fettgehalt der Milch der etwa neu zu wählenden Amme,
und zweitens können wir beim Kinde durch einfache Beschränkung
der Nahrungsmengen (Verlängerung der Pausen, Verkürzung der Trink¬
zeiten) dessen tägliche Fettaufnahme auf das zulässige Maß herunter¬
drücken.
76
1202
Martin Thiemich,
Als Beispiel eines derartigen Balles führe ich
Ihnen eins unserer Ammenkinder vor, dessen Ge¬
wichtskurve Figur 4 a darstellt. Das Kind ist am
12. Lebenstage mit einem Körpergewicht von 3800 g
in die Anstalt aufgenommen. Trotz unbeschränkter
und, wie Sie sehen, ausreichender Nahrungsmengen
kam das Körpergewicht während der ersten vier
Wochen nicht vorwärts, schon in der zweiten Auf¬
enthaltswoche zeigt die auf Figur 4 b auf gezeichnete
Temperaturkurve fast tägliche Anstiege bis 38,3,
während gleichzeitig am Kinde ein leichter Schnup¬
fen und gelegentlich auch Husten zu bemerken sind.
Bereits im Alter von fünf Wochen entwickelt sich
ein in der Folgezeit zunehmendes Wangenekzem.
Die Ausleerungen waren während des größten Teils der Krankenhausbeobach-
Fig. 4b.
tung leicht dyspeptisch, auch als später eine leidliche Gewichtszunahme
einsetzte.
Eine längere Beobachtungszeit als bei diesem Kinde, welches nach
dem Verlassen der Anstalt aus Mägdeburg fortgezogen ist, haben wir
z. B. bei folgendem Kinde, welches nicht im Krankenhause, sondern
nur in der Beratungsstunde beobachtet wurde.
Das am 4. September 1908 als 8. Kind gesunder Eltern geborene Kind
wurde am 1. Oktober mit einem Körpergewicht von 4800 g erstmalig vor¬
gestellt. Außer einem geringen Ikterus neonatorum, welcher schon stark im
Ablassen war, war an dem großen, kräftigen Kinde nichts krankhaftes zu
bemerken. Trotz ausschließlicher Ernährung an der Brust der Mutter, welche
Fig. 5.
jedes ihrer früheren Kinder fast zwei Jahre lang gestillt hatte, war bei
diesem Kinde der Ernährungserfolg, den wir in etwa 14 tägigen Pausen mit
der Wage kontrollierten, so gering, daß das Gewicht am 12. November auch
nur 4800 g, und am 31. Dezember erst 5160 g betrug. In dieser ganzen Zeit
hatte das Kind unter Bronchitiden, zeitweilig auch unter Schnupfen und
Appetitlosigkeit zu leiden, im Alter von etwa 2 Monaten entwickelte sich
außerdem ein Wangen ekzem von übrigens mäßiger Ausdehnung. Den Er¬
nährungsgang dieses Kindes stellt Figur 5 dar.
Die beiden angeführten Beispiele, die sich aus unserm Beobach¬
tungsmaterial leicht vervielfachen ließen, mögen ausreichen, Ihnen die
Körpergewichtsverhältnisse vieler exsudativer Kinder zu veranschau¬
lichen. Ich will nur hinzufügen, daß sich keineswegs alle exsudativen
Kinder in dieser Beziehung gleich verhalten. Nicht ganz wenige zeich-
Fig. 4 a.
Ueber schlecht gedeihende Brustkinder.
1203
nen sich, worauf Czerny sehr eindringlich hingewiesen hat, von An¬
fang an durch sehr starken Fettansatz und abnorm hohe Gewichts¬
zunahmen aus. Bei ihnen nehmen gewöhnlich die ekzematösen Haut¬
erkrankungen und vielfach auch die Schleimhautkatarrhe schwerere
Formen an. Czerny vermutet auch bei diesen schnell fett werdenden,
dabei gewöhnlich blassen und infolgedessen pastös erscheinenden Indi¬
viduen das Bestehen einer Anomalie im Fettstoffwechsel.
Im Anschluß an die infolge ihrer exsudativen Diathese schlecht
gedeihenden Brustkinder möchte ich Ihnen eine Beobachtung aus unserer
Abteilung vorführen (Fig. 6), in welcher der Gewichtsstillstand monate¬
lang gedauert hat.
Fig. 6.
Das Kind wurde als erstes Kind einer gesunden Mutter am 25. November
1908 geboren und am 7. Dezember mit einem Körpergewicht von 3070 g als
Ammenkind aufgenommen. Es war ein zierliches, blasses, besonders im Ver¬
gleich mit der ungewöhnlich stattlichen und blühend aussehenden Mutter
dürftiges Kindchen. Da die Nahrungsmengen bei anfangs 5 täglichen Mahl¬
zeiten nur etwa Vio des Körpergewichts betrugen, wurde die Zahl der Mahl¬
zeiten auf 6 erhöht, wobei die Nahrungsmengen allmählich auf durchschnitt¬
lich Vc des Körpergewichts stiegen. Trotzdem, und trotz guter Beschaffen¬
heit der Stühle stieg das Körpergewicht nicht. Am 6. November wurden
deshalb einmal 120 ccm Malzsuppe verabreicht. Danach erfolgte heftiges
Erbrechen. Als sich dies nach der gleichen Malzsuppenmenge am nächsten
Tage wiederholte, wurde der Versuch aufgegeben. Trotz ansteigender, wenn
auch von Tag zu Tag erheblich schwankender Nahrungsmengen dauerte der
Gewichtsstillstand fort. Belativ besser wurde ein zweiter Versuch, dem
Kinde kohlehydratreiche Beikost in Form von Holländischer Säuglings¬
nahrung zuzuführen, vertragen. Vom 4. bis 22. Februar erhielt das Kind
neben 5 Brustmahlzeiten einmal täglich eine halbe Flasche (125 ccm) der
Vilbeler Buttermilch-Konserve, die gut genommen und nie erbrochen wurde.
In dieser Zeit erfolgte ein allerdings bescheidener Gewichtsanstieg von 3060
auf 3230 g, also um kaum 10 g pro Tag. Da, wie aus der Kurve ersicht¬
lich ist, schon vor Beginn der Buttermilchernährung eine geringe Gewichts¬
zunahme eingesetzt hatte, so wurde, um den Einfluß der Kohlehydratebei-
kost strenger beurteilen zu können, am 22. Februar das Allaittement mixte
'aufgegeben und zwar mit dem Erfolge, daß das Körpergewicht sofort, wenn
76*
1204
Martin Thiemich,
auch unbedeutend sank und bis zum 13. März, dem Tage der Entlassung,
erst wieder 3200 g erreichte. Während dieser langen Beobachtungszeit hat
das Kind nur an drei Tagen (8., 14., 19. Dezember 1908) Temperaturanstiege
bis 38,0° gezeigt, sonst war die Temperatur stets normal und überschritt nie
37,5°. Die Hiaut des Kindes wies niemals außer einigen kleinsten, rasch
abheilenden Furunkeln am Hinterkopfe, irgend welche Unreinheiten auf.
Auch von seiten der Schleimhäute zeigten sich keine Krankheitserscheinungen,
trotzdem während dieser Wintermonate zahlreiche Kinder mit infektiösen
Erkrankungen der Luftwege auf der Station behandelt wurden. Die v. Pir-
quet’sche Reaktion blieb bei ^wiederholten Untersuchungen stets negativ,
ebenso wie die einmal angestellte Wasse r m an Asche Reaktion. Bemerken
will ich noch, daß die aus sorgfältigen Probeentnahmen im Laufe eines Tages
gesammelte Mischmilch der Mutter einen Fettgehalt von 3,5% und einen
Eiweißgehalt1) von 1,3% auf wies. Trotz prinzipieller Bedenken hätte ich
in diesem Falle eines so lange dauernden Gewichtsstillstandes, wie ich ihn
sonst weder aus der Literatur noch aus meiner persönlichen Erfahrung in
Erinnerung habe, von der in der Anstalt gebotenen Gelegenheit eines Ammen¬
wechsels Gebrauch gemacht, wenn nicht die um das Kind sehr besorgte
Mutter diesen Versuch abgelehnt hätte.
Höchst interessant ist nun das weitere Verhalten des Kindes! nach
seiner Entlassung. Wie Sie aus der Kurve ersehen, steigt das Körpergewicht
von da an, als das Kind von einer Pflegefrau künstlich ernährt wurde, rasch
an und zwar nicht nur kurze Zeit, sondern monatelang in gleichmäßig be¬
friedigender Weise, trotzdem das Kind in der Pflegestelle vielfach unter
zahlreichen kleinen Furunkeln an verschiedenen Körperstellen laborierte. Die
Ernährung wurde von der Pflegefrau angeblich mit Milch und Haferschleim
durchgeführt, doch ist es wahrscheinlich, daß das Kind außerdem, wenigstens
sehr bald Zwieback und Gries, jedenfalls eine ziemlich kohlehydratreiche
Nahrung bekommen hat.
Ich habe diese eigenartige Beobachtung ausführlich mit geteilt,
muß aber bekennen, daß ich nicht imstande bin, eine befriedigende Er¬
klärung dafür zu geben. Bisher haben sich an dem Kinde keine exsu¬
dativen Symptome gezeigt. Nur mit Vorsicht darf ich die Vermutung
aussprechen, daß auch hier eine Störung des Fettstoff Wechsels vor¬
liegt. Dafür spricht erstens das relativ bessere Gedeihen bei Butter¬
milch zufütterung und später in der Außenpflege, zweitens die Be¬
schaffenheit der Stühle während des Aufenthaltes im Krankenhause.
Dieselben erfolgten gewöhnlich ein- bis zweimal in 24 Stunden und
waren immer etwas fettglänzend, homogen, zuweilen graugelb und
etwas stinkend.
Daß Brustkinder während des Bestandes parenteraler Infektionen
an Körpergewicht nicht zu- oder sogar abnehmen, ist eigentlich selbst¬
verständlich. Ich will aber, weil diese parenteralen Infektionen mit¬
unter schwer erkenübar sind oder wegen der Geringfügigkeit der Sym¬
ptome leicht unterschätzt werden, ein paar Beispiele anführen.
Das Kind Hedwig M., dessen Gewichts- und Temperaturkurve Figur 7
darstellt, litt an einer chronischen Pyelozystitis, die sich im Anschluß anJ
eine schwere, bei künstlicher Ernährung entstandene Ernährungsstörung ein¬
gestellt hatte. Das Kind war bei der Aufnahme bereits 31/2 Monate alt.
Trotz sehr bald nach dem Mißlingen der ersten Ernährungsversuche mit Milch
und Wassermischungen eingeleiteter Ernährung bei der Amme trat keine Er¬
holung und keine Gewichtszunahme ein. Auch ein Allaitement mixte mit
Malzsuppe blieb ohne Erfolg, -weil es nicht gelang, das Grundleiden zu heilen.
Das Kind ist schließlich unter den Erscheinungen einer terminalen Pneumonie
im Krankenhause gestorben.
1) Stickstoffbestimmung nach Kjeldahl; Multiplikation mit dem Faktor, 6, 37,
Ueber schlecht gedeihende Brustkinder.
1205
Fig. 7.
Weniger gefährlich, aber schwer und langwierig genug ist der
Verlauf der parenteralen Infektion bei einem Ammenkinde, dessen Er¬
krankung Figur 8 darstellt.
Fig. 8.
Das Kind wird im Alter von l1/2 Monaten mit einem Körpergewicht von
4970 g aufgenommen, ist also kräftig entwickelt. Bei der Mutter deuten,
große Hornhauttrübungen und strahlige Narben am Halse auf eine in der
1206
Martin Thiemich, Ueber schlecht gedeihende Brustkinder.
Kindheit überstandene Skrofulöse; sie ist sonst stattlich entwickelt, hat aber
noch jetzt sehr häufig an Schnupfen und Husten zu leiden. Bei der Auf¬
nahme hat auch das Kind Husten und Schnupfen und Temperatursteigerungen,
entwickelt sich aber nach anfänglichem Mißerfolge befriedigend. Am 6. Okto¬
ber verläßt es !mit der Mutter die Anstalt in gutem Zustande. Am 17. Novem¬
ber wird es wieder mit der Mutter aufgenomtnen, weil dieselbe obdachlos ist.
Es hat gut zugenommen, erkrankt aber schon Anfang Dezember im Kranken-
hause mit leichtem Eieber zunächst ohne objektiven Befund. Die Mutter
leidet während dieser Zeit an einer mit hohem Fieber einhergehenden folli¬
kulären Angina, die einige Tage dauert. Das Kind bekommt keine Angina,
erkrankt aber an Schnupfen, welcher wegen der blutig-serösen Beschaffenheit
des Sekrets und der Mazeration der Naseneingänge den Verdacht auf eine
Nasendiphtherie erweckt, aber keine Diphtheriebazillen enthält. Unter Fort¬
bestand des Fiebers und des Schnupfens tritt in der nächsten Zeit eine
rechtsseitige Ohreiterung ein, und wenig später entwickeln sich beiderseits,
rechts mehr wie links, erhebliche Drüsenschwellungen hinter dem oberen
Teile des Sternokleidomastoideus. Dieselben schwinden allmählich ohne
Eiterung.
Wie schwer der Fortgang der Ernährung bei diesem Kinde durch die
geschilderten Infektionen gelitten hat, ersehen Sie in der Figur 8 daraus,
daß nach mehr als zweimonatlicher Dauer das Körpergewicht noch nicht
dieselbe Höhe erreicht hat als bei der zweiten Aufnahme.
Besonders beachtenswert ist die Möglichkeit, daß die durch den
Gewichtsstillstand angezeigte Ernährungsstörung parenteraler Natur
sei, wenn eine hereditäre Belastung oder Infektionsgelegenheit mit
Tuberkulose besteht. In solchem Falle muß immer sehr sorgfältig,
eventuell unter Zuhilfenahme der v. Pirquet’schen Reaktion nach
einer tuberkulösen Erkrankung gesucht werden. Ich .habe unter unserm
Krankenmaterial keine einschlägige Beobachtung', die ich Ihnen vor¬
führen könnte, es sind aber schon vor Jahren in der Literatur Fälle
beschrieben worden, bei denen das Sistieren der Gewichtszunahme das
erste Zeichen einer schließlich zur miliaren Aussaat führenden tuber¬
kulösen Allgemeininfektion war.
Desgleichen ist es verständlich, daß eine nicht behandelte kon¬
genitale Lues auch bei Ernährung an der Mutterbrust das Gedeihen
eines Kindes beeinträchtigen kann. Als Beispiel führe ich Ihnen eine
Beobachtung aus der Städtischen Fürsorge an.
Das Kind Erich D., am 21. Juli 1908 als drittes Kind geboren, wurde
am 6. August mit einem Körpergewicht von 4070 g zum ersten Male in der
Beratungsstunde vorgestellt. Das Körpergewicht nahm den aus Figur 9 er¬
sichtlichen ungünstigen Verlauf. Im September und Oktober stellte sich
zuerst ein verdächtiger Pemphigus, danach ein typisches makulöses Exanthem
ein. Da die ärztliche Behandlung, die wir nicht selbst in die Hand nehmen
konnten, von den Angehörigen nicht streng durchgeführt wurde, so ging das
• A. Menzer, Die Medizin des Celsus im Lichte moderner Anschauungen. 1207
Kind, trotzdem es weiterhin an der Mutterbnist trank, im Laufe des Winters
zugrunde.
Das Resume meiner Ausleinander Setzungen und der
Schluß, den Sie, wie idh hoffe, mit mir daraus ziehen werden1,
geht dahin: Die Ernährung mit Frauenmilch ist zwar die
einzig physiologische, sie garantiert aber beim Bestlande
konstitutioneller Erkrankungen oder parenteraler Infek¬
tionen keineswegs das ungestörte Gedeihen, wie wir es bei
den von Hans ans gesunden Kindern sehen. Dieses Niehtge-
deihen liegt aber nicht an der Frauenmilch, sondern an dem
mit ihr zu ernährenden Kinde. Aufgabe des Arztes ist es,
diesen Zusammenhang klarzustellen, um übereiltes und für
das Kind häufig verhängnisvolles Entwöhnen vor der Zeit zu
verhüten. Der Erfolg unserer, in der Stillpropaganda gipfeln¬
den Fürsorgebestrebungen wird erst dann vollkommen sein,
wenn alle Ärzte in ihrem Wirkungskreise dafür Sorge tragen,
•daß kein Brustkind f älschlidherweise abgestillt wird, weil
es nur langsam gedeiht.
Die Medizin des Celsus im Lichte moderner Anschauungen.
Von A. Menzer, Halle a. S.
(Nach einem im Aerzteverein zu Halle a. S. gehaltenen Vorträge.)
(Fortsetzung.)
Sehr wichtig sind die Angaben des Celsus über die Vorhersage
von Wunden (im allgemeinen). Ich führe die betreffende Stelle deshalb
wörtlich an1) : „Gefährlich ist es, wenn eine Wunde stark anschwillt,
am gefährlichsten, wenn sie gar nicht anschwillt. Jenes ist ein Zeichen
heftiger Entzündung, dieses beweist, daß der verwundete Körperteil
bereits abgestorben ist. Wenn der Verwundete nach der Verletzung
das Bewußtsein nicht verliert und kein Fieber hinzukommt, so wird
die Wunde frühzeitig heilen. Aber auch das Vorhandensein von Fieber
braucht uns nicht zu beunruhigen, falls es bei einer großen Wunde
während der Periode der Entzündung besteht. Böse aber ist ein
Fieber, welches sich ;ent weder zu einer leichten Wunde hinzugesellt
oder über die Zeit der Entzündung hinaus fortbesteht, oder wenn es
Irrewerden erregt. Sehr böse ist es ferner, wenn infolge der Ver¬
wundung Starrkrampf oder klonische Krämpfe entstehen und das Fieber
diese nicht beseitigt.“
Wieviel treffliche Beobachtung am Krankenbett ist in diesen
Worten enthalten. Gerade heute, wo wir in der Entzündung eine
örtliche Abwehr gegen eingedrungene Krankheitserreger erblicken, ver¬
stehen wir es, daß Celsus Wunden, die gar nicht ansohwellen und
Fieber, welches sich zu leichten Wunden hinzugesellt, als besonders)
bedenklich anspricht. Je geringer die örtliche Entzündung, desto mehr
tritt die schwere Allgemeininfektion hervor, wie dies viele Fälle von
Septikopyämie u. dgl. lehren.
Über das Sekret der Wunden, den Eiter,2) sagt Celsus, daß
er „um so besser ist, in je geringerer Menge er abgesondert wird,
je dicker und weißer er ist, desgleichen, wenn er glatt (nicht körnig),
geruchlos und gleichartig ist“.
ß S. 271. 2) S. 267.
1208
A. Menzer,
Die Wunden werden durch Knopf nähte oder fortlaufende Naht
geschlossen, die Vereinigung der Wundränder darf nicht eine so dichte
sein, daß die Wundsekrete nicht ab fließen können.1) Auf die Wunden
werden in Essig oder in Wein getauchte und ausgedrückte Schwämme
gelegt (entsprechend der heute bei Wundentzündungen angewendeten
essigsauren Tonerde- oder Alkoholbehandlung). Bei Celsus ist ferner
zum ersten Male die doppelte Unterbindung blutender Gefäße und
ihre Durchschneidung1 zwischen den Unterbindungsstellen angegeben. 2)
Über die Wunden der Eingeweide3) bemerkt Celsus, daß sie keines¬
wegs abweichende Maßnahmen erforderten, sondern äußerlich entweder
mit der Naht oder mit einem anderen Heilmittel zu behandeln s eiern
Er fügt hinzu: „Die Eingeweide selbst rühre man nicht an, außer
wenn von den äußersten Enden der Leber, der Milz oder der Lungen,
etwas aus der Wunde heraushängt, dann schneide man es ab“. Auch
hier zum Teil ganz moderne Grundsätze.
Bei Bißwunden durch tolle Hunde wird das Herausziehen des
Giftes durch einen Schröpfkopf, sowie Ausbrennen der Wunde emp¬
fohlen. Auch längeres Schwitzen im Bade mit entblößter Wunde,
sowie Waschen der Wunde mit viel lauterem Weine wird als nützlich
bezeichnet. Die Erkrankung des Mensehen an Tollwut, zumal die
Wasserscheu, wird in einer uns lächerlich erscheinenden Weise be¬
handelt. Man soll den Kranken unversehens in einen vorher von ihm
nicht bemerkten Teich werfen und ihn bald untergehen und Wasser
schlucken lassen und bald wieder emporheben. Dieses heroische Mittel,
welches Durst und Eurcht vor dem Wasser gründlich beseitigt, er¬
scheint auch wohl dem Celsus nicht ganz unbedenklich, denn er be¬
merkt ausdrücklich, daß dabei ein schwacher, durch das kalte Wasser
hart mitgenommener Kranker Gefahr laufe, durch klonische Krämpfe
getötet zu werden.
Bei Wunden, die durch Schlangenbiß5) entstanden sind, soll man
das verletzte Glied oberhalb der Wunde abbinden, doch so, daß es nicht
gefühllos wird(? Art von Bier’scher Stauung), dann ist ein Schröpf¬
kopf aufzusetzen oder das Gift mit dem Munde auszusaugen, da es,
verschluckt, bei unverletztem Munde und Bachen unschädlich ist. Als
Antidot wird dann in durchaus richtiger Weise das Trinken von
lauterem Wein empfohlen.
Aber auch größere chirurgische Eingriffe werden ausgeführt. Der
durch Trauma vereiterte Hoden wird weggeschnitten.0) Größere Hämor¬
rhoidalknoten 7) werden gestichelt und weggeätzt. Dabei wird jedoch
bemerkt, daß Hämorrhoidalblutungen mäßigen Grades nicht selten als
ein Mittel der Beinigung des Körpers zu betrachten und nicht ohne
Gefahr zu unterdrücken seien. „Bei einigen, wo sie unterdrückt wur¬
den, warf sich der Krankheitsstoff, da das Blut keinen Ausweg mehr
fand, auf die Präkordien und Eingeweide, und sie wurden plötzlich
von sehr schweren Krankheiten befallen“.
Die Gefahr einer Embolie pach Hämorrhoidaloperationen wird
auch heute noch in chirurgischen Lehrbüchern hervorgehoben. Die
Nasenoperation bei Ozäna ist- schon oben angegeben. Substanzverluste
an Nase, Ohren und Lippen werden durch plastische Operationen 8)
gedeckt. Zahnzange, insbesondere auch eine Wurzelzange9) werden an-
ß S. 269. 2) S. 268. 3) S. 271. 4) S. 280. 6) S. 281. 6) S. 357. 7) S. 359.
8) S. 389. ß S. 393.
Die Medizin des Celsus im Lichte moderner Anschauungen!
1209
gewendet. Der Kropf1), der nach Celsus bald wildes Fleisch, bald
eine honig- oder wasserähnliche Flüssigkeit enthält, wird mit Durch-
ätzung behandelt, damit der flüssige Inhalt ausläuft, als einfacher
wird die Operation mit dem Messer bezeichnet. Dabei wird der Tumor
mit den Fingern von dem gesunden Gewebe getrennt und ganz nebst
seiner Kapsel herausgenommen.
Kabelbrüche2) werden eröffnet und reponiert, dann wird die Bauch¬
sackwand umschnürt und oberhalb der Umsclinürungsstelle verätzt.
Sogar die Darmnaht3) wird ausgeführt. Die betreffende Stelle lautet:
„Bisweilen wird die Bauchhöhle durch eine Verletzung eröffnet, worauf
dann die Därme vorfallen. Geschieht dies, so hat man sogleich darauf
zu sehen, ob sie unverletzt sind und ihre natürliche Farbe haben. Sind
die dünnen Därme verletzt, so können wir keine Hilfe leisten, wie ich
schon gesagt habe. Ist dagegen der Dickdarm verwundet, so kann
man ihn nähen, nicht als ob dies eine sichere Hoffnung gewährte,
sondern weil selbst eine zweifelhafte Hoffnung' besser ist als ein Ver¬
zichtleisten auf jegliche Hoffnung ; denn bisweilen heilen solche AATm-
den/‘ AVie die Mehrzahl der modernen Chirurgen ist Celsus für eine
Etagennaht der B auch w an düng en 4 ) . „Es ist aber nicht hinreichend,
daß man nur die äußere Haut oder jene innere Membran (Peritoneum)
allein durch die Naht vereinigt, sondern man muß beide nähen/'
Der Aszites5) wird durch Punktion entleert, die Hydrozele6) wird
als eine mit Schwellung der benachbarten Adern verbundene fluktu¬
ierende und durchscheinende Geschwulst richtig diagnostiziert, die von
v. Bergin ann empfohlene Radikaloperation durch Exstirpation der
Tunica vaginalis ist auch dem Celsus schon bekannt"). „Hat man
am Hodensack eingeschnitten und befindet sich die Flüssigkeitsansamm¬
lung gleich darunter, so hat man weiter nichts zu tun, als die Flüssig--
keit auslaufen zu lassen, die Häute, in welchen sie eingeschlossen war,
herauszuschneiden und dann den Hodensack mit AVasser, worin man
Salz oder Soda aufgelöst hat, auszuspülen. Befindet sich AVasser unter
der mittleren oder innersten Haut, so muß man diese ganz aus dem
Hoden sacke herausziehen und ausschneiden.“ Krampfaderbrüche am
Hoden werden exstirpiert8), desgleichen auch große Krampfadern an
den Beinen9), der Steinschnitt vom Damm aus wird eingehend be¬
schrieben10), für den Katheterismus11) werden genaue und richtige Ab¬
schriften gegeben.
Die Trepanation des Schädels wird mit Bohrer und Aleißel bei
Sehädelverletzungen ausgeführt, ein Schutzinstrument für das Gehirn
(Aleningophylax) wird angewendet. Bei der Frage nach der Diagnose
einer Knochenverletzung findet sich die schöne für jeden auf irgend
einem AATssensgebiet Forschenden zu beherzigende Stelle. Celsus er¬
wähnt. daß Hippokrates nach seinem eigenen Eingeständnis die Nähte
des Schädels irrtümlicherweise für Anzeichen eines Knochenbruehes
am Schädel gehalten habe, und rühmt den Hippokrates wegen dieser
offnen Mitteilung : „Ein solches Bekenntnis ist großer Männer, die
ihres AVerts sich bewußt sind, würdig. Denn unbedeutende Geister ent¬
ziehen sich nicht gern etwas von ihrem Ruhme, da sie ohnehin nur wenig
haben. Einern großen Alaune aber, der noch immer genug Ruhm be¬
hält, geziemt das offene Bekenntnis eines wirklichen Irrtums, besonders
ß S. 395. 2) S. 397. 3) S. 399. 4) S. 399. 5) S. 398. «) S. 403. 7) S. 410.
8) S. 412. b S. 431. 10) S. 416. n) S. 415.
1210
A. Menzer,
in derjenigen Wissenschaft, welche des Nutzens wegen den Nachkommen
übermittelt wird, damit dann keiner durch etwas irregeführt wird,
was schon vor ihm jemanden getäuscht hatte.“
Was schließlich die Behandlung von Knochenbrüchen und Ver¬
renkungen anbe trifft, so entspricht sie vielfach noch unsern modernen
Anschauungen. So wird z. B. empfohlen, bei Oberarmbrüchen in der
Nähe des Ellenbogengelenks die Schienen oft abzunehmen, damit die
Sehnen nicht steif werden und der Arm gebrauchsfähig bleibt. Es
sollen bei dem jedesmaligen Verbandwechsel warme Bäder und leichte
Einreibungen vorgenommen werden.1) Andererseits scheinen die Er¬
folge des Celsus in bezug auf Behandlung von Oberschenkelbrüchen2)
wenig günstige gewesen zu sein. Dafür spricht seine Bemerkung:
„Übrigens muß man wissen, daß das Bein nach Brüchen des Ober¬
schenkels kürzer wird als das gesunde ; denn niemals wird das ge¬
brochene Glied wieder so wie das gesunde, und der Kranke muß später¬
hin mit den Zehen auf treten.“ 1 (
Ich komme zur Geburtshilfe des Celsus. Hier ist besonders
bekannt die von ihm empfohlene Wendung auf einen oder beide Füße.3)
Allerdings wird diese Operation, wie auch andere Eingriffe, von Celsus
für den Fall gefordert, daß die fast reife Frucht einer Schwangeren
im Uterus abgestorben ist und von selbst nicht geboren werden kann.
Er empfiehlt, die Frau aufs Querbett -zu legen, mit der durch öl ein¬
gefetteten Hand in die Scheide einzugehen und nun allmählich je
nach dem Nachgeben des Muttermundes einen Finger nach dem anderen
und schließlich die Hand in die Gebärmutter einzubringen. Der Arzt
soll, wenn er dann eine Querlage feststellt, auf den Kopf oder auf die
Füße wenden. Die Extraktion am Kopf wird mit Hilfe von Haken
vorgenommen, sie muß, wie auch diejenige an den Füßen, allmählich
erfolgen, indem immer nur so weit angezogen wird, als der Mutter¬
mund nachgibt (Accouchement force). Nach beendigter Extraktion des
Kindes soll die Nachgeburt mit der Hand aus der Gebärmutter gelöst
und entfernt werden. •
Es sei bemerkt, daß die von Celsus empfohlene Operation der
Wendung auf die Füße später in Vergessenheit gerät und erst im
IG. Jahrhundert durch Ambroise Pare wieder eingeführt wird.
Auch für die Geschichte der Dermatologie ist Celsus von Be¬
deutung. Ich erwähne nur die nach ihm noch heute benannten Krank¬
heitsbilder der Area Celsi und des Kerions Celsi. Sehr beachtenswert
erscheint mir, daß er auf eine hygienisch diätetische Behandlung von
Ekzemen Wert legt: „Bei der Behandlung aller Pusteln ist das erste:
Spazierengehen und Körperübungen. Wird dies durch irgendwelche
Umstände verhindert, so wende man passive Bewegungen an. Zweitens
muß man von den Speisen etwas abziehen und alle scharfen und mager
machenden Sachen meiden. Dasselbe müssen die Ammen tun, wenn ein
saugendes Kind an Pusteln leidet.“4)
Ich glaube, daß die von Celsus richtig gewürdigte Bedeutung
einer hygienisch - diätetischen Allgemeinbehandlung von seiten manches
modernen Dermatologen gegenüber der äußerlichen Anwendung von
Salben usw. unterschätzt wird.
Ganz besondere Beachtung schenkt dann Celsus dem Wissens¬
gebiet der inneren Medizin, auf welche ich zum Schluß noch eingehe.
x) S. 461. 2) «S. 462. 3) S. 427. 4) S. 302.
Die Medizin des Celsus im Lichte moderner Anschauungen.
1211
Über die Fieber, welche er in ein-, drei- und viertägige einteilt,
sagt er: „Was die vorgenannten Fieber anbetrifft, so sind sie teils
als Krankheiten, teils als Heilmittel zu betrachten.“1) Er schließt
sich also in der Auffassung’ von dem Nutzen des Fiebers dem alten
hippokratischen Standpunkt an, der, zur Zeit der Blüte der von Liebey-
meister inaugurierten antipyretischen Methode viel geschmäht, heute
wieder allmählich sich Geltung verschafft. Ja, Cels-us geht sogar
so weit, daß er direkt die Erregung von Fieber zu Behandlungszwecken
empfiehlt.-2) ,,Es ist aber die Pflicht eines umsichtigen Arztes, bald
einer Krankheit eine andere Gestalt zu geben, bald sie zu vermehren,
bald Fieber zu erregen; denn wenn auch der gegenwärtige Zustand
einer Krankheit keine erfolgreiche Behandlung gestattet, so kann doch
der künftighin eintretende dafür empfänglich sein.“
Wer dächte da nicht an die moderne Tuberkulinbehandlung, an
die zum Teil fieberhaften Exazerbationen chronischer Krankheiten durch
Bade- und Brunnenkuren u. dgl. mehr !
In der Behandlung des Fiebers ist Celsus im allgemeinen für
Entziehung der Nahrung in den ersten Tagen, doch läßt er Getränke
geben. Er hütet sich aber vor jedem Schematismus, wie die folgenden
Worte zeigen:3) „Keine dieser Vorschriften ist indessen immer gültig.
Denn es kann das erste Verabreichen der Speise am ersten, am zweiten,
am dritten, ja es kann nur am vierten oder fünften Tage notwendig
werden : es kann nach einem oder zwei, aber auch erst nach mehr
Anfällen erforderlich sein. Es kommt hier sehr auf die Krankheit
selbst, auf die Beschaffenheit des Körpers, auf das Klima, das Alter
und die Jahreszeit an, kurz, es kann bei so sehr voneinander verschiedenen
Dingen keine feste Vorschrift in bezug auf die Zeit geben.“
Auf die psychische Beeinflussung der Kranken legt Celsus
großen Wert. 4) „Es ist aber sehr zweckmäßig, die Kranken immer in
einem sorglosen Zustande zu erhalten, damit bei ihnen nur der Körper,
nicht aber auch die Seele leide.“ Ich möchte hier, gerade wo heutzu¬
tage bei manchen Ärzten die Anschauung besteht, als sei eine auch
auf das Gemüt des Kranken einwirkende Pflege erst ein Ergebnis
moderner therapeutischer Grundsätze, noch eine Stelle aus Aretaeus5),
einem im ersten oder zweiten Jahrhundert n. Chr. lebenden berühmten
ärztlichen Schriftsteller anführen: „Das Zimmer, in welchem der
Kranke liegt, sei nach Norden zugekehrt, denn der hinein wehende kalte
Hauch des Boreas wird den elend mit dem Tode ringenden neu be¬
leben. Auch muß man von da aus auf Wiesen, Quellen und rieselnde
Bäche sehen können, denn die erfrischende Luft und der angenehme
Anblick dieser Gegenstände schmeichelt den Sinnen, führt neue Lebens¬
kräfte zu, und macht das Verlangen nach Speise und Trank rege.
Wenn die Armut des Kranken dies so einzurichten nicht gestattet,
suche man auf künstliche Weise durch Fächeln mit angenehm duftenden
Zweigen die Luft kühl zu machen, und mache Frühling im Zimmer,
indem man den Boden mit Blättern und Blüten bestreut.“
Bezüglich der Beurteilung des Pulses wird hervorgehoben3), daß
der Arzt nicht sofort nach seinem Eintritt den Arm des Patienten er¬
greifen, sondern vorher erst sich mit heiterer Miene hinsetzen und
nach dem Befinden des Kranken erkundigen solle.
x) S. 112. 2) S. 129. 3) S. 115. 4) S. 121. 5) Aretaeus Schriften, übersetzt
▼on A. Mann, Halle 1858, S. 172. 6) S. 123.
1212 A. Menzer, Die Medizin des Celsus im Lichte moderner Anschauungen.
Ausgezeichnet ist znm Teil die psychische Behandlung .von
Geisteskranken. Celsus empfiehlt hier1) folgendes: „Man muß aber
die Gemüter aller Kranken dieser Art, dem A^ erhalten des einzelnen
gemäß, behandeln. Bei einigen hat man eine eingebildete Furcht weg¬
zuschaffen, wie z. B. bei einem reichen Manne, der sich vor dem
Verhungern fürchtet ; ihm werden von Zeit zu Zeit fälsche Nachrichten
über gemachte Erbschaften mitgeteilt. Bei anderen Kranken muß die
Vermessenheit unterdrückt werden. So hat man z. B. bei einigen,
um sie zu bezähmen, selbst Schläge anzuwenden. Bei einigen muß
man dem unzeitigen Lachen durch Schelten und Drohungen Einhalt
tun ; andere muß man wieder von ihren traurigen Grübeleien abzu¬
bringen suchen, wobei sich Musikstücke, das Getön von Becken und
Getöse nützlich bewähren, öfter muß man freilich dem Kranken bei¬
stimmen, als ihm widersprechen und beim Beden seine Gedanken all¬
mählich und, ohne daß er es merkt, zur Vernunft zurückbringen. Bis¬
weilen muß man auch die Aufmerksamkeit der Kranken zu erwecken
suchen, z. B. bei Gelehrten dadurch, daß man ihnen ein Buch vorliest
und zwar richtig, wenn sie daran Vergnügen finden; falsch dagegen,
wenn sie dies unangenehm berührt. Denn indem sie das ihnen falsch
Vorgelesene zu verbessern suchen, fangen sie an, aufzumerken. Auch
muß man sie, falls ihnen etwas einfällt, anhalten, dieses herzusagen.
Einige, die das Essen verschmähten, wurden dazu bewogen, indem ihre
Ärzte sie zwischen Speisende legten.“
AVenn diese Grundsätze des Celsus auch heute nicht in allen
Punkten den Anschauungen eines modernen Psychiaters entsprechen,
so steht doch eine solche Behandlung von Geisteskranken ■ weit über
dem Verfahren, wie es im Mittelalter bis in die neuere Zeit hinein
geübt worden ist.
Als Schlafmittel 2) bei aufgeregten Kranken werden wässerige
Abkochen von Mohn oder Bilsenkraut empfohlen, auch wir wenden
heute Opiate und Hyoscyamin bei Geisteskranken an. Auch Entzie¬
hung der Speisen, sowie sanfte Beibungen, ferner gleichmäßige sanfte
Geräusche, wie das Plätschern eines Springbrunnens, Hin- und Her¬
bewegung eines schwebenden Bettes sollen zur Erzeugung von Schlaf
versucht werden. 3)
Auch in bezug auf die Behandlung der Epileptiker ist Celsus
ganz modern, indem er eine fleischlose Kost empfiehlt. Er sagt : 4)
„Diese Kranken dürfen keine Suppen oder sonst weiche und leichte!
Speisen, ferner kein Eleisch, am wenigsten das vom Schwein, bekommen,
vielmehr Speisen von mittelmäßig starkem Nahrungsstoffe ; denn eines¬
teils braucht der Kranke Kräfte, und andererseits muß man auch
Verdauungsstörungen vermeiden.“ Ferner will er, daß der Epileptiker
„die Sonnenhitze, das Baden, das Feuer und alle erhitzenden Dinge,
desgleichen Kälte, Wein, den Beischlaf, das Hinuntersehen von steil
abfallenden Stellen, ferner alle Schrecken erregenden Dinge, sowie auch
Erbrechen, Ermüdung, Kummer und alle Arbeit“ vermeidet.
Wieviel vortreffliche Empirie gibt sich in allen diesen Bemer¬
kungen zu erkennen. Weit mehr muß es aber unser Erst aunen her vor¬
rufen, wenn wir bei Aretaeus5) sogar die operative Behandlung
der Epilepsie empfohlen sehen. Die betreffende Stelle lautet: „Das
AVichtigste aber ist, den Kopfknochen bis auf die Diploe anzubohren.
") S. 139. 2) S. 140. 3) S. 140. 4) S. 156. 5) 1. c., S. 201.
Vorläufige Mitteilungen und Autoreferate. 1213
Nach dieser Operation lege man Kerate und Kataplasmen auf, bis die
Hirnhaut sich von dem Knochen ablöst, und schneide, wenn nicht
spontan vollständige Abstoßung erfolgt, mit einem Trepan das blo߬
gelegte Knochenstück aus ; dann findet man bisweilen die harte Hirn¬
haut schwarz und verdickt. Wenn nun infolge der kühnen Eingriffe
des Arztes das Krankhafte abgefault ist, die Stelle sich gereinigt und
eine Narbe aus der Wünde sich gebildet hat, so ist der Mensch von
seiner Krankheit befreit.“
Bei der Behandlung der Wassersucht fordert Celsus, das Ge¬
tränk und den Wein des Kranken zu messen, da erst dann, wenn er
mehr Flüssigkeit absondere als einnähme, Hoffnung auf Genesung vor¬
handen sei.1)
Die Punktion des Aszites, welche andere Autoren, z. B. Erasi-
stratu's, als erfolglos verwerfen, hält Celsus für notwendig und
gibt für seine Anschauungen eine sehr richtige Begründung.2) ,, Darüber
ist man sich aber einig, daß der Körper noch außerdem behandelt
werden muß. Denn die Entleerung der Flüssigkeit heilt den Körper
nicht, aber es wird uns danü möglich, Arzneimittel anzuwenden, was
nicht möglich war, solange sich die Flüssigkeit im Innern befand.“
Stärkere Ödeme3) werden durch Einschnitte ungefähr vier Finger hoch
oberhalb der inneren Knöchel entleert. Die interne Behandlung der
Wassersucht erfolgt durch zeitweise Entziehung von Speise und Trank4),
ein beliebtes Diuretikum ist vor allem die gekochte Meerzwiebel, Bul¬
bus scillae. Für Nierenkranke5) wird empfohlen: ,,Der Kranke muß
ruhen, weich liegen, den Leib- offen erhalten, und, wofern der Stuhl¬
gang angehalten ist, Klistiere bekommen, häufig' heiße Sitzbäder
nehmen und weder kalte Speisen, noch kalte Getränke genießen. Der
Patient muß sich aller salzigen, scharfen und sauren Dinge, auch des
Obstes enthalten, reichlich trinken und bald den Speisen, bald den
Getränken Pfeffer, Porree, Steckenkraut und weißen Mohn zusetzen,
Dinge, die auf die Urinsekretion besonders stark einzuwirken pflegen.“
Auch hier wieder zum Teil ganz moderne Anschauungen, wie z. B.
die Wahl einer salzarmen Kost. Auch die Verwendung von Bettruhe,
Klistieren und warmen Sitzbädern muß als durchaus sachgemäß be¬
zeichnet werden. (Schluß folgt.)
Vorläufige Mitteilungen u. Äutoreferate.
Die physiologisch dosierte Mineralwasserkur zur Uebungstherapie des
Darmes bei habitueller Stuhlträgheit.
Von Dr. M. Rheinboldt, Kissingen. (Zeitschr. für Phys. u. diät. Ther., H. 3, 1909.)
Aus der Übertragung des psychophysischen Gesetzes aus der
Sinnes- in die Bewegungsphysiologie folgt, daß der Organismus
um sc geringerer Beize zur Auslösung des Stuhlreflexes bedarf, je
minimalere Beize vorher zu diesem Zwecke ausgereicht haben. Nor¬
malerweise ist die Beizschwelle gegeben in dem reflexerregenden Kor¬
relat der normalen Nahrungsaufnahme und Verdauung (primäre oder
endogene Beize, Schwellenwerte). Beim Obstipierten liegt die Beiz¬
schwelle offenbar zu hoch, und es bedarf bei ihm weiterer Beize (sekun-
ß S. 148. 2) S. 151. 3) S. 150. 4) S. 149. 5) S. 190.
1214
Vorläufige Mitteilungen und Autoreferate.
däre bezw. exogene Reize) entweder durch Summierung der normalen
Reize oder durch spezifische Reizmittel (ekkoprotischer Reiz). Die
Übungstherapie des Darmes zur Behandlung der habituellen Obstipation
bedient sich nun der besonderen Dosierbarkeit abführenden Mineral¬
wassers, z. B. Kissinger Rakoczy, zur periodischen, ekkoprotischen Rei¬
zung des Darmes, und zwar (im Gegensatz zur „Abführkur“, welche
ihren Wert in der möglichst großen Menge des während der Kur Ent¬
leerten sieht) mittelst der Reizschwelle, d. i. der kleinsten noch ekko-
protisch wirkenden Wassermenge. Sie erzielt dadurch Sdhwellen-
wertstühle, d. i. jede nicht mit einem Reizüberschuß bewirkte Defä-
kation. Da nach dem Wund t’schen Gesetz bei gleichbleibendem Reiz
der Reizerfolg zunimmt oder, was dasselbe ist, die Reizschwelle sinkt,
gelangt man bei sukzessiver Verminderung der Mineralwassergabe zu
dem (als spezieller Fall des Schwellenwertstuhles anzusehenden)
Spontanstuhl. (In Übereinstimmung mit diesem Gesetz steht die all¬
tägliche Wahrnehmung, daß u. a. der regelmäßige Spontanstuhl der
Eingewöhnung fähig ist, d. h. die Tendenz zu seiner Befestigung in
sich trägt.) (Autoreferat.)
Die Gemeinde als Kurort.
Von Paul am Ende, Oberbürgermeister, Dresden.
Die Schrift verfolgt den Zweck, den Kurortsbehörden für die
verschiedensten im Interesse der Kurorte zu treffenden hygienischen
Maßnahmen einige den Bedürfnissen der einzelnen Bäder und Luft¬
kurorte leicht anzupassende, kurzg^efaßte Winke und Anregungen zu
geben. Zunächst werden die vielfach noch so aktuellen Fragen der
Wasserversorgung, Entwässerung, der Abortanlagen, der Wohnungs¬
desinfektion — ferner die Mietverhältnisse, die Aufstellung geord¬
neter Bebauungspläne, die Verhütung jeder Art von Luftverunreinigung,
und besonders die Abwehr der Staubentwicklung mittelst der neuer¬
dings erprobten Staubbindemittel einer sachgemäßen und die entschei¬
denden Punkte hervorhebenden Erörterung unterzogen. Es wird der
Errichtung öffentlicher, ausschließlich zu benutzender Schlachthäuser
das Wort geredet, die Notwendigkeit einer sorgsamen Überwachung
des Verkehrs mit Nahrungs- und Genußmitteln und zumal einer allen
hygienischen Anforderungen genügenden Milchversorgung, wofür orts¬
gesetzliche Vorschriften zu geben sind, nachdrücklich betont. Weitere
Postulate betreffen eine strengere Kontrolle der Barbier- und Fr is eur -
geschäfte, die Errichtung von Baracken in Kurorten, die angemessene
Stellung der Kurärzte und die Einrichtung eines gut funktionierenden,
von modernem Geiste erfüllten Verwaltungsapparates. Mit Ausführ¬
lichkeit bespricht Verfasser speziell die an klimatische Winter¬
kurorte heutigentags zu stellenden mannigfachen Anforderungen.
Neben den im Interesse des inneren Ausbaues unserer Kur- und Bade¬
orte seit Jahren tätigen „Ständigen Ausschuß für die gesund¬
heitlichen Einrichtungen in den deutschen Kurorten“ empfiehlt
Verfasser für jeden einzelnen -Kurort die Einsetzung einer Ortsge¬
sundheitskommission, deren Aufgaben von ihm eingehend erörtert
werden.
Referate und Besprechungen.
1215
Referate und Besprechungen.
• -
Bakteriologie und Serologie.
lieber mikroskopisch sichtbare, filtrierbare Virusarten.
(lieber Strongyloplasmen.)
(Dr. Lipschütz. Zentralbl. für Bakt., Bd. 48, H. 1.)
Der Nachweis des Erregers der Peripneumonie der Rinder gelang
Löffler und Frosch weder kulturell noch mikroskopisch. Verf. betrachtet
daher das Virus der Peripneumonie als das zuerst entdeckte visible und
filtrierbare Virus. Durchsicht eines mikroskopischen Präparates ergab kleine
Körperchen, die scharf konturiert erscheinen und sich als kleine runde
Protoplasmaklümpchen erweisen.
Dieser kleine Mikroorganismus (x/4 p) passiert Chamberland Fund
Berkefeld-Filter. Zwischen 37° und 38° liegt das Temperaturoptimum dieses
Virus, bei 58° stirbt der Erreger ab.
Das Virus des Epithelioma contagiosum der Tauben und Hühner
wurde 1904 von Borrel entdeckt. Kleinste Körperchen, einzeln oder in Diplo-
formen im Protoplasma der Zellen gelegen, die sich durch Querteilung zu
vermehren scheinen, stellen das Virus dar. Sie färben sich nach Giemsa
und der Löf fler’schen Geißelfärbungsmethode. Das Virus passiert Berke¬
feld-Filter. In den inneren Organen nach intravenöser und kutan vorgenom¬
mener Impfung läßt das Virus sich nachweisen.
Auch war es möglich, beim Molluscum contagiosum des Menschen
ein ähnliches Virus zu gewinnen. Die Größe dieser Körnchen beträgt 0,2 bis
0,25 p. Eine Kultur dieses Virus ist bisher nicht geglückt. Es passiert eine
Chamberland-Kerze. Impfung mit dem Filtrat erzeugte ein Filtratmolluskum,
in dem zahlreiche Körperchen, die den eben beschriebenen ähnlich sind, vor¬
handen sind.
Verf. erwähnt noch die von v. Prowazek bei Trachom gefundenen
Körnchen, die er eng an die erwähnten Virusarten sich anreihen läßt.
Unklar und noch wenig erforscht sind die Erreger der Vaccine, Lyssa
und Hühnerpest.
Es folgt noch eine Besprechung der schon erwähnten Form und Größe
der Körperchen, der Resistenzverhältnisse, das Verhalten des Virus Farb¬
stoffen gegenüber und zum Gewebe, die Übertragung und das Verhalten zu
gewissen Zellgiften. Schließlich wird noch auf ihre Eigenschaft, bakterien¬
dichte Filter zu passieren, eingegangen. Verfasser schlägt für diese Virus¬
arten den Namen Strongyloplasmen oder Strongylosomen vor (axpoYyüXo? = rund),
da es sich um kleinste runde Protoplasmaklümpchen handelt.
Schürmann (Düsseldorf).
lieber das Verhalten von Blutserum nicht an Typhus verstorbener
Personen gegenüber der Widal’schen Reaktion.
(Dr. Loele. Zentralbl. für Bakt., Bd. 49, H. 5.)
Lebende, sowie alte mit Formalin abgetötete Kulturen sind zur An¬
stellung der Agglutination mit Leichenblut ungeeignet. Wurden frisch ab¬
getötete Kulturen benutzt, so agglutinierte das Blutserum von 100 nicht
an Typhus verstorbenen Personen deutlich zehnmal; der höchste Wert be¬
trägt 1:40 (Magenkrebs). Es fand sich der höchste Prozentsatz von Agglu¬
tination bei Geschwülsten, besonders bei ausgedehnter Verjauchung. Auch-
die Untersuchungen an Leichenblut beweisen den hohen spezifischen Wert
der Typhusagglutination, die insofern wichtig ist, als das Blut typhöserj
Leichen seine Agglutinationsfähigkeit auch bei beginnender Zersetzung lange beibehält.
Es bedarf vor allem der Untersuchung, ob das Blut erst nach dem
Tode die Agglutinationsfähigkeit gewinnt, oder ob es sie bereits intra vitam
besitzt. Schürmann.
1216
Referate und Besprechungen.
Ueber die Typhusantigene und ihre Antikörper.
(Dr. W. Gaehtgens. Zentralbl. für Bakt., Bd. 48. H. 2.)
Agglutinine lassen sich im Blute eines Typhuskranken nicht vor dem
zweiten Tage feststellen. 6 — 8 Stunden nach der Infektion findet man Prä-
zipitinogene, nach 24 Stunden die Präzipitine. Agglutinine und Präzipitine
sind selbständige Substanzen. Injektion .eines 24 stündigen agglutinogen-
haltigen „Infektionsserum“ erzeugt bei einem normalen Tiere eine hohe Ag¬
glutininentwicklung. Durch Injektion eines achtstündigen „Infektionsserum“
erzielt man dagegen eine starke Präzipitinbildung.
A gglutinogene in den Filtraten alter Typhusbazillenkulturen lassen
sich direkt nachweisen, indem ein derartiges Filtrat die Agglutinationskraft
eines Typhusimmunserums herabsetzt. Mittelst der Absorptionsmethode lassen
sich die agglutinablen Substanzen im Serum eines mit lebenden Typhusbazillen
infizierten Tieres nicht nachweisen; auch gelingt so der Nachweis nicht inf
Serum typhuskranker Menschen. Indirekt gelingt der Nachweis, indem das
filtrierte Serum eines mit lebenden Typhusbazillen infizierten Tieres ca.
24 Stunden nach der Impfung einem zweiten normalen Tiere injiziert, in
diesem Agglutinine erzeugt. Schürmann (Düsseldorf).
Aus dem hygienisch-chemischen Laboratorium der Kaiser Wilhelm- Akademie in Berlin.
Prüfung des Meyer-Bergell’schen Typhusserums.
(Stabsarzt Prof. Dr. W. Hoff mann. Deutsche med. Wochenschr., Nr. 18, 1909.)
Das von Meyer und Bergeil hergestellte Typhusserum soll' sich durch
eine besondere antitoxische Komponente auszeichnen und sowohl als Pro-
phylaktikum als auch als Heilmittel verwendbar sein. Wenn nun auch;
über das Vorhandensein eines Typhustoxins wissenschaftlich noch keine Über¬
einstimmung herrscht, so ist es doch praktisch von Bedeutung, wenn es
ein Mittel gibt, das die sicher bestehenden Giftwirkungen bei Typhus neu¬
tralisieren kann. Hoffmann hat das Serum einer Nachprüfung unterzogen;
die damit anges teilten Versuche und Untersuchungen mögen im Original
nachgelesen werden. Seine Ergebnisse lauten :
1. Der Gehalt des Meyer - Bergeirschen Serums an Agglutininen,
Präzipitinen und Substanzen, welche die Phagozytose fördern, konnte bestätigt
werden.
2. Bakterizide Substanzen, wenn auch nicht in größerer Menge, waren
vorhanden; dies wäre noch kein großer Nachteil, vorausgesetzt, daß eine
antitoxische Komponente die durch die Bakterizidie frei werdenden Gift¬
stoffe neutralisieren könnte, leider wurde aber beim Tierversuch keine solche
nachgewiesen, es fand sich vielmehr sogar ein geringer Gehalt an Toxinen.
3. Wegen seiner die Phagozytose anregenden Eigenschaft hatte das
Serum auch eine in gewissen Grenzen liegende Schutzwirkung gegenüber
bakterieller Infektion. Wenü dieser Wert auch nicht besonders hoch ist,
würde er sich doch durch Fortsetzung der Immunisation der Pferde wün¬
schenswerterweise beträchtlich steigern lassen. '
4 Nach diesen Ausführungen ist demnach die Anwendung des Serums
noch nicht am Platze. F. Walther.
Gynäkologie und Geburtshilfe.
Aus der Universitäts-Frauenklinik der königl. Charite.
Untersuchungen über die Hämolyse der Streptokokken in der
Schwangerschaft.
(Dr. W. Sigwart. Archiv für Gyn., Bd. 87, H. 2, 1909.)
Die Fromme’sche Ansicht, daß Hämolyse der Streptokokken identisch
sei mit Virulenz derselben, hat durch die neuesten Untersuchungen S.’s
einen schweren Stoß erlitten, zugleich damit auch die von der V ei Eschen
Referate und Besprechungen.
1217
Klinik gezogenen praktischen Schlußfolgerungen. Nach eingehender Schil¬
derung der angewandten Technik (sog. Mischkulturen gaben die besten Re¬
sultate) berichtet S., daß er in den Uteruslochien von 44 fiebernde!!'
Wöchnerinnen 31 mal typisch hämolysierende Streptokokken gefunden habe,
25 mal in Reinkultur. Die Hämolyse war bei allen diesen Streptokokken
gleich intensiv und typisch, sowohl bei den Kokken, welche von der großen
Mehrzahl (19) leicht verlaufender Endometritiden stammten, bei denen nach
einmaliger Temperatursteigerung die Frauen wieder entfiebert waren, als
auch bei den Streptokokken, welche in je zwei Fällen zu Parametritis und
Thrombophlebitis geführt hatten, endlich auch bei dem Kokkus, der mit
föudroyanter Infektionskraft in drei Tagen eine tödlich verlaufende Peri¬
tonitis hervorgerufen hatte. Es sagten also die Blutagarplatten nichts weiter,
als was die Bouillonkulturen ebenso rasch erkennen ließen : daß die In¬
fektion durch hämolysierende Streptokokken hervorgerufen sei. Der leichte
Verlauf der Infektion in den meisten Fällen machte die von Fromme für
schwere Fälle angeratene Blutuntersuchung überflüssig. Es ist aber sehr
wichtig, daß in einigen schweren Fällen, besonders in dem tödlich ge¬
endeten Peritonitisfalle das Blut steril blieb. Immerhin hält auch S.
daran fest, daß ein positiver Streptokokkenbefund im Blut prognostisch sehr
ernst zu nehmen sei, bedeutet er doch, daß die Keime die vom Körper entgegen¬
gesetzten Schutzmaßregeln überwunden haben. S. führt sodann einige letale
Fälle an, wo das Blut allerdings Streptokokken enthielt, aber keine hämoly-
sierenden. Mithin bietet einerseits die Hämolyse keinerlei Anhalts¬
punkte für die Virulenz der Streptokokken, andererseits ist das
Fehlen der Hämolyse kein Zeichen der A virulenz. — - Streptokokken
fanden sich ferner bei 40 = 71% von 56 nicht fiebernden Wöchnerinnen
in den Scheidenlochien; in 38 Fällen hämolysierten diese Kokken. Es
ist dieser Befund die erste Bestätigung der neueren Befunde aus der V ei t' sehen
Klinik (Heynemann), wo man bei einer Reihe von 50 nicht fiebernden
Wöchnerinnen 31 mal typische hämolysierende Streptokokken fand. Aus dieser
Tatsache geht ebenfalls hervor, daß die Hämolyse mit Virulenz und Patho¬
genität nichts zu tun hat. Um dem Einwand zu begegnen, daß die Unter¬
suchung der Scheidenlochien nicht maßgebend sei, wurden noch die Utexus-
lochien von 12 fieberfreien Wöchnerinnen untersucht, mit dem Resultat,
daß sich 5 mal hämolytische Streptokokken fanden, übrigens gleichzeitig auch
in den Scheidenlochien. — - Zurzeit kann man also nur durch die
klinische Beobachtung erkennen, ob kulturell gefundene Strepto¬
kokken pathogen sind! : — Endlich hatten von 20 Schwangeren 9 Strep¬
tokokken, wovon 3 hämolysierten. Diese sämtlichen Frauen machten ein
normales Wochenbett durch! Bei drei im Wochenbett wieder untersuchten
Frauen, die in der Schwangerschaft nicht hämolytische Streptokokken gehabt
hatten, waren dieselben am 3. — 5. Wochenbettstag verschwunden. Anderer¬
seits waren bei zwei Frauen, welche als Schwangere nicht hämolytische
Streptokokken beherbergt hatten, am 2. — 3. Wochenbettstag massenhafte hämo¬
lytische Streptokokken vorhanden. Demnach wäre es nicht unmöglich, daß
die Hämolyse nur der Ausdruck besserer Wachstumsbedingungen ist. Den
Erscheinungen der Virulenz, ihres Auftretens und Verschwindens stehen wir
jedenfalls vorläufig noch wie einem Rätsel gegenüber. R. Klien (Leipzig).
Über Symphyseotomie in der Schwangerschaft.
Mit einer Textfigur.
(Dr. Franz Lehmann. Arch. für Gyn., Bd. 86, H. 2.)
Im Jahre 1899 machte Frank in Köln als erster eine Symphyseotomie
in der Schwangerschaft; die Geburt erfolgte zehn Tage danach. Wegen
Querlage Wendung und Extraktion; beim Durchleiten des Kopfes klaffte
zwar die Symphyse, es rissen aber die Weichteile wieder auf. Das. Kind
kam tot. Einen besseren Erfolg für das Kind erzielte man in einem Fall
77
1218 •
Referate und Besprechungen.
in der Freiburger Klinik, berichtet von Gauss, jedoch eiterte hier die Symphy-
seotomiewunde ; bei der? 34 Tage nach der Operation stattgefundenen Geburt
hatte die Symphyse ebenfalls deutlich geklafft. Den dritten bisher bekannt
gegebenen Fall hat L. selbst operiert und zwar in der 36. Woche. Er sagt
aber gleich, daß er nid wieder in der Schwangerschaft eine Symphyseotomie
vornehmen wird. Zwar wurde nach offener Symphyseotomie mit Drainage
des retrosymphysären Raumes primäre Wundheilung erzielt, aber bei der
27 Tage nach der Operation im Hause der Pat. erfolgenden Entbindung gaben
die durchschnittenen Symphysenenden nicht im geringsten nach. Als
der behandelnde Arzt die hohe Zange machte, trat plötzlich nach mehreren
Traktionen der Kopf mit einem Ruck ins Becken, aber auch hierbei war die
Symphyse nicht auseinander gewichen. Glücklicherweise lebte das Kind,
es hatte aber eine deutliche Depression auf dem linken Scheitelbein. —
Alles in allem bedeuten diesle drei Fälle ein Fiasko der prophylaktischen
Schwangersehaf tssymlphy seotomie, was übrigens bereits Frank nach
seinem ersten Fall ausgesprochen hat. L. hiebt hervor, daß die ganze Idee
der Schwangerschaftssymphyseotomie ihr Leben einer nicht ganz scharfen
Ausdrucksweise verdanke; man habe sich’ gesagt, nach der Symphyseotomie
bleibt ein erweiterungsfähiges Beckery zurück, machte es sich aber nicht
klar, daß in den Fällen, vo,n deren Einwirkung auf das Becken man ausging,
es sich um Symphyseotomie plus Geburt handelte. Die Symphyseotomie
konnte man in der Schwangerschaft machen, die vorangegangene Geburt bei
gespaltener Symphyse blieb dagegen ein Desiderat. Hier stecke der Fehler,
der gemacht wurde und ohne den diese Versuche vielleicht überhaupt nicht
gemacht worden wären. R. Klien (Leipzig).
Aus der Frauenklinik der Universität Heidelberg.
Untersuchungen über die Bedeutung des Suprarenins für die Geburtshilfe.
Eine experimentelle und klinische Studie. Mit 3 Tafeln.
(Priv.-Doz. Dr. Maximilian Neu. Arch. für Gyn., Bd. 85, H. 3.)
N. hat sich die Aufgabe gestellt, dem Suprarenin zu der ihm gebühren¬
den Stellung in der geburtshilflichen Therapie zu verhelfen. In einer breit-
angelegten Arbeit schildert er seine Experimente und seine klinischen Be¬
obachtungen. Auf die ersteren hier einzugehen, würde zu weit führen.
Hervorgehoben sei nur, daß die Wirkungsweise des Suprarenins höchst wahr¬
scheinlich eine neurogene ist, und daß der Gebärmuttermuskulatur eine
Art elektiver Eigenschaft gegenüber dem Suprarenin zuzukommen scheint.
Für therapeutische Zwecke kommt von Applikationsweisen nur die sub¬
kutane resp. intramuskuläre Injektion und die perkutane utero-muskuläre
in Betracht, letztere direkt in die Korpusmuskulatur hinein. Einspritzungen
in die Portio vaginalis empfehlen sich nur in gewissen (gynäkologischen)
Fällen. Die gewöhnliche Dosis! soll Vio mg betragen, die Maximaldosis
7io mg- Die Kontraktion des! Uterus ist bei der uteromuskulären Injektion
eine momentane, aber bald vorübergehende. Dagegen wird die Erregbarkeit
des Uterus auf geringe äußere Reize (Reiben) auf längere Zeit ganz be¬
deutend gesteigert, was therapeutisch von großem Wert ist. Unangenehme
Nebenwirkungen subjektiver Art wurden nur dann beobachtet, wenn die Nadel
in ein Blutgefäß eingedrungen war; das ist prinzipiell zu vermeiden. Indi¬
ziert ist die Anwendung von Suprarenin vor allem bei atonisch'en Blu¬
tungen in der Naohgebur tslperiode. Hier tritt der Effekt momentan ein:
feste Kontraktion, Sistieren der Blutung, gesteigerte Erregbarkeit, beschleu¬
nigte Loslösung der Plazenta; vor Subinvolution im Wochenbett vermag da¬
gegen die Suprarenininjektion nicht zu schützen, hier bleiben die alten physi¬
kalischen Heilmittel am Platze. Nicht verschwiegen darf auch werden,
daß nach Suprarenininjektionen öfter spastische Konstriktionen des inneren
Muttermunds beobachtet wurden, die zu einer unangenehmen Retention der
Eihäute führten. Zur Gebur tserr egung, sei es einer Fehl- oder einer Früh-
Referate und Besprechungen.
1219
gebürt, reicht das Suprarenin, auch wiederholt intramuskulär injiziert, nicht
aus; doch wird die Erregbarkeit des Uterus gesteigert. Bei Wehenschwäche
hat N. keine ausreichende Gelegenheit gehabt, das Mittel auszuprobieren.
Angewendet dürfte es hier .allerdings, wie das Ergotin, nur in der Aus¬
treibungsperiode werden wegen der bereits erwähnten tonischen Strikturie-
rung des inneren Muttermundes. Bei Blutungen in den ersten Tagen
des Wochenbettes ist Suprarenin ähnlich wie in der Nachgeburtsperiode,
also uteromuskulär oder auch intramuskulär (subkutan), dann indiziert, wenn
die Blutungen nicht von zurückgebliebenen Eiteilen herrühren. Eine eventuelle,
gleichzeitige Erschlaffung der Bauchdecken muß durch Bandagen behandelt
werden. In den späteren Tagen des Wochenbettes, in denen die natürliche
Erregbarkeit des puerperalen Uterus gradatim zurückgeht, bietet sich dem
Suprarenin ein schlechter Angriffspunkt. Dagegen läßt sich das Suprarenin,
in die Portio injiziert, mit Vorteil anwenden in Fällen, wo eine Ausräumung
des Uterus, sei sie digital oder instrumenteil, oder eine Abrasio im Spät¬
wochenbett bei schlechtem Kontraktionszustand nötig werden. Der Uterus
nimmt dann eine festere Konsistenz an, wodurch eine Perforation weniger
leidht möglich ist. — Erwähnt sei noch, daß sekundäre atonische Blutungen
nach Suprareninanwendung. die an sich möglich wären, nie beobachtet wor¬
den sind. — R. Ivlien (Leipzig).
Die Berechtigung und die Methode der Unterbrechung der Schwangerschaft.
(Heinrich Fritsch. Deutsche med. Wochenschr., Nr. 47, 1908.)
Die Berechtigung des künstlichen Abortes als lebensrettende Operation
ist unbedingt anzuerkennen. Am häufigsten werden Hyperemesis und Tuber¬
kulose die Indikation abgeben. Regeln lassen sich dabei nicht aufstellen, es
heißt gerade hier: individualisieren, wobei die äußeren Verhältnisse eine große
Rolle spielen. — F. gibt den Rat, den künstlichen Abort nur in einer1 An¬
stalt vorzunehmen. Technisch ist, wie F. aus tausendfältiger Erfahrung
versichern kann, ein langsames Vorgehen unbedingt zu bevorzugen. Für
24 Stunden wird ein Laminariastift eingelegt; nach dessen Entfernung Durch¬
bohrung der Eihäute mit dem Uteruskatheter, Ablassen des Fruchtwassers,
Tamponade des Uterus bezw. der Eihöhle mit einem langen Streifen Jodoform¬
gaze, der von Ichthyolglyzerin trieft. Bei Multiparis wird das Ei nunmehr
oft sehr bald ohne große Schmerzen ausgestoßen, sonst ist es wenigstens nach
24 Stunden gelockert und, falls es sich nicht ausdrücken läßt, mit der Kürette
leicht zu entfernen. Bei Verdacht auf zurückgebliebene Reste nochmalige
Uterustamponade ; beim Herausziehen der Gaze am anderen Tage und Aus¬
spülung des Uterus danach werde alles sicher entfernt. R. Klien (Leipzig).
Aus der Dresdner königl. Frauenklinik, 1900 — 1908.
Zur Spontangeburt bei engem Becken.
(Dr. Th. Leisewitz. Archiv für Gyn., Bd. 86, H. 1.)
Zunächst weist L. Baisch’s Zahl für Spontangeburten bei engem Becken
— 80% — als zu hoch nach. Dagegen rechnet L. aus, daß die Dresdener
Klinik, trotzdem sie die sog. prophylaktische Wendung und die künstliche
Frühgeburt nach wie vor ausübt, die höchste Zahl von Spontangeburten!
beim engen Becken erzielt hat. Die prophylaktische Wendung und Extraktion
sei überhaupt gar keine prophylaktische, sondern eine streng indizierte Opera¬
tion, und zwar nicht nur für den Praktiker draußen, sondern auch für die
Klinik. Mit Recht fragt L., was diejenigen, welche diese Operation —
ebenso die künstliche Frühgeburt — ausschalten wollen, dem Praktiker für
die Fälle, wo diese Operationen wirklich am Platze seien, gäben ? Die Ant¬
wort lautet: Da Kaiser- upd Beckenschnitt nur in der Klinik möglich sind,
Abwarten einer Spontangeburt oder Perforation des lebenden oder des durch
die lange Geburtsdauer absterbenden Kindes. Das sei ein Rückschritt. Da-
77*
1220
Referate und Besprechungen.
gegen sei hei richtig beurteilten Raum Verhältnissen und bei richtig gewähltem
Zeitpunkt — über dessen Bestimmung sich L, leider nicht näher äußert —
in solchen Fällen die Wendung und Extraktion eine segensreiche Operation.
Füllt sie somit in der Tat in der Praxis draußen eine Lücke aus, so kann
auch die Klinik ihrer eigentlich gar nicht entbehren, denn es ist auch heute
noch nicht jedermanns Sache, sich durch Hebosteotomie oder Kaiserschnitt ent¬
binden zu lassen, wenn es nicht absolut sein muß. Die Frühgeburt ist ganz
analog zu bewerten. Die traurigen Resultate Baisch’s (75% tote Kinder
bei allerdings nur 8 Fällen) haben ihren Grund, wie L. nachweist, in groben
Mißgriffen; wurden doch Kinder von 2200 g bis zu 1200 g herab zur Welt
gefördert. Andere Autoren haben gerade umgekehrt 75 und mehr Prozent
lebende Kinder bei 0 — 1% mütterlicher Mortalität. Letztere beträgt -dagegen
in Dresden bei Hebosteotomie 2,7%, bei Kaiserschnitt 4,9%. Durch Reform¬
bestrebungen im Sinne Baisch’s, die, wie L. zahlenmäßig nachweist, weder
genügend basiert sind, noch einer ernsten Kritik standzuhalten vermögen,
würden die praktischen Ärzte nur irre geleitet werden. Es sei überhaupt
schwer zu beklagen, daß von einer Anzahl hypermoderner Autoren gegen¬
wärtig eine Scheidung der Geburtshilfe in eine klinische und eine praktische
proklamiert werden. R. Klien (Leipzig).
Ueber wiederholte Hebosteotomie.
(O. Ho eh ne, Kiel. Beiträge zur Geburtsh. u. Gyn., Bd. 13, H. 3.)
Bei einer 23 jährigen II p. mit rachitisch-plattem Becken, doppeltem Pro¬
montorium. Oonj. vera 6,6 bezw. 7,2 cm, bei welcher vor 7 Jahren eine links¬
seitige Hebosteotomie mit lebendem Kind ausgeführt war, war der Kopf
nach lOstündigem Kreißen auf die rechte Darmbeinschaufel abgewichen. Er¬
neute Hebosteotomie etwas einwärts der früheren Knochendurchtrennung.
Wendung. Extraktion. Lebendes Kind, 1430 g schwer, 54 cm lang. Unge¬
störte Rekonvaleszenz trotz Auftretens eines starken Hämatoms in der linken
La.bie.
Der Fall zeigt, daß man von der Schambeindurchsägung keineswegs eine
dauernde Erweiterung des Beckenrings erwarten darf, röntgenologisch wurde
auch eine völlige knöcherne Vereinigung des früheren Knochenspaltes nach¬
gewiesen. Andererseits ergibt sich aus der Beobachtung, daß wir mit der
Indikationsstellung unter 7 cm Vera heruntergehen können, falls die Ver¬
engerung nur die Conj. vera betrifft, der Beckenausgang aber geräumig ist.
Diese Ansicht ist uns übrigens schon längst geläufig. (Ref.)
F. Kays er (Köln).
Psychiatrie und Neurologie.
Aus der medizinischen Klinik der Universität in Göttingen. (Prof. Dr. C. Hirsch.)
Kortikale motorische Aphasie nach Pneumonie.
(Assistenzarzt Dr. Port. Münchener med. Wochenschr., Nr. 16, 1909.)
Bei dem seltenen, von 'mancher Seite geleugneten Vorkommen von Herd¬
erkrankungen des Gehirns im Verlauf (einer Pneumonie hält es Port für
angebracht, einen derartigen Fall mitzuteilen. Bei einem 21 Jahre alten
Musiker trat acht Tage nach Beginn der Pneumonie eine hämorrhagische
Nephritis auf, die vier Tage später wieder völlig Beseitigt war. Daran
schloß sich eine leichte Sprachstörung, die langsam zunahm und mit Agra-
phie einherging. Im weiteren Verlauf gesellte sich noch eine Angina mit
Abszeßbildung hinzu. Bei der Entlassung bestand die Sprachstörung noch,
während die Agraphie verschwunden war. Die Sprachstörung war eine zere¬
brale, weil Agraphie vorhanden war und Lähmungen der Sprach- und Schling¬
muskulatur fehlten; es handelte sich um eine Störung der inneren Wort¬
bilder. Das Wortverständnis blieb vollkommen erhalten. Da diese Aphasie
mit Agraphie verbunden war, auch die Fähigkeit, nachzusprechen, nach Dik-
Referate und Besprechungen.
1221
tat zu schreiben, zu kopieren und laut zu lesen gestört war, so ist die
Diagnose auf kortikale motorische Aphasie zu stellen. Der Herd dürfte
im hinteren Abschnitt der dritten linken Stirnwindung (Broca’sche Windung)
liegen; die Ursache bildet wohl eine Embolie oder Thrombose des hinteren,
Zweiges vom ersten Aste der Arteria fossae Sylvii sinistra. F. Walther.
Eine statische Theorie der Epilepsie.
(Richard Stern. Wiener klin. Rundschau, Nr. 4—7, 1909.)
Der epileptische Insult hat verschiedene Beziehungen zum gesunden
Schlafe. Viele Epileptiker erleben ihre Attacke zur Zeit des Einschlafens
oder des Erwachens, und zwei Drittel aller Anfälle, welche Fere registrieren
ließ, kamen auf die Nachtstunden. Der Schlaf wirkt also hier gewissermaßen
als Agent provocateur. Auch sonst ist der normale Schlaf dem epileptischen
Krampfe vielfach verwandt. Stabile gleichförmige Reize wirken hier wie
dort fördernd (Zählen vor dem Einschlafen etc., reflektorische Epilepsie).
Die hypnagogischen Halluzinationen erinnern an die Aura des Epileptikers.
Wer im Stehen einschläft, kann plötzlich hinstürzen (brüskes Versagen des’
absinkenden statischen Tonus) und wenn er erwacht, zeigen sich motorische;
Reizerscheinungen (zuckende Bewegungen in Armen und Beinen). Das jähe
Aufschrecken aus dem Schlummer hat eine gewisse Ähnlichkeit mit dem klo¬
nischen Stadium des Krampfes. Der epileptische Anfall enthält also
keinerlei Elemente, die nicht auch dem Schlafe unter Umständen
eigen sein könnten. Die Epilepsie bildet ein Kapitel aus der Pathologie
des Schlafes. Auch der hysterische Anfall, der so oft mit dem epileptischen
kombiniert auf tritt, ist auf dem Boden schlaf verwandter Vorgänge begründet.
Die Absence an sich ist noch kein epileptisches Zeichen, sie wird erst dazu,
durch das Insuffizientwerden des statischen Apparates (Hinstürzen und toni¬
scher Krampf). Der typische epileptische Anfall ist daher, so lautet
der Schluß, den der Verf. aus seinen Erwägungen zieht, eine kurze Schlaf -
anwandlung, zu welcher der „epileptische MechanisOnus“ — die
epileptische Reaktionsfähigkeit des Gehirns — hin zu tritt. Es ist demnach
nicht so sehr der epileptische Insult als vielmehr der latente „epileptische
Mechanismus“, der den Epileptiker charakterisiert. Zwischen diesem Mecha¬
nismus und demjenigen, der die automatische Steuerung der aufrechten Hal¬
tung besorgt, bestehen enge Beziehungen, man kann daher aus dem Auftreten
epileptischer Manifestationen auf das Vorhandensein einer angebore¬
nen oder erworbenen Minderwertigkeit des statischen Apparates
schließen. Steyerthal-Kleinen.
Ueber die neurasthenischen, psychasthenischen und verwandte Zustände.
(Bernheim. Revue de Med., XXIX. Annee, Nr. 4, S. 257 — 270, April 1909.)
Gegenüber den Bestrebungen, welche darauf ausgehen, die Krankheits¬
bilder möglichst zu trennen und sie bis zur Unkenntlichkeit in Spezialfälle
aufzulösen, sucht Bernheim die unerschöpfliche Gruppe der sog. neurastheni¬
schen Zustände auf eine gemeinsame Basis zu stellen.
Er teilt sie zunächst rein empirisch ein in solche, welche zu heilen,
und solche, die nicht zu heilen sind; die ersteren, die man genauer als ErJ
schöpfungszustände bezeichnen müßte, scheiden sofort aus der Betrachtung)
aus. Bei den anderen, den wahren Neur- bezw. Psychasthenikern, kommen
zwar auch Besserungen, Wechsel in den Krankheitserscheinungen vor, aber
dafür kann der Arzt nichts, mag er nun Mastkuren, Suggestion, Hydro¬
therapie, Isolierung, Seruminjektionen, Elektrizität, Plasmon, Zerebrin,
Arsen oder sonst ein Heilmittel anwenden. Die Besserungen sind Remissionen,
die zum Verlauf der Krankheit gehören, die in scheinbar beliebigen Inter¬
vallen auftreten, oft erheblich, oft kaum bemerkbar sind, denen aber dann
stets wieder auch bei rationellster Behandlung ein „Rückfall“ folgt. „Aucun
traitement n’en previent le retour.“
1222
Referate und Besprechungen.
Diese asthenischen Zustände können t. im psychischen, t. im sog. nervö¬
sen Gebiet in die Erscheinung treten, oder sich so kombinieren, daß bald
die einen, bald die anderen im Vordergrund stehen. Bernheim stellt somit
neben die reine Psychasthenie, die er im Wesentlichen als Melancholie, Depres¬
sionen definiert, und neben die reine Neurasthenie (Schmerzen, Schwindel,
Ohnmächten. Gesichts-, Verdauungsstörungen, Mattigkeit usw.) die Mischfor¬
men der Psychoneurasthenie und [der Neuropsychasthenie. Allein — und
das erscheint mir prinzipiell wichtig — er beschränkt die Affektion nicht
auf das Nervengebiet, sondern betont, daß auch die Muskeln, die Verdauungs¬
organe, das Herz, die Haut, der Genital- Apparat usw. ergriffen sein können.
Woher rühren nun diese Asthenieen ? Da kann zunächst ein Vitium;
primae formationis zugrunde liegen; die Neurasthenie entsteht dann par droit
de naissance, par diathese native, par le microbisme latent de l’heredite se
developpant ä ün (moment donne de la vie, scheinbar unabhängig von äußeren
Einflüssen. Dagegen können — zweitens — innere Vorgänge auslösend
wirken: Das Zahnen, das Wachsen, die Pubertät, Menstruation, Schwanger¬
schaft, Wochenbett, Menopause usw. Und drittens sind Gifte und Infek¬
tionen zu nennen : Lues, Blei, Alkohol, Typhus, und vor allem Grippe.
Ich weiß nicht, ob aus diesen Anhaltspunkten ein jeder die verschie¬
denen neur- und psychasthenischen Affektionen als Ausdruck einer Intoxi¬
kation anzusprechen geneigt ist. Bernheim jedenfalls tut das: ,,ces syndromes
sont dus ä un agent nuisible, c’est-ä-di.re toxique circulant dans tout l’orga-
nisme‘‘ (S. 261) un,d ,,Les etats neurastheniques etc . sont des etats
toxi — infectieux“ (S. 269), und indem er damit dem z. Z. herrschendem
Genius epidemicus chymicus seinen (Tribut zollt, beweist der Meister der
Hypnose, daß er selbst dem hypnotisierenden Zauber jener Vorstellungs¬
weise erlegen ist.
Von objektiven Symptomen betont er hauptsächlich die Steigerung der
Reflexe (Patellar- und Fußklonus) und Gleichgewichtsstörungen (Neigung,
nach rückwärts zu fallen). Konform seiner Grundvorstellung erklärt er diese
Sj^mptome als Lokalisationen des hypothetischen Giftes in den Pyramiden¬
bahnen bezw. im Kleinhirn usw., und indem er diese Lokalisationen sich bald
im Bereich des Unsichtbaren .abspielen, bald zu organischen Veränderungen
(Neuritis, Myelitis, Enteritis muco-membranacea u. dergl. entwickeln läßt,
rettet er die Einheit seiner Auffassung. Zum Schluß spielt er den letzten
Trumpf aus: Die Neuropsychasthenie sei der Suggestionsbehandlung unzu¬
gänglich : also könne es sich nicht um dynamische Funktionsstörungen handeln ;
man begreife vielmehr leicht, daß nur Gifte dieser Therapie einen so unüber¬
windlichen Widerstand entgegensetzen. Allein bei aller Anerkennung des
geistvollen Aufbaues wird vielleicht gerade dadurch die zweifelnde Frage
ausgelöst : Könnte es nicht auch anders sein ? Buttersack (Berlin).
Medikamentöse Therapie.
(1. Medizinische Abteilung des St. Rochus-Spitals, Budapest.)
Die Wirkung des Extractum Digitalis depuratum (Digipuratum „Knoll“)
auf das Zirkulationssystem.
Bemerkungen zur Wirkungsweise der Digitalis.
(Dr. Joseph Szinnyei. Orvosi Hetilap, Nr. 17 — 22, 1909.)
Der Verf. prüfte eingehend die Wirkung des Digipuratums in 20 Fällen
und kommt zu dem Schluß, daß das Digipuratum ein absolut verläßliches
Digitalispräparat ist, welches infolge seiner Eigenschaften, erstens stabile
Wirkungsstärke, zweitens kombinierte (Digitalin- und Digitoxin-)Zusammen-
setzung und drittens Reinheit bezw. Digitonin-Freiheit, bei jeder Inkompen¬
sation zu geben ist, wenn zur per os -Verabreichung noch Zeit ist.
Bei der Verwendung des Digipuratums stieg die Diurese in 11 Fällen
schon am zweiten Tag, in 4 Fällen überstieg sie schon am ersten Tag die
Referate und Besprechungen.
1223
eingeführte Flüssigkeitsmengei In 3 Fällen begann die Diurese erst am
dritten Tag, in 2 Fällen erst am vierten Tag, während eine größere Ver¬
spätung, nämlich bis am fünften, sechsten oder siebenten Tag nur in je einem
Fall beobachtet wurde.
Bei genauer Vergleichung der Daten über die Frequenz der Herzaktion
mit jenen über die Diurese findet man das merkwürdige Ergebnis, daß in
einzelnen Fällen die Frequenz sehr rasch abnimmt, manchmal schon am zweiten
oder dritten Tag, während die Urinmenge, wenn sie auch größer ist als vom
vorhergehenden Tag, der eingeführten Flüssigkeitsmenge immer noch nicht
entspricht.
Es scheint, als ob man gerade in dieser zeitlichen Dissoziation der;
Digitaliswirkung auf Pulsfrequenz und Diurese einen Schlüssel zur Beur¬
teilung des Zustandes des Herzmuskels finden könnte, indem nämlich die
Digitalis auf den noch anscheinend guten Herzmuskel derart wirkt, daß
die Abnahme der Kontraktionsfrequenz und der Beginn der Diurese zur selben
Zeit eintreten, bei schlechterem Myokard aber die Frequenz erst abnimmt
und erst später — und zwar um so später, je schlechter der Herzmuskel ist —
die Diurese anzusteigen beginnt.
Wenn die Herzschwäche sehr groß ist, darf man natürlich nicht das
Digipuratum benutzen, dann kann einzig und allein eine intravenöse Digalen-
oder Strophantineinspritzung das Leben retten.
Von der Voraussetzung ausgehend, daß Digitalis immer da angezeigt
ist, wo das Herz mehr Arbeit als gewöhnlich zu leisten hat, in den Fällen,
auch, wo es nicht gut genährt ist und deswegen in schlechten Verhältnissen
arbeiten muß, in allen Fällen endlich, wo es heißt, so schnell als möglich
den Blutkreislauf zu beschleunigen, um Toxine zu verbrennen, d. h. um
das Blut zu entgiften, versuchte der Verf. die Indikationen der Digitalis
zu erweitern. Er wandte infolgedessen die Digitalistherapie und zwar mit
gutem Erfolg an bei : Influenza (17 Fälle), genuiner akuter Lungenentzündung
(21 Fälle), Bronchitiden, Bronchiolitiden (11 Fälle), Diphtherie (3 Fälle),
Gesichtsrose (4 Fälle), kryptogenetischen Anämien (9 Fälle), Chlorose (5 Fälle)
und verschiedenen anderen Indikationen.
Als absolute Kontraindikationen der Digitalis sind erhöhter Blutdruck,
vorherige Blutungen, Basedow’sche Krankheit anzusehen.
Aus seinen Beobachtungen folgert der Verf. :
Sobald das Blut nicht physiologisch rein ist, arbeitet das Herz patho¬
logisch. Sobald das Herz mehr Arbeit als in der Norm liefern muß, arbeitet
es auch pathologisch. In diesen Fällen muß dem Blutmotor geholfen werden,
weil nur. die normale Arbeit des Herzens eine normale biologische Oxydation
des Organismus, i. e. ein normales Leben erlaubt.
Zwei neue Quecksilber-Präparate.
(L. Queyrat. Bull, med., Nr. 59, S. 707—708, 1909.)
Die immer neu angepriesenen Hg-Präparate beweisen, daß die vorhandenen
noch nicht allen Ansprüchen genügen. Ein eigenartiges Kompositum haben
Queyrat und Degny an zahlreichen Syphilitikern erprobt, nämlich ein
Amalgam aus Silber und Quecksilber. Sie ließen von diesem Amalgam 16 und
40 (Volum-)% ige Öle hersteilen, und injizierten davon 2 b!zw, 1 ccm allwöchent¬
lich mit höchst bemerkenswerten Heilresultaten.
Sie schritten dann auf diesem Wege weiter, verrieben Quecksilber mit
Platin und injizierten hiervon 16 bzw. 40% Öle, von denen das schwache
in 1 ccm 0,4 g Hg und 0,04 Platin, das stärkere 0,16 Hg und 0,0.16 Platin
Enthielt. Die Versuchsdauer ist noch zu kurz, um die Resultate endgültig
zu rühmen ; immerhin haben die beiden Kliniker den Eindruck gewonnen, daß
man auf diese Weise, durch die Kombination von Metallen, mit geringeren
Quantitäten von Hg auskomme und trotzdem auch schwere Fälle zur Heilung
bringe. Buttersack (Berlin).
1224
Referate und Besprechungen.
Aus der inneren Abteilung des Krankenhauses der jüdischen Gemeinde zu Berlin
(leitender Arzt: Prof. Dr. J. Lazarus).
Ueber Kollargolbehandlung.
(Dr. R. Fabian u. Dr. H. Knopf. Berl. klin. Wochenschr., Nr. 30, 1909.)
Verfasser wandten diese Therapie in 25 Fällen von akutem Gelenk¬
rheumatismus, gonorrhoischer Arthritis und Septikämie an, und zwar bevor¬
zugten sie die Darreichung in Klysmaform (früh und abends 1/2 Stunde nach
dem Reinigungsklistier je 50 ccm einer 1 prozen tigen Lösung). Sie konnten
feststellen, daß das Kollargol viel langsamer wirkt, wie die Salizyipräparate.
Es beeinflußt zunächst die Schmerzen, das Fieber geht nur ganz allmählich
herunter. Verfasser empfehlen das Mittel hauptsächlich da, wo Salizyl ent¬
weder versagt oder nicht vertragen wird. Bei Sepsis, sowohl durch Strepto-
wie auch durch Staphylokokken hervorgerufen, übt das Präparat gar keinen
Einfluß aus. F. Walther.
Aus dem Marienhospital in Birkesdorf bei Düren.
Erfahrungen mit Eusemin.
(Littaur. Deutsche med. Wochenschr., Nr. 29, 1909.)
Das Eusemin, eine Mischung von Kokain mit Adrenalin in physio¬
logischer Kochsalzlösung, hat sich in den verschiedensten Fällen recht gut
bewährt. Zunächst bei Behandlung von Nasen- und Nebenhöhlen erkrankungen.
Bei Muschelresektionen und Septumoperationen ist die anästhesierende
Wirkung des Eusemins ausgezeichnet, zudem operiert man fast blutleer. Man
muß allerdings 8 — 10 Minuten nach der Injektion abwarten, dann kann man
den Eingriff in der kürzesten Zeit schmerzlos ausführen.
Anbohrungen der Kieferhöhle vom unteren Nasengange werden von
den Patienten unter Eusemininjektion durchschnittlich ohne jede Schmerz¬
äußerung ertragen, desgleichen Anbohrungen vom Processus alveolaris aus ;
natürlich wird die Schleimhaut vorher unempfindlich gemacht.
Bei ausgedehnten Operationen der Kieferhöhle, von der Fossa canina
aus mit der Herstellung einer Verbindung mit der Nase, spritzt man kurz nach
Beginn der Allgemeinnarkose eine Ampulle Eusemin unter die Schleimhaut,
teils der Fossa canina, teils des unteren Nasenganges. Irgend eine unange¬
nehme Nebenwirkung bei dieser Methode hat Verf. nicht gesehen, vielleicht
war die Blutung, nachdem der Patient zu Bett gebracht war, mal eine
stärkere, aber niemals war ein besonderes Eingreifen erforderlich.
Bei Tonsillotomien hat er das Eusemin wiederholt mit' recht befrie¬
digendem Erfolge benutzt. Eine halbe Spitze am oberen, eine halbe am
unteren Pol der Tonsille genügt, um diesen Eingriff nach einigen Minuten,
— die Tonsille wird fast weiß — fast schmerzlos ausführen zu können.
Neumann.
Ueber die Wirkung des Aperitols.
(Dr. G. Her schell, London. Folia therap., April 1909.)
Unter den modernen Laxantien nimmt das Phenolphtalein eine hervor¬
ragende Stellung ein; es passiert den Magen unzersetzt und bildet im Darm
ein wenig diffusionsfähiges Natriumsalz mit hohem osmotischen Druck, das
eine bemerkenswerte Ausscheidung von Flüssigkeit in den Darm hinein ver¬
anlaßt. Obwohl der größte Teil des Mittels ohne absorbiert zu werden den
Körper verläßt, so wird doch ein Teil durch die Nieren ausgeschieden und
kann bei größeren Dosen gelegentlich Nierenreizungen veranlassen. Viele
Patienten klagen ferner beim Gebrauch von Phenolphtalein über Leibschmerzen.
Der Gedanke, ein Abführmittel mit einem schmerzlindernden Mittel
zu vereinigen, führte dazu, das Phenolphtalein mit der bei Leibschmerzen
viel verwandten Baldriansäure zu verbinden. Dieses Mittel wurde unter
dem Namen Aperitol in die Therapie eingeführt.
Referate und Besprechungen.
1225
Die Untersuchungen des Verfassers zeigen, daß das Aperitol die Peri¬
staltik erhöht und den Durchgang der Nahrung durch den Darmkanal be¬
schleunigt, die Intensität der Wirkung ist jedoch verschieden, sogar bei
den gleichen Individuen.
Durch Aperitol wird der Wassergehalt des Stuhles vermehrt, das Ver¬
hältnis der festen Massen zu den flüssigen wechselt mit der Dosis.
Im Gegensatz zum Phenolph talein tritt beim Aperitolgebrauch kaum
hier und da ein leichtes Unbehagen auf.
Bei chronischer Konstipation wirkt das Mittel, wenn es in gleichen
Dosen weiter gegeben wird, gut. Besonders empfiehlt sich das Aperitol bei
temporärer Verstopfung infolge von Diätfehlern, Bettlägerigkeit usw.
Peru er ist das Präparat angezeigt, wenn es als gelegentliches Purgans
dienen soll. Infolge seiner Eigenschaft, den Wassergehalt der Eäzes zu ver¬
mehren, ist es ferner zu empfehlen bei Aszites, pleuritischen Ergüssen, bei
einigen Formen von Obesitas und Herzkrankheiten.
Erfahrungen mit einem neuen Arseneisenpräparat Asferryl.
(Fries. Tlierap. der Gegenw., Nr. 8, 1909.)
Das Asferryl ist ein grünlichgelbes Pulver, das in verdünnten Säuren
schwer, in verdünnten Alkalien dagegen leicht löslich ist. Es enthält 23°/0
Arsen und 18°/o Eisen, dabei ist es etwa 35mal ungiftiger wie arsenige Säure.
Asferryl kommt in Tablettenform in den Handel, jede Tablette zu 1 g enthält
0,04 g Asferryl, demnach 0,01 Arsen. Die Tagesgabe beträgt 1—2 Tabletten,
bei höheren Dosen treten Störungen von seiten des Verdauungstraktus auf.
Am besten beginnt man mit zweimal täglich ya Tablette, läßt nach vier
bis fünf Tagen dreimal x/2 Tablette nehmen, nach weiteren vier Tagen geht
man zu zweimal täglich einer Tablette über. Zweckmäßig ist es, in Inter¬
vallen von 4 — 5 Tagen auch weiterhin mit der Dosis zu steigen und zu fallen.
— Die Erfolge bei Anämien und Chlorosen waren gut. Neumann.
Aus der Landes-Heil- und Pflegeanstalt Uehtspringe.
Behandlungsversuche mit Arsenophenylglyzin bei Paralytikern.
(Alt. Münch, med. Whchenschr., Nr. 29, 1909.)
Mit Rücksicht darauf, daß bei Paralytikern die Wassermann’sche
Reaktion positiv auszufallen pflegt, sei es infolge noch vorhandener Syphilis
oder einer ihr nachgefolgten und durch sie unterhaltenen übermäßigen Abgabe
von Lezithin, hat wieder ein aktiveres Vorgehen speziell in den Anfangs¬
stadien der Paralyse begonnen.
Quecksilber erwies sich im ganzen als wirkungslos, auch das Atoxyl
versagte, doch konnte dadurch der Grundgedanke durch Arsen in geeigneter
Form die etwa bei der Paralyse noch aktiven syphilitischen Prozesse zu be¬
einflussen, nicht erschüttert wterden. Als geeignetes Mittel erscheint das
von Ehrlich dargestellte Arsenophenylglyzin, dem die unangenehmen Neben¬
wirkungen des Atoxyls, speziell auf den Sehnerven, fehlen. Bis jetzt läßt
sich über die Wirkung des Arsenophenylglyzins bei Paralytikern sagen,
daß es in manchen Fällen die Wassermann’sche Reaktion zum Schwinden
gebracht hat, ohne wesentliche unangenehme Nebenwirkungen zu entfalten.
Bei einem daraufhin untersuchten Paralytiker verlor sich außerdem die vorher
übermäßig hohe Lezithinabgabe im Kot. Klinisch läßt sich mit Rücksicht
auf das an und für sich so wechselvolle Bild der Paralyse noch nichts sagen.
Es werden von Alt weitere ausgedehnte Untersuchungen vorgenommen.
Neumann.
1226
Referate und Besprechungen.
Aus der biochemischen Abteilung des Instituts für experimentelle Therapie
zu Düsseldorf.
Narkose und Lezithin.
(Nerking. Münch, med. Wochenschr., Nr. 29, 1909.)
Auf Grund theoretischer Erwägungen hat Nerking versucht, durch
intravenöse Einspritzung von Lezithinaufschwemmungen die Giftwirkung der
Narkotika zu paralysieren, indem er speziell von der Ansicht ausging, daß
durch Zuführung anderer Lipoide das Narkotikum aus seiner Bindung mit
den Gehirnlipoiden losgerissen und die narkotische Wirkung auf diese Weise
aufgehoben oder beschränkt werden könnte.
Die Wirkung der Lezithineinspritzung wurde geprüft bei Äther, Chloro¬
form, Morphium, Morphium-Skopolamin, Urethan, Urethan-Chloralhydrat, Novo¬
kain, Novokain-Adrenalin und Stovain; als Versuchstiere dienten Hunde,
jKaninchen, Batten. Die- Wirkung zeigte sich teils in einem früheren Er¬
wachen und Munterwerden, teils in früherer Rückkehr der Empfindung.
Was die Dosierung der Narkotika anlangt, so wurde stets gleichmäßig bis
zum völligen Erlöschen der Reflexe bezw. der Empfindung narkotisiert. Be¬
sonders bemerkt zu werden verdient noch, daß Tiere, die vorher mit Lezithin
behandelt waren, eine viel größere Menge des Narkotikums bis zum Eintritt
völliger Narkose bedurften als nicht behandelte; ebenso verhielten sich Tiere,
die schon einmal als Versuchstiere gedient hatten und dann später nochmals
in Versuch genommen wurden; offenbar bleibt das Lezithin lange im Kreislauf
und sättigt sich erst mit dem Narkotikum ab, ehe die Organvorräte des
Tieres an Lezithin herangezogen werden.
Da somit das Lezithin nicht allein ein unschädliches Mittel ist, sondern
sogar einen deutlichen günstigen Einfluß auf den gesamten Organismus
ausübt, dürfte es wohl berechtigt sein, die Lezithineinspritzungen — in der
Form des Poulene’schen Präparates im sterilen Röhrchen — - auch beim
Menschen zu versuchen, um einer üblen Nachwirkung der Narkose vorzu¬
beugen, bezw. die Narkose abzukürzen. Neumann.
Röntgenologie nnd physikalische Heilmethoden,
lieber kurze Ausspannungen.
(Prof. Boas, Berlin. Zeitschr. für Baln., April 1909.)
B. nimmt Stellung gegen die bisherigen schematischen Verordnungen
von Badekuren, die meist auf 3 — 4 Wochen bemessen werden, cv. mit ob¬
ligater 1 — 2 wöchiger Nachkur. Er ist bei wirklich Kurbedürftigen für eine
Erweiterung der Kur bezw. für eine Wiederholung derselben innerhalb eines
Jahres. Besonders bei Überarbeitungsneurasthenien empfiehlt er in gewissen
Zwischenräumen — alle 6—8 Wochen — kurze Ausspannungen von 5 — 10
Tagen. Erforderlich ist .naturgemäß, daß keine langen Reisen dazu not-,
wendig sind; schon der Wechsel des Aufenthalts leistet dabei oft Vorzügliches
— - gleich, ob damit geistige Ruhe oder eine gewisse Anregung unter fremden
und neuartigen Verhältnissen verbunden ist. Krebs.
Experimentelle Untersuchungen zur physiologischen Wirkung von
Mineralwassern.
(Borodenko. Zeitschr. für Baln., Nr. 12, 1909.)
Salzschlirfer Bonifaziusbrunnen verhält sich ziemlich indifferent* gegen
die Drüsen des Verdauungskanals, dagegen regt er die Magenmotilität an
und zwar, je höher temperiert, um so mehr. In gleicher Weise beeinflußt er
die Darmperistaltik. Ferner 'lost der Urin Harnsteine aus Harnsäure und
Phosphorsäure leichter -auf, wenn Bonifaziusbrunnen getrunken wird, als
wenn, nur reines Wasser getrunken wird. (Versuche aus dem Laboratorium
des Pathologischen Universitäts-Instituts Berlin.) Krebs.
Referate und Besprechungen.
1227
Praktische Erfahrungen beim Gebrauch der Salzschlirfer Bonifaciuskur.
(G'emmel, Salzschlirf. Zeitschr. für Baln., Nr. 12, 1909.)
G. nimmt auf Grund seiner Beobachtungen an ca. 6000 Kurgästen zu
obigen Untersuchungen Stellung. Er bestätigt den steinlösenden Einfluß
des B. -Brunnens, bestreitet aber die mangelnde Beteiligung der Unterleibs¬
drüsen an dem Kurerfolg, da fast regelmäßig Appetit und Verdauungskraft
sich heben und die Urinmenge deutlich vermehrt wird.
G. warnt davor, täglich mehr als 1— D/2 Liter zu trinken : und zwar
läßt er die erste Hälfte davon morgens nüchtern, 18 — 20° warm, die andere
Hälfte zwischen vier und sechs Uhr nachmittags, kalt trinken. Krebs.
Experimentelle Untersuchungen von Arsenwasser auf die Magen- und
Darmfunktion.
(Brenner. Zeitschr. für Baln., Nr. 12, 1909.)
Die Untersuchungen betreffen die Maxquelle zu Dürkheim — einen
arsenhaltigen Kochsalz-Säuerling. Die Mägensaftsekretion wird, anders wie
beim Roncegnowasser, das nebenbei kochsalzarm und stark eisenhaltig ist,
gesteigert, die Motilität angeregt und die Peristaltik des Darms beschleunigt
— Beobachtungen, die mit den klinischen Erfahrungen gut übereinstimmen.
Krebs.
Höhenklima und Herzkrankheiten.
(B. v. Koränyi, Ofenpest. Zeitschr. für Baln., April 1909.)
Üble Zufälle bei Herzkranken in großen Höhen bekämpft man zweck¬
mäßig mit Sauerstoffeinatmungen, welche nicht nur die Zahl der Blutkörper¬
chen, sondern auch die Viskosität des Blutes herabzusetzen vermögen (beide
sind vermehrt in der Höhe und erschweren bezw. verlangsamen die Zirku¬
lation). Aus der Auffassung heraus, daß also das Höhenklima die Kreislauf¬
organe belastet, schlägt K. vor, durch allmählich gesteigerte 11 öhenbehand-
lung eine zunehmende Übung für das Herz anzuwenden und so methodisch
seine Leistungsfähigkeit zu steigern. Krebs.
Bemerkungen zur modernen Elektrotherapie.
(Geh. Rat Prof, Eulenburgr Berlin. Zeitschr. für Baln., April u. Mai 1909.)
E. weist die Übertreibungen und Überschätzungen zurück* die seitens
einer Reihe von Autoren bezgL des Vierzellenbades stattgehabt haben. An
Stelle der allgemeinen Elektrisation, wie sie im elektrischen Vollbade statt¬
findet, tritt nach E. im Vierzellenbade nur eine Anwendung von zwei Doppel -
elektorenpaaren mit ungewöhnlich großer Angriffsfläche. Die theoretischen
Voraussetzungen dieses Bades scheinen wenig begründet Und der einzige
Vorteil die bequeme Handhabung und Anwendung. Lektüre des Originals;
empfohlen. Krebs.
Feste Kohlensäure gegen Warzen und Hühneraugen.
(R. Sutton. Journ. of cutan. diseases, April 1909.)
Hühneraugen auf den Sohlen können einem das Leben aufs äußerste ver¬
bittern. Bei vier Pat., bei denen Salizylsäure, Chrysarobin, Acid. nitr., Ab¬
kratzen unwirksam geblieben war, gelang es, sieben solcher Gebilde von
1 — 6 qcm Größe dadurch zu beseitigen, daß man während 30 60 Sekunden
etwas Kohlensäure-Schnee auf ihre Mitte legte, so daß sie gefroren; man)
ließ sie auftauen und legte dann abermals etwas feste CO^ auf. Nach^ zwan¬
zig Tagen war völlige Heilung eingetreten. Die dabei au 1 tretenden Schmer¬
zen sind so geringfügig, daß man kein Anästhetikum braucht. ■ Viel¬
leicht ließe sich die Sache auch mit Äthylchlorid machen.
Buttersack (Berlin).
1228
Referate und Besprechungen.
Allgemeines.
Aus der amerikanischen medizinischen periodischen Literatur.
(Mai 1909.)
The american journal of the medical Sciences.
1. Die Diagnose des Magengeschwürs, nachgewiesen durch
Operation. Von Dr. J. N. Hall, Prof. d. Med. am Denver College, Colorado.
Verf. berichtet über 50 eigene Fälle von Magen-, Pylorus- und Duodenal¬
geschwüren, in denen die Diagnose durch die Operation bestätigt war und
ihm nur zwei Irrtümer passierten. Einmal diagnostizierte er auf Grund
akuter Symptome und eines hohen Säuregehalts ein verheiltes Ulkus mit
frischem Nachschub und fand nur eine alte Narbe und eine Treitz’sche,
Hernie, die die akuten Symptome veranlaßt hatte, ein andermal Gallen¬
steine, und fand ein Duodenalgeschwür. Die Analyse dieser Fälle be¬
gründet nach H. den Schluß, daß das Magengeschwür durchaus keine seltene
Krankheit ist und daß wir bei der Diagnose mehr Gewicht auf die allgemeinen
klinischen Symptome als auf die Resultate der chemischen Untersuchung
im Laboratorium legen sollten.
2. Die Diät im Typhus. Von Dr. S. Strouse, Baltimore. Vortrag.
Verf. kommt zu dem Schluß, daß, während Einzelheiten nicht streng vor¬
geschrieben werden können, das Prinzip in der Ernährung Typhuskranker
sein sollte, ihnen zum mindesten denselben Betrag an Nahrungsenergie zu¬
zuführen, den ein Gesunder verlangt, und gibt hierfür die Diät im allge¬
meinen an.
3. Typhöse Bazillurie. Von Dr. Carl Conpell, Lehrer der Chirurgie,
Columbia-Universität, New- York. Eine eingehende Studie über das für die
allgemeine Hygiene und die Verbreitung des Typhus so wichtige Thema,
daß Typhuskranke noch lange nach der Genesung Bazillenträger sein können,
und die bakterizide Wirkung des Urotropins. Ref. verweist hierbei auf eine
denselben Gegenstand betreffende Arbeit von Evers und Müh ler ’s in der
deutsch, militärärztl. Zeitschr. 1909, Heft 9, („Cholelithiasis paratyphosa u.
Paratyphuserkrankung, ein Beitrag zur Frage der Bazillenträger^). Die
übrige Literatur ist bei Connell angegeben.
4. Die chirurgische Behandlung der Darmperforation im
Typhus. Von Dr. Francis Denison Patters'on, Philadelphia. Eine
Literatur-Revue. Frühe Diagnose und unmittelbar darauffolgende Operation
ist die Hauptsache. Dies wird am besten erreicht, wenn der Arzt von
vornherein zusammen mit dem Chirurgen geht, so daß, weiin die Notwendig¬
keit der Operation eintritt, der letztere nicht den Nachteil hat, den Kranken
vorher nicht gesehen zu haben. Ein Kranker wurde innerhalb zwei Wochen
dreimal operiert, zweimal wiegen Perforationen und einmal wegen Adhäsions-
Obstruktion, und genas. Ein 8 jähriger Knabe hatte bei der Operation zwei
Perforationen im Ileum und einen gangränösen und perforierten Appendix
und genas.
5. Spasmus der Brustmuskeln, besonders der Interkostales,
ein physikalisches Zeichen von Luligenkrankhei ten. Von Dr. F. M.
Pottenger, Monrovia, Columbia. Ähnlich wie Muskelstarrheit (rigidity)
besonders bei akuten Unterleibskrankheiten vorkommt, z. B. bei Appendix¬
erkrankungen im rechten unteren Quadranten des Abdomens, kommt nach
P. Muskelspasmus besonders der Interkostales als ein konstantes Zeichen
bei Lungentuberkulose vor, mittels dessen er nicht nur den Ort, sondern
auch die Art der Erkrankung, diese ziemlich genau, hat bestimmen können.
Es ist ein richtiger Spasmus, der in einzelnen Fällen über dem Ort der Er¬
krankung so ausgesprochen ist, daß man die Stelle leicht durch Vergleich
mit anderen Stellen findet. Man palpiert am besten von unten nach oben.
Daß der Spasmus dauernd ist, hat wahrscheinlich seinen Grund in fibröser
Degeneration. P. hält ihn für ein wertvolles Zeichen.
6. Magenverdauung beim Kinde. Von Dr. Wood Clarke, New-
York. Wie Nr. 4 eine Literatur -Revue. Beim neugeborenen Brustkind
Referate und Besprechungen.
1229
entleert sich der Magen in 1 M/s Stunden, je älter das Kind wird, je später.
Die wenigen, im leeren Magen gefundenen Tropfen Magensaft rühren von
der letzten Mahlzeit her und sind nicht in den leeren Magen sezerniert.
Die Motilität ist schneller bei Brustkindern als: bei den mit Kuhmilch oder
sonst künstlich genährten, und schneller im gesunden als im kranken Zu¬
stande. Die Azidität ist unmittelbar nach der Mahlzeit gleich Kuli, nimmt
dann aber — auch mit dem Alter — zu. Pepsin ist in jedem Alter und in
jedem Gesundheitszustände vorhanden.
7. Syphilis des Magens und der Eingeweide. Von Dr. Alfred
D. Hohn, Lehrer der Medizin, Rush medical College, Chicago. Die Diagnose
,, Magenlues ist wahrscheinlich, wenn beim Vorhandensein einer spezifischen
Anamnese und spezifischer Karben gleichzeitig gummöse Infiltrationen ge¬
funden werden. Die Hämorrhagien sind durch konkomittierende Portal-Ob¬
struktion zu erklären. Bei mit J od und Merkur überfütterten Luetischen
kommen oft Magenstörungen vor, die nicht mit Lues zu verwechseln sind:
sie verschlimmern sich durch Jod und Merkur, während luetische sich da¬
durch bessern. Die spezifische spezielle Therapie muß mit großer Vorsicht
vorgehen, da es sich meist um tiefe pathologische Veränderungen im Magen
selbst handelt und die gewöhnliche Behandlungsmethode meist nicht aus¬
reicht.
8. Die Leber in der Tuberkulose. Von Dr. Josephius Tucker
Ullom, Mitglied des Henry Phipps -Instituts zum Studium usw. der Tuber¬
kulose, Philadelphia, Miliartuberkel werden meist gefunden, Solitärtuberkel
sind selten. Die Infektion ist wahrscheinlich hämatogener Katur und erfolgt
durch Pfortader und Art. hepat von Darmgeschwüren aus. Passive Kon¬
gestion ist bei Lungentuberkulose fast stets vorhanden, Amyloid und Fett-
leber verhältnismäßig selten. Fibrose oder Zirrhose ist wahrscheinlich nicht
durch Tuberkelbazillen, sondern durch andere ätiologische Faktoren ver¬
anlaßt. * .
9. Aszites bei .Leberzirrhose geheilt durch wiederholten
Bauch stich. Von Dr. Henry S. Patterson, Columbia-Universität, Hew-
York. Ausführliche Beschreibung eines seltenen Falles und Versuch einer
Erklärung.
10. Adipositas dolorosa. Von Dr. George E. Price, Assistent der
Keurologie am Philadelphia general hospital usw. Eine klinische und patho¬
logische Studie mit dem Rapport von zwei Fällen mit Kekropsie. Wir ver¬
weisen hierbei auf ein Referat über, denselben Gegenstand in den Fortschr.
d. Med. vom 30. Juli 1908.
11. Chemie des Harns bei Dinbetes mellitus. Von Dr. Campbell
P. Howard, Demonstrator der klinischen Medizin und Chirurgie, Mc Gill-
Universität, Montreal, Kanada. Eine Studie an der Hand eines Spezialfalls.
12. Darmverschluß. Eine Skizze der Behandlung, basiert
auf der Todesursache. Von Dr. J. W. Draper Maury, Col. -Universität,
Kew-York. Eine Studie über 400 experimentell erzeugte Läsionen (unter
einer Vergleichung seitens des Roekefeller’s Institut für medizinische For¬
schung). Der Tod erfolgt durch hauptsächlich im Duodenum sich bildende
Toxine. Aufgabe der Therapie ist es daher, diese durch Irrigation (mit
einem noch zu findenden Serum) wegzuschwemmen.
The St. Paul medical journal.
1. Stenose des Pylorüs in der Kindheit. Von Dr. Charles L.
Scudder, Boston, Chirurg am Massachussetts gen. hosp., Lehrer der Chirurgie,
Harvard med. school. Der erste Fall, und zwar ein von Dr. H. Beardsley
intra vitam diagnostizierter und durch die Autopsie bestätigter, ist 1788
berichtet, der zweite erst 120 Jahre spätör. Die Krankheit tritt plötzlich
bei völlig gesunden Kindern auf, ohne daß irgend eine Ursache entdeckt
werden kann. Sie fangen an zu brechen, magern ab und gehen marantisch
zugrunde — auf dem Totenschein steht: Inanition, Verdauungsstörung, Maras¬
mus, Herzfehler, Atrophie und dergl. Von 1898 — 1905 wurden jedes Jahr
8— -9 Operationen gemacht,. 1906 — 1907 75 oder jährlich Ungefähr 38. Patho-
1230
Bücherschau.
logisch handelt es sich um einen am Pylorus erscheinenden Tumor, der auf
einer Hyperplasie der zirkulären Muskelfasern, und zwar dieser ausschließlich,
beruht. Gelegentlich kommt eine fibröse Hyperplasie der Submukosa vor,
der Magen ist mitunter sekundär dilatiert und zeigt Muskelhypertrophie.
Die Diagnose hat zu unterscheiden zwischen Pylorusspasmus und wahrer
hypertrophischer Stenose, letztere erfordert stets Operation, und zwar ent¬
weder die Loreta-Operation oder die Pyloroplastik oder am besten die Gastro-
enterostomia posterior. Sc. berichtet über 5 von ihm und 7 von anderen
operierte Fälle.
2. Das hygienische Element in der Behandlung der Knochen¬
tuberkulose. Von Dr. Charles F. Painter, Prof, der orthopädischen
Chirurgie, Boston. Knochentuberkulose, wie z. B. die Pott’sche Krankheit,
sollte nicht zu lange lediglich mit Apparaten behandelt werden, was seine
Nachteile hat, das hygienische Element sollte mehr berücksichtigt werden.
3. Die Leitung schwieriger und abnormer Geburtslagen. Von
Dr. Hartland C. Johnson, St. Paul. Mitteilungen aus der eigenen Praxis
und wie sich Verf. in vorkommenden Fällen schwieriger Entbindungen ver¬
halten hat.
The Post-Graduate.
(Bis Anfang Juli nicht eingegangen. Eventuell wird nachträglich dar¬
über referiert werden.) Peltzer.
Bücherschau.
Das Altern; seine Ursachen und seine Behandlung durch hygienische
und therapeutische Maßnahmen. Von A. Lorand. Leipzig, Werner
Klinkhardt, 1909. 245 S.
Es gibt gelehrte, geistreiche, fleißige, witzige Bücher, aber wenig vernünftige.
Hier ist ein solches, ein Buch, welches praktische Physiologie bringt, in welchem
warmes Leben rollt und nicht die blaßwangige Weisheit mehr oder weniger übel¬
riechender Laboratorien.
Der Grundgedanke der ganzen Schrift ist der, daß das Altern die Folge von
Veränderungen an den sog. Blutdrüsen — man könnte vielleicht allgemein sagen:
Störungen der inneren Sekretion — sei. Um diesen Grundgedanken ranken sich
die interessantesten Betrachtungen über die Physiologie des Drüsenapparates
und über seine Hygiene. Aber nicht in der üblichen trockenen Form, bei welcher
sich Lorand in der Rolle der unfehlbaren Katheder-Größe gefällt, sondern in
fesselnder, anregender Plauderei. Und dabei beschränkt sich Lorand nicht auf
Dinge, die augenblicklich in der Welt der Experimentiersäle en vogue sind, sondern
er packt das reale Leben an, wie es sich in Wirklichkeit abspielt, und zeigt, wie
man all den ungezählten Torheiten, mit denen uns Sitte und Gewohnheit plagen,
immer noch eine erträgliche Seite abgewinnen kann. Lorand weiß auch, daß der
Mensch ein Gemüt hat, und daß dieses auch seine Anforderungen stellt und seine
Wirkungen ausübt : kurz, wer das Buch zur Hand nimmt, wird es nicht gern wieder
aus der Hand legen. Buttersack (Berlin).
Ueber die Rechtshändigkeit des Menschen. VonE. Gaupp, Freiburg i. B.
Jena, G. Fischer, 1909. 32 S.
Eine mit großer Gründlichkeit zusammengesetzte Studie, welche schließlich
zu dem Ergebnis kommt, daß die Rechtshändigkeit ein spezifisch menschliches Merk¬
mal darstellt, nicht eine Schöpfung der Laune, sondern in der Gesamtorganisation
des Menschen begründet. Ihre direkte Ursache liegt in einem spezifischen Ueber-
gewicht der linken Hemisphäre, welches einerseits möglicherweise auf Asymmetrien
in der Anordnung der Gefäße zurückzuführen ist.
Linkshändigkeit hat ihren Grund in einer Transpositio cerebralis.
Die vorliegende Arbeit stellt das erste Heft einer „Sammlung anatomischer
und physiologischer Vorträge und Aufsätze“ dar, welche von E. G a u p p - Freiburg
Krankenpflege und ärztliche Technik.
1231
und W. Nagel -Rostock in zwangloser Form herausgegeben werden sollen. Daß
diese Disziplinen, die nun doch einmal das Fundament der Medizin darstellen,
wieder engere Fühlung mit der allgemeinen Aerztewelt suchen, ist sehr zu begrüßen;
Buttersack (Berlin).
Krankenpflege und ärztliche Technik.
Die von der Firma Teufel in Stuttgart in den Handel gebrachte
Niederkunftsbinde „Retenta“
besitzt folgende Vorzüge ihrer Konstruktion :
Die Wirkung der Binde ist eine vollständige nach jeder Richtung.
Das Anlegen erfolgt ohne die geringsten Umstände und ohne Störung
der Wöchnerin.
Durch die komprimierend einstellbaren Gurtstücke auf dem Bauchteil
der Binde wird eine beständige, leise Anregung für die Rückbildung der
Organe gegeben. Bei den meist schlaffen Bauchdecken, der Frauen — aber
auch selbst bei kräftiger Leibmuskulatur — bedeutet dies eine Hilfe und
Erleichterung für den geschwächten Organismus.
Die Gurt- und Metallteile sind vom waschbaren Leibteil mit einem
Handgriff abzunehmen und pach dem Waschen wieder einzufügen, werden
also in der Wäsche nicht beschädigt.
Am unteren Teil der Binde ist ein abknöpf barer Verbandhalter angebracht.
Das Rückenteil der Binde ist mit einem seitlichen Hüftansatz versehen,
der einen absolut sicheren Sitz und H,alt gewährt und andererseits die
Führung der Schenkelrieimen durch die Querfalte des Schenkelansatzes er¬
möglicht. Auch diese Führung ist gegenüber anderen Binden ein wesent¬
licher Vorzug und dient zur Bequemlichkeit der Wöchnerin, denn diese
Anheftungsstelle der abknöpfbaren Schenkelriemen vermeidet beim Auswech¬
seln eine Störung der Wöchnerin.
Statt der Gurtstücke am Bauchteil können auf Anordnung des Arztes
zarte, tmit Stoff bezogene Kompressionsfedern geliefert werden, welche geeignet
isind, in erhöhtem Maße die Rückbildung der inneren Teile anzuregen, wie dies
öfter für besondere Fälle wünschenswert ist.
Ein neuer Schnürstrumpf für Krampfaderbehandlung.
Von San.-Rat. Dr. Stephan, Ilsenburg a. Harz. (Med. Klinik, Nr. 29, 1909.)
Verfasser sucht nachzuweisen, daß bei der Behandlung von Krampf¬
ädern am Bein durch Binden und Gummistrümpfe das Leiden eher ver¬
schlechtert als verbessert wird, indem beide Arten von Bandagen das Bein
in zirkulärer Richtung, namentlich an der Wade umschnüren, während am
Fuß und in der Gegend der Knöchel eine Lockerung beider Bandagen beim)
Tragen eintritt.
Die Folge ist wie bei der Aderlaßbinde eine Stauung des Venenblutes
in den Venen am Fuß und am Knöchel und eine Erweiterung dieser Venen.
Verfasser will diesem Übel durch einen Schnürstrumpf abhelfen, welcher
so beschaffen ist, daß an seiner Innenfläche weiche Stäbe hervorragen, welche
in der Längsrichtung des Strumpfes verlaufen; dadurch sollen die Krampf¬
adern an verschiedenen Stellen zwar komprimiert werden, aber zwischen
den Stäben soll Raum bleiben zum Rückfluß von Blut und Lymphe.
Das Prinzip des Strumpfes sei auch gut verwendbar bei Krampfadern
am Oberschenkel, indem z. B. ein verschnürbarer Gürtel am Oberschenkel
ähnlich wie der Strumpf durch Strumpfhalter gehalten wird.
Bei Krampfadergeschwüren empfiehlt Verfasser eine Kombination vom
gewöhnlichen Wundverband mit seinem Schnürstrumpf. Die Geschwüre sollen
dadurch bei ambulanter Behandlung rascher heilen.
Schließlich betont der Verfasser, daß der Strumpf bei der Vielseitig¬
keit des Krampfaderleidens nur dann wirklich Nutzen bringen kann, wenn
er unter Anleitung und Aufsicht des Arztes vom Patienten getragen wird.
1232
Krankenpflege und ärztliche ' Technik.
Als Bezugsquellen sind Pech, Berlin W. 35, Am Karlsbad 15
und Rochevöt, Bandagengeschäft, Wenigerode, angegeben. Angabe der
Länge des Unterschenkels vom Knie bis zum Fußgelenk und Umfang der
Wade erforderlich.
Elastisches Heftpflaster.
(Bardach, Wien. Wiener klim Wochenschr., Nr. 31, , 1909.)
Das neue Heftpflaster präsentiert sich als eine elastische Binde, die
vermöge ihrer Klebekraft ohne weiteres auf der Haut oder auf Verbandstoff fixiert
werden kann.
Nach Angabe des Verf. hat die Firma H. v. Gimborn & Ziffer er
in Wien die Fabrikation dieses elastischen Heftpflasters aufgenommen. Das¬
selbe wird in zweierlei Formen hergestellt: erstens mehr flächenhaft und
zweitens in Bandform spulenartig gewickelt.
Die Möglichkeiten der Anwendung dieses Heftpflasters sind mannig¬
faltig.
In Bandform um eine Extremität oder ein Glied, in mehrfachen Touren
übereinander gewickelt, bewirkt es sofort eine kräftige Blutstauung. Breit,
in zwei bis drei Lagen, um ein Glied gewickelt, ist es imstande, eine s,tarke
Blutung sogleich zum Stillstand zu bringen. Zirkulär um eine Extremität
gewickelt, mit untergelegtem Klotz, kann es zur Arterienkompression verwendet
werden. Auch als Absperrung für Zwecke der Anästhesie käme es in Betracht.
Auseinanderstrebende Hautränder können, auch an konvexen Partien
mit stärkerer Hautspannung, durch dieses Heftpflaster zusammengehalten
werden. Die Haut kann in Falten darunter zusammengelegt und in dieser
Lage gehalten werden. Es kann dadurch die Naht in manchen Fällen über¬
flüssig werden. Auch bei gewissen Darmverlagerungen und Darmfisteln
könnte es Verwendung finden.
Durch dieses Heftpflaster wird die Verbandtechnik in mancher Be¬
ziehung verändert und vereinfacht werden.
Über Verbandmaterial kann es — mit mehr oder weniger Spannung — -
in zweierlei Weise verwendet werden : ’
1. In Bandform als beiderseitiger zirkulärer Randabschluß eines
Verbandes.
2. Kann .es flächenhaft angewendet, nach Art der Gummistrümpfe, eine
sehr einfache Umhüllung, einen für Arzt ünd Patienten bequemen Abschluß
des Verbandes bilden.
In dieser Weise angewendet, in Verbindung mit Pflastermull, wenn
die Behaarung direkte Applikation auf die Haut verbietet, kann es bei
Varikositäten Dienste leisten.
Schließlich käme es auch bei Dislokationen und für orthopädische
Zwecke in Betracht.
Die Klebekraft des Pflasters kann durch leichte Erwärmung oder durch *
Bestreichen mit einem in Chloroform oder Benzin getauchten Wattebäusch-
chen jederzeit gesteigert werden. In besonderen Fällen können die Ansatz¬
stellen durch kreuzweises Darüberlegen von gewöhnlichem, nicht elastischem
Heftpflaster versichert werden.
Gegenwärtig ist es noch nicht möglich, die Verwendbarkeit dieses
neuen Behelfes nach allen Richtungen zu übersehen. Erst die längere prak¬
tische Anwendung kann alle Möglichkeiten und die Begrenzung der Wirk¬
samkeit erweisen.
Druckfehler-Berichtigung.
In Nr. 31, Seite 1190 muß es auf Zeile 35 und 36 heißen: „Geschieht dies,
so ist der Kontrast beim Abnehmen des Glases auch im nichtblendenden Tages¬
licht störend.“
Schriftleitung: Dr. Rigi er in Leipzig.
Druck von Emil Herrmann senior in Leipzig.
27. Jahrgang.
1909.
?ort$cbritte der Medizin.
Unter Mitwirkung hervorragender Fachmänner
herausgegeben von
Professor Dr. 0. Heister Prio.-Doz. Dr. o. griefler»
in Leipzig. in Leipzig.
Schriftleitung: Dr. Rigler in Leipzig.
Nr. 33.
Erscheint am 10., 20., 30. jeden Monats. Preis halbjährlich
6 Mark, in kl. Zeitschrift für Yersicherungsmedizin 8 Mark.
Verlag von Georg Thieme, Leipzig.
30. Nov.
Originalarbeiten und Sammelberichte.
Therapie der Erkrankungen der Neugeborenen.
Von Privatdozent Dr. Paul Sittler.
Als neugeboren wollen wir nach dem Vorgänge von F in kel stein
das Kind bis zum Abschluß der „mit der Loslösung des kindlichen
Organismus von der Mutter verknüpften Vorgänge“ bezeichnen. Die
in der betreffenden da. 14 Tage andauernden Zeitperiode auf tretenden]
Erkrankungen sind mannigfacher Natur; einerseits sind sie angeboren
oder direkt durch die während der Geburt auftretenden Traumen
bedingt, andererseits durch die veränderten Lebensbedingungen
und die geringe Widerstandsfähigkeit des Neugeborenen ent¬
standen.
Unter den angeborenen Krankheiten verdient die kongenitale
Lues am meisten Beachtung. Auf ihre Therapie soll hier nicht
näher eingegangen werden, weil diese Erkrankung als auch im späteren
Säuglings- und Kindesalter auftretend eine besondere aus führ liebere
Besprechung finden muß. Es möge genügen, darauf' hinzuweisen, daß
die Grundlagen der Therapie der Lues auch beim Neugeborenen die
gleichen sind wie beim älteren Säugling (Zufuhr von Quecksilber, z. B.
intern als Kalomel, 2 — 3 mg 1 — 2 mal tägl. ; eventuell Schmier kur mit
- je 1 g Ung. Hydrarg. einer. ; oder auch, aber weniger angewandt Subli-
mathäder 1:10000). Von entschiedenem Vorteil für ein hereditär-
luetisches Kind ist es, wenn dasselbe an der Mutterbrust ernährt werden
kann. Nicht nur, daß ihm so die natürliche Ernährung erhalten bleibt,
es gelingt auch bei gleichzeitiger Quecksilberbehandlung der Mutter, den
Übergang von kleinen Mengen an Eiweiß gebundenen Quecksilbers ver¬
mittels der Muttermilch auf den Säugling zu erzielen. Ernährung eines
hereditär-luetischen Neugeborenen an der Ammenbrust läßt sich natür¬
lich nicht durchführen, dagegen ist aber die Darreichung von ab ge¬
pumpter oder abgedrückter Milch einer Amme mit der Flasche (wie
sie z. B. in Säuglingsheimen, vielfach durchgeführt wird), oder die Zwie¬
milchernährung (allaitement mixte — teils Mutterbrust, teils künst¬
liche Ernährung) immer noch der völligen künstlichen Ernährung vor-
zuziehen.
Die übrigen angeboren vorkommenden Infektionen spielen im
Vergleich zur angeborenen Lues, wegen ihrer ungemein viel geringeren
Häufigkeit, aber auch in therapeutischer Beziehung kaum eine Bolle.
Es mögen hier nur die. wichtigsten derselben eine kurze Erwähnung
78
1234
Paul Sittler,'
finden. Von der Tuberkulös© wird heute wohl allgemein angenommen,,
daß sie nur in den allerseltensten Fällen als angeborene Krankheit vor¬
kommt. Es sind in der Literatur nur einige wenige Fälle von ange¬
borener (auf plazentarem Wege übertragener) Tuberkulose bekannt ge¬
worden. Bei der Malignität der im ersten Lebensjahre manifest werden¬
den Tuberkulose erübrigt sich der Versuch einer Therapie (wenn über¬
haupt die Affektion frühzeitig genug zur Diagnose kommt), besonders,
dann, wenn die Erkrankung in den allerersten Lebenstagen auftritt.
Es sei aber hier darauf hingewiesen, daß von der Schloßmann’schen
Schule darauf aufmerksam gemacht worden ist, daß bei Brustkindern
tuberkulöse Herde weniger leicht zur allgemeinen (miliaren) Ausbreitung
tendieren als bei künstlich (unnatürlich) genährten Kindern.
Auch akute Infektionskrankheiten sind angeboren beobachtet, z. B.
Pocken, Masern, Typhus und septische Erkrankungen (Pneumo¬
kokken-, Streptokokken-Sepsis). Wenn hierbei, besonders bei den
drei zuerst genannten Erkrankungsformen der Fötus nicht schon vor
oder während der Geburt zugrunde gegangen ist, so pflegt im allge¬
meinen seine Lebensdauer nur eine sehr kurze, nach Stunden bemessene
zu sein. Es soll uns aber nichts hindern, bei einem derartig infiziert
geborenen Kinde, wenn sich nur noch einige Aussicht auf Erhaltung
des Lebens bietet, energisch einzugreifen durch Zufuhr von Wärme, von
Analeptizis (Kampferöl 0,2 — 0,3 mehrmals ; Koffein als Coffein, natr.-
salicyl. oder Coffein, natr.-benzoic. zu 0,01 — 0,05 !) und sehr vorsichtige
N ahrungszufuhr (abgedrückte Muttermilch mittels L ö ff eichen ver ab reich t ,
falls das Kind nicht an der Brust trinkt), unter Vermeidung jeglicher
Überfütterung (Vorsicht, daß keine Nahrung regurgitiert — geschüttet
wird, weil dann leicht durch Verschlucken bronchopneumonische Herde
auftreten können !). — Die Ernährung an der Mutterbrust hat auch noch
den Vorteil der Antikörper-Übertragung auf das Neugeborene. Die im
Blute der Mutter zirkulierenden Antikörper gelangen teilweise in die
Milch und das Neugeborene vermag diese mittels der arteignen Milch
zugeführten Antikörper unzersetzt vom Darmkanal aus zu resorbieren.
— Im übrigen richtet sich die Therapie dieser angeborenen Krank¬
heiten nach ähnlichen Prinzipien, wie sie bei den akquirierten septischen
Zuständen des Neugeborenen (s. Therapie der Erkrankungen des Neu¬
geborenen II) zu gelten pflegen. —
Die angeborenen, auf mangelhafter Entwicklung beruhenden
Erkrankungen eines ganzen Organsy sternis können hier übergangen
werden, weil sie in den ersten JLebenstagen eine Therapie kaum zu
erfordern pflegen, ja sogar da, oft nicht einmal diagnostizierbar sind,
wie z. B. die Entwicklungshemmungen des Gehirns, Idiotie,
Porenzephalie u. a. — In diese Bubrik der Entwicklungsstörung
ganzer Organsysteme gehören auch die kongenitalen Erkrankungen des
Knochensystems, gegen die ein therapeutisches Vorgehen bisher eben¬
falls machtlos ist, wie die Osteogenesis imperfecta der Schädel¬
knochen, die Chondr odysitrophie und die Osteopsjathyrosis foe-
talis.
Anschließend hieran seien die angeborenen Mißbildungen ge¬
nannt, die dem größten Teile nach nur pathologisch-anatomisches Inter¬
esse beanspruchen, zu einem andern Teile aber auch (meist im späteren
Säuglings- oder Kindesalter) chirurgischen Eingriffen zugänglich sind.
Besondere Ernährung an dieser Stelle mögen nur die Mißbildungen
des Nabels finden. In manchen Fällen ist deren Therapie, soweit
Therapie der Erkrankungen der Neugeborenen. 1235
nicht schon eine Spontanheilung eintritt, eine so einfache, daß sie völlig1
in die Domäne des praktischen Arztes gehört. Der sogenannte Amm-
nionnabel, d. h. der selten vorkommende Zustand, wo die Ämmnion-
hülle der Nabelschnur noch teilweise auf die Bauchhaut übergeht, pflegt
dadurch spontan zur Heilung zu kommen, daß die über sonst normal
entwickeltem Gewebe (Faszie, Muskulatur, Peritoneum) gelagerte Amm-
nionscheibe mit der Nabelschnur gleichzeitig mumifiziert uiid der be¬
stehende Kutisdefekt durch Granulation zur Heilung und Überhäutung
kommt. — Das umgekehrte Vorkommnis, der Kutis- oder Hautnabel,
bei dem die Kutis noch den unterstein Teil des Nabelstrangs überzieht,
ist für die Therapie bedeutungslos ; dieser Zustand sei nur deshalb hier
genannt, weil in diesen Fällen später leicht Nabelbrüche zur Ent¬
stehung kommen können. — Die kongenitalen Hernien der Nabel¬
schnur gehören ebenfalls hauptsächlich in das Gebiet des Chirurgen.
Es sind aber doch einzelne Fälle bekannt, wo derartige, ziemlich große
Hernien auch ohne chirurgischen Eingriff zur spontanen Heilung auf
dem Wege der Granulation kamen. Je nach der Art der Entstehung
dieser Hernien unterscheiden wir zwei Arten derselben : Die vor dem
dritten Fötalmonat zur Entwicklung kommenden Brüche sind infolge
Ausbleibens des .Verschlusses der medianen Bauchspalte entstanden.
Sie sind also weniger Nabelschnur- als Bauchspaltenbrüche. Der
Bruchsack ist hier von einer dünnen, besonders intra partum sehr
gefährdeten Membran gebildet, deren Innenfläche keinen Peritoneal¬
überzug trägt. Wenn es gelingt, das Bersten dieser Membran zu ver¬
hindern, insbesondere dadurch, daß die im Bruchsack gelagerten ekto¬
pischen Eingeweide möglichst in das Abdomen zurückgebracht und re-
poniert gehalten werden, so vermag auch ausnahmsweise eine Spontan¬
heilung durch Uberhäutuug des Defektes von der Peripherie aus zu er¬
folgen. — Die nach dem' dritten Graviditätsmonat auftretenden Nabel¬
schnurhernien verdienen allein diese Bezeichnung, weil dann der
Nabelring schon gebildet ist und das Innere der Nabelschnur nun den
eigentlichen Bruchsack darstellt, der auf seiner Innenfläche vom Peri¬
toneum bedeckt ist. Die Wandung dieser Art von Hernien ist eine
meist sehr derbe, so daß eine intra oder kurz post partum auftretende
Ruptur derselben, wie bei dem eben erwähnten medianen Bauchspalten¬
bruch, nicht zu befürchten ist. Jedoch beginnt in den ersten Tagen
des extrauterinen Lebens der Bruchsack ebenso wie die Nabelschnur
zu mumifizieren und damit ist die Möglichkeit der späteren Ruptur
des Bruches und des Auftretens! einer Peritonitis gegeben. Aus diesen
Gründen ist von vornherein ebenso wie bei den medianen Baudhspalten-
brüchen eine chirurgische operative Behandlung dieser Hernien anzu¬
empfehlen. Auch hier sind vereinzelte Fälle zur Beobachtung gekom¬
men, wo die innerste Schicht der Bruchsackwand genügend von Blut¬
gefäßen versorgt war und nicht zur Mumifikation kam, sondern,
wo nur die Oberfläche der trockenen Gangrän anheimfiel. Dann kann
sich, nachdem diese gangränöse Schicht durch demarkierende Eiterung
abgestoßen ist, eine große granulierende Fläche bilden, die sich all¬
mählich von den Rändern her zu epidermisieren vermag. Antiseptische
Verbände (Zink-Dermatol-Verbände ; eventuell feuchte Borwasser- oder
essigsaure Tonerde-Umschläge), zeitweise Ätzungen der Granulationen
mit Höllenstein beschleunigen manchmal diesen Heilungsprozeß. Von
den übrigen kongenitalen Mißbildungen des Nabels sind das Offen-
b leiben und ein im Anschluß hieran etwa auftretender Prolaps des
78*
1286
Paul Sittler,
Meckel’schen Divertikels (Ductus omphalomesentericus) und ferner
die Urachus -Fiste ln und -Zysten rein chirurgische Affektionen.
Höchstens daß man beim Bestehen von minimalen Fistelöffnungen daran
denken könnte, durch Höllensteinbetupf ung einen Verschluß der Fistel
herbeizuführen. — Eine Verwechslung zwischen kleinen prolab ierten
MeckePschen Divertikeln und den so häufig auf dem Nabelgrunde sich
findenden Granulationen (Fungus umbilici), die sich leicht mit
dem Argentumstift wegätzen lassen, dürfte, wohl kaum Vorkommen. - —
Die als direkte Folgen des G e bu rtslraiimas auftretenden
krankhaften Veränderungen erheischen in den meisten Fällen, unser
aktives ärztliches Eingreifen, bei einzelnen derselben können wir uns
aber auch mit prophylaktischen Maßnahmen begnügen.
Die regelmäßig auftretende Kopf gesdhwulst , ein serös-blutiges
Infiltrat zwischen Galea und Periost der Schädelknochen erfordert
keinerlei Therapie, — Eher schon käme ein aktiveres Vorgehen beim
sogenannten Kephalhämätom, bei der subperiostalen Blutung der
Schädelknochen in Frage. Bei diesen Hämatomen, die sich von der
Kopfgeschwulst außer durch ihre deutliche Fluktuation auch dadurch
unterscheiden, daß sie die Nahtgrenzen nicht überschreiten, braucht
man aber erst dann einzugreifen, wenn sie eine abnorme Größe erreichen,
oder wenn ein spontaner Durchbruch nach außen droht. Dieser spontane
Durchbruch pflegt meist dann einzutreten, wenn es zur Vereiterung
des Hämatoms kommt. Sobald die Annahme einer bestehenden Ver¬
eiterung begründet ist, d. h. wenn die Hautdecke über dem Hämatom
Zeichen von Entzündung (B Ölung, teigige Schwellung) bietet, ist mög¬
lichst bald eine breite Inzision mit nachfolgendem aseptischen Verband
zu machen. Punktionen eines bestehenden Kephalhämatoms sind direkt
zu verbieten, weil sie diel Gefahr mit sich bringen, daß durch sie das
vorher aseptische Hämatom zur Vereiterung gebracht werden kann.
Kompressionsverbände sind deswegen nicht anzuraten, weil es sich bei
energischer Kompression nicht vermeiden läßt, daß die das Hämatom
bedeckende Haut Schicht infolge des Druckes unter schlechtere Ernäh¬
rungsbedingungen gesetzt wird und der Usurierung anheimfällt. Die
große Mehrzahl der Kephalhämatome kommt ohne jede Therapie (lang¬
sam) zur Resorption.
Einer anderen, gleichfalls auf das Geburtstrauma zurückzuführen¬
den Blutung, des Hämatoms des Musdulus s fern oclei dom astoD
deus sei hier nur kurz gedacht. Diese Affektion gelangt meist spontan
zur völligen Restitution, jedenfalls scheint sich auf deren Basis in
der überwiegenden Mehrzahl der Fälle ein dauerndes Caput obstipum
nicht zu entwickeln. Bei protrahierter Rückbildung kommen thera¬
peutisch Massage der betroffenen Partien und passive Bewegungsübungen
des Kopfes in Frage.
Ernster zu beurteilen sind die während der Geburt auftretenden
Hämatome im Schädelinnern. Die Art und Weise des Entstehens
dieser Hämorrhagien ist eine verschiedene. Abgesehen von den ziemlich
seltenen Blutungen .in das Innere der Giehirn Substanz, die einer
Therapie kaum Angriffspunkte bieten, sind hier besonders erwähnens¬
wert die auf der Oberfläche des Gehirns (subarachnoidal, weniger
häufig subdural) sitzenden Blutergüsse, die unter den Erscheinungen
des Hirn drucks (neben den gewöhnlichen Hirndrucksymptomen kom¬
men besonders häufig auch Krämjafe vor) zum Tode zu führen ver¬
mögen. Seitz hat zwischen supra- und inf ratentoriellein Bluter-
Therapie der Erkrankungen der Neugeborenen.
1237
güssen unterschieden, je nachdem das Hämatom oberhalb des Tentoriums,
also auf der Großhirnoberfläche oder unterhalb desselben, dem Klein¬
hirn aufgelagert ist. Diese Unterscheidung kann auch für die Therapie
von Wichtigkeit sein. Denn während die Großhirnhämatomei in
vielen Fällen noch keine lebensgefährdende Druckwirkung auf Atem-
und Gefäßzentrum ausüben, quoad vitam also eine nicht absolut schlechte
Prognose zu geben brauchen, ist dies bei den in f raten torieilen Blu¬
tungen, die einen direkten Druck auf die bulbären Zentren ausüben,
in viel höherem Maße der Fall. Die supraten torieilen Hämatome sind
also eher einem therapeutischen Eingriff zugänglich, es: käme hier
natürlich nur ein chirurgisches Vorgehen (Trepanation mit folgender
Ausräumung des Ergusses) in Frage. Die symptomatische Behandlung
der bei diesen Zuständen vorhandenen Krämpfe besteht in Verabreichung
von warmen Bädern (35 — 37° C), eventuell in Zufuhr von Chloral-
hydrat (0,03 — 0,05 !), am besten per ctysma. — Bei Blutergüssen in die
Bückenmarksubstanz, Hämatomy elie (bei Steißgeburten spontan und
infolge von Zug an den Beinen beobachtet) und ihren Folgen (Lähmungen
usw.) ist die Therapie meist machtlos. Hämorrhagien in die Bücken¬
markhäute verlaufen meist, ohne Symptome. (Schluß folgt.)
Sind die mit epityphlitischen Schmerzen einhergehenden Lungen¬
entzündungen embolischer Natur?
Von Dr. E. Hönck, Hamburg.
Das Zusammentreffen von Lungenentzündungen mit heftigen
epityphlitischen Schmerzen ist mehrfach erörtert worden ; in letzter
Zeit von H. Bennecke1) und B. Glaserfeld2). Die Möglichkeit einer
embolischen Entstehung dieser Entzündungen ist dabei nicht erwogen
worden. Es sei mir gestattet, diese Möglichkeit im Anschluß an drei
Beobachtungen kurz zu erörtern.
Lall 1. 5. Mai 1908. Vierjähriger Junge, der in seinen ersten
beiden Lebensjahren mehrfach die Zeichen einer Blinddarmentzündung
dargeboten hatte.
Das Kind fällt am 1. Mai heftig mit dem Leibe auf einen Treppen¬
absatz und klagt bald über Schmerzen im Leibe. Tn der Nacht zum
5. Mai wird von der Mutter Fieber bemerkt, Temperatur morgens 38,3,
abends 38,5 (After). Leichte Bötung der Bachenorgane, keine Schmerzen
beim Schlucken. Lunge durchaus frei ; Druckschmerz nur in der rechten
unteren Leibes seite, Spannung der Muskulatur bei Betastung; sonst
ist der Leib weich und nicht aufgetrieben. Absolute Diät.
6. Mai gutes Befinden, läßt sich nicht untersuchen und messen ;
klagt über Hunger und bekommt auf meine Anordnung eine Kleinig¬
keit Spinat. Abends kränker, klagt die ganze- Nacht über Leib¬
schmerzen.
7. Mai morgens 40,1. Betastung des Leibes B. U. ist anscheinend
sehr schmerzhaft ; hält die Beine ange-zogen und zeigt auf Befragen
mit der Hand auf die typische Stelle als Ort seiner Schmerzen ; sonst
nicht näher zu untersuchen, gerötetes Gesäß. Operation vorgesehen.
Mittags 39,2.- Abends 38,1. Kind ist ruhig. Schmerzen lassen seit
Mittag nach.
ß H. Bennecke, Med. Klinik, Nr. 7, 1909.
ß B. Glaserfeld, Berl. klin. Wochenschr., Nr. 31, 1909.
1238
E. Hönck,
8. Mai morgens 38,6. Mittags 39,0. Abends 38,7, blaß, schlaff,
Pneumonie im rechten Oberlappen hinten nachweisbar : deutliche Schall¬
dämpfung, bronchiales Atmen. Leib ist ganz unempfindlich.
9. Mai 37,8 höchste Temperatur.
10. Mai ebenso ; Pneumonie nicht mehr nachzuweisen.
11. Mai noch erhöhte Temperatur; Hunger; Leib unempfindlich.
Es wurde stets im After gemessen.
Pall 2. Am 30. März 1909 sah ich ein 9 monatliches gut genährtes
bis dahin kräftiges Kind, das bei Flaschenernährung an starker Ver¬
stopfung leidet. Die Geschwister sind skrofulös, schwächlich, ein Bruder
von 11 Jahren schwachsinnig. Das Kind ist am 28. oder 29. März mit
hohem Fieber und offenbar sehr heftigen Schmerzen erkrankt, da es Tag
und Nacht schreit und angeblich überhaupt nicht schläft. Nahrung wird
nur mangelhaft genommen, Stuhl seit Tagen angehalten. Das Fieber
schwankt in den nächsten Tagen zwischen 39,0 und 40,0°. Das Gesicht
ist gerötet, Leib aufgetrieben. Die Beine werden angezogen gehalten.
Untersuchung ergibt an den Lungen, soweit bei dem kräftigen Schreien
möglich, nichts. Der Leib ist namentlich rechts unten bei leiser Be¬
tastung sehr empfindlich, links weich und tiefer eindrückbar. Leichte
Rachenrötung' ; kein Erbrechen.
So bleibt der Zustand in den nächsten Tagen ; auch der Befund
stets derselbe; die Mutter gibt an, daß das Kind das rechte Bein
dauernd, stramm gegen den Leib angezogen halte. Erst am 3. April
ist ein pneumonischer Herd links neben der Wirbelsäule an der unteren
Grenze des Oberlappens aus Dämpfung und bronchialem Atmen (fünf-
markstückgroß) deutlich nachzuweisen. Kein Husten.
Bekommt die ganze Zeit nur Lindenblütentee. Am 5. April lassen
die Schmerzen nach, Kind ist entfiebert. Am 8. April Herd noch
in alter Form nachzuweisen ; Nahrungsaufnahme gut, Leib nicht mehr
gespannt, kaum empfindlich.
Am 22. April, nachdem das Kind von der Mutter schon mehrfach
an die Luft gebracht ist, wird das seit gestern wieder kranke Kind mit
hohem Fieber in die Sprechstunde gebracht. Bronchiolitis hinten im
linken Unterlappen, pneumonisches Infiltrat hinten rechts über Mittel¬
und Unterlappen; keine Schmerzäußerungen. Leib ist rechts unten
deutlich druckempfindlich, links nicht.
25. April anscheinend fieberfrei, munter ; Pneumonie noch nicht
in Lösung, noch Dämpfung und bronchiales Atmen in früherer Aus¬
dehnung. Leib weich und unempfindlich.
30. April nichts mehr nachzuweisen, Leib unempfindlich. Kind
ist blaß und mager geworden, sonst munter.
Daß man bei den in Bede stehenden Schmerzen nicht immer einen
gesunden Wurmfortsatz zu finden erwarten kann, beweist folgende
Beobachtung.
Fall 3. Ich wurde am 26. Juni 1907 morgens 11 Uhr zu einem
12jährigen Jungen geholt, der seit längerer Zeit hier und da über
Leibschmerzen klagt. Seit gestern heftige Schmerzen im Bücken und
über den unteren Rippen rechts seitlich. Er fiebert hoch, hat gerötetes
Gesicht und schwitzt stark. Leib ist weich und gut eindrückbar, im
ganzen empfindlich, namentlich oberhalb des Nabels und rechts unten,
Herzgrube unempfindlich; linke Leibesseite weniger empfindlich. Bei
tiefem Druck rechts unten werden die Schmerzen über den unteren
Rippen rechts heftiger. Am Rücken sind die oberen Darmfortsätze
Sind epityphlitische Lungenentzündungs-Schmerzen embolischer Natur? 1239
am Kreuzbein schmerzhaft und namentlich eine umschriebene Stelle
neben dem rechten unteren inneren Schulterblattrand.
Perkussion ergibt keine sichere Dämpfung, das Atmungsgeräusch
ist aber rechts überall leiser als links. Diagnose schwankt zwischen
Pneumonie und Epityphlitis. Gelegentlich kurzer Husten. Schwitzkur.
Abends 7 Uhr hat der Kranke ganz weichen Leib, die Schmerz¬
haftigkeit ist geringer, namentlich rechts unten und in der Seite, hat
um 3 Uhr einmal erbrochen. Kachen gerötet, Puls 90 — 100, voll und
gespannt.
2 Uhr nac'hts. Der Kranke liegt auf der linken Seite mit stark
angezogenen Knien im Bett und stöhnt über heftige Schmerzen an der
rechten Seite von der Lebergegend abwärts; Bauch bretthart. Mit
der Diagnose Epityphlitis ins Krankenhaus.
Dort kam der Kranke nach schriftlicher Mitteilung ,,mit den
deutlichen Zeichen schwerer Epityphlitis event. sogar Peritonitis an“ ;
über dem rechten Lungenunterlappen abgeschwächtes Atmen und ver¬
einzeltes Knisterrasseln. Wegen der bedrohlichen Erscheinungen Ope¬
ration. „Es fand sich ein sehr geschwollener Wurmfortsatz ohne Auf¬
lagerung und entzündliche Erscheinungen in der Umgebung, die Schleim¬
haut war katarrhalisch geschwollen, im Fortsatz wimmelte es von
Oxyuren“. Am Tage nach der Operation kruppöse Pneumonie auf
beiden Unterlappen ausgebildet. Gestorben 2. Juli an Pneumonie.
Uber die Entstehungsart der Schmerzen, nun gibt wohl am besten
mein erster Fall den nötigen Anhalt, Das Kind hatte in seinem zweiten
Lebensjahr mehrfach unzweifelhafte und eindeutige epityphlitische An¬
fälle gehabt, die erst nach Enthaltung von der bis dahin gereichten
Fleischkost aufhörten; es konnte daher nicht auffallen, daß es infolge
des heftigen Falles mit dem Leibe auf eine scharfe, harte Kante eine
erneute Epityphlitis bekam, deren Spuren ich an der Schmerzhaftigkeit
und dem Fieber deutlich nachweisen konnte. Die Bachenrötung war
so leicht, daß sie als Ursache des Fiebers nicht in Frage kommen konnte,
sondern als Folge der Epityphlitis auf gef aßt werden mußte *). Das
Kind war am zweiten Behandlungstage durchaus wohlauf und bekam
erst am Abend dieses Tages wieder hohes Fieber und sehr heftige
Schmerzen in der Blinddarmgegend, über die es vorher kaum geklagt
hatte. Am nächsten Tage war die Pneumonie im rechten Oberlappen
zu vermuten, aber nicht deutlich ; erst am darauffolgenden Tage war
sie zweifellos nachzuweisen, jiachdem die epityphlitischen Schmerzen
bereits nachgelassen hatten. Es ist kaum zu bezweifeln, daß der er¬
neute Fieberanstieg auf BeChnung der embolischen Pneumonie zu setzen
ist. Der kleine Diätfehler (?) hatte vielleicht eine stärkere Verdauungs¬
hyperämie erzeugt und dadurch einen kleinen virulenten Thrombus
aus dem Blinddarmgebiet zur Lösung gebracht. Daß im Augenblick der
mit dem plötzlichen Fieberanstieg eintretenden hochgradigen Gefäß-
und Nervenreizung auch die Umgebung des Blinddarms wieder sehr
schmerzhaft wurde, darf nicht Wunder nehmen, zumal es an der Hand
-der letzten von mir mitgeteilten Beobachtung nicht unmöglich erscheint,
daß im Epityphlon eine stärkere Schwellung eintrat. Schon vor der
völligen Ausbildung der Pneumonie ließen die Schmerzen nach, ganz
im Gegensatz zu meinem Fall 2, in der die heftigen Schmerzen tage¬
lang anhielten.
ß Siehe: Die Rolle des Sympatliicus usw., Jena, Gustav Fischer, 1907 und
Fortschritte der Medizin, Nr. 11, 1907.
1240
E. Hönck,
Dieser Fall 2 ist nun für die Deutung der in Hede stellenden
Schmerzen nicht minder wichtig. Hier waren bei einem kleinen pneu¬
monischen Herd im linken Oberlappen die heftigsten Schmerzen in
der Gegend des Wurmfortsatzes offenbar vorhanden, sie beherrschten
sogar das Krankheitsbild durchaus. Drei Wochen etwa nach der Ent¬
fieberung von dieser Pneumonie tritt abermals eine Lungenentzündung
hinten über Mittel- und Unterlappen rec'hts, also in viel größerer Aus¬
dehnung als bei der ersten Entzündung, auf, und nun bleiben die
Schmerzen rechts unten im Leibe völlig aus; nur eine aller¬
dings deutliche Druckempfindlichkeit in der Tiefe ist festzustellen.
Ich erkläre mir diesen höchst auffallenden Unterschied so, daß
der Wurmfortsatz und seine Umgebung völlig ab geheilt waren und
deshalb nicht mehr mit Schmerzen reagierten, während die viel weniger
umfangreiche erste Pneumonie, links oben nach dem Vorbilde von Fall 1
die heftigsten Schmerzen verursachte.
In beiden Fällen spricht die geringe Ausdehnung der pneumoni¬
schen Infiltrate entschieden für die von mir angenommene embolische
Ursache.
Man könnte nun vielleicht geneigt sein, die heftigen Schmerzen
rechts unten im Leibe der Thrombose in der Umgebung des Fortsatzes
allein zuzuschreiben; denn wir wissen ja, daß auch in anderen Körper-
gegenden, z. B. am Unterschenkel thrombotische Vorgänge entzündlicher
Uatur sehr erhebliche Schmerzen bereiten. Die außerordentliche
Heftigkeit des Schmerzes aber, die in manchen der in Frage
kommenden Fälle sehr auffallend ist, läßt doch vermuten, daß
die hinzutretende Pneumonie an der Steigerung der schmerzhaften Emp¬
findungen nioht unschuldig ist.1)
Es ist nun weiter nicht wunderbar, wenn man bei der Operation
den Fortsatz makroskopisch und sogar mikroskopisch ohne frische ent¬
zündliche Veränderungen findet. Denn die Loslösung eines kleinen
Blutpfropfes kann natürlich erfolgen, nachdem der Fortsatz schon ganz,
ab geheilt ist; sie erfolgt sogar wahrscheinlich mit Vorliebe erst dann,
wenn, wie in meinem Fall 1, bei gutem Wohlbefinden eine dreistere
Diät gegeben, oder sonst größere Bewegungsfreiheit gegeben wird.
In der Literatur ist von embolischen Lungenentzündungen bei und
[nach Blinddarmentzündungen wenig die Bede. Bemerkenswert sind
die kurzen Äußerungen Sonnenburg’s, der sonst auf das uns be¬
schäftigende Krankheitsbild nicht weiter eingeht.
Sonnen bürg (in der 6. Auflage seiner Monographie) betrachtet
jeden Fortsatzkranken, nicht nur die akuten Fälle, in dubio als Thromben¬
träger. Er sagt: „Sind mit dem Embolus infektiöse Keime verschleppt,
so haben wir die Symptome der Lungenentzündung.“ Sonnenburg
meint, daß der Thrombus seiner Schwere nach meist in den rechten
Unterlappen gerät.
x) Ganz ohne Analogon ist übrigens der Blinddarmschmerz bei Pneumonie
nicht; ich sah kürzlich ein siebenjähriges Mädchen mit chronischer Mittelohreiterung
links an einer linksseitigen Pneumonie erkranken. Das Mädchen klagte tagelang
nur über heftige Schmerzen im linken Ohr, die Betastung des Warzenfortsatzes
und Umgebung war zuzeiten sehr schmerzhaft, so daß ich schließlich zur der Ansicht
gelangen mußte, es möchten im inneren Ohr oder an den Hirnhäuten entzündliche-
Vorgänge aufgetreten sein, und das Kind deshalb ins Krankenhaus sandte, zumal
zeitweilig deutliche Benommenheit vorhanden war. Im Krankenhause wurde aber
nichts Derartiges gefunden und das Kind genaß rasch.
Sind epityphlitische Lungenentzündungs-Schmerzen embolischer Natur? 1241
Dem kann ich. nach meiner Erfahrung nicht zustimmen, möchte
auch bezweifeln, daß die Schwere eines (kleinsten) Thrombus allein
für seine Ansiedelung maßgebend ist. Es kommen hier auch andere
Fragen physiologischer und anatomischer Natur zur Geltung.
Es ist doch sehr auffallend, daß von den 21 Fällen Benniecke’s —
von denen ich allerdings nicht sicher sagen kann, daß sie alle hierher
gehören — nicht weniger als 17 die rechte Lunge betrafen.
Ich habe nun darauf aufmerksam gemacht,1) daß man bei vielen
Fortsatzentzündungen die Zeichen einer Sympathikusreizung klinisch
erkennen kann und muß hier auf meine Arbeit abermals verweisen.
Auch die von Widmer 2) mitgeteilte Beobachtung von erhöhter
Temperatur in der rechten Achselhöhle gegenüber der linken, läßt sich
nur auf dem W ege der Sympathikusreizung deuten ; darauf habe ich
kurz hingewiesen.3) Der Umstand, daß die Temperaturerhöhung nicht
immer rechts, sondern auch links gefunden wird, sogar in Verlauf
einer Erkrankung wechselt, hat für mich nichts Auffallendes (und ein
Analogon in dem Wechsel der Schleimhautschwellung der einen oder
andern Nasenhöhle, sowie der Rötung der redhten und linken Backe).
Ich habe auch in meiner erwähnten größeren Arbeit darauf hingewiesen,
daß und welche klinische Zeichen, dafür sprechen, daß die Reizung der
beiden sympathischen Ketten im Ablauf einer Erkrankung wechselt,
bis sie schließlich allgemein wird.
Es gibt bekanntlich auch Menschen, die die vom Fortsatz aus¬
gehenden Schmerzen nur links empfinden.
Welche Folgen nun diese Reizung des Sympathikus für die Lunge
haben mag, läßt sich nicht im einzelnen sagen. Einen gewissen An¬
halt gibt die von Mol y zuerst gemachte Beobachtung der lebhafter
geröteten rechten Backe und des rechten Ohres bei Fortsatzkranken.
Dem habe ich hinzugefügt4), daß ebenso die Nasenschleimhaut,
wie auch die Rachenschleimhaut bei akut Fortsatzkranken oft gerötet
und geschwollen gefunden wird. Die Schwellung des Naseninneren
ist wohl meist einseitig und vorwiegend rechts zu finden ; sie wechselt
aber, wie schon oben erwähnt. Hier und da kommt es sogar zu Blutungen
aus der erkrankten Nasenhöhle (1. c.), ganz abgesehen von vermehrter
Schleimabsonderung (Schnupfen).
Auch für die Genitalorgane habe ich diese Anschauung durch¬
geführt5).
Ganz ähnliche Veränderungen wird man für die Lunge und zwar
zwar selbstverständlich für die rechte Lunge vorwiegend annehmen
dürfen6).
Es darf auch angenommen werden, daß in einer ganz oder teil¬
weise blutüberfüllten Lunge leicht Stauungen sich einstellen, die die
Haftung eines Blutpfropfes begünstigen.
Ob auch anämische Zustände gewisser Lungenteile, die ja im
Anfang einer Sympathikusreizung vorhanden sein können und durch
x) Die Rolle des Sympathicus usw.
2) Münch, med. Wochenschr., Nr, 13, 1908.
®) Deutsche med. Wochenschr., Nr. 35, 1908.
4) 1. c.
5) Verhandlungen der 80. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte,
Köin 1908 und Wiener med. Wochenschr., Nr. 48, 1908.
6) Ich kann es nicht unterlassen, hier auf die für den XVI. internationalen
medizinischen Kongreß bestimmten Ausführungen Bresgen’s hinzuweisen, die mir
der Autor kürzlich freundlichst übersandte.
1242
E. Hönck,
einen mehr oder weniger lange dauernden Gefäßkrampf bedingt sind,
dazu führen können, daß ein kleiner Thrombus festgehalten wird, muß
ich unentschieden lassen ; doch würde ein solcher Vorgang den physio¬
logischen Vorgängen durchaus entsprechen.
Es kann aber auch noch auf andere Weise, als der geschilderten,
infolge einer Epityphlitis eine Lungenentzündung entstehen.
Denn nicht allein der Blutumlauf der Lunge kann durch Sym¬
pathikusreizung in irgend einer Weise gestört werden ; auch die Drüsen
der Luftröhrenschleimhaut unterstehen dem Sympathikus und werden
gelegentlich zu reichlicher Absonderung angeregt1), und zwar meistens
rechts. ' . V .
So entstehen Luftröhrenkatarrhe der verschiedensten Form, ver¬
schieden auch durch die Einwirkung der jeweils hinzutretenden Bak¬
terien ; so kann aber auch dem Pneumokokkus, der ja als spezifisch gilt,
der Boden bereitet werden, so daß auf dieser Grundlage sehr wohl
ausgesprochen lobäre Lungenentzündungen sich entwickeln können.
Auch diese können dann durch die von ihnen ausgehende Reizung
der zugehörigen sympathischen Kette (rechts) zu lebhaften Schmerzen
in der Gegend des erkrankten oder eben abgeheilten Wurmfortsatzes
führen.
So könnte man z. B. meinen dritten Fall auffassen. Abgesehen
aber von diesen mehr unmittelbaren Störungen der (vorwiegend rechten)
Lunge durch Sympathikusreizung spielt sicher auch die Schädigung
der Atmung bei epityphlitisohen Vorgängen eine nicht zü ünter schätzende
Rolle, namentlich wenn starke Schmerzen, wie sie bei thrombotischen
Vorgängen ja entstehen können, vorhanden sind.
Die Zwerchfellbewegung wird besonders getroffen werden, und
zwar entweder auf dem Wege der Reflexhemmung2) (auch bei leichten,
übersehenen epityphlitischen Reizungen), oder mechanisch bei Auf¬
blähung der Därme, Beteiligung der Leber, des retroperitonealen Lymph¬
gefäßnetzes usw.
Auch hierbei ist wieder die rechte Lunge hauptsächlich betroffen.
Aber auch die linke Lunge wird oft genug auf’ dieselbe Weise ge¬
schädigt, wie von der rechten geschildert wurde ; denn es ist nicht
selten, daß im Verlauf von Fortsatzenzündungen oder im Anschluß
daran entzündliche Veränderungen unter der linken Zwerchfellkuppe,
an der flexura coli linealis3), oder weiter unten an der flex. sigmoidea4)
sich einstellen, die nicht nur die Atmung der linken Lunge in der¬
selben Weise zu beeinträchtigen imstande sind, wie rechts eine Epi¬
typhlitis, sondern die auch den Sympathikus (zunächst links) in ganz
ähnlicher Weise beeinflussen.
In der Tat hört man bei linksseitigen Pneumonien gelegentlich
auch über heftige Schmerzen in der linken Seite des Leibes klagen;
aber auch andere Stellen des Leibes sind bei Lungenentzündungen spon¬
tan sehr schmerzhaft, z, B. die Gegend der Herzgrube oder oben ober¬
halb des Kabels in der Mitte des Leibes.
Wenn man sich endlich daran gewöhnen wollte, bei jeder Er¬
krankung den Leib sorgfältig ztu untersuchen, d. h. ihn nach
x) Näheres: Die Rolle des Sympathicus usw.
2) Ich erinnere an das Ausbleiben des unteren Bauchdeckenreflexes bei
Epityphlitis.
3) v. Haberer, 79. Versammlung deutscher Naturforscher usw. 1907.
4) Obrastzew, Kongreß für innere Medizin 1908.
Sind epityphlitische Lungenentzündungs-Schmerzen embolischer Natur? 1243
allen Richtungen hin tief zu durchtasten, so wird man bei
Lungenentzündungen, Gelenkrheumatismus, Meningitis, Pleuritis usw.
häufig die Gegend des Blinddarms oder andere Stellen im Leibe aus¬
gesprochen druckempfindlich finden, ohne daß je spontane Schmerzen
bestanden hätten, ganz abgesehen von den ebenfalls nidht sel¬
tenen Fällen, wö dien genannten Erkrankungen heftige Leib¬
schmerzen vor an gehen. Ich bin daher längst zu der Überzeugung
gekommen, daß Entzündungen des Blinddarms oder anderer
Darmteile (Gallenblaked) viel häufiger den Grund zu einer
Lungenent zündung o der ei;njer der genannten K rank he i t eil
legen, als man es sieh bisher träumen läßt.
Die Deutung, die ich diesen Erscheinungen in meinen Beobachtungen
glaube geben zu müssen, weicht erheblich von den von H. Bennecke
und von Glaserfeld u. a. geäußerten Ansichten ab. Sieht man sich
aber von meinem Standpunkt aus die Krankengeschichten dieser Autoren
an, so glaube ich, gewinnen die dort geschilderten Erscheinungen sehr
an innerem Zusammenhang.
Vielleicht ist in B.’s Fall 1 die embolische Pneumonie erst durch
die Operation hervorgerufen, die einen Thrombus aus der Nachbar¬
schaft des schon abgeheilten Fortsatzes zur Lösung brachte; in Fall 2
kann man die niedrige Temperatur (37,5 — 38,5) am ersten und zweiten
Tage kaum mit einer Pneumonie vereinigen, wohl aber mit einer ab¬
heilenden Epityphlitis. Mit Einsetzen der embolischen Pneumonie stieg
die Temperatur sofort.
In dem zweiten G laserf eld’sc'hen Fall dauerte es 9 Tage (!) bis
die Pneumonie gefunden wurde; beide Fälle endeten mit Gangrän.
Was kann mehr für eine embolische Ursajche1 der vor an ge¬
gangenen Lungenentzündungen sprechen, als dieser Aus¬
gang ?
Vielleicht hängt es von der Größe des Blutpfropfes ab, ob eine
Lungengangrän entsteht oder ob es bei einer einfachen Lungenentzün¬
dung bleibt. (Bakterienembolie.)
Kurz zusammengefaßt glaube ich also sagen zu 'können :
1. Sind bei Lungenentzündungen Schmerzen in der Blinddarm¬
gegend vorhanden, so ist der Fortsatz krank oder er war es vor kürzerer
oder längerer Frist,
2. Die mit Blinddarmschmerzen einhergehenden Pneumonien sitzen
meist rechts; sie sind teils embolischer Natur: entweder durch infek¬
tiöse Blutpfröpfe oder Bakterienembolien verursacht. Teils können sie
entstehen durch 'Veränderungen im Blutumlauf der Lungen, verbunden
mit vermehrter Absonderung der Drüsen der Bronchialschleimhaut; Ver¬
änderungen, die durch sympathische Reizung vom erkrankten Fortsatz
her hervorgerufen werden können.
3. Die Schmerzen in der Blinddarmgegend in diesen Fällen lassen
sich z. T. durch die Thrombose in der Umgebung des Fortsatzes er¬
klären, z. T. sind sie aufzufassen als durch die Pneumonie bewirkte
ausstrahlende Schmerzen, die sowohl oberflächlich in der Bauchwand
als auch tief sitzen können.
Es wird manchen Lesern, die in der Geschichte der Medizin be¬
wandert sind, nicht entgangen sein, daß ähnliche Auffassungen von
Wunderlich1) geäußert sind; er unterscheidet in der Gruppe der sekun-
x) Wunderlich, Pathologie und Therapie, 3. Bd., 2. Abt., Stuttgart 1856.
1244
Schulze,
clären Pneumonien die metas tat i sötte, Pneumonie, die nach ihm zweifel¬
los durch Änderungen der Zirkulation bedingt ist (rach Fußgeschwüren
z. B.). Eine noch frühere Zeit sprach von einer sympathischem
auf Grund gastrischer Störungen entstandenen Lungenentzündung
(Broussais u. a.). Es ist klar, daß mit meiner Auffassung diese Be¬
griffe wieder zu ihrem liecht kommen, etwas abgeändert durch unsere
seither erworbenen bakteriologischen Kenntnisse.
Diplosal, ein neues Salizylpräparat.
Von Stabsarzt Dr. Schulze, Stargard.
Die Schwierigkeit, ein Salizylpräparat herzustellen, das die gute
Wirkung' der reinen Salizylsäure besitzt, seine üblen .Nebenwirkungen
aber vermeidet, veranlaßt die chemischen Fabriken, fortwährend neue
Verbindungen des Salizyls auf den Markt zu bringen. Fast jedes Jahr
erscheint ein neues Präparat, das alle Vorzüge und keine, Nachteile
besitzen soll, das aber nach längeren Versuchen meist irgendwelche
Nachteile offenbart. So versagt auch das jetzt am meisten angewandte
Salizylpräparat, das Aspirin, zuweilen vollkommen. Deshalb muß jedes
Präparat erst hinreichend geprüft werden, ehe sich ein abschließendes
Urteil bilden läßt.
Das Diplosal scheint nach den bisher vorliegenden Prüfungen
sehr viel Gutes zu leisten, jedenfalls dem Aspirin mindestens gleich¬
wertig zu sein. Es wäre deshalb wohl wünschenswert, wenn durch
zahlreiche Versuche die Leistungsfähigkeit und Brauchbarkeit fest-
gestellt würde.
Es liegen bis jetzt Veröffentlichungen vor aus dem Krankenhaus
Friedrichshain, Bethanien -Berlin, der inneren Klinik zu Greifswald
und dem k. k. allgemeinen Krankenhaus in Wien. Die Versuche er¬
strecken sich auf mehrere hundert zum Teil recht schwere Fälle und
haben bis auf wenige Ausnahmen recht gute Resultate geliefert. Von
nachteiligen Folgen berichtet nur Minkowski in zwei Fällen. Die
Schädigungen waren aber so gering, daß er in beiden Fällen nach kurzer
Pause wieder Diplosal geben konnte. Sonst wurde das Präparat sehr
gut vertragen.
Diplosal entspricht in der Zusammensetzung dem Aspirin ; nur
tritt an Stelle der Essigsäure die Salizylsäure. Es ist infolgedessen
ein sehr hochwertiges Salizylsäurepräparat ; es bilden im Körper
100 Teile Diplosal 107 Teile Salizylsäure, Aspirin bildet 77 Teile.
Es liefert also den wichtigsten Bestandteil in konzentriertester Form.
Die Resorptionsverhältnisse entsprechen denen des Aspirins.
Meine Beobachtungen beschränken sich auf wenige Fälle, die im
Garnisonlazarett Stargard in Pommern behandelt wurden. Ich hielt
aber doch wegen der guten Erfolge eine Mitteilung hierüber für ge¬
rechtfertigt, Beim akuten Gelenkrheumatismus bewirkte es in sämt¬
lichen Fällen ein schnelles Zurückgehen der Krankheitserscheinungen
und Sinken des Fiebers. Ich begann mit kleinen Dosen (dreimal täglich
0,5), hatte damit aber wenig Erfolg. Am wirksamsten schien es mir
zu sein, wenn täglich dreimal 1,0 g gegeben wurde. Größere Dosen
wurden zwar auch gut vertragen, hatten aber keinen besseren Ein¬
fluß auf die Krankheit. Eine direkte Beeinflussung der Temperatur
wurde nicht erzielt, wohl aber scheint die Dauer des Fiebers geringer
zu sein als in den Fällen der Behandlung mit Aspirin oder Nativ
Diplosal, ein neues Salizylpräparat.
1245
salicyl. Dagegen war die Einwirkung auf die Krankheitserscheinungen
besonders auf die Schmerzen sehr deutlich. Ergüsse in den Gelenken,
Schwellung* und Rötung gingen schnell zurück, auch beginnende Endo¬
karditis kam zum Stillstand und Heilung. Von großer Wichtigkeit
scheint mir zu sein, daß der lästige Schweißausbruch ausbleibt, der
bei Aspirin und Natr. salicyl. regelmäßig eintritt. Das Wechseln
der W äs che mag noch so vorsichtig geschehen, eine Gelegenheit zu
einer Abkühlung des Kranken ist doch gegeben, abgesehen von der
unnötigen Schwächung des Körpers durch die starke Schweißabsonde¬
rung bei Schwerkranken.
Störungen von seiten des Darmkanals habe ich nicht beobachtet.
Dipl os al wurde in Tabletten genommen, hinterließ keinen unangenehmen
Geschmack im Munde und beeinflußte die Eßlust nicht im geringsten.
Auch Ohrensausen, Herzklopfen, ^Nasenbluten habe ich in keinem Falle
beobachten können, Eiweiß konnte im Harn nicht nachgewiesen werden.
Von besonderem Interesse ist ein Fall, den ich etwas genauer er¬
wähnen möchte. Die Krankheit setzte sehr heftig ein, beide Fuß-,
Knie- und Handgelenke waren ergriffen, jede Bewegung mit starken
Schmerzen verbunden. Der Kranke bekam Acid. salicyl. mit Natr.
bicaibonie Es trat wiederholt Nasenbluten ein. Die Gelenkschwel¬
lungen gingen wenig zurück, das Fieber blieb hoch. Am vierten Tage
traten Herzerscheinungen ein. Es wurde deshalb statt Salizylsäure
Acid. adetylo-sal. dreimal täglich 1,0 g gegeben. Die Gelenkschwel¬
lungen gingen nur teilweise zurück, die Herzbeschwerden und Fieber
blieben unverändert. Nasenbluten trat eher etwas häufiger auf'. Der
Kranke klagte über Ohrensausen und Schwindelgefühl, Eßlust fehlte
gänzlich. Nach fünf Tagen, als eine Besserung nicht eingetreten war,
wurde Aspirin durch Diplosal (dreimal täglich 1,0 g) ersetzt. Die
subjektiven Beschwerden verschwanden, Nasenbluten trat nicht mehr
auf, die Eßlust hob sich. Die Krankheitserscheinungen gingen zurück.
Nach wenigen Tagen stieg die Körperwärme nicht mehr über 38,0° C.
Die Heilung trat ohne Störung ein ; der Kranke wurde wieder dienst¬
fähig.
Dieser einzelne Fall beweist ja nicht, daß immer, wenn die ande¬
ren Salizylpräparate nicht vertragen werden, Diplosal guten Erfolg
hat, aber er zeigt doch, daß in einem solchen Fall, in dem die anderen
Heilmitte] versagen, Diplosal mit großem Vorteil angewandt werden
kann. Natürlich werden nach längerer Beobachtung sich Fälle finden,
in denen gerade das Umgekehrte eintritt, aber die Brauchbarkeit des
Mittels scheint mir erwiesen zu sein. Die bisherigen Beobachtungen
haben ergeben, daß Diplosal beim akuten Gelenkrheumatismus die
Krankheit gut beeinflußt und bis auf wenige Ausnahmen von den
Kranken sehr gut vertragen worden ist. Ich glaube deshalb, weitere
Prüfungen empfehlen zu können.
Beim chronischen Gelenkrheumatismus sah ich keinen wesent¬
lichen Erfolg. Die Schmerzen wurden allerdings geringer, aber die
Veränderungen in den Gelenken besserten sich wenig. Ich habe nur
einen Fall behandelt ; der Mann mußte aus dem Pleeresdienst entlassen
werden.
Uber einen Fall von Brustfellentzündung, der mit Perikarditis
kompliziert ist, sind die Beobachtungen noch nicht abgeschlossen. Eine
Besserung ist eingetreten, aber eine so gute Einwirkung wie beim
1246
A. Menzer,
akuten Gelenkrheumatismus scheint nicht vorzuliegen; eine Abnahme
der Schmerzen konnte jedoch auch hier festgestellt werden.
Der Preis des Präparates (20 Tabletten ä 0,5 = 1,00 Mk.) ist im
Vergleich zum Acid. aoetylo-salicyl. verhältnismäßig hoch.
Die Medizin des Celsus im Lichte moderner Anschauungen,
Von A. Menzer, Halle a. S.
(Nach einem im Aerzteverein zu Halle a. S. gehaltenen Vortrage.)
(Schluß).
Unter den von Celsus beschriebenen Darmkrankheiten können
wir ein heute sehr gefürchtetes Krankheitsbild, die Blinddarment¬
zündung, wieder erkennen.1) „Der Dickdarm erkrankt meist an der
Stelle, wo, wie ich angeführt habe, der Blinddarm liegt. Es ent¬
stehen starke Aufblähung und heftige Schmerzen, besonders auf der
rechten Seite.“ Als Ursache des Leidens werden Erkältung und Ver¬
dauungsstörungen angeführt, die häufige Wiederkehr des die Dauer
des Lebens nicht verkürzenden Leidens wird hervorgehoben. Die Be¬
handlung erfolgt durch lokale trockene und warme Bähungen und eventl.
durch trockene Schröpfköpfe. Auch der Gebrauch eines Mittels (Koli-
kon), welches Mohnsafttränen enthält, entspricht der heutigen jetzt
wohl mehr und mehr verlassenen Anwendung des Opiums in der
Therapie der Appendizitis.
Die Bandwurmkur erfolgt in einer von der: heutigen nicht viel
abweichenden Form.2) Die Kranken müssen am ersten Tage viel
Knoblauch essen und erbrechen und nehmen am folgenden Tage Granat¬
wurzelabkochung in mehreren Portionen ein, der letzten Portion wird
Wasser und starke Salzbrühe zugesetzt, bei ein tretendem Stuhlgang
muß der Kranke sich auf ein Becken mit warmem Wasser begehen.
Die Lungenkrankheiten finden ebenfalls eine sorgfältige Ab¬
handlung bei Celsus. Die verschiedenen Ursachen des Blutsipuckens3)
werden geschildert, die Behandlung einer stärkeren Blutung aus dem
Innern der Luftwege erfolgt durch Buhe, Hoohlegung des Kopfes,
Aderlaß, Trinken von Essig oder Wegerichsaft (letzterer ist noch heute
ein beliebtes Volksmittel), Auflegen kühlender Umschläge und eventl.
auch durch Abbinden von Gliedmaßen.
Gut ist ferner die Beschreibung des klinischen Bildes der Aus¬
zehrung4) (Phthisis). Zu ihrer Differentialdiagnose wird empfohlen,
den Auswurf ins Feuer zu werfen und auf die Entwicklung üblen Ge¬
ruchs zu achten. Einen unvergänglichen Ruhmestitel für Celsus be¬
deutet jedoch seine Phthiseotherapie. Wir sind heute gewöhnt,
nach dem Nihilismus, der noch in der ersten Hälfte des 19. Jahr¬
hunderts bestand, die von Brehmer inaugurierte klimatische und.
diätetische Behandlung in der Lungenschwindsucht, ebenso wie auch
die Empfehlungen von Seefahrten, Seesanatorien u. dgl. nur als Er¬
rungenschaften der Neuzeit zu betrachten. Die folgenden Zeilen wer¬
den beweisen, wie auch hier der Standpunkt des Celsus als ein durch¬
aus moderner bezeichnet werden kann. Er fordert frühzeitige Be¬
handlung der Phthisis5), um sie wirksam bekämpfen zu können. Ich
führe wiederum seine wichtigsten Bemerkungen wörtlich an : „Erlauben
es die Kräfte des Kranken, so muß man denselben eine lange Schiff-
x) S. 195. 2) S. 199. 3) S. 179. 4) S. 152. 5) S. 153.
Die Medizin des Celsus im Lichte moderner Anschauungen. 1247
fahrt machen und das Klima wechseln lassen, und zwar muß das,
in welches er sich begibt, wärmer sein, als das, aus welchem er fort-
g'eht. So gehen dergleichen Kranke aus Italien am besten nach Alexan¬
drien. Der Körper der Kranken kann dergleichen Strapazen im Be¬
ginne dieser Krankheit gewöhnlich ertragen, da sie meistens im kräf¬
tigen Alter, d. h. vom 18. bis zum 35. Jahre, entsteht. Läßt dies die
vorhandene Schwäche aber nicht zu, so ist es für den Kranken am
vorteilhaftesten, nur kleine Fahrten auf einem Schiffe zu machen.
Verhindert irgend ein Umstand das Zuschiffahren, so verschafft man
dem Kranken durch Tragen in der Sänfte oder auf irgend eine andere
Art passive Bewegung ; dann muß er ferner alle Geschäfte, sowie alle
solche Dinge meiden, die sein Gemüt beunruhigen können. Ein solcher
Kranker muß viel schlafen und sich vor Katarrhen hüten, damit diese
das, was die Behandlung verbessert hat, nicht wieder verderben. Daher
müssen Verdauungsstörungen, sowie Sonnenhitze und Kälte vermieden
werden.“
Bei leichtem Fieber empfiehlt Celsus strenge Diät, doch ist
Milchgenuß gestattet. Wenn Fieber fehlt, sind mäßig starke aktive
Bewegungen, am besten Spazierengehen, sowie auch leichte Reibungen
ratsam, Baden wird als nachteilig bezeichnet. Leichter herber Wein
ist zu verordnen.
Weiter heißt es dann : ,,Bis hierher kämpft man ohne große
Schwierigkeiten. Ist aber das Übel heftiger, hört weder das leichte
Fieber noch der Husten auf, magert der Körper sichtlich ab, so muß
man stärkere Mittel anwenden. Man muß dann an einer Stelle unter
dem Kinn, an einer am vorderen Teil des Halses, an zwei Stellen auf
beiden Seiten der Brust und desgleichen unterhalb beider Schulterblätter
mit einem glühenden Eisen Geschwüre erzeugen und dieselben nicht
eher heilen lassen, als bis der Husten auf hört.“ Als weitere Mittel
werden noch genannt mehrmalige tägliche stärkere Reibungen der Glied¬
maßen, Speisen werden zur Zeit der Remissionen am besten verab¬
folgt, etwas Wein ist gestattet, als Arzneimittel sind anzuraten Wege¬
richsaft, Saft des Andorns mit Honig gekocht, auch kann man beide
mischen und noch Terpentinharz mit Butter und Honig gekocht zu¬
fügen.
Die vorstehenden Worte des Celsus zeugen wohl für sich selbst,
ich möchte nur noch zu der Behandlung des phthisischen Fiebers eine
Bemerkung machen. Das Fieber bei der Lungenschwindsucht beruht
vielfach auf begleitender Mischinfektion, also auf den gleichen Bak¬
terien, welche auch in den von Celsus erzeugten Geschwüren ßich
ansiedeln mußten. Die Beobachtungen der alten Ärzte über den Nutzen
einer solchen Behandlung können wir uns nach unseren heutigen bakte¬
riologischen Kenntnissen verständlich machen, wenn wir annehmen, daß
in den Hautgeschwüren Antikörper gegen Eiterungen erzeugt und nun
vom Organismus gegen die in den Lungen angesiedelten Bakterien
nutzbar gemacht worden sind. Wir haben hier also eine rohe Form
der Vaccinetherapie, wie sie z. B. Wright für chronische Eiterungen,
Furunkulose u. dgd. empfohlen hat, vor uns. Übrigens werden von
Heilkundigen noch heute dem Celsus’schen Verfahren ähnliche Be¬
handlungsmethoden ausgeübt, so erfuhr ich kürzlich von einem Mann,
den ich wegen Brustfellentzündung zu begutachten hatte, daß er auf
Rat eines Heilkundigen sich mit zahlreichen Stichelungen am Rücken
und nachfolgender Einreibung von eitererzeugender Salbe hatte be-
1248
A. Menzer,
handeln lassen. Auch liegt meines Wissens dem Baunscheidtismus
ein ähnliches Prinzip zugrunde.
Anschließend hieran möchte ich noch erwähnen, daß bei Atem¬
not1) eine Art von Organtherapie durch Celsus empfohlen wird.
Er rät, entweder getrocknete und gepulverte Puchsleber in Wasser
zu trinken oder möglichst frisch gebratene Puchslungen zu essen.
Hierbei sei darauf hingewiesen, daß man auch neuerdings wieder
Lungenextrakte und getrocknete Lun gen Substanz von Tieren in
die Therapie von chronischer Bronchitis und Lungentuberkulose hat
einführen wollen (Brune t2). Ebenso hat man von der Amwendung
des Glanduleus, eines Extraktes aus Bronchialdrüsen von Schafen, Er¬
folge bei Lungenkrankheiten behauptet.
Noch interessanter aber ist eine Angabe des Celsus über die Be¬
handlung der Hemeralopie3) mit tierischer Leber. - Die daran
Leidenden sollen sich die Augen mit dem Saft aus einer Leber —
besonders der eines Ziegenbockes, eventl. auch einer Ziege — einreiben..
Der Saft wird aufgefangen, während die Leber gebraten wird. Die
Kranken sollen dann auch die Leber essen. In Übereinstimmung damit
wollen neuere Autoren (Fabry4) und Sieker er5) gute Erfolge bei
Hemeralopie durch die Eingabe von frischer oder getrockneter Schaf¬
leber erzielt haben.
Man sieht auch hier wieder, daß alles schon einmal dagewesen
ist und daß wir, wenn auch die heutige Organtherapie zum Teil schon
auf eine exakte experimentelle Basis gestellt ist, doch in den eben
erwähnten therapeutischen Bestrebungen sicherlich über die einfache
Empirie des Altertums nicht hinausgelangt sind.
Über den Tetanus6) macht Celsus folgende sehr richtige Be¬
merkung: „Diese Krankheitszustände töten oft innerhalb vier Tagen;
dauern sie über diese hinaus fort, so sind sie ohne Gefahr' Eine
solche Äußerung ist recht geeignet, zur Skepsis gegenüber der doch
recht unsicheren und schwer zu beurteilenden Heilwirkung des Tetanus¬
antitoxins zu veranlassen.
Schließlich sei noch die auch auf guter Beobachtung gegründete
Angabe des Celsus, daß Gelenkkrankheiten und Gicht7) gewöhn¬
lich im Frühjahr und Herbst sich wieder einzustellen pflegen, erwähnt.
Nachdem ich so fast nur Lichtseiten der Medizin des Celsus
gezeigt habe, soll nicht verschwiegen werden, daß auch manche uns
unverständliche Irrtümer mit unterlaufen. Auch die angewendeten
Arzneimittel sind zum Teil ekelhaft. So ist z. B. Kot 8) Bestandteil
eines zu Umschlägen verwendeten Mittels, Urin eines nicht mann¬
baren Knaben wird zu einem Medikament9) benutzt, welches feucht-
brandiges Fleisch wegbringen soll u. dgl. mehr. Wir müssen aber
bedenken, daß auch im ganzen Mittelalter und besonders in der arabi¬
schen Medizin solche und ähnliche Stoffe eine große Bolle gespielt
haben, und nur mit unserer heutigen Landbevölkerung in nähere Be¬
rührung kommt, wird erfahren, daß noch heute Kuhmist und Urin
zu Umschlägen benutzt und auch z. B. Frösche u. dgl. auf entzündete
Stellen aufgelegt werden.
b S. 177. 2) Brunet, Presse med., 1897 u. 1898. 3) S. 382. 4) Fabry.
Perl, klirr Wochenschr. 1906. 5) Sicherer, Berl. klin. Wochenschr. 1906. 6) S. 173.
7) S. 207. 8) S. 224. 9) S. 247.
Die Medizin des Celsus im Lichte moderner Anschauungen. 1249
Zum Schluß möchte ich an einer Krankenuntersuchung, welche
der berühmte Galen1) selbst beschreibt, schildern, in welcher Weisei
dieser allerdings besonders tüchtige Arzt das diagnostische Rüstzeug
der damaligen Zeit handhabt. Galen, geboren 131 nach Chr. zu
Pergamos, kommt etwa im Alter von 30 Jahren zum erstenmal nach
Rom und wird, da er schon rühmlich bekannt ist, von einem Freunde,
dem Philosophen Glaucon, zur Untersuchung eines Kranken, eines
Arztes, gebeten. Galen folgt dem Rufe und sieht zufällig beim Ein¬
tritt in das Haus, daß ein Bedienter in einem Becken Exkremente
trägt, welche wie gewaschenes Fleisch aussehen. Er tut so, als ob
er nichts bemerkt habe und tritt zum Kranken ein. Der Kranke er¬
zählt ihm, daß er sich eben ins Bett gelegt habe, nachdem er etwas
im Sessel gesessen habe. Bei dieser geringen Anstrengung sei schon
sein Puls in die Höhe gegangen. Galen, der den Puls fühlt, deutet
dies als Zeichen einer vorliegenden Entzündung. Inzwischen hat er
gesehen, daß am Bett Isop mit Honigwasser als Arznei steht und
schließt daraus, daß der Kranke bei sich eine Brustfellentzündung’'
diagnostiziert hat. Ferner hat er beobachtet, daß die Atmung häufig
ist und kurzer Husten auf tritt. Da er sich inzwischen das Urteil
gebildet hat, daß ein Leberleiden vorliegt, so faßt er nach dem rechten
Hypochondrium und überrascht gibt der Kranke zu, daß dort der
Sitz seines Leidens sei. Galen fragt nun noch, ob kurze trockene
Hustenstöße ohne Auswurf, Schwere im rechten Hypochondrium und
Schmerzen daselbst bei tiefer Atmung1 vorhanden seien. Alles dies
bejaht ihm der über Galen’s Kunst höchst erstaunte Kranke, welchen
Galen auch in der Meinung beläßt, als habe er die Diagnose nur
aus dem Puls gestellt. Galen will aber noch mehr Beweise seinesi
genialen Könnens ablegen, möchte aber andererseits seinen bisher ge¬
wonnenen Ruhm nicht riskieren und forscht vorsichtig nach einem
«twa vorhandenen bohrenden Schmerz in der rechten Schlüsselbein¬
gegend, indem er sagt, der Patient würde bald eine solche Empfindung
haben, wenn er sie nicht schon hätte. Auch dies bestätigt der Kranke,
lind Galen findet nunmehr für seine Versicherung, daß alles gut
ablaufen werde, vollen Glauben und höchste Bewunderung.
Verrät die ganze Schilderung des Vorganges auch die große Eitel¬
keit Galen’s, grenzt die Art, mit der er einen Nimbus um sich
zu breiten sucht, fast an Charlatanerie, so bleiben doch seine eminente
Beobachtungsgabe und sein hohes diagnostisches Können bestehen. Allem
Anschein nach hat es sich doch im vorliegenden Falle um eine Gallen¬
steinkolik gehandelt, und auch der von Galen festgestellte bohrende
Schmerz in der Schlüsselbeingegend würde zu seiner Diagnose passen,
da bei der Gallensteinkolik Hyperalgesien im Bereich des rechten
Schultergürtels tatsächlich beobachtet werden und wohl reflektorischen
Ursprungs sind.
Wir modernen Ärzte laufen leicht Gefahr, uns zu sehr auf die
Untersuchungen von Laboratorien zu verlassen, und können uns in
der Beobachtung am Krankenbett die alten Ärzte als Muster nehmen.
M. H. ! Ich habe mich bemüht, an der Hand des Celsus’ sehen Werkes,
Ihnen in großen Zügen ein Bild der ärztlichen Anschauungen im Rom
der frühen Kaiserzeit zu geben und glaube, Sie werden mir nun darin
ü Oeuvres anatomiques, physiologiques medicales de Galienpar Droembroy,
Paris, 1854, Tom II, p. 657.
79
1250 A. Menzer, Die Medizin des Celsus im Lichte moderner Anschauungen.
zustimmen, daß die Betrachtung dieser Epoche in medizinischer Hin¬
sicht uns einen hohen ästhetischen Genuß zu gewähren imstande ist.
Aber, wie ich schon vorher gesagt habe, wir verdanken solchen ge¬
schichtlichen Rückblicken weit mehr. Wenn wir sehen, wie die Ärzte
des Altertums mit einfachen Mitteln Außerordentliches geleistet habeny
wie manche ihnen geläufige Anschauungen später vergessen worden
und erst in der neuesten Zeit wieder zur Geltung gebracht sind, wie
im ständigen Wechsel der medizinischen Schulen oft ein© allermodernste
Richtung eine alte durch vorangehende Schulen völlig verworfene Lehre
wieder anerkennt und gewissermaßen neu entdeckt, so müssen wir
die heute vielfach vertretene Forderung, daß der angehende Arzt mit
der Geschichte der Medizin vertraut sein muß, als vollberechtigt hin¬
stellen. Die Geschichte der Medizin, wie sie dem Studenten vorge¬
tragen werden soll, darf sich dabei nicht in Einzelheiten verliereny
sondern sie wird lebendig sein und Nutzen stiften, wenn sie im Hin¬
blick auf die Strömungen der Gegenwart vorgetragen wird und ein
Bild der Entwicklung medizinischen Denkens im Zusammenhang mit
der Entwicklung der geistigen Kultur überhaupt entrollt. Der an¬
gehende Arzt wird aus der Kenntnis der Geschichte seiner Wissen¬
schaft zum Denken und zur Kritik gegenüber dem eigenen Können
und Forschen angeleitet werden und wird auch, wenn manche ihm
auf der Universität vorgetragene Lehren die Feuerprobe der Praxis
nicht bestehen oder umgestürzt werden sollten, vor Enttäuschungen
bewahrt sein, wenn er vornherein weiß, daß das Heraklitische navxä qsl
auch für unsere Wissenschaft Geltung hat.
Es ist durchaus zu bedauern, daß die heutige studierende medi¬
zinische Jugend so wenig Interesse für ein geschichtlich-medizinisches
Kolleg hat, meist wird als Entschuldigung die vielseitige praktische
Beschäftigung angeführt. Wie schon Celsus richtig sagt, muß die
Heilkunde auch mit Theorie verbunden sein, und seit Hippokrates haben
alle bedeutenden Ärzte auch auf Kenntnisse in der Geschichte der
Medizin Wert gelegt. Nicht selten sind Zeiten, in denen man die
Lehren der Alten vernachlässigen zu können vermeinte, Epochen des
Niederganges gewesen. Ich erinnere nur an die berüchtigte sogenannte
physiologische Medizin im Anfang des 19. Jahrhunderts, deren Haupt¬
vertreter Broussais der Geschichte der Medizin jeden Wert absprach.
Ganz anders urteilt dagegen z. B. der als Arzt und Mensch von
seinen Zeitgenossen gleich verehrte Boerhaave1), der die Geschichte
der Medizin als sichersten Leiter in dem Gewirr© der Systeme be¬
zeichnet.
M. H. ! Ich gebe mich der Hoffnung hin, durch meine heutigen
Ausführungen Ihnen bewiesen zu haben , daß das Studium der Ge¬
schichte der Medizin nicht ein totes ist, sondern heute gerade, wo
unsere Wissenschaft über ein unübersehbares Tatsachenmaterial ver¬
fügt, — um mit Boerhaavte zu reden — eine ,, Leuchte der Wahr¬
heit und Führerin des Lebens“ zu werden vermag.
ß Zitiert nach Haeser, Geschichte der Medizin, Bd. 2, 1881.
Wohlwill, Hamburger Brief.
1251
Hamburger Brief.
Von Dr. Wohlwill, Hamburg.
In der Sitzung des ärztlichen Vereins vom 18. Mai stellte Weiß
drei Kinder vor, die enzephalitisähnliche Krankheiten durchgemacht
hatten und vollkommen geheilt waren. Im Anschluß an die in früheren
Briefen referierten Demonstrationen von Nonne und Embden rechnet
W. idie Fälle zur zerebralen Form der jetzt hier epidemisch auftretenden
Poliomyelitis und weist auf die auffallend häufige Beteiligung des
Gehirns in der jetzigen Epidemie hin.
PI ate stellte einen Fall von angeborener Alexie vor. Die Fälle sind
gar nicht so selten, werden in ihren leichteren Formen häufig nicht rich¬
tig erkannt. Es handelt sich um einen kongenitalen Defekt, meist auf
hereditärer Basis. So hatte auch die Großmutter des vorgestellten
Kindes denselben Fehler und der Bruder dieser Großmutter, der Schrift¬
steller war, mußte sich seine Arbeiten von seiner Schwester korri¬
gieren lassen. Meist ist die Fähigkeit, Buchstaben und Zahlen zu
lesen, erhalten, während zusammenhängendes Lesen und Schreiben nach
Diktat unmöglich ist. Das vorgestellte Mädchen, welches sonst sehr
intelligent war, hatte es durch Energie und Fleiß soweit gebracht,
daß es einigermaßen, wenn auch ohne jede Betonung, lesen konnte.
Beim Schreiben machte sie außerordentlich viele Fehler. Die Erkennung
des Leidens ist praktisch wichtig, da sonst solche Kinder leicht für
schwachsinnig gehalten werden.
Lenhartz berichtete über drei Fälle von Fettleibigkeit, in denen
die Karellkur ganz besonders eklatanten Erfolg gezeitigt hatte (in
einem Fall Abnahme von 119 kg auf 69 kg). Sämtliche subjektiven
Beschwerden verschwanden. Die Leistungsfähigkeit wurde sehr ge¬
hoben. Lästig ist nur die aus den zu weit gewordenen Bauchdecken
sich bildende ,, Schürze“, welche meist zurückbleibt.
Preiser hielt einen Vortrag über die praktische Bedeutung einer
pathologischen Gelenkflächeninkongruenz.
Die gewöhnliche Arthritis deformans — an der Hüfte Malum
coxae genannt — setzt der ätiologischen Forschung noch große Schwie¬
rigkeiten entgegen; sie kann in jedem Alter und an jedem Gelenk auf-
treten und ist streng von der Hof faschen polyartikulären progressiven
Form zu trennen. Im Spätstadium zeigt sie die bekannte Bandosteo-
phytenbildung, niemals Knochenatrophie, klinisch die charakteristischen
Beschwerden nach der Beihe beim Ansetzen der erkrankten Gelenke
und die vorübergehende Besserung, wenn die Patienten erst, in Gang
sind. Dagegen bereiten die Früh Stadien, bevor die Osteophyten auf-
treten, erhebliche diagnostische Schwierigkeiten, wenn es sich also noch
um Knorpeldegeneration und Kapselwucherung (Lipoma arborescens)
handelt. Aber in diesem Frühstadium lassen sich bereits cha¬
rakteristische Veränderungen im Böntgenbild in der Stel¬
lung der einzelnen Gelenkteile zueinander feststellen, Stö¬
rungen in der Statik der Gelenke. Es klagen die Patienten mit
Arth. def. coxae oft lange Zeit schon über Ischias, verbunden mit einer
Kruralisneuralgie. An den anderen Gelenken fehlt eine charakteristische
Neuralgie, dort treten die Frühsymptome mehr als Steifigkeit, Beweg¬
lichkeitsbeschränkungen und Schmerzen auf, an der Unterextremität
oft so stark, daß jedes Stehen und Gehen, sowie oft jede Berufsarbeit
unmöglich wird, an Schulter und Ellbogen derartig, daß die Gelenke
1252
Wohlwill,
nicht gebraucht werden können und ein© Berufsarbeit oft ebenfalls
unmöglich wird. Stets befindet sich im Röntgenbilde bei diesen
Bällen eine pathologisdhe Gelenkflächeninkongruenz, d. h.
eine Verschiebung der einzelnen Gelenkkomponenten gegeneinander, die
es ermöglicht, die unklaren Gelenkbeschwerden bereits vor Eintritt
einer Osteophytenbildung auf eine statische Ursache zurückzuführen
und die, weil sie sich stets bei Arth, deform, findet, auch als die Ursache
derselben gelten muß. P. nennt daher die Arth, deform, eine „statica“.
An der Hand einer großen Reihe von Lichtbildern anatomischer Präpa¬
rate und Röntgenbilder Wurden dann die einzelnen Kennzeichen einer
statischen Störung verschiedener Gelenke demonstriert :
An der Hüfte wird zunächst auf die von P. gefundene Variation
der Pfannenstellung hingewiesen: Die normale Pfanne steht im
verlängerten ersten und zweiten schrägen Durchmesser, die rachi¬
tische dagegen frontal; selbst bei stärkster Beckenneigung bleibt
deshalb immer noch ein Teil der Knorpeloberfläche des Kopfes außer
Kontakt mit der Pfanne und kann dadurch atrophieren und so die
Arth, deform, einleiten. Bei lateraler Pfannenstellung, der häu¬
figsten Basis für das Malum c'oxae, wird beim Aufsetzen des
Fußes in der Sagittalen ebenfalls ein Teil der Kopffläche außer Kon¬
takt gedreht. Dabei findet man aber auch stets eine Antetorsion des
oberen Femurendes. Am Knie ragt bei statischen Mißverhältnissen
der Unterextremitäten der laterale Tibiakondylus frei unter dem Femur
hervor und bildet so ebenfalls eine pathologische Gelenkflächeninkon¬
gruenz. Beim Plattfuß kann man als Gelenkflächeninkongruenz auf¬
fassen : das laterale Abgedrängtwerden des Calcaneus, das Abrutschen
des Talus nach innen unten, das Tiefertreten des Naviculare usw.
Auch hier kommt es, wie Präparate und Röntgenbilder zeigen, oft später
zur statischen Arth, deform. Am statisch gestörten Ellbogen kann
man ein teilweises Hervorragen der Gelenkfläche des Radiusköpfchens
unter dem lateralen Humerus -condylus konstatieren, wie auch stets
bei der Arth, deform, cübiti. . — An der Schulter weist P. auf die
Veränderungen bei Arth, deform, hin an der Hand von Röntgenbildern
(Zuspitzung der unteren Humeruskopfrundung, Humerus- varus- Bil¬
dung usw.). Die Lumbago ist häufig ebenfalls als Folge einer Inkon¬
gruenz, d. h. einer Verschiebung der Sakroiliakalgelenkf lachen gegen¬
einander aufzufassen: daher die Lumbago nach Extension der Beine
und in der Gravidität. Vielleicht ist auch die orthotische Albu¬
minurie darauf zurückzuführen, da durch eine Lordose eine tem¬
poräre Aortenkompression herbeigeführt wird und Brieger ja nach
experimenteller Aortenkompression Albuminurie beobachtet hat.
Das Primäre ist also stets für alle Gelenke eine Störung der
Statik, die das Gelenk dann zur statischen Arth, deform, disponiert.
Ob schließlich diese dann dadurch eingeleitet wird, daß die nicht-
benützte Knorpeloberfläche atrophiert oder durch Synovialisverände-
rungen, die durch Kapselverdrehungen und Quetschungen bedingt sind,
muß noch offen bleiben. Schließlich sucht P. an den Röntgenbildern
nachzuweisen, daß die Osteophytenbildung eine gewisse Selbstheilung
des Körpers darstellt, da sie als eine Verbreiterung der Gelenkflächen
an den inkongruenten Stellen und damit als eine Anpassung der Ge¬
lenke an die veränderte Statik auf gef aßt werden kann.
In der biologischen Abteilung berichtete Schroeder über einen
Fall, an dessen Hand die theoretisch wie forensisch praktisch wichtige
Hamburger Brief.
1253
Frage nach dem Zusammenhang zwischen Trauma und syphilitischen
Eruptionen beleuchtet wurde. Ein 41 jähriger Arbeiter hatte sich durch
Stoß mit dem Puffer eines Eisenbahnwaggons eine Fraktur der Ska-
jmla und eine Quetschung der linksseitigen Hippen zugezogen. Er
konnte nach vier Wochen die Arbeit wieder aufnehmen, erkrankte
aber eine Woche später an ohnmachtsähnlichen Anfällen. Er verfiel
schnell und starb 50 Tage nach dem Unfälle. Bei der Sektion fand
sich außer einer zweifellos syphilitischen Narbe der Trachea ein Gummi
der rechten Herzkammer von ziemlich beträchtlicher Größe. Die Ent¬
stehung von Gummen in durch Stoß verletzten Muskeln ist eine be¬
kannte Tatsache. Diese pflegen aber viel langsamer zu wachsen,
brauchen oft Jahre zu ihrer Entwicklung. Auch rein pathologisch
ist die Entstehung dieser Gummigeschwulst in sieben Wochen sehr
unwahrscheinlich. Die Beschleunigung ihres Wachstums durch den
Unfall wurde in dem Gutachten nur für „möglich“ erklärt. Daraufhin
wurde der Anspruch abgewiesen.
Simmonds glaubt auch nicht, daß in so kurzer Zeit eine solche
Geschwulst entstehen kann, er hält aber für wohl möglich, daß das
Trauma das Versagen des vorher schon geschädigten Herzmuskels ver¬
schuldet hat.
Plate wies in diesem Zusammenhang auf Experimente von Külps
in Kiel hin, welcher durch Verhämmern des Thorax bei Tieren sofort
Irregularitäten hervorruf en konnte. Der Sektionsbefund war : kurze
Zeit nach dem Trauma Blutungen, später myokarditische Schwielen.
Weiß möchte in wissenschaftlich so strittigen Fragen aus prak¬
tischen Gründen für den Unfallverletzten das in dubio nro reo an-
*.
gewendet wissen.
Del Ban co hielt einen Vortrag über die Tuberkulose der Haut.
Die Stellung dieser Krankheitsformen ist deshalb eine sehr umstrittene,
weil es nicht gelingt, Tuberkelbazillen nachzuweisen. Aber die klini¬
schen Gründe für die tuberkulöse Natur dieser Affektionen mehren-
sich so, daß wenigstens für einige von ihnen ein Zweifel nicht be¬
stehen kann. Hierher rechnet B. den Lichen scrophulosorum, den Lupus
miliaris und die Follikulitis. Die erstgenannte Krankheit zeigte stets
Reaktion auf Tuberkulin, einmal gelang es B. einen Tuberkelbazillus
nachzuweisen. Histologisch handelte es sich immer um tuberkulöse
Granulome. Alle drei Affektionen sind Ausscheidungstuberkulide ; sie
finden sich nur bei Personen, die an — meist benignen — Tuberkulose¬
formen leiden oder bald darauf an solchen erkranken. Die Toxine
werden ähnlich wie Jod und Brom in den Follikeln ausgeschieden.
Die rein toxische Natur der Eruption wäre allerdings erst dann be¬
wiesen, wenn es auch nicht gelänge, die MuclTschen Granula in ihnen
nachzuweisen.
Auch den Lupus erythematodes hält B. für tuberkulösen Ursprungs.
Darin hat ihn hauptsächlich ein Fall bestärkt, in dem die gleichzeitig
vorhandenen Drüsen bei Versuchstieren Tuberkulose hervorzurufen im¬
stande waren.
Im Anschluß daran berichtet B. noch über Studien über die
Wirkungsweise des Finsenlichts bei Lupus. Dasselbe läßt Elastika
und Kollagen ganz intakt, schädigt nur das Epithel. Dieses wird
sofort regeneriert und in der Tiefe wuchert der Lupus weiter. Es
ist also eine schichtweise Zerstörung der sich zum Teil immer wieder
neubildenden pathologischen Elemente nötig.
1254
Wohlwill,
In der Diskussion berichtete Simmonds über einen gerade vor
kurzem sezierten Fall von Lupus erythematodes, in dem die Obduktion
keine Spur von Tuberkulose ergab.
Lewandowsky berichtete über experimentelle Versuche, welche
ihn von der hämatogenen und gleichzeitig bazillären Natur der be¬
sprochenen Krankheiten überzeugten. Er glaubt, daß es sich entweder
um Embolien mit Tuberkelbazillensplittern oder um Kutanimpfung
handelt. Für die Wirkung der Finsenbestrahlung kommt auch die dabei
erzeugte Hyperämie sehr in Betracht.
In der nächsten Sitzung stellte Umber einen Fall von „Ery-
thrämie“ vor. Der Mann bot das Symptom hochgradiger „Blausucht“,
ohne daß am Herz ein Grund dafür sich fand. Die Blutuntersuchung
ergab 12000000 Erythrozyten, bei den weißen fand sich bei normaler
Leukozyten- und etwas reduzierter Lymphozytenzahl eine Vermehrung
der Ubergangsformen. Die Viskosität des Blutes übertraf das Normale
um das 6 — 7 fache. Es handelt sich um ein primäres Wuchern der
erythroblastischen Elemente im Knochenmark (Analogie zur Leukämie !).
Deshalb hat die bisweilen ausgeführte Exstirpation der Milz (die in
diesem Fall übrigens nicht vergrößert war) nie Erfolg.
Kümmel 1 stellte einen Fall von Staphylokokkenmeningitis nach
Karbunkel vor, die nach viermaliger Lumbalpunktion geheilt war.
Wahrscheinlich ist der Staphylokokkus als Meningitiserreger weniger
gefährlich als andere Keime.
Ferner stellte er zwei Fälle vor, in denen die Unterbindung der
A. subsclavia nötig wurde. In dem einen handelte es sich um ein
traumatisches Aneurysma der Axillaris, welches auffallenderweise erst
drei Wochen nach einer Schulterluxation aufgetreten war. Die Unter¬
bindung führte hier zu Gangrän des Armes, die eine Amputation nötig
machte. Im zweiten Fall wurde die Unterbindung als Präliminar¬
operation vor Abtragung des gesamten Schulter gürteis wegen Sarkom
ausgeführt. Die Operation konnte dadurch mit relativ geringem Blut¬
verlust ausgeführt werden.
De necke wies unter Vorstellung von drei einschlägigen Fällen
darauf hin, wie häufig die Aorteninsuffizienz in einer syphilitischen
Endaortitis (Heller) ihre Ursache hat. Die Wassermann’ sehe Be-
aktion ermöglicht es, diese Diagnose jetzt auch intra vitam zu stellen;
sie hat uns gezeigt, daß die syphilitische Grundlage der Aorteninsuffi¬
zienz viel häufiger ist, als man früher annahm. D. konnte in fünf
Monaten 13 Fälle sammeln, davon zeigten vier die bekannte Kombi¬
nation mit Tabes.
In der Sitzung vom 15. Juni stellte Trömner u. a. einen Fall
von juveniler Paralyse vor. Die kindliche Paralyse macht ca. 1— — 2 °/0
aller Paralysefälle aus. Sie wird sehr häufig verkannt, für Imbezillität,
multiple Sklerose, Meningitis angesehen ; gleichwohl ist die Diagnose
für den, der solche Fälle öfter gesehen hat, leicht, da das Krank¬
heitsbild viel monotoner, viel weniger variabel ist als das bei Er¬
wachsenen. Alle Kinder zeigen z. B. eine planlose, verworrene Unruhe.
Pupillenstarre fehlte nie. Wenn man bei Kindern, die etwa vom
5. Lebensjahr an intellektuell abnehmen, nur an die Möglichkeit einer
Paralyse denkt, so wird man die Diagnose nicht verfehlen. Hereditäre
Syphilis ist in den Fällen fast immer nachweisbar.
Pr eis er zeigte Böntgenbilder von drei Fällen, in denen pach
Trauma eine kreisförmige Aufhellung im os naviculare der Hand auf-
Hamburger Brief.
1255
getreten war. In einem Fall trat später (nach Stauung) eine Spontan¬
fraktur ein; in allen drei Fällen war Pirquet positiv. Zwei waren
zweifellos tuberkulös, einer litt an langjähriger Bronchitis. Bei dem
einen kam auch Lues in Betracht ; trotzdem hält Pr. den Prozeß)
für nicht spezifischer Natur. Er glaubt vielmehr, daß es sich um eine
primäre Fissur handle, die später infolge mangelhafter Ernährung zu
Atrophie führte (aseptische Osteomyelitis).
Kumpel besprach ein Phänomen, das er für charakteristisch für
Scharlach hält : Blutungen finden sich bei Scharlach besonders im
Schenkeldreieck. Wenn man aber die Stauungsbinde anlegt, so kann
man an jedem anderen Ort künstlich Blutungen hervorrufen. Bei
kräftiger Stauung und Bearbeiten mit dem Ätherbausch treten zwar
auch bei Gesunden gelegentlich Blutungen auf, aber nie so schnell
und in so erheblichem Maße. Auch mit der Saugglocke kann man
diese Blutungen erzielen. Da die Erscheinung auch nach Verschwinden
des Exanthems noch auftritt und bei Masern, Böteln, Diphtherie sich
nicht findet, so kommt ihr eine gewisse diagnostische Bedeutung zu.
Weygandt besprach in einem mit großem Interesse aufgenom¬
menen Vortrag die ärztlichen Forderungen zum Entwurf der Straf¬
prozeßordnung und zur Strafgesetzreform. In bezug auf erstere wünscht
W. namentlich eine Erweiterung der Bestimmungen, welche Personen
vom Eide ausschließen, die durch Verstandesschwäche von dem Wesen
Bes Eides keine richtige Vorstellung haben, dahin, daß alle diejenigen
nicht zu vereidigen sind, deren Aussagen durch Geistesstörung beein¬
flußt sind. Ferner hält er es für nötig, weitgehende Bestimmungen
zu treffen, die die Beurteilung des Geisteszustandes von Zeugen er¬
möglichen. In wichtigen Fällen glaubt er sogar für eine längere An¬
staltsbeobachtung plädieren zu müssen. Die Frist von sechs Wochen
zur Beobachtung der Angeschuldigten erweist sich bisweilen als zu kurz
(z. B. bei Epileptikern). Vor allem müßte dem Oberbegutachter das
Bec'ht zustehen, aufs Neue eine Anstaltsbeobachtung in die Wege zu
leiten, was bisher nicht möglich ist. - — -Der Irrenhausaufenthalt müßte
auf die Strafe angerechnet werden. — Falls ein Angeklagter wegen
Geistesstörung freigesprochen wird, müßte trotzdem die Täterschaft
festgestellt werden, damit nicht eventl. einem Unschuldigen trotz des
Freispruchs zeitlebens ein Makel anhaftet ; andererseits müßte eine
Bestimmung existieren, die in einem solchen Fall den Privatkläger
von den Kosten befreit. (Schluß folgt).
Referate und Besprechungen.
Bakteriologie und Serologie.
Lieber die feine Struktur der Bakterien.
(Alessandro Amato. Zentralbl. für Bakt., Bd. 48, H. 4, 1909.)
Die vom Verfasser angewandte Technik war folgende. Er verwandte
Brillantkresyl.
Auf einen Objektträger breitet er eine Schicht in absolutem Alkohol
gelösten Brillantkresyls aus, läßt den Alkohol verdampfen und fügt dann
auf diese Stelle einen Tropfen Bouillonkultur. Er bespricht dann im ein¬
zelnen an der Hand vorzüglicher Abbildungen die gewonnenen verschiedenen
Bilder in den verschiedenen Lebensphasen der Bakterien, so z. B. des Kar¬
toffelbazillus. des Bacillus subtilis, des Bacillus mycoides und des Spirillum
1256
Referate und Besprechungen.
volutans. Aus seinen Untersuchungen ist ersichtlich, daß in der Bakterien¬
zelle Granulationen zerstreut liegen, die durch1 Teilung oder Zerfall eines
rundlichen homogenen, stark färbbaren Körpers entstehen. Diese Granula
zeigen während der Teilungs'phasen des Bakteriums eine besondere Anord¬
nung und Verschmelzung. Auch bei der Sporenbildung spielen diese Granula
eine Bolle.
In den ersten Phasen der Sporenbildung tritt beim Kartoffelbazillus
ein kleines zentrales Körperchen auf; es verschwindet in der reifen Spore,,
um in den ersten Phasen der Sporenentwicklung wieder aufzutreten.
Aus diesem Körperchen entstehen dann durch Teilung oder Zerfall die zer¬
streut liegenden Granula der erwachsenen Bazillen.
Sind diese Granula nun ein Äquivalent des Kernes oder nicht?
Verf. glaubt auf Grund der Anordnung der Granula, die sie bei der
Teilung des Bazillus und der Sporenbildung annehmen, die Granula als ein
Äquivalent des Kernes bezeichnen zu dürfen. Schürmann (Düsseldorf).
Sur une propriete d’un serum prepare avec des exsudats streptococciques.
(Antonio Pricolo, Rome. Zentralbl. für Bakt., Bd. 48, H. 1.)
Pferde wurden mit dem Exsudat von Meerschweinchen, die an intra¬
pleuraler Infektion mit Streptococcus equi zugrunde gegangen waren, immuni¬
siert. Das Pferdeserum begünstigte bei Kaninchen, Hunden und Meerschwein¬
chen die Infektion und brachte a,üch nach wiederholten Injektionen keine
Immunität gegen Streptococcus equi. Verfasser glaubt, daß in dem Serum
Antikomplemente vorhanden seien, die die natürlichen Schutzkräfte paraly¬
sieren und die eigenen Schutzwirkungen des Serums nicht zur Geltung kom¬
men lassen. Das Pferdeserum hatte 3 Monate nach ^der letzten Behandlung1'
mit Exsudat seine Aggressivwirkung verloren. Schürmann.
Ueber die Ophthalmoreaktion.
(V. Maragliano u. G. Romaneil i. Annali dell’ Istitulo Maragliano, Volume IIr
Fascicolo V, Genova, S. 316 — 325, 1909.)
Die beiden Verf. legten sich die Fragen vor:
1. ob die sog. Ophthalmoreaktion nur durch die direkte Einwirkung
des Tuberkelgiftes auf die Konjunktivalschleimhaut zustande kommt?
2. oder ob sie das Ergebnis ist, des Zusammentreffens des Toxins mit
irgend einer im Blute kreisenden giftigen Substanz ?
Zur Beantwortung der ersten Frage träufelten sie 4 Pat., welche zu¬
vor eine deutliche Konjunktivalreaktion gegeben hatten, 2 Tropfen eines
Gemisches von 2 — 4% Tuberkulin- und Antitoxin-Serum zu gleichen Teilen ein.
Es trat daraufhin zwar eine Reaktion auf, dieselbe war jedoch von geringerer
Intensität und kürzerer Dauer als die gewöhnliche. Im Hinblick darauf, daß
sonst bei Wiederholungen die Reaktionen heftiger auszufallen pflegen, kann
man also eine Neutralisations- oder Hemmungswirkung des Antitoxin-Serums
nicht in Abrede stellen.
Die andere Frage wurde in der Weise in Angriff genommen, daß ein Ge¬
misch von Tuberkulin und Blutserum von Tuberkulösen, welche eine deutliche
Konjunktivalreaktion gezeigt hatten), 6 gesunden Leuten eingeträufelt wurde;,
es trat jedoch keine Reaktion auf, so wenig wie auf Tuber kulininstillationen
ohne Serumzusatz. Buttersack (Berlin).
Über den Einfluß der Fiebertemperaturen auf die Mikroben und die
Schutzkräfte des Organismus.
(Dr. Sulima. Zentralbl. für Bakt., Bd. 48, H. 3.)
Verf. schließt aus seinen Versuchen, daß Temperaturen über 39° für
den Kampf des menschlichen Körpers mit Mikroben ungünstig sind. Die an
Endotoxinen reichen Organismen (Typhus, Cholera) können bei der ange-
Referate und Besprechungen.
1257
nominellen Auflösung den Körper stark vergiften. Andererseits ist von einer
mäßigen Steigerung der Körpertemperatur manchmal eine Besserung der Aus¬
sicht auf den Sieg des Körpers über die Parasiten zu erwarten.
Genaue Angaben über die Dauer und Intensität der künstlichen Er¬
wärmung fehlen noch.
Verf. hat darüber Versuche an Keuchhustenkindern gemacht und be¬
richtet in Kürze über seine Methode. Schürmann (Düsseldorf).
Innere Medizin.
Aus der inneren Abteilung des Krankenhauses Charlottenburg-Westend.
Ueber die Allgemeinbehandlung von Infektionskrankheiten.
(Prof. Dr. E. Grawitz. Ther. Monatsh., Kr. 12, 1909.)
Heutzutage, so ungefähr führt Gr. aus, wo für fast alle wichtigeren
Infektionskrankheiten Spezifika erfunden sind und noch täglich neu erfunden
werden, ist es zwar unmodern, aber trotzdem und gerade deswegen dringend
nötig, zu ermitteln, wie viel auch ohne diese Spezifika durch ratio¬
nelle allgemeine und lokale Einwirkungen auf den infizierten
Organismus geleistet werden kann; denn es mutet doch eigentümlich an,
wenn gerade Leiter großer Krankenanstalten bei einer Diskussion über die
Diphtheriebehandlung, wie wir sie hier vor wenigen Monaten in der Medizi¬
nischen Gesellschaft erlebten, bei der Bewertung ihrer Heilresultate aus¬
schließlich den Faktor der Seruminjektion in Rechnung stellten, der
in den letzten 20 Jahren erreichten Fortschritte in der Allgemeinbehandlung der
Infektionskrankheiten, ferner der Fortschritte in der Hygiene und dem Be¬
triebe der Krankenhäuser, sowie endlich auch des Umstandes nicht mit einem
Worte gedachten, daß die Kranken jetzt meist in viel früheren Stadien der
Erkrankung und auch viel häufiger mit leichten Erkrankungsformen die großen
Hospitäler aufsuchen. Speziell bei der Diphtherie ist auch noch der Weg¬
fall früher beliebter, enorm schädlicher, lokaler Ätzungen, Applikation starker
Antiseptika ja sogar des Glüheisens zu berücksichtigen.
Die moderne spezifische Therapie soll sich teils gegen die Keime, teils
gegen ihre Produkte wenden, teils die phagozytäre Leukozytentätigkeit an¬
regen. Solange sie aber noch unsichere oder gar keine Erfolge aufweist,
sind wir auf die Maßnahmen angewiesen, die man auch heute noch unter
dem alten Begriff der Derivantia zusammenfassen kann. Man wird allerdings
heute mit diesem Begriff nicht bloß die Idee einer Ableitung schädlicher
Stoffe aus dem Blute durch Schweiß, Urin, Stuhl, Aderlaß verbinden, sondern
die komplizierten organischen Vorgänge in erweitertem und geläutertem Sinne
auffassen.
Gr. hebt unter diesen Maßnahmen vor allem das initiale heiße Bad mit
nachfolgender Schwitzprozedur und die reichliche, oft in kleinen Mengen
wiederholte Flüssig keits zu fuhr durch Mund (Mastdarm und ev. Haut)
hervor. Während erstere u. a. die entzündeten Gewebe entspannt und wieder
funktionstüchtig macht, bewirkt letztere eine Diluierung und beschleunigte
Ausschwemmung der Toxine usw.
Bei Zuhilfenahme dieser Mittel erreichte er außer bei anderen Krank¬
heiten auch speziell bei Diphtherie ohne Serum die gleichen Erfolge, wie
sie von der Serumtherapie beriehtet werden. Esch.
Erythrämie.
(J. M. Gordon. Zeitschr. für klin. Med., Bd. 68, S. 1, 1909.)
G. beschreibt aus der FFoorden’schen Klinik in Wien drei Fälle
von Polycythämie mit (roter) Zyanose und Milzschwellung. Es wurden
auch Respirationsversuche angestellt mit dem Resultat, daß die gefundenen,
um 4 ccm O und von 2,7 bis 3,8 ccm CO2 pro Kilo und Minute sich bie-
1258
Referate und Besprechungen.
wegenden Werte noch als normal anzusehen sind. Die eigentliche, an Zyanose
erinnernde „Rötung“ des Gesichtes und der Extremitäten erklärt G., wie
andere, aus einer Blutüberfüllung der Gewebe, einer Plethora vera. In dem
zu vermehrter Erythrozytenbildung angeregten Knochenmark ist allem An¬
schein nach die nächste Ursache der Polycythämie zu suchen, wobei aber
das häufige Unbeteiligtsein der Leukozyten, des leukoblastischen Systems,
auffallen muß. So lautet denn auch die Definition der Erythrämie vor¬
sichtig : ,,E. ist eine Erkrankung vorwiegend des erythroblastischen Systems,
welche durch eine dauernde Vermehrung der roten Blutzellen mit den Eolgen
dieser Vermehrung ausgezeichnet ist.“ H. Vierordt (Tübingen).
Ueber die Palpation des normalen Pylorus und der normalen großen Kurvatur
und über ein neues akustisches Phänomen, das exspiratorische Gurren.
(Gausmann. Praktitscheski Wratsch, Nr. 1 — 8, 1909.)
Auf Grund seiner Palpationsergebnisse, deren Technik näher beschrieben
wird, glaubt Verfasser mit Bestimmtheit behaupten zu können, daß der
Pylorus in mindestens 18% der Fälle getastet werden kann und zwar als
bald weicher schlaffer, bald mehr kontrahierter Zylinder, an welchem zu
Beginn der Erschlaffung oder am Ende der Kontraktionsphase meist ein
Kollern oder Spritzen wahrgenommen werden kann. Die Technik der Tastung
der großen Kurvatur, welche Verf. als Idealmethode zur Lagebestimmung
des Magens bezeichnet, besteht in der tiefen Palpation, die folgendermaßen
ausgeführt wird : während des tiefen Atmens wird sehr allmählich unter
Ausnützung jeder Exstirpation langsam mit den Fingerspitzen die hintere
Bauchwand erreicht, damit das aufliegende Organ für die Palpation er¬
reichbar wird. In die erforderliche Tiefe gelangt, machen wür mit den
Fingerspitzen gleitende Bewegungen in der Richtung, die senkrecht ist zur
Achse des zu untersuchenden Organs. Die Finger gleiten dabei über das
der hinteren Bauchwand anliegende resp. angedrückte Organ. Die große
Kurvatur kann in mindestens 25% der darauf untersuchten Fälle abgetastet
werden. Das Phänomen des exspiratorischen Gurrens entsteht in dem Moment,
wio der die große Kurvatur begrenzende Magenstreifen an den Fingern
vorüberstreicht. Es entsteht dadurch, daß die Reihe der palpierenden Finger
eine Scheidung des Magens in einen unteren und oberen Magenraum bewirkt,
von denen der untere sich1 bei dem exspiratorischen Aufwärtssteigen des
Magens verengt. Auf Grund seiner zahlreichen Palpationsbefunde gibt Verf.
an, daß die große Kurvatur des nioht ptotischen und nicht atoniselhe|n
Magens 5 — 6 cm oberhalb des Nabels verläuft. Die Palpation, wiei sie Verf.
übt, eignet sich besonders auch’ dazu, um die Zugehörigkeit von Tumoren
zum Magen festzustellen. J. Lichtmann (Köln).
Aus der medizinischen Universitäts-Klinik in Lausanne.
Die Behandlung des runden Magengeschwürs mit Eisenchloridgelatine.
(Prof. Bourget. Therap. Monatsh., Nr. 7, 1909.)
Die Eisenchloridgelatine wird folgendermaßen zubereitet: Man löst bei
milder Wärme 100 g Gelatine in 100 g Wasser und 100 g Glyzerin. Nach
vollständiger Verflüssigung werden der Flüssigkeit schnell 50 g flüssiges
Eisenchlorid zugesetzt. Es tritt nun eine Art Gerinnung ein mit der Bildung
eines Satzes, der sich mit der übrigen Flüssigkeit schwer mengt. Unter
beständigem Umrühren der Masse muß das Ganze erwärmt werden, bis es
homogen wird. Alsdann gießt man es auf Blechplatten, die in kleine Vier¬
ecke von 1 jeem eingeteilt sind (wie der Konditor beim Bereiten von Bonbons).
Der an Ulcus rotund. Leidende erhält 2 oder 3 von diesen Tabletten tgl. ;
2 bis 3 Stunden nach der Mahlzeit, nach folgendem’ Schema : 8 Uhr Früh-,
stück: Milch und Zwieback. 10 Uhr: Eisenchloridgelatine. 10 y2 Uhr: 100 bis
150 g alkalinisches Wasser. 12 Uhr: Milchreis. 3 Uhr: Eisenchloridgelatine.
Referate und Besprechungen.
1259
3 Vs Uhr: 150 g alkalinisches Wasser. 6 Uhr: Milchreis. 9 Uhr: Eisen-
chloridgelatine. 10 Uhr: alkalinisches Wasser. Die Vorschrift für das alka-
linische Wasser lautet: Rp. Natr. hicarb. pur. 8,0, Natr. phosphor. sicci 4,0,
Na+r. sulfur. sicci 2,0, M. f. p. Dent. t. dos Nr. X. Ds. 1 Pulver in 11 Teilen
kalten Wassers aufzulösen. S. Leo.
Zur Behandlung des Magengeschwürs.
(Prof. Dr. W. von Leube, Würzburg. Deutsche med. Wochenschr., Nr. 22, 1909.)
Leube rekapituliert zunächst in kurzen Strichen seine Ulkuskur. Die
vier Maßregeln sind 1. absolute Bettruhe 1 — 2 Wochen lang. 2. Karlsbader
Wasser nüchtern in Menge von y4 Liter. 3. Heiße Kataplasmen in die Magen¬
gegend, die tagsüber 11 — 12 Stunden liegen bleiben sollen und des Nachts durch
Prießnitzumschläge ersetzt werden. Auch Entstehung von Brandblasen oder
unangenehme Empfindungen halten ihn davon nicht ab, nur bei Magen¬
blutungen sind sie kontraindiziert und die Eisblase ist am: Platze. 4. Schonungs¬
diät, die allmählich an Nährwert steigt. Alle vier Verordnungen müssen
zusammengehalten werden, wodurch er ein Sinken der Mortalitätsziffer auf
1/2% erzielt hat. Im Gegensatz zu Lenhartz hält er eine strenge Nahrungs¬
abstinenz per os bei profusen Blutungen für unbedingt nötig. Er verordnet
dazu Bettruhe, einmalige Dosis von 30 Tropfen einer 0,1 prozentigen Adrenalin¬
lösung, Eisblase, Wismut und Morphininjektion. Wenn auch Lenhartlz
glaubt, durch geringere Nahrungszufuhr die Magensäure zu binden und die
peristal tischen Bewegungen des Magens zu reduzieren, so ist Leube der
Ansicht, daß zwar dadurch Säure gebunden, gleichzeitig aber Bildung von
Säure angeregt wird, ferner dürften durch die Nahrungszufuhr die peri¬
staltischen Bewegungen angeregt werden, wozu noch kommt, daß derartige
Bewegungen doch am1 besten durch Morphium zu unterdrücken sind. Die
von Lenhartz befürchtete Ausdehnung des Magens durch die Milchzufuhr
der ersten Kost ist wohl völlig ausgeschlossen, da diese Kost auf 5 — 6 Mahl¬
zeiten am Tag verteilt wird. Was die Differenz bezüglich des Nährwerts
seiner und der L en h ar tz’schen Diätform betrifft, so sind sie unbedeutend
und lassen keine Unterernährung bei der seinen befürchten. Auch eine Ver¬
längerung der Behandlungsdauer wird nicht dadurch bedingt. Eine Ver¬
abreichung von Eisen hält er wegen der schlechten Bekömmlichkeit nicht für
indiziert, er gibt es erst 1 — 2 Monate nach’ Abheilung des Ulkus. Die
Seltenheit der Nachblutungen, die Lenhartz für seine Methode in Anspruch
nimmt, gibt Leube zwar zu, glaubt dafür aber nicht die Methode, sondern
die lokalen Verhältnisse, z. B. Arrosion eines! größeren Gefäßes verantwortlich
imachen zu müssen. Während der einer Blutung folgenden Zeit gibt er
gleichfalls kein Abführmittel. Er faßt seine Erfahrungen zum Schluß dahin
zusammen, daß er von seiner Methode bei nichtblutenden Geschwüren nicht
a.bgehen kann, während er bei blutenden Geschwüren zugibt, daß man auch
mit der Len har tz’schen Methode gute Erfolge erzielt, aber doch darin auch
nicht ^u weit gehen darf. F. Walther.
Winter-Erbrechen.
(Kusch ew. Praktitscheski Wratsch, Nr. 2, 1909.)
Beschreibung von fünf Eällen, die seit 2 — 10 Jahren regelmäßig im
Winter an Erbrechen gelitten haben. Die Fälle betrafen vier Frauen und
ieinen Mann, die im Alter von 27 — 60 Jahren standen. In einem Falle
wurde eine Hypersekretion und eine leichte Hyperazidität des Magensaftes
festgestellt. Verf. hält sich für berechtigt, die Krankheit als eine selb¬
ständige zu bezeichnen, wie etwa die paroxysmale Hämoglobinurie oder Pruritus
hiemalis. Wovon das Leiden abhängt, vermag Veif. nicht zu entscheiden; wahr¬
scheinlich ist das Nervensystem beteiligt, indem die Reizung der peripheren
Nervenendigungen der Haut oder vielleicht der Schleimhaut durch die Kälte
1260
Referate und Besprechungen.
reflektorisch den Magennerven mitgeteilt wird, wodurch das Erbrechen her¬
vorgerufen wird. Diese Annahme erscheint wahrscheinlich, wenn wir daran
'denken, wie oft und wie leicht das Erbrechen reflektorisch hervorgerufen
wird, z. B. bei der Gravidität, Erkrankungen der weiblichen Genitalien, der
Leber, Niere und dergleichen. J. Lichtmann (Köln).
Frühdiagnose eines Flexurkarzinoms durch rektale Endoskopie.
(Arthur Foges. Med. Klinik, Nr. 10, 1909.)
Krankengeschichte eines 55jährigen Herrn, bei dem es durch Anwen¬
dung der rektalen Endoskopie gelang, 26 cm oberhalb der Analöffnung einen
bohnengroßen leicht blutenden Tumor nachzuweisen, der sich bei der opera¬
tiven Entfernung ungefähr im Scheitel der Elexura sigmoidea vorfand und
mikroskopisch als ein typisches Adenokarzinom erwies. Bemerkenswert in
klinischer Beziehung an dem Falle war außerdem, daß bei dem Kranken
mehrfache Anfälle beobachtet wurden, welche mit allgemeinem Unbehagen,
Appetitlosigkeit, Aufstoßen, leichter Temperatursteigerung, mäßigen kolik¬
artigen Schmerzen und umschriebener Druckempfindlichkeit an einer be¬
stimmten Stelle im linken Hypogastrium und Blähung im Kolon einhergingen
und demnach als rezidivierende unvollständige Darmokklusion gedeutet werden
konnten. Und es erscheint in der Tat bemerkenswert, wie auch der den
Kranken operierende Kollege (Dr. Schnitzler) betont, daß ein Tumor von
dieser Kleinheit schon zu Kanalisationsstörungen und Erscheinungen vorüber¬
gehender Darmstenose führen konnte, woraus folge, daß im Bereiche des.
Darmtraktus derartige Störungen dem Auftreten eines palpablen Tumors
um Monate, vielleicht um Jahre, vorausgehen können. R. Stüve (Osnabrück).
Aus dem Augustahospital in Bochum (Chefarzt: San. -Rat Dr. v. Bardeleben).
Ueber einen Fall von akutem Hydrops der Gallenblase bei Scharlach.
(Dr. Montenbruck. Deutsche med. Wochenschr., Nr. 24, 1909.)
Ein fünfjähriger Knabe erkrankte an Scharlach, wozu nach zwei Tagen
heftiges Erbrechen und starke Leibschmerzen traten, welch letztere unter
hohem Fieber 8 — 9 Tage anhielten. Da eine Dämpfung in der rechten Bauch¬
seite konstatiert wurde, kam das Kind ins Krankenhaus, wo ein stark
aufgetriebener Leib mit starker Druckempfindlichkeit, besonders in Leber¬
und Gallenblasengegend festgestellt wurde. Die wegen der unsicheren Diagnose
und des schwerkranken Eindrucks vorgenommene Probelaparotomie ergab eine
etwa dreifaustgroße prall gefüllte Gallenblase, aus der ca. 250 ccm grünliche,
fadenziehende, sterile Galle entfernt wurde. Ein Stein fand sich nicht. Nach
Ausführung der Cholezystektomie wurde die Bauchwunde geschlossen. Der
weitere Verlauf war normal. Es kam noch zu leichter Abschuppung. Verf.
teilt den Fall mit, weil er einte Beteiligung der Gallenblase bei Scharlach
in der Literatur nirgends gefunden hatte. F. Walther.
Ueber Gaumengeschwüre bei Abdominaltyphus.
(J. Novotny. Wiener klin. Wochenschr., Nr. 22, 1909.)
In den letzten zehn Jahren wurden auf der III. med. Klinik zu Wien
102 Typhusfälle beobachtet, darunter bei 24 Larynxaffektionen == 23,52%,
mehr oder weniger ausgesprochene Ulzerationen in 6 Fällen = 5,85%. In
dem letzten von Novotny beobachteten Falle wurde nebst Typhusbazillem*
im Blut, Fäzes und Harn und den Gaumengeschwüren Paratyphusbazillus B
reingezüchtet und serologisch als solcher festgestellt. (Bef. hat auf der Bauep-
schen Klinik in München in l1/2 Jahren zwei Fälle von Typhus mit Ge¬
schwüren auf den vorderen Gaumenbogen gesehen ; einer davon ist in einer
Dissertation von C. Faßhauer, München 1898, veröffentlicht.)
M. Kaufmann (Mannheim).
Referate und Besprechungen.
1261
Chirurgie.
lieber Appendizitis im Kindesaiter.
(Carl Springer. Prager med. Wochenschr., Nr. 7 u. 8, 1909.)
Aus der sehr lesenswerten Arbeit geht zunächst hervor, daß die bis¬
her erst vom zehnten Lebensjahre an statistisch festgestellte starke Erkran¬
kungsfrequenz des jugendlichen Alters an Appendizitis in späteren Berech¬
nungen sich bis zum fünften Lebensjahre hinunter verschieben dürfte, daß
demnach [mit diesem Alter die größere Häufigkeit der Erkrankungen an
Appendizitis einsetzt. — Aus dem Umstande, daß der Wurmfortsatz bei
Kindern relativ größer ist als bei Erwachsenen, läßt sich zwar keine er¬
höhte Infektionsmöglichkeit ableiten, wohl aber ergeben sich daraus bemer¬
kenswerte Eigentümlichkeiten für die Diagnose und den Verlauf der Krank¬
heit im kindlichen Alter. Da die Appendix infolge ihrer Länge und wegen
der tieferen Lage des Cöcums mit ihrer Spitze in der Regel im kleinen
Becken liegt, so kann erstens der Druckschmerz am Mac-Burney’schen Punkt
fehlen und an einer tieferen Stelle von den Bauchdecken auszulösen sein,
oder es kann die schmerzhafte Appendix überhaupt erst vom Anus her
tastbar sein, und zwar /oft mit großer Deutlichkeit, weshalb diese Unter-
suchungsart im Kindesalter sehr wichtig und daher nie zu versäumen ist.
Ferner hängt es mit der anatomischen Lage und Beschaffenheit der Ap-
dix zusammen, daß der perityphlitische Abszeß überwiegend den Vesical-
typus zeigt und daß die Harnblase so ständig in Mitleidenschaft gezogen
wird, und zwar nicht nur in akuten Fällen, sondern auch oft bei Fällen,
mit protrahiertem Verlauf, sogar so, daß Erscheinungen der Blase als schein¬
bar selbständiges Krankheitsbild fortbestehen können. — Im Gegensatz zu
den Fällen des späteren Alters ist beim Kinde der Beginn der akuten Ap¬
pendizitis viel regelmäßiger ein plötzlicher 'mit stürmischen Anfangssymptomejn.
— Für die Diagnose komüien in erster Linie die bekannten Symptome (Er¬
brechen, bei Kindern fast nie fehlend, heftige, gegen den Nabel hin loka¬
lisierte Schmerzen, Druckschmerz am klassischen Punkte bez. tiefer, Schmerz¬
haftigkeit der Appendix bei Untersuchung vom Rektum her(!), Muskelspan-
nung, Erhöhung der Temperatur und Pulsfrequenz) in Betracht, die Leuko¬
zytenzählung ist von S!p ringer in den letzten Jahren, weil nicht verlä߬
lich genug, aufgegeben worden, ohne daß er sie vermißt hätte ; sehr gering
sind die Angaben über Verhalten des Stuhlganges für die Diagnose der Ap¬
pendizitis im Kindesalter zu bewerten. — Die Differentialdiagnose hat im
Kindesalter zwar ein geringeres Feld in Bezug auf die in Betracht zu ziehenden
Krankheiten abzugrenzen, ist dafür aber unter Umständen erschwert durch
die kleinen Verhältnisse. Abgesehen davon, daß Mädchen viel seltener er¬
kranken als Knaben (nach Springer’s Fällen etwa im Verhältnis 1:3), ent¬
fallen für die Differentialdiagnose fast die gesamten Genitalerkrankungen
des Weibes mit Ausnahme der Salpingitiden. Von selteneren Erkrankungen
abgesehen, kommen Intussuszeption und vor allem Pneumonien, da diese öfters
mit Schmerzen in der Blinddarmgegend einhergehen, und Darmkoliken in
Frage ; letztere sind besonders bedenklich, wjeil sie oft eine entsprechende
Therapie der Appendizitis versäumen lassen. — Zur Differentialdiagnose
in letzteren Fällen empfiehlt Springer trockene, heiße Packungen des Lei¬
bes für 2 — 3 iStunden, wodurch der Kolikschmerz meist beseitigt wird, wäh¬
rend appendizitischer Druckschmerz, sowie Bauchdeckenspannung unbeein¬
flußt bleiben.
Was nun die Therapie betrifft, so tritt Spr. im allgemeinen für die
prinzipielle Frühoperation ein ; d. h. Operation innerhalb der ersten 48 Stun¬
den. Er faßt seinen .Standpunkt in folgenden Worten zusammen: „Wenn
man die Wahl hat, innerhalb der ersten 48 Stunden mit ca. 5% Mortalität
(nach eigenem kleinen Material sogar 0%, trotzdem die operierten .Fälle
meist recht schwer waren) zu operieren, den Patienten in 2 3 Wochen her¬
zustellen und ihn gleichzeitig vor jedem Rezidiv zu sichern, bei konservativer
Behandlung dagegen zirka 10% Mortalität (nach eigenem Material 872%)»
1262
Referate und Besprechungen.
weitere 25% wochenlang den „Reizen“ ihrer Abszesse auszusetzen, die wir
schließlich doch aufm ach en müssen, ganz abgesehen von der Gefahr der
Rezidive, die ziffermäßig darzustellen ein Wagnis wäre, da kann diese Wahl
nicht schwer fallen.“ — Nach Ablauf des zweiten Tages, also vom dritten
Tage an, erscheint die konservative Behandlung mit Bettruhe, Einpackung,
Opium, das bis dahjin am besten zu meiden ist, eventuell mit Kochsalz¬
infusionen mit 2 — 4 Tropfen einer Adrenalinlösung von 1:1000 bei Kindern
die bessere. — Vor der Anwendung von Abführmitteln warnt Springer auf
das dringendste. — Die Anzeigen zur Intervalloperation sind beim Kinde
mindestens ebenso weit zu nehmen als beim Erwachsenen, d. h. jeder Fall,
der eine ausgesprochene Attacke hatte, jeder Fall mit Beschwerden, die auf
chronische Appendizitis hin weisen, soll unbedingt operiert werden.
R. Stüve (Osnabrück).
—
Aus dem Städtischen Krankenhause in Oberstein.
lieber die Gefahren des Bier’schen Stauungsverfahrens.
(Dr. Arthur Schäfer. Deutsche med. Wochenschr., Nr. 19, 1909.)
Schäfer hält die Beschränkung der Bier’schen Therapie auf die
Krankenhäuser nicht für notwendig. Durch zwei Beobachtungen möchte er
aber auf die eventuellen Gefahren der Methode aufmerksam machen. In dem
einen Falle erlebte er bei vollkommen richtiger Anwendung der Technik eine
Neuritis des Nervus ulnaris innerhalb des gestauten Gebietes. Er rät zu
sorgfältigster Kontrolle und bei Eintreten peripherer Nervenstörungen zur
Anlegung der Staubinde weit ober- oder unterhalb der bisher umwickelten
Stelle. Ist dies nicht möglich, soll das Verfahren überhaupt abgebrochen
wterden. In einem zweiten Falle hatte ein bedauerlicher, aber auf Grund
der beigefügten Röntgenbilder verständlicher Irrtum dazu geführt, einen
später noch operativ entfernten malignen Tumor des Femur mit dem Bier’schen
Stauungsverfahren zu behandeln. In früheren Zeiten, ehe man das Bier’sche
Verfahren kannte, wäre jedenfalls der Irrtum eher erkannt und die richtige
Therapie eingeschlagen worden. Schäfer warnt daher, das an sich segen¬
bringende Verfahren ohne strengste Indikationsstellung anzuwenden.
F. Walther.
Rezidivoperation bei Trigeminusneuralgie.
(Konrad Bii dinge r. Deutsche Zeitschr. für Chir., Bd. 99, H. 1 u. 2.)
Bei einem an schwerster Trigeminusneuralgie leidenden Patienten, bei
welchem die Resektion des N. alveolaris und lingualis, sowie die Resektion
des dritten Astes an der Schädelbasis nur einen vorübergehenden Erfolg
hatten, wurde nach temporärer Wegnahme des Jochbogens die Schädelbasis
neben dem Föramen ovale eröffnet, die verbindende )Knochenbrücke weg¬
geschlagen, der kolbig verdickte Nervenstumpf freigelegt und beim Eintritt
in das Ganglion durchschnitten. Das Foramen ovale wird durch Einfügung
des resezierten Knochenstücks verschlossen. Nach 3y2 Jahren besteht, ab¬
gesehen von leichten Parästhesien am linken Mundwinkel, noch völlige Heilung.
— Das Wesentliche der Technik liegt in dem anscheinend von Erfolg ge¬
krönten Versuch, durch Verschluß des Foramen ovale den neu sich bildenden
Nervenfasern den Weg zu verrammeln. Man hat das Ziel durch Einfügung
von Wachs, Paraffin, Silberknöpfen, Staniol u. a. m. in das Foramen ovale
zu erreichen versucht. Der tatsächliche Effekt des Verfahrens wurde durch'
Perthes experimentell insofern erwiesen, als er beim Hunde zeigen konnte,
daß bei Goldplombenverschluß eine Regeneration der Nervenfasern ausblieb,
während der Nerv auf der nicht verschlossenen Seite regenerierte; die Methode
darf deshalb empfohlen werden, um so mehr als der Beweis dafür, daß eine
Erweiterung des Kanals ohne Resektion des Nerven die Trigeminusneuralgie
mit Sicherheit heilt, bisher noch aussteht. F. Kayser (Köln).
Referate und Besprechungen.
1263
Ueber Knochenpanaritien.
(W. Ohm, Berlin. Deutsche Zeitschr. für Chir., Bd. 99, H. 1 u. 2.)
Über die Behandlung der Knochenpanaritien ist bisher eine Überein¬
stimmung nicht erzielt wiorden. Verf. berichtet über das in der Bier’schen
Klinik geübte weitgehende konservative Verfahren mit Saugglas und Stau¬
ungsbinde, Die Technik des Verfahrens ist folgende: kleine dem Eiter Ab¬
fluß gewährende Inzision; täglich 3/4 ständiger Gebrauch des Saugglases
(5 Minuten Saugung, abwechselnd mit 3 Minuten Pause) oder 20— 22 ständige
tägliche Bindenstauung (1 — 2 mal wöchentlich 24stündige Stauungspause).
Es ergab sich eine Behandlungsdauer : bei 12 operativ behandelten Fällen
von 40,3 Tagen; bei 20 konservativ mit Saugglas behandelten Fällen von
35,6 Tagen; bei 33 konservativ mit Stauungsbinde behandelten Fällen von
23,5 Tagen. Daraus ergibt sich (aber doch wohl nur unter der Voraussetzung
gleich schwerer Fälle? Ref.) die Überlegenheit der Stauungshyperämie, Rechnet
man ferner hinzu, daß die Behandlung schmerzlos ist, vor Knochennekrosienj
bewahrt oder doch zu geringerer Sequestrierung führt, keine Schädigung
durch das Messer setzit und ein gutes funktionelles Resultat sichert, so darf
die Stauungstherapie wohl als ein dankbares Objekt der Behandlung der
Knochenpanaritien bezeichnet werden.
Es ist gewiß überraschend, wenn bei 33 ossalen Panaritien, in denen die
Phalanx mehr oder weniger ergriffen war, in nahezu 50% die Erhaltung des
Knochens gelang; andererseits steht aber eine Bestätigung dieser günstigen Er¬
fahrungen von anderer Seite noch aus. F. Kayser (Köln).
Elektrolyse des Furunkels und Galvanisation der Epididymitis.
(Ferdinand Becker. Med. Klinik, Nr. 6, 1909.)
Becker weist mit seinem kleinen Aufsatz auf zwei schon bekannte,
mit einfachen Hilfsmitteln ausführbare Anwendungsverfahren des galvani¬
schen Stromes von neuem hin, weil sie in den neuesten einschlägigen Lehr¬
büchern der Dermatologie keine Erwähnung finden. — Die elektrolytische
Behandlung des Furunkels eignet sich besonders für die im Gesicht sitzenden.
Das Verfahren ist folgendes: Während der Patient die mit Salzwasser ge¬
tränkte Anode in der Hand hält, wird die Kathodennadel bereits unter
schwachem Strom (0,2 Milliampere) an dem am meisten empfindlichen Punkte
eingestochen, dann der Strom bis afuf 1 oder 2 Milliampere gesteigert ; so
läßt man ihn 3 — 5 Minuten einwirken unter leichten Bewegungen der Nadel,
um den Einstich zu erweitern. Dann läßt man den Strom auf Null abschwel¬
len und ihn nach Wendung wieder auf 2 Milliampere ansteigen, wobei
die Nadel (jetzt Anode) nicht bewegt werden soll. Nach 3 Minuten wird
die Nadel ebenso wieder für 3 — 5 Minuten zur Kathode gemacht. Nach Ent¬
fernung der sich leicht lösenden Wundfetzen folgt Ausstopfen des kleinen
Wundkanals mit steriler Gaze (Sekretabfluß) und Verband. Je nach Bedarf
ist die Elektrolyse am nächsten oder übernächsten Tage zu wiederholen. —
Die Schmerzhaftigkeit des Verfahrens ist sehr gering. Becker wendet es
seit 2 Jahren fast ausschließlich an und es eignet sich auch für beginnende
Furunkel, die schnell zum Zerfall gebracht werden. — Mitteilungen über die
elektrische Behandlung des gonorrhoisch entzündeten Nebenhodens reichen)
schon in das Jahr 1869 zurück, und es hat sich besonders die französische
Literatur mit dem Gegenstände beschäftigt. Trotzdem ist die einfache Be¬
handlung, wie die mitgeteilten (9) Krankengeschichten zeigen, von geradezu
verblüffendem Erfolge. Diese besteht in einer Galvanisation des erkrankten
Nebenhodens für die Dauer von 3 — 5 Minuten mit einer Stromstärke von
0,2 Milliampere, die nötigenfalls am folgenden oder einem der nächsten Tage
und öfter wiederholt wird; meist waren när 2 — 3 Sitzungen notwendig,
so daß die ganze Behandlungsdauer sich auf nur 5 — 8 Tage beschränkte,
1264
Referate und Besprechungen.
wobei es von nicht zu unterschätzendem Vorteile ist, daß die Kranken ambu¬
lant behandelt werden können, und Schmerzfreiheit schon meist nach 2 Tagen'
eintritt. R. Stüve (Osnabrück).
Gynäkologie und Geburtshilfe.
Metastasen im Herzen bei Uteruskarzinom.
(H. Offergeld, Frankfurt a. M. Beiträge zur Geburtsh. u. Gyn., Bd. 13, H. 3.)
Die Arbeit bezieht sich auf 18 größere Statistiken über Uteruskarzinom.
Bei 7071 Fällen wurden nur 17 mal (d. h. in 0,24%) Metastasen im Herzen
beobachtet. 12 betrafen das Myo-, 5 das Perikard.
Das Endokard erkrankt auf dem hämatogenen Wege, das Myokard auf
dem direkten hämatogenen oder dem retrograden hämatogenen von den Koro¬
narvenen aus ; das Perikard auf dem hämatogenen oder dem retrograden lym-
phogenen Weg von der Lunge oder der Pleura aus.
Im linken Herzen sitzen die Endokard-, im rechten Herzen die Myo¬
kardmetastasen. Es ist verständlich, daß von der primären, von der Musku¬
latur in den Ventrikel durchgebrochenen Herzmetastase sekundäre Metastasen
im Gebiet des großen und kleinen Kreislaufes entstehen.
Die Herzmetastasen, die wahrscheinlich erst sehr spät, erfolgen, finden
sich fast nur bei Zervix- und Collumkarzinom, bei Fällen, die vorgeschrittene
Kachexie und allgemeine Karzinose zeigen. Sie machen keine ausgesprochenen
klinischen Symptome und sind ausschließlich autoptischer Befund.
Die kurze Besprechung Verf’s. ist verdienstlich, weil sie auf ein auch
von seiten der Pathologie bisher sehr vernachlässigtes Wissensgebiet Licht wirft.
F. Kayser (Köln).
Ueber seltene Metastasen des Uteruskarzinoms. (Muskulatur, Ureter,
Drüsen, Mediastinum.)
(Offergeld, Frankfurt a. M. Monatsschr. für Geb. u. Gyn., Bd. 29, S. 181.)
O. hat sich der mühevollen Aufgabe unterzogen, die seltenen Metastasen
des Uteruskarzinoms in den oben genannten Organen aus der Literatur
zusammenzustellen und kommt zu folgenden Schlüssen : Die Metast isen in
der quergestreiften Muskulatur sind enorm selten, häufiger in den glatten
Muskeln (Myokard). Sie finden sich nur bei weit vorgeschrittener Er¬
krankung und entstehen auf hämatogenem Wege; ihre klinischen Symptome
sind meist sehr gering. Die Ureter wand besitzt eine gewisse Immunität
gegen Karzinom. Über die Wege der Ausbreitung und den klinischen Ver¬
lauf ist nichts Sicheres bekannt) ,Das sekundäre Karzinom des Ductus
thoracicus ist beim Uteruskarzinom häufiger; es entsteht nur lymphogen
durch Vermittlung der Plexus inguinales, hypogastrici und lumbales und
kann dann Anlaß zu weiteren hämatogenen Metastasen geben. Durch Ver¬
mittlung des Ductus thoracicus können auf lymphogenem Wege Metastasen
der supra- und infraklavikulären Drüsen entstehen, aber nur bei aus¬
gedehnter Erkrankung anderer Drüsen. Wegen der anatomischen Verhält¬
nisse ist die linke Seite bevorzugt. Die metastasische Erkrankung des Me¬
diastinums selbst ist sehr selten, häufiger erkranken die mediastinalen
Lymphdrüsen. — Alle diese seltenen Metastasenformen werden durch exaktere
Sektionstechnik eventl. häufiger nachgewiesen werden können.
Frankenstein (Köln).
Zur Therapie und Prognose der Placenta praevia.
(Dr. Richter, Dresden. Zentralbl. für Gyn., Nr. 22, 1909.)
Verf. berichtet über 83 Fälle von Placenta praevia. In 24 Fällen kam
der Eihautstich, in 11 Fällen die Metreuryse, in 22 Fällen Braxton Hicks zur
Anwendung. Es wurden 39 lebende Kinder gewonnen. Von den 83 Entbun-
Referate und Besprechungen.
1265
denen kam nur eine Frau, die in schwer infiziertem Zustand der Klinik
zuging, zum Exitus. Die Morbidität betrug 26,5%.
Auf Grund dieser Erfahrungen warnt Verf. nachdrücklichst vor den
von der Freiburger Klinik ausgehenden Maximen, die Placenta praevia blutig
operativ zu behandeln. Die hjohe kindliche Mortalitätsziffer kann bei der)
Beurteilung der Frage nicht in Betracht kommen, da auch die bei Placenta
praevia lebend geborenen Früchte nicht mit Sicherheit am Leben erhalten
werden; sie sind zumeist unreif. Unter den 83 Kindern, über welche Verf.
berichtet, befanden sich nur 33 nach Maß und Gewicht ausgewachsene Kinder ;
Vs der Kinder starb während oder kurz nach der Geburt. Die Behandlung
der Placenta praevia wird ferner stets die Domäne des praktischen Arztes
bleiben; die Fälle, die bei der ersten geringen Blutung die Hilfe des Krannken-
hauses aufsuchen, bilden sicher immer die Ausnahme der Regel. Darum
heißt es, wenn man die Frage der Behandlung der Placenta praevia generell
erörtert, nicht chirurgische Verfahren an die Stelle alter bewährter Methoden
setzen, sondern die für den praktischen Arzt geeigneten Methoden ausbilden,
d. h. Verfahren, die mit dem jederzeit zur Verfügung stehenden Instrumen¬
tarium durchführbar sind: der desinfizierten Hand des Arztes.
F. Kayser (Köln).
Die Röntgentherapie in der Gynäkologie.
(Albers-Schönberg, Hamburg. Zentralbl. für Gyn., H. 2, 1909.)
Ein Fall von tödlicher Myomblutung nach Röntgenbestrahlung.
(F. Spaeth, Hamburg. Zentralbl. für Gyn., Nr. 20, 1909.)
Auf dem Gebiet der Gynäkologie hat die Röntgentherapie bis jetzt
nichts Wesentliches geleistet. Anknüpfend an die von anderer Seite (be¬
sonders von Foveau de Courmelhe) gebrachten Beobachtungen hat Albers-
Bchönberg den Einfluß der Röntgenbestrahlung auf myomkranke Frauen
nachgeprüft und sowohl bei älteren Frauen wie bei einer jüngeren Frau
Myomblutungen und ihre Nebenerscheinungen mit bestem Erfolg behandelt.
Die Blutungen verschwanden schon nach etwa fünf Sitzungen, der Ausfluß
wurde beseitigt, der Blutbefund kehrte zur Norm zurück, der Allgemein-:
zustand hob sich. Objektiv war eine mitunter sehr beträchtliche Verkleinerung
der Geschwülste nachzuweisen. -
Die Technik war folgende: Rückenlage; harte Röhren (etwa Walter
b — -8) ; Focus-Hautabstand 38 cm. Einstellung der Kompressionsblende in die
Mitte zwischen Nabel und Symphyse.
Bestrahlt wurde in der Mitte zwischen zwei Menstruationen an vier
aufeinanderfolgenden Tagen je sechs Minuten ; nach ldtägiger Pause wurde
eine zweite, dreitägige Serie von Bestrahlungen von je sechs Minuten einen
um den anderen Tag angeschlossen. Im Minimum erzielten 13, im Maximum
23 Sitzungen einen Dauererfolg. Wegen der Gefahr des Haarausfalls und
einer eintretenden Reizung der Augen ist besonderer Schutz des Gesichts
durch Vorsetzen eines mit Blei benagelten Brettes erforderlich.
Über das Wesen der Wirkung läßt sich ein bestimmtes Urteil zurzeit
nicht fällen. Der Einfluß auf die Ovarien läßt sich als ätiologisches Moment
deshalb nicht annehmen, da die Wirkung zu einer Zeit eintritt, zu der Ver¬
änderungen in den Ovarien kaum eingetreten sein können. Gerade deshalb
beansprucht die Mitteilung Spaeth’s besonderes Interesse, Es handelt sich
um eine 47 jährige die Operation verweigernde Patientin mit einem anscheinend
submukösen, bis zwei Querfinger über den Nabel reichenden Myom, die nach
etwa sechs Jahre bestehenden starken Blutungen der Röntgenbestrahlung
durch Albers - Scü-Änlber'g unterworfen wurde. Den vier ersten Bestrah¬
lungen folgte eine heftige Blutung; weiteren drei Bestrahlungen eine so
starke Blutung, daß trotz sofortiger Ausschabung und Tamponade der Tod
der Patientin eintrat. Die Untersuchung der kurettierten Massen ließ keine
80
1266
Referate und Besprechungen.
Veränderungen maligner Natur erkennen. Eine Obduktion wurde nicht ge¬
stattet.
Die Beobachtung ist gewiß der Mitteilung wert, da sie mit einiger
Wahrscheinlichkeit für eine direkte Einwirkung der Röntgenstrahlen auf das
Geschwulstgewebe, vielleicht im Sinne nekrotisierender Veränderungen, spricht
- — um so mehr, als aUcih in diesem Fall eine deutliche Abnahme des Uterus¬
umfanges und eine vermehrte Konsistenz erkennbar war. Aber auch diese
Annahme muß selbstverständlich Hypothese bleiben, solange diese Verände¬
rungen nicht einwandfrei durch den Autopsiebefund nachgewiesen sind.
F. Kayser (Köln).
Ueber Kindbettfieber.
(Prof. Zangemeister. Beiheft 5 zur med. Klinik 1909.)
Z. gibt einen kurzen Abriß über die heutigen Anschauungen betreffs
Ätiologie, Symptomatologie, Diagnose und Therapie des Kindbettfiebers. Die
Leser dieser Blätter dürfte vor allem letztere interessieren. ,,Je genauer
wir die kompendiösen Vorrichtungen des Organismus zur Verhütung und
Überwältigung einer Krankheit kennen lernen, um so zweckwidriger müssen
viele unserer früheren therapeutischen Maßnahmen erscheinen.“ Es tritt die
lokale Therapie . beim Kindbettfieber ganz in den Hintergrund, sie ist teils
unnütz, teils schädlich. Durch Ausspülungen, Ätzungen, Ausbürsten, Aus¬
kratzen können wir Infektionserreger aus dem Uterus weder herausbeför¬
dern, noch daselbst vernichten. Entweder sind bei auftretenden Infektions¬
symptomen die Erreger im Endometrium bereits abgegrenzt — dann ist
jene Therapie nicht mehr nötig — oder die Infektionserreger sind bereits-
weiter in die Umgebung vorgedrungen — dann ist eine Lokalbehandlung
mit Aussicht auf Erfolg nicht möglich und noch dazu direkt schädlich.
Jedenfalls ist bei frischen puerperalen Infektionen, abgesehen von aus¬
nahmsweise vorhandenen Jaucheherden und dergl. jede örtliche Therapie zu
verwerfen. Selbst bei nachweislicher Retention von Plazentaresten und gleich¬
zeitigem Infektionsfieber ist man neuestens nicht mehr allgemein für' so¬
fortige Ausräumung, sondern man hat vorgeschlagen, auch hier möglichst
abzuwarten, bis entweder die spontane Ausstoßung erfolgt oder wenigstens
die Infektion abgeklungen ist, damit die Möglichkeit einer Propagation der
Infektion durch die operative Entfernung eine möglichst geringe sei. Man
vermeide ängstlich, frische Wunden zu setzen, solange man die Anwesen¬
heit virulenter Keime vermuten muß. Die Totalexstirpation des den In¬
fektionsherd bergenden Uterus ist natürlich ,amf die schwersten Fälle zu
beschränken ; das V erfahren ist deshalb so unsicher, weil der richtige Zeit¬
punkt zu seiner Ausführung wohl nie mit Sicherheit zu bestimmen ist.
Auch über die Unterbindung resp. Exzision vereiterter Venenstämme ist
noch kein abschließendes Urteil zu fällen. — Eiterherde inzidiere man auch ja
nicht zu früh, besonders nicht Pyosalpinxsäcke. Die Laparotomie bei puer¬
peraler Peritonitis beurteilt Z. sehr skeptisch. — Feuchtwarme Umschläge
sollen bei frischer Entzündung in ausgedehntem Maße angewendet wer¬
den, nicht aber die Eisblase. Die Heißluftbehandlung ist indiziert in den spä¬
teren Stadien zur Resorption älterer Exsudate ; sie ist kontraindiziert, so¬
lange der Entzündungsprozeß als solcher noch nicht abgelaufen ist. Er
flackert sonst leicht wieder auf, und es kommt nachträglich noch zur Ver¬
eiterung Von großem Wert ist natürlich beim Kindbettfieber die All¬
gemeinbehandlung. Vom Kollargol sagt Z., daß es sich als nutzlos er¬
wiesen habe, aber dasselbe gelte von den bisher im Handel befindlichen
Antiseris. Nur das schwer in genügender Menge zu beschaffende frische
menschliche Normalserum scheine bei Staphylo- und Streptomykosen einen
günstigen Einfluß zu entfalten. Zufuhr großer Flüssigkeitsmengen, beson¬
ders in Form von tropfenweise zugeführten Kochsalzklysmen, ist sehr wert¬
voll. Alkohol ist nur in kleinen Dosen symptomatisch anzuwenden. —
Gegen die im Verlauf der Peritonitis einsetzende Vasomotorenlähmung emp-
1267
Referate und Besprechungen.
fiehlt Z. die subkutane Infusion von 1 1 phys. Kochsalzlösung mit zehn
Tropfen der käuflichen Adrenalinlösung. Opium sei bei Peritonitis wegen
der Lähmung der Darmperistaltik zu vermeiden. R. Klien (Leipzig).
Kinderheilkunde und Säuglingsernährung.
Zur Physiologie und Technik der natürlichen Ernährung des Neugeborenen.
(Jaschke, Wien. Monatssckr. für Geb. u. Gyn., Bd. 29, S. 677.)
Der Aufsatz von J. ist als eine Fortsetzung der von ihm im Jahre 1908
veröffentlichten Aufsätze über die Säuglingsschutzbewegung anzusehen und
stellt in übersichtlicher Form die in der Klinik Rosthorn gemachten Er¬
fahrungen zusammen. Er bespricht zunächst die Asepsis in der Säuglings¬
pflege, fordert Trennung des Pflegepersonals in -Mütter- und Kinderschwestern,
Händepflege der Wöchnerinnen und der Kinderschwester; weist auf die Wich¬
tigkeit der streng eingehaltenen Ordnung bei der Ernährung der Kinder
hin (drei- bis vierstündiges Anlegen bei sechsstündiger Nachtpause). Bei
Aufstellung der Trinkordnung ist die absolute Gewichtszahl weniger ma߬
gebend als die regelmäßig andauernd ansteigende Gewichtskurve, wobei natür¬
lich auch das Allgemeinbefinden, das Verhalten des Stuhlgangs usw. zu
berücksichtigen sind, eventl. unter Gewichtsnachweis verschiedener Einzel-
üiahlzeiten. Die Zeit des ersten Anlegens scheint ihm relativ gleichgültig,
Dagegen scheint es ihm von wesentlichem Vorteil, den anfänglichen Gewichts¬
verlust. herabzusetzen durch besonders exaktes Einhalten der Stilltechnik, eventl.
unter Belebung der Milchsekretion durch die Milchpumpe. Auch die Dauer
der Einzelmahlzeit wird besprochen, scheint aber dem Referenten zu lang
bemessen (20 — 30 Min.). Sehr wesentlich erscheint die Besprechung einzelner
Fehler der Still technik wie mangelhaftes Mitfassen des Warzenhofes, zu
(späte Benutzung der Milchpumpe bei trinkfaulen Kindern usw., wobei er
großen Wert darauf legt, diese trinkfaulen Kinder auch vor der Fütterung
ca. fünf Minuten lang Saugversuche machen zu lassen. Die an einem Material
von 1000 Kindern erzielten Resultate sind: natürlich ernährt in der ersten
Lebenswoche 94,1 °/0, gemischt ernährt 5,1%, künstlich ernährt 0:8%. Es geht
tatsächlich daraus hervor, daß es J. gelungen ist, fast in jedem Falle alle
verfügbare Muttermilch für das Kind nutzbar zu machen.
Frankenstein (Köln).
Erfahrungen über Kufeke bei gesunden und kranken Säuglingen, bei
älteren Kindern und Erwachsenen.
(Dr. A. Nadig, Mailand. Zentralbl. für Kinderheilk., Juli 1909.)
N. teilt Krankengeschichten über Versuche mit Kufeke bei kranken
und gesunden Säuglingen mit. Die Mischung von Milch oder Wasser mit
Kufeke wird jedem Fall besonders angepaßt. Es hat sich herausgestellt,
daß es das beste ist, wfenn Milch und Kufeke gesondert, die Milch kurz,
Kufeke etwas länger als angegeben für sich am Morgen abgekocht werden
und getrennt in zwei reinen mit Deckel versehenen Töpfen kühl auf be¬
wahrt werden. Bei jeder Mahlzeit werden dann Milch und Kufeke gemischt,
kurz gekocht und dann verabreicht. — Reiss (München).
Zur Versorgung des Nabels bei Neugeborenen.
(Krummacher, Wesel. Münch, med. Wochenschr., Nr. 25, 1909.)
Rekapitulation des Verfahrens von Gusserow, mitgeteilt in den Charite¬
annalen 1903 :
Keine Nabelligatur mehr bei den Neugeborenen, sondern nur provi¬
sorische Abnabelung post partum und Bad. Dann Absengen des Nabelschnur¬
restes mit einer über der Spiritusflamme glühend gemachten Brennschere
80*
1268
Referate und Besprechungen.
dicht an der Haut, *woibei diese feucht abgedeckt werden kann. Dann aseptischer
Verband; acht Tage lang kein Bad. Verf. fügt hinzu, „daß eine abge¬
rissene oder schlecht versorgte Nabelschnur keine Verblutung bedingen muß,
eine Folge des veränderten Kreislaufs nach der Geburt“. Krauße (Leipzig).
Behandlung der Rachitis mit Lebertran, Phosphor und Kalk.
(Sch ab ad. Russky Wratsch, Nr. 14, 1909.)
14 Versuche an drei Kindern (zwei rachitischen und einem gesunden),
wobei in sechs Versuchen außer dem Kalk auch der Phosphor- und der
Stickstoffstoffwechsel untersucht wurde, bei den übrigen acht nur der Kalk¬
stoffwechsel. Aus seinen Versuchen schließt der Verfasser, daß der Phosphor
in Lebertran die Assimilation des P und Ca der Nahrung begünstigt, Lebertran
allein wirkt in dieser Richtung weniger intensiv. Die gleichzeitige An¬
wendung von Phosphorlebertran und Kalksalzen führt zu guter Assimilierung
des Kalkes, wobei auch die Assimilierung des Phosphors der Nahrung steigt.
Bei gesunden Kindern hat P wenig Einfluß auf den Kalkstoffwechsel. Die
Erhöhung des Kalkansatzes basiert auf verstärkter Resorption und vermin¬
derter Kalkausscheidung durch Harn und Kot. Die Erhöhung des Kalk-
lansatzes tritt sehr schnell nach Beginn der Phosphordarreichung ein Und
sinkt nach Einstellung der Phosphorzufuhr sehr allmählich, so daß nach
zwei Monaten der Kalkansatz über der Norm steht. Phosphor wirkt spezifisch
auf rachitische Knochen und bringt ihren Kalkgehalt der Norm näher.
J. Lichtmann (Köln).
Ueber erfolgreichen Gebrauch der stark arsenhaltigen Maxquelle in der
Pfälzischen Kinderheilstätte.
(Dr. S. Kaufmann, Bad Dürkheim. Der Kinderarzt, Nr. 7, 1909.)
Die Maxquelle in Bad Dürkheim, ein warmer erdmuriatischer Koch¬
salzsäuerling mit einem Gehalt von 13,86 g Kochsalz und 17,35 — 17,40 mg
arseniger Säure (As203) im Liter, ist im Gegensatz zu anderen, .fast durch¬
weg eisenhaltigen Arsenquellen eisenarm, enthält aber dafür das Arsen in
solcher Konzentration wie keine andere Quelle in Deutschland. In der
Pfälzischen Kinderheilstätte wurde sie, mit Sole kombiniert, zu Trinkkuren
angewendet, und zwar besonders gegen Skrofulöse, Rachitis, skrofulöse
Anämien und Ophthalmien, und erzielte eine sehr bedeutende Zunahme des
durchschnittlichen Körpergewichts (auch bei Erwachsenen), des weiteren
eine auffallend frische Gesichtsfarbe — infolge Vermehrung des Hämoglobin¬
gehaltes und der roten Blutkörperchen, wie durch anderweitige klinische
Untersuchungen festgestellt worden ist — sowie fast durchweg eine Steigerung
des Appetits und Anregung der Darmtätigkeit. Sehr günstig wurden Haut¬
krankheiten (Psoriasis, skrofulöse Ekzeme) beeinflußt, selbst in Fällen, die
anderweitiger, lange Zeit hindurch fortgesetzter Behandlung getrotzt hatten.
Bei äußerlicher Anwendung in Form von Umschlägen schien das Arsen¬
wasser die Ausheilung und Vernarbung von skrofulösen Drüsen- und Haut¬
eiterungen zu beschleunigen. Der Geschmack der Maxquelle ist weit ange-
inehmer als der von Levico, zur Verbesserung desselben ließ Verf. bei be¬
sonders empfindlichen Personen gewöhnliches oder ein kohlensaures Wasser
zusetzen. Die Dauer der Trinkkur schwankt zwischen 4 — 10 Wochen; das
Wasser wird auch nach auswärts versandt. Steinhardt (Nürnberg).
Aus der Kinderpraxis.
Kreosotal bei Erkrankungen der Atmungsorgane.
(Ljaschenko. Praktitscheski Wratsch, Nr. 17, 1909.)
Verf. berichtet über eine ausgezeichnete Wirkung des Kreosotais bei
verschiedenen Erkrankungen der Atmungsorgane. Am wirksamsten ist das
Referate und Besprechungen.
1269
Kreosotal bei der krupösen lobären sowie lobulären Pneumonie, die häufig
nach Masern und Keuchhusten auf tritt. Die Erkrankung ist jedesüial leicht
und ohne Komplikationen verlaufen ; außerdem wurde auch die Dauer der
Erkrankung abgekürzt. Ferner wirkt Kreosotal auch bei Bronchitis, Bron¬
chitis capillaris, Masern und akuter Influenza recht günstig ein, indem
es auch hier den Verlauf begünstigt und die Dauer abkürzt. Verf. bediente
sich bei der Verordnung der folgenden Formel:
Rp. Olei cinnamomi ceylonici 0,1
Creosotal 4,0.
Ol. amygdal. dulc. 15,0
Aq. destillat. 200,0
M. f. 1. a. emulsio
Syrup. amygdalar. 30,0.
MDs. 2 stündlich 1 Kinderlöffel. (Für ein 3 jähriges Kind mit Pertussis.)
J. Lichtmann (Köln).
Der staatliche Kinderschutz in Ungarn.
(Dr. Levai-Dunaf öldvär. Zeitschr. für Säuglingsfürs., Nr. 6, 1909.)
Der Leiter einer ungarischen Staats-Kinderkolonie gibt in diesem Aufsatz
einen kurzen Überblick über die wirklich musterhaften Einrichtungen, die
eine Fürsorge von der Geburt bis zum: vollendeten 15. Lebensjahre umfassen,
und von einer besonderen Abteilung im Ministerium des Innern aus dirigiert
werden. In Ungarn bestehen 18 Kinderasyle mit ca. 400 Filialen, sogenannten
Kinderkolonien. In den Asylen werden verlassene Säuglinge und Kinder
liufgenommen, erster© mit ihren Müttern, und so lange darin verpflegt,
bis sie, meist mit den stillenden Müttern, nach einer Kolonie übergeführt
werden. Sind die Säuglinge entwöhnt, so werden die Mütter entlassen, während
die Kinder unter staatlichem Schutze bleiben. Die Asyle besaßen am Ende
des Jahres 1906: 579 Säuglingsbetten und 215 größere Kinderbetten. Zurzeit
fctehen ungefähr 42000 Kinder unter staatlichem Schutze. Die Mortalität
der unter Aufsicht stehenden verlassenen Kinder war eine geringere als! die
der privaten, nicht verlassenen Kinder. (19,9% : 30,34%.) Ein Kind kostete
unter staatlichem Schutze pro Tag 356/i0 Heller, pro Jahr 130 Kr. 1 PI. Im
ganzen wurden staatlicherseits 3716671 Kr. für den Kinderschutz im Jahre
1906 auf gewandt. Aronade.
Psychiatrie und Neurologie.
Die vier in Bethune Enthaupteten im Lichte Lombroso’scher Doktrinen.
(Debierre, Lille. Bull, med., Nr. 6, S. 69 u. 70, 1909.)
Professor Debierre in Lille hatte Gelegenheit, die 4 in Bethune geköpf¬
ten Verbrecher vor und nach der Hinrichtung zu untersuchen. Er gesteht,
anatomisch und physiologisch nichts Abnormes an ihnen entdeckt zu haben;
sie boten keinerlei Degenerationszeichen dar ; ihre Gehirne überragten mit
1507 — 1645 g das Mittel.
Sein Schluß lautet mithin : Vom anatomischen und physiologischen
Standpunkt aus kann man die Verbrecher und Mörder keinesfalls als krank
oder unverantwortlich bezeichnen. Sie besitzen zum mindesten das durch¬
schnittliche^ Verantwortlichkeitsgefühl der Menschen ihrer Zeit, und die Ge¬
sellschaft hat das Recht und die Pflicht, sich gegen solche „betes feroces“
zu schützen. Die Todesstrafe darf deshalb nicht abgeschafft werden, denn sie
ist die einzige Strafe, vor der die Verbrecher Angst haben.
Es ist vielleicht für den einen oder anderen von Interesse zu hören,
daß die Frage, wie sich die menschliche Gesellschaft gegen antisoziale Per¬
sönlichkeiten verhalten soll, schon im alten Griechenland aktuell war. So
läßt z. B. Protagiöras den Zeus sagen: „Gib in meinem Namen das Gesetz,
daß man einen Menschen, der nicht fähig ist, das sittliche Bewußtsein und
1270
Referate und Besprechungen.
das Rechtsgefühl zu teilen, als einen Krebsschaden des Gemeinwesens ver¬
nichten soll.“ Und Demokrit schrieb: „Wie man gegen schädliche Raub¬
tiere und Schlangen Gesetzesbestimmungen erlassen hat, so — meine ich —
sollte man es auch in betreff der Menschen machen : man sollte gemäß den
Gesetzen der Väter einen Staatsfeind töten.“ Buttersack (Berlin).
Ueber Sensibilität und Sensibilitätsprüfung.
(H. Head, London. Klin.-therapeut. Wochenschr., Nr. 20, 1909.)
Die nach Läsionen verschiedener Abteilungen des Nervensystems zu¬
standekommenden Sensibilitätsstörungen lassen sich' nicht in dieselben Emp¬
findungskategorien einreihen; vielmehr erfahren die sensiblen Impulse in
ihrem Verlaufe von der Peripherie bis zum Gehirn auf jeder Stufe des
Nervensystems eine Neugruppierung ; je nach der Stufe des Nervensystemis,
an welcher die Störung angreift, gestaltet sich auf identische Reize die
Empfindung jedesmal anders. Verf. hat nach dieser Richtung teils klinische,
teils experimentelle Untersuchungen am eigenen Körper nach Durchschneidung
zweier Nerven ausgeführt, wobei die oberflächliche Berührung mit einem
kleinen Büschel Baumwolle oder; mit von Frey ’s Reizhaaren, die Schmerz¬
empfindung mittels Nadelstiches oder faradischen Stromes, die Drucksensi¬
bilität mit einem stumpfen .Objekt und dem Cattel’schen Algometer, der
Temperatursinn mittels zweier mit heißem oder kaltem Wasser gefüllter sil¬
berner Gefäße, die Lokalisationsfähigkeit nach der Henri’schen oder der
Spearmann’schen Methode, die Lagewahrnehmung und die Empfindung pas¬
siver Bewegungen durch Nachahmen derselben mit der Hand, das Vibrations¬
gefühl mit einer Stimmgabel geprüft wurde. Auf Grund der gemachten Be¬
obachtungen kommt Verf. zu dem Resultat, daß die Sensibilität der peri¬
pheren Nerven auf drei verschiedenen Systemen beruhe: 1. Tiefe Sensibilität:
Druckberührung, Druckschmerz, Lokalisation des Druckes, Vibration, Rauh¬
heit des reizenden Gegenstandes ; 2. Protopathische Sensibilität: Schmerz,
Kälte unter 26°, Hitze über 38° C, besondere diffuse Sensibilität der Haare;
3. Epikritische Sensibilität: leichte Berührung, Sensibilität für mittlere
Temperaturen (26 — 38° C), Erkennen zweier Zirkelspitzen, genaue Lokalisation.
— Vollständig anders als bei Läsionen des peripheren Nervensystems ge¬
stalten sich die Dissoziationen der Sensibilität bei Rückenmarkserkrankungen.
Bei Läsionen des Rückenmarks geht mit dem Verlust der Hautempfindung
auch die tiefe Sensibilität der schmerzhaften Reize verloren; jede der drei
oben genannten Sensibilitätsgruppen kann unabhängig von den beiden andern
gestört sein , Hitze- und Kälteempfindung bilden zwei getrennte Qualitäten ;
trotz erhaltener Empfindung für die leiseste Berührung kann von zwei
Zirkelspitzen bei einem Abstand von 20 cm nur eine gefühlt werden. Die
verschiedenen Formen der peripheren Impulse erfahren mithin nach ihrem
Eintritt in das Zentralnervensystem eine neue Gruppierung, die auf der¬
selben Seite wie der Eintritt der Impulse stattfindet. Die umgeänderten Im¬
pulse treten in die gegenüberliegende Rückenmarksseite ein, um in den
langen Leitungsbahnen zum Gehirnstamm aufzusteigen. Aus dem Gesagten
folgert der Verf., daß der Mensch nicht mit vollendetem Nervensystem er¬
schaffen worden ist, sondern daß seine sensiblen Organe sich aus denen
der niederen Tiere entwickelt haben. Diese Entwicklung besteht in der all¬
mählichen Vervollkommnung der sensiblen Impulse auf jeder Stufe des höher
entwickelten Nervensystems. Eine solche Theorie setzt nicht allein eine
phylogenetische Entwicklung voraus, sondern auch einen täglichen Kampf
ums Dasein auf den physiologischen und psychologischen Stufen. Darin er¬
blicken wir das Mittel, durch welches ein unvollkommener Organismus bis
zu höheren Funktionen und psychischer Einheit sich hinauf gearbeitet hat.
Peters (Eisenach).
Referate und Besprechungen.
1271
Die diagnostische Verwertung von Sensibilitätsstörungen.
(J. Babinski. Acad. de Med., 20. April 1909.)
Wertvolle diagnostische Winke gibt Babinski in folgenden Thesen:
Erkrankungen der sensiblen Fasern im Wurzelgebiet äußern sich in Herab¬
setzung der Tiefen-Empfindlichkeit, des Lagegefühls bei erhaltenem Tem¬
peratur- namentlich Kältegefühl.
Erkrankungen im Bulbus, Pedunkulus heben die Tastempfindlichkeit,
die Tiefenempfindlichkeit und namentlich das Wärmeg eifühl auf (Typus der
Syringomyelie).
Erkrankungen im Gebiet des Thalamus und der Hirnrinde äußern sich
ähnlich wie solche im Wurzel gebiet; insbesondere ist dabei der Raumsinn,
das Lagegefühl beeinträchtigt. Buttersack (Berlin).
Aphasie, innere Sprache und Lokalisationsfragen.
(G. Saint-Paul. Progres med., Nr. 14, S. 177 — 179, 1909.)
Gegenüber den Bemühungen, den Vorgang des Sprechens auf einige
wenige, relativ einfache Schemata zurückzuführen, betont Saint-Paul, daß
die Sprache das Ergebnis höchst komplizierter Vorgänge ist, die zudem bei
jedem Individuum sich in anderer Weise zusammensetzen. Er glaubt nicht
an ein prästabiliertes Sprachzentrum an einem anatomisch genau fixierten
Platze, sondern denkt sich, daß dasselbe — wenn es überhaupt ein umrissenes
Sprachzentrum gibt — bei jedem Menschen sich in anderer Form bilde, ge¬
wissermaßen a,ls Niederschlag der persönlichen Erlebnisse; zum mindesten
aber sei die Verknüpfung dieses supponierten Zentrums mit den übrigen
Gehirn- und Seelenprovinzen immer wieder verschieden. Die anatomisch-histo¬
logische Forschung lasse da ganz im Stich; man müsse die sog. Sprachstörungen
physiologisch zu enträtseln suchen. Dabei sei aber das motorisch-artikula-
torische Moment von geringerer Bedeutung, als das Konvolut der anderen
Aktionen und Reaktionen, welche schließlich im gesprochenen Wort zutage
treten. Jene präparatorischen Aktionen (alias: Intelligenz) könnten ganz
intakt sein, wenn a-uch irgend eine banale Ursache die erforderlichen Muskel¬
innervationen lähme. Daß bezw. in wie weit dies der Fall sei, lasse sich mit
Hilfe der „inneren Sprache“ abschätzen. Leider sei das Studium, ja selbst
die oberflächlichste Kenntnis dieser Sprache ohne Worte fast noch ganz
unbekannt.
St. Paul kann sich trösten: in unseres großen W. Wundt physiologi¬
scher Psychologie I. 1908, Seite 261/262 und 374/76 findet er ganz verwandte
Gedankengänge. Buttersack (Berlin).
Einseitiges Erlöschen des Kornealreflexes bei Hemiplegien.
(G. Mil i an. Progr. med., Nr. 18, S. 229, 1. Mai 1909.)
Angesichts eines, komatösen Pat. ist man oft im Zweifel über die
zugrundeliegende Affektion; ist es eine Vergiftung, eine Herderkrankung
im Gehirn, ein 'hysterischer Zufall, 'ein Status postepilepticus ? Miliag,
hat nun beobachtet, daß bei Hemiplegien der Kornealreflex immer auf der
gelähmten Seite erloschen ist, während er auf der gesunden Seite fort¬
besteht. Das einfache Mittel hat ihm manchmal unter schwierigen Um¬
ständen überraschende Augenblicksdiagnosen gestattet. Buttersack (Berlin).
Hautkrankheiten und Syphilis. — Krankheiten der Harn- und
Geschlechtsorgane.
Aus der 1. medizinischen Klinik der Königl. Charite (Direktor Geheimrat His).
Zur Therapie und Praxis der Serumdiagnose der Syphilis.
(Dr. Fleischmann. Berl. klin. Wochenschr., Nr. 10, 1908.)
Fleischmann berichtet nach einer längeren Erörterung über die Theorie
der Wassermann-Neisser-Bruck’schen Reaktion über die Ergebnisse seiner
1272
Referate und Besprechungen.
klinischen Untersuchungen von 230 bezüglich Anamnese, Krankheitserschei¬
nungen und bisheriger Behandlung genau erforschten Fällen; darunter waren
38 sicher nicht luetische Kontrollfälle (Hirntumoren, Meningitis tubercu-
losa, Pneumonie, Sepsis, Apoplexie, Myelitis, Morbus Basedowii, Karzinome),,
die alle eine negative Reaktion ergaben. Von den übrigen 192 Fällen waren
160 sichere Luetiker, welche zu 73% positiv, zu 27% negativ reagierten.
Die erste Gruppe betraf 89 Patienten mit sicher luetischen, manifesten Symp¬
tomen zur Zeit der Untersuchung. Die Reaktion fiel in 93,5% der Fälle
positiv, in 6,5% negativ aus. Zur 2. Gruppe gehörten sichere Luetiker ohne
manifeste Symptome zurzeit der Untersuchung. Von den 64 untersuchten
Patienten gaben 52% positive, 48% negative Reaktion. In der 3. Gruppe
waren von 32 Patienten mit lues verdächtigen Symptomen und ' fraglicher
früherer Infektion 50'% positiv, 50% negativ und in der 4. Gruppe endlich
von 7 Fällen von sicheren Luetikern mit Krankheitssymptomen, die kaum
auf die frühere Lues bezogen werden konnten, positiv 1, negativ 6. —
Auf Grund seiner Erfahrung schließt Verfasser, daß die Wassermann-
sehe Reaktion in der Hand sorgfältiger und in serologischen Arbeiten ge¬
übter Untersucher ausgedehnte klinische Anwendung verdient. Sie wird
da hauptsächlich in Betracht kommen, wo die Anamnese bezüglich früherer
Infektion versagt oder unsicher ist. Ein positiver Ausfall ist dann entschei¬
dend, aber auch ein negativer Ausfall kann namentlich beim Fehlen frühe¬
rer Behandlung unter Umständen mit Vorsicht verwertet werden.
Dann wird die Reaktion bei älteren Fällen, die längere Zeit keine-
Symptome gezeigt haben, bei der Frage einer erneuten Behandlung von
Wichtigkeit sein.
Zur Diagnose der Heilung der Syphilis scheint die Reaktion nicht
brauchbar. Carl Grünbaum (Berlin).
Hämaturie und ihre Behandlung.
(Mit besonderer Berücksichtigung des Styptols.)
Von Dr. John W. Koehn, Doz. für Uro-Genitalkrankh. an der Universität Chicago.-
(The American Journal of Urology, März 1909.)
Hämaturie kann als Folge akuter Infektionskrankheiten auftreten, sie
kann eine Begleiterscheinung der Nephritis sein, besonders auch, wenn diese
durch Karbolsäure, Terpentinöl, Kanthariden oder Phosphor hervorgerufen ist;
auch bei chronischer Stauung infolge von Herzkrankheiten werden derartige
Blutungen häufiger beobachtet.
Im besonderen kommen für diese Erkrankung lokale pathologische Zu¬
stände der Nieren, wie z. B. Tuberkulose, Stein oder Tumor, seltener tierische
Parasiten in Frage. Blutung aus der Urethra kommt gelegentlich bei Gonor¬
rhöe oder bei Vorhandensein eines Fremdkörpers vor. Verletzungen können
Blutung in jedem Teile des Urogenitalapparates veranlassen.
Die Heilung vieler Formen von Hämaturie fällt natürlich in das Ge¬
biet der Chirurgie. Ist die Blutung aber so ernst, daß sie sobald als möglich
gestillt werden muß, ohne auf ihre Ätiologie einzugehen, wird eine Operation
verweigert oder ist sie kontraindiziert und endlich bei der essentiellen Häma¬
turie und bei den schweren Formen der Blutung aus nichtoperativen Ursachen,,
so ist die interne Therapie und die Lokalbehandlung mit Irrigationen oft
dazu berufen, eine wichtige, manchmal lebenrettende Rolle zu spielen.
Von den internen Mitteln hält der Verf. das Styptol für das bester
welches gleichzeitig auch lokal zuverlässig wirkt. Er fügt einige Fälle anr
bei denen er in extenso auf die Therapie eingeht. In dem einen Falle war
bei intermittierenden Blasenblutungen etwa alles, was es an Adstringentiem
und hämosta tischen Mitteln gibt, vorher angewandt worden. Auf 4 mal
täglich 2 iStyptoltabletten und Irrigationen mit einer 2%igen Styptollösung
enthielt der Harn am folgenden Tage nur noch wenige Spuren von Blut,
die Blutungen hörten innerhalb weniger Tage gänzlich auf und die Genesung^
erfolgte ohne ^Zwischenfälle. Eine zystoskopische Untersuchung der Blase
wurde verweigert.
.Referate und Besprechungen.
1273
In einem anderen Balle handelte es sich um solche Blutungen, die bei
der Sondierung und Kathete ris ati o n einer Striktur nach voraufgegangener Go¬
norrhöe eintraten. Die Blutungen konnten erst nach Applikation von Eis
und Umschnürung der Wurzel des Benis zum Stehen gebracht werden; beim
Urinieren stellten sich dann stets wieder heftige Blutungen ein, die. nur da¬
durch unterdrückt werden konnten, daß der Patient alle Nächte eine dicke
Sonde in der Harnröhre behielt. Die Striktur war nur durchgängig für
einen ganz dünnen Gummikatheter. Der Verf. ließ den Pat. einige Tage
Styptol nehmen und beseitigte dann die Striktur durch rapide Drehung;
es trat nur eine normale Blutung ein.
Bei diesem Patienten stellte sich noch eine schwere Kokainintoxikation
ein, als ihm gegen die Schmerzhaftigkeit beim Urinieren eine 5%ige Lösung
eingeführt wurde.
Der Verf. schließt, daß er das Styptol speziell in seiner Praxis anderen
hämostatischen Mitteln in jeder Beziehung weit überlegen gefunden habe.
Bei der Anwendung des Mittels bilden sich keine harten Blutgerinnsel,
welche den freien Durchgang des Urins hemmen oder verlegen. Bei allen
inneren Hämorrhagien erweist es sich als ein vorzügliches Mittel.
Neumann.'
Zur Diagnose und Therapie der Tuberkulose der Harnwege.
(H. Naegeli-Akerblom u. P. Vernier. Therap. Monatsh., Nr. 4, 1909.)
Die Autoren empfehlen zur Diagnose das Verfahren von Martin Her¬
mann Mo ns. Dazu gehört eine Beize I von 1% Ammon, carbonic. Lösung
in destilliertem Wasser und eine Farbflüssigkeit II: 3% Kristall violett-
lösung (Methylviolett 6 B) in 95% Äthylalkohol, dies sowohl für Deck¬
glaspräparate, wie für Schnitte. Entfärbt wird mit 10% Salpetersäure Und
95% Äthylalkohol. Die getrennt aufzubewahrenden Flüssigkeiten werden
unmittelbar vor Verwendung im Verhältnis von 3 Teilen der Beize und 1 Teil
der Farbflüssigkeit gemischt. Therapeutisch empfehlen die Autoren die chlorid¬
frei o Ernährung mit Amylaceen. S. Leo.
Aus der Universitäts-Kinderklinik zu Breslau.
Zur Prognose der hereditären Lues.
(J. P eis er. Therap. Monatsh., Nr. 4, 1909.)
Aus den Ausführungen geht hervor, daß die Prognose der hereditären
Lues für das weitere Kindesalter im allgemeinen nicht so düster ist, als sie
vielfach hingestellt wird. Natürlich gibt es eine Lues maligna, die allen
therapeutischen Maßregeln zum Trotz ihre zerstörende Wirkung bis zum
äußersten entfaltet; doch darf sie nicht zum allgemeinen Maßstab dienen.
Erbsyphilitische Frühgeburten mit oder ohne manifesten Erscheinungen ihres!
angeborenen Leidens bieten gleichfalls eine schlechte Prognose. Solche Kinder
aber, die ausgetragen und mit normalem Geburtsgewicht zur Welt, kommen,
und erst nach einigen Wochen die Symptome ihres angeborenen Leidens
erkennen lassen, geben bei sachgemäßer Behandlung hinsichtlich ihrer Allge-
meinentwicklung die Prognose ad bonum vergens. S. Leo.
Aus der medizinischen Klinik zu Marburg.
Die Behandlung des Haarausfalls.
(Dr. Hübner. Therap. Monatsh., Nr. 7. 1909.)
Die Behandlung der Seborrhoea capitis beginnt mit systematischen
.Waschungen der Kopfhaut, anc besten mit dem offiz. Hebra’schen Seifen¬
spiritus, der noch zu einem Drittel mit Spir. vin. dil. verdünnt werden
kann. Hierauf kommt eine 5 prozen tige Schwefelsalbe an die Reihe. Um
eine Beschmutzung der Bettwäsche zu vermeiden, verschreibe man : Flores
sulf. 15,0, Glyc. guttas V., Spir. vin. ad 100,0. Der Schwefel liegt hierbei
als ein Sediment am Boden der Flasche. Zum Gebrauch wird der darüber-
1274
Referate und Besprechungen.
fetehende Alkohol abgegossen, und ein Teil des feuchten Schwefelpulvers
mittels eines Haarpinsels auf die Kopfhaut auf getragen. Der Alkohol des
Schwefelpulvers verdampft schnell, und sein geringer Glyzeringehalt hält
ihn auf der Kopfhaut fest. Während der Schwefelkur darf kein goldener
Schmuck getragen werden, da er sonst schwarz wird. Neben Schwefel kommt
noch Resorcin in Betracht (Resorc. albissimi, Ol. Ric. ää 5,0, Spir. vin. dil.
ad 200,0), Hierauf versucht man eines der haarreizenden Mittel S. Leo.
Ueber die interne Behandlung der akuten Gonorrhöe.
Von Dr. Apostolos G. Apostolidesjr., Smyrna, Arzt des Hopital Civil Ottoman.
(Allg. med. Zentral-Ztg., Nr. 16 u. 17, 1909.)
Von den internen Mitteln, die früher bei Gonorrhöe verwandt wurden,
sind jetzt nur, abgesehen von den Balsa.miicis, wenige übrig geblieben. Es
unterliegt keinem Zweifel, daß gerade die Balsamika bei der Gonorrhöe die
Sekretion herabsetzen, eine Linderung der Entzündungserscheinungen hervor-
rufen und die Lokaltherapie wirksamer machen ; sie können aber die Ein¬
spritzungen und Ausspülungen nicht ersetzen. Es wäre aber gewiß nicht recht-,
den Patienten Mittel vorzuenthalten, die in praxi jmit Erfolg angeiwandt wurden.
Von den Balsamicis hält der Autor das Santyl für das beste, besonders
auch, da es in Tropfen gegeben werden kann. Seine Beobachtungen ergaben,
daß durch die Santylbehandlung neben gleichzeitiger Lokaltherapie alle die
subjektiven Entzündungserscheinungen, die den Patienten am unangenehmsten
sind, wie Schmerzen beim Urinieren, Brennen, Harndrang usw. allmählich
schwanden. Desgleichen wurde die Schmerzhaftigkeit der Erektionen durch
Santyl günstig beeinflußt, wenn auch allerdings in einigen Eällen zu anderen
Mitteln, wie Bromural, kalten Umschlägen, Sitzbädern usw. gegriffen werden
mußte. Das Santyl ist völlig reizlos, selbst bei leerem Magen — experimenti
causa — genommen, wurde es gut vertragen. Sehr zweckmäßig scheint dem
Verf. eine Kombination von Santyl mit Helmitol zu sein, welche den Urin
während der ganzen Dauer des Krankheitsprozesses sauer hält, was für die
UrethritU posterior ungemein wichtig ist. Das Mittel empfiehlt sich be¬
sonders für die subakute und chronische Gonorrhöe. Sogar da, wo man um
die Therapie mit Sonden und Dilatatoren nicht herumkommt, hat Santyl inso¬
fern Vorteile für sich, als es die Schmerzen und die Schleimhautempfind-
lichkeic herabsetzt. Neumann.
Aus dem bakteriologischen Institut (Direktor: Prof. N. M. Berestnew) und der Klinik
für Hautkrankheiten (Direktor: Prof. A. J.Pospelow) der Kaiserl. Universität zu Moskau.
Eine einfache Methode der Serumdiagnose bei Syphilis.
(N. Tschernogubow. Berl. klin. Wochenschr., Nr. 48, 1908.)
„Da die technischen Bedingungen der Reaktion nach Wassermann-
Neisser-Br uck einer ausgebreiteten Anwendung derselben in der Klinik
nicht unbedeutende Hindernisse entgegenstellen“, gibt Tschernogubow ein
vereinfachtes Verfahren an, das sehr wenig Zeit, minimale .Blutmengen,
kein Laboratorium, keine besondere Erfahrung seitens des Arbeitenden er¬
fordern soll. Carl Grünbaum (Berlin).
Röntgenologie und physikalische Heilmethoden.
Ueber Hochfrequenzströme, Fulguration und Transthermie.
(Er. Nagelschmidt. Zeitschr. für phys. u. diät. Therap., Bd. 18, H. 8, S. 150 — 160,
Juni 1909.)
Mit. Hilfe von Hochfrequenzströmen, die ihre Richtung etwa millionen-
mal in der Sekunde ändern, gelingt es, lebendige Energie in den Körper
hineinzubringen, ein Vorgang, der sich für unser derzeitiges Wahrnehmungs¬
vermögen zunächst in Wärme-Entwicklung äußert; so kann man z. B. die Leber
eines lebenden Kaninchens in situ zum Kochen bringen. Es ist klar, daß
mit einer solchen Energie viel Schaden angerichtet werden kann; aber so neu
Referate und Besprechungen.
1275
die Verwendung dieser Kräfte auch noch ist, so hat man doch schon gelernt,
zweckmäßig damit umzugehen, und hat sogar schon erfreuliche therapeutische
Effekte, z. B. hei Tabes und Asthma cardiale erzielt.
Die handliche Form, in welche die Siemens - Schuckertwerke den sogen.
Tränst her mie -App ar a t gebracht haben, wird gewiß dazu beitragen, |diese
wichtige Bereicherung des therapeutischen Arsenals zu verbreiten, wenn sie
auch natürlich vorerst wohl nur in Instituten mit sachgemäßer Bedienung zur
Verwendung kommen können.
Im gleichen Hefte bespricht E. R. v. Bernd (Wien) die gleiche Ange¬
legenheit, nur gebraucht er statt des Wortes Transthermie die Bezeichnung1:
Thermopenetr ation. Seine Versuche, durch ungedämpfte Hochfrequenz¬
ströme Wärme im Ivörperinnern zu erzeugen, betrafen vornehmlich gonor¬
rhoische Gelenkentzündungen, und zwar mit so gutem Erfolge, daß er die
akute gonorrhoische Arthritis als eine absolute Indikation zur Thermopene-
trationsbehandlung aufstellt. Auch von seinen Resultaten bei Ischias,, chro¬
nischen Gelenkentzündungen, Ödemen nach Knöchelbrüchen, uratischen Affek¬
tionen, Neuritis, Angiomen ist er befriedigt. Die Möglichkeit, maligne Tumoren
in vivo zur Koagulation zu bringen, cl. h. abzutöten, ist ohne Zweifel gegeben ;
allein die Geschichte überspannter Hoffnungen zwingt zur Skepsis.
Buttersack (Berlin).
Ueber Veränderung der Herzgröße im heißen und kalten Bade.
(Dr. Rudolph Beck u. Dr. N. Dohan. Münch, med. Wochenschr, Nr. 4, 1909.)
Verf. haben die Herzgröße nach heißen und kalten Bädern orthodia-
graphisch bestimmt und gefunden, daß nach heißem Bade (32 — 33° R) die
Herzgröße sich verkleinert; während sie nach kaltem Bade (17 — 20° R) sich
vergrößert. Nach Bädern von Körpertemperatur tritt eine geringe Ver¬
kleinerung auf. Der über dem Herzen befindliche Schatten (Aorta und Vena
e.ava) war nach heißem wie kaltem Bade verbreitert. Verf. erklären die be¬
obachteten Erscheinungen damit, daß das heiße Bad die Vaguswirkung hemmt
bzw. den Acceleraus reizt, das kalte Bad dagegen den Vagus reizt und die
Acceleranswirkung hemmt. Hahn.
Beiträge zur Kenntnis des Indiflferenzpunktes bei Kohlensäurebädern
und einfachen Wasserbädern.
(Albert in der Stroth. Tlierap. Monatsh., Nr. 4, 1909.)
Bezüglich der Beeinflussung der Blutdruckverhältnisse (des systolischen
Druckes, der Amplitude, des Amplitudenfrequenzproduktes), sowie auch der
Schlagfolge des Herzens durch Bäder ist das subjektive Empfinden des
Badenden kein geeigneter Maßstab für die Beurteilung. Auch bei Menschen,
die an denkbar verschiedene Badetemperaturen gewöhnt sind, liegt der ob¬
jektive Indifferenzpunkt für den Blutdruck innerhalb der engbegrenzten
Zone von etwa 32 bis 35° C. Das gilt für das Verhalten des peripher is(ch'en
Kreislaufes überhaupt. Nur der Wendepunkt für die Schlagfolge des Herzens
liegt gewöhnlich an oder über der oberen Grenze der genannten Zone. Kohlen¬
säurehaltige Solbäder und elektrische Bäder machen von diesem Satze keine
Ausnahme. So mannigfach die Änderungen sein mögen, die solche Medizinal¬
bäder gegenüber gleich temperierten Wasserbädern am Kreislauf hervorrufen,
sie stehen quantitativ alle zurück gegenüber dem mächtigen Einfluß der
Temperatur. Die Temperatur entscheidet unabhängig von dem subjektiven
Empfinden des Badenden nach festen Gesetzen an allererster Stelle über die
Kreislauf Wirkung jedes Bades. Dieser zuerst von O. Müller für Kohlen¬
säurebäder aufgestellte Satz bestätigt sich immer wieder. Finden sich Ab¬
weichungen von dieser Regel, so sind sie' nicht durch ihre Inkonstanz, sondern
durch ein krankhaftes Verhalten der badenden Person begründet. Ein Herz¬
kranker, der auf ein kühles kohlensäurehaltiges Solbad mit einer beträcht¬
lichen Senkung des systolischen Druckes reagiert, ist für das Bad ungeeignet.
1276
Referate und Besprechungen.
Man wird daher bei der Dosierung der .Kohlensäurebäder mit glifferentejn
Temperaturen auch dann äußerst vorsichtig sein, wenn die Kranken früher
an solche gewöhnt waren. S. Leo..
Die Hydrotherapie der Lungenschwindsucht.
(A. Möller. Med. Klinik, Kr. 18, 1909.)
Möller weist auf verschiedene, z. T. einfache hydriatische Maßnahmen
hin, vor allem feuchte Einpackung, welche in der Therapie der Lungen¬
tuberkulose mit sehr gutem Erfolge angewandt werden können und zur
wesentlichen Unterstützung der übrigen Therapie dienen. Wegen der tech¬
nischen Einzelheiten, Indikationen und den Kontraindikationen muß auf die
Originalarbeit verwiesen werden. R. Stüve (Osnabrück).
Der therapeutische Wert der Bestrahlung granulierender und eitriger
Wunden und Unterschenkelgeschwüre mit blauem Bogenlicht.
(Dr. Paul Richter. Deutsche med. Wochenschr., Nr. 17, 1909.)
Verfasser hat über 50 Kranke mit Blaulichtbestrahlung behandelt, und
sehr bald ein Nachlassen der Schmerzen, sowie eine schnelle Heilung mit
weicher Narbe beobachtet. Er führt die Bestrahlungen mit einem einfachen
Scheinwerfer aus, bei dem die Hitzestrahlen durch ein blaues Glasfilter resor¬
biert werden. Abstand vom Scheinwerfer beträgt IV2 bis 2 m. Die Tempera¬
tur der -bestrahlten Stelle beträgt ca. 22° C. Eine medikamentöse Behandlung
fand nicht statt. Hahn.
Ueber Kontraindikation des Finsenverfahrens.
(Dr. Max Piorkowski. Deutsche med. Wochenschr., Nr. 17, 1909.)
Kontraindikationen des Finsenverfahrens sind Organerkrankungen, die
ein längeres Liegen nicht gestatten, zu große Ausbreitung der Erkrankung
und endlich Bildung starrer dicker Narben, wie sie nach Anwendung mecha¬
nischer, thermischer oder chemischer Mittel entstehen. Hahn.
Röntgenmomentaufnahmen.
(Friedrich Dessauer. Münch. Wochenschr., Nr. 21, 1909.)
D. teilt mit, daß es ihm gelungen ist, mit einem neuen, nicht näher
beschriebenen Instrumentarium, Aufnahmen in einer Zeit von V100 bis V200
Sekunde zu machen. Die Messung der Expositionszeit geschieht dadurch,
daß die Röntgenstrahlen auf eine mit einem feinen Schlitz versehene Blei¬
platte fallen, hinter der ein Film mit einer bestimmten Schnelligkeit rotiert..
Hahn.
Medikamentöse Therapie.
Aus der medizinischen Klinik zu Heidelberg.
Beiträge zur Kenntnis der Digitalisbehandlung.
Zur Kenntnis der Wirkung des Digalen.
(Dr. Leo Müller. Münch, med. Wochenschr., Nr. 18, 1909.)
Die größtenteils absprechenden Urteile der französischen Autoren haben
Müller veranlaßt, in 18 Fällen die Wirkung des Digalen zu prüfen. Wenn
auch in mehreren Fällen erhebliche subjektive und objektive Besserung ein¬
trat, so machten sich doch auch bei einigen Pat. Zeichen einer kumulativen
Wirkung recht unangenehm bemerkbar. Bei einem Vergleich zwischen Digi¬
talis und Digalen kommt er zu -dem Schluß, daß bei letzterem z. T. dieselben
Verhältnisse bestehen, wie bei Digitalis. Er konnte nirgends eine schnellere
oder ausgiebigere Wirkung beobachten. Das Vertrauen des Arztes auf das
Fehlen einer kumulativen Wirkung kann dagegen zu recht unliebsamen Vor¬
kommnissen führen. Was die größere Verträglichkeit für den Magen be¬
trifft, so hat Müller gefunden, daß große Dosen Digalen wohl den Magen
angreifen können, kleine duen dies nicht, und zwar ebensowenig, wie die
Referate und Besprechungen.
1277
des gewöhnlichen Präparates. Die subkutane, intramuskuläre und intra¬
venöse Anwendungsweise vermeidet er meistensteils. Ein Übergewicht des!
Digalen hält Müller demnach nicht für begründet. E. Walther.
Aus der 1. medizinischen Klinik der Charite in Berlin (Geh. Med.-Rat Prof. Dr. His).
Ueber intravenöse Strophantintherapie bei Verwendung von Strophantinum
crystallisatum Thoms.
(Dr. P. Fleischmann u. cand. med. H. Wjasmensky. Deutsche med.
Wochenschr., Nr. 21, 1909.)
Die Verfasser haben an 32 Patienten 55 Strophantininjektionen ausge¬
führt, wozu sie sich des kristallinischen Strophantin Thoms bedienten. Was
zunächst das Verhalten des Blutdruckes betrifft, so konnten sie feststellen,
daß nach wirksamer intravenöser Injektion eine Vergrößerung der vorher
geringen Pulsamplitude eintrat. Auch die Diurese wurde günstig beeinflußt.
Schon drei Stunden nach der Injektion machte sie sich bemerkbar. Die Puls-
verlangsajmung erfolgt im D'urchschnitt innerhalb 20 — 30 Minuten. Die
besten Erfolge sahen die Verfasser bei Herzfehlern und Herzschwächezustän¬
den von Nephritikern. Nicht so günstig sind die Resultate bei anderen Er¬
krankungen, wie z. B. bei Infektionskrankheiten. Was die berichteten Todes¬
fälle nach Strophantininjektion anbetrifft, so liegt ihre Ursache wohl in der
Hauptsache in der mangelhaften Anwendungsweise. Vor allem ist darauf
zu achten, daß nicht vor der Injektion bereits Digitalis per os gegeben wurde,
weil hierbei die Gefahr der Kumulierung besteht. Auch schwer Kachektisch'ei
und Moribunde eignen sich nicht dazu. Als Maximaldosis für das kristalli¬
sierte Strophantin nennt Fleischimann 0,0005 g1 bei Erwachsenen.
F. Walther.
Eubornyl, ein kräftig wirkendes Derivat der Baldrianwurzel.
(Allina. Ther. der Gegenw., April 1909.)
Das Eubornyl, seiner chemischen Konstitution nach ein Bromisovalerian-
säureborneolester, stellt eine kräftig wirkende Verbindung von Brom und
Isovaleriansäure dar. Es kommt in zwei Arten in den Handel, und zwar als
Flüssigkeit und in Pillenform zu 0,1 g. Sein Indikationsgebiet ist natur¬
gemäß das gleiche wie das der beiden Komponenten. Die Verdauungsorgane
werden durch das Präparat nicht angegriffen. Auch bei länger dauerndem
Gebrauch entfaltete es seine beruhigende Wirkung. Man fängt am besten
mit zwei Tropfen dreimal täglich oder drei Pillen pro Tag an und steigt
dann langsam bis auf sechs Tropfen oder drei Pillen pro Dosi. Neumann.
Gynoval, ein neues Baldrianpräparat.
(Dr. Hoeflmayr, München. Deutsche med. Wochenschr., Nr. 21, 1909.)
Das Gynoval (dargestellt von den Friedr. Bay ersehen Farbenfabriken
in Elberfeld) ist der Isoborneolester der Isovaleriansäure, stellt eine farblose,
neutrale Flüssigkeit von eigenartig aromatischem, aber bedeutend angenehme¬
rem Gerüche als die bisher hergestellten Baldrianpräparate und von mild-
öligem Geschmacke dar. Es löst sich sehr schwer in Wasser, dagegen leicht
in allen gebräuchlichen organischen Lösungsmitteln. Es wird von der Fabrik
in smaragdgrün gefärbten, je 0,25 g Gynoval enthaltenden Gelatineperlep
gebrauchsfertig hergestellt. Weder beim Öffnen einer eine Anzahl von 30
Perlen enthaltenden Schachtel, noch beim Durchbeißen einer solchen Perle
tritt der die Baldrianpräparate sonst für den Patienten und seine Umgebung
so unangenehm machende penetrante Geruch auf.
Die Toxität des Gynovals ist gering, wie Tierversuche ergeben haben.
Hunde vertragen anstandslos 4 g auf einmal. Verf. hat bei seinen zahlreichen
Versuchen niemals eine unangenehme Wirkung bei seinen Patienten, selbst
bei 6 — 8 Perlen pro die, bemerkt, auch nie subjektive Klagen gehört. Über
das sonst so unangenehme Aufstoßen nach Baldrianpräparaten wurde niemals
geklagt. Die Verträglichkeit ist also scheinbar eine bessere als bei diesen.
Neumann.
1278
Büch erschau.
Bromural als Schlafmittel.
(Dr. M. A. Skulsky, Itschky (Taurien). Wratschebnaja Gaseta, Nr. 18, S. 580, 1909.)
Das Bromural wurde hauptsächlich bei Aufregungszuständen verwandt;
es wirkte in Dosen von 0,6 g auch dort, wo z. B. 2,5 g Bromnatrium jn
Baldriantee keinen Schlaf hervorriefen. Auch solche Kranke, die gegen
narkotische Arzneimittel starke Idiosynkrasie zeigten, vertrugen das Mittel
ausgezeichnet. Patienten, die nach Trional am folgenden Morgen Kopfschmer¬
zen und Benommenheit hatten, erwachten nach Bromuralgebrauch jedesmal
frisch und fühlten sich vollständig ausgeruht.
Auf Grund seiner Erfahrungen (21 Fälle) kommt der Verfasser zu
folgendem Schließ :
In allen Fällen, wo die Ursache der Schlaflosigkeit auf nervöser Auf¬
regung beruhte, bewirkte das Bromural in Gaben zu 0,6 g stets einen ruhigen
und erfrischenden Schlaf ; dort aber, wo somatische Störungen vorhanden waren,
wie Zystitis Trauma, Appendizitis usw. konnte man mit Bromural allein
keinen Schlaf erzielen. Schädliche Nebenwirkungen des Bromurals wurden
nicht beobachtet. Neumann.
Bücherschau.
Die ärztliche Feststellung der verschiedenen Formen des Schwachsinns
in den ersten Schuljahren. Von L. Laquer, Frankfurt a. M. 2. Aufl.
München, Verlag der ärztlichen Rundschau (Otto Gmelin), 1909.
Nicht bloß Fragen der Ernährung, der Blutmischung, der Muskel- und
Knochenentwicklung, die Funktion und der Bau ihrer Seh-, Hör- und Sprechorgane
gehört zur Domäne der Schulärzte, sondern vor allem auch die Berücksichtigung
der Störungen der geistigen Entwicklung.
Für schulärztliche Zwecke empfiehlt L. drei Formen des Schwachsinns aus¬
einanderzuhalten: Die Debilität, die Imbezillität und die Idiotie. Unter Debilität
versteht L. intellektuelle Schwächezustände, bei denen die Denkprozesse gehemmt
erscheinen, unter Imbezillität höhere Grade von Schwachsinn: „Es besteht eine auch
schon für Laien offenkundige geistige Beschränktheit in bezug auf Umfang und
Tiefe des Denkens“ (Cassel). Die niedrigste geistige Stufe stellt die Idiotie dar.
Darunter rechnet er die Kinder, die keine Eindrücke fassen, sie sammeln und ver¬
arbeiten können. Schwierigkeiten in schulärztlicher und pädagogischer Beziehung
bereiten nur die Imbezillen, und die Zeit wird nicht mehr allzufern sein, wo die
Schule von dem Bleigewicht der Unbegabten und Zurückbleibenden entlastet und
die Trennung der Schüler nach ihrer Begabung ermöglicht werden soll.
Die Notwendigkeit der Hilfsschulen für Imbezille erhellt am besten aus
folgenden Zahlen, die für Preußen aufgestellt wurden:
1892: 26 Hilfsschulen mit 64 Lehrkräften.
1906/7: 204 „ „665
Nach einer Anleitung zur Verwertung der anamnestischen Daten bei der
Erkennung imbeziller Kinder spricht L. von der fundamentalen Wichtigkeit der
frühzeitigen Erkennung und richtigen Unterweisung imbeziller Kinder, die eine
Keihe von sozialen Schäden zu heilen berufen ist. Reiss (München).
Die Gefäßentartung (Arteriosklerose). Von Dr. A. Smith. (1. Band
der Folge: Herz- und Gefäßkrankheiten, Neue Wege zu ihrer Beurtei¬
lung und Heilung.) Verlag itir Volkshygiene und Medizin, G. m. b. H.,
Berlin. 211 S. 2,80 Mk.
Verf. behandelt das nur allzu moderne Thema in überaus eingehender Weise
und bedient sich dabei einer klaren, fesselnden und blühenden Sprache. Er ver¬
tritt die Anschauung, daß es sich bei der Arteriosklerose nicht um eine un¬
vermeidliche und unheilbare „Abnutzungskrankheit“ handele, sondern daß sie vielmehr
durch irrationelle Lebensweise entstehe und also durch deren Gegenteil vielfach
Bücherschau.
1279
gehoben, mindestens aber gebessert werden könne. So stimmt er z. B. weitgehend
mit den Anschauungen derjenigen Ärzte überein, die die, bis vor kurzem noch hoch¬
moderne Überernährung, vor allem das Eiweißdogma perhorreszieren und eine mehr
vegetabilische Nahrung vorziehen: „Die Frühsklerose ist eine Schlemmerkrank¬
heit“. (Im Zusammenhang damit tritt er für vorwiegend konstitutionelle Behandlung
an Stelle der einseitigen anatomisch-lokalistischen ein.) Außer den üblichen
balneo-, äro-, kineto- und pharmakotherapeutischen Maßnahmen empfiehlt er für
geeignete Fälle sehr mit Recht auch den, unsern heutigen Anschauungen ent¬
sprechend aufgefaßten und modifizierten Aderlaß.
Sein spezielles Gebiet aber ist bekanntlich die Elektrotherapie, der er einen
enormen Einfluß, besonders auf die Besserung von Herz- und Gefäßleiden zuschreibt.
Ein Literaturverzeichnis von über 400 Nummern beschließt die Arbeit. Esch.
Lehrbuch der spezifischen Diagnostik und Therapie der Tuberkulose.
Äron Dr. Bandelier u. Dr. Roepke. Dritte erweiterte und verbesserte
Auflage mit einem Vorworte von Geh.-Rat R. Ivoch. Würzburg,
C. Kabitzsch, 1909. 6 bezw. 7 Mk.
Die dritte Auflage, die sehr bald nach dem Erscheinen der zweiten nötig
wurde, ist um verschiedene Einzelheiten bereichert, weicht aber naturgemäß im
wesentlichen nicht von der vorangegangenen Auflage ab. Die Yerff., die über eine
äußerst reiche eigene Erfahrung verfügen und die Literatur der Tuberkulinfrage
eingehend verwerten, verfechten die Ansicht, daß das Tuberkulin für die Behand¬
lung der Tuberkulose ein unentbehrliches Hilfsmittel vorstellt, daß seine dia¬
gnostische Anwendung im Interesse einer wirksamen Tuberkulosebekämpfung ebenso
geboten ist wie die therapeutische Anwendung in geeigneten Fällen im Interesse
des einzelnen Kranken angezeigt erscheint. Allerdings sind für die Diagnose die
übrigen (klinischen und bakteriologischen) Untersuchungsmethoden durch das
Tuberkulin nicht entbehrlich geworden. Und die therapeutische Tuberkulinanwen¬
dung, der ja oft genug Kontraindikationen entgegenstehen, macht die sonstigen
Behandlungsarten nicht überflüssig. Die Vereinigung der Tuberkulinbehandlung
mit der Heilstättenkur wird als das Aussichtsvollste hingestellt. Die diagnostische
und therapeutische Tuberkulinanwendung soll aber nicht auf die Heilstätten be¬
schränkt bleiben, sondern auch allen praktischen Ärzten zugängig gemacht werden.
Begründet wird dies mit der nachgewiesenen Wirksamkeit des Tuberkulins einer¬
seits, mit seiner Unschädlichkeit andererseits: die von anderer Seite berichteten
Tuberkulinschäden werden nicht anerkannt bezw. als leicht vermeidlich hingestellt.
— Es ist dies der einzige schwache Punkt in dem sonst so vorzüglichen Buche, und
es darf wohl als eine besondere Anerkennung angesehen werden, wenn man an
einem Werke, das eine noch so wenig abgeschlossene und nach vielen Richtungen
hin noch nicht geklärte Frage behandelt, nur dies eine auszusetzen hat.
Für Ärzte, die sich über die Anwendung des Tuberkulin unterrichten wollen,
kann es keine bessere Einführung geben, als dieses Buch, das in sachlicher Weise
alles enthält was für den Praktiker von Bedeutung ist. Aber auch für den Heil¬
stättenarzt, der nicht immer in der Lage ist, alle neuen Veröffentlichungen über
Tuberkulin zu verfolgen, wird sich die neue Auflage des Bandelier-Roepke’schen
Buches als anregend und zweckmäßig erweisen, schon wegen der Stellungnahme
der Verff. zu einzelnen Tagesfragen, wie Steigerung der Dosis, Erreichen der Maximal¬
dosis, Wahl des Tuberkulinpräparates usw. Hervorzuheben ist in dieser Beziehung
die Feststellung, daß trotz aller Anerkennung der lokalen Tuberkulinreaktionen
die subkutane Tuberkulinprobe ihre Bedeutung beibehält, namentlich für die Dia¬
gnose initialer Tuberkulose bei Erwachsenen, weil sie mehr leistet als die örtlichen
Proben und zudem noch den besonderen Vorteil bietet, daß durch die Herdreaktion
oft ein Rückschluß auf den Sitz der tuberkulösen Erkrankung ermöglicht wird.
Bei Kindern dagegen ist die Pirquet’sche Kutanreaktion vorzuziehen. DerKonjunk-
tivalreaktion ist eine prognostische Bedeutung nicht zuzuerkennen.
Die Indikationen und Kontraindikationen der Tuberkulinbehandlung sind
mit weiser Mäßigung aufgestellt. Besonders hervorgehoben sei die den Ein¬
geweihten allerdings nicht unbekannte, für den Anfänger aber so wichtige Tatsache,
daß die spezifische Reaktion nicht immer mit Fiebererscheinungen verläuft, sondern
oft nur durch Störungen des Allgemeinbefindens gekennzeichnet ist. Für die Steige¬
rung der Dosen werden brauchbare Vorschriften gegeben. Als Ziel wird die Er¬
reichung einer möglichst großen Giftfestigkeit durch wiederholte Injektionen einer
möglichst hohen Maximaldosis hingestellt, natürlich unter Vermeidung schwerer
Reaktionen. Es wird diese Behandlung für wirksamer erklärt als die Petruschky-
1280
Bücherschau.
sehe Etappenbeliandlung. Die Wright’sche Opsoninbestimmung wird mit den aus
ihr gezogenen Folgen als praktisch ohne Bedeutung abgelehnt. Eine Ablehnung
erfahren ferner die verschiedenen Versuche, Tuberkulin intravenös, per os, durch
Inhalation usw. einzuführen.
Die verschiedenen Tuberkulinpräparate und die zur passiven Immunisierung
dienenden Mittel sind eingehend besprochen. Sobotta (Reiboldsgrün).
Das deutsche Stadion im Grunewald. Von A. Mallwitz. Berlin, Verlag
für Volkshygiene und Medizin, 1909. 40 Seiten. 50 Pfg.
„Sachverständige Militärs sind der Ansicht, daß tägliches Exerzieren mehr
zur Gesundheit beitrage als alle Ärzte“ schreibt Vegetius in seinem Buch de re
militari III. Diesen Gedanken haben die verschiedenen Sportvereine aufgenommen.
Da aber hierfür eine Zentralstätte vorhanden sein muß, in welcher wir Deutsche
die seit einigen Jahren wieder auf genommenen olympischen Spiele abhalten können,
so wird für ein deutsches Stadion im Grunewald geworben, wie solche in den
übrigen Landeshauptstädten bereits existieren. Preis: 3 Millionen Mark. — Staats¬
minister v. Podbielski hat der Broschüre ein Vorwort mitgegeben.
Buttersack (Berlin).
Taschenbuch für Ohren-, Nasen- und Halsärzte. Von L. Jankau.
11. Aufl. Verlag von Max Gelsdorf, Eberswalde. 4 Mk.
Das kleine Buch gehört schon seit lange zum fast unentbehrlichen Besitz
des Laryngologen, nicht zum wenigsten dadurch, daß der Autor rastlos mit der Zeit
mitschreitet und jede neue Auflage den Fortschritt des oder der letzten Jahre
wiederspiegeln läßt. Auch die neue Ausgabe ist durch zum Teil andere Anordnung
und große Bereicherung des Stoffes verbessert. Der sachliche Teil ist dadurch um
fast 100 Seiten gewachsen. Manche werden es bedauern, daß die „Personalien“
fortgeblieben sind, doch scheint das notwendig gewesen zu sein, um den Umfang
eines „Taschenbuches“ nicht zu überschreiten. Arth. Meyer (Berlin).
Röntgen-Taschenbuch. 2. Band. Von Ernst Sommer. Leipzig, 1909,
O. Nemnich. 318 S. 4,50 Mk.
Ein Taschenbuch — früher hieß der Titel: Röntgenkalender — läßt* sich
nicht gut referieren. Aber eine kurze Notiz soll doch diejenigen, die mit Röntgen¬
strahlen arbeiten, auf das wertvolle Unternehmen hinweisen. 171 Seiten sind
technisch-diagnostischen Fragen gewidmet, in denen die berufensten Autoren sich
über Hg-Unterbrecher (Dessauer), Magen- (Holzknecht- Jonas), Nieren- (Holz¬
knecht-Kienböck), Lungendiagnostik (Sommer), über intrathorazische Strumen
(Kienböck), subphrenische Organe (Schürmayer) usw. auslassen. Auch wert¬
volle therapeutische Winke sind aufgeführt.
In einem besonderen Abschnitt ist den verschiedenen Fabriken und Gesell¬
schaften Gelegenheit gegeben, über die von ihnen ersonnenen technischen Neue¬
rungen und Verbesserungen zu berichten, ein Gedanke, der gewiß vielen Bei¬
fall findet.
Den Schluß bildet ein internationales Verzeichnis der Röntgenologen und
Röntgeninstitute, an welchem man den Siegeszug dieser physikalischen Entdeckung
durch die Medizin aller Länder abmessen kann. Buttersack (Berlin).
Zeitschrift für Chemie und Industrie der Kolloide. Wissenschaftliche
und technische Rundschau für das Gesamtgebiet der Kolloide. Redaktion:
Privatdozent Dr. Wolfgang Ostwald, Leipzig. Verlag: Theodor
Steinkopff, Dresden- A.
Die Zeitschrift, deren 5. Band soeben erschienen ist, ist für alle unsere Leser,
welche sich für die Grenzgebiete zwischen Chemie und Medizin interessieren, sehr
beachtenswert und kann zu regelmäßiger Lektüre warm empfohlen werden. Aus
dem reichhaltigen Inhalt heben wir folgende Arbeiten heror: Schade, Kolloid¬
chemie und Balneologie; Bechtold, Desinfektion und Kolloidchemie; Bottazzi,
Untersuchungen über die Kolloide der „Leibeshöhienflüssigkeit“ und des Blutes der
Seetiere. R.
Schriftleitung: Dr. Rigi er in Leipzig.
Druck von Emil Herrmann senior in Leipzig.
27. Jahrgang.
1909.
Tomcbriue der Medizin.
Unter Mitwirkung hervorragender Fachmänner
herausgegeben von
Professor Dr. 6. Köster Prio.-Doz* Dr. *>. £riegern
in Leipzig. in Leipzig.
Schriftleitung: Dr. Rigler in Leipzig.
Nr. 34.
Erscheint am 10,, 20., 30. jeden Monats. Preis halbjährlich
6 Mark, inkl. Zeitschrift für Yersicherungsmedizin 8 Mark.
Verlag von Georg Thieme, Leipzig.
10. Dezbr.
Originalarbeiten und Sammelberichte.
Zur Diagnostik der Arteriosklerose.
Von Dr. Gr. Rheiner, St. Gallen.
Die Ausbreitung der Arteriosklerose über diei verschiedenen Ge¬
fäßgebiete ist keineswegs einheitlich. Die diagnostisch so gern ver¬
werteten Schläfen- und Radialarterien können wie auch das Herz so¬
wohl klinisch als anatomisch völlig frei erscheinen, die der Palpation
unzugänglichen viszeralen Gefäße dagegen beim nämlichen Menschen
hochgradig sklerosiert und verkalkt sein. Durchgreifende Verkalkung
aller Arterien kommt nicht vor ; stets sind nur kleinere oder umfang¬
reichere Distrikte von ihr betroffen und ist anch im affizierten Bezirk
selbst der Grad der Veränderung sehr verschieden ausgeprägt. Arterio¬
sklerose lokalisiert sich beispielsweise entweder nur in den zentralen,
nur in den viszeralen oder pur in den Arterien der Extremitäten, hianeh-
mal aber auch in mehreren Gebieten des Körpers gleichzeitig. Infolge
dieser Tatsachen darf der Arzt die Diagnose Arteriosklerose nicht etwa
nur von Rigidität und Schlängelung der A. radiales und A. temporales
abhängig machen, besonders darf ihn picht einfache Schlängelung der
palpablen Arterien ohne draht artige Resistenz des Gefäßrohrs, ohne
eventl. rauhe Oberfläche desselben usw. zur Annahme von Arterio¬
sklerose der betreffenden Gefäße verleiten. Es ist meines Wissens
bis anhin noch keineswegs festgestellt, ob der bloßen Schlängelung der
Arterien derselbe anatomische Erozeß zugrunde! liegt wie der sklero¬
tischen Verdickung . und Verhärtung ihrer Wand. Allerdings sind bei
ausgebreiteter Arteriosklerose die palpabeln Arterien oft gewunden;;
tatsächlich kann aber doch ausgesprochene Arteriosklerose des Splanch-
nikusgebiets vorliegen ohne die geringste Schlängelung der Schläfen¬
oder Armarterien. Bei manchen Menschen finden wir schon in der
Jugend auffallend stark gewundene A. temporales und A. radiales ohne
Arteriosklerose derselben. Damit ist selbstredend durchaus nicht ge¬
sagt, daß nicht schon junge Individuen arteriosklerotische Verände¬
rungen, sogar stark ansgesprochene Kalkablagerung in den tastbaren
Arterien auf weisen können. So hat Rach (Wieper m. W. 1906) hei
einem 13jährigen Mädchen hochgradige Arteriosklerose mit letaler
Schrumpfniere gefunden, Oppenheim (Virch.-Arch. 181) bei einem
Kind von 9 J ähren stark entwickelte Arteriosklerose mit sekundärer
Aortenruptur. Negativer Befund von Arteriosklerose in den Temporal¬
oder Brachialgefäßen läßt bei Unkenntnis der Verbreitungsmöglich-
81
1282
G. Rheiner,
keit der Arteriosklerose diese leicht übersehen ; Kenntnis derselben,
kann andererseits zu irrtümlicher Annahme von Arteriosklerose als
Erklärung von 0 r gan verän de r un gen führen, deren Genese anderswo
liegt. Da,s moralische Verantwortlichkeit sgefühl gegenüber den
Lebensversicherungs-Gesellschaften sowie das Befwußtsein der obigen
Tatsachen sind Veranlassung, daß ich meine Untersuchungsbefunde trotz
eingehender Untersuchung doch stets mit einem gewissen,' Bangen aus der:
Hand gebe und mich frage, ob sich mein Urteil auch genau mit den
tatsächlichen Körperverhältnissen decke, ob nicht vielleicht doch plötz¬
lich ein unerklärlicher! Todesfall Vorkommen könnte, der mit einem
gewissen scheinbaren Hecht die Genauigkeit meiner Untersuchung1 in
Zweifel ziehen könnte. Genannte Reflexionen sind die Ursache dieser
Studie. Der Arzt soll auch bestrebt siein, die einzelnen Symptome irgend
eines pathologischen Prozesses nicht allein als solche zu erkennen,
sondern sie auch richtig1 zu verstehen suchen hinsichtlich ihrer Ent¬
stehungsweise, ihres inneren Zusammenhangs und ihrer schädlichen Be¬
deutung für den Gesamtorganismus. Auch für eine durchsichtige Dia¬
gnostik, Prognostik und Behandlung der Arteriosklerose liegt der Haupt¬
wert nicht in der einfachen ‘Eruierung der Symptome an und für sich,
sondern in der klaren Einsicht ihrer1 Zusammenfügung und ihres ge¬
meinsamen Spiels. Es besteht noch keine einheitliche! Auffassung über
das "Weisen der Arteriosklerose., Früher sah män in ihr eine Arte¬
riitis der vasa nutrientia der betreffenden Gefäße, jetzt hält man sie
für einen rein mechanischen Abnutzungs Vorgang der Arterienwände,
speziell an solchen Orten, wo durch irgendwelche Ursache die Blut¬
zirkulation andauernd erheblich gesteigert, damit daselbst der Stoff¬
verbrauch anhaltend größer ist als der Stoffersatz. In anderen Fällen
mag die Funktion der gesunden Arterien nicht, übermäßig in Anspruch
genommen worden sein, aber' innerhalb der physiologischen Breite befind¬
liche Ansprüche treffen eine vererbte, angeborene oder erworbene Minder¬
wertigkeit der Gefäßwand. Voraussichtlich besitzen histologisch die
sklerotischen Veränderungen der Arteriolen der Gehirns, des Herzens,
der Nieren, Milz usw. große Ähnlichkeit mit den diesbezüglichen Um¬
gestaltungen in der Aorta und den übrigen größeren Arterienstämmen,
doch lassen sich anatomisch die betreffenden Läsionen der großen und
feinsten Gefäße schwer identifizieren. Im ersteren Fall läßt sich mit
Messer und Schere die Veränderung der Arterien hinsichtlich der
Wand, des Lumens usw. bis in die makroskopisch noch erkennbaren
Verästelungen genau verfolgen. Bei den feinsten Äderchen muß da¬
gegen das Mikroskop Aufklärung schaffen, das uns indessen über
fehlende Elastizität oder Obliteration eines größeren Arteriolenbezirks,
Unregelmäßigkeiten der Gefäßinnenfläche usw. nur in sehr beschränk¬
tem Maße unterrichtet. Nähere Aussprache über die Texturverände¬
rungen der Arterien durch Arteriosklerose gehört nicht hierher.
Aus dem Gesagten erhellt, daß Arteriosklerose und höheres Alter
nur in losem Zusammenhang stehen. Viel wichtiger erscheinen zahl¬
reiche äußere, mit unserer Lebensweise; innig verflochtene Einflüsse.
Häufige und mühsame geistige wie auch seelische Strapazen disponieren
z. B. zu Arteriosklerose der Hirnarterien, jahrzehntelange Überan¬
strengung der oberen Extremitäten zu Arteriosklerose der Brachial¬
arterien. Der Einfluß des Alkohols, Nikotins, der Disposition zu Stoff¬
wechselanomalien verschiedenster Art darf natürlich nebenbei nicht
unterschätzt werden. Ich verweise diesbezüglich auf die Arbeit von
1283
Zur Diagnostik der Arteriosklerose.
Dr. Burwinkel (Ztschr. f. Vers. -Med. 1909). Interessant ist die Be¬
obachtung von Herz (Wiener med. Z. 1908) über die Häufigkeit der
Arteriosklerose in den unteren Extremitäten bei Bäuerinnen, während
er selbige bei bequemen Frauen des Mittelstandes sehr selten konsta¬
tierte.
Die Bedeutung, resp. Folgezustände arteriosklerotischer Verände¬
rungen in den einzelnen Organen und im Gesamtorganismus schwanken
demnach je nach der funktionellen Inanspruchnahme und Resistenz
der Arterien sowie der Reaktion, resp. Sensibilität der Organe gegen¬
über ihren sklerotischen Gefäßen. Die Schädigung der arteriosklero¬
tischen, benachteiligten Gewebe beruht schematisch skizziert einmal
auf dem El astizitäts Verlust ihrer Arterien verschiedenen Kalibers. Da¬
zu gesellt sich häufig wiederkehrende oder permanente Steigerung des
Blutdrucks, zuerst im sklerotischen Parenchymbezirk, welche sekun¬
där zu weiterreichenden Zirkulationsstörungen, damit zu vermehrter;
Herzanstrengung, eventuell mit reaktiver Herzhypertrophie führt. Nach
sphygmo-manometrischen Untersuchungen von Basch (Wiener m. Presse
1905) ist der arteriosklerotisch erhöhte Blutdruck nicht Folge der
Entartung der großen, sondern der feinen Arterien, d. h. das Ergebnis
des Widerstandes an der Peripherie. Wir wissen aber ferner aus Mes¬
sungen von Sarada und durch Romberg, daß nur bei 90°/0 der
Fälle von Arteriosklerose der arterielle Blutdruck nachweisbar zunimmt.
Finden wir daher einwandfreie Symptome von Arteriosklerose, aber
gleichwohl keine deutlich vermehrte Pulsspannung, so ziehe man die
Eventualität der Kombination mit Degeneratio cordis in Betracht. Als
Folge der zwei vorhin erwähnten Momente kommt es nun zu mehr
oder weniger schwerwiegender Parenchymerkrankung der betreffenden
Organe selbst. Voraussichtlich vermögen sich diese bis zu einem ge¬
wissen Grade längere Zeit der arteriosklerotischen Schädlichkeit an¬
zupassen, bis beispielsweise bazilläre Infektionen den Stein ins Rollen
bringen und gewebliche Entartung wachrufen, die auch nach Aus¬
heilung des bazillären Einflusses weiterspielt und zu lebensunfähiger
Atrophie der funktionierenden Elemente der erkrankten Organe führt,
mit Uber Wucherung proliferiep enden Bindegewebes über die abster¬
benden Parenchymzellen, damit zu allmählichem Exitus.
Halten wir Rundschau unter den einzelnen Organen, die natur¬
gemäß am meisten unter den Folgen arteriosklerotischer Erkrankung
leiden, sofern nicht die Lebensweise, berufliche Anstrengungen der
Menschen, besondere Vulnerabilität einzelner Organe anders bestimmen,
so wird logischerweise zuerst das Herz geschädigt, so durch schlechte
Ernährung seiner Muskulatur infolge Sklerose der Kranzarterien.
S chab er t (Petersb. m. W.-Schr. 1904) berichtet über diesbezügliche
Untersuchungen an Hand eines jährlich ca. 500 Sektionen umfassenden
Materials aus dem Stadtkrankenhaus in Riga. Unter diesen Fällen
befinden sich jährlich ca. 15 — 18 Koronarsklerosen, die einen wesentlichen
Sektionsbefund darstellen. Die meisten derselben sind diffus, steno-
sieren das ganze Gefäß oder einzelne Äste mit Uberwiegen der Sekun¬
därerscheinungen am Herzmuskel (Myokarditis chron. librosa, Herz¬
infarkt, Herzruptur). Im Gegensatz hierzu fand Schabert innerhalb
zwei Jahren sechs sog. Mündüngssklerosen, resp. umschriebene Stenosen
bis zu totalem Verschluß nur an der Ausmündung der Arterie infolge
Arteriosklerose im Sinus Valsalvae, wobei der übrige Teil des Gefässes
zartwandig war. In drei Fällen war diese lokale Stenose pur für
81*
1284
G. Eheiner,
eine Borste passierbar, bei allen sechs Fällen handelte es sich lim
Sklerose der rechten Kranzarterie, während die linke nur einmal, und
zwar in Gemeinschaft mit Mündungssklerose der A. coron. cord, dextra
befallen war. Fünfmal fand sieh gleichzeitig Aorten-Insuffizienz und
bildete den klinischen Hauptbefund. In vier Fällen erfolgte plötzlicher
Exitus, entweder ohne jeden Todeskampf oder nach kurzer Dyspnoe,
zweimal unter dem Bild des normalen Ausgangs der vorliegenden
Grundkrankheit, so zunehmenden Verfalls bei Tuberkulose, progre-
dierender Kompensationsstörungen bei Aorten-Insuffizienz. Bei einer
der sechs Mündungssklerosen bestand offenbar die Obliteration schon
lange, ohne die geringsten krankhaften Beschwerden gemacht zu haben,
während doch naturgemäß schwerwiegende Symptome dem synkopalen
Tode hätten vorangehen sollen. Mit solchen unerfreulichen Über¬
raschungen, die begreiflicherweise dem behandelnden oder nur einmal
untersuchenden Arzte sehr leicht den Vorwurf oberflächlicher Unter¬
suchung, Beobachtung und Behandlung zuziehen können, von welchem
er sich auch trotz redlichster Pflichterfüllung kaum überzeugend rei¬
nigen kann, könnte wohl jeder Kollege aufwarten. Ich flechte hier
beispielsweise einen sonst durchaus nicht hierher gehörigen Fall ein,
den ich unmittelbar ante m'ortem sah. Ein junger, angeblich niemals
krank gewesener Mann starb pach einem fröhlich mit seiner Braut
verbrachten Ausflug an rapider innerer Verblutung. Die Sektion er¬
gab faustgroßes rupturiertes primäres Medullarkarzinom des großen
Leberlappens. Sehen wir ab von Ausnahmefällen, so lassen sich die
klinischen Symptome der allmählich zunehmenden Koronarsklerosen
des Herzens leicht mit den anatomischen Veränderungen in Überein¬
stimmung bringen. Die Anfänge besonders der diffusen Sklerose äus-
sern sich entweder gar nicht oder nur durch unbestimmte Symptome,
die an Neurasthenie denken lassen. Oft in Verbindung mit siehtlicher
Abmagerung und dem Gefühl abnehmender körperlicher und geistiger
Leistungsfähigkeit entwickeln sich alsdann im Anschluß an auch nur
geringfügige physische Strapazen zunehmende Sensibilitätsstörungen.
Hierzu zählt z. B. die Sensation einer Zusammenschnürung des Thorax,
besonders in der oberen Partie des Brustbeins, ein zuweilen höchst
lästiger Druck oder Schmerz in der Herzgegend oder unter dem Ster¬
num, welcher etwa speziell nach dem linken Schultergürtel ausstrahlt
und bei großer Heftigkeit sowohl früh als in späteren Stadien zu toni¬
schem Krampf der Finger führen kann. Die Beschwerden verlieren sich
oft rasch bei körperlicher Buhe. Manchmal gesellt sich zU obigen Sym¬
ptomen heftiger Schmerz! in der Magengegend, besonders nach einer
auch nur mäßigen Mahlzeit, ferner Erbrechen und andere gastrische
Sensationen, wie sie auch bei anderen Affektionen des Magens auf-
treten und bei viszeraler Arteriosklerose (siehe später). Genannter Er¬
scheinungskomplex kann nach längerem interimistischen Bestand
wochen-, monatelang sistieren und Heilung der nicht durchsichtigen
Verhältnisse vorspiegeln. Die zunehmende Stenose der Koronararterien
mit ihrer sekundären progredierenden nutritiven Insuffizienz des Herz¬
muskels führt zusehends zu immer blässerem, selbst kachektischem
Aussehen (ohne daß der Hämoglobingehalt des Blutes unter das physio¬
logische Minimum zu sinken braucht), zu auffallend rascher musku¬
lärer Ermüdung, selbst bei Kaubewegungen, beim Besteigen und Ver¬
lassen des Bettes, bei langsamem Gehen auf ebener Straße. Auch atmo¬
sphärische Einflüsse (starker Barometersturz, Föhn) wirken ungünstig'
Zur Diagnostik der Arteriosklerose.
1285
durch Vermehrung der Atemnot. Diese kann sich allmählich zu steno-
kardisehen Anfällen herausentwickeln. Bei mangelnder Komplikation
durch Arteriosklerosis aortae kann der Perkussions- und Auskultations¬
befund des Herzens auch in diesem Stadium noch negativ oder nicht
beweisend sein. Ich erinnere an die in meiner Arbeit „über abnorme
Herzgeräusche bei gesundem Herzen“ (Ztschr. f. Vers. -Med. 1909, Kr. 4
u. 5) von mir und, wie ich kürzlich konstatierte, auch von Herz (ebenda
1908, Kr. 1) hervorgehobene Tatsache, daß trotz deutlicher klinischer
Symptome ungenügender Herzfunktion die Sektion gleichwohl oft
relativ sehr unbedeutende myokarditische Entartung ergibt, während
sich in anderen Fällen bei synkopal eingetretenem Exitus nach schein¬
bar bestem allgemeinen Wohlbefinden schwere Herzveränderungen nach-
weisen lassen. Diese Vorkommnisse lehren, wie schwierig, selbst un¬
möglich es auch für einen genauen Untersucher sein kann, aus der
Qualität der Herzfunktion ein sicheres Urteil über die Dauer seines
Betriebs zu geben, und doch wäre dies so dringend wünschenswert,
um sich dem Kranken, seinen Angehörigen und anderen Interessenten
gegenüber mit menschlicher Verantwortungsfähigkeit der gegebenen
Angaben auszusprechen. Die imaufhaltsam zunehmende Ernährungs¬
störung des Herzens kann [schließlich, meist nach einleitendem Un¬
behagen, zu rapid auf tretendem Lungenödem mit elendem, irregulären
Pulse Veranlassung geben, welches zu raschem Exitus führt, oder aber
das zusammenbrechende Herz rafft sich nochmals auf, bis die Tragödie
schließlich ihren erlösenden Abschluß findet. An die geschilderten Ver¬
hältnisse bei Koronarsklerose des Herzens schmiegen sich eng diejenigen
bei Arteriosklerose der Aorta an. Auch hier können die anatomischen
Veränderungen hochgradige sein, die klinischen Erscheinungen null
oder so zahlreich und vielfach zu deuten (Schwindel, Schlaflosigkeit,
verminderte physische und geistige: Kraft usw.), daß man den Eindruck
gewöhnlicher Keurasthenie bekommt. Alan begnüge sich daher nicht
nach einmaliger, negativ lautender Untersuchung mit dieser Diagnose,
sondern denke zumal bei [einem Alenschen von über 40 Jahren stets
an die Möglichkeit von Art. aortae und untersuche wiederholt und ein¬
gehend die Kreislaufsorgane bei Buhe und Aufregung des Patienten,
in verschiedenen Körperhaltungen usw. Ich betone mit Kachdruck, daß
sog. neurasthenische Beschwerden ganz besonders dann auf Art. aortae
verdächtig sind, falls es sich um Individuen handelt, die früher nicht
neurasthenisch waren, bei denen ferner andere plausible, erklärliche
Ursachen nervöser Erkrankung fehlen. Heller, Straub usw. machen
nun aber weiterhin auf eine Tatsache aufmerksam, die ich hier nicht
einfach übergehen möchte und die neuerdings von K. Baerthlein in
einer Dissertation 1904 an Hand von zwei offenbar einschlägigen Fällen
aus ' der Alünchner Klinik hervorgehoben wurde. Es handelt sich um die
speziell in der AVand der Aorta vorkommende, große Ähnlichkeit mit
der gewöhnlichen präsenilen Arteriosklerose besitzende Aortitis luetica.
Man soll an die Möglichkeit einer solchen denken bei pathologischen
Aortasymptomen, vergesellschaftet mit anderen auf’ Lues hinweisenden
Alomenten der Anamnese und des klinischen Befundes, und sich der
von Bruhns (Berl. klin. AV.-Schr. 1906) erwähnten Tatsache bewußt
sein, daß sich die erworbenen syphilitischen Erkrankungsprozesse an
Herz und Gefäßen oft ganz im geheimen und sehr schleichend entwickeln.
Amen de fand bei 1258 Sektionen im Münchner Krankenhaus rechts
der Isar zehnmal Aortitis syphilit. Des weiteren konnte er Endaortitis
1286
Denis G. Zesas,
thoracica ohne Narbenbildung bei gleichzeitiger Lues elfmal nach weisen ;
bei acht weiteren Fällen zeigte sich ohne Nachweis von Lues Arterio¬
sklerose der Brustaorta. Insgesamt lag bei 2,3 °/0 aller Autopsien eine
Endaortitis thorac. vor. Auch Bollinger konstatierte unter ca. 1000
im Münchner pathol. Institut vorgenommenen Sektionen 17 Fälle chro¬
nischer Aortenerkrankung1, bei denen es sich sehr wahrscheinlich um
postluetische Prozesse handelte. Von Interesse sind auch die Studien
von Moritz (Petersburger med. W. 1904), der das schon früher viel¬
fach behauptete relativ häufige Auftreten von Arteriosklerose speziell
der Aorta mit nachfolgender Aneurysmenbildung oder anderweitigen
Klappenstörungen der Aorta bei Luetikern illustriert. Von 100 Kranken
mit Arteriosklerose im deutschen Alex-Spital in St. Petersburg, welche
Fälle bis zu 60 Jahren betrafen, war in 47 Fällen, d. h. bei 54°/0 Lues
konstatiert, und zwar 62 °/0 zwischen ßl — 40 Jahren, 55 °/0 zwischen
41 — 50, 50°/0 zwischen 51 — 60 Jahren. Beim, jüngsten Patienten von
31 Jahren hatte die Sektion Lues cong. ergeben, bei allen übrigen
handelte es sich um erworbene Lues, und zwar lag die Infektion viele
Jahre zurück, zwischen 8 — 30 Jahre, durchschnittlich aber 10 — 20.
Gleichzeitig waren unter 40 arteriosklerotischen Luetikern 60°/0 starke
Trinker, 40°/0 mäßige, und wir wissen ja auch aus anderen Quellen
zur Genüge, daß Alkohol oft zu präseniler Arteriosklerose führt, schon
bei Schulkindern, wie Untersuchungen in München gezeigt haben.
(Schluß folgt.)
Ueber Parotitis bei Pneumonie.
Von Denis G. Zesas.
Es ist hinreichend bekannt, daß Pneumokokken im Verlaufe von
Lungenentzündung in die Blutbahn übergehen und entfernt von den
ergriffenen Lungenbezirken liegende Organe in Mitleidenschaft ziehen
können.
Solche Komplikationen, die mit dem spezifischen Diplokokkus
Zusammenhängen, betreffen u. a. außer den Knochen und Gelenken,
das mittlere Ohr, das Unterhautzellgewebe, die Schilddrüse und die
Ohrspeicheldrüse. Unter diesen dürfte das Ergriffensein dieser letzteren
zu den selteneren Komplikationen zählen. (Hobbs.) Auch Ivoranyi
und Soltmann betonen ihre Seltenheit. Aufrecht, in seiner Ab¬
handlung über Pneumonie und Lenhartz, in seinem Werke über sep¬
tische Erkrankungen tun der Parotitis meta - pneumonica kaum Er¬
wähnung, auch JürgepSen scheint solche Fälle nicht beobachtet zu
haben, während Liebermeister die Ohrspeicheldrüse zu den Organen
zählt, die im Anschluß an Lungenentzündung von eitrigen Prozessen
ergriffen werden können. Gr ist Ile hält die betreffende Komplikation
für sehr selten und nimmt an, daß dieselbe fast ausschließlich bei
älteren Individuen und im Spätstadium der Pneumonie aufzutreten
pflege. — Duplay erwähnt in seiner Mitteilung, daß ein deutscher
Arzt, dessen Namen nicht näher angegeben ist, unter 5738 Pneumonien
nur 6 Par otisent Zündungen verzeichnen konnte. Und daß tatsächlich
solche Komplikationen nicht häufig sind, ist aus der uns vorliegen¬
den Kasuistik (soweit unsere Nachforschungen reichen), die sich nur
auf 27 Fälle beschränkt, ersichtlich. Diese Seltenheit der Affektion
möchte auch die Veröffentlichung eines hierhergehörenden Falles,
Ueber Parotitis bei Pneumonie.
1287
den wir Ende letzten Jahres in Gemeinschaft mit Dr. Kurnany und
Strudza zu beobachten Gelegenheit hatten, berechtigen.
Es handelt sich um eine 62 jährige Dame, die unter wiederholten
Schüttelfrösten, an Pneumonie der rechten Lunge erkrankte. Die. Unter¬
suchung ergab hinten in der ganzen Ausdehnung satte Dämpfung mit
verstärktem Stimmfremitus. Über der gedämpften Partie leichtes,
scharfes Bronchialatmen. Links voller Schall und reines V esikulär-
atmen. Herzdämpfung normal, Herztöne rein, Puls regelmäßig, leicht
beschleunigt. Kein Hustenreiz, kein Auswurf. Urin frei von Eiweiß.
Die Temperatur schwankte zwischen 38,5 und 39,6. Am 3. Krankheits¬
tage abends, erneuter Schüttelfrost ; die Temperatur stieg nun auf
40,3. In der IST acht stellte sich eine deutliche Schwellung nebst Bötung
der linken Parotisgegend ein. Während des darauffolgenden Tages
wurde die Schwellung auffallend und gleichzeitig machte sich ein
kollaterales Ödem bemerkbar. Die Temperatur, die morgens 39,3 mar¬
kierte, stieg abends auf 40,5. In den folgenden zwei Tagen nahmen
Schwellung und ödem zu, letzteres gewann fast die ganze Gesichts¬
hälfte und breitete sich gegen Hals und Nacken aus. Die Kiefer¬
bewegungen, gleichwie das Schlucken waren dabei erheblich erschwert,
der Mund trocken. Die gespannte Parotisgegend war druckempfindlich,
eine Fluktuation aber nicht vorhanden. Die Pneumoniesymptome wiesen,
keine Verschlimmerung auf. Anderweitige Lokalisationen der Pneu¬
mokokkeninfektion konnten klinisch nicht konstatiert werden. Da die
Lokalerscheinungen im Zunehmen begriffen, und die Temperatur eine
hohe blieb, so nahmen wir eine Probeinzision in der Parotisgegend vor
und drangen schichtenweise in das Drüsengewebe, das aufgecpuollen,
hyperämisch und dunkelblau aussah, ein. Auf einen eigentlichen Eiter¬
herd stießen wir nicht; aus der Drüse entleerte sich durch die Inzision
eine gelbliche, mit Blut gemischte Flüssigkeit. Es wurden einige tiefe
Entspannungsschnitte gemacht und die Wunden mit Jodoformgaze tam¬
poniert. Patientin ertrug den Eingriff ohne große Schmerzäußerung,
das Sensorium schien eingenommen. Der Eingriff hatte weder auf
die lokalen Erscheinungen, noch auf den allgemeinen Zustand, einen
günstigen Einfluß. Die Temperatur blieb wie vordem, auf 40,5 be¬
stehen und es folgte der Tod nach 16 Stunden. Eine Sektion konnte
nicht vorgenommen werden.
Die Diagnose hatte sich in diesem Falle lediglich auf die klinischen
Erscheinungen zu stützen, da die bakteriologische Untersuchung leider
am Ort der Beobachtung (Insel Zante), mangels an bazügl. Einrichtung,
ausbleiben mußte. Wir glauben aber trotzdem nicht zu irren, wenn
wir die Affektion hinsichtlich der bestehenden Pneumonie, der plötz¬
lichen Anschwellung der Parotis unter Schüttelfrost und erheblicher
Temperatursteigerung, sowie des ganzen Verlaufes, als eine Parotitisl
pneumonic'a, auffassen. — Freilich kam es in unserer Beobachtung
zu keiner Abszedierung, wie dies1 bei den metapneumonischen Parotitr
den die Pegel ist, doch wir werden weiter unten an der Hand ander¬
weitiger Erfahrungen darlegen, daß es auch pneumonische Parotitiden
gibt, die nicht in Eiterung übergehen. — Fragen wir, auf welche
Weise die Pneumokokken in dieser, unserer Beobachtung in die Parotis
gelangten, so stehen hierin zwei Wege offen : die Verschleppung der
Krankheitserreger durch die Blutbahn in die Ohrspeicheldrüse und die
Einwanderung derselben in die Parotis durch den Ductus Stenonianus.
1288
Denis G. Zesas,
Letztere Annahme, die des Hinaufwanderns der Franke Tsctien Diplo¬
kokken, erscheint nns hier unwahrscheinlicher, denn obwohl im Munde
Pneumoniker fast stets Pneumokokken vorgefunden werden, mag eine
Infektion von dieser Seite doch vornehmlich auf jene Patienten Bezug
haben, die eine Expektoration aufweisen. Unsere Patientin hatte gar
keinen Auswurf ; außerdem ließ sich durch Druck auf die Parotisä
weder Eiter noch sonstiges Entzündungsprodukt durch den Stenonianus-
schen Duktus befördern, so daß uns eine Infektion von der Mundhöhle
aus, in diesem Falle wenigstens, als fraglich erscheint. Flach Gal and
sollen zwar solche „Parotidites canaliculaires“, wie sie Chasisaignae
benennt, bei denen die Infektion durch Hinaufwandern durch den Duc¬
tus Stenonianus stattfindet, die häufigere Form der Parotitis meta-
püeumoniea darstellen, „C’est lä croyons nous dans la grande mojorite
des c'as, si ce n’est dans tous, le mode de production de cette affection.“
Fisdhe 1 beschreibt einen Fall von Parotitis nach Pneumonie. 20 Tage
nach der Krise trat plötzlich wieder Fieber auf ; am zweiten Tage
zeigte sich eine linksseitige Parotisschwellung und es bildete sich eine
kleinhühnereigroße, derbe, sehr schmerzhafte Geschwulst aus. Fach
14 tägigem Bestände entleerte sich diese ,,in der Nacht“ in die Mund¬
höhle, woran sich unter Nornialwerden der Temperatur die Ilekon-
valeszenz anschloß. In dem Parotissekrete dieser Seite — durch fort¬
gesetzten leichten Druck von außen auf die Drüse konnte ein „Speichel¬
tröpfchen“ ausgepreßt werden — fanden sich virulente Pneumokokken.
Der Speichel der anderen Parotis blieb steril.
Annehmbarer scheint uns in unserem Falle die Erklärung, daß
die Entzündung'serreger auf dem Wege des Blutkreislaufes in die Parotis
gelangten, spricht doch die Art mit der die Komplikation (Schüttel¬
frost, Temperaturerhöhung) sich ankündigte, dafür und noch Ungezwunge¬
ner der Umstand, daß, wie wir wissen, Pneumokokken im Blute solcher
Kranken mehr oder weniger konstant kreisen. Kohn verzeichnet einen
positiven Pneumokokkenbefund mit 28 °/0 in 32 untersuchten Fällen,
Sello mit 25 °/0 in 48 Fällen, Pässler mit 16 °/0 in 44 Fällen, Fr änkel
mit 14°/o in 170 Fällen, Silvestrini und Sertoli mit 94°/0 in 40 Fällen.
Grimm erhielt unter 44 untersuchten Fällen fünf positive Befunde.
Casati und Proöhaska hingegen haben bei Pneumonikern ausnahms¬
los kreisende Pneumokokken im Blute gefunden. Beweiskräftig für
eine hämatogene Infektion erweist sich ein,e von, Test! erwähnte Be¬
obachtung von doppelseitiger Parotitis, die sich im Verlauf einer krup¬
pösen Pneumonie entwickelt hatte und bei welcher er im Eiter, gleich¬
wie im Lungensafte, den Fr änke Ischen Diplokokkus vorfand. Der
nämliche Mikrokokkus ließ sich auch im Eiter einer Pleuritis, sowie
im Eiter multipler Hautabszesse, die sich bei demselben Individuum ent¬
wickelt hatten, nachweisen.
Vergleichen wir die klinischen Einzelheiten unseres Falles mit
denen der übrigen Beobachtungen, so gehört unser Fall jenen seltenerem
Formen an, die bald nach dem Ausbruche der Grundaffektion sich ent¬
wickeln und prognostisch sehr ungünstig sind. „C’est d’ordinaire au
declin de la Pneumonie, alors - que le malade parait gueri que se declare
la parotidite“ (Ga fand). Eine Bevorzugslokalisation der pneumoni¬
schen Ohrspeicheldrüsenaffektion auf die eine oder die andere Seite
wird in der bestehenden Kasuistik nicht angegeben ; der Sitz ist an¬
nähernd gleich oft auf der rechten wie auf der linken Seite ver-
Ueber Parotitis bei Pneumonie.
1289
zeichnet. In sieben Fällen ist von doppelseitiger Parotitis die Hede;
daß es sich dabei nicht um ein zufälliges Auftreten von endemischer
Parotitis handelte, geht aus dem Umstande hervor, daß sie in Eite¬
rung übergingen und im Eiter Fr änkjel’sche Diplokokken sich vor¬
fanden. Nichtsdestoweniger behauptet G r i s olle ,,que la parotidite ä
pneumocoques ne serait jamais double“.
Schwellung, ödem und Temperatur unserer Beobachtung stehen
im Einklang mit den übrigen Fällen; in einem Punkte jedoch scheint
sie zu differieren : sie überging nicht in Eiterung. Doch auch hierin
bleibt es fraglich, ob nicht bei längerem Bestände es dennoch zu einer
solchen gekommen wäre; in der vorhandenen Kasuistik sind Fälle ver¬
merkt, wo die Fluktuation resp. die Eiterung sich erst spät einstellte.
Aber selbst das "Ausbleiben dieser letzteren vermochte kaum an cler
Natur der Ohrspeicheldrüsenentzündung etwas zu modifizieren: es gibt
pneumonische Parotitiden, die nicht in Eiterung übergehen. Hobbs
erwähnt solche nicht abszedierende Ohrspeicheldrüsenentzündungen bei
Pneumonien, die aber nach ihm, nicht auf dem Pneumokokkus, sondern
auf einer Mischinfektion beruhen sollen. Ein Beleg, daß pneumonische
Parotitiden nicht stets in Eiterung übergehen, finden wir in einer
Beobachtung Prior’s. Ziehen wir zu diesen Erwägungen noch in Be¬
tracht, daß Pneumokokkenarthritiden bisweilen seröser Natur sind, so
glauben wir die Annahme auf stellen zu dürfen, daß es eitrige und nicht
eitrige metapneumonische Parotitiden gibt.
Die pathologisch-anatomischen Veränderungen bei der Parotitis
pneumonica, bestehen in V ergrößerung der Drüse ; auf dem Durchschnitt
findet man in der Regel dieselbe völlig durchsetzt von kleineren oder
größeren Eiterherden, das periglanduläre Gewebe fast durchwegs infil¬
triert, gleichfalls mit Abszeßchen versehen. Der Ductus stenonianus ist
von eitrig schleimigen Massen ausgefüllt ; die Lymphdrüsen im Bereiche
des M- isternocleidomastoideus und der Retroaurikulargegend sind ver¬
größert. Der Eiter enthält Pneumokokken ; werden damit Mäuse oder
Meerschweinchen inokuliert, so gehen sie innerhalb zwei bis drei Tagen
zugrunde. — Bezüglich des Zeitpunktes des Auftretens der Parotitis
pneumonica ergibt es sich, daß er weit seltener in die ersten Tage,
als in die Ausheilungsperiode zu fallen pflegt. Die Parotitis, die vor
dem Ausbruche der Lungenentzündung zustande kommt und als pri¬
märe angesehen werden muß, ist sehr selten. Das Lungenleiden scheint
durch das Hinzutreten der Parotitis nicht beeinträchtigt zu werden,
ebensowenig als letztere von der Schwere der Lungenaffektion ab¬
hängig ist.
Die Prognose der Parotitis bei Lungenentzündung ist eine sehr
ernste und gestaltet sich um so übler, je frühzeitiger sie sich zur
Grundkrankheit gesellt (Sol t mann) „On les appelait jadis critiques
— schreibt Duplay — mais critiques dans un mauvars sens, Raus le
sens de facheux au gurre, elfes etaient presque toujours morteiles.“ Die
Komplikation führt entweder durch die lokalen ausgedehnten Er¬
scheinungen oder durch allgemeine Infektion zum Tode (Vital).- Zu
den lokalen Erscheinungen gehören ausgedehnte Eiterungen und In¬
filtrationen, Thrombose der Jugularis interna, retro-phaiyngeale Ab¬
szesse und Blutimgen aus den großen Gefäßen. Mitunter werden auch
Zerstörungen von Nerven (Fazialis) oder Fortpflanzung der Entzün¬
dung* auf die Hirnhäute beobachtet. Zerteilung oder Resorption von
pneumonischen Parotitiden ist bislang nicht verzeichnet worden.
1290
Denis G. Zesas, Ueber Parotitis bei Pneumonie.
Als Eichtschnur der Behandlung' sollte man stets den Dup lay’schen
A phorismus : ,,ne comptez sur la, resolution“ und die Mahnung des
gleichen Chirurgen vor Augen haben : „Epargnezj ä vos malades les
emissions sanguines qui n’auraient d Autres resultats que de diminuer
leur force“.
Es wird leider in dieser Hinsicht heute noch viel gesündigt und
viel Blut zwecklos vergossen! Bei Fällen, die einen gutartigen Ver¬
lauf zeigen und von geringfügigen Lokal- und Allgemeinerscheinungen
begleitet sind, mag das Abwarten auf Fluktuation eine gewisse Be¬
rechtigung haben, da jedoch, wo die Symptome hochgradig, die Schwel¬
lung fast, zusehends größer wird und die hohe Temperatur eine kon¬
stante bleibt, gibt es nur eine rationelle Therapie : Ausgedehnte In¬
zisionen, und darauffolgende antiseptische Tamponade. — „Parotitides
omnes ante maturitatem operiendae.“ — Fleißige Ausspülungen der
Mundhöhle können dieselbe nur günstig unterstützen. Ob die Serum¬
therapie noch ein wichtiges Hilfsinjittel ab gibt, möchten wir dahin¬
gestellt lassen, bei unserem Falle wenigstens haben wir damit nichts,;
ausrichten können.
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Paul Sittler, Therapie der Erkrankungen der Neugeborenen.
1291
Therapie der Erkrankungen der Neugeborenen.
Von Privatdozent Dr. Paul Sittler.
(Schluß.)
Anschließend an diese Traumen des Zentralnervensystems während
der Geburt seien die Geburtslähmungen (Entbindungslähmungen) ge¬
nannt, deren wichtigste, die Lähmung des Plexus brac.hiadis, in
der Mehrzahl der Fälle durch direkten (während der Entbindung aus-
geübten) Druck auf den Nervenplexus auf tritt, ebenso wie die gleich¬
falls sehr häufige (durch den Zangenlöffel gesetzte) Fazialislähmung.
Während diese letztere eine sehr gute Prognose quoad restitutionem ad
integrum gibt, erfordert die Lähmung des Plexus brachialis eine ener¬
gische Therapie, bestehend in Elektrisieren (mittels des galvanischen
und faradischen Stromes — ersterer kann in beiden Stromrichtungein
angewandt werden), Massage, Bewegungstherapie, ohne daß damit eine
sichere Garantie für die völlige Wiederherstellung gegeben zu werden
vermag.
Die übrigen wichtigeren Geburtsverletzungen sind überwiegend
chirurgischer Natur, Frakturen der Extremitätenknochein, der
Klavikula, Ver sdhiebungen und Impressionen (seltener auch
Frakturen) der Schädelknochen. Die Therapie der Frakturen hat
nach den chirurgischen, hier nicht wiederzugebenden Prinzipien zu er¬
folgen. Während die Verschiebungen der Schädelknochen sich post
partum spontan auszugleichen pflegen, ist bei den Impressionen der¬
selben (besonders wenn Hirnreizsymptome bestehen) eine eingreifende
Therapie am Platze. Neben der Vornahme einer Trepanation ist hier
unter anderem auch vorgeschlagen, mittels korkzieherartiger Instrumente
(nach Anbohren des Knochens) die Depression möglichst früh zu be¬
heben, um einer Schädigung der Gehirnsubstanz vorzubeugen. Während
die Prognose dieser Infraktionen und besonders der Frakturen am Schädel
eine nicht sehr günstige ist, ist die der Extremitätenfrakturen im
allgemeinen eine gute, wenn nicht gleichzeitig eine Epiphysenlösung
besteht, im Gefolge derer eine Wachstumshemmung der betroffenen
Extremität auftreten kann.
Die im Verlaufe der Geburt entstehenden Traumen der Weic'h-
teile, Dekubitus infolge Druckes eines Zangenlöffels, Haut-
nekrosen bedingt durch enges Becken u. a. verlangen eine Behandlung
nach den üblichen Grundsätzen der Wundbehandlung. Daß diese Ver¬
letzungen auch dem Eindringen von Bakterien in die Blut- und Lymph-
b ahnen des Neugeborenen Vorschub leisten und so zum Auftreten einer
Sepsis zu führen vermögen, braucht nicht besonders betont zu werden. —
Die beim Neugeborenen infolge der veränderten Leben sber
dingungen in die Erscheinung tretenden Störungen der physio¬
logischen Funktionen sind nur selten so stark ausgeprägt, daß sie
in therapeutischer Beziehung ein direktes ärztliches Eingreifen erfor¬
derten. Die Zirkulationsstörungen post partum verursachen oft
eine mehr oder weniger ausgeprägte Zyanose der Extremitäten, even¬
tuell auch Ödeme, insbesondere der Handteller und des Eußrückens.
Der Tlüekgang dieser Ödeme erfolgt fast stets spontan, er läßt sich
aber durch Einpacken der betroffenen Extremitäten in Watte (Warm¬
haltung) beschleunigen. Vereinzelt sind auch stärker ausgeprägte par¬
tielle oder allgemeine Ödeme ohne organische Ursache (Nephritis, Lues,
Herzfehler), nur. auf einer Störung der Zirkulation beruhend zur Be¬
obachtung gekommen. Hier ist das Einbringen des Neugeborenen in eine
1292
Paul Sittler,
Couveuse oder Wärme wanne, im Notfall Einwickeln des ganzen Körpers
in dicke Watteschichten und Zufuhr von Wärme mittels Wärmflaschen
zu empfehlen. — Ernstere Folgen können auch dann eintreten, wenn
sich diese Zirkulationsstörungen auf einzelne Organe beschrän¬
ken, die infolge hiervon zur Anschwellung kommen. Hier sind be¬
sonders zu nennen die Schwellung der Thymus und der Schild¬
drüse. Die Anschwellung dieser Organe dokumentiert sich im klini¬
schen Bilde dadurch, daß eine Kompression der Trachea und so die
Symptome der Trachealstenose (stridoröse Respiration, besonders im
Inspirium ; in schwereren Fällen auch Erstickungsanfälle) auf treten.
Die Therapie dieser Zustände kann im allgemeinen eine exspektative
sein, da sich diese Veränderungen stets in den ersten Lebens tagen
auch wieder zurückzubilden pflegen. In manchen Fällen gelingt es,
dem Neugeborenen die Respiration dadurch zu erleichtern, daß man
ihn auf die Bauchseite lagert. Hierdurch sinken die vo r der Trachea be¬
findlichen Organe ihrer Schwere nach nach unten, wodurch die Tracheal-
kompression aufgehoben wird. In den schwersten Zuständen von Tra-
chealkompression käme event, auch ein beim Neugeborenen natürlich
prognostisch nicht sehr günstiger operativer Eingriff in Frage (Tracheo¬
tomie, Exstirpation des komprimierenden Organes).
In die gleiche Kategorie mit den genannten Zirkulationsverände¬
rungen zu zählen sind wohl auch die zur sogenannten Schwanger-
schafts- oder besser gesagt genitalen Reaktion (Crises genitales)
des Neugeborenen gehörigen Symptome: Sehleimsekretion, in- man¬
chen Fällen sogar Blutungen aus der Vagina bei Mädchen, Hoden-
und Prost at aansc'hwellung bei Knaben, Schwellung und Milch¬
sekretion der Brüst drüsen bei beiden Geschlechtern. Einer Therapie
bedürfen diese Zustände nicht, nur das letzterwähnte Symptom erfordert
prophylaktisch einige Beachtung ! In die Ausführungsgänge der sezer-
nierenden Brustdrüse vermögen natürlich auch von außen Bakterien ein¬
zudringen, besonders wenn mittels unsauberer Finger unnötigerweise
versucht wird, das Sekret der Brustdrüse durch Ausdrücken zu ent¬
leeren, wie es im Volke! bei der Milchsekretion des Neugeborenen viel¬
fach Sitte ist. Hiermit ist die Möglichkeit der Entstehung von Masti¬
tiden gegeben, die bei Mädchen, deswegen von großer Bedeutung sind,
weil eine eitrige Mastitis hier gleichbedeutend mit einer teilweisen
oder gänzlichen Vernichtung des Brustdrüsengewebes und damit auch
der spätem Funktion der betreffenden Brust ist. Die Therapie der
beginnenden Mastitis, besteht in Applikation von feuchten Umschlägen
(Borwasser, essigsaure Tonerde) und bei Abszedierung in möglichst
frühzeitiger radiärer Inzision unter Schonung der Brustwarze. Die
radikale chirurgische Therapie der abszedierenden Mastitis ist auch
schon aus dem Grunde angezeigt, weil der Eiterherd nicht nur auf dem
Wege der Metastasen (Sepsis), sondern auch per contiguitatem zu Kom¬
plikationen (eitrige Pleuritis u. a.) führen kann. 1
Anschließend an die Behandlung der Zirkulationsstörungen ßci
die Therapie der erworbenen asphy ktisc'hen Zustände (Atelek¬
tase) kurz gestreift. Es ist hier nicht der Ort, auf die kongenitale
Asphyxie, die sieh ja vom therapeutischen Standpunkte teilweise mit
der erworbenen in Parallele setzen läßt, näher einzugehen, da die Be¬
handlung der ersteren noch in den Bereich des Geburtshelfers fällt.
Außer den noch unten zu besprechenden Maßnahmen zur Erhaltung
einer normalen Herztätigkeit und zur Verhütung von Wärmeverlusten,
Therapie der Erkrankungen der Neugeborenen.
1293
kommen bei der erworbenen Asphyxie hauptsächlich physikalische Proze¬
duren zur Anregung1 der Atemtätigkeit in Frage. Einen wirksamen
Reiz auf die Respiration üben warme Bäder (35 — 37° C) mit kühlen
(20 — 25° C) Übergießungen oder Anspritzungen auf Brust und Rücken
aus. Statt dessen kann auch das sogenannte Zwei-Eimer-Bad in An¬
wendung kommen, d. h. abwechselndes Eintauchen des Kindes in je
eine Wanne mit warmem 'Wasser von 37 — 40° C (zu Beginn und zu Ende)
und eine Wanne mit kaltem Wasser von 20° C. Auch die Verab¬
reichung von heißen Senfmehlbädern (1—2 Hände voll Senfmehl —
nötigenfalls in einem wasserdurchlässigen Säckchen enthalten — auf
1 Bad von 38 — 40° C) ist empfehlenswert und dient gleichzeitig als
Herzreizmittel. Außerdem werden Hautreize verschiedener Art und
Herzmassage (rhytmisches Beklopfen der Herzgegend ca, 80— 100 mal
in der Minute) von Nutzen sein. Daneben müssen selbstverständlich
die verschiedenen Methoden der künstlichen Atmung (im Bedarfsfälle)
ebenso Anwendung finden, wie bei der angeborenen Asphyxie. Auch
die Zufuhr von Sauerstoff kommt in Frage. Meist handelt es sich
bei der erworbenen Asphyxie um frühgeborene oder schwächliche Kinder
mit irgendwelchen andern krankhaften Befunden (Sklerem, Sepsis u. a,).
Hier erfordert nach Überwindung der momentanen, durch die Asphyxie
bedingten Gefahr das Grundleiden eine entsprechende Behandlung.
Die Therapie der Frühgeburt verfolgt im allgemeinen die gleichen
Grundsätze wie die Behandlung des Sklerema neonatorum (Ver¬
hinderung einer allzugroßen Wärmeabgabe, Sorge für genügende Nah¬
rungszufuhr und Vermeidung des Auftretens von Atelektasen), so daß
sich eine gesonderte Besprechung derselben erübrigt.
Beim Sklerema neonatorum, (auf die vielleicht problematische
Unterscheidung zwischen Sklerem und Skierödem einzugehen ist hier
nicht der Ort, besonders wo die Therapie der beiden Zustände im
Prinzip dieselbe ist), das stets mit Untertemperatur einherzugehen pflegt,
kommt in allererster Linie die Zufuhr von Wärmei (d. h. die Verringe¬
rung des Wärmeverlustes) in Betracht. Die Ausführung dieser In¬
dikation richtet sich natürlich nach den Begleitumständen : da wo keine
größere oder kleinere Couveuse (Wärmeschrank) zur Verfügung steht,
wird man sich mit dem Einbringen der Kinder in eine Wärmewanne,
eventuell auch nur mit Einwickeln des ganzen Körpers in dicke Watte¬
schichten neben gleichzeitiger Wärmezufuhr durch Wärmflaschen (U-
förmige Wärmeflaschen; mit heißem Wasser gefüllte Mineralwasser¬
krüge usw.) begnügen müssen. Nötigenfalls kann das ganze Zimmer,
in dem sich das Neugeborene befindet, unter erhöhte Temperatur ge¬
setzt werden. Die Maximaltemperatur der Luft, welche man in diesen
Fällen anzuwenden gewohnt ist, pflegt bei größeren Couveusen 28° C
nicht zu übersteigen. Nur muß (eventuell durch Aufstellen von Wasser
in großen offenen Gefäßen oder durch Auf hängen von nassen Tüchern)
dafür gesorgt werden, daß stets ein genügend großer Feuchtigkeits¬
gehalt in dem betreffenden erwärmten Raume vorhanden sei. Die
relative Feuchtigkeit (zur approximativen Messung derselben eignen
sich sehr gut die gebräuchlichen Haarhygrometer) betrage ca. 60 — 80°/0.
In allzu trockener Luft sind nicht nur die Schleimhäute des betreffen¬
den Oouveusen-Kindes leicht Schädigungen ausgesetzt, auch die Wärme¬
abgabe des Neugeborenen ist um so größer, je trockener die umgebenden
Luftschichten sind. Eine momentane Wärmezufuhr ist auch durch
Verabreichung von kurzdauernden heißen Bädern bis zu 40( — 42°) C
1294
W ohlwill,
möglich. Unbedingt nötig bei jeglicher Art der Wärmebehandlung
ist eine regelmäßige Temperaturkontrolle des Neugeborenen durch Anal-
messung. Das Resultat dieser Messungen muß in jedem einzelnen
Dalle für die individuelle Regulierung der Wärmezufuhr bestimmend
sein. — Daneben ist von großer Wichtigkeit die gleichmäßige Sorge
für eine normale Funktion der Atemtätigkeit. Das Auftreten von
asphyktischen Zuständen muß durch öfteres Aufmuntern des debilen
Neugeborenen verhindert werden (mindestens 3 stündlich muß das Kind
zu seinen Mahlzeiten geweckt werden) ; schon bestehende, Atelektasen sind
nach den oben gegebenen Regeln zu behandeln. — Einen Hauptfaktor
in der Therapie des Sklerems (und der Frühgeburt) bedeutet natur¬
gemäß die Möglichkeit, eine genügende Ernährung durchzuführen. Daß
sich hierzu am besten die Mutterbrust eignet, braucht nicht besonders
hervorgehoben zu werden. Wenn es nicht gelingt, das Kind anzu¬
legen, so können abgepumpte (abgedrückte) Mutter- oder Ammenmilch
und nur im Notfälle künstliche Milchmischungen mit der Flasche oder
kaffeelöffelweise verabreicht werden. Daß durch die Zufuhr einer
genügenden Kalorienmenge mittels der Nahrung die Heilung der ge¬
nannten Affektionen nur eine Beschleunigung erfahren kann, liegt auf
der Hand. Es ist aber, (wie schon oben erwähnt), ebenso energisch
davor zu warnen, daß individuell zu große Nahrungsmengen verab¬
reicht werden, besonders zu große Einzelmahlzeiten. Wenn das debile
Neugeborene nach dem Trinken ausschüttet (speit), so i§t bei der
mangelhaften Reflextätigkeit stets die Gefahr eines V er Schluckens sehr
groß und hier genügen schon minimale in die tieferen Bronchien
gelangende Nahrungsmengen, um einen beginnenden bronchopneumo-
n löschen Prozeß hervorzurufen und den Patienten dem sicheren Tode
auszusetzen. Bei bestehendem Unvermögen zu schlucken sind Sonden¬
fütterung oder Nährklysmen (abgepumpte Frauenmilch, Kuhmilch¬
mischungen oder Traubenzuckerlösungen) am Platze. — Außer den ge¬
nannten Maßnahmen sind beim Sklerem (besonders wenn stärkere Wasser¬
verluste durch den Darm vorangegangen sind), Infusionen oder Bleibe¬
klistiere von höher temperierter (da. 40° C) physiologischer Kochsalz¬
lösung empföhlen worden. — Oft kann durch Massage ein günstiger
Einfluß auf das Sklerem ausgeübt werden. — Bei der meist bestehenden
Herzschwäche ist die Zufuhr von Exzitantien, (Kampheröl, 1/4 — 1/2
Spritze ; Moschustinktur, 2 — 4 Teilstriche ; Coffein, natr.-saiicyl. 0,02),
am besten subkutan, picht zu umgehen. Auch die Darreichung von
heißem (42°) Kaffee als Analeptikum hat Empfehlung gefunden.
Es 'ist unzweifelhaft, daß gerade bei den obengenannten, nicht auf
infektiöser Basis beruhenden Krankheitszuständen des Neugeborenen
eine systematische, zielbewußte Therapie sehr oft lohnende Erfolge
zeitigt, und das soll für uns ein Ansporn sein, die einmal begonnene
Behandlung nicht zu früh als nutzlos aufzugeben.
Hamburger Brief.
Von Dr. Wohl will, Hamburg.
- (Schluß.)
In der dem Reichstag vorliegenden neuen Strafgesetznovelle
ist wichtig, daß der wissenschaftliche Tierversuch ausdrücklich von
der sonst eingeführten höheren Strafe für Tierquälerei ausgeschlossen
ist. Bei dem Paragraphen, welcher die grausame Behandlung schwacher
Hamburger Brief.
1295
und wehrloser Personen durch deren Pfleger usw. unter erhöhte Strafe
stellt, wünscht Wey g and t, daß auch die Berauschung von Kindern
unter diese Delikte aufgenommen wird.
Für die vielleicht noch in weiter Zukunft liegende, aber mit
Sicherheit zu erwartende Reform des ganzen Strafgesetzbuchs, stellt
W • vom ärztlichen Standpunkt aus folgende Forderungen auf. In § 51,
der die Zurechnungsfähigkeit behandelt, sollte der Begriff, „freie
Willensbestimmung“, der zu vielfachen Kontroversen Anlaß gibt, lieber
ganz weglallen. Zu der viel erörterten Frage, ob man den Begriff
einer verminderten Zurechnungsfähigkeit einführen soll, spricht W.
sich dahin aus, daß in solchen Fällen entweder eine mildere Strafe
oder bedingte Verurteilung oder an Stelle der Strafe „anderweitige
Unterbringung“ eintreten soll. Auf letztere legt W. besonderen Wert
und verlangt sie auch für die nach § 51 gänzlich Freigesprochenen.
Überhaupt muß durch Unterbringung von gemeingefährlichen Ver¬
brechern, seien sie nun geistesgesund oder -krank, in geeignete An¬
stalten die menschliche Gesellschaft geschützt werden. Bei dem Kapitel
Sexualvergehen spricht W. sich für eine Heraufsetzung der Schutz¬
grenze vom 14. auf das 16. Lebensjahr aus. Dagegen sollten Greise
über 60 Jahre, die sich sexuell vergehen, durchgehends psychiatrisch
untiersucht werden, da es sich hier meist um Psychosen handelt. Zu
§ 175 meint W., daß man vom medizinischen Standpunkt aus keinen
Anlaß habe, so dringend auf seine Beseitigung hinzuwirken. Über
eine Reihe anderer Vorschläge des Vortragenden kann hier in der
Kürze nicht berichtet werden.
Jaffe sprach in der Diskussion über einige Punkte, die der
Vortragende, der vorwiegend psychiatrische Gesichtspunkte in den
Vordergrund gestellt hatte, außer Betracht gelassen hatte. Er wies
besonders darauf hin, daß die ganzen Fragen der Operationen (z. B.
2. Operation, die sich bei der ersten erst als notwendig herausstellt usw.),
sodann der Perforation des lebenden Kindes und der Einleitung des
künstlichen Aborts bisher nur unter ganz allgemein gehaltene, für
diese Verhältnisse wenig zutreffende Paragraphen subsumiert werden
können, und bisher nach einem allmählich eingebürgerten Gewohnheits¬
recht beurteilt werden. Er schlug vor, statt aller einzelner Verbesse¬
rungsvorschläge die Formulierung von v. Calker- Straßburg zu akzep¬
tieren, welche lautet: „Nicht strafbar ist die zu ärztlichen Zwecken
erfolgende Handlung, vorausgesetzt, daß. sie mit Einwilligung des
Patienten oder seines gesetzlichen Vertreters geschehen ist oder daß
sie zur Rettung aus einer unmittelbaren Lebensgefahr erforderlich
war“. Nicht einverstanden ist J. allerdings damit, daß nach v. Calker
diese Straflosigkeit auch Nicht-Ärzten zuteil werden soll.
Im übrigen brachte die Diskussion, die äußerst rege war, weit¬
gehende Übereinstimmung der Redner mit den Vorschlägen des Vor¬
tragenden. E mb den wünschte strenge Beschränkung auf das rein
medizinische Gebiet. Tr ö inner sprach sich doch für Aufhebung des
§175 aus, fand damit aber wenig Zustimmung. Ziemlich allgemeiner
Skepsis begegnete der Vorschlag W.’s, der die Beobachtungszeit für
Angeschuldigte in Anstalten heraufsetzen und auch für Zeugen eventl.
Anstaltsbeobachtung erreichen wollte. Buchholz wies darauf hin,
daß die Schwierigkeit darin liege, daß die Richter oft gar nicht
auf den Verdacht einer Geistesstörung bei einem Zeugen kommen. Es
sei daher die Verbreitung psychiatrischer Kenntnisse unter den Rieh-
1296 Wohl will,
tern sehr wünschenswert. Er machte ferner darauf aufmerksam, daß
es seinerzeit gerade die medizinischen Sachverständigen gewesen sind,
welche den Begriff der verminderten Zurechnungsfähigkeit ablehnten.
In der biologischen Sektion vom 23. Juni rief die Demonstration
eines Falles von Gasphlegmone, bedingt durch den Bac. phlegmon.
emphysemat. (E. Eraenkel), eine lebhafte Diskussion über anaerobe
Bakterien hervor. Simmondls hat- dies Jahr systematisch das Leichen¬
blut auch zu anaeroben Kulturen verwandt; er fand eine Leihe —
meist nicht näher zu klassifizierender — Keime, und zwar 1. in Fällen
mit ausgedehnter Zerstörung der Darmsohleimhaut, 2. bei schweren
ulzerösen Tuberkulosen, 3. nach Verletzungen, Operationen, Geburten,
4. bei schwerer Zystitis infolge Blasenlähmung. S. glaubt, daß die
Keime in der Kegel noch intra vitam, wlenn auch agonal, eindringen.
Nur in einem Fall — Alkoholiker mit Pneumonie, dessen Leiche sehr
lange gelegen hatte — konnte eine Eingangspforte nicht nachgewiesen
werden. Die postmortale Vermehrung ist rapide.
Eraenkel erinnert daran, daß es auch intra vitam schon ge¬
lungen ist (in Fällen von Puerperalfieber) seinen Bazillus aus dem
Blut zu züchten. Nur der eigentliche Bac. phlegmon. emphysematos,
ist tierpathogen, nur er vermag Gasphlegmone hervorzurufen. Die
Anaerobier, die man in Schaumorganen und sonst nicht selten im
Leichenblut findet, sind «sämtlich nicht tierpathogen: Übrigens lassen
sich die Kolonien der Anaerobier am Boden der Platten auch auf¬
finden, ohne daß anaerob gezüchtet wird.
Judo bst hal erwähnte einen Fall, in dem bei Magenkarzinom
Gasblasen in der Darmschleimhaut auftraten : es fand sich nur ein
Bakterium der Koligruppe. Er sprach sich für die Kultivierung in
hohen Bouillonröhrchen aus, in welchen die Anaerobier in Symbiose
mit aeroben Keimen besonders gut wachsen.
Fraenkel erwiderte hierauf, daß die Gasbazillen in der Mehr¬
zahl der Fälle in Reinkultur — nicht mit Aerobiern vermengt — -
auf gehen.
Panischen sprach über ätiologische und histologische Unter¬
suchungen bei Scharlach. Die Engländer leugnen im allgemeinen, daß
die Haut bei Scharlachkranken in irgend einem Stadium infektiös sei.
Man konnte dagegen mit dem Raohenschleim von Scharlachkranken
schwere Infektionen hervorrufen. P. selbst hat bei Kaninchen durch
Übertragung von Rachenschleim Scharlachkranker ein scharlachähn¬
liches Exanthem erzeugen können ; die Tiere gingen unter Intoxikations-
erscheinungen und heftigen Durchfällen zugrunde. Die Experimente
sind dadurch erschwert, daß im Rachenschleim sich eine große Bakterien¬
flora findet, während man z. B. in den Pockenpusteln eine Reinkultur
des Erregers hat. Daß doch auch die Haut Trägerin der Infektion
ist, beweist der Wundscharlach und der puerperale Scharlach. Nach
Besprechung der Befunde anderer Autoren, teilte P. als Ergebnis seiner
histologischen Untersuchungen, die er an 15 Fällen ausführen konnte,
folgendes mit : Neben starker Kapillarhyperämie im Korium fand er
an der Basis des Epithels Ödem, die Stachelschicht erweitert, Kanäle
zwischen den Zellgruppen: darin Granula, die sich nach Unna-Pappen-
heim rot färben, während Kerne und deren Abkömmlinge grün werden.
In drei Fällen fand P. zirkumskripte Partien, wo die Zeichnung ganz
verwaschen, Kern und Protoplasma nicht erkennbar waren ; statt dessen
fanden sich Fragmente in Gestalt von kugelartigen Gebilden, wie
Hamburger Brief.
1297
man (sie manchmal auch bei Pocken sieht. Diese kleinsten Partikelchen
werden — wohl durch den Lymphstrom — bis in die tiefsten Schichten
des Koriums geschleppt, sind hier viel kleiner und besonders regel¬
mäßig angeordnet. P. glaubt nicht, daß es sich um etwas Körper¬
fremdes handelt. (Reaktionsprodukte auf die Toxine?)
In der Diskussion erklärte Unna es für zweifellos, daß es sich
hier um Zerfallsprodukte handelt. Die Bilder erinnern an diejenigen,
welche man erhält, wenn man derartiges Gewebe in NaCl-Lösung im
Brutofen stehen läßt. Er wirft die Präge auf, ob nicht außer dem
Scharlach vielleicht noch äußere Einwirkungen ßtattgefunden hätten.
Außerdem zeigte Paaschen sehr schöne Bilder von Klatschpräpa¬
raten (nach Ewing) zur Darstellung der Vakzinekörperchen, an deren
Hand er nachwies, daß diese Gebilde als Reaktionsprodukte aus dem
Kern entstehen. Es fehlt übrigens in diesen Präparaten der Hof, der
sonst für die Vakzinekörperchen als charakteristisch gilt.
Preiser hielt einen Vortrag über eine typische periostale Kallus¬
bildung am Condylus internus femoris nach Kniedistorsionen.
Stieda beschrieb 1907 unter dem Titel „eine typische Eraktur
am unteren Femurende1' einen nach Knieverletzungen im Röntgenbilde
nachweisbaren Knochenschatten auf Grund von sechs Fällen; Vogel
deutete diesen Schatten 1908 auf Grund von vier Fällen als eine infolge
eines das KJnte von innen unten treffenden Traumas erfolgte Ab¬
sprengung. Preiser zieht nun auf Grund von elf eigenen Beobach¬
tungen und zwei weiteren von Ottendorff und Ewald überlassenen
'Fällen unter Demonstration von 16 Diapositiven von zehn Fällen den
Schluß, daß es sich um keine Eraktur handeln könne, sondern um
einen Periostabriß njit nachträglich eintretender Ossifikation, da der
Schatten sich erst etwa von der dritten Woche ab nachweisen läßt.
Ferner geht aus der Anamnese der Fälle hervor, daß es sich meist
um ein indirektes Trauma handelt, und zwar um ein Durchbiegen
des Knies im Sinne eines Genu valgum. Preiser hat auch beobachtet,
daß der Schatten später wieder verschwindet, wie jeder nicht be¬
lastete Kallus.
Der Abriß des Periostes könnte dabei verursacht sein entweder
durch das Abreißen des Ligament, collaterale tibiale oder durch den
Abriß des distalsten Teils der Sehne des M. adductor magnus. Auf
Grund der Röntgenbilder scheint meist die letzte Entstehungsmöglich¬
keit vorzuliegen; die erstere kommt aber wahrscheinlich ebenfalls vor.
Plate besprach an der Hand eines vorgestellten Falles die ver¬
schiedenen Formen der Wirbelsäulenversteifung (ankylosierende Ar¬
thritis und Spondylitis deformans). Die Diagnose ist in den Anfangs¬
stadien nur durch das Röntgenbild zu stellen. Therapeutisch ver¬
wendet P. jetzt in solchen Fällen den von ihm angegebenen „Grandi-
nator“, einen Apparat, durch den kleine Samenkörner in feinem Strahl
gegen die Haut geschleudert werden, wodurch eine ungewöhnlich starke
Hyperämiewirkung erzielt wird.
Embden demonstrierte ein Kind, das als völliger Idiot zu ihm
kam. Das Kind zeigte andauernd Temperaturen unter 36°, war schwer
dement. Die Thyreoidea fehlte, die Knochenkernbildung in der Ober¬
schenkelepiphyse war ausgeblieben. (Aber kein Myxödem!) Nach Ver¬
abreichung von Thyreoidintabletten trat rapide Besserung ein. Die
Knoehenkerne waren allerdings nach drei Monaten noch nicht vorhanden.
Es handelt sich um toxische Einwirkungen auf den neuromuskulären
82
1298
Referate und Besprechungen.
Apparat ; derartige toxische Störungen sind — ähnlich wie in den
Beriberiversuchen an Tauben von Giemsa (cf. den vorigen Hamburger
Brief) — rascher Reparation zugänglich. Embden rät, in derartigen
Fällen, auch wenn kein sicherer Anhalt für eine Athyreoidosis vor¬
liegt, einen Versuch mit Thyreoidintabletten zu machen.
Referate und Besprechungen.
Allgemeines.
Knabe oder Mädchen?
(L. Billon. Marseille med., 1. April 1909. — Tribüne med., Nr. 29, S. 449 — 461, 1909.)
Das praktische Ergebnis der Studie lautet: Derjenige Erzeuger, welcher
im Moment der Konzeption der stärkere ist, gibt dem Zeugungsprodukt den
Geschlechtscharakter, und zwar jeweils den entgegengesetzten, so daß ein
starker Mann Mädchen, eine starke Frau Knaben zur Folge haben müßte.
Die Idee ist nicht ganz neu; allein bei näherer Betrachtung ergibt
sich doch, daß sie auf tönernen Füßen steht. Wonach bemißt sich z. B. die
Stärke eines zeugenden Mannes oder einer zeugenden Frau ? Soll man die
Muskelkraft, die Leistungsfähigkeit der nervösen Apparate oder was sonst
als „Dynamometer“ nehmen ? Dann ist Kopulation und Konzeption nicht
synchron usw. usw. Wir werden also erkennen müssen, daß innerhalb des
derzeitigen Rahmens unseres Horizontes diese Frage nicht zu lösen ist, sondern
daß da Faktoren mitspielen, die jenseits des Objektträgers und des, Reagenz¬
glases liegen. Buttersack (Berlin).
Bekämpfung des Bevölkerungsrückgangs.
(Ch. Eichet. Progres med., Nr. 27, 3. Juli 1909.)
Der Rückgang ihrer Bevölkerungsziffer macht unseren westlichen Nach¬
barn viel Sorge; und mit Recht. Unter den Abhilfmitteln verdient der
Vorschlag von Professor Charles Rieh et ob seiner finanzpolitischen Kühn¬
heit besondere Beachtung. Er will die Abneigung der Eltern gegen Kindersegen
mit Geld bekämpfen, und zwar mit steigenden Prämien : für das zweite
Kind 500 fr., für das dritte, vierte usw. je 1000 fr. Dermalen sind unter d|en
700000 Geborenen 300000 (prämienfreie) Erstgeborene, die übrigen 400000
würden nach Richet’s Berechnung ca,. 300 Millionen Francs Prämien kosten;
Für eine Milliarde Francs könnte man demnach eine Million Geburten kaufen.
(Nach meiner Berechnung würde dieser Geldbetrag zunächst nur für die
bereits vorhandene Geburtenanzahl ausreichen; eine Natalitätssteigerung müßte
eine noch größere Belastung des Budgets bedingen.)
Wegen der Beschaffung dieser enormen Geldsummen macht sich Eichet
keine großen Sorgen : entweder man nehme eine Anleihe auf oder ziehe die
Erbschaftssteuerschraube noch ein bischen fester an : Seitenverwandte sollen
50% und die einzigen Kinder 25% an den Staat abführen. Frankreich würde
dabei nicht verarmen, sondern nur gewinnen ; denn Wohlstand und Macht
des Landes würden sich mit der zunehmenden Bevölkerung heben.
Das ist alles gewiß sehr schön ; ich fürchte nur, der Plan ist ohne die
modernen Französinnen gemacht. Buttersack (Berlin).
lieber die Entstellungsursachen und Verhütung der Minderbegabung im
schulpflichtigen Alter.
(Dr. Bayerthal, Worms. Der Kinderarzt, Nr. 6, 1909.)
Für die Entstehung des angeborenen Schwachsinns ist zwar die erbliche
Veranlagung von größter Wichtigkeit, sie allein genügt aber, ähnlich wie
bei der Tuberkulose, nicht füiri 'die Entstehung der Krankheit, vielmehr
Referate und Besprechungen.
1299
müssen zur Anlage noch gewisse auslösende Momente hinzukommen. Die
Richtigkeit dieser Annahme geht aus der Tatsache hervor, daß trotz' der
ungeheuren Verbreitung erblicher Unvollkommenheiten, wie sie in mehr
oder weniger starkem Grade kaum in einer Familie fehlen und selbst bei
schwerer, gehäufter Belastung doch nicht lauter minderwertige Kinder geboren
werden. Unter den auslösenden Schädlichkeiten ist eine der bedeutendsten
der Alkohol. Verf. konnte unter 37 Kindern einer Hilfsschule 21 mal Keim¬
vergiftung durch den Alkoholismus des Vaters nachw eisen, so zwar, daß
zur Zeit der Empfängnis der Vater als Gewohnheitstrinker anzusehen war
und die Mutter die Möglichkeit der Zeugung im Rausch zugab ; der alko¬
holisierte Zustand der Mutter kam nur bei unehelichen Kindern manch¬
mal in Betracht. Zur Erklärung nimmt Verfasser an, daß bei Bestehen
einer Krankheitsanlage der Eltern die Widerstandsfähigkeit der Keim¬
zellen gegen Krankheit auslösende Schädlichkeiten, gegen eindringende Gifte
vermindert ist, und daß der im Blute kreisende Alkohol die Keimzellen
direkt angreift und schädigt; für gewöhnlich verhüten gewisse Schutzvor¬
richtungen der Keimzellen, daß nicht bei jedem Rausch Alkohol in den
Samen gelangt. Außer dem Alkohol während der Zeugung kommen für
die Entstehung des Schwachsinns noch andere Einflüsse in Betracht: nach1
der Befruchtung, d. i. während der Schwangerschaft Alkohol, Krankheiten
ünd Unfälle, Not, Gemütsbewegungen der Mutter, während der Geburt
Traumen auf Schädel und Gehirn des Kindes, nach der Geburt Alkoholismus
und Gemütsbewegungen der stillenden Mütter und beim Kind ungünstige
hygienische und Ernährungsverhältnisse, Verabreichung von Alkohol und
narkotischen Mitteln (Mohntee) usw. Zur Verhütung der Minderbegabung
kann man außer durch Besserung der allgemeinen Lebensverhältnisse nur
durch die ,, Hygiene des Alkohols“ etwas beitragen, weniger durch Bekämpfung
des Alkoholismus in Wort und Schrift, als vielmehr durch Vorbild und
Beispiel, und auf Grund eigener Erfahrung verspricht sich Verf. eine be¬
sonders segensreiche Wirkung von Aufklärungen an Frauen und Mädchen
über die schweren Folgen, die sich aus gewohnheitsmäßigem Alkoholgenuß
und Rauschzuständen bei der Zeugung für die Nachkommenschaft ergeben,
e Steinhardt (Nürnberg).
Innere Medizin.
Ueber die mechanischen Probleme der Zirkulation und ihre Lösung.
(J. Eichberg, Cincinnati. Deutsche Ärztezeitung, Nr. 12, 1909, nach Interstate
Med., 7. März 1908.)
Wenn man das praktische Studium der Blutzirkulation auf eine präzise
Basis stellen will, so hat man die drei Faktoren zu berücksichtigen, die
jede Energieentfaltung leiten, nämlich Kraft, Gewicht und Widerstand.
„Hinsichtlich der Kraft haben wir nur eine Größe zu würdigen: die
Muskelkraft der Herzkontraktion“ (S. 266). — „Jede Arterie ist ein kon¬
traktiles JJerz en miniature, eine Hilfskraft für den Kreislauf“ (S. 267).
„Die Zirkulation stellt die Bewegung einer bestimmten Flüssigkeits¬
menge in einer Reihe geschlossener Kanäle dar, und da nirgend ein xUbgang
erfolgt, muß die Flüssigkeitsmenge ungefähr gleich bleiben“ — „Jede Nah¬
rungsaufnahme indes vermehrt durch Absorption die Blutmenge Und die
Sekretionsvorgänge verringern unablässig das Volumen4 . —
Es gab so viele Fehlerquellen in den gewöhnlichen Sphygmogrammen
nach Marey, daß selbst der Erfahrenste aus der bloßen Betrachtung der
Kurve nicht sagen konnte, welche Abweichung von der Norm gerade vorlag.
Auch Riva-Rocei konnte nicht sämtliche Unvollkommenheiten beseitigen,
besser begegnet das Instrument v. Recklinghausens den verschiedenen Ein¬
wänden.
Der von Nikolai und Kraus verbesserte Ein thoven’sche Elektro-
kardiagraph kann wegen seiner Kostspieligkeit und komplizierten Technik
niemals ausgedehnte Verwendung finden.
28*
1300
Referate und Besprechungen.
Bei seinen weiteren Ausführungen, die sich zu einem kurzen Referat
nicht eignen und deshalb eventuell im Original nachgelesen werden müssen,
betont Verf., daß wir beim Studium den arteriellen Spannung in der Deutuüg
der Resultate vorsichtig sein und die individuelle Schwankung besonders
berücksichtigen müssen. Esch.
Primäre Neubildungen des Herzens.
(R. Link. Zeitschr. für klin. Med., Bd. 67, S. 272, 1909.)
Der von Link mitgeteilte neue Fall betrifft einen sehr großen, wahr¬
scheinlich von der Vorhofsscheidewand ausgehenden Tumor, Spindelzellen¬
sarkom, beider Vorhöfe bei einem 23 jährigen Waldarbeiter. Erste Zeichen
der Erkrankung 1% Jahre vor dem Tode. Gegen Ende des Lebens Ödem,
Zyanose, linksseitiges Pleuraexsudat; im Blut 15% Hämoglobin. Man dachte
hauptsächlich an Mediastinaltumor.
Außer 23, mehr oder weniger sorgfältig klinisch beobachteten Fällen
stellt L. noch weitere 68 von „nur pathologisch-anatomischem Interesse“ zu¬
sammen, unter Ausschluß von Gummata und Zystizerken. Von den 91
primären Tumoren betreffen 10 den rechten, 24 den linken Vorhof, 14 den
rechten, 8 den linken Ventrikel (immer Septum hinzugerechnet), 3 beide Vor¬
höf e, 2 beide Ventrikel, je 2 rechten Vorhof mit rechtem Ventrikel, linken
Vorhof mit linkem Ventrikel, Septum atriorum, Septum ve'ntriculorum ; 16
sind Klappentumoren. Sarkome, Myxome, Myxosarkome, Myome, Fibrome,
Lipome sind hauptsächlich vertreten. H. Vierordt (Tübingen).
Fehldiagnose der Verengerung des linken venösen Ostiums.
(J. Pawinski. Zeitschr. für klin. Med., Bd. 68, S. 75, 1909.)
Ohne gerade viel Neues bringen zu können, stellt P. die Ursachen
solcher Fehldiagnosen zusammen, wobei in Betracht kommen fehlerhafte Art
der Auskultation — man soll auch mehr nach außen von der Papillarlinie
das Hörrohr aufsetzen, um das charakteristische (präsystolische) Geräusch
sicher zu vernehmen — , ferner Verschwinden früher vorhandener $nd voll¬
ständiges Fehlen von Geräuschen. Ersteres ist bekannt und wird auch
von P. aus schwächer werdender Vorhofskontraktion erklärt, letzteres Moment,
das gänzliche Fehlen, hat namentlich auch Huchard betont und sich um
die Diagnose des „retrecissement aphone“ bemüht. Solche alte, intra vitam
keine besonderen auskultatorischen Symptome machenden Stenosen, zumal
bei älteren weiblichen Individuen, hat wohl jeder schon zu beobachten Ge¬
legenheit gehabt. Das Vorhandensein von Blutgerinnseln, Geschwulstparti¬
keln, Herzparasiten kann ich nicht zu den eigentlichen Fehldiagnosen rech¬
nen, da wenigstens Stenose-Erscheinungen, zuweilen in recht ausgesprochener
Weise, vorliegen. PI. Vierordt (Tübingen).
Ist die von Max Herz beschriebene „Phrenokardie“ eine scharf
abzugbenzende Form der Herzneurosen.
(W. Erb, Heidelberg. Münch, med. Wochenschr., Nr. 22, 1909.)
Die Herz’sche Phrenokardie oder spezieller sexuelle psychogene Herz¬
neurose hat zunächst drei Kardinalsymptome, den Herzsehmerz, die Atem¬
störung, die in der Hauptsache in einer Behinderung der Atmung durch Hem¬
mung der Tätigkeit des Zwerchfells besteht. Es finden seichte Atembewe¬
gungen bei tiefer Inspirationsstellung statt. Das dritte Symptom ist starkes
Herzklopfen mit gesteigerter Frequenz, labiler Herzaktion und häufigen Extra¬
systolen. Der physikalische Herzbefund ist völlig normal, im Röntgen¬
bilde zeigt sich zuweilen das Tropfenherz und Tiefstand des Diaphragma,
manchmal auch abnorme Beweglichkeit des Herzens. Blutdruck ist nicht
verändert. Als Nebensymptome treten neurasthenische Beschwerden, Schmerzen
in den Extremitäten, unruhiger Schlaf auf. Hierzu kommt in größeren oder
Referate und Besprechungen.
1301
kleineren Abständen der phrenokarditische - Anfall : größte Erregung und
heftiges seelisches Leiden, starke Herzstiche, schmerzhafte Inspiration und
Atembeschwerden, zuweilen kommt es zu Atemstillsitänden bis zu 30 Sekunden,
wozu sich Tachykardie, nervöse Schüttelfröste, gesteigerter Bewegungsdrang,
Entleerung eines reichlichen blassen Urins gesellen. Herz glaubt in ge¬
steigerter oder abnormer Erotik die Ursache des Leidens suchen zu müssen.
Erb hat nun seine Krankengeschichten durchgesehen, die allerdings, wie er
selbst sagt, zu einer richtigen Beurteilung der Frage völlig ungenügend sind.
\ on den ihm zur Verfügung stehenden 25 Fällen gibt er mehrere Kranken¬
geschichten wieder. Sie zeigen im ganzen und großen ziemlich dieselben Er¬
scheinungen, wie sie H,erz schildert, auch die sexuellen Momente in der
Ätiologie finden sich größtenteils wieder. Erb kommt daher zu dem Schluß,
daß er trotz einiger Skepsis die Existenzberechtigung der Herz’schen Phreno¬
kardie anerkennt. Es erscheint ihm auffallend, daß bei der großen Häufig¬
keit sexueller Schädigungen das Krankheitsbild ziemlich selten beobachtet
wird. Eine genauere Nachforschung erscheint ihm daher sehr am Platze.
F. Walther.
Ueber den Gehalt des Blutes an Adrenalin bei chronischer Nephritis
und Morbus Basedowii.
(A. Fraenkel, Badenweiler. Archiv für exp. Pgth. u. Pharmakol., Bd. 60, S. 395, 1909.)
Das Vorhandensein von Adrenalin, dem wirksamen, vermutlich be¬
ständig im Blut kreisenden Bestandteil der Nebennieren, in einer Flüssig¬
keit nachzuweisen, gelingt leicht und mit einem außerordentlichen Grad
von Feinheit mittels physiologischer (biologischer) Methoden (Blutdruck¬
steigerung am lebenden Tier, Batelli; Mydriasis des enukleierten Frosch¬
auges, Meitzer, Ehrmann [1906, S. 618]; Kontraktion eines Blutgefä߬
streifens [Subclavia], O. B. Meyer [1906, S. 933]; Bewegungen des Kaninchen¬
uterus, Kurdinowsky, Kehrer).
Nach der 1909, S. 37, beschriebenen graphischen Methode hat Fraenkel
im Heidelberger pharmakolog. Institut den Gehalt an Adrenalin an 50' Kanin-
chenuteri geprüft, indem jedesmal 4—8 Streifen untersucht wurden.
Adrenalin bewirkt in der Konzentration 1 : 20 Millionen (in 15 ccm' Flüssig¬
keit, Ringerlösung) noch eine Zunahme der Kontraktion (Tonussteigerung).
Ebenso wie eine Adrenalinlösung wirkte menschliches Blutserum (10
Geisteskranke ohne somatische Erscheinungen), das auch auf den Blutdruck,
schwach auf den Froschbulbus und auf Gefäßstreifen wie Adrenalin wirkt.
Also darf angenommen werden, daß im Blut Adrenalin kreist. Es wirkt
noch Blut in der Verdünnung 1:50, was einer Adrenalin-Konzentration von
1:20 Millionen entsprechen würde. Der Mensch würde hiernach in seinem
Blut (5 kg) die große Menge von 12,5 mg Adrenalin enthalten ; diese würde
ausreichen, den normalen Gefäßtonus aufrecht zu erhalten. Bei chron.
interstit. Nephritis mit Hypertonie (7 Fälle) blieb der Adrenalingehalt
in den normalen Grenzen. Die pathologische Blutdrucksteigerung bei solchen
Kranken und im urämischen Anfall kann hiernach nicht auf eine Hyper¬
funktion der Nebenniere bezogen werden. Die Unabhängigkeit des Gefä߬
tonus von dem Adrenalingehalt des Blutes wird aber noch evidenter durch
den starken Adrenalingehalt bei Basedow-Kranken (3 Fälle). Er war um
das vier- bis achtfache erhöht (berechnete Gesamtmenge Adrenalin im Blut:
50 — 100 mg), dabei fehlte jede Andeutung einer erhöhten Gefäßspannung.
Gibt es auch Hypertonien, bei denen der Adrenalingehalt des Blutes
nicht gesteigert ist (chron. interstit. Nephritis) und kann die Gefäßspannung
normal sein bei stark erhöhtem Adrenalingehalt, so darf deswegen nicht dem
Adrenalin jeder Einfluß auf den normalen Gefäßtonus abgesprochen werden.
Würden z. B. beim Morbus Basedowii „thyreogene, den Blutdruck herab¬
setzende Einflüsse“ bestehen, so könnte „die vermehrte Adrenalinsekretion
als ein kompensatorischer Vorgang aufgefaßt werden. E. Rost (Berlin).
1302
Referate und Besprechungen.
Aus der inneren Abteilung des Krankenhauses Kindlein Jesu in Warschau.
(Vorstand: Priv.-Doz. Dr. W. Janowski.)
Ueber gewisse Perkussionssymptome bei Pleuraergüssen.
(Dr. Mieczvslaw. Deutsche med. Wochenschr., Nr. 25, 1909.)
Die Unvollkommenheit der Auskultations- und Perkussionsmethode zeigt
sich recht deutlich an den mannigfaltigen Auffassungen der Ergüsse in die
Pleurahöhle. Verf. ist nun in 30 E allen von Pleuraerguß zu folgendem
Resultat gelangt: Der höchste Punkt der oberen Dämpfungslinie bei Exsudaten
liegt nicht an der Wirbelsäule, sondern ziemlich weit davon nach außen und
entspricht etwa dem Schulterblattwinkel. Von da fällt die obere Dämpfungs¬
linie mehr oder weniger steil zur Wirbelsäule ab und bildet mit dieser ein
Dreieck, dessen Basis nach oben gerichtet ist. Der Perkussionsschall ist
in diesem Dreieck heller wie in der Gegend der Dämpfung, er kann sogair
bisweilen leicht tympanitisch sein. Der Erguß nimmt die Form einer ab¬
gestumpften Pyramide an, weil die obere Flüssigkeitsgrenze in der Richtung
nach vorn und unten fällt. Die gleichen Resultate erzielte er bei den Trans¬
sudaten. E. Walther.
Chirurgie.
Demonstration schwierig zur Heilung gebrachter Fälle von angeborener
Hüftverrenkung.
(Dr. Bade/ Hannover. Münch, med. Wochenschr., Nr. 7, 1909.)
Bade zeigt an einer Reihe von Röntgenbildern und unter Vorstellen
einer Anzahl von Kindern, an denen zumeist schon anderweitig Repositions¬
versuche gemacht worden waren, daß durch die unblutige Einrenkung der
angeborenen Hüftgelenksverrenkung sehr oft oder zumeist noch gute funk¬
tionelle Resultate zu erreichen sind durch eine streng individualisierte Be¬
handlung. Man muß nach der exakten Reposition verstehen, den Schenkel¬
kopf genügend lange in der richtigen Stellung zu erhalten, bis sich die
Pfanne entsprechend den neuen statischen Verhältnissen umgebildet hat. Dazu
hat man meist ein längeres Liegenlassen des Gipsverbandes nötig, oft auch
einen besonderen Zug des Femurkopfes gegen die Pfanne. Die Anteversion
des Eemurhalses, die man bei kongenitalen Hüftluxationen ziemlich oft be¬
obachtet, ist praktisch von relativ geringer Bedeutung, sie verschwindet
mit der Zeit von selbst, wenn man es nur fertig bringt, im Hüftgelenk eine
genügende Festigkeit zu erzielen. Und das erreicht man nach exakter Re¬
position durch langes Liegenlassen der Verbände (ca. neun Monate), durch
exaktes Anlegen der Verbände und dadurch, daß man darauf achtet, daß
im letzten Verbände genügend die Einwärtsrotation gewahrt wird. Wenn
also manche Orthopäden oder Chirurgen nach wiederholten Mißerfolgen mit
der unblutigen Reposition wieder auf die blutige Reposition zurückgreifen
wollen, so dürfte sehr oft ihre Technik der unblutigen Einrenkung und Nach¬
behandlung noch verbesserungsfähig sein. — Härting (Leipzig).
Ein Fall von Gangrän des Beins nach Unterbindung der Art. fern, unter
Momburg’scher Blutleere.
(Fr. Kempf, Braunschweig. Deutsche Zeitsehr. für Chir., Bd. 99, H. 1 u. 2.)
Ein 20jähr. Patient hatte sich durch Fall in einen Rübenrader eine
Zerreißung der linken Art. fern., handbreit unter dem Lig. poup., zugezogen.
Es wurde aus der Kontinuität ein ca. 3 cm langes Stück des Gefäßrohrsl
reseziert, nachdem durch den Mombürg’schen Schlauch mit Hinzufügung
eines untergelegten Gazekissens ein völliger Abschluß des blutenden Gefäßes
erzielt war. Nach Abnahme des Schlauchs, welcher etwa 20 Minuten gelegen
hatte, bestand eine ausgesprochene Anämie, Kälte und Anästhesie, des linken
Fußes; in der Tibialis post, war ein Puls nicht nachweisbar. 8 Tage danach
Referate und Besprechungen.
1303
einsetzende, langsam verlaufende, zunächst trockene, dann feuchte Gangrän
machte 5 Wochen nach der Operation die Absetzung des Unterschenkels!
erforderlich, Ein genauer pathologisch-anatoüiischer Befund konnte leider
wegen der vorgeschrittenen Gewebsnekrose nicht erhoben werden.
Wenngleich die Kontinuitätsligatur der Art. fern, an sich eine schlechte
Prognose bezüglich der drohenden Gangrän gibt, so neigt Verf. bei der
epikritischen Besprechung {seiner Beobachtung doch der Meinung zu, daß
die Blutstillung vermittelst des mit großer Kraft angezogenen Gummischlauches
durch schwere Schädigung der Kollateralen den Eintritt der Gangrän be¬
günstigt hat. Für die Bewertung des Verfahrens ist die Beobachtung aller¬
dings ohne wesentlichen Belang, denn von dieser schädigenden Nebenwirkung
ist auch der Esmar ch’sche Schlauch nicht frei. F. Kayser (Köln).
Die Orthopädie des praktischen Arztes.
*
(Prof. Vulpius, Heidelberg. Klin.-therap. Wochenschr., Nr. 21 u. 22, 1909.)
Der Arzt bringt in die allgemeine Praxis ein sehr laues Interesse für
orthopädische Fälle' mit, einmal weil ihm spezieller Unterricht auf der Hoch¬
schule kaum geboten wurde, zweitens weil die Behandlungsmethoden schwer
anwendbar erscheinen und große technische Geschicklichkeit, Apparate, Maschi¬
nen usw. erfordern. Jedoch kann jeder Arzt durch eine Reihe von Methoden
und einfachen Hilfsmitteln zu guten Erfolgen in orthopädischer Hinsicht ge¬
langen ; besonders die Prophylaxe erfordert die Mitarbeit des praktischen
Arztes auf dem Gebiet der Orthopädie. Letztere zerfällt in die mechanische
iund operative. Von ersteren Methoden sind zu nennen die Massage, die
Heilgymnastik (passive, aktive, Widerstands- und Förderungsbewegungen),
die portativen Verbände (Gips- und Extensionsverband), deren Technik der
Arzt leicht erlernen und in der Praxis ausführen kann, und portative ortho¬
pädische Apparate, deren Gebiet jedoch ein enges ist, und die sich leicht
durch geschickte Improvisationen zweckmäßig ersetzen lassen. Die chirur¬
gische Orthopädie verfügt über unblutige (Redressement bei Weichteilwider¬
ständen) und blutige Methoden (subkutane und offene Tenotomie, einfache
lineäre Osteotomie).
Von den verschiedenen orthopädischen Affektionen nennt Verf. zu¬
nächst die Skoliose, bei welcher Prophylaxe von größter Wichtigkeit ist
(Sorge für Hygiene des Körpers, für Kräftigung von Knochen und Muskeln,
rationelle Diät und Kleidung usw.), und deren Behandlung niemals in dem
bekannten und beliebten Kriechverfahren allein bestehen darf, sondern nur
in Verbindung mit anderen altbewährten Methoden (Suspension der Wirbel¬
säule, Massage, alkoholische Abreibungen des Rückens, Übungen der ge¬
samten Rumpfmuskulatur, zweckmäßige Lagerung, Schlafenlassen im Gips¬
bett); bei auffällig schwachem oder verkrümmtem Rücken ist ein stützendes1
und entlastendes Korsett eine Notwendigkeit. Sodann die tuberkulöse
Spondylitis, bei deren Behandlung Allgemeinmaßnahmen: Licht, Luft,
Hautpflege, Ernährung in erster, die Behandlung des Krankheitsherdes durch
Ruhigstellung und Entlastung der kranken Wirbel in zweiter Linie an¬
zuwenden sind (Gipsbett, Stützkorsett, leichte Massage, Gymnastik). Ferner
die spondyli tische Kompr esisjio.'nsläjh|,mung, welche außer genauester;
Fixation der Wirbelsäule die Extension derselben erheischt, die man durch
Schrägstellung des Gipsbettes oder durch Kombination desselben mit Exten¬
sionsverbänden erreicht. Bei Spondylitis traumatica ist genügend lange
Ruhigstellung der Wirbelsäule im Bett, eventuell auch im Streck verband,
notwendig, da versuchte Bewegungen und Belastungen der Wirbelsäule zu
Verbiegungen und zu entzündlicher Reizung führen. Bei Schulter Ver¬
steifung ist die Hauptsache die Prophylaxe: tunlichste Beschränkung der
Immobilisation, die stets in Abduktionsstellung geschehen soll; bei der mobi¬
lisierenden Behandlung vorsichtige gymnastische Übungen mit einfachsten
Hilfsmitteln. Bei der angeborenen Hüftgelenksluxation soll der Arzt
1304
Beferate und Besprechungen.
sich auf frühe Diagnose beschränken, die Behandlung dem Spezialisten über¬
lassen. Bei tuberkulöser Koxitis und Gonitis dagegen hat er in der
konservativen Therapie ein dankbares Tätigkeitsfeld; doch soll diese (Exten¬
sionsverband, Gipsverband bei völliger Buhe) nur da einsetzen, wo schwere
Komplikationen der Gelenkinfektionen fehlen ; andernfalls ist alsbaldiges chirur¬
gisches Eingreifen geboten (namentlich bei Gonitis tuberculosa frühzeitige
Besektion). Bei rhachitischen Deformitäten der unteren Extremitäten
ist oft, aber durchaus nicht immer, auf Spontanheilung zu rechnen; zuweilen
erreicht man durch Bandagieren der Beine während der Nacht bei starker
Verbiegung der Tibiae oder bei Genu valgum höheren Grades, in schweren
Fällen durch Osteotomie sehr gute Besultate. Auch bei spinaler Kinder¬
lähmung kann der Arzt durch frühzeitige Massage, besonders Tapotement,
und Faradisation nach Ablauf der akuten Erscheinungen die Ernährung der
gelähmten Muskeln steigern, Kontrakturen verhüten; zu letzterem Zweck
sind auch passive Bewegungen der Gelenke, aktive Gymnastik, Bandagieren
der Gelenke in Mittelstellung auf Nachtschienen angezeigt. Bei angeborenem
Klumpfuß soll die Behandlung spätestens am Ende des ersten Lebens¬
vierteljahrs beginnen (täglich wiederholtes Bedressement des Fußes, model¬
lierendes Dehnen der verkürzten konkavseitigen Weichteile, Bindenwicklung,
später — im 4. bis 6. Monat — subkutane Achillo-Tenotomie, endlich Gips¬
verband, der sechs bis zwölf Wochen liegen bleibt) ; schwerere Fälle sollen
rechtzeitig zum Spezialisten gebracht werden. Beim Plattfuß erreicht man
zuweilen, nicht immer, Besserung durch geeignete Einlagen, schiefe Sohlung,
stark gearbeitete Kappen mit Stahlfederverstärkung in der Brandsohle; bei
drohender spastischer Abduktionskontraktur rechtzeitige Überweisung an den
Spezialisten. % Peters (Eisenach).
Gynäkologie und Geburtshilfe.
Zur plazentaren Theorie der Eklampsieätiologie.
(Dr. Wolfgang Weichardt. Archiv für Gyn., Bd. 87, H. 3, 1909.)
Eine weitere gewichtige Ablehnung der bekannten Lichtenstein’sclien
Eklampsiearbeit! Zunächst wird nachgewiesen, daß Lichtenstein zur Her¬
stellung seiner Infektionsflüssigkeiten gerade die Methoden gewählt hat, mittels
deren mit Sicherheit auch die wirksamen Synzytiotoxine ausgewaschen werden.
Da kann man sich nicht wundern, wenn Intoxikationssymptome ausblieben.
Ferner seien die Angaben über die Argillaaufschwemmüngen so wenig exakt,
daß Nachprüfungen beinahe unmöglich seien. Eine Konzentration, die nach
den Lichtens tein’schen Angaben einer milchfarbenen Flüssigkeit hätte
gleichen müssen, erwies sich in Wirklichkeit als ein dicker Schlamm! So¬
dann hat Lichtenstein es absichtlich vermieden, wie das erforderlich1 ist,
seine Flüssigkeiten in die Mesenterialvenen, wobei die Leber als Filter in Aktion
tritt, zu injizieren. Damit wäre ja das L. so wünschenswerte Eindringen der
Korpuskula in Herz und Lunge ausgeschaltet gewesen.' W. hat die angeb¬
lich tödlichen Argillaversuche L.’s nachprüfen lassen und da hat sich her¬
ausgestellt, daß die Wirkung eine ganz verschiedene ist, je nachdem die
Argillaaufschwemmung in die Ohrvene oder in die Mesenterialvene injiziert
wird. Die ohrinjizierten Kaninchen starben, die anderen nicht. Wenn somit
eine Plazentaraufschwemmung von nachweislich geringerem Korpuskulagehalt
als der verwendete Argillaschlamm besaß', durch die Mesenterial vene in¬
jiziert, den Tod der Kaninchen herbeigeführt hat, so kann diese Wirkung
eben nur als Folge des Toxingehaltes der Plazentaraufschwemmung ange¬
sehen werden. ,, Somit wird ganz unerwartet die Eklampsieplazentartheorie
durch diese Nachprüfung der Lieh tens te in’schen Injektionen von Kaninchen
mit Argillaaufschwemmung nicht nur nicht gestürzt und erschüttert, sondern
vielmehr ganz erheblich gestützt.“ So wäre die L.’sche Arbeit doch zu etwas
gut gewesen! B. Klien (Leipzig).
Referate und Besprechungen.
1305
Aus der Universitäts-Frauenklinik zu München.
Zur Klinik, Statistik und Therapie der Eklampsie.
(Priv.-Doz. Dr. L. Seitz. Archiv für Gyn., Bd. 87, H. 1, 1909.)
S. hat die Eklampsiefälle der Münchener Frauenklinik aus den letzten
32 Jahren einem eingehenden Studium unterworfen; es sind 147 Fälle. Was
zunächst die Fälle ohne Krämpfe anlangt, wie sie in der Literatur
mehrfach beschrieben sind, so fand sich ein solcher, und zwar in Tod aus¬
gehender Fall auch unter den Münchnern. Zur Erklärung dieser Fälle stellt
S. die These auf, daß das Eklampsiegift aus zwei Komponenten zusammen¬
gesetzt sein müsse, aus einem Krampf- und einem allgemeinen Körpergift.
Dadurch werde es auch verständlich, daß gerade recht schwere, sehr rasch
zum Exitus kommende Fälle von Eklampsie ohne Krämpfe verlaufen können.
Allen Fällen gemeinsam sei eigentlich nur das Koma. Zwischen den Fällen
mit typischen Anfällen und denen ohne gäbe es bestimmt auch Übergänge.
Es kommt dann nicht zu allgemeinen Konvulsionen, sondern nur zu Zuckungen
in der einen oder anderen Körperregion. Zur Diagnose der Eklampsie ohne
Krämpfe genügen für die am Leben bleibenden Fälle nach S. : sehr reichlicher
und rasch verschwindender Eiweißgehalt, Störung des Sensoriums, gespann¬
ter Puls, Blutdruckerhöhung usw. S. schlägt vor, solche Fälle in Analogie
mit der Epilepsie „eklamptische Äquivalente“ zu nennen. Der Auffassung'
der Eklampsie als einer Reflexneurose widerspricht S. sowohl theoretisch —
es gäbe wohl einen reflektorisch hervorgerufenen Anfall, aber keine reflek¬
torische Eklampsie — , stützt seinen Widerspruch aber auch praktisch damit,
daß die Anwendung der Lumbalanästhesie nicht vermag, die Krämpfe zu
unterdrücken. — - Höchst wahrscheinlich erfolgt durch die Eklampsie eine
tiefgehende Schädigung des Großhirns und speziell des Teiles, der der Sitz
der seelischen Eigenschaften ist; hierfür spricht u. a. der Umstand, daß
sich nicht selten Psychosen nach Eklampsie entwickeln, besonders dann, wenn
zwischen den ersten Anfällen und einem neuen Ausbruch der Krämpfe im
Wochenbett sehr lange Zwischenpausen liegen, und wenn die Anfälle außer¬
ordentlich zahlreich und rasch aufeinander folgend waren. Auch hierin besteht
eine gewisse Analogie mit der Epilepsie, wenn auch S. besonders hervorhebt,
daß die beiden Krankheiten in ihrem Wesen sicher von einander verschieden
sind. Der oft aufgestellte und wohl noch öfter nachgebetete Satz: „Je mehr
Anfälle, desto schlechter die Prognose“, besteht nach den Berechnungen S.'s
nicht zu Recht. Es besteht vielmehr ein Ansteigen der Mortalität nur bis
etwa 20 — 30 Anfälle, dann erfolgt ein Stillstand ; allerdings ist eine höhere
mittlere Anfallsziffer im allgemeinen ungünstig. S. fand als mittlere Zahl
der Anfälle 8. Auch dieses Verhalten spreche für die Zusammensetzung
des im übrigen hypothetischen Eklampsiegiftes aus zwei Komponenten, ebenso
das pathologisch-anatomische Bild. Nach S. sind drei Formen zu unter¬
scheiden: 1. Die Formen, in denen das Gift vorwiegend allgemeines Körper¬
gift ist, das nur zu einer schweren Schädigung des Herzens, der Leber und
der Nieren führt, und den Tod herbeiführen kann, ohne daß es zu Konvul¬
sionen gekommen ist. 2. Die Formen, bei denen das Gift die nervösen Zentren
und die viszeralen Organe in gleicher Weise schädigt. Hier ist die Anzahl
der Anfälle mehr oder minder groß. 3. Die Formen, bei denen die zentralen
psychomotorischen Ganglien in erster Linie affiziert sind. Hier herrschen
die zerebralen Reizsymptome vor ; die Konvulsionen erfolgen Schlag auf
Schlag ; trotzdem genesen die Kranken, weil die übrigen Organe relativ intakt
bleiben. — Diese Auffassung hat in der Tat -etwas bestechendes, erklärt sie
doch, warum gerade die Mischformen eine so große Mortalität aufweisen.
Wenn aber die Anfälle an sich keinen Maßstab für die Schwere des Falles
abgeben, kann es auch nicht rationelll sein, dieselben durch Narkotika zu
bekämpfen ! Es bleibt vielmehr die Schnell- und Frühentbindung auch nach
den Berechnungen von S. zurzeit noch das beste Verfahren.
R. Klien (Leipzig).
1306
Referate und Besprechungen.
Wieviele unter 1000 Wöchnerinnen sind unfähig zu stillen und welches
sind die Ursachen?
(Paul Zander. Wiener klin. Rundschau, Nr. 41 — 43, 1908.)
Die Mortalität der Säuglinge ist der Ausdruck für die Häufigkeit der
kindlichen Ernährungsstörungen und letztere wieder sind um so häufiger,
je seltener die Mutter das Kind seihst ernährt. Die Sterblichkeitszif fer
der Säuglinge ist enorm (19,4 — 25 °/0 im Jahre 1903). — Welche Gründe
werden nun vorwiegend das Stillen der Mutter verbieten ? Vor allem kommen
zwei Möglichkeiten in Betracht: Allgiemeinerkr ankungen der Mutter
und des Kindes (Lues, Tuberkulose) und Unvermögen zum Stillen. —
Verf. stellt aus den Geburtsgeschichten der Münchener Hebammenschule eine
Statistik über 1000 Wöchnerinnen mit lebenden Kindern zusammen. Darunter
waren 53 stillungsunfähige, 26 teilweise am Stillen behinderte, 921 dagegen
konnten ihr Kind ohne Störung selbst ernähren. Bei 14 Eällen der ersten
Gruppe fand sich ungenügende Milchproduktion, dieselbe Ursache findet sich
auch fünfmal bei der zweiten Gruppe. — Das Generationen hindurch ver¬
nachlässigte Stillen des eigenen Kindes führt zur Inaktivitätsatrophie der
weiblichen Brustdrüse. Dafür spricht auch das hier gefundene Resultat,
obwohl das Material der Münchener Erauenklinik ergibt, daß das Stillungs¬
vermögen der Wöchnerinnen sich in den letzten Jahren nicht verringert hat. —
Der Arbeit sind vier ausführliche. Tabellen beigegeben, auf die bezgl. weiterer
Einzelheiten verwiesen werden muß. Steyerthal-Kleinen.
Beitrag zur Kenntnis der Spätlaktation.
(Friedjung, Wien. % Monatsschr. für Geburtsh. u. Gyn., Bd. 28, S. 639.)
Ausführliche Mitteilung des Protokolls einer vorübergehend gelungenen
Spätlaktation, bei der 6 Wochen post partum der Versuch begonnen wurde,
die Mutterbrust dem Kinde nutzbar zu machen. In den ersten Tagen wurde
die Milchentnahme durch einen einfachen Ballonsauger unterstützt. Est am
5. Tage trank das Kind wägbare Mengen, am 11. Tage erst überschritt die
Tagesmenge 100 g, am 33. Versuchstage betrug die Tagesmenge 305 g.
Leider gelang es nicht, die Leistungsfähigkeit der Brüste auf dieser „be¬
scheidenen“' Höhe zu halten, so daß der Versuch nach 3 Monaten eingestellt
werden mußte. Die durchschnittliche wöchentliche Zunahme des Kindes um
113 g rechtfertigt diesen Versuch, trotzdem ihm ein besserer Dauererfolg
zu wünschen gewesen wäre. Frankenstein (Köln).
Aus dem Kaiserin Elisabeth-Wöchnerinnenheim „Lucina“ in Wien.
Ueber Nabelversorgung.
(Dr. Demetrio Galatti. Gyn. Rundschau, H. 23, 1909.)
G. empfiehlt auf das wärmste den Nabelverband mit reichlich Bolus
alba; derselbe soll täglich zweimal gewechselt werden. Das Kind kann dabei
gebadet werden. Der ursprünglich auf 5 cm verkürzte Nabelschnurrest fiel
bei dieser Behandlung ab in den ersten sechs Tagen in 82,5%, in den ersten
acht Tagen in 100%. Nie wurdej eine Eiterung bemerkt. Das Verfahren
ist ebenso einfach wie billig, die Resultate noch besser wie bei der Omphalo-
tripsie, die nur in den Anstalten durchführbar ist, und der die Gefahr der
Nachblutung anhängt. • R. Klien (Leipzig).
- -
Aus den Universitäts-Frauenkliniken in Tübingen und München.
Zur Sterilisation der Gummihandschuhe.
(Dr. A. Fiessler, Dr. T. Iwase u. Prof. Döderlein. Münch, med. Wochenschr.,
Nr. 33, 1909.)
F. und I. haben durch bakteriologische Versuche, die im Original
nachzulesen sind, bewiesen, daß die Gummihandschuhe auch ohne Trikot¬
einlage (Fritsch) oder sonstige Vorrichtungen lediglich nach Einpudern mit
Talkum bei sorgfältiger Lagerung ohne Knicik durch 30 Minuten
Referate und Besprechungen.
1807
lange Einwirkung von gespanntem Dampf von 0,7 Atmosphären Überdruck
mit Sicherheit an ihrer ganzen Innenfläche bis zu den Fingerkuppen steril
werden, wenn es sich nur um Abtötung vegetativer Formen handelt. In
praxi hat das Einpudern wegen der ungleichmäßigen Verteilung des Puders
jedoch seine Schattenseiten. Deshalb empfehlen Verff. die Handschuhe vor¬
her in eine alkoholische Aufschwemmung von Talkum 1: 5 zu tauchen.
Da auch gespannter Dampf die Handschuhe angreift — sie büßen ihre
Elastizität und Festigkeit ein — müssen sie nachgetrocknet werden; dadurch
sollen sie ihre Elastizität wieder erlangen und länger halten. F. und I.
empfehlen für die Praxis einen Apparat, der eine Abart der bekanntlich
gerade in München vor Jahren viel gebrauchten Kombinationskocher ist:
unten das Wassergefäß zur Sterilisation von Instrumenten, darüber als Auf¬
satz ein zweiter Kasten mit durchlöchertem Boden und Deckel und flachen
Drahtnetzeinsätzen zur Aufnahme der Handschuhe. Zum Trocknen wird
das Wassergefäß durch eine Asbestplatte ersetzt. Unerfindlich ist cs, wie
in einem solchen Apparat ein Dampfüberdruck von 0,7 Atmosphären sich
entwickeln soll. — Dagegen scheint der von D.öderlein am Schluß des
Aufsatzes erwähnte neue L,aut;enschläger’sche schrankförmige Desinfek¬
tionsapparat endlich alles zu leisten, was man von einem zuverlässigen Des¬
infektionsapparat theoretisch schon seit Jahren verlangt: Vorwärmung der
im Innern befindlichen Gegenstände durch Einlassen des Dampfes in den
Außenmantel. Absaugung des Dampfes aus dem Innern nach1 beendeter Des¬
infektion durch eine Dampfstrahlpumpe mit folgendem Durchsaugen von
durch Watte filtrierter Luft zum Trocknen. R. Klien (Leipzig).
Klinische und praktische Erfahrung.
(H. Nägeli. Therap. der Gegenw., Nr. 11, 1908.)
In sehr amüsanter Weise legt Nägeli dar, daß die Gummihandschuhe für
Kliniken und städtische Verhältnisse gut und schön sein mögen, bei der
Landpraxis aber völlig unbrauchbar sind. F. von den Velden.
Medikamentöse Therapie.
Die schädlichen Nebenwirkungen des Acetanilids, Antipyrins und Phenacetins.
(Kebler, Morgan u. Rupp, U. S. Departm. of Agriculture. Bureau of Chemistry.
Bull. Nr. 126. Washington 1909.)
Verf. haben in einer praktisch wichtigen Studie die Ergebnisse einer
Umfrage bei 925 amerikanischen Ärzten, von denen 400 geantwortet haben,
nach dem Umfang der Anwendung dieser drei Mittel, der üblichen Dosis
und der beobachteten Nebenwirkungen, sowie die wichtigsten Literaturangaben
über sie zusammengestellt. Hiernach wird Phenacetin (0,2— 0,3 g) in um¬
fangreichem Maße, Acetanilid (0,3 g) weit weniger, am wenigsten aber Anti-
pyrin (0,3 — 0,6 g) (nur von 5% der befragten Ärzte) verordnet. Das Haupt¬
anwendungsgebiet ist die Behandlung von Kopfweh, sodann von Fieber.
Durchweg werden diese Mittel vorwiegend in Form von Pulver, in geringerem
Umfang als Tabletten gegeben.
Durch die befragten Ärzte wurden beobachtet:
Nach Stoff
Sc.hädl. Nebenwirkungen
Todesfälle
Habitueller Gebrauch
Acetanilid
614
16
112
Antipyrin
105
5
7
Phenacetin
95
7
17
Insgesamt
814
28
136 Fälle.
Aus der Fachliteratur der Welt sind zusammengestellt für das 1886
in die ärztliche Praxis eingeführte Acetanilid (Antifebrin), das seit 1884 an¬
gewendete Antipyrin und das 1887 zuerst empfohlene Phenacetin (Acetphenetidin).
1308
Referate und Besprechungen.
Fälle von schädlichen Nebenwirkungen in den einzelne n Jajiren
seit der Einführung nach
Acetanilid (1886)
Antipyrin (1884)
Phenacetin (1887)
1884
—
33
’ -
1885
—
6S
—
1886
20
48
• , — r‘
— ,l 1
1887
94 (1 Todesfall)
37
1
1888
21 (1 Todesfall)
55
23
1889
23
24
11
1890
27 (1 Todesfall)
22
6
1891
9
12
5
1892
5
34
4
1893
5
13
2
1894
7
16
3
1895
6
28.
6
1896
20 (2 Todesfälle)
13
1
1897
4
31
0
1898
3 (1 Todesfall)
22
0
1899
2
2
1
1900
2
—
0
1901
' 6
1
1
1902
2
4
0
1903
4
8
TT
1904
1
7
2
1905
9 (1 Todesfall)
3
2
1906
19 (2 Todesfälle)
5
0
1907
8 (3 Todesfälle)
2
1
Insges.
297 (13 Todesfälle)
488
70
Dabei sind die Fälle gezählt, wo nach Acetanilid mindestens Zyanose,
nach Antipyrin Exantheme, Kollaps, Prostration, nervöse Erscheinungen
(vorübergehende Lähmungen ; Unruhe, Krämpfe), Schleimhauterkrankungen im
Mund, sowie Albuminurie und nach Phenacetin allgemeine Depression bis
zum Kollaps, Zyanose, Hauteruptionen usw. auftraten.
Sehr zu beachten sind die beträchtlich hohen Ziffern je im zweiten
Jahr der Anwendung der drei Stoffe, wo der Gebrauch sehr schnell ansteigt,
die therapeutischen Gaben vielfach überschritten werden und noch wenig
und nicht eindringlich vor den Schaden Wirkungen gewarnt worden ist. Erst
allmählich macht sich die Erkenntnis der Gefährlichkeit der Stoffe geltend,
die Dosen werden sorgfältiger ausgewählt, und schließlich läßt der Gebrauch
nach, infolge Verwendung anderer, neu aufgekommener Mittel; damit ver¬
mindert sich auch die Zahl der schädlichen Nebenwirkungen.
Ein lehrreiches, nicht sehr erfreuliches Beispiel aus der Geschichte
unserer wirksamen Arzneimittel. E. Rost (Berlin).
(Aus dem Pharmakologischen Institut in Wien.)
Beiträge zur Physiologie und Pharmakologie der Niere.
(Dr. H. Fr. Grünwald. Archiv für exper. Path. u. Pharm., Bel. 60, H. 5, S. 360, 1909.)
Bei dem großen Interesse, das zurzeit den Verfahren der Kochsalz¬
en tziehung entgegengebracht wird, scheint eine experimentelle Arbeit über
die Dechloruration von besonderer Wichtigkeit. Aus den Versuchen des
Verf. geht hervor, daß man sogar bei chlorarm gefütterten Kaninchen durch
fortgesetzte Diu re tin: Darreichung immer wieder Kochsalzausscheidung er¬
zwingen kann. Wird diese Behandlung genügend lange fortgesetzt, so tritt
ein Vergiftungsbild in Erscheinung, das in seinen ersten Stadien durch
reflektorische Übererregbarkeit charakterisiert ist, später unter fortschreiten¬
der Lähmung zum Tode führt. Durch Kochsalzgaben läßt sich das Auf¬
treten dieser Vergiftungserscheinungen hintanhalten, während dies durch
Referate und Besprechungen.
1309
andere Mittel nicht gelingt. Salzdiurese, z. B. Natriumsulfat bringt keine
starke Kochsalzausschwemmung hervor. Die kochsalztreibende Wirkung des
Diuretins ist eine primäre Nierenwirkung. Auch bei Schädigung des Nieren¬
epithels durch große Quecksilbergaben bleibt diese Wirkungsweise des Diu¬
retins erhalten. Der Hauptangriffspunkt des Diuretins ist der Glomerulus-
a.ppärat.
Die besonders intensive und andauernde Wirkung des Diuretins läßt
auch einen Angriffspunkt am Epithel vermuten, der wahrscheinlich in einer
Lähmung der Rückresorption beruht. Die Ausscheidungsstelle des Koch¬
salzes ist der Glomerulus; der prozentuelle Koehsalzgehalt der Nierenrinde
ist nur sehr geringen Schwankungen unterworfen, während der des Nieren-
niarks eine je nach dem Kochsalzreichtum des Tieres schwankende Größe
darstellt. Neumann.
Birgt die übliche äußere Behandlung mit Chrysarobin irgend welche
Gefahren für den Kranken in sich?
(Prof. Wolters. Med. Klinik, Nr. 17, 1909.)
Seit langem besteht die Meinung, daß durch äußere Anwendung von
Chrysarobin in Salbenform usw. unerwünschte Nebenwirkungen — nament¬
lich in Gestalt vön Albuminurie bezw. nephritischen Erscheinungen häufig
erzeugt würden. Dieser kürzlich noch von Friedrich vertretenen Mei¬
nung tritt Wolter’s unter kritischer Beleuchtung des bisher vorliegenden
anscheinend nicht einwandsfrei beobachteten kasuistischen Materials und be¬
sonders auf Grund viel hundertfältiger klinischer Erfahrung in der Anwen¬
dung des Mittels entgegen. Hiernach ist die Anwendung des Chrysarobinis
äußerlich ebenso harmlos und ungefährlich — eine Konjunktivitis entsteht
nur, wenn das Mittel selbst durch Unvorsichtigkeit in das Auge gelangt,
und in den Harn geht eis überhaupt nicht, auch als Chrysophsansäure nicht,
über — , wie sie innerlich allerdings unzweckmäßig ist.
R. Stüve (Osnabrück).
Oie verstärkende Wirkung des Morphiums durch Skopolamin.
(A. Friedländer. Med. Klinik, Nr. 15, 1909.)
Aus den Beobachtungen Friedl änder’s ergeben sich folgende Schlüsse.
Das Skopolamin verstärkt die Wirkung des Morphiums ganz außerordentlich,
indem sonst unwirksame Dosen von Morphium durch Zusatz von Skopo¬
lamin wirksam werden. — Skopolamin selbst sollte nie ohne Morphium
gegeben werden, um seine unangenehmen Nebenwirkungen (eventuelle Emp¬
findung rasch fortschreitender Lähmüng, Trockengefühl im Schlunde) nicht
zum Bewußtsein des Kranken kommen zu lassen. Skopolamin-Morphium
ist besonders indiziert bei den Krankheiten, die mit Reizerscheinungen des
Zentralnervensystems einhergehen, ferner in allen Fällen, die mit großen
Schmerzen einhergehen und das Auftreten des sekundären Morphinismus
befürchten lassen, weshalb das Skopolamin auch zur direkten Bekämpfung
des Morphinismus geeignet scheint. Angewöhnung an Skopolamin ist viel
weniger zu befürchten; Skopolamin-Morphium kann monatelang gegeben wer¬
den, wofern nur scharfe ärztliche Kontrolle vorhanden ist. Aus diesem Grunde
ist die ambulante Anwendung nicht ratsam. Begonnen wird mit der Dosierung
in der Weise, daß zuerst 0,004 Morphium -j- 0,0001 Skopolamin (4 mg Mor¬
phium -f- 1 dmg Skopolamin) gegeben werden und bei ausbleibender Wir¬
kung zuerst die Skopolamindosis erhöht wird, bis die Wirkung eintritt. Erst
später ist eventuell die Morphiumdosis zu erhöhen, aber immer soll mit dem
Skopolamin relativ schneller gestiegen werden als mit dem Morphium.
R. Stüve (Osnabrück).
1310
Biichersch.au.
Mitteilungen über die Anwendung eines neuen Teerproduktes „Sputan“
bei katarrhalischen und tuberkulösen Lungenaffektionen.
(Dorn. Deutsche Med. Zeitung, Nr. 61, 1909.)
Das ,, Sputan“ stellt ein leicht alkoholhaltiges, wässeriges, aromatisches
Teerprodukt dar und enthält 0,05% Salizylsäure. Einfache Katarrhe, z. B.
nach Influenza, wurden meist nach 3 — 10 Wochen geheilt, auch auf Tuber¬
kulose verdächtige Fälle reagierten meist gut, bei sicher Tuberkulösen wurde
wenigstens ein Teil wieder arbeitsfähig. Besonders gebessert wurden Nacht¬
schweiße und das Allgemeinbefinden.
Die Dosis betrug anfänglich morgens und abends je einen Eßlöffel
und wurde allmählich von Woche zu Woche erhöht, so daß in der viertein
Woche morgens und abends je vier Löffel auf einmal genommen wurden.
Neumann.
lieber die Behandlung der Lungentuberkulose durch Einatmen von
Fermiformdämpfen.
(Floer, Essen. Therap. der Gegenw., Nr. 8, 1909.)
Die Eermi formt abletten bestehen aus Asphaltum purum und kleinen
Mengen von Myrrhe und Benzoeharz. Ihre Anwendung geschieht in der Art,
daß sie in einem einfachen Räucherapparat verdampft werden und der Kranke
1 — 2 Stunden diesen »Dampf einatmet. Gewöhnlich wird zweimal am Tage
in dieser Weise inhaliert. Die bisher erzielten Resultate ermuntern zu
weiteren Prüfungen. Neumann.
Radice hat in einer Reihe von Fällen chirurgischer Tuberkulose Aspirin
angewandt und kommt zu folgenden Schlüssen: 1. In kleinen Dosen (0,5)
einige Stunden vor dem Temperaturmaximum gereicht, übt es eine konstantere,
ausgesprochenere anti thermische Wirkung aus, als bei Lungen- oder Intestinal¬
tuberkulose, die meist eine gemischte Infektion darstellen. 2. Die Temperatur¬
erniedrigung beginnt 1 — 2 Stunden nach der Einnahme und hält 10 — 12 Stunden
an, begleitet von einer ausgesprochenen Euphorie. 3. Bei sehr hohem Fieber
ist die Wirkung des Aspirins allerdings gleich Null. 4. Günstige Wirkung
des Aspirins dürfte man als prognostisch günstiges Zeichen betrachten. (Les
nouveaux remedes Nr. 23, 1909.) v. Schnizer (Danzig).
Bücherschau.
Arbeiten aus dem Pharmazeutischen Institut der Universität Berlin.
Herausgegeben von H. Thoms. 6. Band. Mit 4 Abbild. 304 Seiten.
Berlin u. Wien, Urban & Schwarzenberg, 1909.
Die bereits im vorigen Jahre besprochenen „Arbeiten aus dem pharmazeutischen
Institut der Universität Berlin“ bieten auch in dem vorliegenden sechsten Band für
den Arzt viel Interessantes. Er enthält das Ergebnis der chemischen Untersuchungen
der neuesten Arzneimittel, Spezialitäten und Geheimmittel (Zernik), die weiteren
Untersuchungen Thoms, über Mohnbau und Opiumgewinnung, aus denen
hervorzuheben ist, daß der Morphingehalt der in Dahlem bei Berlin angebauten
Mohnpflanzen durch Begießen der jungen Pflänzchen mit Nährsalzlösungen (Nitrate
und Phosphate) beträchtlich gesteigert werden konnte, daß die Opiumalkaloide
(Morphin, Codein, Narcotin) schon in der jungen, noch nicht’ blühenden Pflanze
enthalten sind und sich nicht erst bilden, wenn der Milchsaft aus den geritzten,
unreifen Mohnkapseln austritt und zu Opium erhärtet, und endlich die Vorträge
des Herausgebers über die modernen Schlafmittel im Hinblick auf die Beziehungen
zwischen ihrem chemischen Aufbau und ihrer Wirkung und über Arzneimittel¬
fabrikation und Arzneimittelversorgung des Volkes vom Standpunkt der öffentlichen
Gesundheitspflege. E. Rost (Berlin).
Bücherschau.
1311
Die Volkskrankheiten und ihre Bekämpfung. Von Dr. Werner Rosen¬
thal. _ (Wissenschaft und Bildung, Bd. 51.) Verlag von Quelle & Meyer,
Leipzig 1009. 164 S. Geheftet 1 Mk., in Originalleinenband 1,25 Mk.
. Der Privatdozent an der Göttinger Universität, W. Rosenthal, hat in diesem
Büchlein eine sehr ansprechende Schilderung unserer Kenntnisse über die wichtigsten
Volkski ankheiten gegeben. Hauptsächlich für gebildete Laien bestimmt, wird es
abei auch manchen . Ärzten zur schnellen Orientierung willkommen sein. 13a es
auf orthodox-bakteriologischen Anschauungen basiert ist, fordern manche Aus¬
führungen allerdings zum Widerspruch heraus, z. B. die über die Bazillenträger, die
„nicht nur eine ungeheure moralische Verantwortung tragen, sondern auch gericht¬
lich bestiaft und zu Schadenersatz verurteilt werden können, wenn sie durch be¬
wußte Fahllässigkeit die Schädigung oder gar den Tod anderer Personen an Typhus
verursachen.“ J w rw
Die Krankheiten des IVSastdarms. Von F. Schilling. Berliner Klinik,
21. Jahrg., Kr. 249 (Doppelheft). Berlin W 35, Fisch ePs med. Buch¬
handlung, H. Kornfeld. 50 S. 1,20 Mk.
Was Ref.- in einem der früheren Hefte dieser Zeitschrift bei Besprechung von
des gleichen Verfassers „Krankheiten des Afters“ ausführte, das gilt auch von den
Erkrankungen des Rektums: abgesehen vom Rektumkarzinom hört und sieht
man von ihnen in der Klinik so gut wie nichts. Und doch ist der Prolaps z. B.
eine^ sehr häufige Krankheit, und ist die chronische Proktitis auch nicht gerade
häutig, so ist sie deshalb doch nicht minder wichtig und einer sachgemäßen Behand¬
lung bedürftig. Es ist ja mit der Kenntnis der Mastdarmkrankheiten besser ge¬
worden, seitdem Dank den Arbeiten von Schreiber und Strauß mehr über
Rektoskopie geschrieben wird; aber gerade hier herrscht noch keine literarische
Überproduktion, und jede Arbeit, die sich mit diesem Gebiete beschäftigt, ist zu
begrüßen, besonders wenn sie ihres billigen Preises wegen Jedem zugänglich ist.
M. Kaufmann (Mannheim).
Die Schattenseiten großer Städte. Von Lancry u. Guerillon. (Villes
meurtrieres, dot agraire.) Mit einer Vorrede von Landouzy. Paris 1909.
Wie Arsis und Thesis wechseln auch die zentrifugalen und die zentripetalen
Bestrebungen. Der Zug nach den großen Städten macht allmählich wieder jenem
aufs Land Platz. Natürlich befinden wir uns erst in den Anfängen dieses Umschwungs;
aber daß er kommt, erhellt mit genügender Sicherheit daraus, daß zwei Franzosen
über ihre Hauptstadt, la ville — lumiere, Thesen wie die folgenden drucken
lassen können :
Paris ist eine ungesunde Stadt. Das Leben ist dort für den Einzelnen
schwierig, für eine Familie unmöglich. Eingesessene Pariser, Pariser aus Paris,
gibt es nicht, geborene Pariser nur wenige, sie machen etwa den dritten Teil der
Bevölkerung aus, und davon ist der vierte Teil unehelich geboren. Nur reiche
Familien können sich fortpflanzen und auch sie nur dadurch, daß sie einen großen
Teil des Jahres fern von Paris leben und immer wieder frisches Blut aus der
Provinz oder dem Auslande zuführen. Die Arbeiterfamilien pflanzen sich in Paris
nur bis zur zweiten Generation fort. Das gewöhnliche Schicksal des Pariser
Arbeiters besteht darin, im Krankenhaus auf die Welt zu kommen, im Krankenhaus
verpflegt zu werden, im Krankenhaus zu sterben und schließlich auf Armenkosten
begraben zu werden.
Wenn Paris sich seiner geringen Kindersterblichkeit rühmt, so rührt das
einfach daher, daß es dort sehr wenig Kinder gibt und von den wenigen wird ein
Drittel in die Provinz in Pflege geschickt. Trotz aller Wohltätigkeitsanstalten
ist die Kindersterblichkeit in Paris mindestens ebenso groß wie im übrigen Frankreich.
Paris ist ein Schlund, in welchen sich die französische Rasse hineinstürzt,
um darin zugrunde zu gehen. —
Wem fallen da nicht die Blaßgesichter ein, denen man auch in Berlin auf
Schritt und Tritt begegnet? wem nicht die Urteile Seneca’s, Cicero’s, Martial’s
über das kaiserliche Rom? und wem nicht die Schicksale aller Metropolen seit
Ninive und Babylon? Buttersack (Berlin).
1312
Krankenpflege und ärztliche Technik.
Krankenpflege und ärztliche Technik.
Referat über „Ophtalmo-Fundoskop“.
(Ein neues Instrument zur Untersuchung des Augenhintergrundes in bisher nicht
erzielten Vergrößerungen bei reflexlosem Bilde.)
Von Dr. Fritz Baum, Rom und
Beobachtungen mit dem Baum’schen Ophthalmo-Fundoskop.
Von Dr. Richard Kümmel, Assistent d. k. Uni versitäts- Augenklinik in Erlangen.
(Aus Klinische Monatsblätter für Augenheilkunde, 8. Bd., 1909).
Das Baum’ sehe Instrument zur Untersuchung des Augenhintergrundes, ge¬
nannt „Ophthalmo-Fundoskop ermöglicht es, außer den gewöhnlichen auch sehr
starke Vergrößerungen (bis zur 70 fachen) anzuwenden. Das Bild zeigt dabei keiner¬
lei Hornhautreflexe, weil die Konstruktion des Instrumentes eine scharfe Trennung
der Licht einlassenden Zone von derjenigen bewirkt, durch welche die Beobachtung
erfolgt. Das Instrument dürfte recht handlich sein, da es nur 10 cm lang und
einige cm dick ist. Durch totale Reflexion eines Glasprismas wird in demselben
das Licht eines kl. Glühlämpchens aus einem schmalen diametral stehenden Blenden¬
spalt ins Auge geworfen. Neben diesem Spalt befindet sich die halbkreisförmige
Objektivlinse. Das Okular gleicht demjenigen eines Miskroskopes. Wird es bei
der Untersuchung, ebenso wie die Objektivlinse weggelassen, so erhält man ein
aufrechtes Bild in 10 — löfacher Vergrößerung; ersetzt man es durch einen einfachen
Tubus mit Linse von — j— 13 Dioptrien, gleichfalls unter Weglassung der Objektiv¬
linse, so erhält man drei- bis fünffache Vergrößerung bei verkehrtem Bilde. Durch
Vorschalten der Recoß’schen Scheibe kann man sein eigenes Auge korrigieren und
auch die Refraktion bestimmen.
Man bringt das Fundoskop möglichst nahe an das zu untersuchende Auge,
jedoch ohne letzteres zu berühren.
Für Untersuchung mit geringer Vergrößerung ist keine vorhergehende
Übung nötig, die starke Vergrößerung erfordert aber eine ruhige Hand und auch
Atropinisierung des Auges. Der Durchmesser des Gesichtsfeldes beträgt etwas
mehr als zwei Pupillenbreiten. Der Sehnervenkopf erscheint als runde Scheibe von
za. 3— 3^2 cm Durchmesser. Die Pulsationen in den Arterien und viele sonstige
Details sind sehr deutlich zu sehen.
Das Instrument wird von der Reiniger, Gebbert & Schall, A.-G., Berlin
hergestellt.
Schriftleitung: Dr. Ri gl er in Leipzig.
Druck von Emil Herrmann senior in Leipzig.
27. Jahrgang.
1909.
Tortscbrim der Medizin.
Unter Mitwirkung hervorragender Fachmänner
herausgegeben von
Professor Dr. 0. Köster Prio.-Doz. Dr. o. griegern
in Leipzig. in Leipzig.
Schriftleitung: Dr. Rigler in Leipzig.
Nr.
35.
Erscheint am 10., 20., 30. jeden Monats. Preis halbjährlich
6 Mark, in kl. Zeitschrift für Versicherungsmedizin 8 Mark.
Verlag von Georg Thieme, Leipzig.
20. Dezbr.
Originalarbeiten und Sammelberichte.
Können die häufigeren und hochsteigenden Tuberkulingaben in
den besonders dazu ausgesuchten Fällen unbedenklich empfohlen
werden?
Von Sanitätsrat Dr. Nourney-Mettmann.
(Vortrag, gehalten am 11. Oktober 1909 im „Verein der Ärzte Düsseldorfs“.)
In der Frage der spezifischen Behandlung der Infektionskrank¬
heiten kommen wir immer mehr zu der Einsicht, daß unser Ziel
nicht nur eine Bekämpfung der Krankheitserreger sein kann, sondern
ein Erfolg in der Berücksichtigung der Naturheilungs Vorgänge zu
suchen ist. Im Tuberkulin haben wir ein Mittel, welches viele solcher
verborgenen Wege der Natur erschließen kann. Ist einmal die Tuber¬
kulinfrage gelöst, so werden wir auch den festen Punkt finden, von
dem aus die anderen Infektionskrankheiten mit besserem Erfolg als
bisher spezifisch bekämpft werden können.
In der dritten Auflage des Lehrbuchs der spezifischen Therapie der Tuber¬
kulose von Bandelier und Röpke hat unser Altmeister Ko ch in der Tuberkulin¬
frage das Wort wieder ergriffen. In einer längeren Vorrede spricht er den Ver¬
fassern das Recht zu, an alle Ärzte den Aufruf zu erlassen, den hier vorgezeichneten
Bahnen zu folgen. Ich habe jedoch schwere Bedenken gegen ihre Behandlungs¬
methode, so daß ich es für meine Pflicht halte, auf dieselben aufmerksam zu machen.
Zunächst erinnere ich an die Bedenken, welche zur Ablehnung
der ersten Tuberkulinbehandlung mittelst Reaktionen geführt haben.
Die schärfste Kritik hat damals unser Virchow an der neuen Spritz¬
methode geübt. Ich würde es jedem Tuberkulinfreunde zur Pflicht
machen, seine streng sachlichen Bemerkungen zu den anatomischen
Präparaten der nach einer Tuberkulinbehandlung Gestorbenen aus dem
Jahre 1891 zu lesen. Virchow sucht wirklich ehrlich auch nach Heil¬
wirkungen, die auf das neue Heilmittel bezogen werden könnten. Er
findet aber nur Wirkungen, die auch im spezifisch unbeeinflußten
Verlauf der Tuberkulose beobachtet werden — mit dem einen wesent¬
lichen Unterschied, daß diese Veränderungen viel akuter auf getreten
waren.
Die tuberkulöse Erkrankung setzt sich nach Virchow anatomisch
aus drei Teilen zusammen. Wir finden:
1. Ein Gewebe, daß in engerem Sinn den Tuberkel bildet. Dieses
zeigt nie eine Rückbildung, die zur Resorption führt. Entweder wird
es durch festes Bindegewebe eingeschlossen, so daß jeder Stoffwechsel
83
1314
Nourney-Mettmann,
in ihm aufhört, oder es zerfällt weiterhin in käsiges Material, von
dem noch nie mit Sicherheit beobachtet worden, daß es ohne Schaden
resorbiert wurde. Das Ende ist Einschmelzung oder Einkapselung,
Auf dieses Gewebe haben auch die größten Tuberkulingaben keinen
heilenden Einfluß.
2. Sodann haben wir das Gewebe, welches neben und vor dem
tuberkulösen Herd entstand. Hier spielen sich die tuberkulösen Ent¬
zündungsprozesse ab, und dieses ist auch das Gebiet, wo wir die
Tuberkulin Wirkungen in ihrer ganzen Größe beobachten können. Ihr
Wesen bestand in einer enormen Steigerung der schon vorhandenen
reaktiven Entzündung, die zu einem akuten Zerfall des tuberkulösen
Gewebes z. T. in käsige Massen führte. Nur wenn durch oberflächliche
Lage oder chirurgische Eingriffe diese Massen entfernt werden konnten,
war unter sonst günstigen Verhältnissen eine Heilung zu beschleunigen.
Virchow sagt wörtlich: ,,Von dem Koch’schen Mittel hat bis jetzt
noch niemand behauptet — und ich glaube, das liegt auch ein wenig
außerhalb seiner Lichtung — , daß indurative Prozesse, also auch Ein¬
kapselungsvorgänge, dadurch begünstigt würden. Gerade die relativ
heftige Heizung,, welche das Mittel erzeugt, steht der Umbildung des
jüngeren Gewebes in definitives, festes Bindegewebe entgegen.“
3. Neben diesen Geweben finden wir die Produkte, die keine Ge¬
webe sind. Dies sind die Exsudate, die katarrhalischen Hepatisationen
usw. Diese weichen, wenn das Grundübel sich ändert. Ihr Verschwin¬
den darf man nicht direkt als einen Tuberkulinerfolg ansehen.
Die Hauptsache bleibt, daß der Tuberkelbazillus auch nach den
höchsten Dosen Tuberkulins nicht beeinflußt wird. Gerade nach hohen
Gaben konnte Virchow in den Leichen eine, über große Körper¬
regionen zerstreute Menge, miliärer Tuberkelknötchen demonstrieren,
die unmöglich schon vor der Behandlung bestanden haben konnten,
ohne schwere Krankheitserscheinungen zu machen. Mir ist auch dies
ein Beweis dafür, daß, entgegen dem Wunsch des Therapeuten, große
Tuberkulingaben einen Erkrankten vor den Schädigungen durch den
Tuberkelbazillus mindestens nicht schützen können.
In dem damals heftig wogenden Streit über Tuberkulinerfolge zieht
isich dann Virchow zurück, nachdem er seine endgültige Ansicht in
folgenden Sätzen festgelegt hatte :
„1. Wir haben keine Beobachtung darüber, daß die Bazillen als solche ge¬
tötet und etwa aufgelöst werden.
2. Wir haben keine direkten Tatsachen, welche beweisen, daß eine Resolution
des wirklichen Tuberkelgewebes erfolgt, daß der Tuberkel als solcher infolge
des Mittels resorbiert werden könnte.
3. Wir haben eine ganze Reihe von Beobachtungen, welche dartun, daß
sowohl der Tuberkel, wie das ihn umgebende ReizungsgeAvebe, das entzündliche
Gewebe, durch das Mittel einer schnellen Zerstörung zugeführt wird, und daß diese
Zerstörung die Möglichkeit auch einer relativ frühzeitigen Heilung gewährt.
4. Wir haben keine Erfahrung darüber, daß indurative Prozesse begünstigt
würden, daß die Einkapselung, die Umhüllung käsiger Teile mit fibrösen Massen,
begünstigt würde.
5. Es besteht der Verdacht, daß das Mittel schon abgekapselte Massen wieder
mobilisiert, wieder in Bewegung bringt, und auf diese Weise einen Herd, der
wenigstens scheinbar unschädlich geworden war, wieder zu einer aktuellen Gefahr
für den Kranken macht.“
Sind nun dies© schweren Bedenken im Laufe der vielen Jahre
überwunden worden ? Zunächst griff man wieder zum Tierversuch.
Können Tuberkulingaben unbedenklich empfohlen werden? 1315
Leider waren die Versuche, welche Koch zur Entdeckung' des Tuber¬
kulins führten, niemals genauer veröffentlicht worden. Aus Koch’s
Angaben geht hervotr, daß er zeitweise mit abgetöteten Kulturen,
die lokale Eiterung erzeugten, gearbeitet hat. Daß solche lokale
spezifische Eiterungen einen intensiveren Einfluß auf Immunisierungs-
vorgänge haben können, ist mir sehr wahrscheinlich, da wir bei vielen
Infektionskrankheiten im Endstadium einer Autoimmunisierung Eite¬
rungsprozesse sehen.
Jedenfalls haben die Tierversuche mit Koch s Tuberkulin, welche
Pfuhl und Dömitz! anstellten, um das sinkende Ansehen der neuen
Methode zu retten, keinen Einfluß auf die Therapie mehr auszuüben
vermocht. Ihre Methode blieb die Anwendung hochsteigender reaktion-
auslösender Gaben. Ihr Resultat war, daß die am Orte der Wahl
eingepflanzte Tuberkulose, d. h. die eingeimpfte Augentuberkulose des
Kaninchens und die eingespritzte Bauchfelltuberkulose des Meerschwein¬
chens, in hohem Grade heilten, dagegen das Leben dieser Tiere nur
in engen Grenzen verlängert wurde, da Lungenleidein sich entwickelten.
Diese Beobachtungen zwingen zu der Annahme, daß an den primären
Impfstellen der tuberkulöse Prozeß durchs Tuberkulin mobilisiert
wurde und der Tuberkelbazillus auf irgendeinem Wege in die Lungen
kam. Hier fand er bessere Entwickelungsbedingungen, und der damit
verbundenen immunisierenden Bück Wirkung verdankten die primären
Impfstellen Z. T. ihre Heilung. Vorgänge, wie wir es auch im unbeein¬
flußten Verlauf einer Tuberkulose nicht selten beobachten können.
Sehr begünstigt wird diese Auffassung durch Baumg^rten’s
Beobachtungen bei der künstlichen Bindertuberkulose. Spritzte er große
Mengen humaner Bakterien in die Blutbahn, so fand er in den direkt
tödlichen Fällen die Bakterien in den Filtrationsstellen der Drüsen,
Milz, Leber, serösen Häute usw. Uebersteht aber ein Bind diese Infek¬
tion längere Zeit, so sind diese primären Stellen vernarbt, es hat sich
aber inzwischen eine schwere Lungentuberkulose entwickelt.
Immunisierungsversuche mit Tuberkulin, hatten bei Baumga,rten
nie einen hemmenden Einfluß auf Bazillenentwickelung. Vielmehr schien
sich der Tuberkelbazillus unter dem Einfluß des Tuberkulins nur noch
leichter zu entwickeln.
Viele Jahre sind seitdem verflossen. Unzählige Versuche sind
gemacht, um mit irgendeinem Bazillenprodukt dem gefürchteten Feind,
sei es direkt, sei es durch Hervorrufung der Bildung von Antikörpern
zu Leibe zu gehen. Koch selbst hat, um die gesamte Bazillensubstanz
zur Wirkung zu bringen, sein Tuberkulin und seine Bazillenemulsion
zur Verfügung gestellt. Doch der böse Feind, die Bazillen, blieben
unberührt — und -die Bedenken gegen Tuberkuline sind nicht Zerstreut
worden.
Beeinflußt wird aber jede Tuberkulose von diesen Präparaten.
Der therapeutische Wert aller Tuberkuline beruht immer wieder auf
dem Grad der Einwirkung, der von ihnen auf das perituberkulöse Ent¬
zündungsgewebe ausgeübt wird. Diese Unterschiede sind freilich sehr
erheblich, doch nimmt in der Therapie das Koch’sche Alttuberkulin
in Deutschland wieder einen hervorragenden Platz ein.
Die im Tierversuche immer wieder bewiesene Tatsache, daß erst eine geraume
Zeit vergehen muß, bis Tuberkulin wirkt, haben es mir zur Gewißheit gemacht,
daß alle Tuberkulinreaktionen : die Fieberreaktion, die kutane, intrakutane und sub¬
kutane Lokalreaktion, die Ophthalmoreaktion, die Schleimhautreaktion, die Re-
83*
1316
Nourney-Mettmann,
aktionen vom Magen -Darmkanal aus Immunitätsreaktionen sind. Mich hat die
steigende Reaktionsfähigkeit gegen dasselbe Virus bei einem vakzinierten Kinde in
der Entwickelungszeit der Kuhpocken schon vor der Tuberkulinzeit auf diese Vor¬
gänge achten gelehrt — von Pirquet hat jetzt gezeigt, daß auch bei der Vaccine
jahrelang solche Reaktionen die erworbene Immunität anzeigen; dadurch lag es mir
stets fern, diese Symptome an sich zu bekämpfen. Ich verfolgte das Ziel, eine un¬
genügende Immunität zu fördern, und bin der Natur dankbar, daß sie in den Bak¬
terienpräparaten ein Mittel gegeben hat, in spezifischer Weise einen vorhandenen
Immunisierungsprozeß zu beeinflussen. Die ungeheure Beständigkeit solcher Immuni¬
tätsreaktionen möge immer mehr von einer unnützen Bekämpfung derselben ab¬
halten, und ihre leichte Steigerungsfähigkeit auf den richtigen Weg zur Heilung
führen.
Stetige Anwendung hat das Alttuberkulin in der Tiermedizin zu
diagnostischen Zwecken gefunden. Ich halte auch dort die Anwendung
größerer Gaben nicht für unbedenklich. Es gibt wohl beobachtete
Fälle, wo Finder von Zeit zu Zeit mit größeren Tuberkulingaben auf
Eeaktionsfähigkeit geprüft wurden. Käme dem Tuberkulin eine vor
Bakterien schützende Kraft zu, so hätten diese Binder doch in erster
Linie gesunpl bleiben müssen. Aber es kam doch die Zeit, daß sie an¬
fingen auf Tuberkulin zu reagieren und dann auffallend schnell einer
Tuberkulose erlagen.
Jetzt hat sich die Tiermedizin völlig der aktiven Immunisierung
durch abgeschwächtes oder artfremdes Impfmaterial zugewandt. Die
üblichen Tuberkulinprüfungen scheinen mir dabei auch nicht unbedenk¬
lich zu sein. Zunächst ist es wichtig1, zu wissen, daß ein Bind nach
artfremder Bazillenimpfung nicht sofort immüne Kräfte zeigt, sondern
mindestens zwei Monate vergehen, bis sich schützende Einwirkungen
zeigen, bis dahin ist es erhöht empfindlich gegen Bindertuberkulose,,
so daß es besonders vor Ansteckung geschützt werden muß.
Auch Behring’ s Bovovaccin machte häufiger eine latente Tuber¬
kulose akut. Werden nun mit Hoymann’s Schilfsäckchen geschützte
Binder öfter mit Tuberkulin kontrolliert, so beginnt ein großer Teil
von ihnen zu reagieren, d. h. sie werden trotz Tuberkulin oder vielleicht
durch Tuberkulin mit Tuberkulose infiziert befunden.
Artfremde Bakterien, z. B. die menschlichen, bleiben in Rindern lange lebendig,
ohne lokale Schädigungen an sich hervorzurufen. Dies beweist die polizeiliche
Verordnung, daß nach einer B ehr ing’schen Schutzimpfung das Tierfleisch bis neun
Monate später nur bedingt tauglich ist, d. h. nur in durclikochtem Zustande ver¬
kauft werden darf.
Klimmer’s nichtinfektiöser Impfstoff besteht aus ab geschwächten
Menschen- und avirulenten Tuberkelbazillen. Werden nun Binder, die
auf Tuberkulin reagieren, hiermit einmal injiziert, so fand neuerdings)
Glöckner nach 1 — 2y2 Jahren gute Verkalkungen, statt der sonst
in denselben, Stallungen häufigen akuten heftigen Formen. Solche
Impfungen machte er nur sehr selten, jedenfalls später jährlich nur
einmal bei denselben Tieren. Ich möchte hervorheben, daß nach solchen
Mitteilungen zu den Verkalkungen die Wirkung lebender Bakterien
nicht unwesentlich zu sein scheint.
Dieser ganz kurze Einblick in die Erfahrungen der Tierheilkunde
zeigen uns zwei Punkte deutlich an : Zu einer Heilung durch aktive
Immunisierung sind nicht tote, sondern aktive Bakterien notwendig,
doch gegen Tuberkulin in höheren Gaben bleiben schwere Bedenken.
Zum Schutze unserer Medizin, die sich auf Tierexperimente stützt, sagte
A irchow am 9. V. 91 im preußischen Abgeordnetenhäuser „Im Tuberkulin ist un¬
zweifelhaft eine Reihe großer Gefahren — aber trotzdem wird kein Arzt,, der sich
Können Tuberkulingaben unbedenklich empfohlen werden? 1317
berufen fühlt, mit dem Mittel weitere Versuche zu machen, als Giftmischer und
Mörder angeklagt werden können. Ehe man an die Behandlung des Menschen ging,
sind zahlreiche Versuche an Tieren angestellt worden, und diese schienen es zu
rechtfertigen, daß man mehr erwarten dürfe, als nachher sich gezeigt hat.“
Ich glaube, daß eine Tuberkulinbehandlung jetzt sich auch nicht
über solche Bedenken aus den Tierbeobachtungein hinwegsetzen darf,
in der Hoffnung, daß der Mensch anders auf dies Mittel reagiert als
das Tier. Ein gesundes Meerschweinchen ertrug schon vor zwanzig
Jahren 2 g und mehr Tuberkulin, und der gesunde Mensch, insbesondere
der Neugeborene verträgt ebenso unendlich viel, aber ein Schutz vor
Tuberkulose wird dadurch nicht erzielt. Entsteht da nicht von selbst
die Frage: „Wie kommt es, daß durch die Tuberkulinbehandlung ein
stark Reagierender wieder so immun gegen Tuberkulin werden kann
wie der Neugeborene, und wie begründet sich die Auffassung, daß solche
Tuberkulinimmunität eine Heilung der Tuberkulose sein oder herbei¬
führen soll?“
Wenn wir das vielgestaltige Bild der Tuberkulose betrachten
und dabei die drei Komponenten nicht außer acht lassen, aus denen
nach Virichow das anatomische Gepräge einer Tuberkulose besteht,
so muß fes von selbst bedenklich werden, wenn Tuberkulin aufhört zu
reagieren. Ich habe nach eigenen Erfahrungen über die Entwickelung
der Kuhpockenimmunität stets darauf hingewiesen, daß eine zunehmende
Immunität mit einer sich steigernden Empfindlichkeit gegen ein Bak¬
teriengift zusammenhängt, und daß auch mit Tuberkulin in genügend
kleiner und seltener Gabe jede Tuberkulose empfindlicher gegen dies
Mittel gemacht werden kann. In dem Suchen, jede Tuberkulinein¬
spritzung an empfindlichen Kranken zu machen, bin ich zur konstanten
Anwendung immer kleinerer und immer seltenerer Gaben gekommen.
Die bestechenden Erfolge der modernen Phthiseotherapie sind
bekannt. Gerne würde ich von ihnen Nutzen ziehen, denn das Auf¬
steigen zu größeren Gaben in besonders geeigneten Fällen scheint wirk¬
lich zeitweise bessere Erfolge zu haben als das Stehenbleiben bei ge¬
ringsten Gaben. Das schnelle Schwinden lästiger Krankheitssymptome,
die Gewichtszunahme auch in recht schweren Krankheitsformen sind
nach steigenden Tuberkulingaben nicht selten ganz auffallend, und
besonders gibt das subjektive Sichwohlerfühlen der Kranken häufig
die Veranlassung zu steigenden Gabengrößen. Nun, diese Aenderungen
im Befinden der Kranken finden wir auch in der ersten Tuberkulinära,
als man in den, Reaktionen die Heilung der Tuberkulose erzwingen
^wollte. Sie beruhen hauptsächlich auf Aenderungen der Infektions¬
stellen. Nach den schweren Reaktionen wurde diese damals weniger
aktiv. Nach den vorsichtig steigenden Tuberkulingaben der neueren
Zeit hoffen geradezu einige Therapeuten einen Infektionsherd dauernd
entschließen, d. h. inaktiv halten zu können. Tritt der Infektions¬
herd mehr zurück, dann sind die Körperkräfte durch diese Entlastung
vorübergehend frei zum Dienst für das Wo h 1er befinde n des Kranken.
Leider hat sich ein größerer Krankheitsherd weder durch Tuberkulin¬
reaktionen wegschaffen lassen, noch wird dies jetzt in besonders aus¬
gesuchten Fällen dem Tuberkulin an sich gelingen.
Wird bei einer Tuberkulinbehandlung von dem Prinzip ausge¬
gangen, dem Tuberkulin als. Antikörper den Heilerfolg zuzuschreiben,
und demgemäß versucht, dem Kranken möglichst viel Tuberkulin bei¬
zubringen, wie es jetzt wieder Koch von neuem betont, so halte ich
1818
Nourney-Mettmann,
das für eine höchstbedenklich.© Sache, besonders soweit Tierversuche
mitzusprechen haben.
Wir haben immer zahlreicher Gelegenheit, Fälle zu beobachten,
die in Heilanstalten und Krankenhäusern als schöne Tuberkulinerfolge
entlassen sind. Ich wage nicht den Zustand derselben zu beurteilen,
da sowohl der anfängliche Erkrankungsgrad als auch die sehr ver¬
schiedenen Behandlungsmethoden meist unbekannt sind. Doch auch die¬
jenigen, welche einen längeren Lebenserfolg erreicht zu haben scheinen,
machen den Eindruck, und auch ihre Klagen gehen dahin, als ob aus¬
gedehnte Gewebswucherungen um den Krankheitsherd sich gebildet
hätten, die freilich dem Weiterschreiten der Krankheit Hindernisse
bereiten, aber auch die Gebrauchsfähigkeit der Lungen beeinträchtigen.
Infolge des ständigen durch Tuberkulin ausgelösten Reizes auf die
Umgebung des Erkrankungsherdes sind bei einigen geradezu Verdich¬
tungen oder asthmatische Zustände geschaffen worden. In einzelnen
Fällen ist dieser Gewebsschutz so gering, daß eine neue Attacke des
alten Leidens gleich zu solcher Verschlimmerung führt, daß überhaupt
an Heilung nicht mehr zu denken ist, und dann Tuberkulin den Zer¬
störungsprozeß nur beschleunigt.
Bleibt die Förderung der autoimmunisatorischen Vorgänge das
Ziel unseres Handelns, so arbeiten größere Tuberkulingaben entschieden
der Natur entgegen. Wir wissen, daß in großen Pausen einverleibte
lebendige Bazillen Versuchstiere immuner macher, so daß sie in Ver¬
hältnissen gesund bleiben, die sonst zur Tuberkulose führen. Die
großen Tuberkulingaben sollen vor Bazillen schützen, aber kein Tier¬
experiment spricht für den Erfolg solchen Kampfes. — Die Möglich¬
keit einer plötzlichen Miliartuberkulose, die immer wieder eintretende
Notwendigkeit, etappenförmig eine Spritzkur folgen lassen zu müssen,
beweisen, daß eine Immunisierung nicht genügend erfolgt ist, und
das entzündliche Gewebe kein hinreichender Schutz gegen die Erkran¬
kung war, vielmehr den Nährboden für eine weitere Bazillenwucherung
geben kann.
Dies hat schon in dem Jahre 1891 bedenklich gemacht, als man
beobachtete, daß lupöse Stellen während und trotz Behandlung mit
großen Tuberkulingaben rückfällig wurden. Kurz, wir sehen eigentlich
noch alle die Bedenken vorhanden, welche nach der Glanzperiode des
Tuberkulins zur Ablehnung geführt haben : nur in etwas chronischer
Form. Die Tuberkulose ist so eminent chronisch und der einzelne Arzt
beobachtet meist nur einen kurzen Abschnitt des langen Leidens, daß
Jahre vergehen, bis der einzelne Beobachter zu einem einigermaßen
gegründeten Urteil kommt. In bezug auf direkte Immunisierung durch
Tuberkulin ist dies Endurteil auch beim Menschen nach längerer Be¬
obachtungszeit stets ablehnend geworden.
Anfangs der neunziger Jahre pries ich ebenfalls den häufigeren
Gebrauch reaktionsloser Gaben, konnte ich doch schwere Tuberkulosen
dabei fast völlig entfiebern und besoh werdefrei bedeutend an Gewicht
zunehmen sehen. Genaue Temperaturmessungen zeigten jedoch immer
wieder einzelne Steigerungen ohne direkten Anschluß an Injektionen.
Diese verrieten, daß der Krankheitszustand nur verschleiert war ; und
die Rückfälle auch nach monatelanger heilsamer Behandlung ließen
mich damals an einem Dauererfolg durch Tuberkulin verzweifeln. Unter
den zahlreichen Behandelten waren einige, die wegen übergroßer
Empfindlichkeit gegen Tuberkulin (starke Temperatursteigerungen auf
Können Tuberkulingaben unbedenklich empfohlen werden?
1319
1 — 3 mg) nur in mehrwöehentlichen Pausen mit kleinsten Dosen be¬
handelt zu sein wünschten. Gier ade diese leben noch und rühmen das
Tuberkulin.
Daß kleinste Gaben wirken, beweist schon die allgemeine Ver¬
wendung derselben von ein millionstel Gramm an und neuerdings noch
weit darunter. Wie sehr kleine Gaben wirken, zeigen die Kutan¬
impfungen und die Augenreaktionen. So habe ich eine Patientin mit
Lungentuberkulose seit etwa 15 Jahren in Beobachtung. Schon Bruch¬
teile eines Dezimilligramms am Arm injiziert machen ihr jetzt heftige
Beizung an einem Auge, die erst nach einiger Zeit von selbst wieder
zurückgeht. Trotzdem wünscht sie von Zeit zu Zeit eine Einspritzung,
um das Allgemeinbefinden zh heben. Aber höchstens 1/2 cLmg darf
ich geben. Daß durch kleinste Tuberkulingaben sichtbare Erkrankungs¬
herde wochenlang in einen hyperämischen Zustand versetzt werden,
auch wenn die Injektionsstelle möglichst weit davon entfernt ist, ist
eine bekannte Tatsache. Solche Vorgänge beweisen, daß durch Tuber¬
kulin im ganzen Körper vitale Vorgänge ausgelöst werden. Diese
finden vornehmlich ihre Lokalisation um die Erkrankungsherde, welche
als spezifische Inokulationsstellen den allerge tischen Zustand heran¬
gebildet haben. Spezifisch sind diese Herde durch ihre Bakterien,
spezifisch wirkt die Bakteriensubstanz nicht als bakterientötend, son¬
dern immunitäterzeugend.
Wright hat in seinen Opsoninbestimmungen so schön gezeigt,
daß die Leukozyten schon unter dem Einfluß) sehr kleiner abgetöteter
Kulturmengen in großem Maßstabe die spezifischen Bakterien auf¬
nehmen, aber daß sie dieselben verdauen, hat er nie gesehen. Wie
im Kreislauf der Natur solche Kopulationsvorgänge zwischen Körper-
Zellen und Blutzellen aufzufassen sind, ist noch dunkel. Wir sehen
aus ihnen die geheimnisvolle Immunität entstehen und können stets
fermentähnliche Wirkungen verfolgen. Jedenfalls scheint auch die
Opsoninbehandlung zu beweisen, daß durch spezifische Anregung zur
Bazillenaufnahme ein Organismus spezifische Heilkräfte erhält, die
dem großen Gebiet der Immunität angehören. Wird diese Immunität
auch nicht immer so vollkommen, daß die Bakterien für den Träger
harmlose .Saprophyten werden, so sehen wir doch auch bei der Tuber¬
kulose häufig genug großartige Gewichtszunahme und die Besserung
der Blutbeschaffenheit trotz vorhandener Bazillen.
Für die Tuberkulintherapie habe ich in langjähriger Beobachtung
die Erfahrung gemacht, daß eine ganz leichte Steigerung des Beiz¬
zustandes um leinen Erkrankungsherd, wie ihn nur kleinste und seltene
Tuberkulingaben unterhalten, ganz unbedenklich ist und häufig auch
noch in Schweren Krankheitsfällen unerwartete Erfolge bringt. Etwas
Aenderung läßt sich in jeder tuberkulösen Erkrankung' nach ein- oder
zweimaliger Gabe von 1 ding wahrnehmen. Die lange Dauer dieser
Wirkung, die in vielen Fällen schon bis zur Heilung anhält, kann
nur auf gesteigerte Auslösung immunisatorischer Vorgänge bezogen
werden. Die minimale Tuberkulinmenge an sich kann nicht in Betracht
kommen. Die Veränderungen eines, Krankheitsherdes machen gar nicht
so selten vorübergehend einen schlimmeren Eindruck; dies halte ich
für ganz natürlich, da ein chronisch bazillärer Prozeß aktiver ge¬
worden ist, d. h. es ist der Naturvorgang, dessen Endziel ein Ver¬
schwinden einer spezifischen Disposition war, von neuem angeregt
worden, wie es sicherlich auch der Kern der Wright’ sehen Opsonin-
1820
E. Hönck,
therapie ist. Eine Bazillengefahr ist wegen vorhandener Autoimmnnität
vorläufig nicht vorhanden und eine wesentliche Besserung auch nach
anfänglicher Verschlimmerung die Begeh
Eine Steigerung der Tuberkulingabe ist niemals nötig, vielmehr
wird sehr häufig der Heilverlauf zu einer Verringerung der Gabe
von 1 dmg zwingen, sogar in Fällen, wo 1 dmg zunächst unwirksam
zu sein scheint. Wichtiger ist die Frage : Wie oft sollen wir einspritzen ?
Tuberkulose ist meist eine recht chronische Krankheit. Nach kleinster
Tuberkulingabe bleibt der gesteigerte Beizzustand wochenlang. Die
moderne, vorsichtig sich einschleichende Methode mit kleinen Tuber¬
kulingaben in rascher Steigerung lehrt wieder, wie leicht sich ein
Beizgewebe zu einem undurchdringlichen Wall verdichtet, indem das
ganze anschließende Gewebe in einen Zustand der Proliferation zu
gelangen scheint ; ich kann mir nur so die vorübergehende Unwirksam¬
keit des Tuberkulins erklären.
Bei richtiger Anwendung des Tuberkulins muß es allergetisch
* wirksam sein, d. h. der Organismus muß erhöht' empfindlich bleiben.
Dies kann nach einmal konstatierter Wirkung nur durch wochenlange
Pausen erreicht werden, ähnlich wie die Pausen sind, die im Tier¬
experiment mit lebendem Impfmaterial beobachtet werden müssen.
Fasse ich meine Bedenken gegen die häufigeren und hochsteigendeii
Tuberkulingaben zusammen, so lauten dieselben :
1. Eine- Heilung mit der Möglichkeit, hohe Tuberkulingaben zu
geben, beruht auf recht unsicherer Naturgrundlage. Sie scheint auf
einer Gewebsveränderung um einen Krankheitsherd zu beruhen und
ist keinesfalls dem Tuberkulin als aktiv immunisierendem Mittel zu
verdanken.
2. Alle Tierexperimente sprechen dafür, daß kein Tuberkulin au
sich immunisiert. Zur Steigerung einer spezifischen Immunität scheint
auch bei der Tuberkulose das langsame Einwirken lebender Bazillen
zu gehören. Solche Vorgänge sind bei der Möglichkeit, große Tuber¬
kulingaben reaktionslos zu geben, unterbunden, dementsprechend können
die darauf beruhenden Heilerfolge meist keine Dauererfolge sein.
3. Nur die Anwendung einzelner kleiner Gaben ist in jedem Krank¬
heitsfälle gestattet. Diese sollen eine Ueberempfindlichkeit gegen
Tuberkulin und tuberkulöse Prozesse hervorrufen und eventl. längere
Zeit unterhalten. So bleiben wir im Einklang mit der Naturheilung
durch Autoimmunisierung und können auf die jetzt so viel gepriesene
Anwendung von artfremden oder abgeschwächten Bazillen verzichten.
Bemerkungen zu dem Bericht über die Sammelforschung der
Berliner medizinischen Gesellschaft betreffend die Blinddarm¬
entzündungen des Jahres 1907 in Groß-Berlin.
Von Dr. E. Hönck, Hamburg.
Mehrfach finden sich in diesem Bericht Ansichten vertreten, die
nicht unwidersprochen bleiben dürfen.
Es heißt da: ,,.... so können derartige gewaltig© Zunahmen von
mehr als 100 °/0 (1903 — 1907) in der Hauptsache wohl nur durch eine
zurzeit fast alle Kulturländer der Erde überziehende periodisch© Endemie
erklärt werden.“ Und weiter.: ,.Ein untrüglicher Beweis dafür wird
dann erbracht sein, wenn nach einer Beihe von Jahren die ansteigende
Bemerkungen zum Bericht über Blinddarmentzündungen in Groß-Berlin. 1821
Welle der Erkrankungen wieder eine rückläufige Bewegung zeigt, wie
es z. B. in der neueren Geschichte der Diphtherie beobachtet worden ist.“
Vergegenwärtigen wir uns die Erkrankungsziffern der Pathologen
an großem Leichenmaterial (die u. a. Bibbeirt und Sudsucki, letzterer
für Berlin, übereinstimmend angeben), so fand Bibbert1) partielle
oder totale Obliterationen unter 400 Leichen 99 mal. „Wendet man
diese Berechnung nur auf die Erwachsenen an, läßt also alle Individuen
bis zu 20 Jahren, bei denen die Veränderung verhältnismäßig selten
ist, außer Betracht, so finden sich auf 100 Wurmfortsätze 32 oblite¬
rierende oder bereits ganz verschlossene.“ Bibbert gibt für die ein¬
zelnen Lebensalter folgende Zahlen: es finden sich Obliterationen
im Alter von 1 — 10 Jahren 4 °/0
„ „ „ 11-20 „ 11 „
„ „ „ 20-30 „ 17 „
„ „ „ 30-40 „ 25 „
* „ * 40—50 „ 27 „
„ „ „ 50--60 „ 36 „
n v v 60 70 „ 53 „
„Von Leuten, die über 60 Jahre alt sind, weisen also mehr als die
Hälfte Obliterationsprozesse des Wurmfortsatzes auf.“
Aschoff spricht sogar aus, daß im 6. — 7. Jahrzehnt wahrschein¬
lich 3/4 — 4/5 aller Menschen einmal im Leben an Appendizitis er¬
krankt war.
Behandelt wurden nach dem Bericht 2°/00 der Bevölkerung* Ber¬
lins an Blinddarmentzündung.
Was will diese kleine Zahl bedeuten gegenüber den im
Vergleich ungeheuerlichen Erkrankungsziif fern der Patho¬
logen? Und dabei muß man sich vergegenwärtigen, daß es
sich hier nur um Obliterationen, also die Folgen schwererer
Erkrankungen handelt, daß alle leichten Veränderungen un¬
berücksichtigt geblieben sind.
An anderer Stelle gibt der Bericht selbst zu, daß die Diagnose
der Eortsatzentzündung noch keineswegs genügend durchgearbeitet ist.
Nun also : Bemühen wir uns um die Diagnose, indem wir, wie ich es
seit Jahren tue, keinen Kranken aus den Händen lassen, ohne ihn auf
seine Eortsatzverhältnisse genau geprüft zu haben, und wir werden
die Zahl der Blinddarmkranken in den nächsten Jahren nicht nur um
abermals 100°/0, sondern um das Vielfache dieser Zahl steigen
sehen.
Zugleich mit dieser Steigerung, die bei größerer Sorgfalt und
Hebung in der Untersuchung des Bauches, an der es durchweg fehlt,
erwartet werden muß, werden natürlich die schweren Fälle abnehmen.
Man wird eben die leichten Fortsatzentzündungen, die den schweren
Erkrankungen meistens vorängehen, rechtzeitig auffinden und
durch Verordnung vernünftiger Lebensweise oder rechtzeitige Entfer¬
nung des kranken Organs, schon bei Kindern, schwereren Entzündungen
vorzubeugen lernen.
Erst dann, und wenn wir zugleich allgemein einer zweckmäßige¬
ren Lebensweise (Brustnahrung — weniger Fleisch) huldigen, wird man
erwarten können, daß die Blinddarmentzündungen weniger häufig wer¬
den — nach einer recht langen Beihe von Jahren also. Nichts abefr
Bibbert, Virchow’s Archiv, Bd. 132, 1893.
1322 E. Hönck, Bemerkungen z. Bericht über Blinddarmentzündungen in Groß-Berlin.
wird dann dazu ber edhtigeü,, von einer Abnahme oder eineim
milderen Auftreten einer Endemie zu sprechen.
Das hervorzuheben ist angesichts der Schlußfolgerungen des Be¬
richts nach meiner Ueber zeugung notwendig, um einer künftigen Legen¬
denbildung vorzubeugen.
Weiter gibt uns der Bericht an: „Von der Gesamtheit der ge¬
meldeten akuten Erkrankungen sind 68,5 erstmalige, 19,5 zweitmalige,
11,7 °/0 solche, die mindestens den dritten Anfall hatten.
Für die Mehrzahl der Kranken ist die Krankheit mit dem ersten
Anfall erledigt. Die Erwartung weiterer Anfälle wird mit jedem der¬
selben geringer.“
Diese Zahlen und die aus ihnen gezogenen Schlüsse entbehren
jeder Beweiskraft und sind nur zu sehr geeignet, jüngere Adepten
schwer irre zu führen.
Wir wissen nunmehr doch wohl alle — und zwei solche Kenner,
wie die Verfasser des Berichtes, sollten das nicht unbeachtet lassen — ,
daß bei der Epityplilitis eine negative Anamnese in bezug
auf vorhergegangene Erkrankungen gar nichts beweist.
Ich brauche das hier nicht weiter zu begründen. Jeder Arzt weiß,
daß bei weitem nicht jede Epityphlitis epityphlitische Erscheinungen
im strengen Sinne macht. Trotzdem lassen sich offenbar die meisten
Aerzte erst durch unmittelbare Erscheinungen zu mehr oder weniger
eingehender Untersuchung des Fortsatzes veranlassen, statt, wie ich
es schon mehrfach gefordert habe, auch bei anscheinend ganz fern-
liegenden Erscheinungen sich des „tückischen“ Organs zu erinnern.
Nur bei so systematischem V or gehen ist es möglich, den Befunden
der Pathologen nahe zu kommen und zu erkennen, wie in der Tat ganz
außerordentlich häufig die Blinddarmentzündung im Spiele ist.
Dann erst werden die Aerzte allgemein zu der Ueber zeugung
kommen, daß in den weitaus meisten Fällen leichtere Erkrankungen
den sogenannten ersten Anfällen vorangehen, sogar bei Kindern in den
ersten Lebensjahren, und daß der Fortsatz die Eingangspforte für alle
möglichen Infektionen ist, wie ich mehrfach betont habe.
Dafür, daß nach dem Bericht für die Mehrzahl der Kranken die
Krankheit mit dem ersten Anfall — dem sogenannten ersten —
erledigt ist, liegt die gegebene Erklärung darin, daß die Befallenen
vorsichtig in der Lebensführung werden, nachdem sie durch Schaden
klug geworden sind und die Erscheinungen und Vorboten der Epity¬
phlitis wenigstens im Groben kennen. Nicht aber darf daraus geschlossen
werden, daß etwa nach Art mancher Infektionskrankheiten ein An¬
fall vor Wiederholung schützt, ein Schluß, der übrigens im Bericht nicht
ausdrücklich gezogen wird, den sich aber minder kritische Köpfe nahe
gelegt sehen könnten durch Bezeichnung der Epityphlitis als! einer
Endemie.
Die Blinddarmentzündung ist geeignet, so recht die Domäne des
„praktischen Arztes“ zu sein, des Vielgeschmähten, dem so oft mit
echt spezialistischem Hochmut vor geschrieben wird, was er zu tun
und zu lassen habe.
Er hat es in diesem Fall ganz Und gar in der Hand, durch sorgfäl¬
tige Bauchuntersuchung und rechtzeitige Erkennung leichtester Anfälle,
klinisch gesprochen, schweren Erkrankungen vorzubeugen und diejenigen
Chirurgen, die jeden akuten Anfall operiert selben wollen, einfach ad
absurdum zu führen.
A. Albu, Erwiderung auf vorstehende Bemerkungen.
1823
Ich. kann diese Bemerkungen nicht unter drücken, da ich in der
spezialistischen Betriebsweise allein die Veranlassung sehe,
daß man dem Blinddarmproblem so schwer auch nur nahe kommt.
Man sollte bei dieser Sachlage vermeiden, die 3,3 °/0 Fehldiagnosen
zu erwähnen, oder gar die Blinddarmangst des Publikums heranzu¬
ziehen.
Denn den paar Fehldiagnosen steht eine ungeheure Zahl von
übersehenen Erkrankungen des Fortsatzes gegenüber.
Im übrigen wäre sehr zu wünschen, daß das Publikum, wenn
nicht mehr Angst, so doch mehr Einsicht in die Sachlage bekäme, vor
allem aber auch die Aerzte.
Erwiderung auf vorstehende Bemerkungen.
Von Prof. Dr. A. Albu, Berlin.
I. Der Verfasser obiger Ausführungen hat ganz gewiß recht,
wenn er betont, daß die Erkrankungen des Wurmfortsatzes wohl noch
nicht von allen Kollegen in ausreichender Weise in den Kreis ihrer
diagnostischen Erwägungen gezogen werden. Aber er schießt doch
weit übers Ziel hinaus, wenn er den Gedanken nährt, daß die klinische
Diagnose an Treffsicherheit je der anatomischen nahekommen könnte.
Es ist doch zuviel vom Arzt verlangt, daß er nun gar noch auch
okkulte Krankheitszustände erkennen soll! Wieviel Nierenentzün¬
dungen, chronische Magenkatarrhe und zahllose andere Organerkran¬
kungen findet der pathologische Anatom auf, welche in vivo weder
objektive noch selbst subjektive Symptome gemacht haben ! Freuen
wir uns doch, daß soviel Obliterationen des Wurmfortsatzes ihren
Trägern keine Beschwerden gemacht haben. Wenn sie damit 60 — 70
Jahre alt geworden sind, dann beweist das doch, daß solche gering¬
fügigen Veränderungen harmlos sind. Man soll doch nicht immer
wieder die Begriffe „pathologisch“ und „krank“ miteinander ver¬
wechseln !
II. Daß man auch durch „sorgfältigste Bauchuntersuchung“ häufig
keinen sicheren Anhaltspunkt für die Existenz einer Appendizitis und
insbesondere gerade bei den leichten und leichtesten Anfällen findet,
das, denke ich, ist doch jetzt allgemein bekannt und anerkannt. Eben¬
sowenig vermag ich leider auf Grund meiner eigenen Erfahrungen den
Optimismus des Herrn Kollegen Hönck zu teilen, daß durch recht¬
zeitige Erkennung leichter Anfälle schwereren Erkrankungen vorge¬
beugt werden kann. Meist ist ja gerade der erste Anfall der schwerste!
Trotz der gegenteiligen Behauptung des Herrn Verfassers ist es auch
durchaus nicht richtig, daß die schweren Anfälle stets leichte Vorläufer
gehabt haben. Davon, daß der erste Anfall vor Rezidiven schützt,
steht nichts in unserem Bericht, vielmehr das Gegenteil, daß die Appen¬
dizitis so sehr zu Rückfällen neigt wie wenige andere Krankheiten.
III Daß „der Wurmfortsatz die Eingangspforte für alle mög¬
lichen Infektionen ist“, mag der Herr Verfasser wohl mehrfach betont
haben, aber bewiesen hat er es nicht. Wenn man die Appendix zum
Sündenbock für alle möglichen Krankheiten macht, dann öffnet man
eben der kritiklosen Blinddarmfurcht des Publikums und mancher
Aerzte Tür und Tor. Solche Uebertreibungen und schiefe Auffassungen
sind die schwersten Hindernisse für eine Verständigung in der Appen¬
dizitisfrage.
1324
G. Rheiner,
Zur Diagnostik der Arteriosklerose.
Von Dr. Gr. Rheiner, St. Gallen.
(Schluß.)
In der Pathologie der Arteriosklerose wird hinsichtlich Häufig¬
keit klinischer Er kr an kungss y mptome die zweitoberste Stufe von den
Himgefäßen eingenommen. Ist selbige auch für den Kranken selbst
und seine Umgebung eine Quelle vielfachen Ungemachs, so ist sie doch
quoad longam vitam prognostisch erheblich günstiger als diejenige des
Herzens und des Truncüs aortae, aber wie hier, auch im Gehirn oft
schwer einwandfrei diagnostizier bar. Die Erstlingssymptome decken
sich auch hier in vielen Fällen, vollständig mit der anders bedingten
Neurasthenia cerebral is, äußern sich als rasche Ermüdung bei geistiger
Arbeit, Gedächtnisschwäche, Schwindelanfälle, Eingenommenheit des
Kopfes oder chronischer Kopfschmerz, besonders in der Stirngegend,
Schlaflosigkeit, nervöse Reizbarkeit, etwa als Flimmern vor den Augen,
Ohrensausen, früher nicht bemerkte Empfindlichkeit gegen Alkohol.
Gemütstief beanlagte Menschen geraten durch das drückende Bewußt¬
sein zunehmender geistiger Sterilität trotz geeigneter Lebensweise leicht
in einen Zustand tiefer melancholischer Verstimmung, eventuell mit
Angstzuständen, sofern diese nicht schon auf arteriosklerotischen Er-
weichungsh erden beruhen. Auch in Fällen vorgerückter Hirnatrophie
durch arteriosklerotische Thrombosen und Einschmelzung von Zerebral¬
substanz (Kapselgegend usw.) sollen vorübergehend geistig leichtere
Momente auftreten können, wo der Kranke dem denselben weiter nicht
kennenden Arzt den Eindruck eines vielleicht sonderlichen., aber doch
geistig relativ regen Menschen macht, der sich ziemlich treffend über
seine Person und andere Verhältnisse äußert und den er vielleicht selbst
zur Aufnahme in eine Lebensversicherungsgesellschaft empfiehlt. Früher
oder später aber treten neue zerebrale, Erscheinungen hinzu in Form
von epiplektiformen oder apoplektiformen Anfällen (sofern solche nicht
schon früher auftraten), Ausfälle in der Sprache, im optischen Gesichts¬
feld, Zustände psychischer Benommenheit, halluzinatorische Auflegungs¬
zustände, Hemiparesen usw. Die frühe Diagnose von „Hirnsklerose' ‘
bietet viele Schwierigkeiten, und soll uns auch negativer Befund in
den Extremitäten usw., zumal bei angestrengt geistig arbeitenden Men¬
schen nicht abhalten, eifrig nach Verdachtgründen des Bestehens sol¬
cher zu fahnden.
Am dritthäufigsten haben wir es mit Arteriosklerose der Nieren
zu tun. Wir betreten damit das Gebiet der Aorta abdomin. und ihrer
Verästelungen. Im allgemeinen muß die Umbiegungsstelle des
Truncüs aortae als Prädilektionsstelle arteriosklerotischer Aorten¬
erkrankung angesehen werden. Nach Angaben von Bauer (Arch. gen.
de med. 1904) auf Grund der Untersuchung von 75 Aorten alter Leute,
die an den verschiedensten} Krankheiten starben, finden sich bei sel¬
bigen die häufigsten und vorgeschrittensten arteriosklerotischen Ver¬
änderungen an der Bauchaorta, vielleicht, weil die Menschen mit Arterio¬
sklerose des Arcus aortae im allgemeinen früher sterben, als bei ent¬
sprechender Veränderung der Bauchaorta. Im Gebiet dieser letzteren
hat laut übereinstimmender Angaben von Rokitansky, Charc'ot,
Lob stein usw. sklerotische Erkrankung ihren Sitz insbesondere an
der Ursprungsstelle der großen viszeralen Gefäße und etwas oberhalb
der A. iliac'a. Bauer macht darauf aufmerksam, daß man bei nicht
allzu korpulenten Leuten, d. h. wo der Bauchteil des Truncus aortae
Zur Diagnostik der Arteriosklerose.
1325
der Palpation eher zugänglich ist, denselben als abnorm resistentesi
Rohr abtasten kann, ferner konstatierte er daselbst zuweilen ein ab¬
normes Geräusch. Erwähnte Befunde mögen oft eine diagnostische
Handhabe bilden zur Erklärung der uns noch beschäftigenden Abdo¬
minalbeschwerden, während man bei fettreichen Menschen in Verlegen¬
heit sein kann, zur Diagnose zu gelangen.
Die uns zuerst beschäftigende renale Form der A. abdom. ist
die häufigste Folge funktioneller Überanstrengung und Abnützung der
Nieren durch üppige Lebensweise, der sich andere Reizmomente (Über¬
maß von Alkohol, Nikotin, Koffein, Thein usw.) beigesellen können.
Chronischer Alkoholismus, chronische konstitutionelle Stoffwechsel¬
anomalien affizieren gleich schädlich Herz und Nieren. Es ist darum
oft schwer oder unmöglich, ause]inanderzuhalten, in welchen Fällen
die einwirkende Noxe zuerst den Kreislaufsapparat, in welchen zuerst
die Nieren beeinflußte oder wann beide Organe koordiniert, unabhängig
voneinander erkrankten. Bekanntlich ist das Nierengewebei äußerst
empfindlich, so auch gegenüber nur kurz dauernder, mangelhafter Blut¬
versorgung. Man hat nachgewiesen, daß schon zwei Stunden völliger
Anämie der Nieren durch Absperrung der renalen Blutzufuhr genügen,
um das Nierenepithel zu zerstören. Acht Stunden totaler Anämie zer¬
stören das gesamte Nierenparenchym. Demgemäß muß zunehmende
Arteriosklerose einer Reihe vasa efferentia der Glomeruli allmählich
gleichfalls zu Atrophie letzterer sowie der dazu gehörigen Harnkanäl¬
chen führen. Die funktionelle Prognose der reinen Form von Nieren¬
sklerose hängt also ab von der Ausdehnung und Intensität des sklero-
sierenden Vorgangs. Bei Stenose nur einer kleinen Zahl von Nieren-
arteriolen übernimmt intaktes Niereingewebe vikariierend die Funktion
der dienstuntauglichen, es kommt nicht zu klinisch pathologischen
Erscheinungen. Deshalb bleibt der Beginn progr edierender Nieren¬
sklerose oft lange Zeit latent. Dasselbe kann der Fall sein bei infek¬
tiösen Nierenerkrankungen durch bazilläre Embolien. Die funktionellen
Ausfallserscheinungen treten erst zutage, wenn eine größere Gewebs-
partie Schaden gelitten hat. Dies wird um so rascher der Fall sein,
je mehr unsolide Lebensweise, besonders Alkoholmißbrauch, berufliche
Schädlichkeiten, höheres Alter Zusammenwirken. Die Folge ist schlie߬
lich arteriosklerotische Schrumpfniere mit sekundärer Herzhypertrophie.
Selbst tiefgehende und offenbar schon monatelang bestehende Nieren¬
störungen, mögen sie nun arteriosklerotische Grundlage haben oder
nicht, bleiben bei Unterlassung der Untersuchung eines renale Gesund¬
heit vortäuschenden klaren Harns oft lange Zeit latent und unentdeckt,
wie ich häufig Gelegenheit habe, bei Individuen zu beobachten, die,
geängstigt durch die ersten Spuren von Nierenwassersucht, zur Kontroll-
untersuchung kommen. Der Vertrauensarzt eines Menschen oder einer
Lebensversicherung begeht nach meinem Dafürhalten eine nicht zu
rechtfertigende Unterlassungsünde, wenn er nicht in jedem Fall den
Harn des zu Untersuchenden auf Eiweiß prüft und hat leider oft
Gelegenheit, bedauerliche Überraschungen hierbei zu erleben. Kommen
dann schließlich bis anhin verborgene renale Eiweißverluste zutage,
so stehen die inzwischen immer mehr zur Ausbildung gekommenen
Kreislaufsstörungen, resp. die Symptome funktioneller Herzinsuffizienz
so sehr im Mittelpunkt des gesamten Krankheitsbildes und verdunkeln
dergestalt die primäre renale Basis, daß der Zusammenhang der Er¬
scheinungen nicht mehr mit völliger Klarheit festgestellt werden kann.
1326
G. Rhein er,
Als vierthäufigste Lokalisation der Arteriosklerose ist das Splanöh-
nikus-Gebiet zu nennen. Deren Diagnose gekört wohl zu den schwierig¬
sten Aufgaben der Diagnostik, und finden wir auch in den neuen
Handbüchern nur sehr spärliche Angaben über dieses Thema. Die
Diagnose gewinnt an Wahrscheinlichkeit bei sicherem Nachweis von
Arteriosklerose am Herzen, an der Aorta, an den Nieren, im Gehirn
usw., kann nur als Wahrscheinlichkeitsdiagnose per exclusionem ge¬
macht werden. Suchen wir uns im verwirrenden Symptomenkomplex
der viszeralen Arteriosklerose näher zu orientieren, sofern die Unter¬
suchung post mortem die klinische bewahrheitet und uns diagnostische
Schlußfolgerungen für weitere Fälle ziehen läßt! Wir verdanken unter
den neuen Autoren speziell J aquet in Basel (Korr. -Bl. f. Sohw. Ärzte
1906) wertvolle Mitteilungen über viszerale Arteriosklerose ; doch be¬
wies schon H äsen f ei d, daß selbige keineswegs so vereinzelt vor¬
komme, als man glaubte und von großer Bedeutung für die glanze
Inangriffnahme der resultierenden Beschwerden sei. Bei 14 von
Hasenfeld erwähnten Fällen bestanden dreimal sehr erhebliche Ver¬
änderungen der Splanchnikusgefäße bis zu nahezu vollständiger Ob-
literation, einmal mittelschwere oder Unbedeutende, makroskopisch nicht
wahrzunehmende Verdickungen der Gefäßwände. Des weiteren ging
aus seinen Sektionsbefunden hervor, daß unter Umständen ganz be¬
deutende Verdickungen der viszeralen Arterien vorhanden sein kön¬
nen ohne gleichzeitige nennenswerte Arteriosklerose der pulpabelh
Arterien der Arme wie auch der Aorta asc. oder anderer Gefäße. Der
Beigen der klinischen Beschwerden wird im allgemeinen wiederum
eröffnet durch die weiter oben genannten, eventuell jahrelangen all¬
gemeinen Klagen verminderter Leistungsfähigkeit. Zu denselben ge¬
sellen sich dyspeptische Störungen ohne objektiven Befund, daß man
mangels genauerer lokaler Anhaltspunkte an nervöse Dyspepsie zu
denken geneigt ist. Manchmal bietet sich ein klinischer Wegweiser
dadurch, daß dem viszeralen Schmerzanfall ein kardialer, stenokar-
discher, z. B. im Anschluß an eine körperliche oder seelische Auf¬
regung, vorausgeht. Manchmal ist die Beihenfolge der Anfälle um¬
gekehrt, und wechseln kardiale Anfälle und epigastrische Beschwerden
auch in der Folge miteinander ab. Gleichzeitige andere Zeichen von
Arteriosklerose und eventuell vorgerücktere Lebensjahre helfen auch
hier zur Erleichterung der Diagnose mit. Etwas genauer skizziert
äußert sich das sog. „arteriosklerotische Leibweh“ als anfallsweise
auftretender, minuten-, selbst stundenlang dauernder krampfartiger,
brennender oder bohrender Schmerz im Epigastrium, zuweilen als
Gefühl, wie wenn die Gedärme sich aufbäumen und zerspringen wollten.
Äußerlich mögen körperliche oder seelische Strapazen, blähende Spei¬
sen, Übermaß von Speise oder Trank als Veranlassung der erwähnten
Beschwerden imponieren. Tatsächlich aber beruhen sie nicht auf Stau¬
ung des Darminhalts noch auf mangelhafter Abfuhr der freien Darm¬
gase nach außen, sondern auf Kreislaufsstörungen der verengten Darm¬
gefäße zumal dann, wenn größere Arbeitsleistungen von ihnen gefor¬
dert werden. Sie führen zu schmerzhaften vaskulären Spasmen ein¬
zelner Darmabschnitte und zu Störung der Besorption der Gase durch
die Darmwand hindurch in das Blut. Hierauf mag auch der bei arterio¬
sklerotischem Leibweh häufig beobachtete Meteorismus der Darm¬
schlingen beruhen, welcher beispielsweise bei Bleiarbeitern als Unter¬
scheidungsmerkmal gegenüber diagnostisch nahe liegenden Anfällen von
Zur Diagnostik der Arteriosklerose.
1327
Bleikolik mit verwertet werden mag*. Es ist fernerhin Aufgabe des
Arztes, an Hand der Anamnese und der klinischen Daten genanntes
Leibweh von Schmerzanfällen bei Appendizitis, Peritonitis, Ulcus
ventric., bei Einklemmung eines Konkrements im Gallengang usw. ;
ferner von gastrischen Krisen bei Tabes, von einfacher viszeraler Neur¬
algie usw. abzugrenzen. Neuralgie, Rheumatismus, Influenza sind
ohnehin Bezeichnungen, die viel zu oft als Lückenbüßer für Erklärung
von Beschwerden dienen müssen, die man nicht tiefer ergründen mag
oder kann. Wiederholte genaue Untersuchung oder dann der weitere
Verlauf des Leidens klärt schließlich den wahren Sachverhalt auf, der
schließlich so gern als nachträgliche Komplikation statt der Tatsache
gemäß als primäres Krankheitsbild hingestellt wird.
Vor Abschluß meiner Erörterungen ist der Vollständigkeit halber
noch eines eigentümlichen, schon von Charcot, in den letzten Jahren
von W. Erb (Münchn. m. W. 1904) und Freund (Wiener m. Presse
1906) studierten Prozesses besonders in den unteren Extremitäten zu
gedenken, nämlich des intermittierenden Hinkens (Claudication inter-
mittente Charcot, Dysbasia angiosclerotica). Die Störungen beginnen
klinisch mit der Empfindung unerklärlicher Ermüdung, einer gewissen
Unsicherheit beim Gehen, des Tragens einer Bleilast an den Füßen.
Bei sofortiger Ruhepause verschwinden diese Symptome nach wenigen
Minuten, andernfalls gesellt sich Kältegefühl, Blässe, Zyanose beson¬
ders im leidenden Euß hinzu, auch Wadenkrampf. Die Anamnese er¬
gibt oft, daß zuweilen schon vor Jahren zeitweise genannte Beschwerden
und leichtes Hinken ohne positiven ärztlichen Erklärungsgrund zutage
traten, bis sie nach jahrelangen Remissionen ohne erklärliche Veran¬
lassung als objektiv nachweisbare Veränderungen in derselben unteren
Extremität oder im andern Bein neuerdings auf tauchen. Erb beob¬
achtete in 6 Jahren 45 solcher Fälle, darunter 38 typische. In 30 Fäl¬
len war das Leiden doppelseitig, in 15 einseitig (elf mal links, viermal
redhts). Ein sehr wichtiges idiagnostisches Merkmal ist das Kleiner¬
werden oder völlige Verschwinden des Fußpulses über der A. tibialis
postica unterhalb des inneren Knöchels und über der A. dorsalis pedis
auf der Mitte des Fußrückens. Alle vier Fußpulse fehlten sechszehn¬
mal, drei fehlten in zwei Fällen, zwei in sieben, einer in einem Fall.
In vier ganz typischen Fällen waren alle vier Pulse noch schwach
fühlbar", in drei derselben fühlten sich die betreffenden Arterien wie
dicker gewundener Draht an. In 37 Fällen bestand gleichzeitig allge¬
mein verbreitete Sklerose, nur 15 mal war bloß Arterioskler. cordis
nachweisbar. Es steht fest, daß der uns hier beschäftigenden Form
des Hinkens verschiedene Momente zugrunde liegen können, unter andern
Gicht, Lues, Tabakmißbrauch. So befanden sich unter den 45 Fällen
Erb’s fünfzehn maßlose, fünfundzwanzig starke Raucher. Selbstredend
sind Plattfuß, Rheumatismus, schmerzhafte Hautverdickungen, einge¬
wachsener Nagel usw. auszuschließen. Des weiteren mag es zuweilen
eine sog. funktionelle Neurose sein (Zesas, Fortschr. d. M. 1905), veran¬
laßt durch irgend welche geringfügige Gelegenheitsursachen. So weist
denn auch speziell Oppenheim daraufhin, daß der Gefäßapparat von
nervös beanlagten Menschen viel sensibler gegen schädliche Reize als
bei stabil akquili brier tem Nervensystem reagiert.
Es gibt aber Fälle von Dysbasie, wo alle erwähnten Faktoren
fehlen, wo auch der gelegentliche Sektionsbefund lehrt, daß der Sym¬
ptomkomplex auf arteriosklerotischen Veränderungen schon im Stamm
1328
G. Rheiner, Zur Diagnostik der Arteriosklerose.
der A. ‘femoralis oder dann in den periphersten Verzweigungen derselben
beruht. Ich habe obige Bemerkungen über das intermittierende Hinken
schon darum hier eingeflochten, weil der Arzt durch die Kenntnis
seiner diversen Entstehungsmöglichkeiten eher imstande ist, einzelne
eventuell wichtige Organbefunde, so luetischer Natur usw. herauszu¬
finden, die ihm sonst entgangen wären. Anderseits hat mich die Äuße¬
rung von Idelsohn (Deutsche Ztschr. f. Nervenheilk. 1907, p. 271)
dazu veranlaßt, wonach die Prognose des Zustandes um so schlechter,
die Gefahr arteriosklerotischer Gangrän um so größer ist, je früher
er sich zeigt.
Die in dieser Arbeit erwähnten Tatsachen ergeben die Notwendig¬
keit genauester Untersuchung der Antragsteller zur Lebensversicherung
auch in jungen Jahren, zumal bei hereditärer Veranlagung zu Stoff¬
wechselkrankheiten. Die Prognose der Arteriosklerose quoad vitam et
functionem richtet sich allerdings wesentlich nach dem Sitz der sklero¬
tischen Veränderungen, doch ist analog wie bei den ver schiedenen Klapp en-
störungen des Herzens eine genauere Angabe betreffend Reihenfolge in
der Gefährlichkeit der Arterienverkalkung in den verschiedenen Organen
nicht wohl möglich. Es kommt in letzter Linie eben auf die Dauer der
Kompensationsfähigkeit des Herzmuskels im Kampf mit den entgegen¬
arbeitenden Widerständen ,an. Diese richtet sich ihrerseits nach der
individuellen Leistungsfähigkeit des betreffenden Organismus überhaupt
gegenüber dem unvermeidbaren und unaufhörlichen Ansturm der Schäd¬
lichkeiten des sozialen Alltagslebens. Die Aussicht auf langes Leben
ist darum auch in bezug auf Arteriosklerose um so günstiger, je weniger
erstere an den Menschen her an treten und je später sich vaskuläre Ab¬
nutzungssymptome in lebenswichtigen Organen einschleichen. Wir er¬
sehen aus der Arbeit von Burwinkel (Ztschr. f. Vers. -Med. 1909), daß
Romberg schon nach dem 15. Jahr ein rasches und merkliches An¬
steigen der Arteriosklerose konstatierte, daß sie vom 30. bis 40. Jahre
bereits bei 1/7 von 1500 poliklinisch behandelten Menschen beobachtet
wurde, nach meiner Überzeugung noch immer1 ein zu geringer Bruch¬
teil des tatsächlichen Vorkommens. Am unheimlichsten muß darum
das Eintreten der Arteriosklerose ebenso wie Akquisition eines Klappen¬
fehlers sein vor Schluß ]des Körperwachstums, denn wenn die Herz¬
kraft in der Periode starken Körperwachstums ohnehin fast ungebühr¬
lich stark in Anspruch genommen wird, so wird sie es bei Dazutreten
von Gefäßsklerose noch mehr behufs Überwindung der sich unvermeid¬
bar einstellenden und durchwegs progredierenden Kreislaufsstörungen.
Tritt dann gelegentlich noch ein febriler bazillärer mechanischer und
chemischer Reiz zur vermehrten Gewebsarbeit hinzu, dann kann es zum
letalen Zusammenbruch der Widerstände kommen. Ich schließe meine
Betrachtungen mit einer Angabe O. Ros enb ach ’s (Leitsätze aus seinen
Werken, zusammengestellt von E sohle, Ztschr. f. Vers,-Med. 1908,
Nr. 3), daß die Stärke der Verkalkung an den peripheren Arterien
für die Prognose nicht maßgebend ist und Fälle mit ausgebreiteter
Verdickung aller kleinen Arterien eine günstigere Voraussage bieten
als solche Fälle mit der Lokalisation des Prozesses an einer großen
Arterie. Diese Angabe verdient eingehendes Studium der diesbezüg¬
lichen Verhältnisse, meine Erfahrungen berechtigen mich nicht, hierbei
mitzusprechen.
S. Leo, Wiener Brief.
1329
Wiener Brief.
Ein Sammelberickt. — Von Dr. S. Leo.
Alfons v. Rosthorn, dessen Antrittsrede wir in den letzten
Nummern stückweise brachten und in dieser beendigen, ist inzwischen
nach kaum einjähriger Tätigkeit in Wien, auf einer Jagd einem Herz¬
schlag plötzlich erlegen. R. sagte zum Schlüsse dieser Rede, die alle
Vorzüge Rosthor n’s in sich vereinigte: Bei der Prüfung der lokalen
Schmerzhaftigkeit hüte man sich vor Täuschungen. Druck auf die
hypogastrische Gegend, der bei der gynäkologischen Untersuchung regel¬
mäßig ausgeübt wird, kann Schmerz hervorrufen, der sehr verschie¬
denen Ursprungs ist. Es kann bei tiefem Drucke in die Beckenhöhle
von oben die gleiche Empfindung zustande kommen, wie bei Berührung
des puerperal infizierten Uterus oder bei mehr seitlich ausgeübtem
Druck der Schmerz infolge Kompression der veränderten Adnexe aus¬
gelöst werden. Manchmal jedoch entdeckt man, daß die Empfindlich¬
keit auf die Baudhdecken selbst beschränkt ist, das Aufheben einer
Hautfalte oder ein oberflächliches Kneifen ruft ausgesprochen schmerz¬
hafte Sensation hervor. Hier hat man es daher mit einer hyperalgeti¬
schen Zone, einer Reflexhyperalgesie im Sinne Heads zu tun. Besteht
nun Berührungshyperästhesie, so liegt unter Umständen ein hysterisches
Stigma im Sinne L omers vor. Bei der vaginalen Untersuchung ist
man ähnlichen Täuschungen ausgesetzt. Hier kommt die schon er¬
wähnte Schmerzhaftigkeit der Ligamenta sacra-uterina hinzu, ferner jene
bei Berührung' von Adhäsionssträngen im Douglas -Raume oder in der
Umgebung der Adnexe, welche hier als Residuen ab gelaufener Pelveo-
peritonitis sich finden. Auch die Berührung der Portio kann dann
schmerzhaft empfunden werden, wenn die der Gebärmutter erteilte
Bewegung zu Zerrung an Neomembranen geführt hat. Frische para-
metrane Exsudate sind bei kombinierter Untersuchung verhältnismäßig
wenig schmerzhaft ; ältere zeigen oft gar keine Druckempfindlichkeit.
Ausgesprochen ist die Druckschmerzhaftigkeit parazervikaler Narben
und 'Schwielen. Diese Qualitäten dürfen nicht mit den echten viszeralen
Hyperästhesien verwechselt werden, die sich bei Hysterischen auch im Be¬
reiche des inneren Genitales etablieren können. Im Zweifel halte: man Isich
dar aii, daß, wenn ein Schmerz trotz länger andauernder Ruhe fortbesteht,
narkotische Mittel sich als vollkommen effektlos erweisen, eine vor¬
sichtig vorgenommene Lokaltherapie ohne Erfolg bleibt, man den
Schmerz als psychogenen ansehen kann. Sicher hat man einen solchen
anzunehmen, wenn er rasch einer suggestiven Behandlung weicht. Als
klassisches Beispiel für den rein ideellen Schmerz, der von der Psyche
nach der Peripherie des Organismus projiziert wird, können jene Fälle
gelten, bei welchen trotz erfolgter operativer Entfernung der ver¬
mutungsweise den Ausgangspunkt bildenden Eierstöcke die Schmerzen
nach wie vor in der Eierstockgegend lokalisiert werden. R. geht dann
auf die Dysmenorrhöe über. Sie bietet ein nach Beginn, Dauer und
Intensität sehr wechselvolles Bild. Am häufigsten begegnen wir der¬
selben bei Mädchen und Jungfrauen, deren Genitalbefund nichts Ab¬
normes bietet. Die Erfahrungen, daß Atresie und Stenose regelmäßig
mit dysmenorrhoischen Beschwerden verbunden sind, hat unter dem
Einfluß des Werkes von Marion Sims über die Gebärmutter Chirurgie
zu der Lehre von der mechanischen Genese geführt, zumal nach einer
Erweiterungskur oder nach der ersten Geburt die Beschwerden oft
84
1330
S. Leo,
verschwinden. Weitere Beo hach tun gen, daß bei Beseitigung einer be¬
stehenden entzündlichen Veränderung auch die Dysmenorrhöe verschwin¬
det, ließen die inflammatorische Dysmenorrhöe unterscheiden, und so
unterschied man weiter. Batlos stand man jedoch der Gruppe von
Fällen gegenüber, in denen nichts Pathologisches zu finden war. Hier
ließ erst die Erkenntnis der großen Beeinflußbarkeit der Funktion durch
die Psyche Abhilfe schaffen. Mit dem zunehmenden Verständnisse der
bei der Menstruation auf tretenden Neigung zur Generalisation der
Schmerzempfindung gewann die Vorstellung von der Abhängigkeit der
dysmen orrhoischen Beschwerden von nervösen Momenten immer mehr
an Boden. Sie kann durch die Heilung dieses Leidens infolge psychi¬
scher Beeinflussung, also durch Suggestion, als sicher gefestigt ange¬
sehen werden. B. möchte sich der Hypothese von Menge anschlie¬
ßen, da sie das mechanische mit dem psychischen Auslösungsmomente
am veiständlichsten kombiniert. Menge nimmt an, daß bei jedem
Menstruationsprozesse durch das in das Cornu uteri ausgetretene Blut
Konti aktionen der Gebärmutterwand ausgelöst werden, um den Wider¬
stand zu überwinden, der sich am virginalen Organe, und zwar am'
Knickungswinkel, dem Austritte des angesammelten Inhaltes gegenüber
geltend macht. Diese Kontraktionen sollen von gesunden Individuen
nicht empfunden, bei neuropathisch veranlagten Naturen jedoch, deren
Widerstandsfähigkeit im Zentralnervensystem für sensible Impulse
wesentlich herabgesetzt ist, als äußerst schmerzhaft empfunden werden.
Es ist allgemein bekannt, welche Fülle seltsamer somatischer Empfin¬
dungen der Menstruationszeit ihre Entstehung verdanken und wie sehr
durch diesen den weiblicher Organismus regelmäßig treffenden Prozeß
auch das psychische Gleichgewicht gestört werden kann. Daß eine
erhöhte Erregbarkeit zu dieser Zeit besteht, ist unbedingt anzuerkennen.
Selbst die Neurologen geben eine mechanische direkte Beeinflus¬
sung (Druck, Zerrung) der den Genitalien benachbarten und mit ihnen
in Beziehung stehenden Nerven zu. So wird wenigstens jene Schmerz¬
kategorie zu erklären sein, die bei gewissen Geschwülsten (Verdrängung
der Nachbarorgane, Störung ihrer Funktion, Zerrungen am Stiele von
Neubildungen) und bei Entzündungsprodukten oder ihren Besten (Ad¬
häsionen im Bereiche des Bauchfellüberzuges, Narben und Schwielen im
Bereiche des Beckenbindegewebes) zur Beobachtung kommen. Daneben
gibt es aber eine große Summe von Klagen, die mit lokalen organischen
Veränderungen gar nichts zu tun haben, und als die wesentlichste Schwie¬
rigkeit, die uns in unserer Arbeitssphäre entgegentritt, möchte ich jene
bezeichnen, zu entscheiden, ob ein geklagter Schmerz als ein tatsäch¬
lich durch lokale pathologische Veränderungen bedingter oder als ein
vom Zentrum nach der Peripherie projizierter — also psychogener —
aufzufassen ist.
Nun zum Schlüsse ein Appell an Sie ! Gehen Sie liebevoll bei
den Kranken auf alle Einzelheiten ihrer Klagen ein ; beachten Sie auch
unscheinbares Detail. Lassen Sie sich nicht hinreißen, alles, wofür nicht
gleich ein Substrat zu finden ist, mit dem Schlagwort „Einbildung“
abzutun. Auch der hysterische Schmerz hat Anspruch auf unser Mit¬
gefühl und bietet oft wertvolle Handhaben für richtige Abhilfe ; die
Psychotherapie! Vielgestaltig tritt uns der Schmerz entgegen. Und
dennoch muß er als Freund der Leidenden gepriesen werden. Mit vollem
Bechte hat ihn schon die Antike als den verläßlichsten Wachhund der
Gesundheit bezeichnet. Da, wo er zu mahnen beginnt, kann Gefahr im
Wiener Brief.
1331
Anzuge sein und Zerstörung drohen. . . . Damit nehmen wir von Post¬
horn Abschied.
A. Biedl und B. Kraus sprachen über Anaphylaxie. Anaphy¬
laxie bedeutet eine erworbene spezifische Ueberempfindlichkeit gegen
Gifte. Die Autoren haben diese Erscheinung an Hunden experimentell
studiert. Injiziert man ihnen Serum, so werden die meisten anaphylak¬
tisch. Injiziert man ihnen nach einigen Tagen nochmals 10 ccm Serum,
so zeigen die anaphylaktisch gewordenen Tiere 30 Sekunden nach der
Injektion eine hochgradige Aufregung, Brechneigung, Kot- und Harn¬
abgang. Nach einer Minute folgt dann ein Depressionsstadium mit
lähmungsartiger Schwäche der Extremitäten, schließlich eine mehrere
Stunden anhaltende Anurie. Die Korne alreflexe sind dabei erhalten.
Dyspnoe tritt dabei nicht auf. Die Tiere können sich erholen oder nach
einigen Stunden oder Tagen zugrunde gehen. Gleichzeitig mit dem
Aufregungszustand beginnt hei den Tieren der Blutdruck rasch zu
sinken ; wenn er den niedrigsten Stand erreicht hat, tritt das Depressions-
stadium ein. Der niedere Blutdruck hält kurze Zeit oder auch mehrere
Stunden lang an, parallel mit dessen Dauer geht die Schwere der übrigen
Erscheinungen. Manchmal bildet die Blutdrucksenkung das einzige
Symptom der Anaphylaxie. Macht man anaphylaktischen, narkoti¬
sierten Hunden eine Seruminjektion, so tritt ein Blutdruckabfall ein,
die sekundären Erscheinungen (Aufregung, Brechneigung usw.) sind
kaum ausgesprochen, die Injektion von Adrenalin steigert nicht den
Blutdruck. Die Narkose verhindert die Erscheinungen der Anaphylaxie,
weil sie die Erregbarkeit des Nervensystems herabsetzt. Die Ursache
des Blutdruckabfalls ist die Erweiterung der peripheren Gefäße infolge
Lähmung peripherer Nervenapparate. Wenn der Druck auf der tiefsten
Stufe steht, ist die Injektion von Adrenalin wirkungslos; je später sie
nach der Seruminjektion erfolgt, desto besser ist die Wirkung. Tiere,
welche infolge der Seruminjektion zugrunde gehen, zeigen bei der Ob¬
duktion Hämorrhagien in den Bauchorganen. Chlorbaryum bewirkt
eine Blutdrucksteigerung durch direkte Einwirkung auf die peripheren
Gefäßnerven. Injiziert man es einem anaphylaktischen Tier, so ver¬
schwinden alle krankhaften Erscheinungen, der Blutdruck steigt, und
das Tier erholt sich bald. Injiziert man zuerst Chlorbaryum und dann
Serum, so treten die Erscheinungen der Anaphylaxie überhaupt nicht
auf ; das Chlorbaryum kann daher dieselben verhüten und heilen. Inji¬
ziert man das Serum eines sensibilisierten Tieres einem normalen, so
wird letzteres nach 24 Stunden anaphylaktisch (passive Anaphylaxie).
Ein Tier, welches eine Beinjektion überstanden hat, ist für einige Zeit
gegen eine neuerliche Injektion unempfindlich (Antianaphylaxie). Nach
der Beinjektion tritt eine starke Herabsetzung der Gerinnbarkeit des
Blutes ein, so daß es selbst tagelang flüssig bleibt; in demselben ver¬
schwinden die polynukleären Leukozyten fast vollständig, die Lympho¬
zyten und Blutplättchen sind vermehrt. Die Erscheinungen der Ana¬
phylaxie haben eine große Aehnlichkeit mit der Vergiftung durch
Witte-Pepton, die krankhaften Symptome dürften bei beiden durch
denselben Körper hervorgerufen werden, vielleicht durch das Vasodilatin,
einem Verdauungsprodukt des Eiweißes. Durch die erste Seruminjektion
wird eine Vorstufe des Vasodilatins gebildet, die in die Blutbahn ge¬
langt, und wenn sie in großer Menge vorhanden ist, oder bei einem
empfindlichen Individuum, krankhafte Erscheinungen (Serumkrankheit)
hervorrufen kann. Bei der zweiten Injektion entsteht sofort Vasodilatin
84*
1332
S. Leo, Wiener Brief.
in großen Mengen lind entfaltet seine Wirkung. Die Idiosynkrasie
gegen verschieden© Genußmittel ist anf Abbauprodukte derselben zurück¬
zuführen; vielleicht spielt auch hier das Vasodilatin eine Holle. Zur
Injektion wurde Binder- und Pferdeserum verwendet.
Wilhelm Palte und Carl Budinger stellen zwei Fälle von
typischer Arbeitertetanie vor, bei denen sie Versuche mit Adrenalin
angestellt haben. Bei experimenteller Tetanie wurden Störungen im
Kohlehydratstoffwechsel nachgewiesen. Das deutet darauf hin, daß
normal er weiser von den Epithelkörperchen Hemmungen nach dem chrom¬
affinen System ausgehen. Da das chromaffine System rein sympa¬
thischer Natur ist, so war zu erwarten, daß der Sympathikus bei der
Tetanie sich in einem Zustand erhöhter Erregbarkeit befindet. Tatsäch¬
lich wurde bei tetanischen Kranken nach der Adrenalininjektion eine
akute Exazerbation des tetanischen Zustandes beobachtet. Wir haben
also auf der einen Seite gesteigerte Erregbarkeit des Sympathikus, auf
der anderen Seite findet sich bei der Tetanie mechanische und elektrische
Uebererregbarkeit der peripheren Nerven. Durchschneidungs versuche
an experimentell tetanischen Tieren gestatten die Annahme, daß der
primäre Sitz der Uebererregbarkeit in den großen motorischen Gan¬
glienzellen des Hirnstammesi und Bückenmarkes, resp. in den Interverte¬
bralganglien zu suchen ist, von denen aus der Erregungszustand in den
peripheren Nerven unterhalten wird. Beide Systeme werden durch
die Bami communicantes des Sympathikus verbunden. Es scheint daher
nicht unwahrscheinlich, daß von den Epithelkörperchen Hemmungen
ausgehen, die an irgendeinem Glied dieser Kette angreifen und deren
Einschränkung bei Epithelkörperinsuffizienz zu dem Erregungszustand
führt. Es lassen sich so Beziehungen denken zwischen innerer Sekre¬
tion auf dem Wege über den Sympathikus zum peripheren Nerven¬
system, resp. zu den quergestreiften Muskeln und sensiblen Endappa¬
raten, Beziehungen, die nicht nur das Zustandekommen der tetanischen
Erscheinungen, sondern auch mancher trophischer Erkrankungen der
quergestreiften Muskulatur dem Verständnis näher rücken.
Julius Tandler und Sielgf'rid Grost sprechen über Eunu¬
choide. Eunuchoide sind Personen, deren äußerer Habitus und deren
Organentwicklung den wahren Kastraten ähnelt. Der Eunuchoide ist
im Besitze seiner Geschlechtsdrüse, die sich allerdings in einem hypo¬
plastischen Zustande befindet. Die Eunuchoiden sind charakterisiert
1. in ihrem Skelett; 2. in ihrem Genitale, den sekundären Geschlechts¬
charakteren und durch Veränderung an jenen Drüsen mit innerer Sekre¬
tion, die mit dem Genitale in Zusammenhang stehen ; 3. durch die Fett¬
en twicklung. Ad 1 : Offene Epiphysenfugen, Ueberwiegen der Unter¬
länge, Größe der Spannweite, Beckenform und Genu valgum. Ad 2 :
Unterentwicklung der Geschlechtsdrüsen, Fehlen des Bartes, Fehlen oder
geringe Entwicklung der Axillarhaare, Fehlen der Crines pubis oder
falls solche beim männlichen Individuum entwickelt sind, horizontale
Abgrenzung des behaarten Feldes gegen die Unterbauchregion, Fehlen
der langen Augenbrauenhaare, Kinderstimme, Eunuchenkehlkopf und
Thymuspersistenz. Ad 3: Nicht der Grad der Fettentwicklung ist
charakteristisch, sondern die Art des Fettansatzes an bestimmten Stellen,
die auch bei relativ mageren Bepräsentanten vorhanden ist, in Form
eines in der Unterbauchregion sich gegen die Schamgegend mit einer
geschwungenen Linie absetzenden Fettwulstes. Die Eunuchoiden lassen
sich in zwei Gruppen teilen : die einen mit nachweisbarer Hypophysen-
Vorläufige Mitteilungen und Autoreferate.
1333
Veränderung, die anderen ohne nachweisbare Veränderungen. Die erste
Gruppe zeigt jene Veränderungen, die Fröhlich als Hypophysen Ver¬
änderung ohne Akromegalie, Bartels als Dystrophia adiposo- genitalis,
Eiseisberg und Frankl-Hochwart als Degeneratio adiposo -genitalis
bezeichnet haben. V ollkommen verschieden von den Eunuchoiden sind
die mit wahrem Infantilismus behafteten Individuen, die eine gering-
gradigere Hypoplasie des Genitales zeigen, denen auch der typische
Fettansatz vollkommen fehlt. Die Thymuspersistenz gehört auch zum
Symptomenkomplex des Status thymicus. Die Grenze zwischen dem
Eunuchoidentypus und dem Status thymicus; festzustellen wird die
Aufgabe weiterer Forschungen sein. Das Offenbleiben der Epiphysen¬
fugen ist abhängig von der Entwicklung der Zwischenzellen, die beim
Eunuchoiden fehlen, beim Kryptorchen, trotz des fast regelmäßigen
Fehlens der Sperm atogenese, gut entwickelt sind und beim normalen
Individuum einen bestimmten Entwicklungsgang durchmachen.
(Schluß folgt.)
Vorläufige Mitteilungen u. Autoreferate.
Ein Beitrag zur Behandlung der Tuberkulose der Lungen.
Von Hof rat Dr. Stepp, Nürnberg.
In einem längeren Vortrag im ärztlichen Verein in Nürnberg
teilt Autor die Ergebnisse seiner Behandlung mit, welche außerordent¬
lich günstig sind und welche, um es gleich vorweg zu sagen, in einer
Resorption des chronisch-infiltrierten entzündlichen Ge¬
webes bestehen, das fast zum normalen zurückgeführt wird. Hier¬
bei schwinden die Begleiter scheinungen, Auswurf und Husten
unter vortrefflicher Erholung der Gesamtkonstitution. Die Fälle sind
längere Zeit vorher schon beobachtet gewesen und betreffen solche,
10 im III. und 6 bezw. 7 im II. Stadium, welche einen progressiven
deletären Charakter zeigten und bei denen eine spontane Besserung
unbedingt ausgeschlossen war. Gerade diese sieht Verfasser als be¬
weisend für den Erfolg seiner Behandlung an.
Die Behandlung besteht in der Anwendung des Menthols, das
vor vielen Jahren als innerliche Medikation schon empfohlen wurde.
Verfasser hat aber hiervon damals einen Effekt nicht gesehen und sie
wieder aufgegeben. Seit Januar 1909 hat er nun die Behandlung
mit Menthol wieder aufgenommen, aber in Form von Inunktionen
(Schmierkur). Es wird eine 30 — 40°/0ige Mentholsalbe1) nach be¬
sonderer Vorschrift jeden Tag an einer andern Hautfläche 10 Minuten
lang eingerieben, bis die Haut trocken ist, und zwar in der
Reihenfolge : 1. und 2. Bückenhälfte, 3. Brust, 4. rechter, 5. linker
Oberschenkel, dann Wiederholung. Die jedesmalige Quantität ist der
5. Teil einer Salbe : 12,5 Menthol : 25,0 Eucerin. Der Erfolg der Be¬
handlung hängt davon ab, daß die Anwendung mit Ausdauer und
lange Zeit, 4 — 5 Monate und noch darüber hinaus, fortgesetzt wird.
Nachteilige Erscheinungen gibt es nicht.
Von den ausführlich geschilderten Fällen seien als besonders inter¬
essant folgende kurz mitgeteilt :
1) Als Salbengrundlage eignet sich das von Prof. Unna empfohlene Eucerin
am besten. Eine fertige Mentholsalbe von vorzüglicher Qualität liefert in Tuben
unter dem Namen „Ceromentum“ die Eucerinfabrik in Aumänd bei Bremen.
1334
Vorläufige Mitteilungen und Autoreferate.
3. Ein Magazinier, 48 Jahre alt, leidet schon seit einigen Jahren
an Phthise mit einer taubeneigroßen Kaverne RVO (Schallwechsel).
Zu der Verdichtung des rechten Ober- und Mittellappens kommt im
Februar eine Infiltration des linken Oberlappens ; kolossaler Auswurf,
Nachtschweiße, hochgradige Schwäche; Stadium III. Behandlung vom
10. März bis Mitte Juni, und Nachbehandlung im September und
Oktober. Das Ergebnis besteht in Resorption der mächtigen In¬
filtrationen und Schwund der Kaverne! Ueberall nur vesiku¬
läres Atmen, keine Rasselgeräusche. RVO, wo die Kaverne war, besteht
verschärftes Atmen mit einem leichten ziehenden Geräusch. Arbeits¬
fähigkeit, Gewichtszunahme.
7. Ein 17 jähriges Mädchen hat eine linksseitige Spitzeninfiltration
bis zur Gräte mit Rasseln, auch RHO Spitzenkatarrh. Behandlung
vom 15. März bis Mitte Juni. Die Infiltration ist verschwunden,
es besteht vesikuläres Atmen mit einzelnen Rasselgeräuschen. Zur
völligen Erholung kommt das Mädchen in eine Heilstätte und wird
dort mit Tuberkulineinspritzung behandelt. Vorzeitige Entlassung nach
2 Monaten. Die sofort vorgenommene Untersuchung ergibt trotz Ge¬
wichtszunahme eine ganz bedeutende Verschlimmerung des Status der
Lunge : LHO an der früheren Stelle eine starke Dämpfung bis zur
Mitte des Schulterblattes mit Bronchialatmen und klingenden Rassel¬
geräuschen ; große Müdigkeit, wieder Schweiße, viel Auswurf. Aus
dem früheren Stadium I war in der Heilstätte Stadium II ge¬
worden, zweifellos durch Tuberkulin. Nach wieder vorgenommener
Mentholbehandlung folgendes Ergebnis: Völliges Schwinden der In¬
filtration LHO ; jetzt wieder vesikuläres Atmen, nur einzelne Rassel¬
geräusche, kein Auswurf, treffliches Befinden !
12. Frau N., 32 Jahre alt, leidet seit 3 Jahren bei häufiger
Hämoptoe an linksseitiger Infiltration des Oberlappens bis zur Mitte
des Schulterblattes mit Bronchialatmen und klingendem Rasseln. LVO
eine kleine Kaverne mit knatternden Rasselgeräuschen. RHO Spitzen¬
rasseln ; Stadium II. Frau N. wurde von der Aufnahme in die Heil¬
stätte abgelehnt! Behandlung von Mitte April bis Ende Juli. Nach¬
behandlung im September und Oktober. Ergebnis: Völliges Schwin¬
den der Infiltration, resikuläres Atmen, Kavernenerschei¬
nungen1) nicht mehr vorhanden, dafür besteht ein inspiratorisches
ziehendes Geräusch bei verschärfter Exspiration2) ; treffliches Befin¬
den. Die weiteren Fälle müssen im Original nachgelesen werden. Es
besteht wohl kein Zweifel, daß bei solchen schweren Fällen die ein¬
getretene Besserung dem angewandten Mittel zu verdanken
war, denn eine spontane Besserung ist da ausgeschlossen!
Verfasser schildert nun den Vorgang der Besserung während der
Behandlung; erst nach 2 — 3 Wochen fängt die Besserung an. Die
Aufhellung der Dämpfung wird oft markiert durch tympani-
tischen Schall, ein Zeichen der Entspannung des infiltrierten
Gewebes, welches zur Resorption kommt, so daß die Perkussion
und Auskultation fast normal wird, und Auswurf usw. völlig zurück¬
geht. Die Atmung wird frei durch die wachsende Kapazität der Lunge.
Verfasser erwähnt kurz die Erfahrungen der Mentholbehandlung
bei anderen Erkrankungen: Die Infiltrate, welche nach Ablauf der
ß Die Obliteration der Kaverne wird ermöglicht durch die Resorption des
Pseudogewebes, so daß die Wände der Kaverne sich Zusammenlegen können.
2J Inzwischen ist auch hier normales Atmen ohne jedes Geräusch eingetreten.
Referate und Besprechungen.
1335
akuten Pneumonie der Kinder so häufig Zurückbleiben, werden
durch Mentholbehandlung rasch beseitigt. Die Lungen tnbeiv
kulose bei Diabetes wird durch Menthol nicht beeinflußt. Die akute
Tuberkulose, die äußere Drüsentuberkulose und die Knochentuberkulose,
sind einer Mentholbehandlung nicht zugänglich.
Wie wirkt nun das Menthol auf die tuberkulös erkrankte Lunge
ein? Verfasser meint, daß das Menthol durch die Lymphgefäße
der Haut aufgenommen und durch die Lunge ausgeschieden
wird. Auf diese Weise wirkt es spezifisch auf das kranke Ge¬
webe (die Infiltration) ein und bewirkt die Resorption.
Verfasser schneidet die Frage an, ob mit der durch das Menthol
bewirkten Resorption des Pseudogewebes nicht gleichzeitig
eine konstitutionelle Aenderung des Lungengewebes selbst
stattfände, ob ni|cht eine Immunität dem Tuberkelbazillus
gegenüber erzielt wird, so daß die Bedingungen seiner
Existenz erschwert werden. Diese interessante Frage möchte der
Autor den Forschern auf diesem Gebiete überlassen haben. Verfasser
teilt die 18 Fälle mit, damit durch anderweitige Prüfung in möglichst
kurzer Zeit großes Material erwächst und zweifelt nicht, daß seine
Resultate Bestätigung finden. Autoreferat.
Referate und Besprechungen.
Bakteriologie und Serologie.
Ein einfacher Apparat zur sterilen Blut- bezw. Serumgewinnung für
Laboratoriumszwecke.
(Dr. H. Käthe. Zentralbl. für Bakt., Bel. 49, H. 2.)
Der Apparat besteht aus einem Erlenmay er’schen Kolben, der die zur
Defibrinierung nötige Zahl Glasperlen enthält und mit einem doppelt
durchbohrten Kautsehuckstopfen verschlossen ist. Durch die Durchbohrungen
fuhren 2 Glasrohre, die in bestimmten Winkeln geknickt sind, und so vollständige
Sterilität des einlaufenden Blutes sichern. Das eine Rohr ist mit einem
Schlauch versehen und trägt die Kanüle.
Das in diesen Apparat aufgenommene Blut hält sich noch nach tage¬
langer Aufbewahrung im Brutschrank steril. Auch zur sterilen Serumge¬
winnung ist der Apparat zu verwenden. Schürmann (Düsseldorf).
Blut-Alkali-Agar, ein Elektivnährboden für Choleravibrionen.
(A. Dieudonne. Zentralbl. für Bakt. usw., I. Abteil. Bd. 50, S. 107/108, 1909.)
Die Mitteilung des bekannten Münchener Bakteriologen über ein ein¬
faches Verfahren, um die als Cholera-Erreger angenommenen Vibrionen kul¬
turell zu isolieren, hat in den beteiligten Kreisen großes Aufsehen erregt.
Gibt man zu defibriniertem. Rinderblut Normalkalilauge zu gleichen Teilen,
so entsteht eine lackfarbige Flüssigkeit, die sich im Dampftopf sterilisieren
läßt. 30 Teile hiervon mit 70 Teilen gewöhnlichen Nähragars vermischt
geben einen Nährboden, auf welchem die sog. Choleravibrionen sehr üppig,
und zwar fast ausschließlich wachsen.
Die bakteriologische Diagnose gestaltet sich demgemäß höchst einfach:
Streicht man von verdächtigen Exkrementen etwas auf den Nährboden aus,
so ist Cholera anzunehmen, wenn anderen Tages etwas darauf gewachsen ist;
andernfalls liegt eine harmlosere Affektion vor.
An der Dieudonne’schen Mitteilung ist mancherlei interessant. Erstens
ihre Kürze: auf einer einzigen Seite berichtet D. von diesem Verfahren, das
anscheinend für die praktische Hygiene von enormem Werte ist. Nicht viele
1336
Referate und Besprechungen.
hätten wohl in gleicher Weise der Versuchung widerstanden, darüber einen
langatmigen Aufsatz mit historischen Reminiszenzen, Versuchsprotokollen und
Assignaten auf die Zukunft in die Welt zu schicken.
Sodann gibt es zu denken, wie es kommt, daß der Darminhalt auf ein¬
mal so stark alkalisch wird, daß der Vibrio darin gedeihen kann; nach
Dieudonne’s Titrationen wäre er auf etwa 0,6% freies Alkali zu schätzen.
Unwillkürlich rückt dabei die materia oder causa peccans eine Etappe rück¬
wärts: denn da nicht anzunehmen ist, daß der Koch’sche Vibrio sich sein
alkalisches Medium selber schafft, so sieht man sich gezwungen, eine frühere,
alkalinisierende Ursache zu postulieren, welche dem Kommabazillus den Boden
bereitet.
Andererseits führen diese Beobachtungen die Therapie zu dem Bestreben,,
dem Darminhalt saure Eigenschaften zu verleihen; dann könnte der sog,
Choleravibrio nicht weiter gedeihen und die Krankheit müßte aufhören, —
wenn wirklich der Kommabazillus das Ens morbi ist. —
So viele Anregungen vermag eine kurze Notiz zu geben !
Buttersack (Berlin).
Chirurgie.
Die Pankreatitis vom Standpunkt der klinischen Chirurgie.
(A. J. Ochsner, Chicago. Klin.-therap. Wochenschr., Nr. 28, 1909.)
Angesichts der relativen Häufigkeit, mit der Pankreatitis im Gefolge von
Gallensteinen auftritt, sowie der Erfahrung, daß an Pankreatitis leidende
Patienten fast immer Erkrankungen der Gallenblase oder der Ausführungs¬
gänge derselben aufweisen, ist es erwiesen, daß anatomische Besonderheiten,
die den freien Abfluß des Pankreassaftes durch den Ductus Santorini odert
den Ductus Wirsungianus behindern, günstige Bedingungen für die Infektion
des Pankreas liefern. Als häufigste Ursache der letzteren ist der Kolibazillus
anzusehen, der häufig in Verbindung mit dem Streptokokkus und Staphylo¬
kokkus auftritt. Eine klinische Diagnose der chronischen Pankreatitis ist
meist vor der Operation möglich, zumal durch die rechts vom Nabel oberhalb
der Mitte des rechten Rectus abdominis sich auf ein 5 — 10 cm langes Gebiet
erstreckende besondere Empfindlichkeit; ihre Behandlung muß vor allem
in Beseitigung der infolge der Stauung der infizierten Galle ents tan denen
Reizung durch Schaffung freien Abflusses, besonders Entfernung von Gallen¬
oder Pankreassteinen bestehen. Bei akuter Pankreatitis, die sich durch besonders
heftigen Schmerz im rechten oberen Quadranten des Magens, schweren Shock,
Übelkeit, Erbrechen, Zyanose, Glykosurie dokumentiert, bessert frühzeitige
Operation die Prognose bedeutend, doch ist es wichtig, in diesen Fällen das
Trauma auf ein Mindestmaß herabzudrücken. So gut wie aussichtslos ist
die Heilung da, wo die Extravasation des Pankreassaftes Fettnekrose ver¬
ursacht hat. Peters (Eisenach).
Hautgangrän nach Paraffineinspritzungen mit tödlichem Ausgang.
(Dr. Frank. Med. Klinik, Nr. 8, 1909.)
Der betreffende Kranke war zur Zeit als er in die Behandlung Frank’s
trat, 52 Jahre alt und bis vor acht Jahren gesund gewesen. Zu dieser Zeit
war er von einem Arzte wegen Lungenspitzenkatarrhs mit Paraffineinsprit-
zungen in ausgiebigem Maße behandelt worden, so- daß einen Monat hindurch
täglich zweimal, dann nach ieinem Monat täglich einmal Paraffin injiziert
wurde. Seitdem mannigfache Beschwerden an den Einspritzungsstellen, seit
drei Jahren arbeitsunfähig. — Auf dem Rücken finden sich zahlreiche
Walnuß- bis handtellergroße harte Infiltrationen, die zum Teil mit der Haut
fest verwachsen sind ; manche Infiltrationen sind auf der Unterlage ver¬
schieblich. Die Hiaut ist über den Infiltrationen fast überall blau oder
braun verfärbt ; aus vier nadeldünnen Oeffnungen (Stichkanälen) wird wäss¬
riger Eiter abgesondert. Außerdem zwei hühnereigroße, 2 cm tiefe außer-
Referate und Besprechungen.
1337
ordentlich stinkende Geschjwüre, die am Grunde mit harten nekrotischen
Massen belegt, an einzelnen Stellen granulationsähnliche Wucherungen zeigen.
Eine von einem ähnlichen Geschwür herrührende Narbe war vollkommen reiz¬
los. — Innere Organe ohne Befund, Urin normal. — Die Aehnlichkeit des Bildes
mit dem Zerfallen der Hautsarkome, die durch das kachektische Aussehen des
Kranken vermehrt wurde, war, wie die mikroskopische Untersuchung (Pathol.
Institut in Greifswald) ergab, nur eine scheinbare. — Der Kranke ging
trotz aufmerksamster Pflege infolge der fortschreitenden Gangrän schlie߬
lich zugrunde. — Frank bemerkt zu diesem gewiß sehr bedauerlichen Fall,
daß eine Behandlungsweise, auch wenn sie unter Tausenden von Fällen
nur einmal die hier dargestellten Folgen hätte, unbrauchbar sei (das ist
wohl zu wteit gegangen; Reif.), und daß die große Toleranz des Körpers
gegen eingelagerte Fremdkörper ihre Grenzen habe. Wenn nach einer langen
Reihe von Jahren noch nach Paraffininjektionen Gangrän eintreten könne,
so ist Vorsicht besonders in bezug auf die Menge des! injizierten Materiales
geboten. R. Stüve (Osnabrück).
Erfahrungen mit der Skopolamin-Morphin-Inhalationsnarkose.
(E. Zadro. Wiener klin. Wochenschr.)
Auf der v. Eiselsberg’schen Klinik erhält jeder Patient abends vor
der Operation 0,5 — 1,0 Veronal, um einen ruhigen Schlaf zu erzielen und
der psychischen Erregung vorzubeugen. 3/4 — 1 Stunde vor der Operation
wird dann 0,0005 Skopolamin in den einen, 0,01 Morphin in den anderen
Arm gespritzt. Nach Ablauf der genannten Zeit beginnt die Inhalations¬
narkose, zuerst bis zur Erreichung des Toleranzstadiums mit Billroth’scher
Mischung, dann bis zum Schlüsse mit Äther ; ausgenommen die Fälle, wo
von vornherein entweder reines Chloroform oder Äther gebraucht werden
muß. Das Skopolamin wird jeden zweiten Tag frisch verschrieben. (Scopol,
hydrobrom. inactivi Merck 0,005, Aq. dest. ad 10,0.) Im ganzen erstreckt
sich die Erfahrung der Klinik auf 770 derart behandelte Fälle. Sie ergibt,
daß die kombinierte Narkose sich durch Ausfallen des Exzitationsstadiumk
(ausgenommen .Uei Potatoren) und Ersparnis an Narkotikum auszeichnet,
einen günstigen Einfluß auf das postoperative Erbrechen ausübt und die
postnarkotischen Lungenkomplikationen vermindert. Gaben von Skopolamin
und Morphin, wie oben genannt, rufen bei den Patienten weder Vergiftungs¬
erscheinungen, noch gefährliche oder drohende Symptome seitens des Herzens
und der Atmung hervor und genügen, um ein Toleranzstadium herbeizuführen,
welches bei schwächeren Leuten ausgedehnte chirurgische Eingriffe unter
Lokalanästhesie vorzunehmen gestattet. Bei neurasthenisch veranlagten
Patienten und bei Basedow ist Skopolamin auch in kleinen Dosen nicht anzu¬
wenden; dagegen leistet es in Verbindung mit Schleich’scher Infiltrat! onsi-
än äst he sie sehr gute Dienste bei Strumenoperation.
M. Kaufmann (Mannheim).
Erfahrungen über das Narkotisieren.
(R. Frank. Wiener klin. Wochenschr., Nr. 22, 1909.)
Um auf die Psyche des zu Narkotisierenden beruhigend einzuwirken
ünd damit Schädigungen, die einen Tod durch Synkope im Beginn der
Narkose bewirken könnten, auszuschalten, rät Frank, furchtsame, aufge¬
regte, nervöse Patienten, Alkoholiker, Kinder sich selbst narkotisieren zu
lassen, indem man sie selbst die Maske halten läßt, bis das Exzitationsstadium
bezw. die Narkose ein tritt; die Patienten haben dadurch das beruhigende
Gefühl, daß sie nicht willenlos sind, werden abgelenkt und werden so weit
weniger aufgeregt. Der Narkotiseur soll dabei stets mit dem Patienten
in Rapport bleiben, ihn aufmuntern, beruhigen usw.
M. Kaufmann (Mannheim).
1338
Referate und Besprechungen.
Gynäkologie und Geburtshilfe.
Aus der königl. Universitäts-Frauenklinik zu Breslau und der Provinzial-Hebammen-
lehranstalt zu Oppeln.
Die Pathogenese der Eklampsie und ihre Beziehungen zur normalen
Schwangerschaft, zum Hydrops und der Schwangerschaftsniere.
(Priv.-Doz. Dr. Dienst. Archiv für Gyn., Bd. 86, H. 2.)
In einer sehr umfangreichen Arbeit legt D. auf Grund seiner früheren
Arbeiten und neueren Untersuchungen seine jetzigen, gegen früher modifizierten
Anschauungen über die Pathogenese der Eklampsie dar. — Zunächst schloß
D. aus der Gefrierpunktbestimmung des Eklampsieblutes, daß die bei Eklampsie
im Blu*e zurückgehaltenen Stoffe großmolekulärer Natur sein müssen, mit
anderen Worten Eiweißkörper. Dies gilt auch heute noch. Derartige Eiwei߬
stoffe konnten nun vom Fötus stammen. Dem war aber nicht so, denn es er¬
gab sich, daß im mütterlichen Blut Eklamptiseher weder die Albumine noch
die Globuline vermehrt waren. Dagegen hatte innerhalb der Globuline eine
Verschiebung zugunsten des Fibrinogens stattgefunden. Die Quelle dieses
vermehrten Fibrinogens glaubte D. in der Plazenta suchen zu müssen. Hatte
aber die fötale Entstehungstheorie der Eklampsie zusammenbrechen müssen
mit dem von Hits chm ann veröffentlichten Eklampsiefall bei einer Blasen¬
mole im 5. Monat, so fiel die plazentare Theorie mit der Beobachtung D.’s
einer schweren Eklampsie bei einer vollständig dichten, auch mikroskopisch
normalen Plazenta. Jene oben erwähnten großmolekulären Stoffe könnten
ja nur bei einer pathologischen Durchlässigkeit der Plazenta ins mütterliche
Blut gelangen. — D. kam durch neuere Überlegungen zu der Ansicht, daß die
Eklampsie nicht sowohl an das Schwangerschafts produkt als vielmehr an den
Schwangerschafts zu stand überhaupt gebunden ist. Er fand, anknüpfend
an den Überschuß von Fibrinogen im Blut Eklamptiseher und an die Tatsache,
daß dieses Fibrinogen aus zerfallenden Leukozyten entstehen müsse, daß bei
Eklampsie tatsächlich eine hochgradige Hy pefleukozy tose besteht. Ein
mäßigerer Grad von Hyperleukozytose ist auch in der normalen Schwanger¬
schaft vorhanden. Sie dient offenbar zum Aufbau des kindlichen Körpers.
Sie ist vergleichbar der Verdauungshyperleukozytose und D. spricht direkt
von einer Art chronischer Verdauungshyperleukozytose der Pla¬
zenta während der Schwangerschaft. Durch die dabei reichlich aus dem
intervillösen Raum in den allgemeinen Kreislauf tretenden Leukozytenabfall-
stoffe wird Fibrinogen in vörtneh'rter Menge frei. Hierdurch kann
bereits die Leber sehr ungünstig beeinflußt werden, es können Stoffwechsel¬
störungen lästiger Art eintreten, es kann schließlich das Endothel der Kapil¬
laren geschädigt werden, so daß Blutwasser aus den Gefäßen austritt, Ödeme
entstehen. Zum Hydrops der unteren Extremitäten und der Hydrämie gesellen
sich Albuminurie und zwecks Aufrechterhaltung der Isotonie Retention von
Kochsalz im Blute. Reichlich Kochsalz begünstigt aber bei etwa im Über¬
schuß vorhandenen Fibringeneratoren die Fibrinbildung. Mit der zunehmen¬
den Unfähigkeit der geschädigten Leber, die giftigen Globuline zu spalten,
muß es zu einer immer größer werdenden Anhäufung von Fibrinogen im Blute
kommen. Setzen nun vollends Wehen ein und gelangen jetzt infolge der
Wehenarbeit die während der Ruhigstellung des Uterus in größerer Menge
im intervillösen Raum angesammelten Zerfallsprodukte der weißen Blut¬
körperchen, insonderheit auch das Fibrinferment auf einmal in größeren
Mengen ins Blut, so muß Leber und Niere hierdurch erneut großen Schaden
nehmen. Es werden neben schwerer fettiger Degeneration des Parenchyms
zahlreiche Thromben und Nekrosen entstehen, Oligurie, Anurie, Konvulsionen
werden sich einstellen. (Chronischer Verlauf der Eklampsie). Erst recht
aber und ganz plötzlich wird die Eklampsie bei leukozytenreichen Erst¬
gebärenden sub partu entstehen müssen, wenn schwerere Zirkulationsstörungen
bereits während der Schwangerschaft bestanden haben, wie z. B. Druck auf
die Vena cava inf.
Referate und Besprechungen.
1339
D. spricht zum Schlüsse seiner Ausführungen die Hoffnung aus, daß,
falls seine Ansichten über die die Eklampsie erzeugenden Stoffe richtig sind,
es gelingen wird, ein Heilmittel zu finden, sei es ein Antifibrinferment, sei es
ein chemischer Körper (Hirudines). Ref. möchte hierbei des im Mailänder
serologischen Institute hergestellten Parathyreoidins gedenken, über welches
Präparat aus Deutschland bisher leider nur eine, aber erfreulicherweise günstige
Mitteilung betreffs seiner Wirksamkeit bei Eklampsie vorliegt.
R. Klien (Leipzig).
Aus der königl. Universitäts-Frauenklinik zu Halle a. S.
Die Bedeutung der hämolytischen Streptokokken für die puerperale Infektion.
(Dr. Th. Heynemann. Archiv für Gyn., Bd. 86, H. 1.)
Schottmüller hatte gefunden, daß die schweren puerperalen In¬
fektionen durch einen hämolytischen Streptokokkus verursacht wurden,
während sich bei weniger schwer verlaufenden Fällen ein Streptokokkus finden
soll, dem die Eigenschaft der Hämolyse nicht zukommt. H. stellte dies¬
bezügliche Nachuntersuchungen an mit Blut und Lochien von 125 fiebernden
Wöchnerinnen. Benutzt wurde die Schojttmüller’sche Blutagarplatte 2 : 5.
In 22 Fällen fand H. den hämolytischen Streptokokkus im Lochialsekret.
Zu diesen 22 Fällen gehörten sämtliche vier Todesfälle, welche unter den
125 Fällen vorkamen, und zwar konnten in diesen vier Fällen — aber nur
in diesen — die Streptokokken auch im Blute in großen Mengen nach¬
gewiesen werden. Die übrigen 18 Fälle boten durchweg schwere und in
mancher Beziehung charakteristische klinische Erfahrungen. So stieg bei
allen bis auf zwei die Temperatur plötzlich hoch an bis auf 39 — 41° und
gleichzeitig schnellte der Puls auf 126 — 140 in die Höhe. Regelmäßig fehlten
subjektive Beschwerden, trotzdem der Allgemeinzustand häufig recht schwer
war; peritonitische Erscheinungen bestanden fast nie. Bei den als typische
Endometritis verlaufenden 14 Fällen gingen Temperatur und Puls nach
1 — 3 Tagen zur Norm herab, jedoch traten verhältnismäßig oft ähnlich ver¬
laufende Rezidive nach 3—7 Tagen ein. Im übrigen zeigten die mit hämo¬
lytischen Streptokokken Infizierten klinisch nichts Gemeinsames. Das Fieber
begann zwischen dem zweiten und zehnten Wochenbettstage, ein Teil zeigte
Beläge an der Portio, ein Teil rein blutigen und riechenden Wochenfluß,
je nachdem gleichzeitig noch andere Keime vorhanden waren, sowohl im
Uterus als besonders im Vaginalsekret. Was nun klinisch besonders wichtig
ist, ist das, daß diese 18 Fälle sämtlich genesen sind einfach bei Bettruhe,
Eisblase, Ergotin, also ohne irgend eine Encheirese. Wie viele derartige
Fälle sind angeblich durch Antistreptokokkensera geheilt worden! Und gerade
in den vier Fällen, bei denen sich die hämolytischen Streptokokken auch
im Blute fanden, hatte weder die subkutane noch die intravenöse, bezw. bei
Peritonitis die intraperitoneale Einverleibung von 500 — 1000 Einheiten Höchster
Serum pro dosi den tödlichen Ausgang abzuwenden vermocht ; höchstens war
hier und da eine vorübergehende Besserung eingetreten. —
12 Fälle, bei denen sich nicht hämolytische Streptokokken fanden,
verliefen viel leichter; das Fieber stieg höchstens bis auf 39°, der Puls auf
112; Rezidive wurden nie beobachtet, ebensowenig Allgemeininfektion oder
Parametritis. — Was die anderen gefundenen Keime anlangt, so war es un¬
möglich, ihnen eine gesonderte ätiologische Bedeutung beizumessen ; alle diese
Fälle müssen vorläufig noch in den großen Topf der Saprämie untergebracht
werden. Ist nach dem Gesagten dem Nachweis der hämolytischen Strepto¬
kokken bei der puerperalen Infektion eine gewisse praktische Bedeutung
nicht abzusprechen, wenigstens dann nicht, wenn ihr Nachweis im Blute
gelingt, so darf leider die Tatsache nicht übersehen werden, daß jene Strepto¬
kokken im Lochialsekret auch gefunden worden sind, ohne daß sie für die
Trägerin hoch virulent waren. H. selbst fand in 31 von 50 Fällen bei fieber¬
freien Wöchnerinnen hämolytische Streptokokken sowohl im Scheiden-
1340
Referate und Besprechungen.
wie im Uterussekret. Negativ war das Resultat dagegen bei 20 normalen
Schwangeren. — Bezüglich der Technik genügt es meist, das Sekret mittels
Platinöse aus dem unteren Teil der Scheide zu entnehmen; in 8 — 12 Stunden
sind dio Kulturen im Brutschrank gewachsen. R. Klien (Leipzig).
Aus der königl. Universitäts-Frauenklinik zu Halle.
Klinische und bakteriologische Studien zum Puerperalfieber.
(Priv.-Doz. Dr. F. Fromme. Archiv für Gyn., Bd. 85, H. 1.)
F.’s Untersuchungen gelten dem Verhältnis der Streptokokken zum
Puerperalfieber. Zunächst konnte er die Angaben von Bumm und Sigwart
und anderen Autoren bestätigen, daß Streptokokken in der Vagina normaler
Schwangerer und normaler Wöchnerinnen recht häufig Vorkommen. F.
fand Prozentzahlen von 27 resp. 52. In keinem einzigen dieser Fälle zeigten
die Streptokokken hämolytische Eigenschaften, ein Befund, den Gönnet be¬
stätigt. Anders ist das Verhalten bei fiebernden Wöchnerinnen. In allen
ausgesprochenen schweren Fällen, bei denen sich Streptokokken in Rein¬
kultur oder beinahe in Reinkultur im Uterus fanden, wirkten diese Strepto¬
kokken hämolytisch und zwar sowohl auf das Blut der Trägerin als auch
auf das von anderen Personen. (Experimente mit tierischen Blutsorten wurden
nicht angestellt. Ref.) Die Eigenschaft der Hämolyse erwies sich als sehr
labil, durch Umzüchtung ging sie mitunter sehr bald verloren. Die gefundenen
Streptokokken entsprachen dem Scho ttmüller’schen Typus longus seu ery-
sipelatos. Bei saprgmischen Fiebersteigerungen überwucherten meist die
Saprophyten etwa vorhandene Streptokokken ; in 29 rein saprämischen Fällen
gelang es F. nur zweimal, Streptokokken zu isolieren, diese waren nicht hämo¬
lytisch! Das Blut blieb in diesen Fällen stets steril, ebenso in den vorher
bezeichneten Fällen von schwereren Streptokokken-Eondometritiden. Trotzdem
ist für diese die Prognose als dubia zu bezeichnen, da jederzeit ein Einbruch
der Keime, also der hämolytischen Streptokokken, in die Blutbähn erfolgen
kann. Dies sofort zu konstatieren, ist Sache der täglichen Blutuntersuchung.
Die Therapie besteht an der Hallenser Klinik bei den lokalisierten S-trepto-
kokken-Infektionen in Kräftigung des Organismus, Ruhigstellung des In¬
fektionsherdes, damit die Entwicklung der natürlichen Abwehrvorrichtungen
besser vor sich gehe. Gute Erfolge wurden von subkutanen Kochsalzinfusionen
gesehen, dagegen keine von Serum- oder Kollargoleinspritzungen. — In den
Fällen endlich, wo sich hämolytische Streptokokken auch im Blute fanden,
war die Prognose eine sehr trübe: F. sah von 10 solchen Fällen nur einen
in Genesung übergehen. Cano(n von 7 einen, Lenhartz von 20 fünf. Unter
den 10 F.’schen Fällen befanden sich 3 Endometritiden, (davon einer geheilt),
5 Peritonitiden (gestorben trotz Laparotomie und Drainage). Die Frage scheint
nun die zu sein, ob eine kleine, in das Blut eingebrochene Streptokokken¬
menge vernichtet werden kann, oder an einem Ort deponiert wird und hier
eine Metastase bildet, ob andererseits ein konstanter Gehalt des Blutes an
Streptokokken eine so gut wie infauste Prognose bedingt. F. ist der Meinung,
daß, wenn sich die Keime länger als 24 Stunden im Blute halten, das Blut
nicht mehr ein Transportmittel zur Metastasenbildung, sondern Nährmedium
ist. — Da der vorstehend erwähnte geheilte Fall mit Höchster Serum be¬
handelt war, rät F., auf dieses Mittel auch bei Peritonitisfällen nicht zu ver¬
zichten. Diese Fälle sterben wahrscheinlich mit an ihrer Streptokokkämie.
Das Serum unterstützt aber den Körper in der Vernichtung der Toxine. Nur
zeitige Darreichung und zeitige Inzision lassen gegenwärtig eine Besserung
der Prognose bei Peritonitis erhoffen. Die Streptokokken der puerperalen
Parametritis erwiesen sich zwar auch hämolytisch, aber sie bewirkten
nur eine schmutzig braune Verfärbung des Blutagars, bildeten keinen glas¬
hellen Hof. Dabei ist zu berücksichtigen, daß es sich um ältere Stämme
handelt, die schon längere Zeit in dem Eiter vegetiert haben.
R. Klien (Leipzig).
Referate und Besprechungen.
1341
Kinderheilkunde und Säuglingsernährung.
Ueber die hypertrophische Pylorusstenose im Säuglingsalter.
(Kaspar-Cnopf ’sches Kinderspital, Nürnberg. Münch, med. Woclienschr.,
Nr. 23, 1909.)
Mitteilung zweier Fälle von obiger Erkrankung, von denen der erste
mit einwandfreier Diagnose in der sechsten Woche der Gastro-Enterostomie
unterzogen wurde. Beide Fälle wieder Brustkinder mit unstillbarem Er¬
brechen, typischem Lokalbefund und schwerstem Gewichtsrückgang. Das
mit gutem Erfolg im Anfang operierte Kind bekam in kleinen, allmählich1
größer werdenden Mengen anfangs entfettete Frauenmilch. Nach einem
größeren Quantum reiner Frauenmilch schwere dyspeptische Erscheinungen,
die zum Stillstand kamen, trotzdem trat Exitus ein, weil wie bei der Hämo¬
philie aus der geringsten Erosion und aus alten Injektionsnadelstichen unstill¬
bare Blutungen einsetzten — als Folge schwerer Ernährungs- bezw. Assimila¬
tionsstörungen. Der zweite Fall ist nicht einwandsfrei. Die Therapie sei
nochmals wiederholt: Regulierung der Nahrungszufuhr, bestens Frauenmilch
u. U. entfettete einwandsfreie Frauenlnilch, eventl. gekühlt und .in kleinen
Portionen, systematische Magenspülung (1 — 2 mal pro Tag, mit kühlem Wasser
ca. 15° C), heiße Kataplasmen auf die Magengegend, vorsichtige Opium¬
therapie. Krauße (Leipzig).
Lieber chronische Magen-Darmdyspepsie und chronische dyspeptische
Diarrhöen des Kindesalters.
(R. Schütz, Wiesbaden. Therap. Monatsh., Nr. 7, 1909.)
Für die Diagnose den dyspeptischen Diarrhöen und der Dyspepsie ist der
Stuhlbefund entscheidend. Er wird (in manchen Fällen allerdings erst nach
wiederholter Untersuchung) eine objektive Störung, eine Insuffizienz der
Magen- und Dickdarmverdauung, meist aber beider aufdecken. Bei alleiniger
Beteiligung des Magens — die bei Kindern nicht anzutreffen ist — , wird
ein positiver Befund nur nach Verabreichung rohen, resp. unvollkommen
durchgebratenen Fleisches zu erwerten sein. Und namentlich für diese Fälle
sind die Abweichungen der Darmflora von größter diagnostischer Bedeutung.
Der diagnostische Wert der Hefen ist üm so größer, als; sie bei Dyspep tikern
aller auch im Stadium der Latenz und nach eingetretener Besserung noch
lange Zeit sich vermehrt z,u finden pflegen. Für die Diagnose der nicht
diarrhoischen Dyspepsie ist es wichtig, daß man an das Bestehen einer1
solchen überhaupt denkt, vor allem bei Kindern. Auffallend übler Geruch
und stark abweichende Reaktion der Fäzes werden stets Anlaß geben, an
sie zu denken. Steht der Charakter der Magen-Darmstörung fest, so' wird
man den ätiologischen Faktor zu ermitteln suchen, ob es sich um eine here¬
ditäre Disposition, etwa eine Achylia gastrica handelt oder um eine fehler¬
hafte Ernährung, etwa um den überreichen Genuß schlackenreicher Kost,
oder es liegt eine Chlorose, Rachitis oder eine Ernährungsstörung nach In¬
fektionskrankheiten zugrunde. S. Leo.
lieber die Behandlung der multiplen Abszesse der Säuglinge mit
spezifischem Vakzin.
(Wechsel mann u. Michaelis, Rudolf -Virchow - Krankenhaus Berlin. Deutsche
med. Wochenschr., Nr. 30, 1909.)
An mehreren Fällen haben Verf. die vorzügliche Wirkung der Wright-
schen Vakzine -Therapie f estgestellt, d. h. die Säuglinge mit ihrer typischen
disseminierten Furunkulose wurden aktiv immunisiert. Die komplizierte
Gewinnung der Staphylokokkenemulsion muß im Original nachgelesen wer¬
den. Sterilisiert wurde dieselbe subkutan injiziert mit einer Anfangsdosis
von 50 Millionen Staphylokokken, und nach acht Tagen abermals auf diese
Weise beigebracht, wobei über 100 bis 500 Millionen Staphylokokken in der
1342
Referate und Besprechungen.
jeweiligen Emulsion unter die Haut einverleibt wurden. Im allgemeinen
scheint ein polyvalentes Staphylokokken -Vakzin genügend heilkräftig zu
sein ; nur in seltenem Fällen muß es aus den Staphylokokken des Patienten
hergestellt werden. Krauße (Leipzig).
Ueber die subkutane Anwendung großer Adrenalindosen in der Therapie
diphtherischer Blutdrucksenkungen.
(Eckert. Therap. Monatsh., Nr. 8, 1909.)
Der Autor gibt von einer l%0igen Lösung des Suprareninum hydrochl.
drei- bis viermal täglich 2 — 3 ccm. Man kann dadurch den unmeßbar kleinen
Blutdruck selbst im Stadium der stärksten Senkung bis zu meßbarer Höhe
heben. Das Optimum der Wirkung scheint 1 — 2 Stunden nach der Injektion
einzutreten. Die Wirkung ist nicht eine flüchtige, sondern sie kann 7 Stunden
mit dem Tonometer verfolgt werden. Wir haben es aber hier nicht mit einem
Heilmittel im Sinne der Digitalis zu tun, sondern mit einem mächtigen Reiz¬
mittel. Meist nachweisbar war eine Zuckerausseheidung im Urin, die ge¬
legentlich ziemlich hohe Grade erreichte, aber 14 Stunden nach der letzten
Adrenalindose verschwand. S. Leo.
Hals-, Nasen- und Kehlkopfleiden.
Gehör und Nasenatmung bei Schülern.
(Courtacle, Arcli. internat. de lar., Bd. 27, H. 2.)
Verf. hat den Zustand des Gehörs und die Durchgängigkeit der Nase
bei 465 Schülern von 9 — 18 Jahren untersucht und mit dem allgemeinen
Gesundheitszustand, der Intelligenz, der Schulleistung, dem Charakter ver¬
glichen. — Er prüfte die Durchgängigkeit jeder Nasenseite gesondert und
teilte danach die Schüler in freie Nasen atmer, solche mit ungleicher Durch¬
gängigkeit und in teilweise Mundatmen Das Gehör wurde mit Stimm¬
gabeln geprüft. Zuerst wurde durch Aufsetzen der Gabel auf den Scheitel
auf Lateralisation geprüft, sodann wurde die Gabel vor die Ohrmuschel ge¬
halten, und durch Vergleich mit dem Untersucher wurde ein eventl. Gehör-
defekt festgestellt. Diese Methode gibt ziemlich objektive, sich leicht selbst
kontrollierende Resultate in kurzer Zeit. Die übrigen Daten wurden durch
die Lehrer gegeben.
Von 400 Schülern wiesen 85 ungleiche Nasenatmung, 81 Mundatmung
auf (davon 1 ausschließliche). Über die Hälfte, nämlich 209, waren in ver¬
schiedenem Grade schwerhörig, davon 45 beiderseits. Sieht man von ganz
leichten Fällen ab, so verhalten sich die Schwerhörigen zu den Normalen wie
3 : 5. Unter den Mundatmern fanden sich, wie vorauszusehen war, mehr
Schwerhörige als unter solchen mit normaler Nase. Man hätte nun erwarteu
sollen, daß die nasalen („Aprosexie nasale“) und aurikulären Defekte einen
Einfluß auf die Schulleistungen ausübten, jedoch war ein solcher durchaus
nicht nachweisbar. Dagegen war die Gesundheit im allgemeinen schlechten
bei behinderter als bei freier Nasenatmung.
Für die Registrierung des Charakters hatte Verf. folgende Noten vor¬
geschrieben: Ruhig, indolent, lebhaft, launenhaft, eigensinnig, ungelehrig.
Die Einreihung der Kinder in solche Rubriken kann nur subjektiv sein,
und so ist es nicht verwunderlich, daß sich keine Beziehungen zu den
körperlichen Daten ergaben.
Bei unserem Schularztsystem müssen sich leicht ähnliche Untersuchungen
• an noch größerem Material durchführen lassen. Arth. Meyer.
Vollständige Enukleation der Gaumenmandel.
(J. M. West. Archiv für Laryng., Bd. 22, H. 1.)
West schließt sich den Autoren an, die in letzter Zeit die Amputation
der Tonsille durch die Exstirpation mit der Kapsel zu ersetzen raten. Id
Referate und Besprechungen.
1343
Deutschland haben besonders Wj.nekler und Hopmann in diesem Sinne
sich ausgesprochen, die meisten Anhänger hat die Enukleation in Amerika.
Über die Berechtigung des Prinzips läßt sich streiten : Man macht eine
wesentlich eingreifendere, länger dauernde Operation, als es die Tonsillotomie
ist und ist im allgemeinen auf die Narkose angewiesen, kommt nur bei gut
haltenden Erwachsenen mit Lokalanästhesie aus. Auch die Gefahr der Blu¬
tung wird wohl größer sein, als wenn man sich innerhalb der fibrösen Kapsel
hält. Dafür hat man die Gewißheit, daß die Mandel sich nicht neu bildet.
Ref. glaubt freilich, daß das bei gründlichem Operieren auch sonst zu er¬
reichen ist, nur darf man sich nicht immer auf das Tonsillotom beschränken.
Von den Methoden früherer Autoren (z. B. Ballenger, vgl. Referat in
dieser Zeitschrift 1907, S. 442) unterscheidet sich West’s Vorgehen dadurch,
daß er, der Übersichtlichkeit wegen, hinten anfängt. Er zieht die Mandel
mit einer Hakenzange nach vorn und trennt sie vom hinteren Gaumenbogen
mittels eines L-förmigen Messers los; dann zieht er sie nach innen und schnei¬
det sie vom vorderen Gaumenbogen ab; zuletzt wird das lockere Bindegewebe
zwischen Kapsel und Constrictor phar. mit geknöpftem Skalpell von oben
nach unten oder von unten nach oben durchtrennt. Die Blutung ist durch
Kompression mit Gazetupfer zu stillen ; wenn dies nicht genügt, faßt W. die
blutende Stelle mit besonders konstruierten, gekrümmten Arterienklammern.
Arth. Meyer (Berlin).
Tuberkulose der Gaumenmandeln.
(Hurd u. Wright. Arch. internat. de lar., Bd. 27, H. 3.)
Kinder mit großen, gestielten, frei in den Pharynx ragenden Tonsillen
sehen meist wohl aus und leiden nicht an Drüsenschwellungen ; eingekapselte,
von den Gaumenbögen versteckte Mandeln dagegen, die oft nach oben in das
Gaumensegel hinein entwickelt sind, neigen zur tuberkulösen Infektion und
ziehen die Halsdrüsen und das Allgemeinbefinden in Mitleidenschaft. Sie
sehen gewöhnlich blaß aus und ihre Krypten enthalten käsigen Detritus.
Wenn man solche, der Tuberkulose verdächtige Mandeln exstirpiert, geht die
Drüsenschwellung bald zurück. In dem oberen Teil der Mandel und in un¬
mittelbarer Nähe der fibrösen Kapsel entwickelt sich hauptsächlich die Tuber¬
kulose. Daher fordern Verff. die vollständige Enukleation der Tonsille.
Unter 20 klinisch suspekten Fällen fanden Verff. 8 mal mikroskopisch Tuber¬
kulose. Sie betonen jedoch die Schwierigkeiten der histologischen Diagnose.
Aus dem mangelnden Nachweis von Bazillen darf man nicht Tuberkulose
ausschließen ; andererseits können nekrotische, schlecht färbbare Partien in
einem Granulationsgewebe die einzige Manifestation der Tuberkulose sein,
ohne daß man sie doch notwendig auf diese beziehen m'uß. — Verff. schließen
aus ihren Untersuchungen (Krankengeschichten und histologische Befunde
von 24 Fällen liegen bei), daß man mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit
schon klinisch die sog. „latente“ Tuberkulose der Tonsillen erkennen kann.
Arth. Meyer (Berlin).
Zusammenhang des Lymphsystems der Nase und der Tonsillen.
(von Lenärt. Archiv für Laryng., Bd. 21, H. 3.)
Es ist eine häufig gemachte Erfahrung, daß nach Nasenoperationen
follikuläre Anginen entstehen, und zwar besonders nach Eingriffen an den
unteren Muscheln. Es erhebt sich die Frage: Schafft die Operation nur eine
Disposition, welche die Infektion der Tonsillen durch Erreger, die an ihrer
Oberfläche vorhanden waren, ermöglicht; oder erkranken die Mandeln durch
Bakterien, welche ihnen direkt von der Operationswunde durch die Lymph¬
gefäße zugeführt werden? Durch Most sind Kommunikationen zwischen den
Lj^mphstämmen der Nase und der Tonsillen bekannt; entspricht diesem ana.-
tomischen Faktum aber auch ein physiologisches? v. Lenart injizierte
Hunden, Kaninchen und Ferkeln in die ventrale Muschel Aufschwemmungen
1844
Referate und Besprechungen.
von Ruß, Tusche, Zinnober usw. und fand natürlich nach 24 Stunden die
regionären Lymphdrüsen entsprechend gefärbt. Die Tonsillen waren makro¬
skopisch nicht gefärbt, aber mikroskopisch fanden sich beide, besonders stark
natürlich die gleichseitige, mit den Farbkörnchen reichlich durchsetzt. Auch/
die Schleimhaut des Rachendachs, der Luschka’schen Tonsille des Menschen
entsprechend, war mit Körnchen imbibiert. — Die Versuche zeigen, daß auch
physiologisch der Lymphstrom aus der Nasenschleimhaut mit der Mandel in
Verbindung steht, und sie sprechen dafür, daß die „traumatischen“ Anginen,
einem direkten Transport der Erreger von der Operationsstelle ihre Entstehung
verdanken. Arth. Meyer (Berlin).
Gaumenbogennäher und Mandelquetscher.
(Avellis. Archiv für Laryng., Bd. 22, H. 1.)
Der Gaumenbogennäher hat die Form eines Tonsillotom’s ; zwei seit¬
liche Häkchen werden durch die Ösen einer großen MicheFschen Klammer
gesteckt. Das Zusammendrücken der drei Ringe des Handgriffs biegt die
Klammer zu. Bei Blutungen nach Tonsillotomie näht man so mit 2 — 3 Klam¬
mern die Gaumenbögen zusammen und näht einen Wattebausch mit ein, der
die Wunde komprimiert. Das Vernähen der Gaumenbögen wurde von Baum,
Heermann und Escat empfohlen; für die bequemere Ausführung der Naht
mit Klammern gab zuerst Henkeis (Mtsch. f. Ohrhlk. 1905) ein Instrument an.
Der Mandelquetscher hat Korbform, die der Mandel gut angepaßt
ist und sitzt, rechtwinklig abgeknickt, an einem schlanken Stiel. Sein Ge¬
brauch ist bekannt. Arth. Meyer (Berlin).
Ein elektrisch erleuchtetes Pharyngoskop.
(H. Hays. Amer. Journ. of Surg., Nr. 5, 1909.)
Hays hat die gute Idee gehabt, das Prinzip des Zy stoskops auf die
Untersuchung des Nasenrachenraumes und Kehlkopfs anzuwenden. Der Vor¬
teil des Instruments, das äußerlich die Form eines rechtwinklig geknickten
Zungenspatels hat, ist der, daß der Patient nach Einführung des Instru¬
ments den Mund schließen kann und daß das Gesichtsfeld, wie die, Ab¬
bildungen zeigen, erheblich größer ist als bei den üblichen Kehlkopf- und
Pharynxspiegeln. Das Teleskop kann um seine Längsachse gedreht und
so nacheinander der ganze Nasopharyngolaryngealraum abgesucht werden.
Vor dem Zystoskop hat das Instrument den Vorteil, daß die Lichtstrahlen
nicht mehr als einmal reflektiert zu werden brauchen.
Ob und zu welchem Preis das Pharyngoskop erhältlich ist, gibt Hays
nicht an. Vielleicht bemächtigt sich eine deutsche Instrumentenfabrik des
guten Gedankens. Fr. von den Velden.
Adrenalin, ein Reagens auf Sympathikus-Läsion.
(Brindel. Rev. hebd. de laryng., Nr. 17, 1909.)
Wird der Vagus lädiert, so entsteht Herzbeschleunigung, und wenn
die verletzte Stelle hoch genug lag, Stimmbandlähmung. Wird der Sympa¬
thikus lädiert, so entsteht Enophthalmus, Ptosis, Miosis ; letztere, ein viel¬
deutiges Symptom, bleibt bestehen, während die anderen Zeichen allmählich
zurückgehen. Um die Miosis als . Symptom einer Sympathikus-Zerstörung
nachzuweisen, ist idie Probe von Meitzer und Lövi ein gutes Mittel:
In einem gesunden Auge wirkt Adrenalin nicht auf die Pupille, in dem
miotischen eines Tieres dagegen, dem der Sympathikus durchschnitten ist,
bewirkt es prompte Pupillenerweiterung, wenn ein Tropfen der 1%0-Lösung
in den Kon junkti valsack geträufelt wird.
Vf. hatte nun, gemeinsam mit Gautelet, Gelegenheit, in einem sehr
merkwürdigen Fall die Probe auch am Menschen zu prüfen. Ein 35 jähriger
Mann verletzte sich durch eine- plötzliche Kopfwendung bei Tische an einem
Messer, das sein Nachbar aufwärts gerichtet in der Hand hielt. Die kleine
Referate und Besprechungen.
1345
Wunde am Halse blutete stark, Kompression stillte aber die Blutung; es}
war also nicht die Karotis verletzt. Dagegen entstand sofort Heiserkeit
und Verkleinerung der Lidspalte. Als Vf. nach mehreren Wochen den Pat.
sah, bestanden diese Symptome noch ; es fand sich ferner ausgesprochene
Miosis und komplette Rekurrenslähmung. Dagegen war die Herztätigkeit
in keiner Weise alteriert. Es war also augenscheinlich Vagus und Sympa¬
thikus, sowie die Jugularis verletzt. Verf. bewundert die „Intelligenz“ der
Messerklinge, die diese Gefäße durchschnitt und die Karotis schonte. Der
gleichzeitigen Durchtrennung der beiden antagonistischen Nerven ist es zu
verdanken, daß die Herzaktion ganz unverändert blieb.
Adrenalin wirkte bei dem Pat. stark pupillenerweiternd; und so
wurde auch beim Menschen Adrenalin als diagnostisches Hilfsmittel für
Sympathikus-Läsion ekwiesen. Das andere Auge dient zur Kontrolle.
_ Arth. Meyer.
Hautkrankheiten und Syphilis. — Krankheiten der Harn- und
Geschlechtsorgane.
Re-inoculation der Syphilis im tertiären Stadium.
(Queyrat u. Pinard. Soc. franc. de Dermatol, et de Syphiligraphie, 18. März 1909.
— Bull, med., Nr. 24, S. 289, 1909.
Die beiden Kliniker haben in Nachprüfung der Mitteilungen von Fin¬
ger und Landsteiner einem Manne, der seit sieben Jahren an Lues litt
und tertiäre Syphilide im Gesicht und an der Nase auf wies, ein Stück¬
chen eines frischen Ulcus durum subkutan appliziert. Nach siebzehn Tagen
entwickelte sich an der Impfstelle eine Erosion und dann ein etwa Ein-
Mark-Stück großes Geschwür mit den charakteristischen Erscheinungen des
Tertiärstadiums ; nach drei Monaten war das Geschwür geheilt.
Syphilitiker sind somit nicht unempfänglich gegen Neuinfektionen.
_ _ _ B utters ack (Berlin).
Praktische Erfahrungen über Skabies.
(Dr. Knauer, Wiesbaden. Münchener med. Wochenschr., Nr. 20, 1909.)
Man soll niemals darauf verzichten, Milbengänge und die Milben
selbst aufzusuchen und so die Diagnose sichern. Ungeübtere stellen leicht
die Diagnose Ekzem an Stelle von Skabies, weil sie sich sklavisch an die
Lehrbücher halten und nur dort Skabies diagnostizieren, wo sie an den
Prädilektionsstellen auf tritt, was jedoch durchaus nicht immer der Fall ist.
Was die Behandlung betrifft, so muß zunächst die Ansteckungsquelle
ausfindig gemacht und vernichtet werden; dann ist eine gründliche Reinigung
oder Desinfektion der Leib- und Bettwäsche erforderlich. Von Medikamenten
hat Knauer der 10%ige ß -Naphtholspiritus recht gute Dienste geleistet,
er ist billig, geruchlos und leicht anwendbar. Die Einreibung muß bei
guter Beleuchtung unter Berücksichtigung aller verdächtigen Stellen ge¬
schehen, mit warmem Wasser und Schmierseife darf nicht gespart werden.
Im allgemeinen wendet er auch bei schwerer Skabies mit ausgedehn¬
tem Ekzem und Abszedierungen sofort die antiskabiöse Therapie an und
mildert so durch nachfolgende Einfettung mit Salben od. ähnl. die reizende
Wirkung. Dies empfiehlt sich - auch bei kleinen Kindern als Prophylaxe,
treten doch gerade hier leicht heftige Dermatitiden in der Inguinalgegend,
Innenfläche der Oberschenkel, Ellenbogen und in den Kniegelenken auf.
_ _ F. Walther.
Aus der Finsenklinik in Berlin. (Dr. Franz Nagelschmidt.)
lieber Behandlung der Alopecie mit ultravioletten Strahlen.
(Dr. Georg Joachim. Deutsche med. Wochenschr., Nr. 19, 1909.)
Bei der Behandlung der Alopecia areata verwendet Joachim die Quarz¬
lampe in der Nagelschmidt’schen Modifikation (Quarzlampengesellschaft
Hanau), deren Wirkung er an einer Reihe von Fällen ausführlich schildert.
85
1346
Referate und Besprechungen.
Es ist technisch von Wichtigkeit, daß die kranken Herde dem Licht gut
zugänglich gemacht werden, während die zu schützenden Teile am besten,
mit schwarzem Papier gut abgedeckt werden müssen. Die Behandlung zer¬
fällt in mehrere Serien. In der ersten Serie werden die erkrankten Partien
20 — 30 Minuten lang in einer oder bei größerer Ausdehnung in mehreren
Sitzungen am selben Tage oder mehreren aufeinanderfolgenden bestrahlt.
Gewöhnlich tritt danach Schwellung und Rötung, eventuell auch Exsudation
mit Bläschenbildung ein, die mit Wärme und Juckgefühl, ja zuweilen mit
starken Schmerzen vergesellschaftet ist. Resorcinumschläge (5 g Resorcin auf
1 1 Wasser) leisten dagegen gute Dienste. Nach vier Wochen wird die zweite
Bestrahlung in der Dauer von 30 — 50 Minuten vorgenommen, bei der die
Reaktion nicht mehr so heftig ist. Es ist dann bereits eine Regeneration
der Haare eingetreten; doch empfiehlt Joachim, noch mehrere Serien folgen
zu lassen und auch den winzigsten Herd zu beseitigen, da sonst' wieder
ein Auf flackern des Prozesses zu befürchten ist. Bei den letzten Serien
sind die Haare kurz zu scheren oder zu rasieren. Bei der Röntgen-Alopecia
empfiehlt er ganz besonders eine möglichst frühzeitige Bestrahlung.
E. Walther.
Röntgenologie und physikalische Heilmethoden.
Wirkung der Fulguration auf Mikrohien.
(Tribondeau. Soc. de Biol., 3. April 1909.)
Versuche mit Blitzentladungen bei einer Stromstärke von 400 M. A.
ergaben, daß eine Koli-Kultur auf Kartoffel binnen zwei Sekunden getötet
war (bei einem Abstand von 7 — 8 cm); schwächere Ströme brauchten ent¬
sprechend mehr Zeit.
Gelatine-Kulturen wurden nur an ihrer Oberfläche beschädigt.
Die bei der Eulguration entladene Energie geht durch lebende Gewebe
hindurch, aber nicht durch alle gleichmäßig. Buttersack (Berlin).
Fulgurationsbehandlung des Karzinoms.
(Soc. de Chir., 19. Mai 1909. — Bull med., Nr. 40, S. 486.)
Der alte J. Joubert (1754 — 1824) war ein kluger Mann; seine Pen-
sees, Essais et Maximes haben auch noch für heute Gültigkeit, z. B. dieser :
,,Nous avons trop Thabitude et trop la facilite des abstractions ; notre esprit
se paie de mots qui, comme une espece de papier monnaie, ont une valeur con-
venue, mais n’ont aucune solidite“, oder der andere: ,,I1 faut que les livres
d’un professeur soient le fruit d’une longue experience, et l’öccupation de son
emeritat.“ An diese Sprüche wird man erinnert angesichts der Leichtigkeit,
mit welcher immer wieder neue, überraschende, untrügliche usw. Pleilmittel
in die Welt hinausposaunt werden. Ereilich, auch die Allgemeinheit ist
nicht von Mitschuld freizusprechen ; denn schließlich ist es doch nur die
unentwegte Aufnahmefreudigkeit, das Nichtvorhandensein einer abschreckenden
sachlichen Kritik, die die jungen Leute dazu verführt, das nonum pre-
matur in annum zu mißachten und immer neue Attentate auf die Langmut
der Allgemeinheit zu unternehmen. So- haben einige begeisterte Gemüter
vor einiger Zeit verkündigt, man könne Karzinome mit Eulguration heilen.
Die Sache erschien verführerisch, so daß die Pariser Chirurgen sie aufnehmen
mußten; aber die Erfolge waren deplorabel. In der Societe de Chirurgie tausch¬
ten die Chirurgen ihre Erfahrungen aus : V on Heilungen war keine Rede,
dagegen mehr von Todesfällen ; die latenten Anhänger der Methode mußten
sich darauf beschränken, diese letzteren nicht gerade als direkte Eolge der
Eulguration hinzustellen. Aber bis die letzten Reste der nun einmal geweckten
Erwartungen ausgerodet sind, mag es wieder geraume Zeit dauern.
Im Anschluß hieran sei noch eine vergleichende kritische Studie erwähnt,
welche Tuffier bezüglich der Wirkung von Röntgen- und Radiumstrahlen,
Eulguration und überhitzter Luft (300 — 400°) in der Academie de Medicine
Referate und Besprechungen.
1347
am 25. Mai 1909 vorgetragen hat. Danach wirken die beiden erstgenannten
Strahlen der Energien zwar destruierend auf die Krebszellen, aber nur be¬
schränkt: die X-Strahlen 2 min, die Radiumstrahlen 2 cm tief, die Ful-
guration nur auf das Bindegewebe ; die überhitzte Luft zerstört alles Or¬
ganische gleichmäßig. Davon, daß man damit Krebse heilen könne, sei keine
Rede; höchstens seien die genannten Agentien zur Unterstützung des Messers
anzuwenden. Buttersack (Berlin).
Dauer der Blutdruckerniedrigung durch d’Arsonvalisation.
(E. Doumer. Acad. des Sciences, 1. Februar 1909.)
Do um er hat 27 Pat,, welche vor mindestens l1/2 Jahren wegen Er¬
höhung des Blutdrucks erfolgreich mit d’Arsonvalisation behandelt worden
waren, nachuntersucht und gefunden, daß bei 18 davon der Druck niedrig
geblieben war; bei 9 war wegen Wieder ansteigens (infolge geistiger Überan¬
strengung, Kummer oder Voreingenommenheit) eine Wiederholung der Sitzun¬
gen erforderlich geworden.
Bekanntlich sind die Urteile über den blutdruckerniedrigenden Effekt
der d’Arsonvalisation noch keineswegs abgeschlossen. Wenn manche über¬
haupt daran zweifeln, so werden sie an eine so lange Nachwirkung erst
recht nicht 'glauben [wollen. Nach meiner Meinung müßte man sich erst
klar sein, was eigentlich unter Blutdruck zu verstehen ist, ehe man auf
diesem Begriff diagnostische und therapeutische Schlüsse aufbaut.
Buttersack (Berlin).
Ultraviolette Strahlen heilen Mäusekarzinome.
(Mlle. Cerno vodeanu u. Negre. Soc. de Biol., 6. Februar 1909. — Bull, med.,
•Nr. 13, S. 152, 1909.)
Fräulein Cerno vodeanu und Herr Negre bestrahlten höhnen-, arbsen-,
nußgroße Mäusekarzinome mit [einer elektrischen Lampe von 110 Volt
und 4 Amp. = 1 500 Kerzen. Die Distanz wählten sie zwischen 3 und 15 cm,
die Bestrahlungsdauer zwischen 3 und 30 Minuten.
Die Tiere, welche 15 — 20 Minuten aus 3 cm bestrahlt worden waren,
starben sämtlich, manche schon nach einer Viertelstunde. Bei den anderen
aber wurden die Tumoren welk und fielen nach 2 — 4 Tagen ab, unter Hinter¬
lassung eines schwärzlichen Schorfs, ohne jede Entzündungserscheinung ; die
Vernarbung vollzog sich dann binnen 2 — 3 Wochen.
Zur Beseitigung kleiner Karzinome genügte schon eine Bestrahlung
von 15 Minuten, größere erforderten zwei oder drei Sitzungen.
Vielleicht läßt sich dieses Prinzip auch in der menschlichen Pathologie
verwerten. Buttersack (Berlin).
Die physiologisch dosierte Mineralwasserkur als Uebungstherapie des
Darms bei habitueller Stuhlträgheit.
(M. Rheinboldt, Kissingen. Zeitschr. fürphys. u. diät. Ther., Bd. 13, H. 3, Juni 1909.)
Beherzigenswerte Ausführungen über die Behandlung der leidigen Ob¬
stipation bringt Rheinboldt. Er will die Mineralwässer und Kissinger,
Karlsbader, Marienbader Kuren nicht als . Darmentleerungskuren mit irgend
einem laxierenden Mineralsatz betrachtet wissep, sondern als Erziehungs¬
kuren für die Darminnervation. Zu dem Zwecke muß man allerdings zu¬
nächst einmal erforschen, welches Quantum die Defäkation auslöst, man
muß deren Schwellenwert ausfindig machen. Hat man diesen gefunden, dann
handelt es sich darum, den Darm regelmäßig darauf einzuüben, um schlie߬
lich — und das ist der wichtigste Teil der ganzen Kur — mit dem abführenden
Reizmittel allmählich auszuschleichen und den Gang der Dinge dem nun
wieder richtig eingestellten, rhythmisch wirkenden Reflexmechanismus' zu über¬
lassen. Mit anderen Worten : Man legt die Peitsche weg, wenn die Dressur
vollendet ist. Buttersack (Berlin).
85*
1348
Referate und Besprechungen.
Massage bei Dermatosen des Gesichts.
(R. Leroy. Gaz. med. de Paris, Nr. 31, 1. März, 1909.)
Auf Grund seiner persönlichen Erfahrungen und Beobachtungen bei
Lucien Jacquet erklärt Leroy die Gesichtsmassage für das beste Mittel
bei allen ästhetisch so 'fatalen Erkrankungen der Gesichtshaut, wie Rot¬
werden nach dem Essen oder aus psychischen Gründen, Kuperose, Akne,
Melanodermie, Chloasma, seborrhoischem Ekzem, übermäßiger Eettansamm-
lung! usw. ‘ ; I I
Nach jeder richtig, d. h. kräftig ausgeführten Massage stellten sich
zunächst Kongestionen mit Hitzegefühl, Prickeln ein; die Haut wurde blut¬
reicher, und deshalb treten Papeln, Knötchen u. dergl. deutlicher hervor.
Dieser Zustand dauert aber nicht lange: nach 1J4l — % Stunde ist das alles
zurückgegangen und hat angenehmere Empfindungen (une Sorte de bien-
etre facial) Platz gemacht.
Der Erfolg zeigt sich schon nach vierwöchiger Behandlung. Er scheint
auf besserer Durchblutung und Kräftigung der elastisch-tonischen Eigen¬
schaften des Integumentes zu beruhen.
Ich glaube, daß die kosmetische Medizin das Verfahren, das ja keine
komplizierten Apparate, sondern nur eine geschickte Hand erfordert, gern ver¬
suchen wird. Buttersack (Berlin).
Medikamentöse Therapie.
Therapeutische Erfahrungen mit Phosiron.
(Ganz. Deutsche Ärzte-Ztg., Nr. 11, 1909.)
Ein durch Kombination von Eisen mit Phosphor entstandenes Präparat
ist das durch Synthese von dem chemischen Laboratorium Dr. Carl Sorger
in Frankfurt a. M. dargestellte Phosiron, das aus dem neutralen Eisensalz
der komplexen Phosphorweinsäure besteht und 19% Eisen und 6,5% Phosphor
enthält. In dieser allen Vorbedingungen entsprechenden chemischen Verbin¬
dung besitzen wir ein Präparat von hohem pharmakodynamischen Werte;
das Phosiron greift den Magen nicht an, durchwandert denselben unverändert,
wird erst im Darm gelöst und geht in den Organismus über.
Die Wirkung des Phosiron zeigt sich bereits nach kurzer. Zeit durch
rasche Vermehrung des Hämoglobingehaltes, Zunahme der Erythrozyten,
Hebung des Appetites und des Tonus des Nervensystems und Gewichtszu¬
nahme.
Das Phosiron kommt in 1 g-Tabletten mit Schokolade- oder Vanillezucker
in den Handel, ist in reinem Zustande geschmack- und geruchlos und wird
auch vom verwöhntesten und schwächsten Magen gut vertragen. Die tägliche
Dosis sind 2 Tabletten entsprechend einem Eisengehalte von 0,1 g Eisen.
Kinder bekommen die Hälfte. Neumann.
Die lokale Chininbehandlung der Tuberkuloseherde.
(Dr. Orhan Bey, Siambul. Deutsche med. Wocbenschr., Nr. 19, 1909.)
Jedes der vielen Medikamente, die bei der chirurgischen Tuberkulose¬
behandlung empfohlen sind, leistet sicherlich bei richtiger Anwendung gute
Dienste. Orhan Bey bevorzugt das Chinin und wendet es bei Lupus mit
tuberkulösen Hautulzeris in der Weise an, daß er nach gründlicher Aus¬
schabung das Geschwür und seine Ränder mit einer dicken Chininpulver¬
schicht bedeckt. In tuberkulöse Lymphherde injiziert er eine 2%ige Chinin¬
lösung oder tamponiert nach gründlicher Auswaschung mit dieser Lösung
die erweichten Lymphherde. Handelt es sich um frische Schwellungen oder
derbe Verkäsungen, so ist Jodoformglyzerin angebrachter. Spondylitische
Abszesse spaltet er und wäscht sie gut mit der 2%igen Lösung aus, wovon
er einen Teil darin läßt ; ähnlich verf ährt er bei Rippenkaries. Auch in
tuberkulöse Eistein injiziert er die Lösung, wobei ziemlich starker Druck
Referate und Besprechungen.
1349
nötig ist. Bei der Gelenktuberkulose hat er noch keine große Erfahrung,
er empfiehlt nach der Resektion die Ausspülung mit der Lösung. Die
Wirkung des Chinins ist keine spezifische, sie zerstört nur die kranken Granu¬
lationen und regt die gesunden ,an. Vor falscher Anwendung muß man
sich aber hüten, da es dann die gesunden Zellen zerstört und Nekrosen
verursacht. F. Walther.
Aus der I. med. Klinik in München.
Versuche mit einem neuen Eiweißeisenpräparat Ferralbol.
(Levy. Münch, med. Wochenschr., Nr. 19, 1909.)
Das Ferralbol stellt eine feste Bindung von Hühnereiweiß und Eisen
dar und enthält außerdem die wertvollen organischen Phosphorverbindungein,
des Eigelbs — das Lezithin. Es hat einen Eisengehalt von 3%; einen Lezithin¬
gehalt von 1%. Das Mittel kommt in Tablettenform in den Handel, die
dreimal täglich in Milch oder Suppe verrührt, genommen werden.
Der Appetit wurde nach dem Mittel gehoben, die Stuhlentleerungen
in keiner Weise ungünstig beeinflußt. Das Körpergewicht stieg in allen
beobachteten Fällen, auch dann, wenn der Hämoglobingehalt keine wesentliche
Erhöhung zeigte. Neumann.
Aus dem Landkrankenhaus in Fulda.
Hydrargyrum oxycyanatum als internes Antisyphiliticum.
(Dr. Schulte. Deutsche med. Wochenschr., Nr. 18, 1908.)
Zur internen Quecksilberkur benutzt Schulte folgendes Rezept:
Hydrargyr. oxycyanat 0,5,
Pulv. at. succ. Liquir. q. s. ut. f. pilul. Nr. 100.
D. S. 3 mal tägl. 2 Pillen auf vollem Magen zu nehmen.
Das Mittel wird sehr gut vertragen und verursacht keine Appetit- und
Verdauungsstörungen, reizt auch die Nieren nicht. Das Vorkommen des
Hydrargyrum im Urin, das als sicherer Resorptionsnachweis gilt, konnte
Schulte nicht feststellen; dagegen konnte er klinisch Auftreten von Stoma¬
titis bei mangelhafter Mundpflege sowie prompte Reaktion auf luetische
Prozesse, speziell iritis luetica beobachten. F. Walther.
Zur Kenntnis der bakteriziden Eigenschaften der Pyozyanase.
(H. Raubitschek u. Viktor K. Russ. Zentralbl. für Bakt., Bd. 48, H. 1.)
Da der wirksame Körper nach den Versuchen der Verfasser unabhängig
ist von Temperatur und Reaktion und seine bakterizide Kraft entfaltet,
handelt es sich bei der Wirkung der Pyocyanase nicht um das Vorhandensein
eines Fermentes. Der wirksame Körper ist weder durch Alkohol noch durch
Ammonsulfat fällbar und besitzt eine so hohe Kokkostabilität, wie sie bei
Fermenten nie beobachtet wurde. Es handelt sich vielmehr um einen Körper,
der löslich ist in Alkohol, Äther, Benzol, Azeton, Petroläther, Benzin und
Chloroform, der eine hohe Thermostabilität besitzt. Man weiß jedoch noch
nicht, ob dieser Körper als reines Lipoid oder als bakterizid wirkende Seife
in der Pyocyanase vorhanden ist. Schürmann (Düsseldorf).
Zur Tablettenfrage.
(Bachem. Therap. Rundschau, Nr. 25, 1909.)
Verf. hat sich der Aufgabe unterzogen, eine große Anzahl fabrikmäßig
hergestellter Tabletten auf ihre Zerfallbarkeit im Magensaft zu prüfen. Seine
Untersuchungen hatten folgendes Resultat: 1. Im allgemeinen besitzt die
Tablette gegenüber anderen Arzneiformen wesentliche Vorteile (bequeme Dis¬
pensation, leichte Transportfähigkeit usw.). 2. Geschieht die- Kompression
1350
Referate und Besprechungen.
mit Zuhilfenahme geeigneter Bindemittel, so ist die Zerfallbarkeit im Organis¬
mus eine hinlänglich genügende. 3. Alte Tabletten bieten nicht die Gewähr
für prompte Zerfallbarkeit; letztere sollte in zweifelhaften Bällen stets vom
Arzte geprüft werden. Neumann.
Zur Methode der subkutanen Arsentherapie.
(Herzfeld. Ther. der Gegenw., April 1909.)
Den früheren Methoden der hypodermatischen Anwendung des Arsens,
den Einspritzungen mit Liq. Fowleri oder Pearsons Solution haftete der
große Fehler an, daß diese Lösungen sich leicht zersetzten, nach der Ein¬
spritzung heftige Schmerzen verursachten und oft schmerzhafte Infiltrationen,
Abszesse und selbst Gangräne im Gefolge hatten. Diese unangenehmen Neben¬
wirkungen zu beseitigen, führte v. Z befassen (D. A. f. kl. Med., Bd. 56,
S. 124) eine l°/0ige Natrih-arsenicosilösung in die subkutane Arsentherapie
ein und behauptete, daß diese Lösung ,, keine oder nur sehr geringe Reiz¬
wirkung äußere“. Herzfeld beobachtete dagegen auch nach dieser Ein¬
spritzung starke Schmerzhaftigkeit und modifizierte die Ziemsstem’sche
Lösung nun derart, daß er 1 g arsenige Säure (glasige Form) mit 2,25 ccm
Normalnatronlauge in 100 ccm destilliertem Wasser so lange kochte, bis eine
klare Lösung resultierte, was nach ungefähr V2 Stunde erfolgt. Dem Filtrate
wird bis auf 100 g genügend steriles-destilliertes Wasser zugesetzt, also
eine l%ige Lösung des arsenigsauren Natriums dargestellt,. Die Lösung
reagiert leicht alkalisch und wird in kleinen sterilen Ampullen aufbewahrt.
Diese letztere Maßnahme ist wichtig, da alle, selbst leicht alkalische Lösungen,
das gewöhnliche Glas leicht angreifen, was zur Folge hat, daß solche Lösungen
nach einiger Zeit trübe werden. Für den häufigen Gebrauch eignet sich ein
15 ccm haltendes steriles Glaskölbchen mit Wattepfropfen versehen. Der
Alkaligehalt 1. der Fowl ersehen, 2. der Ziemssen’schen und 3. der von
H. modifizierten Lösung war wie folgt: 5 g der Lösungen erforderten zur
Neutralisation ad 1. 1,2 ccm, ad 2. 0,48 ccm1., ad 3. 0,23 c'cm einer Notrmal-
schwefelsäurelösung, als Indikator diente Lackmus.
Die Einspritzungen mit dieser Lösung müssen streng aseptisch ge¬
schehen, am besten legt man nachher einen Alkohol -Verband an. H. beginnt
mit einer Einspritzung von 0,25 ccm und steigt in kurzer Zeit bis auf 1 ccm
täglich (0,01 g arsenigsaures Natrium). ; nur in einem schweren Falle von
perniziöser Anämie w!ar er bis zur Maximaldosis zwei Spritzen (0,02 g
arsenigsaures Natrium) gestiegen. Die Einspritzungen macht man am besten
am Oberarm oder am Rücken zwischen den Schultern. Neumann.
Ein Beitrag zur Therapie des Ulcus molle.
(Pollak. Prager med. Wochenschr., Nr. 13, 1909.)
Auf der Hautabteilung der Universitäts-Poliklinik in Prag unter Lei¬
tung von Prof. Dr. Rudolf Wgnternitz hat Verf. eine Reihe von Ulcera
mollia mit „Sozojodok ‘-Natrium pur, grob gepulvert, wie Gouladze zuerst
vorschlug, im ganzen neun Fälle unter genauester Beobachtung behandelt.
Er kam dabei zu dem Resultat, daß das ,,Sozojodol “-Natrium
1. prompt ein Weiterschreiten der Ulzera verhindert,
2. die Geschwüre in 1 — 3 Tagen reinigt,
3. sie in 5 — 15 Tagen heilt.
Die Applikation geschah in der Weise, daß das Präparat unter die sinuösen
Ränder des Geschwüres eingerieben wurde und diese selbst, wenn der Prozeß
sehr weitgehende Unterminierungen vorgenommen hatte, der Wirkung des
„Sozojodor ‘-Natrium durch einen Scheerenschlag zugängig .gemacht wurden.
Zur Fixation des ,,Sozojodol“-Natrium genügt meistens ein Wattebausch;
bei Lokalisation auf der äußeren Seite wird ein Pflasterstreifen notwendig,
während sich Geschwüre in der Urethra, an der Spitze der Glans oder am
Übergang des- äußeren Präputiums in das innere für eine Streupulver-Behänd-
Referate und Besprechungen.
1351
lung überhaupt nicht eignen, da sich leider an diesen Stellen kein gut haf¬
tender Verband anbringen läßt.
Auf einen Umstand der ,, So zojodor ‘-Behandlung macht Verf. u. a. auf¬
merksam. Während bei kleineren Geschwüren bis Linsengröße das aufge¬
streute ,, So zojodoL ‘-Natrium nur leichtes Brennen verursacht, kann die Inten¬
sität der Schmerzen mit der Größe des Geschwüres wachsen. Statt die
Wirkung des ,,Sozojodol“-Natrium in diesem Falle durch Verdünnung abzu¬
schwächen, soll man lieber den Geschwürsgrund durch Auf tropfen einer
10%igen Kokainlösung oder durch Auflage eines in diese Lösung getauchten
Wattetampons anästhesieren. Nach 3 — 4 Minuten ist vollständige Anästhesie
'eingetreten. Das Aufstreuen des Mittels erfolgt dann vollständig schmerzlos.
Besondere Vorzüge des „Sozojodol “-Natrium sind in der schnellen Reini¬
gung des Geschwürsgrundes zu suchen, ohne daß ein besonderes Ätzmittel
der Anwendung vorausging, sowie in dem Umstande, daß es die gesunde Um¬
gebung nicht reizt (wie z. B. bei der Salizylsäure usw.). Neumann.
Allgemeines.
Aus der amerikanischen medizinischen periodischen Literatur.
(Juni 1909.)
The americain journal of the medical Sciences.
1. Kurzdauernde typhoide Fieber. Von Dr. Warren Coleman,
Prof, der klin. Med., New- York. Jedes Jahr, zur Typhuszeit, kommen in
das Bellevue -Hospital zu New-York Leute mit einer leicht fieberhaften Krank¬
heit ohne deutliche Ursache von ein- bis zweiwöchentlicher Dauer, die C.
in den ersten Jahren stets für einfache Febrikula oder einfaches kontinuier¬
liches Fieber hielt. Auf Grund bakteriologischer Untersuchungen und seit¬
dem man den Paratyphus vom Typhus unterscheidet, ist er jedoch zu der
Ansicht gekommen, daß in Wirklichkeit viele dieser Fälle typhöser Natur
waren und hat seitdem alle leichten Fieber, die ins B. -Hospital kamen, ent¬
weder als Typhus oder als eine andere leicht erkennbare Krankheit (Bron¬
chitis usw.) differenzieren können. Zweifelhafte Fälle sollten daher bis zur
Sicherstellung der Diagnose immer als Typhus betrachtet werden.
2. Herzfehler in Infektionskrankheiten; ihre Verhütung und
erfolgreiche Behandlung. Von Dr. Parker Worster, New-York. Am
Bette jedes Infektionskranken steht die Gefahr, daß er herzkrank wird infolge
Entkräftung des Llerzens durch Erschlaffung der vasomotorischen Nervenzen tra,
die die Elastizität und den normalen Tonus der Kapillargefäße herabsetzt.
Das souveräne Mittel sowohl zur Verhütung wie zur erfolgreichen Behandlung
ist eine richtig angewandte Hydrotherapie, d. i. der Kältereiz. W. wendet
dazu die von ihm mehrfach beschriebene „allgemeine Abwaschung“ (General¬
ablution) an.
3. Die Symptome des aneurysma thoracicum descendens. Von
Dr. A. W. Hewlett, Prof, der inneren Med. an der Michigan-Universität,
Ann.-Arbor, und Dr. R. P. Clack, Lehrer der Med. am Cooper med. College,
S. Franzisko. Mitteilung von 6 Fällen (mit Skiagrammen), aus denen die
Verf. den Schluß ziehen, daß sie sich in 2 Gruppen teilen lassen. Die
ersten 5 Fälle stellen eine Gruppe dar, in denen das Hauptsymptom Schmerz
war, in der zweiten fehlte überhaupt jedes Symptom, so daß man ex post
erstaunt ist über die Größe eines Aneurysmas, das der Entdeckung durch
die gewöhnlichen physikalischen Untersuchungsmethoden entgangen ist. Trotz
der Schwierigkeiten bei der Deutung der X-Strahlen-Befunde stehen daher diese
höher als die erwähnten Methoden. Hat man es mit Symptomen zu tun, die
sich durch persistierenden Schmerz, lange Dauer, Intensität, Unerklärlichkeit,
Resistenz gegen die gewöhnliche Medikation, fixierte Lokation und Vermin¬
derung bei gewissen Lagen des Kranken charakterisieren, dann' soll man die
Diagnose eines Aneurysma als wahrscheinlich in Erwägung ziehen, und wenn
noch kein Tumor wahrnehmbar ist, zu den N-Strahlen greifen.“ (Huchard.)
1352
Referate und Besprechungen.
4. Die Rückf alltheorie (reversion theory) und die Klassifi¬
kation des Kropfes. Von Dr. Carpenter Mac Carty, chirurg. Patholog
am St. Mary’s Hosp., Rochester, Minn. Die epithelialen Drüsen, wie Brust-,
Speicheldrüsen, Pankreas, Leber sind embryologisch eine Einstülpung entweder
des Ento- oder des Ektoderms, ihre anatomische und histologische Einheit be¬
steht darin, daß sie alle, mit Ausnahme der Leber, ein mit Epithel besetzter
Alveolus sind, dessen Epithel hypertrophiert und in den Alveolus sezerniert.
Diese Sekretion ist entweder nutritiver, exkretorischer oder protektiver Natur
und wird entweder durch die Sinne vermittels Nervenleitung oder chemisch
durch eine in die Zirkulation gebrachte Substanz oder durch beides angeregt,
stimuliert. Die entweder direkt oder durch einen Duktus in den Nahrungs¬
schlauch mündenden epithelialen Drüsen (Speicheldrüsen, Pankreas usw.) produ¬
zieren diluierende, fermentative oder andere Substanzen. Die epitheliale Drüse
Thyroidea öffnet sich jetzt nicht mehr in den Nahrungsschlauch, hat dies
aber nach gewissen chirurgischen Befunden zu schließen in irgend einer Zeit
der Entwickelung des Menschengeschlechts getan und kann heute einen Rück¬
fall (Reversion) in ihre frühere in- und extensivere Tätigkeit erleiden, dessen
Folgen Hypertrophie und Sekretion sind. Derartige Rückfallsbeispiele finden
sich bei Pflanzen, Tieren und Menschen, und der Kropf ist ein solches, d. h.
Hyperthyreoidismus ist eine Toxämie, das Resultat der Resorption der Pro¬
dukte einer hyperaktiven Thyreoidea. Der diese Hyperaktivität veranlassende
Stimulus ist wahrscheinlich derselbe, der für den primigenen Menschen der
normale war. Die verschiedenen Typen des Kropfes sind also wahrscheinlich
nur Stadien desselben generellen Prozesses. Hieraus ergibt sich die neue
Klassifikation im zystischen, hypertrophischen Kropf usw.
5. Natur, Diagnose und Behandlung der metabolischen Osteo-
Arthritis, der sog. rheumatischen Arthritis, Arthritis deformans
usw. Von Dr. P. William Nathan, New-York. Metabolische Osteo-Arthritis
ist ein besonderer, klinisch leicht erkennbarer pathologischer Zustand der
Gelenke, der sekundär in Verbindung mit verschiedenen anderen klinischen
Zuständen vorkommt, von welchen letzteren einzelne spezifischer Natur sind,
und zwar infolge deletären Einflusses des primären Zustandes auf die allge¬
meine Ernährung. Symmetrisch auftretend führt sie allmählich, wie mehrfache
Abbildungen zeigen, zu mehr oder weniger Deformation und Verkrüppelung.
Die X-Strahlen zeigen in frühen Stadien eine zirkumskripte Knochenrarefikation
und mehr oder weniger vollkommene Absorption der Epiphysen in den spä¬
teren Stadien, aber nie Proliferation oder knöcherne Ankylose. Pathologisch
handelt es sich um eine im Knochen beginnende reine atrophische Degene¬
ration des gesamten Gelenkgefüges. Die Krankheit entspricht der Arthritis
nodosa Schuchardt’s, der Arthritis deformans Baumler’s und der Arthri¬
tis atrophica Goldthwait’s. Bei der Aussichtslosigkeit aller Medikation,
soweit es sich dabei um den Zustand der Gelenke handelt, hat nach]
den Tierversuchen von Basch (Jahrbuch für Kinderheilkunde, Band XIV)
über den Einfluß der Thymus auf die Entwicklung der Knochen, N. diese
in Form von Tabletten versucht, nicht als Spezifikum für die Gelenke, som
dern als Stimulans für den allgemeinen Nutritionsprozeß, und damit sowohl
bei Kindern als auch bei Erwachsenen Erfolge erzielt. Näheres hierüber
siehe im Original.
6. Primäre Splenomegalie vom Typus Gancher. Von Dr. N. E.
Brill, Arzt am Mount Sinai Hosp., Dr. F. S. Mandel bäum, Patholog, und
Dr. E. Libman, assistierender Patholog ebenda, New-York. Ein Rapport
über den zweiten von vier Fällen in einer einzigen Familiengeneration. Der
pathologische Befund über den ersten dieser Fälle ist im! Americ. journal of the
med. scienc. vom März 1905 veröffentlicht, hier, in dem zweiten, handelte es
sich um die Schwester des ersten, gestorbenen Kranken, die klinische Ge¬
schichte beider steht in dem erwähnten Journal vom April 1901 und März
1905. Seit dem ersten von Br., M. und L. 1905 veröffentlichten Fall demon¬
strierte Sch lagerhauf er (Virchow’s Archiv 1907, CLXXXVII, 125) im Sept.
1906 vor der deutsch-patholog. Gesellschaft einen dritten, und March and
Referate und Besprechungen.
1353
(Münch, med. Woch. 1907, Seite 1102) einen vierten. Splenomegalie vom Typus
Gaucher ist eine besondere, im frühen Lebensalter beginnende, chronische
Krankheit oft mehrerer Glieder einer Familie mit Vergrößerung der Milz,
die einer Leber Vergrößerung vorauf geht, ohne Aszites und Ikterus, mit Ver¬
färbung besonders der dem Licht- ausgesetzten Haut, ohne charakteristischen
Blutbefund. Sie ist meist maligne und endet gewöhnlich durch eine inter¬
kurrente Krankheit. Beteiligt sind Milz, Leber, Lymphdrüsen und Knochen¬
mark (große Zellen mit kleinem Kern und hyalinem Zytoplasma). Die Aetiologie
ist unbekannt. Tuberkulose ist es nicht.
7. Primäres Lungenkar zitnom. Von Dr. A. L. Garbat, Interner Arzt
am deutschen Hospital, New- York. Primäre Lungenkarzinome sind nicht
so selten, wie man annimmt, und nicht so oft diagnostiziert, wie sie es sein
sollten. In dem Pall, um den es sich hier handelt, schien es sich zuerst um
tuberkulöse Pleuritis zu handeln, so daß man 150 ccm einer leicht blutigen,
jedoch sterilen Flüssigkeit aus dem Pleuraraum entleerte. Dann fand man
(mit der Nadel) Eiter, und die Diagnose mußte auf Lungenabszeß oder, weniger
wahrscheinlich, auf ein abgekapseltes Empyem gestellt werden. Es wurde
die 9. Rippe reseziert, und in die Eiterhöhle mit dem Paquelin eingegangen.
Das Fieber schwand, Nachtschweiße, Husten und Auswurf aber bestanden
fort, ohne daß dieser Tuberkelbazillen enthielt. Ein im rechten Hypochon-
drium aufgetretener Schmerz (ohne physikalischen Befund) wurde immer hef¬
tiger, die Temperatur stieg auf 105u F und wurde septisch, Fluktuation war
fraglich, Diagnose: Empyem der Gallenblase. Durch Cholezystotomie wurden
Eiter, Galle und 2 Gallensteine entfernt, der Kranke erholte sich und ver¬
ließ das Hospital, um sich als Außenpatient seine nur langsam heilenden
Wunden weiter verbinden zu lassen. Die Atmung blieb beschleunigt, die Tem¬
peratur ungefähr 100°. Bei seiner Wiederaufnahme fand sich über der rechten
Skapula eine kugelige fluktuierende Masse, die sich bei der Exzision nunmehr
als Karzinom erwies. Der Tod erfolgte durch Herzschwäche. Die Diagnose
war also durch 2 Komplikationen : Lungenabszeß und Gallenblasenempyem
erheblich erschwert.
8. Nachweis der Beta-Oxy buttersäure im Harn. Von Dr. T.
Stuart, Lehrer der Physikal-Diagnostik, Columbia-Univers., New- York. Dieser
Nachweis ist besonders beim Diabetes mellitus nicht nur diagnostisch, sondern
auch therapeutisch wichtig. An Methoden dazu fehlt es nicht, diese sind
aber zum. Teil zu kompliziert, zum Teil mangelhaft oder unsicher, und selbst
wenn der fermentierte Harn die Polarisationsebene nach links dreht, braucht
der Grund dieser Drehung nicht immer, wie angegeben, Beta-Oxybuttersäure
zu sein, es kann auch Kreatinin und unter Umständen auch Blei sein, wie
Magnus-Levy (Arch. f. exp. Path. u. Ther., 1899, Bd. 13) nachgewiesen hat.
Mit Rücksicht hierauf empfiehlt St. eine Methode, die äußerst einfach und
von jedem Praktiker ohne Laboratorium schnell ausführbar sein soll. Sie
beruht auf folgenden Prinzipien : Entfernung des Azetons und der Dia-
zetiksäure durch Hitze, Oxydation der Beta-Oxybuttersäure zu Azeton durch
Wasserstoffperoxyd und Nachweis des Azetons in dem auf diese Weise be¬
handelten Harn durch Lange’» Reagens (Münch, med. Woch. 1906, Bd. IV,
S. 1764).
9. Der Effekt gewisser sog. Milehver(änder er (milk modifiers)
auf die kindliche Magenver dauung. Von Dr. T. Wood Clarke, Mit¬
glied des Rockefeller-Instituts für med. Forschung, New-York. Auf Veran¬
lassung von Dr. L. Emmett Holt fand zuerst 1907 in dem genannten Insti¬
tut eine Untersuchung über die ebenfalls genannte Frage statt, um Klarheit
über gewisse bisher dunkle Punkte der kindlichen Verdauung zu schaffen,
und zwar sowohl im gesunden als auch im kranken Zustande. CI. setzt
diese Untersuchungen fort Und gelangt zu folgenden Schlüssen: 1. Die Motili¬
tät des kindlichens Magens variiert im umgekehrten Verhältnis zur Konzen¬
tration der Nahrung. Je diluierter diese, um so häufigere Fütterung ist an¬
gezeigt. 2. Kalkwasser reduziert nicht die Azidität des Mageninhalts, indem
die Neutralisation eines Teils der Säure durch eine vermehrte Säureabson-
1354
Bücherschau.
deirung auf gewogen wird. 3. Natronzitrat verwandelt die Magensäure in
Natronchlorid und reduziert so merklich die nützliche Salzsäure. 4. Gersten¬
wasser scheint keinen konstanten Einfluß auf den Chemismus der kindlichen
Magenverdauung zu haben. 5. Kinder, die brechen, kann man in solche teilen
mit Hypo- und solche, mit Hyperazidität. 6. Durch Probefütterung ist festzu¬
stellen, zu welcher Gruppe die Kinder gehören. 7. Eine 5%ige Milchzucker¬
lösung scheint am geeignetsten, feine Unterschiede in der Befriedigung des
Magens festzustellen. Hierauf folgt eine Mischung von 1 Teil Milch und
2 Teilen Wasser, um! festzustellen, bis zu welchem Grade die Magendrüsen,
fähig sind, auf Reize zu antworten. Für die Laktoselösung sind 30 Minuten
die geeignetste Zeit, die Nahrung im Magen zu lassen, für die Milchmischung
60 Minuten. 8. Theoretisch würden bei niedrigem Säuregehalt entweder Alka¬
lien oder Salzsäure, bei Hyperazidität Natronzitrat indiziert sein. 9. Protein¬
verdauung im kindlichen Magen ist schwach und proportional dem Betrage
der Salzsäure im Magen.
10. Blutgeschwüre: eine Notiz über ihre Behandlung. Von
Dr. George Thomas Jackson, Prof, der Dermatologie, Columbia-Universität,
New- York. Die Blutgeschwüre, die namentlich häufig im Nacken junger
Leute (Soldaten, Ref.) Vorkommen, haben außer bei Diabetes nichts mit der
Konstitution zu tun, wie man früher annahm, sondern sind eine Staphylo-
kokken-Infektion. Die alte Methode ihrer Behandlung ist Erweichung und
kreuzweise Inzision, letztere schafft jedoch nur neue Infektion. J. nimmt
ein fein zugespitztes Stäbchen, umwickelt es mit in 95°/0ige Karbolsäure-
lösung getauchter Baumwolle (absorbent cotton) und sticht es, wenn das Ge¬
schwür sich zugespitzt hat, in dieses, indem er auf diese Wleise gleichzeitig
den Eiter entleert und die Wundhöhle desinfiziert. Kein Drücken und Quet¬
schen ! Die Umgebung wird mit Wasserstoffperoxyd oder Sublimatlösung
gewaschen und die Wunde mit 5- oder 100/0iger Salizylsäuresalbe verbunden.
In der Regel ist hiermit die Behandlung beendet. 8 Beispiele illustrieren das
Gesagte. (Schluß folgt.)
Bücherschau.
Kraft und Stoff im Haushalt der Natur. Von M ax Hübner. Leipzig,
Akademische Verlagsgesellschaft, 1909. 181 S.
Der Berliner Physiologe bietet hier ein Buch, das in allem den großen
Naturfoscher zeigt, in der Exaktheit eigener Forschung auf dem Gebiete des
Stoffwechsels und der Wärmebildung, in der Heranziehung vergleichend-physiologischer
Betrachtungen, in der Schärfe des logischen Denkens und in der überzeugenden
Kritik. Es hat immer einen eigenartigen Reiz, zu verfolgen, welche Vorstellungen
ein Gelehrter von der Bedeutung des Verfassers sich von dem Lebenden und dem
Leben macht, von der Entstehung des Lebendigen, dem Wachstum, der
Fortpflanzung und dem Sterben. Dieses Werkchen kann nicht wirksamer
empfohlen werden, als durch ein eingehendes, möglichst den Wortlaut wieder¬
gebendes Referat, das den Wunsch in dem Leser eiwecken möchte, RubneFs
gedankentiefe, grundlegende Betrachtungen selbst zu lesen.
Lavoisier hat das Gesetz der Erhaltung der Substanz ausgesprochen,
Rob. Mayer und Helmlioltz haben bewiesen, daß auch den Kräften in allen
ihren Formen die Eigenschaft quantitativer Unzerstörbarkeit zukommt; Kraft und
Stoff waren somit zu einem Grundbegriff naturwissenschaftlichen Denkens vereint.
Das Gesetz der Umwandlungsfähigkeit der Kraftformen in einander (der Erhaltung
der Kraft) mußte durch das Experiment am Lebenden auf die Richtigkeit geprüft,
und durfte nicht einfach als Axiom angenommen werden. Der exakte Beweis für
seine Richtigkeit war geliefert, wenn sich nachweisen ließ,, daß die Verbrennung
und Umsetzung der zur Nahrung dienenden Stoffe eine gleiche Wärmequantität
erzeugt, als die Tiere abgaben (Helmholtz). Es mußten also der Energiewert der
Nahrung und die Verluste an Energie durch die verbrennlichen Ausscheidungen
(Harn und Kot) bestimmt werden. Es war festzustellen, ob die eingeführte Nahrung
Bücherschau.
1355
im Organismus abgebaut, daß weder von ihr etwas zurückbehalten, noch vom
Körper zur Wärmebildung etwas beigesteuert wird, ob außer der Nahrung noch
andere Kraftquellen für uns bestehen. Schaltet man die äußere Arbeit aus (Ver¬
suche in völliger Körperruhe), so bleiben als Energie Verluste die latente
Wärme des abgegebenen Wasserdampfes aus Haut und Lunge, die Wärme¬
strahlung und die Wärmeleitung.
ßubner ist es gewesen, der (1889) nachwies, daß beim warmblütigen Tier
99,5 % der Energie, welche in der Nahrung dem Körper zugeführt wird, in den
Ausgaben wiedergefunden werden. W as auch immer die Lebensfunktionen sein
mögen, die Energie zeigt in ihrem Verhalten keine Abweichung von den Gesetzen
der Physik; wir erhalten sie quantitativ wieder. Dies gilt ebenso für andere Orga¬
nismen, für Zitterfische, bei denen als Ausgabe noch die Elektrizität hiuzukommt,
für Kaltblüter, aber auch für Pflanzen (Pfeffer). Um die Entwickelungsgeschichte
der lebenden Substanz und das Wesen des Lebens überhaupt zu verstehen, müssen
wir die Ernährungsreaktionen aller Lebewesen und ebenso die Aeußerungen der
Jugend und des Alters studieren.
Die Zufuhr chemischer Energie ist die allgemeine Form des Lebens; zu dessen
Aeußerungen gehören der Nahrungs verbrauch (organische und unorganische
Stoffe), die Fortpflanzung und das Wachstum. Im Leben ist gerade die Viel¬
fältigkeit der Umformung aus der chemischen Energie in andere Energie (in
erneute chemische Energie, Wärme, Arbeit — Lokomotion, äußere Arbeit, innere
Bewegung der Teile — Elektrizität, Energie der Lage usw.) besonders auffällig.
Einförmig pflegt nur die Form der nach außen hin abgegebenen Energie
zu sein, indem sie nur ausnahmsweise über. Wärmeenergie und Arbeit hinaus¬
geht, meist sogar nur in Form von Wärme den Körper verläßt.
Der vulgäre Begriff der Ernährung zerfällt 1. in W achstum (Krescenz),
2. in den Wiede rersatz zugrunde gegangenen Materials (Rekonstruktion) und
3. in die Zufuhr bei sonstigem Gleichgewicht, die Ernährung im engsten Sin n e,
(Dissimilation, d. h. in Abbau unter qualitativer Aenderung der Substanz,
nicht aber die Abstoßung gleichartiger Teile wie beim Hunger). Die Dissimilation
ist also der unentbehrliche Vorgang jeglichen aktiven Lebens. Jedes bekannte
lebende Wesen läßt diese Ernährung in irgend einer Form erkennen. Alle
sonstigen Kriterien des Belebten sind periodische Vorkommnisse (Wachstum, Loko¬
motion usw.). Bis ins Reich der Einzelligen (Bakterien, Rubner) hinab ist damit
Wärmebildung verbunden.
Rubner nimmt als kleinste lebende Einheiten mit allen Eigenschaften
der biologischen Leistung spezifischer Art „Biogene“ genannte Teile an, denen
Wachstum (Teilung der Zellmasse) und Ernährung zuzuschreiben sind und die auch
die Vererbungsanlagen (Idioplasma) in sich tragen. Wachstum und Fortpflanzung
können aber in gewissen Stadien erlöschen, dann bleiben die „Bionten“, die leben
und die Eigenschaften der Dissimilation zeigen und die — ohne Nahrung (mit
ihrer potentiellen Energie) belassen — in kürzester Zeit zugrunde gehen. Ist ein
Biont zugrunde gegangen, so wird er gelöst (Autolyse) und dient dem Ueber-
lebenden als Nahrung. Biont und zugehörige Nahrung sind sozusagen eine un¬
trennbar zu denkende Kombination; denn die lebende Substanz sichert sich das
Fortbestehen nur durch die Nahrung. Sie kann künstlich durch Wärme und Kälte
in ihrer Zerleglichkeit, also auch in ihrem Nahrungsbedürfnis variiert werden.
Neben der Dissimilation findet sich ganz allgemein und jederzeit im Leben ein
stetes Zugrundegehen eines kleinen Teils lebender Substanz, der durch Rekon¬
struktion ersetzt werden muß. Die eine Grundreaktion ist also der fermentativ
wirkende Zustand der Bionten, den Nahrungsstoff zu spalten, die Ueber-
tragung der Energie auf die lebende Substanz, das Verlieren an Energie und die
Wiederkehr fermentativer Wirkung. Die andere ist die dauernde Unterhaltung
dieses Kreisprozesses infolge Energiezufuhr, der mit Verlust an Energie
durch Arbeitsleistung oder Wärmebildung endet.
Der von Rubner exakt am Tier bewiesene Satz: Die Gewichtsmenge der
Stoffe, welche imstande sind, die gleiche Arbeitsleistung zu erzielen, entspricht
genau dem gleichen Energieinhalt oder — da letzterer als Wärme gemessen zu
werden pflegt — derselben Wärmemenge, ist das Gesetz der isodynamen Ver¬
tretung der Nahrungsstoffe und die Grundlage unserer modernen Anschauung
von der Ernährung. Die lebende Substanz (der Biont) hat nur einen Bedarf an
Kräften, nicht an einzelnen Nahrungsstoffen; nur daß bei dem Eiweiß dem ener¬
getischen Prozeß eine materielle Funktion vorausgeht (spezifische Sekretionen,
charakteristische stoffliche Umwandlungen in den Zellen, die Rekonstruktion von
Epidermis, Epithel usw.). Sie macht aber nur 4 — 5% der verbrauchten Gesamt-
1356
Bücherschau.
menge an Energie aus. Die nutzbare Energie der Nahrung ist ein Maß für den
Wert derselben und die umgesetzte Energie ein Maß der zutage tretenden biologischen
Leistungen. Dieses sind die Grundlagen einer energetischen Auffassung des
Lebens der Warmblüter. Hierdurch wird verständlich, daß es Lebewesen
(Bakterien usw.) gibt, die auch ohne Sauerstoff leben und Wärme bilden. Die Ver¬
wertung der Nahrung durch Sauerstoff ist nur ein Spezialfall, notwendig für eine
möglichst intensive und schnelle Auswertung vorhandener chemischer Energie.
Durch ßubner’s Forschungen ist erwiesen, daß es eine Kluft zwischen Kal t-
und Warmblüterlebenssubstanz nicht gibt; es ist bekannt, daß die scheinbaren Ver¬
schiedenheiten im Energieverbrauch verschiedener Tiere nicht bestehen, wenn man
ihn auf die Oberfläche der Tiere bezieht (ßubner’s Oberflächengesetz).
Der Warmblüter verdankt sein Wärmegleichgewicht dem Wirken der chemi¬
schen Wärmeregulation, die darin besteht, daß stets so viel Wärme erzeugt
wird, als durch die Wärmeverhältnisse der Umgebung gefordert wird. Durch nervöse
Einflüsse produziert der Körper umsomehr Wärme, je kälter es ist; die aus chemi¬
scher Spannkraft entwickelte Wärme der Nahrungsstoffe kommt ohne Rücksicht
auf die umgesetzten Nahrungsstoffe zur Geltung (Gesetz der isodynamen Ver¬
tretung). Chemisch reguliert der Körper von sehr erheblichen Kältegraden an
bis zu Temperaturen von 25 — 83°. Darüber hinaus vermindert sich mit steigender
Außentemperatur die Wärmeproduktion der Tiere und des Menschen nicht mehr
(im Bad, bei Heißluftprozeduren), es setzt die physikalische Wärmeregulation
ein (Erweiterung der Hautgefäße, Wasserverdunstung).
Die Zeiten, innerhalb deren die Neugeborenen ihr Gewicht verdoppeln,
sind außerordentlich verschieden; der Energieaufwand hierfür ist in Kilogramm¬
kalorien aber ein recht gleicher; eine Ausnahmestellung nimmt allein der
Mensch ein:
Gewichts¬
verdoppelung
in Tagen
Energieaufwand in
Kilogrammkalorien
Während dieser Ver¬
doppelung werden
von 100 Kilogramm¬
kalorien der Zufuhr
für den Anwuchs ver¬
wendet (Wachstums¬
quotient).
Ist das Erhaltungs¬
futter = 100, so wird
während dieser Zeit
Nahrung aufge¬
nommen :
Mensch
180
28864
5,2 %
120
Pferd
60
4512
33,3 „
189
Rind
47
4243
33,1 „
211
Schaf
15
3926
38,2 „
211
Schwein
14
3754
40,0 „
212
Hund
9
4304
34,9 „
202
Katze
9
4554
33,0 „
197
Kaninchen
6
5066
27,7 „
194
Ueberall sonst herrscht aber merkwürdige Uebereinstimmung. Während die Tiere
für das Wachstum doppelt soviel Nahrung verbrauchen als im Erhaltungsfutter,
nimmt der Mensch in dieser Periode stärksten Wachstums nur um 1/5 mehr an
Stoffen auf, als er im ausgewachsenen Zustand bedürfte. 1 Kilo Wachstum er¬
fordert bei allen untersuchten Säugern also den gleichen Energieaufwand.
Demnach ist 1. die Größe der Wachstumsenergie sehr verschieden, 2. der Kraft¬
wechsel genau ebenso variiert wie das Wachstum: Großer Kraftwechsel bei schnellem
Wachstum, kleiner Kraftwechsel bei langsamem Wachstum.
Nur kurz sei noch die zum Tod der Organismen führende Konsumption
besprochen. An einem der drei aufeinander genau abgestimmten Vorgänge, ener¬
getische Funktion, materielle Funktion, Rekonstruktion, kann das definitive
Versagen der Arbeit eintreten; die Vernichtung des letzten Restes der die Rekon¬
struktion bedingenden Elemente scheint die Ursache des physiologischen Todes
zu sein.
Bis an die Grenze der Erkenntnis gehen Bubner’s Betrachtungen, an das
Entstehen des Lebens und an den Unterschied des Lebenden gegenüber dem Toten.
So darf mit Bewunderung, aber auch mit Stolz gesagt werden, daß — um
mit Rubner zu reden — die selbstgefällige Spekulation der Naturphilosophie, die
aus dem Menschenhirn heraus der Natur die Wege wies, überwunden ist, einzig und
allein durch das „Experiment“, das der „Lebenskraft“ Stück für Stück ab¬
gerungen hat und das gelehrt hat, daß alle Kraftäußerungen der Tiere und ihre
Wärmebildung vollkommen und ohne Rest nach physikalischen Gesetzen zu
erklären sind. E. Rost (Berlin).
Bücherschau.
1357
Ueber Wesen und Wertschätzungen der Medizin zu allen Zeiten. Von Georg
B. Grub er. Vortrag gehalten in der medizinischen Gesellschaft „Isis“ zu
München. München 1909, Verlag der Ärztl. Rundschau (O. Gmelin). 73 S.
Ein altes, von dem bekannten Oxforder Gelehrten Max Müller mit Vor¬
liebe zitiertes Wort behauptet, „daß wir nie eine Sache kennen, wenn wir nicht
ihre Anfänge kennen“. Man muß die Vergangenheit kennen“, sagt der Kultur¬
historiker Joh. Scherr, um die Gegenwart zu verstehen und die Zukunft zu kennen
oder wenigstens einigermaßen zu ahnen. Ohne Kenntnis der Geschichte ist dem
Menschen alles, was um ihn vorgeht, schlechterdings unbegreiflich, geradezu ein
Rätsel. Daher die stupide Auffassung der Erscheinungen unserer Zeit von seiten
der kenntnislosen und darum urteilslosen • Menge “ . So hat sich auch die Vernach¬
lässigung der historischen Studien, wie sie nur unter dem Eindruck anscheinend
nie dagewesener wissenschaftlicher Errungenschaften in den letzten Dezennien des
abgelaufenen Jahrhunderts zustande kommen konnte, an der Ärzteschaft bitter
gerächt. Der Arzt wollte losgelöst von der Vergangenheit und den Traditionen
seiner „Kunst“, nichts als Vertreter der reinen Wissenschaft sein und sank in den
Augen des Publikums zum Techniker, zum Gewerbtreibenden herab, der neben dem
„genehmigungspflichtigen Dampfkesselbesitzer, Seefischer, Schankwirte, Schauspiel-
und Singspielunternehmer“ gewissermaßen auf einer Stufe rangierte.
Wir sehen an der Hand der Schilderungen Gruber’s, wie bei den Indern
und Griechen, teilweise auch bei den Römern gute, ja sehr gute Verhältnisse des
ärztlichen Standes zu finden waren, wir sehen dann das völlige Darniederliegen
der ganzen ärztlichen Kunst und ihres Ansehens im Mittelalter und wie dann nach
einem glänzenden Aufstiege wieder trotz aller wissenschaftlichen Fortschritte in
neuester Zeit die Wertschätzung der Medizin hinter der im achtzehnten Jahrhundert
zurückbleibt.
Wie ein roter Faden zieht sich durch den Gruber’sclien Vortrag, der allen
Ärzten, namentlich aber den Eindrücken zugänglicheren jüngsten, soeben erst aus
der Klinik in die Praxis übertretenden Generation nicht warm genug empfohlen
werden kann, der Gedanke, daß die Wertschätzung unserer Berufsgenossen immer
in direktem Verhältnis zu dem Maße stand, in dem sie sich als wirkliche Künstler
fühlten. Wo Kunst ist, ist nach einem von Grub er zitierten Worte des Hippo-
krates auch Liebe zu den Menschen; und immer wieder kommt der Autor darauf
zurück, daß nur der tüchtig wird und bleibt, und nur der imstande ist, das
gesunkene Ansehen des Berufes zu heben, bei dem mit der. strengen
und sicheren Ausübung der Wissenschaft das Gemüt mitwächst, der
über kalten Buchstaben und starren Präparaten nicht mitzufühlen
und mitzuleiden verlernt, sondern sich immer mehr zu einem Charakter,
zu einem ganzen Menschen im vollsten Sinne des Wortes entwickelt.
Eschle.
Die Krise in der Immunitätsforschung. Von Ernst Sauerbeck.
Leipzig, Verlag von Dr. W. Klinkhardt. 91 S. 1,80 Mk.
Sauerb eck’s Buch, welches einen Sonderdruck der unter gleichem Titel in
Folia serologica erschienenen Arbeit darstellt, gibt eine auf ausgedehnter Literatur¬
kenntnis, eigenen Erfahrungen und namentlich auf eine weitausschauende Kritik
sich basierende Übersicht und Würdigung der durch die Immunitätsforschung auf-
gedeckien Tatsachen und der auf sie aufgebauten Theorien. Das in jeder Hinsicht
gehaltvolle Buch bringt eine Fülle von anregenden Gedanken, die keineswegs nach
einem durch die Kritik gewonnenen Abschluß streben, sondern vielmehr klarzustellen
suchen, an welchen Lücken, an welchen schadhaften Stellen des Gebäudes künftige
Arbeiten einzusetzen und in welchen Bahnen sie sich zu bewegen haben.
_ H. Pfeiffer (Graz).
Die sexuelle Krise. Eine sozialpsychologische Untersuchung von Grete
Meisel-Hess. Jena 1909 bei Eugen Diederichs. 5,50 Mk.
Verf. behandelt in ihrem Werke die angebliche sexuelle Notlage unserer Zeit;
wenn das Buch neben verschiedenen Vorschlägen, die von mancher Seite nicht
unwidersprochen bleiben dürften, auch etliche gute und treffende Gedanken auf¬
weist, so werden diese doch erdrückt von der Fülle des angesammelten Materials,
so daß man Mühe hat, sich durch die über 400 Seiten hin ausgesponnenen Unter¬
suchungen durchzulesen. Auch hier gilt wieder einmal der alte Satz: „Weniger
wäre Mehr gewesen!“ Werner Wolff (Leipzig).
1358
Krankenpflege und ärztliche Technik.
Krankenpflege und ärztliche Technik.
Die Herstellung moussierender Gasbäder durch Elektrolyse (Hydroxbäder).
Bisher wurden die betreffenden Gase (Kohlensäure, Sauerstoff) ent¬
weder in das Badewasser von außen eingeleitet oder innerhalb des Bade-
Mediums durch Zersetzung gewisser Stoffe (Bikarbonate durch Säuren, Super¬
oxyde durch Katalysatoren) erzeugt.
Dr. L. Sarason hat jedoch eine andere Methode seit über zwei Jahren
praktisch erprobt und die technischen Bedingungen ihrer Anwendung fest¬
gestellt. Die Methode, die ein allgemein kräftig moussierendes, aktiven Sauer¬
stoff enthaltendes Gasbad von beliebig langer Dauer ermöglicht, dürfte vor¬
nehmlich für Krankenhaus und (Sanatorium geeignet sein.
Das Verfahren beruht auf der Benutzung der durch den galvanischen
Strom bewirkten Zerlegung des gehörig leitend gemachten Wassers in Wasser¬
stoff und Sauerstoff. Der Hauptteil der Vorrichtung zur praktischen Aus¬
übung des Verfahrens ist ein am Boden einer Holzwanne gelagertes Elek-
troden-Tableau, dessen einzelne Elemente aus fingerartig ineinandergreifenden
dicht und isoliert zusammengelagerten, stäbchenförmigen Kohlen-Elektroden
bestehen. Die Elektroden sind derartig angeordnet, daß zwischen 2 Anoden
immer eine Kathode liegt. Die gleichsinnigen Elektroden sind an ihrer
Basis miteinander durch je eine gegen die Umgebung gut isolierte Metall¬
schiene verbunden. Die Metallschienen kommunizieren vermittels isolierter
Leitungen mit der Elektrizitätsquelle. Das Elektroden-Tableau ist in einem
Holzrost eingebaut, bezw. von ihm überdeckt, der zur Unterlage für den
badenden Körper dient und direkte Berührung der Elektroden verhindert.
Diese neue Badeform hat nicht das Geringste mit den sogenannten hydro¬
elektrischen Bädern gemeinsam, da bei dieser die ganze Energie des Stromes
zur chemischen Arbeit, nämlich zur Bildung von Wasserstoff und Sauerstoff
aufgebraucht wird. In der Tat wird bei diesen Bädern der Körper des
Badendei- vom galvanischen Strom selbst nicht betroffen, bezw. empfindet
er ihn nicht im geringsten, obwohl dabei sehr hohe Stromstärken in Anwen¬
dung kommen. Durch geringen (Zusatz von Schwefelsäure läßt sich die
Gasbildung erhöhen. Im übrigen ist diese abhängig von der Stromstärke
und hat man es in der Hand, durch Regulierung derselben die Höhe der
Gasbildung aufs genaueste individuell dosieren und beliebig lange gleich¬
mäßig festh alten zu können.
Eür die therapeutische Anwendung kommt bei den elektrolytischen
Gasbädern zunächst der mechanische Reiz der Gasbürste in Frage, wobei
die leichte Dosierbarkeit des Reizes noch einen besonderen Vorteil bildet.
Die eigenartige Wirkung der Sauerstoff-Gasbürste auf Nerven- und Gefäß-
System ist bereits schon festgestellt.
Weiterhin käme bei den durch Elektrolyse erzeugten Sauerstoff- und
Wasserstoff-Bädern auch noch der physiologische Effekt des gleichzeitig
entstehenden Ozons, sowie die reduzierende Wirkung des für moussierende
Gasbäder überhaupt noch nicht angewandten naszierenden Wasserstoffes in
Betracht.
Die Einrichtung wird von der Reiniger, Gebbert & Schall Aktien¬
gesellschaft unter dem Namen „Hydroxbad“ in den Handel gebracht.
Referat über die Anwendung der Forest’schen Nadel zur Unterstützung
von Krebsoperationen.
Von Dr. Max Cohn.
(Bericht aus dem städtischen Krankenhause Moabit-Berlin. Berl.klin. Wochenschr. 1909.)
Verfasser hat einen neuen elektrischen Kaltkauter erprobt, der durch direkt
auf den Körper übergeleiteten Hochfrequenzstrom wirkt. Er sieht denselben als
eine Verbesserung des Fulgurationsapparates an und findet, daß man mit ihm wie
mit einem Skalpell arbeiten kann. Die Gewebe werden ohne wesentliche Ver¬
schorfung und ohne kapillare noch interstitielle Blutung leicht durchtrennt. Mit
dem Kaltkauter kann auch durch die auftretenden Funkenflämmchen das Gewebe,
• Krankenpflege nncl ärztliche Technik.
1359
je nach der Handhabung entweder an der Oberfläche oder in der Tiefe, vollständig
zerstört werden, weshalb er sich zur Behandlung bösartiger Neubildungen eignet.
Man ist dabei in der Lage, ohne vorherige Freilegung des Operations-Gebietes
selbst an sehr schwer zugängliche Stellen zu gelangen. Nach den Tierversuchen
des Verfassers empfiehlt sich die Anwendung des Kaltkauters auch für Operationen
an Leber, Milz und Niere.
Karzinome, Hämorrhoidalknoten etc. sind leicht mit dem Kaltkauter zu
entfernen. Vor allem aber ist seine Anwendung angezeigt bei inoperablem Brust¬
krebs, wenn große Geschwürsflächen mit jauchiger Sekretion vorhanden sind. Man
karifiziert die Knoten einige Minuten lang mit dem Kaltkauter, wodurch der Defekt
verkleinert wird und frische Granulationen entstehen. Wenn auch dadurch natürlich
keine sichere Heilung des Krebses erzielt wird, so bedeutet nach des Verfassers
Meinung der Kaltkauter doch einen Fortschritt in der operativen Krebsbehandlung.
Praktische Ohrentrichter.
Von W. Guttmann, Stabsarzt in Straßburg i. E.
Die jetzt in der Praxis ausschließlich angewandten Ohrentrichter aus
Metall und Hartgummi haben bekanntlich mehrfache Nachteile. Die Metall¬
trichter verursachen leicht unangenehme Temperaturempfindungen und bleiben
wegen ihrer relativen Schwere nicht so gut in jeder Lage, die man ihnen
gibt. Die Hartgummitrichter lassen sich nicht vollkommen sterilisieren, da
sie längeres Auskochen nicht vertragen. Eine mechanische Peinigung beider
Arten von Trichtern ist umständlich. Alle Trichter aus starrem Material
haben aber auch den Nachteil, daß sie nur für bestimmte Ohren passen,
da die Öffnung an der Spitze unveränderlich ist. Man ist daher darauf
angewiesen, mehrere Trichter von verschiedener Größe zur Verfügung zu haben.
Zufällig kam ich nun auf den Gedanken, Ohren trichter aus elastischem
Material zu verwenden, deren Ohr Öffnung beliebig verändert werden
kann. Zuerst improvisierte ich derartige Trichter, indem ich Pappe bezw.
Pergamentpapier in geeigneter Weise zusammenrollte. Im Notfälle kann man
jsich auf diese Weise das Trommelfell leidlich sichtbar machen. Ein viel
geeigneteres Material fand ich dann im Zelluloid, da dieses dem Drucke
der Gehörgangswandungen einen größeren Widerstand bietet und auch die
Behandlung mit desinfizierenden Flüssigkeiten gestattet. Zur Herstellung
der Ohrentrichter, die am besten fabrikmäßig erfolgt, wird dünnes, durch¬
sichtiges Zelluloid auf einer Form so gerollt und dann gepreßt, daß man
leinen Trichter mit kleinjer Öffnung an der Spitze erhält. Infolge seiner
physikalischen Eigenschaften bleibt dann das Zelluloid ohne weiteres in der
ihm gegebenen Form. Eine Erhöhung der Stabilität kann man noch dadurch
erzielen, daß man an der Basis einen Ring (ebenfalls aus Zelluloid) anbringt.
Will man nun eine größere Ohr Öffnung haben, so schneidet man einfach
mit einer Schere soviel von der Spitze ab, wie erforderlich ist. Eine eventuelle
Verengerung kann man durch stärkeres Einrollen, allerdings nur in mäßigem
Grade, erzielen. Diese Trichter, welche ich wegen der Veränderlichkeit der
Ohröffnung und ihrer Biegsamkeit „Fl ex trichter“ nenne, haben noch einen
anderen Vorzug, nämlich den der Billigkeit. Sie kosten nur wenige Pfennige
pro Stück. Infolgedessen kann man ohne wesentliche Kosten für jeden
Patienten bezw. jedes zu untersuchende Ohr einen besonderen Trichter ver¬
wenden, den man nach dem Gebrauch fortwirft. Es ist dies jedenfalls die
'bequemste und — Wenn man von den Anforderungen strengster Aseptik
absieht — beste Methode der Sauberkeit.
Übrigens kann man aus einer anderen Sorte von Zelluloid auch starre
Ohrentrichter hersteilen, welche den jetzt üblichen Hartgummitrichtern voll¬
kommen gleichwertig sind, sie aber noch dadurch übertreffen, daß sie wegen
ihrer Elastizität unzerbrechlich und außerdem viel billiger sind.1) (Deutsche
med. Wochenschr. 1909, Nr. 32.)
ö Die Fabrikation der — gesetzlich geschützten — „Flexohrtrichter“ sowie
der starren Zelluloidtrichter („Zello“ -Trichter) hat die Märkische Zelluloidwaren¬
fabrik Var ton & Teubel in Birkenwerder bei Berlin übernommen.
1360
Krankenpflege und ärztliche Technik. ,
Siccator*)
nach Dr. Max Nassauer, Frauenarzt in München.
D. R. G. M. Nr. 357 860.
(Siehe Münch, med. Wochensclir. Nr. 15, Seite 756 u. 757 vom 13. April 1909.)
Der Siccator soll den so vielfach gedankenlos und wertlos verwendeten
Irrigator beim „Ausfluß“ ersetzen oder ergänzen.
Die moderne Wundbehandlung hat die Abspülungen und Umschläge
mit desinfizierenden Flüssigkeiten als wertlos erkannt und verlassen.
Das beste Mittel zur Heilung von sezernierenden Wundflächen ist die
Austrocknung durch Pulver.
Die Art des Pulvers ist weniger wichtig, als seine aufsaugende und
austrocknende Wirkung. Dies beweist schon die übergroße Anzahl der an-
gepriesenen Pulver.
Die Konsequenz auf die entzündete und sezernierende Genitalschleim¬
haut hat man bis jetzt nicht gezogen.
Gewohnheitsmäßig und — wie jeder Praktiker weiß — meist erfolglos,
werden ein- oder zweimalige tägliche Ausspülungen durch den Irrigator,
bei „Ausfluß“ irgendwelcher Provenienz angewendet.
Der Siccator überträgt die moderne Wundbehandlung in überaus ein¬
facher Weise auf die Genitalien der Frau.
Der Siccator besteht aus einer eigentümlichen Glasbirne und einem
damit verbundenen kleinen Gummigebläse.
Die Glasbirne ist durchbohrt und trägt ein kleines Reservoir, das mit
Pulver anzufüllen ist. Das, natürlich abnehmbare, Gummigebläse sitzt am
anderen Ende der Birne auf. Ein einfacher Druck, den man einigemale
wiederholt, auf das Gebläse treibt einen Luftstrom über das Pulver und
dringt mit diesem Pulver, das aufs feinste zerstäubt wird, durch die in die
Scheide eingeführte und fest angedrückte Glasbirne in die Scheide. Der
Luftstrom ist stark genug, um die Scheidenwände sofort völlig auszudehnen,
alle Buchten und Furchen zu verstreichen und zugleich die so entstandenen
glatten Scheidenwände samt der Portio und dem äußeren Muttermund mit
dem Pulver zu bestäuben.
Dr. Nassauer hat zu seinen Versuchen mit bestem Erfolg das völlig
indifferente, außerordentlich feine Pulver bolus alba (= Tonerde) verwendet.
Jeder Arzt kann aber das ihm zusagende Pulver zur Anwendung bringen.
Der Siccator faltet also die Scheide gleichzeitig auseinander und pudert
sie in allen Winkeln ein. Der Siccator trocknet auf diese Weise die Scheide
aus. Das Pulver saugt alle Sekrete und die darin befindlichen Infektions¬
erreger auf. Es entsteht ein feiner Brei, der überaus leicht im Sipekulum
ausgewischt oder von Zeit zu Zeit weggespült werden kann.
Geschwüre der Portio, die nicht mehr in eine Lakune von infektiösem
Sekret eintaucht, heilen ab oder werden verhindert, ebenso wird ein Auf¬
steigen der Infektion in Zervix, Uterus und Tuben erschwert. Aus der Zervix
kommendes Sekret wird aufgesaugt und verhindert eine Reinfektion. Der „ Ausfluß“
als solcher mit all seiner Belästigung für die Frau sistiert temporär sofort nach
Anwendung des Siccator. Nach längerer Anwendung wird er dauernd geheilt.
Der Siccator kann von den Frauen überaus leicht selbst eingeführt und
verwendet werden.
Der Siccator paßt, je nach der Tiefe der Einführung in die Scheide,
für jede Frau. U
*) Zu beziehen von Hermann Katsch, München, Bayerstrasse 25.
Schriftleitung: Dr. Rigler in Leipzig.
Druck von Emil Herrmann senior in Leipzig.
2 1. Jahrgang.
1909.
Tomcbrim der medizin.
Unter Mitwirkung hervorragender Fachmänner
herausgegeben von
Professor Dr. 6* Köster Prio.-Doz. Dr. v. Criegern
in Leipzig. in Leipzig.
Schriftleitung: Dr. Rigler in Leipzig.
Nr. 36.
Erscheint am 10., 20., 30. jeden Monats. Preis halbjährlich
6 Mark, in kl. Zeitschrift für Versicherungsmedizin 8 Mark.
Verlag von Georg Thieme, Leipzig.
30. Dezbr.
Originalarbeiten und Sammelberichte.
Die verschiedenen Arten von Trypanosomen, mit besonderer
Berücksichtigung der Schlafkrankheit.
Von Dr. W. Schürmann, Bonn.
Im Jahre 1841 wurden von Ginge im Blute des Frosches eigen¬
tümliche Lehewesen gefunden, die man nach Gruby 1843 als Trypa¬
nosoma (vprTrou'or-Schraubenkörper) bezeichnete. Weitere Untersuchungen
deckten bei einer Anzahl Warm- und Kaltblütern Trypanosomen auf.
Diese Lehe wesen leben im Blute ihrer Wirte. Sie lösen entweder gar
keine Krankheitssymptome aus oder bedingen schwere Krankheits¬
prozesse.
Man rechnet die Erreger zu den Flagellaten. An ihrem Körper
hängen ein oder mehrere Geißeln, die der Bewegung dienen. Die Haupt-
geißel geht von dem Blepharoplasten, einem kleinen Kerne aus und zieht
sich als Kandfaden am ganzen Körper entlang. Zwischen ihm und dem
Protoplasma des Körpers liegt ein dünner Protoplasmasaum, den man
als undulierende Membran bezeichnet. Die Meinungen über den Hand-
faden und die Geißeln sind noch geteilt. Die Fortpflanzung erfolgt
durch Längsteilung, oder durch Isogamie und in anderen Fällen durch
Autogamie. Auch hat man bei manchen Trypanosomenarten Gameten,
männliche und weibliche Formen beobachtet. Außerdem besteht eine
geschlechtliche Vermehrung der Trypanosomen. Koch, Gray und
Talloch, v. Prowazek haben darauf aufmerksam gemacht, daß sie
in bestimmten Stechfliegen aus der Familie Glossina stattfindet. Diese
Stechfliege kommt nur in den Tropen vor.
Ueber den Entwicklungsgang der Trypanosomen herrschen noch die
verschiedensten Meinungen. Doflein’s Ansicht, die pathogenen Try¬
panosomen entständen arte nicht pathogenen Insektenschmarotzern durch
Mutation, steht noch sehr vereinzelt da. Auch spricht er die Vermutung
aus, daß sich eine Trypanosomaart durch Umzüchtung in eine andere
verwandeln ließe. Einschlägige Versuche sind jetzt gemacht worden
von Wenidelstadt und Fellmer, und noch -im Gange im Institut
Pasteur, wo nicht tierpathogene Stämme (Lewlsi) durch Kaltblüter-
passage in pathogene umgewandelt worden sind. Bei anderen, patho¬
genen Stämmen, ließ sich durch dasselbe Vorgehen eine Steigerung
der Virulenz herbeiführen.
86
1362
W. Schürmann,
Die Länge der Trypanosomen wechselt nach der Art und dem
Entwicklungsstadium der Parasiten. Die erwachsenen Formen der
Trypanosomen des Menschen (Trypanosoma gambiense) sind drei bis
viermal so lang als der Durchmesser eines roten Blutkörperchens.
Die Färbung der Trypanosomen gelingt am besten mit der von
Giern sa modifizierten Romanowsky-Methode. Das Protoplasma färbt
sich blau mit eingestreuten roten Chromatinkörnchen. Der Kern nimmt
die Chromatinfärbung an. Außer dem Hauptkern haben die Trypano¬
somen hoch einen Nebenkern, den sogenannten Blepharoplasten, von dem
die Geißel ausgeht. Vereinzelt finden sich V akuolen und Granula im
Protoplasma. Auch sind Degenerationsformen der Trypanosomen be¬
kannt, die in künstlichen Kulturen und bei Aenderung der äußeren
Lebensbedingungen auf treten sollen. Einige Trypanosomenarten kann
man in künstlichen Medien zur Vermehrung bringen und weiterzüchten.
Wodurch das Krankheitsbild der Trypanosomenerkrankung zu er¬
klären wäre, ist noch nicht aufgedeckt. Man nimmt an, daß es Giftstoffe
sind, welche die verderblichen Anämien bedingen sollen ; aber man hat
bis heute noch keine Toxine im Blute Trypanosomenkranker nachweisen
können (Hart och und Yakimoff). Auch hat man das schwere Krank¬
heitsbild durch Sauerstoffmangel des! Blutes zu erklären versucht. Im
folgenden beschränke ich mich nur auf die Arten von Trypanosomen,
die ein größeres Interesse wachrufen.
1. Das Trypanosoma Lewesi und Theileri, diese Arten sind als
feste „Arten“ stets bei bestimmten Tierarten zu finden und nicht ge¬
fährlich für sie.
2. Die Erreger der Tsetse-Krankheit, der Surra,, des Mal de Caderas,
der Beschälseuche der Pferde, und die Trypanosomen des Menschen.
Diese Arten sind untereinander in Form und Virulenz; verschieden.
Die einzelnen Formen zu differenzieren, soll nach Koch mit
Leichtigkeit gelingen durch genaue Beobachtung der Geschlechtsformen
der Trypanosomen in den Stechfliegen; die Form des Blepharoplasten,
die Lage und die Größenverhältnisse des Gesamtkörpers sollen Unter¬
scheidungsmerkmale geben.
In Kürze werde ich auf die einzelnen, oben erwähnten Formen der
Trypanosomen eingehen.
Ein ungewöhnlich großes Trypanosoma ist das von Theiler
beschriebene, das von seinem Entdecker als Erreger des sogenannten
Gallziekte, einer Erkrankung der Binder, bezeichnet wird. Der Name
kommt daher, weil man immer bei der Obduktion der Tiere eine
Schrumpfung' der Gallenblase findet. Die Uebertragung soll durch eine
Stechfliege, Hippobosca rufipes stattfinden. In Südafrika kommt
die Erkrankung vor.
Zu erwähnen wäre noch das in Indien bei Bindern von L ingar d
gefundene Trypanosoma und das Trypanosoma dimorphen, das in
Senegambien von Todd und Dutton als Erreger der Pferdeseuche
nachgewiesen wurde.
Das Trypanosoma LeSwisi kommt bei Batten vor, ohne Krank¬
heitserscheinungen auszulösen. 1878 wurde es in Indien von Lewils
im Battenblute gefunden. Bisher bestand die Annahme, daß dieses
Trypanosoma sich nur -im Battenkörper fortpflanzen ließe. Die Ueber¬
tragung' von Batte zü Batte findet nach Pr'owazek durch eine Läuseart,
Haematopinus spinulosus statt. Eine Uebertragung auf Kaltblüter
(Frosch, Ringelnatter) und wieder zurück auf Warmblüter ist neuer-
Die verschiedenen Arten von Trypanosomen.
1368
dings Wendel stadt und Fellmer gelungen. Dieses Trypanosoma
ist lebhaft beweglich. Der ovale Kern liegt im vorderen Drittel. Das
Hinterende ist spitz angezogen, der Blepharoplast steht quer zur Körper-
achse. (Differenzierung von anderen Trypanosomenarten.)
Neben der Längsteilung kommt bei Lewisi die multiple Ver¬
mehrung vor. Hier findet man die typischen Rosettenformen.
Künstliche Hortzüchtung dieser Trypanosomen ist Novy und
Mac Neal auf Blutagar (1:1) gelungen. Serum von mit Lewisi in¬
fizierten Ratten schützt weiße, noch nicht infizierte Ratten vor der
Infektion.
Das Hamster-Trypanosoma soll nach neueren Untersuchungen
morphologisch dem Trypanosoma Brucei näher stehen.
In Afrika weit verbreitet ist das Trypanosoma Brucei (Na-
gana). Die Erkrankung soll durch den Stich der Tset sc- Fliege über¬
tragen werden. Livingstone hat als erster darauf hingewiesen. Jedoch
ist es erst Bruce gelungen, ein Trypanosoma als Erreger der mörderi¬
schen Seuche aufzudecken. Die Nagana findet sich bei Eseln, Rindern,
Pferden, Mauleseln, Katzen, wilden Büffeln und Schweinen. Die Sym¬
ptome machen sich geltend in Fieber, Oedemen am Bauch und Extremi¬
täten, Mattigkeit, Sinken des Hämoglobingehaltes des Blutes, Abmage¬
rung, Tod. Die N agana-Trypanosomen sind plump, haben ein stumpfes
Hinterende. Im Plasma liegen vereinzelte Chromatinkörperchen ; der
Blepharoplast steht in der Längsachse des Körpers.
Die Uebertragung findet durch die Tsetse-Fliegen oder Glossinen
statt (Glossina morsitans, furca und pallidipes). Nach Koch machen
die Trypanosomen in diesen genannten Fliegenarten einen Entwicklungs¬
kreislauf durch, der sich von der Entwicklung im Warmblüter formell
unterscheidet. Die Antilopen sollen die Wirtstiere dieser Trypanosomen¬
art sein. Eine natürliche Immunität gegenüber dem Nagana- Trypano-
soma besteht, aber auch künstlich läßt sie sich erzeugen (Koch,
Schilling, Wendelstadt und Fellmer). Man kann neuerdings die
Nagana er Kränkungen bekämpfen. Farbstoffe und Arsenpräparate hat
man verwendet. Ehrlich empfahl das Trypanrot, Wende Ist ad t und
Fellmer das Brillantgrün. Subkutane Einverleibungen dieser Stoffe
brachten gelungene Heilungen. Löffler verwandte Acid. arsenicosum
(0,004 g pro Kilo Meerschweinchen) per os und gleichzeitige subkutane
Injektion von Atoxyl. Auch soll das Verreiben einer 1 °/0 igen Atoxyl-
salbe auf die Haut nach Löffler wirksam gewesen sein.
Von Ehrlich wurden die ersten chemotherapeutischen Versuche
gemacht, der eine Menge von chemischen, nach eigenen Angaben herge¬
stellten Mitteln an Säugetieren ausprobierte. Zu erwähnen ist das
Atoxyl, Orsudan, Pyronin, Tartarus stibiatus, Arsacetin, Parafuchsin,
Akridin, Arsenophenylglycin und Paraoxyphenylarsenoxyd, Trypanrot.
Er hat dadurch eine Reihe von sehr wirksamen Stoffen in die Trypa¬
nosomentherapie eingeführt. Nachgeprüft wurden diese Präparate von
Flexner, Friedberger, Röhl, Terry, Schilling, Uhlenhuth,
Wassermann und Wendelstadt. Das Arsenophenylglycin erzielte
schon bei kleinen Dosen sehr gute Heilerfolge. Von Laverau wurde
das Auripigment verwendet.
Bei Pferden, Eseln, Kamelen, Elefanten ist in Indien und auf den
Philippinen die ,,Surra“ verbreitet, die sich eigentümlicherweise nicht
auf Rinder übertragen läßt. Dieses „Surra“-Trypanosoma ist im Jahre
1880 von Evans in Indien entdeckt worden. Es läßt sich in keiner
86*
1364
W. Schürmann,
Weise von dem Erreger der Nagana differenzieren. Die Eiebertragung
soll durch Tabaniden und Stomoxys calcitrans erfolgen.
Die Dourine oder Beschälseuche der Pferde kommt in Süd- Ost-
Europa, Nordafrika und Westasien vor. 1894 fand Rouge t als Er¬
reger der Seuche das Trypanosoma equiperdum. Die Uebertragung
der Krankheit geschieht von der Schleimhaut aus. Affen, Schafe,
Ziegen, Rinder werden nicht infiziert. Schwer gelingt es, Meerschwein¬
chen, Mäuse und Ratten zu infizieren. Im Serum von Tieren, die eine
Infektion überstanden haben, lassen sich spezifische Schutzstoffe nach-
weisen. — Ferner ist zu erwähnen :
,,Mal de Caderas“, die Kreuzlähme der Pferde in Südamerika,
von Argentinien bis zum Amazonenstrom. Als Erreger wird das Trypa¬
nosoma equinum angesprochen, das im Jahre 1901 von Elmassian
auf gefunden wurde. Eine Uebertragung gelingt auf Mäuse, Kaninchen,
Affen, Katzen, Hunde und Meerschweinchen, während Schafe, Ziegen,
Schweine, Rinder sehr resistent sich verhalten. Auch hier lassen sich
spezifische Schutzstoffe im Blute der Tiere, welche die Infektion über¬
standen haben, nach weisen.
Das Protoplasma dieses Trypanosoma zeigt reichlich eingestreute,
scharf sich differenzierende Chrom atinkörperchen.
Neben all den erwähnten, nur im Tierkörper vorkommenden For¬
men, will ich jetzt auf die Trypanosomenform eingehen, welche im
Menschen vorkommt und unzweifelhaft für uns von größter Wichtigkeit
und regstem Interesse ist. Die Schlafkrankheit, die uns ungefähr
100 Jahre bekannt ist, wurde zuerst an nach Martinique eingeschifften
Sklaven beobachtet. Diese eigentümliche Erkrankung ist unter den
Negern im tropischen Zentralafrika weitverbreitet. Ihr sind in den
letzten Jahren mehrere hunderttausend zum Opfer gefallen. Im Kongo¬
staat, in Portugiesisch -Westafrika, dann entlang dem Niger und Kongo
in Zentralafrika ist ihre Heimat.
Von dort hat die Erkrankung sich weiter nach dem Alber t-Nyanza,
Britisch-Ostafrika, nach Uganda und nach Viktoria-Nyanza ausge¬
breitet. Die Weißen sind nicht, wie man bis jetzt annahm, vor der
Krankheit bewahrt. In der Zerebrospinalflüssigkeit von Schlafkranken
hat Castellani zuerst Trypanosomen gefunden. Man versuchte durch
Ueberimpf ungen dieser Trypanosomen auf. Tiere (Affen) die Schlaf¬
krankheit bei diesen zu erzeugen. Man war jedoch überrascht zu sehen,
daß die Schlafsucht der Tiere nichts charakteristisches aufwies. Von
Bettencourt, dem portugiesischen Forscher, sind in der Lumbal¬
flüssigkeit und in den Schnittpräparaten des Gehirns reichliche Strepto¬
kokken gefunden worden, die wohl sicherlich bei der auftretenden
Meningitis und dem Zustandekommen der Symptome der Schlafkrankheit
eine Rolle spielen.
Neuerdings sind von F elf in er Stoffwechseluntersuchungen, aller¬
dings bei mit Nag'aüJa -Trypanosomen infizierten Kaninchen, angestellt
worden. Es hat sich ergeben, daß ein starker Abbau der Zelleiweiße
und des Lezithins eingetreten ist. Ob bei schlafkranken Menschen
analoge Verhältnisse eintreten, müssen erst weitere Untersuchungen
lehren.
Die Infektion verläuft chronisch. Krankheitssymptome können
oft erst nach Jahren auf treten. In den meisten Fällen endet die Er¬
krankung in einer eitrigen Zerebrospinalmeningitis. In allen Fällen
findet man eine chronische Meningitis oder Encephalitis. Die Symptome
Die verschiedenen Arten von Trypanosomen.
1865
der Krankheit äußern sich in Kopfschmerzen, Fieber, Schwindel und
Abgeschlagenheit. Die Kranken magern ah, Drüsenschwellungen treten
auf, das Gesicht wird aufgedunsen. Oedeme an den Extremitäten und
am Kumpf stellen sich ein. Die Milz ist vergrößert. Neben Exzi¬
tationszuständen werden epileptiforme Anfälle beobachtet. Im letzten
Stadium verfallen die Kranken in einen fast andauernden Schlaf. Im
Blute der infizierten Menschen findet man regelmäßig eine Trypa¬
nosomenart, die sich durch ihre Größe und ihren Bau von den hei
Tieren vorkommenden Trypanosomen unterscheidet.
Die Uehertragung der Trypanosomen auf den Menschen geschieht
durch eine Stechfliege, die Glossina palpalis. Bruce hat diese Stech¬
fliege an Schlafkranken Blut saugen lassen und dann diese Fliege
gesunden Affen angesetzt, die bald das Trypanosoma gambiense —
so heißt das Trypanosoma der menschlichen Schlafkrankheit — in ihrem
Blute aufwiesen. Die Trypanosomen machen in der Stechfliege einen
Entwicklungskreislauf durch ; denn man findet in dem Darmkanal von
Stechfliegen noch nach Monaten Trypanosomen in großer Menge.
Kleine will nachgewiesen haben, daß in der Glossina palpalis sich
die Trypanosomen 4 Wochen lang übertragungsfähig halten. Nach
Koch und Kudicke ist die Uehertragung der Trypanosomiasis per
coitum möglich.
Das Trypanosoma gambiense läßt sich experimentell auf Hatten,
Mäuse, Affen, Hunde übertragen. Jedoch läßt sich bei keiner Tierart
eine gleiche Erkrankungsform, wie die Schlafkrankheit des Menschen,
erzeugen Die Virulenz der Trypanosomen der Schlafkrankheit für
die genannten Tierarten ist eine verschiedene.
In letzter Zeit sind zahlreiche therapeutische Versuche zur Be¬
kämpfung der Schlafkrankheit gemacht worden.
Von Koch wurde nach den ersten Angaben von Thomas und
Breinl und später von Ayres, Kopke das Atoxyl, das arsenigsaure
Salz, zuerst einer Prüfung unterzogen. Es wurde subkutan in Doppel¬
injektionen von 0,5 g in zehntägigen Pausen gegeben. Es tritt eine
deutliche Besserung ein, die nach dem Aussetzen des Mittels wieder
schwindet. 30 Tage nach der letzten Injektion erscheinen häufig die
Erreger in den Drüsen wieder. Bei längerem Gebrauche dieses Mittels
hat man gefährliche Erkrankungen des Sehnerven mit Erblindung
beobachtet. Nach den Koch’schen Angaben „beträgt die Mortalität
bei unseren mit Atoxyl behandelten Schwer kranken nicht ganz den
zehnten, vielleicht nur den zwanzigsten Teil von derjenigen nicht mit
Atoxyl behandelten Schlafkranken“.
Von Ehrlich wurde Atoxylfestigkeit an Tieren festgestellt, die
noch nach 103 Tierpassagen vorhielt. Ob beim Menschen Atoxylfestig¬
keit vorkommt, ist zweifelhaft.
La vornan und Thiroux haben neuerdings gefunden, daß Auri¬
pigment (gelbes Schwefelarsenik) mit Atoxyl abwechselnd gereicht,
die beste Heilwirkung mit Ausschaltung der unangenehmen Neben¬
erscheinungen hat. Subkutane Injektionen von Auripigment sind
schmerzhaft, Abszesse und Gangrän folgen häufig. Dieses Mittel ist
bisher nur an Tieren ausprobiert.
Sicherer soll eine kombinierte Behandlung mit Atoxyl und Sublimat
sein. Breinl hatte unter 6 Erkrankungen 5 Heilungen. Auch die
von Plimmer und Thomson empfohlene Antimonbehandlung hat in
Kombination mit Sublimat gute Erfolge (Broden).
1866
W. Schürmann, Die verschiedenen Arten von Trypanosomen.
Von K o oh sind noch verschiedene Vorsichtsmaßregeln zur Be¬
kämpfung der Schlafkrankheit angegeben worden:
1. Beobachtung der Eingeborenen durch Drüsenpalpationen und
-punktionen.
2. Errichtung von geschützten Lagern dort, wo Schlafkrankheit
vorkommt ; Grenzsperrungen.
3. Atoxylbehandlung von mindestens 4 Monaten.
4. Abholzen der Stellen, wo Glossinen leben.
5. Töten der Wirtstiere (der Krokodile); Vernichtung der Kro¬
kodileier.
Auf Veranlassung von Exzellenz Koch werden jetzt das von
Ehrlich eingeführte Arsacetin und das Arsenophenylglycin in Afrika
auf ihren Heilwert untersucht. Ehrlich legt auf die Anwendung
des Arsenophenylglycins besonderen Wert. Eine einzige Injektion einer
nicht lebensgefährlichen Dosis führt bei Tieren zur Heilung. Natürlich
würden bei der Heilung des Menschen größere Dosen notwendig werden
und der Heilchance Bedenken erwachsen. Das für die Heilung idealste
Mittel ist bis jetzt das Arsenophenylglycin. Die giftige Wirkung
dieses Mittels läßt sich nach Ehrlich vielleicht ausschalten, wenn
man nach intravenöser Injektion von Arsenophenylglycin 0,015 pro
Kilogramm (Versuche wurden an Kaninchen ausgeführt) gleichzeitig
mittels Schlundsonde eine größere Menge des unschädlichen Trypa-
nosan einführt.
Die neuesten therapeutischen Angaben sind von Laveran und
Thiroux gemacht. Sie verwendeten ,,1’emetique d’aniline“. Bei mit
Trypanosomen infizierten Meerschweinchen erzielten sie recht gute Heil¬
erfolge. Thiroux hat dieses Mittel beim Menschen versucht. Es
soll weniger giftig für den Menschen sein wie das Atoxyl ; es genügen
intravenöse Injektionen von 0,25 — 0,30 g bei noch kräftigen Kranken.
,,Une dose de 0 g 15 cg suffit, chez un homme adulte, pour faire
disparaitre les trypanosomes du sang; AI. Thiroux conseille la dose
de 0 g 20 cg chez les malades encore vigoureux, la dose de 0 g 10 cg
chez les cachectiques.
2 malades qui commengaient a dormir ont vu disparaitre l’hypnose
apres une injection de 0 g 15 cg. Les resultats immediat du traitement
de la trypanosomiase humaine par l’emetique d’aniline sont clonc tres
satisfaisants.“ (Semaine medicale Nr. 40, 6. Oktober 1909.)
Zum Schlüsse möchte ich noch erwähnen, daß von C. Chagas,
nach Mitteilungen der Brazil medico, 22. April 1909, in den Minen
von Brasilien ein Insekt, „Conorrhinus“, gefunden wurde, das Trypa¬
nosomen in seinem Blute enthält. Dieses Insekt sticht den Menschen
vorwiegend zur Nachtzeit ins Gesicht. Eieber, Oedem, Anämie, Schwel¬
lung der Unterlider der Augen treten auf; die Krankheit endet meistens
tödlich. Im Blute der Kranken fand Chagas Trypanosomen. —
Immunisierungsversuche gegen Trypanosomen sind von vielen For¬
schern gemacht worden ; jedoch sind die Resultate noch nicht befriedigend.
So hat Schilling mit einem abgeschwächten Trypanosomenstamm
(Passage durch Hund und Esel) Tiere immunisiert. Ebenso haben
Wendelstadt und Fe llme r Affen gegen Nagana immun gemacht;
doch ist die erreichte Immunität immer nur eine ganz spezifische
(nur gegen das Impfmaterial).
Immunität gegen Lewisi ist leicht zu erzielen. Sie überträgt sich
nach Kempner und Rabino witsch noch auf die nächste Generation.
Lorand, Ursachen der Schläfrigkeit und Schlaflosigkeit.
1367
Bei sch wer kranken Tieren agglutiniert das Serum Trypanosomen.
Diese Agglutination ist verschieden von der der Bakterien, die erst
hewegungslos werden und dann verklumpen, während die Trypanosomen
nach der Verklumpung noch lange ihre Beweglichkeit behalten.
Ursachen der Schläfrigkeit und Schlaflosigkeit.
Von Dr. Lorand, Karlsbad.
Für die Ergründung der Ursachen des krankhaften Schläfrigkeits¬
zustandes kann für uns die afrikanische Schlafkrankheit wertvolle An¬
haltspunkte bieten. Personen, die von dieser befallen werden, empfinden
fortwährend ein unbezwingliches Verlangen nach Schlaf. So beobachtete
ich vor einigen Jahren während meines Winteraufenthaltes in Brüssel
einen Schlafkranken, den Schwiegersohn eines der Professoren der dor¬
tigen medizinischen Fakultät, der als Offizier der Kongoarmee sich
mehrere Jahre im KoDgostaate aufgehalten und dort die Krankheit ak¬
quiriert hatte. Er war stets so schläfrig, daß er sogar während des
Mittagessens einschlief. Dr. Willems1) berichtet von einem Kranken,
der sich bei seiner Hochzeit des Schlafes nicht mehr erwehren konnte,
und von einem anderen, der auf der Türschwelle des Arztes, den er
konsultieren wollte, einschlief. Es ist ihnen volkommen unmöglich, dem
unbezwinglichen Verlangen nach Schlaf zu widerstehen. Hätten wir die
Ursachen dieser Erkrankung mit Bestimmtheit ergründet, so wäre es uns
vielleicht leichter, diejenigen des niederen Grades der Schläfrigkeit zu
ergründen und das Rätsel zu entschleiern, das über den Ursachen des
normalen Schlafes ruht. Im .folgenden wollen wir daher untersuchen,
was wohl bei Schlafkranken den unbezähmbaren Wunsch nach Schlaf
liervorrufen mag.
Wie ich in einer Mitteilung an den Kongreß für innere Medizin in
Wiesbaden 1905 zeigte, ist die Schlafkrankheit eine Erkrankung, die ein
ganz anderes klinisches Bild als die Trypanosomiasis bietet, die durch
den Stich der Tsetse-Fliege (Glossina palpalis) verursacht wird. Die
Schlafkrankheit ist nur die Folge der letzteren. Es wurden Fälle be¬
obachtet, wo sie sich erst nach 5 bis 7 Jahren aus der Trypanosomiasis
entwickelte. In meiner damaligen Mitteilung schrieb ich der Schilddrüse,
die auch bei anderen Infektionskrankheiten von großem Einflüsse ist, eine
wesentliche Rolle zu.2) Ich schloß das aus der Beobachtung, daß der obige
Schlafkranke alle typischen Symptome eines myxödematösen Zustandes
aufwies. Er zeigte denselben schwankenden Gang, eine auffallende Apathie
und Langsamkeit der Bewegungen, bedächtige Sprache, Schwäche des
Gedächtnisses, Trockenheit der Haut, trotz seiner Jugend geschlängelte
Temporalarterien, langsamen Puls und hartnäckige Verstopfung, neben
anderen identischen Erscheinungen. Wie mit einem Schlage verschwanden
all diese Erscheinungen, als ich dem Kranken 2 bis 4 Schilddrüsentabletten
(Thyraden) täglich verabreichte. Auch ist eine große Ähnlichkeit in den
pathologisch-anatomischen Veränderungen des Zentralnervensystems bei
der afrikanischen Schlafkrankheit und dem Myxödem zu konstatieren.
So fanden die mit dem Studium der ersteren beauftragten englischen
und portugiesischen Kommissionen bei der Schlafkrankheit Zerstörung
x) Willems, Bulletin de la Societe Loyale des Sciences Med. et Nat. 1905.
2) Lorand, Ueber das Altern, seine Ursachen und seine Behandlung.
Verlag von Dr. W. Klinkhardt, Leipzig 1909.
1368
Lorand, Ursachen der Schläfrigkeit und Schlaflosigkeit.
der Nervenzellen und Nerv.enf ortsätze, Chromatolyse, Verschwinden der
Nisslschen Körperchen und typische Anhäufungen weißer Blutkörperchen
in und um die Gefäße. Ähnliches wurde im Myxödem von Whitwell
und bei entkropften Hunden und Affen von Walter Edmunds gefunden.
Diese Erscheinungen am Zentralnervensystem belegte man daher auch
in beiden Erkrankungen mit demselben Namen als Polyo-Encephalo-
Myelitis.
Auch in ätiologischer Beziehung zeigen beide Krankheitszustände
eine auffallende Ähnlichkeit. Das Myxödem entsteht bekanntlich durch
eine Degeneration der Schilddrüse, die sehr häufig von einer vorher¬
gehenden Infektionskrankheit verursacht wird; denn während dieser
letzteren fällt der Schilddrüse die Aufgabe zu, die auf den Körper
einwirkenden infektiösen Stoffe abzuwehren, wodurch sie in einen
Zustand der Übertätigkeit versetzt wird, dieser aber wiederum eine
Degeneration der Schilddrüse bedingen kann. So konstatieren wir
auch bei der Trypanosomiasis eine große Reihe von Symptomen, wie sie
die Basedowsche Krankheit, eine ebenfalls auf die Übertätigkeit der
Schilddrüse zurückzuführende Erkrankung bietet, und wie durch ihren
Verteidigungskampf die Schilddrüse schließlich degeneriert, so folgt auch
der Trypanosomiasis jener myxödematöse Zustand, den wir bei der eigent¬
lichen Schlafkrankheit beobachten. Ein für ihre Heilung geeignetes
Mittel ist nach Koch das Atoxyl, mit dem wir, da es ein Arsenikpräparat
ist, eine der wichtigsten chemischen Substanzen der Schildrüse nach
Gauthier und Bertrand dem Körper zuführen. Auch in der Behand¬
lung des Myxödems ergab das Arsenik gute Resultate.
Den Zustand der Schläfrigkeit finden wir ebenfalls bei Tieren, denen
die Schilddrüse entfernt wurde. So beobachtete ich mehrere Hunde, die
nach Exstirpation derselben immerwährend schliefen, und ihr Schlaf war
so tief, daß sie auf keinen, selbst den lautesten Lärm nicht reagierten.
Nach alledem kann es keinem Zweifel unterliegen, daß die Schilddrüse
mit der Entstehung des Schlafes in naher Beziehung steht. Beweisend
hierfür sind vor allem die Tatsachen, daß wir 1. die Schläfrigkeit als
charakteristisches Symptom einer Schilddrüsendegeneration, so im Myx¬
ödem/ und Schlaflosigkeit als ein solches der Übertätigkeit der Schild¬
drüse, so bei der Basedowschen Krankheit, auftreten sehen und daß, als
ein noch wichtigerer Umstand, wir 2. die Schlaflosigkeit mit dem Serum
oder der Milch entkropfter Tiere, die Schläfrigkeit dagegen mit Schild¬
drüsentabletten zu bekämpfen imstande sind.
Die Schläfrigkeit ist eine so charakteristische Erscheinung des Myx¬
ödems, daß sie von Pilcz unter den vier Kardinalsymptomen dieser
Krankheit angeführt wird. Auch findet man sie nicht selten bei sehr
wohlbeleibten Personen, deren Fettsucht nicht durch übermäßige
Nahrung, sondern durch Degeneration der Schilddrüse verursacht wird.
Daher bezeichnete ich 'diese Fälle von Fettsucht als endogene
Fettsucht,1) und als Beispiel hierfür führte ich vor einigen Jahren’2)
einen Kollegen "an, der seine Schläfrigkeit so wenig bekämpfen
konnte, daß er sogar während einer Blinddarmoperation, bei der er
assistierte, einschlief. Ein anderer meiner wohlbeleibten Patienten konnte
weder ein Theater, noch Konzerte, noch die Kirche besuchen, da er
x) Lorand, Über die Entstehung der Fettsucht nach Entfernnng der Blut¬
drüsen. Medizinische Klinik, 25. März 1905.
*) Lorand, Monthly Encyclopaedia of Medicine, April 1906.
II. Internationale Leprakonferenz.
1369
überall mit Sicherheit einschlief. Übrigens sah ich nach Behandlung
solcher Fälle mit Schilddrüsentabletten eine Besserung eintreten.
Auch bei Akromegalie ist die Schläfrigkeit eine begleitende Er¬
scheinung. Auf dem Internationalen Medizinischen Kongreß zu Madrid
wies ich nach, daß diese Krankheit ebenfalls Veränderungen der Schild¬
drüse und nicht nur denen der Hypophyse zuzuschreiben ist. Ebenso
ist die Müdigkeit, die man bei bleichsüchtigen Mädchen beobachten kann,
die Folge von Veränderungen der Schilddrüse, welche neben denen der
Ovarien auf treten.
Der Schlaf, der durch Narkose oder Alkohol erzeugt wird, kann
mit Schilddrüsenveränderungen in innigen Zusammenhang gebracht
werden,1) wie ich schon früher zeigte.
Wie wir schon erwähnten, beruht die Schlaflosigkeit auf einer
Übertätigkeit der Schilddrüse. Wir beobachten sie bei der Basedowschen
Krankheit, bei Neurasthenie und Hysterie, bei denen außerdem noch
Veränderungen der Geschlechtsdrüsen bestehen, sowie bei Frauen während
des Klimakteriums, bei dem auch Veränderungen der Schilddrüse ja
sogar mit echten Basedowsymptomen aufzutreten pflegen.
Es ist ein merkwürdiger Zufall, daß außer mir auch andere Autoren
ohne Kenntnis meiner Arbeiten über diesen Gegenstand die Entstehung
des normalen Schlafes auf Veränderungen der Blutdrüsen zurückführten.
So ist nach Salmon, der mehrere Monate nach mir eine Monographie
über den Schlaf veröffentlichte, die Ursache desselben in Hypophysen¬
veränderungen zu suchen. Dieser Ansicht kann ich mich jedoch nicht
anschließen, da z. B. die Schläfrigkeit, die bei der Akromegalie beobachtet
wird, den bei ihr wohl nie fehlenden Veränderungen der Schilddrüse
mit demselben Hechte wie denen der Hypophyse zugeschrieben werden
kann. Auch kann die Schläfrigkeit, wie ich an zahlreichen Versuchen
zeigte,2) künstlich durch das Serum entkropfter Tiere erzeugt werden,
was aber meines Wissens mit Hypophysenextrakten noch nicht erzielt
worden ist. Nach meiner Ansicht wird also der normale Schlaf von
der Schilddrüse reguliert, wobei ich aber den Einfluß anderer Blutdrüsen
nicht ausschließen will.
II. Internationale Leprakonferenz.
Bergen, August 1909.
Die Konferenz erhielt ein besonderes Interesse dadurch, daß sie in
Bergen abgehalten wurde, der Stadt des Lepraforschers und Entdeckers
des Leprabazillus Armana Hansen; er hat bewiesen, daß durch eine
durchaus human durchgeführte Ueberwachung und Isolierung die Lepra
langsam, aber sicher zum Verschwinden gebracht werden könne. Von
den hervorragenden Aerzten, die die vorangehende, vor 12 Jahren in
Berlin abgehaltene Konferenz zierten, fehlten Virdh'ow, Biesinier
(Paris), Kaposi und Neumann (Wien), Glück (Serajewo). Mit Bück-
sicht auf die Baumverhältnisse wollen wir die Vorträge nur kursorisch
vornehmen. Dehio (Dorpat) sprach über die Lepra in den Ostseeprovin¬
zen, namentlich in Livland, und kam zum Schlüsse, daß die Lepra
keine erbliche Familienkrankheit, sondern eine infektiöse Hauskrank-
ß Lorand, Sur la Pathogenie de la Narcose. Comptes Bendus de la Societe
de Biologie, 25. April 1906.
2) Therapie der Gegenwart, Nov. 1907. Siehe auch meine Monographie über
die Entstehung des Diabetes. Berlin 1903 (Hirschwald).
1370
S. Leo,
heit sei. Sticker (Bonn) fand hei gewissen Fischen Bazillen, die in
vieler Hinsicht den Leprabazillen gleichen. Sticker berührt sich mit
Hutchinson (London), der in Fischen und Fischnahrung1 die Ursache
der Lepra sieht. Per in (Marseille) führt die Zunahme der Lepra in
Frankreich auf die Einwanderung aus den Kolonien zurück. Bo eck
(Kristiania) glaubt, daß die Verbreitung der Lepra durch Harmentlee¬
rung erfolge. B lasch ko (Berlin) nimmt eine stark verbreitete Immuni¬
tät gegen Lepra an. Vererbt kann eine höhere Disposition für die Infek¬
tion werden. Brocq (Paris) stellt fest, daß das Erkennen der Lepra
im Anfangsstadium fast unmöglich ist. Köhler (Bosnien) konstatiert
eine erhebliche Abnahme der Lepra in Bosnien infolge der fortschrei¬
tenden Assanierung des Landes ; er betont mit Hinweis auf die Angaben
von Geil, Ehlers und Petrini, die Rolle des Erdbodens als Zwischen¬
träger des Lepravirus. Cor ne y (Honolulu) wies auf die Zweckmäßig¬
keit hin, das erste Auftreten der Lepra durch Untersuchung der Nase
und des Nasenschleims festzustellen. Zu einer scharfen Auseinander¬
setzung kam es bezüglich des von Deyke (Hamburg) angegebenen Heil¬
mittels N astin. Nastin ist ein Bestandteil gewisser bei der Lepra,
aber nicht im Leprabazillus vorkommender Mikroben. Während die
einen Deyke zustimmten, bekämpften andere seine Ausführungen. Die
Schlußresolutionen legten das Hauptgewicht auf eine Isolierung der
Leprakranken unter menschenwürdigen Daseinsbedingungen. Deutsch¬
land, Norwegen und Schweden haben damit ausgezeichnete Resultate
erzielt. Wichtig ist die Trennung der Kinder Lepröser von ihren
Eltern ; denn die Krankheit ist nicht erblich, sondern die Kinder werden
von den kranken Eltern nach der Geburt angesteckt. Bei der großen
Latenzdauer der Infektion wird empfohlen, Menschen, die mit Leprösen
längere Jahre in Berührung kamen, regelmäßig durch erfahrene Aerzte
untersuchen zu lassen. Die nächste III. Konferenz wird 1917 in Peters¬
burg, Algier oder Serajewo stattfinden. S. Leo.
Wiener Brief.
Ein Sammelbericht. — Von Dr. S. Leo.
(Schluß.)
Georg Lotheissen demonstrierte einen 16jährigen Patienten,
den er wegen Br onchiektasien im linken Unterlappen operiert hat.
Legte sich der Pat. auf die linke Seite, so konnte er sofort einen Mund
voll Sputum herausbringen. Der Auswurf wurde von Zeit zu Zeit
stark blutig, war stets dreischichtig, oft stinkend. Da keine Besserung
zu erzielen war, entschloß L. sich zur Operation. Auf Pleuraadhäsionen
war nicht sicher zu rechnen, daher mußte L. auf einen Pneumothorax
gefaßt sein. Da bei diesem das Zurücksinken der Lunge gegen den
Hilus so gefährlich ist, haben Alsberg und Depage geraten, den Pat.
auf den Bauch zu legen. Da L. damals noch keinen Ueberdruckapparat
zur Verfügung hatte, entschloß er sich um so leichter zu diesem, da er
auf der Hinterseite operieren mußte. In der Tat rief die breite Eröffnung
der Pleurahöhle nur relativ geringe Störungen hervor. (Hustenreiz, Puls¬
beschleunigung.) Die 7. und 8. Rippe wurde auf mehr als 10 cm Länge
reseziert, der Unterlappen gefaßt und besichtigt. Die pulmonale Pleura
war verdickt, sonst tastete man nichts, der Lappen kollabierte sehr
schön. Um ihn dauernd kollabiert zu halten und so die Bronchiektasie
zum Schwinden zu bringen, wurde er gut handbreit höher an die Pleura
Wiener Brief.
1371
costalis angenäht, nnd außerdem nach dem von Gar re auf dem Chirurgen¬
kongreß 1907 gemachten Vorschlag der Komplementärraum, in dem
früher der Lappen lag, zu veröden gesucht. Die durch die Kippen¬
resektion beweglich gewordene Pleura wurde an das Zwerchfell ange¬
näht, ein Tampon eingelegt, darüber Muskel- und Hautnaht. Die Heilung
ging glatt vor sich. Sogleich hustete der Pat. nur noch kleine Mengen
auf einmal aus. Sein Auswurf, größtenteils nur Speichel,, beträgt
ca. 6 bis 10 ccm im Tage, während er früher 100 bis 150 ccm betragen
hatte. Bei solchen Bronchiektasien ist der Erfolg der Operation nicht
immer sicher, manchmal muß man alle Kavernen eröffnen oder gar
den Lungenlappen resezieren. Die Bildung eines künstlichen Pneumo¬
thorax durch Einblasen von Stickstoff (nach Forlanini, Murphy-
Brauer) hat L. einigemal versucht, doch war der Effekt nicht groß,
obwohl der Eingriff gut vertragen wurde. L. hat eigene Erfahrung über
26 Lungenoperationen bei eitrigen Prozessen. Rechnet man such die
ungünstigen Eälle, zumeist solche mit multiplen Höhlen ein, ergibt
sich eine Gesamtmortalität von 43°/0. Lenhartz hatte bei 85 Opera¬
tionen 37°/0 Gesamtmortalität, bei einfachen Fällen 23°/0.
In der Gesellsch. für innere Med. und Kinderheilkunde sprach
Beruh. Speck über Masern im Säuglingsalt er : Sp. hat 592 Fälle
beobachtet Bezüglich der Zeit des Auftretens ergab sich, daß Kinder
im ersten Lebensmonate immun. zu sein scheinen. Die Infektion erfolgt
direkt oder indirekt; die Erfahrungen sprechen dafür, daß bei Säug¬
lingen durch Separation die Infektion vermieden werden kann. Ein
Einfluß der natürlichen und künstlichen Ernährung betreffs der In¬
fektion sfähigkeit und der Komplikationen läßt sich nicht nachweisen.
Vom ersten Monat an wird mit zunehmendem Alter die Infektionsfähig¬
keit gesteigert. Ivoplik’sche Flecken sind fast ausnahmslos beim Aus¬
bruche des Exanthems zu finden. Das Exanthem ist manchmal bei
schwächlichen und kachektischen Kindern sehr geringfügig, oft nur
lokal beschränkt, z. B. auf die Gegend hinter den Ohren. Es gibt
auch Masern ohne Exanthem, dabei sind aber Koplik’sche Flecken zu
finden. Die Schleimhauterscheinungen sind desto schwächer ausge¬
sprochen, je jünger die Kinder sind. Das Exanthem ist an Stellen mit
Intertrigo oft stärker ausgesprochen als im Gesichte; Gastrointestinal -
störungen sind bei Säuglingen seltener als bei Erwachsenen. Die Pro¬
gnose ist im Säuglingsalter schlechter als im höheren Alter, weil Kom¬
plikationen von seiten der Atmungsorgane häufig sind; besonders schwer
sind sie bei tuberkulösen Säuglingen. Das wertvollste und konstanteste
Symptom sind die Koplik’schen Flecken.
Im „Wien, mediz. DoktorenkollegiunC sprach Anton Schüller
zur Diagnose des Hirntumors. Eines der häufigsten und frühesten
Zeichen der Hirngeschwulst pflegt der Kopfschmerz zu sein. Jeder
intensivere und hartnäckigere Kopfschmerz muß uns mahnen, an einen
Tumor des Gehirns zu denken. Derartige Kopfschmerzen werden öfters
für nasal gehalten. Die Bedeutung der Stauungspapille für die Dia¬
gnose ist bekannt. Sie ist das konstanteste und sicherste Zeichen des
Hirntumors. Nach Oppenheim ist die Stauungspapille in 90 unter
100 Fällen das Symptom eines Hirntumors. Erwähnenswert ist, daß
der Kopfschmerz zuweilen einen intermittierenden, als Migräne bezeich-
neten Charakter hat. Insbesondere gilt dies für die Tumoren der hinteren
Schädelgrube und die Tumoren der Hypophysengegend. Kopfschmerz
und Stauungspapille gehören zu den Allgemeinsymptomen des Tumors;
1372
S. Leo, Wiener Brief.
sie sagen nur, daß ein Tumor vorhanden ist, nicht aber, wo derselbe
seinen Sitz hat. Jedoch hebt Sch. hervor, daß sie mit einer Reihe ande¬
rer Symptome auch einen gewissen lokaldiagnostischen Wert haben.
So wissen wir, daß die Kombination von Kopfschmerz und Stauungs¬
papille mit Schwindel und Erbrechen (ohne anderweitige Lokalsymptome)
für einen Tumor des Kleinhirns, hezw. der hinteren Schädelgrube spricht,
im Gegensätze zu Tumoren des Stirnhirns, bei welchen Stauungspapille
und Erbrechen oft lange Zeit fehlen. Hingegen sind psychische Stö¬
rungen, z. B. in Form einer eigenen Witzelsucht, ein Hinweis auf Er¬
krankungen des Stirnhirns. Schlafsucht deutete auf Vorhandensein
eines Tumors im 3. Ventrikel hin. Unter Lokalsymptomen verstehen
wir diejenigen Zeichen, die einen direkten Anhaltspunkt für den Sitz
des Tumors gehen. Eine weitere Symptomengruppe sind vegetative Ano¬
malien. Den Anfang machte die Erkenntnis, daß die Akromegalie
stets der Ausdruck einer Geschwulstbildung in der Hypophyse ist.
Hie Fr öhlich’sche Krankheit spricht für Tumoren an der Basis des
Gehirns in der Gegend der Hypophyse. Eine dritte Kategorie, ausge¬
zeichnet durch übermäßige, frühzeitige Entwicklung der Genitalien,
spricht für eine Geschwulst der Zirbeldrüse, und zwar meist für ein
Teratom der Glandula pinealis. Was die Art des! Tumors betrifft,
so kann die Wassermann’scbe Reaktion einerseits, die Ophthalmoreak¬
tion anderseits uns leiten. Hie Untersuchung der Haut kann durch den
Nachweis von Zystizerken die Hiagnose auf diese Art lenken. Eine
eigentümliche Art von Adenoma sebaceum der Gesichtshaut erlaubt den
Schluß auf tuberöse Sklerose des Gehirns, die unter dem Bilde der
Idiotie auf tritt. Multiple Neurofibromatose der Haut läßt auf Fibrome
an der Basis des Gehirns denken, zu ihnen gehören besonders die Akusti-
kustumoren. Sie sitzen in der hinteren Schädelgrube an der Seiten¬
fläche der Brücke entsprechend der Austrittsstelle des Akustikus aus
dem Hirnstamm. Es sind stets gutartige Geschwülste, Fibrome, die mit
der Umgebung nicht verwachsen und daher relativ leicht entfernbar
sind. Gelegentlich der Untersuchung der Spinalflüssigkeit können wir
durch Tumorzellen oder Hakenkränze von Parasiten (hezw. Bernstein¬
säure) Aufschlüsse gewinnen. Hie von Ne iss er (Stettin) angegebene
Hirnpunktion ist eine neue Form der Probepunktion der internen Medi¬
zin. Man erreicht dies, indem man ohne Anwendung einer Narkose
mittels einer dünnen (etwa U/2 mm breiten) Punktionsnadel, die durch
einen Elektromotor in rascheste Rotation versetzt wird, in einem Tempo
durch Haut und Knochen des Schädels fährt. Nach Entfernung des
Mendrins aus der Nadel kann man mittels leichter Aspiration Flüssig¬
keiten oder feste Substanz aus dem Schädelinnern herausbefördern. Hie
Indikation zur Hirnpunktion tritt nach Oppenheim erst dann in ihre
Rechte, wenn die mit Hilfe der übrigen Untersuchungsmethoden ver¬
suchte Hiagnose an einem toten Punkt angelangt ist. Zweckmäßig
ist die Hirnpunktion auch in solchen Fällen, wo infolge allgemeiner
Hruck Steigerung die Herdsymptome nicht deutlich zum Ausdruck kom¬
men oder lehensbedrohliche Erscheinungen vorhanden sind ; da kann
zuweilen eine Punktion des Ventrikels kurativ wirken und günstige
Bedingungen für die Herddiagnose schaffen, auf Grund deren man
eventuell sofort die radikale Operation anschließen kann. Was kann die
Röntgenuntersuchung für die Hiagnose leisten ? Im Anfänge glaubte
man, die Weichteilstumoren des Hirns und der Hirnhäute auf der
Röntgenplatte sehen zu können. Es handelte sich in allen solchen
Zeit- und Streitfragen.
1373
Fällen um Trugbilder. Wenn man nämlich den Schädel röntgenogra-
phiert, so erhält man eine ziemlich gleichmäßig gran getönte Fläche,
in der häufig eine zirkumskripte Stelle durch ihre hellere Färbung
auffällt. Diese Stelle entspricht stets der Gegend, an welcher der
Schädel direkt der Platte auf lag. Während an dieser Stelle die Strah¬
len keine Luft zu passieren haben, ist rings eine ziemlich beträchtliche
Luftschicht vorhanden, die Sekundärstrahlen erzeugt, die die Platte
schwärzen. Nur der Fleck, wo keine Luft zwischen Kopf und Platte
sich befindet, bleibt ausgespart und fällt durch, seine Helligkeit auf.
Die große Mehrzahl von röntgenologischen Darstellungen bei Hirn¬
tumoren betrifft den Nachweis von Veränderungen am Schädelskelett.
Das häufigste und dankbarste Objekt der Pöntgenographie stellen jene
bei Hirntumoren vorkommenden Veränderungen des Schädelskeletts dar,
die als destruktive Veränderungen zu bezeichnen sind.
Ein bemerkenswertes Interesse zeigt neuerlich die Wiener Polizei
für die Jugendf ür sorge. Einer besonderen polizeilichen Jugendfür¬
sorge sollen teilhaftig werden: jugendliche Vaganten und Bettler,
jugendliche, aus der Gerichtshaft tretende und der Polizei zur weiteren
Verfügung überstellte Abgestrafte, bezw. Freigesprochene, und jugend¬
liche, für die Abgabe in eine Besserungsanstalt zu behandelnde Indi¬
viduen. Der Polizeidirektionsreferent hat fallweise mindestens einmal
im Vierteljahre Konferenzen mit den Jugendreferenten der Kommissa¬
riate abzuhalten, um ein einheitliches Vorgehen zu erzielen. Diese Refe¬
renten haben vorzugsweise die humanitäre Seite im Auge zu behalten.
Sie haben mit öffentlichen und privaten Instituten, die sich mit der
Jugendfürsorge befassen, Fühlung zu nehmen und diese Anstalten in
Evidenz zu führen, um, wenn dies nötig ist, augenblickliche Hilfe zu
erzielen. Sie haben ferner mit Jugendrichtern, Pflegschaftsbehörden
und Waisenräten in Fühlung zu treten. Mit der Zeit soll auch die
Sorge für mißhandelte und uneheliche Kinder einbezogen werden.
Zeit- und Streitfragen.
Nachklänge von der 81. Versammlung Deutscher Naturforscher
und Ärzte in Salzburg.
Von Dr. von Criegern in Leipzig.
Organisatorische Fragen sollen im nachstehenden von einem Medi¬
ziner besprochen werden, und zwar zu der Zeit, in welcher die Vor¬
bereitung für die nächste (82.) Naturforscherversammlung beginnt, damit
dieselben womöglich Beachtung finden können. Denn seit einigen Jahren,
irren wir nicht, besonders Seit einem, Dr. H. M. Unterzeichneten Artikel
in der Wiener Neuen Freien Presse vom 19. Sept. 1907, besteht eine
Diskussion hierüber, welche noch nicht zu Ende gekommen ist. Fast
alle, die das Wort’ ergriffen haben, sind sich einig in dem Wunsche nach
größerer Konzentration und in den Klagen über die zunehmende Zer¬
splitterung. Diese letztere charakterisiert ja nun überhaupt die medizi¬
nische (und nicht minder die naturwissenschaftliche) Forschung und ist
eine durchaus notwendige Erscheinung, worüber kein Wort zu verlieren
ist. Anderseits mehren sich nun in letzter Zeit immer wieder die Stimmen,
die in der ärztlichen Praxis wieder mehr nach dem universell gebildeten
1374
Zeit- und Streitfragen.
Hausarzte rufen und damit in der medizinischen Wissenschaft die Spezial¬
disziplinen auf die breiten und wurzelhaften Zusammenhänge mit den
Hauptfächern hinweisen. Gerade die Naturforscher Versammlung gilt
überall als der gegebene Ort für derartige Bestrebungen, im Gegensatz
zu den Spezialkongressen, die eingehendste fachliche Detailarbeit pflegen
müssen; dieser Gegensatz selbst beweist die Berechtigung der einen
neben den andern. Ebendeshalb erblickt man in einer etwa weiter¬
gehenden Zersplitterung für die erstere eine Gefahr, und daher schreibt
sich auch die Enttäuschung vieler Besucher, die oft zu Reformierungs¬
vorschlägen geführt hat.
Auch wir können nach unseren Eindrücken das Bestehen dieser
Gefahr nicht ableugnen. Wie in früheren Jahren, so fanden wir auch
in Salzburg Vorträge in Abteilungen, wo wir sie nicht gesucht hätten,
und vermißten sie da, wo wir ihretwegen vergeblich warteten. Es mangelte
an gemeinsamer Arbeit mehrerer Abteilungen, es fehlte die Möglichkeit,
auch nur mit annähernder Wahrscheinlichkeit vorauszuberechnen, wann
(und mitunter auch wo) man das würde hören können, wofür man sich
interessierte. Natürlich nur für den, der, eingedenk der glücklichen
Studienzeit, wieder sich universell über seine Wissenschaft unterrichten
wollte: Der strenge Fachmann hatte es leicht; er brauchte sich nur in
seine Abteilung einzuspinnen, so war für ihn gesorgt. Aber wir können
gleich hinzufügen, daß uns die altehrwürdige und doch blühende Insti¬
tution durchaus nicht den Eindruck einer gründlichen Reparaturbedürf¬
tigkeit machte. Wir fanden vielmehr alle Einrichtungen für die Er¬
füllung unserer Wünsche bereits getroffen, nur glauben wir, daß gerade
das Beispiel der Salzburger Tagung gut zeigt, inwiefern dieselben in
Zukunft noch umfassender ausgenutzt werden könnten.
Den Konnex zwischen den einzelnen Abteilungen erhalten ver¬
schiedene Einrichtungen, die auch im Tageblatte besonders hervorgehoben
werden. In erster Linie die beiden Allgemeinen Versammlungen: eine
solche eröffnet (Montags früh), die andere schließt (Freitags früh) den
wissenschaftlichen Teil der Tagung. Beide tragen einen repräsentativen
Zuschnitt; er ist an dieser Stelle wohl angebracht und darf daher schwer¬
lich durch eine weitere Nutzbarmachung für unsere Zwecke angegriffen
werden. Anders steht es mit der „Gemeinschaftlichen Sitzung beider
Hauptgruppen“ (am Donnerstag früh): Hier könnte man bereits prak¬
tisch mit der Erweiterung beginnen. Wenn auch die Hauptvorträge von
der Leitung arrangiert werden, so würde doch nichts hindern, ihnen
zwar ihren bevorzugten Charakter zu lassen, aber einschlägige Vorträge
aus den verschiedenen Abteilungen anzuschließen. Nehmen wir ein prak¬
tisches Beispiel von der letzten Tagung: „Der gegenwärtige Stand der
Radiumforschungen“ lautete das zweite Thema; daran hätte man 8 weitere
Vorträge aus verschiedenen Abteilungen anschließen können: 2 aus der
Abteilung für Physik (zu einem war die Abteilung für Geophysik ein¬
geladen); 1 aus der Abteilung für Chemie, zu dem 7 verschiedene natur¬
wissenschaftliche und medizinische Abteilungen eingeladen waren; 4 aus
der Abteilung für Innere Medizin; 1 aus der Abteilung für Chirurgie.
Die Sitzung dauerte nur mäßig lange; an sich hätte Diskussion statt¬
finden können, was nicht der Fall war; so wäre Zeit genug gewesen, Vor¬
träge aus den Einzelabteilungen heranzuziehen, allerdings unter Beschrän¬
kung auf die für die Abteilungsvorträge zulässige Dauer. Voraussetzung
dafür war nur, daß die Oberleitung über die Verteilung der Vorträge
so weit disponieren darf.
Zeit- lind Streitfragen.
1375
Ferner bestehen Einzelsitzungen der beiden Hauptgruppen (am
Donnerstag nachmittag gleichzeitig). Wir haben nur die der medizini¬
schen besucht und fanden sie auch wieder wesentlich von gehobenem
Anstriche, und nur von kurzer Dauer. Es ließe sich ohne weiteres an
eine solche Sitzung noch ein zweiter Teil anschließen, der von Abteilungs¬
vorträgen von allgemeinem Interesse ausgefüllt würde (wieder mit der
für solche gütigen Beschränkung in der Zeit). Auch hier wäre es zweck¬
mäßig, eine stoffliche Gruppierung vorzunehmen, um womöglich mit einer
Generaldebatte auszukommen. Es empfähle sich, eine Gruppe auszu¬
wählen, die für möglichst viele Einzelabteilungen Interesse bietet. Das
wäre zunächst das der Geschichte der Medizin, die ja in Salzburg in den
allgemeinen Veranstaltungen in bevorzugter Weise zum Worte gekommen
ist; ferner Anatomie, Physiologie, deskriptive und experimentelle Pathologie;
Bakteriologie. Man braucht aber nicht nur auf die den Einzeldisziplinen ge¬
meinsamen Zentralgebiete zurückzugehen; auch gewisse technische Hilfs¬
mittel können einmal in den Vordergrund des Interesses treten: z. B.
Mikroskopie und Laboratoriumsbedarf, Endoskopie und Elektrotechnik,
Böntgenologie, oder Unterrichtsmittel, oder Krankenhausbedarf resp. In¬
stitutseinrichtung usf. Um wieder beim realen Beispiel von Salzburg zu
bleiben, wäre an die feierliche Donnerstagsnachmittagssitzung eine Serie
von Vorträgen entweder aus dem Gebiete der Bakteriologie oder dem
der Röntgenologie anzuschließen gewesen, denn gerade aus diesen beiden
finden sich, numerisch betrachtet, die größte Anzahl in den Einzelabteilungen
angekündigt, viele darunter besonders wertvoll, und, z. B. die Abkürzung
der Exposition der Röntgenbilder auf 1hoo Sekunde und die Versuche
zur Röntgenkinematographie, wesentliches Neue bringend. Das zufällig
vorliegende Ankündigungsmaterial würde in einem Jahre diesen, im andern
jenen Gesichtspunkt in den Vordergrund rücken; Voraussetzung wäre
wieder, daß die Oberleitung über die Verteilung der Vorträge so weit
disponieren darf.
Den Abteilungen bleiben für ihre Spezialarbeiten gegenwärtig vier
halbe Tage übrig, die aber auch gegenwärtig schon der Generalabsicht
des wissenschaftlichen Austausches dienstbar gemacht werden. Da gibt
es zunächst kombinierte Sitzungen mehrerer Abteilungen. Von diesem
Mittel wurde in Salzburg wenig Gebrauch gemacht. Soviel wir wissen,
haben innerhalb der medizinischen Hauptgruppe nur zwei solche statt¬
gefunden, 1. zwischen der Abteilung für Nasen- und Halskrankheiten;
2. zwischen der für Anatomie, Physiologie, Histologie und Embryologie
und den beiden für Zoologie und Botanik. Eine der beiden hat am
Dienstag nachmittag stattgefunden: das scheint uns ein außerordentlich
glücklicher Termin zu sein; in vielen Abteilungen hatten an den beiden
ersten Halbtagen große Sitzungen stattgefunden, und die Dienstagssitzung
war die am schwächsten besetzte. Eine Ausnahme machte die Abteilung
für Gynäkologie, doch bestätigt sie gerade unsere Auffassung: denn sie
hatte an diesem Tage Herren der Abteilung für Kinderheilkunde zu
Gaste, welche lebhaft in die Diskussion eingriffen. So wäre es vielleicht
nicht ganz unangebracht, den Dienstagnachmittag ein für allemal zum
Termin der kombinierten Abteilungssitzungen auszuersehen; damit ließen
sich vielleicht auch Vorschläge für gewisse feste Kombinationen ver¬
binden, deren Zustandekommen alljährlich angestrebt werden müßte und
nur aufzugeben wäre bei Mangel an geeigneten Vortragsmeldungen.
Grenzgebiete sind das geeignete Thema für solche Verbindungen, wie es
das Beispiel der Hals- und Ohrenärzte beweist. Für weitere Grenz-
1376
Zeit- und Streitfragen.
gebiete halten wir uns an eine statistische Tabelle, die wir uns aus den
hinüber und herüber erfolgten Einladungen zusammenstellten: so besteht
ein solches zwischen Frauen- und Kinderheilkunde und ganz besonders
zwischen Chirurgie und Innerer Medizin (zugleich der Neurologie), was
ja wohl auch schon hinlänglich bewiesen ist durch die Existenz zweier
guter Zeitschriften für dieses letztere. Man kann ferner in manchen
Jahren an Kombinationen gleichartiger Gruppen denken, etwa der ope¬
rierenden, falls dieselbe durch einen* technischen Fortschritt — - wie ihn
beispielsweise seinerzeit die neuen Errungenschaften der Lokalanästhesie
und nichtinlialierenden Allgemeinnarkose darstellten — eine gemeinsame
Anregung fänden, was ja durch die angemeldeten Vorträge zum Aus¬
druck gebracht wird. Mutatis mutandis wird dies zeitweilig auch für
die inneren Fächer zweckmäßig sein: auch ein Zusammenschluß aller
medizinischen Abteilungen unter pharmakologischem Banner wäre mit¬
unter zu erwägen, wie denn die Pharmakologie in Salzburg für die An¬
sprüche des praktischen Arztes etwas zu stiefmütterlich behandelt wurde.
Die Pharmakologie führt uns auf die angewandte Chemie und auf die
angewandte Physik resp. Instrumentenkunde: auch diese Disziplinen
können, wenn auch vielleicht nicht alljährlich, einmal das einigende Band
für mehrere medizinische Abteilungen werden. Die drei letzten Fächer
sind auch an der Ausstellung stark interessiert, doch über deren eini¬
gende Aufgabe vgl. weiter unten. So hätten wir regelmäßig zu erstre¬
bende Kombinationen, besonders die erst aufgeführten, und mehr ge¬
legentlich sich bietende.
Im Zentrum der medizinischen Wissenschaft stehen die medizinisch¬
biologischen Fächer, welche auch zugleich die stärksten Bänder an die
naturwissenschaftliche Hauptgruppe binden: Anatomie, Physiologie, Histo¬
logie, Embryologie, deskriptive und experimentelle Pathologie einschlie߬
lich der Bakteriologie. Die Bedeutung dieser Fächer ist für alle übrigen
medizinischen Abteilungen eine überragende; für die Innere Medizin,
Kinderheilkunde, Neurologie braucht das ja gar nicht erst begründet zu
werden. Aber auch in den spezialistischsten Fächern, um diesen Super¬
lativ zu gebrauchen, gehört bei der Auszählung durchschnittlich ein
Drittel der angekündigten Vorträge ihrem Gebiete an (genauer: der An¬
teil schwankt zwischen einem Viertel und der Hälfte!). Das ist natür¬
lich: alle sogenannte „theoretische“, bezw. streng wissenschaftliche Arbeit
kann ja nur immer wieder auf die medizinische Biologie zurückführen.
Erst der Rest der Vorträge befaßt sich mit der spezialistisch angewandten
Wissenschaft. Daher kommen fast alle Fusionsvorschläge immer wieder
darauf hinaus, hier die Vereinigung der getrennten Gruppen herbeizu¬
führen. Die Konsequenz davon wäre: eine große, beständig tagende
medizinische Hauptgruppe, daneben spezialistische Sitzungen mit nur auf
das engste fachliche Interesse beschränktem Programm. Das würde
allerdings die größte Zentralisierung bedeuten und einer vollständigen
Umgestaltung des Bestehenden gleichkommen. Wir können uns von der
Zweckmäßigkeit dieser Maßnahme nicht überzeugen: diese Hauptgruppe
würde mit unendlichem Tagungsstoff überhäuft sein, ein großer Teil der
Redner würde nicht daran kommen, man müßte eine Teilung einführen,
insofern als Zusammengehöriges in eine zusammenhängende Sitzung ver¬
legt würde, die dann wieder vorzüglich eben dem betreffenden Fach¬
interessenten geradezu reserviert wäre. Anderseits könnte eben doch
kein Spezialfach die biologischen Vorträge seines Gebietes ganz ent¬
behren. Doch scheint uns vollkommen im Rahmen des Hergebrachten
Zeit- und Streitfragen.
1377
ein anderer Weg gangbar: Jetzt wird z. B. die Gruppe für Anatomie
und Physiologe von so und so vielen Abteilungen zu den dort statt¬
findenden anatomischen und physiologischen Spezial vorträgen eingeladen:
sie kann gar nicht allen Einladungen folgen, würde ja auch niemals
wissen, wann die betreffenden Vorträge abgehalten werden. Man könnte
nun den Spieß umkehren: die anatomisch -physiologische Gruppe reser¬
viert einen Halbtag, zu dem sie die klinischen Fächer einladet, ihre ein¬
schlägigen Vorträge bei ihr zu halten. Dadurch würde der so unbe¬
dingt wünschenswerte Konnex aufrechterhalten: die Anatomen usf. er¬
fahren, was die Kliniker interessiert, und die Kliniker haben die un¬
schätzbare Gelegenheit, daß die Biologen ihre theoretischen Arbeiten
auch wirklich hören und sich dazu äußern können, die ja sonst nicht
einmal immer in den Medizinischen Gesellschaften der Universitätsstädte
gegeben ist, von andern Orten ganz zu schweigen. Versuchen wir uns
das wieder am praktischen Beispiel in Salzburg durchzuführen: Die ana¬
tomisch-physiologische Abteilung hatte vier Halbtage für Fachsitzungen
zur Verfügung und hat an dreien gesessen (an einem davon kombiniert
mit den Zoologen und Botanikern). Es wäre also Baum gewesen für
einen Halbtag, an dem sie die Kliniker bei sich gesehen hätte. Was
hätten diese ihr nun bieten können? Die Abteilung für Innere Medizin
hatte zu einem Vortrage eingeladen, 5 weitere wären dem Thema nach
in Betracht gekommen; ebenso ein Vortrag aus dem Programm der Chi¬
rurgen, 2 von den Gynäkologen, 4 von den Neurologen; 4 von den
Ophthalmologen, 1 von der Abteilung für Halskrankheiten (der übrigens
bemerkenswerterweise wirklich am Dienstag in einer Sitzung der Ab¬
teilung für Anatomie etc. gehalten wurde), 1 von den Otiatern, 1 von
den Dermatologen, 1 von den Zahnärzten: also ein sehr reiches Pro¬
gramm, aus welchem die gastgebende Abteilung einen hübschen Strauß
sich hätte znsammenstellen können. Dasselbe gilt für die Abteilung für
Pathologie und die für Bakteriologie (Nr. 29). Voraussetzung für gutes
Funktionieren dieser „Gästesitzungen“ ist natürlich immer wieder, daß
die Gesamtleitung das Recht hat, über die einmal angemeldeten Vor¬
träge zu disponieren.
Stellen wir uns nach dem eben Erörterten ein schematisches Pro¬
gramm der „Sitzungen der Abteilungen“ vor, so könnte es beispielsweise
so lauten: Montag nachmittag: „Gästesitzung“ der Abteilung für Anato¬
mie und Physiologie, gleichzeitig: Sitzungen der Abteilungen; Dienstag
früh: „Gästesitzung“ der Abteilung für Pathologie, gleichzeitig: Sitzungen
der Abteilungen; Dienstag nachmittag: Kombinierte Sitzungen der Ab¬
teilungen (z. B. Anatomie mit Zoologie und Botanik; Grenzgebiete der
Inneren Medizin und Chirurgie; Grenzgebiete der Frauen- und Kinder¬
heilkunde; der Ohren- und Halsärzte usf. usf.) diese alle wieder gleich¬
zeitig. Im Falle diese kombinierten Sitzungen den Nachmittag nicht
ausfüllen würden, könnten die Einzelabteilungen Sondersitzungen an¬
schließen; Mittwoch früh: „Gästesitzung“ der Abteilung für Bakteriologie,
gleichzeitig: Sitzungen der Abteilungen. Bei dem Umfang des biologi¬
schen Anteils unter den Vorträgen der klinischen Fächer würden die
Gästesitzungen sicher nicht alles Angekündigte auf nehmen können; aber
das kann ja auch gar nicht beabsichtigt werden, da, wie oben ausgeführt
wurde, ein gewisser Anteil davon auch in den Einzelprogrammen wün¬
schenswert ist; die praktische Erfahrung wird hier bald ergeben, wieviel.
Der Arzt würde demnach beim Besuch der Naturforscherversamm¬
lung die Möglichkeit haben, sich einem Spezialfach ausschließlich
87
1378
Zeit- und Streitfragen.
zu widmen: er schließt sich dann der Abteilung an und verbleibt in
ihren Sitzungen; oder er kann eine Übersicht über das gegenwärtige
„theoretische“ Fortarbeiten möglichst vieler klinischer Gebiete suchen:
dann besucht er vorwiegend die „Gästesitzungen“ der biologischen Fächer
und kombinierte Sitzungen.
Danach bleibt immer noch eine Anzahl von Vorträgen übrig,
welche nur vereinzelt einmal ein sonst weit abliegendes anderes Spezial¬
fach interessiert. Zu diesen wird, wie schon gegenwärtig, eingeladen.
Über diese Einladungen wird bisher viel geklagt: man weiß nicht, wann
der betreffende Vortrag stattfinden wird, ist daher auch kaum imstande,
Folge zu leisten. So hat die Einladung nur die Bedeutung, daß sie auf
das betreffende Thema aufmerksam macht, also gewissermaßen nur das
Studium des Gesamtprogramms erleichtert. Gegenwärtig wird sie auch
kaum anders als eine Formalie betrachtet; das beweisen schon die vielen
Druckfehler, die sich gerade in diesem Rubrum des Tageblattes mehr
als in jedem andern finden. Der Kuriosität halber mag erwähnt werden,
daß in Salzburg eine Abteilung (19) eine andere (17) einlud zu dem
Vortrage: Thema Vorbehalten. Wir können uns lebhaft den Run vor¬
stellen, der entstand, als die ganze eingeladene Abteilung kam und nach¬
forschte, wann wohl der Vortrag mit dem lockenden Titel von Stapel
laufen würde. Doch im Ernste: auch hier bedarf es, wie überall, nur
der zweckbewußten Durchführung der schon vorhandenen Einrichtungen,
um die gewünschte Verbesserung zu haben. Alan brauchte nur zu be¬
stimmen, daß Vorträge, zu denen eingeladen wird, zu einer festen Zeit
anzusetzen sind; also, die Sitzung, in welcher sie bestimmt daran kommen,
muß gleich mit angegeben werden, und in der Sitzung müssen sie an
die Ecke, also an den Anfang oder das Ende gestellt werden. 3 Sitzungen
haben 6 Ecken, 4 deren 8; in Verbindung mit den oben angeführten
Kombinationen u. dgl. sollte das, meinen wir, reichen, um auch die weitest¬
gehenden Ansprüche nach Zusammenschluß zu befriedigen.
Einer Anregung möchten wir noch beiläufig gedenken, welche uns
nicht nur auf der Naturforscherversammlung, sondern auch auf andern
Kongressen begegnet ist, weil auch sie dem Zusammenschluß dienstbar
zu machen ist. Sie betrifft die Ausstellung. Zwei Interessen begegnen
sich auf derselben — das rein wissenschaftliche und das naturgemäß
mehr kaufmännische der ausstellenden Firmen. Der Ausgleich zwischen
beiden ist mitunter nicht ganz leicht, scheint aber doch überwiegend ge¬
glückt zu sein. Immerhin begegnet beim gewöhnlichen Durchschlendern
vorzugsweise die Reklame. Als Gegengewicht sind nun gruppenweise
Führungen in Vorschlag gebracht worden. Man hat sich das so gedacht,
daß etwa im Anschluß an eine pharmakologische Sitzung neue Medizinal¬
präparate, an eine physiologisch-klinische neue Apparate in Augenschein
genommen würden, und dementsprechend weiter. Wir verkennen den
guten Kern dieser Anregung keineswegs, fürchten aber, daß auf diesem
Wege das Gegenteil von dem erreicht wird, was man beabsichtigt. Eher
könnte die Eröffnung der Ausstellung durch einen besonderen Akt, etwa
eine gemeinsame Besichtigung mit Vorführungen seitens der Aussteller,
erfolgen. Jedenfalls verdient die Ausgestaltung des Ausstellungswesens
auf den Kongressen noch eine besondere Berücksichtigung.
Voraussichtlich wird auch die etwaige Durchführung der angeführten
Vorschläge nicht alle Klagen über Zersplitterung zum Verstummen
bringen; der Grund liegt, wie eingangs betont, in der Entwicklung der
Wissenschaft, deren Spiegelbild die Vereinigung ist. Man wird deshalb
Referate und Besprechungen.
1379
wohl auch den Widerstand eines Autoren erleben, dem angesonnen wird,
seine Forschungsergebnisse in einer anderen Abteilung vorzutragen, als
der, für welche er sie angekündigt hat. Bringt er sachliche Gründe
dafür vor, wird er wohl recht behalten müssen, aber auch rein persön¬
liche Anschauungen können recht beachtlich sein. Trotzdem müssen wir
grundsätzlich die Forderung aufstellen, daß letzten Endes die Gesamt¬
leitung zu entscheiden hat, an welcher Stelle ein Vortrag gehalten
werden soll. Solange, wie gegenwärtig, und wohl auch noch auf abseh¬
bare Zeit hinaus, die Zahl der angekündigten Vorträge weit über die
Möglichkeit der zu haltenden hinausgeht, wird es ja nicht schwierig sein,
in solchen voraussichtlich doch nur seltenen Fällen weitgehendes Ent¬
gegenkommen walten zu lassen. Schließlich kann man es auch einer ge¬
wissen Art von Kongreßbesuchern nicht recht machen, nämlich dem
Manne mit dem Ausnutzungstrieb, der verlangt, daß keinenorts zwei Vor¬
träge, welche ihn gerade interessieren, gleichzeitig gehalten werden: dazu
ist das Programm viel zu groß; man muß wie auf einer Ferienreise zu¬
gunsten einer Route mit herrlichen Schönheiten auf eine andere mit
schönen Herrlichkeiten verzichten lernen. Für die schon gegenwärtig
nicht gerade über Beschäftigungslosigkeit klagende Gesamtleitung würden
unsere Vorschläge die Arbeit gewaltig steigern. Doch Institutionen
haben das gleiche Schicksal wie Menschen: so lange sie auf ihrer Höhe
und in ihrer Blüte stehen, nimmt die Arbeitslast zu; niemand von uns
sehnt sich nach dem Zeitpunkte ihrer Abnahme.
Referate und Besprechungen.
Bakteriologie und Serologie.
Studien über das Verhalten einiger pathogener Mikroorganismen bei
niedriger Temperatur.
(Prof. E. Almquist. Zentralbl. für Bakt., Bd. 48, H. 2.)
Veif. machte die Beobachtung, daß Paratyphusbakterien und Bact. coli
sehr gut bei 10° C auf Schrägagar wachsen, daß dagegen die Erreger der
Cholera, Typhus und Dysenterie bei der genannten Temperatur kümmerliches
Wachstum zeigen. Letztere Bakterien bilden in der Kultur dann gröbere
Formen mit keimenden Kugeln. Überführung der groben Formen auf neues
Nähr substrat und in höhere Temperaturen bringt ein sehr rasches Keimen
neuer Kugeln hervor. Die neugebildeten Formen sind vor der Hand unbe¬
weglich. 1
Die Kugeln der Choleraerreger keimen zu Komabazillen aus ; die Typhus¬
kugeln lassen feinste Bildungen hervorkeimen, die wieder zu neuen Stäbchen
auswachsen.
Die Dysenteriekugeln keimen gleich den Typhuskugeln.
Ganz allmählich geht die Bildung von feineren Formen zu gröberen
Formen und wieder zurück bei niederen Temperaturen vor sich. Aus den
gröberen Formen bilden sich in einigen Stunden feinere Formen bei Über¬
führung der bei niedriger Temperatur entwickelten Formen in neue Nahrung
und höhere Temperatur. Diese vom Verf. gemachten Beobachtungen bedürfen
jedenfalls einer genauen Nachprüfung. Schürmann (Düsseldorf).
Vergleichendellntersuchungen über neuere Methoden derTuberkelpilzfärbung.
(A. Caan, Düsseldorf. Zentralbl. für Bakt., Bd. 49, H. 5.)
Es handelt sich inj der vorliegenden Arbeit um eine vergleichende
Untersuchung der Much’schen, der Herman’schen und der Ziehl-Neelson-
87*
1380
Referate und Besprechungen.
sehen Methode. Verfasser erwähnt die Technik der einzelnen Färbungs¬
methoden. Die H errn an’sche Methode wurde dahin modifiziert, daß eine
Gegenfärbung mit salzsaurem Karmin gemacht wurde. Diese letztere Methode
bestand in folgendem :
1. Vorfärbung der Schnitte in salzsaurem Karmin (10 Minuten),
.2. Differenzierung mit 1% Salzsäurealkohol, bis die Kerne deutlich
werden,
3. Abspülen mit destilliertem Wasser.
4. Färbung mit Ammoniumkarbonat-Kristallviolettlösung (3 Teile 1%
Ammoniumkarbonatlösung, 1 Teil 3% Kristallviolettlösung in 96%
Alkohol),
5. Entfärbung in 10% Salpetersäure (einige Sekunden),
6. Entfärbung in 96% Alkohol, bis der Karminton wiedergekehrt ist.
7. Auswaschen mit aqu. dest.
8. Lufttrocknen, Kanadabalsam.
Diese modifizierte Herrn a n’sche Methode gab einen sicheren positiven
Befund in manchen Fällen, wo die Ziehl-Neelson’sche Färbemethode einen
negativen Befund zeigte. Schürmann.
Auf natürlichem Wege entstandene Bakteriolysine.
(R. Turrö u. Pi j Sun er, Barcelona. Zentralbl. für Bakt., Bd. 49, H. 5.)
Nach den Forschungen des Verfassers stellt der Prozeß der erworbenen
Immunität in verstärktem Maße einen im Tierkörper bereits als Wirkung
der Bakteriolysine präexistierenden Zustand dar, ohne daß es einer vor¬
herigen Immunisierung bedarf. Die Versuche waren kurz folgende:!
Die in 10 g einer l%igen Na CI -Lösung verteilten Agarkulturen (Cho¬
lera) wurden (3 ccm) in die Rindensubstanz der Niere eines Hundes injiziert.
Der aus dem Ureter abtropfende Urin war fadig, schleimartig. Die Bakterien
zeigen mikroskopisch körnigen Zerfall ; in Nierenschnitten sind die Bakterien
im Zustande der Auflösung; dem Typhusbazillus erwiesen sich die Bakterio-
lysine der Hundeniere als unwirksam. Es wurden die Versuche mit anderen
Bakterien noch fortgesetzt und neben Injektionen in die Nieren' auch solche
in die Leber (Milzbrand), in den Gastrocnemius des Kaninchens, sowie am
Pankreas, Nervengewebe, Schilddrüse, Hoden vorgenommen. Auch hier konn¬
ten Verff. nach weisen, daß die Zellelemente bereits unter normalen Ver¬
hältnissen bakterienschädigende Stubstanzen herausarbeiten.
Es schafft somit der Prozeß der erworbenen Immunität nicht erst Bak¬
teriolysine, sondern steigert sie nur und formjt sie in so Spezifischjer Weise,,
daß ihre Wirkung sich in nichts von dem sonstigen nutritiven Anpassungs¬
vermögen des Protoplasmas unterscheidet. Sehürmann.
Ueber den Einfluß von Wärme und Zeit auf den Ablauf der Agglutination.
(Dr. Konrich. Zentralbl. für Bakt., Bd. 48, H. 1.)
Die Agglutination wird nach den Versuchen des Verfassers mehr durch
die Zeit als die Temperatur beeinflußt. Normalsera sind betreffs der Agglu¬
tination von der Zeit durchaus! abhängig; die Temperatur spielt dabei keine
Rolle, während für Immunsera die Temperatur von höherem Werte ist wie
die Zeitdauer; auch ist für1 letztere die Vorliebe für eine bestimmte Tempe¬
ratur stärker ausgesprochen. Die Normalsera halten sich an ein Bestimmtes
Temperaturoptimum, bei der sie am besten agglutinieren. Die Beobachtungs¬
dauer, innerhalb der die Immunsera sicher einwandsfrei arbeiten, ist bei
den einzelnen Seris verschieden. Für die Bakterienagglutination ist ebenfalls
eine bestimmte Temperatur von Vorteil. Diese Tatsache zeigt sich besonders
bei der heterologen Agglutination des Immunserums. Das Temperaturoptimum
der Bakterienarten in den einzelnen Seris ist nicht ganz konstant. Verf.
rät die Verwendung verschiedener Temperaturen zur genauen Ermittelung
der Hemmungszonen. . Schürmann (Düsseldorf).
Referate und Besprechungen.
1381
Innere Medizin.
Nachweis der Trichina spiralis im zirkulierenden Blut beim Menschen.
(William Worthington Herrick u. Theodore C. Janeway, New-York. The
Arch. of internal Med., April 1909.)
Nachdem lange Leuckhardt’s Ansicht maßgebend gewesen war, daß
die Trichinen aktiv durch das Bindegewebe wandern, stellte Zenker 1860
die Behauptung auf, daß die Verbreitung der Embryonen auf dem Wege
der Chylus- und Blutgefäße erfolge. Letztere Ansicht wurde in der Folgezeit
durch mehrfache Beobachtungen bestätigt. Aber erst Stäubli gelang es
1905, die Embryonen im Blute künstlich infizierter Meerschweinchen zu finden.
Seine Methode bestand darin, eine kleine Menge durch Punktion gewonnenen
Blutes mit 3% Essigsäure zu verdünnen, zu zentrifugieren und das Sediment
mikroskopisch zu untersuchen. Er empfahl diese Methode auch bereits für
die Diagnose der menschlichen Trichinosis. In der Tat ist es nun auf diese
Weise den amerikanischen Forschern Herrick und Janeway gelungen,
auch beim Menschen in vivo> Trichinen im Blute zu finden. Sie entnahmen
zu diesem Zwecke 1,5 ccm Blut aus der Armvene und versetzten es mit
15 Teilen 3°/0iger Essigsäure. Mehrfache Stuhluntersuchungen (auch nach
Thymoldarreichung) bei derselben Patientin waren negativ. Das klinische
Bild — es handelte sich um Infektion einer ganzen Familie — war das
typische. Mit Recht betonen die Autoren die Wichtigkeit dieser neuen
diagnostischen Methode in Fällen, wo die Krankheitssymptome und die Eosino¬
philie den Verdacht auf Trichinosis nahelegen. Jedenfalls ist sie auch scho¬
nender als die Exzision eines Muskelstückchens. W. Guttmann.
Aus dem königl. Garnisonlazarett München.
Über die Wirkung des Römer’schen Pneumokokkenserums bei der kruppösen
Pneumonie mit besonderer Berücksichtigung der Leukozyten.
(Oberarzt Dr. May. Münch, med. Wochenschr., Nr. 40 u. 41, 1908.)
Die im Garnisonlazarett angestellten therapeutischen Versuche ergaben
als wichtigste Tatsache einen verlangsamten Verlauf der Entfieberung durch
das Römer’sche Serum. Auf irgend welche Komplikationen oder auf das
Fortschreiten der Infiltration war kein Einfluß bemerkbar. Subjektiv fühlten
sich die Kranken nach der Injektion wohler, wobei esi gleichzeitig zur Tempe¬
raturerniedrigung kam. May hält eine möglichst frühzeitige Injektion für
erwünscht, von mehrmaliger Injektion verspricht er sich keinen Erfolg.
Was nun den Einfluß des Serums auf das Verhalten der Leukozyten
anbetrifft, so kann er sich dem Urteil von Pässler und Wink'elman'n, die
ihn leugnen, nicht anschließen. Bei Einlappenpneumonien konnte er unter
der Serumbehandlung fast immer eigentümliche Sprünge in der Leukozyten¬
bewegung beobachten; es kam bei Eintritt der Krise stets zu Wiederaastieg
der vor der Injektion verminderten Leukozyten. Ähnliche Vorgänge beobach¬
tete er bei einem mit gehäuften kleinen Gaben von Pneumokokkenserum be¬
handelten Hunde. Aus allen diesen Beobachtungen geht hervor, daß das
Römer’sche Serum sich noch in der ersten Versuchsära befindet, daß es
noch nicht zu der unumgänglich notwendigen Rüstung gegen die kruppöse
Pneumonie gehört. Zum Schluß streift May die von Pirquet geschilderte
Serumkrankheit, die im Auftreten einer Urticaria besteht, an die sich Schwel¬
lung und Entzündung der Lymphdrüsen, in anderen Fällen Mastitis oder
Herpes zoster anschließt. F. Walther.
Zur Serumtherapie der kruppösen Pneumonie.
(Dr. F. Kris che, Eichstetten. Med. Klinik, Nr. 44, 1908.)
Kris che berichtet über seine Erfahrungen an 10 mit Römers Pneumo¬
kokkenserum behandelten Fällen von kruppöser Pneumonie. Er injiziert stets
sofort 10 ccm Serum in die Glutäen, was wiederholt werden muß, wenn bis
zum nächsten Morgen die Krisis nicht eingetreten ist. Bei sehr schweren
1382
Referate und Besprechungen.
Erkrankungen Erwachsener gibt er täglich 20 ccm bis zum Eintritt der
Krisis. Gewöhnlich kommt es bald nach der Einspritzung zur Temperatur¬
steigerung und Verschlimmerung der Beschwerden, die in Atemnot und Er¬
brechen bestehen. Später macht sich dann subjektiv eine deutliche Besserung
des Allgemeinbefindens bemerkbar, objektiv verschwinden Somnolenz und
Zyanose, die Temperatur und (der Puls sinken, das Sputum verliert seine
rostfarbene Beschaffenheit, Schweiß bricht aus, die Pneumonie löst sich.
Krisch e hält die Anwendung des Serums bei jedem Stadium der Pneumonie
für indiziert. Es wird dadurch einmal die symptomatische Therapie teils
zum Teil überflüssig, zum Teil unterstützt diese nach eingetretener Krisis
die Serumtherapie. P. Walther.
Die Azidose beim Pankreasdiabetes.
(Ed. Allard, Greifswald. Archiv für exper. Path. u. Pharm., Bd. 59, S. 388.)
Bei Hunden, die durch Pankreasexstirpation diabetisch gemacht
worden sind, tritt nur in vereinzelten Pallen Azidose (Ausscheidung
von Azeton, Azetessigsäure und ß-Oxybuttersäure) im Harn auf. Von einigen
Autoren ist neuerdings dieser Pankreasdiabetes wegen des fast regel¬
mäßigen Pehlens der Azidose als fundamental verschieden von den schweren
Pallen des menschlichen Diabetes bezeichnet worden; überdies sollen
solche Hunde an den Polgen der Inanition, nicht aber wie der Mensch im Koma
zugrunde gehen.
Allard konnte in Minkowski’s Klinik bei drei Hunden sichere Azi¬
dose feststellen (1,5 — 2,3 g Gesamt-Azidosekörper pro Tag) und die Tiere
im Koma sterben sehen. Richtig ist, daß in der Pegel diese Stoffe nicht im
Harn auftreten, weil der pankreasexstirpierte Hund noch imstande ist, die
wenn auch reichlich gebildeten Azidosekörper in seiner Leber abzubauen.
Die schwere Azidose tritt beim pankreasdiabetischen Hund nur auf, wenn
komplizierende Erkankungen der Leber oder anderer Organe vorliegen.
Diese Verhältnisse werden vom Verf. übertragen auf den experimentellen
Phloridzindiabeties beim Hund und den schweren Diäbetes beim Men¬
schen. Im Palle, daß beim diabeteskranken Menschen Azidose auf tritt,
wird hieraus auf solche komplizierende Leber- usw. Erkrankungen geschlossen.
E. Post (Berlin).
Gynäkologie und Geburtshilfe.
Aus Hofrat Dr. A. Theilhaber’s Frauenheilanstalt.
Zur Anatomie, Pathologie und Therapie der chronischen Endometritis.
(A. Tlieilhaber u. A. Meier. Archiv für Gyn., Bd. 86, H. 3.)
Es wurden die meist durch Kürettage erhaltenen Schleimhäute von
37 Uteris untersucht. Von allen lagen genaue anamnestische und klinische
Daten vor, die sich auf die Menstruationsphase, auf das Alter der Trägerinnen,
auf Blutungen, Ausfluß, vorangegangene Aborte und vor allem gonorrhoische
Infektion bezogen. Wollten doch Vff. vor allen Dingen die Symptomatologie
und Histologie der wirklichen, wie es sich herausstellte, meist gonorrhoischen
Endometritis feststellen. Umj -das Pesultat vorweg zu nehmen, so wird
nach den angestellten Untersuchungen Ausfluß hervorgerufen entweder
a) durch eine Hypersekretion der Uterusschleimhaut infolge von venöser
Stase, Zirkulationsstörungen im Uterus, psychische oder erotische Erregungen,
Masturbation, Chlorose usw., oder b) durch eine echte Endometritis,
die, wie gesagt, in den weitaus meisten Fällen gonorrhoischer Abkunft ist.
Im ersteren Fall ist der Ausfluß gewöhnlich klar, schleimig, im letzteren
Pall gewöhnlich eitrig. Blutungen, die nicht die Folge von Tumoren
sind, werden hervorgerufen nicht durch diffuse Entzündung der Uterus¬
schleimhaut, sondern durch Störungen der Punktion des Mesometriums
bei Hyperämie des Uterus. Sie sind veranlaßt durch a) Myofibrosis, b) Me-
tritis chronica, c) durch den Adnexuterus, d) durch die durch andere Ur-
Referate und Besprechungen.
1383
Sachen entstandene Insuffizienz des Uterusmuskels, e) durch sonstige Zir¬
kulationsstörungen, die meist ihre Ursachen |außerhalb des Uterus haben.
Schmerzen werden hervorgerufen durch spastische Kontraktionen des
Uterus oder durch Perimetritis.
Bei den prämenstruellen Schleimhautpräparaten der im zeugungs¬
fähigen Alter stehenden Frauen war sog. Drüsenhypertrophie in 64%,
Drüsenhyperplasie in 84% vorhanden, bei den hierher gehörigen Schleim¬
häuten normaler Uteri in 80 resp. 90%. Bei den Schleimhäuten der
postmenstruellen Phase fand sich Hypertrophie in 35 resp. 37%, Hyper¬
plasie in 42 resp. 50%. Bei den Schleimhäuten der intermens truel-
len Phase lauteten die Zahlen auf 72 resp. 60% und auf 70 resp. 56%.
Die sog. Drüsenhyperplasie und -hypertrophie ist nach M.’s Ansicht
kein Zeichen entzündlicher Beizung, aber auch nicht der prämenstru¬
ellen Kongestion, da der gefundene Prozentsatz der intermenstruellen
Phase eher noch größer ist als der in der prämenstruellen. Vielmehr dürfte
es sich hier überwiegend um individuelle Verschiedenheiten handeln.
Dagegen ist die Vergrößerung der Drüsenzellen und ihrer Kerne ein eigen¬
tümliches Zeichen der prämenstruellen Periode, ähnlich verhält es sich mit
den Kernen des interglandulären Bindegewebes. Auch die Erweiterung der
Drüsenfundi wird am häufigsten in der prämenstruellen Phase angetroffen,
findet sich aber durchaus nicht etwa konstant bei Ausfluß. R und zell en-
an häuf ungen fanden sich nur in Fällen, wo Ausfluß bestand und zwar
zumeist bei Gonorrhoe. Th. ist der Meinung, daß die Diagnose der Endo¬
metritis in der Regel durch die klinische Untersuchung allein gestellt
werden kann. Bei ausgesprochenen Entzündungen der Uterusschleimhaut finde
sich fast stets Eiter in der Uter'ush öhle. — Th. hat bezüglich des
Ausflusses sehr interessante Versuche angestellt, die ihrer prinzipiellen
Wichtigkeit halber ausführlicher referiert werden sollen. Zunächst glaubt
Th., und wohl mit Recht, dem Schul tze’schen Glyzerin-Pro bet ampon den
Vorwurf machen zu müssen, daß dieser infolge seiner reizenden Eigenschaften
auch bei normalen Uteris einen mit Eiter zellen reichlich gemischten Aus¬
fluß hervorbringt. Th. ging subtiler vor. Er stellte einfach mittels Spekulis
und A.spiration in einer kurzen Sitzung der Reihe nach die Sekrete der
Scheide, des äußeren Muttermundes, der Zervix- und schließlich der Korpus¬
höhle fest. Bei gesunden Frauen eruierte er dabei folgendes: Während
die unteren % der Scheide meist ohne Sekret sind, findet sich solches fast
immer im hinteren Scheidengewölbe. Es stellt eine zähe, gelbgrüne Masse
dar, seltner ist die Flüssigkeit rahmähnlich, am seltensten käseartig (viel
Epithelien). An der Portio und, wenn Einrisse vorhanden sind, auch im
äußeren Muttermund befindet sich Sekret der gleichen Beschaffenheit. Nach
Entfernung dieser Sekretmassen wartete Th. einige Minuten. Es pflegte
entweder sofort oder spätestens nach wenigen Minuten neues Sekret im
Muttermund sichtbar zu werden, ev. wurde durch Streichen oder Mas¬
sage nachgeholfen.
Dieses Sekret, welches nun aus der Zervix herausfließt, präsentiert
sich als wasserhelle, klare Flüssigkeit. Ließ es aber Th. in das hintere
Scheidengewölbe hineinfließen, so wurde es bald gelbgrün oder cremefarbig,
offenbar die Wirkung der Vermischung mit dem Scheidensekret upd seinen
Bakterien. Den von D öderlein beschriebenen Schleimpfropf in der Zer¬
vix konnte Th. seltner nachweisen, er scheint mehr der Schwangerschaft
anzugehören. Bei der geschlechtsreifen Frau findet ständig eine mäßige
Absonderung von Sekret statt, sie wird stärker bei häufigen Kohabitationen
und vor der Periode, auch in der Schwangerschaft : alles Dinge, die mit
stärkerer Kongestion einhergehen. — Bei den Frauen, die über Aus¬
fluß klagten, bei denen aber weder an amnestisch noch klinisch ein vorher¬
gehender Abort, Puerperium oder Gonorrhoe festgestellt werden konnte, fand
Th. qualit ativ genau die gleichen Sekretverhältnisse, wie bei den ge¬
sunden Frauen, nur war zeitweise die Absonderung1 aus der Zervix etwas
stärker. Auch histologisch bestanden keine Unterschiede. — Bei 8% der
1384
Referate und Besprechungen.
Frauen fand sich nach Reinigung der Scheide im Muttermund nicht klares
Sekret, sondern undurchsichtiges, mehr weniger grün gefärbtes Sekret.
Stets war hier mit Sicherheit Gonorrhoe vorausgegangen. Wenn in diesen
Fällen eine Ausspülung der Zervix mittels Intrauterinkatheters gemacht
wurde, so pflegten aus der Zervikalhöihle noch einige Tropfen Eiter heraus¬
geschwemmt zu werden; wurde nun noch die Korpus höhle ausgespült,
so wurden jedesmal größere Quantitäten zäh festhaftenden, dicken, grünen
Eiters herausgespült: mitunter 1 — 2 Eßlöffel. Das waren die Fälle mit
den zahlreichen Rundzellen und Eiterzelleninfiltration in der Schleim¬
haut. Wenn die (gonorrhoische) Endometritis ausheilt, so wird das Sekret
zunächst schleimig-eitrig, später, nach Wochen oder Monaten, rein schleimig.
Bei der Hypersekretion findet sich die Uterusschleimhaut keimifrei,
die echte Endometritis dagegen ist wohl immer infektiösen Ursprungs : Strepto¬
kokken, Staphylokokken, Spirochaeta pallida, Diphtheriebazillen, Tuberkel¬
bazillen, vor allem Gonokokken können die Erreger sein. Th. glaubt, daß
die Gonorrhoe nicht am inneren Muttermund Halt macht, wenigstens konnte
er in seinen Fällen nach Ausspülung der Zervix mittels seines Aspirations¬
röhrchens dasselbe eitrige Sekret aus der Korpushöhle aspirieren wie aus
der Zervix. Und zwar fand sich Korpusgonorrhoe recht häufig bei Frauen,
die nie beträchtlichere Schmerzen im Unterleib gehabt hatten. Letztere sind
somit wohl stets die Folgen des Übergreifens der Gonorrhoe auf die Tuben
bez. auf das Bauchfell.
Blutungen haben mit Endometritis überhaupt nichts zu tun, sondern
sind ein Symptom der mit Muskelatrophie einhergehenden sog. chronischen Me-
tritis, wie dies Th. in einer Reihe früherer Arbeiten, die schon mehrfach,
besonders von englischen und amerikanischen Autoren bestätigt worden sind,
dargelegt hat. — Therapeutisch läßt sich die Hy persekjretion besei¬
tigen durch Entfernung der Ursache (Eisen bei Chlorose, klimatische, hydro¬
therapeutische, psychische und diätetische Kuren bei Neurasthenie, Hy¬
sterie usw.). Außerdem fand Th. wirksam bei schlaffem Uterus kühle
Sitzbäder und Ergotin, heiße Scheidenspülungen, um Kontraktionen her¬
vorzurufen. Ganz vortrefflich fand er auch intrauterine Ätzungen mit¬
tels Sonde und 30% Chlor zink- oder Formalinlösung. Bei Hypersekretion
infolge von venöser Stase wirkten auch Skarif ikafionen der Portio,
mehrmals wöchentlich, gut. — Die gonorrhoische Endometritis ist im
akuten Stadium streng expektativ zu behandeln, im chronischen dagegen
energisch aktiv : durch periodische geringe Erweiterungen des Muttermundes
muß dem Eiter genügend Abfluß verschafft werden; Th. tut dies alle paar
Tage mittels des Schultz e’schen Dilatators, dann spült er die Uterus¬
höhle mit einer Silberlösung aus mittels sehr dünnem, rückläufigen Ka¬
theters. R. Klien (Leipzig).
Psychiatrie und Neurologie.
Ueber das Verhalten des weichen Gaumens bei der zerebralen Hemiplegie.
(Dr. Rudolf Tetzner, Dresden. Neurol. Zentralbl., S. 520, 1909.)
Bei Kranken mit zerebraler Hemiplegie ist das Verhalten des weichen
Gaumens verschieden. In einer Anzahl von Fällen wird der Mund überhaupt
nicht geöffnet, oder der Gaumen ist völlig gelähmt und bewegt sich überhaupt
nicht, oder nur beim Würgen, nicht aber beim Intonieren. Bei 52 Kranken,
welche beim Intonieren eine deutliche Bewegung des weichen Gaumens zeigten,
fand sich in 40 Fällen, also 77%, daß beim Intonieren die Gegend des
weichen Gaumens vor und oberhalb des Gaumenbogens nach oben und zugleich
derartig nach der gelähmten Seite gezogen war, daß das Bild eines Zeltdachs
entsteht, dessen Spitze schräg nach oben und nach der gelähmten Seite zu
gerichtet ist.
In einzelnen Fällen bildete das zeltartige Verziehen des weichen Gaumens
nach der gelähmten Seite hin das einzige oder fast das einzige Restsymptom
Referate und Besprechungen.
1885
eines vorausgegangenen apoplektischen Insults, während die Beweglichkeit
und Kraft- in den gelähmt gewesenen Extremitäten wieder völlig normal
geworden waren. E. Beyer (Roderbirken).
Blutbrechen bei Crises gastriques tabetiques; Sektionsbefund.
(Priv.-Doz. Dr. Jenö Kollarits, Budapest. Neurol. Zentralbl., S. 11, 1909.)
Bei einem 38 j. Mann mit Tabes dorsalis und gastrischen Krisen zeigte
sich in den letzten Wochen seines Lebens Bluterbrechen und einigemal blutiger
Stuhl. Die Blutung war so groß, daß an Ulcus oder Karzinom gedacht wurde.
Bei der Sektion kamen die typischen Veränderungen der Tabes zum Vorschein,
dagegen war an der Schleimhaut des Magens und Darms keine noch so kleine
Ulzeration und auch keine andere Veränderung vorzufinden, aus welcher die
Blutung hätte erklärt werden können. Man muß daher eine parenchymatöse
Blutung annehmen, welche als Begleitsymptom der Crises gastriques zu be¬
trachten ist.
Der Fall zeigt also, daß gastrische Krisen auch starke Magenblutung
ohne Läsion der Magenschleimhaut verursachen können, und daß eine größere
Magenblutung bei Crises gastriques nicht gegen die Diagnose spricht.
E. Beyer (Roderbirken).
Ueber einen Fall von Heilung einer Ischias mit Spermin.
(Gotlieb. Praktitscheski Wratsch, Nr. 3, 1909.)
In einem Falle von Ischias, in dem nacheinander Aspirin, Pyramidon,
Antipyrin, Brom, Morphium, heiße Umschläge, Bäder und endlich Blutegel
erfolglos versucht worden sind, wirkte eine einzige Einspritzung von Spermin
(3 ccm) ausgezeichnet; die Anfälle hörten nach der ersten Einspritzung auf.
In drei Monaten wiederholte sich der Anfall ; derselbe erforderte diesmal drei
Einspritzungen a 3 ccm Spermin. Der dritte Anfall in einigen Monaten er¬
forderte wiederum drei Einspritzungen a 5 ccm. Man muß glauben, daß eine
gewisse Gewöhnung an das Spermin erfolgt und bei jedem Rezidiv die zwei-
bis dreifache Menge zur Heilung erforderlich ist. J. Lichtmann (Köln).
Medikamentöse Therapie.
Nährpräparate, Fabrikanten und Ärzte.
(G. Cybulski. Zeitschr. für Säuglingsfürs., H. 8, 1909.)
Verf. bemüht sich, in der vieldiskutierten Frage die Stellung des Fabri¬
kanten zu verteidigen. Er bringt mehr eine Abwehr gegen die zum Teil
recht scharfe, aber berechtigte! Kritik, die die „als bester künstlicher Ersatz
der Muttermilch“ empfohlenen Präparate von kinderärztlicher Seite erfahren
haben, als neue Tatsachen. In einigen Punkten, z. B. der Unterschätzung
der Stillfähigkeit und der Beurteilung des Ammenwesens befindet er sich
im Irrtum. Die Besprechung der Provisionszahlung an Hebammen, die Verf.
angeblich nicht verteidigen, sondern nur erklären will, wirkt ebenso peinlich
wie die seinerzeit in Meran stattgehabte Diskussion (1905) über Backkhaus-
milch.
Ein Zusammenarbeiten der wissenschaftlichen Pädiatrie mit den Nähr-
m'ittelfabrikanten, wie es Verf. anjstrebt, wird erst möglich sein, wenn die
Fabrikanten die Provisionszahlungen in jeder Form aufgeben und die medi¬
zinischen Wochenschriften die kritiklosen Arbeiten publikationseifriger Ärzte
ablehnen. Aronade.
Über einige Beobachtungen mit Styptol.
(Netto, Potsdam. Deutsche Medizinal-Zeitung, Nr. 15, 1909.)
Der Verfasser beschreibt aus seinen Beobachtungen mit Styptol zwei
Fälle in extenso. Im ersten Falle war eine starke Blutung nach Abortus
1386
Referate und Besprechungen.
eingetreten, nach Ausschabung der Gebärmutter traten die folgenden Menses
mit großer Heftigkeit auf, so daß die Patientin oft 14 Tage blutete und
sehr herunterkam. Heiße, bezw. kalte Duschen, Packungen, Ergotin usw.
waren erfolglos, dann wurde Styptol 4 Tabletten täglich gegeben und schon nach
der zweiten Tablette ein Nachlassen der Blutung konstatiert. Am 2. Tage
stand die Blutung. In den folgenden Monaten wurde mit Styptol ein gleicher
Erfolg erzielt, so daß die regelmäßig eintretende Menstruation auf 4 Tage
beschränkt werden konnte. Das Allgemeinbefinden der schwachen Patientin
besserte sich zusehends.
Der zweite Fall betraf Blutungen während der Schwangerschaft. Fünf¬
mal gelang es, die zum Teil sehr heftigen Blutungen zum Stehen zu bringen.
Dann öffnete sich der Muttermund und die Patientin wurde von einem toten
Fötus entbunden. Obwohl nach dem Eingriffe eine größere Blutung erwartet
wurde, trat diese nicht ein, was N. auf Rechnung des noch am Vorabend
* angewandten Styptols setzen zu müssen glaubt. Der Verf. ist der Ansicht,
daß das Styptol im Gegensatz zu anderen Hämostatizis nicht durch Reizung
der großen Gebärmutter-Ganglien und infolgedessen durch krampfartige Zu¬
sammenziehung der Uterusmuskulatur wirkt, sondern daß es eine direkte
verengende Wirkung auf die Gefäßwandungen ausübt. Die Billigkeit und
die bequeme Dosierung machen das Styptol für den Praktiker besonders
angenehm.
Bromural als Hilfsmittel in der Psychotherapie.
(Priv.-Doz. N. A. Bernstein, Direktor der Zentralanstalt für Geisteskranke in
Moskau. Mod. Psychiatrie, S. 225—229, 1909.)
Das Bromural übte bei internierten Geisteskranken weder eine ein¬
schläfernde noch sedative Wirkung aus. Ebenso ist es bei Epilepsie wir¬
kungslos, weil es im Körper gar kein Brom abspaltet. Dagegen ist es ein
sehr gutes Schlafmittel und Sedativum bei Neurasthenikern und Psychoneuro-
tikern der verschiedensten Typen.
In Fällen von Schlaflosigkeit infolge Herzklopfens, innerer Unruhe,
Angst, aufdringlicher Gedanken, Sorgen oder . intellektueller Erregbarkeit,
z. B. infolge Spätarbeitens usw. (wie sich der Verf. an sich selbst überzeugen
konnte) ruft Bromural in Gaben von 0,6 g innerhalb 15 — 30 Minuten einen
ruhigen Schlaf hervor, der 5 — 6 Stunden dauert. Nach dem Erwachen lassen
sich keine unangenehmen Folgen beobachten : bei Schlaflosigkeit aus den
angeführten und ähnlichen Gründen ist das Bromural wegen seiner vollstän¬
digen Unschädlichkeit den gewöhnlichen Schlafmitteln vorzuziehen. Krank¬
hafte Herzerscheinungen, wie Arythmie, soweit sie nicht mit organischen
Erkrankungen des Herzens und der Gefäße verbunden sind, sondern durch
vasomotorische und reflektorische Ursachen bedingt, gehen schnell und leicht
durch Bromural zurück. Sehr oft wirkt es geistig erfrischend, indem es das
Gefühl von Schwere und Drücken im Kopf vermindert und die Möglichkeit
gewährt, die Gedanken während der Arbeit zu konzentrieren. Aufregungs¬
zustände, innerliche Unruhe, beunruhigende Erwartungen werden gleichsam
koupiert durch Gaben von Bromural, dessen Wirkung 3—4 Stunden dauert.
Neumann.
Diätetik.
Zur Bewertung des Muskelfibrins als Nahrungsmittel.
(E. Bach mann, Harburg. Ärztl. Rundschau, Nr. 28, 1909.)
Bachimünü weist darauf hin, daß die Erweißverdauung nicht wie ein rein
chemischer Reagenzglasvorgang anzusehen sei, was man früher tat, sondern
daß sie von biologischen Gesichtspunkten betrachtet werden müsse. Hierbei
ergebe sich zunächst, daß namentlich die Verdauung des Fleisches sich unter
Vorgängen abspiele, die nicht von- Entzündung und Fieber zu unter¬
scheiden seien, sodann daß man den Wert des Eiweißes überhaupt viel
Referate und Besprechungen.
1387
zu hoch angeschlagen habe, wie das ja auch neuerdings — wenn auch1 vor¬
läufig leider nur theoretisch — von Rubner anerkannt werde. Von Nachteilen
der Fleischkost hebt er dann noch besonders hervor : die durch ihren Gehalt
an Fibrin und zerfallenen Leukozyten bewirkte Erhöhung der Blutvisko¬
sität, die zu Kapillarverstopfung usw. führt, ferner die vermehrte Säure-
bildung, die schädlichen Extraktivstoffe, das krankhafte Beizbedürfnis,
das dem durch Fleischgenuß entstanden reaktiven Schwächezusitand folgt,
irrtümlich als Hunger empfunden würd und so zum übermäßigen Genuß ver¬
leitet. Hier erinnert er an die Sport- uüd Kriegserfahrungen, nach denen
der Fleischesser im Hungerzustand ungleich weniger leistungsfähig ist als
der Pflanzenesser.
Des weiteren wirkt die Fleischüberschätzung schädlich durch das auf sie zurück¬
zuführende erhöhte Bedürfnis nach den Herzstimulantien Alkohol, Kaffee, Tee.
Schon allein der Umstand, daß die für den stark wachsenden Säuglings¬
körper ausreichende Muttermilch nur 1,6% Eiweiß enthält, ist Beweis genug
dafür, daß das Muskelfleisch mit seinen 20% Eiweiß nur in sehr starker
Mischung mit Kohlehydraten usw. zulässig erscheint. Zudem enthält es
aber auch noch viel zu wenig Kalk, Magnesia und Natron, und führt daher
bei seiner heute leider vorwiegenden Kombination mit Feinbrot, Kartoffeln
(und ausgelaugten Gemüsen) zur Mineralstoff Verarmung des Organis¬
mus. Die als Ergänzung durchaus nötigen Vegetabilien, speziell das Obst,
sind nicht bloß als Genuß-, sondern als vollwertige Nahrungsmittel anzusehen.
'Kommen sodann als weitere Mängel des Fleisches noch die leichte
Fäulnisfähigkeit und die zahlreichen Viehkrankheiten in Betracht, so ist
endlich als ein Hauptnachteil, der bei der herrschenden Eiweißüberschätzung
besonders volkswirtschaftlich von höchster Bedeutung erscheint, sein hoher
Preis zu betrachten.
Einschränkung der Fleischkost zugunsten der vegetabilischen, der Vieh¬
wirtschaft zugunsten des Gartenbaus erscheint also im Interesse der Volks¬
gesundheit und wahren Kultur dringend geboten. Esch.
Vergiftungen.
Vergiftungserscheinungen durch Bismutum subnitricum.
(Ben saude u. Agasse-Laf ont. Soc. med. des höpitaux, 22. Jan. 1909. — Bull.
med., Nr. 7, S. 79, 1909.)
Dem Magist. Bismuti hätte wohl keiner Böses zugetraut, und doch
haben die genannten beiden Forscher allerlei bedrohliche Symptome beobach¬
tet : Angst, Beklemmungen, Krämpfe, Hypothermie, Koma, hochgradige
Zyanose und Kurzatmigkeit. Freilich traten diese Erscheinungen nicht nach
den in der internen Medizin üblichen kleinen Dosen auf, sondern nach
den massiven Mengen, wie sie zu radioskopischen Zwecken inkorporiert zu
werden pflegen. Man wird also fürderhin vorsichtiger sein müssen, nament¬
lich bei Pat. mit Darm-Stenosen oder sonstwie behinderter Weiterbeförderung
des Darminhaltes.
Auch kleine Kinder seien ungemein empfindlich gegen diese Substanz.
Für radiologische Zwecke empfehlen die Autoren das kohlensaure Wis¬
mut (Hayem), das Bismut. subgallicum - Dermatol (Apert), Aluminium oder
Thorium. Buttersack (Berlin).
Ein letal verlaufener Fall von Atropinvergiftung.
(J. Kuöera, Hohenstadt. Klin.-tlier. Wochenschr., Nr. 14, 1909.)
Das Atropin, das Gift der Tollkirsche (Atropa Belladonna), wirkt reizend
auf das Zentralnervensystem, besonders auf die Medulla oblongata, auf das
periphere Nervensystem dagegen paralytisch : Beschleunigung der Herzaktion
durch Lähmung der hemmenden Vagusendigungen im Herzen, Trockenheit
im Schlund und Aufhören der Schweißsekretion, Lähmung der Blasenmuskulatur, Ver¬
langsamung der Darmperistaltik. Als mindeste Dosis letalis bezeichnet Verf.
1388
Referate und Besprechungen.
0,13 Atropini sulfurici. Er bespricht einen Fall von Atropinvergiftung bei
einem 11jährigen Mädchen, das bei der Untersuchung exzessive Mydriasis,
Trockenheit im Munde, urtikariaähnliches Hautexanthem, enorm beschleunigten
Puls (bis 190 pro Minute), Benommenheit, Stuhlverhaltung aufwies. Das
Gift war dadurch in den Körper gelangt, daß das Kind im Walde gesammelte
Erdbeeren in Düten aus großen Blättern der Tollkirschenpflanze getan hatte,
die wohl beim Rollen zerdrückt waren, so daß der giftige Saft an die Hände
des Kindes und in die später von ihm genossenen Erdbeeren gelangte. Trotz
aller angewandten Gegenmaßregeln endete der Fall letal, da das 18 — 20 Stun¬
den vorher in den Körper gelangte Gift von dem kindlichen Organismus!
ganz resorbiert und bis in die einzelnen Zellen transportiert war.
Peters (Eisenach).
Allgemeines.
Aus der amerikanischen periodischen medizinischen Literatur.
(Juni 1909.)
(Schluß.)
The St. Paul medical journal.
1. Die Genese der übertragbaren Krankheiten. Von Dr. John
M. Armstrong, St. Paul. Ein interessanter Essai über die Frage, ob wir
unsere übertragbaren Krankheiten nicht von unseren, heut domestizierten,
früher wilden Tieren bekommen haben ? Die Geschichte lehrt, daß, wenn eine
Rasse durch eine gndere unterjocht wird, die Herrenrasse die Fehler und
Laster der unterjochten annimmt, während letztere sich entweder verbessert
oder degeneriert. Die von uns domestizierten, früher wilden Tiere haben
sich teils physisch verbessert, teils sind sie im Vergleich zu den noch wilden
derselben Spezies degeneriert, wir haben dafür ihre Krankheiten erworben.
(Von unseren Hauspflanzen kommt ein Teil noch heut wild in Zentralasien
vor.) In diesem Gedankengange bespricht A. die Krankheiten und die von
der amerikanischen Rasse domestizierten Tiere, die in der Vor-Kolumbischen
Zeit in Amerika prävalierten, um am Schlüsse seiner Ausführungen zu
sagen, daß, was man auch über sie denken möge, je früher der Einfluß der
Haustiere als mittelbare oder unmittelbare Kontributoren zu menschlichen
Krankheiten erkannt, um so früher manche jetzt noch schwierige Frage
gelöst sein wird.
2. Die Parathyroid-Drüsen. Von Dr. Gilfillan, St. Paul. Eine
Besprechung der in den letzten fünf Jahren nachgewiesenen Tatsachen und
aufgestelltan Theorien, betreffend die zuerst 1880 von Sand ström beschrie¬
benen Parathyroid- Körper.
3. Bericht des Exekuti v-Sekretärs der Minnesota-Gesellschaft
zur Verhütung der Tuberkulose für 14 Monate. Geschäftsbericht über
die (bedeutenden) Leistungen des Vereins.
4. Klinische und therapeutische Notizen. (Auswahl):
a) Kurzer Bericht über das Vorkommen von Tuberkelbazillen
im zirkulierende^ Blut. Von Dr. Leverett D. Bristol, Arzt am
städtischen Antituberkulose-Dispensary, St. Paul. Wie wir in Kr. 17 der
Fortschritte der Medizin 1909, S. 669, kurz referiert, hatte Rosenberger
die Tuberkulose für eine reine Bakterämie erklärt, indem er berichtete,
daß er in 100% seiner Tuberkulosefälle (bis 15. Januar 1909 wurden 125
studiert) Tuberkelbazillen im zirkulierenden Blut gefunden habe, und einen
derartigen Befund, wenn er vorkommt, für ein wichtiges diagnostisches Hilfs¬
mittel erklärte, selbst wenn noch nirgend anderswo Tuberkelbazillen gefunden
werden und auch sonst alle Zeichen fehlen. Br. prüfte diese Angaben in
einem Falle zweifelhafter Tuberkulose bei einem 19 jährigen, ungefähr einen
Monat vorher wegen chronischer exazerbierter Appendizitis erfolgreich ope¬
rierten Mädchen mit kontinuierlichem Fieber und etwas Husten, aber ohne
Tuberkelbazillen im Sputum nach, nach dem weder durch Tuberkulin noch
durch die Untersuchungen von vier oder fünf anderen Ärzten die Sache auf-
Referate und Besprechungen.
1389
geklärt war. Endlich fand Br. nach der von R. angegebenen Untersuchungs¬
methode (siehe unter der folgenden Nr. 4 b), die er genau befolgte, tatsächlich
einige Tuberkelbazillen in dem aus einer Vene entnommenen Blut, war jedoch
hinterher in anderen Bällen nicht mehr so glücklich und bezweifelt, ob
die Tuberkelbazillen überall leicht, wenn überhaupt, zu finden sind. Auch
andere Untersucher haben nur negative Resultate erzielt, und der Herausgeber
des Medical Record vom1 3. April 1909 ist nach den Untersuchungen in zwei
großen New -Yorker Hospitälern geneigt, die Rosenberger’schen Resultate
überhaupt zu bezweifeln.
Rosenberger selbst hat darauf Dr. Bristol privatim mitgeteilt, daß
die Organismen in vorgeschrittenen Bällen nicht sehr reichlich sind und daß
frühe beginnende und akute Miliartuberkulose sie am meisten zeige. Alle
seine Bälle seien durch Bäzes- und Sputumuntersuchungen und die Autopsie
kontrolliert worden. — Möglicherweise erklärt sich der Unterschied in den
Befunden dadurch, daß die Organismen zu verschiedenen Zeiten im Blut Vor¬
kommen. Außer in dem berichteten Ball hat Br. das Blut in sechs anderen
Bällen positiver klinischer Tuberkulose untersucht und darin Tuberkelbazillen
nur einmal bei einem 25 jährigen Mann in den letzten Stadien, hier allerdings
sehr zahlreich und typisch, gefunden. Er meint schließlich, dieR.’sche Methode
müsse weiter geprüft werden, ein negativer Blutbefund schließe Tuberkulose
nicht mehr aus als ein negativer Sputumbefund. Bis jetzt sei noch nicht
bewiesen, daß alle Tuberkuloseformen eine allgemeine Bakterämie sind.
b) Dr. Bristol Referiert über die von Rosenberger angegebene Technik
zum Nachweis der Tuberkelbazillen im Blut, die wir hier mit Rücksicht auf
die vorstehende Nr. 4 a nach dem Bristol’schen Referat nach tragen : man
entnimmt einer Armvene 5 ccm Blut, gibt diese in einer gleichen Menge
2%igen Natronzitratlösung in normale .Salzlösung, schüttelt gut und refrige-
riert 24 Stunden. Mit einer Pipette nimmt man aus dem gebildeten Sediment
eine Quantität, macht eine dicke Präparation auf Glas, trocknet auf einer
Kupferplatte mit mäßiger Hitze, stellt es so lange in destilliertes Wasser bis
„complete baking of the blood results“1), trocknet und fixiert dies dünne
Häutchen in einer Bunsenflamme und färbt nach der gewöhnlichen Methode
für Tuberkelbazillen.
5. Her ausgeber teil (Editorial).
a) Das Verschwinden der Sektiererei im medizinischen Unter¬
richt. Ein Glückwunsch an das Board of Regen ts of the State University of
Minnesota wegen der definitiven Abschaffung des College der homöopathischen
Medizin und Chirurgie im Namen der Einheit der medizinischen Wissenschaft
Eine unvermeidliche Konzession an die Homöopathie hat dabei trotzdem
gemacht werden müssen: die Zulassung zweier Lehrstühle, eines für homöo¬
pathische Materia medica, eines für homöopathische Therapie, am College
für Medizin und Chirurgie; es wird jedoch auch hieran die Hoffnung geknüpft,
daß die nächste Generation von ihnen nur noch in der Geschichte der Medizin
als von einer Tradition hören wird, um so mehr, als viele sogenannte Homöo¬
pathen schon jetzt ihre Kranken nach den Grundsätzen der neueren medi¬
zinischen Wissenschaft behandelt haben und die Inhaber jener Lehrstühle
wahrscheinlich nicht viel zu tun haben werden. „Solange die Medizin keine
exakte Wissenschaft ist, wird es immer verschiedene Ansichten in der Therapie
geben. — Die Basis, die Pathologie, muß überall dieselbe -sein. Die Zeit
wird kommen, wo alle ehrbaren Mediziner sich nur Arzt ohne jeden Zusatz
nennen und wo diejenigen, die etwas Besonderes für sich in Anspruch nehmen,
zu den Quacksalbern und ignoranten Prätendenten werden gerechnet werden.“
b) Die staatlichen medizinischen Examinatoir en (State boards
of medical examiners). Eine kurze Erörterung der für amerikanische Ver¬
hältnisse charakteristischen Brage, ob es besser sei, wenn die staatlichen
medizinischen Prüfungsämter in ihrer gegenwärtigen Organisation und ihren
begrenzten Befugnissen abgeschafft würden oder nicht, sowie ob diese überhaupt
r) Anmerkung: to bake~= backen, dörren, brennen, härten, trocknen.
1890
Referate und Besprechungen.
den Medizinern oder dem Publikum genützt hätten ? Sie haben im allgemeinen
den Standard der medizinischen Erziehung unzweifelhaft gehoben und da¬
mit die Tore mancher Winkelschulen geschlossen — für die Abschaffung
der Quacksalberei (quackery), die man von ihnen erhofft hatte, haben sie
nichts geleistet, teils weil das Publikum sie in der Verfolgung dieses Zwecks
nicht unterstützt hat, teils weil es für jemanden, der eine gute (nicht staatliche,
Ref.) Medizinschule besucht hat, schwer ist, eine Lizenz zur Praxis zu er¬
halten oder in eine Praxis zu gelangen, wenn er aus einem Staat in einen
anderen geht, in welch letzterem Palle die State boards geradezu prohibitiv
wirken. Seit der Errichtung dieser sind denn auch die Osteopathen, die
Chiropraktiker, die Naturo-, Magneto-, Psychopathen, Optometristen usw. wie
Pilze aus der Erde geschossen. Der Artikel schließt: ,,wir sind nicht vor¬
bereitet, gegenwärtig die Abschaffung dieser Ämter zu befürworten, würden
es aber nicht für ein großes Unglück halten, wenn ihre Punktionen für einige
* Jahre suspendiert würden“.
6. Bücher schau. Hier wird u. a. ein interessantes Buch angezeigt,
in welchem, wie es heißt, der Verf. auf Grund dokumentarischer Forschungen
den Nachweis führt, daß seit dem Mittelalter bis zum 19. Jahrhundert die
Päpste und die katholische Kirche, nicht, wie vielfach angenommen wird,
gegen den wissenschaftlichen und medizinischen Fortschritt, besonders gegen
die Sektion, sondern im Gegenteil in dieser Beziehung stets höchst liberal
gewesen sind und daß viele päpstliche Ärzte große und originale Forscher
waren. Vor mehr als 200 Jahren war die größte medizinische Schule der1
Welt die päpstliche in Rom. Der Titel des Buches ist: ,,The popes and
Sciences. The story of the papal relations to Science from the middle age
down to the nineteenth Century“ (Die Päpste und die Wissenschaft. Ge¬
schichte der päpstlichen Beziehungen zur Wissenschaft vom Mittelalter bis
zum 19. Jahrhundert). Von Dr. med. et phil. James J. Walsh. 400 Seiten.
Preis 2 Doll. 15 Cents. Porto extra. Fordham lUniversitätsdruckerei, New-
York, City office, 110 West 74 th street.
The Post-Graduate.
1. Der Typhus in der Armee, sein gegenwär tiger Stand mit
besonderer Beziehung auf Typhusträger und Antity phus-Impf ut-
gen. Von Dr. J. F. Siler, Captain medical jcorps U. S. army. Typhusepide¬
mien, die in der Armee selbst entstehen, sind selten, sie sind meist einge¬
schleppt. Die Rekonvaleszenten werden häufig Typhus- (Bazillen-) Träger,
Alle kontinuierlichen Fieber, bei denen Malaria ausgeschlossen werden kann,
werden als Typhus behandelt. Im allgemeinen zeigt dieser eine abnehmende
Tendenz. Der Schutz, den die Impfung gewährt, ist um so größer, je
markierter die Reaktion war. Über seine Dauer ist nichts Sicheres bekannt.
2. Papilläres Zystadenom der Brust. Von Dr. August Adrian
Strasser, Aslington, New- York, assistierender Chirurg am Weiberhospital,
St. MichaeTs Hospital of Newack, N. I. Der Gegenstand ist nur wenig er¬
örtert, obgleich 50% der Fälle •maligne werden und eine frühzeitige Radikal¬
operation Heilung schafft. Definition. Geschichte. Histologie. Mitteilung
zweier Fälle zur Beleuchtung der Symptome und Diagnose. Ätiologie. Be¬
handlung. Die einzig wichtige Indikation ist mit Rücksicht auf die Möglich¬
keit der malignen Degeneration die Operation.
3. Drei interessante gynäkologische Fälle. 1. Karzinom des
Ovariums ; 2. zystisch degenerierter fibroider Tumor des Uterus; 3. sehr frühes
Epitheliom des Zervix. Von Dr. Abram Brothers, Adjunkt-Professor der
Frauenkrankheiten am P.-Grad. med. school and hosp. New-York. Mit makro-
und mikroskopischen Abbildungen.
4. Diätetik: ihre Anwendung bei der Behandlung chronischer
Krankheiten. Von Dr. William Henry Porter, Prof, der Pathologie und
allgemeinen Medizin, P.-Grad. school and hosp. New-York. Eine allgemeine
Betrachtung einiger für den allgemeinen Praktiker wichtigen Punkte in der
Ernährung chronischer Kranker mit Angabe von Speisezetteln.
Bücherschau.
1391
5. Reguläre Sitzung der klinischen Gesellschaft der New-Yor-
ker Post-Graduate medical school and hospital am 16. April 1909.
(Vorsitzer Dr. Franklin Abhot Dorman.) Vorträge und Demonstrationen:
1. Zwei Fälle von Strabismus (convergens und divergens), vorgestellt
von Prof. Valk, um die Resultate der Verkürzungs-Operation (shortening
Operation) zu zeigen. Es wird nur eine Katgutnaht in den Muskel gelegt,
ohne ihn abzutrennen, und so seine Aktion verkürzt. V. hat bis jetzt in
250 Fällen damit gute Resultate erzielt. 2. Bericht über einen Fall vom
plastischer Operation wegen angeborener Deformität und teil¬
weisen Defekts am äußerten Ohr. Von Dr. J. Heckmann. An dem
deformierten Ohr fehlte das obere Drittel, das untere war normal, das mitt¬
lere war nach vorwärts gedreht. Das ganze Ohr stand mehr nach vorn und
tiefer als das andere. Die Operation soll im Juliheft des Post-Graduate be¬
schrieben werden. In der Diskussion bemerkte Dr. Pooley, daß er vor
Jahren eine ähnliche Operation gemacht und seitdem öfter wiederholt habe.
Seine Fälle entsprächen jedoch dem, was man in Deutschland „Schlappohr“
nennt. 3. Die Toxämien des Auges, mit Berücksich tigung auch der
das Auge treffenden Auto-Intoxikation. Von Dr. A. Edward Davis,
Prof, der Augenkrankheiten. D. bespricht die Tabaks-Alkohol-, die Blei-,
die Bisulfat-Carbon-Amblyopie (beim Vulkanisieren des Kautschuks), die
Nitro-Benzol- und Dinitro-Benzol-, die Atoxyl-, die Methyl- Alkohol-, die
Chinin-Salizyl-, Filix mas-, Antipyrin-, Karbol-, Jodoform- und Ergotin-
Amblyopie. Zu den Auto-Intoxikationen, die das Auge in Mitleidenschaft ziehen
können, zählt er die Toxämien der Schwangerschaft, des Diabetes, des Karzi¬
noms und andere durch die Produkte des individuellen Metabolismus verur¬
sachten Krankheiten. 4. Zwei Fälle von Rückfall (reversion), aber
verschiedener Natur;, in dcrlselben Familie. Von Dr. Albert S.
Harden, Patholog am St. Michaers Hospital, Newark, N.-J. Väterlicher¬
seits eine Balano-Hypospadie in den letzten 5 Generationen, mütterlicher¬
seits eine Artikulation der 2. und 3. Zehe beider Füße mit dem 2. Meta,-
tarsal-Knochen, verbunden mit Schwimmzehe (web-toe) in den letzten 6 Gene¬
rationen. Beide Zustände kamen nur bei den männlichen Familienmitgliedern
vor, mit einer einzigen Ausnahme, Mrs. S., welche die Fußdeformität hat,
aber schwächer als ihre Vorfahren, und eine weniger ausgebildete Schwimm¬
haut. M. S., 3 Jahre alt, sonst normal, bis auf die erwähnte Artikulatiofi,
aber ohne Schwimmhaut. B. S., 10 Monate alt, normal bis auf die Balano-
Hypospadie. Der ältere Bruder hatte also die Familieneigentümlichkeiten
der mütterlichen Seite der Mutter, der jüngere die ihrer väterlichen Seite.
Natürlich wäre es, zu denken, daß die Erbeigentümlichkeiten beiderseits
ähnlich ausgedrückt wären. Peltzer.
Bücherschau.
Das Pfadfinderbuch. Nach General Baden-Powells „Scoutingfor Boys“.
Unter Mitwirkung von Hauptmann Bayer und Prof. Dr. Kemmer,
herausgegeben von Stabsarzt Dr. A. Lion. Verlag der Arztl. Rundschau
(O. Gmelin), München, 1909. 342 S. 3,50 Mk., geh. 4,50 Mk.
Offenbar durch eine den Inhalt nicht ganz deckende oder mindestens nicht
erschöpfende Devise verführt, die auch in dem Buchtitel zum Ausdruck gelangt,
hat man hinter der von dem General Baden-Po well, dem Verteidiger von
Mafeking, angeregten Bewegung und in der von ihm geschaffenen Institution der
„Boy-Scouts“ vielfach ganz ungerechtfertigterweise das Bestreben vermutet, den an
sich vorhandenen Hang der Jugend zu einer gewissen Abenteurer-Romantik zu
bestärken oder gar die heranwachsende Generation mit einer Art von kriegerischem
und blutdürstigen Indianergeiste zu erfüllen und sich damit in einen Gegensatz zu
der modernen Richtung zu stellen, die die Lösung kultureller Aufgaben und die
Aufhebung der nationalen Gegensätze an die Spitze ihres Programms stellt.
Daß das die Tendenzen des von Lion nicht übersetzten, sondern im Geiste
des Urhebers dieser Ideen unter Mitwirkung hervorragender Offiziere und Schul-
1392
Bücherschau.
männer nachgeschaffenen und dem nationalen Geiste gewissermaßen adaptierten
Werkes vollkommen verkennen heißt, muß jedem klar werden, der mit Unbefangen¬
heit an dessen Lektüre herantritt.
Das Suchen und Finden des richtigen Lebenspfades, die Ent¬
wicklung der wichtigsten Fähigkeit, selbständig handeln und allein
für sich sorgen zu können, das ist es, was der Verfasser in die Be¬
deutung des Wortes „Pfadfinder“ hineingelegt wissen will. Und wohl
jeder muß ihm darin recht geben, daß ein in diesem Sinne starkes
Geschlecht die beste Friedensbürgschaft ist.
Lion sieht mit Baden-Po well die größte Gefahr darin, daß unsere Jugend
körperlich zurückgeht und geistig verroht. Unermüdlich ruft er ihr deshalb zu:
„macht die Augen auf!“ Das heranwachsende Geschlecht soll lernen, die Augen
öffnen, nicht nur um die ihm selbst, sondern auch die dem Nächsten drohenden
Gefahren rechtzeitig zu sehen, und ihnen mit geeigneten Mitteln zu begegnen.
Deshalb beschränkt sich das Buch nicht darauf, Kegeln für die hygienische Lebens¬
führung und für die Übung und Stärkung des Körpers und Geistes zu geben,
sondern er gewöhnt den Leser an die Umschau nach Gelegenheit, wo immer es
nur etwas zu helfen gibt und wirkt durch diese Gewöhnung an Hilfsbereitschaft im
Dienste der Allgemeinheit auf eine Vertiefung des Gemütes, auf die Wieder¬
erweckung der alten Rittertugenden in einem den Forderungen einer neuen Zeit
entsprechenden Geiste hin.
So kann man, um den reichen Inhalt in wenigen Worten zu charakterisieren,
kurz sagen: das hier vertretene System, das von seiten der Ärzte, der Pädagogen
und der Soziologen in gleichem Maße alle nur mögliche Förderung verdient, gipfelt
in der Erziehung für die Forderungen des realen Lebens nach Maßgabe
rein idealer Motive. Eschle.
Kongresse und Versammlungen.
Der 31. Baineologenkongreß, welcher vom 28. Januar bis 1. Februar 1910
im Anschluß an die Zentenarfeier der Hufelandischen Gesellschaft in Berlin tagen
wird, verspricht einen sehr guten Verlauf zu nehmen. Es sind eine große Reihe
von interessanten Vorträgen aus den verschiedensten Gebieten, welche mit der
Balneologie im Zusammenhänge stehen, angemeldet und eine beträchtliche Anzahl
von Mitgliedern hat ihre Teilnahme bereits angezeigt. — Die Begrüßung der Mit¬
glieder und deren Damen findet am Freitag, den 28. Januar, abends 8 Uhr im
Hofbräuhaus, Potsdamerstraße 127 statt.
Hochschulnachrichten.
Berlin. Geh. Medizinalrat Prof. Dr. H. Senator vollendete sein 75. Lebensjahr.
Für Physiologie habilitierte sich Dr. E. Regen er.
Bonn. Dr. P. Prym habilitierte sich für pathologische Anatomie. Prof. Dr.
Th. Saemisch, der seit Ostern 1907 vom Lehramt zurückgetreten war, ist
verstorben.
Breslau. Prof. Dr. K. Hürthle wurde zum Geh. Medizinalrat ernannt. Der
o. Prof. Dr. Czerny wurde zum o. Professor u. Direktor der Kinderklinik in
Straßburg i/E. ernannt.
Erlangen. Für Augenheilkunde habilitierte sich Dr. R. Kümmell.
Halle a. S. P.-D. Dr. A. Stieda erhielt den Titel Professor. Für innere Medizin
habilitierte sich Oberarzt Dr. H. von Hösslin.
Heidelberg. Der ao. Professor der Chirurgie Dr. M. Jordan ist verstorben. Zum
o. Professor der Hygiene wurde Prof. Dr. H. Kos sei in Gießen ernannt. Das
goldene Doktorjubiläum feierte am 14. November der Prof, der pathologischen
Änatomie Wirkl. Geh. Rat Exz. Dr. Julius Arnold.
Königsberg. Der ao. Professor Dr. J. Schreiber wurde zum Geh. Medizinalrat
ernannt. Prof. Dr. G. Winter wurde zum Geh. Medizinalrat ernannt.
München. Der ao. Professor Dr. M. Crem er geht als Physiologe der Kranken¬
anstalten nach Köln.
Straßburg i. E. Der o. Professor u. Direktor der Augenklinik Dr. O. Schirmer
erhielt die nachgesuchte Entlassung aus seinem Lehramt.
Wien. Der ao. Professor Dr. M. Richter wurde zum Professor der gerichtlichen
Medizin ernannt.
Schriftleitung: Dr. Ri gier in Leipzig.
Druck von Emil Herrmann senior in Leipzig.
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